Hellas verstehen: Deutsch-griechischer Kulturtransfer im 20. Jahrhundert 9783412212704, 9783412204501

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Hellas verstehen: Deutsch-griechischer Kulturtransfer im 20. Jahrhundert
 9783412212704, 9783412204501

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Hellas verstehen

Chryssoula Kambas • Marilisa Mitsou (Hg.)

Hellas verstehen Deutsch-griechischer Kulturtransfer im 20. Jahrhundert

2010 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der ADAMAS Stiftung Goetz Huebner, des griechischen Kultus- und Erziehungsministeriums, des griechischen Ministeriums für Kultur sowie der Stiftung Kostas und Eleni Ourani, Athen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Jannis Psychopedis, Bildmontage »Der Apollo von Kassel« (1994), siehe hierzu auch das Vorwort S. XIV f. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Künstlers.

© 2010 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Satzeinrichtung: Ruth Schumacher, Forschungsstelle Literarischer Transfer, Universität Osnabrück Druck und Bindung: MVR-Druck GmbH, Brühl Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20450-1

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ix ERFAHRENES GRIECHENLAND Dorothea Ipsen Visionäre Aneignung der Antike. Die Wahrnehmung Griechenlands in den Reiseberichten von Gerhart Hauptmann und Isolde Kurz . . . . . . 3 Dieter Werner Realität und Erwartung: Theodor Däublers ungeschriebenes Griechenlandbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Hans Eideneier Wo im kulturellen Europa liegt das moderne Griechenland? . . . . . . . . 35 KULTURAUFTRAG WÄHREND DER BESATZUNG Frank-Rutger Hausmann Das Deutsche Wissenschaftliche Institut in Athen . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Jan Andres „Hellas ewig unsre liebe“ – Erlesenes und erlebtes Griechenland bei Rudolf Fahrner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Rudolf Grimm ,Geheimes Deutschland‘ im besetzten Athen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Danae Coulmas Athen ’41. Peter Coulmas im „Deutschen Wissenschaftlichen Institut“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 KULTURPOLITIK DEUTSCHER STAATEN GEGENÜBER GRIECHENLAND Phädra Koutsoukou Die NS-Kulturpolitik gegenüber Griechenland in der Vorkriegszeit: Olympia 1936, Förderprogramme Geisteswissenschaften, Abwerbung griechischer Künstler. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

vi Maria Zarifi Im Fadenkreuz der NS-Kulturpolitik. Förderstrategien für die Natur-, Technik- und Humanwissenschaften Griechenlands. . . . . . . . 157 Charikleia Bali Direkte und indirekte Einflußnahme auf die Universität Athen während der deutschen Besatzung. Zur Veränderung des Deutschlandbildes der Professorenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Emilia Rofousou Die Kulturbeziehungen zwischen der SBZ/DDR und Griechenland in der Phase der Nicht-Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Hagen Fleischer Der lange Schatten des Krieges und die griechischen Kalenden der deutschen Diplomatie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 TRANSFERKONTEXT: ZEITGENÖSSISCHE NEUGRIECHISCHE LITERATUR Marilisa Mitsou Griechenfreundschaft gegen Philhellenismus? Karl Dieterichs Lyrik-Anthologie als erste Kanonbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Andrea Schellinger Zwischen den Stühlen. Der Kulturmittler Alexander Steinmetz . . . . 269 Chryssoula Kambas Athen und Ägypten. Helmut von den Steinen, Übersetzer von Kavafis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Maria Oikonomou Kapital und Alterität. Zwei deutsche Kavafis-Ausgaben . . . . . . . . . . . 329 Gerhard Emrich Isidora Rosenthal-Kamarinea und ihre Anthologie Neugriechische Erzähler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Ulrich Moennig Über das Wesen des Krieges. Der Roman Η Λέσχη (Der Club) von Stratis Tsirkas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 ÜBER DIE AUTOREN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 REGISTER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375

Vorwort Die leitende Fragestellung des vorliegenden Bandes ist die nach der Typologie der wechselseitigen deutsch-griechischen kulturellen Wahrnehmungsmuster, wie sie für das letzte Jahrhundert, das zwanzigste, grundlegend wurde. Dieses gerät dabei zu einem „kurzen“ Jahrhundert im Sinne des britischen Historikers Eric Hobsbawm, das sich auf signifikante Weise im weitesten Sinne um die Vor- und Nachgeschichte des Zweiten Weltkriegs zentriert. Der Band untersucht die literarischen und wissenschaftlichen Transfers einer Epoche, die bis in unsere Gegenwart in einem kulturell kommunizierenden Europa ‚nach 1989‘ fortwirken, wobei sich die intellektuell-mentalen Formationen insbesondere der deutschen Restaurationszeit nach 1945 bereits mit den 1960er Jahren in Auflösung befanden. Die Beiträge untersuchen die Akteure im Feld beider Literaturen, die Beteiligung einzelner Wissenschaften, auch Institutionen sowie Bezüge zur staatlichen Diplomatie. So erschließt sich die kulturelle Wechselwahrnehmung methodisch nach Gesichtspunkten des Kulturtransfers. Die Autoren des Bandes gehen einer Vielzahl von Fragen nach: Welches Wahrnehmungsmuster „Griechenland“ haben deutschsprachige Schriftsteller, Philologen und Übersetzer im zwanzigsten Jahrhundert im Kontakt mit dem Land hervorgebracht? Sind sie über die mit dem klassizistischen Hellas-Ideal postulierte Vorbildlichkeit hinausgelangt – immerhin in einer Epoche, die von den emphatischen Projekten der Moderne und der Avantgarden in Mittel- und Westeuropa ihre nachhaltige Prägung und ihr kritikfähiges Potential erhalten hat? Gelang es den Griechenlandkennern, Schriftstellern, Übersetzern, Wissenschaftlern, die relevanten literarischen und kulturellen Strömungen ihres je zeitgenössischen Hellas auszumachen? Wurden ins Deutsche übersetzte griechische Autoren und Werke auch als moderne kanonisiert? Wie hatte sich die NS-Kulturpolitik gegenüber Griechenland in der Vorkriegszeit und während der Okkupation entwickelt und ausgewirkt? Welche Rolle spielten dabei Kulturinstitutionen des „Dritten Reiches“? Wenn die NS-Besatzung die deutschgriechischen Beziehungen aus dem Kulturbereich, den sie selbst privilegierte, in den einer asymmetrischen Politik zweier verfeindeter Länder versetzte, wie konnten sich die Beziehungen in der Nachkriegszeit dann wieder harmonisieren? Trugen Kultur-Mittler, Wissenschaftler und Übersetzer dazu bei? Wo im ‚mental mapping‘ beider deutschen Öffentlichkeiten nach 1945 verzeichnete man Griechenland? Und inwieweit arbeitete die „Endlösung der Kriegsverbrecherfrage“ durch die BRD-Diplomatie dem heutigen „Vergessen“ vor? – Die entstandene Typik der Wahrnehmung hatte in beiden Ländern kulturelle Voraussetzungen und Folgen. Sie lebt fort, auch wenn der untersuchte Zeitraum geschichtlich abgeschlossen ist. Ihr Zustandekommen und ihre Vielfalt im einzelnen sind gleichwohl voller spannungsreicher Antagonismen.

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Vorwort

Die einleitenden Beiträge im Abschnitt „Erfahrenes Griechenland“ konzentrieren sich auf Texte und Autoren der deutschen Literatur des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, Gerhart Hauptmann und Isolde Kurz mit ihren Reiseberichten sowie Theodor Däubler mit dem Projekt seines Griechenlandbuches. Ganz analog zu Stefan Georges für den Kulturtransfer einflußreichem Alt-Hellas-Ideal, ist den Genannten das ‚Vergessen‘ des Wissens der im 19. Jahrhundert erfolgten Forschungsansätze zum neuen Griechenland nach 1821 und die Nichtbeachtung der zeitgenössischen Byzantinistik und Neogräzistik gemeinsam. Die Autoren stilisieren das erfahrene Griechenland mit ihrem Wissen von der klassischen Antike bzw. eines vitalistisch-dionysischen Antikenbildes in der Nachfolge Nietzsches um. In der nächsten Generation wird auch ein lebensweltlich gewendeter Platon an das zeitgenössische Griechenland herangetragen. Da der griechische Alltag bis in die späten 1950er Jahre, abgesehen der einer kleinen städtischen Schicht, bäuerlich und von Zivilisation und Urbanismus des industriellen zwanzigsten Jahrhunderts noch ein gutes Stück entfernt war, bildet er, neben den ägäischen Landschaften, auf diese Differenz hin, von der Folklore angezogene Schreib- und Übersetzungsmotivationen. Kultur und Wissenschaft des modernen Griechenlands wurden, weitgehender noch als im 19. Jahrhundert, geistiges Niemandsland, das recht willkürlich von den stereotyp nachlebenden Ideen des Humanismus und Philhellenismus besetzt werden konnte (vgl. den Beitrag „Wo im kulturellen Europa liegt das moderne Griechenland?“). Für neogräzistische Philologen, für Germanisten oder für in deutscher Literatur geschulte Autoren mit Neugriechischkenntnissen lag es nahe, die fremde Gegenwart ‚authentisch‘ über literarische Übersetzungen zu Wort kommen zu lassen. Insbesondere zeigen die Beiträge über Karl Dieterich, Alexander Steinmetz und Isidora Rosenthal-Kamarinea im Abschnitt „Transferkontext: zeitgenössische neugriechische Literatur“, daß das griechische 20. Jahrhundert im Deutschen nur allzu langsam und mit starken literaturgeschichtlichen Selbstrückversicherungen eines hauptsächlich vom 19. Jahrhundert geprägten Kanons vorankommt. Die Übersetzer wollten, so scheint es, jeweils einen repräsentativen Überblick vom griechischen Sprachenstreit her bieten. Dabei setzten sie vor allem auf das, was ihnen das Bewährte und damit das Künftige zu sein schien und folgten so, trotz Parteinahme für demotizistische Autoren, eigenen, in der deutschen Literaturentwicklung geprägten und dabei ausgesprochen retardierenden Auswahlkriterien. Zum Beispiel stand dem Byzantinisten Dieterich die eigene deutsch-klassizistische Orientierung im Weg. Wenn er früh das moderne Griechisch von Kavafis übertrug, glättete er bestimmte seiner Themen oder schloß sie aus. Die deutsche Rezeption von Kavafis bildet darüber hinaus einen eigenen, kleineren Schwerpunkt in unserem Band. Dem für die griechische Literaturentwicklung im 20. Jahrhundert herausragenden Dichter, vergleichbar mit Kazantzakis und dessen Leistungen für

xi 9 2 die Prosa, können die entstandenen Übertragungen durchaus Profil geben. 3 Doch zugleich weisen sie recht verschieden ambitionierte Wertungen, Verein9 seitigungen, auch manipulativen Umgang mit Hilfe kultureller Zuordnungen 2 auf. 3 Es läßt sich insgesamt bis heute von einer deutschen Rezeptionsverzö9 gerung bei griechischer Literatur sprechen, insbesondere im Vergleich zur 2 englischen, französischen, italienischen und spanischen Auswahl von Übersetzungen und entsprechenden literarischen Werkaufnahmen. Ein weiteres, recht gravierendes Problem der deutschen Verzögerung liegt im Fehlen einer griechischen Literaturgeschichte von innovativem Zuschnitt. Die stets noch solide von Konstantinos Dimaras (1948/49, 92000) ist ideengeschichtlich strukturiert und wurde relativ schnell nach Erscheinen ins Französische übersetzt (1965). Seitdem bietet sie dort für Komparatistik und moderne Philologien die Arbeitsgrundlage. Auf Deutsch liegt, dank der Initiative des Romiosini-Verlages, die Literaturgeschichte von Linos Politis, erschienen 1973 auf Englisch, 1978 auf Griechisch, zumindest seit 1984 vor. Sie hat den Vorteil ausführlicher Werkreferierungen und ist, auf Deutsch, die bis heute verläßlichste. Die Gruppe von Schriftstellern und Wissenschaftlern, die im deutschgriechischen Kulturtransfer zu Akteuren wurde, ist insgesamt von deutlich kulturkonservativer Ausrichtung. Dennoch zeigt sie sich nach differenten Ideenhorizonten unterschieden, was zum Teil zu spannungsreichen Divergenzen im Vergleich und untereinander führte. Etwa bei Helmut von den Steinen und Rudolf Fahrner, die beide zum selben Marburger George-Kreis zählten. Nichtsdestotrotz muß die Folge des dominant kulturkonservativ geprägten Interesses an Griechenland festgehalten werden: programmatisch modern orientierte deutschsprachige Schriftsteller und Intellektuelle der Zwischenkriegszeit beteiligten sich am deutsch-griechischen Kulturaustausch nahezu nicht und schenkten ihm auch kaum Beachtung. Was damit in der von uns untersuchten Epoche für den deutschen Sprachraum als Impuls weitgehend entfällt, kann im Verweis auf die wenigen griechischen Mit-Spieler im Pariser Surrealismus, Tériade (eigentlich: Stratis Eleftheriadis), Empeirikos, Prassinos und ihren inspirierenden transkulturellen Langzeitwirkungen angedeutet werden. Der Grund für das Desinteresse der deutschsprachigen literarischen Avantgarde darf im bildungsbürgerlich präformierten Vorverständnis des gesamten Kulturraumes „Hellas“ vermutet werden. Italien und Rußland gegenüber wurde eine große Aufgeschlossenheit, sogar Aufnahmebereitschaft entwickelt. Beides, Desinteresse auf der einen und philhellenische Bastion auf der anderen Seite, erzeugten Retardierung und hausgemachten Traditionalismus im deutschen Griechenlandbild wie im Interesse an der griechischen Literatur der Gegenwart. Bei alledem ist das Hindernis der kleinen Sprache in Rechnung zu stellen. Bis heute herrscht das MißVorwort

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xii

Vorwort

verständnis vor, deren produktive Leistungen mittels Kenntnissen der Altphilologie schon hinreichend bewerten oder – ersatzweise – ignorieren zu dürfen. Es ist unmöglich, den deutsch-griechischen Kulturtransfer mit seinem besonderen philhellenischen Revival zu verstehen, ohne eingehend die politischen Verhältnisse in und zwischen den Staaten einzubeziehen. Erst das NSDeutschland zeigte nach dem Ersten Weltkrieg überhaupt Bemühungen um die Intensivierung diplomatischer wie kultureller Beziehungen, hauptsächlich um die Chance zu ergreifen, ‚privilegierte Sonderbeziehungen‘ zu Griechenland unter General Metaxas auszubauen. Hierbei funktionalisierte der NSStaat die Antike politisch, was u.a. auch in der Aufwertung der Altertumswissenschaften zum Ausdruck kam. Dies wird in der heute postmodern belebten Antikenrezeption nur ungenügend berücksichtigt: eine naiv aktualisierte Antike verfängt sich in ähnliche ästhetische Zweideutigkeiten wie die in Kitsch und zu hohlem Pathos degenerierte NS-Usurpation des Winckelmannschen Ideals. Die Arbeiten von Suzanne Marchand und Esther Sünderhauf haben solche Instrumentierung detailliert untersucht. Dabei weisen sie auch Wirkung und Widerhall der NS-Antikenfunktionalisierung in Griechenland mit auf. Hitler suchte die kulturpolitische Wirksamkeit in Griechenland einerseits, um sich selbst außenpolitisch aufzuwerten; andererseits, um eine Bündnisfront analoger Regime (Italien, Spanien, Bulgarien u.a.) zu schmieden. Griechenland gegenüber wurde, neben der Förderung archäologischer Ausgrabung, mit der Hofierung einzelner griechischer Künstler und Wissenschaftler sowie mit „Bildungsexport“ geworben, d.h. zuerst Förderung von Studenten für den Erwerb deutscher Sprache. Die historischen Beiträge unseres Bandes im Abschnitt „Kulturpolitik Deutscher Staaten gegenüber Griechenland“ erschließen diese deutschen kulturpolitischen Bemühungen und ihre Wirkungen in Hellas, bevor es zum Einfall des deutschen Militärs und der NS-Sondereinheiten in das bis dahin hofierte Land kommt. Bis heute sind die Verbrechen der Achsenmächte an der griechischen Bevölkerung, vorrangig von Seiten der Wehrmacht und deutscher wie österreichischer Sonderkommandos, doch auch italienischer und bulgarischer Militär- und Besatzungseinheiten, in den je bilateralen und europäischen Beziehungen in der öffentlichen Diskussion noch nicht angemessen berücksichtigt. Wie sollen sie dann aber, als Teil einer adäquaten, versöhnenden Gedenkkultur, ins Bewußtsein der Gegenwart gelangen? Eine Gedächtnisarbeit von europäischer Dimension müßte hier aufgenommen werden. In Nicht-Aufarbeitung der Okkupation glaubten sich die restaurativen Nachkriegsregierungen der Kriegsverbrecher- und Kollaborationsfrage entledigt zu haben. Der (BRD-)deutsch-griechische Kulturtransfer während der 1950er Jahre mit seiner weiterhin philhellenisch-klassizistischen, nun aber zugleich betont folkloristischen Färbung, verzichtete ebenso darauf, Okkupation, griechischen Widerstand und Bürgerkrieg zu thematisieren. Er stand, wie die

xiii 3 9 2 betroffenen Nachkriegsgesellschaften selbst, in der Kontinuität der vor und 3 z.T. noch während der Besatzung erfolgten deutschen Sprach- und Kulturver9 mittlung. Zum einen waren auf den Nationalismus verpflichtete Mittler auch 2 für das NS-Regime und die Kollaboration nützlich. Zum andern überlebten ge3 rade in der Nische der Kultur einzelne, meist junge griechische, aber auch 9 deutsche, Studenten und Akademiker. In unserem Band sprechen die Fallbei2 spiele Alexander Steinmetz, Peter Coulmas, Rudolf Grimm davon. Von Interesse ist das heute auch deswegen, weil so über das „Deutsche Wissenschaftliche Institut“ (DWI) die Berührung zum späten innerdeutschen wie zum griechischen Widerstand punktuell existierte. Aufgabe der Genannten im DWI Athen war es hauptsächlich, griechische Stipendiaten auszuwählen. Diese gerieten in das NS-Deutschland der Jahre des Luftkriegs. Exemplarisch für die Gruppe von Geförderten, die wir ansonsten nicht weiter untersucht haben, ist die Vita von Isidora Rosenthal-Kamarinea. Hier zeigt sich, welche differenzierungsfähige politische, dabei kulturell wertschätzende Beurteilung die vorherrschende Typik des deutsch-griechischen Kulturtransfers trotz aller Voraussetzungen erfahren muß. Frank-Rutger Hausmann hat das Athen-Kapitel seiner Monographie über die DWI in den NS-besetzten Ländern, mit wenigen Ergänzungen versehen, unserem Band zur Verfügung gestellt, wofür ihm und dem Verlag hiermit sehr gedankt sei. Es war den Verfassern mit Beiträgen zum DWI vorab Arbeitsgrundlage, und die Einfügung bot sich, nicht zuletzt zum Nutzen der Leser, zur sinnvollen Komplettierung an. So sind das DWI Athen und die GeorgeSchule nach der Beitragsfrequenz in diesem Band augenfällig häufig vertreten. Großteils haben wir diese Beiträge im Abschnitt „Kulturauftrag während der NS-Besatzung“ gebündelt. Zusammen mit dem Beitrag über Helmut von den Steinen bietet unser Band einen Aufriß des in der jüngeren Forschungsliteratur über das Milieu des George-Kreises bislang nicht erschlossenen Themas einer Genese von dessen Interesse am zeitgenössischen Griechenland. Der weitgehend im Zeichen des neuromantischen Alt-Hellas Ideals und vitalistischer Folklore vollzogene Typus des Kulturtransfers, leicht erschüttert schon durch Hans M. Enzensbergers Tourismuskritik, gerät 1967 schlagartig an sein vorläufiges Ende. Für die in der BRD-Öffentlichkeit breite Solidarität mit den von der griechischen Junta Verfolgten und Vertriebenen waren plötzlich Geschichtskenntnisse nötig. Ihr Fehlen veranlaßte verschiedene Verlage, von Wagenbach bis zu Kiepenheuer & Witsch, Bücher zur griechischen Geschichte und Politikstruktur vor allem des 20. Jahrhunderts, aus dem Englischen und Französischen übersetzt, herauszubringen. Auf diese Wende im deutschen Griechenlandbild geht im übrigen auch die mittlerweile breitere deutschsprachige historische Forschung über die Geschichte des Landes im Zweiten Weltkrieg und im Bürgerkrieg zurück. Sie erfuhr auch verschiedentVorwort

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Vorwort

lich Stoffaufnahme in deutschen Romanen. Auch neue Anthologie-Unternehmen folgten. Wenn die Epoche des um 1900 entstehenden Transfertypus abgeschlossen sein sollte, hätte sich damit auch der philhellenische Stereotypenkomplex in nichts aufgelöst? Aufschlußreiche Antwort geben die bis nach 2000 fortgeführten Neuauflagen der Griechenland-Bücher Erhart Kästners. Sie sind weiterhin beliebte ‚Reiseführer‘ in ein zeitloses Land der klassischen Antike. Der Verfasser, Verehrer und zeitweiliger Sekretär Gerhart Hauptmanns, schrieb sie ursprünglich im Wehrmachts-Auftrag zur kulturellen Unterrichtung der einfachen Soldaten. Wenn auch von manchen Ideologemen gereinigt, welche die Auftragstellung der Erstauflagen verraten, zeigen die kontinuierlichen Neuauflagen seit der Nachkriegszeit am augenfälligsten die longue durée der deutschen philhellenischen Verkennung des je zeitgenössischen Griechenlands. Daß sich gegenläufig dazu, mit der von der Junta vertriebenen großen Zahl junger Leute aus Griechenland an die europäischen Universitäten des Auslands neue Wechselbeziehungen zwischen den Ländern bildeten, diesen Ausblick wollen wir den Lesern zumindest bereits mit der Gestaltung unseres Bucheinbandes deutlich signalisieren. Die jeweilige Sprach- und Kulturoption in dieser Generation junger Griechen verband die einzelnen west- und nordeuropäischen Länder in bilateraler Weise und über einen Transfer von je besonderer Typik, mit dem Land an der südosteuropäischen Peripherie. Von verkehrstechnischer Mobilität und medialer Omnipräsenz getragen, ist heute eine quasi gemeinsam europäische wie allgemein internationalisierte Kulturarbeit möglich, gelegentlich sogar institutionalisiert. Noch ist nicht richtig absehbar, wie die intellektuelle und ästhetische Einbindung Griechenlands in Europa im Lande selbst Grundlagen eines innovativen Profils – im System der Erziehung, der Wissenschaften, in den Künsten – fortlaufend gewinnen und schließlich stabilisieren kann. Eine kritische Selbstdeutung und ein forschender Blick in die eigene transnationale Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, durchaus dann mit Hilfe einer die Antike erörternden Ikonographik, tragen zweifellos zur europäischen Identitätsbildung bei. Der Künstler Jannis Psychopedis stellte 1994 die Bildmontage „Der Apollo von Kassel“ her, aus dem unser Einband den zentralen Ausschnitt aufnimmt. Von der Vielschichtigkeit des Werks soll eine, uns leider nur in schwarz-weiß mögliche, doch immerhin vollständige Abbildung des Werks einen Eindruck verschaffen. Es gehört zu Psychopedis Serie Το γράµµα που δεν έφτασε (Der Brief, der nicht ankam). Die Arbeit an der Werkfolge hat der Künstler in der Mitte der 1970er Jahre aufgenommen und bis 1996 fortgeführt. Sie steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Grund für den Abbruch des philhellenisch-folkloristischen Transfertypus. Im Jahre 1945 in Athen geboren, gelangte Psychopedis 1970 mit Förderung des DAAD nach München. Von 1977 bis

xv 9 2 1986 arbeitete er in Westberlin. Er gehörte bis 1974 zur Opposition gegen die 3 Obristen-Diktatur. Auf die Idee zur Serie brachte ihn die Erinnerung an die 9 Post, die ihn aus Griechenland während der Junta-Jahre erreichte. Pakete, die 2 ihm Verwandte geschickt hatten, angefüllt mit liebevoll Gebackenem, sorg3 fältig eingewickelt, waren nach allen Regeln des Filzens durchwühlt, zerbrö9 selt und zerschnitten worden. Sie kamen an als von klebrigen Massen durch2 tränktes Papier. Stets überreichte ihm der Münchener Postbote gesammelte Reste in Plastikeinschweißungen. Diese Erfahrung stand am Anfang der Serie: Der Brief bleibt unleserlich. Verpackungen und Gegenstände, oder Rahmen und Bildkern, werden auf der Bildfläche neu zusammengesetzt. Identifizierbar bleiben wenige, manchmal erkennbar griechische Motivreste. Zeitschichten sind gleichfalls erkennbar: vergangenes Bildungsgut, verstellt von Materialien der Gegenwart. So auch im „Apollo von Kassel“. Drahtverhau, Lichtreflexe, Plastikfolien sind von heute. Allerdings in einem Zustand der Zweideutigkeit, die als eine vielleicht heilsame, wenn auch gewaltsame Entfremdung lesbar ist. Diese allein erlaubt noch den Zugang zu den Resten. Was bleibt, sind Zitat und Rahmen. So viel noch zu den letzteren: Weder die Schwarzweißabbildung noch der Umschlagausschnitt lassen die in das Bild eingegangene Nationalsymbolik deutlich erkennen. Die Farbkombination der vielen Rahmen in schwarz-rot-gelb sind weiß durchsetzt. Wir hoffen auf sympathisierende Nachsicht des Künstlers, wenn wir weder das preußische noch das bundesrepublikanische Farb-Signal dem Einband mit auf den Weg zum deutschen Publikum geben wollten. Die kritische Unruhe, in die die Farben das Original versetzen, wollten wir mit einem ruhig wirkenden hellenisch-Blau austauschen, um mit manchen unbequemen Ergebnissen zu versöhnen. Ein Hinweis zur formalen Vereinheitlichung: Bei der latinisierten Schreibweise der griechischen Autorennamen sowie weiteren Transkriptionen der griechischen Orthographie haben wir die ELOT-Regeln (vgl. Internet-Link in KLL (2009), Bd. 18, S. 13) übernommen und gelegentlich variiert. Der Band geht auf das Symposion „Transfer der modernen griechischen Literatur und deutscher Bildungsexport. Anthologien, Übersetzung und Kulturpolitik im 20. Jahrhundert“ zurück. Es fand im Mai 2007 an der Universität Osnabrück statt und wurde als gemeinsames Kooperationsprojekt der Universitäten Osnabrück und München durchgeführt. Den Verfassern gilt unser Dank für die erfreuliche und produktive Zusammenarbeit, die bereits während der Tagung in lebhaften, zielstrebigen Diskussionen Gestalt annahm. Dank ihrer Arbeit hat das Buch zustande kommen können. Mit Ruhe und Geduld, wie immer sorgfältig und genau, erstellte Ruth Schumacher die digitale Einrichtung des Textsatzes und das Register. Für ihre stets freundliche und kompetente Mitarbeit danken wir ihr vielmals. Die Volkswagenstiftung (Hannover) unterstützte die internationale Tagung und auch die Arbeiten zur Banderstellung in außerordentlich großzügiger Vorwort

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Vorwort

Weise. Dafür möchten wir an dieser Stelle sehr danken. Weitere erhebliche finanzielle Förderung zur Drucklegung des Bandes erhielten wir von der ADAMAS-Stiftung Goetz Huebner (Stuttgart), vom griechischen Kultus- und Erziehungsministerium sowie dem griechischen Ministerium für Kultur. Auch die Athener Stiftung Kostas und Eleni Ourani unterstützte mit finanzieller Tatkraft den Druck des Buches. Allen genannten Förderern danken wir als Herausgeber auf das Herzlichste. Chryssoula Kambas und Marilisa Mitsou Osnabrück und München, im Dezember 2009

E R F A H R E N E S G R IE C H E N L A N D

DOROTHEA IPSEN

Visionäre Aneignung der Antike Die Wahrnehmung Griechenlands in den Reiseberichten von Gerhart Hauptmann und Isolde Kurz

Informationen über ein fremdes Land erhielt man bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts sehr oft aus Reiseberichten, die jedoch bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend durch Reisehandbücher, sogenannte Reiseführer, oder Bild- bzw. Fotobände ersetzt wurden. Als kulturhistorische Quelle erlaubt der Reisebericht nicht nur Rückschlüsse auf die zeitlich bedingten Gegebenheiten des bereisten Landes, sondern er zeigt auch die vielfältigen Beeinflussungen kultureller, politischer und sozialer Art, denen der Autor in seinem Heimatland ausgesetzt ist. Er ist damit ein Zeugnis für die „spezifische Denkungsart des Verfassers und indirekt für die Mentalität seines Heimatlandes“,1 kann also als „eine Art unfreiwilliger kultureller Selbstdarstellung der Ausgangskultur verstanden werden“.2 Um 1900 ist wieder ein wachsendes Interesse an Griechenland festzustellen, weil man das Land erneut mit Kultur gleichsetzte und man sich nach Hellas auf die Suche nach neuen bzw. tradierten Werten begibt. Wie der Journalist und Reiseschriftsteller Adolf Gelber berichtet, fühlte sich das Volk der Griechen vom westlichen Europa jedoch nicht angemessen anerkannt, weil in den Reiseberichten über Griechenland immer nur von der Antike die Rede war, von den gegenwärtigen Griechen und ihrem Leben aber nichts zu lesen stand.3 Fragt man nach dem Motiv für eine Reise nach Griechenland in der wilhelminischen Zeit, so findet man diese Klage bestätigt, denn schon die gängigen beiden Reisehandbücher, Baedekers Griechenland und Meyers Reisehandbuch Griechenland und Kleinasien, stellen als Hauptgrund für eine Reise nach Griechenland heraus, daß dort der „Schauplatz der griechischen Antike mit eigenen Augen zu sehen, die Zeugen einer großen Vergangen heit mit Andacht zu betrachten“4 seien. Nicht dem Land der Gegenwart gilt das Interesse, sondern seiner Vergangenheit, der griechischen Antike, deren Relikte man auf historischem Boden betrachten und genießen will.

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HARBSMEIER, Mentalitätsgeschichtliche Quellen, S. 1. HARBSMEIER, Mentalitätsgeschichtliche Quellen, S. 2. GELBER, Auf griechischer Erde, S. 96 und S. 110 f. Meyers Reisebücher, S. 1.

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Dorothea Ipsen

Zwischen 1890 und 1914 erschienen 24 deutschsprachige Reiseberichte in Buchform, wovon 15 von Professoren der Altertumskunde oder von Lehrern der altsprachlichen Fächer an humanistischen Gymnasien verfaßt wurden.5 Aber auch die anderen Autoren verfügten – wie ihre Bücher deutlich machen – über ausgezeichnete Kenntnisse der Antike. Diese klassische Bildung bestimmte den Blick auf das bereiste Land. Dessen Wahrnehmung wurde in unterschiedlicher Intensität durch vier Faktoren bestimmt: Das historische Wissen über die Antike orientierte sich einerseits an den Werken von Herodot und Thukydides, andererseits wurde es in hohem Maße geprägt durch die Griechische Geschichte von Ernst Curtius (1814-1896), in der ein idealistisches, harmonisches Griechenbild vermittelt wurde und griechische Geschichte mit der Geschichte Athens gleichgesetzt wurde. Die Erkenntnisse der zu dieser Zeit umfangreichen archäologischen Grabungen zwangen – allerdings nur zögernd – dazu, auch die Zeit des Mythos in die Historie als minoische und mykenische Epoche einzubeziehen. Die zeitgenössische kritische Sicht der griechischen Antike, wie sie bereits an den Universitäten gelehrt wurde,6 fand keinen Eingang in die Reiseliteratur, so daß diese dazu beitrug, ein inzwischen längst überholtes Geschichtsbild zu festigen. Ebenso vollzog sich die Betrachtung der Tempel, Skulpturen, Statuen und weiterer materieller Funde aus dem Altertum in den Bahnen einer idealistischen Kunstauffassung im Sinne Johann Joachim Winckelmanns. Am Maßstab der griechischen Klassik, insbesondere der perikleischen Zeit, wurden die Kunstgegenstände aller anderen Epochen gemessen, die dann meist als zweitrangig oder minderwertig eingestuft wurden. Die im Gegensatz zu Italien vergleichsweise wenigen gut erhaltenen Ruinen veranlaßten oft zu literarischer Kompensation. Betrachter mit guten kunsthistorischen Kenntnissen und viel Phantasie bauten vor dem geistigen Auge des Lesers die Tempel wieder auf und schmückten sie mit den Skulpturen aus den Museen in London, Paris oder München. Andere flüchteten sich in die Betrachtung der Landschaft, in der sie dann die erwarteten Formen und Linien entdeckten, die die Kunst ihrer Meinung nach beeinflußt hatten. Sie fanden ihre Erfüllung in der „edlen Einfachheit und strenge(n) Größe der lichtumstrahlten griechischen Landschaft“.7 Als humanistisch gebildeten Reisenden war allen die griechische Literatur des Altertums präsent. Insbesondere die Odyssee Homers prägte die Sicht auf das fremde Land. Topographie und Landschaft, Aussehen und Lebensgewohnheiten der Menschen ließen die Dichtung lebendig werden. Unverzichtbarer Reisebegleiter war Pausanias – sozusagen der Baedeker Altgriechenlands –, dessen Beschreibung Griechenlands Auskunft gab über Geschichte und Mythos des jeweiligen Ortes. Er verhalf zu sehen, was gar nicht 5 6 7

IPSEN, Land der Griechen. IPSEN, Land der Griechen, S. 41. WEBER, Im Banne Homers, S. 82.

Visionäre Aneignung der Antike

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mehr zu sehen war. Mit Hilfe von Herodots Historien oder Aischylos’ Persern konnte man sich „in dem Land, wo nichts ist und alles nur gewesen ist“8 das vergangene Geschehen auf den historischen Schlachtfeldern vergegenwärtigen. Aber auch die Interpretation der Antike in Schillers und Goethes poetischen Werken bestimmte die Wahrnehmung. Nicht nur, daß fast jeder Reisende „das Land der Griechen mit der Seele suchend“ unterwegs war, man war auch der Meinung, da die Dichterdioskuren unerreicht das griechische Altertum nachzufühlen und nachzuschaffen vermocht hatten; hier zeigte sich eine „bewußte Nachblüte hellenischer Größe“.9 In Helena und Faust fand man ein gewünschtes Bindeglied zwischen griechischer Antike und deutschem Mittelalter. Dieses verinnerlichte ideale Griechenlandbild verhinderte bei den meisten Reisenden eine unvoreingenommene und kritische Betrachtung des Altertums, weil ihr Blick verstellt war durch Wahrnehmungskonzepte, die sich nicht an der Realität, sondern an veralteten, vorgängigen Auffassungen von Kunst, Geschichte und dem Wesen der alten Griechen orientierten und von denen sie sich nicht lösen konnten oder wollten. „Was du suchst, trägst du in dir, und was du findest, hast du längst besessen“.10 Es verhinderte aber auch den Blick auf das gegenwärtige Griechenland, sein soziales und politisches Leben.11 Die Menschen fanden deswegen oft nur Beachtung, wenn ihr Aussehen antiken Skulpturen entsprach oder an ihren Gebärden und Gewohnheiten eine Kontinuität vom Altertum bis zur Gegenwart festgestellt werden sollte. Sie wurden im Vergleich zu ihren übermächtigen Vorfahren gesehen, deren Größe sie aber nach Meinung der Autoren noch nicht erreicht hatten. Das Besondere an einer Reise nach Hellas war für die Reisenden, daß sie „keine übereinander gehäuften Kulturschichten zwischen dem Altertum und heute“12 fanden. So wurde der Blick nicht von der Antike abgelenkt, wie es z.B. in Italien der Fall war. Außerdem schützte die lange Anfahrt (per Schiff) und die z.T. noch mangelhafte Infrastruktur des Landes vor dem „Heer der neuen Barbaren im Luxuszug“,13 der gebildete Reisende blieb in Griechenland weitgehend unter seinesgleichen.

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BIRT, Griechische Erinnerungen, S. 4. WEBER, Im Banne Homers, S. 274. OETTINGEN, Unter der Sonne Homers, S. 54 f. Nur bei dem Journalisten Gelber (Anm. 3) verschiebt sich in seinem Reisebericht der Schwerpunkt von der Antike zur Gegenwart, allerdings zur letztlich wieder nur normativen Frage, was aus dem Volk, dessen Künstler einst unerreichte Meisterwerke schufen, geworden sei. 12 KURZ, Wandertage in Hellas, S. 200. 13 PONTEN, Griechische Landschaften, S. 245.

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Zu den bekanntesten deutschen Reisenden des beginnenden 20. Jahrhunderts zählte Gerhart Hauptmann (1862-1946), der 45jährig im Frühjahr 1907 mit seiner Frau, seinen Söhnen sowie Freunden Griechenland bereiste.14 Seine Aufzeichnungen wurden bereits im Sommer 1907 in drei Folgen in Die neue Rundschau XIX veröffentlicht und erschienen 1908 in Buchform unter dem Titel Griechischer Frühling. Hauptmann, der keine humanistische Schulbildung besaß und weder die alt- noch die neugriechische Sprache beherrschte, hatte sich jedoch aufgrund seiner Ausbildung an der Kunst- und Gewerbeschule in Jena und Berlin für das Fach Geschichte immatrikulieren können. In dieser Zeit beschäftigte er sich auch intensiv mit griechischer Geschichte und Kunstgeschichte des Altertums. Bereits zwei Mal – 1883 und 1897 – war er zu einer Reise nach Griechenland aufgebrochen, jedoch – zögernd wie Goethe – von Italien wieder nach Hause zurückgekehrt. Hauptmotiv der dritten Reise für den Dichter war, die Wirkung der Antike vor Ort auf die eigene Person zu erfahren. „Ich bin hier, um die Götter zu verehren, zu lieben und herrschend zu machen über mich“.15 Ihn trieb „eine unbezwingliche Sehnsucht“, „sich in die untergegangene Welt der Hellenen wie in etwas noch Lebendiges einzudrängen“,16 was auf eine geplante, fast gewaltsame Aneignung hindeutet. Sein Reisebericht bewegt sich zwischen der Wiedergabe von angelesenem klassischem Bildungsgut an den wichtigsten historischen Stätten Griechenlands, einem literarischen Nacheifern seiner bewunderten Vorgänger Homer und Goethe „als neuer Homeride“17 und einem rauschhaften Versenken in die Ursprünge des Griechentums, wobei ihm die Natur als Medium dient. Hauptmanns Streben nach einer umfassenden Griechendarstellung äußert sich in einer Aneinanderreihung der verschiedenartigsten, oft konträren Landschafts- und Natureindrücke in impressionistischer Manier. Den Ursprung der griechischen Religion empfindet der Autor als Naturkult, und die Götternähe teilt sich ihm mit, wenn er im Grase liegt und sein Gesicht „antäos-zärtlich zwischen die Blumen in diese geliebte Erde“18 drückt. Die Kraft, die die antiken Griechen aus ihrem Boden schöpften, ergreift nun auch ihn. Von einem „schwächliche(n) Griechisieren“, der „blutlose(n) Liebe zu einem blutlosen Griechentum“19 distanziert er sich, statt dessen durchlebt er mit halluzinatorischer Kraft einen, der Nietzscherezeption geschuldeten dionysischen Rausch und erkennt die „blutige Wurzel der Tragödie“, das Tragische „als die schaudernde Anerkennung unabirrbarer Blutbeschlüsse der

14 15 16 17 18 19

IPSEN, Land der Griechen, S. 165-188. HAUPTMANN, Griechischer Frühling, S. 42. HAUPTMANN, Griechischer Frühling, S. 113. HAUPTMANN, Tagebücher, S. 164. HAUPTMANN, Griechischer Frühling, S. 123. HAUPTMANN, Griechischer Frühling, S. 94.

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Schicksalsmächte“,20 denen der Mensch ausgesetzt ist. „Tragödie heißt: Angst, Not, Gefahr, Pein, Qual, Marter, heißt Tücke, Verbrechen, Niedertracht, heißt Mord, Blutgier, Blutschande, Schlächterei…“.21 Es bleibt dem Leser überlassen, sich das Passende herauszusuchen. Der Dichter fühlt sich zu einem noch naiv denkenden, archaischen Griechentum hingezogen, deren Vertreter insbesondere die Hirten sind, die allerdings klassische Züge tragen, und deren Verbundensein mit einer ihm vertrauten Natur – Landschaft und Vegetation – ihm einsichtig und nahe sind. Aufgrund konstruierter gemeinsamer Stammeswurzeln erscheint ihm das Aussehen vieler Griechen als nordisch, „germanisch kernhaft“ und damit ihm selbst blutsverwandt, und er nimmt sie nur wahr, wenn sie „blauäugig, blond und von durchaus kernigem, deutschem Schlag“22 sind. Nach Sparta führt Hauptmann seine Wertschätzung für den „Genius“ Lykurg, sieht er in ihm doch den „großen Hirten“, dessen „entschlossene Züchtergedanken“23 er bewundert. Er überlegt, ob dessen „kühnes und vereinzeltes Experiment“ in seiner eigenen Zeit noch einmal Bedeutung gewinnen könnte und dieses nur „der bescheidene Anfang einer gewaltigen Umgestaltung des ganzen Menschengeschlechts“24 gewesen sei. Die zeitgenössischen Griechen und ihre Lebensweise interessieren Hauptmann ansonsten wenig, Politik, Wirtschaft und Infrastruktur des Landes überhaupt nicht. So kam es offenbar zu dem Vorwurf seitens griechischer Leser besonders gegen ihn, den vielgelesenen Schriftsteller, keinen „Blick für die lebendige Kraft unseres Volkes“, nicht „einen Gedanken und nicht ein Wort an dieses unser lebendiges Griechenland verloren“, sondern nur „unsere Ziegen und unsere alten Dichter“25 wahrgenommen zu haben. Hauptmanns Interesse an Naturgottheiten, Dämonen und chthonischen Kräften, die für ihn den antiken Menschen prägten, und seine Vernachlässigung des Bildungsgedankens, wie er in der klassizistischen Sicht des Griechentums tradiert ist und der von ihm als „blutlos“ abgelehnt wird, ziehen ihm gleicherweise das Mißfallen der im idealisierenden Griechenlandbild befangenen deutschen Leser zu. Selbstdarstellung, Wissensprunk und „vielgequältes Sinnieren“26 werden ihm vorgeworfen. Aber auch Zustimmung und Anerkennung erfährt er für seine erdverbundene Betrachtungsweise, für das Nahebringen der Natur und seine visionäre Phantasie.27 Spätere Literaturwissenschaft20 21 22 23 24 25

HAUPTMANN, Griechischer Frühling, S. 169 f. HAUPTMANN, Griechischer Frühling, S. 172. HAUPTMANN, Griechischer Frühling, S. 57, 147. HAUPTMANN, Griechischer Frühling, S. 238 f. HAUPTMANN, Griechischer Frühling, S. 243. GELBER, Auf griechischer Erde, S. 96, 110 f. Wiedergabe von Gesprächen mit zeitgenössischen Griechen. 26 IPSEN, Land der Griechen, S. 186 f. 27 KEßLER, Griechischer Frühling, S. 719 ff.

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ler, beispielsweise Hans Mayer, kommen zu einer distanzierteren Bewertung. Ihm zufolge zerfällt der Reisebericht in „Touristengeschwätz und die aufwühlende, den Dichter wahrhaft bedrängende blutige Vision einer archaischen Hellenik“.28 Srdan Bogosavljević schließlich erkennt darin nur noch unglaubwürdiges Pathos und Pseudo-Vorweisen klassischer Bildung. „The only thing that makes the book memorable – though not in the positive sense of the word – is the pathos of Hauptmann’s hyperlyrical effusions.”29 Ebenfalls viel Beachtung fand zu ihrer Zeit das Reisebuch Wandertage in Hellas von Isolde Kurz (1853-1944). Bis 1934 erlebte es acht Auflagen. 1912, im Alter von 59 Jahren, bereiste sie mit ihrem Jugendfreund, bei dem sie Altgriechisch gelernt hatte, Griechenland.30 Ihre Vertrautheit mit dem ihr bis dahin unbekannten Land und seiner Kultur basiert auf einer gründlichen humanistischen Bildung, die sie in familiärer Umgebung erhalten hatte. Ihr Vater, Hermann Kurz, übersetzte u.a. die Werke von Aischylos und Sophokles und bearbeitete den Textteil zur griechischen Antike in Weißers Bilderatlas zur Weltgeschichte, sodaß der Tochter die Gipsabdrücke, Stiche und Zeichnungen der damals bekannten Antiken wohl stets vor Augen gewesen waren. Die Mutter machte sie und ihre Brüder mit der homerischen Götter- und Heroenwelt vertraut. Die Erziehung der Kinder war völlig auf den Geist der Antike ausgerichtet, die Lehre des Christentums wurde ihnen bewußt vorenthalten. „Also glaubte ich an die Götter Griechenlands“,31 schreibt Isolde Kurz in ihrer Autobiographie. Weil es für Mädchen im 19. Jahrhundert nicht möglich war, ein humanistisches Gymnasium zu besuchen, setzte die Mutter durch, daß die Unterrichtung der Tochter ihr gestattet wurde. Die nichtakademisch bestimmte Unterweisung förderte die große Liebe und gefühlsbetonte Haltung der Tochter zur griechischen Antike, deren Leistungen und Werte von ihr vorbehaltlos anerkannt und deren ethische und ästhetische Ideale aus der Sicht der deutschen Klassik – insbesondere der Schillers, aber auch der Hölderlins – übernommen wurden. So gilt der verstorbenen Mutter auch die Widmung am Beginn des Reisebuches, in der ihr für die Erziehung im Geiste der Antike gedankt ist. Bereits in dieser Widmung wird deutlich, daß es das Erlebnis des Mythos auf griechischem Boden ist, das die Autorin am stärksten bewegt hat. „Die schönen Mären, die dem Kinde du erzählt, sind alle, alle wahr!“32 Für Isolde Kurz ist es das Besondere und Einzigartige an Griechenland, daß die Mythen, die sie aus den Werken Homers, Aischylos’ oder Sophokles’, aber auch von Pausanias kennt, auf griechischem Boden allgegenwärtig sind, 28 29 30 31 32

MAYER, Griechischer Frühling, S. 330. BOGOSAVLJEVIĆ, German Literary Travelogues, S. 161. IPSEN, Land der Griechen, S. 188-201. KURZ, Aus meinem Jugendland, S. 35. KURZ, Wandertage in Hellas, Widmung, S. 3.

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weil sie an den konkreten Ort gebunden sind, sie „sind wunderbar mit den Örtlichkeiten verwachsen“.33 Wie in ihren Kindertagen verkehrt die Schriftstellerin – in ihren Visionen – wieder auf vertrautem Fuß mit Göttern und Heroen. Für sie steht fest, die „hohen Olympischen haben nie den Boden von Hellas verlassen.“ „Wer aber mit der großen Liebe kommt und alle Sinne aufs Höchste spannt, der findet die alten Götter wieder im ganzen Glanz ihrer Frühzeit, so wie sie in den homerischen Gesängen leben“.34 Ebenso wie bei Herodot ist der Mythos für sie auch selbstverständlicher Teil der Geschichte. Als historische Epoche ist für nur die Zeit von 480 v. Chr. bis 338 v. Chr. von Bedeutung, vom Beginn der Kulturblüte nach dem Sieg bei Salamis über die Perser bis zum Sieg der Makedonier in Chaironeia, „wo die letzten freien Griechen von Griechenland erschlagen wurden“.35 Völlig von der klassizistischen Tradition bestimmt ist ihre Wahrnehmung im Hinblick auf die Architektur und Skulptur. Anerkennung finden ausschließlich Werke des 5. Jahrhunderts v. Chr., insbesondere die der Zeit des Perikles. Sie macht deutlich, daß es sich für sie nur um ein Wiedersehen der Skulpturen und Tempel, die sie so oft im Geiste durchwandert hatte, in der Realität handelt, es bestätigt ihre festgefügten Vorstellungen oder übertrifft sie noch. Nicht die Wirklichkeit prägt die Vorstellung, sondern sie verifiziert diese nur. Ihr Herz ergreift „mit Sicherheit Besitz von seinem Eigentum“.36 Und weil sie alles so gut kennt, fällt es ihr in den Ruinen nicht schwer, auf den noch vorhandenen Grundmauern die Gebäude vor ihrem inneren Auge wieder zu errichten. Sie empfindet auch keine Trauer über die zerstörten oder nicht mehr vorhandenen Bauten oder Kunstwerke, für sie lebt der Geist der Antike in der Kunst und Poesie fort. So bekennt sie in Theben: „Wenn auch deine Tempel und Tore verschwunden sind, was tuts! Dein Ödipus und deine Antigone werden nicht verschwinden“.37 „Darum kann Griechenland nicht allein mit den Augen genossen werden; es gibt ja so viele Dinge auf griechischer Erde, die noch gegenwärtig, aber nicht mehr sichtbar sind“.38 So sehr sie in Mykene und Tyrins die Gegenwart des Mythos fasziniert, so wenig beeindrucken sie die „urweltlichen“ und „urzeitlichen“ Burganlagen.39 Antike Bauwerke aus römischer Zeit lohnen in ihrer „Seelenlosigkeit“ nicht die Mühe des Anschauens, sie bringen nur „in die innige, heilig stille attische Landschaft … wie alles römisch Empfundene einen falschen Ton“.40 Isolde

33 34 35 36 37 38 39 40

KURZ, Wandertage in Hellas, S. 131. KURZ, Wandertage in Hellas, S. 237 f. KURZ, Wandertage in Hellas, S. 179. KURZ, Wandertage in Hellas, S. 25. KURZ, Wandertage in Hellas, S. 221. KURZ, Wandertage in Hellas, S. 238. KURZ, Wandertage in Hellas, S. 121, 129. KURZ, Wandertage in Hellas, S. 139, 42.

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Kurz schränkt jedoch ein, daß sie auf römischem Boden an ihnen nicht vorübergehen würde. Auch die Landschaft ist ihr vertraut wie der „Heimatboden“. Ihre „Erhabenheit der Formen“, die „innig ernste Schönheit“, die „wundervolle Einfalt“ und „edle Einfachheit“, die noch verschönt wird „durch den Glanz ihres Ruhms“, verhelfen ihr zu dem endgültigen Verständnis der Kunst der Griechen, die ihrer Meinung nach von den Formen der Landschaft beeinflußt wurde: „Die griechische Landschaft und die griechische Kunst sind e i n Ding wie Baum und Blüte“.41 Das die Dichterin umgebende zeitgenössische Griechenland findet vergleichsweise wenig Beachtung. Gestalt und Aussehen der Menschen erscheinen ihr nur interessant, sofern sie in den Gesichtszügen eine Ähnlichkeit zu antiken Skulpturen zu entdecken meint oder wenn sie ihrer Vorstellung von Personen des Mythos entsprechen. Auch in einigen Bräuchen erkennt sie eine Kontinuität zur Antike. Es berühren sich für sie Altertum und Gegenwart, wenn sie hört, wie der moderne Grieche von den Türken mit „ähnlichem Grimm“ wie der antike Hellene „um das Jahr 400 v. Chr. in Athen von den Persern“42 spricht. In den vielen Blumensträußen, die sie von Kindern und Frauen erhält, sieht sie ein Fortleben der Sitte des antiken Gastgeschenks. Jedoch übertreibt die Autorin auch gelegentlich in ihrem Bemühen, antike Züge bei den Menschen ihrer Zeit zu entdecken. Obwohl sie auch unerfreuliche Eigenarten – z.B. Unsauberkeit – bei den Griechen feststellt, betrachtet sie sie als Nachfahren der verehrten Hellenen mit großem Wohlwollen, da sie sich bemühten, ihren berühmten Vorfahren gerecht zu werden und sich „mit Begeisterung klassizistisch“43 geben. Als Beispiel dafür gilt ihr die Wiederherstellung antiker Ortsnamen sowie der Durchsetzungsversuch der archaisierenden Schriftsprache (Katharevousa) anstelle der gegenwärtigen Volkssprache (Demotike). Völlig außer Acht läßt sie den berechnenden Einsatz dieser Kunstsprache oder auch des Altgriechischen bei den Einheimischen angesichts bestimmter Touristen und deren Wünschen. Zu den Touristen zählt Kurz sich allerdings nicht, denn der „gewöhnliche Reisepöbel“ kommt nicht wie sie mit der „großen Liebe“, sondern ergreift mit „Snobismus tollkühn und seelenlos von der geweihten Stätte Besitz“.44 Ein besonderes Gedenken gilt auch Lord Byron, der für sie im Childe Harold – auch ein Werk, das ihr Vater übersetzte – so treffend die Stimmung am Kap Sounion besungen hat. Sie hält ihn für den „Glücklichsten aller Sterblichen“, denn es war ihm vergönnt, „für die Freiheit von Hellas sterben zu dür-

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KURZ, Wandertage in Hellas, S. 32, 113, 207, 237, 157, 237. KURZ, Wandertage in Hellas, S. 39. KURZ, Wandertage in Hellas, S. 40. KURZ, Wandertage in Hellas, S. 57, 238, 106.

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fen“.45 Wie würde er sich freuen zu sehen, was die wenigen Jahrzehnte der Freiheit aus den Menschen und der Landschaft gemacht haben, in denen er nur noch einen schönen ausdruckslosen Leichnam gesehen hatte. Da Isolde Kurz ihre von antiker und klassischer Literatur geprägten und verinnerlichten Vorstellungen der Realität überstülpt und alles Störende und Andersartige kaum zur Kenntnis nimmt bzw. uminterpretiert – nur mit dem Herzen sieht –, ist die Reise für sie eine Bestätigung ihrer Erwartung. Auf griechischem Boden gibt es für sie keinen Widerspruch zwischen Ideal und Wirklichkeit. Das Ideal, das Männer schufen, die Griechenland nie betraten, das Reisende des 18., 19. und auch 20. Jahrhunderts suchten, aber nicht fanden, begegnet ihr ohne Mühe, weil ihre Sicht nicht intellektuell, sondern gefühlsbetont, oft schwärmerisch und vom Kinderglauben bestimmt ist. In ihrem Reisebuch vermittelt sie dem Leser nachhaltig ihre Begeisterung für das antike und gegenwärtige Hellas. Sie möchte auch in ihm ein herzlich inniges Gefühl für dieses Griechenland mit seiner ewigen Kultur und seinen Menschen wecken. Anders als bei Hauptmann wirkt ihr Erlebnis des Mythos nicht gekünstelt, sondern es ist geprägt von großem Vertrautsein und Selbstverständlichkeit. Deshalb fand das Buch sowohl bei den Zeitgenossen als auch in der späteren Literaturwissenschaft große Zustimmung. „Das Griechenlandbuch der Isolde Kurz ist die schönste späte Frucht des Klassizismus in der deutschen Griechenlandliteratur“,46 urteilt Richard Bechtle. An den beiden literarisch bedeutendsten deutschen Reisebüchern über Griechenland zu Beginn des 20. Jahrhunderts bewahrheitet sich die Kritik der zeitgenössischen Griechen, daß für die Reisenden nur das Altertum von Interesse ist. Für Hauptmann soll es Inspiration zu neuem Schaffen sein, für Isolde Kurz ist es Erinnerung an ihre Kindheit und Bestätigung ihrer Bildung. Überhaupt ist die Vergewisserung ihrer humanistischen Bildung und deren Neuerleben für die meisten Reisenden das Erfahrungsresultat ihrer Reise. Ihre Berichte sollen dazu beitragen, den Wert der humanistischen Bildung, der seit dem Ende des 19. Jahrhunderts umstritten und in Zweifel gezogen wurde, dem Leser zu verdeutlichen. Nur in den Reiseberichten von zwei Frauen,47 deren Wahrnehmung mehr von der Wirklichkeit als von verinnerlichter humanistischer Bildung geprägt ist, wird deutlich, daß ohne die Kenntnis und Zuordnung des Altertums zur Landschaft das Land den Reiseerwartungen von Westeuropäern abweisend gegenüber blieb. Den Autoren der Reiseberichte fällt es schwer, sich von ihrer idealistisch grundierten Auffassung des griechischen Altertums zu lösen und die Griechen und ihre Kultur unvoreingenommen zu betrachten. 45 KURZ, Wandertage in Hellas, S. 174. 46 BECHTLE, Wege nach Hellas, S. 235. 47 MERAVIGLIA, Ausflug nach Griechenland und Konstantinopel; WEBER, Durch Griechenland nach Konstantinopel.

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„The Tyranny of Greece over Germany“48 ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch nicht beendet.

Literaturverzeichnis BECHTLE, Richard: Wege nach Hellas. Esslingen: Bechtle, 1959. BIRT, Theodor: Griechische Erinnerungen. Ein Reisebuch. Marburg: Elwert’sche Verlagsbuchhandlung, 1922. BOGOSAVLJEVIĆ, Srdan: German Literary Travelogues around the Turn of the Century. 1890-1914. Phil. Diss. University of Illinois at Urbana-Champaign 1983. BUTLER, Eliza M.: The Tyranny of Greece over Germany. Boston: Beacon Press, 1958. GELBER, Adolf: Auf griechischer Erde. Im Sommer 1912. Vor dem Kriege. Wien: Moritz Perles u.a., 1913. HARBSMEIER, Michael: Reisebeschreibungen als mentalitätsgeschichtliche Quellen. Überlegungen zu einer historisch-anthropologischen Untersuchung frühneuzeitlicher deutscher Reisebeschreibungen. In: Antoni MAÇZAK, Hansjürgen TEUTEBERG (Hg.), Reiseberichte als Quellen europäischer Kulturgeschichte. Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 21. Wolfenbüttel: Heckners Verlag, 1982. S. 1-32. HAUPTMANN, Gerhart: Tagebücher 1906-1913. Hg. von Peter SPRENGEL. Frankfurt/M. u.a.: Propyläen, 1994. HAUPTMANN, Gerhart: Griechischer Frühling. Berlin: S. Fischer, 1908. IPSEN, Dorothea: Das Land der Griechen mit der Seele suchend. Die Wahrnehmung der Antike in deutschsprachigen Reiseberichten über Griechenland um die Wende zum 20. Jahrhundert. Osnabrück: Rasch, 1999. KEßLER, Harry Graf: Griechischer Frühling. In: Die neue Rundschau XX., 1909. S. 719-743. KURZ, Isolde: Aus meinem Jugendland. Stuttgart u.a.: Deutsche Verlags-Anstalt, 1919. KURZ, Isolde: Wandertage in Hellas. Stuttgart u.a.: Deutsche Verlags-Anstalt, 1925 (7. Aufl.). MAYER, Hans: Griechischer Frühling. In: Hans-Joachim SCHRIMPF (Hg.), Gerhart Hauptmann. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1976. S. 328336. MERAVIGLIA, Olga Gräfin: Ein Ausflug nach Griechenland und Konstantinopel im Jahr 1914 vor Ausbruch des großen Weltkrieges. Graz: Leykam, o.J. [1916]. Meyers Reisebücher. Griechenland und Kleinasien. Leipzig u.a.: Bibliographisches Institut, 1906. 48 BUTLER, The Tyranny.

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OETTINGEN, Wolfgang von: Unter der Sonne Homers. Erlebnisse und Bekenntnisse eines Dilettanten. Berlin: Grote’sche Verlagsbuchhandlung, 1906. PONTEN, Josef: Griechische Landschaften. Ein Versuch künstlerischen Erdbeschreibens. (Textband) Stuttgart u.a.: Deutsche Verlags-Anstalt, 1914. WEBER, Mathilde: Durch Griechenland nach Konstantinopel. Tübingen: Franz Fues, 1892. WEBER, Leo: Im Banne Homers. Eindrücke und Erlebnisse einer Hellasfahrt. Leipzig: Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, 1912.

DIETER WERNER

Realität und Erwartung Theodor Däublers ungeschriebenes Griechenlandbuch

Näher als anderen deutschsprachigen Autoren liegt Theodor Däubler, der 1876 im damals österreichischen Triest geboren wurde, Griechenland. Aus seiner Kindheit erinnert er sich der griechischen Segelschiffe im Hafen von Triest und an die griechischen Mitschüler im dortigen Gymnasium.1 Mit 15 Jahren wird er als Schiffsjunge auf eine Mittelmeerreise geschickt,2 die ihn bis an die griechische Küste führt.3 An solche, zwischendurch fast vergessene, Kindheitseindrücke anschließend, folgt er im Sommer 1921 einer Einladung des Athener Professors Konstantinos D. Sphyris. Seine erste Station in Griechenland ist Ithaka.4 Von Athen aus bereist er dann im September für drei Wochen die Peloponnes, im Oktober ebenso lange den Berg Athos. Sein Aufenthalt in Griechenland wird schließlich länger als vier Jahre dauern.

1 Däubler, der 1910 erstmals mit dem umfangreichen Versepos Das Nordlicht literarisch hervorgetreten ist, hat damit große Erwartungen verbunden. Nach dem Ersten Weltkrieg wendet er sich dessen Ergänzung und Ausdeutung zu. Auch nach Griechenland führt ihn nicht zuletzt die Absicht, das Nordlicht durch ein Buch über antike Kunst und Mythologie zu ergänzen. Es liegt daher nahe, daß er, noch während er an der Vorbereitung einer NordlichtNeuausgabe arbeitet, die sich ihm bietende Gelegenheit ergreift, um sein Werk, inspiriert durch die unmittelbare Erfahrung der griechischen Landschaften und der antiken Stätten und Kunstwerke, fortzuführen. Das Erlebnis griechischer Landschaft wird für ihn zu einer Exemplifikation der griechischen Mythologie.5 Er äußert dazu: „In Hellas fühlte ich mich nach meiner Wesensart beheimatet: […] es wurde mir bewußt, daß ich im Sinn Griechen-

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Vgl. DÄUBLER, Griechenland, S. 9. Vgl. DÄUBLER, Griechenland, S. 10; DÄUBLER, Aufforderung, S. 9. Vgl. DÄUBLER, Sichel, S. 30. Vgl. DÄUBLER, Ithaka, S. 39-47. Vgl. BECHTLE, Kosmischer Mythos, S. 248.

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lands während unendlicher Abwesenheit gedacht und gedichtet hatte.“6 Däublers Korrespondenz, insbesondere die mit der Berliner Psychologin Toni Sussmann und mit dem Schriftsteller Rudolf Pannwitz, gibt einen Einblick in seine damalige Befindlichkeit. Das Gefühl mangelnder Anerkennung, noch nicht ‚durch‘ zu sein,7 nagt an ihm. Zudem erfüllt ihn ein beinahe krankhaftes Mißtrauen, daß man in Deutschland, insbesondere beim Inselverlag, sein Werk boykottiere, unterdrücke, ihm die ihm zukommende Wirkung versage.8 Im Gegenzug hegt er die überzogene Erwartung, daß, wenn die Deutschen sich nur bereit fänden, das Nordlicht anzunehmen, sich daraus die Lösung aller politischen, ökonomischen und sozialen Probleme für sie ergeben würde.9 Das mangelnde Interesse am Nordlicht wirkt auf ihn nahezu als narzißtische Kränkung, so sehr ist sein Selbstverständnis an dieses Werk gebunden. Glühend beneidet er Rilke, den Star des Inselverlags, um dessen Ruhm, zugleich die Berechtigung dieses Ruhms in Zweifel ziehend. Das „Werk Rilkes sei wie ein Mundspülen mit lauer Sprache vor der eigentlichen Aussage,“10 hat er nach der Erinnerung Werner Helwigs über diesen geurteilt. Rilke hingegen bemerkt gegenüber Katharina Kippenberg:11 Denken Sie, daß Däubler mir nichts gegeben hat, als […] die erschütternde Verschüttung, mit der seine Gedichte […] mich überstürzen, bis ich unter ihnen, wie unter Geröll, verschwunden bin. Genau die gleiche Pein bereitet mir sein unaufhaltsam hereinbrechendes Lesen, erst Aschenregen, dann Schutt und schließlich Untergegangensein 12 unter einem maßlosen Übergewicht schlackenhafter Wortmonstren.

Bruno Liebrucks13 zufolge ist es geraten, die Dichter im „Umhof ihrer Größe“ aufzusuchen. Wer Däubler im Umhof seiner Größe aufsuchen will, also in denjenigen seiner Werke, die ihm als Dichter gelungen sind, nicht bei seinen minderen Leistungen, wird an der Betrachtung des Nordlichts nicht vorbeikommen. Es gibt Däublerkenner, die die Ansicht vertreten, dieser habe mit dem Entschluß, ein Epos zu verfassen, seine eigentliche Begabung verfehlt. Er sei Meister der lyrischen Kleinform gewesen, seine Fixierung auf das Nordlicht sei als Wurzel seines Mißerfolgs als Autor anzusehen. Dem stimme ich nicht zu. Es sei daran erinnert, daß dem Däublerschen Werk eine Brückenfunktion zukommt zwischen dem späten 19. Jahrhundert mit seiner 6 7 8 9 10 11 12 13

DÄUBLER, Griechenland, S. 10. Vgl. GROSZ, Ein kleines Ja, S. 105. Vgl. RIETZSCHEL, Däubler. Eine Collage, S. 231-234; vgl. auch: Däubler an Sussmann, Brief vom 03.07.1924, zit. n. KEMP / PFÄFFLIN, Däubler 1876-1934, S. 36. Vgl. Däubler an Sussmann, Brief vom 23.10.1923, zit. n. WERNER, Däubler. Versuch, S. 9. HELWIG, Capri, S. 74. Ehefrau des Inselverlag-Inhabers Anton Kippenberg. Rilke an Katharina Kippenberg; zit. n. HELWIG, Capri, S. 200. LIEBRUCKS, Die Sprache Hölderlins.

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Vorliebe für dekorative Kolossalpanoramen, für Historisierung und Mythologisierung der dargestellten Sujets einerseits, und dem Expressionismus des frühen 20. Jahrhunderts andererseits.14 Der nur um zehn Jahre jüngere Ezra Pound steht, nachdem er durch eine Phase radikaler Selbstmodernisierung gegangen ist, als Dichter eindeutig im 20. Jahrhundert. Däubler hingegen, auch charakterlich grundverschieden, hüllt sich liebevoll in die dekorativen Versatzstücke aus traditionellen Versformen und historisierend-mythologisierenden Wortpanoramen. Erst im letzten Viertel des zweiten NordlichtBandes findet er zu einer unverkrampft eigenen dichterischen Sprache; ab dem Kapitel „Drei Ereignisse“, das er nach einem handschriftlichen Vermerk im Winter 1906 in Wien verfaßt hat,15 ist im Nordlicht kein wirklich mißlungener Vers mehr auszumachen. Wer nachprüfen möchte, ob Däubler mehr als lyrische Kleinformen beherrscht, sehe sich die Abschnitte „Wind zur Heimat“ und „Astraler Gesang“16 des Kapitels „Der flammende Lavabach“ an. Speziell der erste genannte Abschnitt stellt sich als wohlausbalanciertes Konstrukt von Einzelgedichten dar, das, mit Ausnahme vielleicht seines expressionistischen Meistergedichts „Ein Lauschender auf blauer Au“, in seiner Gesamtqualität die der Teile übertrifft. Fünf längeren, einem jeweils anderen lyrischen Ich (wie einer „Dulderin am Brunnen“ oder dem „Mann auf dem Meere“) zugeordneten Gedichten werden vier kürzere, die elementarischen Kräften (einem „Schwarm voller Harm“ oder dem „Schutzgeist am Brunnen“) zugeschrieben sind, kontrastierend und kommentierend gegenübergestellt. Hier wird deutlich, daß Däubler nicht zu unrecht das Nordlicht als Epos verstanden wissen will, nicht nur als Zusammenstellung von Einzelgedichten, und auch, daß er sich eine unverkennbare Sprachform erarbeitet hat, die sich mit der Rilkes durchaus auf Augenhöhe befindet. Entgegen der verbreiteten Legende von der Erfolglosigkeit des Nordlichts,17 an deren Entstehen Däubler selbst nicht ganz unbeteiligt ist, wird dessen Erscheinen 1910 mit einiger Aufmerksamkeit registriert. Es gibt eine Reihe wohlwollender Rezensionen, etwa von Paul Adler, Erhard Buschbeck, Arthur Moeller van den Bruck und Johannes Schlaf,18 der junge Carl Schmitt

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Vgl. WERNER, Däubler. Landschaft Europas, S. 5. Vgl. WERNER, Situation des Nachlasses, S. 279. DÄUBLER, Nordlicht (1922), Bd. 2, S. 581-595. Däubler liebt es, Bekannten gegenüber mit dem geringen Verkaufserfolg des Nordlichts zu kokettieren. Vgl. KEMP / PFÄFFLIN, Däubler 1876-1934, S. 36. 18 ADLER, Theodor Däubler. Ein Gepräch, S. 536-540; DERS.: Nordlicht, Sp. 1683-1690; BUSCHBECK, Däubler, der Dichter, S. 145-148; DERS.: Sendung; MOELLER VAN DEN BRUCK, Däubler und die Idee, S. 20-34 [MOELLER VAN DEN BRUCK hatte bereits in seinem Buch Gestaltende Deutsche, S. 298-304, auf das damals noch unveröffentlichte Nordlicht hingewiesen]; SCHLAF, Theodor Däubler, Berlin 17.06.1912 [Der Artikel wurde anläßlich der ersten öffentlichen Lesung Däublers, die vom Brenner am

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veröffentlicht 1916 eine enthusiastische Monographie,19 und Hugo Neugebauer von der in Innsbruck erscheinenden Literaturzeitschrift Der Brenner läßt einem etwas gönnerhaften Verriß von 1910 anläßlich einer vom Brenner veranstalteten Lesung Däublers 1912 eine lobende zweite Rezension folgen.20 Das ist ein nicht unbeachtlicher Erfolg für das Erstlingswerk eines jungen Autors, der freilich den von Däubler damit verbundenen überzogenen Erwartungen nicht genügen kann. Erst durch sein eigensinniges Festhalten am Nordlicht nach dem Ersten Weltkrieg stellt er sich, das Nicht-mehrZeitgemäße des Werks ignorierend, selbst künstlerisch ins Abseits. Däubler erkennt nicht die Tragweite der mit dem Kriegsausgang einhergehenden Zäsur im sozialen, politischen und kulturellen Bereich. Die rückwärtsgewandten ästhetischen Anteile des Nordlichts treten nun stärker als 1910 hervor; auch können die darin geschilderten historisierenden Kampfszenen vor der Folie der aktuellen Fronterfahrung, die Däubler im Gegensatz zur Mehrzahl seiner Zeitgenossen abgeht,21 nur noch als lächerlich empfunden werden.

2 Im März 1922 hält Däubler auf Einladung der philologischen Gesellschaft „Parnassos“ in Athen einen öffentlichen Vortrag über „Griechentum in unserer Zeit.“22 Dieser Vortrag zeigt in Sprachduktus und Argumentationsmuster bereits viele Merkmale seiner späteren Essays. Däubler spannt darin den Bogen von einer ursprünglich farbigen Antike, über einen diese mißverstehenden, in Akademismus erstarrten weißen Klassizismus zu einer von der griechischen Volkskunst23 inspirierten Rückkehr zur Farbigkeit. „Pablo Picasso verhieß, als ganz junger Mensch, zu Anfang des Jahrhunderts, in Paris den Triumph [El] Grecos,“24 führt er aus. „Durch den Griechen Greco, er ist wohl mit Matthäus Grünewald, Hyronimus Bosch,25 der größte Vorfahr der mo-

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22.11.1912 in Innsbruck veranstaltet wurde, nachgedruckt in: Der Brenner, 3. Jg., H. 3, Innsbruck 01.11.1912, S. 120-127]. SCHMITT, Däublers Nordlicht. NEUGEBAUER, Sibyllinisches Buch, S. 345-359; NEUGEBAUER, Würdigung Däublers, S. 198-205. Däubler, der sich viermal der Musterung stellen muß, aber immer für untauglich befunden wird, arbeitet bis Kriegsende als Kunstreferent des Berliner Börsen-Couriers. DÄUBLER, Griechentum, S. 31-45. DÄUBLER, Griechentum, S. 40: „Die Farben der griechischen Volkstracht sind aber unheimlich modern. Gestatten Sie, daß ich Sie erschrecke: expressionistisch.“ DÄUBLER, Griechentum, S. 44. El Greco, eigentl. Domenico Theotocopuli (um 15411613). Gemeint sind offensichtlich Matthias Grünewald (eigentl. Nithardt Mathis, um 14701528) und Hieronymus Bosch (um 1450-1516). Die Tatsache, daß Flüchtigkeitsfehler

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dernsten Kunst, wird der Sieg über eine anerkanntere, aus jenem herrlichen südöstlichen Winkel Europas stammende Richtung errungen. Wir sind zur starken, doch behutsam behandelten Farbe zurückgekehrt.“26 Dabei irritiert ihn die frei schwebende Unvermitteltheit seiner Argumentation in keiner Weise. „Ich bin ein Dichter, unser Einem fliegt Erkenntnis in einer Flughöhe zu, wo die Erweisbarkeit versagt,“27 erklärt er selbstbewußt in der Pose des visionären Dichters, die die methodischen Defizite des jeder Form von Selbstdisziplinierung abholden Autodidakten28 freundlich überdeckt. Die ersten Jahre in Griechenland leidet Däubler materielle Not. Das hängt allerdings auch damit zusammen, daß er es seit jeher in einer seltsamen Mischung von Arroganz und Unbeholfenheit als natürliches Vorrecht des Genies angesehen hat, in Alltagsbelangen, hinsichtlich so ,banaler Dinge‘ wie Nahrung, Wohnung, Kleidung, andere für sich sorgen zu lassen. Und in Griechenland fehlt ihm das Netzwerk von Freunden und Gönnern, die dazu bereit sind.29 Durch die Inflation in Deutschland sind die geringen Geldmittel, die ihm von dort zufließen, sofern sie nicht in ausländischer Währung angewiesen werden können, fast ganz entwertet bis sie in seine Hände kommen. In Athen findet er als geduldeter Gast zeitweilig eine Unterkunft im „Deutschen Archäologischen Institut“. Er macht von dort aus zahlreiche Reisen zu den antiken Stätten; ihm fehlt aber der gewohnte gesellschaftliche Umgang. In Briefen an Rudolf Pannwitz und Toni Sussmann beklagt er seine zunehmende Vereinsamung.30 Seine materielle Situation, insbesondere eine unzureichende Ernährung – monatelang will er nur von Reis und Makkaroni gelebt haben31 – führen zu körperlicher und geistiger Erschöpfung. Er klagt, daß er kaum noch arbeiten könne, ihn schon kurzes Briefeschreiben erschöp-

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des Vortrags in dessen gedruckter Version erhalten bleiben, zeugt wohl neben den sachlichen Schwierigkeiten der Kommunikation zwischen Deutschland und Griechenland beim Korrekturlesen auch von Däublers Geringschätzung gegenüber dieser Art von Faktengenauigkeit. Er ist immer noch ein Kraft- und Teufelskerl, der sich einen Dreck um kleingeistige Bedenklichkeiten, Konventionen, Vernunft, Logik und Orthographie kümmert. DÄUBLER, Griechentum, S. 44. DÄUBLER, Griechentum, S. 40. Bald nach dem Abitur beginnt Däubler ein unstetes Wanderleben als dichtender Bohemien, das er zeitlebens beibehält. Eine Berufsausbildung hat er nie absolviert. Vgl. RIETZSCHEL, Däubler. Eine Collage, S. 218 f. Vgl. Däubler an Sussmann, Brief vom 26.01.1922, zit. n. RIETZSCHEL, Däubler. Eine Collage, S. 219; vgl. auch: Däubler an Pannwitz, Brief vom 06.12.1921, zit. n. KEMP / PFÄFFLIN, Däubler 1876-1934, S. 32. Däubler an Sussmann, Brief vom 26.01.1922, zit. n. KEMP / PFÄFFLIN, Däubler 18761934, S. 32; desgl. Brief vom 27.12.1922, KEMP / PFÄFFLIN, Däubler 1876-1934, S. 32.

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fe.32 Unterbrochen wird dies von Ausbrüchen rauschhafter Aktivität, die wenigen literarischen Arbeiten des Griechenlandaufenthalts33 verfaßt er jeweils innerhalb kürzester Zeit. Dabei gibt das, was in dieser Zeit entsteht, nur einen undeutlichen Umriß dessen, was er sich selbst als Anspruch vorgegeben hat. Ein großes Werk über Griechenland zu verfassen, eine völlig neue Deutung antiker Kunst und Mythologie, ist das in Briefen immer wieder genannte Ziel. Doch immer wieder ergeben sich auch Schwierigkeiten, äußere und innere, die einer Verwirklichung im Wege stehen. Im Oktober 1921 bereits hat er für drei Wochen die Mönchsrepublik auf dem Berg Athos besucht. In dem daraus als erste literarische Arbeit in Griechenland entstandenen Buch Der heilige Berg Athos beginnt Däubler den in seinem späteren Essay „Delos“ umfassender angelegten Versuch, antike Mythologie und Kunst mit der christlichen Kultur in einer Art organisch ineinanderfließenden geistigen Bewegung zu synthetisieren; Sternkunde, homerische Dichtung und orthodoxe Liturgie werden von ihm miteinander verflochten: Gar hoheitsvoll dunkeln, bei Nacht, zart von Kerzenschein durchsternt, die altbemalten Kirchen aller frommgebornen Klöster. Vom Abend bis zum Sonnenaufgang singen und beten, bei weiheernstem Gottesdienst, die Männer, die nur wenig am Tage schlafen sollen, denn Wachsame sind sie vor die Welt gestellt! Mit langen schwarzen oder kristallhaft, in schweren Entbehrungsjahren, verblaßten Büsten psalmodieren sie, von hellem Stundenschlag im Finsteren zu hellem Stundenschlag, zwischen morschenden Stehbänken mit Lehnen, auf denen ein Ermüdeter kaum aufhocken darf, bis das vorgesetzte Lied sehr spät verwehen will. Ihre Stimmen sind näselnd, nur selten klar und Rubinen gleich, die zu den Bildern Gemarterter mit blutenden Wunden aufsteigen. […] Schwerfällige Gesangbücher aus Eselshaut schleppen, während des Gottesdienstes, gar alte Priester, singend und lobpreisend den Gekreuzigten, in schwarzen Talaren, so müde von einem Tisch aus Sandelholz mit perlmutternder Krustenarbeit zur Rechten, kaum mehr so vieler, ihrer eigenen Last des Leibes standhaltend, zu einem Tisch zur Linken mit perlmutternder Krustenarbeit: und sie singen fast stimmlos das Hohelied der weinenden Mutter unterm Kreuz des verscheidenden Erlösers und Sohnes. Beinah stimmlos fällt der Bruderschaft näselndes Wehklagen um den EwigGekreuzigten, bis ans Weltende, ein. Und da werden Messingkronen, die den Doppeladler des byzantinischen Kaiserreichs tragen, voll von brennenden Kerzen, in der Kirche Kuppel gezogen. Wie Stimmen feiern auch die Lichter Gottesdienst, und ich fühle, ein Sternbild, vielleicht die Plejaden, geht draußen über Seegebraus, bei Samothrake auf. Von der Schwere seines Amtes, den Brüdern durch Gesang so viel Schmerz des Herrn zu künden, den Gekreuzigten im Herzen tragend, tritt der schwarzverhüllte Weißbart zurück; und ein andrer Greis übernimmt das heilige Buch und trägt es, fast stimmlos singend, vom gleichen Tisch aus Sandelholz mit perlmutternder Krustenar-

32 Vgl. Däubler an Pannwitz, Brief vom 22.09.1922, zit. n. WERNER, Däubler. Versuch, S. 10. 33 Vgl. Publikationsverzeichnis im Anhang.

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beit zur Linken, beinah ohne Macht, sein eignes Greisentum zu zerren, zum Tisch zur Rechten aus Sandelholz mit perlmutternder Krustenarbeit. Und eine andre Messingkrone, den Pelikan, der sein Herzblut für die eigne Brut hingibt, tragend, wird voll von schimmernden Lichtern emporgezogen. Da denk ich: das große Sternbild des Stieres neigt sich, draußen wo der Sturm ruhlos sucht und schluchzt, über die schlummernde Insel Imbros. – Nun stirbt der Heiland am Kreuz: sein Wissen ums Weltweh müssen Mönche spüren und wünschen es zu spüren; drum singen sie von Golgatha. Ein jüngerer Mann, schwarzbärtig, schwarzverhüllt, vermag es jetzt, das Buch mit allen Offenbarungen vom Tisch der Verheißung nach Süden zum Tisch der Verheißung nach Norden zu tragen. Bei so hohem Geschehn wird eine Messingkrone, ohne gleichnishafte Tierzierde, herabgelassen, denn ihre Lichter seien ausgelöscht; ich aber weiß: die 34 Hyaden verschwinden hinter Tenedos, dort wo einst Ilion sank!

Solche Zusammenschau überhöhend, vertritt er die These, daß nur durch die selbstvergessene Kontemplation der Athosmönche dem rastlosen Getriebe des modernen Europa die Balance gehalten werde. Es mag sein, daß diese Vorstellung beeinflußt wurde von der 1842 entstandenen Athosbeschreibung des bayerischen Gelehrten und Orientreisenden Jakob Philipp Fallmerayer (1790-1861). Dieser preist vor allem dessen urwüchsige, noch von keinem industriellen Raubbau beeinträchtigte Natur,35 erkennt aber auch in der unerschütterlichen Statik des klösterlichen Lebens eine Gegenwelt zur Ruhelosigkeit der Moderne. Wen aber Ideengang und Wirbelwind des Okzidents erschreckt, der sehe um Trost und 36 Gegengift auf den Athosberg […]. Leute, die den Kampf mit der Materie wagen, sind noch keine Toren und wenn Freiheit und innerer Frieden um geringeren Preis als um Hingabe der Wissenschaft, der Kunst und der Lebenseleganz nicht zu erringen ist, so darf selbst der Philosoph den Kauf nicht tadeln. […] Auf dem Athos allein hat der 37 Mönch [im Kampf, D. W.] mit Luxus und Welt niemals kapituliert wie in Europa.

Fallmerayers Sympathien liegen jedoch durchaus bei den Fortschrittsidealen des 19. Jahrhunderts; er polemisiert gegen die Erstarrungstendenzen der orthodoxen Kirche, worin er das „Unbeweglichkeitsgesetz des altheidnischen [d. i. römischen, D. W.] Imperiums als oberstes Staatsprinzip“38 fortwirken sieht, das jede Fortschrittsdynamik ersticke. Däubler hingegen, mit seinen ausgeprägt antimodernen Sympathien, könnte genau das ins Affirmative gewendet haben. Es muß offen bleiben, ob er Fallmerayers Athosschrift gekannt hat, aber die identische, wenngleich unterschiedlich gewertete, Herausstellung des Gegensatzes von in sich ruhender Frömmigkeit der Athosmönche einerseits und ruheloser Moderne andererseits weist darauf hin. Dazu 34 35 36 37 38

DÄUBLER, Der heilige Berg Athos, S. 42-43. Vgl. FALLMERAYER, Der heilige Berg Athos, S. 57 f. FALLMERAYER, Der heilige Berg Athos, S. 38. FALLMERAYER, Der heilige Berg Athos, S. 80. THURNHER, Fallmerayer, S. 12-15.

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kommt bei ihm noch, im Rückbezug auf die Staatsutopie Città del Sole des Dominikaners Tommaso Campanella (1568-1639), die ihn als Schüler zu ersten künstlerischen Plänen inspirierte,39 eine Vorliebe für die theokratische Einheit von Staat und Religion. Auch in dieser Hinsicht wird ihm die Mönchsrepublik als bedenkenswerte Präzedenz erschienen sein. Wie in Campanellas Sonnenstadt tragen in dem von Däubler entworfenen Athosbild die religiös Wissenden als Wächter Verantwortung für eine in Sinnlichkeit sich verzehrende Welt. „Berg Athos! Noch bist du Warte, und Wachen besorgen dich in jeder Nacht,“40 betont er in dem Essay, und in einem eingefügten Sonett wird diese Wachsamkeit dezidiert der Dekadenz des modernen Europa gegenüber gestellt: Europa, Klöster schützen dich auf Klippen – Bei deinem Prassen – Asien zugewandt. [/.../] 41 Gebet sei leise Glut, die uns bewacht;

Die Mönchsgemeinschaft des Athos wird für ihn zur Chiffre einer Erneuerung der Einheit von Religion, Kunst und Staat. Für die tatsächliche liturgische, theologische und spirituelle Tradition des orthodoxen Mönchtums interessiert er sich nur wenig; im Gegensatz zu dem Wiener Schriftsteller Franz Spunda, der ihn 1924 in Athen und 1925 auf Ägina besucht42 und einige Jahre darauf selbst ein Buch über den Berg Athos veröffentlicht.43 Wie in späterer Zeit Tibet und der tibetische Buddhismus für zivilisationsmüde Sinnsucher eine mit eigenen Sehnsüchten und Wunschbildern zu füllende Chiffre für das ganz andere wird, so ist für Däubler der Athos ein Kristallisationskern für eigene Vorstellungen. Das ist typisch für den Prozeß der literarischen Aneignung bei ihm.44 39 DÄUBLER, Aufforderung zur Sonne, S. 17. Däubler hat demgemäß bereits als 17jähriger beschlossen, eine große, an Campanellas Werk angelehnte Dichtung mit dem Titel „Impero del Sole“ zu verfassen. 40 DÄUBLER, Der heilige Berg Athos, S. 45. 41 DÄUBLER, Der heilige Berg Athos, S. 44. 42 SPUNDA, Poseidon. 43 SPUNDA, Athos. Landschaft und Legende. 44 So verdanken wesentliche Teile des Nordlichts ihr Entstehen den Anregungen, die Däubler durch die Renaissancekunst Italiens und die Kunstschätze des Pariser Louvre erfahren hat. Er ist vor allem Augenmensch, seine bevorzugte Arbeitsweise ist die sprachliche Transformation visueller Eindrücke. Ernst Jünger merkt dazu in seinem Tagebuch an: „Kirchhorst, 21. Februar 1946 [...] Man hat bei Däubler den Eindruck höherer Empfindung – insofern als ein Organ, das Pflanzen, Tiere, Menschen auf geheime Weise dem All verbindet, hier durchbricht wie ein Auge und sehend wird.“ In: JÜNGER, Jahre der Okkupation, S. 240. Nach eigenem Bekunden hat Däubler das Kapitel „Die indische Symphonie“ des zweiten Nordlicht-Bandes komplett von Glasmalereien im Museum der französischen Kriegsmarine abgeschaut. Vgl. Däubler, „Selbstdeutung“ in Nordlicht (1921), S. 18. – Den Nachforschungen von Herrn Wolf-

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Den Gegenpol zu dem das christliche Mysterium behütenden Priestertum bildet für ihn die durch industrielle Massenproduktion geprägte moderne Lebenswelt und die damit korrelierenden Änderungen der sozialen Verhaltensnormen. In dem im Herbst 1921 entstandenen Textentwurf „Was ich für dringend halte“ äußert er dazu: die Freiheit, wie sie uns das Manchestertum beschert hat, ist verwerflich. […] rascher Erwerb wird das Losungswort für Jünglinge und Mädchen. Warum? Weil alle im Luxus leben wollen. Die Erde ernährt uns aber nur, wenn wir in Einfachheit leben wollen: […/…] Wir sollten trachten, weiten Schichten zu beweisen, daß die besten, ja, einzigen Schätze, nämlich die geistigen, umsonst sind, dann würde vielleicht der Hang zur Modetorheit, zum falschen Luxus bald etwas schwinden. […] die Hilfe muß nicht durch Furcht vor dem Übel, sondern durch Erhebung der Menschen von innen aus geschehen. […/…] Kampf gegen den Luxus, zu dem uns die Massenindustrie verlockt, ja, zwingt, wäre eine der ersten ungeheuerlichen Aufgaben. Aber von dieser bösen 45 Überproduktion leben ganze Großstädte.

Der Kritik an den Lebensformen der industrialisierten Gesellschaft fügt er die Kritik der Fixierung auf eine rein ökonomische Betrachtungsweise hinzu: „ein Kopf, der bloß ans rollende Geld denkt, wird unerfinderisch. Mechanisierte Gehirne verstehen ihren Betrieb, bleiben aber ohne Eingebung.“46 Der ausschließlich in ökonomischen Kategorien Denkende hat für ihn den Kontakt zu jener schöpferischen Geistigkeit verloren, aus der sich die wahren Schätze, die nicht als Geldwert vorhanden sind, d. h. die keinen Warencharakter haben, verflüchtigen. Diesen verderblichen Erscheinungen der Moderne stellt er das Idealbild einer bäuerlich geprägten Gesellschaft entgegen, die nicht auf materiellen Gewinn, Konsum und Sinnengenuß hin ausgerichtet ist, sondern nach geistlicher Sinngebung strebt. „Der Mann auf dem Land wird abermals der Gewaltige im priesterlichen Staat sein. An der neuen Schlichtung wird das gesamte Volk nach Grundsätzen des Evangeliums beteiligt bleiben.“47 Als beispielhaft in dieser Hinsicht gilt ihm Griechenland. Den Erfolg des Befreiungskriegs sieht er in vorangegangenen Bemühungen um soziale und wirtschaftliche Reformen begründet. gang Hermann und Sohn verdanke ich den Hinweis, daß sich das Museum der französischen Kriegsmarine, in dem die der „Indischen Symphonie“ des Nordlichts zugrunde liegenden Glasmalereien ausgestellt waren, zur Zeit der Niederschrift dieses Kapitels im Louvre befunden hat. Was die von Däubler erwähnten Glasmalereien betrifft, so konnte nur in Erfahrung gebracht werden, daß damals verschiedene Kunstobjekte der Verwaltung des Marinemuseums unterstanden, die bei dessen Auszug in unüberschaubarer Weise zerstreut wurden. Zu Däublers Arbeitsweise vgl. auch OSTERKAMP, Däubler oder die Farbe, S. 543-568. 45 DÄUBLER, „Was ich für dringend halte“, Athen am 9. November 1921, Typoskript zit. n. WERNER, Delos und Athos, S. 171 f. 46 DÄUBLER, Athen, S. 49. 47 DÄUBLER, „Gesichte“, in: Fischzug, S. 209.

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Dieter Werner In Griechenlands großem Befreiungskampf gegen die Türken sind nicht nur unerhörte Heldentaten geschehen, sondern seine begeisterten Führer hatten es [...] verstanden, die Bevölkerung durch soziale Reformen für das Werk der Auferstehung zu gewinnen. Die interessantesten Versuche sind danach auf Hydra und im Tempetal gemacht worden. In einem Dorf am Peneios hat es bereits in achtzehnten Jahrhundert Garnspinnereien gegeben, wo jeder Angestellte, jeder Arbeiter am Gewinn beteiligt wurde. Wenden wir uns jedoch nach Hydra, wo eine ganze Insel auf eine hochmoderne Wirtschaft eingestellt worden ist. […] jeder Matrose wurde am Verdienst des Reeders und des Kapitäns beteiligt. [...] Schnell war der Sprung […] über Besoldung zu freier Berechtigung des Arbeiters auf See gewagt […] Schon die Knaben auf Hydra begaben sich auf See: […] Kein Kind scheute Gefahr, doch hatte man es bereits wie die Erwachs48 nen am Gewinn beteiligt. Nicht viele wissen es, daß die Erhebung Griechenlands geistig zutiefst erwogen worden war. Um Griechenland politisch zu befreien, wollte 49 man es auch sozial gerechter ausbauen.

Däubler hat Aufzeichnungen hinterlassen,50 die belegen, daß er bereits um 1900 um eine politische Standortbestimmung bemüht ist. In dem vergleichsweise nüchternen Entwurf einer Untersuchung der politischen und ökonomischen Folgen des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 legt er die Notwendigkeit einer „zielbewußten sozialen Gesetzgebung“51 dar. In dem bereits erwähnten Typoskript „Was ich für dringend halte“ werden diese Überlegungen 1921 von ihm weiterentwickelt. Seinem Charakter entsprechend führen sie zu einer eher amorphen Vorstellung davon, daß hohe geistige Ziele, wie die Verwirklichung der politischen Freiheit, notwendig an ein Streben nach mehr sozialer Gerechtigkeit gebunden seien. Eine Einsicht immerhin, der nicht nur damals bei weitem nicht alle bürgerlichen Intellektuellen zugestimmt haben dürften.52 In einer Reihe von Gedichten und Prosatexten gestaltet Däubler heidnische Götterszenen, die jedoch über eine Paraphrasierung der antiken Mythen kaum hinausgehen. Erst in dem von Dezember 1923 bis Februar 1924 niedergeschriebenen Essay „Delos“ gelingt ihm eine umfassendere Neudeutung, durch die er die antike Mythologie und Kunst an die Vorstellungswelt des Nordlichts anbindet. Apollo wird für ihn zum Schlüssel für das Verständnis der griechischen Antike. Durch Apollos Wirksamkeit schaffen die Griechen erstmals in der antiken Welt eine Kultur nach menschlichem Maß.53 Die apollinischen Kulturideale von Klarheit, Heiterkeit, Besonnenheit und Maßkundigkeit befreien die griechischen Stämme aus ihrer Naturverhaftung zur 48 49 50 51

DÄUBLER, Griechenland, S. 121 ff. DÄUBLER, Griechenland, S. 319. Vgl. RIETZSCHEL, Däubler. Eine Collage, S. 79. Däubler, Tage- und Notizbuch der Jahre um 1900, zit. n. RIETZSCHEL, Däubler. Eine Collage, S. 81. 52 Vgl. auch DÄUBLER, Politik und Dichtung; sowie DERS., Natur, Technik und Kultur. 53 Vgl. DÄUBLER, Delos, S. 184.

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Geistigkeit. Der auf der kleinen Insel Delos geborene Gott bedarf keiner äußerlichen Monumentalität, „er als erster überwindet die eigene Natur, da nicht Apollo aus ihr, sie aber durch ihn besteht.“54 In Hellas vollzieht sich eine Lockerung der astralen Bedingtheit der orientalischen Götter, sie treten in einen anderen kosmischen Bezug über, aus dem der Gestirne in den der Menschen.55 Nach der Zeitenwende wird Apollo für Däubler zum Mittler zwischen Heidentum und Christentum, er „zeigt sich als Erzieher zur Göttlichkeit,“56 der dem ihm wesensverwandten Christus den Weg bereitet, in dessen Menschwerdung und Opfertod sich der apollinische Freiheitsimpuls vollendet. In der christlichen Kultur Europas sieht er Apollo, im Gegensatz zu den anderen Heidengöttern, im Verborgenen weiterwirken als den inspirierenden Genius der Kirchenväter und Scholastiker, der Künstler und Philosophen der italienischen Renaissance und des deutschen Idealismus. Um das in „Delos“ und Athos Angesprochene ranken sich die Ideenkomplexe, mit denen sich Däubler in Griechenland hauptsächlich beschäftigt und aus denen das angekündigte Griechenlandbuch entstehen sollte.

3 Mitte des Jahres 1922 begegnet er Eckart Peterich, dem ihm bereits aus Florenz bekannten Sohn eines deutschen Bildhauers, mit dem und dessen Bruder Lukas sich bald ein intensiverer Umgang entwickelt. Peterich rät ihm, durch das Verfassen von journalistischen Reisebildern seine Einnahmen zu verbessern. Er folgt diesem Rat mit schlechtem Gewissen und von der Not getrieben, wähnt er doch mit solchem Tun seine eigentliche Aufgabe – das große Werk über Griechenland – zu vernachlässigen. Die Begegnung mit den Brüdern Peterich eröffnet für Däubler Anregungen, die ihm seine bisher mit Griechenland verbundenen Absichten fraglich werden lassen. An Toni Sussmann schreibt er: „Zum erstenmal tat ich, was man nicht darf: ich stellte geistige Pflicht, mein Werk an zweite Stelle. […] Somit ist das Griechenlandbuch geliefert. Dadurch geschah eine Wendung. – In meinem Leben. […] Freilich der Verrat am Werk ist da, mir ist nicht heil zu Mut.“57 Für Reisen benötigt er nun größere Geldmittel, weshalb er seine journalistischen Aktivitäten nicht ohne Mißbehagen ausweitet. Es entsteht eine bedeutende Anzahl von feuilletonistischen Reiseberichten, die von seinen Freunden Max Sidow

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DÄUBLER, Delos, S. 181. Vgl. SIDOW, Theodor Däubler, S. 9. DÄUBLER, Delos, S. 327. Däubler an Sussmann, Brief vom 01.05.1923, zit. n. RIETZSCHEL, Däubler. Eine Collage, S. 244 f.

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und Fritz Löffler in Deutschland weitervermittelt werden.58 Eine Auswahl davon wird Max Sidow 1946 unter dem Titel Griechenland herausgeben. Unzufrieden bemerkt Däubler gegenüber Rudolf Pannwitz: „das Griechenbuch bleibt Fragmente. [...] Ich verfalle ganz dem Journalismus, kann nun, um fortzubestehen, bloß Kitschen!“59 Und an Toni Sussmann schreibt er: „Verloren ist verloren – es heißt sich damit abfinden. Für mein Werk konnte ich betteln, nun bin ich ja nur noch Journalist, schreibe bloß für den jämmerlichen Erwerb.“60 Aber hier unterliegt er einer Selbsttäuschung. Wie schon zuvor seine Schriften über moderne Kunst mehr als das Nordlicht Interesse bei den Lesern gefunden hatten, so tragen nun seine feuilletonistischen Reisebilder stärker als seine literarischen Arbeiten über Griechenland zu seiner Bekanntheit bei. Daß er nach seiner Rückkehr in Deutschland mit einer gewissen Neugier empfangen wird, dürfte nicht zuletzt auf seine vielfältigen Zeitungsbeiträge, die nach Werner Hüllen „Journalismus auf höchstem Niveau“61 darstellen, zurückzuführen sein. 1924 und 1925 lebt er monatelang auf Ägina. Mitte Dezember 1925 verläßt er Griechenland und reist über Italien nach Deutschland. Obwohl dem Zurückgekehrten vielerlei Ehrungen und öffentliche Anerkennung zuteil werden, ist seine künstlerische Schaffenskraft nahezu versiegt. Nicht allein ernsthafte Erkrankungen, Diabetes und Tuberkulose, hindern ihn am weiteren Arbeiten. Im Frühjahr 1926 schreibt er an seinen Freund Spunda: „ich bin recht krank. Der Grund wohl psychisch […] Ich bin in Deutschland von Bestürzung zu Bestürzung geraten, nun sind zu viele Schrauben locker. […] Sie haben keine Ahnung, wie weit der Boykott geht. Es ist wirklich unheimlich.“62 Es hängt wohl auch damit zusammen, daß ihm schließlich die Uneinlösbarkeit der mit seiner Dichtung verbundenen kulturreformatorischen Intentionen bewußt geworden ist, nicht zuletzt durch die Ablehnung, die sein 1925 in der Deutschen Rundschau erschienener Essay „Delos“ beim lesenden Publikum erfahren hat. Die Toni Sussmann gegenüber ausgedrückte Hoffnung,63 damit endlich die ihm gebührende Anerkennung zu finden, war drastisch enttäuscht worden. Wie ihm der Herausgeber Rudolf Peschel mitteilt, waren die Reaktionen darauf vorwiegend von Unverständnis und Ablehnung

58 Vgl. RIETZSCHEL, Däubler. Eine Collage, S. 372, Anm. 98, sowie S. 389. 59 Däubler an Pannwitz, Brief vom 08.09.1924, zit. n. RIETZSCHEL, Däubler. Eine Collage, S. 254. 60 Däubler an Sussmann, Brief vom 07.09.1924, zit. n. RIETZSCHEL, Däubler. Eine Collage, S. 253 f. 61 HÜLLEN, Sonne als Kristall, S. 174. 62 Däubler an Spunda, Brief vom 16.05.1926, von F. Spunda eigenhändig korrigierte Maschinenabschrift, Privatbesitz. 63 Vgl. Däubler an Sussmann, Brief vom 19.12.1923, zit. n. KEMP / PFÄFFLIN, Däubler 1876-1934, S. 35.

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geprägt, es kam sogar zu Abonnementkündigungen.64 Katharina Kippenberg schreibt ihm durchaus wohlwollend, die Krux seiner Bücher sei, daß sie „zu schwer geschrieben“ seien. „Wie wenige Menschen sind fähig, einen Stil wie den in Delos enthaltenen, gesättigt und getränkt bis oben hin mit mythologischem, geschichtlichem, kulturhistorischem Wissen zu folgen?“65 Däubler hat sich späterhin um eine allgemeinverständlichere Erklärung seiner dichterischen Absichten bemüht. Im Typoskript des Essays „Gesichte“, dessen Anfang unveröffentlicht blieb, schreibt er: [Es] ist mir nicht mehr gestattet, bloss dichterisch zu schaffen, sondern ich fühle es als geboten, meinen Standpunkt in klarer Sprache darzulegen […] Die Grundidee zu allen meinen Büchern „Das Nordlicht“ ist keineswegs anderen Vorstellungen gewichen. Ohne die Vision meiner Kindheit wäre alles Schrifttum für mich gegenstandslos. Doch die Methode hat sich gewandelt. Ich fühle mich verpflichtet [...] „das Nordlicht“ 66 ohne dichterische Hülle zu erklären [...].

Seine Erwartung einer über das literarische hinausgehenden Weltanschauungsstiftung, auch und speziell für das Griechenlandbuchprojekt, ist für unser heutiges Verständnis von Literatur befremdlich, jedoch nicht ganz so ungewöhnlich im Erwartungshorizont seiner Zeit. Man denke etwa an Stefan Georges priesterlich verstandenes Dichtertum oder an Hans Henny Jahnn mit seinem Ugrino-Projekt. Däubler selbst sieht sich als Künder einer neuen Kosmogonie.67 Dennoch, auch wenn seine Berufung auf seine Kindheitsvision subjektiv glaubwürdig ist, mangelt es dem Nordlicht, bei aller Würdigung seiner literarischen Qualität, an der konsequenten Ausgestaltung eines allenfalls erahnbaren ideellen Konzepts. Zu einer Kosmogonie reicht das nicht, trotz der gegenteiligen Versicherungen einiger emphatischer Anhänger.68 Man kann hier, wie auch bei den Griechenlandschriften konstatieren, daß Däublers über das rein literarische hinausgehender Anspruch die Qualität seiner Texte nicht gesteigert hat. Im Gegenteil reichen die meisten in Griechenland entstandenen Texte qualitativ nicht an das Niveau der späten Nordlicht-Phase oder der Hymne an Italien69 heran. Seine von ihm selbst unter64 Vgl. Rudolf Pechel [Hg. der Deutschen Rundschau] an Däubler, Brief vom 17.11.1925, zit. n. RIETZSCHEL, Däubler. Eine Collage, S. 369, Anm. 78. 65 Katharina Kippenberg an Däubler, Brief vom 23.07.1925, zit. n. RIETZSCHEL, Däubler. Eine Collage, S. 233, 250. 66 Däubler, „Gesichte“ (Typoskriptfassung), zit. n. WERNER, Delos und Athos, S. 169; der Essay „Gesichte“ ist erschienen in DÄUBLER, Fischzug, S. 189-210. 67 Vgl. Däubler an Pannwitz, Brief vom 08.09.1924, zit. n. RIETZSCHEL, Däubler. Eine Collage, S. 254. 68 Vgl. FALCK-YTTER, Künder des Nordlichts, S. 157-193. 69 DÄUBLER, Hymne an Italien, 1916. Von der Publikationsfolge her kann die Zeit zwischen 1914 und 1919 als der Höhepunkt von Däublers schriftstellerischem Schaffen angesehen werden. In rascher Folge erscheinen zwei autobiographisch gefärbte Prosabände, vier Gedichtbände, sowie seine drei Hauptarbeiten zur modernen Kunst und

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schätzten Feuilletonbeiträge hingegen vermitteln ein lebensvolles Bild des Griechenlands der frühen 20er Jahre. Dreimal hat Däubler zuvor durch glückliche Umstände die Gunst der avantgardistischen Zeittendenz auf seiner Seite gehabt. Beim Erscheinen des Nordlichts kann sich der aus einem Randgebiet des deutschen Sprachraums stammende und stärker an italienischen und französischen als an deutschen Vorbildern orientierte junge Autor in den beginnenden literarischen Expressionismus einreihen. Danach führt seine ganz persönliche Aversion gegen alles Militärische dazu, daß er sich bereits gleich beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs auf Seiten der zunächst sehr kleinen Gruppe von kriegskritischen Intellektuellen wiederfindet. Drittens fallen seine während des Kriegs entstehenden Kunstschriften in eine Phase geistiger Um- und Neuorientierung. Als Kunstjournalist ist er in dieser Hinsicht nicht nur Nutznießer, sondern hier am ehesten auch aktiver Mitgestalter einer gesellschaftlichen Aufnahmebereitschaft für die moderne Kunst. In der geistigen Isolation des Griechenlandaufenthalts mag solches vorwiegende Getragenwordensein von der Gunst der Zeitumstände ihn zur Überschätzung seiner Wirkungsmöglichkeit als Meinungsmacher geführt und ihn nunmehr zur Propagierung einer deutlich gegen den Zeitgeist der frühen 20er Jahre gerichteten christlich-theokratischen Staatsutopie bestimmt haben. Daß er mit einem derartig überzogenen Anspruch scheitern muß, ist vorprogrammiert. Hinsichtlich des versprochenen Griechenlandbuchs bleibt anzumerken, daß Däubler kurz vor seinem Tod 1934 dem ihm als Sekretär beistehenden Sebastian Heißel ein Verzeichnis von zum Teil noch unveröffentlichten Gedichten und Prosastücken diktiert, das unter dem Titel „Die Sonne als Kristall“ dieses Buch doch noch hat Wirklichkeit werden lassen sollen.70 Man kann davon ausgehen, daß die Textzusammenstellung nur bedingt dem ursprünglich Beabsichtigten entspricht. Eine Veröffentlichung ist unterblieben.

Musik, ferner eine Anzahl von Zeitschriftenbeiträgen, u. a. in Franz Pfemferts Aktion und in René Schickeles Weißen Blättern, die ihm den Ruf eines Kriegsgegners eintragen; vgl. Publikationsverzeichnis im Anhang. 70 Vgl. RIETZSCHEL, Däubler. Eine Collage, S. 373, Anm. 102, sowie S. 370, Anm. 83; vgl. auch HÜLLEN, Sonne als Kristall, S. 193.

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Zeitschriften Das goldene Tor Das Inselschiff Das literarische Echo Der Brenner Der Kreis. Zeitschrift für künstlerische Kultur Deutsche Rundschau Die Aktion Die Geistige Welt Die Horen. Monatshefte für Kunst und Dichtung Die literarische Welt Die weißen Blätter Euphorion Faust. Eine Monatsschrift für Kunst, Literatur und Musik Hochland Marbacher Magazin Merkur Neue Blätter für Kunst und Dichtung Neue deutsche Hefte Pan Sinn und Form Wort in der Zeit Zeitgeist. Beiblatt zum Berliner Tageblatt

Publikationen Theodor Däublers und Rezensionen Das Nordlicht. Florentiner Ausgabe. 3 Bde. München, Leipzig: Georg Müller, 1910. Ode und Gesänge. Hellerau bei Dresden, Berlin: Verlag der neuen Blätter, 1913. Wir wollen nicht verweilen. München: Georg Müller, 1914. Der sternhelle Weg. Dresden-Hellerau: Hellerauer Verlag, 1915. Hesperien. München, Berlin: Georg Müller, 1915. Mit silberner Sichel. Dresden-Hellerau: Hellerauer Verlag, 1916. Der neue Standpunkt. Dresden-Hellerau: Hellerauer Verlag, 1916. Das Sternenkind. Leipzig: Insel, 1916. Hymne an Italien. München, Leipzig: Georg Müller, 1916. Lucidarium in arte musicae. Hellerau: Hellerauer Verlag, 1917. Der Hahn. Übersetzungen französischer Lyrik. Berlin-Wilmersdorf: Verlag Die Aktion, 1917. Im Kampf um die moderne Kunst. Berlin: Erich Reiß, 1919. César Klein. Leipzig: Klinkhardt & Biermann, 1919 Die Treppe zum Nordlicht. Leipzig: Insel, 1920.

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Lasar Segall. Berlin: Verlag für jüdische Kunst und Kultur Fritz Gurlitt [um 1920]. Perlen von Venedig. Leipzig: Insel, 1921. Der unheimliche Graf. Hannover: Banas & Dette, 1921. Das Nordlicht. Genfer Ausgabe. 2 Bde. Leipzig: Insel, 1921/22. Marc Chagall. Rome: Editions de ‚Valori Plastici‘, 1922. Ithaka. In: Deutsche Rundschau. 48. Jg. (1922), S. 39-47. Der heilige Berg Athos. Eine Symphonie III. Leipzig: Insel, 1923. Sparta. Ein Versuch. Leipzig: Insel, 1923. Päan und Dithyrambos. Eine Phantasmagorie. Leipzig: Insel, 1924. Attische Sonette. Leipzig: Insel, 1924. Griechentum in unserer Zeit. In: Deutsche Rundschau. 50. Jg. (1924). S. 31-45. Athen. In: Faust. Eine Monatsschrift für Kunst, Literatur und Musik. H. 11/12 (1924/25). S. 48-52. Der Schatz der Insel. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay, 1925. Delos. Den Manen der Ahnen. In: Deutsche Rundschau, 51. Jg. (1925), Bd. 202. S. 178-229 u. S. 310-350. Aufforderung zur Sonne. Chemnitz: Gesellschaft der Bücherfreunde, 1926. Bestrickungen. Berlin-Grunewald: Horen, 1927. Politik und Dichtung. In: Die Horen, 5. Jg. (1928/29), H. 5. S. 385-390; auch in: Veröffentlichungen der Preußischen Akademie der Künste, Jahrbuch der Sektion für Dichtkunst 1929. S. 88-96. Natur, Technik und Kultur. In: Der Kreis, 7. Jg. (1930), H. 7/8. S. 385-388. Der Fischzug. Hellerau: Jakob Hegner, 1930. Can Grande della Scala. Ein Fragment. Leipzig: Jakob Hegner, 1932. Griechenland. Aus dem Nachlaß hg. von Max SIDOW. Berlin: Karl Heinz Henssel, 1946. Theodor Däubler. Eine Einführung in sein Werk und eine Auswahl. Hg. und eingeleitet von Hanns ULBRICHT. Schriftenreihe‚Verschollene und Vergessene‘ der Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Wiesbaden: Franz Steiner, 1951. Dichtungen und Schriften. Hg. und mit einem Nachwort von Friedhelm KEMP. München: Kösel, 1956. Der neue Standpunkt. Hg. und eingeleitet von Fritz LÖFFLER. Dresden: Wolfgang Jess, 1957. Echo ohne Ende. Hg. und eingeleitet von Theodor SAPPER. Graz, Wien: Stiasny, 1957. Gedichte. Hg. und mit einem Nachwort von Werner HELWIG. Stuttgart: Reclam, 1965. Der sternhelle Weg und andere Gedichte. Hg. und mit einem Nachwort von Harald KAAS. München: Hanser, 1985. Das Sternenkind. Mit einer Nachbemerkung von Hans-Jörg GÖRLICH. Leipzig: Insel, 1986.

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Im Kampf um die moderne Kunst und andere Schriften. Hg. von Friedhelm KEMP und Friedrich PFÄFFLIN, mit einem Vorwort von Friedhelm Kemp. Darmstadt: Luchterhand Literaturverlag, 1988. ADLER, Paul: Theodor Däubler. Ein Gespräch mit dem unlustigen Leser über einen Dichter. In: Pan, 2. Jg., H. 15, 29.02.1912. S. 536-540. ADLER, Paul: Nordlicht. In: Das literarische Echo, 14. Jg., H. 24, 15.09.1912. Sp. 1683-1690. BUSCHBECK, Erhard: Theodor Däubler, der Dichter. In: Neue Blätter für Kunst und Dichtung, 1. Jg. (1918). S. 145-148. BUSCHBECK, Erhard: Die Sendung Theodor Däubler. Eine Streitschrift. Wien, Prag, Leipzig: Ed. Strache, 1920. MOELLER VAN DEN BRUCK, Arthur: Gestaltende Deutsche. 5. Bd. von: Die Deutschen – Unsere Menschengeschichte. Minden i. W.: J. C. C. Bruns, 1907. S. 298-304. MOELLER VAN DEN BRUCK, Arthur: Theodor Däubler und die Idee des Nordlichtes. In: Deutsche Rundschau, 47. Jg. (1921), Bd. 186. S. 20-34. NEUGEBAUER, Hugo: Ein sibyllinisches Buch. In: Der Brenner, 1. Jg., H. 13, Innsbruck/Bozen 01.12.1910. S. 345-359. NEUGEBAUER, Hugo: In Würdigung Theodor Däublers. In: Der Brenner, 3. Jg., H. 5, 01.11.1912. S. 198-205. SCHLAF, Johannes: Theodor Däubler. In: Zeitgeist. Beiblatt zum Berliner Tageblatt, 17.06.1912. Nachgedruckt in: Der Brenner, 3. Jg., H. 3, 01.11.1912. S. 120-127. SCHMITT, Carl: Theodor Däublers Nordlicht. Drei Studien über die Elemente, den Geist und die Aktualität des Werkes. München: Georg Müller, 1916.

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Wo im kulturellen Europa liegt das moderne Griechenland? Die erste Reaktion bzw. der erste spontane Gedanke zum Thema Wo im kulturellen Europa liegt das moderne Griechenland? könnte sein: im Niemandsland. Doch war da nicht was? Über eine Million Mal wurde doch jener Alexis Sorbas von einem Nikos Kazantzakis allein in Deutschland verkauft, der Film mit Antony Quinn war doch ein Meisterwerk. Und dann jene fabelhafte Melina Merkouri in „Sonntags nie“ und Nana Mouskouri mit ihren „Weißen Rosen aus Athen“. Unvergeßlich. Die Sammlung von Sprachwitzen von Hans-Martin Gauger im Beck-Verlag hat sogar den Titel Das ist bei uns nicht Ouzo. Der Sprachwitz als ganzer: Ein Grieche betritt in Deutschland eine Bank: „Ich möchte ein Gyros-Konto eröffnen.“ Darauf der Bankangestellte: „Das ist bei uns nicht Ouzo.“ Auf S. 82 desselben Buches sollen wir allerdings bereits dann wieder „ohne Unterbrechung sprechen“: Mähn Äbte Heu? Äbte mähn nie Heu, Mädgde mähn Heu. – eine Parodie auf die Erasmische Aussprache des Altgriechischen. Womit wir also auch noch in einem im Jahre 2006 in Deutschland erschienenen Buch gleich wieder bei den Alten Griechen gelandet sind. Und dieser Anschluß muß nun einmal sein, in diesen Landen. Vor allem natürlich in den akademischen Kreisen. Als ich nach meiner Habilitation für Mittel- und Neugriechische Philologie an der Universität zu Köln eine Studienordnung für dieses Fach auszuarbeiten angehalten wurde, wurde diese auch in den Prüfungskanon aufgenommen. Das ging dann so: Oberbegriff Griechische Philologie. Teil A Griechische Philologie. Teil B Mittel- und Neugriechische Philologie. Meine entsprechende Bitte, Teil A in Altgriechische Philologie zu ändern, wurde überhaupt nicht diskutiert. Griechen sind zunächst einmal die Altgriechen. Und das ist auch gut so, könnte man sagen. Genauso wie die Philhellenen nicht die Freunde der Romäer oder anderer Balkanbewohner sind, sondern, wie schon der Name sagt, Freunde der Hellenen. Daß dies aber dazu führt, die heutigen Bewohner jenes Landes hin und wieder aktiv zu mißachten, scheint ein Phänomen zu sein, das nur in deutschen Landen mit solcher Energie betrieben wird. Und um nur noch für einen Augenblick im akademischen Bereich zu bleiben: Wie angenehm und zugleich lustig ist es, mit Altphilologen in Italien, Spanien, Portugal, Frankreich, ja sogar in Großbritannien, auf Neugriechisch ins Gespräch zu kommen.

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Wir haben es also neben der Akzeptanz einer neugriechischen Kultur mit einem Berg von Ablehnung und Widerstand zu tun. Vor allen Dingen allerdings beinahe ausschließlich im humanistisch gebildeten Bildungsbürgertum. Auch wenn wir bei diesem Symposium den Fokus vorwiegend auf die Zeit um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert bis zur Kulturpolitik der NSZeit gerichtet haben, kommen wir also nicht umhin zu erklären zu versuchen, wie es zu dieser ideologischen Einengung gekommen ist. Wir haben von Griechenland nur die Anschauungen übernommen und fest in unsere Kultur integriert, die uns die sogenannten Humanisten, später dann die Philhellenen nach ihren eigenen Kriterien als vorbildlich hingestellt haben. Mitteleuropa ist im Rahmen der Renaissance auf die Möglichkeit hingewiesen worden, antike, und speziell griechische Ideale der Gesellschaftsordnung zu übernehmen, sich zueigen zu machen und sich danach zu verhalten. Diese Übernahme verlief in den verschiedenen mitteleuropäischen Kulturen sehr unterschiedlich. In den romanischen Ländern mit Latein als der Amtssprache der Kirche waren die wieder entdeckten griechischen Autoren der klassischen Antike große Hilfen auch für die Interpretation der klassischen lateinischen Autoren der Antike. Schließlich war die gebildete Schicht der Römer in der klassischen Zeit zweisprachig und vermittelte die griechische Sprache ihren Kindern mit Hauslehrern aus Griechenland. In deutschen Landen fiel die Reformation in eine Zeit, in der sich auch die deutsche Sprache als Nationalsprache zu etablieren anschickte. Martin Luther selbst hat mit seiner Bibelübersetzung an diesem Durchbruch größten Anteil. Doch hatte ein Umstand, der mit dieser Übersetzung zusammenhängt, eine mindestens eben so große Bedeutung wie der Bruch mit der lateinischen Vorherrschaft der katholischen Kirche: Luther übersetzt aus dem Hebräischen und, da das Neue Testament auf Griechisch niedergeschrieben war, aus dem Griechischen. Damit war auch hier ein Durchbruch erreicht. An den wie Pilze aus dem Boden schießenden protestantischen Universitätsneugründungen oder an den altehrwürdigen, nun von einem zum Protestantismus bekehrten Landesherrn zügig umgestellten akademischen Lehranstalten erlebte das Griechische jenseits der Alpen eine kaum vorstellbare Blüte. Der „erste Philhellene Europas“ war Martin Kraus (1526-1607), besser bekannt als Martinus Crusius, professor utriusque linguae an der Universität Tübingen, Philhellene zunächst einmal im Sinne der frühen „transalpinen“ Humanisten als Verehrer vorwiegend klassischer Kultur, dann aber auch als ein glühender Streiter für die reformatorische Hinwendung zum griechischen Neuen Testament und seinen großen griechischen Exegeten. Daß sich Crusius darüber hinaus auch noch für das Griechisch seiner Zeit interessierte, entsprang einem historischen und persönlichen Mißverständnis: Athen und Konstantinopel waren bekanntlich zu Crusius’ Zeiten tiefste Türkei, der Sul-

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tan ein Hüter des Islams. Nach dem hierzulande erstrittenen Grundsatz cuius regio eius religio mußte für einen aufrechten Protestanten des 16. Jahrhunderts das Griechentum christlicher Griechen untergegangen oder zumindest stark gefährdet sein. Hier tat Hilfe Not, und dies ist die Geburtsstunde der deutschen Neogräzistik. Konnte sich Crusius für das Altgriechische auf geschriebene Grammatiken stützen, denen er selbst eine weitere hinzufügte, so war er zur Erlernung des Neugriechischen auf native speakers aus der „Turcograecia“ angewiesen, die bei ihm in großer Zahl in Tübingen vorsprachen. Crusius unterwarf sie alle einem wissenschaftlichen Verhör über Sprache, Zeitgeschichte, Sitten und Gebräuche, protokollierte alles, unterhielt darüber hinaus einen umfangreichen Schriftwechsel vorwiegend mit der Patriarchatskanzlei von Konstantinopel und schrieb und schrieb in Schwäbischen Annalen, in Tagebüchern, in Turcograecia und in Germanograecia alles und jedes auf und hinein: Wir halten heute dieses – immer noch nicht vollständig veröffentlichte und noch nicht ansatzweise systematisch aufgearbeitete – Material in Händen und versuchen – ein Desiderat der deutschen Neogräzistik – ein System darin zu erkennen, das über die eigentliche Sammeltätigkeit hinausgeht. Reuchlin, Melanchthon und Erasmus von Rotterdam, um nur die wichtigsten Zeitgenossen des Crusius zu nennen, sind die Begründer einer Klassischen Philologie in Deutschland, sie sind auch heute noch in aller Munde. Doch Crusius’ Bedeutung ist heute fast auf seinen amor neograecus beschränkt und damit in die Vergessenheit geraten. Vereinzelten Bemühungen evangelischer Theologen um dieses zeitgenössische Griechisch, im Zusammenhang mit der Frage der Übersetzung des Neuen Testaments ins Neugriechische, stand der Grundgedanke der Renaissance mit der Rückbesinnung auf die klassischen Werte und Kulturgüter entgegen. Gleichsam besiegelt wurde die Abtrennung des Altgriechischen vom Neugriechischen in Forschung und Lehre durch die allmähliche Einführung der sogenannten Erasmischen Schulaussprache des Griechischen in Deutschland bereits vom Ende des 17. Jahrhunderts an. Hier war der ohnehin schwache Faden zu den Griechen Griechenlands gerissen. Erst die neue europäische Befreiungsbewegung der Aufklärung nach der Französischen Revolution, die 1830 zur Gründung des ersten Griechischen Nationalstaates führte, ließ das Interesse für die Sprache dieser Bewohner „edler Landstriche“ auch in Deutschland wachsen. Philhellenen, Philhellenenvereinigungen, Philhellenengesellschaften schossen wie die Pilze aus dem Boden. Die Zeiten hatten sich aber gewandelt: Die klassischen Studien standen in höchster Blüte, der Altgriechischunterricht war zum festen Bestandteil der Jugenderziehung auf dem Gymnasium geworden. Vereinzelte griechische native-speakers wurden, wie von Goethe in Leipzig, wegen ihres „edlen Aussehens“ und ihrer „noblen Tracht“ bewundert. Die Aufklärung

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war der Romantik gewichen. Die Idee des Philhellenismus hatte sich verselbständigt und funktionierte genauso gut oder gar besser ohne die Griechen Griechenlands, deren direkte Abstammung von den alten Griechen ohnehin in Zweifel gezogen wurde. Jakob Philipp Fallmerayer (1790-1861), der von einer slawisch-albanischen Überlagerung sprach, hatte sich ohnehin in Griechenland nur Feinde geschaffen, da die Phil-Hellenen ohne Berücksichtigung der Romaioi – wie die Griechen im Mittelalter hießen – oder der Graikoi – wie sie im ausgehenden Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit im Westen oft genannt wurden – ohnehin schnurstracks auf die alten Hellenen zugesteuert waren. Und als man 1837 im Athen des Wittelsbachers Otto eine Universität gründete, wurde überhaupt nicht in Erwägung gezogen, etwa einen Lehrstuhl für Neugriechische Philologie einzurichten. Die Ideologie des Philhellenismus war nach Griechenland exportiert und dort gern importiert worden, um eine starke Stütze für den wissenschaftlich begründeten Nachweis einer Kontinuität des Griechentums von der Antike bis heute bilden zu können. Sehr viel geändert hat sich seit dieser Zeit weder in Griechenland noch in Deutschland. Zwar gibt es bedeutende Wissenschaftler, die sich auch auf dem Gebiet der Neogräzistik ausgezeichnet haben – allen voran der „Göttinger“ Adolf Ellissen (1815-1872), der Hamburger Wilhelm Wagner (18431880), der Freiburger Albert Thumb (1865-1915), die „Leipziger“ Karl Dieterich (1860-1935) und Gustav Soyter (1883-1965), doch blieb es allen diesen Persönlichkeiten verwehrt, in den Genuß einer an einer deutschen Universität institutionalisierten Neogräzisitk zu kommen. Im Zusammenhang mit der Klassischen Philologie oder der Byzantinistik gab es allerdings bereits im 19. Jahrhundert einige erste zaghafte Versuche. So wurde etwa Johannes Franz 1846 in Berlin zum Ordinarius für „das Fach der Klassischen Philologie und der neugriechischen Sprache und Literatur“ ernannt. Friedrich Wilhelm August Mullach (1807-1882) versuchte – vergeblich –, von der Neogräzistik aus in Berlin die Venia legendi für das Altgriechische zu erwerben. Der große Münchener Byzantinist Karl Krumbacher (18561909) war – genauso wie August Heisenberg (1869-1930)1 – auch auf dem Gebiet der Neogräzistik wissenschaftlich tätig. Kein geringerer als Paul Kretschmer wies in seiner Bewerbung um ein Reisestipendium nach Griechenland vom 19. Januar 1895 in Berlin darauf hin, für seine geplante griechische Grammatik sei es erforderlich, „die neugriechischen Spracherscheinungen unausgesetzt zu berücksichtigen“. Nach seiner Rückkehr kündigte er für das Wintersemester 1896/97 eine zweistündige Vorlesung über „Neugriechische Grammatik (mit Interpretation von Volksliedern und Märchen)“ an, die aber nur zwei Hörer fand. 1

August Heisenberg, der Vater von Werner Heisenberg, ist übrigens am 13.11.1869 in Osnabrück geboren.

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Regelmäßiger Unterricht im Neugriechischen wurde ab 1888 in Berlin auch von Johannes Mitsotakis geboten, dies allerdings nicht an der Universität, sondern im Seminar für Orientalische Sprachen, eine vorwiegend für Diplomaten und andere Staatsbeamte eingerichtete, praktischen Interessen dienende Sprachschule. Immerhin konnte man hier ab dem 1. Oktober 1900 sogar ein Diplom für Neugriechisch erwerben. Auf Mitsotakis, dem wir ein Lehrwerk des Neugriechischen, eine neugriechische Grammatik, eine Chrestomathie und ein Taschenwörterbuch verdanken, folgte nach einem kurzen Zwischenspiel durch Karl Foy 1906 Johannes Kalitsunakis (1878-1966), wie Mitsotakis aus Chania auf Kreta. Kalitsunakis gelang im übrigen nicht nur der Sprung vom Seminar für Orientalische Sprachen in Berlin auf die dortige Universität, sondern im Jahr 1924 auch auf den Lehrstuhl für Altgriechisch an der Philosophischen Fakultät der Universität Athen und nach der Gründung der Athener Akademie (1926) auch in diese Institution. Die Byzantinistik ist in Deutschland inzwischen zunehmend von der Philologie zur Mediävistik hinübergegangen (worden), der erste – und einzige – Lehrstuhl für Neogräzistik im deutschsprachigen Raum wurde vor wenigen Jahren in Wien eingerichtet und […] mit einem Historiker besetzt, obwohl gerade in Wien die Byzantinistik als philologische Disziplin voll ausgebaut ist und eine Ergänzung mit einer neugriechischen Philologie angestanden hätte. An der Universität Mainz wurde im Fachbereich Angewandte Sprachwissenschaften in Germersheim 1992 eine C-3 Professur für Neugriechische Sprache und Kultur eingerichtet und ist im Augenblick vakant. Im europäischen Ausland sind in Italien sechs und in Frankreich fünf Lehrstühle der Neogräzistik reserviert, in England wurde der Lehrstuhl am Londoner King’s College mit einem Philologen besetzt. Die Situation in Berlin ist folgende: Die alte C-3 Stelle für Neogräzistik wurde in eine Stiftungsprofessur umgewandelt, finanziert vom Athener Erziehungsministerium. Die C-3 Professorenstelle an der Universität Bochum wurde gestrichen, die außerordentlich verdienstvolle Arbeit von Frau Isidora Rosenthal-Kamarinea mit einer der besten, vielleicht der besten Bibliothek für Neograeca an einer deutschen Universität, endete damit unangemessen. Meine von mir gegründete Professur für Mittel- und Neugriechische Philologie an der Universität zu Köln, die nach meinem Weggang 1994 an die Universität Hamburg in das Studienfach Byzantinistik integriert wurde, taucht nach der Neubesetzung der C-4-Byzantinistik-Stelle nicht mehr auf. Neogräzistik kann damit im größten Bundesland der BRD, Nordrhein-Westfalen, bis auf weiteres nicht mehr weiter studiert werden. Die wissenschaftliche Anbindung der Neugriechischen Philologie an die Byzantinistik ist im übrigen seit der Gründung des ersten Lehrstuhls für Byzantinistik gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts in Deutschland gute

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Tradition. Damit gelingt zugleich die Anbindung auch an die Klassische Philologie, deren Studien an allen älteren Universitäten in Deutschland nach wie vor in neuer Blüte stehen. Die enge sprachliche Verwandtschaft zwischen Alt- und Neugriechisch legt eine enge Verbindung dieser Fächer ohnehin nicht nur an der Universität nahe, sondern auch für Humanistische Gymnasien. Leistungskurse im Fach Altgriechisch erfahren durch griechische Schüler, die zugleich Neugriechisch können, eine große Bereicherung. Doch setzen wir unsere Spurensuche, warum das Moderne Griechenland im kulturellen Europa so wenig oder überhaupt nicht wahrgenommen wird, noch etwas fort. Das Datum vom 12.9.1683, der Schlacht am Kahlenberg vor den Toren Wiens, hatte Westeuropa in einen Schockzustand vor den türkischen Barbaren versetzt. Dies ist ein ,Angriff auf das Abendland‘. Das Heil bei den Alten Griechen zu suchen, wurde eins mit einer deutschen Selbstfindung. Die Gipfel der Romantik wurden in Deutschland bestiegen, um von oben den Blick über jenes virtuelle Arkadien schweifen zu lassen. Wir sollten uns noch einmal ausdrücklich vergewissern, daß ein Dichter wie Friedrich Hölderlin (1770-1843) sich zeitlebens auf die Hoffnung auf eine im klassischen Griechenland vorgebildete schönere Zeit berief, eine Zeit, in der „wieder der Genius“ gilt und die Vorbereitung des Zustands, den er dichterisch als „Wiederkehr der Götter“, als „der neuen Gottheit neues Reich“ umschreibt. Johann Wolfgang von Goethe wählte zum Motto der beiden 1816 und 1817 erschienenen Bände seiner Italienischen Reise das ältere Et in Arcadia ego in der Form „Auch ich in Arkadien“. Als er auf Sizilien vom Grafen Waldeck eingeladen wurde, auf dessen Segelschiff mit nach Griechenland zu fahren – wir würden heute sagen: ein Katzensprung – notierte er in seinem Tagebuch, er sei angesichts dieser Perspektive „zu keiner Silbe mehr fähig“ gewesen. Und er fährt nicht. Was hätten Hölderlin oder Goethe denn dort betrachten sollen? Dieses Griechenland, dieses Arkadien existierte doch vorwiegend nur in den Köpfen, und das war Hölderlin so gut wie Goethe natürlich voll bewußt. Ein Abgleichen dieser virtuellen, romantisch erhöhten, idealisierten antiken Landschaft mit der Wirklichkeit am Südzipfel des Balkans stand überhaupt nicht zur Debatte. Im Rahmen der sogenannten Befreiungskämpfe in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts häufen sich die Mißverständnisse auf beiden Seiten. Die Philhellenen wollten als echte Freunde der Hellenen, worunter sie die Geistesgrößen der klassischen Zeit des Griechentums verstanden, heutige Bewohner dieser edlen Landstriche von der fremden, noch dazu muslimischen, Fremdherrschaft befreien helfen. Neben dem unsäglichen Schmutz und der bedrückenden Armut trafen sie auf Einwohner, die sich Römer – Romaioi – nannten und so etwas sein mußten wie die Roma in Rumänien. Statt einer

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Brücke zum Verständnis eines zeitgenössischen Griechenlands in Mitteleuropa vertiefte sich hier also eher der Graben des Unverständnisses bis hin zur aktiven Ablehnung. Die Neugriechen hatten ihre Chance, sich wie die Alten Griechen zu verhalten und zu benehmen, bekommen, und sie nicht genutzt. Diese württembergischen, Schweizer und bayerischen Söldner im Dienst einer professionellen Soldateska kehrten in ihre Heimat zurück und berichteten von hinterhältigen Gaunern (hinter dem Wort steckt das Wort Joner auf hebräisch und rotwelsch), die, gegen alle altgriechische Ethik, sich in jenem Arkadien festgesetzt hätten. Die philhellenische Bewegung, die zur Bildung eines deutschen Nationalgefühls ihren nicht zu unterschätzenden Beitrag geleistet hatte, kehrte spätestens nach dem Sturz des Wittelsbachers Otto vom griechischen Königsthron wieder in die deutschen Studierstuben und die humanistischen Gymnasien zurück, und blieb für die Zukunft von jeder Annäherung an das reale Land Griechenland unbefleckt. Diese deutschen Studienräte und Gymnasiallehrer für das Altgriechische waren bemüht, die von ihnen täglich gelehrte hohe Ethik der klassischen Antike selbst vorzuleben. In der festen und gelebten Überzeugung, wider alle Unbill nach diesen hehren Vorbildern zu leben, sich geradezu verantwortlich zu zeigen, waren sie auch bereit, im Sinne eines Graecia transvolavit Alpes die – alleinige – Verantwortung für diese ideale antike Kultur zu übernehmen. Schnell war auch die Brücke zum idealisierten nationalen Gedankengut gebaut. Der Stadtstaat Athen mit seiner demokratischen Grundstruktur war wie geschaffen für die Umsetzung der Ideale nach der Französischen Revolution. Tief verankert war der Glaube an die Wahlverwandtschaft deutscher und griechischer Geisteswelt, wobei das agonale Prinzip im Wettstreit der Kulturen jetzt sogar Pate dafür stand, es den alten Griechen nicht nur gleichzutun, sondern sie sogar zu übertreffen. Dazu kam, daß die Griechen Griechenlands in dem Bemühen, einen Nationalstaat nach europäischem Vorbild mit Leben zu füllen, diesen Sprung über das griechische Mittelalter hinweg direkt zurück auf die klassische Antike selbst zu springen sich anschickten. Bestand bei diesem Akt der Aufklärung ja auch die gern gesehene Möglichkeit, sich von der Vormacht der griechisch-orthodoxen Kirche zu befreien. Doch übernahmen sie damit auch zugleich eine Ideologie, die ihrem Land und ihrer kulturellen Leistung seit der Antike Hohn sprach. Bis heute wird in Griechenland Altgriechisch mit der deutschen Schulgrammatik von Adolf Kaegi unterrichtet. Bis heute wird altgriechische und byzantinische weltliche Dichtung in den Schulstuben nach dem Vorbild deutscher humanistischer Gymnasien gelesen, ohne daß darauf hingewiesen wird, daß der Priester in der Kirche nebenan jene Tradition der Verbindung von Logos, Melos und Rhythmus weiterträgt. Bis heute wird den griechischen Schülern in den archäologischen Museen Griechenlands vor den Statuen in hellem weißen Marmor nicht erzählt, wie bunt angemalt sowohl

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die Tempel als auch jene alten Statuen waren. Auch in Griechenland hat sich offenbar auf diesem eigenen Feld der klassischen Archäologie ein Ästhetikbegriff durchgesetzt, der dieser griechischen Kultur nicht adäquat ist. Erst im Februar des Jahres 2007 wurden die Griechen mit Themen und Fakten konfrontiert, die sie als Sensation betrachten mußten. In der Griechenland Zeitung vom 14.2.07 kommentiert der Münchner Archäologe Dr. Vinzenz Brinkmann: „Die griechische Kunst ist eine Kunst des Lebens.“ In dem Interview lesen wir: Winckelmann wußte genau von der Farbigkeit der antiken Skulpturen: Indem er sich trotzdem bewußt gegen die Farbigkeit der antiken Kunst wandte, äußerte er Kritik an der Ästhetik der Antike und setzte ihr sein eigenes intellektuelles Modell entgegen, das sich an den Vorgaben des Humanismus und der Aufklärung orientierte. Den Weg der Farblosigkeit beschritten Künstler erst seit der Renaissance, während die Kunst davor einzig die Farbigkeit kannte.

Bedeutet diese Aussage nicht, daß wir in unserer Einschätzung der antiken Kunst mit ästhetischen Kriterien arbeiten, die in der Neuzeit schlechterdings erst erfunden wurden? Bedeutet dies nicht, daß uns zur Betrachtung antiker Kunstdenkmäler wesentliche Teile vorenthalten wurden, die jener Kunst als unabdingbar galten? Und sollten wir nicht, wenn wir diese neuen Erkenntnisse gewonnen haben, schleunigst daran gehen, unsere hergebrachte Auffassung über die antiken Kunstdenkmäler so schnell wie möglich zu revidieren und zu ergänzen? Und einmal mißtrauisch geworden, kehren wir sogleich zur Philologie zurück und fragen uns, wie ist das eigentlich auf anderen Gebieten der griechischen Kultur? Hat man uns denn nicht mit dem nötigen Nachdruck darauf hingewiesen, daß so gut wie jeder Text aus der griechischen Literaturgeschichte von Homer bis ins 19. Jahrhundert für die Dichtung den Regeln der Metrik und für die Prosa den Regeln des Rhythmus unterliegt? Warum hat man uns dann im Ungewissen gelassen, was dies für die Performanz, d. h. die Aufführungspraxis dieser Texte bedeutet? Wenn wir in einer x-beliebigen griechischorthodoxen Kirche heute, im 21. Jahrhundert, einen Priester hören, der den Evangelientext verliest, und wenn wir dann gefragt würden, ist dieser Singsang, den man dabei hört, vielleicht dem byzantinischen Prosarhythmus näher als wir ahnen, wenn wir nur den bloßen Text selbständig lesen, müßten wir dann nicht antworten: „vermutlich schon“? Spätestens jetzt müßten wir hellhörig werden und unsere Ohren spitzen. Und wenn solche Vermutungen zu Befürchtungen würden, daß man uns bei der Auslegung dieser schriftlich überlieferten Texte wesentliche Teile unterschlagen hat, weil sie dem mitteleuropäischen humanistisch geprägten Ästhetikbegriff nicht entsprochen hätten, was wäre dann?

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Machen wir doch mal die Probe aufs Exempel. Ausgerichtet auf jene Sätze des Münchner Archäologen Vinzenz Brinkmann, die wir oben zitierten. Satz 1: Winckelmann wußte genau von der Farbigkeit der antiken Skulpturen. Unser Satz würde so lauten: Die deutschen Humanisten des 18. Jahrhunderts wußten genau von der Einheit von Logos, Melos und Rhythmus. Der Logos war melosimmanent bzw. rhythmusimmanent, d. h. für die Rezeption über das Ohr schriftlich verfaßt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß ein geübter Vorleser dann zu einem einsamen Leser werden kann, wenn er die Lesung zu einer virtuellen Vorlesung für sich selbst umzuwandeln in der Lage ist. Von entscheidender Bedeutung ist dabei, daß der Autor, der Dichter oder Prosaautor diese Rezeption über das Ohr, und nicht über das Auge selbstverständlich kennt und in jener Phase der Schöpfung seines Werks berücksichtigt. Die Griechen der Neuzeit sind derart intensiv mit dieser westeuropäischen Ideologie der Interpretation altgriechischer klassischer Texte gefüttert worden, daß sie zu einer eigenen, der griechischen Kulturtradition angemessenen Interpretation nicht vorzudringen wagten. Satz 2: im Brinkmann-Interview hatte gelautet: „Indem er sich trotzdem bewußt gegen die Farbigkeit der antiken Kunst wandte, äußerte er Kritik an der Ästhetik der Antike und setzte ihr sein eigenes intellektuelles Modell entgegen, das sich an den Vorgaben des Humanismus und der Aufklärung orientierte.“ Auf unsere antiken und mittelalterlichen griechischen Texte übertragen, wäre an folgenden Satz zu denken: „Indem sich die deutschen Humanisten des 18. Jahrhunderts bewußt gegen die integralen Bestandteile des Worts, nämlich seine Bindung an das Melos und den Rhythmós wandten, äußerten sie Kritik an der Ästhetik der Antike und setzten ihr eigenes intellektuelles Modell entgegen, das sich an den Vorgaben des Humanismus und der Aufklärung orientierte. Und in Ergänzung Satz 3: „Den Weg der Farblosigkeit beschritten Künstler erst seit der Renaissance, während die Kunst davor einzig die Farbigkeit kannte.“ Hier setzen wir in Analogie einen Satz wie „Den Weg in die Tonlosigkeit, d. h. den Weg der Trennung von Logos und Melos und die ausschließliche Konzentration auf das geschriebene und das gelesene Wort beschritten die Schriftkünstler, wenn überhaupt, erst seit der Renaissance, während die Schreibkunst davor einzig die melodische Aufführungspraxis kannte.“ Eine entscheidende Rolle in dieser Einschätzung antiker und mittelalterlicher Kultur spielte die Abkoppelung der schöngeistigen von der sogenannten theologisch – liturgischen Literatur, ab der Renaissance. Nach dieser Verselbständigung der profanen Geisteskultur fehlte das Regulativ einer formschönen oder sogar formvollendeten mündlichen – stimmlichen – melodi-

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schen Präsentierung dieser Texte vor einem breiten Hörerkreis. Sowohl im sogenannten Osten als auch im sogenannten Westen werden liturgische Texte bis heute über das Ohr rezipiert, auch wenn sie als geschriebene und gedruckte Texte auch dem Auge zur Verfügung stehen. Die Abtrennung der Philologie von der Theologie hat die Tendenz, philologische Texte nackt, d. h. in ihrer Buchform zu rezipieren, sehr stark unterstützt. Die Mehrheit deutscher Gräzisten könnte jener, der Malerei entsprechenden musikalischen Einkleidung der klassischen antiken Texte aus ästhetischen Gründen widersprochen haben. Und diese Einschätzung hätte sich dann wider besseres Wissen gleichsam als deutsche Klassik durchgesetzt. Von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus wird es wohl so gewesen sein. Vielleicht weniger allerdings von einem „gefühlten“ kulturhistorischen Standpunkt aus. Als aufgeklärter Mitteleuropäer kann man nur mit Bedauern feststellen, daß gerade die griechisch-orthodoxe Kirche von dieser totalen „Humanifizierung“ der griechischen Geisteswelt nahezu verschont blieb. Das reale Griechenland und das philhellenisch-virtuelle Griechenland sind zwei Welten, die zueinander nicht finden können. Eliza Maria Butler schrieb schon 1935 ein Buch über The Tyranny of Greece over Germany, was dann nach dem Krieg 1948 auf Deutsch unter dem gemäßigten Titel Deutsche im Banne Griechenlands erschien: Diese Fixierung sei die Ursache auch von persönlichen Tragödien wie Winckelmanns Ermordung in Italien, Hölderlins Wahnsinn, Nietzsches Größenwahn und Wahn, Georges tragikomische Mythomanie; dazu auch von literarischen Fehlentwicklungen wie Goethes Knechtung durch das griechische Ideal und eben seine fruchtlose Jagd Helenas. Danae Coulmas setzt dem in einem hochinteressanten Artikel mit dem Titel „Hellenismus als Kulturleistung“ (über den Begriff „Hellenismus“ ist zu streiten) entgegen: „Eine zweifellos übertriebene These, denn die Liebe zur Antike ist, würde man meinen, nicht die Ursache dieser wie immer gearteten Verhaltensweisen, sondern höchstens der Ausdruck einer bereits vorhandenen Überspanntheit.“ Das virtuelle Griechenland ist an das nationale Bildungsbürgertum gebunden, das sich als Erziehungsideal die römischgriechische Antike zu einem Leitbild zurechtgelegt hatte. Viel De bello gallico und mens sana in corpore sano im lateinischen Anfängerunterricht, und als Belohnung und für die geistige und ethische Entwicklung die Erschließung der homerischen Götterwelt und der Gesellschaftsordnung der attischen Polis mit imaginären Philosophenschulen, die am schattigen Ufer des Kifissos über den Sinn des Lebens plaudern. Stefan Weidner hat am 12.5.07 den Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung bekommen. In

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seiner Dankesrede erwähnt er, daß Johann-Heinrich Voß (1751-1826) seine berühmten Homerübersetzungen nicht etwa deshalb angefertigt hat, weil vor ihm Homer auf Deutsch nicht zu lesen gewesen wäre. Voß habe Homer übersetzt, weil er diese Übersetzung als dichterische Großtat für die deutsche Sprache empfunden habe, als Weg, das Deutsche in ähnliche Höhen zu führen wie das Altgriechische. Er habe damit der damaligen Forderung nach eine Erneuerung der deutschen Literatursprache Genüge getan, also für das Bewußtsein der Noblesse der eigenen Sprache und Kultur gearbeitet, welches erst rudimentär entwickelt gewesen sei. Solche Einschätzungen helfen uns auch gewiß weiter in der Frage der Ideologie deutscher Philhellenen. Oberstes Anliegen dieser Begeisterten für die Sache der Hellenen war ja nicht etwa die Vermittlung hellenistischer, mittelalterlicher oder gar neuzeitlicher griechischer Kultur in Mitteleuropa, sondern die Anhebung des ethischen Bewußtseins deutscher Seelen mit Hilfe der klassischen griechischen Vorbilder. Unter diesem Aspekt sind also die Philhellenen des 19. Jahrhunderts in Ehren gewürdigt. Nahezu tragisch wird jene Haltung aber nach Auschwitz, wo zusammen mit dem Untergang der Ethik auch die humanistischen Ideale zu Grabe getragen wurden. Womit wir bei der Rezeption neugriechischer Literatur im deutschsprachigen Raum angekommen sind. Als ich in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts an der Philosophischen Fakultät der AristotelesUniversität in Thessaloniki studierte, fiel ein Name unter allen modernen Literaten der neugriechischen Geistesgeschichte nicht, der Name Nikos Kazantzakis. Es war offenbar jene Hybris, die aus diesen Werken des kretischen Autors hervorsticht, die zu dieser ablehnenden Haltung geführt hatte. Mit solchen Nietzscheschen Übermenschen oder gar mit der Gleichstellung mit Gott konnte und kann man in der griechischen Kulturgeschichte nichts anfangen. War das letztlich der Grund, warum Kazantzakis gerade in Deutschland über seinen Alexis Sorbas-Roman hinaus einen solchen Bekanntheitsgrad erlangte? Eine böse Unterstellung? Auch Vassilis Vassilikos hatte mit seinem Roman „Z“ erst dann Erfolg, als ein berühmter Film von Costa Gavras daraus geworden war. Im übrigen waren und sind es auch in Griechenland selbst oft außerliterarische Zutaten, die das Buchgericht erst schmackhaft machten. Hier sind Spuren zu erkennen, die auf eine uralte spezifische griechische Kulturleistung und ihre Rezeption hinweisen: Ist die Verbindung Wort und Performanz unabdingbar sowohl für die Komposition als auch für die Rezeption von Dichtung im griechischen Kulturraum, so schließt die Beschränkung auf einen der beiden Bestandteile von Seiten des Autors eine Rezeption durch den Hörer aus. Dies geschieht eher unbewußt und äußert sich primär dadurch, daß der Hörer von Dichtung zum Leser von geschriebener Dichtung wird, die er nur noch als geschriebenes Dichtwerk akzeptiert. Damit geht dieser Hörer für den Teil Performanz als Kulturträger verloren und

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wandert ab zu anderen Kulturen oder im besten Fall zu rein musikalischen Performanz-Angeboten der eigenen Lied-, Rock- und Rap-Kultur, um sein Grundbedürfnis nach Musik zu befriedigen. Nun ist es ja nicht so, daß es heute im griechischen Kulturraum nicht immer noch bedeutende Dichter gäbe, die die Fragen der Zeit in großartige Lyrik zu fassen imstande sind. Nur, wer hört diese Stimmen noch? Wenn wir von der Macdonaldisierung der Trivialkultur sprechen, heben wir auf jene Spaßgesellschaft ab, die ein völlig gewandeltes Unterhaltungsprogramm begehrt. Und wie weit ein griechischer Dichter schon in den Westen abgewandert ist, läßt sich an Seferis’ Ausspruch zeigen, als er seine prominenten Vorgänger Solomos, Kalvos und Kavafis als die toten Dichter bezeichnete, die kein Griechisch sprachen. Dazu ist zu sagen: Die griechische Dichtersprache ist seit altersher eine Kunstsprache, die von Rhapsoden oder anderen Berufssängern unabhängig von ihrer jeweiligen regionalen Herkunft erlernt wird und in der dieser Dichtersänger übernommene, auswendig gelernte ältere Dichtung oder eigene Poiemata – Schöpfungen – professionell vor einem Hörerkreis mündlich vorträgt. Was also jene Drei zuhause sprachen – italienisch und englisch –, konnte niemanden interessieren, solange sie imstande waren, Meisterwerke in einer Kunstsprache zu schreiben, die alle Drei einerseits aus einer Tradition heraus, andererseits durchaus neuernd, erst zu bilden sich anschickten. Für Seferis konnte dies nicht mehr gelten. Er war der Dichter aus Smyrna, das er als Vierzehnjähriger für immer verließ. Mit 18 Jahren ging er nach Paris, das zu seiner prägenden Dichterheimat wurde. Seferis ist, im Gegensatz zu Elytis und Ritsos, der am meisten dem Westen verpflichtete griechische Dichter. Andererseits war ein solches Urteil über die drei Dichter, die kein Griechisch sprachen, natürlich auch gleichbedeutend mit einer Einengung auf den griechischen Sprachraum. Hier werden bodenständige Griechischkenntnisse verlangt von Dichtern, die in ihrer internationalen Mehrsprachigkeit interkulturell fest verankert gewesen waren. So vermittelt die klassische neugriechische Dichtung der dreißiger Jahre Botschaften, die das Griechische ihrer Zeit betrafen. Auch die schon klassisch zu nennenden Romanautoren dieser dreißiger Jahre, die aber zugleich den endgültigen Durchbruch einer neugriechischen Prosaschriftsprache schafften, beziehen sich auf innergriechische Ereignisse und richten sich sowohl in der Form als auch im Inhalt nach herkömmlichen Mustern. Der Bruch mit der älteren Tradition geschah ja ganz unauffällig und unspektakulär mit Kostas Tachtsis’ Το τρίτο στεφάνι – Dreimal unter der Haube. Alltagsunterhaltung zweier Quatschtanten, mögen sie auch in der neugriechischen Schriftsprache präsentiert werden, war noch nicht der Stoff, mit dem man schon in den 50-er und 60-er Jahren in Griechenland unterhalten werden wollte. Der anfängliche publizistische Mißer-

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folg dieses Schlüsselromans der neugriechischen Literatur war folgerichtig und phänomenal. Mit der geschilderten Entwicklung in der neugriechischen Dichtung vergleichbar war auch der neugriechische Roman um die Jahrhundertmitte noch zu sehr an die Vorstellung von „schöngeistiger Literatur“ gebunden. Auch außerhalb Griechenlands hat nur ein einziger Roman die Schallmauer riesiger Auflagen durchbrochen: eben jener Alexis Sorbas von Nikos Kazanzakis. Auf einigen Gebieten der zeitgenössischen griechischen Kultur ist der Durchbruch gelungen, etwa beim Film und in der Musik. Die schöngeistige Literatur steht und fällt mit der Übersetzung. Die eigentlichen Übersetzungen gibt es nun aber bereits in erheblichem Umfang. Was ansteht, ist deren Verbreitung. Kleine Verlage, die sich um die Übersetzung bemüht haben, können in der Regel nicht über einen Werbeetat verfügen, der die Kosten für die eigentliche Buchproduktion um ein Vielfaches übersteigen würde. Wenn wir also, um auf die Literatur des 20. Jahrhunderts zurückzukommen, heute, d. h. spätestens seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts, eine Internationalisierung etwa der griechischen Romanliteratur konstatieren und wenn wir feststellen, daß heute in Griechenland eine junge Generation von Erzählern herangewachsen ist, die die internationale Konkurrenz nicht zu scheuen braucht, so werden diese zeitgenössischen Schriftsteller ohne massiven Werbeaufwand nicht in das Licht der europäischen Öffentlichkeit gelangen können. Dies ist im übrigen ein Fakt, das in der gesamten Überlegung zum Transfer der Literaturen eine geradezu entscheidende Rolle spielt und berücksichtigt werden muß. Das Angebot für den Transfer, ob Anthologien oder die wichtigsten Werke der jeweils anderen Literatur, liegt zum größten Teil und in der Regel auch in guten Übersetzungen durchaus vor. Was fehlt, ist die Nachfrage, die nur über massive Werbekampagnen und Einordnung in die Mediengesellschaft gelingen kann. Reich-Ranicki, Heidenreich, Schenk oder Wickert, aber auch DIE ZEIT, die FAZ oder die Süddeutsche Zeitung haben nicht einmal zur Frankfurter Buchmesse mit dem Schwerpunkt Griechenland im Jahre 2001 eine ernsthafte Auseinandersetzung oder kritische Würdigung der neugriechischen Literatur in Betracht gezogen. Der erhoffte Durchbruch 2001 ist nicht gelungen. Ein Thema, das ich zumindest noch ansprechen will, weil wir damit in Deutschland zunehmend konfrontiert werden, ist das der Anwesenheit von über 300 000 leibhaftigen Griechen in der Bundesrepublik Deutschland. Die erste Generation von Griechen, die nachhaltig zum Wirtschaftsaufschwung dieser Bundesrepublik beigetragen und sich letztendlich auch als Träger einer zeitgenössischen griechischen Kultur bewährt hat, diese erste Nachkriegsgeneration trat, selbst ohne Deutschkenntnisse, selbstbewußt und willensstark

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auf und rückte sich in das Blickfeld auch der Deutschen, die den Namen Griechenland bisher nur mit der klassischen Antike verbunden hatten. Nicht mehr Hölderlins Diotima war die Parole, sondern bei der Kölner Rock- und Popgruppe „Bläck Föös“ war vom Busuki spielenden Kostas die Rede. Costa spellt Busuki An d’r Quetsch do spellt d’r Hein Mikis danz Sirtaki Jeder föhlt sich wie doheim.

Inzwischen ist die dritte Generation geboren und wächst in Deutschland auf. Deren Griechischkenntnisse sind mündlich oft noch recht gut, doch in der Regel nicht mehr verschriftlicht. Dies schließt auch einen Wechsel auf eine Bildungseinrichtung in Griechenland gewöhnlich aus, sie müssen notgedrungen in Deutschland zurechtkommen. Die Hilfen, die deutsche Institutionen für sie anbieten, sind von Minimal bis gleich Null. Selbst den Lehrerberuf an den noch verbliebenen griechischen Schulen in Deutschland können sie nicht ergreifen, da das griechische Erziehungsministerium deren Diplome nicht anerkennt. Grundwerke der neugriechischen Literatur werden, soweit vorhanden, in deutscher Übersetzung gelesen. Nützlich sind auch die angebotenen zweisprachigen Ausgaben. Denn wenn wir über „Transfer der modernen griechischen Literatur“ sprechen, sind auch diese Leserkreise zu berücksichtigen, die noch ein „landsmannschaftliches“ Interesse an der Literatur der Heimat ihrer Väter haben. Ohne die Diskussion zu diesem Punkt hier vertiefen zu wollen, sei darauf verwiesen, welche Konsequenzen diese Überlegungen auf die griechische Kulturpolitik in Europa haben müssen. Zunächst ist festzuhalten, daß die Zeiten, wo man etwa Altgriechisch lernte, um die klassischen antiken Texte im Original zu lesen, vorbei sind. In diesen Sog des Untergangs der klassischen Studien ist auch die Byzantinistik und Neogräzistik gezogen worden, ohne zuvor selbst jemals die Bedeutung der klassischen Studien erreicht zu haben. Was nichts anderes bedeuten kann, als daß die neugriechische Literatur auf den griechischen Sprachraum eingeengt ist und bleibt und die Chance, über die griechischen Sprachgrenzen hinaus zu wirken, nur in der Übersetzung liegt. Und der Vertrieb von Übersetzungen hat, wie wir soeben betonten, ohne massive äußere Förderung keine Chance, wahrgenommen und an seine Leser gebracht zu werden. Inzwischen gibt es in Deutschland auch eine neue Sparte der Literaturgeschichte oder besser: eine neue Textsorte, die so genannte interkulturelle Literatur.2 Eine Reihe von in Deutschland lebenden Griechen schreiben und publizieren auf Deutsch, zum Teil mit recht gutem Erfolg. Eleni Torossi, die 2

CHIELLINO, Handbuch, vgl. das Kapitel über die Literatur von Griechen, S. 96-105.

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Münchner Journalistin, ist an erster Stelle zu nennen. Diese Griechen begannen mit „Gastarbeiterliteratur“. Nun ist der Begriff Gastarbeiterliteratur nicht nur nicht zu halten, sondern geradezu irreführend. Elke Sturm-Trigonakis, die in Thessaloniki lebende und als Professorin an der deutschen Abteilung der Aristoteles-Universität lehrende Wissenschaftlerin hat sich in ihrem jüngst erschienenen Buch Global playing in der Literatur. Ein Versuch über die Neue Weltliteratur damit auseinandergesetzt. Auf Goethes „Weltliteratur“ zurückgreifend entwirft sie einen Plan, wie wir in einer globalisierten Welt den Zugang finden zu hybriden Literaturformen der Gegenwart, d. h. zu Texten, die in mehr als einer Sprache verfaßt sind und diese Phänomene der Globalisierung thematisieren. Dies sind oft anarchische Texte in Form, Inhalt und Struktur ein eher marginales Dasein als Teilmenge etablierter Nationalliteraturen fristen. In der Wochenzeitung DIE ZEIT vom 22.2.07 wird in der Rubrik „Fragen zu Europa“ der junge griechische Autor Nikos Panajotopulos gefragt: „Woran denken Sie zuerst, wenn Sie ,Europa‘ hören?“ Und er antwortet: „Die Heimat der demokratischen Kultur und das Theater der kulturellen Evolution.“ Richard von Weizsäcker antwortete im übrigen auf dieselbe Frage an derselben Stelle der ZEIT (vom 15.3.07): Woran denken Sie zuerst, wenn Sie ,Europa‘ hören?: „An Zeus. Sodann an die Renaissance, die Reformation, den Westfälischen Frieden und die Aufklärung.“ Dieses Bekenntnis hätte auch als Motto meines Vortrags dienen können: Zeus ist die Wurzel, doch das moderne Griechenland hat weder an der westlichen Renaissance, der Reformation, am Westfälischen Frieden noch an der Aufklärung (im westlichen Sinne) teilgenommen. Die Orthodoxie anstelle von Zeus wurde eher bekämpft als akzeptiert. Doch wenden wir uns wieder dem Vertreter des modernen Griechenlands, Nikos Panajotopulos, zu: Auf die Frage „Was war Ihre erste persönliche Erfahrung mit Europa?“ antwortet Panajotopulos: „Gleich nach dem Sturz der Junta hat mein Vater sein erstes Auto gekauft. Im nächsten Sommer sind wir länger als einen Monat durch Europa gefahren. Für einen Vierzehnjährigen aus einer Mittelschichtfamilie war es, als würde er in einen Ozean von Wundern tauchen. Nach einer langen Phase der politischen und wirtschaftlichen Konfusion öffnete sich unsere neugeborene Demokratie für den Rest der Welt.“ Und auf die Frage „Warum ist es gut, daß Ihr Land zu Europa gehört?“ sagt Panajotopulos: „Europa ohne Griechenland würde schmecken wie ein griechischer Salat ohne Zwiebeln. Griechenland würde aussehen wie ein Schaf, das allein in den Feldern umherirrt, fern von seiner Herde.“ Damit ist natürlich auch unsere Frage „Wo im kulturellen Europa liegt das moderne Griechenland?“ beantwortet: Griechenland ist die Geschmacks-

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nuance, das Zwiebeldressing im Europasalat. Oder, um das zweite Bild von Panajotopulos aufzugreifen, Griechenland hat in der Herde der übrigen europäischen Schafe seinen festen Stammplatz. Mögen ihm die Hirtenhunde gnädig sein, wenn es auszubrechen droht.

Literaturverzeichnis BUTLER, Eliza Maria: The Tyranny of Greece over Germany. Cambridge: Cambridge University Press, 1935 (Übersetzung: Deutsche im Banne Griechenlands. 1948). CHIELLINO, Carmine (Hg.): Interkulturelle Literatur in Deutschland. Ein Handbuch. Stuttgart: Metzler, 2007. COULMAS, Danae: Hellenismus als Kulturleistung. Altgriechisches Erbe als Kristallisationselement des neuzeitlichen Kulturverständnisses. In: Alexander VON BORMANN (Hg.), Ungleichzeitigkeiten der Europäischen Romantik. Würzburg: Königshausen und Neumann, 2006. S. 63-93. KAZANTZAKIS, Nikos: Alexis Zorbas. München: Artemis und Winkler, 2002. STURM-TRIGONAKIS, Elke: Global Playing in der Literatur. Ein Versuch über die Neue Weltliteratur. Würzburg: Königshausen und Neumann, 2007. TACHTSIS, Kostas: Dreimal unter der Haube. Übers. von Wolfgang JOSING. Köln: Romiosini, 1984 und 2001. VASSILIKOS, Vassilis: Z. Roman. Übersetzt von Vagelis TSAKIRIDIS. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1992 (zuerst Berlin: Blanvalet, 1968; griechische Originalausgabe 1966).

F R A N K -R U T G E R H A U S M A N N

Das Deutsche Wissenschaftliche Institut in Athen

Adresse Odos Rigillis – Deutsches Wissenschaftliches Institut; Vasileion tis Ellados – Königreich Griechenland/Militärbefehlshaber Griechenland (1. Oktober 1941-18. Oktober 1944). Leitungspersonal Präsident (vom 1.10.1939 bis 30.9.1944 zugleich Gastprofessor in Athen): Prof. Dr. Rudolf Fahrner; Kulturreferent bei der Dienststelle Athen des Sonderbevollmächtigten des AA für den Südosten: Dr. Hans Dittmer;1 Wissenschaftliche Abteilung: Dr. med. Eberhard Zeller; Akademische Abteilung: Dr. Rudolf Grimm;2 Sprachenabteilung: Dr. Kurt Meyer (bis 1943),3 danach Dr. Alexander Steinmetz;4 VwS: Fritz Pfundt (ab 1944 in Stockholm); Sekr.: Frau Papathanassiou. Kurzbiographien Rudolf Fahrner (1903-1988), Germanische Philologie (Goethezeit, Deutsche Mystik), pl. ao. UP Heidelberg (beurl. 1936), oö. Prof. Athen 1939, o. Prof. im Reichsdienst März 1945, Ankara 1950, TH Karlsruhe 1958, em. 1972.5 Eberhard Zeller (1909-2003), Dr. med., Prom. München 1933 in Gynäkologie, danach Medizinhistoriker, kannte Fahrner aus seiner Marburger Studienzeit, wo er (1929-31) bei ihm als Gasthörer an germanistischen Seminaren teilgenommen hatte; wurde 1942 aus dem Kriegsdienst von Fahrner nach Athen geholt. Er besuchte wie Oberst Claus Graf Schenk von Stauffenberg das Eberhard-Ludwigs-Gymnasium zu Stuttgart und schrieb nach dem Krieg mehrere Standardwerke zum deutschen Widerstand vom 20. Juli 1944. Zweigstellen Athen, Mytilene, Piräus, Patras, Saloniki, Volos, [Xanthi].6 1 2 3 4 5

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Biographisches Handbuch, S. 441-442. Dittmer (1907-1963) war Landwirtschaftsexperte später Referent für Sozial- und Wirtschaftsfragen. Grimm (Jg. 1919) lebte nach dem Krieg zunächst in Australien, dann in Hamburg, wo er bis heute für die Deutsche Presse-Agentur als Rezensent von Sachbüchern tätig ist. PA Berlin, BA R 51/10077 u. 78. PA Berlin, BA R 51/10108. Berlin, GStA PK Rep. 76/1307 (Abordnung des Prof. Dr. Rudolf Fahrner, Heidelberg, an den Lehrstuhl für Germanistik der Universität Athen; Ernennung zum o. Prof.). Vgl. Kolk, Literarische Gruppenbildung, S. 532-533 u. passim. Dort (S. 174) Hinweise zu Frank Mehnert und Ludwig Thormaehlen; Köhler u.a., Germanistik und Kunstwissenschaften, S. 283-285 u. 483; FAHRNER, „Die Athener Jahre“, S. 205-252. Lekoratsakten Athen in Berlin, BA R 51/96 (Bd. 1: Mai 1933-Aug. 1942), in 94 (Bd. 2: Juni 1941-Juli 1944), 97 (Nebenstellen Saloniki, Volos, Kalamata März 1940-Aug.

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Die Eröffnung des DWI erfolgte am 1. Oktober 1941 in der ehemaligen jugoslawischen Botschaft, die faktische Schließung Anfang September 1944, auch wenn das Institut offiziell noch bis Anfang Oktober bestand. Akten oder deutsche Zeitungsartikel, die das Institut betreffen, konnten nicht gefunden werden, was möglicherweise mit dem ,besonderen‘ Charakter des DWI und dem bündisch-elitären Verhalten seines Leitungsgremiums erklärt werden kann. Ursprünglich als Akademie mit zwölf Stipendiaten geplant, die sich einmal pro Jahr mit griechischen Fachgenossen über gemeinsame Themen unterhalten sollten, erhielt auch dieses DWI die üblichen Abteilungen und diente als Schaltstelle für die Vermittlung deutscher Wissenschaft und Kultur in Griechenland. Schwerpunkte bildeten Archäologie, griechische Philosophie, Astronomie, Volkskunde, Medizin und Landesplanung.

Institutsgeschichte Die deutsch-griechischen Beziehungen7 waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unproblematisch, zumal König Konstantin I. (1868-1923) und sein Sohn Paul I. (1901-1964) mit deutschen Prinzessinnen verheiratet waren. Allerdings war die mißglückte Regentschaft des aus Bayern stammenden Königs Otto (1815-1867), den die Griechen 1862 abgewählt und aus dem Land gejagt hatten, noch nicht ganz vergessen. Der deutsche Philhellenismus des frühen 19. Jahrhunderts hatte ein progriechisches Klima in Europa geschaffen, das der griechischen Unabhängigkeit förderlich gewesen war.8 Aber er war auch verantwortlich dafür, daß die Deutschen sich nur wenig für das moderne Griechenland interessierten, sondern das Land als ein riesiges archäologisches Reservoir betrachteten, dessen antike Reste auszugraben sie vor allen Völkern der Erde berufen seien. Seit 1874 unterhielt das ,Deutsche Archäologische Institut‘ (DAI) in Berlin eine Außenstelle in Athen, und die höchst erfolgreichen Ausgrabungen in Olympia, sowie den Kerameikos Sa-

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1943), 98 (Lehrplan u. Prüfungsordnung der Zwischenprüfungen der Mittelstelle Athen), 306 (Zeitungsausschnitte); Mytilene 159 (Bd. 1: Nov. 1941-Aug. 1942), in 158 (Bd. 2: Okt.-Dez. 1943), Piräus 173 (Bd. 1: Okt. 1938-Sept. 1942), in 168 (Bd. 2: Okt.-Dez. 1943); Saloniki 191 (Bd. 1: Jan. 1940-Juni 1943), in 192 (Bd. 2: Apr. 1943Mai 1944); Volos 217 (Jan. 1944-März 1945); Xanthi in 153 (Dez. 1938-Sept. 1942). – Vgl. im Kontext Koutsoukou, Die deutsche Kulturpolitik in Griechenland, bes. Teil II. FLEISCHER, Europas Rückkehr. Es handelt sich um einen grundlegenden Aufsatz zur deutschen Kulturpräsenz in Griechenland, dem man wichtige Hinweise zur Rolle der DA, des DAI, aber auch der mit Deutschland rivalisierenden Franzosen entnehmen kann. Zum DWI finden sich allerdings nur kurze Hinweise auf S. 153. THIERFELDER, Ursprung und Wirkung der französischen Kultureinflüsse, S. 137-173; MARCHAND, Down from Olympus, S. 343-354.

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mos, Tiryns, Milet und in Athen, waren von dort aus geleitet worden und hatten den internationalen Ruhm der deutschen Altertumswissenschaft gemehrt. Im Jahr 1935 hatten radikale Royalisten durch Verfassungsbruch, Staatsstreich und gefälschte Plebiszite die Restauration der Monarchie erreicht, und König Georg II. (1890-1947), den venizelistische Parteien 1924 zur Abdankung gezwungen hatten,9 konnte wieder den Thron besteigen. Er ermächtigte am 4. August 1936 den General Ioannis Metaxas (1871-1941) zur Errichtung einer Diktatur, die 1938/39, als der General zum Regierungschef auf Lebenszeit gewählt wurde, der königlichen Kontrolle weitgehend entglitt und in ein quasi-faschistisches Regime überführt wurde, das allerdings bedeutende soziale und wirtschaftliche Erfolge aufzuweisen hatte und sich bis zum Tode von Metaxas am 29. Januar 1941 halten konnte. Am 28. Oktober 1940 richtete Mussolini, der sein Reich nach Osten hin ausdehnen wollte, um dadurch dem Fernziel eines das ganze Mittelmeer (mare nostrum) umspannenden Großitalien näherzukommen, ein Ultimatum an die griechische Regierung, in dem er italienische Stützpunkte auf griechischem Boden forderte. Metaxas lehnte ab (unvergessen ist sein berühmtes ,Ochi‘ – ,Nein‘) und wurde zum Symbol des griechischen Widerstandes, was bis heute die Ursache seiner Popularität ist. Italien erklärte Griechenland den Krieg, ohne sich mit Hitlerdeutschland abgesprochen zu haben. Der daraufhin von Albanien aus vorgetragene italienische Angriff endete in einem Debakel. In der denkwürdigen Abwehr-Schlacht von Metsovo (11. November 1940) wurden die italienischen Truppen vernichtend geschlagen, doch der griechische Gegenstoß auf albanisches Territorium zog die Intervention Deutschlands nach sich, das seinen ältesten Verbündeten Mussolini nicht im Stich lassen konnte. Innerhalb weniger Wochen wurden die erforderlichen Vorbereitungsmaßnahmen getroffen. Bulgarien, Ungarn und Rumänien traten dem Dreimächtepakt zwischen Deutschland, Italien und Japan bei und erlaubten deutschen Truppen den Durchmarsch. Auch die jugoslawische Regierung beugte sich dem massiven deutschen Druck und garantierte ihre Neutralität, wurde jedoch durch einen Militärputsch gestürzt. Die Militärregierung unter General Dušan Simović steuerte zwar einen vorsichtigen Neutralitätskurs, doch am Morgen des 6. April 1941 führte Deutschland einen verheerenden Luftangriff auf Belgrad und walzte in einem nur wenige Wochen dauernden Blitzkrieg den jugoslawischen wie den griechischen Widerstand nieder. Belgrad wurde am 12. April, Athen am 27. April 1941 (Unternehmen Marita) eingenommen. Der griechische König, die Regierung und einige Militäreinheiten gingen nach Ägypten, Südafrika und London ins Exil. Sie repräsentierten das Land im Lager der Alliierten. Griechenland wurde von 9

Er regierte vom 28.9.1922-25.3.1924 und abermals vom 3.11.1935-1.4.1947.

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Deutschen (Athen, Saloniki und Umgebung bis zum Strymon, das Grenzgebiet am Ebros, West-Kreta und die Ägäis-Inseln), Italienern und Bulgaren okkupiert und militärisch verwaltet, die ein kompliziertes Kondominium ausübten. Die Besatzungsmächte veranlaßten die Bildung von loyalen Regierungen, zunächst unter General Georgios Tsolakoglou (1.5. 1941-1.12.1942), dann unter dem Medizinprofessor Konstantin Logothetopoulos [Logothetis] (2.12.1942-7.3.1943), der in Deutschland studiert hatte, und zuletzt unter dem Berufspolitiker Ioannis Rallis (7.4.1943-Oktober 1944).10 Die italienische Militärverwaltung endete im September 1943 mit dem Seitenwechsel Marschall Badoglios, das von ihr okkupierte Territorium wurde von den Deutschen besetzt. Athen war das Zentrum der deutschen Militärverwaltung; das Land unterstand insgesamt dem Oberkommando Südost in Belgrad.11 Man kann lange darüber spekulieren, ob der heroische Widerstand des kleinen Volkes der Hellenen und sein Sieg über Italien im Winterkrieg nicht bereits der Anfang vom Ende Hitlerdeutschlands war. Hier wurde bewiesen, daß die Deutschen nicht unbesiegbar waren, zumal ihre Luftlandetruppen vor und über Kreta ausbluteten. Der Angriff auf die Sowjetunion mußte verschoben werden, die deutsche Armee war in sich geschwächt. Der Gründung des DWI in Athen ging, wie in anderen europäischen Hauptstädten auch, die Errichtung einer mit einem deutschen Gelehrten zu besetzenden Gastprofessur voraus. Die griechische Seite wollte als Gegenleistung den Neogräzisten Johannes E. Kalitsounakis (1878-1966), der seit 1928 am Orientalischen Seminar der Friedrich-Wilhelms Universität zu Berlin als Dozent lehrte,12 als etatisierten Kontraktprofessor berufen wissen. Die griechische Regierung hatte sich im Frühjahr 1938 an das REM in Berlin gewandt und um Besetzungsvorschläge für den Athener Lehrstuhl gebeten, der germanistisch ausgerichtet sein sollte. Dies war eine Konsequenz des wachsenden deutschen Einflusses, denn noch 1929 hatte sich die Athener Regierung geweigert, an der Universität Athen ein deutsches Lektorat einzurichten. „Der Grieche wacht mit Eifersucht über seiner geistigen Integrität; er weiß, daß sie aus vielen Gründen stärker bedroht ist als die der anderen Balkanvölker“.13 Das Ministerium schlug jetzt den nb. ao. Professor Rudolf Fahrner in Heidelberg vor, der sich grundsätzlich bereit erklärt hatte, die Pro10 HERING, Griechenland vom Lausanner Frieden, S. 1313-1338; NEUBACHER, Sonderauftrag Südost 1940-1945, S. 72-104. 11 TZERMIAS, Neugriechische Geschichte, S. 150 f.; FLEISCHER, Im Kreuzschatten der Mächte; DERS., Siegfried in Hellas; DERS., Die Viehmenschen und das Sauvolk. 12 Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender 1935, col. 640 (Eintrag unter Kalitsunakis). Dieser ist Verfasser von verschiedenen Lehrwerken zum Erlernen der neugriechischen Sprache sowie von Darstellungen zur neugriechischen Geschichte, die ab 1912 in Deutschland in deutscher Sprache erschienen, z.B. Neugriechisches Gesprächsbuch mit besonderer Berücksichtigung der Umgangssprache, Berlin: Göschen, 1912. 13 THIERFELDER, Der Balkan als kulturpolitisches Kraftfeld, S. 93.

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fessur anzunehmen. Vermutlich wollte man Fahrner in Heidelberg loswerden. Der Gelehrte stammte aus dem ostböhmischen Arnau (heute: Hostinné) in den südlichen Ausläufern des Riesengebirges. Er war noch in der K. u. K. Monarchie aufgewachsen und hatte sich nach dem Abitur aus eigenem Entschluß nach Deutschland begeben, um in Heidelberg bei dem durch seine Nähe zu Stefan George bekanntgewordenen Germanisten Friedrich Gundolf zu hören. Von dort war er zum Historiker und Staatsrechtslehrer Friedrich Wolters nach Marburg, später nach Kiel gekommen und hatte diesen bei seiner Arbeit an seinem geistesgeschichtlichen Werk Stefan George und die Blätter für die Kunst. Deutsche Geistesgeschichte seit 189014 unterstützt. Nach Wolters’ Tod wurde er von George empfangen und bei seinem letzten Besuch mit dessen jungem Begleiter Frank Mehnert, einem Bildhauer, dem Gundolf den Namen ,Victor‘ beigegeben hatte, bekanntgemacht. Durch Mehnert wiederum knüpfte Fahrner Kontakte zu Berthold und Claus Graf Schenk von Stauffenberg (1935/36), die ins „Achilleion“, Mehnerts von Ludwig Thormaehlen (1889-1956)15 ererbtes Atelier in der Albrecht-Achilles-Straße in Berlin, kamen. Dort hatte sich George bis zum Jahr seines Todes, wenn er in der Reichshauptstadt weilte, tagsüber aufgehalten, und hier hatte der zwanzigjährige Mehnert seine erste Plastik gemacht, das Haupt Georges. Das „Achilleion“ wurde zu einer Begegnungsstätte von Freunden, die das gemeinsame Interesse an einer geistigen Erneuerung einte. Diese sollte durch Rückgriff auf die Antike erfolgen, insbesondere auf die Odyssee, die Mehnert neu übersetzen wollte, wobei ihn Fahrner unterstützte. Auch andere neu- und altgriechische Werke sollten übersetzt und gedruckt werden, und Mehnert wollte einen eigenen Verlag gründen, für den er vom NS-Staat eine Lizenz erhoffte. Er sollte Delfinverlag heißen und mit einer besonderen Letter, der Delfin-Letter, drucken, die sich an eine um 1800 vom Cotta-Verlag benutzte Antiqua anlehnte.16 Fahrner war 1934 als b. ao. Professor zum Nachfolger Gundolfs nach Heidelberg berufen worden, hatte aber bereits im März 1936 wegen Querelen mit der Universitätsverwaltung sein Amt niedergelegt. Die Studenten kritisierten sein mangelndes didaktisches Geschick, der Hauptamtsleiter für Wissenschaft, der Astronom Fritz Kubach, sein fehlendes nationalsozialistisches Engagement, ein in Heidelberg wohnender britischer Offizier mit 14 WOLTERS, Blätter für die Kunst. 15 THORMAEHLEN, Bildhauer und Kunstgelehrter in Berlin, war 1933 als Kustos an der Gemälde-Galerie und Leiter des Kupferstichkabinetts nach Kassel übergesiedelt, kehrte allerdings 1938 als Bildhauer nach Berlin zurück. Er lebte jetzt die meiste Zeit in Bad Kreuznach. 16 Ich danke Herrn Dr. Eberhard Zeller für die Überlassung von wertvollen bibliographischen Materialien, die die Rekonstruktion der ansonsten in Fachbibliographien nicht nachgewiesenen Bücher der Delfin-Presse ermöglichten.

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Namen Hamer fühlte sich durch Fahrner belästigt, so daß viele Gründe für den vorzeitigen Rückzug aus dem deutschen akademischen Leben verantwortlich sein mögen, zumal der Gelehrte häufig kränkelte. Er durfte den Professorentitel weiterhin führen, war aber frei für seine musischen und künstlerischen Aktivitäten.17 Im Herbst 1939 kam Fahrner nach einigem Hin und Her schließlich nach Athen. Peter Coulmas (1914-2003), ein Deutschgrieche aus Dresden, wurde sein Universitäts-Assistent. Coulmas, später in Hamburg habilitierter Philosoph (Soziologe) und Journalist, arbeitete seit Mitte der sechziger Jahre für den Westdeutschen Rundfunk in Köln und verantwortete eine Zeitlang das Hörprogramm für ausländische Gastarbeiter.18 In seinen Erinnerungen19 hat Fahrner die hellenistische Atmosphäre seines ersten Jahres einfühlsam nachgezeichnet. Mit Freunden und Mitarbeitern erkundete er das Land meist zu Fuß und ließ sich von dem Archäologen Christos Karouzos (1900-1967), dem späteren Direktor des Nationalmuseums und korrespondierendem Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, und Linos Politis (1906-1982), dem nachmaligen Anführer der Philologie des Neugriechischen, in die Sprache seines Gastlandes einführen.20 Die Frucht dieser Zusammenarbeit war die Übersetzung des Dialogs von Dionysios Solomos (1798-1857), dem Oberhaupt der ionischen Dichterschule während der Befreiung Griechenlands von den Türken.21 Sein „Ύµνος εις την ελευθερίαν“ („Hymne an die Freiheit“) ist seit 1865 die griechische Nationalhymne. Alle Arbeiten, die Fahrner in diesen und den folgenden Jahren verfaßte, haben einen mehr oder minder direkten Bezug zur Gegenwart und erlauben dem, der zwischen den Zeilen zu lesen versteht, Analogien und Nutzanwendungen. Fahrner hielt seine Antrittsvorlesung im Anschluß an die Winckelmann-Feier vom 13. Dezember 1939 im DAI, bei der der Ausgrabungsleiter von Olympia, Emil Kunze (1901-1994), der später an die Reichsuniversität Straßburg berufen wurde, die Festrede hielt. Der griechische König sowie Gäste aus verschiedenen Nationen nahmen an der Feier friedlich vereint teil. Als Titel wählte Fahrner „Goethe, Friedrich der Große und die deutsche Bildung“, und er zeigte, wie beide, der Dichter und der König, unterschiedliche Wert- und Maßvorstellungen hatten. Er suchte zu vertiefen, 17 Hinweise bei ZELLER, Geist der Freiheit, vor allem S. 239 ff., 267 f., 327 f., 362 f., 518 f. u. ö.; DERS., Stauffenberg, S. 53 f.; Heidelberg, UA PA 381 u. 3706; Kürschners Deutscher Gelehrtenkalender 1983, S. 902; KÜHLMANN, Germanistik und Deutsche Volkskunde, S. 362-364. 18 WASSNER, Wege zum Sozialen, S. 85-97. 19 Vgl. das Kap. „Die Athener Jahre (1939-1944)“ des Privatdrucks. Jetzt allgemein zugänglich in: FAHRNER, Gesammelte Werke, S. 205-252. 20 Vgl. POLITIS, Geschichte der neugriechischen Literatur. 21 SΟLOMOS, Neugriechisches Gespräch.

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„wie sich der reife Goethe, die deutsche Klassik begründend, von Ausbrüchen ungeregelter Kräfte – auch seiner eigenen Urkräfte – abwandte, Maße gebend und Maße und Gesetzlichkeit verlangend. Damit erfüllte er recht eigentlich das Vermächtnis des Königs, freilich nicht die lateinischfranzösische Tradition zu Hilfe nehmend, sondern die aus Hellas herüberwirkenden, weit mächtigeren und den Ursprüngen verschwisterten Maßgebilde, zu denen Winckelmann den Zugang eröffnet hatte“ (S. 190). Diese Rede wurde sehr positiv aufgenommen und öffnete Fahrner die Herzen vieler Griechen, aber auch des deutschen Botschafters, des Prinzen Victor zu Erbach-Schönberg (1880-1967).22 Bereits bei seiner Entsendung nach Athen hatten die Ministerialbeamten Scurla (REM) und Pfleiderer (Leiter der Kulturabteilung des AA) Fahrner beauftragt, Pläne für ein zu errichtendes ,Deutsches Wissenschaftliches Institut‘ zu erstellen. Fahrner hatte zunächst keine richtige Lust zu dieser Arbeit und schlug den ihm aus Marburger Tagen befreundeten Musikhistoriker Herbert Birtner (1900-1942) als Leiter vor, der eng mit dem später nach München berufenen Musikhistoriker Thrasybulos Georgiades (1907-1977) zusammenarbeitete, aber diese Berufung hatte keine Aussicht auf Realisierung. Als Fahrners Freund Frank Mehnert, der nach Athen gekommen war, sich für die Planungsarbeit begeisterte, ließ sich Fahrner seinerseits anstecken, und beide arbeiteten mit Feuereifer verschiedene Projekte aus. „Wir dachten an eine Art Akademie, an der sich junge deutsche Wissenschaftler auf allen örtlich sinnvollen Gebieten, etwa zwölf an der Zahl, aufhalten und ihren Arbeiten obliegen konnten. Dies so, daß jeder einmal im Jahr vor den anderen und dem Leiter der Akademie und vor fachkundigen griechischen Gästen berichten und sich auch kritischen Besprechungen stellen sollte, verbunden mit der schönen Verpflichtung, mit griechischen und anwesenden ausländischen Forschern gleicher Fächer möglichst enge Beziehungen aufzunehmen und zu pflegen. Diese Einrichtung schien uns den Vorteil zu bringen, daß wirksame lebendige Begegnungen zwischen griechischer und deutscher Wissenschaft auf griechischem Boden und in der allen Völkern wichtigen Stadt der Athene sich ereignen und daß die Rückkehrenden ihre Erfahrungen und gewonnenen Einblicke in deutschen Forschungsstätten einbringen könnten“23 (S. 204205). Dieser versponnen-idealistische Plan hatte jedoch in der damaligen Zeit keinerlei Aussicht auf Verwirklichung. Stattdessen entstand ein Institut mit der üblichen Drei- bzw. Viergliederung von Wissenschaftlicher, Akademischer, Sprachlicher und Organisationsabteilung. Immerhin sicherte das REM 22 Biographisches Handbuch, S. 513-514. Der Prinz übergab am 1.5.1941 die Geschäfte an den Bevollmächtigten des Reichs für Griechenland und ließ sich zum 12.9.1941 in den einstweiligen Ruhestand versetzen. 23 Die Seitenangaben in Klammern hier und im folgenden beziehen sich auf: FAHRNER, Erinnerungen.

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wie üblich auch Fahrner zu, daß das neue Institut ausschließlich wissenschaftlichen und keinesfalls politischen oder propagandistischen Aufgaben dienen solle, eine Versicherung, die immer gegeben, jedoch stets nur vordergründig eingehalten wurde. Die Instituts-Eröffnung verzögerte sich infolge der militärischen Situation bis zum Herbst 1941. Zunächst bekam Fahrner, der sich im November und Dezember 1940 in sein Haus in Friedrichshafen am Bodensee begeben hatte, keine Einreisegenehmigung nach Griechenland. Dann bestand er darauf, daß er als griechischer Staatsbeamter die Genehmigung auch der griechischen Behörden zur Übernahme der Präsidentschaft des DWI einholen müsse. Diese Genehmigung wurde nach langwierigen Verhandlungen erteilt, und in der Zwischenzeit fungierte er, gestützt auf eine ,Kriegsorder‘ des Auswärtigen Amtes, als Gründungspräsident. Das DWI wurde in der Rigillisstraße (auch: Rigillastraße) in der Nähe des königlichen Schlosses wie auch der Deutschen Gesandtschaft in der ehemaligen jugoslawischen Botschaft untergebracht, einem luxuriösen Bau, der später allerdings abgerissen wurde: „Vom Haupteingang führte eine Innenfreitreppe, auf der man ein geräumiges Untergeschoß überstieg, in ein großes Vestibül im Hauptgeschoß. Zu seinen Seiten lagen rechts die Bibliothek, der Studien- und Seminarraum und das Arbeits- und Empfangszimmer für den Leiter der Auslandsabteilung. Links vom Vestibül lagen große, ineinandergehende Vortrags- und Gesellschaftsräume, die durch kluge bewegliche Einrichtungsanlagen leicht für verschiedene Zwecke verändert werden konnten. Vom Vestibül führte eine schöne ins Geviert gelegte Treppe zum ersten Übergeschoß. Dort war auf der einen Seite der Arbeitsraum des Leiters mit dem vorgelegten Raum für die Sekretärin, in der Mitte war der Eingang ins Empfangszimmer und ein Raum für kleine Essen. Auf der anderen Seite lagen das Bad und zwei Gastzimmer. Das zweite Übergeschoß war der Sitz der Wissenschaftlichen Abteilung mit dem Raum des Leiters und Arbeitsräumen für wissenschaftlich Arbeitende. Zudem war dort der Sitz des Finanzverwalters und die Räume der Abteilungssekretärinnen. Im geräumigen Untergeschoß, das einen Nebeneingang von der Straße hatte und durch bequeme aber der Sicht entzogene Treppen mit Vestibül und Übergeschossen verbunden war, lagen die Wohnung des Hausmeisters und die große Küche mit ihren Nebenräumen und einem Imbißzimmer. Die Sprachabteilung blieb getrennt in eigenem Hause, dem schon bestehenden Sitz des Goetheinstitutes [Odos Sina, gem. ist die Zweigstelle der Deutschen Akademie, der Vorläuferorganisation des Goethe-Instituts, FRH], das im Stadtzentrum lag“ (S. 207-208). Fahrner wurde zum 1. Oktober 1941 ernannt, von einer feierlichen Eröffnung, wie sie für die meisten anderen DWI belegt ist, finden sich keine Spuren. Unter seiner Leitung entwickelte sich das Athener DWI zu einem eigenen Kosmos, zumal die mit der Direktorenstelle gekoppelte Wissenschaftliche Abteilung 1942 mit Fahrners Freund und Schüler Eberhard Zeller besetzt

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werden konnte. Mehnert hatte, gegen den entschiedenen Willen Fahrners, im Herbst 1941 seine Einberufung zum Militär betrieben und erreicht. Er fiel nach Einsätzen in Finnland, Norwegen und Rußland am 26. Februar 1943 bei Staraja Russa, nicht weit vom Ilmensee. Mit den Leitern der akademischen bzw. der Sprachen-Abteilung, Dr. Rudolf Grimm und Dr. Kurt Meyer, arbeitete Fahrner harmonisch zusammen, auch wenn ihr Verhältnis nicht so eng war wie das zu Mehnert. Grimm war promovierter Germanist aus Jena und kümmerte sich vor allem um die griechischen Studenten, die nicht nur aus wissenschaftlichen Gründen in Deutschland studieren wollten. Sie suchten nach Möglichkeiten, dem schrecklichen Hunger zu entfliehen, der im Land wütete und strömten in den ersten Jahren zahlreich ins Institut, um sich auf einen Deutschlandaufenthalt vorzubereiten, wo die Lebensbedingungen erträglicher waren als in der Heimat. Grimms populärster Schüler, den er nach Deutschland vermittelte, war der später in Münster, Bochum und Wien lehrende Soziologe Johannes Christos Papalekas (1924-1996).24 Als Meyer 1943 ebenfalls eingezogen wurde, trat der angesehene Byzantinist und Neogräzist Alexander Steinmetz, der über 25 Jahre im Lande gelebt hatte, an seine Stelle, so daß die Qualität der Unterrichtsarbeit keinen Schaden litt.25 Nicht alle von der DA entsandten Lektoren waren gleichermaßen hellenophil. Otto Kielmeyer in Saloniki plädierte dafür, „die störrischen und launischen“ Griechen nicht länger zu „verhätscheln“. Die Zeiten hätten sich geändert. Die Deutschen seien nicht mehr die mehr oder weniger ungern geduldeten Ausländer, sondern die Herren des Landes. Daher seien nunmehr in Befolgung anglofranzösischer Vorbilder „andere Methoden an[zu]wenden“.26 Mit Genehmigung des REM wurde die germanistische Bibliothek der Universität Athen, die lange geschlossen blieb, in die Institutsbibliothek des DWI übergeführt, die ihrerseits um germanistische Primär- und Sekundärtexte ergänzt wurde. Das Institut gab zwar keine eigene Publikationsreihe heraus, aber der Münchner Verlag Irmgard Böhm nahm sich der Schriften Fahrners und seiner Freunde in Kommission an, die in Überlingen im Fahrner gehörenden Delfinverlag in der besprochenen handgesetzten Delfin-Letter gedruckt wurden, z.B. außer der bereits erwähnten Übersetzung des Dialogs des Solomos, Homers Odysseia, Fünfter Gesang (1941), das zweimal aufgelegte Gneisenau-Buch (1942), Odysseia, Sechster Gesang (1943), Agis

24 Er war Direktor des Zentrums für Sozialwissenschaft und des Instituts für Arbeitssoziologie und Arbeitspolitik der Universität Bochum, zugleich Honorarprofessor der Universität Wien. Seine wichtigsten Themen waren Stadtsoziologie, Technikfolgenabschätzung, Strukturfragen der Ausländerbeschäftigung und Zypern-Konflikt. Zu jedem dieser Bereiche hat er Monographien und Sammelbände vorgelegt. 25 Vgl. das Zeugnis von Fahrner (21.4.1944) über ihn (Berlin, BA R 51/94). 26 FLEISCHER, Europas Rückkehr, S. 154.

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und Kleomenes (1944),27 und nach dem Krieg Homers Odysseia, Achter Gesang (1945), Der Tod des Meisters (1945)28, Eberhard Zellers großes Hannibalwerk (1947)29, die Gesänge XIII, XIV und XV der Odysseia (1947), Parzival (1948), Das Rolandslied (1949)30, Takeda Izumos Ritterromanze Die 47 Ronin (1957), Odysseia XVI, als Privatdruck Fahrners (1978). Alle diese Bücher waren schon während des Kriegs, teils im Felde, bearbeitet worden. Ihr verspätetes Erscheinen erklärt sich z.T. durch urheberrechtliche Probleme. Es handelte sich immer um „führende Werke der Geschichtsschreibung und der Dichtung“, deren sich Übersetzer, Herausgeber und Verlag annahmen. Alle Kritiker rühmten, wie sich die Autoren jeweils in ihren Stoff hineinversetzten und wie es ihnen gelang, ihn in deutscher Sprache so abzubilden, daß seine Form und seine Gestalt ganz plastisch wurden und sich den früheren Zeiten anglichen. Die wichtigste Arbeit des Instituts war neben der üblichen Durchführung von Sprachunterricht und Austauschprogrammen die Organisation von Vorträgen, Konzerten und Ausstellungen. Zu gleichen Teilen wurden griechische und deutsche Gelehrte und Künstler eingeladen und zusammengeführt. Der Schwerpunkt der Arbeit lag dabei auf der Archäologie, der griechischen Philologie und Volkskunde, der griechischen Astronomie, die von Fahrners Freund Stavros Michael Plakidis (1893-1990), dem Leiter der Sternwarte am Pentelikon vertreten wurde, sowie der Medizin, für die sich Eberhard Zeller aufgrund seiner Ausbildung besonders engagierte. Leider sind die Tätigkeitsberichte des Instituts bis auf einen verloren, aber aus Fahrners Bericht für Januar bis Juni 194431 geht hervor, daß die üblichen Vertreter der deutschen Spitzenforschung wie Ferdinand Sauerbruch, Max Planck, Carl Friedrich von Weizsäcker, Anton Zischka, Carl Schmitt, Franz Koch usw. nicht nach Athen eingeladen wurden. Fahrner nutzte die Einrichtung der für die Wehrmacht veranstalteten Hochschulwochen, die jeweils eine ganze Reihe von Professoren einer Hochschule bzw. einer Fakultät nach Athen führten. „Dadurch dass es gelang, die betreffenden Herren auch zur Teilnahme an der kulturpolitischen Arbeit zu gewinnen, traten hier gleichsam ganze deutsche Fa27 Agis und Kleomenes nach dem Plutarch. Von Victor Frank [= Frank Mehnert]. 28 Der Tod des Meisters. Zur Feier des achtzigsten Geburtsjahres Stefan Georges. Eine Gedichtfolge von Alexander Graf Stauffenberg. Epische Schilderung vom Hingang des Dichters durch einen Miterlebenden. 29 [Ausg. 1948], 494 S. Vgl. die Rezensionen von SCHEFOLD in: Neue Zürcher Zeitung, Sonntagsausg., 3.10.1948, Bl. 3, und Alexander Graf Schenk von STAUFFENBERG, in: Süddeutsche Zeitung, 28.12.48. 30 Dichterische Übertragung des Chanson de Roland von Max Wetter, mit einem Nachwort. Zweifarbendruck. 31 Es handelt sich um einen Faszikel von 56 S., den mir Dr. Stefano Bianca freundlicherweise in Auszügen zugänglich machte. Er besteht aus dem Referat von dreißig Vorträgen, die in diesem Halbjahr vom DWI veranstaltet wurden.

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kultäten in Erscheinung und da eine solche Fülle von nuancierten Kräften zur Verfügung standen, liessen sich auch die Angriffe auf die so fest verteidigten Bollwerke der hiesigen Hochschulkreise in einer Weise durchführen, die mit Ausnahme der medizinischen Fakultät allen Fällen zu einem sehr beachtlichen Erfolge führte. […] Durch eine gewisse Gunst der Lage war es möglich, den Bann, der seither durch die Kriegshandlungen im Land und ihre Folgen auch über allen kulturellen Beziehungen gelegen hatte, soweit zu lösen und die überlieferten nahen geistigen Verbindungen zwischen Deutschen und Griechen für eine Weile mit solcher Stärke aufleben zu lassen, dass das Bewusstsein und die Wirkung davon sicher für lange Dauer erhalten bleiben werden, was sich auch im Äusseren ereignen mag. Denn alle Vorgänge, die der Bericht schildert, beruhen zuletzt auf persönlichen Verbindungen von Mensch zu Mensch“.32 In der ersten Hälfte 1944 entsandten die technischagrarwissenschaftliche, die juristisch-volkswirtschaftliche und die philosophische Fakultät der Universität Wien ihre nicht zur Wehrmacht einberufenen Mitglieder nach Athen. Das Spektrum der von ihnen auch im DWI gehaltenen Vorträge war beachtlich, wobei sich die meisten Redner bemühten, einen Bezug zum Gastland herzustellen.33 Fahrners Wünsche nach vertiefter deutsch-griechischer Zusammenarbeit waren keine Chimären, denn es gab eine Gruppe germanophiler Griechen, die entweder auf der Deutschen Schule die Sprache gelernt oder gar in Deutschland studiert hatten. Sie ließen sich zunächst auch nicht durch die unübersehbare Brutalität des Besatzungsregimes abschrecken. Auch in dieser 32 FAHRNER, Erinnerungen [Faszikel], S. 4 und 56. 33 Wilhelm Hofmann, Neue Werkstoffe: Benzin, Buna, Aluminium; Josef Fuglewicz, Die Entwicklung der Bergbautechnik; Franz Gerlich, Soziale Probleme an deutschen Hochschulen; Heinrich Demelius, Deutsches und griechisches Hypothekenrecht; Hans Mayer, Gestaltungsformen der Volkswirtschaft; Ernst Schönbauer, Die rechtliche Lenkung der deutschen Ernährungswirtschaft; Ernst Guenther, Gestaltungsformen des sozialen Lebens; Erich Schwinge, Die Entwicklung der Manneszucht in den europäischen Heeren; Josef Kiel, Reichsbildungen in Altgriechenland; Otto Brunner, Der deutsche Reichsgedanke in Europa im Lauf der Jahrhunderte; Anton Huber, Die Spuren des hellenischen Geistes in der abendländischen Mathematik; Camillo Praschniker, Der Parthenon; Heinz Kindermann, Goethe als Theaterleiter; Heinrich Willmes, Die sozialwirtschaftliche Struktur der Vereinigten Staaten von Amerika; Reinhard Kamitz, Englisch-amerikanische Währungs- und Weltwirtschaftspläne (Whiteplan und Keynesplan); Hellmut Georg Isele, Entwicklungstendenzen im deutschen bürgerlichen Recht; Heinz Haushofer, Der Selbsthilfegedanke in der Landwirtschaft; Erich Tschermak von Seysenegg, Klima und Wald unter besonderer Berücksichtigung des Südostens. Außer der Reihe sprachen Graf Alexander Stauffenberg, Alwin Seifert und vor allem Carl Diem, Der olympische Gedanke im neuen Europa bzw. Antiker und moderner Sport. Diem, der Organisator der Olympischen Spiele in Berlin 1936, führte das Deutsche Olympische Komitee an, das zu einem Freundschaftsbesuch nach Griechenland reiste.

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Hinsicht blieb das Athener Institut eine eigenwillige Einrichtung, die im übrigen ein Eigenleben führte und nicht mit dem traditionsreichen DAI zusammenarbeitete. In der ersten Jahreshälfte 1944 wurde der Architekt, Biologe und Landschaftsschützer Alwin Seifert34 eingeladen, „der seine glänzenden Kenntnisse und reformerischen Ideen schon beim Bau der deutschen Autobahnen, als Betreuer der Landschaft, bewährt hatte. Er erteilte den Griechen in seinen nachhaltigen und vielbesuchten Vorträgen über die Probleme der Wasserverbauung gewichtige Ratschläge, da das Land damals noch vor seiner Industrialisierung und vor den anfallenden modernen Straßen- und Wasserbauten (mit den damit verbundenen Gefahren) stand. Die andere dieser Vortragsreihen war die eines Vorkämpfers einer neuen, den Leib und die Seele umfassenden Medizin, die schulmedizinische Erkenntnisse und naturund menschengemäße Heilverfahren zu verbinden trachtete. Professor Dr. [Werner] Zabel (1894-1978)35 brachte in seinen Vorträgen über ,Biologisches Denken in der Medizin‘ und über den ,Stand der heutigen Ernährungswissenschaft‘ für Griechenland damals meist ganz neue Einsichten, Erkenntnisse und Ratschläge ins Land“ (S. 210-211). Besonders wirkungsvoll waren auch die Vorträge des dritten Stauffenberg-Bruders, des Althistorikers Alexander (1905-1964), die bei Griechen und Deutschen einen tiefen Eindruck hinterließen.36 Dank dem Entgegenkommen von Artilleriegeneral Karl SchusterWoldan, der oft Gast des Instituts gewesen war, wurde der zweimal verwundete Graf, der gerade wieder zu seiner Division nach Rußland sollte, von der Personalabteilung seines Stabes angefordert und nach Athen versetzt. Fahrner selber warb für eine deutsch-griechische Annäherung mit Vorträgen wie „Neugriechenlands Kampf um seine geistige Wiedergeburt“ bzw. „Die Bedeutung der deutschen Dichtung und Wissenschaft der Goethezeit für die geistige Selbstgestaltung Neugriechenlands“. Der einzige Reisebericht eines Gelehrten, der das DWI in Athen besuchte, ist der des Geographen Hugo Hassinger (1877-1952), der Anfang April 1942 bei Fahrner vorsprach. Dieser brachte ihn auf seine Bitten hin mit griechischen Naturwissenschaftlern, vor allem Geographen und Geologen, zusammen (genannt werden der damalige Unterrichtsminister Logothetopoulos, Maximos K. Metzopoulos, Stratigraph und Paläontologe, Xenophon E. Zolotas, Volkswirt, Angelos Th. Angelopoulos, Staatswissenschaftler, Dimitrios Kalitsounakis, Nationalökonom und Bruder des in Berlin lehrenden Byzanti34 SEIFERT, Ein Leben für die Landschaft. 35 Er war der Erfinder der sog. Schlenzkur, der Erzeugung eines gesteuerten Fiebers durch Überwärmungsbäder, und der Vorkämpfer für eine Ganzheitsmedizin, die wesentlich mit Heilfasten arbeitete. 36 Themistokles; Tragödie und Staat im werdenden Athen (beide abgedruckt in: STAUFFENBERG, Macht und Geist, S. 122-139, 41-61 (im 2. Vortrag findet sich ein Hinweis darauf, daß er im Frühjahr 1944 in Athen gehalten wurde).

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nisten, sowie Geroulanos, ein Chirurg), die in Deutschland studiert hatten. Hassinger konstatierte die bedrückende Not und den Hunger breiter Volksschichten, dazu eine außerordentliche Teuerung. „Die Volksstimmung ist den Besatzungsmächten wenig freundlich, doch macht sich im Verkehr mit dem deutschen Reisenden nirgends Unhöflichkeit bemerkbar und der Respekt vor deutscher Kultur und Wissenschaft ist bei den Gebildeten fast überall fühlbar, doch herrscht unter ihnen grosse Unsicherheit in der Beurteilung der Kriegslage und starke Zurückhaltung bei den Deutschfreundlichen.“37 Zu einer vertieften wissenschaftlichen Zusammenarbeit konnte es angesichts dieser Hindernisse nicht kommen. Fahrner setzte sich mehrfach für die geschundene griechische Bevölkerung ein, die insbesondere unter Repressalien der deutschen Militärverwaltung und bitteren Hungersnöten litt. Die Wehrmacht zerstörte durch ihren Mangel an Fingerspitzengefühl ihren eigenen Mythos, denn zunächst hatten die Griechen sogar ein gewisses Verständnis dafür gezeigt, daß die Deutschen ihrem leichtfertigen römischen Bundesgenossen (so Fleischer) aus der Bedrängnis hatten helfen müssen. Zudem waren die Italiener und Bulgaren, denen Hitler als Lohn für ihre Treue Ostmazedonien überließ, noch viel unbeliebter. Doch die Deutschen ließen sich angesichts der wachsenden Zahl von Partisanen zu übertriebenen Gegenreaktionen hinreißen. Lektor Steinmetz schrieb in seinem Bericht vom Februar 1944: „Unsere Landser nennen Hellas das Esel- und Partisanenland. Das ist richtig. Esel gibt es dort sehr viele, aber noch mehr Partisanen, vor allem natürlich rein kommunistischer Färbung, obgleich der Grieche der reinste Individualist ist. […] Ihnen gegenüber steht ein gleichgültiges, energieloses Bürgertum, besonders in Athen, das sicher nicht den Kommunismus für Griechenland wünscht, das aber einmal die Verantwortung dafür haben wird, sollte sich einmal diese Menschheitsseuche auch in dem Lande, dem die gesittete Welt so viel verdankt, verbreiten. Diese Menschen befassen sich mit dem bei den Griechen so beliebten Kartenspiel und vor allem mit Schwarzhandel, wobei allerdings bei sehr vielen, die im Monat ein Gehalt oder einen Lohn bekommen, der gerade für zwei Liter Öl ausreicht, […] der Trieb zum Schwarzhandel menschlich wohl zu verstehen ist.“38 Der pragmatische Sonderbeauftragte Neubacher berichtet (S. 81), daß deutsche Bücher (Goethe, Kant und Schopenhauer), die hoch subventioniert wurden, in großen Mengen in der deutschen Buchhandlung gekauft wurden. Es stellte sich heraus, daß die Käufer kein Wort Deutsch sprachen, aber die 37 Hugo Hassinger, Bericht über die in der Zeit vom 10-27. April 1942 nach Griechenland, Bulgarien, Serbien, Ungarn, Kroatien und vom 7.-9. Mai 1942 nach der Slowakei ausgeführten [sic] Studienreise, in: Berlin, BA R 4901/2819, Bl. 260-262. 38 Niederschrift gefertigt auf der Mittelstellenleitertagung der Deutschen Akademie vom 11.2.-16.2.1944, in: Berlin, BA R 51/26, Bl. 0211698-704, hier Bl. 0211700-701.

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Altpapierhändler mehr zahlten, als die Bücher gekostet hatten. Im Urteil der Griechen stand demnach schon bald fest, daß Deutschland aufgrund seiner Dummheit den Krieg nie würde gewinnen können. Hatten die Nazis die Hellenen zunächst noch rassisch den Germanen gleichgestellt, machte diesen Gefühlen schon bald Verachtung Platz und man stellte sie auf eine Stufe mit den slawischen ,Untermenschen‘. Nicht Männer vom Schlag Fahrners prägten auf die Dauer das Deutschlandbild der Griechen, sondern brutale Troupiers aus Wehrmacht und SD. Jetzt gerieten immer wieder griechische Gelehrte, die zu Recht oder Unrecht dem Widerstand zugerechnet wurden, in die Klauen der SS und wären ohne Fahrners Intervention zu Tode gekommen. Fahrner stellte im übrigen Oberregierungsrat Dr. Herbert Scurla das beste Zeugnis aus, der stets seine Hand über ihn gehalten und die Unabhängigkeit der Institutsarbeit garantiert habe. Er müsse wohl auch den Archäologen Professor Walter Wrede, den Landes-gruppenleiter der AO der NSDAP, instruiert haben, ihn in Ruhe zu lassen, denn parteiamtliche Einmischungen seien unterblieben. Fahrner war allerdings gegenüber Nazibehörden um keine Ausrede verlegen, wenn es galt, die Autonomie seines Instituts zu sichern. Auf die Frage, warum er kein Bild des Führers im Institut hängen habe, antwortete er, für Athen komme natürlich kein banales Photo, sondern nur eine Breker-Büste in Frage, die sehr schwer zu beschaffen sei. Als eine Kommission unter Franz Alfred Six das Institut visitierte und bemängelte, es gebe kein NS-Schrifttum, dafür aber drei Heine-Ausgaben, konnte Fahrner glaubhaft machen, daß gerade diese Bücher ein Geschenk von Reichserziehungsminister Bernhard Rust an das germanistische Institut der Universität seien und das Institut wissenschaftlich und nicht parteilich orientiert sei. Dennoch befand sich Fahrner in ständiger Gefahr, ab dem 20. Juli 1944 sogar in akuter Lebensgefahr. Spätestens seit einer gemeinsam mit Claus und Berthold Schenk von Stauffenberg im September 1943 auf Schloß Lautlingen verbrachten Woche, wo sich die Pläne zur Erhebung gegen Hitler kristallisierten, war Fahrner in die Verschwörungsabsichten der Anti-Hitler-Fronde eingeweiht. In zwei Berichten aus den Jahren 1945 vor der Entlassung aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft auf Verlangen des Vernehmungsoffiziers und noch einmal 1962 hat er dies ganz deutlich gemacht: „Bei Spaziergängen und an den Abenden nach der Arbeit ergaben sich Gespräche, aus denen ich noch mehr als in München auf das Reifen langgehegter Pläne schliessen konnte. Ich hatte den Eindruck, daß die neue Stelle des Grafen Claus im OKH den Ausgangspunkt zum Handeln zu bieten vermöchte. Ich fand ihn ganz mit Staatsfragen beschäftigt, aus allen Gebieten: Staat und Religion, Arbeiterfragen, Bauernfragen wurden viel besprochen.“39 An der Klärung 39 ZELLER, Geist der Freiheit, S. 157.

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von Stauffenbergs Position war Fahrner früh beteiligt, denn Claus Stauffenberg hielt sich bereits im Juni 1941 in Athen auf, um im Auftrag seiner Abteilung Besprechungen bei Heeresstellen wie auch beim Admiral Ägäis zu führen. Wann immer Fahrner dienstlich beim REM oder AA in Berlin zu tun hatte, traf er mit Berthold Stauffenberg zusammen, der in die Pläne seines Bruders eingeweiht war. Fahrner leistete Formulierungshilfe bei den diversen Verlautbarungen, die nach dem Putsch die Öffentlichkeit aufklären sollten, insbesondere bei den Aufrufen „An das kämpfende Heer“ und „An die Deutschen“ (ebd., S. 189-191). Als dann ,der Rubikon überschritten‘ werden sollte, ließ ihn Stauffenberg nach Berlin rufen. Er beauftragte seinen nicht in die Verschwörung eingeweihten Bruder Alexander, der nach Athen zurückfuhr, Fahrner das nur ihm verständliche Losungswort zu übermitteln. Am 30. Juni landete Fahrner in Berlin und begab sich sofort in die Wohnung von Claus Stauffenberg. Dieser nahm ihn mit in sein Amt und stellte ihn seinem Ordonnanzoffizier Werner von Haeften vor. Zusammen mit dem Marineoberstabsrichter Berthold Stauffenberg zog sich Fahrner in das 50 km im Nordosten von Berlin gelegene Ausweichlager Koralle der Kriegsmarine unweit Bernau zurück und arbeitete an weiteren Aufrufen. Nachdem das Attentat am 20. Juli gescheitert war, wurde auch Alexander Stauffenberg verhört und nach dem kürzlichen Zusammensein Fahrners mit seinem Bruder Berthold im Marinelager befragt. Der Verhörte sagte, für ihn gebe es keine andere Möglichkeit, als daß sich beide ausschließlich über wissenschaftliche und künstlerische Dinge unterhalten hätten. Der Vernehmende sah von einer weiteren Verfolgung der Spur ab, und Fahrner blieb frei. Während Claus und Berthold hingerichtet wurden, konnte man Alexander keine Beteiligung nachweisen. Doch bis zur deutschen Kapitulation blieb er, von KZ zu KZ verschoben, in der Gewalt der Gestapo, aus der er sich kurz vor Kriegsende befreien konnte. Fahrner kehrte nicht mehr nach Athen zurück, denn am 2. September 1944 begann unter britischem Druck der deutsche Rückzug aus Griechenland. Wenig später schloß Kulturreferent Dittmer das Institut, um seine Zerstörung und Plünderung zu verhindern.40 Rudolf Grimm, der Leiter der Akademischen Abteilung, der meist in der Ferienzeit die Stellung gehalten hatte, wenn sich Fahrner und Zeller nach Deutschland begaben, konnte sich eine Zeitlang im französischen Kulturinstitut verstecken. Er war mit dessen Vizedirektor Roger Milliex befreundet, der heimlich zur kommunistischen griechischen Widerstandsbewegung gehörte. Grimms Kontakte waren auch deshalb nicht ungefährlich, weil die Franzosen in Athen und in den Provinzstädten, wo sie ihre kulturelle Tätigkeit noch fortsetzen durften, die deutsche Kulturarbeit weit überflügelten und doppelt so viele Hörer in ihren Sprach40 Berlin, BA R 51/94, Bericht Dittmers (Athen, 9.9.1944) an Six.

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kursen hatten. Dank seiner liberalen Politik – Militärs durften das Institut nur in Zivil betreten – hatte das DWI viele Freunde unter den einflußreichen Athenern, die auch nach der Institutsauflösung noch ihre Solidarität bezeugten. Mit dem regimenahen Professor Alfred Romain, dem Direktor der Deutschen Schule (DSA), der zuvor an den Pädagogischen Akademien in Erfurt und Kiel unterrichtet hatte und von 1941-1944 zugleich als Professor für Deutsche Philologie an der TH Athen lehrte, mied Fahrner jeden Kontakt. Auch vom ,Archäologischen Institut‘ hielt er sich fern. Am 18. Oktober kehrte die griechische Exilregierung unter Georgios Papandreou zurück, und das DWI schloß definitiv seine Pforten. Bei der bereits erwähnten, von Franz Alfred Six anberaumten Tagung aller Präsidenten der DWI in Berlin am 18. Dezember 1944 war Fahrner zugegen.41 Der Athen betreffende Bericht ist eine Mischung aus Erkenntnissen, wie sie Fahrner übermittelte bzw. Six sie selber bei einem Besuch gewonnen hatte. Die während des dreijährigen Bestehens geleistete Kulturarbeit des DWI wurde gewürdigt und als erfolgreich eingestuft. An einer baldigen Wiedereröffnung wurde kein Zweifel gelassen, wenn die griechische Bevölkerung erst einmal gemerkt habe, was sie von den meist kommunistisch orientierten Partisanen zu erwarten habe: „Es hat sich guter Kontakt mit wissenschaftlichen Kreisen und Intellektuellen herstellen lassen. Große Teilnehmerzahl bei Vortragsveranstaltungen. Dieses Vortragswesen ließ sehr starke Beziehungen erwachsen. Es war auffällig, daß die Leute, die zum Studium nach Deutschland gingen, den besten griechischen Familien angehörten. Zwei Gruppen von Teilnehmern. Die eine Gruppe Inhaber von offiziellen Stellungen, die zweite Gruppe Angehörige der jungen Bewegung, die innerlich am stärksten an uns gebunden waren. Die Bibliothek des Instituts ist in das griechische Nationalmuseum verbracht worden. Aus der aufständischen Bewegung wurde an uns herangebracht, daß sie zu uns halte. Alle Institutsmitglieder, soweit sie deutsche Reichsangehörige waren, konnten Griechenland unter günstigen Umständen verlassen. – Deutschland hat kein Interesse daran gehabt, die steigende Inflation mitzumachen, sondern wollte gewisse Stabilität erreichen. Griechisches Nationalvermögen sollte erhalten bleiben. Dem Abzug der deutschen Truppen folgte Besatzung durch Engländer. Großer Teil der Bewaffnung der Widerstandsverbände erfolgte durch Organisation ,ELAS‘. Ein ganz schwacher Kern ist eine nationale Bewegung. Aufstandsbewegung hat sich immer stärker nach Norden fortgepflanzt, was auf starke Unterstützung von Mazedonien her schließen läßt. Die Gegensätzlichkeit der Engländer und Bolschewisten wird die Erinnerung an die deutsche Anwesenheit, die Ordnung und Sicherheit schaffen konnte, hervortreten lassen“. Das Athener DWI unterschied sich jedoch von allen anderen seines 41 Niederschrift über die Tagung der Präsidenten der Deutschen Wissenschaftlichen Institute im Ausland am 18. Dezember 1944, in: Berlin, PA AA R 64302, S. 2-3.

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Namens, denn es darf wegen der Persönlichkeit seines Leiters und der Mitarbeiter, die ihm nahe standen, als eine Schaltstelle des Widerstandes bezeichnet werden.

Abkürzungen AA AO a.o. Bl. DA DAI DSA DWI em. FRH K.u.K., k.u.k KZ o. OKH PA pl. ao. Prom. REM Sekr. SD SS TH UA UP

Auswärtiges Amt Auslandsorganisation der NSDAP außerordentlicher Professor Blatt Deutsche Akademie, München Deutsches Archäologisches Institut Deutsche Schule Athen Deutsches Wissenschaftliches Institut emeritiert Frank-Rutger Hausmann Kaiserlich und Königlich Konzentrationslager ordentlicher (Professor) Oberkommando des Heeres Personalakte Planmäßiger außerordentlicher (Professor) Promotion Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Berlin Sekretärin Sicherheitsdienst der SS Schutzstaffel Technische Hochschule Universitätsarchiv Universitätsprofessor

VwS

Verwaltungssekretär

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Archive Universitäts-Archiv, Heidelberg UA PA 381 u. 3706 Bundesarchiv, Berlin BA R 51/94; BA R 4901/2819 Bl. 260-262; BA R 51/26, Bl. 0211698-704; BA R 51/94; Lekoratsakten Athen in Berlin, BA R 51/96 (Bd. 1: Mai 1933-Aug. 1942), in 94 (Bd. 2: Juni 1941-Juli 1944), 97 (Nebenstellen Saloniki, Volos, Kalamata März 1940-Aug. 1943), 98 (Lehrplan u. Prüfungsordnung der Zwischenprüfungen der Mittelstelle Athen), 306 (Zeitungsausschnitte); Mytilene 159 (Bd. 1: Nov. 1941-Aug. 1942), in 158 (Bd. 2: Okt.-Dez. 1943), Piräus 173 (Bd. 1: Okt. 1938Sept. 1942), in 168 (Bd. 2: Okt.-Dez. 1943); Saloniki 191 (Bd. 1: Jan. 1940-Juni 1943), in 192 (Bd. 2: Apr. 1943-Mai 1944); Volos 217 (Jan. 1944-März 1945); Xanthi in 153 (Dez. 1938-Sept. 1942). Politisches Archiv de Auswärtigen Amtes, Bonn PA AA R 64302 PA; BA R 51/10077 u. 78 PA; BA R 51/10108 Geheimes Staatsarchiv, Berlin (GStA) GStA PK Rep. 76/1307

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„Hellas ewig unsre liebe“ Erlesenes und erlebtes Griechenland bei Rudolf Fahrner

„Hellas ewig unsre liebe“: So heißt es ganz emphatisch in einem Gedicht Stefan Georges aus seinem Gedichtband Teppich des Lebens von 1899.1 Solche und ähnliche Bekundungen zu Griechenland finden sich immer wieder im Werk Georges. Die Bücher der Hirten- und Preis-Gedichte, Der Sagen und Sänge und der Hängenden Gärten sind laut ihrer Vorrede den „drei grossen bildungswelten“2 gewidmet, womit Antike, Mittelalter und Orient gemeint sind. In seinem letzten Band, dem Neuen Reich von 1928, gibt es einen „Hyperion“-Zyklus, der Hölderlin- und Griechenland-Verehrung in sich vereint.3 Die Beispiele ließen sich leicht vermehren. Auch in den wissenschaftlichen Arbeiten von Georges Anhängern, den sogenannten ‚Jüngern’, kann man immer wieder Hinweise auf die hohe Bedeutung Griechenlands für den Kreis um den Lyriker finden. Einige von ihnen, Heinrich Friedemann oder Kurt Hildebrandt etwa, waren wichtige Platon-Forscher ihrer Zeit und setzten ihre Faszination durch Griechenland in ihr wissenschaftliches Werk um. Allerdings muß man konstatieren: George und die Seinen haben sich nur für das antike Griechenland interessiert. Sie waren klassizistische Philhellenen aus dem Geist Winckelmanns. George selbst war nie in Griechenland und hatte auch kaum Kenntnisse zeitgenössischer griechischer Literatur und Kunst.4 Wenn man ihn gefragt hat, ob er nicht Griechenland mit eigenen Augen zu sehen wünsche, soll der Dichter sich lächelnd so geäußert haben: „…wo er sei, sei Griechenland!“5 Auch aus diesem sehr selbstbewußten Satz läßt sich herauslesen, daß der Kreis um den charismatischen Dichter ein sehr eigenes 1 2 3 4

5

SWV, S. 16: Vorspiel VII: „Eine kleine schar zieht stille bahnen / Stolz entfernt vom wirkenden getriebe / Und als losung steht auf ihren fahnen: / Hellas ewig unsre liebe.“ SW III, ohne Seitenzahl [S. 7]. SW IX, S. 11-14. Vgl. BOEHRINGER, Ewiger Augenblick, S. 47 f. Boehringer berichtet von der Äußerung Georges, in Griechenland seien die antiken Überreste im Gegensatz zu Italien lediglich museal. Lebendig sei ihm, George, Griechenland erst durch die Plastik geworden. George nahm also sogar das antike Griechenland nur sehr selektiv wahr. Einschränkend zum Quellenwert der Schrift muß gesagt werden, daß Boehringer selbst von einem Status zwischen Dichtung und Wahrheit ausgeht. Es handelt sich um eine literarische Erinnerungsschrift. Vgl. MORWITZ, Kommentar, S. 228.

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Bild von den klassischen Griechen entwickelt hatte, das an Platons Schriften, vor allem dem Staat und dem Symposium, entlang gebildet und dann auf die Gegenwart übertragen wurde. Das ideale Imago der Antike wurde so zum sozio-ästhetischen Modell für die Bildung eines eigenen, elitären ‚Staates’ um George, der sich auch als solcher verstand und benannte. Ein ästhetischer ‚Staat‘ im Staat, ein geistesaristokratisches Modell der Erziehung der Jugend nach ästhetischen Kriterien durch die Anhänger Georges, die fast alle dem akademischen Milieu angehörten: Das war zumindest ein Resultat der eigentümlichen Antike-Rezeption Stefan Georges. Nur deswegen war Griechenland dort, wo seine vermeintlich legitimen Erben wirkten. Und deswegen interessierte George sich auch für das zeitgenössische Griechenland nicht. Griechenland war für ihn allein als ‚Hellas‘ existent. An einer einzigen Stelle seines Werkes wird das zeitgenössische Griechenland erwähnt. In den kulturkritischen „Zeitgedichten“ werden im Text „Pente Pigadia“, einem Widmungsgedicht für den Pianisten und Komponisten Clement Harris, die Griechen als „matte Erben“ ihrer großen Ahnen bezeichnet.6 Diesem Tenor entsprechend, besteht die Verbindung Stefan Georges zum Griechenland des 20. Jahrhunderts in einer Nicht-Beziehung. Allerdings war das nicht bei allen seinen Freunden und Anhängern ebenso. Karl Wolfskehl etwa, bereits seit den Anfängen der Blätter für die Kunst ein enger Weggefährte Georges, wurde später im neuseeländischen Exil ein guter Kenner des Werkes von Kavafis. Und auch bei Rudolf Fahrner, Anhänger in den letzten Jahren des Dichters und weniger bekannt, gibt es starke biographische Verbindungen zu Griechenland. Um ihn soll es daher im folgenden gehen. An Fahrner läßt sich die Prägung durch Stefan George beobachten, wie sie sich zunächst in eine Antike-Begeisterung umsetzte, die Fahrner aber ab 1939 auch auf das moderne Griechenland wendete, als er Professor in Athen und Präsident des dortigen Deutschen Wissenschaftlichen Instituts (DWI) wurde. Gleichwohl blieb sein Engagement für Griechenland in den Jahren von 1939 bis 1944 immer auch durch die klassische Literatur und Kunst der Antike geprägt. Fahrners Griechenlandsehnsucht war anfangs, ganz im Geist des ästhetischen Konservatismus des George-Kreises, Ausdruck von Kulturkritik an den sozialen und ästhetischen Fehlentwicklungen des Modernisierungsprozesses.7 Die Prägung durch Georges Lyrik und seinen Kreis, die bereits sehr früh im Studium einsetzte, bedingte Fahrners Entwicklung von einem Nationalkonservativen mit nicht zu übersehenden Sympathien für die Nationalsozialisten zu einem Eingeweihten der Brüder Stauffenberg, die er im Umfeld Georges kennengelernt hatte. Diese Entwicklung 6 7

Vgl. SW VI/VII, S. 24. Dazu SÜNDERHAUF, Griechensehnsucht. Vgl. zum Konzept einer konservativen Ästhetik: Ästhetischer Konservatismus um 1900. Hg. von ANDRES / BRAUNGART / KAUFFMANN.

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von Heidelberg nach Athen will ich an drei Stationen der Biographie Rudolf Fahrners nachzeichnen, um zu zeigen, wie stark auch bei einem Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts die Grenzen zwischen altem und neuem Griechenland verschwimmen konnten und ein seltsames Gemisch aus Ideal und Realität ergaben.

1. Fahrners Studium in Heidelberg Der Ende 1903 in Böhmen geborene Rudolf Fahrner ging 1921 nach Heidelberg, um dort Deutsche Philologie, Philosophie und Archäologie zu studieren. Er wollte bei Friedrich Gundolf lernen, dem zu jener Zeit berühmtesten Germanisten Deutschlands, der nicht nur wegen seiner Monumentalstudien zu Shakespeare und Goethe über die akademischen Grenzen hinaus bekannt war. Man wußte vor allem auch um dessen enge Beziehung zu Stefan George. Seit Gundolf und George sich 1899 kennengelernt hatten, verband sie eine enge Freundschaft, die bis Anfang der 1920er Jahre hielt und Gundolfs Ruf als akademischer Lehrer und ,Wissenschaftskünstler‘ maßgeblich prägte. Wie für andere Freunde Georges bestand Gundolfs Aufgabe im Kreis um den Dichter unter anderem darin, interessante und begabte junge Männer, Studenten vor allem, auszuwählen und sie George vorzustellen. Dieser entschied dann, ob die Jugendlichen in den Kreis seiner Erwählten aufgenommen werden sollten. Das zog, neben Gundolfs fachlichem Ruf, auch Fahrner an, der sich allerdings in Heidelberg auf der Suche nach einer Unterkunft ausgerechnet beim Gundolf-Gegner Rickert einmietete. In Rickerts großer Bibliothek, die er nutzen durfte, las er vor allem die moderne deutsche Lyrik, darunter „fieberhaft“ die Gedichte Georges und die anderer Beiträger der Blätter für die Kunst, die sich in Rickerts Bibliothek fanden.8 Fahrner sah George auch gelegentlich in der „geistdurchglühte[n], geistbewegte[n] und

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FAHRNER, Erinnerungen, S. 82. Die wichtigsten biographischen Angaben sind versammelt in: BUSELMEIER, Rudolf Fahrner. Für die weiteren Angaben zu Fahrners Biographie ist man im wesentlichen auf seine eigenen, als Privatdruck aus dem Nachlaß publizierten Erinnerungen angewiesen – mit allen Problemen, die sich aus einer autobiographischen Quelle ergeben. Diese Schrift deckt sich zum Teil wortgleich mit einer weiteren Erinnerungsschrift, die noch zu Lebzeiten Fahrners als Privatdruck erschien: FAHRNER, Frank (1967). So weit möglich, wurden die Angaben aus den Erinnerungen mit der knappen wissenschaftlichen Literatur zu Fahrner und mit Quellen, vor allem Briefen, des Stefan George-Archivs Stuttgart (StGA) abgeglichen. Der Leiterin Ute Oelmann bin ich wie stets für ihre geduldige und kompetente Hilfe zu Dank verpflichtet. Der Stefan-George-Stiftung danke ich für die Erlaubnis, aus den Archivalien zitieren zu dürfen. Im StGA finden sich nur die Teile, die George betreffen. Der weitere Nachlaß Fahrners wird von Dr. Stefano Bianca verwaltet.

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geisterregte[n] Stadt“9 spazierengehen und hoffte auf eine „heissbegehrte Verbindung“.10 Die Begeisterung für George und seinen Kreis wurde durch Hölderlin-Lektüren noch verstärkt. Hölderlin, dessen Wiederentdeckung Anfang des 20. Jahrhunderts maßgeblich auf die Editionsarbeit des Georgeaners Norbert von Hellingrath zurückging, zog ihn weiter zu George. Auch George selbst hat Hölderlin in den 1910er Jahren schnell und nachdrücklich in die Reihe jener Dichter aufgenommen, die er für vorbildlich und maßstabgebend hielt.11 Er sah zwischen diesen Dichtern wie Shakespeare, Jean Paul und vor allem Goethe und sich selbst die verbindende Rolle des ästhetischen Erziehers, der zugleich häufig seine Gegenwart kritisierte. Dazu kam sicherlich, daß auch Hölderlin sich, wenngleich in sehr spezifischer Weise, an der griechischen Kunst und Literatur orientierte. Fahrner verband seine Begeisterung für Georges Dichtung und für die Literatur von dessen kanonischen Autoren sofort mit dem Versuch, über Seminare und Vorlesungen Kontakt zu Gundolf zu bekommen. Der empfing ihn schließlich auch privat und vermittelte ihn nach Marburg an den Historiker Friedrich Wolters, gleichfalls ein George-Jünger und Fahrners späterer Mentor. Damit wollte er Fahrner den ersehnten Kontakt zu George ermöglichen: „Da Sie nun einmal beschlossen haben, in dieser Luft zu atmen, so rate ich Ihnen, gehen Sie nach Marburg zu Friedrich Wolters. Ich selbst tauge nicht für eine Kirche.“12 Aus diesen Sätzen wird klar, daß Fahrner eigentlich falsche Hoffnungen in Gundolf gesetzt hatte. Denn Anfang der 20er Jahre hatte sich ein langsamer Entfremdungsprozeß zwischen Gundolf und George so entwickelt, daß der Heidelberger Professor nicht mehr dem engsten Zirkel angehörte. Seine Rolle hatten andere, darunter der von Gundolf nicht sehr geschätzte Wolters, übernommen, und Gundolf stellte für George keine direkten Kontakte mehr her. Indem er Fahrner weiterempfahl, band er ihn an den George-Kreis und dessen sogenannte ‚dritte Generation‘, zu der u.a. Fahrner, dessen späterer Freund Frank Mehnert, Max Kommerell oder die Stauffenbergs zählten. Gundolf selbst wurde von George spätestens mit seiner Heirat 1926 aus diesen Kreisen endgültig verbannt. Für eine „Kirche“ war er aber wohl nie geeignet gewesen. Georges berühmter Kreis war allerdings auch keine Kirche, selbst wenn es sowohl zeitgenössisch wie in der Forschung immer wieder Versuche gegeben hat, ihn als eine Sekte mit pseudoreligiösen Tendenzen zu beschreiben.13 Derartige Klassifikationen greifen zu kurz, als sie die strukturelle Bedeutung des Ästhetischen für die rituellen Praxen des Kreises unterschät9 10 11 12 13

FAHRNER, Erinnerungen, S. 85. FAHRNER, Erinnerungen, S. 85. Vgl. GEORGE, Lobrede, S. 298-301. FAHRNER, Erinnerungen, S. 93. Vgl. dazu, sehr differenziert, etwa BREUER, Ästhetischer Fundamentalismus.

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zen.14 Der sogenannte ‚Kreis’ war eine der um 1900 zahlreichen literarischen Gruppen, die allerdings durch ihren männerbündischen Grundzug und die Orientierung an einer charismatischen Führerpersönlichkeit einzigartig in der deutschen Literaturgeschichte ist.15 ‚Der Kreis‘ existierte allerdings nie in der Kohärenz, die der Begriff suggeriert. Ab 1890 hatte George die Beiträger seiner Blätter für die Kunst um sich versammelt. Diese eher lose Verbindung von Dichtern, von denen einige zu Recht heute vergessen sind, kann man kaum als Kreis bezeichnen. Sie waren primär durch ähnliche ästhetische Interessen verbunden und versuchten so, sich auf dem schwierigen literarischen Markt des Fin de siècle zu positionieren. Diese erste Gruppe wurde bereits um 1900 erweitert, indem George begann, junge und interessante Studenten um sich zu scharen. Friedrich Gundolf war der erste dieser sogenannten ‚Jünger‘ des ‚Meisters‘, wie George von diesen Jüngeren verehrungsvoll genannt wurde. Mit Gundolf kann man das Konzept eines sich um George formierenden, ersten Kreises ansetzen. Nach dem Muster von Erwählung und Ausbildung traten später noch etliche junge Männer dazu. Um Gundolf bildete sich später ein Teil der sogenannten zweiten Kreisgeneration in Heidelberg, als der erste ‚Jünger‘ dort akademische Karriere machte. Da George zeitlebens viel reiste und keinen festen Wohnsitz hatte, wohnte er in aller Regel bei Freunden und ‚Jüngern‘: In München bei Karl Wolfskehl, in Heidelberg bei Gundolf, in Marburg bei Friedrich Wolters, in Berlin später bei seinem Verleger Georg Bondi oder bei dem Bildhauer Ludwig Thormaelen, um einige Beispiele zu nennen. Da alle Anhänger ihre Nähe zu George betonten und Wert darauf legten, als Georgeaner identifizierbar zu sein, entstand die Rede von seinem Kreis, der eigentlich aus mehreren Kreisen bestand, die örtlich getrennt waren, sich zeitlich überschnitten und durchaus differenziert organisiert waren. Längst nicht jeder Georgeaner kannte alle anderen. Auch gab es deutliche Antipathien zwischen einzelnen. Vor allem gab es eine zeitliche Folge, in der einzelne Binnenkreise an Bedeutung gewannen oder verloren. Einzig fester Punkt der Kreise war George selbst. Nur er war der Herrscher dieser Kreise, die sich ab 1910 neuplatonisch ‚Staat‘ oder auch ‚Geheimes Deutschland‘ nannten. Auch diese beiden Bezeichnungen suggerieren eine höhere Kohärenz, als eigentlich in der Praxis erreicht wurde. Inhaltlich einig war man sich in der Verehrung des charismatischen Dichters, im kulturkritischen Impetus und einem ästhetischen Konservatismus, der sich schließlich vom Symbolismus und Ästhetizismus um 1900 zur ästhetischen

14 Zu den rituellen Grundstrukturen in Georges Lyrik: BRAUNGART, Ästhetischer Katholizismus. 15 Vgl. einführend OELMANN, George-Kreis; BAUMANN, George-Kreis. – Zur Person Georges und an den entsprechenden Stellen auch mit Hinweisen zu Fahrner jetzt: KARLAUF, Stefan George.

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Erziehung der Nation wandelte. Dabei wurde das antike Griechenland ein maßgebliches Vorbild. Von Gundolf, der sich Anfang der 1920er Jahre unter Qualen von George löste, ging Fahrner zu Friedrich Wolters, dem Marburger Mittelalter-Historiker. Dieser hatte nach Gundolfs Distanzierung große Nähe zu George gewonnen. Er wurde für viele der Jüngeren aus der dritten Kreisgeneration ein nahezu väterlicher Mentor. Entsprechend konnte Fahrner Wolters-Schüler wie Max Kommerell, den zweiten später berühmten Germanisten aus dem Umfeld Georges, mit dem verehrten Dichter sehen, wenn er ihn auch noch nicht persönlich kannte. Er gewann große Vertrautheit mit Wolters und mit dessen Familie, besonders dessen erster Frau Erika, die 1925 starb, und nach Wolters erneuter Heirat auch mit Gemma Wolters-Thiersch. Er arbeitete mit an der Redaktion von Wolters’ sehr einseitiger Geschichte des GeorgeKreises und auch an dessen nationalistischen Reden über das Vaterland, einer Art politischem Vermächtnis, das Fahrner als „öffentliche Antwort auf die Lage in Deutschland“ verstand.16 Nach seiner Promotion in Marburg bei Ernst Elster über Hölderlin ging Fahrner 1926 nach Berlin, um seine Habilitation voranzutreiben. Wie schon als Student, der immer wieder in Wandervogel-Manier durch Deutschland zog, reiste er in der Berliner Zeit häufig, sogar nach Sizilien. Er hat sich die Stätten der Rheinromantik und später Italien systematisch erwandert, auch noch, nachdem er 1928 als Dozent nach Marburg gewechselt hatte. Wie bei vielen anderen geschah auch bei Fahrner Kulturaneignung wesentlich durch Bildungsreisen nach dem Modell der grandtour.

2. Dozent in Marburg und Professor in Heidelberg Fahrner blieb Ende der 1920er Jahre in intensivem Kontakt zu Wolters, der mittlerweile in Kiel lehrte, und dessen zweiter Frau Gemma WoltersThiersch. Im Juli 1928 habilitierte er sich mit der Mystik-Studie „Wortsinn und Wortschöpfung bei Meister Eckehart“, um danach erneut Sizilien und im Frühjahr 1929 erstmals Griechenland zu bereisen. Dieser Aufenthalt war gleichermaßen geprägt von einem großen Interesse am Klassizismus, einer emphatischen Bildungsbeflissenheit und dem Versuch, das alte Griechenland wieder zu verlebendigen. Fahrner nahm in Griechenland fast ausschließlich die Reste der antiken Kultur wahr. Es war eine Bildungsreise, auf der die Landschaft unter anderem mit Hilfe seiner Kenntnisse der antiken Literatur erschlossen wurde. Ob in Athen oder in Olympia – Fahrner sah fast nur die Spuren des antiken Hellas in der Landschaft. 16 FAHRNER, Erinnerungen, S. 108.

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Mit seinem Jugendfreund Walter Hahland fuhr Fahrner nach Athen, besichtigte Parthenon und Areopag, das Dionysos-Theater sowie Delphi.17 Der ehemalige heilige Bezirk wurde von ihm „inbrünstig“ durchstreift, im Stadion wurden verschiedene Läufer- und Zuschauerpositionen nachempfunden.18 In Olympia wurde der Kronoshügel bestiegen, „im Geist“ wurde der Tempel des Phidias wieder errichtet, „mit besonderem Schauer das Heiligtum der Hera“ besichtigt.19 Im Bergtempel von Bassä will er „dem grossen Pan“ begegnet sein, der dort noch bei den Hirten gewohnt habe. Besonders dieses Ereignis sei „so gross“ gewesen, daß Fahrner den Ort später nie wieder besucht hat, um die Erinnerung nicht zu verfälschen.20 Danach wurden noch Sparta und der „Hain der grausamen Artemis am Eurotas“ besucht, wobei man sagen muß, daß bei Fahrner weder jetzt noch später Präferenzen etwa für Athen und gegen Sparta oder für die archaische Epoche gegen die hellenistische zu erkennen sind. In seinen Erinnerungen erscheint Griechenland als geschichtlich nicht weiter differenzierte Einheit. Kurz nach Fahrners Rückkehr aus „Hellas“,21 wie er selbst Griechenland häufig nannte, starb im April 1930 Wolters. Fahrner hatte nun keinen Mentor mehr, war aber als Marburger Dozent auch in Georges Kreisen mittlerweile wenn schon nicht etabliert, so doch wenigstens bekannt. Pfingsten 1930 kam es schließlich zu der lang erwarteten Begegnung mit George in Berlin. Der zeigte sich im Gespräch, wie so oft in seinen späteren Jahren, in der Rolle des Erziehers der Jüngeren, war Tröstender und Ratgeber für den überaus beeindruckten Fahrner. In den Erinnerungen an diese Zeit dominiert ein Reisebericht über Spanien. Mit Wolters Witwe Gemma, mit der ihn anfangs Freundschaft, später auch eine Beziehung verband, bereiste Fahrner das Land und war von den Menschen und der zeitgenössischen Kultur des Landes ungleich tiefer beeindruckt als von Italien oder Griechenland. Besonders der Stierkampf faszinierte ihn. Insgesamt dreimal reiste er bis 1934 nach Spanien und nahm sowohl 1934 als auch 1936 in Santander an einer Sommeruniversität teil. Von allen europäischen Ländern, die er bis dahin kannte, war Fahrner zunächst sicherlich an Spanien am stärksten interessiert und vom Land beeindruckt. In die Jahre bis 1934 fielen zwei sehr ungleiche und trotzdem wichtige Ereignisse in Fahrners Leben. Er hatte nach Wolters Tod George zweimal pro Jahr sprechen dürfen, letztmalig Pfingsten 1933 in München. Bei diesem Besuch lernte er den jungen Bildhauer Frank Mehnert kennen, der Georges 17 Die Ausführungen folgen Fahrners Selbstdarstellung. FAHRNER, Erinnerungen, S. 125 ff. 18 FAHRNER, Erinnerungen, S. 126. 19 FAHRNER, Erinnerungen, S. 126. 20 FAHRNER, Erinnerungen, S. 127. 21 FAHRNER, Erinnerungen, S. 128.

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engster Begleiter in den späten Jahren bis zu dessen Tod 1933 in Minusio wurde. Diese Bekanntschaft nennt Fahrner in seinen Erinnerungen sein „größte[s] Lebensgeschenk“ durch George,22 denn Mehnert wurde sein engster Freund und Vertrauter in den kommenden Jahren. 1933 aber mußte er sich auch zum Nationalsozialismus verhalten. Für die Georgeaner war das eine Zeit der Spaltung.23 George starb im Dezember 1933 in der Schweiz, womit die auch in politischen Belangen alles entscheidende Instanz verloren war. Eindeutige Bekenntnisse für oder gegen den Nationalsozialismus oder Verhaltensanweisungen an seine Jünger von George gibt es nicht. In dem Brief, mit dem er den ihm angetragenen Beitritt und Vorsitz der Sektion Dichtung der Preußischen Akademie der Künste ablehnte, sprach George zwar von seiner nicht zu leugnenden geistigen „ahnherrschaft der neuen nationalen bewegung“.24 Von Fahrner gibt es ein Erinnerungsprotokoll D.M. [gemeint ist Der Meister, also George] im Gespräch aus dem Mai 1933, in dem er notierte: „(Am Ende einer den damals – 1932 – schwankenden braunen sehr gewogenen Gesprächsstunde). Wenn ich [George] hier sitze und ihnen wohl will – was besseres kann denen gar nicht passieren. – Aber er sei politisch nicht unfehlbar: Wenn man mir ein gedicht bringt kann ich genau sagen was es taugt • im andern kann ich irren wie jeder andre.“25 Andererseits lehnte George den Vorsitz der Sektion für Dichtung dann eben doch ab und ließ dies auch ganz bewußt durch seinen jüdischen Freund Morwitz übermitteln.26 Der Jurist Morwitz war es wohl auch, der George die Augen in dieser Situation geöffnet hatte.27 Manche seiner Anhänger wurden aber schnell Nazis oder Parteigenossen – Kurt Hildebrandt, Albrecht von Blumenthal, Woldemar Uxkull-Gyllenband, Ludwig Thormaelen. Andere wandten sich entsetzt ab.28 Die Emigranten Karl Wolfskehl und Ernst Kantorowicz sind die bekanntesten. Besonders die jüdischen Kreismitglieder waren durch die politische Situation unter großem Druck.29 22 FAHRNER, Erinnerungen, S. 150. 23 GROPPE, Die Macht der Bildung; DIES., Widerstand oder Anpassung?; KOLK, Literarische Gruppenbildung; BUSELMEIER, Von deutscher Art, S. 63. 24 Nach GROPPE, Widerstand oder Anpassung, S. 61. Der Satz stammt aus einem Brief Georges an Morwitz vom 10.5.1933. 25 Fahrner, D. M. im Gespräch, Nachlaß Fahrner, StGA. 26 Vgl. KOLK, Literarische Gruppenbildung, S. 485. 27 Dazu KARLAUF, Stefan George, S. 621. 28 KARLAUF, Stefan George, S. 615 ff. 29 Kantorowicz war zwar nach dem Ersten Weltkrieg Freikorpskämpfer gewesen und politisch ein antiliberaler Konservativer, wie fast alle Georgeaner. Mit den Nazis wollte er aber nichts zu tun haben. So schreibt er Pfingsten 1933 einen bemerkenswerten Brief an George: „[…] Das war das für mich überraschende und zugleich beglückende an meinem besuch • dass ein bestimmtes nicht deshalb beeinträchtigt oder auch nur tangiert werden muss • weil ein geschehen den einen auf diesen • den andern auf jenen

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Fahrner scheint seine anfängliche Sympathie für die Nazis kaschieren zu wollen, wenn man den Ton seiner Erinnerungen betrachtet. Er schildert ex post wohl einseitig. So bezeichnet er Hitler zwar als „magischen Blödel“, auf den man sich vorbereiten müsse, sagt aber selbst, er habe nur „im stillen“ [!] so gedacht.30 Von George, dessen Tod der „tiefste[…] Einschnitt“ in sein Leben gewesen sei, berichtet er, der Dichter habe wegen der Bedrohung seines Werkes durch den Nationalsozialismus gerufen: „Ich habe noch ganz andere Aktien auf das deutsche Reich, und sehr gute Papiere.“31 Andererseits beschreibt er Georges Reaktion auch als „bewegt von der mächtigen Bewegung und überzeugt, dass ihre Unterdrückung mit bürgerlichen Mitteln ebenso unmöglich wie sinnlos sei.“32 An solchen und ähnlichen Stellen der Erinnerungen wird man sich nicht recht klar, wieviel diese Stellen über George und wieviel sie über den Autor selbst aussagen. Die Rede von der ‚mächtigen‘ Bewegung mag eine gewisse Faszination anzeigen, vielleicht auch bei George, eher doch bei Fahrner selbst. Denn der schreibt im Juli 1933 an seinen ,Meister‘, er nehme „nicht geringen Anteil an den braunen knechten von denen ich noch immer glauben muss dass sie in einem gewissen belange des meisters willen tun so bin ich von dem allem durchaus betroffen.“ Er spricht von „innere[r] not der ganzen bewegung die die masse für ein aristocratisches princip mobil gemacht“ habe.33 Das ist erstens natürlich eine fatale Fehlinterpretation, zweitens aber zumindest vordergründig georgeanisch gedacht. Hier zeigt sich sehr deutlich, inwiefern die nationalistische Prägung jener Georgeaner, die Wolters in den späten Kreis brachte, durchaus mit dem frühen Nationalsozialismus kompatibel schien. An Gemma Wolters schrieb Fahrner einen undatierten Brief, er sei „begierig“ Hitler zu sehen, der in einem Zelt sprechen soll. Andererseits spricht er in einem anderen Brief an sie

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berg absetzt. Dass dieses verhängnis eintreten konnte • hat mich gewiss nicht unvorbereitet treffen können – seit jahr und tag hat es mich ja gelähmt • ehe dieses gewitter die lage klärte – und stets war ich mir dessen bewusst • dass ich ohne unwahr zu werden mein blut • wenn dieses angegriffen • nicht würde verleugnen oder durchspringen dürfen. Aber ebenso war es mir klar • dass genau so wenig d. M. seine aufgabe und was seines amtes ist durch das los einzelner freunde in frage stellen darf – und wenn • um d. M.s worte zu gebrauchen • sich jetzt jeder gezeigt hat wie er ist: wie hätte ich da erwarten • ja gar wünschen oder hoffen mögen • d. M. hierin als einzigen eine ausnahme machen zu sehen!“ Original im StGA. In zwei weiteren Briefen erklärt er, daß das gegenwärtige Deutschland nur die „grimasse“ eines Wunschbildes sei, die mit dem „Geheimen Deutschland“ nichts zu tun habe. Einige Freunde hätten dies nicht verstanden und produzierten daher „fatalen mist“. Kantorowicz an George, 10.7.1933 und 17.12.1933, StGA. FAHRNER, Erinnerungen (Anm. 8), S. 142. FAHRNER, Erinnerungen, S. 150. FAHRNER, Erinnerungen, S. 142. So zitiert aus einem Brief Fahrners an Stefan George vom 10.7.1933, auch wiedergegeben in der Einleitung zu Fahrners Erinnerungen. Original des Briefes im StGA.

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von einer „verlogenen atmosfäre“ und von „schleichenden giften“.34 Dann wieder argumentiert er in einem weiteren Brief rassistisch-antisemitisch.35 Es sind wohl auch nicht nur Karrieregründe, die Fahrner 1933 bewogen haben, in die SA und in den NS-Lehrerbund einzutreten. Das nationalkonservative Denken nahezu aller Wolters-Schüler machte ihm diesen Schritt eher leicht. Die ‚dritte Generation‘ der Georgeaner war offensichtlich am anfälligsten für nationalistisches und nationalsozialistisches Denken, was George nicht verhindert hat. Für Fahrners Erinnerungen ist es bezeichnend, daß er über die Zeit der sogenannten Machtergreifung wenig schreibt. Über seine anfängliche, vielleicht zwiespältige Sympathie für den Nationalsozialismus und auch die Haltung des Freundes Mehnert schweigt er ganz. Zur Berufung auf die Heidelberger Professur 1934 schreibt er, er sei „auf Gundolfs Lehrstuhl“ geholt worden.36 Dabei verschweigt er, daß zuvor Richard Alewyn diesen Lehrstuhl erzwungenermaßen hatte räumen müssen.37 Heidelberg war seinerzeit nicht mehr die geistvolle Stadt, wie Fahrner sie aus seinen Studientagen kannte. Auch wenn er seine anfänglichen Sympathien mit den Nazis in der Rückschau bewußt mildert, ist es sachlich richtig, daß er nach seinem Amtsantritt rasch in Konflikt mit der nationalsozialistischen Universitätsleitung und anderen Funktionären kam. Der nationalund kulturkonservative Fahrner war mit der „sumpfigen Atmosphäre“ an der Universität unzufrieden.38 Er reagierte im Mai 1935 mit seiner Antrittsvorlesung zu dem Thema „Die Dichtung im deutschen Schicksal“. Wegen kritischer Bemerkungen, die man als Anspielungen auf die örtlichen und die politischen Verhältnisse allgemein verstehen konnte, wurde Fahrner einbestellt, und es drohten disziplinäre Maßnahmen.39 Vielleicht hat man sich unter anderem an diesem Schluß der Vorlesung gestoßen: Solches kann aber dann gelingen, wenn ein politisch erwachtes deutsches Volk lernt, die Gaben seiner Dichter nicht als Geschenke zu seinem Genuss zu nehmen oder gar noch mit ihnen zu rechten, dass sie nicht für all seine Bedürfnisse, wie es selbst sie sieht und gerne haben möchte, schon vorgesorgt haben – sondern wenn es lernt, in den Gaben seiner Dichter das zu sehen was sie sind: die Forderungen ewiger und göttlicher Mächte an die Nation. Und so hoffe ich denn, dass die geschichtlichen Bilder, die ich Ihnen entwickelt habe, Ihnen Lichter werfen auf das heutige Kampffeld in dem wir

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Nicht genau datierte Briefe Fahrners an Gemma Wolters-Thiersch, StGA. StGA. Fahrner wettert in diesem Brief gegen die Familie von den Steinen. FAHRNER, Erinnerungen, S. 153. Dazu KOLK, Literarische Gruppenbildung, S. 533 und BUSELMEIER, Von deutscher Art, S. 64. 38 FAHRNER, Erinnerungen, S. 155. 39 Zum folgenden FAHRNER, Erinnerungen, S. 157 ff., auch BUSELMEIER, Von deutscher Art, S. 64 f.

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alle stehen unter den Gesetzen des handelnden Lebens und unter den Gesetzen des le40 benzeugenden Geistes.

Lichter auf die Tagespolitik zu werfen, war schon in der Konsolidierungsphase des Nationalsozialismus alles andere als opportun. Durch Friedrich Panzer vor möglichen Konsequenzen gewarnt, reagierte Fahrner mit einem Gesuch um Entlassung aus gesundheitlichen Gründen. Er wurde im November 1935 beurlaubt, im September 1936 schließlich aus dem badischen Staatsdienst entlassen. Bereits auf den Mai 1935 datiert allerdings seine SA-Entlassung, formal ebenfalls aus gesundheitlichen Gründen. Die schnelle Desillusionierung als Professor, der Skandal um die Antrittsvorlesung und der Streit mit Nazi-Funktionären haben in den Jahren 1934-36 wohl dafür gesorgt, daß Fahrner aus politischen Gründen auf innere Distanz zum Nationalsozialismus ging.41 Das Dritte Reich war nicht das von George verkündete ‚Neue Reich‘, auch wenn manche ‚Jünger’ so dachten. Dadurch wird Fahrners SA-Angehörigkeit aber noch nicht automatisch zur „Tarnung“, wie auch der Kontakt zu den Stauffenbergs, der über Frank Mehnert entstand, Fahrner noch nicht umgehend zum Widerständler macht.42 Mehnert war anfangs ebenfalls den Nazis nah und freiwilliger Produzent von Hitler-Büsten.43 Und auch Claus von Stauffenberg war den Nazis als junger und konservativer Offizier zunächst nicht abgeneigt. Wie für die Männer des 20. Juli gilt auch für Fahrner, daß es sich um einen Prozeß der weltanschaulichen Abstandgewinnung handelte. Fahrner gewann dann auch räumlich Distanz zu den Nazis. Er hatte in Heidelberg griechische Studenten kennengelernt, darunter Schüler von Panagiotis Kanellopoulos, der bei Gundolf studiert und George ins Griechische übersetzt hatte. Einer dieser Studenten, Dimitrios Kapetanakis, lud ihn im Frühjahr 1936 nach Athen ein, wo Fahrner von Plänen erfuhr, ihn auf eine Deutsch-Professur zu berufen. Es folgten 1937 noch Verhandlungen mit dem Ministerium und Verzögerungen, so daß sich der Aufbruch nach Griechenland bis zum Herbst 1939 verschob. Fahrner hat die Zeit nach Heidelberg und vor Athen als drei freie Jahre bezeichnet, in denen er reiste und sich mit Mehnert und den Stauffenbergs dem Aufbau des Delfin-Verlags widmete. Der Name ‚Delfin‘ leitete sich von ‚ad usum delphini‘ her. Dieser Verlag sollte die Erziehung der Jugend im Sinne der Dichtung Georges fortsetzen. Es sollten daher vor allem Schriften publiziert werden, die den klassischen kanonischen Texten und Autoren galten, um sie der Jugend als vorbildlich zu vermitteln. Sicher zentral war unter den „delfinischen Arbeiten“, wie Fahrner 40 41 42 43

Rudolf FAHRNER, Die Dichtung im deutschen Schicksal, unpubliziert, StGA. Vgl. BUSELMEIER, Von deutscher Art, S. 65. So aber die These bei RIEDEL, Geheimes Deutschland, S. 187 f. Vgl. KARLAUF, Stefan George, S. 618. Mehnert war kein Parteimitglied, ein Freund soll es ihm im Auftrag Georges ausgeredet haben.

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selbst seine Tätigkeiten für den Verlag nannte, die mit Mehnert gemeinsam betriebene Übersetzung der Odyssee. Fahrner hat zu dieser Zeit unter anderem aber auch ein Buch über Ernst Moritz Arndt publiziert, das das Konzept des geschichtsmächtigen Täters, wie es Gundolf, Kommerell und andere Kreisautoren vorher verwendet hatten, auf eine weitere Gestalt der deutschen Geschichte projizierte.44 Jetzt und später stand aber immer wieder vor allem Homer im Mittelpunkt der Arbeit, gerade auch in Griechenland. Fahrner stellt Mehnert gar in direkte Nachfolge Winckelmanns und sagt in den Erinnerungen von ihm, er habe homerisch gelebt.45 Homerische und delfinische Arbeiten werden für Fahrner fast synonym, er wollte aktuelle Arbeiten aus dem Vergangenheits- und Traditionsbezug heraus begründen, wie es in Georges Kreisen üblich war. Schließlich ging er selbst nach Athen. Die geistige Atmosphäre der Stadt verglich er mit dem Heidelberg seiner Studienzeit.

3. Professor in Athen und Präsident des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts (DWI) Der Gründung des DWI ging die erwähnte Berufung auf die Professur für Deutsche Sprache und Literatur an der Universität Athen voraus, eine Staatsvertragsprofessur, die Fahrner im Herbst 1939 auf Vorschlag des Reichsministeriums antrat.46 Er setzte dort auch als akademischer Lehrer seine AntikeStudien fort, unternahm Wanderungen und neugriechische Sprachübungen, später ging er an die Übersetzung des Dialogos von Dionysios Solomos. Fahrner ergänzte seine bildungshistorischen Griechenlanderfahrungen Stück für Stück um Erkundungen des modernen Griechenlands. Aber aus dem Vorwort der Solomos-Übersetzung spricht noch der Georgeaner. So schreibt er, „allein die Sprache der Dichtung“ könne ein Volk „zu höherem Leben befähigen“. Der Dialog des Solomos „sei die geistige Urkunde des neuen Griechenlands“.47 Der Dichter ist als kultureller Gestalter auch ein politischer 44 Vgl. BUSELMEIER, Von deutscher Art, S. 65. 45 Vgl. FAHRNER, Erinnerungen, S. 170. 46 Es ist nicht ganz klar, warum Fahrner vom Ministerium vorgeschlagen wurde, nachdem er doch in Heidelberg aus politischen Gründen entlassen worden war. Zwar hat er im Ministerium Mitarbeiter, die ihm gewogen sind und bleiben, so etwa ein Herr Scurla, aber man wußte dort natürlich auch um seinen SA-Austritt. Hausmann vermutet, man habe Fahrner in Berlin so loswerden wollen. Vgl. HAUSMANN, Auch im Krieg schweigen die Musen nicht, zu Fahrner in Athen S. 238-255, hier S. 242. Im vorl. Band S. 53 ff. 47 Neugriechisches Gespräch, Einführung ohne Seitenzahl. Solomos (1798-1857), ein Klassiker der griechischen Lyrik, verfaßte Gedichte zum Freiheitskampf der Griechen

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Führer für Fahrner, der sich hier ganz in die Linie stellt, die der George-Kreis für einige wenige hervorragende Dichter wie Dante, Shakespeare, Goethe, Jean Paul, Hölderlin und George selbst vertrat. Dem wäre es allerdings sicher nicht recht gewesen, Solomos in den Olymp der großen dichterischen „Gestalten“ aufzunehmen. Ein weiterer Grund für Fahrners Interesse an dem Text mag die Gesprächsform gewesen sein, die sich am großen Vorbild der dialogisch-dialektischen Philosophie Platons orientiert, die für die Georgeaner von kaum zu überschätzender Bedeutung war, was bei Fahrner fortwirkte. Fahrners Antrittsvorlesung an der Athener Universität mit dem Titel „Goethe, Friedrich der Grosse und die deutsche Bildung“ wurde gut aufgenommen. Fahrner führt in seinen Erinnerungen spätere Kontakte u.a. auf diesen ersten Auftritt zurück.48 Ein anderer Gelehrter aus dem weiteren GeorgeUmfeld allerdings nahm die Rede sehr kritisch auf: Fahrner berichtet, daß Helmut von den Steinen ihm heftige Vorwürfe wegen seiner nationalistischen Darstellung gemacht habe, was für die Rede auch nicht auszuschließen ist. Fahrner bekam in der Folge rasch Kontakt zu griechischen Studenten und Intellektuellen. Zwei Gelehrte sind hervorzuheben: Linos Politis gab ihm Sprachunterricht und vermittelte ihm die neuere griechische Literaturgeschichte. Christos Karouzos, später Direktor des griechischen Nationalmuseums, führte ihn in Kultur und Literatur des modernen Griechenland ein. Auch mit den Ehefrauen beider, der Archäologin Semni Karouzou und Ioanna Politou, war er befreundet. Wohl jetzt erst bekam das Griechenland des 20. Jahrhunderts für Fahrner eine eigenständige Kontur, die nicht gänzlich von der Antike abhängig war. In der Lehre kreiste er aber bezeichnenderweise um das Thema „Der hellenische Geist in der deutschen Wiedergeburt“.49 Fahrner sah seinen Auftrag auch darin, über die deutsche AntikeRezeption den modernen Griechen ihre eigene Vergangenheit als „Grundelement ihres gegenwärtigen Lebens“50 zu vermitteln. Er nannte das – wie bereits unter den Philhellenen des 19. Jahrhunderts Gang und Gäbe – eine „zurückstrahlende Hilfe“.51 Man kann hier eine Verbindung von AntikeRezeption und Nationalerziehung erkennen, wie sie den Georgeanern des ‚Geheimen Deutschland‘ vorschwebte. Er setzte den kulturpolitischen Ansatz des George-Kreises fort, indem er die Bestrebungen, die deutsche Kultur vor

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u.a. die neugriechische Nationalhymne („Hymne an die Freiheit“). Er ist Erneuerer der poetischen Sprache. FAHRNER, Erinnerungen, S. 189 ff. – Beim Thema ist bemerkenswert, daß Friedrich Gundolf 1931 eine Schrift unvollendet diktiert hat, die den Titel „Friedrichs des Großen Schrift über die deutsche Literatur“ trägt. Laut seiner Frau Elisabeth hatte Gundolf diesen Text aber nicht vorgetragen, Fahrner kannte ihn somit vermutlich nicht. Vgl. GUNDOLF, Friedrichs des Großen Schrift. FAHRNER, Erinnerungen, S. 196. FAHRNER, Erinnerungen, S. 197. FAHRNER, Erinnerungen, S. 197.

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den Verheerungen der Modernisierung durch den ästhetischen Konservatismus zu retten, zumindest prinzipiell auf das moderne Griechenland übertrug. Wenigstens nach eigener Einschätzung stieß er damit auf große Resonanz. Allerdings kam es zu Weihnachten 1939, als Fahrner nach Deutschland reiste, zu einer etwas kuriosen Szene. Der offensichtlich beliebte Fahrner wurde von einer Studentengruppe verabschiedet, die jedoch auf die Frage, womit der Professor sie am meisten beeindruckt habe, antwortete: „Das war damals, als Sie uns zwei Stunden lang den spanischen Stierkampf erklärten.“52 Auch solche Erfolge konnte Fahrners Kulturarbeit haben. Mit seinem Freund Mehnert und mit Gemma Wolters-Thiersch, die ihn im Januar 1940 in Griechenland besuchten, unternahm er, neben der ständigen Arbeit an der Odyssee-Übersetzung und anderen Arbeiten, in seiner Freizeit Wanderungen zum Olymp oder nach Epidauros. Es wurde ein „Theseuszug“ unternommen,53 auf dem der Weg nachgewandert wurde, den Theseus auf der Suche nach seinem Vater eingeschlagen haben soll. Man besuchte Marathon und Salamis: Fahrners Aneignung Griechenlands stand immer noch weitgehend unter den Vorzeichen des Klassizismus, wenn man darunter die differenzarme Verehrung der griechischen Antike versteht, wie sie sich in den Erinnerungen niedergeschlagen hat. Die Dreier-Gruppe stieg in die Höhle des Pan, baute Altäre, auf denen Brandopfer aus Kräutern dargebracht wurden, und in der Bucht von Koronis wurde die gleichnamige Nymphe durch Bäder und Tänze geehrt.54 Über seinen Freund Mehnert schreibt er, daß er ihm „damals an Wuchs und Gestalt und an Haltung und Gebärde wie die Wiedergeburt eines antiken Heroen erschien.“ So wundert es wenig, daß diese beiden spätgeborenen Griechen deutscher Herkunft auch „[i]n schönem Abendlicht […] im großen Theater [standen], […] Verse her[sagten] in der Orchestra, staunend wie gut sie auch leise gesprochen zu verstehen waren, von der obersten Sitzreihe an. Schon im Dunklen, sammelten wir uns Gezweig für ein Lager mitten in der Orchestra, der volle Mond stieg auf und ließ den Theaterkreis noch einmal in seinem Licht erstehen und schaute dann wohl auf unseren tiefen Schlaf herunter.“55 Die Szene ist hoffnungslos sentimental und romantisiert, doch gerade deshalb ganz bezeichnend für Fahrners Griechenlandaneignung, die sehr stark durch sein Selbstbild geprägt war. Ein anderes Mal wanderten die Griechenlandjünger auf den Spuren eines Spartanerheeres und versuchten so, sich in das historische Griechenland einzufühlen. Marathon und Salamis wurden gleich mehrfach besucht, „alte […] Berichte vom Gang der Schlacht [wurden] mit der Landschaft vor unseren Augen“ verglichen. Die Salamis-Schlacht wollten sie aus der Überlieferung re52 53 54 55

FAHRNER, Erinnerungen, S. 197. FAHRNER, Erinnerungen, S. 202. FAHRNER, Erinnerungen, S. 199 f. FAHRNER, Erinnerungen, S. 201.

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konstruieren, Heeresbewegungen wurden nachgelaufen. „Franks Sinnen hatte eine Art, die lange Vergangenes und die darin waltenden Bewegungen und Spannungen zu herzberückender Gegenwart machte.“56 Der Eurotas wurde von ihnen zum Teil nackt durchschwommen, eine „arkadisch[e] Gesinnung“, die an die Goethe-Rezeption der Jugendbewegung erinnert. Touristische Stätten wurden von beiden bewußt gemieden, sie wollten allein der „großen Diotima“ gedenken und nach dem Ort suchen, wo Kleisthenes herrschte, den sie, wohl mit Herodot, als den Begründer der attischen Demokratie verehrten.57 Mehnert reiste schließlich erst Ende Juni 1940 wieder nach Deutschland. Klassik-Verehrung als Grundsatz gilt dann in gewisser Weise auch für die Gründung des DWI. An ihr hatte Fahrner anfangs wenig Interesse. Erst Mehnert motivierte ihn, indem er den Plan einer „Art Akademie“ entwarf, die zu „lebendige[n] Begegnungen“ führen sollte.58 Diese platonische Akademie wurde nicht realisiert, aber Fahrners Interesse an einem wissenschaftlichen Institut, das er weitgehend nach seinen Vorstellungen gestalten konnte, war geweckt. Nach dem deutschen Einmarsch in Griechenland durfte er im Juni 1941, nach Ferien am Bodensee, auf Weisung des Auswärtigen Amtes nicht nach Athen zurückkehren. Erst im darauffolgenden Sommer reiste er wieder nach Griechenland. In der Zwischenzeit hatten im Auswärtigen Amt Besprechungen zur Gründung eines Athener DWI stattgefunden, bei denen Fahrner den Musikwissenschaftler Thrasybulos Georgiades und einen Griechen namens Dounias als Mitarbeiter vorschlug, was sich letztlich nicht realisierte. Als er endlich wieder in Athen ankam, war sein Haus besetzt, und auch das führte dazu, daß er die Pläne eines DWI weiter vorantrieb. Er bekam schließlich die ehemalige jugoslawische Botschaft zugewiesen, gewann Mitarbeiter und konnte Seminare aus der geschlossenen Universität dorthin verlegen. Im Oktober 1941 wurde er zum Präsidenten ernannt. Das Institut eröffnete still mit Rudolf Grimm und Eberhard Zeller als Leiter der Abteilungen Ausland (Grimm) und Wissenschaft (Zeller). Zeller war ein Mediziner, den Fahrner in Marburg kennengelernt hatte. Fahrner holte den Studienfreund aus dem Kriegsdienst nach Athen. Nach dem Krieg schrieb Zeller mehrere Bücher und Aufsätze über den deutschen Widerstand um die Brüder Stauffenberg.59 Grimm war Germanist aus Jena, der sich vor allem erfolgreich um die Vermittlung von griechischen Studenten nach Deutschland kümmerte. Er wurde von Fahrner als „vorzüglicher“ Philologe und Pädagoge geschätzt.60 Die 56 57 58 59 60

FAHRNER, Erinnerungen, S. 204. FAHRNER, Erinnerungen, S. 204. FAHRNER, Erinnerungen, S. 204 f. Vgl. u.a. ZELLER, Geist der Freiheit; DERS., Oberst Claus Graf Stauffenberg. HAUSMANN, Auch im Krieg schweigen die Musen nicht, S. 238 und 246; FAHRNER, Erinnerungen, S. 208.

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Aufgaben des Instituts waren Sprachunterricht, Vorträge, Konzerte und Ausstellungen, vor allem aber auch die Vermittlung von Gelehrtenkontakten mit den Schwerpunkten Archäologie, griechische Philologie und Volkskunde. Diese Kontakte gediehen recht gut über die Jahre der Besatzung. Fahrner nennt das Spektrum der Vorträge „beachtlich“. Die meisten Gastredner suchten auch explizit den „Bezug zum Gastland“.61 Fahrner strebte trotz des Kriegs- und Besatzungszustands eine vertiefte deutsch-griechische Zusammenarbeit an, wobei ihm sicher zugute kam, daß sein antikisierender Philhellenismus auch auf Griechen traf, die sich für deutsche Kultur begeisterten und sich so ein „eigene[r] Kosmos“ bildete.62 Ein Beispiel für die Arbeit des DWI waren etwa die gutbesuchten Vorträge des Fahrner-Freundes und Altertumswissenschaftlers Alexander von Stauffenberg, dem Bruder von Claus und Berthold, den Fahrner nicht ganz uneigennützig eingeladen hatte. Er sprach über „Themistokles“ und über „Tragödie und Staat im werdenden Athen“.63 Zwei weitere Vortragsreihen, an die sich Fahrner selbst besonders gut erinnert, waren die des Architekten und Landschaftsschützers Alwin Seiffert [!], der sich den Problemen der Wasserwirtschaft Griechenlands zuwandte und damit ganz praktische Kontakte aufbaute. So stellt es sich zumindest in den Erinnerungen dar. Gemeint ist vermutlich Alwin Seifert, der sogenannte ‚Reichslandschaftsanwalt‘ der Nationalsozialisten, ein einflußreicher Mitarbeiter Fritz Todts, der seinen Einsatz für den Umweltschutz mit nationalsozialistischem Engagement verband. Seifert stammte aus dem Landschaftsbau, plädierte für eine landschaftsverträgliche Wasserwirtschaft und, in der Organisation Todt, für eine Anpassung der Autobahnen an landschaftliche Gegebenheiten. Nach seiner Entnazifizierung wurde er in der BRD einer der Gründerväter des ÖkoGartenbaus.64 Fahrner hatte also auch regime-nahe Wissenschaftler zu Gast. Prof. Werner Zabel, in der späteren Bundesrepublik ein anerkannter Vertreter der ganzheitlichen Medizin, referierte über „Biologisches Denken in der Medizin“ und über den „Stand der heutigen Ernährungswissenschaft“, auch dies ein offensichtlich weniger auf Kultur- denn auf praktischen Wissenstransfer bedachter Redner. Fahrner selbst sprach beispielsweise über „Neugriechenlands Kampf um seine geistige Wiedergeburt“ oder „Die Bedeutung der deutschen Dichtung und Wissenschaft der Goethezeit für die geistige Selbstgestaltung Neugriechenlands“ und sorgte damit für die eigentlichen Kulturthemen aus seiner ganz eigenen Sicht. Die Tätigkeitsberichte Fahrners sind weitgehend verloren. Hausmann rekonstruiert jedoch unter anderem Vorträge des Historikers Otto Brunner, des Germanisten Heinz Kindermann und des 61 62 63 64

Vgl. HAUSMANN, Auch im Krieg schweigen die Musen nicht, S. 248. HAUSMANN, Auch im Krieg schweigen die Musen nicht, S. 246. Vgl. auch STAUFFENBERG, Macht und Geist, S. 122-139 und S. 41-61. Dazu RADKAU, Natur und Macht, S. 296 ff.

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Organisators der Olympischen Spiele 1936, des Vorsitzenden des Deutschen Olympischen Komitees Carl Diem.65 Das Themenspektrum des DWI war also in der Tat sehr breit.66 Das Institut pflegte auch die Kontakte zu griechischen Gelehrten vor Ort, vor allem zu Archäologen, Philologen, Volkskundlern oder zu dem Astronomen Plakidis. Die deutsche Besatzung zwang Fahrner schließlich zu einer eindeutigeren politischen Handlungsweise. Er setzte sich mehrfach für die griechische Bevölkerung und gegen die Militärverwaltung ein. Besonders der Hunger machte der Bevölkerung schwer zu schaffen. Fahrner engagierte sich nach Kräften zu helfen, wo es ihm seine Kontakte zum deutschen Gesandten oder zum Militär, bei dem er Vorträge hielt, ermöglichten. Seine national gefärbten Studien zu Arndt und Gneisenau erwiesen sich hier als hilfreich. Fahrner bemühte sich, wie er schreibt, etwa um die Versorgung der hungernden Bevölkerung von Kreta, der die deutsche Besatzungsmacht gezielt das Olivenöl wegnahm und „ins Reich“ importierte. Zwei andere Georgeaner, dies nebenbei, engagierten sich ebenfalls, wenn Fahrners Bericht hier stimmt, was zu vermuten ist: Robert Boehringer, der Erbe Georges, wirkte von Genf aus für das Rote Kreuz, und der Völkerrechtler Berthold Stauffenberg, der beim Oberkommando der Marine als Berater für Seekriegsrecht, später im Rang eines Marineoberstabsrichters, seinen Dienst versah, kümmerte sich nach Fahrner um die Absicherung der Seehilfslieferungen.67 Ebenfalls setzte Fahrner sich mehrfach für griechische und deutsche Gelehrte und Bekannte ein, wenn sie in Haft gekommen waren. Ein Arzt namens Psaromitas, der sich gegen unverhältnismäßige Härten der deutschen Besatzungsmacht gewendet hatte und dem DWI freundschaftlich verbunden war, wurde nach Fahrners Bericht von ihm und Zeller vor dem Erschießungskommando gerettet. Fahrner hatte seine Kontakte zum kommandierenden General Felmy genutzt. Auf ähnliche Weise wurde ein junger Altphilologe, Immanouil Kriaras, aus deutscher Haft befreit. Und sogar der Dekan der philosophischen Fakultät kam aus der Gestapohaft frei, weil Fahrner und die deutsche Gesandtschaft sich für ihn einsetzten.68 Sicher spielte dabei eine Rolle, daß Fahrner ein immer intensiveres Verhältnis zu Griechenland und zu griechischen Freunden gewann, wobei er zugleich immer stärker auf Distanz zur Wehrmacht und dem Nationalsozialismus ging. Seine griechischen Freunde wußten das zu würdigen, besonders auch die, die sich dem Widerstand angeschlossen hatten. So war er etwa beispielsweise zu einem familiären Fest im Umland Athens eingeladen, an dem auch Partisanen teilnahmen. In der „schärfsten Hungerzeit“ wurde er von dem Bauern und Hirten 65 66 67 68

Vgl. HAUSMANN, Auch im Krieg schweigen die Musen nicht, S. 248 ff. FAHRNER, Erinnerungen, S. 210 f. FAHRNER, Erinnerungen, S. 215. FAHRNER, Erinnerungen, S. 212 f.

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Panagiotis mit Lebensmitteln versorgt.69 Dieser Freund aus der ländlichen griechischen Bevölkerung war Partisane. An ihm zeigt sich sozusagen in Person, daß Fahrner in den Besatzungsjahren nicht nur auf deutlichen Abstand zum deutschen Regime gegangen ist. Er hatte neben seinen intellektuellen Freunden im Lauf der Zeit durchaus Freundschaften mit der einfachen Bevölkerung aufgebaut. All das zeigt, daß Fahrners Kulturvermittlung gerade in den Besatzungsjahren Erfolge hatte und auch erkannt wurde, daß es eine gewisse politische Intention dabei gab. Vielleicht hat ihn seine zunehmende Information über die Pläne für den 20. Juli 1944, die er bei seinen Deutschlandreisen durch Berthold und Claus von Stauffenberg bekam, nur noch bestärkt: Als in Deutschland der Tyrannenmord geplant wurde, war Griechenland, antik wie modern, auch eine Art geistige Zuflucht und kultureller Halt in schwierigster Zeit. In seinen Erinnerungen zitiert Fahrner aus der Lyrik Alexander von Stauffenbergs, in der dieser ein österliches Bad im Meer verewigt hat. Dort heißt es im Gedicht „Marathon“: So raubten wir uns einen tag des glanzes Und flohn aus scham und bitternis der zeit Zur stätte einst berauschten waffentanzes Zu einem totenhügel geistgeweiht Im Euripos abspülend trug und lügen Den blick hinüber auf den zackigen kamm Genossen wir in vollen trunknen zügen 70 Des ortes würzwein und das osterlamm.

Der Text bedarf keiner weitgehenden Interpretation. Es ist offensichtlich, daß dieses Gelegenheitsgedicht bemüht ist, einerseits die Stimmung des Bades festzuhalten und sie andererseits gegen das Heute zu setzen. Lug, Trug, Scham und Bitternis können für einen kurzen gelingenden, fast kairos-artigen Moment vergessen werden, indem die beiden Männer sich in die antike Vergangenheit flüchten. In dieser Art Zeit- und Kulturkritik werden die negative Gegenwart und das antike Griechenland bewußt als Antagonismen so gegeneinander gestellt, daß das Vergangene zum eigentlich Realen wird. Die Zeit in Athen endete für Fahrner nach dessen eigenem Bericht, als er am 28. Juni 1944 von Claus von Stauffenberg nach Berlin gerufen wurde, um beim Attentat auf Hitler zu helfen.71 Nach dem Scheitern des Anschlags konnte ihm keine Beteiligung nachgewiesen werden. Sein Freund Alexander von Stauffenberg, ehemals Gast in Athen, kam als einziger der drei Brüder 69 FAHRNER, Erinnerungen, S. 226 und 233. 70 FAHRNER, Erinnerungen, S. 227. 71 So der Bericht, FAHRNER, Erinnerungen, S. 235.

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Stauffenberg, die alle durch die Person und Dichtung Georges mitgeprägt waren, mit dem Leben davon; er war auch nicht am Attentat beteiligt. Es ist sicher überzogen, von der Lyrik und dem Ethos Georges aus eine direkte Linie in den deutschen militärischen Widerstand zu ziehen. Dazu hat sich George nicht eindeutig genug geäußert, dazu läßt seine politische Lyrik seit dem Siebenten Ring zu viele Deutungsoptionen offen, dazu hat es auch zu lange gedauert, bis es zum Attentat kam. Dennoch ist es so, daß das durch den George-Kreis geprägte Denken und die daraus resultierende Lebensführung den Stauffenbergs und auch Fahrner die Entscheidung erleichtert hat, sich zum Widerstand zu entschließen. Nach Griechenland kehrte Fahrner zumindest in offizieller Funktion als Kulturvermittler nicht mehr zurück. Abschließend kann man festhalten, daß vor Athen der Philologe, Wanderer und Reisende Fahrner eher vom Rhein, von Italien und besonders Spanien fasziniert gewesen war. Griechenland nahm er mit dem antikisierenden Blick des George-Schülers und aus der Perspektive einer pädagogischen Nationsbildung wahr. Erst seine Lehrtätigkeit in Athen führte zu einer stärkeren Annäherung an das moderne Griechenland. Die Besatzungserlebnisse, Hunger und Not der Griechen prägten ihn. Aber es blieb auch hier eine letztlich antikisierende Sicht auf die griechische Kultur maßgeblich. Fahrner widmete sich als DWI-Präsident zwar stärker der aktuellen Kulturarbeit und übersetzte auch neugriechische Dichtung. Insgesamt aber blieb das Bild des antiken Griechenland aus dem George-Kreis für Fahrner gültig, auch wenn es durch seine Kontakte zu Griechen erweiterte wurde. In Land und Menschen erblickte er Hellas, dem schon als Student und mit George ewig seine Liebe galt.

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,Geheimes Deutschland‘ im besetzten Athen? Erinnerung an meine Arbeit im DWI und an Rudolf Fahrner1

Weit weg von Deutschland – als freier Mensch „Hunger? Wenn ich dahin dürfte, ich ginge sogar zu Fuß und würde dort auch noch gerne hungern“, sagt Robert Lichtherz, mein Nachfolger als Hilfsassistent im Seminar. Professor Witte beglückwünscht mich und sagt „Sie passen gut dahin“. Manche Kommilitonen bedauern mich aber auch. Wochenlang berichteten Zeitungen über die Hungerkatastrophe in Griechenland. Zigtausende starben allein in Athen in diesem ersten Winter nach der Besetzung Griechenlands durch die Italiener und die Deutschen. Was würde wohl mein alter Griechischlehrer Carl Hunnius zu alle dem sagen! Ich beschließe, ihm in Athen gleich einen Brief zu schreiben. Er, der nie in Griechenland war, brachte es mir wie kein anderer im Geiste nahe. Da war allenfalls noch der Dichter Friedrich Hölderlin, dessen Roman Hyperion ich zweimal gelesen hatte. Wird die Realität des neuen Hellas meinen Erwartungen standhalten? Darüber aber denke ich jetzt nicht länger nach. In meinen fünf Tagen unterwegs dorthin dominiert die Vorfreude auf ein neues Leben. Die Strapazen der Bahnfahrt mit mehreren Unterbrechungen, großenteils auf den Gleisen des hier schon vor fünfzig Jahren schneller und komfortabler dahingerollten Orient-Express Paris-Istanbul, können ihr nichts anhaben. Am Morgen des 18. Mai ist das erste ersehnte Ziel erreicht: Mit weiß-silbernen Schaumkronen übersät liegt das Ägäische Meer vor mir. Ich sorgte schon zu Hause für diesen Anblick vor und ziehe jetzt aus der Innenseite meines Mantels an der Abteilwand eine Sammlung von Gedichten Hölderlins. Ich finde in dem Band ein Lesezeichen zwischen zwei Seiten. Da ist die Rede vom Frühling, in dem sich das Herz erneut und der Reisende an südlichen Gestaden sieht, daß von den blühenden, von Lorbeeren umdämmerten und rings von Strahlen umblühten Inseln des Archipelagus noch keine verloren ist. „Wo sein einsames Haupt in Wolken der heilige Berg hüllt, zum Parnassos will ich… Auch möchte ich bei Sunion oft landen, den stummen 1

Die folgenden vier Abschnitte sind meinem umfangreicheren, noch unveröffentlichten autobiographischen Manuskript „Davongekommen! Ein Vierteljahrhundert Zeitgeschichte, erlebt in vier Ländern“ entnommen. Der Titel wurde für die Teilpublikation gewählt.

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Pfad nach deinen Säulen fragen, Olympion!“ Alles das gewinnt jetzt eine neue Dimension. Es ist dann aber doch eine Überraschung, als ich auf der anderen Seite des Zuges plötzlich den Olymp bemerke. Er ist gewaltiger und langgestreckter, als ich ihn mir in der Schulzeit vorstellte. Ganz oben auf ihm liegt noch Schnee. Wie der Parnassos ein heiliger Berg! Jetzt so nahe! In der letzten Nacht spüre ich bei zwei langen Aufenthalten zum ersten Mal den heißen Wind des Frühlings über dem Land. Ein Wind, der wie von weit her anmutet, rauscht in den Bäumen hinter den Gleisen, als wir in Larissa einen langen Militärtransport vorbeilassen müssen. Ich reise in einem aus Müdigkeit und angespannter Erwartung gemischten Rauschzustand. In der Wirklichkeit bin ich erst wieder ganz angekommen, als ich nach insgesamt 4000 Kilometern Reise in Athen auf den Bahnsteig trete. Vorher verdrängte ich wahrscheinlich auch den Gedanken an den möglichen ersten Eindruck von der ersehnten Stadt. Ich bin deswegen jetzt auch nicht überrascht, mit eigenen Augen zu sehen, was ich mir nach den Berichten der vergangenen Monate aus Griechenland hätte vorstellen können. Nach Jugoslawien bin ich hier noch eine Stufe tiefer auf der Skala der Realität der Auswirkungen des Krieges angekommen. Ein Hauch von Verwesung ist in der staubigen Luft. An den Türen und Durchgängen kauern bettelnde alte Männer und Frauen, auch Kinder in der Erwartung ankommender Reisender. Aber ich bin, wie mir nun auffällt, einer der wenigen Zugpassagiere, die aus einer so ganz anderen Welt kommen. Mir wird bewußt, daß ich auch im Zug schon unter den meisten Reisenden ein Fremdling war. So stellte ich mir manchmal auch den Orient vor. Die blühenden Inseln des Archipelagus können von hier nur sehr weit entfernt sein! Berlin liegt für mich jedenfalls gottseidank noch viel weiter entfernt. Auch der Orient soll mir jetzt recht sein. Was jetzt tun? Im Institut weiß man nicht, wann ich ankomme. Fahrpläne gibt es zwischen Wien und Athen nicht oder sie werden nicht eingehalten. Das erfuhr ich schon in Deutschland bei der Reichsbahn. Telefone? „Kaputt“ ist jetzt die Auskunft eines Stationsbediensteten. Von Taxis ist nichts zu sehen. Immerhin dient sich mir ein etwas Deutsch sprechender Gepäckträger an. Von ihm erfahre ich, daß es für Taxis in Athen kein Benzin gibt. Schließlich finde ich ein Schwarztaxi. Für dessen Fahrpreis wäre ich in Berlin zweimal durch die ganze Stadt gekommen. Doch der Gedanke an Berlin läßt ihn auch für eine Fahrt durch halb Athen gut sein. In der Stadt mildert sich der Eindruck vom Bahnhof. Sie wirkt vergleichsweise fast normal. In den Straßen herrscht reges Leben und Treiben. Die Menschen unterwegs sehen nicht notleidend aus, auch wenn im Vergleich zu Deutschland auffallend weniger gut ernährt. Da patrouillieren auch italienische Soldaten und Carabinieri in bester Gesundheit und Laune. Bald

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kreuzt auch der erste deutsche Besatzer meinen Weg – ein mit dienstbeflissener Miene dahinschreitender Wehrmachtsbeamter mit einer Aktentasche unter dem Arm – ein vertrauter Anblick aus Deutschland. Er ist ein kurioser Kontrast zu dem Anblick, der sich plötzlich und unerwartet durch eine Seitenstraße auf die Akropolis bietet – ein Bild, das ich immer mit dem Gedanken an Athen verband. Hoch auf braunen Felsen ragen die hellen Säulen und Friese des Parthenon-Tempels in den hohen Himmel. Ich bin also doch in Athen und nicht im Orient! Oder in beiden zugleich? Das werde ich wohl noch herausfinden müssen. Schließlich halten wir in einer stillen baumumsäumten Straße, der Odos Righillis, vor dem Haus Nr. 20A. An der Tür steht auf einer Bronzetafel „Deutsches Wissenschaftliches Institut“ und darunter „Γερµανικό Επιστηµονικό Ινστιτούτο“.

„Freundschaftlich einig im Weltverständnis“ „Des Lebens Karawane zieht mit Macht / Dahin, und jeder Tag, den du verbracht / Ohne Genuß, ist ewiger Verlust. – / Schenk ein, Saki! ...“ Diesen Spruch Omar Khaijams schrieb Anfang der dreißiger Jahre ein Vortragsgast der Baltenschule,2 Ludwig Klages, der um die Jahrhundertwende enge Verbindungen mit Stefan George hatte, in das Gästebuch meines Lehrers Bernhard Wittlich. Der zeigte mir die Eintragung ein paar Jahre später in einer unserer Gesprächsrunden. Daß ein etwa sechzig Jahre alter Philosoph so den Lebensgenuß pries, gerade auch mit der überraschenden Pointe des letzten Verses, gefiel mir ungemein – anfangs wohl vor allem das Poetische des Spruchs. Konkreten Inhalt bekam er erst durch die Begegnung mit Rudolf Fahrner. Eine Vorstellung habe ich von Fahrner schon, bevor ich nach Athen komme. Ich bin bei meiner Lektüre über George und seinen Kreis auch auf seinen Namen gestoßen. Dieser Zusammenhang vor allem interessiert mich von Anfang an an ihm. Schon früh bin ich ja durch meinen älteren Mitschüler HansHenning Hey’l auf George aufmerksam geworden und besitze inzwischen Georges sämtliche Gedichtbände. Von Fahrner fand ich vor meiner Abreise nach Athen etwas in der Seminarbibliothek, ein Buch über Ernst Moritz Arndt. Es enttäuschte mich, weil ich anderes erwartete. Für Arndt selbst interessiere ich mich nicht. „Der mit Spannung Erwartete! Willkommen!“ sagt Fahrner, als ich ihm das erste Mal gegenübertrete. Ich bin noch nie so begrüßt worden. Der Ju2

Baltenschule: Von Deutschen 1919 gegründete Privatschule in Misdroy (jetzt Miedzyzdroje) auf der Insel Wollin.

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gendlichkeit ausstrahlende Enddreißiger mit vollem, welligen Haar, fast so groß wie ich, nicht ganz so schlank, stellt mich dann sehr freundlich seinen Mitarbeitern, einschließlich Hausmeister, vor und führt mich durch das mehr wie eine elegante Villa als wie ein wissenschaftliches Institut wirkende Haus. Es wird bei alle dem auch eine kühle Gemessenheit meines neuen Chefs deutlich, die ich als Georgeaner-Habitus deute. Am nächsten Tag kommt zu dem ersten Eindruck noch etwas anderes, das mein Bild von ihm bleibend mitbestimmt. „Ο Πρόεδρος“, der Präsident, präsidiert auch der gemeinsamen Mittagstafel aller Institutsmitglieder. Er spielt dabei den Gastgeber und auch den Saki. Er schenkt allen das erste Glas Wein ein und übernimmt es auch, den von der Haushälterin Eleni auf den Tisch gebrachten Speisen mit Öl, Essig und Gewürzen den letzten Genußschliff zu geben. Alles das mit Stilsicherheit und liebenswürdiger Grazie. Solche gemeinsamen Mahlzeiten finden dann in unregelmäßigen Abständen statt. Sie haben immer etwas Festliches und sind für mich meist der Höhepunkt des Tages. Man spricht am Tisch weder über Dienstliches noch über Politik und den Krieg. Man erzählt von persönlichen Erlebnissen, Erfahrungen, Begegnungen, Entdeckungen. Und immer wieder ist Griechenland das Thema. Für den Chef ist es selbstverständlich, daß wir alle Philhellenen sind, jeder auf seine Art. Er gibt in souveräner Haltung den Ton an, sorgt für Substanz, läßt kein Schwadronieren aufkommen, was nicht ausschließt, daß wir fröhlich-lockerer Stimmung sind, Fahrner immer wieder auch laut lacht, stets Freude in den Augen. Es entspricht im übrigen seinem Stil auch, daß wir nicht in üppigem Essen schwelgen. Die Mahlzeiten sind eher frugal – Salat, Schafskäse, Oliven, Brot dazu, auch gedünstetes Gemüse, Reis. In einer großen Wasserschüssel mit Eisstücken, aus der man sich mit der Hand bedienen kann, schwimmen Pfirsich-, Aprikosen- und Melonenstücke und frische Feigen. Daß ein Essenstisch Tageshöhepunkt sein kann, wäre mir früher nicht in den Sinn gekommen, ja lächerlich erschienen. Ich trinke meist mehrere Gläser Wein. Mit der durch sie mitbewirkten heiteren Stimmung und schließlich auch Müdigkeit beende ich den ersten Teil des Tages und sinke in meiner nur fünf Minuten entfernten ersten Athener Unterkunft, direkt am Ufer des Ilissos, in den Nachmittagsschlaf. Erst um fünf Uhr muß ich wieder im Institut sein. Mit diesem Einschnitt, auch an Tagen, an denen ich allein oder mit Freunden esse, beginnt für mich ein neuer schöner und sinnvoller Tagesrhythmus. Nach ihm versuche ich fortan zu leben: In der zweiten Hälfte des Nachmittags fängt ein neuer Tag an. Der erlaubt auch einen längeren Abend, an dessen Ende noch einmal der Genuß von Wein zum Essen gehört, wie ich ihn von Fahrner nun gelernt habe. Schon in den ersten Wochen zeigt sich, daß wir in der Odos Righillis 20A eine harmonische Gemeinschaft sind. Mehr als ein halbes Jahrhundert später

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schreibt mir Eberhard Zeller,3 im Institut Leiter der Wissenschaftlichen Abteilung, wie er sich an „unsere gemeinsame Righillis-Zeit“ erinnert, „in der wir jeder von seinen Gaben und seinem Fach her in unserem Weltverständnis (welch anderer Welt!) freundschaftlich einig waren.“ Zeller, ein Mediziner, der mit Fahrner schon 1929, im Alter von 20 Jahren, persönlich bekannt wurde, verfaßt 1952 das erste Buch über die Verschwörer vom 20. Juli 1944, Geist der Freiheit. Der Chef zeigt beispielhaft, wie Geistigkeit, auch Professoralität, mit einer ästhetischen Lebensauffassung harmonieren können. Ähnlich wie Athen mit seinem Licht, dem klaren Himmel, dem in der Sonne leuchtenden Marmor, den hellen Farben des Hymettos, den ich auf meinen zwei täglichen Wegen ins Institut vor mir sehe, den Glyzinien, die in einer Seitenstraße der Odos Righillis an einer Mauer in langen blauen, weißen und lila Trauben blühen, vermittelt mir auch Fahrners Persönlichkeit so etwas wie ein neues Lebensgefühl. Das bewußt Stilisierte an ihr, das sie mit der Georges gemeinsam hat, verstärkt diese Wirkung noch. Ein Georgeaner werde ich bei alle dem allerdings nicht. Das hat man ja nur durch George selbst werden können. Doch sein mir schon lange vertrauter Geist nimmt jetzt in manchen Zügen und Verhaltensweisen Fahrners neue Gestalt an und gewinnt damit für mich auch neue Bedeutung. Fahrner macht mir zum ersten Mal bewußt, daß es ein Lebensgefühl wesentlich bestimmt, wovon man sich fernhält – nämlich von Ungeist und Unsauberem jeder Art, von Läppischem, von Anpassung an Gängiges, vom Zeitgeist. Besonders dies schließt wohl auch Zellers Feststellung des gemeinsamen „Weltverständnisses“ ein. Mir kommt eine bei Hugo von Hofmannsthal gelesene Stelle in Erinnerung. „Der Adel eines Menschen bemißt sich daran, was er von seinem Leben ausschließt.“ Zum Geist des Hauses trägt auch der Assistent Fahrners in dessen Eigenschaft als Professor an der Universität Athen bei. Peter Coulmas gehört zwar formell dem DWI nicht an, doch hier ist sein Arbeitsplatz. Als Grieche, der in Deutschland aufgewachsen ist und studiert hat, ist er ein perfekter Mittler zum potentiellen intellektuellen Umfeld. Auch privat ist er als das schon eine Institution. Ich komme über Coulmas, der jünger als Fahrner und Zeller ist, aber älter als ich, in ein Milieu geistiger Lebendigkeit, wie ich es noch nicht kannte. Auch das Institut profitiert von seinen privaten Kontakten sehr. Um ihn herum bildet sich ein Freundeskreis. Man diskutiert, man liest sich vor, man feiert bei Essen und Trinken. Der Vorschlag „να κάνουµε παρέα“ – „machen wir etwas zusammen“ – wird stets schnell realisiert, in der

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Eberhard Zeller, geboren 1909, Studium der Gynäkologie, danach Medizinhistoriker. 1942 von Fahrner aus dem Kriegsdienst nach Athen geholt. Gestorben 2004 in Friedrichshafen am Bodensee.

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Wohnung von Coulmas und seiner Mutter, bei seiner Freundin Nelly, in einer Taverne. Es kommen nicht immer dieselben jungen Frauen und Männer. Ich bin jedenfalls der einzige Deutsche. Ostern 1943 machen wir zu zehnt einen dreitägigen Ausflug nach Kiourka, einem Dorf am östlichen Parnes oberhalb von Marathon, wo wir im Landhaus des Vaters eines ,Parea‘-Mitglieds unterkommen. Als Coulmas bald danach Griechenland verläßt, endgültig nach Deutschland, zu den „Hyperboreern“, zurückkehrt und dort sein Studium fortsetzt, ist das nicht das Ende dieser Freundschaften und Bekanntschaften. Bald fahren wir wieder nach Kiourka, und es entwickeln sich innerhalb der ,Parea‘ auch engere Beziehungen. Kostas Maroudis, Absolvent eines Jurastudiums, der unsere Seminare besucht und an der „Deutschen Akademie“ in der Odos Sina Sprachkurse leitet, wird nach Coulmas mein bester Freund. An kühlen Abenden diskutieren wir manchmal im Institut am brennenden Kamin und bei einer Karaffe Retsina. Einmal sagt er: „Was braucht man zum Glücklichsein mehr als so am Feuer zu philosophieren!“ Ein anderes Mal nennt er unser Institut eine einzigartige Oase in dieser Kriegszeit. Coulmas’ Abschied von Athen hat auch damit zu tun, daß Fahrner und er als sein Assistent an der Universität keinerlei Funktion mehr haben, sie ist großteils seit 1941 geschlossen. Sie ist seit 1941 geschlossen. Allerdings waren die Seminare von Coulmas, der 1939 in Hamburg mit einer Arbeit über „Fichtes Idee der Arbeit“ promoviert wurde, im Institut bei den Besuchern besonders gefragt. Eines galt der Staats- und Gesellschaftslehre der deutschen Romantik. Sie wurde später auch das Thema seiner Habilitationsschrift, ebenfalls an der Philosophischen Fakultät in Hamburg. Gern zitiert werden in Athen weiterhin seine pointierten und treffenden Kennzeichnungen. So antwortete er einmal einer neuen Studentin auf die Frage, was denn dieses Institut eigentlich genau sei: „Eine Sinekure“. Das gefällt auch dem Präsidenten, als ich es ihm erzähle. Gearbeitet im strengen Sinne des Worts wird in ihm tatsächlich kaum. Nur ich bin bis zum Sommer 1943 eine Ausnahme mit meinen vielen jungen griechischen Besuchern, die in Deutschland studieren wollen. Unsere Sinekure ist natürlich durch die Besatzungssituation bedingt. Sie schränkt unsere Aktivitätsmöglichkeiten sehr ein. Jedenfalls bleibt Fahrner und seinen Mitarbeitern mehr oder weniger viel Zeit, ihre persönlichen geistigen Interessen zu pflegen. Der Präsident arbeitet weiter an einer vorher begonnenen Übersetzung des „Dialogs“ des griechischen Dichters Dionysios Solomos aus dem Jahre 1823, eines wichtigen Werks im Kontext des Befreiungskampfes gegen die Osmanische Herrschaft. Er nimmt auch seine Übersetzung von Homers Odyssee wieder auf, von der er schon 1941 drei Gesänge veröffentlichte. Der deutsche Gesandte in Athen, Günther Altenburg, hat nicht nur Verständnis hierfür. „Etwas Besseres können Sie jetzt garnicht

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tun“, sagt er ihm. Ich mache mich an die Übersetzung neugriechischer Gedichte und, zusammen mit einer Studentin, an die des Versepos Ο Δωδεκάλογος του Γύφτου (Die Zwölf Gesänge des Zigeuners) von Kostis Palamas aus dem Jahr 1899. Fahrners Vorträge und Seminare sind jedenfalls stets sorgfältig vorbereitet. Ein Jahr lang hält er ein Seminar über Goethes Westöstlichen Divan. Er zieht viele Griechen von Niveau ins Institut. Einige der jungen Männer machen nach dem Krieg eine beachtliche Karriere – Maroudis als Staranwalt, andere mit Publikationen, einer bringt es im auswärtigen Dienst bis zum Botschafter in Brüssel.4 Warum das gegenwärtige Deutschland und der Krieg für den Chef offenbar grundsätzlich kein Gesprächsthema sind, wird erst später ganz verständlich. Bei den Griechen, die ihm begegnet sind, ist er jetzt jedenfalls der am meisten geschätzte Deutsche in Athen. Institutsbesuchern fällt in unserer Bibliothek bei genauerem Hinsehen auf, daß sie keine Bücher nationalsozialistischer Autoren enthält, wohl aber drei Ausgaben der Werke Heinrich Heines. Es gibt im Hause auch kein Bild Adolf Hitlers. Als das einmal dem Vertreter einer Behörde bei einem Besuch auffällt, begründet Fahrner, wie ich später erfahre, das damit, daß für Athen natürlich nicht einfach ein Foto in Frage komme, sondern nur eine Büste von einem namhaften Bildhauer, und die sei schwer zu beschaffen. Wenn vom Geist in der Odos Righillis 20A die Rede ist, bietet sich auch das Urteil an, zu dem lange nach dem Krieg der Freiburger Professor FrankRutger Hausmann nach seinen Recherchen über die Deutschen Wissenschaftlichen Institute in 14 europäischen Hauptstädten kommt: „Das Athener DWI unterschied sich [...] von allen anderen seines Namens, denn es darf wegen der Persönlichkeit seines Leiters und seiner Mitarbeiter, die ihm nahe standen, als eine Schaltstelle des Widerstands bezeichnet werden.“ Der Autor nennt auch mich einen Mitarbeiter, mit dem Fahrner harmonisch zusammenarbeitete. Eine ausführliche Würdigung wird unserem Institut auch in der Dissertation von Phädra Koutsoukou über Die deutsche Kulturpolitik in Griechenland in der Zeit des Nationalsozialismus (1933-1944) zuteil. Wie sie in der „Schlußbetrachtung“ schreibt, offenbart sich bei der Auswertung der kulturpolitischen Tätigkeit „ein für ein totalitäres Regime erstaunliches Maß an Entscheidungsfreiheit der örtlichen Kräfte.“ Rudolf Fahrner und „die Leiter der Athener Mittelstelle der Deutschen Akademie, Alexander Steinmetz und sein Vorgänger Kurt Meyer, der Archäologe Emil Kunze und nicht zuletzt der junge Germanist Rudolf Grimm stehen für die Exponenten der deutschen Kulturpolitik, die den Kulturaustausch mit den Griechen in die Praxis umzu4

Vyron Theodoropoulos.

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setzen riskierten und ihre Arbeit auch über das Kriegsverhältnis hinaus gestalteten.“ Zeller entnimmt 1943 bei einer Begegnung mit einem, mir nicht bekannten, Vertreter der politischen Führung in Athen aus einer Bemerkung, daß die SS oder der SD (Sicherheitsdienst) uns argwöhnisch beobachtet. Übrigens sind Angehörige der deutschen Besatzung bei Veranstaltungen des Instituts, einschließlich Konzerte und öffentliche Vorträge, unerwünscht, was praktisch bedeutet: nicht zugelassen. Das unterscheidet sich, zum Beispiel von der Praxis des DWI Paris. Fahrner begründet das damit, daß unsere Tätigkeit ausschließlich auf Griechen ausgerichtet ist. Im übrigen kämen wohl auch die meisten Griechen grundsätzlich nicht zu uns, wenn sie hier auch unter Soldaten säßen. Fahrner und das Institut haben unter der derzeitigen deutschen Präsenz in Griechenland eine Sonderstellung. Das zeigt sich auch darin, daß der Chef, so weit mir bekannt ist, keinen persönlichen Kontakt mit dem Direktor der „Deutschen Schule Athen“ (DSA) und Professor an der Athener Technischen Hochschule Alfred Romain hat, obwohl dieser ebenfalls Germanist ist. Von Romain geäußerte Gedanken zum aktuellen deutsch-griechischen Verhältnis liegen ihm sicherlich sehr fern. Wie etwa der nach dem Einmarsch der deutschen Truppen 1941 in Athen, daß die Wehrmacht unter der begnadeten Führung Adolf Hitlers in ruhmvollem Siegeslauf die historische Mission der Jahrtausende zuvor ebenfalls aus dem Norden eingefallenen Hellenen erneuert habe. So sei das griechische Erbe aus Jahrhunderten langer Verschüttung ans Licht gebracht worden, um es jetzt in das neu aufzubauende Europa zu integrieren. Auch mit dem „Deutschen Archäologischen Institut“ haben wir keinen Kontakt. Dessen erster Sekretär, Walther Wrede ist NSDAPLandesgruppenleiter. Ich bin weder ihm noch Romain jemals begegnet. Eine besonders interessante Verbindung Fahners ist die mit dem griechischen Professor Nikolaos Louvaris, der am 7. April 1943 als Kultusminister in die von Ioannis Rallis gebildete Regierung eintritt und damit auch eine politische Funktion hat. Das trägt ihm bei vielen Landsleuten den Vorwurf indirekter Kollaboration mit der Besatzung ein. Erst später wird bekannt, daß er seinen Schritt erst auf Betreiben von Erzbischof Damaskinos vollzog. Der deutsche Gesandtschaftsrat Karl-Friedrich von Graevenitz und andere Angehörige der deutschen diplomatischen Vertretung in Athen rieten ihm, nicht mit einem Regierungsbeitritt seine wissenschaftliche Karriere zu kompromittieren. Erst später wird auch bekannt, daß der SD Louvaris nicht gewogen war. In einer Liste „aktueller griechischer Persönlichkeiten“ heißt es von ihm: „[…] spielt den Deutschenfreund, ist in Wirklichkeit edelkommunistisch angehaucht oder duldet doch in seinem Arbeitsbereich starke propagandistische Tätigkeit für EAM und Kommunismus.“ Auf mich machte er bei zwei Begegnungen vor seinem Ministeramt vor allem den Eindruck einer

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Gelehrtenpersönlichkeit. Er hatte auch in Deutschland studiert und fühlte sich offenbar der deutschen Sprache und Kultur sehr verbunden. Ich weiß nur vom Besuch zweier Wehrmachtsangehöriger im Institut. Einer ist der General der Flieger Wilhelm Speidel, der zu der Zeit Befehlshaber Südgriechenland ist und nach der Kapitulation Italiens am 8. September 1943 Befehlshaber Griechenland wird. Er kommt in Zivilkleidung. Fahrner hat im Institut nicht gesagt, was der Grund seines Treffens mit ihm war. Der andere ist ein nicht in Griechenland stationierter Luftwaffenoffizier, dessen Gesicht durch Verbrennungen beim Absturz seines Flugzeugs schrecklich entstellt wurde. Der Chef lernte ihn bei einem Empfang in der Gesandtschaftsvilla im Vorort Kifissia kennen. Es war wahrscheinlich menschliche Anteilnahme, daß er ihn zu einer weiteren Begegnung einlud. Er ist der einzige uniformierte Deutsche, den ich im Institut gesehen habe – außer dem SD-Mann, der sich ab und zu routinemäßig die Namen der jungen Griechen und Griechinnen geben ließ, die wir für ein Studium in Deutschland befürworteten. Das zog übrigens, soweit mir bekannt, niemals Rückfragen oder Beanstandungen nach sich. Zu den Themen, denen der Chef außer dem Krieg und dem gegenwärtigen Deutschland sowohl in persönlichen Gesprächen wie auch bei Veranstaltungen ausweicht, gehören auch Stefan George und sein Kreis. Auf zwei oder drei neugierige Fragen von mir in der ersten Zeit reagiert er ebenso höflich wie abweisend. Es erzählte mir zwar schon einmal jemand, daß Georgeaner sich über ihre persönlichen Beziehungen zu dem 1933 gestorbenen „Meister“ mit Kreisfremden nicht unterhalten, doch wußte ich nicht, daß für sie das ganze Thema George tabu ist. Fahrner erwähnte im Institut auch nicht, vielleicht mit Ausnahme von Eberhard Zeller, den er schon lange kennt, den Soldatentod von Frank Mehnert im Februar 1943, der in den dreißiger Jahren einer seiner engsten Freunde war. Mehnert war in Georges vier letzten Lebensjahren dessen engster Vertrauter gewesen. Genauso schweigsam ist eine Frau, die zweimal längere Zeit im Institut zu Besuch ist und wahrscheinlich George besonders gut kennt. Gleichzeitig vermittelt aber auch sie, ähnlich wie Fahrner, im Habitus viel vom Geist Georges, angenommen wahrscheinlich von ihrer Umgebung von Kindheit an, ergänzt durch eine besondere weibliche Art künstlerischer Sensibilität. Gemma Wolters, die auch immer an unserer Mittagstafel teilnimmt, zeigt beispielhaft, daß entgegen vielen Vorstellungen es auch eine frauliche Reflexion von Georges Geist gibt und daß sie Herzlichkeit und Natürlichkeit nicht ausschließt. Sie ist die Witwe des 1930 gestorbenen Historikers Friedrich Wolters, der mit George 1903 bekannt wurde und das Werk Stefan George und die Blätter für die Kunst. Deutsche Geistesgeschichte seit 1890 (1929) verfaßte. Über die Verbindung mit ihm lernte Fahrner George 1930 persönlich kennen. 1933

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folgte eine weitere Begegnung. Das blieben die beiden einzigen persönlichen Kontakte. Beim zweiten stellte ihm der Dichter Frank Mehnert vor. Die Herbeiführung der Freundschaft mit ihm hat Fahrner als „die größte Lebensgabe des Dichters“ an sich empfunden, wie er später einmal äußerte. Zum engeren Kreis um George kann Fahrner also nicht gezählt werden. Nach dessen Tod war er dann aber besonders engagiert und rührig bei den Bemühungen um die Bewahrung seines geistigen Vermächtnisses, zusammen vor allem mit dem um sechs Jahre jüngeren Mehnert. Dieser war George zum ersten Mal schon 1924 begegnet, als Freund der Brüder Berthold und Claus von Stauffenberg in Stuttgart, die den Dichter im Jahre vorher persönlich kennengelernt hatten. Die Beziehungen Fahrners mit Gemma Wolters, die jetzt als Goldschmiedekünstlerin arbeitet, gehen vor allem darauf zurück, daß ihr Mann sein Lehrer und väterlicher Freund zuerst an der Universität Marburg war und dann nach Wolters Wechsel nach Kiel 1924 auch an der dortigen Universität. Vom nächsten Jahr an kam George alljährlich im Herbst nach Kiel, um Wolters Buchprojekt voranzutreiben. Fahrner hatte seine Beziehungen zu dem Historiker indirekt Friedrich Gundolf zu verdanken, der Anfang der zwanziger Jahre als Germanist an der Universität Heidelberg lehrte. Bei ihm hatte er gleich nach dem Abitur zu studieren begonnen. Das war sein erster direkter Kontakt mit der Welt Georges. Gundolf galt damals als die engste Bezugsperson des Dichters. Von Heidelberg kam Fahrner dann nach Marburg zu Wolters, damals ebenfalls ein bekannter Georgeaner im Hochschulbereich, und Mitte der dreißiger Jahre wurde er durch Frank Mehnert mit Berthold und Claus von Stauffenberg bekannt gemacht. Später kam Bertholds Zwillingsbruder Alexander hinzu. Noch länger kennt die drei Eberhard Zeller, zwei Jahre jünger als Claus, vier Jahre jünger als dessen Brüder. Sie wie auch Mehnert waren eine Zeit lang seine Mitschüler am Eberhard-Ludwigs-Gymnasium in Stuttgart. Claus und Alexander von Stauffenberg kommen dann auch zu Besuch nach Athen. Ich lerne nur Alexander kennen, der zu der Zeit Inhaber des althistorischen Lehrstuhls an der Universität Straßburg ist. Als er im Frühjahr 1944 auf Fahrners Einladung in einem Hörsaal der Universität in der Odos Panepistimiou einen Vortrag über „Tragödie und Staat im werdenden Athen“ hält, bin ich unter den Zuhörern. Der Neununddreißigjährige fällt gleich als Geistesverwandter unseres Professors auf. Am Abend feiert er im Beisein von ihm, Zeller und auch mir das Wiedersehen in einer Taverne der Plaka, einem damals dörflichen Stadtviertel am Fuß des Akropolis-Felsens.

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Einige Wochen später gelingt es dem Athener Freund, Alexander von Stauffenberg mit Hilfe eines hier stationierten Armeegenerals5 nach Griechenland zurückzuholen. Der Reserveoffizier soll in dessen Dienststelle „Nationalsozialistischer Führungsoffizier“ werden. Als Stauffenberg sich bei ihm vorstellt und sagt, er sei für die Stelle überhaupt nicht geeignet, antwortet der General, deshalb nehme er ihn. Das schönste Beispiel von Fahrners sich immer wieder spontan äußernder Beziehung zur Poesie erlebe ich an einem Abend, den er mit Zeller und mir in der Plaka-Taverne „Βράχος“ – das bedeutet Felsen – verbringt. Es wird sehr spät. Als wir schließlich auf die Gasse treten, blickt der Professor zum klaren Himmel auf und beginnt Goethes Gedicht „Um Mitternacht“ aufzusagen. Er hat es vom ersten bis zum letzten Vers in Erinnerung. Auf die im George-Kreis übliche schlichte Art mit gleichmäßiger Betonung deklamiert er „Um Mitternacht ging ich, nicht eben gerne, klein, kleiner Knabe, jenen Kirchhof hin zu Vaters Haus, des Pfarrers. Stern am Sterne, sie leuchteten doch alle gar zu schön, um Mitternacht…“

„Pace – amicizia!“ Fahrner dreht sich erst einmal langsam eine Zigarette und beginnt sie dann unter mehrfachem Neuanzünden zu konsumieren. Während dieser ihm lieben Zeremonie macht er einige Bemerkungen über die immer noch desolate Situation in der Provinz. Danach eröffnet er mir, warum er mich, wie er sagt, in einer eher privaten Angelegenheit in sein Arbeitszimmer gebeten hat. Eine ihm seit längerer Zeit bekannte griechische Familie in Böotien ist in Not und Sorge. Die Italiener haben vor einigen Wochen das Familienoberhaupt verhaftet, von der Weide und seinen Schafen weg, und in eines ihrer Konzentrationslager gebracht. Alle Schritte der Angehörigen bei der Ortskommandantur der Besatzer in Theben sind erfolglos geblieben. „Ich tue mich mit den Katzelmachern immer ein bißchen schwer“, sagt der Chef, womit er, was selten ist, den Österreicher herauskehrt. „Vielleicht sollten Sie mit Ihren Italienischkenntnissen und Ihrem Charme versuchen, den Mann herauszubekommen.“ Für den eventuellen Bedarf an Griechischkenntnissen hat er an die Mitwirkung von Coulmas gedacht. Für die Beförderung sind bereits das Institutsauto und sein Fahrer Panajotis vorgesehen. Fahrner ist bekannt und befreundet mit sehr unterschiedlichen Menschen. Er kann auch mit einfachen, wenig gebildeten persönliche Beziehungen

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Generalmajor Kurt Schuster-Woldan, Artilleriekommandeur beim LXVIII. Armeekorps.

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knüpfen – bis hin zu griechischen Bauern und Hirten. Sein Philhellenentum schließt gerade auch sie ein. Ein Anruf bei der Athener Commandatura verhilft zu der Telefonnummer von der in Theben. Der Colonello dort am Apparat, dem ich das Anliegen des Presidente dell’Istituto scientifico tedesco vortrage, heißt mich freundlich willkommen. Und er würde sich freuen, wenn ich morgen am Pranzo der Ufficiali teilnehme. Das Unternehmen läßt sich also gut an. Fahrner hat auf meinen Charme gesetzt. Der Charme ist dann aber auch in Theben vor allem auf der italienischen Seite. Ich muß mich anstrengen, ihm zu entsprechen. Der Colonello begrüßt uns geradezu herzlich und führt uns in sein Büro, wobei er mich einen „amico tedesco“ nennt. Er hat sich offenbar auf den Besuch in der Isolation dieser, wie er sagt, schrecklichen Balkanprovinz wirklich gefreut. Einen Ausweis und die uns von Fahrner mitgegebene Bittschrift will er gar nicht sehen. Wahrscheinlich bin ich auch der erste Deutsche, mit dem er hier Italienisch sprechen kann. Nach kurzer Unterhaltung führt er mich in die Mensa Ufficiali. Den als Kollegen vorgestellten Coulmas verweist er nach kurzem Zögern zusammen mit dem im Korridor gebliebenen Panajotis in eine Pergola, in der sich gerade die Mannschaften zum Essen an langen Tischen anschicken. Die Mensa wartet mit einem Vier-Gänge-Essen auf, wie es unter den Nachwehen der griechischen Hungerkatastrophe vom Winter nur bei den Besatzern, also mit Versorgung von außen, hergestellt werden kann. In Offizierskasinos der Wehrmacht dürfte es nicht anders sein. Die etwa zehn Offiziere am Tisch, gut aussehende Männer in schicken Uniformen, sind von der gleichen Herzlichkeit wie der Colonello. Ich bin ihnen wohl auch sympathisch, weil ich Italien ein wenig kenne, schon als Fünfzehnjähriger auf der Rialto-Brücke in Venedig stand und am Lido badete. Ich nenne es ein „paese meraviglioso“. Meine Erzählung regt die Gastgeber dazu an, ihrerseits von Italien zu erzählen, wohin sie alle möglichst schnell wieder zurückzukehren hoffen. Die Stimmung driftet schließlich ins Ausgelassene, wozu ich mit einem perfekt in diese Runde passenden deutsch-italienischen Sprachkuriosum und einer dazu erfundenen kleinen Geschichte das Zeichen setze. Keiner hat noch von ihm gehört: Während deutsche Offiziere in einem Kasino essen, besuchen italienische ein Casino nur eher heimlich am späten Abend – vorausgesetzt, es gibt in erreichbarer Nähe eines. Das ist in Theben sicherlich nicht der Fall – womit wir dann am Ende wieder bei der schrecklichen Balkanprovinz im Kriege sind und bei dem allgemeinen Wunsch, daß dieser Krieg bald vorbei sein möge. Auch in der Pergola herrscht inzwischen pazifistische Stimmung. Als ich mit den Offizieren schließlich nach dem abschließenden Caffè ins Freie trete, springt der mitten unter den Mannschaften sitzende Coulmas bei meinem

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Anblick auf, reißt die Arme hoch und ruft voller Inbrunst zweimal laut „pace – amicizia!“, worauf alle mit Beifallsrufen und Händeklatschen antworten. Eine kleine Sternstunde am Rande des Krieges! Jedenfalls zeigt sich, was hier im Schatten grüner Ranken bei Spaghetti und Chianti das Thema war, auch wenn, wie Coulmas später erzählt, die Unterhaltung nur aus einem Gemisch griechischer, italienischer und deutscher Sprachbrocken und aus Gesten bestand. Auch der schüchterne Panajotis, der während der Fahrt kaum ein Wort sagte, bewegt sich jetzt mit diesen Mitteln eloquent zwischen den Tischen umher. Dann geht es mit dem Colonello an den eigentlichen und ernsten Teil unserer Mission. Er ist schnell erledigt. Nach einigen Minuten Suchen in einer langen Liste ist der Name des zu Befreienden gefunden. Grund der Verhaftung: Mercato nero. Der Schwarzmarkt ist wegen der wirtschaftlichen Lage überall im Lande das verbreitetste Delikt. Die Besatzer versuchen mit Strafen vergeblich seiner Herr zu werden. Dann geht der Oberst zu einem Feldtelefon und stellt eine Verbindung mit der Lagerwache her und gibt nach mehrfachem Buchstabieren des Namens des Gefangenen Anweisung, ihn sofort mit seinen Sachen ans Eingangstor zu bringen. Ein Sottufficiale wird beordert, uns dorthin zu fahren. Das Lager ist etwas außerhalb der Stadt – ein mit Stacheldraht eingezäuntes Stück Feld mit einigen Zelten – wohl zum Schutz gegen die Sonne und eventuellen Regen. Fahrners Freund steht schon bereit. Unter einem Arm trägt er eine Zeltplane, in die wohl die wenigen Sachen gewickelt sind, die ihm die Familie brachte. Sein zuerst ängstliches Gesicht hellt sich auf, als Coulmas ihn freundschaftlich auf Griechisch anspricht, ihm sagt, daß es jetzt in die Freiheit und nach Hause geht. Er bringt vor Überraschung und Freude zuerst kein Wort heraus. Er ist in einem elenden Zustand, schmutzig, die Haare zersaust, bärtig. Man sieht ihm an, daß er mehrere Wochen hier hatte kampieren müssen – zusammen mit, wie wir sehen, vielleicht an die hundert anderen Männern. Als die Formalitäten der Entlassung des so formlos begnadigten Schwarzhändlers in der Kommandantur erledigt sind, bringen wir ihn im Institutsauto nach Hause. Freude und Überraschung sind bei seiner Frau noch größer als bei ihm zuerst. Er ist wohl auch zu erschöpft, um jetzt viel über seine Gefühle zu reden. Bei dieser Gelegenheit mache ich meine erste Erfahrung mit der typisch griechischen Gastfreundschaft, die, wie das Wort φιλοξενία sagt, eine Gastfreundschaft gerade gegenüber Fremden ist. Die Frau des Befreiten schenkt fünf kleine Gläser Ouso ein, und wir drei bekommen jeder ein Schälchen Quitten-Glyko. Der eigentlich Geehrte ist aber Fahrner – „ο φίλος, ο καλός γερµανός!“ (der Freund, der gute Deutsche). Coulmas erzählte schon gleich im Auto, daß er uns schickte. Das vermutete aber der Befreite anscheinend schon. Wir er-

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fahren allerdings nicht, seit wann und woher die beiden den deutschen Professor kennen. Wir waren ein wenig neugierig, etwas davon zu erfahren. Vielleicht nahm man an, daß wir das wüßten. Fahrner pflegt über seine persönlichen Freundschaften nicht zu sprechen. Nachdem er uns in Athen für unsere erfolgreiche Hilfe sehr herzlich gedankt hatte, erwähnte er die befreundete Familie in der Provinz Böotien nicht mehr.

,Bienen‘ – und andere Hochschul-Aspiranten „Da warten ja jeden Tag wunderschöne Bienen auf Sie, Grimm. Die sollten Sie nicht nach Deutschland lassen. Hierbehalten! Die laden wir lieber ins Institut ein“, sagt Coulmas eines Morgens nach Durchqueren der Eingangshalle, von Fahrner Vestibül genannt, in der wieder einmal alle Plätze besetzt sind. Hier warten junge Griechen und Griechinnen auf mich, die an deutschen Hochschulen studieren wollen. Das Institut muß zuerst darüber befinden, ob sie dafür ausreichend Deutsch können und schon genügend Hochschulerfahrung haben. Besonders kritisch ist zu prüfen, wenn es auch um ein Stipendium geht. Gespräche mit solchen Bewerbern sind am Anfang meine Hauptfunktion als Leiter der Akademischen Abteilung. Warum es plötzlich so viele junge Griechen zu einem Hochschulplatz in Deutschland zieht, ist offenkundig. Ein Grund ist, daß die Athener Universität seit dem Krieg 1941 großteils geschlossen ist oder nur unregelmäßig arbeitet. Der Hauptgrund ist bei den meisten aber wohl, daß sie und ihre Familien in einer Ausreisegenehmigung nach Deutschland, egal, zu welchem Zweck, die einzige Möglichkeit sehen, das Land in der gegenwärtigen katastrophalen wirtschaftlichen Situation zu verlassen, der Notlage zu entrinnen, in der sich der größte Teil der Bevölkerung befindet. Es ist interessant und schön, so viele griechische Altersgenossen kennenzulernen. Das wäre bei normalen Verhältnissen überhaupt nicht möglich. Es ist aber auch bedrückend. Die meisten kommen nämlich für ein Studium entweder überhaupt nicht in Frage, gleich wo, oder wegen mangelnder Sprachkenntnisse jedenfalls nicht in Deutschland. Ich muß mit den Besuchern großenteils Französisch sprechen, das unter ihnen die geläufigste Fremdsprache ist. Ein für mich nützlicher Nebeneffekt ist bei diesem Sprachproblem, daß es mir zu einem stetigen Ausbau und einer Verbesserung meiner neugriechischen Kenntnisse verhilft. Ganz davon abgesehen, daß es Gesprächspartner sehr für mich und auch das Institut einnimmt, wenn ich, ein junger deutscher Griechenlandneuling, ihnen einiges in ihrer eigenen Sprache zu erklä-

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ren versuche. Das Erlernen des Neugriechischen, das mir als Absolvent eines vierjährigen Altgriechischunterrichts auf der Baltenschule relativ leicht fällt – schon bald kann ich griechische Zeitungen recht gut lesen – macht mir viel Freude. Manchmal scheinen Bewerber ein Studium auch gar nicht zu beabsichtigen, sondern nur die Möglichkeit zu suchen, auf diesem Umweg in Deutschland eine Arbeit zu finden oder sogar Schwarzmarktgeschäfte zwischen dort und hier zu tätigen. Darauf komme ich, weil einige allzu nachdrücklich betonen, daß sie „wirklich studieren“ wollen. Etwas verdächtig ist auch, daß fast alle nach Wien streben, von wo sie die kürzeste und beste Verkehrsverbindung nach Griechenland haben. Es ist natürlich begreiflich, wenn viele es jedenfalls einmal versuchen wollen, von hier wegzukommen. Das kann aber meine Entscheidung manchmal ziemlich schwer machen, noch mehr die endgültige Entscheidung Fahrners. Für eine Familie, die einen Sohn oder eine Tochter mit einer Aufenthaltsgenehmigung in Wien hat, kann das den Unterschied zwischen Elend und erträglicher Existenz bedeuten. Obwohl die Vorentscheidung, die immer wieder auch mein Gewissen belastet, schon bei mir liegt, gibt es kaum unangenehm verlaufende Gespräche. Allerdings kommen manche abgelehnten Bewerber dann noch wieder mit neuen Argumenten oder auch Zeugnissen und Befürwortungen. Nur die „Geeignet“-Befunde lege ich Fahrner vor, der dann gewöhnlich die weiteren Formalitäten für eine Immatrikulation über seine Sekretärin in die Wege leitet. Die für uns im Einzelnen kaum erkennbaren Gründe der wirtschaftlichen Lage und Entwicklung sind das bedrückendste Gesprächsthema im Institut. Offenkundig ist der Faktor des Krieges, der von dem italienischen Angriff von Albanien aus am 28. Oktober 1940 bis zum Ende der Kampfhandlungen auf Kreta am 27. Mai 1941 dauerte. Auch die für den katastrophalen Winter 1941/42 verantwortlichen Besatzungsfaktoren sind im individuellen Einzelfall schwer erkennbar. Selbst unsere griechischen Gesprächspartner äußern sich hier nur mit allgemeinen Vermutungen, zum Teil wohl auch aus Zurückhaltung Deutschen gegenüber. Auch Fahrner zeigt sich gegenüber den Institutsmitarbeitern zurückhaltend, obwohl er sicherlich mehr weiß über deutsche und italienische Wirtschaftsmaßnahmen zulasten der griechischen Bevölkerung, etwa Beschlagnahmungen durch das Militär. Und wohl auch darüber, in welchem Umfang die Sieger wichtige Rohstoffe für sich in Anspruch nehmen und welche Handelsbedingungen sie dem besiegten Land auferlegen. Im übrigen hat ja Griechenland im Gefolge des Krieges wichtige frühere Handelspartner verloren. Der wesentliche Faktor sind wohl auch die Besatzungskosten. Niemand weiß in unserer Umgebung, wie hoch sie sind. Gelegentlich heißt es, daß die deutschen Zivilstellen in Athen, vor allem die Gesandtschaft, auf eine Minderung

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der Belastung der Wirtschaft des Landes durch das Militär drängen. Ein Argument soll sein, es sei nicht ratsam, der Stimmung der Bevölkerung gegen die Besatzung immer mehr Nahrung zu geben. Gerade Deutschland hat in dieser Hinsicht manches zu verlieren, da die Aversion gegen die Italiener als Auslöser des Krieges anfangs deutlich größer ist als gegen ihren Bündnispartner. Die kontinuierlich steigende Inflationsrate scheint jedenfalls ein Indiz zu sein, daß keinerlei Normalisierungstendenzen wirksam sind. Uns im Institut tangieren die steigenden Preise nicht, da unsere Bezüge laufend an sie angeglichen werden. Unsere griechischen Gesprächspartner und ihre Familien kommen nicht in den Genuß solcher Angleichungen. Unter den Besuchern unseres Hauses sind allerdings auch solche, die sich durch das Vermögen der Familie einen einigermaßen gesicherten Lebensstandard erhalten können. Eine Folge der Inflation ist übrigens, daß das Warenangebot gleichzeitig konstant bleibt, ja sogar wächst. Man muß nur die immer höheren Preise bezahlen können. Eine immer bedeutsamere Funktion hat der Schwarzmarkt. Angesichts alles dessen ist im Institut niemand frei von Bedrückung, auch nicht von einem schlechten Gewissen griechischen Freunden gegenüber. Ich glaube, daß das bei Fahrner besonders ausgeprägt ist, obwohl ich ihn niemals direkte Kritik an dem Verhalten der Besatzung äußern höre. Ich kann mir aber vorstellen, daß er sie bei Kontakten mit Diplomaten äußert, etwa mit Günther Altenburg, zu dem er ein gutes Verhältnis haben soll. Bekannt ist uns, daß Fahrner gleich in der Anfangsphase der Besatzung eine Initiative ergriff, die Versorgung der Bevölkerung mit Olivenöl, einem Grundnahrungsmittel, zu verbessern. Er wollte erreichen, daß von dem nach der Eroberung Kretas von deutschen Dienststellen beschlagnahmten Öl, das über die Türkei verkauft wurde, etwas für die hungernden Athener freikäme. Er hatte damals gerade seinen Freund Claus von Stauffenberg zu Besuch. Der verschaffte ihm Zugang zum Stab des Oberbefehlshabers auf dem Balkan, Generalfeldmarschall Wilhelm List. Fahrner fand aber bei ihm keine Unterstützung. Einer der uns bekannten Fälle individueller Hilfe Fahrners war „Chryssoula“. Von der dem Institut allwöchentlich von der Gesandtschaft zukommenden Verpflegungsration für den Hausgebrauch, einschließlich für Gäste, zweigte er einen Teil ab für die Witwe eines im Krieg gegen die Italiener gefallenen Griechen. Hausmeister Alekos hatte ihm von dieser notleidenden jungen Frau erzählt. Sie kam dann jede Woche ins Institut und holte sich den für sie bereitgelegten Teil der Ration ab. Wir alle kannten „Chryssoula“, die wortkarge Frau in schwarzer Trauerkleidung. Jedenfalls gelangt vor allem bis zum Frühjahr 1943 über das Institut eine ganze Reihe junger Griechen und Griechinnen nach Deutschland. Am meisten gefällt uns ein Achtzehnjähriger, der gerade sein Abitur an der „Deut-

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schen Schule“ in Athen gemacht hat. Obwohl er also noch keine Hochschulerfahrung hat, halten der Chef und ich ihn für ein Studium an einer deutschen Universität für sehr geeignet. Jannis Papalekas ist nicht nur ein brillanter Kopf, sondern auch ein gewinnender Mensch. Nach seinem Studium in Wien, Greifswald und Innsbruck wird er in Deutschland nach dem Krieg einer der namhaftesten Sozialwissenschaftler. 1946 promoviert er an der Tiroler Universität und nach sieben Jahren habilitiert er sich dort. Von 1963 an ist er 25 Jahre Ordinarius für Soziologie an der Universität Bochum und anschließend noch Gastprofessor in Wien. Papalekas ist trotz Krieg und Besatzung ein Freund Deutschlands. Als das bezeichnen sich viele Bewerber. Aber seine Sympathie ist ebenso überzeugend wie unaufdringlich. Manchem seiner Landsleute geht sie entschieden zu weit. Eine junge Griechin aus Coulmas’ Bekanntenkreis, die mit ihrer Familie vor dem Krieg in Berlin lebte und dort zur Schule ging, sagt bei einer Gelegenheit unverhohlen, Papalekas müsse sich in dieser Zeit seiner Einstellung zu Deutschland schämen. Fast alle Besucher vermeiden, von Krieg und Politik zu sprechen. Da sind aber auch einige, die bei einer längeren Unterhaltung erkennen lassen, daß sie einen Unterschied machen zwischen der deutschen Kultur und der gegenwärtig in Deutschland maßgeblichen Ideologie. Ein Student armenischer Abstammung, der vielleicht überhaupt nur gekommen ist, um darüber mit einem, nach seiner Einschätzung, Vertreter beider Deutschlands zu sprechen, fragt unverblümt, ob wir uns als Kulturinstitut dieses Unterschieds bewußt seien. Ich weiche einer direkten Antwort aus, indem ich wahrheitsgemäß sage, uns hier gehe es ausschließlich um Kultur, und das Konzept für die Deutschen Wissenschaftlichen Institute, die es in mehr als zehn europäischen Hauptstädten gebe, sei ein kulturelles, kein politisches. Ich verweise ihn dazu auch auf die Themen unserer Vortragsveranstaltungen und Seminare.6

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Der Begriff „Geheimes Deutschland“ war mir bekannt – und gewiß auch Fahrner und Zeller, obwohl sie ihn nicht erwähnten. Ich kannte ihn schon vor meiner Athener Zeit von der Lektüre im Zusammenhang mit dem George-Kreis. Erstmals kommt er 1910 in einem Text von Karl Wolfskehl vor in Bezug auf etwas, das sich jetzt zu regen beginne: „das geheime Deutschland, das einzig lebendige in dieser zeit.“ Freunde Georges sahen in ihm etwas, was Georges Dichtung geweckt hatte. Mir wurde der Begriff bekannt durch eine „Vorbemerkung“ in dem 1927 erschienenen, dann vielgerühmten Buch des Georgeaners Ernst Kantorowicz über Kaiser Friedrich II. Da heißt es, daß 1924 an des Kaisers Sarkophag im Dom von Palermo ein Kranz mit der Inschrift „SEINEN KAISERN UND HELDEN / DAS GEHEIME DEUTSCHLAND“ gelegen habe. Kantorowicz und an die zehn Georgeaner, unter ihnen der 19 Jahre alte Berthold von Stauffenberg, waren im Frühjahr jenes Jahres an diesem Sarkophag gewesen. Wer oder welche von ihnen den Kranz niederlegten, ist nicht bekannt. So habe ich denn auch in dem geschilderten Gespräch nicht an ein „geheimes

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Die weitaus meisten Besucher sind Männer. Aber unter den Mädchen sind unproportional mehr, die für ein Studium an einer deutschen Universität geeignet erscheinen. Kaum eine dürfte für ihren Deutschlandaufenthalt etwas anderes als ein Studium vorhaben. Bei einer von ihnen erinnere ich mich an das, was Coulmas über die „Bienen“ sagte, die wir lieber hierbehalten sollten. Sie war schon vor sechs Jahren einmal, wie sie in fließendem Deutsch erzählt, in Deutschland. Sie gehörte damals zu einer griechischen Gruppe, die bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Berlin auftrat. Sicher würde sie auch jetzt an einer Universität eine gute Figur machen. An einem „geeignet“ ist kein Zweifel. Ich sage Coulmas noch am gleichen Tag, daß wir leider gerade die schönsten Bienen davonfliegen lassen müssen. Und wir sehen die entflogenen Bienen auch niemals wieder – was im übrigen für alle, insgesamt nicht sehr viele befürwortete Bewerber gilt. Die einzige Ausnahme ist das nach Wien entflogene einstige Olympiamädchen. 1943 bin ich zu Silvester bei einer mit Coulmas bekannten Familie im Stadtteil Kolonaki eingeladen. Es ist schon bald Mitternacht, als noch einige weitere Gäste kommen. Als sie ins Zimmer treten, fällt mein Blick gleich auf die große dunkelblonde „Biene“ mit den braungrauen Augen, die mehr als ein Jahr vorher der Anlaß zu dem geäußerten Bedauern war. Ich erinnere mich sofort an ihren Vornamen, den ich damals zum ersten Mal gehört und der mir wegen seines Klangs gefallen hatte. Ich fragte sie, was er bedeute und erfuhr, daß Avra eigentlich kein Name ist, sondern das mir noch nicht bekannte griechische Wort für Brise, „besonders die schöne Kühle am frühen Abend nach einem heißen Tag“, wie sie damals mit leuchtenden Augen sagte.

Auf verlorenem Posten Die Nachrichten über das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 rücken mir den Präsidenten unseres Instituts schlagartig in ein neues Licht. Ein Stauffenberg legte und zündete die Bombe und wird noch am Abend des Tags hingerichtet. Der Name bedeutete mir bisher nur etwas im Zusammenhang mit den Beziehungen Fahrners zur Welt Stefan Georges, ist nicht verknüpft mit der aktuellen politischen und militärischen Situation. Als in den Tagen nach dem mißlungenen Anschlag von vielen Verhafteten berichtet wird und der Chef nichts Deutschland“ gedacht. Ich wies, wie gesagt, den Studenten wahrheitsgemäß darauf hin, daß die Deutschen Wissenschaftlichen Institute im Ausland eine wissenschaftliche und kulturelle Aufgabe haben, keine der politischen Propaganda. Das war das Konzept von Fritz Adalbert von Twardowski, einem konservativen Karrierediplomaten, der vier Jahre die Kulturpolitische Abteilung des Auswärtigen Amtes leitete (bis 1943).

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von sich hören läßt, mache ich mich mit dem Gedanken vertraut, daß auch er unter ihnen sein könnte. Er verabschiedete sich am 28. Juni für einige Wochen, wie auch in den Jahren vorher zu Beginn der Sommerferien. Eberhard Zeller fuhr ihn im Institutsauto zum Flugplatz. Fahrners erstes Reiseziel: Berlin. Zeller flog ein paar Tage später ebenfalls nach Deutschland. Dort verbrachte auch er immer seine Ferien. Die anderen Institutsangehörigen gingen schon vorher in den Sommerurlaub. So bin ich denn zusammen mit dem Hausmeister Alekos und seiner Schwester Eleni praktisch wieder allein im Haus. Nur die Chefsekretärin, die mit einem Griechen verheiratete Deutsche, Frau Papathanassiou, kommt manchmal vormittags, um Büroangelegenheiten zu erledigen. Sie sorgt auch dafür, daß ich mein Gehalt bekomme. Einige Tage fürchte ich, die Gestapo oder eine andere Stelle könnte auch das Institut wegen der bekannten Verbindung Fahrners mit den Stauffenbergs ins Visier nehmen. Aber auch von der Gesandtschaft spricht mich niemand auf diese plötzlich aktuell gewordene Beziehung an. Ich weiß allerdings nicht, ob sie dort überhaupt bekannt ist. Erich Boehringer, bis vor kurzem dort Kulturreferent, ein studierter Archäologe, Gräzist und Althistoriker, wußte jedenfalls von ihr. Er selbst war seit 1919, als er 23 Jahre alt war, mit George bekannt, wie auch sein Bruder Robert, der jetzt in der Schweiz lebt. Daß Fahrner auch im August stumm bleibt, kann, so scheint mir, sowohl ein schlechtes wie auch ein gutes Zeichen sein. Immerhin ist wohl die Frage offen, ob er von der Verschwörung wußte oder an ihr beteiligt war. Aber in einem entsprechenden Verdacht dürfte er jetzt wohl stehen. Solange ich in Athen bin, höre ich von keinem Institutsangehörigen mehr. Es beginnt eine unbehagliche Zeit im Institut. Zwar war ich auch in den Jahren vorher im Sommer allein, aber diesmal ist alles anders. Es ist wegen der militärischen Entwicklung vorauszusehen, daß mit den Deutschen in Griechenland bald Schluß sein wird. Auch die vergangenen Jahre hatte ich dienstlich fast nichts zu tun – keine Veranstaltungen, kaum Besucher. Aber jetzt sieht es so aus, daß das Institut Ende August seine Arbeit nicht wieder aufnehmen wird. Ich bin wohl wirklich auf einem verlorenen Posten. Ich gehe an diesen heißen Sommerabenden oft, auch allein, auf der Leoforos Wasilissis Sophias ins Stadtzentrum, um im kühlen Innenhof des eleganten Restaurants Phlokas oben an der Odos Panepistimiou zu essen. Danach verbringe ich gern noch eine Stunde auf einer der Bänke der Platia Syntagmatos, unterhalb des Königsschlosses, der immer noch voller Menschen ist. Da erklingt aus den Lautsprechern über dem Platz eine besonders typische griechische Musik, Lieder, die wohl in diesen Monaten der Stimmung vieler Menschen entsprechen – eine schwermütige Musik, die auch gern in Tavernen gespielt wird, hier aber durch die Lautsprecher auf dem großen Platz öffentlich stimmungsbeherrschend wird. Der Gesang einer markanten

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Frauenstimme, den ich nirgendwo so schön, mehr herbe als sentimental, hörte, trägt dazu bei. Verstärkt wird meine innere Unruhe als letzter Mohikaner im DWI Athen noch dadurch, daß die für uns zuständige „Kulturpolitische Abteilung des Auswärtigen Amts“ nicht Kontakt mit mir sucht. Weiß man da überhaupt, daß ich hier allein bin? Hat man schon darüber nachgedacht, was aus dem Athener Institut und seinen Angehörigen wird, wenn die deutsche Front auf dem Balkan zusammenbricht und Griechenland militärisch geräumt wird? Aber bei Kultpol hat man jetzt wohl auch eigene Probleme. Fahrner äußerte sich über die AA-Abteilung immer nur zurückhaltend. Es gab da wohl auch interne politische Gegensätze. Nach dem Krieg wird bekannt, daß der eine Zeitlang stellvertretender Leiter gewesene Hans Bernd von Haeften,7 der im vorigen Herbst auf einer Balkan-Dienstreise auch Athen besuchte, an der Verschwörung beteiligt war. Am 22. Juli wurde er verhaftet. Seine Vernehmung am 15. August vor dem Volksgerichtshof gehört zu den eindruckvollsten Filmdokumenten des Widerstands überhaupt: Als ihn Roland Freisler nach seiner „Treue gegenüber dem Führer“ fragt, antwortet er: „Nach der Auffassung, die ich von der weltgeschichtlichen Rolle des Führers habe, nämlich, daß er ein großer Vollstrecker des Bösen ist, war ich der Auffassung…“ Hier unterbricht Freisler: „Na, ja, das ist ja nun wohl klar. Da ist also kein Wort dazu zu sagen.“ Haeften darauf: „Jawohl“. Er wird noch am gleichen Tag gehängt. Da ich im Institut jetzt ganz meinen Hobbys, vor allem der Lektüre und dem Übersetzen von Gedichten, überlassen bin und sich auch niemand für unser Haus zu interessieren scheint, fühle ich mich auch nicht für es verantwortlich, zumal mir Fahrner bei seinem Abschied keinerlei Verantwortung übertrug. Er erteilte schon vor längerer Zeit in Absprache mit der Gesandtschaft einem griechischen Kollegen, nach meiner Erinnerung einen Professor Namens Immanouil, mit dem er auch persönlich bekannt war, einige Handlungsvollmachten für den Fall kriegsbedingter Probleme – wohl auch in der Überlegung, daß ein Grieche in einem solchen Fall nützlicher sein könnte als ein Deutscher. Auch die nur 200 Meter entfernte Gesandtschaft läßt nicht von sich hören. Dort beschäftigt man sich wohl mit dem möglichen eigenen Schicksal in den nächsten Wochen. Nach einigem Zögern entschließe ich mich, dort selbst Erkundigungen einzuholen. Am geeignetesten dafür erscheint mir ein Besuch beim Leiter der Konsulatsabteilung, Lüders. Ich lernte ihn im vergangenen Jahr bei der Erteilung der Reisevisen als einen besonders angenehmen, nicht nur amtlich, sondern auch human denkenden und handelnden Menschen ken7

Hans Bernd von Haeften wurde 1905 geboren. Nach einem Jurastudium trat er 1933 in das Auswärtige Amt ein.

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nen. Er war vor seiner Entsendung nach Athen lange in Chicago. Das merkte man ihm an. Seinen beiden Jungen auf der hiesigen „Deutschen Schule“ geht, wie ich hörte, der Ruf „richtiger Yankees“ voraus. Zwei Überlegungen führen mich diesmal zu ihm. Erstens glaube ich erfahren zu können, ob wegen der kritischen Kriegslage eine Abreiseanordnung für deutsche Zivilisten zu erwarten ist. Zweitens hoffe ich, bei Lüders indirekt den Eindruck zu erwecken, daß ich nicht beabsichtige „unterzutauchen“. Als ich ihm dann gegenübersitze, bin ich gleich frei von allen Beklemmungen. Auch diesmal bin ich ihm wohl sympathisch. Bei unserer Unterhaltung kommt es mir mehr und mehr so vor, daß er sich vor ähnlichen Problemen sieht wie ich. Jedenfalls rät er mir dringend von einem Versuch ab, irgendwie nach Deutschland zu gelangen. Das Risiko einer Reise mit der Bahn nähme allenfalls jemand auf sich, der aus irgendwelchen familiären Gründen in die Heimat muß. Schon auf griechischem, vor allem aber auf jugoslawischem Boden könnten Partisanen den Zug in die Luft gehen oder vor gesprengten Gleisen seine Fahrt beenden lassen. Flüge seien überhaupt nicht mehr zu bekommen. Das ist alles eindeutig. Und es ist damit auch gleichgültig, was Lüders über ein „Untertauchen“ denken könnte. Sein Rat läßt keine andere Wahl zu als den Versuch, so lange in Griechenland zu überleben, bis die Besatzer abgezogen sind und der Status deutscher Staatsbürger neu geregelt ist. Lüders und ich haben uns verstanden – im doppelten Sinne.

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Athen ’41 Peter Coulmas im „Deutschen Wissenschaftlichen Institut“

„Freitag, den 30.9.1938, um elf Uhr nachts: Gestern Nacht ,Viererkommuniqué‘ in München. Heute britisch-deutsches Kommuniqué über einen Nichtangriffspakt. Europa, das, was wir in der Art wie wir großgezogen worden sind, Europa nannten, ist im Begriff, seinen Geist auszuhauchen, wenn es nicht schon geschehen ist“ notiert der damals achtundreißigjährige Dichter Giorgos Seferis in seinem Tagebuch; die Eintragung schließt mit einem Selbstzitat aus einem Gedicht: „beginne wieder mit der Lektüre Platons“.1 Der Rückzug ins Geistige, wie er in dieser Tagebucheintragung von Giorgos Seferis dokumentiert wird, ist in finsteren Zeiten keine unübliche Reaktion von Intellektuellen. Er kann schlicht eine abwehrende Haltung bedeuten oder auch die Tarnung eines wie immer gearteten Widerstands gegen Machtusurpation, Okkupation und Gewalt. Wie viele Vertreter einer „inneren Emigration“ behaupten, geht es dabei nicht um eine Flucht, sondern um die Verteidigung des Geistes, d.h. um einen Widerstand an sich, um einen unscheinbaren, aber wirksamen Kampf, häufig für ein heiliges, ewiges, „geheimes“ Vaterland – im zitierten Fall für Griechenland. Oder für Deutschland, wenn man an jene Gruppe von Menschen denkt, die zur gleichen Zeit im von den Nationalsozialisten besetzten Athen lebten und arbeiteten: den Leiter und die Mitarbeiter des „Deutschen Wissenschaftlichen Instituts“. Dieses Institut war eine schwer zu begreifende Ausnahme unter den gleichnamigen, neugegründeten Propaganda-Einrichtungen der Nationalsozialisten in den von ihnen und der „Wehrmacht“ besetzten Ländern Europas.2 Deren Ziel war es, „ein klares Bild vom Neuen Deutschland“, zwar als eine „unaufdringliche“3 Darstellung zu verbreiten, die aber, wie es sich in allen anderen Fällen zeigte, mehr oder weniger mit den horrenden, pervertierten NS-Kultur-Axiomen bekannter Art versehen war. Den Griechen in Athen wurde im Gegensatz hierzu das Gesicht des besseren, des geistigen Deutschlands vermittelt, das in äußerstem Kontrast zu dem stand, welches ihnen „Wehrmacht“ und „SS“ in ei1 2 3

SEFERIS, Μέρες Γ΄ (Tage ΙΙΙ). Giorgos Seferis (1900-1973) ist Träger des Nobelpreises für Literatur 1963. HAUSMANN, Auch im Krieg. [Im vorliegenden Band S. 53 ff.] Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes; zit. nach KOUTSOUKOU, Deutsche Kulturpolitik, S. 90.

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ner der härtesten Besatzungsregime in Europa zeigten. Daß der Leiter des Athener Instituts, Rudolf Fahrner, sich mit jenem von Stefan George einst „geheimes Deutschland“ genannten Kreis verbunden sah, vermutete damals in Athen kaum jemand. Auch Peter Coulmas nicht, der vom Herbst 1939 sein Assistent an der Athener Universität und vom Frühling 1941 bis zum Frühling 1943 sein Mitarbeiter im DWI gewesen ist, wo er mit der Führung der Bibliothek und vor allem mit der Durchführung von Seminaren betraut war: „ein junger Deutschgrieche“ wie Fahrner selbst ihn, nach Berichten aus jener Zeit, nannte. Im DWI findet er die geistige Atmosphäre und die Wirkungsmöglichkeiten, die er sich ersehnt und zum Besten nutzt. Rudolf Grimm, ein junger Germanist, Mitarbeiter im DWI, erinnert sich an seine erste Begegnung mit dem lebenslangen Freund Peter Coulmas: „Zum Geist des Hauses trägt auch der Assistent Fahrners in dessen Eigenschaft als Professor an der Universität Athen bei. Peter Coulmas gehört zwar formell dem DWI nicht an, doch hier ist sein Arbeitsplatz. Als Grieche, der in Deutschland aufgewachsen ist und studiert hat, ist er ein perfekter Mittler zum potentiellen intellektuellen Umfeld [...] ich komme über Coulmas, der jünger als Fahrner und Zeller ist, aber älter als ich, in ein Milieu geistiger Lebendigkeit, wie ich es noch nicht kannte. Auch das Institut profitiert von seinen privaten Kontakten sehr.“4 Die folgende Annäherung an das Thema geschieht im Rahmen einer Familienchronik, an der ich z.Z. für private Zwecke arbeite. Mein Interesse am Gegenstand ist zugleich aber auch ein Allgemeines. Einige kurze Bemerkungen sollen dies erläutern. Peter Coulmas und ich heirateten im Jahre 1957 in Hamburg. Er war ein freier Journalist von zweiundvierzig Jahren, ich eine zweiundzwanzigjährige Studentin der Romanistik, aufgewachsen in Athen. Der Altersunterschied ist hier insofern erwähnenswert, als er in keiner Phase des gemeinsamen Lebens eine Rolle spielte, aber in der Zeit, von der hier die Rede ist, im Bezug auf die jeweilige Wahrnehmung der Wirklichkeit von Bedeutung gewesen ist. Peter Coulmas ist zwischen 1938, als er nach Athen kommt, und 1943, wo er nach Deutschland zurückkehrt, ein junger Akademiker in den Zwanzigern, ich bin ein Kind von vier bis neun Jahren. Er besitzt bereits eine sehr breite deutsch-humanistische Bildung, auf deren Grundlage er die Wirklichkeit und die aktuellen Ereignisse einzuordnen versucht. Ich erlebe die gleiche Wirklichkeit kindlich unmittelbar aber zunehmend bewußter, d.h. im sozialen und, in rudimentärer Weise, auch im geschichtlichen Kontext. Und ich entwickele gerade ein episodisches Gedächtnis: Die Ereignisse prägen sich in mir bildlich, szenisch ein, kaum gefiltert durch die ansonsten schützende Funktion der Eltern. „Die Bilder sind von Anfang an da“, Bilder und Szenen des Schreckens, so lautete später der Satz, 4

GRIMM, Davongekommen! Zit. nach dem Ms.; vgl. im vorliegenden Band S. 95 ff.

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wenn bei uns die Rede von jener Zeit war, was durchaus als Bestätigung der konstatierenden Schärfe meines Kinderblicks verstanden werden möchte. Diese Schärfe des Bewußtseins erreicht Peter Coulmas, wie ich vermute, erst 1943, als er beschließt, nach Deutschland zurückzukehren, um sich zu habilitieren. Aber auch aus Gründen, die mit einer nunmehr klaren Beurteilung der Kriegslage zusammenhängen. Die Jahre davor sah er von der Wirklichkeit ab, betrieb er den Rückzug ins Geistige, schöpfte jede Möglichkeit aus, welche die ,Oase‘ des Instituts ihm hierfür bot, während um sie herum der Terror herrschte. Er war nicht der einzige. Damals trennten uns also Welten, und doch war es dieselbe Welt, in der wir für eine Weile beide lebten und der ich den Namen geben würde: Athen ’41. Peter Coulmas als Mitarbeiter im DWI ist ein Sonderfall. Der in Dresden geborene, herangewachsene und ausgebildete Grieche, der nun in dem von den Deutschen besetzten Griechenland, zwar als Angestellter der Athener Universität, wie Fahrner selbst, doch bei einer deutschen Einrichtung arbeitete, müßte sich in dieser äußerlich problematischen Situation als „junger Deutschgrieche“ auch im wesentlichen vor eine Identitätsfrage gestellt sehen, selbst wenn er der Nationalität schon damals eine geringere Bedeutung beigemessen haben sollte als der Gesellschaftsschicht oder dem Bildungsniveau. Tatsache ist jedenfalls, daß 1941 die Frage der Identität bei ihm ihrer unter den damaligen Umständen naheliegenden Dramatik entbehrte. Zur Heimat wurde ihm, als Hort des Geistes, das DWI. Mir hingegen war Griechenland die Heimat. Das klingt selbstverständlich, mag aber meine Überzeugung unterstreichen, daß, gemessen an der Unmittelbarkeit der kindlichen Erinnerung wie auch an den Erfahrungen der Erwachsenen, das DWI zwar eine rühmliche, vor allem aber eine deutsche Angelegenheit gewesen ist. Für die Griechen war es ohne Belang, es sei denn für eine kleine Anzahl von Menschen, für die es, wie man später feststellen konnte, den Bildungsweg entscheidend beeinflußt hat. Ich bitte, nicht mißverstanden zu werden: würde man sich die Besatzungszeit in Griechenland als ein dramatisches, düsteres Bild vorstellen – mir fällt Picassos „Guernica“ ein –, dann wäre es für uns damals bestenfalls ein kleiner, heller Pinselstrich in einem großen Gemälde gewesen, kaum zu erkennen. Von dem Kind in Athen werde ich nicht mehr sprechen, denn die vielen Erlebnisse, so unmittelbar und charakteristisch sie auch gewesen sein mögen, sind nur in allgemeiner Hinsicht interessant. Über Fahrners Geheimnis erfuhr ich erst Anfang der 1970er Jahre, als Rudolf Grimm uns in Köln besuchte und über die Athener Jahre viel gesprochen und mir Erstaunliches bekannt wurde, z.B. Fahrners Rolle in Zusammenhang mit der Verschwörung der Gruppe um die Brüder Stauffenberg, auch von ihm verantwortete Aktionen, die Grimm und Coulmas durchführten, um einige internierte Griechen aus

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Lagern und Gefängnissen herauszuholen. Peter Coulmas freute sich, es zu hören. Selbst hatte er davon nie etwas erzählt, ein mir bekannter Charakterzug. Meine Informationsquellen sind spärlich, dafür meistens aufschlußreich. Die gelegentlichen Gespräche mit Peter Coulmas über das DWI berührten nicht die erwähnte Problematik, als Grieche in einer Einrichtung der deutschen Besetzung mitgearbeitet zu haben, mochte diese Tätigkeit noch so ,lauter‘ gewesen sein. Eine Ausnahme machte er bei einigen „lehrreichen“ – so sein Ausdruck – Unannehmlichkeiten seitens der Griechen, von denen die Rede sein wird. Er hatte sie wohl durchaus ernstgenommen, sich zugleich aber gewundert, daß er sie im Detail „vergessen“ (sic) hatte. Gesprochen wurde vielmehr von einer Zeit, von der er im persönlichen Leben eine besonders angenehme Erinnerung behalten hatte, eine Zeit der Jugend und der Freundschaften, des ersten akademischen Postens in einer ernsthaften wissenschaftlichen Institution, die er als eine Art Lebensgemeinschaft in Erinnerung behielt. Aus seiner Korrespondenz der Athener Zeit sind nur vier Briefe vorhanden, die er an seine spätere erste Frau Sibylle Coulmas, geborene Busch,5 damals Studentin der Germanistik, aus Athen geschickt hat. Sie enthalten einzelne wichtige Mitteilungen über seine Lehrtätigkeit und die Atmosphäre im Institut, über Rudolf Fahrner, den Kreis der Studierenden, die gemeinsamen Unternehmungen und anderes. Damalige Veröffentlichungen von Peter Coulmas kenne ich bis heute keine, abgesehen von einem Aufsatz, den er vermutlich vor Kriegsausbruch verfaßte. Ich besitze ihn als Schreibmaschinen-Durchschlag, ohne Hinweis darauf, wo er veröffentlicht war oder werden sollte.6 Darin werden auch dominante ideologische Schlagworte der Zeit verwendet, wie der „europäische Frieden“, die „Leistungselite“, die er als langwierige Prozesse und als Voraussetzungen für eine „innereuropäische Ordnung“ ansieht, während er zugleich vom „Wahn“ eines Krieges spricht. Reichhaltige Auskunft gibt die Lektüre, der er sich in jener Zeit widmete. Sämtliche Bücher, die zu seiner privaten Bibliothek gehören, sind mit genauen Zeitangaben und mit zum Teil detaillierten Marginalien versehen. Aufschlußreich sind außerdem die Aussagen von befreundeten Personen, die zum DWI und dem Kreis der Studierenden gehörten. Wertvoll sind in dieser Hinsicht die Gespräche, die ich mit Nelli Andrikopoulou7 führte und führe, die regelmäßig die Seminare im Insti5 6 7

In zweiter Ehe: Sibylle Engel, 1970-1981 Abgeordnete der FDP im hessischen Landtag, von 1981-1983 Bundestagabgeordnete der FDP. „Der Selbstverrat Europas“, fünf maschinengeschriebene Seiten. Nelli Andrikopoulou, geboren in Istanbul, kam 1936 mit ihrer Familie nach Athen, wo sie auch noch heute lebt. Sie hat Malerei und Bildhauerei in der École des Beaux Arts in Paris studiert und war als Fremdenführerin, mitunter für hochgestellte Persönlich-

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tut besuchte und, neben Peter Coulmas selbst, der Mittelpunkt des Freundeskreises war, jener bildungsbegeisterten und lebensfrohen Gemeinschaft, die sich von Anfang an herausgebildet hatte und von allen Beteiligten als ein Hauptcharakteristikum des DWI geschildert wird. Einige Studierende kamen auf Nellis Initiative ins Institut, unter ihnen der später berühmt gewordene Philosoph und Revolutionstheoretiker Cornelius Castoriadis.8 Für Peter Coulmas selbst ist diese junge Griechin, mit der er in enger Beziehung verbunden und die bereits damals eine ungewöhnliche Persönlichkeit war, nicht nur emotional das positive Pendant zu allen negativen Momenten, mit denen er sich konfrontiert sah, was nicht zuletzt durch die eigene paradoxe Lage als Grieche aus Deutschland gegenüber den Griechen unter der Besatzung bedingt war. Zu dieser παρέα (Freundeskreis) gehörte ab 1942, als einziger Deutscher, auch der Mitarbeiter des DWI Rudolf Grimm, der verantwortlich für die Vergabe von Stipendien war. Den Gesprächen, die ich mit ihm führte und führe, verdanke ich wichtige Hinweise auf das Institut und Peter Coulmas, der nach dem Krieg weiterhin mit Grimm in freundschaftlicher Beziehung stand.9 Er nannte ihn liebevoll einen Romantiker, „den Blauäugigen“. Umgekehrt blieb Peter Coulmas im DWI der einzige Grieche. Mit sechsundzwanzig Jahren, so Rudolf Grimm, sei er bereits „eine Institution“ und Mittelpunkt eines Milieus geistiger Lebendigkeit gewesen. Ich sehe Peter Coulmas als arbeitsamen Menschen auch dort, obwohl er von seiner Tätigkeit als von einer „Sinekure“ sprach. Im Institut blieb allen viel Zeit, eigenen Beschäftigungen nachzugehen. Fahrner übersetzte Homer und Dionysios Solomos, und Grimm neugriechische Gedichte, darunter solche von Kostis Palamas. Peter Coulmas beschäftigte sich besonders mit altgriechischen Autoren und arbeitete weiterhin an seiner Habilitation. Nebenbei schrieb er auch für die „Deutschen Nachrichten in Griechenland“,10 wie Rudolf Grimm mir erkeiten tätig. Sie hat u.a. Hölderlin, Forster, Celan und Benjamin übersetzt und schreibt selbst Gedichte sowie vielfältige Beiträge in Zeitschriften. 8 Cornelius Castoriadis (1922-1997), französischer Sozialphilosoph und Psychoanalytiker griechischer Herkunft. Als sein wichtigstes Werk gilt das 1975 erschienene L’institution imaginaire de la société (Gesellschaft als imaginäre Institution. Entwurf einer politischen Philosophie, 1984). 9 Zu Rudolf Grimm vgl. „Über die Autoren“. Über den im DWI tätigen Griechen Peter Coulmas darf ich wieder aus Grimms Erinnerungen zitieren: „Um ihn herum bildet sich ein Freundeskreis. Man diskutiert, man liest sich vor, man feiert bei Essen und Trinken. Der Vorschlag „να κάνουµε παρέα“ – machen wir etwas zusammen – wird stets schnell realisiert, in der Wohnung von Coulmas und seiner Mutter, bei seiner Freundin Nelli, in einer Taverne. Es kommen nicht immer dieselben jungen Frauen und Männer. Ich bin jedenfalls der einzige Deutsche.“ 10 „Deutsche Nachrichten in Griechenland. Die aktuelle Tageszeitung für Politik, Kultur, Wirtschaft und Sport“. Herausgegeben von entsprechenden Stellen der deutschen Besatzungsmacht.

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zählte, über Musik, Theater, Literatur, überhaupt für das Feuilleton, aktuelle Kulturbeiträge – dennoch, Fahrner las dieses Blatt nicht, so Grimm, der bei jeder Gelegenheit betont, wie sehr der Leiter des DWI seinen Assistenten geschätzt und gemocht hätte. Peter Coulmas wurde am 29.8.1914 in Dresden geboren als Sohn von Ioannis Koulmassis und seiner Frau Eleni, geborene Ivrakis. Beide Eltern sind Griechen. Der Vater, Besitzer einer Zigaretten-Manufaktur in Dresden, stammte aus einer Familie, deren Wurzeln in Chios liegen, mit mehreren Zweigen im Ausland, darunter Triest. Die Mutter war in Konstantinopel geboren, als Tochter einer aus dem griechischen Karpenissi dorthin übergesiedelten Familie. Peter Coulmas absolvierte das namhafte Vitzthumische Gymnasium und studierte anschließend Soziologie, Philosophie und Literaturwissenschaft zunächst in Dresden, wo er auch Vorlesungen in Geschichte bei Johannes Kühn, Professor für Neuere Geschichte, hörte, dessen Haltung zum Regime später als ambivalent gilt.11 In Dresden studierte Peter Coulmas auch bei dem Soziologen und Exilrussen Fjedor Stepun.12 Danach wechselte Coulmas nach Berlin, wo er Philosophie bei Nikolai Hartmann hörte, sowie nach Genf, Freiburg und Hamburg, wo er mit einer Dissertation über „Fichtes Idee der Arbeit“ den Doktor-Titel erwarb. In der Promotionsurkunde vom 9.9.1939 ist die Rede von einer „ausgezeichneten Schrift“ und von einem Rigorosum, bei dem er den Nachweis „ausgezeichneter wissenschaftlicher Befähigung und Bildung erbracht hat“. Ab 1939 folgte der Aufenthalt in Athen, wohin die Mutter und der jüngere Bruder nach dem Tod des Vaters im Jahre 1938 bereits übergesiedelt waren, seine Anstellung als Assistent von Professor Fahrner am Seminar für Deutsche Philologie an der Universität Athen und, nach deren Schließung, die Tätigkeit im DWI. Im Frühling 1943 kehrte er nach Deutschland zurück, wo er sich im Jahre 1944 mit einer Schrift über „Zukunft und Vergangenheit im politischen Denken der deutschen Romantik“ bei Professor Andreas Walther an der Universität Hamburg habilitierte. Bis 1946 war er dort als Assistent am Seminar für Soziologie tätig. Ein Zeugnis aus dieser Zeit bestätigt seine Fähigkeit, „einen Kreis von Studierenden an Fragen der soziologischen Theorie und der Philosophie zu interessieren und ihn zusammenzuhalten“, was insofern interessant ist, als es ihm drei Jahre früher von Rudolf Fahrner, 11 Er wurde 1947 auf Grund eines Gutachtens von Victor Klemperer entlassen und lehrte anschließend bis zu seiner Emeritierung in Heidelberg. Einer seiner Schüler ist der Historiker Reinhart Koselleck und zu seinen Freunden zählte der Philosoph Hans-Georg Gadamer. 12 Kulturphilosoph und Schriftsteller, nach der Oktober-Revolution aus der Sowjetunion ausgewiesen, 1937 von den Nationalsozialisten aus dem Staatsdienst entlassen und mit Schreibverbot belegt.

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freilich mit markanteren Worten, gleichfalls bescheinigt worden war. Fahrner hob „seine Gabe, die Mitglieder des deutschen Seminars auch zu einer Lebensgemeinschaft zu führen“13 hervor. „Gabe“ und „Lebensgemeinschaft“, sind, aus der Feder eines Georgianers, nicht nur akademische, sondern im Wesentlichen die Persönlichkeit betreffende Begriffe. Dabei verkörperte Peter Coulmas, ein eingefleischter Aufklärer, fast idealtypisch das Gegenteil eines Georgianers. Ab 1947 war er als freier Journalist tätig, vornehmlich für den Rundfunk, den damaligen NWDR, später für den NDR und andere Rundfunkanstalten und Zeitungen, unter anderem für Die Welt. Er reist in alle Kontinente und viele Länder der Erde, mit längeren Aufenthalten in Paris (1959-1960) und in London (1961), und publiziert Bücher über die politische Lage in den betreffenden Staaten und Regionen: Zwischen Nil und Tigris, Nahost im Brennpunkt, 1958; Frankreich deutet sich selbst, 1961; England deutet sich selbst, 1962; Amerika deutet sich selbst, 1964; Der Fluch der Freiheit und Wohin marschiert die Dritte Welt?, 1963. – In den 1960er Jahren gehört er, zusammen mit Mel Lasky14 und anderen konservativen Intellektuellen dem „Kongress für die Freiheit der Kultur“ an, ab 1966 ist er Chefredakteur der Modernen Welt. Zeitschrift für Internationale Beziehungen, die im Econ-Verlag publiziert wird. 1968 wird er politischer Redakteur des Westdeutschen Rundfunks, in Köln, wo er in den 80er Jahren die Ausländerredaktion leitet. Für den WDR arbeitet er bis ins hohe Alter als außenpolitischer Kommentator. In allen Phasen seines Lebens gelang es ihm, Menschen um sich zu versammeln, Wissenschaftler, Schriftsteller, Politiker, Vertreter ausländischer Missionen, und sie zu mitunter außergewöhnlichen, ergiebigen Gesprächen – stets an jener Schnittstelle zwischen Offiziellem und Privaten – zu motivieren. Wie bereits in den „sehr schweren“, so die Formulierung Fahrners, Athener Jahren mit den Studierenden am DWI. Bei seinem Tod im Jahre 2003 trauerte man um den großen Gastfreund, den Menschenfreund. Lebensideal und zugleich Forschungsgegenstand für Peter Coulmas ist der Weltbürger, ο πολίτης του κόσµου, gewesen. Es ist eine selbsterarbeitete Affirmation, eine sich selbst und die anderen verpflichtende Haltung, ethisch, politisch, philosophisch, zum weltoffenen Denken, was die Ablehnung nationaler, geschweige nationalistischer Enge impliziert. Sein Thema läßt sich möglicherweise auf zwei sein Leben konstituierende Motive zurückführen: 13 Zeugnis von Rudolf Fahrner für Peter Coulmas, ausgestellt am 30.10.1943, in dem auch die Bestätigung seiner Beurlaubung steht: „Zur Erwerbung des Dr. habil und zum Einsatz für Aufgaben der Wissenschaft im Reich habe ich ihn im Einvernehmen mit den zuständigen Stellen von seinem Athener Posten beurlaubt“. Unterschrift: Prof. Rudolf Fahrner. Stempel: Deutsches Wissenschaftliches Institut Athen. 14 Mel Lasky (1920-2004), Journalist amerikanischer Herkunft, Herausgeber von Der Monat (1948-1958, 1978-1990) und von Encounter (1958-1990).

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auf die Tradition einer Familie, deren Zweige in der Peripherie bzw. in der Diaspora des Griechentums lebte und nicht bodenhaft mit der Heimat verbunden waren, und die polyglott und integrationsfähig, griechische Charakteristika, „überall“ in der Welt zu Hause war und diese Welt kannte. Gewiß aber auch auf seine eigenen Erfahrungen in Athen, wo er, bedingt durch die Kriegssituation, zwischen die nationalen „Räder“ zu geraten drohte und auch vorübergehend geriet, wovon zu sprechen sein wird. Jederzeit blieb Deutschland jedoch der Ort, wo er sich heimatlich fühlte, ja, es stellte sicherlich die eigentliche Heimat dar, auch wenn der Begriff ihm selbst fremd war – „die Muttersprache ist nicht immer die Sprache der Mutter“ pflegte er zu sagen. Die griechische Seite seines Wesens war ihm weniger bewußt. Sie ist jedoch, wie ich meine, als wichtige Komponente seines Denkens nicht zu bezweifeln und ein Thema, das hier nicht vertieft werden kann. Daß unsere Ehe als ein etwaiges Identitäts-Korrektiv im Sinne des Ursprungslands seiner Väter zu verstehen wäre, halte ich für eine gewagte, doch von vielen Menschen, die uns kennen – darunter Fjedor Stepun – vertretene Deutung. 1990 entsteht, in seltenem Einklang mit dieser seiner Lebenshaltung als Kosmopolit, das Buch Weltbürger. Die Geschichte einer Menschheitssehnsucht, das als Standardwerk zu dieser Thematik gelten darf. Es zeichnet die unerfüllte Sehnsucht nach, die durch die Jahrhunderte mit der Kraft der Utopie pulsiert, und deren Darstellung mir bereits bei der Lektüre während des Entstehens eine besondere Spannung vermittelte. Es ist eine „Geschichte“, im doppelten Sinne des Wortes, beginnend in der klassischen Antike, wo der Versuch, die Welt als Einheit zu verstehen, ansetzt, über das hellenistische Imperium Alexanders, die ökumenische Christianopolis und den Höhepunkt der Idee als Republik des Geistes während der Aufklärung bis hin zur Gegenwart. Die Ausführungen über die letztere stehen unter Titeln wie „Der Rückfall: Nationaler Universalismus“ und „Globalisierung und Zerfall“; der Begriff Globalisierung hatte damals noch nicht seinen inflatorischen Charakter. Die Sehnsucht nach einem Weltbürgertum war gerade in einer Zeit der ungeahnten, die Welt verbindenden, technischen Möglichkeiten von ihrer Realisierung weggerückt. Regionalismen, Separatismen schufen Identitätsmomente, welche, anstatt die Welt zu einigen, sie stärker auseinanderfallen ließen, so daß die Internationalität der Kommunikationsmittel zugleich eine Nivellierung auf niederer Kultur- und Bewußtseinsebene bedeutete. Für einen jungen Griechen aus Deutschland konnte die Zugehörigkeitsfrage in Athen nicht anders als virulent werden. In den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen spielte die deutsche Kultur eine bedeutende Rolle, und es gab eine Reihe von Intellektuellen, die sich auch politisch von den neuen Ideen im Land der Philosophie, der Dichtung und der Musik begeistern ließen, obwohl die Griechen kulturell im Allgemeinen sonst eher noch an Frankreich orientiert waren. Der Charakter der Metaxas-Diktatur braucht hier

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nicht weiter erwähnt zu werden. Sie war eine kurze Periode der Imitation von Hitler-Deutschland, und der Diktator wurde bald von seinem Vorbild enttäuscht. Die Bezeichnung γερµανόφιλος, deutschfreundlich, besaß nichts destoweniger bei dem größten Teil der Bevölkerung, insbesondere den politisch denkenden Menschen, eine zweifellos ambivalente Bedeutung, und sie konnte seit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nur noch mit feinster Differenzierung gebraucht werden, sie bedeutete dann bestenfalls „KulturSympathisant“. Seit dem Angriff der Italiener gegen Griechenland war ein γερµανόφιλος meistens mit einem Vaterlandsverräter gleichzusetzen. Demnach hoffte man immer noch, bzw. machte es sich vor, die Deutschen würden dieses Land „niemals“ angreifen. Während der Besatzung und nach der Befreiung war das Wort geradezu beleidigend. Und gefährlich. Die Zeiten ließen kaum Differenzierungen zu, das Odium der Kollaboration kannte keine Nuancen. Peter Coulmas, Assistent eines deutschen Professors in der Athener Universität, wurde am 31. Oktober 1940, drei Tage nach dem italienischen Angriff, von den Ordnungsorganen des Metaxas-Regimes verhaftet. Wie ich später von ihm erfuhr, weil er, als es seitens der Bevölkerung in Athen zu Ausschreitungen und Zerstörungen von italienischen Einrichtungen gekommen war, das Geschehen fotografierte. Diese Episode wird von ihm im erst am 30. März 1941 angefangenen und am 8. Juni 1941 fortgesetzten Brief an Sibylle Busch nicht erwähnt. Geschildert wird hingegen, daß er für „mehrere Monate im Gefängnis“ gesessen habe, offenbar mit Unterbrechungen, in denen er verfolgt und „bespioniert“ wurde, zusammen mit anderen „deutschfreundlichen“ Griechen. Er erwähnt Vertreter deutscher Einrichtungen, wie Nachrichtenbüros und Zeitungen, griechische Lehrer an der „Deutschen Schule“, Universitätsprofessoren u.a. Die Verhaftung geschieht offenbar nicht nur wegen des Fotografierens und der Anstellung am Seminar für Deutsche Philologie der Universität – für dies letztere spricht die Tatsache, daß anderen „deutschfreundlichen“ Griechen das gleiche geschah, sondern vor allem, da die nationale „Zugehörigkeitsfrage“ mit Beginn des griechischitalienischen Krieges für ihn akut wird. Sie betrifft auch die Frage des zu leistenden Militärdienstes. Er hatte sich gemeldet, wurde aber nicht angenommen. Er selbst erwähnte später immer wieder diese, wie er sagte, „lästige“ Angelegenheit, auch darin jeglicher Dramatisierung abhold. So fragte er sich verwundert, wie es möglich ist, daß er sich an das Gefängnis nicht erinnern könne, die Erinnerungsbilder daran seien einfach verschwunden. Die ins Schloß fallenden Türen seien das einzige Bedrängnis- und Angst-Element, das in seinem Gedächtnis durchschimmere. Nur in diesem Brief, meines Wissens dem einzigen Dokument hierfür, äußert er sich kurz darüber. Dort spricht er von den „Disputen und Diskussionen“, welche die „wie die Heringe zusammengepferchten“ Intellektuellen miteinander führten, und die mit-

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unter „interessant“ und „zeitweilig amüsant“ gewesen seien. Die Wächter seien zwar meistens grimmig, es habe aber unter ihnen auch einige joviale gegeben. Das Ganze sei „lehrreich“. Dies sind Äußerungen eines jungen Mannes, der von den Ereignissen überrascht ist und seine Beziehung zu Deutschland als konstitutiven Teil seiner Persönlichkeit begreift, noch mehr aber sich von seiner Schul- und Universitätsbildung her als Deutscher fühlt. Außerdem klingt hier die Pflicht des Soziologen durch, gesellschaftliche Phänomene mit einer pragmatisch prüfenden Distanz aufzunehmen und zu beurteilen. Das Abenteuer war lehrreich. Doch nur so weit es die äußeren Umstände betrifft. In einer tieferen Schicht kommt dieser Angriff von Seiten seiner Landsleute, den er mit Beginn des Krieges eigentlich hätte erwarten müssen, einer ernsthaften Verletzung gleich. Er hatte immerhin beschlossen, in Griechenland zu leben und, durch die Vermittlung deutscher Kultur an griechische Studenten, die Verbindung zwischen seinen zwei Heimatländern herzustellen – herzustellen in sich selbst, wie ich meine, auch wenn das in unseren Gesprächen darüber nicht thematisiert wurde, vermutlich weil es für mich eine Selbstverständlichkeit war. Seine Entscheidung wäre in arglosen Zeiten als eine glänzende, zukunftsträchtige zu betrachten. Aber die Zeit war alles andere als arglos. So könnte ich heute gar von Naivität sprechen und denke dabei an Gestalten wie Candide. Wie auch immer, es war ein unheimliches Zwischenspiel. Er überwand es ad hoc, gestützt auf die Gabe, oder, wenn man so will, auf die intellektuelle, bewußt eingesetzte Fähigkeit, den Lauf der Dinge in dieser Welt möglichst nicht in extreme Situationen einmünden zu lassen, was ihm schon in jungen Jahren den Beinahmen eines „Weisen“ beibrachte. So zog er es vor, zu bleiben. Die Arbeit am Institut war für ihn als Ernährer seiner Mutter und seines Bruders im Augenblick die reale Chance, „helfen aufzubauen, wiederaufzurichten, so weit es geht, damit zugleich im deutschen und griechischen Sinn handelnd, Verständnis findend“.15 Er konnte nicht wissen, wie weit es doch gegangen ist, dank des Geistes, der das DWI offenbar bestimmte. Nach dem Zwischenspiel im Gefängnis blieb nichts anderes übrig, als diesen, die eigene Person fast definitorisch zum Ausdruck bringenden Transfer von Kultur zu unternehmen, noch unter den dunkelsten Vorzeichen. So ergriff er eine erstaunliche Initiative, deren Motivation sicherlich in oben erwähntem Willen liegt, beiden Seiten zu dienen, und aber auch, sich endlich zu betätigen. Er tut das, was im Moment niemand tut. Zitat aus dem erwähnten Brief: „In diesem Sinne habe ich als einziger in der noch geschlossenen Universität den Lehrbetrieb wieder aufgenommen – obwohl ich vorläufig nicht mal mehr Assistent bin, da mein Professor noch nicht wieder 15 Dieses und das nächste Zitat stammen aus dem erwähnten Brief vom 30.3.1941, fortgesetzt am 8.6.1941.

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hier ist – und halte ein Seminar. Über ,Das Komische in der Komödie‘. ,Aristophanes‘, ,Der Widerspenstigen Zähmung‘, Tartuffe‘, ,Der zerbrochene Krug‘. Ein wenig grundsätzlich Philosophisches über das Thema, ein wenig Komparatistisches durch die Epochen und die Literaturen, Besprechungen auch von lateralen Themen, über die Satire, Montesquieu – ich nehme an, über die ,Lettres Persanes‘–, über Ironie, Voltaire, Gogol, Cervantes und, auch hier, den ,unvergleichlichen Aristophanes‘“. Das Ganze war gewiß nicht unbeabsichtigt. „Auch im Krieg schweigen die Musen nicht“,16 und hier war eine heitere am Werk, ergötzliche Bildung. Das Grundthema, ob nun die Musen im Kriege zu schweigen haben oder nicht, stellte sich nicht. Man hatte nicht über Sartres Dilemma zu entscheiden, ob man von Schmetterlingen oder vom Schicksal der Juden reden soll, man mußte auch nicht die Frage von Brecht stellen, ob in finsteren Zeiten auch gesungen werden darf, und erst recht nicht mit Brecht beantworten, „ja, es wird gesungen werden: von den finsteren Zeiten.“ Nein: Es reichte schon die Tatsache, daß man im Seminar für Deutsche Philologie und gleich danach im DWI „Hölderlin machte“, statt Propaganda. Auf die Frage „was habt ihr da gemacht?“ antworteten alle Mitarbeiter oder Besucher des DWI, die ich kenne, stets: „Hölderlin“. Den Horror austarieren, das taten nicht wenige und nicht wenige unter den nicht Geringsten. Wie Elytis es in Ανοιχτά χαρτιά (Mit offenen Karten) erwähnt: „Matisse hat seine saftigsten Blumen während des Krieges gemalt.“17 Hölderlin und Novalis. Letzterem war eines der Seminare, die Peter Coulmas abgehalten hat, gewidmet. Im Nachhinein ist es von Bedeutung, denn über ihn kommt er in die Nähe der zeitbedingten Begrifflichkeit. So z.B. spricht er von einer „Führerideokratie“, jedenfalls in einem der erwähnten Briefe an die Studentin der Germanistik Sibylle Busch. Wobei er an dem aristokratischen Sinn eines solchen Kompositums interessiert zu sein scheint, wohl aber nicht an seinen gängigen, leitmotivisch propagandistischen: Wir […] suchen bei ihm [Novalis] und seinem prophetischen Blick Rat und Aufklärung. Lange beschäftigt mit ihm, hat er mich immer mehr erstaunen lassen, wie sehr klar in jenen winzigen Fragmenten die moderne demokratische Führerideokratie vorgeformt ist. In der Maske einer traditionalistischen Ständemonarchie erscheint hier das neue Bild der Gegenwart: „der König“ ist die Verkörperung des mystischen Souverains, der Idee des Volkes. Es bedarf allerdings [einer] sehr geduldigen Interpretation, 18 um dies genau zu finden.

Vermutungen über diese Interpretation übersteigen meine Kenntnisse in deutscher Philologie. Jedenfalls standen diese Gedanken über Novalis am 16 S. HAUSMANN, Auch im Krieg. 17 ELYTIS, Ανοιχτά χαρτιά (Mit offenen Karten), S. 406. 18 Brief an Sibylle Busch vom 28.12.1941.

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Anfang einer sehr intensiven und besonders erfolgreichen Tätigkeit im DWI. Rudolf Grimm hierzu: „Coulmas’ Seminare waren bei uns besonders gefragt.“ Es bleibt zu hoffen, daß man darüber, aus dem Nachlaß von Teilnehmern mehr erfahren wird. Ein Deutsches Institut als Heimat? Es wurde möglich in den Zeiten des Krieges und trotz sowie in der persönlichen, schwierigen Situation, worin erfüllende berufliche Tätigkeit und der ebenfalls erfüllende Freundeskreis von Menschen, die Bildung pflegen und das Leben genießen wollten, einen letzten Halt fanden. Das sind Elemente, die für Peter Coulmas, neben den späteren existenziellen Bindungen – vor allem zu seinen Kindern19 – im Vordergrund standen. Hinzu kam in jener Zeit die Beziehung zu „seinem herrlichen Professor“, zu Rudolf Fahrner. Als Peter Coulmas im Frühling 1943 Griechenland verläßt und als beurlaubt „zum Zweck einer Habilitation“ nach Deutschland fährt, verfaßt Fahrner für ihn ein Zeugnis, in dem er seine Tätigkeit detailliert beschreibt.20 Seit Herbst 1939 sein Assistent am Deutschen Seminar der Universität Athen, sei er seit Herbst 1941 „auch im Rahmen des DWI tätig, wo er den vielfältigen und oft schwierigen Aufgaben“, wie er betont, „die in diesen Stellungen an ihn herantraten, [sich] mit unermüdlichem Eifer unterzogen hat und sie mit beachtlichen Erfolgen bewältigte“. Erwähnt wird weiter „die Betreuung der Seminar-Bibliothek und später auch der werdenden Bibliothek des DWI“, die in seinen Händen lag, ebenso seine Mitwirkung „auch bei der Deutschlehrer Ausbildung für die griechischen Gymnasien, deren wissenschaftlicher Teil der germanistischen Professur an der Universität und dem DWI anvertraut war. Die Themen seiner Übungen waren die folgenden: 1940 Nietzsches Unzeitgemäße Betrachtungen. Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben. 1941 Komik und Komödie. 1941/42 Deutsche Staatsvisionen um 1800. 1942/43 Die Briefe der Caroline“. Fahrner schreibt weiter: „Von der wissenschaftlichen Gründlichkeit, mit der Herr Dr. Coulmas seine Lehrtätigkeit aufbaute, von der Fähigkeit, seine Schüler durch Frage und Antwort zu einem gemeinsamen Ziel der Betrachtung zu lenken, konnte ich mich als häufiger Teilnehmer seiner Übungen selbst überzeugen.“ Das traf den Kern. Peter Coulmas war ein begnadeter Pädagoge. Interessant ist aber vor allem die Schlußbemerkung von Fahrner. Sie betrifft natürlich den, dem das Empfehlungsschreiben gilt, besagt aber ebenso vieles über das DWI, so wie sein Leiter dieses eingenartige, einmalige Institut seiner Art sah, den ganzen Impetus, die Atmosphäre, seine erstaunliche Autonomie und nicht zuletzt die gesamte Lage: „Seiner Gabe, die Mitglieder des deutschen 19 Corinna und Florian aus der ersten Ehe; Timon und Diana aus der zweiten. 20 S. Anm. 13.

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Seminars auch zu einer Lebensgemeinschaft zu führen, haben alle Teilnehmenden schöne und reiche Stunden zu verdanken, die in den manchmal sehr schweren Zeiten, die wir alle in Athen äußerlich und innerlich zu durchleben hatten, stärkend und tröstend wirkten.“21 Ich empfinde diese Äußerung als beeindruckend, denn Fahrner spricht nicht einfach von „sehr schweren Zeiten“, von dem Bedürfnis nach Stärkung und auch nach Trost, ein, wie ich finde, assoziativ sehr starkes Wort. Er läßt damit im Nachhinein nur eine Deutung zu über seine Position „äußerlich und innerlich“ zu; sie war bestimmt von finsteren Zeiten. Der junge Wissenschaftler empfindet – lange vor dem genannten Zeugnis – die Anerkennung, die sein Professor ihm mit diesem, seinem ersten, Posten entgegenbringt, als regelrecht beglückend. Ebenso die eigene Tätigkeit. Im Brief vom 4.8.1941 an Sibylle spricht er von dem Seminar, das er auf eigener Initiative in der Universität gehalten hatte, und von „dem dorther geschöpften Glück“: Trotz der „schamlosen Hitze (bis 42° im Schatten)“ hätte sich die Teilnehmerzahl allmählich von sechs auf zwölf verdoppelt, „ohne daß auch nur einer aus opportunistischen Gründen gekommen wäre“. Sowohl die Information über die – keineswegs erstaunlich geringe – Zahl als auch der Freispruch der Teilnehmer von etwaigem opportunistischem Beweggrund sind von besonderem Interesse. Ebenso wichtig ist das anschließende Bild des „herrlichen Professors“ und seines Verhältnisses zu Mitarbeitern, zu Studenten und von der „Lebensgemeinschaft“, die das DWI Athen bedeutet hat: Mein herrlicher Professor kam nach seiner Rückkehr aus dem Reich einmal hospitieren, er war aber von dem Kreis so angetan, daß er seitdem jedes Mal kommt und mitdiskutiert! Denken Sie, wie unprofessoral und taktvoll er sein muß, wenn er trotz faktischer Überlegenheit (er ist nicht genug zu rühmen) seinen jungen Assistenten so beachtet. […]. Der Kreis passt trotz stark differenzierter Persönlichkeiten glänzend zusammen: meist sind es in Deutschland oder auf der Deutschen Schule aufgewachsene Menschen. (...) Fahrner lädt uns zu üppigen Mählern in Sternennächten an den Meeresstrand; Konzertbesuche, nächtliche Akropolisbesteigungen, Segel- und Badereisen, 22 Leseabende, Seitenveranstaltungen zu unserem Thema – Kaspertheater u.a. – alles wird gemeinsam unternommen.

„Gemeinsam“ ist eine für den Georgianer Fahrner passende Wortwahl für dessen ideale Lebensführung. Es ist in diesem Zusammenhang auch ein Schlüsselwort für die Fähigkeit einer Gruppe von Menschen, in „sehr schweren Zeiten“ den Geist lebenszugewandt zu erhalten. Sie waren eine richtige „παρέα“, um das unübersetzbare griechische Wort zu gebrauchen, oder, auf

21 S. Anm. 13. 22 Gemeint ist wohl das griechische Schattenspiel Karagiozis.

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eine höhere Ebene gebracht, eine „Lebensgemeinschaft“23 oder „jedenfalls ein philosophierendes Gremium wie bei den Alten“, wie es Peter Coulmas formuliert, wobei ihm die Antike zu Hilfe kommt. Wie auch immer, für ihn bedeutete das alles eine beglückende Wirklichkeit, in der sich die zwei Komponenten seiner Identität aufs Schönste trafen, Deutsches und Griechisches in bester Eintracht, siehe die Bemerkungen dazu eingangs. Was die „üppigen“ Mahlzeiten betrifft: Die Bezeichnung mag durchaus zutreffen, wobei bereits einige gute „µεζέδες“ (Appetithappen) in Phaliro oder in der Plaka jedem als solche erschienen sein müssen angesichts der ansonsten, auch für die wohlhabenderen Mitglieder der Gruppe, äußerst schwierigen Ernährungssituation. Rudolf Grimm charakterisiert diese „Mähler“ als „keineswegs opulent aber stets festlich und beschwingend.“ Vor allem wissenschaftlich kämen sie voran, so Peter Coulmas. Er bitte um Referate – und er erhalte sie. Er gebe etwas zu lesen auf – und alle haben es gelesen. Die Diskussionen seien lebhaft und ergebnisreich. Rudolf Grimm, Nelli Andrikopoulou, Vyron Theodoropoulos24 bestätigen geradezu schwärmerisch die Arbeitsatmosphäre und Qualität der im DWI stattfindenden Coulmas-Seminare. Er selbst, ein junger Dozent von 25-27 Jahren, reflektiert seinen Erfolg mit den Worten: „So habe ich [das] Gefühl, daß ich wirklich etwas Sinnvolles leiste: Menschen mit auszubilden, ihnen weiterhelfen, sie zu Fragen anzuregen.“25 Sicherlich, es ging, wenn auch stark komparatistisch und mit Rücksicht auf Themen der altgriechischen Literatur, hauptsächlich um die Vermittlung deutscher Kultur, doch die Betonung liegt auf dem Pädagogischen, auf dem Denken-Lernen, was er hier „Philosophieren“ nennt. Noch mehr: „die Hauptsache ist doch, Menschen um sich zu haben und sein Tun so als sinnvoll ansehen zu können“. Sein Ideal, ein Menschenfreund zu sein, spricht sich hier aus, das aus anderer geistiger Provenienz auch Fahrners Ideal ist: Es geht nur um die Beziehung von Mensch zu Mensch. Peter Coulmas’ Begeisterung und Verehrung für seinen Chef, mit dem ihn diese von beiden auf eine denkbar ähnliche Weise geschilderte menschenfreundliche Haltung verbindet, bedeutet nicht, daß er stets dessen Ansichten beipflichtete. Nicht nur war er kein Georgianer, er ist darüberhinaus ein rationalistischer Aufklärer und vom Studium her Soziologe, Vertreter einer Wissenschaft, der Fahrner gemeinhin mißtraut. So steht er dem in den Werken von Fahrner waltenden Geist durchaus kritisch gegenüber. Diese Kritik äußerte sich offenbar in manchen Gesprächen zwischen beiden. Ein solches fand am 2. November 1942 statt. Coulmas hatte Fahrners Buch über Ernst

23 S. Anm. 13. 24 Später einer der bedeutendsten Beamten des diplomatischen Dienstes, Botschafter, Staatssekretär und Autor mehrerer Werke zur Außenpolitik. 25 Dies und nächstes Zitat: Brief an Sibylle, 4.8.1941.

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Moritz Arndt26 – das der Verfasser ihm geschenkt hatte – gerade gelesen und anschließend mit ihm darüber diskutiert. Die kritischen Bemerkungen des Assistenten werden auf dem leeren Blatt des Buches vor den ,Anmerkungen und Hinweisen‘ dokumentiert. Es sind handgeschriebene Notizen unter der Überschrift: „Kritik, auf Grund einer Diskussion mit dem Verfasser, 2. November 1942“ gegliedert in zwei Teilen mit ziemlich eindeutig formulierten als Überschriften: „1. Heldengläubigkeit“ und „2. Heroisierung + Idyllisierung in der Darstellung“. Coulmas bezieht sich zunächst auf die im Buch vertretene These „Männer machen die Geschichte“, die er „nur bei ganz grossen, Karl, Alexander, Goethe“ zulassen möchte, um anschließend zu bemerken, daß man in einer „tragischen Figur wie Arndt jemanden, der vom Strom getrieben“ sei, sehen muß, und nicht „einen, der einen Durchbruch vollzieht.“ Fahrner übersähe außerdem alles andere, wie „Einrichtungen, Konstellationen, Ideen, die historische Stoßkraft besitzen“. Den Vorwurf der „Idyllisierung“ im zweiten Punkt seiner Kritik erläutert er als eine Tendenz Fahrners, einen Gegenstand in „edel-frisch-frohem Licht erscheinen“ zu lassen: „Arndt immer aufs Piedestal zu stellen, immer auf einer Theaterbühne erscheinen zu lassen, umrahmt von den Paladinen, den Grossen der Zeit.“ Fahrners Methode ,Männer machen Geschichte‘ wird in dieser Notiz als verkürzend monokausaler Anspruch mit entschiedener Sicherheit von dem jungen Dozenten in Frage gestellt. Vierzig Jahre später nimmt er in seinem Lebenswerk Weltbürger die gleiche Haltung ein, indem er bei seiner Darstellung der Geschichte – durch den Teilaspekt eines immer wiederkehrenden Wunsches nach einem allgemein menschlichen Bewußtsein – Ideen und den daraus entstehenden Konstellationen und Einrichtungen gegenüber dem Wirken der „Großen der Zeit“ Priorität zuspricht.27 Am 6. April 1941 überqueren deutsche Armeeeinheiten die griechisch-bulgarische Grenze. Am Vorabend der Invasion, den 5. April, als der von vielen Griechen für unmöglich gehaltene Angriff Hitlers gegen Griechenland buchstäblich ante portas steht, kehrt Peter Coulmas erneut zur Lektüre von Aischylos – wie Seferis zu Lektüre Platons – zurück. Er wird während der folgenden Wochen und Monaten sich ausschließlich diesem Tragiker widmen. Seine Unterstreichungen und marginalen Notizen zeigen deutlich, worum es ihm geht. Sie betreffen Stellen, die von einem „Muß“ sprechen, von der 26 FAHRNER, Arndt. 27 Auch Arndt selbst – ganz gewiß ein Vorläufer des deutschen Nationalismus – wird von Peter Coulmas mit einem Zitat über die Kosmopoliten (Weltbürger, S. 412) als deren Gegner gesehen; Arndt: „sie verlieren das besondere und eigentümliche Gepräge, […] sie verlieren alle Vorliebe für sich und allen Stolz auf sich als ein solches bestimmtes Volk […] sie werden ein Allerweltsvolk, Allerweltmenschen, was man mit einem prunkenden Namen Kosmopoliten genannt hat […].“

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„Unwendbarkeit“ des Kriegsverhängnisses und der „Hybris“ menschlichen Verhaltens, ein Begriff, dem er auch im späteren Leben Aufmerksamkeit schenkte, ebenso wie dem „Dike“. Auf diesem Sinnzusammenhang basierend, verfaßt er mit kleinen Buchstaben auf zwei Umschlagseiten des Aischylos-Reclambändchens eine kurze Analyse des Stücks. Nach den Persern folgt die Lektüre von Sieben gegen Theben. Auch hier versieht er mit spitzem Bleistift die vorderen leeren Seiten des schmalen Bandes mit einer Gesamtanalyse. Am Text sind weitere Unterstreichungen sowie das Verhängnis feststellende Sätze, so etwa dieser: „Denn ein Geschlecht der Schrekken zeugt der Krieg. Und seine Kinder kennen kein Erbarmen.“28 Dann, im Mai 1941, liest er Die Schutzflehenden, wo u.a. unterstrichen ist „Das Unrecht nur bedient sich der Gewalt“29 und am Rande „ethische Haltung“ notiert wird. Immer wieder wird auf Anmaßung, Frevel, Furcht, Schuld und aber auch auf das Schicksalhafte hingewiesen. So wie bei den folgenden Sätzen: „Thun oder nicht thun bleibt des Zufalls Wahl“ und „Die Götter mögen schalten, die ich ehre.“30 Letzteres wird am Rande mit dem griechischen Wort υποταγή kommentiert, Gehorsam, das sich Fügen. Besagt diese Beschäftigung mit der Thematik des Krieges etwas über die Haltung des Lesenden diesem Krieg gegenüber? Das ist nicht auszuschliessen. Ich denke sie als Aussage über Krieg als ein unausweichliches Übel. Dafür spricht die Tatsache, daß Peter Coulmas bereits im Juli 1940 das Buch eines seiner Lehrer, Johannes Kühn, gelesen hat, das im selben Jahr erschienen und ihm vom Verfasser nach Athen geschickt wurde. Über den Sinn des gegenwärtigen Krieges, eine wissenschaftliche Arbeit aus dem NS-Zeitgeist zugunsten eines antibritischen Europas unter deutscher kultureller Hegemonie. Wie auch in Peter Coulmas’ Bemerkungen zu Aischylos wird auch in seinen Randbemerkungen des Buches von Kühne kein einziges Mal auf das aktuelle Geschehen angespielt. Die Lektüre des Tragikers wurde vielleicht als hilfreich empfunden, im Krieg wenn nicht Sinnvolles zu sehen, so doch Schicksalhaftes oder gar Notwendiges. Von Interesse ist weiter, was seine Beschäftigung mit dem Krieg angeht, daß er bereits am 15. Dezember 1940 Immanuel Kants Schrift Zum ewigen Frieden liest. Auch dieser Reclam-Band ist über und über mit Randbemerkungen versehen. Suchte er nunmehr einen höchsten, philosophischen Rat? Ich möchte es als gewiß unterstellen, insofern als er später immer, und offenbar schon damals, zur Beurteilung geschichtlicher oder soziologischer Phänomene auf höchste geistige Autoritäten zurückgriff. Die durch Aktualität und den jeweiligen Zeitgeist beeinflußten Analysen reichten ihm nicht. Bei Kant unterstrichen sind u.a. folgende Stellen: 28 AISCHYLOS, Die Sieben gegen Theben. S. 17, ohne Versangaben. 29 AISCHYLOS, Die Schutzflehenden. W.o. Nr. 1038, S. 20. 30 AISCHYLOS, Die Schutzflehenden. W.o. Nr. 1038, S. 20, 22.

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da der Krieg doch nur das traurige Notmittel im Naturzustande ist (wo kein Gerichtshof vorhanden ist […]). […] Jeder Staat, und der Glanz seines Oberhauptes besteht darin, daß ihm, ohne daß er sich eben selbst in Gefahr sehen darf, viele Tausende zu 31 Gebot stehen, sich für eine Sache, die sie nichts angeht, aufopfern zu lassen.

Dieser Passus ist mit zwei dicken Strichen am Rande markiert, der Nebensatz „die sie nichts angeht“ unterstrichen. Ebenso der Satz von dem „Pflichtbegriff vom ewigen Frieden“ und von der „Idee einer Weltrepublik“ sowie der Hinweis auf dem kategorischen Imperativ, hier: „handle so, daß du wollen kannst, deine Maxime solle ein allgemeines Gesetz werden (der Zweck mag sein, welcher er wolle).“32 Ich empfinde gerade diese Unterstreichungen im kantischen Text als eine Art Gespräch mit sich selbst; sie sind sehr beredsam, vor allem im Kontext eines immanenten, seines deutschen Heimatgefühls und seiner, ebenfalls vom Europa-Gedanken beeinflußten Haltung. Seine absolute Ablehnung jeglichen rassistischen, oder auch des für ihn indiskutablen, einschränkenden, germanischen Ahnenkults, seine aristokratische Verachtung Hitlers als eines Plebejers mit Wahnvorstellungen – eine bei gewissen Schichten weit verbreitete, wenn auch sicherlich unzureichende Position dem Übel gegenüber – waren Komponenten eines Verhaltens, das schon damals tief im Geist der Aufklärung wurzelte und dem Weltbürgerideal entsprach. Es mag als Gegensatz hierzu anmuten, ist aber für die Situation bezeichnend, wenn im weiter oben erwähnten Aufsatz,33 der 1939 vor Ausbruch des Krieges geschrieben, die Begriffe „Führerprinzip plus Sozialismus“ auftauchen. Dies ist zwar völlig losgelöst vom ,Hitlerismus‘, nichts destoweniger die damals übliche Argumentation über eine „innereuropäische Ordnung“. Erwähnt wird dort die „gegenwärtige Krise Europas“, beklagt wird, daß die Wissenschaft destruktive Zwecke verfolge und „die geistige Anstrengung zahlloser Gehirne in die Kriegsindustrie einmündet.“ Daß „immer raffiniertere Waffen, noch zerstörerischere Tanks, noch verderblichere Bomber, noch tödlichere Gase“ erfunden werden. Es wird festgestellt „Nein, das ist Kulturlosigkeit, nicht Kultur, Barbarei nicht Fortschritt, der Geist von Antieuropa nicht Europa […]. Man hätte bemerken müssen, daß er (der Erste Weltkrieg) ein Symptom, eine Folge des totgelaufenen europäischen Gedankens war.“ Die Völker seien damals von dem „Wunsch nach einer innereuropäischen Ordnung“ geleitet gewesen. An deren Stelle sei Versailles, „die Saat, die den heutigen, neuen Krieg heraufbeschwor [gekommen]. Europa zerfleischte sich selbst und tut es aufs Neue […]. Die Greuel werden darin noch furchtbarer werden, der Einsatz noch bedenklicher.“ – Auf Grund dieser Bedenken kommt er dann zur Schlußfolge-

31 KANT, Friede, S. 38. 32 KANT, Friede, S. 44. 33 S. Anm. 6.

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rung, daß die Herausbildung einer neuen Elite im Dienst der Gemeinschaft nottue, verstanden, wie gesagt, in aristo-kratischer Weise oder im platonischen Sinn von den klugen, geistigen Herrschern. Einer Idee freilich, der nicht wenige kluge Geister, ansonsten ohne Schuld und Schande, damals unterlagen. Ein letztes Wort über meine Lektüre in Peter Coulmas’ Bibliothek. Er hat sich offensichtlich kaum mit neugriechischer Literatur beschäftigt. Unter den griechischen, bzw. auch der aus dem Griechischen übersetzten Büchern seiner privaten Bibliothek gibt es ein Exemplar der Sivylla von Angelos Sikelianos, versehen mit der majestätischen, handschriftlichen Signatur des Dichters, weiter die noch aus der Dresdner Zeit stammende Anthologie Neugriechische Lyriker.34 Unterstreichungen oder Marginalien sind in diesen Büchern nicht vorhanden. Nur in der Lyrik-Anthologie ist in dem Gedicht von Konstantinos Kavafis „Alexandrinerkönige“ (Αλεξανδρινοί Βασιλείς) der Name Caesarion unterstrichen. Im Frühling 1943 verläßt Peter Coulmas Griechenland. Er wird, wie bereits erwähnt, beurlaubt, um sich in Deutschland zu habilitieren, sicher auch wegen der sich nun abzeichnenden Niederlage Deutschlands, nach der er in Griechenland ernsthaftere Folgen zu befürchten hätte als die in der Episode des Jahres 1940. Am 16.11.1943 schreibt ihm Rudolf Fahrner einen Brief, „z.Zt. München-Solln, Hirschenstr. 44“, dem die „gewünschten Zeugnisse“ beigelegt sind, aus denen ich bereits zitierte. Darin ist die Rede von einer weiteren Begegnung der beiden in Berlin sowie von Gesprächen, die Fahrner erfreut hätten. Peter Coulmas mit einer Sendung eine „Überraschung“ zu bereiten, habe er den Verlag gebeten. Er möge ihm seinen Eindruck darüber miteilen. Rudolf Fahrner bewahrte, wie allgemein berichtet wird, trotz überaus freundlichen Umgangs mit Menschen, immer zugleich eine gewisse Distanz. In diesem Brief an Peter Coulmas ist sie kaum zu spüren, höchstens als professorale Haltung gegenüber dem Jüngeren. Meine besten Wünsche auf Ihre Wege. Berichten Sie mir bitte möglichst oft an die obige Adresse (in Deutschland) von Ihren Erlebnissen und: halten Sie das Gemeinsame lebendig. Ihr Prof. Fahrner

Im Nachhinein beinah bewegend sind die Worte, mit denen Fahrner indirekt aber eindeutig jene Einrichtung der Besatzungsmacht erwähnt, welche unter seiner Leitung „gemeinsam“ mit seinen Mitarbeitern zu der staunenswerten, rühmlichen Ausnahme unter den sonst propagandistischen deutschen Einrich34 DIETERICH, Neugriechische Lyriker.

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tungen wurde, das DWI Athen, das im November 1943 im Begriff war, verflossene, unbekannte Geschichte zu werden; ein heller Pinselstrich in düsteren Zeiten, besser noch ein Keil, µια σφήνα, wie man auf Griechisch sagen würde, in das dramatische, finstere Gemälde der deutschen Besatzung. Dank Herrn Prof. Reimar Schefold, Amsterdam, danke ich für die freundliche Überlassung der im Privatdruck erschienenen Autobiographie Rudolfs Fahrners. Sie war vor dem Erscheinen (Köln 2008) nicht öffentlich zugänglich. Besonders danke ich Rudolf Grimm dafür, daß er mir die Lektüre des Athen-Kapitels seiner spannenden, noch unveröffentlichten Schrift ermöglichte, der auf eigenen Erlebnissen fußenden zeitgeschichtlichen Erzählung „Davongekommen! Ein Vierteljahrhundert Zeitgeschichte, erlebt in vier Ländern.“

Literaturverzeichnis AISCHYLOS, Die Sieben gegen Theben. Leipzig: Reclam, o.J. [ca. 1940; RUB 1023]. Ins Dt. übertr. von Hans von WOLZOGEN. AISCHYLOS, Die Schutzflehenden. Leipzig: Reclam, 1944. Ins Dt. übertr. von Hans von WOLZOGEN. COULMAS, Peter: Zwischen Nil und Tigris. Nahost im Brennpunkt. Hamburg: Hoffmann und Campe, 1958. COULMAS, Peter: Frankreich deutet sich selbst. Hamburg: Hoffmann und Campe, 1961. COULMAS, Peter: England deutet sich selbst. Hamburg: Hoffmann und Campe, 1962. COULMAS, Peter: Der Fluch der Freiheit. Oldenburg: Stalling Verlag, 1963. COULMAS, Peter: Wohin marschiert die Dritte Welt? Oldenburg: Stalling Verlag, 1963. COULMAS, Peter: Amerika deutet sich selbst. Hamburg: Hoffmann und Campe, 1964. COULMAS, Peter: Weltbürger. Die Geschichte einer Menschheitssehnsucht. Reinbeck: Rowohlt, 1990; (Les citoyens du monde. Paris: Albin Michel, 1995; Οι πολίτες του κόσµου, Athen: Kastaniotis, 1997). DIETERICH, Karl (Hg.): Neugriechische Lyriker. Mit einem Geleitwort von Gerhart Hauptmann. Ausgewählt und übertragen von Karl DIETERICH. Leipzig: H. Haessel, 1928. ELYTIS, Odysseas: Ανοιχτά χαρτιά (Mit offenen Karten). Athen: Ikaros, 2000. FAHRNER, Rudolf: Arndt. Geistiges und politisches Verhalten. Stuttgart: Stuttgart: Kohlhammer, 1937.

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FAHRNER, Rudolf: Erinnerungen 1903-1945. Aus dem Nachlaß hg. von Stefano BIANCA. Genf: Privatdruck, 1998. [Darin besonders das Kapitel über: Die Athener Jahre (1939-1944). S. 189 ff.] GRIMM, Rudolf: Davongekommen! Ein Vierteljahrhundert Zeitgeschichte, erlebt in vier Ländern. [Unveröffentlichtes Manuskript.] HAUSMANN, Frank-Rutger: „Auch im Krieg schweigen die Musen nicht“: Die Deutschen Wissenschaftlichen Institute im Zweiten Weltkrieg. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2001. KANT, Immanuel: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf. Leipzig: Reclam, 1924; RUB 1501. KÜHN, Johannes: Über den Sinn des gegenwärtigen Krieges. Schriften zur Geopolitik, Heft 19. Heidelberg, Berlin, Magdeburg: Kurt Vowinckel, 1940. KOUTSOUKOU, Fedra: Die deutsche Kulturpolitik in Griechenland in der Zeit des Nationalsozialismus (1933-1944). Berlin: Metropol Verlag, 2008. SEFERIS, Giorgos: Μέρες Γ΄, 16 Απρίλη 1934 - 14 Δεκέµβρη 1941 (Tage ΙΙΙ, 16. April 1934 - 14. Dezember 1941). Athen: Ikaros, 1977.

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Die NS-Kulturpolitik gegenüber Griechenland in der Vorkriegszeit Olympia 1936, Förderprogramme Geisteswissenschaften, Abwerbung griechischer Künstler

Unter dem NS-Regime trat die deutsche Kulturpolitik im Allgemeinen und in Griechenland im Besonderen in eine neue institutionalisierte und intensivierte Entwicklungsphase, da mit der NS-Ideologie die griechische Antike neu definiert und instrumentalisiert wird.1 Motiviert von wirtschaftlichen Interessen des Regimes in Griechenland sorgt dies für eine nachhaltige Wiederbelebung der deutsch-griechischen Beziehungen. Das zunächst euphorische Klima wurde durch den deutschen Einmarsch in Griechenland im April 1941 schlagartig verstört. Auch noch jetzt maß der NS-Staat seiner Kulturpolitik eine bedeutende Rolle zu. In diesem Beitrag soll anhand von prägnanten Fallbeispielen dargelegt werden, daß die deutsche Kulturpolitik der Vorkriegszeit in großem Maße vor allem entworfen war, um das Land mit einer maximalen Werbekampagne von Seiten des Nationalsozialismus zu überziehen. Unter dem Begriff „auswärtige Kulturpolitik“ versteht man die Bestrebungen eines Staates, im Ausland für die eigene Kultur zu werben, oder kulturelle Kontakte aufzubauen. Es handelt sich um einen elastischen Begriff. Kulturpolitik kann gleichermaßen der Völkerverständigung wie auch hegemonialen Zielen dienen. Auswärtige Kulturpolitik liegt aber, wie der Soziolinguist Ammon formuliert, „gewöhnlich durchaus im Interesse ihrer Betreiber.“2 Die Kulturpolitik „bildet eine Art Infrastruktur der Außenpolitik, auf deren Grundlage sich die einzelnen Ergebnisse der Außenpolitik dann später erringen lassen.“3 „Wenn man uns nach unseren Vorfahren fragt, müssen wir immer wieder auf die Griechen hinweisen,“4 sagte Hitler immer wieder intern und schuf dadurch eine „größere Rassegemeinschaft“, die „Griechen- und Germanen-

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SÜNDERHAUF, Griechensehnsucht, S. 295-351. AMMON, Internationale Stellung der deutschen Sprache, S. 527; zitiert nach: SCHOLTEN, Sprachverbreitungspolitik, S. 12. ABELEIN, Kulturpolitik des Deutschen Reiches, S. 191. PICKER, Hitlers Tischgespräche, S. 159.

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tum gemeinsam umschließt“.5 Gern sah er sich als neuzeitlichen Perikles, auch wenn ihm wegen seiner erzieherischen und rassischen Praxis Sparta lieber war. Die Antikenverehrung Hitlers vermittelte ihm nicht nur die geistige Waffe zu einer irrationalen Vereinnahmung der griechischen Klassik, so wie sie in Mein Kampf thematisiert wird. Dem propagandistischen Mechanismus des „Dritten Reichs“ unterworfen, diente sie als eine Brücke zur (offiziellen) Wiederbelebung der im Ersten Weltkrieg abgebrochenen deutschgriechischen Staats- und Kulturbeziehungen. Mithilfe kultureller Aktivitäten sollte in den ersten Jahren der NSHerrschaft die im Versailler Vertrag angeordnete machtpolitische Neutralisierung Deutschlands überwunden werden. Den Balkanstaaten fiel seinerzeit eine immer größere Rolle zu, denn im Rahmen des „,Neuen Plans‘ von Schachts“ wurden rüstungsrelevante Rohstoffe und Agrarprodukte auf dem Weg des Clearinghandels günstig erworben.6 Weiter eroberte Deutschland in Griechenland während der dreißiger Jahre als Wirtschaftsmacht zunehmend eine strategische Position, nicht nur als Abnehmer von landwirtschaftlichen Produkten und Mineralien, sondern auch als Lieferant von Kriegsmaterial für die Aufrüstung der griechischen Streitkräfte. Absehbares Ziel der deutschen Außenpolitik war es, die wirtschaftliche Hegemonie in Griechenland in eine politische umzusetzen. In dieser Hinsicht hat die Pflege der kulturellen Beziehungen katalysatorisch wirken können. Die „Machtergreifung“ 1933 bedeutete zunächst keine Zäsur für die öffentlichen Träger der deutschen Kulturpolitik, die Deutschen Schulen in Athen und Saloniki und das Deutsche Archäologische Institut, die stillschweigend die Tradition der Weimarer Republik weiterführten. Eine vielversprechende Beweglichkeit zeigte dagegen schon seit 1933 die Deutschen Akademie, die bereits jetzt allein in griechischen Städten sieben von den weltweit 17 Außenstellen eröffnet hatte.7 Die „Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und Pflege des Deutschtums“, die sich später zu einer der größten kulturpolitischen Institutionen des „Dritten Reichs“ entwickelte, sorgte bis 1941 als private und ab 1941 als öffentliche Anstalt für die Sprachwerbung und die Pflege der Kulturbeziehungen zum Ausland.8 Erst ab 1937 zeigte sich nämlich das Außenministerium bereit, auswärtige Kulturpolitik in Einklang mit den machtpolitischen Absichten der Außenpolitik zu bringen.

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HITLER, Mein Kampf, S. 470. Vgl. ZACHARIOUDAKIS, Deutsch-griechische Beziehungen, S. 37. Vgl. FLEISCHER, Europas Rückkehr, S. 141. Mehr dazu KOUTSOUKOU, Deutsche Kulturpolitik.

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1. Olympia 1936 Ein Satz Hitlers am Tag der Ankunft des olympischen Feuers in Berlin vor dem Internationalen Olympischen Komitee reichte, um der lähmenden nationalsozialistischen Kulturpolitik den fehlenden Antrieb zu geben: „Ich habe mich nun entschlossen, zur bleibenden Erinnerung an die Feier der XI. Olympiade 1936 zu Berlin, die im Jahre 1875 begonnenen Ausgrabungen der Olympischen Fest- und Sportstätten wieder aufzunehmen und zu Ende zu führen. Ich danke der Königlichen Griechischen Regierung, daß sie ihre freudige Zustimmung zu diesem Werk erklärt hat. Es wird dadurch eine geweihte Stätte alter Kultur der heutigen Menschheit zurückgeben werden.“9 Die verbalen, an das historisch-seelische Empfinden der Massen appellierenden Äußerungen ergänzten die treffende Bild- und Symbolwirkung: die Entzündung der olympischen Flamme in Olympia sowie der zum ersten Mal 1936 durchgeführte Fackellauf von der antiken Kultstätte in einen Austragungsort der Spiele. Hitler hatte die Olympischen Spiele ideal ausgenutzt, um die Sympathie Griechenlands sowie der Welt überhaupt zu gewinnen und das kulturelle Profil des „neuen“ Deutschlands zu exponieren. Vor der internationalen Öffentlichkeit posiert er als Beschützer der Kultur. Die Ausgrabung wurde als seine ureigene Leistung auf dem Gebiet der Archäologie präsentiert. Die Finanzierung des Unternehmens, 300.000 RM in sechs Jahresraten, erfolgte in diesem Fall nicht aus dem Etat des Erziehungsministeriums oder aus dem Erlös der Olympischen Spiele – wie anfangs spekuliert wurde –, sondern, der Bedeutung des Gegenstandes angemessen, direkt aus dem persönlichen Dispositionsfonds des „Führers“, aus Hitlers Einkünften aus Mein Kampf.10 Das Deutsche Archäologische Institut war nur ausführendes Organ.11 Dies mag als ein weiterer Beweis dafür gelten, daß die operative Propagandapolitik des „Dritten Reiches“ „in erster Linie von tagespolitischen Fragen oder als wichtig erkannten Notwendigkeiten und nicht von prinzipiellen Erwägungen“ geleitet wurde.12 9 Neue Athener Nachrichten, 9.8.1936. 10 Vgl. JANTZEN, Einhundert Jahre Athener Institut, S. 52 und FLEISCHER, Europas Rückkehr, S. 142, Anm. 57. 11 Die Idee der Wiederaufnahme der Grabungen geht auf den Leiter des DAI Athen, Professor Georg Karo zurück, der schon im Mai 1934 auf die Aktualität und kulturpolitische Notwendigkeit einer „Verbindung von modernen Spielen und Erforschung der Ursprungstätte“ hinwies. (KYRIELEIS, Abteilung Athen, S. 47). Den Spaten in Olympia hatte erstmalig eine französische Expedition im Jahre 1829 angesetzt. Später waren es vor allem deutsche Gelehrte wie Ernst Curtius und Wilhelm Dörpfeld, die an der Freilegung des berühmten griechischen Heiligtums arbeiteten. (vgl. HERRMANN, Olympia, S. 200 f). 12 BUSSEMER, Propaganda, S. 173.

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Die feierliche Eröffnung der neuen Ausgrabungen wurde am 10. April 1937 durch Reichsminister Rust vorgenommen, der die symbolische Handlung des ersten Spatenstiches ausführte. Anwesend waren auch der griechische Kultusminister Konstantinos Georgakopoulos, Partei- und Grabungsleiter Walther Wrede sowie Vertreter der griechischen Provinzial- und Gemeindebehörden. Zu der vom Auswärtigen Ministerium erwünschten Anwesenheit des griechischen Königs Georg II. bei der Veranstaltung, die dadurch „kulturpolitisch sehr viel wirkungsvoller“ gewesen wäre, kam es jedoch nicht. Der griechische Monarch befand sich auf einer Peloponnesreise.13 Für die Zeremonie auf dem olympischen Gelände war die Anlage mit Blumen in Form eines Hakenkreuzes ausgeschmückt worden.14 Bewertet wurde der kulturpolitische Gewinn als unschätzbar: Je größer die Distanz wird, von dem Augenblick, wo der Herr Reichsminister griechischen Boden verließ, desto mehr habe ich den Eindruck, daß der Besuch in jeder Beziehung für das deutsch-griechische Verhältnis nicht hätte besser, harmonischer und herzlicher verlaufen können [berichtet der deutsche Gesandte aus Athen]. Die so stimmungsvolle Feier des ersten Spatenstichs in Olympia und die dabei [...] gehaltenen Reden sind sicher der Ausgangspunkt einer neuen, glücklichen Periode deutschgriechischer kultureller und wissenschaftlicher Zusammenarbeit, die sich auch allgemein auf politischem Gebiet segensreich auswirken wird. Das Gefühl der Dankbarkeit in weiten Kreisen des griechischen Volkes dem Führer und Reichkanzler gegenüber, der die Fortsetzung der Ausgrabungen in Olympia ermöglicht hat, ist unverkennbar, 15 das Ansehen und die Bewunderung alles Deutschen in steter Zunahme.

Zwar wurde im Nationalsozialismus „Olympia“ zum Inbegriff des „Kampfgeistes“ und des „Ringens um den Sieg“ lanciert, jeder ideologische und parteipolitische Charakter sollte jedoch bei diesem Projekt außen vor bleiben. Dies geht etwa aus einer Anweisung der Präsidialkanzlei an den Erziehungsminister Rust hervor: „Der Führer hat nach Kenntnis der Darlegung Wiegands die Auffassung vertreten, daß für die Auswahl des Leiters der Olympischen Ausgrabungen lediglich fachwissenschaftliche Gesichtspunkte maßgebend seien und politische Erwägungen hinter diesen zurücktreten müßten [...].“16 Theoretisch stand dieser Hinweis in Widerspruch zu der Ernennung des Ersten Sekretärs des Deutschen Archäologischen Instituts in Athen und zugleich Landesgruppenleiters der NSDAP in Griechenland, Walther 13 „Peloponnes-Reise des Königs, die schon lange geplant und unaufschiebbar, erfolgt ausschließlich aus innenpolitischen Gründen. Irgendein Zusammenhang oder [...] Spitze gegen uns und Reise Reichsministers kommt nicht in Frage.“ (PAAA, R 64279, Telegramm der DGA an AA, 24.3.1937). 14 Neue Athener Nachrichten, 17.4.1937. 15 PAAA, R 64279, Politischer Bericht über die Reise von Rust, 28.4.1938. 16 DAI-Berlin, 34-04, Chef der Präsidialkanzlei (Meissner) an Rust, 10.8.1936; zitiert nach: JUNKER, Das Archäologische Institut, S. 71.

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Wrede, zum Grabungsleiter, obwohl die Entscheidung für die Personalunion von Instituts- und Grabungsleiter schon vor seiner Ernennung zum Ersten Sekretär getroffen worden war. Wrede hatte allerdings die wissenschaftliche Konzeption und Durchführung dem Archäologen Emil Kunze und dem Architekten Hans Schleif überlassen, so daß der Grundsatz prinzipiell eingehalten wurde. Es läßt sich daraus folgern, daß dem Regime lediglich die Realisierung des angekündigten Projekts nicht genügte, und es sich vielmehr durch eine hohe fachwissenschaftliche Leistung ausweisen wollte. Zwar firmierte dem Regimeinteresse die Klassische Archäologie länger schon als Legitimationsmittel und Sympathienwerber. Beibehaltung, wenn nicht Maximierung der bekannten deutschen wissenschaftlichen Effizienz würde aber beim konkreten Projekt gewiß größere propagandistische Gewinne erzielen. Aus diesem Grund sollte die rein fachwissenschaftliche und nicht politisch-ideologische Eignung des Grabungspersonals den Vorrang haben. Erreicht wurde letztendlich das Ziel der Werbung für eine unveränderte wissenschaftliche deutsche Leistung nicht nur durch die vorzügliche Arbeit von Kunze und Schleif, sondern vor allem dank der unerwartet reichhaltigen Fundstellen. Diese wirkungsvolle Initiative stellte die deutsch-griechischen Beziehungen in ein neues Licht. Deutschlands Ruf als Kulturnation schien somit vorerst gestärkt und gesichert. Welch hoher propagandistischer Wert der Olympia-Grabung vorbehalten war, ergibt sich auch aus der Tatsache, daß diesem Prestigeprojekt als Ausdruck des Regimeinteresses kein weiteres folgte. Zwar wurden schon begonnene archäologische Unternehmungen als Beweis für die Beständigkeit deutscher wissenschaftlicher Kompetenz absichtlich weitergeführt,17 eine Erhöhung des regulären Haushalts für eine umfangreiche Ausgrabungstätigkeit erfolgte wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage und der schwerfälligen Devisenbeschaffung – später wegen der Rüstungsprioritäten – allerdings nicht.18 Vielmehr erzielte im weiteren das Deutsche Archäologische Institut allein dann schon öffentliche Aufmerksamkeit, wenn prominente Nationalsozialisten bloß durch die griechischen antiken Stätten geführt wurden. Nicht nur das Olympia-Unternehmen, sondern fast jede kulturelle Tätigkeit des Regimes in den dreißiger Jahren in Griechenland zielte auf die bestmögliche propagandistische Wirkung. Die qualitative, rege, aber unaufdringliche kulturelle Betätigung sollte die einheimischen geistigen und wirtschaft17 Im Heraion von Samos gingen Buschors und Schleifs Untersuchungen weiter. Im Kerameikos, der Nekropole von Athen, konnte die seit 1927 wiederaufgenommene Grabung unter Karl Küblers Leitung dank einer Geldspende des Deutsch-Amerikaners Gustav Oberländer bis 1936 fortgesetzt werden. (Vgl. KYRIELEIS, Abteilung Athen, S. 46, und JANTZEN, Einhundert Jahre Athener Institut, S. 51). 18 Vgl. JANTZEN, Einhundert Jahre Athener Institut, S. 52.

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lichen Eliten zu Gunsten des „Dritten Reichs“ stimmen. Die ideologisch nur ansatzweise „verwandte“ Metaxas-Diktatur, die ab August 1936 herrschte, schuf ein günstiges Klima für die Ausweitung des deutschen kulturpolitischen Einflusses.

2. Förderprogramme Geisteswissenschaften Zu den Methoden der Kulturpolitik zählte jedoch nicht nur die kulturelle Betätigung im Gastland, sondern auch die Einladung ausgewählter ausländischer Persönlichkeiten nach Deutschland. Der Neogräzist Franz Dölger19 wies 1937 das Außenministerium darauf hin, daß zur „geistigen Gewinnung Griechenlands“ die Einladung griechischer Gelehrter nach Deutschland, die Förderung des Auslandsstudiums, sowie die Ausrichtung des deutschen Interesses auf die neugriechische Literatur von besonderer Bedeutung seien: Es ist für einen begabten griechischen Studenten das Höchste, an einer deutschen (oder französischen) Universität studieren zu dürfen. Diese jungen Leute, (welche erfahrungsgemäß dann regelmäßig in einflußreiche Verwaltungsstellen in Griechenland einrücken), werden die verhältnismäßig geringen Aufwendungen, (welche wir für ihr 20 Studium in Deutschland zu machen haben), reichlich wieder wettmachen.

„Wir, die Neugriechen, brauchen Deutschland und wir werden es immer brauchen, um Griechen zu bleiben,“ bestätigte im selben Jahr in Berlin der Stipendiat und spätere Professor an der Universität Saloniki Nikolaos Andriotis bei einem Vortrag über die deutsch-griechischen Kulturbeziehungen im Humboldt-Klub vor dem griechischen Gesandten und dem Generalleutnant a.D. und SS-Gruppenführer General von Massow.21 Die Tendenz zur Aufnahme eines Auslandsstudiums hat tatsächlich eine langjährige Tradition in Griechenland. Die Einführung wissenschaftlicher Ideen aus Europa kam im 17. und frühen 18. Jahrhundert in der Zeit der so genannten „Neugriechischen Aufklärung“ auf. Nach der Entstehung eines unabhängigen griechischen Staates 1830 sahen die Griechen die Notwendigkeit, sich wissenschaftlich an das übrige Europa anzuschließen. Die Vergünstigungen, die der Philhellene König Ludwig I. seit seiner Thronbesteigung 1825 den Griechen in Bayern gewährte, bewirkte eine ständige Steigerung der Zahl der griechi-

19 PAAA, R 64279, Berichterstattung über die Jahrhundertfeier der Universität Athen 7.24. April 1937 durch den Führer der deutschen Abordnung Professor Dölger an Reichs- und Preußisches Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 12.9.1937. 20 PAAA, R 64279, Berichterstattung, 12.9.1937. 21 IRMSCHER, Οι επιστηµονικές σχέσεις (Die wissenschaftlichen Beziehungen), S. 343.

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schen Studenten in München bis etwa 1844.22 Gewährleistet werden konnte das Anknüpfen an die deutsche Wissenschaftswelt durch die Athener Universität und die Technische Hochschule, auf die der deutsche Einfluß während ihrer hundertjährigen Entwicklung uneingeschränkt blieb. Diese Tradition hatte ein günstiges Klima geschaffen, das viele Hochschullehrer, Politiker und Künstler gerade im Zeichen der ,neuen‘ Kulturpolitik vor dem Zweiten Weltkrieg zu einem Studienaufenthalt nach Deutschland führte. Im nationalsozialistischen Deutschland vollzog sich sogar eine quantitative Entwicklung hinsichtlich der Zahl der griechischen Studierenden. Die Zahl der insgesamt in Deutschland studierenden Griechen erhöhte sich von 107 im SS 1933 auf 172 im Sommersemester 1938. Ausländische Hochschulen wurden vorwiegend für die postgraduierten Studien besucht. Einer Auswertung der Angaben des Lexikons Who’s Who aus dem Jahr 1962 von Hagen Fleischer zufolge „erfolgten nur sieben Prozent der postgraduierten Studien im Inland, aber 44 Prozent in Frankreich, 28 Prozent in Deutschland, 10 Prozent in den USA, 3 Prozent in Großbritannien, 2 Prozent in Österreich, je 1 Prozent in der Schweiz bzw. Italien.“23 An deutschen Universitäten und Technischen Hochschulen promovierten zwischen 1933 und 1939 einhundertacht Griechen. Es habilitierten sich fünf. Die Mehrzahl sowohl der Dissertationen als auch der Habilitationsschriften wurde im Fach Medizin geschrieben. Ein Doktor der Philosophie wurde einundzwanzig Prozent der Doktoranden verliehen.24 Angesichts der Devisennot Anfang der dreißiger Jahre galt der durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) organisierte Studentenaustausch fast als der einzige Weg, der einen Studienaufenthalt im Ausland ermöglichen konnte. Eine bemerkenswerte Neuerung für die in Griechenland betriebene Stipendienpolitik konnte die nationalsozialistische Wende nicht bedeuten, zumal Griechenland zu den Ländern gehörte, in denen der Austausch nicht intensiviert worden war. Spürbar war bis zu diesem Zeitpunkt die Stipendienpolitik des DAAD durch die einseitig an Ausländer vergebenen Stipendien der Alexander von Humboldt Stiftung (AvHS). Deren Anzahl

22 Vgl. KOTSOWILIS, Die griechischen Studenten in München, S. 21. 23 Vgl. FLEISCHER, Europas Rückkehr, S. 174. 24 Meine Sammlung und Auswertung der Daten aus dem Jahres-Verzeichnis der an den deutschen Universitäten und Hochschulen erschienenen Schriften, Berlin: Asher 19261936 und dessen Fortsetzung, Jahresverzeichnis der deutschen Hochschulschriften: Zusammenfassung der in der ‚Deutschen Nationalbibliographie‘ erschienenen Titel von Dissertationen, Habil.-Schriften, Rektoratsreden und sonstigen akademischen Veröffentlichungen bearbeitet von der Deutschen Bücherei, Leipzig: Börsenverein der Deutschen Buchhändler 1937-1978, erfolgte in Zusammenarbeit mit Maria Zarifi.

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blieb jedoch auch Anfang der dreißiger Jahre sehr niedrig.25 Im akademischen Jahr 1933/34 wurden (von insgesamt zweiundzwanzig griechische Studenten bewilligten Stipendien) sechzehn von der Athener Universität, vier vom griechischen Erziehungsministerium und nur zwei von der AvHS vergeben. Erst im nächsten Jahr kam es zu einem interessanten Anstieg. Die von der AvHS an Griechen erteilten Stipendien betrugen nun zwölf.26 In dieser Hinsicht muß Görings Besuch in Griechenland im Mai 1934 eine gewisse Rolle gespielt haben. Der Ministerpräsident hat sogleich erkannt, wie bedeutend die Stellung und der Einfluß Deutschlands hier gerade in den gebildeten Kreisen ist [...] und daß wir Gefahr laufen, in Zukunft diese Stellung zu verlieren [...]. Der deutsch-griechische Kulturzusammenhang ist ein großes und edles Erbe, das in unsere Hand gelegt ist, und das wir hüten 27 und mehren sollten.

Infolge dessen lag Griechenland im folgenden Jahr (mit 13 Stipendiaten) nach Bulgarien (18) an der Spitze der Stipendienpolitik. Die steigende Tendenz setzte sich auch in den nächsten Jahren fort, mit Ausnahme des akademischen Jahres 1937/38.28 Im allgemeinen wies Griechenland in der Periode 1932-1939 eine der höchsten Stipendiatenzahlen auf, so daß es mit 65 Stipendien den vierten Platz in der Rangliste der AvHS [nach Bulgarien (86), China (85) und Indien (68)] belegen konnte.29 Offensichtlich profitierte Griechenland zu diesem Zeitpunkt als Stipendienempfängerland von den politischen und wirtschaftlichen Interessen Deutschlands im Balkanraum. Was die Auswahlkriterien anbetrifft, verteilte die AvHS Stipendien nach dem Prinzip der kulturpolitischen Bedeutung des Bewerbers: Vorgesehen war eine [...] sorgfältige Auslese solcher Ausländer – gleichviel ob bemittelt oder weniger bemittelt – zu treffen, die nach Ansicht prominenter Stellen (z.B. Deutsche Gesandte und Konsuln, Professoren, zwischenstaatliche Vereine) begabt und

25 Zwischen 1925 und 1930 wurden insgesamt nur 12 Stipendien an Griechen bewilligt, diesen Bewilligungen gingen aber 41 Anträge voraus. (LAITENBERGER, Akademischer Austausch, S. 281). 26 Vgl. LAITENBERGER, Akademischer Austausch, S. 284 f. 27 PAAA, R 64065, DGA an AA, 26.5.1934. 28 Vgl. LAITENBERGER, Akademischer Austausch, S. 284 f. 29 Vgl. LAITENBERGER, Akademischer Austausch, S. 284. In seiner Statistik fehlt das akademische Jahr 1937/38, in dem mindestens sechs griechische Studenten gefördert wurden. (Ich bedanke mich bei Holger Impekoven, Bonn, für die Überlassung von Daten aus seiner noch in Entstehung befindlichen Dissertation über die Rolle der Alexander von Humboldt-Stiftung und die Programme für ausländische Studenten im „Dritten Reich“). Die Gesamtzahl der griechischen Studenten, die von 1933 bis 1939 ein Stipendium der AvHS bekamen, soll ungefähr 73 betragen.

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deutschfreundlich sind und in ihrer Heimat politisch und wirtschaftlich nützlich sein 30 werden.

Die positive Voreingenommenheit der AvHS für Bewerber, die das eigentliche Fachstudium in ihrer Heimat mit bestem Erfolg bereits abgeschlossen hatten und, am Anfang einer beruflichen Laufbahn stehend, sich in besonderem Maße aktiv für die deutschen Interessen einsetzen konnten, wird u.a. durch zwei Faktoren belegt: Ungefähr die Hälfte der griechischen Stipendiaten der AvHS besaß einen Doktortitel; in ihrer Mehrheit waren sie Gymnasiallehrer. Wirft man einen Blick auf die Fächer der geförderten Studenten, so stellt man fest, daß die Tendenz der Stiftung, Stipendien hauptsächlich an Geisteswissenschaftler zu erteilen, auch auf Griechenland zutrifft.31 Diese Tatsache ist dadurch zu erklären, daß die Stiftung „kulturwerbende“ Fähigkeiten hauptsächlich Geisteswissenschaftlern zu erkennen glaubte. Charakteristisch ist die Reaktion des DAAD auf den, nach Besprechungen mit Minister Rust, geäußerten Wunsch des deutschen Gesandten zur Schaffung fünf vorläufiger Stipendien für das Sommersemester 1935 für Studierende bzw. Assistenten der Technischen Hochschule Athen. Zwar bestand die Bereitschaft zur Vergabe zusätzlicher Stipendien in Griechenland, hinsichtlich der Beschränkung der Stipendien auf Angehörige und Absolventen der Technischen Hochschulen wurden aber erhebliche Bedenken geäußert, zumal „die kulturpolitischen Auswirkungsmöglichkeiten von Stipendien größer bei Angehörigen der geisteswissenschaftlichen Fachrichtungen als bei Studierenden der technischen Fächer [sind].“32 Nicht einmal die alarmierende Bemerkung des Gesandten, der die Gefahr des Verlusts der beherrschenden Stellung Deutschlands auf dem Gebiet der technischen Wissenschaften in Griechenland antizipierte, vermochte die Stiftung zum Einlenken zu bewegen.33 Im Zusammenhang mit solchen Vorfällen – und im Rahmen der Intensivierung der deutschen Wirtschaftsbeziehungen mit den Balkanstaaten – entstand in deutschen Wirtschaftskreisen 1936 eine neue Stipendienstiftung, die „Deutschland-Stiftung des Mitteleuropäischen Wirtschaftstages“ (MEWT). Sie erteilte Stipendien an Angehörige technischer, wirtschaftlicher und medizinischer Berufe aus den südosteuropäischen Ländern.34

30 PAAA, VIB Kunst und Wissenschaft 545 Humboldt-Stiftung/1 (alte Signatur) zitiert nach: LAITENBERGER, Akademischer Austausch, S. 291. 31 PAAA, R 64227, Geschäftsberichte der Alexander von Humboldt-Stiftung. 32 PAAA, R 64065, DAAD an REM, 16.1.1935. 33 PAAA, R 64065, Eisenlohr an AA, 10.5.1935. 34 Die Fonds bestanden aus Beiträgen der deutschen Industrie (Krupp, IG Farben), kamen aber auch von dem dem Propagandaministerium unterstehenden Werberat der Deutschen Wirtschaft. Vgl. LAITENBERGER, Der DAAD, S. 38 f. Im Jahr 1936/37 hatte

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Ende 1937 berichtete der griechische Gesandte in Berlin über einen starken Anstieg der Anzahl griechischer Stipendiaten in Deutschland, die zu diesem Zeitpunkt über 50 betrug.35 Die neue Stiftung hatte ihre Existenz bemerkbar gemacht und 26 Stipendien, neben den ebenfalls bemerkenswert erhöhten 19 der AvHS, zur Verfügung gestellt. Das Verhältnis der geförderten Fachrichtungen ist dabei repräsentativ für die unterschiedlichen Prioritäten der Stiftungen: von den 19 AvHS-Stipendien wurden neun an die philologische Fachrichtung, vier an die rechtswissenschaftlichen, drei an die naturwissenschaftlichen, zwei an die medizinischen und nur eines an die technischen Fächer verteilt. Von den 26 MEWT-Stipendien hingegen gingen elf an technische Fächer, neun an die Medizin, vier an die Rechtswissenschaft und zwei an die Naturwissenschaften.36 Zwar galten Archäologie und Germanistik als die in Griechenland meist geförderten Geisteswissenschaften der nationalsozialistischen Kulturpolitik,37 die DAAD-Stipendienpolitik mochte sich aber nicht daran anpassen. Repräsentativ müßte die Bemerkung sein, daß von 50 geförderten Geisteswissenschaftlern nicht mehr als zehn Archäologiestudenten waren. Die Überlieferung der Akten bekundet keinen einzigen Germanistikstipendiaten. An erster Stelle der geförderten Humanwissenschaften lagen Griechische Philologie, Jura und Pädagogik. In den heutzutage schwer zusammenstellbaren Listen der AvHS-Stipendiaten kann man – begrenzt auf den Bereich der Geisteswissenschaften – bedeutende Personen, die beispielsweise später Universitätsstellen in Griechenland besaßen, erkennen. Es geht vor allem um Philologen und Historiker.38 Es handelt sich um einen weiteren Beweis dafür, daß die NS-Kulturpolitik am direkten propagandistischen Effekt orientiert war und langfristige Wirkungen nicht bedachte.

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die neue Stiftung 26 Stipendien zur Verfügung gestellt. (Vgl. LAITENBERGER, Akademischer Austausch, S. 289). Vgl. PAPANASTASIOU, Die Metaxas-Diktatur, S. 100. Vgl. LAITENBERGER, Akademischer Austausch, S. 289. Mehr dazu s. KOUTSOUKOU, Deutsche Kulturpolitik, Kap. 3. Zu erwähnen wären Linos Politis: Humboldstipendiat 1933-35, ein herausragender Philologe und Schriftsteller, Professor an der Universität Saloniki (Lehrstuhl für neugriechische Literatur); Nikolaos Andriotis: Humboldtstipendiat 1935-37, seit 1944 Professor und Rektor (1962) an der Universität Saloniki (Lehrstuhl für Sprachwissenschaft); Konstantinos Vourveris: Humboldtstipendiat 1935-37, Philologe und Professor an der Universität Saloniki (1940-48) und an der Universität Athen (1948-69); Panagiotis Patriarcheas: Humboldtstipendiat 1935-37, Professor an der Universität Athen (Lehrstuhl für Philosophie u.a.). Vgl. auch die Liste von IRMSCHER, Οι επιστηµονικές σχέσεις (Die wissenschaftlichen Beziehungen), S. 347 ff.

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3. Abwerbung griechischer Künstler Die nationalsozialistische Musik- und Theaterpolitik der dreißiger Jahre in Griechenland bestand nicht ausschließlich in der Präsentation der eigenen Produktion im Gastland, sondern vielmehr in der Abwerbung und demonstrativen Förderung griechischer Künstler nach und in Deutschland, eine Strategie die sich als erfolgreich erwies. Einerseits waren griechische Künstler davon angetan, ihr Werk im Ausland präsentieren zu können.39 Andererseits erfreute sich deutsche Musik bereits zuvor großer Bewunderung unter den Griechen und hatte vor allem in der griechischen Hauptstadt schon in den zwanziger Jahren ein hohes Niveau erreicht.40 Die griechische Theaterbühne dagegen zeigte, soweit aus den Quellen ersichtlich, kaum Spuren einer Rezeption deutscher Dramatik oder sonstigen Präsenz auf. Die Politik der Abwerbung erwies sich nach Prieberg als besonders effektiv für die NS-Kulturpolitik: „Eine Menge meist namhafter Künstler von jenseits der Grenzen durften ihre Fähigkeiten zeigen und dann nach der Heimkehr von den ‚idealen Verhältnissen’ berichten, die Hitler geschaffen habe. Mit solchen Zeugen, die liebevolle Betreuung genossen, operierte Goebbels.“41 Es dauerte allerdings eine Weile, bis die Diplomaten des deutschen Außenministeriums wahrnahmen, daß die Taktik der Einladung „bei der Mentalität der Griechen von nicht zu unterschätzender Bedeutung“ war.42 Selbstverständlich hatte die Annäherung der beiden politisch verwandten Regime ab 1937 – nicht zuletzt der Besuch von Goebbels in Athen im September 1936 – der nationalsozialistischen Kunstpolitik neue Wege geöffnet. Aus Anlaß der Hundertjahrfeier der Athener Universität im Jahre 1937 wurden – außer Büchersendungen und Stipendienvergaben – ungefähr 100 Studierende und Künstler aus Griechenland nach München eingeladen und von Hitler empfangen.43 Griechischerseits kann man in dem bekannten Komponisten Manolis Kalomoiris und dem Direktor der Abteilung Literatur und bildende Künste im griechischen Ministerium für Kultur, Kostis Bastias, die Personen erkennen, die auf die propagandistischen Anregungen von Goebbels hin am aufmerksamsten reagierten. 39 „Es ist immer mein Traum gewesen, einmal in Beethovens Heimat den Fidelio dirigieren zu dürfen. Der Traum ist in Erfüllung gegangen“, gesteht der Direktor des Staatlichen Konservatoriums zu Athen, Philoktitis Oikonomidis. (Auszug aus unbekannter deutscher Zeitung unter dem Titel: Pilger zu deutscher Musik. Ein Gespräch mit Philoktitis Oikonomidis vom 20.4.1940. Privatarchiv Oikonomidi). 40 Vgl. TZATHA, Γραµµατεύς εκτός ορχήστρας (Sekretär außerhalb des Orchesters), S. 18. 41 PRIEBERG, Musik im NS-Staat, S. 379. 42 BA, R 55/20521, Kühnly an RMPV, 1.10.1938. 43 Vgl. ROMANOU, Εκπρόσωπος ενός συλλογικού δηµιουργικού οργασµού (Vertreter eines gewaltigen Kreativitätsbooms), S. 65-74.

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Auf die „erstaunliche musikalische Blüte“ des griechischen künstlerischen Elements im „großen teutonischen Land“ bezieht sich eine Reihe von Zeitungsartikeln des Komponisten Manolis Kalomoiris.44 Bis dahin orientiert auf die Erfolge griechischer Künstler in Frankreich, eine Tatsache, die für ihn „eine wirkliche künstlerische Segnung für die neue griechische Musikschule Griechenlands bedeutete,“45 widmete sich der Komponist nach seiner Rückkehr von einer Deutschlandsreise den dort tätigen Griechen. Verwiesen wird auf den Tenor Vassos Argyris, ordentliches Mitglied der Berliner Volksoper, die Sängerin Tycha Tourlitaki, die nach zahlreichen Auftritten an der Oper von Charlottenburg zum ordentlichen Mitglied der Wiener Volksoper wurde, und besonders auf Anna Tassopoulou, welche „dank der wunderbaren Bewegung eines großen Deutschen und Menschen, des Ministers des Dritten Reichs, Herrn Goebbels“ und der „Inspiration des Herrn Ministers Kotzias heute ein leuchtendes Ornament der außerordentlichen melodramatischen Organisation des Deutschen Opernhauses darstellt.“ Als ständiges Mitglied der Berliner Volksoper war auch die Sängerin Fani Aidali aufgenommen worden, während Thanasis Bourlos neben dem Studium bei den besten deutschen Radiosendern als Gast sang. Große Karriere machten die Tenöre Ioannidis und Baxevanos, letzterer ordentliches Mitglied der Kieler Oper, sowie der Bariton Thanassis Melos.46 Fest ansässig in der Reichshauptstadt konnte Petros Petridis als Komponist immer größere Anerkennung bei der deutschen Hörerschaft finden, mehr noch die talentierten Pianistinnen Antoniadou und Kostala. Steigend war außerdem die Zahl der an der Berliner Musikhochschule studierenden Griechen.47 Die große Zeit für Kalomoiris wird jedoch erst im Februar 1940 kommen, als er in der Berliner Volksoper seine Komposition Der Ring der Mutter uraufführt.48 Das „deutschtümliche“ Element der Oper, die deutsche Herkunft des Motivs des Ringes sowie sein „völkischer“ Charakter begeistern das Publikum. Die deutsche Presse wird Kalomoiris als einen vorbildlichen Vertreter des „griechisch-deutschen Schöpfergeistes,“ als eine Persönlichkeit griechischen Kulturlebens von internationalem Rang, die dem wagnerischen Ideal Geltung zu verschaffen vermochte, auszeichnen.49 Der Komponist ließ sich allerdings durch deutsche oder weitere Vorbilder westeuropäischer Musik 44 Ethnos, 15.11.1938. Ich danke Frau Romanou, Assistenzprofessorin für Musikwissenschaft an der Universität Athen, für die Bereitstellung der in der Zeitung Ethnos erschienenen Artikel von Kalomoiris. 45 Ethnos, 4.1.1938. 46 Ethnos, 6.1.1939. 47 Ethnos, 14.1.1939. U.a. studierten Angeli Karperou und Tsoukalas Lied, Eleni Sgourou Musikpädagogik und Leonidas Zoras Komposition. 48 Vgl. BOURLOS, Με τον Μανώλη Καλοµοίρη (Mit Manolis Kalomoiris), S. 49. 49 Vgl. SIOPSI, Τρία δοκίµια (Drei Essays), S. 43.

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nur in dem Maß beeinflussen, als er diese als kulturelle Beispiele betrachtet, mittels derer die Werte des „Griechentums“ gezeigt werden konnten. Eine genuine Beziehung der Produktion und der Ideen von Kalomoiris zum Nationalsozialismus und dessen Ideologie kann nicht als selbstverständlich mitunterstellt werden.50 „Solche Beziehungen sind“, wie die Musikkritikerin Romanou bemerkt, „zwar offenkundig, ihr Ausgangspunkt ist es aber nicht.“51 Als ,rechte Hand‘ von Metaxas in den Kulturangelegenheiten, nahm Bastias, wie bereits erwähnt, die Position des Direktors für Literatur und bildende Künste im Ministerium für Kultur ein, „eine glückliche Verbindung zwischen Staat und Kunst“, wie der Völkische Beobachter52 bezeichnender Weise bemerkte, die ihm absolute Bewegungsfreiheit gewährte. Bastias wandte sich an das Propagandaministerium und äußerte „im vollsten Einverständnis der nationalen Regierung“ den Wunsch, „die engsten Verbindungen zu der amtlichen Theaterbewegung des Bruder-Volkes Deutschlands“ anzuknüpfen.53 Das Ministerium begrüßte den Austausch nachdrücklich.54 Im Juni 1938 reiste Bastias nach Berlin, um sich über die Wanderbühnen informieren zu lassen.55 Als Gast der Reichstheaterkammer für die „Reichstheaterwoche“ in Wien kam er in Kontakt mit dem Leiter der „Auslandsstelle des Bühnennachweises“, Kühnly, mit dem er alle Möglichkeiten für Gastspiele deutscher Künstler in Athen und eventuelle Austauschgastspiele griechischer Künstler in Deutschland diskutierte. Die technische Abwicklung solcher Gastspiele sollte ein Abkommen regulieren, „wonach nur solche Griechen für Gastspiele in Deutschland infrage kommen, die offiziell von dem zuständigen Ministerium empfohlen wurden.“56 Die Verhandlungen verliefen nicht ergebnislos. Die Frankfurter Oper wurde nach Athen verpflichtet, um Wagners Ring der Nibelungen in Griechenland uraufzuführen.57 Als Folge dieses Gastspiels war im Juni des folgenden Jahres das griechische „Königliche Theater“ in Frankfurt am Main und Berlin eingeladen. Das Ensemble – unter ihnen die Schauspieler Alexis Minotis, Katina Paxinou, Aimilios Veakis – wurde trotz der vorgerückten Zeit am Frankfurter Hauptbahnhof von zahlreichen deutschen Persönlichkei50 Vgl. SIOPSI, Τρία δοκίµια (Drei Essays), S. 64. 51 ROMANOU, Εκπρόσωπος ενός συλλογικού δηµιουργικού οργασµού (Vertreter eines gewaltigen Kreativitätsbooms), S. 70. 52 Völkischer Beobachter, 2.7.39. 53 BA, R 55/20520, Bastias an RMVP (Schlösser), 9.9.37. 54 BA, R 51/20520, Schlösser an Bastias, 23.9.37. 55 Vgl. BASTIAS, Ο Κωστής Μπαστιάς (Kostis Bastias), S. 73. 56 BA, R 51/20520, Bühnennachweis der Reichskulturkammer (Kühnly) an RMVP, 2.9.38. 57 Athinaïka Nea, 29.6.1939, zitiert nach: BASTIAS, Ο Κωστής Μπαστιάς (Kostis Bastias), S. 277.

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ten, insbesondere Schauspielern und Journalisten, in Empfang genommen. Geplant war die Aufführung der Elektra des Sophokles auf einer Freilichtbühne und diejenige von Hamlet im „Schauspielhaus“.58 Der Frankfurter Bürgermeister, Professoren und Studenten der Heidelberger Universität, Offiziere, Künstler und Journalisten ließen sich von der außerordentlichen Leistung der Truppe begeistern, während die deutsche Presse von Enthusiasmus überfloß.59 „Wenn die Deutschen […] uns sagen, daß sie uns lieben, dann glauben wir ihnen. Denn es ist unmöglich zu akzeptieren, daß die geistigen Kinder von Goethe, Schiller, Kleist, Wilamowitz und Dörpfeld, die Griechenland so sehr liebten, gleichgültig oder feindlich Griechenland gegenüber bleiben können.“60 Mit diesen Worten verließen Bastias und sein Ensemble Frankfurt in Richtung Berlin, um in dem neu gebauten Schiller-Theater Elektra aufzuführen. An erster Stelle auf der Eingeladenenliste prangte der Name von Adolf Hitler, der allerdings bei der Aufführung nicht anwesend war.61 Seitens des abwesenden „Führers“ wurde Bastias das Verdienstkreuz des Ordens vom Deutschen Adler mit dem Stern verliehen. Die Aufführung, deren Generalprobe verfilmt wurde, wurde von der deutschen und griechischen Presse als ein neuer Triumph bezeichnet.62 Die weit den erwarteten Rahmen überstiegenen Aufführungskosten von 11.407 RM, die zur Hälfte das Propagandaministerium übernahm, wurden offensichtlich durch den innen- und außenpolitischen Propagandaerfolg des Regimes für wettgemacht angesehen.63 Denn auch im Hinblick auf die „gesamte Kulturpolitik auf dem Balkan“ hielt die Theaterabteilung im Propagandaministerium es „für unbedingt erforderlich, das Gastspiel in Berlin durchzuführen.“64 Der deutschen Seite war bewußt geworden, daß das Zustandekommen einer solchen Aufführung von griechischer Seite als eine Prestigefrage angesehen wurde.65 Und bei dieser Einschätzung täuschte man sich nicht. Doch der zwischenzeitliche Ausbruch des Krieges hatte die Euphorie schon merklich abgekühlt. Als der Leiter der „Auslandsstelle des Bühnennachweises“ Kühnly Ende September 1939 Athen besuchte, um weitere Abkommen zu schließen, hatte sich die Lage verändert. Ihm gegenüber erklärte Bastias, daß Griechenland unbedingt neutral bleiben müsse, vor allem im 58 Vgl. BASTIAS, Ο Κωστής Μπαστιάς (Kostis Bastias), S. 283. 59 Vgl. BASTIAS, Ο Κωστής Μπαστιάς (Kostis Bastias), S. 95. 60 Athinaïka Nea, 29.6.1939, zitiert nach: BASTIAS, Ο Κωστής Μπαστιάς (Kostis Bastias), S. 277. 61 Anwesend waren Vertreter der Reichs- und Präsidialkanzlei, des Oberkommandos der Wehrmacht, der Reichskulturkammer, der Partei, der SA und SS sowie Bankiers und Industrielle. (BA, R 55/20521, Einladungen für die Vorführung, Bl. 90-120). 62 Vgl. BASTIAS, Ο Κωστής Μπαστιάς (Kostis Bastias), S. 95 f. 63 BA, R 51/20521, Schiller-Theater an RMVP, 16.8.1939. 64 BA, R 51/20521, Theaterabteilung an Minister, 8.6.1939. 65 BA, R 51/20521, Kühnly an RMVP, 24.3.1939.

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Hinblick auf die Engländer. „Ich erwähnte ihm [Bastias] gegenüber ganz bewußt, daß eine große Anzahl griechischer Opernkünstler (ich habe die Anzahl naturgemäß auch übertrieben) an deutschen Bühnen fest verpflichtet seien und durchweg sehr anständige Gagen erhalten,“ berichtete Kühnly dem Propagandaministerium.66 Und angesichts der Tatsache, daß eine Wiederholung der Gastspiele des „Königlichen Theaters“ in Deutschland nicht infrage kam, da die Bestimmungen über die Ausreise von Griechen aus Griechenland sehr streng waren, zeigte sich Kühnly bereit, einige der griechischen Schauspieler als Gäste des Frankfurter Ensembles mitzubringen.67 Trotz intensiver Unterhandlungen fand sich Bastias nicht bereit, die prekäre Balance zwischen Deutschland und England zugunsten Deutschlands zu gewichten. Zwar verliehen die große deutsche Kunsttradition sowie die aktuelle nationalsozialistisch inspirierte Belebung der Kulturbeziehungen zu Griechenland dem zeitgenössischen „Deutschen Reich“ bei vielen griechischen Kulturschaffenden einen besonderen Glanz und eine Vorbildfunktion. Die meisten Künstler konzentrierten sich aber auf ihre eigene Produktion, ihre Karriere und ihre Werbung.68 Der Nutzen der Gefälligkeitsbeziehungen war zweifellos gegenseitig: Griechische Künstler, wie Kalomoiris, konnten sich der internationalen Anerkennung ihres Werks mit großen Schritten näher wähnen, während das nationalsozialistische Regime auf internationalem Parkett als Protektor der Künste aufzutreten vorgab. Möglichkeiten dazu hatte sich das Kunst- und Propagandaministerium mit den bekannten nationalistisch-rassistischen Leitlinien im allgemeinen genuin selbst verbaut.

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66 BA, R 55/20520, Kühnly an RMVP, 27.10.1939. 67 BA, R 55/20520, Kühnly an RMVP, 27.10.1939. 68 Vgl. ROMANOU, Εκπρόσωπος ενός συλλογικού δηµιουργικού οργασµού (Vertreter eines gewaltigen Kreativitätsbooms), S. 70.

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Zeitungen Athinaïka Nea (21.6.1939) Neue Athener Zeitung (9.8.1936, 17.4.1937) Ethnos (4.1.1938, 15.11.1938, 6.1.1939, 14.1.1939)

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Im Fadenkreuz der NS-Kulturpolitik Förderstrategien für die Natur-, Technik- und Humanwissenschaften Griechenlands

Stipendienvergabe zwischen Kulturpolitik und NS-Propaganda Bis zum Jahr 1936 besaß Deutschland eine dominante Position in Griechenland, nicht nur auf wirtschaftlicher, sondern auch auf kultureller Ebene, mit der Sprache an erster Stelle, denn es war „German, not French, […] the foreign tongue most heard.“1 Zur selben Zeit berichteten die Nationalsozialisten stolz, ihre Position in Griechenland hätte sich über alle Erwartungen hinweg seit 1936 verbessert, was zu einem Großteil auf die Sympathien des Diktators Ioannis Metaxas, der am 4. August desselben Jahres an die Macht kam, mit dem nationalsozialistischen Regime zurückzuführen wäre. Allerdings räumten sie ein, daß Griechenland eher England als Schutzmacht ansah, etwa bei einem Kriegsfall im Ägäischen Meer. Ein solcher war eine ständige Bedrohung und durch den abessinischen Konflikt im Jahre 1935 wieder in den Vordergrund gerückt.2 So blieb mit Metaxas Wertschätzung des nationalsozialistischen Deutschlands für Großbritannien nicht viel Spielraum, weiteren Einfluß in der griechischen Gesellschaft zu gewinnen. Es war offensichtlich, daß für Deutschland das ,Goldene Zeitalter‘ angebrochen war, wirtschaftlich und hinsichtlich seines kulturellen Einflusses auf Griechenland. Im Jahre 1937 rühmte sich das „Dritte Reich“, sowohl der führende Importeur als auch der führende Exporteur von Waren nach bzw. aus Griechenland zu sein. Der deutsche Botschafter berichtete, der Umsatz von 74 Millionen Reichsmark im Jahr 1933 sei auf 132 Millionen im Jahr 1936 gestiegen, als direktes Ergebnis eines wachsenden kulturellen Einflusses.3 Diese Sicht wurde durch eine Reihe von Institutionen bekräftigt, welche die bestehenden kulturellen Aktivitäten gegenüber Griechenland systematisch ausbauen und 1 2 3

Undatiertes Manuskript, eingeordnet als Pol. IV.2930 des Artikels von Vizeadmiral a. D. Usborne in der Zeitschrift Great Britain and the Near East, 1937, in: PAAA, R 61147. Politischer Bericht des deutschen Botschafters in Athen, Prinz zu Erbach, an das Auswärtige Amt in Berlin: „Die Achse Berlin-Rom und die Besserung der italienischgriechischen Beziehungen“, 29.5.1937, in: PAAA, R 61147. Ebd.

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über bilaterale Kooperationen sichern wollten. Damit wollten sie u.a. die höhere Bildung in Griechenland beeinflussen und junge Wissenschaftler nach Deutschland holen.4 1934 wurde eine „Griechisch-Deutsche Studentenvereinigung“ an der Universität Athen gegründet, um den Studentenaustausch zu fördern und Vortragsabende mit in Athen ansässigen deutschen Wissenschaftlern zu organisieren. Ein Jahr später richtete Gottfried Felix Merkel, Deutschtutor an der Technischen Universität, zusammen mit dem deutschen Botschafter in Athen, Eisenlohr, die „Mittelstelle für Deutsch-Griechischen Kulturaustausch“ ein. Diese wurde zur zentralen Organisation für den Studentenaustausch sowie einer Kampagne zugunsten deutschsprachiger höherer Bildung für weiterführende Studien in Griechenland. Dieselbe Stelle organisierte und kontrollierte auch die Sprachpropaganda im Land.5 Zu ihren Aufgaben gehörte ebenfalls die Verbreitung wissenschaftlicher Literatur, die in Griechenland nur schwer zu bekommen war. Ergebnis sollte eine Mobilität der Studenten und Wissenschaftler sein, und diese zeigte sich in der steigenden Zahl von Einladungen an bedeutende griechische Akademiker nach Deutschland, sowie in der Stipendienvergabe.6 Die Mittelstelle arbeitete unter der Schirmherrschaft der „Deutschen Akademie“ in München. 1937 wurde zwischen dem „Deutschen Akademischen Austauschdienst“ (DAAD) und dem „Universitätsclub Athen“ schließlich ein Abkommen über den Studentenaustausch unterzeichnet. Demnach sollten pro Jahr je drei Studenten beider Länder den Partner besuchen.7 Etwa zwei Jahre später wurde von beiden Ländern ein Kulturabkommen auf Staatsebene unterzeichnet. Es ratifizierte die seit langem bestehende kulturelle Zusammenarbeit. Die Art ihrer Modifikationen seit 1933 zu analysieren ist aufschlußreich, um spezifische Fortschritte im Laufe der folgenden Jahre bis zu ihrem Höhepunkt nur wenige Monate vor Ausbruch des Krieges richtig bewerten zu können. 1933 stellte Konstantinos Logothetopoulos, Professor für Gynäkologie und Rektor der Universität Athen, der in der künftigen 2. Kollaborations-

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Bericht von Dr. Feist (Teil I: Hochschulwesen) an das Auswärtige Amt, 3.9.1938, in: PAAA, R 66599. Akte: G.F. Merkel, Mittelstelle für Deutsch-Griechischen Kulturaustausch Athen. Mittelstelle der Deutschen Akademie München an das Auswärtige Amt, Kulturabteilung, Berlin, 21.2.1935, in: PAAA, R 64065. Überraschend genug wurde der Betrag von 800 Reichsmark, der der Mittelstelle zur Verfügung stehen sollte, 1935 ausgesetzt, da der deutsche Botschafter in Athen diese Ausgabe als nicht notwendig ansah. Im darauffolgenden Jahr wurde der Betrag auf 600 RM reduziert. Siehe: Deutsche Gesandtschaft Athen an das Auswärtige Amt, 21.3.1936, in: PAAA, Deutsche Gesandtschaft Athen, Nr. 63 (Kulturpolitik: Schulen, Presse, Verschiedenes, Wissenschaft, 1935-1939). Ebd.

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Regierung von November 1942 bis zum 6. April 1943 als Ministerpräsident8 fungieren sollte, in einer feierlichen Ansprache am Ende seiner Amtszeit fest: die Mittel für Forschung in angewandter Pharmakologie seien sehr begrenzt und behindern die Leistungsfähigkeit griechischer Wissenschaftler. Sollte Deutschland nicht etlichen Laboratorien, etwa für Anatomie, pathologische Anatomie, Histologie, experimentelle Physiologie, pathologische Physiologie, angewandte Pharmakologie, Mikrobiologie, Hygiene und Anthropologie deutsche Zeitschriften stiften, verschlechtere sich die Lage weiter.9 Die Spende traf im darauffolgenden Jahr ein.10 Eine Bewunderung angesichts der überlegenen Qualität und Fortschritte der deutschen Forschung spiegelte sich in den Anstrengungen der griechischen Wissenschaftler wieder, den deutschen Leistungen in Zeitschriftenpublikationen und Experimenten nachzueifern. 1934 plante der Professor für Medizin an der Universität Athen, Vlassios Vlassopoulos, ein großes Labor für chemische Medizin nach deutschem Vorbild einzurichten. Da ihm für die Laborarbeit Experten fehlten, kontaktierte er die „Reichsarbeitsgemeinschaft der Berufe im sozialen und ärztlichen Dienste“ und erbat um Vermittlung technischer Assistenten.11 Allerdings umging er eine Vertragsvereinbarung, da die wissenschaftliche Gemeinschaft bei der Einstellung eines Ausländers an einer griechischen Universität irritiert hätte reagieren können.12 Unterstützungsbedarf seitens der deutschen Wissenschaft gab es nicht allein wegen fehlender Absolventen höherer Bildung in Griechenland. Es fehlte allgemein an Akademikern mit technischen Fachkenntnissen. So hatten etwa das Landwirtschafts-, das Transport- und das Gesundheitsministerium dringenden Personalbedarf. Fortbildungsmaßnahmen und Gastdozenturen mit 8

Während der deutschen Besetzung Griechenlands wurden drei KollaborationsRegierungen durch das Naziregime gebildet: vom 8. Mai 1941 bis November 1942 war Georgios Tsolakoglou Ministerpräsident. Konstantinos Logothetopoulos besetzte denselben Posten bis zum 6. April 1943 and Ioannis Rallis bis zum Ende des Krieges. 9 Konstantinos Logothetopoulos, Professor für Gynäkologie: Έκθεση Πειραµατικής Φαρµακολογίας (Διευθυντής: Γ. Ιωακείµογλου) (Bericht über die Laborarbeit zur experimentellen Pharmakologie, unter der Leitung von G. Ioakeimoglou), in: Ιστορικό Αρχείο του Πανεπιστηµίου Αθηνών (Historisches Archiv der Universität Athen, HAUA), Πρυτανικοί Λόγοι (Reden der Dekane), 1932-33. 10 Rede von Stylianos Seferiadis, Professor für internationales öffentliches Recht, S. 10, in: HAUA, Πρυτανικοί Λόγοι (Reden der Dekane), 1933-34. 11 Reichsarbeitsgemeinschaft der Berufe im sozialen und ärztlichen Dienste an das Auswärtige Amt, 23.3.1934, in: PAAA, R 64065. 12 Siehe auch den Fall des Entomologen Franz Maidl, Kurator der Zoologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums in Wien, der sich um eine Stelle beim Zoologischen Museum der Universität Athen bewarb, sowie die Antwort des Direktors. In: Αρχείο του Ζωολογικού Μουσείου του Πανεπιστηµίου Αθηνών (Archiv des Zoologischen Museums der Universität Athen, AZM), Akte Nr. 504-719, Jan. 1937 - Dez. 1938.

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ausländischer Hilfe konnten den Mangel etwas lindern. Im Jahr 1934 wurde zum Beispiel Georgios Karakassounis, ein Beamter des griechischen Ministeriums für Hygiene, zugleich Assistent an der Technischen Universität von Athen und Schatzmeister der Rockefeller-Stiftung, an die Technische Universität Berlin geschickt, um sich auf Wasser- und Schiffsbau zu spezialisieren.13 Und Georgios Ioakeimoglou, Professor für Pharmakologie und Leiter des betreffenden Labors an der Universität Athen, berichtete gegenüber einzelnen Diplomaten der Deutschen Botschaft, es sei in kulturpolitischer Hinsicht wichtiger, wenn deutsche Dozenten kontinuierlich Vorlesungen an der Universität, anstelle nur gelegentlicher Vorträge eines Gastprofessors, hielten.14 Solche kontinuierlichen Vorlesungen würden griechische Studenten zu einem weiterführenden Studium an einer deutschen Universität ermutigen. Weiter kannte das deutsche Auswärtige Amt die kulturpolitische Bedeutung der Medizin in Griechenland. Bereits 1932 hatte das griechische Kultusministerium der Hamburger Universität Interesse signalisiert, „eine feste Tradition der Ausbildung griechischer Ärzte in Hamburg“ schaffen zu wollen.15 Absicht war eine Kooperation auf Hochschulebene zur wirtschaftlichen Unterstützung der griechischen Studenten und mit Hilfe des DAAD.16 Vassilios Malamos kann beispielhaft für das Profil derjenigen Griechen genannt sein, die derart vom Deutschen Reich Unterstützung erhielten. Als guter Student, der solche finanzielle Förderung verdiente, nahm er nach dem Studium der Medizin an der Universität Hamburg ein weiteres einjähriges Forschungsstipendium wahr, um als Assistent an derselben Universität zu arbeiten. Er beschritt sozusagen den Königsweg‘ zu einer Berufung an die Universität Athen.17 Der Sohn eines Hamburger griechischen Kaufmanns und früheren Admirals – 1917 war dieser durch die Entente zum Austritt aus der

13 Verbalnote [Aktennotiz]. Legation de Grèce, Berlin, an das Auswärtige Amt, 26.3.1934, in: PAAA, R 64065. Siehe auch: Liste der „Studierenden [griechischer Gymnasialprofessoren] in der Zeit vom Sommersemester 1929 bis Wintersemester 1931/32“, in: PAAA, R 64064. 14 „Aufzeichnung“ der Deutschen Botschaft in Athen an das Auswärtige Amt in Berlin, 22.5.1934, in: PAAA, R 64065. 15 Auswärtiges Amt an Wrochem (Hochschulbehörde der Universität Hamburg), 22.6.1932, in: PAAA, R 61147. 16 Ebd. 17 Ebd.; Hochschulbehörde Hamburg an Terdenge, Ministerialdirigent des Auswärtigen Amtes, 16.6.1932, in: PAAA, R 61147; Griechisches Bildungsministerium an das Rektorat der Universität Athen. Unterzeichnete Bekanntmachung des griechischen Botschafters in Berlin, Rizos Rangabé, 24.11.1937, in: HAUA, Αρχείο Πρωτοκόλλου, 1-1 Διορισµοί Καθηγητών (Προκήρυξη Πληρώσεως Εδρών και άλλες Διαδικασίες) (Korrespondenzarchiv, 1-1 Ernennung der Professoren), 1937-38.

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Armee gezwungen, da er germanophile Gedanken geäußert hatte18 – gelangte in der Zwischenzeit auf eine Professur und erhielt als herausragender Parasitologe internationale Anerkennung. Während der Nazizeit blieb er Mittler zwischen deutschen und griechischen Wissenschaftlern. Dieselben Erwartungen hatten die deutschen Fördereinrichtungen auch an andere griechische Stipendiaten. Malamos als früherer Assistent und Freund von Peter Mühlens, Leiter des Instituts für Tropenmedizin in Hamburg, wurde dessen Verbindungsmann in Griechenland, als dieser in den späteren 30er Jahren sich darum bemühte, ein Tropeninstitut in Athen zu gründen. Mühlens kam 1939, nach einem Besuch auf dem Balkan, nach Griechenland. Einer seiner Pläne war, eine Woche der Tropenmedizin in Athen und Sofia zu organisieren. Die Attraktion dieser Veranstaltung sollte das Wandermuseum des Hamburger Instituts sein. Mühlens betonte, die Veranstaltung in Griechenland sei die erste Unternehmung dieser Art in Kooperation beider Länder seit dem Versailler Vertrag.19 1940 diskutierte er mit den griechischen Behörden die Idee, ein Tropeninstitut in Griechenland einzurichten. Ein Jahr zuvor hatte bereits Malamos bei den Vorbereitungen eine signifikante Rolle gespielt. Mühlens hatte seine Idee auch dem König von Griechenland, Georg II., vorgestellt, der seine Unterstützung zugesagt hatte. In seinem Reisebericht unterstrich Mühlens die kulturpolitische Bedeutung des Instituts. Er argumentierte damit, daß Deutschland angesichts des fehlenden Interesses seitens der Briten und der Franzosen weitreichenden Einfluß ausüben würde. Die einzige „Bedrohung“ für das deutsche Ansehen, so seine Warnung, könnten die Amerikaner mit ihrer Rockefeller-Stiftung darzustellen.20 Und tatsächlich sollten sich seine Befürchtungen bald bestätigen.21 Gleiche Erwartungen, wie Malamos sie erfüllt hatte, richteten sich an andere Stipendiaten. Man war sich der Bedeutung junger griechischer Wissenschaftler beidseits bewußt. Ioakeimoglou brachte darüber hinaus die Idee zur Sprache, den Studenten Preise und Diplome zu verleihen, wie in der französischen auswärtigen Kulturpolitik üblich. Dies würde den Absolventen Ansehen in Griechenland verschaffen und ebenso der deutschen Kulturpolitik.

18 Hochschulbehörde der Universität Hamburg an Terdenge, Ministerialdirigent des Auswärtigen Amtes, 16.6.1932, in: PAAA, R 61147. 19 Reisebericht Professor Mühlens, Griechenland (Auszug; 3.-7.6.1939), in: Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft (MPGA), Abt. I, Rep. 1A, Nr. 2949/2. Ein Datum führt das Dokument nicht auf. 20 Ebd. 21 Ein Jahr zuvor wies Athens Bürgermeister Konstantinos Kotzias ein Baugelände für die Errichtung einer Modell-Hygieneorganisation aus, die durch den Direktor der Rockefeller-Stiftung in Griechenland, M.C. Balfour, initiiert worden war. Siehe: Kotzias, Σταυροφορία (Kreuzzug), S. 217.

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Selbst ein in Deutschland ausgebildeter Wissenschaftler mit einer erfolgreichen Karriere in Berlin, wurde Ioakeimoglou von deutschen Diplomaten als einer der bedeutendsten griechischen Repräsentanten deutscher Berufsausbildung angesehen.22 Beide Vorschläge, einschließlich des Professorenaustausches und der Vergabe von Diplomen an junge Wissenschaftler, unterstützte besonders Botschafter Dr. Eisenlohr.23 Wenige Monate später wurde Ioakeimoglou von der „Deutschen Akademie“ in München und der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin zu Vorträgen eingeladen. Umgekehrt entsandte man Hans Heinrich Borcherdt, Extraordinarius für Neuere deutsche Literaturgeschichte an der Universität München, nach Athen.24 Trotz einzelner Förderungen entsprechend dem Fall Malamos, blieb die Zahl der Griechen, die mit einem DAAD-Stipendium an deutschen Hochschulen studierten, vorerst gering. Während der ersten Jahre des „Dritten Reiches“ bevorzugte die Kulturpropaganda Kandidaten der Geisteswissenschaften bei der Vergabe der Stipendien, sodaß Naturwissenschaften und Medizin zweitrangig behandelt wurden. Im Bereich der Technik hielt man etwa die Ingenieurswissenschaften für kulturpolitisch bedeutsam, sodaß die Stipendien auch hierher gingen.25 Angesichts der kleinen Zahl Wissenschaftler, die mit dem begrenzten Budget des „Dritten Reiches“ gefördert werden konnten, fand sich Reichsmarschall und Ministerpräsident Hermann Göring während seines Besuchs 1934 in Griechenland zu dem Statement veranlaßt, Deutschlands Einfluß hier sei gefährdet. Er versprach, im preußischen Bildungsministerium um eine Erhöhung der Stipendienzahl auf einhundert nachzusuchen. Neben den Universitäten Athen und Saloniki sollte auch an die Technische Universität gedacht werden.26 Göring beabsichtigte dabei, die Industrie- und Handelskammer in Breslau an den zu vergebenden Stipendien mitzubeteiligen, um so griechische Studenten auch zum Studium an der Breslauer Universität zu mo22 Er studierte Medizin an der Universität in Berlin und wurde von 1913 bis 1928 zum Professor für Pharmakologie an der Universität ernannt. 23 Der deutsche Botschafter in Athen (Eisenlohr) an Stieve (Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes), 2.5.1934, in: PAAA, R 64065. 24 Deutsche Akademie München an das Auswärtige Amt z.H. von Vizekonsul von Heinz, Berlin, 12.6.1934, in: PAAA, R 64065; der Preußische Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Berlin, an das Reichsministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung und an das Auswärtige Amt, 11.8.1934, in: PAAA, R 64065. 25 Zentralbüro des DAAD an die Deutschen Auslandsvertretungen. Zweigstellen des DAAD. Akademische Auslandsstellen. (Den Mitgliedern des Auswahlausschusses der Alexander von Humboldt-Stiftung und den Mitgliedern des Vorstandes und Senats des Deutschen Akademischen Austauschdienstes zur Mitkenntnis.) am 22.6.1935, in: Bundesarchiv Koblenz (BAK), ZSg 137/18. 26 Der deutsche Botschafter in Athen (Eisenlohr) an das Auswärtige Amt in Berlin am 26.5.1934, in: PAAA, R 64065.

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tivieren, die im übrigen traditionell enge Beziehungen zur Universität Athen unterhielt.27 1935 wurde die Stipendienzahl für Studenten und Assistenten der Technischen Universität auf fünf erhöht.28 Im akademischen Jahr 1935/36 schickte der Studentenclub der Universität Athen, zusammen mit der „Deutschen Studentenschaft“ in Berlin, zwölf griechische Studenten innerhalb des studentischen Austauschprogramms für einen Monat nach Deutschland, damit sie einen Einblick in die deutsche Kultur erhielten. Eine entsprechende Anzahl Berliner Studenten sollte Griechenland im darauffolgenden Jahr besuchen.29 Darüber hinaus existierte im „Dritten Reich“ eine Stipendienvergabe für politische ,Aufklärung‘, die rein propagandistischer Natur war. Sie ging an Ausländer, die sich über behördliche Instanzen bewarben, welche bekannterweise mit dem Regime sympathisierten. So etwa der Bürgermeister von Athen, Konstantinos Kotzias. Aus Anlaß seines Besuches beim „Führer“ am 5. Mai 1936 schlug er diesem vor, das „Reich“ könne zehn bis zwölf junge Griechen seiner, Kotzias, Wahl unterstützen, die für ein „nationalsozialistisches Training“ nach Deutschland geschickt würden, etwa um Kontakte mit der Hitlerjugend und dem Arbeitsdienst zu knüpfen.30 Kotzias Vorschlag wurde von Hitler vollauf unterstützt.31 Solche Stipendien waren weder Teil des auswärtigen kulturpolitischen Projekts Görings, noch kamen sie aus den Mitteln der Alexander von Humboldt-Stiftung oder des DAAD. Auch wenn die Vergabe von Stipendien als Grundlage für den Ausbau deutsch-griechischer Kulturbeziehungen angesehen wurde, so gab es doch auch Gründe zur Limitierung der Stipendien für Absolventen der Tech27 Der deutsche Botschafter in Athen (Eisenlohr) an das Auswärtige Amt in Berlin am 27.6.1934, in: PAAA, R 64065. 28 Der deutsche Botschafter in Athen (Eisenlohr) an Stieve, Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, 25.10.1934; Reichs- und Preußischer Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Berlin (Remme), an den DAAD, Berlin, 14.12.1935, in: PAAA, R 64065. 29 Rede von Panagiotis Zervos, Professor für Geometrie: International Student Relations, S. 25, in: HAUA, Πρυτανικοί Λόγοι (Reden der Dekane) 1935-36. 30 Kotzias war einer der wenigen Griechen, die persönlich von Hitler empfangen wurden. Siehe: Meissner, Η εθνικοσοσιαλιστική Γερµανία (Das nationalsozialistische Deutschland), S. 54. Gleichwohl wechselte Kotzias 1941 die Seiten, kündigte seine Zusammenarbeit mit dem Nationalsozialismus auf und floh in die Vereinigten Staaten. Siehe seine Korrespondenz mit der griechischen Gemeinde in Chicago sowie die mit der exilierten griechischen Regierung in London während seines Aufenthaltes in den Vereinigten Staaten vom August 1941 bis zum Jahr 1946. In: Ελληνικό Λογοτεχνικό και Ιστορικό Αρχείο (Griechisches Archiv für Literatur und Geschichte, ELIA), Konstantinos Kotzias, Akte Nr. 2, Korrespondenz 1940-1945, Unterakte 2.2 (1941). 31 Abschrift der Deutschen Gesandtschaft Athen an den Reichsminister des Auswärtigen Amtes, 6.5.1936, in: PAAA, Deutsche Gesandtschaft Athen, Nr. 32 (DeutschGriechische Beziehungen 1933-1939).

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nischen Universität. Dem DAAD zufolge zeigten Erfahrungen, daß bei Studenten der Geisteswissenschaften kulturpolitische Wirkungen stärker als bei denen der technischen Fächer registriert werden konnten.32 Das erklärt, warum die Stipendien der Alexander von Humboldt-Stiftung ausschließlich an junge Wissenschaftler der Geistes- inklusive der Musikwissenschaften vergeben wurden.33 Doch dieser Gesichtspunkt wurde in Athen mit besonderer Skepsis betrachtet. Man hätte gern mehr als die fünf Stipendien für technische Wissenschaften gesehen und empfahl den deutschen Stellen, diese wegen der konkurrierenden französischen und italienischen Einflüsse zu erhöhen. Nicht selten bewarben sich junge griechische Absolventen in eigener Initiative über die „Mittelstelle für Deutsch-Griechischen Kulturaustausch“ in München um ein Stipendium. Sie bestand aus vom Ministerium bzw. der Universität abgeordneten Sachbearbeitern. Oft war eine hochrangige Protektion nötig, um ein deutsches Stipendium zu erhalten. Es erübrigt sich der Nachweis darüber, daß die Formierung einer zukünftigen griechischen Elite, welche dem nationalsozialistischen Deutschland wohlgesonnen war, als natürliche Garantie deutscher Interessen im Land betrachtet wurde. Bewerber für Medizin und verwandte Disziplinen sowie Aspiranten der Ministerien wie des Finanz-, Gesundheits- und Landwirtschaftsministeriums, wurden als „Investition“ angesehen. Anläßlich der Hundertjahrfeier der Universität Athen und der Technischen Universität stiftete der deutsche Botschafter 1937 eine beträchtliche Menge an Büchern und beantragte eine Aufstockung des Sonderfonds, welchen die Botschaft zur Intensivierung der Beziehungen zwischen beiden Ländern bereitgestellt bekommen hatte.34 An den Festivitäten nahm auch Bildungsminister Bernhard Rust teil.35 Darüber hinaus plante die Firma Siemens an der Technischen Universität ein elektrotechnisches Labor aus Anlaß der Feierlichkeiten aufzubauen und es durch den deutschen Botschafter übergeben zu lassen.36 Preisverleihungen – Medaillen, Ehrenmitglied-Titel u.a. – waren gleichfalls geplant. Dies alles ist im Kontext der Konkurrenz zum Einfluß Frankreichs auf technischen, naturwissenschaftlichen und allgemein sprachlich-bildungspolitischen Gebieten zu gewichten. Rust erhielt eine offizielle Einladung des Rektors der Universität Athen zu 32 DAAD Berlin an den Reichs- und Preußischen Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Berlin, 16.1.1935, in: PAAA, R 64065. 33 Ebd. 34 Der deutsche Botschafter in Athen, Prinz zu Erbach, an das Auswärtige Amt (Geheimrat Dienstmann), am 20.2.1937, in: PAAA, Deutsche Gesandtschaft Athen, Nr. 50, Bd. 1. Das Dokument wurde als „Geheim“ eingestuft. 35 Politischer Bericht des deutschen Botschafters in Athen, Prinz zu Erbach, an das Auswärtige Amt in Berlin, „Bericht des griechischen Gesandten in London“ am 10.3.1937, in: PAAA, R 61147. 36 Ebd.

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den Feierlichkeiten, wohingegen dieser sie gegenüber dem Kultusminister Frankreichs, der eine Delegation der Sorbonne schicken wollte, nicht ausgesprochen wurde37 – eine Geste, die vom deutschen Botschafter besonders geschätzt wurde, zumal in letzter Minute der Senat der Universität Athen noch entschied, Rust vor Beginn der offiziellen Festlichkeiten in einer besonderen Zeremonie zu ehren. Dies war ein klares Signal errungener deutscher Vorrangstellung.38 In der Tat war 1937 ein ,goldenes Jahr‘ für die deutsch-griechischen Kulturbeziehungen. Eine Reihe von Organisationen wurden gegründet, was im Jahr 1940 Hans Baatz, Professor für Medizin, in seinem Reisebericht über Griechenland anzumerken veranlaßte: „Die besten Aktivisten [seit. des Nationalsozialismus] sind zweifellos gerade aus Deutschland zurückgekehrte junge griechische Wissenschaftler, […].“39 In den folgenden Jahren der Besatzung verlagerten sich die Aktivitäten des „Reichs“ ganz auf die Naturwissenschaften. Im August 1942 sollen – den Quellen zufolge – 32 von insgesamt 76 griechischen Austauschstudenten im „Reich“ Technischen Universitäten eingeschrieben gewesen sein und 32 an Medizinischen Hochschulen und Akademien.40 Kurz darauf wurde von ersten Angriffen auf Laboratorien der Universität Athen berichtet.41 Beschlagnahmung von Räumen, die vielen barbarischen Übergriffen, die Grausamkeit der Wehrmacht-Truppen und die große Hungersnot brachte auch die Mehrzahl der griechischen akademischen Gemeinschaft dazu, ihre ehemals positive Einstellung gegenüber dem so genannten ‚intellektuellen Mutterland‘ zu ändern.42

37 Schließlich wohnte der französische Minister den Feierlichkeiten doch noch bei und auch ihm, wie seinem deutschen Kollegen Bernhard Rust, wurde die Ehrendoktorwürde der Universität Athen verliehen. 38 Ebd. 39 Auszug aus Prof. Baatz’ Bericht über seine „Vortragsreise nach Griechenland betreffend die Griechisch-Deutsche Gesellschaft“, (Partei 6102/40), 13.7.1940, in: PAAA, R 61271. 40 Bericht des Büros für Studentenkulturaustausch, Berlin. Informationsdienst „Griechische Studenten in Deutschland“, 10.8.1942, in: Bundesarchiv Berlin (BAB), R 4902/11204. 41 Der Vorfall galt einer Sammlung seltener Vogeleier im zoologischen Labor und dem Museum der Universität. Siehe: G. Pantazis, Leiter des Zoologischen Museums Athen an den Rektor der Universität Athen, 24.9.1942, in: AZM, Akte Nr. 901-1190, Jan. 1941-Dez. 1948. 42 Siehe: SKLAVOUNOS, Λόγος στην Ακαδηµία (Rede an die Akademie), S. 298-299.

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Naturwissenschaftliche Seriosität und kulturpolitische Rivalität. Athen als Schauplatz internationaler Konkurrenz Daß nur wissenschaftliche Kompetenz als ein Kriterium im Ausland zugunsten deutscher Interessen ausschlagen konnte, konnten auch die NSMachthaber nicht ignorieren, selbst wenn sie die offiziellen nationalen Delegationen für Konferenzen im Ausland am liebsten aus Günstlingen der Partei zusammenstellen wollten. Die bedeutenden deutschen Wissenschaftler hatten selbstredend eigene Netzwerke im Ausland aufgebaut, und es kam oft vor, daß Einladungen zur Teilnahme an internationalen wissenschaftlichen Tagungen an sie persönlich verschickt wurden anstatt über die Behörden. Die kulturpolitischen Rivalitäten wurden auch auf diesem Terrain ausgetragen. Während der dreißiger Jahre fanden etliche internationale wissenschaftliche Konferenzen in Südosteuropa statt, viele von ihnen auf Initiative der nationalen Regierungen, deren Länder sich in einem Modernisierungsprozeß befanden. Griechenland organisierte die „Dritte Internationale Konferenz für Vergleichende Pathologie“ vom 15. bis zum 18. April 1936 in Athen und lud dazu Fachvertreter aus aller Welt ein, Pathologen, Tierärzte, Parasitologen, Mikrobiologen und Tropenhygieniker. Die zwei vorangegangenen Konferenzen für vergleichende Pathologie hatten in Paris stattgefunden, die erste 1912, die zweite 1931. Zur letzteren hatte Deutschland keine wissenschaftliche Delegation geschickt.43 Auch mit der Teilnahme an der Konferenz in Athen zögerte das Wissenschaftsministerium, da es mit einem überwältigenden französischen Einfluß rechnete, der Deutschland kaum Raum zur Profilierung lassen würde. Die griechischen Organisatoren versandten nun an einige deutsche Wissenschaftler persönliche Einladungen etwa an das Auswärtige Amt oder das Ministerium für Wissenschaft und Bildung.44 Diese Wissenschaftler wollten aber dennoch als Vertreter ihrer Nation auftreten und versuchten, die 43 R. Rössle (Biologisches Institut der Universität Berlin) an Prof. Dr. Behrens (Bildungsminister), 6.7.1935, in: BAB, R 4901/2935. 44 Unter den Wissenschaftlern, die persönliche Einladungen von den Organisatoren, Vladimiros Bensis und Antonios Codounis, erhielten und die gebeten wurden, auf der Konferenz zu sprechen, waren Robert Rössle vom Biologischen Institut der Universität Berlin, Professor Uhlenhuth, Direktor des Hygienischen Instituts der Universität Freiburg i. Br. und Professor Friedrich Koch, Leiter der Universitätsklinik und der Poliklinik in Tübingen. Als aber das griechische Komitee darüber informiert wurde, daß der bedeutende Neurologe Bernhard Fischer-Wasels daran interessiert sei, an der Konferenz teilzunehmen, antwortete dieses, daß die Einladungen offiziell an die Regierung verschickt worden war und nicht an einzelne Wissenschaftler. Diese Widersprüchlichkeit verdeutlicht die Rolle, die persönliche Netzwerke sogar in den Fällen staatlich gebildeter Delegationen spielten. Siehe: Bensis und Codounis an Prof. Fischer-Wasels, Neurologisches Institut, Dez. 1935, in: BAB, R 4901/2935.

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Behörde umzustimmen. Sie argumentierten, das internationale Treffen fördere die wissenschaftlichen und kulturpolitischen Interessen des „Dritten Reichs“ im Ausland.45 Das während der Weimarer Republik gestärkte Selbstwertgefühl der deutschen akademischen Welt, insbesondere der Mediziner, nahm gelegentlich zu nationalistischer Rhetorik Zuflucht, ohne daß damit dem Naziregime Loyalität gegenüber bekundet war. Die daraufhin von den Reichsbehörden zugesagte Teilnehmerzahl der offiziellen Delegation sollte sich anfänglich auf lediglich fünf Wissenschaftler beschränken. Ihr Leiter, von Bergmann, wandte gegen diese Entscheidung des Preußischen Wissenschaftsministerium ein, Frankreich plane, in seiner Delegation 60 bis 80 Wissenschaftler nach Griechenland zu schicken, eine „enorme kulturelle Propaganda“ in der Rivalität um Einfluß in Griechenland.46 Er kritisierte auch, daß nicht ein einziger deutscher Pathologe für diese immerhin der Pathologie gewidmeten Konferenz, ausgewählt war. Mindestens zehn Wissenschaftler, so von Bergmann, sollten das Reich repräsentieren. Er nannte vier bedeutende Pathologen – Uhlenhuth aus Freiburg, Fischer-Wasels aus Frankfurt, Aschoff aus Freiburg und Rössle aus Berlin – sowie den in der Balkanregion sehr bekannten Peter Mühlens vom TropenInstitut Hamburg. Sie sollten in die Liste aufgenommen werden. Ein Ausschluß von Wissenschaftlern, welche von den Athener Organisatoren bereits eingeladen waren, würde einen schlechten Eindruck auf die internationale wissenschaftliche Gemeinschaft machen. Zuletzt drohte er mit dem eigenen Rücktritt, sollte die Delegation nicht geändert werden.47 Dieser Druck gegenüber dem Innenministerium erzielte offenbar das gewünschte Ergebnis, die Reiseerlaubnis für elf Wissenschaftler zu erreichen.48 Erwähnens- und bemerkenswert ist, daß von Bergmann nicht durch das Innenministerium, das zunächst vier andere Repräsentanten wählte, sondern durch das Auswärtige 45 Prof. Uhlenhuth (Direktor des Hygienischen Instituts der Universität Freiburg i. Br.) an den Reichs- und Preußischen Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 3.7.1935, in: BAB, R 4901/2935. 46 Prof. Dr. G. von Bergmann (Direktor der II. Medizinischen Universitätsklinik) an den Innenminister Fricke, 27.1.1936, in: BAB, R 4901/2935. 47 Ebd. 48 Neben G. von Bergmann nahmen an der Konferenz teil Friedrich Koch, Leiter der Universitätsklinik in Tübingen; Uhlenhuth, Direktor des Hygienischen Instituts der Universität Freiburg i. Br.; Hermann Miessner, Direktor des Hygienischen Instituts der Tierärztlichen Hochschule in Hannover; Franz Volhard, Professor an der Medizinischen Fakultät der Universität Frankfurt und Leiter der Universitätsklinik in Frankfurt; Robert Rössle vom Biologischen Institut der Universität Berlin; Aschoff, Professor aus Freiburg; K. Poppe, Professor für Tierhygiene und Pathologie in Rostock; der Botaniker O. Appel aus Berlin; H. A. Gins vom Robert Koch-Institut für Infektionskrankheiten und der ,Balkanexperte‘ Peter Mühlens vom Institut für Tropenmedizin in Hamburg.

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Amt, dessen Kulturabteilung er im Frühjahr 1935 selbst kontaktiert hatte, zum Leiter der deutschen Delegation ernannt wurde. Der Kongreß in Athen bot beiden großen Rivalen, Frankreich und Deutschland, in der Balkanregion den Schauplatz für werbend propagandistische Kulturpolitik. Wegen der vorangehenden Kongresse in Frankreich waren sich die Deutschen ihres Hintertreffens gewärtig.49 Nahezu alle Wissenschaftler auf der Konferenz sprachen Französisch, ein zweifellos deutlicher Beweis für Frankreichs kulturelle Dominanz bei internationalen Konferenzen. Die Deutschen schickten sich darein, daß sowohl der griechische König als auch der Präsident des Komitees, Vladimiros Bensis, bei der Eröffnung des Kongresses, welcher im Gebäude des griechischen Parlaments stattfand, Französisch sprachen,50 und wo sich die Repräsentanten aller anderen Länder ebenfalls dieser seit dem 18. Jahrhundert eingeführten Sprache der Wissenschaft und Diplomatie bedienten. Mit Ausnahme der deutschen Delegierten, doch wurde Deutsch immerhin von der Mehrzahl der griechischen Ärzte sowie von vielen der übrigen Teilnehmer sehr gut verstanden.51 Die Rivalität zwischen Ärzten, die in Deutschland studiert hatten, und solchen, die in Frankreich ausgebildet waren, bestand laut von Bergmann innerhalb der frankophilen Athener Gesellschaft ausgeprägter als auf der Peloponnes, wo deutsche Sympathien wesentlich verbreiteter waren.52 Obwohl die Mehrzahl der griechischen Professoren für Humanmedizin in Deutschland studiert hatte, hatten die Tiermediziner in der Regel eine französische Ausbildung. Um hier eine Wende herbeizuführen, kontaktierte Miessner Georgios Ioakeimoglou, Professor für Pharmakologie, und wies auf die noch fehlende tierärztliche Fakultät an der Universität Athen hin.53 Die neue Fakultät, so schlug er vor, könne in gleicher Weise organisiert werden wie bereits die mit deutscher Beteiligung aufgebauten Fakultäten in Ankara und dem Iran.54 Miessners Empfehlung fand Unterstützung durch den deutschen Botschafter in Athen, Prinz Victor zu Erbach-Schönberg, der dem Auswärtigen Amt in Berlin vorschlug, als ersten Schritt, auch griechische Tiermedi-

49 Ebd. 50 „Beobachtungen während des III. Internationalen Kongresses für vergleichende Pathologie in Athen vom 15.-18. April 1936 von Dr. Miessner, Hygienisches Institut der Tierärztlichen Hochschule Hannover“, 5.5.1936, in: BAB, R 4901/2935. 51 Ebd. Siehe auch: „Bericht des Leiters der deutschen Delegation (von Bergmann) über den 3. Internationalen Kongreß der vergleichenden Pathologie in Athen vom 15.-18. April 1936“, in: BAB, R 4901/2935. Note über Miessner, der darüber berichtete. 52 Ebd. 53 „Beobachtungen während des III. Internationalen Kongresses für vergleichende Pathologie in Athen vom 15.-18. April 1936 von Dr. Miessner, Hygienisches Institut der Tierärztlichen Hochschule Hannover, 5.5.1936“, in: BAB, R 4901/2935. 54 Ebd.

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zinstudenten in die Listen der Alexander von Humboldt-Stiftung und des Mitteleuropäischen Wirtschaftstages aufzunehmen.55 Der „gute Boden“, den Griechenland bot, war laut von Bergmann eine Folge der starken Sympathie der intellektuellen Kreise des Landes mit Deutschland, wie sie bei jeder Gelegenheit ausgedrückt würde. Die gebildeten Griechen seien sehr stolz auf deutsche Archäologen wie Schliemann, Furtwängler, Humann, Dörpfeld und Wiegand und auf deren Leistungen bei ihnen: sie sähen sie „als nationale Kulturförderer auch [ihres] Vaterlandes“56 an. Neben der üblichen Hervorhebung Bergmanns eines „uralten Kulturzusammenhang[s] zwischen dem klassischen Griechenland und Deutschland,“57 sei die griechische Sympathie mit dem NS-Staat seitens des Königlichen Leibarztes, Anastassopoulos, augenfällig geworden. Dieser habe einen abendlichen Empfang, für 80 Persönlichkeiten – hauptsächlich Mediziner – aus den germanophilen Kreisen Athens zu Ehren der deutschen Delegation gegeben. Die Anwesenheit der deutschen Delegation bei der Konferenz wurde auch von der französischen bemerkt. So schlug der älteste der Wissenschaftler auf der Konferenz, der 82-jährige französische Arzt Emile Charles Achard, vor, ein festes Organisationskomitee einzurichten, das aus drei Deutschen, drei Franzosen und einem griechischen Wissenschaftler bestehen sollte. Der Vorschlag wurde von den deutschen Wissenschaftlern angesichts ihrer geringeren Repräsentantenzahl im Vergleich zur französischen Delegation als Triumph der deutschen Medizin angesehen. Trotzdem verzichtete von Bergmann taktvoll darauf, den französischen Vorschlag anzunehmen: Die politischen Spannungen zwischen beiden Staaten seien aktuell noch zu stark. Wenige Monate später, im September 1936, organisierten griechische und belgische Humanmediziner in Athen den VIII Congrès International de Haute Culture Médicale, welcher hauptsächlich ein Treffen von französischsprachigen und griechischen Medizinern war; dies war kein Zufall.58 Es ging darum, Terrain zurückzugewinnen, das während der Konferenz im April bedroht war, zumal es auch der griechischen Seite wichtig sein mußte, Frankreich nicht zu brüskieren, denn zahlreiche und maßgebliche Akademiker waren seiner Kultur verpflichtet und dem Land so „verbündet“. 55 Die deutsche Botschaft in Athen an das Auswärtige Amt (Durchschlag), 19.10.1936, in: BAB, R 4901/2935. 56 „Bericht des Leiters der deutschen Delegation (von Bergmann) über den 3. Internationalen Kongreß der vergleichenden Pathologie in Athen vom 15.-18. April 1936“, in: BAB, R 4901/2935. 57 Ebd. 58 Präsident des griechischen Komitees war wieder Vladimiros Bensis. Siehe: BAB, R 4901/2740. Außer eines Werbeplakats mit dem ausführlichen Programm sowie den Namen aller Teilnehmer enthält diese Akte kein weiteres relevantes Material.

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Im Zuge der Beförderung des Ansehens des nationalsozialistischen Deutschlands und der NS-Selbstdarstellung im Ausland schickte 1940 die Auslandsorganisation (AO) der NSDAP eine Reihe von bedeutenden Wissenschaftlern nach Südosteuropa, inklusive Griechenland. Sie sollten nicht nur Vorträge halten, sondern auch Kontakte mit den Personen in den Schlüsselpositionen ihrer Fachgebiete knüpfen. Diese Wissenschaftler berichteten daraufhin detailliert auch über die politische Situation in den Balkanstaaten und den Einstellungen gegenüber dem „Dritten Reich“. Unter denjenigen, die nach Griechenland reisten, waren Oswald Kroh, Professor für moderne deutsche Psychologie und Bildung in München, Werner Schmidt, Professor für Forstwissenschaft in Eberswalde, Böhme, Professor für Radiologie in Rostock, und der bereits mehrfach genannte Peter Mühlens sowie Unverricht, Leiter der Abteilung für Krebsforschung an der Universitätsklinik in Berlin.59 Der Besuch hatte ein kulturpropagandistisches Ziel. Griechenland sollte wirtschaftlich und politisch beeinflußt werden. Einladungen an griechische Wissenschaftler, bei denen mit einer Verleihung einer Ehrendoktorwürde an einer deutschen Universität ,gewinkt‘ wurde, gehörten auch zu dem Zweck der Reise. Oder man wollte die griechischen Institute als Absatzmarkt gewinnen. Professor Schmidt berichtete zum Beispiel, er habe dem Kulturattaché der deutschen Botschaft in Athen, Erich Boehringer, vorgeschlagen, dem Institut für Forstwissenschaft in Athen Gerätschaften zur Durchführung von Experimenten zu stiften, damit die Griechen anschließend weitere Geräte bestellen würden.60 Es gab auch Überlegungen in Deutschland, zur Errichtung und Ausstattung eines Labors für Radiologie an der Universität Athen beizusteuern. Die Stiftung von Gerätschaften und Errichtung eines Instituts für Radiologie wären aber weder zum Nutzen der Deutschen noch der Griechen, wenn die Leitung nicht in deutschen Händen bliebe. Böhme, Professor für Radiologie, argumentierte, der Umgang mit der Ausrüstung erfordere erfahrene Wissenschaftler, die unter den Griechen fehlten. Abgesehen davon beziehe Griechenland nahezu die gesamte technische Ausstattung aus Deutschland, und deutsche Gerätschaften unter griechischer Leitung seien nicht unbedingt im deutschen Interesse.61 Mit einer deutschen Leitung bekämen die Griechen zugleich deutsches Wissen und deutsche Ausbildung vor 59 Siehe: Die Leitung der Auslands-Propaganda, NSDAP (Heinz Otto), an das Auswärtige Amt in Berlin (Gesandter Altenburg), „Veranstaltungen für die Zeit vom 1. April bis 31. Mai 1940“ (Anlage 4), in: PAAA, R 60661. 60 Bericht von Prof. Dr. Werner Schmidt mit dem Titel „Bericht über meine Reise im Auftrage der AO nach Griechenland, Rumänien und Ungarn“, 20. Mai-9. Juni 1940, in: PAAA, R 60661. 61 Bericht von Dr. Böhme, Rostock, mit dem Titel „Bericht über eine Vortragsreise nach Griechenland, Bulgarien und Ungarn vom 22.4. bis 10.5.1940“ an die Leitung der Auslandsorganisation der NSDAP. Amt Kultur, Hauptstelle Wissenschaft, 18.5.1940, PAAA R 60661.

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Ort, und dies sei es, was die Griechen am meisten bräuchten, so schloß Böhme.62 Weitere Nachweise darüber, ob die Pläne weiterverfolgt wurden, finden sich nicht. Während der Kriegsjahre wurden die kulturpropagandistischen Strategien weit aggressiver. 1941, nach der Besetzung Griechenlands, organisierte der Leiter der NSDAP, Alfred Rosenberg, ein großes Projekt auf dem heiligen Berg Athos. Es war im Rahmen der Organisation „Einsatzstab Rosenberg“ angesiedelt, die am 7. Juli 1940 gegründet worden war. Ihr Ziel war es, jegliches wertvolle Material besetzter Staaten zu sammeln, Kunstschätze, Bücher, Archivmaterial verschiedenster Art aus Museen, Bibliotheken, Universitäten, Kirchen, privaten Institutionen und anderswo her. Es ist unnötig zu erwähnen, daß das ganze Unternehmen nichts anderes als ein ausgesprochener Raubzug in den besetzten Ländern war.63 Rosenberg war seitens der Mönche bulgarischer und russischer Klöster, welche eine Petition an die bulgarische Regierung verfaßt hatten, zur ,Expedition‘ auf den Athos angeregt worden. Die griechische Regierung habe, so die Mönche, seit vielen Jahren versucht, nicht-griechische Mönchsgesellschaften zu unterdrücken, und hätten den Vertrag von Berlin aus dem Jahre 1878 sowie den Vertrag von Sèvres (1920) verletzt.64 Unter diesem Vorwand pries die NS-Presse die „Expedition“ auf den Athos als „Befreiungsunternehmen“. Mit Hilfe der „Wehrmacht“ sollten Kunstwerke und Manuskripte beschlagnahmt werden. Den Nationalsozialisten war solche „wissenschaftliche Arbeit“ während des Krieges Beweis für die Größe des neuen Deutschlands.65 Hans Hass, ein junger Meeresbiologe, der zu wissenschaftlichen und kulturellen Zwecken eine ,Expedition‘ in die Ägäis machte, bediente sich derselben Sprache.66 Das Unternehmen fand von Juni bis November 1942 statt 62 Ebd. 63 „Abschlußbericht über die Tätigkeit des Sonderkommandos Rosenberg in Griechenland“, 15.11.1941, in: BAB, NS 30/75. Siehe auch das Dokument Nr. 117: „Aktenvermerk von Ingrim, Leiter der Abteilung Referat Westen und Südosten in der Stabsführung des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg für die besetzten Gebiete, vom 6. November 1943“. Zu Griechenland siehe Dokument Nr. 40: „Aus der Verfügung des Quartiermeisters des Kommandanten rückwärtiges Armeegebiet 560 vom 21. Mai 1941“; beide Dokumente erschienen in: Schumann, Griff nach Südosteuropa, S. 230, 130. 64 „Petition der Athos-Klöster Sograph und Panteleimon an die Achsenmächte, überreicht in Sofia im Juli 1941“, in: BAB, NS 8/259. 65 „Abschlußbericht über die Tätigkeit des Sonderkommandos Rosenberg in Griechenland“, 15.11.1941, Teil III: Arbeitsbericht, 2. Sonderstab „Athos“, in: BAB, NS 30/75. 66 Entwurf eines Zeitungsartikels von Hans Hass (Sommer 1942) mit dem Titel „Expedition im Krieg“, welcher in einer deutschen Zeitung erscheinen sollte, um für die bevorstehende Expedition zu werben, S. 1, 9. Das Dokument befindet sich im Archiv des Hans-Hass-Instituts für Submarine Forschung und Tauchtechnik in Merzig, Deutschland (Hans-Hass-Archiv, HHA), eingeordnet unter HH2. Ich danke dem Leiter des In-

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und wurde vom „Reichsforschungsrat“ (RFR) und der Kriegsmarine gefördert.67 Sein Ziel war, die Meeresressourcen der Sporaden, Kykladen und Kretas, als auch ein erstes Atemgerät für Taucher (Ausrüstung mit geschlossenem Sauerstoffkreislauf) in Unterwasserhöhlen zu erforschen. Bei den begleitenden Filmarbeiten entstand schließlich ein abendfüllender Spielfilm, der 1947 mit dem Titel Menschen unter Haien auf den Markt gebracht wurde.68 Der Zoologe des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biologie in Berlin, Max Hartmann, der während der Besatzung in Piräus als Leiter des deutschgriechischen Instituts für Biologie arbeitete, und dessen Assistent Otto Schartau unterstützten die Expedition und wollten an ihr teilnehmen. Die beiden KW-Wissenschaftler gingen aber nicht an Bord des Forschungsschiffes „Ostmark“ wegen dringender Arbeiten in Piräus.69 Mit Blick auf die Kulturpolitik vor der Besatzungszeit soll betont werden, daß kultureller Austausch und Kulturpolitik nicht per se ausschließlich als Propaganda zu bewerten sind. Beide sind eine Praktik, die weiterhin von allen Ländern betrieben wird, um andere Länder mit ihrer eigenen Kultur vertraut zu machen sowie um Einfluß auszuüben und freundschaftliche Beziehungen zu festigen, was stets zugleich politische und wirtschaftliche Hauptund Nebenzwecke erfüllt. Es ist jedoch etwas anderes, ein Land über Kulturpolitik zu einem kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Verbündeten zu machen, indem man für die eigene Kultur wirbt, oder dieses über Kulturpolitik zu kontrollieren. Wie schließlich die Athos- und die Ägäis„Expeditionen“ zeigen, ging es dem totalitären Regime als stituts, Dipl.-Ing. Michael Jung, dafür, der mich auf die Expedition von Hass nach Griechenland aufmerksam machte sowie für die relevanten Informationen und Materialien, die er mir hat zuteil werden lassen. 67 Ebd., siehe auch: „Bescheinigung von Admiral Ägäis (Stabschef)“ an den Generaldirektor der KWG, Ernst Telschow, 24.6.1942; Reichsforschungsrat, Kolonialwissenschaftliche Abteilung an das Auswärtige Amt (weitergeleitet an die KWG), 4.6.1942; beide Dokumente in: MPGA, Abt. I, Ber. 1A, Nr. 1314/2. 68 Siehe: Short Vita of Prof. Dr. Hans Hass and a friendly response: http://www.hanshass.de/Englisch/Short_Vita/Short_Vita.html http://www.hans-hass.de/Englisch/index_english.html Für die deutsche Version siehe: http://www.hans-hass.de/Biographie/Biografie.html http://www.hans-hass.de/index.html http://www.wildfilmhistory.org/film/281/Menschen+unter+Haien.html 69 Entwurf eines Zeitungsartikels von Hans Hass (Sommer 1942) mit dem Titel „Expedition im Krieg“ im Hans-Hass-Institut für Submarine Forschung und Tauchtechnik in Merzig, Deutschland (nicht eingeordnet, Hans-Hass-Archiv, HHA), S. 1 f. Die Zeilen, die die Information über die Beteiligung Hartmanns und Schartaus enthalten, sind von Hass abgeschrieben. Siehe auch: Zeitungsartikel mit dem Titel „Mit Fußflossen in die Meerestiefe. Eine neue Expedition des Unterwasserjägers Hans Hass bricht auf“, in: BZ-Mittag, 6.7.1942; Hans Hass an seine Managerin Thea Schneider-Lindemann, Berlin, 3.8.1942, in: HHA.

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,Kulturkriegspolitik‘ um Kontrolle, Vernichtung oder marktkonforme Exploitation unter dem Mantel (natur)wissenschaftlichen Abenteurertums. Übersetzung aus dem Englischen: Claudia Müller

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Maria Zarifi

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CHARIKLEIA BALI

Direkte und indirekte Einflußnahme auf die Universität Athen während der deutschen Besatzung Zur Veränderung des Deutschlandbildes der Professorenschaft

Die Nationale Kapodistrias-Universität Athen („Εθνικόν και Καποδιστριακόν Πανεπιστήµιον Αθηνών“) wurde 1837 mit dem Namen „Οθώνειον Πανεπιστήµιον“ (Otto-Universität) vom ersten König des griechischen Staates Otto gegründet, einem Sohn des bayerischen Königs Ludwig I. Sie ist die erste Universität in Griechenland und in ganz Südosteuropa. Bei der Gründung diente das deutsche Universitätsmodell als Vorbild, wurde jedoch in einigen Punkten modifiziert.1 Der große Bedarf des neu gegründeten griechischen Staates an qualifizierten Wissenschaftlern und Verwaltungspersonal machte die Gründung erforderlich, und die Institution spielte schon bald darauf eine bedeutende Rolle im geistigen Leben des Landes. Neben ihrem wissenschaftlichen Bildungsauftrag hatte sie weitere Funktionen: Sie sollte auch die staatliche Ideologie hinsichtlich künftiger Erweiterungen des Königreiches stützen und diese Ideologie bei den Griechen der Diaspora verbreiten.2 Das Verhältnis zur Staatsmacht hatte einen sehr spezifischen Charakter: Oft standen die Professoren in enger Beziehung zum politischen Leben des Landes, bisweilen waren sie sogar Regierungsmitglieder. Im Verlauf ihrer Entwicklung war die Athener Universität oft der Einflußnahme der jeweiligen Regierung unterworfen. Sie konnte auf juristischer Grundlage und auch ohne Vermittlung über inneruniversitäre Entscheidungsprozesse eingreifen, besonders in Zeiten politischer Krisen. Dies geschah vor allem während der so genannten „Nationalen Spaltung“ (Εθνικός διχασµός)

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Zur Gründung der Athener Universität siehe: LAPPAS, Πανεπιστήµιο και φοιτητές (Universität und Studenten), S. 23-96. Erwähnenswert scheint auch die Tatsache, daß sieben der insgesamt vierunddreißig Professoren der Einrichtung Deutsche waren. Siehe: DIMARAS, Ιδεολογήµατα στην αφετηρία (Weltanschauungen am Ausgangspunkt).Vom selben Autor auch: Εν Αθήναις (In Athen), S. 32, 39-43. Diaspora: Die Kommunen außerhalb des seit 1821 unabhängigen nationalen Kernlandes auf der Balkanhalbinsel u.a. in Kleinasien, Vorderen Orient, West- und Mitteleuropa und Rußland.

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und in der Zeit zwischen den Kriegen, in der die Regierungen einander rasch ablösten, um schließlich der Metaxas-Diktatur Platz zu machen.3 Bereits zu diesem Zeitpunkt litt die Hochschule an einer starken Einschränkung der Autonomie, an diversen Altlasten in Bezug auf Verwaltung und Finanzen sowie an Parteiungen und inneren Zerwürfnissen. Die wissenschaftlichen und politischen Beziehungen Griechenlands zu Deutschland seit dem 19. Jahrhundert sind bekannt: Hier studierte die wissenschaftliche Elite Griechenlands oder erachtete es zumindest als erforderlich, die eigenen Studien durch den Besuch deutscher Universitäten zu ergänzen.4 Dies hielt bis zum Zweiten Weltkrieg an. Neben den Fachgebieten, die schon lange in gutem Ruf standen wie das der Klassischen Philologie und der Geschichte, schätzte man zunehmend auch die aufstrebenden Naturwissenschaften, die technisch ausgerichteten Fachbereiche sowie die Medizin. Viele Griechen studierten nicht nur in Deutschland, sondern begannen dort auch ihre Laufbahn und hielten noch nach ihrer Heimkehr Kontakt zum deutschen Wissenschaftsleben.5 Die Anzahl derjenigen Professoren, die in Deutschland studiert hatten, belief sich kurz vor dem Krieg an der Athener Universität auf etwa 50 Prozent, an der Technischen Hochschule waren es etwa vier Fünftel des Lehrkörpers.6 Als die Athener Universität 1937, also kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, ihr hundertjähriges Jubiläum beging, erfuhren diese Beziehungen eine erneute Festigung. Die Einrichtung verlieh siebenunddreißig deutschen Professoren die Ehrendoktorwürde, unter anderem auch dem damali3

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Εθνικός διχασµός: Spaltung der politischen Öffentlichkeit in (republikanische) Anhänger von Venizelos (1864-1936) und Antivenizelisten (= Monarchisten). Von 1910 an, als die ersten Gesetze über eine „Säuberung der Universität“ verabschiedet wurden, bis zum untersuchten Zeitabschnitt wurden Berufungen, Entlassungen und Rehabilitierungen oftmals von der jeweiligen Regierung aufoktroyiert. So wurden 1918 mehrere Professoren wegen ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der VenizelosPolitik entlassen, jedoch 1920-21 erneut berufen, wobei wiederum die VenizelosAnhänger ihre Posten verloren. Zu noch größeren Säuberungsaktionen kam es 1935. In der Folgezeit ließ auch der Diktator Metaxas unliebsame Professoren durch andere ersetzen. Dazu: FASSOULAKIS, Οι γερµανικές καταβολές (Die deutschen Herkünfte), S. 102: „Die Ansicht, daß ein Wissenschaftler, der würdig ist, an einer griechischen Universität Karriere zu machen, nur einer sein kann, der an einer deutschen studiert hatte, hielt sich in unserem Land länger als ein Jahrhundert. Mögen sich die Verhältnisse auch in einigen Punkten aufgrund der Entwicklung geändert haben, so blieb doch die Anschauung bis zuletzt bestehen.“ IRMSCHER, Οι επιστηµονικές σχέσεις (Die wissenschaftlichen Beziehungen), S. 336356 und KOUTSOUKOU, Deutsche Kulturpolitik, speziell das Kapitel: Griechische Botschafter für die deutsche Kultur, S. 95-108. FLEISCHER, Στέµµα και Σβάστικα (Krone und Hakenkreuz), S. 118, Fußnote 7. Siehe ebenfalls: KOUTSOUKOU, Deutsche Kulturpolitik, S. 97.

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gen Bildungsminister Rust. Im selben Jahr ehrten verschiedene deutsche Hochschulen acht Athener Professoren auf dieselbe Art.7 Am 6. April 1941, ein halbes Jahr nach der gescheiterten Invasion Italiens in Griechenland und dem Eintritt des Landes in den Zweiten Weltkrieg, marschierte die deutsche Armee in Griechenland ein. Die Situation derjenigen Griechen, die auf die oben genannte Art mit Deutschland verbunden waren, begann sich somit äußerst schwierig zu gestalten: Ihre Heimat wurde von ihrem geistigen Vaterland angegriffen, das nun eine der gegnerischen Mächte war.8 Beeinflußte dieses historische Ereignis ihr Deutschlandbild? Wie und in welchem Ausmaß im Einzelnen? Natürlich ist es schwierig, schriftliche Zeugnisse zu finden, die eindeutige Antworten auf diese Fragen geben könnten. Diesbezügliche Anschauungen konnten unter der Fremdherrschaft nicht offen ausgesprochen werden, denn dies hätte entsprechende Folgen gehabt. Als Quellen kommen lediglich einige Tagebücher griechischer Intellektueller in Betracht, die in Deutschland studiert hatten, sowie Dokumentationen ausländischer Beobachter.9 Literarische Beschreibungen aus der Nachkriegszeit können wenig zur Klärung beitragen, da ihre Autoren die Verhältnisse im Nachhinein beurteilen bzw. im Wissen um die historische Entwicklung. Angesichts dieser Problematik scheint es ratsam, die Handlungsweisen der Menschen selbst zu untersuchen: So kann beispielsweise die persönliche Entscheidung eines Universitätsvertreters für die Kollaboration oder den Widerstand bei der Beweisführung hilfreich sein, welche Anschauungen er hegte und ob seine Haltung gegenüber Deutschland eher positiv oder negativ war. Soweit dies einleuchtet, sollte man jedoch berücksichtigen, daß die Motive für persönliche Entscheidungen generell komplizierter sind, zumal in Krisenzeiten. Es liegen gesicherte Informationen dafür vor, daß die Besatzung bei den Griechen, die mit Deutschland verbunden waren, anfänglich eine Art Schock 7

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Der Rektor Grigorios Papamichail erhielt die Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der Universität Königsberg, der Professor der Juristischen Fakultät Kyriakos Varvaressos an der Bonner Universität, die Professoren der Medizinischen Fakultät Konstantinos Mermingas und Konstantinos Logothetopoulos an der Berliner und Münchner Universität, weiterhin die Professoren der Philosophischen Fakultät Nikolaos Exarchopoulos, Georgios Ikonomos, Sokrates Kougeas und Theofilos Voreas an den Universitäten Jena, Berlin, Göttingen und Leipzig. Siehe dazu: KARAKATSOULI, Διεθνείς σχέσεις (Internationale Beziehungen), S. 129-164. Gemeinsam mit Italien gehörte auch Bulgarien in Nordgriechenland zu den Angreifern. Siehe: ARCHER, Βαλκανικό Ηµερολόγιο (Balkanisches Tagebuch). Der Amerikaner Laird Archer war Leiter der humanitären Organisation „Near East Foundation“ und blieb bis zum Eintritt der USA in den zweiten Weltkrieg in Athen. Aus griechischer Sicht siehe: DELOPOULOS, Έπειτα από 120 χρόνια (Nach 120 Jahren); THEOTOKAS, Τετράδια ηµερολογίου (Tagebuchhefte).

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auslöste. Am selben Tag, also am 6.4.1941, verfaßte der Senat der Athener Universität eine Protestresolution, die an die ausländischen Universitäten gerichtet war. Dieses Schreiben ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Als offizielles Dokument folgt es natürlich den Richtlinien staatlicher Politik und Propaganda. Doch dokumentiert es die bis dahin engen Bindungen an Deutschland, wie sie die Vertreter der griechischen Wissenschaft offenbar noch stets als gültig erachteten.10 Herausgehoben werden sollen einige aussagekräftige Passagen: Neben der Anklage des ungerechten Angriffs stellen die Vertreter der Universität „mit außerordentlichem Kummer fest, daß ein Land, das durch eine so tiefe und langjährige geistige Nähe mit Griechenland verbunden ist, beschloß, alles, was es an edlen und schönen Geisteszeugnissen gibt, mit Füßen zu treten, und durch den verurteilungswürdigen Angriff auf unser griechisches Vaterland, die Wiege der wahren Kultur, zu entwürdigen.“ Die Verfasser verleihen ihrer Gewißheit Ausdruck, daß dieses „Sakrileg“ gegenüber der „Wiege der Kultur“, Deutschland „eine ewig währende moralische Verwundung“ zufügen werde. Ihrer Meinung nach – so erklären sie anschließend – verurteilt die deutsche Wissenschaftsgemeinschaft die Naziaggression, „auch wenn sie aufgrund der Unterdrückung, der sie ausgesetzt ist, nicht offen regieren kann.“11 Der Gedanke der Zweiteilung in Schuldige und Unschuldige innerhalb des NS-Staates nimmt Abstand von der Logik einer „Kollektivschuld“, einer Denkweise, die eher zu Fanatikern als zu Intellektuellen passen würde. Wie jedoch sollte sich diese Unterscheidung zwischen einer unkorrumpierten deutschen Kultur und der Wirklichkeit der Naziherrschaft erhalten – nach der schrecklichen Hungersnot des folgenden Winters, die unzählige Opfer forderte, und den Greueltaten der deutschen Besatzungsarmee, den Racheaktionen, den Massakern, den Verwüstungen ganzer Dörfer? Man sollte annehmen, es hätte eines gerüttelt Maßes an geistiger Umnachtung bedurft, um dieses Bild eines anderen Deutschlands aufrecht zu erhalten, im Gegensatz zu dem Schreckensbild, das Deutschland bot.12 10 Die Mehrzahl der Mitglieder des Universitätssenats hatte an deutschen oder deutschsprachigen Universitäten studiert oder ein Aufbaustudium absolviert, z.B. der Rektor Georgios Fotinos, die Dekane Georgios Sotiriou, Ioannis Spyropoulos, Georgios Ikonomos, Anastasios Aravantinos sowie das Senatsmitglied Ioannis Trikallinos. 11 HAUA, Akten des Universitätssenats, Bd. 52, Tagung am 6.4.1941, S. 349. Der ungekürzte Text findet sich im Anhang. 12 Siehe: Fleischer, Η Εικόνα του „Άλλου“ (Das Bild des „Anderen“), S. 31. Siehe dazu auch: DELOPOULOS, Έπειτα από 120 χρόνια (Nach 120 Jahren). Der Musikwissenschaftler Minos Dounias, der zeitweise in Deutschland gelebt und studiert hatte und mit einer Deutschen verheiratet war, bewunderte zuvor Deutschland und seine Kultur, verlieh nun jedoch seinem Zorn Ausdruck und gab die Verantwortung für den Niedergang dem ganzen Volk, da es durch freiwillige Unterordnung dem totalitären System diente, als Schlächter anderer Völker.

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Die einzelnen Mitglieder des Lehrkörpers reagierten sehr verschieden auf die veränderte Situation. Auf der einen Seite des Spektrums standen jene, die das neue Regime durch eine Teilnahme an Kollaborationsregierungen unterstützten. Es gab zwei konkrete Fälle: Konstantinos Logothetopoulos, Professor der medizinischen Fakultät, übte vom November 1942 bis zum April 1943 als zweiter das Amt des Ministerpräsidenten in der Kollaborationsregierung aus, nachdem er bereits in der ersten Regierung unter Georgios Tsolakoglou vom April 1941 bis zum November 1942 das Amt des stellvertretenden Ministerpräsidenten inne hatte. Zudem war er auch Minister für Bildung und Soziales im gesamten genannten Zeitabschnitt. An der darauf folgenden Regierung Ioannis Rallis nahm Nikolaos Louvaris, Professor der Theologischen Fakultät, als Bildungsminister teil. Die genannten Hochschullehrer pflegten engste Beziehungen zu Deutschland, auf wissenschaftlicher, beruflicher und familiärer Ebene. Natürlich stellen sich viele Fragen: Worin bestanden ihre Handlungsmotive? Was bezweckten sie? Inwieweit waren sie informiert über die Zustände in Deutschland unter der Naziherrschaft? Welche Rolle spielte die Propaganda der Vorkriegszeit? Es ist schwierig, diese Fragen im Rahmen der vorliegenden Arbeit zu beantworten.13 Zu Logothetopoulos kann auf Dokumente verwiesen werden, in denen seine Enttäuschung über die Zusammenarbeit mit dem Naziregime festgehalten ist und die umgekehrt erkennen lassen, wie Tsolakoglou bei einzelnen Deutschen auf Vorbehalte und Misstrauen stieß.14 Um die Vielfalt der Reaktionen innerhalb der Professorenschaft richtig zu bewerten, muß man mit bedenken, daß einige von ihnen den politischen Machtwechsel als Gelegenheit ansahen, ihre Karriere voran zu bringen oder ihnen widerfahrene Ungerechtigkeiten seitens vorangegangener Regierungen nach eigenem Gutdünken auszugleichen. Die Interventionen des Staates hatten an der Universität seit dem Ersten Weltkrieg eine Reihe von Schwierigkeiten verursacht, doch diese kulminierten nun im Ausnahmezustand der 13 Dazu detailliert Informationen zu diesem Thema siehe: FLEISCHER, Στέµµα και Σβάστικα (Krone und Hakenkreuz), S. 361-364. Speziell über Louvaris wird erwähnt, daß ihn Erzbischof Damaskinos zur Teilnahme an der Regierung ermunterte. (S. 363-364). 14 ARCHER, Βαλκανικό Ηµερολόγιο (Balkanisches Tagebuch), S. 266, 277-278, 297: „Diese Deutschen gehörten nicht zu den denjenigen, die er während seines Studiums an der Medizinischen Fakultät im damaligen Reich kennenlernte.“ (S. 278) „Logothetopoulos stellte das Musterexemplar eines Menschen dar, der gegenüber dem einstmals von ihm so verehrten Deutschland vollkommen desillusioniert war.“ (S. 297). Ebenfalls siehe: FLEISCHER, Στέµµα και Σβάστικα (Krone und Hakenkreuz), S. 364, Fußnote 50. Hier wird auf zeitgenössische deutsche Quellen verwiesen, in denen Louvaris als Heuchler hinsichtlich seiner Deutschlandliebe charakterisiert wird. Ihm wurde zudem eine Sympathie oder zumindest eine gewisse Toleranz gegenüber dem Kommunismus nachgesagt.

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Besatzung. Es gab Berufungen und Versetzungen von Professoren auf Befehl der Kollaborationsregierungen, trotz dem Protest des Universitätssenats sowie der Fakultäten.15 Opportunismus hatte mehr mit länger existierenden griechischen Parteiungen zu tun als mit einem Glauben an die neue Wirklichkeit. Es war andererseits auch nicht selbstverständlich, daß Menschen, die vom Ausnahmezustand profitierten, die Behörden der Besatzungsmacht unterstützten.16 Pflegte in der Zeit vor der Naziherrschaft die Mehrzahl der griechischen Wissenschaftler Beziehungen zu Deutschland, so waren nun nur noch wenige bereit, bestehende Sympathien für eine Kooperation zu nutzen.17 In Einzelfällen mag es natürlich eine Zusammenarbeit gegeben haben. Wenn es zu einer Kooperation mit Vertretern der Besatzungsmacht kam, so bedeutete dies jedoch nicht notwendigerweise, daß sich die Ansichten beider Seiten deckten.18 Zum einen überlebten wissenschaftliche oder persönliche Beziehungen der Vorkriegszeit jenseits der offiziellen Bühne,19 zum anderen wurden Verbindungen der Vorkriegszeit aus praktischen Gründen aufrecht erhalten, wie beispielsweise wegen der Aufbaustudien einiger Verwandter der Professoren in Deutschland.20 Der größte Teil der Professorenschaft und der Intellektuellen ganz allgemein wahrte jedoch Abstand zum Naziregime und brach die bisherige Zu15 HAUA, Akten des Universitätssenats, Bd. 53, Tagung am 19.5.1942, 16.6.1942, 26.6.1942. 16 Akten der Juristischen Fakultät, Bd. 13, Tagung am 25.7.1941, S. 8-12. Dokumentiert wird eine der ersten Interventionen des Bildungsministeriums, die Versetzung zu seinen Gunsten des Professors Grigorios Kassimatis, weiterhin die Berufung des Professors Georgios Petropoulos und der heftige Protest des Lehrkörpers der Fakultät gegen die Verfahrensweise. Es ist bekannt, das Kassimatis dennoch später zum aktiven Widerstand überging, eine regierungsfeindliche Schrift herausgab und im Februar 1944 von den Besatzungsbehörden verhaftet wurde. 17 Vgl. FLEISCHER, Im Kreuzschatten, S. 77: „nur wenige waren bereit, alte oder neue Sympathien in konkrete Zusammenarbeit umzusetzen.“ 18 Beispiele finden sich bei KOUTSOUKOU, Deutsche Kulturpolitik, S. 108: „Die Tatsache der ,Zusammenarbeit mit den Besatzern,‘ ein an sich sehr elastischer Begriff, darf allerdings nicht in jedem Fall als Zeichen der Kollaboration interpretiert werden, so beweist es die Forschung.“ 19 Siehe beispielsweise: HAUA, Akten der Philosophischen Fakultät, Bd. 20, Sitzung am 12.10.1942, S. 6, führt die Nachricht vom Tod Hans Lietzmanns (1875-1942) auf und die Entsendung des Kondolenzschreibens. Lietzmann, Professor der Theologie in Berlin sowie Ehrendoktor an der Athener Fakultät, hatte vor dem Krieg eine Reihe von Kontakten zu griechischen Wissenschaftlern. Siehe dazu: IRMSCHER, Οι επιστηµονικές σχέσεις (Die wissenschaftlichen Beziehungen), S. 339, 342, 343-344. 20 Verwandte der Professoren Antonios Keramopoulos und Georgios Ioakeimoglou sowie einiger Mitglieder des wissenschaftlichen Hilfspersonals. Reaktionen blieben jedoch nicht aus. Siehe dazu: HAUA, Akten des Universitätssenats, Bd. 54, Tagung am 17.9.1942, 3.11.1942, 24.11.1942, 1.12.1942, Bd. 55, Tagung am 19.10.1943.

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sammenarbeit mit diesem Land ab.21 Im Rahmen des passiven, geistigen Widerstandes versuchten einige Professoren durch ihr Auftreten an der Universität den Nationalstolz der Studenten zu stärken, wie Nikolaos Bees, der antifaschistische Unterrichtszirkel organisierte, oder Konstantinos Tsatsos, der innerhalb einer Vorlesung einen patriotischen Vortrag hielt und daraufhin entlassen wurde, oder auch Dionysios Zakythinos, der am Nationalen Unabhängigkeitstag eine patriotische Rede hielt und deshalb für einen gewissen Zeitraum aus seiner Position entfernt wurde.22 Georgios Sklavounos, Professor an der medizinischen Fakultät, lehnte ein Kooperationsangebot deutscher Wissenschaftler an die Athener Akademie in einem offiziellen Schreiben ab und klagte daraufhin die schrecklichen Folgen der Besatzungszeit sowie die Heuchelei des deutschen Vorschlages an.23 Zum rein geistigen Protest bedurfte es nicht weniger Mut als zum aktiven Widerstand. Jeglicher Protest verstieß in jener Zeit gegen die Gesetze und war eine Form des Widerstandes, hatte er doch Repressionen und Verhaftungen zur Folge. Als Beispiel möge der kollektive Protest akademischer Einrichtungen sowie der Kirche gegen die Ausdehnung der bulgarischen Besatzungszone auf Nordgriechenland dienen. Der damalige Rektor Errikos Skassis und andere Verantwortungsträger wurden mit der Überstellung an ein Militärgericht bedroht. Skassis entfernte man aus seiner Position für eine gewis-

21 Diesbezüglich schrieb beispielsweise der damalige stellvertretender Direktor der Französischen Akademie Roger Milliex: „Was die Wissenschaftler betrifft, so brachen viele jeglichen kulturellen Kontakt zu Deutschland am Tage der Okkupation ab.“ Ioannis Kakridis, Professor an der Philosophischen Fakultät der Athener Universität, „dessen Ausbildung vollkommen deutsch war, brach aus Gründen der Nationalwürde jegliche Zusammenarbeit mit deutschen Forschern ab.“ Der Archäologe [Christos] Karouzos, nachmaliger Leiter des Archäologischen Museums in Athen, legte seine Mitgliedschaft am Deutschen Archäologischen Institut am Tage des deutschen Einmarsches nieder. Siehe dazu MILLIEX, Ηµερολόγιο και µαρτυρίες (Tagebuch und Zeugnisse), S. 107. Ähnliche Reaktionen gab es auch bei den Professoren der übrigen griechischen Institutionen. 22 Zu den Reaktionen der übrigen akademischen Einrichtungen Griechenlands siehe: MILLIEX, Ηµερολόγιο και µαρτυρίες (Tagebuch und Zeugnisse), S. 101-119. VOURNAS, Ιστορία της Σύγχρονης Ελλάδας (Zeitgeschichte Griechenlands), S. 167-239: Kapitel „Η πνευµατική αντίσταση στη φασιστική και ναζιστική κατοχή“ („Geistiger Widerstand während der faschistischen und nazistischen Besetzung“). 23 Kennzeichnend sind die Ausschnitte aus seiner Rede: Er, der selbst „zu den dienstältesten Ziehkindern der Alma Julia von Würzburg“ gehörte, klagt an, daß „die Griechen an Hungernöten leiden und mit dem bitteren Gefühl sterben, daß Völker, die von den Griechen kultiviert und christianisiert wurden, Griechenland plündern und die griechischen Bewohner im Namen des mächtigen Deutschen Reiches abschlachten.“ HAUA, Akten der Medizinischen Fakultät; Bd. 25, Sondersitzung am 27.4.1945, S. 145-150.

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se Zeit. Von da an verbot man der Universität, Resolutionen an die Besatzungsbehörden zu richten.24 Was speziell die Haltung der Universitätsverwaltung betrifft, so hielten es die damaligen Verantwortlichen für ihre erste Pflicht, den Fortbestand der Einrichtung zu gewährleisten, die doch bereits in der Zeit vor dem Krieg ernsthafte Probleme auszustehen hatte. Sie bemühten sich um einen Schutz der universitären Interessen gegen die Interventionen der Besatzungsmacht. Doch bei der Verwirklichung dieser Vorsätze stieß man im juristischen Ausnahmezustand des Regimes auf große Schwierigkeiten. In den äußerst detaillierten Akten der Diskussionen innerhalb des Universitätssenats und der Fakultäten findet sich kein Anzeichen von Loyalität gegenüber der Besatzungsmacht, oft hingegen Klagen über die Leiden unter dem Besatzungsregime und – was bei offiziellen Dokumenten eher verwundert – Wünsche nach Befreiung der Heimat.25 Wenn ein Vertreter der Universität sich nicht zum aktiven Widerstand entschied, so hieß dies nicht, daß er die neue Ordnung tolerierte. Zu berücksichtigen ist dabei auch die allgemein konservative Ausrichtung des Lehrkörpers und das oben erwähnte Pflichtgefühl der Professoren gegenüber ihrer Institution. Die hauptsächliche Sorge um den Fortbestand der Einrichtung und die Entscheidung für den passiven Widerstand stießen jedoch auf Kritik wie auch auf Selbstkritik; ja man verurteilte die genannte Haltung bisweilen sogar als Rückzug in den akademischen Elfenbeinturm.26 Die gemeinsame kulturelle Basis diente nicht als einheitsstiftendes Element, auch nicht auf der Seite der Eroberer. Als im Sommer 1944 Nikolaos Louros und Konstantinos Choremis, zwei Professoren der medizinischen Fakultät verhaftet wurden, intervenierte eine Abordnung von Professoren dieser Fakultät beim Sicherheitsdienst (SD), um durch Verhandlung eine Freilassung der Inhaftierten zu erwirken. Georgios Ioakeimoglou, Professor der Pharmakologie, der seine Laufbahn in Deutschland begonnen hatte und weiterhin Kontakte zu deutschen Wissenschaftlern pflegte, verwies gegenüber dem Leiter der zuständigen SD-Abteilung namens Baach unter anderem darauf, daß „die meisten Professoren in Deutschland studiert haben und eine bessere Behandlung verdienen, einige von ihnen seien Ministerpräsidenten oder Minister der [kollaborierenden] Regierung gewesen. Dieser antwortete 24 HAUA, Akten des Universitätssenats, Bd. 55, Tagung am 23.12.1943, S. 220-221. (Zum Protest und zur Abstimmung der Fakultäten in Bezug auf die Hinrichtungen von Geiseln durch die Deutschen im Juli 1943 siehe: Akten des Universitätssenats, Bd. 54, Tagung am 22.6.1943). 25 HAUA, Akten des Universitätssenats, Bd. 53, Tagung am 11.8.1942, S. 363. Interessant ist die Tatsache, dass die Befreiung der Heimat von Nikolaos Louvaris, dem Bildungsminister der Besatzungsregierung Rallis, thematisiert wurde. 26 HAUA, Akten des Universitätssenats, Bd. 55, Tagung am 25.4.1944.

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darauf, daß die Professoren, die in Deutschland studiert haben, ihre ärgsten Feinde seien.“27 Auf der anderen Seite standen jene Professoren, die zum aktiven Widerstand übergingen, wobei dieser politisch sehr verschieden ausgerichtet war. Sie traten verschiedenen Widerstandgruppen bei; zum Teil gehörten sie zur griechischen Exilregierung, wie z.B. Panagiotis Kanellopoulos, zum Teil aber auch zur linken Nationalen Befreiungsfront (EAM), wie die Professoren Alexandros Svolos, Petros Kokkalis, Angelos Angelopoulos und Georgios Georgalas.28 Zudem gab es Versuche, neue politische Bewegungen zu etablieren.29 Interessant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß die Herausbildung radikaler Gesinnungen bei griechischen Intellektuellen auch an den Universitäten nachweisbar ist, sogar an der Athener Universität, einer durch und durch konservativen Einrichtung. Innerhalb der Studentenschaft bildete sich eine Widerstandsbewegung, wobei die Linke dominierte. Die Anzahl der Verhaftungen und Hinrichtungen innerhalb der Studentenschaft beläuft sich auf einige Dutzend.30 Auch Mitglieder des wissenschaftlichen und anderen Personals teilten ihr Schicksal. Professoren, die es wagten zu protestieren oder im Verdacht standen, keine ausreichend konforme Gesinnung zu haben, wurden ebenfalls inhaftiert. Hinzu kamen Entlassungen und Disziplinarstrafen. Während der Besatzung wurden verhaftet: Grigorios Kassimatis von der Juristischen Fakultät, Konstantinos Choremis und Nikolaos Louros von der Medizinischen Fakul27 Teil nahmen der Dekan Gerasimos Alivizatos und die Professoren Georgios Ioakeimoglou, Georgios Pamboukis, Nikolaos Michailidis und Konstantinos Moutousis. Fast alle hatten in Deutschland studiert. Siehe: HAUA, Akten der Medizinischen Fakultät; Bd. 24, Sondersitzung am 11.8.1944, S. 181 sowie Bd. 25, Sitzung am 24.11.1944, S. 10. 28 Der genannte Professor Alexandros Svolos war sogar Vorsitzender der „Politischen Kommission für Nationale Befreiung“ innerhalb der EAM. Nach den „Dezemberunruhen“ wurden die oben Genannten aufgrund ihrer linken Gesinnung entlassen. Erwähnenswert ist auch, daß Petros Kokkalis, Professor für Medizin, der in Deutschland studiert hatte, nach dem Bürgerkrieg in die DDR flüchtete, wo er als Wissenschaftler tätig war. 29 Weniger bekannt sind folgende Organisationen bzw. politische Intellektuellenkreise, die im untersuchten Zeitabschnitt im Umfeld der Universität tätig waren: Die „Sozialistische Vereinigung“, an der Xenofon Zolotas, Angelos Angelopoulos, Konstantinos Tsatsos teilnahmen, die „Sozialistische Griechische Vereinigung“, zu der Grigorios Kassimatis gehörte, weiterhin die „Christliche Wissenschaftlervereinigung“ mit Alexandros Tsirindanis und Georgios Rammos, der „Christliche Gesellschaftskreis“ mit Panagiotis Bratsiotis, Michail Dendias, Xenofon Zolotas, Grigorios Kassimatis, K. Eustathiadis, Ioannis Karmiris, Faedon Koukoules. Siehe dazu: PATRAS, Εξουσία και Διανόηση (Macht und Intellekt). 30 Im Vestibül des historischen Universitätsgebäudes ist in jüngster Vergangenheit eine Gedenktafel mit den Namen der ermordeten Studenten angebracht worden.

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tät, Georgios Pantazis, Leonidas Zervas und Nikolaos Kritikos von der Fakultät für Naturwissenschaften und Mathematik, zuvor bereits Tryfon Karantassis von derselben Fakultät.31 Die Besatzungsmacht verursachte in der Athener Universität außerordentlich große materielle Schäden. Der größte Teil der Gebäude wurde beschlagnahmt: die Werkstätten, die Mensa sowie die Universitätskrankenhäuser. Der Institution blieb lediglich das historische Gebäude in der PanepistimiouStraße erhalten. Mit der Beschlagnahmung gingen unzählige Plünderungen und Verwüstungen einher, die Räumlichkeiten, Universitätsausstattung und Bibliotheken betrafen. Diese materiellen Schäden führten zu Chaos und behinderten die wissenschaftliche Arbeit. In der Nachkriegszeit bemühte man sich mit großen Aufwendungen, die Folgen der Verluste auszugleichen.32 Auch auf symbolischer Ebene übten die Eroberer Gewalt aus, die jedoch nicht weniger bedeutsam ist: Um Weihnachten und Neujahr 1941/42 konfiszierte man das Audimax, in dem es daraufhin zu entwürdigenden Veranstaltungen und zu Vandalismus kam.33 In jener Zeit trat auch ein anderes schwerwiegendes Problem auf, das zum Überlebenskampf der Institution und Menschen hinzukam: die Beziehung der Einrichtung zu den Kollaborationsregierungen. Hervorzuheben ist, daß die Bildungsminister zwei ihrer eigenen Leute waren: Logothetopoulos und Louvaris. Mit ihnen geriet man immer öfter in Konflikt. Die Kollaborationsregierungen fungierten als Mittler für die Bedürfnisse der Eroberer und machten direkte Eingriffe derselben unnötig. Sie hatten die Aufgabe übernommen, gemäß dem Willen der Besatzer für Ordnung und Gesetzestreue zu sorgen. Aus den Akten im Universitätsarchiv wird jedoch deutlich, daß die Interventionen der Kollaborationsregierungen in großem Umfang auch andere Themen betrafen, vor allem die inneruniversitäre 31 Siehe dazu, MILLIEX, Ηµερολόγιο και µαρτυρίες (Tagebuch und Zeugnisse), S. 101119, sowie VOURNAS, Ιστορία της Σύγχρονης Ελλάδας (Zeitgeschichte Griechenlands), S. 167-239. Ebenfalls: HAUA, Akten des Universitätssenats, Bd. 55, Tagung am 30.5.1944, S. 487-488. Akten der Philosophischen Fakultät, Bd. 19, 7.12.1942. Akten der Fakultät für Naturwissenschaften und Mathematik, Bd. 10, 4.2.1942, S. 133, 9.2.1943, S. 191. 32 HAUA, Akten des Universitätssenats, Bd 53, Tagung am 19.5.1942, S. 260-261 sowie DASKALAKIS, Πρυτανεία. (Rektorat). 33 Das Audimax der Universität wurde damals gewaltsam in ein Kabarett umgewandelt, mit Orchester, Ballett und bezahlten Frauen. Als die Soldaten betrunken waren, begannen sie den Raum und die Stelen der griechischen Freiheitskämpfer auf der Ostempore zu zerstören. Der damalige Rektor protestierte auf vielfältige Art und erreichte, dass einige der Soldaten bestraft wurden. Siehe dazu HAUA, Akten des Universitätssenats, Bd. 53, Tagung am 8.1.1942, S. 141-143. Ebenfalls GATOPOULOS, Ιστορία της Κατοχής (Geschichte der Besatzung), S. 194-202.

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Machtverteilung und die Festlegung der Einflußsphären. Das war nichts Neues für die Athener Universität und kann bereits in den Jahrzehnten davor festgestellt werden. Die Unzufriedenheit mit dieser Praxis erreichte nun jedoch eine unerträgliche Intensität. Der Geschichtsprofessor Dionysios Zakythinos, der etwa in jener Zeit aufgrund einer patriotischen Rede vorübergehend seines Amtes enthoben wurde, brachte bei einer Sitzung seiner Fakultät im Juli 1942 seine Enttäuschung folgendermaßen zum Ausdruck: „Die höchsten geistigen Institutionen, die wahren Zufluchtsstätten der nationalen Ideale und Traditionen, sind in anderen Ländern, die sich in der Situation Griechenlands befinden, einem starken äußerem Druck ausgesetzt sowie Repressalien seitens der Fremden, doch in Griechenland, wo der Eroberer eine gewisse Nachsicht walten ließ, kommt die Bedrohung aus den eigenen Reihen.“34 Später verschlimmerte sich die Lage freilich nochmals. Quasi als Vorboten des heraufziehenden Bürgerkrieges drangen die „Τάγµατα Ασφαλείας“ (Sonderkommandos für Innere Sicherheit), eine Art antikommunistische Todesschwadronen, der Besatzungsregierung unter Ioannis Rallis gewaltsam in das Universitätsgelände ein, wobei es zu Todesopfern kam.35 Die Hochschule litt an inneren Spaltungen, die bis zur vollkommenen Polarisierung reichten. Sie sind auf jeder Ebene zu bemerken, bei Studenten, Professoren und dem übrigen Personal. Zum Teil haben sie mit den speziellen Bedingungen der Besatzungszeit zu tun sowie mit der Entwicklung hin zum Bürgerkrieg,36 zum Teil handelt es sich um das Erbe der staatlichen Interventionspraxis in diesem Bereich oder ganz allgemein des politischen Ausnahmezustandes, in dem sich Griechenland seit dem Ersten Weltkrieg befand, infolge der „Nationalen Spaltung“ und der rasch wechselnden Diktaturen. Die Besatzungszeit war ein fruchtbarer Nährboden für Verwerfungen, welche den späteren Barbarismen des Bürgerkriegs zuarbeiteten. Die Spaltungstendenzen und die Einmischung verschiedener Mächte wirkten – quasi als Altlasten – an der Athener Universität noch in der Nachkriegszeit fort. Der wichtigste Feind kam nunmehr von Innen und die genannte Problematik in Bezug auf die deutsche Kultur rückte in die zweite Reihe.37

34 HAUA, Akten der Philosophischen Fakultät, Bd. 19, Sondersitzung am 20.7.1942. Die Fakultät tagte, nachdem das Bildungsministerium sie längere Zeit unter Druck gesetzt hatte, Berufungen an der Athener Universität vorzunehmen, auf eine Art, welche die Autonomie der Fakultäten de facto abschaffte. 35 Sogar in den Räumlichkeiten der Universitätsleitung wurde ein Student ermordet. Der Rektor E. Skassis, der ihn zu beschützen versuchte, wurde mit Mord bedroht. HAUA, Akten des Universitätssenats, Bd. 55, Tagung am 28.9.1943. 36 Ebd., Tagung am 28.9.1943, 7.12.1943, 23.12.1943, 8.2.1944. 37 Nach den „Dezemberunruhen“ gab es erneut „Säuberungsaktionen“ an der Universität. Siehe dazu PAPASTRATIS, Η εκκαθάριση του Πανεπιστηµίου (Die Säuberung der Universität), S. 73-86.

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Nach dem Zweiten Weltkrieg normalisierten sich die offiziellen Beziehungen der ehemaligen Kriegsgegner allmählich, auch an der Athener Universität; ja vielleicht kam der Prozeß hier sogar noch rascher in Gang. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang eine Initiative der Philosophischen Fakultät des Jahres 1948: Bereits damals verlieh sie dem deutschen Philologen Werner Jaeger, der während der Naziherrschaft in die USA emigriert war, den Ehrendoktortitel. Diese Geste dokumentiert die Normalisierung der Beziehungen zur Wissenschaftswelt Deutschlands, die ihren Anfang in einem beiden Seiten vertrauten Bereich nahm, dem der klassischen Studien.38 Übersetzung aus dem Griechischen: Hilmar Bast

Anhang Protestschreiben des Senats der Athener Universität angesichts des Einmarsches der Deutschen am 6. April 1941 Die Universität Athen sieht sich zum zweiten Mal gezwungen, laut und deutlich gegenüber den in der geistigen Ökumene gemeinsam verbundenen Universitäten ihre Stimme des Protestes zu erheben, weil ein Staat, der dazu noch die Kultur beansprucht, nämlich Deutschland, sich erdreistet, Italiens verächtlichen Überfall auf Griechenland zu imitieren. Allen in den Wissenschaften tätigen Geistigen gegenüber prangert die Universität Athen dieses Vorgehen an und stellt mit Bedauern fest, daß eben dieses Land alles, was es an edlen und schönen Geisteszeugnissen gibt, mit Füßen tritt, zumal es durch enge und vieljährige Geistesbande Griechenland nahesteht; es entwürdigt durch den brutalen Angriff auf unser griechisches Vaterland die Wiege der wahren Kultur. Diese aggressiv hinterhältige Attacke gegen das kleine Griechenland wird Deutschland, das in geistigen Leistungen die Vorreiterrolle beansprucht, eine ewig währende Schande einbringen. Doch mag auch das Gewissen der Wissenschaftswelt unter dem Druck der Umstände zwangsweise schweigen, so zweifelt unsere Universität dennoch nicht am im Verborgenen wachsenden Widerstand gegen solche verworfene Blasphemie; diese begeht der heute ma38 Der Vorschlag stammte vom Professor Ioannis Kallitsounakis, der eng mit der Berliner Universität verbunden war und am dortigen Seminar für Osteuropäische Sprachen einen Lehrauftrag inne hatte. Vorbehalte des Griechischen Außenministers hinsichtlich möglicher Gegenreaktionen wies er zurück, indem er darauf verwies, daß Jaeger Antifaschist war und Bürger der Vereinigten Staaten. Siehe dazu: HAUA, Akten der Philosophischen Fakultät, Bd. 22, Tagung am 24.7.1948.

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teriell mächtige deutsche Staat im Widerspruch zum geistig und moralisch hochstehenden Teil der eigenen Nation; sie trifft die weltweite Verehrungsstätte der menschlichen Hochkultur und der Protagonie der Freiheit der Völker.39

ΔΙΑΓΓΕΛΜΑ Το Πανεπιστήµιον Αθηνών δευτέραν ταύτην φοράν αναγκάζεται να υψώση φωνήν διαµαρτυρίας προς πάντα τα αδελφά Πανεπιστήµια της Οικουµένης διότι Κράτος διακηρύσσον τον πνευµατικόν αυτού πολιτισµόν, οποίον η Γερµανία, κατεδέχθη να µιµηθή την ταπεινωτικήν ιταλικήν στάσιν εν τη κατά της Ελλάδος επιβουλή της. To Πανεπιστήµιον Αθηνών καταγγέλλον την πράξιν ταύτην προς πάντα τα καλλιεργούντα την επιστήµην πνεύµατα, µε πόνον ψυχής αναγκάζεται να διαπιστώση ότι χώρα, η οποία διά τόσον στενών και πολυχρονίων δεσµών πνευµατικών συνδέεται προς την Ελλάδα εδέχθη να ποδοπατήση ό,τι ευγενές και ωραίον αποτελεί εκδήλωσιν του πνεύµατος και να προσβάλη δια της ακαθέκτου κατά της Ελληνικής Πατρίδος επιθέσεως την κοιτίδα του αληθινού πολιτισµού. Η σκληρά αυτή κατά της µικράς Ελλάδος εκ των νώτων επίθεσις θα προκαλέση τύψιν αιωνίαν µίας κραταιάς Γερµανίας αξιούσης να πρωτοπορή εις τας πνευµατικάς επιδόσεις, δεν αµφιβάλλει δε το ηµέτερον Πανεπιστήµιον, ότι, όσον δήποτε και αν η γερµανική επιστηµονική συνείδησις είναι ηναγκασµένη υπό την πίεσιν των περιστάσεων να σιωπά, εξεγείρεται ενδοµύχως κατά της ωµής ταύτης ιεροσυλίας, ην διαπράττει το µέγα µεν εις υλικήν ισχύν σηµερινόν γερµανικόν κράτος, εν διαφωνία δε προς την πνευµατικήν και ηθικήν µερίδα του Έθνους κατά του παγκοσµίου ναού των υψηλών εκδηλώσεων του ανθρωπίνου πνεύµατος και της προµάχου των ελευθεριών των λαών.

39 HAUA, Akten des Universitätssenats, Bd. 52, S. 348-349. Übersetzung: M. Mitsou, C. Kambas.

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Archive Historisches Archiv der Universität Athen (HAUA), Athen Akten des Universitätssenats, Bde. 52, 53, 54, 55. Akten der Juristischen Fakultät, Bd. 13. Akten der Medizinischen Fakultät, Bde. 24, 25. Akten der Philosophischen Fakultät, Bde. 19, 20, 22. Akten der Fakultät für Naturwissenschaften und Mathematik, Bd. 10.

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Die Kulturbeziehungen zwischen der SBZ/DDR und Griechenland in der Phase der Nicht-Anerkennung Am 7.10.1949 wurde auf dem Boden der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) mit der DDR ein zweiter deutscher Staat gegründet – im Gegensatz zur Bundesrepublik mit betont sozialistisch-antifaschistischer Ausrichtung, aber ohne Anerkennung seitens der internationalen Staatengemeinschaft, mit Ausnahme der „sozialistischen Bruderländer“. Nahezu zeitgleich mußten die griechischen Kommunisten analoge Ambitionen endgültig begraben, nachdem am 9. Oktober das ZK der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) im albanischen Exil die Niederlage im dreijährigen Bürgerkrieg (1946-1949) öffentlich eingestand. Zuvor schon hatten die ostdeutschen Genossen der SED‚ „im Geiste der Solidarität gegenüber der griechischen Bruderpartei“, ihr Einverständnis erklärt, eine begrenzte Anzahl „bedrohter“ griechischer Kinder aufzunehmen. Insgesamt nahmen die Staaten des Ostblocks etwa 77.000 politische Flüchtlinge aus Griechenland auf, von denen ca. 27.000 im Kindesalter waren.1 Die Verhandlungen über den Verteilerschlüssel waren schwierig; Einigkeit bestand eigentlich nur darüber, daß die DDR sich ausschließlich symbolisch, mit einer relativ geringen Quote, beteiligen sollte. Von den insgesamt 1128 „Griechenland-Flüchtlingen“ traf der erste Transport am 4. August 1949 ein, der größere Rest im Juni 1950. Es handelte sich um 193 Kleinkinder im Alter von bis zu sieben Jahren sowie um 935 Kinder und Heranwachsende zwischen 8 und 17 Jahren, die Mehrzahl jüngere Jahrgänge. Begleitet wurden sie von Lehrern und einigen Frauen.2 Da in die DDR nur Kinder und Jugendliche gelangten, liegt die Vermutung nahe, daß die Aufnahme von Erwachsenen als besonders problematisch angesehen wurde. Ein Grund dafür war die Befürchtung, Veteranen des griechischen Widerstands könnten ehemaligen Besatzern begegnen – mit unerfreulichen Konsequenzen. Erst 1956 kamen auch Erwachsene – insbe1

2

Laut internem Bericht des ZK der KKE vom Oktober 1950, zit. nach: PAPATHANASIOU, Contribution à l’histoire, S. 226. Vgl. auch PAPADOPOULOS, Παιδιά της θύελλας (Kinder des Sturms), S. 19 und MITSOPOULOS, Μείναµε Έλληνες (Wir sind Griechen geblieben), S. 16. Von den Kindern wurden 17352 in die sieben linientreuen sozialistischen Staaten verbracht und etwa 10000 nach Jugoslawien (RISTOVIĆ, Long Journey, S. 130, passim). BArch, DY 30 IV 2 20 252a, Brief an das ZK der SED, vom 28.2.1961. Vgl. auch PAPATHANASIOU, Contribution à l’histoire, S. 226.

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sondere im Rahmen der Familienzusammenführung. Der größte Teil der jungen Griechen wurde nach Radebeul bei Dresden gebracht und von da aus in größeren Gruppen auf andere Städte verteilt. Der Kulturschock war gewaltig. Die Kinder kamen zumeist aus abgelegenen Bergdörfern, und ihre Schulkenntnisse, wenn überhaupt, waren äußerst gering.3 In der neuen Umgebung verstanden sie kein Wort der Landessprache. Fast alle hatten gesundheitliche und hygienische Probleme, viele litten auch an Krätze.4 Sie waren unterernährt und konnten sich nur schwer an die deutsche Küche gewöhnen. Schlimmer noch, zumindest in der ersten Phase waren viele verängstigt in einer deutschen Umgebung, die negative Assoziationen mit dem Besatzungsterror bewirkte, da Albträume der frühesten Kindheit ins aktive Bewußtsein zurückdrängten. Was die pädagogische und schulische Betreuung betraf, kann man davon ausgehen, daß vom September 1950 bis März 1951 nur Sprachunterricht gegeben wurde. Das erste Ziel des Unterrichts war es, die Neuankömmlinge vom Balkan möglichst schnell mit der Landessprache vertraut zu machen, so daß sie sich in ihrer Umwelt und deren gesellschaftlichen Anforderungen zurechtfinden konnten. Der Deutschunterricht war somit der Schlüssel für die gesamte weitere Ausbildung. Die Vermittlung der deutschen Sprache erfolgte stets ohne Dolmetscher, einerseits aus pädagogischen Gründen und andererseits aus Mangel an geeigneten Kräften. Am Ende des Schuljahres 1950/1951 begann für die griechischen Kinder parallel zum Sprachunterricht die Einführung in andere Fächer, um sie dann ihrem Wissensstand entsprechend in das DDR-Schulsystem einzugliedern. So waren die Kinder meist älter als ihre deutschen Mitschüler. Da ein Großteil der jungen Griechen Analphabeten war, die selbst in ihrer Muttersprache nur über einen Elementarwortschatz verfügten, unterrichteten bis September 1952 griechische Lehrer Fächer wie Grammatik, Geschichte und Heimatkunde5 – ungeachtet des eklatanten Mangels an Lehrbüchern.6 Als sich dann aber immer deutlicher abzeichnete, daß die Kinder offensichtlich für lange Zeit in Deutschland leben würden, begann sich der Lehrplan grundlegend zu ändern, und die Lehrtätigkeit der griechischen Erzieher blieb auf griechische Sprache und Geschichte beschränkt.7 Die Verantwortlichen in der DDR stellten sich die anspruchsvolle Aufgabe, die ‚sozialistische Arbeitsdisziplin‘ der griechischen Kinder im Laufe der Zeit zu erhöhen. Den in dieser Hinsicht wiederholt monierten Defiziten zum Trotz erzielten schließlich viele der vom Kombinat „Freies Griechenland“ Geförderten gute Erfolge 3 4 5 6 7

BArch, DY 30 IV 2 20 252a, Brief an das ZK der SED, vom 28.2.1961. BArch, DR 2 6220, Bericht von Frau Jacobs, vom 5.1.1950. Ebd., Rat des Stadtkreises Leipzig, 10.4.1953. Ebd., Brief an das Ministerium für Volkswesen, vom 18.12.1950. Ebd., Rat des Stadtkreises Leipzig, 10.4.1953.

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in ihrer Qualifizierung und Ausbildung. Nach Abschluß der Ausbildung und mit dem Übergang in die Produktion konnten sich viele ein gutes Lebensniveau sichern und in die DDR-Gesellschaft eingliedern. Andere wurden repatriiert.8 Was die zwischenstaatlichen Beziehungen betraf, lag für die Ost-Berliner Stellen in der Kulturarbeit eine der wirksamsten Methoden ihrer politischen Arbeit und erhoffter internationaler Anerkennung.9 In der Phase des weltweiten kalten Krieges konzentrierte die DDR ihre kulturpolitischen Aktivitäten auf drei Schwerpunktbereiche: auf die sozialistische Staatengemeinschaft, auf einige für sie interessante neutrale Staaten der Dritten Welt sowie auf die nichtkommunistischen Industriestaaten. In der Zielgruppe der westlichen Länder – die in diesem Zusammenhang interessiert – war die selbstgestellte Aufgabe der DDR-Kulturpolitik als ideologische Einbahnstraße angelegt: einerseits galt es im Revier des ‚Klassenfeindes‘ kulturellen, und damit auch politischen Einfluss zu gewinnen bzw. auszubauen, andererseits aber im eigenen Staat keine Verbreitung bürgerlicher Ideologien zuzulassen. Doch mehr noch als in den meisten anderen westlichen Staaten stießen die ostdeutschen Initiativen im strikt antikommunistischen Griechenland bei den zuständigen staatlichen Organen auf vehemente Ablehnung. Lediglich die im permanenten Gegensatz zu den Athener Regierenden und deren Westbindung stehenden „fortschrittlichen gesellschaftlichen Kräfte“ bemühten sich um engere Kontakte zum zweiten deutschen Staat – namentlich linksorientierte Berufsverbände, die Freundschaftsgesellschaft DDR-Griechenland, sowie die kommunistisch kontrollierte „Einheitliche Demokratische Linke“ (EDA) als Platzhalter der (1947-1974) verbotenen KKE.10 Von erheblicher Bedeutung war in dieser Zielgruppe die innerdeutsche Abgrenzungspolitik, derzufolge nicht nur zwei Nationen und zwei Staaten im deutschen Raum existierten, sondern auch zwei Kulturen, die untereinander antagonistisch gesehen wurden. Zwangsläufig sah die DDR die vorrangige Aufgabe ihrer Kulturpolitik darin, die „Hallstein-Doktrin“ oder – im eigenen Jargon – die „Bonner Alleinvertretungsanmaßung“ zu unterlaufen und für die eigene staatliche Anerkennung möglichst weltweit zu werben.11 Dementsprechend stellte sie die gesellschaftlichen Unterschiede zur BRD heraus und versuchte diese mit den negativen Phasen der deutschen Geschichte – von der Feudalherrschaft bis zur NS-Diktatur – zu verbinden. Sich selbst hingegen präsentierte die DDR als „Friedensstaat“ und einzig wahren Hüter

8 9 10 11

BArch, DY 30 IV 2 20 252a, Brief an das ZK der SED, vom 28.2.1961. Ebd. ROFOUSOU, Kulturpolitik der DDR, S. 40-41. Vgl. JACOBSEN, Auswärtige Kulturpolitik, S. 245, 255-256.

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des „fortschrittlichen“ Teils der nationalen Geschichte und des kulturellen Erbes.12 Unter solchen Vorzeichen verbot sich nicht nur die Kooperation, sondern sogar jegliche Berührung mit der „imperialistischen BRD-Kultur“. Das in den Direktiven sich mit ermüdender Monotonie wiederholende Verbot, „Einladungen von Institutionen oder Einzelpersonen aus der BRD, Westberlin oder anderen kapitalistischen Staaten“ anzunehmen, wurde zumeist defensiv begründet: Alle bundesdeutschen Organisationen im Ausland seien „konspirative Hilfsorgane des Bundesnachrichtendienstes“, so etwa die Deutsche Welle, die Parteistiftungen, insbesondere aber das Goethe-Institut mit seinen Zweigstellen im Ausland, das „das klassische Kulturerbe für die Politik des Westdeutschen Imperialismus mißbraucht“. In diesem Sinne beschuldigte das SED-Organ Neues Deutschland die Goethe-Institute, sie dienten der „imperialistischen Expansion“ ihrer Auftraggeber. In den DDR-Akten finden sich wiederholt explizite Angriffe gegen das Athener Goethe-Institut als Indiz für den hohen Stellenwert, den man diesem als Störfaktor für die eigenen Aktivitäten beimaß.13 Trotz zentralistischer Planung und der für die Verhältnisse der DDR beträchtlichen kulturpolitischen Investitionen blieben in dieser Phase Erfolgserlebnisse im westlichen Ausland rar – ein Defizit, das in der DDR mit weitgehender Berechtigung auf die Obstruktion durch die Bundesrepublik zurückgeführt wurde. Dementsprechend war auch die ablehnende Haltung des offiziellen Athens aus der Sicht der DDR-Führung ein Ergebnis der Pressionen der NATO-Partner, und namentlich der BRD.14 Tatsächlich war das Fehlen normaler politischer und diplomatischer Beziehungen zwischen Athen und Ostberlin bis 1973 insbesondere darauf zurückzuführen, daß sich Griechenland als NATO-Staat und assoziiertes Mitglied der EWG in politischer und ökonomischer Hinsicht weitgehend den geostrategischen Interessen der Allianz, insbesondere des wichtigsten Handelspartners, unterordnete bzw. unterordnen mußte. Als nicht anerkannter „Paria“-Staat hatte die DDR also eine schlechte Ausgangsposition, fand aber Ansatzpunkte in der permanent prekären wirtschaftlichen Situation Griechenlands, die es zwang, im Ost-West-Handel Zugeständnisse zu machen. Grie12 PA ΑΑ, Β 97/544, Die Κulturpolitik der DDR im Ausland. Eine Übersicht über das Instrumentarium und die neuen Aktivitäten vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Juli 1972, S. 33. Vgl. PRAXENTHALER, Sprachverbreitungspolitik der DDR, S. 97. 13 So etwa: BArch, DY 30 IV A 2 20 498, Brief an Feist, vom 20.7.1966. Vgl. auch LINDEMANN, MÜLLER, Auswärtige Kulturpolitik der DDR, S. 83, sowie ROFOUSOU, Kulturpolitik der DDR. 14 Z.B. PA AA, MfAA, A 12513, Abschlußbericht des Messedirektors über die Teilnahme der DDR an der Messe in Thessaloniki vom 5.-26.9.1964 und BArch, DL 2 VA N 299, Direktive für die Teilnahme der DDR an der Messe in Thessaloniki 1961.

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chische Agrarprodukte minderer Qualität, vor allem Tabak, aber auch andere auf westlichen Märkten kaum wettbewerbsfähige Überschußprodukte, konnten nämlich in den Ostblockstaaten im Clearingverfahren abgesetzt werden – im Tausch gegen Industriegüter, also ohne die knappen griechischen Devisenreserven angreifen zu müssen.15 So gelang es der DDR in Griechenland, wie auch in den meisten westlichen Ländern, eine inoffizielle Handelsvertretung zu errichten, und ihren Status Schritt für Schritt zu verbessern. Die Errichtung der Vertretung 1954 in Athen beruhte weder auf einer vertraglichen Vereinbarung mit der griechischen Regierung noch auf gesetzlichen Bestimmungen für die Errichtung ausländischer Handelskammern in Griechenland. Stattdessen wurde im Dezember 1953 ein Abkommen zwischen der Deutschen Notenbank Berlin und der Bank von Griechenland über den bilateralen Waren- und Zahlungsverkehr abgeschlossen, das im Januar 1954 zum Mißfallen der BRD und der Westmächte in Kraft trat.16 Auch hier, wie in den meisten „kapitalistischen Ländern“, entwickelte sich die Tätigkeit der DDR-Vertretung nach der üblichen Drei-PhasenStrategie: Zunächst beschränkte sie sich auf den ihr zugestandenen ökonomischen Aufgabenbereich, d.h. auf Anknüpfung bzw. Ausbau von Handelsbeziehungen. In der zweiten Phase wurden die hergestellten Kontakte unter erheblichem Einsatz von Personal und Geld intensiv gefördert, um den Boden für eine politische, propagandistische und zugleich auch kulturelle Einflußnahme auf das Gastland auszubauen. Als Endziel wurde von der DDR-Führung die völkerrechtliche Anerkennung vorgegeben. Aufschlußreich dafür ist das Eingeständnis des Leiters der ostdeutschen Kammervertretung in Athen, er verstehe seine Aufgabe rein politisch, da Griechenland auf wirtschaftlichem Gebiet für die DDR von geringem Nutzen sei. Obwohl die Handelsvertretung weder diplomatische Privilegien noch konsularische Befugnisse besaß, bemühte sie sich nach außen einen quasidiplomatischen Status zu demonstrieren, um über den wirtschaftlichen Sektor Eingang in griechische Institutionen und insbesondere in die griechische Öffentlichkeit zu erlangen. So wurden zu gegebenen Anlässen wie etwa dem griechischen Nationalfeiertag Glückwunschkarten verschickt, oder es wurde anläßlich des DDR-Staatsfeiertages zum Empfang geladen und die Flagge der DDR, die sog. „Spalterflagge“, am Gebäude der Vertretung gehißt. Negative Reaktionen des griechischen Außenministeriums – in eigener Initiative oder als Ergebnis westdeutscher Pressionen – wirkten dämpfend auf die Strategie der Handelsvertretung, doch wurden die Versuche früher oder später 15 PA AA, MfAA, A 12513, Wirtschaftspolitische Konzeption für die Messe Thessaloniki 1964, vom 3.2.1964. FLEISCHER, Post War Relations, S. 165 f. Siehe allgemein: WALLDEN, Ελλάδα και ανατολικές χώρες (Griechenland und die Ost-Staaten), zur DDR insbesondere Bd. II, S. 17-28. 16 FLEISCHER, Post War Relations, S. 165, 174.

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wiederholt.17 Als Erfolg wurde gewertet, daß die Handelsvertretung über längere Zeit Schaukästen an der zentral gelegenen Athener Untergrundbahnstation Omonia-Platz unterhielt, in der sie Werbung für den eigenen Staat und dessen Produkte betrieb.18 Im Ganzen gesehen gelang es der Vertretung zwar nicht, offizielle Kontakte zu griechischen Regierungsstellen zu knüpfen, doch immerhin brachte sie die DDR ins Bewußtsein einer eingeschränkten Öffentlichkeit. Stärker in Erscheinung trat die Vertretung während der Internationalen Messe in Thessaloniki‚ der die Repräsentanten Ostberlins große Bedeutung als „einer der größten Balkanmessen mit dem Charakter einer Mustermesse“ zumaßen. Die Teilnahme in Thessaloniki mit einem eigenen Pavillon diente nicht nur dem Ausbau kommerzieller und wirtschaftlicher Beziehungen, sondern auch als Kontaktaufnahme auf quasi regierungsnaher Ebene. Eine gewisse politische Popularität konnte sich die DDR über Öffentlichkeitsarbeit und Werbung in den Bereichen Volksbildung, Kultur, Sozialwesen und Sport auf den Ausstellungen erwerben. Sehr wirkungsvoll war auch der Informationsstand der Liga für Völkerfreundschaft, der in vielfacher Weise propagandistisch die wichtigste Rolle spielte.19 Auch nach Ansicht der BRD zeigten sich die Ostdeutschen als „starke Konkurrenten“,20 die sogar wiederholt bessere Erfolge in der Öffentlichkeitsarbeit verzeichnen konnten. Nicht weniger wichtig war in der politischen Wirkung auch die offizielle Staatsbezeichnung ‚Deutsche Demokratische Republik‘ am Eingang der Ausstellung. So nahm die DDR-Delegation etwa 1962 an der Messe nicht teil, da es der westdeutschen Seite gelungen war, an Stelle der von Ostberlin geforderten offiziellen Bezeichnung den Titel „Handelsvertretung Ostdeutschlands“ in griechischer Sprache durchzusetzen – unter Beifügung der für die griechischen Besucher wenig erhellenden deutschen Abkürzung (DDR) in Klammern .21 Das Fehlen diplomatischer Beziehungen behinderte ganz allgemein die Entwicklung normaler Beziehungen auf allen anderen Gebieten. Insbesondere lehnte die Athener Regierung jede Art von Kulturaustausch auf der Basis zwischenstaatlicher Abkommen ab, da sie – nicht ganz zu Unrecht – argwöhnte, die Kulturwerbung diene einer „umstürzlerischen“ kommuni17 Siehe etwa: PA AA, B 90/513a, Vertretungen der DDR in Ländern außerhalb des kommunistischen Bereichs, Februar 1963. 18 PA AA, Ref. IA 4, Bd. 310, Botschaft der BRD in Athen, 31.12.1963. 19 PA AA, MfAA, A 12513, Abschlußbericht des Messedirektors über die Teilnahme der DDR an der Messe in Thessaloniki vom 5.-26.9.1965 und PA AA, MfAA, A 4612, Arbeitsplan für das Quartal 1960, vom 28.6.1960. 20 PA AA, B 62/172, Ostkonkurrenz auf der Messe in Thessaloniki, 1956. 21 PA AA, MfAA, A 12513, Abschlußbericht des Messedirektors über die Teilnahme der DDR an der Messe in Thessaloniki vom 5.-26.9.1964 und BArch, DL 2 VA N 299, Direktive für die Teilnahme der DDR an der Messe in Thessaloniki 1961.

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stischen Propaganda als Alibi. Die Aktivitäten der DDR waren daher weiterhin auf die Unterstützung sympathisierender, oft prominenter „Kulturschaffender“ bzw. kultureller Institutionen angewiesen. Unter solchen Vorzeichen gelangen auch in der Phase der Nichtanerkennung einige spektakuläre Erfolge etwa auf dem Gebiet des Bühnenwesens und der Musikkultur, so etwa der vom Publikum gefeierte Auftritt des Leipziger Gewandhausorchesters 1965 in Athen und auf Kreta.22 Von weitreichender Bedeutung wurde auch die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Takis Mouzenidis, der um 1959 im griechischen Zentrum des Internationalen Theaterinstituts (ITI) einen vielbeachteten Vortrag über das Theater in der DDR hielt. Auch Kunst- und Buchausstellungen fanden reges Interesse, so eine Ausstellung über das Berliner Ensemble anläßlich der Premiere von Mutter Courage und ihre Kinder23 sowie die Käthe-Kollwitz-Ausstellung, die Anfang 1965 gezeigt wurde. Die linke Buchhandlung „Themelio“ und die „Deutsche Buchexport und -import“ organisierten gemeinsam eine Buchausstellung in Athen.24 Die DDR präsentierte sich in Griechenland außerdem mit Filmen. Herausragende Beispiele sind die DEFA-Filme Thomas Münzer,25 Mazurka der Liebe und Ehe im Schatten.26 Hinzu kam die Teilnahme am Internationalen Filmfestival in Thessaloniki, das zeitlich und konzeptionell mit der Internationalen Messe zusammenfiel und daher für die Popularisierungsstrategie der DDR erhebliche Bedeutung gewann.27 Doch zur von Ostberlin vorgeschlagenen Durchführung einer gemeinsamen Filmwoche war die griechische Seite noch lange nicht bereit.28 Erhebliche Breitenwirkung erzielten auch die in der DDR erschienenen Ausgaben von Werken griechischer Autoren, insbesondere von Melpo Axioti, Dimitris Chatzis, Elli Alexiou, Themos Kornaros und Nikos Kazantzakis, die als Bürgerkriegsflüchtlinge oder als Exponenten des breiteren „linken Spektrums“ aus dem offiziellen Kulturleben Griechenlands ausgegrenzt waren.29 Offizielle politische Kontakte zwischen Abgeordneten der Volkskammer und griechischen Parlamentariern bestanden seit 1957, in größerem Umfang jedoch erst seit 1959.30 Selbstverständlich handelte es sich dabei primär um 22 PA AA, B 97/365, Botschaft der BRD in Athen, 1.3.1966 und AMAE, Europe 19401970, Grèce 242, Botschaft Frankreichs in Griechenland, 19.2.1965. 23 PA AA, MfAA, A 12490, Jahresanalyse 1959, vom 19.1.1960. 24 PA AA, MfAA, A 12507, Bericht über eine Dienstreise, vom 19.10.1965. 25 Ebd., Presseabteilung, 12.4.1961. 26 Ebd., Bericht von Marx, 23.4.1959. 27 Ebd., Bericht über eine Dienstreise, vom 8.11.1965. 28 Ebd., Kurzinformation über die Beziehungen zwischen der DDR und Griechenland auf kulturellem Gebiet und zu Fragen der Auslandspropaganda im Jahre 1959. 29 BArch, DR 1 6688, Bibliographie griechischer Werke. 30 PA AA, MfAA, A 12513, Wirtschaftspolitische Konzeption für die Messe Thessaloniki 1964, vom 3.2.1964.

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solche mit Abgeordneten und Kadern der „progressiven“ Parteien Griechenlands – vom linken Flügel der Liberalen bis hin zu sozialistischen Splittergruppen und der EDA.31 Diese politischen Kontakte sollten aus Sicht der DDR-Führung auch zur Intensivierung des kulturellen Austausches sowie zur Bildung einer Freundschaftsgesellschaft führen.32 Dachorganisation für diese Gesellschaft war die „Liga für Völkerfreundschaft“ und in den ersten Jahren die „Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland“.33 Im internationalen Kulturaustausch spielten die Freundschaftsgesellschaften eine dominierende Rolle, denn die meisten wurden in den Jahren der Isolierung der DDR nach dem Mauerbau 1961 gegründet. Als Meilenstein ist daher im Mai 1965 die Gründung der „Freundschaftsgesellschaft Griechenland-DDR“ angesehen worden, mit offizieller Zielsetzung eines Ausbaus der kulturellen Beziehungen. Und da die Gesellschaft kaum verhohlen zugleich der „auslandsinformatorischen Tätigkeit“ der DDR in Griechenland diente, wurde sie vom Ostberliner Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA) recht großzügig unterstützt.34 Auch wenn das Aktionsspektrum der Athener Freundschaftsgesellschaft dennoch im Vergleich zur kulturpolitischen Arbeit der Bundesrepublik in Athen bescheiden erschien,35 blieben ihr partielle Erfolge nicht versagt. So wurden Reisen, literarische Vorträge36 und Ausstellungen37 organisiert, Filmveranstaltungen38 gefördert und Stipendien für griechische Studenten für ein Studium an den Hochschulen der DDR ausgeschrieben. Weitere kulturpolitische Initiativen betrafen die Einrichtung einer Bibliothek und eines Sportzentrums sowie von Kursangeboten für deutschen Sprachunterricht.39 Nach Ansicht der BRD waren letztere ein Indiz für Pläne der DDR, in Griechenland Einrichtungen nach dem Muster des Goethe-Instituts und der Deutschen

31 BArch, DY 30 IV 2/20/253, Interparlamentarische Gruppe der DDR, vom 24.8.1959. 32 PA AA, MfAA, A 12490, Jahresanalyse 1959, vom 19.1.1960. 33 PA AA, MfAA, A 12507, Bericht der Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland, vom 19.10.1965. 34 Brief an das MfAA, vom 16.1.1965, Brief an die Liga für Völkerfreundschaft, vom 5.2.1965 und Statuten der Gründung einer Griechisch-Deutschen Liga für Freundschaft, 1965. Alle: BArch, DY 13 2308. 35 Vgl. FLEISCHER, Europas Rückkehr nach Griechenland, S. 171 f. 36 Z.B. mit griechischen Übersetzungen aus Werken von Becher, Kuba, Hermlin oder der Vortrag des Politikers Iakovos Kambanelis 1966. 37 Z.B. über die moderne Grafik und den Städtebau in der DDR. 38 Z.B. die Aufführung des Films Werner Holt mit dem griechischen Titel Die Verdammten des 3. Reiches. 39 Statuten der Gründung einer Griechisch-Deutschen Liga für Freundschaft, 1965, Aktenvermerk über den Aufenthalt des Generalsekretärs der Gesellschaft GriechenlandDDR, vom 12.1.1966 und Bericht der GKV, vom 15.6.1966. Alle: BArch, DY 13 2308.

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Schule begründen zu wollen.40 Die Gesellschaft verfügte auch über eine eigene populäre Zeitschrift, die Deutsch-Griechischen Blätter,41 so daß die bundesdeutsche Botschaft sogar die Gründung einer DDR-freundlichen Wochenzeitung befürchtete und daher eine eigene, den Athener Kurier finanziell förderte.42 Die Freundschaftsgesellschaft wurde vom ZK der EDA sowie von „progressiven“ griechischen Kulturinstitutionen unterstützt, so etwa von den Verbänden der Komponisten, der Musiker, der Schriftsteller und der Architekten.43 Diesem Aufschwung setzte jedoch nach weniger als zwei Jahren die Errichtung der Militärdiktatur ein jähes Ende: die Gesellschaft wie auch ihre Zeitschrift wurden verboten, ihr Präsident Ioannis Imvriotis und zahlreiche Mitglieder verbannt bzw. verhaftet.44 Weiterhin bestand jedoch das Pendant der Gesellschaft innerhalb der DDR, die „Freundschaftsgesellschaft DDRGriechenland“, die im Juni 1966 gegründet worden war. Als deren Präsident fungierte nominell der Architekturprofessor Edmund Collein und de facto dessen Stellvertreter, der bekannte Gräzist und Altertumswissenschaftler Johannes Irmscher, Professor an der Humboldt-Universität und profiliertes Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin [ab 1972: „AdW der DDR“].45 Die Aktivitäten der Gesellschaft blieben jedoch zwangsläufig auf den eigenen Staat bzw. die sozialistischen Staaten beschränkt. Vor allem leistete sie Hilfe für politische Flüchtlinge aus Griechenland und führte Solidaritätskampagnen für dort inhaftierte Kulturschaffende, zunächst mit Mikis Theodorakis als Gallionsfigur, durch. Der Komponist wurde jedoch schlagartig zur „Unperson“, als er mit der 1968 erfolgten Spaltung der KKE für die in der DDR als „revisionistische Spalterclique“ verpönten eurokommunistisch ausgerichteten „Inlandskommunisten“ Stellung bezog.46 Dennoch brach auch in den schweren Jahren der Diktatur die Verbindung zwischen KKE und SED – im Exil bzw. im Untergrund – nie völlig ab, wobei allerdings Kultur im engeren Sinne für beide Seiten sicherlich nicht die 40 Archiv der BBAW, Bestand ZIAGA, Nr. A943, Botschaft der BRD in Athen, 17.12.1965. 41 BArch, DY 13 2308, Aktenvermerk über den Aufenthalt des Generalsekretärs der Gesellschaft Griechenland-DDR, vom 12.1.1966 und PA AA, B 97/365, Botschaft der BRD in Athen, 14.2.1967 und 15.2.1967. 42 Siehe hierzu FLEISCHER, Deutschsprachige Presse. 43 BArch, DY 13 2308, Bericht der GKV, vom 15.6.1966. 44 Siehe hierzu u.a.: PA AA, B 97/365, Botschaft der BRD in Athen, 22.2.1967. Vgl. AGOURIDIS, Ο Σύνδεσµος Φιλίας (Der Freundschaftsverbund), S. 44-45. 45 Archiv der BBAW, Bestand ZIAGA, Nr. A943, Statut der Gesellschaft der Freunde Griechenlands in der DDR, sowie BArch, DY 13 2449, Freundschaftskomitee DDRGriechenland. 46 Vgl. ROFOUSOU, Οι πολιτιστικές και επιστηµονικές σχέσεις (Die politischen und wissenschaftlichen Beziehungen), S. 247-248.

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erste Priorität besaß. Die DDR hatte nach dem Obristenputsch im April 1967 ihre jahrelangen kulturpolitischen Anstrengungen in Griechenland weitgehend als Fehlinvestition abgeschrieben. Doch die Ironie der Geschichte wollte es anders. Ausgerechnet die Athener Junta war es, die am 25.5.1973 die langersehnten diplomatischen Beziehungen zu Ostberlin aufnahm!47 Dieser Schritt erfolgte jedoch nicht als bilateral bedingte Aktion, sondern im Rahmen einer regelrechten Anerkennungslawine, ausgelöst durch das internationale Tauwetter in Folge der Verhandlungen von Helsinki. Im Jahr darauf, nach dem Zusammenbruch der Athener Militärjunta und dem dadurch angestoßenen innergriechischen Lernprozeß, erfolgte geradezu zwangsläufig die Legalisierung der KKE, die damit vom heimlichen zum offiziellen Sekundanten des „sozialistischen Deutschlands“ aufstieg. Diese Entwicklung entwertete jedoch in gewisser Weise zwei Jahrzehnte intensiver kulturpolitischer Anstrengungen der DDR mit dem expliziten Ziel, separate staatliche Existenz im westlichen Ausland sichtbar zu machen. „Die weltweit diplomatische Anerkennung war […] im Wesentlichen das Ergebnis politischer Veränderungen, die zwischen den Weltmächten vor sich gegangen waren, also von Prozessen, die die auswärtige Kulturpolitik der DDR kaum beeinflussen konnte.“48 Doch auch nach der völkerrechtlichen Anerkennung des zweiten deutschen Staates (und dessen „legitimen“ Anteils am klassischen Kulturerbe), verfolgte dieser in der auswärtigen Selbstdarstellung verstärkt sein Ziel, eine separate „sozialistische deutsche Kultur“ zu propagieren und auch dieser weltweite Anerkennung zu verschaffen. Es ist schwer abzuschätzen, welchen Einfluß diese Anstrengungen auf das Bewußtsein der Griechen hatten. Kreative und darstellerische Qualitäten der DDR-Künstler wurden vom griechischen Publikum gewiß bewundert, doch daß die griechische Öffentlichkeit auch die erhoffte Identifizierung mit dem Staat vornahm, aus dem die Künstler kamen, ist eher zu bezweifeln. Die größten Erfolge erzielten nämlich, den kulturpolitischen Hoffnungen und Intentionen der Ostberliner Kulturstrategen zum Trotz, konventionell klassische Aufführungen aus dem Repertoire eines gesamt-deutschen Kulturerbes, und keineswegs die DDR-spezifischen Produktionen. Diese Einschränkung gilt weitgehend auch für die folgende Phase der bilateralen staatlichen Beziehungen von der Endphase der griechischen Militärdiktatur bis zum Zusammenbruch des zweiten deutschen Staates. Dank Ich danke meinem Doktorvater Prof. Dr. Hagen Fleischer für seine kritische Lektüre dieser Studie. 47 BArch, DC-20 I4 2881, Ministerrat, 30.5.1973. 48 JACOBSEN, Auswärtige Kulturpolitik, S. 259.

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Abkürzungen ΕΔΑ Ενιαία Δηµοκρατική Αριστερά (Einheitliche Demokratische Linke) ΚΚΕ Κοµµουνιστικό Κόµµα Ελλάδας (Kommunistische Partei Griechenlands) EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ΙΤΙ International Theatre Institute MfAA Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR ΝΑΤΟ North Atlantic Treaty Organisation

Archive Bundesarchiv, Berlin (BArch) BArch, DC-20 I4 2881, BArch, DL 2 VA N 299, BArch, DR 1 6688, BArch, DR 2 6220 Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Berlin (BArch/SAPMO) BArch, DY 13 2308, BArch, DY 13 2449, BArch, DY 30 IV 2 20 252a, BArch, DY 30 IV 2/20/253, BArch, DY 30 IV A 2 20 498 Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bonn (PA AA) PA AA, MfAA, A 12490, PA AA, MfAA, A 12507, PA AA, MfAA, A 12513, PA AA, MfAA, A 4612 PA AA, B 62/172, PA AA, B 90/513a, PA AA, B 97/365, PA ΑΑ, Β 97/544 PA AA, Ref. IA 4, Bd. 310 Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin (BBAW) BBAW, Bestand ZIAGA, Nr. A943 Archives du Ministère des Affaires Etrangères, Paris (AΜΑΕ) AMAE, Europe 1940-1970, Grèce 242

Zeitschriften Επιθεώρηση της ΓΛΔ, Εικονογραφηµένο περιοδικό από την Γερµανική Λαοκρατική Δηµοκρατία, (Revue der DDR. Eine Illustrierte aus der DDR). Dresden. 1985. Athener Nachrichten, 15.12.1995. Deutschland-Archiv, 38/1, 2005.

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Literaturverzeichnis AGOURIDIS, Savvas: Ο Σύνδεσµος Φιλίας Ελλάδας-Γερµανικής Λαοκρατικής Δηµοκρατίας γιορτάζει τα είκοσί του χρόνια (Der Freundschaftsverbund Griechenland-DDR feiert sein zwanzigjähriges Bestehen). In: Επιθεώρηση της ΓΛΔ, Εικονογραφηµένο περιοδικό από την Γερµανική Λαοκρατική Δηµοκρατία (Revue der DDR. Eine Illustrierte aus der DDR). Dresden: Zeit im Bild, H. 1, 1985. S. 44-45. WALLDEN, Sotiris: Ελλάδα και ανατολικές χώρες 1950-1967: Οικονοµικές σχέσεις και πολιτική (Griechenland und die Ost-Staaten 1950-1967: Wirtschaftliche Beziehungen und Politik). 2 Bde. Athen: Odysseas Verlag, 1991. LINDEMANN, Hans, MÜLLER, Kurt: Auswärtige Kulturpolitik der DDR. Die kulturelle Abgrenzung der DDR von der Bundesrepublik Deutschland. Bonn: Verlag Neue Gesellschaft, 1974. FLEISCHER, Hagen: Post War Relations between Greece and the Two German States: A Reevaluation in the Light of German Unification. In: The SouthEast European Yearbook, 1991. S. 163-278. FLEISCHER, Hagen: Die deutschsprachige Presse in Griechenland, (Teil VIII), Athener Zeitung, 15.12.1995. FLEISCHER, Hagen: Europas Rückkehr nach Griechenland. Kulturpolitik der Großmächte in einem Staat der Peripherie. In: Harald HEPPNER, Olga KATSIARDI-HERING (Hg.), Die Griechen und Europa. Wien: Böhlau, 1998. S. 125191. JACOBSEN, Hans-Adolf: Auswärtige Kulturpolitik. In: Hans-Adolf JACOBSEN, Gert LEPTIN, Ulrich SCHEUNER, Eberhard SCHULZ (Hg.), Drei Jahrzehnte Außenpolitik der DDR. München/Wien: Oldenbourg, 1980. S. 245-259. MITSOPOULOS, Thanasis: Μείναµε Έλληνες, Τα σχολεία των ελλήνων πολιτικών προσφύγων στις σοσιαλιστικές χώρες (Wir sind Griechen geblieben. Die Schulen der griechischen politischen Flüchtlinge in den sozialistischen Ländern). Athen: Odysseas Verlag, 1979. PAPADOPOULOS, Lysimachos Chr.: Παιδιά της θύελλας. Μνήµες και µαρτυρία για τα προσφυγόπουλα του 1948 ύστερα από 50 χρόνια (Kinder des Sturms. Erinnerungen und Zeugnisse über die kleinen Flüchtlinge von 1948 nach fünfzig Jahren). Prag: 1998. PAPATHANASIOU, Ioanna: Contribution à l’histoire du Parti Communiste Grec 1949-1951. Paris: Université de Paris X-Nanterre, 1988. PRAXENTHALER, Martin: Die Sprachverbreitungspolitik der DDR. Die deutsche Sprache als Mittel sozialistischer auswärtiger Kulturpolitik. Frankfurt/M.: Peter Lang, 2002. RISTOVIĆ, Milan: A Long Journey Home. Greek Refugee Children in Yugoslavia, 1948-1960. Thessaloniki: Institute for Balkan Studies, 2000. ROFOUSOU, Emilia: Kulturpolitik der DDR in Griechenland und das ,Feindbild‘ Goethe-Institut Athen. In: Goethe-Institut 50 χρόνια στην Ελλάδα, 19522002. Athen: Goethe-Institut, 2002. S. 40-41.

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ROFOUSOU, Emilia: Οι πολιτιστικές και επιστηµονικές σχέσεις ανάµεσα στην Ελλάδα και τη Γερµανική Λαοκρατική Δηµοκρατία στην περίοδο 1949-1989 (Die kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen zwischen Griechenland und der DDR in der Zeit von 1949-1989). Dissertation 2005. Athen (im Druck).

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Der lange Schatten des Krieges und die griechischen Kalenden der deutschen Diplomatie Freundschaften zwischen Völkern können nicht fundiert werden, solange zwischen ihnen der Abgrund liegt, den die Bitterkeit, der Schmerz und das Unrecht geöffnet hat. 1 Memorandum griechischer Besatzungsopfer, 14.5.1956 EMPFEHLUNGEN FÜR UNSERE GRIECHENLAND-POLITIK: Nachgiebigkeit wird von den Griechen […] nicht als Zeichen freundschaftlicher Gesinnung, sondern als Schwäche interpretiert und als Aufforderung betrachtet, noch mehr zu fordern. 2 Botschafter Dr. Gebhard Seelos an Auswärtiges Amt, 8.6.1961

Der Langzeiteffekt von Sternstunden ist strittig, ebenso ihre Definition. Mit den subjektiven Kriterien des Verfassers fiel eine der wenigen in den deutsch-griechischen Nachkriegsbeziehungen auf den 24. Juni 1987; die angesprochene Subjektivität entspringt einer gewissen Rührung, ausnahmsweise ein Stückchen Geschichte nicht nur niedergeschrieben, sondern an dessen Entstehen nicht unerheblich mitgewirkt zu haben. An jenem Tag ehrte, allen Widerständen zum Trotz, Bundespräsident Richard von Weizsäcker die Opfer der deutschen Okkupation 1941-1944 am Hinrichtungsplatz Kaisariani und bekennt: „Diese Gedenkstätte ist unlösbar mit der Geschichte Ihres und meines Volkes verknüpft […]. Kein Mensch, zumal kein Deutscher, kann hier stehen, ohne von der Botschaft dieses Ortes tief berührt zu sein.“ Anschließend nennt Weizsäcker ein halbes Dutzend Namen, die in Hellas seit der Besatzungszeit einen blutigen Klang haben – stellvertretend für ungezählte Massaker: Kalavryta, Distomo, Klissoura, Kommeno, Lyngiades, Kandanos. Zugleich gedenkt er der jüdischen Gemeinden, die vom nazistischen Rassenwahn brutal dezimiert wurden, wobei er Thessaloniki und Athen, Rhodos, Ioannina und Kastoria namentlich herausgreift.3 Der Begriff Schuld 1 2 3

PAAA, B 81/203. Vgl.: To Vima, 13.5.1956. PAAA, B 26/125 (Hervorhebung im Original). Bulletin (der Bundesregierung), Nr. 66/1987, 1.7.1987. – Der Vf. publizierte (FLEISCHER, Neubeginn, 2003) einige Insider-Informationen, zumal (auch heute) alle Beteiligten noch leben: Im Vorfeld des Präsidentenbesuchs fragte mich Botschafter Rüdiger von Pachelbel – einer der wenigen Amtsinhaber, die sich unermüdlich für die Aufarbeitung der Kriegsvergangenheit engagierten – nach einem angemessenen Ort für die Ehrung der Besatzungsopfer, wobei Weizsäcker und dessen Berater namentlich an eine Gedenkstätte für den Holocaust gedacht hatten. Da eine solche in Athen nicht existierte, und zudem eine Beschränkung auf die jüdischen Opfer sich für alle (drei!) be-

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fällt nicht und der Präsident vermeidet die vielerorts erhoffte Bitte um Vergebung, Ent-Schuld(ig)ung. Dennoch erregt die Ehrung beträchtliches Aufsehen, brach sie doch mit einer eindimensionalen Verdrängungsstrategie, die nach beiden Weltkriegen jahrzehntelang die deutsche Griechenlandpolitik dominiert hatte.

Vorgeschichte Im Ersten Weltkrieg hatten sich an der Frage des Kriegseintritts latente Differenzen zwischen den deutschfreundlichen Neutralisten um König Konstantin und der Entente-Fraktion um Ministerpräsident Venizelos zu einem bürgerkriegsähnlichen Konflikt entzündet; dessen Konsequenzen spalteten die griechische Gesellschaft auf Jahrzehnte und trugen zur Kleinasiatischen Katastrophe (1922) der jahrtausendealten hellenischen Kolonien bei. Als Folge von Putschen, Wahlen sowie – mehr oder weniger manipulierten – Referenden wechselte wiederholt die Staatsform, wobei die Sympathien der deutschen Beobachter feststanden: Die überwältigende Mehrheit der öffentlichen sowie der veröffentlichten Meinung im Reich (wie auch in Österreich) sah in Venizelos den Mephisto der griechischen Politik, den Ränkeschmied, der im teiligten Parteien kontraproduktiv ausgewirkt hätte, schlug ich eine Art „Wallfahrt“ [προσκύνηµα] nach Kalavryta vor, wurde aber belehrt, daß der Präsident bereits Samos zum Ruhme der deutschen Archäologie, d.h. zur Einweihung des Museumsanbaus für den neu entdeckten Kouros besuchen müsse und sein Zeitplan keinen weiteren „Abstecher in die Provinz“ zulasse. Daraufhin unterbreitete ich den Vorschlag mit Kaisariani; die Einwände konservativer Griechen aus dem Umfeld der Botschaft, dort seien „nur Kommunisten getötet worden“[!], wies Pachelbel zurück. Die andere Befürchtung – „Anpöbeleien“ durch Demonstranten im „kommunistisch beherrschten“ Stadtteil Kaisariani – konnte der Vf. durch eine Aussprache mit dem Bürgermeister Panagiotis Makris hinfällig machen. Ein weiteres Problem betraf die Auswahl der in der Präsidentenrede zu nennenden Opfergemeinden, wobei ich ermahnt wurde, aus jeder Region nur einen Ort zu nennen – wohl um die Rede nicht zu lang werden zu lassen. Aus den zahllosen zerstörten Gemeinden im Epirus wählte ich das m.E. brutalste Massaker (Kommeno), erbat aber des Botschafters Einverständnis, diskret Außenminister Karolos Papoulias, den derzeitigen Staatspräsidenten, hierzu zu sondieren. Jener, zugleich Abgeordneter von Ioannina, bat, auch den benachbarten Massakerort Lyngiades miteinzubeziehen – ein Wunsch, den Pachelbel schließlich gegenüber dem „Proporz-Dogma“ des AA durchsetzen konnte, so daß der Epirus das traurige Privileg hat, als einzige Region mit zwei Ortschaften in der Präsidentenrede vertreten zu sein. – 20 Jahre später erfuhr der Vf. bei Archivstudien von einem zusätzlichen Grund für das Widerstreben auch der Bonner Bürokratie. 1979 hatte bereits DKP-Chef Herbert Mies auf Einladung der KKE einen Kranz in Kaisariani niedergelegt – „wo während der Besatzungszeit und des Bürgerkriegs Kommunisten [sic] standrechtlich erschossen worden sind“. (PAAA, Zwischenarchiv 115869, Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Athen [im folgenden: BBDA], 29.3.1979.)

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Oktober 1916 gegen den germanophilen König geputscht hatte, um zunächst den Norden des Landes und dann – namentlich mit französischer Hilfe – ganz Hellas gegen die Mittelmächte in den Krieg zu (ver)führen. War dieses manichäistische Bild im Krieg noch verständlich, so verwundert dessen Persistenz – auch über den Zweiten Weltkrieg hinaus. So sieht die deutsche Diplomatie in den Fünfzigerjahren das griechische Königshaus wiederum „als den festesten Rückhalt des deutsch-griechischen Verhältnisses“ und lokalisiert ehrliche Sympathien für Deutschland „namentlich im monarchischen und konservativen Lager“;4 hingegen wird die germanophobe Einstellung mancher Politiker weiterhin auf deren Prägung durch Venizelos zurückgeführt. Noch 1963 widersetzte sich Botschafter Melchers einem Vorschlag von griechischer Seite, anläßlich eines Kreta-Besuchs einen augenfälligen Schlußstrich unter die Vergangenheit zu ziehen – mit einer offiziellen Kranzniederlegung am Grabe von Venizelos: „Abgesehen davon, daß er [Venizelos] ein ausgesprochener Feind Deutschlands im Ersten Weltkrieg gewesen war und den Eintritt Griechenlands in den Krieg gegen uns [sic] mit Erfolg betrieben hatte, hat er seinerzeit eine für die regierende Dynastie verhängnisvolle Rolle gespielt.“5 In der Tat erklärt sich die Persistenz des Feindbildes – ein halbes Jahrhundert post festum, bzw. bellum – auch damit, daß organisierter Philhellenismus und deutsches Interesse an Griechenland von den Sympathisanten der Königspartei monopolisiert wurden. Nicht zufällig stand die 1914, wenige Monate vor Sarajewo, gegründete Deutsch-Griechische Gesellschaft unter dem „huldvollsten Protektorat“ der Königin (und Kaiserschwester) Sophie; Ehrenmitglieder waren Kronprinz Georg sowie diverse deutsche Königliche und sonstige Hoheiten, während im Gründungskomitee unter anderem der Hofprediger, der Leibarzt und zwei Adjutanten König Konstantins erschienen – aber auch exponierte Gräzisten wie der Münchner Professor für mittel- und neugriechische Philologie, August Heisenberg.6 Charakteristisch waren die Jubelchöre der deutschen (und österreichischen) Presse nach Niederlagen des großen Kreters. In seiner Person sah man die „unverdient“ siegreiche gegnerische Koalition (und insbesondere Paris) gedemütigt: Venizelos’ Wahlniederlage 1920 galt vielen als Revision der Ergebnisse des Weltkrieges, als Sieg der Gerechtigkeit – und sei es auch nur an der Peripherie des Kontinents. Diese Stellvertreterfunktion bestärkte die Zählebigkeit der Ressentiments gegen Venizelos sowie die hinter ihm simplifizierend vermutete republikanische Linke: Jahre nachdem Clemenceau und der Rest der EntenteProminenz politisch, bzw. auch leiblich, von der Bühne abgetreten waren, 4 5 6

PAAA, B 11/335, AA, Abt. 3, Entwurf Instruktion für Botschafter Kordt, 9.10.1953. FLEISCHER, Venizelos-Bild, S. 248 f. Siehe: Aufrufe in BAK, R57neu/1033-14. Vgl. Heisenbergs Parteinahme in seinem Buch Neugriechenland mit dem im Dezember 1918 verfaßten Vorwort.

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bestimmte (oder beeinflußte zumindest) in Athen ein Fossil der feindlichen Allianz weiterhin die Geschicke des „seelenverwandten“ Landes. Zum letzten Mal geschah das im November 1935 – klammert man Venizelos’ Tod wenige Monate später aus –, als die griechischen Zeitungen Auszüge eines Briefes brachten, worin der im Pariser Exil lebende Staatsmann sich bereit erklärte, dem mittels eines gefälschten Referendums auf den Thron zurückkehrenden Georg II. eine Bewährungsprobe zuzugestehen. Jener könne dann unter Beweis stellen, daß er verfassungsgemäß als König aller Griechen und nicht nur einer Fraktion herrschen wolle. Eine Reportage aus Paris erläuterte die Hintergründe für diesen sensationellen Positionswechsel: Venizelos habe seinen engen Vertrauten zu verstehen gegeben, angesichts der gespannten Lage in Europa sei der innergriechische konstitutionelle Hader „völlig zweitrangig“. Dem Kontinent stünde nämlich ein neuer blutiger Waffengang bevor, „wie ein Naturphänomen, dem keine menschliche Macht widerstehen“ könne: „Und auch dieser Krieg wird von Deutschland entfesselt“! Da die Reichswehr derzeit noch nicht stark genug sei, erklängen aus Berlin Friedensschalmeien. Doch nach Vollendung der Aufrüstung werde Hitler losschlagen, um zunächst den Anschluß Österreichs mit Waffengewalt zu erzwingen. Der dann als Kettenreaktion ausgelöste neue Weltkrieg werde auch Griechenland mitreißen, eine rechtzeitige innergriechische Aussöhnung sei somit unerläßlich.7 Die Vertreter des NS-Regimes reagierten erbost und ließen sich vom ebenfalls diktatorisch regierenden Kondylis ein offizielles „Sittenzeugnis“ ausstellen, indem der General die von Hitler-Deutschland drohende Kriegsgefahr öffentlich in Abrede stellte. Wenige Monate später meldete der deutsche Geschäftsträger Theo Kordt den „Tod des ränkesüchtigen Venizelos“. Eingedenk dessen „ungeheuerlicher Beschuldigung“ habe er es für richtig gehalten, von allen Beileidsbezeugungen abzusehen…8 Nach dem Kriege wird – der sich dann selbst dem innerdeutschen Widerstand zurechnende – Kordt übrigens für über fünf Jahre als Botschafter nach Athen zurückkehren.

Diktatur, Okkupation und Bürgerkrieg Georg II. hatte sich – trotz des von seinem kretischen Gegenspieler gewährten Vertrauensvorschusses – unfähig und/oder unwillens erwiesen, einer ephemeren parlamentarischen Pattsituation mit demokratischen Mitteln Herr zu werden: am 4. August 1936 installierte er ein diktatorisches Regime unter dem – mit den Kriterien des Ersten Weltkrieges – deutschfreundlichen Gene7 8

Proia, 16.11.1935; Eleftheron Vima, 17., 18.11.1935. FLEISCHER, Venizelos-Bild, S. 241.

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ral Ioannis Metaxas. Nach diesem Verfassungsbruch gründeten sich die ohnehin fragwürdigen Hoheitsrechte des Monarchen allein auf die blanke Gewalt, bis er sein Gewaltmonopol an den vielbeschworenen ausländischen Faktor abtreten muß: die zweite Komponente9 der griechischen Tragödie. Ein am 28.10.1940 übergebenes italienisches Ultimatum wird von Metaxas abgelehnt, die Eindringlinge werden weit nach Albanien zurückgeworfen, das im April 1939 von Mussolini annektiert worden war und ihm als Aufmarschgebiet gedient hatte. Diese unerwarteten Siege erschüttern den Nimbus von der Unbesiegbarkeit der faschistischen Achse,10 so muß im April 1941 die Wehrmacht dem gedemütigten Achsenpartner zu Hilfe eilen und die abgekämpften Griechen niederzwingen. Unter dreifacher (deutschitalienisch-bulgarischer) Besetzung setzt der Widerstand spontan ein und beginnt sich binnen weniger Monate zu formieren. Wichtigste Organisation ist die von der Kommunistischen Partei (KKE) dominierte Nationale Befreiungsfront (EAM), die mit ihrer Volksbefreiungsarmee (ELAS) ab Sommer 1943 operative Bedeutung erlangt und den effektivsten Gegner für die Besatzer darstellt. Jene, insbesondere die Deutschen, schlagen – gegen die Zivilbevölkerung – mit einer Brutalität zurück, die in nicht-slawischen Ländern unerreicht bleibt.11 Es ist hier nicht der Ort, näher auf den griechischen Widerstand und seine vielschichtige Entwicklung einzugehen. Die deutschen Militärs werden in ihren Nachkriegserinnerungen mit Vorliebe dozieren, „das griechische Volk [sei] hoffnungslos in zwei Teile zerrissen“ gewesen, wobei die Interessen der „griechischen Ordnungselemente“ mit den deutschen konform gegangen seien.12 Unerwähnt lassen sie, daß sie selbst systematisch Spaltpropaganda praktiziert hatten. Versuche, zwischen „roten“ und „blauen“ (nationalistischen) Widerstandsgruppen bzw. Griechen Zwietracht zu säen, sind ab Frühjahr/Sommer 1943 aktenkundig. Sogar Kulturwerber wie der in der einschlä9

Vgl. den griechischen Titel des Vf. Στέµµα και Σßάστικα (Krone und Hakenkreuz), Anm. 11. 10 Bis heute ist der 28. Oktober griechischer Nationalfeiertag als „Tag des Neins“ und als Voraussetzung für das nachfolgende „Albanische Epos“ – neben dem 25. März, dem Beginn des Unabhängigkeitskrieges gegen die Türken 1821. 11 DROULIA / FLEISCHER, Lidice bis Kalavryta. Allgemein: Fleischer, Kreuzschatten, sowie die erweiterte griechische Version: Στέµµα και Σßάστικα (Krone und Hakenkreuz). Zu weiterer Literatur vgl. Fleischer, Η Ελλάδα υπό την Κατοχή του Άξονα (Griechenland unter Besatzung der Achsenmächte); ders., Griechenland im Zweiten Weltkrieg. 12 Charakteristisch sind die Berichte der Südost-Generale, entstanden während ihrer Haft im Auftrag der guerrilla-interessierten US-„Foreign Military Studies Branch“, gesammelt vorhanden in NARA, Rg 338, namentlich: Wilhelm Speidel, „Denkschrift über meine Aufgabe und Tätigkeit im besetzten Griechenland 1942 bis 1944, sowie Gedanken über eine zweckmäßigere Führungsorganisation“, Ms., S. 58 f.

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gigen Literatur als Philhellene festgeschriebene Gräzist Dr. Helmut Flume – 1956 erster Nachkriegsdirektor der Deutschen Schule Athen – empfiehlt in seiner martialischen Phase als Lektoratsleiter der Deutschen Akademie in Volos13 gezielte Spaltpropaganda, damit die „Banden“ der kommunistischen Aufrührer und das nationalistische Bürgertum „auseinandermanövriert werden“.14 Derartige Intentionen fanden günstigere Bedingungen als, nach der italienischen Kapitulation im September 1943, in den griechischen Bergen ein monatelanger Bruderkrieg zwischen den Andarten ausbricht, da EAM und die stärkste nationale Organisation EDES für den Machtkampf nach dem erwarteten deutschen Abzug die eigenen Ausgangspositionen verbessern wollen. Aus dieser Fehlkalkulation zieht die Wehrmacht Nutzen, zumal der schwächere Kontrahent (EDES) insgeheim ein Gentlemen-agreement mit den Besatzern schließt, um sich gegen den inneren Gegner den Rücken freizuhalten. Auch als die deutsche Führung Ende 1943 mit der Aufstellung von „Sicherheitsbataillonen“ beginnt, um so „wertvollstes […] deutsches Blut [zu] sparen“, schätzt sie den politischen Stellenwert der bewaffneten Kollaborateure höher ein als deren militärischen Nutzen: Oberbefehlshaber Alexander Löhr sieht seine Initiative als „politische Maßnahme im Zuge der […] Bekämpfung des Kommunismus, für die der antikommunistische Teil der griechischen Bevölkerung restlos eingespannt werden muß, damit er sich eindeutig festlegt und in offene Feindschaft zum kommunistischen Teil getrieben wird.“ Geschickt wird die Konfrontation geschürt; so überträgt man die Exekution von „Bandenverdächtigen, Geiseln und Flintenweibern“ nach Möglichkeit den „griechischen Freiwilligen“ und vermerkt dann zufrieden, der Haß richte sich gegen die ausführenden Organe. Bald kommentiert ein britischer Beobachter, „die Orgie gegenseitigen Abschlachtens zwischen der Nationalen Befreiungsfront EAM und den Sicherheitsbataillonen läuft auf Rassenselbstmord hinaus“ – zumal beide Seiten zur Sippenhaft übergehen.15 Die angestrebte Polarisierung eskalierte weniger als Folge der deutschen Strategie, sondern mit der sich abzeichnenden Niederlage. Als gesamtstrategische Gründe und namentlich das Vorrücken der Roten Armee einen baldigen Abzug der Wehrmacht anzeigen, nähern sich weite Teile des bürgerlichen Lagers aus Furcht vor einer kommunistischen Machtergreifung dem dynamischen Gegenpol: dem Besatzungs- und Kollaborationsapparat und dessen Speerspitze, den Sicherheitsbataillonen, von denen man eine Absiche-

13 So benutzte Flume die Wehrmachtsberichte als Unterrichtslektüre und befestigte das Lektorat zur Verteidigung, um den „Räuberbanden“ (ELAS), die zeitweise „Volos völlig eingekreist“ hatten, „einen kräftigen Empfang“ zu bereiten! 14 BA, R 51/217: Lektorat Volos, 3.3., 10.5.1943. 15 FLEISCHER, Kreuzschatten, S. 486 f.

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rung für die gefährliche Periode des Vakuums bis zur ersehnten Landung britischer Truppen erhofft. Erstmals seit Gründung des neugriechischen Staates hatte sich nämlich das Entscheidungszentrum von der hydrozephalen Hauptstadt weg in die entlegene Provinz der Berge verlagert, wo die EAM16 das „Freie Hellas“, einen Gegenstaat unter camouflierter Führung der Kommunisten, errichtet. Letztere, vor dem Krieg wegen internationalistischer Positionen aus dem nationalen Konsens ausgegrenzt, führen plötzlich – unter dem Banner des patriotischen Kampfes für ein „neues 1821“ – die größte, dynamischste und in ihrer sozialen Diversifizierung singuläre Organisation in der griechischen Geschichte. So konkurrieren im Sommer 1944 de facto drei Regierungen. Dabei ist jene „der Berge“ die einzige mit autonomer Machtbasis – im Gegensatz zum Exilkabinett, das von den Briten an kurzer Leine gehalten wird, sowie dem noch straffer gelenkten Athener Kollaborationsregime, dessen Administration, außerhalb der Enklaven permanenter deutscher Präsenz entlang der Hauptverkehrsadern, längst aufgelöst oder zerfasert ist. Wenn die Besatzungsmacht in diesem von ihr geförderten Bürgerkrieg als „Schützer der fried- und ordnungsliebenden Elemente“ auftritt, gilt das allenfalls für den Reststaat, den sie noch effektiv, im Sinne der Haager Landkriegsordnung, kontrolliert. In den „Bandengebieten“ und den angrenzenden Grauzonen erscheint hingegen jeder Lebende suspekt. In einigen Orten, namentlich Kommeno, Klissoura und Distomo, wurden auch Frauen und Kinder – einschließlich jener im Mutterleib – brutal und geradezu sadistisch niedergemetzelt. Berichte über „das vorzügliche Nachrichtennetz der Banden, das jede Überraschung ausschließt“, verweisen in diesem Zusammenhang auf die Mitwirkung der „Zivilbevölkerung, die also in vollem Umfang an den deutschen Verlusten mitschuldig ist.“ Diese simplifizierende Konstruktion soll die Kollektivhaftung bei den nachfolgenden Repressalien legitimieren sowie vorhandene Skrupel bei Befehlenden und Ausführenden ausräumen. Damit aber gerät die Bevölkerung der „bandenverseuchten“ Gebiete in den Zangengriff blutiger Besatzungslogik. Deutsche Befehle fordern nämlich, „flüchtet die Bevölkerung der Orte bei Annäherung der Truppe, sind die Männer auf der Flucht zu erschießen.“ Nicht erläutert wird, wie in einem Pulk panikerfüllter Flüchtlinge aus der Entfernung zwischen Männern und Frauen zu unterscheiden ist. Davonlaufen wird mit schlechtem Gewissen gleichgesetzt, und beweist „daß die Bewohner bandenverseucht und nur harte Maßnahmen am Platz“ sind. Bleiben die Dörfler hingegen, laufen zumindest die Männer Gefahr, in ein Geisellager abtransportiert zu werden, sofern man sie nicht umgehend zur „Sühnung“ irgendeiner Partisanenaktion liquidiert.

16 FLEISCHER, National Liberation Front, S. 48-89.

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Gefährdet sind dabei namentlich Männer mit „typischen Kommunistenphysiognomien“ – wobei die Feststellungskriterien nicht überliefert sind.17 In Kalavryta und andernorts wurden eben jene Männer – alle greifbaren Männer – erschossen, die im Vertrauen auf deutsche Zusicherungen nicht geflüchtet waren. Zudem unterlagen die Griechen stets dem Risiko, einem „Mißverständnis“ zum Opfer zu fallen, denn das Oberkommando in Saloniki billigt (aktenkundig) den Grundsatz, „wer zuerst schießt, hat mehr vom Leben.“ Dieses präventive Schießen, Zerstören, Verbrennen – d.h. die Schädigung oder Vernichtung eines möglichen Gegners, um nicht „kostbares deutsches Blut“ aufs Spiel zu setzen, wird bei manchen Einheiten zur Regel; die durchsichtigen Berichte darüber werden von vielen vorgesetzten Stellen anstandslos akzeptiert und nicht einmal immer verlangt. Zwar versuchen besonnene Befehlshaber, schlimmste Auswüchse zu verhindern, doch die anderen verfügen über Rückendeckung im Führerhauptquartier und dem OKW, wo man brutales Durchgreifen und das Abstreifen „aller europäischen Hemmungen“ fordert!18 Dessen ungeachtet reagieren jene Eliten – Segmente des konservativen Bürgertums eingeschlossen – die in der Phase der deutschen Siege die neue Herrschaft mit wechselnder Dauer und Intensität akzeptiert hatten, antizyklisch im Vergleich mit den nicht „vom Kommunismus“ bzw. von sozialen Umwälzungen bedrohten Ländern. Während dort die ehemaligen Attentisten und Kollaborateure angesichts der nahenden deutschen Niederlage mehrheitlich von der Besatzungsmacht abrücken, um sich in zwölfter Stunde noch eine Art Widerstandshabitus zuzulegen, sehen in Griechenland – wie angeführt – große Teile der politischen und sozialen Führungsschicht die Besatzer als das kleinere, da temporäre Übel gegenüber der befürchteten sozialen Anarchie. Der doppelten Sogwirkung von EAM und der (nur in der Negation homogenen) deutscherseits protegierten antikommunistischen Allianz hatte das in der Zwischenkriegszeit weitgehend dominierende liberale Lager lediglich als historische Etikette standgehalten; das in der Mitte entstehende Vakuum vertieft die Spaltung zwischen EAM und „Anti-EAM“. Als im Oktober 1944 die Wehrmacht tatsächlich abzieht, nimmt die innergriechische Konfrontation am 3. Dezember – noch vor Weltkriegsende – endgültig bürgerkriegsähnliche Dimensionen an. Nach 33 Tagen blutiger Kämpfe namentlich in und um Athen gab die bewaffnete britische Intervention den Ausschlag für das Regierungslager. Ebenfalls unter britischer Ägide kommt es im Februar 1945, zeitgleich mit Jalta, zum Abkommen von Varkiza, von dem sich die Griechen die Beseitigung der fatalen Hinterlassenschaft von Krieg und Bürgerkrieg er17 Vgl. zum Vorigen: FLEISCHER, Deutsche ,Ordnung‘, insbesondere S. 173-181. 18 Vgl. zum Vorigen: FLEISCHER, Deutsche ,Ordnung’, insbesondere S. 181 ff., 192.

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hoffen. Doch im Gegensatz zu den anderen ehemals deutschokkupierten Ländern Europas bleibt die in Varkiza versprochene Katharsis weitgehend in formalen Ansätzen stecken. Im Prozeß gegen die Spitzenkollaborateure (ohne vollstrecktes Todesurteil) offenbarten die bürgerlichen Eliten großherziges Verständnis für deren „patriotische“, d.h. antikommunistische Motive. Symptomatisch für die schiefe Abrechnung mit der Vergangenheit sind die „spontanen“ Übergriffe gegen die Linke, die ausgerechnet am Tag der deutschen Kapitulation ihren vorläufigen Höhepunkt erreichen.19 Angemerkt sei, daß am 8.5.1945 auf mehreren Inseln noch Wehrmachtsgarnisonen residierten, die im Herbst 1944 den Rückzug mit der deutschen Hauptstreitmacht verpaßt hatten. In der sogenannten „Kernfestung Kreta“ um Chania werden den Besatzern a.D. nach ihrer Kapitulation vorerst sogar die Waffen belassen, da der kleine britische Verband fürchtet, andernfalls könne sich die EAM/ELAS in den Besitz der schweren deutschen Ausrüstung setzen und die Kontrolle über die Insel übernehmen. Bis zu ihrem schubweisen Abtransport nach Ägypten, fast zwei Monate lang, bewachen sich die letzten Waffenträger der Wehrmacht selbst. Erst im Juli 1945 ist auch für Kreta der Zweite Weltkrieg zu Ende.20 Der zunehmende weiße Terror (para-)staatlicher Gruppen gegen Gerechte und Ungerechte in der Opposition – mit dem Ziel, über eventuelle (oft berechtigte) Revanchegelüste hinaus, den ideologischen Feind auszulöschen oder, gleichbedeutend, zu einem verzweifelten neuen Waffengang zu drängen – sowie eine sprunghafte Doppelstrategie der Linken treiben die innergriechische Konfrontation in ihre heißeste Phase, den offenen Bürgerkrieg (1946-1949). Die zunächst in Athen federführenden Briten werden ihrer Rolle als selbsternannte Schiedsrichter nicht gerecht. Als die Regierung Attlee warnt, sie müsse infolge wirtschaftlicher Schwierigkeiten die Unterstützung Athens im März 1947 einstellen, übernehmen die USA mit der TrumanDoktrin die Schutzmachtfunktion, wohingegen Stalin den griechischen Genossen Bedeutung nur als Diversionsfigur auf dem globalen Schachbrett zumißt. Dank massiver amerikanischer Hilfe siegt im Sommer 1949 die antikommunistische Koalition, und mit der militärischen Niederlage der Linken wird auch deren politisch-soziale Ausgrenzung festgeschrieben. Obwohl also der griechische Widerstand eine der umfassendsten und schlagkräftigsten Bewegungen im besetzten Europa verkörpert hatte, unterschied sich die „Bewältigung“ der Kriegsvergangenheit in Hellas fundamental von der Entwicklung in allen anderen ehemals okkupierten Ländern – intern wie auch gegenüber dem Staat der Täter.

19 Rizospastis, 11.5.1945. 20 Vgl. FLEISCHER, Kreuzschatten, S. 532 ff.

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Neuanfang mit Geburtsfehlern Im Land der Täter war Griechenland über Jahrzehnte ein weißer Fleck auf der Europakarte des Naziterrors. Zwar erhielten im Nürnberger Nachfolgeprozeß gegen die „Südostgenerale“ (1947/48) die Deutschen Gelegenheit, sich über die blutige Praxis der eigenen Besatzungsherrschaft zu informieren, doch die unpopulären Prozeßberichte überschnitten sich im Westen mit den Meldungen vom griechischen Bürgerkrieg und den „Greueln“ jener „Banditen“, die schon gegen die Wehrmacht gekämpft hatten – als Organe des Sowjetkommunismus, der auch nun die Freie Welt bedrohe. Aktuelle Frontmeldungen verschmolzen beim Leser mit der Argumentation der inhaftierten deutschen Militärs, derzufolge die Nachkriegsentwicklung in Hellas den antikommunistischen Kampf der Wehrmacht rechtfertige. Aber auch in der Sowjetzone vermittelten die Medienkampagnen und Solidaritätsappelle, denen zufolge das griechische Volk seinen gegen die Nazis begonnenen Kampf nun gegen die westlichen Imperialisten fortsetze, das angenehme Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Die scheinbare Wiederholung von Frontstellungen aus dem Weltkrieg überlagerte somit für viele Deutsche die Erinnerung an die peinlichste Periode in den deutsch-griechischen Beziehungen: Westliches wie auch östliches Interpretationsschema waren auf einen ideologisch opportunen Hauptschuldigen fixiert, was die „Bewältigung“ der eigenen augenscheinlich von der Aktualität überholten oder gar exkulpierten Vergangenheit vereinfachte. Das galt insbesondere für die Westdeutschen: während der kritischen Jahre der Wiederannäherung werden die Bundesrepublik und Griechenland von einander verwandten Parteien regiert, deren fast deckungsgleiche innen- und außenpolitische Prioritäten auch die bilaterale Kooperation nahelegen. Bereits 1948 – in einer kritischen Phase des kalten Krieges bzw. des heißen Stellvertreterkriegs im eigenen Land – beschloß der Politische Ausschuß der Athener Regierung, gegenüber dem in der Genese befindlichen westdeutschen Staat die eigene Politik dem internationalen Trend anzupassen und nicht länger auf der unzeitgemäßen „Beziehung Siegerstaat gegenüber Besiegtem“ zu beharren. Der im ressortübergreifenden Ausschuß präsidierende stellvertretende Außenminister Panagiotis Pipinelis skizzierte die neue Linie: „Im Interesse Gesamteuropas, sowie Griechenlands im Besonderen, muß Deutschland – also jenes Land, das gegenüber unserer Heimat verbrecherisch gefrevelt hat – wiederhergestellt werden. Und es ist in unserem Interesse, im Rahmen unserer Möglichkeiten zu diesem Restaurationsprozeß beizutragen.“21 21 AYE, 1948/96; Symvoulion Politikon Ypotheseon, 72. Sitzung, 26.3.1948; vgl.: Ebd., Griech. Militärmission Berlin, 12.8., 27.8.1948.

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Nach dem für beide Länder gravierenden Einschnitt von 1949 – Ende des offenen Bürgerkriegs einerseits, Etablierung zweier antithetischer Teilrepubliken (und eines latenten Bürgerkriegs) andererseits – war die privilegierte Stellung der Bundesrepublik unverkennbar. Nach Wiederaufnahme der Beziehungen profitierte sie nicht nur von der traditionellen deutschen Position als wichtigster Markt für den griechischen Export, sondern auch von der Verschiebung des Feindbildes unter den Vorzeichen des weltweiten Kalten Krieges. Als exponierter Frontstaat befand sie sich in analoger geostrategischer Position22 mit den Siegern des griechischen Bürgerkriegs. Nach Ankunft der ersten deutschen Diplomaten in Athen im Dezember 1950 begründeten die führenden griechischen Politiker die Wichtigkeit eines deutschen Verteidigungsbeitrags für die Freie Welt mit den antisowjetischen Meriten der Wehrmacht und, ganz allgemein, den „soldatischen Tugenden“ des deutschen Volkes. Griechische Ministerpräsidenten und Außenminister betonten unisono, die Vergangenheit sei zu vergessen, denn Deutsche und Griechen säßen nun im gleichen Boot.23 Richtungsweisend für diese Konstellation war bereits der erste Deutschlandbesuch eines Athener Politikers nach dem Kriege. Im Oktober 1950, noch vor Wiederaufnahme der Beziehungen, kam Vizepremier Papandreou nach Bonn, um den Boden für die existenzwichtigen Tabakexporte vorzubereiten. Das von ihm übergebene Aide-memoire erwähnt lediglich in einem Satz, wie er sechs Jahre zuvor bei seiner Rückkehr als Exilpremier ins eben befreite Griechenland „einen Schutthaufen“ vorgefunden habe; in diplomatischer Courtoisie wird jede Andeutung vermieden, wer oder was jene Zerstörungen verursacht hatte. Spezifisch wird er erst, als er auf „die Plage des Kommunismus“ und den Bürgerkrieg zu sprechen kommt. Lediglich Bundespräsident Theodor Heuss spricht explizit über die Kriegsvergangenheit, mit der „dringenden” Empfehlung, darunter – „doch gerade im Interesse der von Herrn P[apandreou] angeschnittenen näheren Zusammenarbeit“ – einen Strich zu ziehen. Und Papandreou „sagte zu, daß er die von dem Herrn Bundespräsidenten angeschnittenen Fragen einer baldigen den deutschen Wünschen entsprechenden Regelung zuführen würde.“24 Diese Selbstzensur in einer Art Appeasementstrategie charakterisiert die Deutschlandpolitik Athens auf Jahrzehnte; dahinter steckt das Bestreben, den blessierten, aber zusehends genesenden Riesen, welcher „raschen Schrittes

22 So z. B. Karamanlis noch 1959 (PAAA, B 26/68, BBDA, Tlgr. 343/9.12.1959 Citissime). 23 PAAA, B 11/335: BBDA, 13.7.1951, B 11/241: 4.7.1952. Vgl. FLEISCHER, Post-War Relations, S. 164, 172. 24 BAK, B 146/515: Griechische Mission Bonn, 11.10.1950; PAAA, B 11/241, Aufzeichnung 12.10.1950.

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zu seiner historischen Sendung der Verantwortung für Europa emporsteigt“,25 nicht zu verärgern. Die Adressaten reagieren zunächst verhalten, da das eigene Selbstverständnis den Vorstellungen der Appelle noch hinterherhinkt. Doch bereits 1955 registriert man in Bonn mit unverhohlenem Interesse die Avancen von Außenminister Theotokis, der es für „dringend erforderlich” hält, daß Deutschland erneut „die führende Rolle in Europa“ übernehme! Angesichts der kommunistischen Bedrohung könnten die freien Nationen „nur unter zielbewußter deutscher Führung […] hoffen, als solche zu überleben. Griechenland wünsche als einer der kleinen, aber geographisch wichtigen Staaten die Beziehungen zu Deutschland auf allen Gebieten so eng wie nur möglich zu gestalten.“ Im Auswärtigen Amt (AA) werden diese Passagen mehrfach unterstrichen, der Bericht wird dem Staatssekretär vorgelegt. Zudem erklärt sich Theotokis einverstanden, daß die Botschaft unmittelbar amtlichen Kontakt mit den für sie wichtigen Ministern und Behörden pflegte26 – ein Privileg, von dem die deutschen Vertreter reichlich Gebrauch machen werden. Schon zuvor aber wußten sich die mit neuem Selbstbewußtsein auftretenden Repräsentanten Bonns im Gleichklang mit dem offiziellen Athen, wenn sie im alten Idiom Widerstandskämpfer als Banditen abqualifizierten und dafür plädierten, die Kollaborateure – buchstäblich – wieder salonfähig zu machen.27 Mit derartigen Rückfällen in die Terminologie der Besatzungszeit – die man sich in anderen betroffenen Hauptstädten kaum erlaubt hätte – wird die Wehrmacht exkulpiert, zumal die Vertreter des „neuen“ Deutschlands Begriffe wie Kriegsverbrechen in Anführungszeichen setzen oder mit Hilfe des verräterischen Attributs „sogenannte“ entkräften. Nicht zu leugnende 25 BAK, B 146/515: Griechische Mission Bonn, Aide-memoire Papandreou an Adenauer, 11.10.1950. 26 PAAA, B 11/1372, BBDA, 3.12.1955. 27 Knoke gibt dem AA hierfür eine historisch-moralische Begründung, aus der Auszüge wiederzugeben sind: „Der erste Weltkrieg mit seinen nicht zu entschuldigenden Völkerrechtsbrüchen von Seiten der Entente gegenüber Griechenland […] hat die prodeutsch empfindende Gruppe des Landes zu einer festen Gesinnungsgemeinschaft werden lassen. […] Die Anhänger dieser fanatisch prodeutschen Gruppe in Griechenland haben (dann) keinen Unterschied zwischen Deutschland und Hitler gemacht, sich vielmehr auf den Standpunkt gestellt, daß Deutschland – gleichgültig, wer die Regierungsgewalt dort inne habe, – unter allen Umständen in Abwandlung des Satzes ,Right or wrong – my country‘ zu unterstützen sei. Infolge dieser Einstellung haben eine ganze Reihe von Angehörigen dieser Gruppe, meistens Leute von bescheideneren finanziellen Mitteln, loyal mit der Besatzungsmacht zusammengearbeitet und sind nach der ,Befreiung‘ außerordentlich harten Verfolgungen als Kollaborateure ausgesetzt gewesen. Diese Menschen werden immer das Bestreben haben, sich zusammenzuschließen, und es wäre nach meiner Meinung, wenn man den Blick in die Zukunft richten will, verfehlt, sie sich völlig selbst zu überlassen.“ (PAAA, B 11/1375, BBDA, 29.8.1952).

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Verbrechen der Besatzungsmacht werden auf die breiten Schultern der SS abgeladen, womit der „regulären Truppe“ Ablaß gewährt wird. In diesem Zusammenhang wurde der Tatbestand des zwischenzeitlichen Bürgerkriegs geradezu mit dankbarer Erleichterung aufgeführt und König Pauls innenpolitisch motivierte Behauptung, der „Banditenkrieg“ habe mehr Opfer gefordert als die Besatzungszeit,28 zählte zu den Lieblingszitaten deutscher Diplomaten. Bereits 1951 berichtete Geschäftsträger Knoke befriedigt nach Bonn: „Nur den ebenso verwerflichen Untaten der kommunistischen Banditen ist es zu danken, wenn die Erinnerungen an die Untaten der SS jetzt in Griechenland etwas verblaßt sind.“ Die damit geschaffene Sprachregelung erhält eine Eigendynamik: im deutschen Kontext werden die Untaten zunehmend durch Unworte verharmlost. So wurde etwa Bundespräsident Heuss vor seinem Griechenlandbesuch 1956 in einer Denkschrift historisch eingestimmt: „Glücklicherweise sind die Begebenheiten zur Zeit der deutschen Besetzung […] durch die Grausamkeiten des griechischen Bürgerkrieges […] überdeckt worden.“29 Bis zum nächsten Präsidentenbesuch in Athen, dem geschilderten von Weizsäckers, sollen mehr als 30 Jahre vergehen. Und erst dann verzeichnen wir den ersten größeren, leider nur temporären Bruch in der Opportunitätsperspektive, welche die Bonner Haltung zur jüngsten Vergangenheit bestimmt. In den Schönwetterreden aus offiziellem Anlaß, etwa bei Staatsbesuchen, finden sich – neben lyrischen Ergüssen zu den Philhellenen des 19. Jahrhunderts, zum immergrünen deutsch-hellenischen Freundschaftsideal auf den Spuren Hölderlins und Stefan Georges30 – selten mehr als vage Hinweise auf „gewisse Kriegsereignisse“, Hypotheken oder Schatten der Vergangenheit, welche die traditionelle Freundschaft nur kurz getrübt hätten. Die Schatten werden selten spezifiziert, ebensowenig die Hypotheken. Intern allerdings nannte etwa der Jahresbericht 1953 der deutschen Botschaft für die aktuellen 28 Messager d’Athènes, 30.10.1953, u.v.a. 29 Hervorhebungen durch Vf. – Zitate in FLEISCHER, Neubeginn (2003), S. 194. 30 Siehe etwa die die Schlußsequenz der Ansprache beim Abschiedsdiner für den ersten griechischen Botschafter in Bonn, Dim. Papas (PAAA, B11/1375, 5.9.1952): „Es besteht die berechtigte Hoffnung, und nichts wünschen wir im Interesse der deutschgriechischen Freundschaft sehnlicher, daß die Hypothek, die das deutsch-griechische Verhältnis aus der Zeit der Besatzungszeit während des Krieges belastet, bald völlig gelöscht wird. Die deutsche Regierung ist entschlossen, das ihrige hierzu beizutragen. […] Wenn überhaupt eine Freundschaft zwischen zwei Völkern von einem Ideal getragen wird, so ist es die deutsch-griechische Freundschaft. Der Deutsche Humanismus und Idealismus hat sich nur aus dem Gedanken des Hellenentums entwickeln können, wie er durch unsere edelsten Geister geprägt wurde: ,Eine kleine Schar zieht ihre stillen Bahnen – Stolz entfernt vom wirkenden Getriebe – Und als Losung steht auf ihren Fahnen: Hellas ewig unsere Liebe‘ (Stefan George).“

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„Hypotheken aus der Zeit der deutschen Besetzung“ die Griechen als Schuldner: Freilassung des letzten als Kriegsverbrecher inhaftierten Deutschen, Rückgabe beschlagnahmten deutschen Eigentums, Abwicklung der Kriegsgewinnsteuerverfahren, u.ä. Gelegentlich, so am 10. Jahrestag der „Vergeltungsaktion“ von Kalavryta, sei allerdings die Erinnerung an die Besatzungszeit wieder aufgeflammt.31 Die Abtragung dieser Hypotheken wird in anderem Zusammenhang explizit als Anliegen definiert, als „die Regelung all der Fragen […], die gerade der Liquidierung des Krieges und der damit zusammenhängenden Erinnerungen dienen“ sollen.32

Schuld – und Sühne? In behördeninternen Schriftstücken werden zwar aus konkretem Anlaß auch deutsche Repressalien und Terrormaßnahmen erwähnt, doch gerne als Selbstschutz apostrophiert.33 Selbst viehische Mordtaten, wie die an Frauen und Kindern in Distomo, werden als Massenerschießungen deklariert – zur Vergeltung für „Morde [sic] an deutschen Soldaten”.34 Wiederum hat die Wortwahl programmatischen Charakter. So war es nur konsequent, wenn hohe Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes schon früh einer „Endlösung [sic] des sogenannten Kriegsverbrecherproblems“ das Wort reden.35 Mit dieser Einstellung fand sich die Diplomatie im Gleichschritt mit der Justiz. Der einzige Fall, in dem ein deutsches Gericht zur Tötung griechischer Zivilisten verhandelte, endete 1951 mit dem Freispruch des angeklagten Hauptmanns Richard Sand. Die Begründung verdient festgehalten zu werden: Angesichts der schwer zu durchschauenden Situation der quasi Belagerung durch eine mehrheitlich widerspenstige Bevölkerung – durchsetzt mit „sogenannten ,Partisanen‘“ – sei es legitim gewesen, selbst ohne Standgerichtsurteil solche Personen zu exekutieren, die „nicht sofort als harmlos zu erkennen waren“! Die kritisierte Erschießung sechs unbewaffneter Kreter bei einer Aktion gegen Partisanen im November 1944 sei „als die erforderliche Verteidigung gegen einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff“ erfolgt und somit „aus

31 PAAA, B 11/402, BBDA, 7.1.1954, Jahresbericht 1953. Vgl. hingegen bei Festreden die vorstehende Anmerkung. 32 PAAA, B 26/64: BBDA 18.10.1960. 33 PAAA, B11/1378, BBDA, 14.11.1955. 34 Siehe etwa: PAAA, B 11/1370, Anl. zu BBDA, 27.11.1952. 35 Zitat in FLEISCHER, ,Endlösung‘ der Kriegsverbrecherfrage, S. 498. Der Rückfall in die Terminologie des Unmenschen blieb also nicht nur „rechten Agitatoren“ in diesem Zusammenhang vorbehalten, wie Norbert FREI in seinem Standardwerk annimmt (Vergangenheitspolitik, S. 292).

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dem Gesichtspunkt völkerrechtlicher Notwehr, mindestens aus dem Gesichtspunkt völkerrechtlichen Notstandes [sic] gerechtfertigt.“36 Dieses Verdikt zeichnet die Argumentationsmuster37 vor, mit denen deutsche Staatsanwälte in den kommenden Jahren und Jahrzehnten lustlos geführte Voruntersuchungen abbrechen und „z.d.A.“ (zu den Akten) „weglegen“, wo die historisch nicht immer wertvollen, aber aufschlußreichen Faszikel nach einer Anstandsfrist verdächtig oft „kassiert“, d.h. im Reißwolf entsorgt, werden. In der Ludwigsburger „Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ finden sich zahlreiche Einstellungsbeschlüsse, die im selben Stile argumentieren – wobei mit Vorliebe aus apologetischen Dissertationen abgeschrieben wird, namentlich der von Heinrich Albert Schütze, die unter Mitwirkung des berüchtigten NS-Kriegsrichters Erich Schwinge entstanden war.38 Letzterer brachte es in der Bundesrepublik immerhin zum Rektor der Universität Marburg. Intern lehnte das Bundesjustizministerium jede Verfolgung der vor „mehr als 10 Jahren […] angeblich begangenen Verbrechen“ ab. Mit dem AA war man sich über das Verhandlungsziel einig, den Griechen die Zustimmung abzuringen, alle Unterlagen zu Besatzungsverbrechen der deutschen Justiz zu überstellen und im Folgenden auf Rückfragen zu den einmal übergebenen Vorgängen zu verzichten. Als Gegenleistung könne Bonn einen Strafverzicht für „griechische Verbrechen gegen die deutsche Besatzungsmacht“ anbieten39 – das heißt, die Aufrechnung von Widerstandsaktionen gegen Besatzungsterror. Als griechische Behörden den ehemaligen Leiter der mazedonischen Militärverwaltung Max Merten wegen dessen Besatzungsaktivitäten verhaften, verlangt Bonn ultimativ bedingungslose Freilassung. Für den Fall, daß die Hellenen sich weiterhin unbotmäßig erwiesen, dürfte es, den involvierten Ressorts zufolge, „notwendig sein, gegenüber Griechenland Repressalien [sic] vorzunehmen”!40 Wir kommen auf diese Thematik zurück.

36 Landgericht Augsburg, Ks 7/51, Urteil vom 10.7.1951, Fleischer, Neubeginn (1991), S. 100; Rondholz, Rechtsfindung oder Täterschutz, S. 268 ff. 37 So etwa begründete die Staatsanwaltschaft Bochum (Az. 33 Js 655/72) die Einstellung ihrer Ermittlungen zu Kalavryta: „In dieser Situation waren Repressalien notwendig [sic] und auch zulässige völkerrechtsmäßige Mittel, die Gegner, die Partisanen, zur Einhaltung des Völkerrechts zu zwingen.“ 38 Schwinges Geist weht immer noch aus offiziellen Stellungnahmen, so wenn die Athener Botschaft einen Überlebenden des Distomo-Massakers belehrt: „Nach Auffassung der Bundesregierung sind Vergeltungsaktionen wie gegen das Dorf Distomo nicht als NS-Tat zu definieren, […] sondern als Maßnahme im Rahmen der Kriegsführung, denn sie stellten Reaktionen auf Partisanenangriffe dar.“ (Schreiben Botschaft Athen an Argyris Sfountouris, 23.1.1995, Az RK 553.32-Sch). 39 BAK, B 141/9564: BMJ, 18.7.1955; BMJ, 2.12.1955. 40 FLEISCHER, ,Endlösung‘ der Kriegsverbrecherfrage, S. 504 f.

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Zuvor sollen zeitgenössische Episoden die Gedankengänge deutscher Amtsträger zum „leidigen“ Problemkreis Schuld – Entschuld[ig]ung charakterisieren. Ende 1954, während das deutsch-griechische Gerangel um das Abschieben der Kriegsverbrecherverfolgung kulminiert, wendet sich der Bürgermeister von Klissoura an Konrad Adenauer mit der Bitte, die Bundesrepublik oder eine deutsche Großstadt möge die Patenschaft für seine im April 1944 auf brutalste Weise zerstörte und entvölkerte Gemeinde übernehmen. Diese Bitte ist mit relativ geringen Kosten verbunden und daher nicht durch Gleichsetzung mit dem von Bonn bereits abgelehnten Antrag auf den Wiederaufbau Kalavrytas als erledigt zu betrachten; dennoch bescheidet das AA die Anfrage abschlägig – „aus grundsätzlichen Erwägungen“ und zur Vermeidung von Präzedenzfällen. Der zuständige Referent Dr. Otto Bräutigam – mit einschlägigen Erfahrungen als Besatzungsexperte in den „Ostgebieten“ – instruiert die Athener Botschaft, wie dem Bürgermeister die Ablehnung in „betont freundlicher“ Form mitzuteilen sei: In der Absage könnte vielleicht darauf hingewiesen werden, daß auch in Deutschland die schweren Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges keineswegs beseitigt sind. Ferner könnte darauf aufmerksam gemacht werden, daß die Politik der Sicherung des Weltfriedens durch Stärkung der freien westlichen Welt, wie sie vor allem im Beitritt der BRD zum Atlantikpakt und zur Westeuropäischen Union zum Ausdruck kommt, von der BRD und ihren Bewohnern außerordentliche Opfer auf finanziellem Gebiet erfordert. Diese Opfer kommen indirekt allen freien Völkern zugute und dürften somit im Endeffekt wertvoller sein als die Finanzierung von Einzelmaßnahmen zur Wiedergut41 machung geschehenen Unrechts.

In dieser für Bonn repräsentativen Argumentation sind bewußt oder unbewußt Gedankengänge eingebaut, die auch von Papagos stammen könnten, der wenige Monate zuvor bei seinem Staatsbesuch mit hohen Ehren empfangen worden war. Der Marschall und Premier, der nicht verhehlt, „daß er den Arbeitsgeist und die Disziplin, vor allem aber auch die soldatischen Eigenschaften des deutschen Volkes bewundert und einen Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik im Rahmen der westlichen Gesamtverteidigung für unerläßlich und dringlich hält,“ ist der in Bonn wohl populärste ehemalige KZHäftling. Als er durchblicken läßt, er würde seine bereits in mehreren Sprachen erschienenen Kriegsmemoiren („Griechenland im Kriege 1940-1941“) gerne auch auf dem deutschen Markt sehen, ermöglicht diskrete Bonner Finanzhilfe die gewünschte Buchausgabe, die praktischerweise die „unliebsame“ Besatzungszeit ausklammert.42 Diese Art von Wiedergutmachung ist billiger, beschwört kaum die Gefahr von Präzedenzfällen und verspricht weitaus schnellere Rendite als eventuelle Zahlungen an Dörfer, die im Zuge der 41 FLEISCHER, Neubeginn (1991), S. 102. 42 FLEISCHER, KZ-Häftling und Partner, S. 101 f.

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„Bandenbekämpfung“ zerstört wurden und daher (auch) bei den Regierenden in Griechenland oft eben deswegen im Verdacht der aufrührerischen bzw. linken Gesinnung stehen. Auch privaten Wiedergutmachungsinitiativen steht man zurückhaltend gegenüber. So fühlt sich die Athener Botschaft irritiert von Edelgard Schramm, der Initiatorin einer Hilfsaktion für Kalavryta, die 1955 mit Hilfe einiger von ihr sensibilisierter Firmen dreiunddreißig „Hirten- und Bauernjungen“, die durch deutsche Hand alle männlichen Verwandten verloren hatten, zur Ausbildung nach Deutschland bringt. Obwohl sich diese Kriegswaisen, wie sie euphemistisch umschrieben werden, allen Unkenrufen zum Trotz als „intelligent und lernfreudig“ erweisen, fehlen nicht die dürren Bürokratenseelen, die ihr „z.T. ungezogene[s] Verhalten“ monieren…43 Gerade aus der internen Korrespondenz der Ministerialbürokratie wird wiederholt ein völliger Mangel an Unrechtsbewußtsein deutlich, bzw. das Fehlen der Erkenntnis, welche Seite gegenüber der anderen in Schuld steht. So zeigte das Bundesfinanzministerium schon früh Interesse an einer restitutio reversa. Auf Pressemeldungen, u.a. im Bonner General-Anzeiger, denen zufolge in Griechenland nach einem Schatz gesucht werde, den marodierende Wehrmachtsoffiziere vor dem deutschen Abzug 1944 für bessere Zeiten vergraben hätten, bat man das AA, von der Athener Botschaft eruieren zu lassen, „ob es sich bei den vergrabenen Goldmünzen um deutsches Reichsvermögen handelt und in welcher Weise dieses nachgewiesen werden kann.“44 Als 1955 der Disput mit Athen um die deutscherseits gewünschte Amnestierung der Kriegsverbrecher in ein neues Stadium trat, gab der zuständige Referatsleiter seiner Befürchtung Ausdruck, „bei der händlerischen Einstellung der Griechen“ wäre jedes ihrerseits gewährte Entgegenkommen „sicher an die Bedingung der Gewährung von Gegenvorteilen geknüpft.“45 Dennoch sieht sich die Bundesregierung nach zähen Verhandlungen mit allen „Weststaaten“ gezwungen, diesen Pauschalsummen „zu Gunsten der aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffenen“ Staatsbürger zu zahlen. Betont wird, daß es sich um freiwillige Wiedergutmachung handele und nicht um Reparationen – die dank amerikanischer Sekundanz durch das Londoner Schuldenabkommen (LSA) 1953 auf unbestimmte Zeit zurückgestellt worden waren. Athen wird dabei 1960 mit 115 Millionen DM immerhin der drittgrößte Betrag nach Frankreich und den Niederlanden zugesprochen. Das par43 Siehe hierzu etwa: PAAA, B 11/15: AA, Aufzeichnung über Griechenland 1957, Anlage 3: Hilfsmaßnahmen für Kalavryta; B 11/20: Sitzung Arbeitsausschuß, Protokoll 29.2.1956; B 11/1378, BBDA, 23.7.1955. 44 PAAA, B 86/700, BMF an AA, 19.12.1953. 45 PAAA, B 11/1378, Knoke, 14.4.1955. Analoge Urteile zum „Volkscharakter“ der Griechen sind auch von anderen Botschaftern überliefert.

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tielle Bonner Nachgeben entspringt u.a. der Sorge um eine „Destabilisierung der deutschfreundlichen Regierung Karamanlis“ bzw. der ideologischen Aufweichung Griechenlands – nach überraschend hohen Stimmengewinnen der linksextremen EDA sowie Avancen der DDR, die ihrerseits die Möglichkeit von Entschädigungszahlungen unter Voraussetzung einer völkerrechtlichen Anerkennung andeutet. In Wirklichkeit versucht Ostberlin systematisch – wie die DDR-Akten offenbaren – „ausgehend von den Erfahrungen des griechischen Volkes mit dem deutschen Faschismus die militaristische Entwicklung in Westdeutschland zu entlarven.“46 Analog dazu ist die 1959 einsetzende westdeutsche „Friedensoffensive“ mit einem breiten Spektrum von Gegenmaßnahmen zu sehen – von verstärkter Anwerbung von Gastarbeitern (auch aus Orten, die unter der Besatzung besonders gelitten hatten) bis zur Erhöhung der Haushaltmittel für kulturelle Aktivitäten. Das Projekt stand unter dem Motto, die Griechen müßten die Überzeugung gewinnen, daß die deutschen Aktionen „a) nicht eine Einmischung in innergriechische Verhältnisse bezwecken, b) daß sie von einem Deutschland ausgehen, das ein anderer Staat ist als das NaziDeutschland des Krieges.“47 Zumindest einige der involvierten Behörden bemühten sich aber nicht sonderlich, diese Postulate unter Beweis zu stellen. Dementsprechend schienen auch viele Griechen wenig überzeugt – soweit sie in ihren Aussagen nicht von politischer Opportunität gebunden waren. Als obige deutsche Prämisse formuliert wurde, im November 1959, hatte Karamanlis soeben sein in Bonn abgepreßtes Versprechen eingelöst und den im März vom Athener Militärgericht zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilten Merten mit einem am Rand der Legalität verabschiedeten Sondergesetz enthaften und nach Deutschland abschieben lassen. Die Opposition verurteilte die Lex Merten: die de facto Amnestierung aller deutschen Kriegsverbrecher verletze Würde und Souveränitat der griechischen Nation. Kaum weniger schlimm als die Besatzungsvergangenheit sei die atemlose Beflissenheit, mit der die Regierung Karamanlis einen legislativen Schlußstrich ziehe und den griechischen Rechtsanspruch dem Land der Täter übertrage, das an einer Verfolgung offensichtlich desinteressiert sei. Zu einem Zeitpunkt, da noch 2.500 politische (linke) Gefangene aus der Bürgerkriegszeit ihrer Freiheit beraubt seien, dürfe „galoppierende Milde“ und Vergebung nicht nur jenen gewährt werden, „die uns die [zum Bürgerkrieg führende] Roheit erst gelehrt haben.“48 Tatsächlich bewahrheiteten sich die Befürchtungen der Opposition. Bis auf den heutigen Tag führte kein einziger von Athen der bundesdeutschen Justiz überstellter Tatkomplex zu einem Verfahren; allzu oft verriet die 46 Vgl. Zitate (aus den 1990 erstmals vom Vf. eingesehenen DDR-Akten) in: FLEISCHER, Vom Kalten Krieg zur ‚Neuen Ordnung‘, S. 69 ff. 47 Siehe insbesondere: PAAA, B 26/130, BBDA, 12.11.1959. 48 Vgl. Zitate in FLEISCHER, ,Endlösung‘ der Kriegsverbrecherfrage, S. 511 ff.

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fadenscheinige Einstellungsrhetorik deutscher Staatsanwaltschaften die Indifferenz (oder Schlimmeres) hinter dem jeweiligen Beschluß.49 Das makabre Konzept der in Bonn angestrebten neuen „Endlösung“ ist aufgegangen, zumal nach dem Zusammenbruch der siebenjährigen Militärdiktatur die neue demokratische Regierung (wieder unter Karamanlis!) einen bemerkenswerten Beitrag zur Liquidierung der beiderseits peinlichen Erinnerung leistet. Mit Beschluß des Justizministers wurde das gesamte Archiv der 1959 aufgelösten „Nationalen Hellenischen Behörde für Kriegsverbrechen“ makuliert und 1975 an den meistbietenden Altpapierhändler versteigert!50 Dennoch machte sich die jahrzehntelange, oft fast schon servile51 Konzilianz Athens kaum bezahlt – vergleicht man sie mit den härteren Strategien anderer Opferstaaten. Nicht nur entfiel die Notwendigkeit bzw. realistische Möglichkeit einer gemeinsamen Aufarbeitung der unbequemen jüngsten Vergangenheit, da die westdeutschen Offiziellen auf ehrliche, aber weniger „diskrete“ Rückblicke indigniert reagierten und a priori kommunistische Intrigen argwöhnten. Bonn revanchierte sich auch nicht dafür, daß Athen der BRD bei bi- und multilateralen Verhandlungen zur Bereinigung der Kriegsfolgen und zur Wiedergewinnung der Souveränität weit entgegenkam und dabei interalliierte Positionen aufweichte, sowie schon früh für eine westdeutsche Integration in NATO und Europarat plädierte.52 Zur Befremdung der Westmächte war auch die Bereitschaft der Griechen zu einem Neuanfang nach übereinstimmenden Berichten größer als bei anderen früheren Kriegsgegnern.53 Sofern sich deutsche Offizielle über diese Versöhnungsbereitschaft Gedanken machten, suchten sie die Ursachen in der strategischen und wirtschaftlichen Abhängigkeit Griechenlands bzw. den Besonderheiten seiner Geschichte: So erklärten die Regionalexperten im Auswärtigen Amt hochrangigen Hellas-Besuchern wie Ludwig Erhard und Heuss das Phänomen mit der jahrhundertelangen „zum Teil außerordentlich grausamen Türkenherrschaft“, als deren Folge die Griechen ohnehin „die Geschichte fatalistischer sehen als nord- oder westeuropäische Völker.“54 49 Vgl. FLEISCHER, ,Endlösung‘ der Kriegsverbrecherfrage, S. 518. 50 FLEISCHER, ,Endlösung‘ der Kriegsverbrecherfrage, S. 527. – Bemerkenswerterweise gelang es den Verantwortlichen den Beschluß und dessen Durchführung über 30 Jahre geheimzuhalten, bis der Vf. im Rahmen eines Forschungsprojekts die Beweise hierfür entdeckte. 51 Vgl. den Vorwurf der „Unterwürfigkeit” seitens der Opposition: FLEISCHER, ,Endlösung‘ der Kriegsverbrecherfrage, S. 506. 52 PAAA, B 10/847: BBDA, 5.10.1951. – Vgl.: „Die Souveränität Bonns anerkannt. Athener Regierung machte den ersten Schritt”, Der Mittag, 3./4.5.1952. 53 Vgl. Zitate zu Anm. 95. 54 PAAA, B 62/16 bzw. B26/17: AA, Abt. 3, Informationen für Griechenland-Besuche Erhard bzw. Heuss. – Vgl. u.a. auch das Fazit des Botschafters Seelos: „Die Griechen wissen, daß ein Krieg hart und grausam ist und vergessen diese Dinge bald nach

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Pate steht hier wohl der während des Krieges dominierende Leitsatz, in Griechenland wie überhaupt auf dem Balkan sei ein Leben weniger wert – mit der blutigen Konsequenz, daß für einen getöteten Besatzer „Sühnequoten“ von 1:10 bis 1:50 Repressal-Morden von Zivilisten praktiziert wurden.55 Dementsprechend scheint das AA auch der Erinnerung in beiden Ländern verschiedene Wertigkeit beizumessen – obschon mittlerweile auf die Festlegung präziser Quoten verzichtet wird.

„noch nicht ganz vergessen“ – Die Erinnerung als Feind Voreilig hatte Ministerpräsident Sophoklis Venizelos bereits im September 1950 einem deutschen Minister erklärt, daß alle antideutschen „Ressentiments […] heute vergessen“ seien.56 Die neue deutsche Vertretung, die drei Monate später – zunächst unter dem Titel eines Generalkonsulats – in Athen eintrifft, macht allerdings einige Abstriche: Ihre erste telegrafische Jahresbilanz verzeichnet lediglich „zunehmendes Abklingen [der] Ressentiments aus Kriegszeit“.57 Als Topos westdeutscher Bestandsaufnahmen folgt die Feststellung, die „traditionell freundliche“ Einstellung der Griechen gegenüber Deutschland gewinne wieder an Boden, „wenn auch die Kriegs- und Besatzungszeit noch nicht ganz vergessen ist.“58 Ein ursächlicher Zusammenhang scheint durch: Soll Freundschaft in Vorkriegsdimensionen restauriert werden, ist das Vergessen zu forcieren, bzw. die „Erinnerung zu liquidieren“ oder zumindest zu entschärfen. Abgesehen von direkten Einflußnahmen in diesem Sinne, auf die noch einzugehen ist, beobachtet man die Schwankungen am Pegel der kollektiven Erinnerung – im leichter faßbaren Aggregatzustand der veröffentlichten Meinung. Besonderes Augenmerk gilt den jährlich wiederkehrenden Gedenktagen, an denen die Presse die Stimmung im Lande sowie das Deutschlandbild indiziert (oder auch induziert). Solche Daten sind namentlich der 6. April (Einmarsch in Griechenland, 1941), der 12. Oktober (Befreiung Athens 1944) sowie der 13. Dezember und der 10. Juni (Massaker von Kalavryta und Distomo, 1943 bzw. 1944), schließlich – wenn auch weit weniger bedeutsam als in den übrigen ehemaligen „Feindstaaten” – der 8. Mai (Kriegsende).

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Kriegsende. Sie lassen sich aber gern daran erinnern, wenn sie damit materielle Vorteile herausholen können.“ (PAAA, B 26/64, BBDA 18.10.1960). FLEISCHER, Deutsche ,Ordnung‘, S. 179 ff, passim. PAAA, B 86/700, Stübinger an Adenauer, 7.9.1950. PAAA, B 10/250, BBDA, 4.1.1952: Jahresbilanz 1951 deutsch-griechischer Beziehungen. PAAA, B 11/1374: AA, Abt. III, Ausarbeitung „Reisen nach Griechenland“, 24.2.1953; u.v.a..

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Schon bald konstatieren die deutschen Beobachter erleichtert, der diesbezügliche mediale Diskurs, von Hetzkampagnen linksextremer Blätter abgesehen, schrumpfe von Jahr zu Jahr und sei zumeist von jeder Unfreundlichkeit gegen das „heutige Deutschland frei“, was als Bestätigung für die fortschreitende Normalisierung und Verbesserung der deutsch-griechischen Nachkriegsbeziehungen zu werten sei.59 Je dürftiger also die Berichterstattung, desto mehr freut(e) sich die Botschaft. Indigniert reagiert man hingegen auf „taktlose“ Artikel, die von deutscher Invasion, deutscher Besatzung, deutscher Gestapo und deutschen Massakern sprechen, anstatt das politisch korrekte Attribut nazistisch zu gebrauchen und damit die „unliebsamen Geschehnisse“ als abgeschlossene Vor-geschichte zu historisieren. Besonderes Augenmerk gilt dem kleinen, aber signifikanten Unterschied, inwieweit zwischen dem Nazi-Reich und dem heutigen Deutschland differenziert werde und ob historisch bedingte unfreundliche Akzente auf ersteres beschränkt blieben. Charakteristisch ist der Bericht des sprachkundigen (da mit einer Griechin aus „gutem Haus“ verheirateten) Geschäftsträgers Knoke anläßlich einer Artikelserie im venizelistischen Blatt Athinaiki: Auf diese Veröffentlichungen hinzuweisen, erscheint mir vor allem deshalb angezeigt, weil sie offenbar in besonderem Maße das Interesse breiter Leserschichten erregen. Abgesehen davon, daß derartige Publikationen, selbst wenn ihr Wahrheitsgehalt in keinem Punkt anzuzweifeln wäre, alte Wunden immer wieder von neuem aufreißen und damit keineswegs der von beiden Ländern erstrebten fortschreitenden Konsolidierung ihrer Beziehungen zueinander im Sinne ihrer gemeinsamen freundschaftlichen Traditionen dienen, ist es wohl in jedem Fall entschieden abzulehnen, daß ,ATHINAIKI‘ ihre vor allem gegen die Gestapo und bestimmte Militärrichter erhobenen Anschuldigungen durch die Verknüpfung mit dem Adjektiv ,deutsch‘ bedenkenlos verallgemeinert. Dies umso mehr, da die aufgestellten Behauptungen zumindest teilweise aufgebauscht, wenn nicht überhaupt unrichtig zu sein scheinen, worauf auch mancherlei Unklarheiten und innere Widersprüche in der Darstellung hindeuten. Infolge der häufigen Benutzung des verallgemeinernden Sammelbegriffes ,deutsch‘ wird mancher Leser der ,ATHINAIKI‘ vielleicht sogar seine Schlußfolgerungen mehr oder minder bewußt auch auf die Bun60 desrepublik übertragen.

Da für bundesdeutsche Beobachter die Etiketten „antideutsch“ und „kommunistisch“ austauschbar werden, argwöhnten sie kommunistische Unterwan59 Erneut profitierte man von überlagernden Bürgerkriegserinnerungen; für das konservative Gedächtnismanagement in Regierung und Medien hatte der auf den Tag ein Jahr später (in den Dezemberkämpfen 1944) erfolgte „heroische antikommunistische Abwehrkampf“ der Gendarmen von Makrygianni höhere Priorität und überschattete oft die offizielle Erinnerung an Kalavryta – trotz dessen historischer Bedeutung als eine Art Nationalheiligtum (im März 1821 Ausgangspunkt des Unabhängigkeitskrieges gegen die Türken). 60 PAAA, B 10/2198, Knoke, 27.10.1952.

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derung sobald eine Zeitung den Anschein erweckt, alte Wunden aufzureißen – mit „hetzerischen“ Artikeln zu „Gestapo-, Spionage- und Erschießungsthemen aller Art“ und „unter Ausnutzung des Sensationsbedürfnisses der breiten Masse.“61 Auf diesbezügliche Klagen der Botschaft direkt bei den zuständigen Athener Ministerien verweisen diese zumeist auf die hierzulande exzessive Pressefreiheit, versprechen aber zumindest bei regierungsnahen Blättern, „alles tun zu wollen“, damit dies „der letzte Rückfall in Reminiszenzen an die Kriegs- und Besatzungszeit bleibe.“62 Doch Probleme stellten sich auch mit anderen Medien. So protestierte 1951/52 Botschafter v. Grundherr gegen den Kriegsfilm Ματωµένα Χριστούγεννα (Blutige Weihnacht), worauf die griechische Presse auf eben bekannt gewordene braune Flecken in der Vergangenheit des deutschen Vertreters verwies. Das wiederum veranlaßte deutsche Blätter zur Retourkutsche: „Die griechische Filmproduktion, die vor dem Kriege nicht existieren konnte“ mache nunmehr Geschäfte mit dem Deutschenhaß, der eine „krisenfeste Einnahmequelle“ biete.63 Erfolgreicher (in der Intervention) erwies sich Grundherrs Nachfolger Theo Kordt, der 1953 in zwei Demarchen beim neuen konservativen Premier Papagos gegen den in Produktion befindlichen „Hetzfilm“ Το Ξυπόλυτο Τάγµα (Das barfüßige Bataillon) Beschwerde einlegte. Gemäß der Zusage des Marschalls, sich dieser Angelegenheit persönlich anzunehmen, wurde der künstlerisch wertvolle Film entschärft und machte „nicht mehr den Eindruck, daß er den ,deutschen Soldaten‘ als roh und brutal verunglimpfen will.“ Darüber hinaus bewirkte Kordt eine Verschiebung der Uraufführung, damit sie nicht mit dem anstehenden Griechenlandbesuch Adenauers zusammenfällt;64 dessen Staatsbesuch erfolgte nämlich in der Absicht, unter die lästige Kriegsvergangenheit „einen offiziellen Schlußstrich zu ziehen.“65 Dennoch gab es in deutscher Sicht Rückfälle. So klagt Kordts Nachfolger Seelos gegenüber dem der „deutschen Fraktion“ zugerechneten griechischen Minister Themistoklis Tsatsos über Die Insel der Tapferen – einen Film zur Besatzung Kretas, der „die auftretenden Deutschen fast ohne Ausnahme als üble Typen zeigt, die […] vielfach schon physiognomisch wie Verbrecher aussehen.“ Da auch Folterungen und Exekutionen „mit allen Details darge61 PAAA, B 11/1370, BBDA, 27/28.11.1952. 62 Siehe etwa zu einer Artikelserie im konservativen Ethnos: PAAA, B 11/1372: BBDA an AA, 24.1., 7.3.1955. 63 Der Stern, 27.4.1952: „Geschäfte mit dem Deutschenhaß. Hetzfilme machen die griechische Filmproduktion zum krisenfesten Unternehmen“; vgl. auch AYE, 1952/40/2: Greek Military Mission, 25.4.1952. 64 PAAA, B 62/15, BBDA an AA, 7.12.1953, 29.3.1954. 65 Nach der Formulierung von Adenauers Referenten: Allardt, Politik vor und hinter den Kulissen, S. 173.

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stellt werden“, sei der Film „geeignet, eine unerfreuliche und tragische Vergangenheit in das Bewußtsein des Beschauers zurückzurufen. […] Er paßt daher in keiner Weise zu den Bemühungen der Bundesrepublik, Griechenland wirtschaftlich zu helfen und die Beziehungen zwischen beiden Ländern freundschaftlich zu gestalten.“66 Tatsächlich dient der mehr oder weniger diskrete Hinweis auf die eigene Wirtschaftskraft als Druckmittel, so oft Athen die übliche Konzilianz vermissen läßt – im Zusammenhang mit der von Bonn gewünschten „Liquidierung des Krieges und der damit zusammenhängenden Erinnerungen“!67 So wird 1960 Vizepremier Panagiotis Kanellopoulos, einer der profiliertesten Freunde Deutschlands und der deutschen Kultur, vertraulich ermahnt, die griechischen Ambitionen auf eine Assoziierung mit der EWG „nicht durch übermäßige Wiedergutmachungsansprüche zu erschweren“.68 Bereits 1958, bevor Ministerpräsident Karamanlis in Bonn eine Anleihe von 200 Mio. DM erhält, wird ihm „in sehr deutlicher Weise zu verstehen“ gegeben, welche Gegenleistung man von ihm erwartet.69 Notgedrungen verpflichtet er sich zur Durchsetzung eines Abolitionsgesetzes, mit dem Griechenland die Verfolgung deutscher Kriegsverbrecher einstellt, sowie zur schnellstmöglichen Freilassung und Abschiebung in die Bundesrepublik des immer noch aus diesem Grund in Athen inhaftierten Merten. Hingegen gelingt es den Gastgebern nicht, wie geplant, den griechischen Premier zu einem Reparationsverzicht zu bewegen. Stattdessen sieht sich die Bundesregierung gezwungen, in den parallel laufenden Wiedergutmachungsverhandlungen die ursprünglich vorgesehene Pauschale zu vervielfachen und Athen 115 Mio. DM zu Gunsten jener griechischen Staatsbürger zu zahlen, die aus „typisch nationalsozialistischen“ Gründen verfolgt wurden. Auch hier ist die Rücksichtsnahme auf die öffentliche Meinung und die Furcht vor deren Beeinflussung durch die Mitte-Links-Opposition einer der wesentlichen Gründe für das deutsche Nachgeben. In diesem Sinne werden erneut erhebliche Geldmittel diskret in die Öffentlichkeitsarbeit investiert. Im kritischen Jahr der Vertragsunterzeichnung 1960 waren 72% der „eindeutig positiven“ Deutschlandbeiträge in griechischen Zeitungen „von der Botschaft lanciert, inspiriert oder sonstwie beeinflußt.“70 Im Klartext bedeutet das direkte Subventionierung griechischer Journalisten mit anonymen Zahlungen – ein Verfahren an dem das Haushaltsreferat des AA wiederholt Anstoß nahm, zumal weltweit „von keiner 66 PAAA, B 26/130: BBDA an AA, 29.10.1959. 67 PAAA, B 26/64: BBDA 18.10.1960 (Hervorhebung des Vf.). 68 PAAA, B 26/66: AA, Aufzeichnung für Besuch Kanellopoulos, 8./9.1.1960; ebenso: Interview Vf. mit Kanellopoulos, 1985. 69 Zitat in: FLEISCHER, ,Endlösung‘ der Kriegsverbrecherfrage, S. 507. 70 Siehe etwa: PAAA, B 26/130, BBDA an AA, 1.7.1960.

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anderen Auslandsvertretung in einem derartigen Umfang Zahlungen dieser Art“ geleistet würden. Doch die diversen Botschafter insistierten übereinstimmend, daß „unter den hier bestehenden Gegebenheiten“ keine andere Möglichkeit bestehe, „wenn eine wirksame und zugleich nach den Grundsätzen einer möglichst rationellen Verwendung von Haushaltsmitteln gestaltete politische Öffentlichkeitsarbeit in Griechenland fortgesetzt werden soll.“71 Auf den Sturz von Karamanlis 1963 und den überraschenden Wahlsieg der von Georgios Papandreou geführten Zentrumsunion reagiert Bonn zunächst besorgt, doch bald registriert man erleichtert, an der verbindlichen Vergangenheitspolitik des griechischen Staats habe sich wenig geändert. Positiv wird vermerkt, daß auch beim feierlich begangenen 20. Jahrestag der Befreiung Athens – von dem man zuvor gefürchtet hatte, „daß bestimmte Reminiszenzen, die in den letzten Jahren mehr und mehr verblaßt waren, in der breiteren Öffentlichkeit neu geweckt werden“ – der neue liberale Ministerpräsident „betont von der seinerzeitigen ,Nazi-Besetzung‘“ spricht und dazu beiträgt, die Diskussion von polemischen Untertönen gegen das heutige Deutschland frei zu halten.72 Erst in den Siebzigerjahren registrierte die deutsche Seite wieder verstärkt mediale Bezüge auf den Okkupationsterror. Während der Juntazeit kommt dieser Trend von rechtsaußen. So bringen die beiden, damals einzigen, Fernsehsender Filme und ganze Serien, in denen „Szenen deutscher Brutalität […] an der Tagesordnung“ sind und oft „vom Deutschlandlied als musikalisches Leitmotiv begleitet“ werden. Hier handelt es sich um Repressalien der Junta gegen die kritische Berichterstattung der „Deutschen Welle“ und andere regimefeindliche Aktivitäten in der Bundesrepublik. Proteste der Botschaft bringen ephemere Erfolge, aber erst nach dem Zusammenbruch der Diktatur attestiert die deutsche Seite dem staatlichen Fernsehprogramm Abstinenz von „antideutschen“ Kriegsfilmen. Die neue konservative griechische Regierung, wieder unter Karamanlis, ist sich nämlich mit Bonn einig, „daß diese Filme zum großen Teil kommunistische oder kryptokommunistische Tendenzen hätten, so daß sie auch geeignet seien, die hiesige Gesellschaftsordnung zu untergraben.“73 Nach dieser Entschärfung auf der rechten Flanke wird aber die Besatzungsvergangenheit zunehmend wieder von links gegen die Bundesrepublik mobilisiert und zwar nicht nur seitens der Kommunisten. Zugleich kommt jetzt das noch offene Thema der nur zu einem minimalen Promillesatz gezahlten Kriegsentschädigungen wieder zur Sprache. Doch die Forderungen der Opposition, der Medien, sowie der Opferverbände und -ge71 PAAA, B 26/330, AA an Botschafter Schlitter, 20.12.1965 und Antwort 20.1.1966, jeweils: Persönlich/Vertraulich. 72 Vgl. etwa: PAAA, B 26/253, 10.10. und 23.10.1964. 73 PAAA, B 26/420, BBDA, 18.8.1969; Zwischenarchiv, 101426, 20.3.1973; Zwischenarchiv, 110222, 4.2.1976.

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meinden stoßen auf taube Ohren. Der zur Zeit der Wiedergutmachungsverhandlungen in Athen amtierende Botschafter Seelos hatte schon 1961 dem AA für die deutsche Griechenland-Politik folgendes Leitmotiv empfohlen: „Nachgiebigkeit wird von den Griechen […] nicht als Zeichen freundschaftlicher Gesinnung, sondern als Schwäche interpretiert und als Aufforderung betrachtet, noch mehr zu fordern.“74 Mit dieser Auffassung steht er nicht alleine, und so lehnte es Bonn weiterhin ab, über die bezahlten 115 Mio. DM hinausgehende „aus dem Zweiten Weltkrieg herrührende“ Ansprüche auch nur zu diskutieren, da deren Regelung laut LSA nur einem geeinten Deutschland zustehe. Unter den Vorzeichen der permanenten Ost-West-Konfrontation stand dahinter die plausible Erwartung – wie ein Botschafter 1969 gegenüber dem Auswärtigen Amt (AA) mit köstlicher Offenheit resümierte – „dank des Entgegenkommens unserer amerikanischen Freunde“ die anderen Weltkriegsgegner „ad calendas graecas zu vertrösten“! Die Zustimmung des führenden Bonner Reparationsexperten Dr. Rumpf findet auch die unverblümte Definition der deutschen Strategie, „diesen Zwischenzustand des Nichtzustandekommens eines Friedensvertrages so lange wie möglich aufrechtzuerhalten, um diese Forderungen unserer einstigen Gegner durch Zeitablauf einer Verwirkung oder Verjährung zuzuführen. Anders ausgedrückt: Man sollte schlafende Hunde nicht wecken.“75

Ausklang? Die unverhoffte Zäsur von 1989/90 ließ auch das deutsch-griechische Verhältnis nicht unberührt. Als unter den Vorzeichen der deutschen Vereinigung viele „Hunde“ zu „bellen“ begannen – d.h. einstige Opfer ihre zuvor vom LSA exkludierten Ansprüche reaktiviert sahen –, gab das AA den Botschaften Argumentationshilfe, wie derartige Forderungen abzublocken seien. Neben den Aufzählungen geleisteter Entschädigungen, (die in Proportion zu den erlittenen Schäden in Griechenland weit geringer als in den anderen betroffenen Staaten waren), verschanzt(e) man sich erwartungsgemäß hinter dem Axiom, die Frage habe sich durch Zeitablauf erledigt.76 Die gleiche Argu74 PAAA, B 26/125, BBDA, 8.6.1961. 75 PAAA, B 86/1271: Deutsche Botschaft Luxemburg, 9.4.1969 (Hervorhebung durch Vf.); Antwort Rumpf, April 1969 – Die „amerikanischen Freunde“ hatten der deutschen Strategie schon früh ihren Segen gegeben: „Time works in favor of Germans“ (US-Botschaft Bonn an State Department, 31.10.1952, NARA, Rg 43 – M88, Box 157). 76 „Deutsche Einheit und Reparationsfrage“, Ortez Nr. 34/29.5.1990, 012-9-312.74 VSMD (Kopie im Besitz des Vf.).

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mentation hatte die offizielle bundesdeutsche Politik zuvor auch hinsichtlich der aus dem Ersten Weltkrieg herrührenden, vergleichsweise minimalen, griechischen Forderungen vertreten – garniert mit auch aus der jetzigen Diskussion bekannten sachfremden Hinweisen auf geleistete Wirtschafts- und Militärhilfe – bis die BRD 1974, sechzig Jahre nach Kriegsbeginn, durch Schiedsgerichtsspruch zu einem Vergleich und zur Zahlung von 47 Mio. DM gezwungen worden war.77 Ohnehin wäre im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg die – völkerrechtlich strittige – Verjährung für jene Jahrzehnte anzuhalten, in denen eine Einklagung aus den oben skizzierten Gründen nicht möglich war. Abgesehen von der Unredlichkeit dieser „rechtsmißbräuchlichen“78 Argumentation – d.h. bis 1989 die Opfer auf den Zeitpunkt der deutschen Einigung zu vertrösten und zugleich systematisch auf jenen Zeitablauf hinzuarbeiten, auf den man danach achselzuckend verweist – ist hier eine verbreitete Fehlinformation zu korrigieren. Das Londoner Schuldenabkommen vom 27. Februar 1953 sowie die dazu führenden Verhandlungen bestimmten keineswegs einen formellen Friedensvertrag als Vorbedingung für die Deblockierung der Reparationsfrage. Die Westmächte definierten das hypothetische Auslöseereignis als peace treaty or similar arrangement, als peace settlement oder, noch simpler, the event of German unity being attained.79 Alle Definitionen passen auf das Zwei-plus-Vier-Abkommen von 1990. Zwar gewann die Regierung Kohl die vier Hauptalliierten und namentlich die „geschmierten“ Sowjets für den angeblich reparationshindernden Verzicht auf einen formellen Friedensvertrag (und den damit verbundenen Verrat an den kleinen Alliierten), doch dieser Erfolg hatte mehr realpolitische als völkerrechtliche Bedeutung. Die Bundesrepublik mußte ihre Taktik aufgeben, sobald transatlantische Pressionen die Schmerzgrenze überschritten, wie bei der Entschädigung für Zwangsarbeiter. Hingegen wurden alle griechischen Vorstöße von der Bundesregierung schroff abgewiesen – mit anfechtbarer Begründung und „rüde im Ton“.80 Als eine Opferinitiative die auf griechischem Territorium rechtskräftige (vom Areopag mit großer Mehrheit bestätigte) Verurteilung der BRD und die schwerste Nachkriegskrise zwischen beiden Staaten bewirkte, verhinderte das Einlenken der Regierung Simitis den Bruch: die Beschlagnahmung der deutschen Kulturinstitute. Dessen ungeachtet schwelt weiterhin die Glut des unbewältigten Kriegserbes. 77 FLEISCHER / KONSTANTINAKOU, Ad calendas graecas, S. 438 f. 78 PAECH, Wehrmachtsverbrechen, S. 392. 79 Selbst der deutsche Chefunterhändler bei der LSA Abs resümierte 1953 zufrieden, das Reparationsproblem sei „nicht Gegenstand der Schuldenkonferenz, sondern des Friedensvertrages oder ähnlicher Abkommen.“ (Zitate in: FLEISCHER, Das griechische Memorandum, S. 371.) – Der Vf. arbeitet hierzu an einer Monographie. 80 Wolfgang KOYDL, Süddeutsche Zeitung, 3.4.2000.

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Daran ändert auch der ans Gefühl appellierende letzte deutsche Einwand nichts: die neubegründete Freundschaft mit Griechenland. Damit ließe sich allenfalls gegen ein Aufrollen der Reparationsfrage argumentieren, die individuelle Entschädigungsforderungen ohnehin nicht einschließt. Der Schreiber dieser Zeilen hat daher seit den frühen Neunzigerjahren den jeweils in Athen Regierenden (Regierungen K. Mitsotakis, A. Papandreou, K. Simitis) quellengestützt vorgeschlagen, das Gesetz des Handelns in die Hand zu nehmen, indem sie formell auf ohnehin nicht durchzusetzende Reparationen verzichten.81 Nicht berührt wäre davon der 1942-1944 vom Deutschen Reich der griechischen Nationalbank abgepreßte „Besatzungskredit“, dessen Rückzahlung sogar das NS-Regime versprochen und begonnen hatte und die somit keinen Präzedenzfall für Reparations-Ansprüche darstellt! Ein rechtzeitiges Einlenken hätte die Bundesrepublik in Zugzwang gebracht, mittlerweile bestehen aber nur geringe Aussichten, daß Berlin in dieser Angelegenheit die (wenig freundschaftliche) Mauertaktik aufgibt und sich zu Gesprächen über den völkerrechtlich anders liegenden griechischen Anspruch bereit erklärt. Nur dann aber wäre dem absurden Zustand ein Ende gesetzt, daß die „Reichsschuld gegenüber Griechenland“ – durch Vertreter des NS-Regimes anerkannt und Anfang 1945 auf 476 Mio. RM (im derzeitigen Gegenwert von 5 Mrd. €) berechnet – von den demokratisch gewählten Regierungen der Bundesrepublik, der Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches, bis heute schroff ignoriert wurde: Die griechischen Kalenden der deutschen Diplomatie. Denkbar wäre etwa, nach einem Aufbrechen petrifizierter bürokratischer Denkmuster, die Gründung einer Stiftung zur Aufarbeitung der gemeinsamen Kriegsvergangenheit und zur Finanzierung eines Infrastruktur-Projekts von symbolischer Bedeutung – evtl. auch die Entschädigung sogenannter Härtefälle, bislang ignorierter Opfer deutschen Besatzungsterrors. Als Gegenleistung böte sich der genannte offizielle Verzicht Athens auf Reparationen an – und als immaterieller Gewinn eine Korrektur des Stereotyps des unbußfertigen Deutschen. Auffallend ist nämlich das Ansteigen der Germanophobie, seit die deutsche Einheit den Vorbehalt des Londoner Abkommens gegen Kriegsentschädigungen de facto hinfällig machte, Berlin aber unter Hinweis auf den „Zeitablauf“ jede Diskussion über alte Schulden ablehnt. Kalavryta, Distomo und andere Märtyrergemeinden schlossen sich zu einem losen Interessenverband zusammen; von den Überlebenden wurden Zehntausende von Klagen gegen die Bundesrepublik eingereicht. Spitze des Eisbergs war die Schlacht durch 81 Der Vf. war Mitglied der griechischen Delegation auf der Washingtoner Weltkonferenz „on Holocaust-era related assets“ (1998) sowie historischer Berater der Expertenkommission des Außenministeriums für Entschädigungsfragen [Efimeris tis Kyverniseos, 152/15.2.2001].

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alle Instanzen um Beschlagnahmung der deutschen Kulturinstitute in Athen. Ein prominenter linker Kritiker, der Widerstandsveteran Manolis Glezos, findet Widerhall, wenn er die Obstruktion der Bundesregierung mit angeblichen deutschen Intentionen erklärt, sich an den Griechen für den im Krieg geleisteten Widerstand rächen zu wollen!82 Unter den Vorzeichen der deutschen Spaltung hatten beide griechischen Lager antideutsche Ressentiments zumeist einäugig kultiviert, d.h. die Erben totalitärer Menschenverachtung im Herrschaftsbereich der jeweiligen ideologischen Antipoden lokalisiert, wenn nicht institutionalisiert. Nach Bedarf ließ sich historische Verdammung oder zukunftsträchtige Kooperation akzentuieren. Rechts wie auch links kooperierte man mit einer partnerschaftlich verbundenen deutschen Nachfolgerepublik: offizielle Athener Vergangenheitspolitik sowie linke Publizistik vermieden daher im pejorativen Besatzungskontext tunlichst das Attribut „deutsch“, um den jeweils wahlverwandten Teilstaat nicht zu vergrämen. Die Gründe für diese Selbstzensur sind nun entfallen; zudem verlangte die Forcierung eines neuen introvertierten griechischen Wirgefühls die Restrukturierung des Feindbildes durch verstärkte Rückbesinnung auf Negativfaktoren außerhalb der Volksgemeinschaft.83 Die Haltung des offiziellen Deutschlands hat derartige Tendenzen verstärkt. Die schärfere Tonart der griechischen Ansprüche auf moralische Anerkennung und materielle Entschädigung entspringt weitgehend der Erbitterung über die deutsche „Arroganz und Amnesie der Macht“84. Symptome einer solchen Pathogenese finden sich in der Tat, und nicht nur in den „sündigen” Fünfzigerjahren, in denen die Bonner Ministerialbürokratie sowie die bundesdeutsche Diplomatie sich personell und mentalitätsmäßig noch kaum von ihrer braunen Vergangenheit gelöst hatten. So verwunderten sich noch in den frühen Achtzigerjahren die Politischen Halbjahresberichte der Athener Botschaft immer wieder, daß Griechenland mit Italien „trotz Kriegsgegnerschaft vertrauensvoll und gutnachbarlich verbunden“ sei; hingegen fehlte in den weit längeren Passagen zu den „guten und im wesentlichen unproblematischen“ deutsch-griechischen Beziehungen

82 Siehe etwa: Eleftherotypia, 11.6.2001. 83 Symptomatisch sind die Athener Gedenktafeln für die exekutierten Mitglieder der bürgerlichen Widerstandsgruppe PEAN: Die erste, 1980 von Panagiotis Kanellopoulos eingeweiht, definierte den PEAN-Chef Perrikos als Opfer der „nazistischen Okkupation“; die Tafeln für seine vier hingerichteten Gefährten, anderthalb Jahrzehnte später aufgestellt, nennen explizit die Deutschen als Täter. Bald wurde auch die erste umformuliert und den anderen angepaßt. 84 Formulierung von Angelos Angelopoulos gegenüber dem Vf. – Angelopoulos, prominenter Ökonom, Mitglied der „Bergregierung“ der EAM sowie der Einheitsregierung im Exil (1944), war seit seiner ersten diesbezüglichen Monographie (1945) bis zu seinem Tod (1995) Vorkämpfer in der Frage der Kriegsentschädigungen.

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jeder Hinweis auf die Kriegsvergangenheit.85 Ein neueres Beispiel aus dem Jubiläumsjahr 1995 ist noch krasser. 50 Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation des Nazi-Reichs registrierte der Zeithistoriker eine rege Besuchsdiplomatie zwischen Deutschland und den ehemaligen Feindstaaten. Die jeweiligen Vertreter der BRD – Präsident, Kanzler, Minister – versäumten es mit einer Ausnahme nie, die schmerzliche Phase in der Beziehungsgeschichte und die „Verbrechen der Nazi-Barbarei“ mehr oder weniger explizit zu erwähnen, zugleich aber zu betonen, die Deutschen hätten die Lehren aus der Geschichte gezogen und würden diese nicht vergessen.86 Die eine Ausnahme betraf Griechenland. Beim Empfang des Präsidenten Konstantinos Stefanopoulos in Schloss Bellevue schwelgte Gastgeber Herzog in Verweisen auf die „traditionelle Freundschaft“, das „Miteinander“, die „engen Beziehungen“, und die diachronische „Verbundenheit unserer beiden Völker“ – von den Philhellenen des 19. Jahrhunderts bis zu den Touristen der Gegenwart. An die Kriegsvergangenheit verschwendete er kein Wort – lediglich der aktuelle Krieg im ehemaligen Jugoslawien war ihm der Erwähnung wert,87 zumal die Griechen nur bedingt auf die antiserbische Linie des Westens eingeschwenkt waren. Derart selektive Erinnerung provozierte Kritik und trug zur Verhärtung der Konfrontation bei: Noch vor Jahresende 1995 initiierte Giannis Stamoulis – der für die Opfergemeinde Distomo zuständige und politisch stark ambitionierte Nomarch (Präfekt) von Böotien im Namen der Geschädigten eine Sammelklage gegen den deutschen Staat. Bald darauf forderte der schwerkranke Premier Andreas Papandreou in einer Verbalnote umfassende Verhandlungen zum Kriegserbe. Auf beiden Ebenen war die deutsche Reaktion negativ, die griechischen Vorstöße wurden als unberechtigt zurückgewiesen – mit Hinweis auf das (zunehmend umstrittene) Prinzip der Staatenimmunität bzw. den Zeitablauf und die infolgedessen veränderte politische Situation.88 Unterdessen bot sich dem Bundespräsidenten die Chance zur verbalen Wiedergutmachung, als Stefanopoulos zum ersten offiziellen Staatsbesuch eines griechischen Präsidenten wieder nach Deutschland kam – und zwar an einem bedeutsamen Jahrestag. Diesmal erwähnte Herzog die „Zäsur des Zweiten Weltkrieges“, ohne diese jedoch zu werten, dann fährt er mit einem Satz fort: „Der Zufall will es, daß der heutige Tag zugleich der Jahrestag des Massakers von Distomon ist, dessen Opfer wir in Ehrfurcht gedenken.“ Doch statt Klartext zu sprechen bezüglich der Identität von Tätern und Opfern, läßt 85 So Halbjahresberichte vom 20.1., 25.8.1982, 15.2.1984, im PAAA noch unzugänglich, Kopien im Besitz des Vf. 86 Bulletin (der Bundesregierung) 3.8.1994, 14.7.1995 (Polen), 17.7.1995 (Belgien), 13.9.1995 (Niederlande), u.a. 87 Bulletin, 4.8.1995. 88 FLEISCHER / KONSTANTINAKOU, Ad calendas graecas, S. 449 ff.

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er sich langatmig aus über Homer, König Otto und sogar das Sternbild des großen Bären, der eigentlich eine Bärin und verwandelte Geliebte von Zeus war…89 Herzogs Nachfolger Johannes Rau hatte bereits während seiner Amtszeit als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Interesse an einer Aufarbeitung des Massakers von Kalavryta zum Ausdruck gebracht; im April 2000 bekannte er am dortigen Mahnmal „tiefe Trauer und Scham“. Umso unbegreiflicher war, daß Rau anderntags, bei seinem Aufenthalt in Saloniki, jegliche Geste des Gedenkens im Zusammenhang mit der Ermordung von 50.000 Juden der Stadt unterließ. Viele haben nach einer Erklärung hierfür gesucht; keine konnte voll überzeugen bzw. befriedigen.90 Der Chronist fürchtet, es könnte sich hier jeweils – abgesehen von den spezifischen Begleitumständen – um Stationen der seit einem halben Jahrhundert angestrebten (aber auf Seiten der Opfer kaum durchzusetzenden) „Liquidierung“ der Erinnerung91 handeln. Dieser Prozeß, der in manchen deutschen Amtsstuben unbekümmert fortzuschreiten scheint, verhindert echte Historisierung der Kriegsvergangenheit und untergräbt die Chance zum versöhnenden Brückenschlag.

Bilder vom neuen Deutschland Im Herbst 1942 berieten in Berlin die Präsidenten der Deutschen Wissenschaftlichen Institute, die seit 1940 in verbündeten, besetzten und neutralen Ländern zur Kulturwerbung auf höherer Ebene als der rein sprachlichen gegründet worden waren. Die Teilnehmer „ringen“ in langen Debatten um den Begriff „des Bildes, das man den Völkern Europas von dem neuen Deutschland nahebringen will.“ Im Bewußtsein des (vorsichtshalber nicht näher präzisierten) „Gegensatz[es] zwischen dem Deutschland von Weimar und dem Deutschland des preußischen Soldatentums“ werden „die Schwierigkeiten hervorgehoben, den Völkern Europas ein klares, unangreifbares Deutschlandbild einzuhämmern.“ In diesem Zusammenhang „kam in Übereinstimmung zum Ausdruck, daß man auch den kleinen Völkern Europas eine gewisse eigene Kultur belassen müsse“ – zumal, gerade in den okkupierten Gebieten, „bei den Völkern, denen man alles weggenommen habe, nun89 Bulletin, 14.6.1996. 90 Noch am wahrscheinlichsten ist Eberhard Rondholz (RONDHOLZ, Geschichte, S. 12), der vermutet, Rau habe Fragen nach seinen parteipolitischen Affiliationen zu Merten in den frühen Fünfzigerjahren ausweichen wollen. 91 Vgl. oben. – Griechische Regierungsvertreter stimmen allerdings gelegentlich zu, „daß mit all diesen Kriegserinnerungen aufgeräumt werden müsse.“ (z.B.: PAAA, B 26/130, BBDA, 29.10.1959)

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mehr das Bewußtsein der eigenen nationalen Kultur als letztem Halt zum Durchbruch“ komme.92 Diese Bewußtwerdung der eigenen nationalen Kultur war aber in vielen Ländern – gerade auch jungen Nationalstaaten, wie Norwegen oder Luxemburg – mit der mythisch erhöhten Erfahrung des eigenen Widerstands verbunden. Das Deutschenbild, das in jenen Jahren den Griechen buchstäblich – obschon nicht unangreifbar – eingehämmert wurde, war düster. Herausgegriffen seien jene 300 Griechen, die ihre Inhaftierung im KZ Dachau überlebten und nach der Befreiung durch US-Truppen bis zu ihrer Repatriierung eine hektographierte Lagerzeitung herausgaben, in der sie gegenüber „den deutschen Henkern, allen Deutschen ganz allgemein“ Verzeihung und Mitleid explizit ausschließen: „Fluch und Verdammung dieser barbarischen Rasse und ewiges Gedenken unseren lieben Toten!“93 Sogar der Exponent der „Heidelberger Schule“ und damalige Innenminister Konstantinos Tsatsos distanzierte sich in einem offiziellen Dokument von den „Kannibalen“ der „verfluchten deutschen Rasse“ – die längst gräzisierten bayerischen Siedler des 19. Jahrhunderts im Athener Vorort Alt-Heraklion eingeschlossen!94 Glücklicherweise haben sich die Nachkriegsbeziehungen beider Staaten – kulturell, wirtschaftlich, politisch – in anderer Richtung entwickelt, auch wenn die bei offiziellen Anlässen stets beschworene neue Freundschaft zu relativieren ist. Bereits Ende der Vierzigerjahre reagieren die westlichen Alliierten verwundert (und mitunter befremdet) über „the almost total lack of that animosity towards Germany (despite four years of particularly brutal occupation) which still characterize, for example, Belgium and Holland.” Später unterscheiden sie zwischen Hauptstadt und Provinz: Auf offizieller Ebene „the Greek-German honeymoon is in full swing […] but out of Athens, in the countryside, there is less enthusiasm for the Germans.”95 Tatsächlich schönten in der ungleichgewichtigen Beziehung zum mächtigen Partner politische Opportunität und Interessenkoinzidenz das Bild und übertünchten latente Erinnerungen – wie germanophobe Emotionen, Schlagzeilen und Karikaturen namentlich in Krisensituationen offenbaren. Die auf die knapp vierjährige Okkupation zurückgehenden Stereotype erweisen sich oft virulenter als jene der hundertmal längeren Türkenherrschaft, wie sogar lexigraphisch nachweisbar ist. So entdeckte der Verfasser in einem hermeneutischen Wörterbuch zur Neugriechischen Sprache der Achtzigerjahre96 le92 93 94 95

BA,, R 51/62: Geschäftsführender Direktor Deutsche Akademie, 3.10.1942. I Elefthera Dodekanisos, Νr. 5 (3.6.45). AYE, 1945/17: Innenministerium 10.8.1945. Νational Archives London, BW 32/11: minute 28.11.1948. Vgl.: ebd., F.Ο. 371/109763: CW 10319/4 (1954). 96 VARMAZIS, Το βασικό ερµηνευτικό λεξικό της νεοελληνικής γλώσσας (Hermeneutisches Basiswörterbuch). Vgl.: FLEISCHER, Die „Viehmenschen“.

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diglich vier Beispielsätze, in denen die alten und aktuellen Widersacher östlich der Ägäis zur Erklärung einschlägig vorbelasteter Wörter herangezogen werden (Barbarei, versklaven, Massaker, Jahrhundert). Um ein Vielfaches größer ist die Zahl der Erläuterungen aus dem Besatzungskontext zur Veranschaulichung von Wörtern wie Krieg, bombardieren, Exekution, aufhängen, Razzia, Repressalie, Genozid, Befreiung, Hunger, Bestialität, aber auch „Imponiergehabe“ der deutschen Marschierer und die γυναικόπαιδα [Frauen und Kinder], die „Schlimmes zu erleiden“ hatten! Insbesondere aber läßt das Lemma von Kατοχή [Okkupation] keine Zweifel an der Definition des Prototyps: „Die Besetzung unseres Landes durch die Deutschen.“97 Ganz allgemein wird – als Ausnahme der substantivischen Kleinschreibung – besagtes Wort großgeschrieben, sofern die Besatzungszeit 1941-1944 gemeint ist. Eine gewichtige Ausnahme von dieser Regel bildet der ,Papst‘ der griechischen Linguistik, Georgios Babiniotis, der wohl auch dem eigenen kulturellen Background Tribut zollt. In seinem voluminösen Lexikon der neugriechischen Sprache müssen für den größten Teil negativer Beispielsätze die Türken herhalten – und zwar diachronisch: von der Osmanenherrschaft bis hin zu den trüben Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, wobei die Nachbarn im Osten als Prototyp für Aggressivität, Grausamkeit und Annektionsgelüste erscheinen. Damit (er)klärt sich nicht nur die andauernde „Erbfeindschaft zwischen Griechen und Türken“,98 sondern auch die Frage nach der Schuld. Die Suche nach deutschen Konnotationen war bei den meisten semantisch vorbelasteten Begriffen erfolglos,99 doch fehlten nicht Überraschungen, die die subkutane Existenz solcher Assoziationen auch dort verraten, wo sie wohl aus Gründen politischer Korrektheit unausgesprochen bleibt. So verweist Babiniotis (bzw. sein Mitarbeiterteam) beim Wort εκτελώ (exekutieren, ausführen) im deutschen Kontext lediglich auf die Berliner Philharmoniker und Beethovens Dritte Symphonie – bei peinlicher Vermeidung der von vielen Lexigraphen benutzten Assoziierung zur deutschen Okkupation. Doch dem im Unterbewußtsein spukenden Gespenst der Vergangenheit gelang es durch eine Hintertür (κερκόπορτα) zu schlüpfen: Bei der harmlosen Präposition από (von) wird eine der Bedeutungsvarianten an folgendem Beispiel erläutert:

97 VARMAZIS, Το βασικό ερµηνευτικό λεξικό της Νεοελληνικής Γλώσσας (Hermeneutisches Basiswörterbuch), S. 297, 202, 396, u.v.a. 98 „Yπάρχει µια αιώνια έχθρα µεταξύ Ελλήνων και Τούρκων“. BABINIOTIS, Λεξικό της νεοελληνικής γλώσσας (Lexikon der neugriechischen Sprache), S. 97. 99 Wichtigste und fast unvermeidliche Ausnahmen sind Begriffe, die unmittelbar mit dem nazistischen Genozid an den europäischen Juden zusammenhängen (Holocaust, KZ, Judaismus, Krematorium, etc.).

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„εκτελέστηκε από τους Γερµανούς“ [er wurde von den Deutschen exekutiert]…100 Dementsprechend dient der Filmtitel von 1948 Οι Γερµανοί ξανάρχονται (Die Deutschen kommen wieder) als „Petersilien“-Slogan (µαϊντανός), der zu allem paßt, was aus deutschen Landen auf den Tisch griechischer Aktualität kommt: vom Fußball zur Kultur, von der Wirtschaft bis zu den „humanitären“ Einsätzen der Bundeswehr außerhalb der Landesgrenzen. Im heutigen Sprachgebrauch kursieren aus dem Besatzungspidgin entlehnte Begriffe wie „Verboten!“, „kaputt“ (als Synonym für tot/getötet), „Über alles“ und „Raus!“. Letzterem begegnen wir etwa bei einer publizistischen Attacke gegen einen deutschen Außenminister,101 aber auch als Blickfänger auf dem Werbeplakat eines großen Sprachinstituts – zusammen mit dem als pars pro toto bekannten Wehrmachtsstiefel, der aus einem Fernsehapparat heraus-tritt. Dazu die Legende: „Das kennen Sie schon. In drei Jahren lernen Sie auch alles Übrige.“

Abkürzungen AA Auswärtiges Amt BBDA Botschaft der Bundesrepublik Deutschland, Athen BMJ Bundesministerium für Justiz DKP Deutsche Kommunistische Partei EAM Εθνικό Απελευθερωτικό Μέτωπο (Nationale Befreiungsfront) EDA Ενιαία Δηµοκρατική Αριστερά (Vereinigte Demokratische Linke) EDES Εθνικός Δηµοκρατικός Ελληνικός Σύνδεσµος (Nationale Republikanische Griechische Liga) ELAS Εθνικός Λαϊκός Απελευθερωτικός Στρατός (Nationales Volksbefreiungsheer) KKE Κοµµουνιστικό Κόµµα Ελλάδας (Kommunistische Partei Griechenlands) LSA Londoner Schuldenabkommen OKW Oberkommando der Wehrmacht PEAN Πανελλήνιος Ένωσις Αγωνιζοµένων Νέων (Panhellenische Union der Kämpfenden Jugend)

100 BABINIOTIS, Λεξικό της νεοελληνικής γλώσσας (Lexikon der neugriechischen Sprache), S. 584, 239. 101 Riesenschlagzeile auf Titelseite: „Raus, Herr Kinkel“, Apogevmatini, 19.2.1994.

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Archive Αρχείο Υπουργείου Εξωτερικών (Archiv des griechischen Außenministeriums), Athen (AYE) Bundesarchiv, Berlin (BA) Bundesarchiv, Koblenz (BAK) National Archives, London National Archives and Records Administration, Washington (NARA) Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bonn (PAAA)

Literaturverzeichnis ALLARDT, Helmut: Politik vor und hinter den Kulissen. Erfahrungen eines Diplomaten zwischen Ost und West. Düsseldorf: ΕCΟΝ-Verlag, 1979. BABINIOTIS, Georgios D.: Λεξικό της νεοελληνικής γλώσσας (Lexikon der Neugriechischen Sprache). Athen: Kentro Lexikologias, 1998. DROULIA, Loukia / FLEISCHER, Hagen (Hg): Von Lidice bis Kalavryta: Widerstand und Besatzungsterror. Studien zur Repressalienpraxis im Zweiten Weltkrieg. Berlin: Metropol, 1999. FLEISCHER, Hagen: Η Ελλάδα υπό την Κατοχή του Άξονα. Βιβλιογραφική επισκόπηση. Η Ελλάδα στη δεκαετία 1940-1950 (Griechenland unter Besatzung der Achsenmächte. Bibliographische Übersicht.). Bd. II. Athen: Themelio, 1984. S. 13-181. FLEISCHER, Hagen: Im Kreuzschatten der Mächte. Griechenland 1941-1944. Frankfurt u.a.: Peter Lang, 1986, sowie die erweiterte griechische Version: Στέµµα και Σβάστικα. Η Ελλάδα της Κατοχής και της Αντίστασης (Krone und Hakenkreuz), 1941-1944. Bislang 2 Bde. Athen: Papazisis, 1988/95. FLEISCHER, Hagen: KZ-Häftling und Partner: Einige Anmerkungen zu den wechselvollen Beziehungen des Generals Alexandros Papagos zu Deutschland, 1935-1955. Hellenika, 1988. S. 95-105. FLEISCHER, Hagen: Griechenland im Zweiten Weltkrieg. Ein Literaturbericht. In: Jahresbibliographie der Bibliothek für Zeitgeschichte, 61 (1989/91). S. 383391. FLEISCHER, Hagen: Post-War Relations between Greece and the two German States: A Reevaluation in the Light of German Unification. The Southeast European Yearbook 1991, Athen: ELIAMEP, 1992. S. 163-178. FLEISCHER, Hagen: Post Bellum. Das deutsche Venizelos-Bild nach dem Ersten Weltkrieg. In: Gunnar HERING (Hg.), Dimensionen griechischer Literatur und Geschichte. Festschrift für Pavlos Tzermias zum 65. Geburtstag. Frankfurt u.a.: Peter Lang, 1993. S. 209-249. FLEISCHER, Hagen: Vom Kalten Krieg zur ‚Neuen Ordnung‘. Der Faktor Griechenland in der deutschen Außenpolitik. In: Institute for Balkan Studies

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(Hg.), Die Balkanländer im Europa der Gegenwart. Thessaloniki: IMXA, 1994. S. 63-82. FLEISCHER, Hagen: The National Liberation Front (EAM), 1941-1947. A Reassessment. In: John O. IATRIDES / Linda WRIGLEY (Hg.), Greece at the Crossroads. The Civil War and its Legacy. University Park, Pennsylvania 1995. S. 48-89. FLEISCHER, Hagen: Die „Viehmenschen“ und das „Sauvolk“. Feindbilder einer dreifachen Okkupation: der Fall Griechenland. In: Wolfgang BENZ et al., Kultur – Propaganda – Öffentlichkeit. Intentionen deutscher Besatzungspolitik und Reaktionen auf die Okkupation. Berlin: Metropol, 1998. S. 135-169. FLEISCHER, Hagen: Deutsche ,Ordnung‘ in Griechenland 1941-1944. In: DROULIA / FLEISCHER, Von Lidice bis Kalavryta. S. 151-223. FLEISCHER, Hagen: Das griechische Memorandum zur Washingtoner ,Conference on Holocaust-era Assets‘. Vor- und Nachbemerkungen, Thetis. Mannheimer Beiträge zur Klassischen Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zyperns, 7 (2000). S. 363-372. FLEISCHER, Hagen: Der Neubeginn in den deutsch-griechischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg und die ,Bewältigung‘ der jüngsten Vergangenheit. In: Thetis. Mannheimer Beiträge zur Klassischen Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zyperns, 10 (2003). S. 191-204 [= erweiterte Version des Artikels in: Institute for Balkan Studies (Hg.), Griechenland und die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen Nachkriegseuropas. Thessaloniki: IMXA, 1991. S. 81-108]. FLEISCHER, Hagen: ,Endlösung‘ der Kriegsverbrecherfrage. Die verhinderte Ahndung deutscher Kriegsverbrechen in Griechenland. In: Norbert FREI (Hg.), Transnationale Vergangenheitspolitik. Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern nach dem Zweiten Weltkrieg. Göttingen: Wallstein, 2006. S. 474-534. FLEISCHER, Hagen und KONSTANTINAKOU, Despina: Ad calendas graecas? Griechenland und die deutsche Wiedergutmachung. In: H.-G. HOCKERTS et al. (Hg.), Grenzen der Wiedergutmachung. Die Entschädigung für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa 1945-2000. Göttingen: Wallstein, 2006. S. 375-457. FREI, Norbert: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit. München: dtv, 1996. HEISENBERG, August: Neugriechenland. Leipzig: Teubner, 1919. PAECH, Norman: Wehrmachtsverbrechen in Griechenland. In: Kritische Justiz, 32 (1999). S. 380-397. RONDHOLZ, Eberhard: Rechtsfindung oder Täterschutz? Die deutsche Justiz und die „Bewältigung“ des Besatzungsterrors in Griechenland. In: DROULIA / FLEISCHER, Von Lidice bis Kalavryta. S. 225-291. RONDHOLZ, Eberhard: „Eine längst vergessene Geschichte – Warum Johannes Rau um die Jüdische Gemeinde von Thessaloniki einen so großen Bogen gemacht hat“. In: Konkret, 8 (2000). S 12.

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VARMAZIS, Ν[ikos]: Το βασικό ερµηνευτικό λεξικό της νεοελληνικής γλώσσας (Hermeneutisches Basiswörterbuch der Neugriechischen Sprache). Athen: Malliaris-Paideia, 11983.

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Griechenfreundschaft gegen Philhellenismus? Karl Dieterichs Lyrik-Anthologie als erste Kanonbildung

Die Anthologie Neugriechische Lyriker Karl Dieterichs, die 1928 in Leipzig mit einem Geleitwort Gerhart Hauptmanns erschienen ist, stellt den ersten Versuch einer kanonischen Darstellung der modernen griechischen volkssprachlichen Lyrik für die deutsche Leserschaft dar. Daß die renommierte griechische Zeitschrift Nea Estia das Werk sogleich mit einer Rezension begrüßte und eine Übersetzung sowohl des Vorworts als auch des einführenden Kommentars zur Gedichtauswahl veröffentlichte,1 zeigt die Relevanz des Projekts für die deutsch-griechischen Kulturbeziehungen auf, die seit dem Ersten Weltkrieg deutlich rückläufig waren. Karl Dieterich zählte zusammen mit August Heisenberg, Gustav Soyter und Paul Jacobsthal zu den ausgewählten Neugriechischkennern, die seit 1917 am deutsch-griechischen militärischen Programm in dem Griechenlager in Görlitz beteiligt waren; Dieterich war dabei als Dolmetscher tätig.2 Der am 18.12.1869 in Berlin geborene Byzantinist und Neogräzist Karl Dieterich hatte sich ansonsten lange vor seiner Begegnung mit griechischen Gefangenen in der ostdeutschen Stadt mit gängigeren Aspekten neugriechischer Kultur vertraut gemacht: bereits nach Abschluß seiner Studien am Königlichen Wilhelmsgymnasium (1881-1889) und vor seiner Immatrikulation an der Berliner Universität (1890), besuchte er die neogräzistischen Vorle1

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X[ENOPOULOS], Οι ποιητές µας (Unsere Dichter), S. 614-615 (Rezension); auf die Rezension reagierte Dieterich mit einem begeisterten Brief: X[ENOPOULOS], Από ένα γράµµα (Aus einem Brief), S. 804; Ο Γεράρδος Χάουπτµανν (Gerhart Hauptmann), S. 668-669 (Vorwort Hauptmanns); Οι Νεοέλληνες Λυρικοί (Die neugriechischen Lyriker), S. 1028-1033 (Einführung Dieterichs): die griechische Übersetzung des einführenden Texts wurde vom Verfasser ausgearbeitet, daher der Germanismus im Titel: Οι νεοέλληνες λυρικοί (Die neugriechischen lyrischen Dichter) anstelle des richtigen Νεοέλληνες ποιητές (Neugriechische Lyriker). ZIEBARTH, Karl Dieterich, S. 89; ZIEBARTH, Griechen in Deutschland, S. 73-74; vgl. HELLAS 1921, S. 16; FLEISCHER, Europas Rückkehr, S. 136. Im Lager lebten seit September 1916 6.500 griechische Soldaten im „Gäste“-Status, nachdem das königstreue IV. Armeekorps unter dem Oberst Chatzopoulos bei Kavalla die Waffen gestreckt hatte. In Görlitz entstanden die ältesten erhaltenen Schallplatten griechischer Lieder, darunter die erste Tonaufnahme einer Bouzouki. Die Schellackplatten des „Stimmenmuseums der Völker“ sind heute im Lautarchiv der Humboldt-Universität, Berlin, erhalten.

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sungen von Johannes Mitsotakis am Seminar für orientalische Sprachen in Berlin.3 1895 wechselte er nach München, wo er am Mittel- und Neugriechischen Seminar Karl Krumbachers mit einer sprachhistorischen Dissertation promovierte (1898), die als erstes Heft des „Byzantinischen Archivs“ erschien.4 In München lernte er (über John Schmitt) den griechischen Dichter Lorentzos Mavilis kennen, der wie damals viele griechische Studenten seine Studienzeit eher in Brauhäusern und Gärten als in Hörsälen verbrachte;5 er hatte ebenfalls Kontakte mit den Literaten Kostas Pasagiannis und Argyris Eftaliotis – dessen Νησιώτικες ιστορίες (Inselgeschichten) er übersetzte, ohne sie jedoch zu veröffentlichen – und wurde Brieffreund von Giannis Kampysis, der sich für die Bekanntschaft Dieterichs mit Vertretern der demotizistischen Bewegung in Athen (Giannis Vlachogiannis, Lampros Porfyras, Ioannis Gryparis u.a.) engagierte.6 Noch als Student veröffentlichte Dieterich in der Zeitschrift Olympia eine „psychologische Studie“ über den spätromantischen Lyriker Achilleas Paraschos, wobei er den die Byron-Mode pflegenden Dichter Alexandros Soutsos scharf kritisierte, um die lebendige Sprache und den Patriotismus des zu seiner Zeit sehr populären Paraschos besser hervorzuheben.7 Zu einer wirklichen Erfahrung der griechischen Kultur gelangte er jedoch erst 1898, als er auf Empfehlung seines Doktorvaters nach Athen reiste, hauptsächlich um die griechischen Dialekte zu erforschen und sich eventuell (als noch arbeitsloser Philologe) um eine Anstellung an der Athener Universität zu bewerben. Eineinhalb Jahre später war er immer noch Privatlehrer für Deutsch und Englisch, ließ sich aber regelmäßig als Gast der literarischen Salonabende bei Kostis Palamas und Kalirroi Parren empfangen, wo er unter dem Spitznamen „Karolakis“ (Karlchen) mit dem Literaturkreis der Demotizisten Umgang pflegte. Es scheint, daß sich Dieterich bei solchen Treffen eher naiv und leichtgläubig erwies, und eine derartige Neugier für idiomatische Redewendungen an den Tag legte, daß er dem berühmten Possenreißer Kostantinos Chatzopoulos damit zur idealen Zielscheibe diente. Dieser versäumte keine Gelegenheit, sich über seinen deutschen Freund lustig zu machen. Der Prosadichter Pavlos Nirvanas (mit eigentlichem Namen Petros Apostolidis) überliefert in seinen Memoiren folgenden Dialog: „Wie sagt 3

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SOYTER, Karl Dieterich, S. 284; ZIEBARTH, Karl Dieterich, S. 89; Ziel des außeruniversitären „Orientalischen Seminars“ war es, „für den auswärtigen Reichsdienst ein Korps linguistisch vorgebildeter Beamten zu schaffen.“ IRMSCHER, Karl Dieterich, S. 247. In Berlin studierte Dieterich Germanistik, Vergleichende Sprachwissenschaft, Neuere Sprachen und Pädagogik. DIETERICH, Untersuchungen; vgl. IRMSCHER, Karl Dieterich, S. 248. MAVILIS, Τα ποιήµατα (Gedichte), S. 13-15. GLÄßEL, Giannes Kampyses, S. 274. DIETERICH, Αχιλλέας Παράσχος (Achilleas Paraschos), S. 314-315.

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man auf Deutsch, mein Karolakis, σκουληκοµερµηγκότρυπα [griechischer Zungenbrecher ohne wirkliche Bedeutung, wörtlich Wurmameisenloch]? – Ah! ... antwortete verblüfft der naive Deutsche. Ein solches Wort gibt es überhaupt nicht auf Deutsch. Chatzopoulos erklärte ihm dann die Bestandteile des verbalen Quatsches und Dieterich übersetzte jedes einzelne Wort [...], bis er daraus eine deutsche σκουληκοµερµηγκότρυπα zusammensetzte“.8 Im Sommer 1940, fünf Jahre nach dem Tod Dieterichs, erinnerte sich der Lyriker Miltiadis Malakassis, ebenfalls ein häufiger Gast im literarischen Salon von Kostis Palamas, an „Karolakis“ Leiden in Athen: „Er saß dort ernst, redescheu und immer wieder überrascht von den ihm unerklärlichen Witzen, den dummen Scherzen und den kindischen Neckereien [...] Bis er sie langsam begreifen und sich daran gewöhnen konnte, mußte er ein richtiges Martyrium erdulden. Ich sah ihn oft sorgenvoll, in seinem Versuch damit zurechtzukommen. Eines Tages gab er einen der sogenannten Scherze derart wieder, daß man ihn öffentlich nicht weitererzählen darf.“9 Trotz alledem blieb Dieterich mit seinem Quälgeist Chatzopoulos eng befreundet; nicht nur hatte er ihn als erster in die Geheimnisse der deutschen Sprache eingeweiht, sondern er unterstützte ihn auch tatkräftig durch ausführliche Aufzeichnungen bei seinem Übersetzungswerk und empfahl ihm zu übersetzende Theaterstücke für das Athener Königliche Theater.10 Umgekehrt übernahm Chatzopoulos die Übertragung von Dieterichs Aufsätzen ins Griechische.11 Wie schutzlos auch immer Dieterich den unvorhergesehenen Schwierigkeiten des griechischen Lebens entgegengetreten zu sein schien, desto überheblicher zeigte er sich in Bezug auf dieses Leben, wenn er seine Erlebnisse deutschen Gesprächspartnern erläuterte. Kennzeichnend dafür ist eine Stelle seines Briefes vom Januar 1900 an Karl Krumbacher:

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«Πώς λέγεται γερµανικά, Καρολάκη, η σκουληκοµερµηγκότρυπα; –Α!... έκανε, ανοίγοντας το στόµα του ο αγαθός Γερµανός. Τέτοια λέξη δεν έχουµε στα γερµανικά. Ο Χατζόπουλος του εξηγούσε τότε τα διάφορα συνθετικά της λεκτικής αρλούµπας και ο Ντίτριχ του µετέφραζε κάθε λέξη ξεχωριστά [...] και του ανταπέδιδε µια γερµανική “σκουληκοµερµηγκότρυπα”», NIRVANAS, Φιλολογικά αποµνηµονεύµατα (Literarische Memoiren), S. 38-39. 9 «Σοβαρός, λιγοµίλητος και έκπληκτος ακόµα σε µερικά ακατανόητα γι’ αυτόν χωρατά, ανούσια πειράγµατα, παιδαριώδη και κουτά, κι ανάλατα µέχρις αηδίας [...] Ο άνθρωπος ώσπου να τα καταλάβει και τα συνηθίσει, εµαρτύρησε. Κυριολεκτικά, εµαρτύρησε! Πολλές φορές τον είδα να αγωνιά, δοκιµάζοντας να τα εννοήσει. Θυµάµαι κάποτε µια από αυτές –ψυχή µου!– τις λεγόµενες φάρσες, την απέδωσε κατά έναν τρόπο που δεν είναι δυνατόν εδώ να εκτεθεί οσοδήποτε σκεπασµένα», MALAKASSIS, Δύο ξένοι νεοελληνισταί (Zwei ausländische Neogräzisten), S. 366-367. 10 Τα γράµµατα του Κ. Χατζόπουλου (Die Briefe von K. Chatzopoulos), S. 100, 118, 146 (1921); S. 21, 101-103 u.118 (1922); ANASTASIADIS, Der Norden im Süden S. 34, 76, 84, 86, 111, 113, 197-200. 11 Siehe z.B. DIETERICH, Παρατηρήσεις (Beobachtungen).

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Man fühlt sich hier an die bedenkliche Tatsache erinnert, daß Athen nur einer Laune Ihres Ludwig I. seine Entstehung verdankt. Ob sich das nicht einmal rächen muß? Ob es sich nicht schon jetzt zeigt in dem Eindruck des künstlichen, gemachten, fast spielkastenartigen Charakters von Athen? – Hat es nicht etwas Ungesundes, wenn die Hauptstadt eines Landes herrliche Gebäude für wissenschaftliche Zwecke, aber kein anständiges Postgebäude, keinen Justizpalast, kein Rathaus, kein ordentliches Ministerium, keine ordentlichen Schulgebäude, bes. für Volksschulen hat? Nirgendwo sieht man die Keime zu einer gedeihlichen Weiterentwicklung, einer zielbewußten Leitung der städtischen Angelegenheiten, die ich wiederum auf den Mangel an Organisationstalent, an positivem Sinn und an dem auf das Große gerichteten freien Blick zu12 rückführe. Gerade das Letztere scheint mir ein Hauptfehler des Volkes zu sein.

In diesem Privatbrief verknüpft sich schon die offensichtliche Skepsis Dieterichs gegenüber den Entwicklungschancen des griechischen Staatswesens mit der Infragestellung der philhellenisch eingerichteten bayerischen Politik in Griechenland. Seine eigentümlichen Thesen zum kulturellen Werdegang der Griechen lassen sich an einem Aufsatz über Ralph Waldo Emerson aufzeigen. Das dort entworfene bipolare Schema verweist zum einen durch die Differenzierung von Individuum und Gesellschaft, antiker Welt und Christentum, aristokratischem Klassizismus und Volksreligion, Traditionalismus und Innovation auf die dem griechischen Leser vertraute kulturhistorische Typologie des Historiographen Spyridon Zambelios; zum anderen bezeugt es aber durch die Verteidigung eines bürgerlichen, nietzscheanisch gefärbten Individualismus gegen die sozialistische Gesinnung und eines latenten Protestantismus gegen die orthodoxe Dogmatik den Abscheu des Verfassers vor jeder Form byzantinischer Kulturtradition.13 Es scheint, daß nach dieser ersten Erkundungsreise Dieterich die griechische Hauptstadt für die nächsten zwanzig Jahre nicht mehr besuchte.14 1902 unternahm er zwar eine Studienreise zu den Sporaden und den Dodekanes, aber lediglich um seine sprachwissenschaftlichen und volkskundlichen Untersuchungen fortzuführen.15 1905 gab er das erste deutsche Wörterbuch der griechischen Volkssprache heraus, das besonders in Görlitz bei dem Umgang mit den größtenteils ungebildeten griechischen Soldaten vielseitige Verwendung gefunden hat.16 Seit seiner Habilitierung für Byzantinistik und Neugriechische Philologie (1909) bis zu seinem Tod (1935), mit Ausnahme der beiden letzten Kriegsjahre, lehrte Dieterich an der Leipziger Universität, zu12 GLÄßEL, Giannes Kampyses, S. 292. 13 DIETERICH, Ralph Waldo Emerson, S. 271-276; vgl. DIETERICH, Ralph Waldo Emerson, Το αυτεξούσιο (Selbstsicherheit). 14 Erst 1924 konnte er die Frühlingsmonate in Athen verbringen, ZIEBARTH, Karl Dieterich, S. 89. 15 DIETERICH, Sprache und Volksüberlieferungen. 16 DIETERICH, Taschenwörterbuch.

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nächst als freiberuflicher Privatdozent und seit Juni 1922 als außerordentlicher Professor.17 Die Einrichtung einer neogräzistischen Professur durch Mittel der griechischen Regierung scheiterte anscheinend an der Ablehnung des Projekts von griechischer Seite.18 Den Richtlinien seines Mentors Karl Krumbacher zufolge forderte Dieterich von seinen Studenten, daß sie die griechische Volkssprache anhand von spätbyzantinischen und neugriechischen Texten, und dies hauptsächlich an Chroniken, Volksliedern und zeitgenössischen Dichtungen, üben sollten. Damit trug er, dem unüberwindlichen Klassizismus zum Trotz, zur akademischen Emanzipierung der Byzantinistik und Neogräzistik bei.19 Der Widerstand Dieterichs gegen die deutschen klassizistischen Griechenlandstereotypen ist auch in der Konzeption seiner Anthologie neugriechischer Lyriker von 1928 deutlich erkennbar. Seinem einführenden Kommentar zu der Gedichtauswahl dienen Verse aus dem Gedicht „Der neue Hellenismus“ als Leitspruch. Es stammt von dem sonst recht unbeachteten Dichter I. Koumarianos: Den Spalten, die antike Quadern ließen, entsproß sein junges Pflänzchen, schmächtig, elend, als spräch’ es: Sonne, leucht’ auch mir, nicht laß mich auf düst’rem Friedhof toten Ruhmes schmachten! Erdrücken würde mich der kalte Marmor! Was soll mir Ärmsten auch ein solches Grabmal? Ich mag nicht Weihrauch, leben will ich nur, 20 sei’s es auch als Magd, ihr stolz Geschlecht vergessend.

Daß sich Dieterich diese Verse nicht wegen ihres poetischen Werts aussuchte, sondern gerade weil sie ganz und gar antiklassisch anmuten, liegt daher nahe, daß Koumarianos nicht zu den für die Anthologie ausgewählten Lyrikern zählt. Die Landschaftsmetaphern in den obigen Zeilen – zum einen die „antiken Quadern“, der „düstere Friedhof toten Ruhmes“, der erdrückende 17 IRMSCHER, Karl Dieterich, S. 250, 254-255; DAFNI, Καρλ Ντίτεριχ (Karl Dieterich), S. 780. Von Juni 1916 bis Juni 1917 war er als erster Sekretär und Abteilungsleiter am bosnisch-herzegowinischen Institut für Balkanforschung in Sarajevo tätig, seit Ende 1917 bis Mai 1918 wurde er als Dolmetscher an der Dolmetscherschule zu Berlin eingesetzt. SOYTER, Karl Dieterich, S. 284. 18 IRMSCHER, Karl Dieterich, S. 254; vgl. DIETERICH, Επιστήµη, επίσηµοι και ανυπεύθυνοι (Wissenschaft und verantwortungslose Staatsvertreter). 19 Die sprachwissenschaftliche Forschung trat in Dieterichs Leipziger Wirkungsjahren gegenüber den kulturgeschichtlichen Untersuchungen im Bereich der Byzantinistik zurück. IRMSCHER, Karl Dieterich, S. 251 und 259; vgl. DIETERICH, Byzantinische Quellen; ders., Hofleben in Byzanz; ders., Byzantinische Charakterköpfe. 20 Das Gedicht „Καινούργιος Ελληνισµός“ wurde der Zeitschrift Igiso (1909) entnommen. DIETERICH, Οι Νεοέλληνες Λυρικοί (Die neugriechischen Lyriker), S. 1028.

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„kalte Marmor“, der Weihrauch, zum anderen das schmächtige, junge Pflänzchen, das leben möchte – veranschaulichen die These, die der Neogräzist aufzustellen suchte. Von zentraler Bedeutung für die in seiner LyrikSammlung übersetzten Texte ist dabei die Frage des Epigonentums. Sie erhob sich um die Jahrhundertwende mit der tiefen Identitätskrise der griechischen Intellektuellen, als sie sich vom Alptraum des erstickenden Klassizismus zu befreien versuchten und nach neuen Orientierungen bzw. nach geistiger Selbständigkeit fragten.21 In Anlehnung an die protestierende Stimme einer uneinheitlichen, aber gleichwohl innovationsfreundlichen Dichtergeneration, mit deren Hauptvertretern der Übersetzer mehr oder weniger befreundet war, setzte er sich explizit den Transfer eines revidierten Kanons neugriechischer Lyrik nach Deutschland zum Ziel. Er wollte die allgemeine, als Wahrheit unterstellte Sicht einer historischen Kontinuität seit der Antike infragestellen. Somit zielt die Auswahl auf ein deutlich differenziertes Hellasbild: die den deutschen Reisenden, Philhellenen, Gräzisten und Künstlern vertrauten archäologischen Stätten, arkadischen Szenen und mythologischen Vorstellungen treten nun in den Hintergrund zugunsten einer neutralen und deshalb desillusionierenden Alltagsdarstellung der moderngriechischen Realität. Die Anthologie Dieterichs läßt sich demnach als Repräsentation einer zeitgemäßen literarischen Strömung innerhalb der Kulturproblematik eines peripheren südeuropäischen Landes erkennen, wie sie einem modernen und weltoffenen deutschen Leserkreis der zwanziger Jahre nicht völlig fremd war. Weniger retrospektiv als prospektiv knüpfte sie an die durch die literarische Nietzscherezeption aktualisierte Erörterung über das „hellenische Erlebnis“ an, indem sie ausnahmsweise das Wort den im Land der Hellenen noch lebenden Nachkommen erteilte. Dieterich war es dabei „nicht nur um einen rein literarischen, sondern ebenso sehr um einen volkspsychologischen [Gesichtspunkt], nämlich den, den modernen Griechen dem modernen Deutschen seelisch näherzubringen“, zu tun.22 Die Gedichtsammlung Neugriechische Lyriker präsentiert auf 105 Seiten beinahe 200 erstmals ins Deutsche übersetzte Gedichte von 40 in der Mehrzahl zu jener Zeit noch lebenden griechischen Dichtern; der älteste darunter, Stefanos Martzokis (1858-1913), war bereits seit 15 Jahren verstorben, während der jüngste, der sechsundzwanzigjährige Panagiotis Kanellopoulos, ein Promotionsstudium in Athen, Heidelberg und München, eine rege schriftstellerische Tätigkeit im Rahmen der deutsch-griechischen Initiativen (u.a. durch Beiträge in der Zeitschrift Hellas) sowie einen in München erschienenen Gedichtzyklus (Η λυτρωµένη από τη γενιά που χάθηκε, Die Befreite aus der ver21 Dieterich bezeichnet die literarische Bewegung um die Sprachfrage als „Sturm und Drangperiode“ der neugriechischen Literatur. DIETERICH, [ohne Titel]; DERS., Geschichte, S. 215. 22 DIETERICH, Neugriechische Lyriker, S. xvi.

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lorenen Generation, 1923) vorzuweisen hatte. Alle ausgewählten Lyriker hatten ihr Werk in der „aus dem Herzen quellenden griechischen Volkssprache“ verfaßt und alle arbeiteten fleißig an der Kultivierung der längst begrabenen Volkslyrik, die während der Zeit „neubyzantinischer Verstandesrenaissance unter der Führung der genannten Phanarioten, deren geistiger Bedeutung noch Goethe gerecht zu werden suchte, die aber doch nur eine klassizistische Oberflächenkultur zu schaffen vermochten und die dem heimischen Volkstum fremd, ja feindlich waren,“ bis zur Vernichtung bekämpft worden sei.23 Auch an dieser Stelle seiner in manchem kühnen Einleitung scheint Dieterich den Kern des deutschen Kultursystems treffen zu wollen. Erkennt er in Goethe einen Verteidiger der Phanariotenkaste, allein weil dieser in Zusammenhang mit der Darstellung von Rizos Neroulos Cours de la littérature grecque moderne von ihrem „höchst bedeutenden Einfluß“ sprach?24 Oder ergreift er vielmehr die Gelegenheit, Goethe für die stereotype Antikerezeption der Deutschen verantwortlich zu machen? So als habe dieser das neue Hellas auf ein Gräberfeld der unübertrefflichen klassischen Antike reduziert und damit die philhellenische Freiwilligen-Begeisterung samt ihrer Ignoranz, ja Verachtung der zeitgenössischen Volkskultur hervorgerufen. Betrachtet man fernerhin die Folgen der in das Kulturland gesetzten philhellenischen Erwartungen – die Wiederbelebung der attizistischen Hochsprache, der antiken Metren und Gattungen, die klassizistischen Bauten der „Ottonopolis“ (Athen), die zu der nationalistischen „Großen Idee“ entwickelte zivilisatorische Mission der Griechen im Osten usw. –, so verknüpft sich bei Dieterich die deutsche Antikenidololatrie, ja Goethe selbst als „Hauptfaktor des literarischen Philhellenismus“, nicht mit der Kulturpolitik der Phanarioten der Osmanenzeit, sondern mit jener klassizistisch ausgerichteten PhanariotenElite des neugegründeten griechischen Königreichs.25 Dieterich erklärt ferner, wie „unter dem Einfluß der Kirche und der aristokratischen Phanarioten, die auch die Schule seit dem 17. Jahrhundert in ihrer Gewalt hatten,“ die Volkskultur „als vulgär geächtet“ wurde und „ein fro23 DIETERICH, Neugriechische Lyriker, S. xi und x. 24 Über Kunst und Altertum. Mittheilungen im vierten bis sechsten Bande 1823-1832, Abt. 1, Bd. 412, S. 321, 19; „daß dieses niedergebeugte Geschlecht, diese von einem abgelegenen Quartier benamseten Fanarioten zu Anfange des achtzehnten Jahrhunderts, auf einmal vom Hofe höchlich begünstigt, an den ersten Stellen des Reichs, als Dolmetscher der Pforte, ja als Fürsten der Moldau und Walachei hervortreten“; vgl. Lesarten zu Band 41, II und 42, I der ersten Abteilung. Abt. 1, Bd. 421, S. 286, 6: „Wenn wir die Vorwürfe, die man diesem Geschlecht zu machen pflegt, mit Klarheit und Billigkeit beurtheilen wollen, so dürfen wir uns nur an die Zustände unsrer hohen Domcapitel erinnern [...] Sie waren im eigentlichsten Sinne die Barmekiden, die Fanarioten von Deutschland.“ 25 KAMBAS, Das griechische Volkslied, S. 302; vgl. DIETERICH, Goethe und die neugriechische Volksdichtung.

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stiger, geist- und seelenloser Klassizismus alle Lebenskeime erstarren zu lassen [drohte].“ Die „seit dem Absterben der antiken Kultur“ begrabene Volkslyrik nahm jedoch „im 14. Jahrhundert neue poetische Keime in sich auf durch die Berührung mit dem veredelten Geiste des Romanentums“ und gelangte seit den 1860er Jahren von den Ionischen Inseln nach Athen, wo sie breit aufgenommen wurde. Dort dominierte bislang „eine akademische Pseudopoesie, die ganz in den Händen dilettierender Professoren, Diplomaten und Journalisten lag und nur einen neuen Aufguß von Byron, Lamartine und Musset gab.“ In Abkehr davon habe sich allmählich die „Veredelung“ der griechischen Dichtung durch Einwirkung von Formen und Themen der westeuropäischen Literatur „von Westen nach Osten“ vollziehen können.26 Kostis Palamas und Georgios Drossinis, den „Hauptvorkämpfern“ des zukunftsorientierten Demotizismus, war es demnach bewußt, daß die geistige Erneuerung eine Archäologen-Aufgabe voraussetzte: es ging dennoch nicht mehr um Ausgrabungen von antiken Ruinen, sondern gerade darum, unter den „schweren Quaderblöcken“ der „tausendjährigen kultur- und lebensfeindlichen Tradition“, welche „die zum Licht sich emporringenden neuen Kräfte gewaltsam niederzuhalten“ suchte, die gefangene aber noch lebendige griechische Volkskultur freizulegen.27 In der Auffassung Dieterichs von der griechischen Volkstümlichkeit spiegeln sich ältere Argumente der Dichter rund um Palamas und die Zeitschrift Techni wider, die sich in Anlehnung an die Sprachtheorie von Psycharis als „Romäer“ (Ρωµιοί) gegenüber den „Hellenen“ (Έλληνες) bezeichneten. Der Kulturvermittler läßt damit die Klagelaute seines 1901 verstorbenen Brieffreundes Giannis Kambyssis ertönen, der ihm am 14. Mai 1897 geschrieben hatte: Das Gewicht meiner Vorfahren ist sehr, sehr schwer … Schon ihr Name erdrückt mich, wie ein Berg, wie der Olymp! ... Ich bin überhaupt nicht frei und bin verurteilt, für ewig ihr Sklave zu sein. Ich kann nichts tun, weil ich ein Nachkomme Euripides’ bin. Die Akropolis glänzt und der Parthenon ist ein unschätzbarer Edelstein dieser gigantischen Krone der Menschheit und der Jahrhunderte, er blendet und überdeckt mich! ... Auch umhergehen kann ich nicht und weine nur ... ich weine, weil ich der unwerte Nachkomme der großen Vorfahren bin! ... Reiße die Geschichte nieder, zerreiße die Bücher, begrabe die Tradition, damit ich etwas lebendig werde, damit ich etwas atmen kann, damit ich auch ein Stück Mensch werde … Damit sie auch mich ansehen und sagen: er ist der Rhomäer! ... Oh! Daß ich nicht länger höre: er ist der Nachfahre der Hellenen!28

26 DIETERICH, Neugriechische Lyriker, S. ix, xi und xv. Der phanariotische Klassizismus wird ebenfalls als „Scheinkultur“ und „epigonenhafter Ahnenkultus“ bezeichnet. DIETERICH, Das neue Griechenland im neuen, S. 74. 27 DIETERICH, Neugriechische Lyriker, S. ix. 28 GLÄßEL, Giannes Kampyses, S. 264 («Το βάρος των προγόνων µου είνε πολύ πολύ µεγάλο... Τ’ όνοµά τους και µόνο µε πλακόνει, σα βουνό, σαν τον Όλυµπο!... Δεν

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Obgleich Dieterich durch die Auswahl meist unkonventioneller bzw. traditionsfeindlicher Dichter den deutschen Griechenlandtopoi frontal entgegentritt, kann seine editorische Initiative insgesamt dennoch nicht als ein neuer Deutungskanon betrachtet werden. Da zahlreiche Gedichte nur teilweise aus kanonisierten Sammlungen, öfter aus zeitgenössischen griechischen Zeitschriften, manchmal sogar auf Empfehlung der betroffenen Lyriker aufgenommen wurden, erhob die Anthologie keinen Anspruch auf Repräsentativität im Hinblick auf die Ursprungsliteratur, sondern fußte lediglich auf intersubjektive oder gar persönliche Vorlieben. Der Herausgeber konnte nur „solche Stücke wiedergeben, die ihn innerlich in Schwingung versetzen und wie von selbst zur Verdeutschung aufforderten.“29 Zu den derart rührenden, den volkspsychologischen Gesichtspunkt stützenden „Stücken“ zählten für Dieterich offenbar nicht die Werke dauerhaft anerkannter Lyriker wie Kostas Karyotakis, Napoleon Lapathiotis, Apostolos Melachrinos oder Romos Filyras.30 Sie nämlich sind in der Anthologie Οι νέοι (Die jungen Dichter, 1922) von Tellos Agras, die Dieterich als Quellenmaterial diente, vertreten, ohne είµαι ελέφτερος καθόλου κι είµαι καταδικασµένος να είµαι αιώνια σκλάβος τους. Να κάµω τίποτα δε µπορώ, γιατί είµαι απόγονος του Εβριπίδη. Η Ακρόπολη λάµπει κι ο Παρθενώνας ατίµητο πετράδι της γιγάντιας αυτής κορώνας της ανθρωπότητας και των αιώνων, µε θαµπόνει και µε σκεπάζει!... Ούτε να περπατήσω δε µπορώ και µονάχα κλαίω... κλαίω, γιατί είµαι ο ανάξιος απόγονος των µεγάλων προγόνων!... Γκρέµισε την Ιστορία, σκίσε τα Βιβλία, θάψε την παράδοση, να ζωντανέψω λίγο, ν’ ανασάνω λίγο, να γίνω κι εγώ κοµάτι άνθρωπος... Να µε κοιτάζουν κι εµένα και να λένε: είνε ο Ρωµηός!... Ω! ας πάψω πια ν’ ακούω: είνε απόγονος των Ελλήνων!») DIMITRAKOPOULOS, Ελληνογερµανικά (Germanograecia), S. 119-120; vgl. GLÄßEL, Giannes Kampyses, S. 267: „Ich werde Ihnen nur sagen, daß wir Rhomäer sind. Wir haben in uns auch viel Saft von den Hellenen und von den Römern und von den Slawen und von den Venezianern und den Albanern und den Türken und von jedem, der bei uns vorbeikam und assimiliert wurde [...] und so bildete sich unsere Rasse, die Rasse der Rhomäer ... Aus einer solchen tausendmal gekreuzigten Rasse entsprang die gigantische Generation von 1821 ... Und, mein Gott, es genügten 70 Jahre lehrerhaftes Gift, daß wir degenerierte Griechen wurden.“ («Μα θα σας πω µόνο πως εµείς είµαστε Ρωµηοί. Έχουµε µέσα µας πολύ χυµό κι από τους Έλληνες κι από τους Ρωµαίους κι από τους Σλάβους και τους Βενετσάνους και τους Αρβανίτες και τους Τούρκους κι από κάθε που πέρασεν από τον τόπο µας κι αφοµοιώθηκε... κι έτσι µορφώθηκεν η Φυλή µας, η Φυλή των Ρωµηών... Από τέτοια φυλή χιλιοδιασταβρωµένη πετάχτηκεν η γιγάντια γενεά του 1821... Και, θεέ µου, άρκεσαν 70 χρόνια δασκαλικό δηλητήριο, να γίνουµε εκφυλισµένοι Έλληνες!») DIMITRAKOPOULOS, Ελληνογερµανικά (Germanograecia), S. 120. Zu der Auseinandersetzung von Romäern und Hellenen siehe u.a. POLITIS, Έλληνες ή Ρωµιοί (Hellenen oder Romäer); PSYCHARIS, Ρόδα και µήλα (Rosen und Äpfel), S. 39 ff; KRUMBACHER, Das Problem, S. 192-194; DIETERICH, Geschichte, S. v und 22; TZIOVAS, The Nationism, S. 77-85; MACKRIDGE, Language and National Identity. 29 DIETERICH, Neugriechische Lyriker, S. xvi. 30 Vgl. X[ENOPOULOS], Οι ποιητές µας (Unsere Dichter), S. 615.

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daß sie irgendeine Berücksichtigung fanden. Es wird behauptet, Sortierung und Auswahl der zu übersetzenden Lyrik für Dieterichs Anthologie seien zunächst im Hause von Palamas auf Empfehlung der dort versammelten Dichter erfolgt.31 Der Gastgeber selbst, der ansonsten seinen deutschen Protegé als Befürworter der Demotizisten-Bewegung wohlwollend behandelte, äußerte sich empört, als er feststellen mußte, daß sein Konkurrent, Konstantinos Kavafis, in der Anthologie Dieterichs mit 12 Gedichten an der Spitze liegt, er dagegen mit nur 10 „Stücken“ den zweiten Rang zugewiesen erhält.32 Einem undurchschaubaren Ordnungsprinzip entsprechend, wurden die zusammengetragenen Gedichte in vier Themengruppen eingeteilt, dabei innerhalb der einzelnen Blöcke in chronologischer Folge. Die erste Gruppe trägt die allgemein gehaltene Bezeichnung „Natur und Leben“, in der „die Pfleger einer sinnig-beschaulichen Heimatlyrik“ versammelt sind, zu denen die heterogenen Dichter Georgios Drossinis und Kostantinos Chatzopoulos als die repräsentativsten zählen sollen.33 Obwohl zwischen den Heimatlyrikern nur ein loser motivischer bzw. stilistischer Zusammenhang besteht, lassen sich die meisten dem Dichterkreis rund um Kostis Palamas und der modernistischen Literaturzeitschrift Techni zuordnen (so etwa Ioannis Gryparis, Miltiadis Malakassis, Ioannis Polemis, Lampros Porfyras u.a.). Bei manchen Autoren dieser ersten Gruppe, vor allem aber bei den „Gedankenlyrikern“ des zweiten Blocks, erkennt der Herausgeber zwar einen „gedanklichen“, aber keinen „künstlerischen“ deutschen Einfluß, der an der erwünschten „poetischen Erneuerung der Antike“ hätte mitwirken können.34 Genau diese war jedoch die Leistung von Dichtern der griechischen Diaspora, die „der heimischen Volkspoesie entfremdet, sich um so williger [unter französischem Ein31 MALAKASSIS, Στο σπίτι του Παλαµά (Bei Palamas), S. 314. 32 In seinem Brief vom 15.8.1929 an Giorgos Katsimbalis nennt er Dieterich einen „Dickschädel“ (βοϊδοκέφαλος), weil er Kavafis zum griechischen Goethe erklärt habe; PALAMAS, Αλληλογραφία (Korrespondenz), S. 26; vgl. PALAMAS, Τα έργα µας εκεί έξω (Die Rezeption unserer Werke); Τρεις µελέτες (Drei Studien); Μια γιορτή στο Μόναχο (Ein Fest in München). Vermutlich war Palamas schon früher wegen der Zurückhaltung Dieterichs gegenüber seinen Werken Ασάλευτη ζωή (Das unwandelbare Leben, 1904) und Τρισεύγενη (Trisevgeni, 1903) gekränkt. DIETERICH, Ο ξένος τύπος (Die Auslandspresse), S. 6. 33 DIETERICH, Neugriechische Lyriker, S. xii. 34 Der geringe deutsche Einfluß auf die griechische Lyrik wird auf kulturhistorische Faktoren zurückgeführt: „Es hängt das damit zusammen, daß den Griechen die große Renaissance der Geister im 15. und 16. Jahrhundert fast völlig verschlossen geblieben war [...] und als sich ihnen dann im späten 18. Jahrhundert zuerst wieder das Fenster nach Europa öffnete, war es die Luft des französischen Rationalismus und Enzyklopädismus, die hereinströmte. Der deutsche Klassizismus, auf dem doch der ganze Philhellenismus der 1820er Jahre sich erhob, hat das neue Griechentum innerlich nicht berührt, und selbst sein Hauptvertreter Hölderlin begann erst neuerdings und auf Umwegen über Frankreich einzudringen.“ DIETERICH, Neugriechische Lyriker, S. xiii.

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fluß] der antiken Kunstpoesie öffneten“. Zu der scheinbar viel versprechenden, doch mehr als fragwürdigen dritten Gruppe „Kulturlyrik“, die antike Stoffe in moderner Gestaltung zu thematisieren oder moderne Stoffe mit antikem Empfinden zu füllen wisse, zählt der Herausgeber die „Antipoden an Weltanschauung und Technik“ Konstantinos Kavafis und Angelos Sikelianos. Ersterer schöpfe aus der „alexandrinisch-römischen Dekadenzzeit“, um „seine eigene, sensible Anlage auf seine Dichtung [zu] übertragen“, letzterer setzte die Antike als „ethische Kraftquelle“ ein, „die ihm zur Schaffung einer neuen, physisch und seelisch vollkommenen Rasse, zu einer Synthese von Athene und Dionysos helfen soll.“35 Die vierte Gruppe umfaßt schließlich die nach bloßem Geschlechtskriterium bestimmte „Frauenlyrik“, deren Thematik, poetische Form und Inspirationsquelle unkommentiert bleiben. Dieterichs bündige Behandlung des zeitgenössischen griechischen Literatursystems in der Einführung zu seiner Lyrik-Anthologie läßt sich demnach als eine denkbare Antwort auf die souveräne Unwissenheit aller Begründer des hellenischen Mythos, auf ihre Geschichtssicht vom nachklassischen bis hin zum neuzeitlichen Griechenland verstehen. Dabei vernimmt man seine Entgegnung auf die hartnäckige Projizierung des heutigen Griechentums, über zwei Jahrtausende hinweg, auf das antike Hellas: „Man suchte entweder das alte Griechenland im neuen oder das neue im alten [...] aber niemand fiel es ein, das neue im neuen zu suchen.“36 In dieser Hinsicht untergräbt die Einleitung zur Anthologie gründlich den deutschen philhellenischen Diskurs. Das Konzept, das hinter Dieterichs Anthologie steht, läßt sich aber noch deutlicher bei Heranziehung seiner Geschichte der byzantinischen und neugriechischen Litteratur erläutern. Darin findet sich das Anthologie-Projekt bereits angekündigt. Diese literaturhistorische Skizze von 1902 hatte er als Parallele zum sprachhistorischen Oeuvre von Georgios Chatzidakis angelegt, das ausgehend von der Spätantike über Byzanz bis hin zur modernen Volkssprache reicht. Dieterich will gleichermaßen eine Interpretation der Jahrhunderte währenden Entwicklung des griechischen Kulturlebens liefern. Dabei lehnt er sich an die kritisch-objektive Behandlung in Karl Krumbachers Geschichte der byzantinischen Literatur an. Dieterichs Konstruktion schließt 35 DIETERICH, Neugriechische Lyriker, S. xiii-xiv. 36 DIETERICH, Das neue Griechenland im neuen, S. 74. Ebenso eine seiner Schriften zum Philhellenismus, parallel zur Anthologie entstanden, bringt die Antinomien des kulturpolitischen Einflusses „deutscher Art“ (von den Kolonisationsplänen bis auf „die bürokratisch-schematische Gesetzgebungswirtschaft, die die Bayern in Griechenland eingeführt hatten und die das erschöpfte Land mit völligem Ruin bedrohte“) ans Licht und kritisiert dabei „die philhellenisch angekränkelten Staatsmänner Preußens und Hessens, die doch immer mehr oder weniger das alte Griechenland im neuen suchten und darüber das neue verkümmern ließen, weil sie es nicht kannten.“ DIETERICH, Deutscher Philhellenismus, S. 47.

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das klassische Altertum aus bzw. läßt es lediglich im idealistischen Begriff des „griechischen Geistes“ abstrakt figurieren.37 Ob nun die Exklusion der Klassik eine Reaktion des Verfassers gegen den in Deutschland immer noch dominierenden Antikekultus anzeigt oder ob sie einfach, dem demotizistischen Ansatz folgend, an die Zivilisation der Koine anknüpft, muß offen bleiben. Der ehemalige Schüler Krumbachers hält immerhin an dessen Ansicht fest, die „unheilvolle Sprachfrage“ sei das stärkste Hindernis einer Modernisierung der griechischen Literatur sowie der Gesellschaft, und behauptet, die Griechen seien das einzige Volk Europas in den Fesseln sprachlicher Sklaverei und, was die Ausbildung einer nationalen Literatursprache angeht, selbst den übrigen Balkanländern gegenüber weit zurückgeblieben.38 Denn statt sich der Sprache als Instrument ihres Geistes zu bedienen, seien sie ganz im Gegenteil zu einem Instrument ihrer Sprache geworden, indem sie ein künstliches Gebilde (gemeint ist die Katharevousa) „wie die wunderwirkende Reliquie eines seit 2.000 Jahren verstorbenen Heiligen abergläubisch durch die Gassen trugen.“39 Diese belastende Situation habe sich, wie Dieterich schließlich erwähnt, aus dem Zusammenwirken philhellenischer Ignoranz und byzantinischer Borniertheit ergeben. Dieterichs Intention ist, eine methodisch konsequente Betrachtung der neugriechischen Literatur für Forscher und Laien anzustellen, in der die historischen Komponenten kritisch aufgezeigt werden sollen. Eben den Mangel an Systematik schreibt er den älteren Literaturgeschichten von A. R. Rangabé und Daniel Sanders, Rudolf Nikolai und Juliette Lamber zu, die er als Arbeiten von Dilettanten charakterisiert. In seinem Werk sollen dagegen die grossen Zusammenhänge dargelegt und durch „poetische Proben“ veranschaulicht werden. Das kulturpsychologische Schema seiner Literaturgeschichte beruht auf der Annahme dreier treibender Kräfte in der Kulturgeschichte des Griechentums: 1. des „Byzantinismus“ oder „Byzantinertums“, das politischen Absolutismus, gesetzliches Formelwesen, dogmatischen Historismus sowie Gewaltherrschaft über die Sprache und damit die Entfremdung des griechischen Geistes von sich selbst bezeichnet, 2. des „Romanentums“ bzw. des wohltätigen westlichen Einflusses als Medium der Wiederzurückführung zu sich selbst und 3. des echten, eigenständigen griechischen „Volkstums“. Indem aber das fortschrittliche Romanentum nach dem Fall des byzantinischen Reiches vom neugriechischen „Volksgeist“ absorbiert worden sei, habe 37 DIETERICH, Geschichte, S. v-viii. Anders als die Literaturgeschichten Krumbachers und Hesselings ist das von Palamas gelobte Werk Dieterichs nie ins Griechische übersetzt worden. PALAMAS, Μια γιορτή στο Μόναχο (Ein Fest in München). 38 Vgl. DIETERICH, [ohne Titel], S. 622. 39 DIETERICH, Geschichte, S. 27 und 160; vgl. DIETERICH, Το Γλωσσικόν ζήτηµα (Die Sprachfrage); ders., Das neue Griechenland im neuen; ders., Η αναγέννηση (Die Wiedergeburt).

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sich allmählich die trimere Spannung zu einer unerlösten inneren Polarität zwischen Verstandeskultur und Schöner Literatur, Gelehrtentum und Volkstum, Neoattizismus und Vulgarismus entwickelt – zwischen Richtungen also, die prinzipiell in westlichen Vorbildern nach Legitimität suchten.40 So habe der im 19. Jahrhundert von der phanariotischen Geistesaristokratie neubelebte Byzantinismus den Sieg durch einen Pakt mit dem aufgeklärten Europa und den klassizistisch orientierten Philhellenen erringen können. Dieterich, der seit knapp zwanzig Jahren an der Leipziger Universität als Byzantinist lehrt, erweist sich folglich in seiner neogräzistischen Tätigkeit als ein extremer Verächter von Byzanz. Die Verurteilung des bereits erläuterten Byzantinismus führt ihn schließlich zu einer quasi Dämonisierung alles dessen, was er für „byzantinisch“ hält: alles Unschöpferische, Pedantische, Zynische, Phantasielose, Unselbständige, Formalistische, Aristokratische, aber auch Demagogische. Byzantinischer Geist impliziere Obskurantismus und Enzyklopädismus, Eklektizismus und Rationalismus, aber auch Kosmopolitismus; dabei bekämpfe er das Nationalgefühl sowie die individuelle Schöpferkraft zugleich: Das Ziel dieser ganzen Entwicklung muß, wenn das griechische Volk es wieder zu einem seines Namens würdigen Geistesleben bringen will, die Befreiung von allem sein, was mit dem Namen Byzanz verknüpft ist, im sprachlichen, künstlerischen und staatlichen Leben [...] Zwei Mächte streiten sich noch um den Besitz des griechischen Volkes: der finstere, fortschrittfeindliche Orient und der lichtspendende, zukunftfreudige Occident. Erst wenn dieser alte Kampf zwischen Asien und Europa [...] endgültig mit dem Siege Europas entschieden sein wird, erst wenn alle byzantinische Reminiszenzen aus dem Charakter des griechischen Volkes schwinden, wenn seine reichen

40 Die angeblich komparatistische Perspektive Dieterichs ist vorwiegend an westliche, häufig zentraleuropäische Kulturmodelle gebunden; „In dem Wettkampf, den Orient und Occident um die Zugehörigkeit des Griechentums führten und der den eigentümlichsten Niederschlag in den Werken des Geistes gefunden hat, hatte bisher der Occident zweimal einen folgenreichen Vorstoß in den Orient hinein gemacht, nämlich mit der Festsetzung erst des französischen, dann des italienischen Elementes im ägeischen Archipel.“ DIETERICH, Geschichte, S. 194; vgl. DIETERICH, Das neue Griechenland im neuen, S. 76: „die ganze moderne Literaturbewegung in Griechenland [geht] zurück auf jene korfiotische Richtung, die wiederum direkt von Italien befruchtet worden ist“; ders., Neue Lyrik (Vergleich des Lyrikers Aristomenis Provelengios zu Geibel, Hebbel, Storm und Jensen); ders., Römer - Romäer - Romanen: im Vergleich zu dem weströmischen sei das oströmische Reich ein „dogmatischer, individuenfeindlicher und weltabgewandter Kirchenstaat“, die Eroberung Konstantinopels 1204 sei demnach für die Belebung einer absterbenden Kunst „ein unermeßliches Glück“, S. 488 und 496.

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Geistes- und Gemütsgaben von allen Vorurteilen befreit sich entfalten werden, erst 41 dann wird auch der Poesie eine volle Blüte beschieden sein.

Die apodiktische Ablehnung des byzantinischen Elements stellt jedoch eine markante Abweichung vom literarischen Wertesystem des griechischen „Sturm und Drang“ dar, dessen Ideale Karl Dieterich dem modernen Deutschen vermitteln wollte. Denn Tatsache ist, daß die Wiederentdeckung von Byzanz durch die romantischen Historiographen Spyridon Zambelios und Konstantinos Paparrigopoulos entscheidend zur Revision des importierten Klassizismus sowie zur Aufwertung der neugriechischen Volkstradition, einschließlich der Volkssprache, beigetragen hatte. Während bei Paparrigopoulos die Rehabilitation von Byzanz hauptsächlich dem Argument der historischen Kontinuität von der Antike über Byzanz bis zur Neuzeit diente, wurde die christlich-byzantinische Komponente im Werk von Zambelios politisch mit der Demokratie, kulturell mit dem Volkstümlichen verbunden.42 Spuren sowohl des Kontinuitätsmodells als auch des griechisch-christlichen Ideologems sind freilich im Werk der meisten Demotizisten erkennbar. Ansonsten sollte Dieterich von seinem Doktorvater Karl Krumbacher gelernt haben, daß eben die Erforschung der spät- und postbyzantinischen volkssprachlichen Literatur, die in der Zeit des romantischen Klassizismus verachtet geblieben war, zur öffentlichen Anerkennung, ja zur wissenschaftlichen Aufwertung der neugriechischen Volkstradition und -sprache geführt hatte. Die Entscheidung Dieterichs, diese wichtige Triebfeder bei der Genese der modernen griechischen Literatur und Ethnologie sowie bei der Formung einer neuen Nationalidentität zu ignorieren, läßt sich mit Sicherheit auf ideologische, sogar auf konfessionelle Voreingenommenheit gegen das Oströmische Reich zurückführen.43 Dennoch bleibt auffällig, daß er in seiner Litera41 DIETERICH, Geschichte, S. 223 und 224; vgl. EIDENEIER, Αναζητώντας (Auf der Suche), 233-237. Dieterich übertrifft sogar Fallmerayer, der Konstantinopel als „das apokalyptische Jerusalem am Bosporus“ bezeichnet hatte, wenn er die Stadt für „die Geburtstätte des östlichen Imperialismus und Theokratismus“, die Osmanen für „mohammedanische Byzantiner“ hält und die zeitgenössische Türkei „das heilige byzantinische Reich türkischer Nation“ nennt. DIETERICH, Imperialismus und Nationalismus, S. 710 und 712. Vgl. DIETERICH, Das heutige Preußen. 42 ZAMBELIOS, Πόθεν η κοινή λέξις τραγουδώ (Woher das gemeine Wort singen), S. 25. Vgl. DIETERICH, Römer - Romäer - Romanen, S. 485-486: „Allerdings ist die Geschichte des byzantinischen Reiches im Grunde nur die Geschichte großer Individuen, die mit äußeren oder inneren Feinden kämpfen, ein großes Zirkusspiel, bei dem das Volk im Zuschauerraum bleibt, eine unorganisierte, ungegliederte Masse, die wohl äußerlich in Parteien gespalten ist, aber auch nur im Zirkus, im übrigen aber nicht in die Geschicke des Staates bestimmend eingreift, keine Standes- und Klassenkämpfe zwischen Patriziern und Plebejern, keine sozialen Reibungen und Verschiebungen hervorruft, wie sie die altrömische Geschichte so lehrreich gestaltet.“ 43 EIDENEIER, Αναζητώντας (Auf der Suche), 233-237.

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turgeschichte die ebenfalls aus dem byzantinischen Erbe schöpfende Schrift To taxidi mou (Meine Reise) von Psycharis immerhin wegen der Sprache als eine epochemachende begrüßt, während er in der Anthologie Dichter wie Palamas und Kavafis, die ihrerseits Byzanz lyrisch repräsentativ thematisieren, nur für ihre antiken oder modernen Stoffe besonders auszeichnet. Bezeichnend für die je einseitige Gewichtung ist, daß er in beiden Werken die kritische Debatte um die Benennung der Neugriechen als „Hellenen“ oder „Romäer“ – eine Frage, die gerade auf das Spannungsverhältnis zwischen heidnischer Antike und orthodoxem Byzanz verweist – auf den Kontrast zwischen altem und neuem Griechenland begrenzt.44 In der Option für letzteres bezeichnet sich Dieterich nicht als „Philhellene“ (Φιλέλληνας), sondern als „Griechenfreund“ (ρωµιόφιλος), da er die modernen Griechen für das, was sie eigentlich sind, und nicht als Nachfahren der Hellenen schätzt. An den Lebenden, nicht an den Toten ist er interessiert. „Der Philhellenismus war die Amme des sprachlosen Kindes, des neugeborenen Griechenland,“ erklärt er.45 Der Philhellenismus ist für ihn jedoch mehr als ein schadloses Überbleibsel der Vergangenheit, als eine rückschrittliche Gesinnung, denn er gründet auf offensichtlichen Lügen. In einem populärwissenschaftlichen Artikel aus dem Jahre 1905 schildert Dieterich folgendermaßen die griechische Realität der Philhellenenzeit: Die Sprache eine Nachahmung der altgriechischen, die Literatur eine Nachahmung der französischen, die Verfassung eine Nachahmung der belgischen, die Schule eine Nachahmung der bayrischen; und der Körper, der alle diese Kulturlast tragen musste, eine schwer zu definierende Mischung patriarchalischen Balkantums mit byzantinischem Atavismus und türkischer Indolenz. So etwa sah das Gebilde aus, von dem das philhellenisch verblendete und klassisch gebildete Europa die Wiederherstellung 46 der antiken Herrlichkeit erwartete.

Für Dieterich erwies sich also der Philhellenismus als Ergebnis naiver romantischer Illusionen und damit als zweifach gefährlich: während die deutschen Philhellenen stets das neue Griechenland mit dem erstarrten Idealbild der Antike identifizierten, wirke sich der Philhellenismus auf die Griechen durch das Axiom, „nur die Wunderkraft des Altertums [könne] ihnen neues Leben einflößen,“ hemmend aus. Das fördere einerseits die geistige Stagnation und die „tatenlose Selbstgefälligkeit“, andererseits den Habitus von „Ausländerei im politischen und im sozialen Leben.“ Von der Forderung, „das Ausruhen auf dem Philhellenismus aufzuhören“, erwartet Dieterich die Erret44 In einem anderen Zusammenhang bezeichnet er jedoch als Romäer „alle griechisch redenden Völker des nationalitätslosen oströmischen Reichs“. DIETERICH, Römer Romäer - Romanen, S. 483. 45 DIETERICH, Το Γλωσσικόν ζήτηµα (Die Sprachdebatte), S. 352. 46 DIETERICH, Das neue Griechenland im neuen, S. 73-74.

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tung der Griechen vom „Joch des Epigonentums“: „Unsre Sprache haben wir fortgeworfen; unsre Lieder haben wir fortgeworfen; unsre Reigentänze haben wir verleugnet... Unsre Musik muß aus Europa, unsre Sprache aus dem Altertum kommen,“ zitiert er den alten Freiheitskämpfer aus Eftaliotis’ Prosaerzählung Tagebuchblätter des alten Dimos (1897).47 Doch mit der scheinbar umwälzenden Kritik an der Klassik-Fixierung zugunsten einer nicht näher definierten Kultur „des Volkes“ wirft Dieterich die geschichtliche Überlieferung selbst über Bord. Ohne die altgriechischen und byzantinischen Fundamente ist die neugriechische Sprach- und Kulturidentität zur Disposition gestellt, und zwar mit Hilfe eines letztendlich ‚rassisch‘ grundierten Kulturbegriffs. Wenn Dieterich in seiner ‚neuen‘ Griechenlandkonstruktion die Kontinuitätsthese, die Paparrigopoulos bei der Einbeziehung des byzantinischen Zeitalters in die Ιστορία του ελληνικού έθνους (Geschichte der griechischen Nation) aufstellte, durch einseitige Eingliederung der griechischen Geschichte in den Kulturkreis der Balkanhalbinsel ersetzt, eröffnet er eben jenes Paradigma. Erste Anzeichen seines ‚neuen‘ Interpretationsschemas, auf das er offenbar nach dem desillusionierenden Athener Aufenthalt verfiel, zeigen sich in seinem „Beitrag zur vergleichenden Volkskunde“. Die Volkslieder und -überlieferungen der einzelnen Balkanländer sind darin als Kulturgüter orientalischen Ursprungs zu einer differenzierungslosen Einheit zusammengefaßt; altgriechische Mythenmotive werden dabei ignoriert.48 Die angeblich genuine kulturhistorische Verwandtschaft der Balkanvölker unterstreicht er in einem Aufsatz für O Noumas, dem Organ der radikalen Demotizisten, sogar im Bereich der Sprachpolitik, wobei auch der autobiographische Anstoß seiner Überlegungen zur Sprache kommt.49 Er habe im Herbst 1899, auf seiner Rückfahrt nach Deutschland, in Bukarest Titu Majurescu, den „rumänischen Psycharis“ kennengelernt, der seine Mitbürger von dem „Fluch der Katharevousa“, dem Latinismus, erlöst habe. Dieser rumänische ‚Pionier der Sprachreform‘, seines Zeichens Universitätsprofessor, Kultusminister und Senator in einem, habe Rumänien, anders als bislang in Griechenland, durch eine zeitgemäße Kulturpolitik stabilisiert. Durch eine flexible Kulturpolitik habe somit Rumänien das selbstgefällige und überschätzte Nachbarland deutlich überflügelt. Mit Blick darauf ergibt sich eine „Balkanisierung“ Griechenlands, die Dieterich für ein Resultat ‚vergleichender Forschungen‘ ausgibt. Auf einen Streich gelingt ihm damit die Revision des Klassizismus und die Herauslösung der griechischen aus der europäischen Sprach-, Literatur- und Kulturwicklung. Mit seiner „Balkanisierung Grie47 DIETERICH, Das neue Griechenland im neuen, S. 74, 123, 128; vgl. S. 123: „Er [der Philhellenismus] hat bewirkt, daß wir von andern erwarteten, was unsre Sache war.“ 48 DIETERICH, Die Volksdichtung der Balkanländer. 49 Vgl. DIETERICH, Ρωµιοί και Ρουµούνοι (Romäer und Rumänen).

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chenlands“ führt er zugleich volkspsychologisch pauschal Kräfte ein, welche sich vom Rasse-Konstrukt kaum noch wesentlich unterscheiden. Die innere Affinität seiner Thesen mit der für die Griechen traumatischen Theorie Fallmerayers und die Ausnutzung beider von der NS-Kulturpropaganda während der Besatzung Griechenlands verdienen eine gesonderte Behandlung.50 Es besteht kein Zweifel, daß die Auffassung Dieterichs aus der damaligen politischen Konstellation entstand: es war gerade die Zeit, als die Nationalismen der Balkanländer im Kampf um Makedonien miteinander heftig konkurrierten. Parallel läßt sich in Deutschland ein bedeutender Aufschwung der Slawistik beobachten, der eine radikale Revidierung des breiteren Forschungsbereichs und dabei auch einen maßgeblichen Rückgang der Studien zu griechischer Kultur und Sprache zur Folge hatte.51 Zwischen 1902 und 1915 verfaßte Dieterich zahlreiche Aufsätze und Zeitungsartikel zur Balkanfrage.52 Kennzeichnend ist immerhin seine Aussage, „die ganze Balkanfrage [sei] ja letzten Endes eine byzantinische Frage.“53 Byzantinisch war anscheinend die Balkanfrage in Bezug auf ihre historischen Wurzeln, weil es dem oströmischen Reich nicht gelungen sei, eine „zähe und zielbewußte äußere Politik“ zu führen, um seine Sprache, nämlich die griechische, durchsetzen zu können: „Als aber das oströmische Reich nach tausendjährigem Bestande in Trümmer fiel, gebar es wohl auch eine Kulturwelt aus seinem Schoße, aber diese Kulturwelt war keine romanische, sondern eine slawische.“54 Diese Schwäche übertrug dann Dieterich auf die modernen Griechen, die den Byzantinismus und die rückschrittliche kirchliche Autorität länger als die anderen Balkanländer erduldeten, sodaß sie erst mit deutlicher Verspätung ihre moderneuropäische Identität erringen konnten. Ob die gänzliche Revision der byzantinischen kulturellen Komponente bis zur Umwertung ins Antithetische durch Karl Dieterich, Lehrstuhlinhaber der Byzantinistik, als symbolischer Vatermord am Begründer der Byzantinistik erklärbar ist, sei einmal dahingestellt; nur eine sachliche Explikation seiner Ideologeme führt an dieser Stelle weiter. Wie bereits aufgezeigt, leitet er den erstickenden Klassizismus der Phanarioten, den „Fluch des Epigonentums“ in der Folge, ausschließlich vom Neubyzantinismus ab. Er zieht daraus einen zweifachen Gewinn an Argumenten: die historische Klassik, bezogen auf die deutsche Wilhelminische Zeit, wird zum einen aufgewertet, und ihr gegenüber ist nun zum anderen das moderne Hellenentum als tumultartiger Kampfplatz wiederum dichotomischer Mächte in Szene gesetzt. Es tritt die 50 51 52 53

FLEISCHER, Η ναζιστική εικόνα (Das Griechenbild der NS). THUMB, Die neugriechische Literatur, S. 246-264. Vgl. IRMSCHER, Karl Dieterich, S. 251-252. DIETERICH, Byzantinische Charakterköpfe; zitiert in: IRMSCHER, Karl Dieterich, S. 251. 54 DIETERICH, Römer - Romäer - Romanen, S. 486.

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„finstere, fortschrittfeindliche“ Macht des Orients auf, verknüpft mit dem Faktor Byzanz, geschuldet der geistigen Blindheit der Athener Klassizisten, und gegen sie erhebt sich ihre Gegnerin, die „lichtspendende, zukunftsfreudige“ Macht des Okzidents, eben die, die den Beginn der neugriechischen Poesie mit Dionysios Solomos inspirierte. Der Zwiespalt in der griechischen Welt zwischen Osten und Westen ist dabei zu einem dämonisierten Konstrukt verzeichnet, das es Dieterich erlaubt, Pseudoklassizismus und eine nicht heimische, byzantinisch-osmanische bzw. orthodox-traditionelle Komponente der neugriechischen Identität einerseits auszumachen und andererseits die volkssprachliche Dichtung der Ionischen Inseln mit der demotizistischen Bewegung der 1880er Jahre und den europäisch-modernen Aspekten der Volkskultur zu identifizieren, wobei die letztere sich bereits seit dem 4. Kreuzzug vom byzantinischen Mittelalter emanzipiert und konstruktive westliche Vorbilder zu assimilieren versucht hätte. In der Anthologie Neugriechische Lyriker bekräftigt Dieterich seine Verpflichtung auf den wilhelminisch bildungsbürgerlichen Klassizismus durch das Vorwort Gerhart Hauptmanns.55 Dieser begrüßt mit warmem Zuruf „die Muse des modernen Griechenlands und ihren Dichterkreis“ und dessen angebliche „Rückkehr zur Heiterkeit der Antike“. Auch wünscht er Hellas, dem Land Pindars, das offenbar nicht das seiner bedeutungslosen Nachfahren ist, es möge stets sein Herz „nach Schönem aus Gott“ trachten lassen.56 Vonseiten des Herausgebers wiederum ist nicht nur Hauptmanns Ansicht einer Übereinstimmung von Volksseele und Literatur, von deutschem und griechischem „Schicksal“ geteilt, sondern auch dessen zunehmend emotional geprägter Nationalismus ausdrücklich unterstützt. So will die Anthologie nur Gedichte, die „wie von selbst zur Verdeutschung aufforderten,“57 aufnehmen und darüber das Beispiel eines neugriechischen Kanons aufstellen. Karl Dieterich belehrt aber auch seine griechischen Freunde. Ihre Zukunft auf europäischem Kulturgebiet liege in den Kräften aus der älteren Volkspoesie und nur „in der auf dieser sich aufbauenden neuen Kunstpoesie,“ welche sich mit dem „formgebenden Prinzip künstlerischer Gestaltungskraft“ des Okzidents harmonisch kombinieren lasse: ex occidente lux!58 Hätte es in Deutschland frühere Versuche einer repräsentativen Darstellung der neugriechischen Dichtung gegeben, wie es bei anderen jungen Literaturen der Fall war, so könnte man freilich von einer produktiven Dekanonisierung59 in Dieterichs Anthologie sprechen. Die vereinzelten deutschspra55 Vgl. in diesem Band den Beitrag von Dorothea Ipsen, „Visionäre Aneignung der Antike“. 56 DIETERICH, Neugriechische Lyriker, S. vii. 57 DIETERICH, Neugriechische Lyriker, S. xvi. 58 DIETERICH, Geschichte, S. 154 und 223. 59 KORTE, K wie Kanon.

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chigen Kompilationen neugriechischer Texte aus dem 19. Jahrhundert können jedoch keineswegs als Versuch einer Kanonisierung aufgefaßt werden. Die dreibändige Eunomia (1827) Karl Ikens und Theodor Kinds etwa beschränkte sich im Rahmen einer philhellenischen Werbung auf Sprach- und Informationsmaterial für Griechenlandneugierige. Und der zwischen 1877 und 1881 in Athen erschienene, zweisprachige Neugriechische Parnass von Antonio Manaraki, eines fleißigen Deutschlehrers an der Militärschule in Athen, fungierte vor allem als Übersetzungsübung. Darin waren in acht Heften unterschiedliche Gattungen, Stiltendenzen und Sprachformen verschiedenster Autoren planlos versammelt, vom Anakreontiker Athanasios Christopoulos bis zum Symbolisten Ioannis Papadiamantopoulos alias Jean Moréas über den Spätromantiker Achilleas Paraschos. Das Bändchen von August Boltz schließlich, Hellenische Erzählungen (1887), verfolgte eine linguistische Absicht mit seiner Kompilation von Erzählungen, Märchen und Balladen, um von der Spannbreite zwischen neugriechischer Literatursprache und den Dialekten zu zeugen. So illustriert Dieterichs Lyrik-Anthologie exemplarisch vor allem die eigenen neuromantisch orientalistischen Auffassungen, denen zufolge eine gegenüber der abendländischen Überlieferung ins Hintertreffen geratene Literatur eines „balkanisierten“ Volkes mit Hilfe von Übersetzungen ins Deutsche zu nationalem Fortschritt zu verhelfen sei. Zwar stimmt dabei Dieterichs Argumentation in ihren Prämissen noch mit den Reformbestrebungen griechischer Intellektueller im Kreis um Palamas überein, doch der ehemalige „Karolakis“ der Athener Salons will jetzt seine ‚germanische Überlegenheit‘ nicht weiter hintanstellen. Ist Dieterichs Anthologie mit dieser Vorgabe bei einer deutschen Leserschaft auch als neuer Deutungskanon griechischer Literatur und als eine den Philhellenismus überwindende Griechenlandwahrnehmung bemerkt und verstanden worden? Seine auf den ersten Blick bahnbrechende Initiative, „ein neues Griechenland im neuen“ vorstellen zu wollen, ist vorab durch das Geleitwort seines „literarischen Protektors“ Gerhart Hauptmann untergraben. Dessen theatralische Töne über „die schmerzlich erregte Seele des Griechenvolkes hinter Schleiern“, über „die Wahrheit eines ursprünglichen Erlebens“ und „die Wolke eines gemeinsamen Schicksals“, führen eindeutig auf den philhellenisch rechten Weg der Hyperion-Sehnsucht zurück. Die pathetische Intonation des Paratextes und das mit Mäandern verzierte Cover lenken die Rezeption der Sammlung bereits für den Käufer. Aber auch der hellaserfahrene Theodor Däubler, der 1929 das Buch für die Preußischen Jahrbücher rezensierte, glaubte nicht, auf die übliche Rhetorik des idealistischen Lobpreises und die schwärmerische Melodie des Mittelmeeres verzichten zu können. Er begrüßte die Anthologie des „besten Kenners des Neugriechischen“ als eine „frische, eigenartige, teilweise volkstümliche Lyrik“,

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durch die „unser“ Griechenland, die Heimat der europäischen Kultur, in der sich die Einheit von Mythos, Natur und Seelenraum finde, den Deutschen näher gebracht wird. Wie eine magische „Urgewalt“ nach Jahrhunderten der Knechtschaft sei das Land der Hellenen nun erwacht und glücklicherweise immer noch von sangesmutigen Menschen bewohnt.60 Stärker als Dieterich beabsichtigte, unterstrich Däubler ein classic revival in neugriechischer Sprache. Von den antiken Rhapsoden unterschieden sich die heutigen Dichter nunmehr durch ihr „künstlerisches Organ“, die Volkssprache. Doch scheint die „Tochtersprache“ des alten Griechisch ausschließlich deswegen tolerierbar, weil sie antike Mythen und Überlieferungen wiederbeleben und Zeus, Athena oder Dionysos aufs neue authentisch zu feiern in der Lage sei. Und eben dies „verknüpft uns mit diesem Volk viel enger als mit anderen Stämmen des Balkans oder nahen Orients.“61 Auch bei Däubler wecken sie pathetische Resonanz. Der Rezensent lobt, wie „mit moderner Heftigkeit“ die antiken Elemente sich im Neugriechischen ausdrückten und dabei in der deutschen Übersetzung „ganz unbalkanisch, durchaus westlich“, wie von „deutschem Empfinden“ durchdrungen, erklängen.62 Grundsätzlich in ihrer Intention innovativ, hatte sich die Anthologie auf die relativ junge literarische Bewegung um Palamas konzentriert, deren Ziel ein Neuentwurf der kulturellen griechischen Identität im Einklang mit dem Alltagsleben der Gegenwart war. Die Repräsentation dieses Unterfangens im Deutschen wäre im Ansatz lohnend gewesen, selbst wenn der Herausgeber dabei, wie geschehen, alle weiteren neusymbolistischen, ästhetizistischen und frühmodernistischen Richtungen der neugriechischen Poesie ignorierte. Doch – mit oder ohne Absicht – festigt sie das vertraute Griechenland-Gemälde deutscher Sprache, auf dem die einmalige Landschaft der Mythologie von Menschen bevölkert ist, die niemals überdrüssig werden, ihre Vergangenheit – in welcher Sprache auch immer – zu besingen.

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ANDREA SCHELLINGER

Zwischen den Stühlen Der Kulturmittler Alexander Steinmetz

Während Helmut von den Steinen, der griechischen Moderne den Puls fühlend, schon wenige Monate nach der ersten Publikation von Giorgos Seferis’ Gedicht Der König von Asine 1939 den späteren Nobelpreisträger1 in dessen Athener Büro im Außenministerium aufsuchte mit verschiedenen Fragen zu einer letztlich nie publizierten Übertragung dieses Textes,2 entdeckt man bei Alexander Steinmetz, dem ersten deutschen Übersetzer des Weltbestsellers Alexis Sorbas von Kazantzakis,3 noch im Jahr 1963 einen eher beiläufigen Hinweis auf den dichtenden Diplomaten als „Vertreter des gemäßigten Surrealismus.“4 Der Beitrag zum Thema „Neugriechische Dichtung“, dem diese Bemerkung entnommen ist, war einer der letzten von Steinmetz publizierten Texte. Damals war er immerhin schon 84 Jahre alt und lebte, folgt man dem entsprechenden Hinweis seines Freundes und Förderers Kurt Graf von Posadowsky-Wehner, bis zu seinem Tod 1973 in einem Altersheim in Traunstein/Bayern.5 Dort verliert sich auch die Spur seines Nachlasses, in dem zumindest drei unpublizierte Romanübertragungen gelegen haben müssen: Konstantinos Theotokis, Ο κατάδικος (Der Sträfling), 1918; Grigorios Xenopoulos, Αναδυόµενη (Venus-Aphrodite), 1923; Dimitrios Tangopoulos, Πλάϊ στην αγάπη (An der Seite der Liebe).6 1 2

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1961 erhielt Giorgos Seferis als erster griechischer Autor den Nobelpreis für Literatur. SEFERIS, Μέρες III (Tage III), Athen: Ikaros, 1977, S. 264 (3. Dezember 1940): „Την άλλη µέρα ο von den Steinen στο γραφείο µου […] έρχεται αφού µου έστειλε το πρωί µια γερµανική µετάφραση του ‚Βασιλιά της Άσίνης‘“ („Am nächsten Tag von den Steinen bei mir im Büro, nachdem er mir vorab morgens eine deutsche Übertragung des ‚Königs von Asine‘ geschickt hatte“). Erschienen 1952, sechs Jahre nach der 1. Fassung des Originals – die zweite Fassung wurde von Kazantzakis erst 1954 autorisiert: KAZANTZAKIS, Alexis Sorbas. Ein Jahr zuvor war im Berliner Herbig-Verlag der Roman Griechische Passion in der Übersetzung von Werner Kerbs erschienen. STEINMETZ, Neugriechische Dichtung (1963/64), S. 124; im letzten Absatz liest man: „Um 1925 melden sich auch in Griechenland die Surrealisten […] Dichterlinge […] Ein Vertreter des gemäßigten Surrealismus ist Georgios Seferis, […] zu subjektiv […] viele einseitig charontisch-pessimistische Töne“. POSADOWSKY-WEHNER, Alexander Steinmetz, S. 77-79. AIMILIANIDIS, Γερµανοί ελληνισταί (Deutsche Gräzisten ), S. 1353-1354. Tangopoulos’ Roman (mit dem Untertitel «ροµάντζο»; Liebesgeschichte) wurde 1920 in Folgen

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Wer war Alexander Steinmetz, von Georg Veloudis als literaturmittelnder „Weichensteller“ bezeichnet,7 und welche Rolle hat er im griechischdeutschen Literaturtransfer des 20. Jahrhunderts gespielt?

1. Die Person Der Versuch einer Antwort stützt sich auf unterschiedliche Quellen, zum großen Teil Übersetzungen von Steinmetz aus dem Griechischen sowie seine literaturkritischen, feuilletonistischen bzw. landeskundlichen Beiträge, aber auch einige Publikationen und Übersetzungen aus der deutschen Muttersprache ins Griechische. Das meiste ist in der Tages- und Monatspresse erschienen, vieles auch in der Zeitschrift Stimmen aus dem Südosten der Deutschen Akademie.8 Darüber hinaus fanden sich Beiträge zu Anthologien,9 ein paar erhaltene Briefe10 und Berichte des Lektors bzw. späteren Leiters der „Mittelstelle für Deutsch-Griechischen Kulturaustausch Athen“,11 der Personalbogen des Mitarbeiters der Deutschen Akademie (in mehreren Fassungen)12 und einige Artikel Dritter über sein Wirken, von denen lediglich ein einziger bereits zu Lebzeiten publiziert worden ist. Eigenen Angaben zufolge muß er,13 geboren am 6.12.1879 in Hameln als Sohn eines Chemikers, zum ersten Mal 1902 nach Griechenland gekommen sein, damals 23 Jahre alt. Der Beweggrund? Vermutlich eine durch den Alt-

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in der Zeitschrift O Noumas veröffentlicht. „S.“ für Siehe nur dort beibehalten, wo es unbedingt nötig ist. VELOUDIS, Germanograecia. Bd. I, S. 377. Die „Deutsche Akademie“, 1925 in München gegründet, anfangs ein privater Verein zur Förderung deutschsprachiger Minderheiten in Südosteuropa, fokussierte rasch auf die Vermittlung der deutschen Sprache im Ausland, um ab 1930 Zuschüsse vom Auswärtigen Amt zu erhalten. 1941 wird aus dem Verein eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die zunehmend unter die Kontrolle des Reichspropagandaministeriums gerät. 1945 wird sie aufgelöst. Die Zeitschrift Stimmen aus dem Südosten, herausgegeben vom Südost-Ausschuß der „Deutschen Akademie“, erschien von 1937-1943. Veröffentlichungsverzeichnis A. Steinmetz im Anhang. Einmal darauf hinweisen, daß die weiteren Titel ebenso hier zu finden sind, dann können die darauf hinweisenden Fußnoten dazu gestrichen warden, z.B. FN 13 u.a.. Sie liegen in der Handschriftenabteilung des Deutschen Literaturarchivs Marbach: a. 2 Briefe an Will Vesper: 76.3711/1-2; b. Brief an Zeitschrift Die Wandlung: 7410992; c. Verlagsvertrag (Willi Weismann) 84.2924. Z.B. aus Chania oder Kavala, s. Personalakte Dr. Alexander Steinmetz, R/51 10108 (2 Hefte), Bundesarchiv; eine Kopie des „Arbeitsberichts“ der „Mittelstelle für DeutschGriechischen Kulturaustausch“ vom 6.2.1944, unterzeichnet von A. Steinmetz, befindet sich im Besitz der Autorin. S. Personalakte. Die biographischen Daten sind weitgehend der Personalakte entnommen (Anm. 11).

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griechisch-Unterricht am Humanistischen Gymnasium in Zeitz und Jena (1890-1901) genährte Idealisierung des Landes der verehrten Antike, kombiniert mit jugendlicher Abenteuerlust nach dem Ende der Schulzeit und nur einem Jahr Philologiestudium in Jena. Schon 1897 wäre der damals 18jährige „gern als Freiwilliger nach Griechenland geeilt“, so Posadowsky im Nachruf, um auf Kreta am Aufstand gegen das Osmanische Reich teilzunehmen. Griechenland, in dessen Hauptstadt er sich – und ab 1911 auch eine griechische Ehefrau (Evgenia?)14 und Tochter – mit Deutschunterricht bei gut situierten Athener Familien ernährt und später als Lehrer an der Staatlichen Handelsschule auf Syros tätig ist, sollte sein Aufenthaltsort zunächst bis 1916 sein; genügend Zeit also, um die Sprache zu lernen und sich mit der damaligen Literaten- und Literaturszene bekannt zu machen. Er freundet sich mit Dimitrios Tangopoulos an, einer der Schlüsselfiguren der damaligen Literatenszene und Herausgeber der Zeitschrift O Noumas schreibt für sie kürzere Texte zu sozialpolitischen Themen, übersetzt gar ein Grimmsches Märchen ins Griechische. In griechischen Intellektuellenkreisen gilt er als „Sozialdemokrat“.15 Die erste bisher nachgewiesene Publikation einer Übersetzung von Steinmetz (wohlgemerkt vom Deutschen ins Griechische!) im Jahre 1908 betrifft einen Auszug aus der Schrift Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft von Friedrich Engels.16 1916 verläßt er das Land, wohl dem Druck der politischen Umstände gehorchend, läßt seine kleine Familie zurück und geht als deutscher Kriegsteilnehmer17 an die sogenannte Balkanfront, anschließend zur Reichswehr nach Berlin. 1920 zieht er 14 Was sonst legte die Tatsache nahe, daß der Name Evgenia Steinmetz 1912 in der Zeitschrift O Noumas auftaucht? S. STEINMETZ, Ο στραβός µουζικάντης (Der verquere Musikant), S. 198-199; STEINMETZ, Ένοχος? (Schuldig?), S. 293-294; s. auch: UELLNER, O Numas, S. 274, sowie den Hinweis auf Frau und Tochter im Nachruf des Freundes Posadowsky (POSADOWSKY-WEHNER, Alexander Steinmetz, S. 77). In den verschiedenen Personalbögen für die „Deutsche Akademie“ hat Steinmetz jedenfalls diese Ehe und das aus ihr entstandene Kind verschwiegen, aus welchen Gründen auch immer. 15 KORDATOS, Ιστορία του ελληνικού εργατικού κινήµατος (Geschichte der griechischen Arbeiterbewegung), S. 10: „Κυρίως όµως ο γερµανός δόκτορας που βρίσκονταν τότε στην Ελλάδα, σπουδάζοντας τη νεοελληνική γλώσσα και φιλολογία γίνεται ο πολύτιµος συνεργάτης του Κόκκινου και ο καλύτερος συντάχτης του Μέλλοντος. Ο Στάινµετζ είταν σοσιαλδηµοκράτης και γι’ αυτό είταν µπασµένος καλά στον επιστηµονικό σοσιαλισµό.“ (Vor allem aber der deutsche Doktor, der sich damals in Griechenland aufhielt und griechische Sprache und Philologie studierte, wird ein geschätzter Mitarbeiter von Kokkinos und der beste Redakteur der Zeitschrift Mellon. Steinmetz war Sozialdemokrat und daher erstaunlich sattelfest im wissenschaftlichen Sozialismus“). 16 ENGELS, Η εξέλιξις (Die Entwicklung), S. 2-3. 17 Personalbogen der „Deutschen Akademie“ München v. 11.10.1941, wo Steinmetz angibt: „31.1.1917-13.10.1918 Gefreiter“.

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nach München, um bei August Heisenberg „Mittel- und Neugriechische Philologie“ zu studieren. Mit der Dissertation Untersuchungen zu den Klephtenliedern schließt er 1923 sein Studium ab. Er wird dann Sekretär beim Griechischen Generalkonsulat in München und somit Ansprechpartner für viele dort studierende griechische Wissenschaftler, u.a. auch für den Sprachwissenschaftler Emmanouil Kriaras.18 1933 tritt er in die Abteilung „Auslandslektorate“ der Deutschen Akademie ein, um im Oktober desselben Jahres – diesmal institutionell abgesichert – als nach Chania entsandter „Lektor für deutsche Sprachkurse“ ins geliebte Griechenland zurückzukehren.19 In der kretischen Hafenstadt wird er rasch Vorstandsmitglied eines von ihm mitinitiierten „Griechisch-deutschen Vereins e.V. – Freunde der Deutschen Akademie“, der 48 griechische bzw. 7 deutsche Mitglieder vorweist und eine Vereinsbibliothek besitzt. In einem am 31.7.1934 von Franz Thierfelder, dem Generalsekretär der Deutschen Akademie20 unterzeichneten Arbeitsvertrag mit der Deutschen Akademie wird er zum „Leiter für deutsche Sprachkurse in Candia“ (Kreta) ernannt.21 Jedoch schon Mitte 1935 holt die Zentrale der Deutschen Akademie Steinmetz als Pressereferenten nach München, wo er parallel einen Lehrauftrag für Neugriechisch an der Universität wahrnimmt; seit 8.5.1928 mit Emilie Salzl verheiratet, endet diese zweite Ehe am 20.10.1938 durch den Tod der Frau. Ab 1.11.1939 schickt man ihn für ein Jahr (bis 20.11.1940) als „Lektor“ nach Kavala (Steinmetz schrieb in seinen Berichten „Kawalla“), dann fährt er erst wieder am 5.11.1942 in Richtung Süden, diesmal nach Athen als „Mittelstellenleiter“, eine Platzierung, die beiderseits als Interimslösung betrachtet wird. In Athen betraut ihn 1943 Rudolf Fahrner, der damalige Direktor des dortigen „Deutschen Wissenschaftlichen Instituts“ zusätzlich mit der Leitung der Sprachabteilung des DWI.22 Fahrner hat sich einige Zeit später in einem für Steinmetz kritischen Konflikt mit der Auslandsvertretung per Schreiben vom 21.2.1944 an die Leitung der „Deutschen Akademie“ für Steinmetz verwendet: „... kann nur sagen, dass ich die Deutsche Akademie in Athen noch nie so blühend gesehen habe.“23 Umso verwunderlicher ist, daß Steinmetz im einschlägigen Kapitel von Fahrners Biographie kein einziges Mal erwähnt wird.24

18 KRIARAS, Αλέξανδρος Στάινµετς (Alexander Steinmetz), S. 647. 19 In Griechenland unterhielt die „Deutsche Akademie” mehrere Dependancen, Lektorate genannt, in Athen die „Mittelstelle für Deutsch-Griechischen Kulturaustausch“. 20 Zu Dr. Dr. Thierfelder, bis 1937 Generalsekretär der „Deutschen Akademie“ und 1951 eines der sieben Gründungsmitglieder des Goethe-Instituts s. MICHELS, Von der Deutschen Akademie. 21 Personalakte. 22 HAUSMANN, Auch im Krieg, S. 246. 23 Personalakte. 24 Die Athener Jahre (1939-1944). In: FAHRNER, Erinnerungen, S. 189-235.

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Noch vor seinem im Zuge des Kriegsverlaufs erzwungenen Weggang aus Athen am 2.10.44 (auf den Abreisebefehl von Ende August 1944 hin) erscheint im Leipziger Meiner-Verlag der von ihm besorgte, übersetzte und mit einem Nachwort versehene Band Der Traum auf den Wellen mit 31 Erzählungen von Alexandros Papadiamantis über Michail Mitsakis bis Kostas Uranis. Am 16.12.1944 erreicht Steinmetz nach 80 (!) Reisetagen und längeren von ihm ironisch als „Geländeübungen“ bezeichneten Fußmärschen25 Wien mit dem letzten Transport und wird von seinem Dienstherrn, der inzwischen aus dem Münchner Maximilianeum in die schwer zu erreichende „endgültige Ausweichstelle Schloß Höch“ übergesiedelte „Deutsche Akademie“, „im Namen des Herrn Generalsekretärs [...] herzlichst wieder in der Heimat“26 begrüßt. Im Februar 1945 kommt es zu Gesprächen mit der Leitung der Deutschen Akademie über die „Weiterverwendung“ entsprechend einer von Steinmetz selbst verfaßten Projektliste, auf der neben einem DeutschNeugriechischen Wörterbuch eine Arbeit über die deutsch-griechischen Kulturbeziehungen seit 1900 sowie die Übertragung deutscher Literatur ins Griechische (!) steht;27 zunächst teilt man ihm am 1.3.45 schriftlich mit, daß er nunmehr „vermutlich zur Klasse Forschung und Wissenschaft oder zum Goethe-Institut“28 gerechnet werde, letzteres seit 1932 eine Abteilung der „Deutschen Akademie“ „zur Fortbildung ausländischer Deutschlehrer.“29 Ein definitiver Bescheid über sein künftiges Aufgabengebiet geht in den Wirren des Kriegsendes unter; zum 31.12.45 wird die „Deutsche Akademie“ von der US-Besatzung aufgelöst. Nach 1945 lebt Steinmetz in Oberbayern, weiterhin emsig bemüht, Übersetzungen und Artikel über Griechenland und seine Literatur zu publizieren.30 Parallel hält er den Kontakt zu Zeitschriften und Autoren in Griechenland. 1949 wendet er sich an Dolf Sternberger, den Chefredakteur der Zeitschrift Die Wandlung, und bietet ihm die Anklageschrift gegen die Offiziere des Kalavryta-Massakers in der deutschen Übersetzung an,31 offensicht25 Am 2.1.45 schreibt er an die Zentrale seiner Dienststelle: „[...] daß ich sehr häufig zusammen mit meinen Leidensgenossen über felsige Boden, Moräste und unglaublich verschlammte Wege laufen mußte, um den Fliegern [...] zu entgehen [...] Wir glichen alle mehr oder weniger den Rückzugsgestalten der Großen Armee von 1812“, s. Personalakte. 26 Brief des Leiters der Abteilung Auslandslektorate an A. Steinmetz vom 9.1.1945, s. Personalakte. 27 Die Liste, handschriftlich datiert auf 28.1.1945, liegt in der Personalakte. 28 So im Schreiben Dr. Stroedels, Leiter der Abteilung Auslandslektorate, an Steinmetz vom 1.3.1945 aus dem Hotel Goldener Löwe in Salzburg, s. Personalakte. 29 MICHELS, Von der Deutschen Akademie zum Goethe-Institut, Artikel 44466. 30 U.a. in Hellas, Merian. 31 Brief von A. Steinmetz an Dolf Sternberger vom 13.6.1949; Original in der Handschriftenabteilung des Deutschen Literaturarchivs Marbach (Anm. 10). Eine Durch-

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lich ohne die erhoffte Resonanz zu finden. 1952 erscheint die Übersetzung von Alexis Sorbas, deren Taschenbuchrechte bereits 1955 der RowohltVerlag erwirbt, 1972 wird sie auch im DDR-Verlag ‚Volk und Welt‘ herausgegeben. Bis heute ist diese Übersetzung im Buchhandel erhältlich.32 Ein Lehrbuch für Neugriechisch von Heinz F. Wendt bei Langenscheidt, „völlig durchgesehen von Alexander Steinmetz“, ging noch 2002 in die 18. Auflage!33 Unter den Ausgaben der Zeitschrift Hellas gibt es Hefte, die gleich mehrere Publikationen von Steinmetz verzeichnen,34 auch wenn die Redaktion in einer kurzen biografischen Notiz seine Jahre bei der „Deutschen Akademie“ unerwähnt läßt.35 Das Merian-Heft Athen und Attika von 1958 führt ihn als Übersetzer an.36 In dem zwischen 1964 und 2002 regelmäßig erscheinenden Jahrbuch Hellenika der „Vereinigung der Deutsch-Griechischen Gesellschaften“ sucht man seinen Namen allerdings vergebens, sieht man einmal vom Nachruf aus der Feder Posadowkys ab; dessen unpublizierte „Erinnerungen“ führen einen Schlaganfall kurz nach Steinmetz’ 90. Geburtstag an, in dessen Folge ein direkter Kontakt offenbar nicht mehr möglich gewesen ist.37 Die von Posadowsky im Nachruf erwähnten Aufsätze von Steinmetz in nachkriegsdeutschen Tageszeitungen warten indes noch darauf recherchiert zu werden.

2. Der Kulturmittler Alexander Steinmetz kann im Sinne der „Transfertheorie“ als typischer Akteur der kulturellen Vermittlung bezeichnet werden.38 Allerdings agierte er von Anfang an – Kunststück genug! – auf zwei verschiedenen Ebenen. Als

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sicht der Hefte der „Wandlung“ zeigt, daß es nicht zu einer Publikation gekommen ist, und das, obwohl der Redaktionsteil „Dokumente und Berichte dieser Zeitschrift“ – worauf Steinmetz in seinem Schreiben auch hinweist – sich gezielt mit Krieg und Kriegsfolgen in besetzten Ländern befaßte. Ein Antwortschreiben von Sternberger ist nicht bekannt. 2006: 52 Auflagen, d.h. schätzungsweise ca. 750 000 Exemplare. Langenscheidts praktisches Lehrbuch Neugriechisch, Berlin 2002. Z.B. Hellas, H. 4, 1962/1963: Übertragungen von Gedichten bzw. Erzählungen von Solomos, Mavilis, Eftaliotis und Petsalis. Hellas, 4. Jg., H. 3, September 1963, S. 98. Merian, 11. Jg., H. 12, S. 109. Allerdings wird nicht deutlich, welche der sechs in Frage kommenden Texte tatsächlich von Steinmetz übertragen wurden. Für den freundlichen Hinweis danke ich der Tochter von Posadowsky-Wehner, Frau Irene Landgraf. Vgl. ESPAGNE, Rolle der Mittler, wo der biografische Kontext von kulturellen Mittlerleistungen wie folgt umrissen wird: „Die vorläufige oder endgültige Übersiedlung eines Einzelnen, der seinen Ausgangskontext in dem Aufnahmekontext vertritt oder die in der Fremde gewonnenen Erfahrungen in der Heimat auswertet […].“

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Sprachlehrer (1902-16) und verstärkt als Mitarbeiter der „Deutschen Akademie“ (1933-45) kam er dem aus Existenzgründen übernommenen und später institutionell eingebundenen Mittlerauftrag nach – nämlich die deutsche Sprache und Kultur in Griechenland zu verbreiten; als Übersetzer und Publizist ging er der aus Neigung, ja Überzeugung selbstgewählten Mittleraufgabe nach: griechische Literatur und Mentalität im deutschen Sprachraum bekannt zu machen. Was den „Auftrag“ angeht, so waren Ziele und Methoden weitgehend von den ihn beschäftigenden Personen und Institutionen vorgegeben. Bei unserer Themenstellung geht es vorrangig um die selbstübertragene „Aufgabe“. Nach welchen Kriterien und mit welchen Präferenzen ging Steinmetz dieser „Aufgabe“ nach? Welche kultur- und literaturhistorischen Rahmenbedingungen und Konstellationen fand er vor, als vor mehr als hundert Jahren sein schulhumanistisch und philhellenisch geprägtes Griechenlandbild auf die Athener Wirklichkeit – teilweise auch die Situation in der griechischen Provinz – treffen sollte?

3. Das Aktionsfeld In Griechenland ist der sogenannte Sprachenstreit spätestens seit der Publikation von Psycharis’ Meine Reise 1888 in vollem Gang. In der von Kostis Palamas dominierten Lyrik hat sich die Dimotiki – die der gesprochenen Sprache angelehnte Version des schriftlichen Griechisch – gegen die Amts- und Kirchensprache (Katharevoussa) durchgesetzt und kämpft nun um die Prosa; zu Beginn des 20. Jahrhunderts fließt statt Tinte echtes Blut bei öffentlichen Auseinandersetzungen um die Übertragung des Neuen Testaments bzw. der Orestie in die von Steinmetz so bezeichnete „Volkssprache“. Die Genreerzählung, auch Sittenschilderung genannt, wird allmählich abgelöst vom Roman mit städtisch-bürgerlichen Bezügen (Grigorios Xenopoulos, Konstantinos Theotokis, Angelos Terzakis u.a.); ab 1903 erscheint die Zeitschrift O Noumas, das „führende Organ der Bewegung“ für die Dimotiki.39 Steinmetz nimmt schnell Partei im Sprachenstreit als eifriger Verfechter der Dimotiki.40 Für O Noumas, mit dessen Herausgeber Dimitrios Tangopoulos er, wie bereits erwähnt, schon seit seiner ersten Griechenland-Phase (1902-1916)

39 STEINMETZ, Schrift und Volkssprache (1936), S. 374. 40 1939 bezeichnet Steinmetz sie – ganz im Jargon der Zeit – als „granitenen Mittelpunkt volkshafter Ideen“. STEINMETZ, Neugriechische Dichtung (1939), S. 376. Auch Kriaras hat ihn im nachhinein als „echten Demotizisten“ akzeptiert. KRIARAS, Αλέξανδρος Στάινµετς (Alexandros Steinmetz), S. 653.

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freundschaftlich verbunden ist,41 arbeitet er zwischen 1920 und 1931 von München aus als Korrespondent,42 eine Tätigkeit, bei der er „völlig freie Hand in der Wahl seiner Beiträge“43 hatte. Die erste bisher nachweisbare Publikation einer Übersetzung aus dem Griechischen geht übrigens auf eine Erzählung von Dimitrios Tangopoulos zurück, noch bevor diese überhaupt im Original erschienen war.44 Gleich zu Beginn seiner zunächst als „Γράµµατα από τη Γερµανία“ (Briefe aus Deutschland) bezeichneten Berichte aus München kommt es zu einer erst in Noumas, später in einer anderen Zeitschrift ausgetragenen Auseinandersetzung mit Psycharis und in der Folge zu einem heftigen Streit und dann zum Bruch zwischen Psycharis und Tangopoulos, ausgelöst von Steinmetz’ kritischen Bemerkungen über den Kriegsgewinner Frankreich.45 Der Regelmäßigkeit seiner Berichte tut dies keinen Abbruch. Im ersten Halbjahr 1921 z.B. stößt man auf ganze 13 von Steinmetz unterschriebene Korrespondenzen, nunmehr unter dem Motto „Γράµµατα από το Μόναχο“ (Briefe aus München);46 im Innentitel der Zeitschrift wird er nun als „ständiger Mitarbeiter“ geführt. Bezeichnet als „...ένας από τους πιο 41 Nach Tangopoulos’ plötzlichem Tod wird unter dem Titel „Γνώµες για τον Ταγκόπουλο και τον Νουµά“ (Meinungen über Tangopoulos und Noumas) u.a. die am 1.2.1930 in München verfaßte Erinnerung von Steinmetz zitiert: „Με το ‚Νουµά‘ και µε το µακαρίτη Ταγκόπουλο µε συνδέουν τα καλύτερα µου χρόνια. Ο Νουµάς προ πάντων φύτεψε στην καρδιά µου την ειλικρινή αγάπη που έχω για τη νεώτερη Ελλάδα, για τους ανθρώπους της, για τη φύση της, και για τη λογοτεχνία της, µιαν αγάπη που σήµερα ακόµη την διατηρώ µέσα µου άσβεστη σαν τότε στα 1903, όταν γνωρίστηκα µε τον ανοιχτόκαρδο και λαµπρό άνθρωπο, τον Ταγκόπουλο [...]“ („Die Zeitschrift Noumas und der verstorbene Tangopoulos haben mich in meinen besten Lebensjahren begleitet. Durch Noumas lernte ich das heutige Griechenland erst richtig lieben: seine Menschen, seine Natur, seine Literatur. Seit 1903, als ich den herzlichen und vortrefflichen Menschen Tangopoulos kennen lernte, bewahre ich in mir ungemindert diese Liebe bis heute [...]“), s. O Noumas 791, März 1930, S. 87. 42 „Ο κ. Alex Steinmetz ανάλαβε να µας στείλει ταχτικά, δυο φορές το µήνα, από το Μόναχο, µια φιλολογική ανταπόκριση“ (Herr Alex Steinmetz wird uns künftig regelmäßig, und zwar zweimal im Monat, Literarisches aus München berichten), s. O Noumas 689, 20.6.1920, S. 383. Der Löwenanteil der Berichte liegt in den Jahren von 1920-1922; die letzte Publikation war: „H µεταπολεµική λογοτεχνία στη Γερµανία“ (Nachkriegsliteratur in Deutschland), O Noumas 800, 3/1931, S. 46-47. 43 UELLNER, O Numas, S. 285. 44 „Leben und Leben“, Auslandspost 1920; die Publikation ist erwähnt im Schreiben von A. Steinmetz aus Candia vom 15.12.1934 an die „Deutsche Akademie“ München, s. Personalakte; Verweis auf die Publikation des griechischen Originals (Alexandria, 1922) im „literaturhistorischen Anhang“ des Bandes Traum auf den Wellen, S. 211. 45 O Noumas 723 (13.2.1921), S. 110-111 und KRIARAS, Αλέξανδρος Στάινµετς (Alexandros Steinmetz), S. 649-650; auch später liest man wiederholt Bemerkungen über die „geschickte französische Kulturpropaganda“, s. Geleitwort zu: Traum auf den Wellen, S. 208. 46 O Noumas, 1921/B, S. 31, 79, 110, 142, 157, 191, 206, 239, 254, 283, 300, 331, 348.

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καλούς και χρήσιµους φίλους της νέας µας λογοτεχνίας“,47 wird seine Münchner Postadresse über die Zeitschrift publik gemacht. Nach dem Tod des Freundes Tangopoulos hält er Kontakt zu dessen Sohn, der die Rolle des Chefredakteurs übernommen hat, und schickt bis zur Schließung der Zeitschrift Nachrichten, Reportagen und Kommentare zur deutschen Literatur und Zeitgeschichte. Diese Korrespondentenrolle weitet er 1929 parallel auch auf die Zeitschrift Ελληνικά Γράµµατα (Griechische Schriften) aus.48 Vier Jahre später ist er wieder in Griechenland.

4. Die historische Rolle Inwieweit bzw. an welchen Schnittstellen der Kulturmittler Steinmetz die Rezeption der griechischen Literatur bzw. deren Kanonbildung in Deutschland beeinflußt bzw. bestimmt hat, soll hier in vier Thesen gebündelt vorgetragen werden: a. Die vor 1945 erschienenen Übersetzungen und Berichte sowie die Daten über nicht publizierte Übertragungen verweisen darauf, daß er sich – schwerpunktmäßig zwischen 1902-1916 – mit zeitgenössischen Intellektuellen und Literaten aus dem Umkreis der Zeitschrift O Noumas befaßte, sich in die griechische Literaturgeschichte einlas bzw. Tendenzen und Thematiken, die er wahrnahm, publizistisch auf deutsch wieder- und weitergab. Der weitaus größere Teil jedoch der zwischen 1920 und 1944 übersetzten und veröffentlichten Texte stammt von Autoren, die sich in der griechischen Literaturgeschichtsschreibung nicht an der Spitze behauptet haben. Das Profil der von ihm präferierten Autoren, wie auch die Thematik seiner Berichte, ist fast durchgehend „traditionalistisch“. b. Der Beginn der griechischen literarischen Moderne, die sogenannte Generation der 30er Jahre, ist von ihm weitgehend ignoriert, ja sogar abgewertet worden als Ausdruck des „Pessimismus“ bzw. der „Nachkriegsdekadenz“.49 Zwar werden einige der Autoren, die erstmals in den 30ern publiziert und seit damals Literaturgeschichte gemacht haben, erwähnt; zu Karagatsis’ Die große Chimäre etwa heißt es, es handele sich um „[…] ein Werk von ergreifendster Wirkung, in dem auch das Rasseproblem [!]

47 „ ... einer der besten und nützlichsten Freunde unserer neuen Literatur“, s. O Noumas 793, Mai 1930, S. 128. 48 Ellinika Grammata, Jg. 3, Bd. 5, Heft 47, 11.5.1929, S. 39. In einem späteren Heft publiziert er auch einen Nachruf auf Hugo von Hofmannsthal. STEINMETZ, Ο αγαπηµένος µας Ούγκο φον Xόφµανσταλ που ελάτρεψε την Ελλάδα (Unser geliebter Hugo von Hofmannsthal, ein Verehrer Griechenlands). 49 STEINMETZ, Neugriechische Dichtung (1939), S. 376.

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berührt wird.“50 Zu Kavafis bemerkt Steinmetz: „[…] er stand, in mancher Hinsicht ein Antipode von Palamas, mehr im Banne der alexandrinisch-hellenistischen Dichtung.“51 Beiläufig nur erwähnt er die legendäre Zeitschrift der griechischen Moderne Nea Grammata,52 befaßt sich jedoch mit keinem der Autoren ausführlicher, die dort erstmals publiziert haben. Nicht einmal in einem 1964 veröffentlichten Artikel über „Neugriechische Dichtung“ ist – nach Solomos, Valaoritis, Palamas, Kavafis, Sikelianos – von Empeirikos, Ritsos oder Elytis die Rede, sondern von eher unbekannten Lyrikern wie z.B. Nana Kontou und Phöbus Delphis.53An Giorgos Seferis, auf den erst kürzlich Stockholmer Rampenlicht gefallen war, kommt Steinmetz allerdings nicht ganz vorbei: Der sei „in seiner Vielfältigkeit mit Kostis Palamas zu vergleichen, doch wird er niemals bei seinen Landsleuten die Bedeutung haben wie dieser.“54 c. Unter den Mitarbeitern der „Lektorate“ der „Deutschen Akademie“ in Griechenland war Alexander Steinmetz wohl der mit Abstand wirksamste Akteur bei der Vermittlung eines zeitgenössischen Griechenlandbildes, hauptsächlich durch seine zahlreichen sowohl in Stimmen aus dem Südosten als auch in der deutschen Tages- und Fachpresse veröffentlichten Beiträge, wobei er neben literarischen auch landeskundliche sowie mythologisch-historische und zeitgeschichtliche Themen behandelt hat. Gerade in Stimmen aus dem Südosten gibt es wohl kaum eine Ausgabe zwischen 1937-1943, die nicht eine Übersetzung, Berichterstattung, Buchkritik, einen Essay oder gar eine Fotoaufnahme von Steinmetz enthält. Den Titel seiner Institution: „Mittelstelle für deutsch-griechischen Kulturaustausch“ hat er wörtlich genommen und als Programm verstanden; so schreibt er etwa privat an den – damals noch stellvertretenden – Leiter der Abteilung Auslandslektorate der Deutschen Akademie in München, Dr. Strödel: „[…] auch habe ich im Sinne des deutsch-griechischen Kulturaustausches genügend andere Sachen zu tun, um die sich manch anderer Mittelstellenleiter nie bekümmert hat (ich meine den gegenseitigen Kulturaustausch),“55 und beruft sich 1944 in seinem letzten Jahresbericht als Mittelstellenleiter auf den Bilateralität versprechenden Titel der Mittelstelle.56 Auf griechischer Seite jedenfalls wurde die grundsätzliche Be50 51 52 53 54 55 56

STEINMETZ, Neugriechische Dichtung (1939), S. 378. STEINMETZ, Neugriechische Dichtung (1939), S. 379. STEINMETZ, Literarische Zeitschriften, S. 138. STEINMETZ, Neugriechische Dichtung (1963/64), S. 122-123. STEINMETZ, Neugriechische Dichtung (1963/64), S. 124. Schreiben vom 17.9.43 an den „Kollegen“ Strödel, s. Personalakte. Arbeitsbericht der „Mittelstelle für Deutsch-Griechischen Kulturaustausch“, Athen 6.2.1944: „Ich habe mich bemüht, vor allem deutsch-griechische, nicht rein deutsche Veranstaltungen zu organisieren, wobei natürlich das Deutsche den Vorrang haben soll. Schließlich sind wir ja auch eine Mittelstelle für den deutsch-griechischen Kul-

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reitschaft zur Reziprozität schon früh bemerkt; nicht nur der Hinweis auf die Person mit Angabe der Münchner Postadresse in Noumas belegt dies, sondern auch die Tatsache, daß ihm nach dem Georgs-Orden im Jahre 193657 Ende 1964 gar das Komtur-Kreuz des Phönix-Ordens (Σταυρός των Ταξιαρχών, Commander of the Order of the Phoenix) der griechischen Republik verliehen wurde,58 was ohne kundige und zugleich einflußreiche Fürsprecher vor Ort schwer vorstellbar ist. Obwohl er ab 1944 nur noch für kürzere Aufenthalte nach Griechenland kam, wurden ihm nach wie vor von zahlreichen griechischen und zypriotischen Autoren Buchexemplare mit persönlichen Widmungen überlassen.59 d. Sind die Rezeptionschancen für die überwiegende Anzahl seiner Übersetzungen und Berichterstattungen sowohl vor als auch nach 1945 eher ephemer, so hat er durch die sehr frühe Übertragung des Alexis Sorbas von Kazantzakis in dem Sinne kanonbildend gewirkt, als dieser Roman die Griechenland-Wahrnehmung mehrerer Lesergenerationen in sämtlichen deutschsprachigen Ländern prägte und leitete, vielfach bis heute. Nicht zufällig vielleicht, daß Steinmetz’ Augenmerk von traditionellen Formen und Thematiken – ohne Umweg über die „Moderne“ – auf einen Schlüsseltext des literarischen Vitalismus gefallen ist. Mag sein, daß er, nicht mehr und nicht weniger als ein Bildungsbürger, wie so viele andere vor und nach ihm letztlich der historisch orientierten emphatischen Griechenland-Rezeption verhaftet blieb und ihren Gegenstand über die Optik von Kazantzakis unter neuen Vorzeichen weiterhin zu idealisieren vermochte.

turaustausch. Der Erfolg war sehr groß. Es ist selbstverständlich, daß jeder Grieche, gleich welcher politischen Richtung er angehört, sich außerordentlich freut, wenn bei einer derartigen Veranstaltung neben Goethe auch Solomos oder Palamas […] genannt werden. Auch auf den Vortrag griechischer Musik […] legte ich großen Wert“. (S. Anm.11). 57 S. Hinweis in: Mitteilungen der Akademie, S. 108. 58 S. Efimeris tis Kyverniseos (Regierungsblatt), 1.2.1965. 59 darunter Koulis Alepis, Kostas Assimakopoulos, G. Th. Vafopoulos, Thodoris Vlachodimitris, Angelos Vlachos, Nikos Vokovitch, Olga Votsi, Nikoforos Vrettakos, Stelios Geranis, Dimitris Giakos, Petros Glezos, Jannis Dallas, Minas Dimakis, Giorgos Themelis [Widmung 1945!], Agis Theros, Giorgos Karter, Babis Klaras, Alexandros Kotzias, Xanthos Lysiotis, Omiros Bekes, Rita Boumi-Pappa, I. M. Panagiotopoulos, Nikos D. Pappas, Sotiris Patatzis, Michalis Peranthis, Thanassis Petsalis, Giagos Petridis, Pantelis Prevelakis [Widmung 1945!], Jannis Ritsos, Apostolos Sachinis, Ilias Simopoulos, Giannis Skarimpas, Angelos Terzakis, Kypros Chrysanthis, s. DIMITRAKOPOULOs, Βιβλία Νεοελλήνων λογοτεχνών (Bücher neugriechischer Autoren), S. 27-87.

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Dionyssios Solomos Erinnerung Möge schweigen nun die Leier Und das süße Saitenspiel, Jugend ist schon längst verschwunden Und im Herzen ist es still. Jugend, die von uns gegangen Schnell, daß wir es kaum bemerkt, Ohne Trost zu hinterlassen, Der uns Mut gibt und uns stärkt. Nur den trüben Schreckgedanken Ließ sie hinter sich zurück, Den der Tod erzeugen konnte, Der zerstört das Menschenglück: Wie das brechend’ Auge sehen Will noch einmal Sonnenlicht, Und der Mund verhalten möchte Letzten Hauch und kann es nicht.60

60 In der Übertragung von Alexander Steinmetz. In: Hellas, H. 4, 12/1962-1/1963, S. 235.

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Veröffentlichungsverzeichnis von Alexander Steinmetz * Das Verzeichnis folgt jeweils der chronologischen Folge der Publikationen. Die mit Asterisk versehenen Publikationen gehen auf Hinweise in den bisher erforschten Quellen zurück, hauptsächlich in der Personalakte von A. Steinmetz. Die Originalquellen werden laufend recherchiert. Stand: März 2008.

1. Übersetzungen aus dem Neugriechischen TANGOPULOS, Dimitrios: Leben und Leben. In: Auslandspost, 1920.* Auch in: Der Traum auf den Wellen und andere griechische Erzählungen. Geleitwort: A. Steinmetz. Leipzig: Meiner, 1944. S. 29-36. MARKETOU, S.: Eine Parabel. In: Deutsche Allgemeine Zeitung, 1921.* – Verziehen und verflucht. In: Leipziger Tageblatt, 1921.* KAMPUROGLU, D.: Die Verlassene. In: Leipziger Zeitung, 1921.* CALLINICOS, Constantin: Griechisch-orthodoxer Katechismus. Ein Kompendium der Glaubens-, Sitten- und Kulturlehre. London: o.A., 1928 (Leipzig: G. Kreysing). CHRISTOMANOS, Konstantinos: Die Wachspuppe. Erzählung aus dem Neu-Athener Volksleben. Historisch-literarische Schriftenreihe der deutsch-griechischen Gesellschaft. H. 3, Hamburg: o.A., 1929. NIRWANAS/NIRVANAS, Pavlos: Gerade Menschen? In: Münchener Zeitung, 1929.* Auch in: Stimmen aus dem Südosten, 5-6 (1937/8). S. 17-18. – Lob des Esels. In: Stimmen aus dem Südosten 5-6 (1937/8). S. 18-19. Auch in: Der Traum auf den Wellen. S. 153-156. NIKWAS, Dolis: Die Wiege. In: Münchner Zeitung, 1930.* Auch in: Der Traum auf den Wellen. S. 122-126. TSAGRIS, Kleomenis-Giorgos: Die Violinenseele. In: Griechische Post, 1932.* MITSAKIS, Michael (Michail): Der Kuss. In: Berliner Tageblatt, 1924;* Völkischer Beobachter, 6.1.1935.* Auch in: Der Traum auf den Wellen. S. 95-97. – Helden. In: Stimmen aus dem Südosten 1-2 (1937/8). S. 6-7. NIKOLOPOULOS, Dimitrios: So foppt man seinen Schutzheiligen. In: Stimmen aus dem Südosten 7-8 (1937/8). S. 19-20. Auch als: Wie er den Heiligen prellte. In: Der Traum auf den Wellen. S. 60-64. ANNINOS, Charalambis: Der Wahlzettel des Teufels. In: Stimmen aus den Südosten 1-2 (1939/40). S. 225-227. Auch in: Der Traum auf den Wellen. S. 6570. DRAKOPULU, Theone (MYRTIOTISSA): Im Dorf. Ein Abenteuer ist’s. In: Stimmen aus dem Südosten 1-2 (1939/40). S. 231. – Er ist mein Bruder. In: Stimmen aus den Südosten 7-8 (1940/41). S. 114. IKONOMIDIS, Giorgos: Ihr Haus. In: Stimmen aus dem Südosten 9-10 (1939/40). S. 359.

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ARGYROPOULOS, Michalis: Inschrift auf einem Heldendenkmal. In: Stimmen aus dem Südosten 9-10 (1939/40). S. 239. DIAMANTOPOULOS, Ch.: Vergangenheit. In: Stimmen aus dem Südosten 9-10 (1939/40). S. 360. PALÄOLOGOS, P.: Das Kaffehaus regiert (Durchdruck in der Personalakte). – Nach dem Selbstmord (Durchdruck in der Personalakte). URANIS, Kostas: Die Macht des Meeres. In: Stimmen aus den Südosten 1-2 (1940/41). S. 1-4. Auch in: Der Traum auf den Wellen. S. 166-173. MURELLOS, Jannis. Der Hund des Kapetan Kostis. In: Stimmen aus dem Südosten 9-10 (1940/41). S. 145-147. Auch in: Der Traum auf den Wellen. S. 98102. PARASCHOS, Georgios: Rosenstrauch und Grabstein. In: Stimmen aus dem Südosten 9-10 (1940/41). S. 148. MIMIKOS, Klearchos: Unschuldsaugen. In: Stimmen aus dem Südosten 9-10 (1940/41). S. 148. MANOS, Konstantinos: Der Dichter. Sternenhimmel. In: Stimmen aus den Südosten 3-4 (1942). S. 57. EFTALIOTIS, Arjyris: Der weiße Kater. In: Dresdner Anzeiger 1926; Stimmen aus dem Südosten 7-8 (1942). S. 106-108. Auch in: Der Traum auf den Wellen. S. 141-145. – Die Olivensammlerin. Neugriechische Erzählungen (mit einem Nachwort des Übersetzers). Kassel: Erich Röth, 1955. – Der Neujahrskuchen. In: Hellas, H. 4, 1962/1963. S. 267-269. MAWILIS, Lorentzos (Laurentius): Frühling des Vaterlandes. In: Stimmen aus dem Südosten 11-12 (1942). S. 182. – Mehrere Gedichte, enthalten im Aufsatz: Lorentzos Mawilis. Dichter und Held. In: Stimmen aus dem Südosten 7-8 (1943). S. 104-107. – Auf dem Peissenberg. In: Hellas, H. 4, 1962/1963. S. 235. ACHLIVOS, M.: Deine Hand. In: Stimmen aus dem Südosten 11-12 (1942). S. 183. PALAMAS, Kostis: Meinem toten Kinde. In: Stimmen aus dem Südosten 11-12 (1942). S. 183. Der Traum auf den Wellen und andere griechische Erzählungen. Mit einem Geleitwort des Übersetzers. Leipzig: Meiner, 1944. MYRIWILIS, Stratis: Der Streik. Am Vorabend. Der Geiger. In: Stimmen der Völker. Meisternovellen der Weltliteratur. H. 1. Gauting b. München: Bavaria, 1948. ALEXIU, Lefteris: Odysseus bei Kalypso. In: Poiitiki Techni, 2. Jg, I/12 (1.8.1948). S. 118. KAZANTZAKIS, Nikos: Alexis Sorbas. Abenteuer auf Kreta. Braunschweig: Otto Erich Kleine, 1952 (als Taschenbuch: Rowohlt 1955, 52. Auflage 2006). THEOTOKAS, Georg: Der Geist unter Anklage. In: Hellas, H. 1, 1962/1963. S. 118-123. CHARIS, Petros: Christus der Armen. In: Hellas, H. 2, 1961. S. 67-68.

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MALAMU, Kleareti: Das Schwalbennest. In: Hellas, H. 2-3, 1962/1963. S. 168172. SOLOMOS, Dionyssios: Erinnerung. In: Hellas, H. 4, 1962/1963. S. 235. LASKARATOS, Andreas: Glückwünsche zur Geburt eines Esels. In: Hellas, H. 4, 1962/1963. S. 265. PETSALIS, Thanassis: Unsere Kinder. In: Hellas, H. 4, 1962/1963. S. 269-270. DIDASKALOU, Iphigenie: Der Esel Mathios. In: Hellas, H. 3, 1963/1964. S. 98102. KONTOU, Nana: Stimmen aus Hellas. Gedichte. Traunstein: Miller & Solm, 1966. COUTSOCHERAS, Jannis: Botschaft des Prometheus. In: Chlodwig Plehn. Das Lied des Parnass. o.O., o.J. S. 85.

2. Übersetzungen ins Neugriechische ENGELS, Friedrich: Η εξέλιξις του σοσιαλισµού από ουτοπίας εις επιστήµην (aus: Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft). In: Mellon 1, 5, 14.-27.12.1908. S. 2-3. Η χρυσή χήνα. Παραµύθι των αδελφών Grimm (Grimms Märchen: Die goldene Gans). In: O Noumas 414 (28.11.1910). S. 251-252. Γουστάβος Μύλλερ Βολφ, Πείνα (Gustav Müller-Wolf, Hunger). In: O Noumas 669 (1.2.1920). S. 80. FRANK, Leonhard, Ο άνθρωπος είναι καλός (Der Mensch ist gut). In: O Noumas 757 (15.3.1922), S. 98-100; 799 (15.4.1922), S. 123-125; 761 (15.5.1922), S. 154-158.

3. Publikationen und Artikel in deutscher und griechischer Sprache Η αναρχία (Die Anarchie). In: O Noumas 476 (21.4.1912). S. 249-250. Θρησκεία (Βάφτισµα) και Επιστήµη (Religion [Taufe] und Wissenschaft). In: O Noumas 485 (22.7.1912). S. 398. Untersuchungen zu den Klephtenliedern. München, Diss. Phil. 8.3.1925. Auszug: München 1925, 2 Bl.; Volltext nicht auffindbar. In: Laografia 10 (1931). S. 305-380. Die Freiheitskämpfer. In: Münchner Zeitung, 1928.* Die Sprach(en)frage in Griechenland. In: Südöstliche Warte. Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur der südöstlichen Länder, 1. Jg., H. 3, März 1929. S. 138-144. Ηµέρα του βιβλίου (Tag des Buches). In: Ellinika Grammata 47/1929 (11.5.1929).

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Ο αγαπηµένος µας Ούγκο φον Χόφµανσταλ που ελάτρεψε την Ελλάδα (Unser geliebter Hugo von Hofmannsthal, ein Verehrer Griechenlands). In: Ellinika Grammata 80/1929 (Neujahrsheft 1930). S. 829-830. Griechenlands Kampf um seine Unabhängigkeit. In: Südöstliche Warte. Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur der südöstlichen Länder, 1. Jg., H. 12, Dezember 1929. S. 652-657. Blutrache in Griechenland. In: Münchener Zeitung, 1929*. Die Delphischen Spiele. In: Münchener Zeitung, 1930*. Ρεαλισµός και Ρεµάρκ (Realismus und Remarque). In: O Noumas 793 (Mai 1930). S. 127. Ο Ιωσήφ Μάγνους Βένερ (Josef Magnus Wehner). In: O Noumas 792, 4/1930. S. 107-108. Auf den Inseln des Königs Minos. In: Völkischer Beobachter, 1933*. Unbekannte Stätten griechischer Kultur. In: Münchner Neueste Nachrichten 1933*. Unbekannter Süden. In: Völkischer Beobachter, 1933*. Der Nationaldichter Griechenlands. In: Völkischer Beobachter, November 1934*. Von der neugriechischen Dichtkunst. In: Münchner Neueste Nachrichten, 1934*. Auf den Spuren des Göttervaters Zeus. In: Münchner Neueste Nachrichten, November 1934*. Der unbeliebte Apostel Paulus. In: Deutsche Allgemeine Zeitung, 1934*. Auf der Insel des Göttervaters Zeus. In: Jenaische Zeitung, 1934 (Durchdruck in der Personalakte). Die Aussprache des Griechischen. In: Berliner Tageblatt, 29.10.1934 (Durchdruck in der Personalakte). Die religiösen Hintergründe der Unruhen auf dem Dodekanes. In: Völkischer Beobachter (3. Februar?/März? 1935)*. Die Rolle der Kommunisten im venizelischen Aufstand. In: Völkische Beobachter, 12.4.1935* Griechenland und seine Revolution. In: Münchner Neueste Nachrichten, 28.4.1935*. Fahrt nach Thessalien. In: Münchner Neueste Nachrichten Nr. 134 (Mai 1935?)*. Die verwandelte Hera. Kleine Mythologie und Geographie der Insel Dia. In: Völkischer Beobachter, 7.7.1935 (Durchdruck in der Personalakte). Kostis Palamas. In: Die Neue Literatur, Hg. Will Vesper, 36. Jg. (1935). S. 719724. Kostis Palamas. In: Mitteilungen der Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und zur Pflege des Deutschtums/Deutsche Akademie, Jg. 11 H. 2, München 1936. S. 216-218. Ο Στέφαν Γκεόργκε (Stefan George). In: Kritikes Selides, 1. Jg., Juli-August 1936, H. 6-7. S. 189-190.

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Schrift- und Volkssprache in Griechenland. In: Mitteilungen der Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und zur Pflege des Deutschtums/Deutsche Akademie, 11. Jg. H. 3, München 1936. S. 370-379. Die neugriechische Dichtkunst im 19. und 20. Jahrhundert. In: Die Neue Literatur, Hg. Will Vesper, 38. Jg. (1937). S. 549-557. Die Antike und Neugriechenland. In: Stimmen aus dem Südosten 11-12 (1937/8). S. 16-18. Literarische Zeitschriften in Griechenland. In: Stimmen aus dem Südosten 7-8 (1938/9). S. 137-140. Neugriechische Dichtung. In: Die Gegenwartsdichtung der europäischen Völker, Kurt Wais (Hg.). Berlin: Junker und Dünnhaupt, 1939. S. 371-380. Ο Γκαίτε και η Νέα Ελλάς (Goethe und das neue Griechenland). In: Kritikes Selides, 3. Jg., Jan.-März 1939, H. 10-12. S. 683-685. Dionysios Solomos (1798-1857). In Stimmen aus dem Südosten 7-8 (1940/41). S. 109-113 (mit verschiedenen Übertragungen). Aristoteles Valaoritis (1924-1879) (mit Übersetzung des Gedichts „Der alte Dimos“). In: Stimmen aus dem Südosten 11-12 (1940/1). S. 173-176. Konstantinos Christomanos (1867-1911). Ein griechisch-deutscher Dichter. In: Stimmen aus dem Südosten 7-8 (1942). S. 108-110. Die kretische „Mantinada“. In: Stimmen aus dem Südosten 7-8 (1942). S. 136138 (mit einer Übertragung). Die Sprachenfrage in Griechenland. In: Stimmen aus dem Südosten 7-8 (1943). S. 101-104. Lorentzos Mavilis (1860-1912). Dichter und Held (mit Übersetzungen mehrerer Gedichte). In: Stimmen aus dem Südosten 7-8 (1943). S. 104-107. Λορέντζος Μαβίλης (Lorenzos Mavilis). Athen: Ekdoseis Aionias Ellados, 1943 (mit fünf Übertragungen ins Deutsche). Μεταναζιστική Γερµανία (Postnazistisches Deutschland). In: Poiitiki Techni, 2. Jg, II/22 (15.1.1949). S. 13-14. Ein bayerisches Dorf in Attika. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 21 (19.2.1949), S. 5. Σύγχρονη Γερµανοί (Moderne Deutsche). In: Poiitiki Techni, 2. Jg., II/25 (1.4.1949). S. 178-181 und II/26 (15.12.1949). S. 234-236. Η Νέα Μεταναζιστική Πεζογραφία (Die neue postnazistische Prosa). In: Poiitiki Techni, 2. Jg., 27 (November? 1949). S. 265-267. Schrift- und Volkssprache in Griechenland. In: Probleme der neugriechischen Literatur. Bd. I. Hg. von Johannes Irmscher, Berlin: Akademie-Verlag 1959. S. 154-164. Athen. In: Hellas, H. 1, 1962/1963. S. 115-117. Vorwort zu: Κώστας Καλαντζής, Οι σφαγές των Καλαβρύτων (Kostas Kalantzis, Das Massaker von Kalavryta) Athen: Typaldos-Verlag, 1962 (2. Aufl.). S. 710. Kostis Palamas (1859-1943). In: Hellas, H. 1-2, 1963/1964. S. 24-27.

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Kritik zu: Griechenlandkunde. Ein Führer zu klassischen Stätten, von E. Kirsten u. W. Kraiker. In: Hellas, H. 1-2, 1963/1964. S. 41-43. Neugriechische Dichtung. In: Hellas, H. 4, 1963/1964. S. 118-124. Kritik zu: Poèmes de Grèce. Gedichte aus Griechenland, von Rolf Bongs. In: Hellas, H. 1-2, 1964/1965. S. 229.

4. Lexika/Lehrbücher Λεξικόν Ελληνογερµανικόν υπό Ρ. Α. Ρουσοπούλου, Έκδοσις Δευτέρα αναθεωρηθείσα και συµπληρωθείσα υπό Αλεξ. Στάινµετς (R. A. Rousopoulos: Wörterbuch Griechich-Deutsch, neubearbeitet und ergänzt von Alex. Steinmetz). Athen: Dimitrakos Verlag, o.J. (ca. 1940). Langenscheidts Universalwörterbuch Neugriechisch, 2. Auflage 1954. Metoula-Sprachführer Neugriechisch, neubearbeitet von Alexander Steinmetz. Berlin: Langenscheidt, 5. Auflage 1957. Neugriechisch-Deutsches Gesprächsbuch von Johannes Kalitsunakis, bearbeitet von Alexander Steinmetz, Berlin: de Gruyter, 1960. Langenscheidts Taschenwörterbuch der neugriechischen und deutschen Sprache. 1. Neugriechisch-Deutsch 2. Deutsch-Neugriechisch. Berlin: Langenscheidt, 1961 (Neubearbeitung des deutsch-neugriechischen Taschenwörterbuchs von Karl Dieterich). Langenscheidts praktisches Lehrbuch Neugriechisch, von Heinz F. Wendt, völlig durchgesehen von Alexander Steinmetz. Berlin, 18. Auflage 2002.

5. Rezeption AIMILIANIDIS, Achillefs K.: Γερµανοί ελληνισταί (Deutsche Gräzisten), Nea Estia 24 (1938). S. 1353. POSADOWSKY-WEHNER, Kurt Graf von: Alexander Steinmetz zum Gedächtnis, Hellenika 1973. S. 77-79; in griechischer Sprache publiziert in: POSADOWKSY-WEHNER, Kurt κόµης von, Μνηµόσυνο Αλεξάνδρου Στάινµετς, Nea Estia 94 (1973). S. 1644-5. KRIARAS, Emmanouil: Αλέξανδρος Στάινµετς (1879-1973). Ένας ξεχασµένος νεοελληνιστής, (Alexander Steinmetz (1879-1973). Ein vergessener Neogräzist), Nea Estia 1739 (2001). S. 647-654.

Literaturverzeichnis DIMITRAKOPOULOS, Fotios: Βιβλία Νεοελλήνων λογοτεχνών µε αφιερώσεις στον Alexander Steinmetz, αποκείµενα στο Ινστιτούτο Βυζαντινής και Νεοελληνικής Φιλολογίας του Πανεπιστηµίου του Μονάχου (Bücher neugriechischer

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Autoren mit Widmungen an Alexander Steinmetz aus dem Institut für Byzantinistik und Neogräzistik der Universität München), Epistimoniki Epetirida tis Filosofikis Scholis tou Panepistimiou Athinon 37 (2004-5). S. 20-87. ENGELS, Friedrich: Η εξέλιξις του σοσιαλισµού από ουτοπίας εις επιστήµην (Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft). In: Mellon 1, 5, 14.-27.12.1908. S. 2-3. Efimeris tis Kyverniseos: (Regierungsblatt) 3, 44, 1.2.1965. ESPAGNE, Michel: Die Rolle der Mittler im Kulturtransfer. In: Hans-Jürgen LÜSEBRINK, Rolf REICHARDT (Hg.), Kulturtransfer im Epochenumbruch. Frankreich-Deutschland 1770 bis 1815. Leipzig: Universitätsverlag, 1997. S. 309329. FAHRNER, Rudolf: Erinnerungen 1903-1945. Aus dem Nachlass hg. von Stefano Bianca, Genf: Privatdruck, 1998. HAUSMANN, Frank Rutger: Auch im Krieg schweigen die Musen nicht. Die Deutschen Wissenschaftlichen Institute im Zweiten Weltkrieg. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 2001. KAZANTZAKIS, Nikos: Alexis Sorbas. Abenteuer auf Kreta, Braunschweig: Kleine, 1952. KORDATOS, Giannis: Ιστορία του ελληνικού εργατικού κινήµατος (Geschichte der griechischen Arbeiterbewegung), Bd. 2 (1908-1918). Athen: Panepistimiakon Vivliopoleion Alex. N. Kololou, 1932. MICHELS, Eckard: Von der Deutschen Akademie zum Goethe-Institut. Sprachund auswärtige Kulturpolitik 1923-1960. München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2005. MICHELS, Eckard: Deutsche Akademie, 1925-1945. In: Historisches Lexikon Bayerns. www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_44466. MITTEILUNGEN der Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und zur Pflege des Deutschtums/Deutsche Akademie. München 1936. H. 1. S. 108. SEFERIS, Giorgos: Μέρες III (Tage III). Athen: Ikaros, 1977. STEINMETZ, Evgenia: Ο στραβός µουζικάντης (Der verquere Musikant, Erzählung von Karl Franz Heiding). In: O Noumas 473 (31.3.1912). S.198-199. STEINMETZ, Evgenia: Ένοχος? (Schuldig?) In: O Noumas 479 (12.5.1912). S. 293-294. UELLNER, Winfried: O Numas (1903-1931). Untersuchungen zu einer griechischen Zeitschrift für Politik, Gesellschaft und Literatur. Bd. I. Hamburg/Bonn: Carl. F. Chrispeels, 1986. VELOUDIS, Georg: Germanograecia. Deutsche Einflüsse auf die Neugriechische Literatur 1750-1944, Bd. I. Isidora ROSENTHAL-KAMARINEA (Hg.), Bochumer Studien zur Neugriechischen und Byzantinischen Philologie IV. Amsterdam: Adolf M. Hakkert, 1983.

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Athen und Ägypten. Helmut von den Steinen, Übersetzer von Kavafis

Erwartungshorizonte der frühen deutschen Kavafis-Ausgaben Als 1953 eine deutsche Kavafis-Ausgabe erschien, die erste an verlegerisch prominentem Ort, so jedenfalls muß man ihn aus literaturgeschichtlicher Sicht bezeichnen, war sie Signal der neuen Öffnung des Literaturlebens der jungen BRD zur internationalen Moderne hin, nach 12 Jahren NS-Zeit und kultureller Abschottung. Entsprechend vermerkte der Klappentext: „Konstantin Kavafis, den neugriechischen Dichter, zählen Kenner und Freunde der Dichtung zu den wagemutigen, großen Lyrikern unseres Jahrhunderts, die – wir nennen Apollinaire, Garcia Lorca, Eliot – neue und eigene Wege gingen. Seine lyrische Leistung ist mit der Prousts im Roman verglichen worden.“ Der Autor-Genitiv im Titel Gedichte des Konstantin Kavafis anstelle des gängig, in jedem Fall würdigeren vorangestellten Namens signalisiert eine mirakulöse Erscheinung, die ein größeres Publikum auf ein Unbekanntes, griechische moderne Poesie, aufhorchen machen will. Für Bertolt Brechts Hauspostille, zuvor in derselben „Bibliothek Suhrkamp“ erschienen, arbeitet der Titel nach analogem Muster. Doch darf man hierzu den Autorwillen unterstellen, entsprechend der Erstausgabe von 1927 zu verfahren. Leicht blasphemisch in Verbindung mit dem religiösen Medium wirkt der Autorname im Titel als ‚modernes‘ Understatement, „für den Gebrauch der Leser bestimmt,“1 und damit Markenzeichen eines in der BRD bis in die 1960er Jahre umstrittenen enfant terrible. Der Kavafis-Band, übersetzt und herausgegeben von Helmut von den Steinen, ist eine einsprachige Teilsammlung mit sechsundachtzig Gedichten.2

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Bertolt BRECHT: GKBF 11, Gedichte 1, S. 39. Das Hauptwerk von Kavafis (1863-1933) ist ein Alterswerk und erschien 1935 auf griechisch posthum. Diese Ausgabe übersetzte von den Steinen. Sie enthält insgesamt 154 Gedichte. Integral erschien die Übersetzung 1985 im Verlag Castrum Peregrini. Die CP-Ausgabe von 1962 ergänzte die in der Suhrkamp-Ausgabe 1953 fehlenden Gedichte nachträglich. – Das lyrische Werk von Kavafis wurde 1968 von G.P. SAVVIDIS, der Kavafis Werk in definitiver Form herausgab, um die Ανέκδοτα ποιήµατα (Unveröffentlichte Gedichte), 75 an der Zahl, erweitert. 1983 gab Savvidis auch das lyrische Frühwerk heraus, 23 Gedichte, Τα αποκηρυγµένα (Verworfene Gedichte), die

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Gleichwohl lag eine repräsentative und insgesamt wissenschaftliche Leistung damit vor. Anders verhielt es sich mit drei vorangegangenen Lyrik-Bändchen anderer Übersetzer, die sofort als ‚Drucke für Freunde‘ erkennbar sind. Dies bereits nach Auswahl und Auflagenhöhe.3 Als mit der deutschen Emigration verbundene Produktionen kennzeichnen zwei allein die Erscheinungsorte. Beim Kavafis-Band der „Bibliothek Suhrkamp“ verhält sich dies anders. Und auch das Nachwort des Übersetzers hat diesen Entstehungskontext weitgehend unkenntlich gemacht. Helmut von den Steinen muß ursprünglich bestrebt gewesen sein, eine Bildungsbotschaft, die er mit dem griechischen Dichter – und mit Stefan George – verband, deutlich zu machen. Das wird aus der Einleitung zur Gesamtausgabe seiner Kavafis-Übersetzungen deutlich, die allerdings erst 1985 erschien. Von den Steinen war, nachdem er einen Monat lang auf seiner von der Bonner Regierung noch zu etatisierenden Stelle eines Hochschullehrers für Deutsche Literatur und Sprache am Polytechneio in Athen bereits gelehrt hatte,4 Ende 1956 unerwartet bei einem Erholungsaufenthalt auf Rhodos gestorben. Bildeten die im Amsterdamer Verlag des Castrum Peregrini („Pilgerburg“, 1950 gegründet und namensidentisch mit der hier herausgegegebenen Zeitschrift) 1962 erschienenen Gedichte noch die Ergänzung zur 2. Auflage der Suhrkamp-Teilsammlung, so scheint die 1985 herausgebrachte ‚komplette‘ Übersetzung unmotiviert zu sein.5 Die darin ‚neue‘, ausführliche

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Kavafis selbst verworfen hatte. Die 154 Gedichte bilden jedoch immer noch die Grundlage von Tradierung und Erforschung seines Werkes. KAVAFIS, Jerusalem 1942, übers. von Walter Jablonski; KAVAFIS, Maastricht 1947, Auswahl u. Übers. von Wolfgang Cordan. Cordans Gedicht-Übertragungen sind an druckgraphischer Stilisierung, Orthographie wie Interpunktion erkennbar à la George gearbeitet. Sie erschienen erneut Berlin 1951. Einzeldrucke in Zeitschriften von dessen Übersetzungen und von den Steinens sowie des letzteren Kavafis-Übersetzungen ins Englische erschienen vor 1953 (im Literaturverzeichnis nicht nachgewiesen). Zur Kavafis-Rezeption Biza, Rezeption in Deutschland. Eine komparatistische Dissertation der Verfasserin zum erweiterten Thema ist in Arbeit. PREVELAKIS, von den Steinen, S. 231, schrieb über die Finanzierung der Professur: „Περίµενε, από µέρα σε µέρα, τον επίσηµο διορισµό του από την Κυβέρνηση της Μπόννης, που είταν να τον µισθοδοτεί για τη διδασκαλία του.“ («Er wartete jeden Tag auf die amtliche Einstellung seitens der Bonner Regierung, mit der er für seine Lehre entlohnt würde.») Dem Brief von Reimar Schefold an Verf. vom 10.4.2007 zufolge setzte sich Botschafter Theo Kordt für von den Steinens „Stelle als Germanist“ (Kordts Beileidsschreiben vom 31.12.1956) beim Auswärtigen Amt ein. Auf dem kleinen Markt für neugriechische Lyrik brachte der Kölner RomiosiniVerlag 1983 die stärker an nüchterner Äquivalenz orientierte Übersetzung von Wolfgang Josing als „sämtliche Gedichte“ mit dem Titel Brichst du auf gen Ithaka… heraus. Der Verlagsname ist mit Übersetzungen von Basiswerken der neugriechischen Literatur, Studien zu ihr und u.a. auch mit der frühen Gastarbeiterliteratur verbunden. Für die CP Presse dürfte es mit von den Steinens Neuausgabe, nun die ‚poetischere

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Einleitung des Übersetzers, eine erweiterte Kommentierung, sowie ein anonymes „Nachwort“ mit knappen werkbiographischen Angaben zu von den Steinen,6 bildet eines der typischen „Monumente“ zu Ehren Georges und, „Kraft der Pietät“7, zu Selbst-Dokumentation und Sepulchrum der GeorgeKreise, zu welchem die Zeitschrift Castrum Peregrini bis zu ihrer Einstellung 2007 fortwuchs. Signifikant für sie ist, neben dem unverwandten Blick auf die eigene Personengruppe, allgemeine Nichtbeachtung von Kulturdebatten und Theoriebildung, die sich in den letzten Jahrzehnten international in spannender Polymorphie entwickelten. Im deutschen Sprachraum rechnete das CP fest auf die an der ästhetischen Sekurität von Georges Kanon ausgerichteten Stammleser.8 Inwiefern von den Steinen seine in der griechischen, seit 1947 ägyptischen Emigration erfolgte Arbeit unmittelbar nach Weltkriegsende zu einer kulturpolitischen Vision der Erneuerung des Deutschen – im Sinne einer Kultur- und Sprach-Idee, doch von kulturpolitischer Wirkung – in der eigenen Kontinuität und Aufarbeitung der Georgeverehrung verstanden wissen wollte, offenbaren seine Briefe an den nach Neuseeland emigrierten Dichter Karl Wolfskehl, der seit 1937 sein Korrespondent, dabei Freund und Kritiker, in Sachen Kavafis-Übersetzung war: „Jetzt kommen Jahrzehnte höchst geheimnisvollen geistigen Geschehens.“9 Und: „In der Sachmitte steht das Einst und Jetzt des Deutschtums.“10 Weiter: „Ich hoffe, deutsch wird bald, von seiner versumpften Erde gelöst, eine heilige Sprache werden und dann für eine planetarische Geisterwelt ganz neu erklingen.“11 Diese Erneuerungs-Erwartung an deutsche Kultur und Sprache nach ihrer völligen Pervertierung in der NaAlternative‘ mit George-Bekenntnis, um Prestige und Selbstdokumentation von dessen Kanon zu tun gewesen sein. 6 KAVAFIS 1985, S. 192-193. Die Überschrift „Nachwort“ deutet nicht einmal auf den Inhalt, nämlich Vita und Werkhinweise zum Übersetzer. 7 OCKENDEN, Der wissenschaftliche Beitrag, S. 74. Zu hermetischer Selbstbezüglichkeit und späterer relativer Offenheit in ‚wissenschaftlicheren‘ CP-Beiträgen S. 68-69. 8 Wie sehr derzeit Selbst- und Fremdmythisierung des CP-Kreises nachgefragt sind, ist bei BISKY und KARLAUF, Elfenbeinturm, gut nachvollziehbar. Zum „Nachleben“ als Produktionsprinzip einer „literarisch orientierten Hausgemeinschaft“ in der Amsterdamer Herengracht 401 BAUMANN, Lebensform, S. 16 und passim. 9 Brief an Karl Wolfskehl, 5.6.1945 aus Jerusalem (DLA, unv.). 10 Brief an Karl Wolfskehl, 14.2.1946 aus Jerusalem (DLA, unv.). Die Aussage bezieht sich im engeren Sinne auf die seinerzeit in Arbeit befindlichen Schriften über Platon, über Stefan George bzw. die eigene Bildungs-Geschichte als „Platoniker“, aus denen jeweils nur Auszüge publiziert wurden (vgl. Literaturverzeichnis). 11 Brief an Wolfskehl, 20.5.1946 aus Jerusalem, in: WOLFSKEHL, BaN 1, S. 234. Im Kapitel „Was ist Wahrheit? Max Kommerell, Helmut von den Steinen“ erörtert W. Kraft anläßlich eines Briefes von den Steinens an ihn aus dem Jahre 1951 die Zweideutigkeit solcher Erlösungserwartung nach Georges „sphinxhaften“ (43) Bekundungen 1933 zum „Dritten Reich“. KRAFT, George, S. 43-45.

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zizeit zeigt sich in von den Steinens Einleitung 1985 gegen Schluß. Sie berührt auch das Verhältnis von abendländischer Literaturentwicklung und neugriechischer Dichtung: Was bedeutet dieser Europäer [Kavafis] für Europa? Zunächst ist er ganz einfach [...] sein letzter Verkünder mit einer eigenen und doch vom Urlicht stammenden Botschaft. Fern liege es uns, vergleichende Werturteile abzugeben. Wir sprechen nicht von dem gewaltig größeren Reichtum an Ausdrucksmitteln, über den eine Reihe zeitgenössischer Dichter Europas verfügen, nicht über die breitere Fülle ihrer Lebenserfahrungen noch über die tiefere Formulierung ihrer Probleme. Sie alle bekennen und beweisen, daß ihrer aller Heimat das Licht bleibt. Aber außer dem Deutschen George scheint uns keiner das Licht mit solcher Intensität als reine Samenkraft in seinem Wort eingefangen zu haben wie Kavafis – sei es auch nur in dem Schliff eines winzigen 12 funkelnden Zaubersteins.

Das unersetzbare Leitbild in Sprache, Dichtung, Eros, Philosophie, Kultur mithin, bleibt für den Übersetzer die griechische Antike („Urlicht“13). Sie beglaubigt den Dichter in erster Instanz, in zweiter beglaubigt ihn George. Entsprechend dem von George aufgerichteten Kanon abendländischer Dichtungen (Homer, Dante, Shakespeare, Goethe, und dann George selbst) wird Kavafis im Vergleich mit der westlichen Moderne relativiert, um ihn mit George für die Moderne insgesamt zu autorisieren. So findet in dessen Zeichen die Annäherung der beiden Literaturen statt. Sie wiederum ist gesehen vor der Perspektive eines noch vage konturierten, doch neuen Europas. Nach Hitler bzw. nach den Nationalismen, gewichtet von den Steinen die geographisch-kulturellen Weltentwicklungen neu. Dabei ist seine (optimistische) Bewertung der historischen Rolle Griechenlands im 20. Jahrhundert von Interesse: Nach byzantinischem Schlummer unter ottomanischer Decke hatte es sich im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte unverhohlen dem europäischen Schicksal zugesellt. Es ist nun eine europäische Nation mit ihren Leistungen und ihren Rohheiten – wie alle. Aber es ist die südöstliche Randnation dieses Raumes, und es bleibt die älteste Erinnerungsmitte dieser Zeit. Solange Europa vital aufstrebte, wurde Griechenland nur mitgerissen. Jetzt aber ist zweifellos Europa in die größte Krise seiner Geschichte eingetreten, nicht einfach nur in eine Untergangskatastrophe, sondern in einen unübersehbaren Wirbel endgültig sinkender und zu umfassenderen Kreisen emporsteigenden 12 KAVAFIS 1985, Einleitung S. 22. Die Denkverpflichtung auf George schafft sich an vielen Stellen einen sprachlich wenig überzeugenden Ausdruck („apokalyptische Donnerepoche“, „bürgerliche Säuselperioden“, „sinnliche Vergeistigung“). U.a. mit dieser Denkverpflichtung scheint mir das Scheitern der eigenen Autorschaft Helmut von den Steinens zusammenzuhängen. Die außerordentlich umfangreichen Schriften über Platon und Homer haben nach dem Krieg keinen Verleger gefunden, und selbst das CP veröffentlichte allein Auszüge. 13 Die Licht-Metapher gehört zum Code der „Kosmischen Runde“ und meint das den chtonischen Kräften verbundene apollinische Widerspiel. Vgl. w.u. S. 311/312.

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Gewalten. Nach lang beobachtetem Gesetz leuchtet am Ende der Anfang mit neuem Schimmer auf – Griechenland, von dem Europa gegründet wurde, hat in dieser Endepoche einen erneuernden Zauber. Und der Rand entscheidet in Krisen oft mehr als 14 die Mitte.

Ein ausgesprochen hypertropher Wunschtraum dürfte diese Vision von „Zauber“ und „Rand als Entscheidungsmitte“ bleiben. Doch sollte er Leser, auch in Griechenland, bis in die Gegenwart nachdenklich stimmen können. Auch wenn man der Einleitung die spätere Globalisierung von Holdings und Migrationsströmen nicht unterstellen darf, so offenbart doch von den Steinens Blick auf die unmittelbaren Weltkriegsfolgen ein selbständiges, von Georges Pauschalverdammung unabhängiges Zivilisationsverständnis. Zugleich bezieht er Potentiale der Ost-Kulturen bzw. der abendländischen Peripherie ein. Die Denkprozesse, die in seinen eigenen Schriften verfolgt werden können, bewegen sich in dieser Spannung zwischen selbständiger Zivilisations- und Kulturauffassung und deren Rückbindung an den doch recht engen deutschen Kult von poetischen Freundschafts-, Bildungs-, und Persönlichkeitsidealen, wie er um Karl Wolfskehl, und zuvor Friedrich Wolters, dauerbezeugt wurde. Diese Polarität wird in der folgenden Prosopographie Helmut von den Steinens wiederholt begegnen. Der Pol des George-Kultes betrifft vor allem die Kavafis-Übersetzung von den Steinens, weniger die drei in seiner Übersetzung erschienenen Romane von Nikos Kazantzakis und Stratis Myrivilis,15 dann aber auch wieder den „Plan humanistischer Wirksamkeit“, den er der griechischen Königin Friederike im Vorfeld der Einrichtung seiner Stelle am Polytechneio unterbreitete.16 Das Nachwort der Kavafis-Ausgabe von 1953 verzichtete darauf, gewiß auch aus Gründen des Umfangs, die georgische Erziehungsidee herauszustellen, die derart, unter dem Blickwinkel dieses Publikationszeitpunktes, auch die ‚Reedukation der Deutschen‘ berührte. Für die „Bibliothek Suhrkamp“ mußte der Akzent auf Kavafis Beitrag zur „klassischen Moderne“ verknappt sein. Den deutschen Lesern wird gleichwohl der Vorbegriff nahegelegt, der bis in die Übersetzung von Schäfer17 hinein zum Tragen kommt, wonach die Geschichtsthematik bei Kavafis vorwiegend aus der klassischen Antike abzuleiten sei: „Das Werk von Konstantin Kavafis ist die letzte Maske eines Geisterzuges, dessen erste die Ilias war. Wir nennen ihn kurz: klassisches Hel14 VON DEN STEINEN, Einleitung, in: Kavafis 1985, S. 20. Herv. von mir, CK. 15 Von KAZANTZAKIS erschienen Ο Καπετάν Μιχάλης (Freiheit oder Tod, 1954) und Ο Φτωχούλης του Θεού (Mein Franz von Assisi, 1956); von MYRIVILIS Η Παναγιά η γοργόνα (Die Madonna mit dem Fischleib, 1955). 16 ROSENTHAL-KAMARINEA, Vermittler, S. 15. 17 So bringt der Winter-Verlag die zweisprachige Kavafis-Ausgabe 2000 und 2007 als Band 1 seiner altphilologischen Reihe „Kalliope“ heraus. Vgl. den Beitrag von Maria Oikonomou im vorliegenden Band.

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las.“18 Von den Steinens anschließende Abgrenzung des Dichters vom „klassizistischen Epigonentum“, ebenso wie die Verwahrung gegen einen dem westlichen Symbolismus angenäherten ‚dekadenten Orientalen‘ – „Das Klassische kommt immer […] aus der Vitalität der Gegenwart, aus entschlossenem Modernsein“19 – lenkt, gegen bestimmte Erwartungshorizonte,20 auf die für deutsche Leser neu zu durchdenkende, komplexe Verbindung des modernen Griechenlands zur eigenen Antike hin. Warum ist der George-Bezug in der Ausgabe von 1953 so gut wie unkenntlich gemacht? Der Verlag, der bereits in diesen frühen Jahren für die Publikation von nach 1933 verfemten deutschen Autoren unüblich aufgeschlossen gewesen ist, so etwa für Rudolf Borchardt, Hermann Hesse oder Walter Benjamin, wollte offenbar mit dem „geheimen Deutschland“ der – sei es ‚inneren‘ oder tatsächlichen – Emigration21 nicht programmatisch in Verbindung gebracht werden. Zu sehen ist dies darüber hinaus vor der verbreiteten Ablehnung Stefan Georges im Literaturleben der frühen BRD. Ursache ist weniger der ‚Geisteskonservatismus‘ und Antimodernismus Georges und seiner Wissenschafts-Jünger oder die früher von manchem Wissenschaftler als ‚Meister‘ unerschrocken eingenommene Nähe zu NS-Gedankengut, als vielmehr der Kult um den ‚Meister‘ als ‚Führer‘ und „Stifter eines heroischen Zeitalters der Deutschen“;22 wobei bekanntermaßen das Prinzip von ‚Führer’ und ‚Gefolge’ auch in geschichtliche und literaturgeschichtliche Epochenund ‚Gestalt‘-Entwürfe methodisch rückwärts projiziert wurde. Als „Geistesgeschichte“ wollten sie schulbildend wirken. Die ‚Schule‘ wurde aber, nach Breite der Fächer betrachtet, vor und nach 1933 von der Mehrzahl der Fakul18 Die umfangreiche griechische Kavafis-Forschung geht von der zeitgenössisch als Provokation wirkenden Widerständigkeit in Kavafis Geschichts-Motiven gegen die Blütezeit des Athener Altertums aus. Sie betont eine demonstrierte „Masken“-Funktion von Figuren und Stoffen (nicht also „Maske eines Geisterzuges“) aus den späteren römischen und byzantinischen Epochen. Vgl. zusammenfassend POLITIS, Neugriechische Literatur. S. 187-188. 19 KAVAFIS, 1953, S. 131. 20 Maria Biza verweist zu Recht auf den Bezug von den Steinens auf die in Jerusalem erschienene Übersetzung Jablonskis, der, anstelle einer Einleitung, ein Brief von Thomas Mann an den Übersetzer als Beglaubigung des Erscheinens vorangestellt ist. Mann spricht von „dekadenten Einschlägen“ dieses „türkisch-aegyptischen Dichters“. Zit. nach BIZA, Rezeption in Deutschland, S. 20. 21 Den Begriff der ‚Inneren Emigration‘ durchdenkt Michael Philipp im Ansatz neu und schärft die Problematik emigrierter Autoren aus George-Kreisen, die, Repräsentanten des ‚wahren Deutschland‘, wohl den Widerstands-, doch meist nicht den (mit der literarischen oder politischen Linken verbundenen) Exilbegriff auf sich angewendet wissen wollten. PHILIPP, Distanz und Anpassung. 22 So der Einwand Walter Benjamins gegen Max KOMMERELLS Der Dichter als Führer in der deutschen Klassik (1932) und dessen Jean-Paul-Studie (1934). BENJAMIN, GS III, S. 410.

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tätsmitglieder abgelehnt.23 Die Berührungsangst vor George in der BRD nach 1945 hängt dann weiter mit dem bis in die späten 1960er Jahre nahezu unaufgearbeiteten Nationalsozialismus zusammen. ‚Propaganda‘ und ‚Führer‘ waren lange Zeit die Kriterien, die NS-Staatsstrukturen zu beschreiben. In sonstiger Verdrängung eines Täterbewußtseins erschien der Führerglaube als Hauptursache der NS-Verbrechen und der kollektiven Mittäterschaft. Eine Schieflage der deutschen Geschichte von Kavafis-Ausgaben stellt sich mit der okkupierenden Einbindung des griechischen Dichters in die George-Tradition 1985 her, welche vor allen Dingen jüngere Leser, die den Anachronismus nicht sofort durchschauen, ratlos läßt. Ein Verständnis der griechischen Literatur ist darin weniger mit von den Steinens im Vergleich zur Ausgabe von 1953 ausführlicheren Erläuterungen, etwa auch zur griechischen Diaspora Ägyptens, geschaffen, als vielmehr durch die nun strikt autoritative Beglaubigung von Kavafis durch einen ‚Meister‘ neben dem ‚Meister‘,24 Karl Wolfskehl: „Karl Wolfskehl bezeichnet ihn als ‚den neugriechischen Schuler, einen sehr viel dichterischeren freilich, bei dem alles ‚Aufglutende‘ in Vers und Bild herauskommt.‘“25 Die so geknüpften Netze ziehen die Aufmerksamkeit der Leser völlig von der längst in vielen Kanälen verzweigten internationalen Wirkung des Dichters Kavafis ab, in England bereits 1919 mit dessen gemeinsamer Übersetzungsarbeit mit Edward Morgan Forster oder in Wystan Hugh Audens Gedichten, in Frankreich über die Übersetzungen von Marguerite Yourcenar (zus. mit K. Th. Dimaras, 1958) bis hin zu den 1980er Jahren, wo Jacques Réda, 1987 bis 1995 Herausgeber der Nouvelle Revue Française, ihn in die „ungeheure Metropole der Poesie“ zusammen mit den Dichtungen von J. L. Borges und F. Pessoa aufnimmt.26 Zu welcher Ausgabe greifen zeitgenössische Lyriker deutscher Sprache, die Kavafis lesen möchten und George unambitioniert, vielleicht auch skeptisch, gegenüberstehen? Joachim Sartorius teilt uns nicht mit, welche KavafisAusgabe er für seinen Zyklus „Alexandria“ konsultierte, den er in den Jahren 1986-1996 schrieb. Wo er Hilfsmittel anführt, fehlt von den Steinens zu Alexandria instruktive Einleitung. Er weist auf die Studien der fremdsprachigen Kavafis-Übersetzer und ihre Forschungen.27 23 KOLK, Literarische Gruppenbildung, S. 408 ff. 24 Zur Hierarchie der Rollenfindungen innerhalb des ersten „Bundes“ und Wolfskehls Eigen-„Bild“ NIEHOFF, Herr und Knechte, S. 23-40. 25 KAVAFIS 1983, Klappentext. Warum Alfred Schuler (1865-1923)? Das Stichwort Schuler brachte von den Steinen in der frühesten Erwähnung von Kavafis im Brief vom 21.5.1937 (DLA, unv.) an Wolfskehl auf. Vgl. Anm. 94 und zugehöriges Zitat. 26 VAGENAS, Συνοµιλώντας (Unterhaltungen), S. 111. 27 SARTORIUS, Ägyptische Filme, S. 99, nennt E. M. FORSTERS historische AlexandriaStudie und die Einleitung Marguerite Yourcenars (1958; dt. Übersetzung in KAVAFIS 1997). Im folgenden Buch Alexandria bezieht er sich auf die Übersetzung von Robert ELSIE.

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Von den Steinens Übersetzung hatte nichtsdestotrotz über die Ausgabe von 1953 ihre geradezu unmittelbare, vermittelt auch internationalisierende Wirkung, nämlich über Bertolt Brecht. Hätte dieser zur Ausgabe des Castrum gegriffen? Jeder mag diese Frage für sich beantworten.28 Brecht hat Kavafis Gedicht „Τρώες“ in seiner Art der Adaption – ein Plagiat? – fremder Autorschaften29 mit fünf Versen, nahezu unabgeändert, seinem Zyklus Buckower Elegien einverleibt: „Bei der Lektüre eines spätgriechischen Dichters“,30 so der Titel des Brechtschen ‚καβαφογενές‘, eines Gedichtes in der Art von Kavafis, ein Genre, das mittlerweile in vielen Sprachen entstand und griechisch erforscht wird. Brecht reizte offenbar gerade des Übersetzers Sicht auf „spätgriechisch“ und des Dichters Umgang mit dem Troja-Mythos. Seit dem Berliner Antigone-Modell 1951 befaßte er sich wiederholt mit der Verfremdung der deutschen Antikentradition – hier Hölderlin – auf die eigene aktuelle Zeitgeschichte hin. In „Τρώες“ von Kavafis begegnet bereits ein, der deutschen Gelehrsamkeit entgegen, verfremdeter Umgang mit den mythischen Figuren. Die Schlußverse von „Troer“ angesichts des feststehenden Untergangs der Stadt lauten: „Auf den Mauern begann schon die Totenklage, / Unsrer Tage Erinnerungen weinen, Gefühle weinen. / Priamos bitter um uns und Hekabe weinen.“31 Helmut von den Steinen hat die Verfremdung, die Kavafis durch Entzeitlichung der verflossenen Jahrtausende von seiner Gegenwart aus damit gelingt, genauestens beschrieben, sodaß seine Erläuterung die treffendste ist: „Das kühne Bild ist, dass die seelischen Bewegungen als Träger der Handlung erscheinen, um sich in der letzten Zeile zu Personen zu verdichten.“32 So kann Brecht, der im übrigen die Figuren nicht benötigt, lediglich

28 Klaus Völker faßt prägnant Brechts Einstellung zu George zusammen. Im Blick sind die Jahre vor 1930, doch blieb Brechts Sicht auf Dichter und „Bund“ konstant: „Die Dichtungen Stefan Georges waren Brecht zu leer, ihre Form zu selbstgefällig, die in ihnen geäußerten Ansichten ‚belanglos und zufällig‘, lediglich originell: ‚Er hat einen Haufen von Büchern in sich hineingelesen, die nur gut eingebunden sind, und mit Leuten verkehrt, die von Renten leben. So bietet er den Anblick eines Müßiggängers, statt den vielleicht erstrebten eines Schauenden. Die Säule, die sich dieser Heilige ausgesucht hat, ist mit zu viel Schlauheit ausgesucht, sie steht an einer zu wolkenreichen Stelle, sie bietet einen zu malerischen Anblick.‘“ VÖLKER, Brecht, S. 105-106. Die in den Wissenschaften tätigen Jünger verstand Brecht konträr zum öffentlich wirksamen Intellektuellen. 29 Brechts „Laxheit in Fragen geistigen Eigentums“ führte bekanntlich zum publizistischen Skandal um die Nutzung der Übersetzungsrechte Karl Ammers an John Gay’s Beggar’s Opera, die Brecht über 25 Verse lang in seine Dreigroschenoper (1928) ‚montiert‘ hatte. VÖLKER, Brecht, S. 145-147. 30 BRECHT, GKBFA 12, S. 312 und 450 (Kommentar). Vgl. KAVAFIS 2007, S. 71 und 73. 31 KAVAFIS 1953, S. 15-16. 32 Brief von Helmut von den Steinen an Karl Wolfskehl, Athen, 13.6.1937 (DLA, unv.).

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durch einen halben eigenen Schlußvers sich dazu in Distanz setzend, „Troer“ zum Kommentar zur Gegenwart, Berlin im Sommer 1953, abwandeln.33 Weil es beide Male um den Umgang mit Zeit und Zeitdimensionen, die Geschichtsthematik und das Problem Aktualisierung oder Zeitlosigkeit, geht, leuchtete Brecht wohl auch von den Steinens Neologismus für das moderne Griechentum, „spätgriechisch“ ein: „Spätling seines griechischen Volkes“34 nennt dieser Kavafis. Vor allem wendet er das Wort auf das Sprachidiom von Kavafis Neugriechisch an. „Nach langen Versuchen fand er als adäquates Ausdrucksmittel für seine Visionen das spruchartige Gedicht im locker gefügten Stil des täglichen Umgangsidioms.“35 Und: „Die ironische Trockenheit und Schärfe, die dem Spätgriechischen eigen ist [...].“36 Solche Bemerkungen, ebenso wie die über den dichtenden Außenseiter, der in der Hafenstadt Alexandria in bürgerliche Arbeitsverhältnisse eingebunden war, dabei subjektivistische Seelenerkundung zugunsten konziser Spracharbeit verwarf, mögen Brecht für einen solchen „spätgriechischen Dichter“ eingenommen haben. Man kann also am Beispiel der Rezeption Brechts zusammenfassen: dem in der Suhrkamp-Ausgabe angelegten Erwartungshorizont der „fremden Moderne“ mit ihrer Ausrichtung auf eine Art neuer Antike (Klassik) antwortet Bertolt Brecht nicht nur, er nimmt ihn auf und richtet ihn auf seine Art verschieden aus. Wo Nasos Vagenas eine historische Übersicht der deutschen KavafisÜbersetzungen gibt, gewichtet er die Hauptwerk-Übersetzungen von Wolfgang Josing und Helmut von den Steinen nach verschiedenen Gesichtspunkten gleichrangig. Die letztere nennt er eine ‚klassische‘, da „dieser versuchte, einen Sprachkodex analog zu dem von Kavafis zu finden.“37 Klassisch bedeutet für Übersetzungen – in der Lyrik, falls nicht interlinear, meist „Übertragungen“ – langlebig, und, wenn auch in manchem nicht vorwiegend um 33 Die nach beiden Dichtern hin transparenteste Deutung: Emrich, ‚Bei der Lektüre‘, S. 28-36. Die „Annäherung“ Brecht-Kavafis erfolgte durch Giorgos P. Savvidis 1971. Sie wurde in griechischen Zeitungen und Zeitschriften wiederholt aufgenommen und 1973 von Theodor Fiedler in die englische, vergleichende Brecht-Literatur eingeführt. FIEDLER, Brecht and Cavafy. 34 KAVAFIS 1953, S. 133. Der erste Brief an Wolfskehl aus Athen (29.4.1937) läßt die Vorstellungswelt zum „spät“-Kompositum verfolgen: „Ich habe inzwischen die lebendige neugriechische Sprache einigermaßen beherrschen gelernt und einige recht schöne Spätblüten darin entdeckt, die seltsam zwischen neueuropäischer und antiknachklingender Bestimmtheit schwanken. Zu den Menschen stehe ich in einer freundlichen Distanz, nachdem ich falsche Erwartungen, aber auch übertriebene Enttäuschungen bald überwand.“ WOLFSKEHL, BaI, S. 245. 35 KAVAFIS 1953, S. 130. 36 KAVAFIS 1953, S. 134. 37 „[…] προσπάθησε να βρει έναν γλωσσικό κώδικα ανάλογο µε εκείνον του Καβάφη“. Vagenas, Συνοµιλώντας (Unterhaltungen), S. 121.

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Analogie bemüht, so doch als Nachdichtung für sich bemessen eigenständig. Und dies erfüllt von den Steinens Übersetzung in der Tat. Sie ist eine außerordentliche poetische Leistung, auch wenn der Übersetzer selbst, in der Aufrichtigkeit eines nicht von Eitelkeit geplagten, doch sehr gewissenhaften Autors, einschränkte: „Die Übertragung bemüht sich, das Original in genauer Wiedergabe des Sinnes wie auch des Metrums und des Reimschmuckes zu verdeutschen. Die ironische Trockenheit und Schärfe [...] konnte nicht ganz erreicht werden. Das Deutsche wirkt manchmal etwas malerischer.“38

Vor 1933 Verschiedene Anhaltspunkte legen nahe, Helmut von den Steinen sei Altphilologe gewesen.39 In den späten, un- oder nur teilveröffentlichten Schriften ist eine altphilologisch anmutende Spur verfolgbar.40 Von den Steinen hat, wie erwähnt, in den Jahren zwischen 1947 und 1954 an der Universität Kairo Altgriechisch und Latein als Lektor gelehrt.41 Andererseits ist seine Beschäftigung als Afrika-Ethnologe, mindestens bis 1934, am renommierten AfrikaInstitut der Universität Frankfurt am Main unter der damaligen Leitung von Leo Frobenius am ehesten disziplinär aufzufassen.42 Schließlich wird er in Athen als Germanist eingestellt. Seine wissenschaftliche Profession ist, anders als die seines berühmteren Bruders Wolfram von den Steinen, Mittelalter-Historiker an der Universität Basel, wohl weitgehend unabhängig von 38 KAVAFIS 1953, S. 134. 39 ROSENTHAL-KAMARINEA, Helmut von den Steinen, S. 15 („Alt- und Neogräzist“); Blasberg in Wolfskehl, BaI, S. 454 („studierte Altphilologie, Philosophie, Neuere Sprachen“); Kurzkommentar in KRAFT, Briefwechsel, S. 546; „Nachwort“ in Kavafis 1985: „studierte vor dem 1. Weltkrieg alte und neuere Sprachen in Heidelberg“. FROMMEL, Gedenkartikel, S. 70: „Da er vom Studium der Altertumswissenschaften herkam und fließend Neugriechisch sprach [...].“ Dies ist aus von den Steinens eigenen Angaben im Dissertationsdruck so nicht nachvollziehbar. 40 „Die sokratische Offenbarung Platons“ ist eher ein autobiographisch intendiertes Bekenntnisbuch, zentriert um die im George-Kreis mit Platon verbundenen Leitbilder von Gemeinschaft als „erotisch inspirierter Gesellung“ bis hin zu „Staat als Lebewesen“. Zu den zahlreichen Publikationen nach Friedemanns Platon-Buch (1914) und das Platon-Bild der George-Schüler MATTENKLOTT, „Die Griechen“, S. 244 f., hier Anm. 12. – VON DEN STEINEN, Vita Platonica; ders., Sokrates und Plato, sind Auszüge aus dem unveröffentlichten Manuskript. 41 Prevelakis zufolge lehrte er in Kairo Altgriechisch; zuvor 1947/48 am M.E. College M.E.L.F., in der Suez-Zone, „Latein, Griechisch, Deutsch“ für britische Soldaten. (Brief an Wolfskehl aus Geneifa, Ägypten, 31.10.1947; DLA, unv.). 42 VON DEN STEINEN, Leo Frobenius; FROBENIUS u.a., Kulturgeschichte Afrikas. Zur wegweisenden Bedeutung von Frobenius für Afrika selbst, von Leopold S. Senghor bis heute, siehe ASSERATE, ‚Frankfurter Schule‘ der Afrikanistik.

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George-Kreis-Vernetzungen zustandegekommen. Mit Wolfram zusammen hatte Helmut seit 1909 in Zürich,43 dann in Heidelberg, schließlich noch einmal ab 1922, als Externer oder Gasthörer nun, in Marburg studiert, offenbar seit Zürich in enger Anlehnung an den von George ‚beglaubigten Meister‘, den Historiker Friedrich Wolters.44 Das eigene Studium hat Helmut von den Steinen vor allem als eines der Nationalökonomie dargestellt. Den Titel des Dr. phil. erwarb er bei Alfred Weber in Heidelberg, des in der Nationalökonomie lehrenden Bruders von Max Weber, mit einer Schrift über das zeitgenössische Verlagswesen. Diese legt somit von Alfred Webers wachsender kultursoziologischer Profilierung ein Zeugnis ab. Im angehängten „Lebenslauf“ zur eingereichten Dissertation Das moderne Buch führt von den Steinen aus: Ich, Helmut von den Steinen, wurde als Sohn des Universitätsprofessors Dr. Karl von den Steinen und seiner Frau Leonore, geb. Herzfeld (jetzt in Steglitz bei Berlin) am 6. Dezember 1890 zu Marburg in Hessen geboren. Ich besuchte die Vorschule des Potsdamer Realgymnasiums und trat zu Ostern 1900 in das Reformgymnasium ‚KaiserFriedrich-Schule‘ in Charlottenburg ein, um es nach bestandenem Abiturientenexamen zu Ostern 1909 zu verlassen. Ich studierte S.-S. 1909 und W.-S. 1909/10 in Zürich, S.S. 1910 in Heidelberg, W.-S. 1910/11 und S.-S. 1911 in München und W.-S. 1911/12 und S.-S. 1912 wieder in Heidelberg. Ich besuchte während dieser Zeit volkswirtschaftliche, geschichtliche und literaturgeschichtliche Vorlesungen und nahm an 45 volkswirtschaftlichen Übungen teil.

Die Schrift, eine weiterhin gut lesbare Studie zu den Konfliktrichtungen des literarischen Lebens 1900/1910, erörtert das Spektrum der zeitgenössisch wichtigen Verlage und deren Leserschichten. Sehr interessant ist dabei die psychologische Beurteilung der „Typen“ der Verleger im Sinne von Kulturakteuren. Ökonomische Gesichtspunkte verbinden sich mit interner Kenntnis der damals bedeutenden Literaturszenen. Zur Heidelberger Zeit macht Wolfgang Frommel eine Angabe über Helmut von den Steinens Kreis-Initiation, und zwar zusammen mit dem Hölderlin-Forscher Norbert von Hellingrath, dem Platonforscher Heinrich Friedemann, und den Brüdern Wolfgang und Richard Gustaf Heyer.46

43 Brief an Wolfskehl aus Geneifa, Ägypten, 31.10.1947 (DLA, unv.). 44 SCHNEIDER, Geschichtswissenschaft im Banne, S. 330. „Als 15-jähriger, 1907/08, war Wolfram von den Steinen Friedrich Wolters erstmals begegnet [...].“ Schneider spricht für nach 1918 von Wolframs „Wende von der Altphilologie zur Geschichte“ (331). 45 VON DEN STEINEN, Modernes Buch, S. 72. Als Heidelberger Lehrer nennt er Gothein, Jellineck, Koch, Weber und die Herren Privatdozenten (Arthur) Salz und Gundolf. 46 FROMMEL (anonym), Gedenkartikel, S. 67. – KRUSE: Die Heidelberger Soziologie, S. 261. Kruse nennt weitere Georgianer, mit denen Alfred Weber verkehrte: Edgar Salin, Arthur Salz, Ernst Robert Curtius, Friedrich Sieburg, Werner Picht, Erich von Kahler sowie Wolfgang Heyer.

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Wesentlich im Lebenslauf ist die Aussage über die reformgymnasiale Schulbildung. Helmut von den Steinen hatte demnach kein humanistisches Gymnasium strengen Typs besucht, er machte keine Angabe zum altphilologischen Studium, trat aber 1930 mit einer zweisprachigen Übersetzung Hesiods hervor.47 Da er nach dem Zweiten Weltkrieg zuerst in der britisch besetzten Suez-Zone, dann an der Universität Kairo, Latein und Altgriechischunterricht erteilte, wird er seine Kenntnisse der alten Sprachen neben Schule und Studium im Laufe der Jahre vertieft haben. Ob diese Bildungskonstellation bei den anderen Geschwistern vergleichbar lag? Ein Studium der Altphilologie bzw. Archäologie wählten die 1906 geborene jüngste Schwester Marianne und der Bruder Wolfram. Die Geschwister48 müssen geradezu in der musisch-sprachlichen Bildung von klein auf gelebt haben, derart, daß die Mutter die Kinder dazu, möglicherweise auch vermittelt zur George-Bindung, angeleitet hat. Die Erinnerung von Werner Kraft, des nach Jerusalem emigrierten hannoveraner Bibliothekars und Schriftstellers, an Helmut von den Steinens Jahre in Jerusalem schließt diese berührende Mitteilung über das Schicksal der Mutter ein: „Auch dies ist bemerkenswert: seine Mutter stammte aus einer reichen jüdischen Familie. Sein Vater war Freigeist. Die Mutter lebte ganz in dem George-Kult. Als der Vater Ende der zwanziger Jahre starb, trat sie sofort zum Katholizismus über und kaufte sich in ein Kloster ein (was sie nebenbei vor dem Tod durch Hitler rettete!).“49 Die Rolle der Mutter für die Entwicklung selbst archäologischer Interessen, und gleicherweise als Vorbild

47 HESIOD, Werke und Tage. Eine der Übersetzung dieses Lehrgedichts vergleichbare zweisprachige Ausgabe „frühgriechische Lyrik“ (homerische Hymnen, Alkaios und Sappho) brachte 1956 Herlint von den Steinen heraus, An den Himmel zu rühren. Es ist das „Gespräch im Freundeskreis“, das sich mit diesen schön gestalteten Ausgaben fortsetzte. Sie zeigen die Lektüre der altgriechischen Texte, liefern eine Übersetzung im hohen Stil. Man geht aber fehl, sie als Indiz fachlicher Zugehörigkeit anzusehen. 48 Es waren acht Geschwister. Marianne hat, Karl Schefold zufolge, ein humanistisches Mädchengymnasium besucht. Sie sei von den Brüdern Wolfram und Helmut, den Schwestern Herlint und Runhilt als 15jährige in deren gemeinsame WoltersGefolgschaft aufgenommen worden. SCHEFOLD, Marianne Schefold, S. 112-113. Runhilt und Herlint bleiben mit Helmuts Autorschaft verbunden. 49 Brief Werner Krafts an Wilhelm Lehmann vom 12.2.1957 aus Jerusalem, zit. nach dem Brief-Ms. (DLA) Dass. in KRAFT / LEHMANN, Briefwechsel, Bd. 2, S. 145. Hier statt Freigeist „Feingeist“. – Wolfram habilitierte sich in Basel, unterstützt von Edgar Salin, Georgianer und Freund Wolfskehls. Marianne emigrierte hierher mit ihrem Verlobten Karl Schefold, zunächst Mitarbeiter des Athener Deutschen Archäologischen Instituts (DAI). Sie heirateten 1935 in Athen. Der Übertritt der Mutter zum Katholizismus erfolgte vom Protestantismus aus. Die jüdischen Vorfahren waren bereits um 1820 konvertiert. Zum Tod der Mutter 1944 vgl. SCHEFOLD, Dichtung als Führerin, S. 51.

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im Übersetzen fremdsprachlicher Lektüren, hebt auch Karl Schefold hervor.50 Beruflich wird für Helmut von den Steinen das Vorbild des Vaters ausschlaggebend. Karl von den Steinen ist einer der Begründer der modernen deutschen Ethnologie. Deren Modernisierung hat er mit Felduntersuchungen in Brasilien vorangebracht und dabei, wie später Margaret Mead, die Abkehr von der eurozentrischen Sicht auf indigene Kulturen mit der Einführung der teilnehmenden Beobachtung eingeführt, und dies bereits am Ende des 19. Jahrhunderts. Er nahm am Höhepunkt seiner Laufbahn den zentralen Berliner Lehrstuhl ein, widmete sich aber dann nahezu ausschließlich seinen Forschungen, und ist der Verfasser eines auch nach dem Zweiten Weltkrieg weiterhin konsultierten mehrbändigen Lexikons der Völkerkunde. Sein letztes dreibändiges Werk, das 1969, nach den Debatten, die Lévi-Strauss’ Strukturalismus während der 1960er Jahre beherrschte, neuaufgelegt wurde,51 untersucht die Kunst der Südseevölker im Kontext ihrer Sprache und Kultur. Die einzige ‚ordentlich‘ wissenschaftliche Berufstätigkeit Helmut von den Steinens an einer deutschen Universität ist seine Mitarbeit ab 1930 am AfrikaInstitut in Frankfurt.52 Die Gabe, Sprachen schnell zu erlernen, und dies mit einer Neigung zu ‚exotischen‘ Sprachen, bewies er bereits im Ersten Weltkrieg. Im Rahmen des Kriegsbündnisses Deutsches Reich-Bulgarien wurde er nach Sofia versetzt und lernte die Sprache innerhalb von zwei Jahren, sodaß er, wie er schreibt, vier selbständig formulierte Vorträge auf Bulgarisch dort hielt. Sie sind auf Deutsch gedruckt worden. Von der Tendenz her artikulieren sie eine Art Kulturpolitik des Kriegs-„Bundes“, die mit deutscher Bildung, dabei vor allem auf dem Goetheschen Bildungsbegriff aufbauend, um Sympathien der ‚Elite‘ der jungen Nation wirbt.53 Darüber mittelbar stellte sich die von heute 50 SCHEFOLD, Dichtung als Führerin, S. 47-48. 51 Karl VON DEN STEINEN: Die Marquesaner und ihre Kunst. – In einem Brief an Wolfskehl schreibt Helmut: „mein Vater, an dessen Werk ich mitarbeitete, müßte in Südseeohren noch klingen!“ (Jerusalem, 25.7.1946, DLA, unv.; vgl. auch SCHEFOLD, Marianne Schefold, S. 113: sie mußte „neben dem Studium der Archäologie jahrelang als Assistentin ihres Vaters fröhnen.“) Die Publikation enthält keinen Verweis darauf. Zu Helmuts Einstellung in Fragen der Autorschaft schreibt Frommel:„Es geschah fast nie, daß er eine seiner früheren Publikationen auch nur beiläufig erwähnt hätte.“ FROMMEL, Gedenkartikel, S. 67. Eine vergleichbare Einstellung bekundete Herlint VON DEN STEINEN zu ihrer Übersetzerarbeit: „Ich bin eine Frau ohne den geringsten Drang nach Öffentlichkeit. Verse gehören der Welt [...], ich selber bin dabei völlig irrelevant.“ In: An den Himmel, Schlußseite o.P. 52 Karl Schefold sieht ihn entsprechend im Kreise der Famlie. Er schreibt über den Tod des Vaters 1929: „Unvergeßlich ist mir die Gedenkrede des Sohnes Helmut, der selbst Ethnologe war.“ SCHEFOLD, Dichtung als Führerin, S. 57. 53 VON DEN STEINEN, Die Bulgaren und wir, S. 33 ff. Die Argumentation folgt noch stark den Freund-Feindschemata des Ersten Weltkriegs mit dem binären Begriffsmuster

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aus nachvollziehbar erste Berührung mit den spät nationalgeprägten Kulturen in den Gebieten des früheren Osmanischen Reiches überhaupt ein, so auch mit der neugriechischen. Von den Steinens 1919 französisch erschienene Broschüre über den deutschen Kultureinfluß auf Bulgarien geht auf einen Berliner Konferenzbeitrag vom Januar 1918 zurück. Neben der Sprache lernte er über die zeitgenössische bulgarische Literatur die schmale bürgerliche Schicht von Gebildeten und deren Etappen der Auslandsorientierungen (Rußland, Frankreich, USA) kennen, und konnte auch deren Gründe für die verschiedenen Kulturanbindungen erläutern.54 Eine bulgarische Identität begriff er psychokulturell, gegen das bequeme Vorurteil, die Unterschiede der südöstlichen Peripherie als „Balkan“ zu subsumieren.55 Auch wußte er zwischen Mythen und realen Kulturgebundenheiten der slawischen Sprachen und Gesellschaften zu unterscheiden, konstruierte keine „slawische Rasse“ wie es in der seinerzeit aufkommenden Slawistik eher üblich als anstößig war, machte Vorschläge für eine wissenschaftliche Zusammenarbeit in Archäologie, mittelalterlicher Geschichte, Philologie, Folklore und Naturgeschichte, die in respektvoller Kooperation mit den „chercheurs indigènes“56 aufzunehmen sei, und warnte vor allem vor folgendem: „En tout cas il ne serait pas bon de créer un Institut des Balkans, mêlant la Serbie, la Roumanie, la Bulgarie et la Grèce.“57 Und zwar wegen ihrer, der Griechen, „tradition puissante,“58 die sie in die moderne Nationsbildung einbrächten. Im Text zeigt sich erst nur diese Spur von Neugier an Griechenland. Ein weitergehendes Verständnis der modernen griechischen Volkskultur findet man in von den Steinens Einleitung zur 1929 von Paul Hallgarten herausgegebenen Sammlung von Volksmärchen der Insel Rhodos entwickelt: Rhodos. Die Märchen und Schwänke der Insel. Das Buch weist weder einen Übersetzer noch das Zustandekommen der Sammlung aus. Methodisch ist der einführende Beitrag ethnologischen Fragen verpflichtet. Er erläutert instruktiv die Kulturen sowohl der Türken, wie der Spaniolen als auch der bäu-

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Kultur-Zivilisation, in dem bekanntermaßen auch ein Thomas Mann die ‚deutsche’ Feindesgesinnung gegen „Zivilisation“ bekundete. VON DEN STEINEN, Les Bulgares, S. 6. TODOROVA, Erfindung des Balkans; VON DEN STEINEN, Les Bulgares, S. 19. VON DEN STEINEN, Les Bulgares, S. 24. VON DEN STEINEN, Les Bulgares, S. 25. Die auch nach der deutschen Literatur hin fundierten Mittlervorstellungen von den Steinens laufen auf eine quasi-post-koloniale Stärkung der deutschen Außenpolitik in der Balkanregion hinaus. Die Länder des Balkans kennen mit den Kultureinflüssen Europas, Rußlands und der USA wohl Missionierungen und Interventionen, doch keinen direkten Kolonialstatus; dies stellte er in Rechnung, wenn er hier die Alternative zu den späteren Südost-Instituten (München, Wien; Fritz Valjavec) entwarf, die vor allem in nördlichen Balkanregionen der Wehrmacht vor- und zuarbeiteten sollten. VON DEN STEINEN, Les Bulgares, S. 8.

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erlich griechischen Schicht der Insel anhand ihrer jeweiligen MärchenErzähler. Ja, er schließt von den textuellen und realen Erzählhaltungen, auch von Motiven und Figuren, auf mentale und religiöse Einstellungen der Volksgruppen. Diese stets noch lesenswerte, etwas populäre kultursoziologische Einführung deutet die Texte ethnographisch, nach Religion, Familienstrukturen, Aberglauben usw. Das Interesse und die Empathie des Verfassers gelten dabei besonders der historischen Multikultur, wie sie sich in der nachosmanischen Epoche zeigt. Und überhaupt sind die „Besieger von Byzanz“59 in gleicher Empathie und in aufrichtiger Sympathie wie die Besiegten gezeichnet. Das alte Hellas ist versunken, in kaum einem Zuge klingt es aus den späten Erzählungen dieses späten Volkes nach. Der Olymp und seine Mächte, die Helden der Sage und der Geschichte – alles vergessen! Freilich sind gerade unter den hier unterdrückten Motiven einige, die noch am ehesten mit dem Altertum in Verbindung gebracht werden könnten: so die Kämpfe gegen Ungeheuer. Aber deren verworrene Art beweist am stärksten das Aufhören des antiken dichterischen Geistes. Nur in der Region des Gespensterglaubens finden wir die ‚Myres‘ (im Altgriechischen moirai), die schicksalsbestimmenden Schwestern, die hier ebenso mit den Heiligen wie in der Antike mit den Göttern in Konflikt geraten und, obwohl tatsächlich im Leben mehr als Götter und 60 Heilige gefürchtet, in der Geschichte jeweils den kürzeren ziehen.

Bereits hier verdient das Epitheton „spät“ für das Neugriechische in der variativen Kontinuität mit dem Altgriechischen Beachtung, das von den Steinen dann am Mischstil von Kavafis als „Spätgriechisch“ mit erweiterter Bedeutung belehnt. Dennoch würde ich nicht schon mit den Rhodos-Märchen von den Steinens lebensgeschichtlich definitiv gewordene Hinwendung zum Neugriechischen unterstellen. Ganz offen muß bleiben, wie es damals um seine Kenntnis der neugriechischen Sprache bestellt gewesen ist. Aber eine Beziehung zu ihr war zweifelsohne hergestellt.

Verweigerung der lingua tertii imperii In der autobiographischen Einleitung „Vita Platonica“, die posthum im CP veröffentlicht wurde, hat von den Steinen das Spezifische seines Erkenntnisinteresses an der Gesellschaft Griechenlands in direkte Folge seiner Professionalität als Ethnologe gestellt. Das „Ich“ des Essays heißt u.a. „der Platoniker“: „Leo Frobenius ließ Neger ihre Tänze in Frankfurt am Main aufführen. Ihr Urwaldgebrüll fiel seinen Neidern auf die Nerven, aber für den Platoniker waren sie das aufschlußreichste Erlebnis zwischen seinem Genuß der euro59 Einleitung in HALLGARTEN, Rhodos, S. 23. 60 Einleitung in HALLGARTEN, Rhodos, S. 21.

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päischen Dichtung und seiner Anschauung der griechischen Landschaft. Mit ihnen wurde er zum ersten Mal vor die Manifestation einer Gemeinschaft gestellt, die ein sakrales Universum ebenso konkret verleiblichte wie Plato es ideenhaft beschwor.“61 Der Passus spricht vom nahezu nahtlosen Anschluß der Emigration nach Griechenland an die Arbeit im Afrika-Institut der Universität Frankfurt am Main.62 Zugleich enthält er die Allusion vom bis dato vorwiegend landschaftlichen Begreifen des zeitgenössischen griechischen Lebens. Zum vorangegangenem „Genuß“, dem ‚schönen Leben‘, also den georgischen Ritual-Verbindungen, kann über die Ethnologie bereits eine gewisse Distanz gewonnen sein. Diese dürfte die Teilhabe am Marburger Kreis um Friedrich Wolters betreffen, über den Hans Georg Gadamer, seit den frühen zwanziger Jahren Student in Marburg, in seinen Erinnerungen schreibt: „Es war ein Kreis von jungen Leuten, der so etwas wie eine Kirche bildete: extra ecclesiam nulla salus. Ich selbst stand außerhalb…“63 Von den Steinens Rückblick auf Wolters und das Jahr 1933 erfolgte bei Kriegsende in einer selbstkritischen Bemerkung Karl Wolfskehl gegenüber. Er differenzierte innerhalb der George-Schule und spricht angesichts eigenen Mitmachens vor 1931 von einem Gefühl der Mitverantwortung für das Geschehene […], weil ich in dem wunderbaren Genuß meiner geistigen Erfahrung zu torenhaft war zu bedenken, daß ich in der gegebenen Welt lebte. So für mich seit 1911 […]; seit 1931 begann ich wieder zu ahnen, daß die ungeheure Spannung zwischen Genius und Kommune nicht durch einseitigen Witz in Gestalt übergeführt werden kann. Der bewirkt nur mit den Ausbruch der Urfratze. Seit dem 1. April 1933 glaube ich keinen wichtigen Fehler mehr gemacht zu haben. Jetzt aber heißt es, im ge64 genwartsgewordenen Chaos die Normen der Gestalt zu finden!

Die in den „Kreisen“ gepflegten Begriffsnebel in Sachen „Genius und Kommune“, „einseitiger Witz“ und ähnliches deute ich als sukzessive Gewahrwerdung des Bildungsprivilegs und der zuvor eigenen bewußtlosen Einstellung dazu. So beträfe von den Steinens Kritik die peinliche Selbstbezüglichkeit der Kreise im Erlöser-Ästhetizismus ‚schönen Lebens‘. Auch auf Inszenierungen des genialischen, sei es autoritären, sei es „phallischen“65 ‚Freundes‘-Habitus speziell der universitären Gefolgschaften läßt sich der Passus beziehen. Ein weiteres Jahr darauf formulierte er seine Einschätzung des po61 VON DEN STEINEN, Vita Platonica, S. 41. 62 1935 fand sie mit einer Exkursion nach Abessinien (Äthiopien) ihren Abschluß. 63 GADAMER, Philosophische Lehrjahre. S. 18. Er erwähnt als einander verbundene Mitglieder W. Elze, die Brüder von den Steinen, W. Tritsch, Rudolf Fahrner, E.Volhard, H. Anton, M. Kommerell. 64 Brief an Wolfskehl aus Jerusalem, 14.2.1946 (DLA unv.). 65 VON DEN STEINEN, Stefan George, S. 46-47. Die posthum veröffentlichten Auszüge aus den Bekenntnisschriften bekräftigen erneut solche ‚Kulturrevolution‘ in den ‚griechischen Gemeinschaften‘.

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litischen Gedankengutes von Wolters noch klarer. Die kritische Forschung zu dessen Herrschaft und Dienst (1908/09), welche die Unterwerfungsforderung, auch in der ambivalenten Figuration des ‚Geheimen Deutschland‘, unter die nun exoterisch gemeinte Tat eines politischen Herrschers ins Zentrum stellt,66 scheint von den Steinen dabei, im Rückblick auf eigene Teilhabe, vorwegzunehmen: ich scheide jetzt kategorisch zwischen Dichtung, literarischer Bewegung, Schwabing und Eros auf der einen Seite und Dogma, Politik, Apokalyptik und Fluch auf der andern. Die zweite düstere Linie geht schon von Herrschaft und Dienst (wo sie mit hellen Fäden romantisch verflochten ist) über die Jahrbücher und manche geschichtliche Expektoration zu den Biographien von 1930, worin Wolters geradezu den Herren von 67 1933 seine Erbschaft zur Verfügung stellt.

Am Beispiel zweier Publikationen des Verlages „Die Runde“ kann die Art des Widerstands von den Steinens gegen die Diktatur vom Typus „Drittes Reich“ nachvollzogen werden. Beide Schriften sind zudem im Zusammenhang der Rundfunksendungen von Wolfgang Frommel zu sehen. Dieser hatte den Verlag im Jahre 1931 gegründet. Er sollte eine kulturpolitische Richtung bündeln, genannt Der dritte Humanismus, entsprechend dem Titel des Buches, das Frommel unter dem Pseudonym Lothar Helbling veröffentlicht hatte.68 Verlagsaktivitäten und Redakteursarbeit Frommels, erst am Südwestdeutschen Rundfunk Frankfurt, dann am Reichssender Berlin, hat Michael Philipp detailliert untersucht. Dabei hat er auch die Rundfunkbeiträge von den Steinens erfaßt. Frommel, 1950 Gründer des CP, war es unter anderem um Hilfe für seine als Juden verfolgten Freunde zu tun, doch: „Was er als Kernpunkt der Sendereihe formulierte, blieb allerdings recht unverbindlich, es sei ‚der staatlich denkende und in seiner eigenen Sicherheit gehaltene Mensch.‘“69 Philipp, und auch Baumann, sehen die politische Heimat Frommels im Spektrum der ‚konservativen Revolution‘, wofür sie jedoch nur wenige handfeste Anhaltspunkte beibringen können. Das „Mitternachtsprogramm“, „die wahre Geister- und Geiststunde,“70 blieb für eine kurze Über66 GROPPE, George-Kreis 1933, inbes. S. 72-79 (mit weiteren Literaturverweisen). 67 Brief an Wolfskehl aus Jerusalem, 20.1.1947. WOLFSKEHL, BaN I, S. 235. 68 Darin ist ein Dreistadienmodell der Aufnahme der Antike entwickelt, philosophischwissenschaftlich bei den Humanisten Reuchlin und Kepler, ästhetisch bei Schiller und Wilhelm von Humboldt, und „in der Sage vom Dritten Reich“ schließlich werde die Antike in eine Politik der Gegenwart überführt. Dieses wollte sich als eine Kritik an Hitlers „Drittem Reich“ verstehen und dasjenige eines „dritten Humanismus“ sein. 69 PHILIPP, Wolfgang Frommels Rundfunkarbeit, S. 51. 70 FROMMEL, Vom Schicksal, S. 10. Sendungen von den Steinens erfolgten am 23. März 1934 über „Die deutsche Klassik und der Blick auf den vorgeschichtlichen Menschen“; am 6. April 1934 „Der Urmensch im Spiegel des deutschen Geistes“; am 5. Oktober „Das Erbe des Dschingis-Khans oder das Ende der Zivilisation“; am 30. Januar 1935 „Das Erbe Dschingis-Khans. Überwindung der Zivilisation“, und am 20.

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gangszeit die vergleichsweise anspruchsvolle Kultursendung desjenigen Rundfunksenders, der bis 1932 der nun ins Exil getriebenen literarischen Avantgarde offengestanden hatte.71 Mit dem Titel „Die Begegnung mit der Antike“, der ein zeitenthobenes, scheinbar unverbrüchliches Kulturgut zu aktualisieren versprach, ließen sich georgianische Visionen ‚einschmuggeln‘ und gleicherweise dem braunen Griff nach der Antike Handreichungen in Aussicht stellen. Diese zutiefst ambivalente Konzeptualität arbeitete der politischen Aufladung der Antike im Sinne eines Epochen- und Kunstspiegels der NS-Repräsentation zu, in die auch die Disziplinen der Altertumswissenschaften sukzessive eingebunden wurden.72 Da so ‚naturwüchsige‘ Begegnungen von kulturpolitischem Konservatismus und NS-Repräsentation beiderseits, als Widerstand und als Funktionalisierung, anfangs forciert wurden, blieb zuletzt nur die Distanz zum Rassismus eine deutlich politisch distinkte Haltung. Ein Vortrag von den Steinens (Pseudonym: Albert Borso) „Der Urmensch in deutscher Wiedererinnerung“ ist in Frommels Band publiziert. Es handelt sich um eine ethnologische Deutung von Nietzsches „Übermenschen“. Am Beispiel totemistischer Praktiken der damals schon in Südafrika ausgerotteten Buschmänner demonstrierte von den Steinen ursprüngliches Naturverstehen, das er mit dem in europäischen Frühkulturen verglich. Entsprechend der Kulturkreislehre von Frobenius unterstellte er so die wandernde Entwicklung allgemeinmenschlicher Vermögen bei allen Völkern. Im Sinne der „materiellen Kultur“ magischer oder schamanischer Praktiken sind sie als „Ökonomie“ ursprünglicher Kollektive verstanden. In der Quintessenz unterläuft die Argumentation die NS-Sicht von normativen Epochen und ‚Rasse‘Bewertungen. Für die Auffassung der Antike heiße das, so von den Steinen, keinesfalls „eine Zersetzung des klassischen Gefühles für die Einzigkeit des antiken Menschentums. Im Gegenteil: vor dem wunderbar vertieften Hintergrunde des Urmenschen erscheint das hellenische Bild in neuem Glanz. Seine normhafte Macht [...] ist nicht mehr die Anwendung einer allgemein aussprechbaren Vernunftnorm.“73 Neben der für die NS-Ideologie ketzerischen Umdeutung der hohen Epoche, mit Goethe ist sie zudem hinterrücks in die

März 1935 zum Thema „Vom Geheimnis des griechischen Sprachklangs“. (Nach PHILIPP, Wolfgang Frommels Rundfunkarbeit, S. 246-260). 71 Leitend hatte Ernst Schoen das Kulturprogramm des Südwestfunks geprägt. Von hier waren die Sendungen Weill-Brecht, wie „Der Flug des Lindbergh“, oder Walter Benjamins „Hörmodelle“ und Vorträge ausgestrahlt worden. Die Redaktionsleitungen hatten sich schon 1932 nationalistisch ‚gleichgeschaltet‘. 72 SÜNDERHAUF, Griechensehnsucht, S. 298 ff. und S. 308 ff., „Die Selbstgleichschaltung der Altertumswissenschaften“. 73 VON DEN STEINEN (BORSO), Der Urmensch, S. 23-24.

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Nähe phönizischer und semitischer Völker gebracht,74 benutzt von den Steinen Nietzsches „Übermensch“ zu ironischer Transgression: „Nietzsche sagte nicht: ich lehre euch den Überperser oder den Übereuropäer oder den Überdeutschen, sondern: ich lehre euch den Übermenschen. [...] Und an der einzelnen Menschenart, am Weißen, am Europäer, am Deutschen ist nur dann etwas Hoffnungsvolles, wenn er fähig ist, sein Selbst in diesem Gesamtsinn zu überwinden [...]. Irgendwo sagt Nietzsche auch: Deutschsein heißt sich entdeutschen.“75 Die ironische Groteske auf die NS-Sprachregelung klingt mutwillig herausfordernd. Der Artikel bringt mit Frobenius Auffassung von der Gleichwertigkeit der Kulturen selbst Georges Antikenideal in gefahrvolles Gleiten. Eine Mitautorschaft Helmut von den Steinens im Verlag „Die Runde“ ist auch für das Buch Die Heldensagen der Griechen denkbar, „nach den Quellen neu dargestellt von Erich Wolff.“76 Hier scheint das Vorwort zunächst stärker den NS-Sprachregelungen zu willfahren, wo heißt es: „Denn aus diesen Sagen wird eine geheimnisvolle Verwandtschaft zwischen griechischer und deutscher Art deutlicher als aus irgendeiner anderen Kunstform der Antike.“ So in der Typisierung der Helden, daß „Achilleus wie ein südlicher Bruder Siegfrieds erscheint.“77 Von wenigen (formelhaften?) Anpassungen abgesehen, bleibt das Vorwort sachlich auf die Stoffe und ihre Quellen bezogen. Die Mythen-Erzählungen selbst sind in einem prägnanten, kraftvollen 74 „Wie David königlich zur Harfe sang, / Der Winzerin Lied am Throne klang, / […] Laßt alle Völker unter gleichem Himmel / Sich gleicher Gabe liebevoll erfreun.“ VON DEN STEINEN (BORSO), Der Urmensch, S. 19. Die kulturenhermeneutische Völkerkunde ist so auf Herder, Hamann und Goethe zurückgeführt. 75 VON DEN STEINEN (BORSO), Der Urmensch, S. 14; PHILIPP, Wolfgang Frommels Rundfunkarbeit, S. 154-155. 76 Es handelt sich um ein Pseudonym. Erich Wolff ist der Name des Mannes, von Beruf Arzt, der Schwester Herlint. Die Überlieferung hat sich dazu entschieden, in Herlint von den Steinen die Autorin zu sehen. Ebenso Philipp, Wolfgang Frommels Rundfunkarbeit, S. 195; hier ist der Texttypus des Buches „Übersetzung“ genannt; es handelt sich jedoch um eine eigenständige Erzählleistung. Die alleinige Autorschaft Herlints muß jedoch in Frage gestellt werden, da Rudolf Pannwitz, der nach Dalmatien emigriert und gleichfalls mit Karl Wolfskehl befreundet war, an Helmut von den Steinen im Brief vom 10. Dezember 1955 schrieb: „Ihre darstellung der griechischen heldensagen habe ich mit groszem eindruck gelesen. früher, denn jetzt habe ich sie nicht hier [...]. Diese darstellung ist von besonderer art und ganz rein aus dem boden des landes und den wesen der gestalten hervorgegangen.“ (DLA, unv.) Bei von den Steinens dilatorischer Behandlung der eigenen Autorschaft neige ich dazu, in ihm einen Autor des Buches zu sehen. Die Decknamen-‚Spiele‘ im Verlag „Die Runde“ erfolgten, so Philipp überzeugend, zur Irreführung der Behörden zwecks Honorierung, wie bei den Rundfunkbeiträgen. Zu ihrer Deutung als Heteronyme bzw. Polypseudonyma in Abkehr, zumindest für die eigene Person, vom Namenskult um George vgl. BAUMANN, Lebensform, S. 342. 77 Vorwort (o. P.) in WOLFF, Heldensagen, [S. 2].

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Stil gehalten, der eher wundersam veralltäglicht und wenig heroisiert. Es soll „der griechische Mensch in dieser frühesten Form um so plastischer hervortreten.“ Die Abgrenzung gegen Gustav Schwabs Schönste Sagen des klassischen Altertums wird mit dessen klassizistischen „Hellasbild“ begründet, „er betont das Bürgerliche zu sehr, während für uns die wilden und freien Züge des echten Griechentums seine Vorbildlichkeit erst recht lebendig machen.“ Das ist im Sinne Nietzsches, auch des frühen George, akzentuiert, und in den Akzenten wieder eher inkompatibel mit der NS-Antikenidolatrie. Vorangestellte Homerverse, die von Blindheit und Licht sprechen und deren Widmung: „Seiner ehrwürdigen Gestalt an südlicher Bucht / möchten die griechischen Heldensagen gewidmet sein“, richten sich an den Dichter, der sich seinerseits von Italien aus einer erstmals breiteren deutschen, jüdischen Leserschaft mit neuer dichterischer Produktivität im Zeichen seines Judentums zuwandte, Karl Wolfskehl.78 Trotz Namenlosigkeit setzte die Widmung ein wiederzuerkennendes Zeichen. Wenn Helmut von den Steinen später in „Rückkehr nach Griechenland aus dem Osten“ über seine Fluchtmotive aus Hitlerdeutschland spricht, so kommt der travestierte Rückblick mit der in den Publikationen eingenommenen Widerstandshaltung zur Deckung:„Wessen Geist nicht lügen konnte, der hatte nur die beiden [...] Möglichkeiten des Schweigens oder der Flucht. Es versteht sich, daß es einem geborenen Philhellenen, ebenso wenig wie je einem geborenen Hellenen, keinen Spaß machte, seine Zunge im Zaum zu halten. Also – endgültiger Aufbruch nach Ithaka.“79

78 Der im Salman Schocken Verlag (Berlin, bis 1938, Publikationsort auch von Martin Buber) erschienene Gedichtband Die Stimme spricht (1934-36) hatte eine Erstauflage von 4000 Exemplaren. Seine aufrüttelnde Wirkung ist mehrfach bezeugt. VOIT, Karl Wolfskehl. S. 106. Zum systematischen Ausschluß Wolfskehls aus allen, z.T. von ihm selbst initiierten literarischen Institutionen in Deutschland, ebd., S. 81 ff.. Umgekehrt erblickte die große Zahl jüdischer Anhänger Georges nach 1933 unter der Verfolgung in diesem und Wolfskehl die ‚neuen Führer der Juden‘, so Bertha Badt-Strauss in einem Artikel der Jüdischen Rundschau (Berlin, 22.12.1933). Nach LUHR, Ästhetische Kritik. S. 48. Zur spannungsreichen Einstellungsspaltung zwischen ‚rassisch‘ verfolgten und nichtverfolgten Kreismitgliedern siehe GROPPE, ‚Wunder der Verwandlung‘. 79 VON DEN STEINEN, Rückkehr, S. 20-21.

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Exil Griechenland, Kavafis-Netzwerke, Rückkehr Die Angabe von Cornelia Blasberg, der Aufenthalt in Griechenland sei ab 1934 zu denken,80 muß korrigiert werden. Von den Steinen erwähnte den März 1936 als seine erste Bekanntschaft mit einem Gedicht von Kavafis.81 Jedoch: Sein erster Brief an Karl Wolfskehl, der Recco an der ligurischen Küste als Wohnsitz ausgewählt hatte, ist aus Athen und datiert auf den 29.4.1937: „Ich bin nun ein halbes Jahr in Athen.“82 Vorher unternahm er eine Reise durch Griechenland, von der derselbe Brief Karditsa und Mytilini (Lesvos) erwähnt. In Mytilini war er im September 1936, wie sein zweiter Brief von hier an Nikos Kazantzakis zeigt.83 Wolfskehl gegenüber ist zuvor nichts von Kavafis zu lesen, der im weiteren in kaum einem Brief unerwähnt bleibt. In Recco hatte von den Steinen den verehrten Dichter zuvor über zwei Monate besucht, und ein Nachkriegsbrief erwähnt den Gedanken eines gemeinsamen Exils in Griechenland: „Ägäische Pläne! Sie können mich mit keinem Gedanken glücklicher machen als mit solchen Erinnerungen an Reccoträume“.84 Die Kavafis-Übersetzungen von den Steinens und sein Eintauchen in das Neugriechische scheinen ein und derselbe Vorgang zu sein, der seinem Exil Sinn und Produktivität gab. Zugleich verschaffte ihm dies sehr schnell Kontakte mit herausragenden griechischen Schriftstellern der älteren und der jüngeren Generation, und seine Arbeit wurde sogar in der Öffentlichkeit bemerkt.85 Die zeitgleichen Übersetzungsbemühungen von Marguerite Yourcenar, die mit dem baldigen Kavafis-Experten Dimaras zusammenarbeitete, sowie Forsters englische Ausgabe sind ihm auf dem kleinen Athener Raum nicht entgangen. Es scheint, als sei Helmut von den Steinen ohne muttersprachlichen Ko-Übersetzer ausgekommen, was Rückversicherung von Fall zu Fall nicht ausschließt. An reichlicher Gelegenheit herrschte kein Mangel. Hatte er noch im ersten Brief aus Athen an Wolfskehl über Einsamkeit in dieser Stadt geklagt, ohne den ‚Kreis von Freunden‘, so stürzte er sich förmlich in Übersetzungsfragen, die er mit Nikos Kazantzakis besprach. Auch

80 WOLFSKEHL, BaI, S. 454. Wolfskehl, BaN 2, S. 1298. 81 VON DEN STEINEN, Rückkehr, S. 20. 82 WOLFSKEHL, BaI, S. 245 (29.4.1937). 83 Der erste erhaltene ist von Anfang Juli 1936. Unv. Briefe im Museum Kazantzakis, Irakleio/Kreta. 84 Brief an Wolfskehl aus Geneifa (Suez-Zone) vom 31.10.1947 (DLA, unv.). Prevelakis meint, der Anstoß zur Weiterreise nach Griechenland sei vom seinerzeit weltberühmten jüdisch österreichischen Pianisten Artur Schnabel (1888-1951) ausgegangen. PREVELAKIS, von den Steinen, S. 230. 85 Ο Καβάφης στα γερµανικά (Kavafis in deutscher Sprache). In: Neoellinika Grammata, H. 31 (3.7.1937), S. 15.

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Proben aus seinen Kavafis-Übertragungen sandte er unmittelbar an ihn.86 Als erste Tat erfolgte das Bekenntnis eines missionierenden Georgianers, und so stiftete er den griechischen Dichter und Romancier, dessen Romane, die ihn weltberühmt machten, noch nicht geschrieben waren, zur Übersetzung von Georges berühmtesten Gedicht aus dem Jahr der Seele an, „Komm in den totgesagten Park und schau“.87 Bevor von den Steinen Wolfskehl wiederum mit den schon weit gediehenen Kavafis-Übersetzungen konfrontierte, suchte er, ganz im Einklang mit dem Totenkult Georges, ‚Kreis-Relikte‘ auf Hellas Boden ausfindig zu machen. Jener früheste Athener Brief an Wolfskehl resümiert im Sinne einer Spurensuche die kleine Anzahl Verbindungen des Münchener Georgekreises zum zeitgenössischen Griechenland. Eine hat sich manifestiert in Georges Gedicht „Pente Pigadia“ aus dem Siebten Ring, ‚An Clemens, gefallen 23. April 1897‘ untertitelt. Dieser, so ein zunächst eher vages Kreis-Wissen, ist Clement Harris gewesen. Claus Victor Bock erst wird genauer die Biographie des Komponisten recherchieren, der im Jahre 1896 nach Griechenland fuhr, um dort „Volksweisen“ zu sammeln.88 Ihn begleitete Lorenzos Mavilis, der ein wichtiger Sonette-Dichter ist und bis heute u.a. auf Korfu verehrt wird. Harris, der sich ins griechische Heer als Freiwilliger hatte aufnehmen lassen, starb infolge einer Verletzung bei einem griechisch-türkischen Gefecht im Epirus. Ein analoges Schicksal erlitt ein junger Deutscher, Hans von Prott.89 George wollte offenbar vereinzelte, von einer Byron-Nachfolge motivierte Jünglingstaten im Vorfeld der Balkankriege als ein zeitgenössisches philhellenisches Revival verstanden wissen und diesem mit nun poetisch zu Ruhm verhelfen. Von den Steinens Athener Korrespondenz mit Wolfskehl suchte anfangs hier den thematischen Anknüpfungspunkt. Er übersetzte für ihn das Gedicht von Mavilis auf Clement Harris90 und legte es einem Brief bei. Eine Athener Gedenkfeier für Harris, bei der im He86 Undatierter Brief (1936) an Kazantzakis, Museum Kazantzakis, Nr. 03445 der Korrespondenz. 87 Dem Brief mit eingehenden übersetzungskritischen Fragen nach zu urteilen, den von den Steinen am 14.12.1936 (MK, 1990 A und B) an Kazantzakis schrieb. 88 BOCK, Pente Pigadia. Er führt allein 5 „Kommentare“ zu Georges Gedicht seit 1920 an, von Gundolf, Wolters, Boehringer, Salin und Hildebrandt (S. 5). 89 Er soll Religionshistoriker gewesen sein. Von den Steinen ist auch seinen Spuren nachgegangen (WOLFSKEHL, BaI, S. 245). FROMMEL, Gedenkartikel, S. 71, deutet auf beider Grabnähe in Athen. 90 Abschrift Lorentzos Mavilis, „Χάρρις“ und Übersetzung „HARRIS“, sowie eine Ms.Abschrift aus dem Tagebuch von William Scawen Blunt (1921) über ein Zeugnis des Bruders, Walter Harris, Times-Korrespondent in Marokko, vom Oktober 1897 über den Tod von Clement (Nachlaß Wolfskehl, DLA). MAVILIS, Τα έργα (Werke), S. 33. Das Gedicht war im Sommer 1897 verfaßt und im Dezember 1911 in der Zeitschrift Grammata (Alexandria) veröffentlicht worden.

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rodes-Atticus-Theater dessen symphonische Phantasie über Miltons Paradise lost aufgeführt wurde, erwähnte er im zweiten Brief aus Athen zusammen mit Kavafis.91 Er griff hierbei auch Wolfskehls eigene Verbindung zu Griechenland auf, die wiederum auf die Schwabinger Zeit um 1900 zurückging. Zu den Künstlerfreunden Wolfskehls zählte Nikolaos Gyzis, dem er mit dem Gedicht „N.G.“ das monumentum errichtet hatte.92 Wie die Mehrzahl der Maler des griechischen 19. Jahrhunderts war Gyzis, infolge der AthenBayrischen Sonderbeziehungen, an der Münchener Akademie ausgebildet. In die Linie dieser ‚deutschsprachigen Neugriechen‘ hatten die ‚Kosmiker’ gleicherweise Kaiserin Elisabeth („Sissi“) von Österreich und ihren Griechisch-Lehrer und Vorleser Konstantinos Christomanos gestellt.93 Kavafis nun sollte die Reihe fortführen, derart hatte von den Steinen das Briefgespräch mit Wolfskehl gelenkt: „Cavaphis, dessen Verse ich schicke, ist der europaeisch bei weitem interessanteste Neugrieche, obwohl ihn andere an rein dichterischer Kraft uebertreffen. Diesen fehlt aber die strengste geistige Atmosphaere. In den hiesigen Verhaeltnissen habe ich den sicheren Massstab fuer die Gewichtigkeit dieser Dinge verloren. Darum waere ich aeusserst dankbar, falls dieser seltsame Verwandte von Schuler Ihre Teilnahme erregt, Ihr Urteil ueber seine Bedeutung zu erfahren.“94 Wolfskehl reagierte auf die Kavafis-Übersetzungen wie elektrisiert, und fortwährende Anspielungen auf Kavafis und Schuler – vom „kosmischen Ereignis“ u.a. ist die Rede – durchziehen den Briefwechsel. Aber: von den Steinens weitere Vor- und Nachworte verzichten auf diesen literaturgeschichtlich wenig dienlichen Vergleich. 91 Brief an Wolfskehl vom 21.5.1937 (DLA, unv.). 92 WOLFSKEHL, GW 1, „Nänien“, „N.G.“, S. 9. „Schon lange wollt ich Sie fragen: gehört zu den neugriechischen Teilnehmern an der kosmischen Runde auch der N.G. Ihres Gedichtes, der, wie Wolters ja schreibt, der Maler Gyzis ist? In seinen Bildern konnte ich bisher nur Klassizismus finden. Ein dritter wäre gewiss Christomanos.“ Brief an Wolfskehl vom 13.6.1937 aus Athen (DLA, unv.). Vgl. WOLTERS, George, S. 246. Erwähnt ist nur die „Totenklage auf den griechischen Maler Nikolas Gyzis“. 93 WOLFSKEHL, BaI, S. 196: Er sieht Kavafis verbunden „mit einer Welt, für die Schuler und Elisabeth uns die lebendigen Symbole gewesen sind“. Zu Christomanos und Elisabeth vgl. VON DEN STEINEN, Rückkehr, S. 19, sowie VON DEN STEINEN, Die Situation Griechenlands, S. 597. Beide sind hier als „orphische Charaktere“ der Moderne neben die „antike Epiphanie“ des Dichters Angelos Sikelianos gestellt. Die nationalistische Grenzwanderung bei Sikelianos Neubelebung der Antike, die Tendenz der ‚delphischen Idee‘ zum Kunstgewerbe, ähnlich wie bei den ‚Kosmikern‘, ist dem Verfasser hier deutlich. Zu Christomanos und Schuler siehe KLAGES, Mysterienforscher. Zur symbolistischen Grundierung der ,delphischen Idee‛ von Sikelianos vgl. KAMBAS, Literarische Geographie, S. 102 ff. 94 Brief an Wolfskehl vom 21.5.1937 (DLA, unv.). Wolfkehls Brief (Nr. 130, BaI, S. 196), datiert auf den 26.5.36, der den Erhalt von Kavafis-Übersetzungen erstmals bestätigt und bejubelt, stellt die Antwort auf den unv. Brief vom 21.5.1937 dar. Der Brief Wolfskehls könnte versehentlich ein Jahr zurückdatiert worden sein.

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Sein Wunsch, Wolfskehl möge ein Vorwort zur Kavafis-Übersetzung verfassen, bestand jedoch weiterhin. Die Referenz auf Schuler wäre an ihn gefallen. Dem Verfasser der „Hiob“-Dichtung ist wohl kaum eine ungebrochene Rückkehr zur neronischen Antike zu unterstellen, wie sie in Georges Algabal-Zyklus nach bedeutenderen symbolistischen Vorbildern verherrlicht wurde. Diese Spätantike meinten die „Kosmiker“, meint das Stichwort „Schuler“. Die „kosmische Runde“, in der seit 1893 dieser mit Wolfskehl, Verwey, George und gelegentlich Klages zusammentraf, was in der Autobiographieliteratur Schwabings mit verwundertem Amüsement beschrieben ist, ‚lebte‘ diese Kunstantike in Form faschingsartiger Feste. Schuler, Münchener Privatgelehrter mit nicht beendetem Archäologie-Studium, verstand sich heidnisch gegen das Christentum, ein ‚ultimus paganorum‘ und ‚wiedergeborener Römer der späten Kaiserzeit‘. Sein vom Okkultismus kaum abgrenzbarer ‚gnostischer‘ Hermaphroditismus wollte die ‚neue Zeit‘ aus dem Römertum verkünden. Diese aber erschöpfte sich in Rhetorik und Ritual.95 In Kavafis Distanz zum bayerisch-neugriechischen Geschichtsbild mit dem Zentrum des athenischen Hellas läßt sich oberflächlich eine motivische Berührung mit dem ‚letzten Römer‘ Schwabings herstellen. Doch dessen Jugendstil-Exaltationen, der in Sachen „Heidentum“ zu Recht mit in die Salons getragenem Lebensreform-Elan verglichen wurde,96 stehen Kavafis nüchtern szenisch erzählende Geschichts-Gedichte, ebenso seine Thematisierung des Griechentums der spätrömischen Epoche und von Byzanz oder die orthodoxe Religiosität denkbar fern. Man ziehe nur das populäre Gedicht „Δέησις“ (Fürbitte) heran.97 Nicht Mystagogik, Okkultes oder Blutrausch beschäftigen Kavafis am Hellenismus, vielmehr die „vielfältigen Neuerungen, die mit der Machtkonzentration [...] gegenüber der griechischen Poliswelt als ‚moderne Zeit des Altertums‘ (Droysen)“98 verbunden werden. Ein erster Publikationsversuch der Kavafis-Übersetzung von den Steinens ist einem Brief Wolfkehls aus Neuseeland nach Athen vom 29. September 1938 zu entnehmen. Die Rede ist von der Ablehnung eines Basler Verlags: „Daß Basler Stotzigkeit sich Ihrem Kavafis gegenüber ähnlich verhält, hat mich richtig erbost. Wäre der eingerundete Benno doch einfach bei seinen Geschäftsleisten geblieben, statt täppisch ins Geistige hineinzuschustern.“99 Was hier wie in Geheimsprache mitgeteilt ist, betrifft den Verlag Benno Schwabe, einen der ältesten europäischen Verlage überhaupt, der 1488 in Bindung an die Universität Basel die Geschäfte aufnahm. Mit „eingerundet“ 95 Bei ihrer Travestierungspraxis von Georges Philograezismus brachte es diese „Runde“ zu keiner relevanten Textproduktion. MATTENKLOTT, „Die Griechen sind“, S. 246. 96 SCHRÖDER, Kosmische Runde, S. 194 ff. 97 KAVAFIS 1953, S. 9, mit dem Titel „Gebet“. 98 VÖHLER, Von Alexandrien, S. 283. 99 WOLFSKEHL, BaN 1, S. 224.

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deutete Wolfskehl an, daß mit wachsenden Schwierigkeiten des Berliner Verlages „Die Runde“ Frommel einen Teil des Buchbestands an Schwabe in Kommission gab und für ihn zeitweise frei lektorierte.100 Wolfskehl ärgerte sich über die „banausische Anmaßung“ des Verlegers, „mit ästhetischem Aburteil zu bemänteln und zu befeigenblättern!“101 Von den Steinen wird demnach ein komplettes Manuskript seinem bewährten Verleger und Freund Frommel gesandt haben, das der Basler Verlag Benno Schwabe nicht zu drucken beschied. Denkbar ist, daß dieses Manuskript bereits die erst 1985 gedruckte Einleitung enthielt. Entsprechend verfolgte von den Steinen Frommels weitere Verlagsinitiativen.102 Seinem Brief aus dem britischen Internierungslager in Uganda zufolge hat Wolfskehl von Neuseeland aus eine weitere Publikationsmöglichkeit und ein Vorwort für sie zu verfassen in Aussicht gestellt: „Your letter is the first to tell me about the possible edition of Kavaphis. I am deeply rejoying and grateful about your wonderful idea of writing an introduction.“103 Die Übersetzung des Werkes von Kavafis weist im Briefwechsel mit Wolfskehl eine symbolbeladene Erinnerungsspur auf, die um den Namen Schuler von Athen 1937 folgende nach Schwabing um 1900 zurückführt. Bei der Anteilnahme sind gleicherweise die beiden Schwestern Herlint und Runhilt, ihrerseits Verehrerinnen Wolfskehls, in die Bemühungen um Kavafis eingebunden zu sehen. Vermittelt hat sich dies sogar in einer anderen Text100 VAN CASSEL, Wolfgang Frommel, S. 84. 101 WOLFSKEHL, BaN 1, S. 225. 102 Er berichtete an Wolfskehl (Brief vom 14. Februar 1946; DLA, unv.): Der „wilde Wolfgang in Holland steht als anerkannter Maquis-Kämpfer da und in Verlagsblüte“. Das betrifft Frommels und Cordans gemeinsame Mitwirkung an der von Gerard van Brabander und Jacques van Hattum herausgegebenen, dem holländischen Widerstand verbundenen dreisprachigen Zeitschrift Kentaur. Von den Steinen vermutete zunächst, Frommel habe die Übersetzungen Cordans pseudonym publiziert: „Ich sehe mit Spannung seinem Schicksal in Holland entgegen. Übrigens muß ich einen Irrtum berichtigen. Der Wolfgang Cordan dort, den ich für einen Decknamen von Frommel hielt, existiert wirklich – aber als Freund und Mitarbeiter, sodaß die beiden Wolfgangs doch dasselbe vorstellen. Die neuen Nummern ihres Kentauren sind wohlgemeint, freilich etwas dünn.“ Brief an Wolfskehl vom 20.5.1946 aus Jerusalem, in: WOLFSKEHL, BaN 1, S. 233. 103 Brief vom 4.3.1943 (DLA, unv.); im Brief vom 14.2.1946 aus Jerusalem (DLA, unv.) fragt er nach Wolfskehls ev. weiterer Bereitschaft dazu: „Doch wäre diese Ausgabe für meine Rückkehr nach Hellas von höchstem Wert.“ Um die Publikation kümmerte sich ebenso die Schwester Runhilt aus ihrem Florenzer, später auch Londoner Exil. Für Wolfskehl führte sie in Italien die Bankgeschäfte, und er warb um sie, damit sie ihn als Sekretärin nach Neuseeland begleite. (VOIT, Wolfskehl, S. 78.) Mit Jablonski stand er gleichfalls, wie von den Steinen ebenso, in Korrespondenz über dessen Übersetzungen, die er aber nicht autorisierte. So hat man die verschiedenen deutschen Übersetzungen von Kavafis bis 1953 als ein vier Kontinente übergreifendes, durchaus kooperatives Netzwerk zu sehen.

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sorte, der Nachlaß-Autobiographie, die Rudolf Fahrner 1977 verfaßte, niedergeschlagen. In ihr ist eine Episode mit Helmut von den Steinen festgehalten, die ihn im Athen des Herbstes 1939 zeigt, den Emigranten in Konfrontation mit dem Ich des Autobiographen, dem akademischen Repräsentanten des „Reiches“. Fahrner hat immerhin die „Staatsvertragsprofessur“ für Deutsche Sprache und Literatur an der Athener Universität eingenommen.104 Der Autobiograph hält von den Steinens Reaktion auf seine Antrittsvorlesung „Goethe, Friedrich der Große und die deutsche Bildung“ mit demonstrativer Beiläufigkeit fest, zumal es doch die eines ihm nahezu Unbekannten sei. Der Kerngedanke der Vorlesung, wie der Autobiograph sie und ihren großen Erfolg auch als quasi-Fortführung der voraufgegangenen Winckelmann-Feier des Athener Deutschen Archäologischen Instituts erinnert, beruht auf dem Stereotyp der ‚Urverwandtschaft‘ zwischen ‚Hellas und Germanien‘. Goethe wird als Vollender von „des Königs“, so ist Friedrichs II. von Preußen stets märchenhaft schlicht von Fahrner genannt, und dessen in der „französischlateinischen Tradition“ gefundenen „Gestalt und Maße“ gesehen. Goethe nun, eine Art geistiger ‚König‘, habe sie fortgeführt, aber dabei „die aus Hellas herüberwirkenden, weit mächtigeren und den Ursprüngen verschwisterten Maßgebilde, zu denen Winckelmann den Zugang eröffnet hatte“105 der ‚Zukunft‘ erschlossen. Die griechische Zuhörerschaft sei von dieser ‚Urverwandtschaft Hellas – Germanien‘, mit Goethe als ihrem Stifter, ausgesprochen angetan gewesen. Soweit der Kerngedanke, wie ihn Fahrner zusammenfaßt. Zum so allseits positiven Athener Echo meint er einen unbedeutenden Mißklang nachtragen zu müssen: An einem kleinen, nicht sehr bedeutenden, aber doch bezeichnenden Gegenspiel fehlte es nicht. Helmut von den Steinen, den kennen zu lernen ich immer vermieden hatte, war damals als Emigrant in Athen. Er drang am nächsten Morgen in mein Hotel ein und neben dem schreienden Zimmerkellner zu mir durch. Er überhäufte mich sogleich mit Vorwürfen wegen meiner angeblich nationalistischen Darstellung und behauptete, dass die überragende französische Geistes- und Gesellschaftskultur mit ihren festen klaren Halten [sic] viel mehr für die Neugriechen bedeutet habe und noch bedeute als die deutsche, oft so wirre Suche nach dem Ursprünglichen. Ich bat ihn, bei seiner 106 Meinung zu bleiben.

Daß von den Steinen gegen Fahrners Eklektizismus, kombiniert mit der Urverwandtschaft-Ideologie, einen für das Verständnis deutscher Kultur in Griechenland zentralen kultursoziologischen Gesichtspunkt anführt, den der Autobiograph offenbar auch im Jahre der Niederschrift noch nicht recht versteht und der scheinbar nichts mit dem hehren Gedankengut des Vortrags zu 104 Siehe im vorliegenden Band den Beitrag von Jan Andres, S. 84. 105 FAHRNER, Erinnerungen, S. 206. 106 FAHRNER, Erinnerungen, S. 206/207.

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schaffen hat, macht der lesenden Nachwelt vor allem eines deutlich: zwischen beider Kenntnissen der neugriechischen Gesellschaft, konkret zu den Gründen der je verschiedenen Sprach- und Kulturorientierungen im Bürgertum, liegen dieselben Welten wie zwischen verstehender Deutung und insistierender Ideologie. Die Episode führt den Leser dabei auch auf die z.T. unwillkürlichen Strategien von Erinnern und Vergessen im autobiographischen Akt. Selbstrechtfertigung ist mit im Spiel. Wo die eigene Antrittsvorlesung in die „Atmosphäre“, „ein Kreisen geistiger Hochgefühle“ im Athen 1939 mit der „Winckelmann-Feier des Deutschen Archäologischen Instituts am 13. Dezember 1939“107 gerückt ist, kann heutigen Lesern der Wink kaum deutlicher sein, gab doch die Winckelmann-Gesellschaft den Altertumswissenschaften wiederholte Signale, die griechische Klassik und ihre Rezeption im deutschen Klassizismus auf Erziehungsideale des NS-Staates hin aktuell aufzubereiten. Es galt den Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften vor dem Griechenlandfeldzug, die Popularität eines rassistisch grundierten ‚Philhellenismus‘.108 Die erzählte Episode führt eine weitere Dimension mit sich: Der hier Erinnerte wird in baldigen Nachkriegszeiten, wenn Fahrner an der Universität Ankara wirken wird, sein Nachfolger für Deutsche Sprache und Literatur in Athen werden, mit Unterstützung der Bonner Regierung. Im Subtext der Autobiographie verbergen sich so zwei diametral entgegengesetzte Selbstverständnisse, die z.T. unabhängig von den Staatsrepräsentationen vor und nach dem Weltkrieg sind: Wie soll für die Vermittlung deutscher Kultur speziell in Griechenland wissenschaftlich argumentiert werden? Mit der ‚Urverwandtschaft‘? Oder mit der Hybridität der modernen griechischen Bildung aus verschiedenen europäischen Fremdsprachen? Nicht zuletzt konfrontiert die Episode unwillkürlich zwei Übersetzer aus dem Neugriechischen miteinander: der eine, der die griechische Kavafis-Ausgabe von 1935 bereits komplett übersetzt hat, der mit Kazantzakis und Prevelakis zusammenarbeitet und der bis 1956 drei wichtige zeitgenössische griechische Romanen an sichtbaren Stellen erscheinen lassen wird, der andere ein Amtsträger und Übersetzer des „Dialogs“ von Solomos, des Dichters der Nationalhymne. Der ‚autobiographische Pakt‘ (Lejeune) Fahrners mit dem nachgeborenen Leser bringt ihn zuletzt nur in Rechtfertigungen, die er vermeiden wollte. Eine andere, ebenso mit von den Steinens Mittlerschaft zu Griechenland erkennbar verbundene Strategie autobiographischen Schweigens, betrifft den Marburger Wolters-Kreis. Sie verbirgt sich in der Formulierung, „den kennen zu lernen ich immer vermieden hatte“. Nach welchen offenbar mehrfachen, naheliegenden Gelegenheiten hin vermied Fahrner? fragt sich der Leser. Wie 107 FAHRNER, Erinnerungen, S. 205. 108 Zur seinerzeitigen Bedeutung Winckelmanns für die Archäologie vgl. SÜNDERHAUF, Griechensehnsucht, S. 316 ff.

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es sich im Marburger Wolters-Kreis im einzelnen verhielt, mag anderweitig erforscht werden. Da aber in den George-Kreisen die Initiationen stets Beglaubigungen betreffen und „Bund-“ und „Freundes“-Geschehen eine Art Geschichtssubstitut sind, taucht der Name von Karl Schefold wohl kaum zufällig kurz hinter der unliebsamen Erinnerung an Helmut von den Steinen auf. Der Bekanntschaft mit Emil Kunze vom DAI, so Fahrner,„mit dem mich ein Freund, Karl Schefold, zusammengeführt hatte,“109 verdanke er seine beiden Bekanntschaften zu griechischen Wissenschaftlern, dem Literaturhistoriker Linos Politis und dem späteren Museumsdirektor Christos Karouzos. Karl Schefold, der in der Basler Emigration 1942 berufene Archäologe und Georgianer, war eben der Mitarbeiter des DAI, den man gleich 1933 vor die Alternative gestellt hatte, entweder das Institut in Athen oder seine deutsche Verlobte zu verlassen, die ‚halbjüdische‘ Archäologin Marianne von den Steinen. Diese nun hatte, wie Pieger ausführt, Schefolds Kontakte zum Wolters-Kreis intensiviert, da sie „dessen zweiter Frau Gemma WoltersThiersch eine nahe Freundin wurde.“110 Nach Wolters Tod wird Gemma Wolters zur Frau Fahrners werden. „Wir in Marburg Verbundenen“111 dürfte also Schefold und Marianne, deren Namen Fahrner nicht nennt, einbeziehen. Marburg holte Athen ein, für Fahrner weit prekärer als für von den Steinen. Die Schweigestrategie des ersteren macht greifbar, wie innerhalb der GeorgeJüngerschaft noch lange nach 1945 Vorbehalte zwischen „Mitmachern“ in den Organen des „Dritten Reiches“ und Weigerern beziehungsweise Verfolgten wirkten, zwischen Kreismitgliedern mit und ohne jüdischen ‚Hintergrund‘ oder auch zwischen nichtrassistisch und rassistisch denkenden.112 Über weitere Mittleraktivitäten von den Steinens erfahren wir aus den Tagebüchern des Dichters Giorgos Seferis. Diese Aktivitäten politisierten sich zur Zeit des italienischen Überfalls auf Epirus zusehends. Die Verbindung beider scheint über die Übersetzung von Seferis Gedicht „Ο βασιλιάς της 109 FAHRNER, Erinnerungen, S. 207. 110 PIEGER, Karl Schefold, S. 207. 111 FAHRNER, Erinnerungen, S. 152; es betrifft die Privatdozenten-Zeit bis 1934; siehe auch Pieger, demzufolge Schefold damals seine Dissertation über die „Kertscher Vasen“ der Athener Spätklassik verfaßte. 112 Raulff verweist auf zwei Briefe Fahrners mit Versuchen einer diskreditierenden Einflußnahme gegen Marianne. RAULFF, Kreis ohne Meister, S. 218-219. In Kenntnis der Fahrnerschen Erinnerungen zeigte sich Schefold in den eigenen später zurückhaltend, nahezu versöhnlich. SCHEFOLD, Die Dichtung als Führerin, S. 63. Fahrner hatte offenbar Probleme mit allen Mitgliedern der Familie von den Steinen. Auch sein langer Bericht über das „gefreundete Paar“ (S. 128), „dem schönen reifen Arztfreund“ (S. 128) Erich Wolff mit seiner „in mancher Beziehung hochbegabten, nicht unbedenklichen Frau“ (S. 128) ist in den Zusammenhang der Episode Helmut von den Steinen zu stellen. Trotz der jahrelangen Freundschaft und gemeinsamen „Frühlingsfahrt nach Trinakia“, Sizilien, bleibt der Name der ‚nicht Unbedenklichen‘, Herlint, ausgespart.

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Ασίνης“ (Der König von Asine)113 zustande gekommen zu sein. Es thematisiert die bangende Furcht vor einer weiteren Katastrophe und den Rückzug eines Denkenden auf das ihm Verbliebene. Im Tagebuch ist Seferis Zeuge der Aktivitäten und Konflikte des Emigranten. Über sie weiß man bislang nur Resultatives aus dem an Wolfskehl gerichteten Brief: „Known for my antiaxis-activity during the splendid war of the Greek[s] against the Italians, I was sent under British protection in a normal refugees’ ship to Egypt and thence to Palestine. There they thought it necessary to intern me, until my position was thoroughly checked up. I hope to get free before a very long time and to consecrate myself entirely to the struggle of my countrymen (the Greek[s], of course).“114 Diese „antiaxes activities“, von denen Frommel die „offizielle Verdeutschung und Redigierung“ des Weißbuches der griechischen Regierung über die Kriegshandlungen mit Italien erwähnt,115 erscheinen in der Aufzeichnung von Seferis mit Datum vom 3. Dezember 1940 so festgehalten: „Er hat eine Anstellung am Radio und kommt, weil er mir am frühen Morgen eine deutsche Übersetzung des ‚Königs von Asini‘ schickte.“116 Prevelakis erwähnt im Nachruf: „Er begrüßte in unvergessenen Ansprachen, die vom Radiosender Athen verlesen wurden, die neuen Griechen [...].“117 Seferis gibt am 5. November, also wenige Tage nach dem glorreichen, und bis heute als Nationalfeiertag gefeierten „Όχι“ (Nein), dem Rückschlag der Italiener, folgendes Gespräch mit von den Steinen wieder: „Wäre ich zwanzig Jahre jünger, wäre ich nach Epiros gegangen um zu kämpfen. In meinem Alter ist es aber unsinnig. Ich möchte dem griechischen Kampf dienen; helfen Sie mir dabei. Mein Vater war Hochschullehrer an der Berliner Universität, meine Mutter ist Jüdin. Ich will mit den Deutschen in ihrem degenerierten Zustand nichts zu tun haben.“ – „Aber wissen Sie, mit solchen Taten wird es Ihnen schlecht ergehen, wenn es den Deutschen auch noch gelingen sollte hierher zu kommen.“ – „Und Ihnen ebenso“, entgegnete er mir. „Sie hassen Sie, würden Sie gern in Stücke reißen. In der deutschen Botschaft sprechen sie davon, Sie seien das schlimmere Übel von Anglophilie und byzantinischer…“ – Hier sucht er den Ausdruck, denn er spricht sein Griechisch mit schwerer deutscher Aussprache, und schließlich findet er: „…und byzantinischer subtilité.“ – „Im Grunde,“ sage ich ihm, „bin ich sicher, daß sie einen Men-

113 SEFERIS, Μέρες Γ΄ (Tage ΙΙΙ), S. 264; vgl. SEFERIS, Der König von Asine. 114 WOLFSKEHL, BaN 1, S. 225. Brief aus Jerusalem (britisches Internierungslager) vom 12.7.1941. – Er ist im August 1942 nach Uganda weiterdeportiert und von dort erst 1944 wieder nach Palästina rückgeführt worden. 115 FROMMEL, Gedenkartikel, S. 68 (nicht recherchiert). 116 „Έχει πάρει µια θέση στο ραδιόφωνο κι έρχεται αφού µου έστειλε το πρωί µια γερµανική µετάφραση του ‚Βασιλιά της Ασίνης‘.“ SEFERIS, Μέρες Γ΄ (Tage ΙΙΙ), S. 264. 117 „είχε προλάβει να χαιρετήσει σε µερικά αλησµόνητα κείµενα, που διαβάστηκαν από το ραδιοφωνικό σταθµό της Αθήνας, τους νέους Έλληνες [...].“ PREVELAKIS, von den Steinen, S. 230.

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schen, der für sein Land kämpft, achten.“ – „Die wahren Deutschen würden Sie ach118 ten,“ sagt er mir, „die da aber nicht.“

Helmut von den Steinens entschiedene Haltung wirkte unter den europäischen Kriegsbedingungen seit September 1939 für Griechen des liberalen Lagers nicht unmittelbar einleuchtend, denn alle dachten zu stark in Kategorien eigener Vaterlandsverteidigung. So auch Seferis: „Schlagartig geht mir der Zusammenhang auf, es könne um Eigennutz gehen. Es gibt Engländer, die den Verdacht haben, er sei ein Spion. Menschlichkeit ist alles in allem zu einem ungelösten Problem geworden. [Notiz nach dem Krieg:] Ich hatte Unrecht. Helmut von den Steinen blieb ‚erstklassig‘ bis zum Schluß.“119 In „Rückkehr nach Griechenland vom Osten“ hat von den Steinen über seine Abfahrt zusammen mit der englischen ‚Schutzmacht‘ Richtung Ägypten am Tag des Zusammenbruchs der griechischen Abwehrfront gegen die Wehrmacht berichtet. Das Gespräch, das Seferis im Tagebuch wiedergibt, scheint länger getragenen Vorstellungen, die er mit griechischen Freunden besprach, vom Leben im Untergrund unter deutscher Besatzung zu korrespondieren: In der dann [dem Albanienkrieg, C.K.] folgenden düsteren Epoche hätte der kosmopolitische Gast vielleicht seinen Freunden helfen können – wenn er die List und Kühnheit seines Vorbildes Odysseus besessen hätte. Dieser hätte Pläne geschmiedet und wäre [...] nächtlicherweise in die Lagerstätten der Barbaren eingedrungen und hätte ihnen ‚Rosse‘, also heute Nachrichten und Pläne, Waffen, ja vielleicht Geiseln geraubt. Durch den Mund vernünftiger Romäer riet Athene dem modernen Odysseusschüler dringend von solchen romantischen Experimenten ab [...]. Ihm blieb nichts 120 anderes übrig als jeder entwürdigenden Berührung auszuweichen [...].

118 „Αν ήµουν είκοσι χρόνια νεώτερος, θα πήγαινα να πολεµήσω στην Ήπειρο, αλλά είναι κωµικό στην ηλικία µου. Θέλω να υπηρετήσω τον ελληνικό αγώνα· βοηθήστε µε. Ο πατέρας µου ήταν καθηγητής στο πανεπιστήµιο του Βερολίνου, η µητέρα µου Εβραία. Δε θέλω να έχω καµιά σχέση µε τους Γερµανούς, όπως κατάντησαν.“ – „Μα ξέρετε πως µ’ αυτά που θέλετε να κάνετε, θα κακοπεράσετε αν τύχει κι έρθουν οι Γερµανοί εδώ.“ – „Και σεις το ίδιο, µου αποκρίνεται. Σας µισούν, θα ήθελαν να σας κατασπαράξουν. Λένε στη γερµανική πρεσβεία πως είστε το άκρον άωτον της αγγλοφιλίας και της βυζαντινής…“ Εδώ γυρεύει, καθώς µιλά τα ελληνικά µε βαριά γερµανική προφορά, τη λέξη· στο τέλος τη βρίσκει: – „και της βυζαντινής subtilité.“ – „Κατά βάθος, του λέω, είµαι σίγουρος πως εκτιµούν έναν άνθρωπο που αγωνίζεται για τον τόπο του.“ – „Οι αληθινοί Γερµανοί θα σας εκτιµούσαν, µου λέει, αυτοί όµως όχι.“ Seferis, Μέρες Γ΄ (Tage ΙΙΙ), S. 261. 119 SEFERIS, Μέρες Γ΄ (Tage ΙΙΙ), S. 264. „Μου ξεσκεπάζεται ξαφνικά µια αλληλουχία ιδιοτέλειας. Υπάρχουν Άγγλοι που υποστηρίζουν πως είναι κατάσκοπος. Η ανθρωπότητα έχει γίνει ολωσδιόλου αξεδιάλυτη [Σηµ. µετά τον πόλεµο:] Είχα άδικο· ο Helmut von den Steinen έµεινε πρώτης τάξεως ως το τέλος.“ 120 VON DEN STEINEN, Rückkehr, S. 24.

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Für den Athener Aufenthalt bis 1941 bleibt von den Steinens Verbindung zu Pantelis Prevelakis nachzutragen. Kreter wie Kazantzakis, schließt er sich dem Älteren bereits Mitte der zwanziger Jahre an. 1939 ist er gerade dreißig Jahre alt. Mit der 1935 abgeschlossenen Dissertation Ο Γκρέκο στην Κρήτη και Ιταλία (El Greco auf Kreta und in Italien) wird er ab 1937 bis 1941 verantwortlicher Vorsitzender des Referats Bildende Künste im Erziehungsministerium und nimmt bald daneben eine Professor für Kunstgeschichte an der Athener Σχολή Καλών Τεχνών (Hochschule für Bildende Künste) ein, und dies bis einschließlich 1974, also auch während der Besatzungsjahre und des Bürgerkriegs. Von der Stelle im Ministerium aber ist er mit der Besatzung entlassen worden.121 Wie er im Nachruf erläutert, nimmt er mit von den Steinen ab dessen Aufenthalt in Kairo, wohl nach dem griechischen Bürgerkrieg, erneut den Kontakt auf. Er findet dort einen Emigranten in der Erwartung vor, „sich definitiv in unserem Land niederzulassen. Er hatte seine neugriechischen Studien nicht aufgegeben, im Gegenteil, [...] er reservierte einen Teil seiner Zeit der neugriechischen Literatur.“122 Die drei umfangreichen Romane von Kazantzakis und Myrivilis, die erst ab 1938 geschrieben wurden, hat er in dieser räumlichen Distanz zum Land seiner Heimkehr übersetzt, ebenso von Prevelakis das Drama Το ιερό σφάγιο (1952; Das heilige Schwert) und, im Sommer vor seinem Tod, den ersten Band der RomanTrilogie O Κρητικός (1948-50; Der Kreter) mit dem Titel Το δέντρο (Der Baum).123 Letztere erinnert der Autor als eine beglückende Zusammenarbeit mit dem Übersetzer: „Unser schwieriger Gegenstand führte dazu, daß wir regelmäßig über die Sprache wie auch über das humanistische Potential volkstümlicher Kultur diskutierten, welche das Thema des Buches ist.“124 Das Thema übrigens findet sich gleichfalls, je verschieden akzentuiert, in den Romanen von Kazantzakis und Myrivilis. Stratis Tsirkas zufolge nahm von den Steinen am kulturellen Leben der Kairoer griechischen Minderheit aktiven Anteil. Vielleicht hat er ihn zu einer der deutschen Figuren der in Alexandria, Jerusalem und Kairo spielenden Roman-Trilogie Ακυβέρνητες πολιτείες (Unregierbare Städte) gemacht. Seinerseits Kavafis-Forscher, berichtet er von einem griechischen Vortrag von den Steinens über den Dichter in Kairo. Beide Verweise gelten speziell dem 121 Z[IRAS], Πρεβελάκης (Prevelakis), S. 1869. 122 „δεν έβλεπε την ώρα να γυρίσει στη χώρα µας να εγκατασταθεί οριστικά. Δεν είχε παρατήσει τις νεοελληνικές σπουδές, το εναντίο […] σχεδίαζε ν’ αφιερώσει ένα µέρος του χρόνου του στη νεοελληνική λογοτεχνία.“ PREVELAKIS, von den Steinen, S. 230. 123 PREVELAKIS (Hg.), Τετρακόσια γράµµατα (Vierhundert Briefe), S. 316. 124 PREVELAKIS, von den Steinen, S. 231: „Το δύσκολο κείµενο µας έκαµε να κουβεντιάσουµε συχνά τόσο για τη γλώσσα όσο και για την ανθρωπιστική δύναµη του λαϊκού πολιτισµού, που είναι το θέµα του βιβλίου.“ Die Übersetzung wurde so gut wie abgeschlossen, ist aber, trotz Verlagsauftrag, nicht erschienen.

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Gedicht „Περιµένοντας τους βαρβάρους“ (Die Barbaren erwartend), das ich in der Übersetzung von den Steinens hier einfüge: „Was erwarten wir, auf dem Markt zusammengedrängt?“ Daß die Barbaren heut eintreffen werden! „Warum eine solche Untätigkeit im Senat? Was sitzen die Senatoren und gesetzgeben nicht?“ Weil die Barbaren heut eintreffen werden. Was für Gesetze werden die Senatoren noch machen? Die Barbaren, kommen sie nur, werden Gesetzgeber sein. „Warum erhob sich unser Kaiser so früh Und sitzt an der Stadt erhabenstem Tor Hoch auf dem Thron, als Herrscher die Krone tragend?“ Weil die Barbaren heut eintreffen werden. Und der Kaiser wartet darauf, ihren Häuptling Zu empfangen. Besonders bereitete er Ein Pergament vor zur Überreichung. Darin Ließ er jenen mit vielen Titeln und Namen einschreiben. „Warum erschienen unsre zwei Konsuln und die Prätoren Heut mit den roten, mit den bestickten Togen? Warum legten sie Armbänder an mit so viel Amethysten Und Ringe mit hellen, glitzernden Smaragden? Warum mußten sie heut kostbare Stäbe ergreifen Mit herrlich graviertem Silber- und Goldwerk?“ Weil die Barbaren heut eintreffen werden: Und derlei Dinge blenden die Barbaren. „Warum kommen wie sonst nicht die würdigen Rhetoren auch, Ihre Worte vorzubringen, das ihrige zu sagen?“ Weil die Barbaren heut eintreffen werden: Und die brummen bei Schönsprüchen und Volksreden. „Warum auf einmal, daß diese Unruhe ausbricht Und Verwirrung? (Die Gesichter – wie ernst sie wurden!) Warum leeren sich schnell die Straßen und Plätze, Und alles strebt in die Häuser sehr nachdenklich?“ Weil es Nacht wurde und die Barbaren nicht kamen. Und Leute trafen ein aus dem Grenzbezirk Und sagten, daß es Barbaren nicht mehr gibt. „Und jetzt – was ohne Barbaren aus uns wird! 125 Diese Menschen waren eine Art Lösung.“

Da das dialogisch gebaute Gedicht die Täuschung über eine Belagerung mit der Desillusion der Angst ironisch miteinander verbindet und dabei, was wir Zivilisation nennen, als eine leere Hülle erscheint, wundert sich Tsirkas, wie125 KAVAFIS 1953, S. 19-20.

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so es 1951, sozusagen unter Belagerungsbedingungen des Kalten Krieges, als Flugblatt an Berliner Mauern angeschlagen gewesen sein soll. Wo in Berlin, ist nicht erwähnt, und so hat Tsirkas an dieser Stelle das Phänomen nicht sehr klar gekennzeichnet. Doch er unterstellt, seinerseits ironisch, eine ideologische Vereinnahmung des Gedichtes bei dieser Mitteilung einer Anschlagaktion. In dem Zusammenhang kommt er auf das Jahr 1955 und einen Kairoer Vortrag Helmut von den Steinens. Dieser habe festgestellt, daß „Die Barbaren erwartend“ bei Deutschen einen besonders tiefen Eindruck hinterlasse, vielleicht, „weil die Seele der Deutschen eine Neigung habe, sagte er, immer wieder Zuflucht bei den ‚übermenschlichen‘ Kräften (preußischer Militarismus) zu suchen. Vielleicht spürten die Deutschen so besser, wer genau die Barbaren sind, denn stets gebe es die Gefahr der Steppe.“126 Das würde bedeuten, die deutschen Leser merken nicht so sehr auf das abrupt trockene Ende des Dialogs, als daß sie den beschriebenen Mechanismen von Angst und Abwehr hellhörig nachsuchten bzw. noch in der Desillusion nicht das wirkliche Fehlen von Barbaren hinnehmen könnten. Sollte von den Steinen dies auf die kollektive Verarbeitung der jüngsten Geschichte der Deutschen bezogen haben? Oder eher auf Ängste der Westberliner? Oder sollte er etwa die Mehrheit ‚der Deutschen‘ meinen? Oder zweierlei Einstellungen innerhalb von George-Kreisen nach dem Krisenjahr 1933 im Blick haben? Lassen wir Tsirkas mit eigenen Eindrücken, die er bei dem Vortrag von den Steinens empfangen hatte, zu Wort kommen. Er könnte zu den gestellten Fragen Hinweise geben, in welcher Richtung Antworten zu suchen sind: Gleichwohl, dieser neugierige ‚Interpret‘ hatte kürzlich unterstrichen, wie sehr beliebt Kavafis sei ‚vor allem in jenen Kreisen deutscher Intellektueller, die sich nicht ausschließlich mit der Politik befassen.‘ Wen er meinte und wie er mit der Bedeutung des Wortes ‚Politik‘ spielte, das brauchen wir, denke ich, nicht zu analysieren. Der Clou liegt anderswo. Weil nämlich dieses Gedicht genau von den Menschen geliebt worden sein müßte, die von den Steinen, der heute Unvergessene, in seinen Gedanken hervor127 hob. 126 „Ίσως γιατί, είπε, η ψυχή των γερµανών έχει µια έφεση προσφυγής, κάθε τόσο, προς τις υπεράνθρωπες δυνάµεις (πρωσσικός µιλιταρισµός). Ίσως γιατί οι γερµανοί νιώθουν καλύτερα ποιοι είναι οι Βάρβαροι, µια και υπάρχει πάντοτε ο κίνδυνος της στέππας“. TSIRKAS, Ο Καβάφης και η εποχή του (Kavafis und seine Zeit), S. 321-322. 127 „Κι όµως ο περίεργος αυτός ‚ερµηνευτής‘ είχε τονίσει προηγούµενα πως ο Καβάφης ήταν πολύ αγαπητός „προ παντός στους κύκλους εκείνους των γερµανών διανοουµένων που δεν ασχολούνται µόνο µε την πολιτική“. Ποιους εννοούσε και πόσο έπαιζε µε τη σηµασία της λέξης ‚πολιτική‘ δε χρειάζεται, νοµίζω, να τ’ αναλύσουµε. Το νόστιµο είναι αλλού. Γιατί αυτό το ποίηµα θάπρεπε ν’ αγαπηθεί ίσα-ίσα από τους ανθρώπους που εξαιρούσε µε τη σκέψη του ο αείµνηστος, τώρα, φον ντεν Στάινεν.“ TSIRKAS, Ο Καβάφης και η εποχή του (Kavafis und seine Zeit), S. 322.

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Wir dürfen also die kollektivpsychologische Deutung von den Steinens auf die Mentalität des ‚wahren Deutschlands‘ oder des ‚dritten Humanismus‘ beziehen. Als Mittler zum Griechischen hin, blieb er, was die Nachkriegszeit betrifft, in Georges Versprechen der Erneuerung über Elitebildung befangen. Von Athen aus aber Richtung Bundesrepublik überstellte er die Botschaft des humanistischen Potentials der z.T. heroisch-pessimistisch gezeichneten Volkstraditionen, die als griechische Identität zu artikulieren die gelehrten Schriftsteller im Zeichen einer Versöhnung nach Besatzung und Bürgerkrieg aufnahmen, ohne diese letzteren allerdings zu thematisieren. Dank Allen, die mir zu unterschiedlichen Zeiten der Arbeit praktische Hilfen und freundliche, anteilnehmende Hinweise gaben, fühle ich mich dankbar verbunden: Bernhard Böschenstein (Genf), Reimar Schefold (Amsterdam), Bertram Schefold (Frankfurt/M.), Georgine von den Steinen (Basel), den Mitarbeitern des Deutschen Literaturarchivs Marbach, Eleni Kovaiou (Universitätsbibliothek Rethymno) und Varvara Tsaka (Museum Kazantzakis, Irakleio). Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank.

Archive Deutsches Literatur Archiv, Marbach (DLA) Nachlaß Karl Wolfskehl, Briefe Helmut von den Steinens und Dritter. Nachlaß Karl Wolfskehl, Manuskripte Anderer. Nachlaß Rudolf Pannwitz, Briefe von und an Helmut von den Steinen. Nachlaß Wilhelm Lehmann, Briefe von Werner Kraft. Museum Kazantzakis, Irakleio/Kreta (MK) Briefe von Helmut von den Steinen an Nikos Kazantzakis

Zeitschrift Castrum Peregrini, Amsterdam: CP

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Literaturverzeichnis An den Himmel zu rühren... Frühe griechische Lyrik. Übertragen von Herlint von den Steinen. Heidelberg: Lambert, 1956. ASSERATE, Asfa-Wossen: Haberland und die ‚Frankfurter Schule’ der Afrikanistik. FAZ, 15.7.2009, Nr. 161. S. N3. BAUMANN, Günter: Dichtung als Lebensform. Wolfgang Frommel zwischen George-Kreis und Castrum Peregrini. Würzburg: Königshausen und Neumann, 1995. BENJAMIN, Walter: Gesammelte Schriften. Bd. III: Kritiken und Rezensionen. Hg. von Hella TIEDEMANN-BARTELS. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1972. (GS) BISKY, Jens: Komm, wir fahren nach Amsterdam. Thomas Karlauf erinnert an das Castrum Peregrini. In: Süddeutsche Zeitung, 21.4.2009. BIZA, Maria: Die Rezeption des Werks von Konstantin Kavafis in Deutschland. München (unv. Masterarbeit) 2007. BOCK, Claus Victor: Pente Pigadia und die Tagebücher des Clement Harris. Amsterdam: CP Presse, 1961. BÖSCHENSTEIN, Bernhard u.a. (Hg.): Wissenschaftler im George-Kreis. Berlin: de Gruyter, 2005. BRECHT, Bertolt: Große Kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Hg. von Werner HECHT u.a. Gedichte 1: Sammlungen 1918-1938. Bd. 11. Berlin und Weimar: Aufbau, 1988. (GKBF) BRECHT, Bertolt: GKBF. Gedichte 2: Sammlungen 1938-1956, Bd. 12. Berlin und Weimar: Aufbau, 1988. EMRICH, Gerhard: ‚Bei der Lektüre eines spätgriechischen Dichters‘. In: Folia Neohellenica, VI, 1984. S. 28-36. FAHRNER, Rudolf: Gesammelte Werke II. Erinnerungen und Dokumente. Hg. von Stefano Bianca und Bruno Pieger. Köln u.a.: Böhlau 2008. FIEDLER, Theodore: Brecht and Cavafy. In: Comparative Literature, Bd. 25, 1973, Nr. 3. S. 240-246. FROBENIUS, Leo, MANNSFELD, Elisabeth, VON DEN STEINEN, Helmut, WIESCHHOFF, Heinz: Kulturgeschichte Afrikas. Prolegomena zu einer historischen Gestaltlehre. Zürich: Phaidon, 1935. FROMMEL, Wolfgang (Hg.): Vom Schicksal des deutschen Geistes. Erste Folge. „Die Begegnung mit der Antike“. Reden um Mitternacht. Berlin: Die Runde, 1934. FROMMEL, Wolfgang: Geisterstunde im Rundfunk. In: DERS. (Hg.), Vom Schicksal, S. 9-10. FROMMEL, Wolfgang (anonym): MITTEILUNGEN: Helmut von den Steinen. In: CP 38 (1959), S. 65-71. (Gedenkartikel) GADAMER, Hans-Georg: Philosophische Lehrjahre. Eine Rückschau. Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann, 1977.

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Chryssoula Kambas

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MARIA OIKONOMOU

Kapital und Alterität Zwei deutsche Kavafis-Ausgaben Für Georg Veloudis

Es kursiert eine Anekdote, die – als sei sie dem Fundus von Märchenmotiven entlehnt – in scheinbar unschuldiger Manier von der neugierigen und hingebungsvollen Wertschätzung des Dionysios Solomos gegenüber der griechischen Sprache berichtet: Aus Italien zurückgekehrt, vergütet er dem Mann von der Straße jede volkstümliche Redewendung und jeden Begriff, den er seinem lückenhaften Wortschatz hinzufügen kann, mit einer Münze. Leider verschweigt die Anekdote, um was für Münzen es sich dabei handelte, und damit bleibt unklar, was für einen Tauschwert ein griechisches Wort zu Solomos’ Zeiten hatte. Bedauerlich auch, daß es sich nicht um die 20-Drachmen-Münze handeln kann, auf der er selbst abgebildet war, da die Drachme als griechische Währung erst vierzehn Jahre nach seiner Rückkehr nach Zakynthos eingeführt wurde und auf dem damaligen – übrigens massivgoldenen – 20-Drachmen-Stück das Konterfei König Ottos prangte. Bedauerlich ist das vor allem deshalb, weil eine Münze, die das Bild von Solomos trägt und die der Dichter gegen ein griechisches Wort tauscht, überaus wirkungsvoll die Verschränkung von ökonomischem und kulturellem Kapital, von pekuniärem und literarischem Wert veranschaulicht hätte, um die es hier geht. Zudem ist klar, daß es nicht bei einer solch einfachen Form des Tauschhandels, beim simplen merkantilen Kapitalismus bleiben kann – das zeigt Karl Marx recht genau fünfzig Jahre später in der Rückschau, wenn er über die Verwandlung von Geld in Kapital spricht: Zuerst bildet noch die Ware (oder, um bei unserem einführenden Beispiel zu bleiben, das Wort) den Ausgangspunkt der Zirkulation, dann aber ist es das Geld. Die Kapitalisierung der Wirtschaft wie auch der Kultur nimmt zunehmend komplexere Formen an, so daß es mit dem Übergang vom merkantilen Kapitalismus zur institutionalisierten Kreditwirtschaft, mit der Ankunft in der klassischen Moderne und bei Konstantin Kavafis nicht mehr das Wort ist, das mit einer Münze beglichen wird, sondern das dichterische Leben, das dem Bankwesen anheim gestellt wird: Τη δύσκολη ζωή µου ασφαλή να κάνω εγώ στην Τράπεζα του Μέλλοντος επάνω πολύ ολίγα συναλλάγµατα θα βγάλω.

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Maria Oikonomou Κεφάλαια µεγάλ’ αν έχει αµφιβάλλω. Κι άρχισα να φοβούµαι µη στην πρώτη κρίσι εξαφνικά τας πληρωµάς της σταµατήσει. Mein mühseliges Leben will ich bei der Bank der Zukunft versichern. Sehr wenig Gewinn werde ich herausbekommen. Ich bezweifle, daß sie viel Kapital hat, und fürchte eher, daß sie bei der ersten Krise 1 Die Zahlungen prompt einstellt...

Das schreibt Kavafis 1897 und hat damit den Schritt vollzogen, der vom bloßen Wort-Schatz des Solomos zum Umlauf symbolischen Kapitals in Gestalt eines schöpferischen Daseins führt. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, daß ich bisher zugleich konkret und im übertragenen Sinne gesprochen habe, nämlich vom Dichterwort als Münz- und gleichzeitig als Gedankenwert. Das liegt nicht nur daran, daß im eben genannten Begriff des „symbolischen Kapitals“ nach Pierre Bourdieu das „ökonomische Kapital“ in Form eines ganz materiellen Reichtums mit dem geistigen Gut, mit dem „kulturellen Kapital“ allgemeiner Wertorientierungen zusammenfindet und in ein Wechselverhältnis tritt; gleichermaßen ist – auch ohne Bourdieus Anwendung des Kapital-Begriffs auf gesellschaftliche Bereiche außerhalb des im engen Sinne Ökonomischen – das Konkrete wie auch das Übertragene bereits in der Münze Solomos’ vertreten, einerseits in ihrem „Metalldasein“ (wie Marx es nennt) und andererseits in ihrem rein symbolischen Zeichencharakter. Jener Zwiespalt des Geldes – daß es etwas ist und zugleich etwas bedeutet, daß die Münze einen Wert hat und einen Wert vertritt – springt ins Auge, wenn man die von Jörg Schäfer besorgte Kavafis-Ausgabe aus dem Jahr 2003 aufschlägt.2 Der zweisprachig angelegte Band versammelt deutsche Übersetzungen des gesamten Hauptwerks von Kavafis sowie fünf seiner unveröffentlichten Gedichte, ist versehen mit einer Vorbemerkung, einer biographischen Einführung, einer Bibliografie, einer Zeittafel, welche die in den Gedichten genannten oder aber die Gedichte inspirierenden antiken wie auch byzantinischen Autoren verzeichnet, und schließlich finden sich in dem so sorgfältig ausgestatteten und kommentierten Buch zahlreiche Abbildungen 1 2

KAVAFIS, Η τράπεζα του µέλλοντος (Bank der kommenden Zeit), S. 66; dt. Übersetzung von ELSIE, S. 285. KAVAFIS, Das Hauptwerk, übers. von SCHÄFER. Die wichtigsten Rezensionen des Bandes liefern MOSKOVOU und NOUSIA. Es ist Karl Dieterich, der 1921 in der Berliner Zeitschrift Logotechniki Icho als erster drei Kavafis-Gedichte ins Deutsche überträgt und sieben Jahre später in seine Anthologie Neugriechische Lyriker zwölf Gedichte von Kavafis aufnimmt, DIETERICH, Neugriechische Lyriker. Für einen detaillierten Überblick der deutschsprachigen Kavafis-Übersetzungen, s. BIZA, Die Rezeption.

Kapital und Alterität

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antiker Münzen zusammen mit einem numismatischen Katalog. Der Herausgeber erklärt dies lapidar, indem Münzen, deren Legenden, Porträts und Symbole auf die historischen Hintergründe der Gedichte verwiesen und so – durch die anschauliche Nähe dieser originalen Zeitzeugen – einen „eigenen Kommentar“ bildeten. Freilich will dieser „eigene Kommentar“ wiederum kommentiert sein, was Peter R. Franke, emeritierter Professor für Numismatik und Geldgeschichte an der Universität des Saarlandes, in seinen immerhin zwanzigseitigen Erläuterungen dann auch tut. Derart spontan und intuitiv einsehbar, wie der lakonische Hinweis Schäfers suggerieren will, scheint die Beigabe von Münzbildern in einer Kavafis-Ausgabe daher offenbar doch nicht. Inwiefern aber ist an dieser Verdoppelung der Zeichen auf der Buchseite, am Verweis des ikonischen Zeichens auf das indexikalische Zeichen und umgekehrt, inwiefern ist am Wechselspiel zwischen Münze und Text jener „Zwiespalt des Geldes“ abzulesen? Offensichtlich zeigt er sich gerade in der Verweiskraft der Münzen, die ihrer Kaufkraft an die Seite gestellt ist, oder besser: im zunehmenden Ersatz der Kaufkraft durch die Verweiskraft, so daß hier das Geldstück – analog zu den Gedichten – unversehens an vielschichtiger Bedeutungstiefe gewinnt, die seinen nur ökonomischen Wert weit übersteigt: Die Münze etwa, die den makedonischen König Demetrios Poliorketes mit einem hellenistischen Herrscherdiadem und Stierhörnern zeigt,3 welche seine Abkunft von Poseidon veranschaulichen, besitzt als Tetradrachme ursprünglich einen festgelegten Tauschwert und als Herrschaftszeichen einen bestimmten Symbolwert.

Der eine – der Tauschwert – existiert nicht mehr, da die Münze aufgehört hat, als offizielles Zahlungsmittel zu gelten (der Sammlerwert sei hier einmal beiseite gelassen). Der andere – der Symbolwert – hat sich derweil mit der Zeit und besonders mit Schäfers Funktionalisierung der Münze als Textkommen3

KAVAFIS, Das Hauptwerk, S. 74.

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tar vervielfacht; sie erinnert immer noch an die Herrschaft des Demetrios über Makedonien im 3. vorchristlichen Jahrhundert. Zugleich aber erinnert sie, wie sie dort im Buch erscheint, an vieles mehr: an unsere meßbare zeitliche Distanz zum 3. Jahrhundert vor Christus, die der Archäologe und der Numismatiker diskursiv überbrücken, daneben an die eher gefühlte Tiefe dessen, was wir Geschichte nennen und was uns gleichsam anweht aus den Echohallen der Vergangenheit, damit an das, was Fredric Jameson – im Gegensatz zur Historie – die reine „Qualität des Vergangenen“, welche er die „pastness“ nennt.4 Sie erinnert uns an die Überlegenheit des Dinglichen über die Vergänglichkeit des Menschlichen, indem das Artefakt seine Schöpfer überlebt hat und sich jetzt – aus der Erde gegraben – in unserer Handfläche (beziehungsweise auf einer Buchseite) wiederfindet. Und vor allem erinnert sie uns an das große Baummodell der Abstammung, an die griechische Antike als die oft beschworene einheitstiftende Wiege abendländischer Kultur und als ein über Jahrtausende tradiertes Erbe, mithin an das hellenische Phantasma einer ungebrochenen zivilisatorischen Abkunft vom Altertum, das ja auch den achtzehnjährigen Philhellenen Otto veranlaßt, die Drachme in Griechenland wieder einzuführen. Besonders dies prägt Schäfers Ausgabe der Kavafis-Gedichte: die Überführung des Wertes aus der engen Sphäre eines materiellen Tauschs in diejenige weitgehend immaterieller kultureller Relationen, wobei die MünzAbbildungen unwillkürlich jenen Transfer von Kapital zu versinnbildlichen scheinen, indem sie eben die Grenze zwischen Metall- und Symbolwert markieren. Da sie an beidem teilhaben, vermögen sie neben der Kaufkraft auch die Kraft der Geschichts- und Geschichtenbildung zu beschwören und als Kulturgut nunmehr auch die Herstellung und Sicherung von, die Teilhabe an einem geistigen Kapital aufzuzeigen. Es ließe sich sagen, daß sich die Münze, zumal die antike, in der sich Erz und Ware, Status und Repräsentation, Wissen und Historie, politische und individuelle Identität sammeln, stets an einem Ort findet, an dem die diversen Arten des Kapitals, wie Bourdieu sie bestimmt, ihren Treffpunkt haben.5 Ihm zufolge stellt das Kapital das wichtigste soziale Einflußmittel und ein grundlegendes Prinzip der inneren Regelmäßigkeiten der sozialen Welt dar, wobei er nicht lediglich auf die Ökonomie abzielt, deren Kapital „unmittelbar und direkt in Geld konvertierbar ist und sich besonders zur Institutionalisierung in der Form des Eigentumsrechts eignet“, sondern im Anschluß an Max Weber den Materialismus auf alle Bereiche der Kultur ausweitet6 und solchermaßen ganz unterschiedliche Arten des Kapitals zu definieren sucht: So besteht das kulturelle Kapital aus Denk4 5 6

Vgl. JAMESON, Postmoderne, S. 65. Vgl. BOURDIEU, Ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital. Für einen eingehenden Vergleich der Kapital-Begriffe bei Bourdieu, Marx und Weber, siehe REHBEIN, Die Soziologie Pierre Bourdieus, S. 122 f.

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und Handlungsschemata sowie Wertorientierungen, aus Geschmack, Bildung und allen damit assoziierten akkumulierbaren Fähigkeiten; es ist zwar grundsätzlich an das Individuum gebunden, das Werte und Wissen verinnerlicht hat („inkorporiertes kulturelles Kapital“), läßt sich jedoch auch in Form von Kulturgütern, die dann ein „objektiviertes Kulturkapital“ bilden, durch die Familie, durch Bildungseinrichtungen, Medien und Kulturinstanzen – wie etwa eine illustrierte Gedichtsammlung – weitergeben und vermitteln. Derweil bezeichnet Bourdieu mit dem Begriff des sozialen Kapitals ein dauerhaftes Netz „von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens“ innerhalb einer Gruppe, mit dem Begriff des symbolischen Kapitals einen immateriellen Besitz an Ehre, Ansehen, Prestige etc., so daß deutlich wird, wie zum einen all diese Kapitalarten in der Praxis kaum scharf voneinander zu trennen und zum anderen ineinander überführ- und konvertierbar sind, wenn beispielsweise das kulturelle Kapital materiellen oder auch symbolischen Profit mit sich bringt. Bourdieu geht es dabei nicht um eine metaphorische Beziehung, die all jene – kulturellen, sozialen, symbolischen – Kapitalarten als „transformierte und travestierte Erscheinungsformen“ der Ökonomie verstünde, sondern um eine Logik der Wandlungen und Rückumwandlungen, die es letzten Endes auch bewerkstelligt, daß zwischen dem Bild einer Münze und einem literarischen Text zugleich mehrere Kapitalien zirkulieren und Bild und Gedicht in ein komplexes Reflexionsverhältnis aus Zahlungswert, Wissenswert und Identitätswert setzen. So läßt sich mit Bourdieu anschaulich das Verhältnis beschreiben, das in Schäfers Band all die dort aufgerufenen Kulturgüter in der „kapitalen Ausstattung“ des Buchs unterschwellig eingehen. Hier macht zweifellos einen besonderen Batzen kulturellen Kapitals das differenzierte Wissen über die antike Geschichte aus und zugleich das Wissen um die eigene Teilhabe an dieser Geschichte als einer Matrix der eigenen Kultur und ihrer Werte. Zweierlei also: Zum einen ist es Kapital, mit der Historie vertraut zu sein. Daher betont Jörg Schäfer, die Abbildungen der Münzen trügen „zur Vergegenwärtigung der vom Dichter beschworenen Vergangenheit bei“.7 Sie zielen demnach nicht auf eine Verklarung der Texte von Kavafis, sondern – gemeinsam mit den Gedichten – auf eine Aktualisierung und Verklarung, vielleicht auch auf eine Verklärung der Geschichte. Zum anderen schafft es symbolisches Kapital, ein kulturelles Erbe als eben solches vorweisen zu können. Zugespitzt formuliert, geht es deshalb weniger um eine Lektüre der Lyrik von Kavafis als vielmehr um deren Wert im Diskurs der Abstammung. Sie ist inszeniert als Verkörperung eines Geschichtsbewußtseins, das in der kontinuierlichen Ableitung unserer Moderne aus der griechischen Antike ein grundlegendes Kapital des Einzelnen und der Gesell7

SCHÄFER, Vorbemerkung. In: KAVAFIS, Hauptwerk, S. 14.

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schaft sieht. Versteht man also die Nostalgie als die Sehnsucht nach einem abwesenden Referenten, so erweist sich der von Jörg Schäfer herausgegebene Band – nicht trotz, sondern gerade auch wegen seiner historischen Sorgfalt – als nostalgisch. Er folgt dem Wunsch nach Kontinuität und Sinnbildung, indem er Geschichte als gegenwärtiges Erbe konstruiert. In der Kombination von historischem Gedicht und antiker Münze entsteht eine Perspektivierung der Poesie von Kavafis als Medium zur Vermittlung dieses kulturellen Kapitals.8 Indizien, die zunächst auf die eigentümliche reale und symbolische Doppelwertigkeit des Geldes, auf sein Wesen als Schnittstelle mehrerer Kapitalien und desgleichen auf den proteischen Charakter des Kapitals als transdiskursiven Term hinweisen, finden sich jedoch nicht nur in den Münzabbildungen selbst. So läßt sich ein entsprechender Subtext, der Handelsgeist quasi als basso continuo, in der Einführung Schäfers zu Leben und Werk des Dichters ausmachen. Gleich zu Beginn heißt es dort: Konstantin Kavafis stammte aus einer griechischen Kaufmannsfamilie Konstantinopels. Das Familienunternehmen verfügte schon vor der Mitte des 19. Jahrhunderts über Niederlassungen in Konstantinopel und in England. Der Vater des Dichters, Petros Kavafis, eröffnete eine Zweigniederlassung in Alexandria [...] Innerhalb der griechischen Diaspora gehörte die Familie zu den „upper ten thousand“ [...] Nicht lange nach seines Vaters Tod (1870) hielt er sich von seinem neunten bis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr in Liverpool und London auf, wo sich Niederlassungen des Familienunternehmens ,Kavafis & Co.‘ befanden. [...] Nach dem Zusammenbruch des Unternehmens in England kehrte die Familie 1877 nach Alexandria zurück. Die persönli9 chen Lebensverhältnisse der Kavafis-Familie waren nunmehr bescheiden geworden.

Weiter ist die Rede vom Großvater als einem „offenbar humanistisch gebildeten, damals finanziell bedrängten Handelsmann“, von der Schule „for business and practice“, die Kavafis in Alexandria besucht, von seinen Versuchen, „finanziell auf eigenen Beinen zu stehen“, von seiner Pension, die ihm „eine

8

9

Bereits Karl Dieterich charakterisiert in seiner Einleitung Kavafis als einen Dichter, dessen Stärke in der „scharf pointierten, epigrammatisch knappen Schilderung historisch und kulturell bedeutungsvoller Momente aus der alexandrinisch-römischen Dekadenzzeit“ liege (S. XIV), und stellt insgesamt eine Teilhabe der modernen griechischen Lyrik an bedeutungsvollen Momenten der Geschichte dieses Kulturraums her, die nicht nur bei Kavafis – etwa in dessen „Sinn für Raffinement“, in den „kosmopolitischen Neigungen“ oder im „Sensualismus“ – einen „Wegweiser nach Byzanz“ darstelle; darüber hinaus zieht Dieterich assoziativ eine Parallele zur Antike, da man sich angesichts der modernen griechischen Lyrik an die Veredelung archaischer Plastik durch die folgende antike Blütezeit erinnert fühle. Derart entwirft der Einleitungstext eine einheitliche Perspektive, insofern sein Autor die griechische Dichtung unermüdlich auf ein Kontinuum früherer Phasen der Hochkultur zurückführt. SCHÄFER, Zu Leben und Werk. In: KAVAFIS, Hauptwerk, S. 15 f.

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bürgerliche, wenn auch keineswegs üppige Lebensführung“ erlaubt.10 Die Biographie von Kavafis, wie Jörg Schäfer sie zeichnet, ist dominiert von Phasen der Wertanhäufung und des Verlusts, in ihr zirkulieren fortwährend die Ströme des Kapitals, durch die Generationen und über die Grenzen der Nationen hinweg. Freilich ist nicht zu vernachlässigen, daß der so genannte familiäre Hintergrund, die Handelshäuser, der Geldfluß, die Kontore, die Geschäftserfolge, die Insolvenzen, zumindest in der Tradition der explication de texte, Bedeutung haben für das dichterische Werk und im Text eine Spur hinterlassen mögen; denn sicherlich geht es hier nicht um die Wiederholung jener romantischen Konstellation, in der das seelenlose Geld oder die bürokratisch-stupide Kanzleiarbeit der erfüllten Dichterberufung als ein gänzlich Anderes entgegenstehen. Allerdings bleibt auffällig, daß die biographische Skizze Schäfers durchgehend die ökonomischen Verhältnisse der Firma „Kavafis“ als ihren Fluchtpunkt wählt, ohne dabei auch nur einmal jenen Konnex zwischen Werk und Kapital, zwischen der Kunst und den Lebensverhältnissen explizit auszuformulieren. Nicht etwa weil das Handelshaus Kavafis Leben und Schreiben des Dichters prägte, aus ganz anderem Grund ist also vom Geld die Rede. Sein Wert, seine Doppelwertigkeit ist es, die ein solches Kraftfeld entstehen läßt, daß die Beigabe von Münzen zu den Texten und Übersetzungen unvermittelt einleuchten will, daß sich das ganze Buch diesem Feld nicht entziehen kann und in all seinen Teilen unwiderstehlich hingezogen wird zum Kapital. Es ließe sich einwenden, es seien doch Kavafis’ Gedichte selbst, die den Diskurs über Wert und Geld forderten und einleiteten; sie an erster Stelle ließen den klaren und überall widerhallenden Münzklang hören. Denn tatsächlich spricht Kavafis hier und da über das Geld und gibt damit scheinbar ersten Anlaß, den Texten numismatische Illustrationen an die Seite zu stellen oder von der ökonomischen Lage seiner Familie zu berichten. So beginnt und endet beispielsweise seine knappe Lebensdarstellung des Orophernes von Kappadokien („Orophernes“) mit dem Motiv der Herrschermünze, die als einzige die Geschichte überdauert habe, um von der kurzen Regierungszeit des vergessenen Königs Zeugnis abzulegen: Αυτός που εις το τετράδραχµον επάνω µοιάζει σα να χαµογελά το πρόσωπό του το έµορφο, λεπτό του πρόσωπο, αυτός είναι ο Οροφέρνης Αριαράθου. Der dort auf dem Vierdrachmenstück aussieht, als ob sein Antlitz lächle, das schöne, feine Antlitz, 11 ist Orophernes, des Ariarathes Sohn...

10 SCHÄFER, Zu Leben und Werk. In: KAVAFIS, Hauptwerk, S. 16. 11 KAVAFIS, Hauptwerk, S. 176 ff.

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Wenig überraschend, daß dem Text in Schäfers Ausgabe, die Abbildung eben der von Kavafis beschriebenen Tetradrachme aus dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert folgt.

An anderer Stelle läßt Kavafis eine imaginäre Stimme erläutern, wie der Entwurf für die Münzprägung zu Ehren eines Partherkönigs gearbeitet sein müsse: eine feierlich ernste Gravur des Porträts auf der einen, ein diskusschwingender Jüngling auf der anderen Seite, außerdem die Worte „König“, „Retter“ und „Philhellene“. Auch hier sind Muster verschiedener Münzen beigegeben. Am Ende aber ist dies nicht Grund genug, um Kavafis’ Texte – als seien sie Beschreibungen eines abwesenden Gegenstands – durch dessen Bild zu ergänzen. Weniger aufgrund des in einigen der Gedichte aufgerufenen Motivs ist Schäfers gesamte Ausgabe mit so zahlreichen Münzabbildungen ausgestattet. Das würde sie zur bloßen Illustration degradieren, während der Herausgeber doch von ihnen als einem „Kommentar“ spricht. Vielmehr erweist sich alles, die Gedichte, ihre Übertragungen, das Vorwort, der Anhang, die Abbildungen, als Aufstellung kulturellen Kapitals, in dem sich soziales, symbolisches und eben auch ökonomisches Kapital treffen, ergänzen und vermengen. Auf dem Feld des kulturellen Kapitals wird einsichtig, weshalb dem geistigen Wert, der sich in Kavafis Texten und desgleichen in der Zusammenstellung der Übersetzungen abzeichnet, der materielle Wert in Form der selbst bereits symbolisch funktionierenden Münze als ein Kommentar, Reflex und Analogon beigegeben werden kann. Und dieser geistige Wert ist derjenige, den das antike Griechenland und in seiner Nachfolge auch andere antike Kulturen des Mittelmeerraums bis hin zu Byzanz in die abendländische Moderne investiert haben. So jedenfalls Kavafis, der, nach den Worten seines Übersetzers, „die Akkulturation [...] unter der Dominanz des hel-

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lenischen Geistes“12 bis in seine Tage fortgesetzt sieht und Byzanz und die orthodoxe Kirche als Überlieferer hellenisch kultureller Identität an die Neuzeit verstehe. Das unterstreicht auch die letzte Zeile des erwähnten Gedichts über die Münzprägung für den Partherkönig Mithradates: „Ώστε ανελλήνιστοι δεν είµεθα, θαρρώ“ – „Demnach steh’n wir nicht außerhalb / der griechischen Kultur, halt’ ich dafür“. Schäfer handelt Kavafis als Autor, der eine historische Kontinuität innerhalb des griechischen Kulturraums und dessen zentrale Position im geistigen Entwicklungsprozeß des Abendlandes reflektiert. Die Buchausgabe veranschaulicht dieses Postulat, die diachrone Spanne kultureller Evolution, durch die Bildnismünzen und gerät damit allein durch ihre Gestaltung zum Ort einer, durch sie sowohl bestätigten als auch aktiv betriebenen, Verschränkung von kulturellem und ökonomischem, einer Konvertierung von ökonomischem in kulturellen Wert. Die nicht-materielle Ordnung (Abkunft, Identität, Errungenschaft, Zugehörigkeit, Kunst, Wort) verwandelt sich unversehens den Tausch- und Zirkulationsprozessen der Geldwirtschaft an. So sind die Gedichte und ihre Übersetzungen, die das hellenische Erbe als eine Dominante auch der mitteleuropäischen Kultur ausstellen wollen, nicht nur kanonisches Gut, kanonisiert als Emanation des „Griechischen“ im Bewußtsein des Schriftstellers, des Übersetzers und des Lesers. Genauso – und gerade deshalb – sind sie Kapital. Die Texte stellen keineswegs nur metaphorisch, sondern ganz konkret eine Währung innerhalb der gesellschaftlichen Zeichenökonomie dar; wie die Geldwährung zeichnet sie ein allgemein anerkannter Wert aus. So unverwechselbar sie erscheinen, so widerstandslos lassen sie sich einwechseln, so daß die Übersetzung ins Deutsche zeigt, wie ihr Wert im Transfer über nationale Grenzen nicht geschmälert, bestenfalls umstrukturiert wird. Die Anthologisierung, die Übersetzung als Verfahren der Anhäufung und des Tauschs garantieren die Zirkulation des Symbolischen im Kulturraum, während die Münzen veranschaulichen, womit hier gehandelt wird: mit Artefakten eines Feldes, in dem ökonomisches und kulturelles Kapital, materieller und ideeller Wert in Ununterscheidbarkeit aufgehen. Etwas aber ist übergangen worden. Und das nimmt nicht Wunder. Denn damit die Kapitalströme nicht auf Blockierungen stoßen und sich ungehindert ausbreiten können, muß das Terrain geebnet, müssen Demarkationen, Kerben, womöglich Störungen und Gefahren ausgeschlossen werden. Die Ausstellung des im Bild der Münze manifestierten Kapitals der Lyrik von Kavafis zielt auf allgemeine Anerkennung und Gültigkeit im Wertsystem. Aber gerade Konstantin Kavafis, und zwar sein Leben und seine Texte, birgt noch ein weiteres Potential; er stellt der symbolischen Allgemeingültigkeit gleich12 SCHÄFER, Zu Leben und Werk. In: KAVAFIS, Hauptwerk, S. 18.

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zeitig ein Anderes entgegen. Auf den ersten Blick nämlich steht die weite gesellschaftliche und künstlerische Anerkennung und die Position des Dichters innerhalb der Kanonpyramide zur Alterität im Gegensatz, indem die Homosexualität als Subtext seiner Biographie wie auch seiner Lyrik dazu tendieren mag, freie Wertungs- und Austauschverfahren zu hemmen. Dies meint nicht, daß auf gesellschaftlicher Ebene dem homosexuellen Künstler weniger Akzeptanz zuteil werden muß. Genügend Beispiele sprechen dagegen. Vielmehr erscheint auf diskursiver Ebene das Element der Alterität, welches die Homosexualität darstellt, als Widerstand gegen Prozesse der „Normalisierung“, unter die eben auch die Kanonisierung durch Anthologie und Übersetzung fällt. Die Homosexualität von Kavafis führt in die Zirkulation des kulturellen Werts gleichsam eine Grenze ein. Der symbolische Verkehr in geregelten Kanälen ist, zugespitzt formuliert, plötzlich durch einen vermeintlichen ,Minderwert‘ oder eine scheinbar absolute Regellosigkeit sexueller Abweichung gefährdet. Folgerichtig kontrolliert Jörg Schäfers Buch dieses unkontrollierbare Element durch das Mittel der Abstraktion: im wörtlichen Sinne als abstractum, als Weg- oder Abgezogenes. Die Ausgabe neigt dazu, die Alterität von der Homosexualität abzuziehen, so daß, etwa als Thematik einiger „epigrammatischer Gedichte“, nur eine geschlechterübergreifende, unbestimmte Erotik übrig bleibt. Sie neigt ebenso dazu, von der Homosexualität den empirischen wie auch impliziten Autor abzuziehen, so daß sie nur noch als ein desubjektiviertes Phänomen, ein Motiv, eine Vision existiert. Tonangebende Themen der Texte seien neben der Geschichte Lebens- und Kulturphilosophie; „außerdem aber“, so Schäfer, „wird in einer Reihe von Gedichten das homoerotische Erlebnis grundlegend für die poetische Vision“.13 Jenes „homoerotische Erlebnis“ ist hier völlig von einem erlebenden Individuum abgetrennt. Niemand „hat“ es, bestenfalls durchzieht es ein Gedicht als Feldlinie, ohne daß ein Subjekt des Erlebnisses noch ins Blickfeld geriete. Von allem Persönlichen, vom Leib und von Kavafis gereinigt, scheint es sich zudem gleichsam in der „poetischen Vision“ wie in einem kaum realen Wollen oder gar in einem Wahnbild zu entkörpern. Dies ist die einzige kurze Auseinandersetzung mit der Homosexualität des Dichters, die vom Geldfluß mitgespült wird, in ihm untergeht und lediglich noch für einen Moment an die Oberfläche treibt. Währenddessen folgt eine zweite Ausgabe von Kavafis-Übersetzungen einem anderen Weg. Der von Michael Schroeder übersetzte und mit einem Nachwort versehene Band Um zu bleiben trägt den Untertitel „Liebesgedichte“. Er umfaßt lediglich zweiunddreißig Texte und tritt insgesamt als, man würde wohl sagen, „geschmackvoll gestaltete“, lesefreundliche und mit 13 SCHÄFER, Zu Leben und Werk. In: Kavafis, Hauptwerk, S. 20.

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seinem gelben Lesebändchen und der Bauchbinde leicht ins Bibliophile hinüberspielende Lyrik-Auswahl auf. Vor allem aber ist es jenes Andere, das Schroeders Ausgabe nun nicht durch dessen Abstraktion abzuwehren (oder nur zu ignorieren) sucht, sondern in ihr Zentrum stellt.

Augenfällig wird das auch diesmal besonders durch die Illustrationen: die Texte werden begleitet von dreizehn Radierungen David Hockneys, die er ursprünglich 1966 als lose Bogen in der Mappe „Fourteen Poems by C. P. Cavafy“ vorgelegt hat.14 Gut die Hälfte der Radierungen zeigt männliche Paare, 14 M. Schroeder erläutert die Geschichte der Radierungen folgendermaßen: „David Hockney entdeckte Konstantin Kavafis über die Alexandria-Tetralogie Laurence Durrells. Nach der Lektüre der englischen Gesamtausgabe ,The Poems of C.P. Cavafy, London 1951‘, in der Übertragung von John Mavrogordatos, entstehen die dreizehn

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mit feinem Strich gezeichnete, unbekleidete junge Männer, deren Liebe an der ungestellten Vertrautheit in den Bildern ebenso abzulesen ist, wie die Hingabe Hockneys an den Bildgegenstand in der Aufmerksamkeit deutlich wird, die er den ungewöhnlich warmen Darstellungen zukommen läßt. Diese Abbildungen bewirken, daß der zuweilen verschleierte Aspekt der Homosexualität nunmehr bewußt in den Vordergrund rückt, und deuten auf eine Dominantenverschiebung im Vergleich zu der von Jörg Schäfer besorgten Ausgabe hin, eine Verschiebung, die sich darüber hinaus in der Perspektive der Lebensdarstellung von Kavafis im Nachwort äußert.15 Keine Händlerfamilie findet sich hier, kein Kontor und Warenfluß, sondern Vignetten aus dem Alltags- und Liebesleben des jungen und des alternden Dichters in Alexandria. Man erfährt im Allgemeinen von der symbiotischen Beziehung zwischen Alexandria und der Dichtung Kavafis’, besonders aber von seinen Streifzügen durch die ärmeren Viertel und Bordellquartiere der kosmopolitischen Stadt auf der Suche nach einem neuen Geliebten, man erfährt auch von seinen guten Vorsätzen, seiner „Sünde“ abzuschwören. Die Übersetzungen selbst setzen jene neue Gewichtung und Explizierung der Homosexualität insofern fort, als sie im Hinblick auf Kavafis’ erotische Neigung eine Strategie der Transparentmachung verfolgen. Überall dort etwa, wo die griechische Sprache ihrer grammatischen Struktur gemäß das Genus eines Subjekts im Ungewissen beläßt, entscheidet sich die deutsche Übertragung Schroeders durchweg für die männliche Form. So wird das grundsätzlich im Geschlecht unbestimmte „Έπειτα έφυγε“ im Gedicht mit dem Titel „Grau“ in der Übertragung zu: „Er ging dann weg“.16 Während man hier noch von der Notwendigkeit sprechen darf, beim Übersetzen eine Entscheidung zwischen „sie“ und „er“ zu treffen, da das Deutsche eben kaum wie das Griechische geschlechtlich unbestimmte Konstruktionen dieser Art kennt, so sieht sich dieses Argument gleich darauf entkräftet, wenn im folgenden Gedicht „Das 25ste Jahr seines Lebens“ die Taverne, „που είχανε γνωρισθεί τον περασµένο µήνα“, übersetzt ist als Taverne, „in der er ihn im letzten Monat kennenlernte“.17 Hier nämlich wäre die Alternative einer Übersetzung im Plural, „in der sie sich im letzten Monat kennenlernten“, tatsächlich dem Original näher, so daß die grammatische Verdeutlichung durch das männliche Genus ohne Not geschieht.

Radierungen, die im vorliegenden Band abgebildet sind und die in ,Fourteen Poems by C.P. Cavafy, erstmals vorlagen.“ Siehe SCHROEDER, Zu dieser Ausgabe. In: KAVAFIS, Um zu bleiben, S. 105-111. 15 Zudem sind die Schroeder-Übersetzungen in CAMPE (Hg.), Matrosen, aufgenommen worden. 16 KAVAFIS, Um zu bleiben, S. 46. 17 KAVAFIS, Um zu bleiben, S. 48.

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Alles dies, die Beschränkung der Ausgabe auf die Liebesgedichte, die Skizzen aus Kavafis’ erotischem Leben, die das Nachwort prägen, der unzweifelhafte Zug des Gleichgeschlechtlichen in den Übersetzungen, die Radierungen Hockneys schließlich, könnte nun in den kulturweit geltenden Kanon und die in ihm grundgelegte historische und transnationale Bedeutung von Kavafis ein Moment der Irritation einführen. Das „Allgemeine“ einer geschichtlichen Abkunft der ganzen abendländischen Kultur sieht sich hier konfrontiert mit einer „besonderen“ sexuellen Präferenz; das historisch Übergreifende und Einende wird abgelöst durch das vom Konsensus abweichende Individuelle. Die Alterität scheint so die Zersetzung des symbolischen Kapitals zu betreiben. Das Andere zirkuliert nicht, es hat keinen Wert, es widersetzt sich. Andererseits jedoch ist Michael Schroeders Buch offensichtlich kein Skandalon. Es stellt sich nicht in einer Weise gegen das „Normale“, wie es etwa nach Michel Foucault die Homosexualität im klinischen Diskurs am Ende des 19. Jahrhunderts noch tut. Während dort die so genannte „konträre Sexualempfindung“ durchaus im Sinne einer Gegenläufigkeit, einer „Umkehrung der Richtung des Geschlechtstriebs“ verstanden werden kann, läßt sich überraschenderweise ihre Richtung hier nicht mehr von derjenigen des großen Flusses kulturellen Kapitals unterscheiden. Anders gesagt: Was dort in den spekulativen Studien über Homosexualität, die Foucault unter anderem in seinen Vorlesungen zum „Anormalen“ untersucht, als Abweichung erscheint, ist hier in den Wirkkreis des Allgemeinen und sogar in den eines anerkannten symbolischen Kapitals zurückgeführt. Vorausgesetzt, die gleichgeschlechtliche Liebe habe in den letzten einhundert Jahren keinen Normalisierungsprozeß durchgemacht, der sie in den Augen der Gesellschaft nunmehr vollkommen gleichberechtigt an die Seite der Heterosexualität stellt, wirft das die Frage auf, wie eine im Diskurs fortbestehende Alterität hier unversehens in das allgemeine Wertsystem aufgenommen und in die Zirkulation kulturellen Kapitals eingespeist werden kann. Zunächst läßt sich die Frage mit einem neuerlichen Blick auf Schroeders Nachwort zu seinen Kavafis-Übersetzungen vielleicht teilweise beantworten: Der Text spricht von der Homosexualität, doch tut er dies, indem er ihr einen Ausdruck verleiht, der kaum anders als „orientalistisch“ genannt werden kann. Wenn sich der Orientalismus als Ersatz einer historischen, geographischen und kulturellen Wirklichkeit durch tradierte Aussagekomplexe definiert, die das Fremde sowohl domestizieren als auch romantisieren, dann vollzieht sich genau dieser Ersatz im Duktus und in den Topoi von Schroeders Nachwort. Denn es ist sicherlich nicht allein dem Bemühen um atmosphärische Anschaulichkeit geschuldet, daß der alternde Kavafis, wie es dort heißt, „abgeschirmt von der erregenden, flirrenden Hitze der Stadt [...] im Dämmerlicht der Altbauwoh-

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nung von den arabischen Dienern Achmet und Ali versorgt“18 wird, daß die dunklen Jünglinge „am Abend in der Nähe der kleinen Ramschläden oder in den Kafenía“ einen Gönner zu treffen hoffen, daß Kavafis „die tristen Straßen der Viertel mit dem Duft seiner Verse erfüllt.“19 Das klingt nach dem Orient eines Nerval oder Ingres. Der Text evoziert das Fremde und unaufhörlich das Dunkel-Sinnliche. Alles glüht hier in nächtlichen Farben oder ist von Gewürzduft durchwoben, so daß schließlich auch die Homosexualität als schatten- und sündhafte Knabenliebe und fremd-faszinierende Leidenschaft erscheint. Damit aber ist sie – wie zuvor durch die Abstraktion – gezähmt und kontrolliert, gehört nun einem bekannten und von Beginn an vom aufgeklärten Abendland selbst verfaßten Diskurs an, dem des Orients, anstatt sich aller Vereinnahmung zu entziehen und als blanke Alterität in der Systemlosigkeit zu verharren. Als ägyptische Sinnenlust kehrt sie zurück in den Bereich des Handhabbaren und weiter in den des kulturell wertvollen Wissens und seiner Bilder- und Bildungsschätze.

18 SCHROEDER, in: KAVAFIS, Um zu bleiben, S. 105. 19 SCHROEDER, in: KAVAFIS, Um zu bleiben, S. 106.

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Und gleichfalls befördern die begleitenden Abbildungen eine solche Rückkehr ins Kapital: David Hockney als ein seit den frühen sechziger Jahren anerkannter und erfolgreicher Maler und Grafiker, der postmodern genug ist, um publikumswirksam das Gefällige aus seiner Kunst nicht auszuschließen, und noch gerade so viel der Moderne verdankt, um sein Werk nicht in bloß beliebigem Spiel aufgehen, sondern ihm eine subjektive Tiefe angedeihen zu lassen, wirkt hier wie der Agent einer Bestätigung. Denn die Radierungen assoziieren nicht nur den einen mit dem anderen homosexuellen Künstler, so daß sich Gedichte und Abbildungen thematisch ergänzen. Beides zu kombinieren dient vielmehr und besonders einer Verankerung wie auch Relationierung der Werke Kavafis’ beziehungsweise Hockneys im Bereich der Kunst, der denjenigen der Sexualität übersteigt. Wie die Zeichnungen Edouard Manets zu Gedichten Edgar Allan Poes, wie die Lithographien Joan Mirós zur Literatur Henry Millers stabilisieren die Illustrationen Hockneys die Lyrik von Kavafis im geistigen Kontext der mittlerweile klassischen Moderne, wie auch umgekehrt die Texte den Bildern Tradition und dichterisches Gewicht überlassen. Dieser Konnex also ist es, der aus der sexuellen Neigung der Künstler am nachhaltigsten einen Zug der Kunst macht und damit die Alterität im kulturellen Kapital, das die schöpferische Moderne bereitstellt, aufgehen läßt. Gleichsam durch den artistischen Gestus geadelt, erfährt die Homosexualität ihre Normalisierung und wird als Wert, freilich ausschließlich in ihrer künstlerischen Aussageform, in die Ökonomie der gesellschaftlichen Diskurse aufgenommen. Hier hat sie aufgehört, Abweichung zu sein. Statt dessen wird sie zu einer dem „einsamen Übermaß“ jeder Kunst eigenen Ausweitung des Menschlichen erklärt, wie das den Übersetzungen von Michael Schroeder vorangestellte Motto Baudelaires, einer weiteren kapitalträchtigen Ikone der Moderne, verdeutlicht: „Was die Menschen Liebe nennen, ist so klein, so begrenzt, so schwach, verglichen mit dem unsagbaren Fest, dieser heiligen Preisgabe der Seele ...“. Das ist nicht mehr Foucaults Aufruf, homosexuell zu werden, da dies einen offeneren, besseren und im positiven Sinne ausufernden Aufbau von Beziehungen bedeutete.20 Vielmehr bespricht das Motto das Unmäßige der Liebe als Kriterium unbedingter Kunst und macht es so zum Ideal und gleich darauf, sobald es ausgesprochen und angenommen ist, zum Kapital.21 20 „Es geht nicht so sehr darum, die Wahrheit seines Geschlechtslebens an sich aufzudecken, als darum, seine Sexualität nunmehr zum Aufbau vielfältiger Beziehungen zu nutzen. Und zweifellos liegt hier auch der wahre Grund dafür, weshalb Homosexualität keine Form des Begehrens, sondern etwas Begehrenswertes ist. Wir müssen also darauf hinarbeiten, homosexuell zu werden.“ FOUCAULT, Von der Freundschaft, S. 86. 21 Wie reibungslos diese Rückführung der Alterität in das Kapital funktioniert, sei es das kulturelle oder das ökonomische, beweist nicht zuletzt die Tatsache, daß die „Fourteen Poems by C. P. Cavafy“, die dreizehn Radierungen Hockneys in schwarzer Leder-

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Sowohl an Jörg Schäfers als auch an Michael Schroeders Ausgabe der Gedichte von Kavafis läßt sich daher demonstrieren, inwiefern im einen Band durch die Beigabe von Abbildungen antiker Münzen und durch den zugleich historisierenden wie pekuniären Zug der gesamten Textgestaltung die hellenische Identität und ihr Transfer an das Europa der Neuzeit zum Ideologem und zum kulturellen Wert stilisiert sind. Ebenso wie im zweiten Buch die Einführung des Anderen, der Abweichung und der Grenzmarkierung zunächst dieses allgemeingültige Wissens- und Kulturkapital vermeintlich zu blockieren sucht und wie die Alterität, wiederum durch die Illustrationen und die Diskursivierung der Homosexualität als Wirkmittel innerhalb der Sphäre der Kunst, schließlich doch wieder als Subdiskurs des Anerkannten inszeniert wird und so in den Bereich des symbolischen Kapitals zurückkehrt. Kavafis fungiert in beiden Fällen als Brennpunkt oder Reflektor einer Konstruktion kultureller Werte, ein Phänomen, das neben der Frage nach einem vielleicht „verstellten Blick“ Mitteleuropas auf Griechenland auch diejenige nach der Herstellung von Identität und Wert gerade durch derlei Blicke aufwirft.

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kassette aus dem Jahr 1966, zuletzt 2007 durch das Münchener Auktionshaus Ketterer versteigert wurden. Das Mindestgebot belief sich dabei auf 19.950 US-Dollar.

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Isidora Rosenthal-Kamarinea und ihre Anthologie Neugriechische Erzähler Isidora Rosenthal-Kamarinea hat die neugriechische Literatur viel zu verdanken. Es waren ihre Übersetzungen der Erzählungen und Romane von Nikos Kazantzakis, Pantelis Prevelakis, Ilias Venezis, Petros Charis, mehr aber noch die der Dichtungen von Ritsos, Vrettakos, Elytis und anderen, die über lange Zeit maßgeblich zur Verbreitung und zum Bekanntwerden der älteren wie vor allem der neuen griechischen Literatur beigetragen haben. Später, seit 1964 gab sie auch die Zeitschrift hellenika mit ihrem umfangreichen Literaturteil heraus sowie ab 1975 eine wissenschaftliche Schriftenreihe, die Folia Neohellenica. In Piräus 1918 geboren, absolvierte sie ihren Bildungsweg zunächst in Athen und schloß hier mit einem Staatsexamen das Studium der Klassischen sowie der Neugriechischen und Byzantinischen Philologie ab und darüber hinaus mit einem Staatsdiplom im Jahre 1942 der Germanistik. Zudem gab sie in den Jahren 1940 bis 1943 die Πειραϊκά Γράµµατα (Peiraïka Grammata) heraus. Auch trat sie seit 1934 mit eigenen Dichtungen an die Öffentlichkeit und mit Übertragungen aus dem Deutschen, 1941 gehörten dazu Gedichte Rainer Maria Rilkes. Eine zweite Studienphase folgte 1943 bis 1945 an der Philipps-Universität in Marburg/Lahn.1 Hier promovierte sie mit einer Dissertation über die Entwicklung der neugriechischen Dichtung in der Gräzistik und führte ein Postgraduiertenstudium der Germanistik und Religionswissenschaft zu Ende. Zwei Jahrzehnte lang ist sie dann selbst Dozentin für neugriechische und byzantinische Sprache und Literatur an dieser Universität gewesen, bis es ihr schließlich gelang, an der seinerzeit neugegründeten Ruhr-Universität Bochum einen eigenen Lehrstuhl der Neugriechischen und Byzantinischen Philologie aufzubauen. Ihre mit dem Wintersemester 1965/66 begonnene Lehrtätigkeit fand große Anerkennung, was sich in der für das auch damals schon ‚kleine Fach‘ nicht geringen Anzahl von Studenten niederschlug. Als Wissenschaftlerin wie als begnadete Übersetzerin gehörte Isidora Rosenthal-Kamarinea zu den herausragenden Mittlern zwischen beiden Literaturen. Obgleich vornehmlich Wissenschaftlerin, trug sie mit zahlreichen persönlichen Auftritten in deutsch-griechischen Organisationen sowie 1

Autorenangabe in ROSENTHAL-KAMARINEA, Neugriechische Erzähler, Klappentext. Die in unsere Darstellung übernommenen Angaben dürften sämtlich auf die Herausgeberin selbst zurückgehen.

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bei griechenlandrelevanten Veranstaltungen zum wechselseitigen Verstehen der Menschen beider Länder und Kulturen bei. Der griechische Staat und die Athener Akademie der Wissenschaften haben sie dafür offiziell gewürdigt. Sie starb im Jahre 2004. Die 1950er Jahre des letzten Jahrhunderts erscheinen im Nachhinein als eine Zeit ängstlichen Beharrens, natürlich unter Ausschluß der überholten ‚völkischen‘ Kunstauffassungen und von dezidiert nationalsozialistischen politischen Weltbildern. Dennoch war die Epoche noch keineswegs die Zeit eines Übergangs in Neues und Ungewohntes. Als der französische Regisseur Alain Resnais 1955 seinen Dokumentarfilm Nacht und Nebel bei den Filmfestspielen in Cannes vorstellen wollte, wurde ihm das aufgrund massiver Proteste der deutschen Regierung unter Adenauer verwehrt. Der Film handelt von den Deportationen der Juden in die Vernichtungslager. Das offizielle Deutschland seinerzeit wollte mit der verbrecherischen jüngeren deutschen Geschichte nichts zu tun haben und, wie immer in solchen Fällen, nie etwas zu tun gehabt haben. Man wollte für einen Neuanfang einfach auf das Gleis daneben wechseln und dabei nicht wahrnehmen, daß auch auf diesem die Deportationszüge gefahren waren. – Warum diese Einleitung? Weil die Anthologie Neugriechische Erzähler von 1958 in eben diesen Nachkriegsjahren und in eben diesem Klima entstanden ist und vor allem, weil sie beim heutigen Leser genau den Eindruck hinterläßt, als sollte der deutsche Rezipient von damals, an den sie ja gerichtet war, in seinem Bestreben, an Bewährtes und Gewohntes anzuknüpfen, nicht verstört werden durch Ungewohntes, allzu Fremdartiges – und besonders das eigene Verdrängte, die Besetzung Südosteuropas. Natürlich durfte es ein wenig fremdartig schon sein, denn schließlich kamen die Erzählungen aus Griechenland, dem neuen, das so fern im Süden lag und das vertraute Griechenland der Antike schon lange nicht mehr war. Das Fremdartige mußte ja auch das Interesse wecken und ganz konkret zum Kauf eines Buches anregen. Letzteres ist keineswegs ein schnöder Gedanke; er wird bestätigt durch die Vielzahl der verschiedenen Neuauflagen der genannten Anthologie, die sich in der Form von Taschenbüchern bis in die Mitte der 1980er Jahre hinziehen. Das Besondere dabei ist, daß die einmal getroffene Auswahl der Erzähler und Erzählungen in allen Präsentationen unverändert geblieben ist. Es gibt lediglich kleine redaktionelle Änderungen in den Nachworten und bibliographische Ergänzungen in den Anmerkungen. Auch die von ursprünglich 44 Erzählungen im Jahre 1958 auf 19 heruntergefahrene Sammlung, die 1965 in der Länderreihe der Fischer-Taschenbücher unter dem Titel Griechenland erzählt erscheint, macht dabei keine Ausnahme. Interessant wäre hier allerdings, zu fragen, nach welchen Kriterien die verbleibenden Erzählerinnen und Erzähler ausgesucht worden sind.

Isidora Rosenthal-Kamarinea und ihre Anthologie Neugriechische Erzähler

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Man ist in diesem Falle auf Vermutungen angewiesen, denn die Blütenleserin verrät die Kriterien nicht, und auch der von ihr verfaßte Klappentext ist wenig erhellend. In ihm heißt es am Schluß lapidar: „Die Auswahl von 19 Erzählern dokumentiert die Entwicklung der neugriechischen Prosa und bietet darüber hinaus einen Einblick in die vielfältige, [von] der unseren [also der deutschen] so verschiedenen, oft harten Lebensrealität der Griechen.“ Das Verschiedenartige, ja Fremdartige sollte den deutschen Leser von 1958 neugierig machen, jedoch nicht verstören. Um das zu erreichen, wählt die Herausgeberin aus, was genrehaft Land und Leute vorstellt. Die Welt des Meeres und der Fischer findet sich beispielsweise in Alexandros Moraitidis’ Erzählung „In einer Bittandacht“ mit der Schilderung eines plötzlich losbrechenden Sturmes oder in Andreas Karkavitsas’ phantastischer Erzählung vom „Jussuri“, einem krakenartigen Korallenbaum. Auch die Beschreibung brauchtumverhafteten Verhaltens griechischer Menschen ist ein symptomatisches Auswahlkriterium, z.B. mit Stratis Myrivilis’ Erzählung „Die Gorgonen“ und auch Georgios Visyinos’ „Die Sünde meiner Mutter“. Dies sind nur vier Beispiele, die stellvertretend für viele andere stehen, in denen sich die Anthologie ins Alltägliche oder ins Märchenhafte flüchtet oder auch in weitgehend abgeschlossene Geschichtszeiten. Zeitgeschichte aber, die ja immer zugleich auch aktuell politisch fortwirkt, meidet die Anthologie. Hier ist eine ganz deutliche Zurückhaltung bei der Herausgeberin zu spüren, sowohl gegenüber dem in jenen Jahren eindeutig politisch repressiven Staat Griechenland, als auch gegenüber der BRD oder auch beiden Deutschlands. Diese Zurückhaltung, wie sie sich weniger in der Auswahl der Autoren als der Erzählbeispiele zeigt, von heute aus zu kritisieren, wäre billig. Bedauern muß man sie natürlich grundsätzlich. Immerhin hat Rosenthal-Kamarinea es gewagt, den linksengagierten Menelaos Loudemis überhaupt aufzunehmen, nicht ohne dieses Wagnis freilich durch die Aufnahme eines Renos Apostolidis von der politisch rechten Seite abzufedern, der mit einem vergleichsweise harmlosen Auszug aus einem vom Autor als „Chronik“ bezeichneten Werk aus der Zeit des Bürgerkrieges vertreten ist. Dieser Auszug aus Apostolidis’ Pyramide 67, so der griechische Titel, ist zugleich der jüngste Zeitbezug in der Auswahl. Der zeitlich davorliegende aus dem Jahre 1944 ist insofern bemerkenswert, als hier die deutsche Seite nicht geschont wird. Mit „Beth Schalom“ von Nestoras Matsas hat Isidora Rosenthal-Kamarinea daran erinnert, daß auch Griechenland Schauplatz deutschen Verbrechens gewesen ist, was nur wenigen deutschen Lesern zu jenem Zeitpunkt präsent gewesen sein dürfte. Dargestellt wird eine Szene aus der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung Thessalonikis, die Deportation des eigenen Vaters des Autors.

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Nestoras Matsas ist zugleich der jüngste der vierundvierzig in die Anthologie aufgenommenen Erzähler. Dreiundzwanzig von ihnen sind vor 1900 geboren, und die übrigen, außer dem zuletzt Genannten, in den ersten beiden Dekaden des 20. Jahrhunderts. Das bedeutet, daß fast alle Erzählungen aus der Zeit bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs stammen und viele von ihnen noch weit davor entstanden sind und daß dies das Bild der griechischen Erzählliteratur bis in die 1980er Jahre geprägt hat. Die thematische Anthologie, die mit dem Titel Die Exekution des Mythos fand am frühen Morgen statt 1973 herauskam und hauptsächlich die Reaktion griechischer Schriftsteller auf die Errichtung der Militärdiktatur der Jahre 1967 bis 1974 widerspiegelt, wird daran wegen ihres aktuellen Schwerpunktes nicht viel geändert haben. Danae Coulmas hat diese Anthologie aus drei berühmt gewordenen griechischen Sammlungen, aus Δεκαοχτώ Κείµενα (18 Texte) von 1970 und aus Νέα Κείµενα I (Neue Texte I) (1970) und Νέα Κείµενα II (Neue Texte II) (1971) zusammengestellt und mit Vorwort und Anmerkungen versehen. Im Hinblick auf eine mögliche Kanonbildung der Anthologie von Rosenthal-Kamarinea ist festzustellen, daß keiner der bei Coulmas vertretenen Autoren schon von dorther bekannt gewesen ist. Und in Coulmas späterer, 1991 erstmals erschienener umfassenderer Anthologie Griechische Erzählungen des 20. Jahrhunderts, die ebenfalls die literarhistorische Entwicklung nachzeichnet, wird es unter vierunddreißig Erzählern gerade einmal vier mit Rosenthal-Kamarinea gemeinsame Autoren geben, welche aber mit jeweils anderen Beispielen ihrer Kunst vorgestellt werden. Bei den Anthologien aus dem Romiosini-Verlag gibt es nur 1991 bei den Erzählungen der Frauen in Griechenland noch zwei Autorinnengemeinsamkeiten mit Rosenthal-Kamarinea. In Saloniki erzählt von 1989 sowie in Die Erben des Odysseus von 2001, beide von Niki Eideneier besorgt, die sich der griechischen Gegenwartsliteratur verpflichtet fühlen, gibt es keine gemeinsamen Autoren mehr. Das gilt auch für die thematische Anthologie von 1985 mit dem Titel Dimitrakis ’86 „um eine Heimat bittend“. Eine einzige personelle Gemeinsamkeit in Gestalt Lilika Nakous verzeichnet schließlich die von Gaby Wurster 1993 herausgebrachte Anthologie Griechische Erzählungen. Alle aufgenommenen Autoren sind zudem nach 1900 geboren – von einem als Mottospender vorgeschalteten Kavafis einmal abgesehen. Es ist bei allen jetzt genannten Blütenleserinnen deutlich zu erkennen, daß sie bestrebt sind, Erzählerinnen und Erzähler aufzunehmen, die in der Anthologie von Rosenthal-Kamarinea nicht vertreten sind. Wo es personelle Gemeinsamkeiten gibt, ist durchweg zu beobachten, daß Texte ausgesucht wurden, die ein schärferes Profil besitzen, politisch aussagekräftiger sind und damit für den heutigen Leser sicher interessanter. Daß die Nachkriegszeit in ihrer Anthologie, auch in deren späteren Ausgaben, im Grunde keinen Platz gefunden hat, hat Isidora Rosenthal-Kamarinea offensichtlich

Isidora Rosenthal-Kamarinea und ihre Anthologie Neugriechische Erzähler

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auch selbst am Ende als Manko empfunden. In den Nachworten 1985 und 1986 kündigt sie jeweils einen weiteren Band an, der die Lücke schließen würde. Dazu ist es aber nicht gekommen, auch Vorarbeiten sind nicht überliefert. Was die beiden Anthologien neugriechischer Erzählungen, die 1960 und 1965 in der DDR erschienen, angeht, so ist die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg bis hinein in den Bürgerkrieg (1946-1949) thematisch, z.T. sogar im Titel herausgestellt, jedoch in der Auswahl der Erzählungen nicht eklatant besser vertreten. In der von Melpo Axioti und Dimitris Chadzis herausgegebenen Sammlung Antigone lebt von 1960 – also etwa zeitgleich mit der von Rosenthal-Kamarinea – gibt es nur vier auf die Zeit bezogene Erzählungen. In der von Marika Mineemi 1965 besorgten Anthologie mit dem Titel Das Mädchen mit dem Mond in der Hand, ein Titel, welcher der Überschrift einer Erzählung von Menelaos Loudemis entliehen ist, sind es ebenfalls vier. Zwei davon finden sich bereits in der Auswahl von Axioti. Natürlich sind diese Erzählungen im politischen Spektrum links anzusiedeln. Als weltanschaulich penetrant dabei kann aber nur „Das Grab“ von Elli Alexiou empfunden werden, eine heroisierend verstiegene Erzählung um den Tod des Partisanenführers Belogiannis. Ergebenheitsadressen an das politische System der DDR sind in der Auswahl von Axioti und Chadzis nicht zu finden. Wohl aber spielt der gesellschaftlich-soziale Bezug in ihren Texten eine erkennbar größere Rolle als bei Rosenthal-Kamarinea. Vergleicht man nun bei den etwa zeitgleich 1958 in der BRD und 1960 in der DDR erschienenen Erzähl-Anthologien die jeweilige Auswahl, so sind nur wenige Texte identisch, doch immerhin nahezu die Hälfte der Autoren. Die Textbeispiele zeichnen sich bei Axioti und Chadzis durchweg durch größere Ernsthaftigkeit aus, wie sie später auch bei den in der BRD nach 1991 herausgekommenen Anthologien zu beobachten ist. Antigone lebt, wie Axioti und Chadzis ihre Anthologie nannten, bezieht ihren Titel von einer darin aufgenommenen Erzählung des auch in der BRD bekannten Ilias Venezis. „Antigone“ beschreibt ein Begebnis aus der Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg, wonach es der Zivilbevölkerung bei Androhung der Todesstrafe verboten war, einen öffentlich gehenkten Partisanen zu bestatten. Wie die Handlung sich in den Grundzügen entwickelt, läßt sich nach dem berühmten Vorbild leicht erraten. Die Atmosphäre freilich wird so dicht gezeichnet, daß das geschilderte Geschehen, selbst wenn es fiktiv sein sollte, sich im Empfinden des Lesers so zugetragen haben könnte. Insgesamt ist Antigone lebt durch ihre facettenreichere Darbietung griechischen Lebens im jeweiligen historischen Umfeld die, verglichen mit Rosenthal-Kamarinea, repräsentativere Anthologie. Da sie aber 1960 zu einer Hoch-Zeit des Kalten Krieges herausgekommen ist, wurde sie dessen Opfer

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und blieb im westlichen Teil Deutschlands unzugänglich und unbekannt. In umgekehrter Richtung ist dasselbe zu konstatieren: die Erzählsammlung von Rosenthal-Kamarinea lag zwar den Herausgebern von Antigone lebt vor,2 der lesefreudigen Bevölkerung der DDR aber blieb sie unzugänglich und unbekannt. War jemand allerdings des Griechischen mächtig, konnte er immerhin die zwanzig ältesten der ausgewählten Texte im Original lesen, 1961 als Band 26 der Berliner Byzantinistischen Arbeiten im Akademie-Verlag erschienen.3 Bleibt zum Schluß noch die Frage nach der Kanonbildung, die oben bereits angeklungen ist. Ist es der Anthologie Neugriechische Erzähler von Isidora Rosenthal-Kamarinea gelungen, kanonbildend zu werden was Erzähler und Erzählungen betrifft? Es drängt sich zunächst eine Antwort ex negativo auf: Die Anthologie von 1958 ist kanonbildend gewesen, weil sie mit Ausnahme zweier thematischer Anthologien, die nicht nur Erzählungen enthalten, rund dreißig Jahre lang alleinexistierend gewesen ist, wenn sich jemand in der Bundesrepublik Deutschland ein Bild von der neugriechischen Erzählliteratur machen wollte. Wäre es dabei geblieben, so wäre dies geradezu verhängnisvoll gewesen. Doch es gab einen gewissen Ausgleich durch Publikationen von Erzählungen in Zeitschriften sowie einer bemerkenswerten Reihe von vor allem Roman-Übersetzungen. Für die in rascher Folge erscheinenden, thematisch akzentuierten oder literaturgeschichtlich breit angelegten Erzähl-Anthologien von 1991 an wurde bereits notiert, daß sie den Eindruck vermitteln, nicht nur rasch und gründlich die große Lücke der Nachkriegszeit zu füllen. Sie befreiten sich auch von Rosenthal-Kamarineas unausgesprochenen Auswahlkriterien der voraufgegangenen Literatur. Was allerdings die Erzähler aus dem 19. Jahrhundert und den beiden ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts angeht, so ist Rosenthal-Kamarineas Anthologie sicherlich positiv kanonbildend geworden, wenn man den literarhistorischen Aspekt berücksichtigt. Doch auch dieser ist später um seinerzeit fehlende Autoren abgerundet worden. So ergibt sich insgesamt ein etwas diffuses, aber auch normales Bild. Denn Anthologien sind fragile Geschöpfe voller Abhängigkeiten vom Urheber wie vom Leser als Personen, aber auch von den Zeitumständen bei der Entstehung wie bei der Rezeption. Sie zu kritisieren, ist relativ leicht. Sie herzustellen ein zwar schönes, aber auch mühseliges und schwieriges Geschäft. Und wenn sie gar weitgehend Erstlinge sind wie die Anthologie Neugriechische Erzähler von 1958, ist das allemal eine große Leistung.

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Das Exemplar der Übersetzung befand sich in Typoskriptform in der Akademie der Wissenschaften. ROSENTHAL-KAMARINEA (Hg.), Anthologie neugriechischer Erzähler.

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Anthologien neugriechischer Erzählliteratur AXIOTI, Melpo, HADZIS, Dimitrios: Antigone lebt. Neugriechische Erzählungen. Berlin: Volk und Welt, 1960. (43 Erz.) BOGDANOU, Maria u.a.: Frauen in Griechenland. Erzählungen. München: dtv, 1991. (21 Erz.) COULMAS, Danae: Die Exekution des Mythos fand am frühen Morgen statt. Neue Texte aus Griechenland. Frankfurt/M.: Fischer, 1973. (16 Erz., thematische Anthologie, nicht nur Erzählungen) COULMAS, Danae: Griechische Erzählungen des 20. Jahrhunderts. Frankfurt/M.: Insel, 1991. (34 Erz.) EIDENEIER, Niki: Dimitrakis ’86 „um eine Heimat bittend“. Köln: Romiosini, 1985. (11 Erz., thematische Anthologie, nicht nur Erzählungen) EIDENEIER, Niki, SFYRIDIS, Periklis: Saloniki erzählt. Prosaschriftsteller der Nachkriegszeit in Thessaloniki. Köln: Romiosini, 1989. (28 Erz.) EIDENEIER, Niki: Die Erben des Odysseus. Griechische Erzählungen der Gegenwart. München: dtv, 2001. (30 Erz.) MATHIOUDAKIS, Zacharias G.: Gute Reise, meine Augen. Texte von Griechinnen und Griechen in Deutschland. Stuttgart/Dresden: Grohmann, 1993. (11 Erz., thematische Anthologie, nicht nur Erzählungen) MINEEMI, Marika: Das Mädchen mit dem Mond in der Hand. Neugriechische Erzählungen. Leipzig: Reclam, 1965. (22 Erz.) ROSENTHAL-KAMARINEA, Isidora: Neugriechische Erzähler. Olten/Freiburg i. Br.: Walter, 1958. (44 Erz.) - in griechischer Sprache: Anthologie neugriechischer Erzähler. In der Originalfassung hg. von Isidora ROSENTHAL-KAMARINEA. Berliner Byzantinistische Arbeiten, Bd. 26. Berlin: Akademie, 1961. (20 Erz.) - wieder als: Griechenland erzählt. Frankfurt/M., Hamburg: Fischer-Bücherei, 1965. (19 Erz.) - wieder als: Die kleinen Menschen und die großen Tage. Neugriechische Erzählungen. München: Universitas, 1981. (44 Erz.) - wieder als: Die Sünde meiner Mutter. Erzählungen aus Griechenland. München: dtv, 1985. (24 Erz.) - wieder als: Der Engel mit den Jasminblüten. Erzählungen aus Griechenland. München: dtv, 1986. (20 Erz.) STEINMETZ, Alexander: Der Traum auf den Wellen und andere griechische Erzählungen. Leipzig: Felix Meiner, 1944. (31 Erz.) WURSTER, Gaby: Griechische Erzählungen. München: dtv, 1993. (28 Erz.)

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Über das Wesen des Krieges Der Roman Η Λέσχη (Der Club) von Stratis Tsirkas

Gisela von der Trenck († 1989 in Athen) hat durch ihre Übersetzungstätigkeit der neugriechischen Literatur in Deutschland wertvolle Dienste erwiesen. Ein großer Erfolg war ihrer Übersetzung von Prevelakis’ Die Chronik einer Stadt beschieden. Die bislang unveröffentlichte Übersetzung der ersten beiden Bände der Ακυβέρνητες Πολιτείες (Unregierbare Städte; Akyvernites Politeies) war sicherlich ihre größte Leistung auf dem Gebiet des Transfers der modernen griechischen Literatur. Seferis’ Logbuch II, dessen deutsche Übersetzung ebenfalls aus ihrer Feder stammt, gehört thematisch in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Trilogie von Stratis Tsirkas. Dieser Artikel ist ihr in anerkennendem Andenken gewidmet.

Der Roman Η Λέσχη (Der Club) von Stratis Tsirkas erschien 1960 im Athener Verlag Kedros. I Leßchi war ursprünglich als ein selbstständiger Roman konzipiert.1 Das Vorhaben einer Reihe mit dem Titel Akyvernites Politeies entstand in Reaktion auf die kritische Aufnahme des Werkes.2 Erst als im Jahr 1962 der Roman Αριάγνη (Ariagni)3 als Band 2 der Akyvernites Politeies erschienen war, wurde für die Exemplare von I Leßchi ein Buchumschlag hergestellt, der diesen Roman als Band 1 auswies.4 Und erst im April 1965 entschloß sich Tsirkas, die Reihe mit dem Roman Η Νυχτερίδα (Die Fledermaus) als Trilogie abzuschließen – und sie nicht etwa mit einem vierten Band fortzusetzen.5 Der Titel der Trilogie Akyvernites Politeies verweist auf das im Juli 1942 geschriebene Gedicht „Ο Στράτης Θαλασσινός στη Νεκρή Θάλασσα“ aus der Sammlung Ηµερολόγιο Καταστρώµατος, Β – deutsch: Logbuch II – von Gior-

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Besonderen Dank schulde ich Herrn Botschafter Dr. iur. Ulf-Dieter Klemm. Er hat mich mit den notwendigen Informationen zur deutschen Übersetzung von I Leßchi (und Ariagni) versehen und mich mit seinen Anmerkungen vor Fehlern bewahrt. Dies ist das Thema von PECHLIVANOS, Από τη Λέσχη στις Ακυβέρνητες Πολιτείες (Von I Leßchi zu Akyvernites Politeies). Ariagni ist ein weiblicher Vorname (idiomatische Form von Ariadne). Siehe die Titelseite von 1960 und den Buchumschlag von 1962, abgebildet bei PECHLIVANOS, Από τη Λέσχη στις Ακυβέρνητες Πολιτείες (Von I Leßchi zu Akyvernites Politeies), S. [42] sowie ebenda S. 262-265. PECHLIVANOS, Από τη Λέσχη στις Ακυβέρνητες Πολιτείες (Von I Leßchi zu Akyvernites Politeies), S. 20-21.

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gos Seferis.6 Die betreffenden Verse sind dem Roman I Leßchi als Motto vorangestellt: „Ιερουσαλήµ, ακυβέρνητη πολιτεία / Ιερουσαλήµ, πολιτεία των προσφύγων“. Gisela von der Trenck übersetzt in ihrer griechischdeutschen Ausgabe: „Jerusalem, unregierbare Stadt du, / Jerusalem, du Stadt der Flüchtlinge.“7 Die Gesamtkonzeption der Trilogie sieht vor, daß jeder Teil seinen eigenen Schauplatz hat: I Leßchi spielt in Jerusalem, Ariagni in Kairo, I Nychterida in Alexandria. Der Titel Akyvernites Politeies betont die konzeptuelle Bedeutung der Schauplätze als konstituierendes Element der Trilogie.8 Und tatsächlich ist es so, daß die Orte der Handlung in I Leßchi, wie auch in den beiden weiteren Teilen der Trilogie, mit kompromißlosem Realismus beschrieben sind; man kann die Wege der handelnden Personen anhand von Stadtplänen und Reiseführern mitverfolgen. Jerusalem ist der Schauplatz des Romans I Leßchi. Die Gesamtkonzeption der Trilogie entstand, wie eingangs referiert, erst nachträglich, zu einem Zeitpunkt, als I Leßchi bereits erschienen war. Wenn wir also I Leßchi als einen selbstständig konzipierten Band sehen und uns von den Konnotationen des Titels der Trilogie befreien, dann nehmen wir wahr, daß Jerusalem der Schauplatz von Handlungen auf zweiter Ebene ist, die Handlungen auf erster Ebene finden an anderen Orten statt. Tsirkas verfaßt gegen Ende 1960 eine Pressemitteilung zu seinem Roman, deren Konzept in seinem Nachlaß erhalten ist und die offensichtlich der Zeitung Ta Nea vorlag, als sie am 28. Dezember 1960 den neu erschienenen Roman vorstellte.9 In dieser Pressemitteilung nennt er den entscheidenden Faktor, welcher die Handlungen im Roman bestimmt: „Juni 1942: Während Rommels Panzer sich für den Einmarsch in Ägypten bereit machen…“10 Zum Zeitpunkt, als die Handlungen des Romans einsetzen, ist der Ausgang von Rommels Versuchen, die unter britischem Befehl stehende libysche Stadt Tobruk einzunehmen, vollkommen offen.11 Ebenso offen ist, welche 6 7

SEFERIS, Ποιήµατα (Gedichte), S. 203-206. SEFERIS, Logbücher I und II, besonders S. 95. Der Titel des Gedichts von Seferis wird dort wie folgt wiedergegeben: „Stratis der Seemann am Toten Meer“. 8 Schwierig in der deutschen Wiedergabe ist das Adjektiv ακυβέρνητος, das ursprünglich aus der Schiffahrt stammt und bei Seferis und Tsirkas metaphorisch gebraucht wird. Es bezeichnet z.B. ein Schiff, das führerlos im Meer umhertreibt. Bei einer deutschen Übersetzung „führerlose Städte“ würden (abgesehen davon, daß sie an ein Tabu rührte) die aus der Metaphorik erwachsenden Assoziationen verloren gehen. 9 Das Konzept ist veröffentlich bei PECHLIVANOS, Από τη Λέσχη στις Ακυβέρνητες Πολιτείες (Von I Leßchi zu Akyvernites Politeies), S. 183; ebenda findet sich in Fußnote 6 die Notiz aus der Zeitung Ta Nea abgedruckt. 10 Übersetzung a. d. Griechischen, wenn nicht anders angegeben, hier u.i.f. vom Verfasser. 11 Die „nackten“ Daten der Kriegsereignisse entnehme ich HILLGRUBER / HÜMMELCHEN, Chronik.

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Folgen eine deutsch-italienische Eroberung Tobruks für Alexandria und Kairo haben würde. Jerusalem ist voll von Flüchtlingen, die aus bisherigen Erfolgen der deutsch-italienischen Panzerarmee, auf Kommendes schließend, die Flucht angetreten haben, im Vorgriff auf das befürchtete Ereignis. In Jerusalem warten sie auf Neuigkeiten, die ihr weiteres Schicksal bestimmen werden. Ein deutscher Einmarsch in Ägypten würde in der Folge Jerusalem bedrohen. Die Ereignisse, die die Handlungen der personae dramatis bestimmen, finden an der afrikanischen Nordküste statt, zwischen dem libyschen El-Gazala (Beginn der Offensive: 26. Mai 1942)12 und dem ägyptischen El Alamein (Eintreffen der deutsch-italienischen Panzerarmee am 30. Juni 1942).13 Mit diesen Eingangsparagraphen möchte ich, gewissermaßen proleptisch, deutlich machen, welches ich für ein wichtiges Thema des Romans I Leßchi halte: das Verhältnis von offiziellem und eigentlichem Schauplatz sowie das Verhältnis von offenen, öffentlich wahrnehmbaren Handlungen und von Handlungen, die nicht wahrnehmbar im Hintergrund stattfinden. Von der Prämisse ausgehend, daß es auch heute noch, mehr als 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, ein relevantes Thema ist, wie die Folgen deutscher Kriegshandlungen in der Literatur der betroffenen Völker repräsentiert werden, werde ich argumentieren, daß I Leßchi auch fast 50 Jahre nach ihrem Erscheinen weiterhin für ein deutsches Lesepublikum interessant ist und diesem nicht länger vorenthalten werden sollte. Den wenigen deutschsprachigen Kennern der neugriechischen Literatur ist wohl bekannt, daß es eine deutsche Übersetzung von I Leßchi gibt. Es gab sogar das Projekt, die gesamte Trilogie Akyvernites Politeies zu übersetzen. Nachdem es aber zu Auseinandersetzungen kam zwischen der Übersetzerin Gisela von der Trenck und dem Verlag, wurden die Arbeiten an Ariagni und I Nychterida eingestellt. Dies ist die Geschichte, die mir Frau von der Trenck vor 20 Jahren, kurz vor ihrem Tod, erzählte. Das Manuskript ist erhalten, und Gerhard Blümlein14 hat die in den 1980er Jahren nicht vollendete Arbeit inzwischen zu einem Abschluß gebracht. Meinen Beitrag möchte ich gerne als Appell verstanden wissen, daß die neogräzistische Community und ihre Sympathisanten doch etwas in die Richtung unternehmen mögen, daß zumindest das Manuskript von I Leßchi ans Tageslicht gefördert und zum Druck besorgt werden möge.15 12 13 14 15

HILLGRUBER / HÜMMELCHEN, Chronik, S. 68. HILLGRUBER / HÜMMELCHEN, Chronik, S. 70. Übersetzer von Aris ALEXANDROU, Το κιβώτιο (Die Kiste). Um Gisela von der Trenck zu zitieren: „Und hat nicht ein deutscher Leser in besonderem Maße Grund, von solchen weit übers Nationale ins Allgemeinmenschliche erhöhten, zum Teil erschütternden Zeugnissen des damaligen Leidens des griechischen Volkes Kenntnis zu nehmen?“ (In: SEFERIS, Logbücher I u. II, S. 151).

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„Zumindest I Leßchi…“: Wünschenswert wäre natürlich die Veröffentlichung der gesamten Trilogie in deutscher Übersetzung, aber nachdem selbst Die Kiste von Aris Alexandrou – ein Werk, welches dem Roman von Stratis Tsirkas mindestens ebenbürtig und darüber hinaus auch eingängiger zu lesen ist – trotz enkomiastischer Besprechungen auch in den wichtigsten deutschsprachigen Zeitungen und Literaturbeilagen nur wenig Verbreitung fand, sollte man sich damit abfinden, daß man vom Wesentlichen eine Untermenge bilden muß: die des absolut Wesentlichen. I Leßchi allein zu drucken, setzt voraus, daß es prinzipiell Sinn macht, einen einzelnen Teil aus einer Trilogie zu isolieren. Die Ergebnisse der Monographie von Miltos Pechlivanos Από τη Λέσχη στις Ακυβέρνητες Πολιτείες (Von „I Leßchi“ zu „Akyvernites Politeies“), daß nämlich I Leßchi ursprünglich als eigenständiger Roman erschien und daß die Idee zur Trilogie erst entstand, als I Leßchi bereits gedruckt vorlag, sprechen dafür, daß man diesen ersten Teil der Akyvernites Politeies auch für sich rezipieren kann. In der Trilogie als Ganzes geht es um linke Militärs in griechischen Truppen unter britischem Oberbefehl in Ägypten während der Kriegsjahre 1942 bis 1944; um die britischen Versuche, die griechische Linke im Hinblick auf die bevorstehende Befreiung Griechenlands zu unterdrücken und um die Rechtfertigung der Revolte in der Marine im April 1944; somit um die Bloßstellung der britischen Politik, die Griechenland in den Bürgerkrieg getrieben habe.16 In der Leßchi geht es, im Kontext der Trilogie, darum, wie ein linker intellektueller Offizier, Manos, der erfolgreich in Albanien gekämpft und sich vom Verbalismus der KKE abgestoßen aus der Partei zurückgezogen hatte, in Jerusalem für den Widerstand zurückgewonnen wird und beginnt, eine Untergrundzeitung für die Angehörigen der griechischen Streitmacht herauszugeben. Dies, wie gesagt, „im Kontext der Trilogie“. Liest man I Leßchi außerhalb der Trilogie, nimmt man ganz andere Akzente wahr. In I Leßchi gibt es drei grundsätzlich verschiedene erzählende Stimmen: Manos „erzählt“ homodiegetisch, in autonomem inneren Monolog in der ersten Person. Frau Rosenthal-Feldmann erzählt, am Rande der Schizophrenie, ebenfalls in innerem Monolog, sie jedoch in der zweiten Person, sich selbst als Anna ansprechend. Als Dritter stellt ein heterodiegetischer Erzähler seine Stimme zur Verfügung, wobei sein Blickfeld durch interne Fokalisierung ähnlich eingegrenzt ist wie das einer beteiligten Person. Meist hält er sich in der Nähe von Emmy auf, deren Gedanken er oft wörtlich zitiert. Bemerkenswert ist aber folgende Stelle, wo der heterodiegetische Erzähler sein Wissen auf das Rosas einschränkt; die Eingrenzung des Wissens des Erzählers auf das, was Rosa wahrnimmt und wahrnehmen kann, wird hier ausdrücklich angesprochen: 16 Siehe auch PAPATHEODOROU, Ο σκληρός Απρίλης (Der grausame April), S. 269-296.

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„Du warst heute ganz anders. Dieser Enthusiasmus, diese Technik… Hast du etwas gelesen?“ „Ich lese nicht, das weißt du doch. Aber ich habe mir Gedanken gemacht.“ Benny verlangte Rotwein zum Roastbeef. Während Rosa die Flasche entkorkte, entging ihr ein Teil des Gesprächs. „Weißt du, vielleicht reise ich doch nicht nach Tehe17 ran.“

Rosa, die den Dialog zwischen Emmy und Benny aufmerksam verfolgt, verpaßt einen kleinen Teil des Gesprächs, während sie eine Weinflasche entkorkt. Die Entscheidung, dem Leser nicht mehr zu vermitteln, als einzelne handelnde Personen – hier Rosa – wissen, ist kein Selbstzweck: Die Dinge, die ihnen verborgen bleiben, bleiben auch dem Leser verborgen. Dadurch, daß dem Leser aber das Wissen mehrerer Personen vermittelt wird, erhält er Möglichkeiten, Zusammenhänge herzustellen, über die die Personen der Handlung nicht verfügen. Natürlich gibt es Personen in der Handlung, die andere Personen mit dem notwendigen Wissen versorgen: Michelle Rapescu, von der weiter unten ausführlich zu berichten sein wird, ist eine solche Figur. Es gibt aber auch Handlungen, die im Verborgenen stattfinden und die erzählerisch im Verborgenen bleiben: Es bleibt dem Leser überlassen, von Wirkungen auf Ursachen zurückzuschließen – oder von Handlungen anzunehmen, daß sie Ergebnisse zeitigten. Und schließlich ist es so, daß auch die informierten Personen ihr Wissen nicht vollständig weitergeben. Ein Beispiel: Obwohl eine der drei Stimmen die von Manos ist, erfahren wir über die Arbeit an der Untergrundzeitung Ο Μαχητής (Der Kämpfer), mit deren Herausgabe Manos seine Tage vom 30.6. bis zum 4.7.1942 verbringt, nur vergleichsweise wenig, und dieses Wenige erfahren wir mittelbar, nämlich aus der Diskussion mit Garelas über die erste Ausgabe sowie in einem Dreiergespräch, an dem neben den Genannten auch Anthropaki beteiligt ist.18 Die erzählenden Stimmen stehen zugleich für wichtige Träger der Handlung: Emmy ist die Frau eines ehemaligen österreichischen Ministers, der vor den Nazis geflohen ist und am 6. Juni 1942 zusammen mit ihr in Jerusalem eintrifft, von wo er im weiteren Verlauf nach Ankara entsandt wird.19 Emmy liebt Manos und Manos liebt Emmy. Es kommt aber zu keiner (körperlichen) Beziehung. Benny Kurtmeier, ein Mitglied eines amerikanischen Geheim17 „Δεν ήσουν έτσι άλλοτε. Αυτός ο ενθουσιασµός, αυτή η τέχνη… Διάβασες τίποτα τελευταία;“ „Δε διαβάζω, το ξέρεις. Μα σκέφτηκα πολύ.“ Ο Μπένη ζήτησε κόκκινο κρασί µε το ροσµπίφ. Όσο να ξεταπώσει την µπουκάλα η Ρόζα, χάθηκε ένα κοµµάτι της κουβέντας τους. „Ξέρεις, µπορεί να µην πάω στην Τεχεράνη.“ TSIRKAS, Η Λέσχη (Der Club), S. 206. 18 TSIRKAS, Η Λέσχη (Der Club), S. 223-232 und S. 277-295, respektive. 19 Am Tag nach der Ankunft unterhalten sich Emmy und Hans Bobretzberg über das Datum, dem 99. Todestag Hölderlins (S. 11). Am selben 7.6.1942 beginnt der deutsche Angriff auf Sewastopol, das am 1.7.1942 fiel (HILLGRUBER / HÜMMELCHEN, Chronik, S. 70); das Schicksal Sewastopols ist das letzte Anliegen der sterbenden Rahel (S. 138-139).

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dienstes, hatte Emmy durch Erpressung zu seiner Maitresse gemacht. Während ihr Gatte sich in Ankara aufhält und während ihr offizieller Liebhaber (der sie als einen „Gefrierschank mit tiefgekühltem Fleisch“ [µια(ς) παγωνιέρα(ς) µε κατεψυγµένο κρέας, S. 315] bezeichnete, wie wir später erfahren) seiner Geheimdiensttätigkeit nachgeht, empfängt sie Adam, einen griechischstämmigen Palästinenser und Zuhälter, in der Villa des Amerikaners und gibt sich diesem in einem exzessiven Masochismus hin. Rosa, die polnische Haushälterin, ermordet schließlich Adam, um Emmy vor ihrem Verfall und den Bordellen Adams zu bewahren, doch die ermittelnden Behörden verdächtigen Manos, das Motiv scheint naheliegend. Die Handlung wirkt auf den ersten Blick chaotisch, wie eine Folge willkürlicher Ereignisse, zugleich überzogen und sexistisch. Es gibt, wie wir am Ende erfahren, einen vorgeblich von der Ratio bestimmten, zynischen Gegenpol zu dieser nervlich überreizten Situation – einen Club, die „Leßchi Mirador“, bestehend aus Offizieren, Mitgliedern von Geheimdiensten oder von Widerstandsorganisationen im Exil, offiziellen und inoffiziellen Spionen und Doppelagenten. Diese schließen Wetten darauf ab, wer sich in welcher Situation wie verhält: wer Versuchungen widersteht; wer so tut, als widerstehe er, aber tatsächlich nicht widersteht; wer so tut, als widerstehe er nicht, aber tatsächlich widersteht usw.20 Sie führen die beschriebenen exzentrischen Zustände bewußt herbei und gewinnen ihre Wette, wenn sich die Versuchsperson wie vorhergesagt verhält. Ich weiß nicht, ob die Leser und Leserinnen dieses Beitrags den Eindruck haben, daß das alles Sinn macht. Michelle Rapescu, eine ehemalige Edelhure und Offizierin der „Freien Franzosen“ (S. 302), glaubt auf jeden Fall, für Emmy könne das alles keinen Sinn ergeben; in einem Gespräch gegen Ende des Romans, am 3. Juli 1942, klärt sie Emmy über den Club mit Namen Mirador auf, um ihr die Ebene zu eröffnen, auf der das Arbiträre kohärent erscheint. Daß der Krieg nicht auf das Geschehen an den Fronten beschränkt ist, ist für Emmy alles andere als neu. Daß der Krieg auch etwas mit dem Ausleben verdrängter Perversionen der Offiziere zu tun habe, hatte Emmy schon am 12. Juni 1942 von Benny Kurtmeier gehört. Zu dem Zeitpunkt bestand aber noch kein Anlaß, weder für Emmy noch für den Leser, an eine Organisation im Hintergrund zu denken: „Dienste nehmen ihre Tätigkeit auf, Menschen werden an andere Ort gebracht, Telegramme, Geldverschwendung: Alles das, damit ein Hauptmann der OWW was befriedigt? Eine besondere Vorliebe? Es fehlt nicht viel, und Rommel steht vor den Toren

20 Siehe den Katalog der Möglichkeiten bei TSIRKAS, Η Λέσχη (Der Club), S. 306-307.

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Ägyptens. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt für das, was Sie verlangen.“ „Und was 21 dachten Sie, weshalb Kriege geführt werden?“

Und Emmy scheint schnell überzeugt, denn bereits am 14. Juni 1942 sagt sie zu Hans: „Einige Menschen behaupten, der Krieg sei dafür da, daß die Männer ihre verdrängten Perversionen ausleben“ („Ίσα ίσα, µερικοί πιστεύουν πως οι πόλεµοι γίνουνται για να ικανοποιήσουν [οι άντρες] τις απωθηµένες επιθυµίες τους“; S. 93). Apropos 14. Juni: Kalenderdaten spielen in I Leßchi eine wichtige Rolle, eventuell eine wichtigere, als Danielle Blot in ihrer Studie wahrgenommen hat.22 Wenn man sich die Mühe macht und die Ereignisse mit Datumsangaben in Verbindung setzt zu solchen Ereignissen, von denen man weiß, daß sie früher oder später, an welchem Wochentag oder wie viele Tage früher oder später sie stattgefunden haben, kann man einen relativ genauen Kalender der erzählten Ereignisse anlegen, beginnend am Sonntag, dem 7. Juni 1942, und endend am 4. Juli desselben Jahres.23 Ein Epilog, gebracht in die Form eines Briefes Emmys an Manos, geschrieben ein Jahr später in Jerusalem am 7. Juni 1943, soll hier außen vor bleiben. Die Genauigkeit in den Kalenderdaten fällt auf, und die narrativen Gründe liegen auf der Hand. Weil die verborgenen Kausalzusammenhänge erst am Ende des Romans offenbart werden (im Maße, in dem sie offenbart werden), muß man sich im Verlauf der Erzählung der offenen Ereignisse mit deren zeitlichem Verhältnis zueinander begnügen. Zudem, und das scheint mir besonders wichtig, sollen die Ereignisse der Fiktion mit Ereignissen der non-fiktionalen, historischen Realität synchronisiert werden: Bei I Leßchi handelt es sich um einen Versuch, historische Realitäten mit fiktivem Personal zu repräsentieren24. Die historischen Ereignisse finden an der libyschen und im weiteren Verlauf an der ägyptischen Mittelmeerküste statt, und erst deren fiktionale Repräsentation beschreibt Folgehandlungen, die in Jerusalem stattfinden.25 21 „Υπηρεσίες κινητοποιούνται, άνθρωποι ξεβολεύονται, τηλεγραφήµατα, σπατάλες για να ικανοποιήσει ένας λοχαγός της OWW τι; Μια ιδιοτροπία; Ο Ρόµµελ ακόµα λίγο και χτυπάει τις πόρτες της Αιγύπτου. Αυτά δεν γίνονται σε τέτοιες ώρες.“ „Και γιατί νοµίζετε πως γίνουνται οι πόλεµοι;“ TSIRKAS, Η Λέσχη (Der Club), S. 58. 22 BLOT, Χρονικές δοµές (Zeitstrukturen), S. 26-28; vgl. auch ebd. S. 43-44. 23 Im Kapitel 18, S. 274-295, werden Ereignisse vom 4. Juli 1942 berichtet („…προχτές, 2 Ιουλίου“ / „… vorgestern, am 2. Juli“ [S. 275]); die Ereignisse des 19. Kapitels, S. 296-316, haben bereits am 3. Juli 1942 stattgefunden. 24 Die von Chryssa Prokopaki besorgte Ausgabe der Trilogie ist mit wertvollen Anmerkungen versehen, die den Leser mit den wichtigsten Informationen versorgen. TSIRKAS, Η Λέσχη (Der Club), S. 363-390. 25 Vgl. BLOT, Χρονικές δοµές (Zeitstrukturen), S. 28: „…η σηµασία του ιστορικού συµβάντος διαφέρει από µυθιστόρηµα σε µυθιστόρηµα. Στη Λέσχη ο πόλεµος είναι κοντινή πραγµατικότητα, δηµιουργός καταπιεστικού κλίµατος, ωστόσο η ιστορία βρίσκεται σε δεύτερο επίπεδο· είναι απλώς σκηνογραφία του βάθους…“ (Die Bedeutung

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An keiner Stelle wird dies so deutlich wie im siebten und ansatzweise bereits im fünften Kapitel (S. 82-97 und S. 54-65, respektive). Beide beschreiben die Ereignisse des 14. Juni 1942 aus Emmys Sicht. Herr Andreanu, Bewohner der Pension von Frau Rosenthal-Feldmann und Kellner im Hotel Astoria, behauptet, an besagtem 14. Juni, was in Jerusalem passiere, stehe in unmittelbarem Zusammenhang mit Ereignissen, die anderswo stattfinden: „Welche News gibt’s heute, Herr Andreanu“, fragt Emmy. „Wenn Sie die von der Front meinen, sehr schlechte. Sie brauchen nur zu schauen, wie die Leute reinhauen! Als ich von dem Kommuniqué aus Berlin gehört habe, habe ich dem Chefkoch gesagt: 26 ‚Stell’ Dich auf doppelte Portionen ein,‘ und wie immer lag ich richtig.“

Das Kommuniqué aus Berlin hatte Erfolge der Panzerarmee Afrika und entsprechende Verluste der 8. britischen Armee zum Inhalt;27 dieser Inhalt wurde durch die BBC bestätigt (S. 86). Der 14. Juni ist für Emmy ein wichtiges Datum: Es ist der Tag, an dem sie Benny Kurtmeier zum zweiten Mal in seiner Villa am Damaskustor aufsucht. Auf dem Weg zum Hotel Astoria, wo Hans sie um 14 Uhr zum Mittagessen erwartet, begegnet sie wiederholt unverhohlener Obszönität von Seiten Unbekannter, von vorbeifahrenden Arabern (S. 56), von Leuten auf der Straße (S. 62-63) und von jemandem, der sich später als Adam herausstellt (S. 68). Ihr Talent für empirische Verhaltensforschung ist weniger ausgeprägt als das von Herrn Andreanu. Sie bemerkt zwar, daß etwas die Leute aufgewühlt hat, schließt aber nicht aus, daß sie selbst die Ursache sei: Sie betrachtete sich selbst. Nein, es war nichts Aufreizendes an ihr. Etwas anderes, was mit ihr nichts zu tun hatte, erregte heimlich die Gemüter der Menschen. „Sonntag, 14. Juni. Das Datum muß ich mir merken, vielleicht erfahre ich ja später die Ursache. Es sei denn, die Menschen in der Heiligen Stadt spüren den Ehebruch. Ob ich wohl 28 gesteinigt werden soll?“

des historischen Ereignisses variiert von Roman zu Roman (d.i. bezogen auf die Trilogie [U.Moe.]) In I Leßchi ist der Krieg eine greifbare Tatsache, welche eine bedrückende Atmosphäre schafft. Und doch wird die Geschichte auf einer zweiten Ebene eingespielt, sie stellt einen szenischen Hintergrund dar.) 26 „Τι νέα έχουµε σήµερα, χερ Ανδρεάνου;“ „Αν εννοείτε τα πολεµικά, πολύ άσχηµα. Άλλωστε, δείτε τους πώς τρώνε! Όταν µου είπαν για τ’ ανακοινωθέν του Βερολίνου, ,ετοίµασε διπλές ποσότητες‘, παράγγειλα στον αρχιµάγειρα. Ποτέ δεν έπεσα έξω.“ TSIRKAS, Η Λέσχη (Der Club), S. 82. 27 Vgl. HILLGRUBER / HÜMMELCHEN, S. 68; Chryssa Prokopaki in: TSIRKAS, Η Λέσχη (Der Club), S. 377, Anm. zu S. 94. 28 Κοιτάχτηκε καλά· όχι, τίποτα πάνω της το προκλητικό. Κάτι, άσχετα µ’ εκείνη, ερέθιζε ύπουλα τη διάθεση του πλήθους. „Κυριακή, 14 Ιουνίου, να το θυµάµαι. Ίσως αργότερα µαθευτεί. Εκτός πια αν οι άνθρωποι της αγίας πόλης διαιστάνονται τη µοιχαλίδα. Με περιµένει λοιπόν και θανάτωση µε λιθοβολισµό;“ TSIRKAS, Η Λέσχη (Der Club), S. 63.

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Später im Hotel Astoria findet die Sache ihre Fortsetzung. Spyros Giasemís, ein griechischer Offizier, betrachtet sie mit unverhohlenem Interesse – so aufdringlich, daß Andreanu den Tisch des essenden Paares mit einem Paravent abschirmen wird (S. 92). Inzwischen ist der Zusammenhang zwischen den Ereignissen in Nordafrika und dem Verhalten der Menschen in Jerusalem aber bereits deutlicher geworden: Am Tisch der Offiziere schlug ein Oberleutnant, dürr und schwarz wie ein Beduine, in seine Faust. „Tobruk, Tobruk“, rief er. Ein anderer antwortete unbewegt: „Douda“. Und ein Major mit grauem Schnäuzer, der Emmy gegenüber saß, amüsierte sich beim 29 Zuhören. Plötzlich zwinkerte er ihr zu.

Die ganze Situation, die Nervosität, die die Zeit der erzählten Ereignisse in Jerusalem prägt, ist ein Produkt der Ungewißheit. Wird die Operation Theseus, die am 26. Mai 1942 ihren Anfang nahm und die im Juni 1942 Erfolge aufweisen kann – Eroberung des Forts Bir Hacheim durch die deutschitalienische Panzerarmee Afrika am 10. Juni 1942 und Niederlage der 8. britischen Armee unter General Neil Ritchie;30 Einnahme Tobruks durch Rommels Truppen am 21. Juni 194231 und anschließendes Überschreiten der libysch-ägyptischen Grenze; Eintreffen der Panzerarmee bei El Alamein am 30. Juni 194232 –, zur Einnahme Alexandrias, Kairos und später auch Jerusalems durch die Achsenmächte führen? Benny stellt die Situation wie folgt dar, auch dies am 14. Juni: „Der unfähige Ritchie hat gestern zwischen Knightsbridge und Acroma 300 Tanks verloren, die gesamte Panzerstreitmacht der 8. britischen Armee. Der Weg nach Ägypten ist offen, alles ist nur noch eine Frage des Nachschubs. Wenn Admiral Harwood sich als ähnlich geeignet wie Ritchie erweist und die italienischen Frachter nach Benghazi gelangen läßt, wird Tobruk eingenommen werden, werden Sollum und Marsa Matruh fallen. Spätestens in zwei Wochen werden die Deutschen in Alexandria 33 einmarschieren. Was soll die britische Luftwaffe alleine ausrichten?“

29 Στο τραπέζι των στρατιωτικών, ένας υπολοχαγός, στεγνός και µαύρος σαν µπεντουβίνος, χτυπούσε τη γροθιά του. „Τοµπρούκ, Τοµπρούκ“, φώναζε. Ένας άλλος του αποκρινόταν ατάραχα: „Ντούντα“. Κι ένας ταγµατάρχης µε ψαρό µουστάκι, που καθόταν αντίκρυ στην Έµµη, διασκέδαζε µισακούοντας. Άξαφνα της έκανε το µάτι. TSIRKAS, Η Λέσχη (Der Club), S. 84. 30 HILLGRUBER / HÜMMELCHEN, Chronik, S. 69. 31 HILLGRUBER / HÜMMELCHEN, Chronik, S. 70. 32 HILLGRUBER / HÜMMELCHEN, Chronik, S. 70. 33 „Ο Ρίτσι, ο ανίκανος, έχασε χτες, ανάµεσα στο Νάιτσµπριτζ και την Ακρόµα, τριακόσια τανκς, όλη τη θωρακισµένη δύναµη της Όγδοης Στρατιάς. Ο δρόµος προς την Αίγυπτο είναι ανοιχτός. Ζήτηµα ανεφοδιασµού µόνο. Αν ο ναύαρχος Χάρβουντ αποδειχτεί εφάµιλλος του Ρίτσι κι αφήσει τις ιταλικές νηοποµπές να φτάσουν στην Μπεγκάζη, το Τοµπρούκ θα πέσει, το Σολλούµ, η Μάρσα Ματρούχ θα πέσουν. Σε δυο

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Die Wahl des historischen Hintergrunds ist nicht zufällig: Er ist die Voraussetzung für die Ereignisse in Jerusalem, und die Ereignisse in Jerusalem müssen deshalb im genannten Zeitraum stattfinden, weil die Bedrohung, die von den Erfolgen Rommels ausgeht, die Voraussetzung für die im Roman beschriebene Stimmung schafft. Auch das Ende der eigentlichen Erzählung am 4. Juli 1942, also zu einem Zeitpunkt, als Rommels Truppen zwar in El Alamein eingetroffen sind, es aber noch vollkommen offen ist, ob die Alliierten Ägypten werden halten können, ist nicht zufällig gewählt: Die Entspannung der Lage, die mit abnehmendem Erfolg der deutsch-italienischen Panzerarmee in den Sommermonaten einhergegangen sein muß, sollte nicht Gegenstand der eigentlichen Handlung werden, sondern dem Epilog, Emmys Brief an Manos, vorbehalten bleiben. Die Besonderheit der Situation wird schon von Anfang des Buches an deutlich: Zu den jüdischen Flüchtlingen aus aller Welt, die im Vorfeld des Krieges und nach Hitlers Erfolgen in den ersten Kriegsjahren vor den Nazis geflohen waren, beginnen sich Flüchtlinge aus Ägypten zu gesellen, die ihr Land angesichts der drohenden Eroberung verlassen haben. Emmy und Hans Bobretzberg, immerhin „der letzte Minister Österreichs“ (S. 14),34 reisen in einem Zug des Militärs von Kairo nach Jerusalem.35 Dort wohnen sie in der einfachen Pension von Frau Rosenthal-Feldmann, weil im Hotel Astoria, welches eigentlich angemessen gewesen wäre, selbst auf den Fluren Gäste einquartiert werden müssen (S. 12): Die Stadt ist voll von Militärs, Geheimdienstlern und Exilanten, die vorsorglich für den Fall einer deutschen Eroberung Ägyptens Position beziehen. Nach dem 22. Juni 194236 setzt ein neuer Flüchlingsstrom ein, intensiver und bunter:37 Rosa beschrieb ihr das Leben, das die ersten Flüchtlinge aus Ägypten den Bars an der Jaffa Road einhauchten. Aus jedem Dorf ein Köter. Männer mit Samtjackets, gepudert und mit Hüftschwung. Junge Frauen mit Halstüchern und engen Hosen, alte Frauen, die im Hochsommer Pelze trügen sowie exzentrische Colliers aus Terrakotta, füllten von morgens bis zum späten Abend die Tische im Alaska und im Astoria, die Luft mit Zigarettenrauch, mit Ausrufen des Erstaunens, mit Fieber und angstvoller Erwartung schwängernd. Später träfe man sie alle im großen Foyer des King David Hotel an,

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βδοµάδες το πολύ θα βρίσκουνται στην Αλεξάνδρεια. Τι να κάνει η Αεροπορία µοναχή της.“ TSIRKAS, Η Λέσχη (Der Club), S. 94. Siehe auch die Anmerkung von Prokopaki in: TSIRKAS, Η Λέσχη (Der Club), S. 364. „Hast du gesehen, wie schnell wir Tickets für den Zug des Militärs bekommen haben. Natürlich konnten wir nicht auf einem Schlafwagen bestehen!“, sagt Hans zu Emmy („Είδες πόσο γρήγορα βρέθηκαν οι θέσεις στο στρατιωτικό τρένο. Βέβαια δεν µπορούσαµε να απαιτήσουµε και βαγκόν-λι!“). TSIRKAS, Η Λέσχη (Der Club), S. 13. „22.6. Rommel zum Feldmarschall befördert. Er bestimmt als nächste Angriffsziele: El Alamein – Alexandria – Nilmündung – Kairo (das bis zum 30.6. erreicht werden soll) […]“. HILLGRUBER / HÜMMELCHEN, Chronik, S. 70. Siehe auch Prokopaki in: TSIRKAS, Η Λέσχη (Der Club), S. 360-361.

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Whisky trinkend, tanzend, Seite an Seite und Arm in Arm mit den höheren Offizieren der Alliierten. Reiche Levantinerinnen seien in ihren riesigen Limousinen angereist. Sie hätten ihre Chauffeure entlassen und statt dessen ihre Liebhaber engagiert. Langjährige Paare gäben ihrer Verbindung einen Rechtsstatus, befreundete Paare tauschten, endgültig und offiziell, ihre Partner aus, die Perversen, Ernsthaften, Vielbeschäftigten 38 trugen bescheiden ihre neu erworbene Freiheit zur Schau.

Entfesseltes Treiben angesichts eines Ereignisses, das noch nicht eingetreten ist, ein Treiben, welches einen Phänotypus des Wartens darstellt. Personen warten auf für sie existentiell wichtige Ereignisse, indem sie Nachrichten verfolgen, doppelte Portionen verschlingen, sich gegenseitig ausspionieren, sexuelle Perversionen oder andere verdrängte Wünsche ausleben und als Steigerung davon untereinander Wetten darauf abschließen, wer worin wie weit gehen wird. Was Andreanu beobachtet hat, nennt man in der Verhaltensforschung Übersprungshandlung, derived activity oder displacement activity auf Englisch: Die Gefahrensituation weckt Instinkte – der Flucht oder der Aggression. Weil man aber das durch die Bedrohung angesprochene Verhaltensmuster nicht „abspielen“ kann, entlädt sich die dafür zur Verfügung gestellte Energie in einem anderen als dem ursprünglich aktivierten, in einem unmotiviert erscheinendem Muster: Man kratzt sich am Kopf (vgl. das κρανίου απόξεσις von Michelle Rapescu),39 man ißt, man lebt sexuelle Begehrlichkeiten aus oder man flüchtet sich in den Zynismus – zum Beispiel, indem man Wetten abschließt bezüglich der Reaktionen der anderen, die sich in derselben Situation befinden: „A displacement activity is an activity belonging to the executive pattern of an instinct other than the instinct(s) activated.“40 Die Ereignisse, die das Handeln der Personen in I Leßchi bestimmen, finden also ganz woanders statt, an der nordöstlichen Küste Afrikas. Tsirkas er-

38 Της περιέγραφε (η Ρόζα) την κίνηση που δίναν τώρα στα κέντρα της Τζάφφα Ροντ οι πρώτοι πρόσφυγες από την Αίγυπτο. Κάθε καρυδιάς καρύδι, άντρες µε βελουδένια σακάκια, πουδραρισµένοι και κουνιστοί, κοπέλες, µε σφανταχτερά φουλάρια και κολλητά παντελόνια, γριές µε γούνες στο κατακαλόκαιρο και παρδαλά περιδέραια από τερακότα γέµιζαν απ’ το πρωί ως τη νύχτα τα τραπεζάκια της Αλάσκας και του Αστόρια, φορτώνοντας τον αέρα τους µε καπνούς, µε φωνές έκπληξης, µ’ ένα πυρετό και µια αγωνία. Αργά, θα τους έβρισκες όλους στο µεγάλο χολ του Κινγκ Νταίβιντ Οτέλ να πίνουν ουίσκι και να χορεύουν, ανακατωµένοι, αγκαλιασµένοι µε τους ανώτερους αξιωµατικούς των συµµαχικών δυνάµεων. Πλούσιες λεβαντίνες καταφθάναν µέσα στις πελώριες λιµουζίνες τους, έχοντας διώξει το σοφέρ και βάλει στη θέση του τον ερωµένο τους. Παλιά ζευγάρια νοµιµοποιούσαν το δεσµό τους, φιλικοί κύκλοι αντάλλασσαν µεταξύ τους, οριστικά κι επίσηµα, τις γυναίκες και τους άντρες τους, οι διεστραµµένοι, σοβαροί, απορροφηµένοι, περιφέραν σεµνά την καινουργιοαποχτηµένη ελευθερία τους. TSIRKAS, Η Λέσχη (Der Club), S. 197. 39 TSIRKAS, Η Λέσχη (Der Club), S. 302. 40 TINBERGEN, Derived Activities, besonders S. 25.

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zählt gewissermaßen von Rommels Feldzug an der nordafrikanischen Küste zwischen El-Gazala und El Alamein, von einem von den Alliierten befürchteten Einmarsch in Ägypten und einer zunehmend gefühlten Bedrohung Jerusalems. Doch nicht von dem Geschehen an der Front wird berichtet, sondern von den displacement activities, die diese zur Folge haben. Die Ereignisse am Schauplatz Jerusalem finden auf zweiter Ebene statt und sind arbiträr. Die Kriegsereignisse in Nordafrika stellen die Kohärenz stiftende Ebene dar. Der Leser, der sich zum ersten Mal mit dem Roman konfrontiert sieht, versteht erst am Ende des Buches, wieso es den Titel I Leßchi trägt. Gemeinhin liest man ein Buch aber vom Anfang bis zum Ende, und nicht umgekehrt, und so fragt man sich über 18 Kapitel, was der Titel wohl bedeuten mag. Die naheliegende Erklärung lautet, daß mit dem „Club“ die Pension von Frau Rosenthal-Feldmann gemeint sei, der zentrale Ort des Geschehens: nicht ganz passend, aber der Five o’Clock Tea, den die Hausherrin als Institution etabliert hat und dem etwas Club-Artiges eigen ist, könnte dies in einem gewissen Maße rechtfertigen.41 Auf jeden Fall ist die Pension ein wichtiger Ort des Austausches und eine Quelle für Informationen, die Frau RosenthalFeldmann gefiltert oder ungefiltert an die Vertreter des britischen Protektorats weitergibt. Es gibt eine weitere λέσχη, die allerdings nicht so genannt wird, ein Offizierscasino der griechischen Streitmächte – eigentlich das Gemeindehaus der Griechen in Jerusalem (S. 154). Manos und Emmy, aber auch Ron und Nancy besuchen dort eine Tanzveranstaltung: „… nur die Offiziere der griechischen Streitmacht und ihre Begleiter haben Zutritt“ („…µόνο στους βαθµοφόρους του ελληνικού στρατού και σ’ εκείνους που τους συνοδεύουν επιτρέπεται η είσοδος“, S. 158), und während man als Leser erwartet, daß es an diesem Abend zwischen Manos und Emmy „funkt“, kommt alles ganz anders: Emmy läßt sich auf das verhängnisvolle Verhältnis mit Adam ein, während Manos sein Versteck verläßt und seine Uniform wieder anzieht. Diese Institution verweist uns auf eine Bedeutung des griechischen Wortes λέσχη, welche im Roman expressis verbis gar nicht vorkommt: in der Kombination λέσχη αξιωµατικών bedeutet es Offizierscasino – eine Konnotation, die der griechische Titel des Romans von Stratis Tsirkas zweifelsohne hervorruft und die in der deutschen Übersetzung wohl verloren gehen muß. Die tatsächliche λέσχη, die dem Roman den Titel gibt und von der man als Leser erst gegen Ende des Romans erfährt, hat – durch ihre bloße Zusammensetzung – den Charakter eines Offizierscasinos: Eines Offizierscasinos der internationalen alliierten und zugleich konkurrierenden Agenten in Jerusalem, wo man der Dinge harrt, die da kommen mögen. Um Michelle 41 Siehe auch TSIRKAS, Ηµερολόγια (Tagebücher), S. 37: „άρχισα να γράφω το «µυθιστόρηµα» (;) για τη πανσιόν της Φέλντµαν“ (Ich begann, an dem ,Roman‘ [?] über die Pension von Frau Feldmann zu schreiben).

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Rapescu noch einmal zu zitieren: Sie glaubt, nicht die Kämpfe an der Front, sondern der Zeitvertreib in den Offizierscasinos – nicht das Kampfgeschehen, sondern die Übersprungshandlungen – seien der wirkliche Krieg. Der letzte Satz in I Leßchi, den Epilog ausgenommen, ist eine rhetorische Frage von Michelle Rapescu, mit der sie Emmys Frage nach dem Warum beantwortet: „Αυτός δεν είναι ο πόλεµος;“ – „Ist das nicht das Wesen des Krieges?“ Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen sind auch heute noch relevante Themen in der Literatur: Repräsentationen eines Ereignisses, das in seinen Dimensionen und Wirkungen weiterhin unfaßbar ist, und zu dessen Verständnis die Literatur einen Beitrag leistet, weil sie die Wahrnehmung des betroffenen Subjekts sehr viel konkreter ansprechen darf als die primär für zuständig gehaltene Geschichtswissenschaft. Daß in I Leßchi nicht Kampfhandlungen beschrieben werden, sondern psychologische Nebenwirkungen davon, macht den Text um so interessanter: Historische Ereignisse sind einmalig, psychische Reaktionen nicht. Der Veröffentlichung der deutschen Übersetzung einen wirtschaftlichen Erfolg vorherzusagen, bin ich nicht die geeignete Person. Aus meiner Erfahrung in Vorlesungen und Seminaren kann ich sagen, daß das Interesse an literarischen Repräsentationen des Zweiten Weltkriegs und seiner Folgen weiterhin groß, eventuell auch neu entfacht ist. Meine Erfahrung ist, daß die jüngeren Studierenden I Leßchi anders lesen als die älteren Semester: Die Älteren haben sich sehr viel intensiver mit Darstellungen auseinandergesetzt, wie der Zweite Weltkrieg an unterschiedlichen Orten erlebt wurde. Sie empfinden I Leßchi als eine unerwartete und deshalb um so willkommenere Bereicherung ihrer Leseerfahrung; sie sehen in dem Roman einen Text, welcher sie zu einer erneuten Auseinandersetzung mit einem nicht zur Ruhe kommenden Thema auffordert. Die Jüngeren freuen sich über die zeitlosen Kategorien, in denen Tsirkas die Ereignisse von vier Wochen Zweiter Weltkrieg erzählt und die offenbar nicht weniger wirkungsvoll, wenn nicht wirkungsvoller (weil auf Basis erlebter Erfahrungen nachvollziehbar) sind als Berichte von der eigentlichen Front. Vielleicht schärft die Lektüre eines Buches, in welchem der wirkliche Krieg nicht an der Front, sondern im Sicherheitsabstand davon stattfindet, den Blick für die Weltkriege unserer Tage.

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Literaturverzeichnis ALEXANDROU, Aris: Το κιβώτιο (Die Kiste). Athen: Kedros, 1974; deutsche Übersetzung von Gerhard BLÜMLEIN. München: Antje Kunstmann, 2001. BLOT, Daniel: Χρονικές δοµές στις Ακυβέρνητες Πολιτείες (Zeitstrukturen in Akyvernites Politeies). Übers. von Gerhard BLÜMLEIN. Athen: Kedros, 1980. HILLGRUBER, Andreas, HÜMMELCHEN, Gerhard: Chronik des Zweiten Weltkrieges. Frankfurt/M: Bernard & Graefe, 1966. PAPATHEODOROU, Giannis: Ο σκληρός Απρίλης του 44. Μυθοπλασία, ιστορία και µνήµη στις Ακυβέρνητες Πολιτείες του Στρατή Τσίρκα (Der grausame April von 1944. Fiktion, Geschichte und Gedächtnis in Akyvernites Politeies von Stratis Tsirkas). In: Mnimon 24 (2004). S. 269-296. PECHLIVANOS, Miltos: Από τη Λέσχη στις Ακυβέρνητες Πολιτείες. Η στίξη της ανάγνωσης (Von I Leßchi zu Akyvernites Politeies. Die Interpunktion des Lesens). Athen: Polis, 2008. SEFERIS, Giorgos: Logbücher I u. II. Manuskript September 1941. Poesie und Prosa. Neugriechisch – deutsch. Aus dem Neugriechischen übertragen von Gisela von der Trenck. [Schwifting]: Schwiftinger Galerie-Verlag, 1981. SEFERIS, Giorgos: Ποιήµατα (Gedichte). Athen: Ikaros, 141982. TINBERGEN, N[icolaas]: „Derived“ Activities: Their Causation, Biological Significance, Origin, and Emancipation during Evolution. In: The Quartely Review of Biology 27 (1952). S. 1-32. TSIRKAS, Stratis: Τα ηµερολόγια της τριλογίας Ακυβέρνητες Πολιτείες (Die Tagebücher der Trilogie Akyvernites Politeies). Athen: Kedros, 31981. TSIRKAS, Stratis: Η Λέσχη (Der Club). Zuerst: Athen 1960. PROKOPAKI, Chrysa (Hg.): Στρατής Τσίρκας: Ακυβέρνητες Πολιτείες (Stratis Tsirkas: Akyvernites Politeies). Bd. 1: Η Λέσχη (Der Club). Athen: Kedros, 2005

ÜBER

D IE

AUTOREN

Jan ANDRES, Dr. phil., wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bielefeld, Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft. Forschungsschwerpunkte: Literatur um 1900, Kulturkritik, Stefan George und sein Kreis, Literatur und Geschichte, Rhetorik. Zuletzt erschienen: „Nichts als die Schönheit“. Ästhetischer Konservatismus um 1900 (hg. mit W. Braungart u. K. Kauffmann, 2007); Interdisziplinarität – Alte Geschichte und Literaturwissenschaft (mit M. Meier), in: Chancen und Grenzen einer interdisziplinären Literaturwissenschaft, hg. L. van Laak, K. Malsch (im Druck). Chariklia BALI, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Archivs der Nationalen KapodistriasUniversität Athen. Dissertation (in Arbeit): Το Πανεπιστήµιο Αθηνών (Die Universität Athen) 1940-1944. Zuletzt erschienen: Εθνικό και Καποδιστριακό Πανεπιστήµιο Αθηνών, Ευεργέτες και δωρητές του Πανεπιστηµίου Αθηνών (Nationale und KapodistriasUniversität Athen. Förderer und Mäzene der Universität Athen), Bd. 1, 1937-1944 (mit A. Antonopoulos, 2003); Bd. 2, 1945-1982 (mit A. Antonopoulos, 2007). Danae COULMAS, Dr. phil., Studium der Romanistik; Schriftstellerin, Übersetzerin. Arbeitssschwerpunkte: Griechische Literatur und Geistesgeschichte. Zuletzt erschienen: Hellenismus als Kulturleistung. Altgriechisches Erbe als Kristallisationselement des neuzeitlichen Kulturverständnisses, in: Ungleichzeitigkeiten der europäischen Romantik, hg. A. von Bormann, 2006; Schliemann und Sophia (2001 und weitere Ausgaben). Zahlreiche literarische Übersetzungen und Anthologien aus dem Neugriechischen, darunter zuletzt Siranna Sateli: Und beim Licht des Wolfes kehren sie wieder. Roman (1997, 2005). Hans EIDENEIER, Dr. Dr.h.c., Professor em. für Byzantinistik und Neugriechische Philologie, Universität Hamburg. Forschungsschwerpunkte: Griechische Sprache und Literatur 12.-18. Jh., Edition markanter Texte aus dem byzantinischen und modernen Griechisch, Didaktik des Neugriechischen für Deutsche. U.a. zuletzt erschienen: Von Rhapsodie zu Rap. Aspekte der griechischen Sprachgeschichte von Homer bis heute (1999, gr. 2004). Gerhard EMRICH, Dr. phil., Wissenschaftlicher Mitarbeiter i.R., Institut für Neugriechische und Byzantinische Philologie der Ruhr-Universität Bochum. Forschungsschwerpunkte: Das literarische Echo auf die Kleinasiatische Katastrophe (1922) in Griechenland sowie im Kontext von Flucht und Vertreibung in Mittel- und Osteuropa, Moderne griechische Lyrik, Rezeption und Adaption antiker Dramen im neugriechischen Theater. Zuletzt erschienen: Poetischer Athen-Führer. Athen - Attika - Klassische Stätten (hg. u. Kommentar, 2000); G. Seferis, Ionische Reise (Übersetzung u. Nachwort, 2006). Hagen FLEISCHER, Dr. phil., Professor für Neue und Νeueste Geschichte an der Universität Athen. Forschungsschwerpunkte: Griechisch-deutsche Beziehungen im 20. Jh., der Zweite Weltkrieg und seine Aufarbeitung, auswärtige Kulturpolitik. Zuletzt erschienen: Οι Πόλεµοι της µνήµης. Ο Β΄ Παγκόσµιος Πόλεµος στη δηµόσια ιστορία (Die Kriege der Erinnerung. Der Zweite Weltkrieg in der ’Public History‛, 2008).

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Über die Autoren

Rudolf GRIMM, Dr. phil., seit 1959 Korrespondent der Deutschen-Presse-Agentur (dpa), zunächst in Griechenland, dann in Rom als Italien- und Vatikan-Korrespondent. Weiterer publizistischer Arbeitsschwerpunkt: Kultur und Wissenschaft. Frank-Rutger HAUSMANN, Dr. phil., Professor i.R. für Romanistik der Universität Freiburg i.Br. Forschungsschwerpunkte: Französische Poetiken und Literaturgeschichte, Italienische Literaturgeschichte, Wissenschaftsgeschichte der Romanistik, Geschichte der NSWissenschaftspolitik, intellektuelle Kollaboration. Zuletzt erschienen: Das Fach Mittellateinische Philologie in der Zeit des Nationalsozialismus. In: Mittellateinisches Jahrbuch (44, 2009, S. 1-72). Dorothea IPSEN, Dr. phil., Studium der Germanistik und Geschichte, Gymnasiallehrerin und Lehrbeauftragte für Fachdidaktik Geschichte an der Universität Osnabrück. Arbeitsschwerpunkte: Fachdidaktik Geschichte, Wahrnehmung der Antike in Reiseberichten über Italien und Griechenland im 19. u. 20. Jahrhundert. Publikationen: Das Land der Griechen mit der Seele suchend. Die Wahrnehmung der Antike in deutschsprachigen Reiseberichten über Griechenland um die Wende zum 20. Jahrhundert (1999); Der verstellte Blick: Man sieht nur, was man weiß, in: Tradita et Inventa. Beiträge zur Rezeption der Antike, hg. M. Baumbach (2000); Die Sizilienreise des Baron von Riedesel im Auftrage Winckelmanns, in: Antike neu entdeckt. Aspekte der Antikerezeption im 18. Jahrhundert, hg. R. Wiegels / W. Woesler (2000). Chryssoula KAMBAS, Dr. phil., Professorin für Neuere deutsche Literatur an der Universität Osnabrück. Forschungsschwerpunkte: Moderne und Literatur-Transfer, Walter Benjamin, Literatur und Europaforschung. Zuletzt erschienen: Momentaufnahme der europäischen Intelligenz. Moderne, Exil und Kulturtransfer in Walter Benjamins Werk (2009); Das griechische Volkslied Charos in Goethes Version und sein Bild des neuen Griechenland. Mit einem Ausblick auf die Haxthausen-Manoussis-Sammlung, in: Graecomania. Der europäische Philhellenismus, hg. E. Agazzi u.a. (2009). Phaedra KOUTSOUKOU, Dr. phil., Promotion TU Berlin 2006. Gymnasiallehrerin für Deutsch und Geschichte sowie Lehrtätigkeit an der Hellenic Open University (EAP) und der Technischen Hochschule der Ionischen Inseln (TEI). Forschungsschwerpunkt: Geschichte der deutsch-griechischen Kulturbeziehungen. Zuletzt erschienen: Die deutsche Kulturpolitik in Griechenland in der Zeit des Nationalsozialismus (1933-1944) (2008); Πτυχές της γερµανικής πολιτιστικής πολιτικής στην κατοχική Ελλάδα: η πολιτική εξάπλωσης της γερµανικής γλώσσας (Aspekte der deutschen Kulturpolitik im besetzten Griechenland: Die Sprachverbreitungspolitik des Deutschen), in: Neoellinika Istorika (1, 2008, S. 251-281). Marilisa MITSOU, Dr. phil., Professorin für Neogräzistik an der Universität München. Herausgeberin der „Münchener Schriften zur Neogräzistik“, Mitherausgeberin der Zeitschrift Kondylophoros. Forschungsschwerpunkte: Neugriechische Literatur und Kulturgeschichte des 19. und 20. Jh.s, Editorik, Deutsch-griechischer Kulturtransfer. Zuletzt erschienen: S. A. Koumanoudis, Στράτης Καλοπίχειρος. Ένα ποιητικό τεκµήριο αυτολογοκρισίας (Stratis Kalopicheiros. Ein poetisches Zeugnis von Selbstzensur). 2 Bde. (2005); Ο Friedrich Thiersch και η αποκατάσταση του ελληνικού κράτους (Friedrich Thiersch und die Wiederherstellung des griechischen Staats), in: Ta istorika (50, 2009).

Über die Autoren

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Ulrich MOENNIG, Dr. phil., Professor für Byzantinistik und Neogräzistik an der Universität Hamburg. Forschungsschwerpunkte: Griechische Nachkriegsliteratur, Edition spätbyzantinischer und frühneuzeitlicher griechischer Texte, Neugriechischstudien im frühneuzeitlichen deutschen Raum. Zuletzt erschienen: Die Erzählung von Alexander und Semiramis. Kritische Ausgabe mit einer Einleitung, Übersetzung und mit einem Wörterverzeichnis (2004); Erzählstrukturen – Parteistrukturen: Die Verlobte des Achilles von Alki Zei, in: Griechisch - Ελληνική - Grekiska. Festschrift Hans Ruge, hg. K. Glykioti und D. Kinne (2009). Maria OIKONOMOU, Dr. phil., Studium der Neogräzistik, Komparatistik, Italienischen Philologie und Theaterwissenschaft, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Byzantinistik und Neogräzistik der Universität Wien. Forschungsschwerpunkte: Mythenrezeption und -theorie, Literatur- und Kulturwissenschaft, Translatologie, Migrationspoetik. Zuletzt erschienen: Reflexionen. Essays neugriechischer Autoren (hg. mit M. Mitsou, 2005); Fremdbilder. Auswanderung und Exil im internationalen Kino (hg. mit U. Meurer, 2009). Emilia ROFOUSOU, Dr. phil., Studium der Germanistik, Dozentin an der Hellenischen Marineakademie (2005-2007) und der Kadettenakademie des Heeres. Arbeitsschwerpunkte: deutsche und griechische Militär- und Marinesprache, Kulturpolitik deutschsprachiger Länder, Griechenlands und Zyperns. Dissertation: Οι πολιτιστικές και επιστηµονικές σχέσεις ανάµεσα στην Ελλάδα και τη Γερµανική Λαοκρατική Δηµοκρατία στην περίοδο 19491989 (Die kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen zwischen der DDR und Griechenland von 1949 bis 1989. Univ. Athen, 2005). Zuletzt erschienen: Σοσιαλιστικές εκτιµήσεις για την ‘καπιταλιστική’ Ελλάδα. Ο θεσµός των (Reisekader) της Γερµανικής Λαοκρατικής Δηµοκρατίας (Sozialistische Wertschätzung des ,kapitalistischen‘ Griechenlands. Die Institution der DDR-,Reisekader‘, in: Archeiotaxio (8, 2006, S. 160-172); Von Fischen und Mäusen. Vergleichende Feststellungen zum Soldatenjargon im Deutschen und im Griechischen, in: SIB Term, Fachperiodikum für Terminologiearbeit, Interkulturelle Kommunikation, streitkräfterelevante Fachsprache (2, 2008, S. 2-8). Andrea SCHELLINGER, Studium der Soziologie, Geschichte, Pädadogik an der Universität Freiburg i.Br., Mitarbeiterin des Goethe-Instituts Athen seit 1987, literarische Übersetzerin und Publizistin. Ausgew. Übersetzungen aus dem Griechischen: Alexandros Papadiamantis, Die Mörderin, Roman (1989). In: Griechische Erzählungen des 20. Jahrhunderts (hg. D. Coulmas, 1991) erschienen in ihrer Übersetzung die Texte von A. Papadiamantis, E. Roidis, A. Papadopoulou, A. Empirikos, E. Ch. Gonatas und V. Raptopoulos. Epaminondas Ch. Gonatas: Der gastliche Kardinal, Erzählungen (1993); Jannis Ritsos: MartyriesZeugenaussagen (übers. und hg. mit Günter Dietz, 2009). Weitere Publikationen: Olive. Der heilige Baum. Gedichte und Geschichten (2004, gr. 2006); Praktizierte Interkulturalität. Die Literaturübersetzungen von Kurt Graf von Wehner-Posadowsky, in: Hellenika N.F., Jahrbuch für griechische Kultur und deutsch-griechische Beziehungen (2006). Dieter WERNER, Dr. phil., Studium der Germanistik, Geschichte und Politologie. Dissertation: Einflüsse des naturwissenschaftlichen Materialismus auf das Entstehen der nationalsozialistischen Rassenideologie (Univ. Frankfurt/M., 1987). Mitarbeit an der Dokumentationswerkstätte Auschwitz in Frankfurt/M., Mitbegründer der Theodor-DäublerGesellschaft, Mitarbeit an der Dresdener Däubler-Werkausgabe.

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Über die Autoren

Maria ZARIFI, Dr. phil., Studium der Europäischen Geschichte in Thessaloniki, an der Technischen Universität Athen sowie der Kapodistrias-Universität Athen, Dozentin für Geschichte und Wissenschaftstheorie an der University of Thessaly sowie an der Hellenic Open University in Patras. Ph.D thesis: German Science as a medium of Cultural Policy and Propaganda? The Scientific Relations between Greece and the Third Reich: A case study (European University Institute, Florenz, Abt. Geschichte u. Zivilisation, 2005). Zuletzt erschienen: Science, Culture and Politics, VDM-Publishers (im Druck); Using science for cultural expansion. The National Socialist agenda for the Balkans, in: The Historical Review / La Revue Historique (4, 2007, S. 199-233).

R E G IS T E R Achard, Emile Charles 169 Adenauer, Konrad 216, 220, 224, 226, 348 Adler, Paul 17, 152 Agras, Tellos 252 Aidali, Fani 150 Aischylos 5, 8, 131, 132 Alepis, Koulis 279 Alewyn, Richard 82 Alexandrou, Aris 358 Alexiou, Elli 197, 351 Alivizatos, Gerasimos 183 Alkaios 300 Altenburg, Günther 100, 110, 170 Ammer, Karl 296 Andrikopoulou, Nelli 121, 130 Andriotis, Nikolaos 144, 148 Angelopoulos, Angelos 65, 183, 232 Anton, Hans 304 Apollinaire, Guillaume 289 Apostolidis, Renos 349 Aravantinos, Anastasios 178 Archer, Laird 177 Argyris, Vassos 150, 219 Arndt, Ernst Moritz 84, 89, 97, 131 Assimakopoulos, Kostas 279 Auden, Wystan Hugh 295 Axioti, Melpo 197, 351 Baatz, Hans 165 Babiniotis, Georgios 236, 237 Badoglio, Pietro 56 Bastias, Kostis 149, 151, 152, 153 Baudelaire, Charles 343 Baumann, Günter 77, 305 Bechtle, Richard 11 Beethoven, Ludwig van 149, 236 Bekes, Omiros 279 Belogiannis, Nikos 351 Benjamin, Walter 121, 294, 306, 372 Bensis, Vladimiros 166, 168, 169 Bergmann, Gustav von 167, 168, 169 Bianca, Stefano 62 Birtner, Herbert 59 Biza, Maria 294

Blasberg, Cornelia 309 Blot, Danielle 361 Blumenthal, Albrecht von 80 Blümlein, Gerhard 357 Blunt, William Scawen 310 Bock, Claus Victor 310 Boehringer, Erich 73, 113, 170, 310 Boehringer, Robert 89 Bogosavljević, Srdan 8 Böhm, Irmgard 62 Boltz, August 261 Bondi, Georg 77 Borchardt, Rudolf 294 Borges, Jorge Luis 295 Borso, Albert (= Helmut von den Steinen) 306 Bosch, Hieronymus 19 Boumi-Pappa, Rita 279 Bourdieu, Pierre 330, 332 Bourlos, Thanasis 150 Brabander, Gerard van 313 Bratsiotis, Panagiotis 183 Bräutigam, Otto 220 Brecht, Bertolt 127, 289, 296, 297, 306 Brinkmann, Vinzenz 42, 43 Brunner, Otto 63, 89 Buber, Martin 308 Busch, Sibylle siehe Coulmas, Sibylle Buschbeck, Erhard 17 Butler, Eliza Maria 12, 44 Byron, George Gordon 10, 244, 250, 310 Campanella, Tommaso 22 Castoriadis, Cornelius 121 Celan, Paul 121 Cervantes, Miguel de 127 Charis, Petros 347 Chatzidakis, Georgios 254 Chatzis, Dimitris 197, 351 Chatzopoulos, Kostantinos 244, 245, 252 Choremis, Konstantinos 182, 183 Christomanos, Konstantinos 311 Christopoulos, Athanasios 261

374 Chrysanthis, Kypros 279 Clemenceau, Georges Benjamin 207 Codouris, Antonios 166 Collein, Edmund 199 Cordan, Wolfgang 290, 313 Coulmas, Danae 44, 350 Coulmas, Peter xiii, 58, 99, 100, 105, 106, 107, 108, 111, 112, 117ff. Coulmas, Sibylle 120, 125, 127, 128 Crusius, Martinus siehe Kraus, Martin Curtius, Ernst 4, 141, 300 Dallas, Jannis 279 Damaskinos, Erzbischof von Athen 102, 179 Dante Alighieri 85, 292 Däubler, Theodor x, 15ff., 262 Demetrios Poliorketes 331, 332 Dendias, Michail 183 Diem, Carl 63, 89 Dieterich, Karl x, 38, 243ff., 330, 334 Dimakis, Minas 279 Dimaras, Konstantinos Th. xi, 295, 309 Dittmer, Hans 53, 67 Dölger, Franz 144 Dörpfeld, Wilhelm 141, 152, 169 Dounias, Minos 178 Drossinis, Georgios 250, 252 Droysen, Johann Gustav 312 Durrell, Laurence 339 Eftaliotis, Argyris 244, 258, 274 Eideneier, Niki 350 El Greco siehe Theotokopoulos, Domenikos Eleftheriadis, Stratis siehe Tériade Eliot, Thomas Stearns 289 Elisabeth, Kaiserin von Österreich 311 Ellissen, Adolf 38 Elytis, Odysseas 46, 127, 278, 347 Elze, Walter 304 Emerson, Ralph Waldo 246 Empeirikos, Andreas xi, 278 Engels, Friedrich 271 Enzensberger, Hans Magnus xiii Erasmus von Rotterdam 37 Erbach-Schönberg, Victor Prinz zu 59, 157, 164, 168 Erhard, Ludwig 223

Über die Autoren Euripides 250 Exarchopoulos, Nikolaos 177 Fahrner, Rudolf xi, 53, 57ff., 73ff., 97ff., 118ff., 128ff., 134ff., 272, 304, 314, 315, 316 Fallmerayer, Jakob Philipp 21, 38, 256, 259 Fiedler, Theodor 297 Filyras, Romos 252 Fischer-Wasels, Bernhard 166 Fleischer, Hagen 54, 65, 145, 200 Flume, Helmut 210 Forster, Edward Morgan 121, 295, 309 Fotinos, Georgios 178 Foucault, Michel 341, 343 Foy, Karl 39 Franke, Peter R. 331 Franz, Johannes 38 Freisler, Roland 114 Friedemann, Heinrich 73, 298, 300 Friederike, Königin von Griechenland 293 Frobenius, Leo 298, 304, 306, 307 Frommel, Wolfgang 298, 299, 300, 301, 305, 306, 307, 310, 313, 317 Furtwängler, Wilhelm 169 Gadamer, Hans Georg 122, 304 Gauger, Hans-Martin 35 Gavras, Costa 45 Gay, John 296 Geibel, Franz Emanuel 255 Gelber, Adolf 3, 5, 7 Georg II., König von Griechenland 55, 142, 161, 208 Georg, Kronprinz 207 Georgakopoulos, Konstantinos 142 Georgalas, Georgios 183 George, Stefan x, xi, xiii, 27, 44, 57, 62, 73ff., 89, 91, 97ff., 103ff., 111ff., 118, 217, 290ff., 298ff., 304ff., 371 Georgiades, Thrasybulos 59, 87 Geranis, Stelios 279 Geroulanos, Marinos 65 Giakos, Dimitris 279 Gins, Heinrich Alexander 167 Glezos, Manolis 232 Glezos, Petros 279

Über die Autoren Gneisenau, August Wilhelm Antonius Graf Neidhardt von 62, 89 Goebbels, Joseph 149, 150 Goethe, Johann Wolfgang von 5, 6, 37, 40, 44, 49, 59, 61, 63, 66, 75, 76, 85, 87, 101, 105, 131, 152, 249, 252, 272, 279, 292, 302, 307, 314, 373 Gogol, Nikolai 127 Göring, Hermann 146, 162, 163 Graevenitz, Karl-Friedrich von 102 Grimm, Rudolf xiii, 10, 53, 61, 67, 87, 101, 108, 118, 119, 121, 122, 128, 130, 135 Grünewald, Matthias (= Nithardt Mathis) 19 Gryparis, Ioannis 244, 252 Gundolf, Friedrich (= Friedrich Leopold Gundelfinger) 57, 58, 75ff., 82ff., 104, 310 Gyzis, Nikolaos 311 Haeften, Hans Bernd von 114 Haeften, Werner von 67 Hahland, Walter 79 Hallgarten, Paul 302, 303 Hamann, Johann Georg 307 Harris, Clement 74, 310 Harris, Walter 310 Hartmann, Max 172 Hartmann, Nikolai 122 Hass, Hans 171, 172 Hassinger, Hugo 65 Hattum, Jacques van 313 Hauptmann, Gerhart x, xiv, 3ff., 243, 260, 261 Hausmann, Frank-Rutger xiii, 84, 89, 101 Hebbel, Christian Friedrich 255 Heidenreich, Elke 47 Heine, Heinrich 66, 101 Heisenberg, August 38, 207, 243, 272 Heisenberg, Werner 38 Heißel, Sebastian 28 Helbling, Lothar siehe Frommel, Wolfgang Hellingrath, Norbert von 76, 300 Helwig, Werner 16 Herder, Johann Gottfried 307 Hermann, Wolfgang 23

375 Herodot 4, 9, 87 Herzog, Roman 233 Hesiod 300 Hesse, Hermann 294 Hesseling, Dirk Christiaan 254 Heuss, Theodor 215, 217, 223 Heyer, Richard Gustaf 300 Heyer, Wolfgang 300 Hildebrandt, Kurt 73, 80, 310 Hitler, Adolf xii, 65, 66, 81, 83, 91, 101, 102, 112, 125, 132, 133, 139, 140, 141, 149, 152, 163, 208, 216, 292, 300, 305, 364 Hobsbawm, Eric ix Hockney, David 339, 341, 343 Hofmannsthal, Hugo von 99, 277 Hölderlin, Friedrich 8, 40, 44, 48, 73, 76, 78, 85, 95, 121, 127, 217, 253, 296, 299, 359 Homer 4, 6, 8, 42, 45, 62, 84, 100, 121, 234, 292, 308 Hüllen, Werner 26 Humann, Carl 169 Humboldt, Wilhelm von 305 Hunnius, Carl 95 Iken, Karl 261 Ikonomos, Georgios 177, 178 Impekoven, Holger 146 Imvriotis, Ioannis 199 Ioakeimoglou, Georgios 159, 160, 161, 168, 180, 182, 183 Ipsen, Dorothea 260 Irmscher, Johannes 199 Izumo, Takeda 62 Jablonski, Walter 294, 313 Jacobsthal, Paul 243 Jahnn, Hans Henny 27 Jameson, Fredric 332 Jean Paul (= Johann Paul Friedrich Richter) 76, 85, 294 Jensen, Wilhelm 255 Josing, Wolfgang 290, 297 Jung, Michael 171 Jünger, Ernst 22-23 Kaegi, Adolf 41 Kahler, Erich von 300

376 Kakridis, Ioannis 181 Kalitsounakis, Dimitrios 65 Kalitsounakis, Johannes 39, 56, 186 Kalomoiris, Manolis 149, 150, 153 Kalvos, Andreas 46 Kambanelis, Iakovos 198 Kambyssis, Giannis 250, 251 Kanellopoulos, Panagiotis 83, 183, 227, 232, 248 Kant, Immanuel 66, 133 Kantorowicz, Ernst 80, 81, 111 Kapetanakis, Dimitrios 83 Karagatsis, M. (= Dimitris Rodopoulos) 277 Karakassounis, Georgios 160 Karamanlis, Konstantinos 215, 222, 227, 228 Karantassis, Tryfon 184 Karkavitsas, Andreas 349 Karmiris, Ioannis 183 Karo, Georg 141 Karouzos, Christos 58, 85, 181, 316 Karouzou, Semni 85 Karperou, Angeli 150 Karter, Giorgos 279 Karyotakis, Kostas 252 Kassimatis, Grigorios 180, 183 Kästner, Erhart xiv Katsimbalis, Giorgos 252 Kavafis, Konstantinos x, 46, 74, 134, 252, 253, 257, 278, 289ff., 329ff., 350 Kavafis, Petros 334 Kazantzakis, Nikos x, 35, 45, 197, 269, 279, 293, 309, 310, 315, 319, 322, 347 Kepler, Johannes 305 Keramopoulos, Antonios 180 Khaijam, Omar 97 Kielmeyer, Otto 61 Kindermann, Heinz 63, 89 Kippenberg, Katharina 16, 27 Klages, Ludwig 97, 312 Klaras, Babis 279 Kleist, Heinrich von 152 Kleisthenes 87 Klemm, Ulf-Dieter 355 Klemperer, Victor 122 Koch, Franz 63, 166, 167, 299

Über die Autoren Koch, Friedrich 166, 167 Kokkalis, Petros 183 Kokkinos, Dionyssios 271 Kommerell, Max 76, 78, 84, 291, 304 Konstantin I., König von Griechenland 54, 206, 207 Kontou, Nana 278 Kordt, Theo 207, 208, 226, 290 Kornaros, Themos 197 Koselleck, Reinhart 122 Kotzias, Alexandros 279 Kotzias, Konstantinos 150, 161, 163, Kougeas, Sokratis 177 Koukoules, Faedon 183 Koulmassi, Eleni 122 Koulmassis, Ioannis 122 Koumarianos, I. 247 Koutsoukou, Phädra 101, 180 Kraft, Werner 291, 300 Kraus, Martin 36, 37 Kretschmer, Paul 38 Kriaras, Emmanouil 89, 272, 275 Kritikos, Nikolaos 184 Kroh, Oswald 170 Krumbacher, Karl 38, 244, 245, 247, 254, 256 Kruse, Volker 300 Kübler, Karl 143 Kühn, Johannes 122, 132 Kunze, Emil 59, 101, 143, 316 Kurz, Hermann 8 Kurz, Isolde x, 8ff. Lamartine, Alphonse de 250 Lamber, Juliette 254 Langraf, Irene 274 Lapathiotis, Napoleon 252 Lasky, Mel 123 Lévi-Strauss, Claude 301 Lichtherz, Robert 95 Liebrucks, Bruno 16 Lietzmann, Hans 180 Logothetopoulos, Konstantinos 56, 65, 158, 159, 177, 179, 184 Löhr, Alexander 210 Lorca, Federico García 289 Loudemis, Menelaos 349, 351 Louros, Nikolaos 182, 183 Louvaris, Nikolaos 102, 179, 182, 184

Über die Autoren Ludwig I., König von Bayern 144, 175, 246 Lykurg 7 Lysiotis, Xanthos 279 Maidl, Franz 159 Majurescu, Titu 258 Makris, Panagiotis 206 Malakassis, Miltiadis 245, 252 Malamos, Vassilios 160, 161, 162 Manaraki, Antonio 261 Mann, Thomas 294, 302 Marchand, Suzanne xii Maroudis, Kostas 100, 101 Martzokis, Stefanos 248 Marx, Karl 329, 330, 332 Matsas, Nestoras 349, 350 Mavilis, Lorentzos 244, 274, 310 Mavrogordatos, John 340 Mead, Margaret 301 Mehnert, Frank 53, 57, 59, 61, 62, 76, 80, 82, 83, 84, 86, 87, 103, 104 Melachrinos, Apostolos 252 Melanchthon, Philipp 37 Melos, Thanassis 150 Merkel, Gottfried Felix 158 Merkouri, Melina 35 Mermingas, Konstantinos 177 Merten, Max 219, 222, 227, 234 Metaxas, Ioannis xii, 55, 125, 144, 151, 157, 176, 209 Metzopoulos, Maximos K. 65 Meyer, Kurt 53, 61, 101 Michailidis, Nikolaos 183 Miessner, Hermann 167 Miller, Henry 343 Milliex, Roger 68, 181 Milton, John 311 Mineemi, Marika 351 Minotis, Alexis 151 Miró, Joan 343 Mithradates (= Mithridatis) 337 Mitsakis, Michail 273 Mitsotakis, Johannes 39, 244 Mitsotakis, Konstantinos 231 Moeller van den Bruck, Arthur 17 Montesquieu, Charles de Secondat, Baron de 127 Moraitidis, Alexandros 349

377 Moréas, Jean siehe Papadiamantopoulos, Ioannis Morwitz, Ernst 80 Moutousis, Konstantinos 183 Mühlens, Peter 161, 167, 170 Mullach, Friedrich Wilhelm August 38 Musset, Alfred de 250 Mussolini, Benito 55, 209 Myrivilis, Stratis 293, 319, 349 Nakou, Lilika 350 Neroulos-Rizos, Iakovos 249 Neubacher, Hermann 66 Neugebauer, Hugo 18 Nietzsche, Friedrich x, 6, 44, 45, 128, 248, 306, 307, 308 Nikolai, Rudolf 254 Nirvanas, Pavlos (= Petros Apostolidis) 244, 245 Novalis (= Friedrich von Hardenberg) 127, 128 Oberländer, Gustav 143 Oikonomidis, Philoktitis 149 Orophernes II. von Kappadokien 335 Otto I., König von Griechenland 38, 41, 54, 175, 234, 329, 332 Ouranis, Kostas 273 Pachelbel, Rüdiger von 205 Palamas, Kostis, 101, 121, 244, 245, 250, 252, 254, 257, 261, 262, 275, 278, 279 Pamboukis, Georgios 183 Panagiotopoulos, Ioannis M. 279 Panagiotopoulos, Nikos 49, 50 Pannwitz, Rudolf 16, 19, 20, 26, 27, 307, 322 Pantazis, Georgios 165, 184 Panzer, Friedrich 83 Papadiamantis, Alexandros 273 Papadiamantopoulos, Ioannis (= Jean Moréas) 261 Papagos, Alexandros 220, 226 Papalekas, Johannes Christos 61, 111 Papamichail, Grigorios 177 Papandreou, Andreas 231, 233 Papandreou, Georgios 68, 215, 216, 228

378 Paparrigopoulos, Konstantinos 256, 258 Papoulias, Karolos 206 Pappas, Nikos 279 Paraschos, Achilleas 244, 261 Parren, Kalirroi 244 Pasagiannis, Kostas 244 Patatzis, Sotiris 279 Patriarcheas, Panagiotis 148 Paul I., König von Griechenland 54, 217 Pausanias 4, 9 Paxinou, Katina 151 Pechlivanos, Miltos 355, 356, 358 Peranthis, Michalis 279 Perikles 9, 140 Peschel, Rudolf 27 Pessoa, Fernando 295 Peterich, Eckart 25 Petridis, Giorgos 279 Petridis, Petros 150 Petropoulos, Georgios 180 Petsalis, Thanassis 274, 279 Pfleiderer, Karl-Georg 59 Pfundt, Fritz 53 Philipp, Michael 294, 305, 307 Picasso, Pablo 18, 119 Picht, Werner 300 Pieger, Bruno 70, 316, 323, 325 Pipinelis, Panagiotis 214 Plakidis, Stavros Michael 62, 89 Planck, Max 63 Platon x, 73, 85, 117, 132, 291, 292, 298 Poe, Edgar Allan 343 Polemis, Ioannis 252 Politis, Linos xi, 58, 85, 148, 316 Politou, Ioanna 85 Porfyras, Lampros 244, 252 Posadowsky-Wehner, Kurt Graf von 269, 271, 274 Prassinos, Gisèle xi Prevelakis, Pantelis 279, 290, 298, 309, 315, 317, 319, 347, 355 Prieberg, Fred 149 Prokopaki, Chryssa 361 Prott, Hans von 310 Provelengios, Aristomenis 255 Psaromitas 89

Über die Autoren Psycharis, Giannis 250, 257, 258, 275, 276 Psychopedis, Jannis xiv Rallis, Ioannis 56, 102, 159, 179, 182, 185 Rammos, Georgios 183 Rangabé, Alexandros Rizos 254 Rangabé, Alexandros Rizos (griechischer Botschafter) 160 Rau, Johannes 234 Raulff, Ulrich 316 Réda, Jacques 295 Reich-Ranicki, Marcel 47 Resnais, Alain 348 Reuchlin, Johann 37, 305 Rickert, Heinrich 75 Rilke, Rainer Maria 16, 17, 347 Ritchie, Neil 363 Ritsos, Giannis 46, 278, 279, 347 Romain, Alfred 68, 102 Romanou, Kaiti 150 Rommel, Erwin 356, 360, 363, 364, 366 Rondholz, Eberhard 234 Rosenberg, Alfred 171, 173 Rosenthal-Kamarinea, Isidora x, xiii, 39, 347ff. Rössle, Robert 166, 167 Rust, Bernhard 66, 142, 147, 164, 165, 177 Sachinis, Apostolos 279 Salin, Edgar 300, 310 Salz, Arthur 300 Salzl, Emilie 272 Sanders, Daniel, 254 Sappho 300 Sartorius, Joachim 295 Sartre, Jean-Paul 127 Sauerbruch, Ferdinand 63 Savvidis, Giorgos P. 289, 297 Schäfer, Jörg 293, 330, 331, 332, 333, 334, 335, 336, 337, 338, 340, 344 Schartau, Otto 172 Schefold, Bertram 322 Schefold, Karl 62, 300, 301, 316 Schefold, Reimar 135, 290, 316, 322 Schenk, Günter 47

Über die Autoren Schiller, Friedrich 5, 8, 152, 305 Schlaf, Johannes 17, 86 Schleif, Hans 143 Schliemann, Heinrich 169 Schmidt, Werner 170 Schmitt, Carl 17, 63 Schmitt, John 244 Schnabel, Arthur 309 Schoen, Ernst 306 Schopenhauer, Arthur 66 Schramm, Edelgard 221 Schroeder, Michael 338, 339, 340, 341, 342, 343, 344 Schuler, Alfred 295, 311, 312, 313 Schuster-Woldan, Kurt 105 Schütze, Heinrich Albert 219 Schwab, Gustav 308 Schwabe, Benno 312, 313 Schwinge, Erich 219 Scurla, Herbert 59, 66, 84 Seelos, Gebhard 205, 223, 226, 229 Seferiadis, Stylianos 159 Seferis, Giorgos 46, 117, 132, 269, 278, 316, 317, 318, 355, 356 Seifert, Alwin 63, 64, 88 Sfountouris, Argyris 219 Sgourou, Eleni 150 Shakespeare, William 75, 76, 85, 292 Sieburg, Friedrich 300 Sikelianos, Angelos 134, 253, 278, 311 Simitis, Kostas 231 Simopoulos, Ilias 279 Simović, Dušan 55 Six, Franz Alfred 66, 67, 68 Skarimpas, Giannis 279 Skassis, Errikos 181, 185 Sklavounos, Georgios 181 Solomos, Dionysios 46, 58, 62, 84, 85, 100, 121, 260, 274, 278, 279, 280, 315, 329, 330 Sophie, Königin von Griechenland 207 Sophokles 8, 152 Sotiriou, Georgios 178 Soutsos, Alexandros 244 Soyter, Gustav 38, 243 Speidel, Wilhelm 103, 209 Sphyris, Konstantinos D. 15 Spunda, Franz 22, 26 Spyropoulos, Ioannis 178

379 Stauffenberg, Alexander von 63, 64, 67, 74, 76, 88, 90, 91, 104, 105 Stauffenberg, Berthold Graf Schenk von 57, 66, 67, 74, 76, 83, 88, 89, 90, 91, 104, 111, 113, 120 Stauffenberg, Claus Graf Schenk von 53, 57, 66, 67, 74, 76, 83, 88, 90, 91, 104, 110, 112, 113, 120 Stefanopoulos, Konstantinos 233 Steinen, Georgine von den 322 Steinen, Helmut von den xi, xiii, 82, 85, 269, 289ff. Steinen, Herlint von den 300, 301, 307, 313, 316 Steinen, Karl von den 299, 301 Steinen, Marianne von den 316 Steinen, Runhilt von den 300, 313 Steinen, Wolfram von den 299, 300 Steinmetz, Alexander x, xiii, 53, 61, 65, 101, 269ff. Sternberger, Dolf 273, 274 Storm, Theodor 255 Sturm-Trigonakis, Elke 49 Sünderhauf, Esther xii Sussmann, Toni 16, 19, 20, 25, 26, 27 Svolos, Alexandros 183 Tachtsis, Kostas 46 Tangopoulos, Dimitrios 269, 271, 275, 276, 277 Tassopoulou, Anna 150 Telschow, Ernst 172 Tériade (= Stratis Eleftheriadis) xi Terzakis, Angelos 275, 279 Themelis, Giorgos 279 Theodorakis, Mikis 199 Theodoropoulos, Vyron 101, 130 Theotokis, Konstantinos 269, 275 Theotokis, Nikolaos 216 Theotokopoulos, Domenikos (El Greco) 18, 319 Theros, Agis 279 Thierfelder, Franz 272 Thormaehlen, Ludwig 53, 57, 77, 80 Thukydides 4 Thumb, Albert 38 Todt, Fritz 88 Torossi, Eleni 49

380

Tourlitaki, Tycha 150 Trenck, Gisela von der 355, 356, 357 Trikallinos, Ioannis 178 Tritsch, Walter 304 Tsatsos, Konstantinos 181, 183, 235 Tsatsos, Themistoklis 226 Tsirindanis, Alexandros 183 Tsirkas, Stratis 319, 321, 322, 355ff. Tsolakoglou, Georgios 56, 159, 179 Twardowski, Fritz Adalbert von 112 Uxkull-Gyllenband, Woldemar Graf 80 Vagenas, Nasos 297 Valaoritis, Aristotelis 278 Varvaressos, Kyriakos 177 Vassilikos, Vassilis 45 Veakis, Aimilios 151 Veloudis, Georgios 270, 329 Venezis, Ilias 347, 351 Venizelos, Eleftherios 176, 206, 207, 208 Venizelos, Sophoklis 224 Verwey, Albert 312 Vlachodimitris, Thodoris 279 Vlachogiannis, Giannis 244 Vlachos, Angelos 279 Vlassopoulos, Vlassios 159 Vokovitch, Nikos 279 Volhard, Ewald 304 Volhard, Franz 167 Völker, Klaus 296 Voltaire (= François-Marie Arouet) 127 Voreas, Theofilos 177 Voß, Johann Heinrich 45 Votsi, Olga 279 Vourveris, Konstantinos 148 Vrettakos, Nikiforos 279, 347 Wagner, Richard 151 Wagner, Wilhelm 38 Waldeck, Graf von 40 Walther, Andreas 122 Weber, Alfred 299, 300

Über die Autoren

Weber, Max 299, 332 Weidner, Stefan 45 Weill, Kurt 306 Weizsäcker, Carl Friedrich von 63 Weizsäcker, Richard von 49, 217, 205 Wendt, Heinz F. 274, 286 Wetter, Max 62 Wickert, Ulrich 47 Wiegand, Theodor 142, 169 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von 152 Winckelmann, Johann Joachim xii, 4, 42, 43, 44, 58, 59, 73, 84, 314, 315 Witte, Bernd 95 Wittlich, Bernhard 97 Wolff, Erich 307, 316 Wolfskehl, Karl 74, 77, 80, 111, 291, 293, 295, 297, 298, 299, 300, 301, 304, 305, 307, 308, 309, 310, 311, 312, 313, 317, 322 Wolters, Erika, 78 Wolters, Friedrich 57, 76, 77, 78, 79, 81, 82, 103, 104, 293, 299, 300, 304, 305, 310, 311, 316, Wolters-Thiersch, Gemma 78, 79, 81, 82, 86, 103, 104 Wrede, Walther 66, 102, 142, 143 Wurster, Gaby 350 Xenopoulos, Grigorios 269, 275 Yourcenar, Marguerite 295, 309 Zabel, Werner 64, 88 Zakythinos, Dionysios 181, 185 Zambelios, Spyridon 246, 256 Zarifi, Maria 145 Zeller, Eberhard 53, 57, 58, 61, 62, 67, 68, 87, 88, 89, 99, 102, 103, 104, 105, 111, 113, 118 Zervas, Leonidas 184 Zervos, Panagiotis 163 Zischka, Anton 63 Zolotas, Xenophon E. 65, 183 Zoras, Leonidas 150