Hegel-Studien Band 55 9783787341207, 9783787341191

Aus dem Inhalt: Hegels Moral- und Handlungsphilosophie Armando Manchisi: Die Idee des Guten bei Hegel: Eine metaethische

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Hegel-Studien Band 55
 9783787341207, 9783787341191

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HEGEL-STUDIEN In Verbindung mit Walter Jaeschke und Ludwig Siep herausgegeben von Michael Quante und Birgit Sandkaulen

B A ND 55

schwerpunktE  Hegels Moral- und Handlungsphilosophie /  Der objektive Geist im Kontext von Hegels Philosophie des Geistes abhandlungen  von Eduardo Assalone, Giulia Battistoni und

Thomas Meyer, Emanuele Cafagna, Markus Gante, Armando Manchisi, Alberto L. Siani, Jean-Baptiste Vuillerod und Stephan Zimmermann texte und dokumente   von Martin Walter liter aturberichte und kritik  Untersuchungen zur klassischen deutschen Philosophie | Editionen | Literatur zu Hegel | Neuerscheinungen zu einzelnen Autoren der klassischen deutschen ­Philosophie bibliogr aphie  Literatur zur Hegel-Forschung

HEGEL-STUDIEN / BAND 55

HEGEL-STUDIEN In Verbindung mit Walter Jaeschke und Ludwig Siep

herausgegeben von M I C H A E L Q U A N T E und BIRGIT SANDKAULEN

BAND  Redaktion: Johannes-Georg Schülein

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Umschlagabbildung: © Ruth Tesmar / VG Bild-Kunst  ISBN 978-3-7873-4120-7

© Felix Meiner Verlag, Hamburg . ISSN - Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§  und  URG ausdrücklich gestatten. Satz: w+p GmbH, Rimpar. Druck und Bindung: Stückle, Ettenheim. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO , hergestellt aus  % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de/hegel-studien

INHALT

Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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HEGELS MORAL- UND HANDLUNGSPHILOSOPHIE ARMANDO MANCHISI Die Idee des Guten bei Hegel: Eine metaethische Untersuchung . . . . . .

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GIULIA BATTISTONI UND THOMAS MEYER Handlung, Vorsatz, Schuld: Karl Ludwig Michelet als Interpret der hegelschen Handlungstheorie . .

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STEPHAN ZIMMERMANN Die „allgemeine Handlungsweise“: Zu Hegels Begriff der Sitte . . . . . . .

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DER OBJEKTIVE GEIST IM KONTEXT VON HEGELS PHILOSOPHIE DES GEISTES EDUARDO ASSALONE Ethical Mediation in Hegel’s Philosophy of Right . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 JEAN-BAPTISTE VUILLEROD La dialectique de l’homme maître et de la femme esclave: La Phénoménologie de l’esprit à l’aune des manuscrits d’Iéna . . . . . . . . . . . . 123 EMANUELE CAFAGNA Die Garantie der Freiheit: Hegels Begriff der Korporation als Bestandteil der Verfassung . . . . . . . . . 143

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Inhalt

ALBERTO L. SIANI Von Tragödie und Komödie zum absoluten Geist: Die Funktion der Kunst in Hegels Naturrechtsaufsatz . . . . . . . . . . . . . . . 167 MARKUS GANTE Freiheit und das Wissen der Freiheit: Absoluter Geist und zweite Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

TEXTE UND DOKUMENTE MARTIN WALTER Was geschah mit den Restbeständen der . Auflage von Hegels Enzyklopädie () . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

LITERATURBERICHTE UND KRITIK A) Untersuchungen zur klassischen deutschen Philosophie Amit Kravitz, Jörg Noller, Hgg. Der Begriff des Judentums in der klassischen deutschen Philosophie. (Antonios Kalatzis, Berlin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 B) Editionen Friedrich Heinrich Jacobi. Die Denkbücher Friedrich Heinrich Jacobis. Nachlaß. Band , – ,. (Stefan Schick, Leipzig) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Ästhetik (/). Über den Begriff der Kunst ( – ). (Christoph Binkelmann, Freiburg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 C) Literatur zu Hegel Arash Abazari. Hegel’s Ontology of Power. The Structure of Social Domination in Capitalism. (Markus Gante, Bochum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Stefania Achella. Pensare la vita. Saggio su Hegel. (Silvia Locatelli, Padova) . . . . . . 241 Nahum Brown. Hegel on Possibility. Dialectics, Contradiction and Modality. (Charlotte Baumann, Sussex) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 Marina F. Bykova, Kenneth R. Westphal, Hgg. The Palgrave Hegel Handbook. (Charlotte Nora Szász, Lüneburg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246

Inhalt

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Fortunato M. Cacciatore, Francesco Lesce, eds. Effetto Hegel. Filosofia, Arte, Società. (Guglielmo Califano, Pisa) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Giuseppe Cantillo. Scritti su Hegel. (Claudia Melica, Roma) . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Matteo Cavalleri. La libertà nella necessità. Saggio sullo spirito oggettivo hegeliano. (Marco Ferrari, Padova) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Roberto Garaventa, La religione deve trovare rifugio nella filosofia? Saggi sulla filosofia della religione di Hegel. (Giulia Bernard, Padova/Bochum) . . . . . 258 Jakub Mácha, Alexander Berg, Hgg. Wittgenstein und Hegel: Reevaluation of Difference. (Friederike Allner, Berlin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Tereza Mateˇ jcˇ ková. Gibt es eine Welt in Hegels Phänomenologie des Geistes? (Erzsébet Rózsa, Debrecen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Lydia L. Moland. Hegel’s Aesthetics. The Art of Idealism. (Lucas Amoriello, Berlin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Gregory S. Moss. Hegel’s Foundation Free Metaphysics. The Logic of Singularity. (Karen Koch, Berlin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Karen Ng. Hegel’s Concept of Life. Self-Consciousness, Freedom, Logic. (Andrea Gambarotto, Louvain) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 Thomas Oehl. Die Aktivität der Wahrnehmung und die Metaphysik des Geistes. Eine aktualisierende Lektüre von Hegels Philosophie des Geistes. (Erzsébet Rózsa, Debrecen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Haris Papoulias. Iconoclastia endogena. Una teoria dell’immagine hegeliana. (Saša Hrnjez, Padova) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Robert Pippin. Hegel’s Realm of Shadows. Logic as Metaphysics in The Science of Logic. (Christian Martin, München/Heidelberg) . . . . . . . . . . . . 287 Mary C. Rawlinson. The Betrayal of Substance: Death, Literature and Sexual Difference in Hegel’s Phenomenology of Spirit. (Arash Abazari, Tehran) . . . . . 292 D) Neuerscheinungen zu einzelnen Autoren der klassischen deutschen Philosophie G. Anthony Bruno, ed. Schelling’s Philosophy: Freedom, Nature, and Systematicity. (Eliza Starbuck Little, Chicago) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Gloria Dell’Eva. Salto mortale. Deklinationen des Glaubens bei Kierkegaard. (Majk Feldmeier, Bochum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Guido Frilli, Federica Pitillo, Pierluigi Valenza, Hgg. Una filosofia del nonsapere. Studi su Friedrich Heinrich Jacobi. (Giulia Battistoni, Verona) . . . . . . . . 302 Stefan Schick. Die Legitimität der Aufklärung: Selbstbestimmung der Vernunft bei Immanuel Kant und Friedrich Heinrich Jacobi. (Oliver Koch, Bochum) . . . 305

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Inhalt

BIBLIOGRAPHIE Literatur zur Hegel-Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Abhandlungen im Berichtszeitraum  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 Neue Bücher im Berichtszeitraum  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 Zusammenstellung und Redaktion: SWANTJE BORNHEIM

UND

JOHANNES-GEORG SCHÜLEIN (BOCHUM)

Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343

VORWORT DER HERAUSGEBER

Im letzten Jahr konnten die Hegel-Studien mit einem Doppelband auf das doppelte Jubiliäum von Hegels . Geburtstag und dem . Jahrestag des Erscheinens seiner Grundlinien der Philosophie des Rechts eingehen. Schon im damaligen Vorwort durften wir aufgrund der großen Resonanz ankündigen, dass wir zwei weitere Forschungsschwerpunkte, in denen sich das aktuelle Forschungsinteresse an Hegels Rechts- und Praktischer Philosophie fokussiert, in den Hegel-Studien des Jahres  veröffentlichen werden. Mit drei Beiträgen zu Hegels Moral- und Handlungstheorie und fünf Aufsätzen zu seiner Konzeption des Objektiven Geistes im Kontext seiner Philosophie des Geistes zeigt sich eindrucksvoll die lebendige, breite und systematisch produktive Auseinandersetzung mit Hegels Philosophie. Sie hat offensichtlich nichts von ihrer Aktualität und Faszination für heutige Leserinnen und Leser verloren. Wir sind davon überzeugt, dass auch der aktuelle Band der Hegel-Studien nicht nur als Beleg der Bedeutung von Hegels Philosophie wahrgenommen wird. Sondern wir möchten an dieser Stelle auch unserer Hoffnung Ausdruck verleihen, dass er für viele Forscherinnen und Forscher eine Anregung darstellt, sich mit diesem Autor und seinem komplexen Werk auseinanderzusetzen. Ein Beitrag zur Publikationsgeschichte der Enzyklopädie Hegels sowie ein großer Rezensionsteil und eine aktuelle Bibliographie runden den Band ab. Berlin und Münster im Oktober  Birgit Sandkaulen und Michael Quante

Hegel-Studien  · © Felix Meiner Verlag · ISSN -

HEGELS MORAL- UND HANDLUNGSPHILOSOPHIE

Armando Manchisi DIE IDEE DES GUTEN BEI HEGEL Eine metaethische Untersuchung A B S T R A C T : In the pages devoted to the ‘Idea of the Good’ in the Science of Logic and in the Encyclopedia of the Philosophical Sciences, Hegel analyzes the relationship between practical rationality and reality, and in this way develops a form of philosophical analysis that today we would call ‘metaethical’. The aim of this paper is to explore this interpretative hypothesis, in order not only to shed light on extremely complex and still little studied texts, but also to demonstrate their possible contribution to the contemporary ethical debate on the problems of realism and cognitivism.

I. Einleitung ‚Gut‘ ist zweifellos einer der zentralen Begriffe der Ethik, wenn nicht sogar der ethische Grundbegriff. Bekanntlich hat schon Aristoteles das Gute als das betrachtet, wonach alles strebt, und daher als das Endziel, was „wir um seiner selbst willen erstreben, während das übrige nur in Richtung auf dieses Endziel gewollt wird“ (NE: a,  – ). Dieser Terminus bezeichnet also, zumindest im ethischen Bereich, alles, was wir für wertvoll und erstrebenswert halten – sei es ein Gegenstand, ein Ereignis, eine Person usw. – und was wir durch unser Handeln zu verfolgen und zu verwirklichen suchen. Die Theorie, die sich ausdrücklich dem Begriff des Guten widmet, ist der Teil der Ethik, den die Philosophie des . Jahrhunderts ‚Metaethik‘ genannt hat und der als diejenige philosophische Untersuchungsart definiert werden kann, die semantische, epistemologische und ontologische Fragen über den moralischen Bereich stellt, indem sie versucht, die Grundbegriffe der Ethik intelligibel zu machen und sie zu begründen.  Für einen Überblick über die Hauptthemen der gegenwärtigen Metaethik vgl. McPherson und Plunkett () und Quante (). In diesem Aufsatz versuche ich, so weit wie möglich zwischen ‚Moral‘ und ‚Ethik‘ zu unterscheiden, wobei Letztere als philosophische Problematisierung der ErsHegel-Studien  · © Felix Meiner Verlag · ISSN -

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ARMANDO MANCHISI

Der Begriff von ‚gut‘ spielt in Hegels Philosophie eine zentrale Rolle. Dies wird besonders deutlich, wenn man das Kapitel „Idee des Guten“ in der Wissenschaft der Logik (GW :  – ) und den entsprechenden Abschnitt in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (GW : §§  – ) betrachtet. Auf diesen Seiten analysiert Hegel nämlich das Verhältnis zwischen praktischer Rationalität – d. h. dem Begriff, hier auch „das Handeln“ (GW : ) und „das Wollen“ (GW : § ) genannt – und der Realität und entwickelt so eine eindringliche Reflexion über das Gute und seine Verwirklichung. Obwohl der Terminus ‚Metaethik‘ selbstverständlich nicht zum hegelschen Vokabular gehört, ist es Ziel dieses Beitrags, zu zeigen, dass Hegel eine im engeren Sinne als metaethisch zu verstehende Analyse durchführt. Kritisches Potential entfaltet die hegelsche Darstellung insbesondere dort, wo das Endziel der Idee des Guten gerade als ihre Aufhebung (in die absolute Idee) gefasst wird. Innerhalb der Analyse dieses Überganges lässt sich somit gleichzeitig eine kritische Perspektive gegenüber mangelhaften metaethischen Modellen formulieren. Diese Hypothese möchte ich folgendermaßen plausibel machen: Zuerst werde ich versuchen, den Kontext der Idee des Guten in der Logik kurz darzustellen und somit die spezifische Verwendungsweise dieses Begriffs innerhalb von Hegels System zu klären (II); dann werde ich zu einer detaillierteren Analyse der inneren Struktur der Idee des Guten übergehen. Dazu werde ich als ‚interpretative Reagenzien‘ drei zentrale metaethische Positionen verwenden, nämlich den Kantischen Konstruktivismus (III), den Projektivismus (IV) und den Non-Kognitivismus (V); die Diskussion dieser drei Positionen liefert uns nicht nur einen fruchtbaren interpretativen Zugriff auf Hegels eigene Texte, sondern auch eine Perspektive auf die zeitgenössische Debatte der Moralphilosophie. II. Die normative Bedeutung der Idee des Guten Um zu verstehen, was es bedeutet, dass die Seiten über die Idee des Guten eine philosophische Reflexion über den Status der praktischen Rationalität darstellen, ist es zunächst notwendig, die Rolle zu klären, die sie einerseits in der Logik und andererseits in Bezug auf die Philosophie des objektiven Geistes spielen.

teren verstanden wird; folglich ist mein Gebrauch dieser Termini nicht-hegelianisch. Ich verwende den Begriff von ‚Normativität‘ zudem in einem sowohl deontischen als auch evaluativen (oder axiologischen) Sinn.  Im Folgenden verweist die kursive Wissenschaft der Logik auf die Schrift Hegels ( – ; erster Teil  neu ausgearbeitet) und ‚Logik‘ auf die Behandlung, die Hegel sowohl im genannten Werk als auch im ersten Teil der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften () ausarbeitet.

Die Idee des Guten bei Hegel

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A. Die Lehre der Idee in der Logik Hegel teilt bekanntlich die Lehre der Idee in der Logik in ‚Idee des Lebens‘, ‚Idee des Erkennens‘ und ‚absolute Idee‘ ein: Die Idee des Guten (auch „praktische Idee“ genannt) stellt mit der Idee des Wahren (oder die „theoretische Idee“) zusammen eines der zwei inneren Momente der Idee des Erkennens dar. In der Enzyklopädie wird die Idee als „die absolute Einheit des Begriffs und der Objectivität“ (GW : § ) definiert. Aus dieser Definition können einige wichtige Elemente, die den Hintergrund der Idee des Guten bilden, ermittelt werden, weshalb es sich lohnt, sich darüber kurz Rechenschaft abzulegen. Erstens können wir sagen, dass ‚Begriff‘ in der Logik die Rationalität als solche bezeichnet, d. h. eine objektive und durchdringende Dimension. In diesem Sinne stellt der Begriff für Hegel sowohl das dar, was die Intelligibilität der Welt gewährleistet (d. h. dass die Realität erkennbar ist), als auch das, was die menschlichen Praktiken von Denken und Handeln beseelt und organisiert. Insofern die Idee ‚Begriff‘ ist, bedeutet sie nach Hegel eine objektive und normative Vernunft, die sich selbst erkennt und bestimmt. Zweitens, insofern sie ‚Objektivität‘ ist, ist die Idee auch Welt bzw. eine Totalität, die sich vernünftig entwickelt: In diesem Sinne ist die Idee Realität, und zwar nicht als einfache Ansammlung verstanden, sondern als Einheit, in der sich die Teile, die das Ganze als ihr eigenes Ziel haben, verwirklichen. Insofern die Idee ‚Einheit‘ des Begriffs und der Objektivität ist, bedeutet sie „die selbstbestimmende Identität [der Totalität]“ (GW : ). Sie ist also die Vernünftigkeit als Wirklichkeit, d. h. die Welt als sich selbst organisierender und erkennender Prozess. Damit ist offensichtlich, dass die Idee für Hegel nicht das ist, was wir unter diesem Terminus in der Alltagssprache verstehen: Sie ist nicht „als Idee von irgend Etwas“ (GW : §  Anm.) zu verstehen. Gleichermaßen ist sie weder eine abstrakte Entität, die im Gegensatz zur empirischen Realität steht, noch das Sollen, das dem Sein gegenübersteht. Für Hegel ist die Idee vielmehr die sowohl natürliche als auch soziale Welt als Substanz, die sich selbst erkennt und bestimmt. In diesem Sinne hat sie sowohl epistemologische als auch ontologische Tragweite: Sie ist also die Struktur, die die Totalität des Wissens sowie der Realität organisiert.

 Vgl. Siep (). Sehr wichtig, um Hegels Begriff der Idee zu verstehen, sind auch Düsing (, Kap. ) und Nuzzo ().  Als „Wissenschaft des Denkens, seiner Bestimmungen und Gesetze“ (GW : § ) hat die Logik epistemologische Tragweite; da aber das Denken für Hegel „die Wesenheiten der Dinge“ ausdrückt, ist die Logik gleichzeitig „Wissenschaft der Dinge“ (GW : § ), d. h. Ontologie. Richtiger gesagt, ist Hegels Logik also die Wissenschaft, die die Einheit der Relationen von Vernunft und Wirklichkeit begründet. Vgl. dazu Illetterati ().

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ARMANDO MANCHISI

B. Das Gute, das Wollen, das Handeln Hegel versteht daher die Idee des Guten als vorletzte Stufe der Entwicklung der absoluten Idee. Diese Angabe ist nicht nur für die Interpretation der Logik relevant, sondern auch für eine korrekte Einordnung der Idee des Guten innerhalb von Hegels System. Für die Absicht meiner Lektüre ist es in der Tat wesentlich, die logische Idee des Guten nicht mit dem Guten zu verwechseln, das der MoralitätAbschnitt in der Philosophie des objektiven Geistes (GW ,: §§  – ) behandelt. In der Tat thematisiert dieser Abschnitt das Verhältnis zwischen dem endlichen Subjekt und einem abstrakten, moralischen Prinzip, das es anzustreben versucht: Auf diese Weise verhandelt Hegel das Problem der praktischen Normativität unter dem Gesichtspunkt des Handelns des konkreten Individuums. Indem die logische Lehre von der Idee dagegen die Kategorien bestimmt, die die Struktur der Realität und der Erkenntnis organisieren, bewegt sie sich auf einer anderen Ebene. Das gilt auch für den Begriff des „lebendige[n] Gute[n]“, von dem Hegel im Sittlichkeits-Abschnitt spricht (z. B. GW ,: § ) und der auf die Gesamtheit der Praktiken und Institutionen hinweist, durch die die Menschen der sozialen und politischen Realität eine vernünftige Gestalt geben. Weitere Verwirrung kann aufgrund der Weise entstehen, wie die Idee des Guten manchmal erwähnt wird. Sowohl in der Wissenschaft der Logik als auch in der Enzyklopädie nennt Hegel sie alternativ und nicht immer eindeutig „Wille“ (GW : , ), „Wollen“ (GW : §§ , ,  – ), „Handeln“ (GW : ,  f.). Diese Begriffe spielen bekanntlich eine entscheidende Rolle innerhalb der praktischen Philosophie Hegels und wir können daher ihr Vorhandensein in der Lehre der Idee als einen klaren Bezug auf den Bereich der Philosophie des Geistes lesen. Gleichzeitig müssen wir jedoch, wie wir bereits für den Begriff des Guten gesehen haben, sehr vorsichtig sein, um die verschiedenen Ebenen des Systems nicht zu verwechseln.

 Vgl. ausdrücklich zur Idee des Guten Menegoni (), Hogemann (), Siep (a), Deligiorgi (), Orsini (). Ich verweise auch auf Manchisi (). Dieses Buch befasst sich ausführlicher mit dem, was ich in diesem Beitrag analysiere.  Hegel führte die Idee des Guten im Gymnasialkurs über die subjektive Logik für die Oberklasse ( – ) ein und alternierte fortan ihre Benennungen folgendermaßen: Logik für die Oberklasse ( – ): Wollen, das Gute, Idee des Guten; Logik für die Mittelklasse ( – ): Idee des Handelns, Handeln; Wissenschaft der Logik (): Idee des Guten, praktische Idee, das Gute, Wille, Wollen; Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (): Praktische Idee, das Gute, Wollen, Wille; Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (, ): Wollen.

Die Idee des Guten bei Hegel

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C. Die Grundgrammatik der praktischen Philosophie Was ist also die Bedeutung dieser innersystematischen Beziehung? Das ist eine komplexe Frage. Meiner Meinung nach müssen hier zwei Extreme vermieden werden. Einerseits darf man nicht in den Fehler verfallen, die Idee des Guten im objektiven Geist aufzulösen, d. h. die Idee des Guten ausschließlich als abstrakte Vorwegnahme dessen zu lesen, was dann in den Grundlinien der Philosophie des Rechts in erweiterter und konkreter Form dargestellt wird. Andererseits ist es aber auch nicht möglich, die Anspielungen auf die Philosophie des objektiven Geistes in der Idee des Guten als zufällig zu betrachten und somit die beiden Abhandlungen als völlig unabhängig voneinander zu begreifen. Um das Problem richtig zu verstehen, ist es notwendig, kurz über das Verhältnis zwischen Logik und Realphilosophie in Hegels System nachzudenken. Dieses Verhältnis ist nicht im Sinne eines ontologischen Dualismus zu verstehen (als ob es eine logische Welt auf der einen Seite und eine reale Welt auf der anderen gäbe), sondern als eine Unterscheidung methodologischer Art: Es drückt nämlich das Bedürfnis aus, in der philosophischen Arbeit verschiedene Ebenen der Untersuchung der Rationalität (in diesem Fall: der praktischen Rationalität) zu bestimmen. Davon ausgehend können wir dann sagen, dass die Idee des Guten den Willen und die Handlung „im abstracten Elemente des Denkens“ (GW : § ) berücksichtigt, indem sie also nicht ihre realen Gestaltungen, sondern die ihnen zugrunde liegende logisch-spekulative Struktur darstellt. Mit der Idee des Guten beschäftigt sich Hegel nämlich nicht in dem juristischen Bereich, den moralischen Prinzipien oder den politischen Institutionen; sein Diskurs geht vielmehr um die ontologischen und epistemologischen Bedingungen der Möglichkeit der Rechtsphilosophie: Indem zwar die Idee des Guten Bestimmungen wie ‚Begriff‘, ‚Realität‘, ‚Wollen‘, ‚Handeln‘ thematisiert, umreißt sie die Koordinaten, innerhalb derer sich der objektive Geist entfaltet. Einen Hinweis von Christoph Halbig () auf die Idee des Wahren aufgreifend, kann man sagen, dass die Idee des Guten die Grundgrammatik der praktischen Philosophie Hegels liefert: Das heißt, sie zeigt auf, wie es möglich ist, über Wille und Handlung philosophisch nachzudenken und wie die Verhältnisse zwischen Realität und praktischer Rationalität gedacht werden sollen. Dies bringt uns zu zwei grundsätzlichen Bemerkungen: (i) Man kann Hegels praktische Philosophie nicht adäquat verstehen, ohne sich zugleich mit seiner logisch-spekulativen Theorie des Guten auseinanderzusetzen;  Einige sprechen hierbei von der „regulativen Rolle“ der Idee des Guten in Bezug auf die praktische Philosophie Hegels; vgl. Menegoni (,  ff.), Fulda (,  ff.), Wildenauer (,  – ), Siep (a,  – ).

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ARMANDO MANCHISI

(ii) Indem sie die ontologischen und epistemologischen Grundkategorien der praktischen Philosophie untersucht, stellt diese Theorie eine metaethische Analyse dar. Auf der Basis dieser vorläufigen Ergebnisse und der Argumente, die dafür sprechen, möchte ich nun versuchen, die metaethischen Modelle, die sich auf den Seiten zur Idee des Guten finden, zu analysieren und ihre möglichen Wechselwirkungen mit der gegenwärtigen philosophischen Debatte zu prüfen. Dafür nehme ich als Bezugspunkte drei metaethische Grundfragen, nämlich die nach der Objektivität der praktischen Rationalität (III), nach ihrem Status von Realität (IV) und nach ihrem Verhältnis zur Wahrheit (V). III. Die Idee des Guten als Autonomie Hegel versteht die Objektivität der Idee des Guten, zumindest im ersten Schritt, als Ergebnis der Selbstbestimmung des subjektiven Begriffs. Um diesen Punkt zu erhellen, kann es hilfreich sein, sich auf die Konzeption des kantianischen Konstruktivismus zu beziehen, die von John Rawls eingeführt und heute unter anderem von den Philosophinnen Christine Korsgaard und Carla Bagnoli verteidigt wird. Der Konstruktivismus stellt in der Tat die Position dar, die im gegenwärtigen philosophischen Kontext mehr als jede andere auf Selbstbestimmung zurückgreift, um die Objektivitätsansprüche der praktischen Vernunft zu erklären. A. Kantianischer Konstruktivismus in der Metaethik Der ethische kantianische Konstruktivismus (den ich fortan einfach als ‚Konstruktivismus‘ bezeichne) ist eine Form von antirealistischem Objektivismus, d. h. eine philosophische Position, die den moralischen Bereich als objektiv versteht, aber die dieses Merkmal nicht aus der Existenz von äußeren Tatsachen, Eigenschaften oder Relationen folgert. Nach dem Konstruktivismus ist in der Tat die moralische Objektivität nicht mit einer Ontologie der Normen oder Werte, sondern mit der Fähigkeit vernünftiger Wesen, ihre moralischen Urteile zu prüfen, verbunden. Die  Um die folgenden Seiten richtig zu verstehen, ist es wichtig, zwei Präzisierungen zu beachten: (i) In meiner Untersuchung beschäftige ich mich mit dem kantianischen Konstruktivismus und nicht mit der historisch von Kant vertretenen philosophischen Position; (ii) indem ich eine Auseinandersetzung mit dem Konstruktivismus anstrebe, befolge ich nicht die sogenannte „standard story“ der Deutungen Hegels, die u. a. von Brandom, Pippin und Pinkard entwickelt wurde (vgl. Stern ). Mein Ziel ist es in der Tat nicht, Hegel als Konstruktivisten zu verstehen, sondern den Konstruktivismus als ‚interpretative Reagenz‘ zu nutzen, um die Idee des Guten zu beleuchten.  Für eine allgemeine Darstellung des ethischen Konstruktivismus siehe Bagnoli ().

Die Idee des Guten bei Hegel

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grundlegende Idee dieser ethischen Position ist demnach, dass der Ursprung der Normativität die Fähigkeit der Vernunft ist, sich ihr eigenes Gesetz zu geben und mittels Praktiken von Selbstkritik und Rechtfertigung ihre Objektivität, im Sinne einer Invarianz hinsichtlich subjektiver Leistungen, zu garantieren. Die konstruktivistische ist also eine ethische, rationalistische Theorie, deren Grundbegriffe Reflexivität und Autonomie sind. Der erste Begriff hebt die Fähigkeit der Vernunft hervor, sich selbst als Gegenstand zu setzen und die eigenen Moralansprüche zu rechtfertigen oder zu kritisieren. Für uns Menschen genügt es in der Tat nie (zumindest idealerweise), uns darauf zu beschränken, Werte und Pflichten anzunehmen, sondern wir fühlen das Bedürfnis (oder zumindest die Möglichkeit), sie in Frage zu stellen: Es reicht nicht aus, dass wir glauben, dass etwas richtig oder falsch ist; wir brauchen Gründe, um es zu glauben. Das heißt, um einen bestimmten normativen Anspruch als objektiv gültig zu betrachten, müssen seine Legitimität und Autorität durch die Selbstkritik der Vernunft geprüft werden. Korsgaard () spricht in dieser Hinsicht von „reflective endorsement“. Davon ausgehend zeigt der Begriff der Autonomie die Möglichkeit der praktischen Vernunft, sich in den Gesetzen, deren Urheberin sie selbst ist, wiederzuerkennen. Für die Konstruktivisten fasst dieses Konzept in der Tat zwei grundlegende Fragen zusammen: Einerseits, indem sie imstande ist, sich selbst die zu verfolgenden Normen und Ziele zu geben, ist die Vernunft autonom als Selbstgesetzgeberin; andererseits, indem sie allein der Richter ist, der fähig ist, die Gesetze, die die Praxis leiten sollen, zu beurteilen und also zu befürworten, ist die Vernunft autonom als Selbstrechtfertigerin. In der konstruktivistischen Perspektive wird der Raum der praktischen Normativität also durch die Fähigkeit der Vernunft bezeichnet, sich ihr zuzuwenden und sich selbst zu bestimmen. Diese Tätigkeit des Selbstbezugs und der Selbstkritik gewährleistet die Objektivität von Normen und Werten. B. Hegels Theorie des Begriffs Die metaethische Konzeption des kantianischen Konstruktivismus, hier nur in ihren Grundzügen umrissen, kann uns nun helfen, das Verhältnis von Objektivität und Selbstbestimmung, das Hegel in der Idee des Guten ermittelt, klarer zu lesen. Von besonderer Bedeutung ist dafür der Eröffnungssatz dieses Kapitels in der Wissenschaft der Logik:

 Diese Konzeption wird durch die Idee zusammengefasst, „Rationality is a power of self-determination“ (Korsgaard , ).

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Indem der Begriff, welcher Gegenstand seiner selbst ist, an und für sich bestimmt ist, ist das Subject sich als Einzelnes bestimmt (GW : ). Das ist ein extrem vielschichtiger Satz, daher kann es hilfreich sein, ihn zu zerlegen und zu versuchen, seine Grundaspekte zu klären: (i) Die Idee des Guten ist, auf einer ihrer Seiten, Begriff; (ii) Der Begriff hat sich selbst zum Gegenstand: Er ist mithin Selbstbezug; (iii) Als selbstbewusst ist der Begriff Subjektivität; (iv) Er ist selbstbestimmungsfähig; (v) Ergebnis dieses Prozesses ist das Sich-Bestimmen des Begriffs als Einzelheit. Um die metaethische Konzeption der Idee des Guten klarzumachen, kann es hilfreich sein, jeden dieser Punkte kurz zu analysieren. Dabei werde ich mich auf die Seiten der Wissenschaft der Logik über den „Begriff im Allgemeinen“ und auf den Abschnitt beziehen, der dem so genannten „Begriff als solche[m]“ gewidmet ist (Schick ,  – ). Zuallererst ist es wichtig, die ‚spekulative Wendung‘ zu berücksichtigen, die das Konzept von ‚Begriff‘ in der Logik erfährt. In Hegels Texten bezeichnet dieser Terminus in der Tat weder die abstrakte Kenntnis, die der Wirklichkeit entgegensteht, noch die subjektive Vorstellung, die die Welt von außen „begreift“ (GW : ). In beiden Fällen wird er nämlich als ein Produkt oder Instrument der Vernunft verstanden. In der Logik hingegen ist der Begriff die Vernunft oder, genauer gesagt, die logische Struktur der Rationalität. So verstanden, zeigt der Begriff für Hegel den Bereich der Bedeutungen, Regeln und Ziele, d. h. den normativen Raum, der alles durchdringt und die Welt und die menschlichen Praktiken verständlich macht. Analog zur konstruktivistischen Perspektive ist die Vernunft auch für Hegel „einfach[e] Beziehung auf sich selbst“ (GW : ), d. h. eine selbstbezügliche Struktur, die, indem sie sich selbst als Gegenstand setzt, „sich selbst durchsichtig[e] Klarheit“ (GW : ) wird. Auf diese Weise fasst der Begriff einen zentralen Aspekt des kantianischen Konstruktivismus zusammen, nämlich die Reflexivität: Als „reine sich auf sich selbst beziehende Einheit“ (GW : ) zeigt der Begriff die Fähigkeit der Vernunft, sich an sich selbst zu wenden und sich somit als maßgeblich zu erfassen. Die Lehre vom Begriff wird von Hegel als „das Reich der Subjectivität“ (GW : ) verstanden. Die in der Logik betrachtete Subjektivität ist aber nicht mit dem Selbstbewusstsein eines Individuums oder einer Gesellschaft zu identifizieren: Gewiss sind diese die Formen, in denen sich die Vernunft verkörpert und durch die sie zu sich selbst gelangt; aber der Begriff in seiner Ganzheit ist für Hegel eher als

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absolute Subjektivität zu verstehen: Er ist Subjektivität, indem er sich selbst bewusst und in der Lage ist, sich selbst zu bestimmen; aber er ist absolut, indem er die allgemeine „Grundlage“ darstellt (GW : ), die in sich selbst alle besonderen Bestimmungen einschließt und sie somit belebt (vgl. Düsing , Kap. ). Es ist wichtig zu bemerken, dass es in dieser Konzeption nur kraft der Subjektivität des Begriffs möglich ist, Objektivitätsansprüche zu erheben. Insofern er einen allgemeinen logischen Raum darstellt, bestimmt der Begriff in der Tat Gründe zum Handeln und Bewerten, die über besondere Neigungen oder Präferenzen hinausgehen. Gleichzeitig ist dieser Raum aber nicht etwas, was uns einfach transzendiert und das wir „außerhalb“ von uns entdecken, sondern ein Gebäude, in dessen „Konstruktion“ wir immer als rationale Akteure involviert sind (vgl. Ferrarin ). Mit seiner nicht-subjektivistischen Deutung des subjektiven Begriffs erlaubt uns Hegels Theorie der Idee des Guten somit, eine metaethische objektivistische Position zu verteidigen. Die Fähigkeit des Begriffs, sich an sich selbst zu wenden, stellt sich nicht nur in der theoretischen Form der Selbsterkenntnis dar, sondern auch in der praktischen der Selbstbestimmung: „[D]er Begriff [ist] in seiner einfachen Beziehung auf sich selbst, absolute Bestimmtheit; aber welche eben so als sich nur auf sich beziehend […] Identität [ist]“ (GW : ). In diesem Sinne ist die Rationalität für Hegel selbstbezügliche Tätigkeit bzw. Arbeit an sich selbst: Die Vernunft ist gleichzeitig das tätige, setzende und bestimmende und das passive, gesetzte und bestimmte Element; sie ist sowohl Gesetz als auch Gesetzgeber. Für Hegel hat diese Selbstbestimmung jedoch nichts Willkürliches: Als Ergebnis von Reflexions- und Vermittlungsprozessen ist der Begriff genau die Aufhebung der Unmittelbarkeit und somit der Willkürlichkeit. Deswegen schreibt Hegel auf den Seiten über die Idee des Guten, dass „die Besonderheit des Inhalts […] jedoch zunächst unendlich durch die Form des Begriffs [ist], dessen eigene Bestimmtheit er ist“ (GW : ). Die Einheit von Form und Inhalt, die den Begriff charakterisiert, bedeutet in der Tat, dass gerade die Tätigkeit der Bestimmung den objektiven Wert des bestimmten Inhalts garantiert. In Hegels Theorie wird der normative Raum nicht nur in der allgemeinen und abstrakten Form des Gesetzes bestimmt, sondern auch als Regeln und besondere Ziele. Dieser Aspekt wird von Hegel durch den Begriff von Einzelheit entwickelt. In der Logik ist die Einzelheit die Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit, die daher nichts anderes als „die Momente [ihres] Werdens“ (GW : ) sind: Sie ist nämlich die Rationalität, die als allgemeine die Form des Gesetzes hat und als besondere sich in konkreten Inhalten und Zielen bestimmt. Kraft der Allgemeinheit ist der Begriff nach Hegel „das Gemeinsame“ (GW : ) jedes Besonderen, d. h. das, was es der Vernunft erlaubt, quer zu den Verschiedenen zu liegen  Siehe die ausführliche Rekonstruktion von Martin ().

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und sie in Verbindung zu bringen. Gleichzeitig ist die Einzelheit dank ihrer besonderen Seite auch die „Bestimmtheit des Begriffs“ (GW : ), nämlich das, was der Vernunft erlaubt, sich als konkreter normativer Raum zu bilden, der imstande ist, spezifische Regeln oder Werte zu erzeugen und damit das Denken und Handeln der handelnden Subjekte zu lenken. Die Einzelheit fasst somit die metaethischen Koordinaten der Autonomie zusammen: Reflexion, Selbstbestimmung, Selbstobjektivierung. Anders als die konstruktivistische Konzeption beschränkt sich diejenige Hegels jedoch nicht darauf, den Ursprung der Normativität in der bloßen Form des Gesetzes zu ermitteln, noch versteht sie die Objektivität als einfache Invarianz hinsichtlich subjektiver Leistungen. Der normative Raum des Begriffs ist objektiv und existiert als solcher nicht unabhängig, sondern kraft der Existenz bestimmter Zwecke oder Gründe. Demzufolge kommt für Hegel gerade in der Reflexions- und Handlungsfähigkeit konkreter Subjekte die Autonomie der objektiven Vernunft zum Ausdruck. C. Eine narzisstische Objektivität Diese Analyse sollte uns geholfen haben, den ersten Satz des Kapitels der Wissenschaft der Logik über die Idee des Guten klarer zu verstehen, was uns erlaubt, einige der zentralen Elemente der metaethischen Theorie Hegels hervorzuheben. Diese Elemente werden – wir haben es zum Teil schon gesehen – durch das eigentümliche Geflecht zwischen den Begriffen von ‚Selbstbestimmung‘ und ‚Objektivität‘ zusammengefasst. Im vorgehenden Abschnitt habe ich mich vor allem mit dem ersten Terminus beschäftigt, deshalb möchte ich mich jetzt näher auf den zweiten konzentrieren. Zu diesem Zweck kann es hilfreich sein, von der Unterscheidung zwischen epistemischer und ontologischer Bedeutung von Objektivität auszugehen: Im ersten Fall wird die Objektivität eines Urteils von der Richtigkeit der Rechtfertigungsverfahren bestimmt, denen es unterworfen ist; im zweiten Fall hingegen ist ein Urteil nur dann objektiv, wenn es sich korrekt auf eine bestimmte, von den subjektiven Leistungen unabhängige Realität bezieht (vgl. Dunaway ). Diese Unterscheidung ist hilfreich, wenn wir einen wichtigen Aspekt der Idee des Guten betrachten: Die Objectivität hat das Subjekt hier sich selbst vindicirt; seine Bestimmtheit in sich ist das Objective, denn es ist die Allgemeinheit, welche ebensowohl schlechthin bestimmt ist (GW : ). Die Perspektive Hegels scheint zuallererst und in Affinität zur konstruktivistischen Position eine epistemische Konzeption von Objektivität zu verteidigen. Dies wird besonders deutlich, wenn man betrachtet, dass der Begriff „sich selbst vindicirt“,

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was den reflexiven Aspekt der praktischen Rationalität zusammenfasst: Der Begriff verleiht sich selbst Objektivität, aber erkennt sich gleichzeitig als in sich selbst objektiv und daher die Objektivität ‚einfordernd‘. Gleichzeitig hebt Hegel jedoch hervor, dass der um sich selbst kreisende Charakter des Begriffs ihn zu etwas von der Welt Losgemachtem macht: Seine Objektivität ist also einfach Kohärenz. Der verhinderte Bezug auf die Realität (wo diese – es ist wichtig, das zu erwähnen – die andere Seite der Idee ist) macht den Begriff zu einer sozusagen ‚narzisstischen‘ Struktur: Er scheint nämlich sich nur in sich selbst und durch sich selbst zu begnügen, indem er das erzeugt, was McDowell (, ) „a frictionless spinning in a void“ nennt. D. Eine „nur mögliche“ Konstruktion An diesem Punkt ist es nun möglich, in Anlehnung an Hegels Analyse der Idee des Guten die problematischen Aspekte der konstruktivistischen Perspektive zu ermitteln. Hegel schreibt: Die Idee des vollendeten Guten ist zwar ein absolutes Postulat, aber mehr nicht als ein Postulat (GW : ). Von einem „absolute[n] Postulat“ () zu sprechen, bedeutet dies: Die Idee des Guten formt einen objektiven, als rational gerechtfertigten, normativen Bereich, der aber unfähig ist, in den Praktiken realer Subjekte bindend zu sein. Über die Moral unabhängig von den Bedingungen ihrer Verwirklichung – also der Möglichkeit, die konkreten Handlungs- und Bewertungsprozesse zu bestimmen – nachzudenken, bedeutet den Verzicht auf einen fundamentalen ethischen Aspekt. Auf ihrer subjektiven Seite löst sich die Idee des Guten daher in eine Abstraktion auf, die unfähig ist, „in die Welt“ zu gelangen und sie positiv zu bestimmen. Folglich kommt Hegel zu dem Schluss: Das Gute bleibt so ein Sollen; es ist an und für sich, aber das Seyn als die letzte, abstracte Unmittelbarkeit, bleibt gegen dasselbe auch als ein Nichtseyn bestimmt (GW : ). Die narzisstische Struktur des Begriffs bedeutet, dass er nichts außer sich selbst erkennt (er ist „an und für sich“): Alles, was außerhalb oder „gegen“ ihn steht, wird wertlos. In diesem Sinne ist also das reale „Seyn“ für den Begriff ein einfaches „Nichtseyn“. Die in dieser Konzeption umrissene praktische Rationalität ist also eine normative Instanz ohne Realitätsbezug, und was sich daraus ergibt, sind Regeln und Ziele, die keinen Zwang auf konkrete Akteure ausüben. Das ist besonders bedeutsam, wenn man darüber nachdenkt, dass das Ziel der konstruktivistischen

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Konzeption genau das Gegenteil ist: Autonomie wird nämlich genau als die Möglichkeit für die Subjekte verstanden, zu moralischen Prinzipien zu gelangen, die aufgrund der Identität von Urheber und Werk höchst bindend sind. Deshalb schreibt Hegel in der Enzyklopädie, dass das Ergebnis dieser metaethischen Konzeption „der Widerspruch“ (GW : § ) ist, da der subjektive Begriff als Selbstbestimmung als ein unwesentlicher so sehr als ein wesentlicher, als ein wirklicher und zugleich als nur möglicher gesetzt ist (GW : § ). Damit wird die Unhaltbarkeit einer bloß epistemischen Position bekräftigt: Der normative Bereich ist allgemein und objektiv, aber „nur möglic[h]“. Mit anderen Worten ist er eine perfekt entworfene Planskizze, die niemals konstruiert werden kann. III. Die Idee des Guten als Projektion Dieses Ergebnis zeigt uns, dass es für Hegel notwendig ist, eine metaethische Konzeption zu entwickeln, die nicht nur die epistemische Frage nach der Selbstbestimmung der praktischen Rationalität (wie der kantianische Konstruktivismus), sondern auch die ontologische Frage nach ihrer Selbstverwirklichung untersucht. Um dieses Thema richtig zu verstehen, ist es wichtig, die Beziehung des Begriffs zur Realität bzw. zur objektiven Seite der Idee näher zu betrachten. Zu diesem Zweck kann es hilfreich sein, den ethischen Projektivismus von John L. Mackie als ‚interpretative Reagenz‘ zu verwenden. A. Der Projektivismus in der Metaethik Die Wichtigkeit der Reflexion Mackies kann (hinsichtlich meiner Arbeit) in zwei Grundmerkmalen ermittelt werden: (i) Die Kritik der realistischen Begründung der Moral und (ii) die Ausarbeitung des ethischen Projektivismus. (i) Mackies Ethik stellt eine radikale Form von ethischem Antirealismus dar, d. h. eine Konzeption, gemäß derer die evaluativen und präskriptiven Eigenschaften vollständig abhängig von subjektiven Leistungen sind. Kern von Mackies Position ist in der Tat die Idee, dass „values are not objective, are not part of the fabric of the world“ (Mackie , ). Um diese These zu beweisen, greift Mackie zu zwei  Vgl. Korsgaard (, Kap. ).  Zum Verhältnis von Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung in Hegels Ethik mit Bezug auf

den Kantischen Konstruktivismus siehe Stern () und ().  Vgl. zum ethischen Projektivismus Olson ().

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wichtigen Argumenten: der Relativität und der Merkwürdigkeit. Da das erste Argument für die Analyse der Idee des Guten bei Hegel wenig Relevanz hat, beschäftige ich mich hier nur mit dem zweiten. Das Argument der Merkwürdigkeit wird von Mackie in zwei Subargumente unterteilt: ein ontologisches (Mackie sagt „metaphysisches“) und ein epistemologisches. Das ontologische Argument der Merkwürdigkeit formuliert den folgenden Zweifel: Wenn die Welt die Welt der Fakten bzw. die von den Naturwissenschaften beschriebene Realität ist, auf welche Objekttypen beziehen wir uns dann, wenn wir von ‚objektiven Werten‘ reden? Die Schwierigkeit besteht darin, einerseits den Status und die ontologischen Eigenschaften hypothetischer moralischer Fakten zurückzuverfolgen, andererseits sie in die Wirklichkeit zu setzen, d. h. zu erklären, wie sie in die Welt passen (Mackie , ). Das epistemologische Argument der Merkwürdigkeit stellt sich folgendermaßen dar: Wenn man die Existenz dieser wundersamen Entitäten – die objektiven Werte – setzt, wie ist es möglich, sie zu erkennen? Das Problem ist wesentlich: Wir müssen uns zuallererst fragen, ob wir objektive Werte erkennen können, und erst in einem zweiten Schritt, wie wir sie erkennen können. „An objective good – so Mackie – would be sought by anyone who was acquainted with it“ (Mackie , ). Die gewohnte Welterfahrung scheint dagegen nichts dergleichen aufzuweisen, d. h. es scheint nicht, dass es etwas gibt, das „to-be-pursuedness somehow built into it“ besitzt (Mackie , ). Diese Kritiken von Mackie am ethischen Realismus haben als Endpunkt die Verteidigung der projektivistischen Position. Dem Projektivismus liegt die Beobachtung zugrunde, dass das moralisches Denken wegen seines Wesens Objektivitätsansprüche erhebt; aufgrund des Merkwürdigkeitsarguments scheinen solche Ansprüche jedoch nicht mittels des Bezugs auf die äußere Realität gerechtfertigt werden zu können; folglich, so Mackie, sind das, was als objektiv genommen wird, nicht reale Werte, sondern die Projektion von subjektiven Einstellungen (Mackie , ). Diese Position gipfelt in der Behauptung: „Morality is not to be discovered but to be made“ (Mackie , ). Für den Projektivismus sind Werte daher nicht reale Entitäten oder Eigenschaften, die wir ‚draußen‘ erreichen könnten, sondern vom menschlichen Geist erzeugte Qualitäten. Diese Idee bestätigt ein für alle Mal die antirealistische Trennung zwischen Fakten und Normativität oder – mit Hegel – zwischen Realität und Begriff. Mackies Ethik, obgleich sie dem Bereich der Normen und Werte die Objektivitätsforderung zugesteht, versteht demnach diese Forderung (mit Hume) als die Erweiterung des Geistes auf die Welt bzw. als das Streben der Subjektivität nach der Realität.

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B. Der Trieb des Begriffs, sich zu realisieren Nachdem wir die metaethische Konzeption des Projektivismus, zumindest in ihren Grundzügen, geklärt haben, sollten wir nun die notwendigen Werkzeuge haben, um zum Text Hegels zurückzukehren und das Problem der Verwirklichung in der Idee des Guten detaillierter zu verstehen. Die Frage kann ausgehend von der folgenden Passage der Wissenschaft der Logik analysiert werden: [Die Idee des Guten] ist der Trieb sich zu realisiren, der Zweck, der sich durch sich selbst in der objectiven Welt Objectivität geben und sich ausführen will (GW : ). Im Mittelpunkt dieses dichten Satzes stehen drei Grundfragen, nämlich die nach dem „Trieb“ der Idee des Guten, nach ihrem „Zweck“ und nach der Art ihres „sich ausführen[s]“. Ich beginne mit dem ersten Problem. Was meint Hegel mit dem Begriff ‚Trieb‘? In der Naturphilosophie definiert Hegel ihn als „die Thätigkeit, den Mangel […] aufzuheben“ (GW : § ). Dies liefert bereits einige wichtige Hinweise: Es ist klar, dass dieser Begriff nach Hegel (i) eine dynamische Funktion hat; (ii) einen fehlerhaften Zustand impliziert, dessen Aufhebung er sein will; und (iii) eine relationale Natur besitzt. In der Logik drückt der Trieb in der Tat eine Bewegung zwischen den beiden Polen der Idee (dem subjektiven Begriff und der objektiven Realität) aus, die gleichzeitig der Versuch ist, sie in Kontakt zu bringen. Davon ausgehend umfasst der Trieb bei Hegel zwei unterschiedliche Bewegungen. Einerseits ist der Trieb des Begriffs Trennung, insofern er entzweibrechende Tätigkeit ist: Er ist nämlich die Vernunft, die sich an sich selbst gewendet und damit ihre Einheit zerbrochen hat. Indem er aber eine Bewegung der Äußerung des Inneren ist, ist der Trieb auch Zusammensetzung, d. h. der Versuch des Begriffs, seinen Bruch mit der objektiven Seite zu überwinden. In diesem Sinne stellt der Trieb in der Idee des Guten nichts anderes dar als das Streben der praktischen Rationalität nach der Realität. Hier von ‚Trieb‘ zu sprechen, bedeutet daher, sich auf eine nicht statische, sondern dynamische metaethische Konzeption zu beziehen, gemäß derer die praktische Dimension aus einer Relation zwischen Vernunft und Welt aufgebaut ist. Auf diese Weise gibt Hegel uns also eine Erklärung dafür, wie der normative Raum an den realen Praktiken des Denkens und Handelns hängt, d. h. „about where and how [values] fit into the world“ (Mackie , ). Mit anderen Worten versucht  Vgl. zur Bedeutung dieses Begriffs in Hegels Logik Wittmann (). Es ist möglich, drei historisch-philosophische Bezugnahmen zu ermitteln, die in Hegels Gebrauch dieses Begriffs implizit enthalten sind: (i) die aristotelische Konzeption der orexis als Begehrens- und Vollzugsinstanz; (ii) die kantische des Bildungstriebs als Bewegung eines Organismus zu einem Zweck; und (iii) die fichtianische des Ichs als Streben zur Selbstverwirklichung.

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Hegel hier eine fundamentale metaethische Frage zu beantworten, nämlich das Problem des Verhältnisses zwischen Fakten und Normativität. C. Die teleologische Struktur der Idee des Guten An dieser Stelle können wir genauer betrachten, wie sich die Projektion des Begriffs auffächert. Wir haben gesehen, wie Hegel im obigen Satz die Struktur des Triebs unter Bezugnahme auf seine teleologische Struktur erklärt: Der Begriff ist in der Tat „Zweck, der sich […] Objectivität geben und sich ausführen will“ (GW : ). Diese Kennzeichnung kollidiert sofort mit zwei Fragen: Erstens, was bedeutet es, dass der Begriff einen Zweck hat? Und zweitens: Wie passt das in den allgemeinen Kontext der Logik? Diese beiden Fragen ergeben sich aus einem gemeinsamen Deutungsproblem: Die Zweckmäßigkeit des Guten als der Versuch des Begriffs, sich aus sich selbst heraus zu projizieren, scheint nämlich zu einem Erklärungsmodell zu führen, für das es ein Ideal gibt, das von außen in die Realität zu bringen ist. Dieses Modell beschreibt jedoch das, was Hegel „äusser[e] Zweckmässigkeit“ (GW : ) nennt und was im Abschnitt zur Teleologie in der Logik als defizitär identifiziert wird, indem es auf der Gegenüberstellung von Subjekt und Objekt beruht. Diese Gegenüberstellung wird jedoch im Übergang zur Idee des Lebens, die in der Tat eine Struktur darstellt, die ihren Zweck nicht mehr außerhalb ihrer selbst hat, sondern selbst dieser Zweck ist, definitiv aufgehoben. Das Problem, das sich bei der Idee des Guten stellt, ist also die Wiederholung einer teleologischen Konzeption, die bereits überwunden ist. Hegel selbst erwähnt übrigens das Problem; er weist aber sofort darauf hin, dass hier im Vergleich zum Abschnitt zur Teleologie „der Inhalt […] den Unterschied [ausmacht]“ (GW : ). Einerseits stellt die Idee des Guten tatsächlich einen Rückschritt bezüglich der Idee des Lebens dar: Als Moment der Idee des Erkennens enthält sie nämlich jenen „Gegensatz [der] Einseitigkeit der Subjectivität mit der Einseitigkeit der Objectivität“ (GW : § ), der die Möglichkeitsbedingung der äußeren Zweckmäßigkeit ist und den das Leben aufgehoben hatte. Andererseits ist dieser Gegensatz aber nichts anderes als „reines Unterscheiden [der Idee] innerhalb ihrer selbst“ (GW  Es ist wichtig, den Begriff ‚Teleologie‘ in diesem Zusammenhang nicht mit seiner üblichen Verwendung in der heutigen Ethik zu verwechseln. Auf den Seiten über die Idee des Guten bezieht sich Hegel in der Tat nicht auf eine Konzeption der Maximierung oder der Konsequentialität, sondern auf eine der Realisierung. Unter diesem Aspekt hat die teleologische Konzeption der Idee des Guten maßgebliche Affinitäten, eher als mit dem Utilitarismus von J.S. Mill, mit der Ethik von Aristoteles und einigen seiner gegenwärtigen Nachfolger, wie z. B. Philippa Foot.  Vgl. dazu Pierini (). Zur Relevanz der Zweckmäßigkeit in Hegels Handlungslogik siehe Yeomans (,  – ) und Manchisi (,  – ).

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: § ): Die Trennung von Begriff und Realität bleibt also innerhalb der Einheit der Idee (GW : § ). Die Zweckmäßigkeit der Idee des Guten scheint somit zugleich eine äußere und eine innere zu sein: Sie ist eine äußere, indem sie eine Beziehung zwischen zwei Gegenseiten ist; aber sie ist auch eine innere, da diese Gegenseiten immer ‚Seiten‘ einer einzigen logisch-spekulativen Bestimmung sind. Ein weiterer Aspekt, der hier zu berücksichtigen ist, ist das, was sich aus der Formulierung ergibt, der zufolge der Begriff „der Zweck [ist], der sich durch sich selbst […] Objectivität geben und sich ausführen will“ (GW : ): Die Vernunft strebt nach ihrer eigenen Verwirklichung, da sie selbst einen solchen Zweck setzt. Dieser Aspekt stellt aber auch eine Grenze der Idee des Guten dar. Hegel schreibt: Das ausgeführte Gute ist gut durch das, was es schon im subjectiven Zweck, in seiner Idee ist; die Ausführung gibt ihm ein äusserliches Daseyn; aber da diß Daseyn nur bestimmt ist, als die an und für sich nichtige Aeusserlichkeit, so hat das Gute in ihr nur ein zufälliges, zerstörbares Daseyn, nicht in seiner Idee entsprechende Ausführung erreicht (GW : ). In diesen Zeilen sind einige der Grundelemente, die die praktische Idee nach Hegel charakterisieren, zusammengefasst. Das „Gute“ ist wirklich „gut“ – d. h. es hat normative Reichweite – aufgrund seiner subjektiven Seite bzw. des Begriffs, und es ist in der Tat Letzterer, der sich aus sich selbst heraus projiziert. Solange diese Bewegung jedoch „mit der Bestimmtheit der Subjectivität behaftet“ (GW : ) ist, kann die Idee des Guten den normativen Raum nur mit der Tätigkeit der Vernunft identifizieren und somit der Realität ihren intrinsischen Wert entziehen. Der Verwirklichungsprozess kann so aber nur in der Herstellung eines „nur […] zufällige[n], zerstörbare[n] Daseyn[s]“ (GW : ) enden: Nur wenn die Trennung zwischen diesen beiden Seiten aufgehoben wird, kann das Gute sich „seiner Idee entsprechen[d]“ verwirklichen (GW : ). Gegenüber Mackie hat Hegels Metaethik daher zwei Vorteile: Während Mackie die Projektionstätigkeit aus der bloßen Beobachtung unserer Ansprüche auf moralische Objektivität ableitet, stellt Hegel erstens ein Erklärungsschema auf, das auf der Natur der praktischen Rationalität selbst beruht; die Analyse der Idee des Guten beweist zweitens, dass der ethische Projektivismus sich auf eine Konzeption äußerer Zweckmäßigkeit stützt, was letztlich unbefriedigend ist. D. Die inferentielle Struktur der Verwirklichung Die Idee des Guten ist nicht nur zweckgerichtet, sondern auch inferentiell strukturiert. Hegel spricht nämlich vom „Schluß der […] Realisirung“ (GW : ), „Schluß der äusserlichen Zweckmässigkeit“ (GW : ), „Schlusse des Handelns“

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(GW : ) und „Schlusse des Guten“ (GW : ), und zeigt damit auf, dass das Handeln sich durch vernünftige Vermittlungsprozesse vollzieht. Es ist jedoch gut, sich daran zu erinnern, dass diese Vermittlung einen nicht nur epistemologischen, sondern auch ontologischen Status hat: Es ist die Relation der Subjektivität zur Realität, die den Raum praktischer Normativität bestimmt. In der Tat sind es nicht die formalen Äußerungen, sondern die Seiten der Idee selbst, die abgeleitet werden: In dem Schlusse des Handelns ist die eine Prämisse die unmittelbare Beziehung des guten Zweckes auf die Wirklichkeit, deren er sich bemächtigt und in der zweyten Prämisse als äusserliches Mittel gegen die äusserliche Wirklichkeit richtet (GW :  f.). Die Extreme des Schlusses der Idee des Guten sind der Begriff und die Realität, so dass die Struktur der Inferenz die folgende ist: P) Die praktische Rationalität, die einen „guten Zwec[k]“ (GW : ) verfolgt. P) Die Welt als eine einfache „äusserliche Wirklichkeit“ (GW : ). F) Die Vereinigung der beiden Seiten der Idee. Die erste Prämisse des Schlusses ist der Begriff, der sich objektiviert und versucht, sich äußerlich zu verwirklichen. Hegel schreibt: [D]ie erste Prämisse ihres Handelns ist die unmittelbare Objectivität des Begriffes, wornach, der Zweck ohne allen Widerstand sich der Wirklichkeit mittheilt, und in einfacher, identischer Beziehung mit ihr ist (GW : ). Wir haben gesehen, dass die Projektion für Hegel der Versuch der Subjektivität ist, sich zweckmäßig in der Außenwelt zu realisieren. Mit einem besonders glücklichen Ausdruck spricht Hegel hier vom Zweck, der „sich der Wirklichkeit mittheilt“: Die Handlung des subjektiven Begriffs überträgt sich von seiner Innerlichkeit auf die Äußerlichkeit der Welt und integriert sich perfekt – „ohne allen Widerstand“ – in ihr. Die zweite Prämisse des Schlusses ist, dass die äußere Wirklichkeit als faktische bzw. nicht normativ aufgeladene Dimension verstanden werden muss. Hegel schreibt: [D]ie Wirklichkeit in ihrem Daseyn steht ihm [d. h. dem Guten] nur insofern als die unüberwindliche Schranke gegenüber, als sie noch die Bestimmung un Vgl. zu Hegels Konzeption des Schlusses Sans (). Zur Bedeutung dieser Konzeption für Hegels Handlungslogik siehe Moyar () und Manchisi (,  – ).

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mittelbaren Daseyns, nicht eines Objectiven nach dem Sinne des An und für sichseyns hat (GW : ). Diese Passage ist aus mehreren Gründen für Hegels Konzeption der Idee des Guten aufschlussreich. Zuallererst ist es wichtig zu beachten, wie der Begriff von Wirklichkeit negativ konnotiert ist, d. h. als das, was der normativen Sphäre des Guten „gegenübersteht“ und sie von außen begrenzt; in diesem Sinne ist die Wirklichkeit das Nicht-Vernünftige, das Nicht-Normative, oder: [D]as […] Gleichgültige, nur Bestimmbare, welches seinen Werth nicht in sich selbst hat (GW : ). Wenn wir an diesem Punkt aufhören würden, müssten wir anerkennen, dass das, was Hegel hier darstellt, eine besonders radikale Konzeption von ethischem Antirealismus ist. Die Idee des Guten scheint tatsächlich die Koordinaten eines philosophischen Rahmens zu umreißen, in dem, wie Mackie mit dem Merkwürdigkeitsargument zeigt, die normative Dimension nur auf die privaten Grenzen der Subjektivität zurückgeführt werden kann, weil die Wirklichkeit mit der Welt der ,nackten Fakten‘ koextensiv ist. Das würde aber bedeuten, das tatsächliche Ziel dieser Seiten der Logik nicht zu erfassen. Hegels gesamter Diskurs ist in der Tat darauf ausgerichtet, die epistemologischen und ontologischen Möglichkeitsbedingungen der „Verwirklichung des Guten“ (GW : ) zu verstehen. Seine Analyse zeigt jedoch, dass solche Verwirklichung nicht möglich ist, solange Subjektivität und Objektivität einander gegenübergestellt werden. Wir haben bereits gesehen, dass das Ergebnis dieses Gegensatzes ein „äusserliches […] zufälliges, zerstörbares“ (GW : ) Gutes ist. Die Folgerung des Schlusses der Realisierung ist nicht, wie bei Mackie, die einfache Projektion der subjektiven Moral auf die objektive Welt, sondern die Vereinigung dieser beiden Extreme. Die „Vermittlung“ (GW : ), die „in dem Schlusse des Guten“ (GW : ), so Hegel, erzeugt wird, führt genau zum „Verwirklichtseyn des Guten“ (GW : ). Demzufolge müssen die Seiten über die Idee des Guten als eine strenge Kritik an antirealistischen ethischen Konzeptionen gelesen werden. Aber um zu verstehen, was das für Hegels Metaethik bedeutet, ist es notwendig, den Übergang zur absoluten Idee zu betrachten. V. Die Idee des Guten und das Problem der Wahrheit Die Verwirklichung des Guten erfordert, dass die praktische Rationalität nicht nur äußerlich (d. h. zufällig, wie in Mackies Projektivismus), sondern auch innerlich in der Realität verankert ist. Dies fasst Hegel in der Aussage zusammen, dass „der praktischen Idee noch das Moment der theoretischen fehlt“ (GW : ). Als ‚Spie-

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gelung‘ der praktischen Idee besitzt letztere in der Tat in sich selbst die Koordinaten für ihre ‚Berichtigung‘. Den Übergang zur absoluten Idee zu verstehen, bedeutet deshalb zuallererst, die Beziehung zwischen der Idee des Guten und der Idee des Wahren zu veranschaulichen. Während ich mich in II zunächst mit dem Problem der Objektivität von Normen und Werten und in III mit dem ihres Verhältnisses zur Wirklichkeit beschäftigt habe, möchte ich in diesem letzten Abschnitt IV nochmals ex negativo die Frage nach der Wahrheit in Hegels Metaethik betrachten. Folglich wende ich nun als Bezugnahme für meine Deutung jene Position an, die mehr als jede andere die Wahrheitsansprüche der Moral untersucht (und in Frage gestellt) hat, d. h. den ethischen Non-Kognitivismus. A. Ethischer Non-Kognitivismus Unter ‚ethischem Non-Kognitivismus‘ ist eine Familie von Theorien zu verstehen, der gemäß moralische Äußerungen weder wahrheitsfähig sind noch (rational oder empirisch) begründet werden können. Diese Position zu verstehen, erfordert die Klarstellung von zwei Voraussetzungen, die auch für einen Vergleich mit Hegels Analyse der Idee des Guten unverzichtbar sind: (i) das naturalistische Wirklichkeitsund Wissensverständnis und (ii) die Opposition von Vernunft und Wille. (i) Die Non-Kognitivisten setzen eine radikal naturalistische Konzeption für Begriffe wie ‚Realität‘, ‚Erkenntnis‘ und ‚Wahrheit‘ voraus; dies setzt sich in der ontologischen These um, gemäß der die einzigen Entitäten, die wirklich existieren, diejenigen sind, die von den anerkannten wissenschaftlichen Erklärungen angenommen werden; und in der epistemologischen These, gemäß der man nur mittels der Methoden der Naturwissenschaften zu echter Erkenntnis gelangen kann. In einer naturalistisch verstandenen Welt gibt es jedoch keine ‚moralische Ausstattung‘ (um es mit Mackie zu sagen), auf die sich unsere evaluativen oder präskriptiven Urteile beziehen können und die somit ihre Geltungsansprüche begründen können. Für den Non-Kognitivismus hat es folglich keine epistemische Relevanz, von Gut und Böse oder von dem, was man tun darf, zu sprechen, sondern es ist nur der Ausdruck eines mentalen Zustandes, der Zustimmung zu einem Normensystem oder einer Vorschrift. (ii) Die zweite Voraussetzung dieser ethischen Position ist demnach die dualistische Trennung zwischen dem epistemischen Raum der Vernunft und der konativen Dimension des Willens. Wie bereits erwähnt, setzt der Non-Kognitivismus einen Rationalitätsbegriff voraus, der von den Naturwissenschaften geprägt ist: Die Vernunft ist das Vermögen, das nach der Wahrheit sucht, und daher der  Zum Non-Kognitivismus folge ich Quante (, Kap. ).

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Raum, in welchem es möglich ist, subjektive Glaubensinhalte zu überprüfen (und zu falsifizieren) oder deren objektive Gültigkeit zu beweisen (oder zu widerlegen). Der Wille ist dagegen das Vermögen des Wunsches, der Gefühle und der normativen Einstellungen. Wenn also das Ziel der Vernunft die richtige Erkenntnis ist, dann ist das des Willens die Wirksamkeit, d. h. die Fähigkeit, die Welt durch die Handlung zu bestimmen. Deswegen behauptet der Non-Kognitivismus, dass moralische Äußerungen keine epistemische Reichweite haben und daher keine begründeten Wahrheitsansprüche erheben können. B. Die Idee des Wahren in der Logik Der Non-Kognitivismus hat mehrere Affinitäten zur metaethischen Konzeption der Idee des Guten und kann uns daher helfen, sie zu klären. Insbesondere zwei Themen halte ich hier für relevant: Erstens die allgemeine Frage nach dem Verhältnis von praktischer Rationalität und Wahrheit, die sich bei Hegel in der Feststellung der Grenzen der Idee des Guten und dem Übergang zur absoluten Idee äußert; und zweitens der Dualismus zwischen Vernunft und Wille, der sich sinnvoll mit der Trennung zwischen theoretischer und praktischer Idee vergleichen lässt. Um diese beiden Aspekte zu verstehen, ist es notwendig, sich zunächst mit der Idee des Wahren auseinanderzusetzen. Hegel spricht von ihr als „die theoretische […] Thätigkeit der Idee“ (GW : § ) oder das „Erkennen als solches“ (GW : § ) und definiert sie als den „Trieb des Wissens nach Wahrheit“ (GW : § ). Die Idee des Wahren ist also die Erkenntnisbeziehung des subjektiven Begriffs zur Realität. Wenn die Idee des Guten die logisch-spekulativen Koordinaten der praktischen Rationalität liefert, dann spielt die Idee des Wahren für die theoretische die gleiche Rolle. Hegel beschreibt die allgemeine Dynamik, die ihr eignet, so: Die gesetzte Bestimmung gilt daher ebensosehr als eine nur gefundene Voraussetzung, als ein Auffassen eines Gegebenen, worin die Thätigkeit des Begriffs vielmehr nur darin bestehe, negativ gegen sich selbst zu seyn, sich gegen das Vorhandene zurückzuhalten und passiv zu machen, damit dasselbe nicht bestimmt vom Subjecte, sondern sich, wie es in sich selbst ist, zeigen könne (GW : ).

 Wie bereits erwähnt, ist dies vor allem die These von Halbig (), der die Idee des Wahren als

„Grundgrammatik von Hegels Epistemologie“ deutet. Auf der gleichen Linie, auch wenn sie der Lehre der Idee eine andere Bedeutung geben, bewegen sich auch Fulda (,  – ) und Wildenauer (, Kap.  – ).

Die Idee des Guten bei Hegel

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Im Gegensatz zur Idee des Guten betont die Idee des Wahren den objektiven Wert der Realität und versteht den Begriff als etwas nur Passives: Das Erkennen, das hier thematisiert wird, ist nämlich das „Auffassen“ eines äußerlichen „Gegebenen“, das das Subjekt sich aneignen soll. In dieser Konzeption ist es die Außenwelt – also eine gewisse Konfiguration der Wirklichkeit –, die die Wahrheit des Erkennens bestimmt, so dass die Subjektivität umso mehr ‚beiseitegeschoben‘ werden muss, je weitreichender die Erkenntnisansprüche sind. Hegel unterteilt die Behandlung der Idee des Wahren in „Analytisches Erkennen“ und „Synthetisches Erkennen“. Ich gehe nicht näher darauf ein, weil das die Absicht meines Beitrags übersteigen würde. Was wichtig ist, ist hervorzuheben, dass Hegels Analyse auf äußerst detaillierte und überzeugende Weise zeigt, wie jede Form des Erkennens, selbst die, die sich selbst als ausschließlich rezeptiv darstellt, tatsächlich eine gewisse begriffliche Vertrautheit mit ihren Gegenständen voraussetzen muss, die ihr sonst völlig fremd und daher unverständlich bleiben würden. Aber diese Feststellung führt zwangsläufig zur Umkehrung der Konzeption der theoretischen Idee, bis zu dem Punkt, an dem die Wahrheit nicht mehr als ein äußeres, passiv anzunehmendes Gegebenes verstanden wird, sondern als etwas, das vom Subjekt und seiner Reflexionstätigkeit erzeugt werden muss (und die Binnenmomente des synthetischen Erkennens – die Definition, die Eintheilung und der Lehrsatz – zeugen genau von dieser subjektiven begrifflichen Tätigkeit). Hegel schließt dann ab: In dem synthetischen Erkennen gelangt also die Idee nur insoweit zu ihrem Zweck, daß der Begriff […] für den Begriff wird (GW : ). Und das bedeutet: Die Idee, insofern der Begriff nun für sich der an und für sich bestimmte ist, ist die praktische Idee (GW : ). C. „Was aber der praktischen Idee noch mangelt“ Genau in der Mitte seiner Behandlung der Idee des Guten in der Wissenschaft der Logik widmet Hegel einen Absatz von etwa einer halben Seite der Beziehung zur Idee des Wahren. Der Absatz beginnt mit der Aussage, dass das, „[w]as aber der praktischen Idee noch mangelt“ (GW : ), eine angemessene Einschätzung der Wirklichkeit ist:

 Wie Wildenauer (,  ff.) bemerkt, scheint die Idee des Wahren eine eigenartige Analyse dessen zu liefern, was Wilfrid Sellars „Mythos des Gegebenen“ genannt hat.

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Der praktischen Idee […] gilt diese Wirklichkeit, die ihr zugleich als unüberwindliche Schranke gegenübersteht, als das an und für sich Nichtige, das erst seine wahrhafte Bestimmung und einzigem Werth durch die Zwecke des Guten erhalten solle. (GW : ) Die Wirklichkeit wird also als einfache äußere Gegebenheit verstanden, als ein Raum ohne normativen Wert – sie ist „das an und für sich Nichtige“ –, so dass es, wie wir gesehen haben, Aufgabe der Subjektivität wird, die Vernunft in die Welt zu bringen, d. h. Regeln zu schaffen und den Dingen Sinn zu geben. Mit anderen Worten, nur der Begriff kann dem Sein „Werth“ verleihen, indem er versucht, das Gute außerhalb seiner selbst zu verwirklichen. Hegel fasst dieses Problem so zusammen: Dieser Mangel kann auch so betrachtet werden, daß der praktischen Idee noch das Moment der theoretischen fehlt (GW : ). Ich habe oben bereits erwähnt, dass die Idee des Guten und die Idee des Wahren eine sich exakt spiegelnde Struktur besitzen: Wenn Erstere keinen angemessenen Wert der Wirklichkeit erkennt, betrachtet die Letztere die Subjektivität als etwas bloß Passives. Folglich sind diese beiden Momente der Idee des Erkennens komplementär, insofern der eine notwendig ist, um die Grenzen des anderen aufzuheben. Dieser Punkt ist nicht nur für die Rekonstruktion von Hegels Text, sondern auch für eine allgemeine Bewertung seiner metaethischen Bedeutung besonders relevant. Die Analyse des Verhältnisses zwischen theoretischer Idee und praktischer Idee macht Hegels Kritik an den beiden oben genannten Voraussetzungen des Non-Kognitivismus deutlich, nämlich an der Konzeption der Wirklichkeit als wertlosem Horizont und an der These der Trennung zwischen dem „Trieb des Wissens nach Wahrheit“ und dem „Trieb des Guten zur Vollbringung“ (GW : § ). Hegels Kritik ist in der folgenden Passage zusammengefasst: Der Wille steht daher der Erreichung seines Ziels nur selbst im Wege dadurch, daß er sich von dem Erkennen trennt, und die äusserliche Wirklichkeit für ihn nicht die Form des Wahrhaft-Seyenden erhält (GW : ). Hegel kritisiert hier also: (i) die Trennung zwischen dem Praktisch-Volitionalen und dem TheoretischKognitiven; (ii) das Verständnis der Wirklichkeit als eine reine äußerliche Dimension. Die Aufhebung dieser beiden Einschränkungen, die die Erreichung des Ziels der praktischen Rationalität behindern, bedeutet folglich die endgültige Aufhebung

Die Idee des Guten bei Hegel

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der antirealistischen und non-kognitivistischen Voraussetzungen, die die Idee des Guten bestimmen. Es ist daher notwendig, diese Aspekte näher zu betrachten. (i) Zunächst lassen sich hier zwei Hauptargumente identifizieren, die auf die Kritik an der Trennung zwischen Willen und Erkennen abzielen. Das erste ist das, wofür der Wille für Hegel rezeptiv hinsichtlich des intrinsischen Wertes der Welt als „Wahrhaft-Seyende[s]“ ist. In diesem Sinne muss die praktische Idee den der theoretischen Idee eigenen Charakter der ‚Offenheit‘ gegenüber der Wirklichkeit integrieren, d. h. die Bereitschaft der Vernunft, die Welt als einen mit objektivem Wert ausgestatteten Horizont zu erfassen. Das zweite Argument lautet, dass Hegel die Idee des Guten als Moment der Idee des Erkennens betrachtet. Dies muss jedoch nicht als Priorität des Theoretischen gegenüber dem Praktischen gedeutet werden: Man darf nämlich nicht vergessen, dass diese beiden Dimensionen – das Wahre und das Gute – innere Bestimmungen des Erkennens sind. Und das bedeutet folglich, dass es nicht der praktische Bereich ist, der reduziert wird, sondern der Begriff von ‚Erkennen‘ selbst, der erweitert wird. Der Wille ist also nicht etwas, was neben oder gar gegen die Vernunft steht, sondern er ist – als praktische Rationalität – ein wesentlicher Ausdruck derselben. Für Hegel sind, mit anderen Worten, die theoretische und die praktische Dimension voneinander untrennbar: Es gibt weder Erkenntnis ohne normative und evaluative Reichweite noch einen Willen, der nicht von kognitiven Elementen informiert wäre. Erkenntnis stellt sich also nie in Form einer reinen Beobachtung von Fakten dar: Um ‚wirken‘ zu können, muss sie stets von Regeln und Zwecken informiert werden, die sie orientieren und ihre Ausübung ermöglichen. Ebenso entsteht der Wille nicht ‚im Leeren‘, sondern hat als Ausgangspunkt ein gewisses Vorverständnis der Wirklichkeit, der Dinge, die sich ihr widersetzen, und derer, die sie erleichtern können. In diesem Sinne kann man bei Hegel vielleicht von einem bidirektionalen Passen sprechen: Das heißt, Erkenntnis setzt nicht nur das Passen des Geistes zur Wirklichkeit voraus, sondern in einem gewissen Sinne auch das der Wirklichkeit zum Geist; ebenso erfordert die Handlung nicht nur die Möglichkeit des Passens der Welt zum Willen, sondern auch das des Willens zur Weltgestaltung. (ii) Parallel dazu artikuliert Hegel eine scharfe Kritik an der Dichotomie zwischen Fakten und Werten. Wenn er nämlich von der Notwendigkeit spricht, auch der „äusserliche[n] Wirklichkeit […] die Form des Wahrhaft-Seyenden“ (GW : ) zuzugestehen, so zielt er darauf, einerseits die Vorstellung von der Außenwelt als „Realität der Erscheinung“ und andererseits das Verständnis des Guten als „eines bloß subjectiven […] Zwecks“ als „an und für sich nichtig“ auszuweisen (GW : ). Auf diese Weise dekonstruiert Hegel die non-kognitivistische Trennung  Zum ethischen Kognitivismus Hegels vgl. Quante (), Ostritsch (, Kap. ) und Manchisi (, Kap. ).

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zwischen einem „suchende[n] Erkennen“ (GW : ), das die „objective Welt ohne die Subjectivität des Begriffes“ (GW : ) anspricht, und einer „subjective[n] Thätigkeit“ (GW : ) des Willens, kraft derer „die äussere Wirklichkeit verändert […] wird“ (GW : ). Indem er einige Argumente vorwegnimmt, die im . Jahrhundert u. a. von Iris Murdoch, John McDowell und Hilary Putnam entwickelt wurden, zeigt Hegel also, dass die Aufhebung der Dichotomie von Fakten und Werten eine Neukonzipierung des Verhältnisses des Denkens zur Realität selbst erfordert. D. Der Übergang zur absoluten Idee Die Überwindung der Grenzen der Idee des Guten stellt daher gleichzeitig eine Wiederherstellung der Idee des Wahren und den Übergang zur absoluten Idee dar. Das ist der Grund, weshalb Hegel schreibt: Die absolute Idee, wie sie sich ergeben hat, ist die Identität der theoretischen und der praktischen, welche jede für sich noch einseitig, die Idee selbst nur als ein gesuchtes Jenseits und unerreichtes Ziel in sich hat (GW : ). Die absolute Idee ist also zunächst die Vereinigung der beiden getrennten Momente der Idee des Erkennens und damit ihre Verwirklichung, d. h. die Ausführung dessen, was sie suchen, aber nicht erreichen können (GW : § ). Die absolute Idee ist also nicht nur „das Wahre an und für sich“ (GW : § ), sondern auch „die Wahrheit des Guten“ (GW : § ), d. h. die volle Entfaltung der praktischen Rationalität. Ich werde in die Analyse der absoluten Idee nicht tiefer einsteigen, da dies die Grenzen meiner Untersuchung überschreiten würde. Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich jedoch noch auf die Bedeutung eingehen, die diese abschließende Passage der Logik für eine metaethische Theorie haben kann. Der beste Punkt, auf den man sich dazu beziehen sollte, ist genau die Stelle, die den Abschnitt über die Idee des Guten in der Wissenschaft der Logik abschließt, wo Hegel schreibt: In diesem Resultate ist hiermit das Erkennen hergestellt, und mit der praktischen Idee vereinigt, die vorgefundene Wirklichkeit ist zugleich als der ausgeführte absolute Zweck bestimmt, aber nicht wie im suchenden Erkennen, bloß als objective Welt ohne die Subjectivität des Begriffes, sondern als objective Welt,  Vgl. Murdoch (), McDowell (), Putnam (). Zu Hegel vgl. Siep (b), Quante (, Kap. ), Ostritsch (, Kap. ), Halbig (), Manchisi (,  ff.).  Ich sage ‚zunächst‘, weil die absolute Idee auch „die Rückkehr zum Leben“ (GW : ) ist.

Die Idee des Guten bei Hegel

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deren innerer Grund und wirkliches Bestehen der Begriff ist. Diß ist die absolute Idee (GW : ). Wenn wir den Beitrag dieser Zeilen zu einer metaethischen Konzeption zusammenfassen wollen, können wir die folgenden Grundpunkte festhalten: (i) Die Rationalität stellt sich als „das Erkennen […] mit der praktischen Idee vereinigt“ dar; (ii) als „der ausgeführte absolute Zweck“ und identifiziert sich mit der „Wirklichkeit“. (iii) Diese „Wirklichkeit“ zeigt folglich nicht das einfache, äußere Gegebene, sondern die „objective Welt“, die „die Subjectivität“ einschließt. (iv) Die Rationalität ist deswegen die „Wirklichkeit“ als Einheit von „Begriff“ und „Welt“. Während der Punkt (i) als die Verteidigung einer kognitivistischen Position gelesen werden kann, umreißen die Punkte (ii), (iii) und (iv) eine Position, die sich eher als eine besondere Form von Realismus deuten lässt. (i) Die epistemologische und ontologische Reichweite der Logik und damit auch des Übergangs von der Idee des Guten zur absoluten Idee erlaubt es Hegel, zu erklären, wie die praktische Vernunft nicht nur sich als praktische Realität bestimmt, sondern auch, wie sie epistemisch zugänglich ist. Hegel verteidigt daher eine Form des ethischen Kognitivismus, d. h. eine Position, die unsere Urteile über Normen und Werte für wahrheitsfähig und damit für begründbar oder kritisierbar hält, und deshalb räumt er ein, dass es auch im moralischen Bereich Erkenntnis gibt. (ii-iv) Beim Beschreiben des Übergangs zur absoluten Idee legt Hegel auch die Grundlagen für eine realistische ethische Konzeption. Wie in den obig zitierten Zeilen eindeutig zum Ausdruck gebracht wird, ist die praktische Rationalität nicht mehr, wie in der Idee des Erkennens, der äußeren Realität gegenübergestellt, sondern ein Teil davon: Der Begriff ist nun „objective Welt“. Wenn jedoch einerseits die Aufhebung der Idee des Guten und damit des Gegensatzes zwischen Subjekt und Objekt die antirealistische Perspektive ausschließt, so ist sie andererseits selbst mit den radikaleren Versionen des Realismus, die Normativität und Realität völlig identifizieren, unvereinbar. Gemäß Hegels logischer Konzeption muss die Aufhebung in der Tat als eine Vereinigung gedacht werden, die zugleich den Unterschied bewahrt. In diesem Sinne sind in der absoluten Idee Subjektivität und Objektivität weder gegensätzlich noch identisch, sondern in dem, was wir als eine relationale Einheit verstehen können, wechselseitig bestimmt, d. h. als eine Einheit, in der die Teile in einer Beziehung der Interdependenz oder, besser gesagt, der gegenseitigen Vermittlung stehen. Aus metaethischer Sicht hat dies eine doppelte Implikation: Erstens bedeutet diese

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These, dass Normen und Werte weder etwas sind, das einfach völlig unabhängig von Subjektivität in der Welt ‚steht‘, noch etwas, das von Menschen lediglich ‚erfunden‘ wird, sondern etwas, was durch die Interaktion zwischen objektiver Realität und menschlichem Handeln erzeugt wird (z. B. kann es uns zum Handeln drängen, eine Person in Gefahr zu sehen, um ihr zu helfen). Auf einer umfassenderen Ebene ist die praktische Normativität als ein Modus zu verstehen, in dem sich die Idee als absolute Subjektivität als natürliche Welt (so dass wir z. B. physischen Schmerz als ein Böses verstehen können) sowie als soziale Welt (so dass wir Armut oder Ungerechtigkeit als moralische Probleme verstehen) entfaltet und sich durch die (praktische) Reflexionstätigkeit der Menschen selbst erkennt. Insofern die absolute Idee eine relationale Einheit ist, stellen diese beiden Ebenen – die der Endlichkeit und die des Absoluten – also dasselbe dar, aber aus zwei verschiedenen Perspektiven: Im ersten Fall werden Normen und Werte als Relationen innerhalb der Idee begriffen, im zweiten Fall sind sie Modi der Relation der Idee zu sich selbst. Diese Konzeption hat einige Ähnlichkeiten mit der gegenwärtigen Position des schwachen ethischen Realismus. Die Hauptthese dieser Position lautet, dass es normative Entitäten gibt, die unsere moralischen Ansprüche begründen und die nicht völlig unabhängig von unseren subjektiven Leistungen sind. Diesem Realismus gemäß sind also Normen und Werte Relationen, die nur in der Vereinigung von Geist und Welt erfasst werden können, was folglich sowohl die antirealistische Position, die die Normativität als Erfindung oder Konstruktion darstellt, als auch die des starken (oder naiven) Realismus, die sie als eine ganz subjektivitätsunabhängige Instanz betrachtet, ausschließt. Gleichzeitig aber erlaubt uns Hegels Konzeption, indem sie Subjektivität und Objektivität als Momente der Entfaltung der in die Realität eingebetteten Rationalität betrachtet, die Normativität, wie bereits erwähnt, als eine intrinsische Relation der Relata zu denken. Der gegenwärtige schwache Realismus, zumindest bei einigen seiner Vertreter, scheint stattdessen das Verhältnis zwischen Geist und Welt als eine extrinsische Relation zu begreifen, d. h. als eine Distanz, die irgendwie zu ‚überbrücken‘ ist; und deshalb scheint er Normen und Werte einerseits mit der Struktur der äußeren Gegenstände zu identifizieren, um ihre Objektivität zu sichern, und andererseits mit den im Subjekt verursachten Zuständen, um ihre epistemische Zugänglichkeit zu erklären. Ein eindeutiges Beispiel für dieses Schwanken ist die in dieser Position wiederkehrende Analogie zu den so genannten ‚sekundären Qualitäten‘.

 Vgl. Quante (,  ff.). Varianten der schwachen realistischen Position in der gegenwärtigen

metaethischen Debatte sind die von Hilary Putnam, David Wiggins und John McDowell verteidigten. Für einen Vergleich der Position Hegels mit der dieser Autoren siehe Ostritsch (,  – ).  Vgl. z. B. McDowell (, Kap. ).

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Für Hegel hingegen sind Normen und Werte weder (ganz) subjektiv noch (ganz) objektiv, sondern ein Modus, in dem sich die Objektivität der Vernunft oder der „innere Grund“ (GW : ) der Welt manifestiert. Auf diese Weise ist es dann möglich, dem Bereich der praktischen Normativität gleichzeitig die Merkmale der Realität (d. h. der Existenz) und der Vernünftigkeit (d. h. der Intelligibilität) zuzuschreiben und damit auf beide Varianten von Mackies Merkwürdigkeitsargument zu antworten. So gelesen erlaubt der Übergang zur absoluten Idee es daher, das Gute nicht nur als eine echte Eigenschaft der Dinge zu verstehen, sondern auch als eine intelligible bzw. nicht transzendente Eigenschaft hinsichtlich der endlichen Vernunft und veränderbare bzw. durch die Praktiken der Menschen bestimmbare und korrigierbare Struktur. Und Grund dafür ist, dass die Rationalität, die diese Struktur bildet – das, was Hegel „das Verwirklichtseyn des Guten“ (GW : ) nennt – dieselbe Rationalität ist, die den Menschen belebt und die je nach der Stufe ihrer Entwicklung und Selbsterkenntnis unterschiedliche Gestaltungen annimmt. VI. Schlussbemerkungen Meine Absicht in diesem Beitrag war es, die Seiten über die Idee des Guten in der Wissenschaft der Logik und in der Enzyklopädie als metaethische Reflexion zu deuten und dabei hoffentlich ihren begrifflichen Kern zu klären. Ich habe daher versucht, zu zeigen, wie Hegels Behandlung in einer logisch-spekulativen – und damit gleichzeitig ontologischen und epistemologischen – Analyse des Verhältnisses zwischen praktischer Rationalität und Realität besteht. Da dies ein Moment der Idee ist, dessen Endziel seine eigene Aufhebung ist, erlaubt die Idee des Guten eine Klarstellung dieses Verhältnisses vor allem in negativer Hinsicht. Folglich hat sich meine Analyse weitgehend mit den metaethischen Modellen beschäftigt, die mit Hegels Konzeption erfolgreich kritisiert werden können. Zu diesem Zweck habe ich drei grundlegende metaethische Fragen als Bezugsrahmen genommen, nämlich (i) das Problem der Objektivität, (ii) das Problem der Realität und (iii) das Problem der Wahrheit. (i) In der Auseinandersetzung mit der metaethischen Position des kantianischen Konstruktivismus (III) stellte sich heraus, dass für Hegel Objektivität im moralischen Bereich nicht nur als subjektive Selbstbestimmung, sondern auch als Selbstverwirklichung zu begreifen ist. (ii) Aus der Auseinandersetzung mit der metaethischen Position des Projektivismus (IV) stellte sich dann heraus, dass diese Selbstverwirklichung für Hegel nicht als einfache Projektion eines inneren Inhalts in die äußere Welt zu denken ist, sondern die Einheit von Subjektivität und Objektivität voraussetzen muss, so dass einerseits das Subjekt strukturell offen für die Wirklichkeit (und damit nicht als eine

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von der Welt losgelöste Innerlichkeit bestimmt wird) und andererseits die Welt selbst der Subjektivität zugänglich ist. (iii) In der Auseinandersetzung mit der Position des ethischen Non-Kognitivismus (V) stellte sich dann heraus, dass die Einheit von Subjektivität und Objektivität es auch ermöglicht, die Trennung zwischen Theoretischem und Praktischem, d. h. zwischen Erkenntnis- und Willensbereich, zu überwinden und Wahrheits- und Rechtfertigungsansprüche auch im moralischen Bereich zu erheben. Durch diese Ausschlüsse konnte daher behauptet werden, dass Hegel eine metaethische kognitivistische und realistische Position verteidigt, gemäß der die Relationen zwischen uns und der Welt normative Reichweite haben und daher imstande sind, die Wahrheit oder Falschheit unserer moralischen Überzeugungen zu bestimmen. Auf diese Weise vollzieht die Aufhebung der Idee des Guten die Bestimmung der Idee als „Einheit des Begriffs und der Objectivität“ (GW : § ) und ermächtigt sie somit, den Raum praktischer Normativität als tatsächlich wirklich und vernünftig zu verstehen.* Siglen GW Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Gesammelte Werke. In Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft herausgegeben von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. Hamburg,  ff. NE Aristoteles. Nikomachische Ethik. Herausgegeben von Franz Dirlmeyer. Stuttgart, .

Literatur Bagnoli, Carla. . „Constructivism in Metaethics“. The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter  Edition), herausgegeben von Edward N. Zalta (http://plato. stanford.edu/archives/win/entries/constructivism-metaethics; letzter Zugriff: ..). Deligiorgi, Katerina. . „Die Idee des Guten“. Hegel-Jahrbuch:  – . Dunaway, Billy. . „Realism and Objectivity“. In: The Routledge Handbook of Metaethics, herausgegeben von Tristram McPherson und David Plunkett,  – . London/New York. Düsing, Klaus. . Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik. Bonn. *Ich danke Francesca Menegoni, Luca Illetterati und Michael Quante aufrichtig für ihre beständige, sowohl akademische als auch persönliche Unterstützung. Ich danke auch Klaus Müller und Markus Gante für ihre Hilfe bei der sprachlichen Überarbeitung des Textes.

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Giulia Battistoni und Thomas Meyer HANDLUNG, VORSATZ, SCHULD Karl Ludwig Michelet als Interpret der hegelschen Handlungstheorie*

ABSTRACT:

In this paper we will present the dissertation of Karl Ludwig Michelet () on the concepts of dolus and culpa, which represents a re-elaborated version of some difficult passages of Hegel’s Morality chapter of the Elements of the Philosophy of Right, integrated and explicated through Aristotle’s ethics and legal concepts. This work has never been done up to now, although it is worth doing. We will in particular focus on chapter one and chapter two of Michelet’s dissertation, which deal with the conditions of imputation of actions and with the legal concepts of dolus and culpa. Since Michelet developed some of the issues of his dissertation in his later book System der philosophischen Moral (), in particular the first chapter of this book, dealing with imputation of actions, cannot be overlooked. It will be finally possible to compare Michelet’s two works together with Hegel’s text: Michelet’s constant and explicit reference to Aristotle’s ethics will become clear and it will prove to be fruitful even in the understanding of the concepts of dolus and culpa. Particular attention will be given to Michelet’s understanding of the dolus indirectus.

I. Einleitung Bekanntlich hat sich kurz nach Hegels Tod  schnell eine Schülerschaft formiert, wobei sich ebenso schnell verschiedene Lager bildeten. Diese wiederum haben sich an bestimmten Grundsatzfragen bezüglich des hegelschen Systems gespalten. Die Gründung des Vereins von Freunden des Verewigten () und die von diesem Verein herausgegebene erste Gesamtausgabe aller Schriften Hegels inklusive verschiedenster Vorlesungsmit- und Nachschriften kann als Initialereignis der Formierung der Hegelschule angesehen werden. Was hier genau unter Schüler zu verstehen ist, bleibt hingegen recht unbestimmt. In einem weiten Sinne waren all diejenigen Schüler Hegels, die sich von seiner Philosophie haben beeinflussen lassen, die vielleicht seine Vorlesungen besucht und die dort präsentierten Inhalte in ihren eigenen Überzeugungshaushalt aufgenommen haben. Neben diesem wei*Dieser Aufsatz ist ein Gemeinschaftsprojekt, wobei Giulia Battistoni hauptsächlich für Kap. II und IV.A, Thomas Meyer für Kap. I, III und IV.B verantwortlich zeichnet.  Was nicht bedeuten soll, dass sich nicht bereits während der regen Vorlesungstätigkeit Hegels in Berlin eine Schülerschaft um ihn versammelt hätte. Als immer noch sehr guter Ein- und Überblick hierzu Ottmann ().  Eine Ausnahme stellt hier sicherlich Abegg dar, der bereits Schüler Hegels auf dem Nürnberger Gymnasium gewesen ist. Siehe dazu die Anmerkung in den Briefen Hegels (B: ).

Hegel-Studien  · © Felix Meiner Verlag · ISSN -

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GIULIA BATTISTONI

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THOMAS MEYER

ten Sinne der Schülerschaft kennen wir heute auch noch einen engeren Sinn. Ein Kriterium, über das nämlich heute oft ein Schüler*in-Lehrer*in-Verhältnis bestimmt wird, ist dasjenige der Promotion. Schüler*in ist diejenige, die von der jeweiligen Person promoviert wurde. Von den vielen Schülern Hegels gilt dies wenigstens für Karl Ludwig Michelet. Michelet ist  von Hegel in Berlin mit einer Arbeit Über die Begriffe des Vorsatzes und der Schuld im Strafrecht promoviert worden. Allein diese Tatsache der Schülerschaft macht es lohnend, sich einmal mit dieser Dissertation Michelets inhaltlich auseinanderzusetzen. Allerdings lassen sich noch weitere wichtige Gründe anführen. Die Dissertation handelt wesentliche Themen des zweiten Teils von Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts, der „Moralität“, ab. Nur handelt es sich bei Michelets Dissertation um eine -seitige Monographie, wohingegen dasselbe Thema in den Grundlinien lediglich in wenigen §§ abgehandelt wird. Bedenkt man, dass Hegel Michelets Dissertation betreut hat, dann lässt sich dieser Text

 Wenn es möglich ist, werden wir diese inklusive Form verwenden. In den Fällen, in denen es zu umständlich ist, beide Geschlechter zu nennen, bzw. diese zweifache Nennung selbst nicht vollinklusiv wäre, werden wir häufig die feminine Version verwenden, die aber auch dann natürlich vollinklusiv gemeint ist.  Sicher kann man noch die Promotion Leopold von Hennings () hinzuzählen. Hegels Bitte um Zweitgutachten für Henning ist in Grüne (, ) veröffentlicht.  So die deutsche Übersetzung des lateinischen Titels: De doli et culpae in jure criminali notionibus. In bisheriger Ermangelung einer Übersetzung der Dissertation Michelets handelt es sich bei allen folgenden Zitaten daraus um unsere Übersetzungen.  Michelet berichtet in seiner Autobiographie, dass er Hegel um Rat fragte, in welchem Fach er promovieren solle. Hegel schlug Michelet die Rechtswissenschaft und als Thema „‚die Lehre von der Zurechnung der menschlichen Handlungen‘ vor. Ich begriff und befolgte diesen sehr vernünftigen Rat augenblicklich. Und so entstand meine Dissertation: De doli et culpae in jure criminali notionibus“ (zitiert nach Nicolin , ; vgl. Michelet ,  ff.). Moser (,  – ) erwähnt nur, dass Michelet „unter Hegels Betreuung eine rechtsphilosophische Dissertationsarbeit“ anfertigte, „die sich mit der Zurechnung menschlicher Handlungen beschäftigte“. In der dieser Behauptung entsprechenden Fußnote verweist Moser auf Michelets Dissertation De doli et culpae in jure criminali notionibus. Dissertatio inauguralis phiolosophica. Klaus Vieweg weist in seiner Hegelbiographie in einem Kapitel zur „Moralität“ und Hegels Thematisierung des Handelns auf Folgendes hin: „In diesem Zusammenhang wird die Ethik des Aristoteles gewürdigt: Zum Besten von Aristoteles gehöre das, was er über den Willen, die Freiheit, über weitere Bestimmungen der Imputation, Intention usf. gedacht hat“ (TWA : ). Hegel betraute seinen Schüler Michelet mit der Erschließung dieser Gedanken“ (Vieweg ,  En.  und der entsprechende Haupttext auf S. ).  Michael Quante unterstreicht Folgendes: „Karl Ludwig Michelet hat als Erster versucht, die Struktur des Moralitätskapitels als Handlungstheorie zu rekonstruieren“ (Quante , ). Quante bezieht sich hier aber sowie auch in seinem früheren Werk Hegels Begriff der Handlung () nur auf Michelets reiferes System der philosophischen Moral (). Wenn aber die Behauptung Quantes für die spätere Schrift gilt, dann noch mehr für Michelets Dissertation, welche die ersten Gedanken entwickelt, die dann im System ausgearbeitet werden.  Hegel hatte in der Vorrede selbst darauf hingewiesen, dass das Vorlesungskompendium der Grundlinien insbesondere im Haupttext lediglich die „Zusammenstellung und Ordnung der wesentlichen Momente eines Inhalts“ (GW ,: ) enthalte.

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möglicherweise als eine Quelle heranziehen, um zentrale Abschnitte der Moralität ebenfalls besser zu verstehen. Drittens wird Michelet lediglich manchmal in Arbeiten erwähnt, die sich mit Hegels Handlungstheorie oder allgemein mit den ersten Abschnitten der Moralität beschäftigen. Hierbei wird allerdings immer nur auf die Schrift von  verwiesen, die den Titel trägt Das System der philosophischen Moral, mit Rücksicht auf die juridische Imputation, die Geschichte der Moral und das christliche Moralprinzip (= System). Allerdings bleibt es dann häufig auch nur bei einigen wenigen Bemerkungen zu dieser Schrift. Nun wird also auch das System, das man oberflächlich betrachtet durchaus als eine Langfassung der hegelschen Moralitätslehre verstehen könnte, nicht eigens untersucht. Zwar ist auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser Schrift lohnenswert, jedoch spricht eine genauere Lektüre dafür, dass Michelet sich darin bereits ein ganzes Stück weit von seinem Lehrer emanzipiert hatte, was sich etwa in seinem sehr starken Aristotelesbezug zeigt. Diese Vermutung der Emanzipation wird noch verstärkt durch einen Beitrag in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik, in der Michelet Hegels Zukunftsskepsis bezüglich der Reichweite der Philosophie eine prospektive Haltung entgegenstellt. Ist man an der Dissertation Michelets interessiert, wird allerdings ein Vergleich mit dem ersten Buch der späteren Monographie von Interesse sein, da dieses eben genau den Bereich der ‚juridischen Imputation‘ und damit das Thema der Dissertation abhandelt. Schließlich ist Michelets Dissertation auch strafrechtshistorisch interessant, sowohl, weil Michelet mit der Arbeit eine auch strafrechtswissenschaftlich interessante Arbeit vorgelegt hat, als auch, weil er in dieser Arbeit selbst strafrechtswissenschaftliche Literatur seiner Zeit verarbeitet.

 Quante (; ), Vieweg (), Jakobs ().  Quante (; ) diskutiert allerdings mehrmals kritisch Michelets stark an Aristoteles an-

gelegte Analyse. Allerdings bleibt auch seine Diskussion Michelets auf die Schrift von  beschränkt. Britta Caspers nennt zumindest Michelets Dissertation und verbindet die Kennzeichnung Michelets als Schüler Hegels damit. Jedoch geht sie dann in der Folge nur auf das System ein, das von „maßgeblicher Bedeutung“ sei für „Versuch und Weiterentwicklung des Handlungsbegriffs Hegels in strafrechtlicher Absicht“ (Caspers , ).  Die stärker aristotelisch geprägte Zurechnungslehre hatte Michelet in der kleinen Schrift Die Ethik des Aristoteles in ihrem Verhältnisse zum Systeme der Moral  vorbereitet. Diese aristotelischen Züge in Michelets Handlungs- und Zurechnungslehre sind übrigens vom sogenannten ‚Berliner Aristotelismus‘ zu unterscheiden. Für Letzteren siehe Ficara () mit weiteren Angaben.  Siehe das Zitat und den Hinweis darauf in Moser (, ).  Aber auch die strafrechtswissenschaftliche Literatur bespricht, wenn überhaupt, nur die spätere Monographie: Larenz (), Bubnoff (), Holl (), Böning (), Pawlik (). Für den strafrechtlichen Hegelianismus im . Jahrhundert siehe Meyer (b) und die Beiträge in Kubiciel/ Pawlik/Seelmann (); für den strafrechtlichen Hegelianismus im . Jahrhundert siehe Meyer ().

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Im Folgenden soll also eine Auseinandersetzung mit Michelets Dissertation vorgenommen werden. Um eine solche Auseinandersetzung im Rahmen eines Aufsatzes zu halten, werden wir uns auf die ersten beiden Kapitel dieser Schrift beschränken (II). Um zu überprüfen, ob und in welchem Sinne das erste Buch des Systems von der Dissertation abweicht, werden wir uns im Anschluss diesem widmen (III). Für die Fälle, bei denen sich Michelet in der späteren von der früheren Schrift entfernt, hat man wiederum einen weiteren Grund, die Dissertation als eine zusätzliche und interessante Quelle zu Hegels Moralitätslehre zu betrachten. In einem dritten Schritt werden wir daher überblickshaft einen Vergleich der Dissertation mit dem System vornehmen (IV). Hierbei soll gezeigt werden, dass Michelet tatsächlich eine Entwicklung hin zu einem stärker aristotelischen Verständnis unternimmt. Dazu besprechen wir zum einen die Unterscheidung zwischen unwissentlichem Handeln und Handeln aus Unwissenheit (IV.A). Zum anderen werden wir auf das strafrechtshistorische Interesse Michelets eingehen – hier soll die strafrechtswissenschaftliche Figur des dolus indirectus betrachtet werden (IV.B). Insofern sollen in diesem Aufsatz erstmals die zentralen Gedankengänge sowohl der Dissertation als auch des entsprechenden Teils des Systems dargestellt werden. Bevor wir beginnen, noch eine Anmerkung zur Terminologie. Eine Schwierigkeit, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Hegel, Michelet, dem damaligen und dem heutigen Strafrecht klar zu fassen, besteht darin, dass bestimmte sprachliche Ausdrücke für Verschiedenes verwendet werden. Das gilt für die ausdrücke ‚Vorsatz‘, ‚Absicht‘, ‚Schuld‘, ‚Fahrlässigkeit‘ und entsprechende lateinische Ausdrücke wie ‚propositum‘, ‚dolus‘, ‚culpa‘, oder ‚intentio‘. Um Missverständnissen vorzubeugen, werden wir insbesondere in der Darstellung der Dissertation meist den lateinischen Ausdruck kursiviert verwenden. Außerdem kann hier bereits festgehalten werden, dass es bei der Verwendung von ‚Schuld‘, ‚verschuldet‘ und ähnlichen Ausdrücken in der Folge nicht um das Thema geht, das im heutigen Strafrecht unter ‚Schuld‘ als dritter Prüfebene eines vollendeten Erfolgsdeliktes diskutiert wird. II. Michelets Dissertation Geboren am . Dezember  in Berlin, nahm Karl Ludwig (Charles Louis) Michelet  sein Studium der Rechtswissenschaft an der Berliner Universität auf, an die Hegel ein Jahr zuvor berufen worden war. Trotz seines Studienfaches besuchte er Philosophievorlesungen und begeisterte sich zunehmend für Hegels Philosophie. Schließlich schloss er die erste Staatsprüfung ab und schrieb parallel zu  Siehe das Curriculum vitae am Ende der Dissertation (, ) und Moser (,  ff.).

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seinem juristischen Referendariat die Dissertation über die Begriffe des dolus und der culpa, die in diesem Abschnitt genauer betrachtet werden soll. Michelet verteidigte diese Arbeit am . September  öffentlich. Sie stellt eine erste bedeutsame Rezeption eines Teils der hegelschen Rechtsphilosophie dar. Im Folgenden werden die wichtigsten Aspekte des Inhaltes der Dissertation referiert. A. Die Dissertation im Überblick Michelets Dissertation ist in eine Einleitung („Introductio“) und drei Kapitel eingeteilt („Caput Primum: De imputatione actionum“, „Caput Secundum: De doli et culpae notionibus“ und „Caput Tertium: Historia doli et culpae“). Da wir uns in diesem Aufsatz auf das erste und zweite Kapitel fokussieren, seien die Einleitung und das dritte Kapitel zur Begriffsgeschichte von „Vorsatz“ und „Schuld“ hier nur kurz dargestellt. In der Einleitung macht Michelet das Ziel der Abhandlung explizit: die strafrechtlichen Begriffe des Vorsatzes (dolus) und der Schuld (culpa) sollen philosophisch behandelt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, stellt er einige Prinzipien (axiomata oder lemmata) voran, die die Grundlage des nachfolgenden Gedankengangs bilden. Hierzu gehören die Begriffe des Geistes (Spiritus) und der Vernunft (Ratio). Darauf aufbauend führt er den Begriff des wahren bzw. freien Willens (vera voluntas) ein, als einen Willen, der „sich selbst will“. In der Folge rekonstruiert Michelet die Begriffe und Argumente des „abstrakten Rechts“ der Grundlinien Hegels, um das Strafrecht und die retributivistische Begründung der Strafe einzuführen. Zunächst wird über den Begriff der Person der Begriff des Eigentums (dominium) eingeführt, welcher seinerseits durch die Begriffe der Besitznahme (occupatio), des Gebrauchs (usus) und der Entäußerung (alienatio) einer Sache ganz im Sinne Hegels weiter bestimmt wird. Daraufhin führt Michelet den Vertrag als eine  Michelet (,  – ).  „Über die Zurechnung der Handlungen“ (Michelet ,  – ).  „Über die Begriffe des Vorsatzes und der Schuld“ (Michelet ,  – ).  „Geschichte des Vorsatzes und der Schuld“ (Michelet ,  – ). Die Arbeit wird be-

schlossen mit  Thesen und einem Curriculum vitae ( – ).  Eine zusammenfassende Beschreibung der Arten der Zurechnung und der wichtigsten Merkmale des dolus und der culpa bei Michelet findet sich in Battistoni (,  – ).  Michelet (,  – ). Michelet unterstreicht auch die Einheit von Wille und Intelligenz. Diese These vertrat auch bereits Hegel explizit sowohl in den Grundlinien der Philosophie des Rechts (GW ,: § ) als auch in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (GW : §§  – ). Vgl. Michelet (, ).  Michelet , : „se ipsam volens“. Auch hier wieder Hegel: „der abstracte Begriff der Idee des Willens ist überhaupt der freye Wille, der den freyen Willen will.“ (GW ,: § ).  Vgl. GW ,: §§  –  und Michelet (, , Fn. ).

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Verpflichtung (obligatio) ein, welche entweder einseitig (unilateralis) oder zweiseitig (bilateralis) bzw. gegenseitig sein kann, wenn z. B. zwei Personen als Eigentümerinnen gegenseitig ihr Eigentum/ihre Leistungen tauschen. Aus dem Widerspruch zwischen dem allgemeinen und dem besonderen Willen geht schließlich der Begriff des Verbrechens (crimen) hervor. Dieses versteht Michelet als Verletzung des Rechtes, als Verletzung des freien Willens. Durch seinen Willen erklärt der Verbrecher, dass der freie Wille aufgehoben werden soll. Dadurch ergebe sich die Berechtigung, dasselbe Gesetz, das durch das Verbrechen selbst aufgestellt wurde, gegen den Verbrecher zu wenden (vgl. Michelet , f.). Hiermit begründet Michelet ganz in Hegels Sinne die Strafe als Vergeltung (retributio). Ebenso an Hegels Argumentation angelehnt ist die Abgrenzung der strafenden von der rächenden Gerechtigkeit. Als Reaktion gegen das Verbrechen fungierte ursprünglich die Rache (ultio), welche zwar der Materie nach Recht, der Form nach aber Unrecht ist. Denn die Form der rächenden Vergeltung besteht in einem besonderen Willen, welcher mit dem Recht zusammenfallen kann oder auch nicht: somit veranlasst die Rache eine neue Verletzung, welche wiederum aufgehoben werden soll. Dies hat eine unendliche Reihe von Verletzungen zur Folge. Der Übergang von der Person zum Subjekt ist gekennzeichnet durch einen Perspektivwechsel von der äußeren Betrachtung des Rechts auf eine äußere Sache hin zur inneren Perspektive und damit Grundlage des Rechts innerer freier Willensbestimmung (vgl. Michelet , ). Damit, also mit dem Begriff des Subjekts und des besonderen bzw. moralischen Willens, hat Michelet das Thema der Zurechnung erreicht. Durch den Richter, welcher die Gesetze als den allgemeinen Willen durchsetzt, und durch das richterliche Urteil geht die Rache in Strafe über. Diese gilt dann als Vergeltung, die nicht nur dem Inhalt, sondern auch der Form nach Recht ist. Als gerechte Vergeltung stellt also die Bestrafung des Verbrechens das Recht wieder her und hebt die Verletzung des Rechts auf (Michelet , ). Bis zu diesem Punkt folgt Michelet also Hegels Argumentation in den Grundlinien. Da ein Verbrechen sowohl aus einem verursachten Schaden (dato damno) als auch aus der Absicht der Täterin bzw. aus deren Gemüt (animo) besteht, werden  So auch Hegels Hinweis auf das Problem der rächenden Gerechtigkeit: „Die Rache wird hiedurch, daß sie als positive Handlung eines besondern Willens ist, eine neue Verletzung: sie verfällt als dieser Widerspruch in den Progreß ins Unendliche und erbt sich von Geschlechtern zu Geschlechtern ins Unbegrenzte fort.“ (GW ,: § ). Michelet verweist auch selbst in einer Fußnote auf die §§  –  der Grundlinien, die das Thema des Unrechts behandeln.  Michelet (,  – ). Michelet fügt noch hinzu: „retributioque vera est doctrina, quae et sola justam poenae mensuram […] in se continet“, Michelet (, ). Nicht nur sei die Vergeltung die wahre Lehre, sondern sie alleine könne auch noch das gerechte Maß für die Strafe bestimmen.  Zumindest in den Grundzügen.

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durch die Vergeltung sowohl der Schaden als auch die böse Gesinnung der Täterin ‚korrigiert‘ bzw. wird der Schaden ersetzt/beglichen (denken wir an den Schadenersatz des Zivilrechts) und die Täterin irgendwie rehabilitiert. Die Gesinnung als innerer Teil des Verbrechens besteht aus Vorsätzen, Absichten und Zwecken der Handelnden. Hierbei handelt es sich nun um Merkmale der Moral. Und genau in den Bereich fallen damit auch die Kernphänomene der Dissertation Michelets. Allerdings sollen diese in ihrer Relevanz für das Strafrecht analysiert werden. Das Strafrecht besteht laut Michelet aus drei Grundelementen: (i) Verletzung des Rechtes (laesionem juris) (ii) Zurechnung der Tat (facti imputationem) und schließlich (iii) Sorge, die Verbrechen zu vermeiden (impediendorum […] delictorum curam). Die erste sei eine rechtliche ( juridica), die zweite eine moralische (moralis), die dritte eine politische (politica) Frage. Das Strafrecht hat also mit allen drei Wissenschaften Überschneidungen. Damit hat Michelet bereits den Hinweis gegeben, dass das Thema der Dissertation eingebettet ist in eine moralphilosophische Analyse. Das . Kapitel der Dissertation handelt von der historischen Entwicklung der Imputationslehre in der „Weltgeschichte“ (historia universalis). Zu Beginn habe es keinen Unterschied zwischen vorsätzlichen, schuldhaften und zufälligen Taten gegeben. Die „Asiaten“ bestraften z. B. für vorsätzliches (dolus) ebenso wie für schuldhaftes (culpa) und zufälliges (casus) Verhalten. Sie berücksichtigten nur den tatsächlich eingetretenen Schaden, die Frage nach einer Absicht der Handelnden wurde noch nicht gestellt (Michelet , ). Im Anschluss habe man begonnen, zwischen freiwilligen bzw. vorsätzlichen Handlungen (dolus) einerseits und unfreiwilligen bzw. verschuldeten (culpa) und zufälligen (casus fortuitus) Taten andererseits zu unterscheiden. Im Gegensatz zu letzteren verdienten erstere Strafe in vollem Umfang. Das Problem war aber, dass man noch nicht zwischen Verschulden (culpa) und Zufall (casus) unterschied. Dies betraf laut Michelet anfänglich Völker wie die „Israeliten“, die „Araber“ und die „Griechen“. Es mag nicht überraschen, dass Michelet als Beispiel Ödipus anführt, der die Schuld für seine ganze Tat (Vatermord und Inzest) übernimmt und sich für dieselbe bestraft. Denn dieses  In der Einleitung seiner Dissertation weist Michelet darauf hin, dass die Rede von ‚Moral‘ das Unmoralische impliziert (Michelet , ). Auch dies entspricht wieder ganz genau Hegels Verwendung des Ausdrucks ‚Moral‘ (vgl. GW : §  Anm.). Vgl. dazu auch Menegoni ().  Michelet (, ). Die Absichtlichkeit und das Wissen bzw. der Vorsatz im Handeln sind die Merkmale, aufgrund deren verschiedene Stufen der Strafbarkeit und Vorwerfbarkeit erst unterschieden werden können.  Die Einleitung behandelt weiter Themen wie das Recht auf Rache in früheren Zeiten und enthält Hinweise auf die Präventions-, die Bedrohungs-, die Sicherheits- und die Verbesserungstheorie im Strafrecht, welche aber hier nicht vertieft werden können.  Hierbei folgt Michelet damals vorherrschenden Völkertheorien und deren Einteilungen. Wir werden die Völkerbezeichnungen in „“ setzen und uns nicht weiter damit auseinandersetzen.

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Beispiel hatte bereits Hegel selbst in den Grundlinien verwendet (GW ,: §  Anm.). Nachdem Michelet das attische Recht als eine Art Versöhnung der mosaischen Gesetze (mit Bezug auf die freiwilligen Tötungen) mit den arabischen (mit Bezug auf die unfreiwilligen Tötungen) kurz darstellt, geht er im Anschluss auf das . Buch der Gesetze Platons ein und zitiert eine Stelle, in der zwei Arten der Tötung aus Zorn unterschieden werden. Es geht in gewisser Weise um Fälle, die zwischen den freiwilligen Tötungen und den unfreiwilligen Tötungen stehen: [W]er mit seinem Zorn an sich hält und nicht sofort auf der Stelle, sondern mit Vorbedacht später die Rache vollzieht, der gleicht dem vorsätzlich handelnden Täter; wer dagegen seine Zorneserregung nicht dämpft und sofort auf der Stelle ohne Überlegung ihrem Antriebe folgt, der ist zwar den unfreiwillig handelnden ähnlich, doch handelt auch er nicht etwa völlig unfreiwillig, sondern gleich nur dem unfreiwillig Handelnden. (De Leg. IX: ) Platon unternimmt an dieser Stelle also eine Parallelisierung zwischen „freiwillig“/ „unfreiwillig“ und „aus kontrolliertem Zorn“/„aus unkontrolliertem Zorn“. Laut Michelet geht es im ersten Fall um eine vorsätzliche (dolosum homicidium), im zweiten um eine aus indirekter Absicht begangene Tötung (ex intentione indirecta). Interessant ist, dass bereits Platon die nachträgliche Haltung der Reue gegenüber dem Getanen als wesentlich für die Schuldbestimmung angesehen hat. So beschreibt er die der Unfreiwilligkeit nahe Zorneshandlung wie folgt: Im Zorn nämlich handelt einerseits der, welcher auf der Stelle und ohne Überlegung und Vorsatz in augenblicklicher Aufwallung durch Schläge oder dergleichen einen umbringt und alsbald Reue empfindet über die Tat. (De Leg. IX: ) Diese aus Zorn begangene, bereute Tötung sei dann von Aristoteles als schuldhafte Tötung näher bestimmt worden. Von den „Römern“ sei diese Art des Verbrechens insbesondere im Zivilrecht als culpa weiterentwickelt worden. Es seien aber – so Michelet – erst die „Germanen“ gewesen, die den Unterschied zwischen dolus, casus und culpa bestimmt haben. Bei den „Germanen“ prüft der Richter tatsächlich, ob der Wille des Handelnden mit dem Schaden vollständig oder nur teilweise zusammenfällt (Michelet , ). In den folgenden zwei Unterkapiteln sollen nun die zwei zentralen Kapitel  und  und damit das Hauptthema der Dissertation dargestellt werden. Zuerst geht es um die Handlungszurechnung, im Anschluss dann um die Begriffe des dolus und der culpa.

 Michelet (, ).

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B. Die Zurechnung von Handlungen (Kapitel 1) Das erste Kapitel der Dissertation beginnt mit Michelets Behauptung, dass sich die rechtliche Zurechnung einer Tat von der moralischen Zurechnung unterscheidet. Da diese zwei Ebenen aber häufig konfundiert würden, sei es ratsam, sich mit der Frage der Zurechnung auseinanderzusetzen, um erst dann die Begriffe von dolus und culpa zu betrachten und sie von der moralischen Zurechnung zu reinigen (Michelet , ). Als Quelle für seine Behandlung der Zurechnungsfrage verweist Michelet explizit auf die §§  –  der Grundlinien Hegels, also auf fast den gesamten Moralitätsteil derselben. Im ersten Kapitel folgt Michelet Hegels Argumentation, ergänzt diese allerdings durch die Zurechnungslehre des Aristoteles und durch eine präzisere Formulierung der Arten der Zurechnng, die bei Hegel nur fragmentarisch zu finden sind. Der Wille, so fährt Michelet fort, anerkenne einerseits nur das, was er verursacht hat (Michelet , ). Da dem Willen allerdings andererseits immer auch Unwissenheit (inscientia) innewohne, so gibt es Fälle, in denen Wissen verlangt wird und deshalb unwissentlich Verursachtes ebenfalls zugerechnet werden darf. Der Vorsatz (propositum) wird von Michelet als das bezeichnet, was man sich in seinem Inneren (animus) vornimmt (propono). Durch die Handlung werde dann der Vorsatz in die äußere Welt übertragen. Michelet behält in diesem Rahmen eine wichtige hegelsche Unterscheidung aufrecht, und zwar die zwischen der Tat und der Handlung: „Die Veränderung der Umstände ist Tat [‚factum‘]; wenn man mit dieser den Vorsatz verbindet, die Sachen zu verändern, die tatsächlich verändert worden sind, dann ist es eine Handlung [‚actio‘].“ (Michelet , ) Es ist also möglich, dass etwas unter einer bestimmten Beschreibung zwar Tat und dennoch nicht Handlung eines Subjekts ist. Da die äußeren Umstände dem Subjekt fremd sein können, kann es passieren, dass sich eine andere Veränderung ergibt als diejenige, die das Subjekt auf der Grundlage seiner Auffassung der Umstände verursachen wollte. Das Subjekt ist jedoch nur an denjenigen Veränderungen schuld, die es sich nach seiner Kenntnis der Umstände vorgestellt hatte. Diejenigen Veränderungen, die aus einem Irrtum oder aus der Unwissenheit des Subjekts stammen, sind also nicht seine Schuld. In diesem Zusammenhang bezieht sich Michelet in

 Michelet (, ). Darauf werden wir im Folgenden zurückkommen.  Ebenso wie im Lateinischen haben wir auch im Deutschen den engen Zusammenhang zwi-

schen „Vorsatz“ und „vorsetzen“: Mein Vorsatz ist das, was ich mir vorsetze. Was man sich vorsetzt, ist das, was man mental repräsentiert, bevor man zu handeln beginnt.  „illud autem factum quidem meum est, non vero actio“ (Michelet , ). Für die Hinsicht „unter einer Beschreibung“ und deren Anwendung auf den Unterschied zwischen Tat und Handlung siehe Quante (,  – ).

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einer Fußnote auf die verschiedenen Formen der Unkenntnis über die besonderen Umstände, die Aristoteles in der Nikomachischen Ethik analysiert hat. Dies wird von Michelet explizit als erste Art der Zurechnung bestimmt (imputationis primus modus): „in der Zurechnung ist nämlich das enthalten, dass das, was in der Sache ist, gleichwohl auch im Gemüt des Handelnden als vorhanden angesehen wird“ (Michelet , ). Die so verstandene Zurechnung gilt als Versöhnung des Subjekts mit dem Objekt, hier also als Entsprechung der inneren Vorsätze des Handelnden mit der in der äußeren Welt verursachten Veränderung (welche auf das Subjekt und auf dessen Vorsätze zurückgeführt wird). Eine Zurechnung in diesem Sinne fällt allerdings nicht nur wegen Unwissenheit der besonderen Umstände weg, sondern auch wenn jemand gezwungen wurde. In diesem Fall müsse der Mensch wie ein Ding angesehen werden und seine Tat so, dass sie nach der Notwendigkeit der Natur entstanden ist. An dieser Stelle fügt Michelet noch Überlegungen des Aristoteles ein. Der aristotelische Unterschied zwischen freiwilligen und unfreiwilligen Handlungen ist hier besonders relevant: Unter die ersten zählt Aristoteles diejenigen Handlungen, die wissentlich und selbstverursacht vollzogen wurden; letztere umfassen hingegen entweder aus Unkenntnis der besonderen Umstände oder extern verursacht begangene Taten. Michelet verbindet diesen Gedanken des Aristoteles mit der juristischen Bedingung der Zurechnung, dass das Subjekt freie Ursache der eigenen Tat sein muss. Die Veränderung der Umstände soll also durch das Subjekt selbst und nicht durch etwas dem Subjekt Äußeres verursacht sein, damit die Tat ihm zugerechnet werden kann. Im Anschluss betrachtet Michelet die Folgen einer Handlung und unterscheidet zwischen notwendigen und zufälligen Folgen: Die ersten offenbaren das Wesen der Handlung und entstehen nach einer notwendigen Ordnung der Dinge. Da aber die äußeren Umstände des Handelns diffus sein können, sich anders verhalten können, als man es zu wissen glaubt, kann es passieren, dass bloß mögliche bzw. zufällige Folgen sich entwickeln. Bis zu diesem Punkt folgt Michelet also wieder Hegel (vgl. GW ,: § ). Es gibt seiner Meinung nach aber auch einige Folgen, die zwischen notwendigen und zufälligen Folgen stehen: Sie haben quasi an der Notwendigkeit sowie auch an der Zufälligkeit der Handlung teil. Vom preußischen Allgemeinen Landrecht (ALR) werden sie mittelbare Folgen genannt (vgl. ALR, Teil I; Titel : § ). Diese können dem Subjekt zugerechnet werden, weil sie hätten  Michelet (, , Fn. ). Vgl. auch EN III: , a.  Aristoteles Ethik spielt im Werk Michelets eine sehr wichtige Rolle. Wie schon gesagt, veröf-

fentlicht er  die kleine Vorstudie Die Ethik des Aristoteles in ihrem Verhältnisse zum Systeme der Moral, später erscheint sogar ein Kommentar zur Nikomachischen Ethik.  Zusätzlich zu den freiwilligen und den unfreiwilligen Taten kennt Aristoteles auch die gemischten Handlungen, als diejenigen, die z. B. aus Furcht vor größerem Übel oder aus Leidenschaft begangen werden.

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vorausgesehen werden können. So folgert Michelet im Einklang mit dem ALR einerseits und mit Hegel andererseits Folgendes: Sowohl die notwendigen als auch die mittelbaren Folgen werden aber zugerechnet: die notwendigen, weil sie das Wesen derselben Handlung ausmachen, die zuzurechnen ist, die mittelbaren, weil die Handlung ihre reale Möglichkeit ist; ich hätte sie vorhersehen können, wenn ich darauf meine Aufmerksamkeit gerichtet hätte. (Michelet , ) Im Fall der mittelbaren Folgen ist die Handlung ihre reale Möglichkeit (vera possibilitas): „indem ich mir jene Handlung vorstelle, befindet sich in dem Gemüt die reale Möglichkeit, die Folgen zu kennen [vera sciendi consequentias possibilitas]“ (Michelet , ). In diesem Fall entspricht die innere Seite der Handlung, bzw. das Wissen und Wollen des Subjekts, der äußeren verursachten Tat nur nach dem Moment der Möglichkeit. Im Inneren des Subjekts lag nur die Möglichkeit des Wissens solcher Folgen, nicht das wirkliche Wissen; trotzdem hängt die Tatsache, dass dies mögliche Wissen sich nicht zum wirklichen Wissen erhoben hat, von der Nachlässigkeit des Handelnden ab. Die mittelbare Folge ist also insofern zurechenbar, als dass sie eine partielle Versöhnung des Inneren bzw. des möglichen Willens und des möglichen Wissens des Subjekts mit der verursachten Tat ausdrückt. Die notwendige Folge als das Wesen der Handlung drückt hingegen die vollständige Entsprechung zwischen Innerem und Äußerem aus. Wenn A ein Stück Holz verbrennt (Handlung X), um ein Haus abbrennen zu lassen, dann ist X eine vorsätzliche Handlung bzw. dolos und die notwendige Folge von X „Abbrennen des Hauses“ drückt dann die volle Entsprechung zwischen innerer Seite der Handlung und den äußeren verursachten notwendigen Folgen aus. Wenn B hingegen eine brennende Kerze in einer Scheune mit offener Tür während eines Sturms stehen lässt, handelt B fahrlässig und falls die Kerze wegen des Windes auf den Boden fällt und ebenfalls das Abbrennen (hier der Scheune) verursacht, dann ist die Brandstiftung kulpos bzw. schuldhaft. Unter diesen Umständen enthält die Handlung „eine brennende Kerze in einer Scheune stehen lassen“ in sich die Möglichkeit der Brandstiftung und ein denkender Mensch soll das in seine Überlegungen miteinbeziehen und darauf achten. Da der Handelnde aber im zweiten Beispiel nicht die Brandstiftung (welche ihrerseits erst mittelbare Folge seiner Handlung ist) beabsichtigt hat, so wird ihm diese nicht als dolos zugerechnet: Sie wird auf die Möglichkeit des Wissens, auf die Fahrlässigkeit des Subjekts zurückgeführt und dieser Seite zugerechnet. Schließlich ist die zufällige Folge von der Zurechnung vollständig frei, weil das Innere der verursachten Tat überhaupt nicht entspricht: D. h. die Tat kann weder auf das wirkliche noch auf das mögliche Wissen und Wollen des Subjekts zurückgeführt werden. Michelets Beitrag gegenüber Hegel ist also die explizite

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Behandlung der Zurechnung der mittelbaren Folgen, welche sich mit einem Irrtum des Subjekts, der potentiell vermeidbar war, verbindet im Gegensatz zu einem unvermeidbaren Irrtum, welcher die Folgen zufällig macht. In diesem Zusammenhang wird der Begriff der negligentia (Fahrlässigkeit) eingeführt: [D]ie innere Unterlassung [„non-actio“], d. h., die Fahrlässigkeit [„negligentia“], ist selbst eine verschuldete Handlung [„culpabilis actio“]. Die Möglichkeit des Wissens [„Sciendi possibilitatem“] habe ich nicht zum wahren Wissen gebracht, obwohl ich es musste; und dies meinen die Rechtsgelehrten, wenn sie eine Sorgfaltspflicht anführen [„obligationem ad diligentiam“]. Ich handle nämlich vom Irrtum getrieben und hätte nicht gehandelt und den Irrtum vermieden, wenn ich die Sorgfalt nicht unterlassen hätte. Das ist meine Schuld [„reatus“]. Wir wissen nämlich, dass wir in äußeren Umständen tätig werden, von denen einige mit anderen verbunden sind: Aus diesem Grund muss man umsichtig handeln. (Michelet , ) Wenn Michelet also die verschiedenen Folgen einer Handlung bespricht, bleibt er auf einer handlungstheoretischen Ebene. Daher kommt die erste nicht-normative Bestimmung der Fahrlässigkeit als Unterlassung. Er bezieht sich aber als zweiter Bestimmung auf die rechtliche Verpflichtung (Sorgfaltspflicht), was die Fahrlässigkeit zu einem normativen rechtlichen Begriff macht. Mit seinem Bezug auf die geforderte Sorgfalt (diligentia) bzw. Aufmerksamkeit stimmt Michelet wieder dem Allgemeinen Landrecht zu: §. . Je größer die Pflicht ist, mit Aufmerksamkeit und Sachkenntniß zu handeln, desto größer ist auch die Verbindlichkeit, sich um die möglichen Folgen der Handlung zu bekümmern. §. . Mittelbare Folgen also, welche der Handelnde bey Anwendung der schuldigen Aufmerksamkeit und Sachkenntniß voraussetzen konnte, müssen von ihm vertreten werden.“ Aus der Betrachtung der Folgen einer Handlung ergibt sich der Übergang vom Vorsatz zur Absicht, als Wissen und Wollen des allgemeinen Wesens der Handlung. Um den Unterschied zwischen Vorsatz und Absicht zu erklären, führt Michelet ein Beispiel ein, das ansatzweise schon bei Hegel zu finden ist. Ein Subjekt kann den Vorsatz haben, mit einem Schwert auf einen Menschen einzuschlagen. Der Tod des betroffenen Menschen ist in diesem Fall die notwendige Folge der Handlung, weil der verletzte Teil des Körpers im organischen Zusammenhang zum gesamten Körper steht und der Schwerthieb somit das ganze Leben desselben bedrohen  Michelet verweist in einer Fußnote auf Aristoteles’ Nikomachische Ethik III, . Darauf gehen wir in Kapitel IV.A näher ein.  ALR, Teil I; Titel : §§  – ; vgl. auch Michelet (,  f.).

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kann. Das allgemeine Wesen der punktuellen Handlung „mit einem Schwert auf einen anderen Menschen einschlagen“ ist also die Tötung. Da der Handelnde ein denkender allgemeiner Mensch ist, wird ihm nicht nur die Veränderung der besonderen Umstände zugerechnet, sondern eben das allgemeine Wesen der Handlung. Aus diesem Grund impliziert der Vorsatz im Falle der denkenden und vernünftigen Menschen immer die Absicht. Mit diesem Gedankengang folgt Michelet wieder Hegel (GW ,: § ). Allerdings macht er explizit, dass es hier um die zweite Art der Zurechnung geht (secundus imputationis modus): Diese bezieht sich auf die Absicht, welche nur demjenigen zugerechnet werden kann, der als denkendes allgemeines Wesen nicht auf das Wissen um die besonderen Dinge beschränkt ist. Mit der Betrachtung der notwendigen Folgen einer Handlung, welche wie gesagt das Wesen der Handlung selbst offenbaren, verbindet sich also laut Michelet die Absicht. Die notwendigen und vom Subjekt intendierten Folgen werden alle zugerechnet; an zweiter Stelle stehen laut Michelet die notwendigen Folgen, die nicht intendiert wurden, wenn die Kenntnis des Wesens der Handlung präsumiert werden kann, d. h. wiederum, wenn alle Umstände der Handlung vor deren Verwirklichung in der äußeren Welt klar erkennbar waren und zugleich der Handelnde ein denkender psychisch gesunder Erwachsener ist, der in der Lage war, zur Handlung sich frei zu bestimmen. Auch diese Folgen werden also zugerechnet ebenso wie die nicht intendierten mittelbaren Folgen, wenn auch in geringerem Maße. Wenn mittelbare Folgen hingegen intendiert waren, dann werden sie vollständig zugerechnet. Dies gilt auch für zufällige intendierte Folgen. Michelets Bezugspunkt ist wieder das Allgemeine Landrecht: „Doch haftet der Handelnde für alle Folgen ohne Unterschied, die nach seiner Absicht aus der Handlung entstehen sollten, ob sie gleich nur zufällig entstanden sind“ (ALR, Teil I; Titel : § ). Mit dem Thema des Interesses, das ein Subjekt in der eigenen Handlung verfolgt, beginnt laut Michelet die moralische Zurechnung. Jedes Verbrechen so wie jede Handlung überhaupt ist immer auch ein Mittel zur Erreichung eines Ziels bzw. zur Befriedigung irgendeines Interesses. Schließlich wird das Gute als Recht, als allgemeiner Wille eingeführt, in dem aber die besonderen Interessen der Einzelnen behalten werden: Somit verwirklicht sich beim Guten die Versöhnung des allgemeinen mit dem besonderen Willen bzw. mit dem Gewissen des Subjekts. Da aber auf dieser Stufe (gemeint ist, was Hegel „Moralität“ nennt) das Gute sein Dasein noch am besonderen Willen hat, kann dieser dem allgemeinen Willen entweder entsprechen oder auch nicht. Der  Als Gegensatz dazu führt Michelet (sowie auch Hegel) das Beispiel der „Rasenden“ und der „Kinder“ an, die zwar mit Vorsatz, aber nicht mit Absicht handeln können.  Als höchstes, allgemeines Interesse gilt laut Michelet das Leben des Menschen, welches sogar ein höheres Recht gegen das Recht selbst hat. Dies ist wiederum ganz im Sinne Hegels und bezieht sich auf den Begriff des Notrechts. Vgl. GW ,: § .

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besondere Wille kann sich also immer noch gegen den allgemeinen Willen richten: Hierin besteht die Möglichkeit des Bösen und die dritte Art der Zurechnung (tertius imputationis modus): „Dem Subjekt wird das Gute und das Böse, das es begangen hat, zugerechnet.“ (Michelet , ) Es kann sich folglich nicht durch eine vermeintlich gute Absicht entschuldigen, wenn sein Tun Schaden verursacht hat. Auf dieser Stufe wird die Kenntnis des Allgemeinen und des Guten und Rechten der Handlung verlangt und die entsprechende Unwissenheit des Subjekts wird diesbezüglich folglich vollständig zugerechnet. Aus diesem Grund können auch die bösen Handlungen, die von einem gesunden Erwachsenen aus Zorn oder Leidenschaften begangen werden, zugerechnet werden: Ausgehend von Aristoteles exemplifiziert dieses Beispiel eine Art von Handlungen, die wegen einer „schuldhaften Unwissenheit“ des Subjekts zugerechnet werden können. Darin besteht Michelets knappe Rekonstruktion der quaestio imputationis. Es folgt im . Kapitel das eigentliche Thema der Arbeit. C. Über die Begriffe des ‚dolus‘ und der ‚culpa‘ (Kapitel 2) Im zweiten Kapitel entwickelt Michelet seine Lehre des dolus und der culpa im Strafrecht, indem er die strafrechtliche Literatur seiner Zeit mit einbezieht und selbst Stellung innerhalb der damaligen Debatten bezieht. Auf Grundlage des ersten Kapitels kann Michelet den dolus wie folgt bestimmen: Der dolus ist die Absicht [„intentio“] derjenigen Handlung, deren Wesen in einer Rechtsverletzung besteht, und das dolose Verbrechen ist die beabsichtigte Rechtsverletzung, die im Wesen der Handlung enthalten ist: deshalb werden dem dolus angemessenerweise nur die notwendigen Folgen zugeschrieben. (Michelet ,  – ) Mit dem Verweis auf die Rechtsverletzung erhalten hier die Begriffe von Vorsatz und Schuld eine klar juristische Bedeutung. Dementsprechend bezieht sich Michelet in diesem Kapitel auf Rechtsgelehrte und Rechtsbücher seiner Zeit. Mit Bezug auf den dolus-Begriff würdigt er die wolffische Philosophie für ihr richtiges Verständnis von dessen Natur. Er bezieht sich insbesondere auf Daniel Nettelbladt und seine Dissertatio Iuridica de Homicidio ex Intentione Indirecta Commisso, in der die dolose Handlung als diejenige verstanden wird, die aus Vorsatz (ex proposito) begangen wird. Dagegen richtet er sich gegen Feuerbach und Grolman, die das

 Das wird noch eingehender in IV.A diskutiert.  Daniel Nettelbladt ( – ).  Juristische Dissertation über den aus indirekter Absicht verübten Totschlag ().

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Wissen um die Illegalität der Handlung als konstitutiv für den dolus-Begriff ansahen. Michelet nimmt als erste Bestimmung des dolus eine beabsichtigte Verletzung des Rechts an; es geht um ein beabsichtigtes Verbrechen, wobei er darunter nicht nur die Taten versteht, die von den positiven Gesetzen einer Gemeinschaft als gesetzwidrig festgelegt werden, sondern auch die sogenannten „natürlichen Verbrechen“ („naturalia delicta“). Während bei den ersten der Handelnde erst betraft werden kann, wenn er die Kenntnis der Gesetze sowie auch die Absicht gegen dieselben zu handeln hatte, sind die „naturalia delicta“ (wie z. B. die Tötung) Taten, die jeder vernunftbegabte Mensch als Unrecht erkennen kann und laut Michelet also an sich rechtswidrig sind. Das Verbrechen ist im vorliegenden Fall an sich strafwürdig. Aus diesem Grund braucht man das Bewusstsein der Gesetzwidrigkeit in diesen bestimmten Fällen nicht zu beweisen und Feuerbachs Bestimmung des dolus-Begriffs scheint also mangelhaft zu sein. Nach der Betrachtung des dolus bestimmt Michelet auf der Grundlage des ersten Kapitels den Begriff der culpa. Bevor wir auf Michelets Verständnis dieses Begriffs eingehen, sei aber erst aus Gründen der Klarheit die Definition des Allgemeinen Landrechts angegeben, welche Michelet selbst zitiert und im Sinn hat, wenn er die culpa behandelt: §. . Wer bey Uebertretung des Strafgesetzes zwar die gesetzwidrige Folge seiner Handlung nicht wirklich vorausgesehen hat; doch aber, bey gehöriger Aufmerksamkeit und Ueberlegung, hätte voraussehen können; der hat sich eines Verbrechens aus Fahrläßigkeit schuldig gemacht. (ALR, Teil II; Titel : § ) Michelet übersetzt den letzten Teil des Zitats mit „culposum committit crimen“. Daraus ergibt sich, dass er die culpa mit der Fahrlässigkeit bzw. mit dem Mangel an Aufmerksamkeit, die vom Recht verlangt wird, identifiziert. Somit versteht man seine eigene Definition der culpa: [C]ulpa ist eine interne Bestimmung des Gemüts [animi] (Irrtum in den Umständen, unterlassene Sorgfalt, Fahrlässigkeit, wie es Meinung der Rechtskundigen ist), die in sich die reale Möglichkeit enthält, ein Wissen von der Rechtsverletzung zu haben, die eine vermittelte Folge der Handlung ist, auch wenn die Handelnde keine Verletzung beabsichtigte. (Michelet , ) Michelet fügt dann einige Beispiele hinzu, um seine Definition der culpa näher zu bestimmen. Wenn das Subjekt z. B. einen Topf aus dem Fenster wirft und dadurch einen Passanten tötet, dann ist dies ein verschuldeter Totschlag. Es geht um  Das hängt davon ab, ob man das Recht als Natur- oder als Vernunftrecht auffasst.  Vgl. Michelet (, ). Im System verwendet er dann den Ausdruck „Verseh[e]n“.

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eine Rechtsverletzung, die zwar nicht beabsichtigt war, aber aus einer Handlung als vermittelte Folge hervorgegangen ist, von der zu wissen eine reale Möglichkeit im Gemüt war (d. h. die ich durch gebotene Sorgfalt und ein Bezwingen des Irrtums [„victo errore“], dessen Urheber ich selbst bin, hätte vorhersehen können). Für die Zurechnung der culpa, also fahrlässigen Handelns, ist eine Wissenspflicht vorausgesetzt. Die Unwissenheit des Subjekts hängt aber von einem Irrtum bzw. einer Unachtsamkeit des Subjekts selbst ab und die daraus entstehenden Folgen können ihm daher zugerechnet werden. Die kulpose Verletzung soll aber nicht so schwer bestraft werden wie die dolose. Diese drückt nämlich eine Übereinstimmung des Inneren mit dem Äußeren aus, was auf die kulpose Rechtsverletzung nur teilweise zutrifft, wie es schon mit Bezug auf die mittelbaren Folgen einer Handlung und auf die Möglichkeit des Wissens des Subjekts gezeigt wurde. Michelet wirft in der Folge den Rechtswissenschaftlern seiner Zeit vor, dass sie die culpa in einem Defekt der Intelligenz, den Vorsatz hingegen in einem Fehler des Willens sehen. Nach dieser Ansicht entspreche der dolus nicht dem verlangten allgemeinen Willen, die culpa hingegen nicht dem verlangten Wissen. Michelet richtet sich gegen dieses Verständnis der culpa als bloßem Defekt der Intelligenz. Nachdem er den Gedanken einiger zeitgenössischer Rechtsgelehrter wie Kleinschrod und von Almendingen diskutiert hat, führt er Ernst Ferdinand Kleins Bestimmung der Begriffe dolus und culpa ein und stimmt diesen zu: Der dolus sei ein positiv-böser Wille (also der Vorsatz, eine unerlaube Handlung zu begehen oder eine gebotene Handlung zu unterlassen), die culpa ein negativ-böser Wille, und zwar der Mangel „des guten Vorsatzes, die zur Vermeidung gesetzwidriger Handlungen erforderliche Fähigkeit und Aufmerksamkeit auszubilden oder anzustrengen“ (Klein , § ). In der culpa intendiert also der Handelnde nicht die Verletzung des Rechts, die aus seiner Handlung entsteht, was wiederum von seinem Defekt des Willens abhängt. Im Anschluss verbindet Michelet seine frühere Betrachtung der notwendigen und der mittelbaren Folgen mit seinem Verständnis des dolus und der culpa wie folgt: Wenn die Rechtsverletzung die notwendige Folge irgendeiner freien Handlung ist, dann ist es Vorsatz [‚dolus‘]: wenn sie dagegen eine vermittelte [Folge] ist, ist Fahrlässigkeit [‚culpa‘] zu präsumieren; es kann nämlich weder ein Wissen über die notwendigen Folgen, noch die reale Möglichkeit des Wissens über ver Michelet (,  – ). Im System definiert Michelet das kulpose Verbrechen wie folgt: „Das Verbrechen aus Versehn ist eine unvorsätzliche Rechtsverletzung, die, als real mögliche Folge einer Thätigkeit, ihr Prinzip im Willen des Menschen hat.“ ().  Darauf kommen wir im folgenden Kapitel zum System zurück.  Ernst Ferdinand Klein ( – ).

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mittelte [Folgen] fehlen. So ist die Handlung selbst immer der sicherste Beweis für Vorsatz und Schuld [doli culpaeque]. (Michelet , ) Die Rede von der Möglichkeit des Wissens, vom vermeidbaren Irrtum und von den mittelbaren Folgen einer Handlung, also die Themen, die Michelet in dem vorhergehenden Kapitel eingeführt hatte, erweisen sich jetzt als fruchtbar für den rechtlichen Bereich. Schließlich kommt Michelet zum dolus indirectus, „die Absicht zu jener Rechtsverletzung, deren notwendige nicht vorausgesehene Folge eine andere Rechtsverletzung ist“ (Michelet , ). Es muss also eine beabsichtigte Handlung geben, die an sich Rechtsverletzung ist. Die Absicht zu schädigen (animus nocendi) ist daher die notwendige Bedingung (requisitum) des dolus indirectus. Den Unterschied zwischen culpa und dolus indirectus bestimmt Michelet dementsprechend wie folgt: Bei der culpa hat der Handelnde die mittelbaren Folgen nicht vorausgesehen; bei dem dolus indirectus hat er hingegen die notwendigen Folgen nicht vorausgesehen, wobei es sich dabei um die notwendigen Folgen einer anderen gewussten und gewollten Rechtsverletzung handelt. Der dolus indirectus steht in der Mitte zwischen dolus und culpa. Die erste Verletzung des Rechts ist beim dolus indirectus vom Täter intendiert: Das wäre das Moment des dolus. Die zweite Rechtsverletzung hingegen war nicht intendiert, obwohl ihre Möglichkeit dem Handelnden durchaus hat bewusst sein können: Das wäre das Moment der culpa. Der dolus indirectus zeigt sich insbesondere in Fällen des Totschlags (homicidium). Wenn der Handelnde das Wesen der Handlung bzw. ihre notwendige Folge ignoriert, handelt er als etwas Einzelnes. Dies macht er aber nicht unverschuldet. Wenn er also durch Begierde und Leidenschaften getrieben wird und eine Tötung verursacht, wird er bestraft, obwohl er im Moment der Handlung keine direkte Absicht zu töten hatte. Kleinschrod () und Grolman () wirft Michelet vor, dolus indirectus und culpa zu verwechseln. Sie sehen im dolus indirectus nur das Moment der culpa, Nettelbladt habe hingegen hierin nur das Moment des dolus gesehen. In dem von Feuerbach vorgeschlagenen Begriff der culpa dolo determinata überwiegt schließlich die culpa. Dieser Begriff kann laut Michelet also nur die Fälle betreffen, in denen eine schuldhafte Verletzung aus einem dolosen Verbrechen stammt. Schließlich benennt Michelet fünf Begriffe in der Behandlung der Zurechnungsfrage: Der Vorsatz (dolus) und der Zufall (casus fortuitus) gelten als Extreme; die Schuld (culpa) gilt als Mitte zwischen dolus und casus; der dolus indirectus und die culpa dolo determinata gelten als Mitte zwischen dolus und culpa (wo der dolus indirectus sich dem dolus, die culpa dolo determinata sich der culpa nähert). Aus der Dissertation Michelets ergibt sich, dass insbesondere die strafrechtlichen Begriffe von dolus directus, dolus indirectus und culpa voneinander zu unterscheiden

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wie auch deutlich zu begründen sind, damit die Strafe auf die richtige Weise zugemessen werden kann. Michelets wichtigste Bezugspunkte sind, wie gezeigt, Hegels Rechtsphilosophie und Aristoteles’ Nikomachische Ethik als Quellen für die philosophische Begründung der Zurechnung; das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten dient dann dazu, die Begriffe des dolus und der culpa rechtlich zu erklären. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Michelet mit den Mitteln der hegelschen Rechtsphilosophie die Begriffe von dolus und culpa im Strafrecht kritisch analysiert. Nach der Rekonstruktion der wesentlichen Inhalte der Grundlinien bis hin zum Beginn der Moralität in der Einleitung rekonstruiert er die Moralität selbst als eine Theorie der moralischen Zurechnung, die in den Bereich der Philosophie fällt. Davon zu unterscheiden ist dann die Analyse von dolus und culpa im zweiten Kapitel, die Michelet als zentrale Termini der juristischen Zurechnung betrachtet. Grundlage seiner Analyse dieser beiden Begriffe und seiner Kritik an bestehenden Analysevorschlägen im damaligen Strafrecht ist zwar die philosophische Zurechnungslehre der hegelschen Grundlinien. Allerdings dürfen diese beiden Ebenen nicht miteinander vermengt werden. Der eigenständige Beitrag Michelets besteht erstens in einer systematischeren Rekonstruktion der Moralität als Zurechnungslehre, in der Michelet beispielsweise explizit drei Modi der Zurechnung unterscheidet. Zweitens und noch maßgeblicher ist dann aber die Übertragung dieser Rekonstruktion auf den Bereich strafrechtswissenschaftlicher Analysen von dolus und culpa als Michelets Beitrag zu werten. III. Michelets System (Buch 1) Vier Jahre nach Michelets Promotion, , wurde seine Monographie Das System der philosophischen Moral, mit Rücksicht auf die juridische Imputation, die Geschichte der Moral und das christliche Moralprinzip (= System) veröffentlicht. Wie der Titel bereits anzeigt, handelt es sich hierbei nun um eine dezidiert philosophische Studie, die jedoch auf das Thema der Dissertation (die juridische Imputation) Bezug nimmt. Michelet verweist selbst auf seine frühere Abhandlung Die Ethik des Aristoteles in ihrem Verhältnisse zum Systeme der Moral (). Diese Arbeit habe das System „vorbereitet“. Was den Titel und damit auch den Inhalt der Arbeit von  anbelangt, geht er auf einen antizipierten Einwand ein, und zwar denjenigen, dass  Diese schwierige begriffliche Grenzziehung besteht auch noch im heutigen (deutschen) Strafrecht zwischen dem dolus eventualis und der bewussten Fahrlässigkeit.  Stuckenberg (, ) setzt in seiner lesenswerten historischen Rekonstruktion des dolusBegriffes die Dissertation Michelets mit dem System S.  –  gleich. Wie gleich deutlich werden wird, ist diese Gleichsetzung nur bedingt zulässig.  Michelet (, III). Es fehlt also ein Bezug zur Dissertation.

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das Thema der juridischen Imputation gar nicht Gegenstand einer Moralphilosophie sein könne. Michelets Erwiderung lautet: Da jedoch einleuchtet, daß in einer Moral von einer moralischen Zurechnung zu sprechen ist, diese aber mit der juridischen doch ein gemeinsames Prinzip hat, so fragt sich nur, welcher Platz diesem Prinzipe anzuweisen sei. Denn in einem philosophischen systematischen Vortrage ist es unmöglich, die Anwendung eines Prinzips, (und die juridische und die moralische Imputation sind Anwendungen des allgemeinen Prinzipis der Zurechnung), von der Darstellung des Prinzips selbst zu trennen, indem die Art und Weise der Anwendung ja aus der Natur dieses Prinzipes fließen muß. (Michelet , IV) Das gemeinsame Prinzip von juridischer und moralischer Zurechnung liege in der „Moral, als der Entfaltung der subjektiven Freiheit“ (Michelet , IV). Deshalb könne auch die juridische Zurechnung erst durch eine Moralphilosophie im Sinne einer Philosophie subjektiver Freiheit begründet werden. Auf das System wurde in der bisherigen Forschung, wenn überhaupt, nur in Auseinandersetzung mit Hegels Handlungstheorie Bezug genommen. Allerdings, darauf wurde auch bereits hingewiesen, ist bisher kein Versuch unternommen worden, diese Schrift einer genaueren Interpretation zu unterziehen. Das soll in diesem Abschnitt geschehen, wobei wir uns auf das Thema der Zurechnung beschränken. Das System ist in drei Bücher unterteilt, ) „Die Zurechnung der Handlungen“, ) „Die Zwecke der Glückseligkeit“ und ) „Das höchste Gut“. Wir werden also im Folgenden lediglich das erste Buch untersuchen. Entsprechend der nochmaligen Dreiteilung des ersten Buches werden wir in dieser Reihenfolge a) „Schuld“, b) „Vorsatz“ und c) „Absicht“ betrachten. A. Die Einleitung ins System Michelet beginnt mit einer Reflexion darüber, ob die Moralphilosophie mit einem Prinzip beginnen kann, und diskutiert dies kritisch. Ganz im Sinne Hegels lehnt er die Annahme inhaltlicher Voraussetzungen ab. Die Moralphilosophie etwa damit zu beginnen, dass das Prinzip der Moral Lust oder Selbstsucht sei, sei ein Fehler, da man dann ungerechtfertigt beginnt und zudem bestimmte, etwa auch abzuleitende Inhalte nicht wird ableiten können, da die vorherige inhaltliche Festlegung bestimmte potentielle Inhalte der Moral ausschließt.  Insofern ist die spätere Arbeit wenigstens aufgeklärter über das Verhältnis zwischen moralischer

und rechtlicher Zurechnung, wenn sie sich nicht sogar von der früheren Konzeption in der Dissertation unterscheidet. Dort hatte Michelet die rechtliche gerade von der moralischen Zurechnung „reinigen“ wollen (Michelet , ).

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Gegenstand der gesamten Monographie sind drei Formen praktischer Freiheit. Die äußere praktische Freiheit, das Recht, zeige sich im Eigentum. Da wir als geistige Wesen nur dann unsere Freiheit realisieren, wenn wir dies an uns äußeren Gegenständen tun, und da wir dafür abgesicherte Verfügungsgewalt über solche Gegenstände besitzen müssen, haben wir das Recht auf Privateigentum. Allerdings ist diese Form der praktischen Freiheit, d. h. der Freiheit durch das Handeln, noch abhängig von den äußeren Gegenständen. Auch sichert sie noch nicht endgültig ab, dass wir tatsächlich Verfügungsgewalt über Gegenstände, die unser Eigentum sind, ausüben können. Dafür benötigt man die politische Freiheit, die darin besteht, „daß der Einzelne sich einem Ganzen, einem Gemeinwesen anschließt und hingiebt, den Zweck desselben zugleich als seinen Zweck auffaßt, und so sein Selbst zum allgemeinen Selbst erweitert.“ (Michelet , ) Diese politische Freiheit enthält sowohl die objektive Freiheit des Rechts als auch die subjektive Freiheit. Letztere bezieht sich auf die je individuelle Gesinnung und die je individuellen Interessen einzelner Bürger*innen. Die subjektive Freiheit sei nichts anderes als eben die moralische Freiheit, die innerliche Bestimmung des praktischen Geistes. Bei der moralischen Freiheit geht es gerade um die innere, subjektive Willensbestimmung, um das Wissen und Wollen, um die Motive des eigenen Tuns. Diese Aspekte spielen im Recht insofern keine Rolle, als ein Schenkungsakt gültig sein kann unabhängig der Frage, „ob man ein Almosen damit bezwecke, oder eine eitle Prahlerei“ (Michelet , ). In der Moral hingegen mache dieser Unterschied zwischen zwei Zwecken einer Schenkungshandlung einen wesentlichen Unterschied aus. Diese Seite der Handlung hat durchaus kein objektives Dasein, sondern existiert nur im Inneren des Subjekts. Eben so enthält das Verbrechen objektiv dieselbe Rechtsverletzung, möge sie nun absichtlich oder aus Versehen begangen worden sein; und wenn dies, wie wir unten sehen werden, auch in der rechtlichen Beurtheilung des Verbrechens, einen Unterschied macht, so kommt dies nur daher, daß das Recht auch eine Seite hat, wonach es der subjektiven Freiheit angehört. (Michelet , ) Prinzip und Standpunkt der Moral ist die Regel, dass ein einzelnes Handlungssubjekt nur das als die eigene Handlung anerkennt, „was [es] in sich selber gesetzt hat, nach seinen Absichten, Zwecken und Gesinnungen beurtheilt sein will“. In  Dies verweist implizit auf Hegels Verständnis des Eigentums und des Begriffs der Person im abstrakten Recht, d. h. im ersten Teil von Hegels Rechtsphilosophie. Hierbei werden also einige Themen erweitert, die schon in der Dissertation eingeführt wurden.  Michelet (, ). Ähnlich wie bei Hegel: „Nach diesem Rechte anerkennt und ist der Wille nur etwas, insofern es das Seinige, er darin sich als subjectives ist“ (GW ,: § ). Dieses Prinzip muss

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der die Einleitung abschließenden Einteilung der Moral ist noch der erste Abschnitt für uns relevant: Dieser erste Theil der Moral wird nun noch keine historischen Moralprinzipien, sondern dafür die Geschichte der Zurechnung, nach den Gesetzgebungen der verschiedenen Völker, und die Lehren der Juristen darüber, in sich schließen. Aus solchen Bestimmungen der Zurechnung kann nämlich noch kein moralischer Inhalt abgeleitet werden. Auch haben die meisten Moralisten diesen ersten, wesentlichen Theil einer Moral, ohne welchen alles Uebrige in der Luft schweben würde, übergangen. Nothwendig müssen wir aber hiemit beginnen; denn bevor entwickelt werde, was der Inhalt des moralischen Handelns sei, ist die Natur der Handlung selbst zu betrachten. Diese Forderung erfüllt nun eben unser erster Theil, welcher das Formelle der Handlung betrifft, die Bedingungen, die dazu gehören, den Begriff einer menschlichen Handlung zu erschöpfen, ohne daß schon die Materie der Handlung berührt werde. (Michelet , ) Dieser Teil zeigt ganz explizit, dass Michelet den Inhalt dieses ersten Buches als Handlungstheorie verstanden wissen will, die noch keine inhaltlichen, substantiellen Annahmen über das Gute und Gebotene macht. Aus diesem Grund sind auch die Quellen der Geschichte dieses Themas Texte zur juridischen Zurechnungslehre. Es geht, so könnte man sagen, um die allgemeinen Voraussetzungen allen moralischen wie unmoralischen Handelns. B. Die Schuld Das Thema der Schuld betrifft, wie bereits in Hegels Grundlinien, den ereignishaften Aspekt einer Handlung. Für gewöhnlich setzt eine Handlung eine Veränderung in der raumzeitlichen Welt voraus. ‚Schuld‘ ist nun der Ausdruck, der aufzeigt, dass „der Wille des Menschen“ Ursache „einer äußerlichen Existenz“ ist (Michelet , ). Ganz in Anlehnung an die aristotelische Unterscheidung zwischen einer freiwilligen und einer unfreiwilligen Handlung unterscheidet Michelet für den Fall der Schuld Ereignisse, deren Ursache ein menschlicher Wille oder gar kein menschlicher Wille oder eine Mischung aus beidem ist. Dement-

natürlich dem eigenen Anspruch entsprechend selbst begründet werden und darf nicht einfach als Voraussetzung in den Argumentationsgang eingespeist werden.  Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit dieser kausalen Bedeutung von ‚Schuld‘ bei Hegel siehe jetzt Meyer (a, insb. Kap. ).

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sprechend gliedert sich der Abschnitt zur Schuld in die freiwilligen, die unfreiwilligen und die gemischten Handlungen. Mit Verweis auf §  der Grundlinien bestimmt Michelet die Schuld als „die Hauptbedingung der menschlichen Handlung“ (Michelet , ). Da sie Bedingung jeder Handlung ist, spielt diese Bedingung auch keine spezifisch moralische Rolle. Auf dieser Ebene der Analyse steht die innere Willensbestimmung (noch) im Gegensatz zur Objektivität. Es ist eine subjektive Bestimmung der Objektivität, einen noch nicht existenten Zustand als einen Sein-Sollenden zu bestimmen: „Indem das Ich aber hier im Handeln frei sein, d. h., die schon auf ideelle Weise bezwungenen Objekte nun auch in der Realität bestimmen soll, so setzt es durch die freiwillige Handlung eine im Weltzusammenhang bisher nicht dagewesene Existenz.“ (Michelet , ) Nun begründe eine positive Beziehung zwischen Allgemeinem und Einzelnem die Schuld des Menschen. Denn etwas zu wollen, sich subjektiv einen Willensinhalt zu geben, bedeutet eben auch eine Bestimmung der eigenen Subjektivität. Ich will etwas ganz Bestimmtes, dass etwas ganz Bestimmtes der Fall sein möge. Die Vermittlung zwischen Allgemeinem und Einzelnem besteht hier darin, dass der erstpersönliche Selbstbezug durch die Verwendung von ‚Ich‘ die Allgemeinheit ausdrückt, wohingegen der Entschluss für einen ganz besonderen Willensinhalt das jeweilige Subjekt vereinzelt. Wie Michelet bereits in der Dissertation behauptet hatte, müsse der Mensch freie Ursache der Tat sein und er müsse diese Ursache sein wollen. Dies sei die erste Weise, wie die subjektive Freiheit existiert. Wie aber könnte ein Mensch unfreie Ursache seiner Tat sein? Dies führt Michelet zu den unfreiwilligen Handlungen. Es ist möglich, dass sich im Versuch der Willensverwirklichung die „Objekte“ vom Subjekt „entfremden“. Dies kann einmal bezogen auf unser Auffassen der Objekte geschehen und einmal bezogen auf das Bestimmen durch den Willen. Ganz analog zum Beginn des dritten Buches der Nikomachischen Ethik ergeben sich hier zwei Weisen, wie eine Handlung unfreiwillig sein kann: (i) Der Wille fasst die Objekte unrichtig auf (Unwissenheit). (ii) Die Objekte bestimmen den Willen äußerlich (äußerer Zwang, Naturgewalt) und das Fehlen einer dieser beiden Seiten: des freien Bestimmens des Willens, oder des richtigen Auffassens der Objekte durch Bewußtsein, gibt uns die Definition des Unfreiwilligen. (Michelet , ) Damit ist klar, dass Wissen und Ursächlichkeit beide jeweils notwendige und zusammen hinreichende Bedingungen der Freiwilligkeit und damit im Umkehr Das entspricht der Thematisierung von frewilligen und unfreiwilligen Handlungen in der Dissertation. Wir finden hier also wieder eine Erweiterung eines früheren Themas.  Verweis auf Aristoteles EN III: . Michelet verwendet hier „Moral“ im engen Sinne.

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schluss das Nicht-Vorliegen wenigstens einer der beiden hinreichend für die Unfreiwilligkeit einer Handlung ist. Dementsprechend ergibt sich eine Dreiteilung der Unfreiwilligkeit: Eine Handlung ist unfreiwillig genau dann, wenn sie (i) äußerlich verursacht oder (ii) aus einem Irrtum heraus oder (iii) äußerlich verursacht und aus einem Irrtum heraus vollzogen wurde. Im ersten Fall fehlt eine freie Selbstbestimmung überhaupt. Deshalb geht es hier streng genommen nicht einmal um Handlungen. Außerdem sind die Folgen eines solchen Geschehens nicht zurechenbar. Ob die Folgen einer unfreiwilligen Handlung im zweiten Sinne zurechenbar sind oder nicht, hängt davon ab, woraus sich die Unwissenheit ergibt bzw. worauf sie sich bezieht. Ganz allgemein gesprochen resultiert eine solche unfreiwillige Handlung aus dem „falschen Auffassen der äußeren Objekte“ (Michelet , ). Einmal kann sich das Nichtwissen auf die konkreten und unmittelbaren Umstände der jeweiligen Handlungssituation beziehen. Dann geht es um ein Handeln aus Unwissenheit. Der Irrtum kann aber auch von allgemeiner Art sein, im Sinne der „Gesetze des sittlichen Handelns“. Dann handelt man unwissentlich. Diese Unwissenheit, obgleich Faktor der Unfreiwilligkeit, kann „die Handlung keineswegs zu einer nicht zuzurechnenden machen“ (Michelet , ). Zu guter Letzt diskutiert Michelet noch solche Fälle, bei denen etwas unwissentlich Getanes und damit Zurechenbares nachträglich als nicht-Gewolltes (etwa durch Reue oder Bedauern) ausgewiesen wird. Wenn es eine retrospektive Affirmation des unfreiwillig Getanen gibt, dann ist dies gewollt (voluntas antecedens vs. voluntas consequens; vorhergehender vs. nachfolgender Wille), wenn man nachträglich das unfreiwillig Getane hingegen bereut und damit eine eindeutige Werthaltung dem gegenüber zum Ausdruck bringt, dann mildert das zumindest die Schuld an dem Getanen. Die Mischfälle unfreiwilligen Handelns sind solche, bei denen „der durch Naturzustände gesetzte Irrthum“ (Schlaf, Verrücktheit, Trunkenheit) Ursache des Getanen ist (Michelet , ). Es folgt ein längerer historischer Abriss, wie mit unfreiwilligen Handlungen in diesem Sinne in den einzelnen Epochen, Rechtssystemen und Völkern jeweils umgegangen wurde. Michelet beschließt den Abschnitt zur Schuld mit den Mischhandlungen, also den Handlungen, die einerseits freiwillig, andererseits aber nicht im Vollsinne freiwillig sind. Hierzu gehören etwa Handlungen, die man eigentlich nicht begehen würde und nur deshalb begeht, weil man „aus Furcht vor größeren Uebeln,  Wenn man das „oder“ inklusiv liest, könnte das dritte Disjunkt natürlich entfallen. Hier sei es der Explizitheit wegen genannt.  Vgl. die zitierte Platonstelle in Abschnitt II.

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d. h. aus Z w a n g “, mit der Handlung die Übel zu vermeiden sucht (Michelet , ). C. Der Vorsatz Mit dem Vorsatz führt Michelet eine weitere Kategorie ein, die eine Erweiterung der Freiwilligkeit darstellen soll. Demnach können Handlungen durchaus freiwillig sein, auch wenn sie nicht vorsätzlich vollzogen wurden. So betrachtet, fügt der Vorsatz eine weitere notwendige Bedingung für eine Handlung im Vollsinne hinzu und grenzt dadurch die Menge der nun zu behandelnden Tätigkeiten ein. Der Abschnitt zum Vorsatz ist eingeteilt in den Teil zum Vorsätzlichen, zur zufälligen Tat und zum Versehen. Das Vorsätzliche ist eine Erweiterung der subjektiven Freiheit, da Michelet darunter nicht nur ein Wissen der unmittelbaren Umstände fasst, sondern ein Reflektieren über diese unmittelbaren Umstände, da sich der Vorsatz nicht auf einen Zweck, sondern die Mittel zu diesem bezieht. Das wiederum setzt einen Überlegungsprozess voraus, so dass für Michelet der Vorsatz auch praktisches Deliberieren impliziert, „so ist genauer das, was der Vorsatz nothwendig über das blos Freiwillige voraus hat, ein Berathschlagen (bouleusis); denn dieses muß jeder Wahl vorhergehen“ (Michelet , ). Zu dieser These gelangt er, da er Aristoteles’ Lehre der prohairesis verwendet, die bei Aristoteles bereits eine vorherige Überlegung impliziert. „Die ins Bewußtsein aufgenommenen Umstände werden durch den Vorsatz in eine vorgestellte Handlung, deren verschiedene Seiten sie ausmachen, umgewandelt, und erst nach der deutlichen Entwickelung dieser Vorstellung unternimmt der Mensch die vorsätzliche Handlung.“ (Michelet , ) Im Zuge seiner Diskussion verschiedener dolus-Lehren im Strafrecht kritisiert Michelet in der Folge die Positionen Feuerbachs und Grolmans zum Vorsatz. Diese, so sein Einwand, hätten fälschlicherweise ein Unrechtsbewusstsein als notwendige Bedingung einer vorsätzlichen Handlung bestimmt. Diesen Fehler wiederum führt er bei den beiden Strafrechtswissenschaftlern auf deren falsche Strafbegründung zurück. Erst an dieser Stelle geht Michelet, im Gegensatz zur Dissertation, auf die Strafbegründung ein. Der Fehler, das Unrechtsbewusstsein bereits selbst als Bedingung des Vorsatzes zu bestimmen, folge aus der falschen „Sicherheitstheorie“ des Strafens, wohingegen Michelet, wieder ganz im Einklang

 So auch bereits die Kritik in der Dissertation zu Beginn von Kap. II.  In der Dissertation hatte Michelet die Straftheorie der Thematisierung des Vorsatzes und der

Schuld vorangestellt.  Michelet , . So auch bereits in der Dissertation: „Jene Definitionen folgen notwendigerweise aus der Lehre der Sicherheit. Nach jener wird nämlich das Recht zu bestrafen nicht deshalb anerkannt, weil die Rechtsverletzung ungerecht ist, sondern weil sie für die öffentliche Sicherheit eine

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mit Hegel, die Gerechtigkeit des Strafens in der Wiedervergeltung sieht. In der Dissertation hatte Michelet diesen Einwand bereits vorgebracht, allerdings seine eigene dolus-Definition weniger klar abgegrenzt als nun im System. Hatte er in der Dissertation den dolus noch bestimmt als „die Absicht [„intentio“] derjenigen Handlung, deren Wesen in einer Rechtsverletzung besteht“ (Michelet ,  f.), und dadurch nicht klargemacht, dass die Rechtsverletzung nicht selbst als solche beabsichtigt worden sein muss, so macht er im System nun ganz klar, dass sich die Vorsätzlichkeit erstmal nur auf den jeweiligen Handlungstyp selbst bezieht, unabhängig von dessen Charakter, rechtswidrig zu sein (Michelet ,  f.). Zwar ist die Gesetzswidrigkeit und auch ein Wissen um diese weitere Strafbarkeitsvoraussetzung, allerdings ist sie nach Michelet anders als bei Feuerbach und Grolman nicht auf Ebene des Vorsatzes anzusiedeln. Auch wenn der Vorsatz vorhergehendes Reflektieren über die unmittelbaren Umstände und möglichen Mittel zur Erreichung des gesetzten Zweckes voraussetzt, schützt einen dies nicht davor, dass im Versuch der handelnden Willensverwirklichung dennoch etwas schiefgehen kann. Wir sind vor einem Scheitern im Handlungsvollzug nicht grundsätzlich geschützt. Dies führt Michelet zum Thema der zufälligen Tat. Ein Scheitern durch Zufall kann sich einerseits dadurch ergeben, dass wir zwar unser Ziel erreichen, damit allerdings noch Weiteres verursachen, das wir gar nicht zu verursachen vorhatten. Andererseits kann das Scheitern darin bestehen, dass der Erfolg unseres Handelns vereitelt wird. Zufall, bzw. zufällige Folgen des eigenen Handelns oder zufällige Vereitelung eines Zweckrealisierungsversuchs werden nach Michelet nicht zugerechnet, da sie kein Ausdruck der subjektiven Freiheit sind (Michelet , ). Nun sind nicht alle von einem Subjekt nicht vorhergesehenen Folgen auch zufällige und damit nicht zurechenbare Folgen. Insofern es sich bei Folgen um „real mögliche“ handelt, lassen sich diese als Versehen durchaus zuschreiben. Mit der Analyse des Versehens beginnt Michelet das Thema der Fahrlässigkeit und damit einhergehend das Thema der Sorgfaltspflicht (obligatio ad diligentiam). Hier handelt er damit auch die Phänomene ab, die in der Dissertation Teil der Analyse der culpa gewesen sind. Wir müssen nicht nur die allgemeinen Eigenschaften unserer Taten kennen und reflektieren, bevor wir zu handeln beGefahr darstellt; deshalb müssen die Bürger durch die Androhung der Gesetze abgeschreckt werden.“ (Michelet , )  So auch noch im heutigen deutschen Strafrecht. Man kann also vorsätzlich einen Straftatbestand erfüllen, ohne eine Straftat beabsichtigt zu haben, etwa dann, wenn man nicht wusste, dass die vollzogene Handlung unter Strafe stand.  Michelet (,  – ).  Michelet (, ).  Michelet (, ).

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ginnen, wir müssen auch mögliche, wenn auch nicht notwendige Folgen unseres Tuns reflektieren und mit Umsicht handeln, um diese zu vermeiden, insofern sie Unerwünschtes darstellen. Wir haben eine Pflicht zur Achtsamkeit, die auch impliziert, dass wir uns unter bestimmten Umständen nicht in solche Situationen begeben dürfen, die unsere Kontrolle und Handlungsfähigkeit schmälern. Hierhin gehört das Thema der sogenannten actio libera in causa, derjenigen Fallgruppe, in der man z. B. sich „selbst in den Zustand der Trunkenheit versetzt“ (Michelet , ). Trunkenheit wiederum ist ein Zustand, der unsere Freiwilligkeit, damit aber auch die Zurechnungsfähigkeit einschränkt. Da aber bzw. insofern das sich in diesen Zustand Versetzen selbst auf eine freie Handlung zurückgeht, lassen sich die Folgen dennoch zuschreiben. Michelet führt in diesem Abschnitt eine intensivere Diskussion der strafrechtswissenschaftlichen Konzeptionen von Fahrlässigkeit, Sorgfaltspflicht und verschiedenen dolus- und culpa-Konzeptionen, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll. Lediglich auf eine kleinere Bemerkung sei noch verwiesen. Michelet wirft von Almendingen einen Fehlschluss im Skopus der Negation vor: Almendingen verwechselt indessen das positive Wollen des Nichtsehens mit dem bloßen Nichtwollen des Sehens, und schiebt jenes diesem unter, obgleich nur das letztere culpa ist, als Abwesenheit eines Willens, der gefordert wird, ersteres allerdings dolus, als positiver Wille, der schlecht ist. Wenn A mit dem Auto auf der Autobahn fährt und auf die linke Überholspur wechseln will, dann wird gefordert, dass A über die Schulter blickt, um sich zu vergewissern, dass sich niemand im toten Winkel befindet. Wenn A dies unterlässt, einfach, weil A nicht daran denkt, also gar keinen Willen ausbildet, sich zu vergewissern, dann handelt es sich um ein schuldhaftes Tun, allerdings nicht um ein vorsätzliches. Wenn A hingegen sogar darüber nachdenkt, über die Schulter zu blicken, dann aber dezidiert den Willen ausbildet, nicht zu schauen, handelt es sich um ein vorsätzliches Nichthinsehen. Den Übergang vom Vorsatz zur Absicht bestimmt Michelet wie folgt: „Der Vorsatz aber, nicht mehr nur als der auf die Berathschlagung folgende Entschluß, gewiße Umstände zu verändern, sondern als Auffassen dieser allgemeinen Qualität der Handlung, und Streben sie zu realisieren, ist die Absicht.“ (Michelet , )

 Dabei handelt es sich um Ludwig Harscher von Almendingen ( – ).  Michelet (, ). So auch bereits in der Dissertation: „sed non distinguit velle non intelligere

et non velle intelligere: alterum ipsam voluntatem, quae mala est, alterum voluntatis, quae requiritur, absentiam exhibet.“ (Michelet , ).

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D. Die Absicht Wieder erfolgt eine Dreiteilung, diesmal in die direkte, die indirekte und die materielle Absicht. Die materielle Absicht betrifft zum Schluss des Abschnitts den Übergang in das Thema des zweiten Buches. Hier geht es dann darum, wie wir unsere Absichten inhaltlich bestimmen. Die direkte und die indirekte Absicht betreffen hingegen noch die formalen und dadurch handlungstheoretischen Aspekte des Handelns. Da wir auf die indirekte Absicht (dolus indirectus) im nächsten Unterkapitel noch eingehen, sei hier nur noch die direkte Absicht dargestellt. Die Absicht betrifft einen allgemeinen Kausalzusammenhang zwischen dem, was man jeweils tut, und den notwendigen Folgen, die mit einem bestimmten Tun einhergehen. Was auch immer wir tun, sobald wir handeln und dadurch Veränderungen in der raumzeitlichen Welt verursachen, stehen wir in mehreren Kausalzusammenhängen. Beispielsweise bedeutet die Bewegung in einem Raum von Ort O nach O nicht nur, dass man sich nun an O befindet, sondern auch, dass man sich nicht mehr an O befindet. Und insofern man durch seine Präsenz in einem Raum anderen Personen etwa die Sicht auf Dinge im Raum versperren kann, sind mögliche Folgen einer räumlichen Bewegung, dass man anderen etwa nun eine Sicht ermöglicht oder aber eben versperrt. Zugleich verbraucht die Bewegung Energie. Weil wir wesentlich denkende und damit zur Allgemeinheit fähige Wesen sind, lassen sich solche Folgen zurechnen, selbst wenn man es nur auf manche abgesehen hatte oder auch nicht einmal über die parallel damit einhergehenden nachgedacht hat. Mit dem dolus indirectus diskutiert Michelet dann genau die Grundlage, die auch bereits in der Dissertation für Fragen der Fahrlässigkeit relevant wurde. Darauf gehen wir im nun folgenden Abschnitt näher ein, wenn wir das Verhältnis Michelets zu Hegel und Aristoteles besprechen. IV. Die strafbare Handlung: Michelet zwischen Hegel und Aristoteles Wie sich in der zurückliegenden Darstellung gezeigt hat, sind Michelets Schriften zum Thema Vorsatz und Schuld durch drei Merkmale ausgezeichnet: (i) Michelet orientiert sich in der methodischen Entfaltung dieser Begriffe und der philosophischen Grundlegung an Hegel.  Es könnten noch viele weitere Folgen aufgelistet werden. Wichtig ist, dass hierdurch die Idee deutlich wird, dass die Allgemeinheit der Absicht all diese verschiedenen Folgen eines Tuns mit reflektiert. Das Kind, das vertieft in die Freuden des Spiels am Abend ganz überrascht ist über die eigene Erschöpfung, hat noch nicht mit reflektiert, dass diese Erschöpfung einfach notwendig einhergeht mit einem ganztägigen Herumlaufen im Freien.

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(ii) Michelet verwendet sehr ausführlich die „Zurechnungslehre“ des Aristoteles, insbesondere aus dem Anfang des dritten Buches der Nikomachischen Ethik. (iii) Michelet behandelt das Thema der Zurechnung in enger Auseinandersetzung mit dem Strafrecht und der Strafrechtswissenschaft seiner Zeit. Anhand dieser drei Merkmale wollen wir in diesem Teil Michelet als Interpreten der hegelschen Handlungstheorie darstellen. Dazu werden wir zwei Themen etwas genauer anschauen. Zum einen die aristotelische Unterscheidung zwischen unwissentlichem Handeln und Handeln aus Unwissenheit und zum anderen die Konzeption des dolus indirectus (der indirekten Absicht). Schließlich wird Michelets Verhältnis zu Hegel und seiner Handlungstheorie vorgestellt. A. Handeln aus Unwissenheit und unwissentliches Handeln Im Gegensatz zu Hegel verweist Michelet sowohl in seiner Dissertation als auch im System sehr oft auf Aristoteles’ Ethik, um seine eigene Zurechnungslehre zu begründen. Wie gesagt ist die Nikomachische Ethik wichtigster Bezugspunkt, insbesondere der Beginn des dritten Buches, in dem Aristoteles das Freiwillige und das Unfreiwillige einführt und analysiert. Von besonderem Interesse ist Michelets Wiederaufnahme der aristotelischen Unterscheidung zwischen einem Handeln aus Unwissenheit und unwissentlichem Handeln. Diese kannte und schätzte auch Hegel, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Dieser Unterschied erweist sich tatsächlich als bedeutungsvoll, um zwischen unfreiwilligen, unzurechenbaren Taten einerseits und schuldhaften, fahrlässigen, also zurechenbaren Handlungen andererseits zu unterscheiden. Nachdem Michelet in seiner Dissertation die dritte Art der Zurechnung eingeführt hat, die sich wie gesagt auf den Wert der Handlung bezieht, zitiert er folgenden Schritt aus Aristoteles’ Nikomachischer Ethik: Handeln aufgrund von Unwissenheit (di’ agnoian) scheint auch etwas anderes zu sein als Handeln in Unwissenheit (agnoôn). Wer in Trunkenheit oder im Zorn handelt, handelt, so nimmt man an, nicht aufgrund von Unwissenheit, sondern aufgrund eines der genannten Zustände, trotzdem nicht wissend, sondern in Unwissenheit. Nun befindet sich in Unwissenheit über das, was er tun und was er unterlassen soll, jeder schlechte Mensch; es ist ein solcher Fehler (hamartia), durch den Menschen ungerecht und überhaupt schlecht werden. Der Ausdruck „gegen das Wollen“ (akousios) wird jedoch nicht verwendet, wenn jemand das  Für Aristoteles’ Zurechnungslehre siehe die sehr ausführliche Studie von Béatrice Lienemann (). Siehe auch Loening ().

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für ihn Förderliche (sympheron) nicht weiß. Nicht die Unwissenheit im Vorsatz (prohairesis) macht ja die Handlung zu einer gegen das Wollen (sie macht sie vielmehr schlecht), auch nicht die Unkenntnis des Allgemeinen (denn wegen dieser Unwissenheit werden Menschen gerade getadelt), sondern die Unkenntnis des Einzelnen, das heißt der Umstände, unter denen das Handeln stattfindet, und der Dinge, mit denen es zu tun hat. Denn von diesen hängen Mitleid ebenso wie Verzeihung ab. Derjenige, der etwas hiervon nicht weiß, handelt also gegen sein Wollen. (EN III:  – , b  – a ) Aristoteles unterscheidet also ein Handeln, das gegen das Wollen bzw. unfreiwillig geschieht, von einem Handeln, das nicht gegen das Wollen geschieht. Ersteres verdiene Mitleid und Verzeihen, mildere also die Zurechnung oder hebe diese sogar auf. Die Frage ist dann, wann und weshalb ein Handeln gegen das Wollen vorliegt. Und hier kommt dann der Unterschied zwischen „aufgrund von Unwissenheit“ und „in Unwissenheit“ ins Spiel. Es ist also eine bestimmte Art der Unwissenheit, die eine Handlung schuldhaft macht (in Unwissenheit), und eine bestimmte Art der Unwissenheit, die Unwissenheit über die besonderen Umstände, die eine Handlung unfreiwillig und damit unzurechenbar macht (aufgrund von Unwissenheit). Die einzelnen Umstände, bezüglich derer es nach Aristoteles Unwissenheit geben kann, sind: ) Wer handelt?, ) Was wird getan?, ) In Bezug auf was wird es getan?, ) In welchem Bereich wird gehandelt?, ) Womit wird gehandelt?, ) Zu welchem Zweck wird gehandelt?, ) Wie, auf welche Weise wird gehandelt?. Im Fall der Unwissenheit bezüglich einer dieser Aspekte ist das Subjekt nicht an dem schuld, was es begeht, eben weil es aufgrund von Unwissenheit über die Umstände seiner Tat handelt. Diese erweist sich dadurch als unfreiwillig. Der Fall eines Menschen hingegen, der das ignoriert, was er wissen könnte und sollte (in Unwissenheit, „Unwissenheit des Allgemeinen“), ist davon verschieden: Die Folgen seiner Handlung sind ihm in diesem Fall zuzurechnen. Es geht um eine „schuldhafte Unwissenheit“, in der der Mensch „aktive Ursache seiner Unwissenheit ist“ – so Francesca Menegoni (, ; übersetzt von G.B). Diese schuldhafte Unwissenheit soll laut Aristoteles sogar bestraft werden: Allerdings fügen sie [die Gesetzgeber] Strafen gerade wegen der Unwissenheit zu, wenn jemand selbst für seine Unwissenheit verantwortlich scheint – wie zum Beispiel die Strafe für Betrunkene verdoppelt wird. Denn hier liegt der Ursprung der Handlung im Handelnden; er hatte ja die Kontrolle (kyrios) darüber, sich nicht zu betrinken, was dann die Ursache der Unwissenheit  Problematisch an der Aristotelesstelle ist, dass er zwei verschiedene Unterschiede diskutiert, bei

denen nicht ganz klar ist, wie sie sich zueinander verhalten: aufgrund von Unwissenheit vs. in Unwissenheit und Unwissenheit von Allgemeinem vs. Unwissenheit von Einzelnem. Siehe dazu Suavé Meyer (,  – ).

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wurde. Man bestraft auch diejenigen, die etwas in den Gesetzen nicht kennen, das man kennen muss und das nicht schwierig ist. Und so bei allem anderen, bei dem man die Unwissenheit für eine Folge von Nachlässigkeit (ameleia) hält, sofern es bei den Betreffenden liege, nicht unwissend zu sein; denn sie hatten schließlich die Kontrolle darüber, Sorgfalt zu üben. (EN III: , b  – a ) Das, was also Aristoteles als unwissentliches Handeln (in Unwissenheit) bestimmt, sieht ganz anders aus als das Handeln aus Unwissenheit und macht die Tat nicht unfreiwillig, sondern schuldhaft. Klassisch sind hier die unter Alkoholeinfluss begangenen Taten – die oben bereits genannten Fälle der actio libera in causa. Jedoch kannte natürlich auch Hegel die oben zitierte aristotelische Überlegung. Francesca Menegoni (, ) identifiziert Spuren davon in §  der Grundlinien, wo Hegel Folgendes behauptet: Verblendung des Augenblicks aber, Gereiztheit der Leidenschaft, Betrunkenheit, ü berhaupt was man die Stärke sinnlicher Triebfedern nennt […], zu Grü nden in der Zurechnung und der Bestimmung des Verbrechens selbst und seiner Strafbarkeit zu machen, und solche Umstände anzusehen, als ob durch sie die Schuld des Verbrechers hinweggenommen werde, heißt ihn gleichfalls (vergl. §. . . Anm.) nicht nach dem Rechte und der Ehre des Menschen behandeln, als dessen Natur eben dieß ist, wesentlich ein Allgemeines, nicht ein abstract-Augenblickliches und Vereinzeltes des Wissens zu seyn. (GW ,: §  Anm.) Hegel verweist aber auch explizit auf die aristotelische Unterscheidung zwischen den zwei Arten der Unwissenheit in einer Fußnote zu §  der Grundlinien, in der er anerkennt, dass „Aristoteles […] eine tiefere Einsicht in den Zusammenhang des Erkennens und Wollens [hatte], als in einer flachen Philosophie gäng und gebe geworden ist, welche lehrt, daß das Nichterkennen, das Gemüth und die Begeisterung die wahrhaften Principien des sittlichen Handelns seyen“ (GW ,: §  Anm. Fn. ). Hegel unterstreicht das, nachdem er die Unterscheidung Aristoteles’ eingeführt hat, ob der Handelnde οὐκ εἰδὼς oder ἀγνοῶν sey; in jenem Falle der Unwissenheit handelt er unfreiwillig (diese Unwissenheit bezieht sich auf die äußern Umstände) (s. oben §. .) und die Handlung ist ihm nicht zuzurechnen. Ueber den andern Fall aber sagt Aristoteles: ‚Jeder Schlechte erkennt nicht was zu thun und was zu lassen ist, und eben dieser Mangel (ἁμαρτια) ist es, was die Menschen ungerecht und ü berhaupt böse macht.‘ Die Nichterkenntniß der Wahl des Guten und Bösen macht nicht, daß eine Handlung unfreiwillig ist (nicht zu Hierbei steht das οὐκ εἰδὼς für di’ agnoian.

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gerechnet werden kann) sondern nur, daß sie schlecht ist. (GW ,: §  Anm. Fn. ) Aus dem Gesagten ergibt sich also, dass auch Hegel das Handeln aus Unwissenheit als Grund für die Unfreiwilligkeit der Handlung betrachtet und spezifiziert, dass es um die Unwissenheit der äußeren Umstände geht: Er weist auf §  der Grundlinien zurück, in dem das Recht des Wissens des subjektiven Willens eingeführt wird, nur das als das Seinige anzuerkennen, was er in der realisierten Tat gewusst hat. Hegel unterscheidet also eine Art Unwissenheit, die dem Handelnden nicht zugerechnet werden kann, von einer Art schuldhafter Unwissenheit, die ihn bösartig und für seine Bösartigkeit verantwortlich macht. B. Die strafrechtliche Figur des dolus indirectus Bereits Hegel selbst hatte in der Anmerkung zu §  geschrieben: „Die Erfindung des dolus indirectus hat in dem Betrachteten ihren Grund.“ (GW ,: §  Anm.) Hier ist insbesondere nicht ganz klar, worauf sich das „Betrachten“ bezieht. Hegel diskutiert in dem Paragraphen erstmal nur das Thema der Allgemeinheit der Handlung und damit das Thema der Absicht. Allerdings reicht dieses Merkmal nicht aus, um die strafrechtswissenschaftliche Figur des dolus indirectus zu erklären. Darin ist Michelet deutlich expliziter. Michelet definiert den dolus indirectus als „eine nicht beabsichtigte Rechtsverletzung […], welche als die nothwendige Folge einer beabsichtigten anzusehen ist“ (Michelet , ). Aufgrund der Allgemeinheit des Willens, der vernünftigen Natur freier Willenssubjekte, denkende Wesen zu sein, folgt für Michelet die Möglichkeit, auch dann bestimmte Folgen zuzurechnen, wenn diese nicht selbst beabsichtigt waren. In diesem Fall müssen die zurechenbaren Folgen notwendige Folgen dessen sein, was faktisch getan wurde. Wenn A mit einem Messer B in den Handrücken schneidet, dann kann A nicht sagen, nicht beabsichtigt zu haben, B zu verletzen. Denn zu sagen, dass A ja nur diesen Gegenstand über B’s Handrücken ziehen wollte, bedeutet eben aufgrund der dispositionalen Eigenschaften des Stahls, der Schärfe und der Haut, dass dies mit Notwendigkeit einen Hautschnitt nach sich ziehen würde. Damit ist aber erst eine von zwei notwendigen Bedingungen einer indirekten Absicht gegeben. Für die Zurechnung nicht-beabsichtigter Folgen, die selbst die Verwirklichung einer Rechtsverletzung darstellt, muss die beabsichtigte Handlung, die diese zweite zur notwendigen Folge hatte, selbst  Der dolus indirectus ist eine von verschiedenen Denkfiguren, die die schwierige Frage nach der Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit bestimmen sollen. Für einen historischen Abriss des Problems, für unbewusste Fahrlässigkeit zu bestrafen, siehe Koch (); dazu kritisch Spilgies ().

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bereits eine Rechtsverletzung sein. Damit wird deutlich, dass der dolus indirectus zwei notwendige und erst gemeinsam hinreichende Bedingungen hat. Die Folge einer Tat x ist indirekt beabsichtigt genau dann, wenn (i) x eine notwendige Folge einer direkt beabsichtigten Handlung h ist & (ii) h eine Rechtsverletzung darstellt.

Hier wird nun klar, weshalb dieses Phänomen noch dem Begriff des dolus und noch nicht der culpa zugeordnet wird. Die indirekte Absicht ist deshalb noch eine Absicht und nicht bloß fahrlässiges Handeln, weil es sich dabei um notwendige Folgen einer direkt beabsichtigten Rechtsverletzung handelt. Am Beispiel des dolus indirectus zeigt sich erneut, dass Michelet diesen Begriff ausführlicher analysiert, als Hegel dies getan hat. C. Michelet als Interpret der hegelschen Handlungstheorie Michelets Dissertation wies von den zwei hier dargestellten Schriften eine stärkere Orientierung an Hegels Grundlinien, insbesondere an dem Moralitätsteil, auf und ist insofern als weniger eigenständig zu betrachten. Das Besondere an der Arbeit ist, dass Michelet die Argumentationslinien Hegels stärker herausarbeitet und beispielsweise explizit von den drei Zurechnungsstufen spricht. Zudem stellt er den Transfer zu den strafrechtswissenschaftlichen Debatten der damaligen Zeit her, die zwar bei Hegel sicherlich im Hintergrund mitreflektiert, aber nicht explizit diskutiert wurden. Die spätere Monographie bleibt zwar Hegel in vieler Hinsicht treu, alleine der Aufbau entspricht der Dreierstruktur des Moralitätsteils. Allerdings ist sie erstens wesentlich umfangreicher und diskutiert auch explizit historische Entwicklungen der Zurechnungsthematik. Zweitens lässt sich in dieser späteren Schrift aber auch eine stärkere Orientierung an Aristoteles feststellen. Auch dieser hatte natürlich bei der Dissertation Pate gestanden. Jedoch nimmt Michelet erst im System eine stärker aristotelische Perspektive ein. Hegels Handlungstheorie, wenn man uns zugesteht, dass die Moralität eine solche enthält, wird von Michelet ganz im Sinne Hegels expliziert. Michelet nimmt gerade auch im System methodisch Bezug auf Hegel. Dies zeigt sich exemplarisch an dem Thema des Übergangs von Absicht zu Fahrlässigkeit, wenn Michelet auf Grundlage der hegelschen Betrachtung von innerer und äußerer Perspektive willentlicher Selbstverwirklichung argumentiert.  Hegel nennt nur die erste notwendige Bedingung, Michelet hingegen beide.  Diese Rechtsfigur ist später in die sogenannten erfolgsqualifizierten Delikte eingegangen. Siehe

dazu Rengier ().

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Interessant ist, dass die Thematisierung der strafrechtlichen Begriffe des dolus und der culpa in der Dissertation auf einer anderen Ebene angesiedelt ist als Vorsatz, Schuld und Absicht bei Hegel. Letztere bespricht Michelet im Verbund mit dem Rest der Moralität als Teile einer (philosophischen) Zurechnungslehre. Diese wiederum enthält bestimmte Elemente, die dann für die Fragen und Probleme innerhalb des Strafrechts bezüglich dolus und culpa, also insbesondere für die Abgrenzung noch vorsätzlichen von fahrlässigem Handeln, nutzbar gemacht werden. Damit zeigt sich aber auch, dass Hegel mit seiner Moralität selbst nicht einfach eine Handlungslehre für das Strafrecht liefert, sondern das Phänomen des Handelns auf grundlegenderer Ebene analysiert. Für gegenwärtige Untersuchungen zu Hegels Verantwortungstheorie etwa zeigt das, dass Hegel nicht einfach eine Analyse rechtlicher Verantwortung liefert, was man meinen könnte, insbesondere in Anbetracht der von ihm gewählten Beispiele. Für den Vergleich zwischen Dissertation und System kann noch bemerkt werden, dass das System nicht nur den Fokus von strafrechtlichen Begriffen auf eine philosophische Theorie verschiebt. Diente die philosophische Zurechnungslehre in der Dissertation noch der Analyse strafrechtlicher Kategorien, so ist die philosophische Theorie im System das Hauptthema und Michelet begnügt sich mit einer „Rücksicht auf die juridische Imputation“. Auch nimmt das System eine Verschiebung des Themas der Zurechnung und der hegelschen Moralität vor. Das . Kap. der Dissertation hatte die gesamte Moralität Hegels als eine Zurechnungslehre betrachtet. Daher spielten auch viele wichtige Aspekte der Moralität der Grundlinien keine Rolle. Das System hingegen analysiert die Zurechnungslehre nun nur noch im ersten Buch, das in etwa den §§  –  der Grundlinien entspricht. Wieder näher am Programm der hegelschen Moralität orientiert analysiert dann das zweite Buch „Die Zwecke der Glückseligkeit“ (das Wohl bei Hegel) und das dritte Buch „Das höchste Gut“ (Das Gute und das Gewissen bei Hegel). V. Schluss Ziel dieses Aufsatzes war es, die Handlungstheorie Karl Ludwig Michelets darzustellen. Dabei lag zunächst der Fokus auf Michelets Dissertation, die er  bei Hegel geschrieben hatte. Diese Arbeit ist deshalb so interessant, weil sie durch das Betreuungsverhältnis und die inhaltliche Nähe zu Hegels Grundlinien, insbesondere zur „Moralität“, Aufschluss darüber gibt, wie die einzelnen Teile der Moralität, die schwer zu verstehen sind, aufgeschlüsselt werden könnten. Zudem handelt es sich bei der Dissertation, aber auch bei dem System von  um zwei Arbeiten Michelets, die bisher in der Literatur zwar erwähnt und manchmal auch ansatzweise  Für Hegels Theorie der Verantwortung in den Grundlinien siehe Meyer (a).

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in Fußnoten diskutiert wurden, jedoch keine eigene Auseinandersetzung erfahren haben (vgl. aber jetzt Battistoni ). Das sollte deshalb hier nachgeholt werden. Jedoch mussten wir uns auch hierbei beschränken, so dass die letzten beiden Bücher des Systems nicht besprochen werden konnten. Interessant und lehrreich sind Michelets Dissertation und das System, wenn man sie als Interpretationen, Explikationen und Anwendungen der hegelschen Handlungstheorie versteht. Nicht nur wird deutlich, dass die Moralität der hegelschen Grundlinien klarerweise eine handlungstheoretische Zurechnungslehre enthält, die nicht gleichzusetzen ist mit einem Beitrag zu strafrechtswissenschaftlichen Fragen. Zugleich zeigt Michelet auch auf, wie diese handlungs- und moralphilosophischen Analysen herangezogen werden können, um strafrechtswissenschaftliche Fragen und Probleme anzugehen. Insofern kann auch Michelet als derjenige angesehen werden, der einen strafrechtlichen Hegelianismus begründet hat, insofern er einen Weg aufgezeigt hat, mit den Mitteln der hegelschen Philosophie Fragen und Probleme des Strafrechts anzugehen. So hat Michelet in seiner sechzig Jahre nach der Dissertation erschienenen Autobiographie darauf hingewiesen, „von vielen Rechtsgelehrten, wie Abegg und Gans, ehrenvoll erwähnt, von mehrern Criminalisten, wie Köstlin, benutzt: aber auch von einem, der sogar mein Zuhörer gewesen ist, von Professor Berner, angegriffen“ worden zu sein (Michelet ,  f.). Siglen ALR

Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten. Berlin, .

B

Briefe von und an Hegel.  Bände. Herausgegeben von Johannes Hoffmeister und Rolf Flechsig bzw. Friedhelm Nicolin. Hamburg,  – .

De Leg. Platon. Gesetze. Übersetzt und erläutert von Otto Apelt. Hamburg, . EN

Aristoteles. Nikomachische Ethik. Übersetzt und herausgegeben von Ursula Wolf. Hamburg, .

GW

Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Gesammelte Werke. In Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft herausgegeben von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. Hamburg,  ff.

TWA

Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Werke in zwanzig Bänden. Auf der Grundlage der Werke von  –  neu edierte Ausgabe. Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Frankfurt a. M.,  ff.

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THOMAS MEYER

Meyer, Thomas. . „Strafrechtliche Hegelianer im . Jahrhundert“. In: Hegels Erben? Strafrechtliche Hegelianer vom . bis zum . Jahrhundert, hg. v. M. Kubiciel, M. Pawlik u. K. Seelmann,  – . Tübingen. – a. Verantwortung und Verursachung. Eine moral- und rechtsphilosophische Studie zu Hegel. Hamburg. – b. „Zwischen positivem Recht und Vernunft. Karl Bindings Verhältnis zu Hegel und den Hegelianern des . Jahrhunderts“, in: „Eine gewaltige Erscheinung des positiven Rechts“ Karl Bindings Normen- und Strafrechtstheorie, hg. v. M. Kubiciel, M. Löhnig, M. Pawlik, C. Stuckenberg u. W. Wohlers,  – . Tübingen. Michelet, Karl Ludwig. . De doli et culpae in jure criminali notionibus. Berolini. — . Die Ethik des Aristoteles in ihrem Verhältnisse zum Systeme der Moral. Berlin. — . Das System der philosophischen Moral, mit Rücksicht auf die juridische Imputation, die Geschichte der Moral und das christliche Moralprinzip. Berlin. — . Wahrheit aus meinem Leben. Berlin. Moser, Matthias. . Hegels Schüler C. L. Michelet: Recht und Geschichte jenseits der Schulteilung. Berlin. Nettelbladt, Daniel. . Dissertatio Iuridica de Homicidio ex Intentione Indirecta Commisso. Hala Magdeburgica. Nicolin, Günter, Hg. . Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. Berlin. Ottmann, Henning. . Individuum und Gemeinschaft bei Hegel. Band . Hegel im Spiegel der Interpretationen. Berlin/New York. Pawlik, Michael. . Das Unrecht des Bürgers. Tübingen. Rengier, Rudolf. . Erfolgsqualifizierte Delikte und verwandte Erscheiungsformen. Tübingen. Spilgies, Gunnar. . „Über die Aporie der Schuldbegründung bei unbewusster Fahrlässigkeit in einem auf Willensfreiheit gegründeten Schuldstrafrecht. Anmerkungen zu Arnd Koch, ZIS , “. Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik  – :  – . Stuckenberg, Carl-Friedrich. . Vorstudien zu Vorsatz und Irrtum im Völkerstrafrecht. Versuch einer Elementarlehre für eine übernationale Vorsatzdogmatik. Berlin. Suavé Meyer, Susan. . Aristotle on Moral Responsibility. Character and Cause. Oxford. Quante, Michael. . Hegels Begriff der Handlung. Stuttgart-Bad Cannstatt. – . Hegel’s Concept of Action. Cambridge. – . Die Wirklichkeit des Geistes. Studien zu Hegel. Berlin. Vieweg, Klaus. . Das Denken der Freiheit. Mü nchen. — . Hegel: Der Philosoph der Freiheit. München.

Stephan Zimmermann DIE „ALLGEMEINE HANDLUNGSWEISE“ Zu Hegels Begriff der Sitte*

A B S T R A C T : This paper elaborates upon the central features of the concept of Sitte, the culminating concept of Hegel’s philosophy of right. I ask what characterizes the phenomenon of custom as such, which Hegel takes to be the content of a separate and even the highest sphere of rights and duties, namely the ethical ones. The Grundlinien der Philosophie des Rechts first draw together three features by determining Sitte as a “general mode of action”, but Hegel goes on to add two more. Custom is a habitual mode of action that is shared by many individuals and characterized only in the abstract; and for the individual, it is a sincere external expression of one’s inner disposition, constituting the unity of the universal good on the one hand and one’s private welfare on the other. Hegel’s five determinations of the phenomenon are illustrated by the three ethical spheres family, civil society and political state.

Eine der tiefgreifenden Innovationen der hegelschen Rechtsphilosophie liegt in der Einführung einer neuartigen Sphäre von Rechten und Pflichten. Der Erscheinung lebendiger Sitte gesteht das vormalige Naturrecht niemals die Würde einer eigenständigen Rechtsform zu; wo es die Gepflogenheiten des gesellschaftlichen Daseins der Menschen überhaupt in Betracht zieht, setzt es diese sogleich zu einer niederen und vernachlässigbaren Größe herab. Die Naturrechtslehrer der Neuzeit kennen zunächst keine andere Art des Rechts als das äußerlich erzwingbare, in Hegels Sprache: das abstrakte Recht. Im Laufe des . Jahrhunderts tritt dem unter dem Namen der ‚Ethik‘ zunehmend ein der Erzwingbarkeit durch Gesellschaft entzogener Bereich der Innerlichkeit zur Seite, mit Hegel gesprochen die Moralität. Rechte und Pflichten jedoch, die darauf ausgehen, das menschliche Leben in einer darüber hinausreichenden, noch umfassenderen Weise zu institutionalisieren, sind daneben nicht vorgesehen. Bereits in seinen frühen Naturrechtsaufsatz von /, Hegels erster rechtsphilosophischer Arbeit im engeren Sinne, nimmt er Überlegungen zur Sitte auf. Darin kündigt sich eine neue Herausforderung für die Rechtsphilosophie an, welche die bis dahin gängigen Gebäude des neuzeitlichen Naturrechts sprengt. Die späteren Grundlinien der Philosophie des Rechts aus dem Jahr  enthalten Hegels reife und ausführlichste Darstellung dieser Dimension von Rechten und Pflichten, *Für hilfreiche Anregungen und Hinweise danke ich Theo Kobusch, Sebastian Ostritsch, Ludwig Siep, Pirmin Stekeler-Weithofer und Klaus Vieweg. Hegel-Studien  · © Felix Meiner Verlag · ISSN -

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die er insgesamt als ‚Sittlichkeit‘ anspricht. Der entsprechende Abschnitt in der ansonsten stark erweiterten Fassung der zweiten und dritten Auflage der Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften (/) fällt demgegenüber durch Gedrängtheit auf. Weil dieser Teil des Systems schon in den Grundlinien ausgebreitet vorliegt, kann sich Hegel hier kürzer fassen als zu den restlichen Systemteilen. Im Folgenden will ich diejenigen Merkmale des Begriffs von Sitte, in den die hegelsche Rechtsphilosophie einmündet, herausarbeiten, welche meines Erachtens die zentralen sind. Die leitende Frage ist, was das Phänomen der Sitte, an das sich Hegel zufolge ein eigener und sogar der höchste Kreis von Rechten und Pflichten anschließen soll, als solches kennzeichnet. Aufgrund ihrer Ausführlichkeit und weil ich nicht der Entwicklungsgeschichte von Hegels Überlegungen zur Sittlichkeit nachgehen, sondern mich allein auf seine reife Auffassung einlassen möchte, werde ich mich vornehmlich an die Grundlinien halten. Dort zieht Hegel drei der einschlägigen Merkmale einer Sitte in der Bestimmung als „allgemeine Handlungsweise“ (GW ,: § ) zusammen. Aber nicht alle, zwei weitere Kennzeichen kommen noch hinzu. Diese fünf begrifflichen Bestimmungen, die eine Sitte als eine solche ausmachen (was nicht heißt, dass sich in Hegels Texten daneben nicht noch weitere zusammenfinden lassen), werde ich darlegen und erläutern. Außen vor lasse ich dagegen Fragen der Art, ob Hegels Rechtsphilosophie als eine Lehre des Naturrechts zu verstehen ist oder inwiefern sie sich von den vormaligen Naturrechtssystemen abhebt. I. Sitte als Inhalt von Rechten und Pflichten Rechtsphilosophie ist in Hegels philosophischem System die Lehre vom objektiven Geist. Philosophie des Rechts und Philosophie des objektiven Geistes sind eins. Ihre Aufgabe besteht im Kern darin, die unterschiedlichen Typen von Rechten mitsamt den ihnen korrespondierenden Pflichten zu rekonstruieren, welche sich – so die oder eine Eigentümlichkeit des hegelschen Denkens im Verhältnis zur Naturrechtstradition der Moderne – im Stufengang der Selbstentfaltung des menschlichen Geistes auf längere Sicht gesehen zur Wirklichkeit ausgebildet haben. Mit ihnen ist eine neue Gestaltung des Geistes erreicht, ein gegenüber dem subjektiven Geist höheres Verständnis des Menschen seiner selbst als eines geistigen Wesens.

 Wie Hegel auch eigens bemerkt. Vgl. GW : § .  Vgl. GW : §  Anm. Zu dieser und anderen Eigentümlichkeiten des hegelschen Denkens im

Verhältnis zur modernen Naturrechtstradition siehe Riedel (); Bobbio (); Seubold ().

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Der subjektive Geist ist subjektiv, weil er sich durch Bestimmungen auszeichnet, die bloß den einzelnen Menschen angehen. Das Vorliegen solcher Bestimmungen bei einem Individuum bedeutet nicht zwingend das Vorliegen einer korrespondierenden Bestimmung aufseiten eines anderen. Wenn ich z. B. eine Empfindung verspüre, einer Sache bewusst bin, etwas anschaue oder mich daran erinnere, zur Realisierung meiner Neigungen eine Wahl treffe oder sie unter dem umgreifenden Gesichtspunkt meiner Glückseligkeit realisiere, heißt das zunächst nichts für Andere. Das Subjektive des subjektiven Geistes ist darin zu sehen, dass er etwas Privates oder Partikuläres, d. h. solches zum Inhalt hat, was den Einzelnen allein und andere Menschen nicht eo ipso mit betrifft (siehe dazu Stederoth ,  ff.). Anders beim objektiven Geist. Dieser ist objektiv, weil die Rechte und Pflichten, welche er zusätzlich zu den privaten Inhalten befasst, solche Bestimmungen sind, die von sich aus auf andere Menschen verweisen. Hier gilt gerade, dass das Vorliegen einer solchen Bestimmung aufseiten eines Individuums notwendig das Vorliegen einer korrespondierenden Bestimmung bei anderen mit sich führt. Wenn einer Person – um ein Beispiel aus dem Bereich von Hegels abstraktem Recht zu nehmen – etwas als Eigentum zugehört (sie also das Recht hat, eine äußere Sache nach Belieben zu benutzen), bedeutet das unmittelbar die Pflicht aller übrigen Personen, die betreffende Sache nicht, jedenfalls nicht ohne Einwilligung des Eigentümers zu benutzen. Das Recht des einen geht hier seiner Natur nach mit der Pflicht der anderen Hand in Hand. Mithin liegt das Objektive des objektiven Geistes darin, dass er etwas Allgemeines, sprich solches zum Inhalt hat, was nicht nur einen Einzelnen, sondern ihn und andere Menschen gemeinsam betrifft. Wenn man dafür den von Hegel selber nicht verwendeten Ausdruck des ‚Intersubjektiven‘ heranziehen möchte, kann man sagen, die Lehre vom objektiven Geist, indem sie es mit „Correlata“ (GW : § ) zu tun hat, wie Hegel sich in der Encyklopädie ausdrückt (den Begriffen Recht und Pflicht), hat es mit objektiven qua intersubjektiven Bestimmungen zu tun: mit einer der Partikularität der Individuen gegenüberstehenden und sie überschreitenden Intersubjektivität ihres Verwiesenseins aufeinander.

 „Pflichten und Rechte also führen sich herbei“ (GW ,: ), heißt es in Hothos Nachschrift von Hegels Vorlesung über Rechtsphilosophie aus dem Wintersemester /.  Der objektive Geist ist nicht deshalb objektiv, weil sich der schon zu etwas bestimmte Wille nun erst äußert (vgl. Rometsch ,  f. und ). Dass sich bereits der subjektive Geist äußert, dafür siehe etwa GW : §§ , ,  Anm.; TWA : §§  Zus.,  Zus.,  Zus., wo Hegel u. a. von den Produkten des subjektiven Geistes, von Genuss und der Befriedigung von Trieben sowie von der Tätigkeit der Ausführung von Zwecken spricht (statt von Handlung oder Tat, die erst rechtsphilosophische Begriffe sind).  Auch in seiner Vorlesung über Rechtsphilosophie vom Wintersemester / sagt Hegel der Nachschrift von Griesheims zufolge: „Die Pflicht ist das Correlatum des Rechts.“ (GW ,: )

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Dieses Allgemeine fällt in der Domäne des abstrakten Rechts anders aus als in der der Moralität und wieder anders in der der Sittlichkeit. Die Art der Gemeinsamkeit ist je eine andere, wie nämlich die begrifflichen „Correlata“ (die einander korrespondierenden Rechte und Pflichten) an die Beteiligten verteilt sind: wer berechtigt und verpflichtet ist und wozu er berechtigt bzw. verpflichtet ist. Im Bereich der Sittlichkeit, um den es mir hier geht, hat, kurz gesagt, jeder der Beteiligten zugleich Rechte und Pflichten, noch dazu ein und dieselben. Während die Lehre des subjektiven Geistes das vernünftige menschliche Individuum begrifflich entwickelt, entwickelt die des objektiven Geistes den Begriff der vernünftigen Beziehungen unter den Menschen. Diese Beziehungen bleiben den Individuen nicht äußerlich, sondern verwandeln sie im Inneren. Die Menschen verstehen sich selbst anders, als Träger von Rechten und Pflichten und damit im Verhältnis zueinander, eben als anderen gegenüber berechtigt bzw. verpflichtet. Jede spätere Rechtsdimension ist dabei strukturell komplexer, reichhaltiger als die frühere, aus der sie hervorgeht und deren Struktur sie in sich fortbewahrt. Auf die abstrakten Rechte und Pflichten folgen im Stufengang des Geistes die moralischen und schlussendlich die sittlichen. Und zwar ist die Komplexität der Rechte und Pflichten Sache ihres Inhalts. Hegel differenziert sie mit Blick auf das, was sie beinhalten. Er kennt einen abstrakten, einen moralischen sowie einen sittlichen Typ an Rechten und Pflichten, und diese Differenz macht sich an der grundlegenden Struktur dessen fest, wozu ihr Träger jeweils berechtigt bzw. verpflichtet ist. Hier ist es, dass sich die Erscheinung der Sitte einen in der neuzeitlichen Tradition des Naturrechts unbekannten rechtlichen Ort erobert: Sie erhält bei Hegel die Form des Rechts. Sittlichkeit ist eine Gestaltung des objektiven Geistes und nach der des abstrakten Rechts und der Moralität sogar die strukturell reichhaltigste. Anders noch als im abstrakten Recht und der Moralität ist man jetzt dazu verpflichtet, sich zu einem sittlichen Wesen zu bilden sowie Andere nicht daran zu hindern, das Nämliche zu tun; und man ist berechtigt, sich dazu zu bilden sowie von Anderen zu fordern, das Nämliche zu tun. Zur Sprache kommen dabei jedoch nicht irgendwelche Traditionen und Bräuche gesellschaftlicher Praxis. Hegels Rechtsphilosophie kennt lediglich einige, und die sind weder austauschbar noch erweiterbar. Denn es soll sich dabei eben um die Sitten handeln, die Inhalt gewisser Rechte und Pflichten, und zwar derjenigen sind, wie es in der Encyklopädie heißt, die sich „durch die Natur der Sache, d.i. den Begriff“ (GW : § ), bestimmen. Hegels Auffassung von Sittlichkeit hat nichts  Vgl. GW ,: § . Siehe dazu auch Ringiers Nachschrift von Hegels Vorlesung über Rechtsphilosophie im Wintersemester / (vgl. GW ,: ).  So etwa in der Encyklopädie: „Die wahre Freiheit ist als Sittlichkeit diß, daß der Wille nicht subjektive, d.i. eigensüchtige, sondern allgemeinen Inhalt zu seinen Zwecken hat“ (GW : §  Anm.).

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von einem platten Konventionalismus an sich, der vernünftige Konventionen nicht von unvernünftigen zu scheiden vermag. Die fraglichen Sozialformationen, welche sich „durch die Natur der Sache“ bestimmen – die im objektiven Geist des Menschen angelegt sind und den „Begriff“ der Sittlichkeit zur Entfaltung bringen –, sind dreierlei. Es soll drei sittliche Kreise geben, die dadurch vor allen anderen, davon uns die empirischen Sozialwissenschaften ein vielfarbiges Bild zeichnen, herausragen, dass sich die Rechtsphilosophie auf sie erstreckt und als vernünftige rekonstruiert. Da ist erstens die von Liebe getragene Praxis der Familie, zweitens die bürgerliche Gesellschaft, die zu ihrer Basis die marktförmige Befriedigung von Bedürfnissen hat, sowie drittens der politische Staat, in dem diejenige Freiheit, welche die Domäne der rechtlich geformten Sitten insgesamt charakterisiert, zu vollendeter Wirklichkeit gelangt. Ich will mich jedoch darauf beschränken, Hegels generelle Erklärung der Sitte nachzuzeichnen. Das jeweils Spezifische dieser drei sittlichen Kreise werde ich einzig zum Zweck der Veranschaulichung heranziehen. Darlegen und erläutern möchte ich stattdessen, was man sich überhaupt unter einer Sitte vorzustellen hat; deren verschiedene Aspekte werde ich anhand der familialen, bürgerlichen und politischen Sitte lediglich illustrieren. Es versteht sich, dass bei dieser Illustrierung nicht sämtliche Eigenschaften der jeweiligen Sitte Erwähnung finden. Und auch das soll mich nicht beschäftigen, was Rechte und Pflichten im Allgemeinen sind oder wie deren verschiedene Typen, die Hegel differenziert, auseinander hervorgehen. Einzig die Sitte als der Inhalt eines besonderen Typs an Rechten und Pflichten interessiert mich. Hegels diesbezügliche Erklärung der Sitte zieht sich in den Grundlinien zum Großteil in eine Formulierung zusammen. Diese findet sich in den einleitenden Paragraphen zum Abschnitt der Sittlichkeit und lautet auf „allgemeine Handlungsweise“. Anders als im abstrakten Recht geht es nun nicht mehr um Rechte und Pflichten, die bloß die äußere Ausführung einer Handlung anbelangen, oder wie in der Moralität um solche, die zuvor auch die innere Vorbereitung einer Handlung anbelangen, sondern um solche Rechte und Pflichten geht es, eine Handlung gemäß einer allgemeinen Handlungsweise vorzubereiten und sodann auszuführen. Mit dieser Formulierung möchte ich einsetzen. Bei näherem Zusehen legt sich allerdings das Allgemeine einer solchen Weise des Handelns in drei verschiedene Aspekte auseinander. Dass Sitte eine allgemeine Weise des Handelns ausmacht, kann dreierlei bedeuten. Und alle drei Bedeutungen sind für Hegel wichtig.  So auch Neuhouser (,  ff.). Das übersieht O’Neill, die kommunitaristischen Autoren

deren vermeintlichen „Hegelianism“ vorhält und undifferenziert von „Sittlichkeit“ (O’Neill ,  f.) spricht, wo sie die Lebensformen adressiert, welche jene Autoren über die des westlichen Liberalismus erheben.

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II. Sitte als gewohnheitsmäßige Handlungsweise Eine Sitte ist zunächst einmal dahingehend als eine allgemeine Handlungsweise zu begreifen, als sie nicht bloß ein einziges Mal oder auch nur dann und wann zur Anwendung kommt. Allgemein ist eine Weise des Handelns, sofern sie weit mehr als einen Fall vorzuweisen hat, sofern sie öfter vollzogen wird. Den Namen einer echten Sitte verdient allein, wenn sich Menschen immer wieder auf eine gewisse Art verhalten. Der erste für eine Sitte qua „allgemeine Handlungsweise“ konstitutive Aspekt von Allgemeinheit betrifft den Umfang der Anwendungsfälle, welchen jene besitzt: Die jeweilige Weise zu handeln wird in den meisten oder gar allen dazugehörigen Lagen und Umständen praktiziert. Wo Sitten in Kraft sind, muss das Trachten und Treiben der Menschen nicht mehr am unablässigen Wechsel äußerer Gegebenheiten und innerer Neigungen Maß nehmen. Es kann sich auf anderes noch stützen als auf das schwankende Fundament zufälliger Bedingungen. Wohl ereignet sich alles Handeln hier und jetzt, doch legen Konventionen durch die Fülle menschlichen Verhaltens eine Schneise der Einheit; sie machen, dass das konkrete Tun und Lassen über sich hinausreicht, indem sie es flexibel, aber stetig vereinheitlichen. Die Regelmäßigkeiten, in welche sich eine Lebensform eingerichtet hat, ermöglichen und tragen ein übers andere Mal die Realisierung identischer und den folgerechten Anschluss differenter Akte. Mit anderen Worten hat eine Sitte den Charakter der Gepflogenheit. Sie ist dasjenige, was die Menschen zu tun oder zu lassen pflegen. Hegel selber kennzeichnet sie als eine „Gewohnheit“ (GW ,: § ). Als solche ist sie das Ergebnis eines Vorgangs der Gewöhnung, eine durch häufige oder gar fortgesetzte Wiederholung eingeübte und mehr oder weniger selbstverständlich gewordene Art des menschlichen Verhaltens. Ihr erneuter Vollzug verlangt dann keine gesteigerte Aufmerksamkeit mehr. Die sittliche Welt ist ein Ort des Üblichen und Selbstverständlichen. Man tut nicht, was man tut, um einer Sitte zu genügen; diese ist einem in Fleisch und Blut übergegangen und wird meist nahezu unbewusst dargelebt. Nach Maßgabe einer allgemeinen im Sinne von gewohnheitsmäßigen Handlungsweise ist es, dass sich der Einzelne hic et nunc zu einer besonderen Handlung bestimmt. Mit einem an die Nikomachische Ethik des Aristoteles angelehnten Wort charakterisiert Hegel die Sitte in den Grundlinien als eine „zweyte Natur“ des Menschen (siehe auch GW ,: § ). Nach Aristoteles „ist die Gewohnheit schwer zu ändern, weil sie der Natur gleicht“ (NE a f.). Und er bemüht eine Sentenz  Zu dieser Funktion der Sitte siehe, allerdings ohne Bezug auf Hegel, Bubner (,  ff.).  Vgl. GW ,: § ; GW ,: §§  N,  N,  N; TWA : §§  Zus.,  Zus.; GW :

§§  f.; GW ,: ; GW ,:  und passim.

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des Sophisten und Dichters Euenos von Paros; danach „bedarf es lang dauernder Übung, und dann wird sie dem Menschen schließlich zur Natur“ (NE a ff.). Wie in der antiken Ethik bezieht sich bei Hegel der Begriff der zweiten Natur auf die Bildung des menschlichen Geistes. Die Rede von Natur meint etwas, das von sich aus ist, ohne unser Zutun. Denn der Prozess der Bildung bringt unvermeidlich Gewohnheiten hervor, die, wenn sie einmal bestehen, ihre sprichwörtliche Macht über geistige Wesen gleichsam naturwüchsig beweisen, also von sich aus und ohne deren Zutun. Dass Sitte eine gewohnheitsmäßige Handlungsweise ist, kann man sich anhand der Institution der Familie klarmachen. Gemeint ist damit nicht die seit dem Mittelalter vor allem in Westeuropa unter Bauern und Stadtbürgern entstandene Wohn- und Arbeitsgemeinschaft des sog. ganzen Hauses. Im ganzen Haus lebt neben Blutsverwandten (Eltern mit ihren Kindern sowie Groß- und Urgroßeltern) auch das Gesinde unter einem Dach, Mägde und Knechte. Demgegenüber hat Hegel die Kleinfamilie vor Augen, welche mit der industriellen Revolution erst zu seinen eigenen Lebzeiten entstanden ist. Sie besteht lediglich aus zwei Generationen von (blutsmäßig) Verwandten (siehe dazu Blasche ,  f.). Die Familie beginnt nach Hegel mit der Ehe von Mann und Frau. Allerdings kritisiert er eine Auffassung von Ehe, wie man sie etwa bei Kant findet. Kant definiert diese in seiner Metaphysik der Sitten () als „Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften“ (AA VI: ). Für Hegel ist nicht bloß die Beschränkung der Ehe auf Sexualität einseitig, machen doch die Eheleute durch ihre Verheiratung „Eine Person“ (GW ,: § ) aus. Neben Rechten und Pflichten, die sie als Verheiratete gegeneinander haben, erwerben sie auch solche, die sie gegen Dritte haben. Etwa legen sie ihr Eigentum zusammen, über das nunmehr ein Wille gebietet. Sondern Hegel zufolge ist über diese Auffassung der Ehe hinaus, die innerhalb der Grenzen des abstrakten Rechts verbleibt, deren eigentlicher Sinn ein ganz anderer: „Das Sittliche der Ehe besteht in dem Bewußtseyn dieser Einheit als substantiellen Zweckes, hiemit in der Liebe, dem Zutrauen und der Gemeinsamkeit der ganzen individuellen Existenz“ (GW ,: § ). Der höhere Sinn der Ehe, welche sich durch Kinder zur Familie erweitert und vollendet, soll ein sittlicher sein. „Liebe“ sei dasjenige, was Ehe und Familie durchzieht, was das Tun und  Vgl. Gentili und Prato (, Fr. ). Aristoteles selbst verwendet bloß den Terminus ἑτέρα φύσις (andere Natur), und das im Zuge zahlentheoretischer Überlegungen in der Metaphysik (vgl. Met. b). Die Rede von Δευτέρα φύσις (zweite Natur) im Sinne der Gewohnheit findet sich erst um die Wende des . zum . Jahrhundert n. Chr. bei Galenos von Pergamon.  Der Macht der Gewohnheit unterworfen zu sein, ermöglicht nach Hegel den Menschen zugleich als geistiges Wesen. Siehe dazu Ranchio (,  ff.).  Vgl. GW ,: § ; GW : §§ , , .  Vgl. GW ,: §§  ff. Siehe dazu Bockenheimer (,  ff.).

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Lassen ihrer Mitglieder erfüllt. Der „Geist ist als Familie“, so die Encyklopädie, „empfindender Geist“ (GW : § ). Damit ist nicht gesagt, dass alles, was die Beteiligten tun und lassen, allein aus einer Empfindung von Liebe geschieht. Ohne Zweifel kommt in ihrem Verhalten anderes noch zum Tragen. Was Hegel sagen will, ist stattdessen, dass nur dasjenige Verhalten dem Begriff der Familie gerecht wird, das – und in dem Maße, als es – von „Zutrauen und der Gemeinsamkeit der ganzen individuellen Existenz“ geleitet ist. In der Familie waltet die Besonderheit des Empfindens; das ist der maßgebliche Zug der diesbezüglichen Sitte. Familiales Handeln bemisst sich daran, dass es der gegenseitigen Liebe der Familienmitglieder mindestens keinen Abbruch tut oder aber diese zu erhalten und gar auszubauen geeignet ist. Wie Hegel formuliert, ist in der Familie alles zu einem Moment neben anderen „herabgesetzt“ (GW ,: § ), wozu auch die Sexualität der Eheleute und der Gebrauch des Familienvermögens zählt. Die Familie erschöpft sich folglich nicht in einem einzelnen oder lediglich bisweilen zu verzeichnenden Verhalten. Sie existiert dann und so lang, wenn und als dieses Verhalten währt; sie ist eine auf Dauer gestellte Weise des Handelns. Die betreffenden Individuen (für Hegel sind das Vater, Mutter und Kinder) haben die Pflicht, zur Gewohnheit auszubilden, dass ihr sämtliches Trachten und Treiben dem Fortbestand der Familie Rechnung trägt. Jeder soll der familialen Sitte nachkommen, d. h. sich angewöhnen, durch sein Tun und Lassen den Empfindungen der Familienmitglieder füreinander keinen Abbruch zu tun, sie vielmehr zu erhalten und bestenfalls auszubauen. Und das „Recht der Familie“ (TWA : §  Zus.), welches gleichfalls jeder der Beteiligten besitzt, ist es, von allen anderen zu fordern, diese Handlungsweise zu ihrer zweiten Natur zu machen, sie regelmäßig und selbstverständlich zu pflegen. Das Entscheidende ist also nicht, dass sittliche Rechte und Pflichten für alle einschlägigen Situationen gelten. Abstrakte ebenso wie moralische Rechte und Pflichten tun das prinzipiell auch; sie gelten ebenfalls ohne Ausnahme für sämtliche entsprechenden Lagen und Umstände. Und sicher kann sich bei jedem Handeln Gewohnheit einstellen. Abgesehen davon jedoch, dass Hegel weder in den Grundlinien noch in der Encyklopädie im Bereich des abstrakten Rechts und der Moralität von Gewohnheit spricht, ist man ausschließlich im Bereich der Sittlichkeit zu ihrer Ausbildung berechtigt bzw. verpflichtet, dazu also, in Familie, bürgerlicher Gesellschaft und Staat ein Handeln durch Wiederholung einzuüben, so  Vgl. TWA : §  Zus.; GW ,: §  Anm.  In Absetzung von Sexualität als sinnlicher, körperlicher oder natürlicher Liebe ist diejenige

Liebe, von der Hegel handelt, „geistige […] Liebe“ (GW ,: § ). – Wo einer der Beteiligten sich im Gegensatz zu den anderen versteht, ist die Familie in Auflösung begriffen. So etwa, wenn die Mitglieder abstrakte Rechtsansprüche, welche sie als Einzelne haben, gegeneinander geltend machen, z. B. vor Gericht (vgl. GW ,: § ).

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dass es einem in Fleisch und Blut übergeht und meist nahezu unbewusst dargelebt zu werden vermag. Entscheidend ist mithin, dass die sittlichen Rechte und Pflichten anders als die abstrakten und die moralischen die Entwicklung gewisser Üblichkeiten zum Inhalt haben. III. Sitte als geteilte Handlungsweise Noch in einer anderen Hinsicht ist eine Sitte als allgemeine Handlungsweise zu begreifen. Ist sie doch niemals die nur eines einzigen Handelns allein. Allgemein ist eine Weise des Handelns auch dann, wenn sie von mehr als einem Einzelnen geübt wird, wenn es viele sind, die sie praktizieren. Den Namen einer wirklichen Sitte verdient lediglich, wo sich mehrere Menschen auf dieselbe Art verhalten. Der zweite für eine Sitte qua „allgemeine Handlungsweise“ konstitutive Aspekt von Allgemeinheit geht die Menge der Individuen an, welche ihr folgen: Die jeweilige Weise zu handeln ist eine mehr oder weniger weit verbreitete und wird von vielen oder gar allen Beteiligten vollzogen. Wo Sitten vorhanden sind, ist das Trachten und Treiben der Menschen, welches sich einerseits unaufhörlich unterscheidet, andererseits doch identisch. Alle Gesellschaften haben, soweit wir das in der Rückschau zu sagen vermögen, kulturelle Identitäten des gemeinsamen Handelns hervorgebracht, die alle oder doch eine überwiegende Mehrzahl der Akteure einbeziehen, ohne bestehende Unterschiede gänzlich zu tilgen. Wenn eine gesellschaftliche Institution auch gemeinhin weder eigens geschaffen noch von berufener Stelle ins Werk gesetzt ist, stellt sie eine Kulturleistung dar, die durch Erziehung und Sozialisation weitergereicht wird und ohne die das Miteinander, Füreinander und Gegeneinander von Akteuren unmöglich bleibt. Denn kein Handelnder ist ja bei seinem Tun und Lassen vollends auf sich vereinzelt. Er steht in weitverzweigten, mehr oder weniger überschaubaren Verwicklungen mit anderen. Die Erwartung der Erwartungen Anderer, die Planung eigener Taten und die Erwartung von Reaktionen der Anderen darauf verlangt nach Einheit. Die Einheitlichkeit des Verhaltens, in das sich die Handelnden annähernd oder durchschnittlich teilen, gibt Aussicht auf gegenseitige Berechenbarkeit und die Abstimmbarkeit ihres Verhaltens miteinander, füreinander und

 Der Duden vermutet eine etymologische Verwandtschaft des Wortes ‚Sitte‘ über das mittelhochdeutsche ‚site‘ und das althochdeutsche ‚situ‘ mit Seil: Danach binden Sitten das Handeln der Beteiligten, ähnlich wie ein Seil etwas bindet (vgl. Duden , ). Bei Hegel ist die Sitte indes nicht die Quelle der Verbindlichkeit; nicht hat man die Pflicht, irgendeine bereits bestehende Sitte zu erhalten. Sitte ist stattdessen der Inhalt der Verbindlichkeit: Man hat die Pflicht, eine bestimmte Sitte auszubilden und in der Folge regelmäßig und selbstverständlich zu pflegen.

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gegeneinander. Im Schutz der Sitten als allgemeiner im Sinne von geteilter Handlungsweisen wird gemeinsames Handeln allererst möglich. Mit anderen Worten hat eine Sitte den Charakter der Konvention. Sitte und Konvention sind nicht zwei verschiedene Phänomene, die Letztere ist ein Merkmal der Ersteren. Buchstäblich verstanden markiert sie denjenigen Punkt, an dem ein Individuum mit einem anderen zusammenkommt (lat. convenire) und die Weise ihres Handelns eine nur und dieselbe ausmacht. Die sittliche Welt ist ein Ort von Gemeinsamem. Nach Maßgabe einer mit Anderen gemeinsam geteilten Handlungsweise ist es, dass sich der Einzelne zu einer besonderen Handlung bestimmt. Hegel erblickt deswegen die „wahrhafte, sittliche Gesinnung“ im „Vertrauen“ (GW : § ). Damit ist hauptsächlich das Vertrauen eines Menschen darauf gemeint, dass die anderen sich der eingewöhnten Sitte gemäß verhalten, dass die Weise ihres Handelns dieselbe ist wie seine eigene. Dem Bereich der Sittlichkeit ist darum im Gegensatz zu dem des abstrakten Rechts und der Moralität „Freyheit“ (GW ,: § ) zu eigen. Diese Freiheit hat wie stets bei Hegel die spekulative Struktur des Begriffs: Ein Allgemeines bildet sich, kurz gesagt, in ein Besonderes hinein und ist in ihm für sich. Das Moment des Allgemeinen vertritt hier die Sitte als soziale Handlungsweise. Das Moment des Besonderen hingegen ist in den Individuen zu sehen. Und deren „Handeln“ hat „an dem sittlichen Seyn seine an und für sich seyende Grundlage und bewegenden Zweck“. Die allgemeine Sitte bringt sich im besonderen Tun und Lassen der Individuen zur „Wirklichkeit“, macht sich dieses gemäß; das Letztere nimmt die Erstere zum Maßstab. Wo der Wille darauf hinzielt, sittlich zu handeln, zielt er daher der begrifflichen Struktur seines Gegenstandes nach darauf hin, frei zu handeln. Die soziale Dimension der Sitte ist mit Hegel eine Dimension der Freiheit. Den Ausschlag gibt also nicht, dass sich sittliche Rechte und Pflichten an alle Menschen wenden. Abstrakte ebenso wie moralische Rechte und Pflichten tun das prinzipiell auch; sie gelten desgleichen für ausnahmslos jeden Beteiligten. Statt der Allgemeinheit derer, an die sich Rechte und Pflichten der Sittlichkeit wenden, ist die Allgemeinheit ihres Inhalts ausschlaggebend. Anders als Rechte und Pflichten des abstrakten Rechts und der Moralität, die sämtliche Individuen jeweils zu  Quante (,  ff.) arbeitet Hegels Begriff der Handlung allein aus dessen Überlegungen zur Moralität heraus. Die sittliche Dimension des hegelschen Handlungsbegriffs bleibt unberücksichtigt.  Siehe auch GW : §§ , , ; GW ,: §§ , , , , , , ; TWA : §  Zus.  Davon ist diejenige „Freyheit“ zu unterscheiden, die der menschliche „Wille“ (GW ,: § ), mit dem sich die Rechtsphilosophie in all den unterschiedlichen Sphären von Rechten und Pflichten auseinandersetzt, zeigt. Siehe dazu Franco (,  ff.).  Dass für Hegel „individuelle Freiheit nur als intersubjektive Freiheit“, also „nicht gegen Andere, sondern nur mit Anderen verwirklicht werden kann“, betont Herrmann (, ).

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demselben berechtigen und verpflichten – etwa seine Verträge einzuhalten oder zu tun, was einem das eigene Gewissen eingibt –, berechtigen bzw. verpflichten ausschließlich sie zu etwas Gemeinsamem, dazu nämlich, gewissen durch Erziehung und Sozialisation weitergereichten kulturellen Identitäten des gemeinsamen Handelns zu genügen, die es in Familie, bürgerlicher Gesellschaft und Staat ermöglichen, miteinander, füreinander und gegeneinander zu handeln. Hegel adressiert den Einzelnen hier nicht mehr als ‚Person‘ wie im Feld des abstrakten Rechts oder als ‚Subjekt‘ wie noch im Feld der Moralität. Im Feld der Sittlichkeit heißt er „Glied“ (GW ,: § ) oder „Mitglied“ (GW ,: § ). Das durch Konventionen geformte geistige Wesen ist, was es ist, als Teil eines größeren Zusammenhangs, als Angehöriger einer Familie, einer bürgerlichen Gesellschaft oder eines politischen Staates. Die Rechte und Pflichten, welche es hat, beziehen sich darauf, dass es an einem Sozialverband teilhat, an dem auch andere teilhaben. Das Individuum ist Mitglied eines sozialen Verbandes, indem dessen Sitten seine eigenen sind, es diese also so wie die anderen Mitglieder auch regelmäßig und selbstverständlich pflegt. Das lässt sich anhand von Hegels Beschäftigung mit der bürgerlichen Gesellschaft veranschaulichen. Mit dem Heraufziehen des Kapitalismus, der voranschreitenden Industrialisierung und dem Anschwellen des Handels beginnt der Niedergang des alten Feudalismus. Dagegen steigen Bedeutung und Einfluss von Berufsgruppen wie Kaufleuten und Handwerkern, Bankiers, Verlegern, Manufakturbesitzern, Reedereiunternehmern, Beamten und Angehörigen freier Berufe. Für diese seit der Wende zum . Jahrhundert anwachsende Großgruppe von Besitzenden, akademisch Gebildeten und professionsmäßig Ausgebildeten findet die Bezeichnung ‚bürgerlich‘ eine neue Verwendung. Zum Besitz- und Bildungsbürgertum zählt, wer seine soziale Stellung den Mechanismen der sich gegen das Feld des Staates immer stärker verselbständigenden Sphäre des Marktes verdankt (vgl. Kocka ,  ff.). Das Wort von der ‚bürgerlichen Gesellschaft‘ betont (verbunden mit gewissen Hoffnungen oder Befürchtungen) den ökonomischen Tausch, seine Logik und Prozesse, als strukturbildend für die gesamte Gesellschaft. Es leitet sonach zu einem wirtschaftlich geprägten Selbstverständnis der Gesamtgesellschaft über. Die eine Seite der bürgerlichen Gesellschaft nennt Hegel das „System der Bedürfnisse“ (GW ,: § ). Die Menschen befriedigen ihre partikulären Be Vgl. GW ,: §§ ,  Anm., , , ; TWA : §§  Zus. und passim.  Vgl. GW ,: §§ , , , ,  Anm. und passim.  Der Begriff des Bürgers nimmt damit neben seiner politischen Bedeutung, wie er der aristo-

telischen Tradition langhin geläufig war und wonach der πολίτης durch „Teilhabe am Richten und an der Herrschaft“ (Pol. a f.) definiert ist, eine weitere an. Im neuzeitlichen Staat gewinnt die wirtschaftliche Rolle des Bürgers als eines Marktteilnehmers an Stellenwert, so dass sich in dessen Begriff ein ökonomischer Sinn mit hineindrängt (vgl. Riedel ).

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dürfnisse marktförmig, will sagen durch Tausch. Durch fortschreitende Differenzierung und Spezialisierung des Marktes können Waren und Dienstleistungen auf höherem Niveau angeboten werden, was wiederum neue Begehrlichkeiten weckt. Das hält die Marktteilnehmer bei der Stange. Der Einzelne findet sein Auskommen, indem er zum Tausch anbietet, was die Anderen benötigen, aber nicht selber herstellen bzw. erbringen können. Und so wechselweise; jeder Marktteilnehmer befriedigt seine Bedürfnisse, indem er ipso facto die der anderen befriedigen hilft. Die andere Seite der bürgerlichen Gesellschaft ist der „äußere Staat, – Noth- und Verstandes-Staat“ (GW ,: § ). Das System der Bedürfnisse macht eine allgemeine Instanz nötig, die das freie Spiel des Marktes beaufsichtigt und durch Gesetzgebung, Rechtsprechung und Rechtsdurchsetzung reguliert. Wo die Selbstregulierung des Marktes nicht ausreicht, muss diese Instanz korrigierend eingreifen, um das Wirtschaftsgeschehen aufrechtzuerhalten. Anders gesagt wird der Staat hier unter rein instrumentellen Gesichtspunkten eingeführt. Er leitet seine Legitimität aus dem Nützlichkeitsurteil des Einzelnen ab; er ist legitim, soweit er für dessen ökonomische Existenzsicherung und Wohlfahrt, mithin die Befriedigung seiner Bedürfnisse unverzichtbar ist. Das Besondere regiert das Allgemeine. So mag es auf den ersten Blick scheinen, als komme die bürgerliche Gesellschaft einem „Verlust der Sittlichkeit“ (GW ,: § ) gleich. Doch ist in Wahrheit ebendas die Konvention, seine partikulären Bedürfnisse über den Markt zu befriedigen und dafür als notwendiges Übel den Staat zu befürworten. Dies ist der maßgebliche Zug der bürgerlichen Sitte, in welche sich alle teilen. Jedes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft hat die Pflicht, dank einer selbst gewählten Berufsausbildung durch Arbeit und Tausch seine Bedürfnisse zu befriedigen sowie einen marktbeaufsichtigenden und -korrigierenden Staat zu wollen. Und es hat das Recht, solches bürgerliche Handeln auch von den anderen Mitgliedern zu fordern. IV. Sitte als abstrakt bestimmte Handlungsweise Zu guter Letzt ist eine Sitte insofern noch als eine allgemeine Handlungsweise zu begreifen, als sie nicht bloß eine einzige oder auch nur einige wenige Formen der Umsetzung zulässt. Allgemein ist eine Weise des Handelns obendrein, indem sie die einzelne Handlung, durch welche sie hic et nunc umgesetzt wird, keineswegs bis ins Detail vorzeichnet. Eine genuine Sitte besitzt eine offene Flanke; sie ist damit vereinbar, dass Menschen sich, obwohl sie diese einhalten, doch unterschiedlich verhalten. Der dritte für eine Sitte qua „allgemeine Handlungsweise“ konstitutive Aspekt von Allgemeinheit ist einer des Ausmaßes an Bestimmtheit, mit welcher diese daherkommt: Die jeweilige Weise zu handeln bleibt konkretisierungsbedürftig.  Diesen Punkt streift, ohne darauf näher einzugehen, Reinhardt (,  f.).

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Selbst dort, wo der Einzelne sein Trachten und Treiben restlos unter die Botmäßigkeit der herrschenden Sitten stellt, differiert dieses unausbleiblich von dem der Anderen. Wenn es nämlich auch mit dem der Anderen übereinstimmt, lassen sich doch bestehende Differenzen niemals voll und ganz tilgen. Die Übereinstimmung, welche eine Konvention dem Verhalten vieler Menschen gibt, ist eine, die mit mannigfaltigen Nuancen einhergeht, kleineren und größeren, zeitweiligen und wiederkehrenden. Die sittliche Welt ist stets auch ein Ort der Abweichung und Ungleichheit: Eine Sitte zu vollziehen, fällt je nach Besonderheit der Situation des Handelns und Individualität der Beteiligten bald so und bald anders aus. Denn Konventionen legen lediglich im Allgemeinen fest, was hier und jetzt zu tun oder zu lassen ist. Eine Sitte hat eben den Charakter einer Handlungsweise; sie ist bloß eine allgemeine Weise des Handelns und nicht bereits eine spezifische Handlung. Anders als zuvor fügt das Adjektiv „allgemein“ nun dem Substantiv „Handlungsweise“ nichts Neues hinzu. Die Hinzufügung bleibt pleonastisch. Sie streicht heraus, was einer Weise des Handelns als einer solchen zukommt, dass sie nämlich etwas Allgemeines darstellt. Weil also eine Sitte unterbestimmt ist, bedarf sie der fallweisen Konkretisierung. Und darein fließen unabweisbar situative Rücksichten und individuelle Eigentümlichkeiten ein, weshalb der Vollzug ein und derselben Konvention mehr oder weniger verschieden ausfällt. Diese Unterbestimmtheit trennt sittliche Rechte und Pflichten nicht von den anderen. Abstrakte Rechte und Pflichten haben auch keine spezifische Handlung, sondern eine allgemeine Weise des Handelns zum Inhalt, z. B. sich durch gewisse Akte eine äußere Sache als Eigentum zuzueignen (siehe dazu GW ,: §§  ff.). Wie aber eine Person den einen oder anderen Akt ausführt, differiert. Ebenso moralische Rechte und Pflichten. Etwa hat man nach Hegel das Recht zu tun, was dem eigenen Wohl dient. Doch was seinem Wohl dient, ist zunächst nicht festgelegt; was man tun möchte, muss jeder allererst für sich selber festlegen. Die allgemeine Handlungsweise, zu der sittliche Rechte und Pflichten berechtigen bzw. verpflichten, enthält wie die bei abstrakten und moralischen Rechten und Pflichten eine offene Flanke. Bei Hegel klingt das in der Rede von „Substanz“ (GW ,: § ) und Akzidenz an. Die „sittlichen Mächte […], welche das Leben der Individuen regieren“, seien die Substanz; „in diesen als ihren Accidenzen“ sollen sie „ihre Vorstellung, erscheinende Gestalt und Wirklichkeit haben“ (GW ,: § ). Die Sitte ist das Vorrangige, Wesentliche gegenüber den Einzelnen, in denen sie zur Erscheinung kommt, als dem Unwesentlichen. Man darf das nicht dahingehend missverstehen, als hätte eine Sitte auch dort Bestand, wo gar keine Individuen sind. Wie Hegel formuliert, ist diese lediglich „in“ jenen wirklich.  So auch Peperzak (,  f.).

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Hegels Rede von Substanz und Akzidenz besagt, dass unerheblich bleibt, in welcher Variante eine Sitte realisiert wird. Nicht das ist entscheidend, wie der Einzelne die bloß abstrakt bestimmte Handlungsweise jeweils instanziiert, erheblich ist allein, dass dies immer wieder aufs Neue geschieht, wo das jeweils am Platz ist. Die dabei mögliche Abweichung und Ungleichheit ist freilich keine schrankenlose. Der Sitte kommt der Vorrang zu, so dass den Ersteren ihre Schranke dadurch gesteckt ist, dass sie nach wie vor eine Instanziierung und Variante der Letzteren sind. Das ist an der familialen Sitte abzunehmen. Dieselbe Gepflogenheit, bei seinem Tun und Lassen zu berücksichtigen, wie sich jenes auf die Liebe der Familienmitglieder zueinander auswirkt, gestaltet sich allein schon infolge der je eigenen sowie der Individualität der übrigen Mitglieder, welche da zu berücksichtigen sind, und darum von Familie zu Familie anders. Nur darin, dass solche Rücksichtnahme geschieht, gehen alle Fälle familialen Handelns konform. Und so auch bei der bürgerlichen Sitte. Denn welchen Beruf man ergreift, wo man seine Ausbildung absolviert, wie man seiner Arbeit nachgeht, was man wogegen tauscht usf., variiert von Individuum zu Individuum und kann das selbst im Laufe des Lebens eines Einzelnen. Aber alle Fälle bürgerlichen Handelns konvergieren darin, dass sie an der wechselseitigen ökonomischen Bedürfnisbefriedigung und den dazu unentbehrlichen staatlichen Gewalten ausgerichtet sind. Dass sich Akteure nach Maßgabe einer allgemeinen im Sinne von abstrakt bestimmten Handlungsweise zu einer spezifischen Handlung bestimmen, lässt sich schlussendlich auch anhand der politischen Sitte auseinandersetzen. Den letzten Kreis der Sittlichkeit bildet der „politische Staat“ (GW ,: § ). Das Politische beginnt für Hegel dort, wo die allgemeine Instanz, der Staat, nicht mehr als eine Funktion partikulärer Bedürfnisse angesehen wird. Die Verhältnisse kehren sich nun um: Die Vereinigung als solche ist selbst der wahrhafte Inhalt und Zweck, und die Bestimmung der Individuen ist ein allgemeines Leben zu führen; ihre weitere besondere Befriedigung, Thätigkeit, Weise des Verhaltens hat dieß Substantielle und Allgemeingültige zu seinem Ausgangspunkte und Resultate. (GW ,: §  Anm.; vgl. GW ,: §§ , ) Die das Zusammenleben der Menschen ordnende Gewalt des Staates rangiert höher. Sie ist der „wahrhafte Inhalt und Zweck“ alles Wollens der Bürger. Darin liegt nach Hegel die Eröffnungsgeste des politischen Raumes, dass die privaten, von Individuum zu Individuum sowie im Laufe des Lebens eines Einzelnen variierenden Interessen jetzt ihrerseits unter Legitimitätsvorbehalt gestellt sind. Diejenigen bloß gelten dem Einzelnen fortab für legitim, die umgekehrt der jeweiligen Gesetzgebung, Rechtsprechung und Rechtsdurchsetzung gemäß sind. Jeder Beteiligte weiß und will das Allgemeine als seine eigene Sache, identifiziert sich damit.

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Er verfolgt seine privaten Interessen lediglich insofern, als sich darin die Ordnungsleistungen spiegeln, die von den staatlichen Gewalten ausgehen – was zum Mindesten heißen muss, dass sie diesen nicht zuwider sind, und heißen kann, dass sie im besten Fall durch diese motiviert sind (vgl. Taylor (,  ff.). Das Auszeichnende der Politik bildet daher die „substantielle Freyheit“ (GW ,: § ). Diese ist nicht mit derjenigen Freiheit zu verwechseln, welche der ganzen Sphäre der Sitte zu eigen ist. Alles sittliche Handeln ist seiner Form nach ein Phänomen der Freiheit, indem die allgemeine Sitte sich in das den Individuen jeweils eigentümliche Handeln hineinbildet und darin das Moment ihres Fürsichseins hat. Der maßgebliche Zug aber der politischen Sitte, worin diese also im Gegensatz zur familialen und bürgerlichen Sitte besteht, weist auch die spekulative Struktur des Begriffs auf. Zielt doch der Wille der Bürger allein so auf eine „besondere Befriedigung, Thätigkeit, Weise des Verhaltens“, dass diese sich am „Substantielle[n] und Allgemeingültige[n]“ orientiert. Das letztere ist im ersteren wirksam, indem es als „sein Ausgangspunkt und Resultat“ zur Geltung kommt. Der Wille hat folglich ein sittliches Handeln zum Gegenstand, welches seinerseits die begriffliche Struktur der Freiheit zeigt (siehe dazu Avineri ,  ff.). Dabei handelt es sich wohlgemerkt nur um die Grundbestimmung des Politischen. Rekonstruiert Hegel doch in seiner Philosophie der Weltgeschichte, mit der die Grundlinien enden, diverse Typen der Verfassung staatlicher Gewalt sowie der ihr entsprechenden Gesinnung der Bürger: vom orientalischen Staat über den der alten Griechen und der Römer bis hin zum modernen Staat der christlich geprägten europäischen Länder. In jedem Fall aber ist Hegels Gedanke der, dass es „die Bestimmung der Individuen ist ein allgemeines Leben zu führen“. Der politische Zustand im Zusammenleben der Menschen ist allemal dort erreicht, wo eine die Familie und wirtschaftliche Bedürfnisbefriedigung überbietende und umgreifende Ordnung waltet. Allerdings unterscheidet sich von Staat zu Staat, und zwar gleich welchem Verfassungs- und Gesinnungstyp er zugehören mag, wie die politische Sitte nuanciert wird. Denn wie jede andere Sitte auch ist diejenige, „ein allgemeines Leben zu führen“, mitnichten vollends spezifiziert. Sie lässt geradeso verschiedene Realisierungen zu, sowohl von Land zu Land als auch von Bürger zu Bürger. Die Pflicht, welche die Mitglieder eines politischen Staates haben, begnügt sich damit, eine gewisse Weise des Handelns vorzuschreiben. Jene sollen sich derart verhalten, dass der Wille des Staates, welcher der ihrige ist, Ausgangspunkt und Resultat all ihres Verhaltens ist. Und sie haben das Recht, dieselbe Handlungsweise auch von allen anderen Beteiligten zu fordern.

 Zu Hegels Begriff der Gesinnung siehe Kiss (). Die „politische Gesinnung“ bezeichnet Hegel in den Grundlinien auch als „Patriotismus“ (GW ,: § ). Siehe dazu Won (, Kap. ).

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V. Sitte als äußerer Ausdruck innerer Gesinnung Damit allerdings nicht genug. Zwei weitere Merkmale sind noch hinzuzufügen, die nach Hegel für eine Sitte begrifflich unabdingbar sind. Dem einen Merkmal kann man sich im Umweg über die Frage nähern, worauf diejenige Bezeichnung abhebt, unter welche Hegel die gesamte dritte Sphäre von Rechten und Pflichten stellt. Wenn er das Adjektiv ‚sittlich‘ oder, was bei Hegel überwiegend der Fall ist, dessen Substantivierung verwendet, die ‚Sittlichkeit‘, steht ja zu fragen, was es eigentlich ist, das da als sittlich charakterisiert wird. Die Sittlichkeit wovon ist gemeint? Nach dem zu urteilen, was ich bisher ausgeführt habe, muss die Antwort darauf ‚Handlungsweise‘ lauten. Es gibt Weisen des Handelns, die dadurch vor anderen herausragen, dass sie im Gegensatz zu jenen die Signatur der Sittlichkeit tragen. Und diejenigen sittlichen Handlungsweisen, welche Hegel, den Bildungsweg des menschlichen Geistes rekonstruierend, in den Begriff hebt, sind eben die familiale, die bürgerliche und die politische. Sie alle sind ihrem Begriff nach regelmäßig und selbstverständlich gepflegte, mit anderen Menschen geteilte und lediglich abstrakt bestimmte Weisen des Handelns. Damit hat es indes nicht sein Bewenden. Bei dieser Auskunft stehenzubleiben, wäre zu wenig, so richtig sie auch ist. Mehr noch ist gemeint, wenn Hegel etwas als ‚sittlich‘ qualifiziert und von ‚Sittlichkeit‘ spricht. Denn von der äußeren Dimension des objektiven Geistes, sprich der Ausführung des zu einer Handlung bestimmten Willens, hebt Hegel eine dazugehörige, aus der Moralität herstammende innere Dimension der willentlichen Handlungsvorbereitung ab. Diese liegt jener zugrunde. Und auf sie trifft alles das ebenso sehr zu, was ich bislang auseinandergelegt habe. Hegel hat beides zugleich im Blick (vgl. Puzic ,  ff.). Die Grundlinien markieren die sittlichen Rechte und Pflichten einmal gleichbedeutend als „ethische“ (GW ,: §  Anm.) Rechte und Pflichten. Der griechische Ausdruck, von dem sich unser deutsches Lehnwort ‚Ethos‘ herleitet, hat jedoch eine doppelte Semantik. Diese macht sich bereits Aristoteles zunutze. Der Ausdruck ἦθος bedeutet nämlich zum einen Sitte, Gewohnheit, Brauch und zum anderen Gesinnung, Charakter, Sinnesart. Aristoteles lässt in seinem Begriff des Ethischen beide Bedeutungsdimensionen zusammenfließen. In der Nikomachischen Ethik denkt er die ethische Tugend (die Gutheit des Charakters) als Ergebnis einer zunächst erzieherisch angeleiteten und dann selbständig fortgeführten Gewöhnung an gutes Handeln. Hegel bringt mit seiner Rede von ‚Sittlichkeit‘ insofern einen aristotelischen Gedanken zurück, als er damit wie jener eine doppelte Semantik verbindet. Der  In einer Notiz setzt Hegel hier hinzu: „Ethisch – statt moralisch – sittlich“ (GW ,: §  N).  Vgl. NE a f. Siehe dazu Kersting (,  f.).

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allgemeinen Handlungsweise im Äußeren entspricht eine allgemeine Gesinnung im Inneren. Der Sitte, verstanden als einer Weise zu handeln, liegt eine demgemäße, d. h. ebenso sehr eingewöhnte wie mit Anderen gemeinsame und dabei im Konkreten abweichende und ungleiche, Sinnesart zugrunde. Als ‚sittlich‘ kann man sonach auch den menschlichen Charakter bezeichnen: Sittlichkeit muss geradeso der geistigen Einstellung eines Einzelnen zukommen, aus welcher dessen demgemäßes Verhalten entspringt. Nicht verstellen sich die Menschen, wo sie auf genuin sittliche Weise handeln. Nicht passen sie lediglich ihr äußeres Verhalten dem herrschenden Ethos im Sinne von Traditionen und Bräuchen an. Solch eine bloß äußere Rechtschaffenheit legt beispielsweise ein Kaufmann an den Tag, der sich, fern der Heimat, den fremden Sitten vor Ort anpasst, nur um seinen Kunden vertrauenswürdig zu erscheinen. Dagegen tun die Menschen, was sie tun, ohne Bruch aus innerer Überzeugung. Sie zeigen, wie es in einer Nachschrift von Hegels Vorlesung zur Philosophie der Geschichte des Wintersemesters / heißt, eine „innere Rechtschaffenheit der Gesinnung“ (GW ,: ). Ihr Ethos im Sinne von Geisteshaltung drückt sich darin aus. Echtes sittliches Handeln ist der aufrichtige Ausdruck sittlicher Gesinnung (vgl. Wood , ). Die Naturrechtslehre hat im . Jahrhundert zur Ausbildung der grundlegenden, obgleich nie präzise abgegrenzten und zufriedenstellend begründeten Opposition von einem auf das äußere Handeln gerichteten, gesellschaftlich erzwingbaren ius und einer auf die innere Sinnesart gerichteten, nicht durch Gesellschaft erzwingbaren ethica geführt (siehe dazu Welzel ). Dafür plädiert etwa Achenwall in seiner Schrift Iuris naturalis pars posterior von  und Baumgarten in den Initia philosophiae practicae aus dem Jahr . Auch Kant, der nach beiden Werken Vorlesungen hält, ist die Opposition wohlbekannt. Früh schon adaptiert er sie an sein moralphilosophisches Denken. In seiner Spätschrift, der Metaphysik der Sitten, kehrt sie in der Zweiteilung der Moralphilosophie in Rechts- und Tugendlehre wieder. In Hegels Grundlinien stammt eine in den Bereich der Innerlichkeit fallende und daher äußerlich nicht zu erzwingende Tätigkeit aus dem Abschnitt der Moralität. Darin geht die letztere ihrerseits über den vorhergehenden Abschnitt  Siehe dazu GW ,: §  N. In der Encyklopädie führt Hegel „Gewohnheit“ und „Sinnesart“ bzw. „Charakter“ zweimal explizit im Begriff der „Sitte“ zusammen (vgl. GW : § §  f.). Schon in Homeyers Nachschrift von Hegels Vorlesung zur Rechtsphilosophie im Wintersemester / heißt es: „Die Sittlichkeit ist die Idee der Freiheit, welche in der subjektiven Gesinnung und durch das Handeln des Willens Wirklichkeit hat“ (GW ,: ). Zu dieser doppelten, objektiven und subjektiven Seite von Hegels Begriff der Sitte siehe Wood (,  ff.).  Vgl. V-NR/Feyerabend (AA XXVII: ); V-Mo/Collins (AA XXVII:  f.); V-Mo/Mron  (AA XXIX: ). Zur Entstehung der Zweiteilung der kantischen Moralphilosophie siehe Schmucker (); Ritter (); Busch ().

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zum abstrakten Recht hinaus, dass nicht mehr nur die äußere Ausführung einer Handlung rechtsphilosophisches Thema ist, gleich aus welcher inneren Einstellung heraus die Handlung ausgeführt werden mag. Früher noch als das wird auch und gerade die Tätigkeit der willentlichen Handlungsvorbereitung in der Rechtsphilosophie thematisiert, mithin diejenige, sich zu einer Handlung zu bestimmen. Sie gehört zum Inhalt der moralischen Rechte und Pflichten, nicht aber zu dem der abstrakten. Der deutsche Ausdruck ‚Moral‘ geht auf das lateinische Adjektiv moralis zurück. Die Sitte heißt im Lateinischen mos, und moralis bedeutet so viel wie ‚die Sitte betreffend‘. Cicero aber verwendet das Adjektiv in dem Ausdruck philosophia moralis als Übersetzung des griechischen ἠθική (vgl. Cicero (, ). So nimmt es die doppelte Semantik des Griechischen auf. Das Adjektiv bezeichnet ebenso solches, was die innere Haltung eines Menschen betrifft. Das hat sich bis in den Sprachgebrauch unserer Tage erhalten. Etwa kann man im Deutschen sagen ‚Die Moral der Mannschaft ist gut‘ und damit so viel meinen, wie dass die Spieler Bereitschaft zeigen und motiviert sind, sich einzusetzen. Gegenüber der Domäne des abstrakten Rechts ist das Neue in Hegels Konzeption der Moralität die vom Einzelnen immer wieder aufs Neue zu erbringende Tätigkeit der Selbstbestimmung. Das trennt die moralischen Rechte und Pflichten von den abstrakten, dass sie den Einzelnen dazu berechtigen, sich – statt eine Handlung bloß auszuführen – allererst selbst zu einer Handlung zu bestimmen, und dazu verpflichten, solches auch allen Anderen einzuräumen. Diese Neuerung bleibt in Hegels Konzeption der Sittlichkeit aufbewahrt. Doch kommt noch etwas Weiteres hinzu. Anders als Kant versteht Hegel ja die Worte ‚Sittlichkeit‘ und ‚sittlich‘ nicht mehr gleichbedeutend mit den Ausdrücken ‚Moralität‘ und ‚moralisch‘. Die Willensbestimmung erfolgt nun nämlich nicht mehr nach einem Kriterium, welches das Subjekt einzig aus sich nimmt. Sie geschieht nicht mehr nach Maßgabe einer Voraussetzung, die bei jedem anders ausfallen mag. Die Moralität der individuellen Gesinnung wird in die Sittlichkeit der gemeinsamen Weise des Handelns überführt. Jedes Individuum hat nun die Pflicht, sich aus sittlicher Gesinnung heraus zu einer Handlung zu bestimmen, und das korrespondierende Recht, auch von allen anderen Beteiligten zu fordern, solches zu tun: Das Mitglied eines sozialen Verbandes darf und soll seinen Willen auf der Grundlage einer gemeinsamen, mit anderen Mitgliedern des Sozialverbandes geteilten Hand-

 Dass bei Hegel Moralität und Sittlichkeit als zwei verschiedene Sphären an Rechten und Pflichten auseinandertreten, dazu siehe Ilting (,  ff.).

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lungsweise, von welcher er so wie jene überzeugt ist, zu einer Handlung bestimmen. VI. Sitte als Einheit von allgemeinem Gutem und privatem Wohl Das andere Merkmal, welches nach Hegels Verständnis zuletzt noch für eine Sitte als solche einschlägig ist, behebt einen doppelten Mangel. An diesem Mangel kranken die Rechte und Pflichten des Gewissens, in welchen der Stufengang der Selbstentfaltung des menschlichen Geistes im Bereich moralischer Rechte und Pflichten gipfelt. Ich will zwar nicht behaupten, dass sich in Hegels Texten nicht noch weitere Kennzeichen einer Sitte aufbieten lassen. Allerdings halte ich die hier angeführten doch für die zentralen. Auf dem Standpunkt des Gewissens kann eine Handlung dem Subjekt lediglich dann als eine „gut[e] oder böse“ (GW ,: § ) zugerechnet werden, wenn dieses selbst sie für gut oder böse hält. Das Kriterium der Zurechnung liegt im betreffenden Subjekt. Andere Menschen können ihm nicht ohne Weiteres zumuten, dieses für gut oder jenes für böse zu halten und dementsprechend zu handeln: „Das Recht des subjectiven Willens ist, daß das, was er als gültig anerkennen soll, von ihm als gut eingesehen werde“ (vgl. GW ,: §  Anm.). Der Einzelne hat das Recht auf Selbstbestimmung nach einer Voraussetzung, die keine private mehr ist (sein je eigenes Wohl), sondern eine, die dem Anspruch nach darüber hinausreicht und allgemein gelten will. Das Individuum darf sein Tun und Lassen nach Maßgabe dessen bestimmen, was es für gut oder böse erachtet; und es soll dies auch allen anderen zubilligen.

 Ich habe oben bemerkt, dass die Lehre des objektiven Geistes die vernünftigen Beziehungen der Menschen traktiert. Dagegen könnte man einwenden, dass es im Abschnitt der Sittlichkeit nicht um das Verhältnis von Individuum zu Individuum geht, sondern um das der Individuen zu Institutionen. Dieser vermeintliche Gegensatz ist aber keiner. Gibt es doch für Hegel keine Institutionen ohne Individuen. Sein Begriff der Institution ist ein gesinnungs- und handlungstheoretischer: Institutionen sind in der Gesinnung und im Handeln der Menschen wirklich, oder sie haben keine Wirklichkeit. Der Struktur nach sind sie ein Allgemeines, welches sich in jene als das Besondere hineinlegt, sich gleichsam in ihnen aufstellt, und darin sein Fürsichsein hat (instituere, hineinstellen, zu in, hinein, statuere, hin-, aufstellen). Vgl. Georges (,  f.).  Die „Richtung, nach Innen in sich zu suchen und aus sich zu wissen und zu bestimmen, was recht und gut ist“, soll hauptsächlich in solchen Epochen seine soziale Sprengkraft entfalten, „wo das, was als das Rechte und Gute in der Wirklichkeit und Sitte gilt, den bessern Willen nicht befriedigen kann“ (GW ,: §  Anm.). In seiner Geschichtsphilosophie bringt Hegel den Untergang der griechischen – wie er wahlweise sagt, substanziellen, unbefangenen oder schönen – Sittlichkeit in Zusammenhang mit Sokrates, dem „Erfinder der Moral“ (GW ,: ). Denn nach dem mit Sokrates aufkommenden Prinzip der „Innerlichkeit, der Moralität“, ist „das Subjekt als das Entscheidende gesetzt“, „als in sich bestimmend, was recht und gut ist“ (GW ,: ). Vgl. GW ,:  ff.,  ff. Siehe dazu Vieweg (,  ff.).

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Der erste Mangel, der diesen Rechten und Pflichten, welche die Sphäre der Moralität beschließen, anhaftet, ist, dass sie der Beliebigkeit Tür und Tor öffnen. Darauf lautet Hegels Kritik des Gewissensstandpunkts am Ende des Moralitätsabschnitts. Die Kritik besagt in nuce, dass Subjekte, wenn sie sich auf ihr Gewissen berufen, sich auf ganz Unterschiedliches berufen mögen. Dem einen gibt sein Gewissen dieses als tunlich ein, einem anderen jenes. Zwar hat die Berufung auf das je eigene Gewissen ihr gutes Recht, um Zumutungen vonseiten Anderer abzuwehren, allerdings bleibt sie darin mangelhaft, dass sie das jeweils Tunliche in die Vielzahl der Subjekte zu zersplittern droht. Denn das Gewissen hat hier, so Hegel, noch gar keinen „besondern Inhalt und bestimmten Zweck“ (GW ,: § ). Wohl ist es das Recht des Subjekts, „einen Inhalt nur aus sich zu bestimmen“ (GW ,: § ), allerdings findet es diesen nicht unmittelbar in seinem moralischen Gewissen vor. Das Gewissen soll in der Sphäre der Moralität von sich her „inhaltslos“ (GW ,: § ) sein, noch „keinen eigenthümlichen Inhalt“ (GW ,: § ) haben. Hegel spricht hierbei vom bloß „formelle[n] Gewissen“ (GW ,: §  Anm.), welches er exemplarisch in der Moralphilosophie Kants ausgebildet sieht. Das Subjekt könne deswegen lediglich „von Aussen her […] einen Stoff hereinnehmen, und dadurch auf besondere Pflichten kommen“ (GW ,: §  Anm.). Die einzelnen Zwecke, welche das Gewissen als „besondere Pflichten“ vorschreibt, ergeben sich allein mittelbar. Letztlich ist es irgendetwas, worein das Individuum sein partikuläres Wohl setzt, das von diesem undurchschautermaßen zum allgemeinen Guten erhoben wird. Und weil das bei jedem etwas anderes sein mag, bleibt dies beliebig. Der andere Mangel besteht darin, dass der Standpunkt des Gewissens hier auch noch insofern ein abstrakter Standpunkt ist, als auf der einen Seite das Moment des Subjektiven oder Besonderen steht und auf der anderen Seite das Moment des Objektiven oder Allgemeinen. Das erstere ist das Wohl des jeweiligen Subjekts, das letztere das Gute, welches von ihm jeweils als intersubjektiv, für alle Subjekte geltend betrachtet wird. Das Gute wird dabei als das „Wesentliche“ (GW ,: § ) genommen, das Wohl als das Unwesentliche; will sagen, im Konfliktfall „soll“ (GW ,: § ) das eine hinter dem anderen zurücktreten. Was der Einzelne für das Gute ansieht, soll – obwohl es undurchschautermaßen durch eine Ausweitung von irgendetwas, worein dieser sein Wohl setzt, zustande gekommen ist – der Vorrang gegeben werden vor irgendeinem anderen Wohl, falls es damit in Konflikt steht. Indem sich der Mensch derart selbst bestimmt, dass sein Wohl noch unvermittelt neben dem für alle Guten steht, bleibt die Selbstbestimmung mangelhaft. Seine  Es könne sogar „alle unrechtliche und unmoralische Handlungsweise auf diese Weise gerechtfertigt werden“ (GW ,: §  Anm.).  „Das Gute […] hat das absolute Recht gegen das abstracte Recht des Eigenthums und die besondern Zwecke des Wohls. Jedes dieser Momente, insofern es von dem Guten unterschieden wird, hat nur Gültigkeit, insofern es ihm gemäß und ihm untergeordnet ist.“ (GW ,: § )

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Gesinnung mag dann nämlich zwiespältig sein. Wenn das eine überhaupt mit dem anderen übereinstimmt, so nur zufällig: „Insofern das Gute hier noch diese abstracte Idee des Guten ist, so ist der subjective Wille noch nicht als in dasselbe aufgenommen und ihm gemäß gesetzt“ (GW ,: § ). Der Gegenstand des Willens ist hierbei einerseits das Gute, mit dem das Subjekt Gültigkeit für alle beansprucht, und andererseits etwas, das lediglich dem Wohl des jeweiligen Subjekts dient. Und wo beide auseinanderfallen, da soll das letztere dem ersteren gemäß sein. Die Wahrheit menschlicher Rechte und Pflichten aber ist nach Hegel, sich nach einem einheitlichen Kriterium zu bestimmen, einem, das in sich vermittelt ist. Das ist mit den sittlichen Rechten und Pflichten erreicht. Auf dem Niveau der Sittlichkeit ist die bloß gesollte Übereinstimmung zwischen allgemeinem Gutem und privatem Wohl überwunden. Aller Moralitätspolemik zum Trotz bleibt in der Familie, bürgerliche Gesellschaft und politischen Staat auszeichnenden Sitte das „Recht der Besonderheit des Subjekts, sich befriedigt zu finden“, gewahrt (GW ,: §  Anm.; vgl. GW ,: § ). Allerdings ist dieses Recht nunmehr ins Allgemeine „aufgenommen“ und so zu einem Moment herabgesetzt. Damit ist der zweite Mangel behoben. Auf dem Bildungsweg, welchen der menschliche Geist von weither durchlaufen hat, hat das allgemeine Kriterium der Selbstbestimmung das individuelle zu sich aufgehoben. Im Begriff des Sittlichen greift das Gute über das Wohl über, ohne dessen Recht anzutasten; es hat sich in jenes hineingebildet und besitzt in ihm sein Fürsichsein. Der durchgeistigte Einzelne hat seine Besonderheit, die nicht mit dem Allgemeinen verträglich ist, aufgegeben. Er heftet sein Glück an das, was ihm zugleich das für jedermann Richtige ist. So verfolgt er das eine ohne Konflikt mit dem anderen: Er findet sein geläutertes Wohl in solchem, was dem Guten entspricht, und zwar deshalb, weil es diesem entspricht (vgl. Wood , ). Das Gewissen im Bereich der Sittlichkeit oder das, wie Hegel sich ausdrückt, „wahrhafte Gewissen“ ist die Gesinnung, das, was an und für sich gut ist, zu wollen; es hat daher feste Grundsätze; und zwar sind ihm diese, die für sich objectiven Bestimmungen und  Zur Genese der Sittlichkeit aus den Mängeln der Moralität siehe Rameil ().  Das fehlt der griechischen Sittlichkeit; den äußeren Sitten gegenüber bleibt der Einzelne da

unwesentlich, weil sich an seine subjektive Innerlichkeit keine Rechte knüpfen. Zu dieser antiken Quelle von Hegels Sittlichkeitskonzept siehe Ilting (/). Erst in der freien Sittlichkeit, wie sie der dritte Abschnitt der Grundlinien traktiert, wird die Selbstbestimmung des Individuums wesentlich. Jenes darf sich selbst zu einer Handlung bestimmen, so dass die Sitten durch seine Subjektivität getragen sein müssen. Zu dieser modernen Quelle von Hegels Konzept der Sittlichkeit siehe Pippin (,  ff.).  Nach der Nachschrift Ringiers von Hegels Vorlesung über Rechtsphilosophie im Wintersemester / ist Sittlichkeit „das Gute das sich in die Subjektivität integrirt“ hat, „das Allgemeine im Subjektiven“ (GW ,: ).

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Pflichten. […] Aber das objective System dieser Grundsätze und Pflichten und die Vereinigung des subjectiven Wissens mit demselben, ist erst auf dem Standpunkte der Sittlichkeit vorhanden. (GW ,: § ) Damit ist auch der erste Mangel behoben. Denn „was an und für sich gut ist“, sind Hegel zufolge die Gepflogenheiten der sozialen Welt, genauer die familiale, bürgerliche und politische Sitte, welche den „besondern Inhalt und bestimmten Zweck“ des sittlichen Gewissens abgeben. Woran das Mitglied einer Familie, einer bürgerlichen Gesellschaft und eines politischen Staates sein Glück heftet und was ihm zugleich das für jedermann Richtige ist, sind ebendiese Handlungsweisen: Sie sind an sich das Gute – und werden nicht erst von einem Individuum dazu gemacht, indem dieses irgendetwas, worin sein partikuläres Wohl besteht, ins Allgemeine erhebt – und wirken sich in dessen Wohl hinein, so dass sie darin für sich sind (siehe dazu Peperzak ,  ff.). Was versteht die hegelsche Rechtsphilosophie unter einer Sitte? Diese ist der „eigenthümliche Inhalt“ der höchsten Gestalt unserer Rechte sowie der ihnen korrespondierenden Pflichten, welche darauf ausgehen, das Leben der Menschen in einer über das abstrakte Recht und die Moralität hinausreichenden, umfassenderen Weise zu institutionalisieren. Ich fasse die hier angeführten fünf begrifflichen Merkmale zusammen. Hegels Begriff der Sitte zufolge ist diese erstens eine eingewöhnte Weise des Handelns. Zweitens weiß und will jeder Akteur die betreffende Handlungsweise als eine mit Anderen gemeinsam geteilte. Aufgrund der abstrakten Bestimmtheit einer Sitte kann drittens die konkrete Handlung, zu der sich die Einzelnen jeweils bestimmen, situative und individuelle Gegebenheiten aufnehmen und fällt im Detail stets verschieden aus. Viertens ist die Weise zu handeln ebenso wie die je konkrete Handlung ein unverstellter, aufrichtiger Ausdruck der Gesinnung der Beteiligten. Fünftens schließlich liegt darin die Einheit von allgemeinem Gutem und dem, worin das private Wohl des Individuums besteht. Sich derart zu verhalten sowie Andere nicht daran zu hindern, das Nämliche zu tun, ist man sittlich verpflichtet; und man ist dementsprechend sittlich berechtigt, sich derart zu verhalten sowie von Anderen zu fordern, das Nämliche zu tun. Siglen AA

Immanuel Kant. Gesammelte Schriften. Herausgegeben von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Berlin,  ff.

 Zur Stellung des Gewissens im Bereich der Sittlichkeit siehe Neuhouser (,  ff.).

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GW

Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Gesammelte Werke. In Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft herausgegeben von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. Hamburg,  ff.

Met.

Aristotelis Metaphysica. Herausgegeben von Werner Jaeger. Oxford, .

NE

Aristotelis Ethica Nikomachea. Herausgegeben von Ingram Bywater. Oxford, .

Pol

Aristotelis Politica. Herausgegeben von William D. Ross. Oxford, .

TWA Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Werke in zwanzig Bänden. Auf der Grundlage der Werke von  –  neu edierte Ausgabe. Frankfurt a. M.,  ff.

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DER OBJEKTIVE GEIST IM KONTEXT VON HEGELS PHILOSOPHIE DES GEISTES

Eduardo Assalone ETHICAL MEDIATION IN HEGEL’S PHILOSOPHY OF RIGHT ABSTRACT:

The present paper seeks to outline the concept of ethical mediation (sittliche Vermittlung) with a view to finding common ground in the divergent ways it has been read in Hegel’s Philosophy of Right. These are classified in four groups ranging from least to most general. First, I tackle ethical mediation as part of a global historical process whose goal is the reconciliation of the universal and the particular. According to this process, every social and political institution, inasmuch as it is rational, is also an ethical mediation. Second, I consider a narrower sense of ethical mediation, namely, as a twofold process of reciprocal mediation between the social and the political. Third, I present the interpretations of ethical mediation as a part of the ‘syllogism of syllogisms’ that Hegel discusses in a passage of the Logic. Finally, the analysis of these syllogisms is extended to take in a broader argument concerning the internal structure of the State and the separation of powers. On the basis of this overview of the different readings of the Philosophy of Right, I conclude that the greater the precision with which ethical mediation is defined, the more restricted its scope. Yet these various attempts to reconstruct the concept should not be set off against one another as mutually and radically incompatible. On the contrary, they can be seen as four levels of meaning of ethical mediation, each less general and more precise than the last, and all perfectly compatible with one another.

I. Introduction In the Preface of the  Philosophy of Right (PR) Hegel claims that philosophy grants to those who cultivate it a “rational insight” which is a “reconciliation with actuality [Versöhnung mit der Wirklichkeit]”. Philosophers recognize “reason as the rose in the cross of the present” and, in so doing, they satisfy the call “to comprehend” and “to preserve their subjective freedom in the realm of the substantial, and at the same time to stand with their subjective freedom not in a particular and contingent situation, but in what has being in and for itself” (PR: ). The PR aims to contribute to the reconciliation of consciousness with actuality so that the citizens of the modern world can comprehend institutions as the objectification of their

Hegel-Studien  · © Felix Meiner Verlag · ISSN -

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common values. This rational insight makes it possible to overcome “the fetter of some abstraction or other which has not been liberated into [the form of] the concept” and comes between “reason as self-conscious spirit and reason as present actuality” (PR: ). Embodied in self-conscious individuals, reason finds itself in what had appeared an alien reality but which now is seen as no less rational than they themselves. This reconciliation of reason with actuality, or reason with itself, does not occur spontaneously, however; it requires mediation. The PR is just such an indispensable mediation, hence the work. This is the primary meaning of the term ‘ethical mediation’ (sittliche Vermittlung) I put forward. The PR seeks to bring about a reconciliation in a world riven by deep scissions which ultimately derive from a separation of the two principles of modern society: the universal (das Allgemeine), embodied in right, legislation and the State, on the one hand, and the particular (das Besondere), connected to the free will of self-determining individuals (PR: § . See also: §§ ,  Zusatz). In the ancient world, this chasm went unnoticed since the particular was not yet recognized in its own right, still fully identified as it was with the universal, the community, symbolized by the Greek polis. With the Reformation, the principle of the particular was consolidated, but the immediate consequence was the alienation of the individual from their social world; hence the need for philosophy to illuminate the emancipated individual consciousness regarding the ultimate meaning of its subjective freedom, which does not depend on the contingency of the particular, but on what is ‘in and for itself’, the universal. It seems, then, perfectly useful to focus on this concept of ethical mediation as a means of grasping the PR as a profoundly significant philosophical intervention in modern culture as well as clarifying the specific roles social and political institutions play for Hegel. For each institution Hegel presents in his PR may be understood as an ethical mediation, a mediation of the ethicality by means of which its two normative pillars, the principle of the universal and the principle of the particular, are reconciled. Each institution responds to the demands of the universal and the substantial while at the same time meeting the ends of the particular and subjective. A certain ambiguity in the notion of ethical mediation arises here. On the one hand, it pertains to the PR as a philosophical intervention in modern culture, but at the same time it pertains to the institutions charged with the concrete task of mediating the universal with the particular in modern ethical life, institutions the work itself has substantiated. This ambiguity becomes more and more preoccupying for the following reasons. First, Hegel never uses the term ‘ethical mediation’; as a result, the concept must be reconstructed for its meaning to become clear. Second, a number of scholars have referred to this concept but not always in the same way or in relation to the same object. The present paper attempts  I take the term ‘ethical mediation’ (mediación ética) from Jorge Dotti (, ).

Ethical Mediation in Hegel’s Philosophy of Right

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to outline the meaning of ethical mediation with a view to finding common ground in the divergent ways it has been read in Hegel’s Philosophy of Right. These are classified in four groups ranging from least to most general. First, I tackle ethical mediation as part of a global historical process whose goal is the reconciliation of the universal and the particular. According to this process, every social and political institution, inasmuch as it is rational, is also an ethical mediation. Second, I consider a narrower sense of ethical mediation, namely, as a twofold process of reciprocal mediation between the social and the political. Third, I present the interpretations of ethical mediation as a part of the ‘syllogism of syllogisms’ that Hegel discusses in a passage of the Logic. Finally, the analysis of these syllogisms is extended to take in a broader argument concerning the internal structure of the State and the separation of powers. II. All social institution is ethical mediation The first sense of the term ‘ethical mediation’ was described in the Introduction: it is the reconciliation of reason with actuality, the particular with the universal. The first sense of ethical mediation shows the highest level of generality since it refers to a millenary historical process whose aim is the reconciliation of reason as selfconscious spirit and reason as present actuality. This reconciliation is the ethical expression of a deeper ontological identity which the Science of Logic (SL) presents in the Doctrine of the Concept: for Hegel there is no ontological chasm between the concept and actuality (Wirklichkeit); actuality is the reality of the concept. Ethical reconciliation is the identification of the two normative principles – the universal and the particular –, the full realization on the part of modern self-determining individuals of the intimate nature of their bonds and their dependence on the community where they live and flourish. This realization, the main thesis of contemporary communitarism à la Hegel, is the ultimate goal of the global historical process, according to Hegel’s understanding of the ‘concept’ (Begriff). The self-consciousness of spirit, as the purpose of world history, coincides with the full realization of reason in the world or the recognition of the rationality of the ethical world by reason. This first dimension of ethical mediation is a historical-philosophical one inasmuch as it assumes a certain philosophical understanding of world history, its meaning and its presuppositions, which Hegel expounds not by chance

 In the PR actuality (Wirklichkeit) “is the unity of universality and particularity [Besonderheit], the resolution [Auseinandergelegtsein] of universality into particularity; the latter then appears to be selfsufficient, although it is sustained and supported only by the whole. If this unity is not present, nothing can be actual [wirklich], even if it may be assumed to have existence [Existenz]” (PR: §  Zusatz). The State is therefore actual for Hegel because it exhibits that unity of universality and particularity. The State is actual because it is rational.

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near the end of the PR, just where we might expect to find the work’s ultimate meaning. The scholar who has most stressed the historical-philosophical dimension of ethical mediation, albeit not in these exact words, is Michael O. Hardimon in Hegel’s Social Philosophy: The Project of Reconciliation (). According to Hardimon, Hegel’s social and political philosophy can be understood as an attempt to bring about a reconciliation of human beings with the modern social world. Hegel’s Rechtsphilosophie should be understood, then, as a ‘project of reconciliation’. The starting point is ‘alienation’ (Entfremdung), subjects’ estrangement from their objective world, while the ultimate goal, the ideal it aspires to, is reconciliation. Modern individuals experience institutions such as the family, civil society and the State as, at best, indifferent to their needs and at worst, alien, incomprehensible, even hostile. Subjects are not ‘at home’ (bei sich, zu Hause) in the modern social world because it appears to them as something hostile, alien, and incomprehensible. This appearance is misleading, however: the world may in fact be taken as a ‘home’ in itself, as Hegel himself did. The modern social world is actually a home for Hegel’s contemporaries, yet they do not recognize it as such; they do not feel at home there. The institutions’ perceived hostility is false since individual needs and personal freedom are recognized in this world, one worthy of being reconciled with the individual. Yet often the time is not right for projects of reconciliation to be undertaken. Sometimes institutions deserve radical transformation as opposed to reconciliation with the subjects who are displeased with them. Yet in Hegel’s time the situation was quite different, according to Hardimon: it wasn’t the institutions but the subjects’ representation that had to be transformed. What was needed, then, was not an objective, social transformation, but a subjective one, a shift in individual consciousness. Hence the importance of philosophy, since a thinking which reveals the implicit rationality of an apparently irrational reality can help to reconcile people with the world they live in, can make them feel ‘at home’ in the modern world for the first time and they may begin to recognize themselves in it (Hardimon , –). Hardimon’s hermeneutic suggestion is valuable because he emphasizes the general frame of the PR. For that very reason, however, it becomes too general and has little to say regarding what shape reconciliation will take in the social institutions referred to in the book. Something similar happens in an older work, a compulsory work of reference for the study of mediation in Hegel, Henri Niel’s De la Médiation dans la Philosophie de Hegel, from . For this author, the notion of  “The present has cast off its barbarism and unjust [unrechtliche] arbitrariness, and truth has cast off

its otherworldliness and contingent force, so that the true reconciliation, which reveals the state as the image and actuality of reason, has become objective” (PR: § ).  Some exceptions can be found in Hardimon (, chapter ).

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mediation derives from the idea of a mediator (médiateur), whose prototype is Christ. Mediation in Hegel can be characterized as a process by which a being renounces remaining locked up in itself and accepts to become its own other. This is, however, just one of the two aspects essential to mediation, i. e., the moment of the struggle against a self-centered existence. The other assumes the idea of an objective milieu that constitutes the subject since in moving towards the other the subject becomes other. The movement of mediation is not only towards the other but involves absorbing the other into the self. Thus, mediation shows that the subject is constituted by the set of his or her relations with the cosmos as a whole (Niel , –). According to Niel, Hegel’s thought is illuminated by the notion of mediation because the underlying problem for the German philosopher was a theological one, that of the unity of the finite and the infinite, the reconciliation between man and God, the key to which is, precisely, mediation. Thus, each of the stages of Hegel’s thought – and each chapter of Niel’s book – is determined by the shifts in Hegel’s understanding of mediation over the course of his life. Though Niel has made a valuable contribution to Hegel studies by emphasizing the importance of the concept of mediation for the philosopher’s intellectual development, this work does not utilize the full potential of this concept. In my opinion, Niel’s book fails to thoroughly expound the concept of mediation in itself, a criticism levelled by Norberto Bobbio in his Studi hegeliani (, ). He criticizes Niel’s approach to Hegel’s work because Niel takes mediation to be dialectics itself (Bobbio , ). Emphasizing mediation over the dialectical process allows Niel to confirm his fundamental thesis concerning the religious origin of Hegel’s philosophy and to point out the fundamental reason it fails, according to Bobbio. Hegelian philosophy would leave unresolved in terms of mediation what is irreducible to mediation: the absolute, which is also absolute immediacy. As absolute immediacy, the absolute transcends all mediation and, consequently, reason cannot fully understand it. But Hegel, says Bobbio, reduces the absolute to a number of mediations and circumscribes reason within history. For Hegel, there is no absolute outside of reason and history. The problem for Niel, concludes Bobbio, is that in this way the German philosopher encloses history within itself and so eliminates the dimension of the future (Bobbio , –). Bobbio may well identify Niel’s motivations correctly, yet this is less a question of motivations than of whether mediation in itself is an appropriate concept for understanding dialectics – and Hegel’s philosophy in general – or, on the contrary, if dialectics is what we need in order to gain a greater understanding of mediation. In this point I agree with Niel, against Bobbio, that to prove the centrality of mediation, even to trace its theological origin, is a matter of great importance for the study of Hegel’s philosophy. Here the relationship between mediation and reconciliation is again relevant since the concept of mediation and its theological

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origin are key to the understanding of dialectics: both reveal the presence of a fundamental scission between the universal and the particular and allow us to bring forth the main purpose of Hegel’s philosophy, i. e., the reconciliation of the subject (the particular) with his or her ethical world (the universal). More recently, Axel Honneth’s Das Recht der Freiheit () may be added to this first group of readers of the PR who understand ethical mediation as part of a sociohistorical process. The purpose of a ‘normative reconstruction’ assumes that the values which rule modern societies are already somehow in force in these societies, even in cases where individuals remain ignorant as to why (Honneth , ). Honneth takes this idea expressly from the methodological outlines of the PR. He wants to carry out the same philosophical enterprise Hegel accomplished in that work but with contemporary western society as his subject matter, given that it takes part in the same modern historical process that Hegel describes. In this sense, Honneth’s global idea is very close to Hardimon’s perspective, since contemporary social institutions are for the former the very objectification of the values of the democratic ethical life. Rather than expounding how the social world should be, philosophy has a more modest aspiration – closer to the methodological approaches of contemporary social sciences – of showing how social institutions actually represent our current values. The tripartite division of the PR into Abstract Right, Morality and Ethicality corresponds to the three traditional ways of thinking about free will, according to Honneth’s exposition in the above-mentioned work: () abstract right corresponds to ‘negative freedom’, juridical freedom; () morality, in turn, concerns ‘reflexive freedom’, an understanding of freedom as autonomy or subjective self-determination; () lastly, ethical life corresponds to ‘social freedom’, a communitarian understanding of freedom (Honneth , –). In the first case, we think of freedom in a negative fashion as the absence of external determination or obstacles for the will. Right determines which individual actions must be exempted from any kind of supervision by the community. Reflexive moral freedom arises as critical estrangement from the social rules objectified in right. According to this point of view, each individual must be able to autonomously consent to those rules in order for them to be fair. Without that consent, rules must be altered or abolished. Finally, the social perspective of freedom – with Hegel being its first and clearest exponent – conceives the social aspect as essential for exercising reflexive freedom. If a number of social conditions are not given, then an individual free act cannot occur. The subject is free only when a community intersubjectively recognizes the freedom to act. But the key of Hegel’s conception of social freedom is contained, according to Honneth, in his formulation of ‘being oneself in the other’ (See: PR: §  Zusatz).

Ethical Mediation in Hegel’s Philosophy of Right

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‘This idea is rooted in a conception of social institutions in which subjects can grasp each other as the other of their own selves’, explains Honneth (, ). Honneth expressly refers to social institutions as ‘institutional mediations’, following Hegel once more. He claims that in Hegel’s doctrine of freedom there are two essential tasks to be fulfilled by ‘institutions of recognition’, i. e., institutions where relationships of mutual recognition are permanent. One task is to ensure that certain classes of behavioral expressions may be understood by individuals as invitations to realize complementary aims. Institutions are means of mediation and, therefore, they are the foundation and the locus of the fulfillment of social freedom as, without them, individuals would never be able to realize how dependent on one another they really are. The other task is to enable subjects to experience and understand, within the shared institutional practices, the very meaning of freedom: “Hegel can therefore conclude that individuals can only experience and realize freedom if they participate in social institutions characterized by practices of mutual recognition” (Honneth , ). Social institutions, then, would be different means of ethical mediation whose ultimate aim is to bring about the mutual identification of the subjects within the institutions of recognition. So, all social institutions are ethical mediation. III. Ethical mediation as a twofold process A second group of readers of the PR expressly refers to ethical mediation as part of a twofold process. This perspective has the advantage of being less general than the first. They make use of the concept of ethical mediation to delve into the inner logic of the PR and the specific nature of its argumentation. Jorge Dotti is perhaps the most prominent not only because he expressly uses the term but, above all, because in his  book Dialéctica y derecho he carries out the most detailed development of this reading hypothesis. In that work, Dotti critically analyzes what he considers an unjustified transposition made by Hegel in his PR. According to Dotti, Hegel transfers a valid gnoseological scheme, namely, the necessary articulation of the conceptual-universal with the empirical-particular, to the social and political realm. And he does it without providing any additional proof. Logical mediation, though certainly valid within the gnoseological realm, requires an independent proof when it is carried to the ethical field. In this field, the most general terms that the mediation process connects or mediates are, on the one hand, the realm of civil society’s unbridled particularity, and, on the other hand, the State’s all-encompassing universality. For Dotti, the ‘reciprocal passage or double move English translation: Honneth (, ).  English translation: Honneth (, ).

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ment’ of ethical mediation is less a question of cognitive ‘analysis’ and ‘synthesis’ but of ‘ascent’ and ‘descent’: () an ascent from the particular to the universal, i. e., the integration of civil society into the State; () a descent from the universal to the particular, starting from the crown and, through the executive power, reaching civil society (Dotti , , ,  – ). In a similar line of analysis, Jean-François Kervégan in his  book Hegel, Carl Schmitt. Le politique entre spéculation et positivité, suggests a double mediation or a reciprocal mediation of the social and the political. For this scholar, the administration of justice and the police are means of political mediation of the social space, while the estates and the corporation establish the social mediation of the political space. On the one hand, the system of needs (System der Bedürfnisse) (PR: §  ff.), i. e., what we now call ‘the market’, is the basis of the social mediation of the political for Kervégan as the division of labor helps individuals develop their ethical dispositions. Yet this does not occur without the mediation of the institutions of civil society, principally the corporations (Korporationen) (PR: §  ff.), where the fostering of ethical dispositions takes place. On the other hand, the corporation appears again as a fundamental institution in the other extreme, in the political mediation of the social, because – as it is well known – the political representation Hegel defends in his PR is a corporate one (Kervégan , , , ). In a more recent book about the PR, L’effectif et le rationnel. Hegel et l’esprit objectif (), Kervégan mentions the “political mediation of civil society”, which is carried out by social legislation and representative institutions (Kervégan , , ). In Chapter Six, the author expressly refers to “objective ethical mediations” (Kervégan , ) before asking if there must be “social mediation of the political” just as there is political mediation of the social (Kervégan , ). The answer points to a certain subjective disposition which is moral in principle and is oriented towards civic virtues. Apart from these passing references, in the  work there is no more detail regarding the double ethical mediation than in the  book. In their influential  study, Civil Society and Political Theory, Cohen and Arato refer to two ‘logics’ concerning the mediation between civil society and the State, between particularity and universality, between the private and the public, or, according to them, between ‘Antisittlichkeit’ and ‘Sittlichkeit’ in the PR. These scholars hold that the theory of social integration developed by Hegel in the PR moves through six steps: () the legal framework of the administration of justice; ()  In the  –  Vorlesungen über Rechtsphilosophie, the corporation precisely appears as the “ethical mid-term” (das sittliche Mittelglied) between the family and the State (GW ,: §§ , ). In the  –  Vorlesungen, the philosopher uses this term again (GW ,: ).  In a similar vein, Renato Cristi calls “etatist mediations” the activity of the administration of justice and the police within civil society, and the crown, the executive power (the “executive State”) and the corporate legislative power beyond civil society (Cristi , ).

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the police; () the corporation; () the bureaucratic executive; () the state assembly; and () public opinion. In this series – which takes in both civil society and the State – one can see two ‘logics’ or ‘lines or argument’: () one series that expresses the intervention of the State in society (the universal state-the police-the crown-the executive power); () another that alludes to the generation of societal solidarity, collective identity and public will within civil society itself (the estates-corporationthe estate assembly-public opinion). Only the administration of justice resists being squarely assigned to one of these two series (Cohen/Arato ,  – , ). These readings of Hegel’s ethical mediation as a twofold and complementary process, both social and political, allow me to claim that the reconciliation at which the PR aims comes about as a result of a double dialectical movement consisting of two principal mediations whose ultimate aim is the integration of civil society with the State, the particular dimension of individual and sectorial interests with the universal dimension of the common good: () on the one hand, a social mediation of the political, where particularity as a normative principle prevails but whose aim is the universalization, the becoming universal of the singular will; () on the other hand, a political mediation of the social, where the principle of universality now prevails and whose aim is the particularization, the becoming actual of the universal will. The first mediation I can principally find in the ethical role of the corporation, which, by promoting the defense of certain sectorial and particular interests, gives its members their first sense of universality on the basis of intersubjective recognition, their ethical disposition, civility, and political participation in public affairs. The second mediation, the political mediation of the social, is mainly exerted by the universal estate, not only via the executive power and its counseling of the legislative power but also via the administration of justice and the police within civil society. I can say that these two general moments of ethical mediation belong to a movement consisting of two different but complementary sides: () a movement of ‘ascent’ from the particular to the universal, i. e., the integration of civil society into the State through estate and corporate representation in the legislative power; and () a movement of ‘descent’ from the universal to the particular, from the crown into civil society through the universal estate in the executive power. This twofold movement, which runs through both public and private spaces and connects civil society with the State, is ethical mediation: the mediation of ethicality by ethicality.

 I cannot develop this thesis in the present paper. For further detail, see my paper (Assalone a).

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IV. The threefold syllogistic mediation A third group of scholars have thought ethical mediation in terms of a threefold syllogistic mediation (Wolff ; Becchi ; Henrich ; Ross ). Their starting point is a passing remark Hegel makes for illustrative purposes in the section about the ‘absolute mechanism’ (der absolute Mechanismus) in the Logic, both in the SL and in the  Encyclopedia of the Philosophical Sciences (Enc) (SL:  – ; Enc: §  R). There, Hegel explains the syllogistic functioning of mechanical structures such as the solar system, which are halfway between pure mechanism and teleology since they do not admit to being thought exclusively on the basis of purely mechanical relationships which are external to the parts of the structure (in this case, the sun, the planets, satellites, and comets). Hegel holds that the solar system, as an ‘absolute mechanism’, must be understood according to three interconnected syllogisms whose elements are the universal (U), the particular (P) and the singular (S). Each one of these moments of the concept plays the role of mediator or middle term (Medius Terminus) for the integration of the others. In the first syllogism, the role of mediator is carried out by the particular, and it is symbolized: S-P-U, meaning that the singular is integrated with the universal thanks to the mediation of the particular. The second syllogism shows the mediation of the singular: U-S-P. In the third syllogism the universal takes on the role of mediator: P-U-S. Curiously, Hegel illustrates this kind of syllogistic structure by taking the State as an example. Here, too, the particular, the singular and the universal take turns playing the mediatory role. The universal stands for society, right, the law, government and the State. The particular is focused on the social, physical, and spiritual needs shared by the different sectors of civil society. The singular, for its part, is embodied in individuals, people. The first syllogism, S-P-U, means in the ethical context that the singular person and the universality of right and the State are connected by means of the particular needs of the citizens (Henrich , ). The citizens’ singular will can have the universal will of the State as its own purpose (its telos) only insofar as it has the particular, i. e., its personal and social needs and interests, as a purpose (Wolff , . See also: Becchi , ). Michael Wolff calls the process symbolized S-P-U the “universalization of the singular will” (Verallgemeinerung der Einzelwillen). According to Nathan Ross, here we find the moment for necessity and labor within civil society, the ‘system of needs’ and labor as the ‘pre-formation of the universal will’. Thus, the economic activities of the citizens prepare them for political life by  Here I cannot devote more space to this complex understanding of ethical mediation (see my

paper Assalone ).  He refers also to this process as “die Versittlichung der einzelnen Individuen der bürgerlichen Gesellschaft”, i. e., the becoming ethical of the singular individuals of civil society (Wolff , ).

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connecting their individualistic interests with social totality (Ross , , , , ). The second syllogism, U-S-P, means that the singular individual, whose will is already ethically ‘universalized’ in the previous moment, can now become the foundation for the fulfillment of the social and political order (Henrich , ). In the singular will, individual actions and universal interests are no longer dissociated (Becchi , ). This is political representation in the context of the modern State, representation motivated by the diversity of sectorial interests typical of modern civil society (Ross , , , ). Put in terms of the syllogism, I might say that the authority of the State (U) only produces righteous political resolutions in relation to the particular interests of the different social sectors (P) insofar as the citizens’ will (S) acts as mediation (Ross , ). There are always specific individuals who serve as mediators between particular interests and the State’s universal interest. The objective fulfillment of the State can only be produced by the action of specific individuals, the civil servants, who work in its name (Wolff , ). The third syllogism, P-U-S, according to Wolff, corresponds to the “particularization of the singular will” (Besonderung der Einzelwillen) (Wolff , ), whereas for Ross here we see State intervention in the economy (Ross , ). The State must regulate the economy in order to assure all citizens have access to the benefits of economic progress (Ross , ). Thus, government action in civil society means that individuals (S) in a rational State only achieve satisfaction of their economic needs (P) thanks to the intervention of political structures (U) (Ross , ). Only with this syllogism can we say that the State is for Hegel “the substantial medium” through which individuals realize themselves (Henrich , ; Becchi , ). For the first time we have here the alleged organic substantiality of the State, that which could threaten – according to Popper’s reading (, ) – subjects’ freedom by denying all individual substantiality. But this threat only arises if we forget the previous syllogisms which, on the contrary, manifest a radical liberalism. The first syllogism claims that the pursuit of individual economic interests is not only perfectly compatible with the fulfillment of the State’s universal interests but is also the means that makes them possible. The second syllogism highlights, in turn, how necessary it is for citizens to participate in State political structures so as to channel sectorial demands when public policy is being framed. Instead of proposing an absolute and authoritarian State, Hegel simply seems to highlight that State intervention in the economy serves less to hinder social and individual progress than to guarantee it. A State that is present and active in civil society would appear to be just the counterweight modern ethicality requires owing to its increasingly lopsided relation with the market, which incurs risks quite distinct to those of State authoritarianism: the dissolution of communitarian bonds due to unbridled egotism.

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This reading of the PR on the basis of a threefold mediation of ethical life helps clarify that work, yet it does have some blind spots. Firstly, the whole reading is based on a secondary remark of the Logic that seeks to illustrate the absolute mechanism and, therefore, does not – at least, not primarily – concern ethicality. In order to prove the pertinence of the scheme of three interconnected syllogisms to the ethical world, we should find some kind of reflection on this scheme in the very pages of the PR, but there is none: there is no explicit reference in the PR to these three ethical syllogisms. Nevertheless, if there is any validity at all to thinking that work on the basis of the notion of ethical mediation, the key for reconstructing it can be found precisely in that secondary remark of the Logic. That is why I consider the threefold ethical mediation scheme a legitimate way of thinking the rational ethicality Hegel defends in the PR, though there is no documentary evidence for proving it beyond all possible doubt. Another debatable issue around the immediate application of the absolute mechanism’s threefold syllogistic mediation to the realm of ethical life is the difference between absolute mechanism and organism. There are sufficient grounds to consider Hegel’s understanding of ethicality as a form of ‘political organicism’ inasmuch as the German philosopher thinks the State as an organism (Organismus), and so he argues – this time expressly – in numerous occasions throughout the PR. A long tradition in the reading of Hegel’s work supports this hermeneutical point of view (See: Van Krieken ; McTaggart ; Coker ; Bobbio/ Bovero ; Beiser ). The philosopher is not thinking the State or ethicality strictly as if it were an animal organism; rather, he has in mind the kind of logical structure that we find in plants and animals, and also in the State (Petersen . See also my paper: Assalone b). The point is, if this organicist reading is correct, then it is completely inappropriate to use the State, and in general ethicality, as an example of absolute mechanism. This discrepancy led Ross to draw the conclusion that Hegel’s theory of the State is not an organicist theory but a mechanicist one (, , ). However, the numerous organic images Hegel uses in his PR, along with his well-known scorn for mechanicist thinking, discredit Ross’ thesis. I think it is  At first, this should not be surprising at all, because in the Preface of the PR Hegel explicitly refers the reader to the Logic as the ultimate foundation of his book and acts accordingly, since he avoids any direct commentary about the logical foundations of his work (PR: ). Nevertheless, Henrich thinks that in the Vorlesungen über Rechtsphilosophie – according to Griesheim’s manuscript (Berlin,  – ) – a reference to the ethical syllogisms can be found (Henrich , ). The passage is in GW ,: . There, Hegel talks about “[t]he ethical [which] particularizes in itself as a system of ethical relationships” (Das Sittliche besondert sich in sich selbst als ein System von sittlichen Verhältnissen). The reference is interesting but it is so obscure that it is impossible to know for sure if the philosopher is here actually referring to the ethical syllogisms of the Logic.  See: PR: § ; §  R; §  Zusatz; § ; §  Zusatz; §  and §  Zusatz; §  and §  Zusatz; §  and §  Zusatz; §  Zusatz; §  R; §  R; §  and §  R; §  R.

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possible to offer a less radical solution, because what Hegel would be using as an example in the Logic’s passage on absolute mechanism is not the functioning of the State itself – internally, so to speak –, since it is in fact an organism and not a mechanism, but rather the relationship between the State and civil society, which is not entirely organic. That would be the reason why he never mentions a power of the State in his remark (except for the ‘government’, die Regierung, but not as a particular power) but he does refer to civil society. Thus, the three ethical syllogisms would concern a particular aspect of ethical life, i. e., the relationship between civil society and its mechanicist logic (symbolized by the blind system of needs), on the one hand, and the State with its teleological, organicist logic, on the other. These three syllogisms guarantee the transition (der Übergang) from a purely external and rather chaotic aggregate to a true organic integration where the parts are no longer ‘parts’ but ‘members’ of a subjective, self-centered whole, a spiritual organism, the State. V. The three ethical syllogisms within the inner structure of the State This reduction of the scope of the threefold syllogistic mediation leads us to the final way of reconstructing the concept of ethical mediation I found in HegelForschung. I refer to the application of the three ethical syllogisms I tackled in the previous section to the powers of the State, the inner structure of the State organism as opposed to the relationship between the State and civil society. This limits the scope of ethical mediation much more, though this notion maintains its meaning as a reciprocal mediation of the universal, the particular, and the singular in ethicality, i. e., ethical mediation is still understood as a syllogistic mediation, just as in the scholars I mentioned in the previous section. In the above-mentioned paper of Michael Wolff, this syllogistic mediation – extracted from the three syllogisms of ethicality – is applied not only to the broader relationship between civil society and the State but also to the separation of the State powers. Thus, his paper reproduces the limitation I just referred to. He thinks that inasmuch as the State is an organism, an organized whole of various functions, it is also a “system of powers” (Wolff , ). According to Wolff, Hegel thinks the inner structure of the political constitution on the basis of the three syllogistic ways of mediation: the executive power corresponds to the S-P-U syllogism, i. e., the mediation of the particular, whereas the mediation of the universal which is exerted by the legislative power is represented by the P-U-S syllogism. The third syllogism, U-S-P, is the most decisive for Wolff because it expresses the political constitution in its internal structure. It is also the most problematic because we must determine who is the immediate bearer of political power and what third State power this person embodies (Wolf , ). As we know, in the PR that power belongs to the crown, the preserve of State sovereignty (PR: § ). The monarch is

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the singular individual who embodies the power of the State and who confers subjectivity to government decisions through the ‘I want’ he adds to every political resolution (PR: §  R). Only because of this last mediation, which is exerted by the singular, is the State strictly speaking an organism, a whole whose parts are in fact members since they have become ‘ideal’, they are subordinated to a single center, a ‘self’ (Selbst). Ludwig Siep agrees with Wolff that Hegel applies the above-mentioned triad of syllogisms to his PR: ‘I think there is no doubt that Hegel understood his theory of the separation of powers as such a syllogism of syllogisms” (, ), but he is not quite sure about the exact order of the syllogisms in relation to the powers of the State. The PR is clear enough about the interpenetration of the powers, the fact that to some extent each one contains the others (PR: §§ , , ). Nevertheless, the philosopher gives no precise indication how to correlate each power with each syllogism. Thus, for example, attributing, as Wolff does, the syllogism of necessity to the legislative power has the consequence, for Siep, of assigning this power the conclusive function of the syllogisms, which contradicts the primacy of the monarch in the PR (Siep , ). Siep refuses to offer an alternative order of ethical syllogisms and he even doubts whether Hegel actually had them in mind when he substantiated the State powers. We should understand the concept of mediation, in this context, in a less schematic fashion, as indicating that the public powers constitute each other (sich konstituiren) in their specific functions, that they contain one another (sich enthalten) and each naturally turns into the other (ineinander übergehen). They constitute each other inasmuch as each power needs the maintenance (Erhaltung) of the others to achieve its own maintenance. They also contain one another since within every power we can find what allows us to rationally distinguish one another: the moment of compliance with the law (naturally belonging to the legislative), the moment of counselling (that is the executive’s own), and the moment of resolution (typical of the sovereignty power) are present in each one. Finally, powers turn into one another, i. e., they prove themselves as inseparable, since we find in each one the  Siep quoted Wolff’s paper and Ottmann () as well. Here Ottmann does not mention the triad of syllogisms I analyzed before. Besides the syllogisms of reflection, quality and necessity, which the author applies to other sections of the PR, not only to the Ethicality section, he also includes other syllogisms, as the analogy and induction syllogisms, because he bases his reading of the PR on the entire SL, not on the passage of absolute mechanism alone. Regarding the powers of the State, he construes the separation of powers as a complete syllogism of necessity, with its three forms: the categoric, hypothetical, and disjunctive syllogisms. Thus, the crown would correspond to the categoric syllogism; the executive power, to the hypothetical one; and the legislative power, to the disjunctive syllogism (Ottmann , ). Unfortunately, he does not explain why he has adopted this perspective.  The closest attempt is found in the paragraphs  and , when Hegel refers to the estates as a “mediating organ” (vermittelndes Organ) and the “moment of mediation” (das Moment der Mitte), respectively (PR: §§ , ).

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kind of action we attribute to the others: legislation differentiates and particularizes (like the executive power does), government perfects legislation (produced by the legislative), and the monarch establishes general directives (like the legislative) and concretizes legislation (like the executive) (Siep , ). Siep’s understanding of the Hegelian separation of powers disincentivizes any search, as with Wolff, for a strict correspondence between the ethical syllogisms and the public powers, yet at the same time it acknowledges the syllogistic nature of the latter and the relevance of understanding them as ways of mediation. This is what I call ethical mediation. VI. Conclusion The importance of the concept of mediation in Hegel’s philosophy should not be underestimated. Even though Hegel does not expressly utilize this term as often as he might, it is implicit when he expounds his most important doctrines, such as his organicist understanding of the State. The concept of mediation refers to dialectics, as Bobbio has correctly pointed out, and dialectics allows us to grasp the originality of Hegel’s thought as well. Regarding his understanding of ethicality, mediation is an attempt to reconcile, as Niel has highlighted, the universal with the particular. Within the sphere of Objective Spirit, that means the integration of universal ends, as embodied in right, legislation, and the State, with the particular ends of civil society’s self-determining individuals. Social and political institutions are the objectification of such ethical mediation. The very PR can be seen as a mediation inasmuch as it helps modern citizens recognize themselves, as Hardimon said, in the institutions of their social world. Institutions reveal the mutual dependency of individuals, they socialize them, and in so doing individuals can exert their reflexive freedom in the context of social freedom, according to Honneth’s use of the term. However, this is not the only meaning one can find in the concept of ethical mediation following an analytical reconstruction. This mediation has also appeared as a twofold process: a social mediation of the political, and a political mediation of the social. It has also been shown to be a threefold mediation, taking as a reference the three syllogisms I’ve called ‘ethical’, which Hegel applied in the Logic to the inner structure of an ‘organized whole’, in this case, the relationship between civil society and the State. These three syllogisms, in turn, have been used in order to think the separation of powers, to explain their mutual constitution and containment, as well as the transition from one to another. The different uses of the concept of mediation in these readings of the PR seem to contradict each other. The understanding of mediation as a historical process of reconciliation between the universal and the particular, or the infinite and the finite, in the social world is unquestionable because it fully agrees with the point of view that Hegel wanted to share in his PR. Nevertheless, this perspective presents a

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level of generality that runs the risk of not being explanatory enough. What concrete forms does this historical mediation adopt and how can we be sure that the reconciliation we sought has been effectively achieved? We can answer this question only when we see ethical mediation as a social and political process which objectifies itself in the concrete institutions whose value Hegel defends in the Sittlichkeit section of his PR. The attempts to think of ethical mediation as a two- or threefold process – whether in the relationship between the State and civil society or in reference to the inner structure of the State alone – have the advantage of being much more precise in explaining what an ethical mediation could be for Hegel in concreto. In fact, in my overview of the different readings of the PR, we have seen that the more precise the reconstruction of the concept of ethical mediation, the more restricted its scope. Yet it is not right to oppose these different attempts at reconstruction as if they were radically incompatible. On the contrary, they can be understood as four levels of the meaning of ethical mediation, each less general and more precise than the last, and all perfectly compatible with one another. The first level, the most general, connects the concept of mediation with the goal of a reconciliation of the universal and the particular in the social world. From this level of meaning I extract the global sense of mediation, the telos of this social and historical process and whose culmination Hegel expounds in the PR. This first level provides the normative criterion to determine when a social institution is truly ethical. The answer lies in its capacity to reconcile, i. e., its mediatory nature. A rational institution must be open to individual ends, must not turn its back on them, but at the same time it cannot be a closed shop for sectorial and personal interests. Institutions must approach these interests as a way of fulfilling the common good, of meeting universal ends. This criterion, precisely because it is a criterion, must be sufficiently general and abstract. That is why it lacks the definiteness we find in subsequent levels. The second level of meaning in the reconstructed concept of ethical mediation builds on the first level when it states that the process of mediation which ultimately ends in reconciliation is twofold, for an authentic mediation cannot be a one-sided process. For instance, it cannot be enacted by the social alone at the expense of the political. This would make the entire conceptual architecture of the PR fall on historically determined social processes, such as relations of production. However, neither could mediation, for it to be authentic, be an activity carried out ‘from above’, from the State, taking society as an inert and infinitely malleable mass. This would be an authoritarian understanding of the State that Hegel would not share. Mediation is a twofold process because is exerted at the same time and inversely by opposites in their search for mutual integration. The particular mediates the universal, and the universal mediates the particular. This is precisely what ‘the mediation of the universal and the particular’ means. The ‘social mediation of the

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political’ and the reverse ‘political mediation of the social’ exactly expresses the fact that every mediation is a process which runs in two opposite and complementary directions, from each opposite to the other at the same time. The second level of the meaning of ethical mediation explains not the goal to which the process leads but the very nature of this process, what ‘mediation’ ultimately means. The third level once again cites the previous one, making it even more specific. It determines the relationship between the social and the political, between civil society and the State. The three ethical syllogisms explain how a rational ethicality works. The answer is the threefold reciprocal mediation of the three moments of the concept: universality, particularity, singularity. For Hegel, this is how any organic totality organizes itself. Its structure is that of a syllogism of syllogisms. If “everything rational is a syllogism” (alles Vernünftige ist ein Schluß) (SL: ), every syllogism, in turn, is necessarily connected with other syllogisms. The middle term in one syllogism is the extreme in another, and vice versa. Taken to the social world, ethicality is organic, rational, only when mediation is not only exerted by the public power but also by specific individuals, owing to their singular virtues, and by corporate institutions, which represent the particular needs of their respective social sectors. A rational ethicality confers responsibility on the individual and in this sense is perfectly liberal, yet at the same time it recognizes the State as an indispensable mediator for productive activity and so does not fall into anti-State liberalism. In an organic ethicality, finally, both the whole and the parts are mutually conditioned: the particular ends are also the ends of the whole, and the ends of the whole are the ends of the particular as well. The third level of ethical mediation, thanks to the ethical syllogisms, reveals the proper relationship between civil society and the State, and therefore the most genuine meaning of Hegel’s political organicism. In the fourth level, I find the highest degree of precision and, consequently, the least general concept of mediation. The syllogism of syllogisms I laid out in the previous level is now employed to understand the internal structure of the State, the ‘constitutional law’ (inneres Staatsrecht), constitution as a ‘system of mediation’, the rational principle behind the separation of powers. If the State is an organism, this organism consists of a syllogistic structure of reciprocal mediations, and this is why the theory of the separation of powers as ‘checks and balances’, as mutual restrictions, makes no sense for Hegel. And it makes no sense precisely because we are in possession of a normative criterion in the first level of meaning that determines that a political structure whose aim is not reconciliation, but mere hindering, does not deserve the name of State. In the last level the first is still active, thus proving the need to reconcile them rather than set them in opposition.

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Ethical Mediation in Hegel’s Philosophy of Right

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Jean-Baptiste Vuillerod LA DIALECTIQUE DE L’HOMME MAÎTRE ET DE LA FEMME ESCLAVE La Phénoménologie de l’esprit à l’aune des manuscrits d’Iéna

A B S T R A C T : The article aims to prove that the relation between men and women was crucial for

the elaboration of the theory of recognition in Hegel’s Jena manuscripts. The abstraction of the master-slave dialectic in the Phenomenology of Spirit, chapter  can therefore be read in a new light. The recognition of women becomes a central issue of the mutual recognition between the individuals, and its failure that leads to a struggle and to a relation of domination can be interpreted in a feminist point of view.

Dans Le deuxième sexe, Simone de Beauvoir écrivait que « certains passages de la dialectique par laquelle Hegel définit le rapport du maître à l’esclave s’appliqueraient bien mieux au rapport de l’homme à la femme » (Beauvoir , ). Elle émettait ainsi l’idée que la fameuse dialectique du chapitre IV, A de la Phénoménologie de l’esprit de Hegel pouvait servir de modèle heuristique pour comprendre le rapport conflictuel entre les sexes. Elle nuançait cependant son jugement en affirmant que « entre le mâle et [la femme] il n’y a jamais eu de combat » et en considérant que « ce rapport se distingue du rapport d’oppression parce que la femme vise et reconnaît elle aussi les valeurs qui sont concrètement atteintes par les mâles ». Chez de nombreuses féministes, ces nuances se sont changées en un rejet radical du modèle hégélien pour saisir la relation dissensuelle entre les hommes et les femmes. Carla Lonzi, notamment, le refusait sous prétexte que « le rapport maître-esclave hégélien est un rapport interne au monde humain masculin : il correspond à la dialectique, et se pose dans des termes qui découlent directement des présupposés de la prise du pouvoir » (Lonzi , ). D’autres philosophes féministes, comme Patricia J. Mills par exemple, ont également été dans le sens de cette mise à distance. Ces lectures, parce qu’elles comprennent la dialectique de la domination et de la servitude comme un phénomène purement masculin, ont le mérite de poser aux consciences en lutte la question de leur sexe. Nous voudrions prolonger cette  Sur la lecture de Hegel par Beauvoir, voir Renault () et Pagès ().  « Dans le schéma hégélien, la femme ne peut même pas atteindre la conscience de soi de l’esclave,

parce qu’elle n’expérimente pas les deux éléments centraux de la conscience servile. C’est-à-dire qu’elle n’expérimente ni l’omniprésence de la peur personnelle de la mort comme “maître absolu“, ni le “service” ou le travail sur la nature comme choséité, le travail d’objectivation qui recrée le monde pour créer l’histoire. » (Mills , , nous traduisons)

Hegel-Studien  · © Felix Meiner Verlag · ISSN -

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réflexion, mais en nuançant l’idée que le chapitre IV, A de la Phénoménologie n’aurait aucune pertinence pour penser le rapport entre hommes et femmes. Nous souhaiterions montrer que le modèle hégélien de la reconnaissance inclut les consciences féminines et peut prétendre à une certaine légitimité dans l’analyse du rapport entre les sexes. On retrouverait ici la démarche qui était celle de Simone de Beauvoir, si ce n’est que, à la différence de celle-ci, nous ne prétendons pas seulement juger la valeur heuristique du modèle hégélien, mais fonder cette valeur heuristique sur un commentaire historiographique de l’œuvre hégélienne : il s’agit pour nous de faire retour aux textes de Hegel afin de montrer que, de son propre point de vue, la prise en compte du conflit entre les sexes est centrale dans la pensée de la dialectique du maître et de l’esclave. Nous défendrons ainsi la thèse selon laquelle le rapport entre les sexes a constitué le premier modèle, ou du moins l’un des premiers modèles, avec les relations de travail notamment (Fischbach  ; Deranty ), pour penser la reconnaissance et de son déni. Pour ce faire, nous nous tournerons d’abord vers les différents écrits de la période d’Iéna antérieurs à la Phénoménologie de l’esprit : en particulier le Système de la vie éthique ( – ), Le premier système ( – ) et La philosophie de l’esprit (). Dans ces textes, c’est au sein de la famille, comme y avaient déjà insisté Jürgen Habermas () et Axel Honneth (,  ff.), que sont réfléchies et thématisées les aventures et les mésaventures de la reconnaissance. Nous verrons ensuite dans quelle mesure cette genèse sexuée de la reconnaissance nous permet de relire la dialectique des consciences du chapitre IV, A de la Phénoménologie de l’esprit, mais aussi d’interroger ses limites et de questionner l’abstraction et le caractère asexué auxquels sont élevées les consciences dans l’œuvre de . I. Le rapport entre les sexes dans le Système de la vie éthique A. La reconnaissance hommes-femmes dans l’état de nature Les différents textes dans lesquels Hegel élabore sa première philosophie de l’esprit à Iéna convergent systématiquement vers l’idée selon laquelle la reconnaissance et son échec trouvent, sinon leur fondement, du moins leur expérience la plus immédiate dans le rapport entre les sexes. Le Système de la vie éthique de  –  offre sur ce point des analyses d’une grande richesse.  D’un point de vue hégélien, le modèle du rapport entre les sexes et le modèle des relations de travail n’entrent nullement en tension. Bien au contraire, comme nous allons le voir, ils communiquent intimement à travers le concept de « travail vivant ».  On notera cependant que Honneth accorde moins de place au rapport entre les sexes, au sein de la famille, qu’au rapport entre parents et enfants. Habermas n’insiste pas non plus sur l’enjeu féministe de la reconnaissance au sein de la famille.

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Dans ce texte, la question du rapport entre hommes et femmes est envisagée en deux temps. Hegel fait d’abord suivre sa réflexion sur « la relation du sujet à l’objet » (Hegel , /GW  : ), qui passe par le travail destiné à satisfaire les besoins naturels, par une réflexion sur le rapport entre deux sujets sexués, qui semble amenée par le développement sur le « travail vivant (lebendige Arbeit) » (/) et qui inclut notamment l’éducation, la Bildung (/). Nous nous situons ici au niveau le plus naturel et le plus animal de la vie humaine. Hegel entend traiter de ce niveau où « la vie éthique est une pulsion (Trieb) », ce qu’il nomme « la vie éthique naturelle » (/) – des expressions qui apparaîtront paradoxales dès le Premier système de  – , quand la nature sera redéfinie comme autre de l’esprit, mais qui ne posent pas de difficultés particulières en . C’est le « désir » (Begierde) qui caractérise alors « l’amour » (Liebe) que se portent les sexes et qui introduit une forme d’inégalité entre les deux sujets. Sans doute l’amour introduit-il une forme d’idéalité qui institue « l’absolue égalité des deux », mais « cette idéalité de la nature (Naturidealität) demeure dans l’inégalité et par conséquent dans le désir, dans lequel l’un est déterminé comme subjectif, l’autre comme objectif » (/). Comme le redécouvrira Sartre longtemps après, le désir qui structure le rapport entre les sexes est objectivant : le sujet désirant réduit au rang d’objet du désir son partenaire et ne le reconnaît pas encore comme son égal. Faut-il en déduire une oscillation perpétuelle entre le statut de sujet et d’objet au sein de la relation naturelle entre les sexes ? Cela ne semble pas être le cas pour Hegel qui, selon un schème phallocentrique traditionnel, rapproche toujours la féminité de la passivité objective et la masculinité de l’activité subjective. Comme il le dira en  : « L’homme a le désir (Begierde), la tendance (Trieb) ; la tendance féminine (der weibliche Trieb), c’est plutôt de n’être que seulement l’objet (Gegenstand) de la tendance, que d’exciter, d’éveiller la tendance et de lui permettre de se satisfaire en elle » (Hegel , /GW  : ). Cette dissymétrie entre hommes et femmes quant à l’activité et à la passivité dans le désir vaut aussi pour le Système de la vie éthique de . La notion de Begierde, dans les textes hégéliens de cette époque, porte toujours en elle une forme de violence propre à l’état de nature, que Hegel comprend dans la perspective hobbesienne du homo homini lupus et qu’il pense comme le théâtre de « la nécessité (Not), la mort naturelle (natürlicher Tod), la violence (Gewalt) et la force dévastatrice (Verwüstung) de la nature, et aussi des hommes dressés les uns contre les autres (Menschen gegeneinander) ou en rapport à la nature organique » (Hegel , /GW  : ). Le rapport entre les sexes, à ce niveau, est inévitablement pris dans ces rapports de force inégalitaires propres à un état de nature conflictuel.  Ce point a été bien mis en évidence par Victor Goldschmidt dans son article « État de nature et pacte de soumission chez Hegel » (Goldschmidt , ). Axel Honneth le discute également dans la première partie de La lutte pour la reconnaissance (Honneth ).

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L’intention de Hegel n’est cependant pas de justifier une inégalité naturelle entre les sexes, mais plutôt de montrer que la seule relation de désir ne peut pas satisfaire la reconnaissance mutuelle entre eux. Parce que l’institution du mariage n’existe pas à l’état naturel où nous nous situons encore, Hegel doit chercher dans la nature ellemême un facteur capable de produire cette reconnaissance. Il le trouve dans « le rapport des parents et des enfants » (/). Ce qu’il nomme « le travail des parents » renvoie à la production d’une œuvre pour laquelle les parents collaborent et dans laquelle ils reconnaissent leur unité et leur travail en commun. Cette œuvre est non seulement l’existence même de l’enfant, le fait de lui avoir donné naissance, mais aussi son éducation, le temps passé en commun pour élever l’enfant à l’intelligence et à l’autonomie. Hegel pense cette tâche de procréation et d’éducation à partir du concept de « travail vivant », qu’il estime susceptible de produire une première forme de reconnaissance : L’action réciproque (Wechselwirkung) et l’éducation (Bildung) universelles des hommes ; leur égalité absolue réside ici aussi dans l’intérieur, et conformément à toute la puissance dans laquelle nous sommes, le rapport n’a de consistance que dans l’individu. Un reconnaître (Anerkennen), qui est mutuel, ou le degré suprême dans l’individualité et la différence externe. […] par là précisément le désir (Begierde) et le besoin (Bedürfniß) qui lui est conforme se suppriment aussi, et chacun est une essence égale, indépendante. (/) En un sens, Hegel trouve la résolution des problèmes posés par l’état de nature hobbesien dans la compréhension aristotélicienne de la famille comme « communauté naturelle » (Aristote , ), mais il retrouve cette idée à travers une conception de la reconnaissance et du travail vivant qui lui est propre (voir Fischbach ). Dans la famille naturelle, c’est à travers l’enfant que les parents médiatisent leur reconnaissance réciproque, c’est dans sa venue au jour et dans son éducation qu’ils parviennent à dépasser les relations inégalitaires du désir pour poser une relation d’égalité, qui est véritablement produite par le travail en commun quotidien (Hegel , /GW  : ). Dans l’enfant, chaque parent a une « intuition de soi-même dans un étranger » (/), mais c’est aussi son égalité avec l’autre parent qu’il perçoit en lui : « les parents intuitionnent leur unité comme réalité, ils sont ce sentiment même, et il est leur identité et leur moyen-terme mis au monde et rendu visibles ; la rationalité réale de la nature (die reale Vernünftigkeit der Natur), en laquelle la différence des sexes est parfaitement abolie, tous deux étant dans l’absolue unité ; substance vivante » (/). On atteint ainsi un niveau purement naturel de  Peut-être Hegel a-t-il aussi à l’esprit Rousseau qui, au chapitre  du livre I du Contrat social, considérait que la famille est « la plus ancienne de toutes les sociétés et la seule naturelle » (Rousseau , ).  « Un tel moyen-terme est l’enfant ; c’est le plus haut sentiment individuel de la nature, un sentiment des sexes vivants, sentiment d’une totalité telle qu’ils sont totalement en lui […]. »

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la reconnaissance, qui selon Hegel renvoie à ce que la nature a de plus rationnel en elle : une préfiguration de ce que sera la substance vivante de la vie éthique, dans laquelle l’inégalité entre les individus tend à disparaître. B. Le passage à l’institution maritale De là un second niveau, dans lequel l’éthicité fait véritablement son apparition avec la propriété et son institutionnalisation juridique, bien qu’on n’ait pas encore rejoint l’organisation étatique qui, seule, rendra effective et concrète la vie éthique. L’institutionnalisation des rapports de propriété rend possible l’échange, qui élève la reconnaissance naturelle des membres de la famille au niveau supérieur d’une reconnaissance entre sujets de droits, c’est-à-dire entre « personnes ». Cependant, cette institutionnalisation porte en elle la possibilité de sa négation, la reconnaissance comprend en elle la possibilité de son déni : « ainsi ce qui est posé dans cette liberté est aussi bien la possibilité de la non-reconnaissance (Nichtanerkennen), et de la nonliberté » (/). L’inégalité surgit donc à nouveau dans la vie éthique et à l’intérieur des rapports institutionnalisés, ce qui oblige à penser une forme de reconnaissance faussée, une reconnaissance de la non-reconnaissance. Tel est le rapport de domination et de servitude, qui implique des statuts institutionnalisés et la reconnaissance de l’inégalité entre les individus, un droit qui n’en est pas un ou un droit « abstrait » : Dans ce reconnaître-ci (dieses formelle, verhältnißlose Anerkennen), l’individu vivant se tient face à l’individu vivant, mais avec un pouvoir de vivre inégal ; l’un est donc pour l’autre le pouvoir (Macht) ou la puissance (Potenz) […]. Ce rapport, à savoir que l’individu indifférent et libre est l’individu puissant, à l’encontre du différent, est le rapport de la domination et de la servitude (Herrschaft und Knechtschaft). Ce rapport est immédiatement et absolument posé avec l’inégalité du pouvoir (Macht) de la vie ; il ne faut pas penser ici à un droit ni à une égalité nécessaire. L’égalité n’est rien d’autre que l’abstraction […]. (/) L’insistance de Hegel sur « l’inégalité du pouvoir de la vie » révèle que la relation de domination et de servitude marque le retour de l’inégalité naturelle et des rapports de force entre « individus vivants », qui sont le signe d’un retour de l’état de nature au cœur même de la vie éthique. Il y a là comme une résurgence de la violence de la nature sous une forme institutionnalisée. C’est pourquoi le texte hégélien propose  Hegel écrit que « l’amour, l’enfant, l’éducation, l’outil, le discours sont […] des rapports naturels,

insoumis, fortuits, non gouvernés » (/).  « La propriété s’introduit dans la réalité par la pluralité des personnes comprises dans l’échange, en tant qu’elles se reconnaissent mutuellement […]. » (/)

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une distinction décisive entre la relation de servitude d’un côté, qui désigne le maintien des relations violentes de la nature au sein de la vie éthique, et de l’autre la relation d’obéissance, qui permet de penser un rapport hiérarchique proprement éthique, caractérisé par le consentement et motivé notamment par les différences de talent ou de compétence entre les individus : « La domination et la servitude (Herrschafft und Knechtschafft) appartiennent à la nature parce que des individus s’opposent dans ce rapport ; et dans la mesure où, dans la relation à ce qu’il y a de plus éthique, des individus comme tels entrent en rapport, et où il s’agit de la configuration de l’éthique (Gestaltung des Sittlichen), tel qu’il advient par la plus haute individualité du génie et du talent, dans cette mesure est posé le rapport de la domination et de l’obéissance (der Herrschafft und des Gehorchens). » (/) Que devient, dans ces conditions, le rapport entre les sexes au sein de la famille institutionnalisée de la vie éthique ? Le rapport entre les hommes et les femmes serat-il celui de la servitude, de l’obéissance, ou bien de la relation d’égal à égal ? La réponse de Hegel s’expose en plusieurs temps. Il affirme d’abord que, au sein de la famille, entre hommes et femmes, « l’excédent, le travail, la propriété sont absolument communs » (/), mais il précise que « la différence est la différence superficielle de la domination », ce qui signifie que « l’homme est le maître (Herr) et l’intendant (Verwalter, gestionnaire) ; non pas propriétaire (Eigenthümer) par opposition aux autres membres de la famille » (/). Il y a donc égalité entre les sexes au niveau de la propriété, mais inégalité des compétences, puisque c’est aux hommes que revient la gestion de la famille. Le rapport entre les sexes semble donc consister en un rapport d’obéissance et non de servitude, qui est de ce fait compatible avec une forme d’égalité juridique. Hegel envisage cependant la possibilité qu’existe un rapport de servitude, qui ferait de l’épouse la propriété du mari, mais il critique sévèrement cette situation. Cet asservissement des femmes a selon lui été légitimé à tort par Kant, à travers sa thématisation du droit personnel d’espèce réel dans la Doctrine du droit, et ne saurait renvoyer qu’à des pratiques barbares, qui certes existent et ont existé, mais qui restent injustifiables devant la raison : L’esclave (Knecht) peut, comme tout de la personnalité, devenir propriété, et de même la femme (Frau) ; mais ce rapport n’est pas le mariage, n’est pas non plus contrat avec l’esclave, mais contrat chez un autre au sujet de l’esclave ou de la femme ; ainsi chez de nombreux peuples la femme était achetée aux parents.  La propriété commune se transmet de génération en génération par l’intermédiaire des enfants, grâce auxquels la famille atteint quelque chose qui est « éternel et durable, la totalité qui se reproduit elle-même comme telle » (/).  Dans la Philosophie de l’esprit, Hegel écrit : « Une représentation barbare de Kant tient que les époux veulent se concéder l’usage de leurs organes génitaux et aussi leurs corps entiers pour ainsi dire par surcroît ; pourquoi ne pas dire aussi que des soldats pourraient les contraindre à s’unir ! » (Hegel , /GW  : )

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Avec elle-même cependant aucun contrat n’est possible, car dans la mesure précisément où elle doit se donner librement dans le mariage (in der Ehe sich frey geben soll) elle abandonne pour elle-même, et pour l’homme aussi bien, la possibilité du contrat. (Hegel , /GW  : , traduction légèrement modifiée) L’institution du mariage ne repose donc nullement sur un contrat, comme si par là les femmes devenaient propriété des hommes. Le mariage repose sur le consentement et sur l’amour, qui fait que la reconnaissance entre les sexes ne se situe plus au seul niveau naturel de la procréation et de l’éducation des enfants, mais se trouve institutionnalisée pour elle-même et par là spiritualisée, élevée au-dessus de la contingence du désir naturel : « selon la nature l’homme voit la chair de sa chair dans la femme (Weibe), selon la vie éthique il voit l’esprit de son esprit dans l’essence éthique, et par elle » (/). On comprend en même temps que l’égalité maritale ne repose pas uniquement sur la propriété commune et sur des rapports juridiques, mais également, et avant tout, sur la reconnaissance mutuelle entre les sexes à travers l’amour. C’est ainsi par l’amour qu’une reconnaissance concrète entre des individus singuliers, et non entre des personnes juridiques abstraites, prend forme au sein de l’institution familiale. C. Le retour de la conflictualité Il est par conséquent certain que Hegel prend en compte le rapport de servitude dans la relation entre les sexes, mais il le considère comme un état inique à critiquer et à dépasser dans la reconnaissance institutionnalisée du mariage d’amour. Il rejoint de nouveau Aristote, qui considérait que « chez les barbares la femme et l’esclave ont le même rang » et que les peuples libres devaient abolir ces pratiques injustifiables (Aristote , ). Il y a donc bel et bien un sens sexué de la domination et de la servitude, qui n’est pas sans rappeler ce que Colette Guillaumin a nommé le « sexage » (Guillaumin ) et auquel Hegel oppose une reconnaissance accomplie entre hommes et femmes. Il est vrai que la philosophie hégélienne reste prise dans les préjugés de son temps concernant le chef de famille et le statut des hommes dans le fonctionnement quotidien de la famille ; de même, la distinction entre une relation de servitude illégitime d’un côté, et de l’autre une relation  On notera que, dans le mariage éthique, Hegel ne mentionne plus la femme par le terme de Weib, péjoratif en allemand, mais par le terme de Frau.  Dans son article « Pratique du pouvoir et idée de Nature () : L’appropriation des femmes », C. Guillaumin (, , ) nomme sexage « l’appropriation de la classe des femmes par la classe des hommes » et insiste sur le fait qu’il s’agit, comme dans l’esclavage, d’une « appropriation physique » du corps tout entier, et non uniquement de sa force de travail.

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d’obéissance légitime et éthique, même compensée par une égalité juridique et une reconnaissance accomplie dans l’amour, est problématique ; tout comme est problématique, pour nous aujourd’hui, le fait de considérer le mariage comme sphère de reconnaissance accomplie des femmes. Il n’en reste pas moins que Hegel thématise le rapport entre hommes et femmes comme un rapport entre maîtres et esclaves, et qu’il cherche à critiquer cette iniquité à partir d’une reconnaissance institutionnalisée. À son tour, cependant, le mariage d’amour peut être brisé et la reconnaissance qu’il atteint est susceptible d’être remise en cause. Hegel prend en compte le déni de reconnaissance qui produit une « lésion de la vie (Verletzung des Lebens) » (/) et une blessure morale, dans laquelle « ce qui est lésé est l’honneur (das Verletzte ist die Ehre) » (/). Cette blessure morale provoque « la justice vengeresse (die rächende Gerechtigkeit) » (/), une réaction ou un « choc en retour » qui fait que la personne lésée veut se venger de celle qui a porté atteinte à son honneur. Un « combat » (Kampf) a lieu, dont l’issu est « l’assujettissement absolu ou la mort » (/ ). À peine chassé par le mariage, l’état de nature hobbesien revient au galop dans « une guerre qui, quoiqu’humaine, est cependant aussi une guerre de la nature (Krieg… von der Natur), c’est seulement dans ce cas qu’a lieu la servitude » (/). De nouveau, Hegel vise ici la puissance destructrice de la nature, ces moments où « la nature est tournée contre la culture (Bildung) » (/). Mais il est tout à fait remarquable que, comme Rousseau, il fasse de la famille l’acteur central de cette « dévastation » : « le vengeur n’est pas un étranger […], aussi peu que l’agresseur, mais il est bien plutôt membre d’une famille », « ce vengeur est seulement la famille » (Hegel , /GW  : ). Hegel semble ici avoir en vue la lutte que se mènent les chefs de famille et qui aboutit à de nouveaux rapports de domination et de servitude, non plus entre hommes et femmes, mais entre familles. L’enjeu de la reconnaissance, de la lutte et de la domination, qui se jouait entre hommes et  Cette blessure morale peut passer par le crime ou l’atteinte à la propriété, mais ce ne sont pas les

intérêts matériels qui sont en jeu, c’est plutôt le déni de reconnaissance morale, le fait de ne pas être reconnu comme une personne digne de respect.  Dans le Second discours, Rousseau revient en effet sur la formation des premières familles, unies « par l’attachement réciproque et la liberté », et aboutissant à « une sorte de propriété » ; il explore comment la réunion des diverses familles produit des inimités entre les individus, notamment du fait que « la jalousie s’éveille avec l’amour » ; il montre la manière dont le sentiment d’honneur se forge dans ces sociétés primitives et rend possible le déni de reconnaissance : « […] parce qu’avec le mal qui résultait de l’injure, l’offensé y voyait le mépris de sa personne souvent plus insupportable que le mal même. C’est ainsi que chacun punissant le mépris qu’on lui avait témoigné d’une manière proportionnée au cas qu’il faisait de lui-même, les vengeances devinrent terribles, et les hommes sanguinaires et cruels. » (Rousseau ,  – )  Outre la discussion avec Hobbes et Rousseau, celle avec Aristote paraît de nouveau centrale ici. La lutte et l’asservissement des familles paraissent renvoyer à la manière dont Hegel interprète le passage de la famille au village, conçu comme « colonies de familles » soumises à un roi, au livre I, chapitre , des Politiques (Aristote , ).

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femmes au sein de la famille, se rejoue ainsi à un niveau supérieur entre les familles elles-mêmes. Le conflit entre familles prend fin, selon Hegel, dans la paix politique, rendue possible par la vie éthique du peuple dans l’État. Cette question donne lieu à la dernière partie du Système de la vie éthique, dans laquelle il est question de la constitution et du gouvernement. La paix étatique elle-même sera remise en cause au niveau interétatique, dans la guerre que se mènent les États entre eux. C’est là le signe que, pour Hegel, nulle réconciliation finale ne saurait abroger définitivement, et de manière certaine, la conflictualité structurante du monde social (Fischbach ,  – ). Quel que soit le niveau (entre les sexes, entre les familles, entre les États), le conflit reste selon lui une potentialité inhérente des sociétés, que la philosophie ne doit pas ignorer au profit de la description d’un monde harmonieux et parfaitement réconcilié avec lui-même. L’importance que la philosophie hégélienne accorde à la reconnaissance n’a dès lors pas tant pour fonction de nous projeter dans une société idéale où les attentes de reconnaissance seraient tout entières accomplies, que de saisir le moteur conflictuel et le processus dissensuel du social. II. Les apports du Premier système et de la Philosophie de l’esprit A. La transformation du concept d’esprit Qu’apportent les manuscrits du Premier système de  – , et de la Philosophie de l’esprit de  ? Dans leur contenu, de nombreuses analyses perdurent : la reconnaissance mutuelle entre les sexes médiatisée par l’enfant au sein de la famille ; la lutte à mort entre les chefs de famille suite à la blessure morale et à la lésion de l’honneur ; le rapport de domination et de servitude qui s’ensuit ; le dépassement de cette relation inique dans la paix de l’État. Cependant, la modification fondamentale du concept d’esprit que Hegel opère à partir de  transforme l’ensemble de son dispositif conceptuel et n’est pas sans incidence quant à la manière dont il comprend le rapport entre les sexes. L’esprit désormais est pensé dans son opposition à la nature. « L’essence de l’esprit est ceci : il se trouve opposé à une nature, il combat cette opposition, et il revient à lui-même en tant que vainqueur de la nature (Sieger über Natur) » (Hegel , /GW  : ). On irait trop vite si l’on voyait dans cette opposition un dualisme simpliste entre l’esprit et la nature, puisque l’esprit n’est rien d’autre que ce retour à soi à partir de la nature, il « n’est pas un être, mais un être devenu (gewordenseyn) », ce qui signifie qu’il n’est que la réappropriation, l’inté Sur cette transformation, et sur le passage d’une philosophie de la substance, pour laquelle l’esprit et la nature sont deux manières d’exprimer l’absolu, à une philosophie de l’esprit, dans laquelle la nature est pensée comme autre de l’esprit, on pourra se reporter à Düsing ().

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gration, la réélaboration de la nature dans un univers proprement spirituel et institutionnalisé. L’esprit n’a d’autre existence que celle par laquelle « il se trouve luimême dans la nature, il revient à lui-même (kommt zu sich selbst) » (Hegel , / GW  : ), il n’a donc rien d’une substance autonome absolument détachée de la naturalité, mais doit bien plutôt être pensé dans sa relation oppositionnelle avec elle, et dans le rapport de reprise et de réappropriation qu’il entretient avec elle. Qu’est-ce que ce nouveau concept d’esprit modifie par rapport aux analyses du Système de la vie éthique ? Thématiser l’esprit comme autre de la nature revient à rendre difficile la naturalisation des relations familiales, telle qu’elle se donnait à voir dans le Système de la vie éthique. En effet, une fois spiritualisées, et une fois l’esprit considéré dans son opposition à la nature, ces relations ne peuvent être considérées comme « naturelles » qu’en un sens dérivé ou second. Certes, jusque dans les Principes de la philosophie du droit, Hegel qualifiera la famille d’« esprit éthique immédiat ou naturel » (Hegel , /GW . : ), mais en prenant soin de souligner que « le moment de la vitalité naturelle » se trouve réinscrit dans les institutions du monde social, de sorte que « l’unité des sexes naturels […] est, dans la conscience de soi, métamorphosée en une unité spirituelle, en amour conscient de soi » (/). C’est pourquoi le Premier système inscrit la famille de plain-pied dans l’éthique (Hegel , /GW  : ), et c’est aussi la raison pour laquelle la Philosophie de l’esprit de  peut dire du mariage qu’il est « ce mélange de personnalité et d’impersonnalité du naturel […] en tant que naturel qui est spirituellement dans cette naturalité » (Hegel , /GW  : ). On pourrait résumer cette évolution en disant que, entre le Système de la vie éthique et le Premier système, le concept d’éthicité naturelle persiste mais change profondément de sens : alors qu’il signifiait en  l’inscription de relations prééthiques et pré-rationnelles au cœur même de la nature, il renvoie, à partir de  – , à la réélaboration de relations naturelles au cœur même de l’éthicité. C’est pourquoi l’on peut considérer, avec Manfred Riedel, que le thème du passage de l’éthicité naturelle familiale à l’éthicité absolue du peuple persiste tout au long de la période d’Iéna, mais joue une tout autre fonction à partir de  –  et appartient, en un sens, à un système conceptuel progressivement abandonné, quand bien même sa terminologie persiste (Riedel , ).

 Sur la théorie hégélienne de l’esprit objectif comme théorie de l’institution, voir Neuhouser () et Kervégan ().

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B. Les rapports sociaux de sexe Cette évolution se vérifie notamment dans la manière dont Hegel appréhende les relations entre les sexes. Bien qu’il admette le fait que l’amour, en tant que tel, ne soit que le « pressentiment » (Hegel , /GW  : ) de la vie éthique, et non pas déjà « l’éthicité elle-même » – au sens où l’amour entre deux êtres peut exister sans être inscrit dans des rapports sociaux institutionnalisés –, il a tendance désormais à l’appréhender essentiellement à travers son institutionnalisation dans le mariage : « Le désir (Begierde) se libère ainsi de la relation à la jouissance (Genuß), il devient un être-un immédiat des deux membres de la relation, dans l’être-pour-soi absolu des deux. En d’autres termes, il devient amour […]. La relation elle-même […] devient le mariage » (Hegel , /GW  : ). L’amour n’est plus confondu avec le désir naturel, comme c’était le cas en . Il signifie bien plutôt la spiritualisation du désir et le dépassement de la jouissance animale à l’intérieur des relations sociales et institutionnalisées entre les sexes, qui n’émanent pas de tendances naturelles, mais d’un acte de volonté explicitement affirmé comme tel : « Devant la loi, ou en-soi, le mariage n’est pas conclu par la promesse de mariage, ni par l’union charnelle, mais par la volonté déclarée, par le fait de se prononcer ; ceci vaut. » (Hegel , /GW  : ) Que signifie cette prise de distance à l’égard d’une analyse des rapports entre les sexes dans le pur état de nature ou à l’état sauvage ? Elle marque chez Hegel la prise de conscience de l’impossibilité de nous rapporter à une pure nature, indépendamment de sa médiation par l’esprit et de sa réinscription dans des rapports sociaux. En aucun cas on n’en déduira que la nature a disparu des relations sociales et que sa violence potentielle ne continue pas de hanter les relations spirituelles. Mais il s’agit désormais de comprendre comment elle se trouve réappropriée par le monde humain, comment l’esprit la fait jouer à l’intérieur de configurations et d’agencements qui lui sont propres. La question de l’état de nature n’a donc plus de valeur heuristique en tant que telle : « je considère l’homme dans son concept (Begriff), c’està-dire non dans l’état de nature (Naturzustand) », écrit Hegel (/). Par conséquent, ni la relation naturelle de reconnaissance amoureuse entre les sexes, ni la violence qui sévit entre les individus à l’état de nature, ne peuvent plus être appréhendées comme des phénomènes purement naturels. Il faut davantage les penser comme des « rapports sociaux de sexe » qui, parce qu’ils ont notamment pour enjeu l’effectuation et les résultats d’un travail vivant, renvoient à une forme de  Dans la Philosophie de l’esprit de , c’est « le noble amour chevaleresque » qui symbolise un tel amour.  Myriam Bienenstock insiste à cet égard sur la critique rousseauiste de Hobbes que reprend à son compte Hegel à partir de  – . Comme Rousseau dans le Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes, Hegel reproche à Hobbes de projeter sur l’état de nature des qualités sociales acquises au fil de l’évolution historique des sociétés (Bienenstock ,  – ).

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« division sexuelle du travail ». Sans doute Hegel continue-t-il de penser que le désir de l’homme est « naturellement » actif et objectivant, alors que la femme est « naturellement » poussée à la passivité et réduite au rang d’objet du désir, mais la seule question pertinente qui vaut dans sa nouvelle compréhension de l’esprit, est celle qui consiste à interroger les manières dont la société fait fonctionner le désir dans des rapports sociaux institutionnalisés. C. La lésion du couple Il est symptomatique à cet égard que Hegel envisage désormais explicitement une forme d’outrage à l’honneur à l’intérieur même du mariage et des relations familiales, et non plus entre les familles ou les chefs de famille. Le droit de la famille inclut la possibilité de dissoudre les liens du mariage et de divorcer au cas où la relation de reconnaissance ne serait pas réalisée : « Il faut que la loi accomplie prenne en considération la vitalité libre de la loi ; revenir en soi à partir de l’unité commune des personnes (adultère, abandon prémédité, incompatibilité d’humeur) […]. Dissolution du mariage, cela requiert la volonté positive de celui qui veut divorcer. » (Hegel , /GW  : ) C’est le vocabulaire de la lésion qui revient pour penser ce déni de reconnaissance au sein du couple, et qui semble renvoyer aussi bien aux blessures morales qu’aux blessures physiques (« lésion positive ») : « le naturel, impossibilité du mariage à cause d’une trop grande inégalité d’âge, dissolution pour cause d’adultère, lésion positive (positive Verletzung) qui est l’en-soi avec volonté (non pas l’en-soi vide, stérilité) », sont autant de causes pour la non contraction ou pour la dissolution du mariage. Le mariage accompli, au contraire, a pour sens l’institutionnalisation des relations amoureuses et l’instauration d’une première forme de reconnaissance éthique. Cette lésion qui vient briser l’union maritale, et qui est encadrée par le droit de la famille, prend la place, en , de la distinction entre les relations d’obéissance et les relations d’asservissement, qui permettait à Hegel, dans le Système de la vie éthique, de critiquer l’instauration d’un rapport de domination et de servitude à l’intérieur même de la famille. Les deux perspectives ne sont nullement contradictoires, mais le fait que la Philosophie de l’esprit mette davantage l’accent sur la possibilité de divorcer, en cas de déni de reconnaissance au sein du mariage, est tout à fait cohérent avec le  Sur le lien entre rapports sociaux de sexe et division sexuelle du travail, voir Kergoat (). Danièle Kergoat montre que parler de « rapports sociaux de sexe » revient à refuser la naturalisation idéologique des relations entre hommes et femmes au sein de la société, et à insister sur le fait que ces rapports sont des « construits sociaux » d’une part, et renvoient à des « groupes aux intérêts antagonistes » d’autre part. Ces rapports sociaux de sexe ont une « base matérielle et pas seulement idéologique » : le travail, qui inclut en son sein le travail reproductif en plus du travail productif. La division sexuelle du travail constitue donc « l’enjeu » des rapports sociaux de sexe et de leur critique politique.

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recentrement sur la dimension institutionnalisée de la famille dans le mariage : en tant qu’institution régie par les lois du droit de la famille, la lésion et l’outrage à l’honneur qui surviennent dans le mariage sont susceptibles d’être résolus, non pas par l’instauration d’un rapport de servitude, mais par la prononciation du divorce. Autrement dit, le droit vient désormais donner un cadre à la lutte entre les sexes au sein de la famille, afin qu’une relation d’assujettissement ne s’instaure pas durablement entre hommes et femmes. III. Relire le chapitre IV, A de la Phénoménologie de l’esprit A. Sexuer la dialectique des consciences Que tirer de ces textes de la période d’Iéna pour relire la dialectique des consciences dans le chapitre IV, A de la Phénoménologie de l’esprit ? Nous voulions mettre en évidence le fait que le modèle hégélien de la reconnaissance prenait notamment sa source dans la dialectique des sexes, qui expose la manière dont les hommes et les femmes peuvent entrer dans une relation de reconnaissance, mais sont aussi susceptibles d’expérimenter la lésion de l’honneur et le déni de reconnaissance, et de ce fait peuvent aboutir à une relation de domination et de servitude. Cela nous rappelle qu’il y a, chez Hegel, une pensée des « rapports sociaux de sexe » et une prise en compte du « sexage », pour le dire dans un vocabulaire féministe plus contemporain. Dans la perspective du texte hégélien, relu à l’aune des ébauches élaborées entre  et  à Iéna, il ne fait pas de doute que le rapport entre les sexes est un cas exemplaire de la dialectique des consciences que le chapitre IV, A de la Phénoménologie de l’esprit nous présente pourtant comme une dialectique asexuée, et qu’il est par conséquent tout à fait possible de proposer une lecture de ce texte qui va dans ce sens. La sexuation des consciences de la Phénoménologie de l’esprit n’est cependant pas autonome. Elle entraîne avec elle tous les thèmes et la conceptualité des manuscrits d’Iéna, et va en particulier de pair avec un certain naturalisme hégélien. Il convient ici de mettre en valeur quelques idées fortes que notre lecture de ces textes nous a permis de mettre au jour. Hegel y pose la question de la reconnaissance au niveau de la relation entre des êtres naturels et sexués, dotés de désirs et capables de se reproduire. Il prend l’individu humain comme un animal désirant et reproducteur, il le pense comme un individu vivant qui est aussi susceptible de mourir dans sa lutte avec d’autres vivants. Les textes d’Iéna s’intéressent donc à plusieurs formes de naturalités chez l’humain : son sexe, ses désirs, sa capacité à se reproduire, son caractère vivant qui le confronte inévitablement à la question de sa mort, mais à laquelle l’espèce résiste grâce à la reproduction. D’un côté, parce qu’il insiste sur cet ancrage sexuel de la naturalité, Hegel est conduit à faire du rapport entre les sexes le

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premier rapport naturel ; de l’autre, parce qu’il a une conception agonistique de l’état de nature, il pense ce rapport sur le mode, sinon de la violence directe, du moins du rapport de force et de l’objectivation des femmes par le désir des hommes. La solution à cette relation conflictuelle entre les sexes est l’enfant, qui médiatise l’amour des parents et grâce auquel les parents, par le travail en commun de l’éducation, parviennent à une relation de reconnaissance accomplie. À mesure qu’il élabore sa philosophie de l’esprit, Hegel prend conscience que cette relation n’est pas pensable dans le seul état de nature et qu’il convient de l’intégrer tout entière à la vie éthique, à travers notamment la question de l’institution du mariage, qui certes était déjà traitée dans le Système de la vie éthique, mais que le Premier système et la Philosophie de l’esprit de  placent au cœur de l’analyse de la reconnaissance entre les sexes. Ce qui, un temps, avait été pensé comme un processus purement naturel – la violence et la reconnaissance dans l’amour – se trouve repris dans une théorie du monde social qui cherche, non pas à balayer la question de la naturalité, mais à comprendre comment celle-ci est intégrée, investie, appropriée par les lois et les institutions du monde éthique. Toujours la possibilité du déni de reconnaissance des femmes par les hommes est envisagée, soit comme instauration d’un rapport de domination qui voue les femmes au sexage, soit comme lésion de l’honneur dont les femmes sont protégées par le droit de la famille – mais il convient désormais de penser ce déni comme un rapport social, et non plus naturel. Ce n’est pas dire que l’ancrage naturaliste de  ait disparu, mais il convient sans doute de parler davantage, à partir de  – , d’un naturalisme non réductionniste. B. L’ancrage corporel des consciences En quoi ces éléments projettent-ils une lumière nouvelle sur le chapitre IV, A de la Phénoménologie ? Bien entendu, ils nous permettent de comprendre que les consciences qui se reconnaissent mutuellement, qui entrent en lutte et qui aboutissent à une relation de servitude, ne sont pas les consciences de soi asexuées que le texte de  paraît présenter au premier abord, et qu’il est possible d’y voir une véritable dialectique des sexes. Ce principe général de lecture serait cependant de peu d’utilité s’il ne nous permettait pas d’éclairer dans le détail le fonctionnement du chapitre sur la dialectique de la domination et de la servitude, en intégrant le naturalisme non réductionniste que la sexuation des consciences entraîne avec elle. Nous proposons donc ici, pour finir, une relecture du chapitre IV, A, qui s’attache à remarquer ce que la dialectique des sexes change dans la dialectique des consciences. En premier lieu, la sexuation des consciences nous oblige à prendre au sérieux l’introduction du chapitre IV. Comme l’a remarqué Axel Honneth (Honneth  Pour une lecture de Hegel en termes de naturalisme non réductionniste, voir Renault ().

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), c’est trop souvent qu’on lit le chapitre sur la reconnaissance indépendamment de cette introduction et que l’on manque par conséquent une partie de son sens. Là contre, Honneth propose de lire ensemble ces deux textes et ainsi de revaloriser l’ancrage naturaliste et anthropologique du texte hégélien. Cet angle de lecture est tout à fait pertinent dans la perspective qui est la nôtre, puisqu’il nous invite à retrouver au début du chapitre IV de la Phénoménologie de l’esprit les traits naturalistes des textes d’Iéna. Hegel y met l’accent sur le fait que la « conscience de soi est désir en général » (Hegel , /GW  : ), et l’on se rappellera ici que le terme allemand de Begierde inclut en lui des connotations sexuelles qui nous obligent à inclure en lui l’appétit sexuel. Si bien que, lorsque Hegel affirme que « l’objet du désir immédiat est un vivant », il ne faut pas y voir simplement un objet alimentaire, mais également un être sexué, réduit au rang d’objet du désir et destiné à satisfaire les besoins sexuels. Ces deux vivants unis par la relation de désir sont pour cette raison inscrits dans le cycle de la reproduction, par lequel le genre ou l’espèce (Gattung) survit à la mort des individus – la « dissolution des différences » (/) – et perdure dans « le cycle total qui constitue la vie ». De sorte que, à la fin de l’introduction, au seuil du chapitre IV, A, lorsqu’il est question du rapport entre les deux consciences – « Il y a une conscience de soi pour une conscience de soi » (/) –, qui ouvre la problématique de la reconnaissance et indique comme horizon la possibilité d’« un Moi qui est un Nous, et un Nous qui est un Moi », il faut y voir, non pas la relation entre deux consciences abstraites, sans corps et sans sexes, mais une relation entre deux êtres naturels qui, certes, sont dotées de la conscience de soi, mais qui sont également des êtres sexués, désirants et reproducteurs, ainsi que des vivants hantés par la mort. C. La résurgence des thèmes : reconnaissance, conflit, domination Il est exact que la reconnaissance intervient pour pallier les insuffisances du désir. Celui-ci, en effet, ne parvient pas à assurer la conscience de la certitude de sa liberté. Non seulement le désir renaît incessamment en l’individu et lui rappelle en permanence sa dépendance à l’égard du monde extérieur et de l’altérité en général  Ce que Honneth fait notamment en recourant à la psychanalyse de Winnicott, dans laquelle il voit décrite la genèse anthropologique, chez l’enfant, d’un décentrement du désir naturel et du passage à un monde moral proprement humain (Honneth ,  – ). L’intérêt de l’approche honnethienne est cependant à nuancer sur deux points selon nous. D’une part, Axel Honneth reconduit une forme de dualisme en l’homme entre son existence naturelle et son existence morale (l’homme aurait une « Doppelnatur »), alors que Hegel insiste justement sur la manière dont le monde éthique se réapproprie, en son sein, la naturalité, et offre ainsi la possibilité de penser une distinction non dualiste entre nature et esprit. D’autre part, l’insistance de Honneth sur l’ancrage naturaliste de la problématique hégélienne de la reconnaissance ne l’amène nullement à lire le texte hégélien dans la perspective des débats féministes : tout se passe comme si, à ses yeux, le désir avait lui-même une existence asexuée.

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(/), mais aussi le désir reste un phénomène subjectif qui ne saurait élever la certitude de la conscience à la vérification objective de sa liberté. La conscience doit donc abandonner l’idée de trouver confirmation de sa liberté dans le phénomène du désir et doit chercher dans une autre conscience la confirmation de sa liberté. Là prend place la reconnaissance mutuelle, par laquelle la conscience se voit reconnue par une autre conscience, mais ne peut être reconnue par celle-ci que si elle la reconnaît en retour, car seul un être libre peut reconnaître un être libre. On se tient cependant ici au niveau de ce que Hegel nomme le « pur concept de la reconnaissance », une exigence normative qui, prise pour elle-même, ne va pas résister à l’épreuve de l’expérience et à la confrontation avec la réalité. Les consciences font en effet l’expérience du fait que la reconnaissance n’est pas immédiatement donnée dans l’expérience, elles en restent à « l’exclusion hors de soi de tout ce qui est autre » et « ne se sont pas encore présentées l’une à l’autre chacune comme un pur être-pour-soi, c’est-à-dire comme conscience de soi ». Le déni de reconnaissance a lieu et aboutit au « combat à la vie et à la mort » (/). Comme dans les manuscrits d’Iéna, il s’agit d’une lutte de reconnaissance et non d’une lutte pour la reconnaissance (Renault ), puisque celle-ci n’a pas pour objectif d’obtenir la reconnaissance d’autrui, sans quoi il ne s’agirait pas de « viser ainsi à la mort de l’autre ». Ce qui est en jeu, pour la conscience, est de se venger d’autrui pour réparer l’honneur blessé et pour se prouver, à elle-même aussi bien qu’à l’autre, qu’elle est plus qu’un simple vivant naturel – une preuve qu’elle n’a pas obtenu d’autrui et qu’elle doit donc chercher à obtenir par cet autre moyen qu’est la mise en danger volontaire de sa propre vie et qui témoigne du fait que l’individu préfère sa liberté à sa vie même : « c’est seulement par l’acte d’exposer sa vie que la liberté est prouvée en sa vérité ». Ici il faut se rappeler l’insistance avec laquelle l’introduction du chapitre IV, A et les textes d’Iéna ont souligné l’ancrage naturel de l’individu humain. Car ce qui entraîne le déni de reconnaissance n’est autre que le caractère désirant et vivant des consciences sexuées. C’est parce que la conscience est une conscience plongée dans la vie et pour cette raison emplie de désir, qu’elle réduit l’autre conscience au rang d’objet et refuse de la reconnaître en tant que subjectivité libre à part entière : « Entrant en scène ainsi immédiatement, ils sont l’un pour l’autre sur le mode d’objets communs ; ce sont là des figures subsistantes-par-soi, des consciences plongées dans l’être de la vie – car c’est en tant que vie que l’objet pris en son être s’est déterminé ici –, consciences qui n’ont pas encore accompli l’une pour l’autre le mouvement de l’abstraction absolue » (Hegel , /GW  : ). De même, c’est en tant qu’elles sont inscrites dans la naturalité de la vie que les consciences peuvent risquer cette vie et affronter la mort. C’est bien le vivant désirant et mortel de l’introduction du chapitre IV que l’on retrouve ici, en écho à l’état de nature conflictuel de  « Le mouvement est donc sans réserve le mouvement doublé des deux consciences de soi. » (/

)

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Hobbes, sur lequel insistait particulièrement le Système de la vie éthique. Les consciences dépeintes par Hegel ne sont donc nullement de purs êtres de pensée, de purs esprits : elles ont un corps, un corps sexué habité de désirs et susceptible de mourir (Butler, Malabou ). Pour le moment, il nous faut comprendre ce que cette perspective naturaliste entraîne comme conséquences quant à la compréhension de la fin du chapitre IV, A. On sait que l’une des consciences abandonne le combat, choisit de ne pas risquer sa vie et se trouve réduite au rang de serviteur par l’autre conscience, à laquelle revient du même coup le statut de maître. De nouveau, c’est parce qu’elle est vivante et mortelle que la conscience servile abandonne le combat ; c’est parce que, par essence, elle est un être mortel et non une pure intelligence qu’elle fait le choix de vivre : « Dans cette expérience, il devient présent à la conscience de soi que la vie lui est aussi essentielle que la pure conscience de soi. » (Hegel , /GW  : ) De nouveau aussi, c’est le désir objectivant qui revient au premier plan et qui anime les desseins du maître lorsqu’il utilise le travail de l’esclave en vue de sa propre « jouissance » : « Le maître se rapporte à ces deux moments, à une chose en tant que telle : l’objet du désir, et à la conscience pour laquelle la choséité est l’essentiel » (/ ). Le maître jouit des objets de son désir par l’intermédiaire de l’esclave, qui lui prépare le monde par son travail. Et si la conscience peut apercevoir qu’elle est plus qu’un simple objet, qu’elle vaut plus que la vie qu’elle mène dans cet état servile, c’est encore à l’expérience de sa mortalité en tant que vivant qu’elle le doit : car si « la crainte du maître est le commencement de la sagesse » (/), c’est parce qu’elle implique « la peur de la mort, du maître absolu », et que dans l’obsession de cette mort se fait jour une hantise propre à une conscience libre. Ce pressentiment de la sagesse trouve son prolongement dans le travail qui, parce qu’il « cultive » (bilden) le monde, parce qu’il transforme l’objet et permet à la conscience de retrouver sa volonté dans le monde extérieur, rend possible une expérience supérieure de la liberté. De sorte que le maître, qui est dépendant du serviteur pour satisfaire ses désirs, se révèle être le véritable esclave, alors que le serviteur, par son travail, trouve sa liberté confirmée dans le monde. Un tel travail est-il assimilable au travail vivant du Système de la vie éthique ? Peut-il renvoyer à la procréation et à l’éducation des enfants ? Rien n’interdit de penser qu’un tel travail vivant soit une forme possible du travail envisagé ici par Hegel. Pour que le travail servile soit un travail vivant, il faudrait que l’esclave soit une femme, qu’elle soit l’objet du désir  Comme l’explique Pierre-Jean Labarrière, la peur de la mort permet à la conscience de « “récupérer” son être-pour-soi en prenant conscience de ce que la peur qu’elle éprouve est ici l’expression seconde de la négativité radicale qu’elle est en elle-même. Ce point est proprement fondateur : il assure cette conscience d’une puissance de réalisation qu’elle pourra ensuite mettre en œuvre dans l’effectivité des choses. » La peur renvoie donc à un « tremblement essentiel », une forme de « panique animale » grâce à laquelle la conscience rentre en elle-même et se comprend comme conscience d’elle-même et de sa liberté (Labarrière ,  – ).

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objectivant du maître, qu’elle enfante et qu’elle fasse l’expérience de la liberté dans l’éducation de son enfant – une interprétation qui est tout à fait envisageable, eu égard aux manuscrits d’Iéna, bien qu’elle ne soit assurément pas la seule lecture possible du chapitre IV, A. Remarquons en outre que les manuscrits d’Iéna nous invitent à comprendre ce processus de déni de reconnaissance et d’instauration de rapports de domination dans la perspective d’une institutionnalisation des rapports sociaux, et non dans le simple cadre d’un processus naturel. Ce soubassement institutionnel propre, chez Hegel, à la philosophie de l’esprit qu’il élabore à partir de  – , se retrouve dans le fait que les modèles historiques qu’il a en vue pour penser la servitude, la Knechtschaft, renvoient aussi bien à l’esclavage antique qu’au conflit moderne entre la bourgeoisie et la noblesse oisive, et potentiellement aussi à certaines luttes victorieuses, comme celle des Haïtiens. Il se vérifie aussi au premier chapitre de la section « Esprit » de la Phénoménologie, le chapitre IV, A, qui reprend le modèle de la reconnaissance pour penser l’oppression des femmes par les hommes au sein de la cité grecque antique. Ainsi, ce qui intéresse Hegel, ce n’est pas tant l’état de nature violent que la manière dont la société fait fonctionner des éléments naturels en son sein, la façon dont elle se réapproprie le sexe, le désir, la procréation, la mortalité, et les inscrit dans des rapports sociaux construits historiquement. IV. Conclusion Nous avons cherché à nuancer le rejet selon nous trop radical de certaines lectures féministes du modèle hégélien de la reconnaissance. En insistant sur la manière dont Hegel lui-même avait trouvé dans le rapport entre les sexes l’une des bases fondatrices de ce modèle, nous avons voulu réaffirmer l’idée que la dialectique des consciences n’était pas un modèle étranger aux problématiques féministes. Dans ce cadre, s’il est certain que Hegel n’a pas « troublé » la bipartition des genres et a vu dans le mariage bourgeois une libération des femmes – ce qui, pour nous, aujourd’hui, ne peut apparaître que comme une illusion anachronique –, sa philosophie propose néanmoins un modèle de la reconnaissance qui garde une certaine pertinence pour analyser les rapports entre hommes et femmes dans la société contemporaine. On a vu, en effet, que le modèle hégélien entrait en résonnance avec les thématiques féministes du sexage et des rapports sociaux de sexe, qu’il offrait un outil conceptuel intéressant pour penser l’articulation de la reconnaissance, du conflit et de la domination entre hommes et femmes, et qu’il permettait de ne jamais arracher les

 Sur ces modèles historiques et l’institutionnalisation du rapport entre le maître et le serviteur, voir Renault (, ).

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individus à leur naturalité première tout en insistant sur la nécessité de poser les questions au niveau des institutions. Ce modèle a ainsi l’avantage de ne pas appliquer un schème abstrait de la reconnaissance à des relations entre les sexes, mais de partir de ces relations pour ensuite, dans un second temps, s’élever à un niveau de généralité plus élevé et perdre l’ancrage sexué de la problématique initiale. Le niveau de généralité auquel s’élève la Phénoménologie de l’esprit par rapport aux manuscrits d’Iéna ne doit par conséquent pas être interprété comme un passage à l’abstraction, dans le mauvais sens du terme. Il s’agit plutôt d’un universel concret, d’une forme d’épure ou de rassemblement des traits communs à différentes situations concrètes dans lesquelles les conflits de reconnaissance ont lieu et qui, seules, ont permis à une compréhension plus générale de la reconnaissance de voir le jour. On peut parler à cet égard d’un « modèle » en donnant à ce mot la signification que lui attribue T. W. Adorno dans Dialectique négative : un cas concret et singulier qui porte pourtant en lui une forme d’universalité (Adorno ). En ce sens, et aussi paradoxal que cela puisse sembler, Hegel permet bien de « réarmer la critique par le féminisme », et non de « corriger » ou de « compléter » par une prise en compte du rapport hommes-femmes une théorie universaliste de la reconnaissance (Ferrarese , ). Sigles GW Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Gesammelte Werke. Texte établi par l’Académie des sciences de Rhénanie-du-Nord-Westphalie et la Fondation allemande pour la recherche (DFG). Hambourg,  passim.

Références Adorno, Theodor.  []. Dialectique négative, traduction Collège de Philosophie. Paris. Aristote. . Les politiques, traduction de P. Pellegrin. Paris. Beauvoir, Simone de.  []. Le deuxième sexe. Volume . Paris. Bienenstock, Myriam. . Politique du jeune Hegel. Iéna  – . Paris. Butler, Judith; Catherine Malabou. . Sois mon corps. Montrouge. Deranty, Jean-Philippe. . « Théorie de la valeur, travail et reconnaissance : l’ontologie sociale dans les écrits d’Iéna ». In: Hegel à Iéna, sous la direction de J.-M. Buée et E. Renault,  – . Lyon. Düsing, Klaus. . « La métaphysique idéaliste de la substance. Les problèmes du développement systématique chez Schelling et Hegel à Iéna ». In: Hegel à Iéna, sous la direction de J.-M. Buée et E. Renault,  – . Lyon. Ferrarese, Estelle. . La fragilité du souci des autres. Lyon.

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Emanuele Cafagna DIE GARANTIE DER FREIHEIT Hegels Begriff der Korporation als Bestandteil der Verfassung Claudio Cesa zum Gedächtnis

ABSTRACT:

Hegel’s political philosophy regards the ‘corporation’ as both a civil society association and an institution guaranteed under the constitution. The present article focuses on the concept of the corporation as an institution of the ‘internal constitution’ by analyzing some of the writings which go back to Hegel’s Heidelberg and Berlin phases, namely the Heidelberg review of the Proceedings of the Estates Assembly of the Kingdom of Württemberg,  – , his first lectures on the philosophy of right, and the Elements of the Philosophy of Right. The analysis shows that Hegel’s sophisticated constitutional culture is informed directly by, and developed along with, his involvement in the political debates on Württemberg, yet his idea of the state administration is far more elaborate than the constitutions of nineteenth-century German States which it does not, in fact, intend to merely reproduce. I shall argue that Hegel’s account of the corporation is based on his specific understanding of European history and the related conceptualization of institutions as guarantees of freedom. Both history and theory are necessary tools to frame and comprehend the philosopher’s discussion of the corporation, whose civil and institutional nature is essential to conceive the connection established between the government of civil society and legislative power. I contend that the role that Hegel attributes to corporations cannot be interpreted as an idea inherited from the history of the German states, and that it rather represents the key to understanding his concept of patriotism and model of political representation via the assemblies of estates. From this perspective, it appears clear that the Hegelian theory of the corporation is at the center of the philosopher’s diagnosis on the crisis and evolution of the modern state.

I. Einleitung In einem bekannten Brief von Thadens an Hegel findet sich eine treffende Formulierung der Frage, die jeder Leser der Grundlinien der Philosophie des Rechts sich früher oder später stellt: „Sie haben den Staat als die Wirklichkeit des Rechts, als die verwirklichte Freiheit dargestellt; aber für welchen Staat sind Ihre Lehren Institutionen?“ (B : ) Von Thaden schätzte die hegelsche Philosophie sehr und hatte sich die Grundlinien besorgt, noch ehe er das von Hegel persönlich zugesandte Exemplar erhielt. Dies hinderte ihn jedoch nicht daran, dem Verfasser sein Erstaunen darüber kundzutun, dass das Werk ein Staatsmodell affirmiert, das sich seines Erachtens von demjenigen, welches Hegel in seiner nur drei Jahre zuvor publizierten Rezension der Verhandlungen in der Versammlung der Landstände des Königsreichs Würtemberg verteidigt, durchaus unterscheidet. Nicht allein fehlt in den

Hegel-Studien  · © Felix Meiner Verlag · ISSN -

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Grundlinien jeder Hinweis auf die Rezension, sondern von Thaden verkündet, dass die Verteidiger des ‚guten alten Rechts‘ darin viele Argumente zugunsten ihrer Forderungen finden könnten. Die Kritik an den Privilegien der Stände, die Hegel in der Rezension auf der Grundlage einer rationalen Rechtsauffassung übt, scheint in einem Werk, das das Majorat vorsieht, gänzlich verschwunden zu sein. Von Thaden erklärt diese vermeintlichen „Inconsequenzen“ (B : ) durch die These, dass der rationale Staat Hegels konkrete historische Verfassungen widerspiegele. Der Umzug von Heidelberg nach Berlin habe Hegel dazu bewogen, die Institutionen des von ihm beschriebenen Staates zu ändern. Denn seiner Meinung nach gehören die in den Grundlinien beschriebenen Institutionen zur preußischen Staatsverfassung, so wie in der Heidelberger Rezension die württemberger Institutionen dargestellt wurden. Während aber die politischen Betrachtungen von , die nach der Logik und nach der Enzyklopädie erschienen sind, einer nach Vernunftrecht idealen Staatsverfassung entsprächen, hätten die Grundlinien diesem Grund widersprochen. Die in den Grundlinien entfaltete Staatswissenschaft – so die These von Thadens – zeigt eine Rückkehr zur Vergangenheit der europäischen Staatlichkeit an, die keine naturrechtliche Legitimation hat. Von Thaden war der Erste einer Reihe von bekannten Lesern der Grundlinien, die die Bestimmtheit des von Hegel beschriebenen Staates durch einen Vergleich mit den konkreten Institutionen der zeitgenössischen deutschen Staaten erklärt haben. Entgegen diesem Ansatz wird im Folgenden versucht, den historischen Charakter der Institutionen der Rechtsphilosophie zu begreifen, ohne ihre Historizität mit der Staatspraxis von Württemberg oder Preußen zu identifizieren. Obwohl die historische Folie der Stellungnahmen Hegels in Betracht gezogen wird, wird der bestimmte Charakter der in den Grundlinien beschriebenen Institutionen nicht als Reflex des württembergischen Verfassungsstreits oder der Karlsbader Beschlüsse dargestellt. Sie werden vielmehr als konsequente Folge von Hegels Begriff der Institution als objektive Garantie der Freiheit ausgewiesen. Diese These wird durch die Fokussierung einer einzigen Institution, nämlich der Korporation, angegangen. Gewiss bringt diese Beschränkung den Verlust einer Gesamtsicht der Verfassung mit sich. Doch die Aufmerksamkeit auf diese eine Institution zu richten, gestattet eine klarer umrissene Thematisierung des Problems der Historizität der Verfassung in den Grundlinien. Die Korporation als Institution der Verfassung scheint nämlich eine unmittelbare Widerlegung der Idealität des von Hegel beschriebenen Staates zu sein. Ihr Vorkommen in einer Verfassung, die bei der Zuweisung der Souveränität jeden Dualismus ausschließt, scheint sich nur durch die Faktizität des deutschen Vormärz und seinen Einfluss auf Hegels Konzeption erklären zu lassen. In der Tat lässt sich beweisen, dass die neue politische Funktion der Korporationen einer Theorie Genüge tut, die einem begründeten Begriff der Verfassung und ihrer Rationalität entspricht.

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Um diese Problematik zu entfalten, wendet der Beitrag die gleiche Methode an wie von Thaden, nämlich den Vergleich der Heidelberger Schrift mit dem in Berlin erschienenen Kompendium. So sind die ersten beiden Teile der folgenden Ausführungen der Landstände-Rezension gewidmet. Der dritte Teil überprüft die Kontinuität zwischen den politischen Optionen jener Rezension und der hegelschen Auffassung der Korporation anhand des ersten Heidelberger Vorlesungszyklus zur Philosophie des Rechts. Der letzte Teil beschäftigt sich schließlich mit den Grundlinien der Philosophie des Rechts, die sich dergestalt als das Ergebnis einer Ausarbeitung präsentieren, die nicht in Preußen ihren Anfang nahm. II. Korporation und politische Vertretung in der Landstände-Rezension In der Rezension zu den Verhandlungen in der Versammlung der Landstände zeichnet Hegel die Anfangsphasen des Konflikts zwischen Friedrich I. und den im Januar  einberufenen Landständen nach und verwendet zu diesem Zweck die ersten dreiunddreißig Bände der Parlamentsakten. Sie decken den Zeitraum vom Beginn der Arbeiten, der auf den . März  festgesetzt war, bis zum Tod des Königs am . Oktober  ab, der den Anfang einer neuen Phase des Konflikts markierte. Die Entscheidung, eine Verfassung zu gewähren, war im Zusammenhang mit der Teilnahme des Königs am Wiener Kongress herangereift. Sie hatte das Ziel, die Zeit zu beenden, in der Friedrich, der sich Anfang  zum König ernannt hatte, in seinem ehemaligen Herzogtum ein absolutistisches Regime eingeführt und jede Form der Vertretung ausgeschlossen hatte. Die Verfassung sollte endlich die vom alten Württemberg geerbten Ständerechte und die Rechte der neuen Mediatisierten regeln. Doch die Absicht des Königs, eine Verfassung zu gewähren, ehe sie gefordert wurde, und damit der inneren Opposition vorzubeugen, zerbrach am hartnäckigen Widerstand der Landstände, die den vom Ministerium verfassten Entwurf ablehnten und eine Phase des Verfassungsstreits einleiteten, aus dem eine heftige Publikationsschlacht hervorging. Zwar wurde Hegels Schrift als Ergebnis einer Fraktion gedeutet, doch lässt sie sich nicht auf eine Stellungnahme reduzieren, die allein durch die Verteidigung des königlichen Ministeriums gegen die Forderungen des Landstands motiviert war. Der kleine „Schwabenstreich“ bot Hegel vielmehr Gelegenheit, darüber nach Zur Rekonstruktion der wichtigsten Ereignisse in diesem Streit und zur Rolle, die Hegel darin spielte, siehe Grawert (, ).  Es wurde behauptet, Hegels Schrift stehe den Positionen von Wangenheims, des Ministers, der in jenen Monaten im Auftrag des Fürsten einen Kompromiss mit den Landständen zu erzielen trachtete, nahe. Siehe dazu Cesa (, ). Zu den Verfassungsvorschlägen von Wangenheims siehe auch Grawert (, ) und Jamme (, ).  Brief Hegels an Niethammer vom . .  (B : ).

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zudenken, was eine Verfassung vernünftig macht, sowie über die Möglichkeit, dass souveräne Staaten, die von außen als solche anerkannt sind, sich in ihrem Inneren neu organisieren. Der Grundgedanke, um den die Schrift von  kreist, ist nämlich die Überzeugung, dass „die Geistesbildung der Zeit“ nunmehr eine Vorstellung davon besitzt, was ein vollständig souveräner Staat ist, das heißt ein Staat, der eine nicht-dualistische Verfassung besitzt, die den bloßen Gegensatz zwischen der Macht des Fürsten und den Ständen überwindet: „Nun war die Zeit gekommen, wo nicht bloß die Macht des Staats, sondern auch der Wille desselben lebendig werden konnte“ (GW : ). Besonders interessant an dieser Schrift ist, dass sie die umfassenden Geschichtskenntnisse verdeutlicht, die Hegels Verfassungskonzeption zugrunde liegen. Seine Kritik der verschiedenen Positionen, die einander in dem Württemberger Streit gegenüberstanden, setzt nicht bei einer abstrakten Staatsauffassung, sondern bei einer historischen Analyse der Entwicklung der Württemberger Verfassung und ihrer Bedeutung für die Entfaltung der modernen Staatlichkeit an. Diese Perspektive gestattet es Hegel, nicht nur die Landstände zu kritisieren, die sich seiner Ansicht nach einfach außerhalb der Geschichte stellten, sondern auch das Ministerium und dessen Interpretation der Aufgabe, dem Staat eine Verfassung zu geben. Bezogen auf unser Thema ist vor allem die hegelsche Untersuchung der Formen relevant, in denen im Verfassungsentwurf die Kategorien der Untertanen bestimmt werden, die das aktive und passive Wahlrecht besitzen. Hegel ist an der Norm der Verfassungsurkunde interessiert, die den Ausschluss der „Staatsdiener“ und verwandter Figuren, z. B. „Geistliche, wie auch die Aerzte und Chirurgen“ (GW : ), vom passiven Wahlrecht vorsieht. Dies setzt eine falsche Auffassung der Gewaltenteilung voraus, so dass Berufskategorien und gesellschaftliche Gruppen, die mehr als andere die Fähigkeit haben, das Gemeinwesen zu verstehen, von der Vertretungsfunktion ausgeschlossen werden. Diesem Ausschluss kann Hegel umso weniger zustimmen, als stattdessen keinerlei Beschränkung für den „Advocatenstand“ vorgesehen ist, der mit seinem privatistischen animus viel weniger geeignet ist, das, was Hegel den „Sinn des Staates“ nennt (GW : ), zu entwickeln. Auf den unvermeidlichen Einwand, er wolle einem Körper, der eine Emanation der fürstlichen Gewalt sei, zugleich Vertretungsfunktionen zuschreiben, antwortet

 Siehe dazu die Königliche Verfassungs-Urkunde vom . März , § : „Zu der Stelle eines Repräsentanten sind alle, ohne Unterschied des Standes, fähig, welche Unterthanen-Rechte im Königreiche haben, wenn sie  Jahre alt, und einem der drey durch das Religions-Edict anerkannten christlichen Religions-Bekenntnisse zugethan sind, mit Ausnahme der in Königlicher Stelle befindlichen Diener, der in Militär-Diensten stehenden Unteroffiziere und Soldaten, der Geistlichen, der Aerzte und der Chirurgen“ (Reyscher , ).

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Hegel mit einer historischen Analyse der Figur des Staatsdieners. Die historische Entwicklung zeigt, dass es sich bei dieser Figur ursprünglich um den Inhaber eines Feudalrechts und eines Amtes handelte, das aus ihm einen Diener des Fürsten und ein Werkzeug von dessen Gewalt machte. Der Übergang von der Verwaltung des Vermögens des Fürsten zur Verwaltung von „Staatsrechten“ hat „das Verhältniß der Beamten nicht mehr in der Bestimmung gelassen […], welche zur Zeit der vormaligen Wirtembergischen Verfassung Statt hatte“ (GW : ). Dasselbe Verbot betraf auch andere Figuren, die einst ebenfalls zur Vertretung zugelassen waren. Die an „Gericht und Rath der Städte“ (GW : ) gebundenen Verwalter nahmen gleichfalls daran teil, weil die alte Verfassung richtigerweise vorsah, dass die Städte und ihre Bevölkerung durch diejenigen vertreten würden, die sie konkret verwaltet hatten. Hegel hebt diesen Aspekt hervor und erläutert den Grund, der die alte Norm rechtfertigte: „Magistratspersonen leben, wie die Beamten, in der täglichen Thätigkeit, die bürgerliche Ordnung handhaben zu helfen, und in der Erfahrung, wie Gesetze und Einrichtungen wirken, eben so welche Gegenwirkungen der bösen Leidenschaften sie zu bekämpfen und auszuhalten haben“ (GW : ). Dieselbe Diskontinuität gegenüber der Vergangenheit lässt sich auch in den Bestimmungen zu den Inhabern des aktiven Wahlrechts erkennen. Die königliche Verfassung führt Regeln ein, die den württembergischen Einrichtungen bis dahin fremd waren und sich erst seit kurzer Zeit durch das Beispiel der französischen Verfassungen durchgesetzt hatten, wie das Alter von fünfundzwanzig Jahren und Einnahmen aus unbeweglichen Gütern in Höhe von zweihundert Gulden (siehe dazu Reyscher , ). Gegen diese Regel wendet Hegel ein, dass die Anerkennung von Alter und Einkommen als einzige Kriterien, damit ein Individuum als aktiver Wähler gelten kann, einer Betrachtung der Bürger „als isolierte Atome“ und des Volkes als „in einen Haufen aufgelöst“ gleichkomme; in eben dieser Form, der des Haufens, sollte sich das Gemeinwesen jedoch niemals zeigen, denn es ist die „unwürdigste, und seinem Begriffe, geistige Ordnung zu seyn, am widersprechendste [Gestalt]“ (GW : ). Das Alter und das persönliche Vermögen sind Eigenschaften, die den Einzelnen in seiner Vereinzelung, und keine „Eigenschaften, welche sein Gelten in der bürgerlichen Ordnung ausmachen“ (GW : ). Wie die Mentalität des Volkes lehrt, sagt man von einem Einzelnen nur aufgrund des Gewichts und der Rolle, die er in der bürgerlichen Ordnung errungen hat und die er „kraft eines Amtes, Standes, einer bürgerlich anerkannten Gewerbsgeschicklichkeit und Berechtigung nach  Hegel macht sich wahrscheinlich unter Verwendung des Entwurfs der Geschichte des engern land-

schaftlichen Ausschusses von Spittler eine genaue Vorstellung davon (Spittler ,  – ). Spittlers Band wird von Hegel zitiert (GW :  Anm.). In Hegels Bibliothek waren beide von Spittler besorgten Sammlungen vorhanden, die oben zitierte und Spittler  (GW ,:  – ).

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derselben, Meisterschaft, Titel u.s.f.“ erlangt, dass er „Etwas“ ist (GW : ). Wer fünfundzwanzig Jahre alt ist und ein Vermögen hat, das ihm zweihundert und mehr Gulden jährlich einbringt, ist in Bezug auf das bürgerliche Leben und die Anerkennung, die jeder sich darin erwerben kann, „Nichts“ (GW : ). Aufgrund der Normen der königlichen Verfassung wird dieser „Nichts“ in die Verfassung aufgenommen, denn indem aus einem Individuum, das allein diese Attribute besitzt, ein Wähler gemacht wird, erkennt man ihm „ein hohes politisches Recht, ohne alle Verbindung mit den übrigen bürgerlichen Existenzen“ zu und führt damit „für eine der wichtigsten Angelegenheiten einen Zustand herbey, der mehr mit dem demokratischen, ja selbst anarchischen Princip der Vereinzelung zusammenhängt, als mit dem Princip einer organischen Ordnung“ (GW : ). Auch bezüglich der Auswahl der aktiven Wähler zerreißt der königliche Entwurf also die Beziehung zwischen bürgerlicher Verwaltung und politischer Vertretung, die die Entwicklung der Staatlichkeit in der Neuzeit gekennzeichnet hat. Die politische Vertretung wird von der bürgerlichen Ordnung getrennt und ihre Zusammensetzung wird gemäß einer Vorstellung von Gesellschaft als einem Haufen Einzelner entschieden. Gegen dieses Verständnis der Repräsentation macht Hegel die Rolle geltend, die die Korporation bekleidet, und schlägt für sie eine radikale Reform vor, die sie zu einer Institution der Verfassung machen kann. Wie die Kriterien zur Bildung der Wählerschaft entspringt auch der Vorschlag einer Reform der Korporationen aus einer Reflexion über die Geschichte des modernen Staates in deutschen Gebieten. Der Ursprung der Korporation ist Hegel zufolge nämlich in der Phase des Hochmittelalters zu suchen, in der nach dem Zerfall der „alte[n] königliche[n] Regierungsgewalt“ „die Ritter, die freyen Leute, Klöster, die Herren wie die Handel- und Gewerbetreibenden, sich gegen diesen Zustand der Zerrüttung in Genossenschaften und Corporationen bildeten, welche sich dann so lange an einander abrieben, bis sie ein leidliches Nebeneinanderbestehen fanden“ (GW : ). Aufgrund der Schwäche der staatlichen Macht haben die Korporationen eine Ersatzfunktion ausgeübt, welche die Ausbildung eines „Zunftgeistes“ ermöglichte, der sich mit seinem „Aristokratizismus“ leicht in eine ungerechte Verteidigung von Privilegien verwandelt hat (GW : ). Diese historische Beschreibung, die Hegel wahrscheinlich aus Pütters Historischer Entwickelung der heutigen Staatsverfassung entnahm, zielt nicht auf die Legitimation einer Rückkehr zur Vergangenheit, sondern dient der Hervorhebung dessen, was nicht mehr aktuell ist. Eben weil der Staat sich nicht mehr im Zustand der Schwäche befindet, der ihn in der Entstehungszeit der Korporationen kenn In den Kapiteln VII bis XI des zweiten Buches untersucht Pütter die Situation des Reiches von der Thronbesteigung Heinrichs IV. bis zu Friedrich II. und bezeichnet die Wandlungen dieser Zeit insgesamt als eine „Revolution […] von welcher der größte Theil der nachherigen Verfassung abhängt, wie sie meist noch jetzt ist“ (Pütter , ). Zu Hegels Kenntnis dieses Werkes siehe Rosenzweig (, Bd. , , ).

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zeichnete, „wäre [es] aber nun wohl wieder Zeit, wie man bisher vornemlich in den Kreisen der höhern Staatsbehörden organisirt hat, auch die untern Sphären wieder zu einer politischen Ordnung und Ehre zurückzubringen, und sie gereinigt von Privilegien und Unrechten in den Staat als eine organische Bildung einzufügen“. Eine Korporation, die keine Privilegien schützt und in der das Staatsrecht herrscht, ist die Alternative zum Repräsentationsmodell des königlichen Verfassungsentwurfs, in dem „eine der wichtigsten politischen Functionen“, wie es die Wahl der Abgeordneten ist, nach den „französische[n] Abstractionen von bloßer Anzahl und Vermögensquantum“ entschieden wird (GW : ). Für die Funktion, die aktiven Wahlberechtigten zu bestimmen, bildet eine reformierte korporative Institution nach Hegel also eine „positive Garantie“ (GW : ). Das Alter oder das Vermögen können Kriterien sein, um in eine Korporation aufgenommen zu werden, aber hinsichtlich der Funktion des Wählers ist die Tauglichkeit dieser Kriterien eine bloße Annahme. Gegenüber dieser bloßen Annahme gibt es „hingegen eine ganz andere, positive Garantie […], durch das Zutrauen der Regierung zu Staatsdiensten, – oder durch das Zutrauen der Gemeinden und der Mitbürger, zu Gemeindediensten, Aemtern erwählt und in Genossenschaften aufgenommen worden zu seyn“ (GW : ). In der korporativen Institution können die Bürger aufgrund der konkreten Ausübung der Verwaltungstätigkeit selbst beurteilen, ob die von ihnen gewählten Wähler imstande sind, unter Achtung der Gesetze zu regieren. III. Alte Verfassung und Staatsrecht in der Landstände-Rezension Hegels Vorschlag, die korporative Institution zu reformieren und ihr eine Rolle für die politische Vertretung zuzuweisen, stützt sich auf eine besondere Vorstellung davon, was einer Verfassung Gültigkeit verleiht. Wie in den Grundlinien näher ausgeführt wird (GW ,: §  Anm.), bezeichnet Hegel schon in der Rezension nicht nur das Grundgesetz, sondern auch die Gesamtheit der Einrichtungen und Ordnungen, die ein Staat im Verlauf seiner Geschichte erfahren hat, als „Verfassung“. Am Anfang der Schrift wird diese Gesamtheit mit einem alten Haus verglichen, das im Laufe der Zeit umgebaut und auf unharmonische Weise erweitert wurde, ohne einem vernünftigen Maßstab zu entsprechen. In bestimmten historischen Phasen kann diese im Laufe der Zeit angehäufte Unordnung einen Kontrast zwischen der Staatsmacht und den Forderungen der Stände auslösen, der eine unmittelbare und gewaltsame Wiederherstellung der Ordnung begünstigt. Die  Über diese Eigentümlichkeit der hegelschen Verfassungskonzeption, die sie von anderen Richtungen des Verfassungsdenkens unterscheidet, hat schon Rosenzweig geschrieben (, Bd. ,  f.).

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Französische Revolution war für Hegel das exemplarische Ereignis einer solchen Wiederherstellung, bei dem die Macht des Staates gewaltsam durchgesetzt wurde und das hervorbrachte, was er die „jährige, so eben abgelaufene, meist fürchterliche Wirklichkeit“ nennt (GW : ). Die Lektüre der Akten der Württemberger Landstände stellte Hegel die Existenz einer Oligarchie vor Augen, die fortfuhr zu handeln, als hätte die Französische Revolution niemals stattgefunden und als könnte die tragische Evidenz ihrer Ereignisse nichts lehren. Auch wenn es Württemberg gelungen war, Umwälzungen zu vermeiden, erlebte es doch unmittelbar das, was zur Überstürzung der Ereignisse in Frankreich geführt hat. Wie es dort bereits geschehen war, wurde auch in Württemberg eine gefährliche Polarisierung zwischen der Berufung auf eine abstrakte Idee des Staates, der mit seiner Macht jeden Unterschied in der Gesellschaft zunichte machte, und der Berufung auf die positive Ordnung von historisch überwundenen Verfassungen geschaffen. Was den Fall Württembergs jedoch exemplarisch machte, war die völlige Umkehrung der konfligierenden Parteien im Vergleich zum revolutionären Frankreich. Während in Frankreich die Ständeversammlung die Forderung nach einer vernünftigen Verfassung für den Staat vorangetrieben hatte, kämpften in Württemberg die Landstände für die Bewahrung der alten Welt. Vom König einberufen, um einen Reformprozess einzuleiten, der jeder revolutionären Versuchung vorbeugen sollte, verhielt sich die Ständeversammlung, als wäre die alte Verfassung noch in Kraft. Die Lektüre der Stellungnahmen der Landstände belegt, dass deren Vertreter den Inhalt der königlichen Verfassungsurkunde nicht einmal berücksichtigt und sich nicht gefragt haben, was darin dem vernünftigen Recht entspricht, sondern sie haben „schlechthin auf dem Formalismus beharrt, ein altes positives Recht zu fodern, auf dem Grund, daß es positiv und vertragsmäßig gewesen sey“ (GW : ). Ein besonders erhellender Aspekt der hegelschen Analyse der Sitzungsverhandlungen der Landständeversammlung betrifft den ideologischen Gebrauch, den sie vom alten Recht und von der alten Verfassung machen. Der Hinweis auf die geschichtliche Tradition tritt an die Stelle der rationalen Begründung des Staatsrechts und der positive Charakter an sich wird als das angenommen, was eine Verfassungsordnung legitimiert. Wie Hegel schon in der Rezension feststellte, also bevor er in den Grundlinien über dieses Thema die Polemik gegen von Haller lostrat, kann die Positivität allein niemals ausreichen, um den Zwangscharakter des Gesetzes zu rechtfertigen. Ein solcher Ansatz kann nämlich für die schlimmsten Ungerechtigkeiten eine gesetzliche Sanktionierung bieten, und Hegel führt als Beispiele die Menschenopfer, die Sklaverei und den feudalen Despotismus an (GW  Zur Polemik mit von Haller siehe GW ,: §  Anm. Zum Unterschied der hegelschen Auffassung der Verfassung vom politischen Organizismus siehe Jaeschke (, ).

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: ). Obgleich die Vertreter der Landstände es für ein Sakrileg halten, dem Volk seine Rechte zu entziehen, beinhaltet auch die Berufung auf das alte Recht oder die alte Verfassung nicht immer einen tatsächlichen Schutz des Volkes. Häufiger verbirgt sich hinter dem Anschein der Verteidigung der Rechte des Volkes der willkürlichste und ungerechteste Rechtsgebrauch. Die ganze Rezension ist auch eine Anklage gegen das Unrecht, das durch die Normen und Regelungen der alten Verfassungen verhüllt wird, und Hegel verbreitet sich über verschiedene Vorfälle einer schlechten Verwaltung in Württemberg. Von besonderem Interesse hinsichtlich der Korporationen und ihrer erneuerten Funktionen ist die eingehende Beschreibung des sogenannten Schreiberei-Unfugs im letzten Teil der Rezension. Die Schreiber hatten in Württemberg das Monopol für die Abfassung aller offiziellen Dokumente inne, von der Buchführung bezüglich der Steuereinnahmen über die Eintragung von Heiratsvereinbarungen bis zur Erstellung der Gemeindehaushalte. Der Grund ihrer Macht lag darin, dass ein einziger Schreiber entweder für eine ganze Stadt oder für ein ganzes Amt vorgesehen war. Dieser einzige Schreiber hatte das Recht, eine Gruppe von unterstellten Schreibern zusammenzustellen, auf die nicht nur die einfachen Bürger, sondern auch die lokalen Verwalter, wie die Bürgermeister, zwangsläufig zurückgreifen mussten. Dank ihres Monopols ließen sich die Schreiber ihre Leistungen nach der ungezügeltsten Willkür bezahlen, einschließlich paradoxer Situationen der doppelten Bezahlung, einer für den ‚Prinzipal‘, das heißt für den Stadtschreiber bzw. den Amtsschreiber, und einer für die Schreiber, die von demselben Prinzipal geschickt wurden. Derlei Schikanen hatten in der Vergangenheit zu Situationen tragischer Verschuldung geführt, zu denen es auch in der Gegenwart nach wie vor kam. Einige Bürger Württembergs waren zur Auswanderung gezwungen gewesen, weil sie es vorzogen zu fliehen, statt die Rechtsverletzungen dieses verhassten Sozialkörpers zu erleiden. Aufgrund derartiger Vorfälle waren unzählige Beschwerden vor die Landstände gelangt, insbesondere aus den annektierten neuen Gebieten, wo dieses Vorgehen noch empörte Reaktionen hervorrief (GW : ). Detailliert verfolgt Hegel die fortwährenden Vertagungen, mit denen der Landtag eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema vermied, und berichtet mit erstaunter Verachtung von der Stellungnahme, die den Akten als Anhang beigefügt war und die nie erzielten Ergebnisse des zur Lösung des Problems eingesetzten Ausschusses ersetzte.  GW :  ff. Neben den Vorfällen, die mit diesem Aspekt verbunden waren, widmet Hegel sich den Veruntreuungen im Zusammenhang mit der Vermögensverwaltung des Landtags (GW :  ff.).  Hegel liefert, mit wachsendem Erstaunen, eine Auflistung der unzähligen Funktionen der Schreiber (GW :  f.).

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Der wichtigste Punkt ist Hegels Feststellung, dass die Korruption kein Ergebnis einzelner Vorfälle von Fehlverhalten, sondern ein struktureller Sachverhalt war, der sich „aus solchen Einrichtungen“, das heißt aus der Rolle ergab, welche die alte Verfassung für die Schreiber vorsah und aus welcher „die nothwendige Abhängigkeit der Gemeinde-Vorstände, der Gemeinden, und […] auch die der einzelnen Bürger, von den Stadt-und Amtsschreibern“ entsprang (GW : ). Die alte Verfassung schrieb gesetzlich Abhängigkeitsbeziehungen fest, die sich nicht einmal mit Feudalbeziehungen, sondern mit wahren Äußerungen von Despotismus vergleichen ließen. Dies beweist, dass die Funktionen, die bestimmten städtischen Ständen von den alten Verfassungen übertragen, und die ‚Freiheiten‘, die ihnen zugestanden wurden, niemals eine Garantie für die gerechte und billige Verwaltung der Sachen des Volkes gewesen sind. Wenn der Landtag die Verteidigung seiner Autonomie mit den Interessen des Volkes verbindet, verteidigt er in Wirklichkeit allein seine eigenen Interessen. Der Hinweis auf die Legitimität seiner Vorrechte, die sich auf die alte Verfassung gründen, ist durchaus kein Bollwerk der Freiheit gegen die Zentralmacht, sondern dient oft dazu, das Fortleben eines Korruptionssystems zu verhüllen. Hegels kritische Untersuchung beschränkt sich nicht darauf, die Umgehung der Frage der Schreiber seitens der Landstände herauszustellen, sondern auch das königliche Ministerium wird mit Kritik bedacht, da es de facto eine Versammlung einberufen hat, deren Abgeordnete dem Kreis der Schreiber angehören. Dieses Verhalten des königlichen Ministeriums ist kein Zufall, denn es steht vollkommen im Einklang mit einer Haltung, die den traditionellen Figuren der bürgerlichen Verwaltung stets Respekt entgegengebracht hat. Beispielsweise sahen die allgemeinen Bestimmungen der städtischen Verwaltung zwischen der untersten Ebene der Gemeinden und der allgemeinen Landesverwaltung einen zentralen Ort für die Amtskorporationen, das heißt die Versammlungen, die alle öffentlichen Amtsinhaber der Stadt vereinten, vor. Sie hatten für die Vermittlung zwischen der lokalen Verwaltung und der staatlichen Macht eine Schlüsselrolle inne, denn sie kümmerten sich nicht nur um die Verwaltung der Stadt, sondern bestimmten auch die Komponenten der wahlberechtigten Bürgerschaft, welche die Abgeordneten für den bürgerlichen Stand des Landtags wählten. Hegel bemerkt, dass die königliche Gewalt, sich auf eine zentralistische und – wie die zahlreichen Korruptionsfälle belegen – unwirksame Kontrolle beschränkend, die Gültigkeit dieses altständischen Aufbaus stets bestätigt habe, statt sich um seine Reform zu bemühen. Bevor das königliche Ministerium die Reformen der höchsten Staatseinrichtungen in Angriff nahm und den Landtag einberief, um eine neue Verfassungsurkunde zu verabschieden, hätte es vorab für die Neuordnung des „unseligen  Der Verfassungsentwurf überließ den Gemeinden zwar die direkte Verwaltung ihres Eigentums, aber er sah eine strenge Kontrolle seitens der Staatsbeamten vor. Dazu siehe Reyscher (, ).

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Verfassungszustands der allgemeinen Volksmasse“ sorgen müssen (GW : ). Solange man nicht an diese Reform heranging, bildete ein Großteil der gewählten Abgeordneten nach wie vor eine ‚Klasse‘ im Gegensatz zu den Interessen des Volkes und im Gegensatz zu den Interessen des Staates. Hegel nimmt diesbezüglich erneut auf die Französische Revolution Bezug und stellt fest, dass die Spannungen, die zum revolutionären Ereignis geführt haben, nie von einem tatsächlichen Gegensatz zwischen dem Volk und dem König abhingen, sondern von den Bremsen, die ein Mittelstand – in Frankreich die Aristokratie, in Württemberg die „bürgerliche Aristokratie der Schreiberey“ – zur Verteidigung der eigenen Interessen der „Verwirklichung der Grundsätze des vernünftigen Rechts und allgemeinen Wohls“ entgegensetzte (GW : ). Wenn diejenigen, welche die Achtung der Gesetze gewährleisten müssten, das Gesetz gegen das Volk richten, kommt dabei ein höchster Zustand der sittlichen Spaltung heraus, in dem man das ebenso „ekelhafte als traurige Schauspiel [erlebt], daß Unrecht, welches hundert Jahre Recht geheißen, als solches gegolten und das Volk zur Verzweiflung gebracht hat, von dem durch diesen Nahmen betrogenen Volke selbst unterstützt wird“ (GW : ). Es ist nicht das erste Mal, dass Hegel sich für Korruptionsvorfälle in den lokalen Verwaltungen seines Landes interessiert. Schon in der Schrift von  über die Wahl der städtischen Magistrate ging es ihm – wie sich mit Sicherheit aus den überlieferten Fragmenten ersehen lässt – nicht um eine revolutionäre Erneuerung Württembergs. Vielmehr unterstrich er die Notwendigkeit, jeder Form von Aufstand durch eine Reform der Lokalverwaltungen vorzubeugen, welche die Bürger den Schikanen einer korrupten Klasse von Verwaltern entreißt, indem man den Bürgern das Recht gibt, ihre Verwalter selbst zu wählen. Schon in dieser frühen Schrift ist Hegels Lösung für das Problem der Korruption der städtischen Verwaltung eine Form von Selbstverwaltung, die auf dieser Ebene der bürgerlichen Verfassung das demokratische Prinzip einführt und den Bürgern direkt die Aufgabe zuweist, diejenigen zu wählen, die der Ausübung politischer Funktionen am würdigsten sind. Auch in der Rezension von  schließt die von Hegel vorgeschlagene Lösung Elemente der Selbstverwaltung der korporativen Institution ein, indem sie den Bürgern Kontrollfunktionen über ihre Verwalter zuerkennt. Die Kritik an dem Modell, nach dem das königliche Ministerium die Repräsentation versteht, findet ihre Vollendung in einem mit dieser Kritik übereinstimmenden Vorschlag zur Gestaltung der städtischen Verwaltung. Während das besagte Modell die Regie Der nicht von Hegel stammende Titel der Schrift ist Über die neuesten innern Verhältnisse Württembergs, besonders über die Gebrechen der Magistratsverfassung, während der ursprüngliche Titel lautete Daß die Magistrate von den Bürgern gewählt werden müssen (GW :  – ). Zu dieser Schrift siehe Pöggeler (,  f.) und Lucas (, ), der zu einer Bezeichnung tendiert, die ‚Volk‘ anstelle von ‚Bürgern‘ setzt, und die ganze Schrift gemäß einer revolutionären Lesart deutet.

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rung der Städte und die politische Vertretung voneinander trennt, wobei sie Erstere den Figuren der alten Verfassung überlässt und das aktive Wahlrecht nach reinen Zensuskriterien zuweist, durchdenken die von Hegel vorgeschlagenen Reformen die Regierungs- und die Gesetzgebungsgewalt neu als Teile einer einzigen Ordnung. Die Korporation wird zu der Institution, in der eine Schicht gesetzestreuer Verwalter, die der direkten Kontrolle der Bürger unterstehen, sich für die Verwaltung des Gemeinwesens heranbilden und dadurch nach der politischen Vertretung streben können. Auch diese Aspekte beweisen, dass Hegels Position sich kaum einer der konfligierenden Parteien zuordnen lässt. In Frontstellung gegen die Landstände kritisiert er den ideologischen Gebrauch der Berufung auf die alten Verfassungen. Doch im Gegensatz zum königlichen Entwurf ist er der Ansicht, dass eine vernünftige, mit dem Prinzip der modernen Staaten übereinstimmende Verfassung die Beziehung zwischen politischer Verfassung und Regierung der bürgerlichen Gemeinden nicht zerreißen darf. Man sollte vielleicht hinzufügen, dass Hegels Vorschläge unwirksam blieben. Die spätere Geschichte Württembergs zeigt, dass eine umfassende Neuordnung der Verfassung nicht gelang und man die Kompromisslösung einer betont zentralistischen Staatsverwaltung und einer noch an die altständischen Verfassungen gebundenen Selbstverwaltung wählte (vgl. Hettling , ). IV. Korporation und Selbstverwaltung in der Wannenmann-Nachschrift Die Reflexionen über die korporative Institution, die Hegel in der LandständeRezension anstellt, tauchen in der ersten Heidelberger Vorlesung zur Rechtsphilosophie wieder auf, wie die Nachschrift von Peter Wannenmann belegt. Die häufigen Bezugnahmen auf die deutschen Gebiete und ihre Geschichte in dieser Nachschrift sind keine bloßen Abschweifungen, die der konkreten Veranschaulichung der in den Paragrafen der Darstellung abstrakt getroffenen Aussagen dienen würden. Hegel skizziert die konkrete geschichtliche Entwicklung, die dazu geführt hat, aus der Korporation die Trägerin von Privilegien im Gegensatz zum Staatsrecht zu machen. Ähnlich wie in der Rezension bietet er in der Vorlesung eine Genealogie der Korporation, die ihren gegenwärtigen Zustand relativiert und ihre Rolle im Zusammenhang mit der Entwicklung der modernen Staatlichkeit neu bedenkt. Die Kontinuität mit der Rezension ist vor allem an der Darstellung des Staatsbegriffs zu erkennen. Ein Zweck dieser Darstellung – die am Anfang des Abschnitts zur Sittlichkeit steht – besteht darin, die Idee zu rechtfertigen, dass dem Staat das höchste Recht gebührt im Vergleich zu den Rechten, die in den vorausgehenden Abschnitten der Philosophie des Rechts illustriert werden. Hegel unterscheidet die Vernunftgründe, die den Vorrang des Staatsrechts rechtfertigen,

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von den faktischen Ereignissen, die zur Durchsetzung der staatlichen Macht gegenüber anderen Behörden führen. In diesem theoretischen Rahmen widmet er der Korporation und der Rolle, die ihr während der Herausbildung der modernen Staatlichkeit in deutschen Gebieten zukam, einige Überlegungen. In Bezug auf diese Gebiete las Hegel: „Bey uns ist es sehr häufig der Fall, daß die Staaten aus Corporationen entstanden, z. B. durch das Feudalwesen; daher der Kampf des Volkes gegen die Großen in unseren Staaten“ (GW ,: §  Anm.). Das Volk als dritter Stand hat seinerseits Korporationen gebildet, die den Staat schwächen, da sie ihre Privilegien gegen das gemeinsame Interesse durchsetzen. Die ganze Geschichte der modernen Staatlichkeit kann als die Geschichte des Kampfes zwischen diesen gegensätzlichen Interessen betrachtet werden, der in den deutschen Gebieten den Anschein eines Kampfs für die Freiheit angenommen hat. Hegel entmystifiziert die Argumente, die den Konflikt zwischen Staat und Ständen auf diese Weise darstellen – wie er es bereits in der Rezension getan hat –, und stellt klar, dass das, was die Stände als ihre Rechte verteidigen, in Wirklichkeit öffentliche Funktionen sind, die der Staat nach und nach eingebüßt hat: „Die Glieder des Staates haben mit dem Oberhaupte so capitulirt [sic], daß dieses Rechte des Staates ihnen als Privatrechte überließ, und so wurden die Rechte des Staates jura singulorum auf eine absolut widerrechtliche Weise“ (GW ,: §  Anm.). Die Bewusstheit über den staatlichen Ursprung einiger Vorrechte des bürgerlichen Standes ist so weit verloren gegangen, dass dessen Rechte neben denen des Staates genannt werden können, als würden sie derselben Art von Rechten angehören. Hegel zitiert diesbezüglich erneut die Rechtssammlung von Johann Jacob Moser, dessen Name bereits in der Rezension aufgetaucht war: „Moser trug nun alle diese Rechte in einem Werke, sowohl die Staatsrechte der einzelnen, als die Privatrechte derselben vor“ (GW ,: §  Anm.). Die Kontinuität zwischen diesen Heidelberger Vorlesungen und der Rezension betrifft auch die Rolle, die einer erneuerten korporativen Institution innerhalb der Gewalten des Staates zukommen soll. In der Rezension war die vollständige Überwindung der Formen, in denen die altständischen Verfassungen die bürgerlichen Gemeinden regierten, nur in Gestalt der Polemik angeklungen. Dagegen wird sie in den Vorlesungen Teil einer Theorie der Regierungsgewalt, die den Korporationen eine Selbstverwaltung zuschreibt. Dieses Vorrecht, das nicht nur eine wirtschaftliche Bedeutung hat, ist keine Übertragung aus tatsächlich beste Hegel bezieht sich auf das Neue Teutsche Staatsrecht von Moser. In der Rezension erwähnt Hegel, dass Moser vom Landstand beauftragt, später aber entlassen worden war (GW : ). Er fügt dem hinzu, dass Moser als Einziger imstande gewesen sei, eine zuverlässige Geschichte des Landtags zu schreiben. Hinweise auf Mosers Tod finden sich bereits im Tagebuch, das Hegel im Alter von fünfzehn Jahren verfasste (GW : ).  Zur Affinität zwischen der in der Rezension vertretenen Position und der ersten Vorlesung zur Philosophie des Rechts siehe Jamme (, ).

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henden Ordnungen und geht gegen die vorherrschenden politischen Strömungen. Diesbezüglich las Hegel den folgenden Satz: „Die Gemeinde muß Eigenthum haben, und ist als selbständige Corporation keineswegs minorenn, sondern es ist gar kein Grund vorhanden, warum sie nicht ihr Eigenthum selbst verwalten können sollte“. In jüngerer Zeit neige man dagegen dazu, den Korporationen die direkte Verwaltung ihres Eigentums zu entziehen, und die Regierungen haben „den Bürger aller dieser Sorgen für ein allgemeines enthoben“ (GW ,: §  Anm.). Dieser Prozess, meint Hegel, hat auch deshalb stattgefunden, weil die Stadtmagistrate sich der Korruption schuldig gemacht haben, wobei er auf die Berichte verweist, die er in der Rezension geliefert hat. Dies aber hat dazu geführt, dass das demokratische Prinzip aus der Sphäre des bürgerlichen Lebens ausgeschlossen wurde, in der es zweckmäßigerweise vorhanden sein sollte. Unter ‚demokratischem Prinzip‘ ist die Möglichkeit zu verstehen, dass „der einzelne mitregiere in den Gemeinden Corporationen Zünften, welche die Form des allgemeinen in sich haben“ (GW ,: §  Anm.). Während der Staat als allgemeine politische Instanz vom besonderen Interesse des Bürgers zu weit entfernt ist, als dass er stets eine Teilnahme des Bürgers am Gemeinwesen gewährleisten könnte, hat „in den Corporationen […] jeder einen Staat, wo er nach seinem concreten Wesen thätig seyn kann“ (GW ,: §  Anm.). Das bedeutet nicht, dass die Korporation an die Stelle des Staates treten würde. Es bedeutet vielmehr, dass die Pflege des Gemeinwohls in einer begrenzteren und dem Leben des Bürgers näheren Sphäre den rein politischen Charakter verliert, den sie in Bezug auf den politischen Staat besitzt. Die Selbstverwaltung der Korporation bewirkt, dass die Genossen eine gesetzestreue Verwaltung der Korporation verlangen, denn dies steht in erster Linie im Einklang mit ihren Interessen. Die hegelsche Theorie der Regierungsgewalt erschöpft sich jedoch nicht mit der Theorie der Korporation, und die Selbstverwaltung der bürgerlichen Sphären ist nicht die einzige Institution der Regierungsgewalt, die zur Auswahl der Behörden der bürgerlichen Verwaltung beiträgt. Neben der Möglichkeit, dass die Bürgerschaften bei der Wahl ihrer Verwalter eine Rolle spielen, ist es erforderlich, dass die von den Bürgern direkt vollzogene Wahl auch eine Sanktionierung von oben erfährt. Dergestalt erhält man zwei verfassungsmäßig relevante Ergebnisse. Zum einen wird verhindert, dass die Selbstverwaltung ein Element des Gegensatzes zwischen der bürgerlichen Gemeinde und der Zentralverwaltung des Staates wird; zum anderen aber wird verhindert, dass sich die „bürgerliche Aristokratie“ herausbildet, die bereits in der Rezension angeprangert wurde: „Darin besonders lag ein Fehler in den früheren Corporationen, daß dadurch, daß die Beamten selbst ihre Nachfolger erwählten, eine Aristokratie entstand, welche ein Beyspiel des besonderen Interesses welches dabey berücksichtigt wurde, gab“ (GW ,: §  Anm.).

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Die zweifache Kontrolle – von unten durch die Selbstverwaltung der Korporation und von oben durch die Zentralverwaltung – verhindert, dass die Beamten einen Mittelstand bilden, der seine Macht willkürlich ausübt. Wie bereits in der Rezension, kehrt auch in den Heidelberger Vorlesungen die Charakterisierung der Beamten als „Intelligenz eines Volkes“ wieder. Denn sie sind der Stand, der Träger des Rechtsbewusstseins eines Volkes ist, und deshalb sind die Beamten dafür verantwortlich, wie Rechte und Pflichten ausgeübt werden. Eine Regierung des Volkes, die das staatliche Gesetz achtet und es nicht willkürlich anwendet, ist also, wie bereits in der Rezension, eine der wesentlichen Voraussetzungen, damit die Behörden der Korporation „wahre Staatsbeamte“ sind (GW, ,: §  Anm.). Diese Charakterisierung der Korporation als Institution der Regierungsgewalt hat bedeutende Auswirkungen auf die gesetzgebende Gewalt, wo die in den Bürgergemeinden ausgeübte Verwaltungsfunktion die Tauglichkeit der Vertreter in der Ständeversammlung sicherstellt. Anders als in der Landstände-Rezension wird in den Heidelberger Vorlesungen ein Zwei-Kammer-System entworfen, dessen Entfaltung nicht unbedingt einen Wandel in Hegels Verfassungstheorie bedeutet. In seiner Lehrtätigkeit beschreibt Hegel im Allgemeinen die politische Vertretung eines Großstaats, dessen Gesetzgebung – anders als in Württemberg – eine differenzierte ständische Gesellschaft voraussetzt. Trotz dieses Unterschieds ist zwischen der Rezension und den Heidelberger Vorlesungen eine bestimmte Kontinuität festzustellen. Die Überlegungen, die Hegel in der Rezension über das aktive und passive Wahlrecht anstellt, bilden die Voraussetzung seiner Kennzeichnung der zweiten Kammer und ihrer Stände. Im Unterschied zur ersten Kammer vertritt die zweite die Stände, deren Vermögen an Gewerbe und Industrie gebunden ist, folglich an eine Vielfalt, die in der Art des Vermögens, über das die Mitglieder des Adels und der Gutsbesitzer verfügen, nicht vorkommt. Auch aus diesem Grund darf die Funktion, die zweite Kammer zu wählen, keinen einzelnen Individuen anvertraut werden, die sie sporadisch ausüben. Vielmehr muss sie den Korporationen übertragen werden, die ihre Wähler nicht anhand von Zensuskriterien, sondern aufgrund der tatsächlichen Kenntnis der Bedürfnisse und Interessen der Gemeinde, die sie ausgedrückt hat, bestimmen. Im Gegensatz zum französischen Vorbild einer Auswahl der Wahlberechtigten anhand des Zensus schlägt Hegel erneut eine Auswahl der aktiv Wahlberechtigten vor, die an die Zugehörigkeit zu einer Korporation und an den in ihrem Rahmen gebotenen Beweis für eine gute Verwaltung gebunden ist. Dergestalt ist die politische Vertretung nicht der Zufälligkeit einer von Einzelpersonen sporadisch ausgedrückten Stimme ausgesetzt  „[Beamtestand], welcher einen Haupttheil des Mittelstandes ausmacht, in den die Intelligenz

und das gebildete rechtliche Bewustseyn eines Volkes fällt“ (GW ,: § ). Das Gleiche liest man in GW : .  In diesem Sinne siehe auch Weisser-Lohmann (,  f.).

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„und das Wählen vom Deputirten, und somit die Existenz der Ständeversammlung [hat] eine constituirte Garantie“ (GW ,: § ). Die Heidelberger Vorlesung zur Philosophie des Rechts bestätigt also die Verfassungsrolle, die einer erneuerten korporativen Institution in der Rezension beigelegt wird. Das bedeutet nicht, dass Hegel die politische Polemik gegen die Landstände in seine universitäre Lehre hat einfließen lassen oder dass seine Verfassungslehre von persönlichen politischen Überzeugungen abhängen würde. Sowohl die in der Rezension ausgedrückte politische Position als auch die Verfassungslehre, die in der Vorlesung zur Philosophie des Rechts Gestalt annimmt, hängen von einer allgemeinen Sicht der Geschichte des modernen Staates ab. Diese Geschichte besteht nicht nur aus einer Reihe politischer und gesellschaftlicher Geschehnisse, sondern es ist auch die Geschichte der fortschreitenden Durchsetzung eines bestimmten Gleichgewichts zwischen der Regierung der Gesellschaft und ihrer politischen Vertretung. Mit seinem Vorschlag einer Vertretung auf korporativer Grundlage übertrug Hegel somit keine konkrete Realität der Ordnungen der südwestdeutschen Staaten und auch keine allgemeine nationale Option auf seine Staatswissenschaft. Er bettete seine Betrachtung der Geschichte Württembergs oder Badens in eine Gesamtsicht der jüngeren europäischen Geschichte ein. Die Französische Revolution hat eine grundlegende Spannung, die der modernen Staatlichkeit innewohnt und alle europäischen Staaten betrifft, auf gewaltsame und tragische Weise offenbart. Die Neuheit, die Hegel – nicht erst in den Grundlinien – erfasst, ist, dass die konstitutionellen Monarchien Europas endlich Gelegenheit hatten, diese Spannung vollständig zu überwinden und die innere Souveränität ihrer Staaten mit Institutionen auszustatten, die die Freiheit objektiv garantieren. V. Ethische Gesinnung und Patriotismus in den Grundlinien der Philosophie des Rechts Der hegelsche Begriff der Korporation findet in den Grundlinien eine ausführlichere Formulierung. Auf die Geschichtsreflexion wird in diesem Text mehrfach in einem überwiegend durch einen theoretischen Ansatz geprägten Zusammenhang Bezug genommen. Die Funktion der Garantie der Freiheit, die Hegel schon in der Rezension der Korporation zuweist, wird hier zur Definition von deren Rolle in der Regierungsgewalt und in der gesetzgebenden Gewalt benutzt. Sie verdeutlicht,  „Das Volk erwählt in Corporationen und Stände gegliedert die Mitglieder der ten Kammer“

(GW, ,: §  Anm.). Zur Verbindung zwischen diesen Aufgaben der Korporationen und ihrer Selbstverwaltung, welche die autonome Verwaltung ihres Eigentums vorsieht, vgl. GW ,: §  Anm.

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dass ein Institut der bürgerlichen Gesellschaft für die Verfassung des Staates von Bedeutung sein kann. Denn die verfassungsrechtliche Bedeutung der Korporation erklärt die Idee, dass die Institutionen die „Verfassung, d. i. die entwickelte und verwirklichte Vernünftigkeit, im Besonderen“ ausmachen, am besten (GW ,: § ). Um diesen Zusammenhang in den Blick zu nehmen, muss kurz auf die Gewaltenteilung eines in seinem Inneren vollständig souveränen Staates eingegangen werden: die gesetzgebende Gewalt, die Regierungsgewalt und die Gewalt des Fürsten. Bei Hegel erlangt diese Dreiteilung nicht den Sinn einer gegenseitigen Beschränkung der Gewalten, sondern sie definiert deren einheitliche Ordnung, weshalb jede Gewalt ihre Ganzheit in sich schließt (GW ,: § ). Hegel legt damit eine eigentümliche Reflexion über die Verfassung und ihre Vernünftigkeit vor, die über die früheren Theorien von Montesquieu und Kant hinausgehen will. Die Möglichkeit, dass jede Gewalt eine Tätigkeit in Übereinstimmung mit einer der beiden anderen ausübt, setzt nämlich eine Auffassung der Beziehung zwischen den Gewalten des Staates und den vorstaatlichen Sphären – Familie und bürgerliche Gesellschaft – voraus, die eine Neuheit in der politischen Theorie darstellt. Dieser Auffassung zufolge sind die Bestimmungen, die jede Gewalt des Staates mit ihren Gesetzen oder Normen ausdrückt, nicht bloß als eine ‚äußere Notwendigkeit‘ zu begreifen, die den besonderen Sphären, in denen sich das Leben der Einzelnen vollzieht, auferlegt ist. Die ‚Allgemeinheit‘ der staatlichen Gesetze ist vielmehr zu verstehen als Vermittlungsinstanz zwischen dem Einzelnen und der besonderen Sphäre, der er angehört, bzw. als das, was die Befriedigung der besonderen Bedürfnisse und Interessen erlaubt. Das Interesse des Staates wird daher nicht nur verwirklicht, weil die Mitglieder der Familien oder die Bürger bewusst mit Blick auf die politische Einheit handeln, sondern auch, weil das staatliche Gesetz das Mittel für die Verfolgung ihrer besonderen Interessen ist. Wie Hegel in der bekannten Definition in den Grundlinien schreibt, bezieht das Prinzip der modernen Staaten seine „ungeheure Stärke und Tiefe“ aus seiner Fähigkeit, das Prinzip der Subjektivität sich bis zum selbstständigen Extrem der persönlichen Besonderheit entfalten zu lassen und diese Subjektivität nicht trotz, sondern auf-

 Zu Eigenheit und Neuerung von Hegels Lehre der Gewaltenteilung vgl. Siep (, ; ,

).

 Auf diesen „absolute[n] Mechanismus“ bezieht sich der dritte Schluss des Systems der drei Schlüsse, mit dem nach einer Analogie mit dem Sonnen-System in der Enzyklopädie der Staat vorgestellt wird (GW : §  Anm.). Siehe dazu auch die Wissenschaft der Logik (GW :  – ). Diese Lehre erklärt den Verfassungsbetrieb und hat mit der Theorie der Sittlichkeit nichts zu tun. Zur Schwierigkeit, diese Lehre in das System der Rechtsphilosophie einzuordnen, siehe Henrich (, ). Über das System der drei Schlüsse siehe auch Vieweg (,  – ).

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grund dieser vollendeten Entfaltung in der „substantialen Einheit“ des Staates zu halten (GW ,: § ). In Bezug auf diese „an sich“ erreichte „Vereinigung der Freyheit und Nothwendigkeit“ werden die Institutionen der Verfassung als „Grundsäulen der öffentlichen Freyheit“ definiert (GW ,: § ). Die Institutionen sind nicht nur Träger der öffentlichen Freiheit, weil durch sie eine flächendeckende Anwendung des staatlichen Gesetzes erreicht wird, sondern auch, weil das Individuum in der Institution den Schutz seiner besonderen Lebenssphäre erkennt. Hegels Theorie der Institution kann weder als starker noch als schwacher Institutionalismus charakterisiert werden. Der Stabilisierungsfaktor der Institution für den Staat wird weder durch ihren potenziellen Gegensatz zu den individuellen Rechten noch durch die Moralität ihrer Glieder erreicht. Die Institutionen der Verfassung schützen im Besonderen die Interessen der bürgerlichen Gemeinden und erfahren deshalb eine Unterstützung, die weder rein politisch noch rein moralisch ist. In der Institution erblickt der Einzelne nicht nur eine objektive gerechte Anwendung der Gesetze, sondern auch den Schutz seiner eigenen Interessen. Aus diesem Zusammentreffen von objektiver Gerechtigkeit und subjektiver Anerkennung ergibt sich die eigentliche Gesinnung der Mitglieder des Staates gegenüber seinen Institutionen, die das „Zutrauen“ ist (GW ,: § ). Diese Begegnung zwischen der Subjektivität einer Gesinnung und der Objektivität des Gesetzes in einer Institution macht Hegels Begriff des ‚Patriotismus‘ aus. Die eigentlich politische Gesinnung, mit welcher der Bürger bewusst für den Staat handelt, hat seine Voraussetzung im Vertrauen in die Institutionen. Entgegen der Idee von Patriotismus, die durch die Französische Revolution und die mit ihr verbundene theoretische Ausarbeitung aufgebracht wurde, zeigt sich der Patriotismus nach Hegel im üblichen Verhalten des Bürgers, der „in dem gewöhnlichen Zustande und Lebensverhältnisse“ daran gewöhnt ist, „das Gemeinwesen“ als „substantielle Grundlage und Zweck“ zu betrachten (GW ,: §  Anm.). Das heißt nicht, dass Hegel eine Teilnahme am Staat und seinen Gesetzen, die über die bloße Vermittlungsfunktion des staatlichen Gesetzes hinausgeht, ausschließt – und die Sittlichkeit des Beamtenstandes beruht auf genau dieser Überwindung. Doch auch ohne eine bewusste Annahme des Staatszwecks stellen rechtmäßig geführte Institutionen die Gesinnung sicher, die dieser spezifischen Auffassung des Patriotismus zugrunde liegt.

 In Bezug auf die Grundlinien spricht Henrich von „starkem Institutionalismus“ (Henrich , ). Dagegen kennzeichnet Kervégan Hegels Lehre als „institutionnalisme faible“ (Kervégan , ).  Zu einer endgültigen Bestimmung der verfassungsrechtlichen Funktion einer differenzierten Gesinnung siehe Siep (b, ). Über die Auffassung des Patriotismus in den Grundlinien und den Unterschied zur Tradition der Französischen Revolution siehe Kervégan (,  – ).

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Diese Bestimmung des Patriotismus ist der Hauptgrund, um von der Korporation als einer Komponente der Verfassung sprechen zu können. In einem der Anfangsparagrafen der Regierungsgewalt weist Hegel der korporativen Institution, nachdem er die bürgerliche Gesellschaft als den „Kampfplatz des individuellen Privatinteresses Aller gegen Alle“ definiert hat, die Aufgabe zu, zu enthüllen, was hier „Geheimniß des Patriotismus“ genannt wird (GW ,: §  Anm.). In der Korporation als Institution der Regierungsgewalt schlägt „der Corporationsgeist, der sich in der Berechtigung der besondern Sphären erzeugt, […] in sich selbst zugleich in den Geist des Staats um, indem er an dem Staate das Mittel der Erhaltung der besondern Zwecke hat“ (GW ,: §  Anm.). Unabhängig von der tatsächlichen politischen Gesinnung der einzelnen Bürger werden die Interessen der bürgerlichen Gesellschaft, insofern sie sich zu ihrer Befriedigung des staatlichen Gesetzes bedienen, ein Stabilisierungsfaktor der inneren Souveränität des Staates. Das Prinzip der modernen Staaten findet so gerade durch das, was in einer bestimmten Phase seiner Geschichte das Gegenteil dieses Prinzips war, seine Verwirklichung „in dem Corporationsgeist, da er die Einwurzelung des Besonderen in das Allgemeine unmittelbar enthält, ist insofern die Tiefe und die Stärke des Staates, die er in der Gesinnung hat“ (GW ,: §  Anm.). In der Verfassung eines Staates, in dem sich die historische Dynamik der modernen Staaten umfassend vollzieht, sind die Korporationen der institutionelle Ort, wo das Vertrauen in das staatliche Gesetz nicht durch wohlwollende Gefühle gegenüber der politischen Einheit des Staates getragen wird – deren Vorhandensein kontingent ist –, sondern durch die gesetzeskonforme Verwaltung der besonderen Interessen. An der Korporation haben die Bürger eine Institution, die ihre Wohlfahrt schützt, und der Staat hat daran die Garantie, dass dieser legitime Schutz der Interessen nicht zum Privileg wird. Diese genauere Bestimmung der Beziehung zwischen dem besonderen sittlichen Leben des zweiten Standes und der Verfassungsrolle der Korporation steht mit einer Reihe von Aufgaben im Einklang, die den Korporationen in der Regierungsgewalt und in der gesetzgebenden Gewalt zugewiesen werden. Diese verleihen einigen Gedanken, die Hegel mindestens seit der Rezension von  äußerte, eine endgültige Gestalt. Die Vorstellung, dass die Gemeinden der bürgerlichen Gesellschaft sich durch Formen der Selbstverwaltung auszeichnen müssen und den Bürgern das Recht eingeräumt werden muss, sich ihre Verwalter auszusuchen und deren Handeln zu kontrollieren, findet in den Grundlinien vollständig Eingang in die Regierungsgewalt. Die Kontrolle, welche die Bürger in der Korporation über deren Verwaltungstätigkeit ausüben, verhindert, dass diese Tätigkeit Anlass zum willkürlichen Gesetzesgebrauch wird und der durch die Behörden der Bürgergemeinden gebildete Mittelstand sich in der Verteidigung seiner Privilegien verschließt: „Daß er nicht die isolirte Stellung einer Aristokratie nehme und Bildung und Geschicklichkeit nicht zu einem Mittel der Willkühr und

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einer Herrenschaft werde, wird durch die Institutionen der Souverainetät von Oben herab, und der Corporations-Rechte von Unten herauf, bewirkt“ (GW ,: § ). Sicher gesellen sich zur Verfassungsfunktion der Kontrolle der Beamten seitens der Korporationsmitglieder die Funktion der fürstlichen Gewalt, deren Ernennung zu sanktionieren, und auch die Kontrolle durch das Ministerium und die Ständeversammlung hinzu. Doch die Bildung eines Mittelstands, der aus Staatsdienern besteht, welche die Gesetze des Staates nicht willkürlich anwenden, findet ihr wesentliches Moment in dem Beweis, den sie in der bürgerlichen Verwaltungstätigkeit liefern, und in dem Vertrauen, das sie sich zu erwerben verstehen. Diese Ausprägung der Beziehung zwischen Korporationen und Staatsbeamten in der Regierungsgewalt hat bedeutende Auswirkungen auf die gesetzgebende Gewalt. Die Definition der aktiv Wahlberechtigten für die Ernennung der Abgeordneten der zweiten Kammer hängt unmittelbar von den Entscheidungen der Bürger innerhalb ihrer Korporation ab. Auch in diesem Fall lässt sich eine direkte Kontinuitätslinie zwischen den Grundlinien und Hegels Vorschlag zur Auswahl der aktiv Wahlberechtigten für die Bildung der Ständeversammlung im Gegensatz zum Württemberger Ministerium ziehen. Wie bereits im ersten Heidelberger Vorlesungszyklus wird die Kritik an der Vorstellung, dass jedes Individuum sporadisch die Funktion der Wahl der Vertreter für die zweite Kammer ausüben könne und die Zensusanforderungen für die Bestimmung dieser Wähler ausreichend seien, auch im gedruckten Text zu einem strukturellen Motiv der gesetzgebenden Gewalt. Entgegen diesem Modell überträgt Hegel erneut der Korporation die Aufgabe, die bürgerliche Gesellschaft zu vertreten „als das, was sie ist, – somit nicht als in die Einzelnen atomistisch aufgelöst und für einen einzelnen und temporären Act sich auf einen Augenblick ohne weitere Haltung versammelnd, sondern als in ihre ohnehin constituirten Genossenschaften, Gemeinden und Corporationen gegliedert, welche auf diese Weise einen politischen Zusammenhang erhalten“ (GW ,: § ). Eine Bestimmung der aktiv Wahlberechtigten auf der Grundlage der Korporationen erlaubt es zum einen, die politische Vertretung an die unmittelbare Kenntnis der bürgerlichen Realität und ihrer etwaigen Probleme zu binden, und verhindert zum anderen, dass die politische Vertretung ein Faktor für die Zer Der fürstlichen Gewalt steht in letzter Instanz die Wahl der Staatsbeamten zu (GW ,: § ). Grawert vertritt die These, dass in den Grundlinien „jede Beziehung der ‚von unten‘ wirksamen Partizipation zur Staatsleitung“ abgebrochen wird (Grawert , ). In Wirklichkeit findet man auch in der Nachschrift Wannenmann eine ausdrückliche Stellungnahme zu diesem fürstlichen Vorrecht (GW ,: ). Doch dieses Vorrecht schließt eine direkte Kontrolle und Bewertung der Staatsbeamten seitens der Bürger nicht aus (GW ,: §  Anm.). Zu ähnlichen Ansichten über einen vermutlichen Wandel in den Grundlinien, in denen die Fürstengewalt und die Regierungsgewalt die Gewalt der Stände überwiegen, siehe Siep (a, ).  Die aus der Korporation gewählte Vertretung ist keine Stimme von „committirten […] Mandatarien“ (GW ,: § ). Diesbezüglich gilt die Korporation als eine Garantie (GW ,: § ).

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splitterung der Gesellschaft wird. Dadurch, dass der Korporation die Bestimmung der Wähler übertragen wird, lässt sich die Gefahr abwenden, dass die zweite Kammer die Vertretung einer „Menge und eines Hauffens“ und eine „massenhafte Gewalt“ wird, die im Widerspruch zur Einheit der Verfassung steht (GW ,: § ). Im Zusammenhang mit der Gefahr einer zweiten Kammer, welche die Gesellschaft nicht so repräsentiert, wie sie tatsächlich ist, nämlich in ihre verschiedenen bürgerlichen Gemeinden untergliedert, beschränken sich die Grundlinien nicht auf die Wiederholung bereits dargelegter Gedanken. Die Kritik am französischen Repräsentationsmodell, das sich de facto in den neuen von den europäischen Monarchen erlassenen Verfassungen durchsetzte, wird zum Anlass für eine Reihe von Überlegungen zu den Gefahren einer Ausweitung des demokratischen Prinzips auf die gesamte Verfassung. Hegels Warnung vor der Gefahr, dass die Volksvertretung die Führung einer „formlose[n] Masse [wird], deren Bewegung und Thun eben damit nur elementarisch, vernunftlos, wild und fürchterlich wäre“ (GW ,: §  Anm.), eröffnet eine weitere Problematik, die den Zusammenhang seiner eigenen Theorie herausfordert. Denn eine Vertretung, die ein Volk zur Masse macht, zerstört die Entsprechung zwischen den „Ständen in politischer Bedeutung“ und den Ständen der bürgerlichen Gesellschaft (GW ,: §  Anm.). Die Behandlung der gesetzgebenden Gewalt in den Grundlinien thematisiert neue Probleme, die in den Heidelberger Schriften keine ausführliche Behandlung fanden. Eine erneuerte ständische Vertretung wird von Hegel nicht nur als die reale Möglichkeit vorgeschlagen, um die Gegenwart Europas nach der Krise der Französischen Revolution in die Bahnen der modernen Welt und ihrer Idee der Freiheit zurückzuführen. Darüber hinaus will Hegels Theorie der politischen Vertretung, nach der die bürgerliche Gesellschaft durch die Besonderheit ihrer Gemeinden und Corporationen vertreten wird, vielmehr die vorherrschende Tendenz der zeitgenössischen politischen Strömungen kritisieren. Denn eine Nationalrepräsentation, die die Verbindung zwischen der „Verfassung im Besonderen“ und der politischen Vertretung absichtlich abschafft, widerspricht dem Prinzip der modernen Staaten und dem zugehörigen Begriff der Garantie.

 Zur hegelschen Kritik an der französischen Nationalrepräsentation und ihrer Typisierung als „die revolutionäre Fortführung einer zentralistischen Aushöhlung der Repräsentation“ siehe Pöggeler (,  f.).

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Siglen B

Briefe von und an Hegel. Herausgegeben von Johannes Hoffmeister und Rolf Flechsig bzw. Friedhelm Nicolin. Hamburg,  – .

GW Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Gesammelte Werke. In Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft herausgegeben von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. Hamburg,  ff.

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Die Garantie der Freiheit

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Alberto L. Siani VON TRAGÖDIE UND KOMÖDIE ZUM ABSOLUTEN GEIST Die Funktion der Kunst in Hegels Naturrechtsaufsatz*

ABSTRACT:

This article aims to clarify Hegel’s reference to art in connection with his view of the relationship between spirit and nature in his Naturrechtsaufsatz. I will show that the art reference is by no means only a metaphorical one and that, on the contrary, it has a central, though precarious, systematic role. On this basis I will further argue that the Naturrechtsaufsatz represents a milestone in the development of Hegel’s philosophy, contributing to demonstrate that his later system cannot be read in terms of a conservative erasure of the early criticalrevolutionary thread, but on the contrary as a concrete and consistent answer to it. In pursuing these two goals, in the first section I will comment on the relevant passages on the tragedy and comedy in the ethical realm and elucidate their essential, non-metaphorical philosophical function. In the second section I show how Hegel’s conception of the unity of ethical life as an alternative model to modern atomism is informed by the art reference developed in those passages. The third section clarifies in more detail the connection between Hegel’s art reference in the Naturrechtsaufsatz and the meaning of the thesis of the superiority of spirit over nature, and briefly explores the later development of this connection from the Phenomenology of Spirit to the system of the absolute spirit.

I. Einleitung Hegels Naturrechtsaufsatz besteht aus zwei argumentativen Teilen: Er enthält eine Kritik verschiedener Formen des abstrakten modernen Subjektivismus, wie er vor allem im Kontext der Rechtsphilosophie diskutiert wird. Diese Kritik findet ihre Ergänzung durch eine pars construens, im Rahmen derer Hegel einen eigenen positiven Gegenentwurf, eine Philosophie der konkreten Versöhnung des Lebendigen und des Unorganischen, präsentiert. Hegels argumentatives Beweisziel ist wesentlich mit dem Versuch verbunden, eine neue logisch-metaphysische Grundlage bereitzustellen, die sowohl gegen den Empirismus als auch gegen den Formalismus die konkrete Einheit von Empirie und Vernunft verteidigen kann. *Mein Dank gilt Nadine Mooren, Michael Städtler und einem anonymen Gutachter für die vielen Anregungen und die sprachliche Hilfe.  Hegels Ansatz ist in dieser Hinsicht von Hölderlins ‚tragischer‘ Metaphysik der Spaltung von organischer und ‚aorgischer‘ Natur geprägt, die sich vor allem in den Texten zum Empedokles ausdrückt. Die Forderung nach einer neuen logisch-metaphysischen Grundlage, die Suche nach der Möglichkeit der absoluten Sittlichkeit und der Bezug auf die griechische Tragödie sind also im Naturrechtsaufsatz wesentlich verbunden.

Hegel-Studien  · © Felix Meiner Verlag · ISSN -

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Durch die Überwindung beider zeitgenössischer Versionen des Dualismus beabsichtigt Hegel, die Wirklichkeit des Absoluten in der Objektivität sittlich-politischer Formen darzulegen und dabei einen Begriff von Sittlichkeit zu gewinnen, der die moderne ‚subjektivistische‘ Spaltung von Individualität und Allgemeinheit zu überwinden vermag. Hegels Bezug auf die Tragödie und die Komödie spielt sowohl als kritische Gegenfolie zum modernen Dualismus wie auch als wesentlicher Bestandteil seines eigenen positiven Gegenentwurfs eine zentrale Rolle. Hegel-Interpreten haben jedoch die berühmte Rede von der „Tragödie im sittlichen“ (GW : ) oft als eine bloße Metapher angesehen und die Relevanz des Bezugs auf Tragödie und Komödie nur als einen Exkurs betrachtet. In diesem Artikel verfolge ich das Ziel, Hegels Kunstbezug im Zusammenhang mit seiner Stellung zum Verhältnis von Geist und Natur im Naturrechtsaufsatz zu deuten. Dabei zeige ich erstens, dass dieser Bezug keineswegs nur metaphorisch zu lesen ist, sondern dass ihm eine zentrale, wenn auch prekäre systematische Funktion zukommt. Genauer soll plausibel gemacht werden, dass Hegel auf diese Weise eine Art ‚Werkstatt‘ entworfen hat, in der er versucht hat, verschiedene, zum Teil kaum kompatible Einflüsse, Überzeugungen und Ziele gegeneinander auszubalancieren und einer neuen Einordnung zuzuführen, die zunächst mit der Phänomenologie des Geistes und dann mit dem reifen System Gestalt annehmen sollte. Ausgehend von der These, dass die Diskussion von Tragödie und Komödie nicht nur metaphorisch bedeutsam ist, soll dann zweitens aufgezeigt werden, dass der Naturrechtsaufsatz eine philosophische Wegmarke in Hegels Entwicklung darstellt. Auf diese Weise soll deutlich werden, dass das reife System keineswegs für den Verfall eines kritisch-revolutionären zu einem konservativen Anliegen steht, sondern im Gegenteil eine konkrete und konsequente Antwort auf das im Naturrechtsaufsatz vorgebrachte Anliegen anbietet. Um meine beiden Erkenntnisziele zu erreichen, kommentiere ich im ersten Abschnitt dieses Beitrags die einschlägigen Passagen zur Tragödie und Komödie im Sittlichen und erläutere ihre wesentliche philosophische Funktion. Im zweiten Abschnitt zeige ich dann, wie Hegels Konzeption der Einheit des sittlichen Lebens als Gegenentwurf zum modernen Atomismus von dem hier entwickelten Kunstbezug geprägt ist. Die Art und Weise des Zustandekommens dieser Einheit durch das versöhnende tragische Opfer sowie die scheinbare Bestätigung dieser Versöhnung durch die heitere Subjektivität der Komödie hat weitreichende naturund geistphilosophische Implikationen und führt Hegel zur Behauptung sowohl der Überlegenheit des Geistes über die Natur als auch der Kontinuität beider miteinander. Der dritte Abschnitt dient der detaillierten Erläuterung der Verbindung, die zwischen Hegels Diskussion von Tragödie und Komödie einerseits und der These der Überlegenheit des Geistes andererseits besteht. Mit Blick auf die Phänomenologie des Geistes werde ich dabei die These vertreten, dass sich vom kunstphilosophischen Diskurs in Verbindung mit der These von der Überlegenheit

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des Geistes eine Fluchtlinie zum reifen System des absoluten Geistes ziehen lässt. Im Zentrum des Interesses wird hier insbesondere die sogenannte These vom Ende bzw. vom Vergangenheitscharakter der Kunst stehen. II. Die Tragödie und die Komödie im Sittlichen Der Abschnitt des Naturrechtsaufsatzes, den ich in diesem Beitrag analysieren werde, steht im Zusammenhang mit der Diskussion über das komplexe Verhältnis zwischen dem ‚System der Realität‘ einerseits und der Sittlichkeit andererseits. Dieses Verhältnis ist Hegel zufolge sowohl negativ, insofern die Sittlichkeit jeden Absolutheitsanspruch der einzelnen Momente des ‚Systems der Realität‘ verneint, als auch positiv, insofern sie angesichts ihrer eigenen Verwirklichung das System der Realität bestätigen muss. Die dialektische Natur dieses Verhältnisses begründet die metaphysische Aufteilung der Sittlichkeit in organische und unorganische Natur, die sich ihrerseits in der sozialen Spaltung des Gemeinwesens in zwei Stände widerspiegelt. Bei den beiden Ständen handelt es sich einerseits um den Stand der Freien, der Allgemeinheit und des öffentlichen Lebens und anderseits um den Stand der Nicht-Freien, die für die Befriedigung der ökonomischen Bedürfnisse zuständig und nicht in der Lage sind, sich über das Niveau der individuellen Privatheit zu erheben. Hegel versucht auf diese Weise erstens − vom logischmetaphysischen Standpunkt gesehen − Allgemeinheit und Individualität bzw. Vernunft und Empirie sowohl zu unterscheiden als auch zu versöhnen und zweitens − vom sittlich-politischen Standpunkt – ‚klassische‘ öffentliche Tugend und ‚modernes‘ privat-ökonomisches Leben sowohl zu unterscheiden als auch zu versöhnen (siehe Schulte , f.). Das Verhältnis zwischen den Ständen und den Naturen, die sie verkörpern, ist allerdings alles andere als eindeutig, zumal Hegel auf dieser Folie auch geschichtsphilosophische Überlegungen entwickelt. Überlegungen zur Gefährdung und Zerstörung des sittlichen Gemeinwesens, die dem Zusammenstoß der beiden Stände, resp. Naturen, innewohnt, wie auch die Frage nach möglichen Versöhnungsgestalten führen Hegel zu kunstphilosophischen Überlegungen, die von der Tragödie und Komödie handeln. Diese Überlegungen beginnen mit der Diskussion der berühmten ‚Tragödie im Sittlichen‘: Es ist dieß nichts anders als die Aufführung der Tragödie im sittlichen, welche das Absolute ewig mit sich selbst spielt, daß es sich ewig in die Objectivität  Für die Deutung dieses schwierigen Texts habe ich mich teilweise auf den umfassenden Inter-

pretationsvorschlag von Sheplyakova () sowie auf den ausführlichen Kommentar von Sabbatini () gestützt, ohne alle Aspekte dieser Deutungen zu teilen.  Zu den zwei Naturen, den zwei Ständen und ihrem Verhältnis siehe Wang (, ).

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gebiert, in dieser seiner Gestalt hiermit sich dem Leiden und dem Tode übergibt und sich aus seiner Asche in die Herrlichkeit erhebt. (GW :  f.) Die Tragödie wird hier als die Art und Weise begriffen, durch die das Absolute in die Objektivität eintritt. Der Weg der Versöhnung wird zunächst theatralisch dargestellt als Inszenierung dieser Tragödie, wobei das Absolute gleichzeitig die Rolle des Autors, der Schauspieler und des Publikums spielt. Eigentlich ist auch die Objektivität eine Gestalt des Absoluten: Dabei erfährt das Absolute die Endlichkeit, die nochmals eine seiner Gestalten ist, in der tragischen Form des Leidens und des Todes. Aufgrund des Durchgangs durch die Endlichkeit ‚seiner Asche‘ gelangt das Absolute zu seiner höchsten Wirklichkeit und zum Bewusstsein, dass die Endlichkeit eben nicht sein Gegenteil, sondern eine Gestalt seines Selbst ist. Indem es in die Objektivität eintritt, hat „das Göttliche in seiner Gestalt und Objectivität […] unmittelbar eine gedoppelte Natur, und sein Leben ist das absolute Einsseyn dieser Naturen“ (GW : ). Während die objektive Gestalt des Absoluten in die zwei Naturen zersplittert ist, ist die Einheit der Naturen sein Leben. Diese Einheit nimmt zwar zunächst eine negative Gestalt an, diese phänomenale Spaltung ist aber ein zur Überwindung des Todes und der Endlichkeit wesentliches Moment: Aber die Bewegung des absoluten Widerstreits dieser zwey Naturen stellt sich an der göttlichen, welche darin sich begriffen hat, als Tapferkeit dar, mit welcher sie von dem Tode der anderen widerstreitenden sich befreyt, jedoch durch diese Befreyung ihr eignes Leben gibt, denn dieses ist nur in dem Verbundenseyn mit diesem anderen, aber ebenso absolut aus ihm aufersteht, denn in diesem Tode, als der Aufopferung der zweyten Natur, ist der Tod bezwungen. (GW : ) Am ersten Stand erscheint das Absolute also als Tapferkeit und Bereitschaft zur Selbstaufopferung, während das Element des Todes am zweiten Stand dadurch aufgehoben wird, dass vermittels jener Selbstaufopferung das Göttliche an ihm erscheint: An der anderen erscheinend aber stellt sich die göttliche Bewegung so dar, daß die reine Abstraction dieser Natur, welche eine bloß unterirdische, reine negative Macht wäre, durch die lebendige Vereinigung mit der göttlichen aufgehoben ist, daß diese in sie hineinscheint und sie durch dies ideelle einsseyn im Geist zu ihrem ausgesöhnten lebendigen Leibe macht, der als der Leib zugleich in der Differenz und in der Vergänglichkeit bleibt und durch den Geist das Göttliche als ein sich fremdes anschaut (GW : ). Der begriffliche Entwicklungszusammenhang wird dann explizit auf Aischylos’ Tragödie Die Eumeniden bezogen, deren Inhalt Hegel zusammenfasst und interpretiert. Die Eumeniden stellen seines Erachtens die maßgebliche Gestalt der ‚Tragödie im Sittlichen‘ dar, weil diese Tragödie den tragischen Konflikt, seine

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Versöhnung und deren Grenze auf reinste Weise vorführt. Die zwei konfligierenden Naturen, die unorganische und die organische, nehmen dabei die Gestalt der Macht der Differenz und des Unterirdischen (die Erinnyen) bzw. der Macht des indifferenten Lichtes (Apollo) an. Die erstere fordert das Recht des Individuums, während die letztere die unauflösbare Einheit des sittlichen Wesens behauptet. Beide Ansprüche sind berechtigt, sie befinden sich jedoch in einem notwendigen Gegensatz zueinander: Hierin liegt der tragische Konflikt begründet, der in der Tragödie bis zur Versöhnung ausgeführt wird. Im Hinblick auf die Versöhnung ist jedoch wesentlich zu unterstreichen, dass die Stimmen des Areopags (des obersten Rates) am Ende des Prozesses, ein ‚Unentschieden‘ ergeben, d. h. kein Urteil für eine bestimmte Seite erlauben: Das menschliche Urteil kann den Konflikt nicht auflösen. Dadurch wird die versöhnende Intervention der Göttin Athene, der Göttin der Stadt, notwendig. Diese „überraschende Wendung“ (Sheplyakova , ) vom politisch-moralischen zum ästhetischen Diskurs haben manche Interpreten im Sinne einer Metapher, bzw. eines Exkurses, verstanden und gerechtfertigt. Einer solchen Lesart entsprechend sei Hegels Rede von Tragödie und Komödie eine ästhetische Veranschaulichung der „tragischen Verfasstheit der Moderne“ (Sheplyakova , ). Folgt man einer solchen Deutungslinie, läuft man Gefahr, die Spezifizität von Hegels geschichtsphilosophischen Überlegungen zur sittlich-politischen Rolle der Tragödie zu verunklaren. Hegels Theorie der Tragödie ist in erster Linie eine Hermeneutik des Tragischen und seiner Erfahrung. Dabei kommt dem Tragischen keineswegs der generische Sinn eines ästhetischen Phänomens bzw. eines Gefühls der Trauer zu. Vielmehr hat es den Sinn einer spezifischen sittlichen, politischen und geschichtlichen Gestalt. Zugleich ist jedoch die Tragödie kein bloß zufälliger künstlerischer Ausdruck des Tragischen: Hegel zufolge wird das Tragische exemplarisch durch die Form der Tragödie zum Ausdruck gebracht und wird als Gestalt des Bewusstseins innerhalb der Tragödie aufgehoben. Hegel legt durch  Der Anklage der Erinnyen steht dabei die Verteidigung Orests durch Apollo gegenüber.  Diesbezüglich muss man aber die Asymmetrie dieser Versöhnung unterstreichen, da sie ei-

gentlich die Herrschaft des Organischen über das Unorganische festsetzt: „Die Erinyen werden anerkannt, indem sie nicht anerkannt werden“ (Schulte , ).  So z. B. Sheplyakova (,  f.) und Düsing (, ).  Siehe zum ganzen Zusammenhang auch Menke ().  Vgl. Weisser-Lohmann (, ) und zum Unterschied zwischen ‚Tragischem‘ und ‚Tragödie‘ Düsing (,  f.).  Dies ist auch der Grund, weshalb ich die leitende Idee von Menkes Deutung, dass Hegels Lektüre der Tragödie entgegen Hegels Ansatz in der Geschichtsphilosophie die Wiederkehr des Tragischen (aber nicht der Tragödie selbst) in der Moderne bekunde (siehe u. a. Menke ,  ff.), nicht überzeugend finde. Meines Erachtens nimmt Menkes These die enge Verbindung, die bei Hegel zwischen der kunst- und geschichtsphilosophischen Stufenfolge besteht, und vor allem die These des Vergangenheitscharakters der Kunst nicht ernst genug. Ich stimme ihm zwar zu, dass die Vernunft und das moderne Recht nicht, oder zumindest nicht völlig, in der Lage sind, die Entzweiung des modernen

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seine Deutung des Tragischen die Verfallsgeschichte der klassischen griechischen Polis dar und versucht die Gründe sowohl der logisch-metaphysischen als auch der sittlich-politischen Zerrissenheit der Moderne zu ermitteln. Er legt das Verhältnis der zwei Naturen und Stände zunächst als notwendigen Konflikt frei: als Konflikt zwischen dem absolut-sittlichen Anspruch des freien Stands und den Bestimmungen der ökonomisch-juridischen Sphäre, die ihrerseits als integraler Bestandteil der Sittlichkeit anerkannt werden will. Etwas zugespitzt könnte man vom sittlich-politischen Konflikt zwischen öffentlichem und privatem Leben sprechen, d. h. von einem allgemeinen Konflikt zwischen der Öffentlichkeit des sittlichen Gemeinwesens und den privaten Interessen einzelner Individuen. In diesem Konflikt spiegelt sich die logisch-metaphysische Entzweiung von praktischer Allgemeinheit und Individualität wider. In Hegels Konzeption ist der Konflikt ewig, notwendig und unvermeidbar, weil er aus begrifflichen Gründen durch die Objektivierung des Absoluten entstehen muss. Die Art und Weise, wie der Konflikt sich darstellt und angepackt wird, hängt jedoch vom je besonderen, konkreten Zusammenhang ab. Hegels Ziel ist offensichtlich nicht, die Geschichte dieser Verschiedenheiten zu präsentieren, sondern antike und moderne Sittlichkeit gegenüberzustellen, um dadurch eine Folie für das allgemeine Problem der Zerrissenheit der Moderne zu gewinnen. Sein argumentatives Ziel ist zu zeigen, dass dieser Konflikt innerhalb des klassisch-griechischen Zusammenhangs ästhetisch zur Sprache kommt, indem er sich als tragischer Konflikt darlegt, der durch das Mittel der Tragödie artikuliert wird. Wie wir sehen werden, wird der tragische Konflikt somit auch versöhnt, jedoch nur auf eine partielle, instabile und inadäquate Weise. Allein dies zeigt bereits, dass die Verknüpfung von Tragödie und Sittlichkeit keineswegs bloß von metaphorischer oder illustrativer Bedeutung ist. Vielmehr entspricht sie einer Gestalt des Geistes im Sinne der Phänomenologie, auch wenn sie in einem anderen philosophischen Zusammenhang steht und anderen Zielen dienen soll. Dementsprechend bietet Hegel eine zusammenfassende Definition an, nach der „die Tragödie darin ist, daß die sittliche Natur ihre unorganische, damit sie sich nicht mit ihr verwickele, als ein Schicksal von sich abtrennt und sich gegenüberstellt und, durch die Anerkennung desselben in dem Kampfe, mit dem göttlichen Wesen als der Einheit von beidem versöhnt ist“ (GW : ). Hier wird ein weiteres wesentliches Element des Tragischen angesprochen, nämlich das Schicksal. Dieses wird zunächst als das unor-

Subjekts zu versöhnen. Diese strukturelle Entzweiung würde ich jedoch als ein Kennzeichen von Hegels Bild der Moderne ansehen und nicht als ein Zeichen dafür, dass Hegels Deutung der ‚Tragödie im Sittlichen‘ die Wiederkehr des Tragischen in Aussicht stelle. Mehr zur Irreversibilität und Unumgänglichkeit der These des Vergangenheitscharakters der Kunst werde ich zum Schluss dieses Beitrags sagen.  Darauf werde ich im letzten Abschnitt dieses Beitrags zurückkommen.

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ganische, unsittliche, undurchsichtige Element des Konflikts verstanden, dessen ‚Recht‘ jedoch am Ende der Tragödie anerkannt wird, was zur Versöhnung führt: Die Erinnyen werden dadurch zu Eumeniden. Das Element des Schicksals markiert den Unterschied zwischen der Tragödie und der zweiten Kunstform, die Hegel im Naturrechtsaufsatz berücksichtigt, der Komödie. Diese führt Hegel dadurch in die Diskussion ein, dass er sagt, dass „die Komödie überhaupt auf die Seite der Schicksallosigkeit“ (GW : ) falle. Die Komödie wird dann in eine alte bzw. eine moderne Komödie gegliedert. Die alte oder göttliche Komödie fällt laut Hegel in den Bereich „der absoluten Lebendigkeit und [stellt] also nur Schattenbilder von Gegensätzen oder Scherze von Kämpfen mit einem gemachten Schicksal und erdichteten Feinden“ (GW : ) dar, während die neue Komödie in den Bereich „der Nichtlebendigkeit fällt und also nur Schattenbilder von Selbständigkeit und von Absolutheit darstellt“ (GW : ). Für die alte Komödie gelte, was Plato in anderer Rücksicht sagt, daß eine Polis eine zum bewundern starke Natur hat. Eine solche sittliche Organisation wird so z. B. ohne Gefahr und Angst oder Neid einzelne Glieder zu Extremen des Talents in jeder Kunst und Wissenschaft und Geschicklichkeit hinaustreiben und sie darinn zu etwas besonderem machen; ihrer selbst sicher, daß solche göttlichen Monstruositäten der Schönheit ihrer Gestalt nicht schaden, sondern komische Züge sind, die einen Moment ihrer Gestalt erheitern (GW : ). Die alte Komödie findet in einem sittlichen Zusammenhang statt, der dermaßen selbstsicher und stabil ist, dass die Absonderung und Individualisierung der ‚großen‘ Einzelnen für ihn keine Gefahr darstellt. Aufgrund des Selbstvertrauens in ihre innere Stärke erlaubt die sittliche Organisation im Gegenteil das Aufblühen genialer Individualitäten, sowohl in der Kunst als auch in der Philosophie. Sie geht mit der Sicherheit einher, den Gegensatz von Individuum und sozialem Ganzem versöhnen zu können, genauso wie sie etwa Kriege überstehen kann. Das Aufblühen der Individualität wird sich jedoch allmählich als „ein übermächtig werdendes Schicksal“ (GW : ) von diesem kompakten, selbstsicheren Gemeinwesen abheben und zu seinem Untergang führen. Mit dem Untergang der Polis fällt auch der Boden weg, auf dem die alte Komödie gedeihen konnte. Die neue Komödie stimmt hinsichtlich ihrer Schicksalslosigkeit mit der alten Komödie überein. Die Schicksalslosigkeit der neuen Komödie liegt allerdings darin, dass ihre Verwicklungen ohne Schicksal und ohne wahrhaften Kampf sind, weil die sittliche Natur in jenem selbst befangen ist; die Knoten schürzen sich hier nicht in spielenden, sondern in für diesen sittlichen Trieb ernsthaften, für den Zuschauer aber komischen Gegensätzen, und die Rettung gegen sie wird in einer

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Affectation von Charakter und Absolutheit gesucht, die sich beständig getäuscht und abgesetzt findet. (GW :  f.) Genauso wie die alte hat auch die neue Komödie kein Schicksal und deswegen stellt sie weder einen wirklichen Konflikt noch eine wirkliche Versöhnung dar. Während aber die alte Komödie auf Ruhe, Kompaktheit und Bewegungslosigkeit fußte, entspricht die neue Komödie einem gespalteten sittlichen Leben, dem jede Positivität und Stabilität fehlt. Das Sittliche manifestiert sich als der unendliche Kompensationstrieb, diesem Mangel den Schein des Wissens und der Systematizität zu verleihen: Der sittliche Trieb (denn es ist nicht die bewußte absolute sittliche Natur, die in dieser Komödie spielt) muß, um es kurz zu sagen, das Bestehende in die formale und negative Absolutheit des Rechts verwandeln und dadurch seiner Angst die Meinung von Festigkeit für seinen Besitz geben, seine Habseligkeiten durch Tractate und Verträge und alle erdenklichen Verklausulirungen zu etwas Sicherem und Gewissem erheben, die Systeme darüber aus Erfahrung und Vernunft, als der Gewißheit und Nothwendigkeit selbst, deduciren und mit den tiefsinnigsten Räsonnements begründen. (GW : ) Das Ergebnis solcher Bemühungen ist zwangsläufig das sittliche Scheitern. Statt durch Stabilität und Wissen zeichnet sich die Lage durch extreme Unsicherheit, Atomisierung und Zufälligkeit aus. (GW : ) Das Scheitern ist deswegen komisch, weil „der sittliche Trieb“ als „Farce“ und „Täuschung“ (GW : ) gespielt wird. Hegel kann daraus schlussfolgern, dass die Komödie in ihren zwei Formen den Bereich des Endlichen und das Absolute voneinander abspaltet und somit keinen Konflikt (und auch keinen Akt der Versöhnung) darstellt. Sie nimmt keine der beiden Seiten ernst und trennt „die zwey Zonen des Sittlichen so voneinander ab, daß sie jede rein für sich gewähren läßt, daß in der einen die Gegensätze und das Endliche ein wesenloser Schatten, in der anderen aber das Absolute eine Täuschung ist“ (GW : ). Damit ist es nur die Tragödie, die das Verhältnis der zwei Dimensionen der Sittlichkeit sowohl als Konflikt wie auch als Versöhnung authentisch und adäquat inszenieren kann: „Das wahrhafte und absolute Verhältnis aber ist, daß die eine im Ernste in die andere scheint, jede mit der anderen in leibhafter Beziehung [ist] und daß sie füreinander gegenseitig das ernste Schicksal sind; das absolute Verhältnis ist also im Trauerspiel aufgestellt“ (GW : ). Nehmen wir diese zwei letzten, besonders deutlichen Passagen zusammen mit den vorhergehenden Überlegungen zum Element des Schicksals, ergibt sich prima facie das folgende Fazit zum Verhältnis von Tragödie und Komödie: Sie sind dadurch unterschieden, dass die Tragödie zum einen das Schicksal beherbergt und zum zweiten das wahrhafte Verhältnis zwischen den ‚zwei Zonen des Sittlichen‘ bzw.

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Naturen herstellen kann, während die Komödie schicksalslos ist und die zwei Zonen voneinander isoliert. Anders gesagt ist die Tragödie in der Lage, ein Modell für die von Hegel angestrebte logisch-metaphysische und sittlich-politische Versöhnung auszugestalten, während die Komödie den Standpunkt eines heiteren (alte Komödie) bzw. gequälten (neue Komödie) strukturellen Dualismus ins Spiel setzt und somit die eigentliche Interaktion und Versöhnung der zwei Zonen nicht erlaubt. Ich möchte allerdings im Folgenden dafür argumentieren, dass dieses Fazit nicht zufriedenstellend ist, weil diese Einteilung nicht erklärt, wieso Hegel sich bei der Suche nach seinem Versöhnungsmodell nicht auf die ‚Tragödie im Sittlichen‘ begrenzt, sondern ausführlich auch die Komödie in ihren zwei Formen berücksichtigt. Da Hegel weder eine eigenständige, formelle Theorie des Tragischen bzw. des Komischen anstrebt noch sie bloß als Beispiel anwendet, sondern sie als geschichtliche Gestalten der Sittlichkeit deutet, ist es meinem Ansatz nach notwendig, den sittlich-ästhetischen Zusammenhang auch geschichtsphilosophisch zu konturieren. Dazu wende ich mich im nächsten Abschnitt Hegels Diskussion des Verhältnisses von Natur und Geist zu, die sich unmittelbar an das gerade kommentierte Textstück anschließt. III. Die Einheit des sittlichen Lebens und die Überlegenheit des Geistes über die Natur Die Diskussion über die Fähigkeit bzw. Unfähigkeit der Tragödie und der Komödie in ihren zwei Gestalten, das Verhältnis der beiden Naturen produktiv zu gestalten, führt Hegel zur Frage nach der Einheit der beiden Naturen, d. h. nach „der lebendigen Gestalt oder der organischen Totalität der Sittlichkeit“ (GW : ). Hegel fokussiert dabei zunächst „die reelle Seite“ (GW : ) der Sittlichkeit. Die Realität, d.i. das System der Produktion und der ökonomischen Verhältnisse, ist endlich und die Unendlichkeit erscheint darin nur in negativer Form als die Freiheit des Einzelnen. Das reelle Wesen ist jedoch zumindest an sich mit der Sittlichkeit schon einig. Dabei führt Hegel einen Bezug zum Ästhetischen als eine Art Folie ein, vor deren Hintergrund er das Verhältnis von sittlichem absoluten Bewusstsein und empirischem Bewusstsein erklärt: Es ist, selbst für dasselbe, schlechthin das erste, daß die ganz reine und indifferente Gestalt und das sittliche absolute Bewußtseyn seye, und das zweyte ist das gleichgültige, daß es als das Reelle sich zu ihm nur als dessen empirisches Bewußtseyn verhalte, – wie es das Erste ist, daß ein absolutes Kunstwerk sey, und erst das zweyte, ob dieser bestimmte Einzelne dessen Urheber sey, oder nur dasselbe anschaue und genieße. (GW : )

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Bei einem Kunstwerk ist es Hegel zufolge das Wesentliche, dass das Kunstwerk sei, und zwar unabhängig davon, wer – im Sinne konkreter empirischer Umstände − der Künstler oder der Zuschauer ist. Im ersten Fall (der Künstler) ist das Werk das Produkt des empirischen Bewusstseins, während es im zweiten Fall (die Zuschauer) für das empirische Bewusstsein zunächst etwas Äußerliches ist. In beiden Fällen ist es jedoch das Erste, dass das Kunstwerk da ist, existiert, egal, wie sich das empirische Bewusstsein dazu verhält. Das Gleiche soll nun für das Verhältnis zwischen sittlichem absoluten Bewusstsein und dessen empirischem Bewusstsein, d.i. dem Reellen, gelten: Ersteres soll zunächst einmal einfach sein, und erst danach ist es von Bedeutung, von welcher Art und Weise das empirische Bewusstsein ist, ob dieses sich zur sittlichen Totalität als Urheber oder nur als Rezipient verhält. Dieser Zusammenhang wird weiter expliziert, indem Hegel klarmacht, dass die Spaltung von absolutem und empirischem Bewusstsein nicht nur ersterem nicht schadet, sondern auch notwendig ist: So nothwendig jene Existenz des Absoluten ist, so nothwendig ist auch diese Vertheilung, daß einiges der lebendige Geist, das absolute Bewußtseyn und die absolute Indifferenz des Ideellen und Reellen der Sittlichkeit selbst sey, anderes aber dessen leibliche und sterbliche Seele und sein empirisches Bewußtseyn, das seine absolute Form und das innere Wesen nicht vollkommen vereinigen darf, aber doch der absoluten Anschauung als eines gleichsam ihm fremden genießt. (GW : ) Es gibt also eine für die Wirklichkeit des Absoluten notwendige Spaltung, die auf der ‚reellen‘ Ebene nur partiell versöhnt wird, indem das Absolute letztlich etwas Fremdes und die Einheit unvollkommen bleibt. Im Kontrast zu der Art und Weise, wie Hegel diesen zuletzt genannten Gedankengang abschließt, könne der freie Stand trotz der konstitutiven Endlichkeit bis zum Einssein der „Idee des absoluten Lebens der Sittlichkeit“ (GW : ) fortschreiten. Dadurch gelingt es der göttlichen Natur, in der sittlichen Organisation zu erscheinen. Dies ist möglich durch die Bereitschaft des freien Individuums zum Tode im Sinne einer freien, gewaltsamen Selbstaufopferung, d.i. durch seine negative Kraft und Idealität, die aber gleichzeitig in das Allgemeine aufgehoben wird. Mein Vorschlag besteht darin, diesen Schluss ebenso nach dem erarbeiteten ästhetischen Muster zu lesen. Genauso wie das Kunstwerk stellt die sittliche Organisation die Einheit der Unendlichkeit und der Realität dar. Durch die unterstellte Bereitschaft zum Tod will Hegel verdeutlichen, dass alle endlichen Unterscheidungen ideell sind und durch die höchste „Energie der Unendlichkeit und Einheit“ (GW : ) aufgehoben werden können. Nochmals werden, wie im Kunstwerk, der Reichtum der Mannigfaltigkeit einerseits und die geistige Negation dieses Reichtums andererseits zur einfachen „Natur des ideellen Elements“ (GW : ) vereint. Diese Einheit von Besonderheit und Unendlichkeit, Posi-

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tivität und Negativität, Realität und Idealität ist eigentlich „die Idee des Absoluten Lebens der Sittlichkeit“ (GW : ). Wiederum gilt: Genauso wie im Kunstwerk die Einheit nur durch die äußerlichen Differenzen wirklich, gleichzeitig jedoch das Werk keineswegs nur das Aggregat dieser Differenzen ist, ist auch die absolute Sittlichkeit nur durch die empirischen individuellen Bewusstseine wirklich, jedoch ist sie keineswegs das Aggregat dieser Bewusstseine, sondern vielmehr die Negation ihrer Vielfalt und somit die einfache, ideelle Totalität des Volkes. Damit kommen wir zum Schlussteil des hier zu kommentierenden Abschnitts, der – wie es auf den ersten Blick scheint − mit einem argumentativen Sprung eröffnet wird. Hegel geht es hier, wie schon angekündigt, um das Verhältnis von Natur und Geist. Genauer geht es um die These der Überlegenheit des Geistes über die Natur. Hegel zielt in diesem Zusammenhang auf zweierlei ab: Erstens distanziert er sich deutlich sowohl von Schellings Identitätsphilosophie als auch von dem bei Kant und Fichte diagnostizierten Dualismus. Zweitens dient die These der Untermauerung seiner vorhergehenden Überlegungen zum sittlichen Gemeinwesen. Für die These der Überlegenheit des Geistes über die Natur wird zunächst ein naturphilosophisches Argument vorgebracht, mit dem die zunehmende Komplexität der Naturphänomene stufenweise rekonstruiert wird. Zugleich impliziert diese Abstufung die Annahme einer Kontinuität von Natur und Geist, eine Kontinuität, die Hegel durch Rekurs auf das einfache Ur-Element des Äthers begründet und bis auf die absolute Sittlichkeit verfolgt: „In der Intelligenz ist die Form oder das Ideelle absolute Form und als solche reell und in der absoluten Sittlichkeit die absolute Form mit der absoluten Substanz aufs wahrhafteste verbunden“ (GW : ). Die darauffolgende Passage ist in dieser Hinsicht noch expliziter, indem sie sowohl die Überlegenheit des Geistes gegenüber der Natur als auch die Kontinuität beider bestätigt und weiter ausführt. Dort heißt es: Von den Individualitäten der Bildungen, welche zwischen der einfachen Substanz in der Realität als reinem Äther und ihr als der Vermählung mit der absoluten Unendlichkeit liegen, kann keine die Form und qualitative Einheit […] und zu gleich die formelle Vereinigung derselben zu einem Ganzen […], zur absoluten Indifferenz mit dem Wesen und der Substanz bringen, welche in der Sittlichkeit ist, weil in der Intelligenz allein die Individualisierung zu dem absoluten Extrem, nämlich zum absoluten Begriffe, das Negative bis zum absolut Negativen, das unvermittelte Gegentheil seiner selbst zu seyn, getrieben ist. (GW :  f.)

 Zu Hegels Auseinandersetzung mit diesen Philosophen im Naturrechtsaufsatz siehe u. a. Jaeschke (,  – ).

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Der Äther ist hier die unmittelbare, einfache Einheit des Seins, die sich in einer Pluralität verschiedener Gestaltungen von zunehmender Komplexität individualisiert. Die Gesetze des Denkens sind zwar auch dieser Entwicklung und somit der Natur immanent, jedoch kann die Einzelheit erst auf dem Niveau der Sittlichkeit zur Allgemeinheit erhoben werden. Weil nur die Intelligenz bis zum Extrem des Gegensatzes mit sich selbst, der absoluten (Selbst-)Negation, gelangen kann, ist diese […] allein fähig, indem sie absolute Einzelheit ist, absolute Allgemeinheit zu seyn; indem sie absolute Negation und Subjectivität ist, absolute Position und Objectivität; indem absolute Differenz und Unendlichkeit, absolute Indifferenz, und die Totalität – actu in der Entfaltung aller Gegensätze und potentia in dem absoluten Vernichtet- und Einsseyn derselben – die höchste Identität der Realität und Idealität zu seyn“ (GW : ). Der sittlichen Beziehung zwischen individueller Bereitschaft zur Selbstaufopferung und dem Erscheinen des Absoluten im Endlichen entspricht die logische Beziehung zwischen absoluter Einzelheit und absoluter Allgemeinheit. Genauso wie die Selbstnegation des freien Individuums zugleich Präsenz des Absoluten in der sittlichen Gemeinschaft ist, ist das absolute Negative zugleich Position des Gegenteils seiner selbst, d. h. des absoluten Positiven: Erst auf der Stufe des Systems der Sittlichkeit sind die Individuen also mit der Allgemeinheit vollkommen vereinigt und fähig, das absolute System als Individuen zu verkörpern. Der ganze Gedankengang kommt somit zum angekündigten Schluss, dass „der Geist höher als die Natur“ (GW : ) ist. Dieser Schluss wird jetzt dadurch begründet, dass, obwohl beide reelle Attribute des Absoluten sind (was der Kontinuitätsthese entspricht), nur der Geist fähig ist, die Natur zu übergreifen, nicht aber umgekehrt. Genauer ist die Natur das Absolute als Selbstanschauung und unendliche Differenzierung, der Geist aber das Absolute als Selbsterkennen, das das Außereinandersein der Natur sowohl übergreift als auch seine eigene Idealität vernichtet und aufhebt, indem das Absolute zu sich selbst zurückkommt: So ist der Geist, der das Anschauen seiner als seiner selbst oder das absolute Erkennen ist, in dem Zurücknehmen des Universums in sich selbst sowohl die auseinandergeworfene Totalität dieser Vielheit, über welche er übergreift, als auch die absolute Idealität derselben, in der er dies Außereinander vernichtet und in sich als den unvermittelten Einheitspunkt des unendlichen Begriffs reflectirt. (GW : ) Darüber hinaus lässt sich auch die Beziehung zwischen dieser allgemeinen Erklärung des Natur-Geist-Verhältnisses und der vorhergehenden Diskussion zum Tragischen und Komischen im Sittlichen deutlich machen. Tragödie und Komödie sind insofern sittlich, als sie Formen des Geistes sind, die diesem nicht nur „das Anschauen seiner als seiner selbst oder das absolute Erkennen“ ermöglichen,

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sondern auch die soziale Wirklichkeit dementsprechend gestalten und auf diese Weise die Naturbestimmungen negieren und vergeistigen. Dieser Befund legt nahe, das Verhältnis von Tragödie und Komödie anders zu denken, als es sich am Ende des ersten Abschnitts ergeben hatte. Wie wir gesehen haben, scheinen Tragödie und Komödie voneinander dadurch grundsätzlich unterschieden zu sein, dass die Tragödie Gerechtigkeit im Sinne von tragischem Schicksal aufführt, die Komödie dagegen schicksalslos und daher von geringerer sittlicher Relevanz ist. Vom Standpunkt der nun erläuterten These der Überlegenheit des Geistes über die Natur lässt sich dieser Unterschied jedoch nicht mehr angemessen einfangen, da sowohl die Tragödie als auch die Komödie in der Lage sind, die Natur zu negieren und d. h. zu vergeistigen. Aus dieser Perspektive können daher beide Anspruch auf eine substantielle Rolle innerhalb der sittlichen Totalität erheben. In der Tat ist es so, dass sich beide auf ein sittliches Gemeinwesen beziehen, das sie begründen, mit Orientierung versehen bzw. bestätigen. Ich möchte daher eine andere Einteilung des von Hegel diskutierten Kunstmaterials im Naturrechtsaufsatz vorschlagen, die weniger nach Kunstgattungen, als nach geschichtsphilosophischen Kriterien verfährt: nämlich die Unterscheidung der klassischen Formen (Tragödie und alte Komödie) einerseits und der neuen Komödie andererseits. Die ersten beiden spielen, anders als die dritte, eine sittlich substantielle Rolle. Nicht nur die Tragödie, sondern auch die alte Komödie sind sittliche Gestalten: Die Tragödie führt den Konflikt und die Versöhnung zwischen den Naturen auf, die alte Komödie stellt eine (zumindest scheinbar) konfliktlose, schon versöhnte Lage dar. In der Tat drückt die alte Komödie die Gestalt der heiteren, selbstsicheren und unabhängigen Subjektivität aus, die sich von der tragischen Sittlichkeit emanzipiert und den Triumph der Individualität über das substantielle sittliche Leben ankündigt. Dagegen ist die neue Komödie das Zeugnis einer Situation, in der Versöhnung weder gegeben noch möglich ist. Diese Kunstform ist als solche nicht mehr in der Lage, sittlich zu wirken. Dieser Unfähigkeit entspricht eine Lage, wo keine schöne (tragische oder heitere) sittliche Substanz mehr möglich ist. Sie ähnelt der Lage, die Hegel in den Grundlinien der Philosophie des Rechts der bürgerlichen Gesellschaft attestiert: der „in ihre Extreme verlorenen Sittlichkeit“ (GW .: § ). Der Unterschied zwischen den im Naturrechtsaufsatz diskutierten Kunstformen fällt somit zwischen die Konstellation der Polis, in der Versöhnung nach einem ästhetischen Muster geschieht, und die  Siehe auch Jaeschke (, ): „Der systematische Akzent der Ausführungen Hegels liegt ohnehin nicht auf der Anwendung ästhetischer Kategorien auf die ständische Gliederung der Gesellschaft; er liegt auf dem Erweis der strukturellen Überlegenheit des Geistes über die Natur. Hegel sucht hier unter Rückgriff auf Schellings Begrifflichkeit dessen identitätsphilosophische Konzeption gleichwohl zu überbieten“.  Hebing (, ) behauptet deswegen, dass die alte Komödie mit vollem Recht als „Komödie im Sittlichen“ bezeichnet werden kann.

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post-klassische Konstellation, in der dieses Muster nicht mehr greift. Um den Ort und die Rolle von Hegels ‚ästhetischer‘ Ausführung besser zu verstehen, muss man sich also mit den Gründen und Folgen dieser geschichtsphilosophischen Abstufung auseinandersetzen. IV. Die Phänomenologie des Geistes, die Transformation von Tragödie und Komödie und das System des absoluten Geistes Im letzten Abschnitt meines Beitrags werde ich nun die Verbindung zwischen Hegels Diskussion von Tragödie und Komödie einerseits und der These der Überlegenheit des Geistes andererseits genauer erläutern. Dadurch soll gezeigt werden, dass die von Hegel behauptete Überlegenheit des Geistes sowohl den Schlussstein als auch den ‚Kipppunkt‘ von Hegels Bezugnahme auf die zwei Kunstformen ‚im Sittlichen‘ ausmacht. Ich werde diesen Zusammenhang im Hinblick auf die Entwicklung dieses hegelschen Gedankengangs in seiner späteren Philosophie, beginnend mit der Phänomenologie des Geistes, rekonstruieren und dabei die These vertreten, dass der von Hegel aufgemachte kunstphilosophische Diskurs in Verbindung mit der These der Überlegenheit des Geistes auch zu einer geschichtsphilosophischen Abstufung führt, die im Rahmen von Hegels Argumentationsgang schließlich zur sogenannten These vom Ende bzw. genauer vom Vergangenheitscharakter der Kunst führt. Mit Blick auf die Entwicklungsgeschichte seiner Theorie hat Hegel das Verständnis des Tragischen, der Sittlichkeit und des Geistes überhaupt, wie er es im Naturrechtsaufsatz vorgebracht hat, bald als unbefriedigend angesehen. Schon in der Phänomenologie des Geistes gibt Hegel das weitgehend von Hölderlin inspirierte Modell des Tragischen als Konflikt der organischen und der unorganischen Natur zugunsten einer Theorie auf, die das geschichtliche Werden des Bewusstseins zum Gegenstand hat. Das daraus resultierende neue Verständnis des Tragischen in der Phänomenologie ist mit einer Transformation von Hegels Verständnis nicht nur des griechischen sittlichen Lebens, sondern auch des Geistes überhaupt verbunden. Diese Konzeption des Tragischen wird bis zu Hegels vollendeter Theorie der  Ich will sofort klarstellen, dass, anders als in den vorigen zwei Abschnitten zum Naturrechtsaufsatz, dieser letzte Abschnitt keinen Anspruch darauf erhebt, einen Gesamtüberblick über die Phänomenologie anzubieten: Hier geht es mir nur darum, zu zeigen, wie sich die Idee der fragilen Ausbalancierung der Spannungen des Naturrechtsaufsatzes im Verlauf der Entwicklung des hegelschen Denkens als ungeeignet erweist und wie sich eine neue, innerhalb dieser Entwicklung durchaus folgerichtige Konzeption ankündigt, die zum reifen System des absoluten Geistes führen und eine Antwort auf bisher offengebliebene Fragen anbieten wird.  Zu den systematischen Mängeln des ersten Modells sowie zum Übergang zum zweiten Modell vgl. Weisser-Lohmann (,  f.).

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Tragödie in den späteren Vorlesungen zur Ästhetik größtenteils unverändert bleiben. Die philosophische Betonung liegt dabei nicht mehr auf der Tragödie als Ort einer in der Moderne unwiederholbaren Versöhnung, die nichtsdestotrotz für die Kritik der Moderne maßgeblich ist. Vielmehr wird stattdessen das Element des Konflikts und der Instabilität zentral. Die Idee der Versöhnung durch die Tragödie wird zwar beibehalten, der Fokus wird jedoch nun auf ihre Inadäquatheit verlegt, insofern die Versöhnung, wie gesehen, nicht der freien und selbstbewussten Absicht der Bürger entspricht. In diesem Zusammenhang übernimmt Sophoklesʼ Antigone den Platz von Aischylos’ Eumeniden als philosophisch musterhaftes Trauerspiel. Hegel wendet sich auf diese Weise einer weniger archaischen und philosophisch komplexeren tragischen Deutung der griechischen Welt zu, in deren Zentrum für ihn der Ursprung der modernen Subjektivität und Handlung zu finden ist. Da aber die Entwicklung der modernen Subjektivität und Handlung, die vor Sokrates schon mit Antigone anfängt, gleichzeitig die Zerstörung des griechischen substantiellen sittlichen Lebens bedeutet, führt die Tragödie nicht nur die Versöhnung durch, sondern auch und vor allem die Vorbereitung ihrer Zerstörung. Die tragische Versöhnung zeigt sich somit nicht nur als ein in der Moderne unwiederholbares Modell, sondern auch als eine Gestalt, die mit Blick auf die Verwirklichung der Freiheit des modernen Subjekts strukturell inadäquat ist. Was die Komödie angeht, ist die Veränderung von Hegels Verständnis da noch ersichtlicher, denn einerseits schließt nun die ‚alte‘ bzw. ‚göttliche‘ Komödie die Kunstreligion als solche ab, andererseits verschwindet die ‚neue‘ Komödie. Die ‚Monstruositäten‘, die die alte Komödie schon beherbergte, d.i. die Gestalten einer souverän werdenden und die Grenze der Polis sprengenden Subjektivität, haben sich nun tatsächlich als ein übermächtig werdendes Schicksal gezeigt, das genau die Voraussetzungen, die die alte Komödie ermöglichten, zerstört hat. Die alte Komödie zeigt somit in der Phänomenologie ein weniger harmloses und heiteres Gesicht: Sie geht mit dem Bewusstsein einher, dass Götter und Schicksal keine äußerlichen, unwiderstehlichen Mächte sind, sondern täuschende Projektionen des Menschen. Mit dieser „Entvölkerung des Himmels“ ist der Übergang zur römischbürgerlichen Herrschaft des „Rechtzustandes“ einerseits und zur geoffenbarten  Siehe Caputo (, ), Olivier () und Siani ().  Dementsprechend verwandelt sich auch das ‚asymmetrische‘, optimistisch-tragische Verständnis

des Naturrechtsaufsatzes in eine beunruhigendere Symmetrie, wo die Elemente des Konflikts zu gleichberechtigten Mächten innerhalb des tragisch handelnden Subjekts werden (vgl. Schulte ,  ff.). Zum ganzen Zusammenhang vgl. auch Chiereghin (, ).  Siehe Hebing (,  f.), der überzeugend das Verschwinden der neuen Komödie in der Phänomenologie mit der These vom Vergangenheitscharakter der Kunst verknüpft.  Habermas (,  f.) bemerkt in dieser Hinsicht, dass gerade in den Schriften nach dem Naturrechtsaufsatz der Rechtszustand „nicht mehr als ein Produkt des Zerfalls der absoluten Sittlichkeit, sondern im Gegenteil als die erste Gestalt des konstituierten sittlichen Verhältnisses“ erscheint. Dazu siehe auch Hebing (,  f.).

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Religion andererseits vorbereitet. Dieser Übergang bedeutet nicht nur das Ende der klassisch-griechischen Sittlichkeit, sondern auch das der sittlichen Funktion der Kunst. Es gibt keine Wiederkehr, nicht einmal eine ‚neue Komödie‘ im Sinne des Naturrechtsaufsatzes, denn die Kunst als solche ist Hegel zufolge in der post-klassischen Welt nicht mehr in der Lage, den höchsten Bedürfnissen der Menschen entgegenzukommen. Die systematische Weiterentwicklung in Hegels Verständnis des Tragischen und des Komischen beschränkt sich nicht auf Fragen der Ästhetik. Sie betrifft vielmehr ein fundamentales Stück der Entwicklung der hegelschen Philosophie des Geistes. Etwas plakativ ausgedrückt gilt, dass das Absolute des Naturrechtsaufsatzes durch diese Entwicklung adjektivisch wird: absolutes Wissen in der Phänomenologie, absoluter Geist in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Während Hegels Kritik des modernen Subjektivismus und Formalismus im Naturrechtsaufsatz immer noch einen substantialistischen Hintergrund hat, wird kurz danach sein deklarierter Hauptvorsatz bekanntlich der, „das Wahre nicht als Substanz, sondern eben so sehr als Subject aufzufassen und auszudrücken“ (GW : ). Dieser Vorsatz impliziert die Preisgabe des Vorrangs des Ganzen als Substanz zugunsten einer Konzeption des Wahren und der Freiheit (d.i. des Geistes), die gemäß der Struktur und der Entwicklung subjektiven Selbstbewusstseins verfasst ist. Das Ende der ‚klassischen‘ sittlichen Einheit ist der Preis, oder genauer gesagt einer der Preise, der zu zahlen ist, damit der Geist von Subjektivität gestaltetes Selbstbewusstsein werden kann. Die Kunst und insbesondere die Tragödie spielen dabei keine nebensächliche oder bloß exemplifikatorische Rolle. Sowohl in Hegels frühen Schriften und − wie wir gesehen haben − (zumindest teilweise) auch im Naturrechtsaufsatz wird der Staat bzw. die Sittlichkeit als Kunstwerk konzipiert, und zwar nicht nur metaphorisch. Die Parallele von Sittlichkeit und Kunstwerk ist sowohl metaphysisch als auch politisch konstitutiv: Obwohl schon der Naturrechtsaufsatz die frühe idyllische Auffassung der griechischen Welt als Muster für die Moderne preisgibt, bleibt die einzig mögliche positive Gestalt der metaphysisch-politischen Versöhnung eine ästhetische, nämlich die Tragödie und die Komödie im Sittlichen.  Siehe Pöggeler (, ): „Im Naturrechtsaufsatz sah Hegel in der Komödie die nicht wahrhafte – weil schicksallose, nicht tragische – Weise des Verhältnisses der beiden Naturen im Absoluten […]. In der Phänomenologie dagegen erscheint die Komödie als ein notwendiger Schritt über die Tragödie hinaus: das wirkliche Selbstbewusstsein stellt sich in der Komödie als das Schicksal der Götter dar. Die Komödie bringt die endgültige Auflösung der griechischen Sittlichkeit“.  In diesem Zusammenhang gilt es einem möglichen Einwand vorzubeugen. Ich meine gewiss nicht, dass der späte Hegel einen Subjektivismus im Sinne der von ihm kritisierten Philosophien der Subjektivität vertritt. Im Gegenteil bleibt sein Kritizismus gegenüber solchen Philosophien weiterhin gültig. Dies aus dem Grunde, weil sie die konkrete, vollständige Verwirklichung der Freiheit des Subjekts hemmen, die nur durch die Versöhnung und Integration mit adäquaten Gestalten der Objektivität möglich ist.  Zum Topos vom Staat als Kunstwerk vgl. auch Gethmann-Siefert (,  ff.).

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Es zeigt sich darin teilweise noch eine substantialistische Auffassung der Sittlichkeit, die aber auch schon als unhaltbar erkennbar ist: Beide ‚sittlichen‘ Kunstformen, die Tragödie und die alte bzw. göttliche Komödie, sind sittlich nur insofern, als sie überhaupt nicht bzw. nur sehr begrenzt als Ausdrucksweisen subjektiver menschlicher Freiheit zu verstehen sind. Die tragische Versöhnung durch die undurchschaubare und unwiderstehliche Macht des Schicksals macht deutlich, dass das Tragische in erster Linie die menschliche Unfähigkeit zur praktischen Entscheidung (und somit zur Erkenntnis des dahinterstehenden Konflikts) widerspiegelt. Teilweise bezeugt bereits die alte Komödie eine Emanzipation vom tragischen Schicksal, jedoch bleibt sie grundsätzlich ‚göttlich‘: Die Menschen können zwar den Göttern und dem Schicksal spotten und diese durch das Lachen loswerden. Sie sind aber noch nicht in der Lage, diesen göttlich durchwirkten Raum autonom durch menschliche Inhalte und Werte zu füllen. Das heißt auch, dass Hegel trotz seiner Kritik am kantischen wie auch am empiristischen Weg keine überzeugende Lösung für die Moderne anbieten kann. Einerseits will er die (praktische) Vernunft anders als Kant (zumindest in seiner Deutung) konkret und nicht formalistisch fassen, andererseits will er anders als der Empirismus das Sittliche nicht auf die bloße Gegebenheit einer jeweiligen Positivität reduzieren. Unter der Voraussetzung seiner Ablehnung beider Positionen versucht Hegel zu zeigen, wie der Dualismus von Vernunft und Empirie (mit allen damit zusammenhängenden weiteren Dualismen) konkret und historisch gelöst werden könne. Trotz der offensichtlichen Unzulänglichkeit der ästhetischen Lösung durch die Tragödie und die Komödie im Sittlichen erreicht Hegel eben dadurch einen neuen Standpunkt der Problembestimmung, denn es zeigt sich, dass die Kunst nur ein historisches Muster der Versöhnung ausmacht. Die Fähigkeit zur Versöhnung hat die Kunst aufgrund ihrer Negationskraft: Sie negiert die Unmittelbarkeit der natürlichen sittlichen Verhältnisse und gestaltet sie geistig um. Am emblematischsten ist in diesem Zusammenhang die Transformation der ‚unorganischen‘ Erinnyen zu ‚sittlichen‘ Eumeniden. Angesichts dessen gelangt Hegel zur Feststellung, dass die Kunst diese sittliche Funktion erfüllen kann, nicht insofern sie Natur bzw. naturähnlich ist, sondern im Gegenteil, insofern sie Geist ist. Geschichtsphilosophisch gesehen bedeutet dies, dass die griechische Welt allmählich nicht mehr als Welt der natürlichen und harmonischen Unmittelbarkeit, sondern als die eigentliche Werkstatt der modernen Subjektivität in den Blick genommen werden kann. Hegels Ausführungen zur Tragödie und Komödie im Sittlichen sowie seine These der Überlegenheit des Geistes über die Natur hängen also eng miteinander zusammen. Die Rolle von Tragödie und Komödie und die geschichtsphilosophische Stellung des griechischen substantiell-sittlichen Lebens hängen darüber hinaus mit Hegels hierarchischer Konzeption von Kunst, geoffenbarter Religion und Philosophie zusammen, wie sie sich in seinem reifen System des absoluten Geistes findet. Diese Konzeption basiert auf der These der Überlegenheit des Geistes über die

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Natur und ihrer Kontinuität und macht die Implikationen dieser These mit Blick auf das Verhältnis von Kunst, Religion und Philosophie explizit. Da das Triebwerk des hegelschen Denkens nun die Entwicklung und Verwirklichung des Geistes als freie Subjektivität und Selbstbewusstsein ist und nicht mehr, wie in den frühen Schriften, die Suche nach einer schönen, harmonischen Sittlichkeit, bekommt die Philosophie den Vorrang vor Kunst und Religion. Begründet ist dies dadurch, dass Kunst und Religion in unterschiedlichen Hinsichten noch eine seminaturalistische Verfassung aufweisen. Tragödie und Komödie sind dieser Konzeption zufolge, genauso wie jede andere Kunstform, keine adäquaten Gestalten des absoluten Geistes mehr. Dieser Ansatz ist die Grundlage für Hegels These vom Vergangenheitscharakter der Kunst, die teilweise auch auf die Religion erweitert werden kann. Mit Blick auf den Naturrechtsaufsatz widerlegt diese These die zentrale Rolle der Tragödie und des Kunstwerks im Allgemeinen jedoch nicht. Vielmehr scheint ihre zentrale Rolle aus Hegels Idee der Überlegenheit des Geistes über die Natur zu folgen: Behauptet er doch, dass die Kunst die Macht besitzt, Naturelemente zu vergeistigen. Genau durch diese Vergeistigung kann auch der Raum für die Selbstbehauptung menschlicher Freiheit im Rahmen zunehmend adäquaterer und fortgeschrittener sittlicher Institutionen geschaffen, gestaltet und erweitert werden. Mit Blick auf den objektiven Geist macht Hegels Deutung der Tragödie und Komödie im Sittlichen deutlich, dass die von ihnen erreichte Versöhnung und das damit zusammenhängende Gemeinwesen zur Überwindung durch den ‚Rechtszustand‘ bestimmt sind (vgl. Menke ,  ff.). Mit Blick auf den absoluten Geist wird darüber hinaus die Notwendigkeit und Irreversibilität der These vom Vergangenheitscharakter der Kunst und vom Primat der Philosophie deutlich (siehe auch Siani ). Eine überzeugende positive Antwort auf die Frage nach der modernen Versöhnung, die im Naturrechtsaufsatz trotz des Versuchs eines positiven Entwurfs noch ausblieb, wird auf der metaphysisch-logischen Ebene durch die Identität von Denken und Sein und auf der ethisch-politischen Ebene durch die Idee der Sittlichkeit als Vermittlung von abstraktem Recht und Moralität ausbuchstabiert. Sowohl die Übergänge im objektiven Geist als auch die im absoluten Geist sind auf einen gemeinsamen Grund zurückzuführen: nämlich die Überlegenheit des Geistes über die Natur. Dasselbe Leitmotiv, das im Naturrechtsaufsatz Teil der Konzeption der tragischen Versöhnung ist, führt also zur Feststellung der Unzulänglichkeit dieser Konzeption und zu ihrer Überwindung zugunsten einer Philosophie des Geistes als subjektiv verfasstem Selbstbewusstsein.

 Zu den „Parallelen zwischen den Auflösungstendenzen der Kunst und der Religion“ siehe u. a. Habermas (, ).

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Siglen GW Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Gesammelte Werke. In Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft herausgegeben von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. Hamburg,  ff.

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Markus Gante FREIHEIT UND DAS WISSEN DER FREIHEIT Absoluter Geist und zweite Natur

ABSTRACT:

Much of the contemporary discussion surrounding Hegel’s theory of freedom focuses on his philosophy of right. While major interpretations rely solely on the philosophy of objective spirit and may, as in the case of Neuhouser and Honneth, explicitly exclude the philosophy of absolute spirit, this paper aims to show the need to include absolute spirit in the discussion of Hegel’s theory of freedom. I will attempt to defend this claim in three steps. Firstly, I will argue that objective spirit is dependent on a certain presupposition, which Hegel discusses as ethical substance and which is best understood as the prevalent notion of freedom within a certain society. This enables us to think of ethical substance in two ways. While ethical substance appears to be unchangeable from within objective spirit, as objective spirit requires a certain objectivity of ethical life, it seems to be malleable and open to change from the perspective of absolute spirit. I will furthermore argue that this becomes transparent within Hegel’s conception of knowledge that emerges between objective and absolute spirit. While knowledge within objective spirit is that of an agent navigating a certain set of norms, knowledge within absolute spirit can be understood as the self-transparency of spirit regarding its capacity to shape its own world. Ultimately, I will briefly discuss the relationship of objective and absolute spirit in terms of the notoriously ambiguous notion of second nature. I want to suggest that Hegel’s theory of absolute spirit is a necessary supplement to the notion of second nature, as it entails a reflective dimension which cannot exist in objective spirit. Thus, absolute spirit has critical capacities that can work against the solidification of second nature.

I. Einleitung Versuche, die hegelsche Philosophie für die Sozial-, Kultur- oder politische Philosophie stark zu machen, zielen traditionellerweise auf die Grundlinien der Philosophie des Rechts (Habermas ; Honneth ; Neuhouser ; Pippin ; Quante ). Der Philosophie des absoluten Geistes hingegen, die den systematischen Schlussstein der Philosophie Hegels setzt, hängt noch immer etwas Randständiges für solcherlei Fragestellungen an, zielt sie doch auf ein, wie auch immer verstandenes, Absolutes und ist somit die Inkarnation der viel kritisierten Tendenz zur Totalität innerhalb der Philosophie Hegels. Ich möchte hier einen Weg vor Eine umfassende Rekonstruktion der Logik, die in der Betonung der Offenheit der hegelschen Philosophie mit dem absoluten Geist gipfelt, findet sich in Christian Martins Ontologie der Selbstbestimmung (). Hegel-Studien  · © Felix Meiner Verlag · ISSN -

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schlagen, die Philosophie des absoluten Geistes für sozialtheoretische Fragestellungen weiter zu öffnen. Dafür setze ich mich in einem ersten Schritt mit dem Mehrwert der Philosophie des absoluten Geistes in Bezug auf den Begriff der Freiheit gegenüber der Philosophie des objektiven Geistes auseinander. Freiheit, so lautet der Vorschlag, besteht hier wesentlich nicht mehr im Auffassen der politischen Institutionen als vernünftige durch den Nachvollzug ihrer begrifflichen Genese, sondern im historisch-sukzessiven Fortschritt des Wissens um die prinzipiell freie Gestaltbarkeit der menschlichen, geistigen oder eben kulturellen Welt. Diskutiert wird diese These anhand des thematischen Umfeldes der sittlichen Substanz. In einem zweiten Schritt soll das vorgeschlagene Freiheitskonzept anhand des Verhältnisses von Religion und Philosophie vertieft werden, während ich drittens und abschließend diskutieren möchte, inwiefern der absolute Geist ein kritisches Korrektiv gegen das Erstarren sozialer Verhältnisse zur zweiten Natur darstellen kann. II. Freiheit innerhalb des objektiven und absoluten Geistes Die Grundlinien der Philosophie des Rechts beschreiben insgesamt die begriffliche Entwicklung von einerseits Rechtspraktiken und politischen Institutionen, andererseits auch immer die der subjektiven Reaktion auf die jeweiligen sozialen Verhältnisse, mit denen das Subjekt sich konfrontiert sieht, wie zum Beispiel im Falle des Pöbels. Die Rechtsphilosophie nimmt ihren Ausgang vom Begriff des freien Willens, der sich eine Welt der zweiten Natur gibt: Der Boden des Rechts ist überhaupt das Geistige, und seine nähere Stelle und Ausgangspunkt der Wille, welcher frey ist, so daß die Freyheit seine Substanz und Bestimmung ausmacht, und das Rechtssystem das Reich der verwirklichten Freyheit, die Welt des Geistes aus ihm selbst hervorgebracht, als eine zweyte Natur, ist. (GW ,: § )

 Einige bemerkenswerte Überlegungen in diese Richtung finden sich u. a. in Arndt (,  – ); Jaeschke (,  f.); Khurana (,  – ); Menke (,  – ); Oehl u. Kok (); Pippin (,  f.); Pippin (); Theunissen (); Dworschak (, ).  Vgl. zu dieser Doppelstruktur auch Neuhouser (). Neuhousers Rekonstruktion der hegelschen Sozialtheorie bewegt sich entlang der Beschreibung der subjektiven (vgl. Kapitel ) und objektiven Aspekte (vgl. Kapitel  und ) des Freiheitsbegriffs und ihres möglichen Zusammenspiels. „According to this reconstruction, then, two independent conditions, one subjective and one objective, must be met in order for individuals to actualize full political freedom: () the laws that govern citizens must be objectively liberating –they must effectively mitigate the freedom-endangering consequences of dependence on other individuals; and () citizens must also stand in the appropriate subjective relation to the laws that govern them-that is, the principles that inform the laws must be consciously embraced by citizens as their own.“ (Neuhouser , )

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Was der Geist aus sich selbst hervorbringt, ist ihm zweite Natur. Diese Hervorbringung ist zweifelsfrei nicht nur im Sinne eines tatsächlichen Produktionsverhältnisses zu begreifen, sondern auch in der geistigen Überformung und Aneignung seiner natürlichen Voraussetzung, was prominent in Hegels Auseinandersetzung mit der Gewohnheit innerhalb der Anthropologie zum Ausdruck kommt. Bekanntlich ist der Begriff der zweiten Natur ambivalent (vgl. Menke ,  – ). Er beschreibt einerseits, wie auch hier von Hegel positiv betont, das Phänomen, dass Menschen eine Welt schaffen, die sie nach selbstgeschaffenen Gesetzen strukturieren. Sie überformen darin die Sphäre der Natur mit einer ihnen adäquateren Welt, innerhalb derer sie dem Anspruch nach von nichts Fremdem abhängig sein sollen, weil die Gesetze, nach denen sie zu leben haben, ihre eigenen sind (vgl. Menke ,  – ; Khurana ). Während Menschen den Naturgesetzen trotz aller Beherrschung und Modifikation derselben durch Technik und Wissenschaft immer insofern unterworfen sind, als dass sie sie nicht ändern können, weil sie sie nicht geschaffen haben, zeichnen sich die Gesetze der zweiten Natur ihrer abstrakten Möglichkeit nach durch eine größere Elastizität, Adaptierbarkeit und Transformierbarkeit aus. An eben dieser Hoffnung kündigten u. a. Marx und die Linie des sogenannten Hegel-Marxismus von Lukács bis Adorno und Horkheimer Zweifel an. Paradoxerweise scheint die Selbsthervorgebrachtheit in Vergessenheit geraten zu können. Soziale Verhältnisse können als fremd und naturgegeben erscheinen, denen man, wie dem Gesetz der Schwerkraft, ohne jedes Mitspracherecht und ohne Möglichkeit ihrer Veränderung unterworfen ist. Während Hegel zwar einen gewissen Aspekt dieses Problems sieht, wenn er das Phänomen der geistigen Verknöcherung beschreibt, legt er, wie wir sehen werden,  Eine umfangreiche Darstellung zur historischen Kontextualisierung des Begriffes der zweiten Natur findet sich in Rath ().  „Die Gewohnheit ist mit Recht eine zweite Natur genannt worden, – Natur, denn sie ist ein unmittelbares Seyn der Seele, – eine zweite, denn sie ist eine von der Seele gesetzte Unmittelbarkeit, eine Ein- und Durchbildung der Leiblichkeit, die den Gefühlsbestimmungen als solchen und den Vorstellungs-Willens-Bestimmtheiten, als verleiblichten (§ . .) zukommt.“ (GW : § ) Zum Verhältnis von zweiter Natur und Gewohnheit bei Hegel vgl. insbesondere Ranchio ().  Prominent rückte Rahel Jaeggi in Kritik von Lebensformen () diese Begriffe jüngst erneut ins Zentrum der Diskussion, indem sie den normativen Aspekt moderner Institutionen insbesondere in ihrer Lernfähigkeit begründet sieht.  Ikonisch hierfür ist das sogenannte Fetischkapitel aus dem ersten Band des Kapitals von Marx, während von Lukács Geschichte und Klassenbewusstsein und von Adorno und Horkheimer die Dialektik der Aufklärung zu nennen sind. Marx fasst die Problemstellung einer sich gegen die Menschen verselbstständigenden zweiten Natur wie folgt auf: „Das Geheimnisvolle der Warenform besteht also einfach darin, daß sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen.“ (MEW : )  Der Begriff der Verknöcherung hat seinen systematischen Ort in der Natur, in der er das Absterben des Individuums innerhalb des Gattungsprozesses aufgrund seiner Unangemessenheit ge-

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einen größeren Optimismus an den Tag, wenn es darum geht, dass der Geist sich innerhalb seiner Verhältnisse als das gestaltende und freie Prinzip erkennt. Die wohl bekannteste Bestimmung des Begriffes der Freiheit durch Hegel ist die Figur des Bei sich selbst seins im Anderen (vgl. GW ,: ; TWA : §  Zus.). Freiheit wird hier wesentlich als soziale Freiheit aufgefasst, da sie immer der Anerkennung mindestens zweier bedarf – allein kann niemand frei sein. Nicht umsonst sind die von Hegel in diesem Kontext gewählten Beispiele die von Freundschaft und Liebe: Diese Freiheit haben wir schon in der Form der Empfindung. ZB. In der Freundschaft und Liebe. Da will man etwas ist man nicht einseitig in sich, sondern in der Beziehung auf ein Anderes, beschränkt man sich, aber weiß sich in dieser Beschränkung als sich selbst. In der Bestimmtheit fühlt sich der Mensch nicht bestimmt, sondern indem man das Andere als Anderes betrachtet, hat man darin erst sein Selbstgefühl. (GW ,: ) Das Andere erscheint als Beschränkung nur dort, wo Freiheit als unendlich expansives Handlungsfeld eines individuellen Akteurs aufgefasst wird. Der Handlungsspielraum des Einzelnen trifft auf gewisse Widerstände, die ihm am stärksten wohl in der Form der Handlungen anderer Akteure begegnen. Die Pointe der hegelschen Überlegungen ist hier, dass sich Freiheit nicht trotz der wechselseitigen Beschränkung des je individuellen Handlungsspielraumes realisiert, sondern gerade dadurch, dass das Andere als konstitutiv für die eigene Subjektivität aufgefasst wird. Damit ist Freiheit nicht als eine individuelle Eigenschaft bestimmt, die Menschen je nach Perspektive zukommen kann oder nicht, sondern als ein Strukturverhältnis, das sich in der Interaktionsweise mehrerer Akteure realisieren kann oder eben nicht. Wenn Hegel in der Wissenschaft der Logik den Begriff der Freiheit abstrakt als eine „sich auf sich selbst beziehend[e]“ Identität einführt (GW : ), ist diese Identität als ein solches ausdifferenziertes Verhältnis gedacht. Es ist konstitutiv für das Identitätsverhältnis, dass es in der Lage ist, interne Differenzen als integrale Bestandteile eines Selbstverhältnisses aufzunehmen. Die hier angesprochene selbstreferenzielle Struktur des Freiheitsbegriffes ist also nicht als absolute Unbeschränktheit durch Äußeres zu verstehen, sondern als ein Verhältnis, das die verschiedenen Momente seiner selbst als füreinander konstitutiv setzt und sie so nicht als sich wechselseitig beschränkend auffasst. Anders ausgedrückt, lässt sich auch genüber der Allgemeinheit der Gattung beschreibt. „Das Individuum hebt sie auf, indem es der Allgemeinheit seine Einzelheit einbildet, aber hiemit insofern sie abstract und unmittelbar ist, nur eine abstrakte Objectivität erreicht, worin seine Thätigkeit sich abgestumpft [hat], verknöchert, und das Leben zur proceßlosen Gewohnheit geworden ist, so daß es sich so aus sich selbst tödtet.“ (GW : § ) Innerhalb der Philosophie des Rechts scheint dieser Prozess auf ganze Völker und Staaten übertragen zu werden, wenn Hegel versucht, die pädagogischen Vorzüge des Krieges zu begründen (vgl. hierzu insbesondere GW ,: §  u. GW ,:  f.).

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sagen, dass innerhalb freier Verhältnisse das Andere nicht als ein Fremdes begriffen wird, obgleich der Abbau der Fremdheit nicht als eine Auflösung des Anderen, sondern des Begreifens seines konstitutiven Charakters für das freie Verhältnis im Ganzen aufgefasst werden muss. Da das Bestehen des Anderen konstitutiv für Freiheit ist, stellt sie sich auch wesentlich als Prozess dar, der – weil er immer Interaktion und Aushandlung ist – nie zur Ruhe kommt. Ein gutes Beispiel hierfür ist Hegels polemische Zurückweisung des weltfeindlichen Asketismus, der sich alles in allem unter dem Begriff der negativen Freiheit subsumieren lässt, die Hegel auch als „Freyheit der Leere“ bestimmt (GW ,: § ). Sie ist Ausdruck des Missverständnisses, das Andere seiner selbst als Beschränkung, nicht als konstitutives Element zur Realisierung freier Verhältnisse zu betrachten. Innerhalb der Rechtsphilosophie besteht der begriffliche Fortschritt in Bezug auf die Entwicklung des Freiheitsbegriffes darin, gewisse rechtliche, moralische oder auch sittliche Verhältnisse darauf hin zu untersuchen, welche zu ihnen in Beziehung stehenden Sphären sie nicht integrieren können, um sie so zu modifizieren, dass sie anschließend in der Lage sein sollen, eine solche Integration zu leisten. Ein berühmtes Beispiel hierfür wäre der Übergang vom abstrakten Recht zur Moralität, der darin besteht, dass das abstrakte Rechtsverhältnis nicht in der Lage ist, den Einzelnen als Subjekt, sondern lediglich als Person im rechtlichen Sinne aufzufassen. Das moralische Subjekt ist dadurch gekennzeichnet, eine Meinung gegenüber Rechtspraktiken haben zu können, sie zu befürworten oder abzulehnen und damit eine für das abstrakte Recht nicht integrierbare Perspektive zu öffnen. „Seine Persönlichkeit, als welche der Wille im abstracten Rechte nur ist, hat derselbe so nunmehr zu seinem Gegenstande; die so für sich unendliche Subjektivität der Freyheit macht das Princip des moralischen Standpunkts aus.“ (GW ,: § ) Dem Anspruch nach soll innerhalb des Staates eine Totalintegration aller möglichen begrifflichen Perspektiven geleistet sein und so ein jedes erdenkliche Element innerhalb der praktischen Philosophie seinen Ort und somit sein Mitspracherecht gefunden haben. Dass es sich hierbei bloß um einen Anspruch handelt, den Hegel an vielerlei Stellen nicht befriedigend einlösen kann, ist auch klar. Innerhalb des Sittlichkeitskapitels – also dem Höhepunkt der begrifflichen Entfaltung von Freiheit – lässt sich zu jedem einzelnen Teil wenigstens ein Beispiel finden, mit dem wir heute (und vielleicht auch schon damals) nicht einverstanden wären. In Bezug auf die Familie sind die patriarchalen und misogynen Strukturen unbestreitbar; dass das sogenannte Pöbelproblem eines ist, mit dem Hegel selbst keinen befriedigenden Umgang gefunden hat, ist auch bekannt (vgl. Ruda ),  „Gleichgültigkeit gegen die Befriedigung; die Begierden, Triebe werden durch die Gewohnheit

ihrer Befriedigung abgestumpft; diß ist die vernünftige Befreiung von denselben; die mönchische Entsagung und Gewaltsamkeit befreit nicht von ihnen noch ist sie dem Inhalte nach vernünftig“ (GW : § ).

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und ob man Hegels Ausführungen für die Notwendigkeit des Krieges zur Erhaltung des sittlichen Ganzen im Inneren eines Staates einkaufen muss, wirkt, diplomatisch gesprochen, auch nicht wirklich plausibel. Ob oder inwieweit diese Ausführungen in Einklang mit Hegels eigenem Denken stehen oder ob sich aus seiner Philosophie selbst Lösungsvorschläge gewinnen lassen, kann hier nicht weiterverfolgt werden. Die Philosophie des objektiven Geistes kulminiert in der Bestimmung von Sittlichkeit und Staat, wobei Sittlichkeit allgemein bestimmt wird als „das lebendige Gute, das in dem Selbstbewußtseyn sein Wissen, Wollen und durch dessen Handeln es seine Wirklichkeit“ hat (GW ,: § ). Der Staat ist der „sich selbst deutliche, substantielle Wille, der sich denkt und weiß und das, was er weiß und insofern er es weiß, vollführt“ (GW ,: § ). In beiden Bestimmungen werden Wissen und Handeln in Beziehung zueinander gesetzt. Sittlichkeit ist niemals ein blindes Verhältnis, sondern immer an die praktische Umsetzung geistiger Selbstkonzeptionen, also eines bestimmten Typs des Wissens des Geistes von sich, gebunden. Zugespitzt könnte man also formulieren, dass Sittlichkeit ein praktisches Selbstwissen ist, innerhalb dessen sich Formen der Freiheit realisieren. Dieses praktische Selbstwissen der Freiheit ist für sich genommen jedoch nicht vollständig frei. Es realisiert sich in ihm immer eine bestimmte historische Form der Vorstellungen des Geistes von seiner eigenen Freiheit, die innerhalb der Sittlichkeit praktisch umgesetzt wird, dort aber nicht kritisch zur Disposition gestellt werden kann. Es kann nicht die Aufgabe des Staates sein, sich stetig selbst in Frage zu stellen. Hegel formuliert diesen Gedanken in §  der Grundlinien, indem er die Möglichkeiten des wissenden Zugriffs auf die sittliche Substanz diskutiert. Hegel unterscheidet hier die Bestimmungen des Selbstgefühls, des Glaubens und der Überzeugung, wobei die letzteren zwei durchaus an Unmittelbarkeit verlieren können, indem ihre Gründe reflexiv dargelegt werden. Sie können, so Hegel, „in eine Einsicht durch Gründe, die auch von irgend besonderen Zwecken, Interessen und Rücksichten, von Furcht oder Hoffnung, oder von geschichtlichen Voraussetzungen anfangen können“, übergehen (GW ,: § ). Auschlaggebend für uns ist jedoch die Ergänzung: „Die eine adäquate Erkenntniß derselben aber gehört dem  Siehe hierfür insbesondere GW ,: § . In den Vorlesungen begründet Hegel die Notwendigkeit des Krieges wie folgt: „Bei stetem Frieden verdumpft der Mensch, und viele Kriege sind aus Ueberdruß des Friedens angefangen, oder auch aus der Politik, daß die Völker wenn in ihnen der Trieb der Thätigkeit erweckt, nach Außen hingeführt werden, damit die Gährung sich nicht nach Innen wende. […] Krieg muß ein Staat abwechselnd wie Frieden haben“ (GW ,:  f.). Hegel besteht zwar, insbesondere in den Kollegien von / und /, darauf, dass „die Sitte […] das Betragen im Kriege regulirt“ (GW ,: ) und beispielsweise Morde an diplomatischen Gesandten streng verboten sind, da sie die Möglichkeit der Rückkehr zum Frieden hindern (vgl. GW ,: ; auch GW ,: ), seine Versuche einen humanen Krieg einzufordern wirken jedoch vor dem Hintergrund, dass er gleichzeitig die Unwirksamkeit eines Völkerrechtes und die formale Unmöglichkeit eines ewigen Friedensschlusses zwischen den Staaten ausschließt, hilflos (vgl. GW ,: ).

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denkenden Begriffe an.“ (GW ,: § ) Denn die zentrale Bestimmung des Wissens, das das Selbstbewusstsein im Rahmen des objektiven Geistes von der sittlichen Substanz erreichen kann, ist auf eine Logik der Voraussetzung angewiesen. Die Substanzialität der gesellschaftlichen oder sittlichen Objektivität darf nicht vollständig der Reflexion der Akteure preisgegeben werden. Hegel möchte mit dieser Konzeption das objektive Bestehen einer normativen Dimension sichern, die es an diesen Stellen gegen die subjektive Relativität der Moralität zu gewinnen gilt. Nur dort, wo bestimmte Elemente einer sozialen Ordnung tatsächlich als verbindlich, objektiv und substanziell erfahren werden, ist aus Hegels Sicht Sittlichkeit möglich. Er verdeutlicht diese Intention mit der etwas irreführenden Metapher von der Göttlichkeit des Gesetzes: Es [das Sittliche, das Gesetz; M.G.] kann sein in einem Volke. Es hat diese und diese Sitte. Es ist nicht nöthig, daß dies in Form der Reflexion gebracht ist, aber es ist immer ein Gesetz. Es weiß daß diese Bestimmungen die nothwendigen sind, Gesetze von Gott gegeben (so sind die Gesetze der Götter, Niemand weiß, von wannen sie gekommen.) (GW ,: ) Allerdings müssen wir uns über den Geltungsrahmen dieser These verständigen. Denn Hegel behauptet keineswegs, dass es sich hierbei um die adäquate Erkenntnis handle, die erst dem denkenden Begriff angehört. Er behauptet lediglich, dass es konstitutiv für die Stabilität einer Sozialordnung ist, dass sie im Rahmen der konkreten Handlungspraktiken der Teilnehmer in bestimmter Hinsicht als natürlich erscheint. Das wird an Hegels Überlegungen zur Verfassung besonders deutlich, die gerade dadurch ausgezeichnet ist, dass sie immer Ausdruck der „Weise und Bildung des Selbstbewußtseyns“ ist, Hegel aber dennoch behauptet, es sei „schlechthin wesentlich, daß die Verfassung, obgleich in der Zeit hervorgegangen, nicht als ein gemachtes angesehen werde“ (GW ,: § ). Wir haben es hier mit einer Äquivokation des Begriffes der Freiheit selbst zu tun. Sie ist erstens der praktische Handlungsvollzug des Selbstbewusstseins, das sich seine soziale Welt nach seinen Vorstellungen von sich schafft, zweitens umfasst sie die Möglichkeit der freien Bezugnahme auf die immer schon praktizierten Freiheitskonzeptionen. Auch wenn Hegel innerhalb der Grundlinien extensiv den Begriff des Wissens nutzt, um die praktische Teilnahme am sittlichen Ganzen zu beschreiben, ist dieser Begriff der Freiheit auf ein Handlungswissen beschränkt, das seine Grenze an bestimmten Auffassungen natürlicher Elemente der Sittlichkeit hat. Für Hegel liegt gerade in dieser Begrenzung des Wissens jedoch ein fundamentaler Akt der Befreiung be Umfassend diskutiert Juliane Rebentisch Hegels Abschluss der Sittlichkeit gegen die bloß subjektiv-reflexive Moralität. Sie kommt dabei zu dem Ergebnis, dass Hegel in dem Versuch, die Objektivität der Sittlichkeit zu sichern, den grundsätzlichen demokratischen Impuls der Fallibilität einer jeden Konzeption des Guten zurückweist, den es wiederzugewinnen gilt (siehe Rebentisch ,  – ).

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gründet, indem erst durch ihn objektive Sittlichkeit überhaupt denkbar wird. Wenn nun eine bestimmte Realisationsform der Freiheit, die als historische auch immer zugleich endlich ist, sich der Möglichkeit der kritischen Auseinandersetzung mit ihren Grundannahmen verschließt und sich absolut setzt, schließt die soziale Welt sich in einem negativen Sinn zur zweiten Natur zusammen: sie erscheint als unveränderbar. Gleichzeitig muss der objektive Geist diese Tendenz besitzen, da es konstitutiv für eine Gesellschaft ist, dass ihre Gesetze als verbindlich erfahren werden. Hier schließt nun die Frage an, was der absolute Geist noch für eine Geistphilosophie leisten kann, deren systematisches Diktum in der Selbsterkenntnis der Freiheit des Geistes besteht. Das „absolute Gebot“ der Philosophie des Geistes besteht in der „Erkenntniß des Wahrhaften des Menschen, wie des Wahrhaften an und für sich, – des Wesens selbst als Geistes“ (GW : § ), welches wenige Paragraphen später als Freiheit bestimmt wird (GW : § ). Was ist also der Mehrwert des systematischen Schlusssteins der Philosophie des Geistes in Bezug auf den Begriff der Freiheit? Die Absolutheit des absoluten Geistes besteht zunächst in dem formalen Aspekt, dass sich in ihm der Geist auf sich zurückwendet und sich selbst thematisiert. Kunst, Religion und Philosophie stellen Selbstverständigungspraktiken dar. Sie sind dadurch gekennzeichnet, jeweils den Möglichkeiten ihrer spezifischen formalen Ausdrucksweise nach einen Raum zu bieten, in dem der Geist darum ringt, ein Verständnis seiner selbst zu gewinnen. Das Selbstverständnis, das der Geist innerhalb einer gewissen Epoche, Lebensform oder Kultur von sich selbst hat, ist jedoch keines, das sich erst im absoluten Geist konstituiert, sondern es ist innerhalb aller Praktiken dieser Zeit wirksam. Exemplarisch lässt sich hierzu eine Aussage heranziehen, die Hegel über die Philosophie trifft: Der Charakter einer Zeit in seiner höchsten Gestaltung aufgefaßt, ist in der Geschichte der Philosophie gegeben. Verfassung, Regierung, Sittlichkeit der Völker; Alles geht aus einem Prinzip hervor. So steht die äußere Geschichte in der engen Verbindung mit der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie ist die höchste Blüthe des Prinzips, aus dem Schicksale des Volkes ausgehen. Der Geist erkennt und spricht dies in einem einfachen Prinzip aus. So spiegelt sich ihr das Ganze; dies ist der wahre Geist der Zeit. Nun ist weder die Philosophie Ursache der Geschichte noch umgekehrt, sondern es ist das Gemeinschaftliche,

 Zum Begriff der „Selbstverständigungspraxis“ siehe Bertram (). Auch Birgit Sandkaulen

(, ) spricht in Bezug auf die Funktionsweise des absoluten Geistes von Formen kultureller Selbstverständigung und Selbstrepräsentation. Zur Funktionsweise der Ästhetik als Form einer selbstreflexiven Praxis im Problemkontext der zweiten Natur siehe Khurana ().

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oder besser Ein Leben, das alle Seiten durchdringt, so daß eine Seite nicht Ursache ist der Form der anderen Seite. (GW ,: ) Ein Leben einer Epoche stellt sich in allen geistigen Produkten derselben dar. Verfassung, Regierung und Sittlichkeit gehen aus demselben Prinzip hervor wie die Philosophie auch, da sie der Ausdruck einer gewissen Organisationsform des geistigen Lebens sind. Die Aufgabe der Philosophie bzw. des absoluten Geistes im Allgemeinen, ist es, sich Rechenschaft über die grundlegenden Prinzipien abzulegen, die innerhalb des geistigen Gesamtausdrucks einer Epoche wirksam werden. Sie zielen darauf, das praktisch schon wirksame Selbstverständnis des Geistes zu explizieren und zu Bewusstsein zu bringen. Die Teilbereiche der Geistphilosophie stellen jeweils einen Ausschnitt dar oder werfen eine bestimmte Perspektive auf das Ganze dieses Lebens des Geistes. Dieses Leben, das alle Seiten durchdringt, ist selbst aber keinesfalls so fragmentiert, wie die begriffliche Strukturierung der hegelschen Philosophie suggerieren könnte. Sittlichkeit, Regierung, Religion, Philosophie und Kunst befinden sich immer in einem amalgamierten Verhältnis, das sich begrifflich ausdifferenzieren lässt, wobei diese Ausdifferenzierung nicht mit einer realen Trennung oder Unabhängigkeit der verschiedenen Teile gegeneinander verwechselt werden darf. Das Selbstverständnis einer bestimmten Ausformung des Geistes fällt seinerseits nicht vom Himmel, sondern ist maßgeblich durch die Praktiken der Selbstverständigung bestimmt. Das Bild, das Menschen sich innerhalb von Kunst, Religion und Philosophie von sich selbst und ihrer Umwelt machen, ist keine rein theoretische Kontemplation, sondern innerhalb der konkreten Organisationsformen des Geistes wirksam. Die Selbstverständigungspraxis des absoluten Geistes ist somit erstens wesentlich Rekonstruktion der in den sittlichen Formen einer Lebensform wirksamen Vorstellungen über sich wie zweitens die Konstruktion eben dieser Vorstellungen. Dieser Zusammenhang wird insbesondere am Beispiel der Religionsphilosophie klar. „Das was der Mensch in Beziehung zu Gott zu thun haben meynt, hängt von seinen Vorstellungen von Gott ab.“ (GW : ) Laut einem Vorlesungsmanuskript von  formuliert Hegel dieses Verhältnis so: Gott ist „das Princip und der Endpunkt von allem und jedem Thun, Beginnen und Bestreben […] Alle Menschen haben daher von Gott ein Bewußtseyn, von der absoluten Substanz, als der Wahrheit wie von Allem, so von ihnen selbst – von ihrem Seyn und Thun“ (GW : ). Ihre Vorstellung von Gott ist die zentrale Instanz ihres Welt Siehe dazu auch: „Das Verhältnis der politischen Geschichte, Staatsverfassung, Kunst, Religion zur Philosophie ist deswegen nicht dieses, daß sie Ursachen der Philosophie wären oder umgekehrt diese der Grund von jenen; sondern sie haben vielmehr alle zusammen eine und dieselbe gemeinschaftliche Wurzel – den Geist der Zeit.“ (TWA : )  Vgl. auch: „Die Vorstellung, welche der Mensch von Gott hat, entspricht der, welche er von sich selbst, von seiner Freiheit hat.“ (TWA : )

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zuganges, da in ihr alle ihre höchsten Vorstellungen niedergelegt sind. „Auf was es aber ankommt, ist das Verhältniß der Religion im Menschen zu seiner übrigen Weltanschauung, Bewußtseyn, Erkentniß, Zwecken, Interessen.“ (GW : ) Die Selbstverständigungspraxis der Religion fasst in ihrer jeweils spezifischen Vorstellung vom Göttlichen zusammen, was die Menschen einer kulturellen Formation innerhalb ihrer Bezugnahme auf die Welt praktisch umsetzen. Wähnen sie sich in der Abhängigkeit eines gottgegebenen Gesetzkataloges, realisieren sie diese Abhängigkeit innerhalb ihres Zusammenlebens, weil es ihrer Vorstellung von Freiheit entspricht. Die systematische Funktion der Philosophie des absoluten Geistes besteht in der Thematisierung des zugrundeliegenden Freiheitsverständnisses der historischen Konstellationen mitsamt ihren sozialen Konsequenzen sowie des Aufzeigens, inwiefern ein unbefriedigendes Konzept von Freiheit vorgestellt und realisiert wird. Kurzum ist ihr Gegenstandsfeld die Gebundenheit sozialer Praktiken an gewisse gesellschaftlich wirksame Selbstkonzeptionen des Geistes. Die hegelsche These scheint nun darin zu bestehen, dass diese Selbstkonzeptionen sich im Verlauf der Geschichte zu einem immer reicheren Begriff der Freiheit bewegten, der schlussendlich darin besteht, den Geist als das zugrundeliegende Prinzip geistiger Verhältnisse zu begreifen. Der Geist ist zwar an sich schon immer frei in dem Sinne, als dass seine Selbstkonzeptionen innerhalb der Welt realisiert werden – die Welt der Sittlichkeit ist ihm die zweite Natur, in welcher er von keinem ihm externen Prinzip abhängig ist. Geistige Verhältnisse befinden sich nach Hegel nicht in einer Abhängigkeit von einer invarianten Natur des Menschen oder einem externen Gott, der sie strukturiert, ohne dass die Menschen einen Einfluss auf dieses Geschehen hätten. Nicht die Potenzialität der

 Für eine ausführlichere Auseinandersetzung mit diesem Manuskript siehe die Studie von Nadine Mooren ().  Pippin formuliert diesen Charakterzug des Geistes treffend, wenn er schreibt: „It is in this sense that the story of the development of subjective, objective, and absolute spirit would be understood as a collective historical achievement, a growing capacity by human beings to understand what is required by collective self-determination (or a decreasing dependence on nature and appeals to nature), to understand better that that is what they are doing, and so to expand what can be coherently and collectively regulated and directed by appeal to reasons, justifications, and norms“ (Pippin , ).  Walter Jaeschke hebt in Bezug auf die Religion und ihre Konzeptionen Gottes als Selbstkonzeptionen des Geistes richtigerweise die Nähe der hegelschen Konzeption zu der Feuerbachs hervor, wobei er den Unterschied der beiden Denker darin verortet, dass die religiösen Selbstkonzeptionen des Geistes für Hegel konstitutiver Teil des Selbsterkenntnisprozesses des Geistes als Geist sind und es sich nicht bloß um projektive Fehlwahrnehmungen handelt. Das folgende Zitat bezieht sich auf die Konzeption der Religion innerhalb der Phänomenologie des Geistes, ist m. E. aber auch auf die weitere Konzeption der Religion innerhalb des hegelschen Denkens übertragbar. „‚Menschwerdung Gottes‘ ist die Religionsgeschichte eben als fortschreitende Ersetzung des vorgestellten Selbstes durch das wirkliche – als Rückgabe der an den Himmel verschleuderten Schätze an die Erde (s. Kap. II..) oder – mit Feuerbach – als Durchschauen und damit als Rückholung der Projektion. Für Hegel ist dieses Durchschauen jedoch nicht gegen die Religionsgeschichte gerichtet, sondern deren spekulativer Sinn

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Freiheit des Geistes steht also zur Debatte, sondern die Frage verschiebt sich dahin, ob der Geist sich selbst auch als frei weiß, wobei beide oben diskutierten Sinnebenen der Verbindung von Wissen und Freiheit als praktisches Selbstwissen der Sittlichkeit und des kritischen Wissens der Gestaltbarkeit der zugrundeliegenden Selbstverständnisse eingelöst sein müssen. Eben weil die Selbstkonzeptionen des Geistes real wirksam in der Welt sind, ist er so lange nicht wirklich frei, wie er sich nicht als frei weiß. Freiheit und das Wissen der Freiheit sind für Hegel letztinstanzlich dasselbe. In §  der Grundlinien heißt es: Da der Geist nur als das wirklich ist, als was er sich weiß, und der Staat, als Geist eines Volkes, zugleich das alle seine Verhältnisse durchdringende Gesetz, die Sitte und das Bewußtseyn seiner Individuen ist, so hängt die Verfassung eines bestimmten Volkes überhaupt von der Weise und Bildung des Selbstbewußtseyns desselben ab; in diesem liegt seine subjective Freyheit und damit die Wirklichkeit der Verfassung. (GW ,: § ) Soziale Praktiken sind bestimmt durch den Stand der Bildung einer Zeit, das geistige und kulturelle Selbstbild innerhalb einer Epoche, dessen Reflexionsinstanz nicht in den Rechtsformen selbst liegt, sondern in den Praktiken des absoluten Geistes seinen Ausdruck findet. Die Vorlesungsnachschrift Hothos zur Rechtsphilosophie von / endet damit, genau diese Situation darzustellen. Der objektive Geist ist „die Entfaltung“ des Begriffes des freien Willens, „die Welt des Rechts, der Moral und seiner Geschichte“. Der absolute Geist stellt dagegen „die Geschichte des Wissens vom Recht der Moral und des Staates“ dar. Interessanterweise subsumiert Hegel hier beides unter den Begriff der „Wissenschaft des Rechts oder des freien Willens“ in seiner „Wahrheit“ und bezieht zudem den subjektiven Geist als Sphäre der Genese des freien Willens mit ein (GW ,: ). Erst wenn wir die bestehende Sozialordnung in ihrer Entwicklung und in Zusammenhang mit der Geschichte des Wissens betrachten, können wir sie richtig begreifen. Hegel schließt explizit an, dass diese Geschichte des Wissens, deren Darstellung die des absoluten Geistes ist, erst als „das Wissen dieser [der des objektiven Geistes; M.G.] Entfaltung [im] absoluten Geiste“ gelingen kann (GW ,: ). Stärker noch könnte man mit Hegel sagen, dass es keine Separierung des objektiven Bestehens von Freiheit und ihres Begreifens gibt – objektiver und absoluter Geist stellen Partialgeschichten des Geistes insgesamt dar, deren Fortentliegt eben in der sukzessiven Herausarbeitung dieser Einsicht in den Zusammenhang von wirklichem Geist und religiöser Vorstellung.“ (Jaeschke , )  Arndt und Jaeschke verwenden diesen Begriff im Kontext der verschiedenen historischen Entwicklungslinien des absoluten Geistes. Ich halte den Einbezug der historischen Entwicklung der Sphäre des objektiven Geistes hier für ebenso plausibel. „All diese Geschichten [die von Kunst, Religion, Philosophie und der Staaten] bilden ja bloße Partialgeschichten der einen Geschichte des Geistes, dessen jeweiliges Prinzip sie alle übergreift. Die Philosophiegeschichte aber – als diejenige, in

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wicklung zur Freiheit nur als durcheinander vermittelte zu begreifen ist. Es existiert für Hegel keine Freiheit, ohne dass die geistigen Individuen sich als frei wissen. Die Funktion von Kunst, Religion und Philosophie besteht also in einer sukzessiven Erkenntnis der Fähigkeit des Geistes, sich seine eigene Welt zu schaffen, oder, um mit Guido Kreis zu sprechen: Die Grundlagenreflexion, um die es Hegel hier geht, führt zu dem Ergebnis, daß die Grundstrukturen der sozialen Welt, in der wir leben, geistige Strukturen sind, daß sie also auf uns zurückgehen (nicht auf mich persönlich oder auf Sie persönlich, aber doch auf einige von uns und in rechtsstaatlich verfaßten Demokratien letztlich auf alle von uns), daß wir die Autoren der Strukturen der Welt sind, in der wir leben; daß also, anders gesagt, die allgemeinen geistigen Strukturen der Wirklichkeit, in der wir vernünftigen Subjekte leben, dieselben sind. (Kreis , ) II. Zwei Modelle der Freiheit: Religion und Philosophie Bisher habe ich argumentiert, dass für Hegel bestimmte Konzeptionen des Geistes von sich, menschliche Selbstverständnisse und die Umsetzung derselben innerhalb sozialer Praktiken intrinsisch verbunden sind. Im Folgenden soll es darum gehen, konkretere Implikationen dieser These modellhaft anhand von Hegels Auffassung von Religion und Philosophie auszuweisen. Dabei fasse ich den absoluten Geist insgesamt als die Sphäre auf, in der der Geist eine Reflexionsbewegung auf die seinen Praktiken zugrundeliegenden Vorstellungen von Freiheit vollführt, um sie so – ungleich der Philosophie des objektiven Geistes – direkt zu thematisieren. Religion und Philosophie stellen dabei bekanntlich zwei verschiedene Modi des Verständnisses dar: Die Religion verfährt im Modus der Vorstellung, während die Philosophie ihren Gegenstand begrifflich denken kann. Es soll nun herausgearbeitet werden, worin der Unterschied dieser beiden Zugriffsweisen in Bezug auf die Verbindung von Wissen und Freiheit liegt. Die Leitthese dieser Auseinandersetder der Geist sich in seiner eigenen Gestalt begreift – spricht ihn zwar nicht in seiner Totalität, jedoch in seiner reinen Form aus.“ (Arndt u. Jaeschke , )  Die Auseinandersetzung mit der Kunst scheidet im Folgenden aus Gründen des Umfanges aus der Betrachtung aus. Grundsätzlich vertrete ich die These, dass die zuvor diskutierten systematischen Elemente sich auch auf die Ästhetik anwenden lassen. Hier sei auf einen Aufsatz Walter Jaeschkes verwiesen, in dem er nachzeichnet, dass Hegels Auseinandersetzung mit der Ästhetik schon seit dem Systementwurf III von der Frage nach geistiger Selbsterkenntnis, weniger dezidiert ästhetischen Fragestellungen her bewegt war (vgl. Jaeschke ). Eine Interpretation, die Hegels Philosophie der Kunst unter Einbezug ihrer sozialphilosophischen Dimension zu verstehen sucht, schlug auch Robert Pippin umfassend in After the Beautiful vor. Besonders deutlich wird diese Intention bei Pippin (,  f.)

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zung ist, dass Religion, obgleich ihr Zugangsmodus nicht-begrifflich, also nach Hegel der Philosophie gegenüber sich selbst weniger durchsichtig ist, innerhalb der Realisierung von sozialer Freiheit ausschlaggebender ist als die begrifflich operierende Philosophie. Innerhalb der Philosophie des absoluten Geistes scheint die Religion eine exponierte Position in Bezug auf die Wirksamkeit ihrer Vorstellungen innerhalb der sozialen Praktiken zu haben. Schon der Aufbau der Vorlesungen zur Religionsphilosophie belegt das: Jeder historischen Figur derselben wird ein Kapitel über den Kultus zuteil, welches sich mit den Auswirkungen der Gottesvorstellung auf die menschliche Lebenspraxis befasst. Ein systematisch gleichwertiges Kapitel existiert weder innerhalb der Ästhetik noch in den Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie. Religion scheint für Hegel von allen Formen des absoluten Geistes die stärkste und direkteste Bindung zur Sittlichkeit zu besitzen: Völker, die nicht wissen, daß der Mensch an und für sich frei sei, diese leben in der Verdumpfung sowohl in Ansehung ihrer Verfassung als ihrer Religion. – Es ist Ein Begriff der Freiheit in Religion und Staat. Dieser Eine Begriff ist das Höchste, was der Mensch hat, und er wird von dem Menschen realisiert. Das Volk, das einen schlechten Begriff von Gott hat, hat auch einen schlechten Staat, schlechte Regierung, schlechte Gesetze. (V : ) Schon intuitiv ist dieser Punkt nachvollziehbar. Es ist schwer abzustreiten, dass religiöse Vorstellungen innerhalb der Geschichte der Menschheit weitaus wirkungsvoller waren und mehr Menschen erreichten als das philosophische Denken. Wäre es möglich, einen vollends adäquaten Begriff der Freiheit innerhalb der Religion zu realisieren, wäre dies auch kein Problem für Hegel. Um zu verstehen, worin Hegel die Notwendigkeit der philosophischen Erkenntnis der Freiheit sieht, gilt es daher nun einen Blick auf den Abschnitt zum christlichen Kultus – der Gemeinde, oder genauer auf das Vergehen der Gemeinde – zu werfen. Die Leistung des Christentums besteht nach Hegel u. a. darin, die Fremdheit zwischen Mensch und Gott aufzuheben, was durch die Lehre der Inkarnation Gottes in Jesus Christus geschieht. Die Geschichte Christi stellt für Hegel ein Sinnbild für die gesamte Geschichte des Geistes dar – seine Funktion ist die einer, dem Medium der Vorstellung angebrachten, Exemplifizierung eines begrifflich zu erfassenden Zusammenhangs. „Was uns also diß Leben Christi zur Vorstellung bringt und zwar für das empirische allgemeine – unmittelbare Bewusstseyn [ist] dieser proceß der Natur des Geistes – Gott in menschlicher Gestalt“ (GW : ). Es ist die  Ausführlicher diskutiert Nadine Mooren diesen Themenkomplex im Rahmen ihrer Studie zur Religionsphilosophie Hegels (vgl. Mooren ,  f.).  Diesen Namen trägt er im Manuskript von  (GW ). In den von Jaeschke herausgegebenen Nachschriften zur Vollendeten Religion ist er einmal mit Die Realisierung des Glaubens (), ein andermal mit Die Realisierung des Geistigen in der Gemeinde () überschrieben. Innerhalb der Suhrkamp-Ausgabe wurde der Name zu Die Realisierung des Geistigen zur allgemeinen Wirklichkeit.

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Darstellung der Geschichte des Geistes in einer für das unmittelbare empirische Bewusstsein nachvollziehbaren Form – dem Medium der Vorstellung –, aus welcher die zuvor schon angesprochene soziale Wirksamkeit der Religion rührt. Ihre Darstellungsweise hat das größte Publikum. Der Gehalt der Erzählungen vom Leben Christi muss, so fordert Hegel, realisiert werden. Christus stellt sich als ein exemplarisches Individuum dar, dessen Geschichte dazu dient, eine gewisse Form der Sittlichkeit hervorzubringen: Die Einzelheit der göttlichen Idee, die göttliche Idee als Ein Mensch – vollendet sich erst in der Wirklichkeit – indem sie zunächst zu ihrem Gegenüber – die Vielen Einzelnen hat, und diese zur Einheit des Geistes – zur Gemeinde zurükbringt, und darin als wirkliches allgemeines Selbstbewußtseyn ist. (GW : ) Der zentrale Punkt der christlichen Lehre besteht nach Hegel darin, dass durch die Menschwerdung Gottes die Fremdheit zwischen Gott und den Menschen weggefallen ist und sie daher auch in ihrer auf das Absolute gerichteten Lebenspraxis, dem Kultus, nicht mehr auf ein Fremdes gerichtet ist. Gott, so Hegel, wohnt in der Gemeinde und ist nichts mehr den Praktiken der Menschen Äußerliches (vgl. GW : ). Die von Gott herrührende Normativität erscheint nicht mehr als durch eine fremde Instanz gesetzt, der man aus Furcht Folge zu leisten hat, sondern als eine Form der Sittlichkeit, die der Einzelne aus sich heraus anerkennen kann. Dadurch betrachtet Hegel das Christentum auch als die Religion der Freiheit. An diesem Punkt macht sich allerdings der formale Mangel bemerkbar, den die Religion, als wesentlich im Medium der Vorstellung agierend, mit sich bringt. Innerhalb der christlichen Religion realisiert sich die Vorstellung der Freiheit des Geistes zwar in einer Weise, die prinzipiell allen Menschen zugänglich ist, die – und darin besteht ihr Mangel – jedoch keinen Anspruch auf die intersubjektive Nachvollziehbarkeit ihrer Gründe erheben kann, da diese nicht begrifflich zwingend sind. Im Kultus, oder im spezifischen Fall des Christentums in der Gemeinde, sollen die in Gott niedergelegten Vorstellungen der Freiheit des Menschen praktisch realisiert werden. Für die vollendete Religion beschreibt Hegel diese Realisierung nun in Form eines Dreischrittes. Die erste Realisierung ist eine der bloßen Innerlichkeit des Subjektes. In ihr ist die Versöhnung lediglich scheinhaft, denn „das Geistige [entsagt sich selbst] der Weltlichkeit […], [gibt] sich gegen die Welt ein negatives Verhältnis […] und damit auch gegen sich; denn die Welt ist im Subjekt – sie ist dort als Trieb zur Natur, zum geselligen Leben, zu Kunst und Wissenschaft“ (V : ). Sie ist eine bloße Ver Es ist interessant zu sehen, dass Habermas, der innerhalb der neueren Debatte um die Frage nach

religiöser Toleranz und Anerkennung diesen Punkt immer hervorgehoben hat, die Nähe zu Hegel nicht zu sehen scheint und sich diese Option mit der Beschränkung auf die Philosophie des objektiven Geistes auch kategorisch verstellt hat. Siehe dazu insgesamt Habermas ().

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söhnung des Herzens, ein weltfremder Asketismus, der sich in sich zurückzieht. Darin widerspricht er jedoch dem Geist, denn er „ist dies, sich zu entwickeln, sich zu unterscheiden bis zur Weltlichkeit“, die ihm in dieser Form der Realisierung fehlt (V : ). Der zweite Schritt ist die Realisierung im Außen, also der Weltlichkeit, ohne den wahren Gehalt der Innerlichkeit – die Kirche: Das Religiöse soll das Herrschende sein; das Versöhnte, die Kirche, soll über das Weltliche herrschen, das unversöhnt ist. […] Das Herrschende nimmt damit diese Weltlichkeit eben in sich selbst auf – alle Leidenschaft; an der Kirche selbst tritt durch diese Herrschaft eine geistlose Weltlichkeit hervor […]. Es ist gesetzt eine Herrschaft vermittelt des Geistlosen, wo das Äußerliche das Prinzip, der Mensch in seinem Verhältnis zugleich außer sich ist – es ist das Verhältnis der Unfreiheit überhaupt (V :  f.). Versucht eine noch so vermeintlich reine Innerlichkeit die Herrschaft über die Welt an sich zu reißen, korrumpiert sie sich nach Hegel an der Unversöhntheit dieser Weltlichkeit. Die Subjekte lassen sich ohne eigene Einsicht nicht dazu zwingen, sittlich zu leben. Auch wenn es weit hergeholt wäre, zu meinen, dass die Kirchengeschichte tatsächlich das Zugrundegehen lauterer Grundsätze vor einer sündigen Welt darstellen würde, ist hiermit ein systematisch wichtiger Punkt bezeichnet – die Unmöglichkeit des äußeren Zwanges einer sittlichen Haltung. Der dritte mögliche Versuch der Versöhnung kündigt den Übergang zur Philosophie an und läuft unter dem Schlagwort der Sittlichkeit: Die dritte Bestimmung ist, daß sich dieser Widerspruch auflöst in Sittlichkeit, daß in das Weltliche selbst das Prinzip der Freiheit eingedrungen ist, und daß das Weltliche, indem es so dem Begriff, der Vernunft, der ewigen Wahrheit gemäß gebildet ist, die konkret gewordene Freiheit, der vernünftige Wille ist (V : ). Die Realisierung der Freiheit kann nach Hegel nur erfolgen, wenn die Individuen auf der Stufe des Geistes, auf welcher sie realisiert werden soll, diese Freiheit auch wissen, was die Forderung nach ihrer begrifflichen Erkenntnis im Denken impliziert. Sittlichkeit ist nicht nur die Realisierung einer äußeren, institutionellen Form der Freiheit, sondern immer auch eine Form subjektiver Innerlichkeit, die sich in den Realisationsformen der Freiheit wiedererkennen muss. Der Religion gelingt es für Hegel schlussendlich nicht, eine Selbstverständigungspraxis darzustellen, die diese Vermittlung für die Moderne leisten kann. Dies hängt für ihn mit dem Mangel des Mediums der Vorstellung zusammen, welches von der begrifflichen Erkenntnis der Philosophie überformt werden soll: Die Philosophie hat also das Geschäft, diese beiden Verhältnisse [die Innere wie die Äußere Realisierung der Freiheit; M.G.] zu vermitteln. Die Religion, das

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religiöse Bedürfnis, kann auch, wie zum Begriff, so auch Zuflucht zur Form des Gefühls, der Empfindung, nehmen, sich darauf beschränken, daß es die Wahrheit aufgibt und darauf Verzicht tut, einen Inhalt zu wissen, so daß die heilige Kirche keine Gemeinschaft mehr hat und in Atome zerfällt, jedes von eigener Weltanschauung. (V . ) Ohne das begrifflich erkannte Wissen der Freiheit tritt eine weltanschauliche Beliebigkeit ein, die nach Hegel zweierlei Formen annehmen kann – einerseits die reine Innerlichkeit des religiösen Gefühls, andererseits „die Aufklärung“ und ihre „Gleichgültigkeit des Inhaltes“ (V : ; vgl. auch die Vorlesung von : V :  ff.). Beide Standpunkte, der der Aufklärung und der der religiösen Innerlichkeit, werden als „Subjektivität ohne Inhalt“ bezeichnet, welche „die letzte Spitze der formellen Bildung unserer Zeit“ darstellt (V : ). Während die Religion zwar nach Hegel die prinzipielle Freiheit auf bildbedürftige Art und Weise zum Ausdruck bringt, kann sie keinen Anspruch auf die Allgemeinverbindlichkeit ihrer Konzeptionen erheben. Nur die Philosophie kann so die wahrhafte Versöhnung darstellen (vgl. V : ). Erst dieser Standpunkt „ist damit die Rechtfertigung der Religion, besonders der christlichen, der wahrhaften Religion; er erkennt eben diesen Inhalt nach seiner Notwendigkeit, nach seiner Vernunft“ (V : ). Das bedeutet für Hegel wohl auch, dass die Philosophie die Religion eben in ihrer spezifischen Betrachtungsweise rechtfertigt – nämlich als einen Ausdruck der Freiheitsgeschichte des Geistes (vgl. Danz ,  f.). An dieser Stelle ist der Umstand hervorzuheben, dass Hegel seine Zeit ausdrücklich nicht als den Standpunkt der geleisteten Versöhnung charakterisiert, sondern als den Zustand der Beliebigkeit bloß formeller Subjektivität (vgl. V : ). Mehr noch weist er schon am Ende des Manuskriptes von  auf eine Überlegung hin, die uns im Folgenden beschäftigen soll. Wenn die Religion aufgrund ihrer nicht-begrifflichen Struktur nicht in der Lage ist, die Welt zu versöhnen, ist dieses Problem für die Philosophie keineswegs schon ihrer Form halber passé: Religion in die Philosophie sich flüchten – Welt ihnen ein Vergehen in ihr – nur diese Form der Aüsserlichkeit des zufälligen Geschehens – Aber Philosophie partiell – Priesterstand isolirt – Heiligthum – Unbekümmert wie es der Welt gehen mag – mit ihr nicht zusammengehen – Dieses Besitzthum der Wahrheit – Wie sich gestalte ist nicht unsre Sache. (GW : ) Mit der Philosophie erreicht die Selbstreflexivität des Geistes ihre höchste Stufe. Waren Kunst und Religion in den Medien der Anschauung und Vorstellung, ist Philosophie die Selbsterkenntnis des Geistes im Medium des Denkens oder des Begriffes. Sie ist somit „die Befreiung von der Einseitigkeit der Formen und Erhebung derselben in die absolute Form, die sich selbst zum Inhalte bestimmt und identisch

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mit ihm bleibt“ (GW : § ). Hegel ist sich im Klaren darüber, dass diese höchste Form der Erkenntnis eine besondere ist, denn „ist [die Religion] die Wahrheit für alle Menschen“ (GW : § ), lässt sich zweifelsfrei nicht behaupten, dass irgendwann alle Menschen Philosophen werden können oder sollen. Die Erkenntnis, die die Philosophie leistet, ist paradox: Einerseits ist sie für Hegel die konkreteste, weil sie die am durchgängigsten und konsequentesten bestimmte Erkenntnis ist, andererseits ist eben diese konkreteste Erkenntnis in einem ganz unhegelschen Sinne so abstrakt, dass sie die Menschen nicht auf dieselbe Art und Weise ansprechen kann wie Religion. Worin genau besteht sie? Die Philosophie markiert die formal-adäquate Ausdrucksform des absoluten Gebotes des Geistes, des γνῶθι σεαυτόν (GW : § ). Ihr Gegenstand ist, wie bei den vorangegangenen Formen auch schon, der „Geist der Zeit“ (GW ,: ), in dem der Geist sich selbst als das strukturgebende Prinzip wiederzufinden hat. Der Geist oder „das Denken überhaupt [geht] in die Zeit in die Außerlichkeit heraus“ (GW ,: ), nur während Kunst und Religion die Selbsterkenntnis als produktives Element hinter den hervorgebrachten Gestalten in ihrem Prozess bloß auf, wenn man so will, metaphorische Weise bezeichnen können, leistet die Philosophie die adäquate Selbsterkenntnis des Geistes als das produktive Element in seinen Entäußerungen: Dies liegt zunächst darin, daß der Geist überhaupt diese Natur hat, daß er nur das ist, als dessen er sich bewußt wird, daß er nur das ist, sich zu erfassen, nicht nur ansich, sondern auch wesentlich für sich. So ist die Freiheit nicht unmittelbares Sein, sondern sich selbst Wissen. (GW ,: ) Natürlich gestaltet sich für Hegel der Prozess dieser Selbsterkenntnis als ein historischer Prozess aus. Die Philosophie, wie die anderen Gestalten des absoluten Geistes auch, ist als Reflexionsinstanz auf den Geist einer Zeit historisch an das Fortschreiten des Geistes insgesamt gebunden. „Der Geist hat diesen ganzen Umfang seines wirklichen Daseins zu bereiten, durchzuarbeiten; und diese Arbeit ist es vorzüglich, was in die Zeit fällt. Diese Ausarbeitung ist das positive Thun des Geistes.“ (GW ,: ) Hegel beschreibt hier die prozessuale Selbsterkenntnis des Geistes als eine Form, sich die eigenen Gestalten progressiv immer weiter anzueignen, indem der Geist „[e]ine Stufe seines Bewußtseins […] zur Totalität der Gestalten, zur vollständigen Wirklichkeit [macht]“ (GW ,: ). Der Geist einer bestimmten Zeit spricht seine Wahrheit, d. h. seine Selbstkonzeption, in Form einer in ihm entstehenden Philosophie aus, er macht somit eine Stufe seines Bewusstseins zur vollständigen Wirklichkeit und erklärt sie zum Prinzip der Welt. „Dahin gehören Verfassungen, Recht, Sitte, Kunst, Religion, Bedürfniße eines Volkes, seine Kriege, seine Thaten und Begebenheiten.“ (GW ,: ) Philosophie, als Ausdruck eines bestimmten Zeitgeistes, schlägt eine Antwort vor, die alle erklärungsbedürftigen Phänomene auf kohärente Weise erklären und zu-

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sammenbringen soll. Die von ihr gegebene Antwort spricht die Wahrheit einer Zeit aus, aber „[m]an darf dann auch, zumal von älteren Philosophen, nicht mehr verlangen, als sie zu leisten im Stande waren“ (GW ,: ). Die Wahrheit der Philosophie ist jeweils wesentlicher Ausdruck einer gewissen Epoche, weshalb es – so Hegel – „heut zu Tage keine Platoniker, Aristoteliker, Stoiker pp mehr geben [kann]“ (GW ,: ). Philosophie bezeichnet den mit Mitteln des Denkens und des Begriffs stattfindenden Prozess, in dem der Geist sich selbst als frei erkennt. Die Philosophie, das ist ihr Charakteristikum, fragt nach dem Absoluten und liefert verschiedene Antwortsequenzen. Das, was sie jeweils als das Absolute auffasst, ist je eine unvollkommene Weise, den Geist als das Absolute zu erkennen – es ist aber die Weise, zu der sie historisch vordringen konnte. Dabei ist sie keine von der Welt abgelöste Disziplin, sondern ihre Vorstellungen des Absoluten sind Selbstkonzeptionen des Geistes, d. h. rühren einerseits aus der historischen Realität her und formen sie zugleich. Ihre Geschichte ist somit eine Serie aus Selbstmissverständnissen des Geistes von sich selbst als des Prinzips der Welt. Der Geist ist es, der in der Philosophie nach sich selbst fragt und sich innerhalb des Prozesses ihrer Entwicklung immer wieder bei einem anderen Namen nennt. Mit der Einsicht des Geistes, selbst das Prinzip der Welt zu sein, d. h. die eigentliche schöpferische Kraft in der Welt darzustellen und von nichts Fremdem abzuhängen, ist die höchste Einsicht der Philosophie erreicht. Sie stellt gleichzeitig den performativen Höhepunkt der Selbstbefreiung des Geistes dar, denn seine Freiheit besteht in nichts anderem als in dem Wissen von seiner Freiheit. Erst in dem Augenblick, in dem der Geist sich als frei weiß, macht er sich selbst von nichts anderem mehr abhängig als von sich selbst – es ist die Versöhnung des Geistes mit sich selbst, der „sich in der Wahrheit selbst bewußt wird“. Darin beschließt er das „Gemälde des sich Bewußtwerdens des Wissens“, von welchem die „ganze Weltgeschichte [abhängt]“ (GW ,: ). Allerdings weist Andreas Arndt zu Recht darauf hin, dass Hegels Konzeption eines Fortschrittes im Bewusstsein der Freiheit nicht mit der Realisierung der Freiheit zu verwechseln ist: Geschichte ist nicht ein universeller Fortschritt auf allen Gebieten des gesellschaftlichen und politischen Lebens – eine Auffassung, die freilich auch die  Siehe auch: „Jede Philosophie eben darum, weil sie die Darstellung einer besonderen Entwicklungsstufe ist, gehört ihrer Zeit an und ist in ihrer Beschränktheit befangen. Das Individuum ist Sohn seines Volkes, seiner Welt. Der Einzelne mag sich aufspreizen, wie er will, er geht nicht über sie hinaus, denn er gehört dem einen allgemeinen Geiste an, der seine Substanz und Wesen ist; wie sollte er aus diesem herauskommen?“ (TWA : )  Genau das macht Thales für Hegel zum ersten Philosophen, als der er auch heute noch gilt: Thales war der erste, der nach dem Prinzip des gesamten Seienden fragte. Dass seine Antwort auf diese Frage ‚Wasser‘ war, ist dabei völlig uninteressant, lediglich die Entdeckung dieser Fragestruktur markiert den Beginn der Philosophie.

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geschichtsphilosophischen Fortschrittstheorien der Aufklärung so nie vertreten haben –, die Weltgeschichte ist auch nicht einmal Fortschritt in der Realisierung von Freiheit, sondern sie ist ‚nur‘ Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit. Dabei geht es ausschließlich um den Begriff der Freiheit, der sich da vollendet, wo der Geist sich in einem absoluten Bewusstsein seiner selbst als frei erfasst. (Arndt , ; vgl. umfassend auch Arndt ) Hegel charakterisiert die Philosophie als ein abgesondertes Heiligtum (vgl. GW : ), deren höchste Erkenntnis der Freiheit des Geistes eine ist, die nicht unmittelbar gesellschaftlich umgesetzt wird. Die Aufgabe der Philosophie kann nur in der Erkenntnis der Freiheit bestehen, nicht in ihrer Instituierung. Als „Besitzthum der Wahrheit“ ist sie „[u]nbekümmert, wie es der Welt gehen mag“, deren Gestaltung „nicht unsre Sache ist“ (GW : ). Damit, so argumentiert Arndt, wird die Philosophie für Hegel zu einer wesentlich kritischen Disziplin. Ihren Höhepunkt erreicht sie, und damit das gesamte System Hegels, in der begrifflichen Konzeption dessen, was Freiheit ist. Die Interpretationsmöglichkeiten wären nun zweierlei. Erstens könnte Hegel meinen, dass die begriffliche Einsicht in die Freiheit des Geistes den Priestern des abgesonderten Heiligtums in stiller Betrachtung ausreichen soll und sie sich im Wissen um die prinzipielle Freiheit des Geistes zufrieden der Kontemplation hingeben können. Zweitens könnte man Hegel so verstehen, dass die Philosophie einen kritischen Maßstab entwickelt, an dem die Realität sich zu messen hat, und die Aufgabe der Philosophie wäre es – nachdem sie den historischen Prozess der Erkenntnis der Freiheit durchlaufen hat –, die Realität immer wieder von neuem mit diesem Maßstab zu konfrontieren. Arndt votiert für die zweite Lösung, der ich mich hier anschließen möchte: Wenn es nicht ihre Aufgabe als Philosophie sein kann, die Schranken der Freiheit in der Realität zu überwinden, so ist es doch ihre Aufgabe, die sich wandelnde Realität immer wieder auf den Begriff zu bringen und am Maßstab des vollendeten Begriffs der Freiheit zu messen. Mit anderen Worten: ihr kritisches Geschäft hört nie auf. (Arndt , ) Bei all dem, was die immense Rhetorik der hegelschen Philosophie suggeriert, ist dies ein zweifelsfrei antiklimaktisches Resultat. Für Arndt „vollendet sich [der absolute Geist] im objektiven Geist nach Maßgabe des objektiv Möglichen als Realisierung der Freiheit durch theoretische und praktische Kritik“ (Arndt , ). Der ungeheure Optimismus, der trotz dieser Einschätzung über die mögliche gesellschaftliche Funktion der Philosophie innerhalb des hegelschen Werkes in Bezug auf die Realisierung der Freiheit anzutreffen ist, erklärt sich hingegen aus der  Siehe auch: „Wie sich die zeitliche, empirische Gegenwart aus ihrem Zwiespalt herausfinde, wie sie sich gestalte, ist ihr zu überlassen und ist nicht die unmittelbar praktische Sache und Angelegenheit der Philosophie.“ (TWA : )

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Einschätzung Hegels, dass die Theorie mehr zu leisten vermag als die Praxis. So schrieb er am . .  an Niethammer: „Die theoretische Arbeit, überzeuge ich mich täglich mehr, bringt mehr zustande in der Welt als die praktische; ist erst das Reich der Vorstellungen revolutioniert, so hält die Wirklichkeit nicht aus.“ (B : ) Auch in eben diesem Sinne ist Hegel Idealist. Er vertraut darauf, dass die Realität den Einsichten und der Erkenntnis des Geistes nicht standhalten und die gesellschaftliche Realität der Erkenntnis der Freiheit des Geistes ebenso wenig widerstehen kann wie die Natur der Umformung durch Arbeit. Dennoch schließt die Philosophie des absoluten Geistes paradox. Während in der Religion die Freiheit des Menschen zwar in der Form erkannt wird, in der sie am ehesten die Menschen ergreift und von ihnen daher am ehesten innerhalb ihrer Lebenswirklichkeiten realisiert wird, kann sie schlussendlich keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben. Umgekehrtes gilt für die Philosophie. Ihr Medium ist das, was den Anspruch auf die allgemeingültige Erkenntnis der Freiheit erheben kann, ohne jedoch die gesellschaftliche Wirkungsmacht zu besitzen, die der Religion zukommt. Hegel kann dieses Paradoxon weder auflösen noch schlichten, er setzt sein Vertrauen lediglich in die Macht der Theorie. Die Aufgabe der tatsächlichen Realisierung der Freiheit, obgleich sie nach Hegel bereits in ihren vollen Zügen erkannt ist, bleibt nach wie vor eine zukünftige. Der absolute Geist stellt die Formen dar, in welchen der Geist sich sukzessive über seine Freiheit bewusst wird, indem er sich stetig neue Konzeptionen seiner selbst voraussetzt, der Realität einbildet, sich selbst immer neu mit ihnen konfrontiert und auf Basis der zu Tage tretenden Widersprüche neue Konzeptionen seiner selbst entwirft und somit neue Formen der Realität bildet. Ob dieser Optimismus zu Hegels Zeiten gerechtfertigt war, sei dahingestellt. Die Geschichte nach Hegel hat jedoch gezeigt, dass es keine gerade Linie von der prinzipiellen Erkenntnis der Freiheit zu ihrer sozialen Realisierung gibt. Es ist ausschlaggebend, diese Spannung auf dem Höhepunkt der hegelschen Philosophie festzuhalten. Dieses Vorgehen bringt den Vorteil mit sich, die Unabgeschlossenheit des Prozesses des Geistes betonen zu können. Die Philosophie tritt nicht als ein abschließendes erlösendes Element hinzu, in dem das Verhältnis der begrifflichen Selbsterkenntnis und des praktischen Selbstwissens innerhalb der Sittlichkeit ein für alle Mal geklärt ist. Vielmehr reproduziert sich dieses Problemfeld innerhalb der Philosophie in neuer Form: Die Reflexion der Philosophie auf die Grundelemente des Selbstverständnisses einer Zeit formt die Praxisformen natürlich nicht unmittelbar und mit determinierender Bestimmtheit um. Dennoch bedarf die Praxis der stetigen Intervention durch die Philosophie. Mit Arndt könnte man in leicht modifizierter Form sagen, dass objektiver und absoluter Geist sich wechselseitig vollenden, diese Vollendung allerdings kein Zustand, sondern ein gelungenes Verhältnis der gegenseitigen Bezugnahme von Praxis und Philosophie wäre. Dies unter Berücksichtigung

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des Begriffes der zweiten Natur zu skizzieren, ist nun Aufgabe des abschließenden dritten Abschnittes. III. Absoluter Geist und zweite Natur Freiheit lässt sich nur im Verbund des objektiven und absoluten Geistes realisieren. Es handelt sich nicht um zwei verschiedene Stufen der Realisierung von Freiheit oder gar um zwei Typen der Freiheit, sondern um die Entwicklung der Freiheit innerhalb desselben Prozesses, dem des einen Lebens des Geistes (GW ,: ). Die spezifisch funktionale Aufgabe des absoluten Geistes innerhalb des historisch-kulturellen Entwicklungsganges ist es, sich wesentlich kritisch mit den objektivierten Formen der Freiheit innerhalb des gesellschaftlichen Zusammenlebens auseinanderzusetzen, indem er nach den zugrundeliegenden Vorstellungen von Freiheit zu fragen hat und sich somit die Menschen in ihm ein Bild – oder besser – einen Begriff von denjenigen Freiheitsvorstellungen machen können, die innerhalb ihres Zusammenlebens wirksam sind. Hier klingt das eingangs diskutierte Thema der zweiten Natur wieder an: Das menschliche Zusammenleben ist nicht die Entwicklung eines invarianten Begriffes der Freiheit, sondern gebunden an die jeweils bestehenden Vorstellungen von Freiheit (vgl. GW ,: § ). Damit geht einher, dass die menschlichen Freiheitskonzeptionen immer selbst Gegenstand der Diskussion sein müssen, soll Freiheit Bestand haben. Gäbe es kein gesellschaftlich institutionalisiertes Feld der Auseinandersetzung mit den Konzeptionen von Freiheit, die schlussendlich auch innerhalb der politischen Organisation real wirksam sind, bestünde die Gefahr, dass das gesellschaftliche Zusammenleben sich in einem negativen Sinn zur zweiten Natur zusammenschließt, wobei diesem Problem durch seine Thematisierung innerhalb von Selbstverständigungspraktiken natürlich nur immer wieder neu begegnet wird und es nicht ein für alle Mal aufgelöst werden kann. In der Vorlesungsnachschrift Hothos des Wintersemesters

 Für eine Trennung der beiden Sphären plädiert beispielsweise Marc Rölli (, ), der der Philosophie des objektiven Geistes ein höheres Maß an Konkretion zumisst und sie daher als relevanter als die Philosophie des absoluten Geistes einschätzt.  Um eine solche Position würde es sich beispielsweise bei Fichtes Geschichtsphilosophie handeln, deren erklärter Anspruch die Deduktion eines Weltplanes a priori ist und durch den es nach Fichte möglich ist, kommende Zeitalter vorherzusagen. „Dieses Verstehen der gesamten Zeit setzt, so wie alles philosophische Verstehen, wiederum einen Einheitsbegriff dieser Zeit voraus, einen Begriff einer vorher bestimmten, obschon allmählig sich entwickelnden Erfüllung dieser Zeit, in welcher jedes folgende Glied bedingt sey durch sein vorhergehendes; oder, um dies kürzer und auf gewöhnliche Weise auszudrücken; es setzt voraus einen Weltplan, der in seiner Einheit sich klärlich begreifen, und aus welchem die Hauptepochen des menschlichen Erdenlebens sich vollständig ableiten, und in ihrem Ursprunge so wie in ihrem Zusammenhange untereinander sich deutlich einsehen lassen.“ (GA I,: )

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/ zur Rechtsphilosophie findet sich folgende Ausführung über die Differenz von Gesetzen der Natur und Gesetzen des Geistes: [E]s giebt eine Welt der Gesetze, die wir Natur überhaupt nennen. Sehen wir auf den Unterschied von Gesetzen des Rechts und der Natur, so tritt uns sogleich die Sphäre des Rechts näher entgegen. Die Gesetze der Natur sind schlechthin und gelten so, sie leiden an keiner Verkümmerung, obgleich in einzelnen Fällen dagegen vergangen wird. Hier, um zu wissen was Gesetz sei, müssen wir uns auf gewöhnlichem Weg an die Natur halten. Diese Gesetze sind richtig, nur unsere Vorstellung kann davon falsch sein. Der Maaßstab dieser Gesetze ist außer uns, und unsere Erkenntniß thut nichts zu ihnen zu, befördert sie nicht, nur unsere Erkenntniß über sie kann sich erweitern. […] Aber bei den Rechtsgesetzen erhebt sich der Geist. Die Verschiedenheit der Gesetze macht aufmerksam darauf, daß sie nicht so absolut sind als die Gesetze der Natur. (GW ,: f.) Die Rechtsgesetze, also die Selbstgesetzgebung des Geistes, werden hier wesentlich durch zwei Eigenschaften charakterisiert. Erstens sind sie nicht in dem Sinn absolut, wie es Naturgesetze sind. Die historische wie kulturelle Verschiedenheit diverser Rechtspraktiken belegt das. Sie sind damit aber auch nicht absolut in dem Sinne, dass sie unveränderlich wären. Gerade ihre Veränderbarkeit zeichnet sie gegenüber Naturgesetzen aus, wobei der Grund der Möglichkeit ihrer Transformation natürlich darin besteht, dass sie durch den Geist selbst hervorgebracht sind. Das Wissen um die Selbsthervorgebrachtheit der Gesetze des menschlichen Zusammenlebens ist jedoch keine Selbstverständlichkeit, sondern ist der steten Gefahr ausgesetzt, dass sich die geteilten Praktiken zur Naturhaftigkeit erhärten und als völlig notwendig und unwandelbar erfahren werden. Zweitens unterscheiden sich Naturgesetze von Rechtsgesetzen darin, dass unsere Erkenntnis nicht in sie eingreift. Wir können sie richtig oder falsch beschreiben, ob wir aber dazu in der Lage sind, ändert an der Art und Weise des Bestehens des Naturgesetzes nichts. Anders verhält es sich bei Rechtsgesetzen. Unser Wissen über ihr Entstehen ist immer verbunden mit der Frage nach ihrer Legitimation, also der Quelle ihrer Normativität. Ob wir innerhalb von Rechtspraktiken wissen, dass sie prinzipiell durch den Geist hervorgebracht und somit veränderbar sind, oder ob wir sie als von Gott oder der Natur gegeben erfahren, ändert die Art und Weise ihres Bestehens qualitativ. Das Begreifen der prinzipiellen Freiheit des Geistes fasst Hegel als eine Selbsterfassung des Absoluten, und wo eine solche nicht geleistet ist, „fehlt Menschenwürde“ (GW ,: ). Die Würde des Menschen besteht nur in gesellschaftlichen Zuständen, in denen „die formelle Unendlichkeit des Selbstbewußtseyns“ erkannt wurde, d. h. alle Menschen als frei gewusst werden (GW ,: ; vgl. GW : ). Gesellschaftsformationen, die auf Freiheitsvorstellungen basieren, in denen „der

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Mensch“ noch „Sklave seyn“ kann, können dieses absolute Recht nicht realisieren (GW ,: ). Die Würde des Menschen kann prinzipiell nur dort realisiert werden, wo Menschen sich gegenseitig als frei handelnde Akteure wissen und anerkennen. Wie oben schon gesehen, gelingt es auch der christlichen Religion schlussendlich nicht, zu einem Wissen dieser Freiheit vorzudringen, weil dieser Inhalt „in der Kirche nur auf diese kindliche Weise der Vorstellung existirt“ (GW ,: ). Nur in der Philosophie wird der Mensch als in seinen Verhältnissen frei gewusst, was Hegel der Nachschrift Griesheims von  zufolge dazu bewegt, eine „Gemeinde der Philosophie“ zu fordern, die jedoch selbst „ihrer Natur nach nicht allgemein“ ist, weil es sich erneut „nur um die Erkenntniß einer Gemeinde“ handelt (GW ,: ). Spannend ist an dieser Stelle, dass Hegel mit der Konzeption einer Gemeinde der Philosophie den Entwicklungsgang nicht konfliktfrei schließen lässt. Da ihre Erkenntnis nicht innerhalb aller Sphären der Gesellschaft wirksam sein kann, wird sie Teil, wenn auch an systematisch exponierter Stelle, des vielstimmigen Dialoges über das richtige Leben, den Hegel Geist nennt. Objektiver und absoluter Geist haben sich so gegenseitig zum Inhalt. Die Realisationsformen sozialer Freiheit sind Gegenstand begrifflicher Kritik, diese Kritik ist umgekehrt – im Falle der gelungenen Vermittlung der beiden Sphären – bewegendes Moment der Entwicklung sozialer Freiheit. Meiner Auffassung nach ist diese Vermittlung für Hegel kontingent: Es lässt sich weder behaupten, der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit führt notwendig zu einem Fortschritt der Freiheit, noch dass ersterer lediglich eine repräsentationale Begleiterscheinung des letzteren wäre. Hegels Sympathien liegen zweifelsfrei auf der Seite der Theorie, des fortschreitenden Freiheitsbewusstseins, er behauptet jedoch nirgends eine determinierende Rolle derselben. Aber diese Kontingenz ist wiederum Ausdruck der zugrundeliegenden Annahme, dass es der Geist ist, der seine Welt frei gestalten kann, wobei er permanent in Gefahr steht, diese Gestaltungsmacht im Erstarren der eigenen Formen zur zweiten Natur zu verdecken – schlussendlich ist wohl auch diese Möglichkeit Ausdruck seiner Freiheit. Die Auseinandersetzung des Geistes mit seinen eigenen Vorstellungen und Realisationsformen der Freiheit gerät hier zu keinem Ende. Vielmehr beschreibt der absolute Geist den kontinuierlichen Aushandlungsprozess zwischen diesen beiden Polen. Damit verhält er sich dort kritisch zur zweiten Natur, wo sie die Tendenz  Menke begreift Sklaverei mit Hegel daher als „realisierte[n] Naturalismus“. „Sie ist das soziale Verhältnis, das zwischen Menschen bloß als Naturwesen bestehen kann (oder das bloß bestehen kann, wenn die Menschen bloß Naturwesen sind: wenn sie sich und die anderen nur in Kategorien des Natürlichen begreifen).“ (Menke , ) Die Frage, in welchen Kategorien die Menschen sich gegenseitig begreifen, ist der relevante Punkt zur Beantwortung der Frage, was sie als geistige Wesen sind, ist der Geist nur als das „wirklich, als was er sich weiß“ (GW ,: § ). Sklaverei ist das absolute Unrecht, weil sie zu ihrer Rechtfertigung der Naturalisierung des Geistes bedarf. Daher – so Menke – spielt sie im Verlauf der Rechtsphilosophie auch keine weitere Rolle. Sie ist das Andere des Rechtes.

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besitzt, die menschliche Freiheit, aus der sie hervorgegangen ist, zu verschleiern. Philosophie wird so zur kontinuierlichen Intervention gegen Fehlkonzeptionen menschlicher Freiheit und damit ein therapeutisches Unterfangen. Siglen B

Briefe von und an Hegel. Herausgegeben von Johannes Hoffmeister und Rolf Flechsig bzw. Friedhelm Nicolin. Hamburg,  – .

GA

Johann Gottlieb Fichte. Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Herausgegeben von Reinhard Lauth und Hans Jacob. Stuttgart Bad-Cannstatt,  ff.

GW

Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Gesammelte Werke. In Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft herausgegeben von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. Hamburg,  ff.

MEW Karl Marx und Friedrich Engels. Werke. Herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Berlin,  ff. TWA Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Werke in zwanzig Bänden. Auf Grundlage der Werke von  –  neu edierte Ausgabe. Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Frankfurt a. M.,  ff. V

Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Vorlesungen. Ausgewählte Manuskripte und Nachschriften. Hamburg,  ff.

Literatur Adorno, Theodor W. . Zur Lehre von der Geschichte und von der Freiheit. Frankfurt a. M. Arndt, Andreas; u. Walter Jaeschke. . Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant. Systeme der reinen Vernunft und ihre Kritik  – . München. Arndt, Andreas. . Geschichte und Freiheitsbewusstsein. Berlin. – . „Die Vollendung des absoluten Geistes im objektiven Geist. Weltgeschichte, Religion und Staat“. In: Objektiver und absoluter Geist nach Hegel. Kunst, Religion und Philosophie innerhalb und außerhalb von Gesellschaft und Geschichte, hg. v. T. Oehl u. A. Kok,  – . Leiden/Boston.

 So betrachtet rückt die hegelsche Konzeption von Freiheit sogar in einige Nähe zu Adorno, der Freiheit als „die bestimmte Negation der jeweils konkreten Gestalt von Unfreiheit“ fasst (Adorno , ). Auch Thomas Oehl betont die Relevanz des permanenten Abbaus menschlicher „Selbsttäuschungen“ für das hegelsche Verständnis von Freiheit (Oehl , ). Wichtig zu bemerken ist noch, dass die Rede von Fehlkonzeptionen keine richtige Konzeption implizieren muss. Die Transparenz der geistigen Verhältnisse beinhaltet lediglich die Forderung, die vom Geist hervorgebrachte Welt nicht als naturhaft und unveränderbar zu begreifen und dort Kritik zu üben, wo sie auf diese Art erscheint. Mit Cornelius Castoriadis gesprochen, geht es „um das Denken der sich selbst schöpfenden Gesellschaft“ (Castoriadis , ).

Freiheit und das Wissen der Freiheit

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Bertram, Georg W. . „Absoluter Geist als sich vollbringender Skeptizismus“. In: Objektiver und absoluter Geist nach Hegel. Kunst, Religion und Philosophie innerhalb und außerhalb von Gesellschaft und Geschichte, hg. v. T. Oehl u. A. Kok,  – . Leiden/ Boston. Castoriadis, Cornelius. . Gesellschaft als imaginäre Institution. Entwurf einer politischen Philosophie. Frankfurt a. M. Danz, Christian. . „Vorstellung und Begriff. Anmerkungen zu einer Zweideutigkeit von Hegels Religionsphilosophie“. Hegel-Jahrbuch :  – . Dworschak, Thomas. . „Das Recht des Individuums und die Substanz der Sittlichkeit“. Hegel-Studien /:  – . Fulda, Hans Friedrich. . „Hegels Begriff des absoluten Geistes“. Hegel-Studien :  – . Habermas, Jürgen. . „Wege der Detranszendentalisierung. Von Kant zu Hegel und zurück“. In: Wahrheit und Rechtfertigung. Philosophische Aufsätze,  – . Frankfurt a. M. – . Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze. Frankfurt a. M. Honneth, Axel. . Leiden an Unbestimmtheit. Eine Reaktualisierung der Hegelschen Rechtsphilosophie. Stuttgart. Jaeschke, Walter. . „Die gedoppelte Schönheit. Idee des Schönen oder Selbstbewusstsein des Geistes?“. In: Gebrochene Schönheit – Hegels Ästhetik. Kontexte und Rezeptionen, hg. v. A. Arndt, G. Kruck u. J. Zovko,  – . Berlin/Boston. – . Hegel-Handbuch. Leben – Werk – Schule. . Aufl. Stuttgart. Jaeggi, Rahel. . Kritik von Lebensformen. Berlin. Khurana, Thomas. . „Die Kunst der zweiten Natur. Zu einem modernen Kulturbegriff nach Kant, Schiller und Hegel“. WestEnd – Neue Zeitschrift für Sozialforschung :  – . – . Das Leben der Freiheit. Form und Wirklichkeit der Autonomie. Berlin. Kreis, Guido. . „Das Ende der Kunst im absoluten Geist“. In: Vom Ende her gedacht. Hegels Ästhetik zwischen Religion und Kunst, hg. v. T. Braune-Krickau, Th. Erne u. K. Scholl,  – . Freiburg/München. Martin, Christian. . Ontologie der Selbstbestimmung. Eine operationale Rekonstruktion von Hegels „Wissenschaft der Logik“. Tübingen. Menke, Christoph. . Autonomie und Befreiung. Studien zu Hegel. Berlin. Mooren, Nadine. . Hegel und die Religion. Eine Untersuchung zum Verhältnis von Religion, Philosophie und Theologie in Hegels System. Hamburg. Neuhouser, Frederick. . Foundations of Hegel’s Social Theory. Actualizing Freedom. Cambridge/London. Oehl, Thomas. . „Kant und Hegel über die Fragilität menschlicher Freiheit“. HegelJahrbuch :  – . Oehl, Thomas; u. Artur Kok, Hg. . Objektiver und absoluter Geist nach Hegel. Kunst, Religion und Philosophie innerhalb und außerhalb von Gesellschaft und Geschichte. Leiden/ Boston. Pippin, Robert. . Hegel’s Practical Philosophy. Rational Agency as Ethical Life. Cambridge/ New York. – . After the Beautiful. Hegel and the Philosophy of Pictorial Modernism. Chicago/London. Quante, Michael. . Die Wirklichkeit des Geistes. Studien zu Hegel. Berlin.

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MARKUS GANTE

Ranchio, Filippo. . Dimensionen der zweiten Natur. Hegels praktische Philosophie. Hamburg. Rath, Norbert. . Zweite Natur. Konzepte einer Vermittlung von Natur und Kultur in Anthropologie und Ästhetik um . Münster. Rebentisch, Juliane. . Die Kunst der Freiheit. Zur Dialektik demokratischer Existenz. Berlin. Rölli, Marc. . „Objektiver versus absoluter Geist. Bemerkungen zu einem wenig geschätzten Pragmatismus in Hegels politischer Philosophie des Geistes“. Hegel-Jahrbuch :  – . Sandkaulen, Birgit. . „Einleitung: Über das Projekt einer Philosophie der Kunst“. In: G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, Klassiker Auslegen Bd. , hg. v. B. Sandkaulen,  – . Berlin/Boston. Ruda, Frank. . Hegels Pöbel. Eine Untersuchung der ‚Grundlinien der Philosophie des Rechts‘. Paderborn. Theunissen, Michael. . Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat. Berlin.

TEXTE UND DOKUMENTE

Martin Walter WAS GESCHAH MIT DEN RESTBESTÄNDEN DER . AUFLAGE VON HEGELS ENZYKLOPÄDIE ()? ABSTRACT:

Recently a copy of Hegel’s Encyclopedia in its third edition () was discovered. It holds a different title page: the publisher’s name differs. The original “Commission of Oßwald’s Publishing House” was pasted over with the labeling “By the Association-publishing House”. This manipulation can be explained because there has been a fusion between the two publishing companies of Oßwald’s and Winter’s in Heidelberg. Only Kaufmann () reports another copy with this labeling. – Approximately  copies were printed originally. Since Hegel died shortly after the publication, the fate of the book is of interest for the development of Hegelianism in the aftermath of Hegel’s death. A letter from Hegel’s widow shows that some copies were obviously still on the market in . Rosenkranz prepared a fourth, unchanged edition in , alongside with the three volumes of the commented edition. The last one was part of the Complete Works of Hegel by a Society of the Friends of the Immortalized. Rosenkranz even arranged three more editions during the th century as part of the Philosophical Library series. One possible reason for the lasting and continuing interest in Hegel’s Encyclopedia is that his followers used it very frequently for their own academic lectures at the University of Berlin in the years after Hegel’s passing. The additional materials presented could help to complement the history of the book’s reception.

Friedhelm Nicolin () dokumentiert in seinem Artikel „Zwei Briefe Hegels an den Verleger C. F. Winter“, dass sich Christian Friedrich Winter und der bisherige Heidelberger Verleger Hegels, August Oßwald, aus wirtschaftlichen Gründen zusammengeschlossen hatten. Die Verlagsgeschichte spiegelt sich wider in den entsprechenden Angaben zu den jeweiligen Auflagen von Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse: : Heidelberg, in August Oßwald’s Universitätsbuchhandlung. : Heidelberg, Druk und Verlag von August Oßwald. a: Heidelberg. Verwaltung des Oßwald’schen Verlags. (C. F. Winter). b: Heidelberg. Im Vereins-Verlage. [Überklebt die Angabe von a] Hegels Enzyklopädie in ihrer Letztfassung ist durchgehend erhältlich: Hegel-Studien  · © Felix Meiner Verlag · ISSN -

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MARTIN WALTER

: Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Zum Gebrauch seiner Vorlesungen. . unver. Aufl. hg. v. Karl Rosenkranz. Berlin. Duncker und Humblot. [Enthält eine Vorrede v. Rosenkranz] Diese Ausgabe ist insofern herauszustellen, als sie noch zu Lebzeiten von Hegels Witwe, die  verstarb, herausgegeben wurde und zugleich im Verlag der Freundesvereinsausgabe erschien. Weitere Ausgaben von Rosenkranz sind ,  uns  erschienen. Sie verzeichnet Steinhauer (,  f.). Eine Änderung des Verlagsnamens in „Vereins-Verlag“ nennt Steinhauer jedoch nicht für die Ausgabe von . Die Kennzeichnung „im Vereins-Verlage“ ist auf einigen Exemplaren der Enzyklopädie von  zu finden (s. Abb.). Die ursprüngliche, im Druck erschienene Verlagsangabe wurde mit dieser neuen Verlagsangabe überklebt. In der neueren Hegel-Literatur weiß, soweit mir bekannt, lediglich Walter A. Kaufmann () noch von einem Exemplar der Ausgabe  mit dieser Besonderheit. Andernorts ist der Vorgang der Verlagsumbenennung gleichfalls dokumentiert, beispielsweise im Allgemeinen Deutschen Bücher-Lexikon oder vollständigen alphabethischen Verzeichnis derjenigen Schriften, welche in Deutschland und den angrenzenden, mit deutscher Sprache und Literatur verwandten Ländern gedruckt worden sind, bearbeitet und herausgegeben von Otto August Schulz: Erster Band, die von  bis Ende  erschienen Schriften enthaltend. Erste Abtheilung A – L. (Leipzig ). Ebd. auf Seite  steht verzeichnet: [Hegel] Encyklopädie d. philosoph. Wissenschaften im Grundrisse. Zum Gebr. seiner Vorlsn. . Ausg. gr. . ( B[ogen].) Heidelberg [], (Vereins-Verlag.). Dies bedeutet, dass sich zwischen  und  der Verlag „Verwaltung des Oßwald’schen Verlags. (C. F. Winter)“ in „Vereins-Verlag“ umbenannt hatte (wenigstens in Bezug auf einige Druckerzeugnisse). Dieser Vorgang lässt sich noch anhand weiterer bibliographischer Angaben verifizieren, etwa in der Allgemeinen Bibliographie für Deutschland, Leipzig, Jahrgang , Seite , Nummer : Schüelein (Karl, Prof.), Muster- und Uebungsblätter zur Bildung des Ausdrucks und Geschmacks. […] Heidelberg, Vereins-Verlag. (Commission von C. F. Winter.) Erstaunlicherweise waren andere Bücher, auch solche, die im Geiste Hegels verfasst wurden und bei Oßwald erschienen sind, nicht betroffen von irgendeiner Namensänderung. Als ein Beispiel sei folgendes Werk angeführt:  Nicolin und Pöggeler (, XLVII) werten die Ausgaben von Rosenkranz, insbesondere jene für die Philosophische Bibliothek (Bd. , Berlin , bei Heimann), als „bloße Setzerarbeit“, welche weder die ursprünglichen Druckfehler beseitigt noch neu hinzutretende Fehler vermieden habe.

Was geschah mit den Restbeständen der . Auflage von Hegels Enzyklopädie ()?

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Joseph Hillebrand, Philosophie des Geistes oder Encyklopädie der gesamten Geisteslehre. . und . Abtheilung. In  Bänden. Heidelberg: Oßwald‘s Universitäts Buchhandlung. /. [XII,  + IV, ]. Da der editorische Bericht von GW  diesen Umstand nicht vermerkt, sei mit dieser Mitteilung die Publikationsgeschichte der dritten Auflage von Hegels Enzyklopädie entsprechend ergänzt. Diese Angaben seien noch in einen breiteren historischen Kontext gestellt: Nicht verwechselt werden darf die Aufschrift mit dem sogenannten „Verein von Freunden des Verewigten“, der sich zur Herausgabe von Hegels Werken zusammenfand. Dieser Verein trat sogleich nach Hegels Bestattung, noch im November , zusammen (vgl. Beyer ,  – ). Hegel selbst hatte kurz vor seinem unerwarteten Tod den Plan zu einer Werk-Ausgabe gefasst und einen entsprechenden Vertrag mit dem Berliner Verlagshaus Duncker und Humblot aufgesetzt (Briefe IV,: ). Der Freundesverein hat jedoch nichts mit der Angabe „Vereins-Verlag“, was durchaus nahe zu liegen scheint, zu tun.

Abb.: Titelblatt der Encyclopädie, Heidelberg, : „Im Vereins-Verlage“

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MARTIN WALTER

Dass in Heidelberg die Angelegenheiten um Verbleib, Verkauf und Lieferung der Enzyklopädie undurchsichtig waren, bezeugt ein Brief von Hegels Witwe, nicht an Winter, sondern an Oßwald. In diesem Brief an die Oßwald’sche Verlagsbuchhandlung in Heidelberg (vom . Mai ) erklärt sich Marie Hegel bereit, die Restbestände der . Auflage der Enzyklopädie vorzeitig zu übernehmen, obwohl dies laut eines Vertrages zwischen den Verlagshäusern Duncker und Oßwald erst bei Erscheinen der Enzyklopädie im Rahmen der Werk-Ausgabe zu erfolgen hätte: In meinem letzten Schreiben vom ten April habe ich mich bereit erklärt, Euer Wohlgeboren, kurz vor dem Erscheinen des  t. Bandes der Encyklopädie, die Hälfte der Summe von  Thl. C. mit welcher ich der Duncker u. Humblotschen Buchhandlung, das Verlagsrecht der Encyklopädie erkaufe, zu bezahlen. Da es jedoch noch ungewiß ist, wann die Encyklopädie, deren Druck wegen anderweitiger Geschäfte des Hr. Herausgebers, nur langsam vorschreitet, erscheinen wird, habe ich Herrn Duncker zur Zahlung der ersten Rate von  Thl., mit der ich zugleich die noch vorräthigen Exemplare der  t. Auflage der Encyklopädie,  pro Cent zu übernehmen bereit bin, noch nicht autorisiert. Ueberlasse es jedoch Herrn Duncker, insofern es ihm conveniert, die Zahlung u Uebernahme der Exepl. (zu dem wir erst mit dem Erscheinen des ten Bandes verpflichtet sind) noch früher bewerkstelligen zu wollen, dies Geschäft nach Ihrer beiderseitigen Bequemlichkeit in meinem Namen zu beendigen. Ich erkaufe damit, nicht aus freier Wahl, wie Sie zu erwähnen belieben, sondern Ihr u Herrn Dunckers buchstäbliches u contractmäßiges Recht, mit einem Opfer, welches Ihnen zwar einen ungeschmälerten Gewinn sichert, mir jedoch, indem es mich den  t Theil des Ertrags der Werke. den  t Theil meines Vermögens kostet, schwer genug fällt – ich will mich jedoch bei einem Werke, bei dem ich der uneigennützigsten Liebe so viel verdanke ueber den erlittenen Verlust nicht beklagen, sondern Ihnen u mir zu der Beendigung dieses Geschäfts Glück wünschen.

 Anders als die Ausgaben von  und  wurde die dritte von  in Berlin beim dort ansässigen Verleger Reimer gedruckt. Hegel wollte persönlich die entsprechenden Korrekturarbeiten und den Druck überwachen. Jedoch hatte Reimer seinerseits eine externe Druckerei mit dem Satz und der Drucklegung beauftragt – ein Vorgang, mit dem Hegel höchst unzufrieden war (GW :  – ). Die Verlagerung der Produktion nach Berlin wird nicht nur vor dem Hintergrund von Hegels Mitwirkung an der Herstellung zu verstehen sein. Vielmehr dürfte in Berlin der Hauptabsatzmarkt für die Enzyklopädie gelegen haben, die für Studenten als Textbuch zu den Vorlesungen gedacht war. Deshalb ist vorstellbar, dass eine größere Anzahl von Exemplaren auch in Berlin, beispielsweise bei Reimer, eingelagert war.  Brief Marie Hegels an an die Oßwald’sche Verlagsbuchhandlung in Heidelberg vom . Mai  (Literaturarchiv Marbach; Dokumente zur Geschichte des Nachlasses von G. W. F. Hegel, Typoskript erstellt v. Stephan Saur, S. ).

Was geschah mit den Restbeständen der . Auflage von Hegels Enzyklopädie ()?

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Diesem Schreiben ist weiterhin zu entnehmen, dass der ursprünglich mit der alleinigen Herausgabe betraute Leopold von Henning mit der baldigen Fertigstellung einer vierten Auflage der Enzyklopädie nicht nachkomme. Der erste Band im Rahmen der Freundesvereinsausgabe erschien denn auch erst im Jahre , der letzte von den drei Bänden, die „Philosophie des Geistes“, nun in die Herausgeberschaft von Ludwig Boumann übergewechselt, erst im Jahre . Offenbar erfreute sich gerade und vor allem aber die Enzyklopädie in ihrer letzten, originalen Form eines entsprechend großen Interesses der Leserschaft. Karl Rosenkranz veröffentlichte aus diesem Grunde im Jahre  eine vierte, unveränderte Auflage mit dem Text der dritten Auflage (Heidelberg, ). Diese erschien ebenfalls, wie die Sämmtlichen Werke, bei Duncker und Humblot in Berlin. Zur Zeit der Abfassung des Vorwortes, im Oktober , lag der letzte Band im Rahmen der Werke noch nicht vor, wie Rosenkranz schreibt: „Noch ist die letzte Gestalt der Hegel’schen Encyklopädie noch nicht vollendet. Das Erscheinen des Dritten, längst erwarteten Theils, ist noch immer aufgehalten“ (Rosenkranz im Vorwort zur vierten Auflage der Enzyklopädie, IV). Ein weiterer Grund, die Enzyklopädie in der Auflage letzter Hand erneut drucken zu lassen, lag darin, dass sie „das ganze System zusammenfassen soll“; die „Erläuterungen“ in der Bearbeitung der Werk-Ausgabe treten dieser Absicht hingegen, aufgrund der „monographischen Vertiefung“, die sie liefern, „in den Weg“ (Rosenkranz im Vowort, III), d. h. sie erschweren die Erfassung des Systems als Ganzes. Aufgrund der Tatsache, dass die Enzyklopädie in der Form einer vierten, unveränderten Auflage bei Duncker und Humblot fast gleichzeitig mit der dreibändigen Bearbeitung von L. v. Henning, K. L. Michelet und L. Boumann erschien, stellt sich die Frage, was mit den, wie im oben zitierten Brief erwähnt, übernommenen Restexemplaren von  geschah. Denn offenbar scheint der Restbestand im Zeitraum zwischen  und  vergriffen gewesen zu sein. Vermutlich konnte Marie Hegel in Zusammenarbeit mit Duncker den Restbestand schnell verkaufen, so dass sie in Verbindung mit Karl Rosenkranz, neben den drei Bänden im Rahmen der Werke, einer weiteren Absatz versprechenden . Auflage zustimmen musste. Die dargestellte Überlieferungsgeschichte der hegelschen Enzyklopädie bestätigt das Bild, dass sich vor allem dieses Werk des Philosophen einer breiten Leserschaft erfreute und zur Verbreitung der hegelschen Philosophie im . Jahrhundert beitrug. Die Bearbeitungen von Henning, Michelet und Boumann mit den vielen Zusätzen wurden schon damals kritisch gesehen und konnten das ursprüngliche Buch Hegels, als Grundriss des Ganzen, nicht ersetzen. Daher ist die Bedeutung der  Eines der zeitraubenden, „anderweitigen Geschäfte des Hr Herausgebers“ v. Henning bestand insbesondere in der Redaktion der Jahrbücher für Wissenschaftliche Kritik, die er von Eduard Gans übernommen hatte (Gans , ).

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Freundesvereins-Ausgabe in der Hegel-Rezeption wohl zu relativieren. Das . Jahrhundert erlebt neben den Originalausgaben zu Hegels Lebzeiten immerhin vier von Karl Rosenkranz besorgte Auflagen (, , , ). Dass, wie Rosenkranz beklagt, die Originalausgabe nicht mehr leicht zu bekommen war, mag an der verworrenen Vertriebsgeschichte der . Auflage liegen oder, was wahrscheinlicher ist, am großen Absatz. Die geplante Höhe der dritten Auflage ist überliefert. Eintausend Exemplare nebst , dann  Freiexemplaren für Hegel waren vertraglich angestrebt (GW : ). Wenn Marie Hegel bereit war, erstens wenigstens die Hälfe der „noch vorräthigen“ Exemplare der dritten Auflage zu übernehmen, zweitens diese Auflage von einer geschäftlichen Verlagsnamensänderung betroffen war und drittens Rosenkranz  bereits eine vierte, angeblich unveränderte Auflage bei Duncker und Humblot, aber unabhängig von und zusätzlich zu den Sämmtlichen Werken besorgen konnte, so sind diese drei Punkte Indizien für eine ungebrochene und anhaltende Nachfrage. Sie endet auch nicht kurz nach oder gar wegen Hegels Tod. Neben der von Rosenkranz hervorgehobenen Begründung für eine derartig beständige Nachfrage, dass die Enzyklopädie eben die übersichtliche und letztgültige Darstellung von Hegels Gesamtsystem sei, muss noch ein weiteres Faktum berücksichtigt werden: Die Enzyklopädie war von Hegel vorrangig als vorlesungsbegleitendes Text- und Lehrbuch konzipiert worden. Hegel legte es aber nicht nur seinen eigenen Vorlesungen zugrunde, sondern auch andere akademische Lehrer griffen darauf zurück. Ab  hatte Hegel bereits mehrere habilitierte und etablierte Schüler, die als außerordentliche Professoren oder Privatdozenten an der Universität Berlin lehrten und ihren Vorlesungen gleichfalls die Enzyklopädie zugrunde legten. Folgende Namen sind anzuführen: Leopold v. Henning, Karl Ludwig Michelet und Heinrich Gustav Hotho. Johann Eduard Erdmann, der selbst in Berlin Hegel und dessen Schüler gehört hatte, führt alle drei in seinem Grundriss an. Insbesondere hebt er die Rolle v. Hennings hervor, da dieser als „Docent […] zur Ausbreitung der Hegel’schen Lehre viel beitrug“ (Erdmann , ). Aus den Verzeichnissen der Vorlesungen an der Universität Berlin bis zum Wintersemester  (hg. v. Virmond ) lassen sich die folgenden Lehrveranstaltungen von Hegel-Schülern ab /, denen die Enzyklopädie in der dritten Auflage nachweislich oder wahrscheinlich zugrunde gelegt wurden, auflisten: Wintersemester / durch Michelet und v. Henning (Virmond , ). Sommersemester  durch v. Henning und Hotho sowie von Hegel angekündigt (Virmond , ). Wintersemester / durch v. Henning und Michelet (Virmond , ). Sommersemester  durch v. Henning und Hotho (Virmond , ).  Vgl. Lenz (, zu v. Henning  – , zu Michelet und Hotho ).

Was geschah mit den Restbeständen der . Auflage von Hegels Enzyklopädie ()?

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Wintersemester / durch v. Henning und Michelet (Virmond , ). Sommersemester  durch v. Henning (Virmond , ). Wintersemester / durch v. Henning und Hotho und vielleicht durch Michelet. Er las „Anthropologie und Psychologie“ (Virmond , ). Die letztgenannte Vorlesung könnte anhand eines eigenen, an Hegel angelehnten Entwurfs vorgetragen worden sein. Michelet verfasste ein eigenes Lehrbuch zum Thema, welches aber erst  erschien. Das zusammengetragene Material zur Rezeptionsgeschichte zeigt, dass die Relevanz der dritten Auflage nicht mit Hegels Tod verschwindet. Obwohl sich der Tod des Verfassers und das Erscheinen ungünstig überschneiden, ist es dieser Nukleus des Systems, der zur Verbreitung von Hegels Denken deutlich beiträgt. Die  Exemplare, von denen die Rede war, scheinen beizeiten verkauft worden zu sein. Für Hegels dozierende Schüler bildete diese Ausgabe die Grundlage für ihre eigene akademische Lehrtätigkeit und für ihr Weiterarbeiten am System im Geiste Hegels. Dieser Umstand wird für Marie Hegel und die beiden Söhne zudem wirtschaftliche Bedeutung gehabt haben, denn der offenbar kontinuierliche Absatz des Buches bedeutete eine zusätzliche Einnahmequelle für die Familie. Für Marx’ Verhältnis zu Hegel wird stets die Bedeutung der Sämmtlichen Werke unterstrichen. Für Nietzsches persönliche Bibliothek ist beispielsweise ausschließlich Hegels Enzyklopädie in der Rosenkranz’schen Ausgabe () belegt. Hingegen wäre festzuhalten, dass Marx zwar die Rechtsphilosophie dreimal, das Original von  und die beiden Ausgaben, ediert von Gans  und  (MEGA IV,:  f.), sowie die Phänomenologie (MEGA IV,: ) in seinem Buchbestand hatte, jedoch keine Enzyklopädie und kein Exemplar der Logik verzeichnet wird. Stattdessen besaß er Karl Werders Logik. Als Commentar und Ergänzung zu Hegel Wissenschaft der Logik (. Abth.), Berlin  (MEGA IV,: ). Dennoch ist zu vermuten, dass Hegel zunächst und vor allem, besonders vor der Fertigstellung der Gesamtausgabe, durch die Enzyklopädie fortwirkte.

 Vgl. Campioni et al. (, ).

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MARTIN WALTER

Literaturverzeichnis Beyer, Wilhelm R. . Denken und Bedenken. Hegel-Aufsätze. Berlin. Campioni, Giuliano et. al., Hg. . Nietzsches persönliche Bibliothek. Berlin/New York. Erdmann, Johann Eduard. . Grundriss der Geschichte der Philosophie. Zweiter u. letzter Band: Die Philosophie der Neuzeit. . Aufl. Berlin. Gans, Eduard. . Rückblicke auf Personen und Zustände. Berlin. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (). Hg. v. Friedhelm Nicolin und Otto Pöggeler. Hamburg . Kaufmann, Walter A. . Hegel. A Reinterpretation. Notre Dame. Lenz, Max. . Geschichte der königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Zweiter Band, erste Hälfte: Ministerium Altenstein. Halle a. d. S. Michelet, Carl Ludwig. . Anthropologie und Psychologie oder die Philosophie des subjectiven Geistes. Berlin. Nicolin, Friedhelm. . „Zwei Briefe Hegels an den Verleger C. F. Winter“. HegelStudien :  – . Saur, Stefan. Dokumente zur Geschichte des Nachlasses von G. W. F. Hegel. (unveröffentlichtes Typoskript). Steinhauer, Kurt. . Hegel-Bihbliographie. München et al. Virmond, Wolfgang, Hg. . Die Vorlesungen der Berliner Universität  –  nach dem deutschen und lateinischen Lektionskatalog und den Ministerialakten. Berlin.

LITERATURBERICHTE UND KRITIK A) Untersuchungen zur klassischen deutschen Philosophie Amit Kravitz, Jörg Noller, Hgg. Der Begriff des Judentums in der klassischen deutschen Philosophie. Tübingen: Mohr Siebeck, .  S. Ein zentrales Charakteristikum, das die klassische deutsche Philosophie gegenüber anderen theoretischen Strömungen auszeichnet, ist ihr ernsthaftes Interesse für die Religion. Dabei ist insbesondere der Anspruch leitend, die Vernunft nicht nur in der Geschichte, sondern auch in den verschiedenen religiösen Lehren zu entdecken. Die Kluft zwischen der allgemeingültigen Rationalität der Vernunft und der angeblichen Irrationalität und Partikularität der jeweils geltenden Offenbarung soll überwunden werden. Da nun die Mehrzahl der Repräsentanten der klassischen deutschen Philosophie protestantisch-lutherischer Herkunft war, galten ihre Versöhnungsversuche vor allem dem Christentum in seiner protestantischen Variante. Nichtsdestotrotz wandten sich ihre Versuche aus verschiedenen Gründen – vor allem aber aus dem Bedürfnis nach Selbstrechtfertigung und oftmals vor dem Hintergrund eines weltgeschichtlichen Fortschrittsgedankens, der auch die Religion miteinbegreifen sollte – ebenso den beiden anderen ‚abrahamitischen Religionen‘ sowie den nicht-monotheistischen Religionen zu. Ein Großteil der Versuche war der jüdischen Religion und dem jüdischen Volk gewidmet, und dies nicht nur wegen der komplexen Konstellation der Teilung der größtenteils identischen Heiligen Schrift, sondern auch auf Grund der Tatsache, dass die jüdische Bevölkerung sowohl im gesellschaftlichen wie auch im intellektuellen Leben präsent war, besonders seit der Zeit von Moses Mendelssohn und seinem Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum (). Selbstverständlich ist auch die Literatur zum Thema ‚klassische deutsche Philosophie und Judentum‘ kaum zu überblicken. Es muss jedoch konstatiert werden, dass es bis zum Erscheinen des vorliegenden Bandes von Amit Kravitz und Jörg Noller keine übergreifende Aufsatzsammlung zum Thema gegeben hat. Nicht nur das Erscheinen des Bandes, auch die Initiative, eine gleichnamige Tagung mit einigen der weltweit führenden Forscher_innen zum Thema zu veranstalten, aus der der Band hervorging, ist erfreulich. Zunächst einmal ist schon der Titel des Bandes nicht zu ignorieren, denn er zeigt an, dass es eben nicht um ‚das Judentum‘, sondern um ‚den Begriff‘ des Judentums ‚in der klassischen deutschen Philosophie‘ geht. Hierin liegt ein zweifacher Hinweis: erstens auf den systematischen Anspruch der klassischen deutschen Philosophie, dem Judentum innerhalb eines systematischen Ganzen eine Stelle zuzuweisen und es nicht etwa bloß historisch-empirisch zur Kenntnis zu nehmen, und zweitens, noch subtiler, dass die Vertreter der klassischen deutschen Philosophie aus dem ‚Judentum‘ letztlich eine Abstraktion gemacht und auch leichtherzig, ohne weitere Prüfung Stereotypen übernommen haben, welche nichts oder nur wenig mit dem ‚wirklichen‘ Judentum als Institution, Tradition und lebendiger Praxis zu tun haben. Der erste, in die übergreifende Problematik einführende Beitrag von Micha Brumlik fasst die klassische deutsche Philosophie als eine Philosophie des Selbstbewusstseins auf, die größtenteils in Konkurrenz zu den Gedankensystemen des Theismus stehe. Dieser Leitgedanke, samt seiner ideengeschichtlichen Rückführung auf den spätantiken theologischen Gedanken einer Vermittlung bzw. Vereinigung der Welt mit einem transzendenten

Hegel-Studien  · © Felix Meiner Verlag · ISSN -

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LITERATURBERICHTE

UND

KRITIK

Schöpfergott, führt Brumlik zu der treffenden Einsicht, dass dieser Gedanke die Idealisten dazu geführt habe, jegliche Religion, und vor allem das Judentum, in dessen Zentrum der Gedanke eines persönlichen Schöpfergotts steht, als Inbegriff theoretischer und praktischer Heteronomie zu verstehen. Im Folgenden gelingt es ihm, den weiten Weg der Auseinandersetzung Hegels und Schellings mit dem Judentum in knapper Form zu rekonstruieren. Nach Brumlik folgt den extrem negativen Einschätzungen des Judentums in den hegelschen Frühschriften, welche sich noch im Rahmen von kantischen Denkmotiven bewegen und das Judentum aufgrund seiner theistischen Gesetzgebung im Gegensatz zum Prinzip der kantischen Autonomie als „Sklavenhandwerk“ präsentieren, eine „zweite Theorie des Judentums“ in der Phänomenologie des Geistes (), die Brumliks kühner Interpretation zufolge in dem Kapitel über Herrschaft und Knechtschaft, und zwar in der Figur des Knechtes, zu finden ist. Die dritte Phase des Lernprozesses Hegels in Sachen Judentum lässt sich zusammenfassen in Hegels Kennzeichnung des Judentums als Religion der Erhabenheit. Brumlik macht die scharfsinnige Beobachtung, dass Hegel von seiner ursprünglich durch Kant inspirierten Kritik des Judentums gewissermaßen zu einer Gleichsetzung von kantischer Moral und Judentum übergeht, indem er in beiden die Idee einer Realisierung des Guten in der Form eines bloßen Sollens erblickt. Schließlich zeigt Brumlik wie in Hegels reifer Religionsphilosophie das Judentum, welches weiterhin von Hegel als eine Übergangsstufe konzipiert wird, von einer eigentümlichen Spannung gekennzeichnet ist, nämlich der Spannung zwischen „partikulärem Erwählungsglauben und universalem Gottesbegriff“ (). Brumliks Darstellung zufolge behandelt Schelling andererseits das Judentum nicht wie Hegel im Kontext einer spekulativen Philosophie der Welt- und Staatsgeschichte, sondern „in der Metageschichte der menschlichen Religionen“ (). Dieses Primat der Religion gegenüber dem hegelschen Primat der Philosophie erlaubt es Schelling, so Brumlik, „nicht nur dem Judentum, sondern überhaupt allen Religionen mehr Recht und Wahrheit einzuräumen“ (). Ins Zentrum seiner Rekonstruktion stellt Brumlik Schellings Entwicklung des Begriffs des Judentums auf der Basis seiner trinitarischchristlichen Spekulationen, welche ihrerseits auf der Basis der jüdischen Mystik entwickelt wurden. Amit Kravitz’ origineller Beitrag zu Kants Auseinandersetzung mit dem Judentum beabsichtigt, ohne Berücksichtigung der eventuell antisemitischen bzw. antijudaistischen Abneigungen und Vorurteile Kants, „den philosophischen Grund der Kant’schen eindeutigen Ablehnung des Judentums im dritten Stück der Religionsschrift zu verstehen“ (). Zum Epizentrum seiner Interpretation macht Kravitz die These Kants, dass das Judentum im Prinzip ahistorisch ist bzw. der Geschichte nicht angehört, und bringt dies mit der Einsicht in Verbindung, dass Kants Ablehnung spezifische transzendentalphilosophische Gründe hat. Neben Einleitung und Schlussbemerkung ist Kravitz’ Beitrag in zwei Hauptteile gegliedert. Im ersten Hauptteil wird Kants Idee einer moralischen Vernunftreligion dargestellt, welche als Maßstab für jede geschichtlich-reale Religion fungieren soll. Dieser zufolge werden alle Religionen als mögliche „Formen der Annäherung“ an die Vernunftreligion betrachtet (), welche aber als Annäherungen notwendig sind. Daraus entsteht die doppelte Frage nach dem Maßstab dieser Annäherung und nach der Identifizierung der historischen Religionen, welche als gelingende Annäherungen betrachtet werden können. Die Antwort auf die erste Frage ist nichts anderes als die Moral. Die Beantwortung der zweiten Frage setzt eine gewisse Vertrautheit mit der jeweiligen Religion voraus, über welche im Falle des Judentums, wie Kravitz zeigt, Kant nicht verfügte. Daraus entsteht die Frage, warum sich Kant zur Beurteilung des Judentums als einer Religion,

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welche „nichts Positives in Bezug auf die Vernunftreligion“ veranlasst sah (). Der zweite Hauptteil des Beitrags versucht diese Frage zu beantworten. Die Argumentation dreht sich um die feine Unterscheidung zwischen ‚Revolution‘ und ‚Reform‘ in den einschlägigen Schriften Kants. Kravitz zufolge setzt Kants Philosophie einer Vernunftreligion zwei Revolutionen voraus: eine auf der individuellen Ebene mit dem Eintritt des guten Prinzips und eine auf der gesellschaftlichen Ebene mit dem Verlassen des politischen Gemeinwesens zur Errichtung des Reiches Gottes. Da Kant sich vorwiegend mit jener Zeit des Judentums, in der es tief in das Politische eingebettet war, befasst und darin nicht den gesuchten Durchbruch zu einem metapolitischen Gemeinwesen sehen kann, vertrat er, so Kravitz, die These einer schroffen Trennung des Judentums vom Christentum und damit der Unmöglichkeit einer Reform des Judentums, kraft derer es auch als legitime Annäherung an die Vernunftreligion hätte gelten können. Denn durch keine stufenartige Reform könne man zum radikalen metapolitischen Bruch, welcher die zweite Grundvoraussetzung für Kants Vernunftreligion ist, gelangen. Walter Jaeschkes subtiler Beitrag befasst sich mit Jacobis paradoxem Verhältnis zum Judentum. Während für Jacobi „jüdische Denker“, vor allem Spinoza, aber auch Moses Mendelssohn, „eine so herausragende Rolle gespielt haben“ (), hat er sich selbst im Vergleich zu den übrigen Vertretern der klassischen deutschen Philosophie in nur sehr geringem Maße mit dem Thema ‚Judentum‘ beschäftigt. Nichtsdestotrotz weist Jaeschke von Anfang an darauf hin, dass Jacobi sowohl Spinoza wie auch Mendelssohn weder als Juden noch als Vertreter des Judentums, sondern eher als Vertreter des starken Vernunftbegriffs der späten Aufklärung betrachtet hat, welcher für Jacobi als unhaltbar galt. Der intensive und hartnäckige Angriff Jacobis auf den aufklärerischen Vernunftbegriff ging aus seiner Auseinandersetzung mit der Philosophie Spinozas hervor. Jacobis prinzipielle Ablehnung jeglicher Metaphysik, sei sie immanent oder nicht, zugunsten einer theistischen Auffassung der Realität und der Religion wird auch in seiner Auseinandersetzung mit Mendelssohn bestätigt. Während Mendelssohn Verbindungslinien zwischen der spinozistischen Philosophie und dem orthodoxen Judentum zu identifizieren versucht, geht Jacobi kaum der Frage nach, ob Spinoza und der Spinozismus mit dem Judentum konformgehen oder nicht, und bestreitet die Möglichkeit, dass „ein philosophisches System aus reiner Vernunft im Gedanken eines persönlichen Gottes kulminieren könne“ (). Im zweiten Hauptteil seines Beitrags zeigt Jaeschke, dass auch wenn Jacobi sich auf zwei Leitvorstellungen, die Persönlichkeit Gottes und die Gottebenbildlichkeit des Menschen bzw. auf die Bücher Genesis und Exodus stützt, er sie in einer derart dekontextualisierenden und enthistorisierenden Art interpretiert, dass sein Verständnis des Göttlichen als ein sowohl vom Judentum wie auch vom Christentum substantiell distanziertes erscheint. Denn Jaeschke zufolge weist Jacobis Gottesbegriff eine große Ähnlichkeit mit dem markionistischen Gottesverständnis auf, wenn auch ohne den damit verknüpften Antijudaismus: Der Gott Jacobis bleibt ein der Natur und der Geschichte jeder institutionalisierten Religion jenseitiger Gott, und statt sich dem Menschen zu offenbaren, offenbart er sich durch den Menschen in einer gottverlassenen Welt. Jörg Noller verfolgt Reinholds und Schillers gemeinsames Interesse für „die entscheidende Phase der politischen und religiösen Herausbildung des Judentums in seiner Abgrenzung von anderen Religionen und Völkern“ (). Dabei beabsichtigt er, Reinholds und Schillers Projekt „einer aufklärerischen Stilisierung des Judentums“ () sowie deren Interesse an der Figur Mose zu rekonstruieren und die weiterführenden, problematischen Tendenzen dieses Projekts in den Blick zu nehmen. Reinholds und Schillers Rezeption des

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Judentums werden in den zwei Hauptteilen des Beitrags behandelt. Reinholds freimaurerische, überkonfessionell-kosmopolitische Orientierung habe es ihm, wie Noller bemerkt, im Gegensatz zu Kant, Schelling und Hegel erlaubt, sowohl die ägyptische wie auch die hebräische Religion wohlwollend zu behandeln, ohne an sie den Maßstab des Christentums anzulegen. Gleichzeitig ist Reinhold der Meinung, dass das Gegenteil der Vernunft, nämlich die Offenbarung und die Mysterien, mit der Vernunft keineswegs unversöhnbar seien, sondern zusammen mit ihr in ein „genetische[s], geschichtliche[s] und politische[s] Verhältnis“ integriert werden könnten (). Auf dieser Basis betrachtet Reinhold Moses als den einzigen, individuellen Träger, welcher die ägyptischen Mysterien allen Hebräern allgemein zugänglich gemacht und sie so als die öffentlich-politisch gesetzgebende Grundlehre des Volks Israel konstituiert habe. Schiller nimmt Reinholds Gedanken auf und radikalisiert ihn zugleich. Er stellt Moses in den Fokus seines Interesses. Moses habe Schiller zufolge das hebräische Volk durch die demokratisierende Vernunft befreit und erweise sich so als ein „paradigmatischer Volkserzieher“ (). Moses sei es nämlich gelungen, den wahren Gott der Vernunftreligion seinem noch nicht vollständig intellektuell reif gewordenen Volk auf eine fabelhafte Art zu verkünden und zugleich mit einer entsprechenden Gesetzgebung und Grundverfassung den Zusammenhalt dieses Volks zu bekräftigen. Diese historische Zäsur, welche das Judentum selbst verkörpere, erlaubt es Schiller, es als ein „universalhistorisches Volk“ zu qualifizieren. Nichtsdestotrotz könne man, wie Noller argumentiert, Reinholds und Schillers „Instrumentalisierung“ des Judentums in seiner Stilisierung als Protoform des aufklärerischen Freimaurertums und als universalgeschichtliche Vorstufe der späteren, verhängnisvollen Rezeption vor allem in Fichtes Reden an die deutsche Nation betrachten (). Yitzak Y. Melamed befasst sich mit der Begegnung Salomon Maimons und des neuen Chassidismus in Osteuropa sowie dem daraus entstehenden Begriff des Akosmismus, welcher von extremer Wichtigkeit auch für die Spinoza-Rezeption und den Idealismus sein sollte. Im ersten Teil behandelt Melamed Maimons frühe Faszination und Darstellung der chassidischen Bewegung, in deren Zentrum die Annullierung der individuellen Subjektivität – des Ichs – durch einen sinn- und lebensbejahenden Imperativ steht, die zu einer restlosen Vereinigung mit Gott führe. Der zweite Teil von Melameds Beitrag befasst sich mit den Problemen und Grenzen der chassidischen Bewegung, welche sich Maimon zufolge aus den begrenzten Natur- und Gotteskenntnissen der chassidischen Meister ergeben. Maimons Darstellung weist nämlich die folgende Inkongruenz auf: Die chassidische Bewegung vertrat die These, dass man nur durch eine lebens- bzw. sinnbejahende Stellung zur Natur Gott erkennen und sich mit ihm vereinigen könne. Da aber die neuchassidische Bewegung kein Interesse an Naturerkenntnis gehabt habe, habe sie die Möglichkeit einer Vereinigung mit ihm nicht adäquat erkennen können. Der neue Chassidismus hatte also Maimon zufolge darin Recht, dass es als Ziel des menschlichen Lebens die Überwindung der Subjektivität und die Vereinigung mit Gott ausgemacht habe; er habe jedoch irrtümlicherweise geglaubt, den Weg zu dieser Vereinigung aufzeigen zu können. Günther Zöller kontextualisiert in souveräner Weise Fichtes rechtlich-politische Kritik am Judentum in philosophischer Hinsicht. Er tut dies, indem er den Fokus auf Fichtes Wiederaufnahme des im . Jahrhundert verbreiteten Gemeinplatzes des politischen Antijudaismus richtet, welcher das Judentum als ‚Staat innerhalb des Staates‘ versteht. Zöllers Aufsatz ist in vier Teile gegliedert. Im ersten rekonstruiert er Fichtes komplexes philosophisches Profil; im zweiten, sehr informativen Teil behandelt Zöller die unmittelbaren kritischen Reaktionen auf Fichtes Beitrag zur Berichtigung der Urtheile des Publicums über die

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französische Revolution () sowie die neuesten, etwas kontextualisierend-apologetischen Rezeptionen, wobei man erfährt, dass es überraschenderweise auch eine Rezeption Fichtes in zionistischen und liberalen jüdischen Kreisen gegeben hat. Zöller zufolge bilden Fichtes Behauptungen über das Judentum einen neuen Höhepunkt des antijudaistischen Diskurses in seiner Zeit und bestätigen, allen Rehabilitierungsversuchen zum Trotz, das geläufige Bild Fichtes als eines antijudaistischen und protoantisemitischen Autoren. Im dritten Teil untersucht Zöller den allgemeinen und den spezifischen Hintergrund der fichteschen Formel, nach der die Juden einen Staat im Staate verkörpern, welche für Zöller einen durch Kant und Spinoza inspirierten verhängnisvollen und in sich widersprüchlichen Übergang vom religiösen zum rechtlich-politischen Standpunkt der Kritik kennzeichnet. Im vierten Teil wird der Höhepunkt von Fichtes judenfeindlichen Vorurteilen diskutiert, sein „Vorschlag“ nämlich, „in einer Nacht ihnen allen die Köpfe abzuschneiden und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee sey“ (Fichte, GA I,:  Anm.). Diese verhängnisvolle Formulierung fasst letztlich, wie Zöller es treffend formuliert, Fichtes Übergang vom Projekt einer liberal-aufklärerischen Emanzipation des Judentums zum Projekt einer sozialpolitischen Emanzipierung vom Judentum zusammen. Christian Danz rekonstruiert unter Heranziehung neu veröffentlichter Quellen Schellings Position zum Judentum durch seinen gesamten intellektuellen und schriftstellerischen Werdegang hindurch. Der erste Abschnitt widmet sich Schellings frühen Deutungen der israelitischen Religion, welche sich im Kontext der damals neuesten bibelexegetischen Entwicklungen und der Philosophie Kants bewegen. Diesen zufolge gilt zwar das Judentum als die religionsgeschichtliche Vorstufe des Christentums, die Legitimität des Christentums selber aber wird nicht mehr durch den traditionellen Weissagungsbeweis untermauert. Der Versuch der Distanzierung bzw. Abkoppelung von Altem und Neuem Testament führt auch den jungen Schelling dazu, eine strikte Grenze zwischen alttestamentarischer Gesetzesreligion und neutestamentarischer Gesinnungsreligion zu ziehen. Der zweite Abschnitt fasst die systematisch-methodologischen Grundlagen von Schellings Religionsphilosophie sowohl in den identitätsphilosophischen als auch in den späteren Schriften zusammen. In der Phase des Systems des transzendentalen Idealismus und der diesbezüglichen Werke ist eine Verschiebung von seinen früheren, allgemeinen religionsphilosophischen Thesen zu beobachten, welche aber ohne direkte Konsequenzen für Schellings Deutung des Judentums bleiben. Einige der dort entfalteten Gedanken, wie etwa das Symbolverständnis und die Konstruktion der Geschichte, haben aber systematische Konsequenzen für Schellings Rekonstruktion des Judentums in seiner Spätphilosophie, etwa in der Philosophie der Mythologie und der Philosophie der Offenbarung. Im Spätwerk versteht Schelling die Religionsgeschichte als eine Geschichte des Bewusstseins, welche von der mythologisch-blinden zur christlich-philosophischen Religion führen soll. In diesem Kontext taucht das Judentum erneut als eine Zwischen- und Übergangsstufe auf. Schelling ordnet zwar das Judentum in die Mythologie ein, als eine Religion allerdings, in welcher der wahre Gott durch Offenbarung in Erscheinung tritt. Dies erlaubt Danz zufolge ein differenziertes Urteil über Schellings Deutung des Judentums, wenn man bedenkt, dass die Charakterisierung des Judentums als Offenbarungsreligion dem breiten Strom der Deutung des Christentums als der ausschließlichen Offenbarungsreligion, welche vom Judentum theologisch-philosophisch abzukoppeln sei, entgegenstand. Myriam Bienenstock stellt sich die Frage nach den Verschiebungen in Hegels Urteil über das Judentum von seiner Früh- bis zu seiner Spätphase, in welcher er – nämlich in den Vorlesungen über die Philosophie der Religion von  – die Religion der Erhabenheit und

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damit die jüdische Religion sogar höher stellt als die der Griechen. Bienenstocks Beitrag ist dreigeteilt. Im ersten Teil untersucht sie „jenen Antijudaismus und/oder Antisemitismus, der bei Hegel Jahre lang fortbestanden hat“ (). Im zweiten Teil liefert sie Überlegungen zu Hegels Rezeption von Moses Mendelssohn. Im dritten Teil widmet sie sich schließlich den späten religionsphilosophischen Vorlesungen. Im ersten Teil des Beitrags wird die These dargelegt, dass Hegels Berner Zeit ( – ) bestimmend war für die Formierung seines frühen judenfeindlichen Bildes, und zwar insbesondere aufgrund seiner Lektüre Edward Gibbons, Spinozas und Tacitus’. Dass Hegels politisches Interesse in einen theologisch-systematischen Rahmen eingebettet war, hat ihn dazu veranlasst, sich mit Mendelssohns Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum () zu beschäftigen. Im zweiten Teil des Beitrags wirft Bienenstock die Frage auf, warum es bei Hegel, seiner Beschäftigung mit Mendelssohns Schrift zum Trotz, „so wenig positive Äußerungen zu Mendelssohn – zumindest ausdrückliche – in seinen Schriften gibt, insbesondere in den Jugendschriften, wo man sie erwartet hätte?“ (). Sie beantwortet diese Frage, indem sie auf die Verdrängung von Spinozas Tractatus Theologico-Politicus () in Hegels Denken verweist. Bienestocks Überlegungen zur Neueinteilung der Stellung und des Inhalts der Religion der Erhabenheit nach der Religion der Schönheit / Griechenlands im dritten Teil des Beitrag, die Emil Fackenheims diesbezügliche Thesen ergänzen, lassen sich auf folgende Thesen zusammenfassen: (i) auf die Einsicht Hegels, dass erst das jüdische Volk zum Gedanken eines allgemeinen und einzigen Gottes gelangt; (ii) auf die allgemeine Begeisterung von Hegels Zeitgenossen für den Orient und (iii) auf einen möglichen Einfluss von Eduard Gans auf Hegel. Andreas Arndt rekonstruiert Schleiermachers „zutiefst ambivalent[e]“ Stellung zum Judentum (), der letztlich die Pluralität von Religionen im Staat und die Gleichberechtigung des Judentums ablehnt. Arndts souveräne Darstellung des Themas bezieht sich auf das gesamte Œuvre Schleiermachers. Die Subjektivierung der Religion als Anschauung des Universums und als Gefühl des Unendlichen, welche Schleiermacher in seiner  anonym veröffentlichten Schrift Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern vorsieht, verfehlt sein anfängliches Pluralitätsziel, indem sie in einer Apologie des Christentums endet. Schleiermachers Bild des Judentums als einer Religion, welche zwei explizit (das jüdische Volk) oder implizit (den Gott des Judentums) ‚willkürliche‘ Mächte beinhaltet, stelle eine falsche Vorstellung des Universums dar und sei daher schwer mit dem interreligiösen und überkonfessionellen Pluralismus zu vereinbaren, der erst im Christentum möglich wird und seinen Gipfel finde. Darüber hinaus versteht Schleiermacher das Christentum als einen radikalen Neubeginn angesichts des Judentums, eine Position, an der er zeitlebens festhalten wird. Im zweiten Teil des Beitrags, welcher sich mit der Stellungnahme Schleiermachers zur Gleichberechtigung der jüdischen Bevölkerung befasst, wird das Epizentrum der Schleiermacher’schen These identifiziert, woraus sich auch eine Reihe merkwürdiger Vorschläge Schleiermachers bezüglich einer eventuellen bürgerlichen Gleichstellung der Juden erklären lässt. Auch wenn er die Option der Konversion ausschließt, stellt Schleiermacher als Bedingung hierfür die Unterordnung der jüdischen Zeremonialgesetze unter die staatlichen. Darüber hinaus verlangt er den expliziten Verzicht auf die Hoffnung auf einen Messias, weil sie mit der Begründung eines eigenen jüdischen Staats verbunden sei. Der dritte Teil des Beitrags entwickelt im Detail anhand der späteren Vorlesung über die Lehre vom Staat () die Verkehrung von Recht und Unrecht, welche aus ebendiesem Primat der Gesinnung resultiert. Der vierte und abschließende Teil betrachtet einen weiteren Aspekt, den der Bildung, eines Grundbegriffs Schleiermachers. Die Du-

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plizität zwischen Obrigkeit und Untertanen, welche sich aus der Entstehung des Staates ergibt, erfordere die Stärkung des Gemeingeistes gegen das Privatinteresse der Untertanen. An diesem Punkt kommt der Religion eine bedeutende Funktion zu, sofern sie zur Erweckung und Kultivierung derjenigen Gesinnung beitragen müsse, welche staats- und rechtskonform sein solle. Dies aber führt zur Ausschließung der jüdischen Religion vom Religionsunterricht, denn sie „stehe dem Interesse des Staates an der Entwicklung des ‚Gemeingeistes‛ […] entgegen“ (). Paul Franks abschließender Beitrag (ursprünglich  in englischer Sprache veröffentlicht) widmet sich der übergreifenden Frage, ob der ‚deutsche Idealismus‘ strukturell antisemitisch sei und ob dies, wenn es zuträfe, ein „kolossaler Fehler“ der jüdischen Philosophie angesichts ihrer Verflochtenheit mit dem idealistischen Gedankengut sei (). Der erste Teil von Franks’ Beitrag befasst sich u. a. mit dem christlichen Antijudaismus von Augustinus bis Luther. Franks zufolge wird das Diskriminierungs- und Gewaltpotenzial der augustinischen Lehre erst durch Luther – gleichsam gegen Katholiken wie gegen Juden – entfesselt und zwar auf der Basis neomarkionischer Tendenzen, welche angesichts neuer Kenntnisse bezüglich einer eigentlich talmudisch-geistigen, also nicht wortwörtlichen Interpretation der heiligen Schrift entstanden sind: Da allein die Kirche die Hoheit über die geistige Lesart der heiligen Schrift beanspruchte, musste jede andere geistige Lesart als – potenziell – häretisch, sprich dämonisch, gelten. Der zweite, äußerst ausbalancierte Teil zeigt, wie die Idealisten die Grundzüge der augustinischen Lehre samt ihrer Deformationen erben bzw. säkularisieren und, allen Unterschieden zum Trotz, in ihrem präfigurationistischen Verständnis des Judentums übereinstimmen. Letzteres gilt für die jeweiligen idealistischen Konstruktionen, deren Urheber kaum über die historischen Entwicklungen der israelitischen Religion seit dem Leben und Tod Jesu informiert waren. Ihnen zufolge gilt das Judentum als das vorletzte Moment einer gewissen Heils- und Fortschrittsdialektik im Zeichen eines (christlich bedingten) Autonomiebegriffs. Darin ist Franks zufolge kein struktureller Antisemitismus, wohl aber ein struktureller Antijudaismus der Idealisten zu erblicken, welcher auch ihre ambivalenten Stellungnahmen zur damaligen Frage der Emanzipation und Gleichberechtigung der Juden erklären kann und den Weg des späteren nationalsozialistischen Antisemitismus unbeabsichtigt, aber doch fatal vorbereitete. Der dritte, meisterhafte Teil des Beitrags zeigt historisch-systematisch am Beispiel des (midraschisch-)kabbalistischen Begriffsmodells vom Zimzum die von den Idealisten vielfach verkannte, aber nichtsdestotrotz substantielle Relevanz der jüdischen Philosophie für zentrale nachkantische Themen, etwa die Philosophie des Geistes, die Ethik, die politische Philosophie, die Philosophie der Bildung und die Reflexion der Moderne und der Säkularisierung. Abschließend schlägt Franks programmatisch zwei Heilmittel gegen den strukturellen Antijudaismus des ‚deutschen Idealismus‘ vor: Die Aufhebung der Ausblendung der geschichtlichen Entwicklung des Judentums und des tatsächlichen jüdischen Lebens sowie die Anerkennung des andauernden Beitrags des jüdischen Gedankenguts für das philosophische Denken. Dadurch könne das Projekt der Moderne kompatibel mit einer pluralistischen Gesellschaft gemacht werden, welche mehr als nur eine religiöse Gemeinschaft einschlösse. Alles in allem ist der Band als Referenzpublikation zum Thema ausdrücklich zu begrüßen. Wünschenswert wäre es aus Sicht des Rezensenten allein noch gewesen, dass der Band zwei weitere Beiträge enthalten hätte, nämlich zu Arthur Schopenhauers Haltung zum Judentum und zur Rekonstruktion und Rezeption der Darstellung des Judentums in Spinozas Tracatus Theologico-Politicus, welcher so zentral für die Rezeption des Begriffs des

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Judentums durch die klassische deutsche Philosophie war. Interessant wäre es, in Zukunft eine Ergänzung des Bandes, der durchgängig herausragende und originelle Beiträge enthält, durch einen zweiten Band zu sehen, welcher das Christentum in philosophischen Versuchen behandelt, die sich als jüdisch verstanden und von der klassischen deutschen Philosophie inspiriert waren. Dadurch käme der Prozess des selbstgesetzten Ziels der zwei Herausgeber, nämlich der begrifflichen Deobjektivierung des Judentums zu einer ersten Vollendung, die nichts anderes als seine Subjektivierung wäre. Antonios Kalatzis Centre Marc Bloch, Berlin

B) Editionen Friedrich Heinrich Jacobi. Die Denkbücher Friedrich Heinrich Jacobis. Nachlaß. Band , – ,. Herausgegeben von Sophia Victoria Krebs. Suttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, . XXXVI,  S.  Abb. Es wäre ohne Zweifel lohnend, die Rezeptionsgeschichte Jacobis zum Thema einer eigenständigen Forschungsarbeit zu machen. Vielleicht ließe sich dann die Frage beantworten, wie es zu einem Bruch in der Rezeption Jacobis kommen konnte, der aus dem „mit Kant gleichzeitigen Reformator in der Philosophie“ (Fichte, GA I,: ) und „Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit“ (Hegel an Niethammer, . . , B: ) zu Unrecht einen zweitklassigen Irrationalisten werden ließ. Glücklicherweise hat die Rezeption Jacobis in den letzten Jahrzehnten eine erneute Revision erfahren. Die Forschung zur klassischen deutschen Philosophie und Aufklärung hat weitgehend Abschied genommen von der irrigen Beurteilung Jacobis als Gefühls- und Glaubensphilosoph und anerkennt stattdessen seine Rolle als Initiator und bedeutender Teilnehmer in den zentralen Debatten seiner Zeit (Pantheismus-Streit, Atheismus-Streit und Theismus-Streit) sowie als einem der wirkmächtigsten Kritiker Kants und innovativem Romancier. Mehr und mehr tritt durch jüngere, augenöffnende Studien gegenüber der früheren Konzentration auf Jacobis Einfluss auf seine Zeitgenossen nun auch der authentische und originelle Gehalt von Jacobis eigenem Denken in den Fokus der Forschung. Dieser erneute Paradigmenwechsel in der Rezeption Jacobis wäre ohne das editorische Engagement vor allem Walter Jaeschkes und Birgit Sandkaulens (sowie ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter!) wohl kaum möglich gewesen. Ihnen verdankt sich die Tatsache,

 W. Jaeschke, B. Sandkaulen, „Friedrich Heinrich Jacobi – Werke und Briefwechsel“, Deutsche Zeitschrift für Philosophie  (),  – , hier: . So sind allein in diesem Jahr bereits zwei Sammelbände zu Friedrich Heinrich Jacobi erschienen: Jacobi und Kant, hg. v. B. Sandkaulen u. W. Jaeschke (Hamburg, ); Friedrich Heinrich Jacobi ( – ): Romancier – Philosoph – Politiker, hg. v. C. Ortlieb u. F. Vollhardt (Berlin/ Boston, ).  Hier sind besonders zu erwähnen: B. Sandkaulen, Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis (München, ); O. Koch, Individualität als Fundamentalgefühl. Zur Metaphysik der Person bei Jacobi und Jean Paul, (Hamburg, ); B. Sandkaulen, „Ich bin Realist, wie es noch kein Mensch vor mir gewesen ist“: Friedrich Heinrich Jacobi über Idealismus und Realismus (Paderborn, ); B. Sandkaulen, Jacobis Philosophie: Über den Widerspruch zwischen System und Freiheit (Hamburg, ).

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dass trotz zahlreicher Schwierigkeiten die durch Klaus Hammacher initiierte kritische Edition von Jacobis Werken so gut wie abgeschlossen ist (es steht nur noch der Kommentarband JWA , zum Woldemar aus) und die von Michael Brüggen und Siegfried Sudhof begonnene kritische Edition von Jacobis so umfang- wie aufschlussreichem Briefwechsels mitsamt separaten Kommentarbänden zunächst überhaupt und in den letzten Jahren dann so zügig voranschreiten konnte. Dank dieser Editionen und Kommentare, die in ihrer philologischen Gründlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen, steht sowohl die historische wie auch die systematische Beschäftigung mit Jacobis Werk heute vielleicht erstmals auf einem soliden Fundament. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die unter der Ägide Birgit Sandkaulens und Walter Jaeschkes von Sophia Victoria Krebs auf höchstem Niveau edierten Nachlassbände die Forschung zu Jacobi, zur Aufklärung und zur klassischen deutschen Philosophie nun um einen weiteren Meilenstein bereichern. Die beiden  erschienenen Bände stellen die erste vollständige Edition der erhaltenen „Denkbücher“ oder „Kladden“ Jacobis dar. Hierbei handelt es sich – so die Herausgeberin – um Notizbücher Jacobis, die vor allem „Einfälle, Vorarbeiten [zu späteren Werken], Exzerpte, Lektürenotizen und Gedankenstützen“ aus den Jahren  bis zu Jacobis Tod  enthalten (JD ,: ix). Neben den hauptsächlichen Einträgen von Jacobi selbst finden sich außerdem Einträge seiner Schwestern, insbesondere von Susanne Helene Jacobi, die sie – von Jacobi autorisiert – für ihren Bruder auf Grund dessen nachlassender Sehkraft vornahmen (JD ,: xvf.). Von den ursprünglich dreizehn dieser Notizbücher sind heute nur mehr elf tradiert (Kladde  und  sind irgendwann nach  verschollen). Jacobis Werkkladden, die anders als die hier edierten Denkbücher einem bestimmten Thema bzw. der Elaboration bestimmter Werke wie dem Brief an Fichte gewidmet waren, sind – abgesehen von einem Notizbuch mit Literaturangaben – hingegen gar nicht überliefert (JD ,: xiii). Nach eigener Aussage wollte die Herausgeberin dem Leser einen „les- und zitierbaren Tex[t] mit größtmöglicher editorischer Akkuratesse“ (JD ,: viii) ohne informationelle Reibungsverluste präsentieren. Dies ist ihr ganz glänzend gelungen. Die Entscheidung, in der Textedition zunächst nur die jeweils letztgültige Fassung zu präsentieren, die vollständige Dokumentation der überarbeiteten Wörter und Passagen sowie den textkritischen Apparat hingegen dem später erscheinenden Kommentarband vorzubehalten (JD ,: xx), ist äußerst glücklich. Krebs stellt damit dem mehr systematisch interessierten Forscher zunächst die Fassung letzter Hand zur Verfügung und bietet für denjenigen, der zugleich ein ausgeprägteres philologisches Interesse an Jacobi hat, den Kommentarband. Durch die Auflösung bestimmter Abkürzungen und Kontraktionen Jacobis, die jedoch als solche gekennzeichnet werden, gewinnt der Text zusätzlich an Lesbarkeit (JD ,: xxvif.). Die konzise und lehrreiche Einleitung skizziert Funktion sowie Inhalte der Kladden, datiert die einzelnen Notizbücher und beschreibt ausführlich die äußere Gestalt (Dokumentstruktur und Schreibpraxis) der Denkbücher. Außerdem werden Prinzipien und editorische Zeichen erläutert.

 Zur wechselvollen Geschichte der kritischen Edition von Jacobis Werken und Briefen vgl. ausführlich Jaeschke und Sandkaulen, „Friedrich Heinrich Jacobi – Werke und Briefwechsel“, Deutsche Zeitschrift für Philosophie  ().  Der gebräuchliche Name ‚Denkbücher‘ verdankt sich der Studie von P.-P. Schneider, Die „Denkbücher“ Friedrich Heinrich Jacobis (Stuttgart-Bad Cannstatt, ).  Vgl. W. Jaeschke, „Kant in Jacobis Kladden“, in: Jacobi und Kant, hg. v. B. Sandkaulen u. W. Jaeschke (Hamburg, ), .

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Die Bedeutung dieser Edition ergibt sich daraus, dass der interessierte Forscher sich bisher mit einer doch eher selektiven Auswahl an publizierten Einträgen aus den Kladden zufrieden geben musste. Dabei hatte bereits Jacobi selbst eine Auswahl aus seinen Denkbüchern publiziert: So erschien im . Jahrgang der Zeitschrift Minerva () unter dem Titel „Fliegende Blätter“ eine als „flüchtig hingeworfen[e] Sprüch[e]“, „wie sie ursprünglich allein zu mir selbst gesprochen wurden“, charakterisierte Auswahl von  Eintragungen aus den Kladden, die jedoch teils überarbeitet waren und von denen achtzehn „Sprüche“ sich nicht in den originalen Denkbüchern identifizieren lassen (eventuell entstammen sie den beiden nicht tradierten Kladden). Weitere Eintragungen aus den Denkbüchern edierte der mit Jacobi befreundete Jurist Friedrich Roth im . ( Texte) und . ( Texte) Jahrgang der Minerva unter dem Titel „Blätter aus F. H. Jacobi’s Nachlaß“, die er dann später auch zusammen mit den von Jacobi herausgegebenen „Fliegenden Blättern“ leicht verändert als drei Abteilungen der „Fliegenden Blätter“ im sechsten Band der von Jacobi selbst begonnenen, aber nicht abgeschlossenen Ausgabe Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke edierte. Zusätzlich ergänzte Roth diese drei Abteilungen durch eine vierte Abteilung mit weiteren  Texten. Diese Edition bietet allerdings keinen zuverlässigen Einblick in Jacobis ursprüngliche Kladden. So lassen sich von den durch Roth edierten  Texten nur  Texte in den Kladden identifizieren und müssen zumindest teilweise anderen Ursprungs sein (etwa Ausschnitte aus Briefen Jacobis). In der kritischen Edition der Werke Jacobis finden sich deshalb auch nur die durch Jacobi edierten Fliegenden Blätter. Eine erste fundierte Darstellung von und Auswahl aus Jacobis Denkbüchern gewährte Peter-Paul Schneiders akribische Studie Die „Denkbücher“ Friedrich Heinrich Jacobis (). Neben einer ausführlichen Beschreibung der Kladden sowie einer Darstellung ihrer Geschichte präsentierte Schneider zusammen mit seiner Analyse auch eine große Auswahl an Kladden-Einträgen. Schneiders Analyse, Präsentation und Auswahl war dabei bestimmt durch die „Frage nach der Funktion der Kladden“ innerhalb der literarischen Produktion Jacobis. Auch wenn Schneider damit keine systematische Interpretation anstrebte, lag in seiner Auswahl dennoch notwendig ein interpretatorisches Moment. Da Schneiders Studie inzwischen zudem bereits  Jahre alt ist, vermittelte, wie jüngst Walter Jaeschke feststellte, auch diese verdienstvolle Studie keine hinreichende Kenntnis der Kladden insgesamt. In den Kladden findet man keine „ausführliche[n], durchgeführte[n] Auseinandersetzungen“, sondern „mehr punktuelle, aus dem Moment heraus geborene, vielleicht als Frucht der Lektüre einer anderen Schrift entstandene Einsichten oder Einwendungen“. Insofern können die Denkbücher freilich nicht an die Stelle der publizierten Schriften und

 Die Mühe, sich mit den gesamten Kladden auseinanderzusetzen und dazu entweder die Originale oder Kopien der Notizbücher zu konsultieren, hat sich bisher nur B. Sandkaulen gemacht.  F. H. Jacobi, „Fliegende Blätter“, Minerva  (),  – , hier: .  Schneider, Die „Denkbücher“ Friedrich Heinrich Jacobis, .  Schneider, Die „Denkbücher“ Friedrich Heinrich Jacobis,  – .  Vgl. hierzu Schneider, Die „Denkbücher“ Friedrich Heinrich Jacobis,  – .  Schneider, Die „Denkbücher“ Friedrich Heinrich Jacobis,  f.  Jaeschke, „Kant in Jacobis Kladden“, . Eine weitere Auswahl von Eintragungen hatten in der Zwischenzeit außerdem noch B. Sandkaulen (Grund und Ursache, München, ) sowie I. Radrizzani („Jacobis Auseinandersetzung mit Fichte in den Denkbüchern“, Fichte-Studien  (),  – ) der Forschung zugänglich gemacht.  Jaeschke, „Kant in Jacobis Kladden“, .

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auch nicht des Briefwechsels treten. Jacobi hat seine besten Gedanken nicht für sich behalten, um sie in seinen Kladden zu verstecken. Andererseits kann Jacobi in diesen Notizbüchern, da sie nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren,„seine Ansichten so unverblümt […] formulieren“, wie er dies in seinen Publikationen und auch Briefen nicht getan hätte. Die Kladden helfen uns zudem, die „intensive[n] Denk- und Lektürevorgänge“ (JD ,: x) Jacobis zu rekonstruieren. Die Relevanz der Denkbücher soll deshalb anhand einiger Beispiele aufgezeigt werden. In Bezug auf den Spinozastreit verdeutlichen die Kladden, dass Jacobi Lessing mit seinem berüchtigten Spinozabekenntnis nicht diskreditieren wollte. Im Gegenteil sieht Jacobi in Lessings Bekenntnis zu Spinoza und in der Verabschiedung des metaphysischen Gottes der Aufklärung einen Ausweis für dessen intellektuelle Redlichkeit. Der „NichtGott des Spinoza“ und Lessings sollte die selbst gemachten Götter etwa der Berliner Aufklärer und Kants endgültig „nur alle verschling“ (JD ,: ). In der Auseinandersetzung mit den Berliner Aufklärern (Nicolai, Gedike, Biester) verdeutlichen die Kladden noch einmal, was bereits Jacobis Betrachtungen über den frommen Betrug und über eine Vernunft, welche nicht die Vernunft ist () gezeigt hatte: Jacobi verübelt den Berliner Aufklärern nicht ihre von ihm abweichenden Überzeugungen, sondern ihren Versuch, die Vernunft – bzw. das, was sie dafür halten – mit Gewalt im Rahmen der ihnen zur Verfügung stehenden Machtmittel zur Herrschaft zu bringen. Eben in diesem Versuch zeigt sich für Jacobi ihre Unvernunft: „Sie fürcht sich vor der Vernunft u vor der Erfahrung, sind zugleich die feigst Memmen, u die argst Frevler; aus Armuth eitel, aus Schwäche hinterlistig u grausam.“ (JD ,: ) Hierin und in der Gleichsetzung ihrer Meinung mit der Vernunft selbst sind die Berliner Aufklärer dem von ihnen so verachteten Papismus näher, als sie selbst sehen können (JD ,: ). Auch sie sind Fanatiker für ihre Meinung (JD ,:  f.). Sie nutzen ihre Macht als Verleger und Herausgeber, um Schriften zu unterdrücken, in denen sie kritisiert werden (JD ,: ). Im Interesse ihrer vermeintlichen Vernunft – wie religiöse Fanatiker im Interesse des ewigen Lebens – hängen die Berliner lieber zehn Unschuldige, als dass ein bloß Verdächtiger nicht die volle Strafe ihres Gesetzes erfährt (JD ,: ): „Was fehlt dem Eifer der H Nicolai u Biester, um die Antideist zu verbrenn? Nichts als einige Jahre glücklich Fortgangs ihrer Reformation“ (JD ,: ). Politisch realisiert wird dieser fromme Betrug, die eigene mit der Vernunft identifizierte Meinung herrschend zu machen, für Jacobi bereits kurze Zeit später in der Französischen

 Allerdings hat Jacobi Teile daraus seinen Bekannten mitgeteilt. Jean Paul, dem Jacobi Einblick in seine Kladden gewährt hatte, empfahl diesem daraufhin eine Veröffentlichung seiner darin enthaltenen Gedanken (JD ,: xiv).  Jaeschke, „Kant in Jacobis Kladden“, .  Leider schenkt C. Ortlieb, die Jacobis Prozess des Schreibens als „Annotieren, Kommentieren, Ausschreiben oder Exzerpieren“ (C. Ortlieb, „Praktiken der Kritik bei Jacobi und Schleiermacher“, in: Reformation und Moderne. Pluralität – Subjektivität – Kritik. Akten des Internationalen Kongresses der SchleiermacherGesellschaft in Halle (Saale), März , hg v. J. Dierken, A. von Scheliha u. S. Schmidt, Berlin/Boston, , ) interpretiert, den Denkbüchern wenig Beachtung (vgl. hierzu C. Ortlieb, Friedrich Heinrich Jacobi und die Philosophie als Schreibart, München ,  ff.; etwas eingehender:  ff.). Eine solche Analyse hätte sowohl Ortliebs Untersuchung bereichert als auch die Denkbücher weiter erschließen können.  Vgl. hierzu den glänzenden Aufsatz von W. Jaeschke: „Eine Vernunft, welche nicht die Vernunft ist. Jacobis Kritik der Aufklärung“, in: Friedrich Heinrich Jacobi. Ein Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit, hg. v. W. Jaeschke u. B. Sandkaulen (Hamburg, ),  – .

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LITERATURBERICHTE

UND

KRITIK

Revolution. Auch dies verdeutlichen die nun edierten Denkbücher Jacobis. Ausgewählte Kladdeneintragungen zum Thema ‚Französische Revolution‘ waren zwar bereits von Schneider publiziert und kommentiert worden. Schneider schloss sich dabei der Interpretation Homanns an, Jacobi lehne die französische Revolution wegen der „Abstraktheit ihrer theoretischen Grundlegung“ sowie dem „Eudämonismus ihrer Zielsetzung“ ab, was auch die Auswahl der von ihm edierten Einträge mitbestimmte. So formuliert Jacobi in der Tat eine Kritik, die sich später auch bei Hegel, Horkheimer und Adorno finden wird: Die Vernunft einer bestimmten Form von Aufklärung, als deren politische Ausführung Jacobi die Französische Revolution sieht, reduziert die Vernunft auf eine instrumentelle Vernunft und ersetzt Freiheit und Gerechtigkeit als Ziel der Politik durch allgemeine Nützlichkeit (JD ,: ; ). Diese Aufklärung und damit auch die Französische Revolution schlägt aber gerade deshalb in Tyrannei um, weil sie – wie auch die Berliner Aufklärung – die Vernunft mit ihrer Meinung über ein gelungenes Leben verwechselt und diese Vernunft mit Gewalt durchsetzen will (JD ,: ). Aus diesem Grund lehnt Jacobi auch die Demokratie – wie übrigens auch die Aristokratie – als Versuch eines Teils der Bevölkerung, die eigene Meinung herrschend zu machen, und damit als Despotismus der Unvernunft und Unfreiheit, ab (JD ,: ; ; ; ). So zeigen die Denkbücher von Anfang an Freiheit als vielleicht das bestimmende Thema in Jacobis Denken überhaupt und auch in seiner Auseinandersetzung mit Kant. Nur unsere innere Erfahrung der Freiheit bietet einen Weg aus dem Spinozismus bzw. Fatalismus. Diese Erfahrung, die sich unserem Gefühl der Selbsttätigkeit (JD ,: ) und unserem Bewusstsein zweckursächlichen Handelns verdankt, ist für Jacobi der Ursprung unseres Begriffes von Kausalität (JD ,:  f.; ). Realität und Objektivität des Kausalitätsbegriffs (wie auch der anderen Verstandes- und Vernunftbegriffe) können nur aus dem Handlungsbewusstsein deduziert werden (JD ,: ; JD ,: ). Weil Kant den Begriff der Kausalität nicht aus diesem Handlungsbewusstsein ableitet, kommt er weder mit dem Begriff der Kausalität noch dem der Freiheit zu Rande: „Von dem Causalitäts Begriffe, deßen Realität Hume bestritten hatte, gieng die Kantische Philosophie aus, und gerade dieser Begriff ist es auch, woran wie mir dünkt die Kantische Philosophie scheitert.“ (JD ,: ) Für Jacobi stellt sich – anders als für Kant – deshalb nicht die Frage, ob wir neben der Naturkausalität noch eine Kausalität aus Freiheit annehmen können, da wir ohne die Erfahrung unserer freiheitlichen Kausalität überhaupt keinen Begriff von Kausalität und damit auch nicht von Naturkausalität hätten: „Was versteht ihr unter Ursachen? Ist euch eine erschien? Die einzige Erscheinung, die ihr davon habt, ist eure Willenskraft“ (JD ,: ). Anders als Kant beschränkt Jacobi Freiheit nicht auf moralisches Handeln. Vielmehr kann man generell nur von Handlungen sprechen, sofern mit diesen die Erfahrung der Freiheit und der Finalursächlichkeit verbunden ist. Insofern spricht Jacobi in den Kladden davon, dass seiner Freiheitslehre zunächst ein Konzept technischer Freiheit zu Grunde liege: das Handeln auf Grund der freien Setzung von Zwecken. Die Möglichkeit sittlicher Freiheit setzt diese technische Freiheit bereits voraus (JD ,: ). Hiermit setzt sich Jacobi gegen Kant ab: „Ich weiß nicht warum Bouterweck in der Ankündigung seines

 Schneider, Die „Denkbücher“ Friedrich Heinrich Jacobi, ; K. Homann, F. H. Jacobis Philosophie der

Freiheit (Freiburg/München, ), .  Zu Jacobis Auseinandersetzung mit Kant in den Kladden vgl. Jaeschke, „Kant in Jacobis Kladden“, und Schneider, Die „Denkbücher“ Friedrich Heinrich Jacobi,  – .

Besprechungen

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phil. Magazins meine Freyheitslehre eine religiöse nennt. Man könnte eher die Kantische eine religiöse, u die meine, die ohne Rücksicht auf Moral u Religion behauptet wird, u die ich desweg im Briefe an Fichte eine technische genannt habe, eine profane nenn