Hebraica veritas: Übersetzungsprinzipien und Quellen der Deuteronomiumübersetzung des Hieronymus 9783170303812, 9783170303836, 3170303813

Gegen Ende des 4. Jahrhunderts unternahm es der Kirchenvater Hieronymus - erstmals in der Geschichte des lateinischsprac

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Hebraica veritas: Übersetzungsprinzipien und Quellen der Deuteronomiumübersetzung des Hieronymus
 9783170303812, 9783170303836, 3170303813

Table of contents :
Deckblatt
Titelseite
Impressum
Vorwort
Inhalt
A. Einleitung
A.I. Der Pilger und die hebraica veritas
A.II. Methodik und Aufbau der Arbeit
A.III. Forschungsüberblick
B. Der Übersetzer Hieronymus
B.I. Biographisches
B.II. Übersetzungsprinzipien des Hieronymus
B.II.1. Von Quellen und Bächen
B.II.1.1 Die graeca veritas des Neuen Testaments
B.II.1.2 Der Begriff veritas bei Hieronymus
B.II.1.3 Die veritas und das Alte Testament
B.II.1.4 Die Arbeit am hebräischen Text
B.II.1.5 Die hebraica veritas im Widerstreit
B.II.1.6 Kürbis versus Efeu – der Streit mit Augustin
B.II.1.7 Zwischenergebnis
B.II.2. Wort oder Sinn
B.II.2.1 Übersetzungstechniken in der Antike
B.II.2.2 Hieronymus in der Zeit vor der Übersetzung Iuxta Hebraeos
B.II.2.3 Die Arbeit am Alten Testament Iuxta Hebraeos
B.II.2.4 Die Definition in ep. 57
B.II.2.5 Die Kontroverse mit Rufin
B.II.2.6 Briefe an Augustin und Theophilus
B.II.2.7 Zwischenfazit
B.II.2.8 Übersetzen und Verstehen
B.II.2.9 Ein wenig Sprachphilosophie: Hieronymus und die proprietas
B.II.3. Schlichtheit oder Schmuck
B.II.3.1 Stiltreue und Originaltreue
B.II.3.2 Εlegantia und κακοζηλία
B.II.3.3 Zusammenfassung
B.II.4. Fazit – Hieronymus’ Übersetzungskonzept
B.III. Hieronymus und das Judentum
B.III.1. Hieronymus und seine jüdischen Lehrer
B.III.2. „Jüdisch“ und „Hebräisch“ bei Hieronymus
B.III.3. Judentum und Christentum zur Zeit des Hieronymus
B.III.3.1 Zur rechtlichen Situation des Judentums im christlichenImperium Romanum
B.III.3.2 Die demographische Situation im spätantiken Palästina
B.III.3.3 Das Judentum Palästinas im vierten Jahrhundert
C. Das Buch Deuteronomium Iuxta Hebraeos
C.I. Orientierung an der hebraica veritas
C.I.1. Hieronymus und der hebräische Text des AT
C.I.1.1 Konzeption und Realität
C.I.1.2 Stellenuntersuchungen
C.I.2. Hieronymus und die Hexapla
C.I.3. Einflüsse von Aquila
C.I.3.1 Aquila bei Hieronymus und in der Forschung
C.I.3.2 Stellenuntersuchungen
C.I.3.3 Auswertung
C.I.4. Einflüsse von Symmachus
C.I.4.1 Symmachus bei Hieronymus und in der Forschung
C.I.4.2 Stellenuntersuchungen
C.I.4.3 Auswertung
C.I.5. Einflüsse von Theodotion
C.I.5.1 Theodotion bei Hieronymus und in der Forschung
C.I.5.2 Stellenuntersuchungen
C.I.5.3 Auswertung
C.I.6. Parallelen zu mehreren der recentiores
C.I.6.1 Stellenuntersuchungen
C.I.7. Zusammenfassung zur Hexapla
C.I.8. Jüdische Parallelen zu Hieronymus’ Übersetzung
C.I.8.1 Quellentexte
C.I.8.2 Stellenuntersuchungen
C.I.8.3 Auswertung
C.II. Abweichungen von der hebraica veritas
C.II.1. Einflüsse der Septuaginta
C.II.1.1 Hieronymus und die Septuaginta
C.II.1.2 Stellenuntersuchungen
C.II.1.3 Auswertung
C.II.2. Eigenheiten der Übersetzung des Hieronymus
C.II.2.1 Stellenuntersuchungen
C.II.2.2 Auswertung
C.II.3. Einflüsse christlicher Auslegungstraditionen
C.II.3.1 Stellenuntersuchungen
C.II.3.2 Auswertung
D. Zusammenfassende Auswertung
D.I. Hieronymus als Übersetzer
D.II. Die Rolle der Septuaginta
D.III. Hieronymus – Rezipient der Hexapla
D.IV. Jüdische Traditionen und die hebraica veritas
Literatur- und Quellenverzeichnisse
Quellenausgaben und Übersetzungen
Sekundärliteratur
Hilfsmittel
Abkürzungen
Quellenindex
Bibelstellen
Personen und Sachen

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18.01.16 11:48

Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament Elfte Folge Herausgegeben von Walter Dietrich Ruth Scoralick Reinhard von Bendemann Marlis Gielen Heft 7 · Der ganzen Sammlung Heft 207

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Sebastian Weigert

Hebraica Veritas Übersetzungsprinzipien und Quellen der Deuteronomiumübersetzung des Hieronymus

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2016 Alle Rechte vorbehalten © W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Print: ISBN 978-3-17-030381-2 E-Book-Format: pdf: ISBN 978-3-17-030383-6 Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

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Für Friedrich Avemarie %"

Vorwort

Ein Buch, das als Quellen die vielfältigen Vorreden des Hieronymus zu seinen Kommentaren und Übersetzungen auswertet, muss wohl zwangläufig aufgrund mangelnder Übung in seinem Vorwort hinter diesem großen antiken „Vorredner“ zurück bleiben. Doch anderes als dieser möchte sich der Verfasser aller persuasiven Rede, aller Apologetik, aller Schmähworte oder Schmeicheleien, der Bitte um Verbreitung des Werkes und Werbung in eigener Sache enthalten. Vielmehr steht zu Beginn der Dank an all diejenigen, die je auf die ihre Art und Weise zur Entstehung dieses Buchs beigetragen haben. An erster Stelle sei Prof. Dr. Friedrich Avemarie genannt, der das Projekt initiiert und von Anfang an im besten Sinne väterlich begleitet hat. Des Weiteren danke ich Frau Prof. Dr. Angela Standhartinger sehr herzlich, die die Betreuung der Dissertation in der Endphase übernommen hat und das Projekt mit mir auch durch schwierige Zeiten gesteuert hat. Ferner denke ich an Herrn Prof. Dr. Karl Pinggéra, der während der Entstehungsphase und als Zweitgutachter wichtige Impulse aus kirchenhistorischer Perspektive beigetragen hat. Auch danke ich ganz herzlich Herrn Prof. Dr. Lukas Bormann für die Zusammenarbeit und die Begleitung im letzten Jahr der Promotionsphase. Meinen Eltern, Waltraud und Werner Weigert danke ich von ganzem Herzen für die vielfältige Unterstützung in der Promotionszeit. Ein herzlicher Dank richtet sich auch an alle Mitglieder des Exegetischen Arbeitskreises des Fachgebiets Neues Testament Marburg, insbesondere meinen Doktorgeschwistern Dr. Aliyah El Mansy, Mareike Schmied und Pfr. Eric Weidner für die konstruktive Kritik und Unterstützung. Dr. Bernhard Dieckmann sei herzlich gedankt für die regelmäßige und intensive Betreuung und Korrektur des Textes und den fruchtbaren Austausch. Für die Korrektur des Manuskripts und der fremdsprachigen Passagen danke ich darüber hinaus Irmgard Atts, Katharina Fiedler, Dr. Sandra Habeck, Anja Pommerien und Dr. habil. Anna Widmer. Den Herausgebenden der „Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament“ danke ich für die Aufnahme in die Reihe und die Beratung, im Besonderen Herrn Prof. Dr. Reinhard von Bendemann. Für die fachkundige und geduldige Betreuung von Seiten des Kohlhammer-Verlages sei sehr herzlich Herrn Florian Specker gedankt. Kai-Oliver Schütz bin ich in tiefer Dankbarkeit verbunden, dass und wie er den Weg durch diese Lebensphase mit mir gegangen ist. Marburg, am Tag des heiligen Hieronymus 2015.

Inhalt

A. Einleitung ........................................................................................................... 13 A.I. Der Pilger und die hebraica veritas ..................................................................... 13 A.II. Methodik und Aufbau der Arbeit ...................................................................... 15 A.III. Forschungsüberblick ............................................................................................. 19

B.

Der Übersetzer Hieronymus ................................................................. 25

B.I. Biographisches........................................................................................................ 26 B.II. Übersetzungsprinzipien des Hieronymus ......................................................... 30  B.II.1. Von Quellen und Bächen .............................................................. 30 B.II.1.1 Die graeca veritas des Neuen Testaments ........................................ 31 B.II.1.2  Der Begriff veritas bei Hieronymus ................................................. 32 B.II.1.3 Die veritas und das Alte Testament ................................................. 34 B.II.1.4 Die Arbeit am hebräischen Text....................................................... 36 B.II.1.5 Die hebraica veritas im Widerstreit ................................................. 38 B.II.1.6 Kürbis versus Efeu – der Streit mit Augustin ................................ 40 B.II.1.7 Zwischenergebnis ................................................................................ 42  B.II.2. Wort oder Sinn ............................................................................. 44 B.II.2.1 Übersetzungstechniken in der Antike............................................. 44 B.II.2.2 Hieronymus in der Zeit vor der Übersetzung Iuxta Hebraeos .... 46 B.II.2.3 Die Arbeit am Alten Testament Iuxta Hebraeos............................ 47 B.II.2.4 Die Definition in ep. 57 ..................................................................... 48 B.II.2.5 Die Kontroverse mit Rufin................................................................ 52 B.II.2.6 Briefe an Augustin und Theophilus ................................................ 55 B.II.2.7 Zwischenfazit ....................................................................................... 56 B.II.2.8 Übersetzen und Verstehen................................................................. 56 B.II.2.9 Ein wenig Sprachphilosophie: Hieronymus und die proprietas . 58  B.II.3. Schlichtheit oder Schmuck ............................................................ 59 B.II.3.1 Stiltreue und Originaltreue ............................................................... 60 B.II.3.2 Εlegantia und κακοζηλία .................................................................... 64 B.II.3.3 Zusammenfassung ............................................................................... 66 B.II.4.

Fazit – Hieronymus’ Übersetzungskonzept ...................................... 67

10

INHALT

B.III. Hieronymus und das Judentum .......................................................................... 68  B.III.1. Hieronymus und seine jüdischen Lehrer ....................................... 68 B.III.2. „Jüdisch“ und „Hebräisch“ bei Hieronymus ................................... 69  B.III.3. Judentum und Christentum zur Zeit des Hieronymus ................... 76 B.III.3.1 Zur rechtlichen Situation des Judentums im christlichen Imperium Romanum ............................................. 76 B.III.3.2 Die demographische Situation im spätantiken Palästina ............ 79 B.III.3.3 Das Judentum Palästinas im vierten Jahrhundert ......................... 79

C. Das Buch Deuteronomium Iuxta Hebraeos ................................. 83 C.I. Orientierung an der hebraica veritas................................................................... 83  C.I.1. Hieronymus und der hebräische Text des AT................................ 84 C.I.1.1 Konzeption und Realität ................................................................... 85 C.I.1.2 Stellenuntersuchungen ....................................................................... 97  C.I.2. Hieronymus und die Hexapla..................................................... 100  C.I.3. Einflüsse von Aquila ................................................................... 103 C.I.3.1 Aquila bei Hieronymus und in der Forschung ............................103 C.I.3.2 Stellenuntersuchungen .....................................................................108 C.I.3.3 Auswertung ........................................................................................123  C.I.4. Einflüsse von Symmachus ........................................................... 124 C.I.4.1 Symmachus bei Hieronymus und in der Forschung ...................124 C.I.4.2 Stellenuntersuchungen .....................................................................128 C.I.4.3 Auswertung ........................................................................................136  C.I.5. Einflüsse von Theodotion............................................................ 136 C.I.5.1 Theodotion bei Hieronymus und in der Forschung ..................136 C.I.5.2 Stellenuntersuchungen .....................................................................138 C.I.5.3 Auswertung ........................................................................................139  C.I.6. Parallelen zu mehreren der recentiores ...................................... 139 ........................................................................................139 C.I.6.1 Stellenuntersuchungen  C.I.7. Zusammenfassung zur Hexapla ................................................. 157  C.I.8. Jüdische Parallelen zu Hieronymus’ Übersetzung ....................... 158 C.I.8.1 Quellentexte .......................................................................................158 C.I.8.2 Stellenuntersuchungen .....................................................................159 C.I.8.3 Auswertung ........................................................................................213

INHALT

11

C.II. Abweichungen von der hebraica veritas ...........................................................215  C.II.1. Einflüsse der Septuaginta ........................................................... 215 C.II.1.1 Hieronymus und die Septuaginta ..................................................215 C.II.1.2 Stellenuntersuchungen .....................................................................223 C.II.1.3 Auswertung ........................................................................................239  C.II.2. Eigenheiten der Übersetzung des Hieronymus ............................ 240 C.II.2.1 Stellenuntersuchungen .....................................................................240 C.II.2.2 Auswertung ........................................................................................243  C.II.3. Einflüsse christlicher Auslegungstraditionen ............................... 244 C.II.3.1 Stellenuntersuchungen .....................................................................244 C.II.3.2 Auswertung ........................................................................................247

D. Zusammenfassende Auswertung.......................................................249 D.I. D.II. D.III. D. IV.

Hieronymus als Übersetzer ................................................................................249 Die Rolle der Septuaginta ..................................................................................253 Hieronymus – Rezipient der Hexapla .............................................................255 Jüdische Traditionen und die hebraica veritas ................................................256

Literatur- und Quellenverzeichnisse...........................................................259 Quellenausgaben und Übersetzungen .........................................................................259 Sekundärliteratur..............................................................................................................262 Hilfsmittel .........................................................................................................................270 Abkürzungen .....................................................................................................................271

Indices .............................................................................................................................272 Quellen ...............................................................................................................................272 Bibelstellen ........................................................................................................................278 Personen und Sachen .......................................................................................................280

A.

Einleitung

A.I.

Der Pilger und die hebraica veritas

Mit den folgenden Worten bricht Eusebius Sophronius Hieronymus im Jahr 385 aus Rom auf eine Pilgerfahrt ins Heilige Land auf. Dort wird er sich ein Jahr später niederlassen und auch die alttestamentlichen Bücher der Bibel aus dem Hebräischen übersetzen. Er verabschiedet sich von Asella, einer seiner Mäzeninnen aus Rom: Haec, mi domina Asella, cum iam navem conscenderem, raptim flens dolensque conscripsi et gratias ago Deo meo, quod dignus sum, quem mundus oderit. Ora autem, ut de Babylone Hierosolyma regrediar nec mihi dominetur Nabuchodonosor, sed Iesus, filius Iosedech. Veniat Hesdras, qui interpretatur adiutor, et reducat me in patriam meam. Stultus ego, qui volebam cantare canticum domini in terra aliena et deserto monte Sion Aegypti auxilium flagitabam. Non recordabar evangelii, quod, qui Hierusalem egreditur, statim incidit in latrones, spoliatur, vulneratur, occiditur. (ep. 45,6) Dies, meine Herrin Asella, schreibe ich, nachdem ich das Schiff bestiegen habe, unter Tränen und voller Herzeleid. Meinem Gott danke ich dafür, dass ich würdig bin, dass die Welt mich hasst. Bitte Du für mich, dass ich aus Babylon nach Jerusalem zurückkehre, damit nicht Nabuchodonosor, sondern Jesus, des Josedek Sohn, über mir herrsche. Esdras, d.h. übersetzt der Helfer, möge kommen und mich in mein Vaterland zurückführen! Wie töricht war ich, dass ich in fremdem Lande des Herrn Lied singen wollte, dass ich den Berg Sion verließ und in Ägypten Hilfe suchte! Ich vergaß das Evangelium, das [erzählt], wie der, welcher Jerusalem verlässt, unter die Räuber fällt und ausgeplündert, misshandelt, ja getötet wird.

Hieronymus zieht mannigfache biblische Bilder zur Illustration und zur Deutung seines Aufbruchs heran: Sowohl das Babylonische Exil als auch die Knechtschaft Israels in Ägypten dienen als Vergleiche für das von ihm gehasste und ihn hassende Rom, wo er nach dem Tod seines Gönners, Bischof Damasus, mit dem Klerus in Streit geraten war. In einer paradoxen Mischung aus Trauer und Dankbarkeit entfernt sich Hieronymus von der „Welt“ (mundus) und steuert Jerusalem an. Er kehrt von Babylon [=Rom] zurück (regrediar) und wird von Esra in seine Heimat zurück geführt (reducat me in patriam). Er gibt an, diese verlassen zu haben und daher in einem fremden Land (in terra aliena) unter die Räuber geraten zu sein, wie der Reisende aus dem lukanischen Gleichnis, dem der barmherzige Samariter zu Hilfe kommt. Der Kirchenvater konstruiert seinen Weggang aus den Konflikten in Rom als einen Auszug aus der „Welt“ und eine Rückkehr zum Eigentlichen und Ursprünglichen. Dabei inszeniert er sich Asella gegenüber als ein Pilger, der in eine bekannte und gleichzeitig noch unbekannte Heimat aufbricht – hatte doch Hieronymus das „Heilige Land“ bis dato noch nicht betreten. Seine physische Pilgerschaft führt ihn schließlich, nachdem er eine Vielzahl an Orten mit biblischer Vergangenheit in Palästina sowie Alexandria in Ägypten bereist hat, nicht, wie er Asella gegenüber angibt nach Jerusalem, sondern nach Bethlehem, gewissermaßen an den Ursprungsort des Christentums.

14

A. EINLEITUNG

Dort angekommen nimmt er eine weitere Reise in Angriff, die er mit ähnlichen Metaphern beschreibt, nämlich eine textgeschichtliche Reise zu den Ursprüngen der Heiligen Schrift des Alten Testaments: Hebraeum fontem recurrendum. Restat ergo, ut omissis opinionum rivulis ad ipsum fontem recurramus. Zur hebräischen Quelle muss man zurück laufen. Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als dass wir die Meinungen der Bächlein beiseite lassen und direkt zur Quelle zurücklaufen.

Von vielen „Bächlein“ der griechischen und lateinischen Bibeltexte zieht es ihn zurück zur Quelle, dem hebräischen Text, zu laufen (recurrere) – von trügerischen Übersetzungen zur Wahrheit (veritas) des alttestamentlichen Wortes Gottes, die er im hebräischen Text findet.1 So, wie er auf seiner Reise durch Palästina hebräische Reiseführer befragt,2 um ihm die originalen Schauplätze biblischer Geschichten auf seiner Reise nach Bethlehem zu zeigen und um die korrekte Aussprache und Etymologie der Ortsnamen von ihnen zu erfahren, wendet er sich auch bei seiner Bibelübersetzung an jüdische Gelehrte, um von deren Sprachkenntnissen und Gelehrsamkeit zu profitieren. Durch die Übersetzung des hebräischen Texts für seine lateinische Leserschaft transferiert er nicht nur einen bis dato der westlichen Christenheit unbekannten Bibeltext, sondern auch exegetische Kenntnisse aus seinem jüdischen Umfeld in Palästina: Semel proposui arcana eruditionis hebraicae et magistrorum synagogae reconditam disciplinam, eam dumtaxat, quae scripturis sanctis convenit, latinis auribus prodere.3 Ich habe mir einmal vorgenommen, den lateinischen Ohren das geheime hebräische Wissen und die verborgene Lehre der Lehrer der Synagoge, soweit sie mit den Heiligen Schriften in Einklang ist, hervorzuholen.

Wie Hieronymus dabei im Detail vorgeht, wenn er aus dem Hebräischen übersetzt, welches Wissen er den lateinischen Ohren preisgibt und welches er verborgen lässt, wird in dieser Studie untersucht.

1 2 3

Ep. 20,2 [ed. LABOURT Bd. I, 79, 12ff.]. Vgl. In Gal. II ad 3,10. Vgl. z.B. in Nah. prol. 29ff. In Zach. ad 6,9–17.

A.II. METHODIK UND AUFBAU

A.II.

15

Methodik und Aufbau der Arbeit

Hieronymus selbst charakterisiert seine Arbeit beim Übersetzen biblischer Texte in der Vorrede zum Kohelet-Kommentar (393) folgendermaßen: Hoc breviter admonens, quod nullius auctoritatem secutus sum; sed de hebraeo transferens, magis me septuaginta interpretum consuetudini coaptavi, in his dumtaxat, quae non multum ab hebraicis discrepabant. interdum aquilae quoque et symmachi et theodotionis recordatus sum, ut nec novitate nimia lectoris studium deterrerem, nec rursum contra conscientiam meam, fonte veritatis omisso, opinionum rivulos consectarer. Dies merke ich in Kürze an: dass ich nicht der Autorität von irgendwem gefolgt bin; sondern ich habe vom Hebräischen aus übersetzt. Mehrheitlich habe ich mich dabei der Gewohnheit der Siebzig Übersetzer angeglichen, freilich nur darin, wo sie nicht weit vom Hebräischen abwichen. Bisweilen habe ich mir [die Übersetzungen von] Aquila, Symmachus und Theodotion ins Gedächtnis gerufen, damit ich weder durch die Neuerung den Eifer des Lesers allzu sehr störe, noch gegen mein Gewissen die Quelle der Wahrheit (veritas) verlasse und den Sturzbächen der Meinungen (opiniones) nachjage.4

Hieronymus spricht hier von der Freiheit seiner Übersetzung von bisherigen Texten (nullius auctoritatem secutus sum), von seiner Präferenz des hebräischen Texts, aber auch von der Orientierung an der Septuaginta um der Gewohnheit seiner Leserschaft willen. Weiterhin weist er darauf hin, dass er bisweilen die Übersetzungen von Aquila, Symmachus und Theodotion, die von Origenes in der Hexapla zusammengestellt worden waren, rezipiert. Im weiteren Verlauf des Kohelet-Kommentars erwähnt Hieronymus zudem, dass er mit jüdischen Gelehrten zusammenarbeitet und von ihnen philologische und exegetische Informationen aufnimmt und verarbeitet.5 Dies lässt sich nun nicht nur über seine Übersetzungsarbeit innerhalb der Kommentare sagen, sondern auch über seine Bibelübersetzung Iuxta Hebraeos (IH) insgesamt, denn in den Vorreden zu seinen Bibelübersetzungen erwähnt Hieronymus diese Methodik, wenngleich nicht so kompakt formuliert wie im zeitlich entstandenen Koheletkommentar.6 Der erste Hauptteil der vorliegenden Arbeit (B.) wird sich den grundlegenden Fragen der Übersetzungstätigkeit des Hieronymus widmen, die sich an das o.g. Zitat anschließen: Wann und weshalb übersetzt Hieronymus aus dem hebräischen Text? Welche Rolle spielt für ihn dabei die von der christlichen Kirche für göttlich inspiriert gehaltene Septuaginta? Was beschreibt er mit dem Begriff hebraica veritas genau? Wie gestaltet sich der Kontakt zu jüdischen Gelehrten und wie stellt sich sein Verhältnis zum Judentum dar? Dafür werde ich zunächst anhand eines biographischen Abrisses Hieronymus als Übersetzer vorstellen (B.I.). In einem weiteren Abschnitt (B.II.), der den Übersetzungsprinzipien des Kirchenvaters gewidmet ist, werden dann der Weg des Hieronymus zur hebraica veritas und die damit verbundenen Kontroversen beschrieben (B.II.1.). Daran anschließend werde ich zeigen, dass Hieronymus sich sowohl beim Übersetzen der Bibel als auch dann, wenn er andere Werke ins 4 5 6

In Eccles. praef. [ed. ADRIAEN, CChr.SL 72, 249,11–18]. In Eccles. ad 1,14 s.u. S. 59. Beispiele hierzu finden sich in Abschnitt B.I.1.

16

A. EINLEITUNG

Lateinische überträgt, als Verfechter des Übersetzens ad sensum präsentiert, und wortwörtliches Übersetzen ablehnt (B.II.2.). In engem Zusammenhang dazu steht die Frage nach den stilistischen Ansprüchen an seine Übersetzung, die im Abschnitt B.II.3. dargestellt werden. Wie in Kapitel B.II.4. zusammenfassend gezeigt wird, ist für Hieronymus der Kontakt zu jüdischen Lehrern und Kontaktpersonen unausweichlich für sein Ziel, eine lateinische Übersetzung des Alten Testaments zu erarbeiten, die die Bedeutung des hebräischen Bibeltexts ad sensum wiedergibt. Daher nehme ich in einem weiteren Kapitel (B.III.) seinen Kontakt zu jüdischen Lehrern auf der Grundlage des Verhältnisses von Judentum und Christentum im spätantiken Palästina in den Blick. Der Abschnitt B.III.2. ist dabei der Differenzierung der Begriffe iudaeus und hebraeus bei Hieronymus gewidmet, die für seine Hermeneutik eine entscheidende Rolle spielt. Um zu untersuchen, wie Hieronymus die Orientierung an der hebraica veritas im konkreten Übersetzungsprozess umsetzt und von welchen Quellen er dabei wie stark beeinflusst ist, habe ich den lateinischen Text des Deuteronomium mit den Hieronymus vorliegenden Quellen (s.u.) in einer Detailstudie verglichen. Das Buch Deuteronomium wurde gewählt, weil es vergleichsweise wenig in der christlichen Dogmatik und Liturgie rezipiertes Material beinhaltet. Wie zu erwarten war, sind aus diesem Grund nur wenige Einflüsse christlicher theologischer Traditionen in der Übersetzung IH zu finden, so dass dieses Buch besonders geeignet dafür ist, einen besseren Aufschluss über den Umgang des Hieronymus mit jüdischen Quellen zu geben. Weiterhin spricht für die Wahl des Buches die Unterschiedlichkeit der darin enthaltenen Textgattungen, die von erzählenden über rechtliche bis hin zu poetischen Texten reicht. Gerade für die rechtlichen Texte existiert eine Fülle an halakhischen Auslegungen in der jüdischen Literatur der Antike, die auf Parallelen zu Hieronymus hin untersucht werden können. Überdies gibt es zu diesem Buch keinen Kommentar des Kirchenvaters, in dem er seine Übersetzung kommentiert. Da die Übersetzung des Pentateuchs in die letzte Phase seiner Bibelübersetzungen nach dem Hebräischen in die Zeit nach 400 n.Chr. fällt, ist damit zu rechnen, dass die Hebräischkenntnisse des Kirchenvaters zu diesem Zeitpunkt schon weit fortgeschritten sind, und er über viele Informationen seiner jüdischen Lehrer verfügt. Für den Vergleich wurden neben dem übersetzten Text des Hieronymus und dem masoretischen Text die heute verfügbaren Textüberlieferungen der Septuaginta, Vetus Latina-Fragmente und die Übersetzungen von Aquila, Symmachus und Theodotion herangezogen. Bei diesen Texten kann davon ausgegangen werden, dass sie Hieronymus schriftlich vorlagen.7 Weiterhin wurden insbesondere an den Stellen, an denen sich die Übersetzung des Hieronymus nicht aus einem dieser Texte erklären lässt, oder an denen unklar bleibt, auf welcher Grundlage er die Wahl einer dieser Traditionen trifft, weitere Texte herangezogen. Diese können Aufschluss darüber geben, welche Auslegungstraditionen den Kirchenvater geleitet haben. Dabei kommen Werken von Philo und Josephus, sowie lateinische und griechische Kirchenväter in Frage, die Hieronymus nachweislich rezipiert hat. Um sich denjenigen Auslegungstraditionen aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten in Palästina zu nähern, die Hieronymus auf mündlichem Wege von seinen jüdischen Gewährsmännern erfahren haben könnte, wurden frühe 7

Näheres siehe unten in den Abschnitten C.I.1.1, C.I.2.1, C.I.3.1, C.I.4.1, C.I.5.1, C.II.1.1.

A.II. METHODIK UND AUFBAU

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palästinische Midraschim und Targumim zu Rate gezogen. Bei der Untersuchung ließ sich dabei eine besondere Nähe zu den palästinischen Targumim Pseudo-Jonathan und Neofiti, zum Fragmententargum und zum Midrasch Sifre Devarim feststellen. Im Blick auf die Frage, wie sich Quelltext und übersetzter Text zueinander verhalten, hat sich folgende Differenzierung als sinnvoll erwiesen: Vorwiegend stilistisch motivierte Veränderungen müssen so weit wie möglich von solchen unterschieden werden, die einen inhaltlichen Einfluss anderer Traditionen nahe legen. So ist zu unterscheiden, (1) ob die Übersetzung auch trotz stilistischer Veränderungen das Bedeutungsspektrum des Quelltexts repräsentiert, (2) ob sie es einer Veränderung unterzieht, indem sie es erweitert oder verengt, (3) oder ob sie außerhalb des ursprünglichen Bedeutungsspektrums liegt. (4) Daneben existiert eine Reihe von Stellen, an denen der hebräische Text von antiken Auslegern und Übersetzern, teils auch von der heutigen Exegese als schwer verständlich eingestuft wird. Dabei handelt es sich meist um Hapaxlegomena, Eigennamen oder seltene Wortkombinationen. Zur Illustration dieser Differenzierung mögen hier einige Beispiele aus der Arbeit des Hieronymus dienen: ad (1) In Dtn 25,8 findet sich im Hebräischen 4) in einer dialogischen Rede. Hieronymus gibt es mit et respondit wieder, was innerhalb des möglichen Bedeutungsspektrums des Verbs im Quelltext liegt. ad (2) Ein anderer Fall liegt in Dtn 1,19 vor: Hieronymus übersetzt "% („gehen“) mit transire („hindurchgehen“), was stilistisch und inhaltlich im Kontext des Verses nachvollziehbar ist. Er präzisiert und verengt damit zwar das Bedeutungsspektrum des Quelltexts, steht diesem jedoch nicht entgegen. ad (3) Der dritte Fall liegt vor, wenn die Wiedergabe im zielsprachlichen Text außerhalb des Quelltexts liegt. Ein Beispiel ist die Übersetzung des hebräischen 42 („Fels“) mit Deus (Dtn 32,4). Zwar ist nachvollziehbar, wie die Interpretation zustande kommt, nämlich durch Transformation einer bildhaften Formulierung in eine konkrete, doch liegt der zielsprachliche Ausdruck außerhalb des ursprünglichen Bedeutungsspektrums. Ähnliches lässt sich beobachten, wenn Hieronymus in Dtn 26,14 die hebräische Formulierung 7)% („für den/ einen Toten“) mit in refunebri („für die Bestattung“) wiedergibt. Dabei knüpft er zwar an die Bedeutung des Zieltexts an, präzisiert und konkretisiert sie aber in einer Weise, die im Zieltext Bedeutungsnuancen präsentiert, die im Ausgangstext fehlen. ad (4) Zu der Gruppe schwer verständlicher hebräischer Formulierungen zähle ich, freilich als heuristische Einteilung, alle diejenigen Passagen, bei denen die Wortbedeutung in antiken Übersetzungen und Kommentaren bzw. in der heutigen Forschung umstritten ist. Bisweilen kann es Fälle geben, die im Übergangsbereich zwischen zwei Gruppen liegen. Allerdings stehen dieser Zuordnung sowohl die Resultate moderner philologischer und theologischer Forschung zur Seite, als auch (und dies darf im konkreten Fall nicht vernachlässigt werden) historische Zeugnisse aus dem Umfeld des Kirchenvaters.

18

A. EINLEITUNG

Bei der Untersuchung des Deuteronomiums wurde zunächst analysiert, wie sich der Text des Hieronymus und der hebräische Text zueinander verhalten. Außerdem wurden hebräischer und lateinischer Text mit den Texttraditionen der Septuaginta verglichen. Dadurch ergeben sich folgende Konstellationen: • •





Alle drei Texte stimmen (bis auf stilistische Details) inhaltlich überein. Hieronymus weicht parallel zur Septuaginta vom hebräischen Text ab, interpretiert diesen (2) oder verlässt dessen Bedeutungsspektrum (3). Entsprechende Fälle wurden als Einfluss der Septuaginta gewertet. Teilweise, aber selten, stimmen Hieronymus’ Formulierungen wörtlich mit Vetus-Latina-Versionen überein. Hieronymus stimmt mit dem hebräischen Text überein, die Septuaginta bietet jedoch eine andere Bedeutung als Hieronymus, im Sinne von Kategorie (2) oder (3). In diesen Fällen wurde untersucht, ob sich diese Übereinstimmung aus den philologischen Kenntnissen des Kirchenvaters erklären lassen (z.B. bei Numerus-Abweichungen, fehlenden Worten u.ä.), oder ob Parallelen und Einflüsse der Hexapla oder anderer jüdischer Texte vorliegen. Hieronymus bietet eine Interpretation des hebräischen Texts, die weder aus diesem abzuleiten noch auf die Übersetzung der Septuaginta zurückzuführen ist. In diesem Fall wurde überprüft, ob sich Parallelen zu Hieronymus’ Interpretation in den hexaplarischen Versionen oder in weiteren jüdischen oder christlichen Texten finden, die die entsprechende Bibelstelle übersetzen oder anderweitig rezipieren.

Diese Analyse bildet die Grundlage der in Teil C. vorgestellten Texte. Das erste Kapitel (C.I.) widmet sich Beispielen, in denen Hieronymus gegen die Septuaginta dem hebräischen Text folgt oder diesen interpretierend weiterführt. Die Unterkapitel sind nach dem Einfluss der jeweiligen Quellen geordnet: C.I.1. nimmt Stellen in den Blick, an denen Hieronymus direkt am hebräischen Text arbeitet und z.T. auch gegen die Hexapla die Septuaginta korrigiert. Hexaplarische Texte als Einflüsse auf Hieronymus werden in den Abschnitten C.I.2.–C.I.6. nach folgender Systematik dargestellt: Nach einer Einführung zur Bedeutung der Hexapla für Hieronymus (C.I.2.), werden Aquila (C.I.3.), Symmachus (C.I.4.) und Theodotion gesondert behandelt (C.I.5.). Stellen, die Parallelen zu mehreren hexaplarischen Versionen aufweisen, werden im Abschnitt C.I.6. analysiert. Auf Einflüsse jüdischer Traditionen, die Hieronymus über den Kontakt zu seinen Lehrern vermittelt bekommen hat, konzentriert sich der Abschnitt C.I.8. Der zweite große Teil (C.II.) ist Texten gewidmet, an denen Hieronymus die hebraica veritas verlässt und gegen den hebräischen Text mit der Septuaginta (C.II.1.) übersetzt oder Auslegungen wählt, zu denen keine Parallelen gefunden werden konnten (C.II.2.). Die wenigen Stellen, an denen sich Hieronymus aufgrund christlicher Auslegungstraditionen vom hebräischen Text entfernt, sind im Abschnitt C.II.3. zusammengestellt. Teil D. führt die Beobachtungen zusammen und wertet sie im Rahmen der Ergebnisse des ersten Teils aus.

A.III. FORSCHUNGSÜBERBLICK

A.III.

19

Forschungsüberblick

Das Thema dieser Studie berührt unterschiedliche Fragestränge in der Hieronymusforschung. An erster Stelle steht die der Charakterisierung des Hieronymus als Übersetzer im Allgemeinen, dazu kommt die Gewichtung der hebraica veritas in seiner Theologie. Ein weiteres Feld bildet die Erforschung jüdischer Traditionen im Werk des Kirchenvaters, seines Kontakts zu jüdischen Lehrern und die Einschätzung seiner Hebräischkenntnisse. Einer genaueren Untersuchung der übersetzungstheoretischen Äußerungen des Kirchenvaters in seiner ep. 57 de optimo genere interpretandi widmet sich erstmals die kommentierte Ausgabe des Briefes von GERHARDUS BARTELINK.8 Auch die Arbeiten von HEINRICH MARTI9 und MARKUS MÜLKE10 nehmen Hieronymus unter translationstheoretischen Gesichtspunkten unter die Lupe. In beiden Untersuchungen steht die Frage des Verhältnisses von sensualem und wörtlichem Übersetzen in der Umwelt des Hieronymus im Zentrum.11 Hatte MARTI sich dafür ausgesprochen, dass Hieronymus für biblische und nichtbiblische Text unterschiedlichen Übersetzungsprinzipien folgt und für heilige Texte bevorzugt, wortwörtlich zu übersetzen, so zeigt MÜLKE durch eine genaue Analyse von Kontext und Argumentationsgang, dass sich Hieronymus in ep. 57,6 auf bestehende Bibelübersetzungen aus dem Griechischen bezieht, bei denen eine wörtliche Übertragung ins Lateinische stilistisch nicht selten zu erträglichen Ergebnissen führt. CHRISTOPH MARKSCHIES erarbeitete erstmals einen an den Quellen dargestellten chronologischen Überblick zum Verhältnis von Septuaginta und hebraica veritas bei Hieronymus.12 Er zeigt, wie sich die Kritik des Kirchenvaters an der alexandrinischen Bibel im Laufe der Zeit verstärkt. Dies geht mit der Dekonstruktion der im christlichen Bereich breit rezipierten Entstehungslegende einher. Wichtige Details zur Motivation für das Übersetzen Iuxta Hebraeos stellte schon zuvor (1992) SARAH KAMIN zusammen.13 Ihr Schwerpunkt liegt darauf, dass bisher häufig übersehen wurde, welche Rolle es für Hieronymus spielt, dass es sich bei der Septuaginta um eine jüdische Übersetzung handelt, die heilsgeschichtlich zu einem Zeitpunkt vor Christus entstanden ist. EVA SCHULZ-FLÜGEL untersucht in ihren Beiträgen von 2000 und nochmals 2014, inwieweit die Septuaginta auch nach der „Entdeckung“ der hebraica veritas bei Hieronymus eine Rolle spielt. Sie zeigt, dass er gerade in nicht-exegetischen 8 9 10 11 12 13

BARTELINK, GERHARDUS J. M., Hieronymus’ Liber de optimo genere interpretandi (Epistula 57). Ein Kommentar, Mn.S 61, Leiden u.a. 1980. MARTI, HEINRICH, Übersetzer der Augustin-Zeit. Interpretation von Selbstzeugnissen, München 1974. MÜLKE, MARKUS, Der Autor und sein Text, Berlin 2008. Vgl. meine Auslegung des Briefs auf S. 40–44. MARKSCHIES, CHRISTOPH, Hieronymus und die „Hebraica veritas”. Ein Beitrag zur Archäologie des protestantischen Schriftverständnisses?, in: M. HENGEL (Hg.), Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum, WUNT 72, Tübingen 1994, S. 131–181. KAMIN, SARAH, The Theological Significance of the Hebraica Veritas in Jerome’s Thought, in: M.A. FISHBANE (Hg.), Sha’arei Talmon. Studies in the Bible, Qumran and the Ancient Near East. Winona Lake 1992, S. 243–253.

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A. EINLEITUNG

Kontexten häufiger auf die griechische Bibel oder deren altlateinische Tochterübersetzungen zurückgreift als seine Positionierung in der Apologetik der hebraica veritas vermuten lässt.14 Dass Hieronymus sich als einer der wenigen Theologen seiner Zeit mit dem Hebräischen beschäftigte, hat das Bild des Kirchenvaters über die Jahrhunderte geprägt. Kritik daran und an der Selbstdarstellung des Hieronymus als hebräischkundigen Wissenschaftlers, der allein von seinen jüdischen Informanten abhängig ist, setzt 1895 mit der Untersuchung von ERICH K LOSTERMANN ein.15 Dieser zeigt, dass Hieronymus in ep. 18 mehrfach jüdische Traditionen von Origenes übernimmt, ohne diesen als Quelle zu benennen und so den Eindruck erweckt, als handle es sich um direkt von Juden gesammeltes Material. Diesen Faden nimmt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts GUSTAVE BARDY auf (1934) und zeigt weitere Stellen bei Hieronymus auf, an denen er jüdische Traditionen referiert, die er von Origenes und Euseb übernimmt.16 Hatte trotz dieser quellenkritischen Beobachtungen BARDY und auch vor ihm K LOSTERMANN die Sprachkenntnisse des Kirchenvaters nicht in Frage gestellt, so behauptet PIERRE NAUTIN erstmals 1977 in seiner Origenes-Monographie,17 dass Hieronymus über keinerlei Kenntnisse des Hebräischen und der jüdischen Auslegungskunst verfüge, die über das hinaus gehen, was er von Origenes und Euseb übernommen habe. Diese These wiederholt NAUTIN in seinem Beitrag in der TRE, wodurch seine Theorie weite Verbreitung fand, wenngleich sie eine singuläre Extremposition in der Hieronymusforschung darstellt.18 Auch GÜNTER STEMBERGER hält die Kritik NAUTINS für überzogen, wenngleich er Hieronymus’ Schilderungen, vielfach mit jüdischen Lehrern gearbeitet zu haben, weniger historische Glaubwürdigkeit einräumt als die übrigen Forscherinnen und Forscher dies tun.19 Aufgrund der Bevölkerungsstruktur im christlich geprägten und für Juden verbotenen Jerusalem und seinem Umland hält STEMBERGER es für unplausibel, dass Hieronymus tatsächlich mit jüdischen Gelehrten und nicht nur mit Konvertiten in Kontakt gekommen sei. Diese Position wird allerdings selten positiv rezipiert, lässt sie doch außer Acht, dass Hieronymus selbst mehrfach von Reisen und Kontakten außerhalb Bethlehems

14 SCHULZ-FLÜGEL, EVA, Hieronymus, Feind und Überwinder der Septuaginta? Untersuchungen anhand der Arbeiten an den Psalmen, in: AEJMELAEUS, ANNELI / QUAST, UDO: SeptuagintaPsalter und seine Tochterübersetzungen, MSU 24 Göttingen 2000, 33–50. DIES., Hieronymus – Gottes Wort. Septuaginta oder hebraica Veritas, in: W. KRAUS / S. KREUZER u.a. (Hg.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2004, S. 746–758. 15 KLOSTERMANN, ERICH, Die Überlieferung der Jeremiahomilien des Origenes, in: TUGAL 16/3 (1897), S. 76–83. 16 BARDY, GUSTAVE, Saint Jérome et ses Maîtres Hébreux, in: RBén 46 (1934), S. 145–164. 17 NAUTIN, PIERRE, Origène, 1. Sa vie et son oeuvre, Christianisme antique 1, Paris 1977, besonders 214–219.326–361. 18 DERS., Art. Hieronymus, in: TRE XV (1986), 304–315. 19 STEMBERGER, GÜNTER, Hieronymus und die Juden seiner Zeit, in: D. KOCH (Hg.), Begegnungen zwischen Christentum und Judentum in Antike und Mittelalter, SIJD 1, Göttingen 1993, S. 347–364; DERS., Exegetical Contacts between Christians and Jews in the Roman Empire, in: M. SAEBØ (Hg.), HBOT 1/1, Göttingen 1996, S. 569–586, bes. 583.

A.III. FORSCHUNGSÜBERBLICK

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berichtet. Neue Darstellungen bringen dem Selbstzeugnis des Kirchenvaters gemeinhin mehr Vertrauen entgegen.20 Die wichtigste und umfangreichste Arbeit stellt hierbei der Beitrag von ILONA OPELT dar, die die Quellen zu Hieronymus’ jüdischen Lehrern detailliert auswertet.21 Ein gewichtiger Grund, den Selbstzeugnissen des Kirchenvaters Glauben zu schenken, ist die Beobachtung, dass Hieronymus’ Sprachkompetenz (ebenso wie seine Kontakte zu jüdischen Gelehrten) von seinen Zeitgenossen zwar problematisiert, aber nie in Abrede gestellt wurde.22 Daher hat auch die Forschung die Aussagen des Kirchenvaters hierzu bis auf die genannten Ausnahmen kaum in Zweifel gezogen, wenngleich die von K LOSTERMANN und BARDY aufgezeigten Abhängigkeiten von Origenes und Euseb vielerorts nicht zu leugnen sind. Mit Einzelphänomenen der hebräischen Sprache bei Hieronymus, dem Einfluss jüdischer Traditionen und seiner Übersetzung beschäftigen sich die folgenden Publikationen näher: Erste Studien zum Hebräischen bei Hieronymus hat CARL SIEGFRIED bereits 1884 vorgelegt23, nach ihm jedoch erst wieder JAMES BARR (1966/7). In den Beiträgen „St. Jerome and the Sound of Hebrew“ und „St. Jerome’s Appreciation of Hebrew“24 zeigt er unter anderem, dass Hieronymus mit hebräischer Vokalisierungstradition vertraut ist. Die Sprachkenntnisse des Kirchenvaters schätzt BARR so ein, dass dieser Hebräisch zwar nicht sprechen, jedoch lesen und verstehen konnte. Wie gut Hieronymus dabei grammatische Strukturen des Hebräischen kennt, bezeugt der Artikel von BENJAMIN K EDAR-KOPFSTEIN über „Die Wiedergabe des hebräischen Kausativs in der Vulgata“.25 Er zeigt, wie Hieronymus mit Hif ‘il Formen im hebräischen Text umgeht und diese z.T. auch ohne Parallelen zu hexaplarischen Versionen durch Kombination mit dem Verb facere umschreibt. EITAN BURSTEIN setzt sich in seiner Arbeit „La compétence de Jérôme en hébreu. Explication des certaines erreurs“26 ebenfalls mit der Sprachkompetenz des Kirchenvaters auseinander. Dabei geht er insbesondere darauf ein, wie Fehler in Hieronymus’ Übersetzung zustande kommen. Die meisten der falschen oder abweichenden Übersetzungen, die z.T. Parallelen zu den recentiores darstellen, sind jedoch nicht als Argument gegen die Sprachkenntnisse des Kirchenvaters zu werten, sondern zeigen unterschiedliche Stadien des Erlernens der Sprache. In diese Richtung argumentieren auch die Beiträge von STEFAN REBENICH und HILLEL NEWMAN, die Hieronymus’ Sprachkenntnisse bestätigen.27

20 Vgl. die im Folgenden genannten Werke und HASSELHOFF, GÖRGE H., Revising the Vulgate. Jewish Interlocutors, in: ZRGG 64 (2012), S. 209–221. 21 OPELT, ILONA, San Girolamo e i suoi maestri ebrei, in: Augustinianum 28 (1988), S. 327–338. 22 So z.B. Augustin in civ. Dei XVIII,43. 23 SIEGFRIED, CARL, Die Aussprache des Hebräischen bei Hieronymus, in: ZAW 4 (1884), 34–83. 24 BARR, JAMES, St. Jerome's Appreciation of Hebrew, in: BJRL 1966, 281–302; DERS., St. Jerome an the Sound of Hebrew, in: JSS 12/1 (1967), 1–36. 25 KEDAR-KOPFSTEIN, BENJAMIN, Die Wiedergabe des hebräischen Kausativs in der Vulgata, in: ZAW 85 (1973), 196–219. 26 BURSTEIN, EITAN, La compétence de Jérôme en hébreu. Explication des certaines erreurs, in: REAug 21 (1975), S. 3–12. 27 REBENICH, STEFAN, Jerome: The “Vir Trilinguis” and the “Hebraica Veritas”, in: VC 47 (1993), S. 50–77. NEWMAN, HILLEL I., How Should We Measure Jerome’s Hebrew Competence? in: A. CAIN/J. LÖSSL (Hg.), Jerome of Stridon. His Life, Writings and Legacy. Farnham u.a. 2009, S. 131–140.

22

A. EINLEITUNG

Die Suche nach Parallelen zwischen exegetischen Werken des Hieronymus und jüdischen, insbesondere rabbinischen Texten wurde bereits seit dem Ende des vorletzten Jahrhunderts intensiv verfolgt. Zu den Untersuchungen, die sich meist als Sammlung von Einzelstellen präsentieren, zählen die Beiträge von MORITZ RAHMER ,28 LOUIS GINZBURG,29 SAMUEL K LEIN30 sowie die zusammenfassende Darstellung in dem Beitrag von WILLIAM HORBURY.31 Systematischere Studien an Prophetenkommentaren des Kirchenvaters setzen 1973 mit der Untersuchung von YVES-MARIE DUVAL (zu Jona) ein,32 und werden gefolgt von Publikationen von JAY BRAVERMAN (zu Daniel),33 PIERRE JAY (zu Jesaja)34, HÖHMANN (zu Amos).35 In diesen Untersuchungen ist jeweils auch der Einfluss jüdischer Traditionen auf die Werke im Blick. Die 1992 erschienene Monographie36 von DENNIS BROWN „Vir trilinguis. A Study in the biblical Exegesis of Saint Jerome“ stellt in erster Linie die Ergebnisse der bisherigen Forschung systematisierend zusammen. Erst in einer detaillierten Studie zum Jeremia-Kommentar des Hieronymus gelingt es MICHAEL GRAVES, die Beobachtungen am Kommentartext in das philologische Programm des Kirchenvaters einzuordnen, indem er ihn auf dessen Bildungshintergrund als römischen Rhetor („grammarian“) portraitiert.37 Im Aufsatz „St. Jerome and the Aramaic Targumim“ zeigt C. T. ROBERT HAYWARD, dass insbesondere. in den aramäischen Targumim eine Vielzahl von Parallelen zum Schaffen des Kirchenvaters gefunden werden kann. Auch in der vorliegenden Studie wurden bei der Suche nach Parallelen die Targumim besonders berücksichtigt. Besondere Aufmerksamkeit beim Studium des Einflusses hebräischer Traditionen auf Hieronymus wird seit jeher seiner Schrift Liber quaestionum hebraicarum in Genesim entgegen gebracht, in der er selbst eine große Menge jüdischer Traditionen referiert. Wie schon erwähnt, stellte bereits MORITZ RAHMER 1861 eine Reihe jüdischer Traditionen zusammen, die Hieronymus aufnimmt und die auch in Targumim und Midraschim zu finden sind. Besonders ausführlich hat sich im Jahre 1993 ADAM KAMESAR mit dem hebräischen Lernen und der griechischen

28 RAHMER, MORITZ, Die hebräischen Traditionen in den Werken des Hieronymus, 1. Teil. Quaestiones in Genesim, Berlin 1861; DERS., Die hebräischen Traditionen in den Werken des Hieronymus, 2. Teil. Die Commentarii zu den zwölf kleinen Propheten, Berlin 1902. 29 GINZBERG, LOUIS, Die Haggada bei den Kirchenvätern und in der apokryphischen Literatur II: Genesis, Berlin 1900. 30 KLEIN, SAMUEL, Targumische Elemente in der Deutung biblischer Ortsnamen bei Hieronymus, in: MGWJ 83 (1939), S. 132–141. 31 HORBURY, WILLIAM, Old Testament Interpretation in the Writings of the Church Fathers, in: M. J. MULDER (Hg.), Mikra. Text, Translation, Reading and Interpretation of the Hebrew Bible in Ancient Judaism and Early Christianity. Assen/Maastricht u.a. 1988, S. 727–787. 32 DUVAL, YVES-MARIE, Le livre de Jonas dans la littérature chrétienne grecque et latine. Sources et influence du commentaire sur Jonas de saint Jérôme, Paris 1973. 33 BRAVERMAN, JAY, Jerome’s Commentary on Daniel. A Study of Comparative Jewish and Christian Interpretations of the Hebrew Bible, Washington 1978. 34 JAY, PIERRE, L’Exégèse de Saint Jérôme. D’après son “Commentaire sur Isaïe”, Paris 1985. 35 HÖHMANN, BETTINA, Der Amos-Kommentar des Eusebius Hieronymus. Einleitung, Text, Übersetzung, Kommentar, Münster 2002. 36 BROWN, DENNIS, Vir Trilinguis. A Study in the Biblical Exegesis of Saint Jerome, Kampen 1992. 37 GRAVES, MICHAEL, Jerome’s Hebrew Philology. A Study Based on his Commentary on Jeremiah, VCSup 90, Leiden u.a. 2007.

A.III. FORSCHUNGSÜBERBLICK

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Philologie des Kirchenvaters anhand dieses Werks auseinander gesetzt.38 Er prägte für das exegetische Arbeiten des Kirchenvaters das weithin rezipierte Schlagwort der „rabbinic-recentiores philology“, was beispielsweise GRAVES in seiner o.g. Arbeit zum Jeremia-Kommentar nachzeichnet und auch Grundlage der vorliegenden Studie bildet: Die philologische Arbeit des Hieronymus hat als wichtige Korrektive die hexaplarischen Versionen einerseits und exegetisch-philologische Impulse seiner jüdischen Gesprächspartner andererseits. In der ins Englische übersetzten und ausführlich kommentierten Ausgabe der Quaestiones Hebraicae hat HAYWARD nachgewiesen, dass in mehr als 100 Fällen Parallelen zum Midrasch Bereshit Rabba und anderen rabbinischen Auslegungstraditionen existieren. Es zeigt sich jedoch auch, gerade an den Quaestiones hebraicae, dass Hieronymus’ Kenntnisse hebräischer Auslegungstraditionen und Etymologien nicht immer direkten Einfluss auf die Übersetzungsarbeit am Alten Testament Iuxta Hebraeos hatte. Dies hat FRIEDRICH AVEMARIE im Jahr 2010 in einem Aufsatz zusammenfassend dargestellt.39 Neben der Untersuchung an den Kommentarwerken des Kirchenvaters ist auch seine Übersetzung Iuxta Hebraeos, wenn auch in wesentlich geringerem Umfang, bereits untersucht worden. Die Beiträge VICTOR APTOWITZERS, FRIEDRICH STUMMERS und ALBERT CONDAMINS stellen dabei wertvolle Einzelstudien ausgewählter Stellen dar.40 Der Aufsatz von CYRUS G ORDON nimmt einige Stellen aus dem Proverbienbuch in den Blick.41 Die Arbeit von FELIX REUSCHENBACH, die die Genesis der Bibelübersetzung Iuxta Hebraeos systematisch untersucht, bricht bedauerlicherweise an dem Punkt ab, an dem laut Inhaltsverzeichnis jüdische Traditionen in den Blick kommen sollen.42 Eine unter philologischen und stilistischen Fragen wertvolle und umfangreiche Arbeit ist „The Vulgate as a Translation“, ebenfalls von o.g. BENJAMIN K EDAR-KOPFSTEIN (1968).43 Sowohl von COLETTE ESTIN als auch von JOHN CAMERON wurden die PsalterÜbersetzungen des Kirchenvaters untersucht.44 Während ESTIN den Schwerpunkt 38 KAMESAR, ADAM, Jerome. Greek Scholarship, and the Hebrew Bible. A Study of the Quaestiones Hebraicae in Genesim, OCPM, Oxford 1993. 39 AVEMARIE, FRIEDRICH, Hieronymus und die jüdische Genesis. Hebraicae quaestiones und Vulgata im Vergleich, in: A. HERRMANN-PFANDT (Hg.), Moderne Religionsgeschichte im Gespräch: Interreligiös, interkulturell, interdisziplinär, FS Christoph Elsas, Berlin 2010, S. 74–93. 40 APTOWITZER, VICTOR, Rabbinische Parallelen und Aufschlüsse zu Septuaginta und Vulgata, in: ZAW 29 (1909), S. 241–252; STUMMER, FRIEDRICH, Spuren jüdischer und christlicher Einflüsse auf die Übersetzung der großen Propheten durch Hieronymus, JPOS 8 (1928), 35– 48; DERS., Einige Beobachtungen über die Arbeitsweise des Hieronymus bei der Übersetzung des Alten Testaments aus der Hebraica Veritas, in: Bib 10 (1929), S. 3–30; DERS., „Convallis Mamre“ und Verwandtes, in: JPOS 12 (1932), S. 6–12; DERS., Beiträge zur Lexikographie der lateinischen Bibel, Bib 18 (1937), 23–50; DERS., Beiträge zu dem Problem „Hieronymus und die Targumim”, in: Bib 18 (1937), S. 174–181; DERS.,  #7= appropinquant. Zur Erklärung der Vulgata von Dt 33b, in: H. JUNKER et. al. (Hg.), Alttestamentliche Studien. Friedrich Nötscher zum sechzigsten Geburtstag, BBB 1, Bonn 1950, S. 265–270: CONDAMIN, ALBERT, L’Influence de la Tradition juive dans la version de Saint Jérôme, in: RSR 5 (1914), S. 1–21. 41 GORDON, CYRUS, Rabbinic Exegesis in the Vulgate of Proverbs, in: JBL 49/4 (1930), S. 384–416. 42 REUSCHENBACH, FELIX, Hieronymus als Übersetzer der Genesis, 1948. 43 KEDAR-KOPFSTEIN, BENJAMIN, The Vulgate as a Translation, Jerusalem 1968. 44 ESTIN, COLETTE, Les psautiers de Jérôme à la lumière des traductions juives antérieures, Rom 1984; CAMERON, JOHN S., The Vir Tricultus. An Investigation of Classical, Jewish and Christian Influences on Jerome’s Translation of the Psalter iuxta Hebraeos, Oxford 2006.

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A. EINLEITUNG

auf die Analyse möglicher literarischer Vorbilder für die Psalterübersetzung legt, und dabei lateinische und griechische sowie aramäische Übersetzungen tangiert, fokussiert die Studie von CAMERON die Einflüsse aus der Auslegungsgeschichte der Psalmtexte, die auf die Arbeit des Kirchenvaters eingewirkt haben. Er nimmt jedoch selten auf jüdische, in den allermeisten Fällen aber auf christliche Traditionen Bezug und analysiert Hieronymus’ Stil auf den Einfluss der klassischen lateinischen Rhetorik hin. Auch die Arbeit von MATTHEW KRAUS am Buch Exodus Iuxta Hebraeos fragt nach den Einflüssen verschiedener Quellen auf die Übersetzung des Kirchenvaters,45 nimmt aber auf sein jüdisches Umfeld zu wenig Rücksicht und sucht nicht systematisch nach Parallelen in rabbinischen und hellenistisch-jüdischen Schriften, die Einfluss auf Hieronymus gehabt haben könnten. Diese Lücke möchte die vorliegende Studie dadurch schließen, dass sie die Ergebnisse eines Vergleichs des Deuteronomiums Iuxta Hebraeos mit dem masoretischen Text, der Septuaginta, den hexaplarischen recentiores und weiteren jüdischen Auslegungstraditionen präsentiert. Dadurch soll ein Einblick gegeben werden, wie Hieronymus mit der hebraica veritas umgeht, und welche Vorlagen oder Einflüsse in welchem Maße sich in seinem Text wiederfinden.

45 KRAUS, MATTHEW A., Jerome’s Translation of the Book of Exodus iuxta hebraeos in Relation to Classical, Christian, and Jewish Traditions of Interpretation, University of Michigan 1996.

B.

Der Übersetzer Hieronymus

Könnte man Hieronymus heute zu seinen übersetzungstheoretischen Überlegungen befragen, so würde seine Antwort vielleicht ähnlich ausfallen wie die, die er einst Augustin gab: … quod autem genus interpretationis in scripturis sanctis sequendum sit, liber, quem scripsi de optimo genere interpretandi, et omnes praefatiunculae divinorum voluminum, quas editioni nostrae praeposuimus, explicant; ad illasque prudentem lectorem remittendum puto.46 Welcher Art der Übersetzung man bei den Heiligen Schriften folgen soll, erläutern das Buch, das ich über die beste Art zu übersetzen geschrieben habe, und alle Vorwörtlein der göttlichen Bücher, die wir unserer Ausgabe vorangestellt haben. Zu jenen, denke ich, sollte man den klugen Leser zurück schicken.

Augustin ließ sich diesen Rat gefallen: Im Antwortbrief (ep. 116) verleiht er seinem Wunsch Ausdruck, jenes „Buch“ des Hieronymus zu lesen.47 Es handelt sich um die ep. 57, ursprünglich ein Brief an Pammachius,48 den Hieronymus nachträglich häufig (liber) de optimo genere interpretandi nennt.49 Ob Augustin sich allerdings auch dahingehend als prudens lector erwies, dass er neben diesem Text auch einige der praefatiunculae divinorum voluminum,50 zur Hand nahm, i.e. die von Hieronymus verfassten Vorworte zu seinen Bibelübersetzungen, ist nicht überliefert. So wie Hieronymus es selbst im obigen Zitat Augustin empfiehlt, werde ich mich im ersten Hauptteil dieser Arbeit (B.) anhand von Äußerungen des Kirchenvaters in Briefen und in Vorreden zu Übersetzungen, Bibelausgaben und Kommentaren seiner Arbeit nähern, um so zu rekonstruieren, wie Hieronymus sich selbst als Übersetzer beschreibt. Die Einführung hierzu bildet eine biographische Skizze mit dem Fokus auf der Übersetzungstätigkeit des Kirchenvaters (B.I.). Für die anschließende Darstellung seiner Leitideen (B.II.) bietet sich ein themati46 Ep. 112,20 [ed. LABOURT Bd. VI, 40f., 28ff.]. 47 Hieronymus ep. 116,34 = Augustin ep. 82. Im Folgenden werden auch die Briefe Augustins aus dem Briefwechsel mit Hieronymus nach der Zählung im Corpus Hieronymianum angegeben. 48 Zu Pammachius, ein ehemaliger Senator, der nach dem Tod seiner Frau Paulina als Asket lebte, vgl. BARTELINK, Kommentar, 26 und FÜRST, Hieronymus, 199. 49 Mit diesem Titel bezeichnet Hieronymus den Brief häufiger: vgl. in Mal ad 3,1 [ed. ADRIAEN, CChr.SL, 76A, 928,33], prol. Par. (IH) [WEBER, 546,21], in Ion. praef. [ed. ADRIAEN, CChr.SL, 76, 377, 6], ep. 112,20 [ed. LABOURT Bd. VI, 40,30], adv. Ruf. II 27 [ed. LARDET, SC 303, 180,36]. Er spielt mit diesem Titel auf Ciceros Werk De optimo genere oratoris an, welches er in ep. 57,6 zitiert. Auch Rufin scheint den Brief des Hieronymus zu kennen, vgl. seine ironische Bemerkung in adv. Hier. II 8, dass außer dem Titel nichts Gutes an dem Buch zu finden sei. Zu Inhalt und Kontext des Briefes vgl. die detaillierte Auswertung des Texts unter B.II.2.4, S. 40ff. 50 Hieronymus verwendet für diese Vorreden unterschiedliche Termini, mal spricht er von prologus (z.B. prol. Reg. [WEBER 365,52]), bald von praefatiuncula (z.B. ep. 112,20 s.o.), bisweilen auch von praefatio (ep. 57,5; 112,4). WEBER/GRYSON stellen die hieronymianischen Vorreden den biblischen Büchern ihrer Ausgabe der „Biblia Sacra Vulgata“ voran. SCHAFF stellt den prudentes lectores seiner Zeit englische Versionen vieler Vorreden des Hieronymus zu Verfügung (NPNF 2, VI Jerome: Letters and Selected Works, 483–502), und DE BRUYNE versammelte sie 1920 in einer quellenkritischen Ausgabe (DE BRUYNE, Préfaces de la bible latine, passim).

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B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

scher Aufbau an – geschichtliche Entwicklungslinien sowie Bezüge auf seine Vorgänger und Vorbilder werden innerhalb der einzelnen Abschnitte nachgezeichnet. Dabei möchte ich zuerst (B.II.1) den Blick auf die textkritische Frage nach dem Woher der Übersetzung, also die nach der Wahl des Grundtexts lenken. Diese wird bei Hieronymus besonders im Bereich des Alten Testaments virulent. Hier begegnen wir dem von ihm geprägten Begriff der hebraica veritas. Anschließend, in Abschnitt B.II.2, steht die Auseinandersetzung mit den beiden Vorgehensweisen verbum de verbo und (sensus) ad sensum im Mittelpunkt. Das dritte Kapitel (B.II.3) wird sich dem Wohin der Übersetzung widmen: Hinsichtlich der Fragen des Stils in der lateinischen Zielsprache verwendet Hieronymus die Begriffe sancta simplicitas und elegantia, in denen sich das spannungsreiche Gegenüber und Miteinander von christlicher Theologie und Bildungsideal der paganen Latinität spiegeln.

B.I.

Biographisches

Sophronius Eusebius Hieronymus, um 348 in Stridon (nahe Emona/Ljubljana) geboren, schlug wie viele seiner Zeitgenossen den Weg zum Gelehrtendasein mit einem Rhetorikstudium in Rom ein.51 Nachdem er zusammen mit Rufin v. Aquileia die Ausbildung bei Aelius Donatus genossen hatte, begann ab 368 eine wechselvolle Zeit.52 Zunächst zog Hieronymus nach Trier, vermutlich, um der römischen Beamtenlaufbahn, dem cursus honorum, zu folgen. Schon bald siedelte er jedoch nach Aquileia um, mit dem Plan, ein monastisches Leben zu führen. Im Jahr 371 führte ihn dieses Verlangen weiter nach Osten, zunächst nach Konstantinopel, dann in Richtung Jerusalem. Eine Krankheit zwang ihn, eine Weile bei Evagrius in Antiochien Station zu machen, der ihm aus Aquileia bekannt war. In Antiochien und in der syrischen Wüste nahe Chalcis53 nahm Hieronymus für seine weitere Entwicklung als Theologe und Übersetzer wichtige Impulse auf: die Begegnung mit der Theologie des Origenes54 und erste Kenntnisse in der hebräischen und der aramäischen Sprache. Diese eignete er sich während seines Aufenthaltes in der Syrischen Wüste (375–377) an.55 Im Rückblick schreibt er darüber:

51 Umfangreiche biographische Darstellungen bilden die Werke von GRÜTZMACHER, KELLY und CAVALLERA. Handlichere Abrisse neueren Datums finden sich in den Darstellungen von FÜRST und, in eher tabellarischer Form, bei WILLIAMS (The Monk and the Book, 267ff.). 52 Eine detaillierte Darstellung dieser peregrinatio findet sich bei REBENICH, Kreis, 76ff. 53 Zur Lokalisierung vgl. REBENICH, Kreis, 86ff. 54 Zugang zu Werken des Alexandriners hatte Hieronymus vermutlich über die in Antiochien erhaltene Bibliothek des Eustathius, vgl. NAUTIN, Art. Hieronymus, 305. 55 Vgl. KAMESAR, Jerome, Greek Scholarship, and the Hebrew Bible, 41.

B.I. BIOGRAPHISCHES

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Dum essem iuvenis et solitudinis me deserta vallarent, incentiva vitiorum ardoremque naturae ferre non poteram, quem cum crebris ieiuniis frangerem, mens tamen cogitationibus aestuabat. Ad quam edomandam cuidam fratri, qui ex Hebraeis crediderat, me in disciplinam dedi, ut (…) alphabetum discerem, et stridentia anhelantiaque verba meditarer. Quid ibi laboris insumpserim, quid sustinuerim difficultatis, quoties desperaverim, quotiesque cessaverim, et contentione discendi rursus inceperim, testis est conscientia, tam mea qui passus sum, quam eorum qui mecum duxerunt vitam. Et gratias ago Domino, quod de amaro semine litterarum, dulces fructus carpo.56 Als ich jung war, und die Wüste der Verlassenheit mich umgab, konnte ich die Anreize der Laster und die Glut der Natur [sc. der Sinne] nicht länger ertragen. Obwohl ich diese [sc. Glut] durch häufiges Fasten schwächte, brodelte mein Geist von Phantasievorstellungen immerfort. Um diesen zu überwinden, begab ich mich zu einem gewissen Bruder, der vom Judentum konvertiert war, in die Lehre, damit ich (…) das Alphabet lernte und die zischenden und schnaubenden Worte verinnerlichte. Was ich dabei an Mühen aufgewandt habe und was für Schwierigkeiten ich auf mich nahm, wie oft ich verzweifelte und wie oft ich zauderte und wieder von Neuem begann, gewissenhaft zu lernen, dafür ist das Gewissen Zeuge –sowohl meines, der ich dies erlitten habe, als auch das derer, die mit mir dieses Leben führten. Nun aber danke ich Gott, dass ich aus der bitteren Buchstabensaat süße Früchte ernte.

In den Jahren 379–38257 hielt sich Hieronymus in Konstantinopel auf, wo er unter anderem bei Gregor v. Nazianz seine Kenntnisse der griechischen Exegese vertiefte. Aus dieser Zeit stammt auch die mutmaßlich älteste Übersetzung aus der Feder des Hieronymus: Eusebs Chronikon (380),58 eine tabellarische Übersicht über die Weltgeschichte, welche Hieronymus nicht nur ins Lateinische übertrug, sondern auch überarbeitete und ergänzte. Ihr folgte die Übersetzung einiger Homilien des Origenes zu Texten aus Jesaja, Jeremia und Ezechiel. Auch ep. 18 entstand in Konstantinopel, ein Brief an Bischof Damasus nach Rom, in dem Hieronymus zwar kein komplettes Werk übersetzt, aber mit Hilfe eines hebräischen Bibeltexts die Berufungsvision Jesajas auslegt. Im Sommer 382 kehrte Hieronymus nach Rom zurück. Er begann dort, eventuell beauftragt von Bischof Damasus,59 mit der Revision der lateinischen Evangelientexte auf Basis der graeca veritas, d.h. des (vermeintlichen) griechischen Urtextes.60 Neben einer ersten Überarbeitung des Psalters nach der Septuaginta61 nahm Hieronymus seine Arbeit am Werk des Origenes wieder auf und widmete 56 Ep. 125,12 [ed. LABOURT Bd. VII, 124,23–125,9]. In dieser Beschreibung an den jungen Mönch Rusticus aus dem Jahr 411 scheint das Erlernen des Hebräischen durch hartes phonologisches Training weniger philologisch als vielmehr asketisch motiviert. STEMBERGER (Hieronymus, 350ff.) deutet dieses Zitat auf Kenntnisse des Aramäischen bzw. Syrischen. Die in ep. 125 erwähnten dulces fructus sind jedoch besser auf Hieronymus’ ausgedehnte Arbeit am Hebräischen als auf seine rudimentären aramäischen Kenntnisse zu beziehen. 57 BROWN, Vir trilinguis, 91. 58 Vgl. KELLY, Jerome, 73, FÜRST, Hieronymus, 80f. Der Übersetzung des Chronikons inklusive der zugehörigen praefatio des Euseb stellt Hieronymus ein eigenes, an Vincentius und Gallienus adressiertes Begleitschreiben voran, die sog. chron. epist. [ed. HELM, GCS 47,1–7]). 59 So BROWN, Vir triliguis, 97; dagegen REBENICH, The „Vir triliguis“, 149f: „Gegen die vorherrschende Meinung, dass Damasus der Auftraggeber war, muss davon ausgegangen werden, das Hieronymus selbst Initiator der Revision war.“ NAUTIN (Art. Hieronymus, 305) bewertet auch den Briefwechsel mit Damasus als fiktiv. FÜRST (Hieronymus, 84) urteilt vorsichtiger und weist auf den Zusammenhang zwischen den Revisionen des Hieronymus und der Liturgiereform unter Damasus hin, der die Zweisprachigkeit zugunsten des Lateinischen abschaffte. 60 Zur Diskussion um die Revision der übrigen ntl. Bücher vgl. BROWN, Vir triliguis, 100ff. 61 Dass es sich dabei nicht um das sog. Psalterium Romanum handelt, ist in der neueren Forschung unbestritten, vgl. FÜRST, Hieronymus, 84. Die Diskussion darüber, welche Versionen der Septuaginta Hieronymus kannte und wie diese von der Arbeit des Origenes an der Hexapla abhängen, s.u. S. 210ff.

28

B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

sich in den Jahren 383/4 der Homilie zum Hohenlied. Nach dem Tod seines Gönners Damasus verschärften sich die Konflikte mit dem römischen Klerus so stark, dass Hieronymus sich gezwungen sah, Rom zu verlassen. Im Jahr 385 brach er erneut in den Osten auf, diesmal in Begleitung der römischen Asketinnen Paula und Eustochium.62 Sie besuchten Jerusalem sowie Alexandria in Ägypten63 und ließen sich 386 in Bethlehem nieder. Dort übersetzte Hieronymus ein weiteres Mal den Psalter und zwar nach der hexaplarischen Septuaginta. Danach wandte er sich der Übersetzung der Bücher Hiob, Chronik, Prediger und Hoheslied zu.64 Ende der 380er Jahre stellte Hieronymus auch die Übersetzung von De sancto spiritu des Didymos fertig (387),65 sowie die der Lukas-Homilien des Origenes (389). Ob Hieronymus nach seinem Aufenthalt in der syrischen Wüste auch in Konstantinopel und Rom Kontakt zu jüdischen Gelehrten hatte oder seine Kenntnisse größtenteils aus den Werken anderer christlicher Theologen entnimmt, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.66 Im Heiligen Land erweiterte Hieronymus seine Kennnisse der hebräischen Sprache und der jüdischen Bibelauslegung durch Unterricht bei jüdischen Lehrern z.B. in Tiberias und Lydda.67 Sein allmählich stärker werdendes Interesse am hebräischen Bibeltext zeigt sich auch in einigen Werken, die Hieronymus um 390 abschließt und die sich mit der Etymologie biblischer Namen, hebräischer Philologie und jüdischer Auslegungspraxis befassen: Der Liber interpretationis hebraicorum nominum (nom. hebr.), die Quaestiones Hebraicae in Genesim und De situ et nominibus locorum hebraicorum (sit. et nom.), letzteres eine Übertragung und Überarbeitung des Onomastikons des Euseb von Caesarea. Im Winter 392 begann Hieronymus mit der Übersetzung des AT aus dem Hebräischen. Dass es sich um ein ganz neues Projekt handelte, zeigt, dass Hieronymus auch für diejenigen Bücher, die schon in einer Übersetzung aus der Septuaginta vorlagen (Hiob, Chronikbücher, Kohelet, Hoheslied, Psalter), eine auf dem hebräischen Text basierende Übersetzung anfertigte. Zur Datierung einzelner Bücher gibt es in den Vorreden und Briefen des Hieronymus nur wenige Anhaltspunkte.68 Zunächst entstanden wohl Psalter, Propheten, Samuel/Könige mit dem prologus galeatus, dann das Buch Hiob. Aus den Jahren 395/6 stammen Esra, Nehemia und die Chronikbücher. Die Vorreden zu diesen Büchern stellen wichtige Quellen zur Rekonstruktion des Übersetzungsverständnisses von Hieronymus dar und werden in den folgenden Kapiteln intensiv ausgewertet. Daneben verfasste Hieronymus im Jahr 395 die programmatische ep. 57 De optimo genere interpre62 Zu den mitreisenden Personen vgl. REBENICH, Kreis, 193ff., und FÜRST, Hieronymus, 175.200ff. 63 Hier entsteht der Kontakt zu Didymus dem Blinden, dessen Werk De sancto spiritu Hieronymus übersetzt, um es in der lateinischen Welt publik zu machen, vgl. COURCELLE, Lettres, 109f. 64 Nach eigenem Zeugnis (ep. 134,2) gingen Teile dieser Arbeit durch Diebstahl verloren. Heute sind daher nur Psalter, Hiob und das Hohelied bekannt. 65 Diese hatte er womöglich schon in Rom begonnen, vgl. FÜRST, Hieronymus, 81. 66 Zu jüdischen Kontakten in Rom vgl. ep. 36,1. Offenbar war Hieronymus’ Begeisterung für das Hebräische in Rom schon so ansteckend, dass auch seine Schülerinnen begannen, die hebräische Sprache zu studieren, vgl. ep. 29,1; 39,1. Eine genauere kritische Analyse zu Hieronymus Berichten über seine Lehrer biete ich auf S. 59ff. 67 Zu diesen zählt Baranina (+!+4), den Hieronymus in ep. 84,3 erwähnt. Näheres s. S. 59ff. 68 Für die frühen Übersetzungen aus dem Hebräischen orientiere ich mich an den Datierungen von JAY, La datation, 208ff. Zu den Datierungsschwierigkeiten vgl. STUMMER, Einführung, 91f.; NAUTIN, Art. Hieronymus, 310; FÜRST, Hieronymus, 85.

B.I. BIOGRAPHISCHES

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tandi. Dieses Werk ist adressiert an seinen römischen Vertrauten Pammachius.69 In diesem Brief verteidigt Hieronymus seine freie lateinische Übersetzung eines Briefs des Epiphanius von Salamis gegen Johannes von Jerusalem, durch die er bei Unterstützern des Jerusalemer Bischofs in die Kritik geraten war. Diese nämlich befürchteten, dass Johannes durch allzu freien Umgang des Übersetzers mit der Vorlage für einen Origenisten hätte gehalten werden können.70 Bis zum Jahr 400 widmete sich Hieronymus dem Verfassen von Bibelkommentaren und Beiträgen zur origenistischen Kontroverse, darunter Übersetzungen einiger weiterer Briefe des Epiphanius (394/5) und von Περὶ ἀρχῶν (398).71 Die sogenannten Salomonischen Bücher des Alten Testaments (Prediger, Sprüche, Hoheslied) übersetzte Hieronymus nach eigenen Angaben in nur drei Tagen (opus tridui),72 wohl ebenfalls im Jahr 398.73 Ob ihn sein Engagement in der origenistischen Kontroverse, die Arbeit an seinen Kommentaren oder auch eine längere Krankheit74 von der kontinuierlichen Weiterarbeit an der Übersetzung nach der hebraica veritas abgehalten hatten, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Ab der Jahrhundertwende nahm Hieronymus die Übersetzung des AT wieder intensiver auf: Auf die Arbeit am Pentateuch folgten die Bücher Josua, Richter, Ruth und Esther, sowie abschließend Judith und Tobit (etwa 406/7).75 Zeitgleich verwickelte Hieronymus sich in zwei Kontroversen, in denen seine Übersetzungsarbeit und seine Kompetenz wiederholt in Frage gestellt wurden: Zunächst bezog er im Streit um die Περὶ ἀρχῶν-Übersetzung von Rufin durch die drei Bücher der Apologia adversus Rufinum Stellung. Danach, in den Jahren 404 und 405, wandte sich Hieronymus mit ep. 112 und 115 gegen die Kritik Augustins an seiner Übersetzung des Alten Testaments aus dem Hebräischen.76 Nach Abschluss der Arbeit an den Büchern des hebräischen Kanons um 406 übersetzte Hieronymus bis zu seinem Tod im Jahr 420 keine weiteren Werke mehr. Im letzten Jahrzehnt seines Lebens entstanden Kommentierungen der großen Propheten, in denen sich vergleichsweise wenig explizite Erläuterungen seines Übersetzungsverständnisses finden. Umso deutlicher wird darin jedoch der Einfluss jüdischer Exegese und die gereiften Kenntnisse der hebräischen Philologie. An diesem biographischen Abriss lässt sich deutlich ablesen, dass Hieronymus ab einem gewissen Zeitpunkt seine Arbeit an der Übersetzung der Septuaginta abbrach, sich der Übersetzung biblischer Texte aus dem Hebräischen widmete, und sogar schon aus der Septuaginta übersetzte Bibeltexte durch Neuübersetzungen aus dem Hebräischen ersetzte. Weiterhin fällt auf, dass Hieronymus nicht erst zu diesem Zweck Kenntnisse der hebräischen Sprache und der jüdischen Ausle69 Datierung nach MÜLKE, Autor, 146ff. In Kapitel B.II.2.4 (ab S. 40) wird dieser für die Übersetzungstheorie des Hieronymus entscheidende Brief samt seiner Rezeption in der modernen Forschung eingehend diskutiert. 70 Auch die näheren Umstände dieses Briefes werden unten diskutiert (vgl. S. 40ff.) 71 Die hieronymianische Περὶ ἀρχῶν-Übersetzung ist nur fragmentarisch in ep. 124 erhalten. 72 Prol. Sal. [WEBER 957,9]. 73 Z.B. NAUTIN, Art. Hieronymus, 306. Dass BROWN für Hieronymus eine Übersetzungspause schon ab 394 annimmt (Vir trilinguis, 103), liegt daran, dass er die Salomonischen Bücher bei seiner Rekonstruktion übergeht. 74 Vgl. CAVALLERA, Saint Jérôme I, 289. 75 FÜRST, Hieronymus, 85. 76 403–5: ep. 104, 112, 110, 115f.; Zum vorher schon schwelenden Streit mit Augustin s. FÜRST, Augustins Briefwechsel mit Hieronymus, 45ff.; HENNINGS, Der Briefwechsel zwischen Augustinus und Hieronymus, 121ff.

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B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

gungspraxis erwarb. Sein Interesse am hebräischen Hintergrund des Alten Testaments erwachte schon um mehr als zehn Jahre früher, bevor er den hebräischen Text als Grundlage für seine Bibelübersetzung wählte. Woher der Impuls kam, sich konsequent dem hebräischen Bibeltext zuzuwenden, mit welchen (eigenen oder fremden) Vorbehalten sich Hieronymus auseinanderzusetzen hatte, und mit welchen Argumenten er sich gegen Vorwürfe zur Wehr setzte, und wie dies mit seinem Konzept der hebraica veritas zusammenhängt, soll im folgenden Kapitel erörtert werden.

B.II.

Übersetzungsprinzipien des Hieronymus

B.II.1.

Von Quellen und Bächen

Zeichnet man die Entwicklung der textkritischen Vorgehensweise bezüglich biblischer Texte bei Hieronymus nach, ergibt sich im Überblick folgendes Bild: Während seiner frühen Übersetzungstätigkeit an der Evangelien-Revision orientierte er sich am griechischen Text (graeca veritas), den er für den originalen hielt. Dass im ausgehenden vierten Jahrhundert auch eine große Vielfalt griechischer neutestamentlicher Texte verbreitet war, schien Hieronymus nicht zu tangieren. Gleichzeitig vertiefte sich sein Interesse am Hebräischen, eine Frucht der Beschäftigung mit der Exegese des Origenes. Nach seiner Umsiedelung nach Bethlehem arbeitete Hieronymus zunächst an einer Revision des AT nach der hexaplarischen Septuaginta.77 Diese brach er um 390 ab und wandte sich beim Übersetzen ganz der hebraica veritas zu. Die Gründe für diesen Schritt sollen im Folgenden detaillierter in den Blick genommen werden. Damit geht bei Hieronymus eine zunehmend kritische Haltung gegenüber der Septuaginta als vertrauenswürdige Basis für theologische Arbeiten einher.78 Besonders im Briefwechsel mit Augustin79 wird deutlich, welche theologischen Auseinandersetzungen Hieronymus mit diesem philologisch orientierten Arbeiten und der daraus folgenden Kritik an der Septuaginta und der mit ihr verbundenen Inspirationsvorstellungen provozierte.80 77 Zur Terminologie s.o. Obwohl ich mit GRAFTON/WILLIAMS u.a. davon ausgehe, dass die von Origenes textkritisch markierte Septuaginta nicht in der fünften Spalte der Hexapla zu finden war, verwende ich im Folgenden weiterhin den Begriff „hexaplarisch“, da Origenes diese Version auf Grundlage der Hexapla erarbeitet hat. Zur Diskussion vgl. S. 210ff. 78 Die Entwicklung der Haltung des Hieronymus zur Septuaginta findet sich ausführlich dargestellt in: MARKSCHIES, Hieronymus und die „hebraica veritas“, passim, und VELTRI, Libraries, Translations, and ,Canonic‘ Texts, 63–77. 79 Die hier untersuchten Briefe geben nur denjenigen Ausschnitt des umfangreichen Briefwechsels wieder, der für die Fragen nach der Septuaginta relevant ist. Zur Rekonstruktion der Chronologie vgl. FÜRST, Briefwechsel, 108. 80 Zum Umgang des Hieronymus mit der Inspiration der LXX vgl. S. 33, sowie S. 31 Anm. 122.

B.II. ÜBERSETZUNGSPRINZIPIEN

B.II.1.1

31

Die graeca veritas des Neuen Testaments

Blicken wir zunächst auf die Vorgehensweise des Hieronymus bei der Revision der Evangelien zu Beginn der 308er Jahre: Grund und Anlass war vermutlich die nicht nur von Damasus bemängelte Vielzahl an divergierenden lateinischen Versionen.81 Um dieses Problem zu beheben greift Hieronymus die griechische Urfassung zurück: Si enim latinis exemplaribus fides est adhibenda, respondeant quibus; tot sunt paene quot codices. Sin autem veritas est quaerenda de pluribus, cur non ad graecam originem revertentes ea quae vel a vitiosis interpretibus male edita, vel a praesumptoribus imperitis emendata perversius, vel a librariis dormientibus aut addita sunt aut mutata, corrigimus. Wenn man nämlich den lateinischen Übersetzungen gegenüber Treue halten soll, dann entgegne man: Welchen? Es gibt nämlich beinahe so viele, wie es Handschriften (codices) gibt. Wenn man aber den Originaltext (veritas) aus vielen herausfinden muss, warum sollten wir uns dann nicht dem griechischen Ursprung (origo) zuwenden und das korrigieren, was von fehlerproduzierenden Übersetzern schlecht ausgedrückt wurde, oder was von unerfahrenen Wagehälsen noch verdrehter herausgegeben wurde, oder was von schlafenden Bibliothekaren entweder hinzugefügt oder verändert wurde.82

Für den fremdsprachigen Urtext, auf den Hieronymus zurückgreift, und die von ihm abgeleiteten Übersetzungen verwendet er gern das Bild von fons („Quelle“) und rivuli („Bächlein“).83 Hoc certe cum in nostro sermone discordat et diversos rivulorum tramites ducit unio, de fonte quaerendum est. Da dieses [sc. das NT] ja in unserer Sprache nicht übereinstimmend überliefert ist und eine Gegenüberstellung verschiedene Seitenarme kleiner Bäche (rivuli) vor Augen führt, muss man nach der Quelle ( fons) fragen.84

Neben der Quellmetapher bedient sich Hieronymus des Begriffs veritas,85 und zwar meist in einem philologisch-textkritischen Sinne, in der Bedeutung von „Urtext, Vorlage, unverfälschtes Original“. Handelt es sich um Evangelientexte oder um Originaltexte griechischer Theologen wie Didymos, Origenes u.a., spricht Hieronymus von einer graeca veritas, oder synonym von der graeca origo. Dies zeigt, dass es sich auch bei dem Terminus hebraica veritas in erster Linie um eine Bezeichnung für die hebräische Textbasis handelt, deren Gegenstück 81 Zur Rolle des römischen Bischofs Damasus vgl. Anm. 59, S. 19. 82 Praef. Evang. [WEBER, 1515,12–16], vgl. Augustin, der diese Beobachtung samt Einschätzung teilt (doct.chr. II 16 (23)). 83 Es ist zu vermuten, dass Hieronymus diese Metapher von Cicero übernimmt, der sie allerdings nicht in translatorischem Zusammenhang prägte: Er charakterisiert in de orat. II 117 Rhetorikschüler, die Argumente aus zweiter Hand verwenden: tardi ingeni est rivulos consectari, fontem rerum non videre (Es zeichnet einen trägen Geist aus, den Bächen zu folgen und die Quelle der Dinge nicht zu sehen.). Vgl. FÜRST, Hieronymus, 266 Anm. 68. Hieronymus nutzt dieses Bild auch in ep. 27,1; 34,4; 85,5; 106,2. In Bezug auf nichtbiblische Texte findet es sich in praef. Did., wo Hieronymus von seinem Ansinnen spricht, durch eine quellengetreuere Übersetzung die rivuli der schlechten Übersetzung des Ambrosius abzulösen: … qui hunc legerit … contemnet rivulos, cum coeperit haurire de fontibus [ed. DOUTRELAU, SC 386, 140, 32f.] (... wer dies liest, lässt verächtlich die Bächlein beiseite, sobald er beginnt aus den Quellen zu schöpfen.). 84 Praef. Evang. [WEBER, 1515,22f.]. 85 Praef. Evang.: … quae cum graeca consentiant veritate [WEBER, 1515,4]. Vgl. auch ep. 124,1 bezüglich der Übersetzung von Περὶ ἀρχῶν: postulans, ut graecam veritatem servaret latina translatio [ed. LABOURT Bd. VII, 95,11f.].

32

B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

sekundäre und fehlbare Übersetzungen bilden.86 Letztere bergen, im Gegensatz zur veritas des Urtexts, die Möglichkeit von bewusster und unbewusster Fälschung (mendacium).87

B.II.1.2

Der Begriff veritas bei Hieronymus

Wie am Beispiel des NT und anderer griechischer Texte zu sehen war, verwendet Hieronymus den Begriff der veritas in einem philologisch-textkritischen Sinne für einen verlässlichen Urtext. Dies wird auch bei den folgenden Untersuchungen von Texten deutlich, in denen er das Alte Testament in den Blick nimmt. Als veritas des AT kommt für Hieronymus ab Mitte der 390er Jahren nur noch der hebräische Text in Frage. Zusätzlich zu der bereits erwähnten textkritischen Dimension hat der Begriff veritas, bezogen auf das Hebräische, eine weitere, sprachphilosophische Bedeutung. Hierauf hat EVA SCHULZ-FLÜGEL jüngst eindrücklich hingewiesen.88 Das Hebräische ist für Hieronymus die Ur-Sprache des inspirierten Gotteswortes, die matrix aller anderen Sprachen.89 Hieronymus arbeitet, wie z.B. sein hohes Interesse an etymologischer Arbeit zeigt, auf der Grundlage einer Sprachphilosophie, die mit einem ontologischen Zusammenhang (κατὰ φύσιν) zwischen dem Seienden (ὄν) und seiner sprachlichen Bezeichnung (ὄνομα) operiert.90 Da nun das Hebräische die ursprüngliche Sprache der göttlichen Offenbarung alttestamentlicher Texte ist, ist in ihr die wahre Bedeutung des inspirierten Wortes Gottes am deutlichsten präsent.91 Noch ehe er den hebräischen Text aus textkritischer Perspektive als Grundlage für seine Übersetzung des Alten Testaments wählt, nutzt Hieronymus die hebräische Sprache, um den wahren Bedeutungsgehalt des Bibeltexts zu eruieren, wie zahlreiche Kommentierungen atl. Texte aus jener Zeit zeigen. Etwa ein Jahrzehnt bevor er den Terminus „hebraica veritas“ prägt,92 charakterisiert Hieronymus in ep. 20 an Damasus (382) sein Vorhaben, 86 Auch FÜRST zufolge ist es als „primär philologischer Begriff“ zu fassen. Gemeint ist „jeweils ein verläßlicher Text als … normative Grundlage für die Exegese“ (Hieronymus, 126). 87 Vgl. ep. 48,4, prol. Pent.; bezogen auf das AT prol. Iob (IH) S. 29. Näheres vgl. VELTRI, Tora, 166ff. Zur Thematik der Textverfälschung durch Übersetzung und Abschreiben vgl. S. 76ff. 88 Vgl. SCHULZ-FLÜGEL, Hieronymus, 755ff. 89 In tract. in Ps 2,88 beschreibt er, wie die hebräische Sprache Teil der Person des inspirierten Autors ist, dem sich Gott als organum zur Offenbarung von Prophezeihungen bedient. Gerade darin unterscheidet er sich von Augustins Differenzierung von res und signum, welche in der Konsequenz eine Gleichordnung aller sprachlichen Zeichen bedeutet und daher auch dem Hebräischen keinen genuinen Vorsprung als matrix o.ä. zuweisen kann. Vgl. hierzu SCHULZFLÜGEL, Latin Old Testament, 660. 90 Vgl. wie Hieronymus dies in praef. Par. (LXX) en passant erwähnt, als er über seine Bemühungen spricht, die Namen, die in der griechischen Überlieferung verderbt sind, zu korrigieren: Deinde etiam illud attendendum, quod frequenter nomina, non vocabula hominum, sed rerum, ut dixi, significantias sonent [ed. VALLARSI, PL 29, 403A] (Ferner auch ist jenes zu beachten, dass meist die Namen – nicht Bezeichnungen von Menschen, sondern der Dinge selbst, wie gesagt – die Bedeutungen erklingen lassen.). 91 Vgl. in Soph. ad 3,14. Dort argumentiert er mit dem ähnlichen Klang der Worte + und nuga. 92 Vgl. HAYWARD, Saint Jerome’s Hebrew Questions on Genesis, 14; SCHULZ-FLÜGEL, weist darauf hin, dass Hieronymus derjenige ist, der diese Junktur erstmals verwendet (Hieronymus,

B.II. ÜBERSETZUNGSPRINZIPIEN

33

den hebräischen Bibeltexten die wahre Bedeutung zu entnehmen (ex hebraeis codicibus veritas exprimenda est)93 und erläutert einige Zeilen später: Sed magis condecet ob veritatem laborare paulisper et peregrino aurem accommodare sermoni, quam de aliena lingua fictam referre sententiam. Es ist angemessener, sich ein Weilchen um die wahre Bedeutung (veritas) zu bemühen und sein Ohr an die ausländische Ausdrucksweise zu gewöhnen, als über die fremde Sprache eine erdachte Meinung/Bedeutung wiederzugeben.94

Ähnlich äußert sich Hieronymus auch in ep. 28 aus dem Jahr 384. Hier widmet er sich dem Problem des Begriffs διάψαλμα im Psalter. Obwohl die Bezugnahme auf das hebräische %, der Adressatin Marcella vermutlich kaum Erkenntnisgewinn bringt, preist Hieronymus die Vorzüge des hebräischen Texts und verwendet das o.g. Bild von fons und rivuli im Zusammenhang der alttestamentlichen Bibeltextüberlieferung und -übersetzung: Haec nos de intimo Hebraeorum fonte libavimus, non opinionum rivulos persequentes, neque errorum, quibus totus mundus repletus est, varietate perterriti: sed cupientes et scire et docere quae vera sunt. Dies haben wir aus der tiefen Quelle der Hebräer gekostet. Dabei sind wir nicht den Bächlein [abweichender] Meinungen gefolgt, noch haben wir uns von der Unterschiedlichkeit der Irrtümer abschrecken lassen, von denen die ganze Welt voll ist, sondern hatten immer das Ziel, das, was wahr ist, zu wissen und auch zu lehren.95

Hieronymus bringt Marcella gegenüber zum Ausdruck, dass er dann zum hebräischen Text greift, wenn ihn der griechische Bibeltext nicht nah genug an die wahre Bedeutung des Wortes Gottes heranführt, bzw. unverständlich oder fehlerhaft ist. Auch in weiteren frühen exegetischen Werken,96 die sich grundlegend am griechischen Alten Testament orientieren, verwendet Hieronymus immer wieder den hebräischen Text zur Klärung exegetischer Fragen,97 an einigen Stellen sogar als Korrektiv gegenüber anderen Auslegern.98 Der Überblick hat gezeigt: Der Begriff veritas bei Hieronymus hat zwei Dimensionen. Zum einen beschreibt er in textkritisch-philologischer Perspektive den ursprünglichen Text, von dem andere Textversionen abstammen, und zwar durch Übersetzung ins Griechische oder Lateinische. Zum anderen trägt gerade das Hebräische, das für Hieronymus die Originalsprache der göttlichen Offenbarung (im AT) und Sprache Jesu und der Apostel ist,99 eine besondere Nähe zur wahren Bedeutung der Schrift als Wort Gottes.100

93 94 95 96 97 98 99 100

756 Anm. 49). Die Form hebraica veritas findet sich erstmals in der Vorrede zu den Quaestiones Hebraicae (entstanden 391–393). Ep. 20,2 [ed. LABOURT Bd. I, 79,18f.]. Ep. 20,5 [ed. LABOURT Bd. I, 83,28ff.], vgl. ep. 34,2. Ep. 28,5 [ed. LABOURT Bd. II, 21,1–5]. Z.B. ep. 18 (381) und ep. 32 (384). Vgl. ep. 20; 28; 34. Z.B in ep. 34,3 gegen Hilarius und ep. 37,3 gegen Josephus. Vgl. prol. Par. (IH) [WEBER, 546,21–31]. Vgl. S. 24.

34

B.II.1.3

B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

Die veritas und das Alte Testament

Hatte die Unzufriedenheit über die Vielfalt neutestamentlicher Texte Hieronymus zum griechischen Original greifen lassen, so prägt dieses Suchen nach einem verlässlichen Originaltext (veritas) auch seine Entwicklung als Übersetzer alttestamentlicher Bibeltexte. Zu Beginn seiner Arbeit hält er die hexaplarische Septuaginta für eine sichere Grundlage und für eine ausreichend genaue Entsprechung des hebräischen Originals. Nachdem er sich in Bethlehem niedergelassen hat, wird er mehr und mehr der Vielgestaltigkeit (varietas) griechischer Bibeltextversionen gewahr und erkennt deutlicher als zuvor deren Diskrepanz zum hebräischen Text. Dies wird für Hieronymus zentraler, je mehr ihm der griechische – oder besser: die griechischen Texte – als veritas entgleiten. In verschiedenen Kommunikationszusammenhängen bedient sich Hieronymus dabei unterschiedlicher Argumentationsmuster, wie ich im Folgenden nachzeichnen werde. Hieronymus’ Revisionen atl. Bibeltexte nach der hexaplarischen Septuaginta, die er ab 386 anfertigte, stellen eine Zwischenstufe zur gänzlichen Hinwendung zum Hebräischen als Grundlage für die Übersetzung des AT dar. Dem tribulentus rivus („aufgewühlten Bach“) bzw. den rivuli der bisherigen lateinischen Versionen stellt Hieronymus den Text der Septuaginta als maßgeblichen griechischen fons seiner Übersetzungsarbeit gegenüber.101 In der praefatio zum Psalter, dem ersten Buch seiner Revision, erwähnt er, dass er dabei die textkritischen Zeichen aus der Ausgabe des Origenes übernimmt.102 Einen besonderen Schwerpunkt legt Hieronymus bei dieser Revision auf die hebräischen Eigennamen, die, wie er bei seiner Erkundung des Heiligen Landes mit einheimischen jüdischen Führern bemerkt hatte, in den griechischen Bibeltexten sehr schlecht überliefert sind.103 Aus diesem Grunde arbeitet er in den folgenden Jahren auch an der Übertragung zweier griechischer Onomastika (sit. et nom., nom. hebr.) ins Lateinische. Auch in den Quaestiones Hebraicae ad Genesim spielen etymologische Erklärungen von Orts- und Personennamen eine entscheidende Rolle.104 Als Arbeitshilfe zieht Hieronymus die Hexapla in Caesarea zu Rate, um den Bibeltext zusätzlich zur Arbeit des Origenes besonders im Blick auf die Transkription hebräischer Worte zu verbessern.105 101 Vgl. wie sich Hieronymus in prol. Ps. (LXX) über seine Kritiker äußert: malint … de turbulento magis rivulo, quam de purissimo fonte potare [WEBER, 767,16] (Sie wollen viel lieber aus dem aufgewühlten/dreckigen Bach als aus der reinsten Quelle trinken.). 102 Dass die textkritische Methodik des Origenes im Westen zumindest Augustin unbekannt war, davon zeugt das Missverständnis in ep. 28 s.u. Zur Arbeit des Origenes vgl. S. 210ff. 103 Vgl. hierzu auch SCHULZ-FLÜGEL, Hieronymus, 748, und prol. Par. (LXX) [ed. VALLARSI, PL 29, 401A–402A]. 104 Vgl. quaest. hebr. in gen. praef.: Studii ergo nostri erit vel eorum, qui de libris hebraicis varia suspicantur, errores refellere vel ea, quae in latinis et graecis codicibus scatere videntur, auctoritati suae reddere, etymologias quoque rerum, nominum atque regionum, quae in nostro sermone non resonant, vernaculae linguae explanare ratione [ed. LAGARDE, CChr.SL 72, 2, 8–13] (Es war nämlich unser Bemühen, sowohl die Fehler derer, die über die hebräischen Bücher verschiedene Verdächtigungen hegten, als irrig zurückzuweisen, als auch das, was in den lateinischen und griechischen Bänden herum wimmelt, zu seinem Ursprung zurückzuführen, aber auch die Etymologie der Dinge – Eigennamen und geographische Bezeichnungen, die in unserer Sprache nicht richtig klingen – durch die Denkart der einheimischen (ursprünglichen) Sprache zu erklären.). 105 Zu Hieronymus’ weiteren Berichten über die Hexapla s.u. S. 91ff.

B.II. ÜBERSETZUNGSPRINZIPIEN

35

Dies erläutert er im Kommentar zum Titusbrief, der in den Jahren 386/7 entsteht. Bei der Kommentierung von Tit 3,9 erwähnt Hieronymus – neben allerlei Polemik gegen jüdische, häretische oder philosophische Bibelauslegung –, christliche Theologen würden von Juden verspottet, weil sie hebräische Namen nicht korrekt aussprechen würden.106 Er illustriert dies anhand einiger Beispiele aus der Septuaginta, wo es seiner Ansicht nach schon den siebzig Alexandrinern nicht gelungen sei, brauchbare Transkriptionen anzufertigen. Besonders schwierig sei es, äquivalente griechische oder lateinische Laute und Buchstaben für -,_ und 2 zu finden. Hieronymus bemüht sich, diesem Problem Abhilfe zu verschaffen, indem er die Hexapla konsultiert, um nach der besten Aussprache und Transkription (z.B. bei Aquila) sowie nach der Etymologie der Eigennamen zu forschen. Durch diese Vorgehensweise wird Hieronymus intensiver als bisher der gravierenden Textunterschiede zwischen hebräischem Text und Septuaginta gewahr, die er auf verschiedene Weise interpretiert: Stellen die Veränderungen im griechischen Text Verbesserungen dar, dann erklärt er sie damit, die siebzig Alexandriner hätten diese absichtlich eingefügt, „sei es um schmuckvollerer Ausdrucksweise willen, sei es durch die Leitung (auctoritas) des Heiligen Geistes“.107 Für Verschlechterungen am Text macht Hieronymus hingegen unzuverlässige Kopisten und nicht die Übersetzer selbst verantwortlich.108 Die von Origenes revidierte Fassung der Septuaginta hält Hieronymus zu diesem Zeitpunkt für eine Rekonstruktion ihrer ursprünglichen Form. Noch steht für Hieronymus die Inspiration dieser ursprünglichen und unverfälschten Septuaginta und ihre Approbation durch die Apostel nicht in Frage,109 sodass er ihrer mutmaßlichen Urfassung den Vorrang vor dem hebräischen Text einräumt. Trotzdem klingt in der Vorrede zu der Evangelienrevision schon an, dass ein lateinisches Altes Testament so nur über einen Umweg mit dem hebräischen fons verbunden ist: tertio gradu ad nos pervenit.

106 In Tit. ad 3,9 [ed. VALLARSI, PL 26, 595B]. 107 Praef. Par. (LXX): vel ob decoris gratiam, vel ob Spiritus sancti auctoritatem [ed. VALLARSI PL 29, 404A]. 108 Praef. Par. (LXX): nec hoc septuaginta interpretibus, qui Spiritu sancto pleni, ea quae vera fuerant, transtulerunt, sed scriptorum culpae ascribendum … [ed. VALLARSI PL 29, 402A] (Dies ist auch nicht den siebzig Übersetzern zuzuschreiben, die voll des heiligen Geistes das, was wahr war, übersetzten, sondern der Schuld der Abschreiber.). 109 Vgl. in praef. Evang.: neque vero ego de Veteri disputo Testamento, quod a septuaginta senioribus in graecam linguam versum tertio gradu ad nos pervenit (…) sit illa vera interpretatio quam Apostoli probaverunt [WEBER, 1515,16–19] (Denn ich spreche nicht über das Alte Testament, das von den siebzig Ältesten in die griechische Sprache übersetzt wurde und dann im dritten Schritt zu uns gekommen ist. (…) Es ist jenes die wahrhafte Übersetzung, die die Apostel approbiert haben.). Von der Approbation der wahren Septuaginta durch die Apostel spricht er auch in der Vorrede zu der Übersetzung der Chronikbücher aus dem Griechischen, vgl. SCHULZ-FLÜGEL, Hieronymus, 748.

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B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

B.II.1.4

Die Arbeit am hebräischen Text

In die beginnenden 390er Jahre, als Hieronymus am Kohelet-Kommentar arbeitet, fällt, was KAMESAR „conversion to the Hebrew“ nennt.110 In besagtem Kommentar bezeichnet Hieronymus den hebräischen Text als fons, dem er konsequent folgt: Hoc breviter admonens, quod nullius auctoritatem secutus sum; sed de hebraeo transferens,(…) ut (…) nec rursum contra conscientiam meam, fonte veritatis omisso, opinionum rivulos consectarer.111 Dies merke ich kurz an: dass ich nicht der Autorität von irgendwem gefolgt bin. Sondern ich habe vom Hebräischen aus übersetzt, (…) damit ich nicht gegen mein Gewissen die Quelle der Wahrheit verlasse und den Sturzbächen der Meinungen (opiniones) nachjage.

Diese conversion hat, wie sich aus der Analyse des veritas-Begriffs bei Hieronymus ergibt, sowohl eine sprachphilosophisch-übersetzungstheoretische Dimension als auch eine textkritische. Diese können differenziert, jedoch nicht voneinander getrennt werden. SCHULZ-FLÜGEL macht insbesondere auf die übersetzungstheoretische Beobachtung im Kohelet-Kommentar aufmerksam: Hieronymus bemerkt, dass sich der Sinn des Bibeltexts nur über die Kenntnis der hebräischen Worte erschließt, da „manchmal erst die Ambivalenz der Wortbedeutung in der Originalsprache den Sinn des Texts erhellt, wie z.B. Comm. in Eccl 12,5  ‘+F! Œ capparis, aber auch amor/desiderium/concupiscentia bedeuten kann.“112 Aufgrund dieser Einsicht, dass die Septuaginta sich schon allein durch ihren Charakter als Übersetzung vom Hebräischen entfernt, und auch, dass sie die etymologischen Erklärungen der Namen nicht richtig repräsentiert, steigt der hebräische Text in Hieronymus’ Gunst. Dies steht in Kontinuität dazu, dass Hieronymus in exegetischen Werken immer wieder hebräische Worte heran zieht, um die Bedeutung des Bibeltexts zu erhellen. Zu dieser philologischen Dimension tritt nun eine textkritische hinzu: Hielt er zunächst, wie noch in prol. Par. (LXX) zu sehen war, die hexaplarische Septuaginta für die Restauration der unverfälschten ursprünglichen Version der alexandrinischen Bibel, so stellt er durch seine Arbeit mit der Hexapla und durch die Begegnung mit der Vielfalt der Septuaginta-Überlieferung fest, dass ein ursprünglicher, sich nahe am Hebräischen orientierender griechischer Bibeltext nicht auffindbar und rekonstruierbar ist. Daher äußert er sich am Anfang seiner Vorrede zur Übersetzung der Chronikbücher gegenüber Bischof Chromatius von Aquileia wie folgt: Si Septuaginta interpretum pura et ut ab eis in graecum versa est editio permaneret, superflue me, mi Cromati, episcoporum sanctissime atque doctissime, inpelleres, ut hebraea volumina latino sermone transferrem.113 Wenn die Ausgabe der siebzig Übersetzer so, wie sie von ihnen ins Griechische übersetzt wurde, weiterhin existierte, wäre es, mein lieber Chromatius, heiligster und gelehrtester der Bischöfe, überflüssig, dass du mich dazu antreibst, dass ich die hebräischen Bände durch die lateinische Sprache übersetze.

110 KAMESAR, Jerome, 41. Auch FÜRST nennt dieses Ereignis in Aufnahme von KAMESARS Terminologie „Bekehrung“ (Hieronymus, 103). SCHULZ-FLÜGEL spricht von einem „Wendepunkt“ durch ein „Schlüsselerlebnis“ (Hieronymus, 748f.). 111 In Eccles. praef. [ed. ADRIAEN, CChr.SL 72, 249,11–18]. 112 SCHULZ-FLÜGEL, Hieronymus, 749. 113 Prol. Par. (IH) [Weber, 546,1–3].

B.II. ÜBERSETZUNGSPRINZIPIEN

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Statt einen unverfälschten griechischen Urtext für seine Arbeit am AT zu finden, der den hebräischen adäquat wiedergibt, sieht sich Hieronymus mit einer großen Vielfalt an griechischen Textversionen konfrontiert, von denen zudem nicht eine dem hebräischen Text exakt entspricht. Die Konkurrenz der drei großen Septuaginta-Überlieferungsstränge, hesychianisch in Alexandria, lukianisch in Konstantinopel und Antiochien und die von Origenes revidierte in Palästina,114 führt laut Hieronymus dazu, dass „die ganze Welt untereinander über diese dreifache Verschiedenheit (trifaria varietas) streitet.“115 Und so werde die Kirche zum Gespött der jüdischen Theologen, „da je nach Unterschied der Gegenden verschiedene Versionen [sc. der Septuaginta] kursieren und jene echte und alte Übersetzung gefälscht und beschädigt ist.“116 Gerade für die Apologetik, aber auch für exegetische Studien ist jedoch ein zuverlässiger Text unbedingt vonnöten, wie Hieronymus in der Vorrede zur neu angefertigten Übersetzung des Psalters aus dem Hebräischen mahnt: Cur in solo studio scripturarum, veteri sapore contenti sunt? Nec hoc dico, quo praecessores meos mordeam aut quidquam de his arbitrer detrahendum, quorum translationem diligentissime emendatam, olim meae linguae hominibus dederim; sed quod aliud sit in ecclesiis Christo credentium psalmos legere, aliud Iudaeis singula verba calumniantibus respondere.117 Warum wollen sie sich nur beim Studium der Schriften mit dem alten Geschmack zufrieden geben? Ich sage dies nicht, damit ich meine Vorläufer beiße oder meine, etwas von ihnen müsste schlecht gemacht werden, da ihre Übersetzung ja besonders sorgsam verbessert ist – einst habe ich (diesen) Leuten [sc. der Septuaginta] ja meine Sprache geliehen. Aber: Es ist ein Unterschied, ob in den Kirchen die an Christus Glaubenden die Psalmen lesen oder ob man den Juden, die einzelne Worte anzweifeln, antwortet.

Als Hauptbegründungen für die Notwendigkeit einer Neuübersetzung nennt Hieronymus in dieser praefatio, die an seinen Freund Sophronius gerichtet ist: Die alten lateinischen Übersetzungen sind stilistisch unzureichend, die Vielfalt an griechischen und lateinischen Versionen verwirrt,118 und zudem benötigt die christliche Kirche einen zuverlässigen Text für die Auseinandersetzung mit der Synagoge. Zwar haben die althergebrachten Übersetzungen im liturgischen Gebrauch weiterhin ihren Platz, – wenn es aber um Zuverlässigkeit in exegetischen Fragen oder in apologetischen Zusammenhängen geht, bezeichnet Hieronymus die unzuverlässigen lateinischen und griechischen Texte gar als Täuschung (mendacium).119 114 In der Septuaginta-Forschung besteht schon seit mehreren Jahrzehnten Einigkeit darüber, dass es sich bei dieser Dreiteilung um eine stilisierte Darstellung handelt, die nicht der historischen Entwicklung des Texts der Bibel Alexandriens entspricht. Besonders die Existenz einer „hesychianischen“ Revision konnte nicht nachgewiesen werden. Zur Rekonstruktion der Textgeschichte der Septuaginta s.u. S. 210ff. 115 … totusque orbis hac inter se trifaria varietate conpugnant [WEBER, 546,12]. 116 Prol. Par. (IH): … cum pro varietate regionum diversa ferantur exemplaria, et germana illa antiquaque translatio corrupta sit, atque violata [WEBER, 546,5f.]. 117 Praef. Ps. (IH) [WEBER, 768,31–35]. 118 Dies legt Hieronymus einige Zeilen vorher seinem Freund in den Mund: Aiebas enim te magis interpretum varietate turbari [WEBER, 768,20f.] (Du sagtest immer wieder, dass dich die Vielfalt der Übersetzer ziemlich verwirrt.). 119 So z.B. Pammachius gegenüber, seinem Kontaktmann und Gönner in Rom, den Hieronymus um 393 mit seinen neu erarbeiteten lateinischen Bibeltexten versorgt: Ep. 48,4: Lege eumdem graecum et latinum et veterem editionem nostrae translationi compara: et liquido pervidebis quantum distet inter veritatem et mendacium [ed. LABOURT Bd. II, 118,13–16] (Lies das Griechische und das Lateinische, und vergleiche die alte Ausgabe mit unsrer Übersetzung – du wirst genau durchschauen, wie weit die Wahrheit von der Lüge entfernt ist.).

38

B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

B.II.1.5

Die hebraica veritas im Widerstreit

Schon mit der bloßen Zuwendung zum hebräischen Text anstelle der Septuaginta provozierte Hieronymus Konflikte um Inspiration und Bedeutung der Septuaginta – ganz abgesehen von der expliziten Kritik. Die Vorreden zu den ersten Büchern, die Hieronymus aus dem Hebräischen übersetzt, zeugen von dem Ringen mit Gegnern, die wie „schmutzige Schweine grunzen“ (inmundi sues grunniant),120 und ihm vorwerfen, seine neue Übersetzung wolle die Septuaginta verdrängen oder verunglimpfen. Besonders markant äußert er sich im Vorwort zur 393 vollendeten Hiob-Übersetzung aus dem Hebräischen dazu: Cogor per singulos scripturae divinae libros adversariorum respondere maledictis: qui interpretationem meam, reprehensionem septuaginta interpretum criminantur.121 Bei jedem einzelnen Buch der göttlichen Schrift sehe ich mich gezwungen, den Schmähungen meiner Gegner entgegen zu treten, die mir vorwerfen, ich würde mit meiner Übersetzung die siebzig Übersetzer in Frage stellen.

Um diesen Gegnern entgegen zu treten, wählt Hieronymus verschiedene Strategien und Argumentationsmuster, auf die im Folgenden der Blick gelenkt werden soll. In den folgenden Zeilen von prol. Iob (IH) erklärt Hieronymus die Abweichungen der Septuaginta vom hebräischen Text durch die überlieferte Vorstellung, die siebzig Übersetzer hätten die in der Tora verborgenen christologischen Geheimnisse ihrem Auftraggeber Ptolemaios II. aus apologetischem Interesse verschwiegen.122 Mit dieser Strategie versucht Hieronymus, die Unterschiede zwischen hebräischem Text und Septuaginta zur Sprache zu bringen, ohne das Ansehen der alexandrinischen Übersetzer zu verletzen. Daneben bedient er sich einer Reihe von Autoritätsargumenten, indem er sich auf Vorbilder beruft, die sich ebenfalls am hebräischen Text orientieren – allen voran Christus und die Apostel.123 Letzteres mag verblüffen, angesichts der Tatsache, dass Hieronymus noch in praef. Evang. die Vorrangstellung der Septuaginta damit begründet hatte, dass die Autoren des Neuen Testaments sie verwendeten 120 Vgl. quaest. hebr. in gen. praef. [ed. LAGARDE, CChr.SL 72, 1,13]. 121 Prol. Iob (IH) [WEBER, 731,1–3], Übersetzung nach FÜRST, Hieronymus, 269f. 122 Dies äußert Hieronymus bereits in der Vorrede zur Jesaja-Übersetzung (um 392/3) [WEBER, 1096,10–13]. Ausführlicher erklärt er in prol. Pent. (ca. 403), wie die alexandrinischen Übersetzer Ptolemaios gegenüber mit Stellen umgegangen sind, die von Gott im Plural sprechen (Gen 1,26 u.v.m.), und eigentlich trinitarisch zu deuten seien: denique ubicumque sacratum aliquid scriptura testatur de patre et filio et spiritu sancto, aut aliter interpretati sunt aut omnino tacuerunt, ut et regi satisfacerent et arcanum fidei non vulgarent [WEBER, 3, 23ff.] (Daher haben sie [sc. die Übersetzer der Septuaginta], wo auch immer die Schrift etwas Heiliges bezeugt über den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist, entweder etwas anderes übersetzt oder gänzlich geschwiegen, damit sie sowohl den König zufrieden stellten, als auch die Glaubensgeheimnisse (arcanum fidei) nicht preisgäben.). Auch die jüdische Theologie der Spätantike kennt bewusst eingefügte Unterschiede zwischen hebräischem Text und der Septuaginta (z.B. bMeg 9a–b). Der Überlieferung nach haben die siebzig Übersetzer, um Ptolemaios II. vor der Gefahr der Vielgötterei zu bewahren, missverständliche Stellen „entschärft“. Vgl. VELTRI, Tora, passim; KAMESAR, Jerome, 66f.; HAYWARD, Saint Jerome’s Hebrew Questions on Genesis, 95.106. 123 Quaest. hebr. in gen. praef.: et Evangelistae et Dominus (…) multa quasi de veteri Testamento proferunt, quae in nostris codicibus non habentur [ed. LAGARDE, CChr.SL 72, 1,13] (Sowohl die Evangelisten als auch unser Herr (…) haben vieles gleichsam aus dem Alten Testament hervorgeholt, was in unseren Texten nicht enthalten ist.).

B.II. ÜBERSETZUNGSPRINZIPIEN

39

und damit approbierten. In der Vorrede zu den Quaestiones hebraicae wird neben Christus und den Aposteln auch Origenes als Vorbild aufgeführt: Wenngleich er um des Volks willen in seinen Predigten die Septuaginta (communis editio) verwendete, suchte der Alexandriner, „überwunden von der hebraicas veritas und umstellt von ihren Heeren, in seinen Büchern, d.h. in wichtigeren Diskursen, bei der fremden Sprache Hilfe.”124 Hieronymus ordnet der Septuaginta und dem hebräischem Text im Œuvre des Origenes unterschiedliche Funktionen zu,125 wobei die Funktion des Hebräischen für die wissenschaftliche Exegese (in disputatione maiori) dem Gebrauch der Septuaginta in der Predigt vor dem Volk an dieser Stelle überlegen zu sein scheint.126 In der Vorrede zur Chronikübersetzung (396), die er an Chromatius von Aquileia richtet, greift Hieronymus diese Argumente wieder auf, ergänzt durch den Hinweis, der hebräische Text sei älter als der griechische; außerdem sei Hebräisch die Sprache Jesu gewesen.127 Ferner wird in diesem Prolog erstmals sichtbar, wie Hieronymus die Entstehungslegende der Septuaginta dekonstruiert:128 Er erklärt, dass die siebzig Zellen, in denen die Übersetzer angeblich unabhängig voneinander arbeiteten, nachträglich erfunden seien.129 Besonders scharf greift Hieronymus diese Thematik um 400 im Prolog zu seiner Pentateuchübersetzung wieder auf und kritisiert, wie die ursprünglichen Berichte aus dem Aristeasbriefes nachträglich ins Wunderhafte verzerrt werden.130 Schon früher hatte Hieronymus angemerkt, dass die Vielgestaltigkeit des Stils in unterschiedlichen Büchern der alexandrinischen Bibel weniger auf geistgewirkte Einheit als vielmehr auf das Werk verschiedener Übersetzer hindeute.131 Im Vorwort zum Pentateuch erwähnt Hieronymus noch ein weiteres, weitreichendes Argument für die Priorität des hebräischen Texts: 124 Quaest. hebr. in gen. praef.: in tomis, id est in disputatione maiori, hebraica veritate superatus et suorum circumdatus agminibus interdum linguae peregrinae quaerit auxilia [ed. LAGARDE, CChr.SL 72, 2,11–14]. 125 Zu den unterschiedlichen Funktionen bzw. Funktionsbereichen von Septuaginta und IH s.o. S 29. 126 Vgl. Hierzu SCHULZ-FLÜGEL, Hieronymus, passim. 127 Z.B. prol. Par. (IH): … ad hebraeos igitur revertendum est, unde et dominus loquitur et discipuli exempla praesumunt [WEBER 546,30f.]. Vgl. ep. 106,2, s.o. S. 25. 128 Vgl. hierzu z.B. DINES, Septuagint, 63–80, die nachzeichnet, wie gerade in der christlichen Literatur die mirakulösen Motive der Entstehungsgeschichte der Septuaginta immer mehr an Bedeutung gewinnen. Schon Philo schmückt in vit. Mos. II 25–44 die ihm vorliegende Erzählung aus dem Aristeasbrief (ep. Arist. 302ff.) mit wunderhaften Zusätzen aus. Josephus überliefert in Ant. XII 11–118 zwar ebenso eine wesentlich umfangreichere Version als der Aristeasbrief, im Gegensatz zu Philo fügt er jedoch keine übernatürlichen Erzählelemente hinzu. Noch zu Lebzeiten des Hieronymus war z.B. Epiphanius von Salamis ein großer Verfechter der in der Legende erwähnten Wunder (mens. 17, um 392), vgl. BAMMEL, Die Hexapla, 136. 129 Prol. Par. (IH): post septuaginta cellulas, quae vulgo sine auctore iactantur ... [WEBER, 546, 17f.] 130 Prol. Pent.: Et nescio, quis primus auctor septuaginta cellulas Alexandriae mendacio suo extruxerit, quibus divisi eadem scriptitarint, cum Aristheus eiusdem Ptolomei ὑπερασπιστής et multo post tempore Iosepphus nihil tale rettulerint, sed in una basilica congregatos contulisse scribant, non prophetasse [WEBER, 3,25–29] (Und ich weiß nicht, welcher Autor als erster die siebzig Häuschen in Alexandria durch lügnerische Erfindung aufgerichtet hat, auf welche aufgeteilt sie [sc. die siebzig Übersetzer] dasselbe niedergeschrieben haben, da ja Aristeas, Schildträger genau dieses Ptolemaios [II.], und auch viel später Josephus, nichts derartiges überliefern, sondern schreiben, diese seien in einer einzigen Halle versammelt gewesen und hätten [ihre Ergebnisse] abgeglichen und nicht prophetisch gesprochen.). Vgl. adv. Ruf. II 25. 131 Vgl. hierzu z.B. in Ezech. praef. (um 396). In dieser kurzen Vorrede findet sich kein ausgefeilter Beweis. Nach einigen Anmerkungen zum Sprachstil des Ezechielbuchs (sermo eius nec satis disertus nec admodum rusticus est), beschreibt Hieronymus, dass sich, anders als bei Ezechiels

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B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

Illi interpretati sunt ante adventum Christi et quod nesciebant dubiis protulere sententiis, nos post passionem et resurectionem eius non tam prophetiam quam historiam scribimus; aliter enim audita aliter visa narrantur: quod melius intellegimus melius et proferimus.132 Jene haben vor der Ankunft Christi übersetzt und das, was sie nicht wussten, haben sie in zweifelhaften Sprüchen hervorgebracht. Wir schreiben nach seinem Leiden und seiner Auferstehung nicht so sehr Prophetie, sondern vielmehr Geschichte. Denn [lediglich] Gehörtes wird anders erzählt als Gesehenes: was wir besser verstehen, drücken wir auch besser aus.

Was wie eine Konzession an die Entstehungsumstände der Septuaginta klingt, enthüllt erst bei näherem Hinsehen seine Brisanz. Hier spricht Hieronymus nicht mehr, wie oben, von bewussten Verschleierungen der Übersetzer zugunsten der Rechtgläubigkeit von Ptolemäus II., die Zeilen bergen vielmehr eine theologische Abwertung der Septuaginta: Erst durch die Inkarnation Christi und nach seinem Leiden und Sterben ist es seiner Kirche möglich, den wahren Sinn der alttestamentlichen, prophetisch gesprochenen Texte zu verstehen – und in dieser Konsequenz auch: zu übersetzen!

B.II.1.6

Kürbis versus Efeu – der Streit mit Augustin

Mit welch harscher Kritik sich Hieronymus auseinandersetzen musste und welch merkwürdige Früchte aus der Verwendung seiner Übersetzung bisweilen erwuchsen, mag eine Anekdote aus der nordafrikanischen Stadt Oea illustrieren:133 Dort sah sich die Gemeinde mit dem Problem konfrontiert, dass in Hieronymus’ Übersetzung der Prophet Jona nicht unter einem verdorrenden Kürbisstrauch ruhend auf das Ende Ninives wartete ( Jon 4,6–10), sondern von Efeuranken beschattet wurde.134 Es entstand ob dieser Neuerung ein tumultus in plebe, den der Bischof der Gemeinde nur mühsam wieder in den Griff bekam. Der Vorfall zeugt davon, dass die Übersetzungen des Hieronymus schon zu seinen Lebzeiten auch außerhalb von Rom und Bethlehem rezipiert wurden.135 Hieronymus selbst erfuhr von diesem Ereignis durch ein Schreiben Augustins, welches in den Jahren 403/4 in Bethlehem eintraf.136 Da er durch die vorangegangenen Streitigkeiten mit Augustin über die Auslegung von Gal 2 ohnehin

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Zeitgenossen Jeremia, hebräischer und griechischer Text nicht sehr unterscheiden (non multum distat ab hebraico). Vorsichtig fragt er, die Einheitlichkeit der Septuaginta in Frage stellend: Unde satis miror quid causae existerit, ut si eosdem in universis libris habemus interpretes, in aliis eadem, in aliis diversa transtulerint [WEBER, 1266,7–11] (Daher wundere ich mich sehr, was es wohl für eine Ursache dafür gibt, dass, wenn wir in allen Büchern dieselben Übersetzer haben, sie manchmal so, manchmal anders übersetzt haben.). Literar- und stilkritischer Methodik bedient sich auch die antike Homerexegese, oder christlicherseits Origenes und Euseb um das Verhältnis von Hebräerbrief und Paulusbriefen zu bestimmen. Prol. Pent. [WEBER, 4,35–39]. Eine ausführliche Analyse bietet FÜRST, Kürbis oder Efeu?, 12ff. Hieronymus hatte cucurbita (nach der Septuaginta κολόκυνθα) durch hedera ersetzt, um das hebräische *!3!3 treffender wiederzugeben. Davon, dass Hieronymus für die Verbreitung seiner Übersetzung im lateinischsprachigen Teil des Imperiums sorgt, weiß auch Rufin in apol. I 32 zu berichten. Ep. 104,5 (= Augustin ep. 71,5).

B.II. ÜBERSETZUNGSPRINZIPIEN

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auf den Theologen aus Hippo nicht gut zu sprechen war,137 fiel seine Antwort (ep. 112) überaus schroff und wortreich aus. Postalische Schwierigkeiten trugen das Ihre dazu bei, die Auseinandersetzung zu verkomplizieren. Hieronymus erhielt nämlich nicht nur die kurz zuvor verfasste ep. 104 aus Nordafrika,138 sondern dazu noch ep. 56 von 394/5 und ep. 101 von 402. Schon in diesen Briefen hatte Augustin massive Kritik an Übersetzungen des Hieronymus geäußert, die diesen jedoch bis ins Jahr 404 nicht erreichte.139 Überschattet ist der Briefwechsel überdies durch ein Missverständnis seitens Augustins: Wie aus dem ersten der Briefe (ep. 56,2) deutlich wird, nimmt er an, die Obeli und Asterisci, welche Hieronymus von Origenes übernommen hatte, seien Zeichen für die Unterschiede zwischen dem neuen lateinischen und dem griechischen Text. Dies konnte Augustin, der offenbar eine nicht-hexaplarische Septuaginta heranzog, nicht verifizieren. Daraufhin äußert Augustin eine Pauschalkritik am Sinn von Hieronymus’ Tätigkeit und an dessen Kompetenz als Übersetzer. In ep. 104 wiederholt Augustin diese Kritik im Blick auf die neue Übersetzung aus dem Hebräischen. Hieronymus übersieht angesichts der Fülle und Tragweite dieser Vorwürfe die Gemeinsamkeit mit Augustin: Im Unterschied zu anderen Kritikern an Hieronymus’ Unterfangen befürwortet dieser nämlich ausdrücklich die Erarbeitung eines neuen, verlässlichen lateinischen Bibeltexts, einer veritas latina (ep. 104,6).140 Was die Septuaginta angeht, unterscheiden sich die Positionen der beiden jedoch erheblich, angefangen bei der Bewertung der Entstehungsgeschichte. Hieronymus bringt, wie auch schon in der oben erwähnten Vorrede zu den Chronikbüchern, den Aristeasbrief und den Bericht des Josephus als älteste und wahrheitsgemäße Quellen gegen Augustin vor. Dieser dagegen hatte schon in ep. 56 dazu aufgerufen, der Sprachkompetenz der Alexandriner zu vertrauen und zu bewundern, dass ihre Übersetzungen durch Wirkung des heiligen Geistes übereinstimmten. Hierdurch überträfen sie alle anderen späteren Übersetzer, da sich deren Werke in erheblichem Maße unterschieden.141 137 FÜRST, Augustins Briefwechsel mit Hieronymus, 139f.; Vgl. auch KOTZÉ, Augustine, 250ff. 138 Die Briefe Augustins sind im Folgenden nach der Zählung im Corpus Hieronymianum angegeben. 139 Zum Briefwechsel mit Augustin insgesamt vgl. HENNINGS, Der Briefwechsel zwischen Augustinus und Hieronymus, 132ff., in dessen Darstellung die Kanonfrage im Zentrum steht. 140 FÜRST, Hieronymus, 143f. 141 Vgl. ep. 56,2: Satis autem nequeo mirari, si aliquid adhuc in hebraicis litteris et exemplaribus invenitur, quod tot Interpretes illius linguae peritissimos fugerit. Omitto enim Septuaginta, de quorum vel consilii, vel majore spiritus concordia, quam si quasi unus homo esset, non audeo in aliquam partem certam ferre sententiam; (…) Illi me plus movent, qui cum posteriores interpretarentur, et verborum locutionumque Hebraearum viam atque regulas mordicus tenerent, non solum inter se non consenserunt; sed etiam reliquerunt multa, quae tanto post eruenda et prodenda remanerent. Si enim obscura sunt, te quoque in illis falli potuisse creditur: si autem manifesta, illos in eis falli potuisse non creditur [ed. LABOURT Bd. III, 50,7–14] (Aber ich kann mich nicht genug darüber wundern, dass man in den hebräischen Schriften noch irgendetwas findet, was so vielen Übersetzern entgangen sein sollte, die in jener Sprache so bewandert waren. Ich übergehe nämlich die siebzig und wage nicht, in irgendeiner Weise ein sicheres Urteil zu fällen über ihre ziemlich große Einigkeit in ihrer Entscheidungsfindung als auch im Geist – so als wären sie nur ein einziger Mensch. Jene bringen mich eher zum Nachdenken, die, obwohl sie später übersetzt haben und an der Eigenart der hebräischen Worte und Ausdrücke sowie an ihren Regeln bissig festhielten, nicht nur nicht untereinander übereinstimmten, sondern auch vieles übrig ließen, was so viel später zu erforschen und hervorzubringen blieb. Denn wenn diese Stellen uneindeutig sind, kann man annehmen, dass auch du dich täuschen

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B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

Zwischen den Zeilen kann man den Vorwurf an Hieronymus heraus hören, dass dieser sich anmaße, die uneindeutigen Stellen der Schrift besser zu verstehen als die Juden Alexandriens. Außerdem führt Augustin an, sei die neue lateinische Übersetzung nur dann überprüfbar, wenn sie auf dem griechischen Text basiere, der den meisten Theologen verständlich sei.142 Hieran zeigt sich, dass Augustin das philologische Denken des Hieronymus und dessen textkritische Vorgehensweise nicht teilt. Denn ginge es Augustin tatsächlich um Überprüfbarkeit, müsste sich seine Skepsis auch gegen die Septuaginta richten, zumal diese nicht von einem orthodoxen christlichen Theologen, sondern von jüdischen Gelehrten erstellt wurde, denen christlicherseits ohnehin häufig Textfälschung vorgeworfen wurde.143

B.II.1.7

Zwischenergebnis

In den voran gegangenen Abschnitten (B.II.1.1–B.II.1.6.) wurde gezeigt, wie sich Hieronymus dem hebräischen Text als philologische veritas annähert. Das NT und andere griechische Texte, an denen er anfangs arbeitet, stellen in dieser Hinsicht keine Probleme dar, denn dort greift er auf einen etablierten Text als veritas zurück. Spannungsreicher wird die Frage beim AT, da Hieronymus die Geltung der Septuaginta tangiert, die in der christlichen Kirche bis dato unumstritten die etablierte und inspirationstheologisch sanktionierte Textbasis war. Hieronymus bleibt seiner Suche nach den fontes auch trotz massiver Kritik treu. Er erkennt, als einer der ersten christlichen Schriftsteller, die prinzipielle Notwendigkeit von textkritischen Entscheidungen im Rahmen der Übersetzungsarbeit und begegnet dieser Fragestellung mit einem konsequent durchdachten und angewandten Konzept. Maßgeblich für ihn ist der mutmaßlich älteste und am reinsten überlieferte Text: … quae non in tertium vas transfusa coacuerint, sed statim de praelo purissimae commendata testae suum saporem servaverint.144 Dieser wurde nicht in ein drittes Gefäß umgeschüttet und ist sauer geworden, sondern wird sofort von der Kelter einer überaus reinen Schale übergeben und behält so seinen Eigengeschmack.

könntest, sind sie deutlich, kann man kaum annehmen, dass diese sich geirrt hätten.). Vgl. auch seine programmatischen Äußerungen in doct.chr. II 15 (22). 142 So z.B. Augustin in ep. 116,34. Angesichts der Tatsache, dass Augustin die griechische Sprache nicht gerade liebt und daher auch nicht gut beherrscht, wirkt dieses Argument wenig glaubwürdig (vgl. conf. I 13 (20): Quid autem erat causae, cur graecas litteras oderam … [ed. VERHEJEN, CChr.SL 27, 11,16]). Augustin suchte vielmehr zu verhindern, dass Hieronymus durch seine Sprachkenntnisse ein Auslegungs- und damit Machtmonopol erlangte. Zu dieser Thematik vgl. HENNINGS, Briefwechsel, 120f.,148f. 143 Eine hervorragende Analyse der inkonsistenten Argumentation Augustins, die hier aus Platzgründen nicht vertieft werden kann, liefert ANNEMARÉ KOTZÉ (Augustine, 250ff.). Sie weist auch darauf hin, dass der Bischof von Hippo sich in Civ. Dei XVIII 43 sehr positiv über Hieronymus äußert; – wohl weil sich seine Befürchtung zerschlagen hat, Hieronymus’ lateinische Bibel könne die bisher üblichen Übersetzungen aus der Septuaginta verdrängen (ibd., 260.). 144 Prol. Sal. [WEBER, 957,24f.].

B.II. ÜBERSETZUNGSPRINZIPIEN

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Das Bild des „Geschmacks“ einer Sprache wird in einem der folgenden Abschnitte (B.II.3.1) näher beleuchtet werden. Anders als bei der Metapher von Quelle und Bächen ist hier der Übersetzer als Umfüllender noch aktiver daran beteiligt, die Reinheit des Ursprungs zu übermitteln. Im Gegenüber mit den Ergebnissen der modernen Textforschung zeigt sich noch ein weiteres: Hieronymus ist bei diesen Überlegungen der Gedanke fremd, dass sich die Unterschiede zwischen Septuaginta und dem ihm vorliegenden Text daraus ergeben haben könnten, dass die alexandrinischen Übersetzer eine andere hebräische Vorlage verwendeten als die, die ihm zugänglich war.145 An das bisher Dargestellte schließt sich die Frage an, welche Rolle die Septuaginta für Hieronymus nach der „conversion to the Hebrew“ spielte. Unzweifelhaft stellt für ihn, wie gezeigt, der hebräische Text den besseren Quelltext dar – die Septuaginta-Überlieferung ist zu vielseitig, fehleranfällig, ihr übersetzter Text als vorchristlicher unvollkommen. Hieronymus bezweifelt überdies, dass von einer Inspiration aufgrund der wundersamen Entstehung ausgegangen werden muss, zu wenig zuverlässig sind in der Einschätzung des Kirchenvaters die jüngeren Quellen, die vom Originalbericht (veritas) des Aristeasbriefes abweichen. Es lässt sich jedoch zeigen, dass er der Septuaginta aufgrund der Tradition der Kirche ihre Bedeutung für Liturgie und Erbauung belässt, den hebräischen Text hingegen für den exegetisch-wissenschaftlichen Gebrauch bestimmt. So spricht Hieronymus davon, dass er bei der Zusammenkunft seiner Mitbrüder im Bethlehemer Kloster biblische Texte in der traditionellen Übersetzung auslegt, der die Septuaginta zugrunde liegt (praef. Par.). Weiterhin plädiert er dafür, dass diese „des Alters wegen in der Gemeinde gesungen werden“ muss, den hebräischen Text aber für die wissenschaftliche Auseinandersetzung für die Gelehrten unentbehrlich sei.146 Für diese Zuteilung in unterschiedliche Anwendungsbereiche spricht auch, dass sich Hieronymus auch gegen Ende seines Lebens in nicht-exegetischen Schriften auf den Septuaginta-Text, nicht auf den hebräischen beruft.147

145 Vgl. TOV, Text, 134ff. 146 Ep. 106,46: Ex quo perspicuum est, sic psallendum, ut nos interpretati sumus; et tamen sciendum, quid hebraica veritas habeat. Hoc enim quod Septuaginta transtulerunt, propter vetustatem in ecclesiis decantandum est; et illud ab eruditis sciendum propter notitiam scripturarum [ed. LABOURT Bd. V, 125,14–20] (Daraus wird deutlich, dass man so singen soll [sc. die Psalmen], wie wir es [nach der Septuaginta] übersetzt haben, und man dennoch wissen muss, was der hebräische Urtext enthält. Denn das, was die Siebzig übersetzt haben, soll wegen der Altehrwürdigkeit gesungen werden, jenes aber sollen die Gebildeten wissen um der Kenntnis der Heiligen Schriften willen.). Zur Datierung von ep. 106: ALTANERS Argumente für die Entstehung zwischen 404 und 410 sind am überzeugendsten. Gegenpositionen finden sich bei ALTANER, Wann schrieb Hieronymus seine Ep.106?, 246 Anm. 1. Daneben wird diskutiert, ob es sich bei ep. 106 um einen fiktiven Brief handle (Vgl. DE BRUYNE, La lettre de saint Jérôme à Sunnia et Fretela, 1ff.; KELLY, Jerome, 285 Anm. 13; REBENICH, Vir trilinguis, 77 Anm. 111). Dies braucht in diesem Rahmen nicht geklärt zu werden, da ich davon ausgehe, dass Hieronymus seinen Briefwechsel für die Veröffentlichung überarbeitet oder einzelne Briefe als offene Literatur konzipiert hat. Seine Aussagen über die Septuaginta werden von der Frage, ob die gotischen Bischöfe Sunnia und Fretella fiktive Adressaten sind, m.E. nicht tangiert. 147 SCHULZ-FLÜGEL, Hieronymus, 753.

44

B.II.2.

B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

Wort oder Sinn

Im vorangegangen Abschnitt wurde herausgearbeitet, wie sich bei Hieronymus die Überzeugung entwickelt, dass eine christliche Bibel für die alttestamentlichen Bücher auf der hebraica veritas basieren soll. In seiner Argumentation beruft er sich immer wieder darauf, dass erst der hebräische Text, als der ursprüngliche, Sinn und Bedeutung der Heiligen Schrift als Wort Gottes enthält. Das schließt allerdings nicht aus, dass Hieronymus zeitlebens auch die Septuaginta heranzieht. Darauf, dass dieses Vorgehen des Bethlehemer Mönchs nicht unumstritten war, weil es die Geltung der Septuaginta infrage stellte, wurde ebenfalls bereits hingewiesen. Doch auch an einer anderen Front sah sich Hieronymus gezwungen, seine Arbeit zu verteidigen, nämlich dort, wo es um Fragen der Übersetzungstechnik ging. Anhand verschiedener Texte wie der Vorrede zur Übersetzung des Chronikons (chron. epist.), ep. 57 und ep. 106, die in einem Zeitraum von über 20 Jahren entstanden sind, lässt sich zeigen, dass Hieronymus eindeutig das Übersetzen nach dem Sinn (ad sensum) statt nach dem Wortlaut (verbum de verbo) bevorzugt. Diesen Themenkomplex behandelt er in den Vorreden zu seinen Bibelübersetzungen weit weniger intensiv als die Bewertung der hebraica veritas versus Septuaginta, weshalb es nötig erscheint, weitere Zeugnisse des Kirchenvaters heranzuziehen, die nicht im direkten Kontext seiner Bibelübersetzung IH entstanden sind. Dies ist auch dadurch gerechtfertigt, dass Hieronymus, wie sich gegen anderslautende Forschungsmeinungen zeigen wird, nicht zwischen biblischen und nichtbiblischen Texten differenziert. Vielmehr lässt sich ab seinen frühesten Äußerungen in der Vorrede zur Chronikon-Übersetzung bis hin zu Briefen aus seinen letzten Lebensjahrzehnten ersehen, dass er sehr konstant am Übersetzen ad sensum festhält. Da dem von Hieronymus präferierten Übersetzen ad sensum das althergebrachte und von vielen Zeitgenossen bevorzugte Prinzip verbum de verbo gegenübersteht,148 sieht er sich genötigt, intensiv auf diese Problematik einzugehen.

B.II.2.1

Übersetzungstechniken in der Antike

Ein Blick auf die Übersetzungstheorien in Hieronymus’ Umfeld lässt uns die Frontstellung, in der er arbeitet, besser verstehen. Dabei wird zunächst deutlich werden, dass die Besonderheit seiner Arbeit in seiner eindeutigen Präferenz des sensualen Übersetzens liegt. Dass sich Hieronymus für diese Wahl immer wieder rechtfertigt, spricht dafür, dass „in den Augen des Publikums die eigentliche Aufgabe des Übersetzers in der möglichst wörtlichen Wiedergabe lieg[t]“.149 So setzt sich Hieronymus in der Vorrede zum Chronikons und in ep. 57,5 mit dem Vorwurf auseinander, er verfehle sich am officium interpretis, wenn er Wortlaut und folge ändere (s.u.). Mit dieser Formulierung spielt er auf eine begriffliche Differen148 Hier folge ich der in der Forschung etablierten Diktion. Hieronymus selbst verwendet, laut Patrologia Latina Database, am häufigsten den Ausdruck e sensu, daneben aber auch de sensu oder ad sensum. Hinsichtlich des wörtlichen Übersetzens spricht er häufiger von de verbo als von e verbo – anders die profanantike Tradition, vgl. BROCK, Ancient Translation Techniques, 70. 149 MÜLKE, Autor, 116.

B.II. ÜBERSETZUNGSPRINZIPIEN

45

zierung durch die Verben interpretari und vertere der klassischen Latinität an.150 Bis etwa zur Zeit Quintilians (ca. 35–96) war das Wortfeld interpres/interpretari dem wortgetreuen Übersetzen vorbehalten. Für freiere Übertragungen verwendete man (con)vertere. Zwischen dem zweiten und fünften Jahrhundert n.Chr. erweiterte sich die Bedeutung des Begriffs interpretari und konnte, wie von Hieronymus und seinen Zeitgenossen, für jegliche Art translatorischer Arbeit verwendet werden.151 Wie in der profanantiken Tradition, so genoss die Übersetzungspraxis verbum de verbo auch im antiken Christentum hohes Ansehen, ganz gleich ob es sich um Bibeltexte oder um nichtbiblische Literatur handelte.152 Eine allzu freie Übertragung zog offenbar nicht selten den Verdacht der Fälschung nach sich.153 Mit diesem Vorwurf sah sich auch Hieronymus konfrontiert.154 Andere christliche Autoren schlugen einen ähnlich apologetischen Ton an, wenn sie von der wörtlichen Übersetzung abwichen.155 Bei Texten, die als heilig galten, bestand zudem das Problem, dass eine Übersetzung ad sensum impliziert, dass der Übersetzer deren oft geheimnisvollen und mehrdeutigen Sinn vollständig verstanden habe. Um dieses Problem zu umschiffen, herrschte auch nach der Zeit des Hieronymus in der christlichen Literatur in Bezug auf biblische Texte wieder das Prinzip verbum de verbo vor.156 Hieronymus selbst präsentiert sich, wie ich im Folgenden zeigen werde, als Befürworter der Übersetzung ad sensum und sieht sich darin als Nachfolger der siebzig Alexandriner, der neutestamentlichen Autoren, aber auch der klassischen lateinischen Dichter und Denker, wie Cicero und Horaz. 150 MÜLKE, Autor, 122. So schreibt Hieronymus in der Vorrede zu den Königebüchern, dem prologus galeatus: … vel interpretem me aestimato, si gratus es, vel παραφραστής, si ingratus [WEBER, 365,67f..] (... wenn du mir geneigt bist, wirst du mich einen Übersetzer nennen, wenn nicht, einen Paraphrasierer.). 151 Vgl. SEELE, Römische Übersetzer, 92ff. Vgl. Cicero de opt. gen. orat. 5, 13f.; 7,26f., was Hieronymus in ep. 57,6 aufnimmt. Hier stellt Cicero interpres und rhetor gegenüber (s.u. S. 42). 152 Anders verhielt es sich in der jüdischen Tradition. Die Targumim, die ursprünglich nur mündlich überliefert wurden, verschriftlichte man erst nach dem Verschwinden des Hebräischen als Alltagssprache. Der Terminus '47 bedeutete, zumindest seit der amoräischen Zeit, also ab 200 n.Chr., nicht nur „übersetzen“, sondern auch „erklären“, was sich in der freien Übersetzungsweise der Targumim spiegelt. Zur Reflexion über Übersetzung in der rabbinischen Literatur vgl. VELTRI, Tora, 169ff. 153 Vgl. Marius Mercator (ca. 395–451) über seine Übersetzung der Sermones von Nestorius im Rahmen des Ephesinischen Konzils von 431: in quibus verbum de verbo in quantum fieri potest conatus sum translator exprimere, ne prius falsarius magis quam verus postea probarer interpres [Acta Conc. Oec. 1, 5, 1, ed. SCHWARTZ 28f.] (… dabei habe ich als Übersetzer versucht, so wörtlich wie möglich vorzugehen, weil es mir lieber ist, jetzt nicht als trügerischer Übersetzer bezeichnet zu werden, als später als treuer.). Übersetzung nach CECINI, Alcoranus latinus, 44 Anm. 113. 154 Der Vorwurf seiner Gegner lautet nämlich in ep. 57,2: … me falsarium, me verbum non expressisse de verbo [ed. LABOURT Bd. III, 57,11f.] (... dass ich ein Fälscher sei und nicht wortwörtlich übersetzt hätte.). 155 So etwas Evagrius v. Antiochien und Rufin (s.u.), vgl. MÜLKE, Autor, 117. 156 Vgl. CECINI, Alcoranus latinus, 44ff. und MARTI, Übersetzer, 70f. Letzterer schätzt die Situation im Umfeld des Hieronymus jedoch anders ein: „[I]m allgemeinen ist die Selbständigkeit der lateinischen Übersetzer gegenüber den griechischen Vorlagen recht groß. Dies beweisen die häufigen Zweifel, ob ein Werk als Übersetzung oder als eigenständiges Werk gewertet werden muß.“ (a.a.O. 94). Leider bleibt die Verknüpfung dieser beiden Sätze sehr vage, denn besagte Zweifel stellen sich in der zeitgenössischen Wertung doch umso häufiger ein, je stärker die Erwartungshaltung der Lesenden vom Ideal einer wortwörtlichen Übersetzung geprägt ist. Davon wiederum zeugen die Äußerungen zeitgenössischer Kritiker an Übersetzern mit allzu großer Selbständigkeit. Die gegenläufige Einschätzung, dass „die freie Übersetzung nicht einfach als Normalfall der römischen Literatur angesehen werden kann“, findet sich auch als Zusammenfassung eines differenziert erarbeiteten Überblicks bei MÜLKE (Autor, 117).

46

B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

B.II.2.2

Hieronymus in der Zeit vor der Übersetzung Iuxta Hebraeos

Schon in seiner frühesten ausführlichen Äußerung zu Übersetzungstechniken positioniert sich Hieronymus im Gegenüber von wortwörtlichem und sinngemäßem Arbeiten. Seiner Übersetzung und Überarbeitung des Chronikons von Euseb aus den Jahren 380/1 stellt er dazu eine programmatische praefatio voran. Er selbst hält den Text offenbar für so maßgeblich, dass er ihn mehr als zehn Jahre später in ep. 57,5 zitiert. Noch hat sich der Sturm der Kritik an seiner Arbeit nicht erhoben, da antizipiert Hieronymus schon mögliche Anfragen, indem er auf das Dilemma eines jeden Übersetzers hinweist: Si ad verbum interpretor, absurde resonat; si ob necessitatem aliquid in ordine, vel in sermone mutavero, ab interpretis videbor officio recessisse.157 Wenn ich wortwörtlich übersetze, klingt es absurd; wenn ich notwendigerweise irgendetwas an der Wortfolge oder am Ausdruck ändere, verlasse ich scheinbar die pflichtgemäße Vorgehensweise (officium) eines Übersetzers.

Hieronymus rezipiert hier das konventionelle Verständnis des officium interpretis, eine Übersetzung sei wörtlich auszuführen. Demgegenüber stehen Veränderung in Wortfolge und Ausdruck. Wenige Sätze zuvor zeigt er, dass der Unterschied der Sprachen der Grund für die Notwendigkeit von sensualem Übersetzen ist. Arduum, ut quae in aliena lingua bene dicta sunt, eumdem decorem in translatione conservent. Significatum est aliquid unius verbi proprietate, non habeo meum quod id efferam; et dum quaero implere sententiam, longo ambitu vix brevia spatia consumo. Accedunt hyperbatorum anfractus, dissimilitudines casuum, varietates figurarum; ipsum postremo suum, et, ut ita dicam, vernaculum linguae genus.158 Schwer ist, dass das, was in einer fremden Sprache gut ausgedrückt ist, in der Übersetzung denselben Reiz (decus) behält. Da ist etwas durch den eigenen Charakter (proprietas) eines Ausdrucks bezeichnet – und ich habe in meiner Sprache kein eigenes Wort, um dies ausdrücken zu können; und während ich versuche, den Sinn zu treffen, bewältige ich auch durch einen weiten Umweg kaum ein kleines Stück Wegs. Dazu kommen noch: die gewundenen Hyperbata, Kasusunterschiede, verschiedene Stilmittel; und zuletzt besonders die ,einheimische‘ Sprachidiomatik.

Die Polarität zwischen wortgetreuer Übersetzung und sinngemäßer stellt Hieronymus hier als Paradoxon dar. Gibt der Übersetzer als pflichtgemäßer interpres die Worte wieder, entspricht das Ergebnis in der Zielsprache gerade nicht dem Stil des Originals. Wendet er sich dagegen dem Sinn zu und versucht ein stilistisches Äquivalent in seiner eigenen Sprache zu finden, weicht er von der Pflicht (officium) ab, die einem interpres zugeschrieben wird. Wie im Folgenden deutlich wird, ist für Hieronymus Stiltreue eine gewichtige Komponente von Originaltreue. Als Beispiele dafür, dass es beim Übersetzen selten gelingt, den Geschmack (sapor) des Originals zu treffen, nennt Hieronymus im weiteren Textverlauf der praefatio des Chronikons die vier ihm bekannten griechischen AT-Übersetzungen: Selbst den siebzig Übersetzern der alexandrinischen Bibel sei nicht gelungen, den 157 Ep. 57,5 [ed. LABOURT Bd. III, 61,9–12] = chron. epist. [ed. HELM, GCS 47, 2,12–15]. 158 Ep. 57,5. Ähnlich äußert er sich im Epheser-Kommentar (In Eph. II ad 4,16): Et omnis metaphora, si de alia in aliam linguam transferatur ad verbum, quibusdam quasi sentibus, orationis sensus et germina suffocantur [ed. VALLARSI, PL 26, 536A] (So ist es bei jeder Metapher – wenn man sie wörtlich von einer Sprache in eine andere übersetzt, wird der Sinn des Ausdrucks, gleichwie Sprösslinge erstickt.). Vgl. ep. 121,10.

B.II. ÜBERSETZUNGSPRINZIPIEN

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hebräischen Text sinn- und stiläquivalent wiederzugeben. Aquila übersetze ohnehin verbum de verbo, Symmachus eher ad sensum und Theodotion stark an der Septuaginta orientiert. Die Zuordnung der beiden Prinzipien auf Aquila und Symmachus greift Hieronymus vielfach wieder auf.159 Neben der praefatio zur Übersetzung des Chronikons zeugen auch Briefe aus der Zeit in Rom davon, wie sich Hieronymus mit den beiden Prinzipien verbum de verbo und ad sensum. auseinandersetzt und sich dabei uneingeschränkt für eine sensuale Übersetzung ausspricht. Bischof Damasus gegenüber erklärt er, dass Unterschiede zwischen Septuaginta und hebräischem Text existieren, „da sich die siebzig Übersetzer mehr nach dem Sinn als nach dem Wortlaut ausdrückten.“160 Hieronymus zeugt bereits bei seinem Debüt als Übersetzer von einem feinen Gespür für die Probleme, die sich mit den beiden Übersetzungsprinzipien – wörtlich oder sensual – verbinden: Verlust der Originaltreue auf der einen Seite – Verlust der Wiedergabe der sprachlichen Schönheit des Originals und Verständlichkeit auf der anderen. Weiterhin ist auch deutlich, dass Hieronymus schon im Jahr 380 die nichtwörtliche Übersetzungsweise bevorzugt, wobei er sich sehr wohl bewusst ist, dass diese Präferenz nicht unumstritten ist. Zwar ändert sich seine Einschätzung der Septuaginta, wie im Abschnitt gezeigt wurde durch seine „Bekehrung“ zur veritas hebraica, die Vorgabe, sinngemäß zu übersetzen, begleitet ihn jedoch schon seit Beginn seiner Tätigkeit als Übersetzer.

B.II.2.3

Die Arbeit am Alten Testament Iuxta Hebraeos

In den Vorreden zu den biblischen Büchern, die Hieronymus nach dem hebräischen Text übersetzt hat, begründet er das Übersetzen ad sensum selten.161 Der Grund hierfür ist, dass er sich darauf konzentriert, seine Präferenz der hebraica veritas als Quelltext zu verteidigen. Zudem ist zu vermuten, dass Kritiker seiner Übersetzung aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse ohnehin nicht in der Lage gewesen wären nachzuvollziehen, ob Hieronymus’ Übersetzungstechnik oder die hebräische Vorlage für Unterschiede zu alten lateinischen oder griechischen Übersetzungen verantwortlich war. Eine Ausnahme unter den Übersetzungsvorreden bildet der Prolog zum Hiobbuch IH aus dem Jahr 393.162 Hier nimmt Hieronymus wieder auf die Übersetzungsprinzipien der hexaplarischen recentiores Bezug und ordnet seine eigene Ar159 Vgl. hierzu prol. Iob (IH) s.u. Anm. 163, sowie die detaillierteren Untersuchungen, wie Hieronymus die recentiores bewertet und charakterisiert in den Abschnitten C.I.3.–C.I.6. 160 … Septuaginta Interpretibus sensum potius ex sensu quam verbum de verbo exprimentibus. (Ep. 18A,15 [ed. LABOURT Bd. I, 72,16ff.]). Die Berufung auf die Übersetzungsprinzipien der Septuaginta wird später für Hieronymus ein wichtiges Argument gegen Kritiker (s.u.). 161 Neben dem Prolog zum Hiobbuch IH, dem ich mich im Folgenden widmen werde, erwähnt er das sensuale Übersetzen im Prolog zum Judithbuch, dem er aufgrund anderer Verpflichtungen nur eine einzige kleine Nachtschicht widmete und mehr sinngemäß als wörtlich übersetzte. (… unam lucubratiunculam dedi, magis sensum e sensu, quam ex verbo verbum transferens.) [Weber, 691,6f.] Zum Topos der nächtlichen Arbeit vgl. JANSON, Prefaces, 97.147. 162 Wie viele der übrigen praefationes richtet sich auch dieser Text polemisch gegen Widersacher (adversarii, obtrectatores), die daran Anstoß nehmen, dass Hieronymus nach der hebraica veritas übersetzt. Die Aussagen über das Übersetzen ad sensum trifft Hieronymus nur en passant.

48

B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

beit in das entstehende Spannungsfeld zwischen wörtlicher und sinngemäßer Übersetzung wie folgt ein.163 Haec autem translatio nullum de veteribus interpretum sequitur, sed ex ipso hebraico arabicoque sermone et interdum syro, nunc verba, nunc sensus, nunc simul utrumque resonabit.164 Diese Übersetzung folgt keinem der alten Übersetzer, sondern es erklingt in ihr – direkt aus dem Hebräischen und Arabischen,165 manchmal auch aus dem Syrischen – mal der Wortlaut, mal der Sinn, mal beides zugleich.

Es handelt sich hier um eine der wenigen Äußerungen des Kirchenvaters, in denen er wortwörtliches Übersetzen und sinngemäßes gleichwertig beschreibt. Diese Harmonie ist jedoch in der praefatio nur von kurzer Dauer. Hieronymus schließt dieser Aussage eine bildhafte Schilderung der Schwierigkeiten an, die sich bei der Wiedergabe der poetischen Sprache des Hiobbuchs ergeben. Obliquus enim etiam apud hebraeos totus liber fertur et lubricus: et quod graece rhetores vocant ἐσχηματισμένος, dumque aliud loquitur, aliud agit: ut si velis anguillam aut muraenulam strictis tenere manibus, quanto fortius presseris, tanto citius elabitur.166 Auch bei den Hebräern windet sich nämlich das ganze Buch schlüpfrig dahin – die Redner nennen dies auf Griechisch ἐσχηματισμένος (metaphernreich), dass man also das Eine sagt und das Andere meint – es ist, als wolltest du einen Aal oder eine kleine Muräne fest in den Händen halten: Je kräftiger du zupackst, umso schneller wird sie wieder heraus schlüpfen.

Die poetische Sprache des Buchs verbietet es nach Ansicht des Hieronymus, wortwörtlich zu übersetzen. Die Vieldeutigkeit poetischer Ausdrucksweise fordert dazu auf, sich vom wörtlichen Übersetzen zu lösen.

B.II.2.4

Die Definition in ep. 57

Eine zentrale Rolle für die Rekonstruktion der Übersetzungstechnik des Hieronymus kommt ep. 57 an Pammachius von 395 zu. Schon Hieronymus selbst verweist in vielen späteren Schriften selbst auf diesen Brief, den er gern als Liber de optimo genere interpretandi bezeichnet.167 Besonderer Beliebtheit erfreut sich das in ep. 57,5 geäußerte „Bekenntnis“ des Bethlehemiten: 163 Prol. Iob (IH): … quasi non et apud Graecos Aquila, Symmachus, et Theodotio, vel verbum e verbo, vel sensum e sensu, vel ex utroque commixtum, et medie temperatum genus translationis expresserint [WEBER, 731,3ff.] (… als ob nicht bei den Griechen schon Aquila, Symmachus und Theodotion übersetzt hätten – als Übersetzungsart entweder wortwörtlich, oder sinngemäß oder als Mischform ein Mittelweg aus beidem.). 164 Prol. Iob (IH) [WEBER, 731,15ff.]. 165 Vgl. auch prol. Dan.: sciendum quippe Danihelem maxime et Ezram hebraicis quidem litteris, sed Chaldaico sermone conscriptos, et unam Hieremiae pericopen, Iob quoque cum arabica lingua habere plurimam societatem [WEBER, 1341,8ff.] (Man sollte freilich wissen, dass Daniel zum größten Teil und Esra zwar mit hebräischen Buchstaben, aber in chaldäischer Sprache verfasst sind, sowie eine einzelne Perikope des Jeremiabuchs, auch Hiob mit der arabischen Sprache größte Gemeinsamkeit hat.). Möglicherweise denkt Hieronymus hier an Eigennamen im Buch Hiob. In den beiden Onomastika (nom. hebr., sit. et nom.) erklärt er jedoch keinen der Namen aus dem Hiobbuch durch arabische Begriffe. 166 Prol. Iob (IH) [WEBER, 731,17–20]. 167 Vgl. S. 16, Anm. 46. Vgl. hierzu und im Folgenden MÜLKE, Autor, 137.

B.II. ÜBERSETZUNGSPRINZIPIEN

49

Ego enim non solum fateor sed libera voce profiteor me in interpretatione Graecorum, absque Scripturis sanctis, ubi et verborum ordo mysterium est, non verbum e verbo sed sensum exprimere de sensu. 168 Ich gestehe es nicht nur ein (fateor), sondern bekenne (profiteor) es offen, dass ich bei der Übersetzung griechischer Texte – abgesehen von den Heiligen Schriften, wo auch die Wortfolge ein Mysterium ist – nicht wörtlich, sondern sinngemäß übersetze.

Mit den bisher angeführten Äußerungen vor 395 stimmt überein, dass sich Hieronymus zum sensualen Übersetzen bekennt. Im Rückblick auf seine bisherige Übersetzungstätigkeit erklärt er Pammachius im Folgenden (§6), er habe „… immer, von Jugend an, nicht Worte, sondern den Sinn übersetzt ...“.169 Was aber meint Hieronymus damit, dass er bei den Heiligen Schriften, bei denen auch die Wortfolge ein Mysterium sei, eine Ausnahme (absque) mache und sich implizit in diesen Fällen für ein wörtliches Übersetzen ausspricht? Bis zur Verfassung dieses Briefes sind seine Evangelienrevisionen, die Übersetzungen nach der Septuaginta und erste Bücher nach dem Hebräischen entstanden.170 Seine Aussage über die Übersetzung heiliger Schriften in ep. 57,5 stimmt weder mit seiner Arbeit an o.g. Bibeltexten überein, die zum Großteil sehr frei übertragen sind, noch mit seiner Selbsteinschätzung in ep. 57,6. Wie kommt es zu dieser Diskrepanz? Hat Hieronymus ein zweiteiliges Übersetzungsprinzip mit unterschiedlicher Herangehensweise für biblische und nichtbiblische Schriften?171 – Wie sind dann die mannigfachen anderslautenden Äußerungen vor- und nachher zu verstehen (s.o.) sowie seine Selbsteinschätzung in ep. 57,6 und seine praktische Übersetzungstätigkeit, die diesem Prinzip häufiger widerspricht als folgt? Präferiert Hieronymus, wie die bisher dargestellten Texte vermuten lassen, das Prinzip ad sensum, – welchen Sinn hat dann der Einschub bezüglich der scripturae sanctae? Oder hat Hieronymus den verbalinspiratorisch geprägten Gedanken „später wieder zurückgenommen“?172 Wobei es sich bei diesem „später“ nur um wenige Minuten während der Abfassung der ep. 57 handeln kann, da er ja schon in §6 von seiner kontinuierlichen Präferenz des sensualen Übersetzens „von Jugend an“ spricht? Diese Fragen lassen sich nicht ohne einen genaueren Blick auf den Kontext des Briefes und seine Entstehungszusammenhänge beantworten. Anlass für die Schrift war eine von Hieronymus erstellte Übersetzung eines Briefes von Epiphanius von Salamis an Johannes von Jerusalem, in welchem letzterer der origenistischen Häresie bezichtigt wird. Mitstreiter des Johannes173 warfen Hieronymus daraufhin vor, die Übersetzung lasse durch ihre mangelnde Originaltreue und Wörtlichkeit den Jerusalemer Bischof zu Unrecht als Origenisten erscheinen. Darauf reagierte Hieronymus mit ep. 57, die er an seinen Studienfreund Pammachius nach Rom sandte mit dem Auftrag, dort den Brief zu verbreiten, um so einer möglichen Beschmutzung des Rufs des Hieronymus vorzubeugen.174 168 Ep. 57,5 [ed. LABOURT Bd. III, 59,16–20]. 169 Ep. 57,6: me semper ab adolescentia non verba sed sententias transtulisse [ed. LABOURT Bd. III, 61,3f.]. 170 Die unterschiedlichen Lösungen dieser Frage in der Forschung ergeben sich aus der Interpretation dieses Einschubs. Vgl. die Auflistung bei MÜLKE, Autor, 131 Anm. 412. 171 Vgl. BROWN, Vir trilinguis, 109, ähnlich auch MARTI, Übersetzer, 74f. 172 So SCHADE, Einleitung, 270 Anm. 1. 173 BANNIARD vermutet Rufin (Jérôme et l’elegantia, 308). 174 SCHADE, Einleitung, 263.

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B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

Im Eingangsteil des Briefs (§§2–4) erklärt Hieronymus wortreich, es handele sich bei der Übersetzung des Epiphanius-Briefes um ein Werk, das nicht zur Veröffentlichung bestimmt sei. Vielmehr habe er es als privates Schreiben an Euseb von Cremona verfasst, welches diesem jedoch gestohlen wurde. Nur so sei es überhaupt an die Öffentlichkeit gelangt. Aufgrund dieser Umstände sei Hieronymus für den Inhalt nicht haftbar.175 Diesem in sich geschlossenen Argument fügt er eine ausführliche Apologie des Übersetzens ad sensum an (§§5–11). Wahrscheinlich hat Hieronymus diesen Mittelteil von ep. 57 unabhängig vom Rest des Briefes als übersetzungstheoretische Abhandlung konzipiert, denn anders als im Anfangsteil (§§1–4) und in den abschließenden Abschnitten (§12f.) findet sich kein Bezug auf die aktuelle Situation des Briefes.176 Zur Verteidigung seiner Arbeit nach dem Prinzip ad sensum führt Hieronymus zunächst (§5) verschiedene Autoritäten aus der klassischen Latinität ins Feld: Neben Horaz, Terenz, Plautus und Menander steht an erster Stelle Cicero. Dieser charakterisiert seine Arbeit ähnlich wie Hieronymus: … nec converti ut interpres sed ut orator sententiis iisdem et earum formis, tam figuris quam verbis ad nostram consuetudinem aptis. In quibus non verbum pro verbo necesse habui reddere: sed genus omne verborum vimque servavi. (…) verba persequens eatenus, ut ea non abhorreant amore nostro.177 … nicht wie ein Übersetzer (interpres), sondern wie ein Redner habe ich übersetzt, und dabei die Sätze und ihre äußere Gestaltung, rhetorische Figuren sowie Worte an unsre Gewohnheit angeglichen. Dabei hielt ich es nicht für notwendig, ein Wort durch ein anderes wiederzugeben, sondern ich bewahrte178 jeweils den Charakter der Worte und ihre Kraft. (…) Dem Wortlaut folgte ich nur insoweit als er uns in unserer Liebe [zur Sprache] nicht abschreckte.

Der wortwörtlichen Übersetzung eines interpres stellt Cicero die Arbeit eines Redners gegenüber. Letztere zielt auf eine Angleichung an die sprachlich-stilistischen Gewohnheiten der Zielsprache (ad nostram consuetudinem aptis), wobei sie dem Wortlaut soweit folgt wie es das Stilgefühl erlaubt. Wichtiger ist jedoch: Genus179 und vis der Worte bleiben gerade dadurch erhalten. Neben Cicero beruft sich Hieronymus auf den Rat des Horaz: Nec verbum verbo curabis reddere, fidus interpres! 180 Kümmere dich, zuverlässiger Übersetzer, nicht darum, ein Wort durch ein anderes wiederzugeben!

Die Ironie des Horaz (ep. II 3, 133f.) ist kaum zu überhören, war doch gerade der fidus interpres Inbegriff des wörtlichen Übersetzens. Terenz, Plautus und Caecilius stellen ebenfalls Vorbilder für das sensuale Übersetzen dar. Hieronymus fragt: 175 Hier knüpft Hieronymus an eine traditionelle Argumentationsfigur an (z.B. bei Galen, de ordine librorum suorum II über ὑπομνήματα, Vorlesungsmitschriften für den privaten Gebrauch, die ohne Wissen des Autors verbreitet werden, vgl. STANDHARTINGER, Studien, 40f). 176 Das Argument für dieses aktuelle Problem ist eigentlich mit §4 schon vorgebracht, danach werden Epiphanius und Johannes, Pammachius und Euseb nicht mehr erwähnt. 177 Hieronymus zitiert hier (ep. 57,5 [ed. LABOURT Bd. III, 60,3–13]) aus de opt. gen. orat. 5,13f. 178 Auch Hieronymus verwendet oft das Verb (con)servare um die Originaltreue auszudrücken, vgl. ep. 57,5; 106,26; 112,19 u.v.m. 179 Vgl. BARTELINK (Kommentar, 54) übersetzt dies treffend mit „stilistischer Wert“. 180 Vgl. Horaz, der diesen Vers in ep. II 3,133f. ironisch formuliert, da die Bezeichnung fidus interpres gewöhnlich für den wörtliches Übersetzer verwendet wird.

B.II. ÜBERSETZUNGSPRINZIPIEN

51

Numquid haerent in verbis ac non decorem magis et elegantiam in translatione conservant? Quam vos veritatem interpretationis, hanc eruditi κακοζηλίαν nuncupant.181 Kleben sie etwa am Wortlaut? Oder bewahren sie nicht vielmehr in ihrer Übersetzung die Schönheit und die Geschliffenheit [des Originals]? Was ihr Originaltreue (veritas interpretationis) nennt, dafür sagen gebildete Menschen κακοζηλία.”

Erst der Abstand vom angeblich wahren, wortwörtlichen Übersetzen ermögliche es demnach, decus und elegantia des Originals wiederzugeben.182 Im Anschluss an die Vorbilder aus den Reihen der lateinischen Rhetoren, Dichter und Philosophen führt Hieronymus im folgenden Abschnitt (§6) Beweisstellen bei christlichen Autoren an. Evagrius von Antiochien habe die Übersetzung der Vita Antonii des Athanasius so angefertigt, „dass nichts am Sinn, wohl aber etwas an den Worten fehle.“183 Gern folgt Hieronymus dem Rat des Antiocheners: Alii syllabas aucupentur et litteras, tu quaere sententias. Andere mögen Jagd auf Silben und Buchstaben machen – suche du den Sinn!184

Es folgt noch ein Hinweis auf die freien Übersetzungen des Hilarius von Poitiers, bevor sich Hieronymus schließlich auf die Übersetzer der Septuaginta,185 auf die Apostel und Evangelisten sowie auf Christus selbst beruft. Sie alle sind ihm Vorbilder für ein Übersetzen ad sensum, was die Wiedergabe alttestamentlicher Zitate und Erzählungen im NT belege. Dabei kommt Hieronymus zu folgender Einsicht: Differo solutionem et istius quaestiunculae, ut obtrectatores mei quaerant et intelligant non verba in Scripturis consideranda sed sensus.186 Ich verschiebe die Lösung auch dieser kleinen Frage187 nach hinten, damit meine Widersacher forschen und einsehen, dass bei den heiligen Schriften nicht auf die Worte, sondern auf den Sinn zu achten sei.188

Hieronymus geht nicht eigens darauf ein, wie sich all diese Argumente zu der gegensätzlich klingenden Einschränkung bezüglich der Heiligen Schriften in seiner „Definition” in §5 verhalten. In dieser (s.o.) scheint es ja, als sähe er für die biblischen Schriften eine Übersetzung verbum de verbo vor. Dies aber widerspricht, wie sich aus §§6-11 ergibt, dem, was Hieronymus als Praxis der Septuagin181 182 183 184 185

Ep. 57,5 [ed. LABOURT Bd. III, 60,21–24]. Zum Begriff κακοζηλία s.u. S. 55f. Vgl. BARTELINK, Kommentar, 57. … ut nihil desit ex sensu, cum aliquid desit ex verbis (ep. 57,6 [ed. LABOURT Bd. III, 62,2f..]). Zur „Silbenfängerei“ vgl. BARTELINK, Kommentar, 65. Hier wertet Hieronymus die Freiheit der Septuaginta, die ihn sonst davon abhält, sie für die veritas zu halten, positiv. Er scheint die Septuaginta als Übersetzung, aber nicht als veritas zu schätzen. 186 Ep. 57,10 [ed. LABOURT Bd. III, 70,5ff.]. 187 Es geht um das Problem, dass die Nacherzählung der Erzelternerzählung durch Stefanus in Apg 7,14ff. nicht mit den Erzählungen in Gen 23; 33,18ff. und Jos 24,32 übereinstimmt. Hieronymus löst diese Frage in ep.57 damit, dass er Stefanus als ein Beispiel dafür anführt, wie urchristlichen Autoritäten biblische Texte dem Sinn und nicht dem Wortlaut nach wiedergaben. 188 Dieser Einschätzung bleibt Hieronymus auch später treu, wie ein Brief an Algasia um 406/7 zeigt (ep. 121,2): … ubicumque de veteri instrumento Evangelistae et Apostoli testimonia protulerunt, diligentius observandum est non eos verba secutos esse sed sensum et, ubi Septuaginta ab hebraico discrepant, hebraeum sensum suis expressisse sermonibus [ed. LABOURT Bd. VII, 16,21–26] (... überall, wo die Evangelisten und Apostel alttestamentliche Schriftzeugnisse heranziehen, lässt sich recht genau beobachten, dass sie nicht den Worten folgten, sondern dem Sinn, und dass die Siebzig dort, wo sie vom Hebräischen abwichen, den hebräischen Sinn mit ihren eigenen Worten ausdrückten.). Zu Hieronymus’ Argumentation in ep. 57 hinsichtlich des Umgangs der ntl. Autoren mit alt. Zitaten vgl. KATO, Jerome’s Understanding, 300–308.

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B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

ta, der Evangelisten und der Apostel schildert, nämlich den atl. Bibeltext dem Sinn nach und nicht wörtlich wiederzugeben. Wie der kurze Überblick über die Argumentation des Kirchenvaters in §§6–11 gezeigt hat, ist der Einschub189 in ep. 57,5 schwer mit den folgenden Ausführungen in Einklang zu bringen, da Hieronymus es auch für biblische Texte vorzieht, nach dem Sinn zu übersetzen. Dass eine wörtliche Übersetzung bei Bibeltexten nach Hieronymus völlig auszuschließen ist, führt ebenso in die Irre wie die Rede von „two sets of principles“190, oder die Interpretation, der Einschub bezöge sich lediglich auf schwierige191 oder besonders „göttliche“192 Bibelstellen. Weiterführend ist die Beobachtung MÜLKES,193 dass Hieronymus sein „Bekenntnis“ in ep. 57,5 mit der Einschränkung in interpretatione Graecorum versieht. Damit bezieht sich der Kirchenvater auf seine Arbeit an den Revisionen und Übersetzungen nach dem Septuaginta-Text, „um dem Vorwurf vorzubeugen, er lasse gerade bei den biblischen Texten eine einheitliche Übersetzungspraxis vermissen.“194 Vergleicht man die Übersetzungen nach der Septuaginta mit den in den 390er Jahren entstandenen Übersetzungen nach dem Hebräischen, dann fällt auf, dass Hieronymus bei den früheren wesentlich häufiger dem Wortlaut folgt. Dies ist beim Übersetzen aus dem Griechischen ins Lateinische zweifelsohne besser möglich ist als bei hebräischen Originalen.195 Davon wird auch die Untersuchung der Quellen von Hieronymus’ Übersetzung in Teil B. die Rede sein.

B.II.2.5

Die Kontroverse mit Rufin

Neben ep. 57 fällt auch die Kontroverse zwischen Hieronymus und Rufin über dessen Περὶ ἀρχῶν-Übersetzung in die Zeit, in der der Bethlehemer Übersetzer am AT arbeitete. Da die Äußerungen des Hieronymus auf den ersten Blick inkohärent und mit dem bisher Dargestellten nicht kompatibel erscheinen, ist auch hier eine intensivere Betrachtung sinnvoll. Im Jahr 398 übersetzte Rufin Περὶ ἀρχῶν des Origenes und eliminierte bzw. korrigierte dabei einige dogmatisch anstößige Passagen. Andere als heterodox inkriminierte Äußerungen ließ er unverändert und verbreitete die These, dass das Werk des Origenes nachträglich häretisch überarbeitet worden sei. In der Vorrede zu seiner Übersetzung berief er sich dabei darauf, dem Vorbild des Hieronymus zu folgen, der in seiner Übersetzung der Homilien des Origenes ähnlich vorgegangen sei.196 Pammachius und Oceanus, Vertraute des Hieronymus in Rom, fürchteten, 189 190 191 192 193 194 195

Sc. „absque Scripturis sanctis, ubi et verborum ordo mysterium est.“ BROWN, Vir trilinguis, 109. Z.B. SCHADE, Einleitung, 138. Damit bezeichnet SCHADE, Einleitung, 138 Gebete, Reden Gottes oder Worte Jesu, ebd. Auch zum Folgenden vgl. MÜLKE, Autor, 137ff. Ebd. 144. Eine Ausnahme bildet hierbei z.B. das Buch Jona. Wie RISSE in der Einführung zu seiner Übersetzung des Jona-Kommentars (Commentarius, 27) zeigt, übersetzt Hieronymus, wohl wegen der Einfachheit der hebräischen Syntax in diesem Text, nahezu Wort für Wort. 196 [ed. KOETSCHAU, GCS 22 (Origenes 5), 3,5ff.]. Im ersten Buch der Apologie gegen Hieronymus (apol. I 21) wiederholt Rufin dies.

B.II. ÜBERSETZUNGSPRINZIPIEN

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dass diese Angelegenheit dessen Ruf schaden könnte und baten ihn, das Werk des Origenes ebenfalls zu übersetzen. Hieronymus reagierte prompt und sandte die gewünschte Übersetzung inklusive ep. 84 als Begleitschreiben an den Tiber. Rufin sah sich, nachdem er von Parteigängern des Hieronymus als Origenist verunglimpft wurde, zur Verfassung einer Apologie gegen Hieronymus genötigt. Darin greift er auch die Bibelübersetzung Iuxta Hebraeos an. Er behauptet, Hieronymus habe unter jüdischem Einfluss Veränderungen an den Büchern der Bibel vorgenommen. Hieronymus antwortete darauf mit den ersten beiden Büchern der Apologia adversus Rufinum (402). Auf einen weiteren literarischen Vorstoß Rufins konterte Hieronymus mit einem Brief, dem dritten Buch von adv. Ruf.197 Pammachius und Oceanus hatten im Rahmen ihrer Anfrage an Hieronymus (ep. 83) diesen gebeten, die neue Übersetzung von Περὶ ἀρχῶν ad fidem zu erarbeiten.198 Am Ende des Antwortbriefs (ep. 84) nimmt dieser darauf Bezug: … et mutare quippiam de graeco non est vertentis sed evertentis. et eadem ad verbum exprimere, nequaquam eius, qui servare velit eloquii venustatem.199 … zum einen kennzeichnet es nicht einen Übersetzer, sondern einen üblen Schwätzer (vertens – evertens) irgendetwas am Griechischen zu verändern, andererseits sollte keinesfalls jemand, der die Schönheit der Ausdrucksweise bewahren will, wortwörtlich übersetzen.

Hieronymus positioniert sich entsprechend seinem Prinzip ad sensum zwischen zwei Extremen: Ein guter Übersetzer darf sich weder durch Änderungen an Sinn oder Umfang vom Original entfernen (mutare), noch darf er durch zu wörtliche Arbeit dessen ursprüngliche stilistische Schönheit mindern. Im zweiten Buch der Apologie spricht Hieronymus dagegen von einer wörtlichen Übersetzung von Περὶ ἀρχῶν: Conferte Origenis verba, quae supra ad verbum transtuli, his, quae ab isto non versa sunt, sed eversa, et quantam inter se non solum verborum, sed sensuum habeant dissonantiam.200 Stellt die Worte des Origenes, die ich oben wörtlich übersetzt habe, der Version – nein: Perversion – dieses Menschen gegenüber und vergleicht, was für ein großer Unterschied dazwischen ist, nicht nur bezüglich der Worte, sondern auch des Sinns.

Unklar ist dabei Folgendes: Wird Hieronymus damit „seinen Grundsätzen untreu“201 und agiert er hier sogar „in exakter Umkehrung der Lehre von De optimo genere interpretandi“?202 Oder beziehen sich die Aussagen des Hieronymus haupt-

197 Eine ausführliche Darstellung des Streites um diese fateful translation bietet KELLY, Jerome, 227ff. 198 Gleich zu Beginn ihres Briefes (ep. 83,1) richten Pammachius und Oceanus folgende Bitte an Hieronymus: quaesumus … ut supra dictum librum Origenis ad fidem, quemadmodum ab ipso auctore editus est, tuo sermone manifestes; et quae a defensore eius interpolata sunt, prodas [ed. LABOURT Bd. IV, 124,21–27] (Wir bitten dich, dass du das oben genannte Buch des Origenes ad fidem, wie es vom Verfasser selbst herausgegeben wurde, in deiner Sprache ausdrückst, und dass du das, was von seinem Verteidiger eingefügt wurde, bloßstellst.). Vgl. MÜLKE, Autor, 166 Anm. 510, der den Ausdruck ad fidem mit verbum de verbo gleich setzt. Dies muss jedoch nicht unbedingt impliziert sein. Der Kontext scheint vielmehr nahe zu legen, dass es sich um eine Übersetzung ohne Interpolationen und Streichungen handeln soll. 199 Ep. 84,12 [ed. LABOURT Bd. IV, 138f.,32ff.]. 200 Adv. Ruf. II 19 [ed. LARDET, SC 303, 154,1–4]. Auch hier findet sich das Wortspiel vertere – evertere. Vgl. hierzu LARDET, L’apologie de Jérôme contre Rufin, 195. 201 GRÜTZMACHER, Hieronymus III, 11. 202 MARTI (Übersetzer, 75) geht nämlich (wie auch BROWN s.o.) davon aus, dass Hieronymus im „Kernsatz“ ep. 57,5 ein zweigliedriges Prinzip entwirft.

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B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

sächlich darauf, dass Rufin nach Ansicht des Hieronymus den Text des Origenes bewusst und intentional gefälscht und dogmatisch geglättet hat?203 Um die Übersetzung Rufins als Fälschung zu entlarven, hat Hieronymus ihr lediglich in ep. 84 und in adv. Ruf. einige wörtlich übersetzte Beispieltexte gegenüber gestellt, und nicht, wie MARTIS Analyse impliziert, seine gesamte neue Περὶ ἀρχῶν-Übersetzung verbum de verbo erstellt.204 Auffällig ist ferner auch hier, dass Hieronymus in adv. Ruf. II 19 sofort auf die Konsequenzen einer allzu wörtlichen Wiedergabe für den Sinn zu sprechen kommt. Von Inkonsequenz oder Vertauschung der Prinzipien kann nur die Rede sein, wenn man die Aussage in ep. 57 missversteht und die o.g. Äußerungen aus adv. Ruf. als Prinzipien extrapoliert. Auch als zehn Jahre später (410) Hieronymus’ Vertrauter Avitus205 diesen um die Zusendung seiner Περὶ ἀρχῶν-Übersetzung bittet, stellt Hieronymus im Antwortbrief (ep. 124,1) gerade nicht die Wörtlichkeit seiner eigenen Übersetzung in den Vordergrund, sondern seine Unvoreingenommenheit (integritas). Pammachius und Oceanus, für die die Übersetzung ursprünglich angefertigt worden war, hatten, so berichtet Hieronymus, auch „sehr darum gebeten, dass die lateinische Übersetzung den griechischen Urtext bewahre und die römische Sprache in beide Richtungen – frei vom Einfluss des Übersetzers – erkennen lasse, was er geschrieben habe, sowohl das Gute als auch das Schlechte.“206 Beide Schlüsselbegriffe (servare, veritas) verwendet Hieronymus, wie oben gezeigt, häufig bei der Übersetzung ad sensum. Auch nach seiner Kontroverse mit Rufin zur Fragestellung „Wort oder Sinn“ änderte sich die Position des Hieronymus nicht, wie sich aus der Analyse der Apologie gezeigt hat. Die Diskussion bringt vielmehr ein weiteres Problem ins Spiel: Wie steht es um die Verantwortung des Übersetzers für dogmatische Irrtümer in den Schriften, die er übersetzt? Inwiefern ist er für den Inhalt verantwortlich? Hieronymus zufolge genießt der „genaue Übersetzer … die libertas interpretis; der freie, verbessernde dagegen verknüpft sein Schicksal mit dem des Autors.“207 Mit libertas ist jedoch nicht die Freiheit beim Übersetzen gemeint, sondern die Freiheit von der Verantwortung für den (möglicherweise für heterodox gehaltenen) Inhalt.208 Da Rufin, wie er in seinem Vorwort schildert, Περὶ ἀρχῶν verbessert und überarbeitet hat, urteilt Hieronymus über ihn: Ex quo non interpretis libertate sed scriptoris auctoritate teneberis, si quid in his quae vertisti haereticum comprobetur et manifesti criminis argueris idcirco te veneni calicem circumlinere melle voluisse, ut simulata dolcedo virus pessimum tegeret.209 Daher: Wenn etwas in den Texten, die du übersetzt hast, als häretisch befunden wird, kommt dir nicht die Freiheit (libertas) eines Übersetzers zu, sondern man wird dich bei der 203 Vgl. MÜLKE, Autor, 173ff. 204 Da MARTI (Übersetzer, 75f., s.o.) ep. 57,5 fälschlicherweise so versteht, dass Hieronymus die Bibeltexte prinzipiell verbum de verbo übersetzen will, kommt ihm diese Äußerung zwangsläufig als Veränderung in der Übersetzungstheorie des Hieronymus vor. 205 Zu Avitus vgl. REBENICH, Hieronymus und sein Kreis, 125f. REBENICH weist darauf hin, dass nicht sicher ist, ob es sich um denselben Avitus handelt, den Hieronymus als einen der „exponierten Figuren“ eines monastischen Zirkels in Konstantinopel kennen gelernt hatte. 206 Ep. 124,1 … hoc magnopere postulans, ut graecam veritatem latina servaret translatio, et in utramque partem seu bene, seu male dixisset ille, qui scripsit, absque interpretis patrocinio, Romana lingua cognosceret [ed. LABOURT Bd. VII, 95,11–15]. 207 MARTI, Übersetzer, 100. 208 Anders als im heutigen Sprachgebrauch verwendet die antike Übersetzungstheorie im Normalfall „ad/e/de sensu(m)“ und nicht „liber“ als Gegenbegriff zum wörtlichen Übersetzen. 209 Adv. Ruf. I 7 [ed. LARDET, SC 303, 20,9ff.].

B.II. ÜBERSETZUNGSPRINZIPIEN

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Verantwortung eines Schriftstellers (scriptoris auctoritas) behaften; und man wird dich des augenscheinlichen Verbrechens bezichtigen, dass du den Rand eines Giftkelchs mit Honig bestrichen habest, damit die vorgetäuschte Süße den üblen Giftschleim überdecke.

Hieronymus erwähnt in der Kontroverse freilich nicht, dass er, wie Rufin behauptet hatte, tatsächlich zahlreiche Veränderungen bei seiner Übertragung der Origenes-Homilien, aber auch bei der des Chronikons von Euseb vorgenommen hatte. Wie ich gezeigt habe, zieht sich wie ein roter Faden durch Hieronymus’ Übersetzungstheorie, dass er sensuales Übersetzen dem wörtlichen vorzieht. Dies schließt jedoch nicht aus, dass er sich im Falle von Περὶ ἀρχῶν wörtlicher Wiedergaben als Hilfsübersetzungen bedient, um sich der Verantwortung für das Gesagte zu entziehen, oder dass er dann, wenn er Sinn und Stil nicht gefährdet sieht, Texte wörtlich wiedergibt.

B.II.2.6

Briefe an Augustin und Theophilus

In die Jahre, die auf die Kontroverse mit Rufin folgen, fällt der oben schon erwähnte Briefwechsel mit Augustin. Obwohl darin die Bewertung der Septuaginta und die hebraica veritas im Fokus des Interesses beider Korrespondenten steht, erwähnt Hieronymus ebenfalls seine Präferenz ad sensum zu übersetzen. Ganz explizit spricht er davon, dass dies sowohl für Übersetzungen nach der Septuaginta als auch aus dem Hebräischen gelte: Et ibi graeca transtulimus, hic de ipso hebraico, quod intelligebamus, expressimus sensuum potius veritatem quam verborum ordinem interdum conservantes.210 Dort haben wir nämlich das Griechische übersetzt; hier aber haben wir vom Hebräischen selbst her gearbeitet, soweit wir es verstanden haben. Dabei haben wir bisweilen mehr den sinngemäßen Wahrheitsgehalt des Originals (sensuum veritas) als die Wortfolge bewahrt.

Da Augustin im weiteren Verlauf des Briefwechsels keine Kritik an diesem Punkt äußert, darf angenommen werden, dass er seinem Bethlehemer Gesprächspartner stillschweigend zustimmt. Das schon oft erwähnte übersetzungstheoretische Argument, dass eine zu wörtliche Übersetzung dem Sinn mehr schadet als nützt, wiederholt Hieronymus auch in einem Brief an Theophilus um 406. Auf dessen Bitte hatte Hieronymus eine seiner griechischen Schmähschriften gegen Johannes Chrysostomos ins Lateinische übertragen. Neque vero, ut diserti interpretes faciunt, verbum verbo reddidi … ut nihil desit ex sensibus, cum aliquid desit ex verbis.211 Aber nicht, wie die ach so beredten Übersetzer habe ich es wörtlich wiedergegeben, … damit nichts am Sinn fehle, wenn auch etwas an den Worten fehlt.

Auch in diesen späten Schriften zeigt sich, dass Hieronymus sich für einen Verfechter des Übersetzens nach dem Sinn hält. 210 Ep. 112,19 [ed. LABOURT Bd. VI, 39,1–4]. 211 Ep. 114,3 [ed. LABOURT Bd. VI, 45,11–14]. Der Ausdruck diserti interpretes ist eine ironische Verstellung eines Cicerozitats: nec tamen exprimi verbum e verbo necesse erit, ut interpretes indiserti solent (de fin. 3,15) .

56

B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

B.II.2.7

Zwischenfazit

Die breite Textbasis aus den Schriften des Hieronymus von der praefatio zu seinem ersten Übersetzungswerk bis hin zu sehr späten Äußerungen gegenüber Avitus und Theophilus zeigt, dass er konstant und nahezu uneingeschränkt befürwortet, sinngemäß zu übersetzen. Dies gilt sowohl für biblische als auch nichtbiblische Texte und unabhängig, ob es sich um griechische, hebräische oder aramäische Originale handelt. Dies wie BARDY als doctrine très ferme zu bezeichnen,212 scheint mir unglücklich, denn gerade die freie, sinngemäße Übersetzungsweise schließt auch bei Hieronymus nicht aus, dass er gelegentlich die Wortfolge beibehält, wie er im oben zitierten Prolog zum Hiobbuch IH erwähnt. Kritik am Prinzip verbum de verbo kann bei Hieronymus unterschiedlich harsch ausfallen, oft in ironischem Ton, kann aber auch völlig fehlen, was sich z.B. an der sehr uneinheitlichen Einschätzung der Aquila-Übersetzung zeigt, die bei Hieronymus nahezu als Hypostasierung des Wort-für-Wort-Prinzips rangiert.213 Die Argumentationsmuster bei Hieronymus ähneln sich in allen Texten: Wörtliches Übersetzen entstellt den stilistischen Wert des Urtexts, vergeht sich an der Schönheit der Zielsprache und beeinträchtigt nicht zuletzt den Sinn. Neben dieser philologischen Begründung beruft sich Hieronymus auf autoritative Vorbilder, zieht aber keine biblische oder theologische Begründung für die Wahl des sensualen Übersetzungsprinzips heran. Sowohl der Inkarnationsgedanke als auch die paulinische Dialektik von Geist und Buchstabe (2Kor 3,6) wären dafür ja hervorragend geeignet. Am stärksten wiegt für ihn allerdings das philologische Argument, dass die jeweilige proprietas beider Sprachen, also ihre naturgemäße Unterschiedlichkeit, eine freie Übersetzung fordert, um Sinn und sapor des Originals wiederzugeben. Gerade darin besteht nach Hieronymus die Originaltreue der Übersetzung. Wie oben gezeigt, ist eine derart ausführliche Begründung für Hieronymus aus apologetischen Gründen notwendig. Nachfolgend möchte ich noch auf zwei Aspekte eingehen, die grundlegende Voraussetzung und denkerische Konsequenzen aus Hieronymus’ Präferenz des sinngemäßen Übersetzens bilden: Die Verbindung von Übersetzen und Verstehen und das Konzept der proprietas jeder Sprache, das bisweilen schon anklang.

B.II.2.8

Übersetzen und Verstehen

Die Fixierung auf das Übersetzungsprinzip ad sensum macht die Frage nach dem Verstehen des Quelltexts virulent. Daher hebt Hieronymus immer wieder hervor, wie wichtig es ist, vor dem Übersetzen den Text verstanden zu haben: Hoc unum scio non potuisse me interpretari nisi quod ante intellexeram.214 Dies eine weiß ich, dass ich nichts übersetzen konnte, was ich nicht vorher verstanden hatte.

212 BARDY, Les Traditions Juives, 156. 213 Vgl. chron. epist.: … nitente verbum de verbo exprimere [ed. HELM, GCS 47, 3,6]. 214 Prol. Iob (IH) [WEBER, 731,22f.].

B.II. ÜBERSETZUNGSPRINZIPIEN

57

Eine wichtige Bedingung zum Verstehen eines Texts ist für Hieronymus die Kenntnis des ganzen Texts, sowie die Kenntnis des Gesamtwerkes eines Autors. Daher versucht er beispielsweise in den Besitz aller Werke des Origenes zu kommen (ep. 84,3), als er dessen Homilien überträgt.215 Braucht aber nach Hieronymus ein Übersetzer Heiliger Schriften für deren Verständnis nicht besonderer Geistesleitung?216 Der Befund in seinem Œuvre ist überraschend mager und zudem nicht ganz widerspruchsfrei. In der Vorrede zur Pentateuch-Übersetzung Iuxta Hebraeos mokiert sich Hieronymus mit scharfer Zunge und beinahe historisch-kritischer Attitüde über die Entstehungslegende der Septuaginta. Sein Hauptargument ist die Unterscheidung zwischen Übersetzung und Prophetie: (…) aliud esse enim vatem, aliud esse interpretem: ibi spiritus ventura praedicit, hic eruditio et verborum copia ea quae intellegit transfert.217 (…) dass es nämlich ein Unterschied ist, ob man Seher (vates) oder Übersetzer ist: Beim Ersten sagt der Geist Zukünftiges voraus, jenem hilft seine Bildung und sein reicher Wortschatz das zu übersetzen, was er versteht.

Für Hieronymus bildet, wie er hier ausführt die rhetorische Schulung (eruditio) die wichtigste Voraussetzung für die Tätigkeit als Übersetzer. Trotzdem bittet er am Ende desselben Prologs den Empfänger Desiderius um Beistand im Gebet, „damit ich die Bücher in demselben Geist, in dem sie geschrieben wurden, ins Lateinische übertrage.“218 Hieronymus ist, wie er mehrfach erwähnt, davon überzeugt, dass der Bibeltext unverstehbare Geheimnisse birgt.219 Das mag der Grund dafür sein, dass er sich bisweilen auch für eine unübersetzte Übernahme von hebräischen Begriffen ausspricht, – v.a. im Falle von Begriffen, die in die Liturgie der christlichen Kirche eingegangen sind, wie Alleluja, Amen, Os(i)anna, Maranatha, Sela o.ä. Er begründet dies in ep. 26,2 mit einem magisch anmutenden Argument: Es sei „viel besser, sie unübersetzt abzuschreiben, als ihre Kraft (vis) durch eine Übersetzung zu schwächen (tenuare).“220 In ähnlichen Fällen befürwortet er jedoch Umschreibungen oder Neologismen, wie er es auch in der Septuaginta findet: Hunc autem sermonem de hebraico RESON (*F24)‘ septuaginta interpretes transtulerunt rebus novis nova verba fingentes. Aber dieses Wort haben die siebzig Übersetzer aus dem Hebräischen RESON übersetzt, indem sie für Neues neue Worte erfanden.221

Hieronymus beschäftigt sich hier mit der Wiedergabe des griechischen Begriffs εὐδοκία in Eph 1,5, das er für einen Neologismus der Septuaginta hält, und mit dem lateinischen Neologismus beneplacitum erklärt. Gerade hier, doch auch im Falle der hebräischen Worte, die er unübersetzt transkribiert, bemüht sich Hieronymus um eine etymologische und theologische Erklärung der Bedeutung. 215 216 217 218 219

Vgl. MARTI, Übersetzer, 62f. Vgl. zu dieser Fragestellung BROCK, Aspects of Translation Technique, 79. Prol. Pent. [WEBER, 3,29f.]. … quo possim eodem spiritu quo scripti sunt libri, in latinum eos transferre sermonem [WEBER, 4,48]. Vgl. MÜLKE, Autor, 161 Anm. 492, mit einer Fülle an Belegstellen, z.B. ep. 53,9: Apocalypsis Iohannis tot habet sacramenta quot verba. [ed. LABOURT Bd. III, 23,9f.] (Die Johannesoffenbarung enthält ebenso viele Geheimnisse wie Worte.). 220 … ininterpretata ponere, quam vim eorum interpretatione tenuare [ed. LABOURT Bd. II, 15,19f.]. 221 In Eph. I ad 1,5 [ed. VALLARSI, PL 26, 478CD].

58

B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

B.II.2.9

Ein wenig Sprachphilosophie: Hieronymus und die proprietas

Neben der Kenntnis von Autor, Gesamttext, Wortschatz und Rhetorik bildet bei Hieronymus das Wissen um die proprietas der Sprachen, mit denen er umgeht, d.h. ihre „interkulturelle Verschiedenheit“222, einen besonderen Kerngedanken. Ob eine Übersetzung der proprietas von Quell- und Zielsprache entspricht, wird daher von ihm als Entscheidungskriterium für gutes und schlechtes Übersetzen herangezogen. Proprietas bzw. das proprium/idioma bezeichnet in der zeitgenössischen Philosophie „diejenige feste Eigenschaft einer Person oder Sache, welche allen andern nicht zukommt.“223 Hieronymus wendet ebendiese Terminologie auf Sprachen an und impliziert damit die Vorstellung, dass jede Sprache ein Verweissystem bzw. eine Bildwelt ist, die sich, modern gesprochen, kulturell vermittelt. Ein sehr sprechendes Beispiel für die Sensibilität für die proprietas der hebräischen Sprache bildet seine Erläuterung zu Ps. 2,12a in adv. Ruf. I 19: illud quoque carpere dicitur quod, secundum psalmum interpretans pro eo quod legimus in latino: apprehendite disciplinam, et in hebraico volumine scriptum est: NESCU BAR, dixerim in commentariolis: adorate filium. et rursum omne psalterium in romanum vertens sonum, quasi immemor expositionis antiquae, posuerim: adorate pure, quod utique sibi esse contrarium omnibus pateat. (…). NESCU, ut verbum de verbo interpreter, καταφιλήσατε, id est deosculamini dicitur; quod ego, nolens transferre putide, sensum magis secutus sum, ut dicerem: adorate. quia enim qui adorant solent deosculari manum et capita submittere (…); et hebraei, iuxta linguae suae proprietatem, deosculationem pro veneratione ponunt, id transtuli quod ipsi intellegunt, quorum verbum est. BAR autem apud illos diversa significat. dicitur enim et filius, (…) triticum quoque, et spicarum fasciculus, et electus ac purus. quid igitur peccavi, si verbum ambiguum diversa interpretatione converti, et qui in commentariolis, ubi libertas est disserendi, dixeram: adorate filium, in ipso corpore, ne violentus viderer interpres et iudaicae calumniae locum dare, dixerim: adorate pure, sive electe.224 Man sagt, dass er mir auch dies ankreidet: Dass ich, als ich den zweiten Psalm übersetzte, für das, was wir im [sc. alt-]lateinischen lesen „Nehmt die Lehre an!“, und was im hebräischen Text als „NESCU BAR“ geschrieben ist, in den Commentarioli formuliert haben:225 „Verehrt den Sohn!“; und dasss ich wiederum, als ich den gesamten Psalter in einen römischen Klang übersetzt habe, so als würde ich mich nicht an die ältere Ausgabe erinnern, geschrieben habe: „Verehrt in Reinheit!“, was ganz offensichtlich gegensätzlich zueinander ist. (…) NESCU, wenn ich es Wort für Wort übersetze, heißt καταφιλήσατε, d.h. „Küsst!“. Da bin ich, weil ich nicht geschmacklos übersetzen wollte, mehr dem Sinn gefolgt, so dass ich sagte: „Verehrt!“. Denn die, die verehren, pflegen die Hand zu küssen und und das Haupt zu senken (…). Die Hebräer verwenden, gemäß der proprietas ihrer Sprache, „Kuss“ für „Verehrung“. Ich habe das übersetzt, was diejenigen verstehen, deren Wort es ist. Das Wort BAR aber bedeutet bei ihnen Verschiedenes: Denn es heißt sowohl „Sohn“ (…) als auch „Weizen“, „Garbe“, und „erwählt“ und „rein“.226 Was also habe ich falsch gemacht, wenn ich ein uneindeutiges Wort mit unterschiedlicher Übersetzung übersetzt habe, wenn ich nämlich in den Commentarioli, wo Freiheit walten sollte, gesagt hatte: „Verehrt den Sohn!“, in diesem Werk [sc. die Bibelübersetzung], damit ich nicht als gewalttätiger Übersetzer gelte und der jüdischen Heimlichkeit einen Raum gäbe, gesagt habe: „Verehrt in Reinheit!“ oder „erwählt“?

222 MÜLKE, Autor, Ebd. 151; BANNIARD (Jérôme et l’elegantia, 309) gibt diesen Terminus treffend mit „caractère essentiel“ wieder. 223 MARTI, Übersetzer, 114. Vgl. zum Folgenden S. 115ff. 224 Adv. Ruf. I 19 [ed. LARDET, CChr.SL 79, 19ff.]. 225 Dass Hieronymus hier dieses Werk meint, zeigt RISSE, Commentarioli, 17f. sehr einleuchtend. 226 Weitere interessante Beispiele zu Hieronymus’ Umgang mit Mehrdeutigkeit im Hebräischen finden sich bei BONS, Kommentator, passim, der sich dieser Thematik anhand des KoheletKommentars nähert. Vgl. zusammenfassend ibd., 143.

B.II. ÜBERSETZUNGSPRINZIPIEN

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Die Konsequenz dieser Beobachtung ist: Nur derjenige kann als Übersetzer arbeiten, der neben einer angemessenen Ausdrucksweise in seiner eigenen Sprache auch Einblick in die proprietates der anderen hat. In ep. 106 an die beiden gotischen Bischöfe Sunnia und Fretella, äußert sich Hieronymus zum sensualen Übersetzen.227 Obwohl es darin um Fragen bezüglich der Psalterrevision nach dem Griechischen geht, wird Hieronymus nicht müde den beiden Goten immer wieder einzuschärfen: … non debemus sic verbum de verbo exprimere, ut, dum syllabas sequimur, perdamus intelligentiam. (…) non debemus in putida nos verborum interpretatione torquere, cum damnum non sit in sensibus, quia unaquaeque lingua, ut ante iam dixi, suis proprietatibus loquitur.228 Wir sollten nicht so wörtlich übersetzen, so dass wir dann, wenn wir den Silben folgen, das Verständnis verlieren. (…) Wir brauchen uns, wenn kein Sinnverlust entsteht, nicht mit einer unnatürlichen Übersetzung des Wortlautes quälen, weil jede einzelne Sprache, wie ich vorher schon gesagt habe, in einem ihr eigentümlichen Charakter (proprietates) spricht.

Die proprietas einer Sprache, stellt, wie die Quellentexte zeigen, bezeichnet ihre Eigentümlichkeit, die über die Äquivalenz von Wortbedeutungen hinausgeht. Sie ist der Realgrund dafür, dass der Übersetzer kunstfertig nach dem Gelingen seines Werkes suchen muss. Unterschiedliche Kommunikationsstrukturen, wie die Gattungsunterschiede zwischen Bibelübersetzung und Kommentarwerk, erlauben verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten und Flexibilität.

B.II.3.

Schlichtheit oder Schmuck

In Kapitel B.II.2. wurde untersucht, wie sich nach Hieronymus quellsprachlicher und zielsprachlicher Text idealerweise zueinander verhalten sollten – nämlich so, dass der Übersetzer, von der Last der Wörtlichkeit befreit, den Sinn des Originals, wie er sich in dessen Sprachwelt (proprietas, sapor) ausdrückt, in der proprietas der Zielsprache wiedergibt. Dass und warum Hieronymus diesem Prinzip folgt, und gegen welche Vorwürfe er sich dabei zur Wehr zu setzen hat, wurde oben bereits betrachtet. Außerdem klang schon an, dass Hieronymus die wörtliche Übersetzung auch deshalb ablehnt, weil dadurch das zielsprachliche Produkt stilistisch unzumutbar und bisweilen auch völlig unverständlich ist. Nun soll abschließend die Frage erörtert werden, wie sich Hieronymus zu stilistischen Prinzipien hinsichtlich seiner Übersetzungspraxis äußert. Dieser möchte ich mich von zwei Perspektiven aus nähern, die Hieronymus selbst einnimmt: Die erste ist die Orientierung am Stil der Vorlage in der Quellsprache (B.II.3.1). Hierbei werde ich mich besonders auf den Begriff der sancta simplicitas konzentrieren. Hieronymus knüpft an einen Diskurs in der christlichen Antike an, welche sich oft am ungebildeten Stil biblischer Schriften stieß. Zum anderen (B.II.3.2) wird gezeigt, welche rhetorisch-stilistischen Ansprüche Hieronymus darüber hinaus an seine und andere Übersetzungen stellt, um stilistischen Anforderungen der lateinischen Zielsprache Genüge zu leisten. 227 Zur Datierung und zur Frage, ob es sich um einen stilisierten Brief handelt vgl. Anm. 146. 228 Ep. 106,29f. [ed. LABOURT Bd. V, 116,29–22].

60

B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

Hier tritt Hieronymus das Erbe der rhetorischen Tradition der klassischen Antike an. Beide Perspektiven stehen in einem spannungsvollen Verhältnis, welches die gesamte Arbeit des Hieronymus als Autor und damit auch als Übersetzer prägt. Die hier zu untersuchenden Äußerungen aus den Briefen und praefationes können daher nur einen kleinen Einblick geben.

B.II.3.1

Stiltreue und Originaltreue

Imitation statt Überfremdung Für Hieronymus bedeutet Originaltreue auch immer Stiltreue. Er sieht sich als Übersetzer mit der Aufgabe betraut, die stilistische Schönheit (venustas, sapor) des Originals nachzuahmen. Schon um 380 in der Chronikon-Vorrede bemängelt er, die Septuaginta sei diesem Prinzip nicht gefolgt, denn die Übersetzer „haben nicht denselben Geschmack (sapor) in der griechischen Sprache bewahrt.“229 Kritik übt Hieronymus aber nicht nur an Texten, die hinter dem stilistischen Niveau der Vorlage zurück bleiben, sondern spottet auch mit der ihm eigenen Ironie über solche, die das Original durch gekünstelte Ausdrucksweise überfremden. So schreibt er z.B. über den „gallischen“ Stil im Hoheliedkommentar des Recitius von Autun: Est quidem sermo compositus et Gallicano coturno fluens: sed quid ad interpretem, cuius professio est non, quo ipse disertus appareat sed quomodo eum, qui lecturus est, sic faciat intelligere, quomodo ipse intellexit ille, qui scripsit?230 Es ist freilich eine wohlgeordnete Sprache, erhaben fließend und wie eine gallische Tragödie einherstiefelnd: Aber was nützt das einem Exegeten (interpres), dessen Aufgabe es nicht ist, dass er selbst gelehrt erscheine, sondern vielmehr, dass er den zukünftigen Leser [das Original] so verstehen lässt, wie es jener, der es schrieb, selbst verstanden hat?

Recitius verfehlt sich, so das Urteil des Hieronymus, an der Aufgabe (professio) eines Theologen, der eine biblische Schrift kommentiert. Auch in diesem Fall, in dem es sich nicht um eine reine Übersetzung, sondern um Kommentarliteratur handelt, fordert Hieronymus Äquivalenz des Stils von Quelltext, in diesem Fall das biblische Buch Hoheslied, und Zieltext, den Kommentar des Recitius. Dass sich dieses Prinzip durch die Arbeit des Hieronymus hindurchzieht, mögen die weiteren Beispiele aus verschiedenen Schaffensperioden illustrieren. Ein Blick auf eines der letzten Werke aus seiner Feder, die Übersetzung der Pachomiusregel (um 404), zeigt, dass er auch nach Vollendung seiner Übersetzungsarbeit an der hebräischen Bibel diesem Ideal treu bleibt. In der Vorrede zur Übersetzung merkt er an:231

229 Chron. epist.: … non eundem saporem in graeco sermone custodiunt [ed. HELM, GCS 47, 3,3f..]. 230 Ep. 37,3 [ed. LABOURT Bd. II, 67,1f.]. Gegen Reticius vgl. auch ep. 5,2; gegen den hochtrabenden Stil vgl. ep. 48,4; 53,10. 231 Vgl. MARTI, Übersetzer, 90.

B.II. ÜBERSETZUNGSPRINZIPIEN

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Eadem ut repperimus elementa ponentes, et qua simplicitatem Aegyptii sermonis imitati sumus interpretationis fides est, ne viros apostolicos et totos gratiae spiritalis sermo rhetoricus immutaret.232 Wir haben alles genau dorthin gestellt, wo wir es vorgefunden haben, und wo wir die Schlichtheit der Sprache des Ägypters [sc. Pachomios] nachgeahmt haben, erfordert es die Originaltreue der Übersetzung, damit keine rhetorische Kunstsprache die apostolischen Männer, ganz von geistlicher Gnade durchdrungen, verfälsche.

Hieronymus bereitet die Leserschaft auf seine Übersetzung vor, die er als Nachahmung (imitati sumus) des Originals verstanden haben will. Darin besteht die Originaltreue (interpretationis fides), der er sich auch dann verpflichtet fühlt, wenn das Original in einer schlichten Sprache (simplicitas) verfasst ist. Das damit verbundene Problemfeld lässt sich hieraus schon erahnen: Was, wenn der nachzuahmende Stil des Originals, dem sich Hieronymus verpflichtet fühlt, nicht den Maßstäben rhetorischer Kunst und Schulung entspricht? – Ein Problem, das sich nicht nur Hieronymus stellt, sondern seit dem zweiten Jahrhundert die christliche Theologie und Apologetik prägt.233 Rusticitas und simplicitas Dieses theologische und apologetische Problem entsteht durch das Zusammentreffen christlicher Texte mit der hochentwickelten rhetorischen Tradition der Spätantike. – Wie können Texte, die schon stilistisch mit der philosophischen Tradition der Antike kaum mithalten können, diese auch noch inhaltlich übertreffen? Im griechischen Sprachraum betrifft dies die Texte der Septuaginta und des NT gleichermaßen.234 Auch im lateinischen Westen wird diese Situation durch die mäßige Qualität der vorhieronymianischen Bibelübersetzungen eher verschärft als gelöst. Noch im vierten und fünften Jahrhundert finden sich zahlreiche Zeugnisse, die vom Ringen christlicher Autoren mit dem biblischen Stil berichten. Von Augustin stammt die wohl berühmteste Schilderung, wie er sich trotz anfänglicher Distanz der veritas der biblischen Tradition zuwendet.235 Dem rhetorisch ebenso gut geschulten Hieronymus erging es in dieser Hinsicht nach eigenem Zeugnis ähnlich. In einem Brief (ep. 22) an die junge Asketin Eustochium, in dem er ihr auch von seinem Traumgesicht berichtet, gesteht er rückblickend: Si quando … prophetas legere coepissem, sermo horrebat incultus; et quia lumen caecis oculis non videbam, non oculorum putabam culpam esse, sed solis.236 Wann immer ich … begann die Propheten zu lesen, erschreckte mich die ungeschliffene Sprache; und da ich mit blinden Augen das Licht nicht sah, meinte ich, nicht die Augen hätten Schuld daran, sondern die Sonne.

232 Praef. Pach. 9 [ed. VALLARSI, PL 23, 68B]. 233 Hieronymus selbst nennt in vir.ill.praef. an erster Stelle die Kritiker Kelsos und Porphyrios. Vgl. auch Origenes adv.Cels I 62. 234 Hieronymus verteidigt den Stil der Bibel an einer Stelle mit der Begründung, dass diese eine Übersetzung sei (ep 53,9). 235 Vgl. conf. III 5 (9). 236 Ep. 22,30 [ed. LABOURT Bd. I, 112,15–19]. Vgl. MEERSHOEK, Le latin biblique, 6.

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B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

Wie Hieronymus sich und die Situation seiner Bekehrung vom Ciceronianus zum Christianus schildert, mag stilisiert sein, ein Ringen mit dem Stil der biblischen Schriften sollte man Hieronymus dennoch nicht aberkennen. Da für Hieronymus Originaltreue auch Stiltreue bedeutet, folgt für ihn, dass er auch den Stil der Bibel durch seine Übersetzungen nachahmt. Dies wiederum führt dazu, dass er die Ungeschliffenheit mancher biblischer Texte rechtfertigen muss. Schon 384 spricht er sich in ep. 36,14 für einen schlichten und klaren Stil (simplicitas) nach dem Vorbild der Bibel aus: Pedestris et quotidianae similis et nullam lucubrationem redolens oratio necessaria est, quae rem explicet, sensum edisserat, obscura manifestet, non quae verborum compositione frondescat. … mihi sufficit sic loqui, ut intellegar et ut de scripturis disputans scripturarum imiter simplicitatem.237 Eine einfache (pedestris), alltagsähnliche Redeweise ist vonnöten, die nicht nach nächtlicher Fleißarbeit riecht. Sie soll den Inhalt verdeutlichen, den Sinn gründlich erörtern, Unklares klären, und nicht durch komplizierten Satzbau überwuchert sein. … Mir genügt es so zu reden, dass ich verstanden werde und dass ich, wenn ich über die Heiligen Schriften spreche, ihre Schlichtheit nachahme.

Die Lösung des o.g. Problems besteht für Hieronymus in einer Umbewertung des Stils der biblischen Texte. Dies entspricht der Bewältigungsstrategie seiner christlichen Zeitgenossen und Vorgänger: das Lob der sancta simplicitas.238 Lob und Verteidigung der sancta simplicitas So rühmt der Bethlehemit auch in ep. 57,12 die sancta simplicitas, der Apostel: Venerationi mihi semper fuit non verbosa rusticitas, sed sancta simplicitas.239 Nicht die weitschweifige und ungeschliffene Ausdrucksweise hat mir schon immer (semper) Ehrfurcht eingeflößt, sondern die heilige Einfachheit/Schlichtheit.

Das vollmundige semper aus dem Jahr 395 verschweigt die Reserviertheit, mit der der rhetorisch gebildete Hieronymus dem Stil der biblischen Schriften einst gegenüberstand. Als würde dieses Bekenntnis nicht ausreichen, greift er vielerorts auf weitere Argumente zurück, die den Stil der Bibel verteidigen. Mal konzediert er, sie sei für eine rustica contio geschrieben.240 Mal weist er auf das geringe Bildungsniveau der Apostel hin, z.B. Petrus, den er als rusticus, piscator, indoctus charakterisiert.241 Mal sieht er die simplicitas sogar als Vorteil an, denn die Texte der Bibel seien ja verfasst, „nicht um zu fleißigen Philosophenschulen mit kleiner Schülerzahl zu sprechen, sondern zur ganzen Menschheit.“242 Andernorts jedoch lobt Hieronymus sogar, wie kunstvoll v.a. der hebräische Text sei, auch wenn er den meisten der diserti homines aufgrund mangelnder

237 [ed. LABOURT Bd. II, 61,5–12]. 238 Zu weiteren Zeugnisses im Œuvre des Hieronymus bzgl. der simplicitas christiana vgl. EISWIRTH, Hieronymus’ Stellung zur Literatur und Kunst, 34ff. 239 [ed. LABOURT Bd. III, 72,27f.]. 240 So in ep. 53,10 [ed. LABOURT Bd. III, 23,18f.]. 241 Z.B. ep. 53,4. 242 Ep. 48,4: … ut non otiosis philosophorum scholis paucisque discipulis, sed universo loquatur hominum generi [ed. LABOURT Bd. II, 118,26–28].

B.II. ÜBERSETZUNGSPRINZIPIEN

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Sprachkenntnisse unzugänglich sei.243 Für Hieronymus ist dies natürlich ein Ansporn, die venustas und die biblische simplicitas mit seiner Übersetzung zu spiegeln.244 Auch die in diesem Zusammenhang oft bemühten Worte aus 2Kor 11,6 über die Armut der Rede des Apostels führt Hieronymus manchmal als Vorbild und Rechtfertigung an.245 Auch spielt bei Hieronymus auch die Auseinandersetzung mit 1Kor 1,19ff. eine entscheidende Rolle. Es lässt sich nur mutmaßen, ob die Auseinandersetzung, die Hieronymus hier führt, eine reale nach außen gewandte oder eine innere ist. Gegen ersteres spricht m.E., dass er in den untersuchten Texten nie von Vorwürfen oder Kritik an seinem Stil spricht – ganz im Gegenteil zu den massiven Auseinandersetzungen um die Fragen nach dem Urtext und nach der Wörtlichkeit von Übersetzungen. Auch das Traumgesicht spricht für letzteres, nämlich dafür, dass er sich als Bibelwissenschaftler mit den Kenntnissen und Maßstäben, die er sich in der Rhetorenschule bei Aelius Donatus angeeignet hat, auseinandersetzt.246 Simplicitas als Vorbild Schon eines der frühesten Übersetzungsvorworte (hom. Orig. in Ez. praef.) beweist, dass Hieronymus es nicht nur für seine Pflicht als Übersetzer hält, dem Stil des Originals treu zu bleiben, sondern auch, dass er die sancta simplicitas in seine eigenen stilistischen Präferenzen eingliedert.247 Bisweilen äußert Hieronymus sich auch recht humorvoll über die simplicitas seines eignen Stils, z.B. in einem Abschnitt aus der Exegese von Ps 89 in ep. 140,1, in welchem er auf den Wunsch Cyprians reagiert, in einfacher Redeweise (simplex oratio) zu schreiben, … … ut scilicet interpretatio nostra non alio interprete indigeat, quod plerisque nimium disertis accidere solet, ut maior sit intelligentiae difficultas in eorum explanationibus, quam in his quae explanare conantur.248 … damit nämlich unsere Übersetzung nicht selbst einen anderen Übersetzer braucht, was bei manchen Gelehrten außerordentlich oft vorkommt, sodass ihre Erklärungen schwieriger zu verstehen sind, als das, was sie erklären wollen.

Halten wir zunächst fest: Mit seiner prinzipiellen Orientierung am Stil der Übersetzungsvorlage kommt Hieronymus nicht umhin, sich mit dem der Bibel 243 Vgl. chron. epist. Quid Deuteronomii et Isaiae Cantico pulchrius? quid Salomone gravius? quid perfectius Job? Quae omnia hexametris et pentametris versibus … apud suos composita decurrunt [ed. HELM 4,2] (Was ist schöner als das Lied des Deuteronomiums oder das des Jesaja? Was gewichtiger als Salomo? Was vollkommener als [das Buch] Hiob? Sie alle laufen im Versmaß von Hexametern und Pentametern einher, wie sie im Original zusammengestellt sind.). 244 Vgl. hierzu MEERSHOEK, Le latin biblique, 16ff. 245 Vgl. ep. 29,7; 53,4; 121,10. Zur Rezeption bei anderen Autoren vgl. JANSON, Prefaces, 139. 246 Zum Traumgesicht und der Diskussion in der Forschung darüber vgl. CONRING, Hieronymus als Briefschreiber, 234ff. Auch sie sieht den Traum und seine literarische Verarbeitung durch Hieronymus als ein Indiz für seinen „Ambivalenz“ gegenüber der klassischen paganen Bildung. 247 (… dictavi) id magnopere curans, ut idioma supradicti viri et simplicitatem sermonis (…) translatio conservaret omni rhetoricae artis spendore comtempto – res quippe volumus, non verba laudari [ed. VALLARSI, PL 25, 585A] (Beim Diktieren sorgte ich mich sehr darum, dass die Übersetzung die Ausdrucksweise des oben erwähnten Mannes [sc. Origenes] und die Schlichtheit des Stils (simplicitas sermonis) bewahrt. Und ich verachtete dabei jegliches Gleißen rhetorischer Kunst – denn wir wollen doch, dass der Inhalt, nicht die Wortwahl gelobt wird.). 248 [Ed. LABOURT Bd. VIII, 75,22–26].

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B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

auseinander zu setzen. Seine Strategie im Umgang mit rhetorischen Vorbehalten gegen diesen ist eine doppelte: Zum einen rechtfertigt er die simplicitas damit, dass sie dem sprachlichen Umfeld der Apostel entspreche und auch ihrem Zielpublikum, das nicht nur aus rhetorisch Gelehrten besteht. Zum anderen begegnet er möglicher Kritik oder eigener Verunsicherung mit einem Lob des biblischen Stils, der sich gegenüber gekünsteltem Machwerk absetzt. Dabei nimmt sich Hieronymus die simplicitas auch dann als stilistisches Vorbild, wenn sie ihm nicht durch den Stil einer Übersetzungsvorlage vorgegeben ist.

B.II.3.2

Εlegantia und κακοζηλία

Dennoch gibt es bei Hieronymus zahlreiche weitere Äußerungen zu Stilfragen, bei denen er nicht mit der simplicitas argumentiert. So war Wunsch nach εὐφωνία ja auch eines der Hauptargumente gegen die wörtliche Übersetzung (s.o.). Eadem igitur interpretandi sequenda est regula, quam saepe diximus ut ubi non sit damnum in sensu linguae in quam transferimus εὐφωνία et proprietas conservetur.249 Folgende Übersetzungsregel ist nämlich, wie wir schon oft gesagt haben, zu befolgen: Dass man dort, wo es keine Einschränkung im Sinn bedeutet, dem Wohlklang (εὐφωνία) und dem eigenen Charakter der Sprache, in die wir übersetzen, treu bleibt.

Wie Hieronymus mit den aus der klassischen Rhetorik übernommenen Begriffen elegantia, εὐφωνία und κακοζηλία sowie decus und puritas operiert, soll im Folgenden kurz berachtet werden. Εὐφωνία und κακοζηλία Wenn er sich nicht rhetorischer Fachterminologie bedient, verwendet Hieronymus gerne sinnliche Ausdrücke für diese stilistischen Aspekte: Neben εὐφωνία wurde oben schon sapor erwähnt. Hieronymus spricht weiterhin häufig von (re)sonare: Der Übersetzung Aquilas beispielsweise wirft er vor, dass sie „im Lateinischen nicht klingt“.250 Wird die Kritik herber, verwendet er bisweilen auch den Ausdruck κακόφωνον: … sed si dictum fuisset in latino, in similitudinem in gentibus, κακόφωνον esset, et propterea absque damno sensus, interpretationis elegantia conservata est.251 Wenn man auf Latein „in similitudinem in gentibus“ sagen würde, klänge es übel (κακόφωνον), und daher wurde [sc. bei der neuen Übersetzung] ohne Abweichung vom Sinn die elegantia der Übersetzung gewahrt.

Häufiger als κακόφωνον ist bei Hieronymus allerdings der Begriff κακοζηλία.252 Damit bezeichnet er das Nachahmen der Sprachstruktur der Quellsprache, die in 249 250 251 252

Ep. 106,55 [ed. LABOURT Bd. V, 131,3–6]. Vgl. ep. 57,11. Ep. 106,26 [ed. LABOURT Bd. V, 115,19–23]. Ep. 106,3: ... et dum interpretationis κακοζηλίαν sequimur, omnem decorem translationis amittimus [ed. LABOURT Bd., V, 106,19–22] Vgl. BARTELINK, Kommentar, 59. Der Begriff κακοζηλία

B.II. ÜBERSETZUNGSPRINZIPIEN

65

der Zielsprache nicht etwa dasselbe, sondern ein schlechteres Ergebnis bringt. Ein Paradebeispiel dafür bietet wiederum Aquila, der die hebräische nota accusativi 7 konkordant mit der griechischen Präposition σύν wiedergibt.253 Das Gegenkonzept zu derartigen stilistischen Fehlgriffen bildet bei Hieronymus der Begriff der elegantia, wie schon aus ep. 106 zu ersehen war.

Εlegantia, decus und puritas BANNIARD bezeichnet die elegantia als concept clef der rhetorisch-stilistischen Arbeit des Hieronymus und macht auf die starken Bezüge zum ciceronianischen Konzept aufmerksam.254 Schon in ep. 57 äußert sich Hieronymus auch zu stilistischen Fragen. Folgende Kerntermini sind für ihn charakteristisch: Die puritas, welche Hieronymus auch an der Vorlage seiner strittigen Übersetzung, über die er in ep. 57 Rechenschaft gibt,255 dem Brief des Epiphanius, bewundert, daneben das decus eines Texts und die elegantia. Um diese zu wahren, verändert er Kasus und Numerus, oder wählt andere, sinnverwandte Ausdrücke, auch wenn im Lateinischen ein etymologisches Äquivalent für das Original vorhanden ist. So drückt Hieronymus beispielsweise in Ψ 83,3 ἐν τῇ κοιλάδι τοῦ κλαυθμῶνος nicht durch in valle plorationis, sondern durch in valle lacrymarum aus. Zur Begründung fügt er an, er habe diese und andere Veränderungen vorgenommen, „damit wir dort, wo es keine Sinnänderung bedeutet, die elegantia der lateinischen Sprache erhalten.“256 Dass dies keine leichte und willkürliche Aufgabe ist, erläutert Hieronymus z.B. bei der Übersetzung des Osterbriefs von Theophilus, den er mitsamt dem Original an Pammachius und Marcella 402 nach Rom schickt. … in qua laborasse me fateor, ut verborum elegantiam pari interpretationis venustate servarem et … eloquentiae eius fluenta non perderem easdemque res eodem sermone transferrem.257 Zugegebenermaßen hat er [sc. der Brief] mir Schmerzen bereitet, den guten Geschmack der Worte (verborum elegantiam) durch eine entsprechende Schönheit der Übersetzung zu bewahren, … den Fluss seiner Beredsamkeit nicht zu verlieren und die Sachverhalte durch den gleichen Ausdruck zu übersetzen.

Hieronymus unterscheidet hier zwischen den res und der sermo, quasi zwischen Gehalt und Gestalt der Sprache. Der Übersetzer soll, so Hieronymus, sowohl den Gehalt des Originals zur Sprache bringen, als auch die Gestalt oder Form, die die Quellsprache bietet, in der Zielsprache nachahmen.

253 254 255 256 257

bedeutet bei Hieronymus hier „ungeschickte Stilnachahmung auf Grund von verfehltem Geschmack und Mangel an ästhetischen Urteil.“ So in ep. 57,11, vgl. S. 95, Anm. 423. Vgl. BANNIARD, Jérôme et l’elegantia, 319: „La propriété de la langue et le sens qu'en a le traducteur lui donnent accès à l'elegantia“. Zu den Hintergründen von ep. 57 s.o. S. 40ff. Ep. 106,54: ut ubi nulla est de sensu mutatio, latini sermonis elegantiam conservemus [ed. LABOURT Bd. V, 130,20f.]. Ep. 97,3 [ed. LABOURT Bd. V, 34, 24–29].

66

B.II.3.3

B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

Zusammenfassung

In stilistischer Perspektive findet man bei Hieronymus, wie in dargestellt, mehrere Schlüsselbegriffe, die sich durch sein Gesamtwerk, und damit auch durch sein Übersetzungswerk ziehen. Sie kreisen um die Überzeugung, dass Originaltreue nicht nur Sinn-, sondern auch Stiltreue bedeutet. Bezogen auf die Bibel heißt dies, auch die simplicitas ihres Stils nachzuahmen. Dem gegenüber steht die Orientierung an der sprachlichen elegantia, der er sich dank seiner rhetorischen Schulung verpflichtet fühlt und die wiederum ein Maßstab für seine Kritik an anderen Übersetzungen wird, beispielsweise an Aquila, an einigen Stellen der Septuaginta oder bestehenden lateinischen Bibeltexten. Für Hieronymus selbst scheint die Arbeit in der Spannung zwischen simplicitas und elegantia möglich zu sein, denn er erwähnt nicht, dass die beiden Prinzipien in Konkurrenz zu einander stünden.258 Aus der Untersuchung am Deuteronomium Iuxta Hebraeos, die dieser Studie zugrunde liegt, ergibt sich vielmehr die Vermutung, dass bei Hieronymus die Verteidigung der simplicitas der biblischen Schriften eher den Stil der griechischen und hebräischen Grundtexte im Blick hat. Wenig ist davon wahrzunehmen, dass simplicitas einen vorrangigen Maßstab für sein eigenes Übersetzen bildet– zu kunstvoll und abwechslungsreich wählt er Worte und Satzstrukturen und entfernt sich oft weit von der ursprünglichen grammatikalischen Struktur der Vorlage. Um diese Hypothese zu belegen wäre allerdings eine umfangreichere Untersuchung eines größeren Textkorpus auf diese Fragestellung hin von Nöten, die im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden kann.

258 Zum Verhältnis zur paganen Bildung vgl. auch CONRING, Hieronymus als Briefschreiber, 230ff.

B.II. ÜBERSETZUNGSPRINZIPIEN

B.II.4.

67

Fazit – Hieronymus’ Übersetzungskonzept

Blickt man zurück auf die Äußerungen des streitbaren Kirchenvaters mit seinem „innato gusto filologico e critico“,259 so lässt sich zusammenfassend Folgendes festhalten: In seinem übersetzungstheoretischen Denken nehmen philologische Begründungsmuster meist den ersten Rang ein. Dies bringt Hieronymus viel Kritik ein, obgleich er sich oft um Behutsamkeit bemüht. Bei textkritischen Fragestellungen führt ihn die Suche nach dem jeweiligen „Urtext“ (veritas, fons) beim AT allmählich hin zum hebräischen Text. Die Entwicklung verläuft über verschiedene Zwischenstadien. Vom Interesse an der hebräischen Sprache angespornt zieht Hieronymus die hebräische Bibel schon sehr bald als Quelle für exegetisches Arbeiten heran. Als er feststellen muss, dass es sich mit der Überlieferung des griechischen AT ähnlich verhält wie mit dem lateinischen NT, verlässt er die rivuli der Septuaginta-Versionen und wendet sich vollständig der hebraica veritas als Grundlage seiner Bibelübersetzung zu. Die Argumentation seiner Kritiker gipfelt meist in der Berufung auf die wundersame und geistgewirkte Entstehung der Septuaginta, ist dabei jedoch unterschiedlich motiviert. Bei den Kürbisliebhabern in Oea handelt es sich wohl schlicht um generelle Vorbehalte gegenüber Neuerungen am Bibeltext. Bei Augustin, der ja einer Überarbeitung der lateinischen Übersetzungen aufgeschlossen gegenüber steht, spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle, dass Hieronymus als Einzelner mit einer Übersetzung, die nur von wenigen anderen Theologen überprüfbar ist, enormen Einfluss auf die gesamte christliche Welt nehmen könnte. Zusätzlich dazu, wie sich bei Hieronymus die Bevorzugung der hebraica veritas als Textgrundlage entwickelt, hat die Untersuchung seiner übersetzungstheoretischen Aussagen Folgendes ergeben: Hieronymus präsentiert sich als Verfechter des Übersetzens ad sensum und wertet daher wortwörtliches Übersetzen ab. Dies korreliert mit seinen Ansprüchen an eine Übersetzung auf stilistischer Ebene: Indem er sich vom Wortlaut und der grammatikalischen Struktur des Quelltexts löst, hat er die Freiheit sowohl einen stilistisch anspruchsvollen lateinischen Text zu schaffen als auch dann, wenn er es für angebracht hält, die simplicitas des biblischen Texts originalgetreu wiedergeben. Sowohl die Fokussierung auf das sinngemäße Übersetzen als auch die Orientierung an der hebraica veritas zeichnen Hieronymus als Übersetzer seiner Zeit aus. Dazu kommt die besondere Beziehung zum Judentum, die sich aus seinem Interesse am hebräischen Text und der hebräischen Sprache ergibt.

259 LEANZA, Commentario, 271.

68

B.III.

B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

Hieronymus und das Judentum

Wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt, nimmt die Auseinandersetzung mit der hebräischen Sprache und die Auslegung hebräischer Bibeltexte im Werk des Hieronymus einen Raum ein, der unter seinen Zeitgenossen seines Gleichen sucht. Dies steht, wie sich unschwer erahnen lässt, in engem Zusammenhang dazu, wie sich Hieronymus’ Verhältnis zum Judentum gestaltet. Darauf, wie Hieronymus seine ersten Erfahrungen mit dem Erlernen der hebräischen Sprache beschreibt, bin ich im Rahmen seiner Biographie schon eingegangen.260 In den folgenden Abschnitten möchte ich zunächst darstellen, wie er den Kontakt zu seinen jüdischen Lehrern beschreibt (B.III.1.), wie er die Worte iudaeus und hebraeus verwendet und welche Schlüsse sich für seine Hermeneutik daraus ziehen lassen (B.III.2.). Um die Arbeit und das Anliegen des Hieronymus besser in den historischen Kontext einordnen zu können, soll schließlich darauf eingegangen werden, wie sich das Verhältnis von Christentum und Judentum im ausgehenden vierten und zu Beginn des fünften Jahrhunderts gestaltete (B.III.3.).

B.III.1.

Hieronymus und seine jüdischen Lehrer

Wiederholt erwähnt Hieronymus jüdische Lehrer und Kontaktpersonen, die ihn beim Erlernen der hebräischen Sprache sowie bei der Übersetzung und Auslegung hebräischer Bibeltexte unterstützt haben. Bei seinem ersten Kontakt mit der hebräischen Sprache, den er rückblickend in ep. 125 mit seinem Aufenthalt in der syrischen Wüste in Verbindung bringt, spricht er davon, dass er mit einem zum Christentum konvertierten Juden arbeitet.261 In verschiedenen weiteren Werken spricht Hieronymus von einem Hebraeus meus bzw. von dem Hebraeus, qui nos in veteris testamenti lectione erudivit.262 Dabei bleibt unklar, ob es sich in all diesen Fällen um seinen ersten Lehrer (so GRAVES) handelt, oder um verschiedene Personen. Für letzteres spricht, dass die erwähnten Schriften in einem Zeitraum von fast 30 Jahren entstanden sind (etwa 384–415). Detailliertere Informationen über seine jüdischen Lehrer finden sich in Hieronymus’ Werken nur sporadisch. In ep. 84,1f. spricht er über einen gewissen Baraninas, der ihm aus Furcht vor seinen Glaubensgenossen heimlich bei Nacht Unterricht erteilte, was Hieronymus mit dem nächtlichen Besuch des Nikodemus bei Jesus in Joh 3 vergleicht.263 Außerdem erwähnt Hieronymus einen Lehrer aus 260 S.o. S. 18. 261 Vgl. seine Beschreibung in ep. 125,12 (s.o. S. 18). Zum Lernen der hebräischen Sprache vgl. GRAVES, Jerome’s Hebrew Philology, 88f. 262 Vgl. In Eccl. ad 1,14; 3,9ff; 4,13ff.; In Is. ad 22,17; In Am. ad 3,11; In Abd. ad 20f.; ep. 18A. 263 Ihn erwähnt er auch in adv. Ruf. I 13, als Replik auf den Vorwurf Rufins in adv. Hier. II 15, Hieronymus würde bei einem „Barrabas“ in die Lehre gehen. Bemerkenswert an diesem Austausch ist, dass Rufin offenkundig über Hieronymus’ Aktivitäten und Lehrer informiert

B.III. HIERONYMUS UND DAS JUDENTUM

69

Tiberias, der ihn bei der Übersetzung der Chronikbücher nach der hexaplarischen Septuaginta unterstützt habe.264 Bei der Übersetzung des Hiobbuchs aus dem Hebräischen bezog er aus Lydda die Hilfe eines jüdischen Gelehrten,265 und in der Vorrede zum Danielbuch erläutert Hieronymus, wie er von einem Hebraeus im Aramäischen unterwiesen wurde, als er beim Übersetzen beinahe verzweifelt aufgegeben hätte.266 Um wie viele verschiedene Lehrer es sich handelte, wie häufig Hieronymus mit ihnen in Kontakt war und wie lange dieser jeweils angedauert hat, lässt sich aus den Quellen des Hieronymus nur ansatzweise rekonstruieren. ILONA OPELT und SANDRO LEANZA vermuten beide, dass Hieronymus von fünf verschiedenen Personen spricht, auch wenn sie diese Anzahl auf unterschiedlichen Wegen errechnen.267 Aus all den erwähnten Textpassagen ergibt sich trotz alledem das relativ einheitliche Bild, dass sich Hieronymus sowohl bei der Übersetzung als auch bei der Kommentierung biblischer Bücher in einem kontinuierlichen Gespräch mit jüdischen Gewährsmännern befand. Im Kommentar zu Kohelet (in Eccles. ad 4,13) spricht er beispielsweise davon, dass er mit einem jüdischen Lehrer das biblische Buch gemeinsam gelesen habe und dieser ihm Traditionen von Baracibam (möglicherweise Rabbi Aqiba) weitergab.

B.III.2.

„Jüdisch“ und „Hebräisch“ bei Hieronymus

Bei der Lektüre der Texte, in denen Hieronymus über seine jüdischen Lehrer spricht, fällt auf, dass er diese in den allermeisten Fällen als Hebraeus bezeichnet. Nur sehr selten verwendet er Iudaeus. Wie ich im Folgenden zeigen werde, differenziert Hieronymus zwischen diesen Begriffen in einer Weise, die über die heute übliche Unterscheidung zwischen Sprache („hebräisch“) und Religion/Ethnos/ Kultur („jüdisch“) hinausgeht. Dabei zeigt er sich davon geprägt, wie Euseb von Caesarea die Begriffe verwendet.268

264 265

266

267 268

war. Vgl. ep. 84,3: Quo labore, quo pretio Baraninam nocturnum habui praeceptorem! Timebat enim Judaeos, et mihi alterum exhibebat Nicodemum [ed. LABOURT Bd. IV, 127, 10–11] (Um welcher Mühe und um welchen Preis willen nahm ich mir Bar Anina zum Lehrer! Er fürchtete nämlich die Juden und nahm mich wie einen zweiten Nikodemus [sc. heimlich] auf.). Praef. Par. (LXX): de Tiberiade legis quondam doctorem qui apud Hebraeos admirationi habebatur, assumpsi. [ed. MIGNE, PL 29, 401B] (Ich habe einen Gesetzesgelehrten aus Tiberias, der bei den Hebräern in hohem Ansehen stand, zu Rate gezogen.) Prol. Iob (IH): Memini me ob intellegentiam huius voluminis Lyddeum quemdam praeceptorem, qui apud Hebraeos primas habere putabatur, non parvis redemisse nummis [WEBER, 731, 20ff.] (Ich habe in Erinnerung, dass ich einen gewissen Lehrer aus Lydda, der bei den Hebräern für den Führenden (primas) gehalten wurde, für sein Verständnis dieses Buches mit nicht wenigen Münzen entlohnte.). Prol. Dan. [WEBER, 1341, 16ff.]. In diesem Kontext erwähnt Hieronymus auch, dass er zu einem gewissen Grad die „Chaldäische“ Sprache erlernt: Et ut vere fatear, usque ad praesentem diem magis possum sermonem chaldeum legere et intellegere quam sonare (Und um es wahrheitsgemäß einzugestehen: Bis auf den heutigen Tag kann ich die chaldäische Sprache eher lesen und verstehen als (aus)sprechen.). Vgl. OPELT, S. Girolamo, passim; LEANZA, Gerolamo, passim. So zählt LEANZA den Hebraeus in ep. 36, der Hieronymus eine Schrift aus der Synagoge in Rom bringt, nicht als Lehrer. OPELT dagegen übergeht den Hinweis in praef. Par. (LXX). Zum Folgenden vgl. ULRICH, Euseb, 59ff.

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B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

Die Differenzierung der Begriffe Ἰουδαῖοι und Ἑβραῖοι bei Euseb korreliert mit seiner Periodisierung der Heilsgeschichte: In Anlehnung an Gal 3,17ff. bildet für ihn die vormosaische Zeit der Urgeschichte und der Erzeltern einen ersten Abschnitt. Darauf folgt als zweite Epoche die Zeit der mosaischen Religion, in der das atl. Gesetz den Heilswillen Gottes für sein Volk darstellt. Diese endet mit dem Auftreten Christi und wird durch den Neuen Bund, das Christentum, abgelöst. Mit dem Begriff Ἰουδαῖοι bezeichnet Euseb die Anhänger des atl. Gesetzes. Für die Zeit von Moses bis Christus ist der Begriff im Sprachgebrauch Eusebs neutral konnotiert. Da seit Christus das mosaische Gesetz Euseb zufolge durch den neuen Bund abgelöst ist, befinden sich die Ἰουδαῖοι, die diesem weiterhin folgen, auf einem Irrweg. Entsprechend negativ ist die Bezeichnung konnotiert. Den Begriff Ἑβραῖοι verwendet Euseb dagegen durchweg positiv. Spricht er über die vormosaische Epoche, so bezeichnet er so die φίλοι θεοῦ des atl. Gottesvolkes, beispielsweise die Erzväter. In der Zeit ab Mose sind Ἑβραῖοι Einzelpersonen aus dem jüdischen Volk, die sich „durch Eigenschaften wie Gottgeliebtheit, Frömmigkeit und göttliche Inspiration auszeichnen.“269 Dazu zählen verschiedene positiv beschriebene Figuren im Alten Testament, wie vorbildliche Könige Israels und Judas, die alttestamentlichen Propheten, aber auch die Makkabäer. Außerdem bezeichnet Euseb herausragende Persönlichkeiten jüdischer Provenienz in der Zeit nach Christus als Ἑβραῖοι. Es handelt sich hierbei unter anderem um Philo, Josephus und, es mag überraschen, um Trypho, den Gesprächspartner Justins. Wie für die mosaische und vormosaische Zeit erweist sich „ein moralisches Kriterium als das eigentlich entscheidende für die Vergabe der Bezeichnung ,Hebräer‘; es ist die Charakterfestigkeit und die Unbeirrbarkeit im Beharren auf der einmal als richtig angesehenen, monotheistischen Gotteserkenntnis.“270 Bereits vor Euseb finden sich ähnliche terminologische Differenzierungen, die über sprachliche (Ἑβραῖος = „hebräischsprachig“), geographische (Ἰουδαῖος = „aus Judäa stammend“), oder religiöse („der jüdischen Kultgemeinde zugehörig“) Beschreibungen hinaus gehen, z.B. bei Philo, Josephus und Origenes. Neu bei Euseb ist die systematisierende Einbindung in einen heilsgeschichtlichen Ansatz und die mit den Begriffen verbundene theologische und moralische Wertung. Hieronymus, der Euseb neben Origenes als Vorbild in der Rezeption hebräischer Traditionen nennt,271 verwendet die beiden entsprechenden lateinischen Begriffe Iudaeus und Hebraeus in ähnlicher Weise wie jener, wenn auch nicht mit derselben Stringenz. Dabei lässt sich deutlich die Tendenz erkennen, dass Hieronymus das Adjektiv Iudaeus abwertend für das Judentum der Zeit nach Christus benutzt. Die Iudaei verführen die Gläubigen zum „Judaisieren“ – u.a. dadurch, dass sie die Schrift durch Buchstabengläubigkeit fehlinterpretieren. Daneben verwendet Hieronymus die Bezeichnung Iudaeus, wenn er negatives Verhalten des Volkes Israel oder von Einzelpersonen in alttestamentlichen Erzählungen beschreibt. Hebraeus dagegen hat bei Hieronymus eine positive, gelegentlich auch idealisierende Konnotation. Im Gegensatz zu Euseb liegt der Schwerpunkt bei Hieronymus jedoch weniger auf dem moralischen als vielmehr auf dem sprachlich-philologischen Aspekt, wie die folgenden Beispiele zeigen werden. 269 ULRICH, Euseb, 60. 270 ULRICH, Euseb, 65. 271 Adv. Ruf. I 13. Text und Übersetzung siehe S. 65f.

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Hieronymus berichtet beispielsweise davon, ein apokryphes Buch Jeremiah gelesen zu haben, das ihm ein judenchristlicher Hebraeus aus der Sekte der Nazarener anbot.272 Obwohl jener Mann der Sicht des Hieronymus nach kein Jude ist, sondern ein nicht-orthodoxer, weil judaisierender Christ,273 bezeichnet Hieronymus ihn aufgrund seiner Sprachkenntnisse als Hebraeus. Auch wenn es sich möglicherweise um eine fiktive Begebenheit handelt,274 wird an der Erzählung des Hieronymus deutlich, wie er zwischen hebräisch und jüdisch differenziert. Ein anderes Beispiel dafür, wie Hieronymus die Begriffe Iudaeus und Hebraeus verwendet, findet sich in seinem Kommentar zum Titusbrief, einem der ersten Werke, das im Heiligen Land entsteht. Bei der Interpretation des Verses Tit 3,9 kommt Hieronymus auf die Aussprache und Schreibweise hebräischer Namen in den alttestamentlichen Genealogien zu sprechen:275 Denn wenn diese onomastischen und philologischen Idiomata, mögen sie auch barbarisch scheinen, von uns nicht so ausgedrückt werden, wie sie von den Hebräern (Hebraei) ausgesprochen werden, pflegen sie lauthals aufzulachen und zu schwören, dass sie überhaupt nicht wüssten, was wir sagen. (…)276 Dies [sc. die Hexapla] hat die unsterbliche Begabung [sc. des Origenes] durch seine Bemühungen uns gegeben, damit wir nicht so sehr durch den Hochmut der Juden (Iudaei) in Furcht geraten, wenn sie sich über [unsere] schlaffen Lippen, über die sich windende Zunge, über den sprühenden Speichel und blanken Rachen freuen. Sie haben auch noch einen anderen Anlass zum Hochmut: So, wie wir, die wir Lateiner sind, lateinische Namen ziemlich leicht im Gedächtnis behalten, da sie auch ihren jeweiligen Ursprung in unserer Sprache haben, so haben auch jene von jungem Alter an die einheimischen Worte ihrer Sprache mit innersten Sinnen in sich hinein geschlürft, und vom Anfang bei Adam an bis zum letzten Zorobabel durcheilen sie so schnell und auswendig die Stammbäume aller, dass du denkst, sie würden ihren eigenen Namen immer wieder nennen. Wir aber, die wir andere Buchstaben gelernt haben, und auch sicher spät zum Glauben an Christus gekommen sind, und als Kinder der Kirche übergeben wurden, folgen diesbezüglich mehr dem Sinn der Schriften als deren Wortlaut. (…) 272 In Mat. IV ad 27,9f.: Nazarenae sectae mihi Hebraeus obtulit [ed. HURST/ADRIAEN, CChr.SL 77, 265,1525]. 273 Ep. 112,13. 274 Zur Diskussion vgl. Literatur bei KINZIG, Non-Separation, 32 Anm. 41f. 275 Der Vers (Tit 3,9) lautet im Kommentar: Stultas autem quaestiones et genealogias et contentiones et pugnas legis devita sunt enim inutiles et vanae – Dumme Streitfragen aber und Geschlechtsregister und Streitigkeiten und Wortgefechte über das Gesetz meide, denn sie sind unnütz und wertlos. In Tit. ad 3,9 [ed. VALLARSI, PL 26, 595BC]: (…) Si igitur a nobis haec nominum et linguae idiomata, ut videlicet barbara, non ita fuerint expressa, ut exprimuntur, ab Hebraeis, solent cachinnum attollere, et jurare se penitus nescire quod dicimus. (…) Haec immortale illud ingenium suo nobis labore donavit, ut non magnopere pertimescamus supercilium Judaeorum; solutis labiis, et obtorta lingua, et stridente saliva, et rasa fauce gaudentium. Est et illis alia occasio superbiae, quoniam sicut nos qui Latini sumus, latina nomina et origines de lingua nostra habentia facilius memoriae tradimus: ita illi a parva aetate, vernacula sui sermonis vocabula penitissimis sensibus imbiberunt: et ab exordio Adam usque ad extremum Zorobabel, omnium generationes ita memoriter velociterque percurrunt, ut eos suum, putes referre nomen. Hoc nos qui aut alias litteras didicimus, aut certe sero credidimus in Christum, aut etiam si infantes sumus Ecclesiae mancipati, magis Scripturarum sensum quam verba sectamur: (…) Audivi ego quemdam de Hebraeis, qui se Romae in Christum credidisse simulabat, de genealogiis Domini nostri Jesu Christi, quae scripta sunt in Matthaeo, et Luca facere quaestionem; quod videlicet a Salomone usque ad Joseph, nec numero sibi, nec vocabulorum aequalitate consentiant: qui cum corda simplicium pervertisset quasi ex adytis et oraculo deferebat quasdam, ut sibi videbatur, solutiones, cum magis debuerit justitiam et misericordiam, et dilectionem Dei quaerere, et post illa, si forte occurrisset, de nominibus et numeris disputare. 276 Hierauf folgt eine Passage, in der Hieronymus den Aufbau der Hexapla beschreibt und erläutert, wie er mit ihrer Hilfe die Transkriptionen hebräischer Begriffe in der LXX korrigiert. Vgl. hierzu S. 84 und 92f.

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Ich habe gehört, dass so einer von den Hebräern (Hebraei), der vorgab, dass er in Rom christusgläubig geworden sei, bezüglich der Stammbäume unseres Herrn Jesu Christi, die bei Matthäus und Lukas aufgeschrieben sind, kritisierte, dass sie anscheinend von Salomo bis Joseph weder in der Berechnung noch im Wortlaut genau übereinstimmten. Als er nun die Herzen der Einfältigen sehr durcheinander gebracht hatte, brachte er, wie aus dem innersten Heiligtum oder einem Orakel, irgendwelche scheinbare „Lösungen“ hervor, obwohl man [stattdessen] vielmehr Gerechtigkeit und Barmherzigkeit braucht: – Sowohl um die Liebe Gottes zu suchen, als auch dann, wenn es denn sich ergeben sollte, über Namen und Zahlen zu diskutieren.

Im ersten Teil des Abschnittes berichtet Hieronymus noch recht unvoreingenommen über die Hebraei. Im weiteren Verlauf jedoch wechselt er zum Begriff Iudaei und gleichzeitig zu negativen Beschreibungen. Indem er Tit 3,9 aufgreift, wirft Hieronymus den Iudaei vor, dass sie auf die Buchstaben der Genealogien, aber nicht auf den Sinn der Schrift Wert legen. Zudem charakterisiert er sie als schadenfroh, überheblich und streitsüchtig. Möchte Hieronymus dagegen die Sprachkompetenz einer Person betonen, spricht er von Hebraeus, sowohl am Beginn des Abschnittes, als auch in der Episode mit dem Mann, der (laut Hieronymus) vorgibt Christ zu sein. Durch die Art seiner Frage zu den Stammbäumen in den Evangelien und seinen angeblichen Lösungen entlarvt dieser sich allerdings selbst als einer, der einer judaisierenden Schrifthermeneutik folgt und „Gerechtigkeit und Barmherzigkeit“ vernachlässigt.277 Hieronymus zufolge sollten jedoch diese das Zentrum einer gottgefälligen Schriftlektüre bilden. Bereits bei der Auslegung von Tit 1,14 im selben Kommentar278 grenzt sich Hieronymus sehr scharf von der jüdischen Fehlinterpretation der Schrift ab:279 Qui hanc habent fidei et doctrinae sanitatem atque verborum, non attendent Iudaicis fabulis et mandatis hominum aversantium se a veritate. Acquiescamus paulisper Iudaeis, et eorum, qui apud eos sapientes vocantur, patienter ineptias audiamus; et tunc intelligemus quae sunt Iudaicae fabulae sine auctoritate scripturae, sine ulla assertione rationis, animalia quaedam et fabulosa fingentium. Diejenigen, die diese Gesundheit (sanitas) des Glaubens, der Lehre und der Worte haben, hängen nicht „den jüdischen Fabeln an und den Geboten der Menschen, die sich von der Wahrheit abwenden“ [Tit 1,14]. Lasst uns ein Weilchen bei den Juden verweilen, und auf die Albernheiten derer geduldig hören, die bei ihnen die Weisen genannt werden; und dann werden wir verstehen, was die „jüdischen Fabeln“ sind, ohne Autorität der Schrift, ohne jegliche Prüfung des Verstandes, so etwas Tierisches und Daherfabuliertes von denen, die es sich selbst ausdenken.

Neben der harschen Ausdrucksweise sticht die Ablehnung jüdischer Schriftauslegung und die Verunglimpfung der „Weisen“ der Juden ins Auge, von denen Hieronymus andernorts zu lernen strebt. Wie kommt es zu einem derart spannungsreichen Bild bei Hieronymus und wie ist es zu interpretieren? Zum Verständnis dieser Konstellation bei Hieronymus wie auch bei Euseb u.a. hilft eine von LEONARD RUTGERS etablierte Differenzierung. Sie basiert auf der Beobachtung, dass in der christlichen Literatur der Antike die Wahrnehmung und Beschreibung der Gegenwart, und damit auch des zeitgenössischen jüdischen Lebens, durch die theologische Deutung mittels traditioneller Muster und Motive 277 Möglicherweise handelt es sich um eine Anspielung auf Hos 6,6. 278 Zu Tit 1,14: non attendent(es) iudaicis fabulis et mandatis hominum aversantium se a veritate. 279 In Tit. ad 1,14 [ed. VALLARSI, PL 26, 575A].

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überformt ist.280 RUTGERS verwendet dafür die Begriffe hermeneutical Jew und real Jew. Mit Hermeneutical Jews bezeichnet er jüdische Personen, wie sie in der Kirchenväterliteratur dargestellt, d.h. auch konstruiert sind. Tatsächliche „historische“ jüdische Personen nennt er real Jews. Am Werk des Hieronymus veranschaulicht hieße dies z.B.: Der historische Flavius Josephus, ist ein real Jew, genauso wie Hieronymus’ jüdische Gesprächspartner. Spricht der Kirchenvater allerdings allgemein über Iudaei oder über die genannten Personen als Iudaeus, dann verweist die Bezeichnung als hermeneutical Jews auf die konzeptuelle und subjektive Brechung, die durch die Brille des Autors passiert. Auch FERGUS MILLAR arbeitet mit einer ähnlichen Einteilung von Aussagen über Jüdinnen und Juden in der christlichen Literatur der Spätantike:281 Dies beinhaltet meist stereotype Facetten und Argumente und wird gespeist aus einer bis in neutestamentliche Zeit zurückreichende Auslegungstradition.282 Dabei werden insbesondere die Unheilsweissagungen des AT auf das Judentum übertragen, Heilsweissagungen gelten dem Christentum. Weitere stereotype antijüdische Traditionen sind z.B. die Buchstabengläubigkeit, Gesetzlichkeit und die Verwerfung Jesu als Messias. Weiterhin gilt das Judentum als partikularistisch, passiv und sich isolierend, im Kontrast zu einem aktiven und sich universal ausbreitenden Christentum. JUDITH LIEU weist nach, dass sich diese Grundstrukturen zwischen dem zweiten und fünften Jahrhundert, d.h. zwischen Ignatius und Johannes Chrysostomos, kaum verändern.283 Angewandt auf das Textbeispiel aus dem Titus-Kommentar des Hieronymus heißt das: Die Iudaei und ihre Weisen sind hier nicht die real Jews im Umfeld des Kirchenvaters. Sie sind vielmehr hermeneutical Jews, die in ein theologisch-heilsgeschichtliches Bild eingepasst und beurteilt werden. Im Anschluss an RUTGERS könnte man bei Hieronymus (ebenso wie bei Euseb usw.) daneben von hermeneutical Hebrews sprechen, d.h. von jenen Personen und Gruppen, die deshalb als Hebraei bezeichnet werden, weil sie über philologische und auch exegetische Kenntnisse bzw. moralische Qualitäten verfügen. Das Gegenstück in Hieronymus’ Umfeld bilden die real Hebrews, Personen jüdischer oder judenchristlicher Provenienz, bei denen er Sprache, Literatur und Auslegungskunst lernt. Eindrucksvoll lässt sich diese Differenzierung im Verhältnis des Hieronymus zu Aquila zeigen.284 Teils rezipiert Hieronymus ihn um die Septuaginta oder andere Traditionen zu korrigieren, teils kritisiert er ihn wegen seiner Buchstabentreue, die Hieronymus als typisch jüdisch brandmarkt. Hieronymus behauptet auch, die Iudaei würden Aquila lieben und seine Übersetzung der Septuaginta vorziehen ep. 36,13). Andererseits speist sich die Kritik aus dem weniger ideologischen als pragmatischen Grund, dass Aquilas Ansatz Hieronymus’ präferierter Übersetzungstechnik ad sensum zuwider läuft, welche (s.o.) religionsübergreifend Befürworter und Widersacher hatte. 280 RUTGERS, Making Myths, 10f. Ähnlich spricht FREDRIKSEN von der „potent and long-lived hermeneutical idea of the ‚Jew‘ – fleshly, hard-hearted, philosophically dim, and violently antiChristian.“ (What Parting of the Ways?, 37). 281 MILLAR, Jews, 112. Für ihn gehören zu den traditionellen antijüdischen Motiven auch die unterstellten (attributions) Glaubensinhalte und die religiöse Praxis zeitgenössischer Juden. 282 „timeless system … determined by the OT“ A.a.O. 283 LIEU, Christian Views, 92ff. 284 Mehr zu Aquila s.u. 0.

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Auch den im Allgemeinen von ihm hoch geschätzten Symmachus lehnt Hieronymus dann ab, wenn seine Übersetzung ihm zu „jüdisch“ bzw. zu ebionitisch erscheint. Bei der Kommentierung von Hab 3,13, einer Stelle, an der Hieronymus der Übersetzung Aquilas folgt,285 nennt er die symmachianische Version verächtlich pauper („armselig“), in Anspielung auf dessen ebionitische Herkunft. Die Bezeichnung Ebitionit wird von Hieronymus von hebr. *! („arm“) hergeleitet. Dass Hieronymus selbst über seinen selektiven Umgang mit jüdischen Traditionen inklusive der recentiores und seinen Kontakt zu jüdischen Gelehrten reflektiert, zeigt sich in Auseinandersetzung mit Rufin folgendermaßen:286 Weiterhin höre ich, dass du, werter Philosoph, einiges aus meinem Brief herauspflückst und wie einer mit gerunzelter Stirn und zusammengezogenen Brauen und wie ein Plautus mit mir deine spitzfindig ironischen Spiele treibst, indem du behauptest, ich hätte von einem Juden Barabbas als von meinem Lehrer gesprochen. Kein Wunder, wenn du statt Baranina „Barabbas“ geschrieben hast, wo es doch eine Ähnlichkeit dieser Worte gibt. Denn du hast ja auch eine so große Dreistigkeit, Namen zu ändern, dass du auch aus dem Euseb einen Pamphilus und so aus dem Häretiker einen Märtyrer machen dürftest. (…) Höre also, du Säule der Weisheit und Maßstab Catonischer Strenge: Ich habe nicht von jenem als Lehrer gesprochen, sondern ich wollte meinen Eifer für die Heiligen Schriften unter Beweis stellen, um zu zeigen, dass ich Origenes in derselben Weise gelesen habe, wie ich jenen gehört hatte. Ich musste nämlich auch nicht die hebräischen Buchstaben von dir lernen! Oder ist dir ein Unrecht geschehen, dass ich statt dir dem Apollinaris und Didymos gefolgt bin? Hätte ich etwa in jenem Brief Gregor, diesen sehr redegewandten Mann, nicht erwähnen sollen? Wer unter den Lateinern ist ihm gleich? Ich selbst rühme mich seiner als meines Lehrers und lobe ihn hoch! Im Gegenteil – ich habe gerade die erwähnt, die in der Kritik standen, um zu bezeugen, dass ich genauso Origenes gelesen habe – nicht wegen der Wahrheit [seines] Glaubens, sondern wegen seiner verdienstvollen Bildung. Origenes selbst und Euseb und Clemens und viele andere pflegen dann, wenn sie irgendetwas über die Schriften diskutieren und beglaubigen wollen, was sie sagen, zu schreiben: „Ein Hebräer hat mir überliefert“ und „ich habe bei einem Hebräer gehört“ und „dies ist die Meinung der Hebräer“.

Vehement setzt sich Hieronymus gegen die Vorwürfe Rufins zur Wehr, er sei bei dem „Juden Barrabas“ in die Lehre gegangen, ebenso wie bei dem unter Häresieverdacht stehenden Origenes. Zunächst geht Hieronymus darauf ein, dass Rufin seinen Lehrer fälschlicherweise Barrabas nennt. Nie habe er bei einem Iudaeus namens Barrabas Unterricht erhalten. Seinen tatsächlichen Lehrer, Baranina, und die jüdischen Gesprächspartner seiner Vorgänger Origenes, Cle-

285 In Hab ad 3,10-13 [ed. ADRIAEN, CChr.SL 76A, 640,844ff.]. 286 Adv. Ruf. I 13: Audio praeterea te quaedam de epistula mea, philosophe, carpere et, hominem rugosae frontis adductique supercilii, plautino in me sale ludere, eo quod barabban iudaeum dixerim praeceptorem meum. Nec mirum si pro „Baranina“, ubi est aliqua vocabulorum similitudo, scripseris „Barabban“, cum tantam habeas licentiam nominum mutandorum, ut de Eusebio Pamphilum, de haeretico martyrem feceris. (…) Audi ergo, sapientiae columen et norma catonianae severitatis: ego non illum magistrum dixi, sed meum in scripturas sanctas studium volui conprobare, ut ostenderem me sic Origenem legisse quomodo et illum audieram. Neque enim hebraeas litteras a te discere debui. Aut iniuria tibi facta est, quod pro te Apollinarem Didymum que sectatus sum? Numquid in illa epistula Gregorium uirum eloquentissimum non potui nominare, qui apud latinos impar sui est, quo ego magistro glorior et exulto? Sed eos tantum posui qui in reprehensione erant, ut similiter me Origenem, non ob fidei veritatem, sed ob eruditionis meritum legisse testarer. Ipse Origenes et Eusebius et Clemens alii que conplures, quando de scripturis aliqua disputant et volunt approbare quod dicunt, sic solent scribere: „referebat mihi Hebraeus“; et: „audivi ab Hebraeo“; et: „Hebraeorum ista sententia est“ [ed. LARDET, SC 303, 36,19–38,25].

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mens und Euseb, rechnet Hieronymus unter die Hebraei, einschließlich einen im folgenden Abschnitt erwähnten „Patriarchen“ Hillel. Im Anschluss daran greift Hieronymus die von Rufin ins Spiel gebrachte Parallelisierung von Juden und Ketzern auf und bekennt, er habe Origenes nicht wegen der Wahrheit des Glaubens (ob fidei veritatem), sondern wegen seiner verdienstvollen Gelehrsamkeit (ob eruditionis meritum) rezipiert.287 Dies gelte auch für den Unterricht bei jüdischen Gesprächspartnern. Hieronymus akzeptiert offenbar philologische, wissenschaftliche und exegetische Unterstützung, solange sie „hebräisch“ bleibt, lehnt aber weiterhin alles „Jüdische“ ab. Die Ursache dafür, warum christliche Autoren der Spätantike wie Hieronymus antijüdische Stereotype zur Beschreibung der Hermeneutical Jews perpetuieren, beruht auf der Diskrepanz von theologischer Erwartung und historischer Realität:288 Die Vorstellung, das Christentum habe die nicht-christusgläubigen Jüdinnen und Juden als Gottesvolk abgelöst, schien sich durch die Zerstörung Jerusalems und des Tempels im Jahre 70 n.Chr. und die Niederschlagung des BarKochba-Aufstandes realhistorisch zu bestätigen. Dass jüdische Gemeinden dennoch weiterhin sichtbar präsent, vital und insbesondere für Christinnen attraktiv waren,289 war ein permanenter Stachel im Fleisch derer, die diese Situation theologisch verantworten und interpretieren wollten.290 Ein weiteres Problem bei der Auswertung christlicher Texte ist, dass häufig als „judaisierend“ inkriminierte ChristInnen im Blick der Autoren sind. Die Polemik richtet sich darin mehr gegen die Heterodoxie als gegen das Judentum als sichtbare Größe oder verfasste soziale Gruppe. Es mag verwundern, dass auch Hieronymus trotz seiner eigenen Kontakte zu Juden seiner Zeit gegen judaisierende Christen, aber auch gegen das Judentum allgemein (und dessen Einfluss auf ChristInnen) polemisiert.291 Was macht das Judentum für Christinnen und Christen, denen die Orthodoxie vorwarf zu „judaisieren“, so attraktiv? Themen, die sich in der Polemik gegen das „Judaisieren“ wiederholen,292 sind die Berühmtheit jüdischer Ärzte, die Gelehrtheit ihrer Weisen, Reichtum, Geschick als Händler, Kinderreichtum, Schulunterricht, Bibliophilie, gottesdienstliche Praxis und die Attraktivität ihrer Feste. Auch Hieronymus berichtet über die vorbildliche Bibelkenntnis und die exegetische Kunst der eruditi Hebraei.293 K INZIG sieht einen wichtigen Grund für den Anstieg „judaisierender“ Einflüsse innerhalb des Christentums gegen Ende des vierten Jahrhunderts im Theodosianischen Edikt Cunctos Populos (von 380, CTh 16,1,2).294 Aufgrund der 287 Hieronymus präsentiert seine eigene Origenes-Rezeption als eine kritische, die die exegetischwissenschaftlichen Erkenntnisse des Alexandriners von dessen theologisch-dogmatischer Position (in Hieronymus’ Augen Häresien) trennt. Vgl. hierzu den Überblick in FÜRST, Hieronymus, 36, und zur Ergänzung der o.g. Stellen die dort zusammengestellten Passagen aus Briefen des Hieronymus (ep. 61,1f., ep. 62,2, ep. 84,2 , ep. 85,4). 288 Vgl. hierzu z.B. LIEU, The Jews. Introduction, 83. 289 Vgl. NOEHTLICHS (Juden, 84ff.) und die Darstellung bei WILKEN, Chrysostom, 66–94. 290 Vgl. auch LÖßL, Hieronymus und Epiphanius, 435: Er beschreibt es treffend als die „Problematik des Widerspruchs zwischen dem exklusiven Wahrheits- und Absolutheitsanspruch des Christentums und der Anerkennung des alttestamentlichen Erbes im Judentum als einer anderen Religion“; Ähnlich auch KINZIG, Non-Separation, 28. 291 Vgl. LÖßL, Hieronymus und Epiphanius, 430. 292 Vgl. hierzu LÖßL, Hieronymus und Epiphanius. 429ff. und KINZIG, Non-Separation, 37. 293 LÖßL, Hieronymus und Epiphanius, 432 Anm. 119 zu In Is. 4,11,1. 294 Vgl. zum Folgenden KINZIG, Non-Separation, 38f.

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rechtlichen Bevorzugung des nizänischen „orthodoxen“ Christentums als Staatsreligion strömen gegen Ende des vierten Jahrhunderts viele Menschen mit jüdischem, paganem und anderem nicht-orthodoxem Hintergrund in die „Staatskirche“. Sie bringen dabei neben ihren theologischen Positionen auch ihre Bräuche und Frömmigkeitsformen mit und behalten sie weiterhin. Zudem mag die Vorstellung von einem am „Gesetz“, also an religiöser und ethischer Praxis orientierten Judentum für Christinnen und Christen während eines Jahrhunderts heftiger innerchristlicher dogmatischer Streitigkeiten attraktiv gewesen sein. K INZIG fasst zusammen: „on the level of popular piety there was a wide overlap between Church and Synagogue at least until the end of the fourth century, but probably far beyond.“295 Auch Hieronymus partizipiert, wie gezeigt, am zeitgenössischen Antijudaismus, trotz seines Interesses an der hebräischen Sprache.

B.III.3.

Judentum und Christentum zur Zeit des Hieronymus

Spiegeln die Darstellungen der Iudaei in den Schriften des Hieronymus eher die Rezeption eines statischen, stereotypen Bilds des Judentums in der christlichen Literatur der Antike, so lassen seine Aussagen über zeitgenössische Hebraei, inklusive seiner Lehrer einen Blick auf die historische Realität des Christentums und Judentums im spätantiken Palästina werfen. Dass er beispielsweise mit Lehrern aus Lydda und Tiberias gearbeitet hat und nicht aus Bethlehem oder Jerusalem, lässt sich auf dem Hintergrund verstehen, dass im vierten Jahrhundert das Zentrum der jüdischen Bevölkerung Palästinas in Galiläa lag, in Jerusalem und seiner Umgebung dagegen nach 135 n.Chr. wenige Personen mit jüdischem Hintergrund siedelten. Um das Umfeld des Kirchenvaters im Blick auf das zeitgenössische Judentum etwas näher zu beschreiben, soll in diesem Kapitel zunächst ein Überblick über die rechtliche Situation von Jüdinnen und Juden im römischen Imperium gegeben werden (B.III.3.1). Auf dieser Grundlage werde ich dann auf die Demographie im spätantiken Palästina eingehen (B.III.3.2). Es schließt sich eine Einführung in die Diskussion um die Strömungen innerhalb des Judentums im spätantiken Palästina an (B.III.3.3).

B.III.3.1

Zur rechtlichen Situation des Judentums im christlichen Imperium Romanum

In Kontinuität mit dem vorchristlichen Imperium Romanum operieren römische Rechtstexte nach Konstantin I. mit der Bezeichnung Ἰουδαῖοι bzw. Iudaei. Nolens volens wird diese auf bestimmte Bevölkerungsgruppen angewandt, möglicherweise auch im Gegensatz zu deren eigenem Selbstverständnis. An den Rechtstex295 KINZIG, Non-Separation, 29.

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ten lässt sich daher wenig ablesen, wer Jüdinnen und Juden waren, allerdings umso mehr, wie die römische Verwaltung mit Personen und Personengruppen umging, die sie so bezeichnete. Es ist anzunehmen, dass v.a. sichtbare Formen von ToraObservanz wie Beschneidung, das Beachten von Sabbatgeboten, Festtagen und Speisetabus aus der griechisch-römischen, wie auch aus christlicher Außenperspektive entscheidende Merkmale des Jüdischseins darstellten.296 Im Großen und Ganzen hat sich bis in die 380er Jahre im Vergleich zur vorkonstantinischen Zeit wenig in der Gesetzgebung gegenüber Jüdinnen und Juden verändert.297 Es ist allerdings zu beobachten, dass die meisten rechtlichen Neuordnungen den Impetus hatten, eine schärfere Trennung zwischen Christentum und Judentum zu bewirken. Trotz allem stand im Interesse der Gesetzgebung, „eigentlich schon seit Hadrian, ein rechtlicher Schutz der Juden“.298 Die Situation erscheint als ein Ineinander von Toleranz und Abgrenzung. Durchlässigkeit der Grenzziehung bestand jedoch nur einseitig in Richtung Christentum. Letzteres zeigt sich beispielsweise in den Regelungen für Mischehen. Seit 339 stand auf die Heirat jüdischer Männer mit christlichen Frauen die Todesstrafe für beide Ehepartner. Ob allerdings aufgrund der halakhischen Verbote solche Ehen häufig waren und ob die Ahndung des Delikts jemals Anwendung fand, ist nicht belegt. Des Weiteren waren Konversionen zum Judentum verboten.299 Dies galt in gleicher Weise im Hinblick auf Sklaven in jüdischen Haushalten. An ihnen durfte keine Zwangsbeschneidung durchgeführt werden.300 Dies entspricht dem Status in der Zeit vor 313. Andere rechtliche Regelungen, seien es Novellen oder Bekräftigungen älterer Verordnungen, hatten positivere Auswirkungen für jüdische Personen. Sie stärkten die Verwaltungsautonomie jüdischer Communities oder bekräftigten das Versammlungsrecht (CTh 16,8,9) und die Gültigkeit von Entscheiden jüdischer Gerichte (CTh 16,8,8). Jüdische Geistliche waren, in Analogie zu christlichen, vom Staatsdienst befreit. Restriktiver wurde die Gesetzgebung erst im beginnenden fünften Jahrhundert.301 Ein „fundamental change in the religious climate“302 bahnte sich jedoch schon ab den 380er Jahren an, geprägt durch die Mobilisierung christlicher Massen, die gewaltsam gegen pagane Kultstätten vorgingen, häufig angespornt durch christliche Theologen und heidenfeindliche Gesetzgebung.303 Dass dies auf jüdische Gemeinden und Synagogengebäude überzuschwappen drohte, bezeugt ein Erlass Theodosius I. (379–394) an den comes der Provinz Oriens (um 393), in dem dieser angewiesen wurde, Synagogen vor der Zerstörungssucht von Christen zu schützen (CTh 16,8,9). Zwar scheint es schon unter Theodosius I. Anordnun296 Vgl. SCHIFFMAN, Who was a Jew?, 23ff. 297 Der folgende Abschnitt orientiert sich in den Grundzügen an den Darstellungen bei ULRICH, Euseb, 246ff.; NOETHLICHS, Judentum, 100–117; NOETHLICHS, Juden, 31ff.; STEMBERGER, Juden und Christen 2007, 5. 298 ULRICH, Euseb, 251. 299 Seit 383 wurde dies mit der Konfiszierung des Eigentums der Konvertiten bestraft. 300 Aufgrund einiger halakhischer Regelungen bezüglich der Reinigung oder der Zubereitung von Speisen war es in jüdischen Haushalten praktikabler, jüdische Sklavinnen und Sklaven zu beschäftigen. 301 Vgl. NOETHLICHS, Maßnahmen, 188. 302 So FERGUS MILLAR, Jews, 116. 303 392 wurde jeglicher heidnischer Kult untersagt (CTh 16,10,12), vgl. NOETHLICHS, Maßnahmen, 192.

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B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

gen gegeben zu haben, den Bau von neuen Synagogen zu erschweren oder zu verhindern,304 eine Verschlechterung der rechtlichen Situation lässt sich aber erst ab 414 unter Theodosius II. nachweisen. Eine der ersten Maßnahmen stellt die Entmachtung des Patriarchen Gamaliel um 415 (CTh 16,8,220) dar.305 Gesetze mit reichsweiter Geltung traten ab 423 in Kraft:306 Zwar sollten beschädigte Synagogen repariert und die Enteignung von Gebäude und Besitz kompensiert werden, neue Synagogenbauten wurden aber verboten (CTh 16,8,25f.). Im Jahre 438 legalisierte dann Theodosius II. die Umwandlung von Synagogen in Kirchen (Novella 3). Hieronymus bewegte sich während seines Aufenthalts in Bethlehem (388– 420) in dieser Zeit des Übergangs. Von Übergriffen auf Synagogen in seinem eigenen Umfeld, d.h. in Judäa, Galiläa oder in Caesarea, berichtet er nicht.307 Seine unmittelbare geographische Umgebung war von einer Regelung betroffen, die es Jüdinnen und Juden verbot, die Stadt Jerusalem und ihre Umgebung zu betreten. Das ursprüngliche Edikt aus dem Jahr 135 geht auf Hadrian zurück und wird meist als Reaktion auf den Bar-Kochba-Aufstand verstanden.308 Ob es unter den christlichen Kaisern als Reichsgesetz erneuert wurde, oder von der Provinzialverwaltung (in welchem Maße und welcher Konsequenz auch immer) weiter geführt wurde, ist aufgrund der unsicheren Quellenlage strittig.309 Hieronymus selbst berichtet lediglich davon, dass Juden sich einen Besuch in der Heiligen Stadt teuer erkaufen, besonders um am 9. Av die Zerstörung von Stadt und Tempel zu betrauern.310 Die Umstände des Edikts Hadrians sind ihm zumindest aus der Übersetzung des Chronikons bekannt.311

304 Zumindest berichtet dies Zeno (tract. 14,1) (nach NOETHLICHS, Maßnahmen, 338 Anm. 1036). 305 Vgl. NOETHLICHS, Judentum, 107 und 203 Anm. 609. Die Passage „deinceps nullas condi faciat synagogas“ scheint sich, wie auch die umgebenden Vorschriften, auf die Tätigkeit des Patriarchen zu beziehen, und nicht auf eine darüber hinausgehende Einschränkung. Allerdings ist nicht bekannt, in welcher speziellen Verantwortung dieser für den Synagogenbau stand. 306 Auch ULRICH (Euseb, 253) sieht den Einschnitt zwischen einer Zeit lediglich situationsbezogener Einschränkungen und einer generellen Verschlechterung der Situation der Juden im gesamten Reich um 423. FREDRIKSEN setzt den Wandel und den Beginn eines „new climate of violence“ ebenfalls nach dem Ableben Augustins an, bedingt durch die zunehmende äußereBedrohung des Römischen Imperiums (What Parting of the Ways?, 62). 307 Vgl. STEMBERGER, Judentum, 35. 308 Vgl. hierzu STEMBERGER, Hieronymus, 350f.. Eine dezidiert heilsgeschichtliche Deutung des Ediktes findet sich z.B. bei Justin (1 apol. 47,5): εἴρηται δὲ καὶ περὶ τῆς ἐρημώσεως αὐτῆς, καὶ περὶ τοῦ μὴ ἐπιτραπήσεσθαι μηδένα αὐτῶν οἰκεῖν, διὰ Ἠσαίου τοῦ προφήτου οὕτως [ed. MARCOVICH, PTS 38, 98,10ff.] (Es ist auch durch den Propheten Jesaja so über seine [sc. Jerusalems] Verwüstung geweissagt worden und darüber, dass keiner von ihnen [sc. den Juden] dort wohnen darf.) Justin belegt dies im Folgenden mit einem Mischzitat aus Jes 1,7 und Jer 2,15. 309 Vgl. IRSHAI, Constantine, passim. Er nimmt die Position ein, dass das auf Hadrian zurückgehende Reichsgesetz unter Konstantin I. nicht erneuert wurde. Nicht eindeutig ist zu klären, ob z.B. Kyrill v. Jerusalem in seinen Taufpredigten (um 350) von tatsächlich in Jerusalem lebenden Jüdinnen und Juden spricht, oder ob es sich um eine Fiktion bzw. eine typisierte Darstellung handelt. Vgl. hierzu ders., Cyril, 103f. 310 So z.B. im Kommentar In Soph. ad 1,15f.; zur Einschätzung des hadrianischen Gesetzes vgl. NOETHLICHS, Juden, 53, insbesondere Anm. 126. In ep. 84,3 erwähnt Hieronymus seinen Unterricht bei Baranina während seiner Bethlehemer Zeit. Es ist allerdings nicht zwingend, dies als Hinweis darauf zu deuten ist, dass sich Ende des vierten Jahrhunderts jüdische Gelehrte in der unmittelbaren Nähe Jerusalems aufhielten, wie WILKEN (Chrysostom, 51) dies tut. 311 Dass Hieronymus das Gesetz und die Umstände seiner Entstehung bekannt sind, belegt die entsprechende Passage aus seiner Übersetzung des Chronikons des Euseb (chron. II 12). Aus dem

B.III. HIERONYMUS UND DAS JUDENTUM

B.III.3.2

79

Die demographische Situation im spätantiken Palästina

Innerhalb Palästinas stellte Jerusalem jedoch eine Ausnahme dar.312 Bereits nach dem Bar-Kochba-Aufstand wuchs der jüdische Bevölkerungsanteil nämlich erheblich an. Siedlungsschwerpunkte befanden sich am Toten Meer, auf dem Golan und in Galiläa. Aber auch für die Hafenstadt Caesarea ist eine große jüdische Gemeinde belegt. In Galiläa ist in den jüdischen Zentren Tiberias, Lydda, Sepphoris und Skythopolis ein regelrechter Bauboom von großen Synagogengebäuden im vierten Jahrhundert nachzuweisen.313 Doch nur Teile Galiläas sind mehrheitlich jüdisch besiedelt. Der südliche Teil der Küste Palästinas blieb bis in nachkonstantinische Zeit heidnisch dominiert.314 Für den übrigen Teil Palästinas ist eine Mischbevölkerung anzunehmen. Starke Veränderungen betrafen im vierten Jahrhundert nicht nur die jüdischen Gemeinden selbst, sondern auch deren Umfeld. Bereits unter Konstantin I. stieg der christliche Bevölkerungsanteil in Palästina prozentual an, da einerseits bestehende Gemeinden durch Konversion wuchsen, andererseits die Gründung von Klöstern und das aufstrebende Pilgerwesen die Zuwanderung von Christinnen und Christen aus anderen Reichsteilen begünstigten.315 So ist damit zu rechnen, dass aufgrund dieser Veränderungen Palästina im fünften Jahrhundert schließlich mehrheitlich christlich besiedelt war.316 Auch die Grundbesitzverhältnisse – Anfang des 3. Jahrhunderts noch überwiegend heidnisch – veränderten sich im Laufe des 4. Jahrhunderts im Zuge der Christianisierung zugunsten der christlichen Bevölkerung.317

B.III.3.3

Das Judentum Palästinas im vierten Jahrhundert

Wie die Analyse der rechtlichen Situation und der Demographie Palästinas gezeigt hat, kann für die Zeit, in der sich Hieronymus in Bethlehem aufhält, d.h. für das späte vierte und beginnende fünfte Jahrhundert mit vitalen jüdischen Gemeinschaften besonders in Galiläa gerechnet werden. Obgleich lediglich rabbinische Texte überliefert sind, gibt es gute Gründe anzunehmen, dass das Judentum im Umfeld des Hieronymus divergenter war, als es diese Texte vermuten lassen. Um ein etwas genaueres Bild der Personen(gruppen) zu erhalten, mit denen Hierony-

312 313 314

315 316 317

Text geht allerdings nichts darüber hervor, ob und in welchem Maß die Regelung zu Lebzeiten des Kirchenvaters Anwendung fand. Vgl. zu dieser Einschätzung ULRICH, Euseb,10f. Vgl. STEMBERGER, Juden und Christen 2007, 2.73; WILKENS, Chrysostom, 46f.55. Aus Ermanglung eines adäquaten und etablierten deutschen Begriffs, der Personen zusammenfassend beschreibt, die weder christlich noch jüdisch sind, ohne dies als defizitär darzustellen und der gleichzeitig die Nicht-Einheitlichkeit dieser Gruppe spiegelt, wird im Deutschen das Wort „heidnisch“ verwendet. Gleichwohl ist dem Autor bewusst, dass dies eine jüdisch-christliche Innenperspektive impliziert. Vgl. STEMBERGER, Judentum, 29. So STEMBERGER, Juden und Christen 2007, 9, vgl. auch die Skizzen bei DAUPHIN, La Palestine byzantine, 611. So ULRICH, Euseb, 20. Zum Wechselspiel von Bibelübersetzung und Christianisierungprozess Palästinas im Vergleich zwischen Origenes und Hieronymus vgl. TORJESEN, Rhetoric, 644.

80

B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

mus im Kontakt gewesen sein könnte, möchte ich daher einen kurzer Einblick in die Diskussion über Formierung und Einfluss des rabbinischen Judentums im dritten und vierten Jahrhundert geben. Archäologisch ist für das vierte Jahrhundert n.Chr. eine rege Bautätigkeit in jüdisch besiedelten Gebieten im gesamten Imperium nachzuweisen. Dies betrifft sowohl mutmaßlich privat genutzte Bauwerke als auch Synagogen.318 Deren innenarchitektonische Ausgestaltung und Dekor sowie viele Inschriften weisen auch in Palästina wenig Nähe zur Theologie der zeitgenössischen Rabbinen auf. Viel häufiger lassen sich Einflüsse hellenistisch-römischer Stadtkultur finden, welche auch die byzantinischen Kirchen und übrigen christlichen Gebäude der Zeit prägten. Daraus ergeben sich Fragen im Blick auf die Identitätskonstruktionen von „Judentum“ der nachmischnaischen, amoräischen Zeit bzw. auf das Verhältnis zwischen Rabbinen und nicht-rabbinischem Judentum: Welche theologischen Strömungen gibt es? Wie verhalten sie sich zueinander? Welchen Einfluss hat das rabbinische Gedankengut auf das übrige Judentum dieser Zeit? Bis zur flächendeckenden archäologischen Erforschung Palästinas hielt sich, oft durch unkritische Rezeption rabbinischer Schriften begünstigt, die Vorstellung, das gesamte Judentum Palästinas sei von rabbinischer Theologie und Frömmigkeit geprägt gewesen. Die o.g. archäologischen Funde sprechen eine andere Sprache. Für eine Neudeutung der Situation des Judentums im spätantiken Palästina unter Berücksichtigung sowohl der rabbinischen Zeugnisse als auch der diversen archäologischen Funde möchte ich exemplarisch die Positionen von SETH SCHWARTZ, STUART MILLER und NICOLE BELAYCHE gegenüberstellen. SCHWARTZ319 arbeitet mit der These, dass sich die Selbstdefinition und Identität des Judentums in Palästina nach den politischen Niederlagen der Jahre 70 n.Chr. und 135 n.Chr. auf ethnische Aspekte zu reduzieren begann. Wie die politische Einheit und Selbstbestimmung, so ging auch die religiöse core ideology verloren, die SCHWARTZ in der Trias Gott–Tempel–Tora repräsentiert sieht. Dieser Verlust führte zu einer weitreichenden „Paganisierung“ des Judentums, von dem die archäologischen Funde zeugen. Anders als die rabbinozentrische Forschung320 sieht SCHWARTZ die frühen Rabbinen in dieser Entwicklung nur als marginales Element in einer weithin paganisierten Gesellschaft, die im eigentlichen Sinne nicht als jüdisch gelten darf.321 Nach dieser „Implosion“ gewann das Judentum erst im vierten Jahrhundert wieder an Größe und Bedeutung. Mit dem Aufstieg des Christentums zur Staatsreligion etablierte sich nämlich die Kategorie „Religion“ als Identitymarker.322 Bedingt durch die Herauslösung der Kategorie „Religion“ aus der Kombination kultureller Identitymarkern, wie Sprache und Ethnizitätszuschreibungen („disembedding religion“) setzte im Judentum eine religiöse Rückbesinnung ein, was sich u.a. in den Werken der amoräischen Rabbinen zeigt. 318 Vgl. zum Folgenden LIEU, Introduction, 70. 319 Vgl. zum Folgenden SCHWARTZ, Imperialism, passim. 320 Z.B. bei GEDALYAH ALON (The Jews in Their Land, passim) und anderen weniger historischkritisch arbeitenden Forschern. 321 Vgl. hierzu die Kritik von MILLER u.a. s.u. 322 Dies steht m.E. nicht im Gegensatz zu der Beobachtung, dass die christliche Literatur seit den Apologeten von drei „γένη“ der Menschheit spricht. Neben Heidentum („Griechen“) und Judentum ist das Christentum dabei das neue, τρίτος γένος. (Vgl. z.B. Justin dial. 123,7f.). Obgleich hier von „γένος“ gesprochen wird, rechnete man sowohl unter die Heiden als auch unter die Christen Personen verschiedener Provenienz (Griechenland, Rom, Ägypten, Syrien usw.).

B.III. HIERONYMUS UND DAS JUDENTUM

81

SCHWARTZ sieht das vierte Jahrhundert als Zeit der Wieder(er)findung von jüdischer Identität (Process of Judaization) im Kontext der vom Christentum geprägten Kategorie religio. Durch diese Prozesse re-etablierte sich das Judentum als religious community.323 Dieser Wandel lässt sich auch am Boom religiöser Symbolik und Repräsentation ablesen, z.B. am Bau neuer Kultstätten, seien es Synagogen oder Kirchen. SCHWARTZ sieht eine scharfe „entweder–oder“-Konstellation zwischen Rabbinismus und Paganisierung im vierten Jahrhundert Letztere macht er v.a. daran fest, dass römisch-griechische Symbolik in Gebäuden und Synagogen vorherrschte. Doch: Welchen Stellenwert hatte die Verwendung römischer Symbole – Hauptmerkmal der Paganisierung nach SCHWARTZ’ These? Und welche Relevanz hatten dagegen Elemente jüdischer Praxis, die schriftlich nicht bezeugt und archäologisch unsichtbar sind, wie Beschneidung, Sabbatobservanz, Speisevorschriften, Regelungen zu Exogamie und Endogamie, Erbrecht, Abgaben, Feste, Gelübde u.v.m.?324 Problematisch an der Position SCHWARTZS – aber auch an der konservativeren rabbinozentrischen Forschung – ist Folgendes: Beide Positionen betrachten ausschließlich die rabbinischen Halakhoth (in deren Vielfalt aber auch in den Grenzen ihrer Überlieferung) als normative, und gültige Definition von Jüdischsein. Dass andere jüdische Gruppen sich auf andere Weise als jüdisch definieren konnten, kommt nicht in den Blick. Trotz dieser gemeinsamen Basis kommen die beiden Positionen zu diametral entgegengesetzten Ergebnissen. Entweder behaupten sie eine nahezu vollkommene Paganisierung des Judentums und einen marginalen Einfluss der amoräischen Rabbinen (SCHWARTZ), oder sie gehen von einer rabbinischen Prägung des gesamten Judentums der Spätantike im Land Israel aus (ALON). MILLER richtet sich sowohl gegen die Paganisierungsthese als auch dagegen, rabbinische Halakhot als Maßstab für „Jüdischsein“ in der Spätantike zu verabsolutieren. Er spricht sich im Gegensatz dafür aus, dass weite Teile der Bevölkerung Palästinas in einem Sinne jüdisch und „nicht-rabbinisch“ sind, wie auch ihre Zeitgenossen in der Diaspora bzw. Menschen vor 70 n.Chr. im Land Israel. Grundlage hierfür ist die These, dass eine jüdische Identität kontinuierlich als religiöse besteht, trotz Implosion und Wiedererweckung. Angelehnt an die Arbeiten von E. P. SANDERS über die Zeit des zweiten Tempels spricht MILLER von einem complex common Judaism, welcher auch nach 70 bzw. 135 als eine Art identitäres, gemeinjüdisches „Hintergrundrauschen“ verschiedenste Einzelgruppierungen und Sekten vereint. In der Zugehörigkeit zu einem complex common Judaism können sowohl religiöse als auch ethnische/genealogische Aspekte zum Tragen komme. Vielfalt und Divergenz ergeben sich z.B. daraus, wie und in welchem Maß Römisches, Paganes, Hellenistisches, Christliches usw. rezipiert und transformiert wird – jene Elemente also, die die Rabbinen, und mit ihnen auch SCHWARTZ, für „nichtjüdisch“ halten. MILLER erklärt dies mit flexibleren Modellen wie „Kreolisierung“ und Akkomodation von Jüdinnen und Juden in die römisch-hellenistische Stadtkultur der Spätantike.325 Das palästinische Judentum im vierten Jahrhundert ist laut MILLER weder als Reaktion auf das aufstrebende Christentum 323 SCHWARTZ, Imperialism, 273. 324 Vgl. zum Folgenden MILLER, Roman Imperialism, 347ff. 325 A.a.O. 349.

82

B. DER ÜBERSETZER HIERONYMUS

zu verstehen, noch als Kompensation eines vorausgegangenen Identitätsverlusts durch Paganisierung. Ähnlich argumentiert auch BELAYCHE. Sie spricht am Beispiel von Sepphoris von „successful integration without religious acculturation“.326 In direkter Anknüpfung an die Umstände im vorkonstantinischen Palästina habe, so ihre These, bis ins vierte Jahrhundert eine jüdische Oberschicht existiert, die hellenistisch-römische Repräsentationssymbolik verwendete, ohne dabei ihre jüdische religiöse Identität aufzugeben. Jüdischerseits gibt es also schon vor dem vierten Jahrhundert modi operandi mit der römischen Herrschaft, die die religiöse Identität nicht bedrohen oder zu Paganisierung führen. Die Entwicklung des rabbinischen Judentums beurteilen sowohl BELAYCHE als auch MILLER und als Bewegung einzelner, die eine ethnisch-religiöse Identität entwerfen, leben und propagieren, die anders konzipiert ist als die der „commoners“ in ihrem Umfeld. Dies geschieht dadurch, dass man sich auf die Bewahrung einer mündlichen Thora (mAvot 1,1) beruft, welche seit Mose durch die Zeiten des Königtums, des Exils, des Zweiten Tempels hindurch bis in ihre Gegenwart als Auslegungshilfe und -maßstab für die schriftliche Thora überliefert ist. Die rabbinische Literatur aus dem Land Israel hat dabei gerade jene „commoners“ als AdressatInnen, die aus halakhischer Sicht jüdisch sind, aber in der Weise wie sie toraobservant sind – d.h. wie und ob sie Sabbat und weitere Feste feiern, Synagogengottesdienste besuchen, Beschneidung durchführen, Speisevorschriften befolgen u.v.m. – nicht der Halakha der Rabbinen entsprechen. Was die Charakterisierung der Situation zur Zeit des Hieronymus angeht, schließe ich mich den dargestellten Entwürfen in folgender Weise an: Die Analyse von SCHWARTZ, dass mit dem Aufstreben des Christentums im vierten Jahrhundert die Kategorie „Religion“ eine entscheidendere Rolle in der Wahrnehmung von Gruppenidentitäten einnimmt, halte ich für eine sinnvolle Erklärung des archäologisch nachweisbaren Anstiegs an religiöser Repräsentation, im Christentum wie im Judentum. Dennoch ist MILLER und BELAYCHE darin zuzustimmen, dass der Befolgung der rabbinischen Halakha nicht „Paganisierung“, sondern andere Formen von Jüdischsein gegenüber stehen können, die nicht von der später normativ gewordenen Position aus zu definieren sind. Auch ist dieses nichtrabbinische Jüdischsein nicht notwendigerweise, wie SCHWARTZ’ These impliziert, auf nicht-religiöse Merkmale wie Ethnie und Sprache beschränkt, sondern kann religiöse Merkmale mit beinhalten („embedded religion“). Für die Beschäftigung mit Hieronymus ist wichtig, diese Differenzierungen im Blick zu behalten, denn auch die christliche Literatur der Antike tendiert dazu, das Judentum monolithisch darzustellen und eine positionelle Definition von Jüdischsein als normative zu übernehmen. Aufgrund des Interesses des Hieronymus an der hebräischen Philologie und an der Auslegung atl. Texte ist zu vermuten, dass seinen jüdischen Kontaktpersonen das rabbinische Milieu vertraut war, verstanden sie sich doch gerade als Bewahrer der autoritativen Auslegungslegungstradition dieser Texte.

326 BELAYCHE, Iudaea-Palaestina, 86.

C.

C.I.

Das Buch Deuteronomium Iuxta Hebraeos

Orientierung an der hebraica veritas

Wie die vorangegangenen Kapitel gezeigt haben, betrachtet Hieronymus den hebräischen Bibeltext als den ursprünglichen und wahren. Schon bevor er dafür den Begriff „hebraica veritas“ prägt, bezeichnet er den hebräischen Text des Alten Testaments als fons („Quelle“). Das Gegenüber dazu bilden die rivuli („Bächlein“) – Bibeltexte in Übersetzung, wie die Versionen der Septuaginta und der Vetus Latina.327 Diese konzeptionelle Orientierung am hebräischen Text statt an der Septuaginta darf theologiegeschichtlich als originäre Leistung des Hieronymus gewertet werden. Sein Vorgänger Origenes328 war dagegen an einer Restauration des ursprünglichen Septuaginta-Texts interessiert und nicht an einer derart konsequenten Orientierung am hebräischen Bibeltext.329 Um diesen zu verstehen und in seiner lateinischen Muttersprache wiederzugeben, bedient sich Hieronymus neben seinen philologischen Kenntnissen verschiedener Quellen, die einander eher ergänzen als ausschließen: Da ist zunächst die Septuaginta selbst, die recentiores der Hexapla und jüdische Interpretationen, die er außerhalb dieser Übersetzungen zu Verfügung hat. Daher sei darauf hingewiesen, dass die folgenden Kapitel keine sich ausschließende Aufteilung darstellen, sondern dass an vielen Stellen offensichtliche oder mögliche Überlappungen existieren, die sich aus der Konzeption und Arbeitsweise des Hieronymus aber auch aus der heutigen Verfügbarkeit seiner Quellen ergeben. Zunächst werden einige Bespiele betrachtet, an denen ersichtlich wird, dass und wie Hieronymus sich am hebräischen Text orientiert. Dabei sind insbesondere die Stellen aufschlussreich, an denen sich hexaplarische Überlieferungen erhalten haben, die er nicht rezipiert. Danach folgt ein Blick auf den Einfluss hexaplarischer Texte (C.I.2.–C.I.7.) wobei zunächst Aquila, dann Symmachus und schließlich 327 Z.B. ep. 20,2 an Damasus: hebraeum fontem recurrendum. Restat ergo, ut omissis opinionum rivulis ad ipsum fontem, unde ab Evangelistis sumptum est, recurramus [ed. LABOURT Bd. I, 79, 12ff.] (Zur hebräischen Quelle muss man zurück laufen. Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als dass wir die Bächlein der Meinungen beiseite lassen und direkt zur Quelle zurücklaufen, von woher es [sc. Hos 11,1 und Ri 13,5 in Mt 2,15 bzw. 23] von den Evangelisten genommen wurde.). Vgl. NEWTON, Influences, 25. Den Unterschied, den Hieronymus zwischen hebräischem Text und Septuaginta sieht, charakterisiert NEWTON treffend als Unterschied zwischen „a certain and an uncertain text“ (Influences, 23). Zum Umgang des Kirchenvaters mit alttestamentlichen Zitaten im Neuen Testament vgl. KATO, Jerome’s Understanding, 295. 328 Vgl. hierzu KAMESAR, Jerome, 22ff. 329 Zur Diskussion vgl. KAMESAR, Jerome, 7. Er setzt sich intensiv mit den entgegenstehenden Meinungen NAUTINS und BARTHÉLMYS auseinander. Auch wenn strittig ist, ob Origenes einen „korrigierten“ oder einen „reinen“ Septuaginta-Text bereitstellen wollte, bleibt seine Arbeit „LXX-centred“.

84

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Theodotion im Zentrum stehen. Anschließend werden Stellen analysiert, an denen die Übersetzung des Hieronymus auf mehrere gleichlautende oder ähnliche Versionen der recentiores zurückgreift oder auf hexaplarisches Material, das ohne konkrete Zuordnung zu einem der griechischen jüdischen Übersetzer überliefert ist. Finden sich an diesen Stellen parallele Traditionen in weiteren jüdischen, z.B. rabbinischen Texten, wird dies angesprochen. Alle Beobachtungen zur Hexapla werden anschließend in Abschnitt (C.I.7.) gebündelt. In einem weiteren Kapitel (C.I.8.) werden Bibeltexte vorgestellt, in denen Einflüsse jüdischer Traditionen zu erkennen sind, die sich auch in hellenistisch-jüdischen oder rabbinischen Texten finden. Gerade bei letzteren ist es wahrscheinlich, dass Hieronymus durch die Vermittlung seiner jüdischen Lehrer Informationen erhalten hat. Bei der Analyse der Stellen ist jeweils angemerkt, ob Hieronymus diese trotz anderslautender hexaplarischer Texte heranzieht, oder ob keine recentiores überliefert sind, sodass nur vermutet werden kann, auf welchem Wege Hieronymus die exegetischen Informationen und Auslegungstraditionen erreicht haben. Der Teil C.II. wird sich im Anschluss daran mit Stellen beschäftigen, bei denen Abweichungen vom hebräischen Text nachzuweisen sind.

C.I.1.

Hieronymus und der hebräische Text des AT

Bevor in Abschnitt C.I.1.2 an Beispielen aus dem Deuteronomium Iuxta Hebraeos gezeigt werden wird, wie sich Hieronymus an seiner hebräischen Vorlage orientiert, möchte ich auf einige Probleme eingehen, die sich aus der im Teil C.I.1.1 dargestellten Konzeption der hebraica veritas und ihrer Entwicklung bei Hieronymus ergeben. Zu Beginn soll die Frage stehen, welches Gewicht Argumentationsmustern in Hieronymus’ Œuvre beizumessen ist, die dem Konzept der hebraica veritas entgegen zu laufen scheinen, weil sie den hebräischen Text als feste Grundlage in Frage stellen. Dazu zähle ich einerseits die aus der Tradition christlicher Apologetik entnommene Behauptung, dass Juden hebräische Texte gefälscht haben. Auch zieht Hieronymus bisweilen in Betracht, dass sich durch die handschriftliche Textüberlieferung eine Vielfalt von unterschiedlichen hebräischen Texten gebildet haben könnte. Anschließend wende ich den Blick auf die Möglichkeiten einer historischen Rekonstruktion der Arbeit des Hieronymus an hebräischen Texten und frage, wie Hieronymus auf hebräische Texte zugreifen konnte und schließlich, in welcher Textform ihm diese mutmaßlich vorlagen.

C.I.1. HIERONYMUS UND DER HEBRÄISCHE TEXT

C.I.1.1

85

Konzeption und Realität

Textfälschung und Kopierfehler – bedrohte hebraica veritas? Hieronymus’ Aussagen zur hebraica veritas suggerieren, dass der hebräische Bibeltext im Unterschied zur Septuaginta nur in einer einzigen Textform existiert, und dass diese die „wahre“ und ursprüngliche darstellt. Dies widerspricht nicht nur den Erkenntnissen moderner Textforschung zum alttestamentlichen Kanon,330 auch bei Hieronymus selbst finden sich Spuren, die sein idealisierendes Bild von der hebraica veritas differenziert beschreiben: Zum einen nimmt er aus der christlichen Tradition das Motiv auf, Juden würden bewusst Textfälschung betreiben. Zum anderen spricht er nicht nur bei der Septuaginta, sondern auch im Blick auf den hebräischen Text ab und an von der Möglichkeit, dass bei der handschriftlichen Textüberlieferung unbewusst Fehler unterlaufen sein könnten.331 Wenden wir uns zunächst dem Fälschungsvorwurf zu. Der Vorstellung, dass Juden bewusst und systematisch biblische Texte fälschen, begegnet man bereits seit dem zweiten Jahrhundert häufig in der christlichen Apologetik.332 Oft werden 330 Neben der Familie der masoretischen Textform kennt die alttestamentliche Textforschung die Vorlage(n) der Septuaginta, Texte aus Qumran, den Samaritanischen Text usw. 331 Dass dies bei Hieronymus im Blick auf den hebräischen Text wesentlich seltener der Fall ist als bzgl. des griechischen Alten Testaments, hat, nebenbei bemerkt, auch pragmatische Gründe: Hieronymus hatte durch seine Reisen und durch die Arbeiten des Origenes eine Vielzahl von Möglichkeiten, differierende griechische Texte kennen zu lernen. Nach allem, was wir von ihm wissen, dürfte er wesentlich seltener hebräische Bibeltexte zu Gesicht bekommen haben als griechische, so dass sich schon dadurch bei ihm der Eindruck verstärkt, die Überlieferung hebräischer Texte sei einheitlicher. 332 Justin nennt in dial. 71,2; 72,1ff. griechische Textversionen, die angeblich von Juden aus ihren Bibeln getilgt wurden. Nach heutigem Kenntnisstand haben diese jedoch nie zum Bestand der Septuaginta gehört und stellen christliche Glossen dar. In anderen Fällen wirft er seinem jüdischen Gesprächspartner Trypho vor, einen abweichenden griechischen Text zu verwenden, in dem Worte nachträglich absichtlich verändert wurden. Auch für diese Unterschiede macht Justin Juden verantwortlich. In dial. 43,8 und 67,1 zu Jes 7,14 erwähnt Justin nicht ausdrücklich, ob er sich auf hebräische oder griechische Texte bezieht, auch in dial. 120,4ff. zu Mal 1,12 nicht. Dial. 124,2ff. zu Ps 82 bezieht sich ebenfalls auf Übersetzungen, da er mit ὡς μὲν ὑμεῖς ἐξηγεῖσθε (so, wie ihr es übersetzt) eingeleitet ist [ed. MARCOVICH, PTS 47, 284,5]. Auch dial. 131,1 zu Dtn 32,7–9 spricht wohl eher von Übersetzungen als vom hebräischen Text, da Justin schreibt: τὴν ὑμετέραν ἐξήγησιν εἶπον [ed. MARCOVICH, PTS 47, 296,9] (… habe ich über eure Ausgabe/Auslegung gesprochen.). Der zitierte griechische Text bei ihm entspricht Aquila und Symmachus. Der von Justin in dial. 137,3 als jüdisch bezeichnete Text ist auf Hebräisch nicht überliefert. Zum christlichen Verfälschungsvorwurf bei Justin vgl. auch SCHRECKENBERG, Adversus-Judaeos-Texte (1.–11.Jh.), 186.197; daneben SIMON, Verus Israel, 154. Eine monographische Bearbeitung des Fälschungsvorwurfes an Juden in antiken christlichen Texten ist m.W. noch nicht erstellt worden. Im Folgenden orientiere ich mich an dem Beitrag von ADLER, Jews as Falsifiers, passim. Auch Irenäus, adv.haer. III. 21,1 wirft den recentiores antichristliche Fälschungen bei der Übersetzung vor, jedoch nicht am hebräischen Text. Rufin (adv. Hier. 2,36) und auch Epiphanius (mens. 2) interpretieren die textkritische Arbeit des Origenes im Kontext von Textfälschungen: Dessen Ziel bei der Erarbeitung der Hexapla und der hexaplarischen Septuaginta sei es gewesen, zu zeigen, dass nicht die Christen, sondern die Juden vom wahren biblischen Text abwichen. Origenes selbst geht, wie ADLER (s.o.) zeigt, wesentlich skeptischer mit dem Argument jüdischer Schriftfälschungen um als seine Epigonen. Voraussetzung für dieses Urteil über Origenes ist allerdings, dass man die Textpassagen in hom. XVI in Ier. 10 für authentisch hält, obgleich sie lediglich in der Übersetzung und Überarbeitung des Hieronymus überliefert sind. Gleiches gilt für die projüdische Argu-

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C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Unterschiede zwischen den recentiores und der Septuaginta damit erklärt, dass die neueren griechischen Übersetzungen bewusste, antichristliche Fälschungen seien.333 Auch Hieronymus löst im Galater-Kommentar, textkritische Probleme bei den alttestamentlichen Zitaten durch diese Behauptung. Im Gegensatz zu Rufin, Justin und Epiphanius spricht er eindeutig von Fälschungen am hebräischen Text, was unter dem Gesichtspunkt der hebraica veritas besonders spannend ist.334 Schon deshalb lohnt sich ein ausführlicherer Blick auf seine Argumentation, zumal die Deuteronomium-Zitate im Galaterbrief außerdem für den in dieser Arbeit untersuchten Textkorpus relevant sind. Weiterhin lässt sich im Vergleich zwischen dem Galater-Kommentar und dem zwischen 403 und 410 entstandenen Jesaja-Kommentar deutlich erkennen, wie sich Hieronymus’ Argumentation und Wahrnehmung im Laufe der Zeit verschiebt und der Vorwurf der Textfälschung durch andere Argumentationsmuster verdrängt wird. Zeitgleich mit den übrigen Pauluskommentaren entsteht der GalaterKommentar um 386,335 d.h. während Hieronymus’ erster Jahre in Bethlehem, in denen sich bei ihm die Konzentration auf den hebräischen Text als veritas erst entwickelt. Blicken wir als erstes auf die Kommentierung von Gal 3,10: Zunächst erwähnt Hieronymus, er wolle nach seiner Gewohnheit (mos) in den ursprünglichen Schriften genau nachlesen, wie der im NT zitierte Text dort laute.336 Er stellt zu diesem Zweck den Vers Dtn 27,26 aus der Septuaginta den drei recentiores gegenüber, indem er diese vier Versionen in eigener lateinischer Übersetzung präsentiert.337 Diese Gegenüberstellung als solche wird von Hieronymus nicht kommentiert, wohl weil unmittelbar ins Auge sticht, dass Paulus „maledictus omnis, qui ...“ und die Septuaginta „maledictus omnis homo, qui ...“ lesen. Bei den recentiores beginnt der Satz jedoch mit „maledictus, qui ...“, die Worte omnis (homo) fehlen dort. Im Anschluss an diese Auflistung verschiedener Übersetzungen erwägt Hieronymus, dass die Unterschiede sich dadurch ergeben haben könnten, dass der Apostel den Schrifttext mehr dem Sinn als dem Wortlaut nach wiedergibt (sensum magis testimonii posuisse quam verba). Hieronymus ist offenbar nicht damit zufrieden ge-

333

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mentation des Alexandriners, die Hieronymus im Kommentar in Is. III ad 6,9 referiert. Es gibt jedoch in diesem Zusammenhang keinen Grund anzunehmen, dass Hieronymus Origenes nicht originalgetreu wiedergibt. Zu Justin s. oben. Hieronymus greift dies gegen Aquila zumindest an einer Stelle auf (ep. 32,1; s.u. S. 120). Im Gegensatz zu früheren christlichen Theologen erhebt Hieronymus jedoch, wenn er bei den recentiores auf eine Übersetzung trifft, die er für falsch oder antichristlich hält, gewöhnlich nicht den Vorwurf, es würde sich dabei um eine bewusste Textfälschung handeln. Von Textfälschungen am hebräischen Text spricht auch der anonyme Dialog zwischen Timotheus und Aquila (ed. CONYBEARE, 89–92). Aquila wird beschuldigt, nicht nur bei seiner Übersetzung Verweise auf Christus verschleiert zu haben, sondern sie auch aus hebräischen Texten gelöscht zu haben. Vgl. hierzu auch BAMMEL, Hexapla, 131. Auch Euseb wirft im Proömium zur p.e. Juden vor, hebräische Texte zu ihren Gunsten gefälscht zu haben. Im genannten Fall handelt es sich jedoch nicht um christologische Fragen, sondern um die Unterschiede in den Patriarchenchronologien zwischen dem hebräischen und dem griechischen Text. Euseb erhebt den Vorwurf, Juden hätten die Altersangaben verkürzt, um frühe Eheschließungen legitimieren zu können. Die Datierung folgt WILLIAMS, Monk, 281, und FÜRST, Von Origenes, 197. In Gal. II ad 3,10: recurram ad originales libros et diligenter inspiciam quomodo in suis locis scripta sunt [ed. VALLARSI, PL 26, 357B] (Ich werde zu den ursprünglichen Schriften zurück laufen und genau untersuchen, wie es an Ort und Stelle geschrieben steht.). Der Text in Gal 3,10 lautet: γέγραπται γὰρ ὅτι ἐπικατάρατος πᾶς ὃς οὐκ ἐμμένει πᾶσιν τοῖς γεγραμμένοις ἐν τῷ βιβλίῳ τοῦ νόμου τοῦ ποιῆσαι αὐτά (Denn es steht geschrieben: „Verflucht jeder, der nicht in allem bleibt, was in dem Buch des Gesetzes geschrieben steht, um es zu tun.“).

C.I.1. HIERONYMUS UND DER HEBRÄISCHE TEXT

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stellt, dass das Zitat bei Paulus der Septuaginta nahezu wörtlich entspricht. Er scheint vielmehr zu erwarten, dass der Apostel den Vers nach dem hebräischen Text zitiert, d.h. so, wie ihn die recentiores in griechischer Übersetzung repräsentieren. Diese Erwartung beschreibt Hieronymus auch einige Zeilen später explizit: Der Apostel, der der hebräischen Sprache kundig war,338 und äußerst gelehrt im Gesetz, hätte keine Worte zitiert, wenn sie im Hebräischen nicht enthalten gewesen wären.339 Doch die Erklärung, dass es sich in Gal 3,10 nicht um ein wörtliches Zitat, sondern um eine Paraphrase des Hebräischen handelt, befriedigt Hieronymus nicht, denn er sucht weiter nach Lösungen für das textkritische Problem. Seine Aufmerksamkeit richtet sich nun nicht mehr auf das Zitat bei Paulus, sondern auf mögliche Gründe für Unterschiede zwischen der Septuaginta und den jüngeren griechischen Versionen. Dabei kommt implizit auch der hebräische Text in den Blick, dem sich Hieronymus über die recentiores nähert:340 Et incertum habemus, utrum septuaginta interpretes addiderint „omnis homo“ et in „omnibus“, an in veteri hebraico ita fuerit et postea a Iudaeis deletum sit.341 Und wir sind uns nicht sicher, ob entweder die siebzig Übersetzer das „jeder Mensch“ und das „in allen [sc. Gesetzen]“ hinzugefügt haben, oder ob es im alten hebräischen [Text] so gewesen ist und später von den Juden gelöscht wurde.

Zwei Möglichkeiten nennt Hieronymus – die Entscheidung bleibt zunächst offen: Der Unterschied zwischen Septuaginta und den anderen Texten könnte entweder darauf beruhen, dass (a) die Übersetzer der Septuaginta durch einen Einschub interpretierend eingegriffen haben (addiderint),342 oder darauf, dass (b) Juden die strittigen Textstellen nachträglich (postea) gelöscht haben. Hieronymus führt nicht explizit aus, ob er sich vorstellt, dass diese Textfälschung bereits am hebräischen Text oder beim Übersetzen durch Aquila, Symmachus und Theodotion geschehen ist. Dafür, dass er an einen Eingriff in den hebräischen Text denkt, spricht nicht nur, dass bei allen drei der recentiores genau dieselbe Veränderung zu finden ist. Hieronymus zieht überdies im Anschluss einen hebräischen Text aus dem samaritanischen Pentateuch zum Vergleich heran, den er für nicht gefälscht hält.343 Dort findet er nämlich das strittige Wort %#, das auch in der Septuaginta und bei Paulus vorkommt. Hierdurch sieht sich Hieronymus darin bestätigt, dass das textkritische Problem nicht dadurch zu lösen ist, dass man annimmt, erst die siebzig Alexandriner hätten das Wort ergänzt. Vielmehr schließt Hieronymus aus dem 338 Dies schließt Hieronymus wohl daraus, dass Paulus sich in Phil 3,5 als Ἑβραῖος ἐξ Ἑβραίων, κατὰ νόμον Φαρισαῖος bezeichnet. 339 In Gal. II ad 3,10: In hanc me autem suspicionem illa res stimulat, quod verbum, omnis et in omnibus, (…) apostolus vir hebraeae peritiae et in lege doctissimus, nunquam protulisset nisi in hebraeis voluminibus haberetur [ed. VALLARSI, PL 26, 357C] (Zu dieser Vermutung [sc. dem Fälschungsvorwurf] aber treibt mich jene Tatsache, dass der Apostel, der Kenntnis des Hebräischen hatte und im Gesetz sehr gelehrt war, das Wort „omnis“ und „in omnibus“ niemals erwähnt hätte, wenn es nicht in den hebräischen Schriften enthalten wäre.). 340 Der hebräische Text entspricht in der Form, die Hieronymus vorliegt, den recentiores. An dieser Stelle lässt sich, nebenbei bemerkt, eindeutig zeigen, dass die hebräische Textversion, die Hieronymus verwendet, dem masoretischen Text entspricht. 341 In Gal. II ad 3,10 [ed. VALLARSI, PL 26, 357C]. 342 Von solchen Veränderungen aus stilistischen oder auch theologischen oder apologetischen Gründen spricht Hieronymus andernorts auch (s.u. S. 210). 343 Auch wenn Hieronymus diesen gelegentlich erwähnt, erhalten wir von ihm keine Informationen, ob er zu einem kompletten samaritanischen Pentateuch Zugang hat, oder nur über Einzelinformationen aus anderen Quellen verfügt.

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samaritanischen Text, dass im hebräischen Text eine Fälschung vorliegt, die auch die recentiores aus ihrer hebräischen Vorlage übernehmen. Er nennt dafür abschließend einen inhaltlichen Grund, wohl um zu bekräftigen, dass es sich nicht um eine zufällige oder unabsichtliche Abweichung wie einen Abschreibfehler handeln kann: Die Juden hätten die Worte ausgelassen, damit nicht der Anschein entstehe, sie stünden selbst unter dem in Dtn 27 erwähnten Fluch, der „jeden (%#) trifft, der nicht alles tut, was im Gesetz geschrieben steht“. Denn auch die Juden würden, so Hieronymus weiter, nicht alle Gebote des Gesetzes erfüllen. Abschließend wiederholt er den Fälschungsvorwurf und fügt an, die Juden hätten die betreffenden Worte vergeblich gelöscht (frustra igitur tulerunt Iudaei)344 – sowohl den Fluch über sie hält er für bestätigt als auch ihre Fälschung für entlarvt. Hieronymus nimmt hier vorgeprägte christliche Argumentationsmuster auf, jedoch nicht vorschnell, sondern erst, nachdem er auch andere Lösungsmöglichkeiten in Erwägung gezogen und die Texte geprüft hat. Den Ausschlag für seine Entscheidung gibt letztlich, was er in jenem samaritanischen Text in hebräischer Sprache findet. Auffällig an der Darstellung ist, dass Hieronymus zwar davon spricht, dass Juden Texte fälschen, aber nicht explizit erwähnt, ob er dabei an den hebräischen Text oder an eine griechische Übersetzung denkt. Dies zu ergänzen bleibt der Leserschaft überlassen.345 Im Verlauf seiner Arbeit am Galaterbrief stößt Hieronymus noch auf ein weiteres Dtn-Zitat, nämlich die von Paulus verwendete Version von Dtn 21,23aβ in Gal 3,13. Sie lautet:346 ἐπικατάρατος πᾶς ὁ κρεμάμενος ἐπὶ ξύλου (Verflucht jeder, der am Holz hängt!). Auch in diesem Zusammenhang erhebt Hieronymus gegenüber „den Juden“ den Vorwurf, Texte gefälscht zu haben, um so Unterschiede in den Texttraditionen zu erklären. Das zugrunde liegende textliche Problem ist vielschichtiger als im Fall von Gal 3,10. Die paulinische Version entspricht nämlich weder exakt der hebräischen noch einer der griechischen.347 In der Septuaginta findet sich ein zusätzliches ὑπὸ θεοῦ nach dem ersten Wort (sc. ἐπικατάρατος).348 Dies ist auch im wesentlich kürzeren hebräischen Text (7%%3 !%7 '!%) enthalten. Dort aber lässt sich keine Entsprechung für das Attribut πᾶς und für die Adverbiale ἐπὶ ξύλου finden, wie Paulus mit der Septuaginta liest. Nachdem Hieronymus diese Unterschiede beschrieben hat, verweist er auf weitere Übersetzungen und Zeugnisse, auf die recentiores, einen Hebraeus und weitere Zitate.349 Anschließend durchdenkt er mehrere Möglichkeiten, um diese Konstellation zu erklären.

344 In Gal. II ad 3,10 [ed. VALLARSI, PL 26, 357C]. 345 Der Galaterkommentar ist Paula und Eustochium in Rom gewidmet (in Gal. prol. 1ff.). 346 In der ursprünglichen Versaufteilung des Hieronymus im Galater-Kommentar, dem die Ausgabe VALLARSI (1845) folgt, gehört das Dtn-Zitat inklusive Einleitung (quia scriptum est …) schon zu Gal 3,14. Bei WEBER/GRYSON ist die Verszählung an die im griechischen NT übliche angepasst. 347 Es handelt sich um folgende Textversionen. Gal 3,13: ἐπικατάρατος πᾶς ὁ κρεμάμενος ἐπὶ ξύλου („Verflucht jeder, der am Holz hängt!”). Dtn 21,23 (LXX): κεκατηραμένος ὑπὸ θεοῦ πᾶς κρεμάμενος ἐπὶ ξύλου („Von Gott verflucht ist jeder, der am Holz hängt.“). Der sehr viel kürzere masoretische Text z.St. lautet: !%7'!%7%%3 („Ein Gottesfluch ist der Gehängte.“). 348 Auch die handschriftliche Überlieferung der Septuaginta bezeugt keine Varianten, die Vorbild für die paulinische Version gewesen sein könnten (Vgl. WEVERS, Deuteronomium, z.St.). 349 Genaueres vgl. in der Analyse der Textstellen s.u. S. 228f.

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Den Autoren des NT könnten (a) andere Versionen der hebräischen Texte vorgelegen haben als ihm gegenwärtig,350 oder sie könnten (b) nach dem Sinn statt wörtlich übersetzt haben.351 Für wahrscheinlicher hält Hieronymus aber (c) eine absichtliche Textfälschung: … aut quod magis est aestimandum, post passionem Christi et in hebraeis et in nostris codicibus ab aliquo dei nomen appositum, ut infamiam nobis inureret, qui in Christum maledictum a deo credimus. Audaci itaque pede ad hoc procedo certamen, ut ad libros provocem, nullo loco scriptum, a deo quemquam esse maledictum, et ubicunque maledictio ponitur, nunquam dei nomen adiunctum.352 … oder aber, was für wahrscheinlicher zu halten ist: Nach der Passion Christi wurde sowohl in den hebräischen als auch in unseren Büchern von irgendjemandem das Wort „Gott“ hinzugefügt, damit üble Nachrede gegen uns entbrenne, die wir an einen von Gott verfluchten Christus glauben. Daher eile ich mit wagemutigem Fuß in dieses Gefecht, um bei den [biblischen] Büchern Berufung einzulegen, dass nämlich an keiner Stelle geschrieben sei, dass irgendjemand von Gott verflucht wäre, und dass nirgends, wo auch immer „Fluch“ steht, das Wort „Gott“ damit verbunden sei.

Der Vorwurf der Textfälschung erscheint als letztes von mehreren Erklärungsmodellen, wie schon bei dem Beispiel aus Gal 3,10. Und wieder nennt Hieronymus einen Grund für die Fälschung: Man will mit der Textveränderung dem Ansehen des christlichen Glaubens schaden. Hieronymus geht also davon aus, dass die Fälschung am alttestamentlichen Text erst in nachchristlicher Zeit geschehen ist, da noch Paulus ihn korrekt wiedergibt. Außerdem geschieht diese Fälschung gleichermaßen in hebräischen wie in „unseren“ Büchern, d.h. in der im Christentum rezipierten Septuaginta. Um sein Argument noch weiter zu bekräftigen, führt er im Anschluss konkordanzartig weitere alttestamentliche Stellen als Beweis dafür an, dass die biblischen Schriften nirgends formulierten, jemand sei „von Gott“ verflucht.353 Auch diese Beobachtung spricht aus Sicht des Hieronymus dafür, dass diese Formulierung nicht zum Bestand des originalen hebräischen Texts gehört, sondern später eingefügt wurde. Er hält es in diesem Fall offenbar für möglich, dass gleichzeitig hebräische und griechische Bibelausgaben bewusst gefälscht wurden, verliert aber kein Wort darüber, wie dies technisch und praktisch möglich war. Auch wenn Hieronymus nicht explizit von Juden spricht, die die hebräischen Texte fälschen, ist m.E. anzunehmen, dass er diese – als hebräischkundige theologische Opposition gegenüber dem Christentum – meint.354 Wie gezeigt, bedient sich Hieronymus im Galater-Kommentar mehrfach direkt oder indirekt des traditionellen Vorwurfs, Juden würden Bibeltexte fälschen, 350 Obgleich Hieronymus an dieser Stelle diese Möglichkeit nicht weiter ausführt, spricht auch sie dafür, dass er mit einer möglichen Vielfalt hebräischer Texte rechnet (s.u. S. 82). 351 In Gal. II ad 3,13: Ex quo mihi videtur aut veteres Hebraeorum libros aliter habuisse quam nunc habent aut Apostolum, ut ante iam dixi, sensum scripturarum posuisse non verba [ed. VALLARSI, PL 26, 363A] (Daher scheint mir, dass entweder die alten Bücher der Hebräer es anders enthielten, als sie es jetzt haben, oder dass der Apostel, wie ich schon zuvor gesagt habe, den Sinn der Schriftstellen wiedergegeben hat, nicht die Worte.). Vgl. zum Folgenden auch KEDAR, Divergent Readings, 209. 352 In Gal. II ad 3,13 [ed. VALLARSI, PL 26, 363A]. 353 Hieronymus übergeht oder übersieht dabei freilich die, wenn auch wenigen, Stellen, an denen Gott im AT (ver-)flucht. Man denke an den Fluch über die Schlange in Gen 3,14, aber auch an Jer 11,3 und Sir 3,16. 354 Auf Häretiker lässt sich die Argumentation nicht beziehen, da es explizit um hebräische Texte geht.

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der bereits in der Apologetik des zweiten Jahrhunderts bei christlichen Autoren wie Justin und Irenäus verbreitet ist. Mit Blick auf das Konzept der hebraica veritas, das Hieronymus in den Jahren nach dem Galater-Kommentar entwickelt und vertieft, heißt das, dass er zumindest in früheren Schriften mit Denkmodellen wie dem Fälschungsvorwurf arbeitet, durch die der hebräische Text als einheitlicher und wahrer in Frage gestellt wird. Im Laufe der Zeit scheinen aber diese Bedenken in den Hintergrund getreten zu sein: Bei der Übersetzung des Deuteronomiums ΙΗ, die mehr als zehn Jahre nach dem Galater-Kommentar entsteht, orientiert sich Hieronymus im Falle von Dtn 21,23 an der von ihm vormals als Fälschung deklarierten Form.355 Auch Dtn 27,26 übernimmt er aus der „gefälschten“, vom hebräischen und den recentiores bezeugten Version, d.h. ohne das Adjektiv omnis (bzw. %#/πᾶς): maledictus qui non permanet in sermonibus legis huius. Diesen letzten Beobachtungen an der Pentateuchübersetzung, die Hieronymus in den Jahren nach 400 anfertigte, entspricht seine Arbeit im Jesaja-Kommentar, der im Anschluss entstanden ist. Hier begegnet Hieronymus das exegetische Problem, dass Paulus in seiner Rede vor jüdischen Würdenträgern in Rom (Act 28,26) bei einem Schriftbeweis die Verse Jes 6,9f. nach der Septuaginta zitiert, und nicht nach dem anderslautenden hebräischen Text.356 Hieronymus erklärt dies zunächst damit, dass das Hebräische an dieser Stelle unverständlich sei. Im Folgenden warnt er davor zu behaupten, dass diese Textpassage durch Juden gefälscht sei. Dazu beruft er sich auf eine Argumentation von Origenes, die er dessen Jesaja-Kommentierung entnimmt. Origenes halte es für unangebracht, Textfälschungen als Erklärungsmuster für textkritische Probleme anzunehmen.357 Als Begründung führt er ins Feld: Hätten Juden die Bibeltexte vor der Zeit Christi und der Apostel gefälscht, dann müsste man im Neuen Testament dies unter den Vorwürfen Jesu an die Schriftgelehrten und Pharisäer bzw. die Juden erwähnt finden. Wären die Texte erst nach der Zeit der Apostel gefälscht worden, so hätten diese oder Jesus selbst die Christen davor gewarnt, dass solches geschehen würde. Hieronymus schließt sich dieser Argumentation seines alexandrinischen Vorbilds an. Möglicherweise ist durch diesen Sinneswandel auch zu erklären, dass die im Galater-Kommentar geäußerten Ideen keinen Einfluss auf die spätere Übersetzung IH haben. Im Blick auf Hieronymus’ Umgang mit den Fälschungsvorwürfen hat sich anhand der beiden Stichproben gezeigt, dass er dieses aus der Tradition übernommene Argument kennt und in einem frühen Werk übernimmt. Auffällig dabei ist, dass er in den beiden untersuchten Fällen (Gal 3,10.13) hinter der Fälschung einen antichristlichen Impetus vermutet und diesen reformuliert. Eine weitere wichtige Rolle spielt, dass er in einem samaritanischen Text eine abweichende hebräische Textversion findet, die er für nicht gefälscht hält. Wie am Jesaja-Kommentar veranschaulicht wurde, kommt es für ihn in späteren Werken nicht mehr in Frage, den Fälschungsvorwurf zu erheben. Er lehnt es mit dem o.g. von Origenes übernommenen theologischen Argument ab, dass eine Warnung vor jüdischen Textfälschungen als Hinweis für die christliche Kirche im NT fehle. 355 Zur Einzelanalyse der Stelle s.u. S. 228. 356 In Is. III ad 6,9. 357 Das von Hieronymus erwähnte achte Buch des Jesaja-Kommentars des Origenes ist, wie das gesamte Werk, verschollen.

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Diese Position in seinem Spätwerk teilt Hieronymus in seltener Einmütigkeit mit seinem Zeitgenossen Augustin. Dieser nämlich lehnt den Fälschungsvorwurf ebenfalls ab, folgt in der Begründung jedoch nicht Origenes, sondern hält es aus praktischen Gründen für nicht tragfähig, hätten doch die Juden überall alle vorhandenen Abschriften ihrer eigenen Schriften fälschen müssen.358 Augustin löst das Ausgangsproblem, dass hebräischer und Septuaginta-Text sich unterscheiden, harmonistisch: Im ursprünglichen hebräischen Text habe der eine göttliche Geist durch die Propheten, also die Autoren der atl. Schriften, gesprochen. In der griechischen Version verschaffe sich derselbe göttliche Geist durch die siebzig inspirierten Übersetzer Gehör.359 So begründet und bejaht Augustin gewissermaßen eine Pluriformität der Heiligen Schrift, interessiert sich jedoch philologisch in viel geringerem Maße als Hieronymus für textkritische Fragestellungen. Wenden wir den Blick von den Fälschungsvorwürfen zu dem Problem unabsichtlicher Fehler bei der Überlieferung hebräischer Texte. In Schriften aus verschiedenen Schaffensperioden scheint Hieronymus damit zu rechnen, dass es unterschiedliche hebräische Textvarianten geben könnte, obwohl diese Sichtweise sich systematisch schwer mit dem Konzept der einen, wahren und zuverlässig überlieferten hebraica veritas vereinbaren lässt. Bei der o.g. Stelle im Galater-Kommentar, an der Hieronymus als Lösungsmöglichkeit anführt, Paulus könnte andere hebräische Texte verwendet haben als die heutigen, begegnet dieses Erklärungsmodell als Alternative dazu, dass gefälschte Texte vorliegen.360 An anderen Stellen, wie im Kommentar zu Hab 2,19, nennt Hieronymus zwei hebräische Varianten, ohne die Möglichkeit bewusster Fälschung zu erwähnen.361 Die Rede von „quaedam hebraica volumina“ zeigt, dass sich Hieronymus der Möglichkeit einer Pluriformität des hebräischen Texts bewusst ist. Er erwähnt nicht, ob er die Versionen selbst kennt oder gesehen hat, doch entscheidend ist dabei, dass er trotz der Idealisierung des hebräischen Texts um dessen mögliches Ungenügen weiß, sei es durch Fälschung oder durch unzuverlässige Transmission. Ebenso verhält es sich in den Quaestiones Hebraicae zu Gen 23,16f.362 Oben wurde schon erwähnt, dass er auch eine hebräische Textvariante samaritanischer Provenienz kennt. Auch diese ist Teil einer gewissen Vielfalt an hebräischen Texten, um die Hieronymus weiß und mit denen er arbeitet – trotzdem hält er an dem Konzept einer einheitlich überlieferten hebraica veritas als Textbasis fest. Aufgrund dieser Beobachtungen ist festzuhalten, dass Hieronymus mit hebraica veritas eher ein Konzept oder eine Idee bezeichnet als einen konkreten, ihm vorliegenden Text: Nämlich den ursprünglichen, unverfälschten hebräischen Text, der gewissermaßen durch „Abzug“ möglicher jüdischen Fälschungen rekonstruierbar ist.

358 So in civ. Dei XV 13. Zu Augustin vgl. VELTRI, Libraries and Canon, 67ff. und HENGEL, Septuaginta, 212ff. 359 Altitudo ibi prophetica esse credenda (civ. Dei XVIII 43 [ed. DOMBART/KALB, CChr.SL 48, 639,25]). 360 So schon SUTCLIFFE, Manuscripts, 198. Vgl. KEDAR, Latin Translations, 322. 361 In Hab. I ad 2,19: Praeterea sciendum in quibusdam hebraicis voluminibus non esse additum ‚omnis‘ sed absolute ‚spiritus‘ legi [ed. ADRIAEN, CChr.SL 76A, 588,814] (Außerdem muss man wissen, dass in bestimmten hebräischen Ausgaben kein „omnis“ hinzugefügt ist, sondern nur „spiritus“ zu lesen ist.). 362 Vgl. GRAVES, Philology, 54.

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Hieronymus’ Zugang zu hebräischen Texten Im Blick auf Hieronymus’ Arbeit mit hebräischen Texten stellt sich weiterhin die Frage, woher Hieronymus hebräische Bibeltexte bezog.363 Obwohl er nachdrücklich betont, wie wichtig die Orientierung am hebräischen Bibeltext als der veritas für die christliche Kirche sei, lassen sich nur sehr wenige Hinweisen darauf finden, woher er ihn bezogen hat:364 Dass er hebräische Bibeltexte erwirbt oder kopiert, erwähnt er an keiner Stelle.365 In wenigen anderen Fällen erwähnt er nicht-biblische Texte in hebräischer Sprache, die er verwendet oder erhält. Hieraus können Schlüsse gezogen werden, wie es sich möglicherweise mit biblischen Texten verhält. Prominent in diesem Zusammenhang ist ep. 36, adressiert an den römischen Bischof Damasus. Diesem berichtet Hieronymus, dass ein Hebraeus ihm nachts nicht näher genannte Schriften bringt, die dieser unter einem Vorwand aus einer Synagoge erhalten habe.366 Wie Hieronymus später im Brief erwähnt (ep. 36,4), handelt es sich dabei nicht um Bibeltexte, sondern wohl um haggadische Werke, denn Hieronymus referiert eine apokryphe Tradition zur Erklärung eines exegetischen Problems, die aus dem durch den Boten übermittelten Buch stammt.367 In anderen Kontexten erwähnt Hieronymus das aramäische HebräerEvangelium,368 das sich in der Bibliothek von Caesarea befindet. Hieronymus berichtet, es schon vor seinem Eintreffen im Heiligen Land von Nazarenern aus Beroea in Syrien abgeschrieben zu haben. In seinem Matthäus-Kommentar nennt er des Weiteren ein Jeremia-Apokryphon.369 Auch eine parva Genesis, wohl eine Bezeichnung für das Jubiläenbuch, kennt Hieronymus offenbar auf Hebräisch.370 363 Ep. 112,19. 364 Betreffs der biblischen Handschriften in Hieronymus’ Bibliothek urteilt WILLIAMS (Monk, 147f.) „It is surprisingly difficult to detail the Biblical manuscripts that Jerome had on hand.“ 365 Mit FÜRST (Hieronymus, 67) u.a. ist jedoch davon auszugehen, dass Hieronymus schon während seines Aufenthaltes in Rom in den 380er Jahren hebräische Bibeltexte zur Hand hatte. 366 Vgl. VACCARI, I Fattori, 457ff., und diesen aufnehmend GRAVES, Philology, 92f. 367 Es handelt sich um die Frage, was in Gen 4,15 damit gemeint sei, dass ein Mord an Kain von Gott siebenmal gerächt werde. 368 Hieronymus erwähnt es in vir. ill. 3. Vgl. hierzu THORNTON, Jerome and the „Hebrew Gospel according to Matthew“, 118–122. Zur Frage, ob es sich dabei um ein nicht-griechisches Matthäusevangelium oder das Hebräer-Evangelium handelt, vgl. (inkl. Literatur) FÜRST, Hieronymus, 68ff. 369 In Mat. IV ad 27,10: Legi nuper in quodam hebraico volumine, quem Nazarenae sectae mihi Hebraeus obtulit, Hieremiae apocryphum, in quo haec ad verbum scripta repperi [ed. BONNARD, SC 259, 276f., 62–65] (Neulich las ich in einem gewissen hebräischen Buch, welches mir ein Hebräer aus der Sekte der Nazarener brachte, ein apokryphes Jeremiabuch, in dem ich dies zu dem Wort geschrieben fand.). GRAVES (Philology, 91) hält es für möglich, dass Hieronymus hier die Wahrheit sagt. BARDY dagegen (St. Jérôme, 161) nimmt an, dass Hieronymus den Hinweis aus Origenes’ Kommentar weiterspinnt. Origenes hatte gemutmaßt, das Zitat in Mt 27 sei möglicherweise in einem nicht-kanonischen Jeremia-Buch zu finden. Hieronymus erwähnt, dass er in jenem hebräischen Jeremia-Apokryphon das Zitat „und ich nahm die dreißig Silberstücke …“ gelesen habe. Diesen Satz legt das Matthäusevanglium dem Propheten Jeremia in den Mund, obgleich er im kanonischen Jeremiabuch weder in seiner griechischen noch in seiner hebräischen Fassung enthalten ist. 370 Ep. 78,20.26. Vgl. GRAVES, Philology, 92. GRAVES und auch VACCARI (I Fattori, 474) machen darauf aufmerksam, dass es sich bei dem von Hieronymus Erwähnten nicht um eine bloße Rezeption von Origenes handelt, sondern dass er selbst Zitate aus dem Jubiläenbuch, das er parva Genesis nennt, einfügt. Diese gehen deutlich über das hinaus, was sich bei Origenes findet.

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Zu Bibeltexten auf Hebräisch scheint Hieronymus spätestens seit seiner Zeit in Rom Anfang der 380er Jahre Zugang gehabt zu haben, wie sich aus der Verwendung hebräischer Texte und Begriffe in seinen Briefen schließen lässt. Nicht auszuschließen ist, dass ihm zunächst kein separater hebräischer Text vorliegt, sondern er sich der ersten Spalte der Hexapla bedient.371 Doch auch sein Zugang zu hexaplarischen Texten ist ähnlich schwierig zu rekonstruieren wie der zu hebräischen Bibeltexten (s.u.). MEGAN H. WILLIAMS plausibilisiert die These, dass Hieronymus wohl deshalb nicht häufig darüber spricht, welche Texte er besitzt, weil bekannt war, wie teuer die Anschaffung war und dies seiner Selbstinszenierung als Asket entgegen laufen würde.372 Aus der Tatsache, dass Kopisten teuer und meist des Hebräischen nicht mächtig waren, mutmaßt SUTCLIFFE, dass Hieronymus hebräische Bibeltexte eigenhändig kopiert hat.373 Auch wenn Hieronymus es selbst nie bestätigt oder negiert, ist davon auszugehen, dass er die hebräischen Bibeltexte dauerhaft besaß.374 Dies würde zumindest gut dazu passen, dass er die Schriftrolle, die ihm in Rom aus der Synagoge geliehen wurde (ep. 36,2), und das hebräische Evangelium der Nazarener (vir. ill. 3) selbst abschrieb. K EDAR-KOPFSTEIN entwickelt für das von ihm untersuchte Jesajabuch ein zweistufiges Modell: Zunächst arbeitet Hieronymus mit geliehenen, später mit eigens erworbenen Manuskripten. Er beobachtet, dass Hieronymus während der Arbeit an seinem Jesaja-Kommentar den lateinischen Bibeltext (IH), den er etwa fünfzehn Jahre zuvor übersetzt hat, nicht immer rezipiert, zum Teil korrigiert und Abweichungen zu seiner jetzigen Übersetzung diagnostiziert. Aus der Tatsache, dass Hieronymus selbst nicht immer nachvollziehen kann, wodurch die Abweichungen zwischen seiner bereits fertiggestellten Übersetzung und dem hebräischen Text, der ihm bei der Arbeit am Kommentar vorliegt, entstanden sind, zieht K EDAR folgenden Schluss: Die Übersetzung des Jesajabuchs IH fußt auf einer anderen hebräischen Vorlage, auch wenn Hieronymus selbst dies nicht in Betracht zieht.375 Zur Zeit der Arbeit am Jesaja-Kommentar liegen ihm dann nach K EDARS Ansicht kostspieligere, bessere Manuskripte aus eigenem Besitz vor, die dem masoretischen Text ähnlicher sind: „It may be assumed that in a more advanced stage of his life, when the great Latin Translator could afford to acquire less popular and more exact MSS, he approached the textus receptus.“376 Die Argumentation im Beitrag KEDARS hat mehrere Schwachstellen: Zum einen zieht er nicht die Möglichkeit in Betracht, dass Hieronymus’ Zugang zum Hebräischen zunächst über die Hexapla erfolgt sein könnte, oder dass er selbst Kopien angefertigt habe. Zudem ist die Annahme, Hieronymus hätte zu einem 371 Zu in Tit. ad 3,9 [ed. VALLARSI, PL 26, 595B] bemerkt SUTCLIFFE (Manuscripts, 198) dass Hieronymus auch (aber nicht ausschließlich) über die Hexapla Zugriff auf den MT hat. Ob es für Hieronymus in Rom einfacher war, Zugang zu hexaplarischem Material zu haben oder sich hebräische Texte zu verschaffen, muss offen bleiben, da er sich selbst nicht dazu äußert. 372 Einblick in die Bibliothek des Hieronymus gibt auch FÜRST, Hieronymus 65ff. Zum Preis antiker Bücher vgl. DEKKERS, Prix, passim; MRATSCHEK, Codices, 378ff.. Hieronymus versucht alle greifbaren Bücher des Origenes zu kaufen und gibt an, sich dabei finanziell fast ruiniert zu haben (ep. 84,3 [ed. LABOURT Bd. IV, 128,5ff.]). 373 SUTCLIFFE, Manuscripts, 196. 374 Zuerst findet sich diese Einschätzung bei VACCARI, I Fattori, Biblica I (1920), 473. Dagegen steht die Behauptung von CAVALLERA, dass sie in synagogalem Besitz seien (Saint Jérôme I, 24), was jedoch nicht näher begründet wird. 375 Vgl. KEDAR, Divergent Readings, 208ff. 376 Vgl. KEDAR, Divergent Readings, 210, Kursivdruck im Original.

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späteren Zeitpunkt seines Lebens kostspieligere Texte käuflich erwerben können, unbegründet. Auch basiert die These auf der Einschätzung, dass schon zur Zeit des Hieronymus hebräische Manuskripte dadurch kostspieliger wurden, dass sie dem masoretischen textus receptus mehr entsprachen, was anachronistisch ist. Auch ohne die Detailanalyse KEDARS zu wiederholen, könnten die Verbesserungen, die Hieronymus im Jesaja-Kommentar vornimmt, nicht zuletzt seinem in den dazwischen liegenden fünfzehn Jahren gereiften Verständnis der hebräischen Sprache und seiner zunehmenden Unabhängigkeit von der Septuaginta geschuldet sein. Derjenige Text des Kirchenvaters, der vielleicht am deutlichsten in seine „Werkstatt“ blicken lässt, stammt aus der Vorrede zum Ezechiel-Kommentar: Hier beklagt er, wie schwierig es für ihn sei, die sehr kleinen hebräischen Buchstaben bei Kerzenlicht zu lesen, da seine alten Augen zu schwach geworden seien.377 Daraus ist ebenfalls zu schließen, dass Hieronymus Abschriften des hebräischen Bibeltexts in seinen eigenen Räumen zur Verfügung hatte. Die von Hieronymus verwendete hebräische Textform Neben der Einschätzung des hebräischen Texts durch Hieronymus und der Frage nach seinem Zugang zu diesem soll nun in den Blick genommen werden, welche Textform die von Hieronymus verwendeten hebräischen Texte hatten. Auch hier kann sich einem sicheren Ergebnis nur angenähert werden, da aus dem späten vierten Jahrhundert keine handschriftlichen Vergleichstexte vorliegen. In der Forschung hat sich die Hypothese durchgesetzt, dass es sich bei der hebräischen Vorlage des Hieronymus um einen protomasoretischen Text handelt, der dem masoretischen sehr ähnlich ist.378 Intensiv bearbeitet und nachvollziehbar begründet hat dies BENJAMIN K EDAR in seiner Dissertation von 1968.379 Verwiesen wird in der Forschungsliteratur meist auf seinen leichter zugänglichen Beitrag „Latin Translations“, in dem er seine Ergebnisse über Hieronymus folgendermaßen zusammenfasst: „The Hebrew text he [sc. Hieronymus SW] had before him was much closer to, but by no means identical with the MT.“ 380 Doch die Rekonstruktion der Abweichungen vom masoretischen Text ist schwierig: Neben dem Fehlen von vormasoretischen Vergleichstexten − abgesehen von qumranischen − erweist sich auch die Rekonstruktion einer Vorlage aus Hieronymus’ übersetzten Texten methodisch als problematisch, da dieser stilistisch sehr frei mit seiner hebräischen Vorlage umgeht.381 Daher muss mit der Annahme eines vom MT abweichenden Quelltexts entsprechend vorsichtig umgegangen 377 In Ezech. VII praef. [ed. GLORIE, CChr.SL 75, 37,1026f.], entstanden zwischen 410 und 414 (nach WILLIAMS, Monk, 300). 378 KRAUSS, Exodus, 18; CAMERON, Vir tricultus, 13; GRAVES, Philology 54f. (der MT ist nach GRAVES „virtually equivalent to Jerome’s text“); VAN DER KOOIJ, 1981, 305; DE BRUIN, Traces, 23. Vgl. auch − als heuristisches Modell bei STUMMER, Einführung, 123. 379 KEDAR, Vulgate, 71. 380 KEDAR, Latin Translations, 322. 381 Die Einschätzung der Vielfalt oder der Stabilität des hebräischen Bibeltexts in der Spätantike ist auch aufgrund des Fehlens einer breiten handschriftlichen Textüberlieferung stark abhängig von der Sichtweise auf das palästinische Judentum. Entscheidend dabei sind die Fragen, wie repräsentativ die rabbinischen Kreise tatsächlich waren, welche Rolle der griechischen und welche der hebräischen Sprache beigemessen wurde, sowie, wie Texte vervielfältigt wurden.

C.I.1. HIERONYMUS UND DER HEBRÄISCHE TEXT

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werden.382 Stichhaltiger für Vergleiche und Rekonstruktionen sind diejenigen Passagen in exegetischen Werken, in denen Hieronymus den hebräischen Text transliteriert wiedergibt, oder die Namen einzelner Buchstaben erwähnt.383 Als eines der wenigen Beispiele, an denen Hieronymus nachweislich einen vom MT abweichenden Text verwendet, kann Jes 8,18 IH gelten.384 Dort ist die Übersetzung des Hieronymus dem Text der Jesajarolle 1QJesa aus Qumran näher als dem MT. Ein anderes Beispiel bildet Hiob 14,16. Hier geht Hieronymus’ Übersetzung auf die Variante 7 statt 7- zurück, eine nichtmasoretische Lesart, die u.a. auch in yBer 5:1 (9a) bezeugt ist.385 Doch da solche Beispiele vergleichsweise selten sind, soll im Folgenden der masoretische Text als Vergleichstext für Hieronymus herangezogen werden. Es ist weiterhin davon auszugehen, dass Hieronymus der hebräische Text als Konsonantentext vorlag,386 da sich die masoretische Punktationspraxis frühestens ab dem sechsten Jahrhundert nachweisen lässt. Auch Hieronymus’ eigenes Zeugnis spricht dafür. Er ist mit dem Problem unterschiedlicher Vokalisierungsmöglichkeiten des hebräischen Texts, auf welches die Masoreten reagieren, vertraut. Mehrfach nämlich nennt er Vokalisierungsalternativen für den hebräischen Text. Er gibt beispielsweise im Jeremia-Kommentar für die hebräische Konsonantenfolge 4 als Vokalisierungsmöglichkeiten „DABAR“, „DEBER“ und „DABBER“ an.387 Dass die Vokalisierung für die Bedeutung des Bibeltexts auch in theologischer Hinsicht entscheidend sein kann, behandelt Hieronymus z.B. in der Kommentierung von Jes 2,22. Hier behauptet er, die Juden hätten durch ihre favorisierte Vokalisierungsform den Text absichtlich antichristlich interpretiert, indem sie statt „BAMA“ ()‘ =‘ – Höhe) „BAMMA“ (V = – worin?)388 lesen.389 Die erste Version 382 Auf diese Schwierigkeit bei der Rekonstruktion einer hebräischen Vorlage, die Hieronymus bei seiner Übersetzung verwendete, macht bereits STUMMER aufmerksam (Einführung, 123). 383 Zu den Unschärfen, die durch die Transliteration, nicht nur von Vokalen, entstehen, vgl. erstmals J. BARR (St. Jerome and the Sounds of Hebrew, passim). 384 KEDAR, Latin Translations, 322. Der MT liest hier den Plural '!70)% 77% (zu Zeichen und Wundern), 1QJesa und auch Hieronymus haben Singular: 70)% 7%, in signum et in portentum (zu einem Zeichen und Wunder). 385 Weitere Stellen mit abweichendem Konsonantentext vgl. KEDAR-KOPFSTEIN, B.: Divergent Readings in Jerome’s Isaiah, Textus 4 (1964), 176–210. 386 Hierzu und im Folgenden vgl. SUTCLIFFE, Manuscripts, 200ff. 387 In Ier. II, 82 ad 9,22: verbum hebraicum, quod tribus litteris scribitur „daleth, beth, res“ – vocales enim in medio non habet –, pro consequentia et legentis arbitrio si legatur „dabar“, „sermonem“ significat, si „deber“, „mortem“, si „dabber“, „loquere“ [ed. REITER, CSEL 59, 126,2–5] (Das hebräische Wort, das mit den drei Buchstaben Daleth, Beth, Resh geschrieben wird – denn Vokale gibt es dazwischen nicht – bedeutet, entsprechend der Wortfolge und dem Willen des Lesenden [Folgendes:] Wenn man „dabar“ liest: „Wort“, wenn „deber“: „Tod“, und wenn man „dabber“ liest: „Rede!“), vgl. in Hab. 3,5 und in Is. 9,8ff. 388 Dass Hieronymus BAMMA und nicht BAMME oder BAMMAE schreibt, kann auf die ungenaue Transliteration von Vokalen ins Lateinische zurück geführt werden, oder dadurch erklärt werden, dass Hieronymus tatsächlich mit einer derartigen Aussprache vertraut ist. 389 In Is. I ad 2,22: Hoc praetermisere LXX et in graecis exemplaribus ab Origene sub asteriscis de editione Aquilae additum est, quod in hebraeo ita legitur: HEDALU LACHEM MEN AADAM ASER NASAMA BAAPHPHO CHI BAMA NESAB HU. Ubi nos diximus: excelsus reputatus est ipse, Aquila interpretatus est: in quo reputatus est iste. Verbum hebraicum BAMA vel ὕψωμα dicitur, id est excelsum, quod et in regnorum libris et in Hiezechiele legimus. Vel certe in quo et eisdem litteris scribitur beth, mem, he ac pro locorum qualitate, si voluerimus legere: in quo dicimus BAMMA; sin autem: excelsum vel excelsus, legimus BAMA. Intellegentes ergo Iudaei prophetiam esse de Christo, verbum ambiguum in deteriorem partem interpretati sunt, ut viderentur non laudare Christum, sed nihili pendere [ed. ADRIAEN, CChr.SL 73, 39f.,2–15]

96

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

versteht Hieronymus so, dass mit dem „hohen“ Menschen Christus gemeint ist.390 Dies umgeht, Hieronymus zufolge, die jüdische Lesepraxis durch eine andere Vokalisierung. bzw. in diesem Falle die Verdopplung des ). Sie liegt auch der Aquila-Version der Stelle zugrunde und stimmt mit der masoretischen Lesart überein, auch wenn die Transkription ins Lateinische nicht ganz exakt ist. Deutlich wird an diesem Beispiel, dass die Vokalisierung aus der Sicht des Hieronymus nicht Bestandteil des hebräischen Texts selbst ist, sondern eine zusätzliche Information und daher eine Interpretation darstellt. Außerdem weiß er zu berichten, dass die Aussprache der Vokale regionalen Unterschieden unterliegen kann. Dies illustriert er am Wort Salem, das andernorts auch Salim ausgesprochen werden könne.391 Über die Vokalisierung der hebräischen Texte ist er allem Anschein nach durch hebräische Lehrer informiert. Darüber hinaus ist damit zu rechnen, dass er sich Vokalisierungen über die zweite Spalte der Hexapla erschließt, welche den hebräischen Text in griechischer Umschrift enthält.392 Auch Aquila ist ihm bisweilen Vorbild für die Transkription von Worten, besonders Eigennamen. BARR hat nachgewiesen, dass Hieronymus Zugang zu einer Vokalisierung „from a central Palestinian tradition“ hat.393 Diese unterscheidet sich von der samaritanischen und von der des ägyptischen Judentums, z.T. auch von Aquila. Wie DE BRUIN gezeigt hat,394 lassen sich sogar Spuren der masoretischen Vers- und Abschnittsaufteilung in den Kommentaren des Kirchenvaters finden.

390 391

392

393 394

(Dies [sc. Vers 22] übergehen die Siebzig, und in den griechischen Ausgaben von Origenes ist unter Asterisken aus der Aquila-Ausgabe hinzugefügt, was im Hebräischen so heißt: „HEDALU LACHEM MEN AADAM ASER NASAMA BAAPHPHO CHI BAMA NESAB HU“ [6+)!#0)6+46'%*)'#%%]. Wo wir es ausgedrückt haben „Für etwas Hohes wurde er geschätzt“, hat Aquila übersetzt: „wofür wurde dieser gehalten?“ Der hebräische Ausdruck heißt BAMA oder ὕψωμα, d.h. etwas Hohes, was wir auch in den Königebüchern und bei Ezechiel lesen. Aber „wofür“ wird auch mit denselben Buchstaben geschrieben – Beth, Mem, He – je nach Art der Vokale ist es so: Wenn wir lesen wollen „wofür“, sagen wir BAMMA, wenn aber „ein Hoher“ oder „etwas Hohes“, lesen wir BAMA. Die Juden haben folglich verstanden, dass es eine Prophetie über Christus ist, und das doppeldeutige Wort im schlechteren Sinne gedeutet, damit es nicht so aussieht, als würden sie Christus loben, sondern ihn für nichtig erachten.). Vgl. hierzu und zur Transkription hebräischer Worte auch BARR, St. Jerome and the Sounds of Hebrew, 8f. Da der Vers in der nicht-hexaplarischen Septuaginta fehlt, muss Hieronymus, um diesen Vergleich anstellen zu können, das griechische Wort ὕψωμα aus Parallelstellen heranziehen, in denen es das Äquivalent zum hebräischen Substantiv ) bildet. Ep. 73,8: Nec refert, utrum Salem, an Salim nominetur, cum vocalibus in medio litteris perraro utantur Hebraei, et pro voluntate lectorum, ac varietate regionum, eadem verba diversis sonis atque accentibus proferantur [ed. LABOURT Bd. IV, 25, 14–18] (Es macht keinen Unterschied, ob man es Salem oder Salim nennt, denn die Hebräer verwenden sehr selten Vokale zwischen den Buchstaben [LABOURT: à l’intérieur des mots], und je nach Lust und Laune der Leser oder nach regionalen Unterschieden, sprechen sie dieselben Worte mit verschiedenen Lauten und Betonungen aus.). Vgl. hierzu auch BARR, St. Jerome and the Sounds of Hebrew, 6 . Dies erwähnt Hieronymus selbst in (s.u.); zu vom MT abweichenden Vokalisierungen bei Hieronymus vgl. auch KEDAR-KOPFSTEIN, Divergent Readings, 178–183. Ein Forschungsdesiderat in dieser Frage wäre eine Untersuchung, die historisch differenzierter zeigt, ab wann Hieronymus so arbeitet, und ob er am Beginn seiner Arbeit stärker von der in der Hexapla überlieferten Vokalisierung beeinflusst ist. BARR, St. Jerome and the Sounds of Hebrew, 34. DE BRUIN, Traces, 38f.

C.I.1. HIERONYMUS UND DER HEBRÄISCHE TEXT

97

Für die vorliegende Arbeit soll aufgrund der hier umrissenen Problemlage mit der These gearbeitet werden, dass der hebräische Text des Hieronymus auch im Blick auf die Vokalisierung nur in Ausnahmefällen vom MT abweicht.

C.I.1.2

Stellenuntersuchungen

Dtn 4,7 / 7,2 An einigen Stellen lässt sich zeigen, dass Hieronymus sich primär am MT orientiert − dann nämlich, wie in Dtn 4,7a und 7,2a, wenn er diesem gegen anderslautende Septuaginta und recentiores folgt. Betrachten wir zunächst Dtn 4,7a: Hieronymus

Septuaginta395

Vergleichstext

46%!!)!# '!43'!% %  !%

nec est alia natio tam grandis quae habeat deos adpropinquantes sibi

ὅτι ποῖον ἔθνος μέγα ᾧ ἐστιν αὐτῷ θεὸς ἐγγίζων αὐτοῖς

Denn welches Volk ist [so] groß, dass es '!43'!% bei/über sich hat.

Es gibt kein anderes so großes Volk, das Götter hätte, die sich ihm nähern.

Ἄλλος:396 ὥστε έχειν θεὸν προσεγγίζοντα αὐτῷ (sodass es [sc. das Volk] einen Gott hätte, der sich ihm nähert.)

MT

Denn welches große Volk gibt es, das einen Gott hat, der ihnen nahe ist.

Hieronymus übernimmt den Plural des MT in einer ihm sonst nicht eigenen wortgetreuen Weise. Die Vorstellung, dass eine Mehrzahl von Völkern auch mehrere Götter haben könnte, war ihm anscheinend inhaltlich plausibler, als die Lösung der anderer Versionen. Sowohl die Septuaginta,397 als auch ein nicht spezifiziertes Hexaplafragment verwenden hier Singular, sowie alle Targumim zur Stelle. Dies geschieht mit großer Wahrscheinlichkeit unter dem Einfluss des Pluralwortes '!% als Bezeichnung für den Gott Israels.398 Das Beispiel zeigt, dass Hieronymus eigenständig und unabhängig mit dem hebräischen Text umgeht und mit grammatikalischen Phänomenen im Hebräischen vertraut ist.

395 Der Septuaginta folgt auch die altlateinische Version (Itala): deus appropinquans, die auch Augustin in loc. hept. V 6 zitiert. 396 Hexaplarische Glosse in Cod 108 (WEVERS, Deuteronomium, 94, App.). 397 In der gesamten handschriftlichen Septuaginta-Überlieferung stimmt nicht eine einzige Lesart mit Hieronymus überein. 398 So z.B. PERLITT, Deuteronomium, 315.

98

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

In Dtn 7,2a liegt möglicherweise eine Parallele dazu vor. Die Texte lauten: MT "!%!'+7+ '4'7!#"!+0% '7'!47

JHWH, dein Gott, wird sie vor dein Angesicht geben und du sollst sie erschlagen; den Bann sollst du an ihnen vollziehen.

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstext

tradideritque eas Dominus Deus tuus tibi et percuties eas usque ad internicionem

καὶ παραδώσει αὐτοὺς κύριος ὁ θεός σου εἰς τὰς χεῖράς σου καὶ πατάξεις αὐτούς, ἀφανισμῷ ἀφανιεῖς αὐτούς

Ἄλλος: ἐν χερσίν σου (in deine Hände)

Und der Herr, dein Gott, wird sie dir ausliefern, und du sollst sie erschlagen bis zur Vernichtung.

Und der Herr dein Gott, wird sie in deine Hände ausliefern und du sollst sie erschlagen, und durch Ausrottung sollst du sie ausrotten.

Die Septuaginta gibt das Hebräische mit der Wendung παραδώσει … εἰς τὰς χεῖράς σου wieder. Sie vermeidet das Bild, dass der hebräische Text mit der Formulierung "!+0%*7+ evoziert: Dass Gott die Völker vor Israel Aufstellung nehmen lässt, damit dieses sie niedermetzelt.399 Diese Tendenz teilt Hieronymus, entfernt sich aber nicht so weit vom Wortlaut des MT: Er ersetzt die Ergänzung der Septuaginta (εἰς τὰς χεῖράς σου) durch den einfachen Dativ, der dem MT näher kommt (tibi). Dtn 19,10 In Dtn 19,10b lässt sich erkennen, wie Hieronymus Formulierungen aus bereits bestehenden lateinischen Übersetzungen übernimmt, gleichzeitig aber auch nach dem Hebräischen korrigiert. Der Vers folgt den Bestimmungen zur Errichtung von Asylstädten (Dtn 19,1–9).400 Im Anschluss daran findet sich in V.10a die Mahnung, durch die Einrichtung der Asylstädte kein unschuldiges Blut in dem Land zu vergießen. Dies wird folgendermaßen weiter geführt: MT '!)"!%-! …, sodass Blut(schuld) ('!)) auf dich käme.

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstext

nec sis sanguinis reus

καὶ οὐκ ἔσται ἐν σοὶ αἵματι ἔνοχος

und damit du nicht eines Blutvergehens schuldig bist.

und es wird keinen bei dir geben, der Blutschuld hat.

Cod.Lugd.: et non erit in te sanguinis reus (und es wird keinen bei dir geben, der eines Blutvergehens schuldig ist.)

Die altlateinische Überlieferung bildet für Hieronymus wohl die Vorlage für die Formulierung sanguinis reus, die wiederum auf der Septuaginta beruht. Von den recentiores ist lediglich in der syrohexaplarischen Überlieferung der dem Hebräischen nachempfundene Plural sanguinibus überliefert. Dies rezipiert Hieronymus 399 Auch WEVERS (Notes on Deuteronomy, 128) sieht dies als abmildernde Tendenz der Septuaginta: „a smooth translation is made.“ 400 Vgl. WEVERS, Notes on Deuteronomy, 312.

C.I.1. HIERONYMUS UND DER HEBRÄISCHE TEXT

99

wohl aus stilistischen Gründen nicht. Im ersten Teil korrigiert Hieronymus die Übersetzung von Septuaginta und VL: Statt der 3. Person Singular und ἐν/in lehnt er sich an die 2. Person Singular im hebräischen Text an. Dtn 26,12 Dtn 26,12 zeigt, wie Hieronymus den von der Septuaginta offenbar missverstandenen oder auf einen anderen Konsonantentext zurückzuführenden Text korrigiert. MT

Hieronymus

Septuaginta

46-)–%#–746-%%#7!# 7+6 76!%6+6"77 4%!%%77+46-) %#+)%%'7!% -6"!4-6

quando conpleveris decimam cunctarum frugum tuarum anno decimarum tertio dabis Levitae et advenae et pupillo et viduae ut comedant intra portas tuas et saturentur

Ἐὰν δὲ συντελέσῃς ἀποδεκατῶσαι πᾶν τὸ ἐπιδέκατον τῶν γενημάτων τῆς γῆς σου ἐν τῷ ἔτει τῷ τρίτῳ, τὸ δεύτερον ἐπιδέκατον δώσεις τῷ Λευίτῃ καὶ τῷ προσηλύτῳ καὶ τῷ ὀρφανῷ καὶ τῇ χήρᾳ, καὶ φάγονται ἐν ταῖς πόλεσίν σου καὶ ἐμπλησθήσονται.

Wenn du damit zum Ende gekommen bist, den Zehnten aller deiner Erträge zu entrichten im dritten Jahr, dem Zehntjahr, dann gib dem Leviten und dem Fremden und dem Waisenkind und der Witwe, und sie sollen in deinen Toren essen und satt werden.

Wenn du die Zehntabgaben aller deiner Früchte vollendet hast im dritten Jahr der Zehntabgaben, dann gib dem Leviten und dem Zugezogenen und dem Waisenkind und der Witwe, damit sie innerhalb deiner Tore essen und satt werden.

Wenn du es zu Ende gebracht hast, den ganzen Zehnt der Feldfrüchte deines Landes im dritten Jahr zu entrichten, dann gibt den zweiten Zehnt dem Leviten und dem Proselyten und dem Waisenkind und der Witwe, und sie sollen essen in deinen Städten und gesättigt werden.

An dieser Stelle missversteht die Septuaginta offenbar die hebräische Wendung 46-)7+6 oder liest einen abweichenden Konsonantentext (!+6 o.ä.). Dies übernimmt die altlateinische Tradition im Cod.Lugd.: secundum (!) decimationem. Hieronymus korrigiert durch den hebräischen Text. Zudem glättet er die Formulierung stilistisch, indem er die Wiederholung des Begriffes „Jahr“ weglässt (anno decimarum tertio). Ob hexaplarische Einflüsse vorliegen, lässt sich nicht entscheiden, da keine Übersetzungen der recentiores zu dieser Stelle überliefert sind.

100

C.I.2.

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Hieronymus und die Hexapla

An vielen Kommentaren und exegetischen Briefen des Kirchenvaters lässt sich ablesen, dass er den hexaplarischen Versionen eine wichtige Rolle einräumt.401 KAMESAR spricht im Blick auf Hieronymus’ Arbeit an den Quaestiones Hebraicae in Genesim von „rabbinic-recentiores philology”, also einer sowohl an Traditionen aus Hieronymus’ jüdischer Umwelt als auch den hexaplarischen recentiores orientierten philologischen Arbeit.402 NEWTON bezeichnet die in der Hexapla aufgeführten jüngeren griechischen Übersetzungen als „guides“ und „aids“ für seine Kommentararbeit und Bibelübersetzung.403 Dennoch spart Hieronymus nicht mit Kritik an den griechischsprachigen jüdischen Übersetzern:404 In der Vorrede zur Hiob-Übersetzung (IH) beispielsweise wirft er Aquila, Symmachus und Theodotion gleichermaßen vor, viele Geheimnisse über den Erlöser durch ihre hinterlistige Übersetzung zu verhüllen.405 Aus Hieronymus’ Werk selbst lässt sich wenig darüber in Erfahrung bringen, wie er Zugang zu diesen griechischen Versionen gewann.406 Oder, wie JENNIFER DINES es ausdrückt: „As for Jerome’s relationship to the Hexapla, and the way in which he accessed his information, the situation is unclear.“407 Will man nicht der minimalistischen These NAUTINS folgen, der behauptete, Hieronymus beziehe sein gesamtes Wissen über hexaplarische und hebräische Philologie aus Werken von Origenes und Euseb,408 so bleiben verschiedene Möglichkeiten: Entweder verwendet Hieronymus Einzelausgaben von Aquila, Symmachus und Theodotion, oder er verfügt über eine eigene Abschrift der Hexapla. Außerdem existieren schon im vierten Jahrhundert Septuaginta-Ausgaben mit hexaplarischen Glossen,409 so dass durchaus möglich ist, dass Hieronymus zeitweise mit einer derartigen Ausgabe arbeitet. Er erwähnt es jedoch selbst nicht.410 Denkbar und sehr wahrscheinlich ist, dass Hieronymus zunächst Einzelausgaben oder Teiltexte besitzt, und nach seiner Übersiedlung ins Heilige Land in Caesarea das Original der Hexapla kennenlernt und kopiert.411 Schon in den exegetischen Werken Anfang der 380er Jahre referiert Hieronymus die recentiores entsprechend ihrer Anordnung in der Hexapla. In ep. 34,2 an Marcella aus dem Jahr 384 stellt Hieronymus dem hebräischen Text von Ps 126,2 401 Zur Positionierung anderer christlicher Theologen der Jahrhunderte nach Origenes zur Hexapla vgl. die Zusammenstellung von BAMMEL (Die Hexapla, 133). 402 KAMESAR, Jerome, 7. 403 Zur Entstehung der Hexapla vgl. S. 210ff., besonders zur Diskussion um die sog. hexaplarische Septuaginta bzw. um die textkritisch markierte Rezension des Origenes. 404 Näheres dazu, wie Hieronymus die recentiores charakterisiert s.u. S. 95ff., 116ff., 129ff. 405 Prol. Iob (IH): qui multa mysteria salvatoris subdola interpretatione celarunt [WEBER, 731, 1–3]. 406 Er erwähnt schon in der Vorrede zum Chronikon des Euseb (chron. epist.) um 381 die hexaplarischen recentiores, zusammen mit der Quinta, Sexta, Septima [ed. HELM, GCS 47, 3, 4–10]. 407 DINES, Jerome and the Hexapla, 421. 408 Vgl. NAUTIN, Origène 303ff., Er stützt sich auf die Behauptung, dass Hieronymus die Hexapla unzureichend beschreibt, und sie ohnehin nie kopiert worden sei. Diese These kann durch die Arbeiten von JAY (Exegèse, 410–417), KAMESAR (Jerome, 4–28) und auch REBENICH (Vir trilinguis, 57ff.) als widerlegt gelten. 409 In dieser Tradition steht auch die Syrohexapla des Paul von Tella aus dem frühen 7.Jh. 410 So auch DINES, St. Jerome and the Hexapla, 424. 411 So z.B. GRAVES, Philology, 93.

C.I.2. HIERONYMUS UND DIE HEXAPLA

101

die Übersetzungen von Aquila, Symmachus, Theodotion sowie eine hexaplarische Quinta und Sexta gegenüber. 412 Diese Systematik entspricht exakt der Einteilung der Spalten in der Hexapla, was als Indiz dafür gewertet werden kann, dass Hieronymus dieses monumentale Werk bereits in Rom zumindest vom Hörensagen oder durch die Arbeiten und Berichte des Origenes bzw. von Euseb oder Epiphanius bekannt ist. Hierfür spricht auch, dass er zu Beginn des Briefes ep. 34 Marcella gegenüber beklagt, dass die Auslegungen zu Ps 126 von Origenes, aus denen er Informationen über die hexaplarischen Übersetzungen hätte schöpfen können, verloren gegangen sind. Diese Frage stellt sich aber auch bei dem Modell, dass er die recentiores zunächst in Einzelausgaben besitzt.413 Möglicherweise kann er auch über eine der zahlreichen römischen Privatbibliotheken Zugriff auf Bibelhandschriften und -übersetzungen nehmen, vielleicht bei Domnio oder im Palastkloster der Marcella auf dem Aventin.414 Dafür, dass solche Einzelausgaben generell existieren, spricht ein (allerdings sehr viel späterer) Hinweis in adv. Ruf. II, 34. Hieronymus fordert Rufin in der 401 entstandenen Apologie auf, in seiner eigenen Aquila-Ausgabe nachzuschlagen. Die einzigen Hinweise in Hieronymus’ eigenen Werken, die über eine bloße Erwähnung der Lesarten der recentiores hinausgehen, finden sich im Titus-Kommentar und in den Commentarioli zum Psalter.415 Die Texte stammen aus den Jahren 386 und 387, entstehen also direkt nach der Umsiedlung nach Bethlehem.416 In der Kommentierung von Tit 3,9 erklärt er: Unde et nobis curae fuit omnes veteris legis libros, quos vir doctus Adamantius in Hexapla digesserat, de Caesariensi bibliotheca descriptos ex ipsis authenticis emendare, in quibus et ipsa hebraea propriis sunt characteribus verba descripta et graecis litteris tramite expressa vicino: Aquila etiam et Symmachus, Septuaginta quoque et Theodotio suum ordinem tenent.417 Daher lag es auch uns am Herzen, alle Bücher des Alten Testamentes, welche der gelehrte Mann Adamantius [sc. Origenes] in der Hexapla aufgeführt hatte, nachdem sie aus der Bibliothek von Caesarea abgeschrieben wurden, aus genau diesen Urschriften zu verbessern, in welchen auch gerade die hebräischen Worte mit ihren zugehörigen Buchstaben niedergeschrieben und mit griechischen Buchstaben in der benachbarten Spalte ausgedrückt sind. Auch Aquila und Symmachus sowie die Septuaginta und Theodotion halten ihre Ordnung ein. 412 CONRING, Hieronymus als Briefschreiber, 146ff. 413 KAMESAR formuliert vorsichtiger, dass ein Erstkontakt des Hieronymus mit den recentiores in Rom auch über Einzelexemplare erfolgt sein könnte. Dafür spricht ep. 32,1 (Text s.u. Anm. 413), in dem Hieronymus berichtet, dass er (nur) Aquila mit dem hebräischen Text vergleicht) 414 Über Bücher und Bibliotheken in der christlichen Spätantike vgl. MRATSCHEK, Codices, passim. Er verweist auf die Erwähnung der Bibliotheken der Genannten durch Hieronymus in ep. 47,3 [ed. LABOURT Bd. II, 115f.]). Für das ausgehende vierte Jahrhundert zeichnet er das Bild einer christlichen Gelehrtenwelt, die – asketischen Vorstellungen zum Trotz – zunehmend kostspielige Bibliotheken installiert, sowie überdies als „ein Art ‚zirkuliernde[r] Bibliothek‘“ (a.a.O. 378) einen regen Austausch von Handschriften pflegte. DEKKERS spricht in diesem Zusammenhang ebenfalls von einem „réseau plus ou moins dense d’amis“ (Prix, 111). 415 Dies auch bei KAMESAR, Jerome, 72. Vgl. WILLIAMS, Monk, 211f. 416 Auch für den Transport von Rom nach Palästina wäre eine komplette Hexapla denkbar ungeeignet. WILLIAMS schätzt die Größe der gesamten Hexapla auf zwanzig Bände mit je 400 doppelt beschriebenen Seiten (Monk, 149). Vom Transport seiner Bibliothek auf Reisen spricht Hieronymus jedoch in ep. 22,30 aus dem Jahr 384 an Eustochium im Blick auf seine erste, asketisch motivierte Reise in den Osten: Cum ante annos plurimos (...) Ierosolymam militaturus pergerem, bibliotheca, quam mihi Romae summo studio ac labore confeceram, carere omnino non poteram [ed. LABOURT Bd. I, 144,16–21] (Als ich mich vor vielen Jahren nach Jerusalem aufmachte, um als Christi Soldat zu dienen, konnte ich in keinem Falle die Bibliothek, die ich mir in Rom mit viel Fleiß und Mühe zusammengestellt hatte, entbehren.). 417 In Tit. ad. 3,9 [ed. VALLARSI, PL 26, 595B].

102

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Hieronymus beschreibt hier, dass seine Arbeit auf Abschriften (describere) der Hexapla aus Caesarea fußt. Nicht zu erfahren ist jedoch, ob er diese selbst angefertigt hat oder anfertigen ließ, und auch nicht, in welchem Umfang. In eine ähnliche Richtung deutet die Kommentierung von Ps 1,4. Dort untersucht Hieronymus eine Wortverdopplung im Psalmtext, die er in einer nicht-hexaplarischen Septuaginta findet, und merkt an: Nam ἑξαπλοῦς Origenis in Caesariensi Bibliotheca relegens semel tantum scriptum repperi.418 Auch damit bezeugt er, die Hexapla in Caesarea konsultiert zu haben, nicht aber, ein eigenes Exemplar zu besitzen. Man mag geteilter Meinung über die Vertrauenswürdigkeit dieser Auskunft sein. Hieronymus möchte seine Leserschaft wissen lassen, dass er im Rahmen seiner Studien die Bibliothek in Caesarea mehrfach besucht hat. Die Divergenz, dass Hieronymus zunächst im Titus-Kommentar erwähnt, er habe die alttestamentlichen Bücher der Hexapla in Caesarea abgeschrieben, und später davon spricht, er habe die Bibliothek bei der Erarbeitung seines Psalmen-Kommentars mehrfach konsultiert, kann dadurch erklärt werden, dass er die Abschriften nach und nach korrigiert. Dieses m.E. sehr plausible Modell präferiert auch MEGAN H. WILLIAMS.419 Sie kommt zu dem Schluss, dass Hieronymus sich eine eigene Hexapla-Ausgabe zusammenstellte und begründet dies ebenfalls mit der Struktur seiner Kommentare, die sowohl meist dem Aufbau der Hexapla folgen, als auch die „drei“ als Gruppe und nicht als Einzelwerke aufführen. Den Grund dafür, dass Hieronymus selten über die Hexapla in seinem Besitz spricht, sieht WILLIAMS darin, dass er den Besitz derart teurer Bücher als Asket verschleiern möchte.420 In der Vorrede zur JosuaÜbersetzung macht er beispielsweise darauf aufmerksam, wie teuer der Erwerb einer Hexapla für christlichen Theologen sei, und um wie viel preiswerter man künftig dank seiner lateinischen Übersetzung auf dieselben Informationen zugreifen könnte – auch ohne eigene Hebräischkenntnisse.421 Für die vorliegende Studie, die sich auf die nach 400 entstandene Pentateuchübersetzung bezieht, werde ich aufgrund der skizzierten Situation mit der Hypothese arbeiten, dass Hieronymus Zugang zu eigenem hexaplarischen Material in seinem Besitz hat. Die o.g. Argumente, wie die Anordnung der recentiores in seinen Kommentaren und sein Blick auf diese als Gruppe, sprechen sehr dafür, dass er sie zumindest nach seiner Übersiedlung nach Bethlehem in einer HexaplaAbschrift vorliegen hat. Ähnliches ergibt sich aus seinen eigenen Zeugnissen aus dem Titus- und dem Psalmen-Kommentar. Die Frage, ob Hieronymus die Werke tatsächlich selbst kopiert hat, kopieren ließ oder erwarb bzw. auch, wie er in der 418 Tract. in Ps. 1,4 [ed. MORIN, CChr.SL 72, 180,46f.] (Ich habe dies nämlich, als ich die Hexapla des Origenes in der Bibliothek von Caesarea wieder las, nur einmal geschrieben gefunden.). 419 WILLIAMS, Monk, 151ff. 420 Weiterhin nennt sie als möglichen Grund, dass er dadurch seine Autorität als HebräischKenner einbüße, wenn man sehen kann, wie sehr er dabei mit griechischen Quellen arbeitet. Dies halte ich für weniger plausibel, denn auch ohne von einer eigenen Hexapla zu sprechen, referiert er die recentiores ohne Scheu zuhauf. Und im Umgang mit diesen und der Bewertung ihrer Übersetzungstätigkeit zeigt er sich als Meister der hebräischen Philologie. 421 Praef. Ios.: Pro Graecorum ἑξαπλοῖς, quae et sumptu et labore maximo indigent, editionem nostram habeant et, sicubi in antiquorum voluminum lectione dubitarint, haec illis conferentes inveniant quod requirunt [WEBER, 285,9ff.] (Anstelle der Hexapla der Griechen, die sowohl eines sehr großen Kosten- als auch Arbeitsaufwandes [sc. bei der Beschaffung] bedürfen, können sie unsere Ausgabe haben und, wann immer sie in der Lesart der alten [sc. lateinischen] Bücher etwas anzweifeln, finden sie, was sie suchen, wenn sie diese [sc. unsere] mit jenen [alten] vergleichen.).

C.I.3. EINFLÜSSE VON AQUILA

103

Zeit vor 386 Zugang zu hexaplarischem Material hatte, kann und muss im Rahmen dieser Untersuchung nicht geklärt werden. Da Hieronymus’ Sichtweise auf die recentiores im Einzelnen für die Entwicklung seines Konzeptes der hebraica veritas nicht entscheidend ist, wurde auf eine derartige Darstellung in Teil B. verzichtet. Dennoch soll nun vor der Analyse des Deuteronomium IH in jede der drei von Hieronymus verwendeten griechischen Übersetzungen kurz eingeführt werden. In dieser Einleitung soll jeweils die Meinung des Hieronymus zu der jeweiligen Übersetzung im Kontext weiterer altkirchlicher Zeugnisse rekonstruiert werden. Dies wird durch einen Abriss der aktuellen Forschungsdiskussion zur Geschichte der jeweiligen Bibelübersetzung ergänzt.

C.I.3.

Einflüsse von Aquila

C.I.3.1

Aquila bei Hieronymus und in der Forschung

Bevor wir uns der Frage zuwenden, welche Rolle Aquila für Hieronymus’ Übersetzung des Deuteronomiums IH spielt, sollen folgende einleitende Fragen behandelt werden: Welches Bild von Aquila ergibt sich aus Hieronymus’ Schriften und wie verhält es sich zu anderen antiken Zeugnissen über Aquila? Aquila bei Hieronymus Schon in Hieronymus’ Arbeiten in den 380er Jahren in Rom spielt Aquila, neben den anderen hexaplarischen Versionen, eine wichtige Rolle. In ep. 32,1 an Marcella spricht Hieronymus davon, dass er die Aquila-Übersetzung mit einem hebräischen Text vergleicht, um mögliche antichristliche Übersetzungsfehler zu entlarven.422 Bedauerlicherweise teilt er Marcella und der Nachwelt nicht mit, welche Fehler er entdeckt. Daneben tadelt Hieronymus die Aquila-Ausgabe häufig als zu jüdisch und zu buchstabentreu, und wirft ihr κακοζηλία vor, d.h. stilistischen Missklang. In ep. 57 „De optimo genere interpretandi“ (um 396) an Pammachius äußert sich Hieronymus paradigmatisch über Aquila: Aquila autem, proselytus et contentiosus interpres, qui non solum verba, sed etymologias verborum transferre conatus est, iure proicitur a nobis.423

422 Zum Typos der Fälschungsvorwürfe an jüdische Schreiber und Übersetzer vgl. S. 76ff. Die erwähnte Stelle in ep. 32,1 (entstanden 384) lautet: Iam pridem cum voluminibus Hebraeorum editionem Aquilae confero, ne quid forsitan propter odium Christi Synagoga mutaverit [ed. LABOURT Bd. II, 37f.,25–32] (Schon längst vergleiche ich den Aquila mit den Büchern der Hebräer, dass nicht etwa die Synagoge wegen des Hasses auf Christus etwas geändert habe.). 423 Ep. 57,11 [ed. LABOURT Bd. III, 71,7ff.]. Ähnlich schon um 380 in chron. epist. vgl. S. 38.

104

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Aquila aber, der Proselyt und übersorgfältige Übersetzer, der nicht nur die Wort, sondern sogar die Etymologie der Worte zu übertragen versucht, wird von uns zu Recht abgelehnt.

Im Folgenden mokiert sich Hieronymus über Aquilas Übertragung der hebräischen Worte für Getreide, Öl und Wein: Quis enim pro frumento et vino et oleo possit vel legere vel intellegere χεῦμα, ὀπωρισμόν, στιλπνότητα quod nos possumus dicere „fusionem” „pomationemque” et „splendentiam” aut, quia Hebraei non solum habent ἄρθρα, sed et πρόαρθρα, ille κακοζήλως et syllabas interpretetur et litteras dicatque σὺν τὸν οὐρανὸν καὶ σὺν τὴν γῆν, quod graeca et latina omnino lingua non recipit? 424 Wer nämlich dürfte wohl für „Getreide“, „Wein“ und „Öl“ χεῦμα, ὀπωρισμόν und στιλπνότητα lesen oder verstehen, wofür wir [auf Latein] „Gießung“, „Obstung“ und „Glänzung“ sagen können, und, weil die Hebräer nicht nur Artikel, sondern Vor-Artikel haben, übersetzt er in übelklingender Weise sowohl die Einzelsilben als auch die Buchstaben und sagt [sc. für Gen 1,1 14 7 '!)6 7]: „mit dem Himmel und mit der Erde“, was die griechische und die lateinische Sprache nicht übernimmt?

Auf engstem Raum sind hier die Hauptkritikpunkte an Aquila versammelt: Seine ursprünglich heidnische, dann jüdische Herkunft, sowie die wörtliche und etymologisierende Übersetzungsweise, welche zu einem „üblen Klang“ in der Sprache führt. Doch gänzlich negativ fällt die Wertung Hieronymus’ nicht aus, nennt er Aquila doch an anderer Stelle einen „genauen und gewissenhaften Übersetzer“425 und lobt ihn als „äußerst gebildet in der hebräischen Sprache“.426 Für seine jüdische Bildung, so berichtet Hieronymus im Jesaja-Kommentar, habe der Proselyt Aquila, Hieronymus zufolge, Rabbi Aqiba bemüht.427 Im Habakuk-Kommentar zeigt sich der Kirchenvater überdies davon überrascht, dass der iudaeus Aquila eine christlichere Version des Bibelverses bietet als die semichristiani Symmachus und Theodotion.428 424 425 426 427

Ep. 57,11 [ed. LABOURT Bd. III, 71,9–17]. In Os. I ad 2,16f.: diligens et curiosus interpres [ed. ADRIAEN, CChr.SL 76, 29, 432]. In Is. XIII ad 49,5: eruditissimus linguae hebraicae [ed. ADRIAEN, CChr.SL 73A, 537,37]. In Is. III ad 8,11: Akibas, quem magistrum Aquilae proselyti autumat [ed. ADRIAEN, CChr.SL 73, 116,45]. 428 Es handelt sich um den Halbvers Hab 3,13a, der nach dem MT "!6)-6!%")--6!%72! lautet. (Du bist ausgezogen, um dein Volk zu retten, um deinen Gesalbten zu retten). Hieronymus kommentiert (In Hab. II ad 3,13): Sciendum autem ut supra diximus, quod ubi posuerunt LXX plurali numero: ut salvares christos tuos, ibi esse in hebraico LAIESUA ETH MESSIACH, quod Aquila transtulit: in salutem cum christo tuo. Non quod deus egressus sit, ut salvaret populum, et salvaret christum suum, sed quod in salutem populi venerit cum christo suo (…). Theodotio autem vere quasi pauper et Ebionita, sed et Symmachus eiusdem dogmatis, pauperem sensum secuti, iudaice transtulerunt: egressus es in salutem populi tui, ut salvares christum tuum, et: egressus es salvare populum tuum, salvare christum tuum. rem incredibilem dicturus sum, sed tamen veram. Isti semichristiani iudaice transtulerunt, et Iudaeus Aquila interpretatus est, ut Christianus [ed. ADRIAEN, CChr.SL 76A, 640f., 844–849.853–859] (Wissenswert ist aber, wie wir schon oben gesagt haben, dass dort, wo die Siebzig im Plural formuliert haben „dass du deine Gesalbten [christi] rettest“ hier im Hebräischen steht „LAIESUA ETH MESSIACH“, was Aquila übersetzt hat: „zur Rettung mit deinem Christus“. Nicht, dass Gott ausgezogen sei, dass er das Volk rette und seinen Christus, sondern, dass er zur Rettung seines Volkes mit seinem Christus komme. (…) Theodotion aber, tatsächlich wie ein armseliger Ebionit, aber auch Symmachus, der derselben Lehre anhängt, sie sind einem armseligen Textsinn gefolgt und haben jüdisch übersetzt: „du bist zur Rettung deines Volkes ausgezogen, damit du deinen Christus rettest“ und: „du bist ausgezogen um dein Volk zu retten, um deinen Christus zu retten.“ Eine unglaubliche Sache werde ich sagen – aber dennoch ist sie wahr: Diese Halbchristen haben es jüdisch übersetzt, und der Jude Aquila hat es wie ein Christ übersetzt.). In seiner Übersetzung IH formuliert Hieronymus daher folgerichtig: egressus es in salutem populi tui in salutem cum Christo tuo (Du bist zum Heil deines Volks ausgezogen, zum Heil mit

C.I.3. EINFLÜSSE VON AQUILA

105

Dies mag erklären, weshalb Hieronymus sich trotz der vielfachen Kritik häufig bei der Transkription hebräischer Namen und Worte an Aquilas Übersetzung orientiert und seiner Interpretation des hebräischen Texts folgt. Auch wird sich am Deuteronomiumtext zeigen, dass Hieronymus Aquila streckenweise gegenüber den anderen hexaplarischen Texten den Vorzug gibt. Diese Einstellung zu Aquila erinnert daran, wie sich Hieronymus auch in anderen Fragen dem Judentum, aber auch Häretikern oder Heiden gegenüber positioniert: Einerseits philologischexegetisches Interesse, andererseits Abgrenzung und Ablehnung. Wie im Rahmen der Einführung zur Hexapla schon angeklungen ist, lässt sich nicht sicher rekonstruieren, auf welche Weise und wann Hieronymus Zugang zu hexaplarischem Material hatte,429 denn aufgrund der schmalen Quellenlage kann nicht sicher entschieden werden, ob und wie viel Material Hieronymus aus einer Einzelausgabe, aus hexaplarischen Glossen, aus der Hexapla in Caesarea selbst und aus Material anderer Schriftstellern zusammengetragen hat. Singulär in der antiken Literatur ist die Erwähnung einer Aquilae secunda editio,430 die Hieronymus im Ezechiel, Jeremia und Daniel-Kommentar häufig neben einer prima editio zitiert. Die Notiz über zwei Aquila-Editionen ist unklar: Meint Hieronymus hier, dass er zwei vollständige, unterschiedliche Aquila-Texte des Prophetenbuchs vorliegen hat? Oder referiert er möglicherweise nur, dass ihm für die betreffende Stelle zwei Lesarten unter dem Namen Aquilas überliefert sind? Letzteres jedenfalls ist in der hexaplarischen Überlieferung mehrfach durch Varianten in den Abschriften der Fall. Weiterhin bleibt fraglich: Bezieht sich im Zitat der Nachsatz „quae Hebraei κατ᾿ ἀκρίβειαν nominant“ auf Aquila allgemein? Oder spielt Hieronymus auf eine zweite, noch genauere Revision einer ersten Aquila-Fassung an? Da außer dem Zitat bei Hieronymus keine weiteren Zeugnisse diese zweite Aquila-Ausgabe erwähnen, muss diese Frage offen bleiben.431 Aquila in der antiken christlichen und jüdischen Literatur Abgesehen von der Erwähnung secunda Aquilae editio bewegt sich Hieronymus im Rahmen dessen, was christliche und jüdische Texte aus der Spätantike über Aquila als Person und Übersetzer zu berichten wissen:432 Die erste Erwähnung findet die

429 430 431 432

deinem Christus.). Typisch für Hieronymus ist, dass gerade das, was ihn in ep. 57 zum Spott an Aquila veranlasst hat, hier unter christlichem Vorzeichen zu einem Lob umgewertet wird: Kritisiert er dort, dass Aquila in Gen 1,1 die hebräische nota accusativi durch die Präposition σὺν wiedergibt, so bildet hier genau diese Operation Aquilas die Grundlage für Hieronymus’ christologische Interpretation: Anders als Symmachus und Theodotion (und die LXX), interpretiert Hieronymus in Anlehnung an Aquilas Formulierung, dass Gott sein Volk mit seinem Christus rette. S.o. S. 91. In Ezech. I ad 3,14b.15: Aquilae secunda editio quae Hebraei κατ᾿ ἀκρίβειαν nominant [ed. GLORIE, CChr.SL 75, 37,1026f.] (… die zweite Aquila Ausgabe, die die Hebräer „die Präzise“ nennen.). FERNÁNDEZ MARCOS (Septuagint in Context, 119f.) vermutet, dass es sich bei dieser prima editio möglicherweise um eine Vorlage Aquilas aus der καίγε-Gruppe gehandelt haben könnte. Vgl. FERNÁNDEZ MARCOS, Septuagint in Context, 111ff., SWETE, Introduction, 33.

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Aquila-Übersetzung bei Irenäus von Lyon in adv. haer. III 21,1–4.433 Irenäus zitiert Aquilas Übersetzung von Jes 7,14 und verwirft sie als falsche Interpretation, da dort die für die christliche Tradition wichtige Septuaginta-Vokabel παρθένος („Jungfrau“) durch νεᾶνις („junge Frau“) ersetzt ist, und dadurch die Tradition von der Jungfrauengeburt Jesu ihrer alttestamentlichen Basis beraubt wird. Einige Jahrzehnte später charakterisiert Origenes Aquila in ep. 1 ad Africanum 2 als sklavischen Übersetzer (δουλεύων τῇ Ἑβραϊκῇ λέξει). Seine Arbeit sei im Judentum sehr berühmt und verbreitet, gerade bei nicht hebräischsprachigen Juden – eine Einschätzung, die, wie oben gezeigt, auch Hieronymus teilt. Von Epiphanius erfahren wir die meisten biographischen Details: Es handle sich bei Aquila um einen ursprünglich heidnischen Übersetzer aus Pontus.434 Zunächst sei dieser zum Christentum konvertiert, später aber aufgrund seiner Affinität zur Astrologie exkommuniziert worden. Daraufhin habe er sich dem Judentum angeschlossen. Aquilas Übersetzung entstand, Epiphanius zufolge, im zwölften Regierungsjahr Hadrians, also 128–129, mit dem Aquila verschwägert gewesen sei.435 Von der Nähe zum Hof Hadrians weiß auch die rabbinische Überlieferung zu berichten (TanhB Mishp 3, ed. Buber 41a–b u.a.).436 Wie auch Hieronymus bringt die rabbinische Literatur Aquila in Verbindung mit der Schule R. Aqibas (yQid 1:1 (59a)) bzw. mit den Tannaiten R. Eliezer und R. Yehoshua (yMeg 1:9 (10b), PesRab 23).437 Ersteres erklärt sich wohl dadurch, dass man in der wörtlichen Übersetzungspraxis Aquilas eine Nähe zur Hermeneutik R. Aqibas sah, welcher jeden Buchstaben des hebräischen Konsonantentexts für bedeutungstragend hielt. Aquilas Ansatz, für jedes hebräische Wort ein möglichst konkordantes und etymologisch passendes Äquivalent im Griechischen zu finden, wird als Umsetzung dieser hermeneutischen Prämisse R. Aqibas verstanden.438 433 Dieser Text stammt ursprünglich aus dem letzten Jahrzehnt des zweiten Jahrhunderts, ist jedoch nur durch Euseb überliefert (h.e. V 8,10). 434 Mens. 15. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich bei der Ortsangabe jedoch um eine singuläre Zuschreibung durch Epiphanius, die auf Act 18,2 beruht: Καὶ εὑρών τινα Ἰουδαῖον ὀνόματι Ἀκύλαν, Ποντικὸν τῷ γένει. Der rabbinischen Überlieferung ist dieses Detail fremd. 435 Dies berichtet auch der anonym überlieferte „Dialog zwischen Timotheus und Aquila“. Doch ist diese Schrift sowohl aufgrund der unsicheren Datierung als auch wegen ihres stark legendarischen Inhalts als historische Quelle kaum nützlich. Aquila soll hier z.B., wie auch Mose, im Alter von 40 Jahren die hebräische Sprache gelernt haben, vgl. CONYBEARE, The Dialogues of Athanaius and Zacchaeus, and of Timothy and Aquila, 90, Fol. 115v. WILLIAM VARNER (Ancient JewishChristian Dialogues, 10) datiert den Dialog auf das sechste nachchristliche Jahrhundert. 436 Zum Zusammenhang zwischen christlicher, palästinisch-jüdischer und babylonisch-jüdischer Aquila-Rezeption vgl. VELTRI (Libraries, 163ff.). Ihm zufolge finden sich in den christlichen Texten Zeugnisse dafür, wie im griechischsprachigen Judentum die Septuaginta von Aquila abgelöst, d.h. dekanonisiert wird. In einem weiteren Schritt übertragen später die rabbinischen Schulen Babyloniens die palästinischen Erzählungen über Aquila auf den Übersetzer des Onkelos-Targums, angeregt durch die Ähnlichkeit der Konsonanten des Namens. So unterstützen sie eine Substitution der westlichen griechischen Tradition durch die aramäische. 437 Hier findet sich das schöne Wortspiel, das R. Eliezer und R. Yehoshua zugeschrieben wird. Sie sollen Aquila mit den Worten aus Ps 45,2 gepriesen haben: „Du bist schöner (yafyafita) als die Menschenkinder“, wobei sie mit der Wortbildung yafyafita sowohl auf das hebräische Adjektiv 0! („schön“), als auch auf Aquilas griechische Herkunft aus der Nachkommenschaft Japhets (70!) anspielen. 438 Nach den Erkenntnissen der neueren Aquila-Forschung ist jedoch nicht von einer derartigen Nähe auszugehen, vgl. L. L. GRABBE, Aquila’s Translation and Rabbinic Exegesis, JJS 33 (1982), 527–536. GRABBE zeigt, dass Aquilas Ansatz nicht aus rabbinischer Hermeneutik ableitbar ist, sondern eine eigene Position darstellt.

C.I.3. EINFLÜSSE VON AQUILA

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Die weite Verbreitung und die Übereinstimmung der Nachrichten in christlichen und jüdischen Quellen könnte als Indiz für ihre Historizität gewertet werden. Die nicht zu übersehende Konstruktion von Autoritäts- und Sukzessionslinien auf jüdischer Seite sowie die mehrfache Verketzerung durch Epiphanius auf christlicher mahnen jedoch, mit den Quellen vorsichtig umzugehen, zumal diese in hohem Maße voneinander abhängig erscheinen. Stand der Aquila-Forschung Das Problem der Bewertung dieser antiken christlichen und jüdischen Quellen prägt seit jeher die Aquila-Forschung. Der häufig rezipierte Überblick bei SWETE stellt sich als Nacherzählung der altkirchlichen und rabbinischen Berichte dar und verzichtet darauf, sie auf ihre Historizität zu hinterfragen.439 JELLICOE gibt sich etwas kritischer, folgt aber bei der Lokalisierung in Palästina BARTHÉLEMY, der sich ebenfalls nur auf Epiphanius berufen kann.440 Im Hinblick auf das Ziel des Unternehmens Aquilas werden die Einschätzungen der christlichen Theologen der ersten Jahrhunderte jedoch kritischer rezipiert. Wie Justin (dial. 71,84) und Irenäus (adv. haer. III 21,1) so unterstellt auch Hieronymus Aquila und den anderen recentiores gerne einen antichristlichen Impetus: Aquila wolle mit einer neuen jüdischen Bibelübersetzung die Septuaginta ablösen, weil diese vom Christentum vereinnahmt und überformt sei. Schon SWETE, aber auch neuere Forschungen (DINES, WILLIAMS) sehen Aquila relativ unabhängig von Abgrenzungstendenzen zum zeitgenössischen Christentum.441 Es handle sich vielmehr um einen innerjüdischen Versuch, das Problem der Unterschiedlichkeit von griechischem und hebräischem Bibeltext zu lösen, indem dem hebräischen der Vorzug eingeräumt und der griechische diesem angeglichen wird. JELLICOE äußert sich, allerdings ohne eine nähere Begründung zu nennen, in diesem Zusammenhang auch zu einem möglichen Sitz im Leben der Aquila-Übersetzung: Es handle sich zunächst um ein für den privaten Gebrauch bestimmtes Lehrbuch.442 Aufgrund der genannten Zeugnisse und wohl auch mangels der Möglichkeit einer genaueren kritischen Rekonstruktion, hat es sich durchgesetzt, die Übersetzung Aquilas auf die erste Hälfte des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts zu datieren. Sowohl die bezeugte Nähe zur Aqiba-Schule,443 bzw. anderer Rabbinen der zweiten Generation der Tannaiten (ca. 90–130), die Nennung Hadrians sowie das Zeugnis des Irenäus als terminus ante quem sprechen für diese Datierung. Auch das Textmaterial Aquilas ist sehr fragmentarisch überliefert. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren Aquila-Lesarten lediglich aus hexaplarischen Glossen bekannt.444 Hierzu kamen die syrohexaplarische Überlieferung, Kirchen439 440 441 442

SWETE , Introduction, 31ff. JELLICOE, Septuagint and Modern Studies, 76. So bereits SWETE, Introduction 30; vgl. FERNÁNDEZ MARCOS, Septuagint in Context, 110f. „It was essentially a teacher’s book, …“, Septuagint and Modern Studies, 77. Ähnlich auch VERMES, Review zu Les Devanciers d’Aquila, 264. 443 Auch STEMBERGER sieht Aquila als Schüler R. Eliezers und R. Yehoschuas ben Chananja (Einführung, 81f.). Alle drei genannten Rabbinen sind der zweiten Generation der Tannaiten (90–130) zuzuordnen. 444 Vgl. zum Folgenden FERNÁNDEZ MARCOS, Septuagint in Context, 113f.

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C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

väterzitate und Katenen. Dies änderte sich erst durch die Fundstücke aus der Kairoer Geniza: Dort wurden Palimpseste mit Aquilafragmenten des Psalters und der Königebücher geborgen.445 Dazu kamen die Mailänder und Kairoer Hexaplafragmente, die ebenfalls Verse eines Aquila-Texts bezeugen. Durch diese neueren Funde war es möglich, nach den Vorlagen und Vorgängern Aquilas zu fragen. Als maßgebliche Untersuchung kann dabei immer noch der Beitrag BARTHÉLEMYS zum Dodekapropheton gelten.446 Er zeigt, dass Aquila weniger als innovative Einzelperson wahrzunehmen ist, sondern sich in die bereits bestehende Revisionsarbeit am griechischen Bibeltext einfügt. Grundlage ist die These, dass Aquilas Bibeltext auf der καίγε-Rezension der Septuaginta basiert. Neuere Detailuntersuchungen haben allerdings gezeigt, dass sich dies beispielsweise für den Text des Hohenlieds nicht bestätigt. Dort ist es sinnvoller anzunehmen, dass Aquila mit einem nicht revidierten Septuaginta-Text arbeitet, als eine καίγε-Version für das Buch zu postulieren, die sich außerhalb Aquilas nicht nachweisen lässt, und die zudem keine Typika der καίγε-Rezension aufweist. 447 Für den Text des Deuteronomium, der im Folgenden wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden soll, steht die Göttinger Septuaginta zur Verfügung, die die Aquila-Lesarten im Apparat II präsentiert.

C.I.3.2

Stellenuntersuchungen

Dtn 1,43 / 17,13 / 18,20 Einfluss von Aquila auf Hieronymus findet sich bei der Wiedergabe von hebr. ! (qal/hiph.) in Dtn 1,43, 17,13 und 18,20. Im biblischen Hebräisch wird das Verb in beiden Stammesmodifikationen hauptsächlich in der Bedeutung „vermessen handeln“ verwendet.448 Im Folgenden wird der Übersicht halber eine ausführliche deutsche Übersetzung nur für den hebräischen Text geboten, um den Fokus auf die Varianz der Wiedergabe des Verbs in den Übersetzungen zu legen. 445 BURKITT, FRANCIS, Fragments of the Books of Kings according to the Translation of Aquila, Cambridge 1897; TAYLOR, CHARLES, Hebrew-Greek Cairo Genizah Palimpsests, Cambridge 1900. 446 BARTHÉLEMY, DOMINIQUE, Les Devanciers d’Aquila. Première publication intégrale du texte des fragments du Dodécaprophéton trouvés dans le désert de Juda, précédée d’une étude sur les traductions et recensions grecques de la bible réalisées au premier siècle de notre ère sous l’influence du rabbinat palestinien, VTS 10, Leiden 1963. 447 Die neueste Auswertung findet sich bei TREAT, JAY C., Aquila, Field, and the Song of Songs, in: A. SALVESEN (Hg.), Origen’s Hexapla and Fragments, TSAJ 58, Tübingen 1998, 135–176. 448 Vgl. zum Folgenden GESENIUS, Wörterbuch, 298f.; KÖHLER/BAUMGARTNER, Lexikon, 257; DIETRICH, Lexikon, 140. Die etymologisch ursprünglichere Bedeutung in qal, „erhitzen“ findet in der Form ! in Gen 25,29 Nachhall. Das Verb beschreibt dort, wie der Erzvater Jakob das sprichwörtliche „Linsengericht“ (!+) zubereitet. Da dies in der griechischen und lateinischen Überlieferung einheitlich mit Formen aus dem Wortfeld „Nahrung zubereiten“ ausdrückt wird, bleibt diese Form im Folgenden unberücksichtigt. DIETRICH (Lexikon, 140) gibt in Anlehnung daran für den Hif‘il in Ex 21,14 den Übersetzungsvorschlag „sich erhitzen“ an. Vgl. auch PERLITT, Deuteronomium, 86f. Nach seiner Einschätzung übersetze die Septuaginta „nicht übel“, auch Hieronymus lege „die Phrase angemessen aus“ (ibd.).

C.I.3. EINFLÜSSE VON AQUILA

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Dtn 1,43 !!0–74)7'7-)6%'#!%4 4%-7 7 Und ich redete zu euch, und ihr hörtet nicht und wart widerspenstig gegenüber dem Mund JHWHs und ! (qal) und stiegt aufs Gebirge.

IH: tumere superbia (vor Hochmut anschwellen) LXX: παραβιάζεσθαι (Gewalt anwenden) Cod.Lugd.: conari (sich anstrengen) TO/TPsJ: 6-4 haph. (Unrecht begehen) [α': ὑπερηφανεύεσθαι (hochmütig sein)]449

Dtn 17,13 -*!! %4!-)6!'-–%# Und das ganze Volk soll hören und sich fürchten und nicht mehr ! (hi.).

IH: intumescere superbia (sich vor Hochmut aufblähen) LXX: ἀσεβέω (gottlos handeln) Cod.Lugd.: facere impia(e) (Unrechtes tun)450 Hieronymus ep. 98,24:451 impie agere (gottlos handeln) α': ὑπερηφανεύεσθαι (hochmütig sein)

Dtn 18,20 –%467!)644% !! 46!+" 7)'!4'!%'64!464%!7!2 !+ Aber ein Prophet, welcher ! (hi.) (um) in meinem Namen ein Wort zu reden, das ich ihm nicht geboten habe zu reden, oder was er im Namen anderer Götter redet, soll jener Prophet sterben.

IH: arrogantia depravatus (von Anmaßung verderbt) LXX: ἀσεβέω (gottlos handeln) α': ὑπερηφανεύεσθαι (hochmütig sein) Cod.Lugd.: initiari (beginnen)

Der Überblick zeigt paradigmatisch die für Hieronymus typische Orientierung an hexaplarischen Vorbildern. Daneben lässt sich gerade in der Gegenüberstellung der unterschiedlichen Stellen seine Freiheit in Wortwahl und grammatikalischer Konstruktion erkennen. 449 Zu Dtn 1,43 ist keine Aquila-Version überliefert. Aufgrund seiner konkordanten Übersetzungsweise im Allgemeinen und mit Blick auf sein Vorgehen an den anderen beiden Stellen (s.u.) lässt sich jedoch rekonstruieren, dass er auch in Dtn 1,43 ὑπερηφανεύεσθαι (hochmütig sein) liest. Dafür spricht auch, dass Hieronymus in Dtn 1,43 ähnlich übersetzt wie in Dtn 17,13 und 18,20. 450 Vgl. Ps.Aug. spec. 34 und 77: facere iniustitiam [ed. WEIHRICH, CSEL 12, 460,6; 570,11]. 451 [Ed. LABOURT Bd. V, 65,11]. Ähnlich auch die bei Cyprian überlieferten Itala-Lesarten (ep. 3,1; 4,4 u.a.) agent impie [ed. DIERCKS, CChr.SL 3B, 10,16; 32,92].

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C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Die Septuaginta und die von ihr abhängigen altlateinischen Übersetzungen differenzieren zwischen Qal und Hif ‘il im Hebräischen. Wird das hebräische Verb im Qal als Beschreibung einer gewaltsamen bzw. vorsätzlich verübten Tat verstanden (Dtn 1,43; vgl. Ex 18,11; 21,14), so überträgt die Septuaginta den Hif ‘il in Dtn 17,13; 18,20 mit ἀσεβέω. Diese Wortwahl lädt die Verse angepasst an den Kontext stärker theologisch auf. Dies übernimmt auch Hieronymus, als er bei der Übersetzung des 17. Osterfestbriefes des Theophilos von Alexandrien (ep. 98,24) auf ein Zitat von Dtn 17,13 nach der Septuaginta stößt. Hieronymus gibt das Verb im Lateinischen mit impie agere wieder. Der Brief entsteht um 402, also nahezu zeitgleich zur Übersetzung des Pentateuch IH und zeigt, dass für Hieronymus die Orientierung am Hebräischen keine grundlegende Maxime ist, sondern dass er sich auch an der Septuaginta orientiert, beispielsweise wenn er ein griechisches Bibelzitat wiedergeben möchte. Die Übersetzung, die Hieronymus in IH wählt, steht dagegen den recentiores nahe. Aquila wählt als konkordante Wiedergabe des hebr. Verbs ὑπερηφανεύεσθαι. Das griechische Verb ist relativ selten belegt: Einmal bei Josephus (Ant. IV 8,23,259), aber auch in Neh 9,10.16, wo es in der Septuaginta wie bei Aquila das Äquivalent des hebräischen  (hi.) bildet. Die aus der Hexapla und möglicherweise auch aus den Beobachtungen zum Nehemiabuch der Septuaginta gewonnene Einsicht überträgt Hieronymus ins Lateinische. Im Vergleich mit anderen Übersetzungsmöglichkeiten fällt auf, dass Hieronymus nominal formuliert (superbia, arrogantia) und damit die psychisch-moralische Dimension stärker hervorhebt. Dtn 3,14 Die Verse Dtn 3,12–17 beschreiben die Verteilung von Gebieten östlich des Jordans an die Stämme Ruben, Gad und Manasse: MT 4!!7’E [Eigenname]

Hieronymus

Septuaginta

Avothiair id est villas Iair

Αυωθ Ιαϊρ

Avothiair, das heißt: Höfe Jairs

[Eigenname]

Vergleichstext α': ἐπαύλεις Ἰαείρ (Höfe Jaïrs)

In Dtn 3,14 bietet Hieronymus sowohl den transliterierten Eigennamen als auch eine erklärende Übersetzung in Form einer eingefügten Apposition. In seinem Werk über die Namen biblischer Orte nennt er für den Ortsnamen keine lateinische Übersetzung, sondern den griechischen Aquilatext, der auch in Dtn 3,14 seiner Bibelübersetzung zugrunde liegt: sit. et nom. 19,3: Avoth Jair, quod interpretatur ἐπαύλεις Ἰαείρ (Avoth Jaïr, das heißt übersetzt „Höfe Jaïrs“.) Die Transkription des Namens als Avothiair, die Hieronymus in Dtn 3,14 voranstellt, orientiert sich an der Septuaginta.

C.I.3. EINFLÜSSE VON AQUILA

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Dtn 3,17 Die Verse Dtn 3,12–17 beschreiben die Verteilung von Gebieten östlich des Jordans an die Stämme Ruben, Gad und Manasse: MT %*4!4- 4-'!-74+#) 7677 %)'! 4),0

… und die Araba und der Jordan und [sein] Gebiet, von Kinneret bis zum Meer der Araba, dem Salzmeer, unterhalb von76 ,0 nach Osten hin.

Hieronymus

Septuaginta

et planitiem solitudinis, atque Jordanem et terminos Cenereth usque ad mare deserti, quod est salsissimum, ad radices montis Phasga contra orientem

καὶ ἡ Aραβα καὶ ὁ Iορδάνης ὅριον Mαχαναρεθ καὶ ἕως θαλάσσης Aραβα θαλάσσης ἁλυκῆς ὑπὸ Aσηδωθ τὴν Φασγα ἀνατολῶν

… und die Ebene der Einsamkeit und den Jordan und die Gebiete [von] Cenereth (Kinneret) bis zum Meer der Wüste, das sehr salzig ist, zum Fuß des Berges Phasga (Pisga) gegen Osten.

… und die Araba und der Jordan als Grenze, Machanareth und bis zum Meer der Araba, das salzige Meer, unterhalb von Asedoth, die Phasga452 gegen Osten.

Vergleichstext ad radices: α': κατάχυσις (Abhang)

Dtn 3,17 zeigt mehrere Auffälligkeiten: Zunächst gibt Hieronymus das erste Wort des MT (4-, LXX: καὶ ἡ Αραβα) mit et planitiem solitudinis wieder. Dies geschieht in ähnlicher Weise in Dtn 1,7 und 4,43. Seine Übersetzung entspricht dabei exakt der ebenfalls doppelgliedrigen Übertragung bei Symmachus: καὶ πεδινή καὶ ἀοίκητος (eben und unbewohnt).453 Die Septuaginta liest 74+#) komplett als Eigennamen und nicht als Namen mit vorgeschalteter Präposition. Hieronymus korrigiert den Eigennamen zu Cenereth. Die Präposition gibt er als Genitiv wieder, sodass Cenereth zu terminos gezogen wird: Die Gebiete von Cenereth. Die Beschreibung der Grenzen des Landes der Stämme Ruben und Gad endet in diesem Vers mit den Worten 4),07677. Die Septuaginta versteht das zweite Wort der Kette als Eigennamen und transkribiert daher: ὑπὸ Ασηδωθ τὴν Φασγα ἀνατολῶν („unterhalb Asêdôth, die Phasga gegen Osten“). Sowohl die Konstruktion mit ὑπὸ als auch der Akkusativ sind im griechischen Satz schwer verständlich.454 Auf dieselbe Weise wie die Septuaginta arbeitet Symmachus. Auch hier ist 76 als Eigenname wiedergegeben.455 Hieronymus dagegen übersetzt: ad radices montis Phasga contra orientem (bis zum Fuß des Berges Phasga gegen Osten). Die hebräischen Lemmata 7677 452 WEVERS, Notes on Deuteronomy, 58 und die LXXdt verstehen den Akkusativ im Sinne von „mit der Phasga“. 453 Der Vers wird in Kap. 0 zu Symmachus nicht nochmals eigens angeführt, auch wenn im Falle des Versbeginns ein eindeutiger Einfluss von Symmachus vorliegt. 454 Vgl. WEVERS, Notes on Deuteronomy, 59. 455 Symmachus ist hier in der syrohexaplarischen Lesart überliefert: dlt‫ۊ‬t mn ’šdwt dšlb’ („unter dem Tal Asdoth“) vgl. VÖÖBUS, Syrohexapla, 156; WEVERS, Deuteronomium, 88, App.: infra ab Ashdoth valle.

112

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

interpretiert er in 3,17 und auch an der Parallelstelle 4,19 als ad radices. Beeinflusst ist er hierbei von der Interpretation, die sich sowohl bei Aquila als auch in den Targumim findet: Aquila gibt 76 mit κατάχυσις („Herabfließen/Abhang“) wieder. Er interpretiert das hebräische Wort als status constructus von 6 (wie 6: „Abhang“).456 Auch die Targumim kennen diese Ableitung und verwenden Nominalbildungen von aramäisch "06 („herabfließen“): TO "06), TPsJ 7#06. Bei der Wahl zwischen Septuaginta bzw. Symmachus, die einen Eigennamen lesen, und Aquila, der mit der rabbinischen Tradition 76 als Nomen interpretiert, kommen Hieronymus sicher seine landeskundlichen und geographischen Kenntnisse zugute.457 Daher präferiert er die mit der rabbinischen Tradition parallel laufende AquilaLesart, die das Hebräische als Nomen auffasst. Mit der Übersetzung radices gibt er zusätzlich den Plural des Hebräischen wieder. Dtn 10,3 Dtn 10,1–5 fasst Ex 25,10ff.; 34,1ff. und 37,1–9 komprimiert als Moserede zusammen. Dieser berichtet über den Auftrag, neue Gesetzestafeln aus Stein herzustellen und sie, nachdem JHWH sie beschrieben hat, in die hölzerne Lade zu legen. Deren Herstellung wird in Dtn 10,3 folgendermaßen beschrieben: MT

Hieronymus

Septuaginta

'! 6!2- *46-

feci igitur arcam de lignis setthim

καὶ ἐποίησα κιβωτὸν ἐκ ξύλων ἀσήπτων

… und ich machte eine Truhe aus Akazienhölzern.

Also machte ich eine Truhe aus SetthimHölzern.

… und ich machte eine Truhe aus unverderblichen Hölzern.

Vergleichstext α': σεττίμ

Hieronymus versteht das hebräische Wort '! 6 als Eigennamen und transliteriert es daher als Setthim. Damit ist er im Pentateuch sehr konsequent (vgl. Ex 25,5 u.v.m.). Er folgt in diesem Vorgehen Aquila, der σεττίμ überliefert. Auch in Num 25,1 findet sich bei Hieronymus der Ausdruck Setthim. Hier ist das Wort '! 6 im MT aber zweifelsfrei ein Ortsname und keine Holzart. Auch das Onomastikon kennt diesen Namen aus Num 25,1. Angelehnt an seine griechische Vorlage gibt ihn Hieronymus mit der Schreibweise Sattim wieder. Auch die Septuaginta-Versionen zu Num 25,1 haben Σαττειν oder ähnliches mit einem „a“-Laut als ersten Vokal. Ob Hieronymus in der Übersetzung IH (Setthim) auch an dieser Stelle gegen die Septuaginta und das

456 Vgl. den Eintrag bei REIDER, Index, 131, der der Aquila-Lesart den Singular ‘ _Ž ‹ gegenüberstellt. Zur Deutung als defektiv geschriebener Plural vgl. GESENIUS, Wörterbuch, 105. 457 Merkwürdig mutet in diesem Zusammenhang an, dass Hieronymus beim Übersetzen des Buches Josua anschließende an den Pentateuch, diese Kenntnisse nicht anwendet, sondern den gleichlautenden hebräischen Text in Jos 12,3 und 13,20 als Asedothphasga, also als Eigennamen, wiedergibt. Siehe auch VEIJOLA, Deuteronomium, 83 und PERLITT, Deuteronomium, 257.

C.I.3. EINFLÜSSE VON AQUILA

113

Onomastikon einer Aquila-Version (σεττίμ) folgt, lässt sich nur vermuten, da zu Num 25,1 keine hexaplarischen Versionen überliefert sind. Für Dtn 10,3 folgt daraus, dass Hieronymus den mutmaßlichen Eigennamen wohl aus Aquila entnommen hat, und sich weiterer Studien enthält, auch wenn er mithilfe philologischer Informationen aus dem jüdischen Bereich näher an die hebraica veritas gekommen wäre. Dtn 10,16 Dtn 10,12–22 fasst die Forderungen JHWHs an die Israeliten in Form einer Moserede zusammen: MT

Hieronymus

Septuaginta

7%4- 7'7%) %'#04-'#% -637

circumcidite igitur praeputium cordis vestri et cervicem vestram ne induretis amplius

καὶ περιτεμεῖσθε τὴν σκληροκαρδίαν ὑμῶν καὶ τὸν τράχηλον ὑμῶν οὐ σκληρυνεῖτε ἔτι.

Beschneidet also die Vorhaut eures Herzens und euren Nacken verhärtet nicht länger.

Beschneidet auch eure Hartherzigkeit und verhärtet euren Nacken nicht länger.

Beschneidet auch die Vorhaut eures Herzens und verhärtet euren Nacken nicht länger.

Vergleichstext Α': ἀκροβυστίαν (Vorhaut)

Hieronymus gibt den MT wörtlicher wieder als die Septuaginta. Eigene philologische Kenntnisse haben dabei wohl eine ebenso große Rolle gespielt wie das Vorbild Aquilas. Auch die Targumim bieten hier wie die Septuaginta eine übertragene Wiedergabe: TO/TPsJ: 760 (Torheit); CN: 760  7%4- (Vorhaut der Torheit), CNmarg: 7!63 (Härte). Hebraica veritas heißt hier offenbar eine ganz MTgetreue Wiedergabe. Der Übersetzung von Hieronymus ist nicht abzuspüren, dass sich an diesen Vers (10,16), ebenso wie an Dtn 30,6, eine lange Auslegungstradition knüpft, die den Aufruf zur Beschneidung allegorisiert. Dies lässt sich hier an der nicht-metaphorischen Übersetzung der Septuaginta ablesen, welche den Vers ethisch spezifiziert.458 Dtn 11,30 Dtn 11,30 beschreibt die Lage der Berge Ebal und Garizim, von denen aus Fluch und Segen über das Volk Israel verkündet werden sollen. Die Version des Hieronymus weicht ganz deutlich von seinen Vorlagen (MT, Septuaginta) ab. Zunächst ein Überblick über die Textfassungen der Beschreibung der Lage der beiden Berge:

458 Zur Rezeption der Beschneidungsvorschriften, ihrer Allegorisierung und ihrer Bedeutung in antijüdischer Polemik seitens christlicher Theologie vgl. neuerdings THIESSEN, Contesting Conversion, passim.

114

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

MT

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstexte

4-)% "4!4*4! 146)6) 4-6!!+-+# !+% %2%%%) 4)

qui sunt trans Iordanem post viam quae vergit ad solis occubitum in terra Chananei qui habitat in campestribus contra Galgalam quae est iuxta vallem tendentem et intrantem procul

οὐκ ἰδοὺ ταῦτα πέραν τοῦ Ιορδάνου ὀπίσω ὁδὸν δυσμῶν ἡλίου ἐν γῇ Χανααν τὸ κατοικοῦν ἐπὶ δυσμῶν ἐχόμενον τοῦ Γολγολ πλησίον τῆς δρυὸς τῆς ὑψηλῆς

Liegen diese [sc. Berge] nicht jenseits des Jordans, hinter der Straße gegen Sonnenuntergang, im Land des Kanaanäers, der gegenüber von Gilgal wohnt, neben den Terebinthen von More.

…, welche jenseits des Jordans sind, hinter der Straße, die Richtung Sonnenuntergang führt, im Lande des Kanaanäers, der in der Ebene gegenüber von Galgala wohnt, welche neben dem sich weit ausbreitenden und hinein führenden Tal ist.

Siehe, sind diese nicht etwas jenseits des Jordans, in Richtung der Straße des Sonnenuntergangs im Land Chanaan, welches460 gegen Westen liegt, gegenüber Golgol, neben der hohen Eiche.

α': αὐλῶνος459 καταφανοῦς (deutlich sichtbares Tal) TO/TFrag: 4F)!  4Ž _! ‰ )4 Ž  , (neben den Ebenen von Mora) CN:  !4_!)%"!), (neben den Ebenen der Vision)

Die auffallend vom MT und von der Septuaginta abweichende Formulierung bei Hieronymus hat in der Forschung schon Beachtung gefunden. Besondere Aufmerksamkeit verdienen hierbei die beiden Beiträge von FRIEDRICH STUMMER : „,Convallis Mambre‘ und Verwandtes“461 von 1932 und der Abschnitt 7 seiner „Beiträge zur Lexikographie der lateinischen Bibel“462 zu „Intrare = sich hinein erstrecken (Dt 11,30)“ aus dem Jahr 1937. Darin deckt STUMMER , wie im Folgenden referiert werden wird, hexaplarische und rabbinischen Einflüsse bei Hieronymus auf und zeigt, welche Rolle für diesen seine eigene Landeskenntnis spielt.463 Dass Hieronymus in der ersten Vershälfte „Kanaanäer“ und nicht Kanaan, wie die Septuaginta übersetzt, liegt an seiner Orientierung am MT. Schwieriger erklärbar ist das Ende des Verses: Was steckt hinter Hieronymus’ Übersetzung des hebräischen 4) !+% als sich weit ausbreitendes Tal? Die Spur, die schon F. STUMMER nachgezeichnet hat, führt, wie im Folgenden gezeigt wird, zur Hexapla und zu parallel laufenden rabbinischen Traditionen. Um dies nachzuvollziehen müssen auch andere Stellen herangezogen werden, an denen Hieronymus im hebräischen Bibeltext die Lemmata *% oder ('!+% vorfindet. Zum verwendeten Numerus sei vorab angemerkt: Sowohl Aquila und die Septuaginta als auch Hieronymus lesen in Dtn 11,30 Singular (*%) statt Plural ('!+%). Anders dagegen die Targumim, die den Plural des MT übernehmen. Vermutlich ist dies bei 459 Syh bezeugt die Aquila-Lesart sogar mit einer Transkription des ersten griechischen Wortes: ’wlwn’ ‫ۊ‬zy’ („Aulôn der Vision“). Der Übersetzer war sich entweder bewusst, dass es sich um einen Eigennamen handeln kann, oder wollte auf die semitische Herkunft des Wortes hinweisen. 460 Neutrum, an Chanaan angeschlossen; WEVERS, Notes on Deuteronomy, 203: „the area that lies to the west“. 461 STUMMER, FRIEDRICH, „Convallis Mambre“ und Verwandtes. Ein Beitrag zur Erklärung der Vulgata, in: JPOS 12 (1932), 6–21. 462 STUMMER, FRIEDRICH, Beiträge zur Lexikographie der lateinischen Bibel, in: Bib. 18 (1937), 23–50, 35ff. 463 Eine Auflistung der Textüberlieferung in verschiedenen Übersetzungen bietet MCCARTHY, Commentary, 83*f.

C.I.3. EINFLÜSSE VON AQUILA

115

Septuaginta und Aquila auf den Einfluss der Parallelstelle Gen 12,6 zurück zu führen, wo 4) *% im Singular vorkommt. Die Frage, wie Hieronymus das hebr. 4) behandelt, wird im Folgenden geklärt. Während die Septuaginta für das hebräische Lemma *% („Eiche, Terebinthe“)464 an den meisten Stellen δρῦς (Eiche) bezeugt, übersetzen die in der Tabelle genannten Targumim in Dtn 11,30 und andernorts (z.B. Gen 12,6 u.v.m.465) mit 46!) (ebenes Tal).466 GROSSFELD vermutet, dass dies der Tendenz der Targumim entspricht, die Lesenden nicht zur Verehrung von Bäumen zu verleiten.467 Die Diskussion um die Bedeutung des Wortes ist im rabbinischen Bereich nicht auf die Targumim beschränkt: Auch der Midrasch BerR zu Gen 12,6 erwähnt die Interpretation, dass es sich bei '!+% um Täler (!46)) handelt.468 Aquila nimmt diese so breit bezeugte Tradition auf und ersetzt das Wort durch das im Griechischen ähnlich klingende griechische αὐλῶν („Tal“) „nach dem bei antiken Übersetzern beliebten Prinzip der Homophonie“.469 Auch in der Übersetzung des hebräischen Wortes 4), das in Gen 12 und Dtn 11 auf !+% folgt, mit καταφανούς, knüpft Aquila an Traditionen an, die auch in der rabbinischen Literatur ihren Niederschlag gefunden haben. In CN z.B. wird 4) vom hebräischen 4) hergeleitet (im Sinne von „sehen lassen”) und im Aramäischen als  („Vision“) ausgedrückt. Der Vollständigkeit halber sei auch noch auf TPsJ hingewiesen, der zwei Traditionen zu kombinieren scheint: !4 !, 4))! („in der Nähe der Visionen Mamres“): 4) ist ersetzt durch 4)) aus Gen 18, und *% wird durch ! ersetzt. Hieronymus wählt mit vallis eine Übersetzung, die von Aquila und rabbinischen Quellen bezeugt wird, aber nicht aus dem MT oder gar aus der Septuaginta ableitbar ist. Neben diesem Problem stellt die Version des Hieronymus uns zudem vor die Frage, woher die Attribute tendentem et intrantem procul stammen könnten, und was er mit dieser näheren Beschreibung des Tales meint. Wie oben gezeigt, stammt die Übersetzung vallis von Aquilas αὐλῶν. Ein Blick in das Onomastikon zeigt, dass „αὐλῶν“ schon bei Euseb, und in seinem Gefolge bei Hieronymus, auch als Eigenname verwendet wird. Es bedeutet nicht nur „Tal“, sondern bezeichnet auch das größte Tal des Heiligen Landes: den Jordangraben. Hieronymus schreibt im Onomastikon in Anlehnung an Euseb: Aulon ist nicht, wie gewisse Leute meinen, ein griechisches, sondern ein hebräisches Wort. Und es bezeichnet ein breites flaches Tal, das sich mit unmessbarer Länge ausdehnt (se extendens). Es ist von der einen Seite von Bergen umgeben (…), die vom Libanon angefangen und über ihn hinaus bis zur Wüste Faran reichen. Und genau in diesem ‚Aulon‘, das heißt, in 464 Obwohl sich bei GESENIUS (Wörterbuch, 62) die beiden Worte *F%Ž und *FR als verschiedene Lemmata finden, die beide „Eiche, Terebinthe“ bedeuten und sich nur in ihrer masoretischen Punktierung unterscheiden, betrachte ich die unpunktierte Form *% im Folgenden als ein Wort, da in der Septuaginta, bei den recentiores sowie bei Hieronymus keine Differenzierung vorgenommen wird, die auf die Kenntnis der Unterscheidung durch die Masoreten hinweist. Vgl. hierzu auch die Einträge zu den griechischen Begriffen bei MURAOKA, Dictionary 2002, 83.135. 465 Vgl. z.B. MCCARTHY, Commentary 84*. 466 Zu den targumischen Übersetzungen vgl. auch die Analysen von CLARKE, TO Dtn (ArBib 5B), 37 Anm. 33: „The Tgs. regularly translate HT ᾽lwn as myšr.” 467 So GROSSFELD/ABERBACH, Genesis TO (ArBib 1), 79, „to avoid the suggestion of worshipping trees”. 468 BerR 42,18 ad 12,6 (ed. MIRQIN 129). 469 STUMMER, Convallis, 7.

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C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

dem flachen Tal (in valle campestri) befinden sich Städte: Das vornehme Skythopolis, Tiberias und der um dieses herum liegende See, aber auch Jericho, das Tote Meer und die Gegenden in seiner Umgebung, durch welche mitten hindurch der Jordan fließt; er entspringt aus den Quellen von Paneas und verschwindet im Toten Meer.470

Die Beobachtung, dass es sich bei Aulon um ein hebräisches Lehnwort handelt, stammt interessanterweise von Hieronymus, der sie an die Erklärung Eusebs anfügt. Die zitierte Erläuterung im Onomastikon spricht dafür, dass Hieronymus auch in Dtn 11,30 das hebräische *% als eine Art Eigennamen für das Jordantal versteht, da ja in dem Vers der Jordan und umliegende Berge direkt genannt werden. Auf den Jordangraben, dieses breit ausgestreckte (tenentem) und aus Sicht der von Südosten kommenden Israeliten in das Heilige Land hinein führende (intrantem) Tal nimmt Hieronymus hier Bezug.471 Ein Blick in die Übersetzung anderer Belege für das hebräische *% gibt noch mehr Aufschluss über die Kenntnisse des Kirchenvaters und über seine Übersetzungstechniken in IH: ('!+% versteht er nämlich nicht immer als Eigennamen für den Grabenbruch und auch nicht ausschließlich im Sinne von „Tal“. In nom. hebr. 18,10 weist er kurz auf die verschiedenen Bedeutungsmöglichkeiten des hebräischen Wortes hin: Elon – quercus sive αὐλῶν, de quo in libro locorum plenius diximus. (Elon – Eiche oder αὐλῶν, über welche wir im Onomastikon ziemlich ausführlich gesprochen haben).472 Hieronymus kennt neben der Bedeutung „Tal“ selbstverständlich auch „Eiche“, wie sie sich in der Septuaginta findet. Dies sieht man nicht nur im o.g. Zitat aus dem Buch über die hebräischen Namen, sondern auch im Text der IH. Auf folgende Weise geht er dort mit diesen verschiedenen Bedeutungen um: In Gen 12,6; 13,18; 14,13 und 18,1 verwendet Hieronymus für *% convallis, in Dtn 11,30 und Ri 4,11 vallis. Dem gegenüber stehen weit mehr Stellen, an denen Hieronymus *% als botanische Bezeichnung versteht und mit quercus (Eiche) übersetzt. In der Septuaginta findet sich an all diesen Stellen fast ausnahmslos δρῦς oder βάλανος (urspr. Eichel); so z.B. in Gen 35,8; Ri 9,6; Jes 2,13 u.v.m. Bei seiner Wahl zwischen den Bedeutungen „Tal“ oder „Eiche“ folgt Hieronymus nicht konsequent einer Quelle. Mal stimmt er in seiner Übersetzung mit Aquila, mal mit der Septuaginta, mal nur mit targumischen Bezeugungen überein.473 Dies ließe sich leicht als willkürliches Vorgehen erklären, dahinter steht jedoch eine bewusste und begründete Korrektur konventioneller philologischer Traditionen. STUMMER zeigt im zweiten Teil seiner Untersuchung „Convallis Mambre“ detailliert, dass Hieronymus von Fall zu Fall auf Grund seiner 470 Sit. et nom. 15,22ff.: Aulon non graecum, ut quidam putant, sed hebraeum uocabulum est. appelatur autem vallis grandis atque campestris in immensam longitudinem se extendens,quae circumdatur ex utraque parte montibus sibi invicem succendentibus et cohaerentibus, qui incipiente a Libano et ultra eum usque ad desertum Faran perveniunt. suntque in ipso Aulone, id est in valle campestri, urbes nobiles Scythopolis, Tiberias stagnumque propter eam sed et Iericho, mare mortuum et regiones in circuitu, per quas medius Jordanis fluit, oriens de fontibus Paneadis, et in mari mortuo interiens [ed. Klostermann, GCS 11,1 (Euseb 3,1), 15,22ff.] Die Erklärung im Onomastikon bezieht sich auf Dtn 1,1. Dort liest Eusebs Septuaginta-Vorlage Αὐλῶν, während im MT 742 steht. Diesem folgt Hieronymus mit der Transliteration Aseroth 471 Zum Folgenden vgl. die detaillierte und mit vollständigen Stellenangaben versehene Untersuchung von STUMMER, Convallis, passim. 472 [Ed. LAGARDE, CChr.SL 72, 18,10] zu Num 26,26, wo es sich um eine Person *% handelt. 473 Zur Auflistung der Einzelnachweise vgl. STUMMER, Convallis, 8f. Direkte Einflüsse von jüdischen Traditionen, die auch in die Targumim Einzug erhalten haben, sieht Stummer in Jos 19,33 und Ri 4,11.

C.I.3. EINFLÜSSE VON AQUILA

117

geographischen Kenntnis des Heiligen Landes auswählt, ob es sich um eine Eiche, ein nicht näher bestimmtes Tal oder den Jordangraben handelt. Daraus ergibt sich jeweils die Nähe zur Septuaginta, zu den hexaplarischen Traditionen oder einer jüdischen Überlieferung. Warum sich Hieronymus im Falle von Dtn 11,30 für das Jordantal und gegen die Eiche entscheidet, lässt sich aus seiner Ortskenntnis und den topographischen Vorstellungen leicht verstehen. Ihm ist die Jordanebene von seinem Besuch in Jericho bekannt.474 Laut Dtn 11,30 liegen Gilgal, das Jordantal und die Wüste Araba in der Nähe dieser Stadt.475 So kommt für Hieronymus nur die Übersetzung von *% durch „vallis“ in Frage. Weiterhin präzisiert er dies durch die Beschreibung „tendentem et intrantem procul“ anstelle des hebräischen 4). Dies ergibt sich aus folgender Konstellation: In Dtn 11,30 hat Hieronymus bei Aquila καταφανῆς vorgefunden. Gleiches mag für Gen 12,6 gelten, auch wenn hierfür keine Aquila-Lesart überliefert ist. Sowohl die konsequente Anwendung der konkordanten Übersetzungstechnik bei Aquila als auch Hieronymus’ dortige Lesart illustrem sprechen dafür, dass Aquila auch in Gen 12,6 καταφανῆς verwendet hat.476 Mag das illustris in Gen 12,6 (IH) die Bedeutungsnuance in sich tragen, die Aquila aus jener Tradition übernommen hat und die auch die Targumim spiegeln – 4) abgeleitet von 4) (Vision), so betont Hieronymus unter dem Einfluss seiner eigenen Landeskunde in Dtn 11,30 eine andere Nuance von illustris: das großartige und überwältigend weite SichAusstrecken des Tals. Für die Frage nach den Quellen und der veritas hebraica zeigt diese Beobachtung an Dtn 11,30 Folgendes: Hieronymus scheut sich nicht, von engführenden Übersetzungen der Septuaginta abzuweichen. Trifft er auf schwierig interpretierbare hebräische Begriffe im MT, greift er gern auf Aquila zurück, hält sich aber nicht sklavisch an die dort zu findenden Deutungen, sondern greift auf Informationen aus seiner jüdischen Umwelt, aus dem Onomastikon oder aus seiner eigenen Kenntnis des Landes für seinen Übersetzung des hebräischen Bibeltexts zurück. Dtn 13,16(17) Eine ähnliche, relativ typische Stelle für hexaplarischen Einfluss auf Hieronymus ist Dtn 13,16(17). Bei der Wiedergabe des hebräischen %7 wählt er tumulus („Hügel“). Das entspricht Aquilas Version (χῶμα), nicht aber der Septuaginta (ἀοίκητος – „unbewohnt“).

474 Vgl. ep. 108,12. 475 STUMMER (Convallis, 17) merkt in diesem Zusammenhang an, dass Hieronymus ganz dezidiert gegen die samaritanische Tradition die Berge Ebal und Garizim aus Dtn 11,30 bei Gilgal nahe Jericho verortet, was aus sit. et. nom. 65,19ff. hervorgeht. Dort ergänzt Hieronymus die Erklärung Eusebs zu Golgol/Galgal (Dtn 11,30) mit den Worten: errant igitur Samaritani, qui iuxta Neapolim Garizin et Gebal montes ostendere volunt, cum illos iuxta Galgal esse scriptura testetur [ed. KLOSTERMANN, GCS 11,1 (Euseb 3,1), 65,19ff.] (Daher irren sich die Samaritaner, die die Berge Garizim und Ebal bei der Stadt Neapolis zeigen wollen, obwohl die Schrift bezeugt, dass sie sich bei Galgal befinden.). 476 So auch STUMMER, Lexikographie, 36.

118

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Dtn 19,14 Der Anfang des Verses 19,14 zeigt Einflüsse von Aquila und Querverbindungen zur Rezeptionstradition des Verses in christlicher und jüdischer Literatur: MT

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstext

"-4% !,7 % '!+64%46

non adsumes et transferes terminos proximi tui quos fixerunt priores

Οὐ μετακινήσεις ὅρια τοῦ πλησίον σου, ἃ ἔστησαν οἱ πατέρες σου

Versetze die Grenze deines Nachbarn nicht, die die Früheren abgegrenzt haben.

Füge nicht hinzu und versetze nicht die Grenzen deines Nachbarn, die die Vorfahren festgelegt haben.

Versetze die Grenzen deines Nächsten nicht, welche deine Väter festgelegt haben.

α' (Syh): non addes adsumere terminum socii tui (Füge nicht hinzu [und] nimm nicht hinzu die Grenze deines Bundesgenossen.)

Die Übersetzung Aquilas und Hieronymus’ stimmen in zweifacher Weise überein: statt eines Verbs werden zwei Verben wiedergegeben, von denen eines (bzw. beide bei Aquila) die Bedeutung präzisieren: Statt lediglich Grenzverschiebungen zu verbieten wird die implizierte Intention, Gebietsgewinne zu erzielen, explizit gemacht. Sowohl in jüdischer als auch in christlicher Literatur wurde der Vers oftmals auf andere Sachverhalte übertragen. Ausgehend von dem Relativsatz (46 '!+64 %/ ἃ ἔστησαν οἱ πατέρες σου) bezog man das „Verändern“ auf die Überlieferungen der Vorgänger, z.B. die Halakha in der rabbinischen Literatur, oder auf christliche Synodalbeschlüsse, auf den biblischen Kanon u.v.m.477 So zitiert beispielsweise Origenes den Vers Dtn 19,14 in ep. 1 ad Africanum 8 im Zusammenhang von Dtn 4,2 und 13,1. Da in diesen beiden Versen, den deuteronomistischen Kanonschlussformeln, explizit vom Hinzufügen (und Wegnehmen) die Rede ist, sind wohl auf diesem Wege die Begriffe adsumere bzw. addere in die Übersetzungen von Hieronymus und Aquila geraten. Die Konstruktion bei Aquila (finites Verb plus Infinitiv) erinnert an seine wortwörtliche Wiedergabe hebräischer figurae etymologicae, in diesem Fall handelt es sich bei Aquila jedoch um verschiedene Verben, sodass nicht von einer abweichenden hebräischen Vorlage ausgegangen werden sollte. Dtn 25,11 An Dtn 25,11 lässt sich ebenfalls ablesen, wie Hieronymus von der Septuaginta und altlateinischen Versionen abweicht und sich stattdessen unter Zuhilfenahme der Hexapla an den hebräischen Text annähert. Der Vers beschreibt folgendes Problem: Zwei Männer geraten in handgreiflichen Streit, die Ehefrau des einen kommt ihrem Gatten zur Hilfe und berührt den anderen Kämpfenden im Schambereich. Letztgenannter Satzteil ist folgendermaßen ausgedrückt: 477 Vgl. hierzu den Überblick jüdischer und christlicher Quellen bei DOGNIEZ/HARL, Deutéronome, 235ff.

C.I.3. EINFLÜSSE VON AQUILA

MT

Hieronymus

!6) 3! … und sie bekommt seine Schamteile zu fassen.

Septuaginta

et adprehenderit verenda eius

ἐπιλάβηται τῶν διδύμων αὐτοῦ

… und fasst an seine Schamteile.

… sie fasst an seine Hoden.

119

Vergleichstexte Cod.Lugd.: geminos (Hoden) α': ἐν αἰσχύναις (Schamteile)

Das hebräische !6) ist Hapaxlegomenon, eine substantivierte Form der Wurzel 6 („sich schämen“). In der Septuaginta und altlateinischen Tradition findet Hieronymus einen stärker präzisierten Begriff vor („Hoden“). Mithilfe von Aquila korrigiert er dies und nähert seine Übersetzung an den hebräischen Text an. Auch die Targumim bleiben nahe am hebräischen Text und übersetzen mit !777! („Schambereich“).

Dtn 26,14 Auch die Übersetzung von )  („in Unreinheit“) mit in immunditia in Dtn 26,14 geht mit Aquila parallel (ἐν μιασμῷ) und korrigiert εἰς ἀκάθαρτον aus der Septuaginta (vgl. S. 206). Dtn 27,7 In den Versen Dtn 27,1–10 weist Mose die Israeliten an, beim Durchzug durch den Jordan gekalkte Steine aufzurichten, um darauf Gesetzestexte zu schreiben. Zusätzlich sollen Opfer dargebracht werden: MT 7 '!)%6  '67%# … und opfere '!)%6 und iss es dort.

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstexte

et immolabis hostias pacificas comedesque ibi

καὶ θύσεις ἐκεῖ θυσίαν σωτηρίου κυρίῳ τῷ θεῷ σου καὶ φάγῃ

… und du sollst Friedensopfer opfern und dort essen.

… und du sollst dort ein Erlösungsopfer opfern dem Herrn, deinem Gott, und essen.

CG (A): *!)%67,!#+*,#7 (und opfere das *!)%6-Opfer) Syr: wdb‫ ۊ‬šlm’ (und opfere das Friedensopfer) Cod.Lugd.: victima salutis (Erlösungsopfer) α' (Ex 24,5 u.a.): εἰρηνικός (Friedens-[opfer])

Die Übersetzung des Begriffs '!)%6 ist in der Hexapla an dieser Stelle nicht überliefert. Ob der oben angeführte Targumtext aus der Kairoer Geniza eine Bedeutungsparallele zu IH darstellt, ist schwierig zu entscheiden. Wahrscheinlich handelt es sich bei *!)%67,!#+ um eine aramaisierte Form, die als terminus technicus verstanden wird. Ein Einfluss der Hexapla scheint hier naheliegend: Aquila verwendet an anderen Stellen, an denen im MT '!)%6 und in der Septuaginta θυσία σωτηρίου bzw. σωτήριον zu finden ist, das Adjektiv εἰρηνικός (Ex 24,5; 32,6; Lev 3,1.3.6.9 u.v.m.)

120

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Dtn 28,30 In Dtn 28,15–68 werden Flüche aufgezählt, die diejenigen treffen, die die Gebote JHWHs nicht halten. MT 6!6476 +%6! 4

Hieronymus

Septuaginta

uxorem accipias et alius dormiat cum ea

γυναῖκα λήμψῃ, καὶ ἀνὴρ ἕτερος ἕξει αὐτήν

Du wirst eine Frau nehmen und ein anderer wird mit ihr schlafen.

Du wirst eine Frau nehmen und ein anderer Mann wird sie haben.

Qerê: +#6! Mit einer Frau wirst du dich verloben, aber ein anderer Mann wird sie vergewaltigen.

Vergleichstexte Cod.Lugd.: habebit eam (wird sie haben) α': συγκοιτασθήσεται (sich [mit ihr] niederlegen) α', σ', θ' (Syh): subagitabit eam (wird sie unterwerfen) TO: +!#6!/ TPsJ,CN: )-6)6! (er wird ihr beischlafen)

Qerê: mit ihr schlafen

Hieronymus weicht hier sehr deutlich von Septuaginta (ἔχω) und den altlateinischen Versionen (habere/accipere) ab. Seine Übersetzung entspricht dem als Aquila-Version überlieferten συγκοιτασθήσεται. Diese wiederum orientiert sich an der euphemistischeren Formulierung im Qerê der masoretischen Überlieferung. Auch die Targumim folgen dem Qerê (#6 6)6). Die in der Syrohexapla überlieferte Lesart, die allen drei recentiores zugeordnet ist, bietet eine Übersetzung, die das hebräische Ketib wiedergibt (subagitabit eam). Dtn 29,16(17) In Dtn 29,15f.(16f.) erinnert Mose Israel an die Zeit der Knechtschaft in Ägypten und die Zeit der Wüstenwanderung und die Begegnung mit anderen Völkern: MT 29,16

Hieronymus 29,17

Septuaginta 29,16

Vergleichstext

'!236 747 '!%%7

vidistis abominationes et sordes id est idola eorum

καὶ εἴδετε τὰ βδελύγματα αὐτῶν καὶ τὰ εἴδωλα αὐτῶν

α': καθάρματα478 (Abfall/ Schlacke)

Und ihr saht ihre Gräuel und ihre '!%%.

Ihr saht ihre Gräuel und Schmutz, das sind ihre Götzenbilder.

Und ihr saht ihre Gräuel und ihre Götzenbilder.

Das hebräische '!%% lässt sich, wie die Masora es tut, als Plural von %% lesen, was einen runden Holzstamm, oder eine Stele als Kultbild bezeichnet. Diese Bedeutung ist in der Septuaginta mit εἴδωλα wiedergegeben. Das Nomen %% kann allerdings auch für „Dung“ oder „Kotballen“ verwendet werden. Dies liegt der Übersetzung von Aquila zugrunde. Hieronymus kombiniert beide Möglichkeiten und setzt sie erklärend nacheinander. 478 Zur Bedeutung vgl. DOGNIEZ/HARL, Deutéronome, 301: „ce que l’on jette pour purifier“.

C.I.3. EINFLÜSSE VON AQUILA

121

Dtn 32,10 In den Versen Dtn 32,10–14 beschreibt Mose in einem Lied (4!6, Dtn 31,30) die Erwählung Jakobs durch JHWH: MT 142)! 4) Er fand ihn in der Wüste.

Hieronymus

Septuaginta

invenit eum in terra deserta

αὐτάρκησεν αὐτὸν ἐν γῇ ἐρήμῳ

Er fand ihn in einem verlassenen Land.

Er versorgte ihn in der Wüste.

Vergleichstexte α': εὗρεν (er fand) σ': ἠπόρησεν (er entbehrte)

Hieronymus gibt wie Aquila das Hebräische relativ wörtlich wieder und korrigiert damit die Übersetzung der Septuaginta. Die Abweichung des griechischen Texts ist am besten dadurch zu erklären, dass die Septuaginta den Vers an den Kontext anpasst. Denn im weiteren Verlauf des Verses werden im Hebräischen und auch in der Septuaginta Verben verwendet, die JHWHs fürsorgliches Handeln an den Israeliten während der Wüstenwanderung benennen (ἐκύκλωσεν αὐτὸν καὶ ἐπαίδευσεν αὐτὸν καὶ διεφύλαξεν αὐτὸν ὡς κόραν ὀφθαλμοῦ – „Er umgab ihn, und lehrte ihn und behütete ihn wie einen Augapfel.“)479 Dtn 32,24 In Dtn 32,19–25 beschreibt Mose, wie sich der Zorn JHWH über das untreue Israel auswirkt: MT !)%-4!) !4!4) 3/64

Ausgelaugt vom Hunger [sind sie] und gefressen von Pest und bitterer Seuche.“481

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstexte

consumentur fame et devorabunt eos aves morsu amarissimo

τηκόμενοι λιμῷ καὶ βρώσει ὀρνέων καὶ ὀπισθότονος ἀνίατος

Sie werden vom Hunger zerfressen werden, und Vögel werden sie mit einem sehr bitteren Biss verschlingen.

Sie sind aufgelöst durch Hunger und durch Verzehr von Vögeln, und – unheilbare Krankheit [Nominativ!]

α' (Syh):480 comesti (βεβρωμένοι) in fame et comesti ab ave et a morsibus amaritudinis (du aßest [sie wurden gefressen] in Hunger und vom Vogel, und von den Bissen der Bitterkeit)

Der hebräische Text ist, wie sich an den antiken Übersetzungen erkennen lässt, schwer verständlich. Hieronymus behilft sich durch deutliche Anleihen bei Aquila. Die altlateinischen Versionen dagegen bieten den Septuaginta-Text (Cod. Lugd.: tabescent a fame et escae avium). 479 Vgl. WEVERS, Notes on Deuteronomy, 514. 480 WEVERS (Notes on Deuteronomy, 523) gibt das erste Wort in griechischer Retroversion als βεβρωμένοι im Passiv wieder. 481 Vgl. SANDERS: „My Sucker (?) Hunger and my Worrior Rešep, and Qe৬eb, my Poisonous One.“ (Provenance, 193)

122

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Dtn 32,26 Dtn 32,26 beschreibt Mose in Form einer JHWH-Rede, wie dieser auf die Untreue seines Volkes reagiert: MT !74) '!0 Ich sagte: '!0.

Hieronymus

Septuaginta

dixi: ubinam sunt

εἶπα Διασπερῶ αὐτούς

Ich sagte: Wo sind sie denn?

Ich sagte: Ich werde sie zerschlagen.

Vergleichstexte α' (Syh): ’p ’y hm (Wo sind sie denn?)

In Dtn 32,26 findet sich im hebräischen Text die schwer verständliche Konsonantenfolge '!0. Hieronymus zeigt sich von Aquila beeinflusst. Die Übersetzung der Septuaginta fußt wahrscheinlich auf einer Buchstabenvertauschung (2 statt des zweiten ). Die so entstandene Konsonantenfolge '!20 wird dann von der hebr. Wurzel 10 („zerstreuen“) hergeleitet.482 Ihr folgen die altlateinischen Codices (Lugd., Monac., Paris.): Dispargam eos. Die Targumim trennen die hebräischen Buchstaben auf dieselbe Weise wie Hieronymus und Aquila, verstehen aber das hebräische / im Sinne von „Zorn“. Aquila liest !0 als 0! („wo“), woran sich Hieronymus anschließt. Dtn 33,12 Mit dem Vers Dtn 33,12 beginnt der Segen Moses über den Stamm Benjamin. Die zweite Vershälfte lautet: MT

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstext α': παστώσει (er wird ein Brautgemach bereiten)

%#!%-/0 '! 

quasi in thalamo tota die morabitur

καὶ ὁ θεὸς σκιάζει ἐπ’ αὐτῷ πάσας τὰς ἡμέρας

Er beschirmt ihn alle Tage

Wie in einem Brautgemach wird er sich den ganzen Tag aufhalten.

Und Gott spendet Schatten über ihm alle Tage

Hieronymus lehnt sich bei der Übersetzung des ersten hebräischen Verbs an Aquila an. Dieser leitet die Form /0 vom Substantiv 0 („Brautgemach“) her und bildet analog aus dem griechischen παστός das Verb παστόω. Dies übernimmt Hieronymus gegen die Septuaginta – allerdings in einer doppelten Brechung: Durch das Einfügen von quasi wird die bildhafte Sprache als solche markiert. Durch die Formulierung morabitur wird der direkte Vergleich der Gott-MenschBeziehung mit der Ehe abgemildert. Dieser Tendenz entspricht auch Hieronymus’ Bearbeitung der ersten Vershälfte. Im hebräischen Text wird Benjamin als ! !! bezeichnet, in der Septuaginta als ἀγαπημένος ὑπὸ θεοῦ. Hieronymus gibt dies mit amantissimus 482 So WEVERS, Notes on Deuteronomy, 524; MCCARTHY, Commentary, 147*.

C.I.3. EINFLÜSSE VON AQUILA

123

Domini wieder. Nicht Gott ist hier Liebender und Benjamin Geliebter, Hieronymus vermeidet die anthropomorphe Rede von Gott und spricht von Benjamin als dem, der Gott liebt.

C.I.3.3

Auswertung

Die Analyse der o.g. Stellen zeigt, dass sich Hieronymus dort, wo die Septuaginta vom masoretischen Text abweicht, häufig von Aquila beeinflusst zeigt. Zu den hier genannten Stellen mit positivem Einfluss von Aquila sind weiterhin noch diejenigen zu zählen, an denen Hieronymus Aquila parallel mit einem anderen der recentiores folgt (s.u. C.I.6.). Dies ist in Dtn 3,10; 4,43; 6,8 (par 11,18); 7,9; 23,2(3); 29,18(19); 30,3; 31,1; 32,5 der Fall. Besonders hervorzuheben ist Dtn 7,9: Hier übernimmt Hieronymus die Lesart ἰσχυρός von Aquila und Theodotion als fortis für das hebräische Wort %, das in der Septuaginta nah am Hebräischen mit θεός wiedergegeben ist. Nur selten ist jedoch zu beobachten, dass Hieronymus eine Aquila-Lesart der Symmachus-Version vorzieht (2,34; 3,17; 11,18; 32,10). Andererseits finden sich häufig Stellen, an denen Hieronymus sich nicht der Version Aquilas anschließt. Dort bevorzugt Hieronymus entweder Symmachus (4,19; 7,11; 8,15; 11,16; 32,10.14; 33,2.6), Theodotion (32,27), oder folgt einer Tradition, die Parallelen in der jüdischen Überlieferung hat (16,8; 20,20; 26,5; 33,3.19.25) und in einigen Fällen auf seine hebräischsprachigen Informanten zurückgeht. In Dtn 27,26; 32,5.31 lehnt Hieronymus Aquila und Symmachus ab und folgt gegen deren relativ wörtlicher Interpretation der Septuaginta. Hieronymus’ Zugang zu Aquila zeigt mehrerlei: Zunächst, dass er häufig auf diese Übersetzungen zurückgreift, die er der Generalkritik unterwirft, zu wörtlich, zu jüdisch und misstönend zu sein. Zum anderen wird deutlich, dass Hieronymus selektiv und eklektisch mit seinen Quellen umgeht, weit davon entfernt, schematisch vorzugehen.

124

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

C.I.4.

Einflüsse von Symmachus

C.I.4.1

Symmachus bei Hieronymus und in der Forschung

Wie bei der Darstellung der Aquila-Übersetzung sollen nun einige Informationen zur Einführung in die Übersetzung des Symmachus dienen. Dabei handelt es sich zunächst um die Charakterisierung des Symmachus bei Hieronymus und in weiteren antiken christlichen und jüdischen Texten. Darauf folgt ein Blick auf die gegenwärtige Symmachus-Forschung. Im Anschluss daran werden diejenigen Stellen aus der Übersetzung des Hieronymus vorgestellt, bei denen er sich in der Deutung des hebräischen Bibeltexts an Symmachus orientiert (C.I.4.2). Symmachus bei Hieronymus Den Übersetzer Symmachus nennt Hieronymus entsprechend der Aufteilung der Spalten der Hexapla meist als zweiten der drei namentlich bekannten recentiores. Doch anders als bei Aquila fällt Hieronymus’ Bewertung überwiegend positiv aus. Er attestiert Symmachus, apertius und manifestius zu übersetzen („ziemlich klar und deutlich“)483 – was Hieronymus häufig im Kontrast zu Theodotion und Aquila verwendet. Dies liegt hauptsächlich daran, dass die Übersetzungsprinzipien des Symmachus denen von Hieronymus entsprechen. So bemüht sich Symmachus, laut Hieronymus, um einen guten Stil: Symmachus qui non solet verborum κακοζηλίαν, sed intelligentiae ordinem sequi.484 Und um dies zu erreichen, folgt er mehr dem Sinn als dem Wortlaut des Hebräischen: sensum potius sequi.485 So wundert es auch nicht, dass Hieronymus die Übersetzung des Symmachus sehr häufig positiv bewertet und sich dessen Text für die eigene Übersetzung oder Auslegung zu eigen macht, wie Detailstudien an seinen Kommentaren gezeigt haben.486 Im Ganzen gesehen bietet Hieronymus allerdings weit weniger Informationen zu Symmachus als zu Aquila.487 483 manifestius scheint das Lieblingswort zu sein, mit dem Hieronymus Symmachus charakterisiert. So in quaest. hebr. 13,4; in Ps 138,1; in Eccl. ad 9,1; in Is. II ad 5,1. 484 In Am. I ad 3,11 [ed. ADRIAEN, CChr.SL 76, 250,258f.] (… Symmachus, der nicht dem üblen Klang des Wortlauts sondern einem geordneten Verständnis zu folgen pflegt.). 485 cf. prol. Iob (IH) [WEBER, 731,3ff.]. 486 So z.B. CANNON, Jerome and Symmachus, 191. Für den Koheleth-Kommentar und die Übersetzung des Kohelethbuches IH beobachtet CANNON im Blick auf Symmachus, dass dieser nicht nur gelegentlich, wie Aquila und Theodotion, zu Rate gezogen wird, sondern „constant“. Hieronymus referiert die Symmachuslesart sogar auch dann, wenn er sich für eine andere entscheidet. Schon DRIVER beobachtete: „Where the Vulgate exhibits a rendering which deviates alike from the Hebrew text and from the LXX the clue to its origin will generally be found in one of the other Grk. (!) translations especially in that of Symmachus.“ (DRIVER, SAMUEL R., Notes on the Hebrew Text and the Topography of the Books of Samuel with an Introduction on Hebrew Palaeography and the Ancient Versions and Facsimiles of Inscriptions and Maps, Oxford 1890, LV.) 487 Eines der frühesten Zeugnisse des Hieronymus über Symmachus ist die Erwähnung einer Lesart zu Gen 4,23f. in ep. 36,2. Daraus lässt sich nicht sicher ableiten, ob Hieronymus, wie bei Aquila denkbar, auch schon in den frühen 380er Jahren eine Symmachus-Version zu

C.I.4. EINFLÜSSE VON SYMMACHUS

125

Symmachus in der christlichen und jüdischen Literatur der Antike Neben der Charakterisierung der Übersetzung des Symmachus erwähnt Hieronymus gelegentlich, dass es sich bei Symmachus um einen Ebioniten gehandelt habe.488 Diese Information hat Hieronymus wohl von Euseb übernommen. Dieser gibt mit vorsichtiger Formulierung die Tradition wieder, dass Symmachus dieser judenchristlichen Gruppe angehangen zu haben scheint (δοκεῖ), und dass man von ihm sagt (λέγεται), er sei Ebionit gewesen.489 Eusebs Sicht war gegen Ende des vierten Jahrhunderts offenbar weit verbreitet, denn auch Augustin hält Symmachus für den Gründer der Ebionitischen Sekte der Symmachianer. Euseb weiß überdies zu berichten,490 dass Origenes von einer Christin namens Juliana in Caesarea die ὑπομνήματα des Symmachus erhielt, die dieser gegen das Matthäusevangelium verfasst hatte,491 – zusammen mit weiteren seiner Werke: μετὰ καὶ ἄλλων εἰς τὰς γραφὰς ἑρμηνειῶν τοῦ Συμμάχου.492 Ob es sich bei den letztgenannten ἑρμηνεία allerdings um die Bibelübersetzung oder um andere exegetische Werke handelt, ist unsicher.493 Juliana wiederum hatte dieser Erzählung zufolge diese Schriften persönlich von Symmachus erhalten. Frühere Zeugnisse über Symmachus aus der christlichen Literatur sind rar. Origenes verwendet die Symmachus-Übersetzung etwa ab 230, erwähnt aber nichts Näheres über den Autor der Übersetzung. Auch Irenäus, der über Aquila und Theodotion berichtet, hüllt sich in Schweigen. Letzteres könnte e silentio darauf hindeuten, dass die Symmachus-Übersetzung erst nach Irenäus, also ab circa 200 entstanden ist.494 Den o.g. Traditionen von Euseb stehen bei Epiphanius (mens. 16) andere, teils entgegengesetzte biographische Angaben über Symmachus gegenüber. Er erwähnt, Symmachus sei ursprünglich Samaritaner gewesen. Zur Zeit des Severus (193– 211) sei er zum Judentum konvertiert und habe sich dafür zum zweiten Mal beschneiden lassen, was Epiphanius in aller anatomischen Einzelheit beschreibt. Seine Bibelübersetzung sei gegen die Theologie der Samaritaner gerichtet.

488

489 490 491

492 493 494

Verfügung hat oder lediglich über Informationen zur besagten Stelle verfügt. Zu dem Problem der Datierung und Bewertung des Briefverkehrs mit Damasus (fiktiv oder überarbeitet) vgl. auch FÜRST Hieronymus, 67. De vir. 54. Vgl. in Hab. II ad 3,13, wo Hieronymus von der „armseligen“ (pauper) Übersetzung der Ebioniten Symmachus und Theodotion spricht: Theodotio autem vere quasi pauper et Ebionita, sed et Symmachus eiusdem dogmatis, pauperem sensum secuti, iudaice transtulerunt (vollständiger Text und Übersetzung s.o. Anm. 428.). Die Charakterisierung der Übersetzung des Symmachus und des Theodotion als „armselig“ stellt ein Wortspiel dar, denn die Bezeichnung „Ebionit“ leitet sich vom hebräischen *! („arm“) her. H.e. VI 17; dem. ev. VII 1,33. Ebenso Palladius, Historia Lausiaca 64, der die Erzählung auf das Caesarea in Kappadokien bezieht, was (s.u.) JELLICOE aufgreift. Hieronymus scheint Eusebs Formulierung ἐν οἷς δοκεῖ πρὸς τὸ κατὰ Ματθαῖον ἀποτεινόμενος εὐαγγέλιον [ed. SCHWARTZ, GCS 9,2 (Euseb 2/2), 556,4] (… in denen er sich polemisch gegen das Matthäusevangelium zu wenden scheint …) misszuverstehen, denn er schreibt in vir. ill. 54 über den Übersetzer Symmachus: qui in evangelium quoque κατὰ Ματθαῖον scripsit commentarios [ed. RICHARDSON, TUGAL 14,1a, 32,35f.] (… welcher auch Kommentare zum Matthäusevangelium geschrieben hat.). Zu diesem Missverständnis verleitet ihn vielleicht die Kenntnis eines bei Judenchristen zirkulierenden Matthäusevangeliums. Zur Diskussion dieser Stelle und ihrer Rezeption vgl. FERNÁNDEZ MARCOS, Septuagint in Context, 124 Anm. 6. Zu einer detaillierten Auswertung der Quellen vgl. Salvesen, Symmachus on the Pentateuch, 283ff. Vgl. SALVESEN, Symmachus on the Pentateuch, 288. So FERNÁNDEZ MARCOS, Septuagint in Context, 123.

126

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Stand der Symmachus-Forschung Die beiden skizzierten altkirchlichen Traditionsstränge zur Herkunft des Übersetzers haben in der Symmachusforschung in unterschiedlicher Weise Beachtung gefunden: Durch die „Symmachusstudien“ von H. J. SCHOEPS verbreitete sich dessen These, dass Symmachus, wie von Euseb und Hieronymus berichtet, Judenchrist gewesen und seine Übersetzung durch die ebionitische Theologie geprägt sei.495 W. W. CANNON hatte schon vor SCHOEPS in seinem Beitrag über Hieronymus und Symmachus von 1927 mit dieser These gearbeitet.496 Doch insbesondere durch die Arbeiten von DOMINIQUE BARTHÉLEMY497 und nach ihm von ALISON SALVESEN ist die unkritische Rezeption der Kirchenväterberichte und mit ihr die bei SCHOEPS zugrunde gelegte Rekonstruktion ebionitischer Theologie in die Kritik geraten.498 Auch die Notizen bei Euseb werden dabei kritischer betrachtet.499 Plausibler scheint, dass Symmachus, wie Epiphanius dies beschreibt, ein zum Judentum konvertierter Samaritaner gewesen ist. Dies wird durch jüdische Quellen gestützt. Die rabbinische Überlieferung berichtet von einem ,#),, Schüler des Rabbi Meir, aus der Zeit der späten tannaitischen und frühen amoräischen Rabbinen, also um 200 n.Chr. Dies stimmt mit der Angabe des Epiphanius überein, dass Symmachus zur Zeit des Kaisers Severus

495 Vgl. H. J. SCHOEPS, Symmachusstudien I–III, entstanden in den Jahren 1942–1948, gesammelt in: DERS, Aus frühchristlicher Zeit. Religionsgeschichtliche Untersuchungen, Tübingen 1950, 82–119; erstmals veröffentlich als DERS., Ebionitisches bei Symmachus, in: CNT 6 (1942), 62–93; DERS., Mythologisches bei Symmachus, in: Bib 29 (1946), 100–111; DERS., Symmachus und der Midrasch, in: Bib 29 (1948), 31–51. 496 CANNON, W. W., Jerome and Symmachus. Some Points in the Vulgate Translation of Kohelet, ZAW 4 (1927), 191–199. Er arbeitet v.a. mit der Beobachtung, dass Symmachus in Eccl 12,5 das hebräische +! (hier: die Kaper) mit ἡ ἐπίπονος (die Bedrückte) wiedergibt. Für CANNON ist dies ein Hinweis darauf, dass Symmachus das hebräische Wort mit dem Namen seiner Gemeinschaft identifiziert (Jerome and Symmachus, 199). 497 BARTHÉLEMY, D., Qui est Symmaque? in: CBQ 36 (1974) ,451–465; DERS., Les Devanciers, 144–157. 498 Vgl. hierzu SALVESEN, Symmachus on the Pentateuch, 290ff., und DIES., Symmachus Readings, pass. Neben dem grundsätzlichen Problem der Rekonstruktion einer ebionitischen Theologie kritisiert sie an der Methodik von SCHOEPS, dass er seine Beispiele v.a. aus den prophetischen Schriften der Symmachus-Übersetzung nimmt, d.h. aus Büchern, die nach dem Zeugnis des Epiphanius von den Ebioniten verworfen werden. SALVESEN kommt bei ihrer Arbeit am Pentateuch zu dem Schluss, dass sich in den Symmachustexten keinerlei Spuren ebionitischer Theologie finden lassen (Symmachus on the Pentateuch, 297). Auch FERNÁNDEZ MARCOS teilt diese Einschätzungen (Septuagint in Context, 126). Zu grundsätzlichen Fragen des spätantiken Judenchristentums und seiner Darstellung bei den Kirchenvätern vgl. SCHIFFMAN, L.H., Who was a Jew?, New Jersey 1985, v.a. 59 und 76f., und KLIJN, A. F. J. / REININK, G. J., Patristic Evidence for Jewish-Christian Sects (SNT 36), Leiden 1973, v.a. 19ff. 499 Zur Bewertung der Textstelle bei Euseb vgl. BARTHÉLEMY, Qui est Symmaque?, 460. Er zeigt, dass sich Eusebs Einschätzung des Symmachus aus dem Irenäus-Zitat in adv. haer. III 21,1 über Aquila und Theodotion ergibt, welches er in seiner Kirchengeschichte referiert (h.e. V 8). Irenäus erklärt, dass Aquila und Theodotion in Jes 7,14 )%- mit νεᾶνις wiedergeben und dass dies der adoptianistischen Theologie der Ebioniter entspreche. Da auch Symmachus in Jes 7,14 νεᾶνις übersetzt, hält Euseb ihn ebenfalls für einen Ebioniten. SALVESEN (Symmachus on the Pentateuch, 289) schließt sich dieser Interpretation der Quellen an und weist zudem darauf hin, dass sich Euseb durch die Verwendung der Verben δοκεῖ und λέγεται sehr zurückhaltend ausdrückt. Ebenso‚ argumentiert auch FERNÁNDEZ MARCOS (Septuagint in Context, 126).

C.I.4. EINFLÜSSE VON SYMMACHUS

127

wirkte.500 Von jenem Sûmkhôs wird in ySanh 4:1 (21a) zudem berichtet, er sei von nicht-jüdischer Herkunft gewesen. Dies schließt zumindest nicht aus, dass er Samaritaner war. Rabbi Meir wiederum werden zahlreiche antisamaritanische Aussagen zugeschrieben (bAZ 26b, bMen 42a), wobei vielfach, genau wie im Falle von Symmachus, die Ungültigkeit der samaritanischen Beschneidung im Zentrum steht. Epiphanius hatte, wie oben erwähnt, davon berichtet, dass Symmachus sich nach seinem Übertritt zum Judentum erneut beschneiden ließ. Außerdem entdeckte BARTHÉLEMY exegetisch-philologische Parallelen zwischen R. Meir und Symmachus.501 Die Datierung der Arbeit des Symmachus allein aus den christlichen Quellen gestaltet sich durch das Fehlen von Zeugnissen bei Irenäus oder Origenes schwierig.502 Durch die Zusammenschau des Epiphanius mit rabbinischen Quellen ergibt sich die sehr plausible Position von ARIE VAN DER KOOIJ,503 die Übersetzung um 200 anzusetzen, also in die Regierungszeit des von Epiphanius erwähnten Severus. Dafür spricht auch die Nähe zur Zeit zwischen den tannaitischen und amoräischen Rabbinen, und die Einordnung in die Biographie des Origenes, der sich um 215 in Caesarea aufhält und dort über Juliana oder schon früher Zugriff auf diese Traditionen bekommen haben könnte. Auch geographisch ist eine Entstehung in Caesarea nicht unwahrscheinlich, denn sowohl das Bedürfnis nach 500 Dass es sich bei ,#), um den Übersetzer Symmachus handeln könnte, mutmaßt schon ABRAHAM GEIGER, Symmachus, der Übersetzer der Bibel, in: Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben 1 (1928), 39–64. 501 Z.B. die Erklärung von Wortbedeutungen durch Hinzufügung oder Abtrennung eines  an/von der Verbwurzel (Qui est Symmaque, 464). Als Beispiel sei auf Dtn 6,8 verwiesen (vgl. S. 133). 502 Mit den Schwierigkeiten der Datierung befasste sich erstmals GIOVANNI MERCATI (L’età di Simmacho l’interprete e S.Epiphanio ossia se Simmaco tradusse in greco la bibbia sotto M. Aurelio il filosofo, Nachdr. in: ders., Opere minore I. Studie e Testi, Vaticanstadt 1937, 20–92.). Vor den o.g. Untersuchungen SALVESENS und BARTHÉLEMYS stellten die Einschätzungen von SWETE und JELLICOE maßgebliche Richtwerte für die Forschung dar. SWETE (Introduction, 50) datiert Symmachus vor 180, in die Zeit des Marc Aurel. Ausgangspunkt ist bei ihm die widersprüchliche Chronologie bei Epiphanius: Zum einen betont dieser, dass zunächst Symmachus und nach diesem Theodotion seine Übersetzung angefertigt habe (mens. 17). Andererseits datiert er Theodotion in die Zeit des Commodus (180–193), Symmachus jedoch in die Epoche von dessen Nachfolger Severus (193–211). Liest man den Namen des Zeitgenossen von Symmachus aber gemäß der syrischen Überlieferung als „Verus“ statt „Severus“, so löst sich, laut SWETE, das chronologische Problem: „Verus“ ist, wie auch Epiphanius im Folgenden zu berichten weiß, der Geburtsname von Marc Aurel, der bis 180 seinem Sohn Severus als Regent vorausging. Problematisch an der Einschätzung SWETES ist aber, dass die neuere Forschung von einem frühen Theodotion ausgeht. Daher ist ohnehin zu fragen, wie verlässlich der Bericht des Epiphanius ist. Eine bessere Erklärung für die Widersprüche bei Epiphanius bietet FELIX ALBRECHT (Die Septuaginta, 49f.) auf literarkritischem Wege. Er zeigt, dass Epiphanius seine Vorlage so bearbeitete, dass die zeitliche Abfolge von Symmachus und Theodotion der Spaltenaufteilung in der Hexapla entspricht, indem er in mens. 16 die aus seiner Vorlage übernommene SymmachusNotiz vor die Angabe über Theodotion zieht und in mens. 18 selbst formuliert, Symmachus habe zur Zeit von Marc Aurel (161–180) und seinem Mitregenten Lucius Verus (161–169) gewirkt. ALBRECHT hält die Information der Vorlage des Epiphanius, also die Datierung der SymmachusÜbersetzung in die Zeit des Severus (193–211) für am glaubwürdigsten. JELLICOE dagegen (Septuagint and Modern Study, 96f.) nimmt für die Symmachus-Übersetzung eine Entstehung sogar nach 230 an. Er datiert die Begegnung zwischen Origenes und Juliana auf 235–238 in Caesarea in Kappadokien. Die Bibeltexte, die sich bei Origenes vor 230 finden und mit Symmachus übereinstimmen, hält JELLICOE für vorchristliche Revisionen. Kritisch hierzu FERNÁNDEZ MARCOS, Septuagint in Context, 123f. Anm. 4. 503 VAN DER KOOIJ, Symmachos, 3ff. SALVESEN übernimmt diese Einschätzung (Symmachus on the Pentateuch, 295f.).

128

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

einer stilistisch hochwertigen griechischen Bibelübersetzung in einer hellenistisch geprägten Stadt mit einem großen jüdischen Bevölkerungsanteil als auch die Nähe zu rabbinischen Traditionen aus Galiläa passen in diese Gegend.504 Neben der Nähe zu rabbinischen Auslegungen finden sich bei Symmachus folgende stilistische Merkmale:505 Typisch für ihn sind zusammengesetzte Nomina, eine Vielfalt griechischer Partikel, die Ersetzung von finiten Verben mit Kopula durch Partizipialkonstruktionen. Theologisch zeichnet sich die Übersetzung durch eine Tendenz zur Vermeidung anthropomorpher Bezeichnungen für Gott sowie eine Betonung des Monotheismus aus.506 Er bewegt sich meist zwischen der strengen Wörtlichkeit Aquilas und den ausführlichen haggadischen Ergänzungen der Targumim.507 Neben Aquila und dem (protomasoretischen) hebräischen Text scheint Symmachus noch andere griechische Bibeltexte vorliegen zu haben, darunter wohl eine unrevidierte Septuaginta-Fassung und die καίγε-Theodotion-Revision.508 Hieronymus spricht, jedoch seltener als bei Aquila, von einer secunda oder altera editio des Symmachus.509 Ob es sich dabei um eine Revision oder lediglich um eine andere handschriftliche Texttradition handelt, lässt sich aufgrund der schwachen Quellenbasis nicht klären.510

C.I.4.2

Stellenuntersuchungen

Im Folgenden werden die Stellen im Deuteronomium Iuxta Hebraeos untersucht, an denen Hieronymus Symmachus in dessen Interpretation des hebräischen Texts gegen die Septuaginta gefolgt ist. In einigen Fällen wird darauf hingewiesen, wie Symmachus Auslegungstraditionen aufnimmt, die auch in rabbinischen Quellen zu finden sind. Nicht berücksichtigt sind diejenigen Stellen, an denen Hieronymus’ Übersetzung zwar zu Symmachus parallel läuft, aber als direkter Rückgriff auf den hebräischen Text zu werten ist.

504 Zu rabbinischen Traditionen palästinischer Provenienz bei Symmachus vgl. SALVESEN, Symmachus on the Pentateuch, passim. 505 Beispiele vgl. SWETE, Introduction, 53. Dies übernimmt auch JELLICOE (Septuagint and Modern Study, 98). 506 Treffende Beispiele hierzu finden sich in der Auflistung von ALBRECHT (Die Septuaginta, 50). 507 Vgl. SALVESEN, Symmachus on the Pentateuch, 263. Sie bezeichnet Symmachus als „Greek Targum“ oder „Tannaitic Septugint“ (Symmachus on the Pentateuch, 297). 508 Vgl. SALVESEN, Symmachus on the Pentateuch, 262, ebenso auch SWETE, Introduction, 51ff., und ALBRECHT, Die Septuaginta, 51. 509 In in Ier. IV, 19 ad 20,1f. sowie in in Nah. ad 3,1 nennt Hieronymus jeweils zwei griechische Worte unter dem Namen des Symmachus. Vgl. hierzu FIELD, Hexapla I, xxxvi–xxxvii. 510 Für diese Arbeit dienen die in der Göttinger Septuaginta aufgeführten Symmachus-Lesarten als Quelle. Ein Überblick über die handschriftlichen Funde von Symmachustexten außerhalb von Kirchenväterzitaten und der Syrohexapla findet sich bei FERNÁNDEZ MARCOS, Septuagint in Context, 127ff.

C.I.4. EINFLÜSSE VON SYMMACHUS

129

Dtn 8,15 Die Mose-Rede im Kapitel Dtn 8 fordert die Israeliten auf, auch dann, wenn es ihnen im gelobten Land gut gehen wird, nicht die Hilfe JHWHs in der Wüste und seine wunderbaren Rettungstaten zu vergessen. In V.15 findet sich dabei die Formulierung /46 6+, bei der Hieronymus sich von Symmachus beeinflusst zeigt. MT

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstext

4)"#!%) 6+4+% *)243-/46 '!)–*!46

et ductor tuus fuit in solitudine magna atque terribili in qua erat serpens flatu adurens et scorpio ac dipsas et nullae omnino aquae

τοῦ ἀγαγόντος σε διὰ τῆς ἐρήμου τῆς μεγάλης καὶ τῆς φοβερᾶς ἐκείνης, οὗ ὄφις δάκνων καὶ σκορπίος καὶ δίψα, οὗ οὐκ ἦν ὕδωρ

σ': φυσήματι καίων (mit dem Atem versengend)

…, der dich in der großen und schrecklichen Wüste geleitet hat – /46- Schlange und Skorpion, und dürstendes Land, wo kein Wasser ist.

… und er war dein Anführer in der großen und schrecklichen Wüste, in der es Schlangen gab, die durch ihren Atem versengen, und Skorpione und Durst verursachende Giftschlangen und überhaupt kein Wasser.

…, der dich durch jene große und schreckliche Wüste geführt hat, wo beißende Schlangen und Skorpione sind und Durst, wo es kein Wasser gab.

Hieronymus gibt das hebräische /46 6+ erweiternd mit serpens flatu adurens wieder.511 Dies übernimmt er von Symmachus (φυσήματι καίων – „mit dem Atem versengend“). Entgegen der masoretischen Tradition, die /4‘ `‘ vokalisiert,512 liegt dieser Interpretation wohl eine Lesart zugrunde, die /4` Ž als Partizip liest. Symmachus ist von jüdischem Material abhängig, das auch in rabbinische Werke Eingang gefunden hat. Dies zeigt ein Vergleich mit der Parallelstelle Num 21,6. Der Midrasch BamR 19,22 erklärt die dort vorkommende Wendung '!6+ '!046 („die brennenden Schlangen“) als  _0+7'!04`_(„die die Kehle/das Leben verbrennen“). SALVESEN weist in ihrer Untersuchung zu Symmachus nach, dass dieser die Tradition aufnimmt, wenngleich nicht ganz korrekt. Die nota accusativi 7 im Midrasch interpretiert Symmachus als Präposition „mit“ im Sinne von „Schlangen, die mit der Kehle brennen“. Im Griechischen drückt er dies mit Dativ instrumentalis aus: φυσήματι („mit dem Atem“).513 Ob Symmachus auch in Num 21,6 φυσήματι καίων übersetzt hat, ist nicht überliefert. Hieronymus verwendet dort eine wörtlichere und knappere Fassung: ignitos serpentes („feurige Schlangen“). Dass Hieronymus nach den brennenden Schlangen und den Skorpionen auch noch das Wort dipsas, eine weitere Schlangenart, verwendet, stellt ein Kuriosum dar. Nirgends sonst ist dieses Wesen bei Hieronymus belegt. Bei Plinius finden sich zwei Belegstellen für eine Schlange dieses Namens, deren Gift die Gebissenen vor Durst umkommen lässt (nat. 23,152; 32,46). Wohl auf diesen zurückgreifend, 511 VEIJOLA sieht hierin eine Parallele zu Num 21,4–9 (Deuteronomium, 214). 512 Das Verb /46 bedeutet „brennen“. Wird es, wie in Dtn 8,15 von der Masora als Nomen vokalisiert (/4‘ `), ‘ bezeichnet es mythologische Schlangenwesen (GESENIUS, Wörterbuch, 1301f.). 513 Vgl. hierzu SALVESEN, Symmachus on the Pentateuch, 150.

130

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

erklärt Solinus zu dieser Schlangengattung: dipsas siti interficit.514 Vielleicht liest Hieronymus in Dtn 8,15 unter dem Eindruck der beiden anderen genannten Tiergattungen die Septuaginta als διψάς statt δίψα, oder ihm liegt eine der SeptuagintaFassungen vor, die διψάς bezeugt.515 Andernorts ( Jes 35,7) kennt er für hebr. *)2 die Bedeutung sitiens. Aus anderen altkirchlichen Quellen ist die Verwendung von dipsas im Bezug zu Dtn 8,15 nicht bekannt. Dtn 9,9 In Dtn 9,7 beginnt eine Mose-Rede, die auf die Geschehnisse am Sinai (Ex 19ff.) zurückblickt. Mose beschreibt in V.9a, wie er auf Befehl JHWHs den Berg Horeb besteigt, während das Volk JHWH durch den Kult für ein Stierbild erzürnt. MT

Hieronymus

Septuaginta

'!'!-446 %!%'!-4

et perseveravi in monte quadraginta diebus ac noctibus

καὶ κατεγινόμην ἐν τῷ ὄρει τεσσαράκοντα ἡμέρας καὶ τεσσαράκοντα νύκτας

Und ich blieb auf dem Berg vierzig Tage und vierzig Nächte.

Und ich verharrte auf dem Berg vierzig Tage und Nächte.

Und ich blieb auf dem Berg vierzig Tage und vierzig Nächte.

Vergleichstext σ': παρέμεινα (ich verharrte)

Der masoretische Text liest hier 6 (und ich saß/blieb), was in der Septuaginta durch καταγίνομαι (sich aufhalten) ausgedrückt ist. Hieronymus gibt hier wohl die Symmachus-Fassung παρέμεινα durch perseveravi (verharren) wieder.516 Auffällig daran ist, dass auch die Septuaginta einen Text bietet, der den hebräischen verständlich wiedergibt. Dennoch schließt sich Hieronymus der Interpretation von Symmachus an. Dtn 11,16 In Dtn 11,16 mahnt Mose das Volk Israel davor, im verheißenen Land nicht von den Geboten JHWHs abzuweichen und anderen Göttern zu dienen.

514 Solinus, collectanea rerum memorabilium, 27,31. Auch Lukan (1.Jh.) bellum civile 9,610 erwähnt das Wort. Eine aufschlussreiche Definition findet sich in den Origines („Etymologien“) des Isidor von Sevilla: (orig. XII 4, 13) genus aspidis, qui latine situla dicitur, quia quem momorderit, siti perit [ed. AREVALO, PL 82, 444A] (Eine Schlangenart, die auf Latein Situla heißt, weil der, den sie gebissen hat, vor Durst zugrunde geht.). 515 Dies ist, laut dem kritischen Apparat der Göttinger Septuaginta (WEVERS, Deuteronomium z.St.) nur in den Hss 18 und 646 der Fall. 516 So auch SALVESEN, Symmachus on the Pentateuch, 276.

C.I.4. EINFLÜSSE VON SYMMACHUS

131

MT

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstexte

70!*0'#%4)6 '#%

cavete ne forte decipiatur cor vestrum

πρόσεχε σεαυτῷ, μὴ πλατυνθῇ ἡ καρδία σου

Hütet euch, dass euer Herz sich nicht verführen lässt!

Hütet euch, dass euer Herz nicht etwa betrogen wird.

Hütet sich, dass dein Herz nicht aufgebläht wird.

σ': ἀπατηθῇ (es wird betrogen werden) θ' (α'): θελχθῇ (es wird verlockt werden) α' (Syh): nštdl (es wird verführt werden)

Bei der Übersetzung von '#%70!*0'#%4)6 orientiert sich Hieronymus an Symmachus. Die Septuaginta gibt das hebräische Verb 70! mit πλατυνθῇ wieder („groß werden“), wohl im Sinne von „aufgebläht werden”.517 Dies entspricht auch dem Verfahren der Septuaginta an anderen Stellen, an denen Formen der hebräischem Wurzel 70 zu finden sind (z.B. Ex 22,15 u.v.m.). Der Bedeutung des Hebräischen näher ist Theodotion mit θελχθῇ („verlockt“). Aquila ist syrohexaplarisch überliefert mit nštdl („es wird verführt werden“). Im griechischen Original entspricht dies aller Wahrscheinlichkeit der Theodotion-Lesart.518 Symmachus verwendet ἀπατηθῇ („es wird getäuscht, betrogen“). Hieronymus übernimmt dies mit dem lateinischen decipiatur. Dies überrascht, da Theodotion und Aquila dem hebräischen Text näher kommen als Symmachus. Dass Hieronymus kontextbezogen arbeitet, zeigt an dieser Stelle ein Vergleich mit Ex 22,15(16). Dort nämlich steht er mit seducere Aquila näher. Dtn 32,14 In Dtn 32,14 findet sich im Hebräischen der Begriff 4),519 den die Septuaginta mit οἶνον („Wein”) wiedergibt. Symmachus verwendet, wohl um zu markieren, dass im Hebräischen nicht *!! verwendet ist, non mixtum (aus der Syrohexapla: l’ mzyg’). Dies gibt Hieronymus als meracissimum („sehr reiner [Wein]“) wieder. Aquila bietet die Form αὐστηρόν („bitter”). Dtn 32,35 Der Vers Dtn 32,35 ist einer der Teile des Mose-Liedes (Dtn 32,1–43), in denen JHWH in direkter Rede spricht:

517 Zur Bedeutung der Wortwahl der Septuaginta und Parallelstellen vgl. WEVERS, Notes on Deuteronomy, 196; DOGNIEZ/HARL, Deutéronome, 189. 518 Für die Übereinstimmung zwischen Aquila und Theodotion im Griechischen spricht, dass Aquila, der nahezu immer konkordant übersetzt, auch an anderen Stellen 70! mit θέλγω wiedergibt, so z.B. Ex 22,15(16); Hos 2, 14(16). So auch WEVERS, Notes on Deuteronomy, 196. 519 Das Nomen ist im AT selten (Sir 34,30; Jes 27,2; Ps 75,4 (cj.); Dtn 32,14) und ist von der Wurzel 4) („schäumen“) abgeleitet. Umstritten ist, ob es eine im Vergleich zu *!! spezifischere Bedeutung (etwa: junger Wein) o.ä. hat. Vgl. hierzu GESENIUS, Wörterbuch, 368 und TSUMURA, Twofold Image of Wine in Psalm 46: 4-5, 167–175.

132

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

MT '3+!% Mein ist die Rache

Hieronymus

Septuaginta

mihi est ultio

ἐν ἡμέρᾳ ἐκδικήσεως

Mein ist die Rache

Am Tage der Vergeltung

Vergleichstexte Röm 12,19, Hebr 10,30: ἐμοὶ ἐνδίκησις σ' (Syh): mihi ultio (ly tb‘t’) Ambr. ep. 63,84: Mihi vindictam

Die Lesart der Septuaginta erklärt sich wohl durch den abweichenden Konsonantentext, '!% statt !%, welcher auch im samaritanischen Pentateuch belegt ist. Hieronymus orientiert sich an Symmachus, der auch mit den im NT bezeugten Versionen übereinstimmt. Dtn 32,42 Dtn 32,42 ist einer der Abschnitte des Mose-Liedes, die als Rede JHWHs in 1.Person Singular gestaltet sind. Bei der Wiedergabe der hebräischen Phrase ! 7-4064) !6 nimmt Hieronymus Symmachus auf: MT ')!24!#6 46%#7!4 !6%%') ! 7-4064)

Ich will meinen Pfeil mit Blut tränken, und mein Schwert soll Fleisch fressen; vom Blut des Erschlagenen und [von dem aus der] Gefangenschaft, und vom Haupt der 7-40 des Feindes.

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstexte

inebriabo sagittas meas sanguine et gladius meus devorabit carnes de cruore occisorum et de captivitate nudati inimicorum capitis

μεθύσω τὰ βέλη μου ἀφ᾽ αἵματος, καὶ ἡ μάχαιρά μου καταφάγεται κρέα, ἀφ᾽ αἵματος τραυματιῶν καὶ αἰχμαλωσίας, ἀπὸ κεφαλῆς ἀρχόντων ἐχθρῶν

σ' (Syh): a nudo capite hostis (vom nackten Haupt des Feindes)

Ich werde meine Pfeile mit Blut tränken und mein Schwert wird Fleischbrocken fressen von dem Blut der Erschlagenen und von der Gefangenschaft des entblößten Hauptes der Feinde.

Ich werde meine Pfeile mit Blut tränken und mein Schwert wird Fleisch fressen vom Blut von Verletzten und Gefangenschaft, vom Kopf feindlicher Herrscher.

TO: 6!4)*!47#-% %!-+, (um wegzunehmen Kronen vom Kopf des Feindes und des Gegners)

α' (Syh): denudatorum (entblößte)

Das hebräische 7-40 bedeutet wohl ursprünglich „Locken“.520 Die Septuaginta wählt die Formulierung ἀρχόντων deshalb, weil sie das Hebräische von einer Wurzel -40 mit der Bedeutung „herrschen“ herleitet. Symmachus und der Targum Onkelos legen an dieser Stelle die aramäische Wurzel -40 mit der Bedeutung „entblößen“ zugrunde. Daran orientiert sich auch Hieronymus.

520 WEVERS, Notes on Deuteronomy, 533; JASTROW, Dictionary, 1236.

C.I.4. EINFLÜSSE VON SYMMACHUS

133

Dtn 33,2 Der Vers Dtn 33,2 ist Teil der Einleitung des Segens, den Mose über die zwölf Stämme Israels spricht. MT 4!+!,)!4)! 4)-!0)%4!-6) 6374) 7*40 )%76 +!)!) Qerê: 76 Und er sprach: JHWH kam vom Sinai und ging von Seïr ihnen auf. Er erschien vom Berg Paran und du 6374); von seiner Rechten für sie 76.

Hieronymus

Septuaginta

et ait Dominus de Sina venit et de Seir ortus est nobis apparuit de monte Pharan et cum eo sanctorum milia in dextera eius ignea lex

καὶ εἶπεν Κύριος ἐκ Σινα ἥκει καὶ ἐπέφανεν ἐκ Σηιρ ἡμῖν καὶ κατέσπευσεν ἐξ ὄρους Φαραν σὺν μυριάσιν Καδης, ἐκ δεξιῶν αὐτοῦ ἄγγελοι μετ’ αὐτοῦ

Und er sprach: Der Herr kam vom Sinai und hat sich von Seïr aus erhoben. Er erschien uns vom Berg Pharan her und mit ihm tausende Heilige; in seiner Rechten ein feuriges Gesetz.

Und er sprach: Der Herr kam vom Sinai und erschien uns von Seïr her und eilte vom Berg Pharan mit Myriaden von Kades, auf seiner rechten Seite – Engel mit ihm.

Vergleichstexte et cum … milia: TO: *!6!   37  ‘‰ 4!  )Ž . ‰ (und mit ihm Tausende Heilige) TPsJ: *!6!3*!#%)*!4!4!)!- (und mit ihm Abertausende von heiligen Engeln) CN/TFragP: *!6!3*!#%)*!4!)!- (und mit ihm Tausende von heiligen Engeln) σ': ἁγίαις [sc.μυριάσιν] (heilige [Myriaden]) α': ἁγιασμοῦ (der Heiligung) ignea lex: σ': πυρινὸς νόμος (feuriges Gesetz) α: πῦρ δόγμα αὐτοῖς (Feuer [als] Lehre für sie) CN, TFragPV: !)-%7!476 !% *)!+!)! 60 (und er streckte seine Hand aus von innen um seinem Volk Feuer und die Tora zu geben.) TO:  ‘+%  !  7! ‘ 4F ‘ 7‘ 6! ‘ F  ) ! Ž+!)!  7‘ #‰ (und seine rechte Hand schrieb aus dem Feuer heraus die Tora und er gab sie uns.) TPsJ: *%!!3!076!7!%6 !)!7!4!+!)!7# (Seine Rechte schrieb die Tora mitten aus der Flamme des Feuers – Gebote gab er ihnen.)

An beiden markierten Stellen übersetzt Hieronymus offensichtlich nach hexaplarischem Vorbild. Die entsprechenden Traditionen finden sich jeweils auch in der Targumliteratur bzw. im Qerê der Masora. Es handelt sich wohl um verbreitete jüdische Auslegungstradition, die sowohl in der Hexapla als auch in den Targumim und der Masora Niederschlag gefunden haben. Im ersten Fall versteht die Septuaginta 63 nicht als Nomen, sondern als Eigenname eines Ortes. Hieronymus orientiert sich jedoch an Symmachus, der 63 als Nomen liest: „Heilige“. Diese Übersetzung bieten auch die Targumim. An der zweiten Stelle findet sich im masoretischen Konsonantentext das aus vier Buchstaben bestehende Wort 76. Die Septuaginta orientiert sich am Kontext und setzt ἄγγελοι μετ᾽ αὐτοῦ, was als Parallelismus das vorausgehende μυριάσιν aufnimmt. In den anderen Interpretationen werden aus den vier Buchstaben im

134

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

hebräischen Konsonantentext zwei Worte gebildet (76). Der Begriff 6 wird als hebräisches Wort für „Feuer“ gelesen. Das Wort 7 kam in persischer Zeit als Lehnwort in die hebräische und aramäische Sprache (Dan 6,9; Esr 7,25) und wurde im Sinne von „Edikt, Plan, Rat, Religion, Gesetz“ verwendet. So ergeben sich die semantischen Felder „Feuer“ und „Gesetz“, mit denen die genannten Übersetzungen spielen. Hieronymus steht hierbei lexikalisch der Formulierung bei Symmachus am nächsten, und formuliert ignea lex – „ein feuriges Gesetz“. Dtn 33,7 Im Vers 33,7 spricht Mose seinen Segen über den Stamm Juda. Die hebräische Formulierung %4 wurde in antiken Bibelübersetzungen verschieden aufgefasst. MT

Hieronymus

Septuaginta

!42)4- %4 !! !7

manus eius pugnabunt pro eo et adiutor illius contra adversarios eius erit

αἱ χεῖρες αὐτοῦ διακρινοῦσιν αὐτῷ, καὶ βοηθὸς ἐκ τῶν ἐχθρῶν αὐτοῦ ἔσῃ.

Seine Hände haben für ihn gestritten und eine Hilfe vor seinen Widersachern wirst du sein.

Seine Hände werden für ihn kämpfen und er wird sein Helfer gegen seine Feinde sein.

Seine Hände werden sich für ihn entscheiden, und du wirst ein Helfer sein, aus seinen Feinden heraus.

Vergleichstexte σ': ὑπερμαχήσουσιν (sie werden bekämpfen) Cod.Lugd.: iudicabunt (sie werden richten)

Die Septuaginta und die VL betonen den rechtlichen Charakter des hebräischen !4. Hieronymus dagegen orientiert sich an Symmachus und übersetzt mit pugnare. Alle Übersetzungen passen den Numerus an das Subjekt („Hände“) an. Dtn 33,8 Der Vers Dtn 33,8a leitet den Segen über den Stamm Levi ein (33,8–11), der einen der längsten Abschnitte aus den Segenssammlungen in Dtn 33 darstellt. Im hebräischen Text wird das Begriffspaar '!4 '!)7 verwendet, das ebenfalls in Ex 28,30(26) und Lev 8,8 vorkommt, dort allerdings in umgekehrter Reihenfolge: MT

Hieronymus

Septuaginta

"!)7 4)!%% 6!% "!4 "!,

Levi quoque ait perfectio tua et doctrina tua viro sancto tuo

Καὶ τῷ Λευι εἶπεν Δότε Λευι δήλους αὐτοῦ καὶ ἀλήθειαν αὐτοῦ τῷ ἀνδρὶ τῷ ὁσίῳ

Und zu Levi sagte er: Deine '!)7 und '!4 für deinen Frommen.

Aber Levi sagte er: Deine Vollkommenheit und deine Lehre deinem heiligen Mann.

Und Levi sagte er: Gebt Levi seine Klarheit und seine Wahrheit, dem heiligen Mann.

Vergleichstext σ': τελειότης σου καὶ διδαχή σου (deine Vollkommenheit und deine Lehre)

C.I.4. EINFLÜSSE VON SYMMACHUS

135

Die Septuaginta übersetzt das Begriffspaar '!4 '!)7 in Ex 28,30(26) und Lev 8,8 mit δήλωσις und ἀλήθεια. Trotz des anderslautenden hebräischen Texts, oder aufgrund einer anderen Vorlage, wird die Reihenfolge von der Septuaginta auch in Dtn 33 beibehalten und nur das erste Nomen im Griechischen geringfügig modifiziert. Die griechischen Begriffe skizzieren die Orakelpraxis. '!4 wird als Werkzeug verstanden, Entscheidungen zu verdeutlichen (δηλόω), der Gegenpart '!)7 zum Fällen rechter und wahrheitsgemäßer Urteile (ἀλήθεια).521 Dem folgt Cod.Lugd.: apparentes ipsius et veritatem ipsius. Hieronymus übernimmt von Symmachus, der wiederum rabbinischen Auslegungstraditionen nahe steht. Hierbei dient das hebräische Adjektiv '!)7 '7 („perfekt“) für die Herleitung des Begriffes '!)7. Die Übersetzung des zweiten Begriffs als „Lehre“ (doctrina, διδαχή, 7!4) lässt sich aus dem Aramäischen erklären. Das hebräische '!4 wird zunächst als Plural von 4 („Licht”) verstanden, was im Aramäischen !4 lautet. Dies verwenden die Targumim, und hierauf beruhen die hexaplarischen Übersetzungen in Ex 28,26(30) (φωτισμοί). Aufgrund der sprachlichen Ähnlichkeit wird !4 mit 7!4 („Lehre”, „Tora”) gleichgesetzt.522 Daraus resultiert die Übersetzung, die sich bei Symmachus und Hieronymus findet. Hieronymus verwendet diese Interpretation auch an den anderen Stellen (Ex 28,30; Lev 8,8), für die keine Symmachus-Lesart überliefert ist. Dtn 33,10 Auch Dtn 33,10 ist Teil des Levi-Segens und nimmt weitere Opfer-Terminologie auf. Hier versteht die Septuaginta das hebräische %!%# nicht als Substantiv („Ganzopfer“), sondern adverbial (διὰ παντός –„gänzlich“). Der altlateinische Codex Lugd. folgt dieser Lesart (per omnia). Hieronymus orientiert sich an Symmachus und verwendet gräzisierend holocaustum. Ob Hieronymus hier direkt von Symmachus abhängig ist, ist fraglich, da die Septuaginta an anderen Stellen das hebräische %!%# mit ὁλοκαύτομα übersetzt. So zum Beispiel in Ps 51(50),21 und 1Sam 7,9. Beide Bücher hat Hieronymus vor dem Pentateuch ins Lateinische übersetzt, sodass ihm die Stellen bekannt gewesen sein müssen. Weitere Stellen Auf den Einfluss von Symmachus in Dtn 3,17 bin ich auf S. 111 schon eingegangen. In Dtn 7,11 wirkt Hieronymus’ Formulierung custodi ergo mit der nachgestellten Konjunktion sehr an Symmachus (φυλάξῃς οὖν) angelehnt. MT und Septuaginta haben 74)6/καὶ φυλάξῃ. An Stellen wie 8,10 ist schwer zu entscheiden, ob tatsächlich ein Einfluss von Symmachus vorliegt, oder Hieronymus nicht nur dem hebräischen Text genau folgt. Dieser lautet14%- "!%!7#4  . Die beiden vorletzten Worte gibt Hieronymus mit pro terra, Symmachus mit ὑπὲρ τῆς γῆς wieder. Die Septuaginta formuliert ἐπὶ τῆς γῆς.

521 WEVERS, Notes on Exodus, 458 zu Ex 28,30(26). 522 Vgl. hierzu SALVESEN, Symmachus on the Pentateuch, 174.

136

C.I.4.3

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Auswertung

Wie aus den Äußerungen des Hieronymus über die hexaplarischen recentiores hervorgeht, bildet die sinngemäße Übersetzung des Symmachus für Hieronymus ein Vorbild in übersetzungstechnischer Hinsicht. Kritisch merkt er dennoch über Symmachus an, dass dieser ein Ebionit gewesen sei, aus Hieronymus’ Sicht also ein semichristianus. Im Vergleich mit der Rolle der anderen recentiores bei der Bibelübersetzung aus dem Hebräischen fällt auf, dass Hieronymus Symmachus nicht wesentlich häufiger rezipiert als Aquila. In einigen Fällen kommt es sogar vor, dass Hieronymus eine Aquila-Lesart der Symmachus-Version vorzieht (2,34; 3,17; 32,10), allerdings seltener als die Konstellation, dass Hieronymus Symmachus folgt statt Aquila (4,19; 7,11; 8,15; 11,16; 32,10.14; 33,2.6). In Dtn 6,8 und 32,27 gibt Hieronymus Theodotion vor Symmachus den Vorzug. Gegen Symmachus und für die Septuaginta entscheidet Hieronymus sich in den Versen Dtn 12,23; 23,14(15); 27,26; 31,20; 32,5.31. Die Konstellation, dass Hieronymus Symmachus ablehnt und Parallelen zu anderen jüdischen Traditionen aufweist, lässt sich nur an wenigen Stellen beobachten (20,19f.; 26,5; 33,19). Dies liegt zum einen daran, dass Symmachus selbst oft Traditionen rezipiert, die in rabbinische Texte eingeflossen sind, zum anderen an der lückenhaften Überlieferung der recentiores.

C.I.5.

Einflüsse von Theodotion

C.I.5.1

Theodotion bei Hieronymus und in der Forschung

Als dritter der recentiores wird von Hieronymus nach hexaplarischer Tradition Theodotion aufgeführt. Doch das Gesamtbild gestaltet sich hier etwas anders als bei Aquila und Symmachus. Nicht nur Hieronymus erwähnt wenige Details über ihn, auch bei anderen Kirchenvätern sind Hinweise auf Theodotion rar. Zeugnisse bei Hieronymus und den Kirchenvätern Der ausführliche Bericht des Epiphanius erscheint stark formalisiert und an die Notizen über Aquila und Symmachus angepasst. In mens. 17 beschreibt er ihn als ehemaligen Markioniten aus Pontus, der zum Judentum übertrat, beschnitten wurde, Hebräisch lernte und schließlich eine Bibelübersetzung anfertigte, die zum größten Teil mit der Septuaginta übereinstimmte. Dies sei, so Epiphanius, zur Zeit des Commodus (180–192) geschehen, also im Anschluss an Aquila. 523 523 Wie bereits erwähnt (Anm. 502), passt Epiphanius die Darstellung seiner Quelle so an die hexaplarische Abfolge an, dass Theodotion später als Symmachus erscheint. Zur Rekonstruktion der

C.I.5. EINFLÜSSE VON THEODOTION

137

Schon Irenäus erwähnt im dritten Buch gegen die Häretiker Theodotion, allerdings als Vorläufer Aquilas und aus Ephesus stammend.524 Hieronymus hält ihn, wie auch Symmachus, für einen Ebioniten.525 Über seine Übersetzung erfahren wir lediglich, dass sie der Septuaginta ähnlich sei526 und dass Origenes sie deshalb zur Ergänzung der Textpassagen für seine obelierte Septuaginta herangezogen hat.527 Auch im Blick auf den Charakter der Theodotion-Übersetzung ist Hieronymus wenig aussagekräftig. Sie steht zwischen dem sensualen Prinzip des Symmachus und dem wörtlichen des Aquila und ist deshalb „ex utroque commixtum et medie temperatum genus translationis.“ Hieronymus erwähnt nicht einmal, dass im Vergleich mit der Septuaginta Theodotion am deutlichsten durch die Revision der Transliterationen hervorsticht.528 Stand der Theodotion-Forschung Stellen die altkirchlichen Zeugnisse Theodotion in einer Reihe mit Aquila und Symmachus als Übersetzer dar, so handelt es sich bei den Theodotion zugeordneten Textpassagen eher um eine Rezension als um eine Neuübersetzung. Diese unterscheidet sich in einem weiteren gewichtigen Punkt von den beiden anderen der hexaplarischen recentiores, in der Forschung als „proto-theodotianische Problematik“ behandelt.529 Zugrunde liegt die Beobachtung, dass das Theodotion-Material in hohem Maße Texten der καίγε-Rezension entspricht und bereits in christlichen Texten der ersten beiden Jahrhunderte rezipiert wird.530 Am wahrscheinlichsten ist,531 dass die καίγε-Rezension neben Aquila eine Vorlage für die Rezension Theodotions am Ende des zweiten Jahrhundert n.Chr. bildet.

524

525 526 527 528 529

530 531

ihm vorliegenden Überlieferung ist jedoch nichts an der Schilderung über Theodotion zu ändern, sondern lediglich an der Zuordnung des Symmachus. Vgl. ALBRECHT, Die Septuaginta, 49. Adv. haer. III 21,1. Wie Albrecht (Septuaginta, 52) erläutert, ergibt sich die Ortsangabe „Pontus“ bei Epiphanius aus einer Verwechslung mit Aquila oder aber mit Theodotions mutmaßlichem Lehrer Markion. Irenäus hingegen irrt wohl mit der Angabe, dass Theodotion früher als Aquila übersetzt habe. So z.B. in vir. ill. 54, prol. Dan. In der Vorrede zur Hiob-Übersetzung IH nennt Hieronymus ihn zusammen mit Symmachus iudaizantes heretici. … non multum a veteribus discrepare … (chron. epist. [ed. HELM, GCS 47, 3,8f.]). Zur Arbeit des Origenes an der sog. hexaplarischen Septuaginta s.o. 210ff. JELLICOE, Septuagint, 83, mit einem Verweis auf die humorvolle Charakterisierung Theodotions bei THACKERAY: „a successful plagiarist … best known for his habits of transliteration, in other words for the evasion of the translator’s function“ (THACKERAY, Grammar Bd. I, vii). Weitere Probleme der Theodotion-Überlieferung ranken sich um die Frage, ob Bibeltexte, wie die unter dem Sigel θ´ überlieferten Versionen des Dodekaprophetons, des Psalters und der Bücher Daniel sowie 1Sam–2Kö überhaupt derselben Hand oder Tradition entspringen wie die übrigen Theodotion-Lesarten. Da diese Fragestellungen den Pentateuch nicht betreffen, sei hier auf die die hervorragende Übersicht und die Literaturverweise bei ALBRECHT verwiesen (Septuaginta, 52). Man denke an Jes 25,8 in 1Kor 15,54, Sach 12,10 in Joh 19,37 und an Zitate bei den Apostolischen Vätern, bei Justin und bei Clemens. JELLICOE datiert die καίγε-Rezension und damit den „Ur-Theodotion“ auf das erste Jahrhundert v.Chr. (Septuagint and Modern Study, 93f.). So JELLICOE, Septuagint and Modern Study, 95; ALBRECHT, Die Septuaginta, 53. BARTHÉLEMY dagegen datiert den historischen Theodotion als „Schulhaupt der καίγεRezension“ in die erste Hälfte des ersten Jahrhunderts n.Chr. und bringt ihn mit Johanan ben Uzziel in Verbindung; letzteres, weil die Namen gleichbedeutend sind (Devanciers, 148–154).

138

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Da zum Pentateuch wesentlich weniger Theodotion-Material überliefert ist als beispielsweise für Hiob, Proverbien und die großen Propheten mit Ausnahme von Daniel,532 wird er – zusätzlich zur Marginalisierung bei Hieronymus – im Folgenden eine sehr geringe Rolle spielen, lässt sich doch nur an einer einzigen Stelle (Dtn 32,27) nachweisen, dass Hieronymus Theodotion folgt und dabei Aquila, Symmachus und die Septuaginta beiseite lässt.

C.I.5.2

Stellenuntersuchungen

Dtn 32,27 Die Verse Dtn 32,26f. bilden den Teil des Mose-Liedes, in dem JHWHs Reaktion auf die künftige Untreue Israels in Form einer Rede formuliert wird. Darin spricht JHWH davon, er hätte Israel bereits vertilgt. Vers 32,27 nennt, warum dies noch nicht geschehen ist: MT

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstexte

,-#!%% 4!

sed propter iram inimicorum distuli

εἰ μὴ δι’ ὀργὴν ἐχθρῶν, ἵνα μὴ μακροχρονίσωσιν

Wenn ich nicht den Zorn des Feindes fürchtete.

Aber wegen des Zorns der Feinde habe ich gezögert.

… außer wegen des Zorns der Feinde, damit sie nicht länger leben.

θ' (Syh): Nisi propter iracundiam hostis impedirem (Es sei denn, dass ich wegen des Zorns des Feindes zögere.) σ' (Syh): Nisi propter iracundiam hostis semper (Es sei denn, dass ich wegen des Zorns des Feindes – immer.) α' (Syh): Nisi in iracundia hostis qui irritatus est. (Außer im Zorn des Feindes, der verwirrt ist.)

Bei der Übersetzung des Verbs liegt eine Parallele zu Theodotion vor. Es ist einer der seltenen Fälle, an denen Hieronymus aus drei verschiedenen hexaplarischen Überlieferungen die Version des Theodotion wählt. Vermutlich fällt die Wahl auf Theodotion, weil diese Übersetzung aus Sicht des Hieronymus am verständlichsten ist und einen syntaktisch glatten Satz bietet. Die altlateinischen Versionen entsprechen hier der Septuaginta. Neben der genannten Stelle Dtn 32,27 gibt Hieronymus auch in Dtn 6,8 bei der Übersetzung des hebräischen Begriffs 70 Theodotion den Vorzug. Da Hieronymus’ Übersetzungweise an dieser Stelle jedoch im Vergleich mit Dtn 11,8 und Ex 16,18 uneinheitlich ist, wird dies im folgenden Abschnitt dargestellt. 532 Auch Hieronymus weiß (prol. Dan.), dass der Daniel-Text, der weithin im kirchlichen Gebrauch war, eine unter dem Namen Theodotions umlaufende Version war, die eine ältere verdrängte. Zu Origenes’ Lebzeiten scheinen sowohl die unrevidierte alexandrinische Version als auch die revidierte Edition des Theodotion gleichermaßen rezipiert worden zu sein. In ep. 1 ad Africanum 4ff. nennt er sie beide „unsere“ Versionen – in Abgrenzung zu Aquila und dem hebräischen Text. Von der Ablösung des alten Septuaginta-Texts durch „Theodotion“ zeugt auch der Codex Sinaiticus. Für den Umbruch scheint u.a. Origenes selbst verantwortlich zu sein, wie auch Hieronymus (in Dan. ad 4,6) zu berichten weiß.

C.I.6. PARALLELEN ZU MEHREREN DER RECENTIORES

C.I.5.3

139

Auswertung

An einer Vielzahl von Stellen lehnt Hieronymus die Übersetzung des Theodotion ab. Dabei wendet er sich entweder der Septuaginta (32,31), Symmachus (7,11), oder andern jüdischen Traditionen zu (23,1; 26,5; 33,19; 34,7), bzw. wählt eine freie Übersetzung, die nicht auf einen Fremdeinfluss zurückzuführen ist (16,1). Eine Stelle, an der Hieronymus sich gegen Theodotion und für Aquila entscheidet, ist aufgrund der spärlichen Überlieferung der Theodotion-Übersetzung nicht zu belegen.

C.I.6.

Parallelen zu mehreren der recentiores

In einigen Fällen weichen sowohl Hieronymus als auch die recentiores von der Septuaginta ab, ohne dass sich genauer erkennen lässt, welcher der überlieferten Übersetzungen Hieronymus den Vorzug gibt, weil die Formulierungen gleichlautend oder sehr ähnlich sind. Aufgenommen sind auch Verse, an denen die hexaplarischen Glossen nicht eindeutig einem der recentiores zugeordnet oder unspezifisch als οἱ λοιποί überliefert sind.

C.I.6.1

Stellenuntersuchungen

Dtn 3,10 (4,43) In 3,10, bei der Wiedergabe des hebräischen 46!), zeigt sich Hieronymus’ Orientierung an den Hexapla-Versionen. Es handelt sich um einen Vers aus dem Bericht über die Eroberung der Gebiete der Könige der Amoriter. MT 46!) 4-%# … alle Städte von [st.constr.] 46!)

Hieronymus

Septuaginta

omnes civitates quae sitae sunt in planitie

πᾶσαι πόλεις Μισωρ

… alle Städte, die in der Ebene gelegen sind

… alle Städte (von) Μισωρ

Vergleichstexte α': τῆς εὐθείας (der Geraden) σ': τοῦ ὁμαλοῦ (der Fläche)

Die Septuaginta gibt das hebräische 46!) in Umschrift wieder, da sie es als Ortsnamen interpretiert.533 Schon die altlateinischen Übersetzer (Cod.Lugd.) scheinen mit 533 Aus diesem Grunde fehlt auch der Artikel. Vgl. WEVERS, Notes on Deuteronomy, 54. WEVERS führt diese Interpretation darauf zurück, dass die Übersetzer der Septuaginta unter dem Einfluss der anderen Ortsnamen in diesem Vers (Γαλαάδ, Βασάν) auch46!)als Ortsnamen gelesen haben dürften.

140

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

der Septuaginta unzufrieden und korrigieren ihre griechische Vorlage in einen Personen- bzw. Volksnamen (Mysorum). Hieronymus dagegen orientiert sich an Aquila und Symmachus. Typisch für Hieronymus’ stilistisch hohen Anspruch ist die elegante Einbindung des Namens in einen Relativsatz, ganz im Unterschied dazu, wie Septuaginta oder die recentiores den hebräischen Text wiedergeben. Seine inhaltliche Präferenz für die hexaplarischen Übersetzungen, allen voran Aquila, dokumentieren auch die Einträge zum Lemma „Misor“ in den Werken des Hieronymus, die sich mit der Bedeutung hebräischer Orts- und Eigennamen beschäftigen. Im Buch über die hebräischen Namen (nom. hebr. 87,1) erläutert Hieronymus: Misor – directum quod graece dicitur εὐθεία vel plana atque campestria (Misor – „ausgerichtet“, was auf Griechisch εὐθεία heißt, etwas Flaches oder Tiefgelegenes).534 Die griechische Terminologie (εὐθεία), die Hieronymus hier der Übersetzung zugrunde legt, entspricht wörtlich der von Aquila ad Dtn 3,10. Sie basiert auf der Übersetzung der hebräischen Wurzel 46!.535 In der lateinischen Version des Onomastikons nimmt Hieronymus sogar direkt auf seine Quellen Bezug (sit. et nom. 129,16): Misor de quo Aquila et Symmachus „humilem“ interpretati sunt (Misor, was Aquila und Symmachus mit „niedrig“ übersetzt haben.). Einen ähnlichen Konsonantentext wie Dtn 3,10 bietet die Parallelstelle Dtn 4,43: 46!)14. Anders als in 3,10 gibt die Septuaginta das Hebräische nicht als Eigennamen, sondern in Übersetzung wieder: ἐν τῇ γῇ τῇ πεδινῇ („auf dem Flachland“). Hier stehen ihr auch die Versionen IH und Aquilas näher, sind jedoch in der Wortwahl nicht identisch. Hieronymus greift bei seiner Version auf das zweite Adjektiv aus nom. hebr. 87,1 zurück: quae sita est in terra campestri. Der Vergleich zwischen Bibeltext mit sit. et nom. und nom. hebr. zeigt, dass Hieronymus Informationen und philologisches Wissen aus diesen Werken in die Bibelübersetzung einfließen lässt. Dtn 6,8 / 11,18 Bei offenbar schwer zu übertragenden hebräischen Begriffen orientiert sich Hieronymus oft an den recentiores der Hexapla. Er geht dabei aber vielfach uneinheitlich vor und orientiert sich abwechselnd an verschiedenen Quellen. Dies zeigt sich auch bei der Wiedergabe des hebräischen 70 in Dtn 6,8; 11,18 und Ex 13,16.536 Der Textabschnitt Dtn 6,1–9 handelt davon, wie Israel mit den Gesetzen JHWHs, die in den folgenden Kapiteln expliziert werden, umgehen soll. Sie sollen an die folgenden Generationen weiter gegeben, im Alltag rezitiert (V.7), an Kopf und Hände gebunden (V.8), und an die Pfosten der Häuser geschrieben werden (V.9). Dabei ist zu beachten, dass der Text des Deuteronomiums nicht explizit von Phylakterien spricht. Im Hebräischen nehmen die Objektsuffixe in V.7–9 die Formulierung "2)!#+46%'!4 aus V.6 auf,537 Vers 8 lautet:

534 Vgl. den anderen Eintrag zu Misor in nom. hebr. 96,11: Misor – directa sive campestris … 535 Vgl. SALVESEN, Symmachus on the Pentateuch, 145. 536 Vgl. hierzu auch SALVESEN, Symmachus on the Pentateuch, 150 und 276ff. VEIJOLA zeigt, dass es sich ursprünglich wohl um Schmuckstücke handelt (Deuteronomium, 180f.). 537 Bei Hieronymus und in der Septuaginta nehmen die Pronomina in V.7ff. die Wendung verba haec, quae ego praecipio tibi hodie, bzw. τὰ ῥήματα ταῦτα ὅσα ἐγὼ ἐντέλλομαί σοι σήμερον aus V.6 auf.

C.I.6. PARALLELEN ZU MEHREREN DER RECENTIORES

141

MT

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstexte

–%-7%'7463 70 %!"! "!+!- *!

et ligabis ea quasi signum in manu tua eruntque et movebuntur inter oculos tuos

καὶ ἀφάψεις αὐτὰ εἰς σημεῖον ἐπὶ τῆς χειρός σου, καὶ ἔσται ἀσάλευτα πρὸ ὀφθαλμῶν σου

… und du sollst sie zum Zeichen auf deine Hand binden, und sie sollen zwischen deinen Augen zu 70 sein.

… und du sollst sie (fut.) gleich einem Zeichen an deine Hand binden und sie sollen zwischen deinen Augen sein und sich bewegen.

… und du sollst sie zum Zeichen an deiner Hand befestigen, und sie sollen unbeweglich vor deinen Augen sein.538

movebuntur: Cod.Lugd.: mobilia (beweglich) θ': εἰς σαλευτόν (beweglich) α': εἰς νακτά (befestigt) σ': διασταλμένοι (getrennt) inter: α', σ': μεταξύ / θ': ἀνὰ μέσον (zwischen)

An folgenden zwei Worten aus V.8 soll untersucht werden, wie Hieronymus mit seinen Quellen umgeht: die Präposition inter sowie die Verbform movebuntur. Im Falle der Präposition ist deutlich, dass Hieronymus entgegen der Septuaginta dem hebräischen Text bzw. dem der hexaplarischen Versionen (α', σ': μεταξύ, θ': ἀνὰ μέσον) folgt. Die altlateinischen Versionen, Cod. Lugd. und ein Zitat in Ambrosius’ Psalmen-Kommentar, fußen dagegen auf der von Hieronymus korrigierten Septuaginta-Lesart ante oculos. Im Falle des hebräischen 70 bietet sich sowohl bei Hieronymus als auch in den griechischsprachigen Übersetzungen ein divergenteres Bild:539 Etliche Septuaginta-Handschriften überliefern ἀσάλευτον/-α („unbeweglich“), andere dagegen σαλευτόν („bewegt“).540 Letzteres übernimmt sowohl der altlateinische Codex Lugd. (mobilia) als auch Theodotion (εἰς σαλευτόν). Dieser ahmt zudem die Konstruktion des Hebräischen mit der Präposition–%nach. Beide griechischen Termini, ἀσάλευτον wie auch σαλευτόν, ergeben sich durch die etymologische Herleitung des hebräischen Wortes 70 von der selten belegten Wurzel /0 , die im Pilpel „tröpfeln“ bedeutet.541 Zu der negierten Form ἀσάλευτα kommt es vermutlich durch eine sog. „traduction inverse“, d.h. eine Übersetzung durch einen gegenteiligen Ausdruck, der einen übertragenen theologischen Sinn des Texts unterstreichen soll. Im vorliegenden Fall verweist der Begriff ἀσάλευτα wohl auf die „Unbeweglichkeit“ d.h. Beständigkeit der Gebote und Ordnungen Gottes.542 Die Übersetzung mit σαλευτόν ist außerhalb von Übersetzungen in der griechischen Literatur ebenfalls häufig belegt: Davon, dass es sich bei 70 538 Cod.Lugd. und Ambrosius, in psalm. 1,30,1: ante oculos. 539 Die masoretische Punktation interpretiert den Konsonantentext 70 an allen drei Stellen im Pentateuch (Ex 13,16; Dtn 6,8; 11,18) als Pluralform. Dies geschieht auf Grundlage der Tradition, dass mit  70 die Tefillin gemeint sind. Auch Hieronymus und große Teile der griechischen Überlieferung übersetzen das Hebräische mit Pluralformen. Zu einer anderen Vokalisierung, die 70 als Singular interpretiert, vgl. die Erläuterungen zu bMen 34b S. 138, Anm. 555. 540 Vgl. WEVERS, Deuteronomy, z.St. 541 So z.B. JASTROW, Dictionary, 523 u. 548 ( /0 II). Vgl. auch den Verweis bei LE BOULLUEC/ SANDEVOIR auf eine nicht näher genannte hebräische Wurzel, „qui signifie à la fois le ruissellement goutte à goutte et le mouvement intermittent.“ (Exode. Introduction, 54). 542 Vgl. hierzu und zu weiteren Beispielen HARL/DORIVAL, La bible grecque des Septante, 215f., ebenso TIGAY, Meaning of T(W)TPT, 331, und KLEIN, Converse Translation, 515–537.

142

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

um etwas Bewegliches handelt, schreibt auch Philo.543 Er nimmt im Rahmen der Abhandlung über die Tugend der Gerechtigkeit in spec. IV 137ff. auf Dtn 6,8 Bezug. Die Beweglichkeit lenke, so interpretiert Philo, die Aufmerksamkeit der Augen auf die Gesetze Gottes.544 Er arbeitet, wie dies zeigt, mit einem SeptuagintaText, der das Adjektiv σαλευτόν und nicht die negative Fassung bezeugt. Eine ähnliche Interpretation findet sich im Matthäus-Kommentar des Origenes, der Hieronymus nachweislich bekannt war.545 Hieronymus orientiert sich bei seiner Übersetzung von Dtn 6,8 (movebuntur inter oculos) an dieser Interpretation, die auch in der altlateinischen Überlieferung belegt ist (Cod.Lugd.: mobilia). In seinem Umgang mit dem hebräischen Begriff 70  ist Hieronymus allerdings alles andere als konsequent. Dies wird deutlich, wenn man Dtn 6,8 die anderen beiden Stellen in seiner Pentateuchübersetzung gegenüberstellt, an denen im Hebräischen der Begriff belegt ist. Zunächst zu Dtn 11,18b: In der Septuaginta findet sich, wie in Dtn 6,8 in den meisten Handschriften ἀσάλευτα. Hieronymus weicht jedoch an anderen Stellen im Pentateuch IH von seiner o.g. Übersetzung (movebuntur) ab: Dtn 11,18b MT 7%'7'7463 70  % !'#!–%'#!+!-*!

Und ihr sollt sie zum Zeichen auf eure Hand binden und sie sollen zwischen euren Augen als 70 sein.

Hieronymus

Septuaginta

et suspendite ea pro signo in manibus et inter vestros oculos conlocate

καὶ ἀφάψετε αὐτὰ εἰς σημεῖον ἐπὶ τῆς χειρὸς ὑμῶν, καὶ ἔσται ἀσάλευτα πρὸ ὀφθαλμῶν ὑμῶν

Und ihr sollt sie zum Zeichen an den Händen aufhängen und zwischen euren Augen befestigen.

Und ihr sollt sie zum Zeichen an eurer Hand befestigen, und sie sollen unbeweglich vor euren Augen sein.

Vergleichstexte Cod.Lugd.: erint mobilia (beweglich) θ': εἰς σαλευτόν (beweglich) α': εἰς νακτά (befestigt) σ': διασταλμένοι (getrennt)

Statt der Verbform movebuntur aus Dtn 6,8 verwendet Hieronymus hier als Wiedergabe des hebräischen 70 das Verb conlocare. Er orientiert sich dabei an Aquila, der εἰς νακτά übersetzt, wie auch an den anderen beiden Stellen (s.o. Dtn 6,8 und auch Ex 13,16). Diese Bedeutung ergibt sich durch die etymologische Herleitung der Form 70 von der hebräischen Wurzel /0 („hinzufügen“, 543 Ob Philo Phylakterien im Sinn hat, bzw. ob er diese gekannt hat, ist unsicher, so MOSÈS (Philon Vol. 25, 286 Anm. 4) und COHN-HEINEMANN (Philonis Opera Bd.1, Einleitung, 20). 544 Spec. IV 139: σάλον δ’ ἐχέτω ταῦτα κινούμενα, φησίν, οὐχ ἵν’ ἀβέβαια καὶ ἀνίδρυτα ᾖ, ἀλλ’ ἵνα τῇ κινήσει τὴν ὄψιν ἐκκαλῇ πρὸς ἀρίδηλον θέαν. [ed. COHN/WENDLAND Bd. V, 240, 9–11] (Es [sc. das Gesetz] sagt, dass diese [sc. die Satzungen] eine gewisse Bewegung haben müssen, nicht damit sie haltlos und unstet seien, sondern damit durch die Bewegung der Sehsinn zu genauer Beobachtung angeregt werde.). 545 Vgl. den lateinisch und griechisch überlieferten Textabschnitt bei Origenes (comm. ser. 1–145 in Mt 11 [ed. KLOSTERMANN/BENZ, GCS 38 (Origenes XI), 21,20–22,9]). Die Abhängigkeit seines Kommentars von Origenes erwähnt Hieronymus selbst in der Praefatio: legisse me fateor ante annos plurimos in Matheum Origenis viginti quinque volumina et totidem eius omelias (In Matth praef. [ed. HURST/ADRIAEN, CChr.SL 77, 4,91f.]) (Ich gestehe, dass ich vor mehreren Jahren die 25 Bücher des Origenes zum Matthäusevangelium gelesen habe und gleichermaßen auch seine Homelien.).

C.I.6. PARALLELEN ZU MEHREREN DER RECENTIORES

143

„befestigen“).546 Hieronymus schöpft in beiden Fällen (Dtn 6,8 und 11,18) aus der griechischsprachigen Tradition, im ersten Fall rezipiert er das σαλευτόν, das von Theodotion, Philo und Origenes bezeugt ist (movere). In Dtn 11,18 lehnt er sich an Aquila an (conlocare). Dass Hieronymus auch mit der Übersetzungsmöglichkeit ἀσάλευτα vertraut ist, die oben zuerst erwähnt wurde, und wie er versucht, diese drei Interpretationsvarianten zu kombinieren, zeigt sein Matthäus-Kommentar. Bei der Kommentierung von Mt 23,5 spricht Hieronymus nämlich sowohl von Unbeweglichem, als auch Befestigtem und Beweglichem: Zunächst zitiert er den atl. Schriftvers nach der Septuaginta: erunt inmota ante oculos tuos.547 Im Anschluss erklärt er aber, dass die Pharisäer etwas auf der Stirn befestigen (ligantes in fronte), damit dieses sich immerfort vor ihren Augen bewege (moverentur). Hieronymus übernimmt diese Passage vermutlich aus dem Matthäus-Kommentar des Origenes.548 Anders als im Kommentar, in dem er die verschiedenen Möglichkeiten kombinieren kann, ist er bei der Anfertigung einer Bibelübersetzung gezwungen, sich für eine Bedeutung zu entscheiden. Blickt man nun noch auf Ex 13,16a, die dritte Stelle, an der im MT 70  vorkommt, findet man noch eine weitere Übersetzungsmöglichkeit. Hieronymus umgeht die Alternativen der griechischen Tradition zwischen „beweglich“ und „unbewegt“ auf folgende Weise: Ex 13,16 MT

Hieronymus

Septuaginta

–%-7%! *!70  % #! "!+!-

erit igitur quasi signum in manu tua et quasi adpensum quid ob recordationem inter oculos tuos

καὶ ἔσται εἰς σημεῖον ἐπὶ τῆς χειρός σου καὶ ἀσάλευτον πρὸ ὀφθαλμῶν σου

… und es soll zum Zeichen sein auf deiner Hand und zu 70  zwischen deinen Augen.

… es soll nämlich gleich einem Zeichen in deiner Hand sein und gleichsam etwas zur Erinnerung Aufgehängtes zwischen deinen Augen.

… und es soll zum Zeichen sein auf deiner Hand (Gen.) und unbeweglich vor deinen Augen.

Vergleichstexte quasi adpensum: α': εἰς νακτά (befestigt) (andere Hss: α', σ', θ': σαλευόμενον)549 quid ob recordationem: CN:  *4#% (zu einer guten Erinnerung)

Die Übersetzung von 70  durch quasi adpensum ist als Weiterentwicklung der erwähnten Aquila-Lesart εἰς νακτά („befestigt“) zu interpretieren.550 Im EzechielKommentar kommt Hieronymus darauf zu sprechen, denn auch hier bedient er sich des Verbs pendere zur Wiedergabe von 70  .551 Es handelt sich nach Hiero546 547 548 549 550

So JASTROW, Dictionary, 548. In Matth IV ad 23,5 [ed. HURST/ADRIAEN, CChr.SL 77, 211,73]. Vgl. Anm. 545. Vgl. Diskussion zu den hexaplarischen Überlieferungen bei FIELD, Hexapla, 103 Anm. 16ff. Laut KLEIN (Totaphot, 686) ist das lateinische Wort adpensum aus der Übersetzung des Hieronymus in transkribierter Form als +!0 in bShab 57b aufgenommen, um die Bedeutung des hebr. Wortes 70 zu erläutern.  551 In Ezech. VII ad 24,15ff. Text und Übersetzung siehe Anm. 563 . Vgl. auch die Parallelstelle im Matthäus-Kommentar, s.o. Anm. 562. Zur Geschichte der Tephillin vgl. COHN, YEHUDAH, Tangled Up in Text: Tefillin and the Ancient World, Providence/RI, 2008.

144

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

nymus bei 70  um etwas am Kopf Befestigtes, das so herabhängt, dass es sich vor den Augen bewegen kann. Hieronymus kombiniert in dieser Erklärung die Elemente aus Aquila („befestigen“) und Theodotion („beweglich“). Der Einschub „ob recordationem“, ist wohl als eine Wiederaufnahme von Ex 13,9 zu werten. Bereits in diesem Vers war davon die Rede, dass die Exoduserzählung selbst den Israeliten ein Zeichen (7) an der Hand und ein Erinnerungsmal (*4#) an der Stirn sei. Der Begriff 70  wird jedoch erst in der Wiederholung dieses Gebotes in Ex 13,16 verwendet. So ergibt sich die Wendung quasi adpensum quid ob recordationem bei Hieronymus. Der Targum Neofiti verfährt an dieser Stelle überraschend ähnlich wie Hieronymus: Er gibt das Hebräische mit *4#%  („zu einer guten Erinnerung“) wieder. Hier besteht eine deutliche Parallele, die auf den Einfluss rabbinischer Traditionen auf Hieronymus zurückzuführen ist. Um zu prüfen, ob es in der Lexikalik oder in den von Hieronymus erwähnten Traditionen noch weitere Parallelen in der rabbinischen Literatur gibt, soll exkursartig ein kurzer Blick auf zeitgenössische jüdische Interpretationen derjenigen atl. Texte geworfen werden, in denen von 70 die Rede ist. In Midraschim oder Targumim fällt auf, dass das hebräische 70  aus dem Toratext in den allermeisten Fällen mit dem aramäischen *!%07 wiedergegeben wird.552 Bereits in tannaitischer Zeit hatte sich der aramäische Begriff „Tefillin“ als Bezeichnung für Phylakterien durchgesetzt, deren Gebrauch mit Ex 13,9.16; Dtn 6,8 und 11,18 begründet wurde. Daher konnte man *!%07 bei der Übersetzung und Erklärung atl. Texte als Terminus technicus verwenden. Anders als bei den oben erwähnten griechischen und lateinischen Bibelübersetzungen und Kommentaren wird der hebräische Begriff also nicht etymologisch erklärt, sondern durch einen bekannten substituiert, der sich aus der Auslegungstradition ergab, bei 70 handle es sich um Phylakterien. Die frühesten literarischen Zeugnisse über den Gebrauch von Phylakterien im Judentum finden sich im Aristeasbrief (Arist. 159) und bei Josephus (Ant. 4, 213). Beide nehmen allerdings keinen expliziten Bezug auf die genannten Bibeltexte. Die bisher genannten jüdischen Quellen (Aristeasbrief, Josephus, Midraschim, Targumim) lassen also keinen Rückschluss auf die atl. Texte oder die Interpretation des Wortes 70 zu, denn es ist zwar von Tefillin die Rede, man findet aber keine Informationen über die Etymologie des hebräischen 70 . Bei Philo andererseits, der, wie oben erwähnt, eine etymologische Erklärung bezeugt und einen Septuaginta-Text rezipiert, ist unklar, ob er überhaupt Phylakterien kannte.553 Wird in den genannten rabbinischen Quellen 70 in der Tora mit Tefillin gleich gesetzt, so lebt der Begriff 70 als solcher auch im nachbiblischen Hebräisch weiter, ist allerdings nur sehr selten belegt. Die Singularform 70 findet sich in mShab 6,1. Es bezeichnet dort, so die Interpretation der Gemara im Talmud, ein von Frauen getragenes Schmuckstück.554 Der Plural kommt seltener zur An552 Die mutmaßlich ältesten Traditionen sind repräsentiert in den Targumim zu Ex 13,6, Dtn 6,8 und 11,8, in den Midraschim Mekh Bo 13,10 (26b), SifDev 44 bzw. in mSanh 11,3. Ob der in der Mekhilta referierte Diskurs zwischen Schammai und Hillel auch die Terminologie des ersten vorchristlichen Jahrhunderts repräsentiert, ist historisch unsicher. 553 Vgl. Anm. 543. 554 Die Mischna mShab 6,1 zählt 70  unter denjenigen Kleidungsstücken und Accessoires auf, bei denen fraglich ist, ob eine Frau sie am Schabbat tragen darf. Wie dies zu verstehen ist, wird in der zugehörige Gemara in bShab 57b erörtert. Tefillin als mögliche Übersetzung des Begriffs

C.I.6. PARALLELEN ZU MEHREREN DER RECENTIORES

145

wendung und bezeichnet entweder die vier in den Tefillin enthaltenen Pergamentabschnitte mit Toratexten oder deren „Häuschen“ ('!7) in den Tefillin.555 Eine R. Aqiba zugeschriebenen Baraita in bMen 34b überliefert eine Art Etymologie und Erklärung des hebräischen Begriffs 70 : „,tot‘ bedeutet ‚zwei‘ in Kathpi556, ‚phot‘ (oder ‚phet‘) bedeutet ‚zwei‘ auf Afrikanisch.“557 Diese Erklärung leitet aus dem Wort 70 ab, warum genau vier Toraabschnitte in den Tefillin aufbewahrt werden sollen.558 Gleichzeitig spiegelt sie eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich der ursprünglichen Bedeutung des hebräischen Begriffs wieder. Auch die Übersetzung von Symmachus (διασταλμένοι) lässt sich am besten auf dem Hintergrund der halakhischen Bestimmungen zur Herstellung der Tefillin verstehen. Wie SALVESEN gezeigt hat,559 führt Symmachus das aramäische *!%07 auf die Wurzel %0 („trennen“) zurück und überträgt dies dann als διασταλμένοι ins Griechische. Dabei ist an die o.g. Vierteilung im Inneren der Kapsel der KopfTefillin gedacht, die zur separaten Aufbewahrung der vier Pergamentabschnitte mit Stellen aus der Tora dient.560 Inwieweit hat Hieronymus die in rabbinischen Texten erwähnten halakhischen Bestimmungen zu den Tephillin bzw. deren praktische Umsetzung gekannt, und wieweit hat sie seine Übersetzung beeinflusst? Aufschlussreich ist neben dem oben schon erwähnten Ezechiel-Kommentar Hieronymus’ Kommentierung von Mt 23,5, in der er neben der Wortbedeutung auch die Praxis der Phylakterien bei den Pharisäern beschreibt:561 Die Pharisäer, heißt es dort, hätten den allegorischen Sinn der Schrift missverstanden. Deshalb haben sie, am Wortlaut der Schrift haftend, den Dekalog, auf kleine Papierstreifen geschrieben und gefaltet, mit sich herum getragen, wie eine Krone an die Stirn gebunden und sich vor den Augen bewegend.562 Auch im Ezechiel-Kommentar verweist Hieronymus auf eine hebräi-

555 556 557 558

559 560

561 562

kommen dabei nicht in den Blick, dagegen wird der Begriff aus der Mischna als Stirnschmuck interpretiert. R. Joseph spricht von  70!7374)− vermutlich „Balsamkapsel“, R. Jehuda dagegen meint, dass es sich um ein +!!0! genanntes Amulett handelt. Diese Formen des Stirnschmucks unterscheiden sich, so R. Abahu, vom in der Mischna im Anschluss genannten Kopfschmuck *! !4, dadurch, dass jener von Ohr zu Ohr und nicht bis hinab zur Wange reicht. Nach TIGAY (Meaning, 322) könnte dies aus 70! + in Ri 8,26 bzw. Jes 3,19 gewonnen sein. Vgl. MekhY Bo 17 zu Ex 13,10: 70 -4–64). Zu den Pergamentabschnitten und den „Häuschen“ s.u. Vielleicht: „koptisch“. .!3!4070'!76!07# "!42+!4)-Á4 Eine andere Tradition in bMen 34b zieht die unterschiedliche Schreibung des Wortes 70  in verschiedenen Versen der Tora dafür heran, die Vierzahl der Pergamentabschnitte in den Tefillin zu begründen: %-)6!!4!4À*#!470  %70 %70 %4Á7 (Die Weisen lehrten: letotepheth, letotepheth, letotaphoth, siehe hier haben wir 4 [Abschnitte/ Fächer], Worte Rabbi Yishma‘els.) Offenbar liegt der Erklärung Rabbi Yishma‘els eine andere Textfassung zugrunde als die, die in heutigen kritischen Ausgaben (BHS, BHQ, WLC) präsent ist, denn dort findet sich der Begriff zweimal plene als 70  % (Ex 13,16; Dtn 11,18) und einmal in defektiver Schreibweise (Dtn 6,8). SALVESEN, Symmachus, 294. Zur Ableitung von *!%!07 von der Wurzel %%0 bzw. %0 vgl. auch LEVY, Neuhebräisches Wörterbuch 4, 660 und die Tosafot zu bMen 34b (StrBill IV 250f.). Belege für vier Pergamentabschnitte finden sich z.B. in mMen 3,7, bSan 4b, bZev 37b; Als frühester expliziter Beleg für vier '!7 innerhalb der Tefillin gilt bMen 34b: 74-À%-*7#   4- '!7 À *!+)(man schreibe sie auf vier Pergamentstücke und lege sie in vier Häuschen aus einem einzigen Lederstück.). S.o. Anm. 551. In Matth IV ad 23,5: Hoc Pharisaei male interpretantes scribebant in membranis decalogum Moysi id est decem verba legis complicantes ea, et ligantes in fronte et quasi coronam capiti facientes ut semper ante oculos moverentur quod usque hodie Indi et Persae et Babylonii faciunt et qui hoc

146

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

sche Tradition, derzufolge man den Dekalog auf membranula geschrieben um den Kopf gebunden trage.563 Hieronymus berichtet von der Praxis, dass die Phylakterien der Pharisäer zur Zeit Jesu und die von Gelehrten in Babylon Dekalogtexte enthalten. Nach rabbinischer Tradition müssen jedoch vier andere Texte aus der Tora, nämlich Ex 13,1–10.11–16, Dtn 6,4–9 sowie Dtn 11,13–21 in den Tephillin enthalten sein.564 Doch es gibt sowohl literarische als auch archäologische Spuren davon, dass auch der Dekalog in judäischen Phylakterien verwendet wurde: Zum einen verwirft der Midrasch Sifre die Ansicht, dass der Dekalog auf die Pergamentstreifen für die Phylakterien geschrieben werden soll (SifDev 35). Dies spricht dafür, dass diese aus Sicht der Sifre deviante Praxis gepflegt wurde. Zum anderen belegen Funde von Phylakterien aus Qumran, was bei Hieronymus erwähnt ist: In ihnen sind Texte aus dem Dekalog enthalten.565 Offenbar bezieht sich Hieronymus auf eine andere Praxis, die Phylakterien zu verwenden, als die, die im rabbinischen Judentum überliefert ist. Woher diese allerdings stammt, lässt sich schwer feststellen, denn Origenes, Hieronymus’ Hauptquelle für die Matthäus-Kommentierung, erwähnt den Inhalt der Phylakterien nicht. Weitere Indizien lassen darauf schließen, dass Hieronymus nicht auf die eigene Beobachtung einer zeitgenössischen Praxis rekurriert:Der Ezechiel-Kommentar führt die Informationen mit aiunt Hebraei ein, was darauf schließen lässt, dass Hieronymus auf mündliche Informationen zurückgreift. Darüber hinaus ist von Pharisäern zu Lebzeiten der Jünger Jesu die Rede. Im Ezechiel-Kommentar hingegen treten „babylonios magistros“ mit Phylakterien auf, sowie Perser und Inder im Matthäus-Kommentar – und nicht palästinische Gelehrte aus der Nachbarschaft des Bethlehemer Mönchs. Wichtiger als der Bezug zu einer bestimmten Praxis scheint für Hieronymus im Falle von 70 die korrekte Philologie zu sein, und zwar im Sinne von etymologischer und theologischer Exegese: Er knüpft mit dem Wortfeld „bewegen“ an die Septuaginta-Tradition an, mit „befestigen“/„anhängen“ an Aquila. Er beschreibt 70 als Phylakterien, und zwar als etwas Hängendes, sich Bewegendes. So stellt sich Hieronymus die Erinnerungszeichen vor, die ihre Träger an die Zuverlässigkeit der Satzungen Gottes erinnern und ihnen durch ständige Bewegung immer vor Augen sind. habuerit religiosus in populis judicatur [ed. HURST/ADRIAEN, CChr.SL 77, 211,75–80] (Dies missinterpretierten die Pharisäer und schrieben auf Pergament den Dekalog des Mose, d. h. die 10 Gebote, falteten sie, banden sie sich an die Stirn und machten daraus so etwas wie eine Krone für den Kopf, damit sie es sich immer vor den Augen bewegten, was bis heute die Inder, Perser und Babylonier tun. Und wer dies so hält, wird im Volk für fromm gehalten.). 563 In Ezech. VII ad 24,15ff.: Aiunt Hebraei hucusque babylonios magistros legis praecepta servantes, decalogum scriptum in membranulis circumdare capiti suo, et haec esse quae iubeantur ante oculos et in fronte pendere, ut semper videant quae praecepta sunt [ed. GLORIE, CChr.SL 75,1514] (Die Hebräer sagen, dass bis heute die Gelehrten in Babylon die Vorschriften des Gesetzes befolgten und die Zehn Gebote, geschrieben auf Pergamentstückchen, um ihren Kopf legen, und dass es dies sei, was, wie befohlen, vor den Augen und an der Stirne hängt, damit sie immer sähen, was vorgeschrieben ist.). 564 So z.B. MekhY Bo 18 zu Ex 13,16, bZeb 37b; bMen 34b (Bar); bSanh 4b (Bar). 565 Vgl. hierzu den Beitrag von Y. ADLER über den Zusammenhang zwischen dem Midrasch Sifre und den in Qumran gefundenen Phylakterien (The Content and Order of the Scriptural Passages in Tefillin, 224ff.).

C.I.6. PARALLELEN ZU MEHREREN DER RECENTIORES

147

Dtn 7,9 In Dtn 7,9 folgt Hieronymus bei der Übersetzung des hebräischen % Aquila und Theodotion, obwohl die Septuaginta eine verständliche Übersetzung nah am hebräischen Text bietet. Dabei ergibt sich eine interessante Parallele zu TPsJ: MT !–!#7-! "!% %'!% *)+ … und wisse, dass JHWH, dein Gott, Gott ist, der treue Gott.

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstexte

et scies quia Dominus Deus tuus ipse est Deus fortis et fidelis

καὶ γνώσῃ ὅτι κύριος ὁ θεός σου, οὗτος θεός θεὸς πιστός

α'/ θ': ἰσχυρός (stark)

… und wisse es, denn der Herr, dein Gott selbst, ist ein starker und treuer Gott.

… und wisse: der Herr, dein Gott, dieser [ist] Gott, ein treuer Gott.

TPsJ: +)!)0!37+!! (starker und treuer Richter)

Hieronymus verwendet hier philologisch unscharf „stark“ für das hebräisch %. Er folgt dabei Aquila und Theodotion. Bei Aquila ist ἰσχυρός die übliche konkordante Wiedergabe für % im MT, sofern es den Gott Israels beschreibt.566 Wie auch Aquila wendet Hieronymus dies häufiger an (Gen 33,20; 46,3; Ex 15,11; 20,5; Num 16,22 u.v.m.). Auch TPsJ ersetzt % in Dtn 7,9 durch 0!37 +!! („starker Richter“). In dem Targum ist diese Formulierung für den Pentateuch jedoch einmalig. Möglicherweise leitet Hieronymus eine ähnlich lautende Auskunft seiner jüdischen Informanten bei der Entscheidung für die recentiores. Dtn 20,6 Das Kapitel Dtn 20 fasst verschiedene Regelungen zusammen, die Israel beachten soll, wenn es in einen Krieg zieht. Die Verse 5–9 befassen sich mit der Frage, wer vom Dienst an der Waffe ausgenommen werden soll. Darunter werden Männer gezählt, die ein neues Haus gebaut haben (V.5), einen frischen Weinberg angelegt haben (V.6), verlobt aber noch nicht verheiratet sind (V.7) oder zu wenig Mut besitzen (V.9). In V.6 wird geregelt, dass der Weinberg so lange als neu gilt, wie er noch nicht zum profanen Gebrauch zugelassen wurde. Der Text spielt darauf an, dass neu gepflanzte Plantagen zunächst für drei Jahre nicht abgeerntet werden sollen. Erst im fünften Jahr, nachdem im vierten die gesamte Ernte JHWH geweiht wurde, darf für den profanen Gebrauch geerntet werden (Lev 19,23–25).

566 Vgl. REIDER, Index, 119.264; WEVERS, Notes on Deuteronomy, 133 Anm. 20.

148

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

MT

Hieronymus

Septuaginta

466!!) %%%'4#- + *07!%6!"%! )%)7)! +%%!46!

quis est homo qui plantavit vineam et necdum eam fecit esse communem et de qua vesci omnibus liceat vadat et revertatur in domum suam ne forte moriatur in bello et alius homo eius fungatur officio

καὶ τίς ὁ ἄνθρωπος, ὅστις ἐφύτευσεν ἀμπελῶνα καὶ οὐκ εὐφράνθη ἐξ αὐτοῦ; πορευέσθω καὶ ἀποστραφήτω εἰς τὴν οἰκίαν αὐτοῦ, μὴ ἀποθάνῃ ἐν τῷ πολέμῳ καὶ ἄνθρωπος ἕτερος εὐφρανθήσεται ἐξ αὐτοῦ

… und wer ist der Mann, der einen Weinberg angepflanzt hat und ihn noch nicht profaniert hat? – Er soll gehen und zu seinem Haus umkehren, damit er nicht im Krieg sterbe und ein anderer Mann ihn [sc. den Weinberg] profaniere.

Wer ist der Mensch, der einen Weinberg gepflanzt hat und ihn noch nicht profan gemacht hat, sodass allen erlaubt ist davon zu speisen? – Er soll gehen und in sein Haus zurückkehren, damit er nicht etwa im Krieg sterbe und ein anderer Mensch seine Pflicht verrichte.

… und wer ist der Mensch, der einen Weinberg gepflanzt hat und sich noch nicht an ihm erfreut hat? Er soll gehen und in sein Haus umkehren, damit er nicht im Krieg sterbe und ein anderer Mensch sich an ihm [sc. dem Weinberg] erfreue.

Vergleichstexte fecit esse communem: σ', θ': λαϊκόω (= facere communem) Cod.Lugd.: est epulatus (sich kulinarisch erfreut hat) et de qua …: CN: !4!0340% (… und hat seine Früchte nicht ausgelöst.) TPsJ: !%+#*)!340% (… und hat ihn nicht vom Priester ausgelöst und ihn [dadurch] profaniert.)

Hieronymus lehnt sich bei seiner Wiedergabe des hebräischen %% an die Hexapla an. Symmachus und Theodotion bezeugen für beide Stellen im Vers das Verb λαϊκόω. Damit weicht Hieronymus zugunsten des Hebräischen von der Septuaginta und möglichen altlateinischen Vorlagen ab (εὐφραίνω/epulari). Wie in vielen Fällen (s.u.) ergänzt Hieronymus durch eine kurze Einfügung (et de qua vesci …) und erklärt, was dem Ausdruck facere communem gemeint ist. Eine ähnliche Technik findet sich an gleicher Stelle in den Targumim Neofiti und Pseudo-Jonathan. Auch hier wird ein kurzer Satz eingeschoben, der das Verb durch eine präzisere Beschreibung erläutert.

C.I.6. PARALLELEN ZU MEHREREN DER RECENTIORES

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Dtn 23,2(3) In Dtn 23,1(2) beginnt eine Auflistung von Personen, die nicht in die Gemeinschaft JHWHs (!%3) aufgenommen werden sollen. MT Dtn 23,3

Hieronymus Dtn 23,3

Septuaginta Dtn 23,2

%34)) !% %!4!6-4'! !%3%!

non ingredietur mamzer hoc est de scorto natus in ecclesiam Domini usque ad decimam generationem.

οὐκ εἰσελεύσεται ἐκ πόρνης εἰς ἐκκλησίαν κυρίου.567

Ein4)) soll nicht in die Gemeinde JHWHs hinein gehen, auch die zehnte Generation soll nicht in die Gemeinde JHWHs hinein gehen.

Ein Mamser, das ist ein von einer Hure Geborener, soll nicht in die Gemeinde des Herrn hinein gehen bis zur zehnten Generation.

[Ein] von einer Hure [Geborener] soll nicht in die Gemeinde des Herrn hinein gehen.

Vergleichstexte α': μαμζήρ σ' (Syh): mmzyr’

Hieronymus übernimmt hier das hebräische Wort 4)) in Transliteration und fügt eine Erklärung hinzu, die mit „hoc est“ eingeleitet ist. Der Inhalt der Erklärung (de scorto natus) entspricht der Fassung der Septuaginta (ἐκ πόρνης) und der der Vetus Latina (de prostituta – „von einer Hure“). Offenbar ist es Hieronymus wichtig, zunächst den hebräischen Terminus zu nennen. So verfährt er vielfach im Fall von Namen, Begriffen aus dem atl. Kult oder der zeitgenössischen Halakha.568 Als Motivation für diese Wiedergabe in Dtn 23,2(3) kommt das Vorbild der recentiores in Frage. Wie IH schreibt auch Aquila μαμζήρ, die syrohexaplarische Überlieferung belegt auch für Symmachus mmzyr’. Dies findet sich in der syrischen Literatur auch bei Gregorius Barhebräus in der vokalisierten Form mamzîrâ’.569 Auch für Sach 9,6a, der einzigen anderen Stelle im MT, an der das Wort 4)) vorkommt, überliefert die Syrohexapla für alle drei recentiores die Transliteration mmzyr’. Hieronymus verfährt an dieser Stelle jedoch anders als in Dtn 23. Sach 9,6a: MT 6 4)) 6! Ein 4))wird in Aschdod wohnen

Hieronymus

Septuaginta

et sedebit separator in Azoto

καὶ κατοικήσουσιν ἀλλογενεῖς ἐν Ἀζώτῳ

und ein „Trenner“ wird in Azotum wohnen.

und Fremdvölker werden in Azoton wohnen.

567 Die zweite Vershälfte ist nur in einigen späteren Handschriften überliefert. 568 Zu Namen vgl. Gen 31,48; 32,3; 33,17; 35,18; Ex 15,26; Lev 23,39; Num 13,24; 21,3; 32,14; Dtn 3,14; 5,14; 32,49; Jos 15,9.15; 18,16.17.18; 19,41; (21,5); Ri 10,4; 15,9; 19,22; Ruth 1,12; Est 9,26.28. Hier ist das Vorgehen des Kirchenvaters unabhängig davon, ob die Septuaginta transliteriert oder übersetzt. An weiteren Begriffen seien genannt: iobelus Num 36,4; sabbatum Dtn 12,15; nazareus Ri 16,17; therafin Ri 17,5; oepha Ruth 2,17. 569 SPRENGLING, M., Barhebraeus’ Scholia on the Old Testament 1. Genesis – II Samuel, OIP 13 (Chicago, 1931), 236.

150

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

In seiner Übersetzung des Dodekapropheton gibt Hieronymus den hebräischen Terminus 4)) in Sach 9,6a, mit separator wieder, anders als in der einige Jahre später im Dtn verwendeten Transliteration mamzer. Die Septuaginta hat in Sach 9,6 dem Kontext entsprechend ἀλλογενεῖς, was Hieronymus wohl kaum als Vorbild gedient hat. Im Kommentar zum Zwölfprophetenbuch (entstanden wiederum nach der Übersetzung des Pentateuchs etwa um 406) erwähnt Hieronymus, dass im Hebräischen das Wort mamzer verwendet werde. Zunächst gibt Hieronymus den hebräischen und den griechischen Text in lateinischer Übersetzung wieder, dann begründet er seine eigene Formulierung: … pro quo nos posuimus: et sedebit separator in azoto. separatorem dominum intellege, qui frumentum a paleis separet, et pisces bonos a piscibus malis, et argentum atque aurum a sordibus scoriaque discernat.570 Dafür haben wir geschrieben: „und ein Trenner wird in Azotum sitzen.“ Separator verstehe als einen Herrn, der Getreide vom Stroh trennt, und gute Fische von schlechten Fischen und der Silber und Gold von Schmutz und Schlacke scheidet.

Dass Hieronymus den Begriff Trennen mit der Stadt Aschdod verknüpft, hat seinen Grund in seiner etymologisierenden Erklärung der Städtenamen im vorausgehenden Vers (Sach 9,5f.) Dort hatte Hieronymus Aschdod als ignis generans übersetzt.571 Dies wiederum bringt er in der Kommentierung mit der Feuertaufe in Verbindung, welche durch Johannes den Täufer für Christus vorausgesagt ist. Bereits bei der Kommentierung von Sach 4,8ff. bezeichnet Hieronymus Gott bzw. Christus als „separator“ und verwendet das Bild vom Entschlacken von Edelmetallen. Dabei nimmt er ebenfalls auf die Täuferworte von Spreu und Getreide (Mt 3,12; Lk 3,17) Bezug bzw., in Kombination mit den Fischen, auf die Bildworte Jesu in Mt 13,40.48. Die philologisch-etymologische Auslegung beginnt bei dem in Sach 4,10 beschriebenen Erzklumpen (%!*) in der Hand Serubbabels. Dieser symbolisiere Christus, da in ihm die sieben Geister Gottes ruhen. Im Folgenden erklärt Hieronymus die Bedeutung von %! etymologisch: Lapis autem iste, id est massa, qui apud hebraeos ABDIL scribitur, id est stanneus, ἐτυμολογεῖται ἀποχωριζῶν, id est separans et secernens, ut quomodo stannum mixta et adulterata se per ignem metalla dissociat, ita dominus verus probator et χωνευτής ab auro et argento bonorum operum aes vitiorum plumbumque secernat, ut purum aurum remaneat et argentum. Aliis verbis ἀποχωρίζων iste et separator in evangelio scribitur: cuius ventilabrum in manu sua, et ipse purgabit aream suam, et separabit paleas a tritico, qui clamat per hieremiam: quid paleis ad frumentum? 572 Dieser Stein aber (das ist der Klumpen, der bei den Hebräern ABDIL geschrieben wird, d.h. aus Erz,) hat die ursprüngliche Bedeutung ἀποχωριζῶν – also: Trenner und Scheider; auf dieselbe Weise, wie das Erz durch das Feuer die eingemischten und verschmutzten Metalle von sich scheidet, so scheidet auch unser Herr, der wahrhafte Prüfer und Schmelzmeister (χωνευτής), das Erz der Laster und das Blei vom Gold und vom Silber der guten Werke, so dass das Gold rein zurückbleibt und auch das Silber. In anderen Worten wird jener Trennende (ἀποχωριζῶν) und Scheider (separator) im Evangelium beschrieben: Dessen Worfschaufel ist in seiner Hand, und er selbst wird seine Tenne fegen, und er wird die Spreu vom Weizen trennen,‘ wie er durch Jeremia ruft: ‚Was macht die Spreu beim Weizen?‘

Diese etymologisch-philologische Arbeit verdankt Hieronymus seinen hexaplarischen Vorbildern. Das von Hieronymus erwähnte Wort ἀποχωρίζων ist vermutlich 570 In Zach. II ad 9,6 [ed. VALLARSI, PL 25, 1482D]. 571 Ebd. 1482A. 572 In Zach. II ad 4,10 [ed. VALLARSI, PL 25, 1445A].

C.I.6. PARALLELEN ZU MEHREREN DER RECENTIORES

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von Symmachus beeinflusst, der für Sach 4,10 in der syrischen Version mit hy dpryš’ überliefert ist.573 Wie der Blick auf den Sacharja-Kommentar gezeigt hat, rezipiert Hieronymus hier hexaplarisches Gut, das sowohl seine Übersetzung als auch später den Kommentar beeinflusst. Allerdings scheint Hieronymus sich bei der Übersetzung von Dtn 23,3(2) nicht auf diese Erklärung zu besinnen oder sie für unpassend zu halten. Dort spielt er mit seiner Transliteration darauf an, dass mamser ein Terminus technicus ist. Welche Informationen könnte Hieronymus überdies über den Begriff Mamser gehabt haben? Die Frage nach der Bedeutung des Begriffes 4)) in biblischhistorischer oder halakhischer Dimension spielt in der Auslegung der Kirchenväter sonst eine marginale Rolle. Meist wird Dtn 23,3(2) im Gefolge der Septuaginta und Philos mit Prostitution, seltener mit anderen Formen illegitimen Geschlechtsverkehrs konnotiert. Von Philo stammt auch die häufig rezipierte Auslegung der Nachkommen ἐκ πόρνης als Allegorie auf den Polytheismus.574 In der frühen rabbinischen Tradition dagegen begegnen zwei halakhische Interpretationsmöglichkeiten im Blick auf den Begriff 4)) in Dtn 23,3 und Sach 9,6.575 Von diesen hat sich derjenige durchgesetzt, der mit 74)) 4)) die Nachkommen aus einer illegitimen (z.B. inzestuösen) Beziehung eines Juden und einer Jüdin bezeichnen. Dies findet sich beispielsweise in der Mischna mYeb 4,13: Im Namen R. Aqibas ist überliefert, ein Mamser sei ein Abkömmling aus jeglichem illegitimem Verkehr.576 Gegenüber dieser weiter gefassten Minderheitsmeinung steht die im Namen R. Shimons von Teman überlieferte Eingrenzung, Mamzerim entstammten nur denjenigen illegitimen Verbindungen, auf die die Strafe der Ausrottung stehe (74#).577 In bQid 75b wird diese Meinung als Konsens der Schulen Hillels und Shammais referiert (so auch bYeb 45a). In derselben Gemara wird jedoch, ebenfalls im Namen Aqibas, eine Baraita erwähnt, die eine zweite Definition des Begriffs repräsentiert. Derzufolge sind Mamserim Nachkommen einer Israelitin und eines Nichtjuden oder eines Sklaven: !3-!4#4-%!4%4,!)4))%%46!7%--!4)!3-À4 4,!6 !)) % 4)) *!6 '!) 742 %%! 7! 6Á 3%+6 0Á- 4-% À4 4) 74#6+-4-4,! … R. Aqiba, welcher sagte: Ein Nichtjude oder ein Sklave gehe zu einer Tochter Israels ein – dann ist das, was geboren wird, ein Mamser. Stimmt R. Elieser darin mit R. Aqiba überein? Aber R. Elieser sagt: Obwohl die Schulen Shammais und Hillels in der Frage nach den Nebenfrauen differieren, stimmen sie darin überein, dass nur derjenige Mamser ist, der aus einer illegitimen inzestuösen Beziehung hervorgeht, auf die die Ausrottungsstrafe steht.

Auch wenn die Diskussion einem anderen Grundproblem nachgeht (sc. Ehen mit SamaritanerInnen bzw. deren Status als '!4), zeigen sich hier die beiden oben genannten Definitionen von Mamserim: Die R. Elieser zugeschriebene Halakha, die im Sinne R. Shimons den Begriff für jüdische Kinder aus bestimmten inzestuösen 573 FIELD (Hexapla II, 1020) rekonstruiert dies zu τὸν (ἀπο/δια)κεχωρισμένον. 574 Vgl. conf. 144, decal. 8, migr. 69, mut. 204f, spec. I 326.332ff. u.v.m. Dies steht meist im Kontext der allegorischen Auslegung des vorhergehenden Vers (Dtn 23,1): Zeugungsunfähigkeit wird allegorisch für die Unfähigkeit zum Hervorbringen geistlicher Werke bzw. für Atheismus gedeutet. 575 Vgl. zum Folgenden HOFFMANN, Deuteronomium II, 33f. 576 !3-!4!4!%64646%#–4))!. 577 Vgl. hierzu auch SifDev 248 ad loc.

152

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Beziehungen verwendet – und jene zweite Tradition im Namen Aqibas, die (auch) die Nachkommen einer Israelitin und eines Nichtjuden oder eines Sklaven als '!4)) bezeichnet. Obwohl sich diese hier als Lehrmeinung Aqibas referierte Tradition in der rabbinischen Literatur nicht durchsetzt, finden sich in rabbinischen Texten noch verschiedene Spuren, die dafür sprechen, dass 4)) ursprünglich eine Bezeichnung für ein Kind aus einer Beziehung war, welche als ethnische Mischehe klassifiziert wurde.578 So lautet eine etymologisierende Herleitung des Begriffs in bYeb 76b:  4')!7#4))74))%4))7-)% … würde in diesem Fall „Mamser“ bedeuten: „keine Mamserin“? [Nein, denn] Mamser heißt „mûm zar“ [etwas Fremdes/Fehlerhaftes].

Hier wird 4)) von 4 ') hergeleitet, um den geschlechtsneuralen Aspekt der Formulierung herauszuheben. Obwohl es sich nach späterer Auffassung bei Mamsern und Mamserinnen gerade nicht um ethnisch Fremde, sondern um jüdische Kinder handelt, die aus illegitimen Beziehungen hervorgegangen sind, herrscht auch hier die Erklärung mit dem Wortfeld „fremd“ vor. Eine ähnliche Erklärung überliefert auch Rashi zu bYeb 76b: 74')6!6%# –4)) („Mamser: jeder, der in sich einen Makel von Fremdheit (mûm zarût) hat.“). Auch A. GEIGER sieht diese Ableitung als ursprünglich an: Dazu kombiniert er Sach 9,6 mit Neh 13,23f., wo ebenfalls die Stadt Aschdod erwähnt wird. Dort wird über die Auflösung von Mischehen zwischen Judäern und Frauen aus Aschdod berichtet: Deren Kinder nämlich heißen, wie Geiger es formuliert, „,Mamser‘, ἀλλογενεῖς zweischlächtige Bastarde“.579 Dass diese Tradition sich in der jüdischen Antike bis in die tannaitische Zeit hinein einiger Bekanntheit erfreute, zeigen neben der Septuaginta noch mehrere weitere Übersetzungen von Sach 9,6. Auch sie bieten eine Lösung an, die 4)) mit Fremdheit konnotiert, statt mit Inzest oder Prostitution. Der Prophetentargum übersetzt: „und das Haus Israel (!) wird in Aschdod wohnen und dort werden (sie wie) Fremde sein, die keinen Vater haben“.580 In bQid 72b findet sich eine ähnliche Übersetzung wie im Prophetentargum: 4))6!!)!,! À4%%64))6! !4# !7#+!!4!)!4% )%6 *!4#+%)*-4*24%%46!7!*7!/,!4'47)#6 … nun, für die Position von R. Meir spricht, dass geschrieben steht (Sach 9,6) „Ein Mamser wird in Aschdod wohnen.“ Aber warum heißt es nach der Meinung von R. Jose „und ein Mamser wird in Aschdod wohnen“? – Weil R. Joseph so [sc. ins Aramäische] übersetzt: „Sie, das Haus Israel, werden dort in Sicherheit wohnen, wo sie den Fremden ähnlich waren.“

Die hier zitierte aramäische Übersetzung des Verses dient zur Erklärung des Begriffes Mamser, nämlich: Fremder. Diese Interpretation korreliert mit einer Erklärung, die Hieronymus in nom hebr. 83,5 referiert: Mamoazer – de longe vel alienus („Mamoazer – von ferne oder fremd“).

578 Vgl. yQid 3,12 (Bar), yYeb 4,15; bYeb 45a; bQid 75b. 579 GEIGER, Urschrift, 52ff.; vgl. JEREMIAS, Jerusalem 374ff. 580  *% 7!% *!4#+   %46! 7! *7!. Die Peschitta gibt 4)) sogar direkt mit „Fremde“ wieder: wntbwn nwkry’ b’šdwd (und Fremde werden in Aschdod wohnen.).

C.I.6. PARALLELEN ZU MEHREREN DER RECENTIORES

153

TPsJ zu Dtn 23,3 bemüht sich offenbar um eine Verknüpfung der o.g. Traditionen. Statt des Begriffes 4)) referiert er eine ausführliche Definition der beschriebenen Person.581 %3) 46# 7! ,!)% !+% !)- !!7 6! )) ! + *) !%!7) !#! % !!!)Wer aus Unzucht (+) geboren wurde, in dem ist ein böser Makel, welcher bei den profanen Völkern gefunden wird; er darf (!#) sich keine taugliche (46#) Frau von der Versammlung des Volkes YYYs nehmen.

Drei der bisher zusammengestellten Elemente sind hier vereint: (a) Die Assoziation des Wortes 4)) mit ') („Makel“), (b) 4 („Fremde“) – hier repräsentiert durch die Erwähnung nichtisraelitischer Völker (!+%!)-), sowie (c) der Bezug zu illegitimer Sexualität, d.h. Unzucht im Sinne von Inzest, Prostitution etc. Für Hieronymus’ Übersetzungstechnik ergibt sich aus dieser Analyse ein Mehrfaches: Am Beispiel von Sach 9,6 zeigt sich, wie stark exegetische Entscheidungen die Übersetzung des Kirchenvaters prägen. Weiterhin lässt sich an beiden Stellen seine Präferenz für die durch die Hexapla überlieferten griechischen (jüdischen) Übersetzungen erkennen. Die Verwendung des Begriffs mamzer in Dtn 23 mit erklärender Übersetzung (de scorto natus) aber zeigt, dass Hieronymus ihn als Terminus technicus der jüdischen Tradition kennt, auch wenn er ihn mit einer Erklärung füllt, die eher der Septuaginta als den rabbinischen Quellen entspricht. Dies spricht dafür, dass er sich auch dem althergebrachten christlichen Bibeltext verpflichtet fühlt. Der Blick auf die Übersetzung von Sach 9,6 zeigt, dass er sich bei einem prophetischen Text um eine christologische Auslegung bemüht, anders als bei einem halakhischen Text wie Dtn 23,3(2).

581 Diese vermittelnde Technik des Targums fällt auch an anderen Stellen auf. Vgl. hierzu z.B. die Kombination zweier konkurrierender Auslegungs- und sogar Texttraditionen in Dtn 32,8.

154

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Dtn 29,18(19) In Dtn 29 beschwört Mose das Volk, die Worte des Bundes, den JHWH mit ihnen in Moab geschlossen hat, zu halten und erinnert zusammenfassend an die Flüche (Dtn 28), die diejenigen treffen sollen, die dies nicht tun: MT Dtn 29,18

Hieronymus Dtn 29,19

Septuaginta Dtn 29,18

Vergleichstexte

!47-)6! "477% '%64)%% !%7446!#!%!! 470,*-)% "% )27

cumque audierit verba iuramenti huius benedicat sibi in corde suo dicens pax erit mihi et ambulabo in pravitate cordis mei et adsumat ebria sitientem

καὶ ἔσται ἐὰν ἀκούσῃ τὰ ῥήματα τῆς ἀρᾶς ταύτης καὶ ἐπιφημίσηται ἐν τῇ καρδίᾳ αὐτοῦ λέγων Ὅσιά μοι γένοιτο ὅτι ἐν τῇ ἀποπλανήσει τῆς καρδίας μου πορεύσομαι, ἵνα μὴ συναπολέσῃ ὁ ἁμαρτωλὸς τὸν ἀναμάρτητον

οἱ λ': ἡ μεθύουσα τὴν διψῶσαν (die Trunkene die Dürstende)

Und wenn er die Worte dieses Schwurs gehört hat und er sich segnet in seinem Herzen und sagt: „Friede sei mir und ich werde in der Verstocktheit meines Herzens umhergehen“, und die Trunkene soll die Dürstende/den Dürstenden verschlingen.

Und es soll sein, wenn er die Worte dieses Fluchs hört und in seinem Herzen folgendes schwört: „Solches geschehe mir, wenn ich in der Verstocktheit meines Herzens wandle“, damit nicht der Sünder den Sündlosen gleichzeitig zerstöre.

Und es geschehe, wenn er die Worte dieses Fluchs hören wird und sich in seinem Herzen folgendermaßen segnen wird: „Segen sei mir, [auch] wenn ich in der Verstocktheit meines Herzens wandle,“ damit das Feuchte das Dürstende wegfege.

Cod.Lugd.: ut non in unum pariter perdat peccatorem et qui sine peccato est (damit er nicht auf einen Schlag den Sünder vernichte und den, der ohne Sünde ist)

Die Septuaginta und in ihrer Folge auch die altlateinische Tradition interpretieren den hebräischen Text als Metapher und transformieren diese in eine nicht-bildhafte Aussage, die ein theologisches Problem bearbeitet, und zumindest für sich genommen, sinnvoll scheint: Sündhafte und sündlose Menschen sollen nicht gleichermaßen unter dem Fluch leiden. Hieronymus sieht den Sinn des Hebräischen offenbar durch die hexaplarischen recentiores besser repräsentiert und lehnt sich daran an, auch wenn der dadurch entstehende Text nicht verständlicher wird.

C.I.6. PARALLELEN ZU MEHREREN DER RECENTIORES

155

Dtn 30,3 In Dtn 30 erläutert Mose, was denen widerfahren wird, die den Bund JHWHs halten und deshalb seiner Segnungen teilhaft werden: MT

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstexte

7"!%!6 6")4"76 '!)-%#)"23 !"2!046 )6"!%

reducet Dominus Deus tuus captivitatem tuam ac miserebitur tui et rursum congregabit te de cunctis populis in quos te ante dispersit

καὶ ἰάσεται κύριος τὰς ἁμαρτίας σου καὶ ἐλεήσει σε καὶ πάλιν συνάξει σε ἐκ πάντων τῶν ἐθνῶν, εἰς οὓς διεσκόρπισέν σε κύριος ἐκεῖ.

Und JHWH, dein Gott, wird deine 76 umkehren582 [Masora: qal] und sich über dich erbarmen und wird dich wieder [6] versammeln aus allen Völkern, wohin dich JHWH, dein Gott, zerstreut hat.

Und der Herr, dein Gott, wird deine Gefangenschaft zurückführen und sich über dich erbarmen und dich wieder versammeln aus allen Völkern, in die er dich zuvor verstreut hat.

Und der Herr wird deine Sünden heilen und sich über dich erbarmen und wird dich wieder zusammenführen aus allen Völkern, in welche dich der Herr dorthin zerstreut hat.

α' (Syh): convertet conversionem tuam (wird deine Wendung wenden) σ', θ':(Syh): convertet captivitatem tuam (wird deine Gefangenschaft wenden) TO: "7%767!"%!!!7! (wird zurückführen/wenden die Gefangenschaft deines Exils) Cod.Lugd.: sanabit peccata tua (deine Sünden heilen)

Hieronymus interpretiert das hebräische Verb 6 als Hif ‘il (eigentlich !6). Dies weicht sowohl von der Vokalisierung der Masora als auch vom masoretischen Konsonantentext ab. Ähnlich verfahren auch die hexaplarischen Versionen und TO. Auch die Übersetzung des Nomens 76 mit captivitas erfolgt parallel zu diesen Übersetzungen. Der altlateinische Text des Cod.Lugd. folgt der Septuaginta. Deren interpretierender Eingriff lässt sich theologisch aus der zweiten Vershälfte erklären. Der Rückführung des Volks aus dem Exil (3b) muss die Vergebung der Sünden vorausgehen.583 Hieronymus wählt hier eindeutig den philologischen Weg, statt sich dieser theologischen Interpretation anzuschließen.

582 WEVERS gibt als Übersetzung der hebräischen Wendung „he will restore your fortune“ an (Notes on Deuteronomy, 479). 583 Ebd.

156

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Dtn 31,1 Der Vers Dtn 31,1 leitet zur Rede des Mose anlässlich der Übergabe seiner Verantwortlichkeit an Josua ein: MT

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstexte

74!6)"%! %'!4

Abiit itaque Moses et locutus est omnia verba haec

Καὶ συνετέλεσεν Μωυσῆς λαλῶν πάντας τοὺς λόγους τούτους

Und Mose ging und sprach diese Worte.

Mose ging daher weg und sprach alle diese Worte.

Und Mose brachte es zuende, all diese Worte zu sprechen.

α', θ' (Syh): w‘zl (und er ging weg) σ' (Syh): et cum abiisset moses locutus est (und als Mose weggegangen war, sprach er)

Der Septuaginta liegt hier ein anderer Konsonantentext zugrunde,584 der leichter in den Kontext einzubinden ist, da sich so erklärt, dass πάντας τοὺς λόγους τούτους sich auf das Vorausgehende bezieht. In dieser Lesart sind die beiden letzten Radikale des Verbs vertauscht (%#! statt "%!). Ein entsprechender hebräischer Text ist in Qumran (1QDeutb) überliefert. Hieronymus und die recentiores, hier syrohexaplarisch überliefert, folgen dem hebräischen Text. Dtn 32,5 Der Vers Dtn 32,5 befindet sich im Eingangsteil des Moseliedes, in dem Mose in der 3.Person über JHWH spricht. Zwar folgt Hieronymus in der Übersetzung des einleitenden Verbs der Septuaginta (peccaverunt / ἡμάρτοσαν), im Blick auf den Rest des Verses, ist deutlich der Einfluss der recentiores wahrzunehmen. MT !+%%76 585 ')) Es hat sich ihm gegenüber verderblich verhalten, seine NichtKinder – ihre Schande.

Hieronymus

Septuaginta

peccaverunt ei non filii eius in sordibus

ἡμάρτοσαν οὐκ αὐτῷ τέκνα μωμητά

Sie haben ihm gegenüber gesündigt, seine Nicht-Kinder im Schmutz.

Schändliche Kinder, sie sind nicht seine, haben gesündigt.586

Vergleichstexte α', σ': διέφθτειραν αὐτῷ (σ': πρὸς αὐτὸν) οὐχ υἱοί αὐτοῦ τὸν σύνολον (Seine Nicht-Kinder haben sich ihm gegenüber gänzlich verderblich verhalten.)

Obwohl die recentiores am Versbeginn ein Verb überliefern, das dem hebräischen näher steht, entscheidet sich Hieronymus für den Text der Septuaginta. Dieser folgen auch eine Reihe altlateinischer Zeugen,587 u.a. Augustin in seinen Quaestiones in Heptateuchum: peccaverunt non ei filii vituperabiles.588 Augustin setzt allerdings 584 585 586 587 588

So MCCARTHY, Commentary, 134*; WEVERS, Notes on Deuteronomy, 490. Übersetzung des Hebräischen nach MCCARTHY, Commentary, 140*. Nach WEVERS, Notes on Deuteronomy, 511. Cod.Paris, Psalt.Pironionanum, Psalt.Ambros., Psalt.Moz. Quaest. hept. 55 [ed. FRAIPONT, CChr.SL 33, 308,1167].

C.I.7. ZUSAMMENFASSUNG ZUR HEXAPLA

157

eine Zäsur nach ei, sodass sich die Bedeutung ergibt, die Kinder hätten nicht gegenüber Gott gesündigt. Dazu erklärt er: peccaverunt non ei – quoniam qui peccat non Deo peccat sed sibi (Sie haben sich nicht gegen ihn versündigt – weil wer sündigt, versündigt sich nicht an Gott, sondern an sich.).589 Der zugrunde liegende Text der Septuaginta (οὐκ αὐτῷ) erklärt sich wohl durch einen Lese- oder Abschreibefehler von %% statt %%.590 Hieronymus übernimmt zwar gegen die hexaplarischen Alternativen das Verb aus der Septuaginta und der altlateinischen Tradition, lehnt sich im weiteren Verlauf aber an den MT und die Hexapla an, was eine Deutung wie die Augustins ausschließt. So lässt sich bei Hieronymus auch das stiluntypische ei non in Abgrenzung zum non ei der altlateinischen Tradition verstehen. Die frühmittelalterliche jüdische Exegese geht einen anderen Weg, der sich bspw. in der Interpunktation der Masoreten zeigt: Dort trennt ein ‫ܒ‬if‫ۊ‬a die Worte % und '!+, sodass die Negation zum ersten Teil des Halbverses gerechnet werden muss. Paul Sanders schlägt daher als Übersetzung vor: „Did He bring ruin on him(self )? No! His children (were) their (own) blemish.“591

C.I.7.

Zusammenfassung zur Hexapla

Sowohl die hexaplarischen recentiores als auch die Hexapla als Ganzes bilden einen wichtigen Bezugspunkt für Hieronymus als Übersetzer aus dem Hebräischen. Wie bereits in Teil B. beschrieben, zog Hieronymus schon vor seiner Ankunft in Bethlehem hexaplarische Übersetzungen zu Rate, um der Bedeutung des Bibeltexts näher zu kommen. Im Heiligen Land schließlich scheint die Hexapla einen nicht unerheblichen Beitrag dazu geleistet zu haben, dass Hieronymus den hebräischen Text als veritas betrachtet. Denn gerade die Gegenüberstellung von Septuaginta und hebräischem Text zeigt, wie weit der griechische Text vom hebräischen, den Hieronymus ja für die Vorlage der Septuaginta hält, abweicht. In seinen Kommentaren spielen die hexaplarischen Übersetzungen eine entscheidende Rolle, denn Hieronymus nutzt sie als Brücke zur Bedeutung des hebräischen Texts. Auch seine Übersetzung nach dem Hebräischen ist, wie die Analyse des Deuteronomiumtexts gezeigt hat, davon geprägt. Die Betrachtung der Stellen, an denen Hieronymus in seiner Interpretation des hebräischen Texts von der Septuaginta abweicht und dabei von den recentiores beeinflusst ist, zeigt die Ambivalenz von Abhängigkeit und Freiheit seiner Übersetzung. Dabei überrascht gerade die Vielzahl an Stellen, an denen Hieronymus Aquila rezipiert in Anbetracht seiner Grundsatzkritik an dessen Übersetzungsprinzipien. Zudem bestätigt die Beobachtung, dass Hieronymus mal dem einen, mal dem anderen der recentiores folgt, oder in anderen Fällen alle drei Versionen zugunsten der Septuaginta, eigener Formulierungen oder weiterer jüdischer Parallelen verwirft, sein eklektisches Vorgehen. 589 Ebd. 590 Diese Lesart bezeugt allerdings auch der Samaritanische Pentateuch: ')!+%%7_. 591 SANDERS, Provenance, 145ff.

158

C.I.8.

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Jüdische Parallelen zu Hieronymus’ Übersetzung

Die im Folgenden aufgelisteten Stellen zeigen, dass Hieronymus’ Übersetzung vielfach deutliche Parallelen zu jüdischen Texten aufweist, in denen Traditionen Eingang gefunden haben, die Hieronymus von seinen Lehrern und Informanten erhalten haben könnte. Die Texte in diesem Abschnitt zeichnen sich dadurch aus, dass bei der überwiegenden Anzahl ein Kontakt zu jüdischen Traditionen vorliegt, der wahrscheinlich nicht über die Hexapla vermittelt wurde. Dies gilt im Besonderen, wenn die Übersetzung des Hieronymus den heute greifbaren hexaplarischen Versionen nicht entspricht. In anderen Fällen, in denen kein Vergleich mit der Hexapla möglich ist, kann abgewogen werden, ob dieser Vermittlungsweg wahrscheinlich oder eher unwahrscheinlich ist. Kriterium für diese Vermutungen ist, ob die bei Hieronymus und in den parallelen jüdischen Texten überlieferte Deutung der Vorgehensweise der recentiores entspricht.

C.I.8.1

Quellentexte

Auf das Verhältnis von Judentum und Christentum im spätantiken Palästina, in der Region, in der Hieronymus’ Werk entsteht, wurde oben (B.III.3.) ein Blick geworfen. Weiterhin habe ich gezeigt, dass Hieronymus über Kenntnisse hebräischer Philologie und jüdischer Auslegungstraditionen verfügt. Diese speist sich zu einem geringeren Teil aus folgenden schriftlichen Quellen. Neben den Werken von Philo und Josephus gehören hierzu das Jubiläenbuch, judenchristliche Evangelien und auch Texte wie die nicht näher beschriebene hebräische Schrift in ep. 36,4.592 Weiterhin wurde darauf hingewiesen, dass viele Formulierungen in seinen Kommentaren (z.B. aiunt Hebraei u.ä.) darauf schließen lassen, dass Hieronymus sich auf Material bezieht, das ihm mündlich überliefert war, oder bereits als Bericht einer mündlichen Überlieferung in christlichen Quellen, wie bei Euseb oder Origenes, vorliegen. Um auszuschließen, dass Hieronymus lediglich diese beiden oder andere christlichen Theologen rezipiert, wurden die heute zugänglichen Texte der Kirchenväter zu Rate gezogen, um einen evtl. Einfluss zu überprüfen. Im Laufe der Analyse hat sich gezeigt, dass sich vor allem die Targumim (Onkelos, Pseudo-Jonathan, Neofiti und der Fragmententargum), sowie der Midrasch Sifre anbieten, um das exegetische Wissen zu erfassen, welches Lehrer des Kirchenvaters an ihn weitergegeben haben könnten. Auffällig ist auch, dass nur sehr selten Parallelen zu mischnaischen oder talmudischen Traditionen bestehen. Auch Spuren der Vokalisierungstradition, die von den Masoreten schriftlich fixiert wurde, lassen sich bei Hieronymus finden.

592 S.o. S. 83f.

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

C.I.8.2

159

Stellenuntersuchungen

Dtn 1,13 Mancherorts verwendet Hieronymus erklärende Umschreibungen des Vorlagentexts, bei denen keine direkte lexikalische oder inhaltliche Parallele zu Bibeltexten zu finden ist, z.B. 1,13a. Inhaltlich geht es hier und in den folgenden Versen darum, dass Israel sich zur Entlastung Moses’ Männer’ als Anführer und Richter wählen soll. MT '!)#'!6+'#% '#! 6%'!-!'!++ Gebt euch weise, kluge und bekannte Männer für eure Stämme!

Hieronymus

Septuaginta

date e vobis viros sapientes et gnaros et quorum conversatio sit probata in tribubus vestris

δότε ἑαυτοῖς ἄνδρας σοφοὺς καὶ ἐπιστήμονας καὶ συνετοὺς εἰς τὰς φυλὰς ὑμῶν

Gebt aus euch weise und kundige Männer, deren Umgang erprobt ist in euren Stämmen!

Gebt euch weise und verständige und kluge Männer für eure Stämme!

Dem hebräischen '!-! entspricht bei Hieronymus der Relativsatz quorum conversatio sit probata. Es stellt sich die Frage, wodurch sich Hieronymus hier zu dieser Umschreibung von '!-! motiviert sieht und wie er das hebräische Wort dabei deutet. Eine Übersetzung, wie sie die Septuaginta bietet, wäre im Lateinischen nicht unelegant. An der Parallelstelle Dtn 1,15 wählt Hieronymus beispielsweise nobiles als Wiedergabe desselben hebräischen Wortes ('!-!). Die Septuaginta und auch die Targumim interpretieren den hebräischen Konsonantentext als aktives Partizip Qal maskulin Plural ('!. ’‰ !). Sie geben es daher mit einem Adjektiv wieder, das die Reihe der beiden vorangegangenen Attribute inhaltlich sinnvoll fortsetzt. Die Septuaginta formuliert: ἄνδρας σοφοὺς καὶ ἐπιστήμονας καὶ συνετούς („weise, verständige und kluge Männer“). Diese Trias entspricht den Tugenden, die Eccl 9,11 nennt: 7- +7 )#. Das folgende '#! 6% wird als Ergänzung zum Verb verstanden: „Gebt … für eure Stämme (εἰς τὰς φυλὰς ὑμῶν).“ Analog verfahren auch die Targumim mit dem Partizip: CN formuliert für das hebräische '!-! die Kombination -!!4) („kenntnisreich“), ähnlich TO: *-) („kenntnisreich“), ebenso TPsJ: -+)!4) („kenntnisreich“).593 Hieronymus dagegen versteht '!-! als passives Partizip Qal im Sinne von „bekannt“. Dies entspricht der masoretischen Vokalisierungstradition ('!. “ ‰!) für diese Stelle. Hieronymus zufolge qualifizieren sich die beschriebenen Personen dadurch, dass denjenigen, die sie als Anführer und Richter einsetzen sollen, ihr Charakter und ihre Umgangsformen bekannt und sie damit erprobt sind. Auch andere rabbinische Texte, ausgenommen die o.g. Targumim, bezeugen diese Lesart. Eine Tradition, die den hebräischen Konsonantentext ähnlich wie Hierony593 TPsJ ergänzt vor dem dritten Adjektiv noch die Adverbiale *+!-4), so dass der ganze Abschnitt lautet: -+)!4)*+!-4)*!+7%#,*!)!#*!4 („weise Männer und erfahren in ihren Überlegungen und kenntnisreich“).

160

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

mus interpretiert, findet sich in SifDev 13. Die Phrase "! 6%'!-! aus dem MT wird erklärt mit „dass sie euch bekannt sind.“594 Der Midrasch liest, genau wie Hieronymus, das Hebräische als Partizip Passiv im Qal. Außerdem wird das Partizip zum folgenden Nomen gezogen, und bildet keine Dreiergruppe wie in der Septuaginta und in den Targumim. Im Midrasch wird im Anschluss eine Situation beschrieben, die die Bekanntheit der Person illustriert,595 und die mit der Bemerkung schließt: „ihr kennt ihn, denn ihr seid unter ihnen [sic!] groß geworden.“596 Offenbar hat Hieronymus hier mit Informationen seiner jüdischen Lehrer gearbeitet, die sich auch in einem Teil der rabbinischen Überlieferung niedergeschlagen haben und sich in der masoretischen Vokalisierung wiederfinden. Ob eine Vermittlung durch die hexaplarischen Texte stattgefunden hat, lässt sich mangels Überlieferung der Versionen nicht prüfen. Doch noch in einem weiteren Punkt gibt es Parallelen zu SifDev 13. Nicht nur, dass bei Hieronymus dieselbe Interpretation von '!-! zugrunde liegt, auch die Ausführung der Beschreibung mit dem Relativsatz quorum conversatio probata sit ähnelt einem Element der Erläuterung des Midraschs. Schon vor der Erklärung des Stichwortes '!-! beschreibt Sifre die Männer, die über die Stämme eingesetzt werden sollen, mit den Worten: ,0!,0 #!7 '!6+.597 Die Bezeichnung #!7 kann dort im Sinne von „erprobt“ verstanden werden.598 Demnach sollen die Männer erprobt und vielseitig gebildet sein. Die Betrachtung dieser Stelle zeigt zweierlei: Zum einen, dass Hieronymus sich auch in Fällen, in denen die Septuaginta einen sehr verständlichen Text bietet, am hebräischen Konsonantentext orientiert und auch Vokalisierungstraditionen kennt, die der später schriftlich fixierten masoretischen entsprechen.599 Zum anderen, dass an einer solchen Stelle auch über den Text hinaus gehende Parallelen zu jüdischen Traditionen, wie in diesem Fall zum Midrasch Sifre, nachweisbar sind. Dtn 1,44 In Dtn 1,44 findet sich eine Spur hebräischen Lernens bei Hieronymus. Der Text handelt von der Rückschau des Mose auf die Wüstenwanderung der Israeliten. In Vers 44 wird von einer Niederlage der Israeliten gegen die Amoriter berichtet und von ihrer Vertreibung bis zum Ort )4.600 594 '#%'!-!!6. Die Plene-Schreibung von '!-! ist m.E. eine Eigenart der Sifre-Handschrift (Wilna), die die masoretische Vokalisation unterstreicht, sie weist aber nicht auf einen anders überlieferten Konsonantentext hin. 595 „Siehe, wenn er sich umhüllt mit seinem Mantel und kommt und sich vor mir niedersetzt, so weiss (!) ich nicht, von welchem Stamm er ist …“ (ÜS BIETENHARD. Sifre, 31). 596 Der Text lautet (ed. FINKELSTEIN): '!!+'7%'767'!4!#)'7. Daneben existiert für den abschließend zitierten Satz auch die Lesart: 7'7%'76 („… denn ihr habt ihn aufgezogen.“). Die Inkonsistenz im Numerus dieses abschließenden Satzes erklärt sich m.E. dadurch, dass der Schriftvers im Plural spricht, und die Erläuterung des Midraschs von einer einzelnen Person handelt. 597 Diese Textfassung ist nach BIETENHARD und FINKELSTEIN am besten belegt. Vgl. FINKELSTEIN, Prolegomena, 19; BIETENHARD, Sifre, 30 Anm. 2. 598 So BIETENHARD, Sifre, 30. 599 Vgl. auch das Beispiel Dtn 1,44, S. 154. 600 Bei der Wiedergabe von 4!-6 mit de Seir orientiert sich Hieronymus an der Septuaginta.

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

MT

Hieronymus

Septuaginta

-4!-6'#77#! )4

et cecidit de Seir usque Horma.

καὶ ἐτίτρωσκον ὑμᾶς ἀπὸ Σηιρ ἕως Ερμα

Und sie schlugen euch in Seïr bis )4.

Und er tötete von Seïr bis Horma.

Und sie versehrten euch von Seïr bis (H)Erma.

161

Vergleichstext Cod.Lugd.: Herma

Hieronymus gibt den Ortsnamen )4 in lateinischer Transkription mit Horma wieder. Damit entspricht er genau der masoretischen Vokalisierung ()‘ 4‰ ), ‘ obgleich die Septuaginta Ερμα und auch die VL (Cod.Lugd.) Herma lesen. Ebenso verfuhr Hieronymus bereits bei der Übersetzung desselben Namens in Num 14,45. An der dritten Belegstelle im Pentateuch, in Num 21,3, bietet die Septuaginta statt der Transkription eine etymologische Übertragung des Ortsnamens: καὶ ἐπεκάλεσαν τὸ ὄνομα τοῦ τόπου ἐκείνου Ἀνάθεμα.601 Hier entscheidet sich Hieronymus dafür, den hebräischen Namen zu nennen und die Zusatzinformation über die Bedeutung des Namens aus der Septuaginta als erklärende Apposition anzufügen: Horma, id est anathema. Analog dazu geht er in Ri 1,17 vor. An weiteren Stellen, bei denen der Name nicht mit der Wüstenwanderung in Verbindung steht, verwendet Hieronymus jedoch andere Vokalisierungen. Am nächsten an die Septuaginta (Ερμα) angelehnt ist dabei Herma in Jos 12,14. Die Namen Harma ( Jos 15,30), Arma ( Jos 19,4) und Arama (1Sam 30,30602) sind möglicherweise durch das Onomastikon des Euseb beeinflusst. Dort findet sich unter den zu 1 Sam gehörenden Einträgen im Griechischen Αρμα (34,13), was Hieronymus in seiner Übersetzung des Onomastikons als Arma (sit. et nom. 35,11) wiedergibt.603 Offenbar geht Hieronymus davon aus, dass es sich im Pentateuch und in den anderen Büchern um verschiedene Städte handelt.604 Dies könnte erklären, warum Hieronymus die masoretische Vokalisierung in seiner Bibelübersetzung nur im Pentateuch und in Ri 1,17 verwendet, aber nicht in der dazwischen entstandenen Übersetzung des Buchs Josua. Vermutlich kurz vor der Übersetzung des Pentateuchs durch Hieronymus, aber nach der der Bücher Samuel ist ep. 78 entstanden.605 Darin legt Hieronymus der römischen Matrone Fabiola die Namen der Stationen der Wüstenwanderung der Israeliten nach Num 33 aus. Zur Erläuterung von Num 33,40 fügt Hieronymus die Erzählung Num 21,1–3 über den Angriff des Kanaanäerkönigs Arad auf die wandernden Israeliten ein. Den Ort der entscheidenden Niederlage der Kanaanäer nennt Hieronymus ebenfalls Horma. Dabei fügt er dieselbe Erklärung wie in Num 21,3 IH ein: id est anathema.606 Der Brief selbst gilt als eines der wichtigen Zeugnisse für die konsequente Anwendung der hebraica veritas.607 601 Ebenso Ri 1,17 (LXXB). 602 Die meisten Septuaginta-Handschriften lesen hier Ιεριμουθ. 603 An anderen Stellen, wie im Abschnitt zum Buch Numeri und zu Josua folgen Euseb und mit ihm Hieronymus im Onomastikon der Septuaginta: z.B. Ερμα (88,1), Erma (89,1), wohl zu Jos 12,14. 604 Vgl. GESENIUS, Wörterbuch, 399; HAMILTON, J. M., Art. Horma, 289. 605 Vgl. hierzu CAIN, Letters, 171–178. Während der Arbeit an dem Brief verstarb die Adressatin Fabiola. Hieronymus sandte ihn dann nach ihrem Tod (399) an Oceanus. LABOURT datiert auf Mitte des Jahre 400 (Lettres III, 199). 606 Ep. 78,36 [ed. LABOURT Bd. III, 84,5f.]. 607 „throughoutgoing application of hebraica veritas“ (CAIN, Letters, 176).

162

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Woher bezieht Hieronymus dieses Wissen um die „korrekte“ hebräische Vokalisierung dieses Ortsnamens? Für den Brief an Fabiola kann grundsätzlich angenommen werden, dass viele etymologisierende Erklärungen der Stationen der Wüstenwanderung aus Origenes’ Numeri-Homilie XXVII zu Num 33 übernommen sind. Der von Hieronymus vorgenommene Einschub der Erzählung über den Kampf gegen die Kanaanäer bei Horma aus Num 21,1–3 in die Liste der Ortsnamen in Num 33 ist dort allerdings nicht zu finden, auch werden diese Verse in keiner der anderen Numeri-Homilien des Origenes behandelt, ebenso wenig Num 14,45, wo Hieronymus ebenfalls Horma schreibt. Da zu allen erwähnten Stellen hexaplarische Überlieferungen fehlen, ist nicht ganz eindeutig auszumachen, woher Hieronymus dieses Wissen nimmt – ob vermittelt durch die Hexapla oder durch direkten Kontakt zu jüdischen Traditionen. Das Fehlen hexaplarischer Überlieferung an Stellen, zu denen es über dieses Lemma ()4) hinaus zahlreiche überlieferte Fragmente aus den Übersetzungen von Aquila und Symmachus gibt, spricht m.E. eher dafür, davon auszugehen, dass es auch dort keine anderen griechischen Lesarten gibt als die der Septuaginta.608 Aufgrund dieser Einschätzung halte ich es für wahrscheinlich, dass Hieronymus die Information über die hebräische Aussprache des Ortsnamens (Horma) mündlich von hebräischsprachigen Informanten erhalten hat. Dafür spricht auch, dass diese Vokalisierung nur an denjenigen Stellen vorkommt (ep. 78, Num 14,45; 21,3; Dtn 1, 44), an denen von der Wüstenwanderung die Rede ist, und in Ri 1,17, in der sich in der Septuaginta-Vorlage die etymologisierende Übersetzung ἀνάθεμα findet, wie in Num 21. Hat Hieronymus also beispielsweise bei der Arbeit an ep.78 erfahren, dass es der Ortsname der Wüstenwanderung ist, der „Horma“ ausgesprochen wird, und dass er, wie es sich auch in der Septuaginta findet, „Fluch/Bann“ bedeutet, erklärt das auch, warum Hieronymus in den anderen Fällen ( Jos, 1 Sam) nicht auf diese Information zurückgreift und sich bei mutmaßlich anderen Orten an der Septuaginta und am Onomastikon orientiert. Dtn 4,19 Dtn 4,19 steht im Kontext einiger Mahnungen für das Verhalten im gelobten Land, die sich an den Rückblick auf die Wüstenwanderung (Dtn 1–3) anschließen. Der Vers handelt von der Warnung, Gestirne als Götter kultisch zu verehren. Lexikalisch steht Hieronymus zum einen Symmachus nahe, zum anderen ist auffällig, dass er und seine Zeitgenossen in der Gesamtinterpretation des Verses jüdischen Traditionen entsprechen.

608 Auch für die von den Septuaginta abweichenden Lesarten in Eusebs Onomastikon (zu 1Sam 30,30) geht TIMM (Euseb, 323) nicht von einem hexaplarischen Einfluss aus.

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

MT

Hieronymus

Septuaginta

"!+!-67*0 77!4)!)6 74!76)6 2%# '!## 7+'!)6 '%7!76 3% 46'7- %#%'7"!%!  '!)6%#77'!)-

ne forte oculis elevatis ad caelum videas solem et lunam et omnia astra caeli et errore deceptus adores ea et colas quae creavit Dominus Deus tuus in ministerium cunctis gentibus quae sub caelo sunt

καὶ μὴ ἀναβλέψας εἰς τὸν οὐρανὸν καὶ ἰδὼν τὸν ἥλιον καὶ τὴν σελήνην καὶ τοὺς ἀστέρας καὶ πάντα τὸν κόσμον τοῦ οὐρανοῦ πλανηθεὶς προσκυνήσῃς αὐτοῖς καὶ λατρεύσῃς αὐτοῖς, ἃ ἀπένειμεν κύριος ὁ θεός σου αὐτὰ πᾶσιν τοῖς ἔθνεσιν τοῖς ὑποκάτω τοῦ οὐρανοῦ

… damit du nicht etwa die Augen zum Himmel erhebst und die Sonne, den Mond und die Sterne siehst, das ganze Heer des Himmels, und irregeleitet wirst, vor ihnen niederfällst und sie verehrst, die JHWH, dein Gott, allen Völkern unter dem ganzen Himmel zuteilte.

... damit du nicht etwa die Augen zum Himmel erhebst und die Sonne, den Mond und alle Sterne des Himmels siehst und du, in die Irre geleitet, sie anbetest und verehrst, die der Herr, dein Gott, geschaffen hat zum Dienst für alle Völker, die unter dem Himmel sind.

… und damit du nicht aufblickst zum Himmel und die Sonne und den Mond siehst und den ganzen Schmuck (κόσμος) des Himmels, und irregeleitet vor ihnen niederfällst und sie verehrst, die der Herr, dein Gott, allen Völkern, die unter dem Himmel sind, zugeteilt hat.

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Vergleichstexte σ': διεκόσμησεν (schöpferisch ordnete) α': ἐμέρισεν (zuteilte) θ': ἀπεκλήρωσεν (zuloste) CNmarg: 4 (erschuf )

Obgleich Hieronymus’ Übersetzung auch im Anfangsteil des Verses von seinen Vorlagen abweicht (s.o.), soll der Relativsatz am Ende des Verses im Zentrum der folgenden Überlegungen stehen. Er übersetzt das Verb (3% im MT, in der Septuaginta ἀπονέμω609) sehr frei mit creare und ergänzt die Worte in ministerium. Da sowohl der hebräische als auch der griechische Text gut verständlich und zudem so gut wie gleichbedeutend sind, ist schwer vorstellbar, dass der Kirchenvater aus rein philologischen Gründen interpretierend und ergänzend in den Text eingegriffen hat.610 Der interpretierende Einschub des Hieronymus ist vielmehr theologisch motiviert: Lässt sich Dtn 4,19 doch so verstehen, dass JHWH den Völkern Gestirne zuteilt, welche zwar von Israel, im Text als „du“ angesprochen, nicht verehrt werden sollen, jedoch von den nichtjüdischen Völkern. Dies hat, wie die Vielzahl an antiken Kommentaren zeigt, bereits vor Hieronymus eine große Zahl anderer Übersetzer und Ausleger motiviert, kreativ mit dem biblischen Text umzugehen.611 Im Blick auf die Interpretationsmöglichkeiten des Verses in der Zeit vor Hieronymus bietet sich folgendes Bild: 609 Das Verb ist ein Hapaxlegomenon in der Septuaginta im Pentateuch. 610 Für die Version des Hieronymus gibt es keine handschriftlichen Bezeugungen in der Überlieferung des hebräischen Texts und der Septuaginta. TOV (Rabbinic Tradition, 84) und SMIT SIBINGA (Old Testament Text, 93) vermuten verschollene Lesarten des Hebräischen. 611 Inhaltlich noch brisanter ist Dtn 29,25 (MT). Der Vers spricht davon, dass Israel Göttern dient, die JHWH ihm nicht zugewiesen hat. Doch dort greift Hieronymus nicht in ähnlicher Weise in den Text ein (MT: 3%, IH: adtribuere, LXX: διανέμειν). Eine ähnliche Vorstellung findet sich in Dtn 32,8f. (LXX): Demnach teilt JHWH auch die Gebiete der Völker entsprechend den von ihnen verehrten himmlischen Wesen (ἄγγελοι θεοῦ) zu. IH folgt mit iuxta numerum filiorum Israhel hier dem MT (%46!!+40,)%).

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C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Griechische christliche Autoren interpretieren den Vers häufig dahingehend, dass die Kulte und Religionen nichtjüdischer Völker, darunter auch der Astralkult, mit gewissen Einschränkungen göttlich legitimiert sind. 612 Auffällig bei den nun folgenden Beispielen von Justin, Clemens und Origenes, deren Interpretationen Hieronymus bekannt waren, ist, dass der bei ihnen wiedergegebene Bibeltext meist von der Version der überlieferten Septuaginta-Handschriften abweicht.613 Justin lässt in seinem Dialog den Juden Trypho aus der Tora folgendermaßen zitieren: Sonne und Mond habe Gott, wie geschrieben steht, den Völkern zugestanden, damit sie sie als Götter verehren (... ἃ γέγραπται τοῖς ἔθνεσι συγκεχωρηκέναι τὸν θεὸν ὡς θεοὺς προσκυνεῖν).614 Indem er συγχωρεῖν („zugestehen“) anstelle des Septuaginta-Lexems ἀπονέμειν („zuteilen“) verwendet, mildert er die theologisch anstößige Aussage ab.615 Aus einem aktiven Zuteilen Gottes wird ein reagierendes Zugestehen. Durch die abschließenden drei Worte ὡς θεοὺς προσκυνεῖν („als Götter zu verehren“), die Trypho an den Schrifttext anfügt,616 präzisiert er jedoch, dass es um die Verehrung der Gestirne geht und nicht etwa darum, dass diese als Leuchtmittel oder zu kalendarischen Zwecken dienen noch um eine Hochschätzung als besonders gottnahe Teile der Schöpfung. Im weiteren Verlauf des Dialogs wird das Thema wieder aufgegriffen (dial. 121,2). In diesem Falle spricht Justin selbst und nicht Trypho. Der dort zitierte Bibeltext unterscheidet sich von dem des Trypho an mehreren Stellen: τὸν μὲν ἥλιον ὁ θεὸς ἐδεδώκει πρότερον εἰς τὸ προσκυνεῖν αὐτόν, ὡς γέγραπται.617 Diese Version ist dem Wortlaut des masoretischen Texts und der Septuaginta näher als die in dial. 55,1. Aus seiner eigenen, christlichen Position heraus sprechend betont Justin durch die Wahl des Verbs δίδωμι, dass der Astralkult der Heiden nicht nur „zugestanden“ (s.o. συγχωρεῖν), sondern von Gott veranlasst und daher legitimiert ist. Wie vormals Trypho präzisiert auch Justin durch die Anfügung von εἰς τὸ προσκυνεῖν die Aussage des biblischen Texts dahingehend, dass es sich unmissverständlich um kultische Verehrung der Gestirne handelt. Auch wenn sich beide Textversionen in der Hinsicht unterscheiden, dass Trypho von einem Zugeständnis Gottes spricht und Justin von dessen aktivem Handeln, eint sie die Interpretation, dass Dtn 4,19 die Verehrung der Gestirne durch nichtjüdische Völker zum Inhalt hat. 612 Vgl. hierzu DOGNIEZ/HARL, Deutéronome, 138f. und SALVESEN, Symmachus, 147ff., sowie HORBURY, Monotheism, 21ff. 613 Vgl. z.B. WEVERS, Deuteronomy, 98f., App. crit. 614 Dial. 55,1 [ed. MARCOVICH, PTS 47, 159f.]. 615 Die im Folgenden diskutierten Texte lauten: LXX: καὶ ἰδὼν τὸν ἥλιον καὶ τὴν σελήνην καὶ τοὺς ἀστέρας καὶ πάντα τὸν κόσμον τοῦ οὐρανοῦ (…), ἃ ἀπένειμεν κύριος ὁ θεός σου αὐτὰ πᾶσιν τοῖς ἔθνεσιν. Dial. 55,1: τὸν ἥλιον καὶ τὴν σελήνην, ἃ γέγραπται τοῖς ἔθνεσι συγκεχωρηκέναι τὸν θεὸν ὡς θεοὺς προσκυνεῖν. Dial. 121,2: τὸν μὲν ἥλιον ὁ θεὸς ἐδεδώκει πρότερον εἰς τὸ προσκυνεῖν αὐτόν, ὡς γέγραπται. 616 SMIT SIBINGA, Old Testament Text, 93 konstatiert dagegen, dass Justin nicht selbst in den Bibeltext eingreift, sondern eine sonst nicht überlieferte Septuaginta oder MT-Lesart zitiert. Dagegen spricht, dass Justin den Text, wie im Folgenden gezeigt wird, im weiteren Verlauf des Dialogs nochmals zitiert und ihn auch dann an die Position des Gesprächspartners anpasst. Daher ist m.E. auch an dieser Stelle davon auszugehen, dass Justin selbst den Bibeltext an die Position Tryphos anpasst. Trypho wird dennoch in dial. 55 nicht kritisiert, dass er den Bibeltext falsch wiedergebe. 617 Dial. 121,2 [ed. MARCOVICH, PTS 47, 279] (Die Sonne hat Gott, wie geschrieben steht, zuerst gegeben, um sie zu verehren, …).

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

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Erscheint bei Justin der Vers Dtn 4,19 isoliert, so wird er bei späteren christlichen Autoren gern mit Gedanken aus Sap 13 verbunden. Dieser Weisheitstext lehnt einerseits jegliche Art von Götzendienst als nicht entschuldbar (συγγνωστός) ab, vermutet aber bei denen, die Gestirne oder Naturphänomene verehren, ein Suchen nach dem Schöpfer (13,6), wenn auch ein fehlgeleitetes. Nichts Positives jedoch ist laut Sap 13,10 über die zu sagen, die von Menschen Hergestelltes als Götter verehren: οἵτινες ἐκάλεσαν θεοὺς ἔργα χειρῶν ἀνθρώπων. Diese Abstufung aufnehmend beschreibt Clemens von Alexandrien den Astralkult als eine Stufe, die Gott zur Annäherung an seine Wahrheit angeordnet habe. Diese sollte die Völker vor dem größeren Irrtum der Idolatrie bewahren, wenngleich sie auch nicht seiner Offenbarung im atl. Gesetz und in der Geschichte Israels teilhaftig werden. Clemens ergänzt bei der Wiedergabe des Schrifttexts die Adverbiale „εἰς θρῃσκείαν“ („zur Verehrung“). Für das hebräische 3% in Dtn 4,19 verwendet er, wie auch Justin, das Verb δίδωμι: ἔδωκεν δὲ τὸν ἥλιον καὶ τὴν σελήνην καὶ τὰ ἄστρα εἰς θρῃσκείαν, ἃ ἐποίησεν ὁ θεὸς, τοῖς ἔθνεσιν, φησὶν ὁ νόμος.618 Die Einfügung von ἃ ἐποίησεν bildet eine deutliche Parallele zu Hieronymus (IH: creavit). Clemens unterstreicht dadurch die Überordnung des schöpferisch handelnden Gottes über die Gestirne als Geschöpfe. Gleichzeitig dient der kurze Relativsatz ἃ ἐποίησεν ὁ θεὸς dazu, die Gestirne als Geschöpfe Gottes von den später genannten Götterbildern aus Menschenhand abzugrenzen. Im heilsgeschichtlichen und heilspädagogischen Konzept, das Clemens im Anschluss an den zitierten Text entwickelt, steht für die nichtjüdischen Völker der Astralkult auf einer Ebene mit der Philosophie und ist anderen Kultformen, wie der Verehrung von Holzund Steinfiguren, vorzuziehen: ὁδὸς γὰρ ἦν αὕτη δοθεῖσα τοῖς ἔθνεσιν ἀνακῦψαι πρὸς θεὸν διὰ τῆς τῶν ἄστρων θρῃσκείας.619 Clemens geht in seinen Ausführungen über Sap 13 hinaus. Wurde dort der Astralkult als Endpunkt eines fehlerhaften Suchens nach dem Schöpfer dargestellt, so ist er bei Clemens eine Zwischenstufe der Völker auf dem Weg zum Schöpfer. Daher rührt die ungetrübt positive Beurteilung des Astralkultes als göttliche Anordnung bei Clemens. Origenes greift diese Auslegung in seinem Kommentar zum Johannesevangelium auf.620 Die Verehrer der Gestirne stehen, so konstatiert er, auf einer höheren Stufe als diejenigen, die von Menschen gefertigte Götterbilder verehren. Die Himmelskörper wurden nämlich von Gott als λογικά, als vernunftbegabte Wesen, geschaffen. Sie haben ihrerseits am göttlichen λόγος teil und verweisen daher auf die göttliche Weltordnung. Dieser Interpretation des christlichen Alexandriens steht die Auslegung Philos gegenüber. Er billigt den Gestirnen zwar eine untergeordnete Rolle (τὴν ὑπαρχῶν τάξιν) in der Weltlenkung zu und sieht in ihrer Ordnung einen Hinweis auf den Schöpfer,621 lehnt jedoch die Verehrung ab. Die Auslegung von Dtn 4,19 in spec. I 15–20 endet mit einer eindeutigen Warnung vor jeglicher Verehrung der Gestirne: 618 Str. VI 14,110,3 [ed. FRÜCHTEL, GCS 52 (Clemens II), 487,13ff.] (Er hat die Sonne und den Mond und die Sterne, die Gott geschaffen hat, den Völkern zur Verehrung gegeben, wie das Gesetz sagt.). 619 Str. VI 14,111,1 [ed. FRÜCHTEL, GCS 52 (Clemens II), 487,19ff.] (Denn dieser Weg war den Völkern gegeben, damit sie sich durch den Gestirnkult zu Gott hin aufrichten.). 620 Jo. II 3,24–27 [ed. PREUSCHEN, GCS 10 (Origenes IV), 56,5–28] Die Idee der Schöpfung ist dort mittelbar berührt: Es handelt sich um eine Auslegung zu Joh 1,2; vgl. auch Cels V 10. 621 Spec. I 18 [ed. COHN/WENDLAND, Bd. V, 5,1ff.], ebenso auch in spec. III 189.

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C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

ἐὰν δέ τις τὴν τοῦ ἀιδίου καὶ ποιητοῦ θεραπείαν ἄλλῳ προσνέμῃ νεωτέρῳ καὶ γενητῷ, φρενοβλαβὴς ἀναγεγράφθω καὶ ἔνοχος ἀσεβείᾳ τῇ μεγίστῃ.622 Diese Position Philos zitiert wiederum Euseb in p.e. XIII 18 und schließt sich ihr an. Als Kontrastfolie verwendet er die Hochschätzung der Gestirne bei Plato, die er aus Tim 41 A entnimmt. Euseb überspringt im Philo-Zitat jedoch das ausdrückliche Verbot der Verehrung in spec. I 16ff.623 Eine ähnliche, um eine Mittelposition bemühte Taktik findet sich in der Demonstratio. In d.e. IV 8,4f. ergänzt Euseb, dass die Gestirne, aus denen etwas von der Gottheit erkannt werden könne (θεωρέω), denjenigen, die nicht zur Erkenntnis des einen Gottes gekommen sind, übergeben wurden (παραδίδωμι pass.). Dies sei immer noch besser, als niedere Geschöpfe zu verehren.624 Anders als Dtn 4,19 oder Philo formuliert Euseb hier im passivum divinum und spricht davon, dass die Völker den Astralkult wählen (αἱρεῖσθαι), nicht etwa Gott. Er erwähnt überdies den Sachverhalt, dass die Völker die Gestirne verehren, als Faktum, nicht als Vorschrift. So umschifft er das Problem, dass dies von Gott angeordnet sein könnte. Dieser Tendenz behutsamer Umdeutung bei Euseb entspricht auch eine ihm zugeschriebene Notiz in der Catena Nicephorou 1441. Das Verb ἀπονέμειν („zuweisen“) aus der Septuaginta sei, wie dort erklärt wird, als συγχωρεῖν („zugestehen“) zu interpretieren.625 Dies entspricht der Auslegung, die bereits Justin dem Juden Trypho in den Mund legte (s.o.). Der kurze Überblick über die Rezeption von Dtn 4,19 in der griechischsprachigen christlichen und jüdischen Literatur zeigt also folgende Positionen im Umgang mit Dtn 4,19: Clemens und Origenes verstehen den Vers, v.a. das Verb ἀπονέμειν, im Sinne einer göttlichen Legitimation des Astralkultes. Diese Position hat auch der Ich-Erzähler in Justins Dialog mit Trypho. Zur Bekräftigung wird der Bibeltext ergänzt und paraphrasiert und in heilsgeschichtliche bzw. kosmologische 622 Spec. I 20 [ed. COHN/WENDLAND, Bd. V, 5,10ff.] (Wenn aber einer die Verehrung des Ewigen und Schöpfers einem anderen, jüngeren und geschaffenen, zukommen lässt, soll er als Verrückter öffentlich zur Schau gestellt werden, und als einer, der an der größten Gottlosigkeit teil hat.). Ebenfalls ablehnend äußert sich Theophilus v. Antiochien (2. Jh.). Er deutet Dtn 4,19 als Verbot der Verehrung der Geschöpfe (Autol. 2,35,1): Ὁ μὲν οὖν θεῖος νόμος οὐ μόνον κωλύει τὸ εἰδώλοις προσκυνεῖν, ἀλλὰ καὶ τοῖς στοιχείοις, ἡλίῳ σελήνῃ ἢ τοῖς λοιποῖς ἄστροις, ἀλλ' οὔτε τῷ οὐρανῷ οὔτε γῇ οὔτε θαλάσσῃ ἢ πηγαῖς ἢ ποταμοῖς θρησκεύειν [ed. MARCOVICH, PTS 44, 87,1–4] (Das göttliche Gesetz verbietet also nicht nur, Götzenbilder zu verehren, sondern auch die Himmelskörper, Sonne, Mond und die übrigen Gestirne und auch nicht den Himmel und die Erde und das Meer oder die Quellen oder Flüsse anzubeten.). 623 Zu dieser Stelle und zu Zitationstechniken bei Euseb s. INOWLOCKI, Euseb, 203ff. 624 D.e. IV 8,4f.: οὐκ ἄλλως εὖ εἶχεν τοῖς τῆς ἀνωτάτω τοῦ παμβασιλέως εὐσεβείας ἀποπίπτουσιν ἢ τῶν ὁρωμένων κατ’ οὐρανὸν τὰ κράτιστα αἱρεῖσθαι. δέος γὰρ οὐ τὸ τυχόν ἦν, μήποτε θεὸν ζητοῦντες καὶ τὰ ἀόρατα πολυπραγμονοῦντες, ἀπορίᾳ τῶν ἀφανῶν καὶ ἀδήλων εἰς ἐναντίας δυνάμεις καὶ δαιμονικὰς περιτραπεῖεν. τῶν ὁρωμένων οὖν τὰ πάντα διαπρεπῆ τοῦ θεοῦ δημιουργήματα τοῖς μὴ τοῦ κρείττονος ἐφιεμένοις παραδέδοται, ἁμωσγέπως ἐνθένδε τῆς τοῦ ἀοράτου θεωρίας, ὡς ἂν διά τινος ἐσόπτρου, παρεμφαινομένης [ed. Heikel, GCS 23 (Euseb VI), 162,4–12] (Für die, die von der sehr hohen Verehrung des Allherrschers abfielen, verhielt es sich auf keine andere Weise gut, als von den sichtbaren Himmelskörpern die hervorragendsten zu wählen. Denn, obgleich sie Gott suchten und sich mit den unsichtbaren Dingen beschäftigten, bestand keine geringe Gefahr, dass sie sich im Mangel an Wissen über die undeutlichen und dunklen Dinge den [sc. Gott] entgegengesetzten dämonischen Mächten zuwenden könnten. Nun wurden denen, die nicht etwas Besseres begehrten, von den sichtbaren Geschöpfen Gottes die am meisten hervorstechenden übergeben, in welchen irgendwie die Schau des Unsichtbaren, gleichsam wie durch einen Spiegel, hervorscheint.). Von der heilsgeschichtlichen Unausweichlichkeit anderer Kulte spricht Euseb auch in p.e. I 9: Dadurch, dass Gott sich allein Israel offenbart hat, musste er anfangs den Völkern die himmlischen Lichter zuteilen. 625 Ohne Angabe zitiert dies SALVESEN, Symmachus on the Pentateuch, 149 Anm. 15.

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

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Konzepte eingebunden. Dem gegenüber steht die konkrete Ablehnung des Astralkultes z.B. bei Philo. Dazwischen findet sich in der Position der Trypho-Figur bei Justin und später bei Euseb, der wohl mit allen diesen Traditionen vertraut ist, eine etwas abschwächende, aber auch nicht völlig ablehnende Haltung, welche sich z.B. durch passivische Wendungen oder das Verb συγχωρεῖν ausdrückt. Jüdische Texte aus rabbinischer Zeit bieten dagegen fast ausschließlich Auslegungen von Dtn 4,19, die verhindern wollen, dass durch diesen Vers Astralkult göttlich legitimiert erscheint. Dies zeigt beispielsweise der Targum Pseudo-Jonathan zu Dtn 4,19:!!!!%0 !))- %# *7- **#3% („durch sie [sc. die Sterne] hat JHWH, euer Gott, die Erkenntnis aller Völker (!) zugeteilt“). Durch die Einfügung von *7- wird versucht, den Zusammenhang mit kultischer Verehrung auszuschließen. Eine ähnliche Auslegung findet sich in der talmudischen Literatur (bMeg 9a u.a.). Demnach haben bereits die Übersetzer der Septuaginta im Vers Dtn 4,19 das Verb 4!% („zu erleuchten“) ergänzt. Dies sei mit der Absicht geschehen, den König Ptolemaios nicht irrezuleiten und zu verhindern, dass der ägyptische Herrscher, da er selbst ja zu den nichtjüdischen Völkern zähle, im Polytheismus bestärkt oder gar zum Astralkult verführt werde. Diese Lesart findet sich jedoch in keiner der bis heute überlieferten Septuaginta-Fassungen.626 Die Erklärung der Rabbinen spiegelt also weniger eine textkritische Beobachtung zur Septuaginta wider, als vielmehr den Einfluss einer Auslegungstradition, die darum bemüht ist, den Astralkult als nicht göttlich legitimiert darzustellen, so wie sie sich auch in der Übersetzung des Targums Pseudo-Jonathan niedergeschlagen hat. Ähnlich argumentiert der Midrasch Sifre Devarim:627 Das Verb 3% aus Dtn 4,19 wird entkräftet, indem als Gegenposition 3%% aus Dtn 29,25 zitiert wird:  '3%6 %#! '!)- %#% '7 "!% À 3% 46 4)+6 %%#) 4) !%!% !,! !4 '% 3%% '-!%'!%4)%)%7 7)% R. Jose der Galiläer sagt: Aus dem allgemeinen (Grundsatz ergibt sich dies). Denn es heißt: „J‘, dein Gott, hat sie zugeteilt allen Völkern“ (Deut 4,19). Ist es möglich, dass er sie den Völkern zugeteilt hat? Die Schrift sagt: „Göttern, die sie nicht kannten, und die er ihnen nicht zugeteilt hatte“ (Deut 29,25).628

Obwohl Dtn 29,25 nicht von den Völkern, sondern von Israel spricht, nutzt der Midrasch die Stichwortverknüpfung der Verse (3%%–3%), um die Aussage in Dtn 4,19 zu entkräften. Auch der Vers Dtn 4,19 soll entgegen dem Wortlaut so verstanden werden, dass Gott die Gestirne den Völkern nicht als Götter zugeteilt hat. Der Midrasch Ha-Gadol fasst diese Interpretation zusammen und liest Dtn 4,19 als Warnung. Der Vers stehe aus folgendem Grund geschrieben:  626 Vgl. den Apparat der Göttinger Septuaginta zur Stelle. Vgl. auch die v.a. an bMeg 9a orientierte Analyse der (angeblich) bewussten Veränderungen der Übersetzer ("%)!)%7%+!66'!4) der Septuaginta von E. TOV. Dieser konstatiert, dass es sich dabei um „a tendentious early variant“ der Septuaginta handeln müsse, die aber handschriftlich nicht mehr nachzuweisen sei (Alterations, 84). Bei CLARKE (Pseudo-Jonathan, 19 Anm. 18) ist diese Variante in englischer Übersetzung gar als Septuaginta-Text ausgewiesen. Zu einem kritischeren Umgang mit den „für König Talmai geänderten Lesarten“ ("%)!)%7%+!66'!4), siehe VELTRI, Eine Tora für König Talmai, 22–112. Alternative Lesarten für die Septuaginta berichtet bMeg 9b auch für Dtn 17,3: … das ganze Heer des Himmels, das ich nicht geboten habe [den Völkern es zu verehren]. Vgl. VELTRI, Tora, 92–97. 627 SifDev 148 ad Dtn 17,3. 628 Übersetzung nach BIETENHARD, Sifre, 401.

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C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

*!6)6) '%- %#% *!4!) * '%- 7 *!+) 7%) '!## % %! 4)7 %6 *%776%*-%!4'4)*42!!+0% Damit du nicht sagst: Weil diese Sterne und Sternbilder die Welt lenken und der ganzen Welt leuchten und ihrem Schöpfer droben dienen, ist es angemessen, ihnen zu dienen und sie anzubeten.629

Die Texte aus rabbinischer Tradition zeigen, wie dort mit verschiedenen exegetischen Mitteln versucht wird, einer ungewünschten Auslegung entgegen zu wirken: Im Targum Pseudo-Jonathan und in den Texten zu den „für König Talmai geänderten Lesarten“ ("%)!)%7%+!66'!4) geschieht dies, indem erklärende Zusätze ergänzt werden, in SifDev durch Gegenüberstellung mit einem weiteren Bibelvers und im MHG mit einem direkten Verbot der falschen Auslegung. Möglicherweise gab es einen direkten Einfluss aus diesen Traditionen auf Hieronymus. Dennoch lohnt ein Blick in die hexaplarischen Varianten als potentielle Vermittler dieser Auslegungen. Dort findet sich bei Aquila das Verb μερίζω („zuteilen“) und bei Theodotion ἀποκληρόω („zulosen“) – beides sehr wörtliche Wiedergaben des hebräischen Texts, wenn auch lexikalisch von der Septuaginta abweichend. Symmachus übersetzt hingegen mit διακοσμέω, was sowohl in der philosophischen Literatur als auch in der patristischen häufig für das „Ordnen“ der Welt durch Gott bei der Schöpfung verwendet wird.630 Hieronymus stimmt darin auch mit Symmachus überein. Überraschenderweise findet sich in den Marginalglossen zum Targum im Codex Neofiti631 an derselben Stelle auch das Verb 4, was der Wiedergabe in IH entspricht. Der Bezug zur Schöpfung und damit auch zur Schöpfungserzählung in Gen 1 ist auch der Schlüssel, um zu verstehen, weshalb Hieronymus die Adverbiale in ministerium einfügt. Semantisch ist dies nicht ganz eindeutig: Geht es um ein ministerium der Gestirne für die Menschen? Oder meint Hieronymus, dass die Gestirne von Menschen verehrt werden sollen? In letzterem Fall wäre die Einfügung bei Hieronymus mit der bei Clemens zu parallelisieren, im anderen mit Philo und den rabbinischen Traditionen. Durch den Bezug zum schöpferischen Ordnen der Welt lässt Hieronymus seine Leserschaft eher den „Dienst“ der Gestirne für die Menschheit aus Gen 1 assoziieren. Daher haben die Leuchten am Himmel kalendarische und nicht religiöse Funktion. Derselbe Gedankengang und dieselbe Terminologie finden sich auch in der Nacherzählung der Schöpfungsgeschichte in 4Esr 6,45f.:632 quarta autem die imperasti fieri solis splendorem, lunae lumen stellarum dispositionem, et imperasti eis, ut deservirent futuro plasmato homini.633 Die Gestirne wurden demzufolge am vierten Tag von Gott geschaffen, um dem Menschen zu dienen. Eine weitere Parallele zu Hieronymus findet sich in einer altlateinischen Tradition (Cod.Lugd.). Auch hier arbeitet man mit Einfügungen: … quae dedit usibus

629 Ed. FISCH, 81,18ff. 630 So LAMPE, Dictionary, 354: z.B. 1 Cl 33,2; auch SALVESEN (Symmachus, 148) merkt an: „the noun διακόσμησις is a Pythagorean and Stoic technical term in cosmological speculation“ mit Verweis auf Philo zu Gen 1,19 in de opif. 45. 631 Vgl. DIEZ MACHO, Neophyti V, 45. 632 Vgl. HORBURY, Jewish and Christian Monotheism, 33ff. Die altlateinische Übersetzung von 4Esr scheint älter als Hieronymus. Ob die Version des Vulgata-Texts von Hieronymus stammt, ist nicht überliefert. Vgl. hierzu VIOLET, GCS 18, XVff. 633 Lateinischer Text s. WEBER/GRYSON, 1943.

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

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Dominus Deus omnibus gentibus … Es ist zu vermuten, dass hinter der Ergänzung wie auch bei Hieronymus eine astralkultkritische Position steht. Mit der Übersetzung creavit für 3% nimmt Hieronymus also direkt oder indirekt Symmachus auf und bewegt sich in der Nähe von CNmg. Mit der Ergänzung in ministerium übersetzt er in Übereinstimmung mit den mannigfachen Interpretationsvarianten der rabbinischen Texte und geht damit interpretatorisch über seine hexaplarischen Vorlagen hinaus. Damit richtet sich Hieronymus deutlich gegen die Tradition der alexandrinischen Theologie im 1.–3. Jahrhundert und ebenfalls gegen die zurückhaltendere Interpretation bei Euseb oder Justins Trypho. Tendenziell entspricht seine Auslegung der seiner christlichen Zeitgenossen:634 So billigt Isidor von Pelusium den Gestirnen im Rahmen der natürlichen Gotteserkenntnis einen hohen Stellenwert zu. Er verbindet dies aber mit einem strikten Verehrungsverbot, indem er die im alttestamentlichen Bibeltext an Israel gerichtete Vorschrift für alle Völker verallgemeinert: „Ἀπένειμε“ – πρὸς διδασκαλίαν, πρὸς παίδευσιν, πρὸς γνῶσιν, ἵν’ ἐκ τοῦ μεγέθους καὶ τῆς καλλονῆς τῶν κτισμάτων ὁ γενεσιουργὸς ἀόρατος ὢν θεωρῆται.635 Auch Augustin kommt in seiner Interpretation Hieronymus recht nahe:636 Gott habe zwar schon, als er die Gestirne schuf, im Voraus gewusst (praescire), dass die Völker diese verehren würden, der Vers in der Genesis hebe aber darauf ab, dass der kalendarische und chronographische usus für Israel und die Völker derselbe sei. Dtn 6,7 / 11,19 Dtn 6,7 spricht davon, dass die Worte und Gesetze JHWHs gelehrt und wiederholt werden sollen. Die Übersetzung IH ähnelt den Targumim: MT

Hieronymus

Septuaginta

74"!+%'7++6 '

et narrabis ea filiis tuis et meditaberis

καὶ προβιβάσεις αὐτὰ τοὺς υἱούς σου καὶ λαλήσεις ἐν αὐτοῖς

… und du sollst sie deinen Söhne einschärfen und über sie [oder: mit ihnen]637 sprechen/summen

… und du sollst sie deinen Söhnen erzählen und [über sie] nachsinnen, ...

… und du sollst sie deine Söhne lehren und über sie638 reden, …

Vergleichstexte TPsJ:

**!!*!7 (... und ihr sollt immerzu [Partizip + ] über sie nachdenken.) CN:

*#*!!*!7 (... und ihr sollt immerzu [Partizip + ] bei euch nachdenken.)

634 Zur Frage, ob Augustin Hieronymus’ Übersetzung oder/und seine exegetischen Werke zur Zeit der Abfassung der Quaestiones kannte, vgl. den eher skeptischen Beitrag von RÜTING, Untersuchungen, 140. 635 Ep. III, 391 [ed. POSSINUS, PG 78, 1032 B = Catena Nicephorou 1441] („Er hat [sie] zugeteilt.“ – zur Lehre, zur Erziehung, zur Erkenntnis, damit aus der Größe und Schönheit der Geschöpfe der, welcher der unsichtbare Schöpfungsschöpfer ist, geschaut würde.). 636 Quaest. hept. V q.6 [ed. FRAIPONT, CChr.SL 33, 278, 83–88]. 637 Laut GESENIUS, Wörterbuch, 238f. kann die Präposition  nach 4 (pi.) sowohl den Gesprächsinhalt als auch die Gesprächspartner bezeichnen. 638 ἐν αὐτοῖς ist als Hebraismus zu verstehen (vgl. LXXdt ad loc.; Dogniez/Harl, Deutéronome, 155).

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C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Wie im MT findet sich auch in der Septuaginta ein unspezifischer Ausdruck für das Aussprechen der Gebote JHWHs (λαλεῖν).639 Hieronymus wählt mit meditari eine präzisierende Formulierung. Dies hat eine Parallele in TPsJ und CN: Dort findet die Wurzel ! („nachdenken“)640 Verwendung. Sowohl in den Targumim als auch bei Hieronymus klingt dadurch der Tora-Psalm 1,2 an: „et in lege eius meditabitur die ac nocte“. Im MT findet sich an dieser Psalmstelle das Verb , das hebräische Äquivalent zum aramäischen !. Auffällig ist hier die Parallele zwischen Hieronymus und den Targumim, die sowohl in der Wortwahl als auch in der dadurch entstehenden intertextuellen Verknüpfung mit Ps 1 besteht. Analog zu Dtn 6,7 verfährt Hieronymus in Dtn 11,19. Auch stimmt der Targum CN (íÄ*!!*!7und ihr sollt nachdenken“) mit Hieronymus überein. Zu den genannten Versen (Dtn 6,7; 11,19) sind zwar hexaplarische Anmerkungen erhalten, diese betreffen aber nicht die Übersetzung von 4. Das lässt vermuten, dass die hexaplarischen Lesarten zu nahe an der Septuaginta waren, als dass sie überliefert wurden. Dtn 12,15 Von der Profanschlachtung im verheißenen Land handelt Dtn 12,15.641 Der Vers zeigt in der IH mehrere Auffälligkeiten: Hieronymus ergänzt er den Bibeltext umfangreich und weicht dabei bei den Worten, zu denen er seine Erklärung hinzufügt, sowohl vom MT als auch von der Septuaginta ab: MT

Hieronymus

Septuaginta

7"60+7–%#34 !7#4#467%# –%#"%–*7+46"!% 4 ) "!4-6 %!#!2#+%#!

sin autem comedere volueris et te esus carnium delectarit occide et comede iuxta benedictionem Domini Dei tui quam dedit tibi in urbibus tuis sive inmundum fuerit hoc est maculatum et debile sive mundum hoc est integrum et sine macula quod offerri licet sicut capream et cervum comedes

ἀλλ’ ἢ ἐν πάσῃ ἐπιθυμίᾳ σου θύσεις καὶ φάγῃ κρέα κατὰ τὴν εὐλογίαν κυρίου τοῦ θεοῦ σου ἣν ἔδωκέν σοι ἐν πάσῃ πόλει ὁ ἀκάθαρτος ἐν σοὶ καὶ ὁ καθαρὸς ἐπὶ τὸ αὐτὸ φάγεται αὐτὸ ὡς δορκάδα ἢ ἔλαφον

Doch nach allem Verlangen deiner Seele sollst du Fleisch schlachten und essen im Segen JHWHs, deines Gottes, den er dir gegeben hat in allen deinen Toren. Der Reine und der Unreine soll es essen, wie die Gazelle und den Hirsch.

Wenn du aber essen möchtest und dich der Genuss von Fleisch (pl.) erfreut, töte und iss gemäß dem Segen des Herrn, deines Gottes, den er dir gegeben hat in allen deinen Städten; ob es etwas Unreines sei, das heißt befleckt und verletzt, oder etwas Reines, das heißt unversehrt und ohne Makel – etwas, das geopfert werden darf –; wie eine Ziege und einen Hirsch sollst du es essen.

Sondern nach allem deinem Verlangen sollst du Fleisch (pl.) schlachten und essen nach dem Segen des Herrn, deines Gottes, welchen er dir gegeben hat, in jeder Stadt; der Unreine unter dir und der Reine sollen es auf gleiche Weise essen wie eine Gazelle oder einen Hirsch.

639 Vgl. hierzu LOHFINK, „Diese Worte sollst du summen“, bes. 181–184. 640 LEVY, Chaldäisches Wörterbuch, 192; JASTROW, Dictionary, 331: „to reason, speak, study“. 641 Eine ausführliche Analyse alttestamentlicher Texte zur Profanschlachtung in Levitikus und Deuteronomium bietet BARUCH J. SCHWARTZ in seinem Beitrag: „Profane“ Slaughter and the Integrity of the Priestly Code, in: HUCA 67 (1996), 15–42.

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

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Auf den ersten Blick wirkt die Stelle wie ein Übersetzungsfehler des Hieronymus. Die Septuaginta und die VL (immundus – mundus) sowie die Targumim verstehen das hebräische 4 )  als Subjekt des letzten Teilsatzes und als Personen: Reinen und Unreinen ist es erlaubt von dem Fleisch profan geschlachteter Tiere zu essen, wie es auch bei Wildtieren, die nicht zum Opfer verwendet werden können, der Fall ist. Hieronymus hingegen liest die Konstruktion 4  )  als Objekt des Satzes, obwohl im MT keine nota accusativi 7 zu finden ist. Die beiden Adjektive deutet er als Eigenschaften der geschlachteten Tiere und fügt erklärend hinzu, was unter der Reinheit bzw. Unreinheit zu verstehen ist, nämlich die Tauglichkeit des jeweiligen Tieres für ein Opfer. Dies überrascht, da im Kontext von Dtn 12,15 nämlich, wie schon erwähnt, gerade nicht vom Opfer, sondern die Erlaubnis von Profanschlachtung als Folge der Kultzentralisation die Rede ist. In V.22 dagegen, in dem sich der Text von V.15 fast wörtlich wiederholt, spricht auch Hieronymus, wie alle anderen betrachteten Übersetzungen, von reinen und unreinen Personen: Auch Dtn 15,20ff. handelt vom Essen von Fleisch „wie Reh und Hirsch“ und benennt analog zu Kap 12 reine und unreine Personen, die das Fleisch verzehren dürfen. Hier ist der Kontext allerdings ein anderer, der mittelbar an die Opferthematik grenzt. Es geht (15,21) um die Frage, was mit erstgeborenen Tieren geschehen soll, die durch einen Makel (')) opferuntauglich geworden sind, und daher nicht wie opfertaugliche erstgeborene Tiere im Kultzentrum Jerusalem geopfert und verzehrt werden können. Diese Tiere sollen wie profane Tiere an Ort und Stelle, nicht am zentralen Kultort Jerusalem, geschlachtet und verzehrt werden. Da für Profanschlachtungen allgemein die Frage nach der Opfertauglichkeit eines Tieres aus Sicht des Dtn keine Rolle spielt, wird in Dtn 12, anders als beispielsweise beim Erstgeburtsopfer, diese Differenzierung nicht erörtert. Ja gerade die Erwähnung, dass auch unreine Personen zum Verzehr der geschlachteten Tiere zugelassen werden, unterscheidet die Profanschlachtung und das Opfer voneinander. Indirekt nimmt diese Regelung wohl darauf Bezug, dass geopfertes Fleisch nach Lev 7,19bff. nur von kultisch reinen Personen verzehrt werden darf. Die Einfügung bei Hieronymus und der (vermeintliche) Fehler sind bei ihm daher auch nicht durch den Kontext des Verses Dtn 12,15 motiviert. Ein Blick in den Midrasch Sifre Devarim (§71) zu Dtn 12,15 zeigt eine interessante Parallele. Auch hier wird von Opfertieren gesprochen, die durch einen Makel als untauglich kategorisiert werden. Denn nach der Logik des Midraschs spricht die Schrift an dieser Stelle gar nicht über Profanschlachtung (7 46),642 sondern über die Untauglichkeit geheiligter Tiere und darüber, in welchem Falle eine Auslösung eines solchen Tieres nötig und möglich ist. Die Diskussion im Midrasch nimmt v.a. die Differenzierung zwischen vorübergehendem (4-')) und bleibendem Makel (-3')) bei Opfertieren in den Blick. Obgleich die halakhische Diskussion im Midrasch letztlich auf eine andere Frage antwortet als bei Hieronymus, besteht doch eine erstaunliche Übereinstimmung darin, dass in beiden Fällen von untauglichen Opfertieren gesprochen wird, auch wenn es der Kontext des Deuteronomium-Verses nicht nahelegt.

642 Grund dafür ist, dass dies in Dtn 12,20 behandelt wird.

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C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Dtn 13,6(7) Dtn 13,6(7) ist ein Beispiel dafür, dass erklärende Einschübe in den Bibeltext, die sich in Hieronymus’ Übersetzung häufig finden, nicht immer als rein stilistische Verbesserungen zu erklären sind, sondern auch auf den Einfluss jüdischer Traditionen zurück geführt werden können. Der Einschub besteht im Falle von Dtn 13,7 in einem zusätzlichen [quem] diligis („den du liebst“). Hieronymus schiebt es zwischen amicus und ut animam tuam („wie deine Seele“), das dem hebräischen"-4 "60+#46 entspricht. MT Dtn 13,7

Hieronymus Dtn 13,6

Septuaginta Dtn 13,7

"+")–*"!"7!,!!# "-4"3!76"7 #%+4)%47,"60+#46 %46'!4'!%-+ "!777-!

si tibi voluerit persuadere frater tuus filius matris tuae aut filius tuus vel filia sive uxor quae est in sinu tuo aut amicus quem diligis ut animam tuam clam dicens eamus et serviamus diis alienis quos ignoras tu et patres tui

ἐὰν δὲ παρακαλέσῃ σε ὁ ἀδελφός σου ἐκ πατρός σου ἢ ἐκ μητρός σου ἢ ὁ υἱός σου ἢ ἡ θυγάτηρ σου ἢ ἡ γυνὴ ἡ ἐν κόλπῳ σου ἢ ὁ φίλος ὁ ἴσος τῆς ψυχῆς σου λάθρᾳ λέγων βαδίσωμεν καὶ λατρεύσωμεν θεοῖς ἑτέροις οὓς οὐκ ᾔδεις σὺ καὶ οἱ πατέρες σου

Wenn dich dein Bruder, der Sohn deiner Mutter, oder dein Sohn oder deine Tochter, oder die Frau deines Schoßes [i.e. die du ins Herz geschlossen hast] oder dein Mitbürger,643 der [ist] wie deine Seele, im Geheimen mit den Worten anstiftet: „Lasst uns gehen und anderen Göttern dienen, die du selbst nicht kennst und [auch] deine Väter [nicht]!"…

Wenn dich dein Bruder überreden wollen sollte, der Sohn deiner Mutter, oder auch dein Sohn, Tochter oder Ehefrau, welche an deiner Brust ist, oder auch ein Freund, den du liebst wie deine Seele, und heimlich sagt: „Lasst uns gehen und anderen Göttern dienen, die du nicht kennst und auch deine Väter nicht!"…

Wenn dir aber dein Bruder zuredet, der von deinem Vater oder von deiner Mutter [abstammt], oder dein Sohn oder deine Tochter oder die Frau an deiner Brust, oder der Freund, der deiner Seele gleich ist, und im Geheimen sagt: „Lasst uns gehen und anderen Göttern dienen, die du nicht kennst und auch deine Väter nicht!"…

Offenbar stellt die hebräische Wendung "60+# 46 aus dem MT verschiedene antike Ausleger und Übersetzer vor Schwierigkeiten: Was ist mit dem Vergleich mit der eigenen Seele hier gemeint? Die Septuaginta versucht, durch ἴσος eine Lösung zu finden, die nahe am Wortlaut des hebräischen Texts liegt („der Freund, der deiner Seele gleich ist“). DOGNIEZ/HARL haben gezeigt, dass hinter dieser Wortwahl zudem das aristotelisch-pythagoreische Freundschaftsideal steht, welches auf der Grundlage der Gleichheit (ἰσότης) der Freunde beruht.644 In der Überlieferung altlateinischer Bibeltexte, wie z.B. in der epistula ad Fortunatum des Cyprian von Carthago (entstanden wohl 252/7),645 wird als lateinische Übertragung für Dtn 13,6 geboten: qui aequalis est animae tuae,646 was der Septuaginta-Vorlage (ὁ ἴσος τῆς ψυχῆς σου) genau entspricht. 643 Zu den mannigfaltigen Bedeutungen des hebräischen Wortes (Mitbürger, Genosse, Freund, ein anderer, uvm.) vgl. KOEHLER/BAUMGARTNER, 1169ff., KELLERMANN, Art. -4, passim. 644 Vgl. DOGNIEZ/HARL, Deutéronome, 201, mit Hinweis auf Aristoteles, Politeia 1287 b 33. Vgl. auch das sprichwörtlich gewordene „ἰσότης φιλότης“ aus Eth.Nic. IX 1168 b 8. 645 Datierung vgl. SCHAFF, ANFA V, 496. 646 Ed. MIGNE, PL 4, 658C.

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

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Auch in der jüdischen Tradition scheint zu dieser Stelle Klärungsbedarf zu bestehen: SifDev 87 bietet ebenfalls eine Erläuterung dieses kurzen Relativsatzes. Allerdings fällt diese inhaltlich anders aus als in IH: "60+#464"-4 "! („oder dein Mitbürger“ – das ist der Proselyt; „wie deine Seele“ – das ist dein Vater). Die Worte "60+# werden hier nicht mehr auf "-4 bezogen, sondern ergänzen die Liste der Verwandten in V.6 um den in der Aufzählung nicht genannten Vater. Durch die Deutung von -4 als 4 und die Ergänzung des Vaters werden zwei weitere halakhisch relevante Personenkategorien in die Interpretation einbezogen, die der Bibeltext nicht explizit erwähnt. Auffälliger dagegen ist, dass sowohl CN als auch TPsJ eine Formulierung einfügen, die der des Hieronymus gleicht: "60+# "!%- ! ")4 "4  („oder dein Genosse,647 dein Freund,648 der von dir geliebt wird wie deine Seele“).649 Sachlich entspricht dies genau dem paraphrasierenden Zusatz des Hieronymus. Man könnte zunächst vermuten, dass Hieronymus und die Targumim unabhängig voneinander eine schwerer verständliche Stelle (Dtn 13,7) durch eine klarere zu deuten versuchen. Als eine weitere Stelle, an der sich Hieronymus innerbiblisch orientiert haben könnte, kommt 1Sam 18,1.3 in Frage. Die Verse beschreiben die Freundschaft zwischen Jonathan und David, und auch hier ist im MT die Kombination aus der Wurzel  und "60+# zu finden. Hieronymus verwendet dafür wie in Dtn 13 die Worte diligere und anima sua.650 Daneben wäre auch ein Einfluss von Lev 19,18 denkbar. Dieser Text ist dadurch, dass er im NT zitiert wird (Mk 12,31 par.), in der christlichen Literatur noch stärker als 1 Sam 18 rezipiert worden. Betrachten wir daher Lev 19,18aγ (MT: ")#"-4%7). Dafür dass für Hieronymus diese Stelle Vorbild für Dtn 13,7 bildet, spricht, dass er schon in Leviticus eine Kombination der Begriffe amicus und diligere gewählt hat: diliges amicum tuum sicut temetipsum. Damit entfernt er sich von der Septuaginta, die πλησίον übersetzt, und auch von den neutestamentlichen Formulierungen in Mk 12,31 par, die das πλησίον aus der Septuaginta übernehmen. Eine Parallele zu Hieronymus findet sich für Lev 19,18 im CN: *)47 *#7# *#4% („Liebet eure Genossen wie euch!“). Auch im Targum entsprechen die bedeutungstragenden Wörter '4 und 4 aus Lev 19,18 der Parallelstelle in Dtn 13,6. Auffällig ist, dass diese sprachliche Verwandtschaft außer bei Hieronymus und den Targumim in keinen sonstigen antiken jüdischen oder christlichen Quellen nachzuweisen ist.651 Dass Hieronymus’ Übersetzung von Dtn 13,6(7) durch jüdische Auslegungstraditionen inspiriert ist, ist daher eine Möglichkeit, die zumindest in Betracht gezogen werden sollte.

647 Wie hebr. -4 (s.o.) ist auch der Begriff 4 im Aramäischen sehr vielschichtig (Genosse, Freund, Mitbürger, seinesgleichen). Vgl. u.a. LEVY, Targum-Wörterbuch, 263. Hier wurde der Begriff „Genosse“ gewählt, um zum Ausdruck zu bringen, dass der Begriff als solcher nicht notwendigerweise eine emotionale Beziehung beschreibt. 648 ")4 ist nur in CN belegt. InTPsJ fehlt dieses Wort. 649 DIEZ MACHO, Neofiti Bd. 5, 126 übersetzt daher: „o tu compañero, amigo tuyo que te es querido como tu propria alma“. 650 Wegen einer Lakune in der Septuaginta-Überlieferung nur als hexaplarische Fassung vorhanden. Dort (wohl nach Theodotion) ἀγαπᾶν κατὰ τὴν ψυχήν. 651 Auch in der Lutherbibel von 1984 findet sich – gegen die Versionen von 1545 und 1912 – die wohl an Hieronymus’ Text anklingende Formulierung „oder dein Freund, der dir so lieb ist wie dein Leben“, ähnlich auch die Einheitsübersetzung.

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C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Dtn 14,28 In Dtn 14,28 werden wir bei Hieronymus auf eine weitere jüdische Tradition aufmerksam, die durch seine Übersetzung IH hindurchschimmert: Es geht hierbei um eine bestimmte Art der Zehntgabe, die IH mit der Einfügung alia decima markiert. Vergleichen wir zunächst MT, IH und Septuaginta: MT

Hieronymus

Septuaginta

7!27'!+66%623)! +6"7746-)%# "!4-67+!

anno tertio separabis aliam decimam ex omnibus652 quae nascuntur tibi eo tempore et repones intra ianuas tuas

μετὰ τρία ἔτη ἐξοίσεις πᾶν τὸ ἐπιδέκατον τῶν γενημάτων σου, ἐν τῷ ἐνιαυτῷ ἐκείνῳ θήσεις αὐτὸ ἐν ταῖς πόλεσίν σου

Am Ende dreier Jahre bringe heraus jeden Zehnt deines Einkommens in jenem Jahr und lege [ihn] innerhalb deiner Tore ab.

Im dritten Jahr sollst du einen anderen Zehnt absondern aus allem, was dir in jener Zeit (zu)gewachsen ist, und du sollst es innerhalb deiner Tore ablegen.

Nach drei Jahren sollst du den ganzen Zehnt deiner Einkünfte herausbringen, in jenem Jahr, und ihn in deine Städte legen.

Hieronymus spricht in diesem Vers von einem „anderen“ Zehnt (alia decima), um die folgenden Vorschriften von den in V.22–27 genannten Regelungen abzugrenzen. Die Formulierung ist nicht besonders präzise, zieht man in Betracht, dass sich (s.u.) in der Literatur des antiken Judentums verschiedene Systeme und Terminologien in der Diskussion um die Auslegung der alttestamentlichen Zehntregelungen herausgebildet haben. Abgesehen von Dtn 14,28 IH zeigt jedoch ein Blick in weitere Texte des Hieronymus, dass er mit jenen Zehntregelungen und –terminologien vertraut ist, die im nachbiblischen Judentum auf Dtn 14,28 angewandt wurden. Am prominentesten und wirkungsmächtigsten ist hierbei die Unterscheidung von (erstem) Zehnt, (*6446-), und Zweitem Zehnt, !+646-), die in der rabbinischen Literatur vorherrscht. Ziel dieser Unterscheidung ist es, die vielfältigen und z.T. sich widersprechenden atl. Texte zu harmonisieren und die verschiedenen atl. Traditionsstränge, die die Zehntabgabe betreffen, zu systematisieren.653 Die deuteronomistischen, meist vorexilisch654 datierten Regelungen in Dtn 14,22ff. sehen vor, dass der Zehnt (oder dessen monetäre „Auslösung" V.25) für ein Festmahl bei der jährlichen Wallfahrt nach Jerusalem verwendet werden soll. Daran sollen auch die Leviten (V.27) teilnehmen. In jedem dritten Jahr soll die Verwendung des Zehnts anders geregelt werden: Die ohne Erbteil, d.h. ohne Grundbesitz, gebliebenen Leviten sowie Fremde, Waisen und Witwen sollen vor Ort Nutznießer des jährlichen Zehnts sein. Dies erfolgt in Form eines Mahles (V.28) mit den Zehntgebern in ihrer Stadt – also nicht im Kultzentrum Jerusalem, wie in den übrigen Jahren. Einige dieser Elemente werden auch in Dtn 26,12ff. erwähnt, nämlich dass im dritten Jahr der Zehnt der Gruppe der Leviten, Witwen und Waisen vor Ort zugutekommen soll. 652 Hieronymus bezieht offenbar %# auf "77, entsprechend seinem freien Umgang mit dem MT. 653 Zum Folgenden vgl. BUNTE, Maaserot, 28ff.; StrB IV, 668ff.; INSTONE-BREWER, Traditions 1, 321. 654 Vgl. OTTO, Art. Zehntabgaben, 1792f.; ebenso BUNTE, Maaserot, 29. BUNTE geht (Maaserot, 28f.) darüber hinaus noch von einer vordeuteronomistischen Zehntabgabe aus, die jedoch in den atl. Texten nicht näher spezifiziert wird.

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

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Spätere, z.T. priesterschriftliche Texte über den Zehnt wie Num 18,20ff. (u.U. auch Lev 27,30f.655), sowie Neh 10,38f. und 13,12f. unterscheiden sich v.a. in der Rolle der Leviten.656 Statt der Versorgung der Pilger in Jerusalem dient der Zehnt in den Texten des Heiligkeitsgesetzes den Leviten als Lohn für ihren Dienst am Zelt der Begegnung (Num 18,31). Um ihrerseits die Priesterkaste zu versorgen, sollen die Leviten davon nochmals den zehnten Teil als „Hebe“ abführen (V.26). Diese wird in der rabbinischen Terminologie in Anlehnung an Num 18,26 (! 7)47 46-)–*)46-)) als 46-)7)47 bezeichnet. Dieser für die Leviten bestimmte Zehnt heißt in rabbinischer Zeit meist46-) *64 (erster Zehnt) oder lediglich 46-).657 Der in Dtn 14,22ff. erwähnte Zehnt für die Pilger wird !+646-) (zweiter Zehnt) genannt.658 Der spezielle Zehnt für Bedürftige vor Ort, der in jedem dritten Jahr zu entrichten ist und auf Dtn 14,28 zurückgeht, trägt oft den Fachterminus !+-46-) (Armenzehnt).659 Auch außerhalb der rabbinischen Literatur finden sich ähnliche Differenzierungen und Begrifflichkeiten, z.B. bereits in Tob 1,7f. Die beiden Versionen des griechischen Tobitbuches gehen dabei unterschiedlich mit den Begriffen um: Der Kurztext des Alexandrinus und Vaticanus kennt drei Zehntzahlungen, eine für die Leviten (δεκάτη), daneben einen „zweiten Zehnt“ (δεύτερα δεκάτη), den die Pilger in Jerusalem selbst verzehren, und einen dritten Zehnt (τρίτη δεκάτη), der den Bedürftigen zugutekommen soll.660 Die Begrifflichkeit „Armenzehnt“ findet sich in TobA, wie auch in TPsJ, dagegen nicht. TobB nimmt stärker auf Dtn 14,22ff. Bezug. Der Text kennt aber nur die Begriffe δεκάτη und δεύτερα δεκάτη für Zehntzahlungen.661 Der Zweite Zehnt wird hier entweder in Jerusalem gespendet oder 655 Diese Stelle spricht von der Heiligkeit des Zehnten und regelt die Auslösung, erwähnt aber seinen Verwendungszweck, der in der nachbiblischen Rezeption, wie in rabbinischen Texten das Kriterium für die Systematisierung bildet (s.u.). Die dortigen Bestimmungen wurden in rabbinischer Zeit auf den Zweiten Zehnt bezogen. 656 Zur Aktualisierung des deuteronomistischen Zehntgesetzes im Heiligkeitsgesetz vgl. die Ausführungen bei STACKERT, Rewriting, 165–207. 657 Diese Systematisierungen und Terminologien finden sich z.B. in mMSh 56f.; yMSh 5:3 (56a); bRHSh 12b; vgl. auch SifDev 109.302. 658 Vgl. BIETENHARD, Sifre Deuteronomium, 302ff. 659 Eine andere Terminologie verwendet z.B. TPsJ in Dtn 26,12f. Er nennt den Zehnt für die Leviten zwar ebenfalls „Ersten Zehnt“ ()34_-)), bezeichnet jedoch den für den Verzehr mit den Armen bestimmten Zehnt als „Zweiten Zehnt“ (!+!!+!74_-)), und den Zehnt, der zur Versorgung der Pilger dient, als „Dritten Zehnt“ (!7!%7 4_-)). Die Terminologie „Armenzehnt“ verwendet der Targum nicht. 660 7πάντων τῶν γενημάτων τὴν δεκάτην ἐδίδουν τοῖς υἱοῖς Λευι τοῖς θεραπεύουσιν ἐν Ιερουσαλημ καὶ τὴν δευτέραν δεκάτην ἀπεπρατιζόμην καὶ ἐπορευόμην καὶ ἐδαπάνων αὐτὰ ἐν Ιεροσολύμοις 8καθ᾽ ἕκαστον ἐνιαυτόν καὶ τὴν τρίτην ἐδίδουν οἷς καθήκει καθὼς ἐνετείλατο Δεββωρα ἡ μήτηρ τοῦ πατρός μου διότι ὀρφανὸς κατελείφθην ὑπὸ τοῦ πατρός μου (7und ich gab den Zehnten aller Erträge den Söhnen Levis, die in Jerusalem Dienst taten, und den Zweiten Zehnten verkaufte ich und ging und gab ihn in Jerusalem aus, 8jedes Jahr, und den dritten gab ich denen, denen es [zu geben] sich ziemte, demgemäß, was Debbora, die Mutter meines Vaters, geboten hat, weil ich als Waisenkind von meinem Vater zurückgelassen wurde.). 661 7καὶ ἐδίδουν (…) τὴν δεκάτην τοῦ σίτου καὶ τοῦ οἴνου καὶ ἐλαίου καὶ ῥοῶν καὶ τῶν σύκων καὶ τῶν λοιπῶν ἀκροδρύων τοῖς υἱοῖς Λευι τοῖς θεραπεύουσιν ἐν Ιερουσαλημ καὶ τὴν δεκάτην τὴν δευτέραν ἀπεδεκάτιζον ἀργυρίῳ τῶν ἓξ ἐτῶν καὶ ἐπορευόμην καὶ ἐδαπάνων αὐτὰ ἐν Ιερουσαλημ καθ᾽ ἕκαστον ἐνιαυτόν 8καὶ ἐδίδουν αὐτὰ τοῖς ὀρφανοῖς καὶ ταῖς χήραις καὶ προσηλύτοις τοῖς προσκειμένοις τοῖς υἱοῖς Ισραηλ εἰσέφερον καὶ ἐδίδουν αὐτοῖς ἐν τῷ τρίτῳ ἔτει καὶ ἠσθίομεν αὐτὰ κατὰ τὸ πρόσταγμα τὸ προστεταγμένον περὶ αὐτῶν ἐν τῷ νόμῳ Μωσῆ … (7und ich gab den Zehnten des Getreides, des Weines und des Öles und der Granatäpfel und der Feigen und der anderen Obstbäume den Söhnen Levis, die in Jerusalem Dienst taten, und den Zweiten Zehnten [vom Ertrag] der sechs

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C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

(V.8) im dritten Jahr gemeinsam mit Bedürftigen verzehrt. Wofür die Spende in Jerusalem verwendet wurde, und auch, wo die Bedürftigen gespeist wurden, lässt der Text offen. Der von Hieronymus vermutlich um 405 übersetzte lateinische Tobit-Text, den er nach eigenem Zeugnis innerhalb eines Tages aus der „chaldäischen“ Sprache übertrug,662 ist wesentlich kürzer als die griechischen Versionen und enthält lediglich den zusammenfassenden Begriff omnis decimatio.663 Die Septuaginta-Version von Dtn 26,12 spricht davon, dass im dritten Jahr τὸ δεύτερον ἐπιδέκατον an Witwen, Waisen und Leviten verteilt werden soll. Unklar ist, ob hinter dieser Formulierung schon die Terminologie steht, die auch in der rabbinischen Literatur verwendet wird, und der Vers so zu verstehen ist, dass im dritten Jahr der zweite Zehnt einen anderen Verwendungszweck hat – nämlich den, der ihm den Begriff „Armenzehnt“ eingebracht hat. Man kann den griechischen Text allerdings auch so lesen, dass τὸ δεύτερον ἐπιδέκατον hier ausschließlich den Armenzehnt bezeichnet,664 und zwischen den deuteronomistischen und den übrigen alttestamentlichen Texten kein Unterschied deutlich gemacht wird, wie später in der rabbinischen Literatur durch eine terminologische Differenzierung. Da diese Junktur in der Septuaginta ein Hapaxlegomenon ist, lässt sich darüber, wie die alexandrinischen Übersetzer des Pentateuchs bzw. des Deuteronomiums die Zehntregelungen verstanden, nichts Definitives sagen. Die Beobachtungen an Tob 1 und Dtn 26 zeigen, dass Hieronymus nicht allein durch die griechische Bibel mit der Systematisierung von Zehntzahlungen und der Begrifflichkeit vertraut sein kann, da dort z.B. nicht vom Armenzehnt die Rede ist. Auch in der Literatur griechischer christlicher Autoren oder bei Philo und Josephus fehlt eine der rabbinischen Tradition entsprechende Terminologie. An einer Stelle aus seinem Ezechiel-Kommentar lässt sich allerdings zeigen, dass Hieronymus Kenntnisse derjenigen Terminologie für Zehntzahlungen hat, die auch in großen Teilen der rabbinischen Literatur verwendet wird. In der Erläuterung der Verse Ez 45,13f. nimmt Hieronymus auf jüdische Traditionen zur Berechnung der Priesterhebe sowie auf die Terminologie zur Systematisierung der Zehntzahlungen Bezug.665 Ausgehend von dem in Ez 45,13 verwendeten Begriff )47666(primitiae) gibt Hieronymus einen Überblick über verschiedene Arten von Abgaben landwirtschaftlicher Erzeugnisse in einer ihm überlieferten jüdischen Auslegung. Danach wendet sich Hieronymus den Zehntbestimmungen zu, bevor er wieder zum Thema der primitiae („Erstlingsfrüchte“) aus Ez 45,13 zurückkehrt:

662 663

664 665 666

Jahre verzehntete ich durch Geld und ging und gab ihn jedes Jahr in Jerusalem aus; 8und gab es den Waisen und Witwen und Proselyten, die zu den Kindern Israel hinzugekommenen waren: ich brachte und gab es ihnen im dritten Jahr und wir aßen es gemäß der Vorschrift, die darüber im Gesetz des Mose vorgeschrieben ist, …). So in praef. Tob. [WEBER 676, 3]. Eine aramäische Fassung dieser Verse, die mehr Aufschluss über Hieronymus’ Vorlage geben könnte, ist fehlt im aramäischen Tobit-Fragment 4Q196–200. ...ita ut in tertio anno proselytis et advenis ministraret omnem decimationem. Haec et his similia secundum legem Dei puerulus observabat (… 7so, dass er im dritten Jahr den Proselyten und den Hinzugekommenen den ganzen Zehnt darreichte. 8Dies, und was diesem ähnlich ist, pflegte der kleine Junge gemäß dem Gesetz Gottes einzuhalten.) Zu Dtn 26,12 und dem Problem der Übersetzung in der Septuaginta vgl. S. 90. In Ezech. XIV ad 45,13f. [ed. GLORIE, CChr.SL 75, 681,112–121]. Ez 45,13 lautet in der Übersetzung IH: et haec sunt primitiae [)47] quas tolletis sextam partem oephi de choro frumenti et sextam partem oephi de choro hordei (Und dies sind die Erstlingsfrüchte, die ihr abgeben sollt: ein Sechstel eines oepha von einem chorus Weizen und ein Sechstel eines oepha von einem chorus Gerste.).

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

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Dicamus igitur primum iuxta litteram Δεκάτας – hoc est decimam partem – omnium frugum leviticae tribui populus ex lege debebat; rursum ex ipsis decimis levitae, hoc est inferiorum ministrorum gradus decimas dabat sacerdotibus. Et haec est quae appellatur δευτεροδεκάτη – erant quoque et aliae decimae, quas unusquisque de populo israel in suis horreis separabat, ut comederet eas cum iret ad templum in urbe hierusalem et in vestibulo templi et sacerdotes ac levitas invitarent ad convivia. Erant autem et aliae decimae, quas pauperibus recondebant, quae graeco sermone appellantur πτωχοδεκάται. Wir wollen zunächst buchstäblich auslegen: Δεκάτας – d.h. den zehnten Teil – aller Früchte schuldete das Volk nach dem Gesetz dem levitischen Stamme. Den Zehnten wiederum von diesem Zehnt gaben die Leviten – das ist der Rang niederer [Tempel-]Bediensteter – den Priestern. Und dies ist es, was man „δευτεροδεκάτη“ nennt: Es gab nämlich auch andere Zehntzahlungen, welche jeder Einzelne aus dem Volk Israel in seinen Vorratskammern absonderte, damit er sie esse, wenn er zum Tempel in der Stadt Jerusalem geht, um auf dem Vorplatz des Tempels die Priester und die Leviten einzuladen zum gemeinsamen Schmaus (convivium). Und es gab auch andere Zehntzahlungen, welche sie für die Armen zurückbehielten, welche auf Griechisch πτωχοδεκάται genannt werden.

Wie in Dtn 14,28, von wo aus unsere Untersuchung ihren Ausgang nahm, ist hier von „anderen“ Zehntzahlungen (aliae decimae) die Rede. Hieronymus charakterisiert diese hier näher und verwendet dafür die griechischen Begriffe δευτεροδεκάτη und πτωχοδεκάται, ohne sie für seine lateinische Leserschaft zu übersetzen – ein Hinweis darauf, dass er die Bezeichnungen für Fachtermini hält. Überdies erläutert er, wie die Zehntzahlungen organisiert sind und stimmt darin mit der rabbinischen Literatur überein: Zunächst zahlt jeder Israelit den (sc. Ersten) Zehnt an die Leviten. Dies ergibt sich aus den o.g. priesterschriftlichen Texten in Numeri zum Zehnt. Eine weitere Zehntzahlung, nämlich die δευτεροδεκάτη, ist für die Pilgerfahrt nach Jerusalem bestimmt. Diese wird in Dtn 14,22ff. beschrieben und auch in rabbinischen Traditionen als !+6 46-) bezeichnet. Die πτωχοδεκάται werden bei Hieronymus ebenfalls erwähnt und stimmen inhaltlich mit dem in der rabbinischen Tradition mit Dtn 14,28 begründeten Zehnt überein, der „Armenzehnt“ (!+- 46-)) heißt. Hieronymus bringt ihn im Ezechiel-Kommentar jedoch nicht explizit mit Dtn 14,28 in Verbindung und erklärt auch nicht, dass er nur in bestimmten Jahren abgeführt werden soll. Auffällig ist an diesem Text, dass Hieronymus sich einer griechischsprachigen Terminologie bedient, ohne diese zu übersetzen. Da der Begriff πτωχοδεκάται und auch das Kompositum δευτεροδεκάτη in der griechischen Literatur sowohl des Judentums als auch des Christentums ungebräuchlich sind, ist anzunehmen, dass er Begriffe wiedergibt, die er von hebräischsprachigen Kontaktpersonen genannt bekommt, mit denen er auf Griechisch kommuniziert. Wie ist nun alia decima in Dtn 14,18 zu verstehen? Die auffälligste Parallele zur rabbinischen Literatur ist m.E., dass Hieronymus an derselben Stelle wie die Targumim CN und TPsJ, sowie auch SifDev den Bibeltext durch systematisierende Eingriffe verständlicher machen will. Dafür, dass Hieronymus direkt von zeitgenössischer jüdischer Tradition beeinflusst ist, spricht außerdem, dass er im Ezechiel-Kommentar die Begriffe δευτεροδεκάτη und auch πτωχοδεκάται als termini technici verwendet, die exakt der rabbinischen Diktion (!+-4-6) !+646-) bzw. !!+!#,) 46-) +!+7 46-)) entsprechen. Offenbar genügt ihm jedoch der Hinweis, dass es sich um alia decima handelt, ohne auf das Repertoire zurück zu greifen, dessen er sich im Ezechiel-Kommentar bedient.

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C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Dtn 16,1 In Dtn 16,1 finden sich bei Hieronymus erklärende Einfügungen, die jüdischen Auslegungstraditionen entsprechen. Eine Vermittlung dieser Traditionen über hexaplarisches Material ist an dieser Stelle nicht nachweisbar und m.E. auch sehr unwahrscheinlich. Der gesamte Abschnitt Dtn 16,1–17 widmet sich Vorschriften zur Feier des Pessachfestes (V.1–8), des Wochenfestes (V.9–12) und des Laubhüttenfestes (V.13–17).667 Er setzt mit folgender Anweisung zum Pessachfest ein: MT

Hieronymus

Septuaginta

!67 4)6 !%,07!6- "!%

Observa mensem novarum frugum et verni primum temporis ut facias phase Domino Deo tuo

Φύλαξαι τὸν μῆνα τῶν νέων καὶ ποιήσεις τὸ πασχα κυρίῳ τῷ θεῷ σου

Beachte den Monat (des) ! und richte für JHWH, deinen Gott, ein Pessach aus.

Beachte den Monat der neuen Früchte und den ersten der Frühlingszeit, damit du dem Herrn, deinem Gott, das Pessach ausrichtest.

Beachte den Monat der neuen [sc. Ähren/Früchte]668 und richte das Pascha dem Herrn, deinem Gott, aus.

Hieronymus gibt das Hebräische !67 mit der Formulierung mensem novarum frugum et verni primum temporis wieder.669 Für das biblische Hebräisch wird allgemein davon ausgegangen, dass  Ä!(junge) Ähren“ bedeutet, oder als Monatsname verwendet wird.670 Der erste Teil der Formulierung bei Hieronymus (mensem novarum frugum) orientiert sich an der griechischen Tradition. Die Septuaginta übersetzt an dieser Stelle !6 durch μὴν τῶν νέων („Monat der neuen [Ähren]“). Hieronymus übernimmt das und ergänzt sinngemäß frugum („Feldfrüchte“). Dies entspricht seinem Umgang mit der Formulierung 6 ! an anderen Stellen im Pentateuch. Wo ! im Kontext einer Monatsangabe vorkommt, übersetzt Hieronymus nämlich wie folgt: Ex 13,4 :671 Ex 23,15: Ex 34,18a.b:

mense novarum frugum tempore mensis novorum672 in tempore mensis novorum – mense verni temporis

667 Zur Festtheologie des Deuteronomiums vgl. BRAULIK, Leidensgedächtnisfeier, passim und ders., Die Freude des Festes, passim. 668 So WEVERS, Notes on Deuteronomy, 266 und LXXdt. DOGNIEZ/HARL schlagen als Ergänzung γεννημάτων (Erträge/Sprösslinge) vor (Deutéronome, 215). 669 In der hier nicht zitierten zweiten Vershälfte ersetzt er das dort wiederholte ! 6 aus stilistischen Gründen durch in isto mense: –%!%'!42))"!%!"!2!6!# quoniam in isto mense eduxit te Dominus Deus tuus de Aegypto nocte (Denn in diesem Monat führte dich der Herr, dein Gott, aus Ägypten in der Nacht.). 670 Vgl. GESENIUS, Wörterbuch, 5; KOEHLER/BAUMGARTNER, HALAT, 7; CLINES, Dictionary, 6. JASTROW (Dictionary, 5) rechnet mit der Bedeutung „season of beginning early-crop“ schon im biblischen Hebräisch. Für das Hebräische und Aramäische der nachbiblischen Zeit (bRHSh 21a; TO Lev 2,4; bSanh 11b) nennen neben JASTROW auch DALMAN (Wörterbuch, 2) und LEVY (Chaldäisches Wörterbuch I, 3) die Bedeutung „Jahreszeit der Kornfruchtreife“. 671 In Lev 2,14 und Ex 9,31, wo ! keinen Monat bezeichnet, wählt Hieronymus eine verbale Übersetzung mit virere (grün/jung sein). 672 Mensis novorum verwendet Hieronymus zur Bezeichnung des Monats Aviv/Nissan auch im Ezechielkommentar (In Ezech. I ad 1,3 [ed. VALLARSI, PL 25, 18C] und im Haggaikommentar (In Agg. ad 2,19 [ed. VALLARSI, PL 25, 1412D]).

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

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Lediglich in Ex 34,18b verwendet Hieronymus das Attribut verni temporis, das er auch in Dtn 16,1 hinzufügt. Die anderen Stellen sind an den griechischen Bibelübersetzungen orientiert. Die Septuaginta hat an allen diesen Stellen μὴν τῶν νέων, wie auch in Dtn 16,1. Darauf greift Hieronymus an den ersten drei der genannten Exodus-Stellen (Ex 13,4; 23,15; 34,18a) zurück. Auch hexaplarische Überlieferungen existieren zu diesen drei Stellen: Zu Ex 13,4 findet sich bei α', σ' und θ' τῶν νεαρῶν (der jungen [sc. Ähren]). Für Ex 23,15 und 34,18a ist τῶν πρωΐμων (der früh reifenden [sc. Ähren]) überliefert.673 Diese Versionen stellen nur geringfügige Veränderungen gegenüber der Septuaginta dar. Auffällig ist Hieronymus’ Übersetzung der vierten der erwähnten Stellen (Ex 34,18b). Wohl aus stilistischen Gründen vermeidet Hieronymus die Wiederholung der Übersetzung aus dem ersten Halbvers und wählt mense verni temporis. Dafür gibt es, wie der Überblick gezeigt hat, keine Parallele in der griechischsprachigen Übersetzungstradition. Hieronymus präsentiert eine weitere Erklärung des hebräischen Wortes, die er nicht in seinen griechischen Quellen vorfindet, nämlich, dass ! auch „Frühling“ bedeuten kann. Möglicherweise greift Hieronymus hierbei auf Informationen seiner des Hebräischen kundigen Informanten zurück. Denkbar ist allerdings auch, dass ihm aus seiner eigenen Anschauung bekannt ist, dass das Pessachfest (und damit ja auch das Osterfest) im Frühling gefeiert wird und in dieser Jahreszeit in Palästina die jungen Ähren reifen.674 Festzuhalten bleibt in jedem Fall, dass Hieronymus hier über die griechischsprachige Tradition hinaus geht und weitere lexikalische Informationen in den Text einflicht. Dtn 16,8 In Dtn 16,8 korrigiert Hieronymus die Septuaginta, die vom MT abweicht. Dabei entspricht sein Vorgehen dem der Targumim. MT

Hieronymus

Septuaginta

72)%#7'!)!766 !%742-!-!6'! #%)6-7%"!%

sex diebus comedes azyma et in die septimo quia collecta est Domini Dei tui non facies opus

ἓξ ἡμέρας φάγῃ ἄζυμα, καὶ τῇ ἡμέρᾳ τῇ ἑβδόμῃ ἐξόδιον ἑορτὴ κυρίῳ τῷ θεῷ σου, οὐ ποιήσεις ἐν αὐτῇ πᾶν ἔργον πλὴν ὅσα ποιηθήσεται ψυχῇ

Sechs Tage lang sollst du Mazzoth essen und am siebten Tag ist die Festversammlung für JHWH, deinen Gott. Verrichte keine Arbeit!

An sechs Tagen sollst du Azyma essen und am siebten Tag, weil die Versammlung des Herrn, deines Gottes ist, verrichte keine Arbeit!

Sechs Tage lang sollst du ungesäuertes Brot essen und am siebten Tage ist der Abschluss, ein Fest für den Herrn, deinen Gott. Verrichte an ihm keinerlei Arbeit, außer was um des Lebens willen getan wird.

673 Diese vermutlich hexaplarische Lesart ist ohne Zuordnung zu einem der recentiores in Fb überliefert, vgl. Apparat von WEVERS, Deuteronomium, z.St. 674 Der sonst fruchtbare Vergleich mit Einträgen in den Onomastika nom. hebr. oder in sit. et nom. führt hier nicht weiter, da „Aviv“ als Stichwort fehlt. Dies spricht ebenfalls dafür, dass Hieronymus und seine Vorlagen dieses Wort nicht als Eigenname interpretieren.

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C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Das hebräische Nomen 742- findet sich nur sechs Mal in der hebräischen Bibel.675 Meist wird es im Kontext von Festen verwendet (Lev 23,36; Num 29,35; 2Chr 7,9; Neh 8,18). Nur in Jer 9,1 bezeichnet es die Zusammenkunft von Feinden ('!) eines Klagenden. Daher wählt die Septuaginta dort ( Jer 9,1) σύνοδος als Übersetzung, sonst spricht sie von ἐξόδιον, z.T. ergänzt durch ἑορτή wie in Dtn 16,8. Hieronymus wählt (außer in Num 29,35) die eher unspezifische Übersetzung collecta bzw. coetus ( Jer 9,1). Die Übersetzung der Septuaginta, die 742als Fest interpretiert, übernimmt Hieronymus in Num 29,35 (celebrissimus [dies]). Daneben liegt ihm in seinen Quellen bei Aquila die etymologisierende Übersetzung mit ἐπίσχεσις („Innehalten“) vor. Aquila leitet das Nomen offenbar von der hebräischen Wurzel 42- („innehalten“) ab und deutet es in Dtn 16,8 vom Versende her: Am siebten Tag des Festes soll, ebenso wie am Sabbat, von der Arbeit innegehalten werden. Auch dieser Version schließt sich Hieronymus nicht an. Ähnlich wie Hieronymus arbeiten die Targumim in Dtn 16,8: Dort findet man durchgängig Ableitungen der Wurzel 6+# („versammeln“). Bei TPsJ und CN gibt es dabei Präzisierungen durch Attribute: 67*!6!+#*7 („Versammelt euch zum/im Lobpreis“),  76!+# („Versammlung der Freude“). In dieser Interpretationstradition findet sich auch Hieronymus.676 Über eine mögliche Abhängigkeit des Kirchenvaters von Symmachus kann aufgrund der Quellenlage nichts gesagt werden. Die Stelle kann dennoch beispielhaft zeigen, dass Hieronymus dann, wenn die Septuaginta präzisierende und damit einengende Übersetzungen wählt, versucht, das weitere Bedeutungsspektrum des MT zum Ausdruck zu bringen und dabei mit rabbinischen Texten parallel geht.

Dtn 17,8 Der Vers 17,8 steht im Kontext eines kurzen Abschnittes (17,8–13), der eine zentrale Gerichtsbarkeit am Kultzentrum als oberste Instanz in Streitfällen etabliert. Das hebräische Nomen -  + (Wurzel: -+– „berühren“) wird im atl. Hebräisch auf zwei Weisen verwendet: Neben eine wörtliche Bedeutung („Schlag“, „Berührung“677) tritt häufig die von „Wunde“ oder „Hautmal“. In Lev 13f. bezeichnet -  + z.B. in der Wendung 7-42 -+ eine lepröse Hautveränderung, ohne den Zusatz von 7-42 andere Arten von Hautmalen. Die Septuaginta adaptiert diesen Sprachgebrauch ins Griechische. Dadurch übernimmt das griechische Substantiv ἁφή (urspr. „Berührung“, „Schlag“) aus dem Hebräischen die Bedeutung „Hautmal“,678 und zwar auch in den Fällen, wenn ἁφή nicht in der Konstruktion ἁφὴ λέπρας auftritt.679 675 Nach GESENIUS, Wörterbuch, 1004, bezeichnet 742- sowohl den Schlusstag eines Festes, als auch eine Festversammlung oder einen Feiertag. 676 Dass die Interpretation der Targumim nicht die einzige im nachbiblischen Judentum ist, zeigt folgende Beobachtung: Da an den genannten alt. Stellen deutlich ist, dass 742- ein bestimmtes Ereignis während eines längeren Festes bezeichnet, verwendet Josephus (Ant. III 252), aber auch die Mischna (mRHSh 1:2) ἀσαρθά bzw. 742- als Eigenname für das gesamte Wochenfest. 677 So z.B. DIETRICH, Lexikon, 340. Vgl. 2Sam 7,14. 678 Vgl. hierzu MURAOKA, Lexicon, 106 und DOGNIEZ/HARL, Deutéronome, 224. 679 Ohne Genitivattribut sowohl im MT als auch in der Septuaginta vgl. Lev 13,3.5.6 u.v.m., mit Attribut Lev 13,2.3.9.25 u.a.

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

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In Dtn 17,8 sind m.E. dagegen sowohl das hebräische -+ als auch das griechische ἁφή ausgehend von der Grundbedeutung „Schlag“ bzw. „Wunde“ im juristischen Kontext im Sinne von „Körperverletzung“ zu verstehen.680 MT 4"))%0!!# '%'–*! 06)% -+*!*!%*!–*! 7!4!4-+% "!4-6

Wenn dir ein Rechtsfall zu wundersam sein sollte, zwischen Blut und Blut, zwischen Rechtssache und Rechtssache, zwischen Körperverletzung und Körperverletzung innerhalb deiner Tore [sc. zu entscheiden], …

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstexte

si difficile et ambiguum apud te iudicium esse perspexeris inter sanguinem et sanguinem, causam et causam lepram et non lepram et iudicum intra portas tuas videris verba variari

ἐὰν δὲ ἀδυνατήσῃ ἀπὸ σοῦ ῥῆμα ἐν κρίσει ἀνὰ μέσον αἷμα αἵματος καὶ ἀνὰ μέσον κρίσις κρίσεως καὶ ἀνὰ μέσον ἁφὴ ἁφῆς καὶ ἀνὰ μέσον ἀντιλογία ἀντιλογίας ῥήματα κρίσεως ἐν ταῖς πόλεσιν ὑμῶν

CN: 7-4267#)*! 37+67#)% (zwischen einem Lepra-Mal und Schuppenflechte)

Wenn du merkst, dass bei dir ein schwieriger und mehrdeutiger Rechtsfall ist, zwischen Blut und Blut, Rechtsfalls und Rechtsfall, Aussatz und Nicht -Aussatz, und du siehst, dass die Meinungen der Richter innerhalb deiner Tore hin und her wanken, …

Wenn aber ein Streitfall deine Fähigkeiten übersteigt, zwischen Blut und Blut, Rechtsfall und Rechtsfall, Wunde und Wunde, Streit und Streit, Rechtssachen in euren Städten [zu unterscheiden], …

TPsJ, TFragPV: -4267#)!+! 37!+67#)% (zwischen einem Lepra-Mal und einer glatzenartigen Stelle)

Bei Hieronymus fällt im Umgang mit seinen beiden Hauptquellen (MT, Septuaginta) bereits in Lev 13f. eine Bedeutungsverschiebung auf. Für die Genitivkonstruktion 7-42 -+ bzw. ἁφὴ λέπρας wählt Hieronymus meist ganz wörtlich plaga leprae (Lev 13,2.3.9 u.v.m.). Steht im MT oder in der Septuaginta dagegen das Wort -+ bzw. ἁφή isoliert, gibt Hieronymus es fast immer ebenfalls als lepra wieder. Ausnahmen bilden nur Stellen, an denen dies aus dem Kontext unmöglich ist, wie z.B. die Verse 13,30ff., die Hautveränderungen beschreiben, die sich von leprösen Phänomenen unterscheiden. Aus diesem philologischen Grund ergibt sich auch seine Übersetzung in Dtn 17,8.681 Statt eines Rechtsstreits um Körperverletzung, wie in MT und LXX, handelt es sich bei Hieronymus um einen strittigen Fall beim Feststellen von Aussatz. Dadurch, dass Hieronymus in Dtn 17,8 ein „non“ einfügt, passt er den Text der Szenerie aus Lev 13 an, die er vor Augen hat: Die Priester prüfen, ob es sich um eine lepröse Hautveränderung handelt, oder eine andere Erkrankung vorliegt.682 680 So WEVERS, Notes on Deuteronomy, 282; DOGNIEZ/HARL, Deutéronome, 224, MURAOKA Lexicon, 106 zum griechischen Text. Zum Hebräischen vgl. DIETRICH, Lexikon, 340; PLAUT, Deuteronomy, 164.373: „assault“; NELSON, Deuteronomy, 221. 681 Auch die VL scheidet als Vorbild für Hieronymus aus. Dort findet sich remissio (Cod.Lugd.), möglicherweise leitet die Übersetzung ἁφη fälschlicherweise von ἀφίημι ab. 682 Gegen die Vermutung, dass Hieronymus hier möglicherweise auf einen anderen griechischen oder hebräischen Text zurückgreift, lässt sich ins Feld führen, dass er im Haggaikommentar (um 393) denselben Text zwar mit lepra aber ohne non übersetzt: sicubi in urbibus Israel quaestio fuerit exorta inter sanguinem et sanguinem, inter iudicium et iudicium, lepram et lepram, contradictionem et contradictionem (In Agg. ad 2,11ff. [ed. VALLARSI, PL 25, 1406B]).

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C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Zu diesen philologischen und intertextuellen Beobachtungen kommt nun noch eine traditionsgeschichtliche. Auch die rabbinische Überlieferung assoziiert Dtn 17,8 mit gesundheitlichen Fragen um Hauterkrankungen. SifDev 152 nennt zur Erklärung dieselben drei Problemfelder, die auch Lev 13 im Kontext von Aussatz auflistet: Menschen, Gebäude und Kleidung. Auch die Auslegungen in ySanh 9:4 (30a) (par. bSanh 87a, bNid 19a) interpretieren Dtn 17,8 im Zusammenhang mit Lepraerkrankungen, nicht etwa mit Körperverletzung. Die palästinischen Targumim sind der Übersetzung des Hieronymus ebenfalls sehr ähnlich. So übersetzt CN die Stelle mit:  37+ 67#)% 7-42 67#) *! Ä[unterscheiden] zwischen einem Lepra-Mal und Schuppenflechte“. Auch TPsJ und TFragPV behandeln den Vers ähnlich wie IH: 37!+67#)%-4267#)!+! Äzwischen einem Lepra-Mal und einer glatzenartigen683 Stelle“. Genau wie Hieronymus bezieht die rabbinische Tradition den Vers auf Lev 13, in dem die Kompetenz, zwischen Lepra und anderen Hautveränderungen zu unterscheiden, den Priestern zugeschrieben wird. Dtn 17,17 Im Falle von Dtn 17,17 handelt es sich bei Hieronymus um eine Vereindeutigung des Texts, für die sich Parallelen in den Targumim und in Sifre sowie bei Origenes bzw. Rufin finden. In dem Vers aus dem deuteronomistischen Königsgesetz geht es um Anweisungen für den König hinsichtlich seiner Ehen und des Reichtums. MT %4!% 4,!% '!6+ %/,# % )%4!

Und er soll nicht viele Frauen haben, und sein Herz soll nicht abweichen, und Silber und Gold soll er nicht sehr viel haben.

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstexte

non habebit uxores plurimas quae inliciant animum eius neque argenti et auri inmensa pondera

καὶ οὐ πληθυνεῖ ἑαυτῷ γυναῖκας, οὐδὲ μεταστήσεται αὐτοῦ ἡ καρδία, καὶ ἀργύριον καὶ χρυσίον οὐ πληθυνεῖ ἑαυτῷ σφόδρα.

CN: %*!_+!%!,!% !!%* ,! (Und er soll nicht viele Frauen haben, damit sie sein Herz nicht in die Irre leiten.)

Er soll nicht sehr viele Ehefrauen haben, die seinen Geist verführen könnten, und auch nicht unmessbare Massen an Silber und Gold.

Und er soll nicht viele Frauen haben, und sein Herz soll sich nicht umwenden, und Silber und Gold soll er nicht sehr viel haben.

TPsJ: %-*!_+!%*,!% !!%*!!- !%!4,+)!7 (Und er soll nicht viele Frauen haben, nur bis zu 18, damit sie nicht sein Herz verführen.)

Auch in diesem Vers ist das stilistische Bemühen des Kirchenvaters zu spüren: Aus dem Semitismus in der Septuaginta (πληθυνεῖ ἑαυτῷ) wird ein einfaches habebit, und die Mengen an Gold und Silber werden als inmensa pondera veranschaulicht. Einen größeren inhaltlichen Eingriff erlaubt sich Hieronymus bei dem zweiten Satzglied: Im MT und in der Septuaginta ist %/καρδία Subjekt. Außerdem ist der Teilsatz parataktisch mit %/οὐδὲ angefügt. Hieronymus formuliert dagegen

683 So nach JASTROW, Dictionary, 945; SOKOLOFF, Dictionary, 343a.

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

183

einen Relativsatz mit finalem oder explikativem Nebensinn, in dem die vorher erwähnten Frauen Subjekt sind, die den König verführen könnten. Die Targumim CN und TPsJ und der Midrasch SifDev interpretieren den Text in derselben Weise. In CN findet sich: !!% * ,! % *!_+ !% !,! % („und er soll nicht viele Frauen haben, damit sie sein Herz nicht in die Irre leiten.“). Noch konkreter wird TPsJ: !!%*!!- !%!4,+)!7%-*!_+!%*,!% („und er soll nicht viele Frauen haben, nur bis zu achtzehn, damit sie nicht sein Herz verführen.“). SifDev 159 (par. mSanh 2,4) spricht ebenfalls von 18 Frauen. Auch hier geht es ganz explizit um das Thema, dass die Frauen den König auf (religiöse) Irrwege bringen könnten: 74!,) ! %6 % %  4) 4) ! !446- +)6 %- –'!6+%4!% +6!%%74!,)!7%!04)*-)6À4%7 Und er soll nicht viele Frauen haben [Deut 17,17]. Nur bis zu achtzehn. R. Jehuda sagt: Für sich halte er viele, wenn sie nur sein Herz nicht abspenstig machen. R. Schim‘on sagt: Nicht einmal eine (einzige), wenn sie sein Herz abspenstig macht, soll er nehmen.684

Hieronymus weicht hier in dieselbe Richtung vom MT und auch von der Septuaginta ab, wie es die rabbinische Auslegungstradition tut. Eine direkte Abhängigkeit der Traditionen anzunehmen führt, m.E. zu weit. Ähnliche Deutungen des Verses finden sich auch in der christlichen Rezeption: Schon Origenes z.B. interpretiert in seiner zwanzigsten Numeri-Homilie (zu Num 25,2) den Vers Dtn 17,17 auf Grundlage der Erzählung in Num 25 auf diese Weise.685 Die lateinische Übersetzung Rufins für den verschollenen Origenestext hat hier auch einen finalen Nebensatz, der die Frauen des Königs als Subjekt nennt, statt das Herz des Königs: „ne forte fornicari te faciant a Deo tuo“.686 Die Wiedergabe als finaler Nebensatz, eingeleitet durch ἵνα μή, ohne Veränderung des Subjekts, findet sich auch in Septuaginta-Handschriften des hexaplarischen Typs und des Alexandrinus.687 Der syrisch überlieferte Symmachus übersetzt auch final ’ykn’ dl’ ns‫ ’ܒ‬lb’ dylh („damit sein Herz nicht abtrünnig wird“.) Die Übersetzung des Hieronymus bewegt sich an dieser Stelle mit einigen Septuaginta-Versionen, der Hexapla, Origenes und rabbinischem Traditionsgut weg vom Masoretischen Text. Dtn 18,8 Im Vers Dtn 18,8 findet sich im MT die in der Auslegungsgeschichte sehr verschieden gedeutete Wendung 7–%-!4#))%. Die exegetisch-philologischen Fragestellungen kreisen um die folgenden drei Probleme:

684 SifDev 159; Übersetzung nach BIETENHARD, Sifre, 417. 685 Die Auslegung nimmt ihren Ausgang bei der Erzählung vom Bundesbruch der Israeliten bei Baal Peor (Num 25). Der sexuelle Verkehr mit den dort ansässigen Midianiterinnen führte der Erzählung zufolge auch zum gemeinsamen Dienst an deren Göttern. Diesem Text stellt Origenes als Parallele die Erzählung der ausländischen Ehefrauen des Königs Salomos an die Seite, und bringt dies mit dem Königsgesetz und Dtn 17,17 in Verbindung. 686 Hom. 20 in Num. 3 [ed. BAEHRENS, GCS 30 (Origenes 7), 192,17]. Da nicht nur das Bibelzitat, sondern auch der Kontext diese Interpretation nahe legt, ist m.E. nicht davon auszugehen, dass der Bibeltext in der griechischen Fassung anders gelautet hat und erst durch die Übersetzung Rufins diese Form erhielt. 687 So später auch bei Augustin quaest. hept. 5, 27.

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C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS (1) die Herleitung und Bedeutung des Wortes !4#)),688 (2) die Interpretation von 7%- und (3) die Verbindung von V.8 mit den vorhergehenden Versen.

(1) LIPIŃSKI versteht '!4#) generell als Benennung einer Art niederen Tempelpersonals (z.B. in 2.Kö s.u.),689 abgeleitet von 4# ).‘ Im Falle von Dtn 18,8 spricht er sich jedoch für die Bedeutung „verkauftes Land“ aus. Auch WRIGHT stützt diese Herleitung, bezieht das nomen actionis 4# ‘) („Verkauf “) aber nicht auf Landbesitz, sondern auf Überschüsse von Opfern, die von den Leviten nicht verzehrt werden können, und daher verkauft werden.690 AIROLDI leitet !4#)) dagegen von der Segolatbildung 4# ) mit der Bedeutung „Gut“ her.691 (2) WRIGHT interpretiert die Wendung als „according to ancient custom“.692 AIROLDI dagegen versteht es im Kontext der Sippenzugehörigkeit ( 7!) der Leviten und spricht daher von „Gütern, die er als Sippenangehöriger besitzt.“693 (3) NELSON argumentiert dafür, V.6 und 7 als Protasis zu lesen, und Vers 8 als Apodosis (wenn ein Levit kommt …, und dient, dann soll er essen)694. Andere Auslegungen sehen das Ende des Nebensatzes schon nach V.6.695 Für die weitere Betrachtung der Übersetzung des Hieronymus sind v.a. die Punkte 1) und 2) interessant. Hinsichtlich der syntaktischen Interpretation der Verse 6–8 folgt er der ihm vorliegenden Septuaginta, bei der der Hauptsatz ohne καί mit V.7 einsetzt. Auch V.8 beginnt in IH, wie im MT und der Septuaginta, ohne Kopula. Vers 8 lautet dann wie folgt: MT

Hieronymus

Septuaginta

%%#!3%#3% 7%-!4#))

partem ciborum eandem accipiet quam et ceteri excepto eo quod in urbe sua ex paterna ei successione debetur.

μερίδα μεμερισμένην φάγεται πλὴν τῆς πράσεως τῆς κατὰ πατριάν.

Einen Teil wie den anderen sollen sie essen; außer dem, was man in Bezug auf seine Väter verkaufte.

Er soll denselben Teil der Speisen erhalten wie auch die Übrigen [ sc. Priester], außer/neben dem, was ihm in seiner Stadt aufgrund der väterlichen Erblinie zusteht.

Einen (ab)geteilten Teil soll er essen, außer dem aus dem Verkauf[s von etwas] aus der väterlichen Erblinie.

Hieronymus gestaltet den Vers, wie die Markierungen in der Tabelle zeigen, erheblich um: Schon in der ersten Vershälfte wechselt er analog zur Septuaginta in den Singular. Außerdem spricht er vom „Erhalt von Speisen“ (cibum, accipere) statt vom „Essen“ (%# MT, ἐσθίω LXX). Beides stellt m.E. eine stilistisch motivierte Umformung dar. Weiterhin ergänzt er quam et ceteri und nimmt damit den vergleichenden Aspekt der Präposition  –#aus dem hebräischen Text auf, der in den 688 Zum philologischen Problem, ob das erste ) Teil des Wortes ist oder als assimilierte Präposition *) zu % gehört vgl. HOFFMANN, Deuteronomium I, 336. 689 LIPIŃSKI, Art. mkr, 873ff. So auch NELSON „ancestral estate“ (Deuteronomy, 227f.). 690 WRIGHT, MKR, 438f. Zur Nähe zu den Targumim vgl. unten. 691 AIROLDI, lbd mmkrjw ‘l-h’bwt, 99. 692 WRIGHT, MKR, passim. 693 AIROLDI, lbd mmkrjw ‘l-h’bwt, 97. Ausschlaggebend ist für ihn die Parallele zu !%## in V.7. 694 NELSON, Deuteronomy, 227f. Anm. h.; So auch DUKE, The Portion of the Levite, 195f. Auch z.B. die Lutherbibel bis 1953, die NEB und Einheitsübersetzung folgen dieser Interpretation. 695 So KJV, NIV, Lutherbibel '84, BIGS und die ältesten Septuaginta-Versionen, vgl. LXXGö z.St.

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Textüberlieferungen der Septuaginta fehlt. Schon Theodotion korrigiert die Septuaginta in dieser Weise.696 Im zweiten Teil des Verses finden sich bei Hieronymus einige weiterreichende Veränderungen: Zunächst verwendet er die Formulierung quod in urbe sua … ei ... debetur als Umschreibung für das hebräische !4#)). Dies hat, wie im Folgenden gezeigt wird, in keiner seiner Vorlagen (Septuaginta, Hexapla), aber auch in keiner weiteren Übersetzung eine direkte Entsprechung, wohl aber eine Nähe zu den Targumim. Außerdem bedient er sich der Wendung ex paterna successione für das hebräische 7%-. Bei der Frage, woran sich Hieronymus bei der Wahl seiner Formulierungen orientiert haben könnte und wovon er sich abgrenzt, hilft ein genauerer Blick auf antike Übersetzungstraditionen und Kommentare.697 Sie können grob in zwei Gruppen unterteilt werden: Eine Gruppe (1) versteht !4#)) als „Verkauf “, abgleitet von 4#)) als Nominalbildung zur Wurzel 4#). Dazu gehören die Septuaginta und die hexaplarischen Versionen, ebenso einige Targumim (TFragVN und CNmg2). Offen bleibt dabei, was ge- oder verkauft wird. Die zweite Gruppe (2a+b) bezieht den Vers auf die Regelung des wöchentlich wechselnden Dienstes (4)6)) der Priestergruppen im Tempel. Darunter fallen einige Targume, Sifre und talmudische Traditionen. Dies geschieht entweder (2a) in Bezugnahme auf ein Kaufgeschehen bei der Regelung dieser Aufteilung oder spielt (2b) auf den Verkauf von überschüssigem Opferfleisch an. Die Septuaginta übersetzt πλὴν τῆς πράσεως τῆς κατὰ πατριάν („außer dem Verkauf [von etwas] aus der väterlichen Erblinie“)698. In ähnlicher Weise geben auch die hexaplarischen Versionen das Ende des Satzes wieder: Aquila überträgt wörtlich, aber recht unverständlich: χωρὶς τῶν πράσεων αὐτοῦ ἐπὶ τοὺς πατέρας („ohne seine Verkäufe bei den Vätern“). Symmachus ändert die Wortfolge und spricht von Erwerb statt Verkauf, bleibt aber insgesamt nahe an der Septuaginta: τῆς κτήσεως ἐκτὸς τῆς κατὰ τὰς πατρίας („außer dem Erwerb bei den Vaterstädten“). Gemeinsam ist diesen Übersetzungen, dass sie !4#)) als Verkauf bzw. Erwerb verstehen, ohne ein Objekt dazu zu nennen. Neben den genannten griechischen Übersetzungen lohnt es sich hierzu auch zwei Handschriften des Fragmententargums (V,N) und eine Marginalglosse zum Targum im Codex Neofiti (CNmg2) heranzuziehen:699 7%-%+!!!+*)–4*%#!3%#3% Einen Teil wie den anderen sollen sie essen, außer den Verkäufen, die sie entsprechend der Vorfahren verkauften.700

Auch hier wird weder berichtet, was verkauft wird, noch, wann dieser Verkauf stattfindet. 696 Field, Hexapla I, 299, rekonstruiert aus dem syrisch überlieferten Theodotion-Fragment mnt’ ’yk mnt’ n’kwl mit der vergleichenden Präposition ’yk das griechische μέριδα κατὰ μέριδα φάγεται, was m.E. den Vergleich zu sehr abschwächt. 697 Vgl. auch die Übersicht bei SALVESEN, Symmachus on the Pentateuch, 150f. 698 So z.B. WEVERS (Notes on Deuteronomy, 297): „So probably: ‚the sale of goods inherited from one‘s father‘“ und die LXXdt z.St. „Einen abgeteilten Anteil soll er verzehren, abgesehen vom Verkauf aus Familienbesitz.“ 699 So auch in TgSam (7%-+)*)4%) und in der Peschitta (+*)4 ,). 700 Text des CNmg2 aus Cod. 264 nach DIEZ MACHO, Biblia Polyglotta V, 158. Ähnlich auch TFragVN: 7%-’ !7!+!!!!+¼)½4*%#!3%#3%.

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C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

In der Forschung wird angenommen, dass auch hinter diesen Versionen Auslegungstraditionen stehen, die in Gruppe 2 (s.u.) explizit erwähnt sind. MCNAMARA erläutert den Text aus CNmg2 daher folgendermaßen: „... besides the rights acquired by transaction between his ancestors.”701 Dabei greift er eine Interpretation auf, die in SifDev 169 bezeugt ist.702 Auf die Frage, was von wem verbzw. gekauft wird, antwortet der Midrasch: !4#))%4)%)%7%47))%6'!%47+43*!674)6)%#!!%#! "767!76!+ %74#))7%Vielleicht sind alle Priesterwachen auch bei den Opfern des Festes, die nicht wegen des Festes dargebracht werden, gleich? Die Schrift sagt: „Außer dem, was er hat von dem verkauften Gut seiner Väter.“ Was haben die Väter einander verkauft? „Ich in meiner Woche und du in deiner Woche.“703

Der Vers wird auf ein halakhisches Problem bezogen, das sich aus den vorangegangenen Versen (Dtn 18,1–7) ergibt: Nach dem Dtn haben die levitischen Priester bei der Verteilung des Landes von JHWH kein Erbteil (%+) erhalten. Anstelle dessen dienen ihnen Teile der Opfer im Tempel (V.3) und die Erstlingsgaben (V.4) als Unterhalt. Vorausgesetzt, dass die Priestergruppen alternierend gemäß einer festgelegten Wochenordnung (4)6), cf. 1Chr 24,1–19) den Dienst am Tempel tun, ergibt sich folgendes Problem: Wie sollen die Opfer aufgeteilt werden, falls ein Priester z.B. zu einem Wallfahrtsfest (V.6) außerhalb seines 4)6) zusätzlich an den Tempel kommt und Dienst tut (V.7)? Die Auslegung in Sifre regelt auf Basis von Dtn 18,8, dass die Einkünfte aus den Opfergaben der Feste gleichmäßig unter allen diensttuenden Priestern aufgeteilt werden, ausgenommen die Abgaben der täglichen Opfer, die der Priestergruppe zusteht, die aufgrund ihrer von den Vätern ererbten Wochenpflicht regulär Dienst tut.704 Mit dem Begriff 7 in Dtn 18,8 werden die Vorfahren der Priester assoziiert, die als sog. 7! eine Gruppe bilden, die die Wochenpflicht gemeinsam ausführt.705 Das Wort !4#)) aus Dtn 18,8 wird hier auf die Aufteilung bzw. Zulosung der Wochenpflichten unter den Levitengruppen bezogen – unter Zuhilfenahme des Bildes eines „Kaufs“ unter den Vorfahren. Die Übersetzung in TO (Gruppe 2b) bringt eine ähnliche Tradition, vermeidet aber die konstruiert wirkende Rede von einem „Kauf “ der Wochenpflichten:  7+!37*!#767!74 ))4 *%#!!3%#3% Sie sollen zu gleichen Teilen essen706, außer dem Dienst in der(selben) Woche, weil die Väter dies so angeordnet haben.

Das hebräische !4#)) wird hier durch 74 )) ersetzt, dem aramäischen Äquivalent für das hebräische 4)6) (Wochendienst der Priester im Tempel s.o.).

701 MCNAMARA, Neofiti Dtn, 94 Anm. r, Unterstreichung SW. Vgl. auch die Übersetzung des Fragmententargums von KLEIN (Fragment-Targums, 174): „…excluding that which they sold from their patrimonies“ und in Anm. 39: „V and N would seem to imply: ‘Besides rights that they themselves sold from among those inherited to them by their fathers’“. 702 Vgl. ebenso bSuk 56a. 703 Übersetzung: BIETENHARD, Sifre, 453. 704 Diese Regelung findet sich auch in ySuk 5:8 (55d), Jalq 917 und MTann z.St. 705 Vgl. den Gebrauch der Wortverbindung im biblischen Hebräisch z.B in Ex 6,14. 706 MCNAMARA übersetzt freier: „They shall recieve equal shares of the dues, ...“ (Neofiti Dtn, 57).

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

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Der Targum CN bietet zwar auch einen Bezug zu Opfern, wählt aber dafür einen anderen philologischen Weg, der das hebräische !4#)) mit dem aramäischen 47) (Rest/ Überschuss) wiedergibt: *7*%+!,!!+43!47)*)–4 %#!3%#3% Sie sollen zu gleichen Teilen essen, außer den Überschüssen ihrer Opfer, die ihnen ihre Väter zu Besitz gegeben haben.

Das aramäische Wort 47) bezeichnet hier den Anteil der Opfergaben, der nicht sofort verzehrt werden kann und daher verkauft wird. Der abschließende Relativsatz spricht zwar nicht explizit von Wochenpflichten, ist aber m.E. aus dem Kontext so zu deuten.707 Targum Pseudo-Jonathan bildet eine Kombination aus diesen beiden Traditionen, denn er ersetzt zum einen !4#)) durch 47) („Rest“) und schafft zum anderen einem expliziten Bezug zur Einsetzung der priesterlichen 74)6): 4)7!4-%*%7!4!+#*%#! !+43!47))4 *%#!! 6 3% %3%#3% *7 Sie sollen Teil für Teil gleich (aufgeteilt) essen, außer den Überschüssen der Opfer, welche die Priester essen, die ihnen Eleazar und Ithamar, ihre Vorfahren, vererbt haben.

Die Erwähnung der Vorfahren Eleazar und Ithamar spielt auf Lev 10,12ff. an. Auf diese beiden Söhne Aarons wird in der rabbinischen Tradition die Einteilung der Mischmarot zurückgeführt.708 Ganz deutlich wirkt bei den drei zuletzt genannten Texten, dass die mit dem Bibeltext verknüpfte halakhische Tradition so stark ist, dass das hebräische Wort !4#)) substituiert wird: Das Themenfeld „Kaufen“ klingt nur implizit durch die Erwähnung der Überschüsse der Opfer an (Gruppe 2b) oder wird durch eine Narration erklärt (2a). Wichtiger ist hier der Bezug zu den Wochendiensten, sei es, dass sie durch eine direkte Wiedergabe mit 74 ) (TO) oder als Interpretation von 7 (SifDev, bTaan, TPsJ) ins Spiel kommen.709 Die Nähe der letzten beiden Gruppen zu Hieronymus besteht in zwei Punkten: Zum einen verzichtet er auch auf die Kaufterminologie, die er aus griechischen Bibeltexten kennt. Zum anderen kann die Annahme, dass Hieronymus an die Wochendienste denkt, beim Verstehen seiner Übersetzung hilfreich sein. Dafür, dass Hieronymus beim Übersetzen der Verse Dtn 18,6–8 an ein rotierendes System beim Tempeldienst gedacht haben könnte, spricht eine weitere Beobachtung in V.7. Der MT und die Septuaginta sprechen davon, dass der zum Tempel kommende Levit mit den dort ('6/ἐκεῖ) dienenden Priestern gemeinsam den Dienst verrichten soll. Hieronymus gibt dies durch eo tempore, also temporal wieder: mit der zu dieser Zeit dienenden Priestergruppe. Hieronymus folgt der rabbinischen Tradition im zweiten Halbvers von Dtn 18,8 jedoch nicht weiter. Das zeigt sich u.a. an dem Satzteil in urbe sua an der Stelle, an der im Hebräischen !4#)) steht. Zuvor sei angemerkt, dass er hier auch von der Septuaginta und der Hexapla abweicht. 707 Vgl. hierzu auch die o.g. These von WRIGHT, MKR, 438ff. 708 Eine ausführliche Erklärung dieser Tradition findet sich z.B. in bTaan 27a. 709 Letzteres könnte auch, wie GROSSFELD vermutet, über die Assoziation von 7%- mit dem  7! als Bezeichnung einer Priestergruppe, die einen bestimmten Wochendienst (4)6)) übernimmt, entstanden sein (vgl. GROSSFELD, Onqelos Dtn, 57 Anm. 6). Zur Verwendung vgl. z.B. Num 31,26.

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C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Die Wiedergabe mit in urbe sua erzeugt einen inhaltlichen Bruch im lateinischen Text: Die Verse 6–8a handeln wie in MT/Septuaginta von einem levitischen Priester, der nach Jerusalem kommt und dort zusätzlich zu den schon (aufgrund ihres 4)6)) anwesenden Priestern Tempeldienst verrichtet. Laut Vers 8a soll er dort „denselben Teil an Speisen erhalten, wie auch die übrigen“. Der dazu gekommene Levit soll nicht leer ausgehen, sondern von den Opfern (V.3) und Abgaben (V.4) am Tempel in gleicher Weise teilhaben. Nun nimmt der Vers in IH eine überraschende Wendung: „… außer dem, was ihm in seiner Stadt nach väterlicher Erblinie zusteht.“ Hieronymus lenkt den Blick weg von den Regelungen am Tempel auf die Unterhaltssituation des Leviten an seinem Wohnort. Vermutlich steckt hinter dieser Interpretation folgender Gedankengang: In Dtn 18,3f. werden Opfer und Erstlingsgaben genannt, welche nach Lev 18,8–20 und Dtn 26,1–4 an den Tempel abgeführt werden. Daneben kennt Hieronymus aus Dtn 14,28f. und 26,12ff. den Zehnt, der den Leviten an ihrem Wohnort zusteht. Dieser geht nicht an den Tempel und wird demnach auch dort nicht geteilt. Zusätzlich zu dieser Verbindung zu V.3f. scheint ihn auch eine philologische Herleitung von !4#)) zu dem inhaltlichen Bruch motiviert zu haben, der durch die Formulierung in urbe sua in seiner Übersetzung entsteht. Der Ausgangspunkt dieser Herleitung wird an seiner Übersetzung von 2Kö 12,6a und 12,8bα deutlich. Dort finden sich im MT die Formen 4#) bzw. '#!4#), die !4#)) in Dtn 18,8b ähneln. Sie können hier von der Wurzel 4#+ hi. („kennen“) abgeleitet werden. In dieser Erzählung der Königebücher versucht König Joasch die Finanzierung der Tempelrenovierung zu regeln. Zunächst betraut er (V.6) die Priester mit dieser Aufgabe. Die finanziellen Mittel sollen aus Abgaben ihrer „Bekannten” ('!4#)) genommen werden. Als sie die Renovierungsarbeiten jedoch nicht ausführen, müssen die Priester die entsprechenden Mittel direkt an den König abgeben (V.8), der daraus die noch nicht stattgefundene Renovierung durchführt. Hieronymus übersetzt die Verse folgendermaßen: MT 2Kö 12,6a 4#)7) 6!'!+#'%3! Die Priester sollen [sc. das Geld] für sich annehmen, jeder von seinem Bekannten.

MT 2Kö 12,8bα 3%!#'#!4#)7) /,#37–%7- +777! Nun nehmt kein Geld mehr von euren Bekannten [sc. für euch] an, sondern gebt es für die [sc. Instandsetzung der] Bauschäden des Tempels.

Hieronymus 2Kö 12,5a accipiant illam sacerdotes iuxta ordinem suum Die Priester sollen jenes [sc. Geld] gemäß ihrer Ordnung/ihres Standes annehmen.

Hieronymus 2Kö 12,7bα nolite ergo amplius accipere pecuniam iuxta ordinem vestrum sed ad instaurationem templi reddite eam Nehmt daher kein Geld mehr [sc. für euch] entsprechend eurer Ordnung an, sondern gebt es zur Instandsetzung des Tempels ab.

In beiden Fällen gibt Hieronymus die jeweilige Form von 4#) mit iuxta ordinem suum/ vestrum wieder. Dagegen leitet die Septuaginta die Formen hier, wie auch in Dtn 18,8, von der Wurzel 4#) („verkaufen“) ab. So erklärt sich πρᾶσις als Wieder-

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

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gabe für das Lemma im MT. Hexaplarische Versionen sind für die Stellen im Königebuch nicht überliefert. 710 Aus dem Kontext von 2Kö 12 geht hervor, dass es sich bei dem Wort '!4#) um Personen handelt, die Abgaben an Priester leisten. In diesem Sinne wird der Begriff ebenfalls in yGit 3:7 (45a) verwendet.711 Hieronymus scheint diese Bedeutung zu kennen, und auch den Umstand, dass es sich nicht um zufällige „Bekannte“ von Priestern oder Leviten handelt, sondern um diejenigen Personen, die vor Ort entsprechend dem Wohn- bzw. Herkunftsort den Priestern und/oder Leviten Abgaben erstatten müssen. Mit iuxta ordinem suum/vestrum bezeichnet Hieronymus die Aufteilung der Priester und Leviten auf bestimmte Orte mit entsprechender Klientel. Es ist anzunehmen, dass Hieronymus, der die Königebücher einige Jahre vor dem Pentateuch übersetzte (ca. 390–392), die in 2Kö 12 verwendete Bedeutung auch für Dtn 18,8 herangezogen hat, und dass er daher !4#)) mit in urbe sua ... debetur wiedergibt. Auch in Dtn 18 wählt er, wie mit iuxta ordinem, eine umschreibende Übersetzung, die aber auf denselben Sachverhalt zielt: Die Einkünfte der Leviten bzw. Priester, die aus ihren „Pfründen“ kommen, müssen nicht mit anderen Priestern geteilt werden. Anders als die erwähnten rabbinischen Texte bezieht er den Vers (Dtn 18,8) allerdings, soweit zu erkennen ist, nicht auf die halakhische Fragestellung, die dort im Vordergrund steht: Wie Opfer der Festliturgien und regelmäßige Opfer während der Festwoche zwischen den Priestern/Leviten aufzuteilen sind, die außerhalb ihres 4)6) aufgrund eines Festes am Tempel anwesend sind, und denjenigen, die aufgrund ihres 4)6) in der Festwoche am Tempel regulär ihren Dienst tun. Die Stelle (Dtn 18,8) zeigt aber, dass und wie Hieronymus für seine Übersetzung philologische Kenntnisse der hebräischen Sprache zur Hilfe nimmt, die Parallelen zur jüdischen Auslegungstradition712 haben, auch wenn sie der Septuaginta und zudem seinen hexaplarischen Vorbildern nicht entsprechen. Dtn 19,12 Dtn 19,12 bietet ein Beispiel für die quasi-targumische Übersetzungtechnik des Hieronymus. Obwohl in den griechischen Texten und im hebräischen nicht vorhanden, fügt der Kirchenvater, als Wiederaufnahme der vorigen Verse, die Worte de loco effugii sinngemäß in den Vers ein. Eine Parallele dazu bildet der Targum Neofiti, der im gesamten Kapitel 19 ebenfalls die Worte !6*!43 (Asylstädte) als verdeutlichende Apposition oder zusätzliche Adverbiale einfügt.

710 LIPIŃSKI (s.o.) spricht hier allerdings auf Grundlage der Herleitung von 4#) von „Tempelpersonal“, (Art. mkr, 873), eine Art Zwischenhändler für Opferabgaben. DUKE (The Portion, 195f.) zeigt jedoch überzeugend, dass von „acquaintances“ die Rede ist. So urteilt schon die Masora durch die Vokalisierung 4P‘ ), die das Nomen als Derivat der Wurzel 4#+ kennzeichnet. 711 Hier geht es um die Frage, wie die zu verrichtenden Abgaben mit den Schulden verrechnet werden, die ein Priester oder Levit bei einem seiner '!4#) hat. In der betreffenden Mischna Git 3:7 wird der Begriff nicht verwendet, bGit 30a spricht in umgekehrter Perspektive von einem „bekannten“ Priester (!%+#!4#)). 712 In diesem Fall die Bedeutung von 4#) in 2Kö 12.

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C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Dtn 20,19 Auch in Dtn 20,19b formuliert Hieronymus seine Übersetzung sehr frei. In der ersten Vershälfte geschieht dies in Form von stilistisch motivierten Umschreibungen, Ergänzungen und Auslassungen. Der offenbar schwer verständliche MT regte nicht nur bei Hieronymus die Phantasie an: MT

Hieronymus

Septuaginta

%61-'!# 42)"!+0)

quoniam lignum est et non homo nec potest bellantium contra te augere numerum

μὴ ἄνθρωπος τὸ ξύλον τὸ ἐν τῷ ἀγρῷ εἰσελθεῖν ἀπὸ προσώπου σου εἰς τὸν χάρακα

Fürwahr, ist denn713 ein Mensch der Baum des Feldes, um vor dir weg in die Befestigung zu gehen?

…, denn Holz ist er und nicht ein Mensch und er kann nicht die Anzahl derer vermehren, die gegen dich kämpfen.

Ist denn das Holz auf dem Felde ein Mensch, dass es von dir (weg) hineinginge in die Verschanzung?

Die Septuaginta interpretiert das  von ' als Fragepartikel einer rhetorischen Frage und gibt daher den MT durch einleitendes μὴ als verneinte rhetorische Frage, auf die eine bestätigende, d.h. negative Antwort erwartet wird, wieder. Hieronymus greift diese Interpretation auf, formuliert aber in der Form eines verneinten kausalen Nebensatzes, wohl unter Einfluss des !# im MT. Dies entspricht der Technik der Targumim (TO, TPsJ, CN, CNmg), die den Nebensatz ebenfalls mit %'4 !4 („denn nicht“) einleiten. Von den Versionen der Hexapla ist nur die Wiedergabe des Wortes 42) überliefert. Bei Aquila finden sich ἐν τῇ περιοχῇ714/εἰς τὴν περιοχήν715 („in der/die Umfriedung“). Symmachus schreibt ἔσω τῆς πολιορκίας („innerhalb der Belagerung“),716 und Theodotion übersetzt mit εἰς τὸν συγκλεισμόν („in die Einschließung“).717 Diese Versionen dienen Hieronymus jedoch ebenso wenig wie die Septuaginta als direkte Vorlage.718 Hieronymus beschreibt durch seine Übersetzung nec postest bellantium contra te augere numerum die in der Septuaginta ungenannte Konsequenz der bildhaften Rede: Würden die Bäume wie Menschen vor den Belagerern in die belagerte Stadt hineingehen, könnten diese die Feinde, i.e. die Belagerten, zahlenmäßig verstärken und somit selbst zu Feinden werden. Ein ähnlicher Gedanke findet sich an mehreren Stellen bei Philo: Bäume sollten nicht bestraft werden, weil sie den Menschen

Ich interpretiere, wie auch die Septuaginta, das  vor ' als Fragepartikel. So nach Cod. X (FIELD, Hexapla I, 302) = Cod. M in der Göttinger Septuaginta. So nach der Syh: l‫ۊ‬bwšy’ dmdynt’ („zur Belagerung[smauer] der Stadt“). Griechisch nach FIELD, a.a.O., nach der Syh lgw mn ‫ۊ‬byšwt mdynt’ („außerhalb (von) der Belagerung[smauer] der Stadt“). 717 Griechisch nach FIELD, a.a.O., nach der Syh l‫ۊ‬bwšy’ („zur Belagerung[smauer]“). 718 Ein Einfluss altlateinischer Texte, zumindest der Itala im Cod.Lugd., kommt ebenfalls nicht in Frage. Dort lautet der Vers: neque homo intret in agrum a facie tua in obsessiones (… und ein Mensch soll nicht auf das Feld gehen, von deinem Angesicht weg in die Belagerungen.). Der Text ist gegenüber der Septuaginta stark gekürzt, das Wort „Holz“ wird gar nicht übernommen, und mit obsessiones steht er IH ebenfalls nicht nahe. 713 714 715 716

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

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gegenüber keinen bösen Willen haben719 und ihm daher nicht zum Feind werden können.720 Andere Ausleger und Übersetzungen verstehen "!+0) % als Flucht des Baumes vor den Belagernden (CN, Josephus Ant. IV 299). Weitere Targumim interpretieren (TPsJ, TO,721 CNmg) den Text ähnlich wie die Septuaginta. Eine eindeutige Parallele zu Hieronymus oder ein Einfluss auf seine Übersetzung IH lässt sich nicht bestätigen. Dtn 20,20 Eine weitere auffällig interpretierende Übersetzung findet sich in Dtn 20,20: Die Belagerer einer Stadt erhalten die Erlaubnis, nicht fruchttragende Bäume zu fällen MT 464!-%- 42) 7!+ 74-)%)")-6… und baue einen 42) gegen die Stadt, welche mit dir Krieg führt, bis zu ihrem Fall.

Hieronymus

Septuaginta

et extrue machinas donec capias civitatem quae contra te dimicat

καὶ οἰκοδομήσεις χαράκωσιν ἐπὶ τὴν πόλιν, ἥτις ποιεῖ πρὸς σὲ τὸν πόλεμον, ἕως ἂν παραδοθῇ

… und baue daraus Belagerungsmaschinen so lange, bis du die Stadt eroberst, die gegen dich kämpft.

... und baue eine Belagerungspalisade gegen die Stadt, die gegen dich den Krieg betreibt, bis sie sich ergibt.

(20a), dann fährt der Text fort: Hieronymus und die Septuaginta verstehen das hebräische 42) an anderen Stellen meist als Zustand der Belagerung (z.B. Dtn 28,55: στενοχωρία/obsidio) oder gegenständlich als eine Befestigung, die im Falle einer Belagerung zum Schutz errichtet wird (z.B. Sach 9,13 ὀχύρωμα/munitio).722 In Dtn 20,20b interpretiert die Septuaginta das hebräische 42) aufgrund des folgenden 4!-–%- nicht als Schutz für ein Lager, sondern als Belagerungswall/ -palisade o.ä., die gegen die einzunehmende Stadt aufgerichtet wird. Ähnlich übersetzen auch die hexaplarischen Varianten (σ': περίφραγμα – Palisade; α': περιοχήν – Umfriedung). Daran orientiert sich auch die altlateinische Bibel (Cod. Lugd.): et aedificabis obsessionem. Auch die Targumim (TPsJ, CN, TO) bedienen sich des griechischen Lehnwortes '#4# '34# (χάραξ). Hieronymus gibt 42) jedoch mit „machinae“ wieder. Dabei handelt es sich um Belagerungsgerät wie Rammböcke, Schleudermaschinen, evtl. auch fahrbare Türme.

719 μὴ γάρ (…) ἀνθρώπου πολεμίου δυσμένειαν ἐπιδείκνυται δένδρον (… denn ein Baum legt nicht die Feindseligkeit eines Krieg führenden Menschen an den Tag.). (spec. IV 227 [ed. COHN/WENDLAND Bd. V, 262,15f.]). 720 … οὐδὲν ἐχθρὸν φυτόν, ἀλλ’ ἔνσπονδα πάντα καὶ ὠφέλιμα (Eine Pflanze ist kein Feind, sondern sie alle sind gutmütig und nützlich.) virt. 154 [ed. COHN/WENDLAND Bd. V, 143,12f.] 721 GROSSFELD, Onqelos z.St. übersetzt 4!2 ")3 *) %-!)% mit „to be included by you in a siege“, was eine gewisse Ähnlichkeit zu IH darstellen könnte. M.E. ist %-!) jedoch als inf. peal (vgl. SOKOLOFF, Dictionary, 408) mit der häufigeren Bedeutung „hineingehen“ zu verstehen und der Satz analog zum MT konstruiert: „...um vor/von dir in die Belagerung hineinzugehen.“ 722 Vgl. auch Dtn 20,19, S. 183.

192

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Parallelen zu dieser Interpretation finden sich bei Josephus (Ant. IV 299 s.u.) und in SifDev, mit Einschränkung auch bei Philo. Letzterer zählt auf, was aus dem Holz hergestellt werden kann:723 ἀγόνων δὲ καὶ ἐστειρωμένων καὶ τῶν ὅσα τῆς ἀγρίας ὕλης ἔστω μηδεμία φειδὼ τοῖς ἐθέλουσι τέμνειν εἰς χαρακώματα καὶ σταυροὺς καὶ σκόλοπας τάφροις καί, ὁπότε δέοι, κλιμάκων καὶ πύργων ξυλίνων κατασκευάς·εἰς γὰρ ταῦτα καὶ τὰ τούτοις ὅμοια γένοιτ’ ἂν αὐτῶν χρεία προσήκουσα. 724 Kein Verbot soll es aber geben betreffs unfruchtbarer und zerstörter und wildwachsender Bäume für die, die sie fällen wollen zu[r Nutzung als] Bollwerke, Pfähle und Spieße für Belagerungsgräben oder, wenn man denn will, für die Konstruktion von Leitern und Holztürmen. Denn dafür und für ähnliches sind sie zu verwenden.

Im Vergleich zur Septuaginta, die lediglich Palisaden erwähnt (s.o.), zeigt sich auch hier eine gewisse Ausweitung des Begriffs, wenn auch keine Ähnlichkeit in der Formulierung zu IH (machinas) besteht. Dies findet sich jedoch bei Josephus: … πολιορκοῦντας δὲ καὶ ξύλων ἀπορουμένους εἰς ποίησιν μηχανημάτων μὴ κείρειν τὴν γῆν ἥμερα δένδρα κόπτοντας ἀλλὰ φείδεσθαι, … 725 [Habt acht, dass ihr,] wenn ihr eine Stadt belagert und Holz zur Anfertigung von Belagerungsgeräten braucht, nicht das Land verwüstet, indem ihr kultivierte Bäume abhaut, sondern verschont sie.

Auch der Midrasch SifDev 204 erklärt, was die Belagernden aus dem Holz unfruchtbarer Bäume bauen dürfen bzw. können:   7!##*3!7 +))76-74#7!6774)%)%7  7!!+4 )!+!) %76-4!-%-42)7!+ 74! ,% %7!)4!-%-42)7!+ Die Schrift sagt: „Fälle ihn und schlag ihn ab.“ [D.h.:] Du darfst aus ihm Geländer und Palisaden machen. „Und bau einen 42) gegen die Stadt“ – Du darfst daraus [verschiedene] Arten von Wurfgeschossen machen. „Und bau einen 42) gegen die Stadt“ – Du darfst damit Schleudermaschinen herstellen.726

Sifre verwendet zwar denselben griechischen Ausdruck (#4#) wie die Septuaginta, aber gerade nicht als Auslegung des hebräischen 42), sondern zum vorangehenden Satzteil. Zu 42) bringt SifDev die ballistaria, die zu den machinae zählen, die Hieronymus und Josephus erwähnen.

723 Auch Agr. 9ff. dreht sich um die Frage nach der Verwendung von gefällten Bäumen als Baumaterial im Kontext eines Krieges. Dort wird jedoch nur die Möglichkeit der Errichtung eines Verteidigungszaunes o.ä. für die eine Stadt in Betracht gezogen, der eine Belagerung droht. 724 Spec. IV 229 [ed. COHN/WENDLAND Bd. V, 263]. 725 Ant. IV 299 [ed. NIESE Bd. I, 219,31ff.]. 726 Zu den verwendeten gr./lat. Lehnwörtern vgl. BIETENHARD, Sifre, 491 Anm. 11f.: 7!!+4 ) sei zu lesen als  7 +)4 = pl.v.  +)4 von lat.: tormentum = Wurfgeschoss, vgl. KRAUSS. Lehnwörter II 276, u.a.; 74! ,%: pl.v. 4 ,!%: gr. βαλίστρα, lat. ballista = Wurfmaschine; vgl. KRAUSS, Lehnwörter II 157; Schwieriger zu erklären sind *3!7 und 7!##. Ersteres ist evtl. von θήκη (im Sinne von „Geländer“) herzuleiten, für letzteres variiert die Interpretation je nach handschriftlicher Überlieferung bzw. Konjektur: In der FINKELSTEIN-Ausgabe (S. 240) steht 7!+. Dort findet sich als Anmerkung von D. HOFFMANN: „lies 7#+, von "+, Mauer;“ 7!!## im Erstdruck Venedig wird von DALMAN, Wörterbuch, 193 als 7#4# emendiert, von  !#4#= κεκρίς, Webstab; KRAUSS, Lehnwörter II, 563 erwägt die Lesart 7!4#, von καράβιον, Schiff. Angesichts der auffällig einstimmigen Überlieferung in den Targumim ist m.E. die Herleitung von #4# (χάραξ) am naheliegendsten.

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

193

Die Übersetzung von Hieronymus bietet hier eine auffällige Ähnlichkeit sowohl zu Josephus als auch zu SifDev. Dabei weicht er sogar von seiner sonstigen Orientierung an den recentiores der Hexapla ab. Dtn 21,14 / 24,7 Die Verse Dtn 21,10–14 thematisieren den Fall, dass ein Kriegsheimkehrer, der eine feindliche Kriegsgefangene zur Frau genommen hat, später das Interesse an ihr verliert. Er soll sie, so regelt V.14aα, als Freie gehen lassen und sie nicht in die Sklaverei verkaufen. Daran schließt sich im hebräischen Text die Wendung %  4)-77 an. Das hebräische Verb 4)- (hi.) kommt lediglich hier und in Dtn 24,7 vor. Dort wird folgender Fall beschrieben: Ein Israelit hat einen anderen entführt (60+ +) und anschließend verkauft (4#)). Zwischen den beiden Verben steht 4)-7. Die Bedeutung des hebräischen Verbs ist umstritten. KÖHLER/ BAUMGARTNER führen „Handel treiben“ an,727 GESENIUS dagegen die Bedeutung „in Sklaverei bringen“.728 Dies entspricht den in antiken Übersetzungen und Auslegungen gebotenen Bedeutungen. Bei Hieronymus lässt sich dabei eine Nähe zu rabbinischem Material, gerade zu den Targumim, erkennen: Dtn 21,14b MT +4#)7%4#) 4)-77% /,# 7!+-4677 Verkaufe sie keinesfalls für Geld, versklave sie nicht, denn du hast sie erniedrigt.

Hieronymus

Septuaginta

nec vendere poteris pecunia nec opprimere per potentiam quia humiliasti eam

καὶ πράσει οὐ πραθήσεται ἀργυρίου, οὐκ ἀθετήσεις αὐτήν, διότι ἐταπείνωσας αὐτήν.

und du sollst sie nicht für Geld verkaufen, noch mit Gewalt unterdrücken, denn du hast sie erniedrigt.

und sie soll nicht durch Verkauf für Silber verkauft werden, noch sollst du sie verwerfen, da du sie erniedrigt hast.

Dagegen gehen sowohl Hieronymus als auch die Septuaginta in Dtn 24,7 anders mit dem Problem um:

727 So auch M. DAVID (Hit‘amer, 219–221). Er begründet dies damit, dass das Verb etymologisch mit 4)- (Garbe) zusammenhängt. Zum anderen weist er auf die Rezeption in TO hin. 728 GESENIUS, Wörterbuch, 985. Als Reaktion auf den Beitrag DAVIDS führt A. ALT (Hit‘ammêr, 153–159) einen etymologischen Vergleich zur ugaritischen Wurzel ġmr durch und kommt zu dem Schluss, dass das hebräische Verb „das Verhalten und Handeln eines Menschen bezeichnet, der die uneingeschränkte Verfügungsgewalt in Bezug auf einen in seine Hände geratenen anderen Menschen für sich in Anspruch nimmt.“ (159) Diese Definition umfasst beide o.g. Bedeutungen „Handel treiben“ im Sinnen von Menschenhandel und „als Sklaven behandeln“.

194

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Dtn 24,7 MT !)60++6!2)!–!# 4#)–4)-7%46!!+)

Wenn einer ertappt wird als einer, der seinen Bruder aus den Söhnen Israels entführt hat und ihn versklavt hat und ihn verkauft, ...

Hieronymus

Septuaginta

si deprehensus fuerit homo sollicitans fratrem suum de filiis Israhel et vendito eo acceperit pretium

Ἐὰν δὲ ἁλῷ ἄνθρωπος κλέπτων ψυχὴν τῶν ἀδελφῶν αὐτοῦ τῶν υἱῶν Ισραηλ καὶ καταδυναστεύσας αὐτὸν ἀποδῶται

Wenn ein Mensch gefasst wird, der seinen Bruder aus den Söhnen Israels verführt und ihn verkauft und dafür Geld nimmt, …

Wenn aber ein Mensch ergriffen wird, der jemanden von seinen Brüder, aus den Söhnen Israels entführt und ihm Gewalt antut und verkauft, …

Der Überblick zeigt: sowohl Septuaginta als auch Hieronymus geben das hebräische 4)- (hi.) in den beiden Versen mit unterschiedlichen Begriffen aus verschiedenen Bedeutungsfeldern wieder. Dabei entsprechen sich die Bedeutungen in 21,14 IH (opprimere per potentiam) und 24,7 Septuaginta (καταδυναστεύω). Die Lesart der Septuaginta in 21,14 (ἀθετήσεις) lässt sich am besten als Anpassung an den Kontext interpretieren.729 Daran orientiert sich auch der altlateinische Text im Cod.Lugd. (spernere – „verachten“). Da keine hexaplarischen Übersetzungen überliefert sind, kann nur gemutmaßt werden, dass sich Hieronymus in 21,14 einer revidierenden griechischen Übersetzung angeschlossen hat, die auch dort καταδυναστεύω o.ä. liest. Unwahrscheinlich ist dies m.E. nicht. Diese Bedeutung („Gewalt antun, als Sklaven behandeln“) für das hebräische 4)- (hi.) ist auch in rabbinischen Texten weitreichend belegt. SifDev 214 erklärt, das Verb bedeute: „Dass du dich ihrer nicht bedienst“ ( 6)767 %), was vermutlich sexuell konnotiert ist. Zu Dtn 24,7 nennt der Midrasch zwei mögliche Bedeutungen für das offenbar umstrittene hebräische Wort. Entweder es heißt lediglich „in seine Gewalt bringen“ (764% +,+#!6 - !! +!6 !))730 – oder, nach R. Jehuda, „in seine Gewalt bringen und sich seiner bedienen.“731 Der Unterschied zur Position R. Jehudas besteht darin, dass ein anderer Straftatbestand vorliegt: Das Opfer wurde nicht nur entführt, sondern zu Sklavendienst gezwungen. Die Mischna mSanh 10,1 referiert dieselben Interpretationsmöglichkeiten wie SifDev. In der zugehörigen Gemara bSanh 85b wird ausgehend von der o.g. Position R. Jehudas diskutiert, welche Arbeiten als 4)!- gewertet werden, d.h. als Dienst, den die geraubte Person unter Zwang für den Räuber getan hat. Das hebräische Verb 4)- (hi.) wird in den genannten rabbinischen Schriften, bei Hieronymus (Dtn 21,14) und in der Septuaginta (Dtn 24,7) im Sinne von „jemanden in seine Gewalt bringen“ verstanden. Hieronymus ist an dieser Stelle vermutlich von nicht überlieferten hexaplarischen Zeugnissen oder einer anderen Septuaginta-Version beeinflusst bzw. entscheidet nach dem Kontext. Neben dieser Bedeutung findet sich ein Interpretationsstrang, der sowohl in den Targumim als auch bei Hieronymus (Dtn 24,7) belegt ist. TO, CN, TPsJ sowie TFragV drücken in Dtn 21,14 und 24,7 das hebräische 4)- (hi.) jeweils durch 729 So WEVERS, Notes on Deuteronomy, 341; MCCARTHY, Commentary, 110*f. 730 SifDev 273. 731 6)76!764%+,+#!6-.

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

195

das aramäische Verb 47 („Handel treiben“) aus. Auch Hieronymus übersetzt es mit vendere und weicht von der Septuaginta ab, an der sich auch hier altlateinische Versionen orientieren.732 Gerade das unterschiedliche Vorgehen des Kirchenvaters an den beiden betrachteten Stellen lässt vermuten, dass er in Dtn 24,5 von der Philologie der rabbinischen Texte beeinflusst ist. Dtn 23,1(2) Die Verse Dtn 23,2–9(1–8) zählen auf, welche Personen nicht in die Gemeinde (%3) JHWHs aufgenommen werden sollen. An erster Stelle werden Männer mit verletzten Geschlechtsorganen genannt: MT Dtn 23,2

Hieronymus Dtn 23,1

Septuaginta Dtn 23,2

74## -20! % !%3#06

non intrabit eunuchus adtritis vel amputatis testiculis et absciso veretro ecclesiam Domini

Οὐκ εἰσελεύσεται θλαδίας καὶ ἀποκεκομμένος εἰς ἐκκλησίαν κυρίου.

Ein durch Quetschung Verletzter und ein am Geschlechtsteil Verschnittener soll nicht in die Versammlung JHWHs hineinkommen.

Ein Eunuch mit zerquetschten oder abgetrennten Hoden und einem abgeschnittenen Penis soll nicht in die Gemeinde des Herrn hineingehen.

Ein Quetschling und ein Abgeschnittener sollen nicht in die Gemeinde des Herrn hineingehen.

Hieronymus nimmt im Vergleich zu seinen griechischen und lateinischen Vorlagen folgende Veränderungen vor, die z.T. Angleichungen an den hebräischen Text darstellen, z.T. Parallelen zu Targumim haben: Die beschriebene Person wird zunächst (1) zusätzlich zusammenfassend als eunuchus bezeichnet. Dies entspricht TPsJ, der ebenfalls zuerst einen weiter gefassten Begriff verwendet:733 !3!,0,4,) !#!% (Nicht berechtigt ist, wer kastriert ist und wer verschnitten ist am Glied.) Parallel zur Septuaginta übersetzt Hieronymus (2) eines der Worte der Kombination #-20 mit adtritis (LXX: θλαδίας)734. Er nennt (3) als Wiedergabe des hebräischen -20, die amputatio als weitere mögliche Verletzung (Parallelen hierzu s.u.). Außerdem fügt er (4) ein, dass sich die Quetschung auf die testiculi bezieht. Dies entspricht seiner Übersetzung von Lev 22,24: Der Text spricht von Regelungen bezüglich verletzter Opfertiere. Auch hier ergänzt Hieronymus, dass es sich um Verletzungen der Hoden (testiculi) handelt:

732 Zum Beispiel durch die Wiedergabe mit opprimere bei Augustin in loc. hept. V 56 [ed. FRAIPOINT, CChr.SL 33, 450,214]. 733 Vgl. auch Septuaginta Hss 106 (superscr.!), 458 und 669 (super lin.): ευνουχος statt θλασδιας. 734 Die Vielfalt an abweichenden Textüberlieferungen spricht dafür, dass es sich um ein später ungebräuchliches Wort handelt (z.B.: θλασδιας, λαδιας, θαδιας, ολαδιας, ελαδιας), Vgl. WEVERS, Deuteronomium, 258. Die VL orientiert sich in Inhalt und Umfang an Septuaginta: Cod. Lugd.: Addiae et archigallus; Cod. Mon.: spado abscisus (abgeschnittener Kastrat).

196

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Lev 22,24 MT

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstext

37+77#"-) !437%74# !%

omne animal quod vel contritis vel tunsis vel sectis ablatisque testiculis est non offeretis Domino

θλαδίαν καὶ ἐκτεθλιμμένον καὶ ἐκτομίαν καὶ ἀπεσπασμένον οὐ προσάξεις αὐτὰ τῷ κυρίῳ735

Und [sc. ein Tier,] das zerquetscht oder zerstoßen oder ausgerissen oder abgeschnitten ist, dürft ihr dem HERRN nicht darbringen.

Jedes Tier, das mit zerquetschten oder abgeschnittenen oder abgetrennten oder entfernten Hoden ist, sollt ihr dem Herrn nicht darbringen.

Ein Gequetschtes, ein Herausgequetschtes, ein Abgeschnittenes oder ein Abgerissenes sollst du dem Herrn nicht darbringen.

TPsJ: !0*6!7#"!-) !!,4,)7!6 !!!)6%*437% (Ein [sc. Tier, das] gequetscht und zerdrückt ist an seinen Hoden und [ein Tier,] das verstümmelt und kastriert ist an seinem Penis, sollt ihr nicht darbringen dem Namen YYYs.)

Der mit in der Tabelle aufgeführte Targum Pseudojonathan nennt, genau wie Hieronymus, die im MT und in der Septuaginta wohl aus Dezenzgründen verschwiegenen Geschlechtsteile. Dass diese Frage in der rabbinischen Diskussion virulent ist, zeigt der Midrasch Sifra zu Lev 22,24a:736 77# "-) 4) !%!% ,! !4 ! !4 !4 '!2! '%# 74# 37+ 77# "-) !74#37+'!2 „Und zerquetscht oder zerstoßen oder ausgerissen oder abgeschnitten“ – All das bezieht sich auf die Hoden, Worte R. Jehudas. Rabbi Jose der Galiläer sagt: „Zerquetscht oder zerstoßen“ – bezüglich der Hoden, „ausgerissen oder abgeschnitten“ – bezüglich des Gliedes.

Die zuletzt genannte Auslegung von R. Jose, der die ersten beiden Adjektive auf die Hoden bezieht, entspricht dabei dem, was auch TPsJ überliefert ist. Die Position R. Jehudas ordnet alle Attribute den Hoden zu, wie es sich ebenfalls bei Hieronymus findet. Gemeinsam ist den Auslegungen, dass sie die Aussage durch die explizite Nennung der Organe präzisieren. Nicht nur für die eben betrachtete Parallelstelle Lev 22,24, sondern auch für den eingangs behandelten Vers Dtn 23,1(2) gibt es rabbinische Parallelen, die, wie Hieronymus, die Quetschung auf die Hoden beziehen. So erklärt der Midrasch SifDev 247:  ')7%!0%6'!2 -20+6%##-20!–#-20!% „Nicht soll hineingehen, wer verletzt ist durch Quetschen.“ Was ist „verletzt durch Quetschen“? Jeder, dessen Hoden zerquetscht sind, auch wenn es nur einer von ihnen ist.737

Für die mit als (4) gezählte Abweichung bei Hieronymus, die Einfügung von testiculi, hat die Suche nach Parallelen gezeigt, dass es zahlreiche rabbinische Texte gibt, die dieselbe Auslegung referieren, bzw. bezeugen, dass ein Diskurs darüber stattfand, welche der in Dtn 23,1(2) genannten Verletzungen sich auf welche Körperteile beziehen. 735 Zu Lev 22,24 sind in den hexaplarischen Varianten keine Parallelen zu IH erkennbar. Aquila gibt die beiden hebräischen Worte als Genitivkonstruktion wieder: ἐπιτριμμοῦ. 736 Sifra Emor Pereq 7,9, ed. FINKELSTEIN. 737 Vgl. ebenso mYeb 8,1 = bYeb 70a.

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

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Die bisher noch nicht weiter untersuchte Abweichung (3) bei Hieronymus besteht darin, dass auch bezüglich der Hoden die Verletzungsart des Abtrennens erwähnt ist (amputatis). Dem entspricht in der rabbinischen Tradition bYeb 75b: Als einziger der genannten Ausleger bezieht Rabba das in Dtn 23,2 benannte Quetschen und Schneiden jeweils auf alle (männlichen) Geschlechtsorgane.738 Da die Tradition in anderen rabbinischen Texten nicht belegt ist, gehe ich davon aus, dass es sich um eine zufällige bzw. sich aus dem Kontext ergebende Übereinstimmung handelt. Im Weiteren orientiert sich IH am hebräischen Text, nicht an der Septuaginta, die den Begriff #06 nicht übersetzt. Betrachtet man die Rezeption des Verses in der rabbinischen Literatur weiter, so fällt auf, dass Hieronymus anscheinend von einem wichtigen Aspekt keine Notiz nimmt, bzw. diesen nicht in seine Übersetzung übernimmt. In der mischnaischen und talmudischen Tradition, aber auch bereits bei Josephus (z.B. Ant 4,8,40) wird die Ursache der Versehrtheit der Geschlechtsorgane ausführlich thematisiert. Dabei etabliert sich die Differenzierung anhand der Ursache der Zeugungsunfähigkeit: ' ,!4, bezeichnet eine durch menschlichen Eingriff erfolgte Kastration. Dem gegenüber stehen Fälle von Zeugungsunfähigkeit, die aufgrund von Unfall, Krankheit oder von Geburt an besteht: '!)6!!#-20 („von den Händen des Himmels zerquetscht“) bzw. ),!4, („Sonneneunuch“).739 Die Gesamtkonstellation zu diesem Vers ist paradigmatisch für die Übersetzung des Hieronymus: Es finden sich Elemente, die in Targumim direkte Parallelen haben, und zwar sowohl inhaltlich als auch technisch. In diesem Fall ist das Substantiv eunuchus bei Hieronymus und in TPsJ hinzugefügt. Daneben gibt es Berührungspunkte mit rabbinischen Diskussionen (testiculi). Beides lässt sich am besten durch mündlich überlieferte Hinweise erklären, die Hieronymus von hebräischkundigen, jüdischen Informanten erhalten haben mag. Außerdem zeigt der Blick auf die sonstige Rezeption des Bibelverses in der rabbinischen Literatur, dass Hieronymus im halakhischen Bereich eher über geringe Kenntnisse verfügt – zumindest im Vergleich zu den Texten, die uns überliefert sind. Im Vergleich mit der Septuaginta und den auf ihr basierenden altlateinischen Versionen wird auch an dieser Stelle deutlich, dass Hieronymus sich von seinen Vorbildern löst, und versucht, der veritas hebraica zu folgen.

738  *! '!2! -20+6 *! ! -20+6 *! *%# -20 *%# 74# *%# " *%# -20 4 4) >*%#@74#'!2!! #!+6*!'!2!#!+6*!!"!+6*!*%#"'!2!! -20+6 '!2!! 74#+6*!'!2!74#+6*!!74#+6*! (Es sprach Rabba: Verletzt an allen [Teilen], gequetscht an allen, geschnitten an allen; verletzt an allen [Teilen], sei es, dass das Glied verletzt ist, sei es, dass die Hoden verletzt sind, sei es, dass der Samenleiter verletzt ist; gequetscht an allen Teilen, sei es, dass das Glied gequetscht ist, sei es, dass die Hoden gequetscht sind, sei es, dass der Samenleiter gequetscht ist; geschnitten an allen Teilen, sei es, dass das Glied geschnitten ist, sei es, dass sie Hoden geschnitten sind, sei es, dass die Samenschnur geschnitten ist.). 739 Vgl. mYeb 8,4; mNid 5,9; bYeb 75a–76b; bYeb 80b (Bar); yYeb 9d, 20f; tYeb 10,6.

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C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Dtn 24,15 Der Vers Dtn 24,15a ist ein sehr sprechendes Beispiel, wie Hieronymus seine griechische und lateinische Vorlage anhand des Hebräischen verbessert. Schwierig für das Verständnis des Texts war für die antiken Ausleger die seltene hebräische Wendung 60+76+. Sie wird heute meist verstanden als „sein Begehren richten auf …“.740 Im Kontext des Verses geht es um die Frage, ob Tagelöhnern der Lohn sofort auszuzahlen ist, oder ob ein Aufschub möglich ist. MT

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstext

%4#6*77)! !#6)6!%-7 6+!% !+60+–7

sed eadem die reddes ei pretium laboris sui ante solis occasum quia pauper est et ex eo sustentat animam suam

αὐθημερὸν ἀποδώσεις τὸν μισθὸν αὐτοῦ, οὐκ ἐπιδύσεται ὁ ἥλιος ἐπ᾽ αὐτῷ, ὅτι πένης ἐστὶν καὶ ἐν αὐτῷ ἔχει τὴν ἐλπίδα

Gib [ihm] seinen Lohn an seinem [sc. am selben] Tag, und die Sonne soll darüber nicht untergehen, denn er ist arm und er begehrt danach.

Aber am selben Tag gibt ihm den Lohn für seine Arbeit vor Sonnenuntergang, denn er ist arm und seine Existenz gründet darauf.

Gib ihm am selben Tag seinen Lohn zurück; die Sonne soll darüber nicht untergehen, da er arm ist und darauf seine Hoffnung [gesetzt] hat.

TPsJ: !7% ) 7!)!!3%4, !60+ (und seinetwegen erwartet er, sein Leben zu erhalten.)

Hexaplarische Parallelen sind zu der fraglichen Formulierung nicht überliefert, wohl aber zu anderen Lemmata im selben Vers. Das lässt darauf schließen, dass die Lesarten der recentiores nicht wesentlich von der Septuaginta abwichen, und daher nicht überliefert wurden. Eine weitere lateinische Version, die auf der Septuaginta beruht, bietet Hieronymus selbst im Haggai-Kommentar: et in ipso habet spem.741 Sie entspricht neben der Septuaginta, die 60+ mit „Hoffnung“ wiedergibt, auch dem Onkelostargum. Die Übersetzung von Hieronymus IH liegt inhaltlich nahe bei der Wiedergabe im Targum Pseudo Jonathan (s.o.). Beide Übersetzungen sprechen davon, dass die die sofortige Bezahlung die Existenzgrundlage des bildet. Die besondere Nähe zum hebräischen Text zeigt sich bei Hieronymus deutlich daran, dass er das hebräische 60+ mit einer lateinischen Wendung wiedergibt, die das Substantiv anima enthält. Eine weitere Interpretationsmöglichkeit bieten die Targumim CN, TFragVNL und CG (D): „Er hat dir sein Leben anvertraut“. Auch hier ist, wie bei Hieronymus und TPsJ das hebräische 60+ mit „Leben“ übersetzt. Der Midrasch Sifre Devarim erwähnt beide Deutungsmöglichkeiten nebeneinander. Die erste Kommentierung der Wendung 60+76+ lautet (SifDev 279): „und warum ging er dann auf eine Leiter und hat dir seine Seele übergeben?“742 Die Erwähnung der Leiter nimmt Bezug auf SifDev 278 zu Dtn 24,14. Bereits dort wird diskutiert, 740 GESENIUS, Wörterbuch, 850; KÖHLER/BAUMGARTNER, Lexikon, 685; WEVERS, Notes on Deuteronomy, 385. 741 In Agg. ad 1,16 [ed. ADRIAEN, CChr.SL 76A, 721,288]. 742 60+7"%4,)6#%-)%!#. ÜS nach BIETENHARD, Sifre, 637.

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

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dass der Dienst des Tagelöhners lebensgefährliche Situationen einschließen kann, wie das Erklimmen einer Leiter bei der Ernte. Dann folgt eine weitere Auslegung derselben hebräischen Worte, die der bei Hieronymus entspricht: „das lehrt, dass die Schrift es jedem, welcher dem Lohnarbeiter den Lohn zurückhält, so anrechnet, als wenn er seine Seele genommen hätte.“743 So schwer wie ein Tötungsdelikt wiegt also, laut Sifre, das Zurückhalten des Lohnes gegenüber Tagelöhnern. Dahinter steht dasselbe Verständnis der hebräischen Wendung, die sich auch bei Hieronymus und TPsJ findet. Zwei Aspekte der Übersetzungspraxis des Kirchenvaters werden hier deutlich: Sein Interesse an der hebräischen Philologie – das zeigt die Verwendung des Begriffs anima, welches in der Septuaginta fehlt. Weiterhin lassen sich wieder Parallelen in rabbinischen Texten finden, welche Auslegungstraditionen repräsentieren, die Hieronymus von seinen Informanten erhalten haben könnte. Dtn 26,5 Der Vers Dtn 26,5, das sog. „kleine geschichtliche Credo“, enthält in seinem ersten Teil einen Konsonantentext, den Hieronymus gegen seine griechischen Vorlagen parallel zu rabbinischen Traditionen interpretiert. Der masoretische Konsonantentext lautet: !  !)4. Einen Überblick über alle erwähnten Texte bietet die Tabellen auf den Seiten 204f. Heute wird der Text meist verstanden als: „Mein Vater war ein umherirrender Aramäer.“744 Dabei wird  als Partizip Qal interpretiert, das attributiv in einem Nominalsatz steht. Die Bedeutung des Verbs entspricht dabei anderen Bibelstellen, an denen es mit „verlaufen“ (Ps 119,176; Jer 50,6), „verloren gehen“ ( Jes 27,13), „zugrunde gehen“ (Ps 102,27) o.ä. übersetzt und intransitiv verwendet wird. Diese Interpretation ist jedoch erstmals explizit im 12. Jhd. bei Abraham Ibn Ezra nachweisbar.745 In seinem Tora-Kommentar erläutert er zu Dtn 26,5, das Verb  gehöre zu den Verben, die kein Objekt haben ('!2!'+!6'!%-0)), also intransitiv sind.746 Er grenzt sich damit von der tradierten Auslegungspraxis ab, die  in Dtn 25,6 als transitives Verb auffasst. Diese findet sich bereits in der Masora und in den Targumim. Die masoretische Punktierung trennt die Worte !)4 und  durch den Ak‹ und zieht das Verb durch einen mûna‫ ) Ž’|( ۊ‬zu !. Dadurch zent paš‫ܒ‬â (s!V 4 ), wird angezeigt, dass ! das Objekt und !)4 das Subjekt des Satzes ist, was wiederum impliziert, dass es sich bei  um ein transitives Verb handelt. Diese Interpretation der Syntax des Verses liegt den Übersetzungen der Targumim zugrunde. Wie der folgende tabellarische Überblick zeigt, geben diese das hebräische Verb in Bedeutung „töten“/„vernichten“ (aram. % 3 ) wieder. 743 60+76+%!#7#!%-%-)4!#64#66#%#6)%)%. 744 Vgl. zeitgenössische Bibelübersetzungen aus dem deutschen (Luther 1984, Einheitsübersetzung, Rev. Elberfelder Übersetzung) und englischen Sprachraum (NKJV, NIV). 745 Mit HEDNER ZETTERHOLM (Portrait, 70f.) sehe ich den Ursprung der intransitiven Übersetzungsvariante nicht erst bei Ibn Esra, sondern bereits in Sifre und TPsJ angelegt, wenn auch nicht konsequent ausgeführt (s.u.). 746 ABRAHAM IBN EZRA, Perushey ha-Torah, Hg. A. WEISER, Jerusalem 1976, Bd. 3, 289. Vgl. hierzu und zum Folgenden: DREYFUS, L’Araméen, 147–161 und HEDNER ZETTERHOLM, Portrait of a Villain, 47–88.

200

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

TO

‘ 7‘!  ‘ F ‘ % ‰ .‘  ‰ ‘ )‘ 4 * ‹ ‘ %‘

Laban, der Aramäer, versuchte meinen Vater zu vernichten.

CN

*+%)%4,!!)4*% *)!7!7!6!4!6*)3-! !!

Laban, der Aramäer, plante unseren Vater Jakob zu vernichten von Anfang (an), und du rettetest ihn aus seinen Händen.

*)3-!*+%0!!)4*%'-

Bei Laban, dem Aramäer, diente unser Vater Jakob von Anfang an, und Laban, der Aramäer, plante ihn zu töten, aber er floh.

CNmg % 3)%!!)4*%-!!4!6 "4-!7!

TPsJ

*)3-!*+7+!4+'4% !!6!7%-!4!6 !!*)!!!4)!)

Nach Aram-Naharaim ging unser Vater Jakob anfangs hinab, und er [sc. Laban] suchte danach, ihn zu vernichten; und es rettete ihn der Memra Adonajs aus seiner Hand.

Eine mögliche Erklärung dafür, dass die Targumim das hebräische  als transitives Verb in der Bedeutung „töten“/ „vernichten“ wiedergeben, wäre, dass sie statt der masoretischen Vokalisierung ’Ž  das Verb als Perfekt Pi‘el lesen (= ).  In dieser Stammesmodifikation ist auch im biblischen Hebräisch die Bedeutung „vernichten“ belegt (Dtn 12,2; 2Kö 11,1 u.v.m.). Eine andere grammatische Lösung, bei der davon ausgegangen wird, dass die Targumim mit der masoretischen Vokalisierung übereinstimmen, besteht darin, die Vokalisierung ’Ž  nicht als Partizip Qal, sondern als transitive Form eines Po‘el-Stammes zu interpretieren.747 Diese Form ist beim starken Verbum selten und hat konativen Charakter (vgl. Hi 9,15; Ps 101,5; 1 Sam 18,9; 21,3).748 Im Falle von Dtn 25,6 ergibt sich so für  die Bedeutung „versuchen zu vernichten“. Dies wiederum deckt sich mit zwei weiteren Übereinstimmungen in den Übersetzungen der Targumim.749 Sie ergänzen das Verb  % 3 durch ein weiteres, welches ein Vorhaben, Versuchen bzw. Planen zum Ausdruck bringt. Die Targumim TO, TPsJ und CNmg formulieren dies mit dem aramäischen Verb - („versuchen“), CN mit 4, („planen“). Zum anderen verknüpfen die Targumim den Inhalt von Dtn 26,5 intertextuell mit der Erzählung der Flucht Jakobs vor seinem Schwiegervater Laban (Gen 31). Mit ! wird in dieser Auslegung der Stammvater Jakob identifiziert, der aus Furcht vor seinem Bruder Esau ins Zweistromland flieht. Seinen dort ansässigen Onkel und späteren Schwiegervater Laban bezeichnet in Dtn 26,5 das Nomen !)4. Für die Verbindung der beiden Texte miteinander ist wiederum von Bedeutung, dass das Verb konativ interpretiert wird. Im Handlungsverlauf der Erzählung im Buch Genesis vernichtet Laban den fliehenden Jakob nämlich nicht. Dieser 747 So DREYFUS, Actualisation, 151; BEEK, Problem, 199; PRIJS, Traditionen, 22, jeweils mit Verweis auf GESENIUS-KAUTZSCH, Grammatik, 28.Aufl., 159f. 748 JOÜON erwähnt eine konative Bedeutung des Po‘el nicht, sondern spricht lediglich von einer „nuance d’intensité“. JOÜON, Grammaire, 127f. 749 Diese Tradition hat ebenfalls Eingang in die Pessach-Haggadah gefunden: _]Ž = *‘ %‘ ‰ '!4 #‘ ‰I  %.  R‘   4  ‘ ’% ’-4‰ Z _  E+!  ‘ ’3.! ‹ % ‰ 7F`.‹ %  !) 4 ‹  ‘ *‘ % ‘ 6]Ž =  )  ) %E ‰ 2Ž  P7  4F3  .‹ % .4) Š W_%’ (Geh hin und lerne, was Laban, der Aramäer, unserem Vater Jakob anzutun versuchte: Dass nämlich der Pharao seinen Beschluss nur über die männlichen [Nachkommen] fasste, Laban aber versuchte, alles auszurotten, wie es [in der Schrift] heißt: … [es folgt Dtn 26,5]) (GOLDSCHMIDT, Pessach-Haggadah, 47).

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

201

entgeht dem Zorn seines Schwiegervaters, der ihm nach dem Leben trachtet, durch göttliche Intervention (Gen 31,23ff.). Auch der Midrasch SifDev 301 bezeugt die intertextuelle Lesart von Gen 31 und Dtn 25,6. Hier jedoch wird  nicht konativ verstanden, sondern erklärt, warum Dtn 25,6 davon sprechen kann, dass Laban Jakob vernichtet habe, auch wenn dies der Erzählung in Gen 31 entgegenläuft:750 %7+)%-%'4%3-!+!4!%6)%)!!)4"!%!!!!+0%74) !%#!)4*%%%-) „und sprich vor YYY, deinem Gott: ,!!)4.‘ Das lehrt, dass unser Vater Jakob nur nach Aram zog, um zu verschwinden, und er [sc. Gott] rechnet es Laban, dem Aramäer, an, als hätte er ihn vernichtet.

Durch die Erläuterung, dass Gott Laban diesen Versuch „anrechnet“, erklärt der Midrasch die Auslegung, die auch in den Targumim bezeugt ist: Dass Dtn 26,5 vom Vernichten Jakobs durch Laban spricht, obwohl in der zugehörigen Erzählung Gen 31 nur von einer Verfolgung die Rede ist. In SifDev 301 findet sich jedoch noch eine weitere grammatikalische Interpretation des hebräischen Texts. Diese stellt einen Vorläufer der Deutung dar, die sich mit Ibn Esra durchgesetzt hat. Sie liest das Verb  statt als konativen Po‘el mit transitiver Konstruktion, als Partizip Qal mit intransitiver Bedeutung. In Sifre wird dies als „Verschwinden“ Jakobs interpretiert. !)4 wird in der Folge und in Übereinstimmung mit Gen 31 als „nach Aram“ verstanden, was dem Text von 26,5 nicht entspricht. Sifre bietet also auf kurzem Raum eine doppelte Auslegung des Verses, geeint durch die Verknüpfung mit der Jakoberzählung in Gen 31. Der Midrasch interpretiert  sowohl als Partizip Qal im Sinne von „verschwinden“ als auch als Po‘el im Sinne von „vernichten suchen“. Auch im Targum PseudoJonathan finden sich Spuren dieser beiden Interpretationen. Der Auslegung, die auch die übrigen Targumim bezeugen, stellt er den Satz „Nach Aram-Naharaim ging unser Vater Jakob hinab“ voran. Die Adverbiale '4% entspricht exakt der Interpretation von !)4, die Sifre als erste Auslegung bietet. Anstelle des „Verschwindens“ im Midrasch steht das objektivere 4!, welches in größerer Nähe zu Gen 31 steht. Bei Hieronymus finden sich zahlreiche Elemente der Interpretation der genannten rabbinischen Texte wieder. Er formuliert in seiner Übersetzung IH: Syrus persequebatur patrem meum (Der Syrer verfolgte meinen Vater.). In folgenden Punkten entspricht Hieronymus der Tradition, die sich in den Targumim, im Midrasch und in der Masora findet: (1)  wird transitiv aufgefasst (persequi). (2) ! ist, obwohl nicht durch eine nota accusativi gekennzeichnet, das Objekt des Satzes (patrem meum). (3) Folglich ist !)4, wie in TO und CN, auch in IH das Subjekt und wird als Einzelperson (Syrus) verstanden. Dies bildet einen Gegensatz zu den griechischen Übersetzungen (s.u.). 750 Dies findet sich auch bei Raschi (z.St.): 6-%!#'3)%676-%66%!63-!4/46#%#743-%63*% (Laban wollte alles von der Wurzel vernichten, als er Jakob verfolgte; die böswillige Absicht hat ihm Gott zur Tat angerechnet.) Hebräischer Text nach: Mikraot Gedolot. Hamishah humshe Torah im Targum Onkelos, Bd. 5 Sefer Devarim, Wilna 1912, 298.

202

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Neben diesen Parallelen auf semantischer und syntaktischer Ebene bringt auch Hieronymus den Vers Dtn 25,6 mit Gen 31 in Verbindung. Die im Hintergrund stehende Erzählung hat Einfluss auf die Übertragung des Verbs. Wie schon erwähnt, vernichtet Laban ( pi.) Jakob in Gen 31 nämlich nicht, sondern verfolgt ihn lediglich (Gen 31,23), bzw. versucht ihn zu vernichten ( po.), wie es die Targumim ausdrücken. Hieronymus verwendet dasselbe Verb wie an der entsprechenden Stelle in Gen 31,23: persecutus est – Dtn 26,5: persequebatur, obwohl  in der Bedeutung „verfolgen“ sonst nirgends vorkommt. Noch auffälliger werden die Gemeinsamkeiten von IH mit den o.g. jüdischen Quellen, wenn man sie der Septuaginta und den hexaplarischen recentiores gegenüberstellt. Wie anhand der Tabelle (s.u.) zu erkennen ist, bevorzugen die griechischsprachigen Texte eine andere Interpretation als die hebräisch und aramäisch überlieferten rabbinischen. Die Septuaginta in der Lesart des Vaticanus versteht ! als Subjekt und  als transitives Verb: „Syrien verwarf mein Vater.“751 Das erste Wort des Satzes (!)4) wird als Objekt aufgefasst und mit Συρίαν (Syrien) wiedergegeben. Ob in der zugrundeliegenden hebräischen Vorlage '4 statt !)4 zu finden war, oder der Personenname erst im Übersetzungsprozess in einen Ländernamen verändert wurde, kann nicht geklärt werden.752 PRIJS vermutet, dass die Septuaginta inhaltlich darauf anspielt, Jakob habe die nichtjüdische religiöse Praxis seines Schwiegervaters Laban „verworfen“.753 Auch der Ursprung der Version des A-Texts der Septuaginta mit dem Verb ἀπέλαβεν („Syrien nahm mein Vater weg“) ist nicht mit Sicherheit zu klären. Eventuell besteht eine Nähe zu 1QapGen (=1Q20): Dort wird berichtet, Aram, der zweite Sohn Sems, 754 habe das Zweistromland zum Erbteil erhalten.755 Problematisch daran ist jedoch, warum die Israeliten in Dtn 25,6 Aram als „meinen Vater“ bezeichnen – nach Gen 11,10 ist nicht Aram der Urahn Israels, sondern sein Bruder Arpachschad, der nach 1QapGen 17 nicht Syrien, sondern das Euphratdelta erbt. Die hexaplarischen recentiores sind nur lückenhaft überliefert. Dass jedoch Symmachus und Aquila Interpretationen bezeugten, die der hebräischsprachigen Tradition näher sind als der Septuaginta, halte ich aus folgenden Gründen für unwahrscheinlich: Neben dem Verb hätte nämlich gegenüber der Septuaginta sowohl der Kasus von ὁ πατήρ μου verändert werden als auch bei Συρίαν ein Wortund Kasuswechsel stattfinden müssen. Dass diese Eingriffe in den hexaplarischen Marginalglossen bei der Überlieferung übergangen wurden, wenn gleichzeitig die Präzisierung in der Bedeutung des Verbs tradiert wurde, ist m.E. höchst untypisch und daher unwahrscheinlich. Die in der Handschrift 321 überlieferte Aquila-Lesart Μεσοποταμίτην ἀπώλεσεν … bemüht sich wohl um eine Korrektur der geographischen Bezeichnung aus der Septuaginta hin zu einem Personennamen nach Vorbild des MT. Möglicherweise hat hier Gen 14 Pate gestanden, die Erzählung vom Sieg Abrahams über die Könige aus dem Nordosten. Mit der Septuaginta 751 752 753 754 755

Ebenso bezeugt auch die Vetus Latina: Syriam abiecit pater meus (Cod. Lugd.). Vgl. DREYFUS, Actualisation, 158 Anm. 25; PRIJS, Traditionen, 22f. So PRIJS, Traditionen, 22. So nach 1QapGen 17, 7ff. In Gen 10,22 wird Aram als letzter von fünf Söhnen genannt. Vgl. 1QapGen 17,7–9: !4+*!47*!!-4'4%%0+!+*!3%>@%0'6. (Sem verteilte den Erbbesitz unter seinen Söhnen und es fiel (…) an Aram das Land, welches zwischen den beiden Strömen ist.).

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

203

stimmt aber auch diese Aquila-Lesart darin überein, dass sie !)4 als Objekt des Satzes deutet. Hieronymus grenzt sich hier unter dem Einfluss zeitgenössischer jüdischer Exegese sowohl von der Septuaginta als auch von den hexaplarischen Traditionen ab. Wie anderenorts (vgl. Dtn 16,5 u.a.) besteht die Parallele zwischen Hieronymus und der rabbinischen Tradition nicht nur im philologischen Verständnis des MT, sondern auch in der Weise, wie der Vers in einen innerbiblischen Auslegungszusammenhang gestellt wird. Da sich keine Hinweise finden lassen, dass Hieronymus diese Kenntnisse aus der christlichen Literatur vor ihm entnommen hat, dürfen wir annehmen, dass er sie auf mündlichem Wege von jüdischen Zeitgenossen übernommen hat. Auch in diesem Falle benutzt er dieses Wissen als Kriterium für die ihm vorliegenden griechischen Bibelübersetzungen. Außerdem lässt sich vermuten, dass er aufgrund seiner Kenntnisse der hebräischen Sprache skeptisch gegenüber der Septuaginta wird, wenn sie sich zu weit vom MT entfernt, und aus diesem Grund weitere Quellen mit dem Ziel einer Korrektur zu Rate zieht.

‫ארמי אבד אבי‬

… ἀπώλλυτο …

Μεσοποταμίτην ἀπώλεσεν …

α‘ 344

α‘ 321

TO

‫אוֹב ָדא יָת ַא ָבא‬ ָ ‫ָל ָבן ֲא ַר ָמ ָאה ְב ָ א ְל‬

‫מּי א ֵֹב֣ד ָא ִ֔בי‬ ֙ ִ ‫ֲא ַר‬

Syrus persequebatur patrem meum

IH

Masora

… ἀπώλλυεν …

σ‘

LXX

… ἀπέλαβεν …

Συρίαν ἀπέβαλεν ὁ πατήρ μου

Text

A

LXXB

Ibn Esra

Version

Subj.

Subj.

Subj.

Ein Aramäer versuchte meinen Vater zu vernichten. Laban, der Aramäer, versuchte meinen Vater zu vernichten.

Obj.

Obj., Land

Prädikativ

‫ארמי‬

Der Syrer verfolgte meinen Vater

… vernichtete …

… vernichtete den Mesopotamier.

… wurde vernichtet (pass.), ging zugrunde (med.)…

Mein Vater nahm Syrien weg.

Mein Vater verwarf Syrien.

Mein Vater ist/war ein wandernder Aramäer. (SW)

Übersetzung

Obj.

Obj.

Obj.

(Subj.)

Subj

Subj.

‫אבי‬

Laban verfolgt Jakob (Gen 31,20ff )

Laban verfolgt Jakob (Gen 31,20ff )

Abraham Gen 14

Bezugstexte

204 C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Nach Aram-Naharaim ging (wanderte) unser Vater Jakob anfangs hinab, und er [sc. Laban] suchte danach, ihn zu vernichten; und es rettete ihn der Memra Adonajs aus seiner Hand, …

‫לארם נהריא נחת אבונן יעקב מן‬ ‫שירויא ובעא לאובדותיה ושיזביה‬ ‫מימרא דייי מן ידוי‬

TPsJ

Vater Jakob nur nach Aram zog um zu verschwinden, und [Gott] rechnet es Laban, dem Aramäer, an, als hätte er ihn vernichtet.

(„und sprich … mein Vater“) – Das lehrt, dass unser

Bei Laban, dem Aramäer, diente unser Vater Jakob von Anfang an, und Laban, der Aramäer, plante ihn zu töten, aber er floh.

‫עם לבן ארמייה פלח אבונן יעקב מן‬ ‫שירוייה ובעה לבן ארמייה למקטול‬ ‫יתיה וערך‬

CNmg

‫ אבי( מלמד שלא ירד אבינו‬... ‫)ואמרת‬ ‫יעקב לארם אלא לאבד ומעלה אל לבן‬ .‫הארמי כאלו איבדו‬

Laban, der Aramäer, plante unseren Vater Jakob zu vernichten von Anfang (an), und du rettetest ihn aus seinen Händen.

‫לבן ארמייה סבר למובדה לאבונן יעקב‬ ‫מן שירויה ושיזבת יתיה מן ידיה‬

CN

SifDev 301

Übersetzung

Text

Version

(Obj.)

(Subj.)

adverbial: Land (Subj.)

(Obj.)

(Subj.)

adverbial: Land (Subj.)

Obj.

Obj

‫אבי‬

Subj.

Subj.

‫ארמי‬

Laban verfolgt Jakob (Gen 31,20ff )

Jakob flieht zu Laban (Gen 28,5ff )

Laban verfolgt Jakob (Gen 31,20ff )

Jakob flieht zu Laban (Gen 28,5ff )

Laban verfolgt Jakob (Gen 31,20ff )

Laban verfolgt Jakob (Gen 31,20ff )

Bezugstexte

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN 205

206

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Dtn 26,14

Der Vers Dtn 26,14 ist Teil eines Bekenntnisses bzw. Gebetes (V.13b–15) welches Zehntgeber im Anschluss an die Entrichtung des Zehnts vor JHWH sprechen sollen. Sie versichern, dass von dem für den Zehnt Bestimmten nichts für andere Zwecke abgezweigt wurde: MT –%+))!+!7%#–% –%)  +))!74- 7)% +))!77+ Ich habe davon während meiner Mühsal nichts gegessen und nichts davon in Unreinheit abgesondert und nichts davon einem Toten gegeben.

Hieronymus

Septuaginta

non comedi ex eis in luctu meo nec separavi ea in qualibet inmunditia nec expendi ex his quicquam in re funebri

καὶ οὐκ ἔφαγον ἐν ὀδύνῃ μου ἀπ’ αὐτῶν, οὐκ ἐκάρπωσα ἀπ᾽ αὐτῶν εἰς ἀκάθαρτον, οὐκ ἔδωκα ἀπ’ αὐτῶν τῷ τεθνηκότι

Ich habe davon nichts während meiner Trauer gegessen, noch habe ich es in irgendeiner Unreinheit abgesondert, noch gab ich davon irgendetwas bei der Begräbnisausstattung aus.

… und ich habe in meinem Schmerz nicht davon gegessen, noch habe ich davon etwas zu einem unreinen Zwecke fruchten lassen, noch habe ich davon dem Toten etwas gegeben.

Vergleichstexte α': ἐπέλεξα ... ἐν μιασμῷ (ausgesondert … in Verunreinigung) Cod.Lugd.: Et non manducavi in dolore meo ab ipsis inmundum non dedi ab ipsis mortuum [Akk.!]). (und ich habe nicht in meinem Schmerz davon etwas Unreines gegessen,756 ich habe davon nichts einem Toten gegeben. CN: !+)*+!640% *+!%,) 7!)60+%-*!#!4#7*4!+!) ( … und wir haben nichts davon abgesondert in Unreinheit, noch haben wir davon ausgegeben für Sarg oder Leichentuch für den Körper des Toten.) 7!)60+!) %*!#!4#7!+!) *+!%,) !+)*+!640% TFragV: ( … und wir haben nichts davon abgesondert in Unreinheit, noch haben wir davon für Leichentücher ausgegeben für den unreinen Körper des Toten.) TPsJ: 7!)60+%*!#!4#7!+!) 7!!%,) !+)*+!640% ( … und ich habe nichts davon abgesondert in Unreinheit, noch haben wir davon für Leichentücher für den Körper des Verstorbenen gegeben.)

Hieronymus’ Übersetzung des hebräischen )  hat Parallelen sowohl in der Hexapla als auch in den Targumim. Möglicherweise liegt der Septuaginta ein anderer Konsonantentext () %) zugrunde. Hieronymus orientiert sich am hebräischen Text, gestützt durch die hexaplarische Überlieferung. Im anderen markierten Fall am Ende des Verses geben die Septuaginta und auch Cod.Lugd. das hebräische 7)% wörtlich wieder. Hieronymus bemüht sich um eine Erklärung des Versteils, der für ihn und offenbar auch für die Targumim schwer verständlich ist. Sowohl Hieronymus als auch CN, TPsJ und TFragV stellen sich Ausgaben für die Ausstattung des Verstorbenen bei seinem Begräbnis vor. Da es zu dieser Vorstellung keinerlei christliche Parallelen gibt, halte ich es an die756 Möglicherweise ist inmundus im Sinne von „als Unreiner“ gemeint.

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

207

ser Stelle für wahrscheinlich, dass Hieronymus Einblick in die jüdische Auslegungstradition seiner Zeit bekommen hat. Hexaplarische Parallelen sind für das Versende nicht überliefert. Sie scheiden m.E. jedoch auch aus, da eine ausdeutende Formulierung wie die, die sich bei Hieronymus und in den Targumim findet, nicht typisch für die Übersetzungstechnik der recentiores wäre. Dtn 31,6 Der Vers 31,6b ist Teil der kurzen Rede, die Mose zur Einsetzung seines Nachfolgers Josua spricht. Der Vers nimmt Dtn 31,3 auf, der nahezu gleichlautend ist: MT "!%!!# ")-"% %"04!% "-!

…, denn JHWH, dein Gott, er ist der, der mit dir geht; er wird dich nicht fallen lassen und dich nicht verlassen.

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstexte

quia Dominus Deus tuus ipse est ductor tuus et non dimittet nec derelinquet te

ὅτι κύριος ὁ θεός σου ὁ προπορευόμενος μεθ’ ὑμῶν ἐν ὑμῖν οὐ μή σε ἀνῇ οὔτε μή σε ἐγκαταλίπῃ

TO: ")34) !4)!)"%!!!4 (denn YWY, dein Gott, sein Memra, führt dich an)

…, denn der Herr, dein Gott, ist selbst dein Anführer und wird dich weder im Stich lassen noch zurücklassen.

…, denn der Herr, dein Gott, der vorausgeht, mit euch, unter euch, wird dich keinesfalls verlassen noch zurücklassen.

TPsJ: 4!) !7+!#6*#3%!!!'4 *#)3 (denn YYY, euer Gott, seine Shekhina, führt euch an) CN: !7+!#643!*#%!!!'4 *#!)3 4) (denn YYY, euer Gott, die Herrlichkeit seiner Shekhina, führt euch an)

Hieronymus gibt hier das hebräische ")- "% mit ipse est ductor tuus wieder. Ungewöhnlich ist, dass der hebräische und auch der griechische Text nicht schwer verständlich sind, Hieronymus aber dennoch von beiden abweicht. In der altlateinischen Tradition (Cod.Lugd) ist das auf der Septuaginta basierende antecedit zu finden. Die Septuaginta formuliert den Vers wörtlich wie in 31,3, obwohl dort im Hebräischen das Verb 4- verwendet wird. Hieronymus verwendet in V.31,3 wie im MT das Verb transibit. Obwohl hexaplarisches Material zu Dtn 31,6 überliefert ist, findet sich dort zur Übersetzung von")- "% keine Korrektur der Septuaginta. Außerdem ist nicht zu erwarten, dass Aquila oder Symmachus eine Version bieten, die sich noch weiter als die Septuaginta vom hebräischen Text entfernt. Blickt man in die rabbinische Tradition, so zeigt sich, dass die Targume, ebenso wie Hieronymus, vom „Führen“ (4 pa.) Gottes sprechen. An dieser Stelle ist m.E. recht deutlich, dass Hieronymus von zeitgenössischen jüdischen Auslegungen beeinflusst ist, welche sich in den Targumim finden. Grund dafür könnte sein, dass diese nicht wie die Masora ein Partizip Qal mit Artikel lasen (N%’Ž ),  sondern das vorangestellte  als Marker eines kausativen Stammes (hi./aph.) interpretiert haben, obwohl eine solche Form für das biblische Hebräisch nicht üblich ist.

208

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

Dtn 33,3 In der Einleitung zu den Segenssprüchen, die Mose über die zwölf Stämme Israels spricht, findet sich die hebräische Form #7, die in den antiken Bibelübersetzungen sehr unterschiedlich gedeutet wurde: MT

Hieronymus

Septuaginta

!63%#'!)- / 6!"%4%#7'"! "!74)

dilexit populos omnes sancti in manu illius sunt et qui adpropinquant pedibus eius accipient de doctrina illius

καὶ ἐφείσατο τοῦ λαοῦ αὐτοῦ, καὶ πάντες οἱ ἡγιασμένοι ὑπὸ τὰς χεῖράς σου, καὶ οὗτοι ὑπὸ σέ εἰσιν καὶ ἐδέξατο ἀπὸ τῶν λόγων αὐτοῦ

Ja, er liebt Völker, alle seine Heiligen sind in seiner Hand. Und sie #7 zu deinem Fuß, er nimmt von deinen Worten.

Er liebte die Völker – alle Heiligen sind in seiner Hand und die, die sich seinen Füßen nähern, nehmen von seiner Lehre.

Und er schonte sein Volk, und alle Geheiligten sind unter deinen Händen, und diese sind unter dir und er nahm von seinen Worten.

Vergleichstexte α' (Syh): ipsi percussi in pedibus tuis. extollunt ex verbis tuis (Sie sind zerschlagen zu deinen Füßen; sie nehmen aus seinen Worten.) TO: "4‘ )! ‰ )% Ž .*!  % ‰ ‘+" ‘+ ‘+.7F ‹ 7*! ‰ 4 ‰  )*  “+ ‰'!42))3!  0Ž   4‘ “ (Mit Macht brachte er [sie] aus Ägypten, und sie wurden unter deiner Wolke geleitet und brachen auf dein Wort hin auf.) CN, TFragP: !4!'0%-*!!46*!% +!++-%4%*!!7*!4)*+! (… sie wurden geleitet und kamen zu den Füßen seiner Wolken, und auf seine Worte hin brachen sie auf und ließen sich nieder.) TPsJ, TFragV: 4'0*)#*!!46*!!!+"43!!++-%!4%*!4)7!!472)*!4 +*+!# (Wenn sie die Gebote der Tora befolgten, wurden sie am Fuß der Wolken deiner Herrlichkeit geleitet und auf Befehl757 ließen sie sich nieder und brachen auf.)

In Dtn 33,3 finden sich bei Hieronymus zwei Auffälligkeiten im Vergleich mit MT und Septuaginta. Zunächst übersetzt er das erste Verb gegen die Septuaginta als diligere, anschließend findet sich die Formulierung qui adpropinquant pedibus eius, die den schwierigen hebräischen Abschnitt "%4%#7' wiedergibt. Das Verb  ist im biblischen Hebräisch Hapaxlegomenon. Im nachbiblischen Hebräisch und Aramäischen wird es in der Bedeutung „lieben“ verwendet. So versteht es auch Hieronymus. Da keine hexaplarischen Texte hierzu überliefert sind, lässt sich nicht ausschließen, dass Hieronymus einen der recentiores zitiert. Das hebräische #7 lässt sich am besten als aramäischer Einfluss erklären und von der Wurzel "#7 („knüpfen“) ableiten. Die Verszeile würde dann bedeuten „und sie knüpften sich an deine Füße“.758 Die Übersetzung der Septuaginta für das hebräische "%4%#7 ist frei aus dem Kontext gebildet und an den Begriff „Fuß“ im Sinne von „unten“ assoziiert (καὶ οὗτοι ὑπὸ σέ εἰσιν).759 Aquila hingegen leitet das hebräische Verb von der Wurzel #+ ab und übersetzt es wie in Jes 1,5 mit „schlagen“ (percutere). 757 Übersetzt nach JASTROW, Dictionary, 1191. 758 So KOMLÓS, "%4%#7 (Deut XXXIII 3), 435f. 759 WEVERS, Notes on Deuteronomy, 540.

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

209

Hieronymus greift dagegen auf eine exegetische Tradition zurück, die er offenbar nicht aus den hexaplarischen Versionen, sondern aus der zeitgenössischen jüdischen Exegese übernommen hat. Die deutlichste Parallele zu seiner Formulierung („die sich deinen Füßen nähern“) findet sich in CN und TFragP. Dort, aber auch in den anderen zitierten Targumim wird die hebräische Verbform #7 mit Begriffen aus dem Wortfeld „nahe bringen/kommen, führen“ wiedergegeben. Hieronymus ist offenbar über diese Tradition informiert und flicht sie in seine Bibelübersetzung ein.760 Dtn 33,6 Der Vers Dtn 33,6 beinhaltet einen kurzen Segensspruch des sterbenden Mose über den Stamm Ruben. Die Deutung der hebräischen Formulierung 40,)!7) hat in antiken Bibelübersetzungen und -kommentaren zu einer Vielzahl an unterschiedlichen Ergebnissen geführt: MT

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstexte

%*4!! !7)!!7) 40,)

vivat Ruben et non moriatur et sit parvus in numero

Ζήτω Ρουβην καὶ μὴ ἀποθανέτω καὶ ἔστω πολὺς ἐν ἀριθμῷ

Leben soll Ruben und nicht sterben. Seine Männer werden zählbar sein.

Ruben soll leben und nicht sterben, und er soll gering an Zahl sein.

Ruben soll leben und nicht sterben und er soll viel an Anzahl sein.

α' (Syh): sit virorum eius numerus (es soll [ihm?] eine Anzahl von seinen Männern sein) σ' (Syh): sint parvuli eius numerus (seine Kinder sind [nur eine kleine?] Zahl /seine wenigen Männer werden viel) SifDev 347:  40,)'!)!6'%-40,)!7)!! 7)!%*4!!%!7-%% („Und er sei gering an Zahl“ – in dieser Welt, denn seine Tage sind eine begrenzte Zahl. Aber für die Welt, die kommen wird, gilt: „Leben soll Ruben und nicht sterben.“)

Die hebräische Wendung 40,)!7) ist ein Hapaxlegomenon und hat zu gegensätzlichen Interpretationen geführt. Die Septuaginta, VL und auch Targumim interpretieren die Wendung als „viel“ und kommen so auf einen positiven Inhalt des Segensspruchs: Der Stamm Ruben soll von großer Anzahl sein. Dem folgen auch die altlateinischen Versionen (Cod.Lugd.: erit multus). Aquila übersetzt wörtlich, aber unverständlich. In der lateinisch überlieferten Symmachus-Version der Syrohexapla ist der Vers mehrdeutig. DOGNIEZ/HARL übersetzen die Wendung bei Symmachus mit „que ses enfants forment un nombre“,761 was sinngemäß der Septuaginta entspricht. WEVERS bietet dagegen als griechische Retroversion für Symmachus ὀλιγοστός, was „wenig“ bedeutet. In diesem Sinne interpretiert 760 Weitere Parallelen in der frühjüdischen Literatur zeigt STUMMER, #7, passim. Er operiert hauptsächlich mit der Parallelisierung des Verbs mit Formen der Wurzel 43 in einem Piyyut Yannais aus der Kairoer Geniza. 761 DOGNIEZ/HARL, Deutéronome, 346.

210

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

auch MCCARTHY Symmachus.762 SALVESEN wiederum plädiert ebenfalls dafür, dass Symmachus parvuli nicht als „Kinder“, sondern als Äquivalent für das hebräische !7) im Sinne von „wenige“ verwendet, wie beispielweise auch in Dtn 4,27. In Kombination mit dem Satzende (numerus) liest sie Symmachus als „may his few men become a number.“763 Auch dies bildet eine positive Interpretation des Satzes im Kontext des Segensspruchs, wie sie sich auch in der Septuaginta findet. Hieronymus stimmt mit Symmachus darin überein, dass er !7) mit parvus, also eindeutig mit der Bedeutung „wenig“ wiedergibt. Durch die Übersetzung des folgenden 40,) als in numero ergibt sich jedoch die inhaltlich negative Aussage, der Stamm Ruben bleibe zahlenmäßig klein. Darin stimmt Hieronymus mit SifDev 347 überein. Wie auch der Kirchenvater interpretiert der Midrasch die beiden Vershälften antithetisch: Ruben soll leben, auch wenn er klein ist. Diese Parallele kann als Zeugnis dafür gewertet werden, dass Hieronymus in Einklang mit (einem Teil) der zeitgenössischen rabbinischen Literatur steht. Dtn 33,19 Der Vers 33,19 stellt den Abschluss des Segens über Sebulon und Issachar dar. Bei %!+) !+06 ist eine Parallele zwischen IH und den Targumim zu beobachten: MT

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstexte

'!)!-06!# !+063+!! %!+)

qui inundationem maris quasi lac sugent et thesauros absconditos harenarum

ὅτι πλοῦτος θαλάσσης θηλάσει σε καὶ ἐμπόρια παράλιον κατοικούντων

denn den Überfluss der Meere werden sie saugen und die !+) !+06 des Sandes.

die den Überfluss des Meeres wie Milch saugen und die verborgenen Schätze der Sandflächen.

denn Überfluss des Meeres wird dich säugen und der Handel derer, die die Küste bewohnen.

σ': ἀποθήκας / α': ἀποθέτους (Vorratskammern) TO: *F%*‘!% ‰ 7!%‘ ‘ ‰ *4) ‘  !) * ‰ )! ‘ , ‰ (... und die im Sand vergrabenen Schätze werden ihnen geöffnet werden.) TPsJ: *%*!!%!)7!!+ '4 (..., denn die Schatzkammern der Tiefe sind ihnen geöffnet.) CN: *%*!!%7! *4!)  *)!, (... und die vergrabenen Schätze werden ihnen geöffnet.)

Der hebräische Text an dieser Stelle ist unklar,764 zumal die beiden hebräischen Begriffe *06 und *) als passive Partizipien beide im Bedeutungsfeld „verborgen“ anzusiedeln sind. Die Septuaginta führt den Gedanken des Reichtums des Meeres aus dem vorangehenden Stichon logisch weiter und kommt vom Fischfang zum Handel der Küstenstädte. Ihr folgt die altlateinische Version im Cod.Lugd. (merces). Die hexaplarischen Versionen präzisieren und korrigieren dies in Annäherung an den hebräischen Text (σ': ἀποθήκας, α': ἀποθέτους). Hieronymus greift darüber hinausgehend auf eine Tradition zurück, die auch Eingang in TO und CN gefunden hat, und interpretiert einen der hebräischen Begriffe als thesaurus. Auch die Targumim sprechen von Schätzen bzw. Schatzkammern. 762 MCCARTHY, Commentary, 158*. 763 Salvesen gibt die Formulierung treffend mit „men of number“ wieder (Symmachus, 172). 764 So auch WEVERS, Notes on Deuteronomy, 550; SALVESEN, Symmachus, 175.

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

211

Dtn 33,25 Der Vers Dtn 33,25 bildet den Abschluss des Segens über Asser und das Ende der Segenssprüche Moses über die Stämme Israels insgesamt. Beim Übersetzen des hebräischen Wortes " orientiert sich Hieronymus nicht an hexaplarischen Übersetzungen, sondern nimmt Material auf, das sich auch in Targumim findet: MT

Hieronymus

Septuaginta

""!)!# sicut dies iuventutis tuae ita et senectus tua

καὶ ὡς αἱ ἡμέραι σου ἡ ἰσχύς σου

Und wie dein Tag dein(e) .

Wie die Tage Und wie deine deiner Jugend so Tage sei deine sei auch dein Kraft. Alter.

Vergleichstexte α' (Syh): corporis habitudo (Körperhaltung) TPsJ: 7!,*!0!37*!*!#*7!% !)!# (… und wie die Tage ihrer Jugend so werden sie auch in ihrem Alter stark sein.) CN, TFragPV: *!7!,!)!*!7)!%-!)! (… und wie die Tage ihrer Jugend [so auch] die Tage ihres Alters)

In der Übersetzung des Hapaxlegomenon  unterscheidet sich Hieronymus sowohl von der Septuaginta als auch von Aquila. Sowohl das Hebräische als auch die Herkunft dieser Übersetzungen ist unklar. Die Übersetzung bei Hieronymus hat dagegen deutliche Parallelen in den Targumim. Auch diese verstehen das hebräische  als „Alter“ und das vorangehenden "!)!# als „Jugend“.

Dtn 34,6 Nach dem Bericht von Dtn 34,5 stirbt Mose im Land Moab. Mose ist hierbei Subjekt des Satzes, und er wird als „Knecht JHWHs“ (!-) bezeichnet. Der folgende Vers (34,6) beginnt mit den Worten: MT

Hieronymus

Septuaginta

)14!7 43! 4-07!%)

et sepelivit eum in valle terrae Moab contra Phogor

καὶ ἔθαψαν αὐτὸν ἐν γαι ἐν γῇ μωαβ ἐγγὺς οἴκου φογωρ

Und er begrub ihn in einem Tal im Land Moab gegenüber von Bet-Pegor.

Und er begrub ihn in einem Tal des Landes Moab gegenüber von Phogor.

Und sie begruben ihn in Gai in dem Land Moab nahe beim Haus Phogor.

Im hebräischen Text greift das einleitende Verb (43!) offenbar auf ! in V.5 zurück, im Sinne von „und JHWH begrub ...“. Dieser Anthropomorphismus schien für die Septuaginta undenkbar.765 Sie setzt daher aus theologischen Grün765 „This was too much for LXX“, WEVERS, Notes on Deuteronomy, 559. Ähnlich DOGNIEZ/ HARL, Deutéronome, 355.

212

C.I. ORIENTIERUNG AN DER HEBRAICA VERITAS

den einen unpersönlichen Plural. Die altlateinische Bibel (Cod.Lugd.) übernimmt dies aus der Septuaginta (et saepellierunt eum). Auch Philo operiert mit einer Pluralform, die er wohl im Bibeltext vorfindet. Er deutet sie aber nicht auf Personen, sondern übernatürlich: „… freilich nicht von sterblichen Händen, sondern von unsterblichen Kräften.“766 Hieronymus selbst berichtet dagegen in ep. 109 an Riparius (um 404) davon, dass die veritas hebraica davon spreche, dass Gott selbst Mose begraben habe: Ergo Moysi corpusculum immundum erit, quod iuxta hebraicam veritatem a ipso sepultum est Domino.767 In ähnlicher Deutlichkeit formulierte er das Dtn-Zitat bereits 393 in adv. Iov. I 22: et sepilivit eum Dominus.768 Hieronymus’ Übersetzung lässt sich leicht daraus erklären, dass er den hebräischen Text genau liest und ihn gegenüber der Septuaginta bevorzugt. Es gibt jedoch auch eine Spur, die zur rabbinischen Tradition führt.769 Bereits in mSot 1,9 ist davon die Rede, dass JHWH selbst Mose bestattet. In bSot 14a wird diese Tradition R. Hama ben R. Hanina zugeschrieben.770 Aufgrund der Namensähnlichkeit hält Rahmer ihn für den jüdischen Gewährsmann, den Hieronymus in adv. Ruf. erwähnt.771 Allerdings wird der im Talmud genannte Rabbi Hama b.R. Hanina der zweiten Generation der palästinischen Amoräer zugerechnet (ca. 250–290) und ist kein Zeitgenosse des Hieronymus.772 Dtn 34,7 Dtn 34,7 beschreibt die körperliche Konstitution des Mose vor seinem Tod. Das hebräische % hat zu vielfältigen Interpretationen in antiken Bibelübersetzungen geführt. MT

Hieronymus

Septuaginta

%+!-7#% non caligavit oculus % ,+ eius nec dentes illius moti sunt

οὐκ ἠμαυρώθησαν οἱ ὀφθαλμοὶ αὐτοῦ οὐδὲ ἐφθάρησαν 773

Und sein Auge wurde nicht trüb und seine Frische floh nicht.

Seine Augen wurden nicht trüb und wurden nicht zerstört .

Sein Auge wurde nicht trüb, noch lockerten sich seine Zähne.

Vergleichstexte !!+*47+% !7,!% (und die Zähne seines Gebisses fielen nicht heraus) α': σιαγὼν αὐτοῦ / οἱ λ': τὰ χελύνια αὐτοῦ (seine Kieferknochen)

TPsJ:

766 … ὡς ἐτάφη μηδενὸς παρόντος, δηλονότι χερσὶν οὐ θνηταῖς ἀλλ’ ἀθανάτοις δυνάμεσιν … (vit. Mos. II 291) [ed. COHN/WENDLAND Bd. IV, 268,12f.]. 767 Ep. 109,1 [ed. LABOURT Bd.V, 203,1ff.] (Daher war der Leichnam des Mose unrein, da er, nach der hebräischen Wahrheit, von Gott selbst begraben wurde.). 768 Ed. VALLARSI, PL 23, 252B. 769 Vgl. zum Folgenden RAHMER, Traditionen, 64f. 770 '!7) 43 7 / ! 7 43! !7# '!7) 43 Á3 (Der Heilige, gepriesen sei er, begrub Tote, wie geschrieben steht: „Und er begrub ihn in einem Tal.“ So begrabe auch du Tote!). 771 S.o. RAHMER, Traditionen, 64f. Auch LAB 19,12.16 spricht davon, dass Gott selbst Mose bestattet. Es ist nicht auszuschließen, dass Hieronymus auch dieses Werk, das häufig Philo zugeschrieben wurde, kannte. 772 STEMBERGER, Einleitung, 94; BACHER, Agada, 472. 773 Wohl später nach α' (σιαγὼν αὐτοῦ) ergänzt (vgl. WEVERS, Deuteronomium, 375).

C.I.8. JÜDISCHE PARALLELEN

213

Es handelt sich wohl um das Nomen % („Kraft“, „Frische“) in Verbindung mit dem Possessivsuffix der 3. Person fem.sg., das sich auf *!- zurück bezieht.774 Der ältere kürzere Text der Septuaginta liest an dieser Stelle ἐφθάρησαν als zweites Verb neben ἠμαυρώθησαν. Dies ergibt sich wohl aus dem Versuch, die Konsonantenfolge %,+ als ein einziges Wort, und zwar als Verb im Nif ‘al zu lesen. Aquila hingegen leitet die hebräische Form von !% („Kiefer“) her, ebenso die als οἱ λ' markierte Lesart der Hexapla, die später Eingang in den Septuaginta-Text gefunden hat. Der Targum Pseudo-Jonathan knüpft an diese Interpretation an und ergänzt sinngemäß die Zähne (!!+). Auch Hieronymus spricht von Zähnen (dentes) und, wohl in Abgrenzung zur Septuaginta und den recentiores, nicht vom Kiefer.

C.I.8.3

Auswertung

Die Untersuchung der obigen Beispiele zeigt vielfach an Stellen, an denen Hieronymus’ Übersetzung über den MT und die Septuaginta hinausgeht, eine Nähe zu zeitgenössischem jüdischem Material. In einigen Fällen lässt sich nicht prüfen, ob die Traditionen über die Hexapla vermittelt wurden (1,13. 44; 6,7; 12,15; 13,6(7); 17,8.17; 21,14 par 24,7; 23,1(2); 24,15; 26,14; 31,6; 34,6). Von besonderem Interesse sind diejenigen Verse, in denen Formulierungen oder Wortbedeutungen Parallelen in jüdischen Texten aufweisen, dabei aber der Überlieferung der hexaplarischen recentiores nicht entsprechen (4,19; 14,28; 16,1; 18,8; 19,12; 20,19.20; 26,5; 33,6.19; 34,7). Im Fall von Dtn 16,8 und 33,3 steht Hieronymus mit jüdischen Parallelen gegen Aquila, die anderen beiden hexaplarischen Versionen sind nicht überliefert. Hier ist deutlich nachweisbar, dass Hieronymus zugunsten von Auslegungstraditionen, für die sich auch keine oder kaum (4,19) Parallelen in der christlichen Literatur finden ließen, Material aus seiner jüdischen Umwelt aufnimmt. Eine gewisse Unklarheit ergibt sich daraus, dass nicht rekonstruierbar ist, an welchen Stellen die Informationen aus der Hand seiner jüdischen Lehrer für Hieronymus eine Entscheidungshilfe bei der Rezeption hexaplarischer Lesarten darstellten. Anhand der untersuchten Texte lässt sich bei Hieronymus keine Tendenz erkennen, ob er besonders auf halakhisches oder haggadisches Material zurückgreift, oder dass die Rezeption jüdischer Traditionen in bestimmten thematischen Zusammenhängen oder Textgattungen gehäuft auftreten würden. Dass sich hier, jedoch auch in den Abschnitten über die hexaplarischen recentiores, gehäuft Stellen aus den Kapiteln 32–34 finden, lässt sich damit erklären, dass in den dort zu findenden poetischen Texten mehr Stellen vorkommen, an denen der hebräische Text schwierig oder unverständlich ist, z.B. durch Hapaxlegomena.

774 Vgl. zum Folgenden MCCARTHY, Commerntary, 168*; WEVERS, Notes on Deuteronomy, 560.

C.II.

C.II.1.

Abweichungen von der hebraica veritas

Einflüsse der Septuaginta

Die Übersetzung des Hieronymus ist nicht nur davon geprägt, dass er sich am hebräischen Text orientiert und dessen Sinn mittels hexaplarischer Überlieferungen oder anderer jüdischer Traditionen erhebt. Daneben existieren eine nicht unerhebliche Anzahl von Stellen, an denen Septuaginta und MT voneinander abweichen, und Hieronymus der Septuaginta statt dem MT folgt, zum Teil auch gegen die hexaplarische Überlieferung. Diese werden in Abschnitt C.II.1. in den Blick genommen. Zuvor soll in die historischen und textgeschichtlichen Zusammenhänge eingeführt werden, die einen detaillierteren Blick auf die Arbeit des Hieronymus mit Septuagintatexten ermöglichen (C.II.1.1). Dabei wird zunächst Hieronymus’ Beurteilung der Septuaginta dargestellt und anschließend mit ihrer Textgeschichte bis in die Zeit des Hieronymus in Beziehung gesetzt. Den Abschluss der Einführung bildet die Frage, zu welchen Textformen der griechischen Bibel Hieronymus auf welche Weise Zugang gewonnen haben könnte.

C.II.1.1

Hieronymus und die Septuaginta

Hieronymus Position gegenüber der Septuaginta Die Stellung des Hieronymus gegenüber der Septuaginta wurde in der Analyse seines Weges zur Übersetzung des AT nach der hebraica veritas schon eingehend behandelt (B.II.1). Die Hauptkritikpunkte an der Septuaginta, die sich während seiner Übersetzungsarbeit herauskristallisieren, betreffen sowohl die Textüberlieferung des griechischen Alten Testaments als auch die Übersetzung selbst. Der sog. trifaria varietas (dreifache Verschiedenheit), die Hieronymus in der ägyptischen (hesychianischen), lukianischen und palästinensischen bzw. cäsareanischen (=„hexaplarischen“) Textform der Septuaginta wahrnimmt, steht bei ihm die Einheitlichkeit des hebräischen Texts (hebraica veritas) gegenüber. 775 Da 775 So z.B. prol. Par. (IH) und adv. Ruf. II 27, vgl. oben S. 28. Von den Revisoren Lukian und Hesych spricht er auch in der praefatio zur Evangelienübersetzung [WEBER, 1515, 23f.]. Die von Hieronymus behauptete Dreiteilung der Texttypen konnte durch die Septuagintaforschung nicht verifiziert werden. Die Ausgabe von RAHLFS konstatiert das Scheitern des Projekts LAGARDES, der versuchte, die drei von Hieronymus erwähnten Rezensionen zu rekonstruieren. Schon der Blick auf weitere antike Zeugnisse macht deutlich, dass es sich bei dieser Dreizahl und der Zuordnung zu den Theologen Lukian, Hesych und Origenes wohl um ein Konstrukt des Hieronymus handelt, ist er doch der einzige lateinische Theologe der Antike, der überhaupt eine derartige Einteilung vornimmt. Auch griechische Autoren erwähnen lediglich Lukian und Origenes, von einer hesychianischen Rezension fehlt auch in den übrigen Quellen, die über die

216

C.II. ABWEICHUNGEN VON DER HEBRAICA VERITAS

Hieronymus den hebräischen Text, der ihm vorliegt, auch als Vorlage der Septuaginta ansieht, erscheint sie ihm als vom Original abweichende Übersetzung und nicht als Übersetzung eines abweichenden Originals, wie heute allgemein angenommen wird.776 Teils analysiert er in seinen Kommentaren sogar, welche Fehler den siebzig Übersetzern bei ihrer Arbeit unterlaufen sein dürften. Beispielsweise beobachtet er, besonders in den Kommentaren zum Dodekapropheton, dass die Buchstaben Daleth () und Resch (4) verwechselt wurden, weil sie sich ähnlich sehen.777 An anderen Stellen kann er sich die Abweichung nicht erklären und kommentiert sie mit „nescio cur“ (ich weiß nicht, warum).778 Neben der Vielfalt der Textüberlieferung und der Fehlerhaftigkeit der Übersetzung kritisiert er auch die Entstehungslegende der Septuaginta, die sich im antiken Christentum durch die Rezeption des Aristeasbriefs sowie der jüngeren Berichte bei Josephus und Philo großer Beliebtheit und Autorität erfreute.779 Weiterhin macht er geltend, dass die Septuaginta nicht durch christliche Übersetzer erstellt wurde.780 Auch kennt Hieronymus die jüdische Tradition, dass die Alexandrinischen Gelehrten Stellen verändert übersetzten, damit König Ptolemaios nicht zur Vielgötterei verführt würde.781 Ein weiteres Argument dafür, den hebräischen Text statt der Septuaginta als Grundlage für seine lateinische Bibelübersetzung zu wählen, war für Hieronymus der Wunsch, direkt aus der Quelle des hebräischen Texts zu übersetzen und nicht über den Umweg anderer Übersetzungen wie der Septuaginta. All dies hatte enorme Sprengkraft, da Hieronymus sich vorwerfen lassen musste, die allgemein anerkannte Richtigkeit der Übersetzung der Siebzig in Frage zu stellen, und in der Konsequenz auch deren Inspiration. Aufgrund der zahlreichen Konflikte, die seine Haltung gegenüber der im antiken Christentum als inspiriert geltenden Septuaginta zur Folge hatte,782 fällt die von Hieronymus explizit geäußerte Kritik häufig verhalten aus.783

776

777

778 779 780 781 782 783

Geschichte der Septuaginta berichten, jede Spur. Vgl. hierzu die Erörterung von DÖRRIE, Zur Geschichte der Septuaginta, passim. Mag Hieronymus auch durch die ihm vorliegenden Manuskripte oder eine andere, nicht mehr auffindbare Tradition getäuscht worden sein, so ist dennoch festzuhalten, dass bei seiner Kritik nicht die regionale, mit Lukian, Hesych und Origenes verbundene Dreiheit, sondern die generelle varietas in der Überlieferung der griechischen Bibel Alexandriens entscheidend ist. Hieronymus tendiert, neben dieser Dreiteilung, vielerorts zu einem Dualismus, der der Rezension des Origenes eine κοινή gegenüberstellt, die er nicht selten mit der Lukianischen Rezension gleichsetzt (Näheres und Textbeispiele s.u. S. 214f.). Am Beispiel des Jeremia-Kommentars hat GRAVES (Commentary, passim) gezeigt, dass Hieronymus die Septuaginta als abweichend vom MT beschreibt. Bei der Kommentierung von Jer 22,29f. nennt er Veränderungen (quid mutatum), Hinzufügungen (quid additum) und Auslassungen (quid subtractum) (in Ier. IV, 43 ad 22,29f. [ed. REITER, CChr.SL 74, 269, 22f.]). In Os. I ad 2,10ff.: … res et daleth litterarum falsi similitudine [ed. ADRIAEN, CChr.SL 76, 23, 212] (… durch die trügerische Ähnlichkeit der Buchstaben Resh und Daleth.); In Os. II ad 9,11ff.: putantes autem septuaginta interpretes ob litterarum similitudinem res, et daleth, non esse res, sed daleth [ed. ADRIAEN, CChr.SL 76, 100,304ff.] (Wegen der Ähnlichkeit der Buchstaben Resch und Daleth dachten die siebzig Übersetzer, dass es sich nicht um Resch, sondern um Daleth handle.); Vgl. in Am. I ad 1,1; in Soph. ad 3,8f.; in Zach. III ad 12,9f. u.v.m. Z.B. in Abd. 20 [ed. ADRIAEN, CChr.SL 76, 372,707f.]. Literatur darüber und Texte bei Hieronymus s.o. S. 31. S.o. S. 76. S.o. Anm. 122. Zu den Auseinandersetzungen mit Augustin bzw. Rufin vgl. f., S. 29–34. Zu Epiphanius vgl. BAMMEL, Die Hexapla, 142. Z.B. Prol. Pent.: Quid igitur? Damnamus veteres? Minime; sed tot priorum studia in domo Domini quot possumus laboramus (…) Audi igitur aemule, obtrectator ausculta: non damno, non repre-

C.II.1. EINFLÜSSE DER SEPTUAGINTA

217

Obgleich Hieronymus fehlerhafte Übersetzungen in der Septuaginta und die Vielfalt der Textüberlieferung kritisiert, erwähnt er auch Unterschiede zum MT, die in seinen Augen legitim sind: So spricht er von Abweichungen, die geistgewirkt sind, und von anderen, welche durch die Übersetzer gratia decoris hinzugefügt wurden.784 Dass er dabei kritisch genug ist, nicht immer den vermeintlich christlicheren Text als den wahren anzusehen, zeigt seine Kommentierung von Am 4,16. Bei der Übersetzung haben, so Hieronymus, die Siebzig statt !6 ) das Wort !6) gelesen. Aus dem Hebräischen 6 ) '% !) („und [er] verkündet dem Menschen, was sein Gedanke ist“) wurde ἀπαγγέλλων εἰς ἀνθρώπους τὸν χριστὸν αὐτοῦ („[ich] verkünde den Menschen seinen Christus“). So sei fälschlicherweise „Christus“ in den Text hineingekommen. Uneinheitlich werden die Äußerungen des Hieronymus über die Septuaginta nicht nur durch die verschiedenen positiven Äußerungen, die bisweilen in apologetischen Zusammenhängen auftauchen. Sein Umgang mit dem griechischen Text des AT innerhalb seines Kommentarschaffens, auch nach dem Beginn seiner Übersetzungsarbeit IH ist ebenfalls inkonsequent. So lässt sich anhand seiner ProphetenKommentare bis etwa 406 zeigen, dass er das Hebräische hauptsächlich zur Erhebung des historischen Sinns oder des Literalsinns verwendet. Geht er darüber hinaus und interpretiert den Text tropologisch, anagogisch oder allegorisch, so nehmen diese Auslegungen in aller Regel vom etablierten griechischen Text ihren Ausgang.785 Dabei ist m.W. noch nicht ausreichend erforscht, ob Hieronymus eigene Auslegungen des Septuaginta-Texts verfasst oder ob er zum Teil bereits bestehende Interpretationen, beispielsweise von Didymos oder Origenes, rezipiert und referiert. In diesem Falle würde Hieronymus den Septuaginta-Text nicht deshalb verwenden, weil er ihn selbst wählt, sondern weil er ihn in seinen Vorlagen vorfindet. Wegmarken der Textgeschichte der Septuaginta vor Hieronymus Ähnlich wie im Falle des masoretischen Textes, soll nun, im Vorfeld zu den Beobachtungen am Text der Übersetzung Iuxta Hebraeos, erörtert werden, wie und zu welchen Texten Hieronymus Zugang gehabt haben dürfte. Dafür ist ein kurzer Überblick über die wichtigsten Stationen der Textgeschichte der griechischen Bibel Alexandriens in und vor ihrer Rezeption durch das Christentum von Nutzen. Für die ersten Jahrhunderte der Geschichte des Christentums ist zu beobachten, dass der Text des griechischen Alten Testaments mehr und mehr verwilderte.786 Fehler beim Kopieren sowie Seiteneinflüsse aus Testimoniensammlungen, hendo Septuaginta … [WEBER, 4,34–40] (Was also? Verdammen wir die Alten? Keinesfalls, sondern wir arbeiten mit ebenso viel Eifer wie die früheren im Haus des Herrn, wie wir können. Höre nämlich, mein Nebenbuhler! Lausche, mein Widersacher! Ich verdamme die Siebzig nicht, und tadle sie auch nicht.). 784 Vgl. MÜLKE, Autor, 141. Näheres s.o. S. 27. 785 Das o.g. Vorgehen beschreibt er selbst (in Zach. prol.): historiae Hebraeorum tropologiam nostrorum miscui. [ed. ADRIAEN, CChr.SL 76A, 748,37f.] (Der historia der Hebräer habe ich die tropologia unserer [Ausleger] beigemischt.). Laut DINES (Jerome and the Hexapla, 424) stellt der Amoskommentar (entstanden 406) das letzte Werk des Kirchenvaters dar, in dem er konsequent immer die Septuaginta zitiert. Spätere Kommentare (Dan, Jes, Ez, Jer) beruhen hauptsächlich auf dem hebräischen Text bzw. seiner lateinischen Übersetzung desselben. 786 Zur Textgeschichte der Septuaginta vgl. u.a. DINES, Septuagint, 81–108.

218

C.II. ABWEICHUNGEN VON DER HEBRAICA VERITAS

von Katenen, von paraphrasierenden Zitaten in der Kirchenväterliteratur und aus den Schriften der Frühzeit des Christentums (Neues Testament, Apokryphen, Apostolische Väter) trugen ebenso zur Entwicklung einer großen Vielfalt an Textformen bei. Auch im griechischsprachigen Judentum waren Septuaginta-Texte in Verwendung. Mit der Formierung des rabbinischen Judentums wurden aber gerade in Palästina nach den Katastrophen der Jahre 70 und 135 hebräische Texte einflussreicher. Im Zuge dessen traten auch die Unterschiede von Septuaginta und hebräischen Bibeltexten deutlicher ins Bewusstsein, woraufhin alternative jüdische Übersetzungen und Revisionen (Aquila, Symmachus, Theodotion usw.)787 entstanden, um den griechischen Text dem hebräischen anzunähern.788 VELTRI und DINES zufolge wurden griechische Bibelübersetzungen im rabbinischen Judentum noch bis ins siebte Jahrhundert mehrheitlich positiv bewertet.789 Auch die Überlieferung von angeblich „für König Talmai geänderten Lesarten“ ('!4 "%)!)%7%+!66) in der Septuaginta erfuhren keine nennenswerte Kritik.790 Erst in gaonäischer Zeit mehrten sich in der rabbinischen Literatur die Stimmen, die griechische Bibelübersetzungen inklusive der Septuaginta kritisch bewerten.791 Den für Hieronymus wichtigsten Markstein in der Geschichte des griechischen Texts des AT bildet Origenes. Dieser stellte unterschiedlichste griechische Bibelmanuskripte gegenüber und glich sie an ihr mutmaßliches Original an, einen ihm vorliegenden protomasoretischen hebräischen Text. Origenes spricht in diesem Zusammenhang vom „Heilen“ (ἰάσασθαι) von Überlieferungsfehlern in den Septuaginta-Manuskripten.792 Dabei wandte Origenes drei ineinandergreifende Techniken an: Hebräische Eigennamen im griechischen Text verbesserte er anhand des hebräischen. Weiterhin markierte er im griechischen Text Stellen, an denen dieser Worte enthält, die im hebräischen nicht zu finden sind. Dafür bediente er sich der textkritischen Zeichen, die in Alexandria für die Homeredition entwickelt wurden. Zweifelhafte, zu löschende Textpassagen wurden mit einem Obelos (÷) markiert. Diesen verwendete Origenes für Passagen, die im griechischen „überschüssig“ sind, also im hebräischen fehlen. Ein Metobelos (ӝ) kennzeichnet jeweils das Ende des diskutierten Abschnittes. Als Zeichen für fehlenden Text hatte sich unter dem Philologen Aristarch (217–145 v.Chr.) in Alexandrien der Asteriskos (*) etabliert. Origenes setzte ihn, wenn er in seiner hebräischen Vorlage Textpassagen fand, die die Septuaginta nicht bietet.793 Dort fügte er die ent787 Zur diesen sog. recentiores und der Hexapla s.o. ab S. 91. 788 Ab dem ersten Jahrhundert n.Chr. finden sich weit weniger Zeugnisse nicht-masoretischer Textformen. Dies lässt sich dadurch erklären, dass das entstehende rabbinische Judentum dem späteren masoretischen Text den Vorzug gab. Eine gewisse Ausnahme bildet der samaritanische Text, der weiterhin bis in die Spätantike überliefert wurde. 789 So bMeg 9a.b; yMeg 1,4. Vgl. hierzu DINES, Septuagint, 73f. und VELTRI, Tora, 22ff. 790 Die genannten rabbinischen Belege handeln fast ausnahmslos von Bibelstellen, die die Gefahr bargen, polytheistisch gedeutet zu werden (z.B. Gen 1,26; Dtn 4,19 u.v.m.). Meist werden dabei allerdings als Alternativen, die die siebzig Alexandriner angeblich gewählt haben, Lesarten erwähnt, die sich nicht in Septuaginta-Manuskripten finden lassen. Näheres zu den „für König Talmai geänderten Lesarten“ ("%)!)%7%+!66'!4), vgl. VELTRI, Tora, 32–112. 791 So z.B. tSoph 1,7, wo der Tag der Übersetzung der LXX mit dem Tag der Errichtung des Goldenen Kalbs verglichen wird, Meg.Taanit 13. Zur Datierung dieses Wandels vgl. VELTRI, Tora, 22ff. 792 Auch CLEMENTS, Origen’s Hexapla, 94 versteht die Arbeit Origenes’ unter dem primären Ziel der Erstellung eines „geheilten“ Septuaginta-Texts. 793 Hieronymus übernimmt diese Zeichen in seiner Übersetzung nach der Septuaginta: Praef. Ps. (LXX): Notet sibi unusquisque vel iacentem lineam, vel signa radiantia: id est, vel obelos vel asteris-

C.II.1. EINFLÜSSE DER SEPTUAGINTA

219

sprechenden Worte in griechischer Sprache ein, die er meist aus der Version Theodotions übernahm.794 Die Bearbeitung des Origenes wird häufig als „hexaplarische“ Rezension bezeichnet.795 Diese Bezeichnung täuscht jedoch darüber hinweg, dass in der Forschung umstritten ist, in welcher Beziehung die Rezensionstätigkeit des Origenes und seine Hexapla zueinander stehen.796 Dies ist insofern für die Arbeit des Hieronymus wichtig, als er sowohl von einer textkritisch edierten Septuaginta-Version des Origenes spricht, als auch von der Septuaginta in der Hexapla.797 Folgende Möglichkeiten der Beziehung von Hexapla und textkritisch markierter Septuaginta sind denkbar und werden in der Forschung diskutiert: (1) Origenes entwickelte zunächst die obelierte Septuaginta und fügte diese anschließend in die Hexapla ein, mit oder ohne die textkritischen Zeichen zu übernehmen. (2) Die textkritisch markierte Version der Septuaginta entstand gleichzeitig mit der Hexapla und bildete deren fünfte Spalte. (3) In der Hexapla befand sich eine Version der Septuaginta, die sich aus der Zusammenschau verschiedener Manuskripte ergibt, und in der die Reihenfolge des griechischen Texts an den hebräischen angepasst ist. Auf der Grundlage dieser Vorarbeiten erstellte Origenes nach der Hexapla die mit textkritischen Zeichen versehene Version als ein eigenständiges Werk. Für die Diskussion werden meist die folgenden Quellen angeführt: Von Origenes selbst sind Textpassagen im Matthäus-Kommentar798 und in ep. ad Africanum 9 überliefert. Daneben finden sich Beschreibungen von Eusebius, Epiphanius, Rufin799 und schließlich von Hieronymus.800 Weiterhin konnten einige Hexapla-

794 795 796 797

798 799

cos. Et ubicumque viderit virgulam praecedentem, ab ea usque ad duo puncta quae impressimus, sciat in Septuaginta translatoribus plus haberi. Ubi autem stellae similitudinem perspexerit, de hebraeis voluminibus additum noverit, aeque usque ad duo puncta, iuxta Theodotionis dumtaxat editionem, qui simplicitate sermonis a Septuaginta interpretibus non discordat [WEBER, 767,9–14] (Es mag jeder sowohl die liegende Linie als auch die strahlenförmigen Zeichen bemerken: Obeli und Asterisken. Und wann immer man ein Komma vorausgehen sieht, davon bis zu dem Doppelpunkt, den wir gesetzt haben, soll er wissen, dass es bei den siebzig Übersetzern zusätzlich enthalten ist. Wo er aber etwas sternenähnliches erblickt, wisse er, dass es aus den hebräischen Büchern hinzugefügt ist, ebenso bis zu dem Doppelpunkt, genau genommen entsprechend der Übersetzung Theodotions, die im Blick auf die Einfachheit der Sprache sich von den siebzig Übersetzern nicht unterscheidet.). Ebenso in der praef. Sal. (LXX) [ed. VALLARSI, PL 29, 403C]. Hieronymus spricht allerdings im Jesaja-Kommentar (In Is. I ad 2,22) auch davon, dass ein bestimmter Textabschnitt aus Aquila übernommen sei (s.o. Anm. 389). Zur folgenden Diskussion vgl. GRAFTON/WILLIAMS, Christianity, 114ff. Zur Rolle der Hexapla und der darin enthaltenen recentiores Aquila, Symmachus und Theodotion für die Arbeit des Hieronymus s.o. S.95ff., 116ff., 128ff. Hieronymus berichtet in prol. Par. (IH), dass Origenes die Septuaginta mit Theodotionzitaten vermischt und mit textkritischen Zeichen versehen habe. Er nennt sie Asterisken und Virgula. sed, quod maioris audaciae est, in editione Septuaginta Theodotionis editionem miscuit, asteriscis designans quae minus fuerint, et virgulis quae ex superfluo videantur adposita. [WEBER, 546,14ff.] (Aber, was noch von größerem Wagemut zeugt – er hat in der Ausgabe der Siebzig die Ausgabe von Theodotion eingefügt und dabei mit Asterisken markiert, was weniger war, und mit Kommata, was an Überflüssigem dazugesetzt scheint.). In prol. Pent. nennt er dagegen Asteriski und Obeli. In Mat. XV, 14 ad 19,19 [ed. KLOSTERMANN, GCS 40 (Origenes 10), 387,28–338,7]. Sowohl Epiphanius (mens. 19) als auch Rufin (h.e. 6,16,4) nennen die fünfte Spalte der Hexapla nur „die Septuaginta“ ohne Verweis auf eine Obelierung o.ä. Rufin bringt lediglich den Zusatz „quae nostra est“. GRAFTON/WILLIAMS, Christianity, 95, gehen aufgrund der genauen Übereinstimmung beider Zeugnisse davon aus, dass beide Autoren aus ihrer eigenen Beobachtung die Hexapla korrekt beschreiben.

220

C.II. ABWEICHUNGEN VON DER HEBRAICA VERITAS

fragmente gefunden werden,801 eines aus der Kairoer Geniza, im Jahr 1900 von TAYLOR ediert (Rahlfs Nr. 2004). Das Palimpsest O 39 aus der Mailänder Bibliotheca Ambrosiana (Rahlfs Nr. 1098) wurde schon 1896 von MERCATI entdeckt, aber erst 1958 publiziert. Alle diese Fragmente zeigen einen nicht-obelierten und nicht spezifisch origenianischen Text in der fünften Spalte.802 Aus diesen Funden ließe sich schließen, dass auch die ursprüngliche Hexapla ebenfalls so ausgesehen haben könnte.803 Auch die Berichte der Kirchenväter beschreiben nie explizit, dass die fünfte Spalte der Hexapla einen textkritisch markierten Septuaginta-Text enthalten hat. Sowohl Epiphanius als auch Hieronymus erwähnen die Hexapla und die textkritisch markierte Bearbeitung zwar im selben Zusammenhang, dies ist jedoch nicht zwingend so zu interpretieren, dass es sich um dasselbe Werk handelt. Am überzeugendsten ist die Argumentation von GRAFTON/WILLIAMS hierzu, die die Lösung (3) favorisieren. Ausgehend von den Untersuchungen von SWETE, JELLICOE,804 DINES und CLEMENTS zeigen sie, dass das Werk des Origenes sich am besten als mehrschrittig verstehen lässt:805 Zunächst verglich er demnach unterschiedliche Septuaginta-Handschriften und erstellte, möglicherweise mithilfe der Tetrapla, eine „geheilte“ und bereinigte Form der Septuaginta.806 Diese passte er an die Wortfolge des hebräischen Texts an und fügte sie in die Hexapla als fünfte Spalte ein. An den Stellen, an denen (wie im Buch Jeremia) größere Umstellungen nötig waren, hatte er diese im Vorfeld vorbereitet. Schließlich erarbeitete Origenes mithilfe der Hexapla ein separates Werk, die textkritisch markierte und mit Theodotionzitaten ergänzte Version, die sog. „hexaplarische“ Septuaginta. Wie sich im Folgenden zeigen wird, entspricht dies den Befunden im Œuvre des Hieronymus. Trotz der Unsicherheiten in der Forschungslage möchte ich im Folgenden der Praktikabilität halber von der „hexaplarischen“ Septuaginta sprechen, wenn die textkritisch markierte Septuaginta-Rezension des Origenes in den Blick kommt. Die Terminologie soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese nicht mit der fünften Spalte der Hexapla identisch ist, sondern eine Weiterentwicklung dieser mithilfe der anderen Spalten der Hexapla darstellt. 800 801 802 803

Vgl. Anm. 329. Vgl. WÜRTHWEIN, Text, 57f. So bei MUNNICH, Septante, 167. Gerade die Beobachtung, dass es sich um einen nicht spezifisch origenianischen Text handelt, ist bedeutsam. Trotz der Abweichung in den Funden plädiert SCHAPER (Origin and Purpose, 15 und passim) für einen obelierten Text in der originalen Hexapla. Wichtig an SCHAPERS Position ist, dass er das Zeugnis des Epiphanius (Anm. 328) nicht von vornherein abqualifiziert. Dies tut NAUTIN (Origène, 320), der Eusebius den Vorzug gibt und daher behauptet, Epiphanius habe die Hexapla nie gesehen und berichte daher unzutreffend, wenn er keine textkritischen Zeichen erwähnt. SCHAPER argumentiert allerdings weiter, dass die handschriftlichen Funde deshalb keine Obeli aufweisen, weil diese nicht mit kopiert worden seien, und dass die originale Hexapla sehr wohl einen obelierten Text beinhaltet habe. Dabei stützt er seine Argumentation auf Hieronymus (z.B. ep. 106,22.55), der ebenfalls nie von einer obelierten Fassung der Septuaginta in der Hexapla schreibt. Dies macht die Position von SCHAPER nicht überzeugender. 804 JELLICOE (Septuagint an Modern Study, 113) nimmt für die fünfte Spalte einen mixed text an. 805 Vgl. hierzu ausführlicher GRAFTON/WILLIAMS, Christianity, 117ff. Die Basis für diese Rekonstruktion bildet CLEMENTS’ Interpretation der o.g. Stelle aus dem Matthäus-Kommentar des Origenes (in Mat. XV, 14 ad 19,19). 806 KAMESAR argumentiert insgesamt verhaltener als GRAFTON/WILLIAMS und bezieht das „Heilen“ auf das Endergebnis der Arbeit. Er geht aber auch davon aus, dass in der Hexapla keine textkritischen Zeichen vorhanden waren und diese zur Vorbereitung der SeptuagintaRezension diente (Jerome, 10).

C.II.1. EINFLÜSSE DER SEPTUAGINTA

221

Für die Zeit nach Origenes lässt sich beobachten, dass der Text in seiner textkritisch markierten Rezension weiter überliefert wird, zunächst von Pamphilus und Euseb.807 Auch von Kaiser Konstantin I. wird berichtet, dass er für Kirchen in der neu gegründeten Hauptstadt Konstantinopel Abschriften der hexaplarischen Septuaginta aus Caesarea bestellte.808 Die Verbreitung der Rezension des Origenes erwähnt auch Hieronymus in ep. 106,22.55 und beklagt dabei den nachlässigen Umgang der Kopisten mit den textkritischen Zeichen.809 Dadurch, dass z.B. Phrasen sub obelo ausgeschieden wurden oder die textkritischen Zeichen aus Unkenntnis nicht mit übernommen wurden, entstand eine Vielfalt von Texten, die in unterschiedlichem Maße von der hexaplarischen Revision beeinflusst waren. Auch wurde die Version des Origenes häufig von Schreibern zur Korrektur anderer Versionen verwendet und nicht direkt kopiert.810 Diese Entwicklung führte, ganz entgegen der Intention des Alexandriners, zu einer weiteren „Bereicherung“ der Textlandschaft.811 Als weitere wichtige Faktoren, die die Situation der SeptuagintaÜberlieferung zur Zeit des Hieronymus gegen Ende des vierten Jahrhunderts prägten, gelten der sprunghaft ansteigende Bedarf an Bibeltexten in nachkonstantinischer Zeit, die Entstehung neuer Textformen durch Kopieren oder die Durchführung von Revisionen.812 Die von Hieronymus verwendeten Textformen der Septuaginta Mit dieser vielfältigen Textsituation ist Hieronymus sicher nicht zuletzt durch seine zahlreichen Reisen vertraut. Welche Texte er ab wann genau kennt oder selbst besitzt, ist schwierig zu rekonstruieren. In seinen Werken klingt an, dass er neben dem hexaplarischen, textkritisch markierten Text noch eine oder sogar mehrere weitere Septuaginta-Versionen heranzieht. Einen einheitlichen Sprachgebrauch für diese lässt Hieronymus vermissen. Tendenziell kann man aber feststellen, dass er dann, wenn er über Unterschiede in griechischen Bibeltexten des Septuaginta-Typs spricht, folgende Terminologien verwendet: Für Texte, die er nicht auf die Bearbeitung durch Origenes zurückführt, verwendet er meist den Begriff vulgata bzw. κοινή.813 Auch wenn er mehrere verschiedene Lesarten der nicht-hexa807 Dies erwähnt auch Hieronymus an o.g. Stelle in prol. Par. (IH) (= adv. Ruf. II 27) über die trifaria veritas der Septuaginta (S. 28). Neben der hesychianischen Rezension in Alexandria und Ägypten sowie der lukianischen in Konstantinopel und Antiochia existiert die origenianische in Palästina: mediae inter has provinciae Palaestinos codices legunt, quos ab Origene elaboratos Eusebius et Pamphilus vulgaverunt [WEBER 546,10ff.] (Die Provinzen, die in der Mitte zwischen diesen liegen, lesen die palästinischen Kodizes, die, von Origenes erarbeitet, Euseb und Pamphilus verbreitet haben.). Vgl. hierzu DÖRRIE, Zur Geschichte der Septuaginta, 91. 808 Euseb berichtet von der Bitte des Kaisers um die Zusendung von 50 Bibelexemplaren in v.C. IV 34–37, bes. 36,2 [ed. WINKELMANN, GCS 68 (Euseb I/1), 133ff.] Vgl. hierzu DEKKERS, Prix, 108. 809 Vgl. hierzu SCHAPER, Purpose, 7. 810 So DÖRRIE, Zur Geschichte der Septuaginta, 88.90; MUNNICH, Septante, 166. 811 Hieronymus erwähnt dies selbst in seinem Briefwechsel mit Augustin ep. 112,19. 812 Vgl. hierzu DINES, Septuagint, 103ff. 813 In Is. XVI praef.: Denique omnes Graeciae tractatores, qui nobis eruditionis suae in psalmos commentarios reliquerunt, hos versiculos veru annotant atque praetereunt, liquido confitentes in hebraico non haberi, nec esse in septuaginta interpretibus, sed in editione vulgata, quae graece κοινή dicitur, et in toto orbe dispersa est [ed. ADRIAEN, CChr.SL 73A, 642f.,54–62] (Schließlich markieren alle Kommentatoren Griechenlands, die uns von ihrem Wissen in Psalmenkommentaren etwas hinterlassen haben, diese Verslein [sc. die nur auf Griechisch überlieferten] mit einem

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C.II. ABWEICHUNGEN VON DER HEBRAICA VERITAS

plarischen Septuaginta nennt,814 bleibt der lateinische bzw. griechische Begriff im Singular.815 In einigen Fällen greift er die Dreiteilung nach Regionen (Alexandria, Palästina, Antiochien) oder Revisoren (Origenes, Lukian, Hesych) auf, die er in prol. Par. (IH) nennt.816 So spricht er im Jesaja-Kommentar von „alexandrinischen“ Exemplaren817 und in ep. 106,2 von einem „lukianischen“ Text,818 der der vulgata entspricht. Für die textkritisch bezeichnete und durch Theodotionzitate an den hebräischen Text angeglichene Septuaginta verwendet Hieronymus zu-

814

815 816 817

818

Spies [sc. Obelos] und fahren fort. Damit zeigen sie unzweifelhaft an, dass [diese] im Hebräischen nicht vorhanden sind, noch bei den siebzig Übersetzern, sondern in der allgemeinen (vulgata) Ausgabe, die auf griechisch κοινή genannt wird und auf dem ganzen Erdkreis verbreitet ist.). Ich schließe mich der von SUTCLIFFE präferierten Lesart „dispersa“ statt „diversa“ an. Vgl. seine Argumentation in: SUTCLIFFE, E.F.: The KOINH “diversa” or “dispersa”? St Jerome, P.L. 24,548 B, Bib. 36,2 (1955), 213–222. In Ezech. I ad 4,4ff.: Satisque miror, cur vulgata exemplaria „centum nonaginta annos“ habeant et in quibusdam scriptum sit „centum quinquaginta“, cum perspicue et hebraei et aquila, symmachusque et theodotio „trecentos nonaginta annos“ teneant, et apud ipsos septuaginta – et tamen non sunt scriptorum vitio depravati – idem numerus reperiatur [ed. GLORIE, CChr.SL 75, 47,1342– 1348] (Und ich wundere mich zu Genüge, warum die Vulgata-Ausgaben „190 Jahre“ haben und in einigen steht „150“, obwohl sowohl die Hebräer als auch Aquila, Symmachus und Theodotion ganz deutlich „390 Jahre“ haben, und man bei den eigentlichen Siebzig dieselbe Zahl findet – und die sind doch wohl nicht durch einen Fehler von Abschreibern verunstaltet!). Von dieser „vulgata editio“ spricht er auch an folgenden Stellen: in Ier. VI ad 31(38),21–24.37 [ed. REITER, CChr.SL 74, 312, 15; 314, 1; 322, 12] ; in Am. II ad 4,12f. [ed. ADRIAEN, CChr.SL 76, 271, 531]; in Is. III ad 8,11/15 [ed. ADRIAEN, CChr.SL 73, 115,23] u.v.m. Vgl. hierzu S. 28 mit dem Text aus prol. Par. (IH) (= adv. Ruf. II 27) über die trifaria varietas. Vgl. auch in Is. XVI ad 58,11: Quod in Alexandrinis exemplaribus in prooemio huius capituli additum est: „et adhuc in te erit laus mea semper“; et in fine: „et ossa tua quasi herba orientur et pinguescent et hereditatem possidebunt in generationem et generationes“, in hebraico non habetur, sed ne in Septuaginta quidem emendatis et veris exemplaribus; unde obelo praenotandum est [ed. ADRIAEN, CChr.SL 73A, 671,7–13] (Dies ist in den alexandrinischen Ausgaben im Vorwort dieses Kapitels hinzugefügt: „und bis dann wird in dir mein Lob immer sein,“ und am Ende: „und deine Knochen werden wie Kräuter hervorkommen und werden fett werden und von Generation zu Generation ein Erbteil besitzen.“ Dies gibt es im Hebräischen nicht, auch nicht einmal in den korrigierten und wahren Ausgaben der Septuaginta. Daher muss ein Obelus gesetzt werden.). So z.B. ep.106,2: In quo illud breviter admoneo, ut sciatis aliam esse editionem, quam Origenes et Caesariensis Eusebius, omnesque Graeciae tractatores κοινήν, id est communem appellant atque vulgatam, et a plerisque nunc Λουκιανός dicitur; aliam septuaginta interpretum, quae in ἑξαπλοῖς codicibus reperitur, et a nobis in latinum sermonem fideliter versa est, et Ierosolymae atque in orientis ecclesiis decantatur. (…) Sed hoc interest inter utramque, quod κοινή locis et temporibus et pro voluntate scriptorum vetus corrupta editio est. Ea autem, quae habetur in ἑξαπλοῖς et quam nos vertimus, ipsa est, quae in eruditorum libris incorrupta et immaculata septuaginta interpretum translatio reservatur [ed. LABOURT Bd. V, 105f.,7–15.29–33] (Dabei merke ich jenes kurz an, damit ihr wisst, dass die eine diejenige Version ist, die Origenes und Euseb von Caesarea und alle griechischen Ausleger κοινή, das heißt „die allgemeine“, nennen, oder auch „Vulgata“. Und von den meisten wird sie jetzt die „Lukianische“ genannt. Die andere ist die der siebzig Übersetzer, die sich in den hexaplarischen Kodizes befindet, und von uns originalgetreu ins Lateinische übersetzt worden ist, und die in Jerusalem und in den Kirchen des Ostens gesungen wird [wohl: in liturgischer Verwendung ist SW]. (…) Aber das ist der Unterschied zwischen den beiden, dass die κοινή durch die Orte und Zeiten [ihrer Abschrift] und entsprechend der Willkür von Schreibern eine schon seit langem beschädigte Version ist. Die aber, die in der Hexapla ist, und die wir übersetzt haben, das ist diejenige, die in den Büchern der Gebildeten als unbeschädigte und unversehrte Übersetzung der siebzig Übersetzer bewahrt ist.). Die hier sichtbare Dichotomie, die der trifaria varietas nicht genau entspricht, lässt sich, wie SCHULZ-FLÜGEL (Hieronymus 752) es tut, damit erklären, „dass offenbar nicht allein Hieronymus die komplizierte Quellenlage der griechischen Bibeltext kaum durchschauen konnte, sondern offenbar unterschiedliche Theorien im Umlauf waren.“

C.II.1. EINFLÜSSE DER SEPTUAGINTA

223

meist keinen besonderen Begriff,819 bisweilen aber ipsa Septuaginta. Für Hieronymus stellt diese von Origenes restaurierte und geheilte Version den ursprünglichen Text der Septuaginta dar. 820 Daher bezeichnet er sie als vera821 bzw. immaculata.822 Ob es sich bei den in ep. 5,2 Florentinus gegenüber erwähnten Bibelhandschriften nur um lateinische oder auch um griechische Versionen handelt, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen.823

C.II.1.2

Stellenuntersuchungen

Unreine Tiere in Dtn 14 Die Rolle, die die Septuaginta für die Übersetzung des Hieronymus spielt, lässt sich sehr deutlich in Dtn 14 zeigen. Daher sollen drei Beispiele aus diesem Kapitel vor den übrigen Stellenuntersuchungen angeführt werden. In allen drei Fällen handelt es sich um Bezeichnungen für unreine Tiere, die in Dtn 14 aufgelistet werden. Beim Vergleich des Kapitels mit der Septuaginta wird deutlich, dass Hieronymus in vielen Fällen nicht dem hebräischen Text folgt, sondern griechische Begriffe transliteriert oder mit einem lateinischen Äquivalent wiedergibt. Zum Teil stellt er sich auch der hexaplarischen Überlieferung entgegen. Außerdem lässt sich anhand anderer Werke des Kirchenvaters zeigen, dass er im Falle einiger der Tiere über wesentlich mehr Wissen verfügt, als die Übersetzung des Deuteronomiums erahnen lässt. Dabei werde ich folgende Quellen auswerten: Die Übersetzungen des Psalters, die nach der hexaplarischen Septuaginta (PsLXX, entstanden vor 392) und die nach der veritas hebraica (PsIH, entstanden nach 398), sowie den Liber nominum hebraicorum. Diese wurden zweifelsfrei vor der Übersetzung des Pentateuchs IH verfasst. Außerdem finden sich Parallelen in der Auslegung des Psalters in ep. 106. Für diesen Brief hat sich in der neueren Forschung die Datierung ALTANERS auf den

819 In Ezech. V ad 16,23–26: Hoc quod secundo dicitur: „vae, vae tibi,“ vulgata editio non habet, sed de Theodotionis translatione additum est [ed. GLORIE, CChr.SL 75, 187,79ff.] (Das, was als zweites gesagt wird: „Weh, Weh Dir!“ hat die Vulgata Ausgabe nicht, sondern es ist aus der Übersetzung Theodotions ergänzt worden.). Aus diesem Abschnitt ist ersichtlich, dass Hieronymus mit vulgata editio die Version bezeichnet, die der Bearbeitung des Origenes für seine Septuaginta zu Grunde liegt. 820 Von der Arbeit des Origenes bei der Erstellung der hexaplarischen Septuaginta berichtet Hieronymus auch in prol. Iob (IH), prol. Par. (IH), prol. Pent. (IH). WILLIAMS (Monk, 80) beobachtet dabei, dass Hieronymus im Umfeld seiner Übersetzungen aus der hexaplarischen Septuaginta nie auf Origenes verweist, sondern sich selbst die textkritische Arbeit zuschreibt. Erst in o.g. Vorworten zu seiner Übersetzung aus dem Hebräischen kommt Origenes als Kompilator der Hexapla und der hexaplarischen Septuaginta in den Blick. 821 Vgl. in Is. XVI ad 58,11 in Anm. 817. 822 So in ep.106,2 s.u. Anm. 817. In diesem Brief stellt Hieronymus die origenianische Septuaginta sogar der hebraica veritas gleich. 823 In ep. 5,2 (um 374) bietet Hieronymus Florentinus an, ihm im Austausch mit anderen Werken Bibelhandschriften zuzusenden: et quoniam, largiente Domino, multis sacrae Bibliothecae codicibus abundamus, impera vicissim, quodcumque vis mittam [ed. LABOURT Bd. I, 18, 28–31].

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C.II. ABWEICHUNGEN VON DER HEBRAICA VERITAS

Zeitraum 404–410 durchgesetzt.824 Da Hieronymus in diesem Brief Übersetzungsfragen zum Psalter behandelt, ist damit zu rechnen, dass er über einige der philologischen Kenntnisse, die er dort referiert, schon seit der Übersetzung der Psalmen, also vor der des Dtn um 400–405 verfügt. Dtn 14,17: Von Nachtraben und Uhus In der Liste der unreinen und daher nicht zum Verzehr erlaubten Vögel findet sich in Dtn 14,17 die Bezeichnung nycticorax („Nachtrabe“). Es handelt sich um die latinisierte Form von νυκτικόραξ, dem im hebräischen Text das Wort ,# entspricht. Dieser Begriff erscheint auch in Ps 101(102),7. In seinen beiden PsalterVersionen verfährt Hieronymus unterschiedlich mit dem Nomen: Im Psalterium secundum LXX, dem sog. Psalterium Gallicanum, entstanden vor 392, überträgt er νυκτικόραξ wie in Dtn 14,17 mit der latinisierten Schreibweise nycticorax. Später, bei seiner Übersetzung des Psalters aus dem Hebräischen, gibt er das hebräische ,# mit bubo (Uhu) wieder. In ep. 106,63 behandelt er zudem ein Attribut, das dem Vogel im Psalmvers zugeordnet ist, denn es weicht in den beiden Versionen des Psalters voneinander ab: Nach der Septuaginta befindet sich der „Nachtrabe“ ἐν οἰκοπέδῳ, bei Hieronymus in domicilio. Der Uhu des MT hat als Attribut 74 (Ruinen), was im Psalterium Iuxta Hebraeos mit solitudinum wiedergegeben ist. Das Vorgehen des Hieronymus bei der späteren Übersetzung des Pentateuchs verwundert verglichen mit der viel detaillierteren Beobachtungen bei der Bearbeitung des Psalters. Zusätzlich zu dem, was sich über den Vergleich seiner Übersetzungen (PsLXX, PsIH, Dtn) herausfinden ließ, beschäftigt er sich in ep. 106,63 noch ausführlich mit der Benennung des Vogels in den unterschiedlichen Versionen von Ps 101(102),7: In eodem: „factus sum sicut νυκτικοραξ in domicilio.” Quod similiter habetur in graeco; et quaeritis, quid significet νυκτικοραξ apud latinos. In hebraeo pro nycticorace verbum BOS scriptum est, quod Aquila et Septuaginta et Theodotio et quinta editio nycticoracem interpretati sunt, Symmachus upupam, sexta editio noctuam, quod et nos magis sequimur. denique, ubi apud nostros et graecos legitur: „factus sum sicut νυκτικοραξ in domicilio”, apud hebraeos dicitur: „factus sum sicut noctua in ruinosis”. plerique bubonem contentiose significari putant. 825 Im selben [Vers des PsLXX steht]: „factus sum sicut νυκτικοραξ in domicilio.“ Ähnlich hat es auch der griechische Text. Ihr fragt euch, was νυκτικοραξ auf Latein bedeutet? Im Hebräischen ist für den Nachtraben [hier jetzt das latinisierte Wort] BOS geschrieben, was Aquila, die Septuaginta, Theodotion und die Quinta mit Nachtrabe wiedergegeben haben, Symmachus mit Wiedehopf, und die Sexta mit Käuzchen, wohin auch wir tendieren. Denn, wo bei 824 ALTANER, ep.106, passim; Auf ihn verweisen auch neuere Forschungsbeiträge, wie z.B. FÜRST, Hieronymus, 119; CAIN, Letters, 210 Anm. 18. ALTANERS Datierung des terminus post quem basiert auf der Beobachtung, dass Hieronymus in ep. 106 auf Augustins Enarratio in Ps 88 Bezug nimmt, die er erst nach 404 in Bethlehem erhalten haben dürfte. Sollte die künftige Forschung wieder Erwarten bessere Argumente für eine frühere Datierung des Briefes finden, wie sie der Ansicht LABOURTS zugrunde liegen (um 400 so LABOURT, Lettres V, 104ff Anm. 1), hieße dies für das Folgende, dass ihm das in dem Brief zitierte Wissen zweifelsfrei schon vor der Übersetzung des Pentateuch IH vorgelegen hätte. Erwähnung findet eine Frühdatierung auch in den Biographien von GRÜTZMACHER (Hieronymus I, 85: vor 393) und CAVALLERA (Saint Jérôme II, 46f.), der 393 als den frühstmöglichen Termin nennt. Beide allerdings ohne ausführlichere Diskussion von Argumenten. 825 [Ed. LABOURT Bd. V, 134,21–135,4].

C.II.1. EINFLÜSSE DER SEPTUAGINTA

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unsren und den griechischen [Übersetzungen] zu lesen ist: „Ich bin wie ein νυκτικοραξ im Haus geworden“, sagt der hebräische Text: „Ich bin wie ein Käuzchen in den Ruinen geworden“. Die meisten meinen hartnäckig, dass es „Uhu“ bedeutet.

Hieronymus zitiert hier zunächst aus dem PsLXX, den er den gotischen Bischöfen Sunnia und Fretella in dem Schreiben erläutern möchte. Dabei nennt er den griechisch geschriebenen Vogelnamen νυκτικόραξ, dem er im Anschluss den Wortlaut des Hebräischen gegenüberstellt: „BOS“. Entweder verliest bzw. verschreibt sich Hieronymus (, anstelle von ,#)826 oder er hat ein abweichendes Manuskript vorliegen (z.B. ,#, vgl. app.crit. BHQ ad loc.). Für wahrscheinlicher halte ich, dass ein Fehler in der handschriftlichen Überlieferung des Hieronymusbriefes vorliegt.827 Die Übersetzung und die Erklärung im Brief beziehen sich allesamt auf das hebräische ,#. Interessanterweise beschreibt Hieronymus, dass er entgegen seiner sonstigen Neigung nicht Symmachus oder Aquila folgt, sondern der Sexta (noctua). So formuliert er dann im Brief auch eine eigene Übersetzung des Hebräischen, die vom Käuzchen spricht. In seiner zweiten Übersetzung des Psalters (Iuxta Hebraeos) und in Lev 11 wählt er allerdings bubo. Dies ist nach ep. 106 die Meinung der plerique, von denen Hieronymus sich abgrenzt. Offen bleibt, wer diese sind, – um hexaplarische Rezensionen kann es sich nicht handeln, denn diese werden im Vorfeld aufgezählt. Vielleicht spricht Hieronymus von anderen lateinischen Übersetzern. Allerdings findet sich unter den vielen erhaltenen VL-Traditionen keine mit bubo. Warum Hieronymus in PsIH und in Lev 11,14 die ihm im Brief bekannte, aber von ihm dort nicht favorisierte Variante bubo wählt, lässt sich auch durch verschiedene Datierungen des Briefes nicht einleuchtend erklären: Sollte man den Brief früh, also zwischen der ersten und der zweiten Psalterübersetzung ansetzen, dann ergibt sich folgendes Bild: In ep. 106 präferiert er noch noctua, kennt bereits die Bedeutung bubo, lehnt aber diese ab. Später besinnt er sich eines Besseren und entscheidet sich im Psalter IH und in Lev IH für bubo. Nicht viel stringenter erscheint die Sachlage, wenn der Brief nach dem Pentateuch IH entstanden sein sollte (wovon man gemeinhin ausgeht). Dann gehört seine eigene Übersetzung des hebräischen ,# zu der Gruppe der plerique, die Hieronymus im Brief (also später) kritisiert. Dies täte er, ohne sich darauf zu beziehen, dass er diese Meinung einmal geteilt und in seiner eigenen Übersetzung verwendet hat.828 Allein, wenn man ep. 106 als subtile 826 HILBERG [CChr.SL 55, 279] rechnet mit einem Fehler des Hieronymus. 827 Eine Hieronymus sehr geneigte Interpretation bietet VALLARSI: „quidam malunt Hieronymo properanti vitium adscribere. Nobis satius videtur latinum librarium vocem ignotiorem COS in notissimam BOS commutasse.“ [ed. VALLARSI, PL 22, 859 Anm. d]. (Manche wollen hier lieber dem eiligen Hieronymus einen Fehler unterschieben. Uns scheint es zufriedenstellender, dass der lateinische Kopist, der das Wort COS nicht kannte, es in BOS umgewandelt hat.). Dies ist einleuchtend, wenn man davon ausgeht, dass ein in lateinischen Buchstaben geschriebenes Wort abgeschrieben wurde. Da im Zusammenhang mit Tieren nur BOS („Rind“) und nicht COS ein sinnvolles lateinisches Wort ergibt, wurde dieses aus Unkenntnis des Hebräischen geändert. Die Erklärung ist aber auch für den Fall sinnvoll, dass die handschriftliche Überlieferung zunächst mit hebräisch geschriebenen Worten operierte. Hier wäre eine Verwechslung von  und # ebenfalls wegen mangelnder Sprachkenntnisse seitens der Abschreiber denkbar. 828 Dass der Vergleich der lateinischen Psalterpassagen in ep. 106 die Entscheidung über die Datierung nicht erleichtert, merkt auch ALTANER an: „ …, noch haben die Beobachtungen, die sich auf das im Brief vorausgesetzte chronologische Verhältnis zum Psalterium Gallicanum und Psalterium Iuxta Hebraeos beziehen, zu einer befriedigenden Deutung geführt.“ (ALTANER, Wann schrieb Hieronymus?, 246).

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C.II. ABWEICHUNGEN VON DER HEBRAICA VERITAS

Kritik an seiner eigenen Übersetzung des Psalters IH und nicht nur als Kommentar zum Psalter nach der Septuaginta verstehen würde, wäre diese Konstellation nachvollziehbar. Um dies generell zu verifizieren, müsste zumindest an einigen anderen Stellen des Briefes geprüft werden, ob dies möglich ist. Für Hieronymus’ Vorgehen bei der Übersetzung des Dtn IH lassen sich die Beobachtungen an den anderen Texten des Kirchenvaters in folgender Weise interpretieren: Hieronymus kennt und verwendet schon vor der Bearbeitung des Dtn die Bedeutungen nycticorax und bubo. In Dtn 14,16ff. folgt er in der Reihenfolge der Tiere der Septuaginta statt dem MT. Auch latinisiert er bei der Mehrzahl der Vögel die Form der Septuaginta. An ep. 106, sei sie nun vor oder nach der Pentateuchübersetzung entstanden, zeigt sich, dass Hieronymus generell Interesse für zoologische Details entwickeln kann und dafür philologische Arbeit leistet. Die Liste der verbotenen Vögel scheint für ihn aber dafür nicht der richtige Ort zu sein. In eine ähnliche Richtung deuten die beiden folgenden Beispiele. Dtn 14,13.16: Von Störchen, Reihern und Falken In dem o.g. Brief 106 erklärt Hieronymus auch Ps 103(104),17. Zum besseren Überblick sei zunächst die Textbasis des Psalmverses nach dem masoretischen Konsonantentext, der Septuaginta, und den beiden Psalterübersetzungen des Hieronymus voran gestellt: MT: 7!'!64!,++3!'!402'646 LXX: ἐκεῖ στρουθία ἐννοσσεύσουσιν, τοῦ ἐρωδιοῦ ἡ οἰκία ἡγεῖται829 αὐτῶν PsLXX: illic passeres nidificabunt erodii domus dux est eorum PsIH: ibi aves nidificabunt milvo abies domus eius Hierzu erhalten die Gotenbischöfe Sunnia und Fretella von Hieronymus folgende Erläuterung in ep. 106,65: In eodem: Herodii domus dux est eorum. pro herodio, quod in Hebraeo dicitur ASIDA, Symmachus ικτινα, id est milvum, interpretatus est. denique et nos ita vertimus in latinum: „Ibi aves nidificabunt; milvi abies domus est.” quod scilicet semper in excelsis et arduis arboribus nidos facere consueverit. Unde et sexta editio manifestius interpretata est: Milvo cupressi ad nidificandum. pro abietibus autem et cupressis in Hebraeo ponitur BARUSIM, quod magis abietes quam κυπαρισσους significat.830 In demselben Vers [heißt es in Hieronymus’ Übersetzung nach der hexaplarischen Septuaginta]: „das Haus des Reihers ist ihr Anführer“. Für Reiher (herodius), was auf Hebräisch ASIDA heißt, hat Symmachus ικτινα übersetzt, das heißt Falke. Daher haben auch wir so ins Lateinische übertragen: „Dort werden Vögel nisten. Dem Falken (milvus) dient die Tanne als Behausung.“ Weil er nämlich immer auf hohen und spitzen Bäumen seine Nester zu bauen pflegt [, kann man sagen]: Dem Falken [dienen] Zypressen zum Nisten. Aber für Tannen und Zypressen steht im Hebräischen BARUSIM, was eher Tannen als Zypressen [κυπαρισσους] bedeutet.

Hier scheint sich Hieronymus dafür zu interessieren, welche Vogel- und Pflanzenart im Psalmtext gemeint ist. Auch argumentierte er mit zoologischem Hintergrundwissen wie Nistgewohnheiten und genauen Analysen der Bedeutung hebräischer Be829 Vermutlich liegt hier der Septuaginta ein anderer Konsonantentext als dem MT zugrunde oder es handelt sich um einen Lesefehler der Übersetzer, vgl. app.crit. BHQ zur Stelle: G ἡγεῖται αὐτῶν = '_’‘ 4=.‰ 830 [Ed. LABOURT Bd V, 137,8–17].

C.II.1. EINFLÜSSE DER SEPTUAGINTA

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griffe (BARUSIM z.B.). Dass die veritas offenbar nicht in sklavischer Übernahme des Grundtexts besteht, zeigt bei ihm folgende Vorgehensweise: Gegen seine Kenntnis des hebräischen Wortlautes (ASIDA – Reiher/ Storch u.ä.) und dessen lateinischer Bedeutung (herodius) folgt er aus inhaltlichen Gründen der Übersetzung des Symmachus (milvus). Der im Brief genannte lateinische Text für Ps 103(104),17 entspricht in diesem Fall, anders als oben, zumindest fast der des PsIH. Bei den Vogellisten im Pentateuch, die nach dem Psalter übersetzt wurden, orientiert sich Hieronymus dagegen nicht an seiner Psalterübersetzung oder an hexaplarischen Versionen, sondern wiederum nur an der Septuaginta. Er gibt das hebräische !, wie die Septuaginta (ἐρωδιός) mit erodius wieder. Offenbar sind ihm die Auslegung (und auch die Übersetzung) des Psalmtextes mehr theologische Recherche und Überlegungen wert gewesen als die der unreinen Tiere in Dtn 14. Dtn 14,6f.: Von Grunzschweinchen, Klippdachsen und Igeln Das hebräische *06 („Klippschliefer“), das in der Auflistung unreiner Wiederkäuer in Dtn 14,7 genannt wird, gibt Hieronymus in der IH mit choerogryllium wieder. Es handelt sich um eine Umschrift des griechischen χοιρογρύλλιον aus der Septuaginta. Schon in nom. hebr., entstanden zwische beiden Übersetzungen des Psalters, hatte Hieronymus verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten für das Hebräische gesammelt. Im Kapitel zum Buch Numeri (wo das Wort allerdings nicht vorkommt) nennt er lepus aut ericius831 („Hase oder Igel“) als Übersetzung des hebräischen *06.832 Auch den Begriff choerogryllius kennt Hieronymus schon, denn unter den onomastischen Erklärungen zum Buch Jeremia, in denen *06 zwar als Personenname, aber nicht als Tier vorkommt, findet sich: safan – chirogryllius, lepus vel ericius sive labium eorum („Safan – chirogryllius, Hase oder Igel oder ihre Lippe“833). Aus diesen vielfältigen Möglichkeiten wählt er im PsIH ericius („Igel“). Wiederum aus ep. 106 lässt sich zeigen, dass Hieronymus mehr weiß, als seine Übersetzungen vermuten lassen. Er erklärt dort Ps 103(104),18, der denselben hebräischen Tiernamen *06 enthält, und zieht dabei Lokalkolorit zu Rate, um den Adressaten ein vertiefendes Verständnis der Bibelstelle zu ermöglichen: In eodem: Petra refugium erinaciis. Pro quo in Hebraeo positum est SPHANNIM et omnes τοις χοιρογρυλλιοις voce simili transtulerunt exceptis septuaginta, qui lepores interpretati sunt. Sciendum autem animal esse non maius ericio, habens similitudinem muris et ursi, unde et in Palaestina αρκομυς dicitur. et magna est in istis regionibus huius generis abundantia semper que in cavernis petrarum et terrae foveis habitare consuerunt. Im selben [Vers des Psalters nach der hexaplarischen Septuaginta steht]: „Fels als Obdach für die Igel.“ Dafür steht im Hebräischen SPHANNIM [='!+06] und alle geben es einstimmig mit τοις χοιρογρυλλιοις [i.e. „für die Grunzschweinchen“] wieder, außer der Septuaginta, die „Hasen“834 übersetzt hat. Man muss aber wissen, dass das Tier nicht größer als ein Igel ist, und dass es Ähnlichkeit mit einer Maus und einem Bären hat, weswegen man es in Palästina auch αρκομυς [„Bärmaus“] nennt. Und diese Tierart ist in diesen Gegenden im Überfluss vorhanden, und sie wohnen gewöhnlich immer in Felshöhlen und Erdlöchern.

831 832 833 834

Neben der Form ericius ist auch die im Lateinischen gebräuchliche Variante (h)erinacius belegt. Nom. hebr. 55,20. Wie nom 58,20 u.a. zeigt, ist mit den „Lippen“ ein Oberlippenbart gemeint. λαγωοις findet sich z.B. im Cod. Alexandrinus zum Psalter, Cod. Vaticanus und viele anderen Handschriften haben ebenfalls χοιρογρυλλιοις.

228

C.II. ABWEICHUNGEN VON DER HEBRAICA VERITAS

Die Erklärung, die Hieronymus für Sunnia und Fretella über den Psalmvers verfasst, zeigt Folgendes: Hieronymus ist sich bewusst, dass sein an der hexaplarischen Septuaginta orientierter Psalter von dieser abweicht. Im von ihm verwendeten Septuaginta-Text steht nach seinem eigenen Zeugnis lepores, im Griechischen also eine Form von λαγώς. Doch weder dies noch die anderen erwähnten griechischen Versionen (χοιρογρύλλιοι) präferiert Hieronymus. Stattdessen übernimmt er erinaciis, wie es in der hier VL-Überlieferung vorliegt. Die weiteren Erklärungen in ep. 106 bieten neue Erkenntnisse, die wohl auf eigener Anschauung in Palästina beruhen. Der Vergleich mit dem Igel bringt seine eigene Übersetzung des Psalters ins Spiel. Die folgenden Erklärungen bezeugen aber eher die Unzulänglichkeit dieser Übersetzung. Auch in der Psalmübersetzung Iuxta Hebraeos verwendet Hieronymus (h)eri(na)cius („Igel“). Dies spricht dafür, dass ep. 106 nach beiden Psalterübersetzungen entstanden sein müsste, welche Hieronymus offenbar angesichts neuer Erkenntnisse nicht mehr überarbeitete. Trotz dieses umfangreichen Wissens gibt er den Tiernamen in Dtn 14,7 als lateinische Transkription der Septuaginta wieder: choerogryllium („Grunzschweinchen“) – eben jene Bezeichnung, die er in den anderen Fällen übergangen hat. M.E. zeugt dieses Vorgehen des Hieronymus ebenso wie die anderen untersuchten Stellen davon, dass er je nach Interessenlage intensiv nach der Bedeutung hebräischer Begriffe forscht und um eine korrekte Wiedergabe ringt, oder aber den bequemen Weg der Transliteration des Griechischen wählt, wenn er den Text für nicht wichtig genug hält. In solchen Fällen, wie sie offenbar in Dtn 14 bei der Auflistung unreiner Tiere vorliegen, orientiert sich Hieronymus an der ihm vorliegenden Septuaginta oder übernimmt Transliterationen des Griechischen aus altlateinischen Texten. Dtn 12,23 Dtn 12,23 steht im Kontext der Regelungen von Profanschlachtungen an Orten, die vom Kultzentrum entfernt liegen. Der Vers verbietet in diesem Zusammenhang jeglichen Verzehr von Blut, sei es von geschlachteten Haustieren oder gejagttem Wild: MT %#!7%%3 34 ' Beherrsche dich nur, kein Blut zu essen!

Hieronymus

Septuaginta

hoc solum cave ne comedas sanguinem

πρόσεχε ἰσχυρῶς τοῦ μὴ φαγεῖν αἷμα

Nur davor hüte dich, dass du kein Blut isst!

Hüte dich stark. dass du kein Blut isst

Vergleichstext σ': ἀσφαλίζου (sei stark)

Das hebräische Verb 3 hat die Grundbedeutung „fest sein“835 In Dtn 12,23 ist es übertragen gebraucht im Sinne von „sich beherrschen“, „standhaft bleiben“. Dies gibt die Septuaginta mit zwei Begriffen wieder: πρόσεχε ἰσχυρῶς („Hüte dich sehr/stark“), Symmachus übersetzt das Hebräische wörtlicher. Hieronymus wählt aus der Septuaginta lediglich das Verb und gibt es mit cave wieder. 835 Vgl. GESENIUS, Wörterbuch, 335, u.a.

C.II.1. EINFLÜSSE DER SEPTUAGINTA

229

Dtn 16,21f. Die Verse Dtn 16,21f. bilden ein Beispiel dafür, dass Hieronymus nicht immer dem MT folgt, auch wenn der Text der Septuaginta schwerer verständlich ist als der hebräische, was an seiner weiteren stilistischen Arbeit zu sehen ist. Um die aus dem griechischen Text resultierenden inhaltlichen Schwierigkeiten zu glätten, wählt Hieronymus eine freie Formulierung, die ebenfalls nicht dem MT entspricht. MT 1-%#46"%- 7%21 46 "!%!)%2 "%6-7 462)"%'!37%22 "!%!+6 21

Pflanze dir keine Aschere, keinerlei Baum, neben dem Altar JHWHs, deines Gottes, den du dir machen wirst, 22 und stelle dir keine Mazebe auf, was JHWH, dein Gott, hasst.

Hieronymus

Septuaginta

21

non plantabis lucum et omnem arborem iuxta altare Domini Dei tui 22 nec facies tibi atque constitues statuam quae odit Dominus Deus tuus.

21

21

21

Pflanze keinen Hain und irgendeinen Baum neben den Altar des Herrn, deines Gottes, 22 und mache und stelle dir keine Statue auf, was der Herr, dein Gott, hasst.

οὐ φυτεύσεις σεαυτῷ ἄλσος πᾶν ξύλον παρὰ τὸ θυσιαστήριον κυρίου τοῦ θεοῦ σου οὐ ποιήσεις σεαυτῷ 22 οὐ στήσεις σεαυτῷ στήλην ἃ ἐμίσησεν κύριος ὁ θεός σου Pflanze dir keinen Hain836, irgendein Gehölz neben den Altar des Herrn, deines Gottes, fertige dir nicht an, 22 stelle dir keine Säule auf, was der Herr, dein Gott hasst (Aor.).

Als drittletztes Wort des V.21 überliefern alle verfügbaren Septuaginta-Handschriften οὐ. Bereits GRABE837 konjizierte zu ὃ, was dem hebräischen 46 entspricht. Er vermutet wohl einen in der Textgeschichte der Septuaginta sehr frühen Abschreibfehler durch eine Parablepse mit dem folgenden Teilsatz (οὐ ποιήσεις – οὐ στήσεις). Ein anderer Grund für die Abweichung der Septuaginta vom MT könnte sein, dass der Relativsatz („den du machen wirst“) nicht verstanden wurde. In der Narration des Deuteronomiums gibt Mose die Anweisungen in Kap. 16 vor dem Erreichen des Landes und spricht daher futurisch davon, dass ein Altar für JHWH am Ort, den JHWH dafür erwählt hat, gebaut werden wird. Dass die Textversion mit οὐ schon in der Antike verbreitet ist, zeigen Zitate und Auslegungen bei Origenes und Philo.838 Beide lesen infolgedessen zwei Verbote in V.21: (1) Keinen heiligen Hain zu pflanzen und (2) keinen Baum neben dem Altar aufzustellen. Die Zäsur in V.21 wird demnach nach ἄλσος gesetzt und πᾶν ξύλον als Objekt mit οὐ ποιήσεις verbunden. Auch Hieronymus kennt offenbar diese Textform der Septuaginta mit οὐ. Zu erwarten wäre bei ihm nun, dass er den griechi836 Vgl. Dagegen WEVERS, Notes on Deuteronomy, 276. WEVERS zufolge bezeichnet ἄλσος in der Septuaginta fast ausnahmslos das hebräische 46 und weicht damit von der klassischen Bedeutung „Hain“ ab. 837 JOHANN E. GRABE, Vetus Testamentum ex versione Septuaginta interpretum olim ad fidem codicis ms. Alexandrini, Vol. I, Oxford 1707, ohne Seitenzählung; ed. Joannes J. BREITINGER, Zürich 1730, 352. 838 Hom. IV in Ier. 4 lautet: ὁ νομοθέτης λέγει: Οὐ φυτεύσεις πᾶν ξύλον παρὰ τὸ θυσιαστήριον κυρίου τοῦ θεοῦ σου, καὶ οὐ ποιήσεις ἄλσος·[ed. KLOSTERMANN, GCS 6 (Origenes III), 27,16ff.]; Philo formuliert in leg. all. I 51 zwei Vorschriften aus Dtn 16,21: διὰ τοῦτό φησιν· „οὐ φυτεύσεις σεαυτῷ“· (…) καὶ ἐπιφέρει πάλιν·„οὐ ποιήσεις σεαυτῷ.“ [ed. COHN/WENDLAND Bd. V, 73,21ff.] (Daher sagt er: „Du sollst dir nicht pflanzen“, (…) und wiederum: „Du sollst dir nicht machen!“).

230

C.II. ABWEICHUNGEN VON DER HEBRAICA VERITAS

schen Text korrigiert und an den hebräischen Wortlaut mit einem Relativsatz anpasst, entsprechend der modernen Konjektur der Septuaginta. Doch Hieronymus übernimmt hier die Septuaginta, und setzt nec für das griechische οὐ. Ihm scheint es dann aber sinnvoller, im Folgenden das Verb facere (6-, ποιεῖν) nicht auf arbor (1, ξύλον) rückzubeziehen, wie Philo und Origenes („mache dir nicht irgendein Holz/Holzbild ...“). Vermutlich stört ihn stilistisch, dass Bäume (arbor) gewöhnlich nicht hergestellt (facere), sondern gepflanzt werden. Daher zieht er nec tibi facies mit atque zum folgenden Verb constitues. Der erste Sinnabschnitt endet für Hieronymus also erst vor nec: „Pflanze keinen Hain und irgendeinen Baum neben den Altar des Herrn deines Gottes.“ Dies wurde auch durch die Abweichung in der Verszählung sichtbar gemacht: V.22 beginnt in IH mit nec facies, während in MT und Septuaginta die entsprechenden Formulierungen noch zu V.21 gezählt werden. Objekt der beiden Verben facere und constituere wird bei Hieronymus das Nomen statua („Mache keine Säule/Statue und stell sie nicht auf ...“). Die beiden ersten Nomina in V.21 (lucum, arbor) bilden durch die Einfügung von et beide Objekte von plantabis. Auch dies hat keine Parallelen, weder im MT noch in der Septuaginta. Es könnte aber auf hexaplarischen Einfluss zurück zu führen sein. Denn Hs 321 überliefert für den Anfang des Verses als nicht spezifizierte hexaplarische Glosse die Genitivkonstruktion σκίασμα παντὸς δένδρου („Schatten einen jeglichen Baumes“). Trotz des status absolutus von 46 wird das folgende 1-%# als nomen regens gedeutet,839 und die beiden Nomina werden als zusammengehörend verstanden, anders als bei Philo und Origenes. Im Vergleich mit Hieronymus’ konzeptionellen Äußerungen zum Übersetzen fällt auf, dass die Orientierung am Septuaginta-Text, zudem an einer Stelle, die ihm offensichtlich interpretatorisch und inhaltlich Schwierigkeiten bereitet, sich nicht mit dem Konzept der veritas hebraica erklären lässt, sondern dem MT entgegen steht. Hieronymus’ zweites Anliegen, nämlich einen stilistisch hochwertigen lateinischen Text zu schaffen, kann man seiner Arbeit an diesem Vers gleichwohl anmerken. Dtn 17,3 Dtn 17,3 bietet eines der Beispiele, dass Hieronymus an einer Stelle, an der sich theologische Konsequenzen ergeben, mit der Septuaginta gegen den hebräischen Text übersetzt. Der Vers ist Teil einer längeren syntaktischen Konstruktion, die in V.2 beginnt und sich bis V.4 erstreckt. Dtn 17,2 lautet (orientiert am hebräischen Text): „Wenn bei dir in einer einzelnen deiner Städte, die dir JHWH, dein Gott geben wird, ein Mann oder eine Frau gefunden wird, die etwas tut, was böse ist in den Augen JHWHs, deines Gottes, sodass er/sie seinen Bund übertritt, …“. Vers 3 führt fort:

839 Eine andere mögliche Erklärung wäre die Annahme eines abweichenden Konsonantentexts 1-%#746, die jedoch handschriftlich nicht belegt ist.

C.II.1. EINFLÜSSE DER SEPTUAGINTA

MT

231

Hieronymus

Septuaginta

'!4'!%-!"%! 4!%6)6% '%76! %46'!)62%#% !7!2

ut vadant et serviant diis alienis et adorent eos solem et lunam et omnem militiam caeli quae non praecepi

καὶ ἐλθόντες λατρεύσωσιν θεοῖς ἑτέροις καὶ προσκυνήσωσιν αὐτοῖς τῷ ἡλίῳ ἢ τῇ σελήνῃ ἢ παντὶ τῶν ἐκ τοῦ κόσμου τοῦ οὐρανοῦ, ἃ οὐ προσέταξεν

… und er geht und anderen Göttern dient und anbetend niederfällt vor ihnen und/nämlich vor der Sonne oder dem Mond oder dem ganzen Heer des Himmels, was ich nicht geboten habe, …

… dass sie gehen und anderen Göttern dienen und sie verehren: die Sonne und den Mond und das ganze Heer des Himmels, was ich nicht geboten habe, …

… und (wenn) sie hingehen und andere Götter verehren und vor ihnen niederfallen: vor der Sonne oder dem Mond oder einem jeden von dem aus der Ordnung des Himmels, was er nicht geboten hat, …

„… und wenn,“ schließt sich in V.4a an „… es dir angekündigt wird und du es hörst, dann sollst du gewissenhaft nachforschen.“ Hieronymus gleicht schon im vorangehenden Vers (17,2) an das pluralische Subjekt vir et mulier an. Die Septuaginta vollzieht den Numeruswechsel zu Beginn von V.3 mit ἐλθόντες. Der MT hingegen hat durchgehend Singular. Auch an der markierten Stelle schließt sich Hieronymus der Septuaginta an, die die Kopula  vor 6)6% nicht übersetzt. Dadurch wird der Text vereindeutigt: Die „anderen Gottheiten“ werden mit den genannten Gestirnen gleichgesetzt. Im masoretischen Text ist es offen, ob '!4'!% durch ein waw explicativum vor 6)6% mit den folgenden Gestirnen gleichgesetzt werden (i.S.v.: „nämlich der Sonne oder dem Mond, …“). Eine andere Deutungsmöglichkeit wäre, dass die Gestirne zusätzlich zu '!4'!% genannt werden und mit der ersten Formulierung z.B. die Verehrung von Götterbildern, Ascheren, Mazzeben usw. gemeint ist.840 Die Septuaginta nimmt dem hebräischen Text die Mehrdeutigkeit dadurch, dass das  weggelassen wird, und spitzt die Aussage auf den Astralkult zu. Auch die kleine Anzahl an Handschriften des lukianischen Septuaginta-Typs, die ἢ τῷ ἡλίῳ überliefern, sind m.E. in dem Sinne zu verstehen, dass es sich bei den anderen Göttern um Gestirne handelt, im Sinne von „sei es die Sonne oder der Mond …“.841 Dieser Auslegung schließt sich Hieronymus an. Doch nicht nur die Septuaginta, auch rabbinische Texte verstehen die Aufzählung der Gestirne als Explikation der Fremdgötter. So konzentriert der Midrasch SifDev 148 seine Auslegung auf die Verehrung von Astralgottheiten. Der Midrasch bringt Dtn 17,3 aufgrund des Lemmas !7!2 mit der ähnlichen Formulierung in Dtn 4,19 in Verbindung. Dieser Vers (s.o.) hat explizit den Kult der Gestirne zum Thema. Am Ende des Verses wiederum befindet sich Hieronymus näher am MT als an der Septuaginta. So gibt er 2 mit militia wörtlich wieder, während die Septuaginta wie häufig κόσμος verwendet.

840 Vgl. hierzu WEVERS, Notes on Deuteronomy, 279. 841 So auch 11Q19 (=11QTa) 56: 6)6%.

232

C.II. ABWEICHUNGEN VON DER HEBRAICA VERITAS

Dtn 17,12 Ein ähnlicher Fall, in dem Hieronymus der Septuaginta statt dem MT folgt, findet sich in Dtn 17,12a: MT

Hieronymus

Septuaginta

*6-!466! )-*#%-)6!7%% "!%!7'6 746% 06%

qui autem superbierit nolens oboedire sacerdotis imperio qui eo tempore ministrat Domino Deo tuo et decreto iudicis

καὶ ὁ ἄνθρωπος ὃς ἂν ποιήσῃ ἐν ὑπερηφανίᾳ τοῦ μὴ ὑπακοῦσαι τοῦ ἱερέως τοῦ παρεστηκότος λειτουργεῖν ἐπὶ τῷ ὀνόματι κυρίου τοῦ θεοῦ σου ἢ τοῦ κριτοῦ ὃς ἂν ἦ ἐν ταῖς ἡμέραις ἐκείναις

Und jeder, der vermessen handelt, dass er nicht auf den Priester hört, der bereitsteht um JHWH, deinem Gott, dort zu dienen, oder auf den Richter, …

Wer aber aus Hochmut nicht auf den Bescheid eines Priesters hören will, der zu dieser Zeit dem Herrn, deinem Gott, dient, oder dem Entscheid eines Richters, …

Und der Mensch, der vermessen handelt, dass er nicht auf den Priester hört, der bereitsteht zu dienen dem/im Namen des Herrn deines Gottes oder auf den Richter, welcher es in jenen Tagen auch ist, …

Zunächst fällt in Dtn 17,12 das stilistische Bemühen Hieronymus’ auf. Durch die sinngemäßen Einfügungen von nolens, imperio, decreto schafft er einen eleganten lateinischen Text, der konkreter formuliert als seine Vorlagen. Das schwer verständliche ἐπὶ τῷ ὀνόματι in der Septuaginta geht entweder auf einen Lesefehler beim Übersetzen oder auf einen Abschreibfehler in der hebräischen Vorlage zurück: Sie liest '67 („den Namen“) statt 7'6 („dort, den …“). Gleichzeitig bringt die Septuaginta mit der Ergänzung ὃς ἂν ἦ ἐν ταῖς ἡμέραις ἐκείναις ein temporales Element in den Text. Dieser Relativsatz ist wohl an V.9 angepasst, wo sich die entsprechende Formulierung auch im MT findet. Hieronymus lässt ἐπὶ τῷ ὀνόματι bzw. '6 aus stilistischen Gründen aus und ersetzt die Wendung durch einen temporalen statt einen lokalen Relativsatz. Dieser erinnert an den in der Septuaginta am Ende des Verses angefügten Nebensatz, der im MT keine Entsprechung hat. Doch Hieronymus orientiert sich in diesem Vers offensichtlich lieber an diesem leichter verständlichen Septuaginta-Text, als auf das hebräische '6 zurück zu gehen. Weiterhin übergeht er, vermutlich auch aus stilistischen Gründen, das hebräische )-, auch wenn die Septuaginta ihm mit τοῦ παρεστηκότος eine mögliche Übersetzung vorgibt. Dtn 17,18 Kurios wirken Stellen, an denen Hieronymus sich beiden Hauptquellen, dem MT und der Septuaginta, verpflichtet fühlt und für ein und dasselbe Wort in den Quelltexten sowohl die Bedeutung des MT als auch die davon abweichende der Septuaginta wiedergibt. Seine Übersetzung von Dtn 17,18b besteht aus einer Kombination beider Traditionen:

C.II.1. EINFLÜSSE DER SEPTUAGINTA

MT

233

Hieronymus

Septuaginta

47+6)7 %7# !+0%)40,%-7 '!%'!+#

describet sibi deuteronomium legis huius in volumine accipiens exemplar a sacerdotibus leviticae tribus

καὶ γράψει ἑαυτῷ τὸ δευτερονόμιον τοῦτο εἰς βιβλίον παρὰ τῶν ἱερέων τῶν Λευιτῶν

… und er soll die Abschrift dieses Gesetzes(werks) auf eine Schriftrolle schreiben vor den levitischen Priestern.

Er soll sich das Deuteronomium dieses Gesetzes in eine Schriftrolle niederschreiben, wenn er eine Ausgabe von den Priestern vom Stamm der Leviten erhält.

…, dann soll er sich dieses Zweit-Gesetz in eine Buchrolle schreiben bei den Priestern, den Levit[isch]en.

Die Septuaginta versteht das hebräische +6) nicht im materialen Sinne von „Abschrift“, sondern bezieht es im kanonischen Sinne auf die Gesetze des fünften Buches Mose als Dopplung zu den Vorschriften in Ex–Num842. Der König soll „dieses Deuteronomium“ in ein Buch schreiben. Hieronymus kennt das griechische Wort als Eigennamen und übernimmt es daher in latinisierter Form. Um aber auch dem Wortlaut des Hebräischen gerecht zu werden, ergänzt er das von der Septuaginta seiner Ansicht nach „vergessene“ legis für das hebräische 47. Auch der Midrasch Sifre stolpert über die Tatsache, dass 47+6) schon zum Terminus für das fünfte Buch der Tora geworden ist (SifDev160): 47!4%#74)6%4)%)%7*!+)47!44647+6)%!%*!+6) 7 „Abschrift“ – Da habe ich nur das Deuteronomium (erwähnt); die übrigen Worte der Tora, woher (lässt sich erweisen, dass er auch sie abschreiben soll)? Die Schrift sagt: „um zu halten alle Worte dieses Gesetzes …“ (Deut 17,19).843

Dtn 18,10 Der Vers zeigt, dass Hieronymus ebenfalls (wie Vers 17,18 s.o.) sowohl dem MT als auch der Septuaginta folgt. Mose warnt Israel davor, dass niemand im Volk gefunden werden soll, MT 67+4!-) … der seinen Sohn und seine Tochter durchs Feuer hindurch gehen lässt.

Hieronymus

Septuaginta

qui lustret filium suum aut filiam ducens per ignem

περικαθαίρων τὸν υἱὸν αὐτοῦ ἢ τὴν θυγατέρα αὐτοῦ ἐν πυρί

… der seinen Sohn oder seine Tochter dadurch reinigt, dass er sie durch Feuer führt.

… der seinen Sohn oder seine Tochter mit Feuer reinigt.

Das Partizip 4!-) („lässt hinübergehen“) aus dem MT erscheint bei Hieronymus ebenfalls als ducens („führt“). Dies entspricht auch der hexaplarischen Tradition, 842 Vgl. WEVERS, Notes on Deuteronomy, 288; DOGNIEZ/HARL, Deutéronome, 226. Hexaplarisches Material ist zu dieser Stelle nicht überliefert. 843 Übersetzung: BIETENHARD, Sifre, 419.

234

C.II. ABWEICHUNGEN VON DER HEBRAICA VERITAS

die die Septuaginta zu διάγω korrigiert.844 Das zusätzliche finite Verb lustret („reinigt“) bei Hieronymus repräsentiert περικαθαίρων („reinigt“), das die Septuaginta angepasst an den Kontext für das hebräische 4!-) wählt. Dtn 21,17 Der Textabschnitt Dtn 21,13–17 spricht darüber, dass ein Mann seinem erstgeborenen Sohn das Erstgeborenenrecht auch dann nicht vorenthalten darf, wenn dieser das Kind einer ungeliebten Ehefrau ist und der Vater lieber einen Sohn einer anderen Ehefrau als Erstgeborenen einsetzen würde. Vers 21,17b begründet dies: MT

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstexte

%+ 7!64!# 4# 06)

iste est enim principium liberorum eius et huic debentur primogenita

ὅτι οὗτός ἐστιν ἀρχὴ τέκνων αὐτοῦ, καὶ τούτῳ καθήκει τὰ πρωτοτόκια

…, denn dieser ist die Erstlingsfrucht seiner Kraft; ihm gebührt das Erstgeborenenrecht.

Dieser ist nämlich der Anfang seiner Kinder und ihm gebühren die Erstgeburts(-gaben/ rechte).

denn dieser ist Anfang seiner Kinder und ihm kommt das Erstgeburtsrecht zu.

σ': ἰσχύς (Stärke) Cod.Lugd.: filiorum (Söhne/Kinder)

Aus der Septuaginta, bzw. altlateinischen Vorlagen übernimmt Hieronymus das interpretierende, nicht wörtlich übersetzte „liberorum“. Dafür verschmäht er auch die Übersetzung von Symmachus, die näher am hebräischen Text liegt.845 Hieronymus Vorgehen zeigt, dass er durchaus Formulierungen aus der Septuaginta bzw. seiner lateinischen Vorlage übernimmt, auch dann, wenn es hexaplarische Formulierungen gibt, die näher am hebräischen Text sind. In Gen 49,3 gibt Hieronymus die parallele Formulierung !+7!64 jedoch mit principium doloris wieder. Die Septuaginta liest hier, wie auch in Dtn 21,17 ἀρχὴ τέκνων. Hieronymus entspricht in Gen 49,3 dagegen Symmachus (ἀρχὴ ὀδύνης) bzw. Aquila ad loc. (ἀρχὴ λύπης). Diese Interpretation ergibt sich durch die (nichtmasoretische) Vokalisierung des hebräischen Konsonantentexts als * ‘ statt *F. Obwohl Aquila diese Übersetzung auch in Dtn 21,17 verwendet, und Symmachus mit ἰσχύς den MT sehr wörtlich wiedergibt, hält sich Hieronymus an die Septuaginta. Dtn 21,23 In Dtn 21,23 bietet Hieronymus einen Mischtext aus MT und Septuaginta. Am Hebräischen orientiert er sich in soweit, als dass er die Zufügung des πᾶς in der Septuaginta nicht übernimmt, das auch in Gal 3,13b zitiert wird. Die Übereinstimmung mit der Septuaginta und Gal 3,13, auf die hier hingewiesen werden soll, besteht v.a. in der Formulierung maledictus a Deo, die eine dezidierte, in ande844 Die Zuweisung zu einem der recentiores ist in den Handschriften unterschiedlich. So überliefert die Syrohexapla den Vers für οἱ λ', M als α' und Hs. 58 ohne Zuordnung zu einem der recentiores. 845 Vgl. WEVERS, Notes on Deuteronomy, 343.

C.II.1. EINFLÜSSE DER SEPTUAGINTA

235

ren Hieronymus nachweislich bekannten Übersetzungen nicht bezeugte Interpretation liefert. Dadurch, dass Hieronymus im Kommentar zum Galaterbrief intensiv behandelt, wie die Stelle übersetzt wird, können aufschlussreiche Beobachtungen zu seiner Übersetzungsarbeit gemacht werden.846 MT

Hieronymus

Septuaginta

Gal 3,13

1-%-7%+*!%7% '!+43743!# '!%7%%3!# 7) 7%!%7 !46"7)  %+"%*7+"!%

non permanebit cadaver eius in ligno sed in eadem die sepelietur quia maledictus a Deo est qui pendet in ligno et nequaquam contaminabis terram tuam quam Dominus Deus tuus dederit tibi in possessionem.

οὐκ ἐπικοιμηθήσεται τὸ σῶμα αὐτοῦ ἐπὶ τοῦ ξύλου ἀλλὰ ταφῇ θάψετε αὐτὸν ἐν τῇ ἡμέρᾳ ἐκείνῃ ὅτι κεκατηραμένος ὑπὸ θεοῦ πᾶς κρεμάμενος ἐπὶ ξύλου καὶ οὐ μιανεῖτε τὴν γῆν ἣν κύριος ὁ θεός σου δίδωσίν σοι ἐν κλήρῳ

ἐπικατάρατος πᾶς ὁ κρεμάμενος ἐπὶ ξύλου (Verflucht ist jeder, der am Holz hängt.)

Sein Leichnam soll nicht über Nacht am Holz bleiben, sondern ihr sollt ihn auf jeden Fall am selben Tag begraben, denn ein Gottesfluch ist der Gehängte, und du sollst dein Land, das JHWH, dein Gott, dir zum Erbteil gibt, nicht verunreinigen.

Sein Leichnam soll nicht am Holz bleiben, sondern am selben Tag bestattet werden, denn von Gott verflucht ist der, der am Holz hängt; und du sollst keinesfalls dein Land verunreinigen, das dir der Herr, dein Gott, zum Besitz geben wird.

Sein Leichnam soll nicht an dem Holz über Nacht bleiben, sondern ihr sollt ihm ein Begräbnis gewähren an dem Tag, denn von Gott verflucht ist jeder, der am Holz hängt, und ihr sollt nicht das Land, das der Herr, dein Gott, dir zum Erbe gibt, verunreinigen.

In Übereinstimmung mit der Septuaginta fügt Hieronymus die Adverbiale in ligno zum MT hinzu. Es ist ebenfalls in Gal 3,13 belegt. Da auch der MT in der ersten Vershälfte 1-%- schreibt, ist davon auszugehen, dass Hieronymus die Worte hier nicht allein aus theologischen, sondern auch aus stilistischen Gründen parallel zur Septuaginta übernimmt.847 Daran, dass Hieronymus so vorgeht, verwundert Folgendes: Schon um 386/7 hatte er sich im Galater-Kommentar mit verschiedenen Übersetzungen von Dtn 21,23 auseinandergesetzt, um den Wortlaut des Zitats in Gal 3,13b zu erklären, welches vom hebräischen Text abweicht.848 Den Text der Septuaginta überträgt Hieronymus mit: quia maledictus a deo omnis qui pendet in ligno. Dies entspricht, abgesehen von omnis, wörtlich seiner späteren Übersetzung in der IH. Neben den drei hexaplarischen Rezensionen listet Hieronymus im

846 Zu Hieronymus’ Interpretation vgl. auch oben S. 76–83. 847 Dieselbe Ergänzung findet sich auch im Text der Tempelrolle (11Q19 (=11QTa) 64,12). 848 In Gal. II ad 3,13: Antequam de sensu et verbis Apostoli disputemus iustum videtur Deuteronomii testimonium de quo et Apostolus haec sumpsit paucis replicare et componere illud ceteris editionibus [ed. VALLARSI, PL 26, 360C] (Bevor wir über den Sinn und die Worte des Apostels sprechen, scheint es recht, das Zeugnis des Deuteronomiums, von welchem auch der Apostel dies nimmt, ein wenig zu wiederholen und es mit den übrigen Ausgaben zu vergleichen.). Im Anschluss daran verfolgt Hieronymus die Frage, quare Apostolus in eo quod scriptum est (…) vel subtraxerit vel addiderit [ed. VALLARSI, PL 26, 362C] (… warum der Apostel bei dem, was geschrieben ist, sowohl etwas abzieht als auch hinzufügt.).

236

C.II. ABWEICHUNGEN VON DER HEBRAICA VERITAS

Folgenden für V.23a noch die Übersetzung eines Ebioniten auf,849 dazu eine aus dem Dialog von Jason und Papiscus und die Interpretation eines Hebräers,850 der zu seinen Lehrern zählt.851 Darunter finden sich weitere Hieronymus bekannte und von ihm verwendete Versionen des Verses. Quelle

griechischer Text852

α' / θ'

ὅτι κατάρα θεοῦ κρεμάμενος

quia maledictio dei est qui suspensus est

… weil der, der gehängt wurde, ein Fluch Gottes ist.

σ'

ὅτι διὰ τὴν βλασφημίαν τοῦ θεοῦ ἐκρεμάσθη

quia propter blasphemiam dei suspensus est

… weil er wegen Gotteslästerung gehängt wurde.

Ebionit

ὅτι ὕβρις θεοῦ ὁ κρεμάμενος

quia iniuria dei est suspensus

… weil ein Gehängter ein Unrecht gegenüber Gott ist.

Jason und Papiscus

λοιδορία θεοῦ ὁ κρεμάμενος

maledictio dei qui appensus est.

Eine Beleidigung Gottes ist, wer gehängt wurde.

quia contumeliose deus suspensus est.

… weil Gott auf schändliche Weise gehängt wurde.

quia maledictus a deo omnis qui pendet in ligno

… denn von Gott verflucht ist jeder, der am Holz hängt.

quia maledictus a Deo est qui pendet in ligno

… denn von Gott verflucht ist, wer am Holz hängt.

maledictus est omnis qui pendet in ligno

… denn verflucht ist jeder, der am Holz hängt.

Hebräer LXX

ὅτι κεκατηραμένος ὑπὸ θεοῦ πᾶς κρεμάμενος ἐπὶ ξύλου

IH Gal 3,13

ἐπικατάρατος πᾶς ὁ κρεμάμενος ἐπὶ ξύλου

lateinische Übersetzung des Hieronymus

deutsche Übersetzung

Diese Auflistung bleibt im Galater-Kommentar zunächst unkommentiert, denn Hieronymus lässt ihr eine christologische Interpretation der Paulusstelle folgen. Dabei hebt Hieronymus die Übersetzung des Symmachus positiv hervor, da diese der Erzählung der Evangelien entspreche, denn Jesus wurde nach Mt 26,65 Gotteslästerung vorgeworfen. In Übereinstimmung mit der christlichen Lehre sieht Hierony849 Obwohl Hieronymus auch Symmachus für einen Ebioniten hält, bezieht er sich hier auf eine andere Tradition, da er dessen Übersetzung schon vorher anders wiedergibt und sie im Folgenden für gelungen hält. 850 In Gal. II ad 3,13: Dicebat mihi Hebraeus qui me in scripturis (…) instituit quod possit et ita legi … (Der Hebräer, der mich in den Schriften unterrichtete sagte mir, dass man es auch so lesen könne: …) [ed. VALLARSI, PL 26, 362D]. 851 Nach HARNACK, Origenistisches Gut, 161f., stammen diese Informationen aus dem verschollenen Galaterkommentar des Origenes. Etwas vorsichtiger und nicht auf konkrete Stellen bezogen urteilt BAMMEL, Origen’s Pauline Prefaces, 496: Der Galater-Kommentar des Hieronymus sei „largely plagiarised“. 852 Der griechische Text der hexaplarischen Versionen und der Septuaginta ist von Hieronymus nicht wiedergegeben.

C.II.1. EINFLÜSSE DER SEPTUAGINTA

237

mus auch die Version des Hebräers, der explizit davon spricht, dass Gott gekreuzigt wurde. Dennoch haben weder Symmachus noch die Information des Hebräers Einfluss darauf, wie Hieronymus später in der Version IH übersetzt. Im weiteren Verlauf diskutiert Hieronymus auch die Beobachtung, dass einzig bei Paulus die Adverbiale „ὑπὸ θεοῦ“ fehlt. Nach längerem Abwägen verschiedener Möglichkeiten präsentiert der Kirchenvater eine Lösung auf textgeschichtlicher Ebene: Man habe sowohl den hebräischen als auch den griechischen Text des AT nach der Passion Christi verändert, um die Christen in Verruf zu bringen.853 Dennoch, also gegen die im Galater-Kommentar postulierte textkritische veritas, orientiert sich Hieronymus bei seiner Übersetzung aus dem Hebräischen (IH) an dem angeblich veränderten MT (und der Septuaginta) und belässt dort die Formulierung a Deo. Auf einen weiteren großen Unterschied zwischen den meisten Quellen, die Hieronymus im Galater-Kommentar anführt, und der Septuaginta (bzw. der späteren IH) geht Hieronymus nicht ein. Zur Zeit der Abfassung des Galater-Kommentars kennt Hieronymus nachweislich den hebräischen Text, denn er zitiert ihn in der Umschrift chi calalath eloim thalui. In der Auslegung betrachtet er aber nicht näher, dass es sich bei calalath/7%%3 um ein Nomen handelt,854 was die Mehrheit der von ihm zitierten Übersetzungsmöglichkeiten berücksichtigt. Stattdessen wählt er wie die Septuaginta und Paulus ein passives Partizip. Dies steht in gewisser Spannung dazu, dass Hieronymus, wie oben erwähnt, die Interpretation von '!%7%%3 bei Symmachus positiv hervorhebt. Dieser liest die Konstruktion als genitivus objectivus im Sinne von „Fluch gegenüber Gott“. Dennoch schließt sich Hieronymus der Septuaginta und mit ihr Paulus an, die mit einem Partizip umschreibt und '!%7%%3 als genitivus subjectivus auffasst. Gott ist hier derjenige, der flucht.855 Dass Septuaginta und in ihrem Gefolge IH damit keineswegs den Mainstream antiker Bibelauslegung repräsentieren, wird nicht nur im Blick auf die von Hieronymus aufgezählten Versionen, sondern auch darüber hinaus deutlich. Die Interpretation der Konstruktion '!% 7%%3 als Genitivus objectivus („Fluch gegenüber Gott“), findet sich außer bei Symmachus sowohl in der rabbinischen Tradition (Rabbi Eliezer und die Tannaim in bSanh 45b, TO) als auch bei Josephus (Ant. IV 202 s.o.) und in der Peschitta. All diese Versionen stimmen darin überein, dass in Dtn 21,23 vom Verbrechen der Gotteslästerung die Rede ist.856 Andere rabbinische Texte (z.B. R. Meir in tSanh 9,7 = bSanh 46b) deuten7%%3 '!% ebenfalls als Genitivus objectivus, beziehen die Wortfolge aber nicht auf das Verbrechen, aufgrund dessen der Verurteilte gehängt oder gekreuzigt wurde, sondern auf die Aufforderung, den Toten am selben Tag abzunehmen: Es sei ein Fluch 853 In Gal. II ad 3,13: quod magis est aestimandum, post passionem Christi, et in hebraeis, et in nostris codicibus ab aliquo dei nomen appositum, ut infamiam nobis inureret, qui in Christum maledictum a Deo credimus [ed. VALLARSI, PL 26, 363A] (… oder aber, was für wahrscheinlicher zu halten ist: Nach der Passion Christi wurde sowohl in den hebräischen als auch in unseren Büchern von irgendjemandem das Wort „Gott“ hinzugefügt, damit üble Nachrede gegen uns entbrenne, die wir an einen von Gott verfluchten Christus glauben.); vgl. S. 76ff. 854 Die Vokalisierung entspricht nicht der masoretischen Tradition (7 %%‰ 3)  des status constr. von %‘ %‘ 3.‰ Es muss offen bleiben, ob es sich um eine andere, zeitgenössisch übliche Lesart oder einen Fehler seitens Hieronymus oder seiner Informanten handelt. 855 Zur Einteilung der verschiedenen Interpretationen vgl. BERNSTEIN, Study, 23ff. 856 Dies kann wie bei Symmachus durch ein Nomen, aber auch durch ein aktives Partizip wiedergegeben werden (z.B. bSanh 45b: %%3), Syr: m‫’ۊ܈‬, Josephus: βλασφημήσας).

238

C.II. ABWEICHUNGEN VON DER HEBRAICA VERITAS

gegenüber Gott und drohe die Erde zu verunreinigen, wenn der Leichnam über Nacht hängen bleibe. Die Mischna (mSanh 6,4) und TPsJ kombinieren die beiden letztgenannten Interpretationen. Die einzige jüdische Quelle, die Septuaginta und IH entspricht, ist Targum CN, der sowohl als Genitivus subjectivus übersetzt als auch das Nomen in ein Partizip transformiert, und, wie die Septuaginta, %# vor dem Partizip einfügt: !%2%#À'3 !% („Verflucht vor/von Gott ist jeder Gekreuzigte.“) Gerade an dieser für die christliche Theologie entscheidende Stelle entspricht die Version in Hieronymus’ Übersetzung in den Grundlinien der Septuaginta, auch wenn er durch das Weglassen des Adjektivs πᾶς auch der hebräischen Textform Geltung verschafft. Dtn 32,4 Der Anfang von Dtn 32,4 ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Hieronymus sich auch gegen hexaplarisches Material und den hebräischen Text für die konventionelle Übersetzung aus Septuaginta und VL entscheiden kann. MT %-0'!)742 Fels! Vollkommen ist sein Werk.

Hieronymus

Septuaginta

Dei perfecta sunt opera

θεός ἀληθινὰ τὰ ἔργα αὐτοῦ

Gottes Werke sind vollkommen!

Gott! Seine Werke sind wahrhaftig.

Vergleichstexte α' (Syh): šryr’ (stark) θ' (Syh): gbwl’ (Schöpfer)

An dieser Stelle ersetzt die griechische Bibel Alexandriens das hebräische 42 („Fels“) mit θεός. Dies geschieht auch in den Versen Dtn 32,15.18 und 30f. Ebenso übersetzt auch die altlateinische Fassung. Hieronymus folgt an all diesen Stellen der Septuaginta, die die bildhafte Rede des MT vermeidet, und setzt Deus. Die hexaplarischen Übersetzungen bieten andere, ebenfalls interpretierende Übersetzungen des Hebräischen, die Hieronymus jedoch nicht übernimmt (s.o.). Allerdings folgt Hieronymus auch seiner griechischen Vorlage hier nicht blindlings, sondern verändert den Kasus (Dei), um so den im Hebräischen und Griechischen schwerfälligen Wechsel von Anrede und dritter Person zu glätten. Ein ähnliches Phänomen findet sich zu Beginn des folgenden Verses.

C.II.1. EINFLÜSSE DER SEPTUAGINTA

239

Dtn 32,5 In Dtn 32,5 charakterisiert der sterbende Mose die Israeliten, die JHWH und seinem Bund gegenüber untreu sind, mit folgenden Worten: MT

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstexte

'))!+%%76

peccaverunt ei non filii eius in sordibus

ἡμάρτοσαν οὐκ αὐτῷ τέκνα μωμητά

Er [sc. Israel] hat sich ihm [Gott] gegenüber verderblich verhalten, seine Nicht-Kinder – ihre Schande.857

Sie haben ihm gegenüber gesündigt, seine Nicht-Kinder im Schmutz.

Schändliche Kinder – sie sind nicht seine – [sie] haben gesündigt.858

α', σ': διέφθειραν αὐτῷ (σ': πρὸς αὐτὸν) οὐχ υἰοί αὐτοῦ τὸν σύνολον (Seine Nicht-Kinder haben sich ihm gegenüber gänzlich verderblich verhalten.)

Obwohl die hexaplarischen Übersetzungen am Versbeginn ein Verb überliefern, das dem hebräischen näher steht, entscheidet sich Hieronymus für den Text der Septuaginta. Dieser folgt auch eine Reihe altlateinischer Zeugen,859 u.a. Augustin in seinen Quaestiones in Heptateuchum: peccaverunt non ei filii vituperabiles.860 Der weitere Verlauf der Übersetzung IH orientiert sich dagegen nicht an der Septuaginta, sondern an hexaplarischen Versionen.

C.II.1.3

Auswertung

Die in diesem Kapitel untersuchten Stellen zeigen, dass für Hieronymus hin und wieder die traditionelle Bibelübersetzung der Septuaginta stärkeren Einfluss hat als die recentiores und ihn bewegt, von der hebraica veritas abzuweichen. Es lässt sich dabei keine inhaltliche Ähnlichkeit zwischen den Stellen beobachten, lediglich sei auf die Häufung dieses Phänomens in den Kapiteln 16–21 hingewiesen. Besonderes Augenmerk verdienen auch Stellen wie 17,18 und 18,10, an denen Hieronymus versucht, sowohl dem MT als auch der Septuaginta gerecht zu werden und beide Versionen ergänzend nebeneinander stellt. Die Rolle der Septuaginta in einer Übersetzung, die Hieronymus selbst Iuxta Hebraeos bezeichnet, überrascht. Dennoch steht sie im Einklang mit der Beobachtung, dass Hieronymus in nichtexegetischen Kontexten auch nach der Fertigstellung der Übersetzung IH häufig mit Bibeltexten arbeitet, die auf der Septuaginta beruhen.861

857 858 859 860 861

Übersetzung des Hebräischen nach MCCARTHY, Commentary, 140*. Nach WEVERS, Notes on Deuteronomy, 511. Cod.Paris, Psalt.Ambros., Psalt.Moz. Quaest. hept. V q.55 [ed. FRAIPONT, CChr.SL 33, 308,1167]. S.o. S. 11.

240

C.II. ABWEICHUNGEN VON DER HEBRAICA VERITAS

C.II.2.

Eigenheiten der Übersetzung des Hieronymus

Im Folgenden sind Beispiele zusammengestellt, die illustrieren, wie frei Hieronymus sowohl mit seiner hebräischen Vorlage als auch mit den ihm vorliegenden Übersetzungen umgeht. In diesen Fällen war es nicht möglich, für die Arbeit des Kirchenvaters Parallelen in jüdischer Literatur zu finden.

C.II.2.1

Stellenuntersuchungen

Dtn 11,10 Die Übersetzung von Dtn 11,10f. kann als Beispiel dafür gelten, dass Hieronymus an manchen Stellen auch Schwieriges im MT übergeht. Grund dafür kann das Bemühen um einen guten lateinischen Stil, aber auch Unkenntnis oder Desinteresse gegenüber dem MT sein. MT

Hieronymus

Septuaginta

)674614!# '!42)14#%764% -4746'6)'72!46 *#"%47!36 "-47  34!

terra enim ad quam ingredieris possidendam non est sicut terra Aegypti de qua existi ubi iacto semine in hortorum morem aquae ducuntur inriguae

ἔστιν γὰρ ἡ γῆ εἰς ἣν εἰσπορεύῃ ἐκεῖ κληρονομῆσαι αὐτήν οὐχ ὥσπερ ἡ γῆ αἰγύπτου ἐστίν ὅθεν ἐκπεπόρευσθε ἐκεῖθεν ὅταν σπείρωσιν τὸν σπόρον καὶ ποτίζωσιν τοῖς ποσὶν ὡσεὶ κῆπον λαχανείας

Denn das Land, in das du hinein kommst, um es in Besitz zu nehmen, ist nicht wie das Land Ägypten, aus welchem ihr heraus gegangen seid: Du wirst deine Saat aussäen und tränken an/mit deinem Fuß [sc. von unten] wie einen Gemüsegarten.862

Denn das Land, in das du gehen wirst, um es zu besitzen ist nicht wie das Land Ägyptens, aus dem du herausgegangen bist, wo dann, wenn man Samen ausgestreut hat, wie bei Gärten zur Bewässerung Wasser hindurch geführt wird.

Denn das Land, in das du hineingehen wirst, um es zu erben, ist nicht so wie das Land Ägypten, aus dem ihr heraus gezogen seid; wenn sie die Saat aussäen und mit den Füßen bewässern, [geschieht das] wie in einem Gemüsegarten.

Die kürzende Umschreibung in hortorum morem aquae ducuntur inriguae863 überspielt die für andere antike Übersetzer und Exegeten offenbar schwierige Stelle "%47!36. Der MT gebraucht die Wendung "%4 vermutlich lokal (im Sinne von „unten“) im Gegensatz zu '!)64 ) („Regen des Himmels“) in V.11. TPsJ vereinfacht den hebräischen Text zu "4) („du selbst“), die anderen Targumim und die Septuaginta (τοῖς ποσίν) übernehmen den MT. Auch der hexaplarischen Überlieferung entspricht Hieronymus nicht. Als Symmachuslesart überliefert die Handschrift 321 folgendes: „ὅπου σπείρας τὸν σπόρον σου ποτίζεις τοῖς ποσί ὡσεὶ κῆπον (κυπον 321) λαχάνων“. Die Syrohexapla ordnet den Textabschnitt jedoch Aquila 862 Vgl. hierzu auch VEIJOLA, Deuteronomium, 249. 863 Zum Gebrauch von inriguum bei Hieronymus vgl. STUMMER, Lexikographie, 37ff.

C.II.2. EIGENHEITEN DES HIERONYMUS

241

zu. Da es sich um eine sehr wörtliche Wiedergabe handelt, scheint mir Letzteres sinnvoller. Hieronymus ist aber offenbar an der Frage einer korrekten Wiedergabe von "%4 in diesem Zusammenhang nicht interessiert oder schlichtweg überfragt, so dass er den Begriff übergeht und auch 34! nicht übersetzt. Stattdessen behilft er sich mit dem ihm wohl vertrauten Bild von Bewässerungsgräben, die die Felder durchziehen. Dtn 14,3 In Dtn 14,3 passt Hieronymus den Vers an den Kontext an. Es handelt sich um den Einleitungsvers zur Aufzählung der Tiere, die zum Verzehr erlaubt bzw. verboten sind. Vor dieser Aufzählung mahnt Vers 3: -7%#%#7% („Iss nichts Abscheuliches!“). Die Septuaginta gibt hier das hebräische -7 mit βδέλυγμα wieder, was ihrem sonstigen Vorgehen im Pentateuch entspricht. Hieronymus denkt in den Kategorien „rein“ und „unrein“ und übersetzt daher: ne comedatis quae inmunda sunt („Esst nichts, was unrein ist!“).864 Bei Hieronymus ist dies die einzige Stelle in der IH, an der das hebräische -7 mit dem Adjektiv inmundus („unrein“) wiedergegeben wird. Sonst wählt der Kirchenvater meist das Nomen abominatio („Gräuel“).865 Es handelt sich bei Hieronymus in Dtn 14,3 wohl um einen Vorgriff auf die Terminologie in den Versen 7 und 8. Dort werden die verbotenen Säugetiere auch im Hebräischen als unrein () ) bezeichnet. TO und CN verwenden in Dtn 14,3 das Adjektiv 34). Dies mag zunächst für eine Parallele zu IH gehalten werden, denn schon Dtn 12,15 fungiert in CN 34) als Wiedergabe des hebräischen ) . DIEZ MACHO gibt daher den Text von CN in beiden Fällen mit „immundo“ wieder.866 Im Sprachgebrauch der Targumim wird jedoch sonst das Adjektiv 34) fast synonym mit dem Substantiv -7 gebraucht.867 Man vergleiche hierzu z.B. Dtn 18,12, wo TO das dort zweimal verwendete -7 im Hebräischen zuerst mit 34) und im zweiten Halbvers mit 7!-7 wiedergibt. DRAZIN vermutet bei der Kommentierung der Stelle Dtn 14,3, dass TO 34) an den Stellen verwendet, an denen !-7 als Emotion Gottes missverstanden werden könnte und deshalb den Anthropomorphismus dadurch vermeidet, dass er das Adjektiv 34) verwendet.868 Für die Wiedergabe des hebräischen ) steht auch in CN meist ,). Die Verse Dtn 12,15.22 und 15,22 stellen Ausnahmen dar, insofern dort für das hebräische ) in der 34) !63*) für Personen verwendet wird. Daher ist an dieser Stelle nicht anzunehmen, dass eine Parallele zwischen den Targumim und Hieronymus besteht. Vielmehr ist zu vermuten, wie oben erwähnt, dass Hieronymus von der Terminologie des Kontexts beeinflusst ist.

864 865 866 867

Ähnlich geht auch die Peshitta vor: l’ t’klwn kwl d‫ܒ‬m’. Lev 22,28; Dtn 7,26 u.v.m. DIEZ MACHO, Neofiti, z.St. Vgl. hierzu LEVY, Targum-Wörterbuch II, 69, 347f.; SOKOLOFF, Dictionary, 329; COOK, Glossary, 164.263; JASTROW, Dictionary, 841. 868 DRAZIN, Onkelos, 157.

242

C.II. ABWEICHUNGEN VON DER HEBRAICA VERITAS

Dtn 15,18 Eine außergewöhnliche Beobachtung zur teilweise eigenwilligen Übersetzungstechnik des Hieronymus lässt sich anhand von Dtn 15,18 machen: MT

Hieronymus

Septuaginta

7"%6"!+!-63!% 4#6+6)!#")!-)!60 '!+666"-4!#6

non avertes ab eis oculos tuos quando dimiseris eos liberos quoniam iuxta mercedem mercennarii per sex annos servivit tibi

οὐ σκληρὸν ἔσται ἐναντίον σου ἐξαποστελλομένων αὐτῶν ἐλευθέρων ἀπὸ σοῦ ὅτι ἐφέτιον μισθὸν τοῦ μισθωτοῦ ἐδούλευσέν σοι ἓξ ἔτη

Es soll in deinen Augen nicht schwer sein, wenn du ihn als Freien entlässt, denn [für] doppelten Lohn eines Lohnarbeiters ist er sechs Jahre lang dein Knecht gewesen.

Wende deine Augen nicht von ihnen ab, wenn du sie als Freie entlässt, denn gemäß dem Lohn eines Lohnarbeiters hat er sechs Jahre hindurch dir gedient.

Es soll nicht hart sein vor dir, wenn sie als Freie entlassen werden von dir, denn um den jährlichen Lohn eines Lohnarbeiters hat er dir sechs Jahre lang gedient.

Zunächst fällt auf, dass Hieronymus den Anfang des Satzes umgestaltet und gegenüber der Septuaginta stilistisch verbessert. Weiterhin ist er durch die Aufnahme der hebräischen Metapher „Augen“ näher am MT als die Septuaginta. Das hebräische 63! gibt er nicht, wie die Septuaginta, wörtlich wieder, sondern konkretisiert es durch die Verwendung des Verbs avertere. Umso überraschender angesichts dieser stilistischen Verfeinerung im ersten Versteil ist, dass er das hebräische Wort +6) nicht übersetzt869 – gibt es doch verschiedene Interpretationsmöglichkeiten, von denen ihm zumindest zwei bekannt gewesen sein dürften: Die Septuaginta leitet +6) von +6 ( Jahr) ab870 und übersetzt ἐφέτιον, ebenso auch die VL (Cod. Lugd.) annuam mercedem mercennarii. Aquila spricht an dieser Stelle dagegen von δευτερούμενον μίσθον. Er greift damit eine Übersetzungsvariante auf, die +6) von !+6 herleitet. Sie findet sich auch in anderen antiken jüdischen Texten. So erklärt SifDev ad loc: „Weil er Tag und Nacht arbeitet [heißt es hier] ‚doppelt‘, aber der Lohnarbeiter einmal/einfach.”871 Überraschend ist, dass Hieronymus hier das Problem umgeht, indem er +6) einfach unübersetzt lässt. Weitere Erklärungsmöglichkeiten, die jedoch schlecht verifizierbar sind, wären, dass er das Wort überlesen hat, oder es schon in seiner hebräischen Vorlage nicht überliefert war. Denkbar wäre auch, dass Hieronymus keiner der beiden Interpretationsmöglichkeiten den Vorrang geben will. Durch eine abgeschwächte, aber offene Formulierung bleibt denen, die seinen übersetzten Text weiter interpretieren, die Möglichkeit, an den jährlichen oder den doppelten Lohn zu denken.

869 Dass dem hebräischen +6) bei Hieronymus die Präposition iuxta entspricht, halte ich für unwahrscheinlich, da es im Pentateuch IH sonst nie mit iuxta wiedergegeben ist, auch nicht mit einem synonymen Ausdruck wie secundum. 870 Vgl. DOGNIEZ/HARL, Deutéronome, 213 Anm. 15; WEVERS, Notes on Deuteronomy, z.St. 871 FIELD (Hexapla I, 296 Anm. 18) führt die Aquila-Version auf einen Einfluss von Sifre zurück.

C.II.2. EIGENHEITEN DES HIERONYMUS

243

Dtn 18,2 Um eine eigene Interpretation für einen aus der Sicht des Kirchenvaters wohl „sperrigen“ Vers handelt es sich bei Dtn 18,2. Der vorangehende Vers handelt davon, dass der Stamm Levi kein Landerbe (%+) wie die übrigen Israeliten hat, sondern dass die Opfer und Abgaben für JHWH seine Einkünfte darstellen sollen. Im MT wird diese Aussage in 18,2 wiederholt. Die Septuaginta folgt diesem Ansinnen. Hieronymus setzt jedoch einen anderen Schwerpunkt. MT 43%!!%%+ 7%+!!! %446# Und er wird kein Erbe inmitten seiner Brüder haben. JHWH ist sein Erbe, wie er ihm gesagt hat.

Hieronymus

Septuaginta

et nihil aliud accipient de possessione fratrum suorum Dominus enim ipse est hereditas eorum sicut locutus est illis

κλῆρος δὲ οὐκ ἔσται αὐτοῖς ἐν τοῖς ἀδελφοῖς αὐτῶν κύριος αὐτὸς κλῆρος αὐτοῦ, καθότι εἶπεν αὐτῷ

Und nichts anderes sollen sie vom Besitz ihrer Brüder erhalten. Der Herr ist nämlich selbst ihr Erbe, wie er ihnen gesagt hat.

Ein Erbteil werden sie aber nicht haben unter ihren Brüdern, der Herr selbst ist sein Erbe, wie er ihm gesagt hat.

Wenden wir uns zuerst der Numerusfrage zu: Hieronymus führt hier die schon in der Septuaginta zu erkennende Tendenz zur Vereinheitlichung weiter. Daher formuliert er gegen den MT und die Septuaginta diesen Vers insgesamt im Plural. Den interessanteren Eingriff führt er am Anfang des Verses durch. Hieronymus wiederholt die Aussage des ersten Verses, dass Leviten kein Land als Erbteil bekommen, nicht, sondern von den Opfern ihren Lebensunterhalt erhalten. Durch den Ausdruck nihil aliud accipient de possessione verschärft er den Verbotscharakter des Texts, denn er schließt auch nachträglichen Landerwerb durch Leviten aus. In den hexaplarischen Traditionen, den Targumim und Midraschim zu dieser Stelle, ist keine analoge Modifikation des Texts vorhanden.

C.II.2.2

Auswertung

Die genannten Stellen, vorwiegend aus der Mitte des Buches Deuteronomium, zeichnen sich durch den auffallend freien Umgang des Kirchenvaters mit seiner hebräischen Vorlage aus. Überdies weicht er von den ihm bekannten griechischen Übersetzungen ab und orientiert sich – soweit dies zu überprüfen möglich ist – nicht an christlichem oder jüdischem Material. Dabei ist zu erkennen, dass in den meisten Fällen hinter den Veränderungen weniger ein Missverständnis oder philologische Inkompetenz des Kirchenvaters steht, als vielmehr sein Bemühen, einen leicht zugänglichen und verständlichen lateinischen Text zu präsentieren.

244

C.II. ABWEICHUNGEN VON DER HEBRAICA VERITAS

C.II.3.

Einflüsse christlicher Auslegungstraditionen

An einigen wenigen Stellen lässt sich die Übersetzung des Hieronymus auf Parallelen aus dem christlichen Bereich zurückführen, sei es auf altlateinische Bibelübersetzungen oder auf Traditionen, die neutestamentliche Schriften vorgeben.

C.II.3.1

Stellenuntersuchungen

Dtn 19,13 An Dtn 19,13 lässt sich beobachten, dass Hieronymus an Stellen, an denen die altlateinische Übersetzung von der Septuaginta abweicht, mit deren Wortwahl übereinstimmt (vgl. auch 19,10). Die Verse Dtn 19,11–13 sprechen davon, was mit einer Person geschehen soll, die mutwillig eine andere tötet, und in eine der Asylstädte flieht, um ihrer Strafe zu entkommen. Hieronymus korrigiert die vom MT abweichende Septuaginta. Dabei findet sich eine auffällige lexikalische Übereinstimmung mit der altlateinischen Übersetzung im Cod.Lugd.: MT

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstexte

!%-"+!-,7% !3+' 74- "% %46!)

nec misereberis eius et auferes innoxium sanguinem de Israhel ut bene sit tibi

οὐ φείσεται ὁ ὀφθαλμός σου ἐπ’ αὐτῷ, καὶ καθαριεῖς τὸ αἷμα τὸ ἀναίτιον ἐξ Ισραηλ, καὶ εὖ σοι ἔσται.

Dein Auge verschone ihn nicht und schaffe [so] das Blut des Unschuldigen aus Israel weg, und es wird dir gut gehen.

Und hab keine Erbarmen mit ihm und schaffe [so] das unschuldige Blut aus Israel weg, damit es dir gut gehe.

Dein Auge verschone ihn nicht, und du sollst das unschuldige Blut aus Israel reinigen, und dir wird es gut gehen.

Cod.Lugd.: non auferens (indem du nicht wegschaffst) θ' (Syh): tolles (nimm weg)

In diesem Fall stimmen MT, IH, VL und Theodotion gegen die Septuaginta überein. Nur dort findet sich καθαρίζω („reinigen“) als interpretierende Weiterführung.872 Es kann davon ausgegangen werden, dass seine lateinische Vorlage, wie auch Cod.Lugd. auferre liest. Die wiederholte Verneinung, die er dem Verb voransetzt, übernimmt Hieronymus allerdings nicht. Dennoch lässt sich hieran beobachten, dass Hieronymus von einer altlateinischen (christlichen) Bibelübersetzung und deren Wortwahl beeinflusst ist.

872 So auch WEVERS, Notes on Deuteronomy. 313. An anderen Stelle präferiert die Septuaginta ἐξαίρω („wegnehmen“) als Wiedergabe für hebr. 4-.

C.II.3. EINFLÜSSE CHRISTLICHER AUSLEGUNGSTRADITIONEN

245

Dtn 21,22 Hieronymus orientiert sich nicht immer an seiner hebräischen Textvorlage und an jüdischen Traditionen. Dies wird besonders an Stellen deutlich, die für ihn christologisch relevant sind. Das lässt sich an Dtn 21,22 veranschaulichen: MT  6!!!!# 7)7) 06) 1-%-77!%7

Und wenn bei jemandem die Schuld eines todeswürdigen Vergehens war, und er getötet wurde, und du ihn an ein Holz gehängt hast, …

Hieronymus

Septuaginta

Vergleichstexte

quando peccaverit homo quod morte plectendum est et adiudicatus morti adpensus fuerit in patibulo

Ἐὰν δὲ γένηται ἔν τινι ἁμαρτία κρίμα θανάτου καὶ ἀποθάνῃ καὶ κρεμάσητε αὐτὸν ἐπὶ ξύλου

Wenn ein Mensch eine Sünde begangen haben sollte, die mit dem Tode zu bestrafen ist, und der zum Tode Verurteilte an den Galgen aufgehängt worden ist, …

Wenn aber bei einem Schuld [und] Todesurteil ist und er stirbt, und ihr ihn an ein Holz hängt, …

Syr: wnzdqp ‘l qys’ wntq‫ܒ‬l (… und er wird an einem Baum gekreuzigt und [dadurch] getötet.) 11QTa 64,7–12: 1-%-7)7!%7 7)! (… und ihr sollt ihn an das Holz hängen, und er wird sterben.)

An der ersten markierten Stelle in V.22 weicht Hieronymus sowohl vom MT als auch von der Septuaginta ab.873 Im hebräischen und griechischen Text wird der Verurteilte zunächst getötet und dann aufgehängt.874 Ebenso formulieren auch die recentiores.875 Hieronymus jedoch gibt den Abschnitt durch et adiudicatus morti adpensus fuerit in patibulo wieder. Dadurch ändert er die Reihenfolge der Ereignisse: Die Person ist zunächst noch „adiudicatus morti“ und wird erst durch das „Hängen“876 getötet. Auf eine ähnliche Weise verändert die Peschitta den Text, indem sie die beiden Verben in umgekehrter Reihenfolge wiedergibt: „und er wird an einem Baum gekreuzigt und [dadurch] getötet“ (wnzdqp ‘l qys’ wntq‫ܒ‬l). Diese Interpretation findet sich ebenfalls in der Tempelrolle aus Qumran (11Q19 (=11QTa) 64,7–12). Hier wird die Reihenfolge wie in der Peschitta und bei Hieronymus beschrieben: 7)!1-%-7)7!%7 („und ihr sollt ihn an das Holz hängen, und er wird sterben“).877 Es ist anzunehmen, dass Hieronymus und 873 Vgl. zum Folgenden SALVESEN, Symmachus, 154f.; DOGNIEZ/HARL, Deutéronome, 247ff.; CHAPMAN, Crucifixion, 117–149. 874 Vgl. SAMUELSSON, Crucifixion, 216; Wie Septuaginta und recentiores interpretieren auch die meisten rabbinischen Quellen den Vers. Sie sprechen von einer Steinigung und dem darauffolgenden Aufhängen (vgl. bSanh 46a, TPsJ). In SifDev 221 (zu Dtn 21,22) wird die Steinigung als jüdische Halakha sogar ausdrücklich der römischen Praxis der Kreuzigung gegenübergestellt. Josephus überliefert dies ebenfalls (Ant. VI 202: Ὁ δὲ βλασφημήσας θεὸν καταλευσθεὶς κρεμάσθω δι’ ἡμέρας … [ed. NIESE Bd. I, 204, 1f.]). In Bell. IV 317 bezeichnet er jedoch in einer Paraphrase von Dtn 21,22b die Todesart mit ἀνασταυρόω. 875 Diese lauten in der lat. Wiedergabe des Hieronymus im Galaterkommentar folgendermaßen: LXX: et mortuus fuerit, suspenderitis eum in ligno, …; α'/σ': et occisus fuerit, et suspenderis eum super lignum …; θ': et morietur, et suspendes eum in ligno … (In Gal. II ad 3,13 [ed. VALLARSI, PL 26, 362C]). 876 Laut SALVESEN, Symmachus on the Pentateuch, 154 spiegelt sich diese Vorstellung auch in V.23 in der Wiedergabe von !%7 bzw. κρεμάμενος mit qui pendet, da das aktive Verb im Gegensatz zu den passiven Partizipien von einem noch lebenden Menschen spreche. 877 Vgl. Hierzu WILCOX, Upon the Tree, 89ff.

246

C.II. ABWEICHUNGEN VON DER HEBRAICA VERITAS

die Peschitta hier weniger unter dem Einfluss der Qumran-Überlieferung stehen, sondern den hebräischen Text christologisch interpretieren und mit den neutestamentlichen Passionserzählungen in Einklang bringen. Dass diese Deutung von Dtn 21,22 in der christlichen Antike weit verbreitet war, zeigt z.B. eine von Prokop von Gaza überlieferte Exegese: „,… und (wenn) er stirbt und ihr ihn ans Holz hängt‘ ist ein Hysteron-Proteron. Denn jemand wird nicht nach seinem Tode gekreuzigt, sondern durch das Kreuz kommt er zu Tode.“878 Das allgemein gehaltene  1-%-/ ἐπὶ ξύλου in V.2 gibt Hieronymus mit in patibulo wieder. Der lateinische Begriff bezeichnet einen hölzernen Pfosten oder Balken, an den Menschen gebunden werden konnten, oder der ihnen wie ein Joch auf Schultern und Armen befestigt wurde.879 In Gen 40,22; Num 25,4; Jos 8,29; 10,27; Est 2,23; 6,4; 7,10 verwendet Hieronymus die Formulierungen suspendere / adpendere in patibulo für 13! %7 im MT bzw. κρεμάννυμι in der Septuaginta. In einigen dieser Fälle ist unklar, ob es sich um Folter, Hinrichtung oder das Hängen post mortem handelt (Gen 40,22; Num 25,4; Jos 8,29; Est 2,23). In Jos 10,27 und Est 6,4; 7,10 geht aus dem biblischen Text hervor, dass, wie in Dtn 21, Hingerichtete post mortem gehängt werden. Mit der Formulierung pendere in patibulo wählt Hieronymus eine Möglichkeit, die offen lässt, ob es sich um eine römische Kreuzigung oder eine Art Hängen am Galgen, Pfählung o.ä. handelt.880 Dtn 27,26 Der Vers Dtn 27,26 schließt den Katalog der zwölf Fluchworte ab, die nach Dtn 27,14 die Leviten über die Israeliten sprechen sollen: MT

Hieronymus

Septuaginta/Gal 3,10

%4644 !47'!3! 747 '776-%

maledictus qui non permanet in sermonibus legis huius nec eos opere perficit

Ἐπικατάρατος πᾶς ἄνθρωπος, ὃς οὐκ ἐμμενεῖ ἐν πᾶσιν τοῖς λόγοις τοῦ νόμου τούτου τοῦ ποιῆσαι αὐτούς

Verflucht ist, wer nicht erfüllt die Worte dieses Gesetzes, um sie zu tun.

Verflucht ist, wer nicht bleibt in den Worten dieses Gesetzes und sie nicht durch die Tat vollbringt.

Verflucht ist jeder Mensch, der nicht bleibt in allen den Worten dieses Gesetzes, um sie zu tun.

Vergleichstexte Cod.Lugd.: permanserit (bleibt) α': statuerit (aufstellt) σ': firmaverit (bekräftigt) θ': suscitaverit (aufrichtet)

Wie Hieronymus mit dem hebräischen '!3! in Dtn 27,26a verfährt, zeigt, dass er gelegentlich gegen hexaplarische Zeugen, die näher am MT sind, der Septuaginta folgt. Er übernimmt das Verb ἐμμενεῖ, dem auch die altlateinische Bibel folgt (Cod.Lugd.). Die o.g. hexaplarischen Versionen sind ausschließlich durch Hiero-

878 Πρῶθ᾽ ὑστερὸν έστι τὸ Καὶ ἀποθάνῃ καὶ κρεμάσητε αὐτὸν ἐπὶ ξύλου. Οὐ γὰρ μετὰ τελευτήν τις σταυροῦται, διὰ δὲ τοῦ σταυροῦ τελευτᾷ (Deut. ad 21,23 [ed. MIGNE, PG 87/1, 928A]). 879 Zur Terminologie vgl. SAMUELSSON, Crucifixion, 286f., Vgl. GEORGES, Handwörterbuch II, 737. 880 Dass sowohl die hebräischen als auch die griechischen Begriffe in all diesen Bedeutungen verwendet werden, hat SAMUELSSON eindrücklich gezeigt (Crucifixion, 286f.).

C.II.3. EINFLÜSSE CHRISTLICHER AUSLEGUNGSTRADITIONEN

247

nymus in seiner lateinischen Übersetzung im Galater-Kommentar überliefert,881 und ihm daher bekannt. Bei seiner Wahl hat wohl den Ausschlag gegeben, dass der Vers als Zitat in Gal 3,10 in der Version der Septuaginta (ἐμμενεῖ) vorkommt. In der lateinischen Übersetzung des Galatertexts, die Hieronymus im Kommentar bietet, formuliert er wie die altlateinische Tradition permanserit.

C.II.3.2

Auswertung

Die wenigen Beispiele, bei denen Hieronymus’ Übersetzung aus christlichen Texten zu erklären ist, lassen sich in lexikalische Parallelen zu altlateinischen Versionen (19,13; 27,26) einerseits und in den Einfluss christlich geprägter Vorstellungen andererseits unterteilen. Für Letzteres diente Dtn 21,22 als Beispiel, wie die Darstellung der römischen Kreuzigungspraxis in der Passion Jesu Hieronymus’ Übersetzung beeinflusst. Über die Arbeitsweise des Kirchenvaters zeigt dies, dass er die Orientierung an der hebraica veritas durchaus für andere Einflüsse aufgibt. Dies hatte auch die Untersuchung der Stellen ergeben, an denen er auf die Septuaginta zurückgreift, statt sich am hebräischen Text zu orientieren.

881 In Gal. II ad 3,10 [ed. VALLARSI, PL 26, 357B]. Zum Verhältnis der alttestamentlichen Texte zu Gal 3,10 und der Beurteilung bei Hieronymus vgl. S. 76ff.

D.

Zusammenfassende Auswertung

D.I.

Hieronymus als Übersetzer

Im ersten Hauptteil der Studie (B.) habe ich den Weg des Hieronymus zu seiner Übersetzung Iuxta Hebraeos (IH) in dessen historischen Entwicklung und theologischen Bedeutung dargestellt. Besonderes Augenmerk lag dabei darauf, wie philologische, textkritische, übersetzungstheoretische und hermeneutische Dimensionen ineinandergreifen: Schon mehr als ein Jahrzehnt bevor Hieronymus beginnt, die Bibel aus dem Hebräischen zu übersetzen, entwickelt sich sein Interesse an hebräischer Philologie. In frühen Kommentaren, Briefen und listenartigen Werken wie dem Onomastikon (de nom.) und dem Buch über die hebräischen Ortsnamen (sit. et nom.) erklärt er die Bedeutung einzelner hebräischer Namen. Parallel dazu erarbeitet er sich mithilfe judenchristlicher und jüdischer Gewährsmänner Sprachkenntnisse im Hebräischen, so dass er bei der Auslegung des Alten Testaments den hebräischen Text zu Rate ziehen kann. Nach seinem Eintreffen in Bethlehem tritt zu diesem philologischen Interesse eine textkritische Fragestellung hinzu. Hieronymus’ Unzufriedenheit mit unübersichtlichen und uneinheitlichen Überlieferung des Septuagintatexts (trifaria varietas) führt ihn in einem ersten Schritt zu deren hexaplarischen Bearbeitung durch Origenes. Diese hält er zunächst für die Rekonstruktion der ursprünglichen Form der griechischen Bibel Alexandriens, sozusagen die graeca veritas. Dadurch, dass Hieronymus für seine exegetischen und translatorischen Arbeiten vermehrt die Hexapla konsultiert und verschiedene griechische Bibeltexte mit dem hebräischen vergleicht, wird er sich bewusst, dass sich auch die noch so ursprünglichste Septuaginta-Fassung erheblich vom hebräischen Text unterscheidet. Ab den frühen 390er Jahren wendet er sich daher der hebraica veritas zu. Er ist von nun an davon überzeugt, dass dieser die „wahre“ Textgestalt der Bibel darstellt, d.h. die originale, in ihrer ursprünglichen Form überlieferte. Darin unterscheidet sich, so Hieronymus, der hebräische Bibeltext von der griechischen Bibel, die sich schon als Übersetzung von diesem Original entfernt und zudem vielfach überarbeitet wurde. Von Origenes übernimmt er nicht nur dessen hexaplarische Septuaginta und die Hexapla als Arbeitshilfe, auch das Anliegen, der christlichen Kirche einen verlässlichen, am hebräischen Text orientieren Bibeltext zur Verfügung zu stellen, teilt er mit dem Alexandriner. Wie viele seiner Briefe und Vorreden (praefationes/prologi) bezeugen, erntet das Schaffen des Hieronymus heftige Kritik bei seinen Zeitgenossen. Diese gipfelt meist in dem Vorwurf, er würde die Septuaginta zu gering schätzen, obgleich sie von den Autoren des Neuen Testaments und den Vätern der Kirche approbiert sei.

250

D. ZUSAMMENFASSENDE AUSWERTUNG

Auch stelle das Arbeiten am hebräischen Text ohne Orientierung an der Septuaginta deren Inspiration in Frage. In der christlichen Literatur der ersten Jahrhunderte wurde die Entstehungslegende der alexandrinischen Bibel aus dem Aristeasbrief breit rezipiert, wunderhaft ausgeschmückt und zur Begründung der Autorität und Inspiration des griechischen Alten Testaments genutzt. Zu dem philologischen Interesse des Hieronymus an der hebräischen Sprache und den textkritischen Fragestellungen, die ihn zum hebräischen Bibeltext führen, gesellen sich zwei übersetzungstheoretische Prinzipien, die er im Blick auf die Bibel, wie auch auf andere zu übersetzende Werke immer wieder betont (vgl. B.II.2.): In Briefen und praefationes (Vorreden) wird er nicht müde, sich zu verteidigen und zu begründen, warum er eine wortwörtliche Übersetzung (verbum de verbo) ablehnt. Unter Berufung auf eine Vielfalt christlicher und römischer Autoritäten präferiert er stattdessen sinngemäß (ad sensum) zu übersetzen. Dies wiederum verschafft ihm die Freiheit, einen stilistisch anspruchsvollen Text in seiner lateinischen Zielsprache zu schaffen. Bereits als er Anfang der 380er Jahre an einer Revision des lateinischen Neuen Testaments arbeitete, verfolgte er dieses Ziel. Neben dem textkritischen Problem der Verschiedenheit der altlateinischen codices stellten nämlich deren stilistischen Defizite einen wichtigen Grund für die Bemühungen des Kirchenvaters dar. Für Hieronymus tritt zu diesen vier philologischen Motiven für seine Übersetzung aus dem Hebräischen (unsichere Überlieferung der Septuaginta, mangelnde Übereinstimmung mit dem hebräischen Text, Ablösung zu wörtlicher Übersetzungen und Ausgleich stilistischer Mängel) noch ein theologischer: Die Septuaginta ist nämlich im heilgeschichtlich geprägten Denken des Hieronymus nicht nur deshalb revisionsbedürftig, weil sie in vielfältigen unterschiedlichen Handschriften überliefert und ihre Originalform nicht mehr rekonstruierbar ist. Eine Neuübersetzung direkt aus dem hebräischen Text ist aus seiner Sicht auch deshalb notwendig, weil das griechische Alte Testament in der Zeit vor der Geburt Christi übersetzt wurde – und zwar von nichtchristlichen Übersetzern für eine nichtchristliche Leserschaft. Da für Hieronymus das Alte Testament als prophetische Schrift in Christus seine Erfüllung gefunden hat, können erst christliche Gelehrte den Sinn alttestamentlicher Texte vollständig erfassen. Den Übersetzern der Septuaginta war aus diesem Grund die wahre Bedeutung des hebräischen Texts nicht in seiner Gänze zugänglich, auch wenn sie philologisch noch so genau gearbeitet und sich noch so nah am hebräischen Text orientiert hätten. Dass freilich, wie heute sensus communis der Forschung ist, die Septuaginta einem anderen hebräische Text folgt, als der, der sich heute als masoretischer etabliert hat, ist für Hieronymus außerhalb seiner Vorstellungswelt. Nicht nur, dass ein solcher Text wohl auch schon im vierten Jahrhundert n.Chr. nicht mehr auffindbar war, nein, auch die Vorstellung einer einzigen hebraica veritas macht Hieronymus (und auch seine Zeitgenossen) dagegen immun, diese Idee zu verfolgen. Gleichwohl ist dieser Gedanke bei Hieronymus nicht systematisch und konsequent durchgeführt. In vielen seiner Kommentare befragt er häufig den hebräischen Text nach dem Literalsinn, während gerade der anderslautende griechische Text die Grundlage für geistliche Auslegungen über den Wortsinn hinaus bildet. Hier stößt der Wunsch der Forschung nach einer durchgehenden Systematik im Arbeiten des Hieronymus an eine Grenze. Nicht zuletzt durch wechselnde Kommunikationszusammenhänge und durch taktisch-strategische Interessen in Kon-

D.I. HIERONYMUS ALS ÜBERSETZER

251

fliktsituationen sind die einzelnen Aussagen des Kirchenvaters oft situationsbezogen und in der Praxis weit weniger generalisierbar als sie auf den ersten Blick klingen. Daraus ergibt sich für Hieronymus’ Übersetzung des Alten Testaments IH zusammenfassend gesagt folgende Konstellation: Zum einen ist sie dadurch beeinflusst, dass Hieronymus sich am hebräischen Text orientiert, aus Unzufriedenheit mit der Textuntreue der Septuaginta und der Vielfalt ihrer Überlieferung. Dazu tritt sein hermeneutischer Vorbehalt, dass ein vorchristliches Werk wie die griechische Bibel des alexandrinischen Judentums die verborgenen christologischen Geheimnisse und damit die Wahrheit des alttestamentlichen Gotteswortes nicht so umfassend verstehen und wiedergeben kann, wie ein christlicher Theologe. Zum anderen haben in seiner Einschätzung auch die bisher existierenden altlateinischen Übersetzungen Anteil an der Vielfalt, Fehlerhaftigkeit und Vorläufigkeit der Septuaginta, und ermangeln überdies eines angemessenen lateinischen Stils. Die stilistische Mangelhaftigkeit, die er neben den altlateinischen Übersetzungen bisweilen auch der Septuaginta, aber in besonderem Maße Aquila unterstellt, rührt nicht selten daher, dass diese wortwörtlich übersetzen. Hieronymus dagegen lehnt das Übersetzen verbum de verbo grundlegend ab und plädiert für ein sensuales Übersetzen, das ihm große stilistische Freiheiten gewährt. Aus dem soeben Skizzierten ergeben sich die Fragestellungen, nach denen das Buch Deuteronomium in Hieronymus’ Übersetzung Iuxta Hebraeos untersucht wurde. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind im zweiten Hauptteil meiner Studie dargestellt (C.): Wie sieht Hieronymus’ Umsetzung dieser Ideen, Ideale und Vorstellungen im konkreten Übersetzungsvorgang aus? Wie geht er mit dem hebräischen Text um? Welchen Einfluss haben seine anderen Quellen? Welche seiner Prämissen lassen sich bestätigen, wo und weshalb verfährt er anders als angekündigt? Hierzu wurde der hebräische Text des Deuteronomiums in seiner masoretischen Textform, die Fülle der Septuaginta-Überlieferungen und der lateinische Text des Hieronymus miteinander verglichen. An den Stellen, an denen Hieronymus vom hebräischen Text abweicht, sei es, dass er dessen Bedeutungsspektrum präzisiert, d.h. verengt, sei es, dass es erweitert oder es ganz verlässt, wurde zunächst geprüft, ob dies auf den Einfluss der Septuaginta zurückzuführen ist. War dies nicht der Fall, wurden die hexaplarischen Versionen konsultiert. Außerdem habe ich Targumim und frühe Midraschim nach Auslegungstraditionen befragt, die Hieronymus von seinen jüdischen Lehrern erhalten haben könnte. Da bekannt ist, das Hieronymus exegetische Texte christlicher Autoren sowie von Philo und Josephus rezipiert hat, wurden auch diese darauf hin untersucht, ob Parallelen zu der Übersetzung des Hieronymus existieren. Ebenso wurde mit Stellen verfahren, an denen der hebräische Text bis heute unklar ist, bzw. von antiken Übersetzern sehr unterschiedliche interpretiert wurde. Hieronymus und der hebräische Text Der Bibeltext des Hieronymus im Deuteronomium IH stellt, wie dieser Vergleich ergeben hat, in den allermeisten Fällen eine direkte Übersetzung des hebräischen Texts dar. Weicht Hieronymus vom Wortlaut des hebräischen Texts ab, so geschieht dies überwiegend, um einen stilistisch anspruchsvollen lateinischen Text zu schaffen.

252

D. ZUSAMMENFASSENDE AUSWERTUNG

Dieses Ziel verfolgt er mindestens ebenso stringent, wie sich am hebräischen Text zu orientieren. Unter solche stilistisch motivierte Modifikationen fällt eine Vielzahl von Differenzen zum hebräischen Text, die nicht auf andere Quellen zurückzuführen sind. Es handelt sich um syntaktische Vereinfachungen, Kürzungen, Veränderung von Numerus und Tempus, Hinzufügung oder Auslassung von Konjunktionen, Umwandlung von Wortformen und grammatikalischen Konstruktionen, Ersetzungen von Ausdrücken durch Pronomina u.a. Weiterhin zählen hierzuauch die Einfügungen von zusätzlichen Attributen und erklärenden Umschreibungen und Erläuterungen, auch wenn hier der Übergang zu inhaltlichen Eingriffen und die Schaffung von intertextuellen Bezügen fließend ist. Hieronymus folgt hier ganz eindeutig seiner Prämisse nach dem Sinn (ad sensum) zu übersetzen und löst sich in erheblichem Maße vom Wortlaut, der grammatikalischen Struktur und dem Umfang des quellsprachlichen Texts. All dies bestätigt, dass die viel zitierte positive Aussage über das wörtliche Übersetzen in ep. 57 nicht als programmatische Äußerung zur eigenen Übersetzungspraxis zu verstehen ist.882 Wie gezeigt wurde, spricht er an der strittigen Stelle über seine zum Zeitpunkt der Entstehung des Briefes zurückliegende Arbeit an griechischen Bibeltexten. Sonstige Abweichungen vom MT sind bei Hieronymus, verglichen mit Divergenzen zur Septuaginta, selten. Dennoch lassen sich im Durchschnitt zwei Stellen pro Kapitel finden, an denen Hieronymus vom MT abweicht (C.II.). Die Entfernung vom Quelltext ist in diesen Fällen recht unterschiedlich: Teilweise präzisiert oder erweitert er ihn inhaltlich, teilweise verlässt seine Übersetzung das Bedeutungsspektrum des hebräischen Texts gänzlich. Dabei lässt sich keine einheitliche Tendenz ausmachen, wie sich diese Abweichungen zu anderen Quellen des Hieronymus verhalten. Mal orientiert er sich an der Septuaginta (C.II.1.), mal an den hexaplarischen recentiores (C.I.2.–C.I.7.). Mal existieren exakte Parallelen in zeitgenössischen jüdischen Texten (C.I.8.), mal ist seine Übersetzung sehr eigenständig (C.II.2.). Auch ist aus verschiedenen Gründen nicht immer zu klären, welche Quellen er rezipiert, von allem wenn die hexaplarische Überlieferung Lücken aufweist. Trotz dieser Ausnahmen überwiegt bei Hieronymus die Orientierung am MT als der hebraica veritas. Im Blick auf die hebräische Vorlage sind im Besonderen diejenigen Passagen spannend, an denen dieser auch nach heutiger Sicht schwer übersetzbar ist. Dies ist vielfach in den poetischen Texten in Dtn 32 und 33 der Fall, aber auch bei Hapaxlegomena, bei Tierbezeichnungen, Eigennamen u.v.m.883 Hier lässt sich bei Hieronymus ebenfalls keine eindeutige Präferenz für einen der griechischsprachigen Seitenreferenten, Septuaginta oder recentiores, feststellen. Parallelen zu Aquila, Symmachus und Septuaginta sowie eigene Formulierungen, die auf keine der untersuchten Quellen zurückgeführt werden können, sind in etwa gleich häufig. Das Verhältnis zu rabbinischen Überlieferungen und anderen jüdischen Texten ( Josephus, Philo) gestaltet sich in diesen Fällen ebenfalls sehr variabel. Auch zeigt 882 Dort schreibt er, er habe „außer bei den Heiligen Schriften, wo die Wortfolge ein Geheimnis ist“, immer nach dem Sinn übersetzt. Zur Bedeutung dieser Aussage s.o. Abschnitt , S. 40ff. 883 Vgl. die Diskussion in Abschnitt C.II. zu den Stellen 3,17; 8,15; 11,10; 14,12–18; 15,18; 16,21; 18,3; 18,8; 20,19; 23,1(2), 26,5; 32,24.26.42; 33,2.19.25; 34,7.

D.II. DIE ROLLE DER SEPTUAGINTA

253

sich eine große Bandbreite an unterschiedlicher Nähe zu rabbinischen Traditionen. Diese reicht von fast wörtlicher Übereinstimmung,884 über Ähnlichkeiten in der Formulierung885 bis zu möglichen Berührungspunkten.886 An vielen der o.g. Stellen, an denen der hebräische Text schwer verständlich ist, laufen rabbinische Traditionen außerdem parallel zu den Hieronymus bekannten griechischen Bibelübersetzungen.887 Auch wo hexaplarische Überlieferungen fehlen, kann auf Parallelen zu hebräischen oder aramäischen Texten hingewiesen werden.888 In wenigen Fällen stehen Hieronymus und rabbinische Texte sogar gemeinsam gegen die griechische Überlieferung.889 Dabei handelt es sich mancherorts um Hinzufügungen, die für die Technik der hexaplarischen Versionen eher untypisch sind.890 Vermittelt durch die Hexapla und durch seine jüdischen Lehrer sind so einige exegetische Traditionen aus dem nachbiblischen Judentum in seine Bibelübersetzung eingeflossen. Den Stellen, an denen klare Parallelen auszumachen sind, stehen auch bei den oben genannten Texten mit unklarem MT eine Reihe von Übersetzungen gegenüber, die Hieronymus ohne Einfluss von Parallelen eigenständig formuliert.891 Ebenso spricht die Unabhängigkeit von einer einzigen bevorzugten Quelle für die Sorgfalt der Wahl und der Entscheidung in der jeweiligen Situation.

D.II.

Die Rolle der Septuaginta

Wie sich aus dem bisher Dargestellten ergibt, ist die Übersetzung des Hieronymus vor allem durch ihre Differenz zu Septuaginta-Traditionen geprägt. Durch die konsequente Orientierung am hebräischen Text kommt es zwangsläufig zu erheblichen Unterschieden zu den griechischen Bibeltexten. Obwohl Hieronymus keine Revision einer bisher bestehenden, von der Septuaginta beeinflussten Übersetzung erarbeitet, sondern einen kompletten Neuansatz wählt, hat die Septuaginta nichtsdestotrotz die Übersetzung Iuxta Hebraeos beeinflusst. In der vorliegenden Untersuchung konnte gezeigt werden, wie Hieronymus an einigen Stellen vom hebräischen Text abweicht und stattdessen der Überlieferung der Septuaginta folgt – sei es auf semantischer, syntaktischer oder grammatischer Ebene. Andernorts übernimmt er aus ihr Formulierungen, die das Spektrum des Hebräischen interpretierend erweitern oder verengen. Nicht selten kommt es dabei vor, dass er die hexaplarischen recentiores übergeht. Dies lässt sich auch dann beobachten, wenn diese 884 S.o. C.I.8. zu Dtn 3,17; 8,15; 33,19. 885 S.o. C.I.8. zu Dtn 20,19; 23,1; 26,5. 886 S.o. C.I.8. zu Dtn18,8. 887 S.o. Dtn 3,17; 8,15; 16,21; 32,24.26; 32,42; 33,2. 888 S.o. C.I.8. zu Dtn 33,25; 34,7. 889 S.o. C.I.8. zu Dtn 23,1; 26,5; 33,19. 890 S.o. C.I.8. zu Dtn 23,1. 891 S.o. C.II.2. zu Dtn 11,10; 15,18; 18,3.

254

D. ZUSAMMENFASSENDE AUSWERTUNG

aus heutiger philologischer Sicht eine bessere, genauere, oder wörtlichere Wiedergabe des Hebräischen bieten, die der hebraica veritas mehr entsprechen würde.892 Vielfach zeigt sich im Vergleich mit Parallelstellen in anderen Büchern seiner Bibelübersetzung IH, dass Hieronymus die anderen Übersetzungsmöglichkeiten der Hexapla für entsprechende hebräische Worte sogar kennt und andernorts bevorzugt. Lediglich zwei von den Stellen, an denen Hieronymus der Septuaginta gegen den MT folgt (17,3; 32,5), halte ich für theologisch ausschlaggebend: Im ersten Fall handelt es sich um eine Engführung des Fremdkultes auf astrale Gottheiten, im anderen um die Deutung der Zuwendung der Israeliten zu anderen Göttern: Der MT spricht von „abfallen“ (76), Septuaginta und IH von „sündigen“ (peccare, ἁμαρτάνω). Hieronymus trägt hier die Deutung, die auch die Septuaginta liefert, in den MT ein. Sowohl seine spätantik christliche Hermeneutik und Theologie als auch die der hellenistisch-jüdischen Bibel Alexandriens operieren häufiger mit der Kategorie „Sünde“ als mit der alttestamentlichen Bundesvorstellung. Die Parallelität mit der Septuaginta korreliert an den genannten Stellen nicht signifikant mit der zu rabbinischen Quellen. Bei der Auflistung der Namen unreiner Tiere (14,12ff.) ist z.B. offensichtlich, dass er der Septuaginta den Vorzug vor den hexaplarischen Überlieferungen oder zeitgenössisch-jüdischen Traditionen gibt und viele Bezeichnungen aus dem Griechischen transkribiert, wenn es sich um Tiere handelt, für die es kein etabliertes lateinisches Äquivalent gibt (vgl. S. 223ff.). Die Gegenüberstellung dieser Beobachtung mit seinem Vorgehen bei den Psalmenübersetzungen aus der Septuaginta und dem hebräischen Text, und deren Kommentierung in ep. 106, hatte zudem gezeigt, dass Hieronymus im Deuteronomium IH sogar dann auf Transkriptionen zurückgreift, wenn er andernorts genauere exegetische Kenntnisse reflektiert und referiert. Vermutlich übersetzt Hieronymus die Psalmen, die für die christliche Liturgie und Exegese eine bedeutendere Rolle spielen, mit mehr Interesse und Engagement als Regelungen zu jüdischen Speisetabus, die für seine Leserschaft weniger Relevanz haben. Diese Beobachtungen zur Septuaginta stehen nur zum Teil im Einklang mit den Übersetzungsprinzipien des Kirchenvaters – wäre doch zu erwarten, dass er mit seiner Orientierung an der hebraica veritas in textkritischer Hinsicht konsequenter umgeht. Allerdings verifizieren diese Untersuchungen am Übersetzungstext des Hieronymus die Vermutungen bisheriger Forscherinnen und Forscher. So hatten die Arbeiten von NEWTON an den Kommentaren zum Dodekapropheton und die von HAYWARD bzw. KAMESAR an der Genesis IH im Vergleich zu den Quaestiones hebraicae bereits stichprobenhaft gezeigt, dass der lateinische Bibeltext des Hieronymus in diesen Schriften „konservativer“ ist, als sein Vorhaben erwarten lässt.893 Oft überträgt er einen Bibeltext in einem zugehörigen Kommentar sehr nahe am MT, wählt aber in seiner Übersetzung Iuxta Hebraeos Formulierungen, die der Septuaginta oder der VL mehr entsprechen. Sicher spiegelt der inkonsequente Umgang mit der Septuaginta auch die Ambivalenz wieder, mit der Hieronymus auf sie blickt.

892 Dies ist z.B. in Dtn 3,4; 7,23; 23,14(15), 24,1.3.20; 27,26 und 32,5.25.31 der Fall (s.o. C.II.). 893 Vgl. NEWTON, Influences, 17–33; KAMESAR, Jerome, passim; HAYWARD, Hebrew Questions on Genesis, passim.

D.III. HIERONYMUS – REZIPIENT DER HEXAPLA

D.III.

255

Hieronymus – Rezipient der Hexapla

Die Analyse des Deuteronomium IH hat weiterhin ergeben: Neben der Septuaginta zählen die hexaplarischen recentiores zu den wichtigsten Einflüssen auf Hieronymus’ Übersetzung. Wie er selbst beschreibt, dienen sie ihm, neben jüdischen Lehrern, als wichtigste Quelle, um den Sinn des hebräischen Texts zu erschließen bzw. zum Ausdruck zu bringen. Weicht Hieronymus sowohl von MT als auch von Septuaginta ab, finden sich in einigen Fällen Parallelen zu einer der hexaplarischen Versionen. Dennoch ließ sich nachweisen, dass Hieronymus vielfach auch gegen hexaplarisches Material eigenständige Übersetzungen wählt, wenn er sich nicht an MT oder Septuaginta orientiert. Auch in diesen Fällen zeigt er sich nicht immer von rabbinischem Material beeinflusst. Parallelen zu hexaplarischem Material finden sich bei Hieronymus zu Hauf. Gerade wenn die Septuaginta nicht mit dem MT übereinstimmt, lehnt er sich oft an Formulierungen der recentiores an. Am häufigsten sind dabei die Fälle an denen er Symmachus folgt, vielfach auch gegen Aquila. Teils stimmt Hieronymus mit mehreren der recentiores überein. Parallelen zu Aquila finden sich hauptsächlich dann, wenn kein andere hexaplarische Lesart überliefert ist. Nur in wenigen Fällen präferiert Hieronymus die Aquila-Lesart gegen Symmachus (2,34; 3,17; 32,10). Eine direkte Übereinstimmung mit Theodotion gegen beide andere hexaplarische Versionen ist sehr selten, allerdings aufgrund der speziellen Überlieferungssituation der Theodotion-Übersetzung auch schwer zu erfassen. Blickt man auf die Fälle, bei denen Hieronymus keine der hexaplarischen Varianten rezipiert, so lassen sich dort häufig Parallelen in der rabbinischen Literatur finden. Diese Beobachtungen stützen das Bild, das Hieronymus selbst seiner Einstellung zu den hexaplarischen Versionen zeichnet: Hieronymus’ Präferenz für Symmachus und seine oft ablehnende Haltung gegenüber Aquila gehört in der Forschung zum common sense. Überraschend ist bei der Untersuchung der Übersetzung IH, dass der Einfluss von Aquila nicht so gering ist, wie manch kritische Äußerung des Kirchenvaters vermuten lässt – hält er Aquila doch vielerorts für zu wörtlich und macht ihm seine jüdische Provenienz zum Vorwurf. Eine ähnliche Beobachtung lässt sich zu Symmachus, Hieronymus zufolge Ebionit, machen: Obwohl er von Hieronymus meist positiv beurteilt wird, rezipiert er seine Übersetzung nicht unkritisch und zieht ihm bisweilen Aquila vor. Die Untersuchung hat im Blick auf die hexaplarischen recentiores gezeigt, dass Hieronymus sie nutzt, um den Sinn des hebräischen Texts zu erschließen. Er lässt sich von ihrer großen Nähe zum MT leiten, verzichtet aber gegebenenfalls auch auf ihre Anleitung und Hilfe, wenn ihm eine andere Übersetzung geeigneter scheint. Dies zeigt zunächst die Eigenständigkeit der Arbeit des Hieronymus, wirft aber die Frage nach seinen Kriterien auf. Für viele der Stellen, die er von Symmachus zu übernehmen scheint, finden sich auch Parallelen in Targumim und ähnlicher Literatur. Auch SALVESEN hat bereits am Beispiel von Symmachus gezeigt, dass es

256

D. ZUSAMMENFASSENDE AUSWERTUNG

eine Reihe von Übereinstimmungen zwischen den hexaplarischen und rabbinischen Texten gibt.894 Allerdings lässt sich nicht nachweisen, dass die Informationen seiner jüdischen Lehrer Kriterium für die interpretatorischen Entscheidungen des Kirchenvaters sind: Zunächst einmal ist nicht damit zu rechnen, dass die heute überlieferten rabbinischen Texte vollständig all die Auslegungstraditionen repräsentieren, um die Hieronymus wissen konnte. Außerdem ist es aufgrund der lückenhaften Überlieferung der Hexapla nicht immer möglich festzustellen, ob diese als Vermittlerin zwischen zeitgenössischer jüdischer Exegese und der christlichen Theologie diente. Gelegentlich ist bei Hieronymus die Tendenz zu finden, dass er christliche Interpretationen berücksichtigt und diese hexaplarischen Zeugnisse vorzieht. So wird in Dtn 32,35 nicht Symmachus den Ausschlag gegeben haben, sondern die Übereinstimmung mit dem Hebräerbrief. In Dtn 27,26 spielt, wie Hieronymus‘ Auslegung des Gal 3,10 zeigt, die paulinische Version des Texts die ausschlaggebende Rolle.

D.IV.

Jüdische Traditionen und die hebraica veritas

Hieronymus’ Arbeit am hebräischen Alten Testament, sein Interesse an der hebräischen Philologie und sein Kontakt zu jüdischen Gewährmännern leitet nochmals zu Frage nach seinem Bild des Judentums. Der hebräische Text, der zur Zeit des Hieronymus ausschließlich im Judentum genutzt wurde, repräsentiert für ihn auf philologischer und textkritischer Ebene die ursprüngliche Wahrheit. Außerdem vermitteln jüdische Lehrer ihm Wissen über Text und Philologie. Andererseits steht das „Jüdische“ der Septuaginta für deren theologische Unvollkommenheit und ihre heilsgeschichtliche Vorläufigkeit, die aus Sicht des Kirchenvaters eine Übersetzung der Heiligen Schrift vor der Offenbarung Gottes in Christus mit sich bringt. Zudem gilt für Hieronymus die jüdische Interpretation mancher Schriftstellen als Paradigma buchstabengetreuer, aber ungeistlicher Fehlinterpretation. In besonderem Maße gilt dies im Blick auf das Verständnis von Soteriologie und Gesetz. Um dieser Spannung zu begegnen, differenziert Hieronymus terminologisch häufig zwischen „jüdisch“ und „hebräisch“. Ersteres absorbiert die negativen Konnotationen, die Unvollkommenheit und den theologischen Irrtum. Außerdem steht die Bezeichnung iudaeus für das zeitgenössische Judentum, das Hieronymus in Opposition zur christlichen Kirche sieht. Nicht zuletzt bedient er sich gerade in den Schriften, die seine Übersetzung verteidigen, des Arguments, dass seine Übersetzung zur Widerlegung jüdischer Positionen nützlich und notwendig sei. Hebraeus bezeichnet demgegenüber die sprachliche Kompetenz von Personen 894 SALVESEN, Symmachus on the Pentateuch, 263f.

D.VI. JÜDISCHE TRADITIONEN

257

(auch z.B. von Konvertiten) und die unverfälschte Ursprünglichkeit des Texts. Diese Entscheidung und Unterscheidung ist natürlich nur aus christlichtheologischer Perspektive möglich. Philologie und Exegese gehen in dieser Konstellation Hand in Hand, denn vielfach über die reine Philologie hinausgehende exegetische Traditionen aus seiner jüdischen Umwelt, die Hieronymus in seinen Kommentaren referiert und auch beim Übersetzen positiv rezipiert. Andererseits werden von ihm ebenfalls philologische Mittel angewandt, um falsche „jüdische“ Auslegungen zu korrigieren.895 An einigen Stellen im Deuteronomium ist nachweisbar, dass Hieronymus rabbinischen Traditionen kennt und aufgreift. Etwas häufiger ist der Fall, dass es rabbinische Parallelen zu hexaplarischen Versionen gibt, die Hieronymus rezipiert. Weiterhin lässt sich bei fehlender hexaplarischer Überlieferung nicht zweifelsfrei nachweisen, wie die Vermittlung der Traditionen stattgefunden hat. Ob die Existenz rabbinischer Parallelen für Hieronymus den Ausschlag dafür gibt, sich der einen oder anderen griechische Quelle anzuschließen, ließe sich, wie schon erwähnt, nur verifizieren, wenn eine ausreichende Menge an Stellen vorläge. Der hier untersuchte Textabschnitt spiegelt wider, dass für Hieronymus eine Vielfalt von Faktoren bei der Entstehung seiner Übersetzung im Spiel ist. Sie entspricht dem Programm, das er für seine Übersetzungsarbeit entwickelt hat. Aus stilistischen Gründen entfernt er sich stark von den Quelltexten, kann diese aber theologisch und hermeneutisch dadurch einholen, dass er sich für das Übersetzen ad sensum stark macht. Die vielen Fälle, bei denen die Orientierung am hebräischen Text gegen die Überlieferung der Septuaginta steht, sind seiner Präferenz der hebraica veritas geschuldet. Dennoch entscheidet er sich in manchen Fällen für die der lateinischen Kirche vertraute und von ihr geschätzte Septuaginta, vielleicht um dem Vorwurf entgegen zu wirken, er verachte sie. Eine große Rolle spielen für ihn die hexaplarischen recentiores, denen er eine Vermittlerrolle zwischen hebräischer Philologie, dem Konsonantentext und der griechischen Tradition zumisst.

895 Vgl. z.B. die Vokalisierung des Verses Jes 2,22. Dort wirft Hieronymus „den Juden“ vor, den Text absichtlich falsch zu vokalisieren, damit er nicht christologisch interpretiert werden könne. S.o. S. 86f.

Literatur- und Quellenverzeichnisse

Quellenausgaben und Übersetzungen

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QUELLENVERZEICHNIS

Jüdische Schriften Philonis Alexandrini Opera Omnia quae supersunt, Hg.: COHN, L. / WENDLAND, P., Berlin 1896ff. Flavii Josephi opera 1. Antiqvitatvm Ivdaicarvm libri I–V, Hg.: NIESE, B., Berlin 188–1895. Maaserot / Maaser Scheni (Vom Zehnten / Vom Zweiten Zehnten). Text, Übersetzung und Erklärung nebst einem textkritischen Anhang, Die Mischna. Text, Übersetzung und ausführliche Erklärung I,7–8, Hg.:BUNTE, WOLFGANG, Berlin 1962. Sifrâ de-Vê Rāv. we-hû‫ ގ‬Sēfer Tôrat kohānîm 2. Text of Sifra according to Vatican manuscript Assemani 66, Hg.: FINKELSTEIN, L., Jerusalem 1998. Sifre on Deuteronomy, Hg.: FINKELSTEIN, L., Berlin 1939, Repr. New York 1969. Der tannaitische Midrasch Sifre Deuteronomium, Hg.: BIETENHARD, H./ LJUNGMAN, H., JudChr 8, Bern u.a. 1984. Der Babylonische Talmud, 9 Bd., Hg.: GOLDSCHMIDT, L., Leipzig/Berlin 1897–1935.

Lateinische christliche Schriften Hieronymus Lettres. St. Jérôme, Texte et traduction, Bd. 1–8, Hg.: LABOURT, J., Paris 1949–1963. S. Hieronymi presbyteri opera, Pars I. Opera exegetica 1, Hebraicae quaestiones in libro Geneseos. Liber interpretationis hebraicorum nomiuvm [u.a.], CChr.SL 72, Hg.: LAGARDE, P. de / Morin, G., Turnhout 1959. S. Hieronymi Presbyteri Opera. Opera exegetica 2, Commentariorum in Esaiam Libri I–XI, CChr. SL 73, Hg.: ADRIAEN, M., Turnhout 1963. S. Hieronymi Presbyteri Opera. Opera exegetica 2A, Commentariorum in Esaiam Libri XII-XVIII, CChr. SL 73A, Hg.: ADRIAEN, M., Turnhout 1963. S. Hieronymi presbyteri opera, Pars I. Opera exegetica 3, In Hieremiam libri VI, CChr.SL 74, Hg.: REITER, S., Turnhout 1960. S. Hieronymi Presbyteri Opera. Opera exegetica 4, Commentariorum in Ezechielem Libri XIV, CChr.SL 75, Hg.: GLORIE, F., Turnhout 1964. S. Hieronymi Presbyteri Opera. Opera exegetica 5, Commentariorum in Daniel Libri III, CChr.SL 75A, Hg.: GLORIE, F., Turnhout 1964. S. Hieronymi Presbyteri Opera. Opera exegetica 6. Commentarii in Prophetas Minores, CChr.SL 76, Hg.: ADRIAEN, M., Turnhout 1969. S. Hieronymi Presbyteri Opera. Pars I. Opera exegetica 6A. Commentarii in Prophetas Minores, CChr.SL 76A, Hg.: ADRIAEN, M., Turnhout 1970. S. Hieronymi presbyteri opera, Pars I. Opera exegetica 7, Commentariorum in Matheum libri IV, CChr.SL 77, Hg.: HURST, D. / ADRIAEN, M., Turnhout 1969. S. Hieronymi Presbyteri Opera. Opera polemica 3. Contra Rufinum, CChr.SL 79, Hg.: LARDET, P., Turnhout 1982. Sancti Eusebii Hieronymi Stridonensis presbyteri opera omnia, Bd.1, PL 22, Hg.: VALLARSI, D., Paris 1854. Sancti Eusebii Hieronymi Stridonensis presbyteri opera omnia, Bd. 2.3, PL 23, Hg.: VALLARSI, D., Paris 1883. Sancti Eusebii Hieronymi Stridonensis presbyteri opera omnia, Bd. 5.6, PL 25, Hg.: VALLARSI, D., Paris 1884. Sancti Eusebii Hieronymi Stridonensis presbyteri opera omnia, Bd. 7, PL 26, Hg.: VALLARSI, D., Paris 1884. Sancti Eusebii Hieronymi Stridonensis presbyteri opera omnia, Bd. 10, PL 29, Hg.: VALLARSI, D., Paris 1865. Hieronymus, Sophronius Eusebius, Commentarius in Ionam prophetam. Unter Mitarbeit von SIEGFRIED RISSE, FC 60, Turnhout 2003. Hieronymus, Sophronius Eusebius, Commentarioli in Psalmos. Unter Mitarbeit von SIEGFRIED RISSE, FC 79, Turnhout 2005.

QUELLENVERZEICHNIS

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Weitere Sancti Cypriani Episcopi Epistularium, CChr.SL 3B, Hg.: DIERKS, G.F., Turnhout 1994. Sancti Isidori Hispalensis Episcopi opera omnia, Bd. 3.4, PL 82, Hg.: AREVALO, F., Paris 1850.

Griechische christliche Schriften Origenes Origenes Werke III. Homiliae in Ieremiam, Fragmenta in Lamentationes, GCS 6, Hg.: KLOSTERMANN, Berlin 1901. Origenes Werke IV. Commentarius in Iohannem, GCS 10, Hg.: PREUSCHEN, E., Berlin 1903. Origenes Werke VII. Homilien zum Hexateuch, GCS 30, Hg.: BAEHRENS, W.A., Berlin 1921. Origenes Werke X. Commentarius in Matthaeum I, GCS 40, Hg.: KLOSTERMANN, E. / BENZ, E., Berlin 1935. Origenes Werke XI. Commentarius in Matthaeum II, GCS 38, Hg.: KLOSTERMANN, E. / BENZ, E., Berlin 1933.

Eusebius Eusebius Werke I/1, Vita Constantini, GCS 68, Hg.: WINKELMANN, F., Berlin 31991. Eusebius Werke II/2. Historia ecclesiastica, GCS 9/2, Hg.: SCHWARTZ, E. / MOMMSEN, TH., Berlin 1908. Eusebius Werke III/1. Onomasticon, GCS 11/1, Hg.: KLOSTERMANN, E., Berlin 1904. Eusebius Werke VI. Demonstratio euangelica, GCS 23, Hg.: HEIKEL, I., Berlin 1913. Eusebius Werke VII. Die Chronik des Hieronymus, GCS 47, Hg.: HELM, R., Berlin 31984.

Weitere Iustini Martyris Dialogus cum Tryphone, PTS 47, Hg.: MARCOVICH, M., Berlin/New York 1997. S. Isidori, Pelusiotae, Epistularum Libri Quinque, Bd. 1, PG 78, Hg.: POSSINUS, P., Paris 1864. Clemens Alexandrinus II, Stromata I-V, GCS 52, Hg.: FRÜCHTEL, L., Berlin 31960. Procopii Gazaei, opera quae reperiri poterunt omnia, PG 87, Hg.: GESNER, J. [u.a.], Paris 1865. ΣΕΙΡΑ ΕΝΟΣ ΚΑΙ ΠΕΝΤΗΚΟΝΤΑ ΥΠΟΜΝΗΜΑΤΙΣΤΩΝ ΕΙΣ ΤΗΝ ΟΚΤΑΤΕΥΧΟΝ ΚΑΙ ΤΑ ΤΩΝ ΒΑΣΙΛΕΙΩΝ. ΤΟΜΟΣ ΠΡΩΤΟΣ. (=Catena Nicephoru), Hg.: THEOTOKES,

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896 Nota bene: In der EncJud ist als Autor für diesen Artikel irrtümlicherweise MARK WISCHNITZER angegeben, was kaum glaubwürdig ist, da Literatur bis 1970 angeführt wird, WISCHNITZER aber bereits 1955 verstarb. Üblicherweise wird der Artikel unter M. WEINFELD zitiert, unter anderem von ihm selbst.

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

271

Abkürzungen Abkürzungen lateinischer Autoren werden zitiert nach: Thesaurus Linguae Latinae, Berlin 2009–.897 Vorreden zu den Bibelübersetzungen des Hieronymus werden zitiert als: prol./praef. [Bibl. Buch] z.B.:

praef. Ps. (IH) prol. Pent.

Vorrede zum Psalter aus dem Hebräischen Vorrede zum Pentateuch

Abkürzungen griechischer christlicher Autoren werden zitiert nach: LAMPE, P.: A Greek Patristic Lexicon, Oxford, 61982. Abkürzungen von Vetus Latina-Handschriften werden zitiert nach: Vetus Latina Database. Repertorium, Hg.: Vetus Latina Institut, Beuron. Abkürzungen griechischer Bibelhandschriften werden zitiert nach WEVERS, J.: Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum. Bd. 3,2 Deuteronomium, Göttingen 22006. Weitere Abkürzungen werden zitiert nach: SCHWERTNER, S. (Hg.): IATG2. Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin 1992. Darüber hinausgehende Abkürzungen werden zitiert nach: ALEXANDER, P. (Hg.): The SBL Handbook of Style. For Ancient Near Eastern, Biblical, and Early Christian Studies, Peabody 1999. Zusätzlich verwendete Abkürzungen: Cat.Nic. IH LXXdt MT Syh

Catena Nicephoru iuxta Hebraeos Septuaginta Deutsch masoretischer Konsonantentext Syrohexapla

897 http://www.degruyter.com/databasecontent?dbid=tll&dbsource=%2Fdb%2Ftll. Abgerufen zuletzt am 10.12.2014.

272

QUELLENINDEX

Quellenindex Klassische Autoren

Hellenistisch-jüdische Texte

Cicero

Aristeasbrief

De finibus 3,15 ...................................................................... 55

159 ..................................................................... 145 302ff. ................................................................... 39

De optimo genere oratorum 5, 13f. ................................................................... 45 De oratore II 117 ................................................................... 31

Horaz Epistulae II 3, 133f. ............................................................ 50

Josephus Flavius Antiquitates Iudaicae III 252 ............................................................... 180 IV 202 ............................................................... 238 IV 213 ............................................................... 145 IV 299 ............................................................... 192 VI 202 ............................................................... 245 XII 12–118 ....................................................... 39 Bellum Judaicum IV 317 ............................................................... 245

Plinius d.Ä. Naturalis historia 23,152 .............................................................. 129

Philo von Alexandrien Legum allegoriae I 51 ..................................................................... 230

Qumran 1QJesa ............................................................... 94f. 1Q20 (=1QapGen) 17,7–9 ....................... 202 4Q196–200..................................................... 176 11Q19 (=11QTa) ......................................... 231 11Q19 (=11QTa) 64, 7–12 ....................... 245 11Q19 (=11QTa)64,12 .............................. 235

De opificio mundi 45 ....................................................................... 168 De specialibus legibus I 16ff.................................................................. 166 I 18 ff. ................................................................ 165 III 189 ............................................................... 165 IV 227 ............................................................... 191 De virtutibus 154 ..................................................................... 191

Pseudepigraphen Liber antiquitatum biblicarum 19,12.16 ........................................................... 212

De vita Mosis II 25–44 ............................................................. 39 II 291................................................................. 212

QUELLENINDEX

273

Christliche Texte Augustin von Hippo

Epiphanius von Salamis

De civitate Dei XV 13 .................................................................. 90 XVIII 43 .............................................................. 91

De mensuris et ponderibus 2 ............................................................................ 85 15 ....................................................................... 106 16−18................................................................ 127 17 ................................................................ 39, 137 19 ....................................................................... 219

Confessiones I 13 (20) .............................................................. 42 De doctrina christiana II 15 (22) ............................................................ 41 II 16 (23) ............................................................. 31 Epistulae 71,5 ...................................................................... 40 82 .......................................................................... 25 Locutiones in Heptateuchum V 6 ........................................................................ 97 V 56................................................................... 195 Quaestiones in Heptateuchum V q.6 .................................................................. 169 V q.55 ............................................................... 239

Euseb von Caesarea Demonstratio evangelica IV 8,4f. .............................................................. 166 Historia ecclesiastica V 8 ..................................................................... 126 V 8,10................................................................ 106 Praeparatio evangelica I 9 ....................................................................... 166 XIII 18 .............................................................. 166 Vita Constantini IV 34–37 .......................................................... 221

Catena Nicephorou 1441 .................................................................. 166

Clemens von Alexandrien Stromateis VI 14,110f. ...................................................... 165

Codex Theodosianus CTh 16,1,2 ........................................................ 75 CTh 16,8 ............................................................ 77

Cyprian von Carthago Epistulae 3,1 ...................................................................... 109 4,4 ...................................................................... 109

Hieronymus Adversus Iovinianum I 22 ..................................................................... 212 Adversus Rufinum I 7 ......................................................................... 54 I 13 ....................................................................... 74 I 19 ....................................................................... 58 II 19 ..................................................................... 54 II 25 ..................................................................... 39 II 27 ..................................................................... 25 Chronikon epist. ................................ 44, 46, 56, 60, 62, 137 II 12 ..................................................................... 78 Commentarii in Abd. 20 ........................................................ 216 in Agg. ad 1,16 ................................................ 198 in Agg. ad 2,11ff. ............................................ 182 in Agg. ad 2,19 ................................................ 178

274

QUELLENINDEX

in Am. I ad 3,11 ............................................. 124 in Dan. ad 4,6 ................................................. 138 in Eccles. praef. ............................................ 15, 36 in Eccles. ad 1,14 ............................................... 15 in Eccles. ad 4,13 ............................................... 69 in Eccles. ad 12,5 ............................................... 36 in Eph. I ad 1,5 .................................................. 57 in Eph. II ad 4,16 .............................................. 46 in Ezech. praef.................................................... 39 in Ezech. I ad 1,3............................................ 178 in Ezech. I ad 3,14b.15 ................................. 105 in Ezech. I ad 4,4ff. ........................................ 222 in Ezech. V ad 16,23–26.............................. 222 in Ezech. VII praef ............................................ 94 in Ezech. VII ad 24,15ff. .............................. 146 in Ezech. XIV ad 45,13f............................... 176 in Gal. prol. 1ff. ................................................. 88 in Gal. II ad 3,10 ................................ 14, 86, 87 in Gal. II ad 3,13 .................................... 89, 236 in Hab. I ad 2,19 ............................................... 91 in Hab. II ad 3,13 ................................. 104, 125 in Hab. II ad 3,10-13....................................... 74 in Ier. II, 82 ad 9,22 ......................................... 95 in Ier. IV, 19 ad 20,1f. .................................. 128 in Ier. IV, 43 ad 22,29f. ................................ 216 in Ion. praef. ....................................................... 25 in Is. I ad 2,22 .................................................... 95 in Is. III ad 6,9 ............................................ 86, 90 in Is. III ad 8,11.............................................. 104 in Is. XIII ad 49,5 .......................................... 104 in Is. XVI praef. .............................................. 221 in Is. XVI ad 58,11 ......................................... 222 in Mal. ad 3,1 .................................................... 25 in Mat. IV ad 27,9f. ......................................... 71 in Mat. IV ad 27,10 ......................................... 92 in Nah. prol. ....................................................... 14 in Nah. ad 3,1................................................. 128 in Os. I ad 2,10ff. ........................................... 216 in Os. I ad 2,16f. ............................................. 104 in Os. II ad 9,11ff. .......................................... 216 in Soph. ad 1,15f. .............................................. 78 in Soph. ad 3,14(18).......................................... 32 in Tit. ad 1,14.................................................... 72 in Tit. ad 3,9 ...............................35, 71, 92, 101 in Zach. prol. ................................................... 217 in Zach. ad 6,9–17 ........................................... 14 tract. in Ps. 1,4 ................................................ 102 tract. in Ps. 2,88 ................................................ 32

De situ et nominibus locorum hebraicorum 15,22ff. ............................................................. 116 19,3 .................................................................... 110 35,11 ................................................................. 161 65,19ff. ............................................................. 117 De viris illustribus 3 ..................................................................... 92, 93 54 ............................................................. 125, 137 Epistulae 5,2 ...................................................................... 223 18 ......................................................................... 33 18A,15 ................................................................ 47 20,2 ........................................................ 14, 33, 83 20,5 ...................................................................... 33 22,30 .......................................................... 61, 101 25 ......................................................................... 28 26,2 ...................................................................... 57 27,1 ...................................................................... 31 28 ......................................................................... 33 28,5 ...................................................................... 33 29,1 ...................................................................... 28 32 .................................................................. 33, 86 32,1 .......................................................... 101, 103 34,2 .................................................................... 101 34,3 ...................................................................... 33 34,4 ...................................................................... 31 36,1 ............................................................... 28, 73 36,2 ...................................................................... 93 36,4 ...................................................................... 92 36,14 ................................................................... 62 37,3 ............................................................... 33, 60 39,1 ...................................................................... 28 48,4 ........................................................ 32, 37, 62 53,9 ...................................................................... 57 56 ......................................................................... 41 56,2 ...................................................................... 41 57 ........................... 25, 28, 44, 54, 65, 103, 251 57,2 ...................................................................... 45 57,5 ..................................................25, 44, 46, 49 57,6 ............................................................... 25, 49 57,10 ................................................................... 51 57,11 .......................................................... 64, 104 57,12 ................................................................... 62 73,8 ...................................................................... 96 78 ....................................................................... 161 78,20ff. ............................................................... 92 78,36 ................................................................. 161

QUELLENINDEX

83 .......................................................................... 53 83,1 ...................................................................... 53 84 .......................................................................... 53 84,1f. .................................................................... 68 84,3 .......................................... 28, 57, 68, 78, 93 84,12 .................................................................... 53 85,5 ...................................................................... 31 97,3 ...................................................................... 65 98,24 ................................................................. 110 101 ....................................................................... 41 104,5 .................................................................... 40 106 .................................................... 43f., 59, 223 106,2 .......................................................... 31, 222 106,3 .................................................................... 64 106,22.55 ......................................................... 220 106,26 ................................................................. 64 106,29f ................................................................ 59 106,46 ................................................................. 43 106,54 ................................................................. 65 106,55 ................................................................. 64 106,63 .............................................................. 224 106,65 .............................................................. 226 109,1 ................................................................. 212 112 ................................................................ 29, 40 112,4 .................................................................... 25 112,13 ................................................................. 71 112,19 .................................................55, 91, 221 112,20 ................................................................. 25 114,3 .................................................................... 55 115 ....................................................................... 29 116,34 .......................................................... 25, 42 121,2 .................................................................... 51 124 ....................................................................... 29 124,1 ............................................................. 31, 54 125 ....................................................................... 68 125,12 .......................................................... 27, 68 134,2 .................................................................... 28 140,1 .................................................................... 63 Homilia Origenis in Ezech. praef. .................................................................... 63 Liber interpretationis hebraicorum nominum 18,10 ................................................................. 116 55,20 ................................................................. 227 83,5 ................................................................... 153 Praefationes et Prologi praef. Did. ........................................................... 31

275

praef. Evang. ......................................... 31, 35, 38 praef. Ios............................................................ 102 praef. Pach. ........................................................ 60 praef. Par. (LXX) ............................... 32, 35, 69 praef. Ps. (IH) ................................................... 37 praef. Tob .......................................................... 176 prol. Dan. .................................. 48, 69, 137, 138 prol. Iob (IH) ................ 32, 38, 48, 56, 69, 100 prol. Judith ......................................................... 47 prol. Par. (IH) ... 25, 36ff., 215, 219, 221, 222 prol. Par. (LXX) ........................................ 34, 36 prol. Pent. ....................... 32, 38ff., 57, 216, 223 prol. Ps. (LXX).................................................. 34 prol. Reg. ............................................................. 25 prol. Sal. ....................................................... 29, 42 Quaestiones hebraicae in Genesim praef. ............................................................. 34, 38 13,4 .................................................................... 124 26,12 ................................................................... 96

Irenäus Adversus haereses III 21,1 .................................. 85, 106f., 126, 137

Isidor von Pelusium Epistulae III, 391 .............................................................. 169

Isidor von Sevilla Origines vel etymologiae XII 4, 13 ........................................................... 129

Justin der Märtyrer Apologia prima 47,5 ...................................................................... 78 Dialogus cum Tryphone 43,8 ...................................................................... 85 55,1 .................................................................... 164

276

QUELLENINDEX

67,1 ...................................................................... 85 71,84 ................................................................. 107 72,1ff. .................................................................. 85 120,4ff. ................................................................ 85 121,2 ................................................................. 164 123,7f. ................................................................. 80 124,2ff. ................................................................ 85 131,1 .................................................................... 85

Prokop von Gaza Commentarius in Octateuchum Deut. ad 21,23 ................................................ 246

Pseudo-Augustin Speculum 34.77 ................................................................. 109

Marius Mercator Acta Conciliorum Oecumenicorum 1, 5, 1 ................................................................... 45

Rufin von Aquileia

Origenes

Adversus Hieronymum I 32 ....................................................................... 40 II 8 ....................................................................... 25 II 36 ........................................................................8

Adversus Celsum I 62 ....................................................................... 61

Historia Ecclesiae transl. Euseb 6,16,4 ................................................................ 219

Commentarius in Johannem II 3,24–27 ....................................................... 165 Epistula 1 ad Africanum 2 ......................................................................... 106 4ff. ..................................................................... 138 8 ......................................................................... 118 9 ......................................................................... 219 Homiliae IV in Ier. 4 ........................................................ 230 XVI in Ier. 10 .................................................... 85 XXVII in Num. ............................................. 162

Theophilus von Alexandrien Ad Autolycum 2,35,1 ................................................................ 166

QUELLENINDEX

277

Rabbinische Texte Midraschim

Talmud Bavli

Bereshit Rabba 42,18 ................................................................. 115

Suk 56a ............................................................. 186 RHSh 12b ........................................................ 175 Meg 9a–b ......................................................... 167 Taan 27a .......................................................... 187 Yeb 45a ............................................................. 151 Yeb 75b ............................................................ 197 Yeb 76b ............................................................ 152 Git 30a .............................................................. 189 Sot 14a .............................................................. 212 Qid 72b ............................................................ 152 Qid 75b ............................................................ 151 Sanh 45b .......................................................... 238 AZ 26b ............................................................. 127 Men 34b ........................................................... 145 Men 42a ........................................................... 127

Bammidbar Rabba 19,22 ................................................................. 129 Jalqut Shim‘oni 917 .................................................................... 187 Midrasch Tanna’im 18,8 ................................................................... 187 Sifra Emor Pereq 7,9 .............................................. 196 Sifre Devarim 13 ....................................................................... 159 35 ....................................................................... 146 71 ....................................................................... 171 109 .................................................................... 175 148 .................................................................... 167 159 .................................................................... 183 160 .................................................................... 233 204 .................................................................... 192 221 .................................................................... 245 247 .................................................................... 197 273 .................................................................... 194 278f. .................................................................. 199 301 .................................................................... 201 302 .................................................................... 175 347 .................................................................... 210 Pesiqta Rabbati 23 ....................................................................... 106 Tanhuma B Mishp 3 ............................................................ 106

Mischna MSh 5,6f. ......................................................... 175 Shab 6,1 ........................................................... 145 Yeb 8,1 ............................................................. 197 Sot 1,9 .............................................................. 212 Avot 1,1 .............................................................. 82

Talmud Yerushalmi Ber 5:1 (9a) ........................................................ 95 MSh 5:3 (56a) ................................................ 175 Suk 5:8 (55d) .................................................. 187 Meg 1:9 (10b) .................................................. 106 Git 3:7 (45a) ................................................... 189 Qid 1:1 (59a) ................................................... 106 Sanh 4:1 (21a) ................................................ 126 Sanh 9:4 (30a) ................................................ 182

Tosephta Sanh 9,7 ............................................................ 238 Soph 1,7 ........................................................... 218

278

BIBELSTELLENINDEX

Bibelstellen

(Der Kursivdruck zeigt an, dass die betreffende Bibelstelle in einem eigenen Abschnitt behandelt wird.)

Genesis 23,16f. ............................ 91 31,23ff. ........................ 201 49,3 .............................. 234

Exodus 13,16 ............................ 141 13,4 .............................. 178 22,15(16) .................... 131 23,15 ............................ 178 28,30(26) .................... 134 34,18 ............................ 178

Leviticus 10,12ff. ........................ 187 11,14 ............................ 225 13f. ............................... 181 19,18 ............................ 173 22,24 ............................ 196

Numeri 14,45 ............................ 161 18,20ff. ........................ 175 21,3 .............................. 161 27,30f. ......................... 175

Deuteronomium 1,13........................... 159 1,15 .............................. 159 1,19 ................................. 17 1,43................... 108, 109 1,44........................... 160 3,10........................... 139 3,14 .............................. 110

3,17...................... 110, 136 4,7 ............................... 97 4,19 ........................... 162 6,7 ............................. 169 6,8 ............................. 141 7,2 ............................... 97 7,9 ............................. 147 7,11 ........................... 136 8,10 ........................... 136 8,15............................... 128 9,9 ................................. 130 10,3 ........................... 112 10,16 ......................... 113 11,10 ......................... 240 11,16 ............................ 130 11,18 ......................... 141 11,19 ......................... 170 11,30 ......................... 113 12,15 ......................... 170 12,23 ......................... 228 13,6(7) ...................... 172 13,16(17).................. 117 14 .................................. 223 14,3 ........................... 241 14,7 ........................... 227 14.13.16.................... 226 14,17 ......................... 224 14,28 ......................... 174 15,18 ......................... 242 15,20ff. ........................ 171 16,1 ........................... 178 16,8 ........................... 179 16,21f. ....................... 229 17,3 ........................... 231 17,8 ........................... 181 17,12 ......................... 232 17,13 .......................108f. 17,17 ......................... 182

17,18 ........................ 233 18,2........................... 243 18,8........................... 184 18,10 ........................ 233 18,20 ...................... 108f. 19,10 .......................... 98 19,12 ........................ 190 19,13 ........................ 244 19,14 ........................ 118 20,6........................... 148 20,19 ........................ 190 20,20 ........................ 191 21,14 ........................ 193 21,17 ........................ 234 21,22 ........................ 245 21,23........................ 88, 90 23,1........................... 149 23,2........................... 195 24,7........................... 193 24,15a ...................... 198 25,8 ................................. 17 25,11 ........................ 118 26,5 ...............................199 26,12 .......................... 99 26,14 ........... 17, 119, 206 27,26 .................. 86, 246 27,7 ............................... 119 28,30 ............................120 28,55............................. 192 29,16 ............................120 29,18 ........................ 154 29,25................... 163, 167 30,3........................... 155 30,6 ............................... 113 31,1........................... 156 31,6 ........................... 207 32,4..................... 17, 238 32,5................... 156, 239

BIBELSTELLENINDEX

32,7–9 ............................ 85 32,8f. ............................ 163 32,10 ........................ 121 32,14 ........................ 131 32,24 ........................ 121 32,26 ................ 122, 138 32,35 ........................ 131 32,42 ........................ 132 33,2........................... 133 33,3........................... 208 33,6........................... 209 33,7........................... 134 33,8........................... 134 33,10 ............................ 135 33,12 ............................ 122 33,19 ........................ 210 33,25 ........................ 211 34,6........................... 211 34,7........................... 212

Jesaja 2,22 ................................. 95 6,9f .................................. 90 7,14 ............... 85, 106, 126 8,18 ................................. 94

Jeremia 9,1 ................................. 180

2. Könige 12,6–8 ......................... 188

1. Chronik 24,1–19 ....................... 186

Psalter 1,2 ................................. 170 45,2 .............................. 106 51(50),21 .................... 135 82 ..................................... 85 89 ..................................... 63 101(102),7 ................. 224 103(104),17 ............... 226

Kohelet 9,11 .............................. 159

Matthäus 26,65 ............................. 237

Markus 12,31 par. .................... 173

Apostelgeschichte 18,2 ............................... 106 28,26............................... 90

Ezechiel 45,13f. .......................... 176 1. Korinther 1,19ff. ............................. 63 Amos 4,16 ............................... 217

Jona 4,6–10 ........................... 40 1. Samuel 7,9 ................................. 135 30,30 ............................ 161

279

Habakuk 2,19 ................................. 91 3,13 ................................. 73 3,13a ............................. 104

Sacharja 9,13 ............................... 192

Maleachi 1,12 ................................. 85

Sapientia Salomonis 13 .................................. 165

Tobit 1,7f ................................ 175

2. Korinther 3,6 ................................... 56 7,14ff. ............................. 51 11,6 ................................. 62

Galater 2 ....................................... 40 3,10 ..........................86–88 3,13 ........................ 88, 235 3,17ff .............................. 70

Epheser 1,5 ................................... 57

Philipper 3,5 ................................... 87

Titus 1,14 ................................. 72 3,9 ................... 71, 72, 101

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PERSONEN- UND SACHINDEX

Personen und Sachen

Aelius Donatus 63 Aquilae secunda editio 105 Aristeasbrief 216 Augustin 25, 29f., 40, 55, 61, 67, 90, 125, 157, 169 Avitus 54 Baranina 68, 74 Bibliothek von Cäsarea 92 Cicero 31, 45, 50, 55 Clemens von Alexandrien 74, 165 Damasus von Rom 13, 27, 31f., 47, 92 De situ et nominibus locorum hebraicorum 34 Dialog zwischen Timotheus und Aquila 86, 106 Epiphanius von Salamis 65, 85f., 106, 127, 137, 219 Euseb von Caesarea 55, 70, 73f., 86, 100, 101, 125, 158, 167, 219, 221 Eustochium 28, 61, 88 Evagrius von Antiochien 51 Fabiola 161 Florentinus 223 Gamaliel 77 Hadrian 78, 106 Hebräer-Evangelium 92 Hillel 74 Horaz 50 Irenäus von Lyon 85, 106, 125, 137 Jeremia-Apokryphon 92 Josephus Flavius 70, 73, 238 Jubiläenbuch 92 Justin der Märtyrer 164 καίγε-Rezension 108, 137f.

Konstantin I. 79 Kyrill von Jerusalem 78 Liber interpretationis hebraicorum nominum 28, 34 Marcella 65, 101, 103 Marius Mercator 45 Markion 137 Masoreten 95 Oceanus 52 Oea 40 Origenes 26–28, 30f., 34f., 38, 41, 53, 55, 57, 70, 74, 83, 90, 100f., 106, 125, 127, 137, 142f., 147, 158, 162, 164ff., 182, 183, 217– 222, 230, 248 Pammachius 25, 29, 37, 48f., 52, 103 parva Genesis 92 Paula 28, 88 Philo 70, 142, 143, 165, 167, 230 Psalterium Gallicanum 224 Psalterium Romanum 27 Ptolemaios II. 38, 39, 167, 216 Quintilian 45 Rabbi Aqiba 69, 104, 106f., 151 Rabbi Eliezer 106 Rabbi Meir 127 Rabbi Yehoshua 106 Rufin 53f., 74, 85f., 101, 182, 219 Sûmkhôs 126 Tetrapla 220 Theodosius I. 77 Theodosius II. 78 Theophilos von Alexandrien 110 Trypho 164 Vokalisierung 95