Handelsrecht und Schiffahrtsrecht [2., umgearb. Aufl. Reprint 2019] 9783111589879, 9783111216096

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Handelsrecht und Schiffahrtsrecht [2., umgearb. Aufl. Reprint 2019]
 9783111589879, 9783111216096

Table of contents :
Aus dem Vorwort zur ersten Auflage
Vorwort zur zweiten Auflage
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Abkürzungen
Einleitung
Erster Abschnitt: Der Kaufmann
Zweiter Abschnitt: Vereine und Gesellschaften der Handelsrechts
Dritter Abschnitt: Die Handelsgeschäfte
Vierter Abschnitt: Das Schifffahrtsrecht
Nachträge
Register

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Grundrisse der

Rechtswissenschaft Unter Mitarbeit von

Prof. Dr. Ernst v. Beling-München, Prof. Dr. G. I. EbersKöln a.RH., Dr. Alexander Elster-Berlin, Prof. Dr. Friedrich Endemann -Leidelberg, Prof. Dr. Lans Fehr-Bern, Prof. Dr. Leinrich Gerland-Jena, Prof. Dr. Julius v. GierkeGöttingen, Prof. Dr. Justus Wilh. Ledemann-Iena, Prof. Dr. Lerbert Kraus-Königsberg i.Pr., Prof. Dr. Leinrich Lehmann-Köln a. Rh., Prof. Dr. Claudius Freih. v. SchwerinFreiburg i.B., Prof. Dr. Fritz Stier-Somlo Köln a.RH. herausgegeben von den

Professoren Dr. Lans Fehr-Bern, Dr. Leinrich Gerland-Jena, Dr. Justus Wilh. Ledemann-Iena, Dr. Leinrich Lehmann-Köln a. Rh. und dem redaktionellen Leiter Professor Dr. Fritz Stier-Somlo-Köln a. Rh.

Sechster Band

Bertt« und Leipzig 1926

Walter d e Gruyter Ho. vormals 0.3. Göschen'sche BerlagShandlung - I. Guttentag, Verlagsbucbhandlung - Georg Reimer - Karl I. Trübner - Beit A Comp.

Handelsrecht und

Schiffahrtsrecht von

Dr. Julius v. Gierke ordentl. Professor der Nechte in Göttingen

Zweite, um gearbeit ete Auflage

Berlin und Leipzig 1926

Walter d e Gruyter & C o. vormal- G. I. Göschen'sche Verlagehandlung - I. Guttentag. Verlag-' buchhandlung - Georg Reimer - Karl I. Trübner - Beit & Comp.

Copyright by Walter de Gruyter L Co. Berlin und Leipzig 1926.

Druck von Metzger L Wittig in Leipzigs

Dem Andenken

meines Vaters

Äus dem Vorwort )nr ersten Auflage. Bei der Abfassung des Lehrbuches des Handels- und Schiffsahrtsrcchts habe ich mich ausschließlich von pädagogischen Gesichts­ punkten leiten lassen. Dementsprechend habe ich den Aufbau mög­ lichst einfach hcrgerichtet und bin im wesentlichen dem Gang unseres Handelsgesetzbuches gefolgt. Langjährige Erfahrungen an der Uni­ versität und an der Handelshochschule zu Königsberg haben mich davon überzeugt, daß dem Lernenden, da er ja auch lernen soll sich im Gesetz möglichst rasch zurechtzufindcn, am meisten gedient ist, wenn die Lehre sich eng an den Aufbau des Gesetzes anschließt. — Besonders bestrebt bin ich gewesen, die historischen und wirtschaft­ lichen Zusammenhänge zu beleuchten und die Gründe klarzulegen, die eine vom bürgerlichen Recht abweichende handelsrechtliche Reg­ lung nötig machen. Großen Wert habe ich ferner darauf gelegt, einen gewissen Einblick in das „lebende Recht" zu verschaffen, wie es sich in den Gesellschaftsverträgen, den Satzungen und den Geschäftsbedin­ gungen abspielt. Unbedingt notig ist cs auch, daß derjenige, welcher sich mit dem Handelsrecht besaßt, sich mit den wichtigsten Streitfragen vertraut mncht und die bedeutsamsten Entscheidungen der Praxis tennenlernt, Ich habe daher bei den verschiedensten Ansichten die Namen der Schriftsteller angeführt und eine größere Anzahl von Reichsgerichtsentscheidungen migcgcbeii, die ich nachzulesen bitte. Gerade ans der Lektüre von Neichsgerichtsentscheidungen kann der Rechtsbeflissene außerordentlich viel lernen. Schließlich habe ich mich auch verpflichtet gefühlt, die dringendsten Reformvorschläge zu er­ wähnen und an verschiedenen Stellen einen Blick auf das ausländische Handelsrecht zu werfen.

Möge der Grundriß dazu dienen, das Berständnis des ebenso wichtigen und interessanten, wie schwierigen Gebietes des Handels­ rechts zu fördern und zu vertiefen. Halle a. S., Silvester 1920.

Julius von Gierke.

Vorwort zur zweiten Auflage. Die erste Auflage meines Handelsrechts ist seit längerer Zeit vergriffen. Verschiedene Gründe haben das Erscheinen der zweiten Auslage verzögert. Hierher gehört einmal meine Übersiedelung an die Universität Göttingen. Sodann aber erforderten die mannigfachen Neuerungen auf den: Gebiete des Handels- und Schiffahrts­ rechts eine gründliche Verarbeitung. Tie Vielgestaltigkeit des Wirt­ schaftslebens, die teilweise unnötig verwickelten modernen Gesetze machen die Aufgabe einem gewissenhaften Lehrer nicht leicht. Wie schwierig ist es z. B. den Vorgang der „Umstellung" so darzulegen, daß er sich wirklich dem Verständnis des Studierenden eröffnet — oder einen kurzen Einblick in das Recht der „Kartelle" zu geben. An den Grundsätzen, die mich bei der Darstellung in der ersten Auflage leiteten, habe ich festgehalten. Jedoch habe ich die Hinweise auf die Literatur vermehrt und genau ausgestaltet, da mir dies einem Bedürfnis zu entsprechen schien.

Im übrigen will ich das Buch selbst reden lassen.

Göttingen im Juli 1926.

Julius von Gierke.

Inhaltsverzeichnis. Einleitung.

£ § § $ §

Geste 1. Tie Ausgabe .............................................................................. 1 2. Geschichte des Handelsrechts...................................................... 5 3. Quellen des heutigen deutschen Handelsrechts...........................11 4. Literatur des deutschen Handelsrechts............................. 17 5. Quellet! und Literatur des ausländischenHandelsrechts . . 20

Erster Abschnitt: Der Kaufmann. J. Kapitel: Tie Kausmannccigenschast...................................................... 25 § jj § § § §

6. 7. 8. 9. 10. 11.

'Allgemeines.................................................................................... 25 Ter Mußkaufmann.................................................................. 26 Weiteres zum Begrisf des Muszkausmanns ............................ 32 Ter Sollkaufmann......................................................................... 35 Land- und Forstwirte: Kannkaufleute.........................................38 Voll- und Minderkaufleute......................................................... 40

II. Kapitel: TaS Handelsregister.............................................................. 43 § 12. § 13.

Tas Handelsregister im allgemeinen......................................... 43 Ter Scheinkausmann..................................................................... 51

III. Kapitel: TaS kaufmännische Geschäft............................................... 54 § 14. § 15. § 16.

Tas Handelsgeschäft im allgemeinen......................................... 54 Das Handelsgeschäft als Gegenstanddes Rechtsverkehrs. . 59 Die Firma..................................................................................... 63

Anhang zu § 16: Der Name des Minderkaufmanns..................... 69 § 17. Das Warenzeichen........................................................................... 70 § 18. Der unlautere Wettbewerb.............................................................. 76 § 19. Die kaufmännische Buchführung.................................................. 81

IV. Kapitel: Die handelsrechtliche Stellvertretung.................................... 91 § 20. Die Prokura...................................................................................... 91 § 21. Die Handlungsvollmacht

.............................................................. 96

Inhaltsverzeichnis.

X

Seite

V. Stapitcl: Unselbständige Hilsspersonen des Kaufmanns .... § § § §

22. 23, 24. 25.

101

Allgemeines .....................................................................................101 Die Handlungsgehilfen....................................................................104 Die Handlungslehrlinge............................................................... 110 Der Handlungsvolontär................................................................113

VI. Kapitel: Selbständige Hilsspersonen................................................ 114 § 26. Handlungsagenten............................................................................115 8 27. Die Handelsmäkler........................................................................119

Zweiter Abschnitt: vereine und Gesellschaften der Handelsrechts. § 28.

Einleitung.........................................................................................125

I. Kapitel: Tie offene Handelsgefellfchaft............................................ 132 § § § § § §

29. 30. 31. 32. 33. 34.

Begriff, Geschichte, RechtlicheNatur............................................ 132 Errichtung und Firma....................................................................134 Rechtsverhältnisse zu Tritten.......................................................136 Rechtsverhältnisse nach innen....................................................... 139 Beendigung — Fortsetzung der o.H. G........................................ 149 Eintritt und Ausscheiden (Ausschluß) von Gesellschaftern. Tie zweigliedrige Gesellschaft.......................................... 160

II. Kapitel: Tie Kommanditgesellschaft und die stille Gesellschaft § 35. § 36.

167

Die Kommanditgesellschaft........................................................... 167 Die stille Gesellschaft ................................................................... 182

III. Kapitel: Tie Aktiengesellschaft........................................................... 190 § § § § § § § § §

Begriff, Geschichte, wirtschaftlicheBedeutung........................... 190 Die Grundlagen ............................................................................199 Entstehung........................................................................................209 Die Firma........................................................................................ 227 Organisation....................................................................................229 Mitgliedschaft....................................................................................247 Die Bilanz........................................................................................ 265 Beendigung ....................................................................................276 Satzungsänderung. ErhöhungundHerabsetzung des Grund­ kapitals 282 § 45 a. Die Umstellung............................................................................... 291

37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45.

Anhang zum III. Kapitel: § 46.

Die KommanditgesellschaftaufAktien..........................................312

IV. Kapitel: § 47. Tie Gesellschaft mit beschränkter Haftung V. Kapitel: § 48.

. .

317

Die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschast . .

349

Anhang zum zweiten Abschnitt:

§ 49.

Die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts im Handelsverkehr — Kartelle .............................................................................................392

Inhaltsverzeichnis. Dritter Abschnitt:

XI

Die Handelsgeschäfte. Seite

I. Kapitel: Allgemeine Lehren ................................................................. 406 § 50. Begriff und Arten der Handelsgeschäfte. Inhalt der gesetz-

§ § 8 8

51. 52. 53. 54.

Abschluß und Inhalt........................................................... 410 Ter Eigcntumscrwerb................................................................. 415 Tas Pfandrecht.............................................................................419 Tas kaufmännische Zurückbehaltungsrecht................................ 420

II. Kapitel: Einzelne Handelsgeschäfte..................................................... 427 § 55. Einleitung.....................................................................................427

1. Titel: Der Handelskauf..................................................................428 8 56. Allgemeine Regeln .....................................................................428 8 57. Besondere Arten des Handelskaufs............................................ 439 2. Titel: Bankverwahrungs-, Kredit- und Zahlungsgeschüfte 442 § 58. Einleitung: Tic Bankgeschäfte im allgemeinen. Tie Reichs­ bank ..................................................................................................412 § 59. Bankv erwa hr u ugsgcschäste............................................................ 455 8 60. Kreditgeschäfte ........... ................................................................ 462 § 61. Zahlungsgcschäjtc........................................................................ 474

3. Titel: Börsengeschäfte......................................................................484 8 62. Börse und Börscnrecht................................................................ 484 8 63. Tic Börsengeschäfte im allgemeinen........................................ 487 8 64. Tie Börse ntcrnungcschüste im allgemeinen............................ 491 8 65. Wirksamkeit der Börsengeschäfte................................................ 494 § 66. Besondere Arten der Börsengeschäfte .................................... 499 4. Titel:..........................................................................................................501 § 67. Tas Kommissionsgeschäft................................................. 501 5. Titel: § 68. § 69. § 70.

Die Transportgeschäste..................................................... 517 Allgemeines ................................................................................517 Tas gewöhnliche Landsrachtgeschäft........................................ 519 Tas Eisenbahnsrachtgeschäst........................................................ 531

Anhang: Personenbeförderung der Eisenbahn......................................... 545 § 71. Tas Speditionsgeschäft ............................................................ 547

6. Titel: 8 72.

Tas Lagergeschäft................................................. 550

Vierter Abschnitt:

Das Schlffahrtsrecht.

§ 73. Einleitung....................................................................................... 555 I. Kapitel: Tie Schiffe, der Reeder (Schiffseigner), die Schiffs­ besatzung .......................................................................................... 561 8 74. Tie Schiffe....................................................................................... 561 8 75. Reeder und Schiffseigner ........................................................... 564 § 76. Tie Reederei................................................................................... 569 § 77. Die Schisfsbesatzung des Seerechts.............................................. 572 § 78. Tie Schisfsbesatzung desBinnenschifsahrtsrechts....................... 577

XII

Inhaltsverzeichnis. Seite

n. Kapitel: LranSportgeschSste deS TchisfahrtsrechtS................... 578 § 79. Das Seefrachtgeschäft.......................................................................578 Anhang: Die Personenbeförderung zur See............................... 588 § 80. Das Flußfrachtgeschäft.......................................................................589 III. Kapitel: Haverei und Hilfsleistung in SchifsahrtSnot .... 591 § 81. Haverei............................................................................................... 591 § 82. Hilfsleistung in Schiffahrtsnot.......................................................... 595 IV. Kapitel: Bodmerei, Schiffs- und Ladungsgläubiger.................... 596 § 83. Bodmerei ......................................................................................... 596 § 84. Schiffs- undLadungsgläubiger.......................................................598

Nachträge.................................................................................................................... 602 Register

...................................................................................................................... 603

Verzeichnis der Abkürzungen. Allgemeines Teutsches Handelsgesetzbuch von 1861. Aktiengesellschaft. Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten. Ges. v. 16. 7. 1925. Bankgesetz v. 14. März 1875 oder Bankgesetz v. 30. Au­ gust 1924. = Bürgerliches Gesetzbuch für das Teutsche Reich. BGB. = Börsengesetz vom 8. Mai 1908. BörsG. - Ainnenschisfahrtsgesetz (Ges. betr. die privatrechtl. Ver­ BSchG. hältnisse der Binnenschiffahrt) v. 15. Juni 1895; neue Fas­ sung vom 20. Mai 1898. = Depotgesetz (Ges. betr. die Pflichten der Kaufleute bei Auf­ DepotG. bewahrung fremder Wertpapiere) v. 5. Juli 1896. = eingetragene Genossenschaft (Erwerbs- und Wirtschafts­ e.G. genossenschaft). = Einsührungsges. zum Handelsgesetzbuch v. 10. Mai 1897. EG. --- Einsührungsges. zum BGB. EG. z.BGB. = Eisenbahnverkehrsordnung v. 23. Dez. 1908. EisBO. = Reichsges. betr. die Angel, der freiwilligen Gerichtsbarkeit FGG. vom 17. Mai 1898. = Flaggengesetz v. 22. Juni 1899. FlaggenG. = Flößereiges. v. 15. Juni 1895. FlG. - Genossenschaft. Gen. = Reichsges. bett, die Erwerbs- und WirtschaftsgenossenGenG. schasten v. 1. Mai 1889; neue Fassung v. 20. Mai 1898. = Gesellschaft mit beschränkter Haftung. G.m.b.H. = Reichsges. betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbHG. v. 20. April 1892; neue Fassung v. 20. Mai 1898. GewO.oderGO. = Gewerbeordnung für das Deutsche Reich. GoldbilBO. = Goldbilanz-Verordnung v. 28. Dezember 1923. GVG. = Gerichtsverfassungsges. für das Deutsche Reich. HGB. --- Handelsgesetzbuch v. 10. Mai 1897. -- BO. gegen den Mißbrauch wirtschaftlicher MachtKartellBO. stellungen vom 2. November 1923. K.G. - Kommanditgesellschaft. = Kommanditgesellschaft auf Aktien. K.G. a. A. KO. = Konkursordnung. o.H.G. = offene Handelsgesellschaft. ADHGB. A.G. ALR. Auswertungsges. BankG.

= = = = -

XIV

Verzeichnis der Abkürzungen.

P.H.G. RG. RGBl. SeemO. st.G. UnlWG.

— — — — = -----

V.a.G. BUG.

----—

WZG.



Z.H.R. ZPO.

— =

persönlich haftender Gesellschafter. Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen. Reichsgesetzblatt. Seemannsordnung v. 2. Juni 1902. stille Gesellschaft. Reichsges. zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs v. 7. Juni 1909. Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Reichsges. betr. die privaten Bersicherungsunternehmungen v. 12. Mai 1901. Reichsges. zum Schutz der Warenbezeichnungen v. 12. Mai 1894. Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Konkursrecht. Zivilprozeßordnung.

Einleitung. § 1.

Die Aufgabe. I. Der Begriff des Handelsrechts.

Handelsrecht ist das besondere Privatrecht desHandels. 1. Es bezieht sich auf den Handel. Handel ist zunächst ein wirtschaftlicher Begriff. Er ist aber von der Rechtsordnung ausgenommen und im Lauf der Geschichte nmgeprägt und stark erweitert worden. a) Handel int wirtschaftlichen Sinn bedeutet eine gewerbliche Tätigkeit, die lediglich auf den Umsatz von Gütern gerichtet ist (Kaufhandel). Der Umsatz besteht in Anschaffung und Weiter­ veräußerung (Einkauf und Verkauf). Wer ihn betreibt, vermittelt zwischen dem Produzenten, der den Absatz will, und dem Konsu­ menten, der den Einkauf will. Er ist Kaufmann im wirtschaftlichen Sinn. Nicht ist Kaufmann im wirtschaftlichen Sinn infolgedessen a) Der Urproduzent (z. B. Landwirt, Forstwirt, Bergbau­ treibende). ß) Der Formproduzent (Fabrikant, Handwerker); auch dann nicht, wenn er das Rohmaterial selbst anschafft, verarbeitet und weiterveräußert („Umsatzindustrie"). b) Handel im Rechtssinn umfaßt heute (vgl. unten § 6ff.): a) Zunächst ebenfalls das Umsatzgewerbe. Doch ist die Umsatzindustrie einbezogen, andererseits der Grundstückshandel ausgeschieden. /?) Die wichtigsten Hilfsgewerbe des Umsatzes. Dies sind diejenigen Gewerbe, die nur mittelbar an dem Umsatz beteiligt sind, indem sie ihn vorbereiten, fördern und sichern: Vermittler­ gewerbe (Makler, Agenten, Kommissionäre) — Transportgewerbe (Frachtführer, Reeder, Spediteure, Lagerhalter) — Bankiergewerbe ----- Versicherungsgewerbe. v. Gierke, Handels- u. Tchiffahrtsrechl. 2. Nufl.

1

Begriff des Handelsrechts. y) Alle solche Gewerbe, die infolge ihrer „kaufmännischen" Ausgestaltung (Notwendigkeit kaufmännischer Buchführung!) eine gleiche Behandlung fordern wie das Umsatzgewerbe (z. B. ein großes Auskunftsbüro, ein Theaterunternehmen). Ausgenommen ist nur die Land- und Forstwirtschaft. Wer eins der (unter a—y) genannten Gewerbe betreibt, kommt für den Kaufmann im Rechtssinn in Betracht. Doch ist zu beachten, daß die positive Gesetzgebung eine Reihe von Tatbeständen dem Handelsrecht unterstellt hat, obschon ein Gewerbe­ betrieb nicht vorliegt oder vorzuliegen braucht (z. B. jede Aktien­ gesellschaft). Wieland, Handelsrecht § 15 versucht das Wesen des Handels im Nechtssinn durch eine einheitliche Formel festzulegen. Er meint, daß es sich bei ihm um „Unternehmungen" handele. Eine Unternehmung aber sei der Einsatz von wirtschaftlichen Kräften (Kapital, Arbeit) zur Erzielung von (ungemessenem) Gewinn. — Hiergegen ist zunächst einzuwendeu, daß der Ausdruck „Unternehmung" überaus vieldeutig ist, auch in der Volkswirtschaft wird er nicht durchwegs in einheitlichem Sinn verwendet; m. E. ist er überhaupt farblos, er schließt insbesondere nicht die Erwerbs­ absicht ein. — Aber auch sonst paßt die Wielandsche Bestimmung des Handels im Rechtssinn nicht. Insbesondere haben z. B. (was Wieland zu Unrecht bestreitet) der gewerbsmäßige Leihbibliothekar, der Arzt, der Bildhauer, der Droschkenbesitzer, der Inhaber einer kleinen Reparatur­ stätte oder eines Fischereibetriebes, und der Land- oder Forstwirt eine solche „Unternehmung" und sind doch keine Kaufleute im Rechtssinn. (Vgl. unten §§ 6ff.) Andererseits ist eine Aktiengesellschaft, die kein Ge­ werbe betreibt, also keinen Gewinn erzielen will, dennoch Kaufmann im Nechtssinn (vgl. unten § 28 IV 1 b).

2. Das Handelsrecht ist das Privatrecht des Handels (Han­ delsprivatrecht). Für den Handel gelten nicht bloß privatrechtliche, sondern auch vsfentlichrechtliche Normen. Das öffentliche Recht des Handels gehört dem Staats-, Verwaltungs-, Völker,- Straf-, Prozeßrecht an. Es scheidet grundsätzlich von der Betrachtung aus. Beispiele: Zum Staats- und Verwaltungsrecht gehören Steuer­ gesetze und polizeiliche Bestimmungen (vgl. § 82 II HGB.). Zum Völker­ recht gehören Vorschriften über Zölle, die internationalen Übereinkommen für den Eisenbahnverkehr. Strafrechtliche Normen begegnen zahlreich tm Aktienrecht (vgl. § 312 ff. HGB.). Aus dem Prozeßrecht seien die besonderen Handelsgerichte (siehe unten § 3 I la) und konkursrechtliche Vorschriften hervorgehoben. — Man sieht, daß auch im HGB. selbst einige öffentlichrechtliche Sätze eingestreut sind.

3. Das Handelsrecht ist das besondere Privatrecht des Handels. Es umfaßt diejenigen privatrechtlichen Rechtssätze, welche dem Handel eigentümlich sind und nur für ihn gelten.

Eigenart des Handelsrechts.

3

Grundsätzlich scheidet daher das 'sonstige Privatrecht, das „bürgerliche Recht", auch soweit es ergänzend für den Handel in Betracht kommt, aus. Jedoch hat die Wissenschaft eine Reihe privat­ rechtlicher Gebilde, die vorzugsweise im Handel eine Rolle spielen, in die Darstellung des Handelsrechts einbczogen (Handelsrecht im weiteren Sinn). Hierher gehören z. B. das Recht der Warenzeichen und das Verbot des unlauteren Wettbewerbs, die nicht allein für Kaufleute, sondern für alle Gewerbetreibende gesetzlich geregelt sind.

4. Die Darstellung hat es mit dem deutschen Handelsrecht ZU tun. über ausländisches Handelsrecht siehe unter §5.

II. Eigenart des Handelsrechts. Es ist seinem Kern nach ein Sonderrecht für Gewerbetreibende, die als Kaufleute im Rechtssinn angesehen werden (Kaufmanns recht). Als solches enthält es Abwandlungen des bürgerlichen Rechts. Seine Eigenart tritt am vollkommensten im Hinblick auf die größeren Kaufleute in Erscheinung: 1. Das Handelsrecht erstrebt eine Regelung des kaufmännischen Geschäftsverkehrs, die möglichst a) freiheitlich ausgestaltet ist. So sind die Prinzipien der Vertragsfreiheit und Formfrciheit hier weiter durchgeführt als im bürgerlichen Recht; b) Sicherheit gewährt. Daher ist das Prinzip der Offenkundig­ keit und des Vertrauens auf äußere typische Tatbestände im Handels­ recht gegenüber dem bürgerlichen Recht erweitert (Handelsregister, gutgläubiger Erwerb, handelsrechtliche Vollmacht). Daher wird auch für möglichst tragfähige gesellschaftliche Organisationen gesorgt; c) genau Zeit und Geld bewertet (Vermutung für Entgeltlich­ keit kaufmännischer Dienstleistungen vgl. §354 HGB.; Zinspslichten); d) dem vielfach erforderlichen Massenbetrieb durch gleich­ mäßige, typisch-schablonenhafte Geschäftsbehandlung Rechnung trägt (Einheitliche Geschäftsbedingungen, Geschäftsklauseln). 2. Das Handelsrecht zielt auf eine selbständige, ordnungs­ mäßige Ausgestaltung des kaufmännischen Geschäftsbetriebes (Unternehmens). Hieraus erklären sich die Besonderheiten der Firma, der kaufmännischen Buchführungspslicht, des Rechtsver­ hältnisses zwischen dem Kaufmann und seinem Personal, und die Bestrebungen, die auf Schutz und Erhaltung des kaufmännischen Unternehmens gerichtet sind. 3. Dem Handelsrecht ist ein internationaler Zug eigen. Steht doch in seinem Mittelpunkt der „Güterverkehr".

4

Besondere Gebiete.

4. Das Handelsrecht ist ausgezeichnet durch feilen rasch vor­ wärtsstrebenden Charakter. Vieles wird zuerst von ihm ausgebildet und dann von dem schwerfälligeren bürgerlichen Recht übernommen. Das Handelsrecht ist der „Pionie" der Rechts­ entwicklung. Sehr richtig sagt auch das Reichsgericht (106 360) übr die Notwendig­ keit freiheitlicher Ausgestaltung des Handelsprivatrecht: „Der Handels­ verkehr, der die Aufgabe hat, den stets wechselnden Lbens- und Wirt­ schaftsinteressen nicht nur einzelner Verbraucher, fanden ganzer Völker zu dienen, muß, wenn er sie in befriedigender Weise löse: soll, sich möglichst wenig beengt durch zwingende Rechtsnormen, im wesentlichen nach seinen eigenen Regeln und Bedürfnissen entwickeln kamen." — Wenn allerdings ein Referendar solche allgemeinen Betrackungen in seinen Entscheidungsgründen niederlegen würde, würden st ihm von dem Richter, dem er zugeteilt ist, sicher gestrichen werden.

III. Besondere Gebiete. Es gibt besondere Gebiete, die zu einem große: Teil mit dem Handelsrecht verquickt sind, aber eine selbständge Bedeutung bewahrt haben. Zu ihnen gehört vornehmlich dac Schiffahrts­ recht. Es zerfällt in See- und BinnenschiffahrtLecht. Es weist z. T. einen nicht gewerblichen Charakter auf und ist auch sonst reich an wichtigen Eigentümlichkeiten. Es kann daher nur bei gesonderter Darstellung (also durch Angliederung, nicht durch Ei.ordnung in die Schilderung des Handelsrechts) dem Verständnis näher gebracht werden. So soll es auch im folgenden dargestellt werden. Ein anderes besonderes Gebiet ist das Privawersicherungsrecht. Dieses enthält eine Fülle eigenartiger und schwierigem Probleme. Von seiner Darstellung wird hier abgesehen. In der Wissnschaft wird auch häufig das Wechsel- und Scheckrecht als besonderes Geiet dem Handels­ recht angereiht oder eingefügt, weil es im Handel sere Ausbildung er­ fahren hat und auch heute in ihm seine Hauptrolle spiel. Am besten wird es mit dem umfassenden Recht der Wertpapiere zur Drstellung gebracht (siehe v. Schwerin, Recht der Wertpapiere, in be: Grundrissen der Rechtswissenschaft Bd. VII). Es wird daher im folgeren ausgeschieden.

IV.

Plan der Darstellung. Die folgende Darstellung geht von den Peronen aus, auf welche das Handelsrecht abgestellt ist. Sie geht dam auf die Handlungen dieser Personen und deren Wirkungen übr, um mit dem besonderen Gebiet des Schiffahrtsrechtes abzuschießen. Hiernach ergeben sich folgende Abschnitte. I. Abschnitt: Der Kaufmann. II. Abschnitt: Vereine und Gesellschaften des Handelsrechts. III. Abschnitt: Die Handelsgeschäfte. IV. Abschnitt: Das Schiffahrtsrecht.

Geschichte des Handelsrechts.

5

Geschichte des Handelsrechts. Rehme in Ehrenbergs Handbuch I. S. 28ff. (siehe unten § 4).

I. Die ältere Zeit.

1. Dem Altertum ist ein umfassendes, besonderes Handels­ recht fremd. Es gibt nur einzelne, besondere handelsrechtliche Regeln und Rechtsbildungen, die aus dem Rahmen des allgemeinen Privatrechts herausfallen. Der Grund ist der, daß das bürgerliche Recht auch für den reich entwickelten Handel im wesentlichen genügte. So war es in Babylonien, in Griechenland, in Rom. Insbesondere paßt sich das klassische römische Schuldrecht infolge seiner freiheitlichen Entwicklung auch den besonderen Bedürfnissen des Handelsverkehrs an. Sonderregeln für den Handel finden sich z. B. in dem Gesetzbuch des großen babylonischen Königs Hammurabi (1958—1916 v. Chr.). In Griechenland gab es eigene Normen für das Bankwesen und den Seehandel, ebenso im römischen Recht meist infolge ihrer Aufnahme aus Griechenland. — Übrigens weisen bereits Rechte von Natur- und Halbkulturvölkern einige besondere handesrechtliche Institute auf (z. B. Makler, Kommissionäre, die gleichzeitig als Dolmetscher dienen).

2. In der germanischen Urzeit fehlen überhaupt besondere handelsrechtliche Normen. Sie waren entbehrlich. Denn der Handel spielte nur als Tauschhandel eine ganz bescheidene Rolle. — In fränkischer Zeit war lebhafterer Handel vorhanden, meist aber nur als Fremdenhandel (Syrer, Juden). Und noch immer über­ wog die Naturalwirtschaft. So genügte das gewöhnliche Privat­ recht. Auch die Kapitularien enthalten nur Verkehrs- (markt-) polizeiliche Vorschriften. II. Das Mittelalter (bis zum Ende des 15. Jahrhunderts).

Erst im Mittelalter erwuchs allmählich seit dem Emporblühen der Städte ein besonderes Handelsrecht. Zuerst in Italien und den romanischen Ländern, etwas später in Deutschland. In Italien waren seit dem 9. Jahrhundert die Städte zu neuem Aufschwung gelangt. Das sich hier entwickelnde Handelsrecht beein­ flußte die romanischen Länder des Mittelmeers (Spanien, Frankreich). — In Deutschland hatte im 12. und 13. Jahrhundert infolge der Stadtgründungen die Geldwirtschaft die Naturalwirtschaft abgelöst, ein reicher Handel entwickelte sich, der in der Folgezeit sogar die Führung in Europa erlangte, insbesondere durch die deutsche Hanse. Auch für den deutschen Handel aber wurde maßgebend ein besonderes Handels­ recht. — Gleiches war in anderen germanischen Ländern (Niederlande, Nordfrankreich, England, Skandinavien) der Fall.

§ L.

G

Geschichte des Handelsrechts.

1. Gründe für die Entwicklung eines besonderen Handelsrechts. a) Das bürgerliche Recht erwies sich für den Handel als un­ zureichend. Das römische, das germanische, das kanonische Recht versagten. Das römische Recht, das in den romanischen Ländern galt, war nicht mehr das klassische, sonderndasspätrömische, das eine dem Handel ungünstige Richtung eingeschlagen hatte. Das germanische Recht aber, das sowohl für die germanischen Länder wie die romanischen (in Italien das langobardische, in Spanien das westgotische, in Südsrankreich das westgotische und burgundische Recht) in Betracht kam, beruhte auf der Naturalwirt­ schaft und einem strengen Formalismus. — Das kanonische Recht schließ­ lich war geradezu handelsseindlich (die reine Spekulationstätigkeit ist sündhaft, das Zinsennehmen ist verboten).

b) Ein mächtiger Kaufmannsstand war in den Städten entstanden. Gestützt auf seine kraftvollen genossenschaftlichen Organi­ sationen, die Kaufmannsgilden, und infolge seiner einfluß­ reichen Stellung im Stadtrcgiment vermochte er ein eigenes, für den Kaufmann passendes Handelsrecht durchzusetzen. 2. Art und Charakter. a) Die Hauptmasse des neuen Handelsrechts bildete sich als Gewohnheitsrecht heran. Mancherlei Normen wurden aber in den Satzungen der Kaufmannsgilden (statuta mcrcatorum) oder in Stadtrechten oder in den Willküren der Kaufmannsvereine im Auslande festgelegt. Privataufzeichnungen (Nechtsbücher) betreffen vornehmlich das Seerecht. Unserer Erkenntnis des Gewohnheitsrechts dienen auch Notariatsurkunden (romanische Länder), Stadtbucheintragungen (Deutsch­ land), Handelsbücher von Kaufleuten.

b) Das Handelsrecht war ein Standesrecht der Kaufleute, es kam unter Kaufleuten zur Anwendung. Der Nichtkaufmann stand im allgemeinen außerhalb des Handelsrechts. c) Das Handelsrecht war im wesentlichen lokales Recht. Es war Jnnungsrecht in einer Stadt, Stadtrecht. Aber diese Einzel­ rechte stimmten in den romanischen Ländern, und entsprechend in den germanischen Gebieten in weitgehender Weise tatsächlich überein. Ja, das gesamte mittelalterliche Handelsrecht weist in seinen Grundzügen manche Gemeinsamkeit auf. In allen romanischen Ländern hatte das Handelsrecht seine Grund­ lage im römischen Recht, zeigte aber vielfach einen germanischen Einschlag (z. B. im Gesellschaftsrecht). In den germanischen Ländern vollzog sich die Entwicklung auf germanischer Grundlage unter teilweiser Einwirkung romanischer Anschauungen.

Eine Art gemeines deutsches Handeslrecht schuf für ihren Bereich die deutsche Hanse. Dieser große Handelsverein nord-

Geschichte des Handelsrechts.

7

deutscher Städte hatte sich auf den deutschen Kaufmannsvereinen im Auslande, die insbesondere zu Nowgorod (Rußland), Brügge und London ihren Mittelpunkt hatten, aufgebaut. Vgl. I. v. Gierke, Die deutsche Hanse 1918. Das hansische Handelsrecht weist manche Besonderheit auf und ist zum Teil niedergelegt in „Ordiuanzien", die in die Hanserezesse aus­ genommen wurden.

III. Die Zeit bis zum 19. Jahrhundert. Für sie ist charakteristisch: 1. Neben die Gewohnheit tritt in andauernd sich steigerndem Umfang das gesetzte Recht: Jnnungsstatute, Stadtrcchte, staatliche Gesetze. 2. Unter dem gesetzten Recht treten immer mehr in den Vorder« gründ die staatlichen Gesetze. An die Stelle der entarteten Jnnungs- und Stadtwirtschast tritt die Staatswirtschaft. Tas Handelsrecht wandelt sich zu einem staatlichen Recht um. a) Tie ersten umfassenden Regelungen des Handelsrechts durch den Staat finden sich in Frankreich unter Ludwig XIV. a) 1673 ergeht die sog. Ordonnance du commercc (auch Code Savary genannt, wegen des großen Einflusses des Kaufmanns Jacques Savary). Sie enthält die wichtigsten Materien des Handelsrechts, das Wechsel­ recht, Konkursrecht, die Handelsgerichtsbarkeit.

ß) 1681 folgt die sog. Ordonannce de la marine unter dem Einfluß Colberts. Sie enthält privates und öffentliches Seerecht. b) In Deutschland hatten größere Bedeutung zahlreiche Sondergesetze der Einzelstaaten im 17. und 18. Jahrhundert über verschiedene Gegenstände des Handelsrechts (sie betrafen z. B. Mäkler-, Firmen-, Wechsel-, Versicherungs-, Schiffahrtsrecht). Einzig in seiner Art dastehend ist die Regelung des Handelsrechts in dem Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten vom 5. Februar 1794. Es normiert das gesamte Handels­ recht mit Einschluß des See-, Wechsel- und Bersicherungsrechts in Teil II, Titel 8, §§ 475—2464. Es beruht meist auf der früheren brandenburgisch-preußischen Gesetzgebung. Das Handelsrecht erscheint (ebenso wie in der Ordonnance du commerce) als ein Ständerecht der Kaufleute, die eine besondere Gruppe des „Bürgerstandes" bilden. Rühmenswert ist die leicht faßliche Ausdrucksweise des Gesetzes. Es entsteht eine selbständige Literatur des Handelsrechts (siehe unten §4).

8

Geschichte. — Code.

4. Die Handelsrechte der einzelnen Länder berühren und befruchten sich gegenseitig in hervorragender Weise. Groß war bis in das 17. Jahrhundert hinein der Einfluß des ita­ lienischen Handelsrechts, auch in Deutschland (einzelne italienische Institute, die namentlich das Bank-, Kredit-, Versicherungswesen betrafen, wurden ausgenommen). Seit dem Aufschwung des niederländischen Handels zum Welt­ handel (vollendet im 17. Jahrhundert; Untergang der deutschen Hanse) dringt niederländisches Handelsrecht namentlich in den germanischen Ländern ein, während seit der ordonnance du commerce französisches Handelsrecht die romanischen Länder beeinflußt. Auch die Aufnahme des römischen Rechts in Deutschland wirkte auf beni Gebiete des Handelsrechts in gewissem Umfang ver­ bindend (das Handelsrecht hat ja das bürgerliche Recht zur notwendigen Grundlage). — Auch bildeten sich auf den großen Messen und Börsen internationale Handelsgebräuche heraus. IV. Das 19. Jahrhundert und der Anfang des 20. Jahr­ hunderts. Es ist die Zeit der modernen Handelsgesetzbücher und des Beginnes eines auf internationalen Verträgen beruhenden Welthandelsrechts. In Deutschland ist es außerdem die Zeit der nationalen Vereinheitlichung des Handelsrechts. Auch gelangte die Handelsrechtswissenschaft zu hoher Blüte.

I. Das erste wirkliche „Handelsgesetzbuch" ist der Code de commerce vom 15. September 1807. Er zerfällt in vier Bücher (I. Buch: Handels- und Wechselrecht, II. Buch: Seehandel, III. Buch: Konkurs, IV. Buch: Handelsgerichts­ barkeit). Er behandelt das Handelsrecht nicht mehr als Standesrecht, sondern als sachliches Spezialrecht des Handels. Inhaltlich beruht er zu einem großen Teil auf den alten Ordonannzen von 1673 und 1681 (oben III, 1). Doch enthält er z. B. die erste Regelung der Aktiengesellschaft und zeigt mitunter die Tendenz, den Handel von der staatlichen Bevormundung zu lösen. Seine Sätze sind knapp und klar gefaßt, gerade hierdurch ist sein Inhalt freilief) außerordentlich dürftig (das Recht der Aktiengesellschaft ist z. B. in 13 Artikeln normiert!).

Der Code erlangte eine weite Verbreitung außerhalb Frankreichs. In vielen Ländern zunächst infolge der Eroberungen Napoleons. In größerem Umfang fand er eine friedliche Verbreitung, indem zahlreiche Staaten ihn ihrer Handelsgesetzgebung zugrunde legten (siehe unten § 5). In Deutschland blieb der Code nach den Freiheitskriegen in den Ländern des französischen Rechts in Kraft, in Baden wurde er mit dem badischen Landrecht in einer Übersetzung als „Anhang von den Handels­ gesetzen" eingeführt (seit 1. Januar 1810).

Geschichte. - ADHGB.

9

2. In Deutschland wurde der partikulären Zerrissen­ heit durch die Schaffung des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches (ADHGB.) ein Ende bereitet. Die erste Anregung gab Württemberg auf der Zollvereinskonferenz 1836. Sie und andere spätere Versuche scheiterten. Nur die allgemeine deutsche Wechselordnung kam im Jahre 1848 zustande. Erfolg war erst beschieden, als im Jahre 1856 der Bundestag auf Antrag Bayerns die Einsetzung einer Kommission zwecks Entwurfs eines allgemeinen Handelsgesetzbuchs für die deutschen Bundes­ staaten beschloß. Die Kommission, welche aus Juristen und Kaufleuten bestand, tagte in Nürnberg (1857—1861, nur die Beratung des Seerechts erfolgte in Hamburg). Zugrunde gelegt wurde namentlich ein preußischer Entwurf. Der Entwurf der Kommission wurde 1860 veröffentlicht, kritisiert und im Jahre 1861 endgültig abgeschlossen. Der Bundestag, der bekanntlich selbst keine gesetzgebende Gewalt hatte, empfahl den Einzelstaaten die Einführung (Beschluß vom 31.Mai 1861). Die allermeisten Einzelstaatcn sind dem in den Jahren 1861—1867 durch Einführungsgesetze nachgekommen. — Dieses „allgemeine" deutsche Handelsgesetzbuch wurde 1869 zum Gesetz des Norddeutschen Bundes und später zum Neichsgesetz erhoben. Hiermit wurde es „gemeines" Neichsrecht und war der Abänderung durch die Einzelstaaten grundsätzlich entzogen („ergän­ zende" Landesgesetze waren zugelassen). Das ADHGB. zerfällt in einleitende „Allgemeine Bestimmungen" (Art. 1—3) und 5 Bücher (I. Buch: „Vorn Handelsstande"; II. Buch: „Von den Handelsgesellschaften"; III. Buch: „Von der stillen Gesell-' schäft und von der Vereinigung zu einzelnen Handelsgeschäften für ge­ meinschaftliche Rechnung"; IV. Buch: „Von den Handelsgeschäften"; V. Buch: „Vom Seehandel").

Das Gesetzbuch geht zwar von dem Begriff des Kaufmanns aus (Art. 4) und normiert ein besonders Recht für ihn. Aber es zieht auch den Nichtkaufmann in seinen Bereich und stellt allgemeine Rechtssätze auf (vgl. Art. 307); auch kennt es bestimmte Rechts­ geschäfte, auf welche das Handelsrecht Anwendung findet, selbst wenn nur Nichtkaufleute beteiligt sind (Art. 271 sog. absolute oder objektive Handelsgeschäfte; z. B. die Anschaffung von Waren in Spekulationsabsicht). So schuf es nicht allein ein vortreffliches Kaufmannsrecht, sondern wies auch in ausgezeichneter Weise dem allgemeinen Verkehrsrecht die Wege. Dabei ist es stark deutsch­ rechtlich ausgestaltet, und eine klare, verständliche Sprache ist ihm eigen. Eine mustergültige Anwendung wurde ihm durch die Praxis des (Bundes-) Reichs-Oberhandelsgericht zu Leipzig (Bundes-

Geschichte. - HGB.

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ges. vom 12. Juni 1869), an dessen Stelle seit dem 1. Oktober 1879 das Reichsgericht getreten ist, zuteil.

Das ADHGB. ist in späterer Zeit durch einige Neichsgesetze ab­ geändert worden (z. B. im Recht der Aktiengesellschasten). Es ergingen ferner zahlreiche Reichsgesetze, welche besondere handelsrechtliche Materien regelten — sog. handelsrechtliche Nebengesetze (z. B. Bankgesetz vom 14. März 1875 mit späteren Abänderungen, Ges. bett, die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften vom 1. Mai 1889, Ges. betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom 20. April 1892, Börsengesetz vom 22. Juni 1896). Das so geschaffene deutsche Handelsrecht diente verschiedenen ausländischen Handelsgesetzgebungen als Grundlage (siehe unten § 5).

3. Die Herstellung des Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich machte eine Revision des ADHGB. notwendig. Der Plan, den gesamten Handelsrechtsstoff unter Einschluß der besonderen Gesetze zu einem großen Gesetzbuch zusammenzufassen, scheiterte vornehnüich an einer durch die Arbeiten an dem BGB. hervor­ gerufenen Müdigkeit des Gesetzgebers. Andererseits wurde der ver­ einzelt, insbesondere von Heinrich Dernburg, geäußerte Wunsch, das Handelsrecht in dem BGB. aufgehen zu lassen, mit Recht zurückgewiesen (das Handelsgesetzbuch hatte sich vortrefflich bewährt, der Kaufmanns­ stand hatte sich an es gewöhnt, der Zusammenhang mit dem ausländischen Handelsrecht blieb durch ein Spezialgesetz besser gewahrt). Ein im Reichsjustizamt ausgearbeiteter Entwurf wurde 1895 von einer Kommission durchberaten und wurde mit geringen Ände­

rungen Gesetz: Handelsgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 10. Mai 1897 (HGB.).

Das HGB. zerfällt in 4 Bücher (I. Buch: „Handelsstand", II. Buch: „Handelsgesellschaften und stille Gesellschaft", III. Buch: „Handels­ geschäfte", IV. Buch: „Seehandel"), es zählt nach Paragraphen. Die Aufgabe der Revision bestand darin, das Handelsgesetz­ buch mit dem BGB. in Eingang zu bringen und die der Neuzeit ent­

sprechenden

Teil

der

handelsrechtlichen

Borschriften

des

Neuregelungen

ADHGB.

konnte

vorzunehmen. einfach

Ein

fortgelassen

werden, da sie vom BGB. als allgemeines Verkehrsrecht ausgenom­

men waren (hierher gehören insbesondere Vorschriften über „Handels­

geschäfte" und Gesellschaften). In Zusammenhang hiermit steht es, daß das neue Handelsgesetzbuch — wenn von den Besonderheiten des Seerechts abgesehen

wird — als ein Sonderrecht der Kaufleute erscheint (Gegen-

satz zum ADHGB.):

Zwar wird auch der Nichtkaufmann im geschäftlichen Verkehr mit dem Kaufmann vielfach in das Handelsrecht einbezogen, aber

allgemeine verkehrsrechtliche Rechtssätze gibt es nicht mehr, und

Geschichte. — Weltkrieg. — Quellen.

11

das Handelsrecht kommt nie zur Anwendung, wenn lediglich Nicht­ kaufleute beteiligt find (Streichung der objektiven oder absoluten Handelsgeschäfte des ADHGB. — oben unter 2. — Sieg des „subjektiven" Prinzips). Charakteristisch für das HGB. ist ferner die dem Aufschwung von Handel und Industrie Rechnung tragende, erhebliche Erweiterung des Kreises der „Kaufleute". Aus das HGB. folgten zahlreiche andere handelsrechtliche Reichs­ gesetze (siehe unten § 3).

4. Der Beginn eines Welthandelsrcchts zeigte sich im Eisenbahnfrachtverkehr (Internationales Übereinkommen v. 14. Oktober 1890 mit späteren Znsatzvcreinbarungen) und teilweise im Scerecht.

V. Weltkrieg und Folgezeit 1. Weltkrieg. Ter Weltkrieg mußte den Handelsverkehr und das lebende Handelsrecht in einschneidender Weise beeinflussen. Man denke an die Beschlagnahmen und Zwangswirtschaft in all ihren verschiedenen Ausgestaltungen. Man vergegenwärtige sich, daß die Börse, diese Pulsader des Handels, zum Stillstand kam. Gesetzlich wurde jedoch an dem besonderen Handelsprivatrccht im allgemeinen nichts geändert. Der Einschlag, der in es erfolgte, war öffentlichrechtlicher Natur. Insbesondere bediente man sich bei den kriegswirtschaftlichen Organisationen der alten Handelsrechtlichen (Gesellschaftsformen, die man den besonderen Bedürf­ nissen anpaßte.

2. Die Folgezeit. Der unglückliche Ausgang des Weltkrieges, der Umsturz, das kulturwidrige Diktat von Versailles, die darauf in ungeahnter Höhe einsetzende Geldentwertung haben auch einige gesetzliche Änderungen des Handelsprivatrechts zur Folge gehabt. Es handelt sich vor allem um geldwirtschaftliche und arbeitsrechtliche Probleme. So betreffen die Änderungen namentlich das Geld-, Bankund Börsenrecht, das Bilanzwesen, das Recht der Aktiengesellschaften, der Gesellschaften mit beschränkter Haftung und der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, sowie schließlich die Stellung der in kauf­ männischen Unternehmungen Angestellten.

Quellen des heutigen deutschen Handelsrechts. Hauptquellen sind Gesetze und das Gewohnheitsrecht. Keine Quelle ist die Handelssitte, sie soll aber im Anschluß an das Gewohnheitsrecht besprochen werden.

§ 3.

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Quellen des deutschen Handelsrechts.

I. Gesetze. 1. Neichsgesetze. a) In vorderster Linie steht das HGB. vom 10. Mai 1897 (über seine Entstehung und seinen Inhalt oben § 2IVZ 3) nebst einem Einführungsgesetz (EG.) von demselben Tage. Nach Art. 1 EG. ist das HGB. am 1. Januar 1900 in Kraft getreten (einige Vorschriften schon früher). Mit ihm trat das ADHGV. außer Kraft. Bedeutungsvoll für die Auslegung sind die Materialien (Vor­ arbeiten) zum HGB.: Denkschrift zum Entwurf des Reichsjustizamts, Guttentag 1896; Denkschrift zur Neichstagsvorlage, Guttentag 1897 (auch in den Stenographischen Berichten des Reichstages 9. Legislatur­ periode 4. Session, Anlageband 6, Aktenstück Nr. 632). — Wertvoll sind auch heute noch die Nürnberger Protokolle des ADHGB. (herausgegeben von Lutz, 9 Teile, 1858sf.).

Die im HGB. und EG. besonders geregelten privatrechtlichen Tatbestände werden in Art. 2 EG. als „Handelssachen" bezeichnet. In Handelssachen sollen zuerst das HGB. und EG. zur Anwen­ dung kommen, subsidiär das BGB. In einem abweichenden Sinn versteht man auch unter „Handelssachen" alle privatrechtlichen Tat­ bestände des „Handels" oder des „Handelsrechts". Bon diesem materiellen Begriff der Handelssachen zu unter­ scheiden ist der prozessuale Begriff der Handelssachen. Dieser umfaßt alle Rechtsverhältnisse, für welche die Kammern für Handelssachen zu­ ständig sind. Solche Kammern können bei den Landgerichten gebildet werden (GVG. §§ 93ff.; sie bestehen im allgemeinen aus einem Berufs­ richter und zwei Handelsrichtern, die Kaufleute sind; ihre Zuständigkeit ist in § 95 GVG. geregelt. Literatur: Rosenberg in Ehrenbergs Hand­ buch I, S. 458 ff.

Spätere Gesetze haben einzelne Bestimmungen des HGB. unmittelbar förmlich abgeändert oder vorläufig außer Kraft gesetzt oder (dauernd oder zeitweilig) ergänzt. Hervorzuheben ist: oc) Unmittelbar förmliche Abänderungen beziehen sich auf das Seerecht (Ges. v. 2. Juli 1902 und 12. Mai 1904; Ges. v. 30. Mai 1908 hinsichtlich der Seeversicherung; Ges. v. 7. Januar 1913 betreffs des Zusammenstoßes von Schiffen), das Wettbewerbsverbot der Handlungsgehilfen (Ges. v. 10. Juni 1914), dieHöhedes Grund­ kapitals und der Aktien (Änderung von § 180 HGB. durch §18 der BO. über die Goldbilanzen v. 28. Dezember 1924 in Verbindung mit § 3 der II. VO. zur Durchführung des Münzgesetzes v. 12. Dezem­ ber 1924), auf die Beträge von Ordnungsstrafen und Geldstrafen (vgl. §§ 14, 103, 315ff. HGB. und die BO. über die Vermögensstrafen und Bußen v. 6. Februar 1924). — § 11II HGB. ist durch Ges. v. 4. Februar 1925 eingefügt werden.

Quellen. — Reichsgesetze.

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ß) Ergänzende Vorschriften enthalten insbesondere: Die VO. über die Goldbilanzen v. 28. Dezember 1923 nebst ihren Durch­ führungsverordnungen (Eröffnungsbilanz, Umstellung von Aktien­ gesellschaften), die VO. über die Gehaltsgrenzen des HGB. (§§ 681, 74a II, 75b) v. 23. Oktober 1923, die Bek. v. 24. Mai 1917 zur Erleichterung von Einzahlung von Aktien, das Betriebsrätegesetz v. 4. Februar 1920 (Betriebsbilanz, Entsendung von Betriebsrat­ mitgliedern in den Aussichtsrat). Die VO. über die Einschränkungen öffentlicher Bekanntmachungen v. 14. Februar 1924 ist im wesentlichen wieder ausgehoben worden durch die BO. v. 20. Juni 1925.

b) Andere handelsrechtliche Neichsgesetze („Neben­ gesetze"). Das EG. zum HGB. hat die bestehenden Nebengesetze (siehe oben §2, IV 2 am Ende) grundsätzlich ausrechterhalten (Art. 2II, EG.), einige sind von ihm aufgehoben, andere abgeündert worden (Art. 8 ff. EG.). In späterer Zeit, insbesondere auch in neuester Zeit, sind die alten Ncbengesetze z. T. abgeändert worden (z. B. das Ges. über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, das Genossenschaftsgesetz), und es sind auch neue Nebengesetze erlassen (z. B. das neue Bank­ gesetz v. 30. August 1924). Sammung der Nebengesetze: Die Handelsgesetzgebung des Teutscheil Reichs von E. Friedberg, 10. Ausl, herausgegeben von O. Schreiber (zurzeit veraltet). — Sammlung von Reichsgesetzen und Verordnungen handelsrechtlichen Inhalts, herausgegeben von Arthur B. Schmidt 1925. — Handelsrechtliche Gesetze herausg. von Hoeniger, 3. Ausl. 1926.

Bedeutungsvoll für das Handelsrecht sind außerdem die Gesetze über Handelsbeschränkungen, die gesamten arbeitsrechtlichen Gesetze, die Gesetze, welche den Konkurs und die Geschäfts­ aufsicht regeln, die Steuergesetze, die Aufwertungsgesetze. In der Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Konkursrecht (siehe unten § 4) sind in früherer Zeit die das Handelsrecht und seine Nebengebiete interessierenden Reichsgesetze abgedruckt worden, seit 1919 werden daselbst eingehende Berichte über solche Gesetze veröffentlicht. — Über die neue Gesetzgebung orientieren ferner Nußbaum, Deutsches Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 1922, sowie „Das Recht der Neuzeit", begründet von Schlegelberger und Hoche, 3. Aufl. 1925.

2. Landesgesetze Die Landesgesetzgebung spielt im heutigen Handelsrecht nur eine sehr geringe Rolle. Die älteren Landesgesetze nämlich sind nur insoweit aufrechterhalten, und neue können nur insoweit erlassen werden, als ein ausdrücklicher reichsrechtlicher Vor-

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Handelsgewohnheitsrecht.

behalt gemacht ist (Art. 15 EG. z. HGB., Art. 55 und Art. 3 EG. z. BGB). Solche Vorbehalte gab es nur sehr wenige (namentlich EG. Art. 16ff.; vgl. ferner EG. zum BGB. Art. 75, 76), und ihre Zahl ist] durch spätere reichsgesetzliche Regelung ganz zusammen­ geschrumpft (größere Bedeutung hat eigentlich nur noch Art. 16 EG.). II. Handelsgewohnheitsrecht — Handelssitte. 1. Auch dem Gewohnheitsrecht kommt auf dem Gebiet des Handelsrechts (Handelsgewohnheitsrecht) heute nur eine sehr beschränkte Wirksamkeit zu. Das HGB. schweigt darüber. Aus all­ gemeinen Gründen ergibt sich: a) Ein Reichs-Handelsgewohnheitsrecht ist unbeschränkt zulässig. Es kann das Gesetz nicht nur ergänzen, sondern auch abändern. Beispiele: Kraft Reichs-Handelsgewohnheitsrecht steht fest, daß der­ jenige, der eine öffentliche Erklärung in handelsüblicher Weise abgibt, einem gutgläubigen Dritten nach Maßgabe dieser Erklärung haftet (siehe unten § 12 III 4a). — Die offene Handelsgesellschaft haftet nicht bloß für die Rechtsgeschäfte, sondern auch für die Delikte ihrer Gesellschafter (unten § 311 Id).

b) Partikuläres (Einzelstaatliches) Handelsgewohn­ heitsrecht ist dagegen nur möglich innerhalb der Vorbehalte der Landesgesetzgebung (oben I, 2). Das alte HGB. erkannte ausdrücklich (Art. 1) das Handelsgewohn­ heitsrecht als eine dem bürgerlichen Recht vorgehende Rechtsquelle an; es konnte aber die eigenen Vorschriften des HGB. niemals abändern.

2. Um so größer ist die Bedeutung der Handelssitte?) Sie ist die Verkehrssitte unter Kaufleuten, die kaufmännische Ver­ kehrssitte.. Das HGB. nennt sie technisch „Handelsgebrauch" (z. B. § 359), auch spricht es von den „im Handelsverkehr geltenden Ge­ wohnheiten und Gebräuchen" (§ 346). In der Literatur und im Leben wird auch von „Handelsusancen", „Usancen", „Geschäfts­ gebrauch" geredet (doch wird mit diesen Ausdrücken auch das Handels­ gewohnheitsrecht belegt). a) Die Handelssitte ist Verkehrssitte (siehe § 157 BGB.). Daher ist sie ebensowenig wie diese Gewohnheitsrecht (abweichend Müller-Erzbach S. 63) oder eine neben Gesetz und Gewohnheits­ recht bestehende selbständige Rechtsquelle (abweichend DüringerHachenburg IS. 12ff.). Vielmehr ist sie rein tatsächliche Übung. Kraft gesetzlicher Anordnung dient sie als Auslegungsmittel für T) Aus der Literatur sind hervorzuheben: Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte 1914; Otto Schreiber, Handelsbräuche 1922; Klausing, ZHR. 87, S. 193; IW. 1924, S. 814.

Handelssitte.

15

Willenserklärungen; nicht beruht ihre Geltung, wie man früher annahm, auf einer stillschweigenden Parteivereinbarung. Die Handelssitte ist kaufmännische Verkehrssitte, sie wurzelt im Verkehr zwischen Kaufmann und Kaufmann. Die nichtkauf­ männische Verkehrssitte (Verkehrssitte schlechthin) kennzeichnet das HGB. auch mit „Ortsgebrauch" oder „ortsüblich" (z. B. § 95 II). Die Handelssitte ist von „Geschäftsbedingungen" zu unterscheiden. Auf den letzteren kann sich erst durch tatsächliche Übung eine Handels­ sitte aufbauen. Bei den allgemeinen Bedingungen größerer Ver­ bände wird sich dies rasch bewerkstelligen. b) Die wichtigsten Sätze, die sich aus dem dargelegten Begriff der Handelssitte ergeben, sind folgende: a) Eine Handelssitte kann sich nie gegenüber zwingenden gesetzlichen Vorschriften bilden. Denn die Willenserklärungen der Parteien sind ja gerade durch diese gebunden. (Wichtiger Unter­ schied vom richtigen Gewohnheitsrecht.) Vgl. RG. 103 146ff. ß) Eine bestehende Handelssitte kann von den Parteien außer Anwendung gesetzt werden. y) Auf Unkenntnis einer Handelssitte kann sich im all­ gemeinen eine Partei nicht berufen. Das Verkehrsübliche muß man gelten lassen. Vgl. aber unten e. F) Der Richter darf die Handelssitte grundsätzlich nur unter Kaufleuten zur Anwendung bringen (§ 346 HGB.). In besonderen Fällen greift die Handelssitte aber auch im Ver­ kehr zwischen Kaufmann und Nichtkaufmann ein. Einmal kraft gesetz­ licher Vorschrift (siehe § 359 HGB. in Verbindung mit § 345). Sodann kann es kraft einer „Verkehrssitte" stattfinden. e) Eine schwierige und interessante Frage ist das Verhältnis zwischen Handelssitte und nachgiebigen Rechtssätzen, Bestehen für die Handelssitte Schranken auch durch die nachgiebigen Rechts­ sätze? Schreiber (a. a. O. O. 48ff.) bejaht dies mit der Formu­ lierung, daß der „Gerechtigkeitsgedanke" des Gesetzes durch den Handels­ brauch nicht durchkreuzt werden dürfte. Man kann dem aber nicht zustimmen. Die Handelssitte ist an sich ihrem Begriffe nach und gemäß dem Begriff der nachgiebigen Rechtssätze in bezug auf die nachgiebigen Rechtssätze souverän. Dem Grundsatz wird aber m. E. die schädliche Spitze dadurch abgebrochen, daß genau festgestellt werden muß, ob sich wirklich eine Handelssitte gebildet hat, und daß der Richter bei einer singulären Handelssitte die Möglichkeit hat, durch eine Berücksichtigung von Treu und Glauben (§§ 157, 242 BGB.) den Nichtwissenden zu schützen.

IG

Handelssitte. Beispiel: Es soll im Berliner Weinhandel die Handelssitte gelten, daß den Käufer, auch toemi er Nichtkausmann ist, eine Rügepflicht im.erhalb einer Woche trifft (vgl. Schreiber, a. a. O. S. 25). — Nun ist aber die Rügepflicht ihrer eigentlichen Tendenz nach aus den Kaufmann abzestellt (vgl. unten § 56 V). Es wird daher genau zu prüfen sein, ob überhaupt sich wirklich eine hiermit im Widerspruch stehende Übung im Berliner Weinhandel gebildet hat. Bejahendenfalls aber dürfte der Richter m. E. wegen der singulären Art des Brauches unter Wertung von Treu und Glauben einen Verstoß hiergegen dem nichtwissenden Nichlkaufmann nicht anrechnen.

c) Das Gericht kann aus eigener Sachkunde das Bestehen einer Handelssitte seststellen (besonders ausgesprochen für die Kammern für Handelssachen § 114 GVG.). Es kann aber auch z. B. Gutachten (sog. Parcres, stammt aus dem Italienischen parere = meinen) einholen. Hierfür kommen vor allem die Handels­ kammern und „kaufmännischen Korporationen" in Betracht. Handelskammern sind offizielle kaufmännische Vertretungen für bestimmte Bezirke; in Preußen maßgebend Ges. vom 24. Februar 1870, 19. August 1897 u. 2. Juni 1902; in Bayern k. Verordn, vom 25. Februar 1908. An Stelle der Handelskammern gibt es auch von früher her „kauf­ männische Korporationen"; in Berlin bestehen beide nebeneinander. Das Reichsrecht weist diesen Vertretungen gewisse Aufgaben zu vgl. z. B. § 192III HGB.). Von den Gutachten sind zahlreiche Sammlungen erschienen: z. B. Apt, Gutachten der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin über Ge­ bräuche des Handelsverkehrs 1 1907, II1910, III1914; Dovl-Meyerstein, Gutachten der Berliner Handelskammer, 2 Bd. IM—1913; Riesenfeld, Breslauer Handelsgebräuche 1911; Gutske-Lehrend, Handelsgebräuche im Großhandel und Schisfahrtsverkehr Magdeburgs 1905.

Man nennt die durch Veröffentlichungen festgestellten Handels­ bräuche von Handelskammern und anderen Verbänden: Kodifi­ zierte Handelsgebräuche. Sie bergen zweifellos gevisse Ge­ fahren in sich. Insbesondere besteht die Gefahr, daß sich beider Fest­ stellung von Handelsbräuchen der wirtschaftlich stärkere Teil des Bezirkes der Handelskammer durchseht und so ein einseitige Jnteressenschuh herauskommt. Durchaus zu verwerfen ist das Berliner Verfahren, nach welchem von der Handelskammer zunächst bestimmte „Geschäftsbedingungen" ausgearbeitet, veröffentlicht und cmpfohlen werden, um dann nach einiger Zeit (etwa einem Jahre) als .Handels­ gebräuche" veröffentlicht zu werden. — Man hat vorieschlagen (Schreiber), diesen Gefahren dadurch zu begegnen, daß )ie Kodifikation von Handelsgebräuchen vom Gesetzgeber zu verbieen seien. Allein dies schießt über das Ziel hinaus. Es ist vielmehr Sache des Richters, diese Gefahren dadurch zu beseitigen, daß er in ein, strenge

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Literatur deS deutschen Handelsrechts.

Würdigung der veröffentlichten Gebräuche und der Gutachten der Handelskammer überhaupt in jedem einzelnen Fall eintritt. Er muß stets forschen, ob das tatsächliche Bestehen des angeblichen Handels­ brauches nachgewiesen ist. Tie Gutachten der Handelskammern enthalten häufig den Fehler, daß sie auf Rechtsfragen cingehen, Rechtsentscheidungen geben; hier­ mit überschreiten sie ihre Befugnisse. Zu warnen ist auch vor überflüssigem Einholen von Gutachten seitens des Richters (man vgl. z. B. RG. 106 319; war die Einholung des dort erwähnten Gutachtens wirklich nötig, konnte der Richter sich des Erfragte nicht selbst beantworten?). Ö) Klauseln. Die Handelssitte ist auch maßgebend für die Er­ klärung kurzer gebräuchlicher Ausdrücke und Klauseln. Beispiele: „eis' = cost, Insurance, freight d. h. der Verkäufer hat die Kosten, die Versicherung und Fracht zu tragen; „fob"=-= „freeonboard“, d.h. die Waren sind spesenfrei an das Schiff zu bringen (bis dahin trägt der Verkäufer auch die Gefahr der Sache); „franko" („frachtfrei") bedeutet lediglich „spesenfrei"; „netto Kassa gegen Verladedokumente", d. h. der Käufer muß bei Aushändigung der Verladedokumente zahlen ohne Rücksicht auf den Eingang der Waren.

§ 4.

Literatur des Deutschen Handelsrechts. 1. Schon die Glossatoren und Postglossatoren (z. B. Bartolus und Baldus) hatten sich mit einzelnen handelsrechtlichen Fragen beschäftigt. Eindringender befaßten sich die theologisch, kanonistischen Schriftsteller aller Länder mit dem Handelsverkehr und suchten die Erlaubtheit der Handelsgeschäfte des praktischen Lebens gegenüber dem kanonischen Wucherdogma (siehe oben §2II la) abzugrenzen. Durch sie ward der Boden bereitet für die Entstehung einer selbständigen Handelsrechtswissenschaft, die einen europäischen Charakter trug. Beginn: Mitte des 16. Jahrhunderts in Italien. Grundlegend das Werk von Benevenutus Stracca aus Ancona: Tractatus de mercatura seu mercatore 1553. Von deutschen Schrift­ stellern, die erst spät auf dem Plan erscheinen, gehört hierher der Lübecker Johann Marquard „Tractatus politico-juridicus de jure mcrcatorum et commerciorum singulari“, Frankfurt 1662 (Berücksichtigung fast aller Gesetze Europas).

2. Die erste juristische Darstellung des deutschen Handels­ rechts erfolgte zu Ende des 18. Jahrhunderts (F. v. Martens, 1797, stark naturrechtlich). Die Lehrbücher der Folgezeit (positivrechtlicher

v. G ierke, Handels-u. Schisfahrtsrecht. 2. Msl.

2

18

Literatur des deutschen Handelsrechts.

ausgestaltet) stehen zum Teil unter Einfluß des französischen, ins­ besondere aber des römischen Rechts. Herrorragend war die Wirk­ samkeit von Heinrich Thöl (1. Ausl, des Handelsrechts 1841). Doch verfuhr er einseitig romanistisch und konstruktiv. — Auch in den Lehrbüchern des deutschen Privatrechts wurde das Handelsrecht dargestellt.

3. Literatur unter der Herrschaft des ADHGB. a) Lehr- und Handbücher.

Levin Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts (Bd. I, 2. Ausl. 1875; Bd. II, 2. Ausl. 1883, teilweise in 3. Ausl. 1891) unvoll­ endet. Das Werk enthält die „Universalgeschichte des Handelsrechts" (umfaßt nur das Altertum und die romanischen Länder des Mittel­ alters), Grutldbegriffe, Ware, Sachenrecht, Geld. Goldschmidt lebte 1829—1897 (Nekrolog von Pappenheim in Z. f. d. g. HR. 47, S. 1 ff.), seine Bedeutung liegt in der rechtshisto-rischen Vertiefung der Handelswissenschaft. H. Thöl, Handelsrecht, 6. Ausl. 1879. — W. Ende-mann, Das deutsche Handelsrecht, 4. Ausl. 1887. — Handbuch des Handels-, See- und Wechselrechts, 4 Bde., 1881—1885 (Beiträge verschiedener Verfasser), herausgegeben von W. Endemann. — I. Fr. Behrerid, Lehrbuch des Handelsrechts I (1886sf.), unvoNendet. — K. Eosack, Lehrbuch des Handelsrechts, 4. Ausl. 1898. — Gareis, Das deutsche Handelsrecht, 5. Ausl. 1896 (Lehrbücher des deutschen Privatrechts; Dernburg, „Preußisches Privatrecht"). b) Kommentare. F. v. Hahn, 2. Bde. 1877—1883 (Bd. 1, 4. Ausl. 1894). — A. Anschütz und O. v. Völderndorff, 3. Bde. 1867—1873. — H. Staub, 5. Ausl., 1897, alle ohne Seerecht. Mit Seerecht: H. Makower, 11. Ausl. 1893, Gareis und Fuchsberger 1891.

c) Zeitschriften. Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht, begründet von Goldschmidt 1858. — Archiv für Theorie urd Praxis des ADHGB. seit 1863. 48 Bde. (Buschs Archiv).

d) Sammlungen von Entscheidungen.

Entscheidungen des Reichsoberhandelsgrrichts, 25 Bde. (1871 bis 1879), des Reichsgerichts (seit 1880), Seufserts Archiv seit 1847.

4. Literatur unter der Herrschaft des neuen HGB. a) Handbücher.

Handbuch des gesamten Handelsrechts (Beiträge verschie­ dener Verfasser), herausgegeben von V. Ehrenberg 1913ff. KarlWieland, Handelsrecht inBindings Handbuch der Rechts­ wissenschaft I. Bd. 1921.

Literatur des deutschen Handelsrechts.

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b) Lehrbücher und Übersichten. K. Cosack, Lehrbuch des Handelsrechts, 9. Ausl. 1922. — K. Lehmann, Lehrbuch des Handelsrechts, 2. Ausl. 1912, in 3. Ausl, herausgegeben von H. Hoeniger 1. Halbband 1921 — MüllerErzbach, Deutsches Handelsrecht (in 4 Lieferungen) 1919ff. C. Gareis, Das deutsche Handelsrecht, 8. Ausl. 1909. — E. Heil­ fron, Lehrbuch des Handelsrechts, 3. Bd., 2. Ausl. 1912—1913. Kürzere Übersichten: O.v. Gierke, in der Enzyklopädie derRechtswissenschaft, begründet von v. Holtzendorfs, herausgegeben von Kohler, 7. Ausl. 1913. — H. O. Lehmann in Birkmeyers Enzyklopädie, 2.Ausl. 1912. — Heinsheimer in der Enzyklopädie von KohlrauschKaskel 1923. Das Handelsrecht wird auch berücksichtigt von Dernbürg, „Das bürgerliche Recht des Deutschen Reiches und Preußens", neu« bearbeitet von Raape; und von O.v. Gierke, Deutsches Privat­ recht, 3. Bde., 1894ff Eine mehr populäre Darstellung erstreben Eltzbacher, Handels­ recht 2. Ausl. 1925 und E. Schling, Deutsches Handelsrecht, 1924. c) Kommentare. Ohne Seerecht: Staubs Kommentar, 10/11. Ausl, von Könige, Pinner, Bondi 1920ff. — Lehmann-Ring, 2. Bde. 1901—1902; Bd. I, 2. Ausl. 1914; Bd. II, 2. Ausl. 1913 (Bd. III nicht erschienen) — Düringer-Hachenburg (unter Mitwirkung von I. Breit, A. Flechtheim, K. Geiler, V. Hoeniger) Bd. I—III in 2. Ausl. 1908ff. Bd. IV, Abt. 1, 1917, Bd. V, 1. Lieferung 1924. — Gold ­ mann, 3. Bd. 1910ff. — Ritter 1910 — Brand 1911 — Kleinere Kommentare: Litthauer-Mofse (Gutentagsche Sammlung), 16. Ausl. 1920 (besorgt von Caro); Frankenburger, 5. Ausl. 1921; Basch,8. Ausl. 1920; Warne yer-Koppe, 1923. Dove-Kamnitzer, 2. Ausl. 1925. Mit Seerecht: Makower-Löwe, 13. Ausl. 1906ff. d) Zeitschriften. Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Konkurs­ recht, herausgegeben von I. v. Gierke, Seligsohn, Wieland. — Beiträge zur Erläuterung des deutschenRechts, begründet von Gruchot, herausgegeben von Predari, Schlegelberger, Martin Wolfs. Monatsschrift für Handelsrecht und Bankwesen, begründet von Holdheim (eingegangen) — Hanseatische Rechts-Zeitschrift — Bank­ archiv — Jherings Jahrbücher — Archiv für bürgerliches Recht. e) Sammlungen vonAbhandlungen.Arbeiten zum Handels-, Gewerbe- und Landwirtschaftsrecht, herausgegeben von E. Heymann, seit 1908 — Die private Unternehmung und ihre Betätigungsformen,

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Quellen und Literatur des ausläudischen Handelsrechts.

herausgegeben von H. v. Beckerath u. a. — Überseestudien zum Handels-, Schiffahrts- und Versicherungsrecht, herausgegeben von H. Wüstendörfer und E. Bruck — Verkehrsrechtliche Abhandlungen, herausgegeben v. R. Senkpiehl. f) Sammlungen von Entscheidungen. Vgl. oben 3d. — Hanseatische Gerichtszeitung. — JochowRing, Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts. — Deutsche Juristenzeitung. — Leipziger Zeitschrift für deutsches Recht. — Juristische Wochenschrift. — Entscheidungen des Reichssinanzhofes. g) Praktika. E. Sehling, 5. Stasi. 1921. — Heck 1910. h) Formularbücher. Hoeniger-Cahn, Handelsr.-Aktenstücke und Formulare 1922. E. Friedberg, 2. Ausl. 1901. — Krückmann, „Rechtsatlas". i) Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, herausgegeben von Stier-Somlo und A. Elster seit 1925; Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 4. Aufl. 1923 ff., heraus­ gegeben von L. Elster, Ad. Weber, Fr. Wieser.

§ 5.

Quellen und Literatur des ausländischen Handelsrechts. Die Grundlage unserer Erkenntnis bildet noch immer das monumentale Werk: „Die Handelsgesetze des Erdballes", begründet 1871 von O. Borchardt, in 3. Aufl. 1906—1914, heraus­ gegeben von Kohler, Dove, E. Meyer und Trumpler in 14. Bän­ den. Hier sind die ausländischen Gesetze Handels- (konkurs-)rechtlichen Inhalts in der Landessprache und einer deutschen Übersetzung mit­ geteilt und Übersichten über die Literatur gegeben; auch enthält das Werk eine kurze Darstellung des Handelsrechts derjenigen Länder, welche keine Kodifikation besitzen. — Eine umfassende Übersicht über die Quellen und Literatur des ausländischen Handelsrechts bis 1913 bietet P. Rehme in Ehrenbergs Handbuch I, S. 286ff. Für die Zeit nach dem Weltkriege sind vor allem die Ver­ schiebungen im Länderbesitz und die Entstehung neuer Staaten zu beachten. Dabei gelten die bisherigen Handelsrechte weiter, inso­ weit nicht besondere Gesetze durch die neue Staatsgewalt erlassen worden sind. So gilt z. B. das Deutsche Handelsgesetzbuch grund­ sätzlich weiter in den ehemals deutschen Teilen Polens, in der freien Stadt Danzig, und das österreichische Handelsgesetzbuch in den ehemals österreichischen Teilen Polens, der Tschechoslowakei, Jugoslawiens, Italiens und Rumäniens. Dagegen ist in Elsaß-Lothringen grund­ sätzlich das französische Handelsgesetzbuch eingeführt worden (siehe

Quellen und Literatur des ausländischen Handelsrechts.

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aber unter 11). — In einigen neuen Staaten besteht infolgedessen ein buntes Gemisch verschiedener Handelsgesetzbücher und Handels­ rechte (so gelten in Polen und in Jugoslawien fünf verschiedene Handelsrechte; siehe unten IV). Wichtige Einzelgesetze handelsrechtlichen Inhalts sind nicht bloß in den neu entstandenen Staaten (insbesondere in Polen), son­ dern auch in Staaten älteren Bestandes erlassen worden. Sie betreffen insbesondere das Warenzeichenrecht, das Handelsgesellschaftsrecht (Aktienrecht, Gesellschaft mit beschränkter Haftung), das Bankund Geldwesen, das Bilanzrecht, das Handelsregister, das Lager­ geschäft. Vielfach ist man mit Revisionen und Entwürfen beschäftigt. Häufig ist die deutsche Gesetzgebung vorbildlich gewesen. — Eine besondere Stellung nimmt infolge seiner grundstürzenden Umwäl­ zung Rußland ein. Der Erkenntnis der neueren Entwicklung des ausländischen Handelsrechts dienen die Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Konkursrecht (oben § 4 unter 4d) und in spezieller Weise das „Auslandsrecht", Blätter für Industrie und Handel, Organ des Instituts für ausländisches Recht beim Reichsverband der deutschen Industrie seit 1920, jetzt herausgegeben von H. Titze und Martin Wolff (es enthält kürzere Abhandlungen, Gesetzestexte, Literatur­ angaben); sowie „Gesetzgebung und Rechtspraxis des Aus­ landes", Organ des Hansabundes, herausgegeben von R. Schauer und H. Rost seit 1925. Im folgenden handelt es sich nur um einen kleinen Einblick. Zu unterscheiden sind folgende Gruppen: I. Französischer Rechtskreis. 1. Frankreich. Es gilt noch heute der Code de commerce von 1807. Er ist aber durch zahlreiche neuere Gesetze ergänzt und abgeändert worden; hervorzuheben ist insbesondere das Gesellschafts­ gesetz v. 24. Juni 1867, das Ges. über das Handelsregister v. 18. März 1919, und das Ges. über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung v. 17. März 1925. Durch Ges. v. 1. Juni 1924 ist in Elsaß-Lothringen das gesamte französische Handelsrecht eingeführt worden, es bestehen aber viele Ausnahmen; deutsche Rechtssätze, die in Kraft bleiben, sind zahlreich und bedeutungsvoll, sie betreffen insbesondere Handels­ bücher, Prokura, Handlungsgehilfen, die Gesellschaften mit beschränk­ ter Haftung, die eingetragenen Genossenschaften, die Hypotheken­ banken, auch die Aktiengesellschaften (vgl. Jean Paul Coulon im „Auslandsrecht", 6. Jahrg. Nr. 2).

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Quellen und Literatur des ausländischen Handelsrechts.

Aus der Literatur: Lyon-Caen et Renault, Traitc de droit commercial, 8 Bde., 4. Ausl. 1906ff.; seit 1921 ff. in 5. Ausl, im Erscheinen. — Lyon-Caen et Renault, Manuel de droit commercial, 14. Ausl. 1924 (mit Seerecht). — Thaller-Percerou, Traite elementaire de droit commercial, 7. Ausl. 1925 (ohne Seerecht). — Lacour-Bouteron, Precis de droit commercial, 4 Bde. (I. u. II. Bd. 3. Ausl. 1925, III. U. IV. Bd. 2. Ausl. 1924, ohne Seerecht). 2. Der Code hat in anderen Ländern weite Verbreitung gefunden. Kraft Eroberung war er eingeführt worden in Luxemburg, in dem früheren Königreich Polen (über das heutige Polen siehe unten IV), ferner in Belgien (hier wurde er 1867—1879 z. T. deutsch­ rechtlich abgewandelt): Übernommen wurde er in Griechenland (1835), in Serbien (1860; vgl. unten IV 4), der Türkei (1850), Ägyp­ ten (1875). — Als Grundlage für die neuere Gesetzgebung diente er in den Niederlanden (1838), Spanien (1829; 1885 deutschrechtlich beeinflußte Revision), Portugal (1833, 1888), den mittel- und süd­ amerikanischen Staaten.

Aus der niederländischen Literatur ist hervorzuheben: Molengraaff, Leidraad bij de beoefening von bet Nederlandsche Handels­ recht, 5. Ausl., Hartem 1923. Italien: das HGB. von 1865 beruhte ganz aus französischer Grundlage. Der Codice di commercio von 1882 steht unter starkem Einfluß des deutschen Rechts. Ein neues italienisches Handelsgesetz­ buch ist in Vorbereitung (Entwurf 1922, herausgegeben unter der Leitung Vivantes).

Literatur (sehr reich): Vidari, Corso di diritto commerciale, 5. Ausl. 1900ff. — Vivante, Trattato di diritto commerciale, 4. Ausl. 1913ff. — Zeitschrift: Rivista di diritto commerciale diretta da Vivante e Straffa, 1903 ff. II. Deutscher Rechtskreis.

1. Freie Stadt „Danzig". Es gilt fort das deutsche HGB. 2. Deutsch-Österreich. Hier gilt noch das ADHGB. (EG. v. 17. Dezember 1862). Zahlreiche neuere Gesetze. — Siehe noch unten IV für Polen, Jugoslawien und die Tschechoslowakei.

Literatur: Pisko, Lehrbuch des österreichischen Handelsrechts 1923. — Altmann, Jacob, Weiser, Das österreichische Handels-, Wechselund Scheckrecht (Handausgabe österr. Ges. u. BO.) 1925. 3. Ungarn. HGB. v. 16. Mai 1875. — Vorbild für die HGB. von Bosnien und Herzogewina 1883 (vgl. auch noch unten IV 4).

4. Schweiz. Das Handelsrecht ist auf deutscher Grundlage geregelt in dem Obliaationenrecht von 1881 und 1911. — Es ist eine Revision des Obligationenrechts in Vorbereitung.

Quellen und Literatur des ausländischen Handelsrechts.

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Literatur: Schneider-Fick, Kommentar, 4. Ausl. 1911 ff.; Zeit­ schrift für schweiz. Recht seit 1852, Schweizer Juristenzeitung. — Vgl. auch Wieland, Handelsrecht § 6.

5. Japan. HGB. von 1899. 6. Über die Fortgeltung des deutschen, österreichischen und unga­ rischen Handelsrechts in den durch den Weltkrieg verloren gegangenen, in anderen Staaten aufgegangenen Gebieten vgl. oben S. 20, ferner oben 11 und unten IV. III. Rußland. Das Handelsrecht war in dem Reichsgesetzbuch (Swod) von 1835 geregelt gewesen, vervollständigt 1857, neu herausgegeben 1903; ein neuer Entwurf von 1913 ist nicht mehr zu Ende beraten worden. — Nach der Revolution wurde zunächst 1917—1921 (Zeit des Kriegskommunismus) das gesamte Privatrecht abgeschafft. Seit 1921 (Zeit des Staatskapitalismus) ging man wieder zur Herstellung des Privatrechts über, es sollte auf breitester sozialer Grundlage aufgebaut werden. Man fertigte an ein Zivilgesetz­ buch, welches am 1. Januar 1923 in Kraft trat. Es sollte auch für den Handelsverkehr gelten. Es zeigte sich aber bald, daß es den Eigentüm­ lichkeiten des Handels nicht gerecht wurde und für den Handel ganz unvollständig war. Es wurden daher neue Entwürfe für einzelne handelsrechtliche Regeln aufgestellt. Schließlich wurde 1923 beschlossen, die handelsrechtlichen Besonderheiten zusammenzufassen als Swod zur Aufnahme in das Zivilgesetzbuch. Ein solcher Entwurf eines HGB.s ist Oktober 1923 veröffentlicht worden, er enthält sehr viel deutsches Handelsrecht. — Über die von Rußland seit dem Weltkrieg abge­ trennten Gebiete siehe unten IV. Literatur: Freund, Das Zivilrecht Sowjet-Rußlands 1924; Maska im Auslandsrecht, 6. Jahrg., Nr. 3.

IV. Polen, Litauen, Tschechoslowakei, Jugoslawien. In diesen neuen Staatsgebieten gilt ein Gemisch verschiedener Handelsrechte. 1. Polen. In den ehemals preußischen Landesteilen (Posen) gilt das deutsche HGB. nebst seinen Nebengesetzen, in den ehemals österreichischen (Galizien) gilt das österreichische Handelsrecht, in dem kleinen ehemals ungarischen Stück (Arv in Zips) gilt das ungarische HGB., in Kongreßpolen der Code, in den östlichen russischen Teil­ gebieten das alte russische Handelsrecht. — Dekrete für Kongreßpolen und die russischen Teilgebiete, welche das Handelsregister und die G. m. b. H. nach deutschem Muster einführen. — Einzelgesetze für das ganze Staatsgebiet (z. B. Börsenges. v. 20. Januar 1921).

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Quellen und Literatur des ausländischen Handelsrechts.

2. Litauen. Es gilt fort das alte russische Handelsrecht. Neuere Gesetze (insbesondere Ges. über die Aktiengesellschaften v. 17. Januar 1925). Memelland. Es steht unter der Souveränität Litauens, aber durch das Abkommen von 1921 hat der Landtag Autonomie in bezug auf Zivil-, Straf-, Gewerbe- und Handelsrecht. Nur für das Kredit-Versicherungs- und Börsenwesen gelten die allgemeinen litauischen Gesetze (vgl. „Auslandsrechts", Jahrg. 5. Nr. 13). 3. Tschechoslowakei. In Böhmen gilt das österreichische Han­ delsrecht, in der Slowakei das ungarische (vgl. Singer, Das in der Slowakei geltende Recht, I. Teil Handelsgesetze 1925). 4. Jugoslawien. In Dalmatien und Slowenien gilt das österreichische Handelsrecht, in Kroatien, Slavonien und Vojvodnia gilt das ungarische HGB. v. 1875, in Bosnien und der Herzogewina das HGB. v. 1883 (vgl. oben II3), in Serbien das HGB. von 1860 (vgl. oben 12), in Montenegro das HGB. von 1910 (Nachbildung des Serbischen HGB.) (vgl. Eisner im „Auslandsrecht", Jahrgang Nr. 3/4).

V. Länder ohne Kodifikation des Handelsrechts. 1. Großbritannien. Es gilt Handelsgewohnheitsrecht, aber es sind zahlreiche Sondergesetze erlassen, insbesondere auf dem Gebiete des Gesellschaftsrechts.

Literatur: Smith-Watts, A Compendium of Mercantile Law, 12. Aufl. 1924. 2. Vereinigte Staaten von Nordamerika (Gewohnheits­ recht und einzelne Gesetze). 3. Die Skandinavischen Länder (Dänemark, Schweden, Norwegen). Nur einzelne Gesetze deutschrechtlich beeinflußt (siehe Handelsgesetze des Erdballes X. Für Schweden siehe Rittner im „Auslandsrecht", Jahrg. 5, Nr. 6/8. — Allgemeine Bedeutung hat Tore Almen, Ein Kommentar zu den skandinavischen Kaufgesetzen, Deutsche Ausgabe von Neubecker, 3. Bde., 1922.

Über internationales Handelsrecht siehe v. Bar in Ehrenbergs Handbuch I, S. 327 ff.

Der Kaufmann. — Die Kausmannseigenschast.

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Erster Abschnitt.

Der Kaufmann. Erstes Kapitel.

Dir Lsufmannseigenschafl. Ehrenberg in seinem Handbuch Bd. II, S. Iff.

Allgemeines. I. Arten der Kaufleute. Die Kaufmannseigenschaft des HGB. ist nicht an durchweg einheitliche Voraussetzungen geknüpft. Nach der Verschiedenheit der Voraussetzungen ergeben sich Arten von Kaufleuten im Rechts­ sinn. (Über den Kaufmann im wirtschaftlichen Sinn siehe oben §11, 1.) Im allgemeinen sind drei Arten zu unterscheiden: 1. Kaufleute kraft Gewerbebetriebes: Mußkaufleute, über sie unten in §§ 7, 8. 2. Kaufleute kraft Eintragung: Sollkaufleute, über sie unten in § 9. 3. Land- und Forstwirte: Kannkaufleute, über sie unten in § 10. Eine vierte Art der Kaufleute, die Formkaufleute, werden wir bei den besonderen Vereinen des Handelsrechts kennenlernen. Siehe Abschnitt II. Überhaupt werden in dem I. Abschnitt alle Besonderheiten der eigentümlichen Vereine und Gesellschaften des Handelsrechts aus­ geschieden und für den II. Abschnitt verspart werden. — Der Kaufmanns­ begriff des HGB. ist an sich nur für dieses Gesetz maßgebend, kommt im Zweifel aber auch für andere Gesetze, die von Kaufleuten sprechen, in Betracht (vgl. z. B. KO. §§ 239, Ziff. 3, 240, Ziff. 3).

II. Ungleiche Behandlung der Kaufleute. Die Kaufleute werden vom Gesetz nicht gleichmäßig behan­ delt. Eine Reihe wichtiger Vorschriften findet auf bestimmt gekenn­ zeichnete Kaufleute keine Anwendung; man nennt diese Minderkaufleute und stellt ihnen die anderen als Vollkaufleute gegen­ über. Dieser Gegensatz wird uns in § 11 beschäftigen.

26

Der Mußkaufmann

III. Kaufmanns ei g eusch aft und Handelsregister. Die Grundregeln über die Kaufmannseigenschaft erfahren ihre praktisch bedeutsame Ergänzung durch den Einfluß des Han­ delsregisters, insbesondere durch die Lehre vom Scheinkauf­ mann (siehe unten § 13).

7.

Der Mußkaufmann.

Mußkaufmann ist derjenige, der ein richtiges Han­ delsgewerbe betreibt (Z 1 HGB.). I. Erstes Erfordernis ist der Betrieb eines Gewerbes. Gewerbe im Sinn des HGB. ist eine Tätigkeit bestimmter Art. 1. Nötig ist eine Dauerabsicht. Die Tätigkeit muß auf eine gewisse Dauer angelegt sein. Gegensatz ist die gelegentliche, ver­ einzelte Tätigkeit (z. B. wiederholtes Spekulieren). Entscheidend ist die Verkehrsanschauung. Regelmäßig handelt es sich um eine unbestimmte Zeit. Es genügt aber sogar eine verhältnis­ mäßig kurze Zeit (z. B. Gastwirtschaftsbetrieb während einer Ausstellung, nicht z. B. Kanttnenbetrieb für einen Volksfesttag).

2. Nötig ist eine Erwerbsabsicht. Die Tätigkeit muß auf Erwerb gerichtet sein (Gewerbe!). Es muß der Wille, Gewinn zu erzielen, vorhanden sein. Gleichgültig ist, ob wirklich Gewinn gemacht wird, und wem er zufließen soll. Ein Gewerbe ist auch vorhanden, wenn bei einem gemeinnützigen Unternehmen daneben Gewinn erzielt werden soll. Beispiel: städtische Sparkassen.

3. Die Tätigkeit muß nach außen erkennbar hervor­ treten (abweichend Staub § 1, Anm. 29). Grund: Die soziale Auf­ fassung verlangt für einen Geschäftsmann ein Auftreten nach außen. Ein Beamter, der heimlich an der Börse spekuliert, betreibt kein Gewerbe.

4. Die Täügkeit darf nicht dem Bereich der Kunst oder Wissenschaft angehören. Maler, Bildhauer, Ärzte betreiben kein Gewerbe im Sinn des HGB. (anders kann es sein nach Maß­ gabe anderer Gesetze, z. B. der Gewerbeordnung oder von Steuer­ gesetzen). Dies ist herrschende Lehre und Praxis (abweichend Co sack). Die Begründung ist freilich vielfach unrichtig. Man darf nicht sagen, daß eine „höhere" Berufstätigkeit nicht unter den Begriff des Gewerbes falle; denn auch der Kaufmann und der Fabrikant haben einen höheren Beruf. Man darf auch nicht sagen, daß die Tätigkeit des Künstlers und Gelehrten nicht allein des Erwerbes wegen vorgenommen werde; denn auch der Kaufmann will nicht bloß „verdienen". Entscheidend ist viel-

Der Mußkaufmaun.

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urehr, daß im Anschluß an die geschichtliche Entwicklung die allgemeine Berkehrsanschauung diese Berufe wegen ihres ausgeprägt individuellen Charakters nicht als Gewerbe im Bereich des Handels ansieht. — Tritt der künstlerische oder wissenschaftliche Zweck entscheidend zurück, so ist ein Gewerbe vorhanden, so z. B. bei einem Sanatorium, beim Apotheker oder Zeitungsunternehmer.

5. Die Tätigkeit muß privatrechtlich rechtsgültig Es handelt sich ja um ein Gewerbe im Rechtssinn.

sein.

Kein Gewerbe liegt daher z. B. vor bei gewerbsmäßigem Schmuggel, bei eigener Tätigkeit eines Geschäftsunfähigen; ferner dann, wenn das Fehlen einer vorgeschriebenen Handelserlaubnis Nichtigkeit der einzelnen Geschäfte nach sich zieht (vgl. hierzu unten § 8 unter 5).

II. Zweites Erfordernis ist ein Handelsgewerbe. Wann ein richtiges Handelsgewerbe gegeben ist, bestimmt § 1II HGB. Maßgebend ist der Gegenstand des Gewerbebetriebs: Ein Gewerbe, das eine von den in § 1II aufgeführten Arten von Rechtsgeschäften zum Gegenstand hat, ist ein richtiges Handels­ gewerbe. Man nennt die Geschäfte, die wegen ihrer Art einen Muß­ kaufmann erzeugen, Grundhandelsgeschäfte. Das Gesetz bietet uns einen Katalog von neun Nummern. Seinen Ausgangspunkt nimmt es vom Handel im wirtschaftlichen Sinn, es zieht dann die wichtigsten Hilfsgewerbe des Handels und solche Gewerbe, bei denen sich typisch eine „kaufmännische" Betriebs­ weise entwickelt hat, mit herein (vgl. oben §11, Id). Manche Schriftsteller sprechen bei § 1 HGB. von einem „Handels­ gewerbe wegen des Gegenstandes des Unternehmens".

1. Das Umsatzgeschäft. Ziffer 1. Nötig ist für diesen Begriff:

a) Anschaffung und Weiterveräußerung. oc) Anschaffung ist an sich jedes entgeltliche Rechtsgeschäft unter Lebenden, das auf abgeleiteten Eigentumserwerb gerichtet ist (vgl. RG. 3118). Der Ausdruck ist ungenau; denn es ist nicht nötig ein dingliches Rechts­ geschäft, das das Eigentum verschafft, sondern es genügt der Schuldvertrag, der das Recht auf den Eigentumserwerb verleiht.

Hauptfall ist der Kauf; außerdem kommen in Betracht Tausch, Werklieferungsvertrag (§651 BGB.), uneigentliche Ver­ wahrung (§ 700 BGB.). Keine Anschaffung ist vor allem der originäre Erwerb (es liegt weder Rechtsgeschäft noch abgeleiteter Erwerb vor), also die Aneignung (Jagd, Fischerei) und die Selbsterzeugung (Ur­ produktion): Gewinnung von Früchten, Bodenbestandteilen aus Grundstücken, Molkerei aus eigenem Viehbestand.

28

Der Mußkaufmann

Keine Anschaffung liegt vor bei Erwerb zu Miet-, Pfand-, Ver­ wahrungsbesitz, Wechselinkasso (es fehlt am Eigentumserwerb); doch scheiden diese Geschäfte praktisch aus, weil sie mit einer Weiterveräußerung nicht vereinbar sind. — Keine Anschaffung ist ein Erwerb von Todes wegen oder eine Schenkung.

ß) Weiterveräußerung (das Gegenstück zur Anschaffung) ist an sich jedes entgeltliche Rechtsgeschäft unter Lebenden, das auf Übertragung von Eigentum gerichtet ist. Auch hier ist der Ausdruck „Weiterveräußerung" ungenau und un­ technisch, es genügt der Schuldvertrag.

Hauptfall ist der Verkauf; daneben kommen, wie bei der Anschaffung, in Betracht: Tausch, Werklieferungsvertrag, uneigent­ liche Verwahrung. Keine Weiterveräußerung liegt daher vor bei Hingabe zum Pfand, zur Miete, zur Verwahrung. Infolgedessen nimmt z. B. keine Weiterveräußerung vor ein Leihbibliothekar. Keine Weiterveräußerung ist die einseitige Aufgabe des Eigentums (Dereliktion), die unentgeltliche Zuwendung.

y) Anschaffung und Weiterveräußerung müssen miteinander verbunden sein, in einem inneren Zusammenhang stehen. Gleichgültig ist die Reihenfolge. Man muß anschaffen, um weiter­ zuveräußern, oder weiterveräußern, um anzuschaffen. Mußkaufmann ist daher nicht der Leihbibliothekar, obschon er an­ schafft, der Produzent, obschon er seine Erzeugnisse veräußert. Mußkauf­ mann ist ferner nicht derjenige, welcher für sich eine Kunstsammlung an­ legt, sie aber später auflöst und veräußert.

8) Anschaffung und Weiterveräußerung (der „Umsatz") müssen den Kern des Gewerbebetriebes bilden. Daher gehören nicht hierher bloße „Zutaten", Zugaben, Ergänzungen in einem Gewerbebetrieb, der nicht auf den Umsatz abgestellt ist, auch wenn sie sich als Anschaffungen und Weiterveräußerungen darstellen. Beispiele: Der Schneider, der selbstangeschafftes Futter, Knöpfe, Zwirn usw. in die ihm zur Verarbeitung oder Ausbesserung übergebenen Stoffe hineinarbeitet, betreibt nicht den Umsatz (Inhalt seines Gewerbe­ betriebes ist Arbeitsleistung für andere). — Ebensowenig fällt unter die Ziffer 1 der Zimmervermieter, der außerdem das Frühstück besorgt (Gegen­ satz die Gastwirtschaft, das Hotel).

b) Gegenstände des Umsatzgeschäftes können nur sein be­ wegliche Sachen oder Wertpapiere. a) Bewegliche Sachen. Es kommen nur bewegliche Sachen in Betracht, die als solche umsatzfähig sind. Das Gesetz nennt sie „Waren" (M. Wolff in Ehrenbergs Handbuch IV, 1, S. Iff.). Nicht umsatzfähig sind z. B. Schuldscheine oder Warenmuster.

Der Mnßkaufmann.

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Da „Waren" nur bewegliche Sachen sind, so scheiden aus Grundstücke und Grundstücksbestandteile. Der Grundstücksspeku­ lant ist infolgedessen nicht Mußkaufmann. Im übrigen ist in bezug auf die Beweglichkeit zu beachten: 1. Im Hinblick auf die Anschaffung genügt es, daß die Sachen erst irrt Augenblick des Eigentumserwerbes beweglich werden, z. B. Kauf von Holz auf dem Stamm (herrschende Lehre). 2. Im Hinblick auf die Weiterveräußerung gilt dagegen zunächst, daß die Fälle ausscheiden, wo die Sachen mit Vollendung der Veräußerung unbeweglich werden. Infolgedessen ist der Bauunternehmer nicht Mußkaufmann. Andererseits sind un­ zweifelhaft alle Baulieferanten, welche die Gegenstände (z. B. Fenster, Türen, Dachziegel, Gasröhren usw.) an den Bau liefern, Mußkaufleute. Ihnen müssen aber auch die Baulieferanten gleich­ gestellt werden, die nicht bloß an den Bau liefern, sondern auch außerdem in den Bau einfügen. Denn es kann das Gesetz ver­ ständigerweise nicht gewollt haben, daß bei dieser Gruppe die verwickelte und örtlich verschiedene Unterscheidung zwischen „Be­ standteil" (vgl. § 94 GBG.) des Grundstücks und „Zubehör" (vgl. § 97 BGB.) den Ausschlag über die Kaufmannseigenschaft geben soll (vgl. Ehrenberg, S. 30; zustimmend Wieland, S. 71). Ganz abweichend die herrschende Lehre. Sie unterscheidet bei den Baulieferanten solche, die nur an den Bau liefern, und rechnet sie zu den Kaufleuten. Bei Baulieferanten, die auch in den Bau einstigen, unter­ scheidet sie, ob der eingefügte Gegenstand Bestandteil oder Zubehör wird. Letzterenfalls sollen sie Kaufleute sein, ersterenfalls nicht!

/?) Gleichgültig ist, ob die Waren unverändert oder „nach einer Bearbeitung oder Verarbeitung" weiterveräußert werden. Be- und Verarbeitung weisen auf jede Veränderung einer Sache; die Verarbeitung auf das Herausarbeiten einer neuen Sache (Rock aus Tuch, Handschuh aus Leder, Brot aus Mehl), die Bearbeitung auf jede Änderung der früheren Sache, die im ganzen die alte bleibt (z. B. Färben, Malen, Waschen).

Infolgedessen ist dem reinen Umsatz die Umsatzindustrie (Groß- und Kleinindustrie) gleichgestellt: Dem Warenkaufmann tritt der Warenfabrikant und Warenhandwerker zur Seite. Gemäß § 1 Ziffer 1 sind also Mußkaufleute alle Fabrikanten, die Rohstoffe anschaffen und be- oder verarbeitet weiter veräußern. Und entsprechend zahlreiche Handwerker wie Bäcker, Fleischer, Brauer, Schlosser, Gerber, Schmiede, Schneider, Schuhmacher (nicht der Flickschneider oder Flickschuster, vgl. oben a ö). Weiter gehören hierher z. B. Apotheker und Gastwirte.

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Der Mußkaufmann.

y) Wertpapiere. Es sind Urkunden, die ein Recht derart verbriefen, daß das Papier zur Ausübung des Rechts erforderlich ist. Aber nur umsatz­ fähige sog. Handelspapiere stehen in Frage. Die Umsatzfähigkeit ist gegeben, wenn Einwendungen aus der Person des Vormanns nicht zu „befürchten" sind. Umsatzfähig sind daher Jnhaberpapiere und Orderpapiere, aber auch gegebenenfalls Namenpapiere, insbesondere die Namenpapiere öffentlicher Anleihen (vgl. NG. 106159ff,). — Nicht umfatzfähig sind Hypothekenbriefe.

2. Die Lohnfabrikation: Die fabrikmäßige Be- oder Verarbeitung von Waren für andere. Ziffer 2. Die Tätigkeit besteht hier nur in Arbeitsleistung, nicht im Umsatz. Erforderlich ist a) Die Übernahme von Warenveränderungen. Übernahme ist ein entgeltliches Rechtsgeschäft (regelmäßig Werkvertrag, möglich auch Dienstvertrag). Tie Arbeitsleistung besteht in Be- oder Verarbeitung von Waren (über Waren siehe oben ba, über Be- und Verarbeitung siehe oben b ß). — Infolge­ dessen ist ausgeschlossen die Bearbeitung unbeweglicher Sachen wie Hausanstrich, Dachreparatur, Kanalbau. b) Die Arbeitsleistung muß „für andere" erfolgen, nicht für den Unternehmer selbst. Die Stosfbeschaffung muß daher durch den Besteller oder auf seine Rechnung geschehen. Der Unternehmer darf den Stoff nicht selbst liefern (für eigene Rechnung anschaffen), hier läge Ziffer 1 vor. c) Der Betrieb darf kein „handwerksmäßiger" sein. Das Gesetz ist ungenau, indem es sagt, daß der Betrieb „über den Umfang des Handwerks hinausgehen muß". Kennzeichen für das Hand­ werk ist nämlich die Art des Betriebes (siehe unten § 111, la).

Beispiele für Ziffer 2: Färbereien, Wäschereien, Plät­ tereien, Reparaturwerkstätten, Hundedressuren — immer ist fabrik­ mäßiger Betrieb vorausgesetzt. Ausgeschlossen ist der LohnhandWerker, z. B. Flickschneider, Flickschuster, der gewöhnliche Buchbinder. 3. Die Übernahme von Versicherungen gegen Prämie Ziffer 3. Es handelt sich um das gewerbsmäßige Versicherungs­ geschäft; Gegensatz ist die Versicherung auf Gegenseitigkeit. Das Nähere gehört in das Versicherungsrecht. 4. Die Bankiergeschäfte. Ziffer 4. Maßgebend ist die Verkehrsanschauung. Es gehört hierher jedes Geschäft, das einzeln betrieben zum „Bankier" machen würde. Vornehmlich kommen in Betracht: Anschaffung und Veräußerung

Der Mußkaufmann.

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von Wertpapieren, Geldwechsel (vom Gesetz besonders genannt), Kreditgeschäfte (ausgenommen die gewöhnlichen Geldverleiher, insbesondere Pfandleiher), Zahlnngsgeschäste, Bankverwahrungsgeschäfte. 5. Gewisse Befördcrungsgeschäftc. Ziffer 5. a) Schlechtweg die Güter- und Personenbeförderung zur See. b) Ferner die Güterbeförderung zu Lande und auf Binnengemässem („Frachtführer", siehe § 425 HGB.). c) Die Personenbeförderung zu Lande oder auf Binnen­ gewässern aber nur, wenn sie von einer „Anstalt" betrieben wird. Anstalt bedeutet „int Großbetrieb" (herrschende Meinung). Abtveichend Ehrenberg, S. 39, der außerdem „fahrplanmäßigen" Betrieb verlangt (ebenso Lehmann-Hoeniger