Handbuch zur Geschichte der CDU: Grundlagen, Entwicklungen, Positionen [2 ed.] 9783534450466, 9783534450473, 3534450469

Keine andere Partei hat die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland so grundlegend beeinflusst wie die CDU. Die Bundes

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Handbuch zur Geschichte der CDU: Grundlagen, Entwicklungen, Positionen [2 ed.]
 9783534450466, 9783534450473, 3534450469

Table of contents :
Cover
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Grußwort
Einführung
Zur Einführung: Grundlagen, Entwicklungen, Positionen
I. Grundlagen der Christlich Demokratischen Union Deutschlands
Christlich inspirierte Sammlungsbewegung – Die politischen Ursprünge und geistigen Grundlagen der CDU
Christentum und liberale Demokratie: Das „C“ in der Politik
Heterogene Gründungsimpulse
Liberal und doch sozial: Die Soziale Marktwirtschaft
Evangelische Sozialethik
Katholische Soziallehre
Konservative Disposition
Forschungs- und Quellenlage
Das Erbe von Zentrum und Widerstand
Christliche Demokraten gegen Hitler
Das Zentrum im Übergang zur NS-Diktatur
Konservative Kräfte zwischen Eindämmungsillusionen und Röhmputsch
Die Kirchen: Verkirchlichung und Bekenntnis
Emigration
Der Widerstand im Krieg
Die Gründungsphase der Union 1945 – 1949: Vom Widerstand zur „Sozialen Marktwirtschaft“
Zwischen Aburteilung, Assimilation und Israelfreundschaft: Der Umgang der Union mit der NS-Vergangenheit
Zusammenfassung
Forschungs- und Quellenlage
Parteigründung in Ost und West
Rahmenbedingungen: Zusammenbruchsgesellschaft ,Besatzungsherrschaft, eskalierender „Kalter Krieg“
Einflussfaktoren
Besatzungsmächte
Regionale und lokale Strukturen und Traditionen
Erfahrungen
Personelle Konstellationen
Heterogene Gründung – ausgeprägte Integrationsfähigkeit
Forschungs- und Quellenlage
Stationen der programmatischen Entwicklung der CDU
Ausblick
Forschungs- und Quellenlage
„…nicht der verlängerte Arm der Kirche“– Zum Verhältnis der CDU zu Kirchen und Religionsgemeinschaften
Interkonfessioneller Brückenschlag
Evangelische Vorbehalte
Schleichende Entfremdung durch Au˜ösung des katholischen Milieus
Verlust früherer Selbstverständlichkeiten
Öffnung für Nichtchristen
Vielfältige Kontakte und Diskussionsforen
Notwendige Diskussionen über kirchliche Positionen
Ende einer exklusiven Beziehung
Besondere Verp˜ichtung gegenüber dem Judentum
Doppelte Herausforderung im Blick auf Muslime
Religion ist keine Privatsache
II. Entwicklungsphasen der Christlich Demokratischen Union
Die Regierungspartei der Bundesrepublik Deutschland unter den Vorsitzenden Konrad Adenauer und Ludwig Erhard
Forschungs- und Quellenlage
Die CDU in der (ersten) Großen Koalition und Opposition: Reformerische Aufbrüche unter Kiesinger und Barzel
Ein zögerlicher Reformer in Übergangszeiten: Kiesinger als Vorsitzender
Energische Führung aus der Unionsfraktion: Barzel als Vorsitzender
Der Beginn der Parteireform: Kiesinger, Barzel, Heck, Kraske, Göb
Herausforderungen des Wandels: Das Berliner Programm 1968
Die CDU in der Ära Kohl
1973 – 1982
1982 – 1989
1989 – 1998
Literaturübersicht
Opposition und Regierungsverantwortung unter Schäuble und Merkel
Eine zweite Oppositionszeit
Mehr als Spenden, mehr als eine Affäre
„Die Winterkönigin“: Merkel und die Leipziger Reformagenda
Krisen und große Koalitionen, Moderation und Anpassung: Die Kanzlerschaft Merkels
Die CDU der SBZ/DDR
Forschungs- und Quellenlage
Die Demokratische Bauernpartei Deutschlands
Forschungs- und Quellenlage
III. Entwicklung der Parteistrukturen
Landesverband Baden-Württemberg
Gründungsphase
Südweststaat
Aus vier wird eins
„Musterländle“ und „Baden-Württemberg-Partei“
Grundsatzprogramme
Opposition und Juniorpartner
Forschungs- und Quellenlage
Landesverband Berlin
Forschungs- und Quellenlage
Landesverband Brandenburg
Forschungs- und Quellenlage
Landesverband Bremen
Gründungsphase
Innerparteilicher Aufbau und Große Koalition im Land
Die CDU als Oppositionspartei
Die Jugend erhebt sich
Die Ära Neumann
Der Bremer Aufbruch
Forschungs- und Quellenlage
Landesverband Hamburg
Gründungsphase und Aufbau in der Opposition
Zeit der Wahlbündnisse und die erste Bürgerschaftswahl
Oppositionszeit in der Hansestadt
Ole von Beust und Christoph Ahlhaus in der Regierungsverantwortung
Forschungs- und Quellenlage
Landesverband Hessen
Gründungsphase und programmatische Orientierung
Innerparteilicher Aufbau und Aufbruchstimmung
Übernahme der Regierungsverantwortung
Forschungs- und Quellenlage
Landesverband Mecklenburg-Vorpommern
Forschungs- und Quellenlage
CDU in Niedersachsen
Die Gründung des Landes Niedersachsen
Die Gründung der CDU in Brauschweig, Hannover und Oldenburg
Die Konsolidierung der CDU in Niedersachsen
Gründung der „CDU in Niedersachsen“
Die Ära Albrecht-Hasselmann
Wieder in der Opposition
Die Ära Wulff-McAllister
Als Juniorpartner in der Großen Koalition
Forschungs- und Quellenlage
Landesverband Nordrhein-Westfalen
Forschungs- und Quellenlage
Landesverband Rheinland-Pfalz
Forschungs- und Quellenlage
Landesverband Saar
Forschungs- und Quellenlage
Landesverband Sachsen
Forschungs- und Quellenlage
Landesverband Sachsen-Anhalt
Von der Gründung der CDU in Sachsen-Anhalt bis zur Au˜ösung des Landes 1952
Friedliche Revolution und Wiedergründung des Landesverbandes
Regierungsbildung und Krisen 1990 – 1994
In der Opposition 1994 – 2002
Mit Wolfgang Böhmer zurück in die Regierungsverantwortung 2002 – 2011
Von Böhmer zu Haseloff
Forschungs- und Quellenlage
Landesverband Schleswig-Holstein
Die Gründung der CDU in Schleswig-Holstein
Übernahme der Regierungsverantwortung und interne Auseinandersetzungen
Stabilisierung der CDU unter Friedrich-Wilhelm Lübke
Kai-Uwe von Hassel: Die CDU wird stärkste Partei
Helmut Lemke: Kabinettskrisen und gesellschaftlicher Wandel
Gerhard Stoltenberg: Absolute Mehrheit und Absturz
Ottfried Hennig: Konsolidierung der Partei
Peter Harry Carstensen: Zurück in der Regierungsverantwortung
Personalkarussell
Daniel Günther: CDU stellt wieder den Ministerpräsidenten
Forschungs- und Quellenlage
Landesverband Thüringen
Forschungs- und Quellenlage
Die Exil-CDU
Forschungs- und Quellenlage
Die Kreisverbände
Forschungslage- und Quellenlage
Die Vereinigungen und Sonderorganisationen
CDA – Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft
Grundsätzliches
Gründungsphase
Weitere Entwicklung
Forschungs- und Quellenlage
EAK – Evangelischer Arbeitskreis der CDU/CSU
Grundsätzliches
Gründungsphase
Weitere Entwicklung
Forschungs- und Quellenlage
FU – Frauen Union
Grundsätzliches
Gründungsphase
Weitere Entwicklung
Forschungs- und Quellenlage
JU – Junge Union Deutschlands und Schüler Union
JU – Junge Union Deutschlands
Grundsätzliches
Gründungsphase
Weitere Entwicklung
Forschungs- und Quellenlage
Schüler Union Deutschlands
Grundsätzliches
Gründungsphase
Weitere Entwicklung
Forschungs- und Quellenlage
KPV– Kommunalpolitische Vereinigung der CDU und CSU Deutschlands
Grundsätzliches
Gründungsphase
Weitere Entwicklung
Forschungs- und Quellenlage
LSU – Lesben und Schwule in der Union
Grundsätzliches
Gründung
Weitere Entwicklung
Forschung und Quellenlage
MIT – Mittelstands- und Wirtschaftsunion
Grundsätzliches
Gründungsphase
Weitere Entwicklung
Forschungs- und Quellenlage
OMV– Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung – Union der Vertriebenen und Flüchtlinge der CDU/CSU
Grundsätzliches
Gründungsphase
Weitere Entwicklung
Forschungs- und Quellenlage
RCDS – Ring Christlich-Demokratischer Studenten
Grundsätzliches
Gründungsphase
Weitere Entwicklung
Forschungs- und Quellenlage
SU – Senioren-Union
Grundsätzliches
Gründungsphase
Weitere Entwicklung
Forschungs- und Quellenlage
Organisatorische Veränderungen in der Bundespartei
Forschungs- und Quellenlage
Wähler und Mitglieder der CDU
Die Wähler der CDU
Die Mitglieder der CDU
IV. Innenpolitische Positionen und Weichenstellungen
Soziale Marktwirtschaft
Einführung
Der Weg zur gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft
Die Freiburger Schule: Euckens Prinzipien der Wettbewerbsordnung
Von der Freiburger Schule zur Sozialen Marktwirtschaft: Konzept, Menschenbild und Werte
Die Umsetzung der Sozialen Marktwirtschaft, ihre Weiterentwicklung und Rolle in der CDU
Ordnungspolitik ist gefordert
Forschungs- und Quellenlage
Bildungspolitik
Schulpolitik
Hochschulpolitik
Berufliche Bildung und Weiterbildung
Zusammenfassung
Forschungs- und Quellenlage
Kulturpolitik und Medien
Daten
Forschungs- und Quellenlage
Die Sozialpolitik der CDU
Sozialpolitik in der Ära Adenauer
Die 1960/70er Jahre: Sozialpolitik unter Erhard und Kiesinger und in der Opposition
Sozialpolitik in der Ära Kohl
In der Opposition
Sozialpolitik der Ära Merkel
Ausblick
Meilensteine in der Sozialpolitik
Forschungs- und Quellenlage
Familien- und Generationenpolitik
Familienpolitik
Generationenpolitik
Daten
Forschungs- und Quellenlage
Frauenpolitik
Forschungs- und Quellenlage
Energie- und Umweltpolitik
Das christliche Menschenbild
Sicherung der Energieversorgung nach 1945
Die Atompolitik der 1950er und 1960er Jahre
Die CDU und die Entstehung der Umweltbewegung in den 1970er Jahren
Die Ära Kohl (1982– 1998): Zimmermann, Töpfer und Merkel als Architekten der deutschen Umweltpolitik
Die Katastrophe von Tschernobyl 1986 und die deutsche Atompolitik
Das Töpfer-Papier 1988 und die „Ökologische und Soziale Marktwirtschaft“
Der Ausstieg aus der nuklearen Kreislaufwirtschaft 1988
„Kleiner Atomausstieg“ 1990 und Umweltsanierung in den neuen Ländern
Die „Umweltaußenpolitik“ der Regierung Kohl
Rot-Grüner Atomausstieg und CDU-geführte Koalitionen seit 2009
Klimaschutz in der Ära Merkel
Der Atomausstieg der schwarz-gelben Koalition 2011
Zunehmende Abhängigkeit von russischen Gasimporten
Die Umweltpolitik der Union: ein Fazit
Forschungs- und Quellenlage
Für Recht und Ordnung – Eine programmatische Betrachtung der Politik zur Inneren Sicherheit
Aufbau von Strukturen
Konfrontation mit der 68er Bewegung
Herausforderung Linksterrorismus
Neue Soziale Bewegungen und der Streit um die Durchsetzung des Rechts
Wiedervereinigung und offene Grenzen
Neue Terrorgefahren und Cyberkriminalität
Forschungs- und Quellenlage
Vertriebene, Flüchtlinge, Migranten, Asylpolitik
Vertriebene
Ausländer und Asylanten
Aussiedler
Forschungs- und Quellenlage
Wissenschaft, Forschung, Technologie
Forschungs- und Quellenlage
Bioethische Positionen in christlich-demokratischer Programmatik und Rechtspolitik
Die großen Debatten und Entscheidungen zum §218 und ihre Hintergründe. Die Vorgeschichte: Marginalisierung der personalen Würde
Orientierung am Christlichen Menschenbild
Lebensschutz: Debatten, Positionierungen und Gesetzesänderungen 1949 bis 1976
Wandlungen bis in die Gegenwart
Aktuelle Herausforderungen
Zur Bedeutung anthropologischer Grundlagen in den Programmen der CDU
Zur Forschungslage
V. Außen-, deutschland- und europapolitische Positionen und Weichenstellungen
Die Partei der Westbindung – Transatlantische Sicherheitspartnerschaft und deutsch-französische Freundschaft
Paradigmenwechsel der deutschen Außenpolitik
Transatlantische Sicherheitspartnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika
Aussöhnung mit Frankreich und Beginn der europäischen Integration
„Atlantiker-Gaullisten-Kontroverse“
Entwicklungspolitik und Demokratieförderung
Westpolitik in der Ära Kohl
Besondere Verantwortung für den Staat Israel
Fazit
Deutschlandpolitik und deutsche Einheit
Einheit nur in Freiheit – Konrad Adenauers deutschlandpolitische Weichenstellungen
Konrad Adenauers deutschlandpolitische Geheimpläne
Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger als Wegbereiter für die „Neue Ostpolitik“?
Bremser oder konstruktives Korrektiv? Die Opposition und die „Neue Ostpolitik“
Pragmatische Kooperation und normativer Dissens unter Helmut Kohl
Helmut Kohl als Kanzler der Einheit
Ereignisse
Forschungs- und Quellenlage
Europapolitik
Europa als historisches Fundament der deutschen Christlichen Demokraten
Deutsche Christdemokraten als zentrale Akteure in Schlüsselmomenten der Europäischen Einigung
Forschungs- und Quellenlage
Sicherheits- und Verteidigungspolitik
Einleitung
Integration in die freie Welt
Von der Regierungs- zur Oppositionspartei 1969 – 1982
Regierungsverantwortung 1982 – 1998
In der Opposition
Zwischen °nanziellen Engpässen, Auslandseinsätzen und der Rückbesinnung auf die Landesverteidigung
Aussetzung der Wehrp˜icht und Neuausrichtung der Bundeswehr
Trendwende in der Sicherheitspolitik und bei der Bundeswehr
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die sicherheitspolitischen Folgen
Forschungs- und Quellenlage
Anhang
Abbildungen
Bildquellen
Abkürzungsverzeichnis
Auswahlbibliographie
Editionen, Handbücher, Lexika
Monographien, Aufsätze, Sammelbände
Autorinnen und Autoren
Personenregister
Backcover

Citation preview

Handbuch zur Geschichte der CDU

Die 2. Ausgabe berücksichtigt schon die Beschlüsse des Parteitages der CDU in Hannover 2022.

Norbert Lammert (Hg.)

Handbuch zur Geschichte der CDU

Grundlagen, Entwicklungen, Positionen 2. überarbeitete und erweiterte Ausgabe

Norbert Lammert (Hg.)

Prof. Dr. Norbert Lammert, 1948 in Bochum geboren, gehörte von 1980 bis 2017 dem Deutschen Bundestag an, von 2005 bis 2017 als Bundestagspräsident, und ist seit 2018 Vorsitzender der Konrad-AdenauerStiftung e.V.

Keine andere Partei hat die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland so geprägt wie die Christlich Demokratische Union. Der vorliegende Band bietet einen Überblick über ihre Geschichte seit 1945 sowie einen Einblick in ihre programmatische Entwicklung, die Organisationsstrukturen, die Geschichte ihrer Landesverbände und ausgewählte Politikfelder sowie umfangreiche Literaturangaben, eine Auswahlbibliographie und Quellenhinweise.

ISBN 978-3-534-45046-6

€ 40,00 [D] € xx,xx [A]

9 783534 450466 Mitmachen lohnt sich: Viele Vorteile für Mitglieder ! wbg-wissenverbindet.de

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10.03.23 09:43

Norbert Lammert (Hg.) Handbuch zur Geschichte der CDU

Norbert Lammert (Hg.)

Handbuch zur Geschichte der CDU Grundlagen, Entwicklungen, Positionen

Redaktionsschluss: 31. Oktober 2022

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar

wbg Academic ist ein Imprint der wbg © 2023 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt 2. überarbeitete und erweiterte Ausgabe Satz: schreiberVIS, Seeheim Umschlaggestaltung: Harald Braun Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in the EU Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-45046-6 Elektronisch ist folgende Ausgabe erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-45047-3

Inhaltsverzeichnis Grußwort Friedrich Merz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

Zur Einführung: Grundlagen, Entwicklungen, Positionen Norbert Lammert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

I. Grundlagen der Christlich Demokratischen Union Deutschlands Christlich inspirierte Sammlungsbewegung – Die politischen Ursprünge und geistigen Grundlagen der CDU Matthias Oppermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

Das Erbe von Zentrum und Widerstand Wolfgang Tischner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

Parteigründung in Ost und West Christopher Beckmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

Stationen der programmatischen Entwicklung der CDU Michael Borchard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

„…nicht der verlängerte Arm der Kirche“ – Zum Verhältnis der CDU zu Kirchen und Religionsgemeinschaften Karlies Abmeier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

109

II. Entwicklungsphasen der Christlich Demokratischen Union Deutschlands Die Regierungspartei der Bundesrepublik Deutschland unter den Vorsitzenden Konrad Adenauer und Ludwig Erhard Hanns Jürgen Küsters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125

Die CDU in der (ersten) Großen Koalition und Opposition: Reformerische Aufbrüche unter Kiesinger und Barzel Philipp Gassert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

147

Die CDU in der Ära Kohl Günter Buchstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

165 5

Inhaltsverzeichnis

Opposition und Regierungsverantwortung unter Schäuble und Merkel Andreas Rödder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

197

Die CDU der SBZ/DDR Oliver Salten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

211

Die Demokratische Bauernpartei Deutschlands Theresia Bauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

223

III. Entwicklung der Parteistrukturen

6

Landesverband Baden-Württemberg Peter Crämer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

231

Landesverband Berlin Stefan Marx . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

239

Landesverband Brandenburg Stefan Marx . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

247

Landesverband Bremen Thilo E. Pries . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

255

Landesverband Hamburg Thilo E. Pries . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

265

Landesverband Hessen Peter Crämer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

275

Landesverband Mecklenburg-Vorpommern Stefan Marx . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

281

CDU in Niedersachsen Andreas Grau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

289

Landesverband Nordrhein-Westfalen Yvonne Ziwitza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

297

Landesverband Rheinland-Pfalz Frank Hammes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

307

Landesverband Saar Frank Hammes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

313

Landesverband Sachsen Oliver Salten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

319

Landesverband Sachsen-Anhalt Andreas Grau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

327

Inhaltsverzeichnis

Landesverband Schleswig-Holstein Andreas Grau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

333

Landesverband Thüringen Oliver Salten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

341

Die Exil-CDU Oliver Salten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

349

Die Kreisverbände Oliver Salten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

353

Die Vereinigungen und Sonderorganisationen Horst Granderath/Carsten Pickert/Daniel Westermann . . . . . . . . . . . . . . . .

359

CDA – Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft . . . . . . . . . . . .

361

EAK – Evangelischer Arbeitskreis der CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . .

365

FU – Frauen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

369

JU – Junge Union Deutschlands und Schüler Union . . . . . . . . . . . . . .

373

KPV – Kommunalpolitische Vereinigung der CDU und CSU Deutschlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

387

LSU – Lesben und Schwule in der Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

393

MIT – Mittelstands- und Wirtschaftsunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

397

OMV – Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung – Union der Vertriebenen und Flüchtlinge der CDU/CSU . . . . . . . . . .

401

RCDS – Ring Christlich-Demokratischer Studenten . . . . . . . . . . . . . .

405

SU – Senioren-Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

409

Organisatorische Veränderungen in der Bundespartei Stefan Marx . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

413

Wähler und Mitglieder der CDU Viola Neu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

421

IV. Innenpolitische Positionen und Weichenstellungen Soziale Marktwirtschaft David Gregosz/Martin Schebesta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

447

Bildungspolitik Markus Lingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

457

Kulturpolitik und Medien Martin Falbisoner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

469 7

Inhaltsverzeichnis

Die Sozialpolitik der CDU Kathrin Zehender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

477

Familien- und Generationenpolitik Jan Philipp Wölbern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

495

Frauenpolitik Ina vom Hofe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

501

Energie- und Umweltpolitik Wolfgang Tischner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

507

Für Recht und Ordnung – Eine programmatische Betrachtung der Politik zur Inneren Sicherheit David Maaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

525

Vertriebene, Flüchtlinge, Migranten, Asylpolitik Andreas Grau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

539

Wissenschaft, Forschung, Technologie Christine Bach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

551

Bioethische Positionen in christlich-demokratischer Programmatik und Rechtspolitik Rita Anna Tüpper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

559

V. Außen-, deutschland- und europapolitische Positionen und Weichenstellungen Die Partei der Westbindung Philip Rosin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

589

Deutschlandpolitik und deutsche Einheit Judith Michel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

607

Europapolitik Olaf Wientzek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

625

Sicherheits- und Verteidigungspolitik Michael Hansmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

633

Anhang

8

Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

657

Bildquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

677

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

678

Inhaltsverzeichnis

Auswahlbibliographie Julia Gusenfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

682

Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

725

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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9

Grußwort „Mögest Du in interessanten Zeiten leben“, so lautet eine chinesische Verwünschung. Wir neigen heute angesichts der gewaltigen nationalen und internationalen Umbrüche gelegentlich – und nicht erst seit der Corona-Pandemie und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine – zum Pessimismus. Natürlich wäre es sträflich, die Herausforderungen, vor denen wir stehen, kleinzureden, aber es wäre ebenso sträflich, nicht die Chancen zu sehen, die sich daraus ergeben. Als mutige Frauen und Männer – viele von ihnen hatten zuvor im Widerstand gegen die Diktatur gekämpft – sich 1945 in Köln und in Berlin und an verschiedenen Orten in ganz Deutschland zusammenfanden, um die Christlich Demokratische Union zu gründen, konnten sie sich Verzagtheit und die Furcht vor „interessanten Zeiten“ kaum leisten. Das Land lag in Trümmern. Nach dem Scheitern der Weimarer Republik, nach der nationalsozialistischen Barbarei, inmitten von Hunger und Not überwanden sie konfessionelle Unterschiede und gesellschaftliche Gräben und begaben sich auf einen gemeinsamen politischen Weg, um die Zukunft zu gestalten und Verantwortung für den Neuanfang zu übernehmen. Aus diesem Aufbruch entstand etwas, das es in der deutschen Politik zuvor noch nie gegeben hatte: Eine Volkspartei, getragen von der Idee, für alle Menschen in der Mitte der Gesellschaft offenzustehen und eine Union zwischen Stadt und Land, Arbeitnehmern und Arbeitgebern, zwischen katholischen und evangelischen Christen zu bilden, die ihren Kompass nach dem christlichen Menschenbild ausrichtet. Eine Volkspartei, die auf diesem Weg die christlich-sozialen, die liberalen und die wertkonservativen Traditionen ohne Rückgriff auf ein Vorbild in der bisherigen Parteienlandschaft zu einer neuen politischen Kraft zusammenführt. Aus diesem mutigen Schritt sind zwei Erfolgsgeschichten geworden, die auf das engste miteinander verwoben sind: Die Geschichte der Christlichen Demokratie in Deutschland und die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Das Grundgesetz, der Wiederaufbau nach dem Krieg, die Rückkehr in die Wertegemeinschaft der westlichen Völker, die Soziale Marktwirtschaft und das sogenannte Wirtschaftswunder, die Aussöhnung mit Israel, die enge Freundschaft mit Frankreich und die transatlantische Partnerschaft, die deutsche Einheit und die europäische Integration sind auch Werke christlich-demokratischer Überzeugungen und Schaffenskraft. Konrad Adenauer, der großen Anteil an dieser Erfolgsgeschichte hat, hat 1958 gesagt: „Eine gewisse Kenntnis der Geschichte ist ja doch die Grundlage jedes politischen Denkens.“ Und diese Kenntnis lehrt uns, dass Vergangenheit zwar verpflichtet, es aber in der Geschichte keine Stammplätze gibt. Nicht in der Vergangenheit zu leben, aber aus der Vergangenheit und auf der Grundlage unserer Werte die Zukunft zu gestalten – das war immer unser Anspruch, und das muss heute erst recht unser Anspruch sein. Wir werden auch in Zukunft die gestaltende Kraft in Deutschland sein, wenn wir nach Rückschlägen immer wieder Vertrauen in uns selbst und in unsere Stärken gewinnen. Zu diesen Stärken gehört es seit der Gründung unserer Partei, gegensätzliche Positionen miteinander zu versöhnen, uns niemals nur an einer Zielgruppe zu orientieren, 11

Grußwort

sondern den Menschen in den Mittelpunkt unseres Handelns zu stellen. Ebenso bleibt es wichtig, dass wir auf die wesentlichen Fragen unserer Zeit – den Klimawandel, den digitalen und technologischen, den demografischen und gesellschaftlichen Wandel – Antworten geben, die unsere historischen Erfahrungen und unsere Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität mit der Fähigkeit verbinden, Veränderungen zu erkennen und uns auf die neuen Herausforderungen, die vor uns liegen, einzustellen. Und schließlich haben die Männer und Frauen, die den Berliner Gründungsaufruf unterzeichnet haben, an eine ganz wichtige Stärke unserer politischen Überzeugung appelliert: „Wir rufen Euch auf, alles Trennende zurücktreten zu lassen.“ In den kommenden Jahren wird es erneut ganz entscheidend auf den inneren Zusammenhalt unserer Partei ankommen. Wo andere spalten, müssen wir zusammenhalten und zusammenführen. Das alles ist die Voraussetzung dafür, dass wir an eine besondere Stärke unserer Partei anknüpfen: an die Stärke, programmatisch auf der Höhe der Zeit zu sein und zugleich an unseren Grundüberzeugungen und an unseren Grundwerten festzuhalten. Ich bin daher dankbar, dass dieses Handbuch besonders viel Augenmerk auf die programmatische Entwicklung legt. So, wie es der CDU mit ihrem ersten Grundsatzprogramm 1978 gelungen ist, in der Zeit der ersten Opposition wieder Anschluss zu finden an das, was die Menschen bewegt, so müssen wir auch jetzt wieder zum Seismographen der Gesellschaft werden. Wo andere auf Gebote und Verbote setzen, setzen wir auf die Kraft der Eigenverantwortung und der Solidarität in der Gesellschaft. Die Soziale Marktwirtschaft, die den Schwachen hilft, wieder stark zu werden, und die den Starken ermöglicht, stark zu bleiben, garantiert wie keine andere Gesellschaftsordnung Wohlstand und Sicherheit. Die Soziale Marktwirtschaft kann auch die richtigen Antworten geben in der Transformation hin zur Klimaneutralität. Und nur ein starker Staat, der die innere und äußere Sicherheit gewährleistet, schafft die notwendigen Voraussetzungen für ein Leben der Menschen in Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Wer sich auf den Weg macht, tut gut daran, gelegentlich auch in den Rückspiegel zu schauen. Damit wir gerade in „interessanten“ Zeiten Verantwortung übernehmen können, ist der Rückblick, den dieses Handbuch bietet, überaus wertvoll. Und deshalb bin ich der Konrad-Adenauer-Stiftung und ihrem Vorsitzenden Professor Dr. Norbert Lammert als Herausgeber und den Autorinnen und Autoren der einzelnen Beiträge sehr dankbar für diesen lesenswerten Band. Dem Handbuch wünsche ich, was es verdient: viele Leserinnen und Leser – in der CDU und weit darüber hinaus! Februar 2022 Friedrich Merz

Schneller als erwartet ist eine Neuauflage des „Handbuchs zur Geschichte der CDU“ nötig geworden. Dazu beigetragen hat das Interesse an dem Band auf dem Parteitag der CDU im September 2022 in Hannover, dessen Beschlüsse in der jetzt vorliegenden zweiten Auflage Berücksichtigung gefunden haben. Ich freue mich über das Interesse an der Geschichte der Christlichen Demokratie und wünsche diesem Band eine so gute Aufnahme wie der ersten Auflage. Januar 2023 Friedrich Merz 12

Einführung

Zur Einführung: Grundlagen, Entwicklungen, Positionen Norbert Lammert „Sie sind die Bollwerke der deutschen Demokratie.“1 So schlicht und deutlich beschreibt der US-amerikanische Politikwissenschaftler Daniel Ziblatt den Stellenwert der Parteien im politischen System der Bundesrepublik Deutschland und sieht darin ausdrücklich ein Unterscheidungsmerkmal zu anderen demokratischen Systemen. Tatsächlich lässt sich die Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik nicht ohne ihre demokratischen Parteien schreiben. Und auch die Zukunft unserer Demokratie ist ohne den gestaltenden Beitrag der politischen Parteien weder wirklich vorstellbar noch ernsthaft wünschbar, wie ein Blick auf ihre Stellung im Grundgesetz und in der Verfassungswirklichkeit deutlich macht. Dies gilt nicht nur, aber vor allem für die Volksparteien und ganz besonders für die Christlich Demokratische Union Deutschlands. Die CDU hat nicht nur die politische Entwicklung unseres Landes maßgeblich geprägt – vom Grundgesetz über die Westbindung und die Soziale Marktwirtschaft bis zur Deutschen Einheit als Teil und Ergebnis der europäischen Integration –, sondern sie hat auch maßgeblich zur politischen Stabilität in Deutschland beigetragen. Und wenn in einer parlamentarischen Demokratie Regierungsjahre die Währung sind, in der sich der Erfolg einer Partei messen lässt, dann kommt man nicht umhin, der CDU zumindest einen weit überdurchschnittlichen Anteil zu bescheinigen. Ein Grund zur Selbstzufriedenheit ist das jedoch keineswegs, wie nicht erst die für die Union verloren gegangene Bundestagswahl 2021 gezeigt hat. Die Union hat seit der Bundestagswahl 2013 rund 17 Prozentpunkte verloren. Im Vergleich zu 2017 verlor die CDU bei den Wahlen 2021 87 Direktmandate; in fünf Bundesländern konnte sie keinen einzigen Wahlkreis gewinnen; in Ostdeutschland kam sie nur noch auf 17,1 Prozent. Auch die vermeintlich letzte Volkspartei gerät im gegenwärtigen gesellschaftlichen Klima unübersehbar in Turbulenzen. Erstmals seit 1949 haben die beiden größten Parteien bei einer Bundestagswahl zusammen weniger als die Hälfte der abgegebenen Stimmen erhalten. Dabei handelt es sich um eine beinahe paradoxe Situation: Im Jahr 2019 feierte die Bundesrepublik „70 Jahre Grundgesetz“; erfreulicherweise ist die Reputation unserer Verfassung unangefochten. Laut einer Umfrage bewerten fast 90 Prozent der Befragten das Grundgesetz als „eher gut“ oder „sehr gut“. Andererseits war die Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen, den maßgeblichen Institutionen wie den handelnden Personen wohl selten so groß wie in den letzten Jahren. Der gleichen Studie ist nämlich zu entnehmen, dass mehr als ein Drittel mit der erlebten Demokratie in Deutschland unzufrieden ist, und 50 Prozent der Befragten trauen den etablierten Parteien nicht zu, die 1 „Wir leben in einer neuen Ära.“ Der US-Politikwissenschaftler Daniel Ziblatt über Bedrohungen für die deutsche Demokratie, soziale Medien und die Zukunft der SPD, in: Der Tagesspiegel, 8.12. 2019.

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Norbert Lammert

Herausforderungen der Zukunft lösen zu können.2 Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach, wonach das Vertrauen in die politische Stabilität im Vergleich zu vor fünf Jahren von 81 Prozent auf 57 Prozent abgerutscht ist. „Zwei Drittel der Bevölkerung sind über die Entwicklung von Politik und Parteien besorgt. Sie haben den Eindruck von Führungslosigkeit und Planlosigkeit. […] Allmählich unterminiert die Unzufriedenheit mit der Regierung auch das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates insgesamt“, diagnostizierte Renate Köcher vom Institut für Demoskopie Allensbach.3 Diese Entwicklung hatte sich im Kontext der Corona-Pandemie kurzzeitig verändert, als die Umfragewerte für die Volksparteien – insbesondere für die CDU – und auch das Vertrauen in die Parteien im Allgemeinen wieder stiegen; doch diese krisenbedingten Reaktionen in der Anfangsphase der Pandemie, von denen in erster Linie die Exekutive zeitweilig profitierte, haben sich längst wieder relativiert.4 Umfragen von Ende 2021 und Anfang 2022 zeigten, dass das Vertrauen der Bürger in Parteien im weiteren Verlauf der Pandemie signifikant gesunken ist. Im Dezember 2021 konnten 62 Prozent der Befragten keine Partei nennen, der sie zutrauten, die Probleme im Land zu lösen; die Regierungsparteien kamen zusammen nur auf 25 Prozent, die Union gerade einmal auf neun Prozent.5 Im Sommer 2022 gaben 65 Prozent der Befragten an, dass sie den politischen Parteien eher nicht vertrauen.6 Mittlerweile färbt diese Stimmung auch auf die Einstellung gegenüber der Demokratie insgesamt ab: Nach einer Umfrage vom Februar 2022 waren nur noch 42 Prozent der Befragten zufrieden mit der Demokratie in Deutschland (im Sommer 2020 waren es noch 61 Prozent gewesen).7 Weitere Studien vom Sommer 2022 zeigten, dass 45 Prozent der Deutschen dem Bundestag „eher nicht vertrauen“; bei Parteien waren es sogar 65 Prozent.8 Die alarmierend niedrige Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2022 von gerade einmal noch 55 Prozent der Wahlberechtigten ist ebenfalls ein deutliches Warnsignal. Der Befund lautet daher nach wie vor: Wir haben es mit einem massiven Vertrauensverlust zu tun, der im Übrigen nicht exklusiv die demokratischen Parteien betrifft, sondern sich auch gegenüber Medien, Gewerkschaften bis hin zu den Kirchen beobachten lässt und im Kontext der Corona-Pandemie vermehrt auch die Wissenschaft betrifft. Die Hintergründe dieser Entwicklung sind vielfältig, aber es gibt sicherlich einen Zusammenhang mit der Erfahrung, dass unsere Welt komplexer geworden ist: Die Globalisierung, die Digitalisierung, der Klimawandel, die Bewältigung einer Pandemie sowie der 2 Das Grundgesetz: Ein Jubilar mit Bestnoten. Studie: 70 Jahre – die Bundesrepublik und ihr Grundgesetz, infratest dimap, https://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/grundgesetzstudie/ (Abruf: 25.11.2019). 3 „Deutsche Fragen – deutsche Antworten – Erosion des Vertrauens“, in: FAZ, 20.11.2019. 4 Siehe hierzu „Wie sehr vertrauen Sie den politischen Parteien?“, https://de.statista.com/statistik/daten/ studie/153820/umfrage/allgemeines-vertrauen-in-die-parteien (Abruf: 26.11.2019). 5 „Vertrauen in politische Kompetenz der Ampel-Parteien sinkt schon wieder“, in: Die Welt, 1.12.2021, https://www.welt.de/politik/deutschland/article235389114/Forsa-Umfrage-Vertrauen-in-politischeKompetenz-der-Ampel-Parteien-sinkt-schon-wieder.html (Abruf: 12.1.2022). 6 Siehe hierzu „Wie sehr vertrauen Sie den politischen Parteien?“, https://de.statista.com/statistik/daten/ studie/153820/umfrage/allgemeines-vertrauen-in-die-parteien/ (Abruf: 9.11.2022). 7 Felix Huesmann: Vertrauen in die Demokratie sinkt, in: Frankfurter Rundschau, 21.3.2022, https:// www.fr.de/politik/vertrauen-in-demokratie-sinkt-91426178.html (Abruf: 1.12.2022). 8 „Wie sehr vertrauen Sie den politischen Parteien?“, Umfrage von Kantar, Juni/Juli 2022, abrufbar unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/153820/umfrage/allgemeines-vertrauen-in-die-parteien/ (Abruf: 1.12.2022).

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Zur Einführung: Grundlagen, Entwicklungen, Positionen

zunehmend ernste Systemkonflikt mit aggressiven Autokratien wie Russland und den damit verbundenen wirtschaftlichen wie politischen Folgen – um nur die auffälligsten Beispiele zu nennen – sorgen dafür, dass die Aufgaben, die die Politik regeln muss, immer komplizierter werden. Einfache Antworten auf komplizierte Fragen sind besonders populär, aber selten richtig. Das müssen nicht nur, aber insbesondere die Parteien den Menschen erklären; je komplizierter die Zusammenhänge werden, desto geduldiger und verständlicher müssen sie erläutert werden. Dies ist vielleicht eine der wichtigsten Qualifikationen, die in der Welt von heute demokratische Parteien und ihre Repräsentanten aufbringen müssen. Die großen Krisenerfahrungen der letzten Jahre – kollabierende Finanzmärkte, zunehmende Migrationen, eine Pandemie, der russische Angriff auf die Ukraine und die vielschichtigen Auswirkungen von der Energie- bis zur Verteidigungspolitik – haben nicht nur den Handlungsdruck auf die Politik erhöht, sondern auch den Rechtfertigungsbedarf für tatsächlich und vermeintlich übersehene Risikoindizien. Mit Blick auf die Außen- und Sicherheitspolitik führen das der russische Angriff auf die Ukraine und die daraus resultierenden direkten und indirekten Folgen für Deutschland eindrücklich vor Augen. Zu viele Verantwortliche in Politik und Medien, Wirtschaft und Gesellschaft haben zu lange die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts mit autoritären Systemen verdrängt und die Realitäten durch Wunschdenken ersetzt. Die von der Bundesregierung unter Kanzler Scholz erklärte „Zeitenwende“ mit bemerkenswerten Maßnahmen zur Steigerung der deutschen Verteidigungsfähigkeit, die Anfang des Jahres 2022 noch kaum vorstellbar gewesen wären, zeigt, wie schnell und deutlich sich Verhaltensmuster und Orientierungen verändern, sobald ein nicht erwartetes Ereignis tatsächlich eingetreten ist, während der wiederholte Hinweis auf mögliche, absehbare Risiken in der Regel eher folgenlos bleibt. Für alle Parteien ist es unabdingbar, die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen zu begleiten und damit Schritt zu halten. Ohne Verankerung in der Bevölkerung kann schon gar eine Volkspartei dabei nicht bestehen. Deswegen muss sie immer wieder den veränderten Organisations- und Kommunikationsbedürfnissen Rechnung tragen. Dass die CDU das kann, das hat sie mindestens zweimal eindrucksvoll bewiesen: zuerst bei ihrer Gründung vor über 75 Jahren, als sie als Partei der Mitte konfessionsund schichtenübergreifend ein bis dahin völlig neues Politikangebot gemacht und erfolgreich etabliert hat. Das zweite Mal, als sie nach 20 Jahren erstmals in der Regierungsverantwortung abgelöst wurde und in den 1970er Jahren in der Opposition eine gründliche personelle, programmatische und organisatorische Erneuerung ermöglicht hat. Diese Erfahrung und Befähigung muss die Union reaktivieren. Erste Schritte in diese Richtung erfolgten bereits auf dem Parteitag in Hannover im September 2022, auf dem die CDU eine Grundwertecharta verabschiedet hat, die als Leitlinie für das in Arbeit befindliche Grundsatzprogramm dienen soll. Die verabschiedete befristete Einführung einer Frauenquote bei der Vergabe von Parteiämtern zeigt, dass die Partei gesellschaftliche Veränderungen und Erwartungen aufgreift. Dies gilt auch für die Forderung nach einem verpflichtenden Gesellschaftsjahr, das es „allen jungen Menschen ermöglicht, sich zeitweilig und konkret für unser Land und für unsere Gesellschaft zu engagieren“. Ganz in diesem Sinne legt die Konrad-Adenauer-Stiftung mit dem vorliegenden Werk eine umfassende Darstellung der CDU in historisch-thematischer Perspektive vor. Damit will die Adenauer-Stiftung dazu beitragen, eine Lücke in der Forschungsliteratur zu schließen; seit über 30 Jahren ist keine umfassende Geschichte der CDU mehr er17

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schienen. Als klassisches Handbuch bietet der Band in übersichtlichen Beiträgen den Leserinnen und Lesern einen ersten Zugang zur historischen und programmatischen Entwicklung der CDU, ergänzt durch strukturell angelegte Kapitel zu einzelnen Politikfeldern und Parteigliederungen. Das vorliegende Handbuch ist nicht ausschließlich, aber in erster Linie das Ergebnis der fachspezifischen Expertise der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung, ergänzt durch Beiträge von namhaften Historikern. Nicht zuletzt handelt es sich dabei auch um Erkenntnisse, die auf der langjährigen Erforschung der Christdemokratie durch die Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste /Archiv für Christlich-Demokratische Politik (WD/ACDP) der Adenauer-Stiftung beruhen. Die Entstehung des Archivs geht zurück auf den ersten Regierungswechsel mit einer sozialliberalen Koalition und die Neuorientierung der CDU in der Opposition unter dem Bundesvorsitzenden Helmut Kohl. Im Kontext dieser Entwicklungen widmete sich die Konrad-Adenauer-Stiftung ab Mitte der 1970er Jahren intensiv der Dokumentierung und historischen Erforschung der CDU. Kohl, selbst Historiker, wusste, dass es der programmatischen Profilschärfe förderlich ist, sich mit der eigenen Geschichte und den Erfolgen und Misserfolgen im Wettbewerb der Parteien auseinanderzusetzen. „Politik ohne Geschichte ist wurzel- und ziellos, ohne Grund und ohne Perspektive“, lautete eine seiner Maximen. Und sein Biograph Hans-Peter Schwarz hat ergänzend angemerkt: „[…] erfahrungsgemäß bedarf es wissenschaftlicher Vordenker, die den politischen Häuptlingen zeigen, wie das konkret umgesetzt werden könnte.“9 So konnte das Archiv für Christlich-Demokratische Politik 1976 – in dem Jahr, in dem Adenauer 100 Jahre alt geworden wäre – gegründet werden. Schnell avancierte das Institut zum zentralen Archiv der Christdemokratie in Deutschland; es sammelt das Schriftgut der führenden Repräsentanten der CDU, ihrer Gremien und Organisationen sowie die Bestände der Vorläuferparteien (u. a. der Zentrumspartei). Mittlerweile umfasst es mehr als 17 Regalkilometer an Akten, hunderte Nachlässe prominenter Bundes- und Landespolitiker, über 300.000 Fotos, 22.000 Plakate, Filme, Tonträger. Es war aber nicht nur als Dokumentationsstelle konzipiert, sondern stets auch als wissenschaftliche Einrichtung, die mit eigenen Publikationen die Geschichte der Christdemokratie erforscht. 1982 wurde mit den „Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte“10 eine wissenschaftliche Reihe mit Studien zur christlichen Demokratie, Darstellungen zur Geschichte der Bundesrepublik sowie Biographien wichtiger Repräsentanten etabliert; 1994 folgte mit der Zeitschrift „Historisch-Politische Mitteilungen“11 ein Forum für kürzere Beiträge. Die Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste /ACDP fungiert als Verbindungsglied zwischen der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Geschichts- wie Politikwissenschaft. So konnte die Stiftung in den letzten gut vier Jahrzehnten mit Monographien und Editionen wesentlich zur Erforschung der deutschen Geschichte beitragen. Diese langjährige, historische Expertise fließt maßgeblich in das vorliegende Handbuch ein. Dessen Aufbau gliedert sich in fünf thematische Einheiten. Ein erster Teil widmet sich den geistigen Grundlagen, den historischen Anfängen und der programmatischen 9 Hans-Peter Schwarz: 40 Jahre Archiv für Christlich-Demokratische Politik. Die Rolle von Parteistiftungen für die deutsche und europäische Zeitgeschichtsforschung, in: HPM 23 (2016), S. 1 – 15, hier 7. 10 Siehe online unter www.kas.de/de/forschungen-und-quellen-zur-zeitgeschichte (Abruf: 26.11.2019). 11 Siehe online unter www.kas.de/de/historisch-politische-mitteilungen (Abruf: 26.11.2019).

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Zur Einführung: Grundlagen, Entwicklungen, Positionen

Entwicklung der CDU. Die Gründung der Union und der ihr zugrundeliegende programmatische Neuanfang war eine der Voraussetzungen für die Neugründung von Staat und Gesellschaft in Deutschland nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes und des Zweiten Weltkrieges. Die Männer und Frauen, die die Union gründeten, wollten die christlich-sozialen, die liberalen und die wertkonservativen Traditionen der Vorgängerparteien in einer Partei zusammenführen – basierend auf den gemeinsamen programmatischen Zielen: in Frieden und Freiheit zu leben, einen stabilen demokratischen Rechtsstaat zu etablieren, den Wiederaufbau und die Rückkehr Deutschlands in die Wertegemeinschaft der westlichen Völker sowie die Einheit Deutschlands wiederherzustellen. Mit der CDU entstand aber vor allem eine neue, interkonfessionelle Partei, die aufbauend auf dem katholischen Milieu und evangelischen Christen einem breiten Spektrum an politischen Strömungen aus der Zeit vor dem Nationalsozialismus ein politisches Zuhause gab. Es handelte sich um eine Parteigründung von unten – getragen von der Idee, für alle in der Mitte der Gesellschaft offen zu sein, eben eine Union zu bilden zwischen Stadt und Land, zwischen sozialen Schichten, zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, zwischen katholischen und evangelischen Christen. Dabei gingen nachhaltige Impulse und Weichenstellungen aus dem Kreis der Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus hervor. Im zweiten Teil zeichnen die Beiträge die weitere geschichtliche Entwicklung der CDU nach – beginnend mit dem ersten Bundeskanzler, Konrad Adenauer, der als Präsident des Parlamentarischen Rates selbst maßgeblichen Anteil an der Erarbeitung des Grundgesetzes hatte, das die zweite deutsche Demokratie nun seit über 70 Jahren prägt. Mit ihm ist die Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland untrennbar verbunden, denn er nahm maßgebliche Weichenstellungen in der politischen Orientierung vor: die Westbindung und die europäische Einigung. Die Soziale Marktwirtschaft und das deutsche Wirtschaftswunder verbinden sich vor allem mit dem Wirtschaftsminister und späteren Kanzler Ludwig Erhard. In seine Kanzlerschaft fällt auch die Aufnahme offizieller Beziehungen zum Staat Israel. Der Erfolg und gesellschaftliche Rückhalt dieser Persönlichkeiten und ihrer Politik sicherten der CDU bis Ende der 1960er Jahre solide Mehrheiten bei den Bundestagswahlen – bis zur Bildung der ersten Großen Koalition unter Kurt Georg Kiesinger. Die Zeit in der Opposition in den 1970er Jahren stieß dann einen umfassenden Modernisierungsprozess in der Partei an, vorangetrieben insbesondere vom damaligen rheinland-pfälzischen Landesvorsitzenden und Ministerpräsidenten Helmut Kohl, der die Honoratiorenpartei als Bundesvorsitzender zielstrebig zur Mitgliederpartei umbaute. Als er 1982 Bundeskanzler einer christlich-liberalen Koalition wurde, hätte kaum jemand für möglich gehalten, dass Kohl 16 Jahre lang die Geschicke der Bundesrepublik bestimmen und dabei im Rahmen der europäischen Integration mit der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands Weltgeschichte schreiben würde. Nach dem ersten durch das Wahlergebnis herbeigeführten Regierungswechsel und einer siebenjährigen rot-grünen Regierung begann mit Angela Merkel eine neue Epoche der CDU-Parteigeschichte, die bis in die Gegenwart führt. Nach zwei Legislaturperioden in der Opposition übernahm die Union 2005 wieder die Regierungsverantwortung, Angela Merkel wurde zur ersten Bundeskanzlerin Deutschlands mit einer wiederum 16-jährigen Amtszeit. Parallel zur Geschichte der CDU in der Bundesrepublik widmet sich ein Beitrag zudem der Ost-CDU in der DDR bis zum Vereinigungsparteitag in Hamburg 1990. Im dritten Teil des Handbuchs steht die Entwicklung der Organisationsstruktur der CDU im Zentrum. Ihr Charakter als Volkspartei bildet sich auch in ihrer organi19

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satorischen Struktur ab: Die Partei kennzeichnet ein föderaler Aufbau, ein deutlich geschrumpfter, aber immer noch beachtlicher Mitgliederbestand mit einer Bandbreite von Vereinigungen und Sonderorganisationen sowie ein effektiver Parteiapparat. Auch die Mitglieder- und Wählerentwicklung wird in den Blick genommen und nachgezeichnet, wie sich diese im Laufe der Jahrzehnte verändert hat. Im vierten und fünften Teil werden schließlich die Positionen und politischen Weichenstellungen der CDU in zentralen Politikfeldern und Fragen der deutschen Innenund Außenpolitik behandelt, von der Wirtschafts- und Sozialpolitik über die Bildungspolitik bis hin zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Der Aktualität solcher Publikationen sind naturgemäß Grenzen gesetzt. Während die Arbeit an der ersten Auflage dieses Handbuchs Anfang 2022 beendet wurde, berücksichtigt die nun bereits vorliegende zweite Auflage die Entwicklungen bis zum Herbst 2022. Dies bezieht sich neben dem Krieg in der Ukraine und den damit verbundenen Folgen in erster Linie auf die Beschlüsse, die auf dem 35.Parteitag der CDU in Hannover im September 2022 getroffen wurden. Damit deckt das vorliegende Handbuch ein breites Spektrum möglicher Fragestellungen an die Geschichte, Organisationsstruktur und Politik der CDU ab. Zur weiterführenden Lektüre sei den Leserinnen und Lesern der im CDU-Jubiläumsjahr 2020 von der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgegebene Debattenband ans Herz gelegt, in dem sich namhafte Autorinnen und Autoren aus der Rechts-, Geschichts- und Sozialwissenschaft sowie aus der Politik kritisch mit unterschiedlichen Aspekten der Geschichte der CDU auseinandersetzen und den Stellenwert sowie die Zukunft der Partei in Deutschland in den Blick nehmen.12 „Eine gewisse Kenntnis der Geschichte ist ja doch die Grundlage jedes politischen Denkens.“13 Mit dieser zeitlosen Erkenntnis von Konrad Adenauer wünsche ich den Nutzerinnen und Nutzern dieses Handbuches eine bereichernde Lektüre.

12 Norbert Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU. München 2020. 13 Konrad Adenauer im Informationsgespräch mit Herbert Altschull (Associated Press) am 14.5.1958, stenographische Notizen, S. 14, BPA-Pressearchiv F 30.

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I. Grundlagen der Christlich Demokratischen Union Deutschlands

Christlich inspirierte Sammlungsbewegung – Die politischen Ursprünge und geistigen Grundlagen der CDU Matthias Oppermann Christentum und liberale Demokratie: Das „C“ in der Politik „Die liberalen Demokratien verkörpern keine ,christliche Zivilisation‘. Sie haben sich in Gesellschaften entwickelt, deren Religion christlich war, sie sind in gewissem Maße davon inspiriert worden, dass jeder Seele ein unbeschränkter Wert zukommt.“1 Mit diesen Worten hat der französischen Soziologe und Philosoph Raymond Aron 1955 in seinem Buch L’Opium des intellectuels den Zusammenhang zwischen Christentum und liberaler Demokratie zusammengefasst. Die liberalen Demokratien sind nicht genuin christlich, aber ohne den christlichen Rahmen hätte sich diese Herrschaftsform nicht entwickeln können. Sie sind, wie Aron schon 1951 in seinem Buch Les Guerres en chaîne feststellte, „vom Christentum inspiriert“.2 Dieses wechselseitige, Nähe und Distanz verbindende Verhältnis von Christentum und liberaler Demokratie prägt auch den Charakter der CDU seit ihrer Gründung im Jahr 1945. Sie ist – um es gleich vorwegzunehmen – keine „christliche Partei“ im engeren oder gar wörtlichen Sinne, sondern eine vom „christlichen Menschenbild“ inspirierte Sammlungsbewegung.3 „Aus christlichem Glauben“, so heißt es in der Präambel des Ludwigshafener Programms von 1978, „läßt sich kein bestimmtes politisches Programm ableiten. Aber er gibt uns mit dem Verständnis vom Menschen eine ethische Grundlage für verantwortliche Politik. Auf dieser Grundlage ist gemeinsames Handeln von Christen und Nichtchristen möglich.“ 4 Die katholischen und protestantischen Parteien der Niederlande, aus denen 1980 das Christen Democratisch Appèl entstand, die katholischen Parteien Flanderns und Walloniens, die italienische Democrazia Cristiana oder die schweizerische Christlichdemokratische Volkspartei, die 1912 als Schweizerische Konservative Volkspartei gegründet worden war, verstanden sich als genuin christliche Parteien und schöpften aus einer einzigen, bis ins 19. Jahrhundert zurückreichenden christlich1 Raymond Aron: L’Opium des intellectuels. Introduction de Nicolas TB-Ausg. Paris 2002 (erstmals 1955), S. 330. (Übersetzung des Verfassers.) 2 Ders.: Les Guerres en chaîne. Paris 1951, S. 169. (Übersetzung des Verfassers.) 3 Zum „christlichen Menschenbild“ vgl. Volker Ladenthin: Inhalt und Bedeutung des christlichen Menschenbilds, in: Jörg-Dieter Gauger/Hanns Jürgen Küsters/Rudolf Uertz (Hg.): Das christliche Menschenbild. Zur Geschichte, Theorie und Programmatik der CDU. Freiburg i. Br. 2013, S. 120 – 148. 4 Freiheit – Solidarität – Gerechtigkeit. Grundsatzprogramm der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. Verabschiedet auf dem 26.Bundesparteitag, Ludwigshafen, 23.– 25. Oktober 1978, in: Geschichte der CDU, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=6ab8ab48-871d-52a2a603-989c928e127f&groupId=252038 (Abruf: 25.1.2021), S. 1 f.

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demokratischen Tradition.5 Zwar gab es diese Tradition auch in Deutschland.6 Mit der deutschen Zentrumspartei ist 1870 sogar eine wirkmächtige, wenn auch rein katholische Partei auf dieser Grundlage entstanden. Die CDU aber konnte sich ebenso wie die bayerische CSU stets auf mehrere geistig-politische Ursprünge berufen, in denen die christliche Inspiration auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlichem Maße vorhanden war. Wenn man die Partei in ihrer Gesamtheit und nicht einzelne Strömungen, Flügel oder Gruppen betrachtet, ist das „C“ deshalb nicht als Bekenntnis zu einer den Zehn Geboten verpflichteten Politik zu verstehen. Von Anfang an war es vielmehr eine Klammer, die die verschiedenen Strömungen zusammenhielt und somit die Union von Katholiken und Protestanten, von Bürgertum und Arbeiterschaft ermöglichte. Der große Vorteil der CDU lag dabei in der interpretatorischen Offenheit des Buchstaben „C“. Das hat Konrad Adenauer ein ums andere Mal deutlich gemacht, besonders plastisch am 10. Mai 1962, als der Bundesvorstand der CDU über Rainer Barzels Denkschrift Untersuchungen über das geistige und gesellschaftliche Bild der Gegenwart und die künftigen Aufgaben der CDU diskutierte. Bundeskanzler Adenauer hatte Barzel, der seit 1961 dem Bundesvorstand angehörte, selbst damit beauftragt, die Studie zu verfassen. Nachdem die Union in der Bundestagswahl 1961 die absolute Mehrheit verloren hatte, sahen viele CDU-Politiker ihre Partei in der Krise, und Barzels Studie sollte Aufschluss darüber geben, wie man sie überwinden könne. Barzel sah das Mittel dazu in der Schärfung des christlichen Profils. Eine christliche Partei, so kann man in seiner nie gedruckten Studie lesen, sei eine Vereinigung „von Menschen, die auch ihr politisches Handeln unter Gottes Wort und Gebot stellen“.7 Schon 1958 hatte Barzel geschrieben, die CDU habe die Aufgabe, eine „Politik der Zehn Gebote“ zu betreiben, das heißt „den Willen Gottes zu tun und dafür zu streiten, dass die gottgewollte Ordnung Wirklichkeit wird“.8 Davon hielt Adenauer jedoch gar nichts, wie er Barzel sagte: „Mir ist diese Arbeit zu kirchlich. […] Da nun einmal das kirchliche Denken in unserem Volke rapide zurückgeht und wir infolgedessen darauf angewiesen sind und damit rechnen müssen, daß wir die sogenannten Liberalen auch zu uns bekommen, müssen wir uns hüten, etwas zu tun, was die Liberalen beider Konfessionen abhalten könnte, für uns zu stimmen. Ohne die liberalen Stimmen können wir keine Mehrheit in Deutschland bekommen. […] Ich denke immer, wenn ich einen solchen Satz lese, an einen Durchschnittskatholiken oder an einen protestantischen Liberalen, wenn der nun liest: Wir stellen unsere Politik unter Gottes Gebot! – Ich muß Ihnen ehrlich sagen, das ist mir etwas peinlich. Und ich wiederhole: Wir tun’s ja doch nicht! Meine Herren! Lassen wir uns doch nichts weismachen hier! Wir handeln nicht gegen Gottes Gebot, aber wir stellen auch nicht unsere Politik 5 Vgl. Stathis N. Kalyvas: The Rise of Christian Democracy in Europe. Ithaca u. a. 1996, S. 167 – 221. Zur schweizerischen CVP vgl. Urs Altermatt: Das historische Dilemma der CVP. Zwischen katholischem Milieu und bürgerlicher Mittepartei. Baden 2012. 6 Vgl. Frank-Lothar Kroll: Christliche Demokratie – vom Glaubensbekenntnis zum politischen Programm?, in: Norbert Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU. München 2020, S. 361 – 394, hier 365 – 367. 7 Rainer Barzel: Untersuchungen über das geistige und gesellschaftliche Bild der Gegenwart und die künftigen Aufgaben der CDU. Vorgelegt aufgrund eines Beschlusses des Bundesvorstands der CDU vom 11.12.1961, o. O. 1962, § 121. Zu Barzel vgl. allgemein Kai Wambach: Rainer Barzel. Eine Biographie. Paderborn 2019. 8 Rainer Barzel: Koalitionspolitik, in: Gustav Eduard Kafka (Hg.): Die Katholiken vor der Politik. Freiburg i. Br. 1958, S. 119 – 131, hier 126.

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Die politischen Ursprünge und geistigen Grundlagen der CDU

unter Gottes Gebot.“ 9 Für Adenauer reichte es aus, wenn die CDU alle Menschen vereinigte, die „dem Geiste nach Christen sind“.10 Das war eine Formel, die so offen und weitgehend war, dass sie auch diejenigen einschloss, die nur noch auf dem Papier einer der beiden Kirchen angehörten. Das soll freilich nicht heißen, dass der christliche Impuls bei der Gründung der CDU und in ihrer gesamten Geschichte nicht ernst genommen worden wäre. Doch verstanden die verschiedenen Gruppierungen, die sich 1945 gründeten und aus denen die CDU hervorging, durchaus darunter nicht immer dasselbe, wenn sie vom christlichen Charakter der neuen Partei sprachen.

Heterogene Gründungsimpulse Auf der einen Seite war die Gründung einer Partei, die sich auf die Werte des Christentums berief nach der Katastrophe der nationalsozialistischen Tyrannei und angesichts der Schuld, die die Deutschen auf sich geladen hatten, durchaus folgerichtig.11 Vor dem Hintergrund der Verbrechen des „Dritten Reichs“, vor allem des Völkermords an den europäischen Juden, und in den Trümmern des untergegangenen Reichs bot das Christentum eine moralische Orientierung, die auch in der Politik unverzichtbar war. Auf der anderen Seite wirkten sich regionale Besonderheiten und politische Traditionen auf die lokalen Gründungen aus.12 So enthielten die von ehemaligen Zentrumspolitikern und christlichen Gewerkschaftern aufgestellten Kölner Leitsätze vom 1.Juli 1945 die Forderung nach einem „wahren christlichen Sozialismus“ und hoben die Bedeutung des göttlichen Gebots und eines thomistisch geprägten Naturrechts als Grundlage der politisch-gesellschaftlichen Ordnung hervor.13 Der Berliner Gründerkreis war in der Frage des „christlichen Sozialismus“ gespalten: Der Protestant Otto Heinrich von der Gablentz, der dem Kreisauer Kreis angehört hatte, und der aus dem Zentrum und den christlichen Gewerkschaften stammende Katholik Jakob Kaiser sprachen sich für umfassende Sozialisierungen aus. Andreas Hermes hingegen, der in der Weimarer Republik ebenfalls Mitglied des Zentrums gewesen war, und die früheren Mitglieder der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) traten für eine freie Wirtschaft ein.14

9 Protokoll vom 10. Mai 1962, in: Adenauer: „Stetigkeit in der Politik“. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1961 – 1965. Bearb. von Günter Buchstab (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 32). Düsseldorf 1998, S. 220 – 270, hier 250. 10 Christlich Demokratische Union Deutschlands (Hg.): 11.Bundesparteitag der CDU, Dortmund, 2.6.– 5.6.1962. Hamburg 1962, S. 205. 11 Vgl. Hans-Otto Kleinmann: Geschichte der CDU 1945 – 1982. Hg. von Günter Buchstab. Stuttgart 1993, S. 15. 12 Vgl. ebd., S. 23. 13 Kölner Leitsätze. Vorläufiger Entwurf zu einem Programm der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. Vorgelegt von den Christlichen Demokraten Kölns im Juni 1945. Ein Ruf zur Sammlung des deutsches Volkes, in: Geschichte der CDU, http://www.kas.de/upload/ACDP/CDU/Programme_Beschluesse/1945_Koelner-Leitsaetze.pdf (Abruf: 18.9.2020), S. 2. 14 Vgl. Ralf Thomas Baus: Die Christlich-Demokratische Union Deutschlands in der sowjetisch besetzten Zone 1945 – 1948. Gründung – Programm – Politik (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 36). Düsseldorf 2001, S. 83.

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Im protestantischen Norddeutschland wiederum lehnten die lokalen Parteigründer, die durchweg bürgerlich oder bäuerlich waren, die Idee eines „christlichen Sozialismus“ ebenfalls ab.15 Die kleineren Parteigründungen, aus denen die CDU in Norddeutschland hervorging, konnten auf die Reste von liberalen und konservativen Parteistrukturen zurückgreifen.16 Diese Gründungen knüpften bewusst an die bürgerlich-protestantischen Parteien der Weimarer Republik an: an die Deutschnationale Volkspartei (DNVP), die nationalliberale Deutsche Volkspartei (DVP) oder die DDP. Die liberalen und konservativen Kleinparteien, die nach 1945 in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bremen und Hamburg gegründet wurden, vermieden in der Regel den Bezug auf das Christliche, da vor allem die liberalen, aber auch manche konservativen Protestanten der Inanspruchnahme des Christentums durch eine Partei skeptisch gegenüberstanden.17 So entstand etwa in Schleswig-Holstein aus verschiedenen Gruppierungen zunächst eine Demokratische Union (DU), die nennenswerte Verluste zu verzeichnen hatte, als sie ihrem Namen das „C“ hinzufügte.18 Gleichwohl setzte sich der Name Christlich Demokratische Union Deutschlands durch, weil das nicht weiter definierte „C“ im Namen, der Bezug auf die christliche Tradition oder das „christliche Menschenbild“, in einer Gesellschaft, in der so gut wie alle Christen waren, den gemeinsamen Nenner für verschiedene Politikansätze darstellen konnte. Die CDU begann somit als eine „Sammlungsbewegung der politischen Mitte“19, deren Fundament zwar das katholische Milieu war und lange blieb, deren baldige Stärke und Mehrheitsfähigkeit jedoch auf der Heterogenität ihrer politischen Ursprünge und geistigen Grundlagen beruhte. Von den „drei Wurzeln“ – dem Konservatismus, dem Liberalismus und dem Christlich-Sozialen –, die heute immer wieder als Grundlage der Union genannt werden, war in der Gründungszeit freilich nicht die Rede.20 Erstmals nimmt das Ludwigshafener Programm von 1978 darauf Bezug – allerdings ohne den Begriff Wurzeln zu verwenden. Die CDU, so heißt es in der Präambel, stehe dafür, dass sich „Freiheit und Menschlichkeit“ nicht wieder, wie in der Weimarer Republik, „in verhängnisvoller Gegnerschaft zwischen sozialen, liberalen und konservativen politischen Strömungen“ verlören.21 Von diesen drei Strömungen lässt sich in der Anfangszeit – etwa in den Kölner Leitsätzen oder im Berliner Gründungsaufruf vom 26. Juni 1945 – nur die soziale als politische Referenz finden, und zwar stets im Zusammenhang mit dem Christlichen.22 Diese Tatsache darf uns jedoch nicht zu der Annahme verleiten, Liberalismus und Konservatismus hätten bei der Gründung der CDU keine Rolle gespielt und gehörten folglich auch nicht zu ihren geistigen Grundlagen. Auch wenn sie selten explizit erwähnt 15 Vgl. Frank Bösch: Macht und Machtverlust. Die Geschichte der CDU. Stuttgart 2002, S. 14. 16 Vgl. ders.: Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei 1945 – 1969. Stuttgart u. a. 2001, S. 35 f. 17 Vgl. ebd., S. 38. 18 Vgl. Kleinmann: Geschichte der CDU, S. 35. 19 Ebd., S. 15. 20 Wann und wo das erste Mal die Formulierung von den „drei Wurzeln“ gebraucht wurde, lässt sich nicht ohne weiteres feststellen. 21 Freiheit – Solidarität – Gerechtigkeit. Grundsatzprogramm, S. 1. 22 Siehe Kölner Leitsätze, passim; Berliner Gründungsaufruf, in: Geschichte der CDU, http://www.kas.de/ upload/ACDP/CDU/Programme_Beschluesse/1945_Gruendungsaufruf-Berlin.pdf (Abruf: 18.9.2020), S. 1.

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wurden, waren sie von Anfang an vorhanden. Die ehemaligen Mitglieder der DVP, DDP, DNVP oder einiger protestantisch-konservativer Kleinparteien der Weimarer Republik, die die CDU mitbegründeten oder bald nach der Gründung zu ihr stießen, haben ihre früheren Überzeugungen nicht abgelegt, als sie sich an dem neuen Projekt beteiligten. Männer wie Hans Schlange-Schöningen und Robert Lehr brachten das protestantischkonservative Erbe in die CDU ein, Carl Schröter bei der Gründung der DU in SchleswigHolstein das nationalliberale und Ferdinand Friedensburg, Ernst Lemmer sowie Walther Schreiber bei der Berliner Gründung das linksliberale.23 Mit der Entstehung der CDU begann ein Aushandlungsprozess der Strömungen, der nie zum Abschluss gekommen ist, ja in dessen Beständigkeit gerade das Geheimnis des Erfolgs der CDU liegt.

Liberal und doch sozial: Die Soziale Marktwirtschaft Richtig ist jedoch, dass bis zur ersten Bundestagswahl im Jahr 1949 die christlich-soziale Rhetorik dominierte, die sich auch an den Wahlplakaten ablesen lässt. So plakatierte die CDU zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen vom April 1947 den Slogan „Auch in der Politik gelten die Zehn Gebote“.24 Auch einige CDU-Plakate zur ersten Bundestagswahl von 1949 appellierten an die christlichen Überzeugungen der Wähler. Andere Themen drängten nun aber das christliche Motiv an den Rand, das ohnehin eher abstrakt und in kultureller Perspektive angesprochen wurde. Dem Plädoyer, ein „christliches Deutschland“ zu erhalten, standen nun praktische Probleme wie die Integration der Heimatvertriebenen oder – und das in besonderem Maße – der Appell an die materiellen Bedürfnisse der Wähler im Vordergrund.25 Unter dem geistigen Einfluss Ludwig Erhards und dem politischen Willen Konrad Adenauers schlug die CDU einen anderen Kurs ein als etwa der sozial- und wirtschaftspolitisch deutlich links der Mitte stehende Mouvement républicain populaire (MRP) in Frankreich.26 Dabei war das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft durchaus umstritten. Als Erhard es am 25. Februar 1949 im Ausschuss der CDU der britischen Zone vorstellte, erklärte Johannes Albers, ein Mitbegründer der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), das „Prinzip einer liberalen Wirtschaft“ dürfe nicht an die Stelle des sozialistisch geprägten Ahlener Programms von 1947 treten.27 Doch auch Erhard selbst 23 Vgl. zu den genannten Personen Günther J. Trittel: Hans Schlange-Schöningen. Ein vergessener Politiker der „Ersten Stunde“, in: VfZ 35 (1987), S. 25 – 63; Brigitte Kaff: Robert Lehr, in: Günter Buchstab/ Klaus Gotto (Hg.): Die Gründung der Union. Traditionen, Entstehung und Repräsentation. 2. Aufl. München 1990, S. 191 – 206; Reinhard Frommelt: Ferdinand Friedensburg und Ernst Lemmer, ebd., S. 208 – 220; Jörg-Dieter Gauger: Carl Schröter (1887 – 1952), in: Günter Buchstab/Hans-Otto Kleinmann (Hg.): In Verantwortung vor Gott und den Menschen. Christliche Demokraten im Parlamentarischen Rat 1948/49. Freiburg i. Br./Basel/Wien 2008, S. 321 – 329; Felix Escher: „Schreiber, Walther“, in: Neue Deutsche Biographie 23 (2007), S. 533. 24 „Auch in der Politik gelten die Zehn Gebote.“ CDU-Plakat zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen von 1947, in: ACDP 10-009:3. 25 Siehe zum Beispiel „Vertriebene! Eure Not ist unsere Sorge.“ CDU-Plakat zur Bundestagswahl 1949, in: ACDP 10-001:16; „Das brachte Dir unsere Wirtschafts-Politik.“ CDU-Plakat zur Bundestagswahl 1949, in: ACDP 10-001:5. Das Zitat findet sich in: „Das konnte christlicher Geist gestalten. Wir wollen ein christliches Deutschland erhalten.“ CDU-Plakat zur Bundestagswahl 1949, in: ACDP 10-001:8. 26 Zum MRP vgl. Gilles Richard: Histoire des droites en France de 1814 à nos jours. Paris 2017, S. 270 – 276. 27 „25. Februar 1949: Sitzung des Zonenausschusses der CDU der britischen Zone in Königswinter“, in:

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wollte, wie er Albers wissen ließ, keinesfalls als „Liberaler“ gelten.28 Damit meinte Erhard freilich nur den sogenannten Manchester-Liberalismus, der in der CDU allgemein auf Ablehnung stieß. Der Unterschied lag im Detail. Die Christlich-Sozialen setzten den Liberalismus mit dem Manchestertum gleich und wollten die Union auf einen Mittelweg zwischen ihm und dem Marxismus verpflichten.29 Erhard hingegen strebte eine Erneuerung des Liberalismus in der Form des Ordoliberalismus an. Nicht die Freie Demokratische Partei (FDP) als selbsterklärte Nachfolgerin des parteipolitischen Liberalismus der Weimarer Republik nahm den in der Nachkriegszeit virulenten neoliberalen Impuls auf, sondern die CDU.30 Erhard formte ihn zum Konzept der Sozialen Marktwirtschaft, das er gegen den Laissez-faire-Liberalismus des 19. Jahrhunderts setzte und zum Markenzeichen der CDU machte.31 Der diesem Konzept zugrunde liegende Neoliberalismus war etwas völlig anderes als der Marktradikalismus, der heute fälschlicherweise mit diesem Begriff beschrieben wird. Der Neoliberalismus ging auf die Krise zurück, die den Liberalismus in den 1930er Jahren erschüttert hatte. Beim sogenannten Walter-Lippmann-Kolloquium diskutierten 1938 Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen über die Frage nach der Überlebensfähigkeit des Liberalismus in einem „Zeitalter der Tyranneien“.32 Ökonomen wie Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow – beide Teilnehmer des Kolloquiums –, aber auch Franz Böhm und Walter Eucken glaubten, dass der Liberalismus sich ändern müsse. Sollte er überleben, dann musste der Markt sozial eingerahmt werden.33 Ausgehend von diesen Überlegungen entstand der Neoliberalismus oder, im Falle Böhms und Euckens, Ordoliberalismus, den Alfred Müller-Armack zur Grundlage des später von Erhard propagierten Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft machte. Alle drei – der Neoliberalismus, der Ordoliberalismus und das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft – verbanden eine moralisch-religiöse Dimension mit dem Glauben an die Notwendigkeit eines Ordnungsrahmens. Eine bessere wirtschaftspolitische Grundlage hätte eine christlich-demokratische Sammlungsbewegung wie die Union, die aus verschiedenen Strömungen ein Ganzes machte, kaum finden können. Die Soziale Marktwirtschaft war nichts weniger als ein historischer Ausgleich zwischen zwei der drei Strömungen, von

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Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und die Soziale Marktwirtschaft (Rhöndorfer Ausgabe). Bearb. von Holger Löttel. Paderborn u. a. 2019, S. 148 – 188, hier 178. Siehe ebd., S. 186. Vgl. Maria D. Mitchell: The Origins of Christian Democracy. Politics and Confession in Modern Germany. Ann Arbor 2010, S. 90 – 92; Martina Steber: Die Hüter der Begriffe. Politische Sprachen des Konservativen in Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland, 1945 – 1980 (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London. Bd. 78). Berlin/Boston 2017, S. 173 – 178. Vgl. Dieter Langewiesche: Liberalismus in Deutschland. Frankfurt a. M. 1988, S. 292; außerdem ausführlich Bernhard Löffler: Soziale Marktwirtschaft und administrative Praxis. Das Bundeswirtschaftsministerium unter Ludwig Erhard. Wiesbaden 2002. Vgl. Patricia Commun: Erhards Bekehrung zum Ordoliberalismus. Die grundlegende Bedeutung des wirtschaftspolitischen Diskurses in Umbruchszeiten (Freiburger Papiere zur Ordnungsökonomik 04/4). Freiburg i. Br. 2004. Vgl. Philip Plickert: Wandlungen des Neoliberalismus. Eine Studie zur Entwicklung und Ausstrahlung der „Mont Pèlerin Society“. Stuttgart 2008, S. 93 – 102; Jurgen Reinhoudt/Serge Audier: The Walter Lippmann Colloquium. The Birth of Neo-Liberalism. Cham 2018. Zu dem Zitat siehe Élie Halévy: L’Ère des tyrannies. Ètudes sur le socialisme et la guerre. Préface de Célestin Bouglé. Postface de Raymond Aron. Paris 1990 (erstmals 1938). Vgl. Plickert: Wandlungen, S. 75 f.

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denen später im Ludwigshafener Programm die Rede sein sollte: zwischen der liberalen und der sozialen.34 Dieser Kompromiss reichte, wie gesagt, bis in die Zwischenkriegszeit, im Grunde sogar bis ins Kaiserreich zurück. Es wird oft gesagt, die Nationalliberale Partei habe sich in den 1880er Jahren nach rechts gewandt, sich den Konservativen angenähert und sich den Linksliberalen entfremdet. Das ist durchaus zutreffend, aber nur die halbe Wahrheit. Oder anders gesagt: ein Rechts-Links-Schema lässt sich in diesem Fall nur bedingt anwenden, weil sich der verfassungs- und gesellschaftspolitische Reformwille der Linksliberalen mit einer tiefsitzenden, manchesterlichen Furcht vor jeder Art von Sozialpolitik verband. Die Nationalliberalen wandten sich dagegen unter Johannes Miquel einer aktiven Sozialpolitik zu und sorgten etwa dafür, dass die Bismarckschen Sozialversicherungsgesetze die Arbeiter nicht zu Mündeln des Staates machten, sondern zu Versicherten, die gemeinsam mit den Unternehmern für den Notfall vorzusorgen hatten.35 Der Staat sollte den Rahmen setzen, in dem Arbeiter und Arbeitgeber gemeinsam für die Finanzierung der Versicherungen sorgen mussten. Dafür stand besonders Miquel. Die Nähe des späteren Ordoliberalismus zu diesem sozial engagierten Nationalliberalismus Miquelscher Prägung ist nicht zu übersehen. Gemeinsam hatten beide Varianten des Liberalismus vor allem die Überzeugung, dass der Staat im Wirtschaftsleben eine wichtige ordnende Rolle zu spielen hatte.36 Röpke stellte in diesem Sinne schon 1923 fest: „So muß der Liberalismus in jedem Augenblick bestrebt sein, dem Staate zu geben, was des Staates ist. Wer sollte denn sonst heute noch Hüter des von allen Seiten unterhöhlten Staatsgedankens sein, wenn nicht – so absurd es klingt – der Liberale? Wer außer ihm soll ihn verfechten gegen die monopolistische Großwirtschaft, den organisierten Grundbesitz und die straff zusammengeschlossene Arbeiterschaft?“37 Diese inhaltliche Nähe zum Nationalliberalismus zeigte sich in Röpkes Fall auch daran, dass er zwischen 1923 und 1929 seine ganze Hoffnung in Gustav Stresemann und den gemäßigten Flügel der DVP setzte.38 Ähnliches lässt sich über Eucken sagen, und Franz Böhm, der von 1953 bis 1965 für die CDU im Bundestag saß, war von 1924 bis 1925 sogar Mitglied der DVP.39 Nur Rüstow fand in der Weimarer Republik nach sozialistischen Anfängen seine politische Heimat im linksliberalen Lager. Auch aus diesem Umfeld, nämlich aus der DDP beziehungsweise, nach 1930, der Deutschen Staatspartei, stießen nach 1945 bedeutende Politiker zur CDU und brachten ihre politische Tradition in die gänzlich neue Partei ein, 34 Vgl. Langewiesche, Liberalismus, S. 293. 35 Vgl. dazu und zum Folgenden ebd., S. 198 f.; Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866 – 1918. Bd. 2: Machtstaat vor Demokratie. München 1993, S. 330. 36 Vgl. Ralf Ptak: Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft. Stationen des Neoliberalismus in Deutschland. Wiesbaden 2004, S. 16, der allerdings über das Ziel hinausschießt, wenn er von einer „autoritäre[n] Substanz des National- und des Ordoliberalismus“ spricht. 37 Wilhelm Röpke: Wirtschaftlicher Liberalismus und Staatsgedanke (1923), in: Ders.: Gegen die Brandung. Zeugnisse eines Gelehrtenlebens unserer Zeit. Hg. von Albert Hunold. Erlenbach-Zürich 1959, S. 42 – 46, hier 46. 38 Vgl. Hans Jörg Hennecke: Wilhelm Röpke. Ein Leben in der Brandung. Stuttgart 2005, S. 44, 88. 39 Vgl. Moritz Peter Haarmann: Wirtschaft – Macht – Bürgerbewusstsein. Walter Euckens Beitrag zur sozioökonomischen Bildung. Wiesbaden 2015, S. 212; Uwe Dathe: Walter Euckens Weg zum Liberalismus (1918 – 1934), in: Ordo. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft 60, S. 53 – 86, hier 68 f.; Niels Hansen: Franz Böhm mit Ricarda Huch. Zwei wahre Patrioten (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 57). Düsseldorf 2009, S. 36; David Jungbluth, Die Entwicklung des deutschen Wirtschaftsverfassungsrechts. Von Weimar bis zum Investitionshilfeurteil. Wiesbaden 2018, S. 132.

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vor allem die oben schon erwähnten Berliner CDU-Gründer Ernst Lemmer, Ferdinand Friedensburg und Walther Schreiber. All diese Vertreter des Liberalismus der Weimarer Republik, die den Weg in die CDU fanden, waren Protestanten, und es ist zu Recht festgestellt worden, dass die wirtschaftspolitischen Grundgedanken der Sozialen Marktwirtschaft im Wesentlichen auf den Ideen der evangelischen Sozialethik beruhen.40

Evangelische Sozialethik Die ethischen Vorstellungen, die den Ordoliberalismus und die Soziale Marktwirtschaft prägten, reichten zu den Debatten zurück, die im Protestantismus des Kaiserreichs geführt wurden. Dabei sind zwei Richtungen zu unterscheiden, von denen nur eine tiefe Spuren im Ordoliberalismus und in der CDU hinterlassen hat. Da war zunächst die sozialkonservative Richtung um den Berliner Hofprediger Adolf Stoecker, dessen gleichermaßen antikapitalistische, antiliberale und antisozialistische Überzeugungen durch einen integralen Antisemitismus zusammengehalten wurden.41 Davon war auch die von ihm gegründete Christlich-soziale Partei (CSP) geprägt, ebenso wie der in der Tradition der CVP stehende, gewerkschaftlich orientierte Christlich-Soziale Volksdienst (CSVD), der sich 1929 von der DNVP abgespalten hatte.42 In manchen Regionen Westdeutschlands – so in Württemberg, Nordrhein-Westfalen oder Hessen – waren frühere CSVD-Politiker die entschiedensten evangelischen Befürworter einer überkonfessionellen Partei auf christlicher Grundlage.43 Anders als die ehemaligen Mitglieder von DDP, DVP und DNVP, die bei der Gründung der CDU in Norddeutschland dominierten, hatten sie kein Problem, das „C“ im Parteinamen zu akzeptieren. Ihre wirtschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen, die auf einer klaren Ablehnung sowohl des Liberalismus als auch des Marxismus beruhten, entsprachen den Überzeugungen vieler linker Vertreter des politischen Katholizismus. Doch zahlenmäßig reichten sie an letztere nicht annähernd heran. Das erklärt, weshalb die CDA bis heute fast ausschließlich katholisch geprägt ist. Unter den Protestanten, die nach 1945 zur CDU fanden, stellten die ehemaligen CSVD-Mitglieder zudem die kleinste Gruppe, kleiner auch als diejenigen, die wie Hermann Ehlers und Eugen Gerstenmaier aus der Bekennenden Kirche oder gar dem evangelischen Widerstand gegen Hitler kamen und gar keine parteipolitische Vergangenheit hatten.44 Zur Entstehung des Ordoliberalismus haben die evangelischen Christlich-Sozialen, die sich ja gerade durch die Gegnerschaft zum Liberalismus definierten, deshalb im Grunde nichts beitragen können. 40 Vgl. Günter Brakelmann/Traugott Jähnichen: Einleitung: Protestantische Wurzeln der Sozialen Marktwirtschaft, in: Dies. (Hg.): Die protestantischen Wurzeln der Sozialen Marktwirtschaft. Ein Quellenband. Gütersloh 1994, S. 13 – 37; Bernhard Löffler: Religiöses Weltbild und Wirtschaftsordnung – Zum Einfluss christlicher Werte auf die Soziale Marktwirtschaft, in: Hans Zehetmaier (Hg.): Politik aus christlicher Verantwortung. Wiesbaden 2007, S. 110 – 124, hier 115 – 118. 41 Vgl. Kroll: Christliche Demokratie, S. 367. 42 Vgl. Axel Schildt: Konservatismus in Deutschland. Von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. München 1998, S. 112, 170; Jähnichen: Ideal, S. 92 f. 43 Vgl. dazu und zum Folgenden Bösch: Die Adenauer-CDU, S. 38, 45 f., 71. 44 Vgl. Torsten Oppelland: Der Evangelische Arbeitskreis der CDU/CSU, 1952 – 1969, in: HPM 5 (1998), S. 105 – 143, hier 107.

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Entscheidende Impulse erhielten Ordoliberalismus und Soziale Marktwirtschaft hingegen aus dem Lager des liberalen Protestantismus, der in der Weimarer Republik wie schon vorher im Kaiserreich eng mit dem parteipolitischen Liberalismus verbunden gewesen war, sowohl mit dem Nationalliberalismus als auch mit dem Linksliberalismus. Die Vertreter dieses später so genannten Kulturprotestantismus – Theologen, Historiker, Juristen und andere Wissenschaftler – schufen sich mit dem Evangelisch-Sozialen Kongress ein Forum, in dem sie die Reform der herrschenden Wirtschaftsordnung aus evangelischer Sicht diskutieren konnten.45 Bei der Gründung des Kongresses im Jahr 1890 waren sie freilich nicht allein beteiligt, sondern auch konservative Lutheraner wie Martin von Nathusius und eben Sozialkonservative wie Adolf Stoecker. Nathusius verließ den Kongress mit seinen Anhängern aber schon 1895, Stoecker und die Sozialkonservativen ein Jahr später. Von 1896 an entwickelte sich der Evangelisch-Soziale Kongress daher zum Zentrum der liberalen Protestanten und ihrer sozialpolitischen Vorstellungen. Julius Kaftan, liberaler Theologe und Gründungsmitglied des Kongresses, formulierte 1893 zwei zentrale Grundsätze des evangelischen Sozialliberalismus: Zum einen sei es „Christenpflicht, die Wirtschaftsordnung so zu gestalten, daß sie eine Grundlage für die Pflege der sittlichen Ideale des Christentums bildet“; zum anderen erfülle die bestehende Ordnung diesen Anspruch und sei daher nicht nur kritisch zu sehen. Christen müssten vielmehr bereit sein, ihre Grundgedanken zu verteidigen, so etwa das Privateigentum.46 Aus Kaftans Sicht war „[i]rgendwelches Eigentum […] in der Regel die Voraussetzung der persönlichen Freiheit und Selbständigkeit, ohne die es ein gesundes evangelisches Christentum nicht giebt“.47 Die bestehende Wirtschaftsordnung war also auf der einen Seite zu verteidigen, auf der anderen aber zu reformieren, da „die Wirtschaftsordnung […] um des Menschen und nicht der Mensch um der Wirtschaftsordnung willen gemacht“ sei, was unweigerlich die Arbeitszeit und die Wohnungsverhältnisse der Arbeiter, aber auch das Problem der Lohnregulierung in den Blick rücke.48 Die Forderungen, die der Evangelisch-Soziale Kongress im Kaiserreich entwickelte – etwa Tarifautonomie, sozialen Wohnungsbau, Arbeitsschutzgesetze, Mitbestimmung von Arbeitnehmern –, gingen nach 1945 in das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft ein. Der Gegensatz zwischen konservativen und liberalen Protestanten spielte freilich nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr dieselbe Rolle wie zuvor. An seine Stelle trat nun der Antagonismus zwischen den deutschen „Barthianern“ auf der einen und den nicht immer wirklich lutherischen „Lutheranern“ auf der anderen Seite.49 „Barthianer“ 45 Vgl. dazu und zum Folgenden Brakelmann/Jähnichen: Einleitung, S. 20f.; Kroll: Christliche Demokratie, S. 368. Zum Begriff des Kulturprotestantismus vgl. Friedrich Wilhelm Graf: Kulturprotestantismus. Zur Begriffsgeschichte einer theologischen Chiffre, in: Archiv für Begriffsgeschichte 28 (1984), S. 214– 268. 46 Julius Kaftan: Christentum und Wirtschaftsordnung (1893), in: Brakelmann/Jähnichen (Hg.): Wurzeln, S. 152 – 158, hier 153 f. 47 Ebd., S. 154. 48 Ebd., S. 157. 49 Vgl. dazu und zum Folgenden Thomas Sauer: Der Kronberger Kreis. Christlich-konservative Positionen in der Bundesrepublik Deutschland, in: GHI Conference Papers on the Web. The American Impact on Western Europe: Americanization and Westernization in Transatlantic Perspective. Conference at the German Historical Institute, Washington, D.C., March 25 – 27, 1999, http://webdoc.sub. gwdg.de/ebook/p/2005/ghi_12/www.ghi-dc.org/conpotweb/westernpapers/sauer.pdf (Abruf: 26.1.2021), S. 3 f. Vgl. dazu ausführlich ders.: Westorientierung im deutschen Protestantismus? Vorstellungen und Tätigkeit des Kronberger Kreises (Ordnungssysteme. Bd. 2). München 1999.

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wie Martin Niemöller, Helmut Gollwitzer und Gustav Heinemann hatten in der Zeit der nationalsozialistischen Tyrannei in den Brüderräten der Bekennenden Kirche zueinander gefunden, bezogen sich auf den Schweizer reformierten Theologen Karl Barth und lehnten Adenauers Westbindungspolitik dezidiert ab.50 Die ihnen gegenüberstehenden „Lutheraner“ stammten zumeist aus den „intakten“, also im „Dritten Reich“ nicht von den Deutschen Christen dominierten, Landeskirchen und wandelten sich in der frühen Bundesrepublik von Nationalprotestanten zu liberalen und konservativen Befürwortern einer Verwestlichung der Evangelischen Kirche und der Bundesrepublik.51 Ein wichtiges Forum der „Lutheraner“ war in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik der Kronberger Kreis, der führende Protestanten aus Wirtschaft, Kirche und Politik zusammenbrachte.52 Dieser Honoratiorenzirkel, den Eberhard Müller, der Leiter der Evangelischen Akademie Bad Boll, 1951 gegründet hatte und zu dem man nur kooptiert werden konnte, sollte die Präsenz des Protestantismus im öffentlichen Leben stärken. Er hatte insofern enge Bindungen an die CDU, als die dort vertretenen Politiker ausnahmslos der Union angehörten. Mit Hermann Ehlers verfügte der Kreis zudem über eine Person, die ihn eng mit dem 1952 ins Leben gerufenen Evangelischen Arbeitskreis der CDU verband.53 Neben Ehlers und anderen konservativen Protestanten waren aus der CDU mit Ernst Lemmer oder Richard von Weizsäcker aber auch liberale Protestanten vertreten. Ironischerweise waren es die traditionell national orientierten Lutheraner und Kulturprotestanten, die sich im Kronberger Kreis in politischer Hinsicht dem Westen öffneten, während die linksstehenden „Barthianer“ trotz ihrer dem Westen gegenüber offeneren reformierten Grundierung zu Neutralisten wurden. Dabei fiel den Kulturprotestanten die Öffnung nach Westen sicherlich leichter als den konservativen Lutheranern, die zum Teil von ähnlich starken antiliberalen Affekten umgetrieben wurden, wie es sie auch im Katholizismus gab. Davon konnte jedoch bald keine Rede mehr sein. Angesichts der Weltlage adaptierten auch entschiedene Lutheraner die mit Demokratie und Parlamentarismus verbundenen politischen Prämissen des westlichen, calvinistischen Protestantismus.54 Auf diese Weise schufen sich die aus den „intakten Kirchen“ stammenden Kronberger eine neue, westliche Identität.55 Aus Nationalliberalen und Nationalkonservativen wurden transatlantisch gesinnte Liberalkonservative. Wirtschafts- und sozialpolitisch knüpften die Kronberger an die Ideen und sozialreformerischen Vorstellungen des Evangelisch-Sozialen Kongresses an und wurden zu

50 Zum Neutralismus der „Barthianer“ vgl., mit dem Fokus auf Heinemann, Alexander Gallus: Die Neutralisten. Verfechter eines vereinten Deutschlands zwischen Ost und West, 1945 – 1990 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bd. 127). Düsseldorf 2001, S. 76 – 85. 51 Vgl. dazu zum Beispiel die Haltung Eugen Gerstenmaiers in: Julius Trugenberger: Der Theologe und Intellektuelle unter den Politikern: Eugen Gerstenmaier als Schüler Friedrich Brunstäds und Emil Brunners, in: HPM 27 (2020), S. 83 – 116, hier vor allem 106 – 114. 52 Sauer: Westorientierung. 53 Zum Evangelischen Arbeitskreis vgl. Oppelland: Arbeitskreis; Peter Egen: Die Entstehung des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU. Bochum 1971. 54 Vgl. Friedrich-Wilhelm Graf: Kirchen und Christen im demokratischen Verfassungsstaat, in: Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften 7 (2009), S. 706 – 723, hier 709 f. 55 Vgl. Anselm Doering-Manteuffel: Wie westlich sind die Deutschen? Amerikanisierung und Westernisierung im 20. Jahrhundert. Göttingen 1999, S. 118.

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überzeugten Verfechtern der Sozialen Marktwirtschaft.56 Damit wirkten sie in die CDU hinein, wo sich die evangelisch-sozialen Grundsätze mit den Prinzipien der katholischen Soziallehre zu einem festen überkonfessionellen Fundament verbanden.

Katholische Soziallehre Anders als die Protestanten in der CDU konnten die aus der Zentrumstradition stammenden Katholiken nicht nur auf alte Organisationsstrukturen zurückgreifen, sondern mit der katholischen Soziallehre auch auf ein Ideengerüst, das sehr viel konkreter ausgearbeitet war als die evangelische Sozialethik und zudem mit dem thomistischen Naturrecht einen klar definierten Leitfaden hatte.57 Trotz ihres philosophisch-theologischen Fundaments nahm die katholische Soziallehre im 19. Jahrhundert vor allem in der politischen Praxis Gestalt an. Der französische Priester und politische Schriftsteller Félicité de Lamennais ebnete dem politischen Katholizismus den Weg, indem er als Reaktion auf die Julirevolution von 1830 die Forderung nach einer Versöhnung des Katholizismus mit den Prinzipien von 1789 forderte.58 Zwar schob Papst Gregor XVI. diesem Ansatz eines „catholicisme libéral“ schon am 15. August 1832 mit seiner Enzyklika Mirari vos einen Riegel vor. Vor allem Lamennais’ Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche war für den Papst unannehmbar. Doch das verhinderte nicht, dass Lamennais’ Ideen sich verbreiteten und die Entwicklung des europäischen Katholizismus im 19. Jahrhundert stark beeinflussten. Lamennais wandte sich gegen den Gallikanismus, die in Frankreich starke Tradition einer national geprägten Kirche, und bereitete in geistiger Hinsicht den Boden für den Ultramontanismus.59 Vor allem im protestantisch dominierten, kleindeutschen Kaiserreich knüpften die deutschen Katholiken an die Forderung Lammenais’ an, die katholische Kirche solle eine von staatlichem Einfluss freie Einheit sein.60 Bereits in der Frankfurter Paulskirche hatte es einen an Lamennais anknüpfenden „Katholischen Klub“ als Interessenvertretung der deutschen Katholiken gegeben. 1859 entstand dann die Fraktion des Zentrums im Preußischen Landtag und 1870 die Deutsche Zentrumspartei, die nach 1871 auch im Reichstag vertreten war. Dort, im Rahmen der parlamentarischen Arbeit des Zentrums, entwickelte sich, was man als katholische Soziallehre bezeichnet. Führend war dabei Georg von Hertling, seit 1882 Professor für Philosophie an der Universität München und lange sozialpolitischer 56 Vgl. ebd., S. 115. Doering-Manteuffel merkt allerdings ebd., S. 116, auch an, die Kronberger hätten vor dem Krieg keine Kontakte zu Kreisen des sozialen Protestantismus gehabt, so dass man auch davon ausgehen müsse, sie seien durch die Ideen des amerikanischen „liberalen Konsenses“ der 1940er bis 1960er Jahre beeinflusst. Das eine schließt das andere freilich nicht aus. Zum liberal consensus vgl. Godfrey Hodgson: America in Our Time. From World War II to Nixon – What Happened and Why. With a New Foreword by the Author. Princeton/Oxford 2005, S. 67 – 98. 57 Vgl. Oppelland: Arbeitskreis, S. 107. 58 Vgl. dazu und zum Folgenden Jean-Dominique Durand: L’Europe de la Démocratie chrétienne. Brüssel 1995, S. 35. 59 Vgl. Kroll: Christliche Demokratie, S. 363 f. 60 Vgl. dazu und zum Folgenden Winfried Becker: Historische Grundlagen der christlich-demokratischen Parteibildung nach 1945, in: Buchstab/Gotto (Hg.): Gründung, S. 7 – 33, hier 12 f.; Kroll: Christliche Demokratie, S. 365 f.

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Sprecher der Zentrumsfraktion im Reichstag.61 Er begründete die Sozialpolitik als ein Drittes neben der Außenpolitik und der Innen- und Verfassungspolitik. Obwohl es in der Fraktion durchaus unterschiedliche Auffassungen zur Sozialpolitik gab, können Hertlings Ansichten – neben den päpstlichen Sozialenzykliken und der praktischen Caritasarbeit – als prägend für das Zentrum angesehen werden. Sein sozialpolitisches Denken ruhte in philosophischen Überlegungen und ließ sich vom Naturrecht leiten, ging aber vor allem von der Beobachtung herrschender Zustände aus. Aus der bestehenden Wirtschaftsordnung ergaben sich für ihn Folgerungen wie der Schutz der Arbeiter vor Krankheit und Arbeitslosigkeit. Die grundsätzliche Vereinbarkeit dieser Ansichten mit dem späteren Konzept der Sozialen Marktwirtschaft ist unübersehbar. Die Beziehung zwischen Wirtschaftsliberalismus und katholischer Soziallehre ist zwar schon deshalb konfliktträchtig, weil letztere als eine Reaktion auf den Liberalismus – und nicht nur den extremen Wirtschaftsliberalismus – zu sehen ist.62 Die freiheitlichen Ideen des modernen Liberalismus prallten im 19. Jahrhundert auf die Vorstellungen der römisch-katholischen Kirche. Aber im 20. Jahrhundert kam es zumindest im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft zu einer Art Annäherung zwischen dem Neo- beziehungsweise Ordoliberalismus und Teilen der katholischen Soziallehre.63 Linksorientierte katholische Sozialethiker wie Oswald von Nell-Breuning sahen in Übereinstimmung mit dem Syllabus Errorum von 1864 keine Möglichkeit, dass sich Wirtschaftsliberalismus und Katholizismus verständigen könnten. Eine ganz andere Haltung vertrat indes Joseph Höffner, der 1940 von Eucken im Fach Volkswirtschaftslehre promoviert wurde. Höffner gestand dem Liberalismus zu, sich mit dem Neoliberalismus über das Stadium des Laissez-faire-Liberalismus hinausentwickelt zu haben. Als besondere Errungenschaften des Neo- beziehungsweise Ordoliberalismus nannte er das Prinzip des freien Wettbewerbs und die Tatsache, dass diese Konkurrenz staatlich zu organisieren sei. Obwohl sich auch Höffner einen gewissen Vorbehalt gegenüber dem Liberalismus bewahrte, wies er also den Weg zur Konvergenz von katholischer Soziallehre und Sozialer Marktwirtschaft, was erheblichen Einfluss auf die CDU haben sollte. Gleichwohl wurde die Koexistenz, bisweilen sogar die Vermischung, der katholischen Soziallehre mit der evangelischen Sozialethik in der Sozialen Marktwirtschaft nicht von allen Mitgliedern der jungen Partei gern gesehen. Namentlich innerhalb der CDA blieb der Vorbehalt gegen den Liberalismus groß, auch in seiner von der evangelischen Sozialethik befürworteten sozialen Gestalt. Ähnliches Misstrauen hegten vor allem die Christlich-Sozialen gegenüber dem Konservatismus.

Konservative Disposition Die Debatte darüber, ob die CDU eine konservative Partei sei, reicht bis in die 1950er Jahre zurück. Die Gründe für den Streit liegen nicht allein in der CDU, sondern sind eine 61 Vgl. dazu und zum Folgenden Winfried Becker: Politischer Katholizismus, christliche Soziallehre, Deutsche Zentrumspartei, in: Gauger/Küsters/Uertz (Hg.): Das christliche Menschenbild, S. 51 – 85, hier 65 – 68. 62 Vgl. Reinhard Marx: Wirtschaftsliberalismus und Katholische Soziallehre (Freiburger Diskussionspapiere zur Ordnungsökonomik 06/3). Freiburg i. Br. 2006, S. 1. 63 Vgl. dazu und zum Folgenden ebd., S. 7 f.

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Folge der deutschen Ideen- und Parteiengeschichte. Das Bild, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg viele vom deutschen Konservatismus machten, war von der destruktiven Haltung der DNVP in der letzten Phase der Weimarer Republik sowie von den Ideen der sogenannten Konservativen Revolution und der Völkischen Bewegung geprägt.64 Im besten Fall galt der Konservatismus der Weimarer Republik als einer von vielen Faktoren, die die liberale Demokratie hatten erodieren lassen; im schlimmsten Fall sah man in den Konservativen die „Steigbügelhalter“ des Nationalsozialismus. Nach dem Zweiten Weltkrieg bestand deshalb selbst bei Politikern, die vor 1933 in der DNVP oder einer konservativen Splitterpartei aktiv gewesen waren, wenig Neigung, sich selbst als konservativ zu bezeichnen. Das bedeutet freilich nicht, dass der Konservatismusbegriff in den intellektuellen Debatten der Bundesrepublik keine Rolle gespielt hätte. Das Gegenteil ist der Fall: Gerade wegen seiner problematischen Geschichte begann spätestens nach der Gründung der Bundesrepublik die Suche nach dem für den deutschen Teilstaat tauglichen Konservatismus. Während Rechtsintellektuelle wie Armin Mohler die „Konservative Revolution“ feierten und damit versuchten, den Konservatismusbegriff im Sinne der radikalen Rechten der Weimarer Republik antiliberal zu füllen, strebten andere nach einem gemäßigten, mit der liberalen Demokratie zu vereinbarenden Konservatismus.65 Letzteres war kaum ohne Vorbilder möglich. Da die eigenen Traditionen diskreditiert oder verschüttet waren, blieb auch in diesem Fall nur der Blick nach Westen. Dorthin schauten nicht nur Intellektuelle, die glaubten, dass die liberale Demokratie nicht ohne einen ihr angemessenen Konservatismus auskomme, sondern bald auch Vertreter der mit CDU/CSU koalierenden kleinen Deutschen Partei und schließlich sogar Politiker der Unionsparteien selbst.66 Ein Meilenstein war dabei der Bundesparteitag der CDU von 1958 in Kiel.67 Nicht, dass sich die Partei bei dieser Gelegenheit zum Konservatismus bekannt hätte. Das geschah weder in Kiel noch später. Aber in Kiel hielt mit Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier erstmals ein hochrangiger Unionspolitiker ein Grundsatzreferat, das den Gedanken nahelegte, die CDU sei eine mit der britischen Conservative Party vergleichbare Partei. Dabei war der Konservatismus gar nicht das Thema des Vortrags mit dem Titel „Staatsordnung und Gesellschaftsbild“, sondern die Frage, inwiefern der Liberalismus mit dem christlichen Profil der Union vereinbar sei.68

64 Vgl. Steber: Hüter, S. 108 – 110; Schildt: Konservatismus, S. 221 f. Zur Entwicklung des parteipolitischen Konservatismus in der letzten Phase der Weimarer Republik vgl. Thomas Mergel: Das Scheitern des deutschen Tory-Konservatismus. Die Umformung der DNVP zu einer rechtsradikalen Partei 1928 – 1932, in: HZ 276 (2003), S. 323 – 368. Der „deutsche Tory-Konservatismus“, von dem Mergel spricht, war freilich niemals eine realistische Option. Vgl. dazu Daniela Gasteiger: Kuno von Westarp (1864 – 1945). Parlamentarismus, Monarchismus und Herrschaftsutopien im deutschen Konservatismus (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte. Bd. 117). Berlin/Boston 2018, S. 477 – 484. 65 Vgl. Steber: Hüter, S. 110 – 115. 66 Zur Deutschen Partei vgl. in diesem Zusammenhang dies.: Kein Abschied von Wunschbildern. Die Deutsche Partei in den 1950er Jahren, in: Sebastian Liebold/Frank Schale (Hg.): Neugründung auf alten Werten? Konservative Intellektuelle und Politik in der Bundesrepublik. Baden-Baden 2017, S. 33 – 51. 67 Vgl. dazu und zum Folgenden Steber: Hüter, S. 166 – 173. 68 Siehe Eugen Gerstenmaier: „Staatsordnung und Gesellschaftsbild“, in: Christlich Demokratische Union Deutschlands (Hg.): 8.Bundesparteitag der CDU, 18.9.– 21.9.1958. Hamburg 1958, S. 90 – 108.

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Anders als für die Vertreter der CDA gab es für den konservativen Protestanten Gerstenmaier keinen Widerspruch zwischen dem Christentum und dem Liberalismus. Beide trafen sich aus seiner Sicht in einem gemäßigten Freiheitsideal, das er gegen die Tendenz zum sozialistischen Versorgungsstaat stellte. Soziale Gerechtigkeit bedeutete für Gerstenmaier, „dem schuldlos zu kurz Gekommenen und Arbeitsunfähigen großzügig unter die Arme“ zu greifen.69 Das „letzte Wagnis des Lebens“ solle der Staat dagegen seinen Bürgern nicht abnehmen, „denn wir glauben, daß der Mensch damit um sein Eigentliches, um die ihm auferlegte Bewährung in der Freiheit, gebracht würde“. Gerstenmaier entwarf auf diese Weise eine CDU als antisozialistische Sammlungsbewegung, deren Vorbild die britische Conservative Party sein sollte: „Wir können mit Englands Konservativen […] glaubend und hoffend sagen: Vorwärts, Freunde, vorwärts in Freiheit!“ Das war durchaus keine zufällige Referenz, vielmehr der vorsichtige Versuch einer programmatischen Verortung, was sich daran zeigt, dass auf dem Parteitag die kleine Programmschrift Onward in Freedom verteilt wurde, die die Conservative Party im selben Jahr herausgegeben hatte.70 Gerstenmaier wies damit den Weg zu einer konservativen Partei, die gleichzeitig eine liberale Partei war, die also einen liberalen Konservatismus vertrat. In Großbritannien hatte sich der Konservatismus im 19. Jahrhundert gemeinsam mit der liberalen Demokratie entwickelt, war nicht eine Ansammlung von aus dem Ancien Régime stammenden Grundsätzen und Ideologemen, sondern in erster Linie eine Haltung gegenüber dem ständigen Wandel aller von Menschen gemachten Dinge, kurz gesagt: keine Ideologie, sondern eine Disposition. Der „liberal Conservatism“, wie er schon in den 1830er Jahren von Politikern und Journalisten genannt wurde, war dabei eine Position der Mitte zwischen dem politischen Ideal der Veränderung, das der linke Flügel der Whigs und später der Liberalen repräsentierte, und dem Ideal der Beharrung des rechten Flügels der Tories beziehungsweise der Konservativen.71 Diese Vorstellung, den Wandel zu gestalten und ihn in positive Bahnen zu lenken, statt ihn selbst herbeizuführen oder ihn aufhalten zu wollen, zog viele in der CDU magisch an. Tatsächlich zeigt die Regierungsweise der CDU im Bund, aber auch in vielen Ländern, dass sie von Anfang an eine in diesem Sinne konservative Partei gewesen ist. Aber, und das muss man hinzufügen, eben auch nur in diesem Sinne. Der Konservatismus der CDU ist von der Ära Adenauer bis zur Gegenwart nie etwas anderes gewesen als ein Liberalkonservatismus, die Verbindung von liberalen Grundsätzen mit einer konservativen Disposition. Wenn die CDU eine konservative Partei ist, dann weil sie das liberale System durch Reformen bewahren, statt durch Experimente perfektionieren will. Der Liberalkonservatismus der CDU hat auf diese Weise noch ein anderes Element aufgenommen, das ebenfalls westlich, aber nicht nur britisch, sondern auch amerikanisch ist. Wie die gemäßigten Varianten des amerikanischen Konservatismus hat auch der Liberalkonservatismus der CDU die Bewahrung der Verfassungsordnung im Blick, oder wie der Hamburger CDU-Politiker Erik Blumenfeld 1964 sagte: „Konservativ sollten wir sein, 69 Dieses und alle folgenden Zitate aus der Rede finden sich ebd., S. 108. 70 Vgl. Steber: Hüter, S. 372 f. 71 Vgl. dazu Matthias Oppermann: Triumph der Mitte. Die Mäßigung der „Old Whigs“ und der Aufstieg des britischen Liberalkonservatismus, 1750 – 1850 (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London. Bd. 83). Berlin/Boston 2018.

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was das Ideal der Freiheit betrifft. Es zu bewahren, sind unsere westlichen Verfassungen geschaffen worden.“72 Der Umweg über die angloamerikanische Welt darf indessen nicht den Blick darauf verstellen, dass es auch in der deutschen Ideen- und sogar Parteiengeschichte Vorbilder für eine liberalkonservative Haltung gab. Historiker wie Friedrich Christoph Dahlmann, Heinrich von Sybel und Hans Delbrück stehen ebenso dafür wie jene Schnittmenge aus der Nationalliberalen Partei und der Freikonservativen Partei, die im deutschen Kaiserreich neben der Zentrumspartei für die politische Mitte stand. Dass sich ein deutscher Liberalkonservatismus nicht dauerhaft etablieren konnte, ist nicht auf den Mangel an Ideen zurückzuführen, sondern darauf, dass andere Traditionen und Kräfte stärker waren. Auch hier hat die CDU einen wichtigen Neuanfang gemacht. In der Form der konservativen Disposition gehört der Konservatismus also ebenso zu den geistigen Grundlagen der CDU wie der Liberalismus und die Soziallehren der Kirchen. Es macht das Wesen der CDU aus, diese drei Elemente zu einem neuen Politikansatz verbunden zu haben. Ohne weiteres lassen sie sich nicht voneinander trennen. Eberhard Diepgen machte das als Regierender Bürgermeister von Berlin deutlich, als er im Jahr 2000 auf dem Parteitag der Berliner CDU erklärte: „Ich bin ein sozial engagierter, liberaler Konservativer.“73 Die CDU, heißt das, kann auf keine ihrer politischen Traditionen verzichten. So war es unter Adenauer und so ist es noch heute.

Forschungs- und Quellenlage Eine systematische Darstellung der geistigen Grundlagen und Ursprünge der CDU ist nach wie vor ein Desiderat der Forschung. Die zahlreichen Aufsätze, die es zu diesem Thema gibt, können die Lücke aufgrund ihrer begrenzten Perspektive nicht schließen. So hat sich etwa Winfried Becker Verdienste in der Beschreibung der Grundlagen der CDU erworben, gleichzeitig aber nur den politischen Katholizismus und die katholische Soziallehre in den Blick genommen.74 Forschungen, die sich mit dem Einfluss des Protestantismus im Allgemeinen und der evangelischen Sozialethik im Besonderen auseinandersetzen, sucht man fast vergeblich.75 Zumindest mit Blick auf die Ursprünge der Sozialen Marktwirtschaft ist die Bedeutung des Protestantismus das eine oder andere Mal hervorgehoben worden.76 72 Erik Blumenfeld: Chance Parteipolitik. Aus Reden auf Landestagen der Jungen Union Hamburg, 3. Mai 1964 und 15. Februar 1966, in: Ders.: Profile. Persönliches und Politisches 1955 – 1970. Hamburg 1970, S. 63 – 71, hier 65. 73 Zit. nach Ulrich Zawatka-Gerlach: Eberhard Diepgen: Nie war er so wertvoll wie heute, in: Der Tagesspiegel, 25.11.2000. 74 Vgl. exemplarisch Becker: Politischer Katholizismus Ein anderes wichtiges Beispiel ist Noel D. Cary: The Path to Christian Democracy. German Catholics and the Party System from Windthorst to Adenauer. Cambridge, Mass. 2013. 75 Eine Ausnahme ist Traugott Jähnichen: Das Ideal eines „starken Staates“ zur Sicherung von Freiheit und sozialem Ausgleich. Beiträge des politischen Protestantismus zur christlich-demokratischen Programmatik, in: Gauger/Küsters/Uertz (Hg.): Das christliche Menschenbild, S. 86 – 119, der allerdings die Bedeutung der evangelischen Christlich-Sozialen überschätzt und die für die CDU wichtige Tradition des liberalen Kulturprotestantismus sowie des Evangelisch-Sozialen Kongresses unerwähnt lässt. Ausgewogener, aber nicht ideengeschichtlich, sondern mit dem Fokus auf dem praktischen Wirken der Protestanten in der CDU der 1950er und 1960er Jahre, ist Oppelland: Arbeitskreis. 76 Vgl. etwa Löffler: Religiöses Weltbild und Wirtschaftsordnung.

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Was für den Protestantismus gilt, lässt sich auch über Konservatismus und Liberalismus als zwei der sogenannten drei Wurzeln der Christlichen Demokratie in Deutschland sagen. Es ist vorwaltende Tendenz der Forschung, beide Strömungen nur schlaglichtartig zu behandeln. Insofern ist die Studie von Martina Steber über die „politische[n] Sprachen des Konservativen in Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland“77 ein großer Fortschritt. Zum einen hebt sie den konservativen Charakter der Union hervor, ohne ihn ideologisch aufzuladen; zum anderen trägt der Vergleich zwischen CDU und britischer Conservative Party dazu bei, den Blick auf das Konservative an der Union zu schärfen. Mit Hilfe der Unterscheidung eines bundesrepublikanischen Liberalkonservatismus, der die CDU/CSU ausgezeichnet habe, und eines antiliberalen, auf die Weimarer Republik zurückweisenden Konservatismus gelingt es der Autorin zudem, auch den Liberalismus der Union deutlicher hervortreten zu lassen. Vor dem Hintergrund dieser Arbeit werden die Grenzen der Studie von Maria D. Mitchell über die „Origins of Christian Democracy“78 deutlich. Mitchell leugnet die Heterogenität der frühen CDU nicht, vertritt aber die These, dass die Beschwörung der Einheit der Christen das verbindende Element zwischen der katholischen Mehrheit und der protestantischen Minderheit in der Partei gewesen sei. Die Klammer zwischen Katholiken und konservativen Protestanten sei die Vorstellung vom Christentum als Bollwerk gegen den „Materialismus“ gewesen, der aus Sicht der Christdemokraten im Bündnis mit Liberalismus und Säkularismus die deutsche Gesellschaft unterminiert und damit zu einem leichten Opfer für den Nationalsozialismus gemacht habe. Es trifft jedoch nicht zu, dass diese Sichtweise die ganze Partei bestimmt hätte, nicht einmal in ihrer Anfangszeit. Mitchell hat ein Buch über den politischen Diskurs der christlichen Konservativen und „Abendländer“ in der frühen CDU geschrieben, nicht aber die „Origins of Christian Democracy“ in ihrer Vielfalt freigelegt. Um das wirklich tun zu können, müsste man einen breiteren Ansatz verfolgen. Man müsste die unterschiedlichen Strömungen der CDU seit der Anfangszeit ernst nehmen und sie durch die Geschichte der Union verfolgen. Man müsste die Gründungsimpulse ebenso in den Blick nehmen wie die weltanschaulichen Grundlagen. Und schließlich müsste solch eine Studie dort ansetzen, wohin eine moderne Geschichte des politischen Denkens gehört: in der Mitte des politischen Lebens. Dafür stehen als Quellen nicht nur die veröffentlichten Schriften von CDU-Politikern und der CDU nahestehenden Intellektuellen zur Verfügung, sondern auch zahlreiche unveröffentlichte Quellen in Nachlässen im ACDP und in anderen deutschen Archiven.

77 Steber: Hüter. 78 Mitchell: Origins.

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Das Erbe von Zentrum und Widerstand Wolfgang Tischner Christliche Demokraten gegen Hitler Die Feststellung, „dass die Konstituierung der CDU in den Gefängnissen von Tegel begonnen hat“1, stammt vom ehemaligen Präsidenten des Deutschen Bundestages, Eugen Gerstenmaier, der als prominentes Mitglied der Bekennenden Kirche und der Widerstandsgruppe des Kreisauer Kreises durch seine persönliche Erfahrung zum Ziehen dieser Traditionslinie legitimiert war. Sie kontrastiert allerdings mit der noch heute häufig geäußerten Ansicht, die Union habe nur widerwillig die Aufarbeitung der NS-Geschichte betrieben.2 Die Frage nach den in der CDU/CSU fortwirkenden Traditionen aus dem Dritten Reich und dem Umgang mit dem Erbe des Nationalsozialismus beeinflusst also sowohl das Selbstverständnis beider christlich-demokratischer Parteien als auch ihre Außenwahrnehmung beim politischen Gegner und den Wählern. Dabei ist der angelegte Maßstab wichtig: Kaum eine terminologische Frage ist seit dem Beginn der wissenschaftlichen Erforschung der NS-Diktatur so ausgiebig diskutiert worden wie der Widerstandsbegriff. Dabei wurden alle denkbaren Spielarten debattiert: von einem intentionalistischen Begriff – Widerstand seien nur auf gewaltsame Beendigung der NS-Herrschaft abzielende Handlungen – bis hin zu einem rein effektorientierten Begriff – alles, was dem Regime schadet, sei danach Widerstand – wurden Definitionen vorgeschlagen.3 Ohne auf diese Diskussion näher eingehen zu wollen, ist für die Frage nach Vorgeschichte und Traditionslinien der Union vor allem die grundlegende Erkenntnis aus diesem Diskurs wichtig, dass widerständiges Handeln in einem totalitären Staat in Stufen erfolgt. Je nach Situation kann schon ein unterlassener Hitlergruß und ein stattdessen geäußertes „Grüß Gott“ als regimefeindliche Handlung Konsequenzen haben, andererseits aber auch völlig folgenlos bleiben. Mit solch einem Raster, bei dem die Handlungen von bloßer Resistenz über widerständige Handlungen wie etwa der Hilfe für „Fremdarbeiter“ bis hin zum militärischen Aufstand am 20. Juli 1944 reichen, ist die Handlungsbreite der Strömungen, die später in der Union münden sollten, recht gut erfassbar. Dementsprechend soll im Folgenden versucht werden, knapp die verschiedenen Faktoren, die aus der NS-Zeit in die Union hineingewirkt haben, sowie den Umgang der 1 Eugen Gerstenmaier zitiert bei Hans-Otto Kleinmann: Geschichte der CDU. Hg. von Günter Buchstab. Stuttgart 1993, S. 21. 2 Vgl. zuletzt Klaus-Dietmar Henke: Die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit, in: Norbert Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU. München 2020, S. 277 – 298. 3 Einen guten Überblick bieten immer noch die beiden Sammelbände: Jürgen Schmädeke/Peter Steinbach (Hg.): Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die deutsche Gesellschaft und der Widerstand gegen Hitler. München 1985 (und öfter), sowie Ders./Johannes Tuchel (Hg.): Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Berlin 1994.

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CDU mit dem Erbe der NS-Diktatur in der Bundesrepublik zu skizzieren. Als Bezeichnung bietet sich der Begriff der „Christlichen Demokraten“ für diese Gruppe an, da sich die Ausrichtung auf Demokratie und Christentum als verbindendes und nach dem Krieg in der CDU wirksam werdendes Element für diese Kreise herausschälte. Dabei wurden in der Forschung als konstituierende Merkmale das Engagement in und für die Weimarer Republik, die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus, der Beitrag zur Neuformierung der Demokratie und der Versuch einer Erneuerung Deutschlands aus dem Geist des Christentums herausgestellt.4

Das Zentrum im Übergang zur NS-Diktatur Personell und programmatisch baute die frühe CDU in vielerlei Hinsicht auf dem Zentrum der Weimarer Republik auf, auch wenn das Dazustoßen der evangelischen Christen und deren politische Vorstellungen, vor allem im Bereich der Wirtschaftsordnung, 1945 eine genuin neue und vom alten Zentrum deutlich abgesetzte Partei entstehen ließen. Außerdem war das Zentrum, was heute innerhalb der Union und auch der historischen Forschung oft nicht mehr bewusst ist, organisatorisch anders aufgestellt als die heutige CDU. Dies lag in erster Linie an der Nähe zur katholischen Kirche und deren gesellschaftlichem Vorfeld, dem katholischen Milieu. Die Zentrumspartei entstand zu Beginn des Kaiserreiches 1870/71 in Abwehr gegenüber einem antagonistischen, evangelisch geprägten Staat. Konkret war die Partei anfangs kaum mehr als ein Wahlkomitee für die jeweiligen Zentrumsfraktionen auf lokaler, regionaler oder Reichsebene. Auch die Wahlkämpfe wurden nicht von der Partei, sondern von den Organisationen des katholischen Milieus organisiert, immer in enger Abstimmung mit der katholischen Amtskirche, die dem Ganzen ein finanzstarkes und vom borussischen Staat nur schwierig anzugreifendes Rückgrat gab. Kaum denkbar gewesen wären die Wahlerfolge des Zentrums, das im Kaiserreich zeitweise bis zu 80 Prozent der Katholiken als Wähler auf sich vereinigen konnte, ohne die entsprechenden Vorfeldorganisationen: eine weitgefächerte, auflagenstarke katholische Presse mit Zeitungen wie der Berliner „Germania“ oder der „Kölnischen Volkszeitung“, die christlichen Gewerkschaften, die unter katholischen Handwerkern fest verankerte Kolpingsfamilie, katholische Standesorganisationen für praktisch jedes Berufsfeld sowie den 1888 gegründeten „Volksverein für das katholische Deutschland“, der diese Organisationen koordinierte. „Von der Wiege bis zur Bahre“ wurde das Leben eines bekenntnistreuen Katholiken in diesem Verbändenetz organisiert, was eine immense Wählerbindung sicherstellte. Das sozialdemokratische Milieu war ähnlich dicht, im Detail allerdings in anderen Institutionen strukturiert, während im Konservativismus und Liberalismus die Erfassungstiefe nicht vergleichbar war.5 4 Günter Buchstab u. a. (Hg.): Christliche Demokraten gegen Hitler. Aus Verfolgung und Widerstand zur Union. Freiburg i. Br. u. a. 2004, hier S. 118 ff. in der Einleitung. 5 Der für die historische Forschung wirkmächtig gewordene Milieubegriff wurde vom Kölner Soziologen M. Rainer Lepsius formuliert und hat den Klassenbegriff als analytisches Paradigma ersetzt, vgl. ders.: Parteiensystem und Sozialstruktur: zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft, in: Wilhelm Abel u. a. (Hg.): Wirtschaft, Geschichte und Wirtschaftsgeschichte. Festschrift zum 65. Geburtstag von Friedrich Lütge. Stuttgart u. a. 1966, S. 371 – 393. Zur Anwendung auf die Katholizismusforschung vgl. Wolfgang Tischner: Vom Milieu zur Kultur? Katholizismusforschung und Kul-

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Anders als bei liberalen und konservativen Kräften blieb die Zentrumswählerschaft in der Endphase der Weimarer Republik erstaunlich stabil, die Zeitgenossen sprachen deshalb (unter Benutzung eines schon früher geprägten Begriffs) vom „Zentrumsturm“, der unbeeindruckt vom Chaos der Weltwirtschaftskrise und innenpolitischen Radikalisierung im Reich stehe. Die moderne Wahlforschung bestätigt diese zeitgenössische Einschätzung; die konfessionelle Bindung kirchennaher Katholiken war demnach der ausschlaggebende Indikator für diese Bevölkerungsgruppe in allen Wahlen in der Endphase von Weimar.6 Spurlos ging die Krise des Weimarer Staates freilich nicht am Zentrum vorbei: Die Partei wurde stark geschwächt durch den rechtskonservativen Franz von Papen, der, obwohl selbst ursprünglich Zentrumsmitglied, gestützt auf persönliche Beziehungen zu Reichspräsident von Hindenburg, entscheidend zum Sturz des Zentrumskanzlers Brüning beitrug, um selber Kanzler zu werden, freilich ohne parlamentarischen Rückhalt. Während das Zentrum zu den Märzwahlen 1933 noch relativ geschlossen antrat, zeigten sich bald danach die ersten gravierenden Auflösungserscheinungen.7 Schuld daran war in erster Linie eine äußerst geschickte Politik Hitlers, der brutale Repression mit Lockangeboten und christlichen Phrasen zu verbrämen verstand. Insbesondere die von Hitler wieder aufgenommenen Verhandlungen über ein Reichskonkordat trugen zur Lähmung des politischen Katholizismus bei. Von Papen als nunmehriger Vizekanzler in der NSgeführten Regierung trieb die Verhandlungen im Frühjahr 1933 voran. Hitler verfolgte eine doppelte Zielsetzung: Zum einen sollte ihm das Konkordat einen Ausbruch aus der diplomatischen Isolation, in die das Reich nach der „Machtergreifung“ geraten war, sichern, und zum anderen strebte er eine Ausschaltung des politischen Katholizismus als innenpolitisches Resistenzpotential an. Diesem Ziel diente der „Entpolitisierungsartikel“ (Art. 32) des Reichskonkordates, der in Zukunft katholischen Geistlichen die Tätigkeit in einer politischen Partei untersagte.8 Da das Reichskonkordat später von der Bundesrepublik anerkannt wurde, war allein deshalb nach 1945 ein Wiedererstehen des Zentrums in der alten Größe und Struktur unmöglich und eine Neuordnung der Christlichen Demokratie unausweichlich: „Zentrumsprälaten“ wie im Kaiserreich und in Weimar sind in der Bundesrepublik schlicht per Konkordat verboten, auch wenn es anfangs in einigen Landesparlamenten noch vereinzelte katholische Geistliche als Mandatsträger gab. Die Konkordatsverhandlungen wurden im Juni 1933 zu Ende gebracht; am 5. Juli 1933 löste sich das Zentrum als letzte demokratische Partei selber auf und am 20. Juli 1933 wurde das Reichskonkordat im Vatikan feierlich unterzeichnet. Ein direkter Konnex hat sich nicht nachweisen lassen, aber zweifellos hat der bevorstehende Abschluss des Konkordates in Zusammenhang mit der politischen Gesamtlage die Entscheidung zur Selbstauflösung massiv befördert.9 Vorausgegangen war dem schon der „Sündenfall“ des Zen-

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turgeschichtsschreibung, in: Wolfram Pyta u. a. (Hg.): Die Herausforderung der Diktaturen. Katholizismus in Deutschland und Italien 1918 – 1943/45 (Reihe der Villa Vigoni. Bd. 21). Tübingen 2009, S. 211 – 222. Vgl. die maßgebliche Studie von Jürgen W. Falter: Hitlers Wähler. Die Anhänger der NSDAP 1924 – 1933. 2. Aufl. Frankfurt a. M. 2020. Hierfür immer noch zentral Rudolf Morsey: Der Untergang des politischen Katholizismus. Die Zentrumspartei zwischen christlichem Selbstverständnis und „Nationaler Erhebung“ 1932/33. Stuttgart/ Zürich 1977. Der Text des Reichskonkordates ist abgedruckt im Reichsgesetzblatt 1933, Nr. 38, Teil 2, S. 679– 688, hier 688. Vgl. hierzu die Kontroverse zwischen dem evangelischen Kirchenhistoriker Klaus Scholder und dem

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trums, als eine Mehrheit der Fraktion sich mit ein paar belanglosen nicht einklagbaren Zugeständnissen Hitlers zufriedengegeben und dem Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933 zugestimmt hatte. Eine Mischung aus Furcht, Opportunismus gegenüber dem neuen Machthaber und schlichter politischer Fehlkalkulation hatte zu dieser katastrophalen Entscheidung geführt, die Hitler half, den Schein der Legalität bei der Abschaffung der Weimarer Verfassungsordnung aufrechtzuerhalten. Mit dem Ende des Zentrums war an eine um Parteistrukturen organisierte Widerstands- und Exiltätigkeit ehemaliger Zentrumspolitiker etwa analog der SPD nicht mehr zu denken. Christlich-demokratischer Widerstand war danach die Sache von Einzelnen beziehungsweise einiger Weniger.

Konservative Kräfte zwischen Eindämmungsillusionen und Röhmputsch Anders als der politische Katholizismus, aus dessen Reihen nur Opportunisten wie von Papen Hitler unterstützten, war die Situation auf konservativer Seite schwieriger. In der Endphase der Weimarer Republik sahen vor allem radikalkonservative Kräfte im Umfeld der DNVP die Gelegenheit gekommen, aus den fühlbaren Defiziten der ersten deutschen Demokratie Profit zu schlagen und zu einem Umbau der Weimarer Demokratie in Richtung eines autoritären Staates zu gelangen.10 Diese Vorstellung, die starken Rückhalt bei militärischen und wirtschaftlichen Eliten fand, koppelte sich oft mit einer Unterschätzung Hitlers und einer Verkennung des totalitären Charakters der NS-Bewegung. Eine Einbindung Hitlers in ein deutschnational dominiertes Kabinett schien eine Möglichkeit zu sein – eine Illusion, die letztlich zu der fatalen Fehlentscheidung Hindenburgs Anfang 1933 führte, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen. Anfänglich fanden die Maßnahmen der NS-Führung, insbesondere das entschiedene Vorgehen gegen die KPD nach dem Reichstagsbrand, noch weite Zustimmung im Bereich des Konservativismus und des Bürgertums. Eine geschickte Inszenierung, bei der preußische Tradition und NS-Ideologie mit dem Mythos des Frontsoldaten verschmolzen wurden, wie etwa am „Tag von Potsdam“ in der preußischen Garnisonkirche, bediente diese Vorstellungen. Lange genug konnte die NS-Führung dies aufrechterhalten, bis nach der Durchsetzung von Reichstagsbrandverordnung und Ermächtigungsgesetz und den von der NSDAP gewonnenen Märzwahlen 1933 der Weg in die Diktatur frei war und die konservativen Steigbügelhalter nicht mehr benötigt wurden. In der zweiten Jahreshälfte 1933 konzentrierte sich das Regime auf die Konsolidierung seiner Machtposition und schaltete insbesondere die kommunistischen und sozialdemokratischen Widerstandskreise systematisch aus, zudem wurden durchaus auch schon prominente Christliche Demokraten verhaftet. In konservativen Kreisen wuchs die Erkatholischen Historiker Konrad Repgen, die aufgrund der fachlichen Tiefe und des respektvollen Umgangs der Kontrahenten miteinander zu den Sternstunden bundesdeutscher Historiographiegeschichte zählt; der Gesamtkomplex zuletzt bei Thomas Brechenmacher: Das Reichskonkordat 1933: Forschungsstand, Kontroversen, Dokumente (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen. Bd. 109). Paderborn u. a. 2007. 10 Grundsätzlich zum konservativen Widerstand Hans-Christof Kraus: Der konservative Widerstand gegen den Nationalsozialismus – Bedeutung und Problematik, in: Barbara Zehnpfennig (Hg.): Politischer Widerstand. Allgemeine theoretische Grundlagen und praktische Erscheinungsformen in Nationalsozialismus und Kommunismus. Baden-Baden 2017, S. 181 – 204.

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kenntnis des wahren Charakters des Regimes, zudem befürchtete vor allem die Reichswehr die Konkurrenz der paramilitärischen SA, die auch mit hilfspolizeilichen Aufgaben betraut war. Hitler nutzte diese Gelegenheit, den von ihm zunehmend als Bedrohung wahrgenommenen SA-Chef Ernst Röhm zu eliminieren und sich gleichzeitig die Reichswehr zu verpflichten, als er in der „Nacht der langen Messer“ am 30. Juni 1934 Röhm und einen Teil der SA-Führung ermorden ließ. Da seit einigen Wochen auch seine bisherigen konservativen Verbündeten von ihm abrückten – Franz von Papen hatte eine in der Auslandspresse vielbeachtete kritische Rede am 17. Juni 1934 an der Universität Marburg gehalten –, wurden gleich noch einige dem konservativen Spektrum angehörige Personen wie der Autor der Marburger Rede, Edgar Julius Jung, ebenfalls ermordet. Das gleiche Schicksal traf auch den Ministerialdirektor im Reichsverkehrsministerium Erich Klausener, der als Leiter der Katholischen Aktion den Berliner Bischof über Entwicklungen im Beamtenapparat auf dem Laufenden gehalten und in einer aufsehenerregenden Rede auf dem Märkischen Katholikentag am 24. Juni 1934 die NS-Kirchenpolitik scharf kritisiert hatte. Hitlers Entscheidung, Konservative und Zentrumsleute in die Mordaktion einzubeziehen, war erst in letzter Minute gefallen, so dass etwa der ehemalige Reichstagsabgeordnete Johannes Schauff, der ein Bindeglied zwischen widerstandsbereiten Zentrumsleuten und konservativen Kreisen darstellte, mit dem Leben davonkam.11 Als der greise Reichspräsident Hindenburg wenig später, am 2. August 1934, verstarb, vereinigte Hitler in seiner Person das Amt des Reichskanzlers mit dem des Reichspräsidenten und ließ die Wehrmacht auf seine Person vereidigen. Damit war auch die konservative Opposition zunächst einmal ausgeschaltet.

Die Kirchen: Verkirchlichung und Bekenntnis Für die Entwicklung der Christlichen Demokratie in Deutschland nach 1945 sind die beiden Volkskirchen in Deutschland die vermutlich wichtigsten Einzelfaktoren. Beide Konfessionen hatten dabei sehr unterschiedliche Ausgangsbedingungen. Während trotz der Gebiets- und Bevölkerungsverluste 1919 das Zahlenverhältnis in Weimar immer noch in etwa dem im Kaiserreich entsprach – grob 1/3 Katholiken, 2/3 Protestanten –, war es für die katholische Kirche sehr viel leichter, sich mit der Weimarer Republik zu arrangieren und später eine deutliche Distanz zum NS-Regime zu wahren als für die evangelischen Kirchen in Deutschland.12 Diese, regional zersplittert, mussten oftmals strukturell einen Ersatz für das in Wegfall gekommene Summepiskopat, das landesherrliche Kirchenregiment, finden und waren aufgrund ihrer vielerorts stärkeren Verbindung zur Monarchie deutlich skeptischer gegenüber der parlamentarischen Demokratie. In der katholischen Kirche gab es, vor allem in Bayern, durchaus auch Ordinarien, die der Monarchie nachtrauerten. Jedoch wurde spätestens seit der bekannten Auseinandersetzung auf dem Münchener Katholikentag 1922 zwischen dem Katholikentagspräsidenten, dem Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer, und dem Münchener Kardinal Michael von Faul11 Zu Schauff, dessen Rolle immer noch unterschätzt wird, vgl. Dieter Marc Schneider: Johannes Schauff (1902 – 1990). Migration und „Stabilitas“ im Zeitalter der Totalitarismen (Studien zur Zeitgeschichte. Bd. 61). München 2001. 12 Zu deutschen Katholiken und katholischer Kirche vgl. Heinz Hürten: Deutsche Katholiken 1918 – 1945. Paderborn u. a. 1992.

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haber der Staat von Weimar von Katholizismus und Episkopat grundsätzlich bejaht.13 Ein besonderer Glücksfall war der neue vatikanische Nuntius Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII. Pacelli war ein deutlicher Unterstützer der parlamentarischen Demokratie. Sein Einfluss auf Bischofsbesetzungen in Deutschland führte auch dazu, dass ihm bekannte, dezidiert demokratiebejahende Kleriker, wie etwa der spätere Berliner Kardinal Konrad von Preysing, bei der Besetzung von Bischofsstühlen auf Schlüsselpositionen kamen. In der Auseinandersetzung mit dem NS-Staat bedeutete der unbedingte Rückhalt, den gerade von Preysing und sein Vetter Clemens August von Galen, der Bischof von Münster, im Vatikan hatten, einen großen Vorteil. Im Bereich der evangelischen Kirchen gab es für die Bekennende Kirche durchaus auch engagierte Unterstützung aus Schwesterkirchen in den USA oder Großbritannien, aber dies war in den Möglichkeiten nicht mit der vatikanischen Diplomatie vergleichbar. Die katholische Kirche suchte noch etliche Monate nach der Selbstauflösung des Zentrums zu einem Modus Vivendi mit dem Regime zu gelangen. Die permanente Verfolgung der katholischen Verbände – das Regime ignorierte schlicht die im Konkordat gegebenen Zusagen – führte jedoch schnell zu einer Desillusionierung. Es entwickelte sich ein Kleinkrieg zwischen Staat und Kirche um die einzelnen Elemente des katholischen Milieus, bei dem das Regime mit jeweils zeitlich und örtlich unterschiedlichem Verfolgungseifer versuchte, die Kirche auf ein Sakristeichristentum zurückzudrängen. Dies betraf die letztlich aufgelösten katholischen Bekenntnisschulen, die katholischen Verbände, die Arbeit der Caritas, selbst die Kreuze in den Schulräumen. Dabei konnte sich allerdings die katholische Kirche der engagierten Unterstützung durch die Gläubigen sicher sein, und spezifische Protestformen entwickelten sich. Die großen Wallfahrten, wie etwa die alle sieben Jahre stattfindende Aachener Heiligtumswallfahrt, entwickelten sich zu Großdemonstrationen, die aufgrund ihres religiösen Grundcharakters aber nicht zu verbieten waren. An der Aachener Wallfahrt 1937 nahmen trotz Schikanen und einer Pressekampagne des NS-Regimes über 800.000 Personen teil. Ein wichtiger Bevölkerungsteil, nämlich die kirchennahen Katholiken, wurde durch diese Aktionen, die in den Bereich der Resistenz fallen, weltanschaulich in Distanz zum Regime gehalten. Das katholische Milieu war als Ganzes nicht im Widerstand, aber wahrte einen weltanschaulichen Abstand und seine innere Geschlossenheit. Gut dokumentiert ist die Haltung des katholischen Klerus, der vermutlich die geschlossenste Großgruppe in der deutschen Bevölkerung darstellte, die nachweislich in Resistenz gegenüber dem Regime agierte.14 Die NS-Diktatur nahm, sobald der organisierte Widerstand von KPD und SPD Ende 1935 im Reich im Wesentlichen ausgeschaltet war, besonders die katholische Kirche als gut angreifbaren Gegner ins Visier. Die Maßnahmen waren dabei vielfältig und regional höchst verschieden. Sie reichten vom Druck auf katholische Beamte über die Drangsalierung und das Verbot der theoretisch konkordatsrechtlich geschützten katholischen Verbände bis hin zu offener Verfolgung. Für letzteres wurde der tatsächlich vorhandene 13 Vgl. dazu zuletzt Rita Anna Tüpper: München, Königsplatz. Der junge Konrad Adenauer rebelliert für die Demokratie und gegen die Geistlichkeit, in: Michael Borchard/Judith Michel (Hg.): Erinnerungsorte der Christlichen Demokratie in Deutschland. Berlin 2020, S. 26 – 35. 14 Vgl. dazu die zweibändige prosopographische Sammlung von Ulrich von Hehl/Christoph Kösters (Bearb.): Priester unter Hitlers Terror. Eine biographische und statistische Erhebung (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe A: Quellen. Bd. 37). 4. Aufl. Paderborn u. a. 1998.

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Kindesmissbrauch durch Geistliche in den sogenannten Sittlichkeitsprozessen publizistisch ausgeschlachtet.15 Ebenfalls einen Ansatzpunkt für staatliche Verfolgungsmaßnahmen bildete das Devisenrecht, das der NS-Staat im Rahmen seiner auf Autarkie zielenden Wirtschaftspolitik deutlich verschärft hatte. Da auch die Kirchen während der 1920er Jahre Auslandskredite aufgenommen hatten, die sie jetzt nach der neuen Rechtslage nicht mehr bedienen konnten, gab es hier formalrechtlich gute Angriffsflächen. Im Zuge dieser Prozesse wurde sogar ein katholischer Bischof, Petrus Legge aus Meißen, zu einer Haftstrafe verurteilt.16 Offener Widerstand war dagegen nicht die Sache der katholischen Kirche. Die Binnenwahrnehmung dort sah in der Anfangsphase der NS-Diktatur wenig Unterschiede zu den historischen Erfahrungen des Kulturkampfs im Bismarckreich, als ein antagonistischer borussischer Staat ebenfalls die katholische Kirche drangsaliert, diese die Schikanen aber durch „Überwinterung“ vergleichsweise gut überstanden hatte. Dies wurde in Bezug auf das katholische Verbandswesen erneut die Strategie, sobald Mitte der 1930er Jahre deutlich wurde, dass das Regime sich nicht an das Reichskonkordat zu halten gedachte. Alle Vereine, bei denen das Aufgabenfeld es erlaubte, wurden in den Bereich der kirchlichen Verwaltung gezogen, sei es im Bereich der Caritas, der Jugendorganisationen etc. Die Forschung hat diesen Prozess als „Verkirchlichung“ (Heinz Hürten) beschrieben. Diese Entwicklung hatte, weil sie in wesentlichen Bereichen nach dem Krieg nicht mehr revidiert wurde, später starke Auswirkungen auf die Struktur der Christlichen Demokratie in Deutschland: Da das Verbändevorfeld nach 1945 nur teilweise wiedererstand und deshalb wesentlich dünner als in der Weimarer Republik war, musste die Parteistruktur der Union anders aufgebaut sein als die des Zentrums im Kaiserreich und in Weimar. CDU und CSU mussten sich deshalb deutlich stärker zu Mitgliederparteien hin entwickeln, als es das Zentrum oder die Bayrische Volkspartei jemals waren und sein mussten. Der Volksverein, der eben bis 1933 de facto viele Parteiaufgaben übernommen hatte, wurde gar nicht wieder neu begründet.17 Das an seine Stelle getretene „Zentralkomitee der deutschen Katholiken“ zeigt exemplarisch die Unterschiede zwischen dem Katholizismus der Weimarer Republik und der Bundesrepublik.18 Die evangelischen Kirchen im Deutschen Reich waren 1933 in einer ungleich komplizierteren Situation.19 Während die sowieso geringe Anzahl von NS-Sympathisanten innerhalb der katholischen Amtskirche durch die kirchliche Hierarchie recht effizient im Zaum gehalten wurde, bot die synodale Struktur der evangelischen Landeskirchen gerade wegen ihres partizipatorisch-demokratischen Charakters einem nationalsozialistisch 15 Dazu Hans Günter Hockerts: Die Sittlichkeitsprozesse gegen katholische Ordensangehörige und Priester 1936/1937. Eine Studie zur nationalsozialistischen Herrschaftstechnik und zum Kirchenkampf (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen. Bd. 6). Mainz 1971. 16 Vgl. dazu Birgit Mitzscherlich: Diktatur und Diaspora. Das Bistum Meißen 1932 – 1951 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen. Bd. 101). Paderborn u. a. 2005. 17 Zum Volksverein vgl. Gotthard Klein: Der Volksverein für das katholische Deutschland 1890 – 1933. Geschichte, Bedeutung, Untergang (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen. Bd. 75). Paderborn u. a. 1996. 18 Thomas Grossmann: Zwischen Kirche und Gesellschaft. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken 1945 – 1970 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen. Bd. 56). Mainz 1991. 19 Grundlegend hierzu noch immer Klaus Scholder: Die Kirchen und das Dritte Reich. Bd. 1 – 2. Frankfurt a. M. 1977/1985.

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beeinflussten Zeitgeist ungleich größere Angriffsmöglichkeiten. Hitler propagierte ein angebliches „positives Christentum“ der NS-Bewegung und nutzte durch die Inszenierung als Erbe preußischer Staatstraditionen die Staatsnähe der deutschen Protestanten. In von ihm durch Druck erreichten Kirchenwahlen am 23. Juli 1933 gelang es, die regimenahen „Deutschen Christen“ innerhalb der evangelischen Landeskirchen zu etablieren. Eine Folge war die Einführung von „Arierparagraphen“ in den Landeskirchen, die Geistliche mit jüdischen Vorfahren von kirchlichen Ämtern ausschlossen. Diese Festlegung, die für eine Religion mit eindeutig auch jüdischen Wurzeln eine bemerkenswerte intellektuelle Flexibilität verlangte, führte aber zu einer bekenntnistreuen Gegenreaktion in der besten reformatorischen Tradition. Im sogenannten Pfarrernotbund trafen sich Geistliche und Gläubige, die die deutsch-christlichen Kirchenleitungen ablehnten, und auf der „Barmer Bekenntnissynode“ vom 29.– 31. Mai 1934 vollzog man eine Trennung von den nicht mehr als rechtmäßig anerkannten Kirchenleitungen. In der Folge zersplitterte sich der deutsche Protestantismus: deutsch-christliche Kirchenleitungen und ein von Hitler ins Amt gebrachter „Reichsbischof“ Ludwig Müller standen neben der zunehmend verfolgten und nur durch Spenden finanzierten bruderrätlich organisierten „Bekennenden Kirche“, während ein großer Teil der evangelischen Gläubigen der „kirchlichen Mitte“ zuneigte, die weder deutsch-christlich noch bruderrätlich festgelegt war. Besonders im Bereich der Bekennenden Kirche war die Distanz zum Regime groß, auch wenn man dort Wert darauf legte, dass der Widerstand nicht politisch, sondern rein kirchlich zu verstehen sei. Viele der später in der CDU tätigen evangelischen Christen hatten Verbindungen zur Bekennenden Kirche wie Eugen Gerstenmaier, Hans Asmussen, Otto Dibelius und vor allem Hermann Ehlers. Hier gab es auch häufig Überschneidungen mit dem direkten Widerstand: Dietrich Bonhoeffer etwa, ein zentraler Vordenker der Bekennenden Kirche, und Helmuth James Graf von Moltke, der Spiritus Rector des „Kreisauer Kreises“, wurden beide vom NS-Regime noch kurz vor Kriegsende hingerichtet. Für den deutschen Protestantismus bedeutete die Bekennende Kirche die Ehrenrettung, die überhaupt nach 1945 einen Neuanfang erlaubte. Ihr theologischer Widerstand und die in der gemeinsamen Ablehnung der NS-Diktatur neu empfundene Nähe zu den katholischen Christen machte als geistiges Fundament nach 1945 die interkonfessionelle Zusammenarbeit in der CDU für die deutschen Protestanten erst möglich.

Emigration Anders als im Bereich des kommunistischen oder sozialdemokratischen Widerstandes spielte die Emigration im katholischen und konservativen Bereich keine große Rolle. Es existierte zwar eine ausgeprägte Tradition katholischen Exils, die etwa ein Jahrhundert bis zu den Kölner Wirren der 1830er Jahre, der Auseinandersetzung zwischen preußischem Staat und katholischer Kirche um interkonfessionelle „Mischehen“, zurückreichte. Besonders im Kulturkampf mit den Ausweisungen katholischer Ordensangehöriger war ein katholisches Exil auch zahlenmäßig bedeutsam, aber dies war vor allem ein Exil von Geistlichen gewesen, die jetzt mit dem Reichskonkordat eine Minimalabsicherung gegenüber dem Staat zu besitzen schienen. Außerdem gab es durch die Selbstauflösung des Zentrums und die Kollaboration der DNVP keinerlei Parteistrukturen, die bei der Auswanderung Hilfe leisten konnten, so dass in diesem Bereich Exil immer das Exil ein46

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zelner blieb. Allerdings konnten sich Katholiken der Hilfestellung der katholischen Kirche auch im Ausland sicher sein. Auch die noch kleinere Anzahl bewusst evangelischer Emigranten konnte auf die Solidarität amerikanischer oder britischer Christen setzen. Die Forschung hat das Exil dieser Gruppen bisher weitgehend ignoriert, soweit es sich um eine systematische Betrachtung handelt.20 Völlig zu Recht hat Rudolf Morsey darauf hingewiesen, dass sich die Forschung deshalb eher entlang prosopographischer Linien entwickeln müsse.21 Dazu kommt noch, dass Exil anfangs am einfachsten in den nicht vom NS-Staat kontrollierten deutschen oder deutschsprachigen Territorien stattfinden konnte, also bis 1935 im Saargebiet und danach noch bis 1938/39 in der Tschechoslowakei und Österreich und den deutschsprachigen Gebieten in Polen.22 Das Exil dieser Gruppen beruhte deshalb immer auf persönlichen Netzwerken. Dies machte es ziemlich verlässlich und praktisch immun gegenüber Verrat – während das kommunistische Exil von Denunziation bestimmt war, scheint Verrat im katholischen Exil praktisch keine Rolle gespielt zu haben. Es war deshalb aber eben hochindividuell und ist nur in der Einzelbiographie fassbar. Allerdings gab es durchaus einige hochrangige Politiker aus Zentrumskreisen, die ins Ausland gingen. Dazu zählten die beiden ehemaligen Reichskanzler Heinrich Brüning (USA) und Joseph Wirth (Schweiz) ebenso wie der ehemalige Zentrumsvorsitzende Ludwig Kaas. Letzterer fand, ebenso wie der Kirchenhistoriker Hubert Jedin, im Vatikan Unterschlupf.23 Nach der Rückgliederung des Saarlandes an das Deutsche Reich 1935 kam es zu einer Welle der Weiterwanderung von dorthin geflüchteten Katholiken, verstärkt um prononcierte saarländische NS-Gegner wie den Journalisten Johannes Hoffmann 24. Hoffmann ging zuerst nach Frankreich und dann, nach dem deutschen Einmarsch 1940, weiter nach Brasilien. Dort gab es, organisiert von Hermann Mathias Görgen und Johannes Schauff, in der deutschen Siedlung „Rolandia“ auch den einzigen Kristallisationspunkt einer größeren Anzahl katholischer, konservativer und liberaler deutscher Exilanten.25 20 Allerdings wurde das katholische Exil auf mehreren Tagungen thematisiert, vgl. Wolfgang Frühwald/ Heinz Hürten (Hg.): Christliches Exil und christlicher Widerstand. Ein Symposion an der Katholischen Universität Eichstätt 1985 (Eichstätter Beiträge. Bd. 22). Regensburg 1987. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat mittlerweile zwei Tagungen dazu veranstaltet, vgl. die Ergebnisse der ersten in den HPM 26 (2019). 21 Rudolf Morsey: Leben und Überleben im Exil. Am Beispiel von Josef Wirth, Ludwig Kaas und Heinrich Brüning, in: Gordan Paulus (Hg.): Um der Freiheit willen. Eine Festgabe von und für Johannes und Karin Schauff. Pfullingen 1983, S. 86 – 117. 22 Zu Österreich vgl. Rolf Ebneth: Die österreichische Wochenschrift „Der christliche Ständestaat“. Deutsche Emigration in Österreich 1933 – 1938 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen. Bd. 19). Mainz 1976; zu Polen Pia Nordblom: Für Glaube und Volkstum. Die katholische Wochenzeitung „Der Deutsche in Polen“ (1933 – 1939) in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen. Bd. 87). Paderborn u. a. 2000. 23 Rudolf Morsey: Ludwig Kaas – Exilant in Rom und im Vatikan (1933 – 1952), in: HPM 26 (2019), S. 185 – 205. 24 Zu Hoffmann vgl. die Biographie von Heinrich Küppers: Johannes Hoffmann (1890 – 1967). Biographie eines Deutschen (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 54). Düsseldorf 2008. 25 Speziell die katholische Emigration ist noch ein Forschungsdesiderat; vgl. zu Rolandia Bernd Breuning: Die deutsche Rolandwanderung (1932 – 1938). Soziologische Analyse in historischer, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht. München 1983, sowie den Bericht von Hermann Görgen: Ein Leben gegen Hitler. Geschichte und Rettung der „Gruppe Görgen“. Autobiographische Skizzen. Münster 1997.

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Während es aufgrund der Vereinzelung katholischer und konservativer Emigranten keine Zusammenschlüsse gab, die Wirkung gegen den NS-Staat gezeigt hätten, bestand ihre Bedeutung vor allem in der kleinen, aber wahrnehmbaren katholischen Exilpresse. Zu nennen wären besonders die von Waldemar Gurian herausgegebenen „Deutschen Briefe“ oder die von dem Jesuiten Friedrich Muckermann S. J. publizierte Zeitschrift „Der Deutsche Weg“, die sich beide besonders kritisch mit dem totalitären Charakter des Regimes auseinandersetzten.26 Wirksam gewordene Nachkriegsplanungen speziell aus der katholischen oder konservativen Emigration gibt es aufgrund der Vereinzelung nicht. Dort, wo katholische Remigranten im politischen Leben nach 1945 eine Rolle spielten, taten sie dies als Einzelpersonen. Eine Ausnahme bildet neben dem Saargebiet lediglich skurrilerweise die Sowjetisch Besetzte Zone (SBZ), bei der katholische und evangelische kriegsgefangene Geistliche offenbar die kirchenpolitische Nachkriegskonzeption der Sowjets beeinflussten.27

Der Widerstand im Krieg Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs und dem schon im Polenfeldzug 1939 sichtbar werdenden verbrecherischen Charakter der deutschen Kriegsführung erhielt die Frage nach einem aktiven, auf die Beseitigung des Regimes zielenden Widerstand neue Aktualität und auch Legitimation. Die Personen, die im Bereich der beiden Kirchen und des ehemaligen Zentrums in Resistenz zum Regime verharrt hatten, trafen die Entscheidung ganz unterschiedlich: Der Großteil blieb in der inneren Emigration, unternahm häufig auch Handlungen, die die Intentionen nationalsozialistischer Politik konterkarierten – Hilfe für „Fremdarbeiter“, Verbreitung von Nachrichten der BBC oder ähnliches –, ging aber nicht den Schritt zum Widerstand. Typisch ist der Fall des prominenten früheren Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer, der nach seiner Absetzung und Verfolgung 1933/34 in kritischer Distanz zum Regime verharrte, sich aber – auch aus völlig zutreffender Risikoeinschätzung heraus – im Krieg nicht dem Widerstand anschloss.28 Dies bewahrte ihn freilich genauso wenig wie fast alle ehemaligen prominenten Zentrumspolitiker davor, im Rahmen der „Aktion Gewitter“ nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 verhaftet zu werden und nur knapp mit dem Leben davonzukommen. Ein kleiner Teil fand den Weg in die verschiedenen Widerstandsgruppen. Im militärischen Widerstand war, etwa bei Claus Graf Schenk von Stauffenberg oder Eugen Gerstenmaier, die christliche Prägung, egal ob katholisch oder evangelisch, ein wesentliches Motiv unter mehreren. Allerdings war rein zahlenmäßig die verbreitetste Form des Widerstandes nicht die militärisch-politische Verschwörung wie jene um Goerdeler und Stauffenberg, die 26 Heinz Hürten: Waldemar Gurian: ein Zeuge der Krise in unserer Welt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen. Bd. 11). Mainz 1972; Ders. (Bearb.): Deutsche Briefe 1934 – 1938. Ein Blatt der katholischen Emigration. Bd. 1 – 2. Mainz 1969, sowie Hubert Gruber: Friedrich Muckermann S. J. 1883 – 1946. Ein katholischer Publizist in der Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen. Bd. 61). Mainz 1993. 27 Vgl. Wolfgang Tischner: Christen in der Volksfront? Die Exil-KPD, die katholische Kirche und das Nationalkomitee „Freies Deutschland“ 1933 – 1945, in: HPM 26 (2019), S. 207 – 222. 28 Hans Peter Mensing (Bearb.): Adenauer im Dritten Reich (Rhöndorfer Ausgabe). Berlin 1991.

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schließlich den Staatsstreich wagte, sondern der oppositionelle Gesprächskreis, der sich aus oppositionell-distanzierten Gruppen heraus entwickelte und sich unter dem Eindruck des totalen Krieges immer stärker mit Nachkriegsplanungen beschäftigte. Vom Regime wurde dies als „Defätismus“ oder „Wehrkraftzersetzung“ in der zweiten Kriegshälfte mit Haft- und Todesstrafe sanktioniert. Zu diesen Gruppierungen gehörten etwa die „Freiburger Kreise“, ursprünglich lockere Gesprächskreise unter Professoren der Universität Freiburg. Hier fanden v. a. Juristen und Nationalökonomen zusammen und diskutierten zunächst vorrangig die wirtschaftlichen Folgen der heterogenen und in sich widersprüchlichen NS-Wirtschaftspolitik. Der Fokus war bei vielen anfangs rein wirtschaftspolitisch, es gehörten explizite NS-Gegner wie Adolf Lampe ebenso dazu wie bekennende Nationalsozialisten wie Hans Großmann-Doerth. Gerade letzterer zeigt aber, wie ahistorisch eine heutige schwarz-weiße Betrachtungsweise ist: Großmann-Doerth war NSDAP-Mitglied und erlag 1944 den Verwundungen, die er als Regimentskommandeur an der Ostfront erlitten hatte.29 Gleichzeitig war er aber auch ein Kritiker der NSRassenpolitik und hat seinen Schüler Franz Böhm engagiert in einem Sondergerichtsverfahren verteidigt und ihm damit aller Wahrscheinlichkeit nach das Leben gerettet.30 Da die Kartellrechtsgesetzgebung der Bundesrepublik hauptsächlich auf seinen Arbeiten beruht, hat er deutlichen Anteil an der Ausgestaltung der Sozialen Marktwirtschaft. Auf mehreren halblegalen Tagungen wurden während des Krieges Konzepte für eine Nachkriegswirtschaft entworfen, bei der es unter anderem um die Ersetzung der Speer’schen Kommandowirtschaft durch eine Marktwirtschaft und eine Neutralisierung der immens aufgeblähten Geldmenge ging. Andere Gruppierungen der Freiburger Kreise beschäftigten sich mit ethischen Fragen, unter anderem der Behandlung der Juden durch den NSStaat. Da etliche Mitglieder der Freiburger Kreise überlebten und nach dem Krieg weiter wirtschaftspolitisch tätig waren, unter anderem Franz Böhm, Erwin von Beckerath und Walter Eucken, wurden diese Vorstellungen vor allem bei der Formulierung der Grundgedanken der Sozialen Marktwirtschaft wirkmächtig in der Union und hierüber dann für die gesamte Bundesrepublik. Einen ähnlichen Einfluss auf die Union und die Bundesrepublik hatte auch der Kreisauer Kreis, eine um Helmuth James Graf von Moltke gebildete Widerstandsgruppe, die auf seinem Gut Kreisau ihre Tagungen zu Fragen der Gestaltung eines Nachkriegsdeutschlands abhielt.31 Obwohl Moltke verhaftet und noch am 23. Januar 1945 hingerichtet wurde, sind die dort entwickelten Gedanken vor allem zum politischen System in vielem in die Vorstellungen der Christlichen Demokratie und in das Grundgesetz eingeflossen. Bedeutsam war auch, dass die Gruppe um Moltke bewusst versuchte, die aus dem Kaiserreich stammende, noch in Weimar wirksame Zersplitterung und Sprachlosigkeit zwischen den verschiedenen Milieus aufzubrechen. Hier wurden gezielt Jesuiten wie Alfred Delp S. J. ins Gespräch gebracht mit evangelischen Geistlichen wie Eugen Gerstenmaier, der katholische Bischof von Berlin, Konrad von Preysing, debattierte mit 29 Eine wissenschaftliche Biographie Großmann-Doerths ist ein Desiderat, vgl. aber Uwe Blaurock u. a. (Hg.): Das selbstgeschaffene Recht der Wirtschaft – zum Gedenken an Hans Großmann-Doerth (Beiträge zur Ordnungstheorie und Ordnungspolitik. Bd. 171). Tübingen 2005. 30 Vgl. dazu Nils Hansen: Franz Böhm mit Ricarda Huch. Zwei wahre Patrioten (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 57). Düsseldorf 2009. 31 Zu deren Zielsetzung Ger van Roon: Staatsvorstellungen des Kreisauer Kreises, in: Schmädeke/Steinbach: Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus, S. 560 – 569.

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dem preußisch-unierten Protestanten Moltke. Zudem waren, in Weimar undenkbar, auch sozialistische Strömungen, etwa durch die Beteiligung von Adolf Reichwein oder Carlo Mierendorff, mit von der Partie. Der Grundkonsens, der den überlebenden demokratischen Politikern 1948/49 erlaubte, gemeinsam die bislang beste und stabilste deutsche Verfassung, das Grundgesetz, zu entwerfen, wurde vorweggenommen in diesen Widerstandsgruppen, und besonders im Kreisauer Kreis. Der militärische Widerstand dagegen hat das Verdienst, noch während des Krieges ein auch für das Ausland deutlich sichtbares Fanal gegen den NS-Staat gesetzt zu haben. Dadurch hat er insbesondere für das deutsche Militär in der Bundesrepublik eine Identifikationsmöglichkeit und Traditionsbildung erlaubt, die eine Staatsdistanz wie in der Weimarer Republik verhindert hat. Erstaunlicherweise konnten bis zum Attentat vom 20. Juli 1944 die verschiedenen Widerstandskreise noch miteinander kommunizieren. Trotz des Verfolgungsdrucks seitens der Gestapo und des SD hatten der militärische Widerstand um Stauffenberg und Goerdeler und der Kreisauer Kreis mehrfach Kontakt miteinander, dies ging über den späteren CSU-Mitbegründer Josef Müller (genannt „Ochsensepp“) bis in den Vatikan hinein. Bei der Bewertung des Widerstands daraufhin, inwieweit er heute noch als Traditionslinie der Bundesrepublik zu sehen ist, hat die Diskussion sich hauptsächlich auf den kommunistischen und militärischen Widerstand konzentriert. So aufopferungsvoll der Widerstand einzelner Kommunisten auch zweifelsfrei war, so darf doch nicht in Vergessenheit geraten, dass das Endziel dieses Widerstands gegen die NS-Diktatur der Aufbau einer anderen totalitären Diktatur war, nämlich einer stalinistischen. Dies schließt eine Würdigung durch einen demokratischen Staat aus. Mit einigem Recht ist eingewandt worden, dass auch die Attentäter des 20. Juli nicht auf eine parlamentarische Demokratie, sondern in ihrer Mehrheit auf einen autoritären Staat, wie er in der Endphase der Weimarer Republik auf konservativer Seite häufig propagiert worden war, abzielten.32 Der entscheidende Unterschied zum kommunistischen Widerstand besteht allerdings darin, dass, wenn man sich die kontrafaktische Überlegung eines erfolgreichen Staatsstreiches 1944 erlaubt, von dort aus wohl der Weg in einen demokratischen deutschen Nachkriegsstaat auf evolutionärem Weg erfolgt wäre. Die Nachkriegsplanungen der Verschwörer des 20. Juli sahen ein Übergangskabinett mit immerhin fünf ehemaligen Zentrumsmitgliedern vor, eingebunden waren die Gewerkschaften, und die Mitarbeit dieser beiden Personenkreise wäre nach einer Übergangszeit nur unter der Bedingung freier Wahlen zu haben gewesen: Von einem erfolgreichen Staatsstreich wäre der Weg in eine wie auch immer im Detail ausgestaltete deutsche Demokratie wohl vorgezeichnet gewesen.33 Daran ändern zweifelsfrei nachweisbare autoritäre Vorstellungen bei Goerdeler oder den Militärs nichts. Konsequenterweise fanden überlebende Mitglieder dieser Widerstandsgruppe wie Jakob Kaiser, Andreas Hermes oder „Ochsensepp“ Josef Müller ihren Weg in die beiden christlich-demokratischen Parteien. Deshalb gehört der 20. Juli zur geistigen Vorgeschichte der Bundesrepublik, nicht aber der kommunistische Widerstand. 32 Zur Diskussion vgl. v.a. Theodore S. Hamerow: Die Attentäter. Der 20. Juli – von der Kollaboration zum Widerstand. München 1999 (amer. Ausgabe 1997). 33 Diese Möglichkeit sieht auch Hans Mommsen: Verfassungs- und Verwaltungsreformpläne der Widerstandsgruppen des 20. Juli 1944, in: Schmädeke/Steinbach: Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus, S. 570 – 597, hier 592.

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Die Gründungsphase der Union 1945 – 1949: Vom Widerstand zur „Sozialen Marktwirtschaft“ Zur Traditionslinie, die über Werte, Programmatik und Personal zur Union führt, gehört der 20. Juli ebenfalls.34 Der Zusammenbruch des nationalsozialistischen Deutschland im April/Mai 1945 machte den Weg für einen politischen Neuanfang frei und rettete vielen Widerständlern, die auf ihre Hinrichtung warteten, das Leben, so etwa Andreas Hermes in Berlin. Viele, deren intellektueller Beitrag in der Nachkriegszeit sehr wünschenswert gewesen wäre, wie etwa der als zukünftiger Justizminister von den Verschwörern des 20. Juli vorgesehene Josef Wirmer, wurden nach dem gescheiterten Attentat hingerichtet, andere, wie der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer, wurden noch in letzter Stunde vom Regime ermordet. Sofort nach dem Einmarsch der Alliierten begannen Christliche Demokraten überall in Deutschland einen Wiederaufbau des politischen Lebens; stellenweise sogar noch vor der Kapitulation. Auch im Rahmen dieser noch vor Kriegsende beginnenden Reorganisation des politischen Lebens gab es letzte Opfer auf Seiten der Christlichen Demokraten. Am 31. Oktober 1944 wurde der Anwalt Franz Oppenhoff neuer Bürgermeister des von den US-Truppen besetzten Aachen.35 Entscheidend war dabei vermutlich das Votum des Aachener Bischofs Johannes van der Velden. Der heute außerhalb Aachens fast vergessene Oppenhoff hatte in der NS-Zeit engagiert die katholische Kirche, jüdische Deutsche und andere missliebige Personen vor Gericht verteidigt. In der ehemaligen Zentrumshochburg wird gut sichtbar, wie der Umgang eines dem Widerstand nahestehenden Christlichen Demokraten mit der NS-Vergangenheit aussah. Oppenhoff, der eine selbstbewusste Politik gegenüber den Amerikanern verfolgte, setzte eine Besetzung der Spitzenämter der neuen Aachener Verwaltung fast ausschließlich mit Christlichen Demokraten durch und hielt auch einige nur durch bloße Mitgliedschaft belastete NSDAP-Mitglieder in ihren Stellungen. Dies und seine Weigerung, Kommunisten einzubeziehen, sowie seine angeblichen Sympathien für einen Staatsaufbau wie in Franco-Spanien erregten das Missfallen eines linksgerichteten Besatzungsoffiziers, der ihn deswegen gerne abgesetzt gesehen hätte.36 Vorher wurde Oppenhoff allerdings am 25. März 1945 durch ein „Werwolf“-Kommando der SS ermordet. In verschiedenen „Gründungskernen“, so die prägnante Formulierung von Hans-Otto Kleinmann, fanden sich Christliche Demokraten zusammen. In der Regel überwogen zahlenmäßig ehemalige Zentrumsanhänger, aber die dazu gestoßenen Protestanten liberaler, christlich-sozialer oder konservativer Couleur sorgten von Anfang an dafür, dass eine neue Partei entstand. Entscheidend war, dass die neugegründeten interkonfessionellen Parteigruppen, ob sie sich jetzt „Christliche Volkspartei“, „Christliche-Demokratische Partei“ oder wie auch immer nannten, die Regel waren. Zentrumsneugründungen 34 Vgl. auch Winfried Becker: Politische Neuordnung aus der Erfahrung des Widerstands: Katholizismus und Union, in: Peter Steinbach (Hg.): Widerstand. Ein Problem zwischen Theorie und Geschichte. Köln 1987, S. 261 – 292. 35 Klaus Schwabe: Aachen am Ende des Zweiten Weltkriegs: Auftakt zur Nachkriegszeit?, in: Kurt Düwell/Michael Matheus (Hg.): Kriegsende und Neubeginn in Westdeutschland und Luxemburg zwischen 1944 und 1947 (Geschichtliche Landeskunde. Bd. 46). Stuttgart 1997, S. 21 – 32. 36 Vgl. die tendenziöse Darstellung des angeblichen „Aachener Skandals“ bei Saul K. Padover: Lügendetektor. Vernehmungen im besetzten Deutschland 1944/45. Frankfurt a. M. 1999, S. 196 f.

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gab es, sie waren aber sehr viel seltener.37 Es ist bemerkenswert, dass unter den Bedingungen der ersten Wochen nach dem Zusammenbruch, die eine überregionale Kommunikation alleine schon wegen der fehlenden Post- und Telefonverbindungen kaum möglich machten, die Entscheidung fast überall unabhängig voneinander für eine interkonfessionelle Partei fiel. Dies war die Konsequenz aus der gemeinsamen Frontstellung gegen die NS-Diktatur. Nur aus der Erfahrung des Widerstandes heraus war eine Überwindung der konfessionellen Schranken auf dem politischen Feld in Deutschland durchsetzbar. Inhaltlich war die neue Partei, wie auch immer sie anfangs hieß, von dem Entsetzen über den Totalitarismus geprägt: Während es durchaus eine deutliche Bandbreite bei den wirtschaftlichen Forderungen gab, wiesen ausnahmslos alle Gründungsprogramme die Ablehnung der NS-Ideologie, die Anerkenntnis der deutschen Schuld und die Forderung nach Rechtsstaat und Demokratie auf.38 Damit waren sie deckungsgleich zu den Konzeptionen, die in den klar demokratisch orientierten Widerstandskreisen wie dem Kölner Ketteler-Haus-Kreis um ehemalige KAB-Mitglieder, dem Kreisauer Kreis oder den Freiburger Kreisen vor Kriegsende formuliert worden waren. Die politischen Vorstellungen der Personengruppen, die um Goerdeler und Stauffenberg am Attentat vom 20. Juli beteiligt waren, waren deutlich heterogener und zielten teilweise auf einen autoritären Staat. Sie wurden allerdings in den verschiedenen Gründungsprogrammen der Union nicht fühlbar. Da das Exil katholischer und konservativer oder liberaler Emigranten, anders als bei sozialistischen oder kommunistischen Exilanten, völlig ohne Rückbindung an eine politische Organisation erfolgt war, gab es auch keine gemeinsame Exilerfahrung, die nach 1945 hätte in der Union wirksam werden können. Zwar gab es Einzelne, die erfolgreich wirkten, etwa der „verhinderte“ Emigrant Andreas Hermes, der erste Vorsitzende der CDU in der SBZ.39 Nur an der bis 1955 von der Bundesrepublik getrennten Saar gab es den bestimmenden Einfluss von Emigranten 40, der schon erwähnte Johannes Hoffmann war hier bis 1955 Ministerpräsident. Besonders wirksam wurden im programmatischen Bereich die wirtschaftspolitischen Überlegungen, die im Rahmen der „Arbeitsgemeinschaft Erwin von Beckerath“ beziehungsweise der Freiburger Kreise angestellt worden waren. Wie schon erwähnt handelte es sich dabei zuerst um eine rein fachpolitische Gruppe Freiburger Wissenschaftler, der sowohl Befürworter wie Gegner des Regimes angehörten. Sie einte jedoch die Ablehnung der NS-Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die dort formulierten Grundsätze, die eine Ordnungspolitik vorsahen, bei der der Staat auf direkte Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen verzichtete, aber die Durchsetzung der Regeln sicherstellte, wurden ergänzt um den Verzicht auf eine Planwirtschaft und die Favorisierung einer freien Preisbildung. Die überlebenden Mitglieder dieses Arbeitskreises wie Franz Böhm und Constantin von Dietze schlossen sich der Union an, andere Wirtschaftswissenschaftler mit ähnlichen Vor37 Vgl. den Beitrag von Christopher Beckmann in diesem Band. 38 Vgl. dazu den Beitrag von Michael Borchard in diesem Band. 39 Rudolf Morsey: Andreas Hermes. Ein christlicher Demokrat in der ersten und zweiten deutschen Demokratie, in: HPM 10 (2003), S. 129 – 149, zur gescheiterten Auswanderung nach Kolumbien siehe S. 134 f. 40 Gerhard Paul: „Emigrantenstaat“ auf tönernen Füssen – das Saarland nach 1945, in: Klaus-Dieter Krohn/Patrick von zur Mühlen (Hg.): Rückkehr und Aufbau nach 1945. Deutsche Remigranten im öffentlichen Leben Nachkriegsdeutschlands. Marburg 1997, S. 211 – 252.

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stellungen wie Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack stießen bald nach Kriegsende hinzu. Dieser Ordoliberalismus wurde 1949 in einem innerparteilichen Kompromiss mit den Forderungen der katholischen Soziallehre verschmolzen, die seitens des ehemaligen Gewerkschaftsflügels des Zentrums erhoben wurden, und als „Düsseldorfer Leitsätze“ zum Wirtschaftsprogramm der CDU für die ersten Bundestagswahlen41. Unter dem zugkräftigen Titel „Soziale Marktwirtschaft“ sind diese zum allgemein akzeptierten wirtschaftspolitischen Grundprogramm der Bundesrepublik geworden.

Zwischen Aburteilung, Assimilation und Israelfreundschaft: Der Umgang der Union mit der NS-Vergangenheit Die Problemlage, der sich Konrad Adenauer als prägende Figur der CDU und erster Bundeskanzler 1949 bei der Frage des Umgangs mit NS-Unrecht und -Tätern gegenübersah, war ausgesprochen komplex: Ein großer Teil der deutschen Bevölkerung hatte das NS-Regime zumindest zeitweise bejaht, ein kleinerer, aber durchaus zahlenmäßig nicht unbedeutender Teil, war auch zu Mittätern in unterschiedlicher Weise geworden: Von bloßen Gehässigkeiten gegenüber drangsalierten jüdischen deutschen Mitbürgern über ein Profitieren von deren Enteignung bis hin zur Beteiligung an nationalsozialistischen Mordaktionen reichte die Bandbreite. Auf einer solchen Wählerschaft eine funktionsfähige Demokratie aufzubauen, war bei wesentlich geringeren und nicht-kriminellen Belastungen in Weimar nicht gelungen. Die von nachgeborenen Historikern häufig geäußerte Kritik an einer unzureichenden Verfolgung von NS-Unrecht in der Adenauer-Ära ist daher in Frage zu ziehen, wäre eine deutlich umfassendere Verfolgung doch aufgrund der breiten NS-Belastung der Deutschen kaum realisierbar gewesen. Adenauer verfolgte eine dreigeteilte Strategie, die sich letztendlich als außerordentlich erfolgreich erwies. Erstes Element war eine konsequente Verfolgung aller NS-Bestrebungen. Versuche von Nationalsozialisten, sich wieder zu organisieren, wurden energisch mit rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft und unterbunden, sei es 1952/53 noch mit Hilfe der britischen Besatzungsmacht die sogenannte Gauleiterverschwörung innerhalb der nordrhein-westfälischen FDP oder, ungleich gefährlicher, der einzige ernsthaft nationalsozialistische Neugründungsversuch, die „Sozialistische Reichspartei“ (SRP). Letztere wurde im Oktober 1952 durch das erste Parteienverbot in der Bundesrepublik ausgeschaltet. Das zweite Element war eine deutlich kommunizierte Bereitschaft, Mitläufer zu integrieren, sofern sie sich zur neuen, demokratischen Ordnung bekannten. Dem diente eine großzügige Wiedereingliederung nur nominal belasteter ehemaliger NSDAP-Mitglieder ebenso wie ein prononciertes Bemühen um die Abmilderung von alliierten Todesurteilen gegenüber deutschen Kriegsverbrechern. Letzteres war – obwohl es keine Zweifel an der Schwere der Verbrechen gab – innerhalb der deutschen Bevölkerung immens populär und deshalb für einen bundesdeutschen Politiker, der eine Mehrheit der Wähler erreichen wollte, kaum vermeidbar. Das fortwirkendste Element dieser Adenauerschen 41 Zuletzt dazu vgl. Wolfgang Tischner: Düsseldorf, Ständehaus. Plädoyer für die Soziale Marktwirtschaft – Die wirtschaftspolitischen Leitsätze der Arbeitsgemeinschaft der CDU, in: Michael Borchard/Judith Michel (Hg.): Erinnerungsorte der Christlichen Demokratie in Deutschland. Berlin 2020, S. 74 – 81.

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Assimiliationspolitik war jedoch die „Todesumarmung“, in die er die im rechtskonservativen Bereich angesiedelte „Deutsche Partei“ (DP) und den „Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ (BHE) drängte. Beides waren Parteien, die sich in nicht unwesentlichen Teilen aus ehemals dem Nationalsozialismus nahestehenden Mitgliedern beziehungsweise Wählern rekrutierten. Über die Zwischenschritte von Koalitionen und Übertritte von prominenten Mitglieder wie etwa Hans-Joachim von Merkatz (DP) und Theodor Oberländer (BHE) wurde diesen Parteien der Boden entzogen; sie gingen größtenteils in der CDU auf. Das dort zweifellos vorhandene nationalsozialistische Restpotential wurde dabei komplett neutralisiert; eine Stärkung solcher Tendenzen innerhalb der Union ist in der Folge nicht wahrnehmbar gewesen. Dass der Preis darin bestand, deren teilweise stark belastetes Führungspersonal einzubinden und sogar im Falle von Theodor Oberländer als Bundesvertriebenenminister ins Kabinett aufzunehmen, ist sehr bedauerlich und für NS-Opfer schmerzlich, war aber für die dauerhafte Stabilisierung der bundesdeutschen Demokratie ein damals vertretbar erscheinender Preis. In der Retrospektive ist es erstaunlich, dass der vor allem durch sein Kommando einer Einheit Ukrainer, die sich 1941 an der Judenvernichtung in Lemberg beteiligte, schwer belastete Oberländer heute aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden ist. Adenauers deutlich geringer belasteter Staatssekretär und Kanzleramtschef Hans Globke dagegen, der durch die Einschränkung der von der Verwaltung angewandten „Juden“Definition mehrere Tausend Personen vor der Deportation rettete, wird in der Öffentlichkeit und in wissenschaftlichen Publikationen nur eindimensional als „prominenter Mittäter“ wahrgenommen.42 Nach heutigen Maßstäben würde man sicherlich nicht mehr eine Person wie Globke in einer derartigen Schlüsselposition in einem demokratischen Staat sehen wollen, aber für die Zeitgenossen, und darunter auch die israelische Regierung, überwogen neben Globkes Rettungshandlungen vor allem seine unbestreitbare Effizienz und Verlässlichkeit.43 Da allerdings die Gründergeneration der CDU klar antinationalsozialistisch ausgerichtet und am Widerstand orientiert war, gab es dort ein erhebliches Unbehagen, auch wenn die Notwendigkeit der Adenauerschen Politik unumstritten war und innerhalb der Partei nicht kritisiert wurde. Adenauer selbst war sich über die Schwere der NS-Verbrechen völlig im Klaren und tarierte seine Assimilationsstrategie mit einer engagierten Politik der Wiedergutmachung gegenüber den Opfern der NS-Gewaltherrschaft, in erster Linie den Juden, aus. Dass in der deutschen Bevölkerung die Vorstellung, man habe für die NS-Verbrechen Sühne zu leisten, sehr unpopulär war, hinderte Adenauer nicht, unter Einsatz seiner politischen Existenz die Wiedergutmachungsverhandlungen mit Israel – stellvertretend für die Opfer des Holocaust – durchzusetzen. Weitblickend erkannte 42 So Henke: Die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit, S. 283. Diese Einschätzung beruht auf der Tatsache, dass Globke einen juristischen Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen verfasste. Allerdings wurde dieser Kommentar auf Betreiben verfolgungseifriger NS-Stellen durch einen für die jüdischen Deutschen ungünstigeren ersetzt. 43 Vgl. zu Globke die differenziert argumentierende Biographie von Erik Lommatzsch: Hans Globke (1898 – 1973). Beamter im Dritten Reich und Staatssekretär Adenauers. Frankfurt a. M./New York 2009. Adenauer traf den ihm vorher schon bekannten Globke während der NS-Zeit in einem regimekritischen Gesprächskreis in Berlin, wie aus dem Gästebuch des Berliner Bischofs von Preysing hervorgeht, woher sich möglicherweise unter anderem sein Festhalten an Globke trotz der von der DDR gesteuerten Kampagne gegen diesen erklärt.

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er, dass es sowohl für die internationale Reputation Deutschlands wie für die Entwicklung der Demokratie innerhalb Deutschlands unerlässlich war, dass der erste Vertrag, den ein demokratisches Nachkriegsdeutschland schließen würde, der Wiedergutmachung dienen müsste. Der deutsche Verhandlungsführer war der Frankfurter Ordinarius und CDU-Bundestagsabgeordnete Franz Böhm, der durch seine Rolle in den Widerstandsgruppen der „Freiburger Kreise“ persönlich hierfür prädestiniert war. Dass die komplexen und in Israel wie in der Bundesrepublik gleichermaßen innenpolitisch umstrittenen Verhandlungen in Luxemburg nicht ergebnislos blieben, war neben dem Zusammenspiel Böhms mit dem israelischen Delegationschef Felix Shinnar vor allem Adenauers Eingreifen zu verdanken, als die Verhandlungen zu Scheitern drohten.44 Die Entschädigungssumme war mit 3,5 Milliarden DM, gemessen am damaligen Bundeshaushalt, durchaus beachtlich und wurde deshalb in der deutschen Öffentlichkeit stark kritisiert, aber von Adenauer unter Einsatz all seines Prestiges auch gegen widerstrebende Teile der Unionsfraktion mit einer knappen Mehrheit im Bundestag durchgesetzt. Das einsetzende Wirtschaftswunder machte dann freilich die Lasten gut tragbar. Für Israel, das damals weder über ernstzunehmende Exporteinnahmen verfügte noch wie heute massive Militärhilfen bekam, war dies eine Hilfe, die möglicherweise die staatliche Existenz sicherte. Die Union wich von diesem Muster später nicht mehr ab. Der besondere Status der Beziehungen zu Israel lag der Partei immer am Herzen. Ludwig Erhard setzte gegen die Widerstände seines Außenministers Schröder, der um die Hallstein-Doktrin fürchtete, und der Wirtschaft, die die enge Zusammenarbeit mit den arabischen Staaten nicht gefährden wollte, 1965 die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel durch. Helmut Kohl übergab während des ersten Golfkrieges Patriot-Luftabwehrraketen aus Bundeswehrbeständen und lieferte Israel deutsche U-Boote. Letzteres hat möglicherweise sogar den Atomwaffensperrvertrag berührt, war zumindest aber ein klarer Bruch der sonst gepflogenen Politik, keine deutschen Waffen in Spannungsgebiete zu liefern. Unter Angela Merkel wurde diese Ausrichtung auf Israel fortgesetzt. Innerhalb der Union gab es um die Verjährung von NS-Verbrechen noch hitzige Debatten, bei der sich vor allem der spätere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda, als CDU-Bundestagsabgeordneter gegen eine Verjährung aussprach. Auch anlässlich des Rücktritts von Hans Filbinger wurde innerhalb der CDU der Umgang mit der NS-Vergangenheit thematisiert. Der populäre baden-württembergische Ministerpräsident, übrigens der letzte Assistent des erwähnten Hans Großmann-Doerth, stolperte 1978 über seine Vergangenheit als Marinerichter. Dabei waren weniger seine Taten wie späte Todesurteile als vielmehr seine äußerst ungeschickte öffentliche Verteidigung entscheidend. Eine im Wesentlichen noch heute gültige Positionsmarkierung, die das veränderte Geschichtsbewusstsein sowohl in der Union wie in der gesamten Bundesrepublik dokumentierte, stellte die Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker anlässlich des 40. Jahrestages des Kriegsendes 1985 dar, als er davon sprach, dass es sich dabei gleichermaßen um Niederlage und Befreiung gehandelt habe.45

44 Hansen: Franz Böhm, S. 300 – 339. 45 Text der Rede: https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Richard-von-Weizsaecker/ Reden/1985/05/19850508_Rede.html (Abruf: 4.6.2021).

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Zusammenfassung Die Gründung der CDU und ihrer Schwesterpartei CSU erfolgte 1945 aus dem Geist von Widerstand und Resistenz gegen den Nationalsozialismus heraus. Insbesondere die fast überall unabhängig voneinander erfolgende interkonfessionelle Zusammenarbeit war gegenüber der noch in Weimar in Milieus verfestigten politischen Spaltung nur nach den Erfahrungen der gemeinsamen Frontstellung gegenüber dem totalitären Staat möglich geworden. Etliche Überlebende der verschiedenen Widerstandsgruppen und -kreise, seien dies aus dem Zentrum und den christlichen Gewerkschaften hervorgegangene Gruppen wie der Ketteler-Haus-Kreis, „Professorenzirkel“ wie die Freiburger Kreise, der militärische Widerstand oder der Kreisauer Kreis, fanden ihren Weg in die Union. Für die Verankerung der Christlichen Demokratie in der Bevölkerung waren die Kirchen zentral, denen es besonders im Falle der katholischen Kirche gelungen war, größere Bevölkerungsgruppen in Distanz zum NS-Regime zu halten. Nachdem die Demokratie in der Bundesrepublik etabliert war, bestand die maßgeblich von Konrad Adenauer betriebene Strategie der CDU darin, direkt neo-nationalsozialistische Strömungen zu bekämpfen, aber umkehrwillige ehemalige NSDAP-Mitglieder zu assimilieren. Für die Opfer des NSTerrors war dies unbefriedigend und schmerzhaft, aber gesamtgesellschaftlich in der Retrospektive vermutlich der bestmögliche Weg in eine von der westdeutschen Bevölkerung auch innerlich bejahte Demokratie.

Forschungs- und Quellenlage Die Geschichte der CDU ist mittlerweile in ihren Grundzügen gut erforscht, wozu auch zuletzt der von Norbert Lammert anlässlich des 75-jährigen Gründungsjahres 2020 herausgegebene Band beigetragen hat. Allerdings haben der sorgfältig austarierte innerparteiliche Konfessionsproporz und der vom politischen Gegner anfangs mit Lust erhobene Vorwurf, die CDU sei nichts weiter als ein „neues Zentrum“, dazu geführt, dass konfessionelle Spannungen innerhalb der Union immer weitmöglichst aus der öffentlichen Wahrnehmung herausgehalten wurden. Die prosopographische Forschung zum Fortwirken von Mitgliedern des Widerstands bzw. grundsätzlich des Widerstandes ist dagegen erschöpfend abgehandelt im Sammelband von Günter Buchstab u. a.: „Christliche Demokraten gegen Hitler“, der in 64 Biogrammen die bedeutendsten später in CDU und CSU tätigen NS-Gegner versammelt. Immer noch den besten Überblick zum Gesamtkomplex des Widerstandes Christlicher Demokraten bietet der Ausstellungskatalog: Günter Buchstab/Brigitte Kaff/Hans-Otto Kleinmann (Hg.): Verfolgung und Widerstand 1933 – 1945. Christliche Demokraten gegen Hitler. 2.Aufl. Düsseldorf 1990. Ein zentraler Archivbestand zur Geschichte der Zentrumspartei in Kaiserreich und Weimarer Republik existiert nicht, es gibt aber einen kleinen Bestand im ACDP. Dokumente und Splitter sind verstreut und in der Regel nur in den Personenbeständen wichtiger Zentrumspolitiker fassbar, etwa im Nachlass Karl Bachem im Stadtarchiv Köln. Bestände zur Rolle der katholischen Kirche im Dritten Reich finden sich in den verschiedenen Diözesanarchiven, als wichtigstes vielleicht das Historische Archiv des Erzbistums Köln. Gut greifbar sind die wichtigsten Quellen zur Auseinandersetzung der katholischen Kirche mit dem NS-Regime in den Dokumenteneditionen der Kommission für Zeitge56

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schichte (Akten deutscher Bischöfe zur Lage der Kirche). Auf evangelischer Seite ist besonders das Evangelische Zentralarchiv in Berlin zu nennen. Im Archiv für ChristlichDemokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sankt Augustin bei Bonn liegen die meisten der Nachlässe von christlich-demokratischen Politikern aus dem Widerstand, etwa Johannes Albers, Eugen Gerstenmaier, Andreas Hermes u. a.

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Parteigründung in Ost und West Christopher Beckmann Rahmenbedingungen: Zusammenbruchsgesellschaft, Besatzungsherrschaft, eskalierender „Kalter Krieg“ „Nicht Parteien oder Gewerkschaften bestimmen unser Leben, […] sondern einfach der Hunger, nichts als der Hunger. Er ist zum schlimmsten Diktator geworden, es gelten nicht mehr Gesetz, Moral oder gar die Vernunft.“1 Dieses Zitat aus einem Artikel der Kölnischen Rundschau vom 15. August 1947 beschreibt, obwohl rund zwei Jahre nach der Wiedergründung deutscher Parteien entstanden, eindrücklich einen entscheidenden Aspekt der schwierigen Bedingungen, unter denen sich die Wiederingangsetzung des politischen Lebens und damit auch die Gründung der CDU nach Kriegsende 1945 vollzogen: Es handelte sich um eine Parteigründung in einer „Zusammenbruchsgesellschaft“2, nachdem die etablierten Strukturen sich in der finalen Phase des Krieges und des „Dritten Reiches“ nahezu vollständig aufgelöst hatten.3 Das politische Leben musste zudem in einer unterversorgten „Rationengesellschaft“ wieder in Gang gebracht werden, in der man die kargen Zuteilungen auf Lebensmittelkarten durch „Hamsterfahrten“ oder Schwarzmarktgeschäfte ergänzen musste, um das Überleben sicherzustellen.4 Der Krieg hatte ganz Europa in eine „Landschaft des Chaos“ verwandelt und unter anderem als eine „gewaltige Mobilisierungs-, Vertreibungs- und Verschleppungsmaschine“ mit ca. 40 Millionen entwurzelten Menschen gewirkt: Kriegsgefangene, befreite Lagerhäftlinge und Zwangsarbeiter, Flüchtlinge und Vertriebene, Ausgebombte und in der Endphase des Krieges aus den Städten geflohene Frauen und Kinder.5 Zu der massiven Unterversorgung, die auch zur Ausbreitung von Krankheiten führte, die man zum Teil, wie etwa Typhus und Diphterie, bereits für überwunden gehalten hatte, kamen in den Großstädten die Zerstörungen des Luftkriegs und die daraus resultierenden katastrophalen Wohnverhältnisse. Konrad Adenauer konstatierte später mit Blick auf seine schwer zer1 Zit. nach Rainer Gries: Die Rationengesellschaft. Versorgungskampf und Vergleichsmentalität. Leipzig und Köln nach dem Kriege. Münster 1991, S. 11. 2 Zu den Merkmalen dieser „Zusammenbruchsgesellschaft“ knapp zusammengefasst Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 4: Vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914 – 1949. München 2003, S. 951 – 954. 3 Zur Endphase des Zweiten Weltkrieges in Deutschland Ian Kershaw: Das Ende. Kampf bis in den Untergang. NS-Deutschland 1944/45. München 2013, zum Zusammenbruch in der allerletzten Kriegsphase vor allem S. 407 – 522. Siehe jetzt auch Volker Ullrich: Acht Tage im Mai. Die letzte Woche des Dritten Reiches. München 2020. 4 Gries: Rationengesellschaft; Günter J. Trittel: Hunger und Politik. Die Ernährungskrise in der Bizone 1945 – 1949. Frankfurt a. M./New York 1990. 5 Keith Lowe: Der wilde Kontinent. Europa in den Jahren der Anarchie 1943 – 1950. TB-Ausg. Stuttgart 2016, S. 96.

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störte Heimatstadt Köln: „Aus einem Kulturvolk waren wieder Höhlenmenschen geworden.“6 Hinzu kamen psychische Belastungen durch die Sorge um vermisste Angehörige und kriegsgefangene Soldaten, Trauer um Getötete sowie eine generelle Zukunftsangst. Normen und Werte zerfielen, was sich unter anderem in einer rasant ansteigenden Kriminalitätsrate niederschlug.7 Von einem „Trümmerhaufen materieller und sittlicher Werte“ sprach der Berliner Gründungsaufruf der CDU, davon, dass ganz Deutschland durch die Schuld Hitlers und seiner Helfer in „ein seelisches und materielles Trümmerfeld“ verwandelt worden sei, die Gründer der Christlichen Volkspartei in Chemnitz.8 Die Separierung in Zonen mit anfangs kaum zu passierenden Grenzen, die Zerstörung oder Beschädigung vieler Verkehrswege, die stark beeinträchtigten Kommunikationsmöglichkeiten, der Mangel an Transportmitteln, Treibstoff, Büroräumen und Papier – all das waren weitere Umstände, die in der Zusammenbruchsgesellschaft politische Aktivitäten erschwerten. Damit ist die zweite zentrale Rahmenbedingung angesprochen: Die Revitalisierung des politischen Lebens fand unter einer Besatzungsherrschaft statt. Es gibt in der Geschichte Europas seit dem Mittelalter kaum ein weiteres Beispiel dafür, dass „ein besiegter Staat so vollständig in die Gewalt der Sieger gefallen war“ wie Deutschland im Mai 1945.9 Nach der bedingungslosen Kapitulation waren die alliierten Militärs zunächst die einzigen, die „reale Macht ausübten“.10 In ihrer „Erklärung in Anbetracht der Niederlage Deutschlands“ vom 5. Juni 1945 verkündeten die vier Oberbefehlshaber, man habe die Hoheitsrechte über Deutschland übernommen, „einschließlich aller Befugnisse der deutschen Regierung, des Oberkommandos der Wehrmacht und der Regierungen, Verwaltungen oder Behörden der Länder, Städte und Gemeinden“.11 Daher hingen auch die Zulassung von Parteien und deren Handlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten von der Strategie der jeweiligen Besatzungsmacht in ihrer Zone generell, aber auch vom – zuweilen sogar die Vorgaben „von oben“ geradezu konterkarierenden12 –Vorgehen ihrer jeweiligen Vertreter vor Ort ab. Die Politik der Besatzungsmächte entwickelte sich vor dem Hintergrund einer in den vorangegangenen Jahrzehnten völlig aus den Fugen geratenen und schließlich zusammengebrochenen Weltordnung, die durch die neue Ordnung des fast die gesamte zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts bestimmenden Kalten Krieges abgelöst wurde – eines Konflikts, der „nicht überwiegend mit Schusswaffen und Panzern“ sondern „um die Herzen 6 Konrad Adenauer: Erinnerungen 1945 – 1953. Stuttgart 1965, S. 21. 7 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte 4, S. 953. 8 Vgl. Deutsches Volk! Aufruf zur Gründung der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands, Berlin, 26. Juni 1945 und Aufruf an das Volk der Christlichen Volkspartei Kreis Chemnitz, Juli 1945, beide in: „Ein freies Volk soll wiedererstehen …“. Dokumente zur Gründung der CDU. Zusammengestellt von Andreas Grau und Hanns Jürgen Küsters. Sankt Augustin/Berlin 2015, S. 12– 17 u. 37 – 40, die Zitate 12 bzw. 38. 9 Peter Graf Kielmannsegg: Nach der Katastrophe. Eine Geschichte des geteilten Deutschland (Die Deutschen und ihre Nation). Berlin 2000, S. 8. 10 Lowe: Kontinent, S. 144 f. 11 Zit. nach Wolfgang Benz: Deutschland unter alliierter Besatzung 1945 – 1949, in: Ders. (Hg.): Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte. 10., völlig neu bearb. Auflage, Bd. 22. Stuttgart 2009, S. 3 – 221, hier 56. 12 So hat Anne Martin für die französische Zone konstatiert, dass das Vorgehen der Besatzungsbehörden der „Interessenlage der Pariser Zentrale […] in einzelnen Bereichen geradezu entgegensteuerte“. Anne Martin: Die Entstehung der CDU in Rheinland-Pfalz (Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz. Bd. 19). Mainz 1995, S. 33.

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und Köpfe der Menschen geführt“ wurde.13 Da Deutschland an der Nahtstelle des OstWest-Konflikts lag und einer seiner wichtigen Schauplätze war, hatten die wachsenden Differenzen zwischen den Supermächten hier tiefgreifende Auswirkungen. Dies, wie auch das Sicherheitsbedürfnis Frankreichs und das Verlangen der Sowjetunion nach materieller Entschädigung für die erlittenen immensen Kriegsschäden, vergrößerten den Dissens der Siegermächte und verhinderten das ursprünglich vereinbarte einheitliche Vorgehen in Deutschland.14 Der rasche Zerfall der Weltkriegskoalition und das Zerwürfnis zwischen den Führungsmächten USA und Sowjetunion führten zur äußeren Teilung des Landes, bestimmte aber ebenfalls in erheblichem Maße die inneren Weichenstellungen. Dies ließ sich früh auch an den Parteien ablesen15, etwa bei der wiedergründeten SPD, wo schon bald Differenzen zwischen den Verbänden in der SBZ und denen in den Westzonen entstanden und deren „östlicher“ Teil im April 1946 unter massivem sowjetischem Druck mit der KPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) vereinigt wurde.16 Im Fall der CDU trugen die Eskalation des Ost-West-Konflikts und der Gleichschaltungsdruck der sowjetischen Besatzungsmacht ebenfalls zu einer beginnenden und ab 1947 rapide fortschreitenden Entfremdung zwischen den Parteiverbänden in Ost und West bei. Der Kalte Krieg war daher die dritte wesentliche Rahmenbedingung des politischen Neuanfangs und wurde nicht nur zum „Vater der neudeutschen Staatlichkeit“17, sondern in gewisser Weise auch des Parteiensystems.

Einflussfaktoren In der deutschen Bevölkerung der frühen Nachkriegszeit herrschte eine tiefgreifende Skepsis gegenüber Parteien. Sie war zum Teil ein Erbe der negativen Erfahrungen der Weimarer Republik, stand aber auch in der deutschen Tradition des „Unpolitischen“, die in Thomas Manns 1918 erstmals erschienenen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ einen bis heute vielzitierten Ausdruck gefunden hat.18 Danach galten Parteien nicht als 13 Lowe: Kontinent, S. 440. Zur Geschichte des Kalten Krieges John Lewis Gaddis: Der Kalte Krieg. Eine neue Geschichte. München 2007; Bernd Stöver: Der Kalte Krieg. Geschichte eines radikalen Zeitalters 1947 – 1991. München 2007, sowie neuerdings die fulminante Darstellung von Odd Arne Westad: Der Kalte Krieg. Eine Weltgeschichte. Stuttgart 2019. 14 Benz: Deutschland unter alliierter Besatzung, S. 37. 15 Edgar Wolfrum: Die geglückte Demokratie: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart 2006, S. 35. 16 Bernd Faulenbach: Sozialdemokraten und Kommunisten nach Nationalsozialismus und Krieg. Zur historischen Einordnung der Zwangsvereinigung. Essen 1998; Konferenz der Landesbeauftragten sowie Bundesstiftung Aufarbeitung (Hg.): Zwangsvereinigung. Der Zusammenschluss von KPD und SED am 21./22. April 1946 und seine Folgen. Schwerin 2016. Die nach wie vor nicht abgeschlossene Diskussion, ob angesichts der auch bei der damaligen SPD zahlreichen Befürworter einer „Einheit der Arbeiterklasse“ der Begriff „Zwangsvereinigung“ die komplexe historische Realität angemessen beschreibt, kann hier unberücksichtigt bleiben. S. etwa zuletzt „Von der Sowjetunion lernen heißt siechen lernen“, in: Der Spiegel, 21.4.2021, abrufbar unter: https://www.spiegel.de/geschichte/spd-kpdsed-war-es-1946-eine-zwangsvereinigung-a-8f67867c-566e-4c30-a089-eae70c536d9c (Abruf: 24.7.2021). 17 Karl Dietrich Bracher: Einführung, in: ders. (Hg.): Nach 25 Jahren. Eine Deutschland-Bilanz. München 1970, S. 6. 18 Hierzu neuerdings Hans-Rudolf Vaget: Das Erbe des „Unpolitischen“. Thomas Mann und die politische Kultur Nachkriegsdeutschlands, in: Heinrich Oberreuter (Hg.): Praeceptor Germaniae. Thomas

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Instrumente zur Artikulation politischer Interessen und des Ringens um Kompromisse, Interessensausgleich und konsensfähige Lösungen, sondern als Ausdruck von Partikularinteressen zu Lasten eines wie auch immer zu definierenden nationalen Interesses oder „Volkswohls“. 1950 befürworteten gerade einmal 53 Prozent der befragten Bundesbürger ein Mehrparteiensystem, während beachtliche – und bedenkliche! – 25 Prozent einen Einparteienstaat präferierten.19 Hinzu kam eine verbreitete Abneigung gegenüber aktiver politischer Betätigung, die aus den Erfahrungen von Verführung, Irreleitung, Missbrauch und Schuld in der jüngsten Vergangenheit herrührten. So wurde noch in einer CDU-internen Analyse des Ausgangs der ersten Bundestagswahl 1949 im östlichen Westfalen festgehalten, man habe mancherorts „Vorstände nur mit außergewöhnlichen Schwierigkeiten“ bilden können, da „die gesamte männliche Bevölkerung, soweit sie nicht aus Dorftrotteln und Mümmelgreisen bestand, Mitglieder der NSDAP“ gewesen sei und „gegenüber einer parteipolitischen Organisation nunmehr die allergrößte Zurückhaltung“ zeige.20 Auch wenn man darum schwerlich davon sprechen kann, die Nachkriegsjahre in Europa seien „auf allen Ebenen der Gesellschaft von überschäumendem Tatendrang und Idealismus geprägt“ gewesen, so ist es doch zutreffend, dass „Dutzende neue politische Bewegungen und Parteien entstanden, von denen einige das politische Denken im kommenden halben Jahrhundert gestalten sollten“.21 Zu diesen neuen politischen Kräften gehörte in Deutschland zuvörderst die Christlich-Demokratische Union, die sich zu einer der einflussreichsten und erfolgreichsten Parteien Europas entwickelte und die Gestaltung der Bundesrepublik maßgeblich prägte.22 Ein Charakteristikum der CDU war, dass ihre Gründung nicht zentral erfolgte. Stattdessen entstand die neue Partei aus zahlreichen „Gründungskernen“, die sich zunächst unabhängig voneinander entwickelten und sich in ihrem Entstehungszeitpunkt, ihrer Entstehungsgeschichte, ihrer Entwicklung wie auch – abgesehen von wichtigen Gemeinsamkeiten im Grundsätzlichen – in ihrer programmatischen Ausrichtung zum Teil erheblich unterschieden.23 Zu den bekanntesten, anderen Gründerkreisen nicht selten als Vorbild oder zumindest Anregung dienenden Aufrufen gehören sicher der Berliner Aufruf, die Kölner Leitsätze und die Frankfurter Leitsätze.24 Sie erhoben den Anspruch, über

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Mann und die politische Kultur der Deutschen (Tutzinger Studien zur Politik. Bd. 3). Baden-Baden 2019, S. 99 – 120; vgl. jetzt auch Miriam Kaluza: Zwischen Geist und Macht. Orientierungssuche und Standortbestimmungen konservativ-bildungsbürgerlicher Autoren in Deutschland (1930 – 1950) (Literatur – Kultur –Theorie. Bd. 30). Baden-Baden 2020, v. a. Kap. E: Die einsetzende Krise der „unpolitischen“ Weltdeutung nach 1945 (S. 383 – 408). Vgl. Wolfrum: Die geglückte Demokratie, S. 59. ACDP Bestand LV Westfalen-Lippe 03-002-057/1. Lowe: Kontinent, S. 86. Zur Geschichte der Partei Hans-Otto Kleinmann: Geschichte der CDU 1945 – 1982. Hg. von Günter Buchstab. Stuttgart 1993; Frank Bösch: Macht und Machtverlust. Die Geschichte der CDU. München 2002; zuletzt Norbert Lammert (Hg.): Christlich-Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU. München 2020; siehe auch die vielfältigen Beiträge und Dokumente auf dem entsprechenden Themenportal der Konrad-Adenauer-Stiftung: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/home. Der Begriff der „Gründungskerne“ stammt von Kleinmann: Geschichte der CDU. Zum Folgenden siehe ebd., S. 23 – 49. Eine Auswahl an Gründungsdokumenten ist zusammengestellt in: „Ein freies Volk soll wiedererstehen …“. Alle in: „Ein freies Volk soll wiedererstehen …“.

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den regionalen Rahmen hinaus wirksam zu werden: Der Berliner Aufruf trug die Überschrift „Deutsches Volk!“, die Kölner Leitsätze bezeichneten sich als „Programm der Christlichen Demokraten Deutschlands“. Und Konrad Adenauer, der sich in den ersten Nachkriegsmonaten bei Gründung und Aufbau der CDU im Rheinland nach außen hin merklich zurückhielt, verfolgte parallel dazu bereits „überregionale Parteipläne“.25 Vor dem Hintergrund der skizzierten Rahmenbedingungen waren es vor allem vier Faktoren, die Entstehung und Entwicklung dieser „Gründungskerne“ beeinflussten: an erster Stelle die Politik der Besatzungsmächte, sodann zweitens die regionalen und lokalen Strukturen – zum Beispiel die Wirtschafts-, Sozial- und Konfessionsstruktur – und die damit zusammenhängenden politischen Traditionen. Ein weiterer, dritter Faktor waren die individuell wie kollektiv durchlaufenen Lernprozesse während der NS Zeit und die daraus gezogenen Konsequenzen. In diesem Zusammenhang spielten viertens – damit eng zusammenhängend – die Persönlichkeiten, mit ihren jeweiligen Prägungen, Erfahrungen und Überzeugungen, aber auch ihrer individuellen Durchsetzungsfähigkeit eine Rolle. Im komplizierten und unübersichtlichen „Handlungs- und Ereignisgeflecht“ der frühen Nachkriegszeit26 übten diese Faktoren von Fall zu Fall durchaus divergierende, oftmals kaum trennscharf voneinander abzugrenzende Einflüsse auf die Entstehung und Entwicklung der zahlreichen „Gründungskerne“ der CDU aus.

Besatzungsmächte Dass die Sowjetunion in ihrer Besatzungszone besonders massiven Einfluss auf die Ausgestaltung des politischen Systems und des Parteiensystems sowie auf die Parteien nahm, ist unstrittig.27 Ähnliches gilt aber auch für die westlichen Siegermächte in ihren jeweiligen Zonen. So wurde festgestellt, die Westmächte hätten, „fearful of reaction, revolution, nationalism and fragmentation“, das Parteiensystem in ihrem Einflussbereich „much more firmly guided“ als lange angenommen. Man sei bestrebt gewesen, das Aufkommen beziehungsweise den Erfolg sowohl reaktionärer als auch revolutionärer Parteien zu verhindern, den Einfluss nationalistischer Persönlichkeiten in entstehenden Parteien einzudämmen und sich bemüht, Zahl und Einfluss von Splitterparteien zu begrenzen.28 Dass man demokratische Parteien in einem besiegten Deutschland wieder zulassen wollte, hatten die USA, die Sowjetunion und Großbritannien auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 grundsätzlich vereinbart, ohne dafür einen bestimmten Zeithorizont

25 Horstwalter Heitzer: Die CDU in der britischen Zone 1945 – 1949. Gründung, Organisation, Programmatik (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 12). Düsseldorf 1988, S. 48; Hans-Peter Schwarz: Adenauer. Der Aufstieg 1876 – 1952. Stuttgart 1986, S. 500, 518. 26 Benz: Deutschland unter alliierter Besatzung, S. 34. 27 Stefan Creuzberger: Die sowjetische Besatzungsmacht und das politische System der SBZ (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung. Bd. 3). Weimar/Köln/Wien 1996. Generell Norman M. Naimark: Die Russen in Deutschland. Die sowjetische Besatzungszone 1945 bis 1949. Berlin 1997; am Beispiel der sächsischen CDU Stefan Donth: Die Sowjetische Militäradministration und die CDU in Sachsen 1945 – 1952. Eine bürgerliche Partei aus dem Blickwinkel der Besatzungsmacht, in: HPM 7 (2000), S. 109 – 133. 28 Daniel E. Rogers: Politics after Hitler. The Western Allies and the German Party Systems. London 1995, das Zitat S. IX f.

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festzulegen.29 Die Sowjetunion war die erste Besatzungsmacht, die mit SMAD-Befehl Nr. 2 vom 10. Juni 1945 die Gründung verschiedener politischer Parteien in ihrer Zone zuließ. Sie wurden in einem „antifaschistischen demokratischen Block“ zusammengefasst, um Koalitionsbildungen gegen die KPD bzw. später SED unmöglich zu machen.30 Im Lizenzierungsverfahren mussten sich die Parteien zu dauerhafter, konsensorientierter Zusammenarbeit verpflichten. Dass der KPD und dann der SED die „führende Rolle“ im „Block“ zugesprochen wurde, kam einem „implizit verhängten Oppositionsverbot“ gleich.31 Dennoch waren viele deutsche Kommunisten, die eine sofortige Umgestaltung nach sowjetischem Vorbild erwartet hatten, überrascht und zum Teil auch geschockt „von dem breiten Angebot an politischen Optionen, das die Sowjets zuließen“.32 Neben KPD und SPD wurden mit der Liberaldemokratischen Partei Deutschlands (LDPD) und der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands (CDUD) auch zwei „bürgerliche“ Parteien erlaubt. Ziel dieser sowjetischen „Präventivmaßnahme“ war es einerseits, früher als die anderen Besatzungsmächte die politische Initiative im besetzten Deutschland zu ergreifen. Andererseits wollte man sämtliche politischen Aktivitäten kontrollieren können.33 Tatsächlich sahen sich die Westmächte durch das überraschende Vorpreschen unter Druck gesetzt. Dass es auch unter ihnen keine enge Abstimmung der Vorgehensweise gab, zeigt die Tatsache, dass die Zulassung von Parteien auf Zonenebene in der US-Zone am 27. August, in der britischen am 14. September und in der französischen erst am 13. Dezember 1945 erfolgte. Dennoch gab es auch in den Westzonen sehr bald nach Kriegsende Initiativen zur (Wieder-) Gründung von Parteien. Diese wurden trotz der Instruktionen, vorerst keine politischen Aktivitäten von Deutschen zuzulassen, häufig stillschweigend, gelegentlich auch ausdrücklich von den örtlichen Militärbefehlshabern geduldet.34 Auf die Konstituierung der CDU in Berlin am 26. Juni 1945 reagierten zumindest zum Teil auch die sowjetischen Besatzungsbehörden, vor allem aber die deutschen Kommunisten mit Überraschung – anscheinend waren manche Vertreter von einer Restitution des Zentrums statt einer überkonfessionellen christlich-bürgerlichen Sammlungspartei ausgegangen.35 So musste im brandenburgischen Cottbus auf Verlangen sowjetischer Besatzungsoffiziere zunächst die Zentrumspartei (wieder-) gegründet werden, ehe es auch hier am 21. August 1945 zur Gründung der ausdrücklich überkonfessionellen CDU kam.36

29 Zu Jalta, den dortigen Beschlüssen und den Folgen Jost Dülffer: Jalta, 4. Februar 1945. Der Zweite Weltkrieg und die Entstehung der bipolaren Welt (20 Tage im 20. Jahrhundert). München 1998. 30 Siehe hierzu den jahrzehntelange eigene Forschungen resümierenden Überblick von Siegfried Suckut: Blockparteien und Blockpolitik in der SBZ/DDR 1945 – 1990. Leipzig 2018. 31 Gerhard Wettig: Der Konflikt der Ost-CDU mit der Besatzungsmacht 1945 – 1948 im Spiegel sowjetischer Akten, in: HPM 6 (1999), S. 109 – 137, hier 110 f., das Zitat 111. Siehe auch Norman M. Naimark: The Soviets and the Christian Democrats: The Challenge of a „Bourgois“ Party in Eastern Germany, 1945 – 1949, in: East European Politics and Society 9 (1995), S. 369 – 392. 32 Naimark: Die Russen in Deutschland, S. 328. 33 Ebd., S. 19. 34 Rogers: Politics after Hitler, S. 22 – 24; Martin: Französische Besatzungspolitik, S. 132. 35 Donth: Die Sowjetische Militäradministration und die CDU, S. 112. 36 Katrin und Ralf Baus: Die Gründung der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands in Brandenburg, in: HPM 6 (1999), S. 79 – 107, hier 103.

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Auch im bereits am 11. Juni 1945 veröffentlichtem Gründungsaufruf der KPD wurde ausdrücklich die Zentrumspartei als zukünftige politische Kraft in Deutschland genannt.37 Seitens der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) wurde die CDU wegen ihrer Verwurzelung im christlichen Milieu, ihrer Verbindungen zu den Kirchen als nach wie vor unabhängigen Institutionen und auch ihrer von Anfang an aktiv betriebenen Frauenpolitik – angesichts des kriegsbedingten Frauenüberschusses ein Faktor von nicht geringer Bedeutung – als wichtigste Konkurrentin der Kommunisten und „Hauptwidersacher im bürgerlichen Lager“ betrachtet.38 Dies galt verstärkt, nachdem durch die Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) im April 1946 diese zur zahlenmäßig größten Partei in Deutschland und stärksten politischen Kraft in der sowjetischen Zone geworden war.39 Trotz zahlreicher Behinderungen und Diskriminierungen durch die SMAD – von unzureichender Ausstattung mit Papier und Treibstoff über die Streichung einzelner Kandidaten von der Wahlliste bis hin zur Nichtregistrierung von Ortsgruppen, die dann keine Wahlvorschläge einreichen durften – hatten die beiden „bürgerlichen“ Parteien bei den Gemeinde-, Kreis- und Landtagswahlen in der SBZ im Herbst 1946 beachtliche Stimmenanteile erzielen können.40 Allerdings hatte die CDU bei den Kreis- und Gemeindewahlen nur in ca. 2.100 der rd. 11.600 Gemeinden antreten können, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt über etwa 4.050 funktionierende Ortsgruppen verfügte.41 In Sachsen konnte sie beispielsweise nur rd. 70 Prozent der Wahlberechtigten erreichen.42 Nach der Absetzung der ersten beiden Vorsitzenden-Duos – Andreas Hermes und Walther Schreiber, dann Jakob Kaiser und Ernst Lemmer – erfolgte die Ausschaltung ihrer Anhänger, von denen viele verhaftet wurden und zahlreiche andere in den Westen gingen.43 Der Einfluss der CDU – wie auch der LDPD – wurde zudem durch eine Strategie der Differenzierung des „bürgerlichen“ Lagers weiter zurückgedrängt. Zu diesem Zweck wurden 1948 mit der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands (DBD) und der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NDPD) zwei weitere „Blockparteien“ gegründet, die von Anfang an von der SED kontrolliert wurden und deren Führungspersonal man sogar zum Teil aus ihren Mitgliedern rekrutierte.44 37 Der Wortlaut des KPD-Gründungsaufrufs ist abrufbar unter: https://germanhistorydocs.ghi-dc.org/ pdf/deu/Parties%20SZ%201%20GER.pdf (Abruf: 25.6.2021). 38 Wettig: Der Konflikt der Ost-CDU, S. 113. 39 Creuzberger: Die sowjetische Besatzungsmacht, S. 44 – 76. Zur Geschichte der CDU in der DDR umfangreiche Literaturangaben unter https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/cdu-in-der-sbzddr1 (Abruf: 26.1.2021); siehe ferner den Literaturbericht von Oliver Salten: Die CDU in der DDR im Lichte der Forschung (1990 – 2015), in: HPM 22 (2015), S. 343 – 408. 40 Zu Form und Ausmaß der Behinderungen der „bürgerlichen“ Parteien im Vorfeld der Wahlen durch die SMA Naimark: Die Russen in Deutschland, S. 415 – 423 und Creuzberger: Die sowjetische Besatzungsmacht, S. 60 – 76. 41 Günter Braun: Wahlen und Abstimmungen, in: Martin Broszat/Hermann Weber (Hg.): SBZ-Handbuch. Staatliche Verwaltungen, Parteien, gesellschaftliche Organisationen und ihre Führungskräfte in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945 – 1949. München 1990, S. 381 – 431, hier 385. 42 Stefan Donth: Die Sowjetische Militäradministration und die CDU, S. 117 f. Eine Auflistung nicht zugelassener Ortsgruppen der CDU in Sachsen findet sich in: ACDP LV Sachsen 03-035-040. 43 Vgl. Ralf Baus: Die Christliche-Demokratische Union Deutschlands in der sowjetisch besetzten Zone 1945 bis 1948. Gründung – Programm – Politik (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 36). Düsseldorf 2001, S. 421 – 427. 44 Suckut: Blockparteien, S. 67 – 69. Zur Entstehung der NDPD Bernd Gottberg: Die Gründung und die

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In der französischen Zone wurden mit SPD, CDU, KPD und einer liberalen Partei ebenfalls nur vier Parteien zugelassen, um eine erneute Zersplitterung des Parteiensystems zu vermeiden.45 Dass man auch Anträge auf eine Wiederzulassung des Zentrums nicht bewilligte, war ferner dem Ziel geschuldet, den traditionell starken Einfluss der katholischen Kirche im Südwesten zu beschränken.46 Die neugegründete CDU musste daher – anders als in anderen Regionen – hier anfangs nicht mit dem wiedergegründeten Zentrum um die katholischen Wähler konkurrieren. Zudem legten die französischen Besatzungsbehörden Wert darauf, dass sich eine christlich-demokratische Partei in ihrer Programmatik deutlich vom alten Zentrum unterscheiden müsse.47 Da die Franzosen zunächst am vehementesten von allen Besatzungsmächten einen Kurs der Dezentralisation und der „unbedingten Präjudizierung des Föderalismus“ verfolgten48, machten sie es den Parteien in ihrer Zone zur Auflage, sich auf ihre jeweilige Region zu beschränken und untersagten inner- und vor allem interzonale Verbindungen – bei allerdings recht häufigen Ausnahmen und oftmals stillschweigender Hinnahme der zahlreichen Verstöße. Darüber hinaus führte die Bevorzugung föderalistischer Auffassungen dazu, dass die in dieser Hinsicht sehr eindeutige rheinland-pfälzische CDU die vorrangige Unterstützung der französischen Besatzungsmacht genoss, obwohl diese in anderen politischen Fragen der Sozialdemokratie näherstand.49 Bis zur Gründung der Bundesrepublik kam es in der französischen Zone zu keinem organisatorischen Zusammenschluss der dortigen CDU-Landesverbände mit einem entsprechenden politischen Gremium an der Spitze50, auch weil historische Bindungen oder Zusammengehörigkeitsgefühle zwischen Baden, Württemberg, der Pfalz und den betreffenden Teilen des Rheinlands fehlten.51 In der britischen Zone hingegen konstituierte sich – nicht zuletzt auf ausdrückliche Aufforderung der dortigen Besatzungsmacht – bereits am 22. Januar 1946 ein „Zonenausschuss“ der CDU als Zusammenschluss der dort entstandenen Landesverbände.52 Dieser organisatorische Vorsprung war neben der Person Konrad Adenauers einer der Gründe dafür, dass die CDU der britischen Zone zur neben der SPD schlagkräftigsten Parteiorganisation Westdeutschlands werden konnte und bei Gründung der Bundesrepublik nach den Worten ihres 2. Zonenvorsitzenden Friedrich Holzapfel „das Rückgrat

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ersten Jahre der NDPD 1948 – 1954, in: Jürgen Frölich (Hg.): „Bürgerliche“ Parteien in der SBZ/DDR. Zur Geschichte von CDU, LDP(D), DBD und NDPD 1945 bis 1953. Köln 1995, S. 73 – 87; zur Gründung der DBD Konrad Kühne: Die Anfänge der DBD, ebd., S. 89 – 102, eingehend zur DBD Theresia Bauer: Blockpartei und Agrarrevolution von oben. Die Demokratische Bauernpartei Deutschlands 1948 – 1963 (Studien zur Zeitgeschichte. Bd. 64). München 2003. Siehe auch ihren Beitrag im vorliegenden Band. Rogers: Politics after Hitler, S. 122 – 125. In internen Papieren war gar von einer „Diktatur der Kirche“ die Rede. Vgl. Martin: Französische Besatzungspolitik, S. 136 f. Ebd., S. 133 f. Benz: Deutschland unter alliierter Besatzung, S. 137. Martin: Französische Besatzungspolitik, S. 139. Benz: Deutschland unter alliierter Besatzung, S. 67 f. Martin: Entstehung der CDU in Rheinland-Pfalz, S. 5. Gleiches galt übrigens für die SPD in der französischen Zone, deren führende Vertreter ebenfalls „an einem zonalen Zusammenschluss nicht interessiert waren“. Katrin Kusch: Die Wiedergründung der SPD in Rheinland-Pfalz nach dem Zweiten Weltkrieg (1945 – 1951) (Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz. Bd. 14). Mainz 1989, S. 110. Heitzer: Die CDU in der britischen Zone, S. 417 – 444.

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unserer Union“ bildete 53. Aber auch innerhalb derselben Zone gab es – vor allem in den ersten Nachkriegswochen – durchaus unterschiedliche Vorgehensweisen der örtlichen Kommandanten mit entsprechenden Auswirkungen auf die Entstehung von Parteien und deren Ausgangslage. So erteilte der britische Stadtkommandant von Dortmund, Oberst Wilson, bereits am 29. Mai 1945, mehrere Monate vor der offiziellen Zulassung von Parteien in der britischen Zone am 15. September, die Erlaubnis zur Einrichtung von Parteibüros, die frühere Parteimitglieder registrieren durften, sich ansonsten aber jeglicher politischen Aktivität zu enthalten hatten.54 Die CDU-Gründer beantragten deshalb dort zunächst formell die Zulassung des Zentrums, betonten aber ausdrücklich, eine überkonfessionelle christliche Partei schaffen zu wollen.55 In der französischen Zone, wo die offizielle Zulassung aufgrund der besonders rigiden Haltung der Regierung in Paris noch einmal drei Monate später erfolgte, zeigten sich die untergeordneten Dienststellen oft ebenfalls deutlich konzilianter und tolerierten vielfach stillschweigend „vorbereitende Organisationsarbeiten“ von CDU, SPD oder KPD.56 Auch die SMAD war kein „monolithischer Besatzungsapparat“ und ihre konkrete Politik vor Ort daher „weit vielfältiger“, als lange angenommen.57 Dass sich der Name „Christlich-Demokratische Union“ – mit Ausnahme Bayerns – um die Jahreswende 1945/46 deutschlandweit durchsetzte, hatte übrigens ebenfalls mit den Besatzungsmächten, ihrer Politik und ihren wachsenden Differenzen zu tun. In den ersten Nachkriegswochen waren bei den zahlreichen lokalen und regionalen Gründungen verschiedene Namen gebräuchlich gewesen, etwa „Christlich-Soziale Volkspartei“ (Dresden, Mainz), „Christlich-Demokratische Partei“ (Köln, Hamburg), „Christliche Volkspartei“ (Chemnitz), „Christliche Volksvereinigung“ (Rheingau). Seitens der SMAD wurde die vom Berliner Gründerkreis im August 1945 gewählte Bezeichnung „Christliche-Demokratische Union“ für die gesamte Zone festgeschrieben. Da der sowjetische Druck auf die Parteifreunde in der SBZ mittlerweile klar erkennbar war, entschied das erste „Reichstreffen“ der Christlichen Demokraten in Bad Godesberg (14.– 16. Dezember 1945), den Namen für ganz Deutschland anzunehmen, um „insbesondere die Verbundenheit mit unseren politischen Freunden im Osten zu bekunden“.58 Da die führenden Persönlichkeiten der CDU der SBZ von der Besatzungsmacht keine Reiseerlaubnis erhalten hatten, waren in Bad Godesberg nur Mitglieder des Berliner Gründungskreises anwesend, die sich bereits im Westen aufhielten. Auch Vertreter aus der französischen Zone konnten nicht teilnehmen. In Rheinland-Pfalz kam es daher noch im Vorfeld des Zusammenschlusses der christlich-demokratischen Parteigründungen auf Landesebene im Februar 1947 zu heftigem Streit um den Namen. Schließlich wurde hier auch bei den stark föderalistisch und pro-französisch eingestellten Kreisen die Bezeichnung „CDU“ 53 Protokoll der Tagung des Zonenausschusses der CDU in Königswinter (2./3.6.1949), in: ACDP NL Bruno Dörpinghaus 01-009-004/1. 54 Hans Graf: Die Entwicklung der Wahlen und politischen Parteien in Groß-Dortmund (Schriftenreihe des Instituts für wissenschaftliche Politik. Bd. 5). Hannover 1958, S. 57. 55 Schreiben von Anton Gilsing und Lambert Lensing an Oberst Wilson vom 29. Mai 1945, in: ACDP LV Westfalen-Lippe 03-002-049/1. 56 Martin: Entstehung der CDU in Rheinland-Pfalz, S. 42 – 51, hier 43. 57 Creuzberger: Die sowjetische Besatzungsmacht, S. 40; Naimark: Die Russen in Deutschland, S. 329. 58 Entschließung Nr. 1, in: Karl Zimmermann: Die erste Reichstagung der CDU am 14., 15. und 16. Dezember 1945 (Schriftenreihe der CDU des Rheinlands. Bd. 3). Köln 1946, S. 12.

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anstelle der konkurrierenden Bezeichnung „Christlich-Demokratische Partei“ akzeptiert, auch deshalb, weil die von Konrad Adenauer geführte CDU in der britischen Zone gezeigt hatte, dass die Bezeichnung „Union“ nicht notwendigerweise für „nationalistische und unitarische“ Tendenzen stand.59

Regionale und lokale Strukturen und Traditionen Trotz der massiven Einflussnahme seitens der Besatzungsmächte wurde das Parteiensystem – wie auch das politische System insgesamt – keineswegs allein von außen geprägt. Auch deutsche Traditionen und die nicht selten komplexe Mischung interner und externer Faktoren waren, wie sich in der Rückschau erkennen lässt, Voraussetzungen für den nachhaltigen Erfolg der Bundesrepublik als funktionierendes demokratisches Gemeinwesen.60 Mit Blick auf die amerikanische Zone hat John Gimbel festgestellt, die Entwicklungen dort hätten sich vollzogen in „der fortwährenden Wechselwirkung von Aktion und Reaktion zwischen Amerikanern und ihren Alliierten einerseits und Amerikanern und Deutschen andererseits“.61 Ähnliches kann auch mit Blick auf andere Zonen festgestellt werden. In überwiegend katholischen Regionen, in denen vor 1933 die Zentrumspartei stark gewesen war, konnte die CDU oftmals auf deren früheres Personal und erhalten gebliebene, häufig informelle Strukturen zurückgreifen. In Teilen der britischen und der amerikanischen Zone musste sie sich allerdings zumindest in den Anfangsjahren mit dem wiedergegründeten Zentrum als Konkurrenz auseinandersetzen.62 Wo die Konfessionsstruktur – wie zum Beispiel in Dortmund – gemischt war, war die Neigung zu konfessionsübergreifender Zusammenarbeit häufig stärker ausgeprägt, nicht zuletzt aufgrund gemeinsamer Erfahrungen in der NS-Zeit.63 Zugleich spielte hier die soziale Struktur eine nicht unerhebliche Rolle. Gerade Dortmund – wie das hochindustrialisierte Ruhrgebiet generell – war vor 1933 eine der Hochburgen der christlichen Gewerkschaftsbewegung gewesen. Die führenden Vertreter des Zentrums hier hatten im sogenannten Gewerkschaftsstreit zur Zeit des Kaiserreichs, als um die Frage gerungen worden war, ob sich die katholischen Arbeiter mit ihren protestantischen Kollegen in christlichen Gewerkschaften zusammenschließen sollten, mehrheitlich der „Köln-Mönchengladbacher Richtung“ zugeneigt, die eine solche Öffnung befürwortet hatte.64 Auch das war ein 59 60 61 62

Martin: Französische Besatzungspolitik, S. 147 f. Wolfrum: Die geglückte Demokratie, S. 57. John Gimbel: Amerikanische Besatzungspolitik in Deutschland 1945 – 1949. Frankfurt a. M. 1971, S. 12. Dazu nach wie vor Ute Schmidt: Zentrum oder CDU? Politischer Katholizismus zwischen Tradition und Anpassung (Schriften des Zentralinstituts für sozialwissenschaftliche Forschung der FU Berlin). Opladen 1987. 63 Christopher Beckmann: Lambert Lensing (1889 – 1965). Zeitungsverleger, Mitgründer der CDU, Landesvorsitzender der CDU Westfalen-Lippe, in: HPM 14 (2007), S. 153 – 186, hier 164 – 166. Siehe auch den Beitrag von Wolfgang Tischner in diesem Band. Zur Gründung in Dortmund eingehend Michael Baus: Gründung und Aufbau der CDU in Dortmund 1945 – 1946, in: Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark 79 (1988), S. 145 – 177. 64 Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866 – 1918. Bd. 1: Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1990, S. 465 – 468. Zu einem der damaligen Protagonisten, auf den sich viele Unionsverfechter nach 1945 beriefen, Bernhard Forster: Adam Stegerwald (1874 – 1945). Christlich-nationaler Gewerkschaf-

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Grund, warum hier die Idee einer überkonfessionellen christlichen Volkspartei mit starkem sozialen Anspruch zahlreiche Anhänger fand. Einige aus der Tradition der Christlichen Gewerkschaften und dem linken Zentrumsflügel stammende Persönlichkeiten brachten auch das Konzept einer großen, die Sozialdemokraten einschließenden Partei nach dem Vorbild der britischen Labour-Party ins Gespräch.65 Allerdings war dies keine sonderlich realitätstaugliche Option, nicht zuletzt angesichts einer SPD, deren traditionsbewusste, in Kaiserreich und Weimarer Republik politisch sozialisierte Führungspersönlichkeiten den sofortigen Wiederaufbau der Parteiorganisation betrieben.66 Entsprechend spielte das „Labour-Partei-Konzept“ spätestens ab Ende 1945 kaum noch eine Rolle.67 In manchen überwiegend protestantischen Regionen der westlichen Zonen wie etwa dem Bergischen Land, Rheinhessen oder der Pfalz wiederum neigten nicht wenige Katholiken und Angehörige des einflussreichen katholischen Klerus anfangs dazu, angesichts der Diaspora-Situation eine Wiedergründung des Zentrums als Vertretung katholischer Interessen zu bevorzugen.68 In der Pfalz fassten zudem evangelische Politiker zunächst eine Neuauflage des in der Endphase der Weimarer Republik entstandenen, dezidiert protestantischen Christlich-Sozialen Volksdienstes (CSVD) ins Auge.69 Auch in Teilen der britischen Zone erwogen protestantische Kreise und evangelische Geistliche zumindest zeitweilig die Bildung einer evangelischen Rechtspartei.70 Im Nordwesten Deutschlands, wo ihre Anziehungskraft auf das bürgerlich-protestantische Lager anfangs unterdurchschnittlich war und die britische Besatzungsmacht die Parteienzahl nicht so rigoros beschränkte wie Franzosen und Sowjets, sah sich die CDU daher zu Kooperationen veranlasst. So trat sie in Hamburg bei der ersten Bürgerschaftswahl am 13. Oktober 1946 gemeinsam mit FDP und Deutscher Konservativer Partei (DKP) als „Vaterstädtischer Bund Hamburg“ (VDH) an. Das Bündnis wurde bei der nächsten Wahl (28. September 1949) erneuert, vier Jahre später schließlich firmierte man gemeinsam mit FDP, Deutscher Partei (DP) und dem Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) als „Hamburg-Block“.71 In Schleswig-Holstein und Niedersachsen gelang in den 1950er Jahre in Koalitionen unter anderem mit BHE und DP die Regierungsübernahme. In Niedersachsen überließ man 1955 der DP – mit der man auf Bundesebene bereits seit 1949 koalierte – in Person von Heinrich Hellwege das Amt des Ministerpräsidenten.72 Um

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ter, Zentrumspolitiker, Mitbegründer der Unionsparteien (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 41). Düsseldorf 2003, S. 89 – 137. Ein Überblick über die „Labour-Party“-Bestrebungen findet sich bei Schmidt: Zentrum oder CDU?, S. 159 – 175. Heinrich Potthoff/Susanne Miller: Kleine Geschichte der SPD 1848 – 1990, 7. Aufl. Bonn 1991, S. 175. Schmidt: Zentrum oder CDU, S. 159. Ebd., S. 199 ff. Siehe in diesem Zusammenhang neuerdings zur Gründung der CDU in Wuppertal Winfried Herbers: Der CDU-Politiker Otto Schmidt (1902 – 1984). Zwischen religiöser Motivation und Sachpolitik (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 72). Düsseldorf 2020, S. 57 – 64, hier v. a. 60; zu Rheinhessen-Pfalz Anne Martin: Die Entstehung der CDU in Rheinland-Pfalz, S. 68 – 87. Martin: Französische Besatzungspolitik, S. 135. Zum CSVD immer noch maßgebend Günther Opitz: Der Christliche-Soziale Volksdienst. Versuch einer protestantischen Partei in der Weimarer Republik (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bd. 37). Düsseldorf 1969. Hierzu Reinhard Schmeer: Volkskirchliche Hoffnungen und der Aufbau der Union. Evangelische Kirche und CDU/CSU in den ersten Nachkriegsjahren, Köln 2001, hier besonders S. 194 und 201 ff. Helmut Stubbe-da Luz: Von der „Arbeitsgemeinschaft“ zur Großstadtpartei. 40 Jahre Christlich-Demokratische Union in Hamburg (1945 – 1985). Hamburg 1985. Zur Geschichte der DP immer noch grundlegend Hermann Meyn: Die Deutsche Partei. Entwicklung

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1960 war es dann schließlich gelungen, diese norddeutsche bürgerliche Konkurrenzpartei – wie auch den nicht auf Norddeutschland beschränkten BHE 73 – „aufzusaugen“ und ihre Funktionäre, Mitglieder und Wähler weitgehend zu integrieren. In der ebenfalls überwiegend protestantisch geprägten Sowjetischen Besatzungszone hingegen, wo das Zentrum nicht zugelassen wurde, war der Anteil der Katholiken unter den CDU-Gründern und -Mitgliedern im Verhältnis ihrem Anteil an der Bevölkerung von Anfang an weit überdurchschnittlich.74 Besonders in Thüringen75, wo der Landesverband der CDU wie in Sachsen nach dem Besatzungswechsel von den US-Amerikanern zu den Sowjets gegründet wurde (am 20. Juli 1945), war für die neue Partei eine überproportional katholische Prägung kennzeichnend. Obwohl nur knapp 17 Prozent der Bevölkerung katholisch waren, lag der Katholikenanteil in der CDU-Mitgliederschaft Ende 1946 bei rd. 47 Prozent.76 Grund dafür war, dass im Land mit dem Eichsfeld und dem in der Thüringer Rhön gelegenen Geisaer Amt zwei überwiegend katholische Regionen existierten, die Hochburgen des Zentrums gewesen waren und in denen die CDU einen weit überdurchschnittlichen Zulauf erhielt. Im Eichsfeld etwa erreichte man bei den Gemeinde- und Landtagswahlen 1946 Ergebnisse von über 60 Prozent. Die Kehrseite war, dass die Thüringer CDU, in deren Landesvorstand Katholiken ebenfalls überproportional vertreten waren, weithin als Fortsetzung des Zentrums galt, was offenbar viele Protestanten von einer Wahlentscheidung zu ihren Gunsten abhielt. Landesweit kam sie daher auf Ergebnisse von lediglich 18,2 bzw. 18,9 Prozent. Ähnliche Probleme gab es in Brandenburg, wo wegen des weit überproportionalen Anteils an Katholiken die CDU ebenfalls vielfach als Wiederauflage des Zentrums beargwöhnt wurde.77 Die Gründung des Landesverbandes fand hier – vor allem bedingt durch massive Kommunikations- und Verkehrsprobleme in dem überwiegend dünn besiedelten Land – später statt als in den anderen Ländern der SBZ, nämlich erst am 16. Oktober 1945. Auch die Mitgliederzahl lag zunächst deutlich niedriger.78 Neben den konfessionellen Vorbehalten hatten die Schwierigkeiten im Parteiaufbau auch damit zu tun, dass in der brandenburgischen KPD die Vorgaben der Moskauer Exilführung, im Rahmen der „Blockpolitik“ die Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Kräften zu suchen, anfangs nicht ankamen beziehungsweise nicht befolgt wurden. Die Kooperation mit CDU und LDPD wurde häufig abgelehnt und nicht selten auch versucht, deren Zu-

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und Problematik einer national-konservativen Rechtspartei nach 1945 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bd. 29). Düsseldorf 1965. Franz Neumann: Der Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten 1950 – 1960. Ein Beitrag zur Geschichte und Struktur einer politischen Interessenpartei (Marburger Abhandlungen zur Politischen Wissenschaft. Bd. 5). Meisenheim 1968. Baus: Die Christlich-Demokratische Union, S. 120 f. Zum Folgenden Bertram Triebel: Die Thüringer CDU in der SBZ/DDR. Blockpartei mit Eigeninteresse. 2. Aufl. Sankt Augustin/Berlin 2020, S. 25 – 33. Wahrscheinlich war er noch höher, da bei manchen Statistiken der Thüringer CDU das Eichsfeld nicht berücksichtigt wurde, da sonst deutlich geworden wäre, dass der Katholikenanteil bei über 50 Prozent lag. Vgl. Wolfgang Tischner: Katholische Kirche in der SBZ/DDR 1945 – 1951. Die Formierung einer katholischen Subgesellschaft im entstehenden sozialistischen Staat (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe B: Forschungen. Bd. 90). Paderborn u. a. 2001, S. 205 f. Katrin und Ralf Baus: Die Gründung der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands in Brandenburg 1945, S. 102. Ebd., S. 79 f.

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lassung durch die örtlichen Kommandanturen zu verhindern.79 Daher wurde auch der „Block der antifaschistisch-demokratischen Parteien“ in Brandenburg erst vergleichsweise spät gegründet, am 22. November 1945.80 Im mecklenburgischen Greifswald hingegen wurde die kleine katholische Minderheit durch das Engagement eines Geistlichen an die bereits am 24. Juni 1945 gegründete „Demokratische Partei“, aus der bald darauf die CDU hervorging, herangeführt. Auch die kommunistische Partei zeigte sich hier frühzeitig deutlich kooperationsbereiter; so referierte auf der Gründungsversammlung der Demokraten ein führendes KPD-Mitglied über das Programm seiner Partei. Bereits am folgenden Tag wurde in Greifswald der „Block“ gebildet. Als allerdings ein Dreivierteljahr später die in Mecklenburg-Vorpommern besonders starke CDU ein zu ernster Konkurrent geworden war, wurde einer ihrer prominentesten Vertreter, der Greifswalder Theologie-Professor Ernst Lohmeyer, im Februar 1946 verhaftet, zum Tode verurteilt und am 19. September 1946 erschossen.81 Dass die CDU zumindest in manchen Teilen Deutschlands nicht nur konzeptionell und programmatisch eine neue Partei war, sondern auch personell, zeigte sich etwa in Sachsen. Zwar spielten auch hier auf der Führungsebene Persönlichkeiten eine Rolle, die bereits in der Weimarer Republik parteipolitisch aktiv gewesen waren. Von den 59.120 Mitgliedern jedoch, die am 1. Dezember 1946 der sächsischen Union angehörten, waren 95,4 Prozent vor 1933 parteilos gewesen.82 In Thüringen lag der Anteil zum gleichen Zeitpunkt bei rund zwei Dritteln.83 In manchen Gebieten Deutschlands sorgten die erwähnten Wanderungsbewegungen infolge von Kriegswirren, Flucht und Vertreibung für eine „Erosion der lokalen Traditionen“ und zum Teil tiefgreifende Veränderungen der jeweiligen regionalen Bevölkerungsstruktur – teils vorübergehend, teils dauerhaft.84 Auch sie beeinflussten durchaus die politische Entwicklung und die Ausgestaltung des Parteiensystems auf der lokalen Ebene.

Erfahrungen Anders als etwa bei der Sozialdemokratie oder den Kommunisten hatten weder das Zentrum noch die anderen Parteien in nennenswertem Umfang während der NS-Herrschaft illegale Strukturen oder Exilorganisationen aufgebaut, an die nach dem Ende des Zwei79 Ebd., S. 89. 80 Ebd., S. 106. 81 Baus: Die CDU in der sowjetisch besetzten Zone, S. 132 f. Zu Lohmeyer zuletzt James P. Edwards: Between the swastika and the sickle. The Life, Disappearance and Execution of Ernst Lohmeyer. Grand Rapids 2019. Lohmeyer wurde am 15. August 1996 von der Moskauer Militärstaatsanwaltschaft postum rehabilitiert. 82 Ralf Baus: Die Gründung der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands in Sachsen 1945, in: HPM 2 (1995), S. 83 – 117, hier 113. Berechnungsgrundlage ist die Zusammenstellung „Parteizugehörigkeit vor 1933 der Mitglieder des Landesverbandes“, in: ACDP Bestand CDU in der SBZ/DDR 07011-799. 83 Triebel: Die Thüringer CDU, S. 26. Datengrundlage ist hier der Jahresbericht 1946 des Landesverbandes vom 10. Januar 1947, in: ACDP LV Thüringen 03-031-138. 84 Siehe bei Harald Jähner: Wolfszeit. Deutschland und die Deutschen 1945 – 1955. Berlin 2019, das Kapitel „Das große Wandern“, v. a. S. 119, das Zitat ebd., S. 98. Zahlen bei Ulrich Herbert: Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert. München 2014, S. 551 ff.

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ten Weltkrieges hätte angeknüpft werden können. Hinzu kam die Diskreditierung oder Belastung früherer bürgerlicher und konservativer Parteien durch die zumindest temporäre Kooperation mit den Nationalsozialisten oder die Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 85. Allerdings trug die gemeinsame Erfahrung von Unterdrückung, Gewaltherrschaft, Krieg und Zerstörung, aber auch von Beharren, dem Aufbau beziehungsweise der Aufrechterhaltung informeller Gesprächskreise und in einigen Fällen auch gemeinsamer Opposition und gemeinsamem Widerstand gegen das NS-Regime dazu bei, Schranken abzubauen, die sich vor 1933 noch als nahezu unüberwindlich erwiesen hatten. Für die CDU war dies vor allem die Überwindung der bisherigen konfessionellen Spaltung in der Politik, die ein wichtiger Faktor der Zersplitterung gerade des bürgerlichen Lagers in viele verschiedene Parteien gewesen war. So erklärte Friedrich Holzapfel, Mitgründer der CDU in Westfalen und – obwohl heute weitgehend in Vergessenheit geraten – in den ersten Nachkriegsjahren eine der wichtigen Persönlichkeiten des evangelischen Flügels der Partei,86 in einer Rundfunkrede vom 24. Juni 1946, seit Jahrhunderten habe „das deutsche Volk darunter zu leiden gehabt, dass die Verschiedenheit der Bekenntnisse hereingetragen wurde in den politischen Kampf des Alltags“. Aus den „Trümmern des Krieges“ sei aber nun „die politische Zusammenarbeit beider christlichen Bekenntnisse hervorgegangen“.87 Ein Jahr später betonte er, eine „politische […] Einheitsfront der Christen“ könne den „Riss kitten, der im 30jährigen Krieg entstanden ist. Gelingt es uns, dann hätten wir ein festes Fundament, auf dem wir aufbauen könnten, sonst sei die ganze Arbeit vergebens.“88 Er habe aber, so Holzapfel rückblickend, von Anfang an darauf gedrungen, dass „die neue Partei nicht mehr den Namen Zentrum erhalten dürfe, da eine solche traditionell belastete Bezeichnung den Einbruch in die evangelischen Bevölkerungsschichten verhindern würde“.89 Im selben Sinne nahm der spätere langjährige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Peter Altmeier bei der offiziellen Gründungsversammlung der Christlich-Demokratischen Partei Rheinland-Hessen-Nassau in Koblenz am 17. Februar 1946 Bezug auf den gemeinsamen Widerstand von Mitgliedern der beiden christlichen Konfessionen gegen das NS-Regime. Es gehe nun darum, jene „Kampfgemeinschaft aus der Welt der Bedrückung […] in eine politische Gemeinschaft zur Erringung friedlicher Ziele umzuwandeln“.90 Und der ehemalige Landesvorsitzende des Zentrums in Sachsen, der Chemnitzer Pfarrer Ludwig Kirsch, schrieb am 4. Juli 1945 zur Begründung des Aufrufs, eine „Christliche Volkspartei“ zu gründen, „durch das Zusammenwirken der gläubigen Christen aller Konfessionen – erfolgreicher als in getrennten Parteien!“ – könne es gelingen, „unser politisches Leben als Volk und Staat wieder zu verchristlichen“.91 85 Rudolf Morsey (Hg.): Das „Ermächtigungsgesetz“ vom 24. März 1933. Quellen zur Geschichte und Interpretation des „Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich“. Düsseldorf 1992. 86 Zu Holzapfel Christopher Beckmann: Friedrich Holzapfel (1900 – 1969), in: HPM 12 (2005), S. 129 – 155. 87 Manuskript in: ACDP Bestand Bundesgeschäftsstelle 07-004-395/4. 88 Protokoll der Vorstandssitzung des LV Westfalen am 10. Mai 1947, in: ACDP 03-002-039/1. 89 Niederschrift eines Gesprächs zwischen Holzapfel und Peter Hüttenberger betr. die Gründung der CDU und die Entstehung des Landes Nordrhein-Westfalen, in: Hauptstaatsarchiv Düsseldorf RWN 139 Nr. 3, Bl. 164 –170, hier 165 f. 90 Zit. nach Martin: Entstehung der CDU in Rheinland-Pfalz, S. 60. 91 „Christliche Volkspartei Chemnitz“ – Offener Brief von Ludwig Kirsch vom 4. Juli 1945, in: ACDP NL Karl Buchheim 01-188-002/1; der Gründungsaufruf ebd. Zahlreiche Materialien zu Kirsch unter http://www.pfarrerludwigkirsch.de/.

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Auch wahlstrategische und demokratietheoretische Überlegungen spielten bei dem Versuch, aus den Erfahrungen der Vergangenheit Lehren zu ziehen, für die Befürworter des Unionsgedankens eine Rolle. Man war der Überzeugung, dass ein wiedergegründetes Zentrum ein zu geringes Wählerpotenzial haben würde, um die Interessen des christlichen Volksteils gegenüber den Sozialdemokraten und der ebenfalls als stark eingeschätzten KPD vertreten zu können. Die parteipolitische Zusammenfassung der Konfessionen hingegen böte die Chance, das Wählerpotenzial der zerfallenen und diskreditierten Parteien des Konservatismus und des Liberalismus an sich zu ziehen und damit gegenüber den Linksparteien mehrheitsfähig zu werden. Auch eine erneute Zersplitterung des Parteiensystems, in der man eine Hauptursache für die Instabilität der Weimarer Demokratie sah, könne so vermieden, die heimatlos gewordenen Anhänger der ehemaligen Rechtsparteien integriert und die Entstehung einer reaktionären Partei mit anti-demokratischem Charakter verhindert werden. Diese Überlegungen wurden von ansonsten politisch erheblich divergierenden Vertretern des „linken“ wie des „rechten“ Flügels der entstehenden CDU gleichermaßen angestellt.92

Personelle Konstellationen Neben lokalen Traditionen und Strukturen, stellenweise aufgebrochen durch die Folgen von Krieg, Flucht und Vertreibung, spielten auch personelle Konstellationen eine Rolle, die ebenfalls teilweise durch diese Faktoren beeinflusst waren. So befürwortete der spätere Bundespräsident Theodor Heuss in Stuttgart zunächst eine überkonfessionelle Sammlungspartei aus christlichen und liberalen Demokraten und verhandelte mit Vertretern der früheren Zentrumspartei in diesem Sinne. Diese waren ihm aber offenbar zu stark kirchlich orientiert, so dass er sich schließlich mit Bedenken in den Vorstand der Demokratischen Volkspartei in Württemberg-Baden wählen ließ, die später unter dem Namen DVP/FDP als baden-württembergischer Landesverband der Freien Demokraten firmierte.93 Im in der amerikanischen Zone gelegenen Nordbaden hingegen beteiligten sich nicht wenige prominente Vertreter der früheren liberalen Parteien – zum Teil auf Empfehlung von Heuss – an der Gründung der CDU.94 Einem Bekannten in Berlin, wo der Gründerkreis der CDU politisch breiter gefächert war 95, teilte Heuss brieflich mit, er würde, hätte er sich zur betreffenden Zeit dort aufgehalten, „an der christlich-demo-

92 Vgl. exemplarisch den anhand statistischen Materials argumentierenden Brief des aus der christlichen Gewerkschaftsbewegung kommenden Essener CDU-Mitgründers Heinrich Strunk an Wilhelm Hamacher, den ersten Vorsitzenden des wiedergegründeten Zentrums, vom 21. November 1945, in: ACDP 03-002-049/1 sowie die Gedanken des protestantisch-konservativen, ehemals der Deutschnationalen Volkspartei angehörenden früheren Reichsminister Hans Schlange-Schöningen. Zu Letzterem Günter J. Trittel: Hans Schlange-Schöningen. Ein vergessener Politiker der „ersten Stunde“, in: VfZ 35 (1987), S. 25 – 63, hier vor allem 34 – 41. 93 Paul Rothmund/Erhard R. Wiehn: Die DVP/FDP in Baden-Württemberg und ihre Geschichte. Stuttgart 1979. 94 Winfried Becker: CDU und CSU 1945 – 1950. Vorläufer, Gründer und regionale Entwicklung bis zum Entstehen der CDU-Bundespartei (Studien zur politischen Bildung. Bd. 13). Mainz 1987, S. 68. 95 Baus: CDU in der SBZ, S. 72 – 79.

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kratischen Union teilgenommen haben“. Im Februar 1946 musste er das Gerücht zurückweisen, er sei Mitglied der CDU geworden.96 In Mecklenburg-Vorpommern wurde die CDU anfangs in überproportionalem Maße von Persönlichkeiten geprägt, die während der Weimarer Zeit in der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) aktiv gewesen waren, die in Rostock und Schwerin Hochburgen gehabt hatte. Zeitweilig wurde hier sogar ein Zusammenschluss von CDU und Liberaldemokratischer Partei erwogen.97 Werner Jöhren, CDU-Mitgründer auf der Insel Usedom und erster Fraktionsvorsitzender der Union im Schweriner Landtag, sah in der Partei eine originär „neue Bewegung“, die sich fundamental unterscheide von „allen bürgerlichen Parteien vergangener Zeit“.98 Diese Besonderheit im nördlichsten Land der SBZ dürfte der Grund dafür gewesen sein, dass die CDU dort bei den Landtagswahlen 1946 mit 34,1 Prozent das zonenweit beste Ergebnis erzielte. In Dresden hingegen war das Misstrauen zwischen den führenden Persönlichkeiten von Christlichen Demokraten und Liberalen von Anfang an so groß, dass Sondierungen bezüglich der Möglichkeit einer gemeinsamen „bürgerlichen“ Partei rasch scheiterten.99 Ein Beispiel, wie sich in der Gründungsphase der CDU regional die skizzierten Einflüsse miteinander verschränkten, ist Rheinhessen-Pfalz. In der Pfalz wurde die Bildung einer einheitlichen überkonfessionellen Partei außer durch die erwähnten Vorbehalte zwischen Katholiken und Protestanten auch durch überkommene Animositäten zwischen ehemaligen Anhängern des Zentrums und der Bayrischen Volkspartei erschwert, die hier vor 1933 miteinander konkurriert hatten. Zudem erwies sich – anders als die allermeisten seiner Amtsbrüder – der Speyerer Bischof Joseph Wendel als Gegner einer parteipolitischen Zusammenführung der Konfessionen. In Rheinhessen hingegen, wo der Mainzer Bischof Albert Stohr früh die parteipolitische Vereinigung von Protestanten und Katholiken befürwortete, drehten sich die Auseinandersetzungen in der Gründungszeit kaum um konfessionelle, sondern vorrangig um sozialpolitische Differenzen. Für den nötigen Druck sorgte die französische Besatzungsmacht, die auch für Rheinhessen-Pfalz, wie geschildert, nur die Gründung einer einzigen „christlichen“ Partei zuließ.100

Heterogene Gründung – ausgeprägte Integrationsfähigkeit Das zum Teil restriktive Vorgehen der Besatzungsmächte, die sich rasch vertiefende Kluft zwischen Ost und West, die Besonderheit der dezentralen Entstehung aus miteinander zunächst nicht oder kaum verbundenen „Gründungskernen“, die teilweise erheblich divergierenden politisch-programmatischen Ansätze dieser Gründungen, die unter96 Siehe das Schreiben an Karl Brammer vom 24. November 1945, in: Theodor Heuss: Erzieher zur Demokratie. Briefe 1945 – 1949. Hg. und bearb. von Ernst Wolfgang Becker (Stuttgarter Ausgabe). München 2007, S. 129 ff., besonders Anm. 10, sowie die Einleitung des Herausgebers, ebd., S. 15– 57, hier 27 f. 97 Christian Schwießelmann: Norddeutsch, protestantisch, liberal – Gründerpersönlichkeiten der CDU in Mecklenburg-Vorpommern, in: HPM 13 (2006), S. 25 – 46; zur DDP nach wie vor Werner Stephan: Aufstieg und Verfall des Linksliberalismus 1918 – 1933. Die Geschichte der Deutschen Demokratischen Partei. Göttingen 1973. 98 Rede in einer Parteiversammlung am 30. Juni 1946, in: ACDP NL Werner Jöhren 01-350-002. 99 Baus: Gründung der CDUD in Sachsen, S. 84 – 87. 100 Martin: Entstehung der CDU in Rheinland-Pfalz, S. 68 – 87.

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schiedlichen regionalen Traditionen sowie die personellen Rivalitäten in der neuen Partei führten dazu, dass der Zusammenschluss der CDU auf interzonaler und dann bundespolitischer Ebene sich mühsam und langwierig gestaltete. Zwar wurde auf dem erwähnten „Reichstreffen“ der Christlichen Demokraten in Bad Godesberg vom 14. bis 16. Dezember 1945 der in der SBZ geprägte Name „Union“ allgemein übernommen. Der von den Berliner Gründern reklamierte Führungsanspruch – so hatte man dem eher bescheidenen Parteibüro in der Berliner Jägerstraße die selbstbewusste Bezeichnung „Reichsgeschäftsstelle“ gegeben – indes ließ sich nicht durchsetzen. Auch in der Folgezeit wehrte sich besonders Konrad Adenauer gegen den Berliner Führungsanspruch, den er aufgrund politischer Differenzen ablehnte, aber auch, weil damit „eine Parteiorganisation tonangebend [würde], die sowjetischem Einfluss unterliegt“.101 Aus der Berliner Parteizentrale wurde letztlich kein „politisches Gravitationszentrum“.102 Der in Godesberg angestrebte Dachverband für die verschiedenen Landesverbände, deren Bildung ihrerseits erst 1947 abgeschlossen werden konnte, kam ebenfalls nicht zustande. Der Anfang 1946 zur Koordination eingerichtete Zonenverbindungsausschuss mit Sitz in Frankfurt am Main erlangte keine Bedeutung, die im August 1946 daraus hervorgegangene Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU, deren Generalsekretariat ebenfalls in der Mainmetropole angesiedelt war, blieb gleichermaßen von untergeordneter Bedeutung, brachte aber immerhin in bestimmten Abständen die führenden Unionspolitiker aus den Ländern zusammen.103 Erst auf dem Parteitag in Goslar vom 20. bis 22. Oktober 1950 konnte als gemeinsame Organisation die CDU-Bundespartei gebildet werden – gut fünf Jahre nach Entstehung der Partei und fast eineinhalb Jahre nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland.104 Dass die zeitweise gängige und auch heute immer wieder zu hörende Behauptung, die Gründung der Bundesrepublik und besonders die Ära Adenauer seien „restaurativ“ gewesen, „ein gehöriges Maß an Ahnungslosigkeit“ voraussetzt, hat Wolfgang Benz in aller Deutlichkeit hervorgehoben. Vielmehr sei der „Übergang zum parlamentarischen System […] eher ein revolutionärer als ein reaktionärer Akt“ gewesen.105 Ähnliches gilt – wenn auch mit einer gewissen Verzögerung – für die Entwicklung des Parteiensystems, in dem die CDU, gemeinsam mit der Schwesterpartei CSU, als überkonfessionelle christliche Volksparteien „die wichtigste Neuerung der deutschen Parteienlandschaft“ darstellte.106

101 Schwarz: Adenauer, S. 522. 102 Helmuth Pütz (Bearb.): Konrad Adenauer und die CDU der britischen Besatzungszone 1946 – 1949. Hg. von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Bonn 1975, S. 76. 103 Brigitte Kaff (Bearb.): Die Unionsparteien 1946 – 1950. Protokolle der Arbeitsgemeinschaft der CDU/ CSU Deutschlands und der Konferenzen der Landesvorsitzenden (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 17). Düsseldorf 1991. 104 Andreas Grau: Goslar 1950. Vorbereitung, Konzeption und Ablauf des ersten Bundesparteitages der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands, in: HPM 18 (2011), S. 49 – 86. 105 Benz: Deutschland unter alliierter Besatzung, S.  44. Siehe auch Andreas Wirsching: Restauration oder Modernisierung – Deutungen der Ära Adenauer, in: Lammert (Hg.): Christlich-Demokratische Union, S. 737 – 768. 106 Wolfgang Rudzio: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. 9. Aufl. Wiesbaden 2015, S. 109.

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Als „neue Parteigründung mit alten Milieus“107 entwickelte die Union nach der heterogenen Gründungsphase eine enorme Integrationskraft und erreichte Wählergruppen, die noch keine deutsche Partei zuvor bei sich zu vereinigen vermocht hatte. Sie trug damit entscheidend zur Konzentration des Parteiensystems in den 1950er Jahren und zur Stabilisierung des parlamentarisch-demokratischen Systems der jungen Bundesrepublik bei108 und war insofern in der Tat eine „Brücke in eine neue Zeit“.109

Forschungs- und Quellenlage Die Erforschung der Gründungsgeschichte der CDU einschließlich der anfänglichen Auseinandersetzungen um die Frage, ob eine Wiedergründung des Zentrums oder die Schaffung einer neuen, überkonfessionellen christlichen Volkspartei die adäquate Antwort auf die Erfahrungen der Vergangenheit und die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft sei, ist schon früh mit der bereits 1953 erschienenen Arbeit von Hans-Georg Wieck in Angriff genommen worden.110 Mit den Diskussionen um die Frage Zentrum oder CDU befasste sich auch eine 1987 erschienene Studie von Ute Schmidt.111 Einen Gesamtüberblick zur Gründungs- und Frühgeschichte der Unionsparteien legte erstmals Winfried Becker im selben Jahr vor.112 In den mittlerweile entstandenen Überblicksdarstellungen zur Geschichte der CDU, etwa von Hans-Otto Kleinmann oder Frank Bösch, wird die Gründungszeit ebenfalls behandelt.113 Historische und aktuelle Perspektiven auf die CDU vereinigt neuerdings der umfangreiche, von Norbert Lammert herausgegebene Band zum 75jährigen Parteijubiläum.114 Hinzu kommen zahlreiche Studien, Festschriften und Erinnerungen zur CDU-Gründung auf regionaler und lokaler Ebene. Allerdings existieren noch nicht zu allen Zonen, Ländern und Landesverbänden detaillierte, auf breiter Quellenbasis fußende Darstellungen, wie sie Horstwalter Heitzer für die britische und Ralf Baus für die sowjetische Zone oder Anne Martin für Rheinland-Pfalz und Christian Schwießelmann für Mecklenburg-Vorpommern vorgelegt haben.115 Nach der Wiedervereinigung erlebte die Forschung zur CDU in der DDR und ihrer Entstehungs- und Gleichschaltungsgeschichte einen starken Aufschwung, was sich unter anderem in einer Reihe von aktenbasierten Aufsätzen in den von der Konrad-Adenauer107 Bösch: Macht und Machtverlust, S. 192. 108 Rudzio: Das politische System, S. 114 – 118. 109 So der Slogan eines Wahlplakats für die Landtagswahlen in der britischen Zone im April 1947, vgl. Günter Buchstab (Hg.): Brücke in eine neue Zeit. 60 Jahre CDU. Freiburg i. Br. 2005, S. 9. Eine Wiedergabe des Plakats findet sich auf der vierten Umschlagseite. 110 Hans Georg Wieck: Die Entstehung der CDU und die Wiederbegründung des Zentrums im Jahr 1945 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bd. 2). Düsseldorf 1953. 111 Schmidt: Zentrum oder CDU? 112 Becker: CDU und CSU. 113 Kleinmann: Geschichte der CDU, S. 15 – 130; Frank Bösch: Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei 1945 – 1969. München 2001, S. 21 – 71. 114 Lammert: Christlich-Demokratische Union. 115 Heitzer: Die CDU in der britischen Zone; Baus: Die CDU in der sowjetisch besetzten Zone; Martin: Entstehung der CDU in Rheinland-Pfalz; Christian Schwießelmann: Die CDU in Mecklenburg-Vorpommern. Von der Gründung bis zur Auflösung des Landesverbandes (1945 – 1952) (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 58). Düsseldorf 2011.

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Stiftung herausgegebenen Historisch-Politischen Mitteilungen niederschlug.116 Zu nennen sind außerdem biographische Arbeiten zu Christlichen Demokraten der „ersten Stunde“, die auch deren Rolle im Parteigründungs- und Konsolidierungsprozess thematisieren, zuletzt beispielsweise die von Winfried Herbers über Otto Schmidt oder die von Arno Richter über Heinrich Krone.117 Das Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung als Zentralarchiv der CDU beherbergt zahlreiche für die Erforschung der Gründungs- und Frühgeschichte der Partei einschlägige Bestände, auch zu den Verbänden in der SBZ.118 Allerdings ist die Überlieferungsdichte unterschiedlich, so dass kompensatorisch andere Archive herangezogen werden müssen. Sehr deutlich zeigt sich das am Beispiel Nordrhein-Westfalens, wo bis zur ihrer Vereinigung 1986 zwei Landesverbände bestanden. Während die archivische Überlieferung im ACDP für den ehemaligen Landesverband Westfalen-Lippe, einschließlich der Gründungsphase, sehr gut ist, existieren zum ehemaligen Landesverband Rheinland nur wenige Unterlagen. Hier muss auf Bestände des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen sowie auf den Nachlass des rheinischen Mitgründers Leo Schwering im Historischen Archiv der Stadt Köln zurückgegriffen werden. Von überregionaler Bedeutung sind ferner der Nachlass Konrad Adenauers in der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus in Rhöndorf sowie – speziell für die im Kontext der Frühgeschichte der CDU besonders wichtige britische Zone – der Nachlass von Friedrich Holzapfel im Bundesarchiv Koblenz.

116 Siehe die im Rahmen dieses Beitrags zitierten Aufsätze. 117 Herbers: Der CDU-Politiker Otto Schmidt; Arno Richter: „Keiner vom Parkett“. Heinrich Krone – eine politische Teilbiographie (1895 – 1951) (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 71). Düsseldorf 2019. 118 Die im ACDP vorhandenen Bestände lassen sich über eine Online-Datenbank recherchieren: https:// www.kas.de/de/web/wissenschaftliche-dienste-archiv/bestandsuebersicht-datenbank-recherche1 (Abruf: 15. Juni 2021). Zur Gründungsgeschichte Carsten Pickert: Der Gründungsprozess und die Etablierung des Archivs für Christlich-Demokratische Politik, in: HPM 20 (2013), S. 397 – 422.

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Stationen der programmatischen Entwicklung der CDU Michael Borchard „Die CDU war Programm, ehe sie sich ein Programm gab.“ 1 Dieser Ausspruch des ersten Bundesgeschäftsführers, früheren Generalsekretärs der CDU und ehemaligen Vorsitzenden der Konrad-Adenauer-Stiftung, Bruno Heck2, bringt in einem knappen Satz das ambivalente Verhältnis der CDU und ihrer Mandats- und Funktionsträger zu der Notwendigkeit, Programme zu erarbeiten, auf den Punkt. Diese Haltung zur Programmatik hat strukturelle Gründe und sie erklärt, warum die CDU – anders als die deutsche Sozialdemokratie – erst mehr als drei Jahrzehnte nach ihrer Gründung ein erstes Grundsatzprogramm verabschiedet hat. Es ist so, wie es der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble 3 formuliert hat: „Gegründet als demokratische Antwort auf extreme Ideologien von links und rechts, sah die CDU es als wesentlich an, in Spannung zueinander stehende Werte und Haltungen zu einem gerechten Ausgleich zu bringen. Auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes entstand so die erste Volkspartei der deutschen Nachkriegsdemokratie.“ 4 Am Anfang der Partei stand nicht die ideologische Engführung und damit auch nicht die programmatische Zuspitzung, sondern die Breite eines weltanschaulichen Gedankens, der die verschiedenen Bevölkerungsgruppen umfasst, der konfessionelle Schranken überwindet und alle zur Mitwirkung einlädt, die diese Werte für sich als Grundlagen ihres Handelns akzeptieren können: Dieser Fixstern, an dem sich das gesamte politische Konzept der CDU bis heute ausrichtet, ist das christliche Menschenbild. Der Satz von Bruno Heck – und das macht seine Kraft aus – bedeutet gleichwohl nicht, dass die CDU bis zu jenem epochalen programmatischen Schritt, der auf dem Ludwigshafener Parteitag 1978 seine Vollendung findet, ein programmatisch gänzlich unbeschriebenes Blatt ist. Auch wäre er als simple Absage gegen programmatische Grundüberlegungen falsch interpretiert, denn der Satz hat rückblickend zwei Dimensionen, die man letztlich auch als Schablone über den Prozess programmatischer Entwicklungen insgesamt legen muss: Erstens macht Bruno Heck damit deutlich, dass die Partei weltanschaulich durch die feste Orientierung am christlichen Menschenbild und durch die politischen Schlussfolgerungen, die daraus gezogen wurden, bereits eine klare program1 Zit. nach Günter Buchstab: 70 Jahre CDU vom 14. September 2015, Blog „kreuz und quer“, https:// kreuz-und-quer.de/2015/09/14/70-jahre-cdu/ (Abruf: 22.2.2021). 2 Siehe Wolfgang Tischner: Art.: Heck, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/bruno-heck (Abruf: 12.5.2021). 3 Siehe Markus Lingen: Art.: Schäuble, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/wolfgang-schaeuble-v1 (Abruf: 15.5.2021). 4 Vgl. Wolfgang Schäuble: Parteien und Programme. Freiheit, Würde und Verantwortung, in: FAZ, 22.12.2006, Nr. 298, S. 8. Online-Version unter: https://www.faz.net/aktuell/politik/die-gegenwart-1/ parteien-und-programme-freiheit-wuerde-verantwortung-1382868.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 (Abruf: 12.5.2021).

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matische und konzeptionelle Linie hatte, die dann in allen programmatischen Schriften immer wieder ihren Niederschlag gefunden hat, lange bevor sie schriftlich und umfassend festgelegt worden ist, und die zweite Dimension ist, dass die CDU durch ihren politischen Erfolg und ihre Gestaltungskraft, durch die faktische Kraft, beispielsweise der Westbindung und der Sozialen Marktwirtschaft, auch jenseits programmatischer Festlegungen Bindungskraft entfalten konnte. Dorothee Buchhaas spricht in diesem Zusammenhang von einer „Doppelstruktur der Programmatik“ insbesondere in der Ära Adenauer, in der die „offizielle Parteiprogrammatik und der programmatische Charakter der von der Partei mitgetragenen Regierungspolitik“ eine Einheit bilden.5 Die Gründung einer neuartigen Partei, die einen Meilenstein auf dem Weg zu einem modernen Parteiensystem darstellt, war keinesfalls selbstverständlich. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Systems war die oft zitierte „Stunde Null“ eingetreten. Der Staat war zerschlagen. Es fehlte an allem, was für das Leben notwendig ist: Ernährung, Kleidung, brauchbarer Wohnraum, eine nur halbwegs nutzbare Infrastruktur. Aber Hans Maier hat zutreffend darauf hingewiesen, dass das NS-Regime nicht nur unvorstellbare materielle Not hinterlassen hat, sondern zugleich auch eine „geistig-moralische Leere“, die die Frage aufwarf, wie ein kultureller, politischer, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher Neuanfang vor dem Hintergrund der schrecklichen Erfahrungen der zurückliegenden Jahre gelingen konnte.6 Und gleichfalls stellt sich die Frage, an welche Linien aus der Zeit der Weimarer Republik die neue Partei anknüpft und wie sehr die ersten Jahre der CDU auch programmatisch von den Erfahrungen von Krieg und Diktatur geprägt sind. „Die Zeitspanne zwischen 1945 und 1949 wird von manchen Autoren als eine Art Niemandsland betrachtet: ‚Jahre ohne Geschichte‘, ohne Souveränität; die ‚Frühgeschichte der Parteien‚ in diffuses Halbdunkel gehüllt.‘ Die Programme der Parteien, ohnehin allgemein und austauschbar, seien von ‚diffusen‘ und ‚illusionistischen Forderungen‘ durchzogen gewesen“, schreibt Winfried Becker über die erste Phase der Programmatik der CDU, die von den regionalen Aufrufen bis zur Konstitution der Bundespartei auf dem Goslarer Bundesparteitag reicht.7 Diese Einschätzung der „Jahre ohne Geschichte“, einem Bonmot von Paul Noack folgend, ist vor allem aus programmatischer Perspektive unzutreffend.8 Vielmehr scheint die These zulässig, dass viele Grundlegungen, die die Programmatik und die inhaltliche Ausrichtung der CDU bis heute bestimmen, bereits in dieser Frühphase festgelegt worden sind. Dass die weltanschauliche Orientierung der CDU von Anfang an dabei in wesentlichen Punkten einen gewissen Grad an konzeptioneller Klarheit aufweist, ist alles andere als selbstverständlich vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich die Gründung der Partei dezentral an verschiedenen Orten in ganz Deutschland abspielt. Hermann Pünder 9 5 Dorothee Buchhaas: Die Volkspartei. Programmatische Entwicklung der CDU 1950 – 1973 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bd. 68). Düsseldorf 1981, S. 176. 6 Hans Maier: Die Union, eine Nova am Parteienhimmel, in: Hans Zehetmair (Hg.): Politik aus christlicher Verantwortung. Wiesbaden 2007, S. 73 – 81, hier 73 ff. 7 Winfried Becker: CDU und CSU 1945 – 1950. Vorläufer, Gründung und regionale Entwicklung bis zum Entstehen der CDU-Bundespartei (Studien zur Politischen Bildung. Bd. 13). Bergisch-Gladbach 1987, S. 31. 8 Paul Noack: Die deutsche Nachkriegszeit. München/Wien 1973, S. 17 ff. 9 Siehe Christopher Beckmann: Art.: Pünder, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/

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hat in diesem Zusammenhang von einer „geradezu wunderbaren und völlig getrennten Entwicklung“10 gesprochen. Frank-Lothar Kroll findet es „bezeichnend für die parteipolitische Formierung einer christlichen Demokratie in den Jahren nach 1945, dass die parallel verlaufende Entfaltung ihrer weltanschaulichen Programmatik nicht in Form einer kohärenten, fest umschriebenen Theoriebildung erfolgte, sondern sich eher als okkasionelle Positionsbestimmung vollzog – orientiert an den konkreten Herausforderungen des Alltagslebens, die es in einer kriegszerstörten und vielfach demontierten Gegenwart zunächst mit gebotener Nüchternheit zu bewältigen galt.“11 In der Tat waren zwar die Umstände der Gründungen lokal sehr unterschiedlich und von einer großen Eigenständigkeit geprägt und tatsächlich fanden die jeweiligen Problemlagen auch einen unterschiedlich ausgeprägten Eingang in diese ersten programmatischen Festlegungen. Dem stand, das ist Frank-Lothar Kroll entgegenzuhalten, fast diametral gegenüber, dass die weltanschaulichen Überzeugungen zumindest in den grundsätzlichen Linien einen erstaunlich hohen Grad an Gemeinsamkeiten aufwiesen. Nicht ganz überraschend war dabei in allen lokalen Aufrufen und Leitlinien die klare und unmissverständliche Abgrenzung gegenüber dem Nationalsozialismus, die Absage an den totalitären Staatsanspruch, an staatlichen Terror, an die Verherrlichung von Gewalt und Krieg, an die „falschen kollektivistischen Zielsetzungen“ und an „jede Art von Rassenkult“12 (Kölner Leitsätze) herauszulesen, so wie auch die klare Bereitschaft, Verantwortung für jene Taten zu übernehmen, die, so die Kölner Leitsätze, „den deutschen Namen vor aller Welt mit Schmach und Schande“ bedeckt hätten.13 Das Programm der CSVP Rheinhessen14 verlangt gar die „Ausmerzung der verhängnisvollen Lehren des Nationalismus in Staat, Wirtschaft und Kultur“15 und der Berliner Aufruf 16 spricht von den weiten Kreisen „unseres Volkes, die sich nur allzu bereitwillig zu Handlangern und Steigbügelhaltern für Hitler“ erniedrigt hätten und zur „Sühne“ bereit sein müssten.17 Hier kommt zum Ausdruck, dass viele der Gründer der CDU dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus angehört haben; eine Tatsache, die Eugen Gerstenmaier18 später in den Satz gefasst hat, „dass die Konstituierung der CDU in den Gefängnissen von Tebiogramm-detail/-/content/hermann-puender-v1 (Abruf: 12.5.2021). 10 Zit. nach Becker: a.a.O., S. 31. 11 Frank-Lothar Kroll: Christliche Demokratie – vom Glaubensbekenntnis zum politischen Programm?, in: Norbert Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU. München 2020, S. 361 – 394, hier 374. 12 Kölner Leitsätze, in: https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=acc60aef-4213-4ed7-7a9bef1d57ef5351&groupId=252038 (Abruf: 29.6.2021). 13 Ebd. 14 Vgl. dazu Kurt Weitzel: Von der CSVP zur CDU. Die Gründung der CDU in Rheinhessen 1945 – 1947. Frankfurt a. M./Bern 1982. 15 Ebd. 16 Ralf Thomas Baus: „Trümmerhaufen sittlicher und materieller Werte“ – Die Gründungsversammlung der CDU in Berlin, in: Michael Borchard/Judith Michel (Hg.): Erinnerungsorte der Christlichen Demokratie in Deutschland. Berlin 2020, S. 44 – 51. Vgl. auch: Ralf Thomas Baus: Die Christlich-Demokratische Union Deutschlands in der sowjetisch besetzten Zone. Gründung, Programm, Politik (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 36). Düsseldorf 2001. 17 Faksimile des Aufrufs, in: https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=398ab9f6-a59e-66071af0-aae4bd62b26f&groupId=252038 (Abruf: 29.6.2021). 18 Siehe Ulrike Hospes: Art.: Gerstenmaier, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/ biogramm-detail/-/content/eugen-gerstenmaier-v1 (Abruf: 29.6.2021).

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gel begonnen hat“.19 Das macht zugleich deutlich, dass der formellen Gründung bereits die ideelle Gründung vorausgegangen ist. Zu Recht hat Günter Buchstab darauf hingewiesen, dass die „Kristallisationskerne von CDU und CSU“ nicht „spontane“ Reaktionen auf die geistige und materielle Katastrophe waren, die der Nationalsozialismus hinterlassen hatte, sondern dass sich bereits während der Terrorherrschaft an vielen Stellen evangelische und katholische Christen, Gewerkschafter, frühere Anhänger der konfessionell orientierten Parteien zusammengefunden hatten, um die Gestaltung des künftigen Deutschland zu beraten.20 Die Gründung einer interkonfessionellen Partei lag, wie es Jakob Kaiser 21 formuliert hat, gleichsam „in der Luft“. Trotz dieser wichtigen Präzisierung von Günter Buchstab ist nicht zu bestreiten, dass die Erfahrung des Totalitarismus, der den Völkermord, die Niederlage im Zweiten Weltkrieg und den materiellen und geistigen Zusammenbruch herbeigeführt hatte, den entscheidenden Impuls gesetzt hat, dem die Partei schon in den ersten Jahren ihren schnellen Aufstieg mit zu verdanken hatte. Jene Widerstandskämpfer waren sich einig, dass der „Neuaufbau von Staat und Gesellschaft auf der Grundlage demokratischer und christlicher Werte folgen sollte“.22 Der „Weg der Wiedergeburt“, auch darin stimmen alle Papiere dieser Frühzeit überein, müsse in den freiheitlichen Rechtsstaat führen, der seine Begründung in der personalen Würde des Menschen finde. Auf dem ersten Parteitag der britischen Zone im August 1947 machte Konrad Adenauer 23 deutlich: „Wir sind eine Partei des Rechts.“24 Dieser Grundsatz, und darauf verweist die frühe Unionsprogrammatik sehr klar, leitet sich aus der christlichen Naturrechtsauffassung ab. Das kommt zum einen insbesondere in den Kölner Leitsätzen, dann aber auch sehr explizit im Parteiprogramm von Neheim-Hüsten25 zum Ausdruck, in dem sich die Formulierung findet, es sei die „christliche Weltauffassung“, die allein „Recht, Ordnung und Maß, Würde und Freiheit der Person“ gewährleiste. Sie garantiere damit „eine wahre und echte Demokratie, die sich nicht auf die Form des Staates beschränken darf, sondern das Leben des einzelnen wie das des Volkes und der Völker tragen und durchdringen soll“.26 Der letzte Satz mag schon sehr nach ‚Ideologie‘ klingen, sagt aber im Grunde nichts anderes aus, als dass eine Demokratie, die nicht auch von einer demokratischen Kultur getragen ist, nicht erfolgreich sein kann. Demokratie, so Adenauer, sei eine Weltanschauung: „Wir nennen uns christliche Demokraten, weil wir der tiefen Überzeugung sind, dass nur eine Demokratie, die in der christlich-abendländischen Weltanschauung, in dem christlichen Naturrecht, in den Grundsätzen der christlichen Ethik wurzelt, die große erzieherische Aufgabe am deutschen Volke erfüllen und seinen Wiederaufstieg herbeiführen kann.“27 19 Zit. nach Hans-Otto Kleinmann: Geschichte der CDU 1945 – 1982. Hg. von Günter Buchstab. Stuttgart 1993, S. 21. 20 Günter Buchstab: 1945 – 1949, Gründungsphase der CDU, in: https://www.kas.de/de/web/geschichteder-cdu/gruendungsphase-der-cdu-1945-1949- (Abruf: 12.5.2021). 21 Siehe Manfred Agethen: Art.: Kaiser, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/jakob-kaiser-v1 (Abruf: 12.5.2021). 22 Kroll: Christliche Demokratie, S. 374. 23 Siehe Rudolf Morsey/Hans-Peter Schwarz: Art.: Adenauer, in: https://www.kas.de/de/web/geschichteder-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/konrad-adenauer-v1 (Abruf: 12.5.2021). 24 Zit. nach Felix Becker: Kleine Geschichte der CDU. Stuttgart 1995, S. 40. 25 Parteiprogramm von Neheim-Hüsten, in: https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=92d2 d6b3-0d61-7a15-f7d5-6b52151aae05&groupId=252038 (Abruf: 29.6.2021). 26 Ebd. 27 Ebd.

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Andere Kernbestandteile der CDU-Programmatik, die in dieser frühen Zeit gleichsam in die Partei-DNA eingegossen werden, sind zunächst die europäische Integration und die internationale Zusammenarbeit. Auch wenn in den Kölner Leitsätzen das Zusammenwachsen Europas nicht explizit als Ziel genannt ist, so ist doch deutlich der Anspruch formuliert, dass der Weg Deutschlands der Weg der Vertragstreue und der Verständigung sein muss, mithin eine Führungsrolle „in der Verwirklichung der Sehnsucht der Völker nach einem ewigen Frieden“.28 Von ebenso weitreichender Bedeutung war es, den Menschen auch im Staatsaufbau in den Mittelpunkt zu stellen, „in radikaler Abkehr von jeder Staatsomnipotenz“29. Ausdruck des subsidiären Staatsverständnisses war nicht nur ein klares, fast apodiktisches Bekenntnis zum Föderalismus – „Der Zentralismus wird als undeutsch abgelehnt“30 (Kölner Leitsätze) – und zur kommunalen Selbstverwaltung, sondern auch die besondere Wertschätzung gegenüber der kleinsten subsidiären Einheit: der Familie. In den Frankfurter Leitsätzen heißt es: „Ein Volk ist soviel [sic!] wert, wie in ihm die Familie wert ist. Das muss der Staat wissen und danach muss er handeln.“31 Daran knüpft nahtlos die in den Leitsätzen und Aufrufen formulierte Betonung des Elternrechtes in der Schulpolitik an. „Kein Programmpunkt der CDU“, so Felix Becker, „ist in den Verfassungsdiskussionen mit solcher Konsequenz und Einheitlichkeit vertreten, für keinen ist so gekämpft worden wie für die Erziehungsautorität der Eltern.“ 32 Damit verbindet sich ebenfalls das Plädoyer für christlich-humanistische Bildung als Gegenmodell zum atheistischen und materialistischen Totalitarismus. In keinem Bereich treten die regionalen Unterschiede in den programmatischen Festlegungen der Frühzeit so profund in den Vordergrund wie im Bereich der Wirtschaftsund Sozialpolitik. Das kommt vor allem in den Debatten zum Ausdruck, die sich um den Begriff des „Christlichen Sozialismus“ drehen.33 In den Frankfurter Leitsätzen aus dem Oktober 1945 tritt das Postulat des Christlichen Sozialismus besonders deutlich zutage: „Wir bekennen uns zu einem wirtschaftlichen Sozialismus auf demokratischer Grundlage, und zwar in folgender Form: Wir erstreben die Überführung gewisser großer Urproduktionen, Großindustrien und Großbanken in Gemeineigentum. Wir wollen ferner, dass die Wirtschaft im großen [sic!] einheitlich und planvoll gelenkt werde.“ Während hier linkskatholische Publizisten „Pate“ standen, waren es im Falle der Kölner Leitsätze die ehemaligen christlichen Gewerkschafter im „Dunstkreis“ der Walberberger Dominikaner, die vage den „wahren christlichen Sozialismus“ forderten, der nichts gemein habe mit „falschen kollektivistischen Zielsetzungen, die dem Wesen des Menschen von Grund

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Kölner Leitsätze. Becker: Kleine Geschichte, S. 41. Kölner Leitsätze. Politische Leitsätze der Christlich Demokratischen Union, Stadtkreis Frankfurt, in: https://www.kas. de/c/document_library/get_file?uuid=835a1835-519c-41f3-2010-b67f7f376821&groupId=252038 (Abruf: 25.5.2021). 32 Becker: Kleine Geschichte, S. 41. 33 Vgl. dazu sehr umfassend: Rudolf Uertz: Christentum und Sozialismus in der frühen CDU. Grundlagen und Wirkungen der christlich-sozialen Ideen in der Union 1945 – 1949 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte zur Zeitgeschichte. Bd. 43). Stuttgart 1981. Siehe außerdem: Franz Focke: Sozialismus aus christlicher Verantwortung. Die Idee eines christlichen Sozialismus in der katholisch-sozialen Bewegung und in der CDU. Wuppertal 1978.

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aus [sic!] widersprechen.“34 Der Kreis der Berliner Gründer um Andreas Hermes35 und Jakob Kaiser mied zwar den Begriff des Sozialismus, forderte aber gleichfalls Verstaatlichungen ein. Im deutlichen Gegensatz dazu standen die protestantisch-konservativen und liberalen Gründer in Norddeutschland, die den Begriff scharf ablehnten. Aus dieser Richtung kam dann eher das kraftvolle Eintreten für den Schutz des Privateigentums. Ein entschiedener Gegner des „Christlichen Sozialismus“, allerdings weniger aus ideologischen als aus pragmatischen Gründen, war der „Shooting-Star“ der jungen Demokratie, Konrad Adenauer. Er brachte seine Opposition zu diesem Begriff mit dem lakonischen und politikpraktischen Hinweis zum Ausdruck, man gewönne mit dem christlichen Sozialismus im Programm fünf Menschen hinzu und „zehn laufen weg“.36 Auffällig ist, aber freilich hängt auch das mit der Person des umtriebigen Politikers zusammen, dass die CDU in der britischen Zone zum „Kraftwerk“ für die programmatische wie auch für die organisatorische Entwicklung der Partei insgesamt wurde. Unter der Führung von Konrad Adenauer sind hier die drei wichtigsten Säulen der programmatischen Entwicklung der Frühzeit gesetzt worden, die bereits die erste Weiterentwicklung der Leitsätze und Aufrufe darstellen: Das Programm von Neheim-Hüsten vom 1. März 1946, das Ahlener Programm vom 3. Februar 1947 und die Düsseldorfer Leitsätze vom 15. Juli 1949. Für den ersten Bestandteil dieser Trias, für den Programmentwurf, den Konrad Adenauer am 5. Februar 1946 auf der ersten Tagung des Zonenausschusses für die britische Zone vorlegte, den er zuvor in seinem Rhöndorfer Wohnhaus selbst verfasst hatte, bildeten die Kölner Leitsätze eine wichtige Grundlage. Auf dieser Grundlage entstand das gemeinsame Programm der CDU in der britischen Zone, das am 1. März in Neheim-Hüsten37 im Sauerland verabschiedet wurde. Gleichwohl wies das Programm auch deutliche Unterschiede zu den Kölner Leitsätzen auf. Weil Adenauer der festen Überzeugung war, dass es Wählerinnen und Wähler nur verschrecken würde, wenn man aus einem politischen Programm ein Glaubensbekenntnis machen würde, war der Text von Neheim-Hüsten weniger religiös gefärbt als die Kölner Leitsätze. „Anstelle eines christlichen Sozialismus sollte die Freiheit der Person auch im Bereich der Wirtschaft gelten und die freie Entfaltung jedes Einzelnen sowie Privateigentum garantieren. Zwar war auch hier von ‚Bedarfsdeckung des Volkes‘ die Rede, doch wurde gleichzeitig angemerkt, dass die Frage der Vergesellschaftung von Teilen der Wirtschaft zur Zeit nicht praktisch sei. Lediglich für die ohnehin unter Zwangsverwaltung stehenden Bergwerke wurden Vergesellschaftungen nicht ausgeschlossen. Anstelle der Bekenntnisschulen und der christlichen Gemeinschaftsschulen forderte das Programm nur vage die ‚weltanschauliche Gestaltung des Schulwesens nach dem Elternrecht‘.“38 34 Kölner Leitsätze. 35 Siehe Markus Lingen: Art.: Hermes, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/andreas-hermes-v1 (Abruf: 29.6.2021). 36 Zit. nach Michael Borchard: 75 Jahre CDU. Die Kölner Leitsätze, in: https://kreuz-und-quer.de/2020/ 06/16/75-jahre-cdu-die-koelner-leitsaetze/ (Abruf: 29.6.2021) 37 Siehe Ulrike Hospes: 26. Februar 1946. 2.Tagung des Zonenausschusses in Neheim-Hüsten, in: https:// www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/kalender/kalender-detail/-/content/2.-tagung-des-zonenausschusses-in-neheim-huesten.-wahl-konrad-adenauers-zum-vorsitzenden-der-cdu-in-der-britischenzone (Abruf: 12.5.2021). 38 Kathrin Zehender: Beratungen ehem. Zentrumsmitglieder und christlicher Gewerkschafter in Köln über die Gründung einer christlich-demokratischen Partei, in: https://www.kas.de/de/web/geschichteder-cdu/kalender/kalender-detail/-/content/beratungen-ehem.-zentrumsmitglieder-und-christlicher-ge-

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Das Programm von Neheim-Hüsten griff allerdings im Gegensatz dazu die Grundüberzeugungen, die in der ‚Kölner Geburtsurkunde‘ so kraftvoll formuliert worden waren, voll und ganz auf: Auch in diesem ersten umfassenderen programmatischen Aufschlag, der thematisch breiter war als das nachfolgende Ahlener (Wirtschafts-)Programm, wurden die „Würde und Freiheit des Menschen, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Religions- und Meinungsfreiheit, die Bedeutung der Familie und die Begrenzung der staatlichen Macht festgeschrieben“,39 die bis heute die Grundsätze der CDU prägen. Fälschlicherweise wird das Ahlener Programm40 als zweiter Bestandteil dieser Trias immer wieder als Dokument des „christlichen Sozialismus“ portraitiert und als Höhepunkt des planwirtschaftlichen „Ausflugs“ der CDU, ja vielfach als „Jugendsünde“ dargestellt. Noch in den 1970er Jahren wetterte Franz Josef Strauß 41 in seiner unnachahmlichen Art, das Programm sei ein „Sündenfall“ gewesen, ein „Irrtum“, eine „Mumie“.42 An dieser Einschätzung, die bis in unsere Zeit kolportiert wird, tragen die ersten Sätze des Programms eine maßgebliche „Mitschuld“: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen und wirtschaftlichen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann eine Neuordnung nur von Grund auf erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein.“43 Tatsächlich aber täuschen diese ersten Sätze, die die Handschrift des Gewerkschaftsflügels der jungen Partei tragen, über den eigentlichen Inhalt des knappen Programms hinweg. So findet sich der Begriff des „christlichen Sozialismus“ in diesem Programmentwurf nicht mehr und das Manifest blieb insgesamt sehr vage. Ein sprechendes Beispiel: Von herausragender Bedeutung als bis heute geltender Baustein der Sozialen Marktwirtschaft, der nicht zuletzt bei der Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 eine wichtige Rolle gespielt hat, war die Forderung nach betrieblicher Mitbestimmung. Gerne gerät in Vergessenheit, dass diese Forderung des Ahlener Programms die erste solche Festlegung in den Programmen aller Parteien nach 1945 war. Diese Forderung war allerdings nur allgemein erhoben und nicht ausformuliert worden. Eine Verstaatlichung wurde nun für die Großstoffindustrien erwogen, ja das Programm enthielt sogar eine explizite Warnung vor einem Staatssozialismus, der sich nach 1933 zunehmend in der NS-Zeit etabliert habe. Das Ahlener Programm war deshalb nicht etwa der vorläufige Höhepunkt der christlich-sozialen Ausrichtung der Partei und auch nicht die Türöffnung hin zu einem kollektivistischeren Ansatz, sondern eher der

werkschafter-in-koeln-ueber-die-gruendung-einer-christlich-demokratischen-partei (Abruf: 12.5.2021). 39 Ebd. 40 Vgl. Markus Lingen: Auf der Suche nach einem Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus, in: Borchard/Michel (Hg.): Erinnerungsorte, S. 61 – 65. Allgemein zum Ahlener Programm: Antonius John: Ahlener Programm und Bonner Republik. Vor 50 Jahren: Ideenwettlauf und Rivalität. Bonn 1997. Ferner: Herbert Reichel: Das „Ahlener Programm“ der CDU – ein fortwirkender Auftrag und seine Grenzen, in: Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften 17 (1976), S. 243 – 264. 41 Siehe Martin Falbisoner: Art.: Strauß, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/franz-josef-strauss-v1 (Abruf: 12.5.2021). 42 Zit. nach Bösch: Macht und Machtverlust, S. 17. 43 Ahlener Programm, in: Peter Hintze (Hg.): Die CDU. Parteiprogramme. Eine Dokumentation der Ziele und Aufgaben. Bonn 1995, S. 15.

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Versuch, die CDU einerseits gegen sozialistische Vorstellungen abzugrenzen,44 aber andererseits vor den Landtagswahlen in der britischen Zone vor allem die Arbeiter zu erreichen. In der Einführung zu einem Buch, in dem die Programmtexte der CDU zusammengefasst sind, schreibt der frühere CDU-Generalsekretär Peter Hintze 45, dass man das Ahlener Programm „im Zusammenhang mit der drängenden Notlage der Menschen im damaligen Deutschland“ verstehen müsse und dass auch Anhänger marktwirtschaftlicher Vorstellungen noch in der Zeit vor der Währungsunion davon ausgegangen seien, „dass ohne eine planmäßige Bewirtschaftung der Güter existentielle Not nicht zu verhindern und der Wiederaufbau nicht zu leisten sei“.46 Diese Sicht ist aber zu defensiv, denn natürlich war das Ahlener Programm eine Manifestierung des Gedankens vom Dritten Weg jenseits von Kapitalismus und Kollektivismus, der im Sinne der katholischen Soziallehre, der päpstlichen Enzykliken wie „Rerum Novarum“ sowohl die Bedeutung des Privateigentums an Produktionsmitteln betonte wie auch dessen Sozialbindung vorsah.47 Auch wenn das Ahlener Programm mehr war als ein „Täuschungsmanöver“, so erkennt Adenauers Biograph Hans-Peter Schwarz darin allerdings dennoch ganz deutlich die taktische Handschrift Adenauers, die auch bereits den Entwurf von Neheim-Hüsten so deutlich geprägt hatte: „Eigentlich müsste es Adenauer-Programm heißen.“48 Adenauer war in der Tat erneut der maßgebliche Autor des Programms, das nach Beratungen des Zonenausschusses der CDU in der britischen Zone im Ahlener Kloster St. Michael ohne jede Rücksprache mit anderen Parteigliederungen sozusagen von „oben“ festgelegt worden war. Adenauer verfolgte zudem nicht die Absicht, aus dem Ahlener Programm eine grundsätzliche Positionierung zu machen. Für ihn standen politische Intentionen im Vordergrund: Zunächst war dieses Programm, anders als das geltende Programm von Neheim-Hüsten, das eine umfassendere Breite hatte, eher ein Sparten- oder Ressortprogramm, was sich auch in seinem offiziellen Titel niederschlägt: „Das Ahlener Wirtschafts- und Sozialprogramm“. Damit korrespondierend ist das zweite Ziel des Programms, nämlich dass dieses Manifest nicht zuletzt als Wahlprogramm für die bevorstehenden Landtagswahlen am 20. April 1947 dienen sollte, bei der die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besonders angesprochen werden sollten. Drittens kann kaum bezweifelt werden, dass Adenauer mit dieser geschickten „Umarmungsstrategie“ gegenüber den Sozialausschüssen nicht nur ihre Forderungen „einhegen“, sondern freilich auch innerparteilichen Konkurrenten wie Jakob Kaiser oder Karl Arnold den „Wind aus den Segeln“ nehmen wollte. Ein Jahr nach der Währungsreform greifen die Düsseldorfer Leitsätze am 15. Juli 1949, die der Schlussbaustein der programmatischen Trias in der britischen Besatzungszone waren, den schon im Ahlener Programm angelegten Versuch, eine „Wirtschaftsverfas44 Becker: Kleine Geschichte, S. 33. 45 Siehe Christine Bach: Art.: Hintze, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/peter-hintze-v1 (Abruf: 12.5.2021). 46 Hintze: Die CDU, S. XI. 47 Vgl. Wolfgang Tischner: Düsseldorf, Ständehaus. Plädoyer für die Soziale Marktwirtschaft – Die wirtschaftspolitischen Leitsätze der Arbeitsgemeinschaft der CDU, in: Borchard/Michel (Hg.): Erinnerungsorte, S. 74 – 81, hier 77. 48 Zit. nach Markus Lingen: Die CDU in der britischen Zone spricht sich in ihrem Ahlener Programm für die Überwindung von Kapitalismus und Marxismus aus, in: https://www.kas.de/de/web/geschichteder-cdu/kalender/kalender-detail/-/content/die-cdu-in-der-britischen-zone-spricht-sich-in-ihrem-ahlener-programm-fuer-die-ueberwindung-von-kapitalismus-und-marxismus-aus (Abruf: 12.5.2021).

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sung“ zu skizzieren, auf. Es wäre deshalb auch falsch, die Düsseldorfer Leitsätze in erster Linie als Gegenentwurf zum Ahlener Programm zu interpretieren. So sehr die Leitsätze Bestandteile enthalten, die wirtschaftspolitische Maßnahmen des Ahlener Programms so nicht mehr abbilden, so sehr sie sich in ihrer inhaltlichen Ausformulierung und ihrer Konkretisierung unterscheiden, so greifen sie dennoch den Grundsatz eines „Dritten Wegs“ zwischen kollektivistischen Wirtschaftsansätzen einerseits und dem ungebremsten Kapitalismus andererseits auf und entwickeln diesen Grundgedanken weiter. In den Düsseldorfer Leitsätzen heißt es dementsprechend ausdrücklich: „Die vorwiegend eigentumsrechtlichen und gesellschaftspolitischen Grundsätze des Ahlener Programms werden anerkannt, jedoch nach der marktwirtschaftlichen Seite hin ergänzt und fortentwickelt.“49 Zugleich bilden die Leitsätze auch die rasante Entwicklung ab, die sich in der Zeit seit der Verabschiedung des Ahlener Programms vollzogen hat. Zur Zeit des Ahlener Programms waren Fragen, die entscheidenden Einfluss auf die wirtschafts- und finanzpolitische Entwicklung hatten, noch immer vollständig ungeklärt und die Staatenbildung, die dann zur Zeit der Leitsätze vollzogen war, noch nicht absehbar. Insbesondere die Frage, wie die alliierten Besatzungsmächte mit dem Thema Reparationen und mit den Schulden umgehen würden, die ein – wie auch immer gearteter – Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches übernehmen müsste, war schwer prognostizierbar. Die Folgen des Auseinanderdriftens der sowjetischen und der westlichen Besatzungszonen für die Wirtschaftsentwicklung war ebenso wenig einzukalkulieren wie die Wirtschaftsentwicklung insgesamt. Mit der Währungsreform und einer freien Preis- und Lohnentwicklung beginnen dann die wirtschaftspolitischen Entscheidungen, die von Ludwig Erhard50 und Konrad Adenauer geprägt werden, erste Früchte zu tragen. Auch die Düsseldorfer Leitsätze, die am 15. Juli 1949 im Ständehaus der Rheinmetropole, in dem Haus, das damals als Landtagsgebäude des neugebildeten Landes Nordrhein-Westfalen fungierte, der Presse vorgestellt wurden, waren keine grundsatzprogrammatische Positionierung, sondern erneut ein „Ressortprogramm“.51 Mit diesem Manifest wollte die CDU bei den im August 1949 bevorstehenden Bundestagswahlen einen klaren wirtschaftspolitischen Akzent setzen. Die Partei tat dies, indem sie erstmals einen Begriff auf das politische Podium hob, den Alfred Müller-Armack52 geprägt hatte, den Terminus der „Sozialen Marktwirtschaft“. Der Wirtschaftsanwalt Franz Etzel53, der dem Ausschuss vorstand, der für dieses Programm verantwortlich war und der als einer der maßgeblichen Autoren der Leitsätze gilt, hat das politische Überzeugungspotential dieses Begriffes erkannt, das sich allerdings erst sehr allmählich durchsetzen sollte. Der wesentliche Kontrast zum Ahlener Programm ist die explizite Betonung des Wettbewerbsgedankens, den die Autoren in einem prägnanten Kernsatz, in dem sie ihr Verständnis dieses Ordnungsmodells erläu49 Düsseldorfer Leitsätze, in: https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=e96f38a1-b923-a79ec5a3-11569de3f64e&groupId=252038 (Abruf: 12.5.2021). 50 Siehe Hans-Jörg Hennecke: Art.: Erhard, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/ biogramm-detail/-/content/ludwig-erhard-v1 (Abruf: 21.4.2021). 51 Vgl. Tischner: Plädoyer für die Soziale Marktwirtschaft, S. 74 ff. 52 Siehe Markus Lingen: Art.: Müller-Armack, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/alfred-mueller-armack-v1 (Abruf: 12.5.2021). 53 Siehe Wolfgang Tischner: Art.: Etzel, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/franz-etzel-v1 (Abruf: 21.4.2021).

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tern, zusammenfassen: „Die ‚Soziale Marktwirtschaft‘ ist die sozial gebundene Verfassung der gewerblichen Wirtschaft, in der die Leistung freier und tüchtiger Menschen in eine Ordnung gebracht wird, die ein Höchstmaß von wirtschaftlichem Nutzen und sozialer Gerechtigkeit für alle erbringt. Diese Ordnung wird geschaffen durch die Freiheit und Bindung, die in der ‚Sozialen Marktwirtschaft‘ durch echten Leistungswettbewerb und unabhängige Monopolkontrolle zum Ausdruck kommt. Echter Leistungswettbewerb liegt vor, wenn durch eine Wettbewerbsordnung sichergestellt ist, daß bei gleichen Chancen und fairen Wettkampfbedingungen in freier Konkurrenz die bessere Leistung belohnt wird. Das Zusammenwirken aller Beteiligten wird durch marktgerechte Preise gesteuert.“54 Insgesamt waren die Düsseldorfer Leitsätze „der erste einheitliche und in sich geschlossene Ordnungsentwurf in der Programmgeschichte der CDU“.55 Aber neben diesen inhaltlichen Unterscheidungen gab es auch einen strukturellen Unterschied, der die Leitsätze besonders heraushob und ihnen Geltung über die britische Besatzungszone hinaus verlieh: Rein formell verloren die Programme von NeheimHüsten und Ahlen mit der Gründung der Bundes-CDU in Goslar im Herbst 1950 ihre Gültigkeit, weil sie nur für die britische Besatzungszone verabschiedet worden waren. Davon unterscheiden sich die Düsseldorfer Leitsätze von 1949, die zwar gleichfalls in der britischen Zone geprägt worden waren, aber als Wahlprogramm für die erste Bundestagswahl galten und damit einen nationalen Geltungsanspruch erhoben. Und ein zweites strukturelles Merkmal ist bemerkenswert: Die Leitsätze waren auch das erste gemeinsame programmatische Werk von CDU und CSU, denn es war die 1947 in Königstein gegründete „Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU“, die diese Wahlkampfpositionierung verabschiedete. Auf dem Goslarer Parteitag im Oktober 1950, auf dem Konrad Adenauer zum ersten Bundesvorsitzenden der CDU gewählt wurde, ist kein politisches Programm verabschiedet worden.56 Gleichwohl blieb dieses „Gründungsereignis“ der Bundes-CDU nicht ohne programmatische Wirkung, weil nicht zuletzt durch die Abschlussrede Konrad Adenauers zwei wesentliche Grundlinien der CDU-Politik festgelegt und bekräftigt worden sind, die weitreichende Wirkung hatten: Die Wiedervereinigung Deutschlands und die Europäische Einigung. Jedenfalls markiert die Konstituierung der Bundespartei den Beginn der zweiten Phase der programmatischen Entwicklung der CDU, die bis zur Übernahme des Bundesvorsitzes durch Helmut Kohl57 reicht. Erst auf dem 4.Bundesparteitag der CDU, der 1953 in Hamburg stattfand, verabschiedeten die Delegierten erstmals ein Parteiprogramm, das für alle Landesverbände verbindlich war. Dennoch kann das Hamburger Programm vom 22. April 1953 kaum als herausragende programmatische Station dienen. Selbst Peter Hintze, der in seinem 54 Düsseldorfer Leitsätze. 55 Zit. nach Markus Lingen: Verabschiedung der „Düsseldorfer Leitsätze“ zur „Verwirklichung der sozialen Marktwirtschaft“ durch die CDU/CSU-Arbeitsgemeinschaft, in: https://www.kas.de/de/web/ geschichte-der-cdu/kalender/kalender-detail/-/content/verabschiedung-der-duesseldorfer-leitsaetze-zur-verwirklichung-der-sozialen-marktwirtschaft-durch-die-cdu-csu-arbeitsgemeinschaft (Abruf: 12.5.2021). 56 Vgl. dazu Andreas Grau: Goslar, Odeon-Theater. Der erste Bundesparteitag der CDU, in: Borchard/ Michel (Hg.): Erinnerungsorte, S. 90 – 95. 57 Siehe Horst Möller: Art.: Kohl, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogrammdetail/-/content/helmut-kohl-v2 (Abruf: 20.6.2021).

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Programmhandbuch die Entwicklung der CDU-Programmatik erwartungsgemäß überaus positiv beurteilte, schrieb nüchtern von einem „Rechenschaftsbericht der CDU-geführten Bundesregierung für die Jahre 1949 bis 1953“.58 Schon die ersten Sätze des Programms stützen diesen Eindruck Hintzes: „Unter der Kanzlerschaft Konrad Adenauers hat die Christlich-Demokratische Union in den letzten vier Jahren das deutsche Volk in der Bundesrepublik aus Hunger, Not und tödlicher Verzweiflung herausgeholt.“59 Auch wenn das Hamburger Programm alles andere als ein grundlegendes Manifest war, dessen Zukunftsideen neben der Gegenwartsbeschreibung sehr blass und vage blieben und das „alle für eine Volkspartei typischen Merkmale eines ‚pragmatischen Warenhauskataloges‘“60 aufwies, so verweist Dorothee Buchhaas doch auf den wirtschafts- und sozialpolitischen Teil des Programms, der nach ihrer Ansicht Beachtung verdient: Trüge dieser Bestandteil des Programms doch die Handschrift der Sozialausschüsse, die noch kurz zuvor in Köln getagt und Beschlüsse gefasst hätten und die mit diesem Programm eine Konkretisierung des Ahlener Programms, ja eine Synthese zwischen Ahlen und Düsseldorf versucht hätten.61 Tatsächlich hieß es in dem Programm unzweideutig, dass „Verstaatlichung und sozialistisches Gemeineigentum […] keine Lösung der sozialen Frage“ darstellen und dass das „Eigentum für alle Schichten des Volkes“ den sozialen Ausgleich herbeiführe.62 Der vergleichsweise dürftige programmatische Wert dieses ersten Bundesprogammes wird auch durch die Tatsache offenbar, dass es zwar formell bis zum Berliner Programm 1968 15 Jahre lang Gültigkeit behielt, weil in der Zwischenzeit nur Resolutionen und Entschließungen63 verabschiedet wurden, sich bei den späteren Diskussionen um das Berliner Programm von 1968 sowie seine Fortentwicklungen aber niemand auf das Hamburger Programm berief.64 An der pragmatischen Haltung der Union änderte sich auch nichts, nachdem die SPD mit „Bad Godesberg“ 1959 scheinbar massiv programmatisch „vorgelegt“ hatte. Im Gegenteil: Godesberg galt nicht als Verheißung oder als „Best-practice-Beispiel“ und damit als Impulsgeber für die Programmentwicklung, sondern als „Schreckgespenst“. Noch fast 15 Jahre später sekundierte die FAZ diese Skepsis der CDU mit drastischen Formulierungen: „Die CDU braucht keine Ideologie. Auf solchen Holzwegen kann sie die Sozialdemokraten mit ihren Jusos getrost alleine lassen.“65 Etwas differenzierter, aber nicht minder deutlich beurteilte der damalige Geschäftsführende Vorsitzende Josef Hermann Dufhues 66 drei Jahre nach dem SPD-Coup auf dem Bundesparteitag der CDU 1962 die 58 59 60 61 62 63

Hintze: Die CDU, S. XIII. Ebd., S. 31 ff. Buchhaas: Die Volkspartei, S. 222. Ebd. S. 223. Hintze: Die CDU, S. 31 ff. Dies waren das Hamburger Manifest 1957, die Grundsatzentschließung von Karlsruhe, das Kölner Manifest von 1961, die Grundsatzentschließungen von Dortmund 1962, die Programmbeschlüsse von Hannover 1964 und die Düsseldorfer Erklärung von 1965. Vgl. dazu Wulf Schönbohm (Red. und Bearb.): Die Geschichte der CDU. Programm und Politik der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands seit 1945. Bonn 1985, S. 48 – 71. 64 Bösch: Macht und Machtverlust, S. 25. 65 Günther Gillessen: Eine liberalere Partei, in: FAZ, 11.1.1973. 66 Siehe Stefan Marx: Art.: Dufhues, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/josef-hermann-dufhues-v1 (Abruf: 12.5.2021).

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Lage und beschrieb die Programmversion der CDU geradezu als Ausdruck ihrer Modernität: „Programme – mögen sie auch das ‚Godesberger‘ heißen – sind oft nichts anderes als ein säkularisiertes und taktisch verbrämtes Glaubensbekenntnis, das die benötigen, die sonst keine Weltanschauung haben und die Wirklichkeit mit dem Feigenblatt eines Programms zudecken müssen. […] Programme sind ein Requisit der ideologischen Parteien des 19. Jahrhunderts. Unsere Leitsätze aber entwickeln sich dynamisch immer wieder aus der Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, also aus Erfahrung. Leitsätze sind wie ein Kompaß, aber sie sind kein Parteikatechismus.“ 67 Wenngleich die Partei äußerlich bis weit in die 1970er Jahre an ihrer Skepsis vor zu viel theoretischer Programmeuphorie festhalten sollte und ihre programmatische Arbeit in Form von Regierungserklärungen, Gesetzgebung und allenfalls Aktionsprogrammen vollzog, zeichnete sich aber hinter den Kulissen spätestens in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre ab, dass die Leitsätze, von denen Dufhues gesprochen hatte, als Kompass nicht mehr auszureichen schienen. Das Gefühl, dass ein normativer Überbau verbindlicher kodifiziert werden musste, wuchs mit dem Eintritt der CDU in die Große Koalition 1966. Hatte die CDU noch ein Jahr zuvor trotzig auf ihrem Düsseldorfer Parteitag verkündet, man halte nichts von „billigen Versprechungen“, wolle „solide“ bleiben und das „deutsche Volk mit Gottes Hilfe in eine gute Zukunft führen“68, so wuchs jetzt die Notwendigkeit, sich von ihrem größten politischen Konkurrenten auch normativ abzugrenzen. Zugleich wurde unerlässlich, gerade in jenen Feldern das Profil der Partei zu schärfen, die traditionell zu den Kernkompetenzen der CDU zählen, nämlich der Wirtschafts- und der Außenpolitik, weil diese Ministerien fortan in der Hand der SPD waren. Frank Bösch weist auf einen weiteren formellen Grund für die Notwendigkeit eines Programms hin: Erst das Parteiengesetz, das das Bundesverfassungsgericht angemahnt hatte und das im Juli 1967 verabschiedet wurde, „zwang die Christdemokraten, innerhalb von kürzester Zeit ihre Satzungen zu revidieren, Vorstände zu wählen und sich ein Programm zu geben“. 69 Zugleich wurde aber bis zum Ende der 1960er Jahre deutlich, dass sich auch die Wählerschaft der CDU veränderte, ein Umbruch, der in den Studentenprotesten dann seinen sichtbaren Ausdruck fand. In der Partei wurde spürbar, dass die überkommenen Erklärungs- und Strategiemuster nicht mehr ausreichen würden. Auch wenn sie sich in den 1970er Jahren vorübergehend wieder leicht verfestigten, wurde Ende der 1960er Jahre deutlich, dass die alten Milieus, vor allem das katholische Milieu, die bislang die tragende Säule der CDU-Wählerschaft waren, brüchiger wurden. Der Politikwissenschaftler Udo Zolleis hat das so auf den Punkt gebracht: „Da ihre Politik nun nicht mehr automatisch katholisch oder auch christlich war, war sie auch für diese Bevölkerungsteile nicht mehr zwangsläufig ‚normativ-gut‘. Aus diesem Grund wurde von der Partei nicht mehr alleine strategisches Handeln in den vorgegebenen Bahnen eines starken Wertefundamentes erwartet, sondern zunehmend auch eigene sinnstiftende Impulse gefordert. Dies war für christdemokratische Parteien neu.“70 67 Zit. nach Petra Hemmelmann: Der Kompass der CDU. Analyse der Grundsatz- und Wahlprogramme von Adenauer bis Merkel. Wiesbaden 2017, S. 150. 68 Düsseldorfer Erklärung des 13.Parteitages der CDU (28.– 31. März 1965). Niederschrift, S. 726. http:// www.kas.de/upload/ACDP/CDU/Protokolle_Bundesparteitage/1965-03-28-31_Protokoll_13.Bundesparteitag_Duesseldorf.pdf (Abruf: 12.5.2021). 69 Bösch: Macht und Machtverlust, S. 95. 70 Udo Zolleis: Die CDU. Das politische Leitbild im Wandel der Zeit. Wiesbaden 2008, S. 142.

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Schon 1965 hatte der damalige Bundeskanzler Ludwig Erhard eine maßvolle Reaktion auf diese Entwicklung lanciert. Er sei es gewesen, der, so hat es Günter Buchstab beschrieben, „versuchte, der Gemengelage von Aufbruch-, Umbruch-, und Krisenbewusstsein, das durch eine Beschleunigung des sozialen Wandels, eine Abkehr von traditionellen Leitbildern und eine Ausprägung pluraler Lebensstile genährt wurde, durch seine ordnungspolitische Vision der ‚Formierten Gesellschaft‘ Herr zu werden.“71 Der Erfinder dieses Konzeptes, das bis heute wegen seines Gemeinwohlbezuges aktuell anmutet, Rüdiger Altmann, war angesichts des Wucherns organisierter Interessen davon überzeugt, „dass sich arbeitsteilige Wirtschaftsprozesse nur dann reibungslos vollzögen“, wenn jede Entscheidung in der Wirtschaft vom Bewusstsein „der schicksalhaften Verbundenheit aller mit allen“ und damit auch von Gemeinsinn und Verantwortungsbereitschaft getragen werde. So weitblickend diese Ideen waren, die Erhard vor allem als Mahnung verstanden wissen wollte und die auf dem Parteitag der CDU in Düsseldorf als grundsätzliche Positionierung präsentiert wurden, so sehr blieben sie ohne eine praktische Ausformulierung, waren in sich inkonsistent und scheiterten bei den Delegierten als politische „Kopfgeburt“, die überdies das christliche Menschenbild zu wenig zum Ausdruck gebracht hätte. Es mag dahingestellt sein, ob die harsche Einschätzung von Frank Bösch, dass es sich dabei um einen der größten „programmatischen Fehlschläge der CDU-Geschichte“ handelt, zutreffend ist, aber dieses gescheiterte Experiment war immerhin der Versuch, die bisherige Aversion der CDU gegen Grundsatzdiskussionen aufzubrechen. Ein sehr viel ernsthafterer Aufbruch in eine neue Programmatik erfolgt dann unter Nachfolger Kurt Georg Kiesinger72 und unter Erhards Generalsekretär Bruno Heck. Dieser Schritt war weniger ein Meilenstein in der inhaltlichen Entwicklung der Partei, das blieb dem Programm von 1978 vorbehalten, sondern viel stärker auch ein programmatischer Epochenwandel in methodischer Hinsicht. In Anerkennung der strategischen Binsenweisheit, dass bei Programmprozessen mitunter auch bereits der Weg Teil des Zieles ist, probierte die CDU neue Formen der Beteiligung aus, die geradezu revolutionär anmuteten. Ein halbes Jahr lang beriet die Partei in mehr als 10.000 Versammlungen auf der Orts-, Kreis- und Landesebene mit mehr als 30.000 Stellungnahmen und mehr als 400 Änderungsanträgen, die vom Vorstand der Programmkommission allesamt angesehen und an vielen Stellen auch berücksichtigt worden waren. Auf dem Berliner Parteitag, dem das Programm von 1968 seinen Namen verdankte, wurde abermals das Dokument intensiv beraten. Hans-Otto Kleinmann konstatiert: „Die innerparteiliche Diskussion des […] Programmentwurfes war ein Stück praktizierter Demokratie, wie es in der deutschen Parteiengeschichte noch keines gegeben hatte.“73 Dorothee Buchhaas sieht gar schon einen Emanzipationsprozess voraus: „Aus der Kanzlerpartei war in Berlin eine ‚Partei mit Eigenleben‘ geworden.“74 War man beim Prozess bereit, mit „Siebenmeilenstiefeln“ voranzugehen, so blieb die inhaltliche Revolution zunächst noch deutlich gebremst. Enttäuschte Betrachter des Programms sprachen von „verspäteten Antworten auf die Fragen der auslaufenden Sech71 Michael Borchard: Die CDU, Helmut Kohl und das Ludwigshafener Programm, in: HPM 25 (2018), S. 123 – 134, hier 125. 72 Siehe Philipp Gassert: Art.: Kiesinger, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/kurt-georg-kiesinger-v1 (Abruf: 12.5.2021). 73 Kleinmann: Geschichte der CDU, S. 269. 74 Buchhaas: Die Volkspartei, S. 315.

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ziger“. In der Tat stellte das Programm von 1968 noch kein Grundsatzprogramm dar, zu dem eine breite Darstellung der Grundlagen ebenso gehört hätte wie die Erörterung langfristiger Ziele und Implikationen für die politische Praxis. „Das Berliner Programm war“, so Frank Bösch, „von seinem Inhalt her kein Paukenschlag, von seiner Entstehungsgeschichte schon.“75 Auch deshalb verstärkte sich in der Partei der Eindruck, dass sich der Programmprozess damit nicht erledigt hatte. Schon der Nachfolger von Bruno Heck als Generalsekretär, Konrad Kraske76, brachte das Gebot der Stunde auf den Punkt: „Wir müssen davon ausgehen nach der bisherigen 23-jährigen CDU-Geschichte, dass wir alles zu tun haben, um die Diskussion zu beleben und nicht um sie zu drosseln.“77 Es war nicht zuletzt das Verdienst eines jungen Landespolitikers, dass sich der Programmprozess auch nach dem Berliner Programm weiter intensiviert hat und dass gleichsam die Türen aufgestoßen wurden, hin zu einer veränderten Debattenkultur. Von Anfang an hatte Helmut Kohl den Wandel im Selbstverständnis der Partei befürwortet, den Weg hin zu grundsätzlichen Programmkonzeptionen, weg von den Hinterzimmern der Honoratioren, hin zu den öffentlichen Foren. Die programmatische Stunde des Pfälzers kam auf dem Mainzer Parteitag 1969, auf dem Helmut Kohl erstmals deutlich und führend auf die Bühne der Programmentwicklung trat. Unter seiner Führung erhielt eine 87-köpfige Kommission den Auftrag, das Berliner Programm fortzuschreiben und „an die veränderten Tatsachen und den neuen Stand der Meinungsbildung in der Partei anzupassen“. 78 Mit den „veränderten Tatsachen“ war der Verlust der Regierungsmacht verbrämt worden, die insofern im programmatischen Sinne eine befreiende Wirkung hatte, weil Rücksichten auf den Koalitionspartner oder auf die Regierenden nun nicht mehr erforderlich waren. Bereits im Januar 1970 trat die Kommission zusammen, die nach 50 Sitzungen einen neuen Entwurf zur Abstimmung für die Gremien vorlegte. Wenngleich der Auftrag des Parteitages war, eine Fortschreibung des Berliner Programms zu leisten und keine Neufassung, förderte dieser Entwurf, der vor allem von den jungen Reformern geprägt wurde, eine ganz deutliche Bereitschaft zutage, neue Wege zu gehen: Waren es nun Aufbrüche in der Schulpolitik, bei der man bereit war, über neue Modelle nachzudenken, selbst das für die CDU ungewohnte Wort der „Gesamtschulen“ ist gefallen, war es der Hinweis auf den Umweltschutz und auf die Notwendigkeit von Entwicklungspolitik, waren es die Passagen zur Deutschlandpolitik, die in ihrer Zurückhaltung erkennen ließen, dass sich auch die Christlichen Demokraten bereits dem neuen ostpolitischen Kurs anpassten.79 Auch wenn der Düsseldorfer Parteitag zu einer so deutlichen Überarbeitung des Textes führte, dass viele darin eine „Rückschreibung der Fortschreibung“80 sahen, jubelte die 75 Bösch: Macht und Machtverlust, S. 31. 76 Siehe Stefan Marx: Art.: Kraske, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogrammdetail/-/content/konrad-kraske-v1 (Abruf: 12.5.2021). 77 Das ließ Konrad Kraske in der Sitzung des Bundesvorstandes der CDU am 21. Juni 1968 verlauten, in: Kiesinger: „Wir leben in einer veränderten Welt.“ Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1965 – 1969. Bearb. von Günter Buchstab unter Mitarbeit von Denise Lindsay (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 50). Düsseldorf 2005, S. 946. 78 Borchard: Die CDU, S. 128. 79 Bösch: Macht und Machtverlust, S. 31. 80 Ebd., S. 32.

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Rheinische Post dem Reformer Kohl mit den Worten zu: „Die innerparteiliche Demokratie blüht auf.“81 Mit diesem Parteitag präsentiere sich die Partei glaubhaft als weitgespannte Union der Mitte. Eben dieser Parteitag trug allerdings mit seinen rund 7.000 Änderungswünschen und den dadurch entstehenden Verwässerungen, mit dem immer deutlicher spürbaren Dissens der Parteiflügel bei der Mitbestimmung und der Mittelstandspolitik mit dazu bei, zu verhindern, dass bereits dieses Programm zu einem Aufbruchssignal und zu der leitenden Positionierung für die CDU wurde. Der große Wurf blieb aus und den Mut, dieses Programm „Grundsatzprogramm“ zu nennen, fand die Kommission nicht, obwohl der Text bereits in der Präambel auf Grundwerte der CDU verweist, auf das christliche Menschenbild, auf Freiheit, auf Gerechtigkeit und Chancengleichheit und Solidarität. Auch die zweite Fassung des Berliner Programms, so urteilen zeitgenössische wissenschaftliche Beobachter, sei für ein Grundsatzprogramm zu pragmatisch.82 Dass die Programmentwicklung mit angezogener Handbremse durchgeführt wurde, hatte einen guten und vor allem strategischen Grund: Die bevorstehende Bundestagswahl 1972 galt es erfolgreich zu bestehen, in die man ohne Richtungsstreit, mit demonstrativer Geschlossenheit und mit der Gewissheit marschieren wollte, ohnehin bald wieder ins Kanzleramt einzuziehen. Diese Zuversicht machte die SPD am Wahlabend mit einem deutlichen Erfolg zunichte, indem sie erstmals mehr Stimmen auf sich vereinen konnte als die Unionsparteien. Man musste sich eingestehen, wie es auch Rainer Barzel 83 tat, dass die CDU die „geistige Führung“ verloren habe, weil man sich nicht schnell genug auf die gesellschaftlichen Veränderungen in den 1960er Jahren eingestellt habe.84 Die Verfestigung des Machtverlustes führte deshalb nicht nur zu einem organisatorischen und personellen, sondern dann bald auch zu einem deutlichen programmatischen Wandel. Die dritte Phase der Programmatik der CDU beginnt folgerichtig mit der Übernahme des Parteivorsitzes durch Helmut Kohl 1973 und reicht bis zur Wiedervereinigung. Helmut Kohl galt als liberaler Geist, als potentieller Reformer, dem man zutraute, den Wertewandel, der sich in der Gesellschaft vollzog, in eine „inhaltliche und strukturelle Neuformierung der Partei einzugießen“.85 Seine Leistung bestand vor allem auch darin, dass er es als intimer Kenner der Partei und ihrer Mechanismen mit geschickter Moderation vermochte, den konservativen Flügel, der insbesondere bei den sozialpolitischen Entscheidungen dominierte und Neuerungen entweder ganz verhinderte oder abzuschwächen drohte, entweder zurückzudrängen oder wenigstens in eine neue und funktionierende Balance zu den Reformkräften der Partei zu bringen. Diesen Weg ist er nicht nur mit dem klaren Ziel gegangen, die potentielle Wählerschaft der CDU zu verbreitern, sondern ihm war zugleich klar, dass auch programmatische „Andockstellen“ für potentielle Bündnispartner, in diesem Fall für die FDP, geschaffen werden mussten, wenn es gelingen sollte, die Regierungsfähigkeit wiederzuerlangen. Der neue Bundesvorsitzende war der festen Überzeugung, dass der Weg aus der Opposition heraus zurück in eine neue Regierungsübernahme nur über eine gründliche in81 82 83 84 85

Zit. nach Kleinmann: Geschichte der CDU, S. 312. Heino Kaack: Geschichte und Struktur des deutschen Parteiensystems, S. 405. Siehe Kai Wambach: Rainer Barzel. Eine Biographie. Paderborn 2019. Bösch: Macht und Machtverlust, S. 33. Borchard: Die CDU, S. 129.

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haltliche Neubestimmung führen würde. Frank Bösch beschreibt zutreffend, welche zentrale Rolle die Reformfreudigkeit des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten spielte: „Erst 1973 unter Helmut Kohls Parteivorsitz wurden die Spielräume für programmatische Neupositionierungen größer.“86 Das lag auch daran, dass Helmut Kohl in der Partei einen neuen Politikertypus repräsentierte. War die erste Garde der Führungspersönlichkeiten der frühen CDU noch die klassischen „Honoratioren“, die zumeist aus den „Vorfeldorganisationen“ direkt in die Mandate drängten und deshalb vergleichsweise wenig Interesse an der Partei hatten, so durchlief Helmut Kohl das, was man bis heute „die Ochsentour“ nennt, und baute seine Karriere durch die verschiedenen Ebenen der Partei hindurch auf: Vom Mitbegründer der Jungen Union in Ludwigshafen über den CDU-Kreisvorsitz zum jüngsten Landtagsabgeordneten und zum Landesvorsitzenden bis hin zum Bundesvorsitzenden und Bundestagsabgeordneten. Diese klare Durchdringung aller Ebenen erklärt, warum Helmut Kohl mehr als jeder andere zuvor Wert darauf gelegt hat, dass auch die programmatische Diskussion auf allen Ebenen der Partei geführt wird. Was in diesem Zusammenhang zunächst als Nachteil erschien, entpuppte sich für die Partei und letztlich auch für den Programmprozess als großer Vorteil: Als Helmut Kohl den bisherigen Vorsitzenden Rainer Barzel als Bundesvorsitzender ablöste, war er nach wie vor Ministerpräsident und Landtagsabgeordneter. Das heißt, dass er Barzel nicht auch als Fraktionsvorsitzender nachfolgen konnte und deshalb schon aus instrumentellen Gründen darauf achten musste, als neuer Vorsitzender eine eigene „Hausmacht“ auf der Bundesebene aufzubauen. Dementsprechend stärkte er mit wachsendem Erfolg die Eigenständigkeit und Einflusskraft der Parteizentrale gegenüber der Fraktion. „Die Wirkung dieses Reformkatalysators der institutionellen Machtsicherung ist überhaupt nicht zu unterschätzen und steht gleichwertig neben der inhaltlichen Machtsicherung.“87 Tatsächlich erwies sich die Parteizentrale während des programmatischen Aufbruchs in den 1970er Jahren als „unentbehrliches, organisatorisches, personelles und konzeptionelles Rückgrat“ – gemeinsam mit der Bundestagsfraktion, in der zwar noch immer ganz maßgeblich „die Musik spielte“, die sich aber auf das neue „Innovations- und Entscheidungszentrum“88 Parteizentrale einstellen musste. Helmut Kohl, so urteilte Wulf Schönbohm, der in der Parteizentrale zu diesem Kurs selbst beitrug, sei der erste Vorsitzende der CDU gewesen, „der die eigenständige Rolle und Bedeutung der Partei und von Parteiämtern erkannte und sich entsprechend engagierte“. 89 Die große Leistung von Helmut Kohl ist, dass es ihm gelang, auf das „Rückgrat Partei“ auch die notwendigen Hirne zu setzen. Mit Richard von Weizsäcker 90, Kurt Bieden-

86 Frank Bösch: Die Krise als Chance: Die Neuformierung der Christdemokraten in den siebziger Jahren, in: Konrad Jarausch (Hg.): Das Ende der Zuversicht? Die siebziger Jahre als Geschichte. Göttingen 2008, S. 296 – 309, hier 302. 87 Borchard: Die CDU, S. 130. 88 Günter Buchstab: Geschichte der CDU, in: Ders. (Hg.): Brücke in eine neue Zeit. 60 Jahre CDU. Freiburg i. Br. 2005, S. 50 – 92, hier 72 f. 89 Wulf Schönbohm: Die CDU wird moderne Volkspartei. Selbstverständnis, Mitglieder, Organisation und Apparat 1950 – 1980 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 7). Stuttgart 1985, S. 127. 90 Siehe Matthias Oppermann: Art.: Weizsäcker, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/richard-von-weizsaecker2 (Abruf: 20.6.2021).

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kopf 91 und Heiner Geißler 92 förderte er drei „junge Wilde“, die nicht alleine als intellektuelle Schwergewichte galten, sondern die auch mit der Ausnahme von Kurt Biedenkopf, der aus einem Führungsposten beim Henkel-Konzern in die Politik wechselte, bereits über erhebliche politische Erfahrung verfügten. Mit diesen eigenständigen Persönlichkeiten, die sich durch großes Geschick im Umgang mit den Medien, mit den sozialen Gruppierungen auszeichneten, nahm Helmut Kohl auch das Risiko in Kauf, dass einer dieser selbstbewussten Exponenten seine Macht anfechten und ihn in der Partei herausfordern könnte. Gleichwohl ging der Plan von Helmut Kohl zunächst auf: Mit der Hilfe dieser neuen Köpfe gelang es wenig später, einen programmatisch neuen Akzent zu setzen, der die Lebenswelt der Wählerinnen und Wähler viel deutlicher als bisher in den Blick nahm. Das geschah durch das von Heiner Geißler und Kurt Biedenkopf geprägte Konzept der „Neuen Sozialen Frage“, das in der Interpretation von Frank Bösch ein „Geniestreich“ war, vor allem weil es auf eine äußerst emotionale Weise die sozialpolitische Kompetenz der Sozialdemokraten demontiert und somit die SPD auf ihrem ureigensten Feld geschlagen habe.93 Das ist weder ganz falsch noch ganz richtig. Diese Neupositionierung war nicht einfach ein Ruck nach links, gar eine „Sozialdemokratisierung der CDU“, sondern – und das macht diese Konzeption programmatisch wertvoll –, der Versuch, alle programmatischen Wurzeln der CDU zu einem schlüssigen Konzept zusammenzufügen: Anknüpfend an das Wertefundament der katholischen Soziallehre und der evangelischen Sozialethik und damit an Ansätze, die schon in der Adenauer-Ära beispielsweise in der Rentenpolitik eine Rolle in der praktischen Politik gespielt hatten – Subsidiarität und Personalität als Kern christlich-demokratischer Auffassungen: Ein Konzept auch für jene, die bislang nicht von großen Organisationen vertreten wurden: die wirklich Schwachen, alte Menschen, alleinerziehende Mütter etc.94 Frank Bösch behauptet an anderer Stelle, dass die Programmarbeit der 1970er Jahre zugleich auch ein „Krisenzeichen“ für eine Partei gewesen sei, „die ihren politischen Standpunkt erst in mühsamen Diskussionen suchen musste“. 95 Auch dem ist nur bedingt und eigentlich auch nur für die konkreten politischen Positionierungen zuzustimmen, die deutlicher als bisher den gesellschaftlichen Wandel reflektierten. Ansonsten aber lassen sich gerade bei den grundsätzlichen Positionierungen auch viele Linien der Kontinuität ziehen. Bezeichnend ist in diesem Sinne, dass Kurt Biedenkopf als einer der „Masterminds“ des Programm- und Reformprozesses in den 1970ern ganz bewusst den Bogen zu den frühen programmatischen Positionierungen noch vor der Konstituierung der Bundespartei zog und damit abermals den Satz von Bruno Heck unterstrich, dass die Partei schon Programm gewesen sei, bevor sie sich ein Programm gegeben hätte. Die Grundwerte, die die Politik der CDU bestimmten, seien sowohl im Ahlener wie auch im Düsseldorfer Programm „in einer für den Charakter der CDU prägenden Weise enthalten“. Aber vor dem Hintergrund der neu entbrannten „Wertediskussion“ sei eine Fortschreibung der Aussa91 Siehe Wolfgang Tischner/Stefan Marx: Art.: Biedenkopf, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-dercdu/personen/biogramm-detail/-/content/kurt-biedenkopf-v1 (Abruf: 12.5.2021). 92 Siehe Jan Philipp Wölbern: Art.: Geißler, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/ biogramm-detail/-/content/heiner-geissler (Abruf: 12.5.2021). 93 Bösch: Macht und Machtverlust, S. 35. 94 Borchard: Die CDU, S. 131. 95 Bösch: Macht und Machtverlust, S. 33.

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gen aus der Nachkriegszeit unerlässlich. Für ihn war Aufgabe der CDU-Programmatik, die „beiden wichtigsten Grundströmungen“, die aus „Ahlen“ und „Düsseldorf“ hervorgegangen sind, nämlich die christliche Sozialethik und den ordnungspolitischen Liberalismus – Werte, die in einem Widerspruch stünden, aber für die „weitere programmatische Entwicklung der Union wichtige Antriebskräfte geliefert“ hätten – zu einer neuen Synthese zusammenzufügen. Auch wenn das Projekt den Argwohn des konservativen Wirtschaftsflügels der Union hervorrief, so wurde es doch zu einem wichtigen Bestandteil der programmatischen Neuformierung der Partei, die auf dem Hamburger Parteitag 1973 – erstmals mit dem klaren Ziel, ein „Grundsatzprogramm“ zu formulieren – ihren offiziellen Startschuss erhalten hatte. Die Partei übertrug die Leitung einer vierzehnköpfigen Grundsatzprogrammkommission Richard von Weizsäcker, der als einer der „Chefdenker“ der CDU galt. An diesem Arbeitsprozess, der im Mai 1974 begann, war einiges außergewöhnlich: Zunächst und vor allem die Tatsache, dass man sich nicht unter Zeitdruck setzte, ja sogar den Entschluss fasste, das Programm ganz bewusst erst nach der Bundestagswahl 1976 zu verabschieden, damit es nicht in den Strudel von Wahlkampfforderungen gerate. Ebenso erfüllte der Prozess eine Forderung, die Helmut Kohl auf dem Parteitag in Hamburg 1973 ausdrücklich erhoben hatte, nämlich die Einbeziehung von Wissenschaftlern und gesellschaftlichen Gruppierungen. Sein Ziel war, die Diskussion über die Ziele der Partei nicht nur nach innen gerichtet zu führen, sondern er hatte auch den Anspruch, den gesellschaftlichen Diskurs nicht nur zu berücksichtigen, sondern auch zu prägen. Das geschah in einer Intensität, die bis heute unerreicht geblieben ist. 1976 wurde im Berliner Grundsatzforum ein erster Entwurf mit rund 600 Wissenschaftlern und Vertretern von gesellschaftlichen Gruppen diskutiert – ein rundum gelungenes Experiment, wie Helmut Kohl später nicht ohne Stolz betonte. Bereits zum Auftakt des Parteitages in Ludwigshafen, der die bislang wichtigste Station in der programmatischen Entwicklung der CDU darstellt, machte Helmut Kohl deutlich, worauf es ihm ankam: „Hier in Ludwigshafen werden wir unseren gemeinsamen Standort bestimmen. Am Ende dieser Tage müssen unser Profil klarer, unsere Botschaft überzeugender, unser Wille entschiedener sein.“96 Auch hier war aber der Ansatz, wie schon bei den Konsultationen zuvor, eine möglichst breite Diskussion zu erlauben, allerdings mit dem von Kohl beschriebenen Ziel, am Ende eine gemeinsam getragene Position vorweisen zu können. Ein Verfahrenstrick trug dazu bei, dass der Parteitag trotz der erheblichen Kontroversen, die unter anderem in 3.000 Änderungsanträgen zum Ausdruck kamen, überraschend harmonisch verlief: Die Anträge der Antragskommission wurden jeweils als die weitergehenden Anträge betrachtet und damit zuerst abgestimmt. Kampfabstimmungen, beispielsweise in den lebensethischen Fragen – das Thema Schwangerschaftsabbruch gehört zu den besonders umstrittenen Sujets – oder bei den nicht minder kontroversen wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen, wurden damit zur Ausnahme.97 Vielmehr entfaltete das Programm bei wesentlichen Fragen eine spürbar integrierende und einigende Wirkung. Erstmals definierte das Programm die Grundwerte Frei96 Zit. nach Kathrin Zehender: Ludwigshafen, Friedrich-Ebert-Halle. Freiheit – Solidarität – Gerechtigkeit: Die Verabschiedung des ersten Grundsatzprogramms, in: Borchard/Michel (Hg.): Erinnerungsorte, S. 147. 97 Vgl. Borchard: Die CDU, S. 131 ff.

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heit, Solidarität und Gerechtigkeit und versuchte ein konsistentes Bild ihrer Anwendung auf die verschiedensten Bereiche der Politik zu zeichnen. Neben den Grundwerten, deren Geltung sich auch durch die folgenden Grundsatzprogramme 1994 und 2007 weiter durchtrug, wurde die Soziale Marktwirtschaft ebenfalls besonders ausführlich behandelt, die sich an neue wirtschaftliche und soziale Bedingungen anpassen, die die Bedürfnisse des Menschen in den Mittelpunkt stellen und auch Erwartungen einbeziehen müsse, die über den materiellen Wohlstand hinausgehen. Bemerkenswert ist, dass erstmals aufgenommen worden ist, dass die Soziale Marktwirtschaft auch mit dem Umweltschutz in Einklang gebracht werden müsse. Gleichwohl blieb das Kapitel zur Sozialen Marktwirtschaft so umstritten wie kaum ein anderer Abschnitt des Programms. Zum Streit zwischen Kurt Biedenkopf und den Sozialausschüssen kam es vor allem über die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung als Mittel zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Aber auch hier sind die offenen Grabenkämpfe letztlich ausgeblieben. Die Welt erteilte dieser entscheidenden programmatischen Station der CDU, deren Wirkung bis in die Gegenwart kaum zu unterschätzen ist, einen enthusiastischen „Segen“: „In Ludwigshafen hat sich die CDU als eine in sich gefestigte Mitgliederpartei dargeboten, die ihre Programmatik breit zu diskutieren und dann durch Mehrheitsentscheidungen zur normieren versteht. Wer jetzt noch von einem Wählerverein spricht, meint allenfalls die CDU von vorgestern.“98 Es bleibt ein ganz entscheidendes Verdienst von Helmut Kohl, diesen Prozess entschieden vorangetrieben zu haben, und zwar nicht erst in Ludwigshafen. Der Erfolg von 1978 ist ohne die Vorläufe in den 1960er Jahren und ohne den eher behutsamen Übergang von der Pragmatik zur Programmatik kaum vorstellbar. Das gilt gerade auch für das Einüben von innerparteilichen Debattenprozessen bis in die 1970er Jahre. Aus diesem Grund ist die These von der „zweiten Parteigründung“, von der zweiten Geburt der Partei, die sich mit dem 1978er Programm vollzogen habe, nicht haltbar. Die Früchte seiner Arbeit konnte Helmut Kohl allerdings erst mit Zeitverzögerung „einfahren“. Gleich nach dem „programmatischen Hochamt“ verschwand das Programm hinter dem Vorhang der politischen Notwendigkeiten. Die Schuld daran trug vor allem der Kanzlerkandidat der CDU/CSU-Fraktion, Franz Josef Strauß, dem es gelungen war, sich gegen den von Kohl favorisierten Ernst Albrecht99 durchzusetzen. „Strauß hatte nie einen Zweifel daran gelassen, dass er von der Programmarbeit der Schwesterpartei und dem Geist von Ludwigshafen rein gar nichts hielt. Erst das Scheitern des bayerischen Matadors bei der Bundestagswahl 1980 ermöglichte Helmut Kohl, seinen programmatischen Reformkurs fortzusetzen und Ludwigshafen zu dem zu machen, was es […] bis heute ist: Ein Leitstern des politischen Handelns der CDU, auf das sich alle folgenden Programme ausgerichtet haben.“100 Dass Helmut Kohl 1982 die Kanzlerschaft übernahm und ein Jahr später bei der Bundestagswahl das zweitbeste Wahlergebnis der CDU nach 1957 „erzielen“ konnte, war auch eine Frucht seiner eigenen Reformfreudigkeit. In den 13 Jahren, in denen die Partei in der Opposition war, hatte er einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, dass 98 Zehender: Freiheit – Solidarität – Gerechtigkeit, S. 151. 99 Siehe Andreas Grau: Art.: Albrecht, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/ernst-albrecht (Abruf: 12.5.2021). 100 Borchard: Die CDU, S. 133.

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die CDU von der pragmatischen Honoratiorenpartei zur programmatischen Volkspartei geworden ist. Hatte sich Helmut Kohl zu Beginn seiner Amtszeit als Bundeskanzler zunächst noch eher dieses „Image des Reformers“101 bewahrt, so herrschte nach anfänglichen programmatischen Parolen wie der „geistig-moralischen Wende“, die aber durch die Parteiarbeit nicht wirklich substantiiert wurde, auch bei Helmut Kohl schnell das Prinzip des Pragmatismus vor. Ob man, wie Petra Hemmelmann das tut, von der „Rückkehr zur programmatischen Stagnation“102 als Merkmal der Ära Kohl sprechen darf, ist aber zumindest dann fraglich, wenn man sich ein ganz wesentliches Ereignis ansieht, das jenseits der Grundsatzprogrammatik zu den herausragenden programmatischen Stationen der CDU zählt. Die Rede ist von den Essener Leitsätzen, den „Leitsätzen der CDU für eine neue Partnerschaft zwischen Mann und Frau“, die 1985 auf dem sogenannten Frauenparteitag der CDU verabschiedet worden sind und die Helmut Kohl „zu den wichtigsten programmatischen Errungenschaften in der Geschichte der CDU“ zählte. 103 Noch zehn Jahre später schwärmte der damalige Generalsekretär Peter Hintze von diesem „Meilenstein“ in der Parteigeschichte der Union, weil die Leitsätze die „dringend notwendige Initialzündung für einen dynamischen Diskussionsprozess“ gegeben hätten, der noch immer andauere.104 In den 1970er Jahren waren die Frauen, die immer ein festes Wählerpotential für die CDU dargestellt hatten, zunehmend enttäuscht von der Partei, die nach ihrer Ansicht die Entwicklung „verschlafen“ hatte, dass es nicht mehr um die Entscheidung „Familie oder Beruf“, sondern um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ging.105 Ein wichtiges Ziel war für Frauen, eine tatsächliche Wahlfreiheit zwischen der Erwerbstätigkeit und der Familienarbeit zu garantieren und die Gleichwertigkeit beider Lebensentwürfe zu betonen. „Eine große Volkspartei wie die CDU“, so betonte Kohls „General“ Heiner Geißler damals, „kann es sich nicht leisten, die Bedürfnisse, die Lebensperspektiven von Frauen zu ignorieren […] Als große Volkspartei müssen wir uns mit der überwiegenden Mehrheit der Frauen wegen der nach wie vor vorhandenen massiven Benachteiligungen betroffen fühlen.“106 Auffällig waren auch bei diesem programmatischen Schritt die Beteiligungsprozesse: Zu den Beratungen des Parteitages waren 500 Frauen nach Essen eingeladen worden, aus Verbänden, aus Vereinigungen der CDU, und viele Frauen, die aus der Parteibasis kamen. Selbst die ZEIT musste konstatieren, dass die Partei unter der Führung von Helmut Kohl einen Lernprozess durchlaufen hatte: „Die Entschlossenheit, die Partei zur Beschäftigung mit der Rolle der Frau in unserer Gesellschaft zu drängen, bezeugt zu-

101 Markus Jox/Josef Schmid: Zurück zum Kanzlerwahlverein? Die CDU in den neunziger Jahren, in: Werner Süß (Hg.): Die Bundesrepublik in den neunziger Jahren. Politik und Gesellschaft zwischen Wiedervereinigung und Globalisierung. Opladen 2002, S. 71 – 82, hier 73. 102 Hemmelmann: Der Kompass der CDU, S. 153. 103 Zit. nach Denise Lindsay: Essen Grugahalle. Die Frauenpolitik der CDU, in: Borchard/Michel (Hg.): Erinnerungsorte S. 152 – 159, hier 155. 104 Ebd. 105 Vgl. zur Frauenpolitik insgesamt: Ina vom Hofe: Die Frauenpolitik der CDU. Traditionen – Entwicklungen – Einflüsse 1945 bis 2013. Sankt Augustin/Berlin 2017. Zum Wahlverhalten Ute Molitor: Wählen Frauen anders? Zur Soziologie eines frauenspezifischen politischen Verhaltens in der Bundesrepublik Deutschland (Studien zur gesellschaftlichen Entwicklung. Bd. 11). Baden-Baden 1992. 106 Zit. nach Lindsay: Die Frauenpolitik der CDU, S. 156.

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mindest ein Problembewusstsein, dass die Partei nicht immer ausgezeichnet hat.“107 Der Parteitag, der von vielen Christlichen Demokraten noch zuvor als „Emanzenparteitag“ verspottet worden war, stellte ohne jeden Zweifel eine wichtige programmatische Zäsur im Bereich der Frauenpolitik dar. Keine besondere Wirkung konnte der Versuch entfalten, über das 1988 beschlossene Papier „Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes“ das Grundsatzprogramm von 1978 erneut in das Bewusstsein der Partei zu rücken und damit „wiederzubeleben“. Das war notwendig geworden, weil im Zuge der Debatte um den § 218 der innerparteiliche Vorwurf laut geworden war, die CDU vernachlässige ihr christliches Profil. Auch das Programm „Unsere Schöpfung bewahren“ setzte zwar einige Leitlinien, zu denen die Förderung des Personennahverkehrs wie der Schutz der Regenwälder gehörte, aber konnte ebenfalls keinen gravierenden Einfluss auf die Gesamtprogrammatik der CDU entfalten. Allerdings machten diese verstärkten Aktivitäten deutlich, dass sich in der Partei das Bedürfnis weiter verstärkt hatte, programmatische Debatten zu führen. Bereits vor dem Fall der Mauer nutzte Helmut Kohl programmatische Positionierungen als Ventil, um den Druck des wachsenden Unmuts über den Zustand der CDU, der im Vorfeld des Bremer Parteitages 1989 entstanden war, aus dem „Kessel“ zu lassen. Als ganz bewusste Antwort auf die Stimmenverluste bei vorhergegangenen Wahlen, die vor allem Defizite bei den jungen Wählerinnen und Wählern sowie bei den Frauen zutage gefördert hatten, war das Konzept „Moderne Parteiarbeit in den neunziger Jahren“ entstanden, das unter anderem auch vorsah, dass die Partei auf allen Ebenen mehr programmatische Diskussionen führen sollte. Es liegt nahe, dass Helmut Kohl nach der Wiedervereinigung nicht nur deshalb den Vorstoß zu einem neuen Grundsatzprogramm gemacht hatte, weil das durch die Vereinigung der West- und der Ost-CDU notwendig geworden und auch aus den Reihen der Ost-CDU angeregt worden war, sondern auch, um jenen Kritikern, die auf dem Parteitag von 1989 seinen Führungsstil kritisiert hatten, ein Signal entgegenzusetzen. Damit beginnt die vierte Phase der Programmatik der CDU. Bereits einige Monate vor dem Vereinigungsparteitag in Hamburg108 hatte Lothar de Maizière109 als damaliger Vorsitzender der Ost-CDU ausdrücklich die Forderung gestellt, dass eine Programmkommission für die Erarbeitung eines gemeinsamen Grundsatzprogramms einzusetzen sei. Er tat das durchaus mit dem Anspruch, das Antlitz der gesamten CDU zu ändern. Tatsächlich schien es, dass mit seiner Berufung als Vorsitzender der Programmkommission die Vorstellungen der ostdeutschen Christlichen Demokraten mehr Gehör finden würden. Der Auftrag, den der Kanzler allerdings an Lothar de Maizière ausgab, war, wie Ingrid Reichart-Dreyer aus einem Interview mit dem früheren Stellvertreter Kohls zu berichten weiß, denkbar klar und simpel: „Mach mir ein anständiges Programm, mit dem

107 Zit. nach Denise Lindsay: Der 33.Bundesparteitag der CDU in Essen, in: https://www.kas.de/de/web/ geschichte-der-cdu/kalender/kalender-detail/-/content/33.-bundesparteitag-der-cdu-in-essen (Abruf: 12.5.2021). 108 Zum Parteitag: David Maaß: Hamburg, Congress Centrum Hamburg. Die Wiedervereinigung der CDU, in: Borchard/Michel (Hg.): Erinnerungsorte, S. 168 – 175. 109 Siehe Ulrike Hospes: Art.: de Maizière, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/ biogramm-detail/-/content/lothar-de-maiziere-v1 (Abruf: 12.5.2021).

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ich die Wahl gewinnen kann!“110 Das deckte sich kaum mit den Vorstellungen Lothar de Maizières, der kurz darauf alle Ämter aufgrund der Stasi-Vorwürfe niederlegen musste. Als Lothar de Maizière 1991 zurücktrat, drohte das zunächst auch die Programmarbeit zu Fall zu bringen. Bis zum Ende des Programmprozesses schwebte die wachsende Unzufriedenheit der ostdeutschen Landesverbände wie ein Damoklesschwert über dem neuen Grundsatzprogramm, was auch dadurch sichtbar wurde, dass der stellvertretende Kommissionsvorsitzende, Arnold Vaatz, im Januar 1993 seine Mitarbeit am Programm beendete, weil er den Eindruck hatte, dass die Vorstellungen des Ostens zu wenig darin berücksichtigt seien. So sehr der Zweck für das Programm auch war, die östlichen Landesverbände der CDU in die Gesamtpartei zu integrieren und der förmlichen Vereinigung der Partei auch eine intellektuelle und programmatische Integration folgen zu lassen, so sehr muss man doch konstatieren, dass die Partei beim Grundsatzprogrammprozess hinter diesen Erwartungen zurückgeblieben ist. Weder konnten die östlichen Landesverbände eine führende Rolle bei der Formulierung des Programms verbuchen, noch war auch nur der Versuch unternommen worden, den Programmentwurf der Ost-CDU, den diese im Frühjahr 1990 mit deutlichem Rückgriff auf die Konzepte von Jakob Kaiser in der Nachkriegszeit erarbeitet und dann verabschiedet hatte, in irgendeiner Form zur Geltung zu bringen. Der Nachfolger von Lothar de Maizière, der Bundestagsabgeordnete und Parlamentarische Staatssekretär Reinhard Göhner, machte schnell deutlich, dass ihm neben der „Vollendung der inneren Einheit“ auch die beiden anderen von ihm benannten inhaltlichen Schwerpunkte am Herzen lagen. Das war die „Bewahrung der Schöpfung“, vor allem auch mit Blick auf den Umweltschutz, sowie die „Neudefinition der ‚Rolle Deutschlands in der Welt‘“.111 Auch wenn der ökologische Ansatz nicht ganz neu war, denn bereits das 1978er Programm hatte die Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen betont und davor gewarnt, die „Grundlagen des Lebens“ verantwortungslos auszubeuten und die „ökologischen Zusammenhänge“ zu stören, so maß dieses Programm der Bewahrung der Schöpfung eine bisher so nicht dagewesene Bedeutung zu. Beachtenswert ist der zeitliche Zusammenhang der Beratungen der Kommission mit internationalen Ereignissen. Während des Programmprozesses fand im Juni 1992 in Rio de Janeiro jene historisch gewordene Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung statt, bei der die Agenda 21 verabschiedet worden ist und Meilensteine für die Umwelt- und Entwicklungspolitik gesetzt worden sind. Die 178 teilnehmenden Staaten haben sich damals verpflichtet, eigene nationale Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln, zur Reduzierung des Treibhauseffektes beizutragen und entwicklungspolitische Ziele zu verfolgen. Die umweltpolitischen Diskussionen der Kommission gipfelten schließlich in der Forderung, die dann im Programm auch realisiert wurde, die Soziale Marktwirtschaft um eine ökologische Dimension zu erweitern. Man wolle sich für eine „ökologische und soziale Marktwirtschaft“ einsetzen, deren Ziel es sei, „eine Synthese von Ökonomie, sozia110 Zit. nach Ingrid Reichart-Dreyer: Macht und Demokratie in der CDU. Dargestellt am Prozess und Ergebnis der Meinungsbildung zum Grundsatzprogramm 1994 (Schriften des Otto-Stammer-Zentrums im Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Bd. 89). Wiesbaden 2000, S. 95. 111 Siehe allgemein zu seinen Vorstellungen: Reinhard Göhner: Warum ein neues Grundsatzprogramm?, in: DPM 38 (1993), S. 11 – 18.

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ler Gerechtigkeit und Ökologie zu schaffen“.112 Was heute, bislang ohne Anfechtung, eine der Grundlagen des Programmprozesses ist, der 2019 gestartet worden ist, war zum damaligen Zeitpunkt hoch umstritten. In seltener Einigkeit, wenngleich aus verschiedenen Perspektiven, kritisierten die Sozialausschüsse und der Wirtschaftsrat der CDU massiv diese Volte des neuen Programms als falsche Anpassung an den Zeitgeist. Und tatsächlich muss man rückblickend feststellen, dass sich der Begriff nicht nur in der innerparteilichen Diskussion kaum mehr wiederfand, sondern auch später im Grundsatzprogramm 2007 keinen signifikanten Niederschlag fand. So sehr das Programm im Grundsatzteil113 im Wesentlichen die Festlegungen des Ludwigshafener Programms beibehielt, so war doch eine „Neuaufnahme“ durchaus bemerkenswert, nämlich der Satz, mit dem sich die Partei auch ganz explizit an Nichtchristen richtete. „Die CDU ist für jeden offen, der die Würde und die Freiheit aller Menschen und die daraus abgeleiteten Grundüberzeugungen unserer Politik bejaht.“114 Hinter dieser Zielgruppenansprache stand das Bemühen, eine jüngere und weniger konfessionell gebundene Generation zu erreichen. Dazu gehört, dass die Partei erstmals in diesem Programm ausdrücklich nichteheliche Partnerschaften und alleinerziehende Eltern akzeptierte. Die Medien nahmen das Programm von 1994 trotz aller Rekurse auf das 1978er Programm und aller Modernisierungsimpulse nicht mit ausgeprägter Begeisterung auf: Dem Entwurf fehle, so kritisiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung, „die Kraft und die Botschaft des 78er Programms, in dem sich die Partei viel grundsätzlicher mit Themen wie der sozialen Frage und der Nation auseinandergesetzt habe“.115 Tatsächlich spielt 1994 – ähnlich wie bereits 1953 – nicht die programmatische Verankerung die entscheidende Rolle, sondern die Regierungspolitik. Mit dem Eintritt in die Opposition 1998 wird die Programmatik wieder wichtiger. Dementsprechend verwies die neue Bundesvorsitzende Angela Merkel 116, die sechs Jahre zuvor am Entstehen des Grundsatzprogrammes 1994 als Mitglied der Kommission ihren Anteil hatte, auf dem Parteitag in Essen bei ihrem Amtsantritt 2000, mit dem die fünfte Phase der Programmatik der CDU beginnt, darauf, dass sie einen programmatischen Neuaufbruch wagen wolle. Das tat sie, indem sie „ihr Mantra der Erneuerung“ formulierte und damit die Konservativismus-Debatte in der CDU aufgriff: „Die Wirklichkeit annehmen, fähig zur Erneuerung sein und zugleich wertvolles bewahren – genau das ist konservativ.“117 Insgesamt zielte die Bundesvorsitzende darauf ab, gegenüber Kritikern und Konkurrenten ihr konservatives und programmatisches Profil zu schärfen. Treffend beschreibt Günter Buchstab das Dilemma, in das sich die CDU mit dem „Leipziger Experiment“, dem Parteitag von 2003, hineinmanövriert hatte, und warum es 112 Zit. nach Christine Bach: 20.– 23. Februar 1994: Verabschiedung des Grundsatzprogramms „Freiheit in Verantwortung“, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/kalender/kalender-detail/-/content/20--23--februar-1994-verabschiedung-des-grundsatzprogramms-freiheit-in-verantwortung (Abruf: 12.5.2021). 113 Vgl. dazu Thomas M. Gauly: Die Grundwerte im neuen Grundsatzprogramm der CDU, in: Christliche Grundsätze in der Politik (Aktuelle Fragen der Politik 25). Sankt Augustin 1995, S. 21 – 34. 114 Grundsatzprogramm „Freiheit und Verantwortung“ von 1994, in: https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=7bf74a25-d8cc-df44-19ab-912308f1fbe5&groupId=252038 (Abruf: 12.5.2021). 115 Zit. nach Bach: 20.– 23. Februar 1994. 116 Siehe Hanns Jürgen Küsters/Michael Borchard: Art.: Merkel, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/angela-merkel-1 (Abruf: 12.5.2021). 117 Zit. nach Volker Resing: Die Kanzler-Maschine. Wie die CDU funktioniert. Freiburg i. Br. 2013, S. 43.

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so schwer war, Unterstützung für die eigentlich notwendigen politischen Reformen zu gewinnen, die dort für die Gesundheits-, Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik beschlossen werden sollten: „Forciert betriebene Innovation schafft Ungerechtigkeiten, und soziale Gerechtigkeit, wenn sie um jeden Preis aufrechterhalten werden soll, behindert Innovation. Reformen werden zwar allgemein bejaht, aber wenn der eigene Besitzstand betroffen wird, findet der Zuspruch schnell seine Grenzen. Nicht zuletzt konnte deshalb die SPD mit der wärmenden Parole von der ‚sozialen Gerechtigkeit‘ im Wahlkampf punkten und die CDU mit ihren angeblich kalten neoliberalen Vorstellungen in die Enge treiben.“118 Volker Resing verweist darauf, dass die Vorsitzende erkennen musste, dass die „harte Reformlinie“, die bei diesem programmatischen Neuanfang zum Ausdruck kam, „nicht zur ‚konservativen‘ Gefühlslage sowohl bei Rechten wie bei Linken in der Partei [passte]. Diese Profilierung von oben in der Opposition funktionierte nicht.“119 Die Lehre, die Angela Merkel aus dem knappen Wahlergebnis 2005 zog, das sie dennoch an der Spitze einer großen Koalition ins Kanzleramt brachte und das ihr gezeigt hatte, dass die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler eine Aversion vor zu viel Veränderung hegen, „war nicht Profilierung, sondern Ausgleich und Mäßigung bei schleichender Veränderung. Das ist die Rückkehr zum eingeübten Erfolgsprogramm der CDU.“120 Der Gegensatz zwischen dem marktliberalen Flügel und dem Sozialflügel, „der auch mit dem Segen der Kanzlerin wieder die Oberhand“121 gewann, blieb weiter bestehen. Auch deshalb schien nur 12 Jahre nach dem letzten Grundsatzprogramm erneut eine grundsätzliche Positionierung – mit der „Sehnsucht nach einem unbestimmten ‚CDU pur‘“122 – geboten. Dementsprechend fiel der Beschluss, unter dem Vorsitz des damaligen Generalsekretärs Ronald Pofalla123 ab April 2006 eine 69-köpfige Kommission mit der Ausarbeitung eines neuen Grundsatzprogramms zu beauftragen.124 Dieser Beschluss nahm auch das breite Bedürfnis in der Partei auf, grundsätzliche Diskussionen zu führen. Dazu dienten nicht nur die Regionalkonferenzen und Mitgliederversammlungen, sondern erstmals auch die Möglichkeit, sich über das Internet beteiligen zu können. Schon auf diesem Weg gingen mehr als 70.000 Vorschläge für das neue Programm ein. In dem Titel des Programms, „Freiheit und Gerechtigkeit“, spiegelt sich auch das Erlebnis des Attentats vom 11. September 2001 in New York wieder, das die globale Sicherheitslage verändert hat. Während das Programm im Grundsatzteil erneut deutlich eine Linie zum Grundsatzprogramm von 1978 zog, enthielt es auch spürbare Modernisierungsschritte. Volker Resing verweist darauf, dass die „Neuorientierung in der ‚Ausländerfrage‘ die Mutter aller ‚Modernisierungen‘ der Ära Merkel“ sei, und vergleicht die Grundsatzprogramme von 1994 und 2007 in dieser Frage: Im Grundsatzprogramm 1994 seien die Muslime expressis verbis gar nicht vorgekommen. Dort ist nur sehr verbrämt 118 119 120 121 122 123

Günter Buchstab: Politik an Werten orientieren, in: DPM 437 (2006), S. 14 – 18, hier 18. Resing: Die Kanzlermaschine, S. 44. Ebd., S. 45. Hemmelmann: Der Kompass der CDU, S. 159. Resing: Die Kanzlermaschine, S. 46 Siehe Maximilian Riedel: Art.: Pofalla, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/ biogramm-detail/-/content/ronald-pofalla-v1 (Abruf: 12.5.2021). 124 Siehe zum 2007er Programm: Christine Bach: 3. Dezember 2007. Verabschiedung des neuen CDUGrundsatzprogramms „Freiheit und Sicherheit“, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/kalender/kalender-detail/-/content/verabschiedung-des-neuen-cdu-grundsatzprogramms-freiheit-und-sicherheit (Abruf: 14.6.2021).

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und lediglich deskriptiv von Problemen und Potentialen die Rede: „Ausländische Mitbürger bereichern mit ihren Beiträgen unser Leben. Die Gemeinschaft mit Menschen aus anderen Kulturkreisen bringt aber auch Probleme mit sich, die zu Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhass führen können.“ Im 2007er Programm heißt es dagegen sehr viel deutlicher: „Der politische Islamismus und der terroristische Islamismus, die jeweils ihre radikale Interpretation des Islam über unsere Verfassung stellen, sind eine besondere Gefahr für die Menschen in Deutschland, auch für die verfassungstreue Mehrheit unter den Muslimen.“125 Dem stehe der gesellschaftliche Zusammenhalt aller Demokraten gegenüber, den man „über die Religionsgrenzen hinweg aktiv fördern“ müsse. Zuwanderung wird ganz explizit als „Bereicherung“ empfunden und festgehalten, dass Deutschland ein „Integrationsland“ sei. Besondere Aufmerksamkeit erregt das Bekenntnis zu einer deutschen „Leitkultur“: „Unsere politische Kultur ist geprägt von den Gemeinsamkeiten der europäischen und den Besonderheiten der deutschen Geschichte. Dazu gehören vor allem die föderale und die konfessionelle Tradition, das besondere Verhältnis zwischen Staat und Kirche und die Verantwortung, die den Deutschen aus den Erfahrungen zweier totalitärer Regime auch für die Zukunft erwächst.“126 Noch deutlicher als das bereits 1994 der Fall war, reichte die CDU im Programm von 2007 jenen die Hand, die dem Christentum fernstehen, aber dennoch ihre politische Heimat in der CDU suchen und sehen: „Das christliche Verständnis vom Menschen gibt uns die ethische Grundlage für verantwortliche Politik. Dennoch wissen wir, dass sich aus christlichem Glauben kein bestimmtes politisches Programm ableiten lässt. Die CDU ist für jeden offen, der Würde, Freiheit und Gleichheit aller Menschen anerkennt und die hieraus folgenden Grundüberzeugungen unserer Politik bejaht. Auf diesem Fundament baut unser gemeinsames Handeln in der CDU auf.“127 Insgesamt weise das Programm , so wurde festgestellt, eine „deutliche Tendenz hin zum derzeit gesellschaftlichen Mainstream“128 – ganz besonders in den Feldern Familien-, Umwelt- und Zuwanderungspolitik – auf. Die Atomkraft wird als Übergangsenergie interpretiert. In der Familienpolitik betont die CDU erstmals ihre Achtung vor gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, wenngleich sie auch weiterhin ihre Gleichstellung mit der Ehe ablehnt. Familie wird hier stärker über die Kinder als über den Begriff der Ehe definiert. Gerade die Modernisierungsschritte riefen erwartungsgemäß auch die Kritik auf den Plan von beiden Seiten: Jenen, denen die moderneren Impulse zu weit gingen und die ihre Konsistenz vermissten, und jenen, die solche Schritte eher als verzagt empfanden. Wulf Schönbohm nannte das neue Grundsatzprogramm „scheinliberale Politische-MitteSoße, angereichert durch technokratische Einsprengsel, die sie aber auch nicht schmackhafter machen“.129 Andere Kritiker sahen darin ein „Großstadtprogramm“, das die konservative Klientel im ländlichen Raum zu wenig im Auge habe. 125 Resing: Die Kanzlermaschine, S. 46. 126 Ebd.; Bach: 3. Dezember 2007. 127 Grundsatzprogramm von 2007 in: https://archiv.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/071203-beschlussgrundsatzprogramm-6-navigierbar_1.pdf?file=1 (Abruf: 12.5.2021). 128 Severin Weiland (2007): CDU-Grundsatzprogramm: Immer der Mitte hinterher, in: Spiegel online. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/cdu-grundsatzprogramm-immer-der-mitte-hinterher-a481743.html (Abruf: 12.5.2021). 129 Wulf Schönbohm: Die Kanzlerin führt die CDU in den Niedergang, in: https://www.welt.de/debatte/kommentare/article6069770/Die-Kanzlerin-fuehrt-die-CDU-in-den-Niedergang.html (Abruf: 20.6.2021).

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Nach der Verabschiedung des Programms in Hannover 2007 setzte erneut die Phase ein, die schon wie zuvor von der „normativen und programmatischen Kraft des Faktischen“, also von der Regierungsrealität, geprägt war. Vor allem „exogene Schocks“ wie die Finanz- und Wirtschaftskrise Ende der 2000er Jahre und das Reaktorunglück im japanischen Fukushima oder der Anstieg der Flüchtlingszahlen 2015 im Zuge der Bürgerkriege im Nahen Osten begründeten massive Veränderungen in der Politik wie beispielsweise den Ausstieg aus der Atomenergie und die Akzeptanz des lange verschmähten Mindestlohns – politische Entschlüsse, die auch deshalb insbesondere bei den Mitgliedern der CDU auf einen gewissen Grad des „Unwohlseins“ gestoßen sind, weil es eben nicht durchgehend gelang, ihre Sinnhaftigkeit in einen durchaus möglichen Einklang mit den programmatischen Grundlagen der Partei zu setzen, was Angela Merkel immer wieder den Vorwurf der programmatischen Beliebigkeit eintrug. Im Gegensatz dazu zeigt die empirische Langzeit-Untersuchung der programmatischen Festlegungen der CDU von Petra Hemmelmann, dass die CDU auch in diesen Jahren deutlicher Veränderungen im Wesentlichen ihrem weltanschaulichen Kompass treu geblieben ist und keinesfalls einen Totalumbau der CDU betrieben hat.130 Zum Ende der Amtszeit von Angela Merkel drängte ein Thema massiv in den Vordergrund, bei dem es der Union kaum gelungen ist, den Anschluss an die gesellschaftlichen Bewegungen zu halten: Die wachsende Verunsicherung über die Folgen, die der Klimawandel mit sich bringt. In Kombination mit den ebenfalls gravierenden Veränderungen, die die Digitalisierung auslöst und die neue industriepolitische und wirtschaftspolitische Strategien erforderlich macht, ist mit dem Amtsantritt ihrer „Kurzzeitnachfolgerin“ im Partnervorsitz, Annegret Kramp-Karrenbauer,131 erneut die Notwendigkeit artikuliert worden, ein Grundsatzprogramm zu formulieren – mit dem Anspruch, einen fundierten Dialog mit der Parteibasis und mit gesellschaftlichen Gruppen zu führen, der durch eine „Zuhörtour“ ausgelöst wurde. Damit beginnt die sechste und laufende Phase der Programmatik der CDU. Der erneute Führungswechsel an der Spitze der Partei auf den Bundesvorsitzenden Friedrich Merz aber auch die Corona-Krise haben zu einer Verzögerung dieses Prozesses geführt. Unter der Führung von Carsten Linnemann wird gegenwärtig der Versuch unternommen, in durchaus disruptiver Form einen neuen Anfang bei vielen Zukunftsthemen zu wagen, zugleich aber wieder genauer zu definieren, in welcher Form die Grundwerte der CDU, namentlich das „C“, bei der Bewältigung der aktuellen und künftigen Herausforderungen Richtschnur sein können. Es kommt angesichts des gegenwärtigen Status der CDU als Oppositionspartei nicht von ungefähr, dass im laufenden Prozess vielfach Bezug auf den Weg hin zum Grundsatzprogramm von 1978 genommen wird. Wie stark sich Kontinuität und Wandel dann im neuen Programm abbilden werden, bleibt freilich abzuwarten.

Ausblick Am Ende dieser „tour d’horizon“ durch die programmatischen Stationen der CDU bleibt vor allem die ebenso heftig geführte wie letztlich fruchtlose und politikwissenschaftliche Debatte, wie sehr und in welchem Ausmaß die CDU nun tatsächlich eine Programmpar130 Hemmelmann: Der Kompass der CDU, S. 427 – 444. 131 Siehe Kathrin Zehender: Art.: Kramp-Karrenbauer, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/ personen/biogramm-detail/-/content/annegret-kramp-karrenbauer-v1 (Abruf: 20.6.2021).

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tei ist oder nicht. Ausgerechnet Kurt Biedenkopf, der als einer der „Väter“ des Ludwigshafener Programms gilt, hat einmal gesagt: „Die CDU ist keine Programmpartei. Mit Programmen werden in der Union gewöhnlich diejenigen beschäftigt, die man damit gern beschäftigen möchte, damit sie ansonsten kein Unheil anrichten.132“ Damit sprach Kurt Biedenkopf in sehr zugespitzter Form allerdings eine wesentliche instrumentelle Funktion gerade von Grundsatzprogrammen an: Sie haben eine disziplinierende Wirkung. Gerade in jenen Zeiten, in denen die Partei in der Opposition ist, gerade in solchen Zeiten, in denen durch massive Veränderungen Verunsicherungen hervorgerufen werden, kann ein solcher Prozess Debatten kanalisieren. Und in Zeiten, in denen die Partei regiert, kann die Steuerung eines solchen Prozesses verhindern, dass damit gegebenenfalls die eigene Regierungsarbeit konterkariert und damit die eigene Position geschwächt wird. Wenn man die Kanzlerschaften Revue passieren lässt, so fielen wesentliche Entscheidungen mit weitreichenden politischen und programmatischen Konsequenzen in die jeweiligen Amtszeiten: In der Ära Adenauer sind das die Westbindung, die transatlantische Partnerschaft, die Soziale Marktwirtschaft und die Sozialpartnerschaft, die ersten Schritte hin zu einer europäischen Integration. In der Zeit Helmut Kohls ist der Vollzug der deutschen Einheit ebenso im Vordergrund wie seine epochalen Beiträge zur Europäisierung der deutschen Politik, nicht zuletzt durch die Einführung des Euros. Es steht freilich zu erwarten, dass auch die Zeit der Kanzlerschaft Angela Merkels in erster Linie über ihr Regierungshandeln definiert werden wird und nicht über die programmatischen Impulse, die in der Zeit ihrer Kanzlerschaft gesetzt worden sind. „Es bleibt jedoch festzuhalten, dass die CDU ihren Charakter als Volkspartei stets auch deshalb bewahren konnte, weil es ihr gelungen ist, zentrale christlich-demokratische Werte an veränderte gesellschaftliche Bedürfnisse und globale Entwicklungslagen anzupassen.“133 Veränderung ist damit sozusagen Teil ihrer DNA, die Günter Bannas treffend so beschrieben hat: „Die CDU ist eine Partei politischer Häutungen – von Adenauer über Kohl bis Merkel. Ihre Fundamente, das christliche Menschenbild und das Ja zu Europa, bieten viel Raum dafür, alten Gewissheiten zu entsagen.“134 So sehr in der wissenschaftlichen und medialen Berichterstattung, was nachvollziehbar ist, nach Bruchkanten und Pauschalisierungen gesucht wird – man denke an die falsche These der „zweiten Parteigründung“ nach der Übernahme des Parteivorsitzes durch Kohl, die ohne die vorherigen Impulse Kohls in der programmatischen Arbeit unvorstellbar gewesen wäre, man denke an den immerwährenden Vorwurf der angeblichen Beliebigkeit –, so offenbart der genauere Blick doch die Kontinuitäten, auf die die jeweils nächste Politikergeneration aufbauen konnte. Das aber wiederum setzt voraus, dass die Programmarbeit der CDU eben diese Wegmarken der Kontinuität immer wieder neu identifiziert, diskutiert, verbindlich festschreibt und mit Impulsen für die Zukunft verbindet. Der Satz, den Richard von Weizsäcker zum Grundsatzprogrammprozess 1978 gesagt hat, bleibt zeitlos gültig: „Grundsätze sind kein selbsttätiger Besitz; sie werfen eben nicht automatisch politische Zinsen ab, von denen sich gut leben lässt. Vielmehr sind sie nur dann lebendig, wenn wir sie uns in der ganzen Partei immer von neuem zu eigen machen. Denn wir stehen ja vor immer neuen Heraus132 Zit. nach Bösch: Macht und Machtverlust, S. 10. 133 Bach: 3. Dezember 2007. 134 Günter Bannas: Die Zeitgeistpartei, in: FAZ, 27.6.2015.

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forderungen der Technik und Wissenschaft, der wirtschaftlichen Dynamik und der sozialen Entwicklung. Unter diesem Einfluss wandeln sich unsere Lebensbedingungen ständig. Auf diesen Wandel dürfen wir nicht nur reagieren, wir müssen ihn politisch gestalten, und dazu bedürfen wir des Antriebs und der Leitlinien verbindlicher Grundsätze.“135 Die CDU mag als Partei der Pragmatik epochale praktische Erfolge erzielt haben, aber sie wird in einer Situation, in der auch „die letzte Volkspartei“136 wie andere Großorganisationen über nachlassende Bindekraft zu klagen hat, nur dann auch in Zukunft ihre integrierende Wirkung in alle Schichten und Gruppierungen hinein entfalten und zur Stabilität unseres Landes beitragen können, wenn sie beide Stränge, ihren pragmatischen Politikstil und ihre programmatische Kraft, in den Händen behält und immer wieder zu einem kraftvollen Zugseil verknüpft.

Forschungs- und Quellenlage Angesichts der Tatsache, dass man die CDU mit Andreas Rödder als „inoffizielle bundesdeutsche Staatspartei“ und als erfolgreichste deutsche Partei bezeichnen darf 137, angesichts der politischen und gesamtgesellschaftlichen Relevanz, die sich aus der Dominanz der CDU im deutschen Parteiensystem ergibt, ist verwunderlich, dass es nur wenige systematische und umfassende und hier zumeist auch veraltete oder zeitlich beschränkte Analysen der CDU-Programmatik, die zugleich eine solide Darstellung der historischen Entwicklung der CDU bieten, gibt – wie die Studie von Helmuth Pütz138 von 1971 oder die Dissertation von Dorothee Buchhaas139, die sich mit der Programmatik der CDU zwischen 1950 und 1973 befasst, sowie das Werk von Winfried Becker140, das sich auf die Zeit von 1945 bis 1950 beschränkt. Meist ist die Beurteilung der historischen Genese der Programmatik vor allem ein „Beifang“ von allgemeinen Darstellungen über die CDU. Das betrifft in den vergangenen 30 Jahren zum Beispiel die umfassenden Darstellungen von Hans-Otto Kleinmann141, Frank Bösch142 sowie den Sammelband von Franz Walter und anderen143 zu Entstehung und Verfall christdemokratischer Geschlossenheit, die alle einen mehr oder minder ausführlichen Blick auf die Programmentwicklung im Rahmen ihrer Studien werfen. Die Mehrheit der Werke zur CDU in den vergangenen drei Jahrzehnten klammern die Programmatik in ihren Darstellungen aber weitgehend aus und konzentrieren sich entweder auf die Organisation oder die Funktionsweise der Partei wie 135 Vgl. Richard von Weizsäcker (Hg.): CDU–Grundsatzdiskussion. Beiträge aus Wissenschaft und Politik. Bonn 1977. 136 Vgl. die Begründung, warum die CDU diesen Titel noch immer verdient, bei: Mariam Lau: Die letzte Volkspartei. Angela Merkel und die Modernisierung der CDU. München 2009. 137 Andreas Rödder: Die Rolle der CDU in der deutschen Geschichte, in: Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union, S. 633 – 655, hier 633. 138 Helmuth Pütz: Die Christlich-Demokratische Union Deutschlands. Bonn 1971. 139 Buchhaas: Die Volkspartei. 140 Becker: CDU und CSU 1945 – 1950. 141 Kleinmann: Geschichte der CDU 1945 – 1982. 142 Bösch: Macht und Machtverlust. Für die Frühzeit: Ders.: Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei 1945 – 1969. Stuttgart u. a. 2001. 143 Franz Walter/Christian Werwarth/Oliver D’Antonio: Die CDU. Entstehung und Verfall christdemokratischer Geschlossenheit. 2.Aufl. Baden-Baden 2014.

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Stationen der programmatischen Entwicklung der CDU

Josef Schmid144 und Gerd Langguth, vor allem aber auf die Personen, zuletzt vor allem auf die Bundeskanzlerin, wie Mariam Lau145, Nikolaus Blome146, Volker Resing147, Dirk Kurbjuweit148 und andere. Daneben steht eine Fülle von Einzelaufsätzen, die entweder einen Ausschnitt aus der programmatischen Entwicklung wählen oder einen Überblick über die Gesamtentwicklung bieten. Ansonsten existieren einige Spezialstudien, so die Versuche von Ingrid Reichart-Dreyer149, anhand der Programmentstehungsprozesse in der CDU die Machtstrukturen innerhalb der Partei zu analysieren, oder die Arbeit von Udo Zolleis, der sich die Programmatik der CDU durch die „Brille“ eines von ihm herausgearbeiteten christlich-demokratischen Leitbildes, das sich für ihn aus den vier Prinzipien „Mediation, Pluralismus, Personalität und Subsidiarität“ ergibt, angesehen hat.150 Die dokumentarischen Bücher, die zumeist von der CDU selbst herausgegeben worden sind und die die Programme als Sammlung abdrucken, zuletzt der große Band, den Peter Hintze im Anschluss an die Grundsatzprogrammdiskussion 1994 herausgegeben hat, haben sich im Zeitalter des Internets „überlebt“.151 Stattdessen bietet die KonradAdenauer-Stiftung im Rahmen ihres Webauftrittes (www.kas.de) [eher zu finden unter: http://geschichte-cdu.de] eine Darstellung aller wesentlichen programmatischen Texte. Neuerer Natur sind vor allem die politikwissenschaftlichen Inhaltsanalysen der Parteiprogramme, die im Zeitverlauf dabei helfen sollen, Veränderungen in den programmatischen Einstellungen, aber auch Konstanten in der programmatischen Verortung, also mithin „den Kompass“ der Partei aufzuzeigen. An dieser Stelle sticht Petra Hemmelmann mit ihrem Werk zum „Kompass der CDU-Programme von Adenauer bis Merkel“ sehr deutlich heraus.152 Sie hat mit ihrer empirischen, qualitativen und quantitativen Langzeitanalyse der CDU-Programmatik nicht nur eine große Forschungslücke geschlossen, sondern zugleich auch deutlich gemacht, dass die CDU in ihrer Programmatik über die Jahrzehnte vergleichsweise konstant geblieben ist. Unter dem Strich bleibt aber der Eindruck, dass dieses Forschungsfeld immer noch große Lücken aufweist, vor allem auch, was aktuelle Überblicksdarstellungen angeht. Es wird, nicht zuletzt wenn das neue Grundsatzprogramm der CDU in absehbarer Zeit zu einem Abschluss gebracht wird, jedenfalls sehr lohnend und letztlich angesichts der bleibenden Bedeutung der CDU auch notwendig sein, eine umfassende Analyse ihrer Programmatik anzuregen.

144 Josef Schmid: Die CDU. Organisationsstrukturen, Politiken und Funktionsweisen einer Partei im Föderalismus. Opladen 1990. 145 Lau: Die letzte Volkspartei. 146 Nikolaus Blome: Angela Merkel. Die Zauder-Künstlerin. München 2013. 147 Resing: Die Kanzlermaschine. 148 Dirk Kurbjuweit: Angela Merkel. Die Kanzlerin für alle? München 2009, und: Ders.: Alternativlos – Merkel, die Deutschen und das Ende der Politik. München 2014. 149 Reichart-Dreyer: Macht und Demokratie in der CDU. 150 Zolleis: Die CDU. 151 Hintze: Die CDU. 152 Hemmelmann: Der Kompass der CDU.

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„… nicht der verlängerte Arm der Kirche“ – Zum Verhältnis der CDU zu Kirchen und Religionsgemeinschaften Karlies Abmeier Für eine Partei, die sich in ihrem Namen auf eine Religion bezieht, ist es unerlässlich, ihr Verhältnis zu den Trägern dieser Religion zu bestimmen. Vor diesem Hintergrund überrascht es, wie wenig in der historischen und politikwissenschaftlichen Forschung die Beziehungen der CDU zu den Kirchen untersucht worden sind. Darstellungen zur Entstehung der Union in den verschiedenen Regionen Deutschlands behandeln die Rolle der Kirchen meist nur am Rande. Ein Tagungsband der Rhöndorfer Gespräche zum Verhältnis Adenauers zu den Kirchen kann diese Lücke nur bedingt füllen, auch wenn er mehr als nur die Rolle Adenauers als Parteivorsitzender und Bundeskanzler in den damaligen konfessionellen Querelen spiegelt.1 Diese Konflikte spricht Frank Bösch in seiner umfangreichen Studie zur Adenauer-CDU2 wiederholt an, ohne sich aber speziell mit den Beziehungen zu den Kirchen zu beschäftigen. Selbst in Arbeiten zum Evangelischen Arbeitskreis sind unmittelbare Kirchenkontakte selten aufgeführt.3 Bei der Analyse des Machtanspruchs und des Machtverlustes der Katholiken in der Bonner Republik behandelt Thomas Gauly 4 das Verhältnis zur Union nicht als eigenständiges Thema. Auch Kristian Buchnas Darstellung kirchlicher Interessenvertretung 5 in den 1950er Jahren geht nur punktuell auf Parteien ein. Zahlreiche Hinweise für die spätere Zeit finden sich in der Studie von Antonius Liedhegener zum politischen Katholizismus in Deutschland und den USA.6 Auch die inhaltlich aufschlussreichen Reflexionen über das Christliche im Parteinamen stellen die Beziehungen zu den Kirchen nicht in den Mittelpunkt. Für Liedhegener 7 – in seiner Untersuchung zur Bedeutung des ‚C‘ – wirkt die Berufung auf Gott, auf eine machtbegrenzende Transzendenz in Verbindung mit einer Wertegeneralisierung, integrierend; religiöse wie säkulare Menschen könnten dem folgen. Diesen Aspekt einer 1 Ulrich von Hehl (Hg.): Adenauer und die Kirchen (Rhöndorfer Gespräche. Bd. 17). Bonn 1999. 2 Frank Bösch: Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei 1945 – 1969. Stuttgart u. a. 2001. 3 Gerhard Besier: „Christliche Parteipolitik“ und Konfession. Zur Entstehung des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, in: Ders.: Die evangelische Kirche in den Umbrüchen des 20. Jahrhunderts. Gesammelte Aufsätze. Bd. 2. Neukirchen-Vluyn 1994, S. 108 – 130; Torsten Oppelland: „Politik aus christlicher Verantwortung“. Der EAK der CDU/CSU in der Ära Adenauer, in: Thomas Sauer (Hg.): Katholiken und Protestanten in den Aufbaujahren der Bundesrepublik. Stuttgart 2000, S. 35 – 64, hier 55 – 58. 4 Thomas M. Gauly: Katholiken. Machtanspruch und Machtverlust. Bonn 1991. 5 Kristian Buchna: Ein klerikales Jahrzehnt? Kirche, Konfession und Politik in der Bundesrepublik während der 1950er Jahre. Baden-Baden 2014. 6 Antonius Liedhegener: Macht, Moral und Mehrheiten. Der politische Katholizismus in der Bundesrepublik Deutschland und den USA seit 1960. Baden-Baden 2006. 7 Ders.: Das „C“ als „Himmelsanker“ oder: Warum die CDU der Säkularisierung trotzt, in: Norbert Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU. München 2020, S. 421 – 466.

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Begründung durch einen Bezug auf eine Transzendenz hat schon 1980 Thomas Nipperdey als „metapolitische Legitimation einer christlichen Partei“ hervorgehoben8, während Frank-Lothar Kroll9 von einer christlichen Partei einen Widerspruch zu Zeitströmungen erwartet, wenn sie einem christlichen Verständnis entgegenstehen. Dieser Handlungsimpuls aus christlicher Überzeugung war bereits in den Anfängen der Geschichte der CDU präsent, wurde aber schon damals deutlich unterschieden von dem Bezug zu den institutionellen Vertretern der christlichen Kirchen. Schon im November 1945 hieß es in einem Flugblatt: „Wir sind keine Kirchenpartei, sondern die große Partei der aufbauwilligen Christen und Demokraten aller Bekenntnisse.“ 10 Dieser Satz wandte sich gegen eine vermutete zu große Nähe zu den Kirchen. Zwar genossen diese in der unmittelbaren Nachkriegszeit großes Ansehen und hatten aufgrund weitgehend intakter Strukturen den Gruppen, die ein „neues Deutschland“ auf christlicher Grundlage aufbauen wollten, Hilfe angeboten. Aber eine gewisse Reserve gegenüber kirchlichen Aktivitäten deutete sich früh an. Dabei mochten die Rücksicht auf antikatholische Vorbehalte und die Sorge evangelischer Wähler vor dem (Wieder-)Entstehen einer katholischen Partei, eines neuen Zentrums, eine Rolle spielen. Einige Gründungstexte wiesen auf eine grundsätzliche Trennung von Kirche und Staat hin. Die meisten setzten beim Zusammenwirken von Kirche und Staat auf klar getrennte Zuständigkeiten kirchlicher und staatlicher Autoritäten. Dabei war regional der Einfluss der Kirchen unterschiedlich ausgeprägt.

Interkonfessioneller Brückenschlag „Die katholische Kirche bei der CDU-Gründung waren wir“11, erinnerte sich der ehemalige Reichsminister Andreas Hermes später an den Beginn im Frühjahr 1945. Er vertrat damit eine unabhängige Position gegenüber kirchlichen Amtsträgern und klerikalen Einflüssen. Persönlich waren die Unterzeichner des Berliner Gründungsaufrufs zumeist in der evangelischen oder katholischen Kirche verwurzelt, einige hatten in der evangelischen Kirche Funktionen inne. Sie waren überzeugt, dass nach den materiellen und geistig-moralischen Verheerungen der Zeit des Nationalsozialismus der neue Staat nur auf christlicher Grundlage wieder aufgebaut werden könne. Zusammenstehen über Konfessionsgrenzen hinweg lautete das Gebot der Stunde. Charakteristisch für diesen Willen ist ein Wahlplakat aus dem Kommunalwahlkampf von 1946 in Nordrhein-Westfalen. Es zeigt den katholischen Patroklos-Dom neben der evangelischen Petrikirche in Soest und trägt die Unterschrift: „Die Union – Die Sammlung aller Christen auf der politischen Ebene“.12 8 Thomas Nipperdey: Christliche Parteien, in: Ders.: Nachdenken über die deutsche Geschichte. München 1986, S. 126 – 139, hier 139. 9 Frank-Lothar Kroll: Christliche Demokratie – vom Glaubensbekenntnis zum politischen Programm?, in: Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union, S. 361 – 394. 10 Flugblatt der Christlich-Demokratischen Partei Frankfurt am Main, in: „Ein freies Volk soll wiedererstehen …“. Dokumente zur Gründung der CDU. Zusammengestellt von Andreas Grau und Hanns Jürgen Küsters. Sankt Augustin u. a. [2015], S. 84. https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=f29016e1-6ddc-a124-e6d3-2afb154240dd&groupId=252038 (Abruf: 26.5.2021). 11 Zit. nach Manfred Wilde: Die SBZ-CDU 1945 – 1947. Zwischen Kriegsende und kaltem Krieg. München 1998, S. 30. 12 Günter Buchstab: Geschichte der CDU, in: Ders. (Hg.): Brücke in eine neue Zeit. 60 Jahre CDU. Freiburg i. Br. 2005, S. 54.

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Dieser Wille zur Zusammenarbeit traf nicht überall auf Zustimmung. Für die katholische Kirche war seit der Kaiserzeit die Zentrumspartei die politische Vertretung gewesen, so dass deren Wiedergründung naheliegend schien. Bei der Wahlentscheidung zwischen dem wieder errichteten Zentrum und der neuen überkonfessionellen Union spielte die katholische Kirche eine wichtige Rolle. Im Sommer 1945 sprachen sich nicht wenige katholische Bischöfe zur Abwehr des materialistischen Marxismus für die Union aus.13 Darunter war der wegen seiner Predigten gegen die nationalsozialistischen Euthanasieprogramme bekannte Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen. Sein Nachfolger Michael Keller hingegen neigte zunächst eher dem Zentrum zu, das bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen 1947 mit 9,8 Prozent durchaus erfolgreich war und teilweise auch über eine stärkere inhaltliche Nähe zu katholischen Positionen verfügte. Als Signal zugunsten der CDU wirkte der Parteibeitritt des populären Kölner Oberhirten Josef Kardinal Frings im November 1948. Zwar ließ Frings, der später gesagt haben soll, er habe wegen des Beitritts von Rom einen „Rüffel“ erhalten,14 aufgrund von Bedenken im Hinblick auf das Reichskonkordat, aus dem ein Verbot parteipolitischer Tätigkeit abgeleitet werden konnte, im Mai 1949 wieder seinen Austritt erklären. Das Zeichen war jedoch gesetzt. Gleichwohl war eine solche bischöfliche Rückendeckung zweischneidig. Denn sie verstärkte den Ruf der Union als einer katholischen Partei. In der Tat überwogen Katholiken sowohl bei den Mitgliedern als auch bei den Wählern bei weitem. Dieses Ungleichgewicht bestätigte antikatholische Ressentiments und konnte protestantische Wähler abschrecken.

Evangelische Vorbehalte Auch wenn in der frühen Phase zahlreiche evangelische Pfarrer und bekannte evangelische Persönlichkeiten sich für die Union einsetzten, blieben Wahlaufrufe der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zugunsten der Union zurückhaltend – zu weit lagen innerkirchlich die politischen Positionen auseinander. Auch konnte man nicht auf einigende Strukturen einer früheren evangelischen Partei zurückgreifen.15 Vor diesem Hintergrund fiel es der CDU schwer, in evangelischen Kreisen Fuß zu fassen. Daran vermochte auch der Berlin-Brandenburgische Bischof und ab 1949 Ratsvorsitzende der EKD Otto Dibelius nichts wesentlich zu ändern. Er war früh in die CDU eingetreten, weil die „evangelische Kirche […] praktisch nur bei der Christlich-Demokratischen Union Verständnis und positive Unterstützung findet“.16 In anderen evangelischen Kreisen stieß schon die Bezeichnung „christlich“ im Parteinamen auf Vorbehalte, weil sie als Vereinnahmung ausgelegt werden konnte.

13 Bösch: Die Adenauer-CDU, S. 28. 14 Norbert Trippen: Josef Kardinal Frings (1887 – 1978). Bd. 1. Sein Wirken für das Erzbistum Köln und für die Kirche in Deutschland (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen. Bd. 94). Paderborn u. a. 2003, S. 351. Vgl. Rudolf Morsey: Adenauer und Kardinal Frings 1945 – 1949, in: Politik und Konfession. Festschrift für Konrad Repgen zum 60.Geburtstag. Hg. von Dieter Albrecht u. a. Berlin 1983, S. 483 – 501, hier 495 f., 499 f. 15 Bösch: Die Adenauer-CDU, S. 35 f.; Oppelland: „Politik aus christlicher Verantwortung“, S. 37 f. Vgl. auch Kroll: Christliche Demokratie, S. 370 f. 16 Zit. nach Bösch: Die Adenauer-CDU, S. 36.

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Als 1950 der evangelische Innenminister Gustav Heinemann wegen des Konflikts um die Wiederbewaffnung, die auch als eine Zurückstellung des Ziels der Wiedervereinigung mit dem überwiegend evangelischen Mitteldeutschland gesehen wurde, das Kabinett von Bundeskanzler Adenauer verließ, verlor das protestantische Element in der Partei weiter an Gewicht. Die Gründung des Evangelischen Arbeitskreises 1952 mit seinem ersten Vorsitzenden Hermann Ehlers sollte den Protestanten Sichtbarkeit und Parität entsprechend ihrem Bevölkerunganteil verleihen und so die Union für evangelische Wähler attraktiv machen. Adenauer, der den konfessionellen Brückenschlag für den Fortbestand der Partei für entscheidend hielt, gelang es zu vermitteln.17 Ausgleichsbemühungen zugunsten evangelischer Interessen schlugen sich vor allem in der Personalpolitik und in Bildungsfragen nieder. Darüber hinaus unterstützte er die Soziale Marktwirtschaft seines evangelischen Wirtschaftsministers Ludwig Erhard, während er Vorhaben des mehrheitlich katholischen, aus den christlichen Gewerkschaften der Zwischenkriegszeit stammenden sozialpolitischen Flügels zurückstellte, die unter dem Stichwort „Christlicher Sozialismus“ firmierten. Diese auf die Einheit der Partei gerichtete Haltung findet sich auch im Hamburger Programm von 1953, in dem es heißt: „Alle Versuche, den überwundenen konfessionellen Hader neu zu entfachen, lehnen wir einmütig und entschlossen ab.“18 Vom Erfolg dieser Bestrebungen hing das Überleben der Partei ab. Zum Wahlsieg 1953 hatte ein deutlicher Zugewinn an evangelischen Wählerstimmen beigetragen. Umso sensibler reagierten Protestanten auf Vorfälle und Ansprüche, die eine katholische Schlagseite nahelegen konnten. Kontroversen um die Bekenntnisschule, die Besetzung des Botschafterpostens beim Vatikan, der aus katholischer Sicht ein Katholik sein sollte, oder die Auseinandersetzung über die Zivilehe, die während des Kulturkampfs eingeführt worden war, schlugen hohe Wellen. Dass manche Forderung „auf katholischer Seite auch den Bogen […] überspannt“19, schien Adenauer offensichtlich. Denn der „christliche Politiker ist nicht der verlängerte Arm der Kirche“.20 Auch wenn nicht alle katholischen Wünsche erfüllt wurden, setzten sich die katholischen Bischöfe mit Hirtenbriefen bei Wahlen für die Union ein. Wegen unterschiedlicher parteipolitischer Strömungen in der EKD vermied der Leiter des evangelischen Verbindungsbüros zur Bundesregierung, Bischof Hermann Kunst, zu große Nähe, stand jedoch in gutem Einvernehmen mit Adenauer und dessen Fraktionsvorsitzenden Heinrich Krone. Gleichwohl musste man für die CDU geeignete evangelische Persönlichkeiten „mit der Laterne suchen gehen“.21 17 Alexander Brakel: Ökumene in der Politik? Die Gründung der CDU und ihr Beitrag für die Überwindung konfessioneller Spannungen in der Nachkriegszeit, in: Karlies Abmeier (Hg.): Politik im Zeichen der Reformation – der lange Schatten von 1517. Sankt Augustin/Berlin 2017, S. 65 – 68, hier 67. Ulrich von Hehl: Wertvorstellungen im Denken Konrad Adenauers, in: Ders. (Hg.): Adenauer und die Kirchen, S. 18; Liedhegener: Das „C“ als „Himmelsanker“, S. 447 f. 18 Programm 1953. https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=f72d77e5-7581-4e80-80cd-6525 18392fdb&groupId=252038, S. 32 (Abruf: 25.5.2021). 19 Adenauer: „Wir haben wirklich etwas geschaffen.“ Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1953 – 1957. Bearb. von Günter Buchstab (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 16). Düsseldorf 1990, Nr. 3, 26. April 1953, S. 145. 20 Heinrich Krone: Tagebücher. Erster Band 1945 bis 1961. Bearb. von Hans-Otto Kleinmann (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 28). Düsseldorf 1995, 7. März 1953, S. 117. 21 Ebd., 23. Mai 1961, S. 499.

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Schleichende Entfremdung durch Auflösung des katholischen Milieus Gegen Ende des Jahrzehnts kündigte sich ein gesellschaftlicher Wandel an, der auch in der Kirche Widerhall fand. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962 – 1965) erklärte, dass Katholiken „berechtigte Meinungsverschiedenheiten in Fragen der Ordnung irdischer Dinge“ anerkennen sollten (Gaudium et Spes 75). Schon zuvor hatte die publizistisch weitbeachtete Tagung der Katholischen Akademie in München im Januar 1958 zum Thema „Christentum und demokratischer Sozialismus“ in der CDU alle Alarmglocken schrillen lassen. „Dafür sind die Kirchen nicht da“22, wetterte Adenauer. Auswirkungen solcher Gespräche gingen seiner Meinung nach an die „Wurzel unserer Partei“23, wenn gläubige Katholiken auch in der SPD eine Heimat finden könnten. Genau hierauf zielten die Bestrebungen der Sozialdemokratie. Die Neuausrichtung im Godesberger Programm Ende 1959 verfing vor allem bei evangelischen Wählern und vertiefte ihre ohnehin vorhandene Nähe zur SPD. Dem versuchte der Evangelische Arbeitskreis Anfang der 1960er Jahre mit seinem Vorsitzenden Gerhard Schröder auf verschiedenen Ebenen entgegenzuwirken. Auch zur katholischen Kirche zeichnete sich eine Entfremdung ab. Die Erklärung der Bischöfe zur Bundestagswahl 1965 rief nicht mehr zur Wahl christlicher Parteien auf, sondern empfahl nur noch Politiker mit „gläubiger Haltung“. 24 Auf diese Zurückhaltung reagierte die CDU erstmals programmatisch. Während 1953 nur knapp der öffentliche Auftrag und die Unabhängigkeit der Kirchen festgestellt worden waren, verpflichtete sich die CDU 1968, darüber zu „wachen, daß der Öffentlichkeitsanspruch der Kirchen ungeschmälert bleibt“,25 und wehrte damit in der Gesellschaft virulente Versuche ab, den Einfluss der Kirchen zurückzudrängen. Darüber hinaus wurden die Aufgaben der Kirchen für das Gemeinwohl, vor allem ihre Bemühungen um Familien, Bildung und in Not Geratene, gewürdigt. Dennoch blieb eine gewisse Distanz, die sich in der knapp formulierten Stellungnahme der Bischöfe anlässlich der Bundestagswahl 1969 spiegelte. Spannungen wegen Debatten um das ‚C‘, um Sonntagsarbeit, Familienpolitik und die Einführung des Zweiten Deutschen Fernsehens hallten nach. Wirkung zeigte vor allem das Abrücken von Konfessionsschulen, die die jüngeren CDU-Politiker im Rahmen der Schulreformen aufgaben. Darüber hinaus machte sich bemerkbar, dass die SPD ihre früheren antikirchlichen Parolen unterließ und werbend auf die katholische Kirche zuging.26 Auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) hielt sich – trotz einer großen Zahl hochrangiger CDU-Politiker, die gleichzeitig ZdK-Mitglieder waren – öffentlich bedeckt.27

22 Adenauer: „… um den Frieden zu gewinnen“. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1957 – 1961. Bearb. von Günter Buchstab (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 24). Düsseldorf 1994, Nr. 2, 17. Januar 1958, S. 77. 23 Ebd., S. 59, 77. 24 Alfons Fitzek: Katholische Kirche im demokratischen Staat. Hirtenworte der deutschen Bischöfe zu wichtigen Fragen der Zeit und zu den Bundestagswahlen 1945 bis 1980. Würzburg 1981, S. 100. 25 Aktionsprogramm Nr. 20 und Berliner Programm Nr. 33. 26 Frank Bösch: Die Adenauer-CDU, S. 348 ff. 27 Thomas Grossmann: Zwischen Kirche und Gesellschaft. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken 1945 – 1970 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen. Bd. 56). Mainz 1991, S. 292 – 299.

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Verlust früherer Selbstverständlichkeiten Die Reformvorhaben der sozialliberalen Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt ließen jedoch wieder eine größere Nähe zwischen katholischer Kirche und Union aufkommen, weil sie teilweise den religiösen Grundüberzeugungen der Kirchen entgegenstanden. Die Eherechtsreform und vor allem die Änderung des § 218 StGB lösten eine Debatte über Grundwerte aus, in der die Kirchen für den Lebensschutz fochten. Dabei fanden sie Unterstützung in den Reihen der Union. Während der Regierungskoalition eine Fristenlösung vorschwebte, bei der Abtreibung innerhalb einer gewissen Zeit straffrei sein sollte, setzte sich die Union für eine Indikationslösung ein, die einen Schwangerschaftsabbruch nur unter bestimmten Bedingungen zuließ. Damit folgte sie zwar nicht völlig den kirchlichen Erwartungen, versuchte aber in dem aufgeheizten gesellschaftlichen Klima möglichst viel für den Lebensschutz zu erreichen. Wie schon Konrad Adenauer war Helmut Kohl klar, dass die CDU „einen anderen Auftrag als die Vertretung kirchlicher Interessen“28 hat, dass aber für eine Partei, die ihre Politik mit christlicher Verantwortung begründet, der Dialog mit den Kirchen wesentlich ist. Dass dieser nicht immer konfliktfrei war, war ihm bewusst, wenn er einräumte, dass „die Wandlungen innerhalb der Kirchen manchen bei uns erst recht spät ins Bewußtsein getreten“ seien. Deswegen hätte die CDU „sicher manches als zu selbstverständlich angesehen, was längst nicht mehr selbstverständlich war und ist“.29 Trotz der Verschiebungen schrieb er den Kirchen eine wichtige gesellschaftliche Position zu. Auf dem Höhepunkt der Grundwertedebatte 1976 betonte er, dass die Kirchen „nach wie vor die großen Ordnungskräfte [seien], die in einer säkularisierten Welt die Frage nach einer die Gesellschaft übersteigenden Wirklichkeit, nach einer letzten Sinngebung der menschlichen Existenz offenhalten“.30 Damit schrieb er den Kirchen ein herausgehobenes Gewicht jenseits der Tagespolitik zu. Folglich sollten sie aus seiner Sicht nicht zu Wahlkampfzwecken missbraucht werden. Denn „(e)ine Partei sollte niemals erwarten oder wollen, daß die Kirchen für sie Wahlpropaganda betreiben“.31 Gleichwohl wurde das Hirtenwort Kardinal Höffners zur Wahl 1980 so interpretiert und vom Spiegel als „geistliche Nötigung“ apostrophiert.32

Öffnung für Nichtchristen In den 1970er Jahren wurde das Klima für die Kirchen rauer. 1974 veröffentlichten die Freien Demokraten ihre Kirchenthesen, die eine Trennung von Kirche und Staat und die Abschaffung der Kirchensteuer forderten. Vor diesem Hintergrund anerkennt das Ludwigshafener Grundsatzprogramm der CDU 1978 die Leistungen der Kirchen in der „Mitverantwortung und Mitgestaltung für das Gemeinwohl“33 explizit. Den Veränderungen in der Gesellschaft wurde aber Rechnung getragen, wenn es erstmalig ausdrück28 29 30 31 32 33

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Interview: Unabhängig, aber partnerschaftlich kooperieren, in: Herder Korrespondenz 29 (1975), S. 130. Ebd. Günter Gorschenek (Hg.): Grundwerte in Staat und Gesellschaft. 3. Aufl. München 1978, S. 64. Interview: Unabhängig, aber partnerschaftlich kooperieren, in: Herder Korrespondenz 29 (1975), S. 127. Der Spiegel, 21.9.1980. https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14331298.html (Abruf: 27.5.2021). Grundsatzprogramm 1978, Nr. 120. https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=6ab8ab48871d-52a2-a603-989c928e127f&groupId=252038 (Abruf: 27.5.2021).

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lich heißt, dass ein „gemeinsames Handeln von Christen und Nichtchristen möglich“34 sei. Ethische Grundlage dafür bildete das aus dem christlichen Glauben abgeleitete Verständnis vom Menschen. Diese Überzeugung wurde 16 Jahre später nach der Wiedervereinigung angesichts der stark entkirchlichten Gebiete in der ehemaligen DDR noch wichtiger. In der Frühphase nach 1945 hatte es auch in der SBZ Verbindungen zwischen den CDU-Gründungen und den Kirchen gegeben.35 Nach den Wahlen 1946 und der Absetzung Jakob Kaisers und Ernst Lemmers Ende 1947 verloren diese Beziehungen zunehmend an Bedeutung. Führende, vor allem katholische Persönlichkeiten gingen in den Westen, die Kirchen wurden aus der Öffentlichkeit zurückgedrängt. Nur im Eichsfeld bestanden Absprachen zwischen der katholischen Kirche und der CDU länger und prägten ein regimeferneres Milieu.36 Für Katholiken galt der sogenannte Preysing-Erlass von 1947, der – mehrfach bekräftigt – für die Dauer der DDR politische Stellungnahmen auf den Vorsitzenden der Berliner Bischofskonferenz beschränkte. Damit verlor die Partei ihre Basis im kirchlichen Umfeld und ihre Funktion als Mittlerin zwischen kirchlichen und staatlichen Interessen. Ähnliches lässt sich für die evangelische Kirche beobachten, die spätestens mit dem Konzept „Kirche im Sozialismus“ die CDU entbehrlich machte.37 Zudem vom MfS durchsetzt, fristete die Ost-CDU seit den 1950er Jahren als angepasste Blockpartei zunehmend ein Schattendasein. In den Monaten der Friedlichen Revolution verließen viele belastete Mitglieder die Partei, neue Personen traten ein. Bei den Wahlen zu den Länderparlamenten im Oktober 1990, die Mehrheiten für die CDU brachten, setzten sich überraschend viele Katholiken durch und erhielten wichtige Positionen. Dies führte zu Irritationen bei einigen Protestanten, die sich um die Früchte der „Revolution der Kerzen“ betrogen fühlten, da anders als viele evangelische Geistliche die katholische Kirche nur zögernd ihre Räume für Versammlungen der Bürgerrechtler geöffnet hatte. Auch wenn sich bis heute mehr Christen in der CDU engagieren, als ihrem Bevölkerungsanteil entspricht, war zu Beginn der 1990er Jahre die Öffnung auf anders, nicht christlich geprägte Wählerschichten in den neuen Ländern unumgänglich. Unter „grundlegend veränderten Bedingungen“ gab sich die CDU 1994 erneut ein Grundsatzprogramm. Wegen ihrer besonderen Bedeutung für die Wertorientierung und ihrer sozialund bildungspolitischen Verdienste bestätigt es das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und erwähnt erstmals die Kirchensteuer, die erhalten werden sollte. Ausdrücklich ein34 Grundsatzprogramm 1978, Nr. 5. https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=6ab8ab48- 871 d-52a2-a603-989c928e127f&groupId=252038 (Abruf: 27.5.2021). 35 Ralf Thomas Baus: Die Christlich-Demokratische Union Deutschlands in der sowjetisch besetzten Zone 1945 bis 1948. Gründung – Programm – Politik (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 36). Düsseldorf 2001; Wilde: Die SBZ-CDU 1945 – 1947. Zum gesamten Komplex Christoph Kösters/Wolfgang Tischner (Hg.): Katholische Kirche in SBZ und DDR. Paderborn u. a. 2005; Bernd Schäfer: Die Kirchenpolitik der Ost-CDU und die katholische Kirche in der SBZ/DDR, in: HPM 5 (1998), S. 145 – 165. 36 Dietmar Klenke: „Man kann nur Marx, Engels und Lenin oder dem Papst dienen.“ Zur Widerspenstigkeit des katholischen Milieus im Eichsfeld, in: Kösters/Tischner (Hg.): Katholische Kirche in SBZ und DDR, S. 335 – 371. 37 Gerhard Besier: Auf der kirchenpolitischen Nebenbühne des SED-Staates: Evangelische Kirche und die Ost-CDU, in: Ders.: Die evangelische Kirche in den Umbrüchen des 20. Jahrhunderts. Gesammelte Aufsätze. Bd. 2. Neukirchen-Vluyn 1994, S. 190 – 270, hier 259 f.

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setzen will man sich für den konfessionellen Religionsunterricht, während es 1978 noch allgemein geheißen hatte, dass die Schule den jungen Menschen helfen solle, einen ethischen Standpunkt zu finden.

Vielfältige Kontakte und Diskussionsforen Jenseits programmatischer Aussagen mussten sich, Helmut Kohl zufolge, die Beziehungen zu den Kirchen in konkreten Situationen bewähren. Mit einem eigenen Referat für Kirchen im Kanzleramt schuf er dafür einen institutionellen Rahmen.38 Darüber hinaus pflegte er viele persönliche Kontakte, nicht nur mit den Kardinälen Höffner und Lehmann39, sondern auch mit den Mitgliedern des ZdK, dessen Präsidenten von Albrecht Beckel bis zu Thomas Sternberg alle den Unionsparteien entstammten. Wichtig waren Kohl regelmäßige Kontakte in den vorpolitischen Raum, etwa zur Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) oder zu Kolpingfamilien. Von Teilen der evangelischen Kirche trennten ihn deren Stellungnahmen in der Nachrüstungsdebatte und zu Atomkraftwerken. Gleichzeitig war er verärgert, dass 1991 kein CDU-Repräsentant in die Synode der EKD gewählt wurde. Dabei hatte er den Abbau der evangelischen Vorurteile gegenüber der CDU im Blick, die nach der Einheit keine überwiegend katholische Partei mehr gewesen sei.40 Wegen des Lebensschutzes und der Familienpolitik sprach der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner wiederholt der CDU das ‚C‘ ab, wenn sie aus seiner Sicht gegen die katholische Lehre verstieß. Ausdrücklich verwahrte sich der Landesvorsitzende der CDU Nordrhein-Westfalen, Jürgen Rüttgers dagegen, „Sprachrohr“ der Kirche zu sein, bot aber mit dem Papier „Gemeinsame Zukunftsverantwortung“41 eine Plattform, die das Gespräch beleben und mehr aktive Christen zu politischen Ämtern ermutigen sollte.

Notwendige Diskussionen über kirchliche Positionen In dieser Phase der Selbstvergewisserung wurde Angela Merkel Vorsitzende der CDU – evangelisch und aufgrund ihrer Herkunft aus der DDR eine starke öffentliche Präsenz der Kirchen nicht gewohnt. Das war neu nach der langen Phase katholischer Prägung. Ob des personellen protestantischen Gewichts im Kabinett von 2005 sahen manche katholische Positionen schwinden. Insbesondere in der Debatte um embryonale Stammzellen, bei der Sterbehilfe und der Ehe für alle hob Merkel auf die Gewissensentscheidung des Einzelnen ab. Für Irritationen sorgte nicht nur bei traditionsbewussten Katholiken die sogenannte Papstschelte 2009, als Merkel öffentlich Papst Benedikt XVI. wegen der Aufhebung der Exkommunikation eines den Holocaust leugnenden Bischofs aus der traditionalistischen Piusbruderschaft rügte. Auch nach einem Gespräch zwischen Merkel und 38 39 40 41

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Antonius Liedhegener: Macht, Moral und Mehrheiten, S. 323. Daniel Deckers: Der Kardinal. Karl Lehmann. Eine Biographie. München 2002, S. 316 f. Helmut Kohl: Erinnerungen 1990 – 1994. München 2007, S. 326 f. Die CDU und die Kirche. Reden vom Kongress der CDU NRW „Die Partei mit dem ‚C‘ und die Kirchen –Anspruch, Wunsch und Wirklichkeit“, 26. November 2002. Düsseldorf 2003.

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dem Papst, bei dem beide ihre eindeutige Verurteilung des nationalsozialistischen Judenmords bekräftigten, beruhigten sich die Gemüter nur langsam.42 Die lange Zeit kühleren Beziehungen zur Evangelischen Kirche verbesserten sich, seit Unionspolitiker verstärkt in den Gremien der Synode der EKD und beim Evangelischen Kirchentag mitwirkten. Auch wenn in jüngerer Zeit wegen der Besetzung wichtiger Positionen von einer „schleichende[n] Rekatholisierung“ gesprochen wurde,43 ist das mit den Auseinandersetzungen aus den 1950er Jahren in keiner Weise zu vergleichen. Schon lange spielt im Alltag der meisten Menschen die Konfessionszugehörigkeit keine Rolle mehr. Wie ihre Vorgänger sieht auch Merkel eine Spannung „zwischen Glaube und Politik“. Denn „Politik und Religion, Gestaltungswille und Glaube – das sind jeweils verschiedene Dinge“44, erklärte sie 2006. Für den Glauben sind aus ihrer Sicht die Kirchen zuständig. Sie sollen sich in die Politik einmischen, auf dass man, wenn nötig, streite.45 Damit die Kirchen ihre Aufgaben erfüllen können, sichert das Grundsatzprogramm von 2007 ihnen Entfaltungsmöglichkeiten zu. Auch christliche Symbole im öffentlichen Raum und christliche Feiertage werden als schützenswert erkannt. Vor dem Hintergrund des Aufkommens laizistischer Gruppen in verschiedenen Parteien bekennt sich das Regierungsprogramm 2013 und später auch das von 2017 zur starken Stellung der Kirchen im Religionsverfassungsrecht.46

Ende einer exklusiven Beziehung All das kann nicht überdecken, dass die gesellschaftliche Stellung der Kirchen erschüttert ist. Der Missbrauchsskandal, insbesondere der Umgang von Teilen des Episkopats mit der Aufarbeitung, die zurückgehende Plausibilität des kirchlichen Arbeitsrechts und Anfragen an die Staatsleistungen höhlen ihre Glaubwürdigkeit aus. Immer mehr Menschen verlassen die Kirchen, so dass ihr Anteil an der Bevölkerung in den nächsten Jahren unter 50 Prozent fallen wird.47 Zusätzlich zu den kircheninternen Ursachen vermindern die beschleunigte Säkularisierung, Pluralisierung und Individualisierung die Resonanz der Kirchen – auch in ihrer Orientierungsfunktion. Dennoch bleiben sie für das Selbstverständnis der Union wichtig, selbst wenn das Christentum eher in seinem kulturellen Gehalt gesehen wird. Durch den Bezug auf das christliche Menschenbild werden Maßstäbe gesetzt, die vor rein pragmatischen Entscheidungen bewahren. In dem Wissen um diese Grundlagen für politische 42 Thomas Brechenmacher: Die CDU unter Angela Merkel (2000 – 2018), in: Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union, S. 103 f.; Volker Resing: Angela Merkel. Die Protestantin. Leipzig [2009], S. 105 f. 43 Reinhard Bingener: Die schleichende Rekatholisierung, in: FAZ, 12.10.2018. 44 Zum Geburtstag des Rheinischen Merkurs, 13. 6.2006. Zit. nach Resing: Angela Merkel, S. 146; „Zwischen Glaube und Politik besteht ein natürliches Spannungsverhältnis“, ebd., S. 99. 45 Rede beim EAK-Empfang am 26. Mai 2017. https://www.youtube.com/watch?v=WoYm0IzyN0U (Abruf: 8.6.2021). 46 Gemeinsam erfolgreich für Deutschland. Regierungsprogramm 2013 – 2017, Nr.  5.8, S.  68. https:// archiv.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/regierungsprogramm-2013-2017-langfassung-20130911.pdf (Abruf: 5.6.2021) und Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben, Regierungsprogramm 2017 – 2021. S. 72 f. https://archiv.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/170703regierungsprogramm2017.pdf?file=1&type=field_collection_item&id=9932 (Abruf: 5.6.2021). 47 https://www.dbk.de/themen/kirche-und-geld/projektion-2060- (Abruf: 25.6.2021).

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Entscheidungen bekennt der Beauftragte für Kirchen und Religionsgemeinschaften der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hermann Gröhe, dass die Kirchen „für die Unionsfraktion ein Gesprächspartner von herausragender Bedeutung“ seien und blieben48 – als „Ideengeber, Mahner und nicht zuletzt Mitgestalter“49, wie Armin Laschet formuliert. Allerdings ist die frühere Exklusivität dahin – auf beiden Seiten. Die Kirchen sprechen seit langem mit den anderen Parteien, die Union geht auf weitere Gruppen zu. Strittig im Verhältnis Partei – Kirchen ist die politische Intensität kirchlicher Stellungnahmen. Grundlegend bleibt die Erkenntnis, dass Politiker Kompromisse finden müssen, während die Kirchen Grundsätze aufstellen, die sich auf letzte Wahrheiten beziehen. Die atmosphärischen Verstimmungen werden unterschiedlich gewichtet. Gleichwohl fällt auf: Je mehr die gesellschaftlichen Grundlagen der Kirchen schrumpfen, desto umfangreicher und detaillierter kämpft die Union programmatisch für deren Erhalt.

Besondere Verpflichtung gegenüber dem Judentum Die Beziehungen zur jüdischen Gemeinschaft waren nach der Zerstörung jüdischen Lebens in Deutschland zwischen 1933 und 1945 von einer „besonderen Verpflichtung gegenüber den Juden und dem Staat Israel“ geprägt. In dieser Überzeugung legte Konrad Adenauer mit dem Luxemburger Abkommen 1952, aufgrund dessen die Bundesrepublik drei Milliarden DM Globalentschädigung an Israel zur Eingliederung der Schoah-Überlebenden zahlte, mit seiner Begegnung mit David Ben-Gurion 1960 und der Anbahnung diplomatischer Beziehungen die Grundlagen für eine Annäherung.50 Nach einer Übergangsphase auf den sprichwörtlichen „gepackten Koffern“ entstanden langsam wieder jüdische Gemeinden im „Land der Täter“. Sie blieben in den 1960er und 1970er Jahren wenig sichtbar, auch wegen sie irritierender Vorfälle, wie der Schmierereien an der neuen Kölner Synagoge oder der Debatten um die Verjährung nationalsozialistischer Verbrechen. Ende der 1980er Jahre umfassten sie etwa 26.000 Mitglieder in ungefähr 50 Gemeinden. Mit einer Partei, die das ‚C‘ im Namen trug, taten Juden sich schwer, obwohl seit Beginn klar war, dass jeder, der die Ziele der CDU bejahe, willkommen war und beispielsweise in Berlin der Jude Siegmund Weltlinger sich dem Gründungsaufruf angeschlossen hatte und von 1959 bis 1967 Mitglied des Abgeordnetenhauses war.51 Eine größere Sichtbarkeit bekamen die jüdischen Gemeinden, als Bundeskanzler Helmut Kohl Ende der 1980er Jahre für jüdische Zuwanderung aus der Sowjetunion eintrat. Statt jüdischer Friedhöfe als Gedenkstätten und Synagogen als Kulturzentren 48 Hermann Gröhe: https://www.cducsu.de/fraktion/beauftragter-fuer-kirchen-und-religionsgemeinschaften (Abruf: 8.6.2021). 49 Armin Laschet gratuliert der Evangelischen Kirche. https://www.cdu-nrw.de/laschet-gratuliert-derevangelischen-kirche-deutschland-ekd-zum-70jaehrigen-jubilaeum (Abruf: 8.6.2021). 50 Niels Hansen: Aus dem Schatten der Katastrophe. Die deutsch-israelischen Beziehungen in der Ära Konrad Adenauer und David Ben-Gurion. Ein dokumentierter Bericht (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 38). Düsseldorf 2002; Ders.: Die Politik der frühen Bundesrepublik gegenüber Israel und den Juden, in: Buchstab (Hg.): Brücke in eine neue Zeit, S. 248 – 264. 51 Kiesinger: „Wir leben in einer veränderten Welt“. Protokolle des Bundesvorstands 1965 – 1969. Bearb. von Günter Buchstab (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 50). Düsseldorf 2005, 2. Mai 1967, S. 563.

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strebte er eine Stärkung jüdischen Lebens in Deutschland an.52 Kohls Aufmerksamkeit für jüdische Gemeinden spiegelte sich im Grundsatzprogramm der CDU von 1994 wider. Es unterstrich, dass sie „Teil unserer Kultur“ seien und „ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Gesellschaft“.53 Besondere Aufmerksamkeit galt den Werten und Traditionen, die Juden und Christen „durch unauflösliche Gemeinsamkeiten“54 verbänden und die sich in der „Überzeugung von der unveräußerlichen Würde jedes Menschen“55 wie auch in der Rede vom christlich-jüdischen Erbe spiegelten. Zu diesem Erbe gehören auch Ausstellungen, Museen und Gedenkorte, wie das zunächst auch in der CDU nicht unumstrittene Denkmal für die ermordeten Juden Europas im Zentrum Berlins und der von Bundespräsident Roman Herzog eingeführte Holocaust-Gedenktag, der seit 1996 jeweils am 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung des Lagers Auschwitz, an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. In der Tradition der besonderen Verbundenheit stand Bundeskanzlerin Angela Merkel, als sie in ihrer Rede vor der Knesset 2008 hervorhob, dass die Sicherheit Israels „Teil der Staatsräson“ Deutschlands sei. Anlässlich der Verleihung des Leo-Baeck-Preises 2007 wiederholte sie diese Verpflichtung. Sie bekannte sich zur Förderung eines „partnerschaftlichen Verhältnisses zur jüdischen Gemeinschaft“56 und zum Widerstehen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Nach den Anschlägen in Paris 2015 erklärte sie, die Bundesregierung werde alles tun, damit sich jüdisches Leben weiter entfalten könne. Entsprechend ist das Votum der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die rituelle Beschneidung Ende 2012 zu verstehen, das für die Rechte der jüdischen Tradition eintrat. Der Einsatz für jüdische Anliegen kann Menschen für ein Engagement in der CDU motivieren, auch wenn manche sich scheuen, ihr Jüdischsein zu offenbaren, wie lange Zeit die Kultusministerin von Schleswig-Holstein, Karin Prien57. Überregional bekannt wurde Michel Friedman, 1994 bis 1996 Mitglied im CDU-Bundesvorstand. Zu einer vertrauensvollen Atmosphäre tragen Treffen zwischen dem Präsidium der CDU und dem Präsidium des Zentralrats der Juden bei. Eine noch stärkere Anbindung an die Partei bietet das 2018 gegründete Jüdische Forum in der CDU 58, das vielfältiges jüdisches Leben in Deutschland und in der Union zeigen will. Sein Projekt, die Aktionswoche „Von Schabbat zu Schabbat – gemeinsam gegen Antisemitismus“, ist ein Zeichen der Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft und setzt ein Signal gegen Antisemitismus und für Toleranz und Religionsfreiheit – für die Union eine der wesentlichen Grundlinien ihrer Politik. Dabei gilt die seit Adenauer bestehende Verzahnung der Verpflichtungen gegenüber dem Staat Israel und dem Judentum in Deutschland bis heute. Auch wenn das Verhältnis grundsätzlich als gut bezeichnet wird, bedarf es der Aufmerksamkeit und Pflege. Bei 52 50 Jahre Leo-Baeck-Preis 1957 – 2007. Verliehen vom Zentralrat der Juden in Deutschland. Berlin 2007, S. 250. 53 Grundsatzprogramm 1994, Nr. 280. 54 Grundsatzprogramm 1994, Nr. 63. 55 50 Jahre Leo-Baeck-Preis 1957 – 2007, S. 262. 56 Ebd., S. 441. 57 „Sich nicht verstecken“. https://www.juedische-allgemeine.de/politik/sich-nicht-verstecken/ (Abruf: 11.6.2021). 58 Jüdisches Forum: https://archiv.cdu.de/jfcdu (Abruf: 11.6.2021); Neue Plattform will Judentum sichtbarer machen. https://www.juedische-allgemeine.de/unsere-woche/neue-plattform-will-judentum-sichtbarer-machen/ (Abruf: 11.6.2021).

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seinem Besuch im März 2020 in Jerusalem bekannte sich Armin Laschet zum Schutz der Sicherheit des Staates Israel und gleichermaßen zur Sicherheit von Juden in Deutschland, wo eine starke Zivilgesellschaft Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung bekämpfen werde. Die Formulierung Angela Merkels aufgreifend, erklärte er, beides sei deutsche Staatsräson und leitend für politische Entscheidungen.59

Doppelte Herausforderung im Blick auf Muslime Noch später als jüdische kamen muslimische Gemeinden in den Blick der CDU-Programmatik. Das hing auch damit zusammen, dass die CDU lange zögerte, im Zuzug von Muslimen mehr als eine vorübergehende Erscheinung zu sehen, und sich weigerte, Deutschland als Einwanderungsland zu betrachten, ein Fakt, den Matthias Stickler als „Lebenslüge“ bezeichnet, weil man sich noch an einem nationalstaatlichen Leitbild ausrichtete und den eigenen Wählern eine Änderung nicht zumuten zu können glaubte.60 Auch wenn bereits in den 1970er Jahren Überlegungen zur Ausländerpolitik Eingang in die parteiinternen Debatten gefunden hatten, wurden Mehrheiten für konkrete Vorschläge zur Integration erst mit der – wenn auch verklausulierten – Akzeptanz der Zuwanderung möglich. Im Zug der Diskussionen über Zuwanderungskonzepte beschäftigte sich das Wahlprogramm 2002 mit islamischem Religionsunterricht. Das Wahlprogramm 2005 und das Grundsatzprogramm 2007 prägte ein doppeltes Ziel: Einerseits sollte „terroristischer Islamismus“ bekämpft, andererseits gesellschaftlicher Zusammenhalt über Religionsgrenzen hinweg gefördert werden. Einen neuen Akzent setzte der damalige Bundesinnenminister Schäuble, als er 2006 die Deutsche Islam-Konferenz einberief. Mit dem Bekenntnis „Der Islam ist Teil Deutschlands“61 bekräftigte er, dass Muslime erwarten könnten, mit dem Staat ähnliche Beziehungen wie die christlichen Kirchen und die jüdische Gemeinschaft zu entwickeln, auf dass – dem Motto der Konferenz entsprechend – aus Muslimen in Deutschland deutsche Muslime werden könnten. Einen größeren Bekanntheitsgrad erhielt der Satz, dass der Islam zu Deutschland gehöre, durch die Rede von Bundespräsident Christian Wulff zum Tag der Deutschen Einheit 2010. Sie traf einen Nerv und löste eine heftige Kontroverse in den Unionsparteien darüber aus, welche Rolle „der Islam“ und Muslime in Deutschland spielen und wie die Schritte zur Integration aussehen sollten.62 Muslime begrüßten ihn, forderten aber konkrete Maßnahmen. Ungeachtet aller Schwierigkeiten in der Gestaltung der Kooperation mit muslimischen Organisationen waren die von CDUBildungsministerin Annette Schavan beförderten Zentren für Islamische Theologie an staatlichen Universitäten ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung.

59 https://www.dw.com/de/laschet-in-jerusalem-sch%C3%A4me-mich-f%C3%BCr-antisemitismus-indeutschland/a-52600764 (Abruf: 11.6.2021). 60 Matthias Stickler: Von der Integration der Vertriebenen zum „Integrationsland Deutschland“ – die Migrationspolitik der CDU im Wandel, in: Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union, S. 703 – 735, hier 728 f. 61 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 16/54 (28.9.2006), S. 5149. 62 https://www.dw.com/de/der-islam-und-deutschland-die-geschichte-eines-satzes/a-54966467 (Abruf: 25.6. 2021).

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Obwohl die Union 2018 erstmals die beliebteste Partei bei Migranten war und sich bei Türkeistämmigen auf 32,9 Prozent steigern konnte 63, ist eine längere Phase des Fremdelns nicht zu übersehen. Wenn schon strittig war, welcher Islam zu Deutschland gehöre, wieviel größer war dann die Hemmung, zu einer Partei zu gehören, die das ‚C‘ im Namen trägt. Offensiv erklärte der damalige CDU-Generalsekretär Peter Tauber 2014, dass zum ‚C‘ auch das ‚U‘ gehöre und die Zusammenarbeit mit Zuwanderern sich analog zum Miteinander zwischen Katholiken und Protestanten in den Anfängen der Partei gestalten solle.64 Schon 2010 hatte Christian Wulff als Ministerpräsident ein Zeichen gesetzt, als er die aus einer türkischen Familie stammende Aygül Özkan zur niedersächsischen Sozialministerin ernannte. Neben Ämtern auf kommunaler und Landesebene erlangten bisher nur wenige Muslime bundespolitische Funktionen, wie Cemile Giousouf, die von 2013 bis 2017 als erste muslimische Bundestagsabgeordnete Integrationsbeauftragte der Bundestagsfraktion war, oder die nordrhein-westfälische Staatssekretärin Serap Güler, die als einzige Muslimin im CDU-Bundesvorstand sitzt. Bereits von 2004 bis 2016 war Emine Demirbüken-Wegner aus Berlin Mitglied im Bundesvorstand und von 2012 bis 2016 Mitglied im Präsidium der CDU. Muslimische Netzwerke im Umkreis der CDU entfalten kaum Breitenwirkung, das Deutsch-Türkische Forum der CDU ist wegen des integrationspolitischen Schwerpunkts im Netzwerk Integration aufgegangen. Für religiös lebende Muslime können gerade die durch das ‚C‘ verkörperten Werte eine Brücke bilden, die sie aus ihren Traditionen bejahen und die eine religiös geprägte Lebensführung ermöglichen. Wenn es zu Konflikten kommt, etwa wegen des Kopftuchs mit seinen religiösen und kulturellen Implikationen, müssen diese ausgetragen und muss im Einzelfall abgewogen werden. Vor dem Hintergrund der gewachsenen religiösen und kulturellen Vielfalt – auch durch die 2015 gestiegene Zuwanderung – maß das Wahlprogramm von 2017 dem interreligiösen Dialog großen Wert bei. Dieser vollzieht sich auch durch von der Partei organisierte Angebote anlässlich von Feiertagen der Religionen und bezieht Begegnungen mit Vertretern der orthodoxen und orientalischen Christen ein, die kulturelle Vermittler sein können, da sie aus der gleichen Region kommen.

Religion ist keine Privatsache Das Verhältnis zu Kirchen und Religionsgemeinschaften findet heute in einem völlig anderen gesellschaftlichen Kontext statt als bei der Gründung der CDU. Die Gewichte weltanschaulicher Ausrichtungen haben sich in den vergangenen siebzig Jahren erheblich verschoben. Säkularisierung, Pluralisierung und vor allem Individualisierung haben die religiösen Institutionen erschüttert und einen massiven Mitgliederschwund gerade bei den christlichen Kirchen ausgelöst. Auch das Judentum und besonders der Islam sind von einer Vielzahl unterschiedlicher Strömungen geprägt, die zu unterschiedlichen Werthaltungen und politischen Auffassungen führen können. Trotz mangelnder Prägekraft 63 Sachverständigenrat für Integration und Migration Presse, 27.9.2018. https://www.svr-migration.de/ presse/presse-forschung/parteipraeferenzen2018/ (Abruf: 11.6.2021). 64 Merkel, die Migrantin, in: Tagesspiegel, 23.10.2014. https://www.tagesspiegel.de/politik/cdu-wirbt-umeinwanderer-merkel-die-migrantin/10875670.html (Abruf: 11.6.2021).

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der Kirchen und eines wachsenden hohen Anteils von Konfessionslosen wird religiös begründeten Positionen aber nach wie vor Respekt entgegengebracht, möglicherweise auch, weil sie einen Bezug ins Transzendente haben. Ethische Kriterien sind bei Sachauseinandersetzungen als Maßstäbe gefragt, wie Ethikkommissionen zeigen. Für die Beziehung der Religionsgemeinschaften zur CDU ist entscheidend, dass die Religionsgemeinschaften ihre Überzeugungen in öffentliche Debatten einbringen können und sollen. Denn Religion ist in unserem Staat keine Privatsache. Für das öffentliche Wirken der Religionsgemeinschaften bietet das Religionsverfassungsrecht, zu dem sich die CDU wiederholt bekannt hat, gute Voraussetzungen. So können die Religionsgemeinschaften Impulse für eine wertgebundene Orientierung geben. Wie tagespolitisch konkret Vorschläge sein sollten und wie sie umgesetzt werden, darüber wird man immer streiten – und politisch entscheiden.

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II. Entwicklungsphasen der Christlich Demokratischen Union

Die Regierungspartei der Bundesrepublik Deutschland unter den Vorsitzenden Konrad Adenauer und Ludwig Erhard Hanns Jürgen Küsters Gerade vier Jahre besteht sie, die Christlich Demokratische Union Deutschlands, als sie durch ihre Landesverbände bei der ersten Bundestagswahl am 14. August 1949 auf Anhieb stärkste Partei wird und mit Konrad Adenauer den ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland stellt. In Regierungsverantwortung gestaltet die CDU maßgeblich die Entwicklung der freiheitlich-parlamentarischen Demokratie der jungen Bundesrepublik und prägt auf der Grundlage des Konzeptes der Sozialen Marktwirtschaft die Aufbaujahre. Ausschlaggebend ist Adenauers Entscheidung, auf eine große Koalition mit der SPD zu verzichten und dafür eine knappe bürgerliche Regierungsmehrheit von CDU, CSU, FDP und DP zu vereinbaren.1 Einer starken Regierung muss eine klare Opposition gegenüberstehen, davon ist er überzeugt, und trifft damit eine zentrale Entscheidung für die Entwicklung der neuen deutschen Demokratie.2 Damit zwingt er die eigene Fraktion zum disziplinierten Abstimmungsverhalten und übt das demokratische Ringen um Politikinhalte im Sinne einer „Kanzlerdemokratie“ ein. Als Regierungspartei steht die CDU vor immensen Herausforderungen. Staat und Gesellschaft müssen neu aufgebaut werden, die im Grundgesetz vorgesehenen Institutionen des Bundes erst ihre Rolle im Verhältnis zu den bereits bestehenden Ländern finden.3 Das von den drei Westmächten im September 1949 in Kraft gesetzte Besatzungsstatut lässt der Bundesregierung nur begrenzt innenpolitische und vorerst kaum außenpolitische Handlungsspielräume. Kabinettsbeschlüsse unterliegen der Genehmigung der drei westalliierten Hohen Kommissare. Adenauer verhandelt mit ihnen zunächst als Bundeskanzler, von März 1951 bis Juni 1955 zugleich als Außenminister. Somit kanalisiert er alle wichtigen Entscheidungen mit den Westmächten über seine Person. Dabei wächst der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion unter dem Vorsitzenden Heinrich von Brentano als parlamentarische Stütze bei allen Gesetzgebungsverfahren eine Schlüsselstellung zu.4 Adenauers vorrangiges Ziel ist die Beendigung des Besatzungsstatus und die Wiedererlangung der möglichst vollständigen souveränen Entscheidungsrechte der Bundesrepublik. Dabei verlangt er von den drei Westmächten angesichts der kommunistischen 1 Informationsgespräch Adenauer – Klaus Epstein, 13.8.1963, in: Adenauer Teegespräche 1961 – 1963 (Rhöndorfer Ausgabe). Bearb. von Hans Peter Mensing. Berlin 1992, S. 416 – 428, hier 418 f. 2 Auftakt zur Ära Adenauer. Koalitionsverhandlungen und Regierungsbildung 1949 (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Vierte Reihe Deutschland seit 1945. Bd. 3). Bearb. von Udo Wengst. Düsseldorf 1985. 3 Günther Dahlhoff: Konrad Adenauer. Innenpolitik 1949 – 53 und ihre Bedeutung. Marburg 2015, S. 61 – 126. 4 Hans-Peter Schwarz: Adenauer. Der Aufstieg: 1876 – 1952. Stuttgart 1986, S. 617 – 656.

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Expansionsgefahr im Kalten Krieg Sicherheitsgarantien und die Einstellung der Demontagen, die den wirtschaftlichen Wiederaufbau behindern. Bereits beim Abschluss des Petersberger Abkommens am 22. November 1949 demonstriert Adenauer großes Selbstbewusstsein, indem er auf Augenhöhe mit den Westmächten im Sinne des „do ut des“ verhandelt. Für die Akzeptanz der internationalen Ruhrkontrolle erreicht er den Beitritt der Bundesrepublik und erwirkt mit ihrem Recht zur Aufnahme konsularischer Beziehungen zu allen westlichen Staaten erste außenpolitische Kompetenzen. Die SPD sieht in diesem Abkommen ihr Ziel einer Sozialisierung der Kohle- und Stahlindustrie durchkreuzt. In der Bundestagsdebatte diffamiert Oppositionsführer Kurt Schumacher deshalb Adenauer als „Kanzler der Alliierten“.5 Es ist der Auftakt zu einer Reihe von fundamentalen Auseinandersetzungen zwischen CDU/CSU und SPD über die außen- und gesellschaftspolitische Richtung der jungen Bundesrepublik. Schon bevor sich die CDU als Bundespartei gründet, gibt Adenauer ihr den außenund deutschlandpolitischen Kurs vor. Auf die Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 reagiert er mit der Formulierung des Alleinvertretungsanspruchs. Demnach ist die Bundesrepublik – im Gegensatz zur DDR – der einzige demokratische, durch freie Wahlen legitimierte deutsche Staat und fühlt sich deshalb allein berechtigt, für alle Deutschen zu sprechen. Zudem unterstützt Adenauer bereits vor der offiziellen Verkündung am 9. Mai 1950 die Initiative des französischen Außenministers Robert Schuman zur Gründung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, an der die Bundesrepublik gleichberechtigt teilhaben soll. Und der Kanzler bietet den Westmächten nach Ausbruch des Korea-Krieges einen Verteidigungsbeitrag an, der die Aufstellung einer deutschen Armee impliziert. Damit betreibt er Westintegrationspolitik, die maßgeblich zur deutschfranzösischen Verständigung beiträgt. Aus Protest gegen die geplante Wiederbewaffnung verlässt Bundesinnenminister Gustav Heinemann die CDU und weiß mit seiner Haltung Teile der evangelischen Kirche hinter sich. Jakob Kaiser, die SPD und Teile der FDP 6 befürchten, eine Beteiligung an der europäischen Integration verhindere das nationale Ziel, die deutsche Einheit wiederzuerlangen. Vor diesem Hintergrund wird ein bundesweiter Zusammenschluss der CDU immer dringlicher, zumal ihre Organisationsschwäche und Uneinigkeit auf Länderebene bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein im April 1950 zu drastischen Stimmenverlusten geführt haben. Im Mai beschließt die Arbeitsgemeinschaft der CDU-Landesverbände, eine Bundes-CDU zu bilden und ein Parteistatut vorzubereiten. Programmatische Grundlagen sollen eine Politik aus christlicher Verantwortung, Achtung der Freiheit des Individuums sowie sittliche Grundsätze sein. Somit entsteht erst über ein Jahr nach der Regierungsübernahme auf dem Gründungsparteitag von 20. bis 22. Oktober 1950 in Goslar die Bundespartei CDU.7 Sie definiert sich als bürgerliche Sammlungsbewegung und will für alle Gesellschaftsschichten im Sinne einer Volkspartei wählbar sein. Ihr historischer Auftrag: ein neues Deutschland bauen, das der abendländischen Kulturtradition verpflichtet, europäisch ausgerichtet und sozial gestaltet ist, sich von linksgerichteten 5 Zwischenruf Kurt Schumacher während der Ausführungen Konrad Adenauers, 24./25.11.1949, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1. Wahlperiode 1949, Stenographische Berichte, 18. Sitzung. Bonn 1949, S. 524 f., hier 525. 6 Adenauer und die FDP (Rhöndorfer Ausgabe). Bearb. von Holger Löttel. Paderborn 2013. 7 Erster Parteitag der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands, Goslar, 20.– 22. Oktober 1950. Hg. von der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands. Bonn 1950.

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Die Regierungspartei der Bundesrepublik Deutschland

Ideen der SPD und KPD ebenso abgrenzt wie von nationalsozialistischem Gedankengut, einem reinen Konservatismus und libertär-republikanischen Parolen der Aufklärung. Die CDU wolle nicht Politik nach demokratischen Grundsätzen des Jakobinismus betreiben, betont Kurt Georg Kiesinger, die seit der Französischen Revolution Europa geprägt hätten, „sondern nach demokratischen Grundsätzen aus christlicher Schau“.8 Seit ihren Anfangsjahren versteht sich die CDU als „Partei der Mitte“, deren Verlust es im doppelten Sinne – sowohl im politischen Spektrum als auch angesichts des Versagens der Menschen in dieser Zeit – wieder zurückzugewinnen gilt.9 Die gleichzeitig gegründete Exil-CDU schließt Parteiangehörige zusammen, die sich als legitime Vertreter der Christlichen Demokraten der SBZ/DDR sehen. Künftig sind Bundesparteitag, Parteiausschuss und Vorstand die höchsten Entscheidungsorgane der Bundespartei. Zum ersten Bundesvorsitzenden wird Konrad Adenauer gewählt, für den kein Zweifel besteht, dass Partei- und Regierungsführung in eine Hand gehören. Das macht die CDU zur Kanzlerpartei, bürdet ihren Mandatsträgern ein hohes Maß an Loyalität auf und verlangt von ihnen Unterstützung bei der Durchsetzung der Regierungsziele. Angesichts der politischen Herausforderungen kann die Regierung nur bestehen, wenn die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem Kanzler nicht in den Rücken fällt und mit den Koalitionspartnern für parlamentarische Mehrheiten sorgt. Eine Praxis, die der Einübung in der jungen Demokratie bedarf. Zumeist gibt sich die Fraktion als „Kanzlerpartei“, steht der Politik Adenauers bei und stabilisiert dadurch das parlamentarische Regierungssystem der Bundesrepublik.10 Die von der Union zu bewältigenden Probleme im Bund und der noch schwache Organisationsgrad der Partei haben Wahlniederlagen in Hessen 1950, in Rheinland-Pfalz, Bremen und bei Abstimmungen in Württemberg-Hohenzollern und Württemberg-Baden 1951 mit Verlusten zwischen 8,0 und 14,2 Prozent zur Folge. Nach einer Phase der Stabilisierung stellen die Unionsparteien dann von der ersten Hälfte der 1950er Jahre bis Mitte der 1960er Jahre in den Ländern Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein sowie in Bayern die CSU fast durchgängig den Ministerpräsidenten, während sie in den Stadtstaaten Berlin, Bremen, Hamburg sowie den Ländern Hessen und Niedersachsen kaum Chancen besitzen, die Sozialdemokraten abzulösen. Zumeist koaliert die CDU mit FDP und Deutscher Partei (DP), um in Breite bürgerlich-liberale und bürgerlich-nationale Kräfte in der Mitte des politischen Parteienspektrums mit einzufangen. Dabei koaliert sie aus weltanschaulichen Gründen nicht mit linksgerichteten Parteien, SPD und KPD, und der rechtsgerichteten Sozialistischen Reichspartei (SRP). In dieser Formierungsphase der Parteien geht der zunehmende politische Erfolg der CDU maßgeblich darauf zurück, dass es mit dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft gelingt, hohe Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und Preissteigerungen wegen des durch den Korea-Krieg ausgelösten Export-Booms zu bekämpfen und die gesellschaftliche Integration von Katholiken und Protestanten, Angehörigen unterschiedlicher gesellschaftlicher 8 Rede Kurt Georg Kiesinger, 21.10.1950, ebd., S. 42 – 44, hier 42. 9 Rede Hans-Erich Stier: Der geschichtliche Auftrag der CDU, 21.10.1950, ebd., S. 25 – 41, hier 34, 36, 38; Diskussionsbeiträge S. 47, 61, 63 – 65. 10 Hans-Peter Schwarz: „Für mich ist das Fegefeuer, wenn ich in die Fraktion muß.“ Die CDU/CSUFraktion in der Ära Adenauer, in: Ders. (Hg.): Die Fraktion als Machtfaktor. CDU/CSU im Deutschen Bundestag 1949 bis heute. München 2009, S. 9 – 37, hier 36.

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Schichten sowie von rund 14 Millionen Flüchtlingen und Heimatvertriebenen aus dem Osten herzustellen.11 Folglich sorgen Sozialgesetze zum Lastenausgleich, für Heimkehrer und zur Kriegsopferversorgung für erheblichen innerparteilichen Zündstoff, besonders zwischen den Mittelstandsvertretern, den Sachwaltern von Unternehmerinteressen und dem christlichen Gewerkschaftsflügel, deren Interessengegensätze der Kanzler nur mit Mühe austarieren kann. Sein pragmatischer, teils gebieterischer Führungsstil, weitsichtiges politisches Handeln, raffiniertes Taktieren und rhetorisches Geschick, vor allem in Wahlkämpfen12, verschaffen dem Mitte-70-Jährigen rasch große Autorität, die er im CDU-Bundesvorstand nach Bedarf ausspielt.13 Die dort vertretene Generation der älteren Herren, aber auch viele hochangesehene Bürger und Persönlichkeiten in den CDUKreisverbänden prägen das Bild einer Honoratiorenpartei. Ihre Mitgliederklientel entspricht keineswegs dem gesamtgesellschaftlichen Profil der Bundesrepublik. Bis Mitte der 1950er Jahre sind Arbeiter und Nichtbeschäftigte deutlich unterrepräsentiert, während Angestellte, Beamte, Selbständige, Freiberufler, Handwerker und mittelständische Unternehmer einschließlich der Landwirte überwiegen. Zwei Drittel der Parteimitglieder gehören der katholischen Kirche an, Angehörige der verschiedenen evangelischen Kirchen befinden sich deutlich in der Minderheit.14 So entsteht gelegentlich der Eindruck, die CDU werde in Fortsetzung der Zentrumspartei mehrheitlich von rheinischen Katholiken geprägt und Interessen evangelischer CDU-Mitglieder, vornehmlich im Norden der Republik, fänden in der Union keine angemessene Berücksichtigung. Im Gegensatz zu katholischen Christen, die nicht erst seit dem Kulturkampf größere Bereitschaft zeigen, sich politisch einzusetzen und besser organisiert sind, hat besonders die Erfahrung der Hitler-Diktatur viele evangelische Christen gelehrt, dass Obrigkeitsdenken im lutherischen Sinne zur Katastrophe führen kann und deshalb die Übernahme politischer Verantwortung für Christen unabdingbar ist. Solches Engagement zu zeigen ist ein wichtiges Motiv für die Gründung des Evangelischen Arbeitskreises (EAK) 1952 als Vereinigung innerhalb der CDU.15 Wachsende Auseinandersetzungen innerhalb der evangelischen Kirchen über die Haltung zur Wiederbewaffnung kommen hinzu. Gustav Heinemann, inzwischen der Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP) beigetreten, und Martin Niemöller, führende Vertreter des deutschen Protestantismus, führen eine gesellschaftliche Frontalopposition gegen die CDU an.16 Pazifistisch motiviert, mündet sie in die „Ohne-mich“-Bewegung und bringt evangelische Unions-Wähler gegen die Partei in Stellung. Gemäßigte Kräfte wie Robert Tillmanns, Vorsitzender des CDU-Landesverbandes Berlin, Bundestagspräsident Hermann Ehlers und der stellvertretende Parteivorsitzende Friedrich Holzapfel hingegen wollen durch den EAK ihre Bereitschaft zum konfessionsübergreifenden Handeln in der Union unter Beweis stellen. Sie sehen sich fortan als Mittler zwischen 11 Frank Bösch: Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei 1945 – 1969. Stuttgart 2001, S. 419 – 430. 12 Dominik Paul: Adenauer-Wahlkämpfe. Die Bundestagswahlkämpfe der CDU 1949 – 1961. Marburg  2011. 13 Thorben Gottschalk: Politische Führung im parlamentarischen Regierungssystem. Konrad Adenauer und Ludwig Erhard. Baden-Baden 2013, S. 224 – 236. 14 Hans-Otto Kleinmann: Geschichte der CDU 1945– 1982. Hg. von Günter Buchstab. Stuttgart 1993, S. 136. 15 Torsten Oppelland: Der Evangelische Arbeitskreis der CDU/CSU, 1952 – 1969, in: HPM 5 (1998), S. 105 – 143. 16 Michael Klein: Der westdeutsche Protestantismus und die CDU bis zum Ende der Ära Adenauer, in: HPM 14 (2007), S. 79 – 98.

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der Union und der evangelischen Kirche.17 Adenauer unterstützt diese Bestrebungen, um jegliche innerparteilichen Separationsneigungen von vornherein zu unterbinden. Denn starke protestantische Ressentiments gegen den politischen Katholizismus sind in seinen Augen dem Wahlerfolg der Union bei der Bundestagswahl 1953 abträglich. Wahlen lassen sich nur gewinnen, wenn die Partei den Wählern ein Bild der Geschlossenheit bietet. Aus der Bekämpfung kriegsbedingter Not entwickelt die CDU Modernisierungskonzepte,18 die bis heute unverändert zu den tragenden Säulen des deutschen Gesellschaftssystems zählen. Bereits der zweite CDU-Bundesparteitag 1951 in Karlsruhe steht im Zeichen der Westbindung der Bundesrepublik und ihres neuen außenpolitischen Standorts in Europa. Durch Verträge über die Montanunion, die geplante Europäische Verteidigungsgemeinschaft und die Ablösung des Besatzungsstatuts durch vertragliche Beziehung zu den drei Westmächten (Deutschland-Vertrag) soll die Bundesrepublik Handlungsfreiheit in inneren und äußeren Angelegenheiten erlangen. Damit festigt die CDU nicht nur ihren Anspruch, die Partei des europäischen Einigungsgedankens zu sein. Sie sorgt dafür, dass die Verträge im Bundestag gegen die Stimmen der SPD durchgesetzt werden. Deutschlandpolitisch bedeutet dies zugleich die Absage an Neutralismus und eine Politik der Blockfreiheit, womit allerdings der nationalpolitische Flügel um Jakob Kaiser nur schwer leben kann. Gesellschaftspolitisch kann das CDU-Konzept, mittels Wirtschaftsförderung gemeinwohlorientiert zu handeln und sozialen Frieden herzustellen, erste Erfolge aufweisen. 1950 eingeleitete sozialpolitische Maßnahmen wie das Erste Wohnungsbaugesetz, mit dem in den nächsten sechs Jahren 1,8 Millionen Wohnungen entstehen,19 bedeuten Arbeitsbeschaffung, werfen den Konjunkturmotor an, sorgen für Wirtschaftswachstum und tragen gleichermaßen zur Stabilisierung bei. Heimgekehrte Kriegsgefangene und mehr als vier Millionen Kriegsversehrte beider Weltkriege erhalten finanzielle Hilfen zur gesellschaftlichen Wiedereingliederung. Durch Anhebung der Rentensätze an die Lohnund Preisentwicklung und Änderungen des Sozialversicherungsrechts soll Rentnern jetzt und den Erwerbstätigen später der Anspruch auf Rentenzahlung gesichert werden. Das Montanmitbestimmungsgesetz, nach hartem Kampf zwischen Bundesregierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften am Ende von Adenauer mit dem DGB-Vorsitzenden Hans Böckler ausgehandelt, bedeutet den sektoralen Einstieg in das partizipative Miteinander von Kapital und Arbeit.20 Es ist für die CDU ein wichtiger Schritt zur Überwindung der gewerkschaftlichen Klassenkampfmentalität hin zu einer Sozialpartnerschaft. 17 Albrecht Martin u. a.: Der Evangelische Arbeitskreis der CDU/CSU 1952 – 2012. Werden, Wirken und Wollen. Berlin 2002 (Neuauflage 2012), S. 21 – 89. 18 Axel Schildt: Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der fünfziger Jahre, in: Werner Faulstich (Hg.): Die Kultur der fünfziger Jahre (Kulturgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts). 2.Aufl. München 2007, S. 11 – 21; Axel Schildt/Arnold Sywottek (Hg.): Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre (Politik und Gesellschaftsgeschichte. Bd. 33). Bonn 1993, Studienausgabe 1998. 19 Günther Schulz: Wiederaufbau in Deutschland. Die Wohnungsbaupolitik in den Westzonen und der Bundesrepublik von 1945 bis 1957 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 20). Düsseldorf 1993. 20 Montanmitbestimmung. Das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 21. Mai 1951 (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Vierte Reihe Deutschland seit 1945. Bd. 1). Bearb. von Gabriele Müller-List. Düsseldorf 1984.

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Vor allem aber geht es der Union darum, mit dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft die Grundlagen für „eine neue sozial verpflichtete Demokratie“ zu schaffen. Zu den sozialpolitischen Innovationen gehört zum einen das im Juli 1952 verabschiedete Betriebsverfassungsgesetz. Es respektiert unternehmerisches Handeln, verbindet mit privatem Eigentum soziale Verantwortung und sieht gewählte betriebliche Interessenvertretungen von Arbeitnehmern gegenüber den Arbeitgebern vor. Sozialdemokraten und Gewerkschaften kritisieren das Modell. Sie streben eine paritätische Mitbestimmung bei allen Unternehmensentscheidungen an. Zum anderen hilft das Lastenausgleichsgesetz Millionen von Flüchtlingen, Heimatvertriebenen und jenen, die kriegsbedingt Vermögensschäden oder finanzielle Nachteile erlitten haben, ihre wirtschaftliche Situation ein wenig erträglicher zu gestalten. Immerhin belaufen sich die Zahlungen aus dem Lastenausgleichsfonds in den nächsten zehn Jahren auf rund 40 Milliarden DM. Eine Investition, die erheblich zur Integration der bundesdeutschen Gesellschaft beiträgt. Denn manche Vertriebene handeln „aus echter christlich motivierter Versöhnungsbereitschaft“,21 die von der CDU gefördert wird. Für Kinder werden staatliche Beihilfen eingeführt.22 Außerdem soll Verantwortung und Mitsprache der Eltern bei deren schulischer Entwicklung gewährleistet sein („Elternrecht“), ein gesamtgesellschaftlich umstrittenes Thema. Zur gesellschaftlichen Versöhnung zählt nach Ansicht der CDU, Berufsbeamten, Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst, die dem NS-Staat gedient haben, eine Chance der Wiedereingliederung zu geben. Nach Artikel 131 GG werden diejenigen wieder einer Verwendung zugeführt, die zu Unrecht unter dem Pauschalverdacht stehen, in Zeiten des NS-Regimes widerrechtlich gehandelt zu haben. Von Brentano verteidigt das besagte „131er-Gesetz“ als Mut zur unpopulären Entscheidung, die ein Zeichen gegen die Kollektivschuldthese setze.23 Dass damit auch zahlreiche NS-Anhänger, die sich schuldig gemacht hatten, keine Sanktionierung erfahren und trotz SRP-Verbot 1952 24 zuhauf ab Mitte der 1950er Jahre wieder in der Bundesadministration Unterschlupf finden,25 nimmt die CDU damit in Kauf. Doch sie will das Berufsbeamtentum, für dessen Verankerung im Grundgesetz sie sich eingesetzt hat, nicht in Frage stellen. Nach Ablehnung der Stalin-Note vom März und der Unterzeichnung des EVG-Vertrages sowie des Deutschland-Vertrages im Mai 1952 betreibt die CDU auf ihrem Parteitag im Oktober in West-Berlin den außen- und deutschlandpolitischen Spagat. Im tobenden Kalten Krieg schaffen die Unionsparteien mit Westbindung, Festhalten am Wiedervereinigungsziel bei gleichzeitiger Isolierung der DDR und versuchter (Teil-)Wie-

21 Matthias Stickler: „Ostdeutsch heißt Gesamtdeutsch“. Organisation, Selbstverständnis und heimatpolitische Zielsetzungen der deutschen Vertriebenenverbände, 1949– 1972 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 46). Düsseldorf 2004, S. 267 – 269, 396 f. 22 Dagmar Nelleßen-Strauch: Der Kampf um das Kindergeld. Grundanschauungen, Konzeptionen und Gesetzgebung 1949 – 1964 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 43). Düsseldorf 2003, hier insbes. S. 91 – 164, zu weiteren Gesetzesinitiativen 216 – 270. 23 Kleinmann: Geschichte der CDU, S. 152. 24 Henning Hansen: Die Sozialistische Reichspartei (SRP). Aufstieg und Scheitern einer rechtsextremen Partei (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bd. 148). Düsseldorf 2007. 25 Stefan Creuzberger/Dominik Geppert (Hg.): Die Ämter und ihre Vergangenheit. Ministerien und Behörden im geteilten Deutschland 1949 – 1972. Paderborn 2018.

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dergutmachung durch Zahlungen an Israel im Luxemburger Abkommen 26 als auch durch die Regelung deutscher Auslandsschulden aus der Vor- und Nachkriegszeit im Londoner Schuldenabkommen 27 Grundlagen für die Normalisierung der Beziehungen der Bundesrepublik zu den Westmächten und einer Vielzahl ehemaliger Kriegsgegner. Damit erwirbt der junge Staat international wieder Respekt und Anerkennung als verlässlicher Partner. Doch dieser Regierungskurs von CDU/CSU löst innenpolitisch außerordentliche Kontroversen aus. Entschädigungszahlungen an Israel lehnt ein Großteil der Westdeutschen als Schuldeingeständnis ab. Turbulente Bundestagsdebatten spiegeln die in der bundesdeutschen Öffentlichkeit herrschende große Skepsis und Gegenwehr gegen den Westkurs wider. Pazifistisch-nationalistische Kräfte der SPD, GVP, in Teilen der FDP und der evangelischen Kirche protestieren lauthals gegen Adenauers Politik der Stärke gegenüber der Sowjetunion, weil sie glauben, damit würde die Wiedervereinigungschance verspielt. Solchen Anwürfen gegen die Ratifizierung der Westverträge begegnet der Kanzler mit der klaren Botschaft: „Es ist die Schicksalsfrage Deutschlands. Wir stehen vor der Wahl zwischen Sklaverei und Freiheit.“28 Sozialpolitische Maßnahmen für breite Bevölkerungsschichten, neue außenpolitische Ausrichtung in Abwehr von Sozialismus und Kommunismus29 – „Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau!“30 plakatiert die CDU im Bundestagswahlkampf 1953 – verleihen ihr Selbstbewusstsein und Profil als Volkspartei. Daher sorgt der Wahlaufruf des DGB „Für einen besseren Bundestag“ bei der Union für große Verärgerung. Sie sieht darin eine Wahlkampfhilfe zugunsten der SPD, womit die Gewerkschaften ihre angebliche parteipolitische Neutralität verletzt hätten. Schon nach einer Legislaturperiode symbolisiert die Führungsfigur Adenauer in seiner für jedermann klar verständlichen, aber durchaus polarisierenden Sprache die CDU, deren Politik gleichermaßen Programm ist. Zugleich aber beginnt seine Mythisierung. Mit ihm habe die Partei die in Freiheit lebenden Deutschen „aus Hunger, Not und tödlicher Vereinsamung herausgeführt“, heißt es im „Hamburger Programm“31 angelehnt an das alttestamentarische Mose-Bild. Die Wähler honorieren seine Politik der Mitte, des Maßhaltens und Konsolidierens. Der Wahlsieg 1953 fällt eindeutig aus: 45,2 Prozent stimmen für die beiden Unionsparteien, davon 36,4 Prozent für die CDU. Bei der Sitzverteilung reicht dieses Ergebnis bis auf sechs Mandate an die absolute Mehrheit heran. Das 26 Niels Hansen: Aus dem Schatten der Katastrophe. Die deutsch-israelischen Beziehungen in der Ära Konrad Adenauer und David Ben-Gurion (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 38). Düsseldorf 2002, S. 25 – 366. 27 Ursula Rombeck-Jaschinski: Das Londoner Schuldenabkommen. Die Regelung der deutschen Auslandsschulden nach dem Zweiten Weltkrieg (Veröffentlichung des Deutschen Historischen Instituts London. Bd. 58). München 2005. 28 Rede Konrad Adenauer, 3.12.1952, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1.Wahlperiode 1949, Stenographische Berichte, 240. Sitzung. Bonn 1952, S. 11142 – 11144, hier 11144. 29 Stefan Creuzberger/Dierk Hoffmann (Hg.): „Geistige Gefahr“ und „Immunisierung der Gesellschaft“. Antikommunismus und politische Kultur in der frühen Bundesrepublik. München 2014. 30 Abdruck in: Hans-Gert Pöttering (Hg.): Politik in Plakaten. Plakatgeschichte der CDU aus acht Jahrzehnten. Bearb. von Hanns Jürgen Küsters u. a. Bonn 2015, S. 93. 31 Das Hamburger Programm der Christlich Demokratischen Union Deutschlands, 22. April 1953, in: Christlich Demokratische Union Deutschlands. 4.Bundesparteitag, 18.– 22. April 1953. Deutschland, sozialer Rechtsstaat im geeinten Europa. Hg. von der Bundesgeschäftsstelle der Christlich Demokratischen Union Deutschlands, Bonn [1953], S. 249 – 260, hier 250.

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bedeutet ein Plus von 14,2 Prozent. Ihre Fraktionsgemeinschaft vergrößert sich um 105 auf 249 Abgeordnete. Damit festigt die Union ihren Anspruch, die staatstragende Partei der Bundesrepublik zu sein. CDU und CSU setzen die bürgerlich-liberale Regierungskoalition mit FDP, GB/BHE und DP fort. Somit verfügt diese über eine klare Mehrheit im Deutschen Bundestag, die unabdingbar für die Durchsetzung weiterer Gesetzesvorhaben ist. Im neuen 19-köpfigen Kabinett stellt die CDU außer dem Bundeskanzler sieben und die CSU drei Ministerposten. Kernaufgaben der zweiten Legislaturperiode bleiben sozial- und wirtschaftspolitische Vorhaben sowie die Vertiefung der europäischen Integration. Nicht ohne innerparteilichen Widerspruch hat Eugen Gerstenmaier auf dem 5.CDU-Bundesparteitag Ende Mai 1954 in Köln die Werte-Trias „Freiheit – Friede – Einheit“ benannt32 und damit die Prioritätenfolge vorgegeben. Viele Delegierte sehen darin die Zurücksetzung des Wiedervereinigungsziels und die mögliche Preisgabe der Rückgliederung des von Frankreich dominierten Saarlandes zu Deutschland um einer „Europäisierung“ willen.33 Das führt zu weiteren Spannungen mit der saarländischen Christlichen Volkspartei unter Führung von Johannes Hoffmann.34 Mit dem Scheitern des EVG-Vertrages am 30. August 1954 erleidet die Westpolitik der Unionsparteien einen herben Rückschlag. Dieser kann erst nach zähen Verhandlungen in London und Paris über den modifizierten DeutschlandVertrag, Adenauers Verzichtserklärung für die Bundesrepublik auf ABC-Waffen und den Beitritt zu NATO und WEU beigelegt werden.35 Ende Februar 1955 setzen CDU und CSU im Bundestag diese Pariser Verträge erneut gegen die Stimmen der SPD durch und schaffen die vertraglichen Grundlagen der Westbindung. Trotz kritischer Stimmen aus den eigenen Reihen reist Adenauer im September 1955 nach Moskau, nimmt mit der Sowjetunion diplomatische Beziehungen auf und vereinbart die Freilassung der restlichen knapp 10.000 deutschen Kriegsgefangenen.36 Obwohl der Kanzler in der Wiedervereinigungsfrage bei den Kreml-Herren nichts erreicht, beschert ihm die Rückkehr dieser Männer in die Heimat den größten und sein Bild prägenden Popularitätserfolg seiner Kanzlerschaft. Angesichts der Investitionen in Kapazitätserweiterungen seit 1953 und des Einsatzes moderner Technologien erlangt die deutsche Industrie schnell eine international wettbewerbsfähige Stellung. 1955 ist das wachstumsstärkste Jahr mit über 10 Prozent Steigerung des Bruttoinlandsprodukts und der Reallöhne. Arbeitslosigkeit verschwindet, das Konzept 32 Eugen Gerstenmaier: Die politische Weltlage und Deutschland, 29.5.1954, in: 5. Bundesparteitag der CDU, Köln 28.– 30. Mai 1954, S. 48 – 56, hier 51. 33 Herbert Elzer: Konrad Adenauer, Jakob Kaiser und die „kleine Wiedervereinigung“. Die Bundesministerien im außenpolitischen Ringen um die Saar 1949 bis 1955 (Geschichte, Politik & Gesellschaft, Schriftenreihe der Demokratie Saar. Bd. 9). St. Ingbert 2008; Ders.: Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar. Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen und das Netzwerk der prodeutschen Opposition 1949 bis 1955 (Geschichte, Politik & Gesellschaft, Schriftenreihe der Demokratie Saar. Bd. 8). St. Ingbert 2007. 34 Heinrich Küppers: Johannes Hoffmann (1890 – 1967). Biographie eines Deutschen (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 54). Düsseldorf 2008, S. 447 – 537. 35 Hanns Jürgen Küsters: Souveränität und ABC-Waffen-Verzicht. Deutsche Diplomatie auf der Londoner Neunmächte-Konferenz 1954, in: VfZ 42 (1994), S. 499 – 536. 36 Helmut Altrichter (Hg.): Adenauers Moskaubesuch 1955. Eine Reise im internationalen Kontext. Bonn 2007; Werner Kilian: Adenauers Reise nach Moskau. Freiburg i. Br. u. a. 2005; Michael Borchard: Die deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion. Zur politischen Bedeutung der Kriegsgefangenenfrage 1949 – 1955 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 35). Düsseldorf 2000.

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der Sozialen Marktwirtschaft zeigt Erfolge, der Wiederaufbau ist sicht- und spürbar. Um dem Arbeitskräftemangel zu begegnen, schließt Wirtschaftsminister Ludwig Erhard Ende des Jahres mit Italien das erste Anwerbeabkommen für Gastarbeiter ab. Die Wirtschaft boomt und schafft die Voraussetzung für weitere soziale Sicherungsgesetze.37 Wichtigste Vorhaben betreffen Familien mit der Einführung des Kindergeldes ab dem dritten Kind und Rentner aufgrund der Reform der gesetzlichen Rentenversicherung. Das neue Umlageverfahren ersetzt das Kapitaldeckungsverfahren, was für alle Ruheständler zu einer deutlichen Rentenerhöhung und einer künftigen dynamischen Anpassung der Rentenbeträge an die Bruttolohnentwicklung führt.38 Dem liegt die keineswegs dauerhaft richtige Annahme zugrunde, dass jüngere erwerbstätige Generationen im ausreichenden Maße nachwachsen und die Renten der Älteren zu finanzieren imstande sein werden. Auf den Weg gebracht werden ferner das Zweite Wohnungsbaugesetz,39 Regelungen des Mietpreisrechts, die Kartellgesetzgebung,40 das Soldatengesetz für die 1956 erstmals einberufenen Wehrpflichtigen sowie der Entwurf eines Parteiengesetzes, das deren innere Struktur und ihre Rechenschaftslegung festlegen soll, aber zunächst nicht politisch mehrheitsfähig ist. Zudem kommt es nach einem drei Jahre dauernden Prozess zum KPD-Verbot.41 Gesondert geregelt werden soll die Parteienfinanzierung. Steigende Wahlkampfkosten sind bei der CDU nur durch ein hohes Spendenaufkommen seitens der Wirtschaft zu finanzieren, wodurch die Partei in den unliebsamen Geruch der Abhängigkeit gerät.42 Zusammen mit der DP intendieren CDU und CSU, das Bundeswahlrecht in Form der personalisierten Verhältniswahl durch ein „Grabenwahlsystem“ zu ersetzen. Demnach würden 60 Prozent der Mandate nach Mehrheitswahlrecht und 40 Prozent durch Verhältniswahlrecht vergeben. Auf diesem Weg will Adenauer die Unionsparteien von einer Koalition mit der FDP unabhängig machen.43 Doch dieser Schachzug scheitert auf Kosten des Machtverlustes der CDU in Nordrhein-Westfalen. Insbesondere die Kritik der zu einem Gutteil national gesinnten FDP mit Thomas Dehler an der Spitze wirft Adenauer und der Union vor, bisher ausschließlich die „bedingungslose Westbindung“ verfolgt und nichts für die Wiedervereinigung getan zu haben.44 Die in Anspielung auf Kemal Atatürks jugendlich-nationale Reformpartei „Jung37 Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945. Bd. 3: 1949– 1957 Bundesrepublik Deutschland. Bewältigung der Kriegsfolgen, Rückkehr zur sozialpolitischen Normalität. Hg. von Günther Schulz. Baden-Baden 2005. 38 Hans Günter Hockerts: Konrad Adenauer und die Rentenreform von 1957, in: Konrad Repgen (Hg.): Die Dynamische Rente in der Ära Adenauer und heute. Stuttgart u. a. 1978, S. 11 – 29; Günther Schulz: Sozialpolitische Denk- und Handlungsfelder, in: Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 3, S. 73 – 176, hier 153. 39 Georg Wagner-Kyora: Wohnungspolitik, in: Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 3, S. 837 – 883. 40 Jan-Otmar Hesse: Abkehr vom Kartelldenken? Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen als ordnungspolitische und wirtschaftstheoretische Zäsur der Ära Adenauer, in: Hans Günter Hockerts/ Günther Schulz (Hg.): Der „Rheinische Kapitalismus“ in der Ära Adenauer. Paderborn 2016, S. 29 – 49. 41 Gerd Pfeiffer/Hans-Georg Strickert: KPD-Prozess. Dokumentarwerk zu dem Verfahren über den Antrag der Bundesregierung auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Kommunistischen Partei Deutschlands vor dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts. 3 Bde. Karlsruhe 1956. 42 Frank Bösch: Die Adenauer-CDU, S. 195 – 235. 43 Udo Wengst: Thomas Dehler 1897 – 1967. Eine politische Biografie. München 1997, S. 279 – 289. 44 Zu den Koalitionsgesprächen mit Vertretern von CDU, CSU, FDP und DP, 6., 7. und 13.12.1955, in: Adenauer und die FDP, S. 484 – 704.

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türken“ genannten Nachwuchspolitiker in der nordrhein-westfälischen FDP, vor allem Wolfgang Döring, Willy Weyer, Walter Scheel, Liselotte Funcke und Wolfram Dorn, stürzen im Februar 1956 gemeinsam mit der SPD den amtierenden CDU-Ministerpräsidenten Karl Arnold durch das erste konstruktive Misstrauensvotum in der Bundesrepublik.45 Während des Stuttgarter Bundesparteitags Ende April 1956 kann die CDU bereits auf ein zehnjähriges Bestehen zurückblicken. Als Volkspartei hat sich inzwischen ihr Markenkern herausgebildet, der zwar politisch feste Koordinaten aufweist, aber hinsichtlich der weltanschaulich-programmatischen Tiefe noch ausbaufähig scheint. Das Profil der CDU – christlich überkonfessionell, politisch westlich-demokratisch und sozial auf die von Gott gegebene Einzigartigkeit des Menschen ausgerichtet – steht für eine strikte anti-kommunistische und anti-sozialistische Haltung mit einem klaren Bekenntnis zur europäischen Einigung. Sie befürwortet die laufenden Verhandlungen über die EWG zur Schaffung eines Gemeinsamen Marktes und die EURATOM-Gemeinschaft und setzt auf die transatlantische Bindung an die Vereinigten Staaten als Sicherheitsgaranten. Mit neuen modernen Gesetzen zur sozialen Sicherheit in der Rentenversicherung, zur Familienförderung, der Hilfe für Erwerbstätige im Krankheitsfall und bei Invalidität bringt sie die SPD in die Bredouille und greift politisch in ihre Wählerklientel ein. Mit dem Landwirtschaftsgesetz von 1955 bindet die CDU die ihr nahestehenden Bauern an sich und sucht mit Einführung von Agrarsubventionen die wirtschaftlichen Arbeits- und Lebensverhältnisse zu verbessern („Grüner Plan“) und die deutsche Landwirtschaft in Europa wettbewerbsfähig zu halten. Vor dem Hintergrund der internationalen Krisen in Polen, Ungarn und am Suezkanal, der Eingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik ab 1. Januar 1957, der Unterzeichnung der Römischen Verträge von 1957, weiterer sozialpolitischer Maßnahmen, des Lastenausgleichs, der Großen Rentenreform und des Wirtschaftsaufschwungs ist die CDU unverändert innovativ, modern. Eben jene Partei, die Freiheiten des Bürgers und das Gemeinwesen stärkt und jedem Eigentumserwerb möglich machen will. Das CDU-Plakat zur Bundestagswahl 1957 „Keine Experimente! Konrad Adenauer CDU“, bis auf das Parteikürzel identisch von der CSU übernommen, setzt auf den Kanzlerbonus, trifft den Nerv der Stimmungslage und das derzeitige Lebensempfinden vieler Deutschen. Erhards plakatives Versprechen „Wohlstand für alle“46 verspricht den Bürgern die Überwindung materieller Not.47 Die Menschen sollen sich als Individuen in ihrer Persönlichkeit entfalten, damit sie sittlich und geistig in der Lage sind, den Herausforderungen der modernen Technik zu begegnen und im Sinne der Schöpfung mitzugestalten. Damit setzt die CDU den Kontrapunkt zur Forderung der SPD nach Sozialisierung und einem neutralisierten Deutschland. Die Bundestagswahl 1957 beschert den Unionsparteien bei einer Wahlbeteiligung von 87,8 Prozent die absolute Mehrheit von 50,2 Prozent der Stimmen. Ein bislang einmaliger historischer Wahlerfolg, allerdings mit schwerwiegenden Folgen. Kanzler und CDU/CSU befinden sich im Zenit der Macht. Zunächst bildet Adenauer trotz der klaren Mehrheits45 Ludger Gruber: Die CDU-Fraktion in Nordrhein-Westfalen 1946 – 1980. Eine parlamentshistorische Untersuchung (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 31). Düsseldorf 1998, S. 95 – 103, 322 – 324. 46 Ludwig Erhard: Wohlstand für Alle. 1.Aufl. Düsseldorf 1957. 8. Aufl. 1964, von Wolfram Langer bearb. Fassung. https://www.ludwig-erhard.de/wp-content/uploads/wohlstand_fuer_alle1.pdf (Abruf: 15.10. 2019). 47 Abdruck beider Plakate in: Pöttering (Hg.): Politik in Plakaten, S. 98.

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verhältnisse mit der DP eine Koalition,48 die sich daraufhin aus der Umklammerung der CDU nicht mehr befreien kann. Weil die Union der DP kein weiteres Mal zu Direktmandaten verhelfen will, treten 1960 neun ihrer 15 Bundestagsabgeordneten zur CDU über. Damit ist die DP auf Bundesebene praktisch zur Bedeutungslosigkeit verurteilt. Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen Anfang Juli 1958 erhält die CDU mit 50,47 Prozent ebenfalls die absolute Mehrheit. Doch diese Dominanz, zehn Jahre später als „CDU-Staat“ 49 bezeichnet, hat einerseits erhebliche innerparteiliche Gewichtsverlagerungen zur Konsequenz. Andererseits stürzen in der Folgezeit Katarakten gleich über Adenauer und die Unionsparteien vielfältige innen-, außen- und deutschlandpolitische Probleme herein. Infolgedessen beginnen Autorität, Macht und bislang uneingeschränkte Führungsstärke des über 80-jährigen Kanzlers allmählich zu bröckeln. Mit dem Wahlerfolg steigt das Selbstbewusstsein der auf 277 Abgeordnete angewachsenen CDU/CSU-Bundestagsfraktion unter Vorsitz Heinrich Krones gegenüber dem mächtigen Kanzler und Parteivorsitzenden. Mit einem Drittel neuer Mandatsträger, die ihren Einfluss auszuweiten suchen, entwickelt sich die Fraktion zusehends zum Antipoden in den eigenen Reihen,50 beginnt eine verstärkte Polarisierung, schon bei der Regierungsbildung. Mehr denn je müssen unterschiedlichste innerparteiliche Gruppierungen und Landesverbandsinteressen berücksichtigt und austariert werden. In der nordrhein-westfälischen CDU wird zum Nachfolger des kurz vor der Landtagswahl verstorbenen Ministerpräsidenten Karl Arnold nun Franz Meyers gewählt, der gegen einflussreiche Köpfe wie Josef Gockeln, Josef Hermann Dufhues und Wilhelm Johnen obsiegt und mit ihnen gemeinsam gegenüber der Bundes-CDU das politische Gewicht des mitgliederstärksten Landesverbandes vergrößern will. Ein baldiges Kräftemessen mit dem alten Parteivorsitzenden ist nur eine Frage der Zeit. Innenpolitisch ist die Politik der Selbstbeschränkung in der neuentstandenen bundesdeutschen Mittelschicht, die materialistisch denkt und das Christliche hintanstellt, schwerlich durchsetzbar. Traditionelle Wählermilieus der CDU beginnen sich in der neuen deutschen Industriegesellschaft zu verändern. Adenauers bald zehnjährige Regierungszeit wird zusehends als starr, eng und inflexibel empfunden. Von der Modernisierungsleistung spricht niemand; sie wird als Selbstverständlichkeit hingenommen, weil sich alle an Wachstum, Wohlstand und Fortschritte gewöhnt haben. Die CDU, das zeigt der Kieler Bundesparteitag Anfang Juli 1958, tut sich schwer, politische und programmatische Antworten auf veränderte Bedürfnisse, sich wandelnde Einstellungen und soziale Haltungen in der neuen deutschen pluralistischen Demokratie zu geben. Tatkräftige Christliche Demokratinnen wie Helene Weber, Christine Teusch und Elisabeth Schwarzhaupt verlangen in der von Männern beherrschten Partei mehr Teilhabe und Mitsprache im Sinne einer gleichberechtigten Partnerschaft von Männern und Frauen.51 Die Sozial48 Hans-Peter Schwarz: Adenauer. Der Staatsmann 1952 – 1967. Stuttgart 1991, S. 344 – 355. 49 Gerd Schäfer/Carl Nedelmann: Der CDU-Staat. Studien zur Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik. München 1967. 50 Schwarz: „Für mich ist das Fegefeuer, wenn ich in die Fraktion muß“, S. 30 f. 51 Regina Illemann: Katholische Frauenorganisationen und Politik in den 1950er Jahren: „Der CDU in allen Wahlkämpfen grösste Dienste geleistet“, in: HPM 21 (2014), S. 35– 64; Kathrin Zehender: Christine Teusch. Eine politische Biografie (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bd. 166). Düsseldorf 2014, S. 258 – 262; Petra Holz: Zwischen Tradition und Emanzipation. CDU-Politikerinnen in der Zeit von 1946 bis 1960. Königstein i. Ts. u. a. 2004.

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ausschüsse wollen das Christlich-Soziale gegenüber allzu liberalen Vorstellungen gesellschaftlich stärker verankert wissen und drängen auf mehr Gerechtigkeit und Solidarität im Sinne der katholischen Soziallehre. Angesichts dieser Zwangslage der CDU mehren sich in der Union Forderungen nach einer politischen Standortbestimmung als Volkspartei, kommt die Frage nach den Grundwerten und dem Selbstverständnis der Christlichen Demokratie auf, verbunden mit einer Leitbilddiskussion über „Staatsordnung und Gesellschaftsbild“, die Eugen Gerstenmaier anstößt.52 Letztlich geht es um die Fundamente des Sozialstaats, das Menschenbild in der modernen Wirtschaftsgesellschaft, Bildung von Eigentum und Vermögen53, den Leistungsgedanken, Selbstverantwortlichkeit und die Verantwortung des Einzelnen für das Gemeinwohl. Das „Kieler Manifest“ stellt die geistigen Werte heraus, spricht sich für Freiheit und Gerechtigkeit aus, was heißt: Wohlstand zur Existenzsicherung allein reicht nicht aus. Ohne Wirtschaftsleistung und persönliche Eigenleistung keine staatlichen Sozialleistungen.54 Das Gesellschaftsbild der CDU ist bestimmt von einem „konsequenten Personalismus“, Staatssubventionen, die auf dem Grundsatz der Subsidiarität beruhen, der Hilfe zur Selbsthilfe, die den sozialen Rechtsstaat von der Idee des sozialistischen Versorgungsstaates unterscheidet. Damit betont die CDU ihre Wählbarkeit für alle Gesellschaftsschichten und nimmt vorweg, was die SPD mit ihrem Godesberger Programm 1959 versucht, nämlich mit dem Bekenntnis zur Marktwirtschaft und zur Landesverteidigung das Image der Arbeiterpartei im Klassenkampf zugunsten einer Volkspartei abzulegen. Auch außen- und deutschlandpolitisch geraten CDU und CSU in schweres Fahrwasser. Heinemann, nun SPD-Mitglied, und Dehler für die FDP-Fraktion kritisieren die von Adenauer und Franz Josef Strauß betriebene Aufrüstung, vor allem die Ausstattung der Bundeswehr mit atomaren Trägersystemen, und werfen dem Kanzler vor, es sei die „historische Schuld der CDU“, dass er 1952 Stalins Angebot zur Wiedervereinigung ohne Prüfung abgelehnt habe.55 Chruschtschows Berlin-Ultimatum mit der Forderung nach völkerrechtlicher Anerkennung der DDR und Abschluss eines deutschen Friedensvertrages, die Hinnahme der Präsenz von Vertretern beider deutscher Staaten auf der Genfer Viermächte-Konferenz, de Gaulles ablehnende Haltung zum britischen EWG-Beitrittsgesuch und sein Versuch, eine Politische Union unter Führung Frankreichs zu etablieren bei gleichzeitiger Profilierung als neue Atommacht neben den USA und Großbritannien, stellen die bundesdeutsche Außenpolitik, den europäischen Einigungsprozess und die Geschlossenheit der atlantischen Allianz auf harte Bewährungsproben. Deutschlandpolitisch kreisen des Kanzlers Gedanken um eine De-facto-Anerkennung der DDR56 und die möglichen Wege zur Wiedervereinigung, unter anderem durch Neutralisierung 52 Eugen Gerstenmaier: Staatsordnung und Gesellschaftsbild, in: Evangelische Verantwortung. 6 (1958), S. 3 – 8. 53 Yorck Dietrich: Vermögenspolitik, in: Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 3, S. 885 – 898. 54 Kieler Manifest, in: Christlich Demokratische Union Deutschlands (Hg.): 8.Bundesparteitag der CDU, 18.– 21. September 1958 in Kiel. Hamburg o. J., S. 224 – 226. 55 Reden Thomas Dehler und Gustav Heinemann, 23.1.1958, beide in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 3.Wahlperiode 1957, Stenographische Berichte, 9. Sitzung, S. 384 – 395, 401– 406, Zitat Heinemann 403. 56 Hanns Jürgen Küsters: Kanzler in der Krise. Journalistenberichte über Adenauers Hintergrundgespräche zwischen Berlin-Ultimatum und Bundespräsidentenwahl 1959. Dokumentation, in: VfZ 36 (1988), S. 733 – 768.

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der DDR und ein Plebiszit über die Frage der Wiederherstellung der deutschen Einheit (Globke-Pläne). Die Eisenhower-Administration bedrängt überdies den Kanzler, bei einem sowjetischen Angriff über die innerdeutsche Grenze hinaus äußerstenfalls dem Einsatz von US-Atomwaffen auf dem Territorium der Bundesrepublik zuzustimmen.57 Hinzu kommt, dass die SPD für die anstehende Bundespräsidentenwahl 1959 mit Carlo Schmid ein politisches Schwergewicht ins Rennen schickt, dem CDU und CSU eine adäquate Person entgegensetzen müssen. Überlegungen einer im Grundgesetz nicht vorgesehenen dritten Amtszeit für den amtierenden Bundespräsidenten Theodor Heuss zerschlagen sich. Daher kursieren in den Unionsparteien die Namen Heinrich Krone, KaiUwe von Hassel und natürlich Ludwig Erhard, den Adenauer unter allen Umständen als Kanzlernachfolger verhindern will. Schließlich trifft es den geschwächten Adenauer selbst. Er gibt dem Druck aus Partei und Bundestagsfraktion nach und lässt sich Anfang April 1959 als Kandidat für die Bundespräsidentenwahl nominieren, in dem Trugschluss, das Grundgesetz lasse ihm in dieser Funktion weitreichende Handlungsvollmachten. Zwei Monate später zieht er seine Kandidatur wegen der internationalen Krisensituation, wo es um das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen, Entspannung, Abrüstung und die Bewahrung der Freiheit zumindest des westlichen Teils von Berlin geht, wieder zurück. Damit bringt Adenauer die Partei und den Erhard-Flügel in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die ihn auf elegante Art und Weise vom Regierungsstuhl wegzuschieben hofften, vollkommen gegen sich auf. Teile der CSU hegen sogar Putsch-Gedanken gegen den Kanzler in Form eines konstruktiven Misstrauensvotums mit der FDP. Zwar gelingt es, vornehmlich durch Krones umsichtiges Agieren als Fraktionsvorsitzender, eine weitere Zuspitzung des Konflikts mit katastrophalen Konsequenzen für die CDU zu vermeiden und die „Bundespräsidentenkrise“ mit der Wahl Heinrich Lübkes beizulegen.58 Doch es folgt ein siebenjähriger „Partei-Krieg“ um Adenauers nicht enden wollende Hinauszögerung des Abschieds von Kanzleramt und Parteivorsitz. Die ungeklärte Frage des Wie und Wann legt sich in den kommenden Jahren wie Mehltau über die Partei. Mit Blick auf die Bundestagswahl 1961 werden im Jahr zuvor eine Reihe weiterer wichtiger Gesetzesvorhaben verabschiedet. Dazu gehören die Privatisierung des Bundesvermögens, das Bundesbaugesetz zur Städtebauförderung, der sogenannte Lücke-Plan, der die öffentliche Wohnraumbewirtschaftung merklich einschränkt, Mieten schrittweise dem freien Markt überlässt und das Wohngeld einführt. Die Neuordnung der gesetzlichen Krankenversicherung allerdings scheitert an heterogenen Interessen und Vorstellungen innerhalb der Union und der Blockadehaltung der SPD 1961 und 1964.59 Des Weiteren kommt die Große Strafrechtsreform, die das deutsche Strafgesetzbuch grundlegend umgestalten soll, nicht voran. Die Gegensätze zur SPD bei so heiklen Fragen wie dem Umgang mit den § 218 StGB 60 und § 175 StGB sind unüberbrückbar. Besonders 57 Hans-Peter Schwarz: Adenauer und die Kernwaffen, in: VfZ 37 (1989), S. 567 – 593. 58 Rudolf Morsey: Heinrich Lübke. Eine politische Biographie. Paderborn 1996, S. 254 – 277. 59 Ursula Reucher: Reformen und Reformversuche in der gesetzlichen Krankenversicherung (1956 – 1965). Ein Beitrag zur Geschichte bundesdeutscher Sozialpolitik (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 34). Düsseldorf 1999, S. 249 – 251; Jürgen Wasem u. a.: Gesundheitswesen und Sicherung bei Krankheit und im Pflegefall, in: Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 4, S. 373 – 432. 60 Michael Gante: § 218 in der Diskussion. Meinungs- und Willensbildung 1945 – 1976 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 21). Düsseldorf 1991, S. 56 – 97, 110 – 117.

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umstritten ist die Einführung eines zweiten Fernsehprogramms neben dem bestehenden Angebot der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Schon immer beklagen die Unionsparteien die in ihren Augen linkslastige Berichterstattung in Presse und Medien. Dem will Adenauer mit der Deutschland-Fernsehen GmbH begegnen, einer Dachgesellschaft, mit der Bund und Länder an der Freies Fernsehen GmbH, dem ersten überregionalen privatrechtlichen Fernsehen in der Bundesrepublik, beteiligt werden sollen. Wegen Verletzung der grundgesetzlich garantierten Kulturhoheit der Länder klagen die SPD-regierten Länder Bremen, Hamburg, Hessen und Niedersachsen erfolgreich beim Bundesverfassungsgericht gegen dieses Vorhaben. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnt den Vorschlag einer weiteren ARD-geführten Anstalt ab. Unter Zugzwang geraten, verständigen sich die Länder dann im März 1961 auf einen Staatsvertrag, mit dem eine gemeinnützige Anstalt des öffentlichen Rechts unter dem Namen „Zweites Deutsches Fernsehen“ gegründet wird und im März 1963 den Sendebetrieb aufnimmt.61 Nach all den Querelen ruft der Parteivorsitzende auf dem 10.CDU-Bundesparteitag Mitte April 1961 in Köln einmal mehr zur Geschlossenheit auf. In Zeiten des Wandels, wo er die neue Kennedy-Administration in Washington nicht mehr vorbehaltlos hinter seiner Deutschlandpolitik weiß, Spannungen mit Moskau zunehmen, die Zahl der Flüchtlinge aus der DDR steigt und die SPD nach Wehners Bejahung der Westbindung bundesdeutscher Außenpolitik Ende Juni 1960 mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin Willy Brandt einen jungen, Dynamik ausstrahlenden Kanzlerkandidaten präsentiert, schrecken im Bundestagswahlkampf Strauß, Brandt und Adenauer nicht vor persönlichen Verunglimpfungen zurück.62 Der Mauerbau in Berlin am 13. August 1961, das tatenlose Zusehen der Westmächte sowie Adenauers und von Brentanos63 hilflos erscheinende öffentliche Reaktion, hinter der wohl auch Angst vor unnötiger Eskalation durch ihre Präsenz in West-Berlin steht, kosten CDU/CSU den sicher geglaubten Sieg bei der Bundestagswahl Mitte September. In der neuen, nur vier Parteien umfassenden Konstellation im Bundestag verfügen CDU/CSU zwar über 45,3 Prozent der Stimmen, doch ist die absolute Mehrheit weg. In der angeheizten Krisensituation brauchen die Unionsparteien wieder einen Koalitionspartner zur Regierungsbildung. Strauß versucht, seine Machtsphäre auszuweiten, will Adenauer ausbooten, der partout eine vierte Amtszeit anstrebt, und ihn seine Abhängigkeit von der CSU spüren lassen. Vor allem die „Brigade Erhard“, die JU mit ihrem früheren Vorsitzenden Ernst Majonica und Vertreter der Berliner CDU wollen den alten Herrn endgültig loswerden. Der wiederum ist fest davon überzeugt, sich nochmals für Deutschland aufopfern zu müssen. Verlassen kann er sich im Wesentlichen auf die Sozialausschüsse, die ihn unterstützen. Dagegen hat sich der CDU-Wirtschaftsflügel längst auf Erhards Seite geschlagen. Schließlich macht der FDP-Vorsitzende Erich Mende Adenauers Rückzug zur Bedingung für die Koalitionszusage, die der Kanzler geschickt mit Sondierungsgesprächen über eine große Koalition von CDU/CSU und SPD kontert und die Liberalen damit zum „Umfallen“ bringt. Sie akzeptieren die erneute Kanzlerwahl 61 Robert Grünewald: Medienordnung und Bundesstaat. Zur Medienpolitik der CDU in der Konstituierungsphase der Bundesrepublik Deutschland 1949 – 1969. Berlin 2005, S. 182 – 189, 195 – 203, 250 – 262. 62 Mona Krewel: Der Bundestagswahlkampf 1961, in: HPM 20 (2013), S. 171 – 198. 63 Daniel Kosthorst: Brentano und die deutsche Einheit. Die Deutschland- und Ostpolitik des Außenministers im Kabinett Adenauer 1955 – 1961 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 26). Düsseldorf 1993, S. 379 – 390.

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Adenauers aber nur unter der Bedingung, dass nach der Hälfte der Legislaturperiode – ohne ein konkretes Datum festzulegen – sein Rücktritt erfolgt. Damit hängt das Damoklesschwert der Kanzlernachfolge über allen Entscheidungen und verlängert den innerparteilichen Machtkampf. Auf Drängen der CDU-Frauenvereinigung, die seit dem Karlsruher CDU-Bundesparteitag 1960 eine eigene satzungsmäßige Organisation erhalten hat, beruft Adenauer Elisabeth Schwarzhaupt als erste Frau ins Kabinett. Auch wendet sich die Union dem Thema Entwicklungshilfepolitik zu und schafft dafür ein eigenes Ministerium, das sie allerdings der FDP überlässt.64 Der „Kanzler auf Zeit“, vollauf mit Berlin-Krise, EWGPolitik und der ungeliebten Kennedy-Administration beschäftigt, lässt indes keine Gelegenheit aus, klarzustellen, dass er Erhard als Nachfolger im Regierungsamt für unfähig hält. Das verschärft die Lage der CDU, zumal dringend organisatorische Veränderungen erfolgen müssen, um die Schlagkraft der Partei zu verbessern. Denn der innerparteiliche Organisationsaufbau entspricht viel zu sehr den Regierungserfordernissen und hat die Partei als Stätte mitgliederorientierter Willensbildung und Transmissionsriemen politischer Meinungen an die Parteispitze vernachlässigt.65 Adenauers Wiederwahl auf dem 11. Bundesparteitag Anfang Juni 1962 in Dortmund mit 19 Gegenstimmen und 46 Enthaltungen bestätigt: Er gilt nicht mehr als unantastbar. Diskussionen über die Parteireform stehen im Zeichen einer neuen Formation der Parteispitze mit einem Geschäftsführenden Bundesvorsitzenden, der den Einfluss des Bundesvorsitzenden Adenauer begrenzen und ihn so sukzessive entmachten soll. Im Grunde dreht sich zwei Jahre lang alles um die Frage, wie man den Führungswechsel vollzieht, wer sozusagen die Rolle des „Königsmörders“ spielt. Adenauers Leitmotiv für die Legislaturperiode, „das Erreichte sichern und bewahren“, verheißt keine Dynamik mehr, sondern eher Unbeweglichkeit, Ideenlosigkeit und Stillstand, wie viele Kritiker ihm entgegenhalten. Statt Status-quo-Erhaltung muss die CDU Antworten auf veränderte Gesellschaftsvorstellungen geben. Besonders Konservative beklagen kulturelle Veränderungen und Säkularisierungstendenzen, sehen abnehmende öffentliche Moral, Sitten- und Werteverfall hinsichtlich Ehe, Familie und Sexualmoral, warnen vor Wohlstandsgefahren, ungehemmtem Materialismus der Menschen und um sich greifender Entchristlichung.66 Doch ist für viele Parteimitglieder und Unionswähler nicht mehr sofort einsichtig, warum in einer technisierten Welt eine christliche Weltanschauungspartei noch notwendig ist, welche Aufgabe sie hat und wie die CDU das Christliche in ihrem Parteinamen für die programmatische Ausrichtung der Partei in Zeiten sich wandelnder Lebensgewohnheiten interpretiert. Gestritten wird vor allem über „den politischen Werbewert“ des „C“. Gerstenmaier hält ihn für „unerheblich“, weil die CDU als Volkspartei „für alle soziologischen Schichten und Gruppen“ da sein und „die Vielfalt geistiger und religiöser Anschauungen“ ertragen müsse, um nicht „charakterlos zu werden“. Barzel hingegen sieht in diesem „C einfach etwas Essentielles“, das „keine Frage der Opportunität“ sei.67 64 Peter Molt: Die Anfänge der Entwicklungspolitik der Bundesrepublik Deutschland in der Ära Adenauer (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 69). Düsseldorf 2017, insbes. S. 326 – 331. 65 Kleinmann: Geschichte der CDU, S. 207, 241 f., 249. 66 Michael Hochgeschwender (Hg.): Epoche im Widerspruch. Ideelle und kulturelle Umbrüche in der Adenauerzeit (Rhöndorfer Gespräche. Bd. 25). Bonn 2011. 67 Reden Eugen Gerstenmaier und Rainer Barzel, 4.6.1962, in: Christlich Demokratische Union Deutschlands, 11.Bundesparteitag, S. 184 – 197, hier 196 und S. 198 – 203, hier 199.

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Neben dem Ringen um ihr weltanschauliches Grund- und Selbstverständnis drehen sich die Diskussionen um die Ausgestaltung des sozialen Rechtsstaates, um Maßnahmen zur Gewährleistung der D-Mark-Stabilität und des Wirtschaftswachstums. Vor dem Hintergrund der überhitzten Konjunkturentwicklung begründet Erhard Maßhalte-Appelle und eine antizyklische Haushaltspolitik. Erforderlich sind kostenintensive Sozialmaßnahmen wie die Reform der Krankenversicherung, Gesetze über Kindergeld, Wohnungsbau, Eigentumsförderung und Möglichkeiten zur Vermögensbildung. Sozialausschüsse, Mittelstandsvereinigung und Junge Union laufen jedoch Sturm gegen eine Sozialpolitik, die größere Selbsthilfe und Eigenverantwortung bezweckt. Zudem zeichnet sich bei den Plänen zu einer neuen Finanzverfassung für Bund, Länder und Gemeinden und den Notstandsgesetzen kein mehrheitlich getragener Kompromiss ab. Im Oktober/November 1962 verschlechtert die „Spiegel“-Affäre – von den Medien als Anschlag der Unionsparteien auf die Pressefreiheit gedeutet – die angespannte Stimmung unter den Schwesterparteien CDU und CSU weiter und facht den Machtkampf zwischen Adenauer und Strauß weiter an. Während der CSU-Vorsitzende sein Amt als Verteidigungsminister räumen muss,68 zwingen FDP, CSU und die Erhard-Protagonisten den Kanzler, der wiederum zeitweise eine große Koalition ins Spiel bringt, endlich im Herbst 1963 zurückzutreten.69 Mittlerweile gibt die CDU das Bild einer in sich zerstrittenen Partei ab, der jegliche stabile Führung fehlt. Zwischen Anhängern einer großen Koalition und Befürwortern der kleinen Koalition mit den Liberalen, dem konservativen, meist norddeutsch-protestantischen Lager, den Vertretern des katholisch-sozialen Flügels und der Erhardschen wirtschaftsliberalen Denkrichtung sind kaum noch Kompromisse erzielbar. Pressestimmen sehen die CDU inzwischen wieder mehr als Sammlungsbewegung denn als Partei mit klarem Profil, zumal ebenfalls in der Außenpolitik immer mehr Gegensätze sichtbar werden.70 Die bundesdeutsche Außenpolitik steckt in einem tiefen Dilemma angesichts der sich abzeichnenden Entspannungspolitik zwischen Moskau und Washington, mangelnder Geschlossenheit der NATO-Staaten, steigender kommunistischer Aktivitäten in der Dritten Welt, bislang unerfüllter Hoffnungen der Bundesregierung, nach de Gaulles Force de frappe im Zuge einer von den Amerikanern vorgeschlagenen Multilateralen Atomstreitmacht der NATO eine Mitsprache über den Einsatz von Atomwaffen zu erhalten und damit eine Rolle im Kreise der Atommächte spielen zu können. Hinzu kommen ungelöste Probleme des britischen EWG-Beitritts und der Versuch, die europäische Einigung durch eine Politische Union voranzubringen. Welche Auswirkungen das für die Sicherheit Westeuropas und das transatlantische Verhältnis unter Kennedy hat, vermag niemand zu sagen. Adenauer prescht im Januar 1963 mit dem Deutsch-französischen Freundschaftsvertrag voran, weil in seinen Augen die Deutschen den Anker Bonn–Paris in ihrer Europapolitik brauchen. Demgegenüber gelingt es Außenminister Gerhard Schröder, bei der Verabschiedung des Gesetzes zum Vertrag im Deutschen Bundestag in einer Präambel die Pflege der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten hervorzuheben. Nach Meinung de Gaulles wird dadurch der Vertrag „entwertet“. In den Unionsparteien entzündet sich daraufhin ein mächtiger Streit zwischen „Atlantikern“ und „Gaullisten“.71 68 69 70 71

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Horst Möller: Franz Josef Strauß. Herrscher und Rebell. München u. a. 2016, S. 320 – 331. Schwarz: Adenauer. Der Staatsmann, S. 774 – 810. Kleinmann: Geschichte der CDU, S. 255. Tim Geiger: Atlantiker gegen Gaullisten. Außenpolitischer Konflikt und innerparteilicher Machtkampf in der CDU/CSU 1958 – 1969 (Studien zur Internationalen Geschichte. Bd. 20). München 2008;

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Mit dem Wechsel im Kanzleramt von Adenauer zu Erhard am 15. Oktober 1963 geht das interne Gerangel zwischen dem neuen Regierungschef und dem „Alten aus Rhöndorf“ – dem immer noch amtierenden CDU-Bundesvorsitzenden – weiter. Schnell zeigt sich, dass Erhard, die Symbolfigur der Sozialen Marktwirtschaft und des Wirtschaftswunders, die in ihn gesetzten Erwartungen, innerparteiliche Interessenkonflikte auszubalancieren und integrierend zu wirken, nur bedingt zu erfüllen vermag. Er ist und bleibt ein Wirtschaftsfachmann, der glaubt, durch langjährige Kabinettszugehörigkeit Anspruch auf das Kanzleramt erworben zu haben. Doch mit dem filigranen Netzwerk und den Substrukturen der Partei, in der er sich kaum innerparteilich engagiert hat, ist er nicht wirklich vertraut. Ihm fehlt es an taktischem Kalkül und Durchsetzungsfähigkeit. Dementsprechend unentschlossen wirkt er und hält sich von Machtpolitik am liebsten fern. Bei der Kabinettsbildung versäumt er, aufstrebende, ehrgeizige Figuren wie Barzel, Dufhues oder Strauß einzubinden. Die EWG lehnt er unverändert als protektionistische Institution ab, befürwortet außenwirtschaftlich und integrationspolitisch Freihandel und kommt deshalb mit de Gaulle nicht auf einen gemeinsamen Nenner, worin ihn der „Atlantiker“ Außenminister Schröder nur bestärkt. Wo der CDU-Vorsitzende nur kann, attackiert er den Kanzleramtsnachfolger, wirft ihm öffentlich mangelndes Gespür für die Besonderheit der deutsch-französischen Beziehungen vor. Zudem nehmen Risse und Querelen zwischen Katholiken und Protestanten, Reformern und Konservativen, Bundespartei und Landesverbänden, dem liberalen Wirtschaftsflügel und der CDA zu. Adenauer sieht angesichts der offensichtlichen Führungsschwäche Erhards seine Befürchtungen bestätigt, dass dieser außerstande ist, ihm auch im CDU-Parteivorsitz zu folgen. Im Vorfeld der Bundestagswahl 1965 sucht sich Erhard das Image des „Volkskanzlers“ zuzulegen, zeigt Verständnis für die junge Generation, ermuntert sie, weniger Respekt vor der Seniorität zu haben. Mit Offenheit für alle Wählerschichten und gesellschaftlicher Geschlossenheit soll die CDU eine neue Gesellschaftsordnung schaffen und sich als die Partei der Moderne präsentieren. Mit dem Slogan „Es geht um Deutschland“ diskutiert die CDU auf ihrem Düsseldorfer Bundesparteitag 1965 eine Reihe wichtiger Zukunftsthemen wie Gesundheit, Wohnungsbau, Städteentwicklung, Raumplanung, Berufsförderung für Frauen, gesellschaftlichen Umgang mit alten Menschen und Bildungschancen für jeden als Reaktion auf die öffentliche Diskussion über den „Bildungsnotstand“. Erhards Konzept der „formierten Gesellschaft“ impliziert das Zusammenwirken aller gesellschaftlichen Gruppen und Interessen, aus eigenem Willen und in der Erkenntnis um gegenseitige Abhängigkeit der Menschen in der modernen Industriegesellschaft, die nach demokratischen Grundsätzen strukturiert sein soll und somit eine Fortentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft darstellt.72 Allerdings wird der Begriff von der Presse zerrissen. Auf verschiedensten Fachkongressen von Kommunalpolitikern, Mittelstandsvereinigung, Vertriebenen sowie Tagungen über Kultur-, Gesundheits-, Frauen-, Landwirtschafts- und Raumordnungspolitik wird Ders.: Der Streit um die deutsche Europapolitik in den 1960er Jahren, in: Hanns Jürgen Küsters (Hg.): Deutsche Europapolitik Christlicher Demokraten. Von Konrad Adenauer bis Angela Merkel (1945 – 2013) (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 66). Düsseldorf 2014, S. 331 – 363; Thorsten Oppelland: Gerhard Schröder (1910 – 1989). Politik zwischen Staat, Partei und Konfession (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 39). Düsseldorf 2002, S. 562 – 583; Franz Eibl: Politik der Bewegung. Gerhard Schröder als Außenminister 1961 – 1966 (Studien zur Zeitgeschichte. Bd. 60). München 2001. 72 Volker Hentschel: Ludwig Erhard. Ein Politikerleben. München u. a. 1996, S. 559 – 564.

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ausgiebig darüber diskutiert. Doch Konservativen fehlt die Betonung christlicher Werte als Grundlage der Gesellschaft. Trotz berechtigter Kritik, so notiert Heinrich Krone, könne man jetzt nichts dagegen tun, „weil der Wahlkampf gewonnen sein will. Erhards formierte Gesellschaft ist [ein] liberaler Aufguss christlichen Gesellschaftsgutes.“ 73 Ungeachtet der CDU-Landtagswahlerfolge 1964 in Baden-Württemberg mit Kiesinger als Ministerpräsident74 und 1965 im Saarland, die Franz-Josef Röder im Amt bestätigen, scheint wegen sinkender Umfragewerte für die Union und abnehmender Popularität des Kanzlers ein Sieg bei der Bundestagswahl im September des Jahres keineswegs sicher. Nach 16 Jahren CDU-Regierung könnte sich eine Wechselstimmung beim Wähler breitmachen. Eigentlich unerwartet erringen die Unionsparteien 47,6 Prozent, ein Plus gegenüber der Bundestagswahl 1961 von 2,3 Prozent, in absoluten Zahlen sogar 390.000 Stimmen mehr als bei der absoluten Mehrheit im Jahre 1957. Positiv ist einerseits der hohe Anteil mit 57 Prozent in den ländlichen Regionen Norddeutschlands, besorgniserregend andererseits die geringe Zustimmung in Großstädten mit nur 39 Prozent. Gemeinsam mit den 9,5 Prozent für die FDP reicht es zur Fortsetzung der Koalition.75 Im Grunde ändert der Wahlausgang an den Problemen der CDU nichts. Konflikte in Regierung, Koalition, Fraktion und Partei halten an, und die Parteireform kommt nicht voran. Adenauer will den Parteivorsitz nicht freimachen76, Dufhues als Geschäftsführender Vorsitzender und Kanzler Erhard teilen sich mehr schlecht als recht die Führung. Dabei wächst die Mitgliederzahl beständig auf bald 300.000. Bereits Mitte der 1960er Jahre hat sich die Volkspartei CDU von der Honoratioren- zur Mitgliederpartei gewandelt, allerdings mit abweichender Repräsentanz gesellschaftlicher Gruppen. Über vier Fünftel beträgt der Anteil an Männern, knapp zwei Drittel sind Katholiken, etwa ein Drittel Protestanten. 45 Prozent gehören zur Kohorte Arbeitnehmer. Selbständige und Freiberufler machen ein Fünftel aus, etwa gleich groß ist die Gruppe der Hausfrauen, Ruheständler und Studierenden.77 Von den Reformankündigungen in der Regierungserklärung Erhards Mitte November 1965 78 bleibt wenig übrig. Um die Haushaltssicherung und Wahrung der Preisstabilität zu gewährleisten, ruft er zu Sparmaßnahmen auf und kündigt Arbeitszeiterhöhungen an, die zeigen, dass Wirtschaft, Vollbeschäftigung und Lebensstandard nicht beständig wachsen. Die deutlich sich abschwächende Konjunktur 1966 führt zu Haushaltsdefiziten, hat Lohnkürzungen und Entlassungen zur Folge. Trotz des Prestigeerfolgs bei der Bun73 Eintrag 21.6.1965, in: Heinrich Krone. Tagebücher. Zweiter Bd.: 1961 bis 1966. Bearb. von Hans-Otto Kleinmann (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 44). Düsseldorf 2003, S. 386. 74 Philipp Gassert: Kurt Georg Kiesinger 1904 – 1988. Kanzler zwischen den Zeiten. München 2006, S. 424 – 432. 75 Tim Geiger: Koalitionsverhandlungen und Koalitionsmanagement in der Kanzlerschaft Ludwig Erhards 1963 – 1966, in: Philipp Gassert/Hans Jörg Hennecke (Hg.): Koalitionen in der Bundesrepublik. Bildung, Management und Krisen von Adenauer bis Merkel (Rhöndorfer Gespräche. Bd. 27). Paderborn 2017, S. 83 – 112. 76 Konrad Adenauer – Der Vater, die Macht und das Erbe. Das Tagebuch des Monsignore Paul Adenauer 1961 – 1966. Hg. von Hanns Jürgen Küsters. Paderborn 2017, passim. 77 Kleinmann: Geschichte der CDU, S. 246; Tabelle „Organisations- und Mitgliederstand der CDU-Landesverbände 1956“ sowie Tabelle „Berufliche Gliederung der CDU-Mitglieder 1964“, beide in: Bösch: Die Adenauer-CDU, S. 277, 285. 78 Erklärung der Bundesregierung, Ludwig Erhard, 10.11.1965, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 5.Wahlperiode 1965, Stenographische Berichte, 4. Sitzung, S. 17 – 33.

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destagswahl zögert der Kanzler, klare Entscheidungen zu treffen, und verstrickt sich in Widersprüchlichkeiten. Das schürt in der Bevölkerung zwar übertriebene Krisenängste, doch die politischen Konsequenzen in der Union sind erheblich. Im CDU-Bundesvorstand, in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und aus dem Kabinett werden Stimmen immer lauter, nun endlich Parteiführung und Kanzleramt in die Hände Erhards zu legen, um eine geschlossene Führung zu ermöglichen. Doch in Wirklichkeit hat Erhards Demontage längst begonnen.79 Rainer Barzel, Nachfolger Krones als Fraktionsvorsitzender,80 will gegen den Kanzler um den Parteivorsitz nur kandidieren, wenn Adenauer ihn vorschlägt. Da sich einige CDU-Landesverbände, insbesondere der Landesverband Nordrhein-Westfalen, auf die Seite Erhards schlagen, knickt Barzel ein. Damit ist auf dem 14.Bundesparteitag in Bonn Mitte März 1966 der Weg für Erhard an die Parteispitze frei. Aufgrund der Satzungsänderung wird Barzel zum ersten Stellvertreter des Bundesvorsitzenden gewählt und somit Parteiführung und Fraktion engstens verquickt, was dessen Ambitionen auf den Kanzlerstuhl stärkt. Daneben umfasst das neue, maximal zwölfköpfige Präsidium mit Kai-Uwe von Hassel und Paul Lücke zwei weitere gleichberechtigte Stellvertreter. In der Funktion als Geschäftsführendes Mitglied des Präsidiums löst Bundesfamilienminister Bruno Heck den erkrankten bisherigen Geschäftsführenden Vorsitzenden Josef Hermann Dufhues ab. Somit können die Altvorderen der CDU den Vorstoß des politischen Nachwuchses abwehren. Obwohl ihn die Partei zum Ehrenvorsitzenden macht, sieht Adenauer sein politisches Erbe mit dem Parteivorsitzenden Erhard dahinschwinden.81 Erhoffte frische Impulse für die Parteireform bleiben jedoch aus. Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen Mitte Juli beschert die strukturell bedingte Krise im Ruhrbergbau der CDU einen Stimmenrückgang um 3,6  Prozent auf 42,76 Prozent gegenüber der SPD, die 49,48 Prozent der Stimmen erzielt. Dennoch reicht der CDU/FDP-Koalition die Mehrheit eines Mandats für das Weiterregieren. Durch den Anstieg der Arbeitslosenzahl über die magische Grenze von 100.000, verschärfte Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, pessimistische Prognosen aus der Wirtschaft, das Anwachsen der NPD, der es bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern gelingt, ins Parlament einzuziehen, gerät die Union zusätzlich unter Druck. Dazu läuft außenpolitisch einiges aus dem Ruder. In den deutsch-französischen Beziehungen geht de Gaulle mit dem militärischen Austritt aus der NATO und seinem Moskau-Besuch eigene Wege, das MLF-Projekt platzt und die Friedensnote der Bundesregierung im März 1966 deutet nur geringe außenpolitische Bewegungsbereitschaft in der Phase der Ost-West-Entspannung an. Im Herbst 1966 diskutiert die CDU unverhohlen über Erhards Sturz, den schließlich der Koalitionspartner FDP auslöst.82 Neben dem vereinbarten Kompromiss zur Haushaltskonsolidierung noch Steuererhöhungen vorzusehen, lehnt die FDP-Bundestagsfrak79 Stefan Marx: Bildung und Management der Großen Koalition unter Kurt Georg Kiesinger 1966– 1969, in: Gassert/Hennecke (Hg.): Koalitionen in der Bundesrepublik, S. 113 – 160, hier 117 – 122. 80 Kai Hendrik Wambach: Streben nach Konsens – Rainer Barzels Vorsitz der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, in: HPM 20 (2013), S. 199 – 228. 81 Einträge Paul Adenauer, 13. und 15.2.1966, in: Konrad Adenauer – Der Vater, die Macht und das Erbe, S. 446 – 454. 82 Peter März: Zweimal Kanzlersturz. Adenauer 1963, Erhard 1966, in: Schwarz (Hg.): Die Fraktion als Machtfaktor, S. 39 – 65, hier 59 – 61.

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tion am 27.Oktober ab. Deshalb erklären die vier FDP-Bundesminister ihren Rücktritt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lässt nun Erhard fallen und nominiert am 10. November als Nachfolger den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kurt Georg Kiesinger zum Kanzlerkandidaten.83 Nachdem erneute Koalitionsverhandlungen von CDU, CSU und FDP fehlschlagen, verständigt sich eine Verhandlungskommission aus CDU, CSU und SPD auf die Bildung einer großen Koalition unter Führung Kiesingers. Erhard tritt am 30. November 1966 vom Amt des Bundeskanzlers zurück. Am folgenden Tag wählt der Deutsche Bundestag Kurt Georg Kiesinger mit den Stimmen von CDU, CSU und SPD zum neuen Bundeskanzler. Einen langatmigen Abschied, wie ihn die Überfigur Adenauer der Partei zugemutet hat, will niemand ein zweites Mal erleben. Ein halbes Jahr später muss Erhard daher auch das Amt des Parteivorsitzenden an Kiesinger abgeben. Der Generationenwechsel ist unverkennbar. Viele junge, ehrgeizige NachwuchsPolitiker, unter ihnen Helmut Kohl und Gerhard Stoltenberg, drängen nun auf Veränderungen in der CDU und Mitsprache in den obersten Parteigremien. In der Ära Adenauer, wirtschaftspolitisch von Erhard entscheidend mitgestaltet, konsolidiert sich die einstige Sammlungsbewegung CDU zur Partei der Mitte, betreibt mit Hilfe der Sozialen Marktwirtschaft in Zeiten stetigen konjunkturellen Wachstums den Wiederaufbau und leitet die erforderliche Modernisierung Deutschlands ein. Gesellschaftspolitisch und europapolitisch ist die Union die Integrationspartei, die in den beiden ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik Deutschland den jungen Staat trägt. Auch wenn ihre Deutschland- und Verteidigungspolitik heftig kritisiert wird, so hat sich am Ende die von ihr eingeschlagene Westintegration als der richtige Weg zur Wiederherstellung der deutschen Einheit erwiesen. Der lähmend lange Kampf um die Kanzlernachfolge und den Parteivorsitz, unnötiger Streit um die Zukunft bundesdeutscher Außenpolitik im Rahmen des transatlantischen Bündnisses oder eine stärkere europäisch-sicherheitspolitische Bindung an Frankreich, die Ost-West-Entspannungspolitik, der soziografische Wandel und die weitergehende gesellschaftliche Säkularisierung stellen die CDU Mitte der 1960er Jahre vor politische Zerreißproben, bedingen nun organisatorische Änderungen und programmatische Präzisierungen, um als Volkspartei Antworten auf die Herausforderungen der neuen Technik-Welt zu geben.

Forschungs- und Quellenlage Überblicksdarstellungen zur CDU-Geschichte haben vorgelegt Hans-Otto Kleinmann: Geschichte der CDU und Frank Bösch: Die Adenauer-CDU. Unverzichtbare Quellenveröffentlichungen sind Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands (Bde. 1950 – 1953, 1953 – 1957, 1957 – 1961, 1961 – 1965, 1965 – 1969), bearb. von Günter Buchstab (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte Bde. 8, 16, 24, 32, 50). Stuttgart 1986 – 2005, sowie Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag Sitzungsprotokolle 1949 – 1953 und 1953 – 1957, bearb. von Helge Heidemeyer; Sitzungsprotokolle 1957 – 1961, bearb. von Reinhard Schiffers; Sitzungsprotokolle 1961 – 1966, bearb. von Corinna Franz (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Vierte Reihe: Deutschland seit 1945. Bde. 11/I – IV). Düsseldorf 1989 – 2004; Die 83 Gassert: Kurt Georg Kiesinger, S. 492 – 498.

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Die Regierungspartei der Bundesrepublik Deutschland

CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag. Sitzungsprotokolle 1949 – 1972, bearb. von Andreas Zellhuber/Tim B. Peters (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Vierte Reihe: Deutschland seit 1945. Bd. 15/I). Düsseldorf 2011; Jaromír Balcar/Thomas Schlemmer (Hg.): An der Spitze der CSU. Die Führungsgremien der Christlich-Sozialen Union 1946 bis 1955 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte. Bd. 68). München 2006. Zusammenfassende Darstellung bei Hans-Peter Schwarz (Hg.): Die Fraktion als Machtfaktor. CDU/CSU im Deutschen Bundestag 1949 bis heute. München 2009. Umfangreiche soziografische Daten zu den Unionsparteien finden sich in: CDU und CSU. Mitgliedschaft und Sozialstruktur 1945 – 1990, bearb. von Corinna Franz/Oliver Gnad (Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bd. 12/II). Düsseldorf 2005. Zentrale Aspekte der Politik des ersten Bundeskanzlers in den Jahren 1945 bis 1967 enthält die Nachlassedition Adenauer Rhöndorfer Ausgabe, vor allem die Bände Adenauer Briefe 1949 – 1967 (11 Bde), bearb. von Hans Peter Mensing. Berlin 1983 – 1998 und Paderborn u. a. 2000 – 2009, und Adenauer Teegespräche 1950 – 1963 (4 Bde.), bearb. von Hanns Jürgen Küsters. Berlin 1984 – 1988, und Hans Peter Mensing. Berlin 1992. Aus der Vielzahl der vorliegenden Biografien zu den beiden CDU-Parteivorsitzenden sind für die 1950er bis Mitte der 1960er Jahre zu nennen: Hans-Peter Schwarz: Adenauer. Der Aufstieg: 1876 – 1952. Stuttgart 1986, Der Staatsmann: 1952 – 1967. Stuttgart 1986 – 1991, und die Darstellung von Henning Köhler: Adenauer. Eine politische Biographie. (2 Bde.) Berlin 1994; zur Politik Ludwig Erhards: Volker Hentschel: Ludwig Erhard. Ein Politikerleben. München 1996, und Alfred C. Mierzejewski: Ludwig Erhard. Der Wegbereiter der Sozialen Marktwirtschaft. Berlin 2005. Zu deren Auseinandersetzungen: Konrad Adenauer – Der Vater, die Macht und das Erbe. Das Tagebuch des Monsignore Paul Adenauer 1961 – 1966, hg. von Hanns Jürgen Küsters. Paderborn u. a. 2017, sowie grundlegend: Daniel Koerfer: Kampf ums Kanzleramt. Erhard und Adenauer. Erw. u. akt. Neuauflage Elsbethen 2020 (zuerst Stuttgart 1987). Weitere Aufschlüsse geben die Editionsbände Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und die Soziale Marktwirtschaft und zum Verhältnis Adenauers und der CDU zum langjährigen Koalitionspartner Adenauer und die FDP (beide Rhöndorfer Ausgabe), bearb. von Holger Löttel. Paderborn u. a. 2013 – 2019. Für die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Entwicklungen bleibt maßgebend die Reihe Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 3: 1949 – 1957 Bundesrepublik Deutschland. Bewältigung der Kriegsfolgen, Rückkehr zur sozialpolitischen Normalität, hg. von Günther Schulz, Baden-Baden 2005, und Bd. 4: 1957 – 1966 Bundesrepublik Deutschland. Sozialpolitik im Zeichen des erreichten Wohlstands, hg. von Michael Ruck/Marcel Boldorf. Baden-Baden 2008. Einschlägige Quellen zu den außen-, deutschland- und europapolitischen Entscheidungen Adenauers, Erhards, von Brentanos und Schröders enthalten die amtlichen Editionsreihen Dokumente zur Deutschlandpolitik II.– IV.Reihe 1945 – 1955 (16 Bde.), hg. vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen/innerdeutsche Beziehungen/des Innern unter Mitwirkung des Bundesarchivs. Frankfurt a. M. u. a. 1961 – 1981, 1996 – 2003 sowie die Edition Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, hier die Bände Adenauer und die Hohen Kommissare 1949 – 1951 und 1952. München 1989 – 1990, und die Bände für die Jahre 1949 bis 1953 und 1963 bis 196. Hg. von HansPeter Schwarz u. a. München 1994 – 2001. 145

Die CDU in der (ersten) Großen Koalition und Opposition: Reformerische Aufbrüche unter Kiesinger und Barzel Philipp Gassert In seiner ersten Regierungserklärung als Bundeskanzler am 13. Dezember 1966 sprach Kurt Georg Kiesinger von einer „lange schwelenden Krise“, die der Regierungsbildung dieser (ersten) Großen Koalition vorausgegangen sei.1 Dafür erntete er Beifall bei der SPD. In der Unionsfraktion gab es lange Gesichter. Der neue Kanzler, von einem knappen Jahrzehnt innerparteilicher Querelen relativ unbelastet aus der baden-württembergischen Provinz herbeigeeilt, las seiner Partei die Leviten. Erntete er auch Unmut, so traf er doch den Nagel auf den Kopf: Die CDU hatte seit Anfang der 1960er Jahre Anzeichen eines personellen und inhaltlichen Verschleißes gezeigt. Auf Adenauers triumphale Wiederwahl 1957 war eine merkwürdig schwierige Regierungsbildung gefolgt, deren Opfer auch Kiesinger geworden war.2 Obwohl die CDU sich in Wahlen auf einem „Höhepunkt ihrer Entwicklung“ befand 3, hatte seit der „Präsidentschaftskrise“ 1959 die Nachfolgefrage die Union fast unablässig geplagt.4 Innerparteilich tobte die Atlantiker-Gaullisten-Kontroverse, ein makabrer Streit um eine sich in der damaligen Zeit nicht stellende außenpolitische Wahl zwischen Frankreich und USA – mit ganz überwiegend personalpolitischen Ursachen.5 Inhaltlich nutzten sich die Frontstellungen der 1950er Jahre ab, mit denen Konrad Adenauer so erfolgreich gepunktet hatte. Das „Bürgerblock“-Denken verfing nicht mehr.6 Der Ost-West-Konflikt transformierte sich, Entspannung wurde zum „globalen Trend“ und damit die „deutsche Frage“ von den Verbündeten zunehmend an den Rand gedrängt.7 Die SPD schwor mit dem Godesberger Programm 1959 endgültig dem Marxismus ab und stellte sich außenpolitisch auf den Boden der Westbindung.8 Dass die 1 Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966, in: Kurt Georg Kiesinger: Die Große Koalition 1966 – 1969. Reden und Erklärungen des Bundeskanzlers. Hg. von Dieter Oberndörfer. Stuttgart 1979, S. 6 – 27, hier 6. 2 Vgl. Hans-Peter Schwarz: Die Ära Adenauer. Epochenwechsel, 1957 – 1963 (Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 3). Stuttgart u. a. 1983, S. 369 f.; Philipp Gassert: Kurt Georg Kiesinger 1904 – 1988. Kanzler zwischen den Zeiten. Stuttgart u. a. 2006, S. 304 – 307. 3 Hans-Otto Kleinmann: Geschichte der CDU 1945 – 1982. Hg. von Günter Buchstab. Stuttgart 1993, S. 169. 4 Daniel Koerfer: Kampf ums Kanzleramt. Erhard und Adenauer. Stuttgart 1987, S. 227 f.; Hans-Peter Schwarz: Adenauer. Bd. 2: Der Staatsmann 1952 – 1967. Stuttgart 1991, S. 914 ff.; Kleinmann: Geschichte, S. 175 ff.; Konrad-Adenauer-Stiftung (Hg.): Kleine Geschichte der CDU. Stuttgart 1995, S. 72 – 74. 5 Tim Geiger: Atlantiker gegen Gaullisten. Außenpolitischer Konflikt und innerparteilicher Machtkampf in der CDU/CSU 1958 – 1969 (Studien zur internationalen Geschichte. Bd. 28). München 2008. 6 Frank Bösch: Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei 1945 – 1969. Stuttgart u. a. 2001, S. 391 ff. 7 Gottfried Niedhart: Entspannung in Europa. Die Bundesrepublik Deutschland und der Warschauer Pakt 1966 bis 1975 (Zeitgeschichte im Gespräch. Bd. 19). München 2014, S. 10 ff. 8 Kurt Klotzbach: Der Weg zur Staatspartei. Programmatik, praktische Politik und Organisation der

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Trümpfe der CDU nicht mehr so zuverlässig stachen, hatte aber mehr als mit dem Wandel der Opposition im Bundestag mit dem Wandel der Gesellschaft zu tun. Das atemberaubende Wirtschaftswachstum der 1950/60er Jahre hatte Gewissheiten und Trennlinien untergraben. Wohlstand generierte Unzufriedenheiten und Aufbruchsstimmung, von der Spiegel-Krise bis zur Rebellion der „68er“.9 In den Medien drängten die Jahrgänge der „skeptischen Generation“ nach vorne, mit einer in ihrem meinungsbildenden Segment zunehmend linksliberalen Orientierung.10 Die Union konnte nicht mehr sicher auf das kirchliche Vorfeld bauen – einst ein bewährter Anker ihrer Wahlstrategie. Es wurde heftig über das „hohe C“ debattiert. Aufgrund von Entwicklungen in katholischer Kirche (Zweites Vatikanisches Konzil) und Protestantismus (den Wechsel national-protestantischer Kreise um den späteren Bundespräsidenten Heinemann zur SPD) war das christliche Selbstverständnis der Parteien mit dem „C“ im Namen unsicher geworden.11 Die CDU reagierte auf diese inhaltlichen und personellen Herausforderungen mit einer Modernisierung ihrer Strukturen, aber auch mit einer inhaltlichen Erneuerung in einem national und international für sie schwierigen Umfeld. Ein erster Höhepunkt der Reformdebatte wurde schon 1968 erreicht, als das Berliner Programm verabschiedet wurde, mit dem sich die CDU den „Anforderungen der siebziger Jahre“ stellte.12 Teil der Modernisierung war eine personelle Verjüngung, die in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre einsetzte. Schon 1965 wurde eine Kohorte jüngerer Abgeordneter in den Bundestag gewählt, die wie der spätere Generalsekretär Heiner Geißler oder die späteren Verteidigungsminister Manfred Wörner und Gerhard Stoltenberg über Jahrzehnte die Union prägen sollten. Nicht erst der „Machtwechsel“ im Bund 1969, sondern der Abschied von Adenauer und das Scheitern Erhards halfen der Parteireform auf die Sprünge. Als die CDU 1969 das Kanzleramt verlor, waren erste Pflöcke schon eingeschlagen. Als Helmut Kohl 1973 in Nachfolge des glücklosen Rainer Barzel zum Vorsitzenden gewählt wurde, hatte die CDU neue Strukturen bereits geschaffen, verzeichnete einen enormen Zuwachs an Neumitgliedern und wurde im Bund 1976 wieder stärkste Partei.13 So ambivalent die Ära Kiesinger-Barzel in der CDU-Parteigeschichte auch gesehen wird, weil sie untrennbar mit dem Bonner Machtverlust 1969, dem Scheitern des Konstruktiven Misstrauensvotums (auch aufgrund von Verrat und Korruption) sowie der herben Wahlniederlage 1972 verbunden ist, so wichtig war diese „Zwischenphase“ nach den Querelen der ausgehenden Ära Adenauer und dem Erhard-Intermezzo für die Weiterdeutschen Sozialdemokratie 1945 – 1965. Berlin 1982, S. 495 ff. 9 Detlef Siegfried: Protest, Revolte, Gegenkultur. Stuttgart 2018, S. 13 – 26. 10 Christina von Hodenberg: Kritik und Krise. Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945 – 1973 (Moderne Zeit. Bd. 12). Göttingen 2006, S. 245 ff. 11 Bösch: Adenauer-CDU, S. 320 ff.; Kleine Geschichte der CDU, S. 70; Dorothee Buchhaas: Die Volkspartei. Programmatische Entwicklung der CDU 1950 – 1973 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und den politischen Parteien. Bd. 68). Düsseldorf 1981, S. 298 ff. 12 Vgl. Peter Hintze: Die CDU-Parteiprogramme. Eine Dokumentation der Ziele und Aufgaben. Bonn 1985, S. XV–XVII; Wulf Schönbohm: Die CDU wird moderne Volkspartei. Selbstverständnis, Mitglieder, Organisation und Apparat 1950 – 1980 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 7). Stuttgart 1985, S. 141 f.; Kleinmann: Geschichte, S. 269 ff.; ersetzt wurde es 1978 durch das Ludwigshafener Grundsatzprogramm. 13 Frank Bösch: Macht und Machtverlust. Die Geschichte der CDU. Stuttgart u. a. 2002, S. 108 – 114; vgl. auch Kai Wambach: Streben nach Konsens. Rainer Barzels Vorsitz der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, in: HPM 20 (2013), S. 199 – 228.

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entwicklung der CDU und ihrer Strukturen. Dass die Rückkehr ins Kanzleramt erst 1982 glückte, lag am deutschen politischen System und der darob fehlenden Koalitionsoptionen. Der Willen zur Erneuerung indes war schon in den späten 1960er Jahren überdeutlich spürbar. Es lässt sich trefflich darüber streiten, ob die „langen“ 1970er Jahre von 1967 bis 1982 ein eher „rotes Jahrzehnt“ waren, so der Journalist Gerd Koenen, ein „sozialdemokratisches“, so der Historiker Bernd Faulenbach, oder nicht doch auch ein „schwarzes“, denn im Süden wurden die absoluten CDU-Mehrheiten erst mit dem sensationellen Wahlsieg in Baden-Württemberg 1972 errungen.14 Zweifellos profitierte die CDU, wie die SPD, vom Trend hin zu den Volksparteien. Aber dass der Einzug der NPD in den Bundestag verhindert wurde, war auch ein Erfolg von Kiesinger, Barzel und Strauß. Der Aufstieg der rechtspopulistischen AfD in jüngster Zeit rückt das Wahlergebnis 1969 in ein anderes Licht. Im Folgenden wird die Geschichte der CDU aus der Perspektive erstens Kiesingers und zweitens Barzels betrachtet, dann deren Agieren vor dem Hintergrund der Entscheidung zur Großen Koalition 1966, des Machtverlusts im Bund 1969 und der doppelten Niederlage 1972 skizziert. Drittens geht es übergreifend um die Parteireform. Das bezieht die Ebene der Generalsekretäre Bruno Heck und Konrad Kraske sowie der Bundesgeschäftsführer Kraske, Rüdiger Göb und Ottfried Hennig mit ein. Die strukturelle Neuorganisation der Parteiführung jenseits der „Adenauer-CDU“ war seit 1962 ein Dauerbrenner und zeitigte in der Ära Kiesinger-Barzel-Heck-Kraske mehr als nur erste Ergebnisse. Die These von Wulf Schönbohm, einst selbst ein „junger Wilder“ des RCDS von 1968/69, ist kaum haltbar, dass erst Kohl „die eigenständige Rolle und Bedeutung der Partei und von Parteiämtern“ erkannt habe.15 Viertens geht es um die inhaltliche Neu-Positionierung, die mit dem Berliner Parteitag 1968 sichtbar wurde. Dieser ist ein zu Unrecht vergessenes Schlüsselereignis der Geschichte der CDU. Er wird daher hier in seiner Bedeutung hervorgehoben. Der Prozess der Erneuerung war mit der Abwahl Barzels 1973 nicht abgeschlossen. Er – wie auch Kiesinger – hatte realisiert, dass eine Fundamentalopposition gegen die Ostpolitik die heterogene sozialliberale Koalition nur zusammenschweißte.16 Aber es gelang ihnen nicht, den Fokus auf die Gesellschaftspolitik zu wenden. Dies blieb dann Kohl ab 1973 vorbehalten.

Ein zögerlicher Reformer in Übergangszeiten: Kiesinger als Vorsitzender Kiesinger wird in der Literatur als Parteivorsitzender gezeichnet, der die Parteireform nicht initiierte, aber „mit präsidialem Gestus“ geduldet habe. Sein intellektuelles Auf14 Gerd Koenen: Das rote Jahrzehnt. Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967 – 1977. Köln 2001; Bernd Faulenbach: Das sozialdemokratische Jahrzehnt. Von der Reformeuphorie zur neuen Unübersichtlichkeit, 1969 – 1982. Bonn 2011; Philipp Gassert: Ein „rotes“ oder „schwarzes“ Jahrzehnt? Parteienlandschaft und politische Milieus in Baden-Württemberg in den siebziger Jahren, in: Philipp Gassert/Reinhold Weber (Hg.): Hans Filbinger, Wyhl und die RAF. Die Siebzigerjahre in BadenWürttemberg. Stuttgart 2015, S. 21 – 45. 15 Schönbohm: CDU, S. 127; siehe auch Philipp Gassert: Die „anderen“ 68er. Junge Christdemokraten, die Studentenbewegung und die Außerparlamentarische Opposition, in: DPM 548 (2018), S. 105– 108. 16 Andreas Grau: Gegen den Strom. Die Reaktion der CDU/CSU-Opposition auf die Ost- und Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition 1969 – 1973 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 47). Düsseldorf 2005, S. 528; Gassert: Kiesinger, S. 732 ff.

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treten habe zwar der Zeit entsprochen, aber „sein fehlendes Parteiengagement nicht“. 17 Diese Einschätzung wurde schon zeitgenössisch geteilt, als im November 1969 der damalige RCDS-Vorsitzende, Uwe Simon, Kiesinger kurz vor dessen Wiederwahl zum Parteivorsitzenden attestierte, er habe „so gut wie nichts für die Partei getan“.18 Indes unterschätzt dieses harsche Urteil die nicht zuletzt organisatorischen Herausforderungen der Großen Koalition für die CDU. Unter Adenauer war die Partei aus dem Palais Schaumburg geführt worden, sein Staatssekretär Globke hatte wie ein Generalsekretär der Partei agiert. Das funktionierte schon in der späten Ära Adenauer und dann unter Erhard erst recht nicht mehr. Nun, unter den Bedingungen der damals völlig neuen Erfahrung einer Großen Koalition im Bund, deren kompliziertes Management den „wandelnden Vermittlungsausschuss“ Kiesinger ganz forderte, war Parteiführung im Nebenamt ein Ding der Unmöglichkeit geworden.19 An und für sich eilte Kiesinger aus seiner Stuttgarter Zeit der Ruf eines modernen Mannes voraus, der sich als Ministerpräsident mit dem Ausbau des Bildungssektors und als Universitätsgründer und Hochschulreformer profiliert hatte. Er war kein Mann der Gremien und der Parteiorganisation, wie dies Barzel von sich behaupten konnte. Aber ihm war selbstverständlich klar, dass Parteistrukturfragen immer Machtfragen sind und dass die vieldiskutierte Parteireform mit der Großen Koalition an Dringlichkeit gewonnen hatte. Das Experiment „Doppelspitze“ Erhard/Barzel, mit Heck als geschäftsführendem Präsidiumsmitglied als Drittem im Bunde, wurde allgemein negativ bewertet. Kiesinger setzte daher, in nüchterner Einschätzung der Herausforderungen, vor denen die CDU in den bevorstehenden Wahlkämpfen stand, den Posten eines neben- und dann hauptamtlichen Generalsekretärs gegen anfängliche Bedenken durch.20 Die 1967/68 gefundene Lösung wurde im Großen und Ganzen beibehalten, auch dass der Generalsekretär das Vertrauen des Vorsitzenden genießen muss, was längst zu einem politischen Allgemeinplatz geworden ist: Denn ein „Antagonismus in der Spitze“, so Kiesinger, müsse „unter allen Umständen vermieden werden“.21 Richtig ist, dass der Kanzler das Organisatorische seinem Freund und schwäbischen Landsmann Heck überließ. Das komplizierte Management der Großen Koalition forderte den „ganzen Mann“ – ein gravierender struktureller Unterschied sowohl zu Adenauer als auch zu Barzel und Kohl. Das neue Team Kiesinger-Heck erzielte rasch Erfolge in den zahlreichen Landtagswahlen 1967/68, mit denen der Aufstieg der SPD erst einmal gebremst wurde. Auch konnte die Union in den Bundestagswahlen 1969 ein respektables Ergebnis erzielen (mit 17 Bösch: Macht und Machtverlust, S. 97; siehe auch Hans-Otto Kleinmann: „Ich gehöre doch zu dieser Partei“. Kiesinger als Vorsitzender der CDU, in: Günter Buchstab u. a. (Hg.): Kurt Georg Kiesinger 1940 – 1988. Von Ebingen ins Kanzleramt. Freiburg i. Br. 2005, S. 501 – 529. 18 In einem Interview mit „Christ und Welt“, 14.11.1969, zit. ebd. S. 502. 19 Vgl. KAS: Kleine Geschichte, S. 263 f.; Philipp Rosin: Abschied von der „Adenauer-CDU“. Innerparteiliche Veränderungen in Regierungs- und Oppositionszeit 1967– 1973, in: HPM 25 (2018), S. 135 – 157. 20 Ebd., S. 138; Gassert: Kiesinger, S. 566 ff. 21 „Ich möchte den Vorsitzenden sehen, der bereit ist, den Vorsitz in der Partei zu übernehmen bei einem Generalsekretär, der gegen ihn ihm aufgezwungen worden ist. […] Machen Sie sich doch keine Träume, sondern bleiben Sie auf dem Boden der Tatsachen“, Kiesinger im Bundesvorstand, zit. nach Kiesinger: „Wir leben in einer veränderten Welt.“ Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1965 – 1969. Bearb. von Günter Buchstab unter Mitarbeit von Denise Lindsay (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 50). Düsseldorf 2005, Nr. 12, 2. Mai 1967, S. 506; darauf konnte sich später Kohl in seinem Konflikt mit Geißler berufen, vgl. Rosin: Abschied, S. 139.

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46,1 Prozent das bis dahin drittbeste) und schrammte nur knapp an der absoluten Mehrheit der Mandate vorbei. Aufgrund des Koalitionswechsels von FDP bzw. SPD konnte Kiesinger die „Früchte“ des beginnenden Umbaus nicht ernten, ebenso wenig wie Barzel, der ihm 1971 als Vorsitzender nachfolgte. Politik ist immer auch ein Geschäft mit dem Anschein. Durch den Verlust des Kanzleramts war Kiesinger „verbrannt“. Er galt als der primär für den „Machtwechsel“ Verantwortliche. Er wurde, wie nach 1972 auch Barzel, als Verlierer gezeichnet und als zu wenig responsiv gegenüber den Bedürfnissen der Partei.22 Doch als Kanzler musst er den schwierigen Spagat zwischen den Beharrungskräften und „Altvorderen“ in der CDU einerseits und einer „auf Reform“ und „Neues“ gestimmten Öffentlichkeit sowie Teilen der CDU meistern. Dennoch erzielte er rasch hohe Zustimmungswerte und konnte die öffentliche Wahrnehmung der CDU deutlich verbessern.23 Kiesingers Vorsitz war durch seinen, in damaliger Sicht unorthodoxen, Weg ins Kanzleramt belastet. Er wurde von der Fraktion in einem dreiseitigen Rennen als Kanzlerkandidat nominiert, auch weil er als relativer Außenseiter galt, der die Bonner Diadochenkämpfe eher von der Seitenlinie her beobachtet hatte.24 Er setzte sich daher im November 1966 gegen die „Bonner Insider“ Barzel und Bundesaußenminister Gerhard Schröder durch. Beide hatten jedoch weiterhin starke Positionen. Barzel blieb Fraktionsvorsitzender, doch Kiesinger war von dessen Loyalität nicht überzeugt. Das wurde in den Koalitionskrisen 1968/69 nach außen deutlich, als Barzel, ungeachtet seines engen Verhältnisses zum SPD-Fraktionsvorsitzenden Helmut Schmidt, Kiesingers ostpolitischen Liberalisierungskurs torpedierte, wie auch dessen moderate Haltung zu den „68ern“ unter Hardlinern wie Strauß auf Widerstand stieß. Strauß drohte 1968 (und erneut nach der Wahlniederlage 1972) mit der Kündigung der Fraktionsgemeinschaft, konnte sich aber, anders als in Kreuth 1976, bei der CSU nicht durchsetzen.25 Auch um möglichen Konkurrenten zuvorzukommen, strebte Kiesinger Anfang 1967, nach kurzem Zögern, den Parteivorsitz an.26 In der CDU war nun einmal das Kanzlerprinzip wirksam. Der populär agierende Kanzler, dessen Partei in Umfragen mit der SPD wieder gleichzuziehen begann, erzielte ein Traumergebnis. Er wurde mit sechzehn Neinstimmen bei zehn Enthaltungen mit 95 Prozent gewählt (Erhard hatte im Jahr zuvor mehr als 100 Gegenstimmen und Enthaltungen bekommen). Barzels Verbündete, die Heck als zunächst nur nebenamtlichen Generalsekretär hatten verhindern wollen, wurden abgestraft. Der prominente christliche Sozialpolitiker und Bundesarbeitsminister 22 Im Falle von Barzel war diese retrospektive Festschreibung als „ewiger Verlierer“ noch ausgeprägter als bei Kiesinger und in beiden Fällen stark von den Perspektiven der Ära Kohl geprägt, vgl. Wambach: Barzel, S. 5 f. 23 Vgl. für eine Analyse im Auftrag der CDU Werner Kaltefleiter u. a.: Im Wechselspiel der Koalitionen. Eine Analyse der Bundestagswahl 1969, in: Verfassung und Verfassungswirklichkeit 5 (1970), S. 1 – 187. 24 Diese Einschätzung war nicht korrekt, denn Kiesinger war seit 1960 immer wieder als möglicher Nachfolger gehandelt worden und hatte sich selbst verschiedentlich ins Spiel gebracht, vgl. Gassert: Kiesinger, S. 298 ff. 25 Nach der „Prager Krise“ 1968, „Führungskreis CSU Bad Reichenhall“. Handschriftliche Aufzeichnung Karl Theodor zu Guttenbergs für Kiesinger, September 1968, in: BAK N1397/94/261-271; vgl. Gassert: Kiesinger, S. 672 f.; Stefan Marx: Einleitung, in: Ders. (Bearb.): Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Sitzungsprotokolle 1966 – 1969 (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Deutschland seit 1945. Bd. 11/5). Düsseldorf 2011, S. LXXIII ff. 26 Kiesinger vor dem CDU-Präsidium, 5. Januar 1967, 3. Februar 1967, in: ACDP 07-001-057/1.

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Hans Katzer, ein Freund Barzels, kam nicht mehr in den reduzierten Bundesvorstand.27 Kiesinger war als Parteichef zunächst unangefochten. Dies änderte sich im Herbst 1968, nachdem Barzel seine Niederlage von 1966 verdaut hatte. Er stahl auf dem Berliner Parteitag Kiesinger die Show. Letzterer hatte gewunden eine mögliche Fortdauer der Großen Koalition um vier weitere Jahre in Aussicht gestellt. Der Kanzler wurde deshalb, in der „Kanzlerpartei“ CDU nachgerade sakrilegisch, ausgezischt. Barzel bezog unverblümt die Gegenposition. Der Fraktionschef war der Held der Delegierten.28 Kiesingers Amtszeit und somit auch seine Haltung zur Parteireform zerfiel in zwei deutlich geschiedene Phasen: Als Kanzler hatte er auch aufgrund seiner persönlichen Beliebtheit gerade bei einfachen Mitgliedern, dank seiner Begabung als Redner, den Vorsitz durchaus mit Selbstbewusstsein und souverän ausgefüllt, wie sein Agieren im Bundesvorstand zeigt.29 Als Kanzler brachte er Ruhe in die Partei. Doch als „grollender Verlierer von 1969“ war der Ex-Kanzler als Vorsitzender nun der Oppositionspartei bestenfalls Lückenbüßer. Auch war er inzwischen im Rentenalter. In der „Jugend“ prämierenden Zeit um 1968 spielte das Barzel in die Hände. Der Altkanzler konnte nicht einmal den Titel des Oppositionsführers für sich beanspruchen, weil Barzel rasch klargemacht hatte, dass er Fraktionsvorsitzender bleiben würde. Da Kiesinger alle Ansätze zur Parteireform, die er noch 1967/68 unterstützt hatte, nun als Kampfansage gegen sich selbst verstand, stellte er sich dieser entgegen. Seine Wiederwahl auf dem Mainzer Parteitag 1969 erfolgte, weil keiner der möglichen Nachfolger schon jetzt aus der Deckung trat. Mit nur 84 Prozent war er aber „auf Abruf“ bestellt.30

Energische Führung aus der Unionsfraktion: Barzel als Vorsitzender „Gefühlter Vorsitzender“ ab 1969 war somit nicht Kiesinger, sondern als Oppositionsführer Barzel, der seinen Führungsanspruch auf den Fraktionsvorsitz stützte. Nach dem Verlust des Kanzleramtes sah Barzel, analog zum britischen System, die Fraktion als „Speerspitze“ der Partei.31 Dies aber funktioniert in einem föderalen System nur bedingt. Die Fraktion sei „der organisierte kämpferische, bundespolitische Vortrupp“, so Barzel auf dem Mainzer Parteitag.32 Er baute sie zu einem konkurrierenden Machtzentrum aus, was rasch zu Reibungen im Bundesvorstand führte.33 Doch da er als Fraktionsvorsitzender 27 Kiesingers eigene Darstellung, „Braunschweig“, Memoirenfragment, o.D., in: ACDP 01-226-714. 28 Dies gipfelte in der Schlagzeile von BILD: „Keiner spricht wie Rainer“, 6.11.1968; Gassert: Kiesinger, S. 683 ff.; Wambach: Barzel, S. 412. 29 Günter Buchstab: Einleitung, in: Kiesinger: „Wir leben in einer veränderten Welt“, S. XXI. 30 Ders.: Einleitung, in: Barzel: „Unsere Alternativen für die Zeit der Opposition“. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1969 – 1973. Bearb. von Günter Buchstab mit Denise Lindsay (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 56). Düsseldorf 2009, S. IX. 31 Kleinmann: CDU, S. 315; Bösch: Macht, S. 99 f.; Wambach: Barzel, S. 426 ff.; vgl. Hans-Peter Schwarz: Die Fraktion als Machtfaktor, in: Ders. (Hg.): Die Fraktion als Machtfaktor. Die CDU/CSU im Deutschen Bundestag von 1949 bis heute. München 2009, S. 277 – 314, hier 289. 32 17. Bundesparteitag der CDU, Niederschrift, 17./18. November 1969, Bonn o. D. [1969], S. 121, https:// www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=224f5821-61ef-f7a1-f826-a258f6eec3ad&groupId=252 038 (Abruf: 27.1.2020). 33 Wambach: Barzel, S. 440; Kathrin Zehender: Einleitung, in: Dies. (Bearb.): Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Sitzungsprotokolle 1969 – 1972 (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Deutschland seit 1945. Bd. 11/6). Düsseldorf 2016, S. 11* – 89*, hier 73* ff.

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unangefochten war, gewann er gegenüber dem ostpolitisch halsstarrig agierenden Kiesinger rasch an Boden. Letzterer hatte nach elf Jahren Regierungsverantwortung in Land und Bund keine Lust auf harte Oppositionsarbeit. Er war zunehmend passiv, auch Heck hielt sich zurück. Kiesinger wollte vor allem seinen Nachfolger bestimmen. Dieser sollte eher Kohl und keinesfalls Barzel heißen. Als der Altkanzler sich 1971 für eine neuerliche Kanzlerkandidatur als Teil einer „Doppelspitze“ ins Gespräch brachte, hatte er das Rad überdreht. Barzel erklärte auf der CDU-Präsidiumssitzung am 17. Juni, dass er für Vorsitz und Kanzleramt bereitstehe.34 Am 5. Juli verkündigte Kiesinger im Bundesvorstand, dass er nicht mehr kandidiere.35 Das Rennen um den Parteivorsitz spitzte sich im Vorfeld des Saarbrücker Parteitags auf die Alternative Barzel oder Kohl zu. Nun war es der Mainzer Ministerpräsident, der für die „junge Garde“ stand. Ironie der Geschichte: Der wenig ältere, aber seit einem guten Jahrzehnt zum Bonner Inventar zählende Barzel, der 1962 erstmals ein Ministeramt übernommen hatte, galt nicht allein in JU und RCDS als Teil der verbrannten und vor allem „vergangenen Adenauer-Generation“.36 Während Kohl vorerst nur den Parteivorsitz anstrebte, stand Barzel für die Vereinigung beider Machzentren, Fraktion und Bundesvorstand, in einer Hand. Nach den missglückten Duumviraten Adenauer/Erhard, Erhard/Barzel und Kiesinger/Barzel war dies ein stichhaltiges machtpolitisches und sachliches Argument. Damit konnte er auf dem Saarbrücker Parteitag im Oktober 1971 erfolgreich punkten. Kohl hingegen zeichnete sich selbst als teamfähigen Sachpolitiker, lobte die Reformansätze des RCDS. Doch Barzel übertrumpfte ihn mit einer konzisen, gut strukturierten Rede.37 Er setzte sich deutlich mit 344 zu 174 Stimmen gegen Kohl durch. Aufgrund dieser Zweidrittelmehrheit war auch die „K-Frage“ zugunsten Barzels vorentschieden.38 Für Barzel sprach auf dem Saarbrücker Parteitag auch, dass er über außenpolitische Expertise verfügte, international gut vernetzt war und man ihm im Vergleich zu dem außenpolitisch unerfahrenen Kohl zutraute, im Streit um die Ostpolitik Brandt, Bahr und Scheel sachlich kompetent Paroli zu bieten.39 Es fällt indes auf, dass Barzel in seiner Kandidatenrede auf Strukturfragen und die schlagkräftige Organisation der Oppositionspartei abhob und gerade nicht auf Inhalte. Kohl sprach demgegenüber den Streit um den § 218 und die Steuerreform an, betonte die Bedeutung von NATO und Westbindung, erging sich, wie einst Kiesinger, in demokratietheoretischen Überlegungen und Spekulationen über das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Geschichte. Barzel, der retrospektiv gerade nicht als profilierter Reformer gezeichnet wird, stellte genau dies in den Vordergrund: „Wie bringen wir die Partei organisatorisch, finanziell und politisch in die optimale 34 Präsidium, 17. Juni 1971, in: ACDP 01-007-1404; Wambach: Barzel, S. 452 f.; Kleinmann: CDU, S. 324. 35 Bundesvorstandsprotokolle 1969 – 1973, 5. Juli 1971, S. 393; Gassert: Kiesinger, S. 737 f.; Kleinmann: Kiesinger als Vorsitzender, S. 517 ff. 36 Wambach: Barzel, S. 454. 37 Die Niederschrift verzeichnet politisch korrekt „anhaltend starker Beifall“ gleichermaßen nach beiden Reden, 19.Bundesparteitag der CDU, Saarbrücken, 4.– 5. Oktober 1971. S. 80 f., Bonn 1971, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=a343e554-551b-175d-47ab-7dd2b2f66f40&groupId=252038 (Abruf: 27.1.2020); Zeitungsberichten zufolge machte Kohl eine schwache Figur, vgl. u. a. „Kohl: Den Mut nicht verloren“, in: Die Zeit, 8.10.1971, sowie die Einschätzung bei Wambach. 38 Kleinmann: Geschichte, S. 325; Wambach: Barzel, S. 461 ff.; Hans-Peter Schwarz: Helmut Kohl. Eine politische Biographie. München 2012, S. 162. 39 Grau: Gegen den Strom, S. 209 ff.; Wambach: Barzel, S. 453.

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Form, und wie können wir diese so halten, dass wir im eigenen Bewusstsein wie in dem der Öffentlichkeit reformerisch bleiben?“40 Barzel trat als Parteireformer und schlagkräftiger Organisator der Opposition an, ja leitete seine Jungfernrede als CDU-Bundesvorsitzender mit einer kämpferischen Kritik der Wirtschafts-, Finanz- und Bildungspolitik der sozialliberalen Koalition ein, ehe er sich der Ostpolitik zuwandte. Doch bald sah sich Barzel in einer ähnlichen Lage wie kurz zuvor Kiesinger. Er investierte seine Zeit und Energie, auch aus persönlichem politischen Interesse und Überzeugung, in die Ostpolitik und die damit verknüpften deutschlandpolitischen Fragen. Doch indem er eine differenzierte, eher konstruktive Position vertrat, rieb er sich zwischen den Beharrungskräften in der Union, den ostpolitischen Reformern der CDU und dem Regierungslager auf. Auf dem ostpolitischen Feld war der Nobelpreisträger Brandt schwer zu schlagen. Die Ostverträge waren populär, Barzelsche Nuancen, um für die Wiedervereinigung die „Tür offen“ zu halten, gingen bei Volk und öffentlicher Meinung verloren.41 Zudem wurden durch die ostpolitische Beanspruchung Barzels wirtschafts- und innenpolitische Themen, mittels derer die CDU in Landtagswahlen gleichzeitig erfolgreich agierte, wie auch die Parteireform in den Hintergrund gedrängt.42 Retrospektiv mag es als politischer Fehler gelten, dass Barzel nach seiner Wahl zum CDU-Vorsitzenden den Mantel des Parteireformers rasch ablegte, für die Regierungskoalition unangenehme innenpolitische Fragen beiseite wischte und sich den Hermelin des Außen- und Deutschlandpolitikers überstreifte. Er betonte in der ersten Sitzung des Bundesvorstands unter seiner Leitung, „wie schwer die Lage für uns ist“. Doch dann stellte er die Ostpolitik in den Vordergrund seines Berichts zur politischen Lage.43 Ausgedehnte Reisen nach Washington, Paris und London folgten. Im Dezember flog er nach intensiven, seine Arbeitskraft voll absorbierenden Vorbereitungen nach Moskau, um dort die Position der Unionsfraktion zu vertreten.44 Da Barzel der Fraktion und vor allem Strauß und der drängenden CSU eine totale Konfrontation gegenüber der Regierung Brandt erst für einen Zeitpunkt versprach, zu dem alle Möglichkeiten der Beeinflussung der Verträge ausgeschöpft waren, wurde er als Taktierer perzipiert, der zwar, so sein Biograph Kai Wambach, „übergeordnet eine ganz klare politische Agenda verfolgt“ habe, aber „durch äußere und selbst verschuldete Umstände“ als „nicht kohärent, nicht konsequent“, sondern taktisch und widersprüchlich erschien.45 Unter Kiesinger und dann unter Barzel tappte die Union in eben die Falle, in der sich die SPD in der Ära Adenauer verheddert hatte. Sie forderte die Regierung außenpolitisch heraus. Adenauer hatte in den 1950er Jahren eine mit Blick auf Westbindung, Wiederbewaffnung und NATO unklar agierende und uneinig wirkende SPD in die Ecke gedrängt. Aus diesem Baukasten bedienten sich nun Brandt, Bahr und Wehner. Die CDU/ 40 CDU-Bundesparteitag 1971, S. 75. 41 Rainer Barzel: Die Tür blieb offen. Mein persönlicher Bericht über Ostverträge, Mißtrauensvotum, Kanzlersturz. Bonn 1998; Werner Link: Die CDU/CSU-Fraktion und die neue Ostpolitik – in den Phasen der Regierungsverantwortung und der Opposition, 1966 bis 1975, in: Schwarz (Hg.): Fraktion als Machtfaktor, S. 115 – 139, hier 129. 42 Hierzu der Vermerk von Kraske, 16. Juni 1972, in: ACDP 07-001-22096, zit. bei Wambach: Vergessene Reformbemühungen, S. 166. 43 CDU-Bundesvorstand 1969 – 1973, Nr. 19, 25. Oktober 1971, S. 551 – 558. 44 Grau: Gegen den Strom, S. 233 ff.; Wambach: Barzel, S. 490 f. 45 Wambach: Barzel, S. 513.

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CSU ließ sich eine außenpolitische Kontroverse aufdrücken, in der sie schon aufgrund der internationalen Großwetterlage kaum gewinnen konnte und überdies intern zerstritten war. Sie stellte die Regierung auf einem Feld, auf dem diese im natürlichen Vorteil ist. Kohl exekutierte dies in der Kontroverse um den NATO-Doppelbeschluss Anfang der 1980er Jahre dann erneut, nun wieder zugunsten der CDU. Auch lag in der ostpolitischen Haltung der Union die Ursache für das Scheitern des Misstrauensvotums 1972 wie auch die schwere Niederlage bei den Bundestagswahlen. Es ist richtig: „Stimmenkauf, Bestechung und Verrat“ entrissen Barzel seinen „Lebenstraum“ (Wambach) denkbar knapp. Der international hoch angesehene Brandt verdankte seinen Verbleib im Kanzleramt auch Stasi und DDR, wobei die Umstände nie bis ins Letzte geklärt werden konnten. Honecker hatte „Maßnahmen“ ergreifen lassen, „um die Regierung Brandt“ zu stützen.46 Auch wenn korruptes Foulspiel Barzels aussichtsreichsten Versuch beendete, Kanzler zu werden, darf man nicht übersehen, dass der eigentliche Grund für sein Scheitern das nüchterne außenpolitische Interesse von DDR und UdSSR an der Entspannung war, das aber auch die westlichen Verbündeten der Bundesrepublik nun einmal teilten.47 Barzel, dessen differenzierte Position einige in der CDU mittrugen, war nicht allein für die krachende Wahlniederlage im Herbst 1972 verantwortlich, als die SPD zum ersten Mal stärkste Partei im Bund wurde. Aber er hatte mit seiner abwägenden, konstruktiven Haltung zur Entspannungs- und Ostpolitik, wie schon zuvor Kiesinger, auf das falsche Pferd gesetzt. Er konnte die Abweichler nicht mehr disziplinieren. Nach der doppelten Niederlage war der Rückhalt endgültig dahin. Strauß drohte erneut mit der Auflösung der Fraktionsgemeinschaft. Am 27. Januar 1973 kündigte Kohl seine neuerliche Kandidatur für den Parteivorsitz an.48 Als Barzel bei der Abstimmung über den UNO-Beitritt der Bundesrepublik von der Mehrheit der Fraktion im Stich gelassen wurde, trat er vom Fraktionsvorsitz zurück. Bald danach verzichtete er auf eine neuerliche Kandidatur zum Vorsitzenden der CDU. Am 12. Juni 1973 wurde Kohl mit knapp 87 Prozent der Stimmen gewählt. Die Zwischenphase der „Post-Adenauer-Ära“ der CDU war zu Ende. Das aber war 1973 keineswegs absehbar. Timing ist in Politik und Geschichte (fast) alles. Mit der Wahl zum Vorsitzenden hatte Barzel den Zenit seiner Karriere erreicht, jedoch zu seinem Unglück zur falschen Zeit. Man tut Barzel jedoch unrecht, wenn man ihn aus der rückwärtigen Perspektive der Ära Kohl als „Verlierer“ zeichnet. Hätte er sich 1972 als Kanzler durchgesetzt, wäre er eine Figur von historischer Bedeutung. Doch weil das Misstrauensvotum um Haaresbreite scheiterte, brachte es Barzel, der einstige Hoffnungsträger und „Benjamin der CDU“, der über die bis dahin längste Amtszeit aller Unionsfraktionsvorsitzenden verfügte, vergleichbar Erhard und Schäuble auf eine nur kurze Amtszeit als CDU-Bundesvorsitzender – gerade einmal 20 Monate. Schon allein deshalb sind praktisch alle seine Initiativen 46 Ebd., S. 536; vgl. Peter Merseburger: Willy Brandt 1913 – 1992. Visionär und Realist. München 2006, S. 692 ff.; Andreas Grau: Auf der Suche nach den fehlenden Stimmen. Zu den Nachwirkungen des gescheiterten Misstrauensvotums vom 27. April 1972, in: HPM 16 (2009), S. 1 – 17; Hermann Wentker: Außenpolitik in engen Grenzen. Die DDR im internationalen System 1949 – 1989. München 2007, S. 337 f. 47 Carole Fink/Bernd Schaefer (Hg.): Ostpolitik, 1969 – 1974. European and Global Responses. Cambridge 2009; Niedhart: Entspannung, S. 17 ff. 48 Bundesvorstandsprotokolle 1969 – 1973, Nr. 32, 27. Januar 1973, S. 1137 ff.; zu Strauß’ Drohungen vgl. Wambach: Barzel, S. 643 f.

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und potentiell vielversprechenden Reformansätze im Nebel der Geschichte verschwunden. Im Unterschied zu den „Großen“ Adenauer, Kohl und Merkel steht er als Vorsitzender für kein großes Thema. Darin ähnelt er Kiesinger. Anders als dieser hatte er jedoch die Geschicke der Bundespartei seit den frühen 1960er Jahren an führender Stelle mitbestimmt. Doch aufgrund des zweimal missglückten Griffs nach dem Kanzleramt ist sein Beitrag für die Geschichte der CDU-Bundespartei verblasst. Ihm fehlte die Fortüne. Er kam zu spät. Sein Scheitern machte den Weg für Kohl frei.

Der Beginn der Parteireform: Kiesinger, Barzel, Heck, Kraske, Göb Das 1973 eingeweihte Konrad-Adenauer-Haus an der Friedrich-Ebert-Allee, mit dessen Sprengung 2003 Bonn eines seiner markanten Hauptstadtsymbole verlor, stand für den Aufbruch und die Modernisierung der CDU in den 1960er und 1970er Jahren.49 Der weiße, elfgeschossige, mit Marmor verkleidete Stahlbetonskelettbau mit seinen großen und hellen Fenstern, der Architekturkritiker an Verwaltungsgebäude von Banken, Versicherungen und Unternehmen erinnerte, repräsentierte eine neue Zeit.50 Wie das gleichzeitig in München entstandene Olympiastadion verkörperte die Architektur das weltoffene, moderne, neue (West-)Deutschland, aber auch konkret die moderne Volkspartei CDU, deren Schaltzentrale das Bonner Adenauer-Haus bis ins Jahr 2000 blieb. Der gebaute Kontrast zur alten Adenauer-CDU hätte nicht größer sein können: Lange war die CDUGeschäftsstelle in den provisorischen, chronisch beengten Räumen in der Bonner Nassestraße sowie 15 weiteren Gebäuden untergebracht gewesen.51 Um 1970 waren Provisorien passé. Die Bundesrepublik, und mit ihr ihre Parteien, richteten sich in der Bonner Republik häuslich ein. Die Baugeschichte des Bonner Adenauer-Hauses bildet fast perfekt die Konjunkturen der CDU-Parteireform ab. 1962 erwarb die Partei das Gelände, 1965 wurde der Bauantrag gestellt, 1967 die Baugenehmigung erteilt. Doch der Beginn der Bauarbeiten verzögerte sich während der Großen Koalition aus finanziellen Gründen. Mit einem Beschluss des Mainzer Parteitags 1969 ging es dann los.52 Im Januar 1973 erfolgte die Einweihung. Unter Kiesinger und Heck wurde mit der Transformation der CDU zur „modernen Volkspartei“ mit einer Reform ihrer Strukturen ernst gemacht, was aber schon seit 1962 auf der Agenda stand. Äußere Anstöße trugen dazu bei, 1967 den kaum durchgeplanten, hektischen Umbau der Führungsstruktur in Gang zu setzen. Ein neues Parteiengesetz erzwang eine Demokratisierung der Gremien innerhalb kürzester Zeit: Viele Vorstandsmitglieder waren bisher kooptiert und nicht gewählt worden. Alte Zöpfe wurden abge49 Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland/Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Bonn – Orte der Demokratie. Der historische Stadtführer. Bonn, 2. Aufl. 2014, S. 106 – 109; Kristin Bartsch: Konrad-Adenauer-Haus, in: Martin Bredenbeck u. a. (Hg.): Bauen für die Bundeshauptstadt. Bd. 2. Bonn 2011, S. 109 – 114. 50 Heinrich Klotz: Ikonologie einer Hauptstadt – Bonner Staatsarchitektur, in: Ders.: Gestaltung einer neuen Umwelt. Kritische Essays zur Architektur der Gegenwart. Luzern 1978, S. 45 – 55; siehe auch die Abbildungen in der Broschüre „Konrad-Adenauer-Haus Bonn – Die Parteizentrale der CDU“, abgedruckt in: Bartsch: Adenauer-Haus, S. 113. 51 So der Bericht des Schatzmeisters: CDU-Bundesparteitag Mainz 1969, Niederschrift, S. 106. 52 Beschluss des Bundesparteitags zur Einrichtung einer „Kommission zur Errichtung des Parteihauses“ (Antrag II/9a), ebd., S. 207.

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schnitten, wie die Stimmberechtigung der Exil-CDU und des Landesverbandes jenseits von Oder und Neiße. Neben der Amputation des Vorstandes wurde auch das Präsidium neu konzipiert: es gab nun fünf stellvertretende Vorsitzende, die mit dem Vorsitzenden, dem Generalsekretär und dem Schatzmeister das zentrale Parteigremium bestückten, daneben der eher als sounding board zurück in die Partei dienende Bundesvorstand.53 Hans-Otto Kleinmann hat in seiner Skizze zu Kiesinger als Parteivorsitzendem die Frage aufgeworfen, „welchen Anteil Kiesinger persönlich an diesen Reformmaßnahmen nahm“.54 Die praktische Implementierung im Sinne der „eigentlichen Parteiarbeit“ habe er voll und ganz Heck und dem seit 1958 als Bundesgeschäftsführer amtierenden Konrad Kraske überlassen.55 Die Biographie des letzteren unterstreicht, dass das Thema der Parteireform 1968/69 nicht gerade vom Himmel fiel, wie manche der damaligen „Parteijugendlichen“ retrospektiv behaupteten.56 So hatte Kraske, der als Konsequenz aus den Stimmenverlusten bei der Wahl 1961 „eine Aktivierung ihrer bestehenden Organe und Institutionen“ gefordert hatte, wesentlich die Modernisierung der Wahlkämpfe der CDU in den 1960er Jahren zu verantworten.57 Diese erhielten mit dem Einsatz von Filmen, Werbesendungen und einer neuen „corporate identity“ eine starke visuelle Qualität. Kraske legte, aufgrund von Spannungen zu Heck in der deprimierenden Endphase von Kiesingers Vorsitz, sein Amt als Bundesgeschäftsführer 1970 „entnervt“ ab.58 Aber er kehrte dann mit Barzels Wahl zum Vorsitzenden 1971 als Generalsekretär in das Machtzentrum der CDU zurück. Konzepte für die CDU-Parteireform hatte es schon viele gegeben. Schon der junge Barzel hatte sich hieran versucht, wie auch Josef Hermann Dufhues in den 1960er Jahren. Auch Heck hatte 1966 einen Vorstoß unternommen. Es war die Verbannung in die Opposition, die der Reform Dringlichkeit gab. Folglich wurde auf dem Mainzer Parteitag nicht nur der Startschuss zum Bau des „neuen Parteihauses“ gegeben, sondern auch eine „Reformkommission“ eingesetzt, um sich für die Opposition gut zu rüsten. Für Kiesinger indes war „Reformkommission“ ein „Sack-und-Asche Begriff“, der den inhaltlichen Charakter der Zukunftsaufgabe verschleiere. Er wollte, wie Heck, weniger Parteiorganisation als programmatische Arbeit und zum Teil auch Erneuerung für die Oppositionszeit verstärken.59 Immerhin: Entsprechende Vorstöße von JU und RCDS aufgreifend, wurde die „Heranziehung jüngerer Kräfte“ gefordert, aber der Partei auch verordnet, dass sie für die „Großstadtbevölkerung und Arbeitnehmerschaft verständlich und annehmbar“ sein müsse. In einer Zeit, in der in den frühen 1970er Jahren „Partizipation“ ein ubiquitäres politisches Stichwort war, sollte „den jungen Mitbürgern nicht nur die Chance der 53 CDU-Präsidium, 23. Januar 1967, in: ACDP 07-002-057/1; Kleinmann: Geschichte, S. 263 ff.; Bösch: Adenauer-CDU, S. 339 ff. 54 Kleinmann: Kiesinger als Parteivorsitzender, S. 507. 55 Vgl. auch Buchstab: Einleitung, in: Bundesvorstandsprotokolle 1969 – 1973, S. X. 56 Neben Schönbohm: CDU, S. 12 f. auch Peter Radunski: Aus der Politischen Kulisse. Mein Beruf zur Politik. Berlin/Kassel 2014; die Perspektive der „alternativen 68er“ in der CDU übernimmt Peter J. Grafe: Schwarze Visionen. Die Modernisierung der CDU. Reinbek bei Hamburg 1986, S. 13 f.; sowie daran anschließend auch Bösch: Macht und Machtverlust, S. 94 ff. 57 Vgl. den biographischen Eintrag von Stefan Marx zu Kraske auf der Website der KAS, https:// www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/konrad-kraske-v1 (Abruf: 27.1.2020). 58 Bösch: Macht und Machtverlust, S. 101. 59 Das Zitat in: Bundesvorstandsprotokolle 1969 – 1973, Nr. 4, 12. Dezember 1969, S. 83.

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Mitarbeit, sondern auch die Möglichkeit der Mitverantwortung in allen Gremien“ gegeben werden.60 Während die Parteispitze Kiesinger/Heck ab 1969 mit Blick auf die Notwendigkeit einer organisatorischen Erneuerung „eher auf der Bremse stand“, habe sich Kohl als frisch gekürter Vorsitzender der nun Programmkommission genannten Gruppe „mit großem Elan ans Werk“ gemacht.61 In deutlichem Kontrast zu Kiesinger und Heck machte sich der Kraske nachfolgende Bundesgeschäftsführer, der Mittvierziger und Jurist Rüdiger Göb, ans Werk, die Bundesgeschäftsstelle generalstabsmäßig umzukrempeln. Göb war ein Mann, der dem „Zeitgeist entsprach“ (Bösch) und wissenschaftliche Planung von Politik in Großbuchstaben schrieb.62 Der ehemalige Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, der sich selbst als „Planungstechniker“ bezeichnete, wollte mittels modernster Managementmethoden im „space age“ der frühen 1970er Jahre die CDU in eine „kybernetische Organisation“ verwandeln. Der Informations- und Planungsprozess sollte optimiert, neueste Methoden in den Wahlkampf eingebracht und, unterstützt durch ein EDV-System, CDU-Mitglieder systematisch im öffentlichen Dienst platziert werden.63 Als die „Süddeutsche Zeitung“ davon Wind bekam, nannte sie die Personaldatenbank der CDU „einen Schritt in die Zukunft […], der 1984, das Alptraumjahr George Orwells, schon in greifbare Nähe rückt“.64 Göb konnte seine hochfliegenden Pläne zur organisatorischen Weiterentwicklung der CDU zu einer an die damalige Linke erinnernde Kadertruppe, die von einer allmächtigen Geschäftsstelle gesteuert werden sollte, nur deshalb in die Praxis einbringen, weil in der späten Ära Kiesinger/Heck die Parteiführung gelähmt war. In dieses Vakuum stieß der Bundesgeschäftsführer. Doch der Ausbau und die Neustrukturierung der Geschäftsstelle, deren Mitarbeiterzahl trotz finanzieller Schwierigkeiten sich um 51,6 Prozent von 126 (1969) auf 191 (1973) erhöhte, wurden nicht zurückgenommen. Im Gegenteil, Kohls erster Generalsekretär Kurt Biedenkopf machte dort weiter, wo Göb aufgehört hatte.65 Göb wurde aber nicht wegen seiner übertriebenen, die Parteigranden überfordernden, technizistischen Utopien entlassen. Vielmehr hatte er mit der Strukturreform einen persönlichen Machtanspruch verknüpft und ausgerechnet in der programmatischen Zeitschrift der RCDS-68er, „Die Sonde“, ohne Rücksprache mit dem Bundesvorstand öffentlich gefordert, den Posten des Generalsekretärs abzuschaffen. Auch sprach er recht pietätlos gegenüber den „Altvorderen“ davon, dass „die Politik nach den modernsten Erkenntnissen organisiert werden“ müsse. So viel öffentliches Breittreten angeblich rein organisatorischer Ideen ging dem Bundesvorstand zu weit.66 60 Beschluss des CDU-Bundesparteitags in Mainz zur Einrichtung einer „Reformkommission“ (Antrag II/13), Niederschrift, S. 208. 61 So Rosin: Abschied, S. 152. 62 Bösch: Macht und Machtverlust, S. 101. 63 Hans-Jürgen Lange: Responsivität und Organisation. Eine Studie über die Modernisierung der CDU von 1973 – 1989. Marburg 1994, S. 129 – 135. 64 „CDU: Elektronische Beratung. ‚Schwarze Liste‘ für wichtige Posten“, in: Süddeutsche Zeitung, 28.9.1972; vgl. auch die dramatisierende Darstellung des ehemaligen Bonner TAZ-Korrespondenten Peter J. Grafe: Schwarze Visionen, S. 46 ff. 65 Schönbohm: CDU, S. 267 f. 66 Rüdiger Göb: Vom Auftrag der Partei zur Lösung ihrer Strukturprobleme. Zur Führungsfrage der CDU: Personen und Strukturen, in: Die Sonde 4 (1971), Nr. 3, S. 4 – 25, hier 17; vgl. die Diskussion im Bundesvorstand 1969 – 1973, Nr. 17, 3. September 1971, S. 537 ff.

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Reformerische Aufbrüche unter Kiesinger und Barzel

Barzel hielt nicht nur am Generalsekretärsmodell fest. Mit Kraske kehrte in dieses Amt 1971 einer der inzwischen nicht mehr ganz taufrischen Fahrensleute der 1960er Jahre zurück, der einst, wie Barzel, für die reformorientierte „Parteijugend“ gestanden hatte. Doch in der Wahrnehmung der „68er“ der CDU, die auf Kohl setzten, repräsentierte er nun nicht mehr den Aufbruch, sondern das Establishment. Wie Barzels Biograph Wambach argumentiert, „stellt sich für die Sichtbarkeit von Barzels tatsächlich vorhandenen Reformanstrengungen für die CDU und deren Auswirkungen“ noch als ein „zusätzlicher Mühlstein“ heraus, dass nach ihm Kohl als Vorsitzender kam, dessen Generalsekretär Biedenkopf sich zum Erfinder der Parteireform stilisierte.67 Die vom Kreis um die „Sonde“ geprägte Historiographie hat diese Wertungen übernommen.68 Als Kraske in Saarbrücken als neuer Generalsekretär vorgestellt wurde, verzeichnete das Protokoll „vereinzelt Zischen“. Bezeichnenderweise warb Barzel für Kraske mit dem Argument, er sei ein „Mann, den wir alle kennen, meine Freunde, erprobt in Partei- und Fraktionsarbeit“.69 Als Bundesgeschäftsführer löste Barzels enger Vertrauter und ehemaliger persönlicher Referent, Ottfried Hennig, Göb ab. Letzterer trat nach dem Parteitag zurück.70 Hatte Göb die Geschäftsstelle schon kräftig umeinander gewirbelt, so plante Barzel eine weitere Runde Umstrukturierungsmaßnahmen, die zum Teil aber nur umsetzten, was unter Kiesinger-Heck-Göb das Planungsstadium nicht hatte verlassen können.71 Gehemmt wurden die von einer entsprechenden Stimmung nach Saarbrücken getragenen Aufbruchsversuche im Falle Barzels jedoch durch dessen politische Absorption durch den Kampf um die Ostpolitik, das Misstrauensvotum und den Wahlkampf 1972. Kraske musste in der konstituierenden Sitzung des neuen Vorstandes um Nachsicht dafür bitten, dass die von ihm geplante Bestandsaufnahme zur Parteiorganisation durch den Umzug der Bundesgeschäftsstelle in das neue Parteihochhaus aufgehalten werde. Diese sei daher nicht vor Jahresende abzuschließen.72 Barzel machte sich mit Elan an die Parteiarbeit, besuchte mit Fotografen im Schlepptau die Geschäftsstelle in der Nassestraße 2 und ließ alle Welt wissen, dass er, im Unterschied wohl zu seinen Vorgängern Adenauer, Erhard und Kiesinger, „nicht nur ein seltener Gast“ in der Bundesgeschäftsstelle sein wolle.73 Aber ihm fehlte die Zeit. Er packte die Parteireform erst richtig an, als nach der Bundestagswahl 1972 erkennbar war, dass die Oppositionsphase anhalten würde und sich die Ära Barzel schon wieder dem Ende zuneigte. Von den schon eingeleiteten Reformen profitierten daher Kohl, Biedenkopf und Geißler. Sieht man sich die CDU als Partei am Ende der „Zwischenphase“ Kiesinger-Barzel 1973 an, so hatten sich die Strukturen schon jetzt erkennbar modernisiert. Die seit 1962 diskutierte Parteireform war unter beiden Vorsitzenden ein gutes Stück vorangekommen. Eine moderne Verwaltungszentrale war gebaut und bezogen worden, was die 67 68 69 70

Wambach: Vergessene Reformbemühungen, S. 160. Wie oben, Anm. 56. Niederschrift, CDU-Bundesparteitag Saarbrücken, S. 77 f. Bundesvorstand 1969 – 1973, Nr. 19, 25. Oktober 1971, S. 559; vgl. Kleinmann: Geschichte, S. 326; Bösch: Macht und Machtverlust, S. 164; Wambach: Barzel, S. 464 f. 71 Wambach: Vergessene Reformbemühungen, S. 165. 72 Bundesvorstand 1969 – 1973, Nr. 19, 25. Oktober 1971, S. 559; die Einweihung erfolgte jedoch erst Anfang 1973, vgl. ebd. Nr. 32, 27./28. Januar 1969, S. 1206. 73 „Barzel will in der CDU-Zentrale nicht nur ein seltener Gast sein“, Bonner Rundschau, 8.10.1972, zit. nach Wambach: Barzel, S. 464 f., dort auch das Foto.

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Arbeit innerhalb der personell stark expandierenden Bundesgeschäftsstelle drastisch erleichterte. Die Strukturen waren rundum erneuert worden. Es gab seit 1968 einen hauptamtlichen Generalsekretär, im Präsidium wurde eine inhaltliche Verantwortung für bestimmte Politikbereiche festgelegt. Die Mitgliederzahlen wuchsen geradezu stürmisch, die CDU konnte sich mit Recht jetzt Volkspartei nennen.74 Auch Partizipation wurde nun großgeschrieben: Die Mitglieder waren im Vorfeld des Berliner Parteitags 1968 für die Programmdiskussion in bisher nie dagewesener Weise aktiviert worden, ebenso für den Parteitag in Düsseldorf 1971, wo das Berliner Programm weitergeschrieben wurde. Die Gliederungen und Vereinigungen lebten auf. Die Sanierung der Finanzen war in Angriff genommen worden. Und schließlich hatte sich die CDU schon 1968 programmatisch auf die „Herausforderungen einer neuen Zeit“ einzustellen begonnen.

Herausforderungen des Wandels: Das Berliner Programm 1968 Als „moderne Volkspartei“ definierte sich die CDU zum ersten Mal in der Präambel zu ihrem im November des „annus mirabilis“ 1968 verabschiedeten Berliner Programm, das für ein neues Selbstverständnis der an Mitgliedern stark anwachsenden Partei stand. Der bisherige „Kanzlerwahlverein“ wurde zur Programmpartei, auch wenn man sich noch bescheiden gab, und in den Gremien anfangs nur von „einem Aktionsprogramm“ die Rede war.75 Mit dem Berliner Programm 1968 stelle sich die CDU selbstbewusst „den Anforderungen der 1970er Jahre“. Gleichrangig mit der außenpolitischen Trias der fortdauernden Bedeutung der Arbeit für „die Einheit des Landes und der Nation“, für die europäische Einigung und die „friedliche Ordnung der Welt“, wurde in Berlin mit gesellschaftspolitischer Emphase gefordert: „Wir müssen eine überzeugende Antwort geben auf die Herausforderung unserer Zeit. Die deutsche Demokratie muss frei sein von Elementen totalitären Denkens und nationalistischer Ansprüche; bereit, sich ständig zu erneuern, soll sie offen sein für eine friedliche Zusammenarbeit mit allen Völkern und Staaten.“ Bemerkenswert daran ist weniger die in der CDU seit den 1940er Jahren ja konsensuale oder zumindest hegemoniale Zurückweisung des Nationalismus, als vielmehr das Bekenntnis zur beständigen Erneuerung der Demokratie, die Akzeptanz der Permanenz des Fortschritts und des Wandels als einer Grundbedingung der Moderne.76 Das Berliner Programm 1968 ist ein (leider) in Vergessenheit geratener Meilenstein der CDU-Parteigeschichte, der im Interesse einer positiven Aneignung von Traditionen 74 Sie hatten sich von 1962 bis zur Abwahl Barzels fast verdoppelt, vgl. Schönbohm: CDU, S. 166, wobei in der gleichen Zeit alle Parteien starke Zuwächse zu verzeichnen hatten, vgl. Wolfgang Falke: Die Mitglieder der CDU. Eine empirische Studie zum Verhältnis von Mitglieder- und Organisationsstruktur der CDU 1971 – 1977, Berlin 1982, S. 48. 75 Bundesvorstandsprotokolle 1965 – 1969, Nr. 19, 21. Juni 1968, S. 942; die Forschung unterschätzt daher die Bedeutung des Berliner Programms, das zwar einerseits die Funktion eines Aktionsprogramms für die Bundestagswahl 1969 hatte, aber zugleich eine wichtige programmatische Orientierungsfunktion besaß, was auch die Tatsache der Überarbeitung durch die Programmkommission 1970/71 zeigt, vgl. dagegen Udo Zolleis: Die CDU. Das politische Leitbild im Wandel der Zeit. Wiesbaden 2008, S. 144; er folgt darin Schönbohm: CDU, S. 139, sowie Buchhaas: Volkspartei, S. 309; mit gleichem Tenor auch Bösch: Macht und Machtverlust, S. 29 ff. 76 CDU: Das Berliner Programm, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=48998652-a937c1b0-6283-f9895032bca3&groupId=252038 (Abruf: 27.1.2020).

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in einer Zeit, in der die CDU erneut um ihre programmatische Ausrichtung für die Zukunft ringt, ein kleiner, aber feiner Baustein identitätsstiftender Selbstvergewisserung sein könnte.77 Der Weg zum Berliner Programm war nicht nur für die CDU, sondern für die deutsche Parteiengeschichte insgesamt neu. Kein deutsches Parteiprogramm war bis dahin in einem derartig aktiven Diskussionsprozess zustande gekommen. Neu war insbesondere, so Hans-Otto Kleinmann, der „Grad der Mitgliederpartizipation“.78 Selbst der Heck, Kiesinger, Kraske und Barzel insgesamt recht kritisch gegenüberstehende Schönbohm, der auf eine Anregung Kiesingers, man müsse doch „unter den Studenten, die zu uns gehören, einen jungen und soliden Mann“ finden können, in die Programmkommission aufgenommen worden war, kommt zu dem Ergebnis, dass das Berliner Programm ein „geändertes Selbstverständnis der Partei“ signalisiert.79 1968 machte sich die noch von der Generation der „Schüler Adenauers“, also Kiesinger, Heck, Kraske und Barzel, geführte CDU auf den Weg, wie es Kraske in der entscheidenden Vorstandssitzung am 21. Juni 1968 gegenüber entsprechenden Bedenken vertrat, „alles zu tun […], um die Diskussion zu beleben und nicht, um sie zu drosseln“.80 Der in 750.000 Exemplaren verbreitete Entwurf des Vorstandes war in mehr als 10.000 Versammlungen auf Orts-, Kreis- und Landesebene diskutiert worden, hatte 30.000 Stellungnahmen und fast 400 Änderungsanträge generiert. Die Ergebnisse wurden von der Programmkommission in einer Serie von Sitzungen beraten, die mit einer Klausurtagung am 20./21. September endeten und schließlich zu einer intensiven Debatte auf dem Bundesparteitag in Berlin Anfang November 1968 führten. Dort kam es sogar zur Überstimmung des Parteivorstands in der Frage, ob es künftig ein Bundesbildungsministerium geben müsse. Die Tendenz, so auch Schönbohm, „zur kontroversen Diskussion unter starker Beteiligung der Delegierten“ habe 1968 einen Höhepunkt erreicht.81 Jedes Programm einer großen Volkspartei muss eine Balance zwischen Alt und Neu finden; es muss oft formelhafte Kompromisse eingehen; und es atmet zugleich den Geist seiner Epoche, deren Sprache es im besten Fall spricht. So auch das Berliner Programm 1968. Es brachte viel Bewährtes zu Papier, aber auch bemerkenswert Neues – in über 100 Punkten, die nicht nur mit Blick auf den Wahlkampf 1969 christdemokratische Positionen definierten.82 Außen- und deutschlandpolitisch setzte das Berliner Programm eher auf das Bewährte, modifizierte die Adenauerschen Positionen nur graduell, wenn es einen Ausgleich zwischen dem deutschen Selbstbestimmungsrecht, der Forderung nach Wiedervereinigung und der von Kiesinger stets hervorgehobenen Bewahrung des Friedens in Europa suchte, aber auf einer Ablehnung „der Anerkennung des totalitären Herrschaftssystems im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands“ beharrte (Nr. 1– 4). Euro77 Auf der Website der CDU-Bundespartei bleibt, mit Blick auf das geplante neue Grundsatzprogramm, das die innerparteiliche Diskussionskultur prägende Berliner Programm unerwähnt, https://www.cdu. de/artikel/die-grundsatzprogramme-der-cdu (Abruf: 22.11.2022). Das dort erwähnte Ludwigshafener Programm (1978), „Geisslers Gesellenstück“ und das erste Grundsatzprogramm genannte Programm der CDU, orientierte sich in seiner Genese an dem Berliner Vorbild. 78 Kleinmann: CDU, S. 269. 79 Schönbohm: CDU, S. 82; zur Nominierung Schönbohms vgl. CDU-Bundesvorstandsprotokolle 1965 – 1969, Nr. 19, 21. Juni 1968, S. 943. 80 Ebd. S. 956. 81 Schönbohm: CDU, S. 81. 82 Wegen seiner Zwitterstellung wird das Berliner Programm oft als reines „Aktionsprogramm“ gesehen, insbesondere Zolleis: CDU, S. 144, sowie die in Anm. 75 zitierte Literatur.

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papolitisch ging es über Adenauer hinaus, war aus heutiger Sicht nachgerade visionär, wenn es von der „Errichtung eines europäischen Bundes-Staates mit einer freiheitlichen demokratischen Verfassung, einer gemeinsamen Außenpolitik und einer gemeinsamen Verteidigung“ sprach (Nr. 10). Auch setzte es die rasche Errichtung eines „europäischen Binnenmarktes“ (Nr. 62), die Koordination der Wirtschafts- und Währungspolitiken sowie die „Beseitigung aller Grenzen“ (Nr. 8) und „Grenzformalitäten“, d. h. die Einlösung der damals noch unerfüllten Hoffnungen der Römischen Verträge, nachdrücklich auf die Agenda.83 Das Berliner Programm 1968 wollte selbstverständlich keine Revolution anzetteln. Es wollte das Bewährte tatkräftig weiterentwickeln. Es war, bei allen Schwächen und Ambivalenzen, so Heinrich Oberreuter, „ein signifikanter Gegenbeweis gegen die Annahme, Reformen hätte es erst nach 1968 gegeben“.84 Es tat sich in der Außen- und Deutschlandpolitik schwer, denn „Anerkennung“ der DDR als politische Realität und Vertragspartner war nun einmal der Kampfbegriff, mit dem sich die SPD gegen die CDU/CSU profilierte. Sicher, es betonte traditionelle christdemokratische Kernbestände wie Subsidiarität (Nr. 24), die Bedeutung der Familie und des Elternrechts (Nr. 25, 34), wie sie die CDU ja schlechterdings kaum aufgeben konnte und die auch heute noch aktuell sind. Aber es machte erhebliche Angebote an die von der Studentenbewegung mobilisierten jungen Menschen. Es forderte, allen „materiell die gleichen Chancen“ durch ein Ausbildungsförderungsgesetz zu geben (Nr. 43). Auch sprach es berufstätige Frauen an, wie etwa mit der Forderung nach einem vermehrten Angebot an Ganztagsschulen und „Schulen mit Tagesheimen“ (Nr. 37), aber auch die Gleichstellung von Männern und Frauen im öffentlichen Dienst (Nr. 29). Das Berliner Programm machte vor allem gesellschaftspolitisch erhebliche Fortschritte in Richtung auf die Akzeptanz einer Liberalisierung und Demokratisierung der Gesellschaft: „Die deutsche Demokratie muss gestärkt werden, damit sie die Aufgaben der Zukunft erfüllen kann. Der Staatsbürger muss sich stärker an der politischen Meinungsbildung beteiligen können; die Parteien müssen sich als Forum der Aussprache verstehen“ (Nr. 24). Es nahm bis in den Wortlaut hinein einige der berühmten Formeln vorweg, wie sie ein Jahr später, dann aber unter dem Protest der Unionsfraktion im Bundestag, Brandt in seiner ersten Regierungserklärung als Bundeskanzler mit großer, aber, wie wir heute wissen, auch erst nachträglich traditionsbildender Emphase85 vortragen sollte: „Das kritische Engagement, insbesondere der jungen Generation, ist ein notwendiger Beitrag zur Weiterentwicklung unserer Demokratie“, so steht es im Berliner Programm der CDU von 1968. Lässt sich also von einem „1968“ der CDU sprechen? Ja, denn einige Autoren tun genau dies und zweifellos hatte sich die CDU den „diskutierenden Zeit83 Zu den europapolitischen Perspektiven vgl. Philipp Gassert: Kurt Georg Kiesinger, Rainer Barzel und das europäische Projekt, in: Hanns Jürgen Küsters (Hg.): Deutsche Europapolitik Christlicher Demokraten. Von Konrad Adenauer bis Angela Merkel (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 66). Düsseldorf 2014, S. 157 – 178. 84 Heinrich Oberreuter: 1968 – Geburtsstunde der modernen CDU?, in: HPM 25 (2018), S. 183 – 191, hier 187. 85 Zur nachträglichen Stilisierung der „eher beiläufig“ vorgetragenen Formel „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ zum Mythos eines Neuanfangs um 1968/69 vgl. Axel Schildt/Wolfgang Schmidt: Einleitung, in: Dies. (Hg.): „Wir wollen mehr Demokratie wagen.“ Antriebskräfte, Realität und Mythos eines Versprechens. Bonn 2019, S. 11 – 23, hier 13.

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geist“ der 68er-Jahre zu Eigen gemacht, und zwar in der Form, aber auch in den Inhalten. Das Berliner Programm wirkte nach dem Streit der 1960er Jahre um das „hohe C“, den es beendete, und die Nachfolge Adenauers daher auch als erstaunlich moderner „Integrationsfaktor“.86 Denn es war vor allem in die Zukunft gerichtet. Vom „Inhalt her kein Paukenschlag“, aber von der Entstehungsgeschichte her schon? 87 Dass das Berliner Programm kein Godesberg der CDU werden sollte, hat einerseits mit seiner hybriden Funktion und Entstehungsgeschichte als Aktionsprogramm und der sich dadurch ergebenden Weiterschreibung 1971 auf dem Düsseldorfer Parteitag zu tun. Andererseits dürfte seine langfristig begrenzte Wirksamkeit als Referenzpunkt letztendlich auch daran gelegen haben, dass das Berliner Programm in den Strudel des Machtverlustes 1969, der doppelten Niederlage 1972 und der dann wieder ungeklärten Nachfolgefrage geriet. Auch daher wurde die Zweitfassung in Düsseldorf gegenüber dem sehr viel mutigeren Entwurf der Programmkommission unter Kohl wieder stark verwässert.88 Dass das Berliner Programm weitgehend vergessen wurde, hängt also mit der ambivalenten Erinnerung an die Parteigeschichte um 1970 zusammen. Während ein Teil der CDU nach der Niederlage 1969 eher zurück zum Bewährten strebte, gingen den „jungen Wilden“ der akademischen 68er in RCDS und JU die Reformvorstöße der Ära Kiesinger nicht weit genug. Der RCDS-Bundesvorsitzende Uwe-Rainer Simon anerkannte die „positiven Auswirkungen der innerparteilichen Diskussion“, aber sah es als nur einen „ersten Versuch“, weshalb sich die Partei entschließen solle, „nun in den verschiedensten Teilbereichen tatsächlich zukunftsträchtige Konzepte zu entwickeln“.89 Diese Kritik des Berliner Programms als nicht zukunftsträchtig wurde schon zeitgenössisch seiner Bedeutung als Dokument des Aufbruchs nicht gerecht. Es ist hier weder der Ort, Kiesinger als wichtigen und führenden Christdemokraten der 1960er Jahre unkritisch in den Himmel zu heben, noch umgekehrt den Stab über den dritten Kanzler und dritten Bundesvorsitzenden der CDU zu brechen. Er ist eine im Rückblick unterschätzte Figur des Übergangs. Er konnte als Kanzler wie auch als Parteivorsitzender in der Zeit der Großen Koalition in einem schwierigen Umfeld die divergierenden Flügel und Interessen im Großen und Ganzen austarieren. Ihm fehlte, wie de Gaulle einmal sagte, jene „grande querelle“, die einem Staatsmann über sich hinauszuwachsen erlaubt.90 Das zeigt der Vergleich mit Adenauer und Kohl, die oft höchst umstritten waren und von Parteifreunden angefeindet wurden, aber das Glück hatten, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und so in der Erinnerung für etwas zu stehen. Immerhin brachte Kiesinger positive Energie in die von tiefen Personalquerelen und Orientierungsverlust gebeutelte CDU zurück, als er zusammen mit Heck und Kraske die Programmdiskussion moderierte, die zu dem unterschätzten Berliner Programm 1968 führte. In Kiesingers Amtszeit fällt der erste Höhepunkt der Parteireform. Er verhinderte den Einzug der NPD in den Bundestag 1969. Doch nach seinem „Beinahe-Sieg“ 1969 zunächst extrem verbittert, fehlten ihm für die Oppositionsphase die Konzepte. 86 87 88 89

Kleinmann: Geschichte, S. 270. So Bösch: Macht und Machtverlust, S. 31. Ebd., S. 32. Uwe-Rainer Simon: Das Berliner Programm der CDU. Politik für die 70er Jahre!, in: Die Sonde, 2 (1969), Nr. 1, S. 4 – 17, hier 16 f. 90 Kiesinger im Informationsgespräch mit der Landespressekonferenz Baden-Württemberg, 21. März 1968, in: ACDP 01-226-008; siehe auch Gassert: Kiesinger, S. 19.

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Derartige Vorstellungen hatte Barzel in Hülle und Fülle, wie seine konzeptionelle Arbeit um die Jahreswende 1972/73 beweist.91 Auch er war, wie Kiesinger, im Ansatz ein Integrator. Doch bei Barzel, der im Unterschied zu dem „Glückskind Kiesinger“ auch im Privatleben von schlimmen Katastrophen heimgesucht wurde, kamen die Einschläge noch kräftiger, noch härter, noch dramatischer. Auch er blieb, wie Kiesinger, als Parteivorsitzender ohne Fortüne. Auch ihm fehlte, wie Kiesinger, die Hausmacht, die ihm vielleicht erlaubt hätte, den Absturz 1972/73 politisch zu überleben und auszusitzen. Doch die Niederlagen von 1972 waren so brutal, dass er angesichts der Tatsache, dass es mit Kohl eine veritable und etwas jüngere und unverbrauchte Alternative gab, unter derartigen Umständen kaum am Vorsitz von Fraktion und Partei hätte festhalten können, obwohl es Anfang 1973 für einen Moment danach aussah. Jedoch wird man auch beim vierten Vorsitzenden anerkennen müssen, dass er Ideen und gangbare Pläne hatte, nicht nur im Bereich der Deutschlandpolitik, sondern auch für die Reform der CDU, die er zu einer anderen Zeit wohl hätte realisieren können. Es gibt die englische Redewendung, dass nichts so erfolgreich ist wie der Erfolg. Doch kann man vom Erfolg ebenso wenig auf Ursachen schließen wie vom Misserfolg. Auch der Misserfolg hat viele Väter und Mütter. Der relative Misserfolg der CDU um 1970 war nicht primär auf ein gravierendes persönliches Versagen der beiden Vorsitzenden 1967 – 1973 zurückzuführen. Aber da Kiesinger und Barzel nun einmal um 1969 an der Spitze standen, repräsentieren sie den Abschied der CDU von der Macht in Bonn. Denn Erfolg in der Demokratie ist nun einmal notwendig die Eroberung und der Erhalt von Macht in Wahlen. Die Macht im Bund aber entzog sich der CDU zwischen 1967 und 1973, was angesichts einer zwanzigjährigen Hegemonie bis 1969 und danach erneut für 16 Jahre ab 1982 auch eine gewisse Logik hat. In abstrakt systemischer, demokratietheoretischer, aber auch praktischer Perspektive wird man den Machtwechsel von 1969 nicht bedauern müssen. Während die CDU in den 1970er Jahren in den Ländern weiter Regierungsverantwortung wahrnahm und hier ihre Stellung zum Teil sogar stärkte sowie sich im Bund unter Kohl organisatorisch und inhaltlich weiter regenerierte, wurden die beiden Vorsitzenden von 1967 bis 1973 kaum als erfolgreiche Spitzenmänner gesehen, weder damals noch im Rückblick. Dennoch sollte man ihre objektiven Beiträge zur inhaltlichen und institutionellen Entwicklung der CDU in den krisenhaften Zeiten des Umbruchs und des Wandels von 1968 bis in die frühen 1970er Jahre keineswegs übersehen oder zu gering veranschlagen.

91 Wambach: Vergessene Reformbemühungen, S. 168 ff.

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Die CDU in der Ära Kohl Günter Buchstab 1973 – 1982 Nach der schweren Schlappe der Unionsparteien bei der Bundestagswahl am 19. November 1972, bei der erstmals die SPD stärkste Partei wurde, zeichnete sich ab, dass die Tage Rainer Barzels als Partei- und Fraktionsvorsitzender gezählt waren. Schon in der Wahlnacht hatte er im CDU-Präsidium seinen Rücktritt vom Parteivorsitz angeboten, was aber zu diesem Zeitpunkt noch abgelehnt worden war. Doch zeigte sich bei den folgenden schwierigen Verhandlungen über die Erneuerung der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU und in der Frage der Verfassungsklage gegen den Grundlagenvertrag mit der DDR, dass seine innerparteiliche Machtbasis brüchig geworden war. Bei der Klausurtagung des CDU-Bundesvorstands am 27./28. Januar 1973 kündigte der rheinlandpfälzische Ministerpräsident Helmut Kohl an, sich auf dem nächsten Bundesparteitag erneut um dem Parteivorsitz zu bewerben; in der Wahl beim 19.Parteitag am 4./5. Oktober 1971 war er Barzel noch klar unterlegen. Als schließlich die Mehrheit der CDU/ CSU-Fraktion ihrem Vorsitzenden Anfang Mai 1973 bei der Abstimmung über den Beitritt der DDR zu den Vereinten Nationen die Gefolgschaft verweigerte, warf Barzel das Handtuch: Er legte den Fraktionsvorsitz nieder und verzichtete auch auf eine erneute Kandidatur zum Parteivorsitz. Zu seinem Nachfolger als Fraktionsvorsitzender wurde am 17. Mai 1973 Karl Carstens gewählt, zum neuen Parteivorsitzenden am 12. Juni 1973 beim vorgezogenen 21.Parteitag in Bonn Helmut Kohl mit 86,66 Prozent der Delegiertenstimmen. Auch der von Kohl vorgeschlagene neue Generalsekretär Kurt Biedenkopf wurde mit einem überzeugenden Ergebnis gewählt. Die neue Parteispitze trat ein schweres Erbe an. Die Analysen der Bundestagswahl ergaben, dass die Union auf die veränderte Stimmungslage in der Bevölkerung und den gesellschaftlichen Wandel nicht angemessen reagiert hatte und ihre Hauptverluste bei den katholischen Wählern und vor allem bei den Jungwählern und Frauen zu verzeichnen waren. Nicht zuletzt hatten ihr die zunächst scharfe Konfrontationsstrategie in der Deutschland- und Ostpolitik und dann ihre schwankende und uneinige Haltung bei den Abstimmungen über die Verträge erheblich geschadet. Kurz: Sie hatte – wie Barzel am 27. Januar 1973 im CDU-Bundesvorstand feststellte – die „geistige Führung“1 in einer veränderten Welt verloren. Es war ihr jedenfalls in den Jahren 1969 bis 1972 nicht gelungen, den notwendigen programmatischen, personellen und organisatorischen Anpassungs- und Reformprozess zu gestalten und den Ruch einer „womöglich […] altmodi-

1 Barzel: „Unsere Alternativen für die Zeit der Opposition.“ Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1969 – 1973. Bearb. von Günter Buchstab mit Denise Lindsay (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 56). Düsseldorf 2009, S. 1087.

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sche(n) Partei“2 abzulegen, wie Generalsekretär Konrad Kraske in der gleichen Sitzung beklagte. Trotz dieser schwierigen Ausgangslage gelang es der neuen „Troika“ – Kohl, Biedenkopf und Carstens – in relativ kurzer Zeit, die depressive Stimmungslage, in die die CDU nach der Wahlniederlage gefallen war, zu überwinden und in der Opposition neuen Aufbruchsgeist zu entwickeln. Kohl konnte bei dem Neustart auf seine Erfahrungen zurückgreifen, die er bereits bei der Modernisierung der rheinland-pfälzischen Landespartei nach 1963 gesammelt hatte. Die politische Führung, so stellte der neue Parteivorsitzende sofort klar, kam nun nicht mehr der Fraktion zu, die Barzels wichtigste Basis gewesen war, sondern der Partei: „Die Partei erzeugt Bundestagsfraktion und nicht umgekehrt.“3 Im Prinzip war dies seit 1969 in der Satzung festgeschrieben, doch erst Kohl setzte zusammen mit Biedenkopf die Richtlinienkompetenz der Bundespartei konsequent durch. Für Kohl war der Bundesvorstand das entscheidende Führungs- und Entscheidungsgremium, das als Transmissionsriemen die „Direktiven“ vorgab und sowohl die Grundsätze als auch den Rahmen der Politik bestimmte. Die Balance in der Partei zwischen zentralen und dezentralen Tendenzen zu halten und zu institutionalisieren, war ein nicht ganz einfaches Unterfangen und verlief nicht ohne Friktionen, wurde dadurch doch nicht nur die Eigenständigkeit der Fraktion, sondern auch die Selbständigkeit der Landesverbände und Vereinigungen tangiert. Aus diesem Grund zog Kohl, obwohl es „erweiterte“ Bundesvorstandssitzungen nach dem Statut der CDU gar nicht gibt, zu den Sitzungen auch die Vorsitzenden der Landesverbände und Bundesvorsitzenden der Vereinigungen sowie die Ministerpräsidenten der CDU-geführten Regierungen hinzu, soweit sie nicht ohnehin schon in den Parteivorstand gewählt waren. Kohls Absicht dabei war, die in der Barzel-Zeit verschärft aufgebrochenen Flügelkämpfe und Spannungen zu beenden und die verschiedenen Strömungen und Gruppierungen zusammenzuführen, die in den Vereinigungen und Sondervereinigungen repräsentiert waren. Auch galt es die landes- und kommunalpolitischen Spezifika zu berücksichtigen und sie durch intensive Kommunikation, Konsultation und Information in einem Geist der Partnerschaft in die Parteiarbeit zu integrieren, damit „wir hier aus einem Guß argumentieren“ 4, denn der Bürger mache „keinen Unterschied zwischen CDU-Landes-, Bundes- und Kommunalpolitik, der redet von CDU-Politik“5. Für dieses Ziel bedurfte es der Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Parteiorganisation auf allen Ebenen – in Bund, Ländern und Kommunen –, der Verdeutlichung des politischen Profils der CDU durch Verabschiedung von Programmen und Konzeptionen, der Mitgliederwerbung und -aktivierung und nicht zuletzt einer gezielten Öffentlichkeitsarbeit und Medienpolitik. Während Kohl sich vornehmlich auf die politische Integrations- und Koordinationsfunktion konzentrierte, nahm Kurt Biedenkopf sich der Fragen der Organisation und der politischen Artikulation an. Organisatorisch begann die „neue Ära“ mit einer Neugliederung der Bundesgeschäftsstelle und der Stärkung des hauptamtlichen Apparats in den Parteigliederungen. Mit zahlreichen Änderungen der Satzun2 Ebd., S. 1001. 3 Zit. nach Hans-Otto Kleinmann: Geschichte der CDU. Hg. von Günter Buchstab. Stuttgart 1993, S. 354. 4 Kohl: „Wir haben alle Chancen“. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1973 – 1976. Bearb. von Günter Buchstab. 2 Teilbände (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 67). Düsseldorf 2015. S. 8. 5 Ebd., S. 712.

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gen der Vereinigungen und Sonderorganisationen wurden deren innerorganisatorische Willensbildungsprozesse und Kompetenzen sowie das Verhältnis zur Bundespartei auf eine verbindliche und gemeinsame Basis gestellt. In den Ländern, in denen bisher mehrere Landesverbände nebeneinander existierten, wurden einheitliche Landesverbände bzw. Dachorganisationen gebildet, was eine bessere Koordination und Integration zur Folge haben sollte. Mit diesen organisatorischen Maßnahmen, die zu einem erheblichen Bedeutungszuwachs der Bundespartei führten, konnte das traditionell föderalistisch-partikularistische Denken und Verhalten der Parteigliederungen sukzessive überwunden werden, was sich nicht zuletzt bei der Planung von Wahlkämpfen – und es standen fast immer Wahlen an – zeigte, auf die die Bundes-CDU mit einheitlichen Slogans, einheitlicher Plakatierung und zentral gesteuertem Rednereinsatz entscheidenden Einfluss nahm. Mit der Verbesserung der politischen und organisatorischen Integration der Partei einher ging die Vorlage von Programmen und Konzeptionen, die nach Vorbereitung in den Bundesfachausschüssen und auf Fachkongressen im Bundesvorstand intensiv diskutiert und dann von Bundesausschuss bzw. Bundesparteitag verabschiedet wurden. Dabei war Kohl als Vorsitzender der „Partei der Mitte“ stets bemüht, „die Enden zusammenzuhalten“6 und Auseinandersetzungen solange „austragen“ zu lassen, bis eine gemeinsame Basis gefunden war, d.h. er pflegte einen eher moderierenden und konsensorientierten Führungsstil, der ihm zuweilen scharfe Kritik eintrug. Tatsächlich war dieser Stil Schwäche und Stärke zugleich, hielt Kohl sich doch damit seine internen Handlungsmöglichkeiten und den Weg zu Kompromissen offen, was ihm trotz aller Kritik nicht nur in der Partei, sondern ab 1982 auch in der Regierungskoalition zugutekam. Um dieses Ziel der Einigkeit zu erreichen, erinnerte er häufig an die christlich-sozialen, liberalen und konservativen Grundpositionen der Partei, die auf dem „C“ und der damit verbundenen Werteordnung beruhten; die Union sei die Partei der Freiheit, die Europapartei und die Partei der Sozialen Marktwirtschaft. Derartige Appelle waren nicht selten vonnöten, denn so spürbar die Aufbruchsstimmung auch sein mochte, die konfliktträchtigen Themen und internen Kontroversen, die davor das Bild von Partei und Fraktion in der öffentlichen Wahrnehmung geprägt hatten, waren nicht ad acta gelegt. Sie brachen auf etwa in der Frage der Mitbestimmung, die mit einem Kompromiss auf dem Hamburger Parteitag von 1973 gelöst wurde, bei der Frage des Sexualstrafrechts (§ 218), in der Bildungspolitik, Vermögenspolitik, Wirtschafts- und Finanzpolitik, Rechtspolitik und nicht zuletzt auch in der Deutschland- und Ostpolitik, was insbesondere beim Abkommen mit Polen 1975/76 deutlich wurde. Erst nach wochenlangen Auseinandersetzungen, die zu textlichen Präzisierungen beim Rentenabkommen und beim Ausreiseprotokoll führten, stimmten die CDU- und CSU-geführten Länder schließlich dem Vertragswerk zu. Beim Ringen um eine einheitliche Linie kam erschwerend hinzu, dass sich durch den Mitgliederzuwachs bei Frauen, Protestanten und Jungwählern usw. die Spannweite und das Meinungsspektrum der Partei erweiterten, was wiederum das parteiinterne Konfliktpotential vergrößerte. Mit der Wandlung von einer Honoratioren- zur Mitgliederpartei wuchs der Anspruch auf Partizipation und Mitentscheidung, was eine stärkere Politikvermittlung zur Integration der unterschiedlichen Interessen und Meinungen auf allen Parteiebenen erforderte. Diese Bedürfnisse befriedigte die CDU-Bundesgeschäftsstelle durch einen erheblich verstärkten Einsatz von Informations- und Werbematerialien und 6 Günter Buchstab: Einleitung, ebd., S. VII – XLIV, hier IX.

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neuen Veranstaltungsformen. Betrug die Mitgliederzahl 1972 noch 422.968, so stieg sie bis 1976 auf 652 010 an und erreichte ihren Höchststand im Jahr 1984 mit 730.395. Als Volkspartei umfasste die CDU alle Schichten und Berufsgruppen der Gesellschaft: Im Jahr der „Wende“ 1982 waren die Arbeiter mit 10,4, die Angestellten und Beamten mit 40,4, die Selbständigen mit 24,7, die Rentner mit 4,9, die Hausfrauen mit 11,0 und die Sonstigen mit 8,6 Prozent vertreten. Der Anteil der Frauen – für Kohl eine „Schlüsselgruppe“ bei den Wahlen – erhöhte sich zwar von 1972 bis 1975 von 60.000 auf 120.000 und bis 1980 auf 21 Prozent der Gesamtmitgliedschaft, doch korrelierte diese Erhöhung nicht mit einer entsprechenden Übernahme von Funktionen und Mandaten, was er in seiner 25-jährigen Amtszeit als Parteivorsitzender immer wieder bemängelte. Obwohl in der „Bonner Erklärung“ der Frauenvereinigung vom September 1985 eine verbindliche Handhabe der Beschlüsse des Essener „Frauenparteitags“ über die gleichberechtigte Besetzung von Ämtern und Mandatslisten gefordert worden war, konnte sich die Partei lange nicht auf eine verbindliche Lösung des Problems verständigen, auch weil die Forderung nach einer Quotierung innerhalb der Frauenunion umstritten war. Erst auf dem Parteitag vom 21.– 22. Oktober 1996 gelang es nach mehreren vergeblichen Anläufen, ein Frauenquorum von mindestens einem Drittel an Parteiämtern und öffentlichen Mandaten in der Parteisatzung (§ 15) festzuschreiben. Trotz der Schwierigkeiten, größtmögliche Geschlossenheit herzustellen, gelang es der CDU, der sozialliberalen Regierung mit eigenen Initiativen und Aktionsprogrammen eine Alternativposition als „Regierung von morgen“ entgegenzusetzen, die ihr größere Zugkraft verschaffte, neue Wähler ansprach und ihre Regierungsfähigkeit unterstrich. Sie nutzte auch die zahlreichen Angriffsmöglichkeiten, die die Regierung bot, vor allem in der Finanz- und Wirtschaftspolitik, wo mangelnde Haushaltsdisziplin und die Ölkrise 1973/74 zu wachsender Arbeitslosigkeit, hoher Inflationsrate, steigender Staatsverschuldung und sinkendem Bruttosozialprodukt geführt hatten. Die Opposition begnügte sich aber nicht damit, reflexartig auf Vorschläge der SPD/FDP-Koalition zu reagieren und als Reparaturwerkstatt bei deren Gesetzesvorhaben zu wirken, sondern setzte mit eigenen Initiativen Akzente, so schwierig deren Umsetzung angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag auch sein mochte. Zahlreiche „Leitlinien“, „Aktionsprogramme“, „Maßstäbe“, „Schwerpunktthesen“ usf. zeugten von dem neuen Selbstbewusstsein als grundsatzstarke Partei, die für eine freie, gerechte und solidarische Gesellschaftsordnung und für wirtschaftliche Stabilität und rechtsstaatliche Sicherheit eintrat. Als Anwalt der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gegen sozialistische Systemveränderungen und Konzeptionen konnte sie in den Kommunal- und Landtagswahlen punkten. Mit der „Mannheimer Erklärung“ von 19757, die auf ein Strategiepapier von Biedenkopf 8 zurückging, formulierte die CDU die Grundstrukturen ihrer politischen Gesamtstrategie. Wesentlich waren die Aussagen zur Außenpolitik, in der sie sich insbesondere in der Deutschland- und Ostpolitik auf den Boden der von der Regierung geschaffenen Tatsachen stellte („pacta sunt servanda“), sowie die Herausarbeitung des Zusammenhangs zwischen Innen- und Außenpolitik und die Artikulation der „Neuen Sozialen Frage“, d. h. der Vertretung der von keiner Gruppen- oder Verbandsmacht repräsentierten wirklich 7 Abgedruckt bei Peter Hintze (Hg.): Die CDU-Parteiprogramme. Eine Dokumentation der Ziele und Aufgaben. Bonn 1995, S. 89 – 120. 8 Kohl: „Wir haben alle Chancen“, S. 1254 – 1342.

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Schwachen in Staat und Gesellschaft, mit der die CDU ihre sozialpolitische Kompetenz unterstrich. Mit dem von Biedenkopf geprägten Schlagwort präsentierte sie sich als Partei der sozialen Gerechtigkeit, die ihre ordnungs- und sozialpolitischen Vorstellungen dem Laissez-faire-Liberalismus und dem demokratischen Sozialismus entgegenstellte. Der – auch in der Partei nicht unumstrittene – polarisierende Slogan für die Bundestagswahl 1976 „Freiheit statt Sozialismus“ brachte diese Zielsetzung – die CDU als „nichtsozialistische Alternative“, die FDP als „Steigbügelhalter der Sozialisten“ – im Wahlkampf plakativ zum Ausdruck. Die absolute Mehrheit der Unionsparteien bei der Bundestagswahl am 3. Oktober 1976 mit ihrem Spitzenkandidaten Kohl gegen Bundeskanzler Helmut Schmidt und die SPD/FDP-Koalition lag in greifbarer Nähe; die Demoskopen ermittelten für die beiden Lager stets jeweils um die 50 Prozent. Tatsächlich brachte die Union die Regierung an den Rand einer Niederlage und erzielte ein hervorragendes Ergebnis (CDU 38 Prozent, CSU 10,6 Prozent), bis dahin das zweitbeste in ihrer Geschichte, verfehlte die absolute Mehrheit jedoch knapp. Da sich die Hoffnung auf einen Koalitionswechsel der FDP nicht erfüllte, bedeutete dies für die stärkste politische Kraft den weiteren Verbleib in der Opposition. Kohl entschied sich, sein Amt als Ministerpräsident in Mainz aufzugeben und als Oppositionsführer nach Bonn zu gehen. Die nach dem großen Wahlerfolg von ihm konstatierte „Aufbruchsstimmung“ verflog jedoch rasch. Der Hauptgrund dafür lag im Beschluss der CSU-Landesgruppe vom 19. November 1976 in Wildbad Kreuth9, die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU nicht fortzusetzen, sondern eine eigene Fraktion zu bilden. Zu Dissonanzen zwischen den beiden Parteien war es nicht erst bei der Nominierung des Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 1976 gekommen. Sie beruhten u. a. auf programmatischen Differenzen – etwa über die „Neue Soziale Frage“ – und vor allem auf unterschiedlichen Auffassungen über die Oppositionsstrategie. Während Kohl für eine konstruktive Politik der Opposition „im Interesse des Landes“ plädierte und auf den Zerfall der Regierungskoalition hinarbeitete, setzte Franz Josef Strauß, der Vorsitzende der CSU, auf eine totale Konfrontation und brachte immer wieder die Idee einer vierten Partei ins Gespräch, die die Blockbildung von SPD/FDP aufsprengen und die Chancen der Union, die absolute Mehrheit zu erreichen, erhöhen sollte. Vor diesem Hintergrund pochte die CSU darauf, nachdem die CDU im Mai 1975 Kohl als Kanzlerkandidaten nominiert hatte, dass ihr Vorsitzender die am besten geeignete Persönlichkeit dafür sei. Zwar lenkte sie nach intensiven Verhandlungen ein, ihr Anspruch auf Durchsetzung ihrer politischen Strategie blieb jedoch bestehen. Hatte der „Nebenkanzlerkandidat“ die Autorität des Unionskandidaten Kohl bereits im Wahlkampf nicht unerheblich beeinträchtigt, so verhagelte der Kreuther Beschluss nachhaltig die von ihm nach dem großen Wahlerfolg erwartete Aufbruchsstimmung. Kohl, der von Strauß auch persönlich gedemütigt worden war, drängte den Bundesvorstand, auf die Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft in „Verantwortung für das Erbe der Union und vor allem für die Zukunft der Union“10 mit „nüchterner Vernunft“ zu reagieren. Seine behutsame, aber auch konsequente Linie, für den Fall der Fälle eine 9 Vgl. Kohl: „Stetigkeit, Klugheit, Geduld und Zähigkeit.“ Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1976 – 1980. Bearb. von Günter Buchstab. 2 Teilbände (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 68). Düsseldorf 2017, S.  X – XV; Helmut Kohl: Erinnerungen 1930 – 1982. München 2004, S. 419 – 437. 10 Kohl: „Stetigkeit, Klugheit“, S. 142.

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Ausweitung der CDU nach Bayern vorzubereiten, sowie die wachsende Kritik am Kreuther Beschluss aus den CSU-Reihen zwangen dessen Befürworter, einzulenken und in Verhandlungen über die Bedingungen einer Fortsetzung der Zusammenarbeit in einer Fraktion einzutreten. Am 12. Dezember 1976 kam es schließlich zur Einigung in diesem Ringen um die Einheit der Union, aus dem Kohl als Sieger hervorging. Zwei Vereinbarungen wurden geschlossen, die die CSU gewissermaßen zu einem Koalitionspartner der CDU machten: Die eine betraf die Fraktionsgemeinschaft, in der die Autonomie der CSU-Landesgruppe gestärkt wurde, die andere legte auf der Basis des gemeinsamen Wahlprogramms von 1976 die „Grundlagen der politischen Zusammenarbeit“11 fest. Damit war zwar die Einheit der Union gewahrt, von einem gegenseitigen Vertrauensverhältnis zwischen den beiden Parteien und ihren Vorsitzenden konnte aber in der neuen Wahlperiode kaum die Rede sein; der Zwist mit der CSU schwelte weiter. Am 13. Dezember 1976 wurde Helmut Kohl von der gemeinsamen Fraktion mit 230 von 243 abgegebenen Stimmen zu ihrem neuen Vorsitzenden gewählt, sein Stellvertreter wurde der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Fritz Zimmermann, die treibende Kraft von Kreuth. Karl Carstens wurde als Kandidat der stärksten Fraktion im Parlament zum Bundestagspräsidenten gewählt. Auf eine geschlossen hinter ihm stehende Fraktion konnte Kohl nicht bauen, bestimmte doch Strauß als Fraktionsmitglied zusammen mit Zimmermann weiterhin die Linie der CSU-Landesgruppe. Zudem verfügte der CSU-Chef über beträchtlichen Anhang in den Reihen der CDU-Abgeordneten und -Mitglieder. Ruhe trat nicht ein: Zum einen hielten die Streitigkeiten über den strategisch-inhaltlichen Kurs an, zum anderen mehrten sich schon Anfang 1977 in der Fraktion mit ihrem komplizierten und schwerfälligen Willensbildungsprozess die kritischen Stimmen über den Führungsstil des Oppositionsführers, der daraufhin eine Straffung der Organisationsstruktur ankündigte, zu der es aber erst 1979 kam. Der Rückzug Kurt Biedenkopfs vom Amt des CDU-Generalsekretärs Mitte Januar 1977 war für den wachsenden Unmut, der sich auch in der Partei ausbreitete, nur ein Indiz. Mit Heiner Geißler nominierte Kohl einen Nachfolger, der seinem Vorgänger mit seinen rednerischen, analytischen und kreativen Fähigkeiten durchaus ebenbürtig war, ihn in der Zuspitzung politischer Sachprobleme auf eingängige Begriffe sogar übertraf. Bei der CSU traf diese Entscheidung allerdings auf wenig Begeisterung, galt Geißler für Strauß doch als Vertreter einer „ideologisch-progressiven Öffnung nach links“. Das schon seit längerem gestörte Vertrauensverhältnis zwischen den beiden CDUGrößen Kohl und Biedenkopf brach endgültig um die Jahreswende 1978/79, als Biedenkopf – wohl mit Rückendeckung von Strauß und einiger CDU-Granden – hinter dem Rücken Kohls ein Memorandum verschickte, in dem er die Trennung von Partei- und Fraktionsvorsitz verlangte und damit Kohls Autorität in Frage stellte. Zwar musste Biedenkopf klein beigeben, doch Kohl war eindeutig angezählt. Bei seiner Wiederwahl auf dem Kieler Parteitag im März 1979 erhielt er nur 83,38 Prozent, ein untrügliches Zeichen für die Krisenstimmung, die die Partei erfasst hatte. Das Verhältnis zur CSU blieb spannungsgeladen, das Thema Vierte Partei wurde auch nach der Überwindung des Trennungsbeschlusses weiter auf der Tagesordnung gehalten. Der Zwist brach erneut in aller Schärfe auf, als die CSU mit der Drohung „Strauß 11 UiD 51/76, 15.1.1976, S. 3 f.

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oder Spaltung“ auf der Kanzlerkandidatur des seit 1978 amtierenden bayerischen Ministerpräsidenten für die Bundestagswahl 1980 bestand. Kandidat der CDU war nicht Kohl, der aufgrund der für ihn ungünstigen Stimmungslage verzichtet hatte, sondern der erfolgreiche Ministerpräsident von Niedersachsen, Ernst Albrecht, der bei der Landtagswahl 1978 die absolute Mehrheit für seine Partei erreicht und die FDP aus dem Landtag verdrängt hatte. Am 23. Mai 1979, dem Tag der Wahl des Bundespräsidenten, setzte ein aufreibender Grabenkrieg der beiden Parteien über die Kandidatenfrage ein. Er ließ den Triumph der Union, nach zehn Jahren mit Karl Carstens wieder den Bundespräsidenten zu stellen, in den Hintergrund treten. Auch der große Erfolg bei der ersten direkten Wahl zum Europaparlament am 10. Juni 1979, bei der die Wähler nicht nur ihre Unzufriedenheit mit der Regierung zum Ausdruck brachten, sondern auch die europapolitische Kompetenz der Union mit 49,2 Prozent honorierten, konnte nicht ausgekostet werden. Erst am 2. Juli ging das wochenlange Ringen durch eine Abstimmung in der Bundestagsfraktion zu Ende, bei der sich Strauß gegen Albrecht durchsetzen konnte. Diese Entscheidung, die Kohl zu verhindern versucht hatte, bedeutete für ihn freilich nicht das von vielen prognostizierte Aus als Fraktions- und Parteivorsitzender. Sie eröffnete ihm vielmehr die langfristige Perspektive, doch noch selbst Kanzler zu werden, da mit Ernst Albrecht ein potentieller Mitkonkurrent gescheitert war und die Chance, dass Strauß die Bundestagswahl 1980 gewinnen könnte, als gering eingeschätzt wurde; es war zu erwarten, dass seine Kandidatur die Mobilisierungsbereitschaft der CDU-Anhänger vor allem nördlich der Mainlinie dämpfen und eher stabilisierend auf die sozial-liberale Koalition und deren Wählerschaft wirken würde. Dennoch mahnte Kohl eine „stromlinienförmige“ Unterstützung des ungeliebten Kandidaten durch die CDU an, um von vornherein den Vorwurf zu entkräften, die Partei hätte Strauß nur halbherzig getragen. Wie zu erwarten war, erlitt der CSU-Vorsitzende am 5. Oktober 1980 einen schweren Rückschlag: Die Unionsparteien verloren gegenüber dem Wahlergebnis von 1976 4,1 Prozent, erreichten also nicht ihr erklärtes Ziel, die Regierungsverantwortung zu übernehmen, blieben allerdings mit 44,5 Prozent stärkste Fraktion im Bundestag. Das für Kohl und für die Union langfristig bedeutsame Ergebnis des Scheiterns von Strauß bestand darin, dass das Thema einer bundesweiten Ausdehnung der CSU endgültig vom Tisch war, die Einheit der Union nicht mehr in Frage gestellt und die Fraktionsgemeinschaft wie selbstverständlich erneuert wurde. Der Dauerhader und die Auseinandersetzungen mit der Schwesterpartei sowie die internen Querelen in der Partei, die ihre öffentliche Wahrnehmung erheblich beeinträchtigten, verdeckten jedoch nicht die beachtliche Arbeit, die die CDU in der 8.Wahlperiode zur eigenen Profilschärfung leistete. Mit zahlreichen Kongressen, Fachkonferenzen, Aktionsprogrammen und Arbeitspapieren, nicht zuletzt auch mit dem gemeinsamen CDU/ CSU-Wahlprogramm, in denen sie die aktuellen und zukunftsorientierten Themen aufgriff – Bekämpfung des Terrorismus, Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung, Konzepte zur Ausländerpolitik, Energie und Umwelt, Zukunftschancen der Jugend, um nur einige zu nennen –, hatte sie die Alternativen für eine potentielle Regierungsübernahme formuliert. Dazu zählte vor allem auch das „Ludwigshafener Grundsatzprogramm“ von 1978, das die „Mannheimer Erklärung“ von 1975 weiterentwickelte. Das Programm definierte die Grundprinzipien der CDU als Volkspartei mit sozialen, liberalen und konservativen Strömungen, aus denen heraus sie im Weiteren ihre Lösungskonzepte und Gesetzesinitiativen zu wesentlichen Politikfeldern ableitete. Orientierungspunkte waren 171

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die aus der katholischen Soziallehre abgeleiteten Prinzipien der Personalität, Subsidiarität und Solidarität. Es bildete mit seinen Aussagen zur Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik, zur Neuen Sozialen Frage, über Mitbestimmung, Arbeitsmarkt, Bildungswesen, Familie, Innere Sicherheit, Energie- und Umweltpolitik, Medienpolitik, Entbürokratisierung, Außen- und Sicherheitspolitik, Deutschlandpolitik sowie zur Einigung Europas den Höhepunkt eines Prozesses, der als Bewusstseinserneuerung und -veränderung in der Oppositionsphase eingesetzt hatte, und ist als „ein wichtiger Markstein auf dem Weg der CDU zur modernen Volkspartei12“ bezeichnet worden. Sie nahm darin die fundamentalen Änderungen in Politik und Gesellschaft auf, die sich während der sozialliberalen Regierungszeit vollzogen hatten. Ludwigshafen bedeutete allerdings kein Ende der programmatischen Entwicklung; diese setzte sich unmittelbar fort u. a. mit medienpolitischen Leitsätzen (November 1978), Konzepten zur Wirtschaftspolitik (1979) und zum Abbau der Arbeitslosigkeit (1980), also den besonderen Schwachpunkten der SPD/ FDP-Regierung. Ob Parteiprogramme, Aktionsprogramme, Leitsätze, Positionspapiere usw. einen entscheidenden Einfluss auf das Wahlverhalten der Bürger haben, ist eine offene Frage. Gewiss ist ihr hoher Appellationscharakter für die Mitglieder nicht zu unterschätzen, aber Tatsache ist seit den Zeiten Konrad Adenauers, dass eine Partei weniger über ihre Programme identifiziert wird und wählbar ist als in weit stärkerem Maße über die von ihr ins Rennen geschickten Repräsentanten – und 1980 war der Kandidat Strauß gegenüber dem amtierenden Kanzler Schmidt eindeutig im Nachteil. Die Bestätigung der SPD/FDP-Regierung bei der „Anti-Strauß-Wahl“ war nur ein vordergründiger Erfolg: Die SPD erreichte unter den optimalen Kanzlerbonus-Bedingungen nur etwa das gleiche Ergebnis wie 1976 (42,9 Prozent), die FDP konnte sich allerdings als „Auswegpartei“ um 2,7 auf 10,6 Prozent verbessern. Die Probleme, die die Koalitionsparteien schon in der vorherigen Legislaturperiode entzweit hatten – vor allem in der Haushalts- und Wirtschaftspolitik, in den Bereichen Rente, Beschäftigung, Energieversorgung und in der Sicherheitspolitik (NATO-Doppelbeschluss) –, blieben unverändert virulent. Die Verschleißerscheinungen waren unverkennbar. In der „malaiseartigen“ Atmosphäre der Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und FDP konnten die Bruchlinien nur mühsam gekittet werden. Die Aussichten auf ein mögliches Zerbrechen der Koalition und auf einen Wechsel der FDP zur Union schienen realistischer zu werden. Dennoch schwor Kohl seine Partei auf vier weitere Jahre Opposition ein. Um den Druck auf die Liberalen zu erhöhen, verständigte sich der CDU-Bundesvorstand auf eine grundsätzliche Revision des Oppositionskurses. War bisher in der Auseinandersetzung mit der Regierung konstruktive Opposition angesagt, d. h. das Bemühen, über den Bundesrat und den Vermittlungsausschuss die Gesetzesvorhaben der Regierung zu entschärfen oder zu verbessern, dadurch „zum nachbessernden Reparaturbetrieb für Fehlentwicklungen der Bundespolitik“13 und gewissermaßen als „Hilfsmotor der Regierung“14 zum Mitregenten zu werden, so sollte von nun an die Regierung mit ihrer Verantwortlichkeit für die missliche politische Lage allein in die „Beweislast“ gebracht werden. Ein völliges Ein12 Wulf Schönbohm: Die CDU wird moderne Volkspartei. Selbstverstandnis, Mitglieder, Organisation und Apparat 1950 – 1980 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 7). Stuttgart 1985, S. 145. 13 Lothar Späth in UiD 1/81 vom 15.1.1981, S. 12. 14 Kohl: „Gelassenheit und Zuversicht“. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1980 – 1983. Bearb. von Günter Buchstab (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 70). Düsseldorf 2019, S. 52.

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schwenken auf die „Sonthofen-Strategie“ von Strauß, d. h. eine grundsätzliche Verweigerungshaltung mit Blockade der Regierung, was über die Unionsmehrheit im Bundesrat möglich gewesen wäre, bedeutete dies allerdings nicht. Für die neue Legislaturperiode waren sechs Arbeitsschwerpunkte vorrangig vorgesehen: Europa, Nord-Süd-Konflikt, umweltfreundliches Wachstum, Vollbeschäftigung, Wahlfreiheit für Männer und Frauen in Familie und Beruf sowie Chancen und Zukunft der Jugend unter der Leitlinie der geistig-politischen Grundlagen von Staat und Gesellschaft. Aufgrund der Wahlanalysen war man zu der Einschätzung gekommen, dass die Union aus der jungen Generation „biologisch herauswachse“. Vor diesem Hintergrund und wegen des Problems der wachsenden Jugendarbeitslosigkeit stellte die CDU ihren 30.Bundesparteitag vom 2.– 5. November 1981 unter das Motto „Mit der Jugend. Unser Land braucht einen neuen Anfang“, dessen programmatischer Leitantrag nicht nur die beschlossenen Themenfelder umfassend behandelte, sondern darüber hinaus die Alternative zur Regierung formulierte und die Sachkompetenz der Partei wie auch ihre geistig-politische Führungskraft für eine Regierungsübernahme und eine grundlegende „Wende“ der Politik vor aller Öffentlichkeit demonstrierte. Dazu dienten auch zahlreiche Einzelvorschläge zur Asyl- und Ausländerpolitik, zur Wohnungsbauförderung, zur Medienpolitik, zum Umweltschutz, zur Europa- und Deutschlandpolitik usw. und nicht zuletzt auch die „Sieben-Punkte-Offensive“ vom Februar 1982 für eine neue Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik unter der Überschrift „Arbeit für alle durch Soziale Marktwirtschaft“15. Schon im Januar 1981 zeichnete sich ab, dass sich die innenpolitischen Koordinaten zu ändern begannen. In Berlin scheiterte der Regierende Bürgermeister Dietrich Stobbe mit seiner skandalbelasteten SPD/FDP-Regierung. In der vorgezogenen Neuwahl zum Abgeordnetenhaus am 10. Mai 1981 erreichte die CDU mit Richard von Weizsäcker 48,0 Prozent und bildete zunächst eine von der FDP tolerierte Minderheitsregierung. Die Kommunalwahl in Hessen am 22. März 1981 stabilisierte die CDU nach dem Erdrutschsieg von 1977 mit 47,4 Prozent, während die SPD weiter absackte und die FDP in Frankfurt a. M. sogar auf 4,3 Prozent abrutschte. Für die hessische Landtagswahl im Oktober wurde die absolute Mehrheit der CDU prognostiziert. Zum Menetekel für die SPD/FDP-Koalition wurden schließlich die Wahlen in Niedersachsen am 21. März und in Hamburg am 6. Juni 1982. Vor allem die Wahlerfolge der neugegründeten „Grünen“ wirkten sich negativ auf den Fortbestand sozialliberaler Koalitionen aus. Wie schon in Baden-Württemberg, Bremen, Berlin zogen sie nun auch in Niedersachsen und Hamburg in die Parlamente ein, was die strukturelle Mehrheitsfähigkeit von SPD/FDP-Koalitionen in weite Ferne rücken ließ und damit die Rolle der Liberalen als potentieller Koalitionspartner der SPD auf Dauer in Frage stellte. Kohl stellte fest: „Das ist die vierte Partei, die wir gebraucht haben angesichts der Blockbildung von SPD und FDP.“ So negativ sich die Wahlerfolge der Grünen auf den Fortbestand von SPD/FDP-Koalitionen auch auswirken mochten und die beiden Parteien vor Probleme stellten, so besorgt wurde aber seitens der CDU ebenfalls registriert, dass diese „grüne“ Partei auch für sie selbst „eine gefährliche Herausforderung“16 bedeutete. Das Ausbrechen vor allem der Jungwähler aus dem Spektrum der Volksparteien war ein alarmierendes Signal. Offenbar vermochten sie ihre Integrationsfunktion nicht mehr im bisherigen Umfang zu leis15 Vgl. UiD 5/87, 11.2.1982, S. 1 – 7. 16 Kohl: „Gelassenheit und Zuversicht“, S. 447.

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ten und auf die gesellschaftspolitischen Veränderungen – den Symptomen eines „postmaterialistischen“ Wertewandels, der Differenzierung, der Fragmentierung bestimmter Themen, der Pluralisierung der Lebensstile und der Individualisierung – immer weniger adäquate Antworten zu finden. Das Aufbrechen des seit Mitte der 1950er Jahre stabilen Dreiparteiensystems beschleunigte den inneren Zerfall der Bonner Koalition. Aufgrund der internen Auseinandersetzungen in der Stabilitäts-, Wirtschafts-, Sozial- und Sicherheitspolitik und der Hinwendung von Teilen der SPD zu den Alternativen, der Anti-Kernkraft- und der Friedensbewegung geriet die Partei in eine „Identitätskrise“, die die ohnehin vorhandenen Differenzen mit der FDP in der Energiepolitik, im Bereich der Staatsfinanzen und der Nachrüstungspolitik zusätzlich verschärften. Am 17. September 1982 zerbrach die Koalition nach langer Agonie. Am 1. Oktober erreichte Kohl mit einem konstruktiven Misstrauensvotum von CDU/CSU und FDP gegen Bundeskanzler Schmidt das Ziel der Union, nach 13 Jahren wieder die Regierung stellen zu können. Mit dem Wechsel Kohls in das Kanzleramt musste die Führungsposition in der CDU/CSU-Fraktion neubesetzt werden. Zu seinem Nachfolger wurde Alfred Dregger gewählt, dessen Enttäuschung, aufgrund der für die FDP so nachträglichen „Verrats-Kampagne“ Helmut Schmidts die absolute Mehrheit bei der hessischen Landtagswahl am 26. September nicht erreicht zu haben (CDU 45,6, SPD 42,8, Grüne 8,0, FDP 3,1 Prozent) und Ministerpräsident zu werden, mit dem neuen Amt nur bedingt abgemildert wurde. Er erwies sich aber als loyaler Partner des Kanzlers.

1982 – 1989 Schon vor dem erfolgreichen Misstrauensvotum gab Kohl bekannt, dass die neue „Koalition der Mitte“ für den 6. März 1983 Neuwahlen anstrebte – trotz der verfassungsrechtlichen Problematik dieses Weges dorthin. Die Begründung dafür lieferte er am 17. Dezember 1982, als er im Bundestag die Vertrauensfrage stellte: Die neue Koalition habe nur einen begrenzten Auftrag gehabt für das am 13. Oktober verkündigte „Dringlichkeitsprogramm“ zur Wiederherstellung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit angesichts der schwersten Wirtschaftskrise seit 1949, zur Verringerung des Haushaltsdefizits im Jahr 1983, das zusätzlich zu der von der Schmidt-Regierung vorgesehenen Neuverschuldung von 41 Milliarden DM eine weitere Lücke von mindestens 5 Milliarden DM aufwies, und zur Sicherung des sozialen Netzes mit entsprechenden Einsparungsgesetzen; das Minuswachstum betrug 1982 1,1 Prozent, die Inflation 5,2 Prozent, die Arbeitslosenquote 7,5 Prozent. Dieser Auftrag sei zwischen Oktober und Dezember erfüllt worden; weiterführende unpopuläre wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen zur dringend erforderlichen Haushaltssanierung bedürften jedoch der Legitimierung durch Neuwahlen. Nicht zuletzt spielte dabei die Überlegung eine Rolle, den Koalitionswechsel der FDP zu bestätigen, hatte sich doch ihr linksliberaler Flügel diesem Wechsel verweigert. Der Wiedereintritt in die Regierungsverantwortung bedeutete für den CDU-Vorsitzenden wie auch für die Partei insgesamt einen Paradigmenwechsel: Kohl hatte jetzt nicht mehr Oppositionsarbeit zu leisten, sondern sowohl Regierungs- wie Parteipolitik zu gestalten, und CDU und CSU waren nun nicht mehr Gegenspieler der Regierung, sondern in der Koalition mit der FDP in die Regierungsarbeit eingebunden, die nur als Gemeinschaftswerk erfolgreich sein konnte; indes verstanden sich weder die CDU/CSU-Frak174

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tion als reines Vollzugsorgan für die Vorhaben der Regierung noch die CDU als deren verlängerter Arm. Die veränderte Lage wurde von den CDU-Gremien nicht unmittelbar in ihrer vollen Tragweite wahrgenommen, wie die deutliche Kritik an Einzelmaßnahmen und die Forderung nach besserer sozialer Ausgewogenheit des mit heißer Nadel gestrickten Dringlichkeitsprogramms zeigte, das in vier Schwerpunkte gegliedert war: Schaffung neuer Arbeitsplätze, Sicherung des sozialen Netzes, Verwirklichung einer menschlichen Ausländerpolitik und Erneuerung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Angesichts der „blanken Notlage“17, der vorgefundenen katastrophalen finanziellen und ökonomischen Situation, die schmerzliche Einschnitte erfordert habe, verwahrte sich Kohl gegen die zahlreichen Einreden und forderte von Partei und Fraktion mehr „Solidargesinnung“ ein. Gleichzeitig machte er aber klar, dass die Partei nicht „zu einer Beschaffungsmaschine für Regierungsmehrheiten“ degradiert werden dürfe, sondern auf ihr „Eigengewicht, das eigene Profil“18 zu achten habe. Aufgrund dieses Spagats zwischen Loyalität zur Regierungsarbeit und Wahrung des Parteiprofils waren immer wieder Konflikte und Spannungen vorprogrammiert, die das ganze Führungsgeschick des Kanzlers und Parteivorsitzenden während seiner gesamten 16-jährigen Amtszeit erforderten. Insofern kann die Geschichte der CDU in den Jahren bis 1998 nicht von ihrer Funktion als größte Regierungspartei getrennt werden, ebenso wenig lässt sie sich von der Doppelrolle Kohls als CDU-Bundesvorsitzender und Kanzler trennen, der durch seine Kontakte zu Kreis- und Landespolitikern eng mit der Parteibasis verbunden blieb und mit geradezu seismographischem Gespür auch die Realien des täglichen Lebens und die Gefühlslagen der Bevölkerung nicht aus den Augen verlor – eine Gabe, die ihm in der Endphase seiner Kanzlerschaft verloren gegangen zu sein schien. Das Votum der Wähler am 6. März 1983 für die „Koalition der Mitte“ mit 55,8 Prozent – 38,2 Prozent CDU, 10,6 Prozent CSU und 7 Prozent FDP – war eine eindeutige Bestätigung für die neue Bundesregierung; die SPD kam auf 38,2 Prozent, als vierte Partei zogen die Grünen mit 5,6 Prozent erstmals in den Bundestag ein. Die Union verfehlte die absolute Mehrheit also nur knapp. Die Arbeitnehmer entschieden sich zu 48 Prozent für die Unionsparteien (die Facharbeiter zu 52 Prozent), die Erstwähler zu 46 Prozent, die Frauen zu 50 Prozent. Begünstigt durch das miserable Erscheinungsbild der SPD/FDPRegierung waren die personelle Erneuerung und organisatorische Modernisierung wie auch die Öffnung für neue Wählerschichten in den Jahren der Opposition entscheidende Voraussetzungen für dieses überzeugende Mandat; hinzu kam ihre Geschlossenheit durch die fundierte programmatische Ausstattung, die sie mit zahlreichen Kongressen und Publikationen von beachtlichem Niveau erreicht und der Öffentlichkeit nahegebracht hatte. In dem Wahlergebnis spiegelten sich auch Erwartungen auf eine schnelle Überwindung der Wirtschafts- und Finanzkrise und teils übersteigerte Hoffnungen auf eine grundsätzliche geistig-politische „Wende“ in der Politik, die die Union in der Oppositionsphase geweckt hatte. Auf einen Schlag war das allerdings nicht zu schaffen, zumal jeder neuen Regierung Grenzen des politisch Durchsetzbaren gezogen sind durch das 17 Kohl: „Gelassenheit und Zuversicht“, S. 991. 18 Helmut Kohl: Berichte zur Lage 1982 – 1989. Der Kanzler und Parteivorsitzende im Bundesvorstand der CDU Deutschlands. Bearb. von Günter Buchstab und Hans-Otto Kleinmann (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 64). Düsseldorf 2014, S. 81.

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Erbe, das ihr die Vorgänger hinterlassen haben, und – wie nach 1982 – durch Rücksichtnahme auf die Befindlichkeiten des Koalitionspartners. Insofern konnte sie die großen Hoffnungen und Erwartungen in der Regierungspraxis und im politischen Tagesgeschäft mit seiner nur mühsam steuerbaren Kombination von Themenvielfalt, Pflege der Medienlandschaft, insbesondere des Fernsehens, und Partizipationsansprüchen nur bedingt erfüllen. Einem Teil ihrer Wähler gingen die eingeleiteten Kurskorrekturen zu weit, anderen, den konservativen und marktliberalen Wählern, waren sie zu behutsam. Zudem nötigten Koalitionsrücksichten der größten Regierungspartei bei der politischen Durchsetzung ihrer programmatischen Ziele Abstriche ab und verwässerten so ihr Profil in der Öffentlichkeit, so dass es trotz der unbestreitbar positiven haushalts- und wirtschaftspolitischen Bilanz und des außenpolitischen Ansehens, das die Regierung in relativ kurzer Zeit erwarb – die eine „feindliche“ Medienlandschaft nach Kohls Meinung aber nicht angemessen gewürdigt habe –, bei den nachfolgenden Wahlen Rückschläge gab. Die Enttäuschungen äußerten sich in einer geringeren Wahlbeteiligung zu Lasten der CDU, in der Rückwanderung von Teilen der Facharbeiter und der Wähler unter 45 Jahren zur Opposition, in der nachlassenden Bereitschaft der Parteimitglieder, sich zu engagieren, und in den Bindungsverlusten der traditionellen Klientel, vor allem auf dem Land und im kirchennahen Spektrum. Gänzlich unerwartet waren derartige Rückschläge nicht, handelte es sich dabei doch um die bekannte Gegenbewegung der Wähler, vor allem bei Landtagswahlen, zuungunsten der in Bonn jeweils aktuell regierenden Parteien. Der 31.Bundesparteitag vom 25.– 26. Mai 1983 stand allerdings noch ganz im Zeichen des grandiosen Wahlerfolgs vom März. Er bestätigte Kohl als Bundesvorsitzenden mit dem überwältigenden Ergebnis von 95,46 Prozent (631 Ja- gegen 17 Nein-Stimmen bei 13 Enthaltungen). Auf den Lorbeeren ruhten sich die Delegierten jedoch nicht aus. Sie fassten eine Reihe wichtiger Beschlüsse: zur Bekämpfung der Jugend- und Jungakademikerarbeitslosigkeit, die Kohl tief besorgte, zur Verbesserung der flankierenden Maßnahmen des Arbeitsmarkts und zur Weiterentwicklung des Systems der Alterssicherung und zum Mutterschaftsgeld. Einen ersten Dämpfer erhielt der Wende-Optimismus bereits bei der Landtagswahl in Hessen am 25. September 1983 mit einem Stimmenrückgang von 6,2 Prozent. Auch bei der Landtagswahl am 25. März 1984 in Baden-Württemberg kam es zu Stimmeneinbußen, wenngleich die absolute Mehrheit behauptet werden konnte. Einen neuen Schub versprach man sich von den auf dem Stuttgarter Parteitag vom 9.– 11. Mai 1984 verabschiedeten „Stuttgarter Leitsätzen für die 80er Jahre“, die – basierend auf dem Ludwigshafener Grundsatzprogramm von 1978 – in fünf Kapiteln insgesamt 52 programmatische Schwerpunkte für die 1980er Jahre enthielten. Doch konnte der Abwärtstrend bei der Europawahl und den Kommunalwahlen in Rheinland-Pfalz und im Saarland am 17. Juni 1984 und bei der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen am 30. September 1984, bei der die CDU ihre Position als stärkste Rathauspartei an die SPD verlor, nicht gestoppt werden. Er setzte sich am 10. März 1985 unvermindert fort bei den Wahlen in Berlin (minus 1,6 Prozent), im Saarland (minus 6,7 Prozent) und bei der Kommunalwahl in Hessen (minus 6,3 Prozent), wobei der Verlust im Saarland, das seit 1946 christlich-demokratisch regiert wurde, besonders schmerzlich war. Trotz der Tatsache, dass sich nach der Regierungsübernahme 1982 die Lage der Bundesrepublik auf nahezu allen Gebieten verbessert hatte, waren dies besorgniserregende Signale für die Partei. 176

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Dabei ließ die Erfolgsbilanz der Regierung sich durchaus sehen; in wichtigen politischen Bereichen sorgte sie für grundsätzliche Veränderungen und Weichenstellungen, die die vielfach geäußerte Einschätzung widerlegen, die „Koalition der Mitte“ habe nur die sozialliberale Politik fortgeführt: Durch strenge Ausgabendisziplin, Steuerentlastungen und Rückführung der Neuverschuldung war die Konsolidierung des Bundeshaushalts auf den Weg gebracht worden; Garant für diese Konsolidierungspolitik war Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg. Wachstumsraten von über zwei Prozent, Reduzierung der Inflation und steigender Wohlstand unterstrichen die Richtigkeit des neuen Kurses. Problematisch blieb hingegen die Zahl der Arbeitslosen, wenngleich die Arbeitsmarktbilanz mit über 1,5 Millionen neu geschaffener Arbeitsplätze und 29 Millionen Erwerbstätigen Anfang der 1990er Jahre positiv ausfiel. Die Jugendarbeitslosigkeit ging erheblich zurück; allein zwischen 1983 und 1985 konnte das Ausbildungsplatzangebot um 7,1 Prozent auf rund 700.000 Lehrstellen gesteigert werden, was vor allem dem unermüdlichen Werben der Bildungsministerin Dorothee Wilms zu verdanken war. In der Sozialpolitik nahm sich die Regierung beherzt der notwendigen Reformen im Gesundheitswesen und in der Rentenversicherung an, so dass es 1989 in der Sozialversicherung einen Überschuss von 16 Milliarden DM gab; die Sanierung war allerdings nur vorübergehend, wie bald wieder einsetzende Kostensteigerungen zeigten. In der Familienpolitik wurden unter Familienminister Heiner Geißler und seiner Nachfolgerin Rita Süssmuth neben familiengerechten Steuerbestimmungen das Erziehungsgeld und der Erziehungsurlaub mit Beschäftigungsgarantie für Mütter und Väter sowie Verbesserungen beim Kindergeld eingeführt, die „Bundesstiftung Mutter und Kind – Schutz des ungeborenen Lebens“ errichtet und das Kindererziehungsleistungs-Gesetz, die Anrechnung von elterlichen Erziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung, durchgesetzt. Eine tiefgreifende Weichenstellung war die Neugestaltung der Medienordnung, für die der Bundesminister für Post- und Telekommunikation Christian Schwarz-Schilling verantwortlich zeichnete. Die medienpolitischen und medientechnischen Entscheidungen waren innerparteilich unter seiner Federführung in den 1970er Jahren sorgfältig vorbereitet worden. Die Blockade des Ausbaus moderner Kommunikationstechniken durch die SPD/FDP-Regierung wurde aufgehoben, der Telekommunikationsmarkt liberalisiert und der Grundstein für die Postreform gelegt, die am 1. Juli 1989 mit der Neuorganisation des Telekom-Bereichs und am 1. Januar 1995 mit der Aufspaltung der Bundespost in die drei Unternehmen Deutsche Telekom AG, Deutsche Post AG und Deutsche Postbank AG in Kraft trat. Weitere Neuerungen war die Einführung von btx, dem Vorläufer des heutigen T-Online, des Fax und der digitalen Mobilfunktechnologie. Außerdem wurde das Monopol der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten abgeschafft und der Weg für das Privatfernsehen durch die Zulassung privater Anbieter freigemacht. Der Umweltpolitik erkannte Kohl den Rang einer eigenständigen offensiven Politikaufgabe zu; als sich 1986 nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl die Gelegenheit bot, bündelte er sie in einem eigenen Ministerium. Erster Minister wurde Walter Wallmann. Die Grundlage bildete das umfassende Umweltschutzprogramm, das die CDU bereits Ende 1979 unter der Federführung von Heinz Riesenhuber verabschiedet hatte. Es bettete den Umweltschutz ein in die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und befasste sich mit den Umweltkosten und -schäden – wobei es sich für eine konsequente Anwendung des Verursacherprinzips aussprach –, mit der Einbindung des Umweltschut177

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zes in den Ordnungsrahmen der Sozialen Marktwirtschaft, mit Wachstumsfragen und Technikfolgen, mit Forschung und Innovation usw. bis hin zu internationalen Aspekten. Für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen wurde u. a. die Luftqualität mit der Verschärfung der Großfeuerungsanlagenverordnung und der TA Luft verbessert, Anlagen zur Entschwefelung von Rauchgas gefördert, der 3-Wege-Katalysator und bleifreies Benzin für Kraftwagen eingeführt, der Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoff reduziert, die „Verklappung“ von Dünnsäure in der Nordsee verboten und das „Gesetz zum vorsorgenden Schutz der Bevölkerung gegen Strahlenbelastung“ erlassen. Auch in der Außen- und Sicherheitspolitik kam es zu deutlichen Kursänderungen und Akzentverschiebungen. Vorrangig war zunächst die Durchsetzung des NATO-Doppelbeschlusses als notwendige Voraussetzung für eine spätere Abrüstung, auch als moralische Pflicht im westlichen Bündnis. Für Helmut Kohl ging es bei seiner Politik der aktiven Friedenssicherung, die er gegen massive Widerstände der „Friedensbewegung“ durchsetzte, um Kriegsverhinderung durch die Fähigkeit und Bereitschaft zur Verteidigung, den schrittweisen Aufbau einer Ordnung des friedlichen Interessenausgleichs und der friedlichen Konfliktregelung sowie nicht zuletzt um die Stabilisierung der Bundesrepublik im westlichen Bündnis. Die Kriegsangst-Psychose in Teilen der Bevölkerung, die zu Hunderttausenden auf die Straße ging, erwies sich als ebenso unbegründet wie die Sorge um eine neue „Eiszeit“ in den Ost-West-Beziehungen: Die Sowjetunion kehrte an den Verhandlungstisch zurück. Ein Mittel, den Ost-West-Konflikt zu entschärfen, waren auch die KSZE-Verhandlungen, denen die Union in den 1970er Jahren noch mit Skepsis begegnet war. In der Europapolitik ging es Kohl und der Union als „Europapartei“ um qualitative Fortschritte der Gemeinschaftsbildung und klare Perspektiven der Integration, die in den Jahren der „Eurosklerose“ in der Sackgasse der Agrar- und Haushaltspolitik steckengeblieben war. Europa war für Kohl und seine Partei schon immer ein vorrangiges politisches Thema. Auf seine Anregung hin waren Ende April 1976 die Europäische Volkspartei und 1978 der Zusammenschluss konservativer und christlich-demokratischer Parteien in der Europäischen Demokratischen Union gegründet und auf dem Parteitag in Hannover vom 24.– 26. Mai eigens ein „Europa-Tag“ abgehalten worden, der ein „Europäisches Manifest“ verabschiedete. Darin wurde nicht nur eine gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik, sondern auch die Ausarbeitung eines Entwurfs für eine europäische Verfassung vorgeschlagen. An diese Zielsetzung knüpfte Kohl nach der Regierungsübernahme nahtlos an. Schon auf dem EG-Gipfel 1983 unter deutschem Vorsitz in Stuttgart gelang mit der Verabschiedung der „Feierlichen Deklaration zur Europäischen Union“ ein erster wichtiger Schritt aus der „Eurosklerose“ in die Zukunft. Auf dem Luxemburger Gipfel 1986 wurde als weitere Etappe der Entwicklung einer europäischen Identität die „Einheitliche Europäische Akte“ verabschiedet, die die Vollendung des Binnenmarkts bis zum 31. Dezember 1991, die Stärkung der Rechte des Europaparlaments und die Neuregelung der Europäischen Politischen Zusammenarbeit vorsah. Weitere Fortschritte gab es 1988 bei den Ratssitzungen in Brüssel mit Beschlüssen über eine gemeinsame Struktur- und Umweltpolitik sowie in Hannover, wo der Weg zu einer Währungsunion eingeleitet wurde, und schließlich in Madrid 1989, wo die Grundlage zur ersten Stufe der Liberalisierung des Kapitalverkehrs gelegt wurde. Die Annahme des sog. Delors-Berichts bedeutete die Geburtsstunde der „Wirtschafts- und Währungsunion“, deren erste Stufe zum 1. Juli 1990 in Kraft treten sollte. Einen entscheidenden Anteil an dem erfolgreichen 178

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europäischen Reformprozess der 1980er Jahre hatten die deutsch-französische Kooperation und das gute Einvernehmen zwischen Helmut Kohl und dem französischen Staatspräsidenten François Mitterrand. In ihrem Grundsatzprogramm von 1978 hatte die CDU die Überwindung der deutschen Teilung als ihr politisches Hauptziel bezeichnet. Die Deutschlandpolitik Kohls verband die Offenhaltung der deutschen Frage auf der Grundlage der festen Verankerung im westlichen Bündnis und der Einordnung der deutschen Frage in den europäischen Einigungsprozess mit Prinzipientreue – einer konsequenten Verschärfung der normativen Distanz zur DDR –, aber zugleich mit praktischer Kooperation und verhandlungspolitischer Flexibilität. Der vertragspolitische Spielraum wurde durch Abkommen zur Familienzusammenführung, zu Reiseerleichterungen und Städtepartnerschaften – was nicht unwesentlich zur Unterminierung der Legitimität des SED-Regimes beitrug – sowie zu Kreditbürgschaften (Milliardenkredit) und – im Gegenzug – zum Abbau der Schießanlagen an der innerdeutschen Grenze usw. genutzt. Doch bei allem Pragmatismus, der unter der Prämisse „Leistung gegen Gegenleistung“ stand, hielt Kohl an der Einheit der Nation unverrückbar fest. Weder war er bereit, sie zur Disposition zu stellen und sich mit der Zweistaatlichkeit abzufinden wie die SPD, noch auf die „Geraer Forderungen“ Erich Honeckers einzugehen, also zu einer sogenannten Normalisierung der deutsch-deutschen Beziehungen die Erfassung der Gewaltverbrechen in Salzgitter abzuschaffen oder etwa die DDR-Staatsbürgerschaft anzuerkennen. Dies machte er beim Arbeitsbesuch Honeckers in der Bundesrepublik vom 7.– 12. September 1987, der auf eine Einladung Helmut Schmidts von 1981 zurückging, unmissverständlich deutlich. Die Chance zur Einheit kam rascher als erwartet, als im Herbst 1989 der revolutionäre Umbruch in den Ostblockstaaten auch die DDR erfasste und das SED-Regime zum Einsturz brachte. Getrübt wurde die positive Bilanz der Aufräumarbeiten und Zukunftsentscheidungen von manchen Pannen, Skandalen und umstrittenen Maßnahmen und Ereignissen, die neben enttäuschten Hoffnungen zur Verunsicherung der Wähler und entsprechend unbefriedigenden Wahlergebnissen beitrugen. Dazu zählten die Wörner-Kießling-Affäre, das Tauziehen um die Bundespräsidentschaft im Vorfeld der Kandidatur Richard von Weizsäckers, der Milliardenkredit an die DDR sowie die seit 1981 schwelende Flick-Affäre um Parteispenden, die zunächst die FDP betraf, sich dann aber auch auf die CDU ausdehnte. Die Parteienfinanzierung war überhaupt ein immer wiederkehrendes Thema. Man denke aber auch an das Fiasko der gescheiterten Amnestiegesetzgebung, an den Bitburg-Besuch des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan, an das Kohl-Interview mit dem Gorbatschow-Goebbels-Vergleich und an die Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Gewerkschaften um den sog. Streikparagraphen des Arbeitsförderungsgesetzes. Auch die Einführung der Quellensteuer, die Steuerbefreiung des Flugbenzins für Privatflieger, eine Steuerreform mit gleichzeitiger Erhöhung von Verbrauchssteuern und Sozialabgaben, die zur Sanierung der Stahl- und Werftenindustrie und wegen der Mehraufwendungen für die Landwirtschaft und zur Stabilisierung der Renten- und Krankenversicherung nötig wurde, sowie die Angstpsychose vor einem Überwachungsstaat anlässlich der seit 1981 angekündigten Volkszählung sind hier als virulente Streitthemen zu nennen. Naturgemäß beruhten die unbefriedigenden Wahlergebnisse nicht allein auf einem negativen Erscheinungsbild der Bundesregierung und der sie tragenden Mehrheitspartei, sondern auch auf hausgemachtem Unvermögen in den Kommunen und Ländern; sie 179

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wurden aber häufig und gerne der Bundespolitik zugeschrieben. Lothar Späth zog daraus die Konsequenz, sich im Wahlkampf in Baden-Württemberg 1988 „gegen Bonn“ zu profilieren und so dem Negativtrend zu begegnen. Die Quittung kam prompt, er verlor 2,9 Prozent gegenüber 1984. Die Volkspartei mit ihren konservativen, liberalen und christlich-sozialen Wurzeln hatte als „Catch-all-party“ immer größere Probleme, die amorphe und sich immer mehr ausdifferenzierende „Mitte“ zu überzeugen, die weder politisch, noch gesellschaftlich, geschweige denn organisatorisch eindeutig zu verorten war. Die Sorge war zudem, aufgrund der „Lagerbildung“ – auf der einen Seite CDU, CSU und FDP, auf der anderen Seite SPD und Grüne – die strukturelle Mehrheitsfähigkeit zu verlieren. Zu denken geben musste den Parteistrategen vor allem die Lockerung der Parteibindung bei den traditionellen Stammwählern, bei Bauern und Rentnern, aber auch bei den für die Union sensiblen Wählergruppen der Jugend und der Frauen. Zur Stärkung der Jugendarbeit war schon 1972 die Schüler-Union gegründet worden. Um auch die ältere Generation an die CDU zu binden, regte Kohl bereits in den 1970er Jahren an, das Spektrum der Vereinigungen zu erweitern. Doch erst 1988 kam es zur Gründung der Seniorenunion, nachdem sich zunächst auf Landesebene Seniorenvereinigungen (1979 in Baden-Württemberg) gebildet hatten. Vor diesem Hintergrund fand vom 20.– 22. März 1985 der 33. Bundesparteitag in Essen statt. Er sollte zu Beginn des heißen Wahlkampfs in Nordrhein-Westfalen den Anstoß geben, den Abwärtstrend zu stoppen und insbesondere bei den weiblichen Wählern mit den „Leitsätzen der CDU für eine neue Partnerschaft zwischen Mann und Frau“ verlorenes Terrain wiederzugewinnen. Die „Lagertheorie“, die Heiner Geißler auf dem Parteitag als neue parteipolitische Konstellation in die Diskussion einführte, war der strategische Ansatz, mit der Betonung sozialer und emanzipatorischer Komponenten den Wählerschwund zu beenden und von Rot/Grün insbesondere Frauen- und Jungwählerstimmen abzuwerben. Diese – in der Partei nicht unumstrittene – Strategie erlitt mit der verheerenden Niederlage bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 12. Mai 1985 einen schweren Dämpfer: Die CDU verlor mit ihrem glücklosen Spitzenkandidaten Bernhard Worms 6,7 Prozent und konnte auch ihre Stellung als stärkste Fraktion nicht zurückgewinnen, die sie – nur unterbrochen in der Wahlperiode 1966 bis 1970 – von 1947 bis 1980 innegehabt hatte. Eine Konsequenz aus der Niederlage war die von Kurt Biedenkopf vorangetriebene Gründung eines einheitlichen Landesverbands am 8. März 1986, mit der das Neben- und Gegeneinander der voneinander unabhängigen Landesverbände Rheinland und Westfalen beendet wurde. Ohne Zweifel war die CDU in der Mitte der Legislaturperiode in schweres Fahrwasser geraten. Neue Perspektiven mussten entwickelt werden, um das negative Erscheinungsbild der Regierung zu verbessern, die gesellschaftlichen Tendenzen und geistigen Strömungen aufzunehmen und dem Abwärtstrend zu begegnen. Mit einer im September 1985 eingeleiteten, auf die kommende Bundestagswahl ausgerichteten Kampagne „Offensive ’87“ – mit Regionalkonferenzen und Zielgruppenveranstaltungen für Frauen, die Jugend, die Senioren, den Mittelstand, die Arbeitnehmer und die Landwirte – verfolgte die Partei das Ziel, die traditionellen Wählergruppen zu stabilisieren, aber auch neue Wählerschichten anzusprechen und der Öffentlichkeit die Unionserfolge in der Regierung besser darzustellen und der Partei neuen Schwung zu geben. Diesem Ziel sollte auch das auf dem Mainzer Parteitag vom 6.– 8. Oktober 1986 verabschiedete „Zukunfts180

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manifest der CDU“ mit dem Slogan „Weiter so, Deutschland“ dienen. Die Vorbereitung auf die kommende Wahl war nur ein Grund, warum Geißler Ende September 1985 sein Amt als Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit aufgegeben hatte. Er setzte damit gleichzeitig ein bewusstes Zeichen, die Eigenständigkeit der Partei gegenüber der von ihr geführten Bundesregierung zu unterstreichen. Ihm folgte Rita Süssmuth nach, bis sie 1988 das Amt der Bundestagspräsidentin übernahm. Doch auch die heftig umkämpfte, vom Reaktorunfall in Tschernobyl am 26. April 1986 überschattete niedersächsische Landtagswahl vom 15. Juni 1986 erbrachte ein Minus von 6,4 Prozent. Das Ergebnis war allerdings insofern ein „symbolischer“ Erfolg, als die CDU mit der FDP die Regierung stellen konnte, während die Umfragen vorher ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Ernst Albrecht und Gerhard Schröder prognostiziert hatten. Hätte der Kanzler mit der Errichtung eines Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit am 6. Juni nicht so schnell auf die Katastrophe reagiert, wäre das Wahlergebnis sicher schlechter ausgefallen. Das Ergebnis der Bürgerschaftswahl in Hamburg am 9. November 1986, bei der die CDU wieder zur stärksten Kraft wurde, gab kurzzeitig zu Optimismus Anlass. Doch war auch das Ergebnis der Bundestagswahl vom 25. Januar 1987 enttäuschend mit einem Verlust von 3,7 Prozent der Stimmen bei einer um 4,6 Prozent niedrigeren Wahlbeteiligung als 1983, die zu einem erheblichen Teil zu Lasten der Union ging. Ein Grund für den Stimmenrückgang war die törichte Erklärung von Franz Josef Strauß im November 1986, die absolute Mehrheit sei möglich, die Wahl also schon gewonnen, und dann gebe es einen Kanzler Kohl und einen Vizekanzler und Außenminister Strauß. Zum anderen war der Versuch, vor allem am linken Rand der politischen Mitte neue Wähler zu gewinnen, gescheitert, weil die sicher geglaubten eher konservativen Wähler zu einer sich den liberalen und sozialen Zeitströmungen öffnenden und vermeintlich profilloser werdenden Union auf Distanz gingen. Kohl bezeichnete das Ergebnis als „Wahlschlappe“, doch immerhin hatte die Koalition von CDU, CSU und FDP erneut einen Wählerauftrag erhalten. Kurzzeitig überdeckt wurde die wieder angewachsene Unruhe in der Partei durch die „historische Wende“ bei der Landtagswahl in Hessen am 5. April 1987, nach der die CDU mit Walter Wallmann erstmals nach 1945 den Ministerpräsidenten stellen konnte. Sein Nachfolger im Umweltministerium wurde Klaus Töpfer. Doch schon das Ergebnis bei der Wahl in Rheinland-Pfalz am 17. Mai, bei der die CDU die absolute Mehrheit einbüßte (minus 6,8 Prozent), und bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg (minus 1,4) führten auf den Boden der Realität zurück. In Schleswig-Holstein erfolgte am 13. September 1987 im Zuge der „Barschel-Affäre“ mit minus 6,4 Prozent und in Bremen (minus 9,9) gar ein Einbruch, der sich mit den Wahlniederlagen am 20. März 1988 in Baden-Württemberg (minus 2,9), am 8. Mai 1988 in Schleswig-Holstein (minus 9,3), in Berlin am 29. Januar 1989 (minus 8,7), bei den Kommunalwahlen in Hessen am 12. März 1989 (minus 6,8) und am 18. Juni 1989 bei den Europawahlen (minus 8,1) sowie den Kommunalwahlen im Saarland (minus 4,9) und in Rheinland-Pfalz (minus 6,9) fortsetzte. Besonders zu denken geben musste der relative Erfolg der NPD in Hessen und der am rechten Rand anzusiedelnden „Republikaner“ mit 7,5 Prozent in Berlin bzw. 7,1 Prozent bei den Europawahlen (in Bayern erreichte die Partei mit 14,6 Prozent sogar ein zweistelliges Ergebnis), der vor allem der ungelösten Asylfrage zugeschrieben wurde. Die Verluste der CDU wurden von vielen Kritikern der Strategie des Generalsekretärs angekreidet, der vorgeworfen wurde, die Stammwähler zu entfremden und aus dem „linken“ Lager keine Wähler zu gewinnen. 181

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In diesen Zusammenhang gehört auch die Auseinandersetzung um den Entwurf des Leitantrags, den Geißler als Vorsitzender einer Kommission für den Wiesbadener Parteitag vom 13.– 15. Juni 1988 vorbereitete. Der – schließlich stark veränderte – Antragsentwurf hätte einen klaren Bruch mit der bisherigen deutschlandpolitischen Programmatik der CDU vollzogen und führte zu einem Erdbeben in Partei und Fraktion. In dem schon länger schwelenden Richtungsstreit griff immer mehr die Meinung Platz, der Partei und der Regierung fehle die klare politische Linie. Die Frage wurde laut, ob die Partei sich nicht zu weit nach links bewege und den rechten Rand vernachlässigt habe, ja ob die Lagertheorie Geißlers überhaupt die richtige Strategie in dieser Situation sei. Mit einer Perspektive für die 1990er Jahre suchte der Wiesbadener Parteitag 1988 den Attraktivitätsverlust der Partei und die latente Unruhe zu beenden und mit Grundsatzpapieren zur Außen-, Sicherheits-, Europa- und Deutschlandpolitik („Unsere Verantwortung in der Welt“) sowie über eine fortschrittliche und menschliche Gesellschaft („Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes“) die „Menschen im Land“ für die CDU-Politik „für morgen“ zu überzeugen. Doch war die Unzufriedenheit der Wähler nicht zu überwinden: Im ZDF-Politbarometer vom Oktober 1988 sackte die CDU auf magere 36 Prozent ab, während die SPD auf 48 Prozent hochschnellte. Auch Kohls Ansehen befand sich im Sinkflug: Im April 1989 gaben 51 Prozent der von Allensbach Befragten an, sie hätten „keine gute Meinung“ von Kohl, nur noch 29 Prozent fanden ihn „gut“. Mit der als Befreiungsschlag gedachten Regierungsumbildung am 21. April 1989 sollte durch die Berufung des CSU-Vorsitzenden Theo Waigel zum Bundesminister der Finanzen jenem Teil der konservativeren Wähler, die aus Protest gegen die Schwächen und Unklarheiten der Regierungspolitik zu rechten Splitterparteien abgewandert waren, ein Signal gegeben werden. CDU-Generalsekretär Geißler hatte sich hingegen schlicht geweigert, wieder ins Kabinett einzutreten und sich in die Kabinettsdisziplin einbinden zu lassen, wohl auch, weil er jeden Anschein eines Kurswechsels der Partei rundweg ablehnte, die er ausgeprägt sozial, familien- und frauenfreundlich und ökologisch reformerisch in der linken Mitte verortete. Es blieb deshalb offen, ob es Kohl gelingen würde, in der Auseinandersetzung mit dem „progressiven“ Flügel der CDU, für den Geißler stand, und erst recht mit der FDP, mit der es immer wieder Reibungspunkte gab, neue Akzente zu setzen. Das schlechte Erscheinungsbild der CDU führte zum Streit zwischen Kohl und Geißler, der im Frühjahr 1989 offen ausbrach. Schon seit längerem war es zu Dissonanzen zwischen den beiden gekommen, die u. a. auf Fragen innerparteilicher Probleme, des Umgangs mit den Koalitionspartnern CSU und FDP sowie auf deutschland- und außenpolitische Fragestellungen zurückgingen. Kohl sah sich veranlasst, seinem Generalsekretär, der mehr General als Sekretär sein wollte, am 7. November 1988 schriftlich mitzuteilen, er werde ihn, sollten sich die Arbeitsgrundlagen nicht ändern, nicht mehr zur Wahl vorschlagen. Als Geißler bei einer Reihe von CDU-Granden wegen der Ablösung Kohls als Parteichef sondierte, was für diesen auch eine potentielle Bedrohung als Kanzler bedeutet hätte, war das Tischtuch endgültig zerschnitten. Betroffenheit und Unruhe in der Partei waren – angeheizt durch das beträchtliche Rauschen im Medienwald – ungewöhnlich groß, als Kohl seinen Trennungsbeschluss bekanntgab. Die von vielen erwartete Palastrevolution auf dem Parteitag in Bremen (11.– 13. September 1989) blieb jedoch aus, da sich keiner der potentiellen Kandidaten – als Frondeur wurde u. a. Lothar Späth, der umtriebige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, gehandelt – zu einer Gegenkan182

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didatur durchringen konnte. Kohl, der sich trotz aller Kritik der Parteibasis sicher war, wurde mit einer kaum geringeren Zustimmung als 1987 wiedergewählt. Nachfolger von Geißler im Amt des Generalsekretärs wurde Volker Rühe. In diesen Turbulenzen ging völlig unter, dass der Parteitag ein zukunftsweisendes umfassendes Umweltprogramm unter der Überschrift „Unsere Verantwortung für die Schöpfung“ verabschiedete, das u. a. neben marktwirtschaftlichen Anreizen zur Verbesserung der Umwelt auch die Umstellung der KFZ-Steuer auf eine emissionsbezogene Steuer forderte. Dieser 37.Bundesparteitag stand bereits unter dem Eindruck der Umwälzungen in der Sowjetunion und der Reformbewegungen in Polen, Ungarn und der DDR, die nicht nur die Welt politisch veränderten, sondern auch in den Prozess der Wiedervereinigung und den „Abschied vom Provisorium“ der „alten“ Bundesrepublik einmündeten. Die Dramatik des Umbruchs in Ostmitteleuropa und in der DDR nutzte Kohl geschickt am Vorabend des Parteitags mit seiner Ankündigung, die ihre Wirkung auf die Delegierten nicht verfehlte, dass „ab heute Nacht null Uhr Deutsche aus der DDR in ein Land ihrer Wahl von Ungarn aus ausreisen könnten“. Die mit der ungarischen Führung abgestimmte Erklärung setzte eine Fluchtwelle ungeahnten Ausmaßes aus der DDR in Gang, die die Fundamente des SED-Staats endgültig unterspülte und zum Fall der Berliner Mauer und zur Öffnung der innerdeutschen Grenze am 9. November beitrug. Das Ende der DDR war nicht mehr aufzuhalten, zumal nach der Grenzöffnung der Strom der Übersiedler in die Bundesrepublik unaufhörlich anschwoll. Die Regierung, insbesondere Helmut Kohl, griff die Entwicklung entschlossen auf und erreichte trotz vieler Hindernisse und Widerstände innerhalb eines Jahres die Wiederherstellung der deutschen Einheit. Der Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 23 erfolgte am 3. Oktober 1990.

1989 – 1998 Vor besondere Herausforderungen und schwerwiegende Probleme sah sich in diesem Prozess nicht nur die Regierung, sondern auch die CDU gestellt. 1945 als gesamtdeutsche Partei gegründet, wurden ihre Gliederungen auf dem Gebiet der SBZ/DDR innerhalb weniger Jahre mit massiven Repressionsmaßnahmen – Absetzung der gewählten Vorstandsmitglieder, Aberkennung parlamentarischer Mandate, Parteiausschlussverfahren, Verhaftungen, Schauprozessen mit langen Haftstrafen und Todesurteilen – unter das Joch der SED gezwungen und gleichgeschaltet. Der letzte frei gewählte Vorstand (Jakob Kaiser, Ernst Lemmer) floh 1948 nach West-Berlin und gründete mit Johann Baptist Gradl 1950 die Exil-CDU als ostdeutschen Landesverband der CDU mit dem Anspruch, die einzig legitime Vertretung der Ost-CDU zu sein. Zu keinem Zeitpunkt war die CDU der Bundesrepublik bereit, offiziell mit den SED-hörigen Funktionären der DDR-CDU, denen jegliche demokratische und nationale Legitimation abgesprochen wurde, in Kontakt zu treten. Im Gefolge der Reformbewegungen in Polen und Ungarn und der steigenden Unruhe in der DDR wuchs auch in der Blockpartei das Reformverlangen. Unter dem Druck der Basis gab der seit 1966 amtierende Parteichef Gerald Götting am 2. November 1989 sein Amt auf, zu seinem Nachfolger wurde Lothar de Maizière bestellt. Am 4. Dezember trat die Partei aus dem „Zentralen Demokratischen Block“ aus und beendete damit die erzwungene Zusammenarbeit mit der SED. Ein Sonderparteitag am 183

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15./16. Dezember 1989 bestätigte de Maizière als Vorsitzenden der sich personell und programmatisch neu ausrichtenden Partei. Noch im Oktober 1989 hatte Kohl jeden Kontakt mit der diskreditierten Ost-CDU kategorisch abgelehnt, und selbst im Januar 1990 zeigte er sich noch skeptisch über eine mögliche Zusammenarbeit, wies sie aber auf der Ebene der Kreis- und Landesverbände nicht mehr grundsätzlich zurück. Erst die bevorstehende Volkskammerwahl am 18. März 1990 bewirkte eine strategische Wende, wofür in erster Linie der pragmatische Rückgriff auf die organisatorischen Strukturen der Ost-CDU im Wahlkampf den Ausschlag gab. Am 5. Februar kam es zur Gründung des Wahlbündnisses „Allianz für Deutschland“ aus DDR-CDU und den neugegründeten Parteien Demokratischer Aufbruch (DA) und Deutsche Soziale Union (DSU), die der CSU nahestand. Mit 48 Prozent der Stimmen (CDU 40,6, DA 0,9, DSU 6,3 Prozent) errang das Wahlbündnis einen überragenden Wahlsieg. Nach langwierigen Verhandlungen bildete Lothar de Maizière eine Koalition aus Allianz, SPD und den Liberalen (BFD) und wurde zum letzten Ministerpräsidenten der DDR gewählt. Im Vorfeld der Landtagswahlen im Oktober beschloss die Demokratische Bauernpartei (DBD), die die SED 1948 gegründet hatte, um der CDU Stimmen abzunehmen, den Zusammenschluss mit der DDR-CDU. Die am 14. Oktober 1990 stattfindenden Landtagswahlen endeten für die CDU überaus erfolgreich: In vier der fünf neuen Länder erreichte sie die Mehrheit der Stimmen und stellte die Ministerpräsidenten: in Mecklenburg-Vorpommern 38,33 Prozent mit Alfred Gomolka, in Sachsen gar 53,8 Prozent mit Kurt Biedenkopf, in Sachsen-Anhalt 39,0 Prozent mit Gerd Gies, in Thüringen 45,4 Prozent mit Josef Duchacˇ; zweitstärkste Kraft wurde sie nur in Brandenburg mit 29,4 Prozent. Auch aus der Bundestagswahl vom 2. Dezember 1990 gingen Regierung und Unionsparteien als Gewinner hervor. CDU (36,7 Prozent) und CSU (7,1 Prozent) erzielten mit 43,8 Prozent das beste Wahlergebnis in der parlamentarischen Geschichte des deutschen Nationalstaats, die FDP kam auf 11 Prozent – eine eindrucksvolle Bestätigung der „Koalition der Mitte“. Aufgrund des geänderten Wahlrechts für das Gebiet der neuen Länder zogen erstmals die PDS, die Nachfolgepartei der SED, mit 2,4 Prozent sowie Bündnis 90/Grüne (Ost) mit 1,2 Prozent in den Bundestag ein. Und in Berlin eroberte die CDU das Amt des Regierenden Bürgermeisters zurück. Getrübt wurde die positive Jahresbilanz allerdings durch die Niederlagen bei den niedersächsischen und nordrheinwestfälischen Landtagswahlen am 13. Mai 1990; durch den damit verbundenen Verlust der seit 1972 bestehenden Mehrheit der CDU-geführten Länder im Bundesrat verfügte die Opposition nun nicht nur über größere politische Mitwirkungsmöglichkeiten, sondern bekam so auch ein Blockadeinstrument in die Hand, um Gesetzesvorhaben der Regierung scheitern zu lassen. Nach der Wahl am 18. März 1990 waren die Würfel endgültig zugunsten einer Fusion von West-CDU und Ost-CDU gefallen. Der Programmentwurf der Ost-CDU von Anfang März, in dem unter Rückgriff auf Vorstellungen von Jakob Kaiser („christlicher Sozialismus“) noch von „Sozialismus“ die Rede war, spielte keine Rolle mehr. Unter dem Motto „Ja zu Deutschland – Ja zur Zukunft“ kam die CDU am 1. Oktober in Hamburg zu ihrem 38.Bundesparteitag zusammen, dem ersten gesamtdeutschen, bei dem die fünf neuen Landesverbände Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen feierlich ihren Beitritt zur CDU erklärten. Bei der Wahl zum Parteivorsitzenden errang Helmut Kohl triumphale 98,5 Prozent, sein Stellvertreter wurde Lothar de Maizière mit 97,4 Prozent, dessen Wahl als bewusstes Signal für die neuen Länder ver184

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standen werden sollte. Als Generalsekretär wurde Volker Rühe mit 83 Prozent bestätigt. Nach der Vereinigung sah die Exil-CDU ihre Aufgabe als erfüllt an und beschloss auf ihrem letzten Parteitag vom 3.– 5. Mai 1991 im thüringischen Oberhof die Selbstauflösung. Mit der Vereinigung waren die Probleme des inneren Zusammenwachsens der Partei jedoch nicht beendet. Die Schwierigkeiten des Anpassungsprozesses hatten mehrere Gründe. Der Verzicht des Bundesvorstands vom 12. Dezember 1990 auf sämtliche Vermögenswerte der ehemaligen Blockpartei brachte die östlichen Verbände in die völlige finanzielle Abhängigkeit von der Westpartei. Die angebliche Zahl von 130.000 Mitgliedern der Ost-Partei, deren Beitragsaufkommen ohnehin nur gering war, sank nach Überprüfung durch die CDU-Bundesgeschäftsstelle und der Aussortierung von „Karteileichen“ auf etwa die Hälfte. Infolgedessen musste der aufgeblähte Parteiapparat dort neustrukturiert werden: Die Ost-Berliner Parteizentrale wurde abgewickelt, die Zahl der hauptamtlichen Funktionäre sank von 1.700 auf 175, die der Kreisgeschäftsstellen von 210 auf 87. Zwar konnte die CDU als einzige ehemalige Blockpartei nach 1990 in den ostdeutschen Ländern neue Mitglieder gewinnen, die überwiegende Mehrheit stellten jedoch die Altmitglieder. Sie alle indes undifferenziert einer allzu großen „Systemnähe“ zu bezichtigen, würde ihren Motiven, seinerzeit der Blockpartei beizutreten, nicht gerecht. Die Mitgliedschaft in der Ost-CDU wurde von vielen als Ausweichmöglichkeit gesehen, die Nachteile einer totalen Verweigerung im SED-Staat nicht lebenslang ertragen zu müssen. Einer Meinungsumfrage vom Frühjahr 1990 zufolge hatte ein Drittel von ihnen mit ihrer Mitgliedschaft den SED-Beitritt umgehen und das in vielen Lebenssituationen geforderte staatspolitische Engagement auf diesem Weg nachweisen wollen. Konflikte zwischen Erneuerern und „Blockflöten“, zwischen Funktionären und Basis, Oppositionellen und Opportunisten um Führungspositionen brachen schon 1990 aus; sie konnten nur bewältigt werden durch die aus dem Westen kommenden Landesführungen mit Kurt Biedenkopf, Bernhard Vogel, Jörg Schönbohm und Werner Münch. Symptomatisch für diese Probleme waren auch die Auseinandersetzungen um und mit dem stellvertretenden Partei- und brandenburgischen Landesvorsitzenden Lothar de Maizière. Nicht nur, dass ihm eine Stasi-Vergangenheit zur Last gelegt wurde, er manövrierte sich auch mit seinem unberechtigten Vorwurf ins Abseits, die Bundespartei habe sich am Vermögen der OstCDU bereichert. Tatsache war, dass die verfügbaren Finanzmittel in Sozialpläne und den Personalabbau der DDR-CDU geflossen waren. Am 6. September 1991 trat er schließlich von allen Parteiämtern zurück. Ein weiteres Integrationsproblem lag in den Ost-West-Unterschieden der Mitgliederund Wählerbasis, deren konfessionelle Bindung im Osten nach Jahrzehnten des atheistisch orientierten SED-Staats wesentlich geringer ausgeprägt war und ist als im Westen. Während in den 1990er Jahren im Westen die Katholiken mit 52 Prozent die Hauptmasse der CDU-Wähler stellten, waren es im Osten die Konfessionslosen mit 51 Prozent. Aufgrund ihres Charakters als Blockpartei waren der DDR-CDU nur beschränkte Rekrutierungsmöglichkeiten für Mitglieder erlaubt, insofern wies sie auch eine andere soziale Zusammensetzung der Mitgliedschaft auf (1985: ca. 39 Prozent Angestellte, 17 Prozent Genossenschaftsbauern, 13 Prozent „Geistesschaffende“, 12 Prozent Handwerk und Gewerbe, 10 Prozent Arbeiter, 8 Prozent Hausfrauen). Die Bestätigung, die die Unionsparteien in den Wahlen des Jahres 1990 fanden, gründete in erster Linie auf dem Vertrauen, das die Wähler in Helmut Kohl setzten, 185

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der im Zenit seines Ansehens und seiner Macht stand. Der Vertrauensbonus für Kohl, den „Kanzler der Einheit“, beruhte vor allem auf dem Nimbus eines allseits geschätzten Staatsmannes, der die Chance der Wiederherstellung der deutschen Einheit entschlossen mit seinem „Zehn-Punkte-Plan“ vom 28. November 1989 ergriffen und diese zielbewusst, energisch und flexibel handelnd gegen äußere und innere Widerstände durchgesetzt hatte. Seinen Nimbus verdankte er auch seiner Rolle als Architekt des europäischen Hauses, dessen Integration er entscheidend vorangetrieben hatte. Zudem war er seit dem Bremer Parteitag als Parteichef mit größerer Autorität denn je in der Partei ausgestattet. Mit der Entmachtung Geißlers waren die Konflikte mit der Parteizentrale beendet; der von ihm verfolgte Kurs einer prononcierten Eigenständigkeit der Partei gegenüber der Bundesregierung, die mit ihren drei Koalitionspartnern zu ständigen Kompromissen gezwungen war, wurde unter den Generalsekretären Rühe und Peter Hintze (ab 1992) von einer stärkeren Anpassung an das Regierungshandeln verändert. Dies bedeutete für das Bundeskanzleramt unter seinen Amtschefs Wolfgang Schäuble, der im November 1991 in das Amt des Fraktionsvorsitzenden wechselte, Rudolf Seiters und Friedrich Bohl eine Aufwertung als Schaltstelle zwischen Regierung, Fraktion und Koalitionsparteien. Die Anfänge der deutschen Einheit wurden zu einer der schwierigsten Wegstrecken, die die CDU in ihrer Geschichte bisher zu bewältigen hatte. Innen- und außenpolitisch war eine Anpassung des geeinten Deutschlands an die veränderten Gegebenheiten und Anforderungen notwendig. Die wesentlichen Schwerpunkte waren die Verwirklichung der „inneren Einheit“ und innere Reformen zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland, die Weiterentwicklung der europäischen Integration und nicht zuletzt die gewachsene Verantwortung im internationalen Rahmen. Eine erste Probe aufs Exempel brachte der Golfkrieg, der im Januar 1991 offen ausbrach. Den Wunsch der Alliierten nach deutscher Beteiligung verweigerte die Bundesregierung mit dem Hinweis auf das Grundgesetz, das „Out of area“-Einsätze der Bundeswehr nicht erlaube (was das Bundesverfassungsgericht 1994 nicht bestätigte). Stattdessen beteiligte sie sich mit Subsidien in Höhe von rund 18 Milliarden DM. Diese unvorhergesehene Belastung für den Bundeshaushalt kam zu den Summen hinzu, die zur Bewältigung der im vollen Gang befindlichen Wirtschaftskatastrophe in den neuen Ländern aufgebracht werden mussten, die verursacht war durch eine rückständige Ökonomie, eine ruinierte Umwelt, eine marode Infrastruktur und nicht zuletzt durch den völligen Zusammenbruch des Osthandels der DDR-Wirtschaft. Die bis 1989 in der „alten“ Bundesrepublik erzielten Erfolge (Konsolidierung des Staatshaushalts, Rückgang der Staatsquote und der Inflation usw.) wurden durch die unterschätzten massiven Folgekosten der SED-Konkursmasse zunichte gemacht. Kohls Zusicherung, die deutsche Einheit ohne weitere finanzielle Belastungen schultern zu können, war nicht aufrechtzuerhalten. Die Fehleinschätzung, die Lebensverhältnisse in Ost und West ohne einschneidende Opfer zügig angleichen und im Osten „blühende Landschaften“ in kurzer Zeit schaffen zu können, musste zu Enttäuschungen führen. Nur mit massiven Steuererhöhungen („Solidaritätszuschlag“), der Errichtung des „Gemeinschaftswerks Aufschwung Ost“ (1991), dem Solidarpakt (1993), dem Erblastentilgungsfonds (1995), der Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und weiteren Maßnahmen war diese Lage zu meistern; die Schuldenlast des Bundes stieg bis 1997 um 75 Prozent auf über 900 Milliarden DM an. Der unabweisbare Kurswechsel – von der SPD scharf gebrandmarkt – führte zu einem radikalen Stimmungsumschwung in der Bevölkerung. Hatten im Januar 1991 auf die Frage „Welche Partei gefällt Ihnen am besten?“ 186

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im Westen noch 48 Prozent mit „CDU/CSU“ geantwortet, waren es im April nur noch 36 Prozent; in den neuen Ländern sank die Sympathie für die CDU im Mai auf 29, im September auf 25 Prozent ab. Bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz am 21. April 1991 erlitt die CDU eine schwere Niederlage mit minus 6,4 Prozent – u. a. auch eine Spätfolge der Abwahl Bernhard Vogels als Landesvorsitzender und seines Rücktritts als Ministerpräsident 1988; bei der Hamburger Bürgerschaftswahl am 2. Juni 1991 verlor sie 5,4 Prozent. Vor diesem negativen Hintergrund zog der Dresdener Parteitag vom 14.– 17. Dezember 1991 erste Konsequenzen: Die Partei bekannte sich zur Aufarbeitung der Vergangenheit der einstigen Ost-CDU und zur Wiedergutmachung an den Opfern des Stalinismus und legte mit der Verabschiedung des „Dresdener Manifests“ die Prioritäten für die Verwirklichung der inneren Einheit und für die gewachsene internationale Verantwortung Deutschlands fest. Zur Nachfolgerin des zurückgetretenen stellvertretenden Parteivorsitzenden de Maizière wurde Angela Merkel, seine ehemalige stellvertretende Regierungssprecherin, gewählt. Auch der folgende Parteitag vom 25.– 28. Oktober 1992 in Düsseldorf stand unter dem Vorzeichen der DDR-Erblasten und der Finanzierung des Aufbaus in den neuen Ländern; zur Erfüllung dieser Aufgaben empfahl ein Leitantrag einschneidende Sanierungs- und Sparauflagen. Das Hauptthema war aber nach der Verabschiedung des Maastrichter Vertrags die Entwicklung Europas zu einem Bundesstaat. Bei der Wahl des Vorsitzenden erhielt Kohl 91,5 Prozent. Nachdem in Hamburg 1990 nur ein Stellvertreter gewählt worden war, wurde deren Zahl wieder auf vier erhöht. Gewählt wurden Angela Merkel, Heinz Eggert, Norbert Blüm und Erwin Teufel. Nachfolger Volker Rühes, der zum Verteidigungsminister ernannt worden war, im Amt des Generalsekretärs wurde Peter Hintze. Im Prinzip ging es seit Oktober 1990 bei der Parteiarbeit immer vorrangig um das Thema der Sicherung von „Deutschlands Zukunft“. Kongresse und Fachtagungen wechselten sich in schneller Folge ab. Im Juni 1991 verabschiedete der Bundesausschuss in Weimar die Erklärung „In Freiheit zur inneren Einheit“, in der der Herstellung der inneren Einheit Vorrang eingeräumt wird. Auf der Basis dieser Vorarbeiten folgte am 16. Dezember 1991 das „Dresdener Manifest“. Auch im Blick auf das Superwahljahr 1994 stand beim Parteitag vom 12.– 14. September 1993 in Berlin, der mit der Wahl des Tagungsortes ein Bekenntnis zu Berlin als Hauptstadt abgab, die innere Einheit im Mittelpunkt. Den Schwerpunkt bildeten die Themen Innere Sicherheit und Reform des Bildungswesens, die die Öffentlichkeit zunehmend mehr bewegten. Auch grenzte sich der Parteitag gegen rechts- und linksextreme Umtriebe und Exzesse ausländerfeindlicher Gewalt ab, zu denen es in Hoyerswerda, Rostock, Mölln und Solingen gekommen war. Den Höhepunkt dieser Aktionen bildete schließlich der Parteitag in Hamburg vom 20.– 23. Februar 1994. Auf dem 1. Bundesparteitag in Hamburg Anfang Oktober 1990 war eine Grundsatzprogramm-Kommission beschlossen worden, um das Ludwigshafener Programm „angesichts des tiefgreifenden Wandels auf allen Gebieten unseres Zusammenlebens – national wie international – zu überprüfen und gegebenenfalls fortzuschreiben“. Nach dreijähriger intensiver Beratung mit zahllosen Sitzungen, Tagungen und Kongressen, auf die Kohl entscheidenden Einfluss genommen hatte, konnte schließlich das neue Grundsatzprogramm unter dem Motto „Freiheit in Verantwortung“ verabschiedet werden. Allein für den Leitantrag waren 2.352 Anträge von Kreis- und Landesverbänden eingereicht worden. Das Programm ist in sechs Kapitel gegliedert: Im ersten „Wir christliche 187

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Demokraten“ ist gegenüber dem Ludwigshafener Programm jener Teil neu, der sich mit der inneren Einheit Deutschlands befasst. Im zweiten „Für die freie Entfaltung der Person in unserer Gesellschaft“ bekennt die CDU sich zu einem bestimmten Gesellschaftsbild und widmet sich stärker als zuvor jenen Bereichen, die außerhalb der staatlichen Einwirkungsmöglichkeiten liegen. Im dritten Kapitel „Für eine Ökologische und Soziale Marktwirtschaft“ wird der von Alfred Müller-Armack geprägte Begriff („die Freiheit auf dem Markt mit sozialem Ausgleich verbinden“) um die ökologische Dimension erweitert; gefordert wird der Umbau des Sozialstaats durch stärkere Eigenvorsorge, Eigenverantwortung und Selbstbeteiligung. Im vierten Kapitel „Für einen freiheitlichen Staat“ bekennt sich die CDU zum Prinzip der Volkspartei; vorgeschlagen werden gezielte Maßnahmen zur Entbürokratisierung und Privatisierung. Im fünften Kapitel „Für eine freie und friedliche Welt“ zieht das Programm Konsequenzen aus Deutschlands gewachsener Verantwortung in der Welt und betont besonders die politische Einigung Europas, die Partnerschaft mit den USA, die Stabilität in Mittel-, Ost- und Südosteuropa sowie die Entwicklung der armen Länder. Zusätzlich aufgenommen ist im Unterschied zum Ludwigshafener Programm schließlich das Kapitel „Für die Bewahrung der Schöpfung“, das aufbauend auf dem Bremer Parteitagsbeschluss von 1989 ganz der Umweltfrage gewidmet ist und der Sanierung der schweren ökologischen Schäden in den neuen Ländern Priorität einräumt. Das Programm wurde zu einem Zeitpunkt verabschiedet, zu dem Kohl und die Regierung auf einem Tiefpunkt der Popularität angelangt waren, bedingt u. a. durch Kabinettskräche sowie Ministerrücktritte und Affären, die eine nahezu permanente Kabinettskrise verursachten. Die Quittung für die Partei kam prompt: War schon das Ergebnis der Landtagswahl am 5. April 1992 in Baden-Württemberg (minus 9,4 Prozent) ein Wahldebakel – nicht zuletzt bedingt durch den vorherigen Rücktritt Späths wegen des „Verdachts der Vorteilsannahme“ –, so folgte bei den Wahlen zur Hamburger Bürgerschaft am 19. September 1993 ein Verlust von mehr als 10 Prozent; bei den Kommunalwahlen am 5. Dezember 1993 in Brandenburg, den ersten Kommunalwahlen nach dem Ende der DDR, büßte die CDU sogar mehr als 11 Prozent ein und fiel hinter die Ost-Partei PDS zurück. Die Wähler zweifelten ganz offensichtlich an der Führungsqualität des Kanzlers und an der Kompetenz seiner Regierung, die anstehenden Probleme lösen zu können. Bei der Frage der Kanzlerpräferenz lag Kohl im Dezember 1993 bei 27 Prozent, sein Herausforderer von der SPD, Rudolf Scharping, bei 38 Prozent. Die große Frage also war, ob das Programm, das nicht nur die aktuelle Standortbestimmung der Partei in einer stark veränderten Welt festschreiben, sondern auch mit seinen zukunftsweisenden Vorsätzen und Reformvorhaben die Grundlage ihrer Politik der kommenden Jahre bilden sollte, ihr tatsächlich einen neuen Schub verleihen konnte. Mittelfristig gesehen war das angesichts der komplexen Gemengelage der Tagespolitik kaum zu erwarten. Oberste Priorität hatte nach wie vor die Bewältigung der krisenhaften Wirtschafts- und Finanzlage mit vielen Reforminitiativen und Gesetzesprojekten im Steuer-, Gesundheits- und Rentensystem. Die Vielzahl der vorgesehenen Maßnahmen führte in der Koalition zu ständigem Streit, der den Wählern wie ein kompassloses Agieren vorkam und sie an der Handlungsfähigkeit der Regierung zweifeln ließ. Einer der am heftigsten diskutierten Streitpunkte war das von Norbert Blüm geplante Projekt einer umlagefinanzierten Pflegeversicherung als fünfter Säule der sozialen Sicherungssysteme, das nach jahrelangen erbitterten Auseinandersetzungen schließlich im April 1994 verabschiedet werden konnte. 188

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Doch hellten sich die Aussichten für die Bundestagswahlen Anfang 1994 mit der leichten Besserung der 1992 eingebrochenen Wirtschaftslage etwas auf: Das Wachstum nahm zu, die neuen Länder konnten sogar ein reales Wachstum von 9 Prozent verzeichnen, auch die Zahl der Arbeitsplätze wuchs leicht an, während die der Arbeitslosen um 64.000 schrumpfte, die Inflation sank im März auf 3,2 Prozent. Zur Stärkung und Stabilisierung dieser positiven Entwicklung wollten auch CDU-Bundesvorstand und CDU/ CSU-Fraktion beitragen und legten im Januar 1994 ein „Aktionsprogramm für mehr Wachstum und Beschäftigung“ vor, das 30 Punkte zur Förderung von Investitionen und Beschäftigung benannte. Das Auf und Ab setzte sich im Superwahljahr 1994 jedoch fort. Die Landtagswahl in Niedersachsen am 13. März 1994 ging mit einem Minus von 5,6 Prozent verloren. Erfolgreich dagegen verlief die Wahl zum Bundespräsidenten am 23. Mai 1994. Im dritten Wahlgang wurde Roman Herzog als Nachfolger von Richard von Weizsäcker gewählt. Auch die Wahl zum Europaparlament am 12. Juni 1994 endete mit leichten Zugewinnen für die Unionsparteien, die 38,8 Prozent erhielten (1989 37,3 Prozent). Hingegen verlor die CDU bei der Landtagswahl am 26. Juni 1994 in Sachsen-Anhalt 4,6 Prozent, die FDP blieb unter der 5-Prozent-Hürde, so dass die SPD mit den Grünen eine von der PDS tolerierte Minderheitsregierung bilden konnte. Generalsekretär Peter Hintze nahm dies zum Anlass, im Wahlkampf für die Bundestagswahl mit einer „Rote-Socken-Kampagne“ vor RotRot-Grün zu warnen. Die Landtagswahlen in Sachsen und in Brandenburg bestätigten die alten Mehrheiten: Kurt Biedenkopf erreichte in Sachsen mit 58,1 Prozent ein großartiges Ergebnis, während in Brandenburg ein schmerzhafter Verlust mit minus 10,7 Prozent zu verbuchen war. Auch hier scheiterte die FDP jeweils an der 5-Prozent-Klausel. Die Aussichten waren also keineswegs rosig, bei der Bundestagswahl am 16. Oktober die strategische Mehrheit zu erhalten und die Arbeit der „Koalition der Mitte“ fortzusetzen. Was noch zu Beginn des Jahres kaum für möglich gehalten worden war, trat dennoch ein: Die Wähler bestätigten bei der Wahl am 16. Oktober 1994 die Koalition, wenn auch mit knapper Mehrheit. Die Unionsparteien (CDU 34,2, CSU 7,3 Prozent) verloren gegenüber 1990 weniger als befürchtet und kamen mit der FDP, die durch CDU-Leihstimmen 6,9 Prozent erreichte, auf 341 Mandate, SPD, Grüne und PDS auf 331, so dass Kohl weiterregieren konnte. Parallel zur Bundestagswahl fanden in Mecklenburg-Vorpommern (CDU minus 0,6) und in Thüringen (minus 2,8 Prozent) und im Saarland (plus 5,2) Landtagswahlen statt. Bedenklich war vor allem das Scheitern der FDP in den neuen Ländern, so dass die CDU, wollte sie an der Macht bleiben, zur Bildung von Koalitionen mit der SPD gezwungen war. Bei den NRW-Kommunalwahlen gewann die CDU leicht hinzu und erreichte 40,3 Prozent; da die FDP landesweit mit 3,8 Prozent auch hier scheiterte, kam es in vielen Städten zu rot-grünen Koalitionen. Anders als bei der Bundestagswahl 1994, als der kurzzeitige Wirtschaftsaufschwung den Regierungsparteien in die Karten spielte, waren die Voraussetzungen, die Wahl am 27. September 1998 wieder erfolgreich bestehen zu können, weit weniger gut. Zwar gingen die Zwischenwahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein am 24. März 1996 ohne Verluste noch einigermaßen glimpflich ab, doch verdüsterte die seit 1996 erneut ansteigende Arbeitslosigkeit die Stimmung. Mit einem „Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze“, das u. a. Steuersenkungen und Senkungen der Lohnnebenkosten vorsah, sollte Abhilfe geschaffen werden. Hinzu kam eine Sparpolitik, die als notwendig erachtet wurde, um zum einen die Finanzierbarkeit des Sozial189

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staats zu gewährleisten und die Wirtschaft „fit“ zu machen im globalen Wettbewerb, zum anderen um die Kriterien für die Wirtschafts- und Währungsunion einzuhalten (Einführung des Euro). Zu diesen Sparmaßnahmen – von der Opposition scharf kritisiert als Maßnahmen zu einem Sozialabbau – zählten Kürzungen bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Lockerung des Kündigungsschutzes, die Erhöhung der Selbstbeteiligung im Gesundheitswesen und die langfristige Senkung des Rentenniveaus. Vor allem die vorgesehenen Streichungen bei der Lohnfortzahlung führten zu massiven Protesten. Koordinationsprobleme in der Koalition wie mit der FDP bei der elektronischen Überwachung der organisierten Kriminalität oder Friktionen mit der bayerischen CSU bei der termingerechten Durchsetzung des Euro, vor allem aber die Blockade der SPDgeführten Länder im Bundesrat unter dem saarländischen Ministerpräsidenten und SPDParteivorsitzenden Oskar Lafontaine bei der Großen Steuerreform und Norbert Blüms Rentenreform, die die Einführung eines demographischen Faktors vorsah, verstärkten den Eindruck von politischem Stillstand und „Reformstau“, der vor allem in den „alten“ Ländern vorherrschte. Gerne übersehen wurde und wird dabei, dass das eigentlich größte aller „Reformvorhaben“, nämlich der „Aufbau Ost“, die Rundumerneuerung der neuen Länder, unvermindert voranschritt. Bundespräsident Herzog hatte mit seiner „Ruck-Rede“ am 26. April 1997 („Aufbruch ins 21. Jahrhundert“) diesem Eindruck von Stillstand entgegenzuwirken versucht und einen Aufbruch angemahnt, damit aber die vorhandene Stimmungslage eher noch angeheizt. Die Koalition schien nicht mehr imstande, die anstehenden Probleme zu lösen; sie lasteten wie Mehltau auf der gesamten Regierungstätigkeit. Lagen die Unionsparteien bei Umfragen im Jahresdurchschnitt 1996 noch bei 37,1 Prozent, so sank der Wert 1997 auf 33,9 Prozent ab; Rot-Grün stand bei 58 Prozent. Die Verantwortung für diese üble Lage wurde vor allem auf Kohl abgeladen. Auch in der Partei mehrten sich die Stimmen, die an seiner Führungs- und Durchsetzungsfähigkeit und seinen Wahlaussichten zweifelten. Der 9.Parteitag vom 13.– 15. Oktober 1997 in Leipzig brachte keinen Stimmungsumschwung, vielmehr weitere Irritationen über den Parteivorsitzenden. Am 3. April 1997 hatte er bekanntgegeben, bei der kommenden Bundestagswahl noch einmal als Kanzlerkandidat antreten zu wollen. Nun sprach er sich ohne vorherige Fühlungnahme für Wolfgang Schäuble als seinen Nachfolger im Kanzleramt aus, wollte aber im Fall seiner Wiederwahl die gesamte neue Wahlperiode im Amt bleiben. Damit erwies er sich einen Bärendienst; den „Parteifühler“ schien das Sensorium verlassen zu haben. Anfang 1998 sprachen sich laut einer Emnid-Umfrage 69 Prozent für einen Regierungswechsel aus und nur 25 Prozent dagegen. Im März glaubten nur noch 24 Prozent der Wähler an einen Wahlsieg Kohls, und im September waren 54 Prozent für den Herausforderer Schröder, nur 38 Prozent für Kohl, wie das ZDF-Politbarometer ermittelte. Die Niedersachsenwahl am 1. März 1998 mit dem überzeugenden Sieg Gerhard Schröders war ein Indiz für die problematische Stimmungslage. Die schwere Niederlage der CDU in Sachsen-Anhalt am 26. April 1998 mit einem Rückgang von 34,4 auf 22 Prozent verstärkte den Eindruck, dass die Zeit für einen Wechsel reif sei. Am 18./19. Mai 1998 verabschiedete der Bundesparteitag das von Schäuble konzipierte „Zukunftsprogramm“ als Grundlage für den Wahlkampf. Auf großes Interesse stieß es nicht; die vorhandene Wechselstimmung konnte damit nicht gedreht werden. Bei der Bundestagswahl am 27. September 1998 erreichten die Unionsparteien nur 35,1 Prozent, ein massiver Verlust von 6,3 Prozent gegenüber 1994. Mit seiner Aussa190

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ge, „nicht alles anders, aber vieles besser machen“ zu wollen, und seinem monatelangen Werben um die „neue Mitte“ hatte der Spitzenkandidat der SPD, Gerhard Schröder, den Nerv der Wähler getroffen. Ein Bekenntnis zu traditionellen sozialdemokratisch-sozialistischen Vorstellungen war diese geschickte, von wahltaktischer Chuzpe geprägte Aussage nicht, eher eine Bestätigung für die grundsätzliche Richtigkeit des CDU-Kurses. Mit 40,9 Prozent wurde die SPD stärkste Kraft. Für das bislang schlechteste Ergebnis der Union seit 1949 übernahm Kohl „die volle Verantwortung“ und trat vom Parteivorsitz zurück. Beim 11.Parteitag am 7. November 1998 wurde Wolfgang Schäuble zum neuen Parteivorsitzenden gewählt, Angela Merkel zur Generalsekretärin. Kohl hatte seine Partei 25 Jahre lang in Höhen und Tiefen geführt. Auf der Basis ihrer ständig fortgeschriebenen und aktualisierten Programme, Konzepte und Politikansätze erreichte er in seiner Kanzlerschaft zunächst durch Kurskorrekturen und dann mit vielen kleineren und größeren Reformschritten die Stabilisierung der Bundesrepublik. Eine fundamentale Weichenstellung gelang ihm mit der Wiederherstellung der deutschen Einheit. Mit zahllosen Gesetzen, Einzelmaßnahmen und -entscheidungen setzte er einen radikalen Prozess „nachholender Modernisierung“ (Hans-Peter Schwarz) zur Rundumerneuerung der neuen Länder in Gang, ohne dass die Stabilität der Bundesrepublik in Frage gestellt worden wäre. Dass dabei nicht alles gelungen ist, manches stecken blieb, verwundert angesichts dieser beispiellosen Mammutaufgabe nicht. Die zweite fundamentale Weichenstellung seiner Amtszeit war die Neuordnung Europas und die Einbindung der Bundesrepublik in die Europäische Union durch zahlreiche Verträge und Beschlüsse, die entscheidende Zuständigkeitsverlagerungen zahlreicher Politikfelder zu den europäischen Institutionen zur Folge hatten. Diese Entwicklung, die ohne Helmut Kohl und die Unterstützung durch die „Europapartei“ CDU nicht so weitreichend gewesen wäre, begann mit der Einheitlichen Europäischen Akte 1986 und setzte sich fort mit dem Vertrag von Maastricht 1992 über die Politische Union und die Wirtschafts- und Währungsunion, mit dem Vertrag von Amsterdam 1997 und dem Beschluss des Europäischen Rats vom Mai 1998, den Euro als alleinige Währung zunächst in elf Ländern einzuführen. Hinzu kamen die Erweiterungen der EU um Österreich, Schweden und Finnland 1995, der Wegfall der Grenzkontrollen im sog. Schengen-Raum und die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit den ost- und ostmitteleuropäischen Ländern. Die CDU, die mit Kohl 16 Jahre lang die bestimmende politische Kraft war, würdigte seine die Bundesrepublik prägende Politik, deren weit in die Zukunft reichende Bedeutung gar nicht überschätzt werden kann, mit der Ernennung zum Ehrenvorsitzenden mit Sitz und Stimme in allen Gremien. Vom Europäischen Rat wurde er als maßgeblicher Gestalter der europäischen Integration am 11. Dezember 1998 mit dem Titel „Ehrenbürger Europas“ geehrt. Die CDU erholte sich schnell von der dramatisch verlorenen Wahl – begünstigt durch den miserablen Start der rot-grünen Regierung. Bei der Wahl zum Europäischen Parlament und bei den Landtags- und Kommunalwahlen des Jahres 1999 stellte sie ihre Vitalität und Stabilität als Volkspartei unter Beweis und erzielte mit ihrem Wahlmagneten Kohl, der sich in Wahlkämpfen nach wie vor engagierte, überall unerwartet hohe Stimmengewinne. Die Aussichten für die Wiedererlangung der Mehrheit bei den Bundestagswahlen 2002 waren also gut, bis die Parteispendenaffäre 1999/2000 sie in die tiefste Krise ihrer Geschichte stürzte. 191

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Literaturübersicht Wer sich mit der Geschichte der CDU in den 25 Jahren von 1973 bis 1998 beschäftigt, kommt an den Veröffentlichungen von und über Helmut Kohl nicht vorbei, waren doch Partei und Vorsitzender gewissermaßen in einer untrennbaren Symbiose miteinander verbunden. Diese symbiotische Verbindung des Langzeitvorsitzenden und -kanzlers mit seiner „politischen Heimat“ nimmt in fast allen Publikationen über seine Politik und Person breiten Raum ein. Die Vielzahl dieser Veröffentlichungen, die Bücherwände füllen, hier zu würdigen, würde den Rahmen dieses Beitrags bei weitem sprengen.19 Insofern wird hier nur auf die Quelleneditionen, Monographien, Biographien und Aufsätze verwiesen, die vornehmlich einen CDU-Bezug haben und für diesen Beitrag benutzt worden sind; in ihnen sind jeweils weiterführende Literaturangaben und Fundstellenhinweise zu finden. In erster Linie seien einschlägige Quellen genannt, vor allem die voluminösen Editionsbände der Sitzungsprotokolle des CDU-Bundesvorstands in den Jahren 1969 – 1983.20 Ihnen wird ein „hoher Informationswert“ (Udo Wengst) zugeschrieben, da es sich um Wortprotokolle handelt, in denen das Innenleben der führenden Oppositions- bzw. Regierungspartei ausgebreitet wird. Mit seinen langen Berichten zur außen- und innenpolitischen Lage gab der Parteichef die Richtung vor, mit der sich das Gremium, das als Integrations- und Vermittlungsorgan in die Gesamtpartei einwirkte, in teils höchst kontroversen Diskussionen auseinandersetzte. Schwerpunkte waren die organisatorische und programmatische Erneuerung der CDU vor dem Hintergrund der außen-, innenpolitischen und sozialkulturellen Veränderungen, die zum Mehrheitswechsel 1969 bis 1982 beigetragen hatten, sowie die Konzepte für eine konstruktive Oppositionspolitik und für die „Regierung von morgen“.21 Nicht zuletzt spiegeln sie auch die Auseinandersetzungen mit der sozialliberalen Regierung und den sie tragenden Parteien sowie die strittigen strategischen und taktischen Fragen mit der Schwesterpartei CSU wider und vermitteln auch gute Einblicke in die Problematik des Kurswechsels und den etwas holprigen Beginn in erneuter Regierungsverantwortung vor der Bundestagswahl am 6.März 1983. Für die Jahre 1982 bis 1998 ist auf die beiden Editionen der Berichte Kohls „zur Lage“ hinzuweisen, die er nun in seiner Doppelrolle als Bundeskanzler und Parteivorsitzender allmonatlich im Spitzengremium seiner Partei abgab.22 Die Texte lassen aus der Perspektive und mit den Worten des politischen Hauptakteurs die begrenzten Handlungsspielräume für die 19 Einen Einblick vermittelt Hans-Otto Kleinmann: Die Ära Kohl. Ein Literaturbericht. Erster Teil, in: HPM 14 (2007), S. 353– 410; Zweiter Teil A Monographisches zur deutschen Einheit, in HPM 15 (2008), S. 471 – 52; Zweiter Teil B (Monographisches zu einzelnen Politikfeldern), in: HPM 17 (2010), S. 294 – 368. Es wäre zu wünschen, wenn diese Literaturberichte eine Fortsetzung fänden. 20 Günter Buchstab (Bearb.): Kohl: „Wir haben alle Chancen“. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1973 – 1976. 2 Halbbde. Düsseldorf 2015; Kohl: „Stetigkeit, Klugheit, Geduld und Zähigkeit“. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1976 – 1980. 2 Halbbde. Düsseldorf 2018; Kohl: „Gelassenheit und Zuversicht“. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1980 – 1983. Düsseldorf 2018. 21 Vgl. dazu Wulf Schönbohm: Die CDU wird moderne Volkspartei. Selbstverständnis, Mitglieder, Organisation und Apparat 1950 – 1980. Stuttgart 1985. 22 Günter Buchstab und Hans-Otto Kleinmann (Bearb.): Helmut Kohl: Berichte zur Lage 1982 – 1989. Der Kanzler und Parteivorsitzende im Bundesvorstand der CDU Deutschlands. Düsseldorf 2014; Helmut Kohl: Berichte zur Lage 1989 – 1998. Der Kanzler und Parteivorsitzende im Bundesvorstand der CDU Deutschlands. Düsseldorf 2012.

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erstrebte geistig-politische Wende sowie die Interessenkonflikte in der „alten“ Bundesrepublik in ihrem letzten Jahrzehnt wiederaufleben und verdeutlichen die Schwierigkeiten der Volkspartei, sich in dem beschleunigten, Identitäten und Werte ergreifenden gesellschaftlichen Wandel zu positionieren. Kohls Berichte enthalten aufschlussreiche Informationen über die Rolle und Orientierung der „Hauptregierungspartei“ CDU und über ihr Verhältnis zu den anderen Parteien. Im zweiten Band seiner Lageberichte, der 1989 einsetzt, als sich die Nachkriegsordnung aufzulösen begann und tiefgreifende Anpassungen und Neujustierungen der deutschen Politik erforderlich wurden, werden vornehmlich die Probleme der Politikgestaltung in den Prozessen der deutschen Einheit, der Europäischen Union und der Globalisierung thematisiert, die die Regierung und die CDU vor neue Herausforderungen stellten. Unverzichtbare Grundlage für eine Darstellung der CDU-Geschichte in der „Ära Kohl“ sind naturgemäß die „Erinnerungen“ Kohls, die seine durch intensive Quellenstudien abgesicherte Sicht bis 1994 vermitteln, wobei auch sein Bemühen deutlich wird, Legenden und Klischees über ihn und seine Politik auszuräumen.23 Da ein vierter Band seiner Erinnerungen für die Zeit ab 1994 nicht mehr zustande kam, können seine Lageberichte im Parteivorstand gewissermaßen als „Ersatzüberlieferung“ dienen. Als in der unmittelbaren Nach-Kohl-Ära der Eindruck des Immobilismus in der Endphase der Regierung Kohl – in der veröffentlichten öffentlichen Meinung war die Rede von Reformstau, Stillstand, gar Rückschritt – die ersten Bilanzen prägte24 und vor allem die Spendenaffäre und ihre Folgen die politischen Leistungen Kohls in den Hintergrund zu drängen drohten, initiierte das Archiv für Christlich-Demokratische Politik im Jahr 2000 die Veranstaltungsreihe „Die Ära Kohl im Gespräch“. Ziel dieser Reihe war und ist es nicht, die „Ära Kohl“ einer kritischen Analyse zu entziehen, sondern unter Beteiligung von Zeitgenossen, Wegbegleitern und Wissenschaftlern ein möglichst objektives Bild der Politik Kohls zu gewinnen. Die Beiträge zu den behandelten Politikfeldern werden seit 2001 in den Historisch-Politischen Mitteilungen im Jahresrhythmus veröffentlicht. In einer ersten „Zwischenbilanz“ sind die Ergebnisse der Reihe bis 2010 in einem Sammelband zusammengefasst; 25 zu den Beiträgen ab 2011 sei auf die weiteren Nummern der HPM verwiesen. Kritisch begleitet wurden Kohl und seine Politik stets von den Medien, was sich in einer fast uferlosen Vielzahl von Artikeln niederschlug. Eine Auswahl dieser kritischen Begleitmusik aus deutschen und ausländischen Zeitungen der Jahre 1960 bis 1990 findet sich in dem von Bernhard Vogel zum 60.Geburtstag des Kanzlers und Parteivorsitzenden herausgegebenen Band „Das Phänomen“.26 Aus den zahllosen größeren und kleineren biographischen Beiträgen mit CDU-Bezug 27 ragen die 2012 bzw. 2014 erschienenen voluminösen Biographien von Hans-Peter 23 Helmut Kohl: Erinnerungen 1930 – 1982, 1982 – 1990, 1990 – 1994. 3 Bde. München 2004, 2007, 2005. 24 Vgl. Göttrik Wewer (Hg.): Bilanz der Ära Kohl. Christlich-liberale Politik in Deutschland 1982 – 1998. Opladen 1998. 25 Die Ära Kohl im Gespräch. Eine Zwischenbilanz. Hg. von Günter Buchstab, Hans-Otto Kleinmann, Hanns Jürgen Küsters. Köln 2010. 26 Das Phänomen. Helmut Kohl im Urteil der Presse. Hg. von Bernhard Vogel. Stuttgart 1990. 27 Beispielhaft genannt seien die Veröffentlichungen von Horst Möller: Die Ära Kohl. Der Versuch einer politischen Bilanz, in: Jürgen Aretz/Günter Buchstab/Jörg-Dieter Gauger (Hg.): Geschichtsbilder. Weichenstellungen deutscher Geschichte nach 1945. Freiburg 2003, S. 239 – 263; Heribert Schwan/Rolf

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Schwarz 28 und Henning Köhler 29 heraus; die beiden Autoren hatten bereits mit ihren einschlägigen Adenauer-Biographien um die Deutungshoheit über ihren „Helden“ konkurriert. Dem oft leicht süffisanten Stil von Schwarz, der Helmut Kohl oft aus nächster Nähe erlebte, merkt man an – bei allem Respekt, den er ihm entgegenbrachte –, dass er kein unkritischer Anhänger des „Machtmenschen“ war; weitaus nüchterner, allerdings auch mit geringerer Distanz beschreibt hingegen Köhler, der Kohl unzweifelhaft mehr Sympathien als Schwarz entgegenbringt, Leben und Lebenswerk seines Protagonisten. Schließlich sei noch auf die Interviews mit Zeitzeugen aus dem In- und Ausland verwiesen, die Heribert Schwan und Rolf Steininger 2007/2008 geführt haben, in denen Weggenossen wie Kurt Biedenkopf, Norbert Blüm oder Heiner Geißler die Politik des Parteivorsitzenden schlaglichtartig beleuchten.30 Überschaubarer als die Literatur über Kohl und seine Politik sind die speziellen Darstellungen zur Geschichte der CDU, sieht man von vielen politikwissenschaftlichen und journalistischen Beiträgen ab, deren Halbwertzeit nicht gerade hoch einzuschätzen ist. Neben den offiziösen Verlautbarungen31 ist vor allem die umfassende „Geschichte der CDU“ von Hans-Otto Kleinmann hervorzuheben32, die die Gründungsphase der Partei sowie ihre weitere Entwicklung nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in den Landesparteien und Vereinigungen nachzeichnet; sie endet allerdings 1982, reicht also nur bis zur erneuten Regierungsübernahme der CDU nach dem Verlust der Macht im Jahr 1969. Die Oppositionsphase der Partei von 1969 bis 1982 ist unter dem speziellen Aspekt der programmatischen, organisatorischen und personellen Neuorientierung und der Entwicklung zur „modernen Volkspartei“ zuerst von Wulf Schönbohm behandelt worden.33 Seine Untersuchung wird gewissermaßen ergänzt und fortgeführt bis 1989 von Hans-Jürgen Lange 34, der ähnlich wie auch Frank Bösch35 bereits in dieser Phase eine Verschiebung des Machtzentrums von der Parteizentrale ins Kanzleramt feststellt. Bis ins Jahr 1994 fortgeschrieben ist die populärwissenschaftliche „Kleine Geschichte der CDU“, die

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Steininger: Helmut Kohl. Virtuose der Macht. Mannheim 2010; Hendrik Gast: Der Bundeskanzler als politischer Führer. Potenziale und Probleme deutscher Regierungschefs aus interdisziplinärer Perspektive. Wiesbaden 2011; Günter Buchstab: Die politische Heimat. Helmut Kohl und seine Partei, in: Die Politische Meinung Sonderausgabe Nr. 6 (2018), S. 35 – 40; Ders.: Helmut Kohl (1930 – 2017), in: Zeitgeschichte in Lebensbildern Bd. 13. Münster 2022, S. 92 – 111; Günter Bannas: Helmut Kohl – der CDU-Vorsitzende, in: Norbert Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU. München 2020. S. 27 – 50. Hans-Peter Schwarz: Helmut Kohl. Eine politische Biographie. München 2012. Henning Köhler: Helmut Kohl. Ein Leben für die Politik. Die Biografie. Köln 2014. Heribert Schwan/Rolf Steininger (Hg.): Mit den Augen der Anderen. Die Ära Kohl in Interviews. Innsbruck/Wien 2022; vgl. auch ihren Interviewband: Die Bonner Republik 1949 – 1998. Berlin 2009, S. 245 – 431. Die CDU-Parteiprogramme. Eine Dokumentation der Ziele und Aufgaben. Hg. von Peter Hintze. Bonn 1995; Protokolle der CDU-Parteitage 1973 – 1998. Bonn 1973 ff.; Union in Deutschland (UiD), Bonn 1973 – 1998. Hans-Otto Kleinmann: Geschichte der CDU 1945 – 1982. Hg. von Günter Buchstab. Stuttgart 1993. Schönbohm: Die CDU. Hans-Jürgen Lange: Responsivität und Organisation. Eine Studie über die Modernisierung der CDU von 1973 – 1989. Marburg 1994. Frank Bösch: Macht und Machtverlust. Die Geschichte der CDU. Stuttgart 2002; Ders.: Die CDUVorsitzenden und -Generalsekretäre, in: Christlich Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU, in: Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union, S. 53 – 78, hier 61 – 69.

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auf der Basis von Kleinmanns umfassender Darstellung und seinen Voruntersuchungen über die Zeit nach 1982 von der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgegeben worden ist.36 In der Geschichte der Bundesrepublik haben die Parteien, die im Bund die Regierung stellen, in den Ländern in aller Regel stets Rückschläge hinnehmen müssen. Während ihrer Oppositionszeit in Bonn konnte die CDU auf Länderebene teils deutliche Stimmenzuwächse verzeichnen, was sich ab 1983 änderte, als sie wieder in der Regierungsverantwortung stand. Über die jeweiligen landespolitischen Entwicklungen der CDU liegen allerdings nur wenige wissenschaftliche Studien vor, die die Jahre 1973 bis 1998 umfassen, sieht man von den kursorischen Überblicken bei Kleinmann37 und den in diesem Handbuch enthaltenen Kurzdarstellungen 38 sowie von Jubiläumsschriften 39 einmal ab. Eine rühmliche Ausnahme bildet die dreibändige imposante Darstellung von Guido Hitze über die nordrhein-westfälische CDU von 1975 – 1995.40 Sie umfasst nicht nur die Historie der CDU-Landespartei und -Landtagsfraktion, sondern ist darüber hinaus auch ein Stück nordrhein-westfälischer Zeit- und Parlamentsgeschichte. Weniger ambitioniert, aber dennoch informativ ist die Geschichte der CDU in Niedersachsen des Journalisten Rolf Zick41, die bis zum Jahr 2005 reicht. Das Beziehungsgeflecht von Partei, CDU/CSU-Fraktion – einem parlamentarischen Unikum – und Regierung konnte in diesem Beitrag allenfalls am Rande berücksichtigt werden. Hier sei nur auf die Studie von Jürgen Gros „Politikgestaltung im Machtdreieck Partei, Fraktion, Regierung“ 42 und den Sammelband von Hans-Peter Schwarz „Die Fraktion als Machtfaktor“43 verwiesen, in dem Strukturfragen wie das Verhältnis von Fraktion und Parteiführung bzw. Bundeskanzler erörtert werden. Unverzichtbar für eine Darstellung der CDU-Geschichte in der Ära Kohl ist nach wie vor das „Lexikon der Christlichen Demokratie in Deutschland“, das als Nachschlagewerk mit über 600 Artikeln Geschichte und Gegenwart der Christlichen Demokratie nachzeichnet.44 Es beginnt mit historischen Überblicken über ihre Entwicklung von 1870 bis 2000; für diesen Beitrag sind besonders zu nennen die „Historischen Überblicke“ von Hans-Otto Kleinmann 45 über die Jahre 1969 bis 1982, von Horst Möller von 1982 bis 1990 46, von Karl Schmitt von 1990 bis 2000 47 und von Manfred Agethen über die CDU in der DDR.48 Neben einer Zeittafel enthält es biographische Würdigungen von Konrad 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48

Kleine Geschichte der CDU. Hg. von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Stuttgart 1995. Kleinmann: Geschichte der CDU, S. 379 – 397. Kap. III: Die Entwicklung der Parteistrukturen, dort auch weitere Literaturhinweise. Vgl. z.B. 70 Jahre Rheinland-Pfalz. Historische Perspektiven und politikwissenschaftliche Analyse. Hg. von Manuela Glaab u. a. Wiesbaden 2020. Guido Hitze: Verlorene Jahre? Die nordrhein-westfälische CDU in der Opposition 1975 – 1995. 3 Bde. Düsseldorf 2010. Rolf Zick: Die CDU in Niedersachsen. Eine Chronik. Hg. von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Sankt Augustin 2008. Jürgen Gros: Politikgestaltung im Machtdreieck Partei, Fraktion, Regierung. Berlin 1998. Hans-Peter Schwarz (Hg.): Die Fraktion als Machtfaktor. CDU/CSU im Deutschen Bundestag 1949 bis heute. München 2009. Lexikon der Christlichen Demokratie in Deutschland. Hg. von Winfried Becker, Günter Buchstab, Anselm Doering-Manteuffel, Rudolf Morsey. Paderborn 2002. Ebd., S. 78 – 85. Ebd., S. 86 – 96. Ebd., S. 97 – 108. Ebd., S. 109 – 118.

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Adenauer über Helmut Kohl bis Friedrich Zimmermann, Sachartikel über Geschichte und Organisation der Christlichen Demokratie sowie über historische und aktuelle Sachund Grundsatzfragen. Im Anhang wird über Wahlergebnisse und Regierungsbildungen auf Reichs-, Bundes- und Länderebene von 1871 bis 2002 informiert. Eingebettet in die allgemeinen Darstellungen der Geschichte der Bundesrepublik ist in unterschiedlichem Umfang auch die spezifische Entwicklung der CDU. In seinem „Grundriss“ der Bundesrepublik von 1969 bis 1990 behandelt Andreas Rödder aufgrund der Konzeption der Reihe in erster Linie die Regierungspolitik auf Bundesebene; die Oppositionsphase und die weitere Entwicklung der CDU nach 1982 werden nur am Rande gestreift.49 Anders verhält es sich bei Wolfgang Jäger und Werner Link, die abgesehen von der Innen- bzw. Außenpolitik der sozialliberalen Regierung auch der Politik der Opposition gebührenden Platz einräumen.50 Während Link vornehmlich ihren ost- und deutschlandpolitischen Kurs gegen die Regierungspolitik beschreibt, behandelt Jäger in eigenen Kapiteln die Neuaufstellung der CDU mit der „Neuen Sozialen Frage“, ihre weitere Programmarbeit, die Querelen mit der CSU sowie ihr geschlossenes Auftreten in der Endphase der Schmidt-Regierung. Auch Andreas Wirsching widmet in seiner auf breiter Literatur- und Quellengrundlage erarbeiteten Fortsetzung der „Geschichte der Bundesrepublik“ der nunmehrigen Regierungspartei CDU und ihrer Führungsfigur breiten Raum, wobei er ihre Entwicklung unter veränderten Rahmenbedingungen – Strukturwandel, gesellschaftlichen Umbrüchen im Zeichen von fortschreitender Individualisierung und Pluralisierung, Wertewandel, neuen sozialen Bewegungen, erweitertem Parteienspektrum, wachsender Komplexität politischer Kommunikations- und Entscheidungsprozesse usw. – in überzeugender und scharfsinniger Weise präsentiert.51 Es versteht sich von selbst, dass die Erkenntnisse vieler anderer, in dieser Literaturübersicht nicht eigens erwähnten Publikationen in den vorliegenden Beitrag eingeflossen sind.

49 Andreas Rödder: Die Bundesrepublik Deutschland 1969 – 1990 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte. Bd. 19A). München 2004. 50 Wolfgang Jäger und Werner Link: Republik im Wandel 1974 – 1982. Die Ära Schmidt (Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 5/II). Stuttgart 1987. 51 Andreas Wirsching: Abschied vom Provisorium. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 1982 – 1990 (Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Bd.6). München 2006.

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Opposition und Regierungsverantwortung unter Schäuble und Merkel Andreas Rödder 35,1 Prozent! Das Ergebnis der Bundestagswahlen vom 27. September 1998 war das schlechteste der Union seit 1949 – ein Erdrutsch nach 16 Jahren Regierungsverantwortung. So unbestritten die CDU dem Kanzler der Einheit in die absehbare Niederlage gefolgt war, so unumwunden nahm Helmut Kohl die Verantwortung auf sich und erklärte noch am Wahlabend den Rückzug vom Vorsitz der Partei. Wolfgang Schäuble, dem langjährigen Kronprinzen, der am 7. November 1998 mit 872 von 953 abgegebenen Stimmen zum neuen Parteivorsitzenden gewählt wurde1, fiel die Aufgabe eines zweiten Neuanfangs der CDU in der Opposition gegen die erste rot-grüne Bundesregierung zu.

Eine zweite Oppositionszeit Zunächst aber war Analyse angesagt: Hatte die Niederlage daran gelegen, dass langfristige Wählerbindungen und die Basisressourcen der Union als christliche, liberale und konservative Volkspartei erodiert waren und sie die strukturelle Mehrheitsfähigkeit gegenüber einem rot-grünen Meinungsspektrum verloren hatte, das mit dem Anspruch eines Generationenprojekts zur Reform der bundesdeutschen Gesellschaft auftrat?2 Oder handelte es sich um normale Verschleißerscheinungen nach einer 16-jährigen Regierungszeit, die zu Überdruss geführt und das Verlangen nach einem Wechsel erzeugt hatte? So argumentierte der Leiter des Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts der Konrad-Adenauer-Stiftung, Hans-Joachim Veen, zweieinhalb Wochen nach der Wahl vor der Fraktion. Eine „Tiefenverschiebung der normativen Grundlagen der deutschen Bevölkerung“ konnte er nicht feststellen. Zwar lösten sich seit den 1970er Jahren die traditionellen Wählermilieus auf. „Nur hat die Union in diesen Jahrzehnten der tiefgreifenden Veränderungen der wählersoziologischen Grundlagen wiederholt Wahlen gewonnen“, so Veen weiter, „also ich wehre mich gegen Zwangsläufigkeiten gewissermaßen historischer Natur.“3 1 11.Parteitag der CDU Deutschlands. Niederschrift. Bonn, 7. November 1998. Hg. von der Bundesgeschäftsstelle der CDU Deutschlands. Bonn [1998]. https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=c9cac09d-ef9c-6a0c-0974-26cf69395f47&groupId=252038 (Abruf: 28.4.2020), S. 76 (dabei passen allerdings die vom Tagungspräsidenten genannten Zahlen von 872 Ja-, 96 Nein- und 928 gültigen Stimmen nicht zusammen). 2 Vgl. Edgar Wolfrum: Rot-Grün an der Macht. Deutschland 1998 – 2005. München 2013, S. 169 – 213; Frank Bösch: Kontinuität im Umbruch. Die CDU/CSU auf dem Weg ins neue Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 5/2000, S. 12 – 21. 3 Sitzung der Bundestagsfraktion von CDU und CSU (künftig: Fraktionssitzung) vom 14. Oktober 1998, in: ACDP 08-014-041/2, S. 7, 10.

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Dieser Befund war für die CDU-Führung nach Kohl insofern beruhigend, als er ihr die Notwendigkeit ersparte, die Partei neu zu erfinden. Wenn Schäuble stattdessen die Devise ausgab, die Union müsse sich „stärker über Inhalte gemeinsam definieren“4, bedeutete dies zunächst, sich auf die vorhandenen Grundlagen zu besinnen: „Unser grundsätzlicher Standort ist richtig und von dem sind wir überzeugt.“5 Auch die Kommunikationsagentur Scholz & Friends empfahl, den „Markenkern“ der CDU zu pflegen: Soziale Marktwirtschaft, Freiheit und Subsidiarität, Bildung, Sicherheit und Europa. Ihre zentrale Botschaft lautete: „Eine Verletzung dieses Markenkerns ist hochgefährlich.“6 Als zentrales Thema wurde die Gestaltung von Digitalisierung und Globalisierung identifiziert. Veränderungen am Arbeitsmarkt sollte „nicht mit noch mehr Reglementierung, mit noch mehr Steuern und Abgaben, mit noch mehr Einfluss zentraler Regierungsstellen auf Wirtschaft und Gesellschaft“ begegnet werden, sondern „mit mehr richtig verstandener und richtig geleiteter Eigenverantwortung“. Wenn die Union auf eine „Politik der Begrenzung und Rückführung der Staatsquote“ und auf Deregulierungen am Arbeitsmarkt setzte,7 dann atmete dies nicht nur den marktorientierten, später als „neoliberal“ bezeichneten Zeitgeist, der auch die europäische Sozialdemokratie um die Jahrtausendwende beseelte.8 Die CDU besann sich auch auf die programmatischen Grundlagen, mit denen sie den Regierungswechsel von 1982 als „Wende“ inszeniert hatte9, deren Umsetzung freilich schon in den 1980er Jahren kritisiert worden und in den 1990er Jahren zunehmend ins Stocken geraten war. Neben der Selbstvergewisserung setzte die Partei zugleich auf „lebendige und offene Diskussion“, wie der zweite Bundesparteitag nach dem Machtverlust im April 1999 beschloss: „Zu sehr haben die Anforderungen der Regierungsarbeit nach Kompromißsuche und Koalitionstreue auch das Parteileben bestimmt. Wir begreifen die Opposition deshalb auch als Chance, die Parteiarbeit wieder lebendiger werden zu lassen. Wenn es um die Gestaltung der Zukunft geht, sind Tabus und Denkverbote fehl am Platz.“10 Das galt insbesondere für die von den Zwängen der Regierungsverantwortung befreite Bundestagsfraktion, der Schäuble als Marschroute vorgab: „offene, kontroverse Diskussion, ggf. knappe Abstimmung, dann das Ergebnis eines Diskussionsprozesses als Entscheidung akzeptieren“.11 Ein solches offeneres und nachdenklicheres Diskussionsklima zeigte sich zum Beispiel in einer langen Debatte der Fraktion über die Situation in den neuen Ländern. Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Günter Nooke machte sich dafür stark, gegenüber westlich dominierten Diskussionsstandards die Perspektiven der Ostdeutschen stärker zu berücksichtigen: „Anders als die Menschen in Westdeutschland mussten die DDR-Bürger 1989/1990 ihre gesamte Lebensplanung ändern, sie verloren fast ihr gesamtes Alltagswis4 5 6 7 8 9

Fraktionssitzung vom 6. Oktober 1998, in: ACDP 08-014-041/1, S. 8. Fraktionssitzung vom 9. November 1998, in: ACDP 08-014-041/5, S. 3. Fraktionssitzung vom 23. März 1999, in: ACDP 08-014-043/5, S. 22 – 24. Fraktionssitzung vom 9. November 1998, in: ACDP 08-014-041/5, S. 6 f. Vgl. dazu Wolfrum: Rot-Grün an der Macht, S. 138 – 162. Vgl. dazu Peter Hoeres: Von der „Tendenzwende“ zur „geistig-moralischen Wende“. Konstruktion und Kritik konservativer Signaturen in den 1970er und 1980er Jahren, in: VfZ 61 (2013), S. 93 – 119. 10 Erfurter Leitsätze. Aufbruch ’99. Beschluss des 12.Parteitags in Erfurt, 25. bis 27. April 1999. https:// www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=31db6333-131a-bcc3-19b7-03a165595d14&groupId= 252038 (Abruf: 28.4.2020), S. 5. 11 Fraktionssitzung vom 19. Januar 1999, in: ACDP 08-014-042/2, S. 21.

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sen und auch ihre Identifikationsfiguren. Den Unrechtsstaat DDR haben nur diejenigen erfahren, die sich den üblichen Loyalitätsritualen verweigerten.“ Wenn die Union demgegenüber in ihren altbundesrepublikanischen Redeformen und normativen Ritualen verharre, „wird die Ablehnung des SED-Systems als Ablehnung anständiger ostdeutscher Lebenswege missverstanden, auch ein Leben in der Diktatur war ein ganzes Leben“.12 Ein anderes Beispiel war die Neujustierung auf dem Feld der Familienpolitik, wo die Unionsparteien lange einem klassischen Leitbild verheirateter Eltern gefolgt waren; auch die familienpolitischen Reformen der 1980er Jahre hatten sich an einem sukzessiven Modell der Vereinbarkeit von Familie und weiblicher Erwerbstätigkeit orientiert, demzufolge Kinder unter drei Jahren von der Mutter betreut wurden, bevor diese wieder in den Beruf einsteigen konnte. Im Oktober 2001 stellte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Maria Böhmer ein Grundsatzpapier „Faire Politik für Familien“ vor, das mit dem Ausbau von Kinderbetreuungsmöglichkeiten neue Akzente zugunsten erwerbstätiger Mütter setzte und mit einem „Familiengeld“ von 1.200 DM für bis zu dreijährige Kinder und 600 DM für Kinder zwischen 3 und 18 Jahren zugleich eine signifikant erhöhte materielle Unterstützung für alle Familienformen vorsah.13 Die CDU verstand sich, so das Mantra ihrer Führung, als „die große politische Kraft der demokratischen Mitte in Deutschland“, die „zur Mitte hin zu integrieren“ habe und auf jeden Fall verhindern müsse, „dass es rechts von uns eine demokratisch legitimierte Kraft gibt. Nur dann sind wir stark genug, um unsere Rolle als große politische Kraft der demokratischen Mitte so auszuüben, dass wir das politische Geschehen in Deutschland maßgeblich bestimmen.“14 Der Union saß der Schreck der „Republikaner“ in den Knochen, die sich 1983 als Abspaltung von der CSU gegründet hatten, nach ersten Erfolgen Ende der 1980er Jahre durch die Wiedervereinigung kurzfristig geschwächt worden waren, nach dem sprunghaften Anstieg der Zahl von Asylbewerbern Anfang der 1990er Jahre jedoch erneut Auftrieb erhielten und 1992 bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg 10,9 Prozent der Stimmen gewannen. Schon 1986, nachdem die Republikaner bei der bayerischen Landtagswahl 3,0 Prozent der Stimmen gewonnen hatten, hatte Franz Josef Strauß die immer wieder zitierte Devise ausgegeben: „Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben.“15 Tief prägte sich der Union die Erfahrung ein, dass die Änderung des Asylrechts 1992/93, die den Anspruch für Bewerber aus sogenannten sicheren Dritt- und Herkunftsstaaten sowie Leistungen für Asylbewerber einschränkte, die „Republikaner“ nachhaltig marginalisierte. Dass diese Integration nach rechts stets ein heikler Balanceakt war, zeigte sich im hessischen Landtagswahlkampf Ende 1998 und Anfang 1999. Nachdem die rot-grüne Bundesregierung mit der Reform des Staatsbürgerschaftsgesetzes das Thema Migration und Integration erneut auf die politische Agenda gesetzt hatte16, initiierte die CDU eine aufsehenerregende Unterschriftenaktion, mit der Roland Koch die Wahl gewinnen und die regierende SPD ablösen konnte. Mit der Devise „Ja zu Integration – Nein zu doppelter 12 Fraktionssitzung vom 2. März 1999, in: ACDP 08-014-043/3, S. 16 – 59, hier 22 f. Vgl. dazu auch Thorsten Holzhauser: Erosion der Abgrenzung? Das Verhältnis der CDU zur Linkspartei in historischer Perspektive, in: ZParl 50 (2019) 1, S. 130 – 148, bes. 139 – 141. 13 Fraktionssitzung vom 9. Oktober 2001, in: ACDP 08-014-057/1, S. 14 – 16. 14 Wolfgang Schäuble in der Fraktionssitzung vom 26. Januar 1999, in: ACDP 08-014-042/4, S. 13. 15 Horst Möller: Franz Josef Strauß. Herrscher und Rebell. München 2015, S. 61. 16 Vgl. dazu Wolfrum: Rot-Grün an der Macht, S. 185 – 187.

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Staatsangehörigkeit“ bemühte sich die Unionsführung um eine differenzierte Position. Kritiker warfen ihr freilich vor, durch Polarisierung fremdenfeindliche Ressentiments zu schüren. Dass die Union auf dem Themenfeld von Migration (die sie, „so gut es irgendwie geht, begrenzen“ wollte17) und Integration tatsächlich keine eigenständige Agenda entwickelt hatte, zeigte der Kommentar des vormaligen Bundesverteidigungsministers Volker Rühe: „Wir müssen uns öffnen, sonst verpassen wir hier enorme Chancen.“18 Damit befand sich die CDU in der Defensive gegenüber dem rot-grünen Projekt zur Modernisierung der Gesellschaft, das sich in der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts ebenso niederschlug wie im Ausstieg aus der Kernenergie.19 Darüber hatten zumal Union und Grüne in den 1970er und 1980er Jahren so harte ideologische Auseinandersetzungen geführt, dass die Energiefrage über die Sache hinaus zu einer Identitätsfrage geworden war. „Ich halte die Entscheidung, im Alleingang in Deutschland auf die friedliche Nutzung von Kernenergie zu verzichten, im Interesse der Zukunft unseres Landes für falsch, ja für unverantwortlich“, echauffierte sich Schäuble unter dem Beifall der Fraktion. „Ich glaube nicht, dass irgendetwas sicherer wird, dass irgendein Risiko kleiner wird. Am Schluss stellen wir die sichersten deutschen Kraftwerke ab […] und beziehen den Strom aus Tschernobyl. […] Also die Art von Heuchelei ist auch doll.“20 Der holprige Start der rot-grünen Regierung, der im Rücktritt des Bundesfinanzministers und SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine am 11. März 1999 gipfelte 21, erleichterte der Union die Selbstfindung gegen rot-grüne Bestrebungen zur Veränderung von Staat und Gesellschaft. Siege bei den Landtagswahlen 1999 versetzten CDU und CSU geradezu in einen Höhenrausch. „Wir waren auf einem guten Weg im letzten Jahr“, bilanzierte Schäuble am 25. Januar 2000, „wir haben eine ziemlich durchdachte Strategie gehabt in beiden Unionsparteien, von der Europawahl und der europapolitischen Programmatik über Familienpolitik, Bildungspolitik, über die Grundfragen von Steuerreform und Reform des Sozialstaates und dergleichen mehr.“22

Mehr als Spenden, mehr als eine Affäre Zu diesem Zeitpunkt aber befand sich die CDU schon im freien Fall. Die Parteispendenaffäre brachte sie in eine der „schwierigsten Situationen, in denen die Union in ihrer Geschichte je gewesen ist. […] Es geht nun seit November Tag für Tag, Woche für Woche, und es wird von Woche zu Woche schwieriger. […] Frau Merkel hat heute im Bundesvorstand geschildert, sie hätte den Wirtschaftsprüfer gefragt, wie man denn ein solches System erklären könne mit den vielen Konten, und dann hatte er gesagt: Wissen Sie, im Lehrbuch lernen wir, so macht man Geldwäsche, und dann sei sie sich ein bisschen be17 Schäuble in der Fraktionssitzung vom 19. Januar 1999, in: ACDP 08-014-042/2, S. 11. 18 Protokoll der Fraktionssitzung vom 24. Oktober 2000, in: ACDP 08-014-051/6, S. 30. 19 Vgl. dazu Wolfrum: Rot-Grün an der Macht, S. 230 – 236. Vgl. auch allgemein Matthias Stickler: Von der Integration der Vertriebenen zum „Integrationsland Deutschland“ – die Migrationspolitik der CDU im Wandel, in: Norbert Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU. München 2020, S. 703 – 735. 20 Fraktionssitzung vom 19. Januar 1999, in: ACDP 08-014-042/2, S. 19 f. 21 Vgl. dazu Wolfrum: Rot-Grün an der Macht, S. 110 – 137. 22 Schäuble in der Fraktionssitzung vom 25. Januar 2000, in: ACDP 08-014-048/3, S. 15.

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schämt vorgekommen, wenn man das als Generalsekretärin hören muss. Man muss das sehen, das Ausmaß, es hat keinen Sinn, dass wir uns die Schmerzen ersparen.“23 Am 3. November 1999 war ein Haftbefehl gegen den früheren CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep erlassen worden. Er wurde verdächtigt, 1991 im Zusammenhang mit Panzerlieferungen an Saudi-Arabien eine Million D-Mark erhalten und nicht versteuert zu haben. Während Helmut Kohl angab, davon nichts gewusst zu haben, erklärte der vormalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler kurz darauf, die CDU habe in der Ära Kohl auch andere Konten „ausschließlich unter der Verantwortung des Bundesvorsitzenden und der Schatzmeisterei“ geführt.24 Am 16. Dezember 1999 erklärte Kohl schließlich, er habe zwischen 1993 und 1998 Spenden in Höhe von 1,5 bis 2 Millionen DMark entgegengenommen, ohne diese ordnungsgemäß zu verbuchen. Da die Spender aber gebeten hätten, nicht angegeben zu werden, und er ihnen sein „Ehrenwort“ gegeben habe, weigerte sich Kohl, ihre Namen zu nennen. Darüber kam es zum Zerwürfnis mit Wolfgang Schäuble, der später öffentlich mutmaßte, es habe keine Spender, sondern „aus der Zeit von Flick schwarze Kassen“ gegeben25, also Restbestände der in den 1980er Jahren aufgedeckten gesetzeswidrigen Praxis von Bargeldzahlungen des Flick-Konzerns an alle seinerzeit im Bundestag vertretenen Parteien. Unterdessen geriet Schäuble selbst in den Strudel des Skandals. Denn er hatte 1994 eine Barspende des Waffenhändlers Karl-Heinz Schreiber in Höhe von 100.000 D-Mark erhalten, die im Rechenschaftsbericht der CDU ebenfalls nicht ausgewiesen worden war. Dass Schäuble und die CDU-Schatzmeisterin Brigitte Baumeister zu den Abläufen der Übergabe substantiell unterschiedliche Versionen äußerten, führte schließlich zum Rücktritt Schäubles als Partei- und Fraktionsvorsitzender, den er am 16. Februar 2000 bekanntgab. Die Folgen für die CDU waren vielfältig, weitreichend und grundlegend. Die für die widerrechtlich eingenommenen Spenden fälligen Strafzahlungen verursachten erhebliche finanzielle Engpässe, die bereits zuvor bestehende, strukturelle Finanzierungsschwierigkeiten weiter verschärften.26 Sie schränkten die Handlungsspielräume der Parteiführung ein und führten zugleich zu einem beschleunigten personellen Umbruch in dem über zweieinhalb Jahrzehnte von Helmut Kohl dominierten Parteiapparat. Einen längerfristigen Trend verstärkte die Parteispendenaffäre auch im Bereich der Mitgliederentwicklung. Seit dem Höchststand ihrer Zahl mit knapp 735.000 im Jahr 1983 23 Schäuble in der Fraktionssitzung vom 18. Januar 2000, in: ACDP 08-014-048/1, S. 1 f., 7. Zur CDU-Parteispendenaffäre vgl. den Abschlussbericht des 1. Untersuchungsausschusses (13. Juni 2002), Deutscher Bundestag, Drucksache 14/9300. http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/14/093/1409300.pdf (Abruf: 27.4.2020), der allerdings von den unterschiedlichen parteipolitischen Interessen geprägt ist. Suffiziente quellengestützte wissenschaftliche Literatur zur Spendenaffäre liegt bislang nicht vor; daher beschränkt sich diese Darstellung auf die unstrittigen Tatsachenaussagen aus dem Bericht des Untersuchungsausschusses sowie auf unstrittige Medienberichte. Vgl. ansonsten Hans-Peter Schwarz: Helmut Kohl. Eine politische Biographie. München 2012, S. 870 – 896; zu den Hintergründen allgemein Frank Bösch: Macht und Machtverlust. Die Geschichte der CDU. Stuttgart 2002, S. 156 – 190. 24 Süddeutsche Zeitung, 27.11.1999. Vgl. dazu auch Heinrich Oberreuter: Recht und Geld – Parteienrecht und Parteienfinanzierung, in: Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union, S. 613 – 631. 25 Wolfgang Schäuble im Interview mit Stephan Lamby in der SWR-ARD-Dokumentation „Schäuble – Macht und Ohnmacht“ (2015), https://www.youtube.com/watch?v=o0xReG5q7RU, min. 48:33 (Abruf: 27.4.2020). 26 Vgl. dazu Bösch: Macht und Machtverlust, S. 151.

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hatte die CDU schon bis 1989 über ein Zehntel und – unterbrochen vom Zustrom von über 110.000 Mitgliedern der Ost-CDU durch die Wiedervereinigung – zwischen 1991 und 1998 ein weiteres Sechstel ihrer Mitglieder verloren. Gewann sie nach dem Regierungswechsel von 1998 kurzfristig noch einmal 12.000 hinzu, so ging ihre Zahl im Zuge der Parteispendenaffäre bis 2001 um 34.000 auf 604.000 zurück. Danach verlor die CDU, insbesondere aufgrund der demographischen Entwicklung, im Schnitt 10.000 Mitglieder pro Jahr; 2020 sank sie unter 400.000.27 Politisch-kulturell erschütterte die Parteispendenaffäre die Identität der CDU. Nicht nur, dass Kohl vorsätzlich gegen Recht und Gesetz verstoßen hatte, sondern mehr noch seine fortwährende Weigerung, rechtliche Aufklärung über ein angebliches persönliches Ehrenwort zu stellen, erzeugte eine kognitive Dissonanz. Auf der einen Seite standen die Loyalität zu Helmut Kohl und der Wille zur Übereinstimmung mit der eigenen Geschichte, deren Erinnerung für das Selbstverständnis der Union stets konstitutiv gewesen war. Auf der anderen Seite standen die Prinzipien der CDU, die sich stets als Partei von Recht und Ordnung verstanden hatte. Die wohl gravierendste Auswirkung der Spendenaffäre lag im mittelfristigen Abbruch des inhaltlich-programmatischen Erneuerungsprozesses, den Schäuble begonnen hatte und der zu einer Rekreation der Union hätte führen sollen, wie es in der Opposition der 1970er Jahre der Fall gewesen war. Die Krise rückte stattdessen die Führungsfrage wieder in den Vordergrund, die nach dem Ende der Ära Kohl zunächst so einvernehmlich gelöst worden war. Zunächst wurde eine Doppelspitze installiert. Zum Vorsitzenden der Bundestagsfraktion wurde der damals 44-jährige Rechtsanwalt und schneidige Debattenredner Friedrich Merz gewählt. Im Rennen um den Parteivorsitz kam die westdeutsche Nachwuchskohorte unterdessen nicht zum Zuge; insbesondere ihr führender Kopf Roland Koch hatte zwar 1999 die hessischen Landtagswahlen spektakulär gewonnen, wurde dann aber durch die Verstrickung der hessischen CDU in den Parteispendenskandal blockiert. Diese Konstellation öffnete Angela Merkel den Weg zu einer der außergewöhnlichsten politischen Karrieren in der Geschichte der Bundesrepublik, mit der sich eine in der DDR aufgewachsene Frau ohne parteiinterne Hausmacht gegen eine Riege parteipolitisch lange erfahrener und engstens vernetzter westdeutscher Männer durchsetzte. Die 1954 geborene promovierte Physikerin hatte bis 1989 am Zentralinstitut für Physikalische Chemie der Akademie der Wissenschaften der DDR gearbeitet. Im Dezember 1989 hatte sie sich dem „Demokratischen Aufbruch“ angeschlossen, der 1990 mit der CDU der DDR und der neu gegründeten Deutschen Sozialen Union in der „Allianz für Deutschland“ koalierte und als Partner der westdeutschen CDU die Volkskammerwahlen vom 18. März gewann. In der Regierung Lothar de Maizières wurde Merkel stellvertretende Regierungssprecherin und nach dessen Rücktritt als stellvertretender Bundesvorsitzender im Dezember 1991 dessen Nachfolgerin im Parteiamt, während sie in den Regierungen Kohl als Ministerin für Frauen und Jugend (bis 1994) sowie für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (bis 1998) amtierte. Nach dem Verlust der Regierungsmacht wurde sie unter Schäubles Vorsitz zur Generalsekretärin der CDU gewählt und ging in dieser Funktion in der Parteispendenaffäre in 27 Frank Bösch: Christlich-Demokratische Union Deutschlands (CDU), in: Frank Decker/Viola Neu (Hg.): Handbuch der deutschen Parteien. 3. Aufl. Bonn 2017, S. 242 – 261, hier 259; https://www.cdu. de/artikel/mitgliederentwicklung-2020 (Abruf: 15.4.2022).

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die Offensive, als sie die Union in einem Artikel für die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 22. Dezember 1999 dazu aufrief, sich von ihrem „alte[n] Schlachtroß“ Helmut Kohl zu trennen.28 Damit brachte sie sich zugleich in eine exponierte Ausgangslage, als auch Schäuble in den Strudel der Affäre geriet. Nach dessen Rücktritt wurde sie auf einer Welle medialer Zustimmung und auf dem Wege mehrerer Regionalkonferenzen an die Spitze der Partei getragen, die sie zugleich beherzt ergriff. Auf dem Weg zu ihrer Wahl zur Parteivorsitzenden am 10. April 2000 in Essen wurde ein vierfaches Muster erkennbar: erstens ein durch ihr unprätentiöses Auftreten äußerlich kaum erkennbarer und daher schnell unterschätzter Machtwille, zweitens die Fähigkeit, Machtchancen klar zu erkennen und konsequent zu nutzen, sowie drittens die Abwesenheit einer entschiedenen Gegenkraft. Dass sie viertens als Gegenmodell zum „System Kohl“ und einer westlich, männlich und konservativ geprägten Union erschien, kam ihr im Parteispendenskandal zugute. Er ebnete Angela Merkel den Weg, zur dominierenden Figur der CDU nach Helmut Kohl zu werden.29 Zugleich blieben Merkel und Teile der Partei einander stets in gewisser Weise fremd.

„Die Winterkönigin“ 30: Merkel und die Leipziger Reformagenda Nach den personellen Turbulenzen in den ersten Monaten des Jahres 2000 blieb die Führungsfrage in der Union einstweilen offen. Differenzen zwischen der Spitze von Partei und Fraktion wurden alsbald sichtbar, etwa in der Auseinandersetzung über den Begriff der „Leitkultur“, den der Politologe Bassam Tibi aufgebracht31 und den Friedrich Merz als Gegenbegriff zum „Multikulturalismus“ in die politische Debatte eingebracht hatte.32 Vor der Fraktion konterte Merz die schnell anhebende Kritik: „Wenn wir nämlich Angst vor der Auseinandersetzung bekommen, weil wir irgendwo auf der Strecke dann kalte Füße haben, dann werden wir sie nicht erfolgreich bestehen.“ Einen signifikant anderen Akzent setzte demgegenüber Angela Merkel: „Wir können viele interessante Gedankengänge diskutieren, aber eines ist klar, gewonnene Wahlen wiegen mindestens so klar wie inhaltliche Diskussionen.“ Auf die Spitze trieb die Debatte Heiner Geißler, der einstmalige Vordenker der Partei: „Eine Volkspartei wie die CDU, die nicht mehr in der Lage ist, eine kontroverse öffentliche Debatte zu führen über ein noch nicht ausdiskutiertes wichtiges Thema, die muss es halt bleiben lassen, dann sage ich nur uniform, konform, Chloroform“; an dieser Stelle verzeichnet das Protokoll „Unruhe“ – so kontrovers sollte es dann doch nicht sein. Als die Bundestagswahl im September 2002 nahte, spitzten sich kritische Debatten über Angela Merkel zu. Als sie erkannte, dass die CDU ihrer Spitzenkandidatur die Gefolgschaft versagen würde, stellte sie eine andere Fähigkeit unter Beweis: in persönlichen Krisenmomenten unvermittelt und konsequent zu handeln. Kurzfristig suchte sie am 11. Januar 2002 den CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber auf und trug ihm während 28 Angela Merkel: Die von Helmut Kohl eingeräumten Vorgänge haben der Partei Schaden zugefügt, in: FAZ, 22.12.1999. 29 Vgl. dazu Thomas Brechenmacher: Die CDU unter Angela Merkel (2000 – 2018), in: Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union, S. 81 – 135. 30 Heribert Prantl: Die Winterkönigin, in: Süddeutsche Zeitung, 2.12.2003. 31 Bassam Tibi: Europa ohne Identität? Die Krise der multikulturellen Gesellschaft. Berlin 2000. Neuaufl. 2002 unter dem Titel: Europa ohne Identität? Leitkultur oder Wertebeliebigkeit. 32 Fraktionssitzung vom 24.Oktober 2000, in: ACDP 08-014-051/6, die folgenden Zitate S. 9, 19, 25.

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des „Wolfratshauser Frühstücks“ die zu diesem Zeitpunkt als durchaus aussichtsreich erachtete Kanzlerkandidatur an. Die Bundestagswahl vom 22. September 2002 endete – nach etlichen für die Union nachteiligen Unvorhersehbarkeiten wie der Hochwasserkatastrophe im August, in der sich Gerhard Schröder als tatkräftiger Krisenmanager präsentieren konnte – mit einem hauchdünnen Vorsprung der SPD von knapp über 6.000 Zweitstimmen; beide gingen mit jeweils 38,5 Prozent durchs Ziel (wobei die Grünen als Koalitionspartner der SPD 1,2 Prozentpunkte mehr gewannen als die FDP).33 Merkel nutzte diese knappe Niederlage und griff einmal mehr beherzt zu. Sie hatte sich von Stoiber als Gegenleistung für die Kanzlerkandidatur die Zusage seiner Unterstützung geben lassen, wenn sie nach der Wahl auch den Vorsitz der Bundestagsfraktion von CDU und CSU anstrebe. Diese Stunde war zwei Tage nach der Wahl gekommen.34 Stoiber warb in der Fraktionssitzung um Unterstützung für „eine schwierige, aber auch eine schmerzhafte Entscheidung“ zu Lasten des düpierten Friedrich Merz, der sich auf mittlere Frist aus der Politik zurückzog – und betäubte das unübersehbare Unbehagen mit einem altbewährten parteipolitischen Narkotikum: dem Verweis auf „Geschlossenheit“. Mit der neuen Fraktionsführung zog zugleich ein Stilwandel gegenüber der scharfkantigen Argumentationsweise der Juristen Schäuble und Merz ein. Auf die Bitte des Abgeordneten Fuchtel, dass Merkel, da sie dies nicht getan habe, etwas „zum Thema der Erneuerung“ sagen möge „und in welcher perspektivischen Weise das hier in der Fraktion diskutiert werden soll“, antwortete Merkel in jener allgemeinen und zugleich integrativen Unbestimmtheit, die zu ihrem Markenzeichen werden sollte.35 Sie zeigte sich im Folgenden in der konkreten Sachpolitik gut informiert; übergreifende Einordnungen oder strategische Perspektiven entwarf sie nicht. Mit einer Ausnahme freilich, denn zunächst entwickelte die CDU noch einmal ein klares programmatisches Profil. Die strukturell und konjunkturell bedingte Wirtschaftskrise im Gefolge der Wiedervereinigung und der geplatzten New Economy Bubble trieb die Arbeitslosigkeit und die Haushaltsverschuldung in Deutschland auf neue Rekordhöhen. Sie veranlasste die rot-grüne Bundesregierung zu einem scharfen sozialpolitischen Reformkurs der „Agenda 2010“36 und setzte damit auch die Union unter Druck. Angela Merkel hatte selbst eine Kommission zur „Neuen Sozialen Marktwirtschaft“ geleitet, die im August 2001 einen Programmentwurf vorgelegt hatte, der auf Liberalisierungen des Arbeitsmarktes, Lockerungen des Kündigungsschutzes, mehr befristete Arbeitsverhältnisse und mehr Eigenvorsorge in der Sozialversicherung abzielte.37 Nachdem eine Kommission unter dem Vorsitz des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog (der schon 1997 gefordert hatte, durch Deutschland müsse „ein Ruck gehen“38) einen Systemwechsel 33 Vgl. Wolfrum: Rot-Grün an der Macht, S. 468 – 497. 34 Vgl. das Protokoll der Fraktionssitzung vom 24. September 2002, in: ACDP 08/15-086/1, S. 10 f., das folgende Zitat 11; vgl. auch Schwarz: Die Fraktion als Machtfaktor, S. 218 f. 35 Fraktionssitzung vom 16. Oktober 2002, in: ACDP 08-015-086/3, S. 12; Merkels Antwort S. 14 f. Vgl. auch die Fraktionssitzung vom 20.Mai 2003, in: ACDP 08-015, 089/2. 36 Vgl. dazu Wolfrum: Rot-Grün an der Macht, S. 528 – 583. 37 Vgl. dazu Bösch: Macht und Machtverlust, S. 71, und Schwarz: Die Fraktion als Machtfaktor, S. 220 f. 38 Roman Herzog: Aufbruch ins 21. Jahrhundert. Berliner Rede, 26. April 1997, https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Roman-Herzog/Reden/1997/04/19970426_Rede.html (Abruf: 1.5.2020).

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in der Finanzierung des Gesundheitswesens vorgeschlagen hatte, beschloss der Leipziger Parteitag der CDU am 1. und 2. Dezember 2003 – gegen scharfe Kritik von Sozialpolitikern wie Norbert Blüm und Horst Seehofer – die Umstellung der Krankenversicherung von einkommensabhängigen auf (allerdings sozialpolitisch abgefederte) Pauschalbeiträge und die Einführung eines auf den Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof und Friedrich Merz zurückgehenden, radikal vereinfachten dreistufigen Steuersystems.39 Der Parteitag, so das einhellige Presseecho, stärkte Merkel, die sich mit einem „radikalen Kurswechsel“ der CDU als Reformerin positionierte und nicht weniger als „eine Revolution in der Geschichte der deutschen Sozialversicherung“ anstrebe.40 Bedeutsamer als das, was Leipzig war, sollte aber schließlich werden, was nicht daraus wurde. Und das hing mit dem überraschenden Ausgang der Bundestagswahl vom 27. September 2005 und ihren noch überraschenderen Erfahrungen zusammen. Die rot-grüne Bundesregierung hatte mit der Reformpolitik der Agenda 2010 bei weiter steigender Arbeitslosigkeit zunehmende Turbulenzen vor allem innerhalb der SPD erzeugt, während sie dramatisch an öffentlicher Zustimmung einbüßte. Als die SPD bei den Landtagswahlen am 22. Mai 2005 erstmals seit 1966 die Mehrheit in Nordrhein-Westfalen verlor und von einer schwarz-gelben Regierung abgelöst wurde, bat Gerhard Schröder den Bundespräsidenten, den Bundestag aufzulösen und vorzeitige Neuwahlen auszuschreiben.41 Angesichts des nahen Wahltermins war Merkel als Kanzlerkandidatin in Position und wurde unbestritten nominiert. Zugleich deuteten die Umfragen auf einen eindeutigen Wahlsieg der Union hin, den sie mit einem reformorientierten Wahlkampf anstrebte. Umso größer fiel der Schock am Wahlabend aus: Mit 35,2 Prozent und dem drittschlechtesten Ergebnis ihrer Geschichte blieb die Union weit unter den Erwartungen, 3,3 Prozent unter Stoibers Ergebnis von 2002 und nur 0,1 Prozent über Kohls Resultat von 1998. Zugleich aber reichte ein Vorsprung von einem Prozentpunkt auf die SPD, um eine große Koalition unter eigener Führung zu bilden – und mit der Wahl Angela Merkels zur Bundeskanzlerin am 22. November 2005 eine Ära zu begründen.

Krisen und große Koalitionen, Moderation und Anpassung: Die Kanzlerschaft Merkels Von einer „Ära Merkel“ kann allein schon aufgrund ihrer Dauer, der dritten langen Kanzlerschaft in der Geschichte der Bundesrepublik, die Rede sein. Da für diesen Zeitraum noch keine archivalischen Quellen zugänglich sind, wird er im Folgenden nur kursorisch und unter Rückgriff auf publizierte Literatur skizziert. Merkels Regierungszeit war zum einen durch einen lang anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung und einen signifikanten Rückgang der Arbeitslosigkeit im Gefolge der inneren Reformen in den Jahren zuvor sowie durch eine Konsolidierung der Staatsfinanzen gekennzeichnet. Diese Entwicklungen wurden auch durch die schwere Weltfinanzkrise von 2008 nur kurzfristig unterbrochen; vielmehr kam Deutschland im inter39 Vgl. 17. Parteitag der CDU Deutschlands. Protokoll. Leipzig, 1.– 2. Dezember 2003. Hg. von der CDUBundesgeschäftsstelle. Berlin [2002], der Redebeitrag Norbert Blüms S. 116 – 120; vgl. auch Schwarz: Die Fraktion als Machtfaktor, S. 220 – 223. 40 Handelsblatt und Süddeutsche Zeitung, 2.12.2003. 41 Vgl. dazu Wolfrum: Rot-Grün an der Macht, S. 682 – 696.

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nationalen Vergleich sogar besonders gut aus der Krise heraus und konnte somit seine Wettbewerbsposition verbessern. Zum anderen stand eine außergewöhnliche Häufung internationaler Krisen zu Buche. Die Weltfinanzkrise von 2008, die von der geplatzten Immobilienblase in den USA und unkontrollierbar gewordenen Finanzinstrumenten ausging, stellte das politisch-ökonomische Paradigma der marktorientierten Liberalisierungen in Frage. Zudem löste sie mittelbar die Euro-Schuldenkrise aus, mit der die gesamte Europäische Währungsunion zur Disposition stand. Zeitgleich mit der Weltfinanzkrise hatte Russland unter der Führung Wladimir Putins begonnen, eine Revision der Weltordnung von 1990 auch mit militärischer Gewalt zu betreiben, wie sich 2014 insbesondere mit der Annexion der Krim und der Politik gegenüber der Ukraine zeigte. Im Jahr darauf eskalierte nach dem Kollaps der Ordnung im Nahen Osten und infolge des Bürgerkriegs in Syrien die sogenannte Flüchtlingskrise, bevor sich am Ende ihrer Amtszeit 2020/21 die Corona-Pandemie weltweit ausbreitete, deren Ausmaße sich nur in historischen Dimensionen bemessen lassen. Merkel reagierte auf diese Krisen mit pragmatischem, situationsbezogenen Management, um den Zusammenbruch der jeweiligen Ordnung zu verhindern. Paradigmatisch dafür war ihre Devise in der Euro-Schuldenkrise: „scheitert der Euro, dann scheitert Europa“.42 Mit unprätentiöser Souveränität verkörperte sie das Gegenbild zur Attitüde des „starken Mannes“, mit der Gerhard Schröder, Silvio Berlusconi, Nicolas Sarkozy, Wladimir Putin oder Donald Trump auftraten. Stattdessen wurde sie mit ihrem unaufgeregten Krisenmanagement international als „leader of the free world“ apostrophiert und 2015 vom Time-Magazin zur „Person of the Year“ gekürt.43 Innenpolitisch nahm Merkel unter dem Schock des Wahlergebnisses von 2005 Abschied von eindeutigen programmatischen Festlegungen, zumal eine Große Koalition einen stärker moderierenden Regierungsstil erforderte. Mit der schrittweisen Heraufsetzung des regulären Renteneintrittsalters auf 67 Jahre brachte die erste Regierung Merkel die Reformpolitik Schröders zu einem Abschluss. Darüber hinaus setzte sie auf eine haushaltspolitische Konsolidierung, die sie nicht zuletzt durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent sowie später dank der Niedrigzinspolitik der EZB realisieren konnte. Ansonsten stellte die Abkehr von einer wirtschaftsliberalen Reformagenda zur Senkung der Staatsquote den zentralen „Prioritätenwandel“ an der Spitze nicht nur der Regierung, sondern auch der Partei dar.44 Ein neues Grundsatzprogramm, das dritte in ihrer Geschichte, das die CDU 2007 in Hannover unter dem Titel „Freiheit und Sicherheit“ verabschiedete, berief sich auf traditionelle Parteiwerte wie Europa, Soziale Marktwirtschaft und soziale Sicherheit und blieb alles in allem eher unbestimmt. „Die Regierungspolitik der Großen Koalition“, so urteilten Udo Zolleis und Julia Bartz, „sollte durch ein klares Parteiprofil nicht gestört werden.“45 Das Gravitationszentrum der CDU verschob sich mit der Regierungsübernahme wieder ins Kanzleramt, hin zur Exekutive und auf den Koalitionsausschuss, während Partei 42 Angela Merkel: Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag, 19. 5.2010, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestags, Stenografische Berichte. 17.Wahlperiode, 42.Sitzung, S. 4126. 43 Vgl. Sunny Hundal: Angela Merkel is now the leader of the free world, not Donald Trump, in: Independent, 1.2.2017; Time, 21.12.2015. 44 Udo Zolleis/Julia Bartz: Die CDU in der Großen Koalition – Unbestimmt erfolgreich, in: Christoph Egle/Reimut Zohlnhöfer (Hg.): Die zweite Große Koalition. Eine Bilanz der Regierung Merkel 2005– 2009. Wiesbaden 2010, S. 51 – 68, hier 57 f. 45 Ebd., S. 59.

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und Fraktion auf Geschlossenheit verpflichtet wurden. Selbstbestätigung durch die Erfolgsgeschichte der Regierungsverantwortung war stets ein Muster in der Geschichte der CDU und für ihr Selbstverständnis traditionell wichtiger als für andere Parteien, wichtiger auch als programmatische Grundsatzdiskussionen und Kohärenz. Dass die SPD sich Anfang der 1980er Jahre ebenso wie nach 2003 wegen inhaltlicher Differenzen mit der von ihr selbst getragenen Regierung heillos zerstritt oder dass der eigene Minister mit einem Farbbeutel beworfen worden wäre, wie es Joschka Fischer auf dem Grünen-Parteitag 1999 in Bielefeld widerfuhr, hätte Traditionen und Habitus der CDU widersprochen. Zugleich vermied es Merkel, der SPD Grund für solche Entfremdungen von der Regierung zu geben. Zumal als Kanzlerin dreier Großer Koalitionen regierte sie zunehmend über den Parteien und in Übereinstimmung mit einer allgemeinen Meinungsmehrheit. Merkels Regierungsstil der Moderation statt der Polarisierung und der systematischen Vermeidung von Konflikten mündete im Phänomen der „asymmetrische[n] Demobilisierung“46, mit der die Wähler des politischen Gegners vom Wahlgang abgebracht werden. Inhaltlich bedeutete dieses Konzept, sich an den Erwartungen einer demoskopisch erhobenen und massenmedial vermittelten „Mitte“ zu orientieren.47 Diese Ausrichtung machte Merkels Regierungspolitik und ihre Kanzlerschaft zunehmend auch für rot-grüne Wähler sowie für der CDU gegenüber traditionell kritisch eingestellte Medien wie die „Zeit“ oder die „Süddeutsche Zeitung“ zustimmungsfähig. Das Grundsatzprogramm von Hannover löste das Familienbild der Union von der klassischen Ehe und definierte es stattdessen über das Vorhandensein von Kindern. Mehr noch betrieb die Politik der Familienministerin Ursula von der Leyen durch die Einführung eines einjährigen Elterngeldes und den großflächigen Ausbau der außerfamiliären Betreuungsmöglichkeiten für unter dreijährige Kinder eine faktische und normative Verschiebung des Leitbildes hin zum Modell gleichgestellt erwerbstätiger Eltern und zielte damit auf junge urbane und insbesondere weibliche Mittelschichten. Energiepolitisch hatte die Regierung zwar noch im September 2010 eine Verlängerung der Restlaufzeiten der Kernkraftwerke gegenüber dem rot-grünen Atomausstiegsgesetz aus dem Jahr 2000/02 beschlossen. Nach dem Reaktorunglück im japanischen Fukushima im März 2011 hingegen schwenkte sie abrupt auf einen beschleunigten Ausstieg aus der Kernenergie und eine radikale energiepolitische Wende um. „Kontroverse Themen wurden neu justiert und damit de-thematisiert“48, resümiert Udo Zolleis dieses Basisphänomen der Kanzlerschaft Angela Merkels. 46 Matthias Jung/Yvonne Schroth/Andrea Wolf: Regierungswechsel ohne Wechselstimmung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B51/2009, S. 12 – 19, das Zitat 19; vgl. auch Forschungsgruppe Wahlen: Bundestagswahl 2009. Eine Analyse der Wahl vom 27. September 2009. Institut für Wahlanalysen und Gesellschaftsbeobachtung. Mannheim 2009. 47 Vgl. Hans Mathias Kepplinger: Die Mediatisierung der Migrationspolitik und Angela Merkels Entscheidungspraxis, in: Reimut Zohlnhöfer/Thomas Saalfeld (Hg.): Zwischen Stillstand, Politikwandel und Krisenmanagement. Eine Bilanz der Regierung Merkel 2013 – 2017. Wiesbaden 2018, S. 195 – 217, bes. 212 – 214; vgl. auch Manuela Glaab: Politische Führung und Koalitionsmanagement Angela Merkels – eine Zwischenbilanz zu den Regierungen Merkel I, II und III, in: Philipp Gassert/Hans Jörg Hennecke (Hg.): Koalitionen in der Bundesrepublik Deutschland. Bildung, Management und Krisen von Adenauer bis Merkel (Rhöndorfer Gespräche. Bd. 27). Paderborn 2017, S. 247 – 286, bes. 285 f. 48 Udo Zolleis: Auf die Kanzlerin kommt es an. Die CDU unter Angela Merkel, in: Reimut Zohlnhöfer/ Thomas Saalfeld (Hg.): Politik im Schatten der Krise. Eine Bilanz der Regierung Merkel 2009 – 2013. Wiesbaden 2015, S. 73 – 91, hier 74.

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Mit einem Politikmix aus Modernisierungs- bzw. Anpassungsprozessen und klassischen sozioökonomischen Sicherheitsthemen49 war Merkel spätestens seit 2009 an der Spitze von Partei und Regierung unangefochten, zumal alte Rivalen wie Roland Koch oder Friedrich Merz die bundespolitische Bühne verließen und sie neue nicht aufkommen ließ. Hinzu kam eine persönliche Glaubwürdigkeit, die im Bundestagswahlkampf 2013 in Merkels Satz „Sie kennen mich“50 gipfelte und der Union mit 41,5 Prozent der Zweitstimmen das beste Wahlergebnis seit 1990 bescherte. Willensbildungsprozesse wurden darüber, nicht zuletzt aufgrund einer Reihe verlorener Landtagswahlen bzw. Landesregierungen, zunehmend zentralisiert sowie durch externe Schocks bzw. kurzfristige Entscheidungen vollzogen.51 Das galt nicht nur für die Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht, die „Energiewende“ oder die Euro-Rettungspolitik, sondern insbesondere für die Flüchtlingspolitik 2015/16, als die Bundesregierung eine monatelange Masseneinreise zuließ, die sich der Kontrolle der staatlichen Behörden weithin entzog. Während sie dafür Unterstützung bei den Kirchen, den Grünen und durch einen großen Teil der Medien erfuhr 52, stieß sie auf hasserfüllte Ablehnung von Seiten einer durch die Krise massiv erstarkenden außerparlamentarischen Opposition von rechts. Fundamentale Kritik erfuhr Merkel aber auch in weiten Teilen der eigenen Partei,53 ohne dass sich dort indessen eine Gegenbewegung formierte, die ihre Position gefährdet hätte. Zugleich vergrößerte sich die immer schon bestehende Diskrepanz zwischen öffentlicher Meinung, Wählerschaft und Mitgliederschaft der Partei.54 Sie eröffnete eine „Repräsentationslücke“55 auf Seiten liberal und national-konservativer Christdemokraten, die sich 2009 in Teilen der FDP zu- und in die Nichtwählerschaft abwandten. Ab 2013 stieß in diese Lücke die „Alternative für Deutschland“ (AfD), die sich zunächst als eurokritische Bewegung formierte und in den folgenden Jahren nationalistisch radikalisierte. Im Umgang mit der AfD wurden eminente Parallelen und zugleich Unterschiede zu den „Republikanern“ ein Vierteljahrhundert vorher sichtbar. Beide hatten nach Anfangserfolgen rasch wieder an Wählerzustimmung verloren, bevor ihnen das Thema Asylmigration neuen Auftrieb gab. Während die Änderung des Asylrechts 1992/93 die „Republikaner“ jedoch dauerhaft marginalisierte, konnte sich die AfD im Gefolge der Flüchtlingskrise

49 Ebd., S. 87, 90. 50 „TV-Duell“ Merkel–Steinbrück, 2. September 2013, https://www.youtube.com/watch?v=FYXxBS6lOVc, min. 1.31,37 (Abruf: 1.5.2020). 51 Zolleis: Auf die Kanzlerin kommt es an, S. 76 f. 52 Vgl. dazu Michael Haller: Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien. Tagesaktueller Journalismus zwischen Meinung und Information. Eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung. Frankfurt a. M. 2017. 53 Vgl. dazu Robin Alexander: Die Getriebenen. Merkel und die Flüchtlingspolitik: Report aus dem Innern der Macht. München 2017; Hans-Peter Schwarz: Die neue Völkerwanderung nach Europa. Über den Verlust politischer Kontrolle und moralischer Gewissheiten. München 2017. 54 Vgl. Franz Walter/Christian Werwath/Oliver D’Antonio: Die CDU. Entstehung und Verfall christdemokratischer Geschlossenheit. Baden-Baden 2011, S. 208 – 217; Viola Neu: „Ich wollte etwas bewegen.“ Die Mitglieder der CDU. Eine empirische Analyse von Mitgliedern, Wählern und der Bevölkerung. Sankt Augustin u. a. 2017. 55 Werner J. Patzelt: „Repräsentationslücken“ im politischen System Deutschlands? Der Fall PEGIDA, in: Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften 13 (2015), S. 99 – 126, hier 117 ff.; Torsten Oppelland: Profilierungsdilemma einer Regierungspartei in einem fragmentierten Parteiensystem. Die CDU in der Regierung Merkel III, in: Zohlnhöfer/Saalfeld (Hg.): Zwischen Stillstand, Politikwandel und Krisenmanagement, S. 63 – 83.

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von 2015 als politische Kraft rechts der Union etablieren. Dass die CDU unter Merkels Führung das Mantra von Franz Josef Strauß relativierte, dort dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben,56 veränderte die Parteienlandschaft in ein „regional sehr stark ausdifferenziertes Sechsparteiensystem […], in dem die Union allerdings eine strategisch zentrale Rolle spielte“.57 Am Ende der 2010er Jahre war eine zunehmende Polarisierung dieses Parteiensystems und der politischen Öffentlichkeit zu beobachten. Auch wenn Thüringen ein Sonderfall sein mochte: Erstmals gewannen AfD und Linke in den Landtagswahlen vom 27. Oktober 2019 dort mehr als die Hälfte der Stimmen, so dass Union, FDP, SPD und Grüne über keine gemeinsame Mehrheit verfügten. Ein abermals historisch zweitschlechtestes Ergebnis von 32,9 Prozent der Zweitstimmen bei den Bundestagswahlen im Herbst 2017 reichte aufgrund der relativen Schwäche der anderen Parteien gleichwohl zur Bildung einer neuerlichen Regierung. Dass die Bemühungen um ein Bündnis mit Grünen und FDP scheiterten, führte zu einer weiteren Großen Koalition unter Führung Merkels, die damit zum Kennzeichen ihrer Kanzlerschaft wurde. Angesichts zunehmender innerparteilicher Widerstände und nach schweren Verlusten der Union bei den Landtagswahlen im Herbst 2018 entschied sich Merkel kurzfristig, nicht wieder für den Parteivorsitz zu kandidieren. In der ersten Kampfkandidatur seit 1971 setzte sich auf dem Hamburger Parteitag am 7. Dezember 2018 ihre vermeintliche Favoritin Annegret Kramp-Karrenbauer knapp gegen ihren langjährigen Rivalen Friedrich Merz durch, der den Gegenentwurf strategischer Profilierung zu Merkels vermittelnder Anpassung verkörperte. Allerdings gelang es Kramp-Karrenbauer nicht, die in sich gespaltene Partei dauerhaft wieder zu integrieren, so dass sie im Februar 2020 den Rückzug vom Parteivorsitz bekanntgab.58 Mit der Führungsfrage standen nicht nur Stil-, sondern auch Orientierungsfragen der CDU zur Debatte, ehe mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie im März 2020 ein neuerlicher externer Schock hereinbrach. Bilanzierte die Union 2020 die ersten beiden Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts, so schaute sie auf eine Linie kontinuierlich abnehmender Wahlergebnisse auf Bundesebene zurück, in der das Ergebnis von 2013 eine Ausnahme darstellte.59 Auch die Zahl ihrer Mitglieder ging kontinuierlich zurück und sorgte für eine abnehmende Verwurzelung der Parteien in der Bevölkerung. Diese Erosionstendenzen waren freilich keine Besonderheit der CDU, sondern ein europaweiter Trend der klassischen Großparteien – und nahmen sich im internationalen Vergleich nicht übermäßig dramatisch aus. Entgegen allen Vorhersagen des Niedergangs seit den 1960er Jahren 60 erwies sich die Union auch im 21. Jahrhundert als die erfolgreichste Regierungspartei in der Geschichte der Bundesrepublik. Merkels Politik der anpassungsbereiten Moderation und des situationsbezogenen Krisenmanagements ermöglichte ihr die ununterbrochene Führung von vier Bundesregierungen ab 2005, freilich um den Preis der Schwächung des programmatischen Markenkerns der Union, vor der Scholz & Friends 1998 als „hochgefährlich“ gewarnt hatte. Aber wie

56 Vgl. Alexander: Die Getriebenen, S. 44. 57 Oppelland: Profilierungsdilemma einer Regierungspartei, S. 69. 58 Vgl. dazu Robin Alexander: Machtverfall. Merkels Ende und das Drama der deutschen Politik. Ein Report. München 2021. 59 Ebd. 60 Vgl. Walter/Werwath/D’Antonio: Die CDU, S. 11.

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hatte Merkel schon im Oktober 2000 gesagt: „Gewonnene Wahlen wiegen mindestens so klar wie inhaltliche Diskussionen.“61 In eben diesem Spannungsfeld stand die Union am Ende der Ära Merkel. Einerseits hatte sie einen Niedergang wie viele andere Großparteien vermieden und trotz eigener Erosionstendenzen ihre zentrale Rolle im politischen System einstweilen gewahrt. Der Anstieg der Umfragewerte im Zuge der Corona-Krise, die sich an die 40 Prozent heran bewegten, zeigte einerseits, dass die Union auch zu Beginn der 2020er Jahre über die Potentiale der klassischen Volkspartei verfügte. Andererseits offenbarten die Bundestagswahlen vom 26. September 2021 die Abgründe, die sich vor der inhaltlich entleerten Regierungspartei auftaten: 24,1 Prozent waren das mit Abstand schlechteste Ergebnis der Union aller Zeiten – ein Erdrutsch nach 16 Jahren Regierungsverantwortung. Nicht zum ersten Mal stand die Union vor existenziellen Herausforderungen.

61 Fraktionssitzung vom 24.Oktober 2000, in: ACDP 08-014-051/6, die folgenden Zitate S. 19.

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Die CDU der SBZ/DDR Oliver Salten Am 10. Juni 1945 gab die SMAD die Erlaubnis zur Gründung „antifaschistischer“ Parteien. Die Kommunisten um Walter Ulbricht, die jetzt und später immer eng mit den sowjetischen Stellen in Kontakt standen, erhielten einen Startvorteil und traten bereits am 11. Juni mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit. Ihnen folgte wenige Tage später die SPD. Am 26. Juni veröffentlichte die „Christlich-Demokratische Union“ als dritte Partei ihren Gründungsaufruf. Bereits im Mai hatten sich ehemalige christliche Gewerkschafter, Konservative und Liberale, Katholiken wie Protestanten, getroffen und zu einem Gründerkreis für eine neue Sammlungspartei formiert, die die alten konfessionellen Abgrenzungen, die für die Parteienlandschaft der Weimarer Republik charakteristisch waren, überwinden sollte.1 Im Aufruf bekannte man sich zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Freiheit des Gewissens und des religiösen Bekenntnisses, dem Recht der Eltern auf die Kindererziehung bei Notwendigkeit eines kirchlich geleiteten Religionsunterrichts, freien Gewerkschaften und der Verantwortung für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Relativ offen blieb man im Bereich Wirtschaftsverfassung. Zwar wurde das Privateigentum bejaht, aber gleichzeitig auch ein Wirtschaftsleben „in straffer Planung“ sowie die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien gefordert.2 Erster Vorsitzender der Partei wurde der frühere Reichsminister Andreas Hermes, den Posten des zweiten Vorsitzenden übernahm der ehemalige preußische Handelsminister Walther Schreiber. Eine zentrale Voraussetzung für die Registrierung der CDU durch die Besatzungsmacht war der Eintritt der Partei in die „Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien“, oft einfach nur als „Block“ bezeichnet. In diesem auf allen Ebenen von der Gemeinde bis zur Besatzungszone bestehenden Gremium berieten Vertreter von KPD, SPD, CDU und LDP über wichtige politische Vorhaben und Probleme. Kernelement war das Prinzip der Einstimmigkeit. Auf diese Weise stellten die Sowjets sicher, dass keine Entscheidung gegen die Interessen der KPD bzw. der SED, die 1946 durch die Zwangsvereinigung mit der SPD entstand, getroffen werden konnte. Die CDU sah im „Block“ hingegen die Möglichkeit, das gemeinsame Interesse der Parteien am Wiederaufbau zu fördern und eine zersplitterte Parteienlandschaft wie in der Weimarer Republik zu verhindern.3 Allerdings zeigte sich bald, dass diese Vorstellungen illusorisch waren. 1 Ralf Thomas Baus: Die Christlich-Demokratische Union in der sowjetisch besetzten Zone 1945 bis 1948. Gründung – Programm – Politik (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 36). Düsseldorf 2001, S. 72 – 86. 2 Berliner Gründungsaufruf der CDU, in: http://www.kas.de/upload/ACDP/CDU/Programme_Beschluesse/1945_Gruendungsaufruf-Berlin.pdf (Abruf: 25.5.2021). 3 Hermann Wentker: Die Anfänge der bürgerlichen Parteien unter den Bedingungen der sowjetischen Besatzung (1945/46), in: Hartmut Mehringer/Michael Schwartz/Hermann Wentker (Hg.): Erobert oder befreit? Deutschland im internationalen Kräftefeld und die Sowjetische Besatzungszone (1945/46) (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Sondernummer). München 1999, S. 189 – 214, hier 196 f.

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Ende August und Anfang September 1945 forcierten SMAD und KPD die Durchführung einer Bodenreform, bei der sämtlicher Grundbesitz über 100 Hektar entschädigungslos enteignet werden sollte. Die CDU verschloss sich nicht grundsätzlich der Notwendigkeit einer solchen Reform, bemängelt wurde jedoch das Prinzip der Entschädigungslosigkeit sowie die Unmöglichkeit, rechtlich gegen die Enteignung vorzugehen. Da es nicht gelang, eine Übereinkunft zu erzielen, wandte sich die SMAD offen gegen Hermes und Schreiber. Mittels massiven Drucks durch die Sowjets wurden CDU-Verbände auf unteren Ebenen dazu genötigt, im jeweiligen „Block“ ihre Zustimmung zu den vorgelegten Bestimmungen zu erklären und sich von Hermes zu distanzieren. Dessen Teilnahme am „Reichstreffen“ der verschiedenen christlich-demokratischen Gruppierungen in Bad Godesberg im Dezember 1945 wurde zudem untersagt. Da sie jedoch weiterhin die Bodenreform ablehnten, wurden Hermes und Schreiber am 19. Dezember 1945 durch die Besatzungsmacht als Vorsitzende abgesetzt.4 Ihre Nachfolger wurden die aus der Gewerkschaftsbewegung stammenden Jakob Kaiser und Ernst Lemmer. Kaiser stand für einen „christlichen Sozialismus“. Er forderte ein Wirtschaftssystem, das die Elemente Planung und Lenkung beinhaltete. Gleichzeitig bekannte er sich jedoch zum Privateigentum und zu einer Verbindung von Sozialismus und Demokratie. In engem Zusammenhang damit stand sein „Brückenkonzept“. Demnach sollte Deutschland eine Brücke zwischen Ost und West bilden und zwischen den unterschiedlichen Gesellschaftskonzepten eine vermittelnde Stellung einnehmen. Auf dem vom 15. bis 17. Juni 1946 in Berlin stattfindenden 1.Parteitag der CDU wurden zum einen bei der Wahl des Zonenvorstands Kaiser und Lemmer in ihren Ämtern bestätigt, und zum anderen die Konzeption des „christlichen Sozialismus“ als programmatische Grundlage beschlossen. Im selben Monat fand in Sachsen ein von der SMAD im engen Zusammenwirken mit der SED angeordneter Volksentscheid statt, der eine großangelegte Enteignung von „Kriegs- und Naziverbrechern“ einleiten sollte, was aber faktisch nur den Auftakt zu einer Welle der Verstaatlichung privater Betriebe in der gesamten SBZ darstellte. Ähnlich wie bei der Bodenreform wurde auch hier seitens der CDU-Führung die Forderung nach rechtsstaatlichen Prinzipien und Beschränkung auf die wirklich Schuldigen laut. Auch diese Wünsche verhallten ungehört. Da aber die sächsische CDU ihre Zustimmung zum Volksentscheid bereits erteilt hatte, blieb der Zonenführung nichts anderes übrig, als das Ergebnis anzuerkennen.5 Problematisch verliefen auch die Gemeindewahlen im September sowie die Kreisund Landtagswahlen in der SBZ im Oktober 1946.6 Im Vorfeld der Wahl hatten die bürgerlichen Parteien unter massiven Benachteiligungen gegenüber der SED zu leiden. Dies betraf etwa die Registrierung der Ortsgruppen durch die jeweilige Besatzungsverwaltung, die notwendig war, um vor Ort Kandidaten aufzustellen. Sie wurde häufig verweigert oder verschleppt. Auch bei der Papierzuteilung für Zeitungen und Flugblätter sowie durch eine strenge Zensur der herausgegebenen Schriften waren CDU und LDP im Nachteil. Die SED profitierte von diesen Behinderungen sehr deutlich. Bei den Gemein4 Manfred Wilde: Die SBZ-CDU 1945 – 1947. Zwischen Kriegsende und Kaltem Krieg. München 1998, S. 199 – 257. 5 Baus: Union, S. 284 – 291. 6 Ebd., S. 303 – 339.

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de- und Kreistagswahlen erlangte sie jeweils eine absolute Mehrheit, während die CDU sich mit Platz drei bzw. zwei begnügen musste. Auch bei den Landtagswahlen landete die CDU knapp hinter der LDP. Immerhin gelang es, die SED unter 50 Prozent zu halten. Obwohl in den Ländern Allparteienregierungen gebildet wurden, konnte die SED die ebenfalls angetretene Massenorganisation „Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe“ (VdgB), deren Abgeordnete fast alle SED-Mitglieder waren, im Konfliktfall als Mehrheitsbeschafferin nutzen. 1947 geriet die CDU immer mehr unter Druck. Hintergrund waren die deutschlandpolitischen Diskussionen auf nationaler und internationaler Ebene. Während Kaiser mit einer Initiative zur Bildung einer „nationalen Repräsentation“ scheiterte, sah die SED die Gelegenheit gekommen, mittels einer verschärften Blockpolitik und Unterstützung der von ihr dominierten Massenorganisationen ihre Dominanz in der SBZ auszubauen. Kaiser reagierte deutlich auf diese Maßnahmen. Auf dem 2.Parteitag im September in Berlin, auf dem er mit überwältigender Mehrheit als Vorsitzender wiedergewählt wurde, bezeichnete er die CDU als „Wellenbrecher des dogmatischen Marxismus“.7 Als die SED im November zu einem „Deutschen Volkskongress für Einheit und gerechten Frieden“ aufrief, der vordergründig über die Wiedervereinigung der vier Besatzungszonen beraten sollte, aber in Wirklichkeit ein weiterer Baustein der SED war, die volle Kontrolle über das politische Leben in der SBZ zu erlangen, verweigerte Kaiser die Mitwirkung der CDU. Dies sahen aber nicht alle Führungspersönlichkeiten so, insbesondere in den Landesverbänden, die sich um den Fortbestand der CDU in der SBZ bei einer Verweigerung sorgten. Man einigte sich schließlich auf den Kompromiss, dass CDU-Mitglieder nicht als Abgesandte der Partei, sondern als Privatpersonen am Volkskongress teilnehmen dürften. Der zunehmende Druck seitens der SMAD zeigte schließlich Wirkung. Am 19. Dezember beschlossen die Landesvorsitzenden, dass sie sich trotz des Vertrauens zu Kaiser von der Zonenleitung trennen wollten, bis das Verhältnis zu den Sowjets wieder normalisiert sei. Am folgenden Tag erklärte die SMAD, dass sie die sechs Landesvorsitzenden unter der Leitung von Hugo Hickmann aus Sachsen und Reinhold Lobedanz aus Mecklenburg als oberste Vertretung der CDU betrachte. Sie setzten einen geschäftsführenden Ausschuss ein, bald als Koordinierungsausschuss bezeichnet, der aus Generalsekretär Georg Dertinger, dem Verlagsleiter der CDU-Pressebetriebe, Otto Nuschke, und dem brandenburgischen Landesvorsitzenden Wilhelm Wolf bestand.8 Kaiser agierte von da an von den Westsektoren Berlins aus. Die veränderten Rahmenbedingungen für die CDU zeigten sich auch an anderen Stellen. Mit zwei neuen Parteien, der DBD und der NDPD, die in Wirklichkeit von SED und SMAD gesteuert wurden, sollten den bürgerlichen Parteien Anhänger streitig gemacht und die Machtbasis der SED vergrößert werden. Dazu diente neben der Aufnahme der neuen Parteien auch die Einbeziehung der von der SED dominierten Massenorganisationen in den Block. Auf dem Parteitag der CDU der SBZ im September 1948 in Erfurt, der unter deutlich sichtbarer Beobachtung der SMAD stand, wurde Otto Nusch7 Rede von Jakob Kaiser vor der Jahrestagung der CDU in Berlin am 6. September 1947, in: Ders.: Wir haben Brücke zu sein. Reden, Äußerungen und Aufsätze zur Deutschlandpolitik. Hg. von Christian Hacke. Köln 1988, S. 267. 8 Oliver Salten: Hugo Hickmann – ein Riese unter den Zwergen? Der CDU-Landesverband Sachsen und sein Vorsitzender 1945 – 1950, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 92 (2021), S. 163 – 212, hier 187 f.

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ke zum neuen Vorsitzenden gewählt.9 Mit Nuschke war ein Mann an die Spitze der Partei getreten, der bereit war, den Sowjets weit entgegenzukommen, um so das Weiterbestehen der CDU in der SBZ zu sichern und die Aussicht aufrechtzuerhalten, bei freien Wahlen eine Mehrheit zu erlangen, um zusammen mit den westdeutschen Parteifreunden ein einheitliches Deutschland verwirklichen zu können. Wenige Tage nach dem Parteitag beendete die Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU jedoch die Zusammenarbeit mit dem SBZ-Vorstand und erkannte weiterhin Kaiser und Lemmer als legitime Vorsitzende an. Nuschke ließ sich jedoch weder davon noch von den 1949 immer aggressiver werdenden Maßnahmen von SMAD und SED gegenüber kritischen Stimmen in der CDU von seinem Kurs abbringen. So stimmte er trotz zum Teil heftigem Widerstand aus der Partei der Staatsgründung der DDR am 7. Oktober 1949 und der Verschiebung der Wahlen zur Volkskammer um ein Jahr auf den Oktober 1950 zu. Die CDU stellte mit Nuschke den stellvertretenden Ministerpräsidenten und drei Minister, darunter Georg Dertinger als Außenminister. Neuer CDU-Generalsekretär wurde der erst 26 jährige Gerald Götting, der als treuer Gefolgsmann der SED fungierte und ihre Interessen rücksichtslos in der Partei durchsetzte. Er war maßgeblich dafür verantwortlich, dass das aus kommunistischen Parteien bekannte System des „demokratischen Zentralismus“, das eine strikte Unterordnung aller Parteigliederungen unter die jeweils höhere Ebene regelte, nun auch innerhalb der CDU Einzug hielt. Anfang 1951 wurde schließlich beschlossen, dass die Partei zukünftig auf der Grundlage von ernannten Sekretären organisiert sein sollte, die in ihrem jeweiligen Wirkungsbereich die eigentliche Macht innehatten.10 Bereits im Mai 1950 hatte Nuschke seinen anfänglichen Widerstand gegen die von der SED geforderte Einheitslistenwahl zur Volkskammer aufgegeben. Damit gab er das Grundprinzip der Forderung nach freien Wahlen auf. Während nach und nach „fortschrittliche“ Mitglieder das Ruder in den Landes- und Kreisverbänden übernahmen und kritische Stimmen in die Bundesrepublik flohen oder mittels Parteiausschlüssen, Verhaftungen und Schauprozessen zum Schweigen gebracht wurden, wurde der faktisch bald entmachtete Nuschke zu einer reinen Symbolfigur, während die reale Macht bei den prokommunistischen Funktionären um Götting lag. Auch der Versuch der CDU, sich mittels des sogenannten Christlichen Realismus eine Art eigenständige Begründung zur Unterstützung des Sozialismus nach marxistisch-leninistischer Lesart zu schaffen, wurde schließlich von der SED unterbunden.11 1952 wurden auch die Landesverbände der CDU im Rahmen der Verwaltungsreform in der DDR aufgelöst und insgesamt 16 Bezirksverbände gebildet. Im selben Jahr fand in Berlin der 6.Parteitag statt, auf dem der Führungsanspruch der SED auch offiziell anerkannt wurde. Damit war der Prozess der Eingliederung der CDU in das System der SED-Diktatur abgeschlossen. Dennoch blieb der Druck von außen wie von innen hoch, um Mitglieder und Funktionäre dazu zu bringen, die erfolgte Transformation anzuerkennen und weiterhin zu unterstützen. In diesen Zusammenhang fiel auch die Verhaftung von Außenminister Dertinger im Januar 1953, die ein klares Signal an alle CDU-Funk9 Michael Richter: Die Ost-CDU 1948 – 1952. Zwischen Widerstand und Gleichschaltung (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 19). 2. Aufl. Düsseldorf 1991, S. 119 – 126. 10 Richter: Ost-CDU, S. 311 – 318. 11 Oliver Salten: Der Arbeitskreis „Sozialismus aus christlicher Verantwortung“ und der Wissenschaftliche Arbeitskreis der CDU in der DDR (1948 – 1954), in: HPM 23 (2016), S. 77 – 114, hier 92 – 113.

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tionäre aussenden sollte, dass niemand sicher sei.12 Dennoch nahmen am Volksaufstand des 17. Juni 1953 auch CDU-Mitglieder teil. Die dadurch ausgelöste Schwächephase der SED nutzte die CDU-Führung, um eine etwas eigenständigere Politik zu betreiben. Die erneute Festigung der SED-Herrschaft im Laufe der zweiten Jahreshälfte sorgte jedoch dafür, dass dies nur eine Episode blieb. Die Aufgabe der CDU im politischen System der DDR unterschied sich zunächst nicht wesentlich von der der übrigen Blockparteien. Ihre zentrale Aufgabe war die eines „Transmissionsriemens“. Zum einen sollte sie die sozialistische Ideologie und Politik der SED unter ihren Mitgliedern und deren weiterem Umfeld bewerben und vermitteln, zum anderen wurde ihr aufgegeben, ihre Mitglieder zu integrieren und ihre spezifischen Probleme an die zuständigen Stellen von Staat und SED weiterzuleiten.13 In einer Hinsicht unterschied sich die CDU jedoch fundamental von den übrigen Parteien und Massenorganisationen. Ihre christliche Prägung hatte ihre Grundlage in einer Weltanschauung, die dem atheistischen Marxismus-Leninismus der SED diametral entgegenstand. Daher wurden christliche Grundsätze soweit angepasst, dass sie den CDU-Mitgliedern problemlos eine Mitarbeit beim „Aufbau des Sozialismus“ ermöglichen sollten. Zumindest trug die CDU dazu bei, dass mittels Kirchenkonzerten, Weihnachtsfeiern und der beim hauseigenen Union-Verlag herausgegebenen Literatur christliche Elemente in das kulturelle Leben der DDR Einzug fanden. Ein zentrales Aufgabenfeld, das der CDU zugewiesen worden war, beinhaltete die Herstellung und Gestaltung von Kontakten zu den christlichen Kirchen im Sinne der SED. Die totale Unterordnung der CDU auch in diesem Punkt zeigte sich schon zu Beginn der 1950er Jahre, als sie sich in den Konflikten um die Verfolgung der „Jungen Gemeinden“ durch die Staatsmacht und die Einführung der Jugendweihe klar auf Seiten der SED positionierte. Als einzige christlich orientierte Partei übernahm sie eine Art Mittlerstellung zwischen Staat und Kirchen und sollte parteilose Christen und kirchliche Amtsträger im Sinne der SED mobilisieren.14 Dafür stellte die CDU den Stellvertreter des Staatssekretärs für Kirchenfragen und arbeitete aktiv in der Arbeitsgruppe „Christliche Kreise“ der Nationalen Front der DDR mit. Zunehmend entspannten sich jedoch die Beziehungen zwischen der SED und den in der DDR überwiegenden evangelischen Kirchen. Seit der Abspaltung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) von den evangelischen Kirchen in der Bundesrepublik und seiner Anerkennung 1971 durch die SED wurde die Mittlerfunktion der CDU zunehmend überflüssig. Seitdem bemühte sich die Partei darum, ihren Einfluss an der kirchlichen Basis auszubauen und insbesondere in den 1980er Jahren Einfluss auf Oppositionsgruppen zu nehmen, die unter dem Dach der Kirchen agierten. Der Einfluss der CDU auf die katholische Kirche in der DDR blieb re-

12 Jochen Franke: Der Fall Dertinger und seine parteiinternen Auswirkungen. Eine Dokumentation, in: Deutschland-Archiv 25 (1992), S. 286 – 298. 13 Michael Richter: Rolle, Bedeutung und Wirkungsmöglichkeiten der Blockparteien – die CDU, in: Deutscher Bundestag (Hg.): Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ (12.Wahlperiode des Deutschen Bundestages. Bd. II/4). Baden-Baden 1995, S. 2587 – 2638, hier 2610 – 2620. 14 Robert F. Goeckel: Die Rolle der CDU in der Kirchenpolitik der DDR, in: Horst Dähn (Hg.): Die Rolle der Kirchen in der DDR. Eine erste Bilanz (Geschichte und Staat. Bd. 291). München 1993, S. 92 – 103.

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lativ gering.15 Auch die Gründung der „Berliner Konferenz“ 1964, die Katholiken stärker an den SED-Staat heranführen sollte, hatte kaum Auswirkungen auf die insgesamt distanzierte Haltung der Katholiken in Bezug auf die DDR. Die von der SED akzeptierten 14 Gegenstimmen von katholischen Volkskammerabgeordneten gegen das Gesetz zur Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs 1972 – das einzige Mal, dass es eine größere Anzahl an Gegenstimmen in der Volkskammer vor 1989/90 gab – änderten nichts daran. Die CDU hatte auch einen Anteil von Mitgliedern aus dem gewerblichen Mittelstand und einen gewissen Einfluss auf christlich orientierte private Einzelhändler und Handwerker. Sie unterstützte seit Mitte der 1950er Jahre das Bemühen der SED, diese mittels staatlicher Kapitalbeteiligungen an ihren Geschäften und Betrieben in die Handelsorganisation bzw. Produktionsgenossenschaften einzugliedern.16 Als 1972 die endgültige Verstaatlichung dieser Unternehmen beschlossen wurde, war die CDU ebenfalls ein willfähriger Helfer bei der Durchsetzung dieser Maßnahme. Auch die Versuche der SED, in der Bundesrepublik Einfluss zu gewinnen, wurden durch die ostdeutsche CDU unterstützt, blieben jedoch ohne echten Erfolg, da die westdeutsche CDU und die CSU jede Kontaktaufnahme zumindest auf der offiziellen Ebene abblockten. Mit der Neuorientierung der innerdeutschen Beziehungen Anfang der 1970er Jahre wurde die Westarbeit der CDU endgültig aufgegeben. Die Transformation der CDU zu einer von der SED abhängigen Blockpartei veränderte auch das Parteileben selbst massiv. Die Parteitage, die ab 1960 alle vier, später sogar nur alle fünf Jahre stattfanden, dienten vor allem dazu, die Geschlossenheit der Partei in ihrer Zustimmung zum Sozialismus und zur Führungsrolle der SED öffentlich zu dokumentieren. Da Berlin als Hauptstadt für die Austragung der SED-Parteitage reserviert war, wurden die übrigen Blockparteien in andere Städte der DDR verwiesen. Die CDU hielt etwa ihre letzten drei regulären Parteitage 1977 bis 1987 in Dresden ab. Die Leitung der Partei hatte formell der Hauptvorstand unter dem Parteivorsitzenden inne. Nach dem Tod Nuschkes 1957 wurde der Präsident der Länderkammer der DDR, August Bach aus Weimar, zum Vorsitzenden gewählt, selbstverständlich gemäß dem Wunsch der SED. Als Bach 1966 starb, übernahm Gerald Götting den Vorsitz. Der Hauptvorstand hatte faktisch keine große Bedeutung. Auf den nur etwa alle drei Monate stattfindenden Sitzungen wurden zumeist Referate gehalten und vorgefertigte Diskussionsbeiträge vorgetragen. Zwischen den Tagungen des Hauptvorstandes war das Präsidium das wichtigste beschlussfassende Organ der Partei. Mit der Einführung der Sekretariatsstruktur war jedoch das aus hauptamtlichen Mitarbeitern bestehende Sekretariat der Parteileitung bzw. des Hauptvorstandes das eigentliche Machtzentrum in der CDU. Unter der Leitung Göttings, der nach seiner Wahl zum Vorsitzenden dieses Amt mit seinem bisherigen Posten als Generalsekretär vereinte, wurden vor allem die jeweils aktuelle politische Lage und innerparteiliche Fragen besprochen. Nach außen blieb das Sekretariat jedoch völlig machtlos, da alle wichtigen Entscheidungen in den Führungsgremien der SED getroffen wurden. 15 Bernd Schäfer: Die Kirchenpolitik der Ost-CDU und die katholische Kirche in der SBZ/DDR, in: HPM 5 (1998), S. 145 – 165. 16 Wolfgang Gudenschwager: Die Rolle der Ost-CDU bei der Gründung, Entwicklung und Liquidation der staatsbeteiligten Betriebe in der DDR 1956 – 1972, in: Michael Richter/Martin Rißmann (Hg.): Die Ost-CDU. Beiträge zu ihrer Entstehung und Entwicklung (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung. Bd. 2). Weimar u. a. 1995, S. 159 – 181.

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Die Bezirks- und Kreisverbände waren gemäß den Vorgaben der Ost-Berliner Zentrale klar nachgeordnet. Auf Kreisebene waren es die Kreissekretäre, die eine wichtige Stellung innehatten, da sie zwischen den Bezirksvorsitzenden, die als Vertreter der Parteileitung vor Ort fungierten, und der Basis standen und so die Transmission zwischen beiden Polen am Laufen hielten. Außerdem hatten sie die Aufgabe, geeignete Parteikader in ihrem jeweiligen Kreisverband auszuwählen und für die weitere Ausbildung an der Zentralen Schulungsstätte der CDU auf Schloss Burgscheidungen im Bezirk Halle zu melden. 1988 hatte die CDU in der DDR knapp 140.000 Mitglieder.17 Zwar lag sie damit weit hinter der SED, in der über 2 Millionen Menschen organisiert waren, war aber die größte der vier übrigen Blockparteien. Entsprechend ihrer Aufgabe, sich auf den sich zum Christentum bekennenden Bevölkerungsteil zu konzentrieren, hatte die CDU eine sozial recht breit gefächerte Basis, was sie von den anderen Parteien abhob. Ein Beitritt erfolgte häufig, um sich den Werbebemühungen der SED zu entziehen, oder aus dem Wunsch heraus, sich politisch zu engagieren, ohne das Parteibuch der SED beantragen zu müssen. Dabei kam es durchaus immer wieder zu Enttäuschungen über die nachgeordnete Stellung der CDU im System der SED-Diktatur. In ihren jeweiligen Ortsgruppen konnten die Mitglieder zumindest etwas offener Probleme ansprechen, solange es nicht die führende Rolle der SED oder die ideologischen Grundlagen der DDR betraf. In Form von Wettbewerben und Arbeitseinsätzen versuchte man, vor Ort Verbesserungen über infrastrukturelle Maßnahmen, wie etwa die Erneuerung von Straßen, zu erzielen. Die krisenhaften Veränderungen in der DDR seit Mitte der 1980er Jahre blieben nicht ohne Rückwirkungen auf die CDU. 1988 übersandten auf Initiative der Vorsitzenden Else Ackermann mehrere Mitglieder der Ortsgruppe Neuenhagen im Bezirk Frankfurt/Oder einen Brief an den Hauptvorstand, in dem demokratische Reformen nach dem Vorbild der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow eingefordert wurden. Der Brief wurde letztlich vernichtet und Ackermann geriet in das Visier des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS).18 Als 1989 die existentiellen Probleme der DDR in Folge der offensichtlichen Fälschung der Kommunalwahlen im Mai und der Massenflucht von DDR-Bürgern über Ungarn und die Tschechoslowakei immer offensichtlicher wurden, blieb die Parteiführung um Götting starr auf ihrer Linie einer bedingungslosen Unterstützung des Kurses der SED. Dies änderte sich rasch, als am 10. September 1989 vier CDU-Mitglieder unter der Federführung des Kirchenrats Gottfried Müller den sogenannten Brief aus Weimar an den Hauptvorstand sowie sämtliche Bezirks- und Kreisverbände der CDU verschickten und ihn zudem im Rahmen einer Kirchensynode auch der westlichen Presse bekannt machten.19 In dem Brief bekannten sich die Unterzeichner zwar grundsätzlich zum Sozialismus, forderten u. a. aber mehr innerparteiliche Demokratie, eine größere Eigenständigkeit und mehr Einfluss der CDU, Reisefreiheit, eine realistische Betrachtung der wirtschaftlichen Lage und freie Wahlen. Trotz dieser insgesamt zurückhaltenden Forderungen 17 Jahresdaten 1945 – 1989 vom 13. September 1990, in: ACDP Bestand CDU in der SBZ/DDR 07-0113857. 18 Manfred Agethen: Unruhepotentiale und Reformbestrebungen an der Basis der Ost-CDU im Vorfeld der Wende. Der „Brief aus Weimar“ und der „Brief aus Neuenhagen“, in: HPM 1 (1994), S. 89 – 114. 19 Ehrhart Neubert: Der Brief aus Weimar. Zur Selbstbefreiung der CDU im Herbst 1989. Sankt Augustin u. a. 2014.

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verbreitete sich der Brief innerhalb kürzester Zeit über die gesamte DDR und die Unterzeichner erhielten aus vielen Kreisverbänden und Ortsgruppen Unterstützung. Während Götting zunächst versuchte, das Problem auf altbewährte Weise mittels Ausschluss der Unterzeichner zu lösen, überrollte ihn die Entwicklung einfach, da ihm auch die Bezirksverbände die Gefolgschaft zunehmend verweigerten. Götting trat am 2. November 1989 von seinem Posten als Vorsitzender zurück. Sein Nachfolger wurde am 10. November der bis dahin kaum bekannte Berliner Rechtsanwalt Lothar de Maizière. De Maizière sprach sich programmatisch zunächst für einen „Sozialismus nach christlichem Verständnis“ aus. Allerdings war an der Basis die Entwicklung längst über dieses Stadium hinweggegangen. Es wurden immer mehr Stimmen laut, die eine Vereinigung mit der Bundesrepublik und die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft in der DDR forderten. Auf einem Sonderparteitag am 15./16. Dezember 1989 in Berlin setzten sich diese Forderungen unter Zustimmung de Maizières, der in seinem Amt bestätigt wurde, endgültig durch. Die CDU benannte ihre Mitschuld an den Verhältnissen in der DDR, sagte sich endgültig vom Sozialismus los und bekannte sich zur deutschen Einheit sowie zur parlamentarischen Demokratie und einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft. Neuer Generalsekretär der innerparteilich demokratisierten CDU wurde einer der Unterzeichner des „Briefes aus Weimar“, Martin Kirchner. Zudem legte der Parteitag die Grundlage für die Neugründung der 1952 aufgelösten Landesverbände, die zwischen Januar und März 1990 erfolgte. Dieser neue Kurs hatte seinen Hintergrund auch darin, dass Teile der CDU der Bundesrepublik und dabei insbesondere Bundeskanzler Helmut Kohl zunächst wenig Interesse daran zeigten, ein Bündnis mit einer früheren Blockpartei für die für 1990 geplanten freien Wahlen zur Volkskammer einzugehen. Der Favorit war hier zunächst die Partei „Demokratischer Aufbruch“ (DA).20 Der DA entstammte einer Bürgerbewegung, die im August 1989 u. a. von dem Rostocker Rechtsanwalt Wolfgang Schnur, dem Berliner Pfarrer Rainer Eppelmann und dem Prediger Friedrich Schorlemmer aus Wittenberg gegründet worden war. Ende Oktober fand in Berlin die formelle Gründungsversammlung statt, wo beschlossen wurde, den DA in naher Zukunft als Partei zu konstituieren. Schorlemmer trug diese Entscheidung nicht mit und trat aus. Schnur wurde zum Vorsitzenden gewählt. Am 16./17. Dezember 1989 fand in Leipzig der Gründungsparteitag statt. In einem Programm bekannte man sich u. a. zu einer Demokratisierung von Staat und Gesellschaft, zur Einführung einer sozialen Marktwirtschaft sowie zur deutschen Einheit. Ein Kernpunkt der Kritik der westdeutschen CDU war, dass die CDU der DDR weiterhin an der Regierung unter Hans Modrow (SED/PDS) beteiligt war. Erst mit dem Rückzug der CDU-Minister aus der Regierung am 25. Januar 1990 und der wenige Tage später erfolgten Vorverlegung der Volkskammerwahl vom Mai auf den 18. März kam es zur Bildung eines von Kohl favorisierten Wahlbündnisses zwischen der CDU der DDR und verschiedenen Oppositionsparteien. Am 5. Februar wurde die „Allianz für Deutschland“ aus CDU, DA und der von der CSU unterstützten Deutschen Sozialen Union (DSU) gegründet. Unmittelbar vor der Wahl wurde der DA von einer schweren Krise getroffen. Die bereits seit einiger Zeit bestehenden Hinweise auf eine Tätigkeit Wolfgang 20 Steffen Kammradt: Der Demokratische Aufbruch. Profil einer jungen Partei am Ende der DDR (Europäische Hochschulschriften, Reihe XXXI Politikwissenschaft. Bd. 333). Frankfurt a. M. u. a. 1997.

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Schnurs als „Inoffizieller Mitarbeiter“ (IM) des MfS bestätigten sich, so dass dieser am 14. März von seinem Amt als Parteivorsitzender zurücktrat. Sein Nachfolger wurde Rainer Eppelmann. Dennoch errang die „Allianz“ einen überragenden Sieg bei der Volkskammerwahl. 48 Prozent der Wähler entschieden sich für sie. Dabei schnitt die CDU mit 40,8 Prozent am besten ab. Die DSU erhielt 6,3 Prozent und der schwer angeschlagene DA nur 0,9 Prozent. Insgesamt errang das Bündnis 193 von 400 Mandaten. Eine gemeinsame Fraktion kam jedoch nur zwischen CDU und DA zustande. Lothar de Maizière wurde der erste und einzige frei gewählte Ministerpräsident der DDR. Je deutlicher sich in den folgenden Monaten der Weg zu einer raschen Realisierung der deutschen Einheit abzeichnete, umso stärker stellte sich auch die Frage nach einer Vereinigung der westdeutschen mit der ostdeutschen CDU. 21 Bis Ende Mai 1990 stand der grundlegende Modus fest. Die Fusion sollte auf einem Parteitag erfolgen. Die entsprechenden Beschlüsse dazu sollten die ostdeutschen Landesverbände fassen. Wichtig war, dass man den Eindruck eines „Anschlusses“ vermeiden wollte. Im Juni stimmte die DBD einer Fusion mit der CDU zu, da sie für sich selbst keine Perspektive in der gesamtdeutschen Parteienlandschaft sah. Anfang August entschloss sich auch der DA nach harter Diskussion für ein Zusammengehen mit der CDU. In die Vorbereitungen der Fusion fiel die Enttarnung von Martin Kirchner als ehemaliger IM des MfS. Mitte August wurde er von seinen Aufgaben entbunden, das Amt des Generalsekretärs blieb in der Folgezeit unbesetzt. Am 1. Oktober 1990 morgens wurde in Hamburg der 38.Bundesparteitag der CDU eröffnet. Am frühen Nachmittag begann der 1. Gesamtdeutsche Parteitag der CDU, zu dem die fünf ostdeutschen Landesverbände, die mit 250 Delegierten vertreten waren, erklärten, dass sie nun Teil der CDU Deutschlands seien. Helmut Kohl wurde Parteivorsitzender, Lothar de Maizière sein Stellvertreter. Am 2. Oktober wurde nach einer Aussprache auch ein Vereinigungsmanifest angenommen. Die CDU der DDR hatte damit kurz vor der Vereinigung der beiden deutschen Staaten am 3. Oktober 1990 aufgehört zu existieren.

Forschungs- und Quellenlage Eine Gesamtdarstellung der Geschichte der CDU in der SBZ/DDR ist leider ein Desiderat der Forschung. Der Sammelband von Michael Richter und Martin Rißmann, in dem ein breites Themenspektrum zu Einzelfragen zur Geschichte der CDU in der SBZ/ DDR behandelt wird, der Forschungsbericht von Oliver Salten aus dem Jahr 2015 und das kürzlich erschienene Werk von Bertram Triebel zur Geschichte der CDU in Thüringen zwischen 1945 und 1990 bieten zumindest eine grundlegende Orientierung in Bezug auf verschiedene Fragen zur Gesamtgeschichte der Partei. Eine Ursache für die fehlende grundlegende Arbeit ist unter anderem darin zu suchen, dass die verschiedenen Phasen der Geschichte der CDU in der SBZ/DDR unterschiedlich gut erforscht sind. Die umfangreichste Literatur existiert sicherlich zum Zeitraum der Jahre 1945 bis 1952. Die Phase von der Gründung bis zum Sturz Jakob Kaisers behandeln ausführlich die Monographien von Manfred Wilde und Ralf Thomas Baus. Für die danach folgenden Jahre bis 21 Hanns Jürgen Küsters: Die Vereinigung von CDU (Ost) und CDU (West) 1990, in: HPM 18 (2011), S. 167 – 192.

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zur Anerkennung der führenden Rolle der SED auf dem 6.Parteitag 1952 ist nach wie vor die Dissertation von Richter relevant, obwohl er noch keinen Zugriff auf die seit der Wiedervereinigung zur Verfügung stehenden Archivbestände hatte. Die Zeit bis zum Mauerbau behandeln die Beiträge von Stephan Zeidler. Ergänzungen zu speziellen Fragen, insbesondere die 1950er Jahre betreffend, aber auch darüber hinaus, bietet der Sammelband von Richter und Rißmann. Über die Tätigkeit der CDU der DDR zwischen 1961 und 1989 sind nur wenige Arbeiten vorhanden. Herauszustellen ist hier sicherlich die Darstellung von Rißmann zur Kaderschulung. Zur Kirchenpolitik der CDU gibt es diverse Literatur zu den beiden großen Kirchen und zu unterschiedlichen Zeiträumen, aber leider kaum zusammenfassende Darstellungen mit speziellem Blick auf die Rolle der Partei in den Beziehungen zwischen Kirchen und Staat. Es sei hier zumindest auf die bereits etwas älteren Arbeiten von Robert F. Goeckel und Hermann Wentker verwiesen. Den Veränderungen innerhalb der CDU im Rahmen der Friedlichen Revolution in der DDR und ihrer Entwicklung bis hin zur Wiedervereinigung wurde hingegen größere Aufmerksamkeit geschenkt. Die Beiträge von Manfred Agethen und Ehrhart Neubert zum „Brief aus Weimar“ sind in dieser Hinsicht unbedingt zu erwähnen. Die Gründung und Entwicklung des DA wird in der Dissertation von Steffen Kammradt betrachtet. Zur Entwicklung der Allianz für Deutschland und ihrer Mitgliedsparteien sei das Werk von Wolfgang Jäger und Michael Walter erwähnt. Die Umbrüche in der CDU der DDR und ihre Auswirkungen bis in die frühen 1990er Jahre betrachtet Ute Schmidt aus politikwissenschaftlicher Sicht, während Hanns Jürgen Küsters die Entwicklung in den Jahren 1989 und 1990 mit besonderem Blick auf den Weg zur Vereinigung der ost- und der westdeutschen CDU darstellt. Das ACDP verfügt über die Unterlagen des früheren Zentralarchivs der CDU der SBZ/DDR. Der Bestand umfasst über 400 lfm Akten und ist die zentrale Informationsquelle zur Geschichte der CDU der SBZ/DDR. Zusätzlich befinden sich im ACDP auch Unterlagen der bis 1952 existierenden Landesverbände sowie der von 1952 bis 1990 bestehenden Bezirksverbände. Die Überlieferung der Kreisverbände ist sehr uneinheitlich, da deren Akten nicht vom Zentralarchiv übernommen worden waren. Unter den im ACDP befindlichen Nachlässen sind insbesondere hervorzuheben: Georg Dertinger, Karl Grobbel, Andreas Hermes, Ernst Lemmer und Günter Wirth. Im Bundesarchiv befinden sich die ebenfalls wichtigen Bestände von Jakob Kaiser und Carl Ordnung. Generell ist noch auf die Bestände der „Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv“ (SAPMO) in Berlin hinzuweisen, die die Akten der SED verwaltet, die selbstverständlich ebenfalls wichtige Informationen zur Geschichte der CDU der SBZ/DDR beinhalten.

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CDU in der SBZ/DDR Vorsitzende 1945 1945 – 1947 1947 – 1948 1948 – 1957 1958 – 1966 1966 – 1989 1989 – 1990

Andreas Hermes Jakob Kaiser Hugo Hickmann/Reinhold Lobedanz (amtierend) Otto Nuschke August Bach Gerald Götting Lothar de Maizière

Generalsekretäre 1946 – 1949 Georg Dertinger 1949 – 1966 Gerald Götting 1966 – 1989 nicht besetzt 1989 – 1990 Martin Kirchner

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Die Demokratische Bauernpartei Deutschlands Theresia Bauer Im Frühjahr 1948 wurde die Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD) auf Betreiben der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) und unter massiver Unterstützung der SED gegründet. Am 16. Juni 1948 genehmigte die SMAD die Zulassung der Bauernpartei für die gesamte Sowjetische Besatzungszone (SBZ). Als offizielles Gründungsdatum legte die DBD ab 1958 die mecklenburgische Landesgründungskonferenz in Schwerin am 29. April 1948 fest, weil dort Ernst Goldenbaum (15. Dezember 1898 – 13. März 1990) zum Gründerkreis gestoßen war und den Parteivorsitz übernommen hatte, den er bis 1982 behielt. Die Zonengründungskonferenz am 16./17. Juli 1948 geriet in der gesteuerten Parteierinnerung ins Hintertreffen. Mit der Gründung einer Bauernpartei reagierte die SMAD u. a. auf wirtschaftliche und politische Akzeptanzprobleme ihrer Umwälzungspolitik im ländlichen Raum. Sie stellte im Parteienspektrum der SBZ den „bürgerlichen“ Parteien CDU und LDP mit der DBD und der parallel gegründeten Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NDPD) Konkurrentinnen entgegen. Die Gründung der DBD markierte zugleich Defizite der SED. Letztlich trug die DBD von Anfang an dazu bei, die Vorherrschaft der SED zu sichern; sie wurde Mitglied in der „Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien“ und die installierte Parteiführung erkannte den Führungsanspruch der SED von Beginn an. In der Gründungszeit umwarb die DBD jene Klientel, die die SED als sich formierende Kaderpartei nicht binden konnte oder aus ideologischen Gründen nicht aufnehmen wollte. Bis 1960/61 waren dies Alt- und Neubauern mit Landeigentum bzw. -besitz, darunter Gruppen, deren politische Verlässlichkeit die SED anzweifelte, etwa Flüchtlinge und Vertriebene, sogenannte Großbauern oder das Fachpersonal des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens, das häufig im nationalsozialistischen Reichsnährstand tätig gewesen war. Nach den Kollektivierungsschüben in der Landwirtschaft 1952 und erneut verstärkt ab 1957 und vor allem ab 1959 trug die DBD maßgeblich zur Vollkollektivierung 1960 bei. Mit der Vollkollektivierung 1960 wurde der DBD untersagt, Genossenschaftsbauern aufzunehmen. Erst ab 1963 durfte sie verhalten wieder Mitglieder in LPGen des Typs I anwerben, mit dem Auftrag, diese den LPGen höheren Vergemeinschaftungsgrades an Produktionsmitteln zuzuführen (LPGen des Typs III).1 Die Parteimitglieder wurden in den bekannten Kampagnenformen zu wirtschaftlichen Höchstleistungen angespornt, zugleich politisch kontrolliert, idealerweise auch ideologisch geschult und sozial diszipliniert. Der Funktionärskader, der in den 1950er Jahren vor allem in den unteren Parteigliederungen lange die soziale, wirtschaftliche und in Grenzen auch poli1 In LPGen Typ I wurde nur der eigene oder gepachtete Boden gemeinsam bewirtschaftet. In LPGen Typ II wurden zudem landwirtschaftliche Geräte, Maschinen und Zugtiere eingebracht – dieser Typ wurde kaum gewählt –, im Typ III wurde Boden, Vieh, Maschinen und Geräte gemeinsam genutzt, allerdings durften auch hier noch private Haus- und Gartenwirtschaften auf zugewiesenen Landflächen betrieben werden; siehe Andreas Herbst/Winfried Ranke/Jürgen Winkler: So funktioniert die DDR. Bd. 1. Frankfurt a. M. 1994, S. 583 f.

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tische Heterogenität der Mitgliedschaft noch abbildete, wurde seit 1963 systematischer ideologisch geschult, damit überwacht und gegebenenfalls von nicht konformen Personen gesäubert. Hierzu entwickelte der Parteischulungsapparat schon in den 1950er Jahren ein eigenes Parteischulungsjahr, das bis in die Ortsgruppen hinein durchgeführt werden sollte. Außerdem unterhielt die DBD Parteischulungsstätten, die zentrale Parteischule lag im brandenburgischen Borkheide. Seit den 1970er Jahren nahmen DBD-Funktionäre auch an Lehrgängen in SED-Parteischulen teil. Für die 1980er Jahre hält die Forschung die aktive Gestaltung wie Kontrolle der Parteischulung durch die SED fest. Die Partei betrieb seit 1948 mit dem „Bauern-Echo“ eine wöchentlich erscheinende Parteizeitung sowie die Funktionärszeitschrift „Der Pflüger“, die im „Deutschen Bauernverlag“ verlegt wurden, der im Jahr 1990 zur SED-Verlagsgruppe gehörte.2 Die Erträge der Parteipresse sollten nicht nur der Indoktrinierung dienen, sondern auch die Parteifinanzen aufbessern. Die Parteifinanzierung, die später u. a. ein eigenes Rentenversorgungssystem für Funktionäre umfasste, erfolgte wesentlich durch den Staatshaushalt. In den 1980er Jahren betrug der Anteil der Staatszuwendungen durchschnittlich 80 Prozent des Gesamthaushaltes der DBD bei im Schnitt 27 Millionen Mark jährliche Gesamteinnahmen. Das Jahr 1963 bildete eine Zäsur in der Parteigeschichte. Zahlreiche DBD-Mitglieder wurden aus den staatlichen Führungspositionen des Landwirtschaftsapparates von der SED verdrängt. Auf dem VII.Parteitag im Mai 1963 übernahm die DBD nach Anleitung durch die SED in wesentlichen Zügen das SED-Parteiprogramm, eine eigene programmatische Profilierung entfiel. Die verordnete völlige Anpassung schwächte jedoch letztlich das Herrschaftsgefüge der SED. Denn zur Alltagserfahrung vieler DBD-Mitglieder und auch von Funktionären gehörte es, dass ihnen im Vergleich zu SED-Genossen nur nachrangig Positionen in staatlichen Leitungsgremien und mindere berufliche Aufstiegschancen eingeräumt wurden. Diese als persönliche Abwertung erfahrene Differenz bewirkte bei Teilen der Mitgliedschaft eine Identifizierung mit der Bauernpartei3, auf der anderen Seite weist die Mitgliederstatistik auch einen Mitgliederschwund auf. Eine wissenschaftlich informierte und bessere fachliche Qualifikation in diversen Ausbildungs- und einschlägigen Studiengängen wurde seit Beginn der 1960er Jahre für den Karriereaufstieg von Funktionären im Parteiapparat wie für Parteimitglieder in den genossenschaftlichen und verstaatlichten landwirtschaftlichen Betrieben unerlässlich. Im SED-dominierten Herrschaftssystem der DDR trug die DBD wie alle Blockparteien als Transmissionsriemen zur Durchsetzung von deren politischen Zielsetzungen und Vorgaben bei. Außerdem fungierte die DBD als Kristallisationspunkt für die Problemwahrnehmung in den landwirtschaftlichen Betrieben und ländlichen Regionen. Dieser Prozess der Problemregistrierung und Weiterleitung nach oben half einerseits vielen Mitgliedern in ihrem Alltagsleben in der Diktatur und stabilisierte andererseits zugleich die SED-Herrschaft. Nachdem sich die Zustände in den übereilt gegründeten Kollektiven auch durch das Mitwirken der DBD bis Ende der 1960er Jahre allmählich konsolidiert hatten, sollte die DBD den Zusammenschluss von LPGen zu Großbetrieben forcieren 2 Güth: Blockparteien, S. 144. 3 Abzulesen ist dies etwa an der vom SED-Sektor Befreundete Organisationen diagnostizierten Ablehnung unter den Mitgliedern zur programmatischen Gleichschaltung mit der SED im Zuge des Parteitages, vgl. hierzu Theresia Bauer: Blockpartei und Agrarrevolution von oben. Die Demokratische Bauernpartei Deutschlands 1948 – 1963 (Studien zur Zeitgeschichte. Bd. 64). München 2003, S. 529 – 531, Anm. 402.

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und den Übergang zur Bildung von Kooperativen, den Prozess der weiteren großbetrieblichen Industrialisierung der Landwirtschaft in Form der Trennung von Tier- und Pflanzenproduktion seit den 1970er Jahren, unterstützen und flankieren helfen. Unter Honecker stieg die DBD in der Hierarchie der Blockparteien zur hinter der SED an erster Stelle genannten „Bündnispartnerin“ der SED auf. Seither gelang es der DBD zusehends auch wieder, die Mitgliederbasis auszudehnen. Ab Mitte der 1970er Jahre stieg die Mitgliederzahl signifikant an, parallel dazu war die Partei mit zahlreichen Aufgaben in der Bewältigung des Industrialisierungsschubes der Kooperativenbildung befasst worden. Und die Leitungskader der DBD in den landwirtschaftlichen Großbetrieben suchten ab den frühen 1980er Jahren angesichts der akuten Mangelsituation, besonders in der technischen Ausstattung der Betriebe, nach Lösungen. Die DBD erstarkte, denn die Kompetenz ihrer Mitglieder mit bäuerlichem Erfahrungswissen und agrarfachlicher Ausbildung wurde gebraucht. Die Mitgliederzahlen erreichten 1981 über 100.000. Die SED leitete den Aufbau, die Programmatik, die Aufgabenfelder, vor allem aber den Parteiapparat der DBD maßgeblich an. In den 1970er Jahren arbeitete Waldemar Pilz, seit 1969 Leiter des SED-Sektors Befreundete Organisationen, de facto im Parteiapparat der DBD mit und brachte die Belange der DBD auch direkt bei den zuständigen Stellen im Zentralkomitee der SED vor. Die sowjetischen Geheimdienste hielten Kontakt zur DBD in den 1950er Jahren. Mit dem Ausbau der Staatssicherheitsstrukturen der DDR wurden DBD-Funktionäre aller Ebenen offiziell qua Parteiamt als Auskunftspersonen vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) kontaktiert. Daneben warb das MfS an Schlüsselpositionen zentral wie lokal Inoffizielle Informanten an und arbeitete so den Anleitungsstrukturen der SED zu. Goldenbaum4, der die KPD zu Weimarer Zeiten im mecklenburgischen Landtag vertreten hatte, verlor zwar sein Amt als Landwirtschaftsminister 1950 und war aufgrund seines Führungsstils und in der inhaltlichen Ausrichtung teils umstritten; er hielt sich jedoch an der Spitze der Partei bis 1982 und widmete sich gerne weiteren Aufgabenfeldern der DBD, die neben der Agrarpolitik lagen: so in den 1950er Jahren der Deutschlandpolitik. Außerdem pflegte er die Kontakte zu Bauernparteien weltweit, vor allem jedoch zu den Parteien in den osteuropäischen „Bruderstaaten“, etwa zur im politischen System Polens weitaus bedeutenderen Polnischen Vereinigten Bauernpartei. Goldenbaums Nachfolger, Ernst Mecklenburg (*3. Juni 1927), wurde nach finanziellen Unregelmäßigkeiten im Parteiapparat 1987 von Günter Maleuda (20. Januar 1931 – 18. Juli 2012) im Parteivorsitz abgelöst. Mit der Parteigründung nahmen einige Funktionäre das Ministerium für Landwirtschaft ein (Ernst Goldenbaum, Paul Scholz, Hans Reichelt); Reichelt wurde anstelle seines ursprünglich dafür vorgesehenen Parteikollegen Werner Titel 1972 in das angesichts der Umweltproblematik wichtige Amt des Ministers für Umwelt und Wasserwirtschaft berufen, von dem er im Januar 1990 zurücktrat. Im Umbruchsjahr 1989 reagierte die DBD-Führung spät auf den anwachsenden Unmut und die Suche nach Um- und Neuorientierung unter den über 117.000 Mitgliedern, die in über 6.900 Ortsgruppen organisiert waren. Diese Infrastruktur erhöhte die Attraktivität der Partei für potentielle Partner in der Bundesrepublik. Auf dem außeror4 Zu seiner Biographie ausführlich Bauer: Blockpartei, passim, sowie Michael Heinz: Ernst Goldenbaum, in: Andreas Röpcke u. a. (Hg.): Biographisches Lexikon für Mecklenburg. Bd. 8. Schwerin 2016, S. 102 – 109.

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dentlichen Parteitag im Januar 1990 wurde Günter Maleuda, der seit 15. November 1989 zugleich letzter Volkskammerpräsident der DDR war, im Parteivorsitz bestätigt. Mit Ulrich Junghanns rückte als einer seiner Stellvertreter jemand auf, der eine Neuausrichtung der Partei anstrebte. Die DBD lotete nach den für sie enttäuschenden Ergebnissen der Volkskammer- und Kommunalwahlen 1990 zahlreiche Koalitionsoptionen aus. Das Spektrum reichte von den westdeutschen Grünen, über Verbindungen zur Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SDP) in der DDR, so etwa in Mecklenburg, über den Bund Freier Demokraten (BFD), den Demokratischen Aufbruch (DA), die Deutsche Soziale Union (DSU) bis hin zur schließlich am 25. Juni 1990 auf einer außerordentlichen Parteivorstandstagung nochmals von Junghanns begründeten und mit deutlicher Mehrheit, aber nicht einstimmig entschiedenen Ausrichtung hin zu einer „konservativ-liberalen“ Orientierung als „Eigentümer- und Unternehmerpartei“, die eine Vereinigung mit der Ost-CDU anstrebte.5 Die im Parteipräsidium zuvor formulierte Beschlussvorlage vom 19. Juni 1990 ist im zeithistorischen Kontext des sich rasant vollziehenden Vereinigungsprozesses einzuordnen, vor allem auch den Gesetzgebungsprozessen zur Integration der noch-DDR-Landwirtschaft in den EG-Agrarmarkt und die Anpassung an das westdeutsche Agrarmodell, etwa mittels des am 20. Juli 1990 in Kraft getretenen Landwirtschaftsanpassungsgesetzes. Die neue DBD-Parteispitze trieb den Zusammenschluss mit der Ost-CDU voran, der am 1. September 1990 beschlossen und auf der zentralen Delegiertentagung der DBD in Borkheide am 15. September bestätigt wurde. Die Fusion wurde zwar zentral von Parteigremien mehrheitlich (Präsidium, Vorstand, Delegiertentagung) entschieden, den Beitritt zur Ost-CDU musste jedoch jedes DBD-Mitglied laut Beschluss des Parteivorstandes vom Juni selbst durchführen. Mit dem Hamburger Parteitag am 1. Oktober 1990 ging die Ost-CDU in der gesamtdeutschen CDU auf. Das Geldvermögen der DBD von seinerzeit 16 Millionen DDR-Mark floss der Ost-CDU zu. Die DBD besaß im Vergleich zu anderen Blockparteien wenig Parteivermögen. Das geringe Grund- und Immobilieneigentum sowie drei gewerbliche Unternehmen wurden nicht an die Ost-CDU übertragen und standen für die gemeinnützige Verwertung durch die Treuhandanstalt zur Verfügung.6 Vornehmlich die ältere Parteiführung, die jahrzehntelang sozialistische Agrarpolitik an der Seite der SED betrieben hatte, lehnte die Umorientierung ab und verließ die DBD. Maleuda gab den Parteivorsitz an Junghanns ab und trat noch im Juni 1990 aus der Partei aus. Er behinderte die Neuorientierung indes nicht öffentlich, kandidierte in der Folge als Parteiloser für die SED-Nachfolgepartei PDS und unterzeichnete mit zahlreichen Altfunktionären einen Wahlaufruf zur Bundestagswahl 1998 für die PDS. Die Mitgliederbasis der DBD erodierte seit Jahresbeginn 1990. Die Schätzungen über die Zahl der Mitglieder, die der Ost-CDU beitraten, differieren zwischen 6.000 (Reichelt), rund 16.000 (höchstens 20 Prozent von 81.000, Jäger/Walter) und 30.000 (Rich-

5 Aus den Akten zitierte Begründungen und Zusammenhänge zu dieser Sitzung bei Wolfgang Jäger/Michael Walter: Die Demokratische Bauernpartei Deutschlands im Transformationsprozess 1989/1990, in: HPM 4 (1997), S. 141 – 168, hier 161 – 164. 6 Schlussbericht der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR, 24. August 2006, in: Bundestags-Drucksache 16/2466. Auflistungen auch bei Hans Reichelt: Blockflöten oder was? Zur Geschichte der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands (DBD). Berlin 1997, S. 310 – 313.

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Die Demokratische Bauernpartei Deutschlands

ter)7 – die mittlere Variante dürfte den tatsächlichen Verhältnissen am nächsten liegen. Zur weiteren Entwicklung der Mitgliederzusammensetzung der vereinigten Partei liegen keine Erkenntnisse vor. Jene DBD-Parteifunktionäre, die nachweislich mit Verpflichtungen für die Staatssicherheit belastet waren, hatten sich seit Ende 1989 aus der DBDFührung zurückgezogen, manche auch erst kurz vor Kandidaturen für neue Wahlämter 1990. Nach der Vereinigung wirkte eine Reihe vormaliger DBD-Politiker in kommunalen Wahlämtern, in Landesparlamenten und als Länderminister für die CDU (Otto Mintus in Sachsen-Anhalt, Volker Sklenar in Thüringen). 2009 verfügte die CDU Brandenburgs, keine vormaligen Mitglieder von Blockparteien mehr als Kandidaten/innen auf den Wahllisten für den Landtag zu berücksichtigen. Die Bauernpartei war eine programmatisch gleichgeschaltete und vom SED-Apparat angeleitete SED-treue Blockpartei. Zu ihren Besonderheiten zählten ebenso eine fachliche Agrarkompetenz, die mentale Verwurzelung im ländlichen Raum und eine Problemidentifizierung in lokalen Zusammenhängen. Hinsichtlich der älteren langjährigen Parteimitglieder gelang der Partei eine identitätsstiftende Bindung an die DBD – ungeachtet bzw. unabhängig von Anpassung an die SED, deren Kontrollen und Anleitungsstrukturen. Ein Beitritt zur DBD bedeutete für die Mitglieder mehrheitlich eine Entscheidung nicht für die SED, oft gegen die SED. Angaben zur Religionszugehörigkeit wurden für den Parteieintritt nicht erhoben. In der nicht-christlichen programmatischen Ausrichtung der Bauernpartei dürfte der wesentliche Unterschied zur Ost-CDU liegen. Parteivorsitzende Ernst Goldenbaum (Ehrenvorsitzender Ernst Mecklenburg Günther Maleuda Ulrich Junghanns

7/1948 – 5/1982 seit 4/1987) 5/1982 – 4/1987 4/1987 – 30.6.1990 30.6.1990 – 9/1990

Stellvertretende Vorsitzende Rudolph Albrecht Paul Scholz Hans Rietz Ernst Mecklenburg Günther Maleuda Ulrich Junghanns Manfred Anke Werner Meyer-Bodemann Manfred Hachelberger

7/1948 – 7/1949 7/1949 – 1/1990 5/1963 – 5/1982 5/1972 – 5/1982 1984 – 4/1987 1/1990 – 25.5.1990 1/1990 – 6/1990 1/1990 – 6/1990 6/1990 – 9/1990

7 Reichelt: Blockflöten, S. 323; Michael Richter: Zur Entwicklung der Ost-CDU vom Januar 1990 bis zum Wiedervereinigungsparteitag am 1. Oktober 1990, in: Michael Richter/Martin Rißmann (Hg.): Die Ost-CDU. Beiträge zu ihrer Entstehung und Entwicklung (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung. Bd. 2). Weimar u. a. 1995, S. 235 – 251, hier 249 f.; Jäger/Walter: Demokratische Bauernpartei Deutschlands, S. 168.

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Theresia Bauer

Forschungs- und Quellenlage Die Akten des ehemaligen Parteiarchivs der DBD (zentrale Ebene, Länder, Bezirke, Kreise, biographische Deposita zu Goldenbaum) liegen im Original auf Beschluss des Bundestages inzwischen im Bundesarchiv Berlin, Abt. Lichterfelde, SAPMO-BArch (Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen im Bundesarchiv), und wurden dort neu signiert. Der Bestand ist als Kopie mit der ursprünglichen Signierung des Archivs für Christlich Demokratische Politik (ACDP) in Sankt Augustin ebenso benutzbar. Für regional- und lokalhistorische Untersuchungen sind für die SED-Überlieferung die entsprechenden Landesarchive zu konsultieren, die Parteiakten der DBD zentral gesammelt im Bundesarchiv Berlin oder im ACDP Sankt Augustin. Für die Zeit bis 1963 sind aufgrund von Überlieferungslücken in den Parteiakten der DBD neuralgische Punkte der internen Parteigeschichte über die Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (künftig in der Obhut des Bundesarchivs) zu rekonstruieren, hauptsächlich mit Hilfe von Aktenvorgängen Inoffizieller Mitarbeiter; zudem enthalten Bestände von Auswertungsund Kontrollgruppen des Ministeriums für Staatssicherheit (auch auf Bezirks- und Kreisebene), der Hauptabteilungen XX, Materialien zur DBD. Von der Gründungsgeschichte und bis 1963 im Hinblick auf das zentrale Tätigkeitsfeld Agrarpolitik informiert die Studie von Bauer. Noch ohne Aktenzugang arbeitete zuvor Bernhard Wernet-Tietz zur DBD und der Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB). In der Studie von Kotsch finden sich Ausführungen zur DBD in Brandenburg für die 1950er Jahre.8 Mit heuristischem Nutzen zu lesen, wenngleich aus der Feder eines maßgeblichen Partei-Protagonisten stammend, ist die Darstellung von Hans Reichelt, die von der Gründung bis 1990 reicht und bislang als einziges Werk die Zeit zwischen 1963 bis 1988 behandelt.9 Eine systematische Parteigeschichte für die Zeit ab 1963 – zentral wie für einzelne Bezirke – stellt ein Forschungsdesiderat dar.

8 Bauer: Blockpolitik, dort zum Forschungsstand bis 2002 einschließlich der Beiträge aus DDR-Zeiten, S. 24 – 29; Bernhard Wernet-Tietz: Bauernverband und Bauernpartei in der DDR: Die VdgB und die DBD 1948 – 1952. Ein Beitrag zum Wandlungsprozess des Parteiensystems der SBZ (Mannheimer Untersuchungen zu Politik und Geschichte der DDR. Bd. 2). Köln 1984. Befunde zur DBD in Brandenburg der 1950er Jahre auch bei Detlef Kotsch: Das Land Brandenburg zwischen Auflösung und Neubegründung. Politik, Wirtschaft und soziale Verhältnisse in den Bezirken Potsdam, Frankfurt (Oder) und Cottbus in der DDR (1952 – 1990). Berlin 2001, S. 201 – 208. 9 Reichelt: Blockflöten. Das Buch ist in weiten Teilen ohne Belege bzw. ohne wissenschaftlich zufriedenstellenden Anmerkungsapparat verfasst.

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III. Entwicklung der Parteistrukturen

Landesverband Baden-Württemberg Peter Crämer Gründungsphase Die CDU im Südwesten entstand – wie in anderen Teilen Deutschlands auch – nach 1945 in lokalen und regionalen Gruppen, die untereinander meist nur losen Kontakt hatten. Die Mitglieder dieser Gruppen standen parteipolitisch überwiegend in der Tradition des Zentrums, aber auch des Christlich-Sozialen Volksdienstes, der Deutschen Volkspartei und der DNVP, die in Württemberg durch die ehemalige Bürgerpartei und den Bauernund Weingärtnerbund repräsentiert wurde. Durch die Gründung einer überkonfessionellen Volkspartei aus christlichen, bürgerlichen und liberalen Wurzeln wollte man die zersplitterte Parteienlandschaft der Weimarer Republik beim demokratischen Neubeginn im Südwesten überwinden. Mit Josef Andre und Wilhelm Simpfendörfer in Nordwürttemberg, Heinrich Köhler, Fridolin Heurich und Franz Gurk in Nordbaden, Leo Wohleb und Anton Dichtel in Südbaden sowie Lorenz Bock, Ulrich Steiner und Gebhard Müller in Württemberg-Hohenzollern sind einige der herausragenden Persönlichkeiten der Gründergeneration der CDU in Baden-Württemberg genannt.1 Da das Gebiet des heutigen Baden-Württemberg 1945 auf zwei Besatzungszonen verteilt worden war, konnten sich die Parteiorganisationen zunächst nur getrennt entwickeln. Während sich in der amerikanischen Besatzungszone in Nordbaden und Nordwürttemberg bereits im August 1945 christliche Parteien auf Kreisebene bildeten, ließen die französischen Behörden in Südbaden und Württemberg-Hohenzollern die Gründung von Parteien erst später zu.2 Die vier Landesverbände konstituierten sich dann 1946 beinahe zeitgleich: Delegiertenkonferenzen fanden in Stuttgart am 13. Januar, in Heidelberg am 9./10. Februar, in Sigmaringen am 23. Februar und in Freiburg am 24. Februar 1946 statt.3 Da die christlichen Parteigründungen in Baden und in Württemberg jeweils auf anderen verfassungs- und parteiengeschichtlichen Traditionen aufbauten, konnte sich der gemeinsame Name CDU erst 1947 überall durchsetzen. So entstand in Nordbaden die „Christlich-demokratische Partei“ (CDP), in Südbaden die „Badische Christlich-Soziale Volkspartei“ (BCSV) und in Nordwürttemberg die „Christlich-Soziale Volkspartei“ (CVP). Lediglich in Württemberg-Hohenzollern hieß die neue Partei von Anfang an CDU. 1 Nachlässe der Gründergeneration im Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP), u. a.: Josef Andre (ACDP 01-208), Franz Gurk (ACDP 01-190), Ulrich Steiner (ACDP 01-247), Gebhard Müller (01-217), Josef Beyerle (ACDP 01-056), Paul Bausch (ACDP 01-059), Theopont Diez (ACDP 01-080), Walter Felix (ACDP 01-112). 2 Vgl. Claus-Peter Grotz: Die CDU als „Landespartei“ in Baden-Württemberg, in: CDU-Landesverband Baden-Württemberg (Hg.): 1945/46 – 1971 – 1986. Von der „CDU in Baden-Württemberg“ zum „CDU Landesverband Baden-Württemberg“. Stuttgart 1986, S. 13 ff. 3 Paul Ludwig Weinacht (Hg.): Die CDU in Baden-Württemberg und ihre Geschichte (Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs. Bd. 2). Stuttgart 1978, S. 15.

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Peter Crämer

Die unterschiedliche kulturelle und wirtschaftliche Struktur der vier Landesteile zeigte sich bei den Wahlergebnissen: In den beiden südlichen, katholisch und ländlich geprägten Landesteilen war die CDU von Anbeginn die dominierende Partei und stellte mit Leo Wohleb in (Süd-)Baden sowie Lorenz Bock und Gebhard Müller in WürttembergHohenzollern Regierungschefs, die sich auf die absolute Mehrheit der Landtagsmandate stützen konnten. In den beiden nördlichen, protestantischer und großstädtischer geprägten Landesteilen tat sich die CDU anfangs schwerer, war aber bis Ende 1950 an der Landesregierung von Württemberg-Baden unter Reinhold Maier (FDP/DVP) beteiligt.

Südweststaat Die Gründung des Landes Baden-Württemberg führte zu einer Zerreißprobe innerhalb der CDU. Die schärfsten Kritiker der Länderfusion kamen gerade in (Süd-)Baden aus den Reihen der Union und fanden ihre Galionsfigur im badischen Staatspräsidenten Leo Wohleb. Ihm gegenüber stand Gebhard Müller, Staatspräsident und Landesvorsitzender der CDU Württemberg-Hohenzollern, der zum Motor der Bildung Baden-Württembergs wurde. Nach zähem Ringen einigten sich die vier Landesvorsitzenden am 22. Oktober 1949 in einem Kompromiss auf die „Freudenstädter Beschlüsse“,4 nach denen die Frage der Fusion in einer Volksabstimmung geklärt werden sollte. Nach erbitterten Auseinandersetzungen über den Abstimmungsmodus und einem auch polemisch geführten Wahlkampf brachte die Volksabstimmung im Dezember 1951 in drei der vier Landesteile eine Mehrheit für den neuen Südweststaat. Nur Südbaden hatte aus Furcht vor „schwäbischer Dominanz“ mehrheitlich gegen das neue Land gestimmt. Bei der Wahl zur Verfassunggebenden Landesversammlung am 9. März 1952 wurde die CDU mit 36 Prozent zwar stärkste Partei. Reinhold Maier (FDP/DVP) bildete am Tag der Gründung des Landes jedoch eine Koalition gegen die CDU und verwies damit die stärkste Fraktion auf die Oppositionsbänke. Allerdings veränderten sich die Kräfteverhältnisse in Baden-Württemberg schon nach der Bundestagswahl 1953: Die CDU erhielt in allen vier Landesteilen die absolute Mehrheit, in Südbaden und Württemberg-Hohenzollern sogar mehr als 60 Prozent. Reinhold Maier trat zurück und Gebhard Müller 5 wurde am 30. September 1953 zum Ministerpräsidenten einer Allparteienkoalition gewählt. Für die CDU war das der Beginn einer bundesweit einzigartigen Erfolgsgeschichte: Für fast sechs Jahrzehnte stellte die Union in Folge alle Ministerpräsidenten in BadenWürttemberg. Ihre Position als jahrzehntelange Regierungspartei im Land stärkte auch den Einfluss auf Bundesebene. Bei fast jeder Bundestagswahl seit 1953 lag die SüdwestCDU mit ihren Wahlergebnissen deutlich höher als das bundesweite Gesamtergebnis von CDU und CSU.

4 Vgl. Grotz: CDU als „Landespartei“, S. 25, und Weinacht: CDU in Baden-Württemberg, S. 127. 5 Siehe https://www.kas.de/de/statische-inhalte-detail/-/content/mueller-gebhard (Abruf: 23.1.2021).

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Landesverband Baden-Württemberg

Aus vier wird eins Die Bildung des gemeinsamen Bundeslandes änderte an der Existenz der vier CDULandesverbände zunächst nichts. Organisatorisch, satzungsmäßig und politisch behielten sie ihre Eigenständigkeit, was den gemeinsamen Prozess der Willensbildung auf Landesebene erschwerte. Um vor allem in Wahlkampfzeiten als mit einer Stimme sprechende Landespartei wahrgenommen zu werden, fand bis zur Bildung des einheitlichen Landesverbandes 1971 eine regelmäßig tagende Konferenz der vier Landesvorsitzenden statt. Dieser „Viererkonferenz“, die in etwa acht- bis zwölfwöchigem Turnus an wechselnden Orten stattfand, gehörten neben den Landesvorsitzenden der Ministerpräsident, die CDU-Landesminister, die CDU-Landesgeschäftsführer und weitere Persönlichkeiten an.6 Die auf ihren jeweiligen Einfluss bedachten vier Landesverbände vereinbarten einen strengen regionalen Proporz bei der Besetzung der landespolitischen Spitzenämter und der Aufstellung der Landesliste. Bei der Landtagswahl 1956 wurde die CDU als stärkste Partei bestätigt, „Gründungsvater“ Gebhard Müller blieb Ministerpräsident des jungen Bundeslandes. Nachfolger von Gebhard Müller, der als Präsident zum Bundesverfassungsgericht wechselte, wurde 1958 Kurt Georg Kiesinger.7 Dieser ersetzte nach der Landtagswahl 1960 die Allparteienkoalition durch eine Koalition aus CDU, FDP/DVP und BHE. Kiesinger legte einen besonderen Schwerpunkt auf die Kultur- und Schulpolitik und trieb den Ausbau der Bildungsinfrastruktur voran. Als Kiesinger am 1. Dezember 1966 als Bundeskanzler nach Bonn ging, wurde der südbadische CDU-Vorsitzende und Innenminister Hans Filbinger 8 sein Nachfolger. Nach Bonner Muster bildete er in Stuttgart eine Große Koalition mit der SPD. In der CDU„Viererkonferenz“ wurde Filbinger zur unangefochtenen Führungsfigur. Nachdem die Bevölkerung in Baden bei der Volksabstimmung am 7. Juni 1970 mit rund 82 Prozent für den Verbleib im gemeinsamen Bundesland gestimmt hatte, war die Zeit reif für die Beendigung der zunehmend als anachronistisch empfundenen Existenz von vier CDU-Landesverbänden in einem Bundesland. Am 21. März 1970 schlossen sich die vier Landesverbände in Stuttgart als Übergangslösung zu einem Dachverband zusammen, um die Voraussetzungen für den gemeinsamen Landesverband Baden-Württemberg zu schaffen.9 Dieser gründete sich schließlich auf dem Landesparteitag am 15. Januar 1971 in Baden-Baden. Zum ersten Landesvorsitzenden wurde mit 191 von 251 Stimmen Hans Filbinger gewählt, aus den bisherigen Landesverbänden wurden nun vier Bezirksverbände. Obwohl sie ihre alten Namen behielten, passten die Bezirksverbände 1973 ihre Grenzen den neu zugeschnittenen Regierungsbezirken an, wodurch die alte Landesgrenze zwischen Baden und Württemberg stellenweise überwunden wurde. In der Satzung des neuen Landesverbandes wurde der Regionalproporz durch Vorbehaltsrechte der Bezirksverbände, qualifizierte Mehrheiten und automa6 Vgl. Weinacht: CDU in Baden-Württemberg, S. 247 ff. 7 Siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/kurt-georgkiesinger-v1. (Abruf: 23.1.2021). 8 Siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/hans-karlfilbinger. (Abruf: 23.1.2021). 9 Beschlussprotokoll vom gemeinsamen Parteitag der CDU Baden-Württemberg, in: ACDP 03-024001/1.

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tische Mitgliedschaft der Bezirksvorsitzenden im Landesvorstand festgeschrieben.10 Ein gemeinsames Parteiprogramm formulierte die Partei – abgesehen von den Wahlprogrammen zu den Landtagswahlen – erst 1991. Als erfolgreiche langjährige Regierungs- und „Ministerpräsidenten-Partei“11 lag der Fokus der neu entstandenen CDU Baden-Württemberg zunächst nicht auf der Programmarbeit. Entsprechend dem bundesweiten Trend wuchs die Zahl der Parteimitglieder auch im Südwesten seit Ende der 1960er Jahre stark an. Zählte die CDU 1960 in den vier einzelnen Landesverbänden noch 36.000 Mitglieder, waren es im Jahr 1978 bereits rund 80.000.12

„Musterländle“ und „Baden-Württemberg-Partei“ Hans Filbingers erfolgreiche Regierungsarbeit wurde in den 1970er Jahren zunehmend von der öffentlichen Debatte um sein Verhalten während der NS-Zeit überschattet. Juristische Auseinandersetzungen und Filbingers ungeschicktes Taktieren um von ihm gefällte Todesurteile als Marinerichter im Zweiten Weltkrieg schadeten seinem politischen Ansehen schwer. Nachdem er den Rückhalt in der Öffentlichkeit und in weiten Teilen der CDU verloren hatte, erklärte er am 7. August 1978 schließlich seinen Rücktritt als Ministerpräsident. Die CDU-Landtagsfraktion entschied sich für den liberaleren Fraktionsvorsitzenden Lothar Späth13 als Nachfolger des ausgesprochen konservativen Filbinger. Späth, der 1979 auf dem 13.Parteitag in Reutlingen auch zum Parteichef gewählt wurde, ließ das Amt des Generalsekretärs unbesetzt und kümmerte sich selbst um die Führung des Landesverbandes. Als Ministerpräsident trieb er die wirtschaftliche Entwicklung des Landes zielstrebig voran: Baden-Württemberg entwickelte sich zum sogenannten Musterländle, das bis in die Gegenwart als führender Wirtschaftsstandort auch im High-Tech-Bereich eine Spitzenstellung einnimmt und kräftig zum Länderfinanzausgleich in Deutschland beiträgt. In ihrem Selbstbild wurde die CDU immer mehr zur „Baden-Württemberg-Partei“, der es ähnlich wie der CSU in Bayern gelang, eine positive Identifikation zwischen dem Land und der Partei zu schaffen.14 Treibende Kraft waren dabei die jeweiligen Ministerpräsidenten, die seit Gründung des gemeinsamen Landesverbandes zugleich auch Parteivorsitzende waren.

Grundsatzprogramme Nachfolger von Ministerpräsident Späth, der nach Berichten über die Verquickung von privaten und öffentlichen Interessen 1991 zurückgetreten war, wurde der Fraktionsvorsitzende Erwin Teufel.15 Den Parteivorsitz übernahm Teufel auf dem 31.Landesparteitag 1991 10 1. Landesparteitag der CDU Baden-Württemberg, in: ACDP 03-024-001/2. 11 Vgl. Claus-Peter Grotz: Die CDU, in: Michael Eilfort (Hg.): Parteien in Baden-Württemberg (Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs. Bd. 31). Stuttgart 2004, S. 37 – 74, hier 56 ff. 12 Weinacht: CDU in Baden-Württemberg, S. 381 f. 13 Siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/lothar-spaeth. (Abruf: 23.1.2021). 14 Eilfort: Parteien in Baden-Württemberg, S. 38. 15 Siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/erwin-teu-

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in Ulm. Erst seit diesem Parteitag verfügte die baden-württembergische CDU mit dem Grundsatzprogramm „Baden-Württemberg 2000“ über ein umfassendes Parteiprogramm.16 Mit der Landtagswahl 1992 ging für die erfolgsverwöhnte Union im Südwesten die Ära der absoluten Mehrheiten zu Ende, die CDU war seither auf Koalitionspartner angewiesen. Mit der Schaffung weiterer einheitlicher Strukturen im Land und einer tiefgreifenden Modernisierung der Landesverwaltung konnte Teufel die Spitzenposition Baden-Württembergs im globalen Wettbewerb weiter stärken. Nach dem angekündigten Rückzug Teufels als Regierungs- und Parteichef entschied sich die Mehrheit der befragten Parteimitglieder für Günther H. Oettinger17 als Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2006. Der 50. Landesparteitag in Ulm 2005 wählte Oettinger auch zum CDU-Landesvorsitzenden. Mit der Nullverschuldung des Landes in den Jahren 2008 und 2009 setzte dieser bundesweit Akzente. 2006 gab sich die Partei auf dem 55. Landesparteitag in Pforzheim ein neues Grundsatzprogramm mit dem Titel „Für eine neue Balance zwischen Gegenwart und Zukunft“.18 Nach dem Wechsel von Oettinger zur EU-Kommission wählte der Friedrichshafener Landesparteitag 2009 Stefan Mappus zum neuen Parteivorsitzenden. Wie vier seiner sechs Vorgänger gelang auch Mappus am 10. Februar 2010 der Aufstieg vom Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion zum Ministerpräsidenten.

Opposition und Juniorpartner Die Landtagswahl 2011 wurde von heftigen Auseinandersetzungen um das Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“ und die Nuklearkatastrophe von Fukushima bestimmt. Zwar blieb die CDU mit 39 Prozent stärkste Partei, die christlich-liberale Landesregierung wurde jedoch durch ein grün-rotes Bündnis abgelöst. Die Union fand sich nach 58 Jahren Regierung in der Opposition wieder – eine politische Zäsur für die Partei und das Land. Stefan Mappus trat von seinem Amt als Landesvorsitzender zurück. Mit dem neuen Parteivorsitzenden Thomas Strobl, seit 2005 Generalsekretär der Landespartei und seit 2009 Vorsitzender der CDU-Landesgruppe im Bundestag, wagte die Partei auf dem 61. Landesparteitag 2011 einen Neuanfang. Bei der Landtagswahl 2016 erreichte die CDU, die nach einer Mitgliederbefragung mit dem Spitzenkandidaten Guido Wolf angetreten war, erstmals in der Geschichte des Landes mit 27 Prozent nur noch den zweiten Platz. Grüne und CDU bildeten daraufhin die erste grün-schwarze Landesregierung unter dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und Thomas Strobl als seinem Stellvertreter. Mit Kultusministerin Susanne Eisenmann stellte die Südwest-CDU auf dem 74. Landesparteitag in Heilbronn 2019 erstmals eine weibliche Spitzenkandidatin auf. Allerdings gelang es Eisenmann nicht, in die Nähe der Beliebtheit des grünen Ministerpräsidenten Kretschmann vorzustoßen. Nur rund 24 Prozent der Wählerinnen und Wähler gaben der fel-v1. (Abruf: 23.1.2021). 16 Leitantrag zum Grundsatzprogramm „Baden-Württemberg 2000“, in: ACDP 03-024-053/2. 17 Siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/guentheroettinger-v1. (Abruf: 23.1.2021). 18 CDU Baden-Württemberg (Hg.): Für eine neue Balance zwischen Gegenwart und Zukunft. Stuttgart 2006.

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CDU bei der Landtagswahl am 14. März 2021 ihre Stimme, ein historischer Tiefstand. Negativen Einfluss auf das Wahlergebnis hatte auch die alles überlagernde Corona-Pandemie und die damit verbundene Kritik an der Politik der CDU/CSU-geführten Bundesregierung. Trotzdem entschied die CDU, das Angebot der Grünen für eine Neuauflage der grünschwarzen Koalition anzunehmen. Thomas Strobl blieb stellvertretender Ministerpräsident. Nach ihrem Höchststand im Jahr 1984 (96.000  Mitglieder)19 ist die CDU BadenWürttemberg aktuell mit rund 60.000 Mitgliedern20 der zweitgrößte Landesverband der CDU. Sie gliedert sich in vier Bezirksverbände, 41 Kreisverbände und über 800 Stadt, Gemeinde- und Ortsverbände.

Forschungs- und Quellenlage Im Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. werden mehr als 200 Bestände mit Bezug zur CDU in Baden-Württemberg verwahrt. Dazu zählen Organisationsbestände der CDU wie der Landesverband (ACDP 03-024) und die Landtagsfraktion (ACDP 05-004), die Vereinigungen und Sonderorganisationen sowie nahezu alle Kreisverbände. Aufgrund der späten Gründung des gemeinsamen Landesverbandes spielen die Bestände der vier Bezirksverbände (bis 1971 Landesverbände) Nordwürttemberg, Württemberg-Hohenzollern, Nordbaden und Südbaden als Quellen für die Nachkriegsjahrzehnte eine besondere Rolle. Zu den rund 150 Personenbeständen aus dem Südwesten im ACDP zählen neben den schon genannten Parteigründern (siehe Anmerkung 1) die (Teil-)Bestände der Ministerpräsidenten Gebhard Müller, Kurt Georg Kiesinger, Hans Filbinger, Erwin Teufel, Günter Oettinger und Stefan Mappus. Ergänzt werden diese um Bestände bedeutender Amtsträger auf Bundes- und Landesebene (hier z.B. Bruno Heck, Manfred Wörner, Philipp Jenninger, Matthias Wissmann, Wolfgang Schäuble, Annemarie Griesinger oder Wilhelm Hahn) sowie wichtiger Abgeordneter im Deutschen Bundestag, im Landtag Baden-Württemberg und im Europäischen Parlament. Der von Paul Ludwig Weinacht 1978 im Rahmen der Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs herausgegebene Band „Die CDU in Baden-Württemberg und ihre Geschichte“ gilt als erste umfangreiche Veröffentlichung zur Geschichte der CDU im deutschen Südwesten.21 Mit beinahe 400 Seiten kann Weinachts Band als Standardwerk gerade zu den frühen Wurzeln der Partei gelten. Zum 40-jährigen Jubiläum der CDU in Baden-Württemberg (und zum 15-jährigen Jubiläum des gemeinsamen Landesverbandes) fasste Claus-Peter Grotz die Wegmarken der Südwest-CDU 1986 in der Publikation mit dem Titel „1945/46 – 1971 – 1986. Von der ‚CDU in Baden-Württemberg‘ zum ‚CDU Landesverband Baden-Württemberg‘“ zusammen.22 Der gleiche Autor unterstrich in seinem Beitrag zum Band „Parteien in Baden-Württemberg“ den prägenden Einfluss der Partei im Land.23 Das Verhältnis zwischen politischen Parteien 19 Eilfort: Parteien in Baden-Württemberg, S. 54. 20 Anzahl der Parteimitglieder der CDU nach Bundesländern im Jahr 2019, Stand: 31. Dezember. https:// de.statista.com/statistik/daten/studie/586811/umfrage/parteimitglieder-der-cdu-nach-bundeslaendern/ (Abruf: 15.6.2021). 21 Weinacht: CDU in Baden-Württemberg. 22 Grotz: CDU als Landespartei. 23 Ders.: Die CDU.

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und Gesellschaft analysierte Silke Schuster 1999 in ihrer Magisterarbeit „Über die politische Responsivität der CDU“.24 Die Verluste der bis dahin dominierenden CDU bei der Landtagswahl 2011 analysierte Michael Wehner 2013 in seinem Beitrag „Die historische Niederlage der CDU – Ursache für das Scheitern“.25 Einen interessanten Aspekt beleuchtete Werner Burger 1984 in seiner Dissertation „Die CDU in Baden-Württemberg und die CSU in Bayern. Eine vergleichende Analyse“ über Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede zwischen den beiden süddeutschen Landesparteien.26

Vorsitzende LV Nordwürttemberg 1946 – 1948 Josef Andre 1948 – 1958 Wilhelm Simpfendörfer 1958 – 1971 Klaus Scheufelen LV Nordbaden 1945 – 1981 1951 – 1968 1968 – 1970 1970 – 1971

Fridolin Heurich Franz Gurk Otto Dullenkopf Gerhard Zeitel

LV Südbaden 1946 – 1947 1948 – 1966 1966 – 1971

Leo Wohleb Anton Dichtel Hans Filbinger

LV Württemberg-Hohenzollern 1946 – 1948 Franz Weiß 1948 – 1955 Gebhard Müller 1956 – 1971 Eduard Adorno LV Baden-Württemberg 1971 – 1979 Hans Filbinger 1979 – 1991 Lothar Späth 1991 – 2005 Erwin Teufel 2005 – 2009 Günther H. Oettinger 2009 – 2011 Stefan Mappus seit 2011 Thomas Strobl

24 Silke Schuster: Über die politische Responsivität der CDU. Eine Studie über den Landesverband Baden-Württemberg. Konstanz [1999]. 25 Michael Wehner: Die historische Niederlage der CDU – Ursache für das Scheitern, in: Uwe Wagschal/ Ulrich Eith/Michael Wehner (Hg.): Der historische Machtwechsel: Grün-Rot in Baden-Württemberg (Vergleichende Analyse Politischer Systeme. Bd. 1). Baden-Baden 2013, S. 119 – 142. 26 Werner Burger: Die CDU in Baden-Württemberg und die CSU in Bayern. Eine vergleichende Analyse. Diss. phil. FU Berlin. Freiburg i. Br.1984.

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Landesverband Berlin Stefan Marx Berlin zählt zu den Gründungskernen der CDU, die nach dem Untergang des Nationalsozialismus als „Sammlungspartei neuen Typs“1 entsteht. Der parteipolitische Neuanfang im bürgerlichen Lager fand in dem Berliner Gründungsaufruf „Deutsches Volk!“ vom 26. Juni 1945 seinen Ausdruck, der von Frauen und Männern, Katholiken wie Protestanten, Liberalen, Konservativen und ehemaligen Zentrumsmitgliedern sowie Selbständigen, Angestellten und Arbeitern unterzeichnet wurde. Die Konstituierung einer überkonfessionellen christlich-sozialen Weltanschauungspartei mit volksparteiartigem Charakter als Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDUD) fand am 22. Juli 1945 mit einer Gründungskundgebung im Theater am Schiffbauerdamm ihren Abschluss. Der Gründerkreis um Andreas Hermes, der zum ersten Vorsitzenden der Partei in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) gewählt wurde, unterstrich mit dem Zusatz „Deutschlands“ im Parteinamen sein Ziel, in und für ganz Deutschland zu wirken. Damit verbunden war ein Führungsanspruch innerhalb der Union, der sich in der Errichtung einer „Reichsgeschäftsstelle“ zunächst in Charlottenburg in der Schlüterstraße, später in der Nähe des Gendarmenmarktes in der Jägerstraße widerspiegelte. Vor diesem Hintergrund sind der Aufbau und die Entwicklung der Berliner CDU auf der Orts-, Bezirks- und Landesverbandsebene zu sehen. Zwischen Juli und September 1945 gründeten sich überall in der Stadt Orts- und Bezirksgruppen der Partei, die die Basis bildeten für die Entstehung des Landesverbandes am 13. November 1945. Gründungsvorsitzender war der Journalist und stellvertretende Chefredakteur der Parteizeitung „Neue Zeit“, Karl Brammer, der dieses Amt allerdings nur übergangsweise bis zum März 1946 ausübte. Sein Nachfolger wurde Kurt Landsberg, der aus der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) der Weimarer Zeit kam und von 1946 bis 1950 die Politik der CDU in Berlin maßgeblich mitgestaltete, 1946/47 als Landesvorsitzender und von 1948 bis 1950 als Vorsitzender der CDU-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung. Nach innerparteilichen Auseinandersetzungen über das Berliner Schulgesetz verließ Landsberg seine Partei und trat zur SPD über. Im März 1947 folgte ihm im Landesvorsitz Walther Schreiber, der zu den Mitunterzeichnern des Berliner Gründungsaufrufes vom 26. Juni 1945 gehört hatte. In die fünfjährige Amtszeit von Schreiber fiel die Spaltung des Landesverbandes 1948. Von der politischen Teilung der Stadt mit der Errichtung eines zweiten, nicht demokratisch legitimierten Magistrats im Ostsektor und der sowjetischen Blockade der westlichen Sektoren 1948/49 war auch der Landesverband der CDU Berlin unmittelbar betroffen. Die Spaltung des Landesverbandes zeichnete sich seit der Absetzung von Jakob Kaiser als Vorsitzender des Gesamtverbandes der CDU in der SBZ im Dezember 1947 1 Ralf Thomas Baus: Die Christlich-Demokratische Union Deutschlands in der sowjetisch besetzten Zone 1945 bis 1948. Gründung – Programm – Politik (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 36). Düsseldorf 2001, S. 85.

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ab. Der Landesverband erkannte diesen Schritt der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) nicht an, da nur alle vier Besatzungsmächte gemeinsam befugt seien, Kaiser seines Amtes zu entheben. Die Krise verschärfte sich, als der Landesverband es kategorisch ablehnte, sich an der von den Sowjets initiierten Volkskongressbewegung zu beteiligen. Schreiber wurde daraufhin am 12. Februar 1948 von der SMAD die Teilnahme an einer Beratung der Landesvorsitzenden der CDU der SBZ verboten. In einer gemeinsamen Sitzung zwei Tage später reagierten der Landesausschuss und die CDU-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung mit der Erklärung, dass dem Berliner Landesverband nach diesem Vorfall eine weitere Zusammenarbeit und die Aufrechterhaltung einer organisatorischen Verbindung mit den Landesverbänden in der SBZ nicht mehr möglich sei. Trotz dieser faktischen Spaltung bekannten sich die Ortsgruppen der CDU im Ostsektor zum Landesverband unter der Führung von Schreiber, weshalb auch der Ende Februar 1948 auf Initiative der SMAD ins Leben gerufene „Aktionsausschuss Berlin der CDU im Sowjetischen Sektor“ keine Wirkung entfalten konnte. Gleiches galt für eine weitere Gründung der SMAD, den „Arbeitskreis Groß-Berlin beim Gesamtverband der CDU“, der am 24. April 1948 entstand und für sich eine Zuständigkeit für ganz Berlin reklamierte. Dies sollte die Wahl des Rechtsanwalts Helmut Brandt zum 1. Vorsitzenden unterstreichen, der mit seiner Anwaltskanzlei am Kurfürstendamm im britischen Sektor saß und dem Arbeitskreis als „bürgerliches Aushängeschild“2 diente. In der Konkurrenz mit dem legalen Landesverband der CDU unter Schreiber konnte dieser Arbeitskreis, der weniger als 70 Mitglieder zählte, nicht bestehen. Die SMAD sah sich zum Handeln veranlasst, erzwang am 21. August 1948 den Auszug des Landesverbandes aus dem Unionshaus in der Jägerstraße und verbot der legalen CDU jede parteipolitische Betätigung im Ostsektor Berlins. Der Hauptvorstand der CDU der SBZ fasste den Beschluss, den Arbeitskreis als Landesverband der CDU von Groß-Berlin anzuerkennen, der am 4. September 1948 durch die SMAD bestätigt wurde. Damit fand der Spaltungsprozess seinen Abschluss. Im Ostteil der Stadt nahm die Gleichschaltung der CDU ihren Lauf: am 18. Juni 1949 löste Arnold Gohr, dessen enge Kooperation mit der SMAD bekannt war, Brandt im Vorsitz des neuen Landesverbandes Berlin der CDU (Ost) ab, im Dezember 1949 bekannte sich dieser Landesverband als erster Landesverband der CDU in der DDR „uneingeschränkt zur Politik der SED“3, und ab Januar 1950 setzte – wie in den anderen Landesverbänden der CDU in der DDR – eine Säuberungswelle ein. Die kurze Geschichte des ostzonalen Landesverbandes endete 1952, als die CDU in der DDR ihre Parteistrukturen der staatlichen Verwaltungsreform anpasste und die Umwandlung in den Bezirksverband Berlin der CDU (ursprünglich Stadtverband) erfolgte. Die Geschichte des legalen Landesverbandes der CDU Berlin nahm einen anderen Verlauf. Die krisenhafte Situation Berlins ließ die CDU 1948 aus staatspolitischer Verantwortung in eine Allparteienregierung unter dem Oberbürgermeister bzw. Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter eintreten, die über die Wahlen zum Abgeordnetenhaus von 1950 hinaus bis zum Tod Reuters am 29. September 1953 Bestand hatte. Danach bildeten CDU und FDP eine Regierungskoalition und wählten Schreiber zum neuen Regierenden Bürgermeister. Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 5. Dezember 1954 verloren 2 Michael Richter: Die Ost-CDU 1948 – 1952. Zwischen Widerstand und Gleichschaltung (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 19). 2. korrigierte Aufl. Düsseldorf 1991, S. 140. 3 Ebd., S. 154.

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CDU und FDP ihre parlamentarische Mehrheit. Die fortwährend angespannte politische Situation veranlasste die CDU, in eine Große Koalition mit der SPD einzutreten, die zunächst von Otto Suhr und nach dessen Tod 1957 von Willy Brandt angeführt und unter dem Eindruck des Chruschtschow-Ultimatums nach der Wahl von 1958, bei der die Sozialdemokraten die absolute Mehrheit erzielten, fortgeführt wurde. Diese besondere politische Konstellation erschwerte es der Berliner CDU, in der auf Schreiber im Landesvorsitz mit Robert Tillmanns (1952 – 1955) und Ernst Lemmer (1955 – 1961) zwei Bundesminister und damit über Berlin hinaus bekannte Persönlichkeiten folgten, ein eigenes Profil zu entwickeln. Vielmehr wurde sie „teils als ‚Anhängsel der Mehrheitspartei‘, teils als Sprachrohr der Bonner Regierungspolitik im sozialdemokratischen Berlin“4 wahrgenommen. Daran änderte sich zunächst nichts, als die CDU nach der Abgeordnetenhauswahl vom 17. Februar 1963 in die Opposition ging. Nach dramatischen Verlusten von fast 9 Prozentpunkten landete sie bei einem Stimmenanteil von nur noch 28,8 Prozent, während die SPD ihren Stimmenanteil auf 61,9 Prozent steigern konnte. Auch unter Franz Amrehn, der die Partei seit 1961 führte, blieb die Berliner CDU blass und konturlos. Wachsende Spannungen mit der Bundespartei führten 1969 zum Wechsel im Landesvorsitz, den der erst 46-jährige Peter Lorenz übernahm. Der neue Landesvorsitzende sorgte für einen Modernisierungsschub. In der ersten Hälfte der 1970er Jahre konnte die Berliner CDU ihre Mitgliederzahlen fast verdoppeln. Weitreichend und von bleibender Bedeutung war die Einrichtung von Foren, die der Landesvorstand für einzelne politische Sachgebiete bildete und denen auch Personen angehören können, die nicht Mitglied der CDU sind. Sie sollen die inhaltliche Arbeit der Partei und der Fraktion im Abgeordnetenhaus unterstützen. Mit Peter Lorenz als Spitzenkandidat gewann die CDU bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 2. März 1975 fast sechs Prozentpunkte hinzu und löste mit einem Stimmenanteil von 43,9 Prozent die SPD als stärkste politische Kraft ab, verharrte aber in der Opposition, da die FDP zum Seitenwechsel noch nicht bereit war. Auch nach der Abgeordnetenhauswahl vom 18. März 1979, bei der die CDU unter ihrem neuen Spitzenkandidaten Richard von Weizsäcker ihre Position als stärkste Partei festigen konnte, änderte sich an dieser politischen Konstellation nichts. Mit der Wahl zum neuen Landesvorsitzenden der CDU auf dem 65. Landesparteitag am 21. März 1981 vollzog von Weizsäcker endgültig den Wechsel von der Bundes- in die Berliner Landespolitik, in der sich in diesen Monaten die Mehrheitsverhältnisse entscheidend veränderten. Infolge der Affäre um den Bauunternehmer Dietrich Garski trat der Regierende Bürgermeister Dietrich Stobbe zurück. Sein Nachfolger Hans-Jochen Vogel konnte die Niederlage der SPD bei den Neuwahlen vom 10. Mai 1981 nicht mehr verhindern, bei denen die CDU mit einem Stimmenanteil von 48,0 Prozent nur knapp die absolute Mehrheit verfehlte. Von Weizsäcker bildete einen Minderheitssenat, der im Abgeordnetenhaus von Teilen der FDPFraktion toleriert wurde. Erst nach dem Regierungswechsel in Bonn im Herbst 1982 und der Bestätigung der christlich-liberalen Koalition unter Führung von Helmut Kohl bei den vorgezogenen Bundestagswahlen vom 6. März 1983 entschied sich die FDP zum Eintritt in den Senat Weizsäcker. Die CDU/FDP-Regierung wurde auch nach der Wahl Richard von Weizsäckers zum Bundespräsidenten 1984 fortgeführt und bei den Abgeordnetenhauswahlen im März 1985 bestätigt. 4 Hans-Otto Kleinmann: Geschichte der CDU 1945 – 1982. Hg. von Gunter Buchstab. Stuttgart 1993, S. 234.

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Nachfolger als CDU-Landesvorsitzender und Regierender Bürgermeister war der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Eberhard Diepgen, der die Wahlniederlage von 1989 politisch überlebte und knapp zwei Jahrzehnte die Geschicke der CDU in Berlin bestimmte. Steigende Arbeitslosenzahlen, das ungelöste Problem der Hausbesetzungen und Korruptionsskandale in Politik und Bauwirtschaft führten bei den Wahlen vom 29. Januar 1989 zum Machtverlust. SPD und Alternative Liste verständigten sich unter der Führung von Walter Momper auf eine rot-grüne Regierung, die allerdings bereits im November 1990 am Streit über die Räumung besetzter Häuser in der Mainzer Straße auseinanderbrach, sodass am 2. Dezember 1990 parallel zu den ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen vorgezogene Neuwahlen zum Abgeordnetenhaus anstanden, in die die CDU als gemeinsamer Landesverband zog. Die Vereinigung der CDU aus beiden Teilen der Stadt hatte am 8. September 1990 stattgefunden. Auf diesem Parteitag war Eberhard Diepgen zum ersten Landesvorsitzenden der wiedervereinigten Berliner CDU gewählt worden. Die CDU ging mit einem Stimmenanteil von 40,4 Prozent als der klare Sieger aus den Wahlen vom 2. Dezember 1990 hervor. Da es aber aufgrund des Abschneidens der FDP zur Bildung einer bürgerlichen Koalition nicht reichte, ging sie in eine Große Koalition mit der SPD, die nach den Wahlen von 1995 und 1999 erneuert wurde. Die Hochburgen der CDU lagen im Westteil der Stadt, wo die Partei Stimmenanteile zwischen 45 und 49 Prozent erzielte, während ihr Stimmenanteil im Ostteil Berlins deutlich unter 30 Prozent lag. Das Ost-West-Gefälle in der Wählerschaft spiegelte sich auch in der Mitgliederstärke der Kreisverbände der CDU wider. Die mitgliederstarken und damit einflussreichen Kreisverbände Steglitz-Zehlendorf, Charlottenburg-Wilmersdorf oder Reinickendorf lagen im Westteil der Stadt. Eine grundlegende Reform der Kreisverbandsstruktur ergab sich aus der Bezirksgebietsreform, die am 1. Januar 2001 in Kraft trat und zur Zusammenlegung von ehemals 23 Bezirken in 12 neue Bezirke führte. Die Kreisverbandsstruktur wurde der neuen Verwaltungsstruktur angepasst und führte wie im Fall von Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg zur Herausbildung von Kreisverbänden, die jeweils Ostund Westkreisverbände in einem neuen gemeinsamen Kreisverband zusammenführten. Das Jahr 2001 markiert nicht allein aufgrund des Inkrafttretens der Bezirksgebietsreform eine Zäsur in der Geschichte Berlins. Wegen des Berliner Banken- und Spendenskandals verließ die SPD das Regierungsbündnis. Der Regierende Bürgermeister Diepgen wurde am 16. Juni 2001 durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt bei gleichzeitiger Wahl des SPD-Fraktionsvorsitzenden Klaus Wowereit zum neuen Stadtoberhaupt. Bei den vorgezogenen Neuwahlen am 21. Oktober 2001 musste die CDU mit ihrem erst 35-jährigen Spitzenkandidaten Frank Steffel erdrutschartige Verluste hinnehmen und kam nur noch auf einen Stimmenanteil von 23,8 Prozent. Seither schaffte sie es nicht mehr, bei Wahlen zum Abgeordnetenhaus Ergebnisse jenseits der 25-Prozent-Marke zu erzielen. Im Ostteil der Stadt verfügt sie nur noch über den Status einer „Kleinpartei“ 5. Nach dem Verlust des Regierungsamtes verzichtete Diepgen 2002 auch auf den Vorsitz der Landespartei. In den folgenden sechs Jahren zählte die Berliner CDU mit Christoph Stölzl, Joachim Zeller und Ingo Schmitt nicht weniger als drei Landesvorsitzende. 5 Ingrid Reichart-Dreyer: Das Parteiensystem Berlins, in: Uwe Jun/Melanie Haas/Oskar Niedermayer (Hg.): Parteien und Parteiensysteme in den deutschen Landern. Wiesbaden 2008, S. 147 – 166, hier 156.

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Erst mit Frank Henkel, der 2008 an die Spitze der Landespartei trat, stabilisierte sich die Hauptstadt-CDU wieder. Der neue Landesvorsitzende vermochte es, den Landesvorstand, das eigentliche Führungsgremium der Berliner CDU, durch die Einrichtung eines Präsidiums zu stärken und dadurch die Macht der Kreisvorsitzenden zu begrenzen. Auch schaffte er es, mit der Kulturexpertin Monika Grütters und dem Unternehmer Thomas Heilmann Persönlichkeiten zu gewinnen, die neue Ideen einbrachten. Der Erfolg zeigte sich bei der Abgeordnetenhauswahl vom 18. September 2011, bei der die CDU ihren Abwärtstrend stoppen konnte und nach leichten Zugewinnen von 2,1 Prozentpunkten sogar die Rückkehr in die Landesregierung schaffte. Sie wurde Juniorpartner in einer Großen Koalition, die ungeachtet des Wechsels im Amt des Regierenden Bürgermeisters von Klaus Wowereit zu Michael Müller die volle Wahlperiode amtierte. Die neuerliche Regierungsbeteiligung zahlte sich für die CDU nicht aus. Im Gegenteil, sie geriet in den Sog des Abwärtstrends der SPD und fuhr bei der Wahl vom 18. September 2016 mit 17,6 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis bei Wahlen zum Berliner Landesparlament ein. Als Spitzenkandidat und Landesvorsitzender übernahm Henkel die politische Verantwortung für das Wahldebakel und legte den Landesvorsitz nieder. Die inzwischen zur Kulturstaatsministerin bei der Bundeskanzlerin aufgestiegene Grütters übernahm im Dezember 2016 die Führung der Hauptstadtpartei. Die Kulturpolitikerin stand sinnbildlich für die CDU als liberale Großstadtpartei. Ihr gelang es aber nicht in genügendem Ausmaß, landespolitische Akzente zu setzen. Wiederholt wurde ihr mangelnde Präsenz in der Berliner Landespolitik vorgeworfen, woraufhin sie im Frühjahr 2019 auf eine Wiederwahl als Landesvorsitzende verzichtete und damit den Weg frei machte für den Spandauer Bundestagsabgeordneten Kai Wegner, der seit dem 18. Mai 2019 an der Spitze der Berliner CDU steht und als Spitzenkandidat die Partei in die Abgeordnetenhauswahl vom 26. September 2021 führte. Das Wahlziel, stärkste Fraktion im Landesparlament zu werden und einen Regierungswechsel herbeizuführen, wurde deutlich verfehlt; die CDU fiel sogar auf Platz 3 hinter Bündnis 90/Die Grünen zurück. Immerhin konnte die Hauptstadt-CDU entgegen dem Bundestrend einen halben Prozentpunkt hinzugewinnen und im Ostteil der Stadt in den Wahlbezirken Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Pankow sechs Direktmandate erringen. Bei der Durchführung der Wahl hatte es massive Probleme gegeben. Falsche, fehlende oder eilig kopierte Stimmzettel, zu wenige Wahlurnen, lange Schlangen vor den Wahllokalen mit teilweise stundenlangen Wartezeiten sowie Stimmabgaben nach der Schließungszeit von 18.00 Uhr kennzeichneten das Berliner Wahlchaos. Der Landesverfassungsgerichtshof sah die Grundsätze der Allgemeinheit, Gleichheit und Freiheit der Wahl verletzt und erklärte am 16. November 2022 den Urnengang vom 26.September 2021 für ungültig. Die Wahlwiederholung am 12.Februar 2023 gewann die Berliner CDU mit Kai Wegner als Spitzenkandidat.

Forschungs- und Quellenlage Gründung und Aufbau der CDU in Berlin einschließlich der Spaltung des Landesverbandes 1948 im Zuge der Teilung der Stadt sind im Archiv für Christlich-Demokratische Politik sowohl in Organisations- als auch in Personenbeständen der Partei in größerem Umfang dokumentiert. Überlieferungen hierzu liegen in den Nachlässen der Parteigründer Emil Dovifat, Otto Heinrich von der Gablentz, Johann Baptist Gradl, Andreas Her243

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mes, Otto Lenz, Eberhard Plewe und Walther Schreiber vor. Auch in dem Schriftgut des Landesverbandes der CDU Berlin befinden sich Gründungsunterlagen, wie überhaupt dieser Bestand für die Geschichte christlich-demokratischer Politik in (West)Berlin von zentraler Bedeutung ist. Er umfasst fast 105 laufende Regalmeter Akten. Darin sind Unterlagen hinterlegt, die die Parteigeschichte bis in die 10er-Jahre des 21. Jahrhunderts belegen. Ergänzungen stellen die Nachlässe der langjährigen Parteivorsitzenden Franz Amrehn und Peter Lorenz dar. Weiter ist hinzuweisen auf den Nachlass von Jürgen Wohlrabe, der in der Wendezeit 1989/90 das Amt des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin ausübte. Zur Geschichte der CDU im Ostteil Berlins sind ebenfalls Unterlagen archiviert. Dies betrifft sowohl den Zeitraum des Bestehens eines Landesverbandes von 1948 bis 1952 als auch die langen Jahre des Bezirksverbandes von 1952 bis 1990. Nennenswert ergänzt wird dieses Archivgut durch Akten der Kreisverbände Friedrichshain, Hellersdorf, Marzahn, Mitte und Weissensee. Eine Gesamtdarstellung zur Geschichte des Landesverbandes der CDU Berlin ist ein Desiderat. Wissenschaftlich erforscht sind mit den Arbeiten von Ralf Thomas Baus6 und Wolfgang Tischner 7 lediglich die Anfänge christlich-demokratischer Politik in Berlin 1945/46. Die Spaltung des Landesverbandes 1948 und die unmittelbare weitere Entwicklung der CDU im Ostteil der Stadt hat Michael Richter in seinen Arbeiten untersucht.8 Ansonsten beschränken sich Beiträge zur Geschichte des Landesverbandes auf die Arbeit von Hans-Otto Kleinmann9 aus zeithistorischer Perspektive und die Aufsätze von Jakob Lempp10 und Ingrid Reichart-Dreyer11 aus sozialwissenschaftlicher Sicht.

Landesverband Berlin Landesvorsitzende 1945 – 1946 Karl Brammer 1946 – 1947 Kurt Landsberg 1947 – 1952 Walther Schreiber 1952 – 1955 Robert Tillmanns 1955 – 1961 Ernst Lemmer 1961 – 1969 Franz Amrehn 1969 – 1981 Peter Lorenz 1981 – 1983 Richard von Weizsäcker 1983 – 2002 Eberhard Diepgen 2002 – 2003 Christoph Stölzl 2003 – 2005 Joachim Zeller 2005 – 2008 Ingo Schmitt 6 Baus: Christlich-Demokratische Union. 7 Wolfgang Tischner: Katholische Kirche in der SBZ/DDR 1945 – 1951. Die Formierung einer Subgesellschaft im entstehenden sozialistischen Staat (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe B: Forschungen. Bd. 90). Paderborn u. a. 2001. 8 Richter: Die Ost-CDU; Ders.: Die Teilung des CDU-Landesverbandes Berlin 1948, in: Deutschland Archiv 27 (1994), S. 729 – 737. 9 Kleinmann: Geschichte der CDU 1945–1982. 10 Jakob Lempp: Berlin – die Parteien im „wiedervereinigten Bundesland“, in: Andreas Kost/Werner Rellecke/Reinhold Weber (Hg.): Parteien in den deutschen Ländern. Geschichte und Gegenwart. München 2010, S. 161 – 173. 11 Reichart-Dreyer: Parteiensystem Berlins.

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2008 2008 – 2016 2016 – 2019 seit 2019

Joachim Zeller (kommissarisch) Frank Henkel Monika Grütters Kai Wegner

Landesverband Berlin (Ost) Landesvorsitzende 1948 – 1949 Helmut Brandt 1949 – 1952 Arnold Gohr

Bezirksverband Berlin (Ost) Bezirksvorsitzende 1952 – 1955 Max Reutter 1956 – 1957 Hermann Dropmann 1957 – 1958 Albert Kotulla 1958 – 1960 Fritz Flint 1960 – 1961 Karl Bukert 1961 – 1965 Hansjürgen Rösner 1965 – 1978 Heinz-Rudolf Hoffmann 1978 – 1981 Ursula Raurin-Kutzner 1981 – 1988 Dietrich Voigtberger 1988 – 1989 Wolfgang Eckstein (amtierend) 1989 – 1990 Siegfried Berghaus

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Landesverband Brandenburg Stefan Marx Mit der Gemeinde Kleinmachnow, am südwestlichen Stadtrand von Berlin gelegen, verbinden sich die Anfänge christlich-demokratischer Politik in Brandenburg. Die Initiative zur Gründung einer CDU-Ortsgruppe geht auf Ernst Lemmer zurück, der in der Weimarer Republik der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) angehörte und bis zur Zerschlagung der Gewerkschaften 1933 Generalsekretär des Gewerkschaftsringes deutscher Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenverbände war. Von dem sowjetischen Ortskommandanten eingesetzt, übte Lemmer in Kleinmachnow seit dem 28. April 1945 das Amt des Bürgermeisters aus. Zu dem Gründerkreis zählte auch der Verleger Peter Bloch, der auf der Gründungsversammlung am 23. Juni 1945, an der etwa 30 Frauen und Männer teilnahmen, zum Vorsitzenden der Ortsgruppe gewählt wurde. Im August und September 1945 folgte die Gründung weiterer Ortsgruppen in Brandenburg, das bis zur Auflösung Preußens im Februar 1947 de jure nur eine „Provinz“ war und erst im Juli desselben Jahres den staatsrechtlichen Status eines Landes erhielt. Ein wichtiger Impulsgeber zahlreicher Gründungen von Ortsgruppen waren die Kirchen, wie das Beispiel der Parteigründung in Frankfurt/Oder zeigte. Eine Besonderheit stellte die Entstehung der CDU in Cottbus dar, die offensichtlich im Zusammenhang mit den Aktivitäten des örtlichen „Antifaschistischen Komitees“ stand. Eine zentrale Rolle spielte hier Willy Heller, der aus der christlichen Gewerkschaftsbewegung kam und sich im Frühsommer 1945 nur auf Druck des sowjetischen Besatzungsoffiziers in Cottbus zu einer vorläufigen Wiedergründung der Zentrumspartei bereitfand. Dabei verfolgte Heller die Gründung einer überkonfessionellen christlichen Volkspartei, worin er sich bestärkt fühlte, nachdem er von dem Berliner Gründungsaufruf der CDU vom 26. Juni 1945 erfahren hatte. Am 21. August 1945 erfolgte schließlich die Gründung einer Ortsgruppe der CDU in Cottbus. Langwierig gestaltete sich der Gründungsprozess in Potsdam. Hier hatte sich bereits im Juni 1945 unter der Führung von Hubertus Graf von Schmettau eine „Arbeitsgemeinschaft für christliche Politik“ gebildet, die in engem Kontakt mit der „Reichsgeschäftsstelle“ der CDU in Berlin stand. Von dort aus erhielt Graf von Schmettau Anfang August 1945 den Auftrag zur Gründung einer Ortsgruppe in Potsdam-Babelsberg. Der entsprechende Antrag zur Registrierung bei der sowjetischen Militäradministration in Potsdam vom 11. August 1945 enthielt den handschriftlichen Zusatz über eine Zulassung für den gesamten Verwaltungsbereich der Stadt. Vermutlich schon im August, offiziell aber erst am 27. Oktober 1945 konstituierte sich der Kreisverband der Potsdamer CDU. Mitbegründer und erster Vorsitzender war Wilhelm Wolf, der elf Tage zuvor auch bei der Gründung des Landesverbandes der CDU Brandenburg maßgeblich mitgewirkt hatte. Neben dem selbständigen Kaufmann, gebürtigen Rheinländer und Katholiken entwickelte sich Karl Grobbel, der als Landesgeschäftsführer von der „Reichsgeschäftsstelle“ in Berlin aus den Parteiaufbau in Brandenburg vorantrieb, zu einer zentralen Figur der Gründungs- und Aufbauphase des Landesverbandes. Als langjähriger hauptamtlicher 247

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Mitarbeiter der Zentrumspartei verfügte er über ausgezeichnete Kontakte zu zahlreichen katholischen Geistlichen in Ost-, Mittel- und Norddeutschland, die bei Gründung und Aufbau des Landesverbandes von großer Bedeutung waren. Auf dem 1. Landesparteitag, der vom 27. bis 28. April 1946 in Potsdam stattfand und Wolf in seinem Amt bestätigte, wurde Grobbel zu einem der drei Stellvertreter des Landesvorsitzenden gewählt. Der im Vergleich zu den anderen Landesverbänden der CDU in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) langwierigere Aufbau von Parteistrukturen in Brandenburg hatte mehrere Ursachen. Die erheblichen Kriegszerstörungen, die schlechten Verkehrsverhältnisse, die eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten und die dünne Besiedlung des Landes sind hier ebenso zu nennen wie die erheblichen Behinderungen bei der Zulassung von Ortsgruppen durch die örtlichen Stellen der sowjetischen Militäradministration. Hinzu kommt ein schwerwiegender organisatorischer Grund, dass nämlich die Landesgeschäftsstelle erst im Herbst 1946 von Berlin in die Alte Wache nach Potsdam verlegt wurde. Damit fehlte für längere Zeit „ein sichtbares Zentrum der Union, von wo der Parteiaufbau vor Ort hätte organisiert werden können“.1 Von Beginn an waren die politischen Handlungsspielräume der CDU begrenzt. Der Landesverband wurde in den „Antifaschistisch-demokratischen Einheitsblock Provinz Mark Brandenburg“ gezwungen, der sich am 22. November 1945 in Potsdam bildete. Die Einbindung in den Landesblockausschuss kam „einem Verbot gleich, sich der von der sowjetischen Besatzungsmacht vorgegebenen politischen Generallinie zu widersetzen“.2 Doch genau dies machte der CDU-Landesvorsitzende Wolf, der bereits im Dezember 1945 gegen die Absetzung von Andreas Hermes als Vorsitzender der CDU in der SBZ protestiert hatte. Auch die rechtswidrigen Enteignungen in der SBZ stießen auf seinen entschiedenen Widerstand. Offen heraus forderte Wolf die sowjetische Besatzungsmacht und die SED auf dem 3.Landesparteitag der CDU Brandenburg, der vom 7. bis 9. Mai 1948 in Brandenburg an der Havel stattfand. Nicht nur, dass er die Einhaltung der Menschenrechte und die Sicherung des Privateigentums in der SBZ anmahnte und für die CDU mehr Mitwirkungsmöglichkeiten in der Verwaltung beanspruchte, Wolf unterstellte der SED, sie strebe einen totalitären Staat an. Wenige Tage später, am 14. Mai 1948, kam er unter ungeklärten Umständen bei einem Autounfall ums Leben. Gerüchte über einen bewusst herbeigeführten Unfall und damit ein tödliches Attentat auf Wolf kamen auf, ließen sich aber nicht überprüfen. Nach der Staatsgründung der DDR im Oktober 1949 verschärfte sich der Anpassungsdruck auf dramatische Weise. Im Januar 1950 begann die SED „eine systematisch angelegte Verfolgungskampagne“3 gegen die CDU. Wolfs Ehefrau Erika konnte sich nur durch Flucht in den freien Teil Berlins einer Verhaftung entziehen. Sie machte in der Bundesrepublik Deutschland politisch Karriere und war von 1965 bis 1976 Mitglied des Deutschen Bundestages. Nach der Wiedervereinigung kehrte sie 1994 nach Potsdam zurück und wurde 1995 zur Ehrenvorsitzenden der CDU Brandenburg gewählt.

1 Katrin Baus/Ralf Baus: Die Gründung der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands in Brandenburg 1945, in: HPM 6 (1999), S. 79 – 107, hier 100. 2 Ingrid Jander: Politische Verfolgung in Brandenburg 1949 bis 1953. Der Kampf gegen Ost-CDU, Bauern und Kirchen im Spiegel der Akten von SED und Staatssicherheit (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 59). Düsseldorf 2012, S. 30. 3 Ebd., S. 132.

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Nicht mehr fliehen konnten der Potsdamer Bürgermeister und CDU-Kreisvorsitzende Erwin Köhler und seine Frau Charlotte, die im März 1950 verhaftet, zum Tode verurteilt und ein Jahr später in der Sowjetunion hingerichtet wurden. Ein weiteres prominentes Beispiel ist Franz Schleusener, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Stadtrat von Potsdam und des Rechts- und Verfassungsausschusses im Landtag Brandenburg, der ebenfalls im März 1950 verhaftet wurde und nur wenige Tage später nach schwersten Misshandlungen in seiner Gefängniszelle erfror. Die Säuberungswelle führte zu einem umfassenden Austausch von Parteifunktionären. Allein 24 von 27 Kreisvorsitzenden verloren ihr Amt und wurden durch SED-loyale Kräfte ersetzt. Der Gleichschaltungsprozess der CDU fand 1952 mit der faktischen Auflösung des Landes Brandenburg im Zuge der Verwaltungsreform vom 23. Juli 1952 seinen Abschluss. Der Landesverband Brandenburg wurde aufgelöst und die Parteistruktur der neuen Verwaltungsgliederung der DDR in 14 Bezirke mit der Bildung der drei CDU-Bezirksverbände Potsdam, Frankfurt/Oder und Cottbus angepasst. Vergleichbar war die Entwicklung der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDPD). Die Blockparteien wurden in dem Prozess der Gleichschaltung „zu SED-konformen Kaderparteien umfunktioniert“4. Wie die Geschichte der CDU in den folgenden dreieinhalb Jahrzehnten zeigte, war es freilich nicht gelungen, auch die Basis der Partei völlig gleichzuschalten. Im Zusammenhang mit dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953, dem Mauerbau vom 13. August 1961 oder dem Volksentscheid über die sozialistische Verfassung vom 6. April 1968 wurde erkennbar, dass es an der Parteibasis „Unzufriedenheit und Widerstandspotentiale“5 gab. Durch die Reformpolitik Gorbatschows ermutigt, wurden auch in den CDU-Bezirksverbänden Potsdam, Frankfurt/Oder und Cottbus Stimmen laut, die ihre Unzufriedenheit mit der eigenen Parteiführung und den Zuständen in der DDR zum Ausdruck brachten. In besonderer Weise rumorte es an der Parteibasis in Neuenhagen. Hier war die Ärztin Else Ackermann seit 1986 Vorsitzende der CDU-Ortsgruppe, welche sich am 27. Juni 1988 in einem Brief an die Parteiführung in Berlin „Gedanken zu gesellschaftspolitischen Fragen in der DDR“ machte. Die Unzufriedenheit und Kritik beschränkte sich nicht auf die eigene Partei, sondern nahm das DDR-System überhaupt in den Blick. Die Neuenhagener Ortsgruppe thematisierte unter anderem die Ausreiseproblematik, den fehlenden geistigen Pluralismus, die Gleichschaltung der Medien, die mangelnde Transparenz politischen Handelns und die Basisferne von Staats- und Parteifunktionären. Die Kritik war (noch) systemimmanent. Es ging also um Reformen innerhalb der CDU und des politischen Systems der DDR. Die Parteiführung in Berlin reagierte auf den Vorstoß aus Neuenhagen hilflos. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Forderungen der Ortsgruppe fand nicht statt. Vielmehr mussten alle Exemplare des Briefes vernichtet werden. Im folgenden Jahr – insbesondere mit dem „Brief aus Weimar“ vom 10. September 1989 – wuchs die Kritik der Parteibasis an der Führung in Berlin um den Vorsitzenden Gerald Götting, der schließlich am 2. November 1989 als Vorsitzender der CDU in der DDR zurücktrat. Auf dem Sonderparteitag am 15. und 16. Dezember 1989 in Berlin, auf dem die CDU ihre Ab4 Ute Schmidt: Von der Blockpartei zur Volkspartei? Die Ost-CDU im Umbruch 1989 – 1994 (Schriften des Zentralinstituts für sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin. Bd. 81). Opladen 1997, S. 37. 5 Manfred Agethen: Unruhepotentiale und Reformbestrebungen an der Basis der Ost-CDU im Vorfeld der Wende. Der „Brief aus Weimar“ und der „Brief aus Neuenhagen“, in: HPM 1 (1994), S. 89 – 114, hier 90.

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kehr vom Sozialismus vollzog und ein Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft und zur Einheit der deutschen Nation ablegte, wurde auch die Wiederherstellung der alten Länderstruktur der DDR gefordert, weil territoriale Strukturen „Heimatbewusstsein und demokratische Selbständigkeit gegenüber zentralen Organen“ förderten. Daraufhin wurden noch vor der Auflösung der Bezirke und der Wiederherstellung der Länder in der DDR im Juni 1990 die früheren Landesverbände der CDU wiederbegründet. Mit diesem Schritt wollte sich die CDU als diejenige Partei präsentieren, die das Bedürfnis nach regionaler Identität rechtzeitig erkannt habe. Der Landesverband der CDU Brandenburg wurde am 3. März 1990 in Potsdam mit dem Zusammenschluss der Bezirksverbände Cottbus, Frankfurt/Oder und Potsdam wiederbegründet. Der Parteitag wählte den Kulturpolitiker Herbert Schirmer zum Landesvorsitzenden. Er war ein Kompromisskandidat, auf den sich die alten Blockparteifunktionäre und die Reformkräfte hatten einigen können. Diese Wahl erwies sich als Fehlentscheidung. Schirmer, der als Kulturminister in das Kabinett der letzten DDRRegierung berufen wurde, war als Landesvorsitzender praktisch nicht präsent und trat noch vor der Landtagswahl am 14. Oktober 1990 zurück. Die CDU erreichte bei dieser Wahl einen Stimmenanteil von nur 29,4 Prozent und landete deutlich abgeschlagen hinter der SPD, die mit ihrem Spitzenkandidaten Manfred Stolpe eine Regierungskoalition mit Bündnis 90 und der FDP einging. Kommissarisch übernahm Wolfgang Haupt die Aufgaben von Schirmer, ehe auf dem 3. Landesparteitag in Potsdam am 17. November 1990 Lothar de Maizière in das Amt des Landesvorsitzenden gewählt wurde, das er allerdings im September 1991 nach neuen Vorwürfen gegen ihn wegen angeblicher Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der DDR wieder niederlegte. Ihm folgten im Landesvorsitz der Märkischen Union Ulf Fink (1991 – 1993), Carola Hartfelder (1993 – 1996) und Peter Wagner (1996 – 1999), denen es nicht gelang, den Landesverband zu stabilisieren. Im Gegenteil, bis Ende der 1990er Jahre prägten „ein Hauen und Stechen zwischen ‚Blockis‘ und Reformern, zwischen Westdeutschen und Ostdeutschen, zwischen Berlinern und Brandenburgern und zwischen Partei und Fraktion“6 das Bild der Märkischen Union, die bei der Landtagswahl von 1994 nach Verlusten von knapp elf Prozentpunkten nur noch auf einen Stimmenanteil von 18,7 Prozent kam. Eine Zäsur markierte die Wahl des ehemaligen Berliner Innensenators Jörg Schönbohm zum Nachfolger von Peter Wagner im Landesvorsitz im Januar 1999. Binnen kurzer Zeit entwickelte sich Schönbohm zur „Zentralfigur der Brandenburger CDU“7, die die Partei nach Gewinnen von fast acht Prozentpunkten bei der Landtagswahl im September 1999 in eine Große Koalition mit der SPD führte, die trotz Verlusten bei der folgenden Wahl 2004 fortgeführt wurde und bis zur Landtagswahl von 2009 Bestand hatte. In der Ära Schönbohm erlebte die Märkische Union ihren größten Einfluss innerhalb der Bundespartei. Von 2000 bis 2006 gehörte Schönbohm dem Präsidium der CDU Deutschlands an. Schönbohm vermochte es allerdings nicht, seine Nachfolge in der Landespartei zu regeln, sodass alte Machtkämpfe wieder aufbrachen. Zwischen 2007 und 2012 gab es mit Ulrich Junghanns, Johanna Wanka und Saskia Ludwig gleich drei Vorsitzende inner6 Richard Stöss: Das Parteiensystem Brandenburgs, in: Uwe Jun/Melanie Haas/Oskar Niedermayer (Hg.): Parteien und Parteiensysteme in den deutschen Ländern. Wiesbaden 2008, S. 167 – 191, hier 184. 7 Stephan Dreischer: Die CDU in Brandenburg, in: Jakob Lempp (Hg.): Parteien in Brandenburg. Berlin 2008, S. 91 – 123, hier 94.

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halb von fünf Jahren. Erst mit der Wahl von Michael Schierack an die Spitze der CDU Brandenburg im November 2012 kehrte in der Partei wieder Ruhe ein. Mit ihm als Spitzenkandidat gewann die CDU bei der Landtagswahl im September 2014 rund drei Prozentpunkte hinzu und überwand mit einem Stimmenanteil von 23 Prozent erstmals seit 1999 wieder die 20-Prozent-Marke. Nach dem Scheitern der Verhandlungen zur Wiederauflage der Großen Koalition trat Schierack als Vorsitzender der Landespartei wie der Landtagsfraktion zurück. In beiden Ämtern beerbte ihn Ingo Senftleben, der die Märkische Union inhaltlich wie personell neu aufstellte und sich durch eine konstruktive Oppositionspolitik auszeichnete. Bei der Landtagswahl am 1. September 2019 konnte er die Früchte seiner Arbeit nicht ernten. Die CDU wurde im Wahlkampf zwischen SPD und AfD zerrieben und fuhr nach herben Verlusten mit einem Stimmenanteil von 15,6 Prozent ihr bis dahin schlechtestes Ergebnis bei Landtagswahlen in Brandenburg ein. Senftleben übernahm für dieses Wahlergebnis die politische Verantwortung und trat als Partei- und Fraktionsvorsitzender zurück. Nachfolger im Parteivorsitz wurde der langjährige Bundestagsabgeordnete Michael Stübgen, der als Verhandlungsführer der CDU die Koalitionsgespräche mit SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Oktober 2019 zu einem erfolgreichen Abschluss brachte. Nach zehn Jahren in der Opposition übernahm die Märkische Union wieder Regierungsverantwortung und leitete damit ein neues Kapitel in ihrer Geschichte ein. Wie seinerzeit Jörg Schönbohm ist Stübgen als Innenminister in die Landesregierung eingetreten und bekleidet zugleich das Amt des stellvertretenden Ministerpräsidenten.

Forschungs- und Quellenlage Zur Geschichte der CDU in Brandenburg sind im Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung größere Quellenbestände überliefert. Die Entwicklung der Märkischen Union bis zur Auflösung des Landesverbandes 1952 ist in den Landesverbandsakten, die auch Unterlagen zur Arbeit der CDU-Landtagsfraktion enthalten, dokumentiert. Schlecht belegt ist freilich die Gründungsphase der Union 1945/46. Die vorhandenen Akten geben hierzu wenig Auskunft. Für diesen Zeitraum stellen die Nachlässe von Peter Bloch, Willy Heller und Hubertus Graf von Schmettau eine wichtige Ergänzung dar. Ergänzenden Charakter für die Gründungsgeschichte und frühen Jahre der CDU Brandenburg hat auch das Schriftgut der Kreisverbände Guben, Königs Wusterhausen, Potsdam, Senftenberg, Strausberg und Zossen. Diese Kreisverbandsakten, deren Überlieferung bis ins Jahr 1990 reicht, stellen die Brücke zu dem zweiten großen Abschnitt dar, der die Jahre von der Auflösung des Landesverbandes 1952 bis zu dessen Wiedergründung im März 1990 umfasst. Von zentraler Bedeutung für diesen Zeitraum sind die umfangreichen Bestände der Bezirksverbände Cottbus, Frankfurt/Oder und Potsdam. Hinzu kommen weitere nennenswerte Kreisverbandsakten, nämlich die Unterlagen der Kreisverbände Bernau, Herzberg, Kyritz, Nauen, Neuruppin, Oranienburg und Wittstock. Schließlich und insbesondere ist hinzuweisen auf den Nachlass von Else Ackermann mit der Überlieferung zu dem „Brief aus Neuenhagen“. Die Jahre seit der Wiedergründung des Landesverbandes sind bis in die Gegenwart hinein in den Beständen des Landesverbandes und der Landtagsfraktion umfassend dokumentiert, ergänzt um den Nachlass von Jörg Schönbohm. 251

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Für die Gründungsgeschichte der CDU in Brandenburg 1945 ist der Beitrag von Katrin Baus und Ralf Baus 8, der sich auf eine breite Quellenbasis stützt, grundlegend. Die parlamentarische Arbeit der CDU im Landtag Brandenburg von 1946 bis 1952 untersucht eingehend Michael C. Bienert.9 Der Prozess der Gleichschaltung, der alle Landesverbände der CDU in der SBZ/DDR betraf, wird von Michael Richter beleuchtet. 10 Schließlich liegt für diesen ersten Abschnitt in der Geschichte der Märkischen Union, der von der Gründung des Landesverbandes 1945 bis zu seiner Auflösung im Rahmen der Verwaltungsstrukturreform in der DDR 1952 reicht, mit der Arbeit von Ingrid Jander eine umfassende Studie zu den ab 1950 staatlich gelenkten Säuberungswellen in der CDU vor.11 Der Zeitraum als unselbständige Blockpartei in den Bezirken Cottbus, Frankfurt/Oder und Potsdam zwischen 1952 und 1990 ist weitgehend unerforscht. Eine Ausnahme bildet hier der Aufsatz von Manfred Agethen, der am Beispiel des „Briefes aus Neuenhagen“ zeigt, dass es in diesen Jahren trotz der Gleichschaltungspolitik Unruhepotentiale und Reformbestrebungen an der Basis der CDU in der DDR gegeben hat.12 Wünschenswert wäre eine systematische Auswertung der Kreisverbandsakten aus den genannten drei Bezirken, um feststellen zu können, wie groß diese Unruhepotentiale tatsächlich gewesen sind. Die Phase von der Wiederbegründung des Landesverbandes im März 1990 bis Mitte der 1990er Jahre wird von Ute Schmidt wissenschaftlich bearbeitet.13 Die Beiträge von Stephan Dreischer14 und Richard Stöss15 sind Überblicksdarstellungen aus sozialwissenschaftlicher Perspektive bis zum Vorsitz von Jörg Schönbohm.

Landesverband Brandenburg 1945 – 1952 Landesvorsitzende Oktober 1945 – Mai 1948 Juni 1948 – November 1948 November 1948 – Mai 1950 Mai 1950 –April 1952 April 1952 – Juni 1952 Juni 1952 – Juli 1952

Wilhelm Wolf Ernst Zborowski Karl Grobbel Hermann Gerigk Hans-Paul Ganter-Gilmans Heinz Sauer

8 Baus/Baus: Gründung. 9 Michael C. Bienert: Zwischen Opposition und Blockpolitik. Die „bürgerlichen“ Parteien und die SED in den Landtagen von Brandenburg und Thüringen (1946 – 1952) (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bd. 171). Düsseldorf 2016. 10 Michael Richter: Die Ost-CDU 1948 – 1952. Zwischen Widerstand und Gleichschaltung (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 19). 2., korrigierte Aufl. Düsseldorf 1991. 11 Jander: Politische Verfolgung. 12 Agethen: Unruhepotentiale. 13 Schmidt: Blockpartei. 14 Dreischer: CDU in Brandenburg. 15 Stöss: Parteiensystem.

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Bezirksverband Cottbus Bezirksvorsitzende 1952 – 1954 Adolf Maurer 1954 – 1957 Georg-Willi Hein 1957 – 1958 Fritz Flint 1958 – 1986 Karl Dölling 1986 – 1990 Karl-Heinz Kretschmer

Bezirksverband Frankfurt/Oder Bezirksvorsitzende 1952 – 1954 Günter Frölich 1954 – 1961 Günther Haase 1961 – 1963 Ernst Eckardt 1963 – 1967 Hermann Mock 1967 – 1979 Heinz Hähne 1979 – 1984 Heinz Gulich 1984 – 1989 Werner Zachow 1989 – 1990 Herbert Schirmer 1990 Heinz Lassowsky

Bezirksverband Potsdam Bezirksvorsitzende 1952 – 1989 Friedrich Kind

Landesverband Brandenburg (ab 1990) Landesvorsitzende März 1990 – September 1990 Oktober 1990 – November 1990 November 1990 – September 1991 September 1991 – November 1991 November 1991 – Oktober 1993 Oktober 1993 – Mai 1996 Juni 1996 – Januar 1999 Januar 1999 – Januar 2007 Januar 2007 – Oktober 2008 Oktober 2008 – Juni 2010 Juni 2010 – September 2012 November 2012 –April 2015 April 2015 – September 2019 seit September 2019

Herbert Schirmer Wolfgang Haupt (kommissarisch) Lothar de Maizière Peter Wagner (kommissarisch) Ulf Fink Carola Hartfelder Peter Wagner Jörg Schönbohm Ulrich Junghanns Johanna Wanka Saskia Ludwig Michael Schierack Ingo Senftleben Michael Stübgen (bis November 2019 kommissarisch)

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Landesverband Bremen Thilo E. Pries Gründungsphase Der Gründungsprozess der CDU in Bremen entwickelte sich sehr zögerlich. Traditionell waren die Bremer stark sozialdemokratisch und liberal geprägt, zudem mehrheitlich evangelisch.1 Dennoch traf sich ein Kreis ehemaliger katholischer Zentrumspolitiker um Philipp Jahn und Joseph Bossong 2. Erörtert wurde, ob eine eigene christliche Partei gegründet werden oder ein Anschluss an die eher liberale Bremer Demokratische Volkspartei (BDV) erfolgen sollte.3 Gespräche mit evangelischen Gruppen schlugen fehl. Johannes Kühne empfahl die Gründung eines neuen katholischen Zentrums, scheiterte jedoch mit dieser Idee.4 Es sollte keine rein katholische „neue“ Zentrumspartei gegründet werden, um eine Zersplitterung der Kräfte rechts der SPD zu vermeiden.5 So erfolgte der Eintritt in die BDV als größere christliche Gruppe, aus der vier Personen in den Vorstand aufgenommen wurden.6 Verhandlungsführer waren Joseph Bossong, Philipp Jahn, Johannes Kühne und Hermann Lingens.7 Auf Initiative von Pfarrer Nolte, Sprecher der drei katholischen Gemeinden der Stadt Bremen, wurde in Bremerhaven8 die Christlich-Demokratische Partei (CDP) gegründet, deren Mitglieder sowohl evangelisch als auch katholisch waren. Als Vorsitzende wurden Karl Klages (evangelisch) und Franz Warnking (katholisch) benannt. Die Militärregierung genehmigte die Gründung am 21. November 1945. Hermann Lingens nahm an der konstituierenden Sitzung des Zonenausschusses der CDU in der Britischen Zone in Herford teil. Im Zuge dessen lernte Lingens Konrad Adenauer und die Ziele der CDU kennen, die er nach der Rückkehr nach Bremen seinen 1 Die Volkszählung am 29. Oktober 1946 ergab einen evangelischen Bevölkerungsanteil von 85 Prozent. Jahrbuch der evangelischen Kirchen 1949. Vgl. Horstwalter Heitzer: Die CDU in der britischen Zone 1945 – 1949. Gründung, Organisation, Programm und Politik (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 12). Düsseldorf 1988, S. 128. 2 Bezüglich des Vornamens finden sich in den Akten beide Schreibweisen (Josef/Joseph). 3 ACDP NL Hermann Lingens, 01-178-001, Bericht vom 25. November 1946. Vgl. Heitzer: Die CDU in der britischen Zone 1945 – 1949. S. 130. 4 Arnold Kunst: Christliche Demokraten in Bremen. Eine Chronik über 30 Jahre CDU-Geschichte in der Freien Hansestadt Bremen. Bremen 1976, S. 5. 5 ACDP, Kreisverband Bremen-Nord, 02-104-001, Protokollbuch. Vgl. Heitzer: Die CDU in der britischen Zone, S. 130. 6 ACDP 01-178-001, Bericht vom 25. November 1946. 7 Ebd. 8 Die britischen und amerikanischen Militärbehörden beschlossen 1947 gemeinsam das Einbeziehen Wesermündes in das Land Freie Hansestadt Bremen, dem vierten Land in der amerikanischen Besatzungszone. Die Umbenennung Wesermündes durch die Stadtverordnetenversammlung in Bremerhaven erfolgte im selben Jahr.

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Parteikollegen darlegte.9 Es entwickelte sich eine Diskussion über den Beitritt der BDV zur CDU. Arnold Fratzscher von der CDU Hannover wurde Vermittler eines Treffens, aus dem der Beschluss zur Gründung der CDU in Bremen resultierte. Am 16. Juni kam die Gründungsversammlung der CDU in Bremen zusammen und wählte Johann Kaum zum Ersten Vorsitzenden sowie Philipp Jahn zu seinem Stellvertreter.10 Insgesamt gab es 130 Mitgliederanmeldungen. Die CDU in Bremen wurde am 6. Juli 1946 durch die Militärregierung endgültig zugelassen.11 Philipp Jahn sah sich als Vorsitzender der christlichen Gruppe innerhalb der BDV, über deren Fortbestehen oder Überführung in die CDU intensiv gerungen wurde. Die Mitgliederversammlung der BDV entschied sich am 7. Juli gegen einen solchen Schritt. Insbesondere einer der amtierenden Geschäftsführer der BDV, Ernst Müller12, hatte sich vergeblich um einen Übertritt der BDV zur CDU bemüht und trat nach der Ablehnung gemeinsam mit dem amtierenden Geschäftsführer der BDV, Johannes Degener13, sowie des gesamten christlichen Kreises aus der BDV aus und in die CDU ein. Hermann Lingens konstatierte gegenüber Konrad Adenauer mit Blick auf die Situation der Christlichen Demokraten in Bremen ein „Bild der Zerrissenheit“.14 Die Gründung der CDU in Bremen sei der „wohl schwierigste Fall in der Gesamtzone“ gewesen.15 Der erste öffentliche Auftritt als Partei erfolgte am 13. Juli 1946. In einer Turnhalle sprach Arnold Fratzscher vor Bremer Bürgern. Dies war zugleich der Beginn des Wahlkampfes für die Bürgerschaftswahl am 13. Oktober 1946. Mitte Juli wurde in der Kohlhökerstraße 37 in Bremen die erste Landesgeschäftsstelle der CDU eingerichtet. Es fehlte zunächst an alltäglichen Dingen wie einer Kartei, einer Schreibmaschine, an Papier, Tischen und Stühlen. Die Mitgliederzahlen stiegen langsam an.16 Man richtete Sprechstunden in allen Stadtteilen ein und gründete einen Flüchtlingsausschuss.17 Weder CDU noch BDV konnten bei der ersten Bürgerschaftswahl für alle 16 Wahlbezirke Kandidaten stellen, so dass ein Wahlabkommen geschlossen wurde.18 Nach der Wahl stellte die CDU mit 12 Abgeordneten die zweitstärkste Partei (15 Prozent) nach der SPD mit 51 Abgeordneten (63,7 Prozent).19 9 10 11 12

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Kunst: Christliche Demokraten in Bremen, S. 7. Ebd., S. 12. Arnold Kunst gibt als Quelle einen Brief von Philipp Jahn an Hans Wellmann an. Ernst Müller nahm später den Familiennamen seiner Mutter an und hieß fortan Ernst Müller-Hermann. Dies tat er im Andenken an die durch die Nationalsozialisten getötete Familie seiner Mutter. Kunst: Christliche Demokraten in Bremen, S. 38. Erster Bundestagsabgeordneter der CDU und später Senator für Gesundheitswesen. Kunst: Christliche Demokraten in Bremen, S. 13. Schreiben von Hermann Lingens vom 25. November 1946 an den Vorstand des Zonenausschusses der CDU, ebd., S. 13. Nach zwei Monaten sind bereits 340 Parteimitglieder gemeldet. Ende November 1946 sind es gut 500. Zahlen nach Kunst: Christliche Demokraten in Bremen, S. 14. Ebd., S. 15. Jeder Wahlbezirk hatte 3 – 5 Abgeordnete (nach Einwohnerzahl). Insgesamt wurden 64 Abgeordnete direkt gewählt, 16 über eine Liste mit fester Reihenfolge. Jeder Wähler hatte so viele Stimmen, wie Abgeordnete in seinem Wahlkreis zu wählen waren. Bericht Hermann Lingens vor dem Zonenausschuss der CDU für die britische Zone. Die KPD erreichte zudem drei Abgeordnete (3 Prozent) und die Unabhängigen zwei Abgeordnete (2 Prozent). Gewählt wurden Josef Bossong, Johann Degener, Ernst Degenhardt, Wilhelm Filzen, August Hitzfeld,

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Ernst Degenhardt wurde zum ersten Fraktionsvorsitzenden der Union gewählt.20 Es folgte die erste Hauptversammlung der CDU Bremen im Dezember 1946. Der bisherige kommissarische 1.Vorsitzende Johann Kaum wurde offiziell zum ersten Landesvorsitzenden, als Stellvertreter Philipp Jahn gewählt. In der Folgezeit gründeten sich Fachausschüsse und Bezirksgruppen. Der Parteiausschuss der CDU hatte zunächst die Funktion eines Aufsichtsgremiums inne und war zuständig für die Kandidaten-Aufstellung. Sein Vorsitzender nahm bis 1950 laut Satzung an den Sitzungen des Landesvorstands sowie des Fraktionsvorstands teil. Ein Stimmrecht hatte er nicht. Ab 1954 fungierte der Ausschuss nur noch beratend. In den Satzungen von 1968 und 1970 heißt es in Artikel 5, dass der Landesausschuss die „Beschlussfassung über alle wichtigen Angelegenheiten“ hat, außer der Landesparteitag sei zuständig.21

Innerparteilicher Aufbau und Große Koalition im Land Am 30. Januar 1947 gab die Militärregierung der britischen Zone in der Proklamation Nr. 3 bekannt, dass Bremen wieder Freie Hansestadt mit Status eines Landes werde. Bremerhaven wurde auf eigenen Wunsch eingegliedert und so waren Neuwahlen notwendig. Diese wurden auf den 12. Oktober 1947 terminiert und fielen mit der Abstimmung über die Bremer Landesverfassung zusammen.22 Zuvor wurde im Frühjahr 1947 Emil Rex neuer Landesvorsitzender der CDU und blieb es bis zu seinem Tod 1951.23 Ernst MüllerHermann war von 1947 – 1948 Landesgeschäftsführer und wurde von Hermann Lingens abgelöst, der dieses Amt bis 1952 innehatte. Die finanziell und strukturell noch schwache Bremer CDU erhielt für den anstehenden Wahlkampf Hilfe. Josef Müller (CSU), Ernst Lemmer, Jakob Kaiser und auch Konrad Adenauer sprachen auf Wahlkampfveranstaltungen zu den Bremern. Das Wahlergebnis wurde als großer Erfolg für die Bremer CDU gewertet. Die Anzahl der Abgeordneten stieg von 12 auf 24.24 In der Folge bildete sich eine breit aufgestellte große Koalition aus SPD, CDU und BDV, die zwei Legislaturperioden der Bremer Bürgerschaft überdauern sollte. De facto aber regierte die SPD aufgrund ihrer Stärke weitgehend alleine.25 Die CDU griff besonders das Thema Wohnungsbau auf, das für die Nachkriegszeit nicht nur in Bremen von herausragender Bedeutung war.26 In diesem Zusammenhang positionierte sich die Bremer CDU für die Wahrung des Eigentums und somit entgegen der Linie des von der SPD dominierten Senats, in dem eine Enteignung im Sinne der Bauträger diskutiert wurde.27 Diese Diskussion war neben der Flüchtlingsfrage zentral auf dem

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Philipp Jahn, Johann Kaum, Carl Otto Lütkens, Hermann Lingens, Ernst Müller-Hermann, Emil Rex und Fried[rich] Wehner. Vgl. Kunst: Christliche Demokraten in Bremen, S. 19. Ernst Degenhardt blieb bis 1947 Fraktionsvorsitzender. Auf ihn folgte Johannes Degener. ACDP NL Arnold Kunst 01-196-K003/4. Kunst: Christliche Demokraten in Bremen, S. 23. Ebd., S. 25 und S. 37. Das genaue Wahldatum konnte nicht ermittelt werden. Ebd., S. 30. Auf die CDU Bremen entfallen 21 Abgeordnete, auf Bremerhaven 3. Ebd., S. 34 f. Die CDU forderte für den Senat eine Parität, bestehend aus 6 Posten für die SPD, 3 für die CDU und 3 für die BDV. Letztendlich bleiben für die CDU aber nur 2 Senatorenposten übrig. Die CDU fühlte sich unter Wert behandelt. ACDP 01-196-006/6. Kunst: Christliche Demokraten in Bremen, S. 66 f.

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Landesparteitag 1953.28 Im selben Jahr sprach sich der Parteiausschuss gegen ein erneutes Wahlbündnis bei der nächsten Bürgerschaftswahl aus. Die CDU wollte alleine antreten. Auf dem Landesparteitag 1954 übernahm Jules-Eberhard Noltenius den Landesvorsitz von Heinrich Barth, der seit 1952 das Amt ausübte. Es folgte eine tiefgreifende Debatte über die Fortführung der Koalition mit der SPD in der Bremer Bürgerschaft.29 Die von der CDU bereits 1948 geforderte vierjährige Grundschulzeit wurde von der SPD weiterhin abgelehnt, erst 1955 wurde sie eingeführt.30 Diese Dominanz der SPD trotz Koalition veranlasste die CDU zu dem Beschluss, in der dritten Legislaturperiode in die Opposition zu gehen. Der Landesparteitag 1955 in Vegesack allerdings ließ die CDU nach mühsamer Debatte doch noch einmal in eine Koalition mit der SPD eintreten, obwohl zu Beginn keine Bereitschaft hierzu erkennbar war.31 Letztendlich war es die Person des Ersten Bürgermeisters Wilhelm Kaisen, die für Noltenius Grund genug war, noch einmal eine Koalition mit der SPD einzugehen.32 Sieben Sitze im Senat erhielt die SPD, drei die CDU und zwei die FDP. 33 Das Regierungsprogramm vom 10. Dezember 1955 enthielt erkennbar Forderungen der CDU. Senatorenposten wurden an den Landesvorsitzenden Noltenius (Häfen, Schifffahrt und Verkehr), den ehemaligen Landesgeschäftsführer Johannes Degener (Wohlfahrts- und Gesundheitswesen) sowie Erich Zander (Justiz und Verfassung) übertragen. Der Landesparteitag 1956 thematisierte dann die Arbeitspolitik, so etwa das Miteigentum im Betrieb, die Lohngestaltung, die 40-Stunden-Woche und die Neugestaltungen im Öffentlichen Dienst. Ein von der CDU gestellter Antrag auf Verbot der KPD wurde allerdings im Bremer Senat abgelehnt.34 Auf dem Landesparteitag 1959 wurde für die Kandidatur Konrad Adenauers zum Amt des Bundespräsidenten votiert.35 Zudem sollten verstärkt „bundespolitische Parteiprinzipien“ den Rahmen für Beschlüsse und Handeln in Koalitionen auf Landesebene darstellen. Nach der Wahl zur Bremer Bürgerschaft 1959 erhielt die CDU nur zwei Mandate. Die Entscheidung, nicht erneut in eine Koalition mit der SPD einzutreten, wurde im Parteiausschuss am 17. Dezember 1959 dann endgültig gefasst. Die Aufarbeitung der bisherigen Koalitionszeit und das Setzen neuer Ziele als Oppositionspartei begann.

Die CDU als Oppositionspartei Der Landesvorsitzende Noltenius forderte fortan eine „Geschlossenheit nach Außen bei voller Meinungsfreiheit nach Innen“.36 Die Zeit in der Großen Koalition wurde als Beweis der Regierungsfähigkeit bewertet. Im Ergebnis des Landesparteitags 1960 wurde 28 Ebd., S. 67 – 71. 29 Ebd., S. 75. 30 ACDP 01-196-K002/3. Der schulpolitische Sonderweg endete, den die Bremer Bürgerschaft gegenüber den anderen Landesregierungen eingeschlagen hatte. 31 Kunst: Christliche Demokraten in Bremen, S. 80. 32 Vgl. ebd., S. 75. 33 Die FDP ist aus der BDV hervorgegangen. 34 Kunst: Christliche Demokraten in Bremen, S. 85. 35 Ebd., S. 97. 36 Ebd., S. 100.

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eine stärkere Fokussierung auf die Ostpolitik angestrebt. Die Schifffahrt, der Wohnungsbau sowie Verkehrs- und Schulfragen blieben weitere zentrale Themen.37 Nach dem Stimmenverlust bei der Bundestagswahl 1961, der im Parteiausschuss am 6. März 1962 analysiert wurde, begannen parteiinterne Veränderungen und Bestrebungen einer Verjüngung der Parteistruktur.38 Auf dem Landesparteitag 1962 gab es erste Überlegungen, Jules-Eberhart Noltenius als Landesvorsitzenden zu ersetzen.39 Gustav Voigt, der seit 1954 Landesgeschäftsführer war, wurde durch Johann Tönjes Cassens ersetzt. Bundeskanzler Ludwig Erhard sowie Helmut Kohl kamen 1963 erstmalig nach Bremen, um die dortige CDU im Wahlkampf zur Bremer Bürgerschaft zu unterstützen. Als Ergebnis standen am Wahltag 28,9 Prozent zu Buche, so dass die CDU 15 Abgeordnete stellte.40 Auch wegen dieses Erfolgs wurde Noltenius auf den Landesparteitagen 1964 sowie 1966 erneut im Amt des Vorsitzenden bestätigt.41 Doch im bundesdeutschen Vergleich gab es in dieser Zeit nur einen unterdurchschnittlichen Mitgliederzuwachs im Landesverband Bremen.42 Für den nächsten Wahlkampf wurden sieben Thesen ausgegeben, namentlich die „Aktion 67“.43 Erstmalig war „Canvassing“ als Wahlkampfstrategie angewendet worden, also Hausbesuche nach englischem Vorbild. Diese sollten eine größere Nähe zum Wähler schaffen.44 Erneut bekam die Bremer CDU bundespolitische Unterstützung, diesmal u. a. von Gerhard Stoltenberg, Rainer Barzel und Kurt Georg Kiesinger. Sie konnte nach dieser Wahl 32 Abgeordnete stellen. In der Opposition konnte die CDU zunehmend ihr programmatisches Profil schärfen. Zudem tauchten im neuen Regierungsprogramm Forderungen der CDU auf, die diese als Oppositionspartei entwickelt hatte, so u. a. der Ausbau von Pflegeheimen, eine zweckmäßige Bauweise öffentlicher Gebäude, die Verbesserung des Verkehrswesens sowie das Bereithalten erschlossener Grundstücke für Industrie und mittelständische Betriebe. Der Landesparteitag 1968 brachte die Abwahl von Jules-Eberhard Noltenius. Ernst Müller-Hermann wurde, nachdrücklich unterstützt von der Jungen Union, in einer Kampfabstimmung mit 59 zu 53 Stimmen zum neuen Landesvorsitzenden gewählt. Die „Revolte gegen das Establishment“ war erfolgreich.45 Der Landesparteitag 1969 stand 37 Ebd., S. 105. 38 Ebd., S. 115 f. 39 Ebd., S. 113. Der langjährige Bundestagsabgeordnete Ernst Müller-Hermann sollte Jules-Eberhard Noltenius ersetzen. Allerdings schlug Müller-Hermann Noltenius selbst als Landesvorsitzenden vor, so dass ein Wechsel des Landesvorsitzenden noch nicht stattfand. 40 Ebd., S. 122. 41 Ebd., S. 124 und 128. 42 Wulf Schönbohm: Die CDU wird moderne Volkspartei. Selbstverständnis, Mitglieder, Organisation und Apparat 1950 – 1980 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 7). Stuttgart 1985, S. 84, siehe auch 86. Nach Schönbohm kann dieser Umstand damit begründet werden, dass der Großteil der Bremer Bürger protestantisch war, die Mehrheit der Mitglieder in der CDU aber katholisch. 43 1. Wirtschaftskraft stärken, um Arbeitsplätze zu sichern; 2. Eine moderne langfristige Verkehrsplanung; 3. Vertrauen herstellen; 4. Beseitigung des Schichtunterrichts und Ausbau weiterführender Schulen; 5. Eine einkommensgerechte Wohnungspolitik; 6. Sicherung von Hauseigentum in Kleingartengebieten. Kunst: Christliche Demokraten in Bremen, S. 132. 44 Ebd., S. 133. Von Seiten des Landesgeschäftsführer Cassens wurde als Ziel ausgegeben, dass jeder Kandidat 3.000 Besuche machen müsse. 45 Ebd., S. 138.

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dann ganz im Zeichen der bevorstehenden Bundestagswahl. Die SPD wurde dort als „Hauptgegner“ ausgemacht. Allerdings stand der Untersuchungsausschuss wegen des sogenannten Bauland-Skandals in Bremen viel mehr im Fokus als die Bundestagswahlen.46 So war auch der stellvertretende CDU-Landesvorsitzende Hans Ludwig Kulenkampf von dem Skandal betroffen und trat zurück. Aktuell wurde ferner die „Bekämpfung des Radikalismus“ sowie eine Initiative zur Schulgesetzgebung. Ebenso gab es einen Antrag auf das Herabsetzen des Wahlalters von 21 auf 18 Jahre.47 Auf dem Landesparteitag 1971 wurde das erste Grundsatzprogramm „Bremen in bessere Hände“ zur Abstimmung gestellt und mit großer Mehrheit angenommen.48 In der Regierungskoalition aus SPD und FDP kam es nach 25 Jahren in der Bremer Bürgerschaft zum Bruch. Die CDU forderte daraufhin Neuwahlen und ging hoffnungsvoll in den Wahlkampf. Helmut Kohl, Bruno Heck und Rainer Barzel unterstützten den Wahlkampf vor Ort, doch die CDU gewann nur 2 Prozent hinzu. Sie konnte damit zwar erstmals 34 Abgeordnete stellen (27 Bremen, 7 Bremerhaven), doch die SPD verbesserte sich ihrerseits um 9,3 Prozent.49 Die Bremer CDU-Gremien folgerten daraus, dass der Bekanntheitsgrad der eigenen Politiker gesteigert werden müsste. Müller-Hermann erkannte allerdings auch das Problem der niedrigen Mitgliederanzahl der Bremer CDU, die eigentlich nur ein „besserer Kreisverband im Bundesmaßstab“ sei.50 Eine Satzungsänderung zur Vergrößerung des Wahlgremiums, eine Forderung der Bremer Jungen Union, wurde auf einem außerordentlichen Landesparteitag abgelehnt.51 In der Bürgerschaft wurde seitens der CDU gefordert, dass die Opposition mehr Rechte erhalten solle. Hierzu wurden Änderungsanträge zur Landesverfassung und der Geschäftsordnung der Bremer Bürgerschaft eingereicht.52

Die Jugend erhebt sich Auf dem Landesparteitag 1972 wurde eine Kampfabstimmung um die Kandidatenliste zur Bundestagswahl 1972 durchgeführt. Bernd Neumann, Vorsitzender der JU Bremen, gewann gegen Karl Kramnig, gegen den erklärten Willen des Landesvorstands. Das Ergebnis der Bundestagswahl fiel mit nur 29,55 Prozent dann aber enttäuschend aus. Bernd Neumann verpasste den Einzug in den Bundestag. Nur Ernst Müller-Hermann zog als Spitzenkandidat der Bremer CDU in den Bundestag ein.53 46 Ebd., S. 141 – 143. Für das erworbene Bauland für den Bau von Bundesautobahnen wurden Maklergebühren gezahlt. Diese Gebühren fielen an ein SPD-Mitglied, weswegen ein Untersuchungsausschuss gebildet wurde. Dessen Abschlussbericht wurde erst im Sommer 1970 veröffentlicht. 47 Ebd., S. 140. 48 ACDP 01-196-K002/3. 49 Arnold Kunst, S. 150. Kunst: Christliche Demokraten in Bremen, S. 140. 50 Stefan Marx: Biogramm Ernst Müller-Herrmann, https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/ernst-mueller-hermann-v1 (Abruf: 21.7.2021). 51 Kunst: Christliche Demokraten in Bremen, S. 153. 52 Ebd., S. 151. 53 Ebd., S. 154.

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Die Junge Union forderte daraufhin eine offene Diskussion über „Standort und Strategie“ der CDU und legte tiefgreifende Reformgedanken vor.54 Auf einer Klausurtagung im April 1973 wurde eine politische Leitlinie festgelegt und auf dem nächsten außerordentlichen Landesparteitag ein von der JU erarbeitetes Strategiepapier in einer abgeänderten Version akzeptiert. Personelle Änderungen folgten auf dem Landesparteitag 1974. Ernst Müller-Hermann wurde abgewählt. Uwe Hollweg, damals 37 Jahre jung, wurde mit 107 zu 89 Stimmen zum neuen Landesvorsitzenden, zu seinem Stellvertreter Reinhard Metz gewählt.55 Die Ära der Gründer um Jules-Eberhard Noltenius und Ernst MüllerHermann endete und die Aufbruchstimmung trug sich bis zur Bürgerschaftswahl 1975 weiter. Der FDP wurde ein Koalitionsangebot unterbreitet.56 Doch die CDU gewann nur ein Mandat hinzu und fand sich mit 35 Abgeordneten erneut in der Opposition wieder. Der Landesparteitag am 9. Mai 1976 fand unter dem Motto „Freiheit oder Sozialismus“ ganz im Sinne des Bundestagswahlkampfes statt. Kanzlerkandidat Helmut Kohl reiste nach Bremen, zehn Gründungsmitglieder erhielten im „Adenauer-Jahr“ anlässlich des 100. Geburtstags des Gründungskanzlers spezielle Ehrungen. Unter ihnen war auch Jules-Eberhard Noltenius. Ernst Müller-Hermann ging erneut als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl und die CDU erreichte mit ihm 36,5 Prozent der Stimmen. Reinhard Metz, der stellvertretende Landesvorsitzende, zog ebenfalls in den Bundestag ein. Der gebürtige Bremer und bisherige Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Karl Carstens, wurde Präsident des Deutschen Bundestages.57

Die Ära Neumann Bernd Neumann war von 1967 bis 1973 Vorsitzender der Jungen Union in Bremen. Seitdem war er auch im Vorstand des Landesverbands vertreten. 1971 wurde er erstmals in die Bremische Bürgerschaft gewählt, 1979 dann zum neuen Landesvorsitzenden der CDU, wo er den seit 1974 amtierenden Uwe Hollweg ersetzte. Dieses Amt behielt Neumann bis 2008. Kein anderer Landesvorsitzender war länger im Amt. Er trat bei den Bürgerschaftswahlen 1975, 1979 und 1983 als Spitzenkandidat für das Amt des Bremer Bürgermeisters und des Präsidenten des Senats der Stadt Bremen an, konnte sich jedoch nie gegen Amtsinhaber Hans Koschnick von der SPD durchsetzen. Die Wahlergebnisse verharrten auf gleichbleibendem Niveau. Nachdem die CDU 1975 33,8 Prozent erreicht hatte, sank der Wert 1979 leicht auf 31,9 Prozent, um 1983 wieder auf 33,3 Prozent zu steigen. Im Jahr 1999 erreichte die CDU in Bremen ihr bis dahin bestes Ergebnis mit 37 Prozent, das der Partei 42 Mandate in der Bremer Bürgerschaft einbrachten. Bis ins Jahr 2011 fielen die Stimmenanteile dann bis auf 20,4 Prozent. Von 1975 bis 2008 gehörte Neumann dem CDU-Bundesvorstand an, zog nach der Bundestagswahl im Februar 1987 über die Landesliste als Abgeordneter in den Deutschen Bundestag ein und verblieb dort bis 2013. Von 1990 bis 1994 hatte er das Amt eines Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Forschung und Technologie 54 55 56 57

Ebd., S. 155. Ebd., S. 159. Ebd., S. 161. Ebd., S. 167 – 170.

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inne. Von 1994 bis 1998 war er Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Von 2005 bis 2013 war Neumann Staatsminister bei der Bundeskanzlerin und Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien (Kulturstaatsminister).58

Der Bremer Aufbruch Mit dem Ausscheiden von Bernd Neumann endete eine Ära der Bremer CDU. Es folgte Thomas Röwekamp, der bis 2011 Landesvorsitzender blieb. Für einen kurzen Zeitraum übernahm erstmalig eine Frau, Rita Mohr-Lüllmann, den Landesvorsitz, wurde aber im Jahr 2012 von Jörg Kastendiek abgelöst. Erst 2019 übernahm Carsten Meyer-Heder. Dieser schaffte es, die CDU zum Wahlsieger zu machen. Erstmals in der Nachkriegsgeschichte stand die CDU vor der SPD. Man konnte durch einen strategisch klugen Wahlkampf entgegen dem Bundestrend 5 Prozent der Stimmen hinzugewinnen. Und doch gab es keine Regierungsbeteiligung. Auf einem außerordentlichen Landesparteitag im Juni 2019 wurde Meyer-Heder mit 149 von 153 Stimmen zum Landesvorsitzenden gewählt. Eine bürgernahe und pragmatische Politik ist das Ziel, insbesondere ein innovatives Mobilitätskonzept und das Bereithalten von verfügbaren Grundstücken für ansiedlungswillige Betriebe. Eine Zusammenarbeit mit der AfD lehnte Meyer-Heder ab: „Nicht jetzt und nicht in der Zukunft.“59 Meyer-Heder lehnte Anfang 2022 aber die Spitzenkandidatur für die Bürgerschaftswahlen im Jahr 2023 ab, aus beruflichen Gründen und um den Prozess der Erneuerung der Partei fortzusetzen. So wurde seit 2019 der Landesvorstand paritätisch aus Frauen und Männern zusammengestellt und das erste Klimaschutzprogramm eines CDU-Landesverbands verabschiedet.60 Frank Imhoff, selbstständiger Landwirt, ab 1999 in der Bremer Bürgerschaft vertreten und seit dem 3.Juli 2019 Präsident der Bremer Bügerschaft, tritt gemeinsam mit Wiebke Winter, Mitbegründerin der Klima Union, jüngstes Mitglied im Bundesvorstand sowie Vorsitzende der JU als Spitzentandem zusammen bei der Wahl zur 21.Bremer Bürgerschaft an. Das Ziel sei es „verschiedene Generationen und unterschiedliche Hintergründe“ widerzuspiegeln und dabei u.a. die Themen Klimaschutz und Bildung in den Fokus zu nehmen, ebenso wie Generationengerechtigkeit.61

58 Andreas Grau: Biogramm Bernd Neumann, https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/ biogramm-detail/-/content/bernd-neumann-v1 (Abruf: 13.7.2021). 59 Jürgen Theiner: Meyer-Heder ist neuer Bremer CDU-Chef, in: Weser Kurier, 27.6.2019 (https://www. weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel_,-meyerheder-ist-neuer-bremer-cduchef-_arid,1840606. html, Abruf: 6.7.2020). 60 FAZ, 29.1.2022, Nr. 24, S. 4. 61 Frankfurter Rundschau, CDU-Aktive peilt eine Zeitenwende in Bremen an, von Alisha Mendgen, 5.10.2022, S. 4.

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Forschungs- und Quellenlage Der Forschungsstand ist als rudimentär zu bewerten. Es gibt keine veröffentlichte Chronik zur Geschichte des Landesverbands Bremen. Eine gedruckte, aber nicht publizierte Chronik für die Jahre 1946 bis 1976 ist über die Bibliothek der Konrad-AdenauerStiftung einsehbar. Diese entstammt aus dem persönlichen Nachlass von Arnold Kunst (ACDP 01-196), einem ehemaligen Kreisgeschäftsführer. In diesem Nachlass sind in erster Linie die Quellen und Materialien gesammelt, die Kunst für seine Chronik verwendete, zudem eine Liste mit Archivgut, das vom ACDP bereitgestellt wurde. Für die Zeit ab 1976 liegt keine Geschichte oder Chronik der CDU Bremen vor. Hinzu kommen die Bestände Kreisverband Bremen-Mitte (02-104) und Kreisverband Bremen-Nord (02112), Kreisverband Bremerhaven (02-251) sowie der Landesverband Bremen (03-017). Nur rudimentär erschlossen (und damit nur unter bestimmten Bedingungen einsehbar) ist der Bestand der Bürgerschaftsfraktion Bremen (05-007). Landesvorsitzende 1946 – 1947 Johann Kaum 1947 – 1951 Emil Rex 1951 – 1952 Martin-Heinrich Wilkens 1952 – 1954 Heinrich Barth 1954 – 1968 Jules-Eberhard Noltenius 1968 – 1974 Ernst Müller-Hermann 1974 – 1979 Uwe Hollweg 1979 – 2008 Bernd Neumann 2008 – 2011 Thomas Röwekamp 2011 – 2012 Rita Mohr-Lüllmann 2012 – 2019 Jörg Kastendiek seit 2019 Carsten Meyer-Heder Generalsekretäre 1980 – 1983 Wedige von der Schulenburg 1983 – 1991 Andreas Penning Geschäftsführer 1946 – 1947 Johannes Degener 1947 – 1948 Ernst Müller-Hermann 1948 – 1952 Hermann Lingens 1952 – 1953 Wolfgang Sprengel 1954 – 1962 Gustav Voigt 1962 – 1967 Johann-Tönjes Cassens 1968 – 1975 Wilhelm Schepers 1976 – 1980 Heiko Wördemann 1980 Peter Rudolph 1980 – 1991 s. Generalsekretäre 1991 – 1995 Helmut Pflugradt 1995 – 1999 Günther Feldhaus 263

1999 – 2000 2000 – 2002 2002 – 2007 2007 – 2009 2010 – 2012 2012 2013 – 2021 seit 2021

Silke Müller Michael Glintenkamp Heiko Strohmann Michael Glintenkamp Martin Roth Joseph-Emanuel Freiherr von Boeselager Heiko Strohmann Tobias Hentze

Landesverband Hamburg Thilo E. Pries Gründungsphase und Aufbau in der Opposition In Hamburg war die Bevölkerung bei Kriegsende überwiegend protestantischer Konfession, nur 6,4 Prozent der Hamburgerinnen und Hamburger waren katholisch.1 Dementsprechend konnte eine christliche Partei nicht, wie etwa im Rheinland, auf einer starken Zentrumstradition aufbauen. Am 14. August 1945 wurde nach vielen Gesprächen in einer ersten Zusammenkunft die Arbeitsgemeinschaft Christlich Demokratischer Gruppen (ACDG) in Hamburg gegründet.2 Aufgabe sollte die Sicherung des Christentums im politischen Leben sein, indem christliche Persönlichkeiten in die Parteien entsandt würden. Die vertretenen Berufszweige waren vielfältig. Beteiligt waren u. a. Rudolf Beissel, Franz Beyrich3, Heinz Theodor Götz, Walter Heyn, Alois Knabl, Hans Möller, Johannes Speckbötel, Theodor Stelzer.4 Am 15. September verkündete die britische Militärregierung die Verordnung Nr. 12, auf deren Grundlage die Gründung von politischen Parteien mit sofortiger Wirkung möglich wurde. Vier Tage später, am 19. September, wurde bereits über die Gründung einer neuen christlichen Partei in Hamburg diskutiert.5 Dort einigte man sich zunächst auf den Namen „Christliche Union“. Man wollte überparteilich auf die stärkere Berücksichtigung christlichen Gedankenguts hinwirken und die christlichen Grundsätze auch im politischen Leben durchsetzen. Dies förderte die Zusammenarbeit mit Geistlichen beider Konfessionen, denn jeder Christ konnte Mitglied werden. Am 1. Oktober 1945 wurde auf Basis der Kölner Leitsätze die „Christlich Demokratische Partei“ (CDP) gegründet.6 Erster Vorsitzender wurde Franz Beyrich, ein ehemaliger Zentrumspolitiker. Margareta Gröwel, Otto Link sowie Heinz Theodor Götz als einziger Protestant gehörten dem weiteren Vorstand an. Von elf Vorstandsmitgliedern sollten maximal drei katholisch sein. Ein neues Zentrum sollte nicht entstehen. Zudem durfte kein Mitglied eine Vergangenheit in der NSDAP haben.7 Die offizielle Zulassung der CDP erfolgte am 21. November 1945 durch die britische Militärregierung. Auf der ersten größeren öffentlichen Veranstaltung wurde der neuarti1 Horstwalter Heitzer: Die CDU in der britischen Zone 1945 – 1949. Gründung, Organisation, Programm und Politik (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 12). Düsseldorf 1988, S. 122. 2 Helmut Stubbe-da Luz: Von der „Arbeitsgemeinschaft“ zur Großstadtpartei. 40 Jahre Christlich-Demokratische Union in Hamburg (1945 – 1985). Hamburg 1985, S. 24. 3 Jutta Hansmann: Findbuch Nachlass Franz Beyrich, ACDP 01-804. 4 Vgl. Stubbe-da Luz: Von der „Arbeitsgemeinschaft“ zur Großstadtpartei, S. 24. 5 Heitzer: Die CDU in der britischen Zone, S. 124 f. 6 Von 20 Leitsätzen des Kölner Vorbilds wurden nur 15 in der Hamburger Version übernommen. Diese waren zudem deutlich kürzer. Vgl. hierzu Stubbe-da Luz: Von der „Arbeitsgemeinschaft“ zur Großstadtpartei, S. 37. 7 Ebd., S. 35 f.

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ge Charakter der Partei betont. Allerdings nahm kein Vertreter der Hamburger CDU am Godesberger „Reichstreffen“ teil, das vom 12. bis 14. Dezember 1945 auf Berliner Initiative stattfand und auf dem die die Bezeichnung „Union“ im Parteinamen festgelegt wurde. Auf der ersten Tagung des Zonenauschusses der CDU in der britischen Zone, die im Januar 1946 in Herford abgehalten wurde, vertrat Franz Beyrich die Hamburger CDU.8 Margareta Gröwel stieß in der vierten Sitzung als überhaupt erst zweite Frau neben der seit Beginn beteiligten Christine Teusch als ordentliches Mitglied des Landesverbands Hamburg hinzu und war Gründungsmitglied des Frauenausschusses, der in Neuenkirchen im Juni 1946 konstituiert wurde, sowie Mitglied im Kultur-Ausschuss.9 Der erste Senat und die erste Bürgerschaft wurden noch von der britischen Militärregierung berufen, wobei die CDP nur einen Vertreter stellen durfte, Karl Albers.10 Diese beiden Institutionen beschlossen auch am 15. Mai 1946 die erste Hamburger Verfassung. Im Hamburger Rathaus entschloss sich am 26. Juni 1946 eine Gruppe von vierzehn Personen der Fraktion der Parteilosen zum Anschluss an die CDU, u. a. der amtierende Bürgermeister Rudolf Petersen11 und der Bausenator, der spätere Zeit-Verleger und Bundestagsabgeordnete Gerd Bucerius12.13 Verhandlungen über einen Zusammenschluss zwischen CDU und FDP dagegen misslangen. Am 15. August 1946 wurde die Satzung des Landesverbands der CDU erneuert, der Landesvorstand entsprechend dem Beschluss des Zonenausschusses der britischen Zone in Neuenkirchen neu zusammengesetzt.14 Als Untergliederung wurden Bezirksgruppen gebildet, bis Ende 1946 insgesamt 25.15 Auf Bezirksebene gab es fortan Mitgliederver8 Vgl.: Heitzer: Die CDU in der britischen Zone, S. 444. Heitzer gibt in der Anmerkung 119 an, dass u. a. Beyrich in der ersten Sitzung in Herford in den Finanzausschuss gewählt wurde. Er ist zudem Unterzeichner des Programms von Neheim-Hüsten, das auf der zweiten Sitzung des Zonenausschusses erarbeitet und verabschiedet wurde. 9 Ebd., S. 448 f. Auf dem ersten Bundesparteitag der CDU in Goslar 1950 wurde sie zudem in den Gesamtvorstand der CDU gewählt, hier allerdings als Vertreterin der Frauen in der CDU und nicht als Vertreterin des Landesverbands Hamburg. Vgl. hierzu: UiD Jg. 4 (1950) Nr. 83. Dort wird Gröwel als Maria Grövel geführt. Vgl. auch Heitzer: Die CDU in der britischen Zone, S. 439 f. 10 In der ersten Bürgerschaft waren insgesamt nur 17 Parteimitglieder und 13 Senatoren vertreten. Die restlichen 51 Mitglieder der Bürgerschaft kamen aus unterschiedlichen Bevölkerungskreisen wie Kirche, Gewerkschaft, Kultur und Wissenschaft. Vgl. ebd., S. 52 f. 11 Helmut Stubbe-da Luz: Petersen, Rudolf, in: Franklin Kopitzsch/Dirk Brietzke (Hg.): Hamburgische Biografie. Bd. 2. Hamburg 2003, S. 322 f. 12 Bundestagsabgeordneter 1949 bis 1962. Gerd Bucerius verließ die CDU am 8. Februar 1962. Ohnehin schon Kritiker der Ostpolitik Konrad Adenauers, fiel dieser Entschluss nach maßgeblicher Kritik am Inhalt eines von ihm veröffentlichen Artikels zu dieser Thematik. Vgl. Christine Bach: Biogramm Gerd Bucerius, https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/ gerd-bucerius-v1 (Abruf: 20.5.2021). Vgl. auch Helmut Stubbe-da Luz: Gerd Bucerius, in: Dirk Brietzke (Hg.): Hamburgische Biografie. Bd. 1. Hamburg 2001, S. 72 f. 13 Die Restfraktion der Parteilosen löste sich daraufhin auf. Vgl. Stubbe-da Luz: Von der „Arbeitsgemeinschaft“ zur Großstadtpartei, S. 61 – 64. 14 Der Zonenausschuss der britischen Zone tagte drei Mal in Neuenkirchen/Westfalen. Beschlossen wurde, dass alle Landesverbände der CDU auf gleichen administrativen Strukturen basieren sollten. Der Beschluss erfolgte vom 26. bis 28. Juli 1946. Vgl. Stubbe-da Luz: Von der „Arbeitsgemeinschaft“ zur Großstadtpartei, S. 68 und 72 f. 15 Alstertal, Altona, Barmbek, Bergedorf, Billstedt, Blankenese, Eimsbüttel, Eppendorf, Flottbek-Othmarschen, Fuhlsbüttel, Harburg, Harvestehude, Innenstadt, Lokstedt, Ottensen-Bahrenfeld, St. Pauli, Rahlstedt, Stellingen, St. Georg, Uhlenhorst, Vier- und Marschlande, Volksdorf, Wandsbek, Wilhelmsburg, Winterhude. Vgl. ebd., S. 73.

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sammlungen, der Landesausschuss war als Delegiertenversammlung geordnet und wurde erst ab 1950 von einem dauerhaften Landesausschussvorsitzenden geleitet. Der Landesvorstand wurde zunächst jährlich gewählt. Dessen Aufgabe war die Lenkung und Überwachung der politischen und organisatorischen Arbeit der Bezirke sowie der Bürgerschaftsfraktion. Größte Bezirksgruppe war im Mai 1947 Harvestehude mit Walther Heyn als Vorsitzendem und 315 Mitgliedern. Die gesamte Hamburger CDU hatte zu diesem Zeitpunkt 3.449 Mitglieder.16

Zeit der Wahlbündnisse und die erste Bürgerschaftswahl Die CDU betrachtete ein Wahlbündnis aus CDU, FDP und Deutscher-Konservativer Partei-Deutscher Rechtspartei (DKP-DRP) mit dem Namen „Vaterstädtischer Bund Hamburg“ (VBH) zunächst äußerst kritisch, trat aber doch in dieser Kombination zur ersten Bürgerschaftswahl am 13. Oktober 1946 gegen die bis dahin regierende SPD an.17 Bei dieser ersten Bürgerschaftswahl wurde eine Kombination aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht angewendet, was zur Folge hatte, dass die CDU zwar als zweitstärkste Kraft 26,7 Prozent erreichte, jedoch nur 16 von 110 Mandaten erhielt. Koalitionsverhandlungen mit der Hamburger SPD scheiterten, so dass die CDU in die Opposition ging.18 Der VBH blieb als Idee eines bürgerlichen Wahlblocks aber bestehen und wurde für die Bürgerschaftswahl 1949 von CDU, FDP und der DKP-DRP erneuert.19 Am 28. September 1949 hatte sich die Fraktion des Vaterstädtischen Bundes gegründet. So erreichte man bei der Bürgerschaftswahl am 16. Oktober 1949 34,5 Prozent und 40 Sitze, trat in der Folge aber nicht gemeinsam auf. Der Vorsitzende der CDU-Fraktion Paul de Chapeaurouge, der 1947 bereits in die CDU eingetreten war, wurde als Vertreter Hamburgs für die CDU in den Parlamentarischen Rat nach Bonn entsandt.20 Am 24. Juni 1950 wurde zum ersten Mal ein Landesparteitag zu Wirtschaftsthemen abgehalten, auf dem auch Ludwig Erhard sprach.21 Auf eine gemeinsame Fraktion aber konnte sich das Wahlbündnis nicht einigen. Zur nächsten Bürgerschaftswahl am 1. November 1953 wurde erneut ein Wahlbündnis geschlossen, diesmal bestehend aus CDU, FDP, Deutscher Partei (DP) und dem Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE). Es nannte sich Hamburg-Block22, erhielt 50 Prozent der Stimmen und somit die 16 Ebd. 17 Vgl. Andreas Grau: Paul de Chapeaurouge (1876 – 1952), in: Günter Buchstab/Hans-Otto Kleinmann (Hg.): In Verantwortung vor Gott und den Menschen. Christliche Demokratien im Parlamentarischen Rat 1948/49. Freiburg i. Br. 2008, S. 134 – 144, hier 138; s. auch UiD, Jg. 4 (1950) Nr. 48. Der Vaterstädtische Bund Hamburg war von 1946 bis 1952 gleichfalls als Partei angemeldet. Als Partei wurde der VBH von Paul de Chapeaurouge am 24. Oktober 1945 gegründet, aber erst am 13. Juli 1946 von der britischen Militärverwaltung zugelassen. 18 Grau: Paul de Chapeaurouge, S. 138 f. 19 Diethart Goos: Bürgerliche Bündnisse mit mäßigem Erfolg, Welt, 25.9.2001, https://www.welt.de/printwelt/article477844/Buergerliche-Buendnisse-mit-maessigem-Erfolg.html (Abruf: 5.5.2021). Der bei Stubbe-da Luz VBH abgekürzte Vaterstädtische Bund wird in diesem Artikel als VHB (Vaterstädtischer Verband Bund Hamburg) abgekürzt. Vgl. auch Grau: Paul de Chapeaurouge, S. 140. 20 Ebd. 21 UiD, Jg. 4 (1950), Nr. 48. 22 Der Hamburger Block (HB) war eine offizielle Partei (Sammelpartei) und stellte von 1953 bis 1957 den Senat in Hamburg.

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absolute Mehrheit bei einer Wahlbeteiligung von 80,2 Prozent, nachdem zuvor der SPDSenat durch ein konstruktives Misstrauensvotum abgewählt worden war. Der HamburgBlock erhielt 62 von 120 Sitzen.23 Kurt Sieveking 24 (CDU) wurde am 9. Dezember 1953 Erster Bürgermeister Hamburgs, da der von Konrad Adenauer favorisierte Erik Blumenfeld25 überraschend verzichtet hatte und blieb der einzige CDU-Vertreter in dieser Position bis 2001.26 In dieser Funktion war er auch Verbindungsmann zur britischen Militärregierung. Sieveking überstand im Juni 1956 ein konstruktives Misstrauensvotum, das vom Oppositionsführer Paul Nevermann (SPD) nach Gesprächen mit der DP initiiert wurde, aber durch indirekte Einwirkung von Konrad Adenauer scheiterte.27 Der Hamburg-Block löste sich zum Ende der Wahlperiode auf Bestreben der FDP auf, da es aufgrund einer Wahlrechtsreform keine Notwendigkeit zur Bildung von Sammelparteien mehr gab.28 Bei der Bürgerschaftswahl 1957 trat die CDU als einzelne Partei an und hatte so keine ausreichende Basis für die Wiederwahl schaffen können.29 Erfolgreich aber war diese Periode insbesondere im Bereich der Schulpolitik. Zudem war ein erster Staatsvertrag über den Norddeutschen Rundfunk (NDR) geschlossen worden.30

Oppositionszeit in der Hansestadt Nach den ersten Regierungsjahren folgte eine 44 Jahre andauernde Oppositionsphase (1957 – 2001). Erik Blumenfeld, der sich am 24. März 1958 gegen Kurt Sieveking durchgesetzt hatte, ab 1968 Dietrich-Wilhelm Rollmann, Jürgen Echternach31 und Dirk Fischer prägten als jeweils langjährige Landesvorsitzende diesen Zeitraum. Die CDU und die FDP traten bei der Bürgerschaftswahl 1957 wieder mit eigenen Kandidatenlisten an. Die CDU erreichte 32,2 Prozent der Stimmen und wurde zweitstärkste Partei. Da die SPD mit der FDP eine Koalition einging, blieb der CDU nur die Opposition. Dieser Zustand sollte sich bis 2001 nicht ändern. Die CDU erreichte 1961 gar weniger als 30 Prozent der Stimmen, und obwohl im Jahr 1974 und 1978 der eher präsidial auftretende Erik Blumenfeld wieder 40,6 und 1978 noch immerhin 37,6 Prozent der Stimmen erringen konnte, reichte dies nicht für eine Regierungsbeteiligung.32 Ähnlich 23 Andreas Grau: Biogramm Kurt Sieveking, https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/ biogramm-detail/-/content/kurt-sieveking (Abruf: 31.5.2021). 24 Ebd. 25 Christine Bach: Biogramm Erik Blumenfeld, https://www.kas.de/de/statische-inhalte-detail/-/content/ blumenfeld-erik (Abruf: 30.5.21). 26 Ebd. Vgl. auch: Diethart Goos: Bürgerliche Bündnisse mit mäßigem Erfolg. 27 Schlussendlich hat Hans-Joachim von Merkatz, Bundesminister im Kabinett Adenauer, auf dessen Drängen das Gespräch mit den Parteifreunden der DP in Hamburg gesucht und so eine Teilnahme an dem Votum verhindert. Vgl. Uwe Bahnsen: 1956 rettete Adenauer den bürgerlichen Senat, in: Welt, 4.9.2003, https://www.welt.de/print-welt/article257561/1956-rettete-Adenauer-den-buergerlichen-Senat.html (Abruf: 5.5.2021). 28 Andreas Grau: Biogramm Kurt Sieveking, https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/ biogramm-detail/-/content/kurt-sieveking (Abruf: 31.5.2021). 29 Stubbe-da Luz: Von der „Arbeitsgemeinschaft“ zur Großstadtpartei, S. 134. 30 Andreas Grau: Biogramm Kurt Sieveking. 31 Andreas Grau: Biogramm Jürgen Echternach, https://www.kas.de/en/web/geschichte-der-cdu/biogramdetail/-/content/juergen-echternach (Abruf: 5.5.23021). 32 Christine Bach: Biogramm Erik Blumenfeld.

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war der Verlauf bei Bundestagwahlen in Bezug auf das Erringen von Direktmandaten. Nur 1957 konnte Georg Schneider ein solches gewinnen. Im Jahr 1966 war eine Veränderung in der Ausrichtung der Partei zu bemerken. So war die CDU nun eine Partei aller Generationen geworden und eine neue jüngere Generation hatte sich in ihr etabliert.33 Schwerpunktthema der 1960er Jahre war die Schulpolitik im Stadtstaat. Der Landesverband entwickelte breitere Strukturen durch die Gründung von Vereinigungen auf Landesebene. Die Mitgliedszahlen aber stagnierten.34 Der am 11. Mai 1968 gewählte und bis 1974 amtierende Vorsitzende Wilhelm-Dietrich Rollmann sprach vom „Dreißig-Prozent-Ghetto“, in dem sich die CDU Hamburg befinde.35 Als Parteimanager agierte er mit Pragmatismus, wollte über die dreißig Prozent hinaus, was ihm allerdings trotz innovativer Wahlkampftaktik erst bei der Bürgerschaftswahl am 3. März 1974 gelang, als die CDU 40,6 Prozent und 51 Mandate erreichen konnte.36 In seiner Zeit stieg die Mitgliederzahl deutlich auf etwas mehr als 9.000 Mitglieder an. Diesen Anstieg erreichte er durch Basisarbeit sowie den Wandel zu einer offeneren und lebendigeren Partei. Jürgen Echternach löste auf dem Landesparteitag am 17. Mai 1974 Rollmann ab, der seine Kandidatur zurückzog. Unter dem neuen Landesvorsitzenden steigerte sich die Mitgliederzahl auf bis zu 14.000 Mitglieder. Inhaltlich, personell und strukturell sah Echternach die CDU in Hamburg nun als moderne Großstadtpartei an. So führte er neue Aktionsformen ein, wie das Veranstalten von Vernissagen, Schweigemärschen oder offenen Parteitagen.37 Auf dem Landesparteitag am 23. Februar 1980 wurde Echternach im Amt bestätigt, erhielt aber aufgrund interner Querelen mit seinem Stellvertreter Reimers neben 180 Jaauch immerhin 60 Nein-Stimmen (von 243).38 Bei der im Sommer 1982 anstehenden Bürgerschaftswahl war der Spitzenkandidat der CDU, Walther Leisler Kiep 39, mit 43,2 Prozent wieder so erfolgreich, dass seine Partei mehr Stimmen und Sitze als die SPD erreichen konnte. Man hatte im Wahlprogramm versprochen, Volksbegehren und Volksentscheide in die Hamburger Verfassung aufzunehmen und den Schutz persönlicher Daten zu verbessern. Da es nach diesem Wahlerfolg wegen des Scheiterns der FDP an der Fünf-Prozent-Hürde zu keiner Koalitionsbildung kam, wurden für den 19. Dezember 1982 Neuwahlen angesetzt. Dabei verlor die CDU wieder einen entscheidenden Anteil an Stimmen, fiel auf 38,6 Prozent und die SPD erreichte die absolute Mehrheit. Echternach hatte in seiner Zeit als Vorsitzender neben Umweltproblemen auch mit einem ansteigenden Ausländeranteil in der Stadt zu tun. Ab 1983 wurde das Programm „Hamburg 1990“ als eine Art Zukunftskonzept ausgearbeitet, um eine langfristige politi33 34 35 36

Stubbe-da Luz: Von der „Arbeitsgemeinschaft“ zur Großstadtpartei, S. 140. Ebd., S. 144. Ebd., S. 138 und 145. Neben mit Namen bedruckten Kugelschreibern wurden Bälle („Immer am Ball“) verteilt und 10.000 Tragetaschen an Haustüren gehangen. Deren Inhalt waren vier Brötchen und ein Staubtuch. Die Öffentlichkeitsarbeit gewann merklich an Bedeutung. Vgl. ebd., S. 145 und 148 f. 37 Ebd., S. 136. 38 Ebd., S. 151. 39 Günther Buchstab: Biogramm Walther Leisler Kiep, https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/ personen/biogramm-detail/-/content/walther-leisler-kiep (Abruf: 1.6.2021).

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sche Perspektive und gleichzeitig die Grundlage für die nächste Bürgerschaftswahl 1986 vorgeben zu können. Nachdem diese am 9. November 1986 immerhin 41,7 Prozent erbracht hatte, doch keine Koalition gebildet werden konnte, erfolgte schon am 17. Mai 1987 eine Neuwahl. Dort wurde die CDU Hamburg wie schon 1982 von einer erstarkten SPD überholt, obwohl sie selbst beachtliche 40,6 Prozent erreichen konnte. Es folgte ein Absturz. Nach 35,1 Prozent mit dem Spitzenkandidaten Hartmut Perschau40 im Jahr 1991 erreichte die CDU Hamburg, die seit 1992 von Dirk Fischer geleitet wurde, das schlechteste Ergebnis.41 In der Neuwahl vom 19. September 1993 erreichte die CDU nur noch 25,1 Prozent. Zuvor hatten zwanzig CDU-Mitglieder erfolgreich gegen die Gültigkeit der Wahl 1991 geklagt. An diesem Tiefpunkt übernahm Ole von Beust den Vorsitz der Bürgerschaftsfraktion und trat am 21. September 1997 als Spitzenkandidat für die CDU an. Mit 30,7 Prozent und 46 Sitzen erreichte er ein verbessertes Ergebnis. Die CDU blieb aber in der Opposition. Insgesamt hatte die CDU Hamburg in 44 Jahren Opposition gerade einmal vier Vorsitzende. Einige Sachthemen spielten in dieser Zeit kontinuierlich eine Rolle. So etwa eine Bezirks- und Verwaltungsreform, die Finanz- sowie Wirtschaftspolitik und eine Neugestaltung der Schul- und Bildungspolitik, insbesondere die Reform der Hamburger Universität und der Verfassung Anfang der 1970er Jahre.

Ole von Beust 42 und Christoph Ahlhaus 43 in der Regierungsverantwortung Erst die Bürgerschaftswahl am 23. September 2001 brachte die CDU zurück an die Regierung, allerdings mit nur 26,2 Prozent und 33 Mandaten. Die sogenannte BürgerblockKoalition, bestehend aus CDU, FDP und der rechtskonservativen Partei Rechtsstaatliche Offensive (P.R.O. und umgangssprachlich „Schill-Partei“), erreichte eine regierungsfähige Mehrheit.44 Da Ronald Barnabas Schill mit der neuen Partei auf Anhieb 19,4 Prozent erreicht und das Protestwählerpotential in allen sozialen Schichten stark ausschöpft hatte, verblieb einzig diese Koalitionsmöglichkeit. Die Wähler der Schill-Partei wollten überwiegend „Sicherheit und Ordnung in Hamburg“.45 Ihre größte Wählergruppe waren Männer über 45 Jahren, wobei insbesondere Arbeiter und einfache Angestellte als

40 Reinhard Schreiner: Namen und Daten aus sechs Jahrzehnten Parteiarbeit. Die Vorsitzenden und Geschäftsführer der CDU-Landes-, Bezirks- und Kreisverbände seit 1945 (neue Länder ab 1990). Konrad-Adenauer-Stiftung, Wissenschaftliche Dienste, Archiv für Christlich-Demokratische Politik. Sankt Augustin 2012, S. 462. 41 Dirk Fischer war seit 1976 bereits stellvertretender Vorsitzender der Hamburger CDU und im Zeitraum von 1980 – 2017 Mitglied des Deutschen Bundestags. 42 Kai Wambach: Biogramm Ole von Beust (Carl-Friedrich Arp Ole Freiherr von Beust), https://www. kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/ole-von-beust-carl-friedricharp-ole-freiherr-von-beust- (Abruf: 1.6.2021). 43 Tim B. Peters: Biogramm Christoph Ahlhaus, https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/ biogramm-detail/-/content/christoph-ahlhaus (Abruf: 2.3.2021). 44 Die P.R.O. wurde von Beginn an als Schill-Partei in der hamburgischen Presselandschaft bekannt. Vgl. Michael Schmitz: Die „Schill-Partei“. Analyse der „Partei Rechtsstaatlicher Offensive“ nach den Landtagswahlen in Hamburg und Sachsen-Anhalt. Sankt Augustin 2002, S. 16. 45 Ebd., S. 17.

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Landesverband Hamburg

Wähler angegeben werden (zusammen 54 Prozent).46 36.000 Wähler wechselten von der CDU zur Schill-Partei.47 Ole von Beust wurde am 31. Oktober zum Ersten Bürgermeister, Ronald Schill zum Zweiten Bürgermeister und Innensenator von Hamburg gewählt. Insbesondere Maßnahmen im Bereich der Inneren Sicherheit und der Drogenpolitik wurden in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Zudem waren sich CDU und Schill-Partei u. a. einig, die Forderung der FDP nach Legalisierung von Cannabis und Haschisch abzulehnen. Der ausverhandelte Koalitionsvertrag wurde von ca. 200 Delegierten des Landesausschusses der Hamburger CDU einstimmig angenommen.48 Am 29. August 2002 überschritt Ronald Schill seine Redezeit im Bundestag und wurde in der Folge von Ole von Beust gerügt, er sei nicht als Vertreter des Hamburger Senats aufgetreten.49 Ende 2003 kam es wegen Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit der Entlassung des Staatsrats der Innenbehörde und Vertrauten Schills, Walter Wellinghausen, zwischen von Beust und Schill zum Bruch der Koalition.50 Nach einer persönlichen Auseinandersetzung mit einem Erpressungsversuch entließ von Beust Schill am 19. August 2003. Die Auflösung der Bürgerschaft erfolgte am 30. Dezember 2003, die Neuwahl bereits am 29. Februar 2004. Das Ergebnis dieser Bürgerschaftswahl war für die CDU Hamburgs höchst erfreulich. Mit 47,2 Prozent und 63 Mandaten konnte von Beust die absolute Mandatsmehrheit erreichen und gewann somit ganze 21 Prozent hinzu. Ole von Beust ging also gestärkt aus der gescheiterten Koalition hervor und die CDU konnte für vier Jahre eine Alleinregierung bilden. Der amtierende Landesvorsitzende Dirk Fischer wurde auf dem Landesparteitag 2007 von Michael Freytag abgelöst. Fischer hatte die CDU Hamburg vom schlechtesten zum besten Ergebnis ihrer Geschichte geführt und wurde auch deshalb später Ehrenvorsitzender. Das Ergebnis konnte 2008 nicht bestätigt werden, allerdings blieb die CDU stärkste Kraft mit 42,6 Prozent und 56 Mandaten. Es kam zur ersten Schwarz-Grünen Koalition mit der Grünen Alternativen Liste (GAL). Allerdings zerbrach diese Koalition und Ole von Beust trat am 25. August 2010 zurück, nachdem der Volksentscheid gegen die Primarschulreform verloren gegangen war.51 Christoph Ahlhaus wurde sein Nachfolger, der bisher als Innensenator fungiert hatte. Er stützte sich auf die schwarz-grüne Bürgerschaftsmehrheit, doch die Grünen kündigten das Regierungsbündnis im November 2010. Ahlhaus führte ab diesem Zeitpunkt eine Minderheitsregierung, verlor in der folgenden Wahl am 20. Februar 2011 allerdings deutlich. Nur noch 21,9 Prozent der Stimmen entfielen auf die CDU. Das Wahlergebnis 46 47 48 49 50 51

Ebd. Ebd. Ebd., S. 10 f. Thomas Holl: In schwerer See, in: FAZ, 29.12.2003. Uwe Bahnsen: Bizarr und unberechenbar, in: Welt am Sonntag, 28.12.2003. Das tut man nicht, in: Süddeutsche Zeitung, 22.7.2010; Weniger Schüler, Mehr Probleme, in: Süddeutsche Zeitung, 19.8.2010; Bildungsproblem. Streit um die Hamburger Schulreform, Deutschlandfunk, 17.3.2010. Geplant war, dass die Grundschulzeit von vier Jahren auf sechs Jahre ausgebaut würde. Hiergegen richtete sich eine Volksinitiative, der durch das Sammeln von mehr als 180.000 Unterschriften das Recht auf einen Volksentscheid zustand. Vgl. auch FAZ, 17.9.2010. Am Ende stimmten 276.304 Bürger gegen die Schulreform.

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Thilo E. Pries

von 2008 hatte sich damit fast halbiert, die SPD mit Spitzenkandidat Olaf Scholz erreichte die absolute Mehrheit. In der Konsequenz trat der erst 2010 gewählte CDU-Landesvorsitzende Frank Schira zurück. Das Amt wurde von Marcus Weinberg übernommen, der nach dem schlechten Ergebnis bei der Bürgerschaftswahl 2015, es entfielen nur noch 15,9 Prozent und 20 Mandate auf die CDU, am 31. März von Roland Heintze abgelöst wurde. Bei der Bürgerschaftswahl 2020 erreichte die CDU Hamburg das zweitschlechteste Ergebnis bei einer Landtagswahl der CDU überhaupt. Da insgesamt nur 15 Mandate erreicht werden konnten, jedoch auch 15 Direktmandate gewonnen wurden und die Landesliste deshalb nicht wirksam wurde, zogen weder Spitzenkandidat Marcus Weinberg noch der Landesvorsitzende Roland Heintze oder der JU-Vorsitzende Philipp Heißner über die Landesliste in die Bürgerschaft ein. Mit Christoph Ploß wurde am 26.September 2020 mit 177 von 212 Stimmen (86 Prozent) ein neuer Landesvorsitzender der CDU Hamburg gewählt. Die Partei benötigte nach dem schlechten Ergebnis bei der Bürgerschaftswahl 2020 eine grundlegende Veränderung. Die Suche nach Fehlern ergab, dass die CDU Hamburg nicht mehr erster Ansprechpartner der Wirtschaft in Hamburg gewesen sei. Zudem habe ein Profil gefehlt, es sei „keine klare Linie“ zu erkennen gewesen. Eine neue Zielsetzung gab Ploß am 27.August 2020 im „Masterplan 2025“ an. In diesem arbeitete er notwendige Grundsätze aus. Eine inhaltliche Neuaufstellung wurde als notwendig erachtet, um wieder wählbar zu werden. So müsse die CDU Hamburg u.a. mit einer Stimme kommunizieren, für Ziele begeistern, die Mitglieder einbinden und zur „Kümmererpartei“ werden. Auch Lehren aus den verloren Wahlen werden festgehalten. So müsse die Kampagnenfähigkeit verbessert und die Arbeitsfähigkeit der Landesgeschäftsstelle auch als Servicedienstleister verbessern.52 Am 25.Juni 2022 als Landesvorsitzender mit 151 von 203 der Stimmen (78,2 Prozent) bestätigt. Ebenso wurden die Stellvertreter Anke Frieling (72,8 Prozent), Natalie Hochheim (82,5 Prozent), Christoph de Vries (78,4 Prozent) und Philipp Heißner (76,9 Prozent) wiedergewählt. Als zentrales Thema wurde Klimaschutz durch neue Technologien für den Erhalt von Wohlstand gesetzt. Im November 2022 stellte die CDU Hamburg nach 12 Jahren ein neues Grundsatzprogramm vor, das vor allem die Themen Wirtschaftspolitik, Innenpolitik und Wissenschaftspolitik benennt. Mehr Wissenschaft für mehr Klimaschutz ist dabei ebenso eine These wie mehr Konsequenz bei Verfolgung von Straftaten. Ziel sei es: Hamburg „als Metropole neu definieren“.53

Forschungs- und Quellenlage Die Geschichte des CDU-Landesverbands Hamburg ist nur rudimentär erforscht. Zentral sind dabei die Arbeiten von Helmut Stubbe-da Luz. Einerseits ist das Werk zum vierzigjährigen Bestehen „Von der ‚Arbeitsgemeinschaft‘ zur Großpartei – 40 Jahre Christ52 FAZ, 29.9.2020, Nr. 227, S. 4, Interview von Matthias Wyssuwa mit Christoph Ploß. 53 WAS, 13.11.2022, Nr. 46, S.1 Ressort: Hamburg, Interview zwischen Jörn Lauterbach und Christoph Ploß.

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lich-Demokratische Union in Hamburg (1945 – 1985)“ eine chronologische Aufarbeitung der Geschichte seit der Gründung des Landesverbandes. Es kann als ausführlichste Darstellung für die den Zeitraum bis 1985 angesehen werden. Zum anderen bieten Werke zu bedeutenden Persönlichkeiten, die mit der frühen Geschichte des Hamburger Landesverbandes eng verknüpft sind, Einblick in die Geschichte der Hamburger CDU. An dieser Stelle sind die Biographien von Frank Bajohr über Erik Blumenfeld sowie ebenfalls von Helmut Stubbe-da Luz über die Politiker Paul de Chapeaurouge, Rudolf Petersen, Kurt Sieveking zu nennen.54 Ebenso gibt es ein mehrseitiges Biogramm zu Paul de Chapeaurouge von Andreas Grau. Grundsätzlich ist zu konstatieren, dass die Geschichte der Hamburger CDU vor allem in den Gründungs- und Anfangsjahren erschlossen ist. Im Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP) können folgende Bestände – die eine z.T. erheblich divergierende Überlieferungsdichte aufweisen – im Rahmen der Benutzungsordnung eingesehen werden: Landesverband Hamburg (03-010), Bürgerschaftsfraktion Hamburg (05-003), Kreisverband Hamburg-Altona (02-426), KV Hamburg-Bergedorf (02-143), KV HamburgEimsbüttel (02-315), KV Hamburg-Harburg (02-146), KV Hamburg-Mitte (02-247), KV Hamburg-Nord (02-155), KV Hamburg-Wandsbek (02-428), Nachlass Dirk Fischer (011037), NL Ole von Beust (Splitter, noch nicht erschlossen, 01-923) Landesvorsitzende 1945 (Okt./Nov.) Franz Beyrich (komm.) 1945 (Nov.) Johannes Speckbötel 1945 – 1946 Otto Wilhelm Wendt 1946 – 1948 Max Detlev Ketels 1948 – 1954 Hugo Scharnberg 1954 – 1956 Josef von Fisenne 1956 – 1958 Hugo Scharnberg 1958 – 1968 Erik Blumenfeld 1968 – 1973 Dietrich-Wilhelm Rollmann 1974 – 1992 Jürgen Echternach 1992 – 2007 Dirk Fischer 2007 – 2010 Michael Freytag 2010 – 2011 Frank Schira 2011 – 2015 Marcus Weinberg 2015 – 2020 Roland Heintze seit 2020 Christoph Ploß Generalsekretäre 1946 – 1949

Carl Wilhelm Hauss

54 Frank Bajohr: Hanseat und Grenzgänger. Erik Blumenfeld – eine politische Biographie. Göttingen 2010; Helmut Stubbe-da Luz: Die Politiker Paul de Chapeaurouge, Rudolf Petersen, Kurt Sieveking. Hamburg 1990.

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Landesgeschäftsführer seit 1946 1946 – 1952 Conrad Wilhelm Dietsch 1953 – 1971 Heinrich Zettel 1971 – 1973 Karl Ludwig Krakow 1973 – 1975 Eduard Prosch 1975 – 1980 Hartmut Perschau 1980 – 1981 Klaus-Dieter Ludwigs 1981 – 1984 Wolfgang Parteike 1985 – 1987 Jürgen Klein 1987 (März–Sep.) Christian Rautmann 1987 – 2001 Wulf Rüdiger Brocke 2001 – 2006 Christoph Ahlhaus 2006 – 2015 Gregor Jaecke 2015 – 2021 Oliver Thiel seit 2022 kommissarisch Jörg Hausendorf

Landesverband Hessen Peter Crämer Gründungsphase und programmatische Orientierung Nach dem Zweiten Weltkrieg vereinigte die amerikanische Besatzungsmacht durch die Proklamation Nr. 2 die preußischen Provinzen Kurhessen und Nassau sowie den Volksstaat Hessen zum neuen Land „Groß-Hessen“ mit der Landeshauptstadt Wiesbaden. Unmittelbar nach Kriegsende formierten sich die politischen Parteien neu, zunächst noch ohne Erlaubnis der Amerikaner. Am 27. August 1945 gestattete dann die Militärregierung die Bildung von Parteien auf Kreis- und am 23. November 1945 auf Landesebene. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich bereits örtliche christlich-demokratische Parteigruppierungen gegründet, so z.B. am 20. August in Kassel (schon unter dem Namen CDU1) oder am 15. September in Frankfurt am Main. Zunächst trugen die Neugründungen noch unterschiedliche Namen: von Deutsche Aufbau-Bewegung (in Darmstadt) über Christliche Volks-Vereinigung (im Rheingau) bis zu zahlreichen Variationen der Christlich-Demokratischen Partei. Am 25. November 1945 gründete sich schließlich in der Geschäftsstelle der ChristlichDemokratischen Partei Frankfurts in Anwesenheit von 45 Vertretern der Kreisverbände der Landesverband Hessen der CDU. Erster Landesvorsitzender wurde Werner Hilpert.2 Die Lizenzierung durch die US-Militärregierung erfolgte am 18. Dezember 1945.3 Zwar verstand sich die CDU als konfessionsübergreifende bürgerliche Partei, der überwiegende Teil der Mitglieder war jedoch katholisch. Die junge Partei wurde geprägt von ehemaligen Zentrumsmitgliedern wie Walter Dirks, Karl Kanka oder Cuno Raabe und anderen katholisch orientierten Persönlichkeiten wie Maria Sevenich, aber auch ehemaligen Mitgliedern der Bekennenden Kirche und des Christlich-Sozialen Volksdienstes (CSVD).4 Entsprechend schwieriger gestaltete sich der Aufbau von Parteistrukturen im überwiegend evangelischen Nord- und Mittelhessen, wo sich die Bildung von CDU-Verbänden bis in den April 1946 hinzog. Die hessische CDU war in ihrer Gründungsphase eine heterogene Partei, deren Gründungsmotive von religiöser Erneuerung und einem christlich geprägten Sozialis1 Vgl. Heiko Homburg: Vom Kasseler Zentrum zur Kasseler CDU: Geschichte und Entwicklung des ersten hessischen CDU-Stadtverbandes, in: Bernd Heidenreich/Werner Wolf (Hg.): Der Weg zur stärksten Partei 1945 – 1995. 50 Jahre CDU Hessen. Wiesbaden 1995, S. 239. 2 Siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/werner-hilpert (Abruf: 23.1.2021). 3 Antrag auf Zulassung und Genehmigung durch die Militärregierung für Gross-Hessen, in: ACDP 03020-115/1. 4 Nachlässe der Gründergeneration im Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP), u. a.: Werner Hilpert (01-021), Erich Köhler (01-447), Josef Arndgen (01-343), Bruno Dörpinghaus (01-009), Karl Kanka (01-061), Cuno Raabe (01-276).

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mus (vor allem in Südhessen und Frankfurt) bis hin zur konservativen mittelständischen Interessenwahrung (vor allem in Nord- und Mittelhessen) reichte.5 Hessen als sozialdemokratisch geprägtes Land blieb für die CDU ein schwieriges Terrain. Bei der ersten Kommunalwahl Anfang 1946 und der Wahl zur Verfassunggebenden Landesversammlung landete die CDU klar hinter der SPD. Bei der ersten hessischen Landtagswahl am 1. Dezember 1946 erreichte die Union 31 Prozent und bildete mit der SPD eine große Koalition, Hilpert wurde stellvertretender Ministerpräsident im Kabinett von Christian Stock. Inhaltlich orientierte sich die CDU Hessen mit den „Frankfurter Leitsätzen“6 an einem „Sozialismus aus christlicher Verantwortung“. Diese Position war vor allem in den konservativeren CDU-Verbänden Nord- und Mittelhessens sehr umstritten. Damit stand die hessische CDU als eher „linker“ Landesverband häufig in Konflikt zur Bundespartei. Während Konrad Adenauer entschieden auf eigene Mehrheiten und bürgerliche Koalitionen setzte, propagierte der hessische Landesverband unter Hilpert die Bildung großer Koalitionen.7 Die Landtagswahl 1950 endete für die CDU mit nur noch 18,8 Prozent der Stimmen mit einem Debakel. Von der erfolgreichen Bundespartei in den Schatten gestellt, musste sich die hessische Union schließlich Adenauers Kurs anschließen. Auf dem Landesparteitag in Limburg legte Hilpert am 5. Juli 1952 sein Amt als Parteivorsitzender nieder.

Innerparteilicher Aufbau und Aufbruchstimmung 1952 übernahm Wilhelm Fay als Nachfolger Hilperts die undankbare Aufgabe, die gespaltene Partei zu einen. Zwar blieb die CDU bei den Landtagswahlen in den 1950er und 1960er Jahren meist noch unter 30 Prozent der Wählerstimmen. Verstärkt ab 1963 bemühte sich Fay jedoch erfolgreich um eine grundlegende Reform des Parteilebens: Die gesellschaftliche Basis der CDU wurde verbreitert, die Mitgliederzahl stieg von 9.000 auf 22.700 an.8 Fachkongresse intensivierten den Dialog zwischen Partei, Wissenschaft und Gesellschaft, ein Modell, das der Bundespartei in den 1970er Jahren als Vorbild dienen sollte und die Grundlage für die erfolgreiche kommunalpolitische Arbeit in Hessen schuf. Mit der Wahl von Alfred Dregger 9 zum neuen Parteivorsitzenden am 2. Dezember 1967 auf dem Landesparteitag in Eltville begann nicht nur personell eine neue Ära in der Hessen-CDU. Mit dem ehrgeizigen Anspruch, die Mehrheit im Land zu gewinnen, schaffte es Dregger, den Landesverband zu einer geschlossenen und angriffslustigen Einheit zusammenzuschweißen. Nach einem innovativen Wahlkampf, in dem Dregger als Kopf eines energisch vorwärts marschierenden Teams in „Django-Manier“10 auftrat, gelang 5 Heinrich Rüschenschmidt: Gründung und erste Jahre: Die CDU Hessen unter Werner Hilpert 1945 – 1952, in: Heidenreich/Wolf (Hg.): Der Weg zur stärksten Partei, S. 15 f. 6 Politische Leitsätze der Christlich-Demokratischen Union Stadtkreis Frankfurt a. M., in: ACDP 01009-001/1. 7 Martina Neitzke: Die CDU Hessen 1950 – 1967. Politikentwicklung und Organisationsstrukturen (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau. Bd. 80). Hg. im Auftrag des Hessischen Landtags (Politische und parlamentarische Geschichte des Landes Hessen. Bd. 29). Wiesbaden 2010, S. 27 ff. 8 Ebd., S. 121. 9 Siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/alfred-dregger (Abruf: 23.1.2021). 10 Vgl. Werner Wolf: Neubeginn und Kampf um die Mehrheit: Die CDU Hessen unter Alfred Dregger

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bei der Landtagswahl 1970 ein Stimmenzuwachs von 13 Prozent. Mit ihrer konsequenten Haltung bei der Schulfrage und der Gebietsreform – den beherrschenden Themen der hessischen Politik in den 1970er Jahren – konnte die CDU beim Wähler punkten: Bei der Landtagswahl 1974 wurde die CDU mit 47,5 Prozent erstmals stärkste politische Kraft im Land. Dreggers polarisierender Stil trug maßgeblich zu einem neuen „Wir-Gefühl“ in der Landtagsfraktion und zur Mobilisierung von Parteimitgliedern und Wählern bei.11 Zwar blieb die CDU in der Opposition, konnte zwischen 1977 und 1985 jedoch auf kommunaler Ebene ihre führende Position im Land ausbauen. In den 15 Jahren von Dreggers Parteivorsitz steigerte die hessische CDU ihre Mitgliederzahl von rund 22.000 auf über 71.000 – aus der Honoratioren- war eine Mitgliederpartei geworden. Als besondere Ehrung für ihren zweiten Ehrenvorsitzenden gab die CDU ihrer Wiesbadener Landesgeschäftsstelle im August 2010 den Namen „Alfred-Dregger-Haus“.

Übernahme der Regierungsverantwortung Auf dem Alsfelder Landesparteitag 1982 übergab Alfred Dregger, der die Partei in vier Wahlkämpfen angeführt hatte, das Ruder an Walter Wallmann.12 Im Gegensatz zum ausgesprochen konservativen Dregger galt Wallmann, seit 1977 Frankfurter Oberbürgermeister, als liberal. 1986 wurde Wallmann erster Bundesumweltminister in Bonn. Die hessische CDU profitierte zunehmend von den sprichwörtlichen „Hessischen Verhältnissen“ und dem „rot-grünen Chaos“ der Regierung Börner in Wiesbaden. Die Landtagswahl 1987 führte endlich zur lang ersehnten Regierungsübernahme: Mit drei Stimmen Mehrheit wählte der Hessische Landtag Walter Wallmann am 23. April 1987 zum ersten CDUMinisterpräsidenten des Landes. Schwerpunkte der von CDU und FDP gebildeten neuen Landesregierung waren die im Wahlkampf versprochene Wiedereinführung der freien Schulwahl, die Förderung der Wirtschaft und die Stärkung staatlicher Investitionen. Bei der vom ersten Golfkrieg überschatteten Landtagswahl 1991 unterlag die CDU nur knapp und ging in die Opposition. Manfred Kanther,13 der 1980 – 1987 als Generalsekretär Alfred Dreggers rechte Hand gewesen war, entschied den Kampf um den Fraktionsvorsitz für sich und wurde Partei- und Fraktionsvorsitzender. Wie sein Vorbild Dregger galt der konservative Kanther als Mann von Recht und Ordnung. Die Position des Generalsekretärs wurde abgeschafft und die Aufgaben auf einen Landesgeschäftsführer übertragen. Ähnlich wie in den 1970er Jahren begann der Wiederaufstieg der CDU in den Städten und Gemeinden, wo CDU-Kandidaten spektakuläre Wahlsiege feiern konnten, so bei den Oberbürgermeisterwahlen in Kassel 1993 und in Frankfurt 1995. Zum Nachfolger Kanthers wurde auf dem Hanauer Landesparteitag 1988 mit fast 98 Prozent Roland Koch14 gewählt. Inhaltlich setzte Koch, der seit 1985 bereits Fraktionsvorsitzender und damit Oppositionsführer gewesen war, Kanthers politischen Kurs fort. 1967 – 1982, in: Heidenreich/Wolf (Hg.): Der Weg zur stärksten Partei, S. 68. 11 Ebd., S. 65. 12 Siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/walter-wallmann-v1 (Abruf: 23.1.2021). 13 Siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/manfredkanther (Abruf: 23.1.2021). 14 Siehe https://www.kas.de/de/statische-inhalte-detail/-/content/koch-roland (Abruf: 23.1.2021).

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Nach einem harten Landtagswahlkampf, den die Union zur Abstimmung über die umstrittene Reform des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts machte, brachte Koch die CDU 1999 erneut in Regierungsverantwortung und wurde Ministerpräsident. Hauptziele der Regierung Koch waren die Beseitigung des Unterrichtsausfalls in den hessischen Schulen, die personelle Stärkung der Polizei sowie massive Investitionen in die Verkehrspolitik. Die schlagkräftige Landespartei war ganz auf ihren Vorsitzenden zugeschnitten, das Amt des Landesgeschäftsführers wurde in Generalsekretär umbenannt. Unter Druck geriet Roland Koch durch die im Januar 2000 bekannt gewordene Schwarzgeldaffäre der hessischen CDU. Obwohl die politische Glaubwürdigkeit Kochs unter der Affäre litt, überstanden Ministerpräsident und Partei die politische Krise ohne größere Blessuren: nachdem Koch im September 2000 eine Vertrauensabstimmung im Landtag gewonnen hatte, konnte die CDU bei der Landtagswahl 2003 sogar die absolute Mehrheit der Mandate erringen und damit erstmals ohne Koalitionspartner regieren. Ungeachtet teils heftiger Proteste setzte Ministerpräsident Koch weiterhin auf einen konsequenten Sparkurs. Bei den Landtagswahlen 2008 und 2009 musste die CDU zwar teils heftige Verluste einstecken, stellte aber weiterhin den Ministerpräsidenten. Nach zwölf Jahren Parteivorsitz und nach elf Jahren als Ministerpräsident trat Roland Koch 2010 schließlich von beiden Ämtern zurück. Zum Nachfolger wurde auf dem Landesparteitag 2010 in Willingen Volker Bouffier 15 gewählt. Am 31. August 2010 trat Bouffier auch die Nachfolge im Amt des hessischen Ministerpräsidenten an. Stand er zunächst einem schwarz-gelben Kabinett vor, musste Bouffier nach den Landtagswahlen 2013 den Koalitionspartner wechseln. Entgegen allgemeiner Erwartungen entschied sich Bouffier gegen eine Große Koalition mit der SPD und wagte ein Bündnis mit den Grünen – ein Novum in einem deutschen Flächenland. Trotz schwieriger Ausgangslage regierte die schwarz-grüne Koalition erfolgreich und zur Überraschung vieler Beobachter erstaunlich geräuscharm, Hessen konnte seinen Platz in der wirtschaftlichen Spitzengruppe der deutschen Bundesländer weiter ausbauen. Bei der Landtagswahl 2018 wurde die schwarz-grüne Koalition trotz Verlusten der CDU im Amt bestätigt. Wie zuvor angekündigt, trat Bouffier, seit März 2018 dienstältester amtierender Ministerpräsident Deutschlands, nach fast 12 Jahren im Amt zurück. Zu seinem Nachfolger wählte der Hessische Landtag am 31.Mai 2022 den bisherigen Landtagspräsidenten Boris Rhein. Dabei erhielt Rhein, der schon 2010 bis 2019 Innenminister und Wissenschaftsminister in Bouffiers Kabinetten gewesen war, sogar fünf Stimmen mehr als die zur Mehrheit nötigen Stimmen der schwarz-grünen Koalition. Die Hessen-CDU wählte Rhein am 2.Juli 2022 auf dem Landesparteitag in Rotenburg an der Fulda mit fast 98 Prozent zu ihrem Landesvorsitzenden. Volker Bouffier wurde zum Ehrenvorsitzenden gewählt. Die CDU Hessen gliedert sich aktuell in sechs Bezirksverbände, 26 Kreisverbände und 426 Stadt-, Gemeinde- und Ortsverbände und ist mit rund 35.800 Mitgliedern16 der fünftgrößte Landesverband. 15 Siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/volker-bouffier-v (Abruf: 23.1.2021). 16 Anzahl der Parteimitglieder der CDU nach Bundesländern im Jahr 2018, Stand: 31. Dezember, https:// de.statista.com/statistik/daten/studie/586811/umfrage/parteimitglieder-der-cdu-nach-bundeslaendern/ (Abruf: 15.6.2021).

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Forschungs- und Quellenlage Im Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. werden rund 120 Archivbestände mit Bezug zur CDU Hessen verwahrt. Dazu gehören Organisationsbestände der CDU wie der Landesverband Hessen (03-020) und die CDUFraktion im Hessischen Landtag (05-008), die Vereinigungen und Sonderorganisationen sowie fast alle Kreisverbände der Union. Da das Archiv der hessischen CDU bei einem Umzug der Landesgeschäftsstelle 1967 vernichtet wurde, spielen die rund 85 Personenbestände aus Hessen als Quellen im ACDP eine besondere Rolle. Hierzu zählen vor allem die schon genannten Parteigründer (siehe Anmerkung 4), aber auch (Teil-)Bestände der Ministerpräsidenten und Landesvorsitzenden Walter Wallmann und Roland Koch sowie ihrer Vorgänger im Landesvorsitz Werner Hilpert, Wilhelm Fay und Alfred Dregger. Ergänzt werden diese um Bestände bedeutender Amtsträger auf Bundes- und Landesebene (hier u. a. Elisabeth Schwarzhaupt, Heinz Riesenhuber oder Christian Schwarz-Schilling) sowie zahlreicher Abgeordneter im Deutschen Bundestag (z.B. Franz Böhm, Walter Picard, Elisabeth Pitz-Savelsbergh oder Walther Leisler Kiep), im Hessischen Landtag und im Europäischen Parlament. Die Frühgeschichte der CDU in Hessen untersuchte Heinrich Rüschenschmidt bereits 1981 umfassend in seiner Dissertation im Rahmen der Reihe „Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte“, mit über 600 Seiten ein wahres Opus Magnum.17 Mit Blick auf das 40- bzw. 50-jährige Jubiläum der hessischen CDU erschien im Jahr 1988 Werner Wolfs „CDU Hessen 1945 – 1985“18 und im Jahr 1995 die vom gleichen Autor gemeinsam mit Bernd Heidenreich herausgegebene Publikation „Der Weg zur stärksten Partei 1945 – 1995. 50 Jahre CDU Hessen“.19 Mit der Geschlossenheit und der damit verbundenen legendären Kampagnenfähigkeit der Landes-CDU befasste sich Arijana Neumann 2008 im Beitrag „Die Hessen-CDU: Kampfverband und Regierungspartei“ (gemeinsam mit Josef Schmid)20 und erneut 2012 in der „Fallstudie CDU Hessen: Geschlossen, polarisierend und manageriell“21. Besonders detailliert analysierte Martina Neitzke auf über 400 Seiten die politische und organisatorische Entwicklung der hessischen CDU in ihrer 2010 erschienenen Studie „Die CDU Hessen 1950 – 1967“.22

17 Rüschenschmidt: Gründung und erste Jahre. 18 Werner Wolf (Hg.): CDU Hessen 1945 – 1985. Politische Mitgestaltung im Kampf um die Mehrheit. Köln 1988. 19 Heidenreich/Wolf (Hg.): Der Weg zur stärksten Partei. 20 Arijana Neumann/Josef Schmid: Die Hessen-CDU: Kampfverband und Regierungspartei, in: Wolfgang Schroeder (Hg.): Parteien und Parteiensystem in Hessen. Wiesbaden 2008, S. 107 – 141. 21 Arijana Neumann: Fallstudie CDU Hessen: Geschlossen, polarisierend und manageriell, in: Dies. (Hg.): Die CDU auf Landesebene. Politische Strategien im Vergleich. Wiesbaden 2012, S. 61 – 108. 22 Neitzke: Die CDU Hessen 1950 – 1967.

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Landesvorsitzende 1945 – 1952 Werner Hilpert 1952 – 1967 Wilhelm Fay 1967 – 1982 Alfred Dregger 1982 – 1991 Walter Wallmann 1991 – 1998 Manfred Kanther 1998 – 2010 Roland Koch 2010 – 2022 Volker Bouffier seit 2022 Boris Rhein

Landesverband Mecklenburg-Vorpommern Stefan Marx Die Anfänge christlich-demokratischer Politik in Mecklenburg und Vorpommern im Sommer 1945 waren das Ergebnis spontaner Parteigründungen. Schwerin und Greifswald gelten als „die bedeutsamsten Kristallisationspunkte der CDU“1 im Nordosten des sowjetisch besetzten Teils Deutschlands. In Schwerin gründete am 5. Juli 1945 ein Kreis ehemaliger Mitglieder der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) um den Juristen Reinhold Lobedanz den Landesverband der CDU.2 Zugleich konstituierte sich die Ortsvereinigung der CDU Schwerin. Bereits zwei Wochen zuvor hatte sich in Greifswald eine „Demokratische Partei“ gebildet, die sich Anfang September 1945 nach Klärung ihrer inhaltlichen Position in CDU umbenannte. Treibende Kraft war hier der von der Besatzungsmacht eingesetzte Oberbürgermeister der Universitätsstadt, Paul Hoffmann, der in der Weimarer Republik ebenfalls der DDP angehört hatte. In den folgenden Wochen gelang ein zügiger Parteiaufbau, sodass der Landesverband bereits Ende September 1945 51 Ortsverbände mit 2.809 Mitgliedern umfasste. Auch in Mecklenburg und Vorpommern entstand die CDU als eine überkonfessionelle Sammlungspartei. Dabei unterschied sich dieser Landesverband von den anderen Landesverbänden der CDU in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) durch seine besonders stark ausgeprägte liberale Wurzel. Frühere Mitglieder der DDP stellten die Mehrheit im ersten Landesvorstand. Zum Landesvorsitzenden wurde Reinhold Lobedanz gewählt, der Vorsitzender der DDP in Mecklenburg von ihrer Gründung bis zur Auflösung 1930 gewesen war. Konservative Traditionslinien ließen sich insbesondere in Greifswald nachweisen. Hier zählten die Rechtsanwälte Walter Graul und Paul Andrich sowie der Volksschullehrer Emil Villain und der Schulrektor Ernst Jenssen, die in den Jahren der Weimarer Republik in der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) politisch beheimatet gewesen waren, zu den Gründungsmitgliedern der CDU. Die dritte, die christliche Traditionslinie unter den Gründungsmitgliedern verkörperten ehemalige Mitglieder der Zentrumspartei wie der stellvertretende Landesvorsitzende Hans Krukenmeyer, katholische Geistliche wie Kaplan Karl Foerster oder evangelische Theologen wie der Neutestamentler Ernst Lohmeyer, der von der sowjetischen Besatzungsmacht als erster Rektor der Universität Greifswald nach dem Zweiten Weltkrieg eingesetzt wurde. 1 Christian Schwießelmann: Die Christlich-Demokratische Union Deutschlands in Mecklenburg und Vorpommern. Von der Gründung bis zur Auflösung des Landesverbandes (1945 – 1952) (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 58). Düsseldorf 2011, S. 436. 2 Von 1945 bis 1947 verwendete man als amtliche Bezeichnung für das Land den Namen MecklenburgVorpommern. Nach der Auflösung Preußens durch das Kontrollratsgesetz Nr. 46 vom 25. Februar 1947 erließ die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) den Befehl Nr. 180 vom 21. Juli 1947. Von da an bis zur Auflösung der Länder am 23. Juli 1952 hieß das Land Mecklenburg. Seit der Wiederherstellung der Länder im Bereich der ehemaligen DDR 1990 lautet die offizielle Bezeichnung wiederum Mecklenburg-Vorpommern. Die Benennung des Landesverbandes der CDU entsprach jeweils diesen Konventionen.

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Die Aufbauphase der Landespartei fand im Frühjahr 1946 mit der Verabschiedung einer vorläufigen Satzung und der Durchführung des 1. Landesparteitages, der vom 27. bis 28. April 1946 in Schwerin stattfand und Reinhold Lobedanz in seinem Amt als Landesvorsitzender bestätigte, seinen Abschluss. In der Folgezeit konnte die Parteiorganisation weiter ausgebaut werden, begleitet von einer positiven Mitgliederentwicklung, die im April 1949 mit 29.263 Mitgliedern einen Höchststand erreichte. Gleichzeitig sah sich die CDU in Mecklenburg und Vorpommern einem wachsenden Anpassungsdruck durch die Sowjetische Militäradministration in Deutschland und die SED ausgesetzt, dem sich der Landesvorsitzende Lobedanz im Gegensatz zu den anderen Landesvorsitzenden der CDU in der SBZ nicht zu widersetzen versuchte. Im Gegenteil, Lobedanz ließ sich korrumpieren und wurde für seine Politik der Anpassung, die ihn in die „Rolle eines willfährigen Handlangers der Staatspartei“3 manövrierte, mit nominell hohen Staatsämtern belohnt: Erster Vizepräsident des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern, nach Gründung der DDR Präsident der Länderkammer. DDR-Staatspräsident Wilhelm Pieck verlieh ihm gar den Vaterländischen Verdienstorden in Gold. Nach der Staatsgründung der DDR 1949 verschärfte sich der Anpassungsdruck. In der CDU Mecklenburgs fanden Säuberungsaktionen statt. Prominentestes Opfer war Wirtschaftsminister Siegfried Witte, der gegen alle Sozialisierungsbestrebungen der Kommunisten die private Unternehmerinitiative zu verteidigen suchte. Nach einer beispiellosen, von der SED gesteuerten Diffamierungskampagne wurde Witte im Januar 1950 zum Rücktritt gezwungen. Es folgten der Parteiausschluss und kurzzeitige Haft, ehe er in die Bundesrepublik fliehen konnte. Dieser Weg blieb zahlreichen Christlichen Demokraten in Mecklenburg und Vorpommern, die in Opposition zur Politik der Anpassung ihrer Parteiführung standen, verwehrt. Namentlich bekannt sind elf Parteimitglieder, die Opfer des stalinistischen Terrors in der DDR wurden und ihr politisches Engagement mit dem Leben bezahlten. Der Gleichschaltungsprozess der CDU führte auch in Mecklenburg und Vorpommern zu einer Angleichung der Parteiorganisation an die Strukturen der SED, deren führende Rolle von der CDU in der DDR auf ihrem 6.Parteitag in Berlin im Oktober 1952 anerkannt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war der Landesverband der CDU Mecklenburg bereits aufgelöst. Im Rahmen der Verwaltungsreform vom 23. Juli 1952 hatte die CDU ihre Parteistruktur der neuen Verwaltungsgliederung der DDR in 14 Bezirke angepasst. Auf dem Gebiet des faktisch aufgelösten Landes Mecklenburg entstanden die drei Bezirksverbände Neubrandenburg, Rostock und Schwerin. Die Besoldung der Parteiangestellten durch den Staat dokumentierte die Abhängigkeit der CDU und damit ihre Unterordnung unter das SED-Regime. In allen drei Bezirksverbänden gelang es dem Ministerium für Staatssicherheit, sowohl hauptamtliche Parteifunktionäre als auch ehrenamtliche Vorstandsmitglieder als geheime Informanten zu gewinnen. Darunter befanden sich Hansjürgen Rösner, der in Schwerin als Bezirksvorsitzender von 1952 bis 1958 amtierte, und Hans Koch, der von 1958 bis 1979 an der Spitze des Schweriner Bezirksverbandes der CDU stand. Spätestens seit 1952 war die CDU fest in das Blocksystem der „Nationalen Front“ in der DDR eingebunden und wurde ihrer Rolle als Erfüllungsgehilfe der SED-Herrschaft 3 Christian Schwießelmann: Norddeutsch, protestantisch, liberal – Gründerpersönlichkeiten der CDU in Mecklenburg-Vorpommern, in: HPM 13 (2006), S. 25 – 46, hier 31.

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gerecht. Zwar wurden in den folgenden knapp vier Jahrzehnten auch an der Parteibasis der drei nördlichen Bezirksverbände der CDU wiederholt Stimmen laut, die sich kritisch mit der Politik ihrer korrumpierten Führungselite an der Seite der SED und den Zuständen in der DDR auseinandersetzten. Wie das Beispiel der Partei im Bezirksverband Rostock zeigte, war es aber bis in den Sommer 1989 hinein eine Minderheit in der CDU, die über „eine grundlegende Abkehr vom Staatssozialismus oder eine offensive Bekämpfung der SED-Herrschaft“4 nachdachte. Der Zusammenbruch des SED-Regimes im Herbst 1989 erschütterte auch die CDU in der DDR in ihren Grundfesten. Im Norden des Landes trat der Doberaner Kreisvorsitzende Günther Krause hervor, der zu einer Reihe jüngerer CDU-Mitglieder gehörte, die bis dahin nur auf der Orts- und Kreisebene Ämter ausgeübt hatten und als politisch unbelastet galten. Hierzu zählten Lorenz Caffier, Alfred Gomolka, Eckhardt Rehberg und Jürgen Seidel, die nach 1990 die Landespolitik in Mecklenburg-Vorpommern maßgeblich mitgestalteten. Eine weitere wichtige Gruppe waren die Neumitglieder, die Ende 1989/Anfang 1990 der CDU beitraten und auf Parteireformen drangen. Prominente Beispiele sind die aus dem Umfeld der katholischen Kirche kommenden Georg Diederich und Rainer Prachtl, die in den 1990er Jahren als Landesinnenminister (Diederich) bzw. als Landtagspräsident (Prachtl) bedeutende staatliche Ämter bekleideten. Krause ging Ende September 1989 auf Distanz zur Politik der Ost-Berliner Parteiführung um Gerald Götting und forderte die Verbreitung des „Briefes aus Weimar“ im gesamten Verband der CDU in der DDR. In den Debatten über die Erneuerung der CDU profilierte er sich als Verfechter der Sozialen Marktwirtschaft: „Soziale Marktwirtschaft statt sozialistischer Experimente, nur so überwinden wir Gleichmacherei und schaffen Gerechtigkeit – das Ziel der erneuerten CDU“.5 Ende Januar 1990 legte er einen Fahrplan zur deutschen Einheit vor und avancierte in dieser Frage zum „Meinungsführer im Norden“6. Auf dem Parteitag zur Wiederbegründung des Landesverbandes am 3. März 1990 in Rostock setzte sich Krause in einer Kampfabstimmung um den Landesvorsitz gegen den Schweriner Bezirksvorsitzenden Lothar Moritz durch. Doch das landespolitische Feld überließ er den CDU-Kreisvorsitzenden von Greifswald und Ribnitz-Damgarten, Alfred Gomolka und Eckhardt Rehberg. Gomolka bildete nach der erfolgreichen Landtagswahl vom 14. Oktober 1990, aus der die CDU mit deutlichem Abstand als stärkste politische Kraft hervorging, eine Regierungskoalition mit der FDP und übernahm das Amt des Ministerpräsidenten. An die Spitze der CDU-Fraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern trat Rehberg, der dieses Amt bis zu seinem Wechsel in den Deutschen Bundestag 2005 ausfüllte. Auseinandersetzungen über die Privatisierung der Werftindustrie und parteiinterne Querelen führten 1992 zum Rücktritt von Gomolka, dem der Landesgeneralsekretär der CDU, Berndt Seite, im Amt des Ministerpräsidenten nachfolgte. Ein Jahr später erfolgte auch im Landesparteivorsitz ein Wechsel. Nach mehreren Affären trat Krause vom Amt 4 Luise Güth: Die Blockparteien im SED-System der letzten DDR-Jahre. Wahrnehmung und Partizipation am Beispiel des Bezirks Rostock (Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag. Reihe Geschichtswissenschaft. Bd. 39). Baden-Baden 2018, S. 414. 5 Günther Krause: Unproduktivität durch Leistungskraft ersetzen, in: Der Demokrat, 19.1.1990. 6 Hans Jörg Hennecke: Die CDU in Mecklenburg und Vorpommern, in: Ders./Nikolaus Wertz (Hg.): Parteien und Politik in Mecklenburg-Vorpommern. München 2000, S. 15 – 65, hier 21.

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des Bundesministers für Verkehr zurück und legte auf Drängen Seites, der über das Neue Forum zur CDU gekommen war, auch den Landesvorsitz der Partei nieder. Zu Krauses Nachfolgerin wurde im Juni 1993 Angela Merkel gewählt, die als stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU und Bundesministerin für Frauen und Jugend politisches Gewicht besaß und seit 1990 als direkt gewählte Abgeordnete des Wahlkreises 267 (Stralsund – Rügen – Grimmen) im Deutschen Bundestag saß. Nach der Landtagswahl vom 16. Oktober 1994, bei der sich die CDU als stärkste Partei behaupten konnte, war die neue Landesvorsitzende wiederholt als Krisenmanagerin gefragt. Da die FDP den Wiedereinzug in den Landtag verpasste, musste die CDU mit der SPD eine Große Koalition eingehen, die sich mehrmals am Rande des Scheiterns befand. Die Landtagswahl von 1994 markiert eine Zäsur in der Geschichte der CDU Mecklenburg-Vorpommerns. Seitdem ist die Partei auf der Landesebene „auf das Wohlwollen der SPD angewiesen, um dem Schreckgespenst einer rot-roten Koalition zu entgehen“7. Rehberg und der frühere Bundesminister Paul Krüger, der Sprecher der ostdeutschen CDU-Abgeordneten im Deutschen Bundestag war, erkannten das strategische Dilemma der CDU in Mecklenburg-Vorpommern und stießen im Februar 1996 mit jeweils eigenen Strategiepapieren eine Debatte über die Profilierung des Landesverbandes als ostdeutsche Regionalpartei nach bayerischem Vorbild an. Doch von absoluten Mehrheiten, wie sie die CSU in den 1990er Jahren in Bayern noch einfuhr, konnte die CDU im Nordosten Deutschlands nur träumen. Bei der Landtagswahl vom 27. September 1998 musste sie sogar der SPD als stärkste Partei den Vortritt lassen. Seither stehen die Sozialdemokraten, die 1998 mit der PDS die erste rot-rote Landesregierung in Deutschland bildeten, bei Landtagswahlen unangefochten auf dem ersten Platz. Ein neues Kapitel in der Geschichte der CDU Mecklenburg-Vorpommerns wurde 2006 aufgeschlagen, als die Partei nach der Landtagswahl vom 17. September als Juniorpartner der SPD in die Landesregierung zurückkehrte. In den Jahren der Opposition hatte sich die Partei personell neu aufgestellt. Nach ihrer Wahl zur Bundesvorsitzenden der CDU im April 2000 übergab Merkel ihr Amt als Landesvorsitzende an die frühere Kultusministerin Steffie Schnoor, die im November 2001 von Rehberg abgelöst wurde. Auf Rehberg, der mit seinem Wechsel in die Bundespolitik 2005 auch den Parteivorsitz abgab, folgte Jürgen Seidel. Der Landrat des Landkreises Müritz, der in verschiedenen Funktionen dem zweiten Kabinett Seite angehört hatte, führte als Spitzenkandidat die CDU in die Landtagswahl 2006. Nach der Wiederauflage der Großen Koalition wurde er als Minister für Arbeit, Wirtschaft und Tourismus in das Kabinett von SPD-Ministerpräsident Harald Ringstorff berufen und gleichzeitig zum Stellvertreter des Ministerpräsidenten ernannt. Die Große Koalition hatte auch nach den Wechseln im Amt des Ministerpräsidenten von Ringstorff auf Erwin Sellering im Oktober 2008 und von Sellering auf Manuela Schwesig im Juli 2017 Bestand. Trotz erfolgreicher Politik ihrer Kabinettsmitglieder in den Bereichen Inneres, Wirtschaft, Recht, Bildung und Wissenschaft gelang es der CDU nicht, aus dem Schatten der scheinbar übermächtigen SPD und ihrer populären Ministerpräsidenten zu treten. Innenminister Lorenz Caffier, der 2009 Seidel im Vorsitz der Landespartei beerbte, war 7 Philipp Huchel/Stefan Rauch: Die CDU in Mecklenburg-Vorpommern, in: Martin Koschkar/Christian Nestler/Christopher Scheele (Hg.): Politik in Mecklenburg-Vorpommern. Wiesbaden 2013, S. 55 – 85, hier 78.

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bei den Landtagswahlen 2011 und 2016 Spitzenkandidat seiner Partei. In dieser Funktion hatte er die herbe Wahlniederlage von 2016 zu verantworten, als die CDU nicht nur hinter der SPD landete, sondern auch von der AfD überflügelt wurde und mit einem Stimmenanteil von 19,0 Prozent einen historischen Tiefststand bei Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern erreichte. Er blieb auch nach der Fortsetzung der Koalition mit der SPD Mitglied der Landesregierung und Stellvertreter des Ministerpräsidenten, gab aber sein Amt als Landesvorsitzender ab. Auf dem 32.Landesparteitag in Grimmen am 8. April 2017 wurde Vincent Kokert zum neuen Landesvorsitzenden gewählt. Damit schien auf den Neustrelitzer, der seit 2011 auch die CDU-Fraktion im Landtag führte, die Spitzenkandidatur für die Landtagswahl 2021 zuzulaufen. Doch im Februar 2020 zog sich Kokert aus familiären Gründen überraschend aus der Politik zurück. Eckhardt Rehberg übernahm kommissarisch den Landesvorsitz, bis im August 2020 der Landrat von Vorpommern-Greifswald, Michael Sack, auf dem Landesparteitag in Güstrow zum neuen Landesvorsitzenden der CDU Mecklenburg-Vorpommern gewählt wurde. Sack führte als Spitzenkandidat seine Partei in den Landtagswahlkampf. Die CDU in MecklenburgVorpommern geriet in den Abwärtssog der Bundespartei und fuhr am 26. September 2021 mit einem Stimmenanteil von 13,3 Prozent ihr historisch schlechtestes Ergebnis bei Landtagswahlen ein. Der Wahlsieger SPD bildete mit den Linken eine Regierungskoalition und schickte damit die CDU nach 15 Jahren ununterbrochener Regierungsbeteiligung in die Opposition. Michael Sack übernahm die politische Verantwortung für das desaströse Wahlergebnis. Er legte sein Amt als Landesvorsitzender nieder und verzichtete auf sein Landtagsmandat. Eckhardt Rehberg, der bei der Wahl im September 2021 nicht mehr für den Deutschen Bundestag kandidiert hatte und sich in den Ruhestand verabschieden wollte, amtierte wiederum übergangsweise als Landesvorsitzender, bis auf dem Landesparteitag am 26. März 2022, der auch wieder in Güstrow stattfand, der Vorsitzende der Landtagsfraktion, Franz-Robert Liskow, an die Spitze der CDU in Mecklenburg-Vorpommern gewählt wurde.

Forschungs- und Quellenlage Die Gründung der CDU in Mecklenburg und Vorpommern und ihre Entwicklung bis zur Auflösung des Landesverbandes 1952 ist ausführlich dokumentiert in den Beständen des Archivs für Christlich-Demokratische Politik. Neben dem Archivbestand des Landesverbandes Mecklenburg sind hier die Akten der Kreisverbände Anklam, Demmin, Grevesmühlen, Ludwigslust, Neustrelitz, Röbel und Wismar zu nennen. Weiter ist auf den Nachlass von Werner Jöhren hinzuweisen, der die CDU auf Usedom mitgründete, ihr erster Vorsitzender war, dort auch das Landratsamt bekleidete und im Landtag die CDU-Fraktion anführte. Für die Jahre als unselbständige Blockpartei in den Bezirken Neubrandenburg, Rostock und Schwerin stellen die Unterlagen der entsprechenden Bezirksverbände der CDU die wesentliche Quelle dar. Daneben sind es die Akten der oben genannten Kreisverbände, ergänzt um das Schriftgut der Kreisverbände Stralsund und Ueckermünde, für die Unterlagen seit den 1950er bzw. 1970er Jahren überliefert sind. Auch für den dritten großen Abschnitt in der Geschichte der CDU Mecklenburg-Vorpommern, die Jahre seit der Wiedergründung des Landesverbandes im März 285

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1990, liegen mit dem Archivgut des Landesverbandes und der Landtagsfraktion größere Quellenbestände vor. Die Entwicklung des Landesverbandes der CDU Mecklenburg-Vorpommern von der Gründung im Juli 1945 bis zu seiner Auflösung 1952 im Zuge der Verwaltungsstrukturreform in der DDR ist mit der im Jahre 2011 erschienenen Arbeit von Christian Schwießelmann umfassend erforscht.8 Auch die Phase als unselbständige Blockpartei zwischen 1952 und 1989/90 in den Bezirken Neubrandenburg, Rostock und Schwerin hat er in mehreren Zeitschriftenaufsätzen untersucht.9 Einzelne Abschnitte dieses Zeitraums sind in den Beiträgen von Luise Güth10 und Jürgen Schmidt-Pohl11 ebenfalls wissenschaftlich bearbeitet worden. Die Wiederbegründung des Landesverbandes im März 1990 und seine weitere Entwicklung im Lichte der politischen Geschichte des Landes Mecklenburg-Vorpommern werden in den Untersuchungen von Hans Jörg Hennecke12 sowie von Philipp Huchel und Stefan Rauch13 dargestellt. Für dieses Kapitel in der Geschichte der CDU in Mecklenburg-Vorpommern liegen auch Zeitzeugenberichte in den von der Landtagsfraktion anlässlich ihres 20-jährigen Bestehens 2010 herausgegebenen Bänden vor. Darin kommen unter anderem Alfred Gomolka, Berndt Seite, Angela Merkel, Lorenz Caffier, Harry Glawe, Jürgen Seidel, Eckhardt Rehberg und Rainer Prachtl zu Wort.14

8 Schwießelmann: Christlich-Demokratische Union Deutschlands. 9 Ders.: Gründerpersönlichkeiten; Mitverantwortung oder babylonische Gefangenschaft? Die Christdemokraten Mecklenburgs und Vorpommerns im Würgegriff von SED, MfS und eigenem Opportunismus, in: Deutschland Archiv 37 (2004), S. 905 – 907; Sozialpolitiker und Unternehmer aus christlicher Verantwortung – Zum politischen Wirken Fritz Dettmanns in Mecklenburg, in: Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern 9 (2005), S. 65 – 77; Die politische „Wende“ 1989/90 und die Christdemokraten im Norden der DDR, in: Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern 12 (2008), S. 89 – 104; Zwischen Fremdsteuerung und Mitverantwortung: Innenansichten der CDU im Norden der DDR, in: HPM 16 (2009), S. 109 – 153; Blockflöten im Parteivorstand? Das Beispiel der Nordost-CDU von der Gründung bis zur Gegenwart, in: Deutschland Archiv 42 (2009), S. 414 – 424; Die CDU im Norden der DDR 1952 bis 1961. Ein Blick hinter die Kulissen einer Blockpartei in den Bezirken Neubrandenburg, Rostock und Schwerin, in: Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern 13 (2009), S. 37 – 57. 10 Güth: Blockparteien; Dies.: „Resignation ist unchristlich!“ Der Rostocker Bezirksverband der CDU(D) in den Jahren 1985 – 1989, in: HPM 21 (2014), S. 65 – 84. 11 Jürgen Schmidt-Pohl: Christlich-Demokratische Union Deutschlands. Sichtbare und geheime Parteitransformation der CDUD in der SBZ und Mitverantwortungs-Diktatur DDR. 2 Bände (Schwarzbuch-Archiv. Bd. 5). Schwerin 2003. 12 Hennecke: CDU in Mecklenburg und Vorpommern. 13 Huchel/Rauch: CDU in Mecklenburg und Vorpommern. 14 20 Jahre CDU-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern. Aufbruch in die Demokratie. Textband und Fotoband. Hg. von Wolfram Axthelm im Auftrag der CDU-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern. Schwerin 2010.

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Landesverband Mecklenburg-Vorpommern 1945 – 1952 Landesvorsitzende 1945 – 1952 Reinhold Lobedanz

Bezirk Neubrandenburg Bezirksvorsitzende 1952 – 1960 Emma Heinrich 1960 – 1966 Max Christiansen 1981 – 1987 Dietrich Lehmann 1987 – 1989 Bernd Hillmann 1989 – 1990 Wolfgang Mäder

Bezirk Rostock Bezirksvorsitzende 1952 – 1982 Otto Sadler 1982 – 1990 Dieter Klemm

Bezirk Schwerin Bezirksvorsitzende 1952 – 1958 Hansjürgen Rösner 1958 – 1979 Hans Koch 1980 – 1982 Bodo Kohagen 1982 – 1990 Lothar Moritz

Landesverband Mecklenburg-Vorpommern (ab 1990) Landesvorsitzende 1990 – 1993 Günther Krause 1993 – 2000 Angela Merkel 2000 – 2001 Steffie Schnoor 2001 – 2005 Eckhardt Rehberg 2005 – 2009 Jürgen Seidel 2009 – 2017 Lorenz Caffier 2017 – 2020 Vincent Kokert 2020 Eckhardt Rehberg (Februar – August 2020 kommissarisch) 2020 – 2021 Michael Sack 2021 – 2022 Eckhardt Rehberg (September 2021 – März 2022 kommissarisch) seit 2022 Franz-Robert Liskow

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CDU in Niedersachsen Andreas Grau Die Gründung des Landes Niedersachsen Unmittelbar nach Kriegsende stellte die britische Besatzung im Raum Niedersachsen den Zustand von 1933 wieder her und bildete die Länder Braunschweig und Oldenburg sowie die Provinz Hannover mit jeweils eigenen Landesregierungen und Parlamenten. Bereits im August 1946 wurde die Provinz Hannover zu einem Land erklärt und am 1. November 1946 schlossen die Briten Braunschweig, Hannover, Oldenburg und den Landkreis Schaumburg-Lippe zum Land Niedersachsen zusammen. Aus der ersten niedersächsischen Landtagswahl im April 1947 ging die SPD als Sieger hervor. Ministerpräsident Hinrich Wilhelm Kopf bildete trotzdem eine Allparteienregierung aus SPD, CDU, FDP, DP, KPD und Zentrum.1

Die Gründung der CDU in Brauschweig, Hannover und Oldenburg Die Gründung der CDU erfolgte auch im Raum Niedersachsen zunächst auf Kreisebene. Am 1. Oktober 1945 beantragte Bernhard Pfad, der ehemalige Vorsitzende des Zentrums in Hannover, bei der Militärregierung die Zulassung der Christlich-Demokratischen Partei in Hannover.2 Initiator der CDU-Gründung im Braunschweigischen war der frühere Reichstagsabgeordnete der DDP, Heinrich Rönneburg. Zusammen mit dem Leiter der Reichswerke in Salzgitter, Georg Strickrodt, gründete er am 20. Oktober 1945 die CDU im Kreis Goslar.3 Im Kreis Vechta in Südoldenburg wurde die CDU bereits am 22. September 1945 durch Landrat Hermann Siemer und Bürgermeister Carl Egbring gegründet.4 Entsprechend den politischen Gegebenheiten schlossen sich die Kreisparteien im Raum Niedersachsen kurz darauf auch zu Landesverbänden zusammen: Die Landespartei in Braunschweig wurde wohl im Januar 1946 gegründet; in der Provinz Hannover bildete sich am 14. November 1945 ein Landesverband und der Gründungsprozess im Oldenburger Land kam am 11. März 1946 zum Abschluss.5 Die konfessionellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten in Niedersachsen spiegeln sich bis heute in der Struktur der CDU wider: Sie hat ihre Hochburgen in den landwirtschaftlich geprägten und überwiegend katholischen Gebieten im Emsland, im Raum Os1 Vgl. Gerd Steinwascher/Detlef Schmiechen-Ackermann/Karl-Heinz Schneider (Hg.): Geschichte Niedersachsens. Bd. 5: Von der Weimarer Republik bis zur Wiedervereinigung. Hannover 2010, S. 644 ff. 2 Protokollbuch der CDU Hannover, in: ACDP Kreisverband Hannover-Stadt 02-147-013/2. 3 Gründungsprotokoll der CDU Goslar, in: ACDP NL Otto Fricke 01-248-052/2. 4 Gründungsprotokoll der CDU Vechta, in: ACDP Kreisverband Vechta 02-067-K003. 5 Vgl. CDU-Landesverband Oldenburg (Hg.): CDU im Oldenburger Land 1945 – 1985. Vechta 1986, S. 13.

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nabrück und im Oldenburger Münsterland. In den Universitätsstädten Hannover und Göttingen, im protestantischen Ostfriesland und in den Industriezentren um Braunschweig und Wolfsburg sind ihre Wahlergebnisse hingegen zumeist unterdurchschnittlich.

Die Konsolidierung der CDU in Niedersachsen Nachdem bereits 1948 die Allparteienregierung von Ministerpräsident Kopf aus Streit über eine Bodenreform auseinandergebrochen war, zog im August 1950 auch die CDU aus Protest gegen das von der SPD vorgelegte Wahlgesetz ihre Minister aus der Regierung zurück und ging in die Opposition. Um ihre Zusammenarbeit angesichts der bevorstehenden Landtagswahl im Mai 1951 zu verbessern, vereinbarten die Landesverbände Braunschweig, Hannover und Oldenburg auf einem Parteitag in Goslar am 20. Oktober 1950 die Gründung des Dachverbandes „CDU in Niedersachsen“. Dadurch wurden ein gemeinsamer Parteitag, ein Zentralausschuss und ein Zentralvorstand der drei Landesverbände geschaffen. Zum präsidierenden Vorsitzenden der CDU in Niedersachsen wurde Adolf Cillien gewählt.6 Um den Vorgaben des neuen Wahlgesetzes zu entsprechen, schlossen sich CDU und DP außerdem im März 1951 zur „Niederdeutschen Union“ zusammen und bildeten im Landtag eine Fraktionsgemeinschaft. Allerdings zahlte sich dieser Zusammenschluss nicht aus, denn bei der Landtagswahl 1951 bekam die Niederdeutsche Union nur 23,7 Prozent, während die SPD mit 33,7 Prozent eindeutiger Wahlsieger war.7 Gemeinsam mit dem BHE, der auf 14,9 Prozent kam, bildete sie eine Regierungskoalition. Während die gemeinsame Fraktion von CDU und DP noch bis 1959 bestand, löste sich die Niederdeutsche Union schon bald wieder auf. Das gute Ergebnis der Bundestagswahl 1953 in Niedersachsen bestärkte die CDU außerdem darin, bei der nächsten Landtagswahl wieder allein anzutreten. Tatsächlich kam sie 1955 auf 26,6 Prozent und schloss mit DP, BHE und FDP eine Regierungskoalition. Zum Ministerpräsidenten wurde der DP-Vorsitzende Heinrich Hellwege gewählt.

Gründung der „CDU in Niedersachsen“ In den folgenden Jahren konnte die CDU vom Zerfall der DP und des BHE profitieren und neben dem Übertritt vieler Abgeordneten auch viele Protestanten, Landwirte und Vertriebene als neue Wähler gewinnen. Trotz immer besserer Wahlergebnisse blieb die SPD aber bei den Landtagwahlen 1959 und 1963 die stärkste Partei in Niedersachsen. Als 1965 die SPD/FDP-Koalition zerbrach, bildete Ministerpräsident Diederichs (SPD) jedoch eine Große Koalition mit der CDU, die damit wieder an der Landesregierung beteiligt war. In diese Zeit fiel auch eine weitreichende Organisationsreform der CDU in Niedersachsen: Im Mai 1968 gab sie sich eine neue Satzung, in der ein von den Delegierten des Landesparteitages direkt gewählter Landesausschuss und ein gemeinsamer Landesvor6 Vgl. Protokoll des Parteitages in Goslar, in: ACDP NL Werner Hofmeister 01-385-028/2. 7 Vgl. Arnold Fratzscher: CDU in Niedersachsen. Demokratie der ersten Stunde. Uelzen 1971, S. 96 f.

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stand verankert waren. Damit waren die Voraussetzungen für eine Modernisierung des Parteiapparates und eine gezielte Programmarbeit geschaffen. Zum neuen Vorsitzenden der niedersächsischen CDU wurde der junge Landwirtschaftsminister Wilfried Hasselmann gewählt. Unter seiner Führung entwickelte sich die CDU von einer Honoratiorenvereinigung zur Volkspartei.8

Die Ära Albrecht-Hasselmann Mit neuem Schwung und mit ihrem agilen Vorsitzenden als Spitzenkandidaten verfehlte die CDU bei den Landtagswahlen 1970 und 1974 jeweils knapp die absolute Mehrheit und kam auf 45,7 Prozent bzw. 48,8 Prozent. Weil es ihm aber nicht gelungen war, die CDU in die Regierungsverantwortung zu führen, gab Hasselmann 1975 bekannt, nicht nochmal als Spitzenkandidat zur Verfügung zu stehen. Diese Aufgabe übernahm der wirtschaftspolitische Sprecher der Landtagsfraktion und frühere Spitzenbeamte der Europäischen Gemeinschaft, Ernst Albrecht. Bereits Anfang 1976 konnte er sich im Landtag zur Wahl stellen. Anlass war der Rücktritt von Ministerpräsident Alfred Kubel (SPD), der sein Amt eigentlich an Finanzminister Helmut Kasimier übergeben wollte. Doch statt Kasimier wählte der Landtag Ernst Albrecht zum neuen Ministerpräsidenten. Die „Sensation von Hannover“ war perfekt.9 Nach seiner überraschenden Wahl bildete Albrecht zunächst eine CDU-Minderheitsregierung. Bei den Landtagswahlen 1978 und 1982 erreichte die „Albrecht-Politik“ jedoch die Mehrheit der Sitze bzw. die absolute Mehrheit in Niedersachsen. Die Ära Albrecht-Hasselmann, mit Ernst Albrecht als Ministerpräsidenten und Wilfried Hasselmann als CDU-Vorsitzendem und stellvertretendem Ministerpräsidenten dauerte bis 1990. Sie war geprägt von den Bemühungen der Landesregierung, die Arbeitslosigkeit in Niedersachsen abzubauen, einer aktiven Schulpolitik, ein Netz von Sozialstationen aufzubauen und der Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. Außerdem war diese Zeit geprägt durch die Proteste gegen die Errichtung einer atomaren Wiederaufbereitungsanlage in Gorleben.

Wieder in der Opposition Aus der Landtagswahl im Mai 1990 ging jedoch die SPD als Sieger hervor. Neuer Ministerpräsident einer rot-grünen Koalition wurde der SPD-Vorsitzende Gerhard Schröder. Albrecht und Hasselmann zogen sich ins Privatleben zurück. Die nach der Wahl niedergeschlagene CDU wählte in einer Kampfabstimmung den bisherigen Innenminister Josef Stock zu ihrem neuen Vorsitzenden. Chef der Landtagsfraktion blieb Jürgen Gansäuer. Stock und Gansäuer hatten nun die Aufgabe, der verunsicherten Partei wieder neues Selbstbewusstsein zu geben. Auf der Suche nach einem Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 1994 schlug der Landesvorsitzende 1992 den noch weithin unbekannten 8 Vgl. Rolf Zick: Ein starkes Land im Herzen Europas. Die CDU in Niedersachsen 1945 bis 2015. Sankt Augustin/Berlin 2016, S. 121 ff. 9 Vgl. ebd., S. 152 ff.

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Christian Wulff aus Osnabrück vor. Der Landesvorstand unterstützte diesen Vorschlag und Anfang 1993 wurde Wulff auf einem Landesparteitag mit großer Mehrheit zum Spitzenkandidaten gewählt. Bei der Wahl im März 1994 hatte Wulff allerdings gegen den mediengewandten Ministerpräsidenten Schröder keine Chance. Die CDU stürzte auf 36,4 Prozent ab. Trotzdem setzte sich Wulff, der erstmals in den Landtag einzog, in einer Kampfabstimmung gegen Gansäuer durch und wurde neuer Fraktionsvorsitzender. Im Juni 1994 wurde er außerdem zum Vorsitzenden der CDU in Niedersachsen gewählt.10

Die Ära Wulff-McAllister Bis 2008 stand Christian Wulff nun unangefochten an der Spitze der Partei. In seiner Rolle als Oppositionsführer fand er sich schnell zurecht. Selbst nach der erneuten Niederlage der CDU bei der Landtagswahl 1998 wurde seine Führungsrolle nicht in Frage gestellt. Die akribisch vorbereitete Landtagswahl im Februar 2003 brachte dann den erhofften Sieg: Die CDU erhielt 48,3 Prozent der Stimmen und konnte mit der FDP, die auf 8,1 Prozent kam, eine Regierungskoalition bilden. Den Vorsitz der CDU-Fraktion übernahm Wulffs politischer Ziehsohn, der junge David McAllister. Als Ministerpräsident verordnete Wulff dem Land einen harten Sparkurs und setzte Akzente in der Bildungspolitik. Auch als Regierungspartei blieb die CDU in Niedersachsen attraktiv: 2004 hatte sie mit rund 81.000 Mitgliedern erstmals mehr Mitglieder als die SPD. Trotz Verlusten konnte Wulff die CDU/FDPKoalition nach der Landtagswahl 2008 fortsetzen. Allerdings legte er wenig später das Amt des Parteivorsitzenden nieder. Zum neuen „Chef“ der CDU in Niedersachsen wurde im Juni 2008 der Fraktionsvorsitzende McAllister gewählt. Wulff und McAllister bildeten bis 2010 ein erfolgreiches Tandem an der Spitze von Landesregierung und Landespartei. Nach der Wahl von Christian Wulff zum Bundespräsidenten 2010 folgte ihm McAllister auch im Amt des Ministerpräsidenten nach.11 Allerdings endete seine Amtszeit schon 2013. Bei der Landtagswahl verloren CDU und FDP völlig unerwartet gegen SPD und Grüne. Der schwer getroffenen CDU blieb nur der Weg in die Opposition. David McAllister verzichtete auf den Vorsitz der Landtagsfraktion und blieb einfacher Abgeordneter. Nach seinem Wechsel in das Europäische Parlament legte er 2016 auch das Amt des Landesvorsitzenden nieder.

Als Juniorpartner in der Großen Koalition Zum neuen Vorsitzenden der CDU in Niedersachsen und Spitzenkandidaten für die nächste Landtagswahl wurde im November 2016 der ehemalige Kultusminister Bernd Althusmann gewählt. Als es kaum ein Jahr später zu vorgezogenen Neuwahlen kam, erhielt die CDU aber nur 33,6 Prozent. Trotz des schlechten Wahlergebnisses bildete sie eine Regierungskoalition mit der SPD. Im Kabinett von Ministerpräsident Stephan Weil ist die CDU mit fünf Ministern vertreten. Stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung wurde Althusmann. Die Zusammenarbeit der Großen Koalition war weitgehend reibungslos. Viele Vorhaben des 10 Vgl. Protokoll des Landesparteitages 1994, in: ACDP Bestand CDU in Niedersachsen 03-007-212/3. 11 Vgl. Zick: CDU in Niedersachsen, S. 308 ff.

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Koalitionsvertrages konnten umgesetzt werden; z.B. die Beitragsfreiheit für Kindergartenplätze, die Erhöhung der Zahl der Medizinstudienplätze in Niedersachsen, die Einstellung neuer Polizeibeamter und die Verankerung der Schuldenbremse in der Landesverfassung. Der Landeshaushalt für 2019 kam sogar ohne neue Schulden aus. Ab 2020 überlagerte jedoch die Corona-Pandemie die gesamte Politik in Niedersachsen. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wurde dann im Frühjahr 2022 zum bestimmenden Thema und stand auch im Mittelpunkt des Wahlkampfes für die Landtagswahl am 9.Oktober 2022. Dabei blieb die SPD stärkste Partei, während die CDU auf 28,1 % abstürzte. Das Ergebnis machte die von Ministerpräsident Stefan Weil favorisierte rot-grüne Regierungskoalition möglich. Am 10.November 2022 wurde Weil erneut zum Ministerpräsidenten gewählt. Der Spitzenkandidat der CDU, Wirtschaftsminister Bernd Althusmann, übernahm noch am Wahlabend die Verantwortung für das Wahlergebnis und trat vom Vorsitz der CDU in Niedersachsen zurück.

Forschungs- und Quellenlage Zur Landesgeschichte von Niedersachsen und zur Geschichte der CDU in Niedersachsen liegen mit den Büchern von Steinwascher/Schmiechen-Ackermann/Schneider12 und Rolf Zick13 zwei einschlägige und aktuelle Werke vor. Die Geschichte Niedersachsens von 2010 bietet einen guten Überblick über die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Landes und die Politik der Landesregierungen. Die Darstellung zur CDU in Niedersachsen von 2016 stammt aus der Feder eines Journalisten und enthält viele Anekdoten, basiert aber nicht auf dem reichlich vorhandenen Quellenmaterial. Im Gegensatz dazu hat Kleinmann zwar die entsprechenden Quellen herangezogen, behandelt aber die CDU in Niedersachsen letztlich nur am Rande.14 Das Buch von Beyer/Müller gibt einen detaillierten Einblick in die niedersächsische Politik der 1950er Jahre und ist mit seinen Politikerporträts immer noch hilfreich.15 Ebenfalls beschränkt auf die 1950er und das besondere Verhältnis von CDU und DP ist die Dissertation von Uleer.16 Von den Politikermemoiren sind der schmale Band des langjährigen Generalsekretärs der CDU in Niedersachsen, Fratzscher 17, hervorzuheben, der Gründung und Anfangsjahre der CDU kursorisch beschreibt, sowie das Buch von Albrecht18, der Einblicke in seine Zeit als Ministerpräsident gibt. Die Festschrift für Christian Wulff von 2019 enthält einige Hinweise zu dessen Persönlichkeit und Regierungszeit.19 Des Weiteren liegen noch eine Reihe von Jubiläumsschriften vor, die aber alle keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben: So etwa der Überblick über die Geschich-

12 13 14 15 16 17 18 19

Steinwascher/Schmiechen-Ackermann/Schneider (Hg.): Geschichte Niedersachsens, Bd. 5. Zick: Ein starkes Land. Hans-Otto Kleinmann: Geschichte der CDU 1945 – 1982. Hg. von Günter Buchstab. Stuttgart 1993. Helmut Beyer/Klaus Müller: Der Niedersächsische Landtag in den fünfziger Jahren. Voraussetzungen, Ablauf, Ergebnisse und Folgen der Landtagswahl 1955. Düsseldorf 1988. Christoph Uleer: Das Verhältnis von DP und CDU bei den Niedersächsischen Regierungsbildungen von 1955, 1957 und 1959. Würzburg 1970 (Diss.). Arnold Fratzscher: CDU in Niedersachsen. Demokratie der Ersten Stunde. Uelzen 1971. Ernst Albrecht: Erinnerungen – Erkenntnisse – Entscheidungen. Göttingen 1999. CDU in Niedersachsen (Hg.): Brückenbauer. Christian Wulff wird 60. Hannover 2019.

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te der CDU-Fraktion von 2007 20, die Broschüren zur Entwicklung der Jungen Union in Niedersachsen von 2008 und 2018 21 und die Chronik der Senioren-Union Niedersachsen von 2009 22. Die immer noch bestehenden CDU-Landesverbände Oldenburg und Braunschweig dürfen hier ebenfalls nicht vergessen werden. Vor allem die Oldenburger haben 1986 eine umfangreiche Chronik zur Geschichte des Landesverbandes, seiner Vorsitzenden, Vereinigungen und Kreisverbände vorgelegt. Die Festschrift von 2006 erinnert zusätzlich an verdiente Politiker des Landesverbandes. 23 Zur CDU Braunschweig liegt zwar nur die Broschüre von 1996 vor, jedoch beschreibt sie die Geschichte des Landesverbandes auf der Basis der einschlägigen Quellen.24 Die zentralen Archivbestände zur Geschichte der CDU in Niedersachsen sind die Bestände des Landesverbandes und der Landtagsfraktion. Da die Überlieferung der frühen Jahre durch den häufigen Umzug der Landesgeschäftsstelle verlorengegangen ist, müssen ersatzweise die Nachlässe von Adolf Cillien (ACDP 01-521), Otto Fricke (ACDP 01-248) und Georg Strickrodt (ACDP 01-085) herangezogen werden. Neben dem Bestand des Landesverbandes und der Landtagsfraktion liegen ab den 1960er Jahren mit den Beständen von Wilfried Hasselmann (ACDP 01-473), Christian Wulff (ACDP 01-901) und David McAllister (ACDP 01-902) auch umfangreiche Parallelüberlieferungen vor. Zur Geschichte der CDU Oldenburg gibt der Bestand des Landesverbandes ab Anfang der 1950er Jahre Auskunft. Außerdem können noch die Nachlässe von August Wegmann und Hermann Ehlers (ACDP 01-369) herangezogen werden. Für den Landesverband Braunschweig liegen die Akten erst ab Ende der 1960er Jahre vor. Die frühen Jahre lassen sich jedoch durch die Nachlässe von Georg Strickrodt, Otto Fricke und Hans Edgar Jahn (ACDP 01-753) abdecken. Vorsitzende der CDU in Niedersachsen 1950 – 1960 Adolf Cillien 1960 – 1968 Otto Fricke 1968 Gustav Bosselmann 1968 – 1990 Wilfried Hasselmann 1990 – 1994 Josef Stock 1994 – 2008 Christian Wulff 2008 – 2016 David McAllister seit 2016 Bernd Althusmann

20 CDU-Fraktion im Niedersächsischen Landtag (Hg.): 60 Jahre CDU-Fraktion im Niedersächsischen Landtag. Oldenburg 2007. 21 Junge Union Niedersachsen (Hg.): 40 Jahre Junge Union Niedersachsen. Berlin 2008; Dies. (Hg.): So JUng kommen wir nicht mehr zusammen. 50 Jahre Junge Union Niedersachsen. Hannover 2018. 22 Senioren-Union Niedersachsen (Hg.): Chronik. 20 Jahre Senioren-Union Niedersachsen. Hannover 2009. 23 CDU-Landesverband Oldenburg (Hg.): CDU im Oldenburger Land; Ders. (Hg.): 60 Jahre CDU-Landesverband Oldenburg. Oldenburg 2006. 24 Reinhard Försterling/Jörg Leuschner: 50 Jahre Christlich Demokratische Union des Landesverbandes Braunschweig. Braunschweig 1996.

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Vorsitzende des Landesverbandes Braunschweig 1945 Heinrich Rönneburg 1945 – 1951 Georg Strickrodt 1951 – 1968 Otto Fricke 1968 – 1970 Alfred Burgemeister 1970 Edelhard Rock 1970 – 1977 Hans Edgar Jahn 1977 – 1988 Ernst-Henning Jahn 1988 – 1992 Rudolf Sprung 1992 – 1994 Horst Horrmann 1994 – 2006 Heinrich-Wilhelm Ronsöhr 2006 – 2010 Jochen-Konrad Fromme seit 2010 Frank Oesterhelweg Vorsitzende des Landesverbandes Oldenburg 1946 – 1947 Fritz Söhlmann 1947 – 1952 Walther Diekmann 1952 – 1954 Hermann Ehlers 1954 – 1965 August Wegmann 1965 – 1985 Gerhard Glup 1985 – 2009 Manfred Carstens 2009 – 2019 Franz-Josef Holzenkamp seit 2019 Silvia Breher

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Landesverband Nordrhein-Westfalen Yvonne Ziwitza Der Landesverband Nordrhein-Westfalen ist nicht nur der bundesweit mitgliederstärkste, sondern auch der jüngste Landesverband der CDU in den alten Bundesländern. Er wurde in der heutigen Form im Jahr 1987 durch die Fusion der beiden Vorgängerverbände Rheinland und Westfalen-Lippe gegründet.1 Diese frühere Doppelstruktur zeigt bereits an, dass sich auch die Geschichte nicht auf einen Gründungsnukleus beschränken lässt, sondern von mehreren Orten Impulse zur Gründung der CDU in Nordrhein-Westfalen ausgingen. Ähnlich wie die CDU ist auch das Land Nordrhein-Westfalen eine Neugründung, die auf mehrere historische Vorgänger zurückzuführen ist. Mit der britischen Militärverordnung Nr. 46 vom 23. August 1946 bildete die britische Besatzungsmacht das neue Land Nordrhein-Westfalen aus den historischen preußischen Provinzen Westfalen und dem Nordteil der ehemaligen preußischen Rheinprovinz 2.3 Der kleinste Landesteil Lippe folgte erst 1947. Der Gründung waren Diskussionen der Alliierten über den Umgang insbesondere mit dem Ruhrgebiet vorausgegangen, welches mit seiner wirtschaftlichen Kraft als ein Zentrum deutscher Stärke angesehen wurde. Während die Sowjets einen Viermächte-Status wie in Berlin vorschlugen, hätten die Franzosen es gerne als internationales, von Deutschland losgelöstes Gebiet gesehen. Vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Differenzen zwischen westlichen Alliierten und Sowjets präferierten die Briten jedoch eine Lösung, die die wirtschaftliche Stärke des Ruhrgebiets erhalten sollte. Demgegenüber sollten die landwirtschaftlich geprägten Gebiete Westfalens und des Niederrheins eingebunden werden, um eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung im Ruhrgebiet zu gewährleisten und ein eigenständig überlebensfähiges Land zu bilden.4 Neben den wirtschaftlichen Fragen spielte auch die konfessionell-weltanschauliche Verteilung der Bevölkerung eine Rolle bei der Bildung des Landes. Die Sorge der Besatzungsmacht, im beginnenden kalten Krieg das Ruhrgebiet durch seine stark proletarisch geprägte Bevölkerung einer möglichen Destabilisierung aussetzen zu können, führte zu dem Gedanken, durch den Zusammenschluss mit den ländlich-katholisch geprägten Gebieten einen Ausgleich zu schaffen.5 In diesen hatte sich seit dem 19. Jahrhundert die Zentrumspartei als Vertreterin des politischen Katholizismus und Gegenspielerin zur protestantischen Herrschaftsmacht Preußen etabliert. 1 Der formale Beschluss zur Fusion wurde bereits auf einem Sonderparteitag beider Vorgängerverbände am 8. März 1986 gefasst. 2 Die preußische Rheinprovinz war ursprünglich deutlich größer und umfasste neben den nordrheinischen auch Gebiete auf den Territorien der heutigen Bundesländer Rheinland-Pfalz, Saarland und Hessen sowie in Belgien. 3 Material, welches sich mit der Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen befasst, befindet sich in ACDP 03-002-178/5. 4 Vgl. Detlev Hüwel: Karl Arnold. Eine politische Biografie (Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens. Bd. 1). Wuppertal 1980, S. 100. 5 Vgl. ebd., S. 100 f.

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In den Entstehungszentren der CDU in Nordrhein-Westfalen stellte sich nach dem Zweiten Weltkrieg nun die Frage, ob man bei der politischen Betätigung an diese Tradition des katholischen Zentrums anknüpfen oder eine neue, überkonfessionell aufgestellte Partei gründen sollte. Diese Überlegungen wurden regional durchaus unterschiedlich beantwortet: Im Rheinland, besonders in den städtischen Zentren Köln und Düsseldorf, erschien die zweite Variante schnell als die attraktivere, während in Westfalen eine Wiedergründung des Zentrums als gewichtige Option im Raum stand.6 Letztendlich setzte sich allerdings auch dort die überkonfessionelle Variante durch. Am 2. September 1945 kam es im „Parkhaus“ in Bochum zur Gründung des CDU-Landesverbands Westfalen. Zeitgleich gründete sich im Kolpinghaus in Köln der Landesverband Rheinland. Beiden Verbänden war gemein, dass sie in ihren Vorständen von ehemaligen Zentrumspolitikern mit katholischer Konfession dominiert waren, während in der Breite der Parteimitglieder der überkonfessionelle Charakter deutlicher zum Tragen kam. Die diverse Sozialstruktur der Mitglieder machte den Erfolg der neuen Partei sichtbar, die alle Schichten, Geschlechter und Altersgruppen ansprechen und vertreten wollte.7 Programmatisch konnte sich besonders der Landesverband Rheinland bereits auf die „Barmer Richtlinien“ und die „Kölner Leitsätze“8 stützen, die bereits vor der Gründung des Landesverbands erarbeitet worden waren.9 Die neue Partei traf offensichtlich einen Nerv bei der Bevölkerung und konnte deshalb bereits vor der Gründung des Landes Nordrhein-Westfalen am 23. August 1946 durch die britische Militärregierung 82 Kreisverbände und über 112.000 Mitglieder vorweisen. Bei der ersten Landtagswahl 1947 wurde die CDU mit über 37 Prozent der abgegebenen Stimmen stärkste Partei vor der SPD. Karl Arnold10, der am 16. Juni 1947 zum ersten gewählten Ministerpräsidenten des Landes NordrheinWestfalen und damit Nachfolger des von den Briten ernannten Rudolf Amelunxen11 wurde, bildete eine große Koalition aus CDU, SPD, KPD und Zentrum, um möglichst viele Bevölkerungsschichten in der Regierung zu repräsentieren und die neugeschaffene Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen auf eine breite Basis zu stellen. Um die innerparteiliche Zusammenarbeit der Landesverbände Rheinland und Westfalen (beziehungsweise Westfalen-Lippe, nach dem Zusammenschluss von Nordrhein-Westfalen mit dem Landesteil Lippe 1947) zu stärken, wurde 1946 die sogenannte Zehnerkonferenz gegründet, welche allerdings keine Schlagkraft entwickeln konnte und das problembehaftete Verhältnis der beiden Landesverbände auch über die nachfolgenden Jahrzehnte nicht

6 Flugblätter zur politischen Auseinandersetzung von CDU und Zentrum, in: ACDP 03-002-049/3. 7 Die Zusammensetzung unseres Mitgliederbestands, 5. Oktober 1947, in: ACDP 03-025-036/4. 8 Für ein Digitalisat der „Kölner Leitsätze“ und weitere Informationen, siehe Kathrin Zehender: 17. Juni 1945 – Beratungen ehemaliger Zentrumsmitglieder und christlicher Gewerkschafter in Köln über die Gründung einer christlich-demokratischen Partei, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/ kalender/kalender-detail/-/content/beratungen-ehem.-zentrumsmitglieder-und-christlicher-gewerkschafter-in-koeln-ueber-die-gruendung-einer-christlich-demokratischen-partei (Abruf: 29.6.2021). 9 Vgl. Horstwalter Heitzer: Die CDU in der britischen Zone 1945 – 1949. Gründung, Organisation, Programm und Politik (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd.  12). Düsseldorf 1988, S. 165 – 174. 10 Zur Biographie Karl Arnolds siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/karl-arnold-v1 (Abruf: 21.6.2021). 11 Zur Biographie Rudolf Amelunxens siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/ biogramm-detail/-/content/rudolf-amelunxen-v1 (Abruf: 21.6.2021).

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verbesserte. Folgerichtig wurde auch der 1953 von Franz Meyers12 und Wilhelm Johnen13 geäußerte Vorschlag zu einer Fusion der beiden Landesverbände abgeschmettert. Gegensätze existierten auch zwischen Ministerpräsident Karl Arnold und dem Vorsitzenden des Landesverbands Rheinland und späteren Bundeskanzler Konrad Adenauer14. Dieser war vor Arnold Vorsitzender der CDU-Fraktion im von der britischen Besatzungsmacht 1946 ernannten Landtag gewesen. Adenauer stand für eine wirtschaftsliberale und arbeitgeberfreundliche Politik, während Karl Arnold seine Wurzeln im christlich-sozialen Gewerkschaftsmilieu hatte. Das Ende der „Ära Arnold“ im Jahr 1956 hatte, quasi spiegelbildlich zum unterschiedlichen Politikstil von Karl Arnold und Konrad Adenauer, dann auch bundespolitische Gründe. Die FDP, zu diesem Zeitpunkt sowohl landes- als auch bundespolitisch in einer Regierungskoalition mit der CDU, kündigte aus Protest gegen eine von Adenauer angestrebte Wahlrechtsreform im Bund die Zusammenarbeit in Nordrhein-Westfalen auf. Arnold verlor trotz großer persönlicher Beliebtheit das konstruktive Misstrauensvotum am 20. Februar 1956 und die CDU musste in die Oppositionsrolle wechseln.15 Durch dieses Ereignis aufgeschreckt, versuchte man, die Zusammenarbeit der Landesverbände wieder zu verstärken und im Zusammenspiel mit der Landtagsfraktion die Oppositionspolitik festzulegen. Aus diesem Grund bildete man 1956 ein Landespräsidium, welches allerdings nach dem neuerlichen Wahlsieg 1958 nicht mehr zusammentrat. Der Sieg bei der Landtagswahl am 6. Juli 1958, welche mit über der Hälfte der abgegebenen Stimmen gewonnen wurde, ist bis heute das beste Ergebnis der CDU in Nordrhein-Westfalen. Karl Arnold erlebte diesen Triumph nicht mehr, er starb im Juni 1958 an einem Herzinfarkt. Sein Nachfolger als Ministerpräsident wurde der ehemalige Landesinnenminister Franz Meyers.16 Seine Regierungszeit stand vor großen Herausforderungen durch die Krise im Steinkohlebergbau. Hinzu kamen negative Auswirkungen aus der Bundespolitik, die zu einem Zerbrechen der christlich-liberalen Koalition in Düsseldorf führten.17 Wie sein Vorgänger Arnold wurde Meyers am 8. Dezember 1966 durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt. Damit begann die Jahrzehnte dauernde Oppositionszeit der CDU in Nordrhein-Westfalen, welche nicht nur durch äußere Umstände, sondern auch durch interne Querelen verfestigt wurde.18 Diesen beizukommen, gelang trotz zahlreicher Initiativen, wie der Neugründung des Landespräsidiums im Jahr 196719, nicht. Das Gremium unter Vorsitz von Josef Hermann Dufhues20 sollte die Bemühungen der Landesverbände im Vorfeld von Wahlen 12 Zur Biographie Franz Meyers’ siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/franz-meyers-v1 (Abruf: 21.6.2021). 13 Zur Biographie Wilhelm Johnens siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/wilhelm-johnen (Abruf: 21.6.2021). 14 Zur Biographie Konrad Adenauers siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/konrad-adenauer-v1 (Abruf: 21.6.2021). 15 Die Umstände des Misstrauensvotums sind u. a. dokumentiert in: ACDP 05-009-267. 16 Eine ausführliche Darstellung von Meyers’ Leben und Verdiensten findet sich in: Stefan Marx: Franz Meyers. 1908 – 2002. Eine politische Biographie. Essen 2003. 17 Zu den genaueren Umständen, siehe ebd., S. 418 – 432. 18 Für eine ausführliche Darstellung der CDU in der Oppositionsrolle sei verwiesen auf: Guido Hitze: Verlorene Jahre? Die nordrhein-westfälische CDU in der Opposition 1975 – 1995. 3 Bde. (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 45). Düsseldorf 2010. 19 Das Protokoll der konstituierenden Sitzung ist im ACDP archiviert, in: ACDP 03-016-001/2. 20 Zur Biographie Josef Hermann Dufhues siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/josef-hermann-dufhues-v1 (Abruf: 21.6.2021).

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bündeln und eine gemeinsame Zielrichtung vorgeben. Eine tiefergehende Wirkung konnte das Landespräsidium nicht erzielen, wie sich bei der Vorbereitung der Landtagswahl 1970 zeigte. Dufhues, Mitglied des Landesverbands Westfalen, war als Spitzenkandidat ausgewählt worden, konnte allerdings keine Strahlkraft entwickeln, da Wilhelm Lenz aus dem rheinischen Landesverband als Fraktionsvorsitzender durch sein Amt einen Teil der Aufmerksamkeit auf sich zog. Diese Konkurrenz der Landesverbände wirkte sich ebenfalls negativ auf ihren Einfluss in der Bundespartei aus. Insbesondere das schlechte Ergebnis in Nordrhein-Westfalen bei der Bundestagswahl 1969, welche den Machtverlust der CDU und ihre bis 1982 dauernde Oppositionsrolle im Bund bedeutete, beschleunigte diesen Vorgang.21 Als Reaktion auf das Wahlergebnis suchten beide Landesverbände einen personellen Neustart: Heinrich Köppler 22 wurde Vorsitzender des Landesverbands Rheinland23, Heinrich Windelen24 übernahm die Führung in Westfalen-Lippe. Zwischen beiden entwickelte sich eine Art „Arbeitsteilung“: Während Windelen Nordrhein-Westfalen im Bundestag repräsentierte, kümmerte Köppler sich um die Landespolitik. Er bemühte sich um den Ausgleich zwischen den Landesverbänden und führte eine klarere Abgrenzung in der Aufgabenverteilung zwischen Landesverbänden und Landtagsfraktion ein. Die Reorganisation begann in den folgenden Jahren deutliche Früchte zu tragen. Bei der Landtagswahl 1975 konnte sich die CDU wieder als stärkste Partei etablieren, musste aber in der Oppositionsrolle verbleiben. Die gescheiterte Rückkehr an die Macht stellte Heinrich Köpplers Führungsrolle in Frage. Besonders Kurt Biedenkopf 25, der 1977 den Landesvorsitz in Westfalen-Lippe von Heinrich Windelen übernahm, etablierte sich als Konkurrent um die innerparteiliche Macht und die Rolle als Spitzenkandidat zur Landtagswahl 1980. Durch seine persönliche Beliebtheit und die Verdienste beim Volksbegehren gegen die Kooperative Schule in Nordrhein-Westfalen im Jahr 1978 konnte Köppler jedoch seinen Führungsanspruch untermauern.26 Es gelang ihm, eine Basis für eine belastbare Kooperation mit Biedenkopf zu finden, was sich auch in einer engeren Abstimmung der beiden Landesverbände äußerte27. Erstmals erschien auch eine Fusion der Landesverbände, die Köppler seit den frühen 1970er Jahren verfolgte, möglich. Der frühe Tod des Politikers am 20. April 1980 durch einen Herzinfarkt brachte diese Überlegungen jedoch wieder zum Erliegen und wirkte sich auch auf die unmittelbar bevorstehenden Landtagswahlen aus. Köppler war als Spitzenkandidat angetreten und musste kurzfristig durch Biedenkopf ersetzt werden. Dieser konnte sich nicht gegen den bundespolitisch begründet schlechten Trend durch die Kanzlerkandidatur Franz Josef Strauß’ stemmen und es kam zu einer deutlichen Niederlage gegen die SPD. Kurt Biedenkopf übernahm daraufhin die Rolle des Oppositionsführers und den Vorsitz des CDU-Präsi21 Vgl. Kleine Geschichte der CDU. Stuttgart 1995, S. 253. 22 Zur Biografie Heinrich Köpplers siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/heinrich-koeppler (Abruf: 21.6.2021). 23 Zur Vertiefung sei an dieser Stelle verwiesen auf Stefan Marx: Heinrich Köppler (1925 – 1980). Politik aus christlicher Verantwortung (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 51). Düsseldorf 2006, S. 167 – 190. 24 Zur Biografie Heinrich Windelens siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/heinrich-windelen (Abruf: 21.6.2021). 25 Zur Biografie Kurt Biedenkopfs siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/kurt-biedenkopf-v1 (Abruf: 21.6.2021). 26 Vgl. Kleine Geschichte der CDU, S. 269. 27 Vgl. Marx: Heinrich Köppler, S. 290 f.

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diums in Nordrhein-Westfalen. Die Leitung des Landesverbands Rheinland wurde Bernhard Worms28 übertragen, der im Gegensatz zu Biedenkopf ein gutes Verhältnis zur Spitze der Bundespartei, besonders zum Vorsitzenden Helmut Kohl, vorweisen konnte.29 Worms wurde nach einer Abstimmung auf der Landesdelegiertenversammlung 1983 in Mülheim/Ruhr zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 1985 erkoren und übernahm zudem den Fraktionsvorsitz im Düsseldorfer Landtag. Biedenkopf behielt jedoch den Landesvorsitz in Westfalen-Lippe. Die Landtagswahl 1985 wurde zu einem Desaster für die CDU in Nordrhein-Westfalen.30 Gegen den beliebten Amtsinhaber Johannes Rau, dessen SPD über die Hälfte der abgegebenen Stimmen bekam, konnte sich Worms nicht behaupten. Diese Wahlniederlage war am Ende der entscheidende Katalysator für den Beschluss zur Fusion der beiden Landesverbände Rheinland und Westfalen-Lippe zum Landesverband Nordrhein-Westfalen am 8. März 1986.31 Erster Vorsitzender des vereinigten Landesverbands wurde Kurt Biedenkopf, der sich auf dem Delegiertenparteitag mit überwältigender Mehrheit gegen den Nachfolger von Bernhard Worms als Vorsitzenden des LV Rheinland, Dieter Pützhofen, durchsetzen konnte. In der Folgezeit kam es zu größeren innerparteilichen Verwerfungen zwischen Biedenkopf und den Helmut Kohl nahestehenden Politikern in Nordrhein-Westfalen. Diese Unstimmigkeiten und die schlechten Ergebnisse der nordrhein-westfälischen CDU bei der Bundestagswahl 1987 gaben den Ausschlag für das Ende von Biedenkopfs Vorsitz. Am 22. Mai 1987 wählte ein Sonderparteitag Norbert Blüm32 zum neuen Vorsitzenden des Landesverbands. Zeitgleich wurde das Amt eines Generalsekretärs geschaffen, das von Helmut Linssen33 übernommen wurde. Der neue Vorsitzende Norbert Blüm war gleichermaßen beliebt bei Mitgliedern wie in der Führungsriege von Landes- und Bundespartei, was zu einer spürbaren Verbesserung der Stimmung führte. Trotzdem musste sich die CDU weiterhin mit der Oppositionsrolle in Nordrhein-Westfalen zufriedengeben. Blüm konzentrierte sich in der Folgezeit auf sein Amt als Bundesarbeitsminister, während Helmut Linssen als Fraktionsvorsitzender und Herbert Reul als sein Nachfolger im Amt des Generalsekretärs die landespolitische Arbeit koordinierten. Sie schafften es, gegenüber der SPD-Landesregierung eine grundlegende Reform der Kommunalverfassung34 durchzusetzen, und arbeiteten an der Veränderung der Partei hin zu mehr Mitspracherechten für die Mitglieder. Teil dieser Bemühungen war die Mitgliederbefragung zur Festlegung des Spitzenkandidaten zur Landtagswahl 199535. Helmut Linssen konnte sich gegen Norbert Lammert36 behaupten und führte die CDU in den Landtagswahlkampf. Dieser resultierte zwar nicht in einer 28 Zur Biografie Bernhard Worms siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/bernhard-worms-v1 (Abruf: 21.6.2021). 29 Vgl. Jürgen Rüttgers: Bernhard Worms zum 90. Geburtstag, in: HPM 27 (2021), S. 347 – 366, hier 356. 30 Zu den innerparteilichen Gründen der Niederlage siehe ebd., S. 360 – 363. 31 „Was nun? Was tun? Zur Lage der nordrhein-westfälischen CDU“, in: ACDP 03-016-137/2. 32 Zur Biografie Norbert Blüms siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/norbert-bluem (Abruf: 21.6.2021). 33 Zur Biografie Helmut Linssens siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/helmut-linssen-v1 (Abruf: 21.6.2021). 34 Vgl. u. a. Tischvorlage zur Reform des Kommunalverfassungsrechtes aus der Landesvorstandssitzung vom 12.2.1990, in: ACDP 03-016-200/5. 35 Überliefert im ACDP u. a. im Faszikel „Mitgliederbefragung Spitzenkandidat“, in: ACDP 03-016-128/5. 36 Zur Biografie Norbert Lammerts siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/norbert-lammert-v1 (Abruf: 21.6.2021).

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Regierungsbildung, aber die CDU konnte große Zugewinne verbuchen und ihren landespolitischen Einfluss damit stärken. Diesen zu festigen und auszubauen fiel ab 1999 dem Nachfolger Blüms als Landesvorsitzenden zu. Auf dem Landesparteitag konnte sich Jürgen Rüttgers37 gegen seine Konkurrenten Helmut Linssen und Christa Thoben38 durchsetzen. Die drei Kandidaten hatten sich im Vorfeld um den Posten beworben und um die Unterstützung durch die Mitglieder der Partei geworben. Unter Rüttgers setzte sich der gute Trend seit der Landtagswahl 1995 fort. Bei den Kommunalwahlen 1999 erreichte die CDU einen Wert von über 50 Prozent und ging mit Rückenwind in den Landtagswahlkampf 2000. Dieser wurde jedoch gestoppt durch das Bekanntwerden der Spendenaffäre der Bundespartei und die Auswirkungen der missglückten Postkartenkampagne gegen die Greencard für Computerspezialisten aus dem Ausland. Die Wahl ging verloren, Jürgen Rüttgers entschloss sich allerdings, die Rolle des Oppositionsführers zu übernehmen und bei der Landtagswahl 2005 einen neuen Versuch zu wagen. Im Zusammenspiel von eigener Stärke und der Schwäche der SPD gelang am 22. Mai 2005 dann der ersehnte Wahlsieg. Mit 44,8 Prozent der abgegebenen Stimmen konnte die CDU zusammen mit der FDP eine Regierung bilden. Diese konnte auf vielen Feldern schnell Erfolge vorweisen, insbesondere in der Bildungs- und Schulpolitik konnten deutliche Verbesserungen erzielt werden. Wieder einmal sorgte der bundespolitische Trend für den Verlust der Regierungsmehrheit. Die Schwäche der schwarz-gelben Bundesregierung sowie erste Auswirkungen der Eurokrise sorgten für einen Absturz von über 10 Prozentpunkten bei der Landtagswahl 2010. Nachdem es Rüttgers nicht gelang, eine große Koalition zu bilden, und stattdessen eine rot-grüne Minderheitsregierung die Amtsgeschäfte übernahm, entschied sich der ehemalige Ministerpräsident, alle politischen Ämter niederzulegen. Hinsichtlich der Nachfolge warfen Bundesumweltminister Norbert Röttgen39 und der ehemalige Landesminister für Familie und Integration Armin Laschet40 ihren Hut in den Ring. Eine Mitgliederbefragung sprach sich für Röttgen aus, die Delegierten des folgenden Landesparteitages widersetzten sich dem nicht. Dem neuen Vorsitzenden gelang es, aus der Oppositionsrolle heraus Einfluss auf die Schulpolitik des Landes NordrheinWestfalen zu nehmen. Am 19. Juli 2011 unterzeichneten die Spitzen von CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen einen Schulkonsens, der die Schulstrukturen im Land dauerhaft festschreiben sollte und der deutlich von den schulpolitischen Leitlinien der CDU geprägt war.41 Der Erfolg in der Schulfrage sollte sich allerdings nicht in eine längerfristige Erfolgsstrategie umwandeln lassen. Besonders das unglückliche Agieren Röttgens im Vorfeld der vorgezogenen Landtagswahl 2012 führte dazu, dass am Wahltag eine klare 37 Zur Biografie Jürgen Rüttgers’ siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/juergen-ruettgers-v1 (Abruf: 21.6.2021). 38 Zur Biografie Christa Thobens siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/christa-thoben-v1 (Abruf: 21.6.2021). 39 Zur Biografie Norbert Röttgens siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/norbert-roettgen-v1 (Abruf: 21.6.2021). 40 Zur Biografie Armin Laschets siehe https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/armin-laschet-v1 (Abruf: 21.6.2021). 41 Das CDU-Exemplar des Schulkonsenses ist im Archiv für Christlich-Demokratische Politik unter der Signatur ACDP 03-016-200/3 archiviert, wird aber aus konservatorischen Gründen nicht vorgelegt. Das Dokument ist allerdings im Internet veröffentlich u. a. auf https://www.schulministerium.nrw/ sites/default/files/documents/Schulkonsens_Eckpunkte.pdf (Abruf: 29.6.2021).

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Niederlage hingenommen werden musste. Die fehlende Bereitschaft, als Oppositionsführer in den Landtag einzuziehen, wurde dem Vorsitzenden zum Verhängnis. Röttgen übernahm daraufhin die Verantwortung für die Niederlage und trat als Chef der Landespartei zurück. Der folgende Landesparteitag wählte im Anschluss den zuvor noch Röttgen unterlegenen Laschet zum Landesvorsitzenden. Anfangs teilte sich dieser die Macht in der Partei mit Karl-Josef Laumann, der den Fraktionsvorsitz übernahm, vereinte dann aber ab Dezember 2013 beide Ämter in seiner Person. Dieser Schachzug erfolgte auch im Hinblick auf die Landtagswahl 2017, welche nicht unter einer möglichen Rivalität zwischen Landesvorsitzendem und Fraktionsvorsitzendem leiden sollte. Das Konzept erwies sich als erfolgreich und Armin Laschet konnte die CDU mit einem Wahlergebnis von 33 Prozent der abgegebenen Stimmen zum Sieg führen. In einer Koalition mit der FDP wurde er anschließend zum elften Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen gewählt, während der ehemalige Generalsekretär Bodo Löttgen das Amt des Fraktionsvorsitzenden übernahm. Am 16.1.2021 wurde Armin Laschet zum Bundesvorsitzenden der CDU gewählt und übernahm damit auch die Kanzlerkandidatur der Unionsparteien bei der Bundestagswahl 2021. Durch den Wechsel in die Bundespolitik räumte Laschet seinen Posten als Landesvorsitzender der CDU Nordrhein-Westfalen und als Ministerpräsident für Hendrik Wüst, der den Vorsitz des Landesverbands am 23.10.2021 übernahm. Am 27.10.2021 wählte ihn der Landtag dann zum 12. Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen. Bei der Landtagswahl 2022 konnte die CDU ihre Stellung als stärkste Partei behaupten. Durch die Schwäche der FDP war eine Fortführung der christlich-liberalen Koalition allerdings nicht möglich. In Folge bildete sich die erste schwarz-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen unter dem Ministerpräsidenten Hendrik Wüst.

Forschungs- und Quellenlage Der Forschungsstand zur CDU Nordrhein-Westfalen gestaltet sich besser als der zu anderen Landesverbänden. Gut ist die Ausstattung mit biographischen Werken zu den CDU-Ministerpräsidenten in Nordrhein-Westfalen. Es liegen Arbeiten zu Karl Arnold (von Detlev Hüwel)42, Franz Meyers (von Stefan Marx)43, Jürgen Rüttgers (von Volker Kronenberg)44 und Armin Laschet (von Tobias Blasius und Moritz Küpper)45 vor. Zu den Vorsitzenden der Landesverbände, die keine Ministerpräsidenten waren, liegen fast keine wissenschaftlichen Werke vor. Lediglich zu Konrad Adenauer (hier natürlich mit Schwerpunkt auf die Bundeskanzler-Zeit) und Heinrich Köppler46 existieren diese, zu anderen Landesvorsitzenden sind teilweise biographische Sammelbandartikel oder Lexikoneinträge vorhanden. Zur Geschichte des Landesverbands hat die CDU Nordrhein-Westfalen anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens im Jahr 1995 eine Chronik herausgegeben.47 Wissenschaft42 43 44 45 46 47

Hüwel: Karl Arnold. Marx: Franz Meyers. Volker Kronenberg: Jürgen Rüttgers. Eine politische Biografie. München 2009. Tobias Blasius/Moritz Küpper: Der Machtmenschliche. Armin Laschet. Die Biografie. Essen 2020. Marx: Heinrich Köppler. Christlich-Demokratische Union, Landesverband Nordrhein-Westfalen: 50 Jahre CDU in NordrheinWestfalen. 2. September 1945 – 2. September 1995 Bochum–Köln. Düsseldorf 1995.

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liche Publikationen sind nur für einige Zeiträume existent. Die Gründungsphase der Jahre 1946 bis 1949 wurde von Horstwalter Heitzer im Jahr 1988 untersucht.48 Eine sehr ausführliche und umfassende Untersuchung zur Oppositionsrolle der CDU in den Jahren 1975 bis 1995 stammt von Guido Hitze aus dem Jahr 2010.49 Sie stellt das jüngste landespolitische Forschungsprojekt zur CDU Nordrhein-Westfalen dar. Material zur Landtagsfraktion findet man bei Ludger Gruber, der 1998 ihre Geschichte von 1946 bis 1980 untersucht hat.50 Zur allgemeinen Gründungsgeschichte des Landes Nordrhein-Westfalen werden noch immer Diskussionen darüber geführt, ob die Zusammensetzung des Landes allein von der Besatzungsmacht bestimmt worden sei oder ob es doch bereits in den Zwischenkriegsjahren geistige Vorläufer, wie die Idee einer „Westdeutschen Republik“ oder eines Landes „Rheinland-Westfalen“, gegeben habe. Auf die Kontinuitätslinien zwischen dem Gebiet des Bundeslands Nordrhein-Westfalen und den Überlegungen zu einer Gebietsreform im Deutschen Reich aus der Weimarer Republik weist wiederholt Guido Hitze hin.51 Er dokumentiert die verschiedenen deutschen Überlegungen aus den 1920er Jahren, welche die später auch von den britischen Besatzern angeführten Punkte, wie den wirtschaftlichen Ausgleich von Schwerindustrie und Landwirtschaft und die Zerschlagung des Hegemons Preußen, vorwegnahmen. Außerdem skizziert er, über welche Wege diese Vorstellungen aus der Weimarer Republik den Weg zu den Alliierten gefunden haben könnten.52 Die Geschichte der CDU in Nordrhein-Westfalen lässt sich besonders aus vier Beständen des ACDP erforschen: LV Nordrhein-Westfalen (03-016): Das Schriftgut des Landesverbands NordrheinWestfalen wird vom Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-AdenauerStiftung seit 1988 übernommen. Im Laufe der Jahre wurde der Bestand durch beständige Nachlieferungen erweitert. Bei dem übernommenen Schriftgut handelt es sich vor allem um Material aus der Landesgeschäftsstelle. Die Unterlagen dokumentieren die Arbeit der CDU Nordrhein-Westfalen, ihrer gewählten Vertreter und die innerparteiliche Willensbildung, u. a. auf den Landesparteitagen. Ferner zu nennen sind die beiden Vorgängerverbände des heutigen Landesverbands Nordrhein-Westfalen. Deren Schriftgut steht in unterschiedlicher Überlieferungsdichte im ACDP zur Verfügung: LV Rheinland (03-025): Die vorliegenden Unterlagen des CDU-Landesverbands Rheinland aus den Jahren 1945 bis 1987 wurden zum Teil mit den Akten des CDU-Landesverbands Nordrhein-Westfalen übernommen, zum Teil aus anderen Beständen des ACDP ausgegliedert und haben einen Umfang von acht laufenden Metern. Er umfasst 48 Heitzer: CDU in der britischen Zone. 49 Hitze: Verlorene Jahre. 50 Ludger Gruber: Die CDU-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen 1946 – 1980. Eine parlamentshistorische Untersuchung (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 31). Düsseldorf 1998. 51 Vgl. Guido Hitze: „Es ist furchtbar, aber es geht!“ – Das Bindestrich-Land Nordrhein-Westfalen: Bemerkungen zu Geschichte, politischer Kultur und Identität, in: Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (Hg.): Einsichten und Perspektiven. Bayerische Zeitschrift für Politik und Geschichte. Bd. 2011, Nr. 04. München 2011, S. 260 – 275, sowie: Ders.: Am Anfang war Weimar. Alte und neue Erkenntnisse und Quellen zur Neubildung der Länder nach 1945 unter besonderer Berücksichtigung Nordrhein-Westfalens, in: HPM 27 (2020), S. 181 – 264. 52 Vgl. Hitze: Am Anfang, S. 243 – 252.

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im Wesentlichen Protokolle von Landesvorstandssitzungen und Landesparteitagen. Der umfassende Teil des Schriftguts des LV Rheinland befindet sich im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen53, da der LV Rheinland seine Akten dort bereits vor der Gründung des ACDP hinterlegt hatte. LV Westfalen-Lippe (03-002): Der Aktenbestand des CDU-Landesverbands Westfalen-Lippe gelangte im Mai 1977 ins ACDP und wurde im März 1984 und Juli 1986 mit umfangreichen Nachlieferungen erweitert. Der Bestand umfasst etwa 74 laufende Meter (1040 Kartons). Bis auf einige Lücken in den 1980er Jahren ist der Zeitraum von der Gründung 1945 bis zur Auflösung 1986 abgedeckt. Das Herzstück des Bestands bilden Akten zur Gründungszeit, zum Landesvorstand (insbesondere Sitzungsprotokolle), zur Landesgeschäftsstelle, zu den Landesparteitagen, den Vereinigungen und den Ausschüssen. Flankiert wird dies von Material zu Bezirks- und Kreisverbänden, zu anderen Parteigliederungen und Wahlen. Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen (05-009): Das Schriftgut der CDU-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen hat das Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung (ACDP) im Januar 2010 vom Landesarchiv Nordrhein-Westfalen übernommen, wo die Landtagsfraktion ihr Archivgut bis dahin hinterlegt hatte. Im Februar 2010 wurde der Bestand durch eine Nachlieferung aus dem Zwischenarchiv der Landtagsfraktion im Landtag in Düsseldorf ergänzt. Nach Kassation, Ordnung und Verzeichnung hat der Bestand einen Umfang von 74,6 laufenden Metern mit 2313 Archiveinheiten und umfasst den Zeitraum von 1946 bis 2011. Damit reicht die Überlieferung von der Ära Arnold über die Regierungszeit von Franz Meyers und die langen Jahre der Opposition unter den Fraktionsvorsitzenden Wilhelm Lenz, Heinrich Köppler, Kurt Biedenkopf, Bernhard Worms, Helmut Linssen, Laurenz Meyer und Jürgen Rüttgers bis zur Wiedererlangung der Regierungsmacht 2005 und dem erneuten Gang in die parlamentarische Opposition nach der Landtagswahl 2010. Neben diesen Beständen sind im ACDP auch die Akten der meisten Kreisverbände54 in Nordrhein-Westfalen sowie der verschiedenen Vereinigungen und Sonderorganisationen55 auf Landesebene und die Nachlässe einiger bedeutender Landespolitiker56 überliefert.

53 Dort geführt unter den Bestandsnummern RWV 26 und RW 277. 54 Dies umfasst neben den aktuell bestehenden auch historische Kreisverbände, die durch Kreis- und Gebietsreformen aufgelöst oder fusioniert wurden. Einige wenige KVs in Nordrhein-Westfalen (beispielsweise der KV Leverkusen) geben ihre Akten aus historisch gewachsener Tradition an das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen ab. Im ACDP vorhandene Bestände sind dann in der Regel Splitterbestände mit wenigen Verzeichnungseinheiten. 55 Hiermit sind gemeint die Landesverbände der Jungen Union (04-033), der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (04-063), der Frauen Union (04-039), der Senioren Union (04-089), der Kommunalpolitischen Vereinigung (04-066), der Mittelstandsvereinigung (04-068) und der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung (04-090), sowie des Evangelischen Arbeitskreises (04-084) und des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (04-095). 56 Hier sei u. a. hingewiesen auf die Bestände Franz Meyers (01-032), Josef Hermann Dufhues (01-049), Karl Arnold (01-069), Bernhard Worms (01-189), Johannes Gronowski (01-205), Heinrich Köppler (01-258), Kurt Biedenkopf (01-446), Heinrich Windelen (01-493), Norbert Blüm (01-504) und Jürgen Rüttgers (01-713).

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Vorsitzende Landesverband Rheinland 1945 – 1946 Leo Schwering 1946 – 1951 Konrad Adenauer 1951 – 1963 Wilhelm Johnen 1963 – 1969 Konrad Grundmann 1969 – 1980 Heinrich Köppler 1980 – 1985 Bernhard Worms 1985 – 1986 Dieter Pützhofen Landesverband Westfalen-Lippe 1945 – 1946 Lambert Lensing 1946 – 1951 Johannes Gronowski 1951 – 1959 Lambert Lensing 1959 – 1971 Josef-Hermann Dufhues 1971 – 1977 Heinrich Windelen 1977 – 1986 Kurt Biedenkopf Landesverband Nordrhein-Westfalen 1986 – 1987 Kurt Biedenkopf 1987 – 1999 Norbert Blüm 1999 – 2010 Jürgen Rüttgers 2010 – 2012 Norbert Röttgen 2012 – 2021 Armin Laschet seit 2021 Hendrik Wüst

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Landesverband Rheinland-Pfalz Frank Hammes Wie anderswo entstand auch in Rheinland-Pfalz der heutige CDU-Landesverband aus lokalen und regionalen Parteigliederungen heraus, die sich kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs gebildet hatten. Dabei existierten zunächst in dem durch die französische Besatzungsmacht im August 1946 neu geschaffenen Bundesland Rheinland-Pfalz zwei unabhängig voneinander agierende christlich-demokratische Parteien: im nördlichen, stark katholisch geprägten Landesteil die Christlich-Demokratische Partei (CDP), im südlichen die Christlich-Demokratische Union (CDU). Bereits im Herbst 1945 war etwa in den nördlichen Zentren Trier und Koblenz die CDP ins Leben gerufen worden. Zur Gruppe der Gründungspersönlichkeiten, vielfach ehemalige Mitglieder der Zentrumspartei, gehörten damals unter anderen der spätere Ministerpräsident Peter Altmeier1 in Koblenz oder die Studienrätin Mathilde Gantenberg2 in Trier. Nach der Zulassung durch die französischen Besatzungsbehörden schlossen sich die CDP-Bezirksverbände Trier, Koblenz und Montabaur am 31. Januar 1946 zur Provinzialpartei Rheinland-Hessen-Nassau zusammen. In Rheinhessen und der Pfalz wiederum, also im südlichen Landesteil, war die Gründung der CDU durch Persönlichkeiten wie Pfarrer Johannes Finck, Gustav Wolff oder Lorenz Diehl vorangetrieben worden. Am 5. März 1946 mündeten die Aktivitäten schließlich in der Errichtung des Landesverbandes Hessen-Pfalz der CDU.3 Der Zusammenschluss der beiden Parteiorganisationen – der CDP Rheinland-Hessen-Nassau und der CDU Hessen-Pfalz – zu einem Landesverband erfolgte dann bei einem Treffen der Parteivorstände (insgesamt 25 Personen) aus den fünf Regierungsbezirken Trier, Koblenz, Montabaur, Rheinhessen und Pfalz am 14. Februar 1947 in Bad Kreuznach. Dabei war die Vereinigung zu einem Landesverband für die Protagonisten jener Zeit durchaus kein leichtes Unterfangen. Schließlich galt es, Parteien aus historischpolitisch, kulturell und konfessionell unterschiedlich geprägten Regionen zusammenzuführen – gerade mit Blick auf den südlichen Teil der früheren preußischen Rheinprovinz und die ehemals bayerische Rheinpfalz.4 Doch die verbindenden Werte und Ziele auf christdemokratischer Grundlage obsiegten letztlich über das Trennende. Man einigte sich auf die Bezeichnung „Christlich-Demokratische Union (CDU)“ als gemeinsamen Namen und wählte Peter Altmeier zum ersten Vorsitzenden des CDU-Landesverbandes Rheinland-Pfalz.5 Altmeier war Regierungspräsident von Montabaur sowie CDP/CDU1 Biogramm zu Peter Altmeier unter https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/peter-altmeier (Abruf: 6.4.2021). 2 Biogramm zu Mathilde Gantenberg unter https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/ biogramm-detail/-/content/mathilde-gantenberg-v1 (Abruf: 6.4.2021). 3 Zu den Anfängen von CDP und CDU in Rheinland-Pfalz vgl. Anne Martin: Die Entstehung der CDU in Rheinland-Pfalz (Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte des Landes RheinlandPfalz. Bd. 19). Mainz 1995, S. 53 ff. 4 Ebd., S. 17 ff. 5 Ebd., S. 136 ff.

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Fraktionsvorsitzender in der Beratenden Landesversammlung, der die Ausarbeitung einer Landesverfassung oblag. Auf dem ersten Landesparteitag der CDU am 17./18. Oktober 1947 in Kaiserslautern wurde Altmeier in seinem Amt als Landesvorsitzender bestätigt. Fast zwei Jahrzehnte, länger als jeder seiner bisherigen Nachfolger, stand Peter Altmeier an der Spitze der rheinland-pfälzischen CDU. Nach der ersten Landtagswahl am 18. Mai 1947, aus der die CDU mit 47,2 Prozent der Stimmen als stärkste politische Kraft hervorgegangen war, übernahm Altmeier im Juli 1947 – nach einer Übergangsregierung unter Wilhelm Boden6 – auch das Amt des Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, das er dann 22 Jahre lang innehatte. Im Partei- wie im Staatsamt wurden Peter Altmeier große integrative Fähigkeiten bescheinigt, mit denen es dem Koblenzer ebenso gelang, die unterschiedlich geprägten Parteigliederungen zusammenzuführen wie auch dem neu gebildeten Konstrukt „Rheinland-Pfalz“ und seinen Bewohnern eine eigene Identität und ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu vermitteln.7 Mitte der 1960er Jahre neigte sich die Ära Altmeier dann dem Ende entgegen; ein Generationswechsel stand an. Als CDU-Landesvorsitzender wurde Altmeier im März 1966 vom Ludwigshafener Helmut Kohl abgelöst, der drei Jahre später von dem fast 70-jährigen Peter Altmeier auch das Amt des Ministerpräsidenten übernahm. Kohl, Jahrgang 1930, war seit 1963 Vorsitzender der CDU-Fraktion im rheinland-pfälzischen Landtag, bereits mit Mitte zwanzig in den CDU-Landesvorstand aufgerückt und galt als großes politisches Talent. Den Erwartungen wurde Kohl in beiden Ämtern gerecht: Als CDU-Landesvorsitzender trieb er die innerparteiliche Modernisierung voran. Eine stärkere Mitgliederbeteiligung und -werbung, eine nach Leistungskriterien ausgerichtete Kandidatenaufstellung – ohne dabei jedoch die im politischen Metier so wichtigen Proporzfragen außer Acht zu lassen – sowie der substantiell verbesserte Aufbau der Partei im Land sind mit seinem Namen verbunden. Als Ministerpräsident setzte sich Kohl gemäß einem Wahlwerbespruch von 1971 dafür ein, aus Rheinland-Pfalz das „junge Land mit Zukunft“ zu machen. Speziell im Sozial- und Bildungsbereich (genannt seien beispielhaft die Errichtung von Sozialstationen, der Kindergartenausbau, die Etablierung des gegliederten Schulsystems oder die Gründung der Universität Trier-Kaiserslautern) setzte die von Helmut Kohl geführte Landesregierung Vorhaben gezielt um, was von den Wählern honoriert wurde: Bei den Landtagswahlen 1971 und 1975 errang die CDU mit Kohl als Spitzenkandidat jeweils die absolute Mehrheit. Die 53,9 Prozent Stimmenanteil von 1975 sind bis heute nicht nur das beste Ergebnis der CDU, sondern überhaupt einer Partei in Rheinland-Pfalz.8 Nach dem Wechsel Kohls in die Bundespolitik (1973 wurde er CDU-Bundesvorsitzender, 1976 Kanzlerkandidat der Union und anschließend Oppositionsführer im Bun6 Wilhelm Boden (CDP, CDU) war der erste Ministerpräsident des neu geschaffenen Bundeslandes Rheinland-Pfalz. Von den französischen Besatzungsbehörden im Dezember 1946 ernannt, führte er eine vorläufige Regierung, scheiterte aber nach der ersten Landtagswahl mit der Bildung einer Koalition. Biogramm zu Wilhelm Boden unter https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/ biogramm-detail/-/content/wilhelm-boden (Abruf: 6.4.2021). 7 Zur Ära Peter Altmeier vgl. Karl Martin Grass: Politiker-Portraits, in: Peter Haungs (Hg.): 40 Jahre Rheinland-Pfalz. Eine politische Landeskunde. Mainz 1986, S. 255 – 288, hier 255 – 259; Michael Kißener: Kleine Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz 1945 – 2005. Karlsruhe 2006, S. 83 – 108. 8 Zur Ära Helmut Kohl in Rheinland-Pfalz vgl. Hans-Otto Kleinmann: Geschichte der CDU 1945 – 1982. Hg. von Günter Buchstab. Stuttgart 1993, S. 388 – 389; Kißener: Kleine Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, S. 109 – 115; Heino Kaack/Ulrich Sarcinelli: Parteien und Wahlen, in: Haungs: 40 Jahre Rheinland-Pfalz, S. 131 – 172, hier 140 f.

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destag) begann die Ära Bernhard Vogel. Vogel, ein Freund Kohls aus Studienzeiten und zuvor in der Mainzer Landesregierung Kultusminister, übernahm 1974 den CDU-Landesvorsitz und 1976 das Amt des Ministerpräsidenten von Helmut Kohl. Auf der Grundlage einer weiterhin erfolgreichen Politik, etwa im Bildungswesen, in dem sich Vogel schon als Kultusminister Verdienste erworben hatte, konnte die CDU unter seiner Führung bei den Landtagswahlen 1979 und 1983 ihre absolute Mehrheit verteidigen. Ab Mitte der 1980er Jahre hatten die CDU und die von ihr gestellte Landesregierung dann allerdings besonders mit den durch die Agrarpreispolitik der Europäischen Gemeinschaft entstandenen Problemen in den ländlichen Regionen von Rheinland-Pfalz zu kämpfen – Gegenden mit einem traditionell hohen Anteil an CDU-Stammwählern, die die Partei nun nicht mehr in gewünschtem Maße an sich binden konnte. Die Landtagswahl 1987 brachte dies deutlich zum Ausdruck: Die CDU verlor fast sieben Prozentpunkte und damit die absolute Mehrheit, was in der Konsequenz die Bildung einer Koalitionsregierung mit der FDP zur Folge hatte. Der damit einhergehende Zwang zur Kompromissfindung ließ innerhalb der CDU Unzufriedenheit mit dem Profil der Partei aufkommen, und es mehrten sich Stimmen, die eine Trennung von Ministerpräsidentenamt und Parteivorsitz forderten – eine Variante, die Vogel ablehnte. Auch der Gedanke, für die Parteiarbeit einen Generalsekretär einzusetzen, wurde ins Spiel gebracht. Die parteiinternen Kontroversen führten schließlich auf dem Landesparteitag im November 1988 in Koblenz zur Ablösung von Bernhard Vogel als CDU-Landesvorsitzendem. Hans-Otto Wilhelm, damaliger Umweltminister und Befürworter einer Ämtertrennung, hatte sich zu einer Kampfkandidatur um den Parteivorsitz entschlossen und konnte letztlich die Mehrheit der Koblenzer Delegierten hinter sich bringen. Vogel trat daraufhin – wie für den Fall einer Abstimmungsniederlage angekündigt – vom Amt des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten zurück.9 Wilhelm als Parteivorsitzender und der vorherige Finanzminister Carl-Ludwig Wagner als neuer Ministerpräsident schafften es allerdings nicht, den Abwärtstrend für die rheinland-pfälzische CDU aufzuhalten. Die Landtagswahl 1991 ging gegen die SPD mit Spitzenkandidat Rudolf Scharping deutlich verloren, und so musste die CDU nach mehr als 40 Jahren erstmals in die Opposition.10 Bereits 1992 gab Wilhelm den Parteivorsitz an den früheren Landwirtschaftsminister Werner Langen ab, dem wiederum ein Jahr später der Mainzer Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Johannes Gerster, folgte. Nachdem die CDU mit ihm als Spitzenkandidat die Landtagswahl 1996 nur knapp gegen die SPD mit Kurt Beck als Nachfolger von Rudolf Scharping verloren hatte, gab es im Jahr darauf einen weiteren Wechsel an der Spitze der Landespartei. Christoph Böhr, ehemaliger Bundesvorsitzender der Jungen Union und Stellvertreter Gersters, folgte diesem nach und führte die rheinland-pfälzische CDU fast zehn Jahre lang. Über einen ähnlich langen Zeitraum hinweg hatte dieses Amt ab 2010 die Bad Kreuznacher Bundestagsabgeordnete und ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner inne. Zu ihrem Nachfolger wurde im Frühjahr 2022 der Fraktionsvorsitzende im Landtag, Christian Baldauf, gewählt. Baldauf war bereits von 2006 bis 2010 CDU-Landesvorsitzender gewesen und hatte seine Partei als Spitzenkandidat in 9 Zur Ära Bernhard Vogel in Rheinland-Pfalz vgl. Kißener: Kleine Geschichte des Landes RheinlandPfalz, S. 115 – 120; Kleinmann: Geschichte der CDU, S. 389 f.; Josef Schmid: Die CDU. Organisationsstrukturen, Politiken und Funktionsweisen einer Partei im Föderalismus. Opladen 1990, S. 108 f. 10 Vgl. Kißener: Kleine Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, S. 120 – 124.

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die Landtagswahl 2021 geführt. Einen Machtwechsel in Mainz und die Wiedererlangung der Regierungsverantwortung indes konnte die CDU auch mit unterschiedlichen Führungspersönlichkeiten seit der Wahlniederlage von 1991 bislang nicht bewerkstelligen. Letztlich sehen sich die rheinland-pfälzischen Christdemokraten – wie die CDU insgesamt – mit einem Grundproblem konfrontiert: dem stetigen Abschmelzen traditioneller Wählermilieus – durch die zunehmende Säkularisierung und Kirchenferne der Gesellschaft einerseits, andererseits durch den fortschreitenden Strukturwandel im ländlichen Raum, dem auch das scherzhaft als „Land der Reben und Rüben“ bezeichnete Rheinland-Pfalz ausgesetzt ist.

Forschungs- und Quellenlage Bereits der junge Helmut Kohl beschäftigte sich in seiner Doktorarbeit (Die politische Entwicklung in der Pfalz und das Wiedererstehen der Parteien nach 1945. Diss. Heidelberg 1958) mit dem politischen Neubeginn in seiner Heimat nach dem Ende der NSDiktatur. Das 1995 von Anne Martin vorgelegte, akribisch recherchierte und detailreiche Standardwerk widmet sich dann ganz der Entstehung und Frühgeschichte der CDU im neu geschaffenen Bundesland Rheinland-Pfalz.11 In den Publikationen von Haungs12 und Kißener13 richten die Autoren den Blick auf verschiedene Facetten der Landeshistorie nach dem Zweiten Weltkrieg, der selbstverständlich auch die Parteienentwicklung abdeckt. An Quellenmaterial bietet das ACDP Forschenden zuvörderst den umfangreichen – und sich stetig erweiternden – Bestand des CDU-Landesverbandes Rheinland-Pfalz (ACDP 03-026), wobei der Hinweis erforderlich ist, dass der Großteil der Akten des Landesverbandes aus den ersten zwanzig Jahren seines Bestehens im Landeshauptarchiv Koblenz aufbewahrt wird. Ergänzend dazu liegen im ACDP u. a. die Aktenbestände einer Reihe von Persönlichkeiten, die in der rheinland-pfälzischen Politik eine führende Rolle gespielt haben, sei es in Partei, Landesregierung oder Landtagsfraktion. Vorsitzende 1947 – 1966 1966 – 1974 1974 – 1988 1988 – 1992 1992 – 1993 1993 – 1997 1997 – 2006 2006 – 2010 2010 – 2022 seit 2022

Peter Altmeier Helmut Kohl Bernhard Vogel Hans-Otto Wilhelm Werner Langen Johannes Gerster Christoph Böhr Christian Baldauf Julia Klöckner Christian Baldauf

11 Martin: Entstehung der CDU. 12 Haungs: 40 Jahre Rheinland-Pfalz. 13 Kißener: Kleine Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz.

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Generalsekretäre (bis 1950 und ab 1995) 1947 – 1949 Felix Gerhardus 1949 Friedrich Hartmann 1949 – 1950 Peter Müllenbach 1995 – 1999 Jürgen Hartmann 1999 – 2006 Friedrich Claudius Schlumberger 2007 – 2011 Josef Rosenbauer 2011 – 2018 Patrick Schnieder 2018 – 2019 Christoph Gensch 2019 – 2021 Gerd Schreiner 2021 – 2022 Jan Zimmer seit 2022 Gordon Schnieder

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Landesverband Saar Frank Hammes Die Frühgeschichte der Saar-CDU ist untrennbar verbunden mit dem harten Ringen um den endgültigen Status des Saarlandes nach dem Zweiten Weltkrieg. Frankreich hatte dem Saargebiet nach Kriegsende eine Sonderrolle verschafft, indem es aus der Besatzungszone ausgegliedert, wirtschaftlich eng an Frankreich gebunden und als eigenes Staatsgebilde – losgelöst von Deutschland – mit einem teilautonomen Status mit eigener Verfassung und Regierung versehen wurde.1 Mit Blick auf die Zukunft des Saarlandes vertraten die beiden christlichen Parteien dort vollkommen konträre Positionen: Die 1946 gegründete Christliche Volkspartei (CVP) unter ihrem Vorsitzenden und ersten Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann2 verfocht im Sinne französischer Vorstellungen den Kurs einer Autonomie des Saarlandes. Dem Vorwurf des Separatismus zum Trotz sah Hoffmann in einem derart verfassten, eng an Frankreich angelehnten Saarland den Kern eines immer weiter zusammenwachsenden Europas. Demgegenüber verfolgte die 1952 ins Leben gerufene Christlich-Demokratische Union (CDU) das Ziel der raschen Wiedereingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik Deutschland. Der Gründungsantrag der Saar-CDU vom Februar 1952 sowie die Zulassung zur Landtagswahl im Herbst desselben Jahres waren von der Landesregierung unter Johannes Hoffmann, die mit rigiden Methoden gegen die politische Opposition vorging, abgelehnt worden. Die CDU gründete sich dennoch und bestand fortan mit dem Rechtsanwalt Hubert Ney3 als Vorsitzendem als nicht genehmigte und damit illegale Partei. Erst im Vorfeld der von der deutschen und französischen Regierung ausgehandelten und für den 23. Oktober 1955 angesetzten Volksabstimmung über den endgültigen Status des Saarlandes wurde sie zugelassen. Die offizielle Gründung der Saar-CDU erfolgte dann am 7. August 1955 in Saarbrücken. Hubert Ney wurde dabei als Vorsitzender bestätigt.4 Die Kontroversen innerhalb des christlichen politischen Lagers an der Saar fanden auch auf der Bundesebene der CDU ihren Ausdruck: Der Vorsitzende, Bundeskanzler Adenauer, stand vor dem Hintergrund seiner Aussöhnungs- und Verständigungspolitik – gerade mit Blick auf Frankreich – dem politischen Kurs Johannes Hoffmanns und dessen CVP nahe, während sein Parteifreund Jakob Kaiser, Bundesminister für gesamtdeutsche 1 Zur speziellen politisch-wirtschaftlichen Situation des Saarlandes nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. im Detail Robert H. Schmidt: Saarpolitik 1945 – 1957. Bd. 1. Berlin 1959, S. 113 ff.; siehe dazu auch Markus Gestier: Das älteste der neuen Bundesländer. Ein kurzer Abriss der saarländischen Geschichte, in: Ders. (Hg.): Auf dem (Rück-)Weg nach Deutschland. Beiträge zu Wurzeln und Wegmarken christlicher Politik im Saarland. Blieskastel 2006, S. 6 – 21, hier 10 – 14. 2 Biogramm zu Johannes Hoffmann unter https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/johannes-eigentlich-johann-viktor-hoffmann (Abruf: 6.4.2021). 3 Biogramm zu Hubert Ney unter https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogrammdetail/-/content/hubert-ney (Abruf: 6.4.2021). 4 Vgl. zum Verhältnis von CVP und CDU sowie zur Gründung der CDU Gerhard Bauer: Vom Zentrum zur CDU. Hundert Jahre christliche Politik an der Saar. Saarbrücken 1981, S. 41 ff.

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Fragen, die Rückgliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik und damit die Position der Saar-CDU unterstützte. Dem 23. Oktober 1955 ging dann ein erbittert geführter Abstimmungskampf voraus, den die CDU letztlich für sich entschied: Die Mehrheit der saarländischen Bevölkerung stimmte gegen das sogenannte europäische Saarstatut, also gegen einen Autonomiestatus des Saarlandes, für den sich Johannes Hoffmann und seine CVP vehement eingesetzt hatten. Die Position der CDU wurde damit bestätigt.5 Im Gefolge der Abstimmung vom Oktober 1955 avancierte die Partei zur stärksten politischen Kraft im Saarland, die sie über die nächsten 25 Jahre hinweg bleiben sollte. Bei der vorgezogenen Landtagswahl im Dezember 1955 erreichte die CDU mit 25,4 Prozent den höchsten Stimmenanteil aller angetretenen Parteien und stellte anschließend mit Hubert Ney den Ministerpräsidenten. Neys unversöhnliche Haltung gegenüber der CVP führte allerdings bald zu Konflikten mit denjenigen innerhalb der CDU, die für ein Zugehen auf den einstigen politischen Gegner aus dem Abstimmungskampf plädierten. Ney blieb als Folge dieses Zwists nur noch bis 1957 Partei- und Regierungschef. Unter Neys Nachfolger als CDU-Landesvorsitzender und Ministerpräsident, Egon Reinert, kam dann der Versöhnungs- und Einigungsprozess in Gang, der – aus organisatorischer Sicht – im April 1959 in der Fusion von CDU und CVP mündete.6 Als Egon Reinert kurz darauf nach einem Unfall verstarb, folgte ihm Franz Josef Röder nach7. Röder hatte während des Abstimmungskampfes um die Saarfrage eine zurückhaltende Position eingenommen und konnte so die innerparteiliche Aussöhnung und Integration umso überzeugender und wirkungsvoller vorantreiben. Er führte die SaarCDU bis 1973 und amtierte noch länger – über 20 Jahre hinweg – als Ministerpräsident. In dieser langen Phase prägte Röder maßgeblich die Nachkriegsgeschichte des Saarlandes, dem als Grenzland eine besondere Rolle in der europäischen Verständigung, speziell in der Gestaltung der Beziehungen zum Nachbarn Frankreich, zukam (und nach wie vor zukommt). In Röders Amtszeit fiel auch der nicht einfache Prozess der wirtschaftlichen Eingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik, nachdem die politische bereits am 1. Januar 1957 erfolgt war. Die CDU blieb unter Röders Führung die dominierende politische Kraft im Saarland. Nach der Landtagswahl von 1970 konnte sie mit einem Stimmenanteil von 47,8 Prozent zum ersten Mal eine Alleinregierung bilden. 1973 übernahm Kultusminister Werner Scherer von Röder den Parteivorsitz, den er allerdings aus gesundheitlichen Gründen Ende 1977 ebenso wie das Regierungsamt abgeben musste. Ab 1978 hieß der neue Landesvorsitzende der CDU dann Werner Zeyer, der nach Röders Tod im Juni 1979 auch Ministerpräsident wurde. Die Krise in der Stahlindustrie, einhergehend mit einer Überschuldung des Saarlandes und hoher Arbeitslosigkeit, führte schließlich bei den Landtagswahlen 1980 und 1985 zu erheblichen Verlusten für die CDU. 1985 erreichte sie nur noch einen Stimmenanteil von 37,3 Prozent (zum Vergleich: 49,1 Prozent bei der Wahl von 1975); die SPD mit Spitzenkandidat Oskar Lafontaine da-

5 Ebd., S. 51 f. 6 Ebd., S. 56 – 65. 7 Biogramm zu Franz Josef Röder unter https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/franz-josef-roeder (Abruf: 6.4.2021).

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gegen errang mit 49,2 Prozent die absolute Mehrheit der Landtagssitze. Nach fast 30 Jahren stellte die CDU nicht mehr den Ministerpräsidenten an der Saar. Werner Scherer übernahm nach dem Rücktritt Zeyers im Sommer 1985 erneut den CDU-Landesvorsitz, verstarb aber wenige Monate später. Ihm folgte der erst 34-jährige vorherige Landesvorsitzende der Jungen Union, Peter Jacoby, nach, der die Saar-CDU im Tandem mit Bundesumweltminister Klaus Töpfer, der Spitzenkandidat wurde, in die Landtagswahl 1990 führte. Diese bescherte der CDU jedoch abermalige Stimmeneinbußen. Töpfer übernahm noch im selben Jahr den Parteivorsitz von Jacoby, vermochte es aber auch bei der nachfolgenden Landtagswahl trotz Stimmengewinnen nicht, einen Regierungswechsel herbeizuführen. Dieser gelang erst dem ab 1995 neuen CDU-Landesvorsitzenden Peter Müller, vormals Parlamentarischer Geschäftsführer der Landtagsfraktion und ab April 1994 deren Vorsitzender. Unter seiner Führung legte die CDU dezidiert die Finger in die Wunden einer aus ihrer Sicht verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik der regierenden SPD. Die Landtagswahl 1999 brachte dann den von der CDU erhofften Umschwung: Die Partei errang 45,5 Prozent der Stimmen, damit die absolute Mehrheit der Mandate, und es begann die Ära Peter Müller.8 Nachdem er nach der Landtagswahl zum Ministerpräsidenten gewählt worden war, führte er Partei und Regierung bis zum Jahr 2011. Erfolge beim Strukturwandel des von der Montanindustrie geprägten Saarlandes sowie Müllers bürgernaher Politikstil waren dafür die entscheidenden Grundlagen. Die Landtagswahl 2009 endete allerdings für ihn und seine Partei enttäuschend: Die CDU bekam an der Wahlurne die Auswirkungen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise auch auf das Saarland deutlich zu spüren und fiel von 47,5 Prozent aus dem Jahr 2004 auf 34,5 Prozent der Stimmen. Damit war die absolute Mehrheit an Mandaten verloren. Das Ergebnis der anschließenden Bemühungen, eine stabile Regierung zu bilden, war die bundesweit erste Koalition aus CDU, FDP und Grünen – erneut mit Peter Müller als Ministerpräsident. Zwei Jahre später – Müller hatte sich für einen Abschied aus der Politik entschieden und wurde Richter am Bundesverfassungsgericht – übernahm Annegret Kramp-Karrenbauer, unter Müller zuletzt Arbeits- und Sozialministerin, von diesem sowohl den Parteivorsitz als auch das Amt des Ministerpräsidenten. Nachdem sie die Dreierkoalition wegen interner Auseinandersetzungen in der Landes-FDP im Januar 2012 aufgelöst hatte, folgte im März desselben Jahres eine vorgezogene Landtagswahl, die die CDU gewann und nach der sie mit der SPD eine große Koalition bildete, die nach der Wahl von 2017 fortgesetzt wurde. Annegret Kramp-Karrenbauer selbst wechselte Anfang 2018 in die Bundespolitik, zunächst als neue CDU-Generalsekretärin. Von Dezember 2018 bis Januar 2021 war sie Bundesvorsitzende der CDU. Ihr Nachfolger im Saarland wurde in beiden Ämtern – CDU-Landesvorsitzender und Ministerpräsident – der vorherige Fraktionsvorsitzende im Landtag, Tobias Hans. Mit ihm als Spitzenkandidat verlor die CDU allerdings die Landtagswahl im März 2022 deutlich gegen die SPD mit Herausforderin Anke Rehlinger, die bei einem Stim8 Zur Entwicklung der CDU Saar unter den Vorsitzenden Röder bis Müller vgl. zusammenfassend Günther Schwarz: Von der Illegalität zur Regierungspartei. 50 Jahre CDU Saar, in: Gestier (Hg.): Auf dem (Rück-)Weg nach Deutschland, S. 117 – 129, hier 122 – 129; daneben Josef Schmid: Die CDU. Organisationsstrukturen, Politiken und Funktionsweisen einer Partei im Föderalismus. Opladen 1990, S. 112 – 115, sowie Hans-Otto Kleinmann: Geschichte der CDU 1945 – 1982. Hg. von Günter Buchstab. Stuttgart 1993, S. 382 f.

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menanteil von 43,5 Prozent die absolute Mehrheit an Mandaten errang. Die CDU hingegen büßte im Vergleich zur Wahl von 2017 über 12 Prozentpunkte ein, kam auf nur noch 28,5 Prozent und ist damit nach fast 23 Jahren nicht mehr stärkste politische Kraft im Saarland. Tobias Hans kündigte daraufhin seinen Rücktritt als CDU-Landesvorsitzender an. Sein Nachfolger an der Parteispitze ist seit Mai 2022 Stephan Toscani, der zuvor das Amt des Landtagspräsidenten innehatte.

Forschungs- und Quellenlage Das frühe dreibändige Werk von Robert H. Schmidt bietet einen faktenreichen Einblick in die politische Sondersituation an der Saar nach dem Zweiten Weltkrieg, ergänzt um eine Vielzahl von Personendaten.9 Bauer10 und Gestier11 widmen sich dann ganz der Entwicklung des christlichen politischen Lagers im Saarland, während Küppers und Herrmann zwei Führungsfiguren portraitieren: Küppers zeichnet ein differenziertes Bild des ersten Ministerpräsidenten und CVP-Vorsitzenden Johannes Hoffmann, bis heute umstritten nicht nur wegen seiner strikt pro-französischen Haltung in der Saarfrage, sondern auch wegen der unter seiner Regierung angewandten Methoden gegenüber der politischen Opposition.12 Herrmanns Buch widmet sich dem langjährigen Ministerpräsidenten und CDU-Landesvorsitzenden Franz Josef Röder, eingebettet in eine facettenreiche Darstellung der Entwicklung des Saarlandes unter dessen Führung. Neben Röders unbestrittenen Verdiensten um Land und Partei werden seine Lebensdaten aus der Zeit des Dritten Reiches nicht verschwiegen, um die in jüngerer Zeit eine Kontroverse entbrannt ist (Röder war Mitglied der NSDAP und arbeitete während des Zweiten Weltkriegs an der deutschen Schule in Den Haag).13 Für Quellenstudien stehen im ACDP in erster Linie der Aktenbestand des CDULandesverbandes Saar zur Verfügung (Bestandssignatur 03-011), daneben aber auch Unterlagen einer Reihe von Persönlichkeiten, die in Partei- oder Regierungsämtern tätig waren. Vorsitzende 1955 – 1957 1957 – 1959 1959 – 1973 1973 – 1977 1978 – 1985 1985 1986 – 1990 1990 – 1995 1995 – 2011 9 10 11 12

Hubert Ney Egon Reinert Franz Josef Röder Werner Scherer Werner Zeyer Werner Scherer Peter Jacoby Klaus Töpfer Peter Müller

Robert H. Schmidt: Saarpolitik 1945 – 1957. 3 Bde. Berlin 1959. Bauer: Vom Zentrum zur CDU. Gestier (Hg.): Auf dem (Rück-)Weg nach Deutschland. Heinrich Küppers: Johannes Hoffmann (1890 – 1967). Biographie eines Deutschen (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 54). Düsseldorf 2008. 13 Hans-Christian Herrmann: Franz Josef Röder. Das Saarland und seine Geschichte. St. Ingbert 2017.

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2011 – 2018 2018 – 2022 seit 2022

Annegret Kramp-Karrenbauer Tobias Hans Stephan Toscani

Generalsekretäre (seit 2003) 2003 – 2009 Stephan Toscani 2009 – 2017 Roland Theis 2017 – 2022 Markus Uhl seit 2022 Frank Wagner

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Landesverband Sachsen Oliver Salten In Sachsen erfolgten in den drei größten Städten Dresden, Chemnitz und Leipzig zunächst jeweils eigene Gründungen. Am 21. Juli 1945 wurde in Dresden unter maßgeblicher Beteiligung des evangelischen Theologen und früheren Vizepräsidenten des Sächsischen Landtages Hugo Hickmann und des katholischen Gewerkschafters Friedrich Koring eine Christlich-Soziale Volkspartei (CSV) gegründet.1 In Chemnitz starteten die Vorbereitungen zur Gründung einer überkonfessionellen Partei bereits Mitte Juni, vor allem vorangetrieben vom katholischen Pfarrer und früheren Landesvorsitzenden des Zentrums Ludwig Kirsch. Am 25. Juni 1945 wurde hier die Christliche Volkspartei (CVP) ins Leben gerufen, die sich am 4. Juli mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit wandte.2 In Leipzig trafen sich am 8. Juli 1945 diverse Persönlichkeiten, um mit der Demokratischen Partei Deutschlands (DPD) eine übergreifende bürgerlich orientierte Partei zu gründen. Am 21. Juli wurde auch hier ein Gründungsaufruf verabschiedet. Bereits in den folgenden Tagen mehrten sich jedoch die Spannungen zwischen den christlich-demokratisch und den liberal orientierten Mitgliedern. Als die DPD aufgrund der restriktiven Handhabung der sowjetischen Besatzungsmacht in Bezug auf die Zulassung der Parteien sich entweder der CDU oder den Liberaldemokraten zuordnen musste, neigte die Mehrheit der LDP zu. Dies führte am 4. August zur Spaltung der Partei und zur Gründung der CDU in Leipzig. Maßgebliche Figuren waren hier unter anderem der Historiker Karl Buchheim und der Rechtsanwalt Carl Günter Ruland.3 Auch an anderen Orten Sachsens kam es im Laufe des Juli und des Augusts 1945 zu Gründungen diverser weiterer Gruppen, die sich zum Teil direkt den Namen CDU gaben oder sich bald der Union anschlossen. Die dominierenden Organisationen blieben jedoch Chemnitz und Dresden, die nun um die Führungsrolle innerhalb der sächsischen Unionsgründungen rivalisierten. Letztlich konnte sich Hugo Hickmann durchsetzen, der Anfang August mit dem Berliner Gründungsausschuss Kontakt aufnahm. Am 21. August 1945 registrierte die Dresdner Kommandantur die neue Partei, allerdings nur unter dem Namen CDU. Dem Wunsch der Dresdner Gründer, den Namen CSV als Untertitel weiterzuführen, war damit nicht entsprochen worden. Hickmann wurde Vorsitzender des neuen Landesverbandes, der zudem in den Block der „antifaschistisch-demokratischen“

1 Oliver Salten: Hugo Hickmann – ein Riese unter den Zwergen? Der CDU-Landesverband Sachsen und sein Vorsitzender 1945 – 1950, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 92 (2021), S. 163 – 212, hier 164 – 171. 2 Ralf Thomas Baus: Die Christlich-Demokratische Union Deutschlands in der sowjetisch besetzten Zone 1945 bis 1948. Gründung – Programm – Politik (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 36). Düsseldorf 2001, S. 102 – 105. 3 Manja Winkler: Die Christlich-Demokratische Union in Leipzig 1945 – 1948, in: HPM 15 (2008), S. 125 – 142, hier 126 – 132.

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Parteien aufgenommen wurde. Auf dem 1. Landesparteitag am 24. Februar 1946 in Dresden wurde Hickmann in seinem Amt bestätigt.4 Erste Konflikte mit der Besatzungsmacht und den Kommunisten entzündeten sich bereits 1945 an der Frage der Art der Durchführung einer Bodenreform. Wie in der restlichen SBZ lehnte die CDU auch in Sachsen eine entschädigungslose Enteignung des Großgrundbesitzes ab. CDU und LDP bemühten sich zwar um einen Kompromiss, eine Intervention der Sowjetischen Militäradministration Sachsens (SMAS) zugunsten einer entschädigungslosen Enteignung setzte diesen Versuchen im September 1945 jedoch ein Ende. Am 30. Juni 1946 fand in Sachsen ein von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) und der SED gewünschter Volksentscheid zur Enteignung der „Nazi- und Kriegsverbrecher“ statt.5 Das wirkliche Ziel dieser Politik bestand jedoch in der Neugestaltung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen. Während die CDU zwar den Volksentscheid grundsätzlich unterstützte, sich jedoch auch um die Einhaltung rechtsstaatlicher Normen und die Begrenzung auf wirklich während des NSRegimes schuldig gewordene Personen bemühte, entfalteten SED und die sowjetische Besatzungsmacht einen umfangreichen Propagandafeldzug und übten massiven Druck aus, mit dem Ziel einer klaren Mehrheit für die Enteignungen. Am Ende stimmten fast 78 Prozent der sächsischen Wahlberechtigten mit „Ja“. Versuche der CDU, nachträglich noch rechtsstaatliche Prinzipien durchzusetzen, scheiterten am Widerstand von SMAS und SED. Im gleichen Jahr fanden auch in Sachsen die Gemeinde-, Kreis- und schließlich im Oktober die Landtagswahlen statt.6 Hatte die CDU bei den Kreistagswahlen noch den zweiten Platz belegt, musste man sich bei den Landtagswahlen mit dem dritten Rang hinter der LDP begnügen. Hickmann zeigte sich enttäuscht über den Wahlausgang. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die bürgerlichen Parteien massiven Benachteiligungen unterlagen. Dies bezog sich beispielsweise auf die fehlenden Genehmigungen bei der notwendigen Registrierung von Ortsgruppen, geringere Papierzuteilung oder Repressionen gegen Kandidaten. Dennoch verfehlte die SED im Oktober ihr Ziel eines überwältigenden Wahlsieges und verpasste mit 49,1  Prozent sogar die absolute Mehrheit. Als Mehrheitsbeschaffer diente ihr die vor allem aus SED-Mitgliedern bestehende Massenorganisation der „Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe“ (VdgB). In der Folgezeit versuchten SED und Sowjets ein enges politisches Zusammenwirken der bürgerlichen Kräfte mittels einer Verstärkung der Blockpolitik zu verhindern und ihre Arbeit in den Parlamenten zu unterminieren. Während der Zonenvorsitzende Jakob Kaiser diese Politik nicht hinnehmen wollte, betrachteten Hickmann und andere Landesvorsitzende die Zusammenarbeit mit den übrigen Parteien im Block als momentan alternativlos. Gleichzeitig unterstützte er jedoch Kaisers Konzept eines neutralisierten Deutschlands als „Brücke“ zwischen Ost und West. Prinzipiell hatte Hickmann jedoch nicht die Absicht, zur Besatzungsmacht auf Konfrontationskurs zu gehen. Um die gesamtdeutsche Arbeit der CDU aufrecht zu erhalten und eine Teilung Deutschlands zu verhindern, war er an einem guten Zusammenwirken mit den Sowjets interessiert.7 4 Baus: Union, S. 268 – 274. 5 Stefan Creuzberger: „Klassenkampf in Sachsen“. Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) und der Volksentscheid am 30. Juni 1946, in: HPM 2 (1995), S. 119 – 130. 6 Baus: Union, S. 319 – 326. 7 Salten: Hickmann, S. 176.

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Im November 1947 rief die SED in enger Abstimmung mit den Sowjets zur Einberufung eines „Deutschen Volkskongresses für Einheit und gerechten Frieden“ zur Durchsetzung ihrer deutschlandpolitischen Vorstellungen auf. Ein Konflikt zwischen Kaiser, der eine Teilnahme ablehnte, und den Landesvorsitzenden, die unter sowjetischem Einfluss und Druck grundsätzlich für eine Beteiligung am Volkskongress waren, konnte zunächst mittels eines Kompromisses entschärft werden. Dennoch war die Besatzungsmacht nicht mehr gewillt, Kaiser als Parteivorsitzenden zu dulden. Hickmann versuchte zwischen der SMAD und Kaiser zu vermitteln, allerdings vergeblich. Am 20. Dezember 1947 wurde Kaiser durch die Sowjets abgesetzt und die Landesvorsitzenden unter der Leitung Hickmanns als vorläufige kollektive Parteiführung eingesetzt, die bis zur Wahl Otto Nuschkes im September 1948 zum neuen Vorsitzenden im Amt blieb. Obwohl Hickmann im Landesverband Sachsen sehr angesehen war, stieß seine Haltung zur Absetzung Kaisers auf dem Landesparteitag im Juni 1948 auf Kritik. Seine Position als Landesvorsitzender blieb jedoch unangefochten. Dennoch wurde insbesondere im Laufe des Jahres 1949 zunehmend deutlicher, dass die Sowjets Hickmann im Grundsatz misstrauten, da dieser weiterhin das Konzept eines demokratischen und neutralen Deutschlands verteidigte. Im Mai 1949 erschienen auf Veranlassung der Sowjets mehrere Artikel, unter anderem aus der Feder des CDU-Bürgermeisters von Aue, Magnus Dedek, in denen eben diese Auffassung massiv angegriffen wurde. Zunehmend wurde die sächsische CDU von Anhängern Kaisers und Hickmanns gesäubert und Personen wie Dedek oder Joseph Rambo in Leipzig unterstützt, die eindeutig zu den Kräften innerhalb der Partei zählten, die der SED und den Sowjets wohlgesonnen waren.8 Im Januar 1950 ging Hickmann unter dem Gleichschaltungsdruck, der mittlerweile auf der CDU lastete, in die Offensive. In einigen Reden äußerte er sich positiv über Konrad Adenauer und die Bundesrepublik und forderte die Eigenständigkeit der Parteien in der DDR. Außerdem stellte er die gesamte Blockpolitik in Frage. Die Reaktion von SED und Sowjets erfolgte rasch. Zum einen ermunterte man die „fortschrittlichen Kräfte“ innerhalb der CDU um Dedek, den Rücktritt Hickmanns zu fordern. Am 23. Januar 1950 wurde zudem die CDU-Landesgeschäftsstelle durch Teilnehmer einer „spontanen“ Demonstration, die in Wirklichkeit von der SED organisiert worden war, gestürmt und dabei Parolen wie „Hängt ihn auf, die Sau!“ gegen Hickmann skandiert. Diese Angriffe veranlassten den plötzlich in Dresden erschienenen DDR-Außenminister Georg Dertinger, sich zum kommissarischen Landesvorsitzenden zu ernennen. Hickmann selbst trat, da auch Otto Nuschke in der Zwischenzeit durch sowjetischen Druck von ihm abgerückt war, am 28. Januar von seinem Amt zurück.9 Den vorläufigen Vorsitz übernahm nun gemäß der Satzung sein Stellvertreter Otto Freitag. In der Folgezeit wurden die Repressionen gegen unbotmäßige CDU-Mitglieder nochmals verschärft und die SED-freundlichen Funktionäre gewannen mehr und mehr die Oberhand. Auf dem Landesparteitag im Juni 1950 wurde Joseph Rambo in offener Abstimmung zum neuen Vorsitzenden gewählt, der aber bereits im September desselben Jahres nach West-Berlin flüchtete. Die Gründe dafür waren unklar, vermutet wurde aber ein Auftrag sowjetischer Stellen, da er für diese möglicherweise schon länger als Agent 8 Ebd., S. 203 – 204. 9 Michael Richter: Die Ost-CDU 1948 – 1952. Zwischen Widerstand und Gleichschaltung (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 19). 2. Aufl. Düsseldorf 1991, S. 222 – 229.

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tätig war. Ihm folgte Magnus Dedek nach, der das Amt bis zur Auflösung des Landesverbandes 1952 innehatte. Unter ihm ging die Transformation der CDU in eine SED-hörige Blockpartei nahtlos weiter. Die Auflösung des Landesverbandes Sachsen erfolgte im Zuge der Verwaltungsreform in der DDR. Im Wesentlichen traten an Stelle des Landesverbandes die drei Bezirksverbände Chemnitz (1953 bis 1990 Karl-Marx-Stadt), Dresden und Leipzig. Die CDU hatte als Blockpartei unter anderem die Funktion eines „Transmissionsriemens“. Sie sollte die Ideologie und Politik der SED unter ihren Mitgliedern und christlich eingestellten Bevölkerungsteilen mit den entsprechenden Begründungszusammenhängen verbreiten. Dass die ursprünglichen Werte der Union weiterhin im Verborgenen lebendig blieben, zeigte etwa die Teilnahme von CDU-Mitgliedern am Volksaufstand des 17. Juni 1953, der in Sachsen seine Schwerpunkte unter anderem in Görlitz, Leipzig und Dresden hatte. Doch auch in der Folgezeit blieben, obwohl die CDU insgesamt als Blockpartei Verantwortung für das Fortbestehen der SED-Diktatur in der DDR trug, in den Ortsgruppen Möglichkeiten für einen offeneren Austausch der Mitglieder erhalten. Die friedliche Revolution in der DDR 1989, die in Leipzig mit den Montagsdemonstrationen einen ihrer Schwerpunkte hatte und mit der Veröffentlichung des „Briefes aus Weimar“ am 10. September auch die CDU erfasste, blieb in den drei sächsischen Bezirken nicht folgenlos. Immer deutlicher wurden in den Ortsgruppen und Kreisverbänden die Forderungen nach einer Erneuerung der CDU erhoben.10 Bereits am 26. Oktober erklärte etwa der Kreisverband Dresden-Stadt seinen Austritt aus dem Block, um die Eigenständigkeit der Partei deutlich zu machen. Zum Teil waren aber aus anderen Kreisverbänden auch abwartende Stimmen zu hören. Erst der Rücktritt des Parteivorsitzenden Gerald Götting und die Wahl von Lothar de Maizière zu seinem Nachfolger Anfang November brachte den Durchbruch der Reformkräfte innerhalb der CDU in Sachsen und der gesamten DDR. Die durch den Berliner Sonderparteitag im Dezember 1989 beschlossene endgültige Abkehr vom Sozialismus und die Bildung der „Allianz für Deutschland“ im Hinblick auf die erste freie Wahl zur Volkskammer 1990 bekräftigten den Reformkurs. Auch für verschiedene Bürgerrechtler stellte sich mittlerweile die Frage, inwiefern eine, auch durch Kooperation mit der westdeutschen Schwesterpartei, erneuerte CDU für sie eine politische Heimat werden könnte, da man Bürgerrechtsbewegungen wie dem „Neuen Forum“ keinen dauerhaften politischen Erfolg zutraute.11 Am 21. Februar traten sechs Bürgerrechtler um Arnold Vaatz in die CDU ein. Am 3. März 1990 konstituierte sich der Landesverband Sachsen auf dem 1.Landesparteitag in Dresden.12 Erster Landesvorsitzender wurde der seit 1988 amtierende Vorsitzende des Bezirkverbandes von Karl-Marx-Stadt bzw. Chemnitz, Klaus Reichenbach, der sich deutlich gegen Vaatz durchsetzen konnte. Als Mitte 1990 die Frage aufkam, wen die CDU als Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten des zukünftigen Freistaates Sachsen aufstellen sollte, brach der Machtkampf zwischen den beiden erneut aus.13 Als Reichenbach Anfang Juli seinen Anspruch anmeldete, stellten sich Vaatz und andere Bürgerrechtler dagegen, weil sie 10 Ders.: Die Friedliche Revolution. Aufbruch zur Demokratie in Sachsen 1989/90. 2 Bde. (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung. Bd. 38). Göttingen 2009, Bd. 1, S. 597 – 603. 11 Ders.: Revolution, Bd. 2, S. 1355 – 1373. 12 Unterlagen zum 1. Landesparteitag, in: ACDP (Bestand Landesverband Sachsen) 03-053-005/1. 13 Werner J. Patzelt: Die CDU in Sachsen, in: Christian Demuth/Jakob Lempp (Hg.): Parteien in Sachsen. Dresden u. a. 2006, S. 87 – 119, hier 93 f.

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der Ansicht waren, dass Reichenbach nicht die notwendigen Reformschritte für Sachsen voranbringen würde. Nach längerer Suche präsentierten sie mit dem Staatssekretär im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen Walter Priesnitz einen Gegenkandidaten. Um eine Spaltung des Landesverbandes zu vermeiden, zogen sowohl Reichenbach als auch Priesnitz ihre Kandidatur zurück und stattdessen wurde der frühere Generalsekretär der CDU der Bundesrepublik, Kurt Biedenkopf, der seit März 1990 Gastprofessor in Leipzig war, neuer Kandidat. Unter ihm erlangte die CDU bei der Landtagswahl am 14. Oktober die absolute Mehrheit. Obwohl Reichenbach vorerst Parteivorsitzender blieb, setzten ihn die „Erneuerer“ um Vaatz weiterhin unter Druck, so dass er schließlich seinen Rücktritt ankündigte und Biedenkopf auf einem außerordentlichen Parteitag am 7. Dezember 1991 zu seinem Nachfolger gewählt wurde. Kurt Biedenkopf war als Ministerpräsident ein überaus beliebter und angesehener „Landesvater“.14 So konnte er bei der Landtagswahl im September 1994 die 1990 erlangte absolute Mehrheit der CDU sogar noch ausbauen. Im folgenden Jahr gab er den CDULandesvorsitz an den Fraktionsvorsitzenden Fritz Hähle ab. Bei der Landtagswahl 1999 verzeichnete die CDU zwar leichte Verluste, behauptete aber ein weiteres Mal die absolute Mehrheit. Biedenkopfs Ankündigung, bei der nächsten Landtagswahl nicht mehr anzutreten, führte zu einem Machtkampf zwischen ihm und seinem Finanzminister Georg Milbradt. Dieser wurde beendet, als Milbradt auf dem Landesparteitag im September 2001 den Kampf um die Nachfolge des nicht mehr angetretenen Fritz Hähle gegen den von Biedenkopf unterstützten Steffen Flath für sich entschied. Am 18. April 2002 wurde er nach dem Rücktritt Biedenkopfs neuer Ministerpräsident. Dieser innerparteiliche Streit hatte jedoch Folgen. Bei der Landtagswahl 2004 verlor die CDU fast 16 Prozent und musste erstmals eine Koalition mit der SPD eingehen.15 Im Mai 2008 trat Milbradt wegen seiner Verwicklung in die Affäre um die Krise der Landesbank Sachsen von allen Ämtern zurück. Sein Nachfolger als Landesvorsitzender und Ministerpräsident wurde Stanislaw Tillich. Mit ihm trat erstmals ein Mitglied der Volksgruppe der Sorben an die Spitze der Sächsischen Union sowie des Freistaats. Bei der Landtagswahl 2009 konnte Tillich das Ergebnis von 2004 im Wesentlichen halten. In der folgenden Legislaturperiode bildete er eine Koalition mit der FDP. Nach der Landtagswahl 2014, bei der die CDU nur leichte Verluste verzeichnen musste, ging die CDU unter Tillich erneut eine Koalition mit der SPD ein. Bei der Bundestagswahl 2017 verzeichnete die CDU in Sachsen erstmals weniger Zweitstimmen als die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD). Tillich geriet daraufhin immer stärker unter innerparteilichen Druck, unter anderem auch von Seiten Kurt Biedenkopfs. Sein Nachfolger als Parteivorsitzender und Ministerpräsident wurde der bisherige Generalsekretär Michael Kretschmer. Bei der Landtagswahl 2019 musste die CDU zwar Verluste verzeichnen, diese hielten sich allerdings dank des engagierten Wahlkampfes Kretschmers in Grenzen. Nach der Wahl wurde erstmals in Deutschland eine Koalition aus CDU, BÜNDNIS 90/Die Grünen und SPD gebildet.

14 Ebd., S. 95 f. 15 Ulrich H. Brümmer: Parteiensystem und Wahlen in Sachsen. Kontinuität und Wandel von 1990 – 2005 unter besonderer Berücksichtigung der Landtagswahlen. Wiesbaden 2006, S. 230 – 232.

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Oliver Salten

Forschungs- und Quellenlage Im Archiv für Christlich-Demokratische Politik befinden sich die Bestände des von 1945 bis 1952 existierenden Landesverbandes Sachsen sowie der Bezirksverbände Dresden, Leipzig und Karl-Marx-Stadt. Insbesondere auf der Ebene der Kreisverbände ist die Überlieferung in Sachsen für die Zeit der SBZ/DDR relativ gut. Es gibt also eine recht breite Quellengrundlage, mit deren Hilfe man einen Einblick in die Strukturen und Probleme einer Blockpartei in der DDR ermöglichen kann. Für die Zeit nach 1990 sind Unterlagen des Landesverbandes und der Landtagsfraktion erhalten. Insbesondere der zweite Bestand ist herauszustellen, da die Fraktion wohl diejenige sein dürfte, die im Vergleich zu den anderen CDU-Fraktionen in den ostdeutschen Bundesländern die breiteste Quellenbasis aufweist. Hinzu kommen diverse Nachlässe und Deposita, unter anderem von Kurt Biedenkopf. Ergänzende Bestände finden sich etwa im Hauptstaatsarchiv in Dresden, darunter die Akten der Landesregierungen, der SED in Sachsen oder der Nachlass von Ludwig Kirsch. Die Zeit bis 1952 ist durch die nach wie vor wichtigen Werke von Michael Richter16 und Ralf Baus17 recht breit erforscht. Besonders zu erwähnen ist der Beitrag von Stefan Donth, der erstmals auch sowjetische Quellen in die Debatte eingeführt hat.18 Die Geschichte der CDU Sachsens unter Hugo Hickmann betrachtet eine Studie von Oliver Salten.19 Für die Zeit der CDU als Blockpartei in den drei sächsischen Bezirken gibt es bislang keine eigenen Forschungen. Eine Betrachtung des gesamten Zeitraums von 1945 bis 1990, wie sie Bertram Triebel kürzlich für die Thüringer CDU vorgelegt hat, wäre auch hier ein lohnenswertes Unterfangen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass damit eine Vergleichsmöglichkeit zur Struktur und zum Verhalten der CDU in dieser Zeit gegeben wäre. Die Rolle der CDU während der friedlichen Revolution in Sachsen ist in den umfangreichen Werken von Michael Richter über diese Zeit mitbehandelt worden. Er stützt sich dabei neben archivalischen Quellen auch auf Berichte der DDR-Staatssicherheit und Interviews. Seine Betrachtungen bilden eine gute Grundlage für weitere Forschungen zur Transformation der CDU und ihrer Rolle als Regierungspartei im neu entstandenen Freistaat Sachsen. Für die Jahre nach 1990 fehlt es, abgesehen von zusammenfassenden Betrachtungen, noch an grundlegenden Studien, sowohl was das Regierungshandeln der CDU als auch die Rolle ihrer maßgeblichen Persönlichkeiten betrifft, wobei insbesondere Kurt Biedenkopf zu nennen wäre, dessen Tagebücher aus dieser Zeit bereits veröffentlicht sind 20. 16 Richter: Die Ost-CDU; Revolution; Ders.: Die Bildung des Freistaates Sachsen. Friedliche Revolution, Föderalisierung, deutsche Einheit 1989/90 (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung. Bd. 24). Göttingen 2004. 17 Baus: Union; Ders.: Die Gründung der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands in Sachsen 1945, in: HPM 2 (1995), S. 83 – 117. 18 Stefan Donth: Die Sowjetische Militäradministration und die CDU in Sachsen 1945 – 1952. Eine bürgerliche Partei aus dem Blickwinkel der Besatzungsmacht, in: HPM 7 (2000), S. 109 – 133. 19 Salten: Hickmann. 20 Kurt Biedenkopf: Von Bonn nach Dresden. Aus meinem Tagebuch Juni 1989 bis November 1990. München 2015; Ein neues Land entsteht. Aus meinem Tagebuch November 1990 bis August 1992. München 2015, Ringen um die innere Einheit. Aus meinem Tagebuch August 1992 bis September 1994. München 2015.

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Landesverband Sachsen

Landesverband Sachsen 1945 – 1952 Landesvorsitzende 1945 – 1950 Hugo Hickmann 1950 Otto Freitag (amtierend) 1950 Josef Rambo 1950 – 1952 Magnus Dedek

Bezirk Dresden Bezirksvorsitzende 1952 – 1953 Max Schmidt 1953 Johannes Pietzsch (amtierend) 1953 – 1968 Friedrich Mayer 1968 – 1984 Johannes Krätzig 1984 – 1987 Horst Korbella 1987 – 1990 Herbert Dreßler

Bezirk Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) Bezirksvorsitzende 1952 – 1956 Walter Wagner 1956 – 1963 Gotthardt Graupner 1963 – 1966 Lothar Fischer 1966 – 1988 Joachim Gelfert 1988 – 1990 Klaus Reichenbach

Bezirk Leipzig Bezirksvorsitzende 1952 – 1954 Heinz Kühn 1954 – 1958 Wolfgang Heyl 1958 – 1982 Fritz-Karl Bartnig 1982 – 1989 Siegfried Berghaus 1989 – 1990 Rolf Rau

Landesverband Sachsen (ab 1990) 1990 – 1991 1991 1991 – 1995 1995 – 2001 2001 – 2008 2008 – 2017 seit 2017

Klaus Reichenbach Berthold Rink (amtierend) Kurt Biedenkopf Fritz Hähle Georg Milbradt Stanislaw Tillich Michael Kretschmer

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Landesverband Sachsen-Anhalt Andreas Grau Von der Gründung der CDU in Sachsen-Anhalt bis zur Auflösung des Landes 1952 Das heutige Land Sachsen-Anhalt entstand erst im Juli 1945 auf Anordnung der Sowjetischen Militäradministration aus der preußischen Provinz Sachsen, dem Freistaat Anhalt und kleineren braunschweigischen Gebieten. Anfangs als Provinz Sachsen bezeichnet, nannte sich das Land ab Juli 1947 offiziell Sachsen-Anhalt.1 Durch die Verwaltungsreform der DDR vom 1. August 1952 wurden die Länder jedoch wieder aufgelöst und stattdessen Bezirke geschaffen. Sachsen-Anhalt wurde dabei in die Bezirke Magdeburg und Halle aufgeteilt.2 Unmittelbar nach der Übernahme der Provinz Sachsen durch sowjetische Truppen im Juli 1945 kam es zur Gründung von Parteien. In Magdeburg wurde die CDU am 15. Juli 1945 gegründet3 und in Halle fand die Gründung am 22. Juli 1945 statt.4 Auch in Köthen bildete sich am 20. Juli 1945 eine Christlich-Soziale Union.5 Nur wenige Tage später ging von dem Gründerkreis in Halle die Initiative zur Bildung des CDU-Provinzialverbandes Sachsen-Anhalt aus. Zum Vorsitzenden wurde der Hallenser Leo Herwegen gewählt.6 Bei den Landtagswahlen im Oktober 1946 konnte die CDU in Sachsen-Anhalt trotz aller Schikanen und Behinderungen durch die sowjetische Besatzungsmacht und die SED 21,8 Prozent erreichen. Doch die zunehmende Gleichschaltung und die Repressionen des SED-Regimes beendeten Anfang der 1950er Jahre schließlich jede Eigenständigkeit der CDU. Im November 1949 wurde der frühere Landesvorsitzende und Minister Herwegen verhaftet und in einem Schauprozess 1950 in Dessau zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Sein Nachfolger Erich Fascher wurde auf Druck der SED im Februar 1950 abgesetzt.7 Nach der Auflösung des Landes Sachsen-Anhalt 1952 löste sich auch der CDU-Landesverband Sachsen-Anhalt auf, an seine Stelle traten die CDU-Bezirksverbände Magdeburg und Halle. Als Blockpartei in der DDR war die CDU bis 1989/90 fortan ein fester Bestandteil des SED-Regimes und von den Vorgaben der SED abhängig. Für ihren Verzicht auf jegliche Kritik und eigene Initiativen durfte sie in geringem Umfang Mandats1 Vgl. Mathias Tullner: Kleine Geschichte Sachsen-Anhalts. Von der Weimarer Republik bis zum Bundesland. Halle 2012, S. 31 ff. 2 Vgl. ebd., S. 68 f. 3 Vgl. Ralf Thomas Baus: Die Christlich-Demokratische Union Deutschlands in der sowjetisch besetzten Zone 1945 bis 1948: Gründung – Programm – Politik (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 36). Düsseldorf 2001, S. 155 f. 4 Vgl. ebd., S. 153. 5 Vgl. ebd., S. 156. 6 Vgl. Oliver Salten: Die Gründung der CDU in Sachsen-Anhalt 1945, in: HPM 24 (2017), S. 221 ff. 7 Vgl. Michael Richter: Die Ost-CDU 1948 – 1952. Zwischen Widerstand und Gleichschaltung (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 19). Düsseldorf 1990, S. 233 ff., sowie Tullner: Kleine Geschichte Sachsen-Anhalts, S. 66 f.

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Andreas Grau

und Funktionsträger stellen. Entsprechend dem „Demokratischen Zentralismus“ gab es auch in der CDU eine klare Anweisungskette vom Hauptvorstand über die Bezirksund Kreisverbände bis zu den Ortsgruppen. CDU-Mitglieder, die diesen Kurs ablehnten, mussten in den Westen fliehen oder in die innere Emigration gehen.8

Friedliche Revolution und Wiedergründung des Landesverbandes Massenproteste gegen die Zustände in der DDR und eine Fluchtwelle führten im November 1989 zum Fall der Berliner Mauer und zum Zusammenbruch der SED-Diktatur. Die CDU in der DDR reformierte sich daraufhin auf einem Sonderparteitag im Dezember 1989 inhaltlich und personell. Sie schwor dem Sozialismus ab, bekannte sich zu innerparteilicher und staatlicher Demokratie, trat für die Soziale Marktwirtschaft ein und sprach sich für die Wiedervereinigung aus. Zum neuen Parteivorsitzenden wurde Lothar de Maizière gewählt. In den Bezirken Magdeburg und Halle entschloss sich die CDU nun zur Wiedergründung des Landesverbandes Sachsen-Anhalt. Auf dem Parteitag am 24. Februar 1990 in Halle wurde der Landesverband aus der Taufe gehoben. Die CDU war damit die erste Partei in Sachsen-Anhalt, die wieder einen Landesverband gegründet hatte. Erster Landesvorsitzender wurde der Tierarzt und Stendaler Kreisvorsitzende Gerd Gies.9 Die erste Bewährungsprobe des jungen Landesverbandes war der Wahlkampf zur Volkskammerwahl am 18. März 1990, der massiv von der CDU in Niedersachsen unterstützt wurde. Das Ergebnis der Volkskammerwahl machte das große Gewicht der CDU in den Bezirken Magdeburg und Halle deutlich. So wurden auch die beiden Regierungsbevollmächtigten Wolfgang Braun und Klaus Keitel von der CDU gestellt. Noch vor der Wiedervereinigung schloss sich im August 1990 die CDU Sachsen-Anhalt mit der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands und dem neugegründeten Demokratischen Aufbruch zusammen.

Regierungsbildung und Krisen 1990 – 1994 Bei den ersten Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt am 14. Oktober 1990 10 entfielen 39 Prozent auf die CDU. Zusammen mit der FDP, die auf 13,5 Prozent kam, konnte die CDU eine Regierungskoalition bilden. Zum Ministerpräsidenten wurde am 28. Oktober 1990 der Landesvorsitzende und Spitzenkandidat Gerd Gies gewählt. Weil er jedoch nicht über ausreichend Rückhalt in der Landtagsfraktion verfügte, die von dem eigenwilligen Joachim Auer geführt wurde, trat er bereits im Juli 1991 als Ministerpräsident zurück.11 Im November 1991 verzichtete er auch auf den Landesvorsitz. Sein Nachfolger in beiden Ämtern wurde der frühere Finanzminister Werner Münch.12 Doch auch Münch konnte sich nicht lange im Amt halten. Im November 1993 brachte ihn die „Gehälteraffä8 9 10 11

Vgl. Hans-Otto Kleinmann: Geschichte der CDU. Hg. von Günter Buchstab. Stuttgart 1993, S. 237 ff. Vgl. Protokoll des Parteitages am 24.2.1990, in: ACDP 03-058-001/1. Vgl. Wahlwerbung und Wahlprogramm der CDU Sachsen-Anhalt, in: ACDP 03-058-012/5. Vgl. Jürgen Scharf (Hg.): 20 Jahre CDU-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt 1990 – 2010. Magdeburg 2010, S. 50 f.; Werner Sobetzko: Erlebte Geschichte. Mein Weg in ein freies Sachsen-Anhalt. Sankt Augustin/Berlin 2021. 12 Vgl. Protokoll des Landesparteitages am 30.11.1991, in: ACDP 03-058-001/3.

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Landesverband Sachsen-Anhalt

re“ zu Fall. Neuer Ministerpräsident wurde der bisherige Fraktionsvorsitzende Christoph Bergner,13 zum neuen CDU-Vorsitzenden wurde Karl-Heinz Daehre gewählt. In den ersten Jahren nach ihrer Wiedergründung musste die CDU in Sachsen-Anhalt nicht nur einen massiven Rückgang ihrer Mitgliederzahlen verkraften, sondern war auch gezwungen, zahlreiche Mitarbeiter der Landesgeschäftsstelle und in den Kreisgeschäftsstellen zu entlassen. Trotzdem ist sie bis heute die mitgliederstärkste Partei des Landes.14 Bei der zweiten Landtagswahl im Juni 1994 lag die CDU mit 34,4 Prozent nur knapp vor der SPD, die auf 34 Prozent kam, während die FDP den Einzug in den Landtag verfehlte. Gemeinsam mit den Grünen (5,1 Prozent) bildete der SPD-Vorsitzende Reinhard Höppner daraufhin eine von der PDS (19,9  Prozent) tolerierte Minderheitsregierung (Magdeburger Modell).15 Die von der CDU vorgeschlagene Große Koalition lehnte er ab.

In der Opposition 1994 – 2002 Angesichts der Regierungsbildung entschied sich die CDU-Fraktion mit ihrem Vorsitzenden Christoph Bergner für einen harten Oppositionskurs. Höhepunkte dieser Strategie waren 1996 die Klage der Fraktion vor dem Landesverfassungsgericht gegen den Oppositionsstatus der PDS-Fraktion sowie der Misstrauensantrag gegen die Landesregierung im November 1996.16 Von den Wählern in Sachsen-Anhalt wurde diese Politik aber offenbar nicht geschätzt, denn bei der Landtagswahl am 26. April 1998 stürzte die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Bergner auf 22 Prozent ab. Die SPD erreichte 35,9 Prozent und wurde erstmals stärkste Fraktion. Neben der PDS, die auf 19,6 Prozent kam, zog noch die rechtsextreme DVU mit 12,9 Prozent in den Landtag ein. Als Folge des Wahlergebnisses verzichtete der Landesvorsitzende Daehre auf dem Landesparteitag im Oktober 1998 auf eine erneute Kandidatur. Zu seinem Nachfolger wurde der frühere Finanzminister und Arzt Wolfgang Böhmer gewählt.17 Unter Böhmer schlug die CDU nun einen deutlich konstruktiveren Oppositionskurs ein und ging auf die SPD zu. Im Jahr 2000 erklärte der Landesvorsitzende sogar die Bereitschaft der CDU, mit der SPD eine „Sanierungskoalition“ für Sachsen-Anhalt zu bilden.18 Nachdem Böhmer Anfang 2001 zum Spitzenkandidaten für die nächste Landtagswahl nominiert worden war, übernahm er im Juli 2001 auch den Vorsitz der Landtagsfraktion. Der bisherige Vorsitzende Bergner zog sich aus der Landespolitik zurück und wechselte 2002 in den Deutschen Bundestag.

Mit Wolfgang Böhmer zurück in die Regierungsverantwortung 2002 – 2011 Die Landtagswahl im April 2002 beendete die Oppositionszeit der CDU. Sie erhielt 37,3  Prozent und stellte nun wieder die stärkste Fraktion. Zusammen mit der in den 13 Vgl. Scharf: 20 Jahre CDU-Fraktion, S. 68. 14 Vgl. Everhard Holtmann (Hg.): Landespolitik in Sachsen-Anhalt. Ein Handbuch. Magdeburg 2006, S. 188. 15 Vgl. ebd., S. 158 f. 16 Vgl. Scharf: 20 Jahre CDU-Fraktion, S. 84 ff. 17 Vgl. Protokoll des Landesparteitages am 24.10.1998, in: ACDP 03-058-004/2. 18 Vgl. Scharf: 20 Jahre CDU-Fraktion, S. 101.

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Andreas Grau

Landtag zurückgekehrten FDP (13,3 Prozent) konnte sie eine Regierungskoalition unter Ministerpräsident Wolfgang Böhmer bilden. Die SPD stürzte in der Wählergunst ab (20 Prozent). Neuer Fraktionsvorsitzender wurde der langjährige Parlamentarische Geschäftsführer Jürgen Scharf.19 In der Mitte der Legislaturperiode legte der Ministerpräsident wie angekündigt den Vorsitz der CDU nieder. Neuer Landesvorsitzender wurde im November 2004 der Landrat Thomas Webel. Bei der Landtagswahl am 26. März 2006 konnte die CDU mit 36,2 Prozent ihre Stellung als stärkste Fraktion im Landtag verteidigen. Weil die FDP aber deutlich an Stimmen verlor (7,6 Prozent), muss sie sich einen neuen Koalitionspartner suchen. Mit der SPD, die 21,4 Prozent erhielt, verständigte sich die CDU nun erstmals auf die Bildung einer Großen Koalition.20 Zum Ministerpräsidenten wurde erneut Wolfgang Böhmer gewählt. Aufgrund seines Alters gab er aber frühzeitig bekannt, nicht für eine weitere Amtszeit zur Verfügung zu stehen. Als Nachfolger empfahl Böhmer den beliebten Wirtschaftsminister Reiner Haseloff. Im März 2010 wurde Haseloff auch von der Landespartei zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2011 nominiert.

Von Böhmer zu Haseloff Zwar musste die CDU bei der Landtagswahl im März 2011 leichte Verluste hinnehmen, doch konnte sie mit 32,5 Prozent ihre Position als stärkste Fraktion verteidigen.21 Mit der SPD, die wieder 21,5 Prozent bekam, wurde eine Fortsetzung der Großen Koalition vereinbart. Am 19. April 2011 wählte der Landtag Reiner Haseloff zum neuen Ministerpräsidenten, der den Sanierungskurs seines Vorgängers fortsetzte. Als neuer Verkehrsminister trat der Landesvorsitzende Webel in die Landesregierung ein. An der Spitze der Landtagsfraktion löste André Schröder den langjährigen Fraktionsvorsitzenden Jürgen Scharf ab. Der Wahlkampf für die Landtagswahl am 13. März 2016 stand ganz im Zeichen der Flüchtlingskrise. Die seit 2002 regierende CDU erzielte trotzdem 29,8 Prozent. Gewinner der Wahl war die erstmals angetretene rechtspopulistische AfD, die auf 24,3 Prozent kam, während SPD und Die Linke zu den Wahlverlierern gehörten. Mit 5,2 Prozent konnten außerdem die Grünen wieder in den Magdeburger Landtag einziehen. Durch die Stärke der AfD und die Verluste der SPD verfügte die Große Koalition über keine Mehrheit im Landtag. Nur durch eine „Kenia-Koalition“ aus CDU, SPD und Grünen konnte noch eine regierungsfähige Mehrheit gebildet werden.22 Nachdem sich die drei Parteien nach schwierigen Gesprächen auf eine Regierungskoalition verständigt hatten, wurde Reiner Haseloff im April 2016 erneut zum Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt gewählt. Nach 14 Jahren an der Spitze der CDU erklärte Thomas Webel 2018 seinen Rückzug vom Vorsitz der Landespartei. Zu seinem Nachfolger wurde am 17. November 2018 Innenminister Holger Stahlknecht gewählt. Nachdem es mit Haseloff mehrfach zu Auseinandersetzungen über den Umgang mit der AfD gekommen war, entließ dieser seinen Innenminister am 4. Dezember 2020. Daraufhin trat Stahlknecht auch als 19 Vgl. ebd., S. 105. 20 Vgl. ebd., S. 113 f. 21 Vgl. Hendrik Träger/Sonja Priebus (Hg.): Politik und Regieren in Sachsen-Anhalt. Wiesbaden 2017, S. 148. 22 Vgl. ebd., S. 153 f.

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Landesverband Sachsen-Anhalt

Landesvorsitzender zurück. Zum neuen Vorsitzenden der CDU Sachsen-Anhalt wurde auf dem ersten digitalen Landesparteitag im März 2021 der bisherige Generalsekretär Sven Schulze gewählt. Trotz dieser Querelen konnte die CDU die Landtagswahlen im Juni 2021 klar für sich entscheiden. Mit 37,1 % ging sie als Sieger aus der Wahl hervor, während die AfD mit 20,8 % leichte Verluste hinnehmen musste. Auch die Linke (11 %) und die SPD (8,4 %) gehörten zu den Wahlverlierern. Die FDP konnte mit 6,4 % wieder in den Landtag einziehen und die Grünen erzielten 5,9 %. Die CDU entschied sich jetzt zur Bildung eine „Deutschlandkoalition“ mit SPD und FDP. Mitte September 2021 wurde Reiner Haseloff vom Landtag erneut zum Ministerpräsidenten gewählt.

Forschungs- und Quellenlage Die Literatur zur Landesgeschichte von Sachsen-Anhalt und zu den politischen Parteien des Landes ist noch sehr übersichtlich. Allerdings sind die Jahre bis zur Auflösung des Landes 1952 gut erforscht. Insbesondere zur Geschichte der CDU liegen mit den Büchern von Baus 23 und Richter 24 zwei wissenschaftliche Standardwerke vor. Einen guten Überblick über die Bildung des Landes 1945 sowie die friedliche Revolution und die Wiedergründung des Landes gibt der schmale Band von Tullner von 2012.25 In seinem Handbuch von 2006 beschreibt Holtmann die ersten 25 Jahre der Landespolitik, die Verfassungsorgane des Landes, die Wahlen und verschiedene Politikbereiche (u. a. Haushaltspolitik, Wirtschaftspolitik, Europapolitik).26 Dabei greift er neben der Literatur zum Teil auch auf Quellenmaterial zurück. Allerdings liegt der Schwerpunkt des Buches auf der Politik der Landesregierungen, dem Koalitionsmanagement und der Entwicklung des Landes und nicht auf den Parteien, die nur kurz dargestellt werden. Eine quellenbasierte Geschichte der CDU-Landtagsfraktion stellt der Jubiläumsband der Fraktion von 2010 dar.27 Darin werden umfassend Aufbau, Entwicklung und Politik der Fraktion von 1990 bis 2010 beschrieben. In der kleinen Broschüre von 1992 berichten einzelne Abgeordnete der ersten Legislaturperiode über ihren Weg in die Politik.28 Wie bei Festschriften üblich, enthält der zu Ehren von Wolfgang Böhmer herausgegebene Band von 2011 sehr unterschiedliche Beiträge.29 Darunter finden sich jedoch interessante Artikel zur Verfassungsgebung in Sachsen-Anhalt, zur Medienpolitik, zu den Anfängen der Demokratie in Sachsen-Anhalt, zur Wirtschaftspolitik und zur Biographie des Ministerpräsidenten. Der 2017 erschienene Sammelband von Hendrik Träger und Sonja Priebus bietet sehr unter-

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Baus: Die Christlich-Demokratische Union. Richter: Ost-CDU. Tullner: Kleine Geschichte Sachsen-Anhalts. Holtmann (Hg.): Landespolitik in Sachsen-Anhalt. Scharf (Hg.): 20 Jahre CDU-Fraktion. CDU-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt (Hg.): Fraktion im Gespräch. Wege in den Landtag. Magdeburg 1992. 29 Konrad-Adenauer-Stiftung in Zusammenarbeit mit Rainer Robra und Monika Zimmermann (Hg.): Ein Land findet sich. Eine Festschrift zu Ehren von Wolfgang Böhmer. Halle 2011.

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schiedliche Beiträge zu Sachsen-Anhalt aus politikwissenschaftlicher Perspektive.30 Darin finden sich u. a. Aufsätze zur Medienlandschaft und zur demographischen Entwicklung des Landes, zur Bildungs-, Wissenschafts- und Umweltpolitik sowie zur regionalen Chemieindustrie und den Integrationsbeauftragten in Sachsen-Anhalt. Jüngst sind noch die Erinnerungen von Werner Sobetzko, Mitglied der Volkskammer und Kultusminister in Sachsen-Anhalt von 1990 – 1993 erschienen.31 Eine Gesamtdarstellung der Geschichte der CDU in Sachsen-Anhalt existiert aber bis heute leider nicht. Über die Geschichte und Entwicklung der CDU in Sachsen-Anhalt seit 1990 geben im ACDP vor allem die Bestände des Landesverbandes (Bestandssignatur 03-058) und der Landtagsfraktion (05-013) Auskunft, die von Beginn an vorliegen. Aus der kurzen Geschichte des ersten Landesverbandes 1945 – 1952 sind nur sehr wenige Akten erhalten (03-032). Von den beiden Bezirksverbänden ist Magdeburg am besten überliefert. Für die Jahre 1990 – 2016 kann auch der umfangreiche Bestand des langjährigen Fraktionsvorsitzenden Jürgen Scharf herangezogen werden, der sowohl die Akten der Landtagsfraktion als auch des Landesvorstands enthält (01-969). Aus den Anfangsjahren der CDU Sachsen-Anhalt nach 1990 enthält der Bestand des Volkskammerabgeordneten und Kultusministers Werner Sobetzko einige interessante Unterlagen (01-992). Wesentlich ergiebiger ist jedoch der Bestand des Ministerpräsidenten und Fraktionsvorsitzenden Christoph Bergner (01-980). Mit Wolfgang Böhmer hat noch ein weiterer Ministerpräsident Unterlagen an das ACDP abgegeben (01-1001). Vorsitzende 1945 – 1948 1948 – 1950 1950 1950 – 1952 1990 – 1991 1991 – 1993 1993 – 1998 1998 – 2004 2004 – 2018 2018 – 2020 seit 2021

Leo Herwegen Erich Fascher Leopold Becker (komm.) Josef Wujciak Gerd Gies Werner Münch Karl-Heinz Daehre Wolfgang Böhmer Thomas Webel Holger Stahlknecht Sven Schulze

30 Träger/Priebus (Hg.): Politik und Regieren in Sachsen-Anhalt. 31 Werner Sobetzko: Erlebte Geschichte. Mein Weg in ein freies Sachsen-Anhalt, Sankt Augustin/Berlin 2021.

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Landesverband Schleswig-Holstein Andreas Grau Die Gründung der CDU in Schleswig-Holstein Wie überall in Deutschland, entstanden auch in Schleswig-Holstein im Herbst 1945 Gründungskerne der CDU. Zu den wichtigsten gehörten der christlich-liberale Kreis in Kiel um den Reichstagsabgeordneten und früheren DVP-Vorsitzenden in SchleswigHolstein Carl Schröter und den Historiker Otto Becker, der christlich-konservative Kreis in Ostholstein um den ehemaligen Reichstagsabgeordneten und Reichsminister Hans Schlange-Schöningen, die Gruppe in Rendsburg um den Lehrer Adolf Steckel und den Landwirt Detlef Struve, die in engem Kontakt stand mit dem Mitglied des Kreisauer Kreises und Unterzeichner des Berliner Gründungsaufrufes Theodor Steltzer, sowie die Segeberger Gruppe um den evangelischen Landwirt Paul Pagel.1 Dank des unermüdlichen Einsatzes von Schröter schlossen sich die Gründungskreise Anfang 1946 zunächst zur Demokratischen Union zusammen, bevor sie unter dem Eindruck der Entwicklung im Westen Deutschlands am 15. Februar 1946 in Rendsburg den Landesverband der Christlich-Demokratischen Union in Schleswig-Holstein gründeten. Zum Landesvorsitzenden wurde Carl Schröter gewählt. Zielstrebig begann er nun, die Partei in Schleswig-Holstein aufzubauen. Ein erster Erfolg seiner Bemühungen war das Ergebnis der Kommunalwahlen am 13. Oktober 1946, bei denen die CDU 37,3 Prozent der Stimmen erhielt. Nach der Landtagswahl am 20. April 1947 musste Schröter mit der CDU allerdings in die Opposition gehen, während die SPD als Wahlsieger den Ministerpräsidenten stellte. Obwohl Katholiken in Schleswig-Holstein nur eine kleine Minderheit waren, hatte die CDU in Schleswig-Holstein dadurch keine protestantische „Schlagseite“. Von weit größerer Bedeutung war in den Anfangsjahren vielmehr der Gegensatz von Einheimischen und Vertriebenen, um dessen Beilegung sich die Partei intensiv bemühte. Ein anderes Problem in der Gründungsphase der CDU Schleswig-Holstein stellte die dänische Minderheit dar. Unterstützt von Kreisen in Dänemark, propagierte sie eine Angliederung von Südschleswig an Dänemark und konnte auch viele Deutsche dafür begeistern. Erst durch die Kieler Erklärung von 1949 und die Bonn-Kopenhagener Erklärung von 1955 konnte das Problem gelöst werden.2

1 Vgl. Helmuth Mosberg: 50 Jahre CDU Schleswig-Holstein. Kiel 1996, S. 15 f., sowie zu Paul Pagel: Dorothea Oelze: Wiederentdeckt: Die Tagebücher des schleswig-holsteinischen Innenministers Paul Pagel (1894 – 1955), in: HPM 16 (2009), S. 305 – 324. 2 Vgl. Mosberg: 50 Jahre CDU Schleswig-Holstein, S. 9 ff.

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Andreas Grau

Übernahme der Regierungsverantwortung und interne Auseinandersetzungen Um bei der nächsten Wahl mehr Erfolg zu haben, schlossen sich Ende 1949 CDU, FDP und DP zum „Deutschen Wahlblock“ zusammen. Bei der Landtagswahl im Juli 1950 konnte der Wahlblock die SPD dann auch überholen und bildete zusammen mit dem Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) eine Regierungskoalition. Zum neuen Ministerpräsidenten wurde der CDU-Politiker Walter Bartram gewählt. Allerdings geriet Bartram schon bald in Konflikt mit dem die Partei dominierenden Schröter, der als Bundestagsabgeordneter häufig in Bonn weilte. Die Auseinandersetzungen zwischen beiden führten im Frühjahr 1951 zu mehreren Parteigerichtsverfahren.3 Um den Machtkampf zu beenden, einigten sich führende CDU-Politiker bei einem Treffen in Oeversee am 3. Juni 1951 schließlich darauf, sowohl Bartram als auch Schröter den Rücktritt nahezulegen. Nachdem beide damit einverstanden waren, wurde Ende Juni 1951 der Flensburger Landrat Friedrich-Wilhelm Lübke zum neuen Landesvorsitzenden4 und kurz darauf auch zum Ministerpräsidenten gewählt.

Stabilisierung der CDU unter Friedrich-Wilhelm Lübke In der Regierungszeit von Lübke spalteten sich die Landtagsfraktionen von FDP und DP und viele ihrer Abgeordneten traten zur CDU über. Damit begann ein Konzentrationsprozess bei den bürgerlichen Parteien, durch den bis Anfang der 1960er Jahre nicht nur die DP, sondern auch der BHE ihre Bedeutung verloren und in der CDU aufgingen. Mit Unterstützung der Bundesregierung konnte die Regierung Lübke mit dem „Programm Nord“ Infrastrukturmaßnahmen und eine umfangreiche Modernisierung der Landwirtschaft umsetzen und so die Arbeitslosenzahlen halbieren. Außerdem wurde die Umsiedlung der zahlreichen Vertriebenen in Schleswig-Holstein abgeschlossen. Bei der Landtagswahl 1954 konnte die CDU jetzt mit der SPD gleichziehen. Kurz nach der Wahl musste der schwer kranke Lübke allerdings von seinem Amt zurücktreten und starb nur wenige Tage später.

Kai-Uwe von Hassel: Die CDU wird stärkste Partei Zum neuen Ministerpräsidenten wählten CDU und BHE am 11. Oktober 1954 Kai-Uwe von Hassel. In der Landespolitik setzte er den wirtschaftlichen Konsolidierungskurs seines Vorgängers fort. Mit der Bonn-Kopenhagener Erklärung vom März 1955, an der von Hassel entscheidenden Anteil hatte, konnten die Spannungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Dänemark aufgrund der Minderheitenproblematik endgültig beigelegt werden. Bei der Landtagswahl 1958 honorierten die Wähler die erfolgreiche Politik der CDU, die nun erstmals stärkste Partei wurde. Gestützt auf eine CDU/FDPKoalition blieb von Hassel, der seit 1956 auch stellvertretender Bundesvorsitzender der 3 Vgl. Parteigerichtsverfahren Walter Bartram gegen Carl Schröter 1951, in: ACDP 03-006-208/1. 4 Vgl. Außerordentlicher Landesparteitag in Rendsburg 1951, in: ACDP 03-006-015/1.

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Landesverband Schleswig-Holstein

CDU war, im Amt. Er regierte in Kiel bis 1962, als ihn Bundeskanzler Adenauer als neuen Bundesminister der Verteidigung ins Kabinett berief.

Helmut Lemke: Kabinettskrisen und gesellschaftlicher Wandel Nach dem Wechsel von Kai-Uwe von Hassel übernahm in Schleswig-Holstein der langjährige Innenminister Helmut Lemke dessen Ämter als Ministerpräsident und Landesvorsitzender. Er führte die CDU/FDP-Koalition weiter und setzte mit dem „Lemke-Plan“ zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur neue Akzente in der Landespolitik. Allerdings führten die Pläne seiner Regierung für eine kommunale Gebietsreform sowie die Studentenbewegung zu einer erheblichen Unruhe im Land. Hinzu kam, dass Lemke bei der Wahl der Minister nicht immer eine glückliche Hand hatte. Obwohl die CDU bei der Landtagswahl 1967 das beste Ergebnis ihrer Geschichte erreichte, wurde in der Partei der Ruf nach Erneuerung immer lauter. Im Oktober 1970 verständigte sich der Landesvorstand darauf, bei der nächsten Wahl nicht mit Ministerpräsident Lemke, sondern mit dem ehemaligen Bundesminister Gerhard Stoltenberg anzutreten.5

Gerhard Stoltenberg: Absolute Mehrheit und Absturz Bei der Landtagswahl im April 1971, der ein leidenschaftlich geführter Wahlkampf vorausging, erreichte die CDU in Schleswig-Holstein erstmals die absolute Mehrheit. In der konstituierenden Sitzung des neuen Landtages wurden Stoltenberg zum neuen Ministerpräsidenten und Lemke zum Landtagspräsidenten gewählt.6 Im November 1971 übernahm Stoltenberg von Lemke auch den CDU-Vorsitz. Die Ära Stoltenberg (1971– 1989) in der CDU-Schleswig-Holsteins zeichnete sich durch eine intensive Programmarbeit und einen großen Mitgliederzuwachs (1983: 43.000) aus. Unter ihrem unumstrittenen Landesvorsitzenden gewann die Partei bei der Landtagswahl 1975 erneut die absolute Mehrheit und auch bei der Wahl 1979 reichte es noch für die Mehrheit der Mandate. In der Landespolitik setzte Stoltenberg Akzente mit dem Abschluss der Gebietsreform sowie in der Medienpolitik, in der Wirtschaftspolitik und mit dem umstrittenen Bau des Atomkraftwerkes Brokdorf.7 Als Bundeskanzler Helmut Kohl im Oktober 1982 Stoltenberg als Bundesfinanzminister nach Bonn holte, setzte dieser in Kiel – trotz aller Warnungen – die Wahl seines politischen Ziehsohnes, Uwe Barschel, zum neuen Ministerpräsidenten durch.8 In seiner Regierungszeit verbesserte Barschel, der bei der Landtagswahl 1983 wieder die absolute Mehrheit gewinnen konnte, das Verhältnis zur dänischen Minderheit im Land, stärkte den Umweltschutz, verabschiedete ein neues Rundfunkgesetz und gründete das Schleswig-Holstein-Musikfestival. 5 Vgl. Mosberg: 50 Jahre CDU Schleswig-Holstein, S. 75. 6 Vgl. ebd., S. 76. 7 Vgl. Gerhard Stoltenberg: Erinnerungen und Entwicklungen. Deutsche Zeitgeschichte 1945 – 1999. Flensburg 1999, S. 62 f. 8 Vgl. Jürgen Westphal: In drei Gewalten. Als Abgeordneter in der Hamburger Bürgerschaft, als Minister in Schleswig-Holstein, als Verfassungsrichter in Hamburg. Sankt Augustin/Berlin 2017, S. 177.

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Andreas Grau

Kurz vor der Landtagswahl im September 1987 meldete jedoch „Der Spiegel“, dass Barschel mit illegalen Aktivitäten versucht habe, an belastende Informationen über den beliebten SPD-Vorsitzenden Björn Engholm zu kommen. Bei der Wahl wurde die SPD daraufhin stärkste Partei, während die CDU starke Verluste hinnehmen musste. Obwohl der Ministerpräsident die gegen ihn erhobenen Vorwürfe abstritt, musste er schließlich auf Druck der Öffentlichkeit und der CDU am 2. Oktober 1987 sein Amt niederlegen. Er flog in Urlaub und wurde auf dem Weg zurück nach Kiel am 11. Oktober 1987 tot in Genf aufgefunden. Obwohl die genauen Todesumstände bis heute ungeklärt sind, spricht Vieles für einen Selbstmord. Die „Barschel-Affäre“ stürzte die CDU Schleswig-Holsteins in eine tiefe Krise. Bei der vorgezogenen Landtagswahl im Mai 1988 bekam sie nur noch 33,3 Prozent der Wählerstimmen, während die SPD die absolute Mehrheit gewann. Der langjährige Parteivorsitzende Gerhard Stoltenberg, der lange an Barschel festgehalten hatte, verzichtete daraufhin im April 1989 auf eine erneute Kandidatur.9 Mit zwei Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen (1988 und 1995) versuchte der Schleswig-Holsteinische Landtag zur Aufklärung der „Barschel-Affäre“ beizutragen. Insbesondere der zweite Untersuchungsausschuss weckte Zweifel an vielen Vorwürfen gegen Barschel und deckte auch Verwicklungen der SPD in die Affäre auf.10

Ottfried Hennig: Konsolidierung der Partei In einer Kampfkandidatur setzte sich nun der Bonner Staatssekretär Ottfried Hennig als neuer Landesvorsitzender durch. Er stand vor der schwierigen Aufgabe, die verunsicherte Partei inhaltlich und personell zu erneuern. Er bemühte sich, die Parteiarbeit zu reformieren und insbesondere Frauen und junge Leute zu fördern. Bei der Wahl 1992 zog Hennig selbst in den Landtag ein und übernahm auch das Amt des Fraktionsvorsitzenden. Die Wähler honorierten seine Arbeit, denn bei der Wahl 1996 konnte sich die CDU auf 37,2 Prozent verbessern. Kurze Zeit später verließ Hennig allerdings Schleswig-Holstein, um den Vorsitz der Konrad-Adenauer-Stiftung zu übernehmen. Auf ihn folgte 1997 der langjährige Bundestagsabgeordnete Peter Kurt Würzbach. Er setzte einerseits die Reformbemühungen seines Vorgängers fort und versuchte andererseits, das konservative Profil der CDU zu betonen. Bei der Wahl des Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2000 musste er allerdings dem ehemaligen Verteidigungsminister Volker Rühe den Vortritt lassen. Aufgrund der CDU-Spendenaffäre erreichte Rühe, der in den Umfragen lange Zeit geführt hatte, bei der Wahl jedoch nur 35,2 Prozent. Das Wahlergebnis führte sowohl zum Rücktritt des Landesvorsitzenden Würzbach als auch zum Ausscheiden von Rühe aus der Landespolitik.

Peter Harry Carstensen: Zurück in der Regierungsverantwortung Für kurze Zeit führte daraufhin der bisherige CDU-Generalsekretär Johann Wadephul die CDU-Schleswig-Holstein, ehe der Bundestagsabgeordnete Peter Harry Carstensen 9 Vgl. Protokoll des Landesparteitages in Flensburg 1989, in: ACDP 03-006-191/2. 10 Vgl. Mosberg: 50 Jahre CDU Schleswig-Holstein, S. 88 ff.

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Landesverband Schleswig-Holstein

2002 zum Landesvorsitzenden gewählt wurde und der Partei wieder neuen Schwung verlieh. Mit seiner offenen und bürgernahen Art gab Carstensen ihr neues Selbstvertrauen. Bei der Landtagswahl 2005 wurde die CDU stärkste Partei und Carstensen zum Ministerpräsidenten einer Großen Koalition gewählt. Seine Regierungszeit zunächst in einer Koalition mit der SPD und ab 2009 mit der FDP war vor allem durch einen rigiden Konsolidierungskurs und die weltweite Finanzkrise bestimmt.

Personalkarussell Nach dem freiwilligen Ausscheiden von Carstensen aus der Politik 2012 und der vorgezogenen Landtagswahl waren die folgenden Jahre in der CDU Schleswig-Holstein vor allem durch interne Auseinandersetzungen und kurze Amtszeiten der Landes- und Fraktionsvorsitzenden geprägt. Erst mit der Wahl des jungen Fraktionsvorsitzenden Daniel Günther zum neuen Parteivorsitzenden im November 2016 kehrte wieder Ruhe in der CDU ein.

Daniel Günther: CDU stellt wieder den Ministerpräsidenten Günther, der zugleich Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2017 war, konnte dem Wahlkampf neuen Schwung verleihen. Bei der Wahl gewann die CDU leicht hinzu und blieb stärkste Partei. Nach kurzen Koalitionsverhandlungen wurde Günther im Juni 2017 zum Ministerpräsidenten der ersten Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein gewählt. Die Landesregierung, die ihre Streitigkeiten zumeist intern klärte, konnte die im Koalitionsvertrag vereinbarten Punkte wie z.B. die Änderung des Schulgesetzes, die Reform des Kitagesetzes, die Einstellung neuer Lehrer und den Ausbau der Infrastruktur erfolgreich umsetzen. Vor allem Daniel Günther wurde mit seiner offenen und bürgernahen Art rasch zum beliebtesten Politiker in Schleswig-Holstein. Ab Frühjahr 2020 überschattete dann die Corona-Pandemie die Landespolitik. Der Wahlkampf zur Landtagswahl am 8.Mai 2021 wurde ganz vom Ministerpräsidenten dominiert und brachte einen erdrutschartigen Sieg für die CDU. Auch die Grünen konnten zulegen und landeten auf dem zweiten Platz. Die SPD zählte ebenso zu den Wahlverlierern wie die FDP. Die CDU sprach sich nach der Wahl deshalb für Koalitionsverhandlungen mit den Grünen aus. Nachdem beide Parteien dem Koalitionsvertrag zugestimmt hatten, wurde Daniel Günther am 28.Juni 2022 erneut zum Ministerpräsidenten gewählt. In der schwarz-grünen Landesregierung ist die CDU mit 6 Ministerinnen und Ministern vertreten und die Grünen mit drei.

Forschungs- und Quellenlage Die Geschichte der CDU in Schleswig-Holstein ist insgesamt gesehen immer noch ein Forschungsdesiderat. Die Publikation von Mosberg11 von 1996 gibt lediglich einen kurso11 Mosberg: 50 Jahre CDU Schleswig-Holstein.

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rischen Überblick. Zwar hat Kleinmann für seine Parteigeschichte auch Quellen ausgewertet, aber auf die Landesverbände geht er nur am Rande ein.12 Die Anfangsjahre der Parteigeschichte in Schleswig-Holstein sind durch die Arbeiten von Wulf 13 und Varain14 inzwischen gut erforscht. Zur ersten CDU-geführten Landesregierung liegt die Untersuchung von Klaus Albert15 vor und die ersten Jahre der CDU in Lübeck hat Volker Kaske16 eingehend beschrieben. Von den zahlreichen Politikermemoiren sind für Schleswig-Holstein insbesondere die Bücher von Gerhard Stoltenberg17 und Jürgen Westphal18 hervorzuheben. Im Auftrag des Schleswig-Holsteinischen Landtages ist die Studie von Danker und Lehmann-Himmel entstanden, die die NS-Belastung des Landtages und der Landesregierung und deren Auswirkungen auf die Politik untersucht.19 Insgesamt liegt mit Ausnahme der Anfangszeit bis heute keine vollständige wissenschaftliche Darstellung zur Geschichte der CDU in Schleswig-Holstein oder ihren Protagonisten vor. Im Gegensatz dazu kann die Quellenlage als ausgezeichnet beschrieben werden. Bei den zentralen Quellenbeständen des Landesverbandes und der Landtagsfraktion liegen die Akten seit der Gründung (Landesverband 03-006) bzw. seit Beginn der 1950er Jahre (Landtagsfraktion 05-002) vor. Zur Gründungsgeschichte der CDU in Schleswig-Holstein sind außerdem in einigen Kreisverbänden Unterlagen vorhanden. Als Ersatz für die im ACDP nicht überlieferten Nachlässe der ersten beiden Landesvorsitzenden kann der Bestand des CDU-Gründers und Innenministers Paul Pagel (01-287) herangezogen werden. Von den späteren Vorsitzenden der CDU Schleswig-Holstein befinden sich teilweise beeindruckende Nachlässe bzw. Bestände im ACDP: Kai-Uwe von Hassel (01-157), Gerhard Stoltenberg (01-626), Ottfried Hennig (01-682), Peter Harry Carstensen (01-757). Zu Ministerpräsident Uwe Barschel befindet sich zwar kein Nachlass im ACDP, doch ist die mit ihm verbundene Affäre anhand von Akten im Landesverband nachzuvollziehen. Vorsitzende 1946 – 1951 1951 – 1955 1955 – 1964 1964 – 1971 1971 – 1989

Carl Schröter Friedrich-Wilhelm Lübke Kai-Uwe von Hassel Helmut Lemke Gerhard Stoltenberg

12 Hans-Otto Kleinmann: Geschichte der CDU 1945 – 1982. Hg. von Günter Buchstab. Stuttgart 1993. 13 Peter Wulf: „Sammlung rechts von der Sozialdemokratie“. Geschichte der CDU in Schleswig-Holstein 1945/46. Neumünster 2001; Ders.: „Der Landesfürst“. Carl Schröter und die schleswig-holsteinische CDU 1945 – 1951, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte 132 (2007), S. 211 – 250. 14 Heinz Josef Varain: Parteien und Verbände. Eine Studie über ihren Aufbau, ihre Verflechtungen und ihr Wirken in Schleswig-Holstein 1945 – 1958. Köln 1964. 15 Klaus Albert: Entstehungsgeschichte und Politik der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung unter Ministerpräsident Dr. Bartram (1950 – 51). Eine Untersuchung zur Übernahme der Regierungsverantwortung unter Führung der CDU im Lande Schleswig-Holstein. Kiel 1982 (mschr). 16 Volker Kaske: Die Gründung der CDU in der Hansestadt Lübeck. Der Aufbau demokratischer Strukturen 1945 – 1947. Sankt Augustin/Berlin 2014. 17 Stoltenberg: Erinnerungen und Entwicklungen. 18 Westphal: In drei Gewalten. 19 Uwe Danker/Sebastian Lehmann-Himmel: Landespolitik mit Vergangenheit. Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität in der schleswig-holsteinischen Legislative und Exekutive nach 1945. Husum 2017.

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Landesverband Schleswig-Holstein

1989 – 1997 1997 – 2002 2002 – 2010 2010 – 2011 2011 – 2013 2013 – 2014 2014 – 2016 seit 2016

Ottfried Hennig Peter Kurt Würzbach Peter Harry Carstensen Christian von Boetticher Jost de Jager Reimer Böge Ingbert Liebing Daniel Günther

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Landesverband Thüringen Oliver Salten Bereits Ende Juni 1945 war im Eichsfeld, einer katholisch geprägten Region innerhalb des ansonsten lutherischen Thüringen, eine „Christlich-Soziale Volkspartei“ unter der Leitung des Landrats von Heiligenstadt, Aloys Schaefer, und des Gewerkschaftssekretärs Hugo Dornhofer, der 1943 als Bauaufseher in das Konzentrationslager MittelbauDora zwangsverpflichtet worden war, entstanden, die sich jedoch bald in CDU umbenannte.1 Auch für Erfurt ist bereits für Anfang Juli 1945 eine Ortsgruppe bezeugt. Die Gründungsversammlung des Landesverbandes Thüringen wurde am 20. Juli 1945 in Weimar abgehalten. Zum ersten Landesvorsitzenden wählte die Versammlung den Vizepräsidenten der Landesverwaltung, Max Kolter. Bereits zwei Tage später schlossen sich im Rahmen einer weiteren Versammlung ehemalige Mitglieder diverser Parteien der Weimarer Republik, wie etwa des Zentrums, der CDU an.2 In der Folgezeit ging der Aufbau der Landespartei nach und nach voran. Im April 1946 gab es bereits über 23.000 Mitglieder in 341 Ortsgruppen. Am 17. August 1945 konstituierte sich auf Veranlassung der sowjetischen Besatzungsmacht der Block der „antifaschistisch-demokratischen“ Parteien, bestehend aus Kommunisten, Sozialdemokraten, Liberalen und der CDU, der in den folgenden Jahren von Bedeutung für die allmähliche Gleichschaltung der bürgerlichen Parteien war, von vielen Zeitgenossen jedoch als eine Möglichkeit wahrgenommen wurde, angesichts der riesigen Herausforderungen über die Parteigrenzen hinweg gemeinsame Lösungen zu erarbeiten. Im November 1945 wurde Kolter im Zuge der Auseinandersetzung um die Bodenreform durch die Sowjets abgesetzt, da er eine Enteignung von Grundbesitz über 100 Hektar ohne Entschädigung ablehnte. Sein Stellvertreter Georg Grosse wurde massiv unter Druck gesetzt und musste schließlich der Reform zustimmen. Auf dem ersten Landesparteitag im April 1946 in Erfurt wurde Walter Körner zum neuen Vorsitzenden gewählt.3 In seine Amtszeit fielen die Wahlen zu den Gemeinderäten, Kreis- und Landtagen im Herbst 1946. Da die notwendige Registrierung von Ortsgruppen der CDU seitens der Sowjets bewusst verzögert wurde und die Partei auch unter anderen Benachteiligungen, etwa bei der Papierzuteilung, zu leiden hatte, wurde sie bei den Wahlen zu den Gemeinderäten und Landtagen nur drittstärkste Kraft mit 18,2 bzw. 18,9 Prozent. Lediglich bei den Kreistagswahlen überholte sie die Liberaldemokraten und erhielt 23,7 Prozent. Unter Führung der SED, die bei der Landtagswahl ihr Ziel einer absoluten Mehrheit verfehlt hatte, wurde eine Regierung aus allen zugelassenen Parteien gebildet. Grosse wurde darin Minister für Handel und Versorgung, bis er 1948 zurücktrat. 1 Thomas Speckmann: Hugo Dornhofer. Biographische Studien 1896 – 1977 (Univ. Münster, Diss.). Münster 2000, S. 105 – 130; Ralf Thomas Baus: Die Christlich-Demokratische Union in der sowjetisch besetzten Zone 1945 bis 1948. Gründung – Programm – Politik (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 36). Düsseldorf 2001, S. 166. 2 Baus: Christlich-Demokratische Union, S. 158 – 161. 3 Markus Kiefer: Gründung und Anfänge der CDU in Thüringen (1945 – 1952). Erfurt 1995, S. 8 – 13.

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Körner trat Anfang 1947 zurück. Sein im April gewählter Nachfolger Otto Schneider verstarb im Juli desselben Jahres. Interimsweise übernahm Hugo Dornhofer die Leitung des Landesverbandes, trat jedoch nach Bemühungen der Sowjets, ihm eine angebliche Sympathie für das NS-Regime zu unterstellen, Ende September 1947 zurück. In dieser Zeit nahmen die Repressalien der Besatzungsmacht sowie die Spannungen zwischen prosowjetischen Kräften und den Anhängern des Zonenvorsitzenden Jakob Kaiser zu. Im Oktober 1947 wurde der auf Ausgleich mit den Sowjets bedachte Siegfried Trommsdorff zum neuen Landesvorsitzenden gewählt.4 Im Dezember 1947 gehörte er zu den Befürwortern der Absetzung Kaisers im Zuge der Auseinandersetzungen um die Teilnahme der CDU an dem von der SED initiierten Deutschen Volkskongress, versuchte jedoch vergeblich zu verhindern, dass in der Folgezeit die Sowjets massiv gegen Anhänger des früheren Vorsitzenden vorgingen. Im Mai 1948 fand der 3.Landesparteitag in Erfurt statt. Trotz der Anwesenheit sowjetischer Offiziere verlor Trommsdorff die Wahl zum Landesvorsitzenden deutlich gegen Georg Grosse. Trommsdorff blieb nur deswegen im Amt, weil die Sowjets Grosse die Übernahme des Landesvorsitzes untersagten. Grosse floh im folgenden Jahr in die westlichen Besatzungszonen. Anfang 1949 brach ein Machtkampf zwischen Trommsdorff und dem prosowjetischen Landessekretär Walther Rücker aus. Trommsdorff wurde zugunsten Rückers und des eng mit den Sowjets zusammenarbeitenden Verlagsleiters der CDU-eigenen Zeitung „Thüringer Tageblatt“ August Bach entmachtet, blieb jedoch formell im Amt. Da die Parteibasis nach wie vor eine demokratische CDU befürwortete, verschärfte die SED ihre Maßnahmen zur Umgestaltung der bürgerlichen Parteien. So begann im Januar 1950 eine massive Ausschlusskampagne gegen unbotmäßige CDU-Mitglieder. Im Landesvorstand kam es zu Spannungen zwischen Rücker und Bach um die Besetzung des Landesvorsitzes. Ein Kompromiss, auf dem Landesparteitag im Juni 1950 Bach zum 1. und Rücker zum 2.Vorsitzenden zu wählen, hielt nicht lange.5 Rücker wurde bereits im Oktober aus der CDU ausgeschlossen. Der innerparteiliche Druck und staatliche Repressalien gegen demokratisch gesinnte CDU-Mitglieder, die etwa 1952/53 zu diversen Schauprozessen in Erfurt führten, zeigten Wirkung. In den folgenden zwei Jahren amtierte Bach bis zur Auflösung des Landesverbandes im Zuge der Verwaltungsreform in der DDR zum 1. August 1952 relativ unangefochten.6 Aus dem Landesverband Thüringen entstanden im Wesentlichen die drei Bezirksverbände Erfurt, Gera und Suhl.7 Die CDU in Thüringen und in der DDR insgesamt hatte ihre Rolle als „Transmissionsriemen“ der SED zu erfüllen, der den christlich eingestellten Teilen der Bevölkerung die Vereinbarkeit von marxistisch-leninistisch geprägtem Sozialismus mit christlichen Werten propagieren sollte. Parteimitglieder, die diesen Weg nicht mitgehen wollten, wurden verfolgt und verhaftet oder mussten in die Bundesrepublik fliehen. Der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 wurde dennoch von Teilen der CDU-Basis mitgetragen. In Thüringen waren insbesondere Erfurt, Gera und Jena die Zentren des 4 Kiefer: Gründung, S. 13 – 28; Bertram Triebel: Die Thüringer CDU in der SBZ/DDR. Blockpartei mit Eigeninteresse. Sankt Augustin u. a. 2019, S. 33 – 41. 5 Michael Richter: Die Ost-CDU 1948 – 1952. Zwischen Widerstand und Gleichschaltung (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 19). 2. Aufl. Düsseldorf 1991, S. 253 – 254; Kiefer: Gründung, S. 28 – 40; Triebel: Thüringer CDU, S. 41 – 45. 6 Richter: Ost-CDU, S. 303 – 305. 7 Triebel: Thüringer CDU, S. 46 – 59.

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Widerstandes gegen das SED-Regime, der schließlich nur mit Hilfe sowjetischer Panzer niedergeschlagen werden konnte. Obwohl CDU-Mitglieder aufgrund ihrer christlichen Prägung dem „real existierenden Sozialismus“ sicherlich zu einem größeren Teil kritisch gegenüberstanden, blieb die CDU bis 1989 fest in das Blocksystem der DDR eingebunden.8 Vor allem im katholisch dominierten Eichsfeld behielt die Bevölkerung jedoch ihre mehrheitlich gegen die SED gerichtete Einstellung, was sich auch in den relativ hohen Mitgliederzahlen der CDU in diesem Gebiet ausdrückte. Der Versuch der SED, über den sogenannten Eichsfeldplan durch aggressive Propaganda, verstärkte Industrialisierung und Ansiedlung ortsfremder Personen das dortige katholische Milieu zu schwächen, blieb hinter den Erwartungen zurück.9 Infolge der Massendemonstrationen gegen die SED-Herrschaft 1989 regte sich auch in der CDU zunehmend Kritik an den Zuständen in der DDR.10 Am 10. September 1989 veröffentlichten die kirchlichen Mitarbeiter und CDU-Mitglieder Gottfried Müller, Christine Lieberknecht, Martina Huhn und Martin Kirchner, der später als „Inoffizieller Mitarbeiter“ des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) enttarnt wurde, den sogenannten „Brief aus Weimar“. Adressiert an den Parteivorsitzenden Gerald Götting, der am 2. November 1989 schließlich zurücktrat, wurden darin unter anderem eine größere Eigenständigkeit der CDU und die Einleitung von Maßnahmen für mehr innerparteiliche Demokratie eingefordert. Dadurch wurden Veränderungen ausgelöst, die zu einer erneuerten und wieder demokratisch verfassten CDU führten. Am 20. Januar 1990 trafen sich in Weimar Delegierte aus den drei Bezirken zum 1. Landesparteitag und beschlossen die Wiedergründung des CDU-Landesverbandes Thüringen. Erster Vorsitzender wurde Uwe Ehrich, der jedoch schon im Juli nach Kritik an seiner Arbeit zurücktrat. Sein Nachfolger wurde der spätere Innenminister Willibald Böck. Kurze Zeit später erfolgte auch in Thüringen die Fusion mit dem Demokratischen Aufbruch (DA) und der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands (DBD). Bei der Landtagswahl am 14. Oktober 1990 erlangte die CDU die Mehrheit der Stimmen.11 Erster thüringischer Ministerpräsident einer CDU-FDP-Koalition wurde der bisherige Erfurter Regierungsbeauftragte Josef Duchacˇ. Ende 1991 sah sich Duchacˇ mit massiven Vorwürfen bezüglich Verbindungen zum MfS konfrontiert, was im Januar 1992 zu seinem Rücktritt führte. Die Anschuldigungen stellten sich jedoch später als haltlos heraus. Sein Nachfolger wurde der frühere rheinland-pfälzische Ministerpräsident Bernhard Vogel, der am 23. Januar 1993 auch neuer Landesvorsitzender wurde. In den Folgejahren behauptete die CDU ihre Stellung als stärkste Partei im Freistaat und erlangte bei der Landtagswahl 1999 sogar die absolute Mehrheit. Auf dem Landesparteitag am 4. November 2000 trat Vogel aus Altersgründen nicht mehr als Landesvorsitzender an. Sein Nachfolger wurde der Vorsitzende der CDU-Fraktion Dieter Althaus, der 2003 auch zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. 2004 konnte die CDU ihre absolute Mehrheit verteidigen. Nachdem Althaus wegen des medialen Umgangs mit einem Skiunfall im Januar 2009, bei dem eine Frau ums Leben gekommen war, zunehmend in die Kritik ge8 Triebel: Thüringer CDU, S. 94 – 102. 9 Christian Stöber: Rosenkranzkommunismus. Die SED-Diktatur und das katholische Milieu im Eichsfeld 1945 – 1989. Berlin 2019, S. 90 – 170. 10 Triebel: Thüringer CDU, S. 146 – 163. 11 Zum folgenden Absatz grundlegend: Reyk Seela: 25 Jahre CDU-Fraktion. Stark für Thüringen – besser für das Land. Erfurt 2015.

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riet und die CDU in der Folge die absolute Mehrheit bei der Landtagswahl im gleichen Jahr verlor, folgte ihm die bisherige Sozialministerin Christine Lieberknecht, die zuvor unter anderem auch Landtagspräsidentin und Fraktionsvorsitzende gewesen war, als erste weibliche Ministerpräsidentin aus den Reihen der CDU an der Spitze einer Koalition mit der SPD nach und wurde am 25. Oktober 2009 auch neue Landesvorsitzende. Trotz leichter Zugewinne bei den Landtagswahlen 2014 waren Linke, SPD und BÜNDNIS 90/ Die Grünen in der Lage eine Koalition zu bilden, woraufhin die CDU aus der Regierung ausschied. Der Fraktionsvorsitzende Mike Mohring wurde daraufhin am 13. Dezember 2014 zum neuen Landesvorsitzenden gewählt. Bei der Landtagswahl am 27. Oktober 2019 musste die CDU erneut massive Verluste hinnehmen und fiel hinter die Linke und die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) auf den dritten Platz zurück. Da die bisherige Landesregierung allerdings ihre Mehrheit verloren hatte und auch eine mögliche Koalition aus CDU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/Die Grünen nicht genügend Stimmen gehabt hätte, gab es innerhalb der CDU größere Meinungsverschiedenheiten darüber, ob man eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung unter der Führung des bisherigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke) unterstützen sollte. Am 5. Februar 2020 fand im Landtag die Wahl zum Thüringer Ministerpräsidenten statt. Gegen Ramelow kandidierte ein bislang unbekannter parteiloser Kommunalpolitiker, den die AfD vorgeschlagen hatte. Nachdem in den ersten beiden Wahlgängen keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen konnte, trat im dritten Wahlgang außerdem der FDP-Fraktionsvorsitzende Thomas Kemmerich an. Er wurde mit den Stimmen von FDP, CDU und AfD, deren Kandidat im dritten Wahlgang null Stimmen erhielt, zum Ministerpräsidenten gewählt. Dies führte zum Teil zu scharfer Kritik am Verhalten der CDU, der man vorwarf, gemeinsame Sache mit Rechtspopulisten und Nationalisten zu machen, aber auch zu innerparteilichen Zerwürfnissen. Infolgedessen kündigte Mohring am 7. Februar den Verzicht auf den Posten des Fraktionsvorsitzenden an, dem einige Zeit später auch der Rückzug vom Landesvorsitz folgte. Kemmerich, der sich ebenfalls harten Vorwürfen stellen musste, trat am 8. Februar von seinem Amt zurück. Nachdem zunächst der Vorschlag einer technischen Übergangsregierung unter Christine Lieberknecht gescheitert war, wurde am 4. März schließlich Ramelow unter Enthaltung der CDU zum Ministerpräsidenten einer rot-rotgrünen Minderheitsregierung gewählt. Im Gegenzug stimmte die Koalition dem Wunsch der CDU zu, Neuwahlen erst zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden zu lassen. Bereits am 2. März 2020 war Mario Voigt zum neuen Fraktionsvorsitzenden gewählt worden und am 19. September erfolgte die Wahl des ehemaligen Ostbeauftragten der Bundesregierung Christian Hirte zum neuen CDU-Landesvorsitzenden. Auf dem Landesparteitag am 17.September 2022 trat Hirte jedoch nicht erneut an. Voigt wurde an seiner Stelle neuer Landesvorsitzender und vereinigte somit erneut Partei- und Fraktionsvorsitz in einer Hand, auch im Hinblick auf die Landtagswahl 2024.

Forschungs- und Quellenlage Im ACDP findet sich eine große Anzahl von Quellen zur CDU Thüringen. Über die Anfänge sind wir aus dem Bestand des bis 1952 bestehenden Landesverbandes Thüringen unterrichtet. Besondere Berücksichtigung kann dabei die Lage im Eichsfeld finden, 344

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die zusätzlich durch die Nachlässe von Aloys Schaefer und Hugo Dornhofer abgedeckt wird. Aus der Zeit von 1952 bis 1989/90 besitzt das ACDP Akten aus allen drei Bezirksverbänden auf dem Gebiet Thüringen, wobei vor allem der Bezirksverband Gera recht gut überliefert ist. Hinzu kommen Unterlagen diverser Kreisverbände. Der 1990 wieder begründete Landesverband Thüringen hat, ebenso wie die Landtagsfraktion, seine Bestände ebenfalls dem ACDP anvertraut. Weiterhin zu nennen sind hier insbesondere die Deposita von Bernhard Vogel, Dieter Althaus und Christine Lieberknecht. Selbstverständlich gibt es noch weitere Bestände diverser Thüringer Landtags- und Bundestagsabgeordneter. Auch auf verschiedene im Landesarchiv Thüringen liegende Akten, etwa zu den Landesregierungen nach 1990, sei hingewiesen. Die Forschungslage in Bezug auf die CDU Thüringen ist im Vergleich zu den übrigen ostdeutschen Landesverbänden relativ gut. Für die Gründungsgeschichte und die frühe Zeit bis 1952 nach wie vor unentbehrlich sind die auf Thüringen bezogenen Abschnitte in den Werken von Michael Richter12 und Ralf Thomas Baus13. Hinzu kommen die kleine, aber dennoch fundierte Arbeit von Markus Kiefer14 sowie die Dokumentation von Rigobert Wenzel 15. Auch die Rolle der CDU-Landtagsfraktion wurde von Michael Bienert einer ausführlichen Untersuchung unterzogen.16 Das kürzlich erschienene Buch von Bertram Triebel nimmt erstmals den gesamten Zeitraum von 1945 bis 1990 in den Blick und unterzieht damit die Geschichte der CDU in Thüringen einer grundlegenden Aufarbeitung, die neue Fragen aufwirft und für den weiteren Fortgang der Forschung von hoher Bedeutung sein dürfte.17 Vor diesem Hintergrund wären auch biografische Beiträge zu den jeweiligen Landesvorsitzenden, insbesondere zu Siegfried Trommsdorff und August Bach, von Interesse. Hier liegt bisher nur ein kurzer Abriss von Volker Wahl zu Max Kolter vor.18 Gesondert zu erwähnen wäre die Geschichte der CDU im katholisch geprägten Eichsfeld. Die Biografie Hugo Dornhofers hat Thomas Speckmann in seiner Dissertation aufgearbeitet.19 Eine Gesamtdarstellung für das Eichsfeld hat erst kürzlich Christian Stöber vorgelegt.20 Der Zeitraum ab 1989/90 harrt der Aufarbeitung, was zum Teil sicherlich noch durch die bestehenden Sperrfristen für Akten zu erklären ist. Die Arbeit Christopher Beckmanns über die ost- und deutschlandpolitischen Aktivitäten Bernhard Vogels widmet sich in einem eigenen Abschnitt auch seiner Tätigkeit als Ministerpräsident von Thürin-

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Richter: Ost-CDU. Baus: Christlich-Demokratische Union. Kiefer: Gründung. Rigobert Wenzel: Die Anfangsjahre der CDU in Thüringen und auf dem Eichsfeld (1945 – 1950). Eine Dokumentation. Duderstadt 2000. Michael Bienert: Zwischen Opposition und Blockpolitik. Die „bürgerlichen“ Parteien und die SED in den Landtagen von Brandenburg und Thüringen (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bd. 171). Düsseldorf 2016. Triebel: Thüringer CDU. Volker Wahl: Max Kolter (1900 – 1945) – der erste Repräsentant der Christlichen Demokraten in Thüringen, in: HPM 16 (2009), S. 195 – 198. Speckmann: Hugo Dornhorfer; siehe auch Ders.: „Ein Mahnmal für die Freiheit“. Die Gleichschaltung der Ost-CDU aus der Sicht des Eichsfelder Christdemokraten Hugo Dornhofer, in: HPM 11 (2004), S. 311 – 332. Stöber: Rosenkranzkommunismus.

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gen.21 Von grundsätzlicher Bedeutung ist die Festschrift zum 25. Jahrestag der erstmaligen Konstituierung der CDU-Landtagsfraktion von Rayk Seela, da hier nicht nur die Arbeit der Fraktion, sondern auch das Regierungshandeln der vier CDU-Ministerpräsidenten zwischen 1990 und 2014 dargestellt wird.22

Landesverband Thüringen 1945 – 1952 Landesvorsitzende 1945 Max Kolter 1945 – 1946 Georg Grosse (amtierend) 1946 – 1947 Walter Körner 1947 Otto Schneider 1947 Hugo Dornhofer (amtierend) 1947 – 1950 Siegfried Trommsdorff 1950 – 1952 August Bach

Bezirk Erfurt Bezirksvorsitzende 1952 – 1961 Hermann Kalb 1961 – 1970 Franz Kirchner 1970 – 1984 Werner Behrend 1984 – 1990 Bernhard Schnieber

Bezirk Gera Bezirksvorsitzende 1952 – 1954 Günter Neumann 1954 – 1959 Günther Grewe 1960 – 1968 Georg Wipler 1968 – 1970 Werner Behrend 1970 – 1989 Eberhard Sandberg 1989 – 1990 Michael Galley

Bezirk Suhl Bezirksvorsitzende 1952 – 1953 Richard Götz 1953 – 1956 Hans Güth 1956 – 1968 Werner Behrend 1968 – 1970 Heinz Büttner 1970 – 1984 Bernhard Schnieber 1984 – 1990 Johannes Schimoneck

21 Christopher Beckmann: Klares Ziel und langer Atem. Bernhard Vogel – Brückenbauer zwischen Ost und West. Freiburg i. Br. 2017, hier S. 227 – 242. 22 Seela: 25 Jahre CDU-Fraktion.

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Landesverband Thüringen

Landesverband Thüringen (ab 1990) 1990 1990 – 1992 1993 – 2000 2000 – 2009 2009 – 2014 2014 – 2020 seit 2020

Uwe Ehrich Willibald Böck Bernhard Vogel Dieter Althaus Christine Lieberknecht Mike Mohring Christian Hirte

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Die Exil-CDU Oliver Salten Im Dezember 1947 wurden die beiden Vorsitzenden der CDU in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), Jakob Kaiser und Ernst Lemmer, durch die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) abgesetzt. Dies geschah aufgrund ihrer Weigerung, am sogenannten Deutschen Volkskongress teilzunehmen, der die Planungen der Besatzungsmacht und der SED zur Bildung einer Regierung und Legitimierung der Vorherrschaft der Kommunisten unterstützen sollte. Kaiser und Lemmer akzeptierten jedoch die Absetzung nicht. Am 13. Februar 1948 trafen sie sich in den Berliner Westsektoren mit diversen Mitgliedern des alten Hauptvorstandes der CDU in der SBZ, die die Absetzung ebenfalls nicht anerkannten. Kurz darauf wurde das „Büro Jakob Kaiser“ eingerichtet, der Ursprung des späteren Ostbüros der CDU, das Unterstützung und Rat für Flüchtlinge und all diejenigen bot, die die neue Parteileitung unter Otto Nuschke ablehnten.1 Spätestens die Zustimmung des Hauptvorstandes der CDU der DDR im Mai 1950 zur Wahl der Volkskammer über eine Einheitsliste, also ohne konkurrierende Parteien, machte deutlich, dass eine demokratische Entwicklung im Osten Deutschlands nicht mehr zu erwarten war. Am 10. Juli 1950 trat daher der „legale Hauptvorstand“ unter Kaiser zusammen, also diejenigen Mitglieder des auf dem 2.Parteitag 1947 gewählten Hauptvorstandes, die aus der SBZ bzw. DDR in den Westen geflüchtet waren.2 Im September desselben Jahres fand der erste Exil-Parteitag in West-Berlin statt, der Jakob Kaiser als Vorsitzenden bestätigte.3 Die damit konstituierte Exil-CDU gab sich die Aufgabe, die aus der SBZ/ DDR geflohenen CDU-Mitglieder, die nun in der Bundesrepublik und in West-Berlin lebten, innerhalb der westdeutschen CDU zu repräsentieren. Das Ostbüro, das weiterhin als Anlaufstelle für widerständige Mitglieder der CDU der DDR fungierte, nahm in diesem Zusammenhang die Aufgaben einer Geschäftsstelle und eines Informationsdienstes wahr. Die CDU der Bundesrepublik gestand der Exil-CDU den Status eines Landesverbandes zu, wodurch sie eigene Delegierte zu Bundesparteitagen entsenden konnte. Ihre Mitglieder hatten sich jedoch zwingend einem Kreisverband von CDU oder CSU anzuschließen, um sie in die örtliche Parteiarbeit einzubinden. Mitglied der Exil-CDU waren, wie es Robert Tillmanns ausdrückte, „alle anständigen Mitglieder der CDU in der sowjetischen Besatzungszone“.4 Dennoch kam es immer wieder zu Konflikten zwischen denjenigen, die bereits früh Widerstand gegen die aufziehende SED-Diktatur geleistet hatten, und solchen, die erst im Laufe der 1950er Jahre in den Westen flohen. Zur Zeit Bundeskanzler Konrad Adenauers bemühte sich die Exil-CDU darum, Einfluss auf die Deutschlandpolitik der Bundesregierung zu erhalten. Dabei war von gro1 Wolfgang Buschfort: Parteien im Kalten Krieg. Die Ostbüros von SPD, CDU und FDP (Analysen und Dokumente. Bd. 19). Berlin 2000, S. 32. 2 Protokoll über die Sitzung des legalen Hauptvorstandes am 10. Juli 1950, in: ACDP 03-013-327/2. 3 Protokoll des 1. Exil-Parteitages, in: ACDP 03-013-001/1 und 07-011-2956. 4 Protokoll über die Sitzung des legalen geschäftsführenden Vorstandes am 24. Juni 1950, in: ACDP 03013-428/1.

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ßem Vorteil, dass das Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen bis 1957 von Jakob Kaiser und danach von Ernst Lemmer quasi in Personalunion mit dem Vorsitz der Exil-CDU geleitet wurde. Außerdem war das Ostbüro der CDU mit den Ostbüros anderer Parteien und Organisationen am Bundesnotaufnahmeverfahren beteiligt. In diesem Rahmen befragte man die Migranten aus der DDR nach ihrer Ankunft in den Notaufnahmelagern, um über ihren Flüchtlingsstatus zu entscheiden. Dennoch kam es bereits in dieser Zeit zu größeren Problemen. So blieb zeit ihrer Existenz die Finanzlage der Exil-CDU sehr fragil. Selbst nahm sie keine Mitgliedsbeiträge ein, um nicht in ein Konkurrenzverhältnis zu den übrigen Landesverbänden der Bundespartei zu treten, und war daher vollständig auf Zuwendungen angewiesen. Hinzu kamen langwierige Auseinandersetzungen mit dem Landesverband Oder-Neiße um dessen Anspruch, nicht nur für die Vertriebenen aus den Polen und der Sowjetunion zugesprochenen Gebieten, sondern auch für die Flüchtlinge aus der DDR zuständig zu sein.5 Der Bau der Berliner Mauer 1961 bedeutete auch für die Exil-CDU einen massiven Einschnitt. Zunächst stellte sich die Frage, wie sie langfristig überleben sollte, da der Zustrom geflüchteter CDU-Mitglieder aus der DDR versiegt war. 1962 verlor Kaisers Nachfolger Ernst Lemmer zudem sein Ministeramt. Der neue gesamtdeutsche Minister Rainer Barzel war jedoch kein Mitglied der Exil-CDU.6 Der Verband verlor deshalb an Einfluss in der Bundespartei. Wichtiger wurde hingegen seine Stellung im Rahmen der politischen Bildung als Veranstalter von Seminaren zur Deutschlandpolitik und von Berlin-Fahrten. Dies nahm nun den größten Teil der Arbeit des Deutschlandbüros, wie sich das Ostbüro inzwischen nannte, ein. Die Verabschiedung des Parteiengesetzes 1967, das der bisherigen Position der ExilCDU auf den CDU-Bundesparteitagen die rechtliche Grundlage entzog, nährte die nie ganz zum Stillstand gekommene Diskussion um eine Zusammenlegung mit dem Landesverband Oder-Neiße zu einer Vereinigung der Vertriebenen und Flüchtlinge in der CDU. Erst auf dem Berliner Bundesparteitag 1968 konnte hierzu eine endgültige Entscheidung herbeigeführt werden. Zwar verlor die Exil-CDU das Recht, über Personalfragen mit abzustimmen, und musste eine Verringerung der Zahl ihrer Delegierten hinnehmen, konnte sich jedoch gegen diese Zugeständnisse eine dauerhafte Bestandsgarantie sichern.7 1970 wurde Johann Baptist Gradl nach dem Tod Lemmers zum neuen Vorsitzenden gewählt. In deutschlandpolitischer Hinsicht zeigte sich Gradl recht flexibel, ohne auf die Forderung nach Überwindung der Teilung zu verzichten, und unterstützte in diesem Sinne auch die Politik Helmut Kohls. Weiterhin ungelöst blieben die Finanzprobleme, die in den 1980er Jahren immer deutlicher wurden. Ein Versuch der CDU-Bundesgeschäftsstelle, die Zuwendungen an die Exil-CDU zu kürzen und das Deutschlandbüro von WestBerlin nach Bonn zu verlegen, konnte nur mit Hilfe Kohls abgewendet werden.8 Erst die friedliche Revolution in der DDR führte auch bei der Exil-CDU zu einer letzten Aktivitätsphase. Hierbei tat sich insbesondere Siegfried Dübel hervor, der 1987 5 Oliver Salten: Die Exil-CDU – ein wenig beachteter Akteur im Kalten Krieg, in: HPM 26 (2019), S. 223 – 243, hier 235 f. 6 Stefan Creuzberger: Kampf für die Einheit. Das gesamtdeutsche Ministerium und die politische Kultur des Kalten Krieges 1949 – 1969 (Schriften des Bundesarchivs. Bd. 69). Düsseldorf 2008, S. 86 f. 7 Salten: Exil-CDU, S. 239 – 242. 8 Siegfried Dübel: Exil-CDU und Wiedervereinigung, in: Tilman Meyer (Hg.): „Macht das Tor auf.“ Jakob-Kaiser-Studien (Politische Dokumente. Bd. 14). Berlin 1996, S. 235 – 263, hier 255 f.

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Die Exil-CDU

auf Gradl als Vorsitzender gefolgt war. Frühzeitig bemühte man sich um Kontakte zu den ostdeutschen Kreisverbänden, die mit Material und Ausrüstung unterstützt wurden. Außerdem trat Dübel bei Kohl sehr deutlich für die Anerkennung der CDU der DDR unter ihrem frei gewählten Vorsitzenden Lothar de Maizière als Partner der CDU der Bundesrepublik ein.9 Mit der Bildung der „Allianz für Deutschland“ und dem Sieg bei den ersten freien Volkskammerwahlen im März 1990 war auch dieses Anliegen erfüllt. Nach der Wiedervereinigung beschloss der letzte Parteitag der Exil-CDU, der im Mai 1991 im thüringischen Oberhof stattfand, die Selbstauflösung und bat um Streichung der Exil-CDU aus dem Statut, was auf dem folgenden CDU-Parteitag im Dezember 1991 gebilligt wurde.

Forschungs- und Quellenlage Die wichtigsten Quellen bezüglich der Geschichte der Exil-CDU befinden sich im ACDP. Dazu gehört vor allem der Bestand der Exil-CDU selbst, in dem sich auch die erhaltenen Unterlagen des CDU-Ostbüros befinden. Hier sind insbesondere die umfangreichen Karteien zu berücksichtigen, die insbesondere zu den aus der DDR geflüchteten CDUMitgliedern wichtige Angaben liefern. Bei den Nachlässen sind vor allem die ebenfalls im ACDP liegenden Bestände der ehemaligen Vorsitzenden der Exil-CDU Ernst Lemmer, Johann Baptist Gradl und Siegfried Dübel zu nennen. Auch der Nachlass von Jakob Kaiser, der sich im Bundesarchiv befindet, ist von hoher Bedeutung. Die Exil-CDU harrt nach wie vor einer grundlegenden Aufarbeitung ihrer Geschichte. Bis zum Beginn der 2000er Jahre standen im Wesentlichen nur die Darstellungen der ehemaligen Vorsitzenden Gradl10 und Dübel11 zur Verfügung. Eine Ausnahme bildete der Abschnitt zur Entstehung der Exil-CDU in der Studie zur CDU in der SBZ/DDR zwischen 1948 und 1952 von Michael Richter.12 Erst Wolfgang Buschfort versuchte im Rahmen seiner grundlegenden Arbeit zu den Ostbüros der westdeutschen Parteien auch die Geschichte des Ostbüros der CDU nachzuvollziehen, was auch die Exil-CDU zum Teil mit einschloss.13 Zuletzt veröffentlichte Oliver Salten in einem Artikel erstmals eine erste eigene Ausarbeitung zur Geschichte der Exil-CDU.14 Daneben gab es jedoch immer wieder Untersuchungen zu speziellen Themen, die die Exil-CDU zumindest am Rande berührten. Gradl und seine Deutschlandpolitik etwa waren Thema der Dissertation von Ulrich Mohr.15 Die Beziehungen der Exil-CDU zum Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen wurden in der Studie von Stefan Creuzberger angesprochen und ihre Rolle in der 9 Hanns Jürgen Küsters: Die Vereinigung von CDU (Ost) und CDU (West) 1990, in: HPM 18 (2011), S. 167 – 192, hier 172. 10 Johann Baptist Gradl: Anfang unter dem Sowjetstern. Die CDU 1945 – 1948 in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Köln 1981. 11 Dübel: Exil-CDU und Wiedervereinigung. 12 Michael Richter: Die Ost-CDU 1948 – 1952. Zwischen Widerstand und Gleichschaltung (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 19). 2. Aufl. Düsseldorf 1991. 13 Buschfort: Parteien im Kalten Krieg. 14 Salten: Exil-CDU. 15 Ulrich Mohr: Politische Auffassungen und deutschlandpolitisches Wirken Johann Baptist Gradls (Europäische Hochschulschriften. Reihe III. Bd. 872). Frankfurt a. M. u. a. 2000.

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Flüchtlingspolitik durch Helge Heidemeyer näher beleuchtet.16 Die im Wesentlichen erfolglosen Bemühungen des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit, die Exil-CDU zu unterwandern, behandelte Ehrhart Neubert.17 Vorsitzende 1950 – 1961 1961 – 1963 1963 – 1970 1970 – 1987 1987 – 1991

1. Jakob Kaiser; 2. Ernst Lemmer Ernst Lemmer (kommissarisch) 1. Ernst Lemmer; 2. Johann Baptist Gradl 1. Johann Baptist Gradl; 2. Siegfried Dübel 1. Siegfried Dübel; 2. Henning Lemmer

16 Creuzberger: Kampf für die Einheit; Helge Heidemeyer: Flucht und Zuwanderung aus der SBZ/DDR 1945/49 – 1961. Die Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik Deutschland bis zum Bau der Berliner Mauer (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bd. 100). Düsseldorf 1994. 17 Ehrhart Neubert: Ein politischer Zweikampf in Deutschland. Die CDU im Visier der Stasi. Freiburg i. Br. 2002.

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Die Kreisverbände Oliver Salten Gemäß dem aktuell gültigen Statut der CDU Deutschlands ist ein Kreisverband „die kleinste selbstständige organisatorische Einheit der CDU“. Er erstreckt sich in der Regel über einen Verwaltungskreis, kann aber auch mehrere Verwaltungskreise umfassen. Innerhalb dieser ist er zuständig „für alle organisatorischen und politischen Fragen seines Bereiches“, die nicht in der Verantwortung des jeweiligen Bezirks- bzw. Landesverbandes liegen.1 Seine Untergliederungen sind in kreisangehörigen Städten und Gemeinden der Stadt- oder Gemeindeverband bzw. in kreisfreien Städten der Stadtbezirksverband. Die Landesverbände können in ihren Satzungen eine weitere Untergliederung dieser Verbände in Ortsverbände regeln. Innerhalb des Kreisverbandes vollzieht sich zu einem großen Teil der unmittelbare Kontakt des Mitglieds zur Partei. Dies geschieht auf verschiedenen Ebenen. Eintrittsund Austrittserklärungen sowie Umzugsmeldungen werden an die Kreisgeschäftsstelle gerichtet. Neben den Versammlungen ihres Stadt- oder Gemeindeverbandes und der örtlichen Vereinigungen haben die Mitglieder das Recht, auf den Kreisparteitagen das Wort zu ergreifen und, sofern es sich um keinen Delegiertenparteitag handelt, auch das Stimmrecht. Der Kreisverband zieht die Mitgliedsbeiträge ein und verwaltet diese. Diese relative Eigenständigkeit der Kreisverbände in Bezug auf Mitgliederbetreuung und Finanzangelegenheiten war jedoch nicht immer gegeben. Ganz im Gegenteil: Das auf dem 1. Bundesparteitag in Goslar 1950 beschlossene Statut sprach an keiner Stelle von den Kreisverbänden.2 Generell war die CDU der 1950er Jahre strukturell äußerst schwach organisiert. Dies betraf nicht nur die Bundespartei, sondern auch die meisten Landesverbände, die eigentlich die Verantwortung für ihre jeweiligen Kreisverbände hatten. Die fehlende Unterstützung und Einflussnahme durch die übergeordneten Gremien hatte zur Folge, dass die Kreis- und Ortsverbände zumeist nur eine rudimentäre Rahmenstruktur ausbildeten und sich vor Ort vor allem als Honoratiorenpartei präsentierten. Um überhaupt Einfluss auf die Mitglieder nehmen zu können, wurde seitens der Bundesgeschäftsstelle 1957 in den Ortsverbänden ein Netz von „Vertrauensmännern“ organisiert, die man mit Material und Informationen versorgte. Weitere Probleme waren die schlechte Bezahlung und geringen Aufstiegsmöglichkeiten der Kreisgeschäftsführer, denen es oft an Befähigung oder Ausstattung fehlte, ihre Kreisverbände der Lethargie zu entreißen und sich dabei auch für eine Verbreiterung der schwachen Mitgliederbasis einzusetzen. Ebenfalls wenig Interesse zeigten die örtlichen CDU-Verbände in Bezug auf die Kommunalpolitik. Parteimitglieder, die sich auf der kommunalen Ebene engagieren wollten, mussten daher oft auf den Listen Freier Wählergemeinschaften kandidieren. Allein in Zeiten von Landtags- und Bundestagswahlen wurden die Mitglieder zu Wahlkampfzwecken aktiviert. 1 Statut der CDU in der Fassung vom 7. Dezember 2018, § 18 Abs. 3. 2 Statut der CDU in der Fassung vom 21. Oktober 1950.

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Erst auf dem Bundesparteitag 1960 wurden die Kreisverbände in das Statut aufgenommen.3 In dieser Zeit wurden auch die Probleme, die die CDU auf der Kreisebene hatte, deutlicher wahrgenommen. Ab 1963 hielt die Parteispitze die Landesverbände an, ihre Aufsichtspflicht gegenüber den Kreisverbänden stärker auszuüben. Dazu wurden die Kreisgeschäftsführer von den Landesverbänden angestellt und ihre Entlohnung verbessert. Auch die Zahl der Kreisgeschäftsstellen wurde erhöht. Bis 1964 finanzierten sich die Kreisverbände durch Zuwendungen der Landesverbände. Dieses System wurde diversen Änderungen unterzogen. So sollten die Kreisverbände nun etwa selbst die vereinheitlichten Mitgliedsbeiträge einziehen und somit dem Prinzip der Eigenfinanzierung Rechnung tragen. Grundsätzliche Veränderungen erfolgten jedoch erst nach dem Verlust der Regierungsmehrheit in Bonn 1969 und dem anschließenden Gang in die Opposition. Anfang der 1970er Jahre wandelte sich die Mitgliederstruktur der CDU im Rahmen der allgemeinen gesellschaftlichen Politisierung, insbesondere der jüngeren Generation, erheblich. Durch das massive zahlenmäßige Anwachsen des Mitgliederbestandes zwischen 1972 und 1976 wandelte sie sich zu einer Volkspartei, die Mitglieder und Anhänger in allen Schichten der Bevölkerung gewann.4 Diesen Veränderungen wurde nicht nur durch eine Reorganisation und Vergrößerung der Bundesgeschäftsstelle Rechnung getragen, auch auf die Kreisverbände hatten diese strukturellen Veränderungen selbstverständlich Auswirkungen. Diese sollten in Zukunft zum einen ein größeres Gewicht auf die Kommunalpolitik legen und zum anderen die „Aktions- und Repräsentationsbasis für die gesamte Politik der Partei“ bilden.5 Dazu wurden ab 1973 mittels einiger Modellversuche neue Organisationsformen auf Kreisebene eingeführt, die auch eine neue Aufgabenverteilung innerhalb des Kreisvorstandes erproben sollten. Der Mannheimer Parteitag 1975 gab den Kreisverbänden im Statut erstmals eine konkrete Aufgabendefinition jenseits der selbstständigen Kassenführung. Dazu gehörte ebenfalls eine Stärkung der Rolle der Stadt- und Gemeinde- bzw. Stadtbezirksverbände. Sie hielten den engsten Kontakt zu Mitgliedern und Wählern und waren in dieser Form die eigentlichen Träger von öffentlichen Veranstaltungen und Wahlkämpfen, wobei dem Kreisverband nur eine koordinierende und unterstützende Rolle zukam. Auch auf eine bessere Entfaltung der örtlichen Vereinigungen wurde in dieser Hinsicht Wert gelegt. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben war jedoch der personelle und technische Ausbau der Kreisgeschäftsstellen unabdingbar. Bestanden sie bis in die 1960er Jahre zumeist nur aus dem Kreisgeschäftsführer und einer Sekretärin, erfolgte nun ihre teilweise Umwandlung zu „Dienstleistungszentren“, die in der Lage waren, nicht nur für die eigenen Stadt- und Gemeindeverbände, sondern auch für umliegende Kreisverbände die reguläre Verwaltungsarbeit sowie den Druck und den Versand von Broschüren, Einladungen usw. zu erledigen. 1975 existierten in den CDU-Landesverbänden insgesamt 37 dieser Dienstleistungszentren, deren Zahl bis 1980 auf 58 anwuchs. Von vielen Routineaufgaben entlastet konnten sich die Kreisgeschäftsführer, unterstützt von ebenfalls personell aufgestockten

3 Statut der CDU in der Fassung vom 27. April 1960. 4 Frank Bösch: Die Krise als Chance. Die Neuformierung der Christdemokraten in den siebziger Jahren, in: Konrad H. Jarausch (Hg.): Das Ende der Zuversicht? Die siebziger Jahre als Geschichte. Göttingen 2008, S. 296 – 309, hier 300. 5 Wulf Schönbohm: Die CDU wird moderne Volkspartei. Selbstverständnis, Mitglieder, Organisation und Apparat 1950 – 1980 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 7). Stuttgart 1985, S. 272.

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Die Kreisverbände

Kreisgeschäftsstellen, auf ihre politischen Aufgaben konzentrieren.6 Zur Erfüllung ihrer Tätigkeit erarbeitete die Bundesgeschäftsstelle ein Aus- und Fortbildungsprogramm. Nach der erneuten Regierungsübernahme der CDU unter Helmut Kohl 1982 stellte sich bald die Frage, welche Wirkungen die Modernisierungsbemühungen der 1970er Jahre längerfristig hatten und wie zukunftsfähig sie waren. Ein ab 1983 einsetzender Rückgang der Mitgliederzahlen zeigte, dass sich die Bedingungen im Vergleich zur Oppositionszeit geändert hatten und sich eine dauerhafte Mobilisierung der zuvor neu gewonnenen Mitglieder in einer Phase der Regierungsverantwortung nicht aufrechterhalten ließ. Hinzu kam das Fortleben traditioneller Strukturen auf der Ebene der Kreisverbände. Die angestrebten Veränderungen hatten nur wenig Einfluss auf das bestehende Personal und die internen Mechanismen innerhalb der Kreisverbände. Die Mehrheit der Funktionäre auf Kreisebene war weiterhin männlich und mindestens 50 Jahre alt.7 Zudem war durch zentrale Regelungen kaum etwas gegen den örtlichen Proporz der Stadt- und Gemeindeverbände sowie der Vereinigungen auszurichten. So blieben etwa die Bemühungen um klare Aufgabenverteilungen in den Kreisvorständen ohne tiefgreifende Resonanz. Profitieren vom Modernisierungskurs konnten vor allem die Kreisgeschäftsstellen mittels der besseren Ausstattung, jedoch wuchs auch hier im Laufe der Zeit der Anteil der Verwaltungstätigkeiten an der anfallenden Arbeit stark an.8 Der Mitgliederzuwachs infolge der Wiedervereinigung 1990 verdeckte die Probleme nur kurzzeitig, da bereits in den 1990er Jahren durch den Wandel der ostdeutschen Wirtschaftsstruktur und die Gebietsreformen, aber auch die innerparteilichen Veränderungen der CDU in den Gebieten der früheren DDR, hier ebenfalls ein Mitgliederschwund einsetzte. Generell stellt bis heute die zunehmende Fragmentierung des Bürgertums, einhergehend mit der fortschreitenden Überalterung der Parteimitglieder und der Tendenz der örtlichen Funktionäre, mehrere Ämter auf eine Person zu vereinigen, die Kreisverbände vor große Herausforderungen. Umso wichtiger erscheint es in Zukunft, mittels innovativer Konzepte die Parteiarbeit generell, aber auch insbesondere vor Ort zu öffnen und attraktiver zu gestalten. Diesem Umstand trug die CDU bereits in ihrem auf dem Leipziger Parteitag 2003 beschlossenen Konzept „Bürgerpartei CDU. Reformprojekt für eine lebendige Volkspartei“ Rechnung.9 Man wollte sehr viel mehr auf das Potential der Mitglieder setzen und ihre Integration innerhalb der CDU mittels Befragungen und besserer Einbindung in die Parteiarbeit stärken. Damit war auch eine partielle Neudefinition der Arbeit der Geschäftsstellen verbunden. So sollte die Rolle der Kreisgeschäftsstelle als Ort des Dialogs zwischen Mitgliedern und Bürgern im Sinne eines Bürgerbüros gestärkt werden. Im Zuge der notwendigen finanziellen Beschränkungen sollten Verwaltungsarbeiten, sofern nötig, jedoch soweit wie möglich auf Regionalgeschäftsstellen konzentriert werden.

6 Ebd., S. 280 f.; Hans-Jürgen Lange: Responsivität und Organisation. Eine Studie über die Modernisierung der CDU von 1973 – 1989. Marburg 1994, S. 180. 7 Lange: Responsivität, S. 275. 8 Norbert Lammert: Aufgabengerechte Organisationsstrukturen in Kreisverbänden. Notwendigkeiten und Möglichkeiten einer Reform der Parteiarbeit in der Großstadt, in: Jo Klein u. a.: Bürgernahe Organisation großstädtischer Parteien (Forschungsbericht 29). Melle 1983, S. 13 – 93, hier 44. 9 https://archiv.cdu.de/system/tdf/media/beschluss_buergerpartei.pdf?file=1 (Abruf: 21.4.2021).

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Nach wie vor ist die Anzahl der Parteimitglieder der CDU im Schwinden begriffen, insbesondere infolge von Überalterung. Dennoch scheint die Möglichkeit gegeben, dass die Kreisverbände ihre Verbindungsrolle zwischen Partei und örtlicher Gesellschaft besser wahrnehmen können. Neben der Nutzung der Möglichkeiten, die die zunehmende Digitalisierung schafft, etwa in der Einrichtung virtueller Verbände oder Kontaktgruppen, bestehen auch Möglichkeiten, die innerparteilichen Beteiligungsverfahren für Nichtmitglieder zu öffnen bzw. bürgerschaftliches Engagement außerhalb der Partei zu fördern. Dies ist unter anderem auch ganz wesentlich auf örtlicher Ebene zu leisten.

Forschungslage- und Quellenlage Die historische Entwicklung einzelner Kreisverbände wurde häufig zu Jubiläen mit Hilfe der im Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung liegenden Unterlagen der jeweiligen Verbände aufgearbeitet. Zur Beurteilung ihrer organisatorischen Entwicklung insgesamt sind die Arbeiten von Wulf Schönbohm10 und Hans-Jürgen Lange11 bis heute unverzichtbar. Studien zur Organisation ausgewählter Kreisverbände existieren bislang kaum, erwähnenswert ist aber die Dissertation Norbert Lammerts über einen Kreisverband im Ruhrgebiet von 1976.12 Ergänzungen und Korrekturen zum Thema brachten vor allem Frank Bösch13 für die 1950er bis 1970er Jahre und Peter Haungs14 für die 1980er Jahre an. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch die Studie von Thomas von Winter zum Stand der CDU-Forschung von 1993.15 Sieht man von Ute Schmidts Arbeit16 ab, die sich mit den Wandlungsprozessen innerhalb der CDU in Ostdeutschland in den Jahren nach der friedlichen Revolution befasst, stellt die Entwicklung und Neuformierung der Organisationsstrukturen der CDU seit den frühen 1990er Jahren ein Forschungsdesiderat dar. Beiträge wie die von Oliver D’Antonio17 oder Alexander Gajewski18 beschäftigen sich vor allem mit den Wandlungen innerhalb der 10 Schönbohm: CDU. 11 Lange: Responsivität. 12 Norbert Lammert: Lokale Organisationsstrukturen innerparteilicher Willensbildung. Fallstudie am Beispiel eines CDU-Kreisverbandes im Ruhrgebiet (Studien zur Kommunalpolitik. Bd. 5). Bonn 1976. 13 Frank Bösch: Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei 1945 – 1969. Stuttgart u. a. 2001; Ders.: Die Krise als Chance. 14 Peter Haungs: Die CDU in den achtziger Jahren. Anmerkungen zur Organisation und Strategie, in: Rupert Breitling u. a. (Hg.): Machiavellismus. Parteien und Wahlen. Medien und Politik. Politische Studien zum 65. Geburtstag von Prof. Dr. Erwin Faul, Universität Trier. Trier 1988, S. 87 – 105. 15 Thomas von Winter: Die Christdemokraten als Analyseobjekt oder: Wie modern ist die CDUForschung?, in: Oskar Niedermayer u. a. (Hg.): Stand und Perspektiven der Parteienforschung in Deutschland (Schriften des Zentralinstituts für sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin. Bd. 71). Opladen 1993. 16 Ute Schmidt: Von der Blockpartei zur Volkspartei? Die Ost-CDU im Umbruch 1989 – 1994 (Schriften des Zentralinstituts für sozialwissenschaftliche Forschung an der Freien Universität Berlin. Bd. 81). Opladen 1997. 17 Oliver D’Antonio/Christian Werwath: Die CDU: Innerparteiliche Willensbildung zwischen Gremienarbeit und Grauzone, in: Karl-Rudolf Korte u. a. (Hg.): Wie entscheiden Parteien? Prozesse innerparteilicher Willensbildung in Deutschland (Zeitschrift für Politikwissenschaft, Sonderband 2012), S. 35 – 61. Baden-Baden 2012. 18 Alexander Gajewski: Mitglieder und Bürgerbeteiligung in den CDU-Kreisverbänden. Sankt Augustin u. a. 2014.

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Die Kreisverbände

Mitgliedschaft oder den Abläufen innerparteilicher Entscheidungsprozesse. Dies sind zwar Themen, die auch die Frage nach der Parteiorganisation in den Kreisverbänden berühren, diese jedoch ausdrücklich nicht im Mittelpunkt stehen haben. Im ACDP sind Unterlagen von vielen Kreisverbänden der CDU aus allen Landesverbänden vorhanden, wobei Überlieferungsdichte und -umfang erheblich variieren.

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Die Vereinigungen und Sonderorganisationen Die Vereinigungen und Sonderorganisationen der CDU haben sich im Laufe der Parteigeschichte herausgebildet, um unterschiedliche gesellschaftliche Anliegen und Personengruppen einzubinden und deren Interessen zu artikulieren. Teilweise stehen die Vereinigungen funktional in der Nachfolge von Organisationsstrukturen des katholischen Milieus, die im Kaiserreich und der Weimarer Republik das Vorfeld des politischen Katholizismus bildeten und für die Stabilität der Wahlentscheidung sorgten. Diese Vereine, die organisatorisch nicht Teil der Zentrumspartei waren, von Kolpingvereinen über die christlichen Gewerkschaften bis hin zur Dachorganisation, dem Volksverein für das katholische Deutschland, wurden fast alle durch die NS-Diktatur verboten oder in die Auflösung getrieben. Nach Kriegsende wurden viele dieser Organisationen nicht neu begründet. Die CDU, die in weiten Teilen personell und weltanschaulich auf dem Zentrum aufbaute, war dennoch durch den Zustrom der Protestanten und ihre Einflüsse etwa im Bereich der Wirtschaftsordnung eine grundsätzlich neue Partei. Organisatorisch nehmen in der Union die Vereinigungen und Sonderorganisationen im Sinne ihres Volkspartei-Charakters die unverzichtbare Integrationsaufgabe wahr, im Zuge der innerparteilichen Demokratie unterschiedliche Interessen und Zielstellungen zu artikulieren. Eine Stärke der CDU war von Anfang an, dass seitens der Parteispitze praktisch nie versucht wurde, die Vereinigungen inhaltlich zu regulieren oder von oben her zu organisieren. Dementsprechend heterogen sind die Vereinigungen und Sonderorganisationen strukturiert. Bei einigen, etwa der Kommunalpolitischen Vereinigung (KPV), muss der Beitritt erklärt werden, andere, wie der Evangelische Arbeitskreis (EAK), agieren als Vertretung in diesem Falle aller evangelischen Mitglieder. Wenn eine Organisation etabliert ist, kann eine Anerkennung durch die Partei erfolgen. Neben diesen beiden sind gegenwärtig offiziell anerkannt: Die Junge Union (der formal auch die Schüler Union angehört), die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA), die Frauen Union, die Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT), die Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung (OMV) sowie die Senioren-Union und der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS). Zuletzt wurde auf dem Parteitag der CDU in Hannover im September 2022 der Verband der „Lesben und Schwule[n] in der Union“ (LSU) anerkannt. Der Verband versteht sich als Vertretung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transidenten und Intergeschlechtlichen in der Union und hat dort seit seiner Gründung 1998 die Öffnung der Partei gegenüber diesen Gruppen deutlich befördert. Der Organisationsgrad war und ist bei den erwähnten Organisationen höchst unterschiedlich. Es gibt auf regionaler Ebene Arbeitskreise, z.B. auch berufsständische Vereinigungen, etwa in Hessen und Rheinland-Pfalz die Arbeitsgemeinschaft Christlich-Demokratischer Lehrer, die ohne großen hauptamtlichen Apparat arbeiten, aber auch mit eigener Geschäftsstelle agierende Vereinigungen wie die CDA. Letztere sind auch regional vertreten. Teilweise ist eine Mitgliedschaft in Vereinigungen auch möglich, wenn man kein CDU-Mitglied ist, so etwa in der Senioren-Union. Jedes spezifische Anliegen konnte, wenn es denn nicht im Widerspruch zu den Grundlinien der christlichen Weltanschauung stand oder steht, im Rahmen einer Sonder359

Die Vereingungen und Sonderorganisationen

organisation seinen Ausdruck finden. In seltenen Fällen ergeben sich manchmal grundsätzliche Probleme mit dissentierenden Gruppen, deren Vorstellungen derartig weit von der großen Mehrheit der Partei entfernt sind, dass eine Anerkennung nicht stattfindet. In den letzten Jahren betraf dies die „Werteunion“, die deshalb bislang weder als Vereinigung noch als Sonderorganisation irgendeine Form der offiziellen Anerkennung durch die Partei erfahren hat. Naturgemäß waren diese Sonderanliegen im Laufe der Zeit von unterschiedlicher Relevanz: Eine Vertretung der aus ihrer schlesischen oder ostpreußischen Heimat vertriebenen Parteimitglieder in der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung in der CDU/ CSU (OMV) und der Union der Vertriebenen und Flüchtlinge (UVF) war in den ersten beiden Jahrzehnten nach Kriegsende ein elementarer Bestandteil der Pflege der Mitglieder, hat jetzt aber, da mittlerweile fast alle noch in den ehemaligen deutschen Ostgebieten geborenen Parteimitglieder verstorben sind, kaum mehr Bedeutung. Bei anderen Gruppen hat sich erst im Laufe der Zeit das Bedürfnis nach einer gesonderten Vertretung innerhalb der Partei herauskristallisiert, etwa bei Ruheständlern in der SeniorenUnion.

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CDA – Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft Horst Granderath Grundsätzliches Die Christlich-Sozialen in der CDU schließen sich organisatorisch in den Sozialausschüssen der CDA zusammen und bilden einen der drei großen Flügel neben den Liberalen und Konservativen in der Partei. Die CDA bietet damit den Arbeitnehmern innerhalb der CDU eine Heimat und versucht nach Eigenaussage „Einfluss auf das politische Leben nach den Grundsätzen der christlich-sozialen Idee zu nehmen und dazu beizutragen, eine Gesellschaftsordnung auf der Grundlage der sozialen Gerechtigkeit zu verwirklichen“1. Politisch mischt sich die CDA seit ihrer Gründung schwerpunktmäßig in Fragen der Arbeits- und Sozialpolitik, der Betriebsverfassung, der Rentenpolitik und Sozialversicherung, der beruflichen Bildung sowie der Gesundheits- und der Familienpolitik ein. Konkret wird ihr Einfluss darin sichtbar, dass in allen von CDU und CSU geführten Bundesregierungen und in den meisten von der Union geführten Landesregierungen das Arbeits- und Sozialministerium von einem Mitglied der CDA besetzt wurde bzw. wird. Die Vereinigung hat derzeit 10.647 Mitglieder (Stand Juli 2019) und ist in 15 Landesverbänden organisiert. Traditionsbedingt war der Sitz bis 1999/2000 Königswinter, heute ist er Berlin. Oberstes Organ ist die jährliche CDA-Bundestagung und als Presseorgan wird das Magazin „SO! – Soziale Ordnung“ seit 1948 herausgegeben.2 Programmatisch herauszuheben ist ihr Einfluss auf das Ahlener Programm von 1947 und die damit verbundene Suche nach einem „dritten Weg“ zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Inhaltlich prägend wirkten die grundsatzprogrammatische „Offenburger Erklärung“ von 1967, das Grundsatzprogramm der Jungen Arbeitnehmerschaft (JA) „Radikale Evolution“ von 1973 und das Programm „Arbeit für alle“ (Hamburg 1987). Aktuell gilt das CDA-Grundsatzprogramm von 2015: „Der Mensch ist wichtiger als die Sache“.3

Gründungsphase Die geistigen Wurzeln der CDA liegen in der christlich-sozialen Bewegung des 19. Jahrhunderts, wobei deren Vertreter auf die „Soziale Frage“ mit Sozialpartnerschaft statt 1 CDA-Standardformulierung, die sich in mehreren Satzungen wie derjenigen der CDA-Bremen, der CDA-Berlin oder der CDA-Neuss finden lässt. 2 Die CDA hat online ein kleines Archiv zum Abruf ihres Magazins eingerichtet. Darin finden sich die seit 2007 erschienenen Ausgaben: https://www.cda-bund.de/magazin/. 3 Das aktuelle Grundsatzprogramm ist abrufbar unter: https://www.cda-bund.de/ueber-uns/grundsatzprogramm/. (Abruf: 15.9.2020). Die auf der 24.Bundestagung am 19. April 1991 in Königswinter beschlossene Satzung ist nach mehreren Änderungen, zuletzt am 21. Mai 2017, gültig und online einsehbar unter https://www.cda-bund.de/ueber-uns/satzung/ (Abruf: 15.9.2020).

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Horst Granderath

Klassenkampf antworteten: Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten auf Augenhöhe Vereinbarungen treffen. Die Gründung der CDU-Vereinigung ging in der Nachkriegszeit von christlichen Gewerkschaftern aus den Arbeiterhochburgen Nordrhein-Westfalens aus. Nach Eröffnung des „Büro Albers“ auf der Breiten Straße in Köln im Juni 1945 und der offiziellen Gründung der CDA im Kolpinghaus in Herne ein Jahr später nahmen die Christlich-Sozialen schon früh Einfluss auf die Programmatik der „Mutterpartei“. Standen in der Nachkriegszeit noch soziale Fragen wie die materielle Sicherheit der Arbeitnehmer und deren Stellung in den Betrieben im Vordergrund, so wandte sich die CDA seit 1967 mit der „Offenburger Erklärung“ vermehrt gesamtgesellschaftlichen Fragen zu. Auch heute gibt sie ausgehend von der christlichen Sozialethik in ihrem jüngsten Grundsatzprogramm Antworten auf aktuelle Herausforderungen wie Globalisierung, Demografie, Digitalisierung und Klimawandel.

Weitere Entwicklung Johannes Albers, der der CDA von 1947 bis 1949 und 1958 bis 1963 vorstand, wird gemeinhin mit der Gründung und dem Aufbau der Vereinigung verbunden. In die Führungszeit Jakob Kaisers (1949 – 1958) fallen verschiedene Errungenschaften der Sozialgesetzgebung: das Wohnungsbaugesetz (1950), das Bundesversorgungsgesetz (1950), die Montanmitbestimmung (1951), die Einführung des Kündigungs- und des Mutterschutzes (1952), die Betriebsverfassung (1952), die Einrichtung der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung (1952) und die damit verbundene Arbeitslosenversicherung (1952). Als letzten großen Erfolg unter seiner Führung feierte man die Rentenreform mit Installation der dynamischen Rente (1957). Von 1963 bis 1977 kämpfte die CDA unter seinem Nachfolger Hans Katzer für die Verabschiedung des Arbeitsförderungsgesetzes (1969), die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und das Berufsbildungsgesetz (1969). Auch mit Norbert Blüms Periode als CDA-Bundesvorsitzender von 1977 bis 1987 werden zahlreiche sozialpolitische Neuerungen wie die Einführung von Erziehungsgeld, die Rentenansprüche für Erziehungsleistung, die Möglichkeit der Beantragung des Erziehungs- bzw. Pflegeurlaubs, das Pflegegeld (1989), die Implementierung der Pflegeversicherung (1995) und letztlich das Vermögensbildungsgesetz (1998) verbunden.4 Bundesvorsitzende 1947 – 1949 Johannes Albers* 1949 – 1958 Jakob Kaiser* 1958 Karl Arnold* 1958 – 1963 Johannes Albers* 1963 – 1977 Hans Katzer* 1977 – 1987 Norbert Blüm* 1987 – 1993 Ulf Fink 1993 Werner Schreiber 4 Einen tieferen Einblick in die Geschichte der CDA und die deutsche Sozialgeschichte von 1835 bis heute bietet die von der CDA erarbeitete christlich-soziale Zeittafel, abrufbar unter: https://www. sachsen-cda.de/Dateien/zeittafel-der-cda/783098 (Abruf: 15.9.2020).

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CDA – Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft

1994 – 2001 2001 – 2004 2004 – 2005 seit 2005

Rainer Eppelmann* Hermann-Josef Arentz* Gerald Weiß Karl-Josef Laumann

(* bedeutet, Biogramm auf cdu-geschichte.de vorhanden)

Forschungs- und Quellenlage Zur Geschichte der CDA sind Publikationen etwa von Hans-Otto Kleinmann5 oder Veröffentlichungen aus dem CDA-Verlag in Königswinter zu verschiedenen CDA-Jubiläen erschienen. Vielfältige Publikationen zu den CDA-Landesvereinigungen sind ebenfalls verfügbar.6 Daneben ist eine Arbeit von Birgit Frese aus dem Jahr 2000 zu nennen.7 Zusätzlich zum Bestand des CDA-Bundesverbands (04-013) weist das ACDP momentan insgesamt 21 teilweise unerschlossene weitere CDA-Bestände der Kommunal- wie Landesebene auf.8 Hinzu kommt das unerschlossene CDA-Tonarchiv mit der Signatur (11-030). Selbstverständlich bieten auch die im ACDP vorhandenen Deposita von CDAVorsitzenden wie Johannes Albers (01-079), Karl Arnold (01-069), Hans Katzer (01-684), Norbert Blüm (01-504), Ulf Fink (01-1035), Rainer Eppelmann (01-676), Hermann-Josef Arentz (01-908) und Gerald Weiß (01-479) umfangreiches Material zur christlich-sozialen Historie.

5 Hans-Otto Kleinmann: Adenauer, Albers und die Anfange der CDU-Sozialausschüsse. Unveröffentlichte Briefe, in: HPM 3 (1996), S. 195 – 206. 6 Beispiele sind Christliche Soziallehre. Grundwerte. Fachtagung der CDA in Niedersachsen: 10. Juli 1999 (CDA-Schriftenreihe; 1). Dresden 1999 oder Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft Deutschlands (Hg.): 50 Jahre CDA-Landesverband Hessen. „Streiten für Gerechtigkeit“. o.O. 1995. 7 Birgit Frese: Anstöße zur sozialen Reform. Hans Katzer, die Sozialausschüsse und ihre Vorschläge zur Schaffung einer partnerschaftlichen Wirtschaftsordnung. Diss. Düsseldorf 2000. 8 Siehe dazu: Bestandsübersicht Archiv für Christlich Demokratische Politik. Aktualisierte Aufl. Sankt Augustin 2013, S. 566 – 568, Tonarchiv siehe S. 599.

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EAK – Evangelischer Arbeitskreis der CDU/CSU Horst Granderath/Carsten Pickert Grundsätzliches Mitglied im Evangelischen Arbeitskreis (EAK), einer Sonderorganisation von CDU und CSU, ist laut Satzung jedes evangelische Mitglied dieser beiden Parteien. Der EAK hat bis heute den etwas inoffiziell klingenden Namen Arbeitskreis behalten. Höchstes Organ ist der Bundesarbeitskreis, der den Bundesvorstand – Bundesvorsitzender, die Stellvertreter und Beisitzer – wählt. Wichtig, wenn auch kein offizielles Organ des EAK, ist die öffentlichkeitswirksame Bundestagung9. Die erste Satzung wurde im Dezember 1962 verabschiedet, aktuell gilt die Fassung vom 13. Mai 2011. Das Monatsblatt „Evangelische Verantwortung“ erscheint mit wenigen Unterbrechungen seit März 1953. Offizieller Sitz des EAK ist Berlin.10

Gründungsphase Aufbauend auf ersten Regionalkonferenzen in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre11 und einer Sonderkonferenz beim Gründungsparteitag der CDU in Goslar 1950 beschlossen evangelische Parteimitglieder auf der Tagung vom 14. bis 16. März 1952 in Siegen die Etablierung des EAK. Der dort berufene geschäftsführende Ausschuss wählte am 27. Mai 1952 Hermann Ehlers zum Vorsitzenden, im Januar 1953 wurde Hans Strümpfel der erste Geschäftsführer und Redakteur der „Evangelischen Verantwortung“. In der ersten Ausgabe des Blattes erschien ein Artikel von Wolf Graf Baudissin: „Der Christ und die Wiederbewaffnung“.12 Im Streit genau über die Wiederbewaffnung und ihre mögliche Auswirkung auf eine Wiedervereinigung war die anfängliche Galionsfigur der evangelischen Unionsanhänger, Innenminister und Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Gustav Heinemann, 1950 aus dem Kabinett Adenauer und der CDU ausgetreten. Außerdem lebte gut die Hälfte aller deutschen Protestanten in der DDR, deren Landeskirchen bis 1968 Mitglieder der Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD) blieben.13 9 Alle Bundestagungen unter https://www.kas.de/web/geschichte-der-cdu/eak-bundestagungen (Abruf: 11.9.2019). 10 Vgl. zum EAK Ulrike Hospes/Carsten Pickert: Evangelischer Arbeitskreis (EAK), https://www.kas. de/web/geschichte-der-cdu/evangelischer-arbeitskreis-eak- (Abruf: 19.11.2019). 11 Ausführlich dazu Peter Egen: Die Entstehung des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU. Bamberg 1971, S. 2 – 65. 12 Artikel von Graf Baudissin, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=5fa23982-764 b-792d-d967-156115d5e5a8&groupId=252038 (Abruf: 11.9.2019). 13 Torsten Oppelland: Der Evangelische Arbeitskreis der CDU/CSU 1952 –1969, in: HPM 5 (1998), S. 105 – 143, hier 108.

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Horst Granderath/Carsten Pickert

Zu Wiedervereinigung und Wiederbewaffnung nahm das sogenannte Siegener Manifest vom 16. März 1952 zugunsten der Regierungspolitik deutlich Stellung 14, wofür sich Bundeskanzler Adenauer in seiner Siegener Rede „außerordentlich dankbar“ zeigte.15

Weitere Entwicklung Der nach Siegen gewählte erste Vorsitzende des EAK, Hermann Ehlers, und auch dessen Nachfolger Robert Tillmanns starben früh und unerwartet, so dass bereits 1955 der dritte Vorsitzende gesucht werden musste. Die Wahl fiel auf Bundesinnenminister Gerhard Schröder, der die nächsten 23 Jahre an der Spitze des EAK stand. Schon vorher waren ein zweiter stellvertretender Vorsitzender gewählt sowie der Bundesarbeitskreis um prominente Politiker und mit Luise Rehling und Elisabeth Schwarzhaupt das erste Mal auch um Politikerinnen erweitert worden. Außerdem bildeten sich im Laufe der 1950er Jahre Landesverbände des EAK und Anfang der 1960er Jahre kam es zu einer erneuten Umstrukturierung mit der erstmaligen Verabschiedung einer Satzung 1962.16 Damit war die Organisation zwar im Prinzip festgelegt, stand aber trotzdem hie und da zur Debatte; beispielsweise wurde 1978 die Frage diskutiert, ob der EAK fester in die Organisation der Gesamtpartei eingebunden werden sollte. Das lehnte der im selben Jahr neu gewählte Vorsitzende, Roman Herzog, ab. Als dieser sich 1984 zurückzog, folgten ihm Albrecht Martin, Peter Hintze, Angela Merkel und Jochen Borchert, bis 2003 der derzeitige Amtsinhaber Thomas Rachel den Vorsitz übernahm. Das war inzwischen bereits der Vorsitz des gesamtdeutschen EAK. Wenige Monate nach dem Mauerfall und eine Woche nach den ersten freien Volkskammerwahlen forderte Bundeskanzler Helmut Kohl auf der 31. Bundestagung in Wuppertal am 23./24. März 1990: „Es gilt, auch im Hinblick auf die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, das Engagement evangelischer Christen in der Union zu fördern und zu bekräftigen.“17 1991 wählte das höchste Organ des EAK, der Bundesarbeitskreis, den ersten gesamtdeutschen Bundesvorstand, in dem mit Christine Lieberknecht und Hans Geisler nun auch Vertreter Ostdeutschlands saßen. Anlässlich der 50.Bundestagung 2015 bezeichnete Bundeskanzlerin Angela Merkel, auch aus ihrer Erfahrung als ehemalige Vorsitzende des EAK heraus, diesen „als eine Art Denkfabrik in der Union“18.

14 „Siegener Manifest“ unter https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=c91bb8a9-97ed-5531a389-e14182eecfb5&groupId=252038 (Abruf: 11.9.2019). 15 Auszug der Rede Konrad Adenauers vor dem EAK in Siegen, 16.3.1952, https://www.konrad-adenauer.de/quellen/reden/1952-03-16-rede-eak (Abruf: 29.11.2019). 16 Vgl. dazu ACDP 04-001-003/2 und -002/2 sowie 01-483-054/2 und -053/2. 17 Zit. nach 50 Jahre EAK, S. 126. Zu der 31. Bundestagung siehe auch ACDP 04-001-062/1. 18 Rede von Angela Merkel unter https://www.eak-cducsu.de/sites/www.eak.cdu.de/files/downloads/veranstaltungen/17_11_2015-13_22_22-rede_merkel_final.pdf (Abruf: 11.9.2019).

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EAK – Evangelischer Arbeitskreis der CDU/CSU

Bundesvorsitzende 19 1952 – 1954 Hermann Ehlers* 1954 – 1955 Robert Tillmanns* 1955 – 1978 Gerhard Schröder* 1978 – 1984 Roman Herzog* 1984 – 1990 Albrecht Martin* 1990 – 1992 Peter Hintze* 1992 – 1993 Angela Merkel* 1993 – 2003 Jochen Borchert seit 2003 Thomas Rachel

(* bedeutet, Biogramm auf cdu-geschichte.de vorhanden)

Bundesgeschäftsführer 1953 – 1968 Hans Strümpfel 1968 – 1979 Peter Egen 1979 – 1983 Wilhelm Staudacher 1983 – 1987 Erhard Hackler 1987 – 2000 Birgit Heide 2000 – 2002 Bernhard Felmberg seit 2003 Christian Meißner

Forschungs- und Quellenlage Mit den Arbeiten zum 40-jährigen, 50-jährigen und 60-jährigen Bestehen von Albrecht Martin und Gottfried Mehnert hat der Arbeitskreis selbst Überblicke über seine Geschichte vorgelegt.20 Außerdem gibt es über die Entstehung des EAK eine wissenschaftliche Monographie von Peter Egen von 197121 sowie die Aufsätze von Torsten Oppelland von 199822 und Michael Klein von 200723. Der Arbeitskreis hat selbst Publikationen sowie Berichte über die Bundestagungen und die „Theologischen Gespräche“ herausgegeben. Der Bestand des EAK 04-001 wird im ACDP ergänzt durch die Nachlässe der Bundesvorsitzenden Hermann Ehlers (01-369), Robert Tillmanns (01-229), Gerhard Schröder (01-483) und Albrecht Martin (01-460).

19 Alle Vorstandsmitglieder aufgeführt unter https://www.kas.de/web/geschichte-der-cdu/eak-vorstandsmitglieder-1952-1997 (Abruf 29.11.2019). 20 Albrecht Martin/Gottfried Mehnert: Der Evangelische Arbeitskreis der CDU/CSU 1952 – 2002. Werden, Wirken und Wollen. Berlin 2002 (Neuaufl. 2012). 21 Egen: Entstehung des Evangelischen Arbeitskreises. 22 Oppelland: Der evangelische Arbeitskreis. 23 Michael Klein: Der westdeutsche Protestantismus und die CDU in der Ära Adenauer, in: HPM 14 (2007), S. 79 – 97.

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FU – Frauen Union Horst Granderath Grundsätzliches Als politische Kraft setzt sich die FU für Anliegen von Frauen in Partei und Gesellschaft ein. Stellvertretend versucht sie Ansprüche von Frauen in Parteiorganen und Parlamenten durchzusetzen. Der politischen Bildung von Frauen, dem Einstehen für Gleichberechtigung und dem Motivieren zur aktiven Mitarbeit in der Politik kommt ein hohes Engagement der Vereinigung zu. Sofern man als weibliches Mitglied beim Eintritt in die CDU nicht widerspricht, gehört man der Frauen-Union automatisch an. Ihre Mitgliederzahl beläuft sich momentan auf etwa 155.000 Mitglieder. Sie hat ihren Sitz in Berlin. Die Vereinigung ist darüber hinaus offen für Frauen, die sich auch ohne CDU-Parteimitgliedschaft in der FU engagieren. Laut Selbstbeschreibung sieht sich die FU als „eine starke und moderne politische Kraft, die Einfluss nimmt, Entscheidungen trifft und Veränderungen bewirkt. Für ein faires Miteinander und eine partnerschaftliche Gesellschaft.“24 Oberstes Organ der FU ist der jährliche Bundesdelegiertentag und das angehörige Presseorgan ist die Zeitschrift „Frau und Politik“25, die seit 1955 herausgegeben wird. Als wichtigste Dokumente sind aufzuzählen die Satzung der Frauenvereinigung von 1956 (Königswinter), das Grundsatz- und Aktionsprogramm 1975 „Dortmunder Programm“, das Arbeitsprogramm 1981 „Aufgaben der 80er Jahre“, die „Leitsätze der CDU für eine neue Partnerschaft zwischen Mann und Frau“, beschlossen 1985 auf dem Bundesparteitag in Essen, die „Wiesbadener Richtlinien“ von 1988 und das Programm „Bausteine für die Einheit“ aus dem Jahr 1991. Die aktuelle FU-Programmatik findet sich in der „Braunschweiger Erklärung“26 von August 2017.

Gründungsphase Geschichtlich wie geistig sieht die Frauen Union ihre Wurzeln in der bürgerlich-christlichen Frauenbewegung, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufkam. Als eigentliche Vereinigung in der Union ist sie schon in der Besatzungszeit nach dem Zwei24 Aktuelle Selbstbeschreibung „Über uns“ der Frauen-Union, zu finden auf vielen Internetseiten der FU auf Bundes- wie auch auf Landesebene. 25 Zumindest die Ausgaben seit Januar 2017 sind auf der Seite der FU online abrufbar: https://www.frauenunion.de/zeitschrift-frau-politik?page=1 (Abruf: 15.9.2020). 26 Der Beschluss „Starke Frauen. Starkes Deutschland“ des 32. Bundesdelegiertentages der Frauen Union der CDU Deutschlands am 26./27. August 2017 in Braunschweig ist online abrufbar unter: https://www.frauenunion.de/sites/www.frauenunion.de/files/beschluesse/braunschweiger_erklrung_beschluss.pdf. (Abruf: 16.9.2020). Die durch den Bundesdelegiertentag am 19. Oktober 1991 beschlossene Satzung ist nach mehreren Änderungen, zuletzt am 27. August 2017, gültig und online einsehbar unter: https://www.frauenunion.de/sites/www.frauenunion.de/files/downloads/fu_satzung_2017_online. pdf (Abruf: 16.9.2020).

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Horst Granderath

ten Weltkrieg in Frauenausschüssen aktiv geworden und schloss sich am 1. Mai 1948 in Frankfurt/Main als „Frauenarbeitsgemeinschaft“ zusammen. Nach mehreren Umbenennungen in „Bundesfrauenausschuss der CDU“ (1951, organisatorische Trennung von der CSU) und „Frauenvereinigung“ (1956) trägt sie seit 1988 ihren heutigen Namen. Die FU gibt seit ihrer Gründung Antworten auf den Wandel des Frauenbildes in Familie und Gesellschaft.

Weitere Entwicklung Die ehemalige Reichstagsabgeordnete Helene Weber war erste Bundesvorsitzende von 1951 bis 1958. Neben ihrem energisch geführten Kampf um die Gleichberechtigung von Mann und Frau sind mit ihrer Amtszeit Errungenschaften wie die Einführung der Witwenrente (1949), die Aufnahme des Elternrechts in das Grundgesetz, das Mutterschutzgesetz (1952), die Einführung des Kindergeldes (1955) und das Verbot von Frauenlohngruppen (1957) verbunden. Daneben wurde sie nicht müde, für Solidarität mit den „Schwestern“ in der Sowjetischen Besatzungszone einzustehen. Zu guter Letzt wird mit ihrem Namen der Erfolg verbunden, dass Elisabeth Schwarzhaupt als erste Frau ins Kabinett Adenauer (1961) berufen wurde. Die Rolle der Frau in der modernen Gesellschaft wurde unter Aenne Brauksiepe, die von 1958 bis 1971 Bundesvorsitzende war, neu bewertet und ein Konzept einer eigenständigen sozialen Sicherung der Frau erstellt. In den Jahren von 1971 bis 1986 saß Helga Wex der FU vor, die die organisatorische und programmatische Erneuerung der Frauenvereinigung vorantrieb. Mit ihr verbunden bleiben Erfolge wie das Prinzip der verantworteten Partnerschaft von Mann und Frau in allen Lebensbereichen, konkreter die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit Flexibilisierung der Arbeitszeit, die Einführung eines Erziehungsgeldes und Erziehungsurlaubs (1986) und die Einführung einer Rentenversicherung für Hausfrauen- bzw. Kindererziehungszeiten sowie die Partnerrente. In ihrer Amtszeit gründete sich die „Gruppe der Frauen“ in der CDU/CSU-Fraktion (1981). Sie erarbeitete Frauenförderpläne, richtete Gleichstellungsstellen ein und rief die Stiftung „Mutter und Kind“ (damals geführt von Roswitha Verhülsdonk) ins Leben. In der Amtszeit von Rita Süssmuth, Bundesvorsitzende von 1986 bis 2001, wurden der § 218 neu geregelt, das Zweite Gleichberechtigungsgesetz (1994) verabschiedet und Erleichterungen für Berufsrückkehrerinnen erzielt, letztere konkret durch einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz und Gewährung von Hilfen für Alleinerziehende. Süssmuth war beteiligt an der Einrichtung des Instituts „Frau und Gesellschaft“ in Hannover (1982). Sie kämpfte für die Anrechnung von Pflegezeiten bei der Rente und setzte sich für die innerparteiliche Frauenquote bzw. das Drittelquorum (1996) ein.27

27 Einen tieferen Einblick in die Geschichte der Frauen Union bietet die Chronik zur Geschichte der FU (1948 – 2001) von Beate Behrendt-Weiß – online abrufbar unter: https://www.frauenunion.de/sites/ www.frauenunion.de/files/downloads/mut_zur_macht_in_frauenhand_60_jahre_fu_.pdf (Abruf: 16.9.2020).

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FU – Frauen Union

Bundesvorsitzende Aus Gründen des konfessionellen Proporzes wurden der Bundesfrauenausschuss der CDU sowie die Frauenvereinigung bis 1969 von jeweils einer katholischen und einer evangelischen Vorsitzenden gemeinsam geleitet. Bundesfrauenausschuss 1951 – 1956 Helene Weber, kath.* 1951 – 1954 Maria Eichelbaum, ev. 1954 – 1956 Margarete Schuckert, ev. Frauen-Union (vor 1988 Frauenvereinigung) 1956 – 1958 Helene Weber, kath.* 1956 – 1966 Hedwig Jochmus, ev. 1958 – 1969 Aenne Brauksiepe, kath.* 1966 – 1969 Charlotte Fera, ev. 1969 – 1971 Aenne Brauksiepe* 1971 – 1986 Helga Wex* 1986 – 2001 Rita Süssmuth* 2001 – 2015 Maria Böhmer* seit 2015 Annette Widmann-Mauz

(* bedeutet, Biogramm auf cdu-geschichte.de vorhanden)

Forschungs- und Quellenlage Ältere Veröffentlichungen stammen von Hanna-Renate Laurien28 oder Hans Süssmuth29. Ergänzt werden sie durch Publikationen zu Jubiläen von Untergliederungen der Frauen-Union.30 In jüngerer Zeit erschienen einschlägige Publikationen unter anderem von Cathleen Kiefert31 und Ina vom Hofe32 sowie der von Beate Neuss und Hildigund Neubert herausgegebene Sammelband mit Zeitzeuginnenberichten „Mut zur Verantwortung“33. Einblicke in die Arbeit der Frauen Union und deren Selbstverständnis bieten Maria Böhmers Artikel „Mut zur Macht in Frauenhand“34, verfasst anlässlich 60 Jahre Frauen Union der CDU, sowie der Artikel von Annette Widmann-Mauz „Ich packe das 28 Hanna-Renate Laurien: Die Union und die Frauen, in: Gerhard Mayer-Vorfelder/Hubertus Zuber (Hg.): Union alternativ. Stuttgart 1976, S. 440 – 453. 29 Hans Süssmuth: Kleine Geschichte der CDU-Frauen-Union: Erfolge und Rückschläge 1948 – 1990. Baden-Baden 1990. 30 Zu nennen sind beispielsweise: Frauen-Union der CDU NRW (Hg.): 50 Jahre Politik für Frauen. Düsseldorf 1998; Frauen Union Herne (Hg.): 1975 – 2005 FU Herne (30 Jahre FU Herne). Herne 2005; Frauen-Union Bonn (Hg.): 50 Jahre Frauen-Union. 1948 bis 1998. Festschrift. Bonn 1998. 31 Cathleen Kiefert: „Politik ist eine viel zu ernste Sache, als dass man sie allein den Männern überlassen könnte.“ Die Frauenorganisationen in den deutschen Parteien (Nomos Universitätsschriften – Politik. Bd. 175). Baden-Baden 2011. 32 Ina vom Hofe: Die Frauenpolitik der CDU. Traditionen – Entwicklungen – Einflüsse 1945 bis 2013. Sankt Augustin/Berlin 2017. 33 Beate Neuss/Hildigund Neubert (Hg.): Mut zur Verantwortung. Frauen gestalten die Politik der CDU. Köln/Weimar/Wien 2013. 34 DPM Nr. 459 (Februar 2008), auch unter: https://www.frauenunion.de/sites/www.frauenunion.de/files/ downloads/mut_zur_macht_in_frauenhand_60_jahre_fu_.pdf (Abruf: 16.9.2020).

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Horst Granderath

und kandidiere!“35, erschienen anlässlich 100 Jahre Frauenwahlrecht und 70 Jahre Frauen Union. Der Bestand der Frauenvereinigung/Frauen-Union/EFU (04-003) wird im ACDP einerseits durch sechs FU-Bestände aus Landesvereinigungen36, andererseits durch die teilweise noch unerschlossenen Deposita der Bundesvorsitzenden Hedwig Jochmus (011032), Helga Wex (01-379), Rita Süssmuth (01-689) und Maria Böhmer (01-783) ergänzt.

35 DPM Nr. 552 (September/Oktober 2018), auch unter: https://www.frauenunion.de/sites/www.frauenunion.de/files/downloads/kas.pdf (Abruf: 16.9.2020). 36 Die teilweise noch unerschlossenen FU-Bestände des ACDP aus den Ländern sind: FU Niedersachsen (04-070), FU Nordrhein-Westfalen (04-039), FU Rheinland-Pfalz (04-031), FU Saar (04-085), FU Sachsen (04-077) und FU Schleswig-Holstein (04-058). Ebenfalls noch unerschlossen ist das FU-Tonarchiv (11-032).

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JU – Junge Union Deutschlands und Schüler Union Carsten Pickert

JU – Junge Union Deutschlands Grundsätzliches Die Junge Union Deutschlands (JU) ist die Jugendvereinigung der beiden Unionsparteien CDU und CSU auf Bundesebene. Deutschlandweit ist die JU in 18 Landesverbände, 37 Bezirksverbände, 403 Kreisverbände und ca. 1.000 Stadt- bzw. Gemeinde- sowie in Stadtteil- und Ortsverbände untergliedert. Mit ca. 105.000 Mitgliedern ist sie der größte politische Jugendverband in Deutschland. Ihren Sitz hat die JU in Berlin.37 Mitglied können alle ab Vollendung des 14. Lebensjahres werden, die sich zu den Grundsätzen und Zielen der JU bekennen. Eine Mitgliedschaft in einer der beiden Unionsparteien ist nicht zwingend. Mit der Vollendung des 35. Lebensjahres endet die Mitgliedschaft.38 Organe der JU sind der Deutschlandtag, der Deutschlandrat und der Bundesvorstand. Die Delegierten des Deutschlandtages wählen den Bundesvorsitzenden und die Mitglieder des Bundesvorstandes und fassen politische Beschlüsse. Der Deutschlandrat, welcher sich aus 42 Vertretern der Landesverbände, den Bundesvorstandsmitgliedern und dem Bundesvorsitzenden der Schüler Union zusammensetzt, entscheidet zwischen den Deutschlandtagen über grundsätzliche politische Fragen. Der Bundesvorstand führt die Geschäfte der JU und wählt den Bundesgeschäftsführer. Der Bundesvorsitzende vertritt die JU nach innen und außen.39 Die JU Deutschlands ist Mitglied der Jungen Europäischen Volkspartei (JEVP).40 Das Mitgliedermagazin heißt „Die Entscheidung“ und erscheint alle zwei Monate.41 Eine eigenständige Arbeitsgemeinschaft innerhalb der JU ist die Schüler Union.42

Gründungsphase Bereits kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges entstanden spontan, oftmals im Umfeld von CDU- oder CSU-Gründungen, Diskussionsgruppen von politisch interessierten jungen Menschen. Zeitgleich zum Parteiaufbau gab es bei den Unionsparteien 37 Vgl. Junge Union Deutschlands: Unsere Struktur, https://www.junge-union.de/ueber-uns/struktur (Abruf: 29.11.2019). 38 Vgl. Junge Union Deutschlands: Satzung, § 2, https://www.junge-union.de/satzung (Abruf: 29.11.2019). 39 Vgl. ebd., §§ 3 bis 9, https://www.junge-union.de/satzung (Abruf: 29.11.2019). 40 Die englische Bezeichnung lautet Youth of the European People’s Party (YEPP). 41 Vgl. Junge Union Deutschlands: Unsere Struktur, https://www.junge-union.de/ueber-uns/struktur (Abruf: 29.11.2019). 42 Siehe den entsprechenden Beitrag in diesem Band.

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Carsten Pickert

Bestrebungen, den bisher losen, meist nebeneinher bestehenden Gruppierungen einen organisatorischen Rahmen zu geben.43 So konstituierte sich in der Sowjetischen Besatzungszone im März 1946 ein Arbeitsausschuss Junge Union für die SBZ und Berlin.44 Im CDU-Landesverband Rheinland begann man Anfang Juni mit der Bildung von Arbeitsgemeinschaften junger Deutscher in der CDU.45 Vom 4. bis 7. August 1946 trafen sich in Recklinghausen Delegierte der acht JU-Landesverbände der Britischen Zone und gründeten einen JU-Zonenverband mit dem Namen Junge Union in der CDU.46 Als Gründungsveranstaltung und zugleich als erster Deutschlandtag des JU-Bundesverbandes wird das Treffen vom 17. bis 21. Januar 1947 in Königstein im Taunus47 angesehen, an dem Vertreter der Jungen Union aus allen vier Besatzungszonen teilnahmen. Ziel dieses Treffens war der Zusammenschluss der jungen Gruppen in CDU und CSU zu einer politischen Jugendorganisation.48 In der Königsteiner Erklärung wurden u. a. die Sicherung der Existenzbedürfnisse, ein gerechter Lastenausgleich, eine Bodenreform, ein Siedlungsprogramm und ein Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer in den Betrieben gefordert.49 Bereits vom 28. Mai bis 1. Juni des gleichen Jahres fand in Berlin der zweite Deutschlandtag statt. Hier wurde u. a. der sogenannte Neuner Ausschuss gebildet, welcher als ständiges Führungsgremium des Bundesverbandes tagen sollte.50 Weiterhin wurde auf diesem Deutschlandtag die Verfassungsfrage diskutiert.51 Vom 12. bis 15. Oktober 1947 trat in Hamburg der dritte Deutschlandtag der JU zusammen. Hier wurden der Deutschlandrat als oberstes und ständiges Gremium zwischen den Deutschlandtagen eingerichtet sowie Bruno Six zum Bundesvorsitzenden und FranzXaver Butterhof zum Bundessekretär gewählt.52 Außerdem wurde die Einrichtung eines Deutschland-Sekretariats beim Generalsekretariat der CDU/CSU-Arbeitsgemeinschaft in Frankfurt am Main beschlossen.53 In der Sowjetischen Besatzungszone waren die JU und ihre Mitglieder von Anfang an starken Repressalien und Verfolgungen ausgesetzt. Nach einer Verhaftungswelle 1947 fasste der Zonenarbeitskreis der JU im Dezember 1947 den Beschluss, in der sowjetisch besetzen Zone ihre Arbeit vorläufig einzustellen. Mit der Einsetzung eines Zonenjugendausschusses der CDU durch die Sowjetische Militäradministration in Deutschland im Ja-

43 Vgl. Hans-Otto Kleinmann: Geschichte der CDU 1945 – 1982. Hg. von Günter Buchstab. Stuttgart 1993, S. 101. 44 Zur Geschichte der Jungen Union in der SBZ siehe Brigitte Kaff (Hg.): Die Junge Union 1945 – 1950. Jugendpolitik in der sowjetisch besetzten Zone. Freiburg i. Br. 2003. 45 Vgl. Kleinmann: Geschichte der CDU, S. 101. 46 Vgl. Wolfgang R. Krabbe: Parteijugend in Deutschland. Junge Union, Jungsozialisten und Jungdemokraten 1945 – 1980. Wiesbaden 2002, S. 33 und 43 und Paul Ziemiak (Hg.): 70 Jahre Junge Union Deutschlands. Monschau 2017, S. 12. 47 Vgl. Christopher Beckmann: Königstein im Taunus, Kurhaus. Von der jungen Partei zur „Partei der Jugend“, in: Michael Borchard/Judith Michel (Hg.): Erinnerungsorte der Christlichen Demokratie in Deutschland. Berlin 2020, S. 52 – 59. 48 Vgl. Ziemiak: 70 Jahre Junge Union, S. 14. 49 Vgl. Horstwalter Heitzer: Junge Union (JU), in: Lexikon der Christlichen Demokratie. Paderborn 2002, S. 568 und Ziemiak: 70 Jahre Junge Union, S. 14. 50 Vgl. Ziemiak: 70 Jahre Junge Union, S. 15. 51 Vgl. Krabbe: Parteijugend in Deutschland, S. 38. 52 Vgl. ebd., S. 44; Ziemiak: 70 Jahre Junge Union, S. 15; Heitzer: Junge Union, S. 568. 53 Vgl. Kleinmann: Geschichte der CDU, S. 102.

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nuar 1948 und dem Verbot des Namens Junge Union im Februar 1948 war die JU in der Sowjetischen Besatzungszone nicht mehr existent.54 Auf der Sitzung des Deutschlandrats am 17. November 1948 in Königstein erfolgte ein Wechsel im Bundesvorsitz. Auf Bruno Six, der in den nordrhein-westfälischen Landtag gewählt worden war, folgte der ehemalige Sprecher der JU in der SBZ, Fred Sagner.55 Auf dieser Sitzung wurde auch die Lage der JU diskutiert. Man kam zu der Erkenntnis, dass die JU in der jetzigen Form als von der Mutterpartei abhängiger Parteiausschuss ohne eigene Satzung und eigenständige Mitgliedschaft keine große Wirksamkeit entfalten konnte.56 Daher begann man mit der Ausarbeitung einer vorläufigen Satzung, die auf der nächsten Sitzung des Deutschlandrates am 2./3. Juli 1949 ausformuliert und verabschiedet wurde. Kurz darauf trat Fred Sagner als Bundesvorsitzender zurück. Ihm folgte Josef Hermann Dufhues. Nach der Bundestagswahl 1949 wurde auch der Sitz des JU-Bundessekretariats von Frankfurt am Main nach Köln verlegt.57 Unter Dufhues wurden Ende März auf der Sitzung des Deutschlandrates in Würzburg die neun Punkte umfassenden „Würzburger Beschlüsse“ verabschiedet, in denen die JU ihre Grundforderungen darstellte. Nach langem Kampf gelang es der JU auf dem ersten Bundesparteitag der CDU vom 20. bis 22. Oktober 1950 in Goslar, im Statut der CDU als eigenständige Vertretung der jungen Generation anerkannt zu werden. Während des 1. Bundesparteitages trat auch der Deutschlandrat zusammen. Auf dieser Sitzung wurde Ernst Majonica zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt.58 Nach zahlreichen Verschiebungen fand vom 28. bis 30. September 1951 der vierte Deutschlandtag in Bonn statt, auf dem die erste Satzung der JU verabschiedet wurde. Ebenfalls 1951 wurde das JU-Bundessekretariat von Köln nach Bonn verlegt.59

Weitere Entwicklung In der ersten Hälfte der 1950er Jahre lag die Hauptarbeit der JU bei den Orts- und Kreisverbänden. Neben der Mitgliederwerbung und der Wahlkampfunterstützung kümmerten sich die Orts- und Kreisverbände auch um die Mitglieder- und Rednerschulungen. Das Bundessekretariat befasste sich in dieser Zeit vornehmlich mit den Auf- und Ausbau des Bundesverbandes. Politisch waren die Wiederbewaffnungsdebatte in Verbindung mit der Europa-Idee, die Soziale Marktwirtschaft und die Jugend- und Familienpolitik Schwerpunkte der JU-Arbeit.60 Nach der Bundestagswahl 1953 schlossen sich innerhalb der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag 35 junge Abgeordnete zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen, um die Interessen der JU in der Fraktion zu vertreten.61 Vom 20. bis 22. Mai 1955 fand nach zweijähriger Pause in Augsburg wieder ein Deutschlandtag statt, auf dem Gerhard Stoltenberg zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt wur54 Vgl. Ralf Thomas Baus: Die Junge Union in der sowjetisch besetzen Zone 1945– 1948. Anfänge – Organisation – Verbot, in: Kaff (Hg.): Die Junge Union 1945 – 1950, S. 68 – 70. 55 Vgl. Junge Union Deutschlands (Hg.): 50 Jahre Junge Union Deutschlands. Bonn 1997, S. 19. 56 Vgl. Krabbe: Parteijugend in Deutschland, S. 44. 57 Vgl. Ziemiak: 70 Jahre Junge Union, S. 16. 58 Vgl. Kleinmann: Geschichte der CDU, S. 104. 59 Vgl. Krabbe: Parteijugend in Deutschland, S. 45. 60 Vgl. ebd., S. 102 f. und Kleinmann: Geschichte der CDU, S. 215. 61 Vgl. Ziemiak: 70 Jahre Junge Union, S. 18.

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de.62 Große mediale Aufmerksamkeit erlangte ein Jahr später der Deutschlandtag vom 29. Juni bis 1. Juli 1956 in Travemünde, auf dem erstmals von Seiten der JU Kritik an der Parteistruktur der Unionsparteien und an Konrad Adenauer geübt wurde.63 Auf dem 6.Bundesparteitag der CDU vom 26. bis 29. April 1956 in Stuttgart wurde durch die Änderung des CDU-Statuts der JU zusammen mit der MIT, der KPV, der CDA und der Frauenvereinigung der Status einer Vereinigung der CDU zuerkannt. Dadurch hatte die JU u. a. das Recht, eigene Verlautbarungen und Presseerklärungen abzugeben.64 Auf dem Deutschlandtag vom 13. bis 15. Oktober 1961 in Oldenburg kandidierte Gerhard Stoltenberg nicht mehr für den Bundesvorsitz. In einer Kampfabstimmung setzte sich Bert Even gegen Egon Klepsch durch und wurde neuer Bundesvorsitzender der JU. Unter Even wurden verstärkt Reformen innerhalb der Unionsparteien eingefordert. So sollten sich diese durch die Förderung der innerparteilichen Demokratie an die veränderten gesellschaftlichen Gegebenheiten anpassen, die letzten Reste des Honoratiorensystems beseitigt und die Partei gegenüber den Fraktionen und Regierungsmitgliedern gestärkt werden. Zwei Jahre später, auf dem Deutschlandtag vom 8. bis 10. November 1963 in Fulda, konnte sich dann wiederum Klepsch in der Wahl des Bundesvorsitzes gegen Friedrich Vogel durchsetzen. Unter dem Vorsitz von Egon Klepsch begann eine vertiefte Programmdiskussion. Weiterhin wurden die Kontakte zu Gewerkschaften und Verbänden sowie die internationale Arbeit intensiviert.65 1964 wurde Klepsch zudem zum ersten Präsidenten der neugegründeten Internationalen Union Junger Christlicher Demokraten Europas (IUJCD) gewählt. Im Juni 1965 fungierte die JU als Gastgeber für den 2.Weltkongress der IUJCD in Berlin.66 Die politischen Schwerpunkte lagen bis 1968 bei der Jugend- und Bildungspolitik und der Europapolitik. Zudem musste sich die JU verstärkt ab 1967 mit den Protestbewegungen an den Hochschulen auseinandersetzen.67 Auf dem Deutschlandtag vom 7. bis 9. November 1969 in Hamm wurde Egon Klepsch von Jürgen Echternach im Bundesvorsitz abgelöst und die Absenkung des Höchstalters für die JU-Mitgliedschaft von 40 auf 35 Jahre beschlossen. Die 68er-Bewegung und der mit ihr verbundene Einstellungswandel in der Jugend und der Regierungsverlust der Unionsparteien auf Bundesebene führten bei der JU zur Einnahme einer kritischen Distanz zu den Unionsparteien. Die Schwerpunkte der politischen Arbeit sollten sich auf innen-, gesellschafts- und bildungspolitische Themen verlagern.68 Unter dem Vorsitz von Jürgen Echternach wandte man sich wieder verstärkt der CDA zu und beteiligte sich intensiv an der Mitbestimmungsdebatte.69 Ein neues Thema, mit dem sich die JU ab Anfang der 1970er Jahre beschäftigte, war der Umweltschutz. Bereits im September 1971 lud die JU zu einem Umweltschutzkongress nach Augsburg ein.70 Dritter Themenschwerpunkt sollte in den 1970er Jahren die Ost- und Deutschlandpolitik sein.71 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71

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Vgl. Kleinmann: Geschichte der CDU, S. 215. Vgl. Krabbe: Parteijugend in Deutschland, S. 108 – 110. Vgl. ebd., S. 101. Vgl. Kleinmann: Geschichte der CDU, S. 215 – 217. Vgl. Ziemiak: 70 Jahre Junge Union, S. 40 f. Vgl. Konrad-Adenauer-Stiftung (Hg.): Kleine Geschichte der CDU. Stuttgart 1995, S. 292. Vgl. Krabbe: Parteijugend in Deutschland, S. 175 – 177. Vgl. KAS (Hg.): Kleine Geschichte der CDU, S. 292. Umweltschutzkongress am 4./5.9.1971 in Augsburg, in: ACDP 04-007-121/1. Vgl. Krabbe: Parteijugend in Deutschland, S. 185.

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Auf dem Deutschlandtag vom 29. September bis 1. Oktober 1972 in Fulda wurde erstmals ein Grundsatzprogramm mit dem Titel „Für eine humane Gesellschaft“72 beschlossen, in welchem sich die JU zur Notwendigkeit umfassender Reformen auf staatlicher und gesellschaftlicher Ebene, zur parlamentarischen Demokratie und zur Sozialen Marktwirtschaft bekannte.73 Die Senkung des Eintrittsalters auf 14 Jahre auf dem Deutschlandtag 1971 und die Gründung der Schüler Union als Vorfeldorganisation 1972/73 vermochten in nicht unerheblichem Maße Jugendliche für die Ziele und Vorstellungen der JU zu begeistern und zur positiven Mitgliederentwicklung beizutragen. Zum Ende der Amtszeit von Jürgen Echternach konnte die JU 170.000 Mitglieder vorweisen.74 Zum Nachfolger von Jürgen Echternach wurde 1973 Matthias Wissmann gewählt, unter dessen Vorsitz zunächst die Zusammenarbeit mit der CDA in den Bereichen betriebliche Mitbestimmung, Vermögensbildung, Bodenrecht und berufliche Bildung anhielt.75 Neben Themen wie Jugendarbeitslosigkeit, Numerus Clausus, Jugendsekten, Drogenprobleme, Jugendkriminalität, Jugendpolitik, Jugendprotest und Umweltpolitik kam Anfang der 1980er Jahre der Themenbereich Menschenrechte hinzu. Die JU veranstaltete zahlreiche Protest- und Menschenrechtsaktionen im gesamten Bundesgebiet. Anlässlich des Deutschland-Besuchs von Leonid Breschnew im November 1981 versammelten sich 50.000 JU-Mitglieder zu einer Protestaktion in Bonn.76 Nach zehn Jahren im Amt des Bundesvorsitzenden kandidierte Matthias Wissmann auf dem Deutschlandtag vom 11. bis 13. November 1983 in München nicht mehr für den Bundesvorsitz. Zu seinem Nachfolger wurde Christoph Böhr gewählt. Weiterhin verabschiedete der Deutschlandtag ein Grundsatzpapier zur Umweltschutzpolitik.77 Ab 1985 konnte der innerdeutsche Jugendaustausch wieder aufgenommen werden. Zahlreiche Orts- und Kreisverbände nutzten die Möglichkeit und reisten in die DDR, um sich vor Ort selbst einen Eindruck zu verschaffen und mit den Jugendlichen aus Ostdeutschland in Kontakt zu treten.78 Ein neues Grundsatzprogramm mit dem Titel „Der Mensch im Mittelpunkt“ wurde auf dem außerordentlichen Deutschlandtag vom 3. bis 5. März 1989 in Oldenburg verabschiedet.79 Auf dem Deutschlandtag vom 3. bis 5. November 1989 in Erlangen wurde Hermann Gröhe zum neuen Bundesvorsitzenden der JU gewählt.80 Am 9. November 1989 gründete sich mit der Christlich-Demokratischen Jugend (CDJ) eine Jugendorganisation der CDU in der DDR. Auf der ersten Gesamtkonferenz der CDJ vom 2. bis 4. Februar 1990 in Burgscheidungen wurde Christoph Bender Vorsitzender der CDJ.81 Auf dem Deutschlandtag in Leipzig vom 14. bis 16. September 1990 schlossen sich die CDJ und die JU, noch vor der Wiedervereinigung, zur gesamtdeutschen JU zusammen.82

72 73 74 75 76 77 78 79 80 81

Grundsatzprogramm „Für eine humane Gesellschaft“, in: ACDP 04-007-025/2. Vgl. Ziemiak: 70 Jahre Junge Union, S. 60. Vgl. ebd., S. 62. Vgl. Kleinmann: Geschichte der CDU, S. 277 f. Vgl. Krabbe: Parteijugend in Deutschland, S. 197 f. und Ziemiak: 70 Jahre Junge Union, S. 85 f. Vgl. ebd., S. 86 f. Vgl. ebd., S. 87. Vgl. ebd., S. 106. Vgl. ebd., S. 108. Vgl. ebd., S. 108. Unterlagen zur CDJ siehe Verzeichnungseinheit Christlich-Demokratische Jugend in der DDR (CDJ), in: ACDP 04-007-412/1. 82 Vgl. Ziemiak: 70 Jahre Junge Union, S. 108 f.

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In der ersten Hälfte der 1990er Jahre bestimmten in Zeiten des Golfkriegs, des beginnenden Bürgerkriegs in Jugoslawien und des missglückten Putsches in der Sowjetunion die Themen Menschenrechte, Demokratie und Selbstbestimmung die Arbeit der JU. So organisierten der Bundesverband und zahlreiche Kreisverbände Hilfstransporte nach Kroatien und Bosnien-Herzegowina. Innenpolitisch setzte sich die JU mit zahlreichen Aktionen gegen die Gewalt gegen Ausländer ein und klärte über die Scientology-Sekte auf. Auch der Umweltschutz stand weiterhin im Mittelpunkt der Arbeit. Ebenfalls rief der Bundesvorsitzende Hermann Gröhe bereits Anfang der 1990er Jahre dazu auf, über schwarz-grüne Koalitionsmodelle nachzudenken.83 Zum Nachfolger von Hermann Gröhe wurde auf dem Berliner Deutschlandtag vom 4. bis 6. November 1994 Klaus Escher gewählt.84 Politisch forderte die JU eine Steuer- und Rentenreform. Des Weiteren wurden die Zukunft der Wehrpflicht, die Einführung von Studiengebühren und die Gestaltung einer modernen Familienpolitik diskutiert.85 Auf dem Deutschlandtag vom 27. bis 29. November 1998 in Weiden (Oberpfalz) wurde mit Hildegard Müller erstmals eine Frau zur Bundesvorsitzenden der JU gewählt. Ende des Jahres 1998 erfolgte der Umzug der JU-Bundesgeschäftsstelle von Bonn nach Berlin.86 Auf dem Deutschlandtag vom 18. bis 20. Oktober 2002 in Düsseldorf wurde Philipp Mißfelder zum Vorsitzenden gewählt. In den nachfolgenden Jahren waren Generationengerechtigkeit, Neue Medien, die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme, Bürokratieabbau und Förderung von Familien und Bildung Themen, mit denen man sich beschäftigte.87 2012 begannen wieder Beratungen für ein neues Grundsatzprogramm der JU, welches auf dem Deutschlandtag vom 5. bis 7. Oktober 2012 in Rostock beschlossen wurde.88 Auf dem Deutschlandtag vom 19. bis 21. September 2014 kam es, erstmals seit 1973, wieder zu einer Kampfabstimmung, bei der sich Paul Ziemiak gegen Benedict Pöttering durchsetzen konnte. Als neue Schwerpunkte der JU-Arbeit nannte Ziemiak die Investitionen in die Bildung, die Beschleunigung der Digitalisierung und die Bewältigung des demografischen Wandels. Ein Zukunftspapier wurde auf dem Zukunftskongress am 5. Dezember 2014 in Coburg verabschiedet.89 Auf dem außerordentlichen Deutschlandtag am 16. März 2019 in Berlin kandidierten Tilman Kuban und Stefan Gruhner für den Bundesvorsitz. Zum neuen Bundesvorsitzenden der JU wurde Kuban gewählt.90 Nach drei Jahren im Amt des JU-Bundesvorsitzenden kandidierte Tilman Kuban, kurz vor Erreichen der Altersgrenze für die JU-Mitgliedschaft, nicht erneut für den Bundesvorsitz. An seiner Stelle wählten die Deligierten des vom 18. bis 20. November 2022 in Fulda ausgerichteten Deutschlandtag Johannes Winkel zum neuen Bundesvorsitzenden der JU.91

83 84 85 86 87 88 89 90

Vgl. ebd., S. 111. Vgl. ebd., S. 112. Vgl. ebd., S. 133. Vgl. ebd., S. 134. Vgl. ebd., S. 142 f. und 170. Vgl. ebd., S. 172. Vgl. ebd., S. 174 f. Vgl. Junge Union Deutschlands, Pressemitteilung vom 16.3.2019, https://www.junge-union.de/aktuelles/tilman-kuban-neuer-vorsitzender-der-jungen-union-deutschlands/ (Abruf: 6.9.2021). 91 Vgl. Junge Union Deutschlands, Pressemitteilung vom 18.11.2022, https://www.junge-union.de/aktuelles/johannes-winkel-wird-neuer-bundesvorsitzender-der-jungen-union-deutsch/ (Abruf: 2.12.2022).

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Bundesvorsitzende 1947 – 1948 Bruno Six * 1948 – 1949 Alfred Sagner 1949 – 1950 Josef Hermann Dufhues * 1950 – 1955 Ernst Majonica * 1955 – 1961 Gerhard Stoltenberg * 1961 – 1963 Bert Even * 1963 – 1969 Egon Klepsch * 1969 – 1973 Jürgen Echternach * 1973 – 1983 Matthias Wissmann * 1983 – 1989 Christoph Böhr * 1989 – 1994 Hermann Gröhe * 1994 – 1998 Klaus Escher 1998 – 2002 Hildegard Müller 2002 – 2014 Philipp Mißfelder 2014 – 2019 Paul Ziemiak 2019 – 2022 Tilman Kuban seit 2022 Johannes Winkel

(* bedeutet, Biogramm auf cdu-geschichte.de vorhanden)

Bundessekretäre bzw. Bundesgeschäftsführer 1947 – 1948 Franz-Xaver Butterhof 1948 – 1955 Helmut Ziegler 1955 – 1961 Heinz Schwarz 1961 – 1965 Florian Harlander 1965 – 1969 Lothar Kraft 1969 – 1972 Manfred Dumann 1972 – 1979 Peter Helmes 1979 – 1981 Klaus Döhl 1981 – 1987 Friedrich Claudius Schlumberger 1987 – 1990 Jörn Hochrebe 1990 – 1994 Axel Wallrabenstein 1994 – 1995 Michael Panse 1996 – 1998 Susanne Verweyen-Emmrich 1998 – 1999 Ulrich Burger 1999 – 2002 Michael Hahn 2002 – 2003 Christian Wulff * 2003 – 2006 Georg Milde 2006 – 2010 Thomas Dautzenberg 2010 – 2014 Alexander Humbert 2014 – 2018 Conrad Clemens 2018 – 2019 Philipp Müller seit 2019 Antonia Haufler

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Forschungs- und Quellenlage Die JU Deutschlands selbst gibt seit ihrer Gründung regelmäßig kleinere Publikationen heraus wie Satzungen, Leitsätze, Organisationshandbücher, Berichte über Deutschlandtage und JU-Kongresse. Außerdem gibt es umfangreichere Festschriften und Chroniken zum 40-, 50-, 60- und 70-jährigen Bestehen der JU Deutschlands.92 Einen kurzen Überblick zur JU geben „Die Geschichte der CDU“ von Hans-Otto Kleinmann93, die von der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgegebene „Kleine Geschichte der CDU“94 und der Beitrag „Junge Union“ von Horstwalter Heitzer im „Lexikon der Christlichen Demokratie in Deutschland“ während Kim Wambach sich mit der Jugendpolitik der CDU beschäftigt.95 Mit der Geschichte, dem Aufbau und der Struktur der JU beschäftigen sich die Publikationen von Claus-Peter Grotz96 und von Jochen Wagner97. Wolfgang R. Krabbe vergleicht den Aufbau, die Struktur und die Wirkung der Jugendorganisationen der Unionsparteien, der SPD und der FDP.98 Die Junge Union in der SBZ/DDR wird in einem von Brigitte Kaff herausgegebenen Sammelband näher betrachtet.99 Neben dem eigenen Bestand der JU Deutschlands (04-007) gibt es im ACDP zu diesem Thema noch die Nachlässe/Personenbestände der Bundesvorsitzenden Bruno Six (01-399), Josef Hermann Dufhues (01-049), Ernst Majonica (01-349), Gerhard Stoltenberg (01-626), Bert Even (01-082), Egon Klepsch (01-641), Jürgen Echternach (01-778), Matthias Wissmann (01-597) und Christoph Böhr (01-517) sowie der Bundessekretäre Heinz Schwarz (01-470) und Helmut Ziegler (01-646). Das Schriftgut der JU-Landesverbände bildet teilweise eigene Bestände bzw. ist in den Beständen der CDU-Landesverbände integriert. Die Überlieferungen der JU-Kreisverbände befinden sich in den jeweiligen Beständen der CDU-Kreisverbände. Die Unterlagen der JU Bayern sind im Archiv für Christlich-Soziale Politik der Hanns-Seidel-Stiftung in München überliefert.

Schüler Union Deutschlands Grundsätzliches Die Schüler Union Deutschlands ist eine Arbeitsgemeinschaft von Schülerinnen und Schülern an allgemein- und berufsbildenden Schulen innerhalb der Jungen Union (JU), jedoch mit eigenständiger Mitgliedschaft und Organisation. Wie die JU ist auch die Schüler Union 92 Christoph Böhr (Hg.): Jugend bewegt Politik. Die Junge Union Deutschlands 1947 bis 1987. Krefeld 1988; Bundesvorstand der Jungen Union Deutschlands (Hg.): 50 Jahre Junge Union Deutschlands. Bonn 1997; Philipp Mißfelder (Hg.): 60 Jahre Junge Union Deutschlands. Berlin 2007; Zimiak: 70 Jahre Junge Union Deutschlands. 93 Kleinmann: Geschichte der CDU. 94 KAS (Hg.): Kleine Geschichte der CDU. 95 Heitzer: Junge Union, Wambach: Ringen um die junge Generation. 96 Claus-Peter Grotz: Die Junge Union. Struktur – Funktion – Entwicklung der Jugendorganisation von CDU und CSU seit 1969. Kehl am Rhein/Straßburg 1983. 97 Jochen Wagner: Die Junge Union Deutschlands: Geschichte, Struktur und Perspektiven. Saarbrücken 1998. 98 Krabbe: Parteijugend in Deutschland. 99 Kaff (Hg.): Junge Union 1945 – 1950.

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in Landes- und Kreisverbände untergliedert. Die unterste Ebene bilden die Basisgruppen an den einzelnen Schulen. Jedem, der das 12. Lebensjahr vollendet hat und sich zu den Grundsätzen der Schüler Union bekennt, steht die Mitgliedschaft frei. Organe der Schüler Union sind die Bundesschülertagung, der Bundeskoordinationsausschuss und der Bundesvorstand.100 Der Bundesverband selber ist wiederum eine Arbeitsgemeinschaft der Landesverbände der Schüler Union und nimmt überwiegend koordinierende Aufgaben wahr. Da aufgrund der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland die Zuständigkeit im Bereich Schul- und Bildungspolitik bei den einzelnen Bundesländern liegt, findet die wesentliche politische Arbeit in den Landesverbänden statt. An die Beschlüsse des Bundesverbandes sind die Landesverbände nur sehr eingeschränkt gebunden, die politischen Grundsätze der Schüler Union Deutschlands sind aber gemäß dem Grundsatzprogramm zu vertreten.101

Gründungsphase Ab Ende 1960er Jahre, beeinflusst durch die 68er Bewegung und die politisch links orientierten Schülerorganisationen, die ihre marxistisch-sozialistischen Positionen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Schülermitverwaltungsgremien vertraten, formierten sich als Gegenpol in verschiedenen Bundesländern unabhängig voneinander Schülergruppen, die sich politisch in der demokratischen Mitte verorteten. Ab Anfang der 1970er Jahre gewann auch bei der Jungen Union Deutschlands der Bereich Schülerarbeit an Bedeutung. Der Jungen Union war klar, dass die politische Wirksamkeit dieser bisher unabhängig voneinander agierenden Schülergruppen nur gestärkt werden konnte, wenn es gelingen würde, sie in einer bundesweite Organisation zusammenzuführen.102 1972 erläuterte Matthias Wissmann in der JU-Zeitschrift „Die Entscheidung“ das Konzept einer künftigen Schülerorganisation.103 Auf Bundesebene schlossen sich schließlich am 2. Juli 1972 der niedersächsische Verband Kritischer Schüler, der Verband christlicher Schüler aus Würzburg, die Vereinigung konservativer Schüler aus Freudenstadt und die Schüler-Union aus Berlin zur Schüler Union Deutschlands zusammen. Zum ersten Bundessprecher wurde Hans Reckers gewählt. Bis April 1973 hatten sich in allen Ländern Landesverbände konstituiert; diese konnten 20.000 Mitglieder für sich gewinnen.104 Kurz nach der Konstituierung wurde eine erste politische Grundsatzerklärung über die Arbeit der Schülergruppen verabschiedet, in welcher sich die Schüler Union u. a. für die Reform und Überprüfung der Bildungsziele der Bildungseinrichtungen sowie für 100 Vgl. Schüler Union Deutschlands: Satzung, §§ 1 bis 10, https://www.schueler-union.de/satzung (Abruf: 4.2.2022). 101 Vgl. Schüler Union Deutschlands: Verbandsleitfaden der Schüler Union. Tipps zur politischen Arbeit und zum Aufbau von Verbänden. Berlin 2019, S. 4. Vgl. Schüler Union Deutschlands: Satzung, §2, https://www.schueler-union.de/satzung (Abruf: 4.2.2022). 102 Vgl. Hans-Georg Warken: Entstehung und Selbstverständnis der Schülerunion, in: Christoph von Bühlow (Hg.): Die Schüler-Union. Bonn 1975, S. 13. 103 Vgl. Mathias Wissmann: Ran an die Schulen, in: Die Entscheidung, Heft 5/1972, S. 34. 104 Vgl. Jörg-Dieter Gauger: Schüler-Union, in: Lexikon der Christlichen Demokratie in Deutschland. Paderborn 2002, S.634 f.

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Chancengleichheit im Bildungssystem, unabhängig von der sozialen Herkunft, einsetzte. Weiterhin bekannte sich die Schüler Union in dieser Erklärung zu den Grundsätzen der Jungen Union Deutschlands und lehnte die Politik von links- und rechtsradikalen Gruppen ab.105

Weitere Entwicklung In den 1970er Jahren lag der Schwerpunkt der Arbeit auf dem Aufbau und Ausbau der Schüler Union auf lokaler und regionaler Ebene, der Erstellung von Informationsmaterialien für Schüler, u. a. zur Schülermitverwaltung, die Herausgabe von Schülerzeitungen und eigener Positionspapiere zu bildungspolitischen Themen sowie der Auseinandersetzung mit den politischen Gegnern. Hierbei arbeitete die Schüler Union eng mit der JU und dem RCDS zusammen bzw. wurden von diesen in ihrer Arbeit unterstützt.106 Um die Arbeit der einzelnen Landesverbände besser zu koordinieren wurde auf Bundesebene ein Bundeskoordinationsausschuss eingerichtet. Diesem Gremium gehörte je ein Vertreter der Landesverbände an und es diente auch zum Meinungs- und Erfahrungsaustausch.107 Bis zum Jahr 1980 konnte die Mitgliederzahl von 20.000 im Jahr 1973 auf 45.000 gesteigert werden.108 Ab den 1980er Jahren gewannen die friedens- und umweltpolitischen Themen in der Öffentlichkeit an Bedeutung, während die Bildungspolitik auf Bundesebene und in der öffentlichen Diskussion immer mehr in den Hintergrund geriet.109 Gleichzeitig sanken das politische Interesse der Schüler und die Bereitschaft, sich in der Schule und in der Schülervertretung zu engagieren.110 Dies hatte auch Auswirkungen auf die Schüler Union. Während die zumeist linksorientierten friedens- und umweltpolitischen Gruppierungen auch aus der Schülerschaft Zulauf erhielten, sank bei der Schüler Union die Mitgliederzahl wieder auf dem Stand von 1973 ab.111 Neben schul- und bildungspolitischen Themen und der Unterstützung der Schülerarbeit an der Basis beschäftigte sich die Schüler Union in den 1980er Jahren auch mit tagespolitischen Themen wie der Friedenssicherung, dem Umweltschutz, den neuen Technologien sowie der deutschen Frage und ihre Behandlung im Unterricht112 Nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 konstituierten sich auch in den östlichen Bundesländern Kreis- und Landesverbände der Schüler Union, deren Aufbau von westdeutschen Verbänden unterstützt wurden. Jedoch gestalteten sich der Aufbau bzw. die Etablierung der Schüler Union in den östlichen Bundesländern sehr schwierig. Die Bereitschaft vieler ostdeutscher Jugendlicher, sich in einer politischen Ver105 106 107 108 109

Vgl. Warken: Entstehung, S. 14. Vgl. Gauger: Schüler-Union, S. 634. Vgl. Warken: Entstehung, S. 14. Vgl Gauger: Schüler-Union, S. 634. Vgl. Uwe Conradt: Bis hierhin und weiter, in: 25 Jahre Schüler Union. Bis hierhin … und weiter. Bonn 1997, S.11. 110 Vgl. Ausarbeitung „10 Jahre Schüler Union – Versuch einer Selbstkritischen Standortbestimmung“ von Peter Pott vom 20.7.1982, in: ACDP, 04-007-421/1. 111 Vgl. Conradt: Bis hierhin, S. 11. 112 Vgl. Tagungsprogramme der Bundesschülertagungen aus den 1980er Jahren, in: ACDP, 04-007-413/1,413/2,-413/3, -413/4.

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einigung einzubringen, wurde stark überschätzt. Meist wurden Landes- und Kreisverbände von einigen wenigen engagierten Mitgliedern ins Leben gerufen, die oftmals nach deren altersbedingten Weggang nicht weitergeführt wurden Eine breite Basis konnte in den östlichen Bundeländern bisher nicht wirklich aufgebaut werden.113 Die Behandlung bildungs- und schulpolitischer Themen und die Unterstützung der Landes- und Kreisverbände sowie der Gruppen an der Basis blieben auch in den 1990er und 2000er Jahren Hauptaufgaben der Schüler Union. Während in den 1970er und 1980er Jahren die wesentliche politische Arbeit bei den Landesverbänden erfolgte, nahm in den 1990er Jahren die Bedeutung des Bundesverbandes zu. Das bisherige Bundessprecherteam wurde in einen Bundesvorstand umgewandelt. Medial auf sich aufmerksam machte die Schüler Union in den 1990er Jahren u. a. mit der Diskussion „Gewalt an Schule“ und den Demonstrationen gegen Gesamtschulen.114 Seit der Jahrtausendwende professionalisierte sich die Arbeit der Schüler Union immer weiter. Neben der Versorgung von Basisgruppen und Schülervertretungen mit Leitfäden und Informationsmaterialien veranstalteten Landesverbände u. a. Fortbildungsseminare für Schülersprecher und organisierten Veranstaltungen mit Kommunal-, Landes- und Bundespolitikern. Auch der Austausch zwischen den einzelnen Verbänden wurde über die Einrichtung von Regionalkonferenzen intensiviert.115 Anlässlich des 35jährigen Bestehens der Schüler Union verabschiedeten die Delegierten der Bundesschülertagung am 25. November 2007 ein neues Grundsatzprogramm, in welchem sie ihre konservativen, liberalen und christlich-sozialen Überzeugungen und Werte als Grundlagen der politischen Arbeit definierten.116 Das Hauptaugenmerk der politischen Arbeit der Schüler Union liegt weiterhin im Bereich der Bildungs- und Schulpolitik. Aber auch der Bereich Digitalisierung nimmt einen zunehmend höheren Stellenwert ein. Aufmerksamkeit erhielt die Schüler-Union auch mit dem Beschluss der Bundesschülertagung 2019, für den Umgang mit Cannabis liberalere gesetzliche Regelungen zu schaffen und den Besitz sowie den Konsum von Cannabis und Cannabisprodukten für Erwachsene ab 21 Jahren zu legalisieren.117 Ebenfalls auf der Bundesschülertagung 2019 wurde dem Antrag des Berliner Landesverbandes, das 2007 beschlossene Grundsatzprogramm zu aktualisieren, zugestimmt. Mit dem neuen Grundsatzprogramm soll auf die vielen neuen Herausforderungen, die sich in den Schulen ergeben haben, reagiert und Antworten auf die aktuellen bildungspolitischen Fragen gegeben werden.118 Auf der am 10. April 2021 digital durchgeführten 113 Vgl. Conradt: Bis hierhin, S. 11. 114 Vgl. Marcus Ostermann: Die Schüler Union zu Beginn der Neunziger, in: 25 Jahre Schüler Union. Bis hierhin … und weiter, S. 14. 115 Vgl. Schüler Union: Schüler Union – Eine Erfolgsstory, https://www.su-hessen.de/geschichte/ (Abruf: 4.2.2022). 116 Vgl. Schüler Union: Grundsatzprogramm der Schüler Union Deutschlands, beschlossen am 25. November 2007 auf der 35. Bundesschülertagung in Bonn, https://www.schueler-union.de/ueber-uns/beschluesse/kategorien/allgemeines (Abruf: 4.2.2022). 117 Vgl. Schüler Union: Beschluss der Bundesschülertagung 2019 am 9./10. November 2019 in Mannheim zum Antrag A12 Ein neuer Umgang mit Cannabis, https://www.schueler-union.de/ueber-uns/beschluesse (Abruf: 4.2.2022). 118 Vgl. Schüler Union: Beschluss der Bundesschülertagung 2019 am 9./10. November 2019 in Mannheim zum Antrag A10 Aktualisierung des Grundsatzprogramms der Schüler Union Deutschlands, https:// www.schueler-union.de/ueber-uns/beschluesse (Abruf: 4.2.2022).

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Carsten Pickert

Bundesschülertagung wurde das neue Grundsatzprogramm beschlossen. Auch wenn die Mitgliederzahlen mittlerweile weit von den 45.000 Mitgliedern Anfang der 1980er Jahre entfernt sind, ist die Schüler Union nach eigenen Angaben mit mehreren Tausend Mitgliedern immer noch die bundesweit größte Schülerorganisation.119 Bundessprecher/Bundesvorsitzende 1972 – 1973 Hans Reckers 1973 – 1974 Klaus Walther 1974 – 1977 Christoph von Bülow 1977 – 1978 Wolfgang Kühl 1978 – 1980 Christian Wulff * 1980 – 1982 Peter Pott 1982 – 1984 Peter Stefan Herbst 1984 – 1985 Volker Streu 1985 Heiko Witt 1985 – 1986 Michael Schottenhamel 1986 – 1987 Dirk Bettels 1987 – 1989 Johannes Kram 1989 – 1990 Harald Crößmann 1990 – 1992 Frank Schuster 1992 – 1994 Marcus Ostermann 1994 – 1995 Michael Güntner 1995 – 1996 Christian Burkiczak 1996 – 1997 Florian Schuck 1997 – 1998 Christian Jung 1998 – 2000 Philipp Mißfelder 2000 – 2001 Sebastian Warken 2001 – 2004 Mark Blue 2004 – 2005 Karolina Swiderski 2005 – 2006 Veit Albert 2006 – 2008 Lukas Krieger 2008 – 2010 Younes Ouaqasse 2010 – 2011 David Winands 2011 – 2012 Lutz Kiesewetter 2012 – 2013 Leopold Born 2013 – 2014 Lars von Bostel 2014 – 2015 Niklas Uhl 2015 – 2016 Tizian Florian Wollweber 2016 – 2017 Julius K. Gröhler 2017 – 2021 Finn C. Wandhoff 2021 – 2022 Adrian Klant seit 2022 Cederic Finian Röhrich

(* bedeutet, Biogramm auf cdu-geschichte.de vorhanden)

119 Vgl. Schüler Union: Über uns, https://www.schueler-union.de/ueber-uns (Abruf: 4.2.2022).

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JU – Junge Union Deutschlands und Schüler Union

Forschungs- und Quellenlage Die Schüler-Union selbst gibt kleinere Publikationen wie Organisationshandbücher, Leitfäden, Informationsbroschüren, Satzungen und Grundsatzprogramme, die teilweise auch auf ihrer Internetpräsenz veröffentlicht sind, heraus, sowie Satzungen, Leitsätze, Organisationshandbücher, Berichte über Deutschlandtage und JU-Kongresse. Einen Kurzüberblick zur Schüler Union gibt der Beitrag „Schüler-Union“ von Jörg-Dieter Gauger im Lexikon der Christlichen Demokratie. Mit der Gründung, dem Selbstverständnis und den Anfangsjahren der Schüler Union beschäftigt sich der vom ehemaligen Bundessprecher Christoph von Bülow herausgegebene Sammelband „Die Schüler-Union“ mit Beiträgen von Hans Georg Warken, Matthias Wissmann, Gerd Langguth und Werner Kaltefleiter. Die französischsprachige Publikation „La Schüler-Union. Etude d’un mouvement politique de jeunes lycéens en République Fédérale allemande de 1972 à 1980“ von Joseph Stenger beschäftigt sich ebenfalls mit den Anfangsjahren. Das Schriftgut auf Bundesebene ist im Bestand JU Deutschlands (04-007) im ACDP überliefert. Die Unterlagen der Landesverbände bilden entweder eigene Archivbestände oder sind in den Beständen der CDU-Landesverbände archiviert. Die Überlieferungen der Schüler Union-Kreisverbände befinden sich in den entsprechenden Beständen der CDU-Kreisverbände.

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KPV – Kommunalpolitische Vereinigung der CDU und CSU Deutschlands Carsten Pickert Grundsätzliches Die Kommunalpolitische Vereinigung der CDU und CSU Deutschlands ist laut Satzung ein Zusammenschluss der kommunalpolitischen Landesvereinigungen von CDU und CSU mit Sitz am ständigen Sitzungsort des Deutschen Bundestages, der die Interessen der kommunalen Amts- und Mandatsträger der beiden Unionsparteien vertritt.120 Diesen KPV-Landesvereinigungen gehören v. a. kommunale CDU/CSU-Mandatsträger und Gremienmitglieder, hauptamtlich in Kommunalverwaltungen beschäftigte CDU- und CSU-Mitglieder sowie an der Kommunalpolitik interessierte Mitglieder an. Die genauen Bestimmungen zur Mitgliedschaft regeln die jeweiligen Satzungen der KPV-Landesvereinigungen.121 Bundesvertreterversammlung, Hauptausschuss und Bundesvorstand sind die Organe der Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU und CSU. Die Bundesvertreterversammlung beschließt die Grundsätze der Kommunalpolitik und der politischen Arbeit der Vereinigung und wählt den Bundesvorsitzenden sowie die Mitglieder des Bundesvorstandes. Der Hauptausschuss bereitet die Beschlüsse der Bundesvertreterversammlung vor und wählt den Hauptgeschäftsführer. Der Bundesvorstand leitet die Vereinigung, bereitet die Beschlüsse des Hauptausschusses und der Bundesvertretungsversammlung vor und setzt sie um. Nach außen wird die Kommunalpolitische Vereinigung durch den Bundesvorsitzenden vertreten.122 Die erste Satzung wurde auf der interzonalen Delegiertentagung vom 5. bis 7. August 1948 in Koblenz, welche als Gründungsversammlung der Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU und CSU gilt, beschlossen. Mit dem Beitritt der östlichen KPV-Landesvereinigungen auf der Bundesvertreterversammlung am 3. Mai 1991 in Hannover wurde eine neue Satzung beschlossen, die mit Änderungen vom 12. September 1997 bis heute gilt. Bereits auf der interzonalen Tagung im August 1948 wurden die „Leitsätze für die kommunalpolitische Arbeit der CDU und CSU“ vorgestellt und ein Jahr später auf der dritten Delegiertentagung am 18./19. Oktober 1949 verabschiedet. Presseorgan der Kommunalpolitischen Vereinigung sind die seit 1949 ununterbrochen erscheinenden „Kommunalpolitischen Blätter“.123

120 Vgl. Kommunalpolitische Vereinigung: Satzung der KPV, § 1, https://kpv.de/satzung (Abruf: 6.9.2021). 121 Vgl. Satzungen der KPV-Landesvereinigungen. 122 Vgl. Kommunalpolitische Vereinigung: Satzung der KPV, §§ 6 bis 12, https://kpv.de/satzung (Abruf: 6.9.2021). 123 Vgl. KAS (Hg.): Kleine Geschichte der CDU, S. 295.

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Carsten Pickert

Gründungsphase Ihren Ursprung hatte die heutige Kommunalpolitische Vereinigung der CDU und CSU in den Gruppierungen von kommunalen Mandatsträgern der beiden Parteien auf Kreisund Landesebene, die sich seit Ende 1945 in den drei westlichen Besatzungszonen gebildet hatten. Ab 1946 kam es zu ersten Gründungen von kommunalpolitischen Vereinigungen bzw. zur Einrichtung von Kommunalsekretariaten und Kommunalreferaten auf Landesebene. Eine erste Zusammenkunft von Kommunalpolitikern aus den drei westlichen Besatzungszonen fand am 26. November 1947 in Frankfurt/Main statt. Bereits am 21. und 22. Januar 1948 folgte eine weitere Tagung in Wiesbaden. Auf dieser Tagung wurde der Aufbau einer Kommunalpolitischen Arbeitsgemeinschaft in allen Ländern der drei westlichen Besatzungszonen beschlossen. Als Geburtsstunde der Kommunalpolitischen Vereinigung gilt aber die interzonale Delegiertentagung vom 5. bis 7. August 1948 im Hotel Rittersturz in Koblenz. Auf dieser Tagung wurden der erste Vorstand gewählt, eine Satzung verabschiedet und die „Leitsätze für die kommunalpolitische Arbeit der CDU und CSU“ vorgestellt sowie die Herausgabe des Verbandsorgans „Kommunalpolitische Blätter“ beschlossen. Zum ersten Bundesvorsitzenden wurde Wilhelm Bitter, Oberbürgermeister von Recklinghausen und erster Vorsitzender der Kommunalpolitischen Vereinigung in Nordrhein-Westfalen, gewählt, der dieses Amt bis zu seinem Tod 1964 innehatte. Zum Sitz der Vereinigung wurde Recklinghausen bestimmt. Auf der Delegiertenversammlung am 18./19. Oktober 1949 in Fulda wurden die bereits 1948 in Koblenz vorgestellten „Leitsätze für die kommunalpolitische Arbeit der CDU und CSU“ beschlossen. Der heutige Name Kommunalpolitische Vereinigung der CDU und CSU Deutschlands wurde auf der Delegiertenversammlung vom 25. bis 27. Februar 1951 in Anlehnung an die 1917 gegründete Kommunalpolitische Vereinigung der Zentrumspartei beschlossen.124

Weitere Entwicklung Kurz nach dem Tod des ersten Bundesvorsitzenden Wilhelm Bitter am 9. Juni 1964 begann bei der KPV eine Umbruchsphase. Zum neuen Bundesvorsitzenden wurde auf der Bundesvertreterversammlung vom 18. bis 20. Juni 1964 in Mainz der bisherige stellvertretende Vorsitzende Walter Jansen gewählt. Unter dessen Vorsitz richtete sich die KPV, auch bedingt durch die Parteireform der CDU, organisatorisch und programmatisch auf die Bundespolitik aus.125 Bereits 1964 wurde der Sitz der Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU und CSU Deutschlands von Recklinghausen zunächst nach Bonn in die Königstraße 89 126 und Anfang 1967 in Räumlichkeiten der Bonner CDU-Bundesgeschäftsstelle verlegt.127 Mit ihren programmatischen Leitsätzen, u. a. zur Gemeindeverwaltungsreform, Gemeindefinanzreform, Landesverteidigung sowie zur Familien-, Jugend- und Sozialpolitik wirkte die KPV aktiv bei den Vorbereitungen für das Berli124 Vgl.: Hans-Otto Kleinmann: Geschichte der CDU 1945 – 1982. Hg. von Günter Buchstab. Stuttgart 1993, S. 108 f. 125 Vgl. ebd., S. 285. 126 Vgl. Protokoll über die Bundesvorstandssitzung am 4.9.1964, in: ACDP 04-002-008/1. 127 Vgl. Geschäftsbericht Juni 1966 –April 1967, in: ACDP 04-002-055/2.

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KPV – Kommunalpolitische Vereinigung der CDU und CSU Deutschlands

ner Programm der CDU mit. Mit der Wahl von Joseph Pütz auf der Bundesvertreterversammlung am 6./7. Oktober 1968 zum Bundesvorsitzenden rückte die Modernisierung der politischen Arbeit in den Kommunen immer mehr in den Vordergrund. So gewannen Themen wie Raumordnung, Personalplanung, elektronische Datenverarbeitung und Transparenz der Entscheidungsprozesse immer mehr an Bedeutung.128 Mit dem Gang der Unionsparteien in die Opposition 1969 nahm das Interesse an der Kommunalpolitik stetig zu, da sie nun versuchten, über Erfolge in der Kommunalpolitik auch auf Bundesebene wieder erfolgreich zu werden.129 Unter Horst Waffenschmidt, der auf der Bundesvertreterversammlung am 18. Mai 1973 in Mainz zum neuen Vorsitzenden der KPV gewählt worden war, sowie über den 1973 eingerichteten Diskussionskreis Kommunalpolitik in der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages erlangte die Vereinigung innerhalb der Unionsparteien CDU und CSU stetig wachsenden Einfluss. Mit dem 1975 beschlossenen Kommunalpolitischen Grundsatzprogramm konnte der Zusammenhang der Kommunalpolitik mit der Landesund Bundespolitik verdeutlicht werden. Ein großes Hauptanliegen war die kommunale Selbstverwaltung und die verstärkte Zusammenarbeit mit freien Trägern im kommunalen Bereich. Auch auf europäischer Ebene wurde die KPV unter Horst Waffenschmidt aktiv. Auf der Berliner Bundesvertreterversammlung am 18./19. November 1977 wurde das Europäische Manifest der KPV mit den Kernforderungen Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, Bürgernähe und Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse beschlossen.130 Weiterhin regte die KPV im Vorfeld der ersten Direktwahlen zum Europäischen Parlament zur Gründung einer Europäischen Kommunalpolitischen Vereinigung an, die dann am 27. September 1978 in Mainz erfolgte.131 Die erste gesamtdeutsche Bundesvertreterversammlung fand am 3. Mai 1991 statt. Hier traten die neuen fünf östlichen KPV-Landesvereinigungen, die sich noch zu DDRZeiten gegründet hatten, der Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU und CSU Deutschlands bei.132 Erst 1997 sollte es wieder zu einem Wechsel im Vorsitz der Kommunalpolitischen Vereinigung kommen. Auf der Bundesvertreterversammlung am 11./12. September 1997 in Bonn kandidierte Horst Waffenschmidt nicht mehr für den Bundesvorsitz. Zum neuen Bundesvorsitzenden wurde Peter Götz gewählt, der 1998 auch den Vorsitz der Arbeitsgemeinschaft Kommunalpolitik der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag übernahm, so dass die von Horst Waffenschmidt begonnene Verschränkung von Kommunal- und Bundespolitik innerhalb der CDU fortgesetzt werden konnte. Die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung und die Sicherung der kommunalen Finanzautonomie blieben unter Götz und seinem Nachfolger Ingbert Liebing, der auf der Bundesvertreterversammlung am 14./15. September 2013 in Berlin zum Vorsitzenden gewählt worden war, Hauptanliegen der Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU und CSU

128 129 130 131

Vgl. Kleinmann: Geschichte der CDU, S. 285. Vgl. ebd., S. 296. Vgl. ebd., S. 472. Korrespondenz zur Gründungsvorbereitung und Gründungsprotokoll der EKPV, in: ACDP 04-002151/1. 132 Beitrittserklärungen der KPV-Landesverbände Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, in: ACDP 04-002-140/1.

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Carsten Pickert

Deutschlands. Auf der Bundesvertreterversammlung am 11. November 2017 wurde Christian Haase zum Bundesvorsitzenden gewählt.133 Wie Horst Waffenschmidt und Peter Götz übernahmen auch Ingbert Liebing und Christian Haase den Vorsitz in der Arbeitsgemeinschaft Kommunalpolitik der CDU/ CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag und setzten somit die Verknüpfung von Kommunal- und Bundespolitik fort.134 Namensänderungen der Vereinigung 1948 – 1951 Kommunalpolitische Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU seit 1951 Kommunalpolitische Vereinigung der CDU und CSU Deutschlands Bundesvorsitzende 1948 – 1964 Wilhelm Bitter* 1964 – 1968 Walter Jansen 1968 – 1973 Joseph Pütz 1973 – 1997 Horst Waffenschmidt* 1997 – 2013 Peter Götz 2013 – 2017 Ingbert Liebing seit 2017 Christian Haase

(* bedeutet, Biogramm auf cdu-geschichte.de vorhanden)

Bundesgeschäftsführer 1948 – 1957 Friedrich Wilhelm Willecke 1957 – 1970 Fritz Leser 1970 – 1973 Hans Michael Moll 1973 – 1993 Adolf Herkenrath 1993 – 1999 Joseph-Theodor Blank seit 1999 Tim-Rainer Bornholt

Forschungs- und Quellenlage Die KPV selbst gibt seit ihrer Gründung regelmäßig kleinere Publikationen heraus wie Satzungen, Leitsätze, Organisationshandbücher, Tätigkeitsberichte und Jahresberichte. Außerdem gibt es zu verschiedenen Zeitpunkten und Anlässen kurze Abrisse der eigenen Geschichte. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung hat Joachim Wilbers 1986 erstellt.135 Neben dem eigenen Bestand der KPV (04-002) gibt es im ACDP zu diesem Thema noch 133 Vgl. Christine Bach: Gründung der Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU auf der interzonalen Tagung in Koblenz, https://www.kas.de/web/geschichte-der-cdu/kalender/kalender-detail/-/content/gruendung-der-kommunalpolitischen-vereinigung-der-cdu-auf-der-interzonalen-tagung-in-koblenz (Abruf: 28.11.2019). 134 Vgl. KPV-Pressemitteilung vom 8.10.2013, https://kpv.de/blog/liebing-einstimmig-zum-neuen-kommunalpolitischen-sprecher-gewahlt) (Abruf: 28.11.2019) und KPV-Pressemitteilung vom 27.6.2017, https://kpv.de/blog/ag-kommunalpolitik-waehlt-neuen-vorsitzenden (Abruf: 28.11.2019). 135 Joachim Wilbers: Die Kommunalpolitische Vereinigung der CDU und CSU Deutschlands. Ein Beitrag zur Untersuchung des Vereinigungssystems der Unionsparteien (Europäische Hochschulschriften. Bd. 86). Frankfurt a. M. 1986.

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KPV – Kommunalpolitische Vereinigung der CDU und CSU Deutschlands

die Bestände des ersten Vorsitzenden Wilhelm Bitter (01-732), der Vorsitzenden Josef Pütz (01-353), Horst Waffenschmidt (01-346), Peter Götz (01-842, unerschlossen) und Ingbert Liebing (01-1039, unerschlossen) sowie des Bundesgeschäftsführer Fritz Leser (01537). Unterlagen zur Europäischen Kommunalpolitischen Vereinigung (EKPV) sind im Bestand Kommunalpolitische Vereinigung (04-002) überliefert.

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LSU – Lesben und Schwule in der Union Daniel Westermann Grundsätzliches Der Verband der Lesben und Schwulen in der Union (LSU) versteht sich als Interessenvertretung lesbischer, schwuler, bisexueller, trans-, intersexueller und queerer Menschen (LSBTIQ*) in den Unionsparteien und ihnen nahestehender Personen.136 Die LSU will das Bewusstsein für die Gleichberechtigung von LSBTIQ* und deren Anliegen innerhalb der CDU/CSU weiter voranbringen, für christlich-demokratische und christlich-soziale Überzeugungen eintreten und innerhalb der LSBTIQ*-Gemeinschaften für die Positionen und Ziele der Unionsparteien werben. Die LSU ist seit dem 35.CDU-Bundesparteitag 2022 eine Sonderorganisation der CDU und laut Parteitagsbeschluss „ein fester Bestandteil unserer Partei“137, der an der „politischen Willensbildung der CDU mitwirkt“.138 Diesen Erfolg jahrelanger Bemühungen um eine stärkere Integration in die Partei feierte die LSU unter dem Motto „Vollständig Volkspartei“. Aktuell sind 745 Mitglieder in der LSU organisiert.139 Die Mitgliedschaft steht allen Menschen unabhängig von geschlechtlicher Identität und sexueller Orientierung offen, sofern sie die Ziele der LSU unterstützen.140 Der nicht eingetragene politische Verein gliedert sich in einen Bundesverband, zwölf Landesverbände und sieben Kreisverbände.141 Sitz der LSU ist Berlin. Oberstes Organ der LSU ist die jährlich tagende Bundesmitgliederversammlung, die zweijährig den geschäftsführenden Bundesvorstand wählt. Alexander Vogt ist seit 2010 Bundesvorsitzender der LSU. Zu den aktuellen politischen Zielen der LSU gehört die Forderung, das Merkmal der sexuellen Identität in den Artikel 3 des Grundgesetzes aufzunehmen. Weitere Themen sind unter anderem eine Reform des Transsexuellengesetzes sowie der Kampf gegen LSBTIQ*-feindliche Hasskriminalität.

136 Grundsatzprogramm LSU „Stark durch Vielfalt“ 2022, S. 5. 137 Beschluss Antrag D, 35.Bundesparteitag CDU, 12.16: https://www.cdu-parteitag.de/reden-berichte (Abruf: 1.12.2022) 138 Beschluss Antrag D, 35.Bundesparteitag CDU, 12.16: https://www.cdu-parteitag.de/reden-berichte (Abruf: 1.12.2022) 139 Stand Dezember 2022. 140 Das Mindestalter für eine Mitgliedschaft beträgt 16 Jahre. 141 Zwei Kreisverbände ruhen derzeit, Stand Dezember 2022.

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Daniel Westermann

Gründung Die LSU gründete sich im Jahr 1998 zunächst unter dem Namen „Schwule Christdemokraten“, ihre erste Satzung wurde am 21.März 1998 in Köln beschlossen. Mark Terence Jones wurde erster Bundesvorsitzender. Auf ihrer Bundesmitgliederversammlung am 1.November 1998 in Düsseldorf gab sich die Gruppe ihren heutigen Namen „Lesben und Schwule in der Union“ und verabschiedete ein erstes Grundsatzprogramm. In diesem forderte sie unter anderem den Abbau gesellschaftlicher Vorurteile, einen verstärkten Schutz vor Diskriminierung durch die Verankerung der sexuellen Identität im Artikel 3 des Grundgesetzes sowie verstärkte Anstrengungen im Kampf gegen HIV. Ein Schwerpunkt der frühen Arbeit der Gruppe war es, für gleichgeschlechtliche Paare „zumindest eine der Ehe ähnliche Ausgestaltung ihrer Beziehung“ 142 durch die Angleichung aller Rechtspositionen zu schaffen. Parteiintern wollte die LSU durch Gesprächsangebote und beständige Aufklärung noch bestehende Vorurteile abbauen und eine christlich-demokratische Sprachfähigkeit zum Thema Homosexualität entwickeln. Innerhalb der LSBTIQ*-Gemeinschaften warb die LSU für christlich-demokratische Überzeugungen, um hierdurch eine bisher vernachlässigte Bevölkerungsgruppe in die CDU zu integrieren. Einen ersten Wahrnehmungserfolg erreichte die Gruppe am 3.September 1999 durch ein Treffen mit der damaligen Generalsekretärin der CDU Angela Merkel. Bei diesem Gespräch warb der LSU-Bundesvorsitzende Martin Herdieckerhoff für die perspektivische Anerkennung als offizielle Vereinigung der CDU. In der nach dem Gespräch veröffentlichten Pressemitteilung wurde die LSU vonseiten der CDU zunächst noch unverbindlich als „eine gesellschaftliche Gruppe, der die CDU als Volkspartei für ein Gespräch offen steht“143, bezeichnet.

Weitere Entwicklung Im zweiten Jahr nach ihrer Gründung verfügte die LSU über ca. 200 Mitglieder. Geographisch beschränkte sich ihre Tätigkeit zunächst überwiegend auf Großstädte und Ballungsräume, frühe Schwerpunkte bildeten hierbei Köln und Berlin. Ein erster Landesverband wurde bereits kurz nach der Gründung des Bundesverbands in NordrheinWestfalen gegründet, bis 2022 folgten elf weitere. Bis vor wenigen Jahren waren die Landesverbände in vier Regionalverbänden zusammengefasst.144 Einen Fortschritt beim Bemühen um eine stärkere Integration in die CDU erreichte die LSU im Jahr 2003 in Berlin durch die offizielle Anerkennung als Arbeitskreis der Partei im dortigen CDU-Landesverband.145 Weitere Landesverbände der CDU folgten diesem Vorbild. Inhaltlich trat die LSU kontinuierlich für die im ersten Grundsatzprogramm vereinbarten Ziele ein. Ihre Forderung nach einer vollständigen Öffnung der Ehe für gleich142 143 144 145

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Grundsatzprogramm LSU 1998, ACDP 07-001-2064. Pressemitteilung CDU-Bundesgeschäftsstelle, 3.9.1999. Es handelt sich hier um die Verbände LSU Nord, LSU Ost, LSU Süd, LSU West. „Homos machen Union heterogen“, in: Tageszeitung, 2.5.2003.

LSU – Lesben und Schwule in der Union

geschlechtliche Paare ging dabei noch über das 2001 in Kraft getretene Lebenspartnerschaftsgesetz der rot-grünen Bundesregierung hinaus.146 In den folgenden Jahren warb die LSU unter anderem für die Abschaffung noch bestehender rechtlicher Ungleichbehandlungen gleichgeschlechtlicher Paare, etwa beim Adoptions- und Steuerrecht. Ein allmählicher Wandel in der Positionierung der CDU zum Thema Homosexualität zeigte sich im 2007 verabschiedeten Grundsatzprogramm, das zwar die völlige Gleichstellung mit der Ehe sowie das Adoptionsrecht ablehnte, jedoch betonte, dass auch in gleichgeschlechtlichen Beziehungen „Werte gelebt werden, die grundlegend für unsere Gesellschaft sind“.147 Der LSU-Bundesvorsitzende Alexander Vogt fasste die Forderungen der LSU 2013 wie folgt zusammen: „Wir wollen natürlich die völlige Gleichstellung. Wir wollen die gemeinschaftliche Adoption. Wir wollen, dass es endlich Ehe heißt und nicht mehr Lebenspartnerschaft.“148 Ein vom damaligen CDU-Generalsekretär Peter Tauber 2015 initiierter Versuch, die LSU als CDU-Vereinigung anerkennen zu lassen, scheiterte zunächst. Das Bemühen der LSU um den Status als Vereinigung oder Sonderorganisation setzte sich jedoch auch in den kommenden Jahren fort. Ein vom CDU-Landesverband Berlin eingebrachter Antrag auf dem 32.Bundesparteitag 2019, die LSU als Vereinigung anzuerkennen, wurde von den Delegierten zur Beratung an die Struktur- und Satzungskommission verwiesen. Diese empfahl 2020 fast einstimmig, die LSU – die zu diesem Zeitpunkt über etwa 700 Mitglieder verfügte – als Sonderorganisation anzuerkennen.149 Pandemiebedingt wurde über diese Empfehlung erst auf dem 35.Bundesparteitag der CDU 2022 in Hannover beraten. Dort fasste die Partei ebenfalls fast einstimmig den Beschluss, die LSU als Sonderorganisation der CDU anzuerkennen. Hiermit einher geht künftig ein eigenes Rede- und Antragsrecht auf Parteitagen sowie die beratende Teilnahme des Bundesvorsitzenden und der Landesvorsitzenden an den Bundes- beziehungsweise Landesvorstandssitzungen der CDU. Im November 2022 wurde Alexander Vogt auf der Bundesmitgliederversammlung der LSU erneut zum Bundesvorsitzenden gewählt. Zudem wurde das aktuelle Grundsatzprogramm „Stark durch Vielfalt“ verabschiedet.

Forschung und Quellenlage Bisher gibt es keine wissenschaftliche Arbeit über die Geschichte der LSU und keinen eigenen Organisationsbestand im Archiv für Christlich-Demokratische Politik. Der vorliegende Text ist auf Grundlage von Presseartikeln, veröffentlichten Dokumenten wie Satzungen, Pressemitteilungen und Grundsatzprogrammen sowie weiteren, von der LSU zur Verfügung gestellten Informationen entstanden.

146 „In dem einen Punkt anderer Meinung“, in: FAZ, 4.8.2000. 147 CDU Grundsatzprogramm „Freiheit und Sicherheit“ 2007, S. 27: https://archiv.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/071203-beschluss-grundsatzprogramm-6-navigierbar_1.pdf?file=1&type=field_collection_item&id=1918 (Abruf: 1.12.2022). 148 „Ich bin verwundert über die SPD“, in: Tageszeitung, 28.10.2013. 149 „Anerkennung unterm Regenbogen“, in: Süddeutsche Zeitung, 10.7.2020: https://www.sueddeutsche. de/politik/lsu-alexander-vogt-cdu-homosexuelle-1.4963417 (Abruf: 1.12.2020).

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Bisherige Bundesvorsitzende 1998 – 1999: Mark Terence Jones 1999 – 2001: Martin Herdieckerhoff 2001 – 2004: Rolf Ohler 2004 – 2006: Roland Heintze 2006 – 2007: Arndt Lange 2007 – 2010: Reinhardt Thole seit 2010: Alexander Vogt

MIT – Mittelstands- und Wirtschaftsunion Horst Granderath/Carsten Pickert Grundsätzliches Die Gemeinschaft des Mittelstands in der Union firmierte als Bundesarbeitskreis Mittelstand, Mittelstandskreis der CDU/CSU, Mittelstandsvereinigung, nannte sich nach dem Zusammenschluss mit der Wirtschaftsvereinigung der CDU NRW 1995 Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU (MIT) und trägt seit September 2019 den Namen Mittelstands- und Wirtschaftsunion. Ihren Sitz hat die Vereinigung in Berlin. Teilnehmen kann jeder, der sich zu den Grundsätzen der MIT bekennt und nicht in einer anderen Partei oder der CDA Mitglied ist. Die Bundesdelegiertenversammlung wählt den Bundesvorsitzenden und den Bundesvorstand, der wiederum den Hauptgeschäftsführer bestimmt. Die Landesgeschäftsführer und der Mittelstandsreferent der CSU haben beratende Stimme im Bundesvorstand der MIT. Nach einer ersten Satzung für den Bundesarbeitskreis Mittelstand von 1956 beschloss die Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU am 31. März 1995 eine neue Satzung, die inzwischen in der Form vom 27. September 2019 gilt. Nach mehrjähriger Vorarbeit verabschiedete der 13. Bundesmittelstandstag am 1. September 2017 einstimmig das erste Grundsatzprogramm der MIT. Das Organ der Vereinigung heißt „Mittelstandsmagazin“, sein Vorläufer war „NKM – Nachrichten und Kommentare aus der Mittelstandspolitik“ und es wurde teilweise ergänzt durch die Zeitschrift „Der Mittelstand“ und den „Mittelstandsbrief“.

Gründungsphase Nach ersten Gründungen auf Landesebene entstanden 1954 ein Unterausschuss für Mittelstandsfragen der CDU bzw. ein Mittelstandsausschuss der CSU, die noch im selben Jahr gemeinsam mit dem Diskussionskreis Mittelstand der CDU/CSU-Fraktion, dem heutigen Parlamentskreis Mittelstand (PKM), einen Gemeinschaftsausschuss mit einer Geschäftsstelle in der Görresstraße 40 in Bonn bildeten. Auf dem Bundesparteitag der CDU vom 26. bis 29. April 1956 in Stuttgart konstituierte sich ein Bundesarbeitskreis, dessen erster, vorläufiger Vorstand aus Kurt Schmücker, Heinz Schmitz und Göke Frerichs bestand. Noch auf diesem Bundesparteitag erkannten die Delegierten durch eine notwendige Satzungsänderung diesen Bundesarbeitskreis Mittelstand als offizielle Vereinigung der CDU an. Im Oktober verabschiedete die Bundesdelegiertenversammlung die Satzung und wählte Kurt Schmücker zum Vorsitzenden, der bis 1957 in Personalunion auch noch den Mittelstandskreis der Bundestagsfraktion leitete. Ebenfalls für beide Gremien war Hans-Georg Klauss als Geschäftsführer zuständig.150 150 Ausführlich zur Gründung 1956 Christoph-Werner Konrad: Der Mittelstand in der politischen Wil-

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Horst Granderath/Carsten Pickert

Weitere Entwicklung Nach der Umbenennung 1962 in Mittelstandskreis der CDU/CSU scheiterte im Februar 1969 der Versuch, diesen mit dem Wirtschaftsrat der CDU e.V zusammenzuschließen, woraufhin im Mai 1969 eine erneute Namensänderung in Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU erfolgte. Diese Bezeichnung wurde auch gewählt, um den Status einer selbstständigen Bundesvereinigung der Union herauszustellen. Der Gründungsvorsitzende Kurt Schmücker behielt sein Amt zwar, als er 1963 Bundeswirtschaftsminister wurde, kandidierte aber 1970 nicht mehr. Die Leitung übernahm Egon Lampersbach, der 1977 den Vorsitz an Gerhard Zeitel übergab, auf den 1987 Elmar Pieroth folgte. Nach der politischen Wende in der DDR im Herbst 1989 schuf die Mittelstandsvereinigung das Amt eines Bundesbeauftragten für die fünf neuen Länder und richtete in Berlin ein Mittelstandsbüro ein. Schon am 23. Februar 1990 gründete sich in der DDR eine Mittelstandsvereinigung der CDU in der DDR, die Landesvereinigungen konstituierten sich in den Folgemonaten. Auf dem Bundeskongress im Juni 1991 formierte sich die gesamtdeutsche Mittelstandsvereinigung und stellte sich unter dem Motto „Mittelstand sichert Freiheit in Europa“, wie Bundeskanzler Helmut Kohl in einem Grußschreiben ausführte, „zwei wichtigen Herausforderungen: der Vollendung der inneren Einheit Deutschlands und der Schaffung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Einigung Europas“.151 Erster gesamtdeutscher Vorsitzender wurde 1993 Klaus Bregger, der auch im Amt blieb, als es 1995 zur Fusion mit der Wirtschaftsvereinigung kam. Diese war 1949 als Wirtschaftsausschuss der CDU des Rheinlandes gegründet und 1961 zu einer offiziellen Vereinigung der CDU in NRW geworden.152 Durch den Zusammenschluss entstand die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU, die sich seit 2019 Mittelstandsund Wirtschaftsunion nennt. Nach den Vorsitzenden Hans-Jürgen Doss, Peter Rauen und Josef Schlarmann erfolgte 2013 ein Generationswechsel, als der 37-jährige Carsten Linnemann den Vorsitz der Vereinigung übernahm. Schon vorher begann die Arbeit an einem Grundsatzprogramm für die MIT unter dem Co-Vorsitz von Carsten Linnemann und Thomas Köster, nach ersten Diskussionen beschloss der Bundesmittelstandstag im November 2015 einen breiten Beteiligungsprozess, der schließlich 2017 zur Verabschiedung des Grundsatzprogramms führte. Unter dem Titel „Soziale Marktwirtschaft für das 21. Jahrhundert“ bekennt sich die MIT darin zu diesem Konzept, das „besser als jedes andere gesellschafts-, wirtschaftsund sozialpolitische Konzept in der Lage ist, die Herausforderungen unserer Gegenwart und Zukunft zu meistern“.153

lensbildung. Geschichte, Organisation, Einfluß und Politik der Mittelstandsvereinigung der CDU/ CSU unter besonderer Berücksichtigung des Zeitraumes 1963 – 1987. Diss. phil. Bonn 1990, S. 64 – 70. 151 Schreiben Helmut Kohl an den MIT-Vorsitzenden Elmar Pieroth, 6. Juni 1991, in: ACDP 04-004-066/1. 152 Dazu auch Die Geschichte der MIT. Unser Kompass: Soziale Marktwirtschaft. Berlin 2016, S. 12 – 15, auch unter https://www.mit-bund.de/geschichte-der-mit (Abruf: 19.11.2019). 153 Vollständiger Text des Grundsatzprogramms abrufbar unter https://www.mit-bund.de/sites/mit/files/ dokumente/grundsatzprogramm_der_mit.pdf (Abruf: 16.10.2019).

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MIT – Mittelstands- und Wirtschaftsunion

Namensänderungen der Vereinigung 1956 – 1962 Bundesarbeitskreis Mittelstand der CDU/CSU 1962 – 1969 Mittelstandskreis der CDU/CSU 1969 – 1995 Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU 1995 – 2019 Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU seit 2019 Mittelstands- und Wirtschaftsunion Bundesvorsitzende 1956 – 1970 Kurt Schmücker* 1970 – 1977 Egon Lampersbach 1977 – 1987 Gerhard Zeitel 1987 – 1993 Elmar Pieroth 1993 – 1996 Klaus Bregger 1996 – 1997 Hans-Jürgen Doss 1997 – 2005 Peter Rauen 2005 – 2013 Josef Schlarmann 2013 – 2021 Carsten Linnemann seit 2021 Gitta Connemann

(* bedeutet, Biogramm auf cdu-geschichte.de vorhanden)

Haupt- bzw. Bundesgeschäftsführer 1956 – 1958 Hansgeorg Klauss 1958 – 1963 Klaus Oertel 1963 – 1968 Clemens Riedel 1968 – 1969 Egbert Hamburger 1969 – 1970 Christoph Uleer 1971 – 1972 Heinz-Ulrich Stürmann 1973 Günther Vowinckel 1973 – 1975 Carsten Cornelsen 1975 – 1990 Peter Spary 1991 – 1996 Peter Helmes 1996 – 2014 Hans-Dieter Lehnen seit 2014 Thorsten Alsleben

Forschungs- und Quellenlage Die MIT selbst gibt seit ihrer Gründung regelmäßig kleinere Publikationen heraus wie Satzungen, Leitsätze, Organisationshandbücher, Tätigkeitsberichte und Jahresberichte. Außerdem gibt es zu verschiedenen Zeitpunkten und Anlässen kurze Abrisse der eigenen Geschichte. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung hat Christoph Konrad 1990 mit seiner Dissertation über die MIT erstellt.154 Neben dem eigenen Bestand der MIT (04004) gibt es im ACDP zu diesem Thema noch die Bestände des ersten Vorsitzenden Kurt 154 Christoph Konrad: Der Mittelstand in der politischen Willensbildung. Geschichte, Organisation, Einfluss und Politik der Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU unter besonderer Berücksichtigung des Zeitraums 1963 – 1987. Bonn 1990.

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Horst Granderath/Carsten Pickert

Schmücker (01-047), der Vorsitzenden Hansjürgen Doss (01-765) und Peter Rauen (01892, unerschlossen), des Vorstandsmitglieds Christian Schwarz-Schilling (01-824), der Geschäftsführer Clemens Riedel (01-094) und Peter Spary (01-716, unerschlossen) sowie den Bestand der Europäischen Mittelstands-Union (EMSU, 09-013).

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OMV – Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung – Union der Vertriebenen und Flüchtlinge der CDU/CSU Carsten Pickert Grundsätzliches Die OMV entstand 1968 auf dem Berliner Bundesparteitag der CDU durch die Umwandlung des CDU-Landesverbandes Oder/Neiße in eine Vereinigung gemäß dem Statut der CDU, zunächst unter dem Namen Union der Vertriebenen und Flüchtlinge – Ost und Mitteldeutsche Vereinigung – (UdVF). 1981 erfolgte eine Umbenennung in Ostund Mitteldeutsche Vereinigung – Union der Vertriebenen und Flüchtlinge der CDU/ CSU (OMV).155 Die Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung – Union der Vertriebenen und Flüchtlinge der CDU/CSU – (OMV) versteht sich selbst als „Partner und Anwalt“156 für die deutschen Vertriebenen, Flüchtlinge, Aussiedler, Spätaussiedler und der deutschen Minderheiten in Osteuropa sowie als Schnittstelle zwischen den Vertriebenenverbänden/Landsmannschaften und den Unionsparteien. Die Aufgaben der Vereinigung sind in ihrer Satzung festgeschrieben.157 Die OMV hat ihren Sitz in der CDU-Bundesgeschäftsstelle in Berlin. Die erste Satzung der Vereinigung trat mit der Annahme durch die Bundesversammlung am 19. Juni 1970 und ihrer Genehmigung durch den Bundesausschuss der CDU am 17. Dezember 1970 in Kraft. Aktuell gilt die Satzung vom 16. November 2018.158 Laut Satzung sind die CDU- und CSU-Mitglieder, die Vertriebene oder Flüchtlinge sind, Mitglieder der OMV. Weiterhin kann jeder Deutsche, der sich zu den Grundsätzen und Zielen der OMV bekennt, Mitglied werden. Die Mitgliedschaft in der CDU ist nicht zwingend notwendig. Das Mindesteintrittsalter beträgt 16 Jahre. Mitglieder der OMV, die keine Vertriebene oder Flüchtlinge sind, haben zu allen Organen nur das passive Wahlrecht.159

155 Vgl. Barbara Gimkiewicz: Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung (OMV), in: Lexikon der Christlichen Demokratie in Deutschland. Paderborn 2002, S. 610 f. 156 Vgl. Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung: Wir stellen uns vor, 2020, https://www.omv.cdu.de/sites/www. omv.cdu.de/files/downloads/omv_broschuere_wir_stellen_uns_vor_2020_k03.pdf (Abruf: 6.9.2021). 157 Vgl. Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung: Satzung 2018, § 2 Aufgaben, https://www.omv.cdu.de/sites/ www.omv.cdu.de/files/downloads/omv_satzung_2019_internet.pdf (Abruf: 6.9.2021). 158 Vgl. ebd., § 17 Inkraftreten, https://www.omv.cdu.de/sites/www.omv.cdu.de/files/downloads/omv_satzung_2019_internet.pdf (Abruf: 6.9.2021). 159 Vgl. ebd., § 3 Mitgliedschaft, https://www.omv.cdu.de/sites/www.omv.cdu.de/files/downloads/omv_satzung_2019_internet.pdf (Abruf: 6.9.2021).

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Carsten Pickert

Höchstes Organ ist die Bundesversammlung, welche in der Regel alle zwei Jahre einberufen wird. Die von den Landesversammlungen der OMV gewählten Delegierten der Bundesversammlung wählen den Bundesvorstand, nehmen die Berichte des Vorstandes entgegen und fassen Beschlüsse.160 Der Pressedienst „Der Heimatvertriebene – Der Flüchtling“ wurde ab 1976 unter dem Titel „Christlich-Demokratische Union/Christlich-Soziale Union: DeutschlandUnion-Dienst. Gesamtdeutsche Nachrichten und Kommentare“ bis 1994 fortgeführt.

Gründungsphase Keimzelle der heutigen Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung – Union der Vertriebenen und Flüchtlinge der CDU/CSU – waren die ab Mitte 1946 bei den CDU-Landesverbänden eingerichteten Landesflüchtlingsausschüsse. Auf der ersten Reichstagung der Landesflüchtlingsausschüsse der CDU/CSU vom 27. bis 29. April 1946 in Braunschweig wurde die Arbeitsgemeinschaft der Landesflüchtlingsausschüsse der CDU/CSU gegründet und in Frankfurt am Main ein Flüchtlingssekretariat eingerichtet.161 Auf dem 1.Bundesparteiag der CDU vom 20. bis 22. Oktober 1950 in Goslar erfolgte die Gründung eines Landesverbandes für die Gebiete östlich der Oder-Neiße. Mit diesem Landesverband erhielten die Landesvertriebenenausschüsse der CDU, die badenwürttembergische „Union der Vertriebenen“ und die bayerische „Union der Heimatvertriebenen“ eine Vertretung auf Bundesebene.162 Erster Vorsitzender des Landesverbandes Oder/Neiße wurde Linus Kather. Ihm folgten 1954 Hermann Eplée, 1958 Theodor Oberländer und 1964 Josef Stingl. Aufgrund der Bestimmungen des 1967 beschlossenen Parteiengesetzes wurde auf dem Berliner Bundesparteitag der CDU vom 4. bis 7. November 1968 in Berlin der Landesverband Oder/ Neiße in eine satzungsmäßige Vereinigung der CDU mit dem Namen Union der Vertriebenen und Flüchtlinge – Vereinigung der Ost- und Mitteldeutschen in der CDU und CSU (UdVF) umgewandelt.163 Erster Vorsitzender wurde der bisherige Vorsitzende des Landesverbandes Oder/Neiße, Josef Stingl, der dieses Amt bis 1970 innehatte.

Weitere Entwicklung In den 1970er Jahren unter den Vorsitzenden Hermann Götz (1970 – 1977) und Herbert Hupka (1977 – 1989) waren das Selbstbestimmungsrecht aller Deutschen und das Recht auf Heimat sowie die Unterstützung der Pflege des kulturellen Erbes der Ost- und Mitteldeutschen die programmatischen Schwerpunkte der Vereinigung. Auf der Bundesdelegiertenversammlung am 12./13. Juni 1981 in Bonn gab sich die 160 Vgl. ebd., § 8 Bundesversammlung, https://www.omv.cdu.de/sites/www.omv.cdu.de/files/downloads/ omv_satzung_2019_internet.pdf (Abruf: 6.9.2021). 161 Vgl. Kleinmann: Geschichte der CDU, S. 110. 162 Vgl. Hans-Otto Kleinmann: Union der Vertriebenen und Flüchtlinge in der CDU/CSU (UdVF), in: Lexikon der Christlichen Demokratie in Deutschland, S. 668. 163 Vgl. Kleinmann: Geschichte der CDU, S. 272.

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OMV – Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung

Vereinigung den heutigen Namen „Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung in der CDU und CSU – Union der Vertriebenen und Flüchtlinge“. Im Zuge der Ost-West-Entspannung ab Mitte der 1980er Jahre, der deutsch-polnischen Verständigung, des politischen Umbruchs in Osteuropa und der deutschen Wiedervereinigung wurden nach und nach die politischen Forderungen der OMV erfüllt. Zudem waren immer weniger Deutsche von Flucht und Vertreibung persönlich betroffen, so dass sich die Frage der Daseinsberechtigung der OMV immer mehr in den Vordergrund drängte.164 Unter den Vorsitzenden Helmut Sauer, Bundesvorsitzender von 1989 bis 2017, und Egon Primas, Bundesvorsitzender seit 2017, richtete die Vereinigung ihr Betätigungsfeld neu aus. Neben den deutschen Flüchtlingen und Vertriebenen vertritt sie seit 1990 verstärkt auch die Belange der Aussiedler und Spätaussiedler in Deutschland und unterstützt die in Ost- und Südosteuropa und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion verbliebenen deutschen Minderheiten und deren Organisationen.165 Namensänderungen der Vereinigung 1950 – 1968 Landesverband für die Gebiete östlich der Oder-Neiße-Grenze 1968 – 1981 Union der Vertriebenen und Flüchtlinge in der CDU/CSU (UdVF) – Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung seit 1981 Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung in der CDU und CSU – Union der Vertriebenen und Flüchtlinge (OMV)

Landesverband für die Gebiete östlich der Oder-Neiße-Grenze (1950 – 1968) Vorsitzende 1950 – 1953 1954 – 1958 1958 – 1964 1964 – 1968

Linus Kather * Hermann Eplée Theodor Oberländer Josef Stingl *

(* bedeutet, Biogramm auf cdu-geschichte.de vorhanden)

Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung der CDU/CSU – Union der Vertriebenen und Flüchtlinge Bundesvorsitzende 1968 – 1970 Josef Stingl * 1970 – 1977 Hermann Götz 1977 – 1989 Herbert Hupka * 1989 – 2017 Helmut Sauer seit 2017 Egon Primas Hauptgeschäftsführer 1968 – 1969 Ernst-Rudolf Wolf 1969 – 1970 Marianne Brink 164 Vgl. ebd., S. 475. 165 Vgl. Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung: Satzung 2018, § 2 Aufgaben, https://www.omv.cdu.de/sites/ www.omv.cdu.de/files/downloads/omv_satzung_2019_internet.pdf (Abruf: 6.9.2021).

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Carsten Pickert

(ab 1970 1971 – 1995 seit 1995

Ernst-Rudolf Wolf mit der Geschäftsführung betraut) Gerold Rummler Klaus Schuck

Forschungs- und Quellenlage Zur Geschichte und zum Wirken der OMV gibt es noch keine umfassenden wissenschaftlichen Abhandlungen. Kurze Überblicksdarstellungen finden sich in den Überblicken zur Geschichte der CDU von Hans-Otto Kleinmann166 beziehungsweise der KonradAdenauer-Stiftung167 sowie im Lexikon der Christlichen Demokratie in Deutschland 168. Die Unterlagen der OMV (04-015) bilden im ACDP einen eigenen Bestand. Unterlagen des Landesverbandes Oder/Neiße sind nur vereinzelt in einigen Nachlässen, u. a. Clemens Riedel (01-094), Alfred Rojek (01-231), Linus Kather (01-377) und Edelhard Rock (01-401), im ACDP überliefert. Ergänzt wird der Bestand Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung durch die Nachlässe der Bundesvorsitzenden Josef Stingl (01-168) und Herbert Hupka (01-415, unerschlossen).

166 Kleinmann: Geschichte der CDU. 167 KAS (Hg.): Kleine Geschichte der CDU. 168 Ders.: Union der Vertriebenen.

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RCDS – Ring Christlich-Demokratischer Studenten Horst Granderath Grundsätzliches Der Ring Christlich-Demokratischer Studenten schloss sich 1951 in einem bundesweiten Verband zusammen. Heute hat der RCDS etwa 8.000 Mitglieder und gliedert sich in 14 Landesverbände mit 87 autonomen Ortsgruppen an den jeweiligen Universitäten. Der Bundesverband sitzt in Berlin. Er koordiniert die Arbeit der Gruppen, plant Kampagnen und ist zuständig für die Artikulierung studentischer Interessen auf bundespolitischer Ebene. Europaweit ist der RCDS in die Vereinigung European Democrat Students (EDS) politisch aktiv eingebunden. Der RCDS ist keine eigentliche „Vereinigung“ der CDU/CSU, sondern von dieser institutionell unabhängig. Er genießt den Status einer „befreundeten Organisation“ und hat faktisch ähnliche Mitspracherechte wie andere bekannte Vereinigungen. Ein besonderer Aspekt des RCDS sind seine Serviceleistungen für die ihm angehörige Studentenschaft. Er betreibt Börsen für den Tausch von Studienplätzen, Praktika, Wohnungen und Büchern. Daneben werden Info-Broschüren zu Themen wie BAföG, Stipendien, Soziales und Uni-Wechsel publiziert sowie allgemeine Studienberatung angeboten. Oberstes Organ des RCDS ist die Bundesdelegiertenversammlung. Publizistisch wirkt er schon seit Jahrzehnten durch bekannte Presseorgane wie CIVIS (seit 1954) und SONDE (1969/70), welche im Jahr 1995 zu CIVIS mit SONDE169 fusionierten. Historisch bedeutend sind vor allem das erste bundesweite Programm „Leitsätze zur Hochschulreform und Studienförderung“ (1957) und das Grundsatzprogramm von Marburg (1969). Aktuell gilt das Grundsatzprogramm „Zukunft miteinander gestalten“170 des Bundesverbands, das im Oktober 2013 in Berlin beschlossen wurde und an dessen Beschlüsse alle Orts- und Landesverbände gebunden sind.

Gründungsphase Bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden die ersten Christlich-Demokratischen Hochschulgruppen (CDH), die die Gründung des RCDS-Bundesverbands auf der ersten Bundesdelegiertenversammlung Ende August 1951 in Bonn vollzogen. Lag ihr Schwerpunkt in den Nachkriegsjahren auf Gründung von Studentengruppen in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone, die einen gewissen Widerstand gegen die 169 Die seit 2014 erschienenen Ausgaben sind online abrufbar unter: https://www.civis-mit-sonde.de/anschauen/ (Abruf: 16.9.2020). 170 Das Grundsatzprogramm von 2013 sowie die aktuellen Programme für Hochschulpolitik von 2014 und das Europapolitische Programm von 2019 sind online abrufbar unter: https://rcds.de/programmeund-beschluesse/ (Abruf: 16.9.2020).

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Horst Granderath

Hochschulpolitik der SED aufboten, so verlagerte sich das Engagement spätestens Anfang der 1950er Jahren nach Westdeutschland, da die Repressalien der DDR-Staatsmacht gegenüber den Studenten zu groß wurden.

Weitere Entwicklung Erst mit Beginn der 1960er Jahre konnte der RCDS seine Position in den westdeutschen Studentenparlamenten stärken, in denen er bis dahin lediglich eine geringe Rolle spielte. Einerseits wurde „Parteipolitik“ unter Studenten weithin verachtet, andererseits teilte man sich das Wählerpotential mit konkurrierenden katholisch oder konservativ geprägten Studentenverbände. Infolge der Studentenbewegungen rund um 1968 geriet der RCDS jedoch wieder in die Defensive. Anfang der 1990er Jahre kollabierten mehrere einstmals dominierende linke Studentenverbände und machten Platz in den Parlamenten, den der RCDS nutzen konnte, um wieder verstärkt in den lokalen Studentenvertretungen Fuß zu fassen. Pünktlich zum Wendejahr 1990 gründeten sich erste RCDS-Hochschulgruppen in den neuen Bundesländern. Mit der sogenannten Hochschulallianz171 gründete der RCDS zusammen mit acht weiteren Organisationen aus dem Hochschulbereich im April 2008 ein Bündnis zur gemeinsamen Interessenvertretung von Lehrenden und Lernenden gegenüber der Politik. In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass statt des RCDS an einigen Hochschulen Gruppen der Jungen Union antreten, so etwa in Greifswald, Osnabrück oder Köln. Bundesvorsitzende 1951 – 1952 Fritz Flick und Ernst Benda* (Gründungsvorsitzende) 1952 – 1953 Wolfgang Brüggemann 1953 – 1956 Konrad Kraske* 1956 – 1958 Willfried Gaddum* 1958 – 1959 Walter Konrad 1959 – 1961 Dieter Ibielski 1961 – 1962 Martin Ratmann 1962 – 1963 Hans-Jürgen Vogt 1963 – 1965 Kurt Struppek 1965 – 1967 Gert Hammer 1967 – 1968 Wulf Schönbohm 1968 – 1970 Uwe-Rainer Simon 1970 – 1974 Gerd Langguth* 1974 – 1975 Ulrich Schröder 1975 – 1977 Hans Reckers 1977 – 1978 Friedbert Pflüger 1978 – 1979 Günther Heckelmann 1979 – 1980 Stephan Eisel (* bedeutet, Biogramm auf 1980 – 1981 Stefan Dingerkus cdu-geschichte.de vorhanden) 171 Siehe hierzu Pressemitteilung des Deutschen Hochschulverbands: https://www.hochschulverband. de/pressemitteilung.html?&cHash=2af3d2aacebac652f7a745fefccd5ccd&tx_ttnews%5Btt_news%5D= 23#_ (Abruf: 16.9.2020).

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RCDS – Ring Christlich-Demokratischer Studenten

1981 – 1983 1983 – 1985 1985 – 1987 1987 – 1989 1989 – 1990 1990 – 1991 1991 – 1992 1992 – 1993 1993 – 1994 1994 – 1995 1995 – 1996 1996 – 1997 1997 – 1998 1998 – 1999 1999 – 2000 2000 – 2001 2001 – 2002 2002 – 2004 2004 – 2006 2006 – 2007 2007 – 2008 2008 – 2010 2010 2010 – 2011 2011 – 2012 2012 – 2013 2013 – 2015 2015 – 2017 2017 – 2019 2019 – 2021 2021 – 2022 seit 2022

Johannes Weberling Franz Dormann Christoph Brand Jürgen Hardt Christian Schede Marcel Kaufmann Christian Schneller Eckhard Wälzholz Tamara Zieschang Oliver Röseler Wichard von der Heyden Rasmus Tenbergen Oliver Nölken Fabian Magerl Mario Voigt Carsten Schwarz Lars Kasischke Barbara von Wnuk-Lipinski Dorlies Last Tim Küsters Matthias Kutsch Gottfried Ludewig Stefan Holz Dennis Kahle Frederik Ferreau Erik Bertram Martin Röckert Jenovan Krishnan Henrik Wärner Sebastian Mathes Franca Bauernfeind Aileen Weibeler

Forschungs- und Quellenlage Zu verschiedenen Jubiläen sind Festschriften und geschichtliche Darstellungen zum RCDS erschienen, so etwa von Johannes Weberling172 oder Holger Thuß und Mario Voigt173. Die jüngste dieser Veröffentlichungen ist vom damaligen RCDS-Bundesvorstand Jenovan Krishnan, Claudius Klueting und Dietmar Schulmeister herausgegeben wor172 Johannes Weberling: Für Freiheit und Menschenrechte. Der Ring Christlich Demokratischer Studenten 1945 – 1986. Düsseldorf 1990. 173 Holger Thuß/Mario Voigt: 50 Jahre RCDS. Fünf Jahrzehnte gelebte Studentenpolitik. Erlangen 2001. Eine noch frühere Darstellung zum 25-jährigen Jubiläum stellt die Publikation: „RCDS – entschieden demokratisch. Geschichte, Programm und Politik“, zusammengestellt von Wolfgang Kirsch, aus der RCDS-Schriftenreihe Nr. 8, Februar 1971 dar. Ebenso gibt es zahlreiche Festschriften, die zu Jubiläen der RCDS-Landesverbände erschienen sind.

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den.174 Für die Forschung hält das ACDP einige Bestände bereit. Neben dem RCDSBundesbestand (04-006) sind bisher sechs Landesverbände175 und sechs Bestände aus Universitätsstädten176 akquiriert, teilweise aber noch in unerschlossener Form archiviert. Ebenso unerschlossen existiert ein RCDS-Tonarchiv unter der Signatur 11-037. Daneben wären Nutzer, die im ACDP Themen zur christdemokratischen Studentenschaft untersuchen, gut beraten, die Deposita der RCDS-Bundesvorsitzenden wie etwa Konrad Kraske (01-790), Gerd Langguth (01-365) oder Stephan Eisel (01-942) mit einzubeziehen. Auch der Bestand der Europäischen Demokratischen Studenten (EDS) ist unter der Signatur (09-003) verzeichnet und kann über ein Online-Findbuch177 recherchiert werden.

174 Jenovan Krishnan/Claudius Klueting/Dietmar Schulmeister (Hg.): Zukunftsperspektiven konservativer Politik. 65 Jahre Ring Christlich-Demokratischer Studenten. Berlin 2016. 175 Darunter befinden sich Baden-Württemberg (04-009), Berlin/Brandenburg (04-051), Hessen (04-096), Niedersachsen (04-050), Rheinland-Pfalz (04-029) und Schleswig-Holstein (04-042). 176 In alphabetischer Aufzählung sind diese Bonn (04-093), Frankfurt a. M. (04-046), Fulda (04-087), Heidelberg (04-060), Köln (04-094) und Marburg (04-037). 177 EDS-Online-Findbuch abrufbar unter: https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=72835 bb7-1bfd-f7e6-13dc-500d849d9354&groupId=252038 (Abruf: 16.9.2020).

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SU – Senioren-Union Horst Granderath/Carsten Pickert Grundsätzliches Die Senioren-Union (SU) ist gerade erst 30 Jahre alt geworden und damit die jüngste, allerdings mit 54.000 Mitgliedern178 auch die zweitgrößte Vereinigung von CDU und CSU. Um mit beratender Stimme teilzunehmen, muss man nicht Mitglied einer der beiden Parteien, aber über 60 Jahre oder im Ruhestand sein. Der Sitz der Vereinigung ist Berlin. Die Organe der SU sind die Bundesdelegiertenversammlung, die mindestens alle zwei Jahre zusammentritt, und der Bundesvorstand, der wiederum von der Delegiertenversammlung gewählt wird und aus dem Bundesvorsitzenden, den fünf Stellvertretenden, dem Bundesschatzmeister und dessen Stellvertreter, dem Bundesgeschäftsführer, den Landesvorsitzenden und den Beisitzern besteht. Die Satzung von 1988 wurde mehrmals angepasst und gilt gegenwärtig in der Version von 2016.179 Im November 2018 beschloss die Bundesdelegiertentagung das erste Grundsatzprogramm der SU. Die Vereinigung verfügt über ein eigenes Presseorgan („Mach mit“, ab 2001 „Souverän“) und ist Mitglied der am 7. November 1995 in Madrid gegründeten Europäischen Senioren Union.

Gründungsphase Landesvereinigungen von Senioren der CDU entstanden bereits ab 1979 180 und auf dem Bundesparteitag der CDU 1985 in Essen wurde Gerhard Braun zum Seniorenbeauftragten der CDU berufen. Zwei Jahre später beschloss der 35.Bundesparteitag die Aufnahme der Senioren-Union als Vereinigung in das Statut der CDU, woraufhin am 20. April 1988 die Gründungsversammlung in Bonn stattfand, auf der ebenfalls die erste Satzung verabschiedet wurde.181 Als Gastredner hob Bundeskanzler Helmut Kohl hervor, dass die CDU als erste bundesdeutsche Partei eine Seniorenvereinigung gegründet habe, und betonte „die Fähigkeit der Union, auf gesellschaftliche Entwicklungen neue und schöpferische Antworten zu geben“.182 Der bisherige Seniorenbeauftragte Gerhard Braun wur-

178 Zu diesem „rasanten Mitgliederzuwachs“ siehe Jan Philipp Wölbern: Die „neuen Alten“ der CDU. Geschichte der Senioren-Union. 2.korrigierte Aufl. Sankt Augustin/Berlin 2020, S. 60 – 65. 179 Satzung der SU vom 31. Oktober 2016, https://www.senioren-union.de/images/seniorenunion/pdf/su_ satzung-beitragsordnung_2016.pdf (Abruf: 8.11.2019). 180 Ausführlich zu den Bewegungen und Gründungen auf Länderebene vgl. Wölbern: Die „neuen Alten“, S. 18 – 32. 181 Unterlagen zum Entstehen der Satzung und zur Satzung selbst in: ACDP 04-025-046/1. 182 Rede Helmut Kohl auf der Gründungsversammlung der SU, 10. April 1988, in: ACDP 04-025-146.

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de zum ersten Bundesvorsitzenden gewählt. Die Geschäftsführung übernahm Hans R. Herbst.

Weitere Entwicklung Bereits auf der nächsten Bundesdelegiertenversammlung am 11. Dezember 1990 konnte ein gesamtdeutscher Bundesvorstand gewählt werden. Vorausgegangen waren am 18. April 1990 die Gründung der Senioren-Union in der DDR unter der Vorsitzenden Gisela Krüger und die Etablierung von Vereinigungen in den Neuen Bundesländern zwischen Juli und Dezember 1990. Bundesministerin Dorothee Wilms hob in ihrer Rede auf der Bundesdelegiertenversammlung hervor, wie „viele Mitglieder der Senioren-Union […] mitgewirkt haben, daß wir heute im wiedervereinten Deutschland in Frieden und Freiheit miteinander leben“. 183 Zum Vorsitzenden wählte die gesamtdeutsche SU Bernhard Worms. Worms führte die Vereinigung 12 Jahre lang. In dieser Zeit kam zum einen auch eine Senioren-Union der CSU hinzu. Deren Gründung erfolgte am 26. März 1998, deren erster Landesvorsitzender wurde Gebhard Glück. Zum anderen beteiligte sich die SU an der Gründung der Europäischen Senioren-Union (ESU, European Senior’s Union) am 7. November 1995 in Madrid.184 Die 9.Bundesdelegiertenversammlung 2002, die unter dem forschen Motto „Alter ist nichts für Feiglinge!“ stand, wählte als Nachfolger für Worms Otto Wulff zum Vorsitzenden, der bis heute amtiert. Unter seiner Leitung brachte die SU 2016 die Ausarbeitung eines Grundsatzprogramms auf den Weg, an dem alle Ebenen der Vereinigung mitwirken konnten. Vom Bundesvorstand im Juni 2018 verabschiedet, beschloss die 17. Bundesdelegiertenversammlung in Magdeburg am 23. November 2018 einstimmig das Grundsatzprogramm. Selbstbewusst verkündet die SU darin: „Die ältere Generation repräsentiert die Summe der Erfahrungen unzähliger Lebensjahre und damit das Herzstück unserer Gesellschaft.“185 Bundesvorsitzende 1988 – 1990 Gerhard Braun 1990 – 2002 Bernhard Worms* seit 2002 Otto Wulff

(* bedeutet, Biogramm auf cdu-geschichte.de vorhanden)

Bundesgeschäftsführer 1988 – 1995 Hans R. Herbst 1995 – 1999 Karsten Matthis 2000 – 2001 Elisabeth von Uslar 2001 Hartwig Benzler 2002 – 2004 Siegrid von Köller-Pernice 183 Rede von Dorothee Wilms, 11.12.1990, in: ACDP 04-025-005/3. 184 Bernhard Worms: Die Europäische Senioren-Union. Politische Interessenvertretung der Älteren in Europa, in: DPM Nr. 469 (Dezember 2008), S. 11 – 14, auch unter: https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=eae70c6e-8270-38c2-20e5-eb751ca6b2eb&groupId=252038 (Abruf: 4.11.2019). 185 Text des Grundsatzprogramms, verabschiedet am 23. November 2018, https://www.senioren-union.de/ images/seniorenunion/pdf/grundsatzprogramm/2018_SU_Grundsaetze.pdf (Abruf: 30.10.2019).

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SU – Senioren-Union

2005 – 2008 2008 – 2011 2012 – 2013 2015 – 2020 seit 2020

Sabine Windelen Dirk Hülsenbeck Jan Christian Jansen Jan Peter Luther Claus Bernhold

Forschungs- und Quellenlage Mit der Publikation von Jan-Philipp Wölbern von 2018 (2. Aufl. 2020)186 gibt es einen guten Überblick nicht nur zur Geschichte der Senioren-Union, sondern auch über die bislang erschienene Literatur sowie die vorliegenden Quellen. Hinzufügen sollte man noch die von Bernhard Worms erstellte Darstellung der Europäischen Senioren-Union. Die Quellengrundlage bildet vor allem der Bestand der Senioren-Union (04-025) im ACDP. Dort befinden sich auch die Bestände der Vorsitzenden Gerhard Braun (01-068, unerschlossen) und Bernhard Worms (01-189).

186 Wölbern: Die „neuen Alten“.

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Organisatorische Veränderungen in der Bundespartei Stefan Marx Als Bundespartei trat die CDU erst im Jahre 1950 mit ihrem ersten Parteitag, der vom 20. bis 22. Oktober in Goslar stattfand, in Erscheinung. Bis dahin arbeiteten die bereits 1945/46 entstandenen Landesverbände im Rahmen einer überzonalen Arbeitsgemeinschaft von CDU und CSU, die sich im Februar 1947 in Königstein gebildet hatte, sowie in der Konferenz der Landesvorsitzenden zusammen. Mit der Entstehung der Bundesrepublik Deutschland und der Übernahme von Regierungsverantwortung auch auf bundesstaatlicher Ebene erwies sich diese Form der Kooperation als nicht mehr ausreichend und führte zu der Forderung nach einer zentralen und effektiven Parteiorganisation. Die Konstituierung der CDU als Bundespartei ist also als ein „Akt der Parteiräson“1 zu verstehen. Die selbstbewussten Landesverbände wussten gleichwohl ihre Interessen zu wahren. Der föderale Aufbau der CDU spiegelte sich in dem Statut der Bundespartei wider, das bezeichnenderweise von den Vorsitzenden der Landesverbände am 20. Oktober 1950 beschlossen und am darauffolgenden Tag auf dem Parteitag in Goslar verkündet wurde. Mit diesem Statut wurden drei Entscheidungsgremien institutionalisiert: Bundesparteitag, Bundesparteiausschuss und Bundesparteivorstand. Die Landesverbände stellten die Delegierten für den Parteitag, deren Zahl sich nach den Ergebnissen der Bundestagswahlen errechnete. Zu den vornehmlichen Aufgaben des Parteitages, der mindestens einmal jährlich zusammentrat, gehörten die Wahl des Bundesvorsitzenden und seiner beiden Stellvertreter sowie Beschlüsse über die Grundlinien der Politik der CDU. Die Aufgaben des Parteiausschusses wurden mit der Zuständigkeit für alle politischen und organisatorischen Fragen beschrieben, die im gemeinsamen Interesse der Landesverbände lagen. Weiter gehörte zu seinem Kompetenzbereich die Wahl eines geschäftsführenden Vorstandsmitglieds, des Schatzmeisters sowie zehn weiterer Vorstandsmitglieder und deren Stellvertreter. Der Parteiausschuss setzte sich zunächst zusammen aus den Delegierten der Landesverbände, deren Zahl sich aus den Ergebnissen bei den Bundestagswahlen ergab, den Vorsitzenden der Landesverbände und der Landtagsfraktionen sowie den Mitgliedern des Bundesparteivorstands und Delegierten aus der „sowjetisch besetzten Zone“ und den „Gebieten jenseits der Oder und Neiße“. Die Beschlüsse des Parteitages und des Parteiausschusses wurden vom Parteivorstand durchgeführt, der auch die laufenden Geschäfte erledigte und sich dabei der Bundesgeschäftsstelle bediente. Diese hatte ihren Sitz in Bonn und wurde neben eigenen Einnahmen der Bundespartei durch Beiträge der Landesverbände finanziert. Die Geschichte der Bundespartei in den beiden ersten Jahrzehnten ihres Bestehens war gekennzeichnet durch die Suche nach ihrer Führungsstruktur. Dabei zeigte sich bereits auf dem Gründungsparteitag in Goslar, dass Organisationsfragen auch Machtfragen sind. Der zum ersten Bundesvorsitzenden der CDU gewählte Konrad Adenauer 1 Hans-Otto Kleinmann: Geschichte der CDU 1945– 1982. Hg. von Günter Buchstab. Stuttgart 1993, S. 125.

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Stefan Marx

musste gleich zu Beginn seiner Amtszeit eine Niederlage einstecken. Die Vorstellung, mit der Wahl des württembergischen Bundestagsabgeordneten Kurt Georg Kiesinger zum geschäftsführenden Vorstandsmitglied eine Art Generalsekretär zu bestellen, der für die politischen und organisatorischen Fragen der Parteiarbeit zuständig war, stieß in den Landesverbänden auf Widerspruch. Kiesinger wurde denn auch nur mit der hauchdünnen Mehrheit von zwei Stimmen gewählt, trat aber das Amt des geschäftsführenden Bundesvorstandsmitglieds nicht an, weil in diesem Ergebnis erhebliche Vorbehalte gegenüber einem machtvollen Parteiapparat auf Bundesebene zum Ausdruck kamen. Die Aufgaben des geschäftsführenden Vorstandsmitglieds wurden stattdessen von einem Fünfer-Ausschuss wahrgenommen, dem die beiden stellvertretenden Vorsitzenden Jakob Kaiser und Friedrich Holzapfel, der Schatzmeister Ernst Bach, das Vorstandsmitglied Alois Zimmer und Kiesinger angehörten. Bei diesem informellen Gremium handelte es sich um eine Übergangslösung bis zum zweiten Bundesparteitag, der im Oktober 1951 in Karlsruhe stattfand und die Einrichtung eines Geschäftsführenden Dreierkollegiums beschloss. Daraufhin wählte der Bundesparteiausschuss in seiner Sitzung am 9. November 1951 Kiesinger und seine Bundestagskollegen Robert Tillmanns und FranzJosef Wuermeling zu Geschäftsführenden Bundesvorstandsmitgliedern. 1956 folgte Bundesinnenminister Gerhard Schröder dem verstorbenen Tillmanns nach, und der ehemalige nordrhein-westfälische Innenminister Franz Meyers löste Bundesfamilienminister Wuermeling ab. Diese Triumviratslösung hatte bis 1960 Bestand. Die politische Wirkung im Sinne einer Stärkung des Parteiapparats und der Fortentwicklung der inhaltlich-programmatischen Arbeit blieb begrenzt. Faktisch nahmen nur Tillmanns und Meyers ihre Aufgaben wahr, da ihre Vorstandskollegen durch die Ausübung von Regierungsämtern oder wichtiger Funktionen in der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag für die Parteiarbeit nur sehr eingeschränkt zur Verfügung standen. Insbesondere für die Inhaber hoher Staatsämter wie die Bundesminister Schröder und Wuermeling oder den Ministerpräsidenten Kiesinger bedeutete die Ausübung von Parteiämtern in der Regel „eine lästige Pflicht“.2 Auch die Änderungen des Parteistatuts auf den Bundesparteitagen 1956 in Stuttgart und 1960 in Karlsruhe mit der Einrichtung eines Geschäftsführenden Bundesvorstands bzw. eines engeren Vorstands stellten keine Beiträge zur Schaffung eines effizienten politischen Führungsinstruments dar, weil gleichzeitig aus Gründen des regionalen und des konfessionellen Proporzes in der CDU Bundesparteivorstand und Bundesparteiausschuss personell aufgebläht wurden. Die Zahl der Mitglieder des Bundesparteiausschusses wuchs bis Ende der 1950er Jahre auf 213 an, und der Bundesparteivorstand zählte nach der Statutenänderung von Karlsruhe 1960 rund 70 Mitglieder. Eine Reform der Führungsstruktur der CDU war seit 1959 virulent: die Präsidentschaftskrise hatte die Autorität Konrad Adenauers erschüttert, und in der SPD, die sich seit dem Reformparteitag von Godesberg auf dem Weg von einer Interessen- und Weltanschauungspartei zu einer linken Volkspartei befand, erwuchs den Christlichen Demokraten eine ernsthafte parteipolitische Konkurrenz. Aber erst der Ausgang der Bundestagswahl vom 17. September 1961, bei der die Unionsparteien nach Verlusten von fast fünf Prozentpunkten ihre absolute Mehrheit verloren, führte auf dem Bundesparteitag in 2 Wulf Schönbohm: Die CDU wird moderne Volkspartei. Selbstverständnis, Mitglieder, Organisation und Apparat 1950 – 1980 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 7). Stuttgart 1985, S. 42.

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Dortmund im Juni 1962 zu einer Neuorganisation der Parteiführung. Es wurde das Amt eines Geschäftsführenden Bundesvorsitzenden eingerichtet und ein Bundesparteipräsidium geschaffen, dem der Vorsitzende, der Geschäftsführende Vorsitzende und dessen Stellvertreter sowie vier weitere Mitglieder angehörten. Das Parteipräsidium entwickelte sich zu einem effektiven Führungsgremium, in dem regelmäßig führende Vertreter der Partei zusammenkamen und die Geschicke der CDU maßgeblich bestimmten. Dagegen bewährte sich das neu geschaffene Amt des Geschäftsführenden Parteivorsitzenden nicht, obwohl der Parteitag mit dem Vorsitzenden der CDU Westfalen-Lippe, Josef Hermann Dufhues, einen der mächtigsten Landesfürsten in diese Position wählte. Die Kompetenzen des Geschäftsführenden Vorsitzenden blieben unklar. Bereits wenige Wochen nach seiner Wahl in das neue Amt kam es zu einem ernsthaften Konflikt zwischen Dufhues und Adenauer, der weiterhin das Amt des Parteivorsitzenden ausübte und das Recht zur Einberufung der Parteiführungsgremien für sich allein beanspruchte. Kompetenzgerangel mit Adenauer überschattete die fast vierjährige Amtszeit von Dufhues bis zum Bundesparteitag in Bonn im März 1966, auf dem das Parteistatut erneut geändert wurde. Das Amt des Geschäftsführenden Vorsitzenden fiel weg. Dafür wurden die Ämter eines ersten stellvertretenden Vorsitzenden und eines geschäftsführenden Präsidialmitglieds geschaffen. Diese neuerliche Änderung der Führungsstruktur war „nicht so sehr das Ergebnis einer schlüssigen Reformkonzeption, sondern eher die pragmatische Lösung eines personellen Konflikts“.3 Im Hintergrund stand die Auseinandersetzung um die Nachfolge Konrad Adenauers im Parteivorsitz zwischen Bundeskanzler Ludwig Erhard und dem aufstrebenden Vorsitzenden der CDU/CSUFraktion im Deutschen Bundestag, Rainer Barzel. Um eine Kampfkandidatur zu verhindern, wurde für Barzel das Amt des ersten stellvertretenden Vorsitzenden eingerichtet. Funktionen und Kompetenzen wurden für dieses neue Amt ebenso wenig abgegrenzt wie für die Position des geschäftsführenden Präsidialmitglieds, die der Bundesminister für Familie und Jugend, Bruno Heck, übernahm. Die gewünschte Straffheit und Effektivität der Leitungsorgane wurde auch mit dieser Änderung des Parteistatuts nicht erreicht. Die CDU befand sich nach wie vor in einem „Stadium des Experimentierens und Ausbalancierens“.4 Erst mit den weitreichenden Beschlüssen auf dem 15. Bundesparteitag, der am 22. und 23. Mai 1967 in Braunschweig stattfand, wurden die Voraussetzungen geschaffen für die Entwicklung von einer Honoratiorenpartei zu einer demokratischen Mitgliederpartei. Insofern markiert dieser Parteitag eine Zäsur in der Organisationsgeschichte der CDU. Entscheidende Markierungen auf dem Weg nach Braunschweig waren das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Parteienfinanzierung vom 19. Juli 1966 in Verbindung mit dem Gesetzgebungsverfahren zur Verabschiedung eines Parteiengesetzes und die Bildung der ersten Großen Koalition auf Bundesebene im Herbst 1966. Mit einem Parteiengesetz verknüpfte die CDU die Hoffnung auf eine Lösung ihrer Finanzprobleme. Wie die parlamentarischen Beratungen dieses Gesetzes, das am 20. Juni 1967 vom Deutschen Bundestag beschlossen wurde und am 24. Juli 1967 in Kraft trat, zeigten, verstießen allerdings zentrale Regelungen des Parteistatuts der CDU wie die hohe Zahl „geborener“ 3 Hans-Jürgen Lange: Responsivität und Organisation. Eine Studie über die Modernisierung der CDU von 1973 – 1989. Marburg 1994, S. 121. 4 Kleinmann: Geschichte der CDU, S. 196.

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Mitglieder im Bundesvorstand oder die Wahl der Beisitzer durch den Bundesausschuss gegen das neue Gesetz. Die daher notwendigen Änderungen des Parteistatuts führten zu schlankeren und in der Konsequenz effizienteren Führungsstrukturen. Ausschließlich der Bundeskanzler, der Bundestagspräsident und der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag gehörten – sofern sie von der CDU gestellt wurden – als „geborene“ Mitglieder dem Bundesvorstand an, dessen Mitgliederzahl sich von 60 auf 30 halbierte. Die Mitglieder des Bundesvorstands wurden fortan unmittelbar und ausschließlich durch den Bundesparteitag gewählt und nicht mehr teilweise auch vom Bundesausschuss, der nur noch 120 statt zuvor 200 Mitglieder zählte. Die Verhandlungen zur Bildung einer neuen Bundesregierung im Herbst 1966, die eine Koalitionsmöglichkeit jenseits der Unionsparteien hatten erkennen lassen, waren ein Warnsignal für die CDU. Die Notwendigkeit einer Stärkung des Parteiapparats wurde erkannt und führte zu einer grundlegenden Veränderung in der Führungsstruktur der Partei. Neu geschaffen wurde das Amt des Generalsekretärs, das sich als die größte Innovation in der Organisationsgeschichte der CDU erwiesen hat. Die Partei stattete ihren Generalsekretär mit fest umrissenen Kompetenzen aus, was sie bei der Einrichtung der Ämter des Geschäftsführenden Bundesvorsitzenden 1962 und des geschäftsführenden Präsidialmitglieds 1966 unterlassen hatte. Im Einvernehmen mit dem Vorsitzenden führt der Generalsekretär die Geschäfte der Partei. Dabei koordiniert er die gesamte Parteiarbeit aller Gebietsverbände einschließlich der Vereinigungen und Sonderorganisationen. Diese Aufgabe schließt die Koordination aller Publikationen ein, die von der Bundespartei, den Vereinigungen und Sonderorganisationen herausgegeben werden. Die Schlüsselposition des Generalsekretärs innerhalb der Partei zeigt sich weiter darin, dass ihm das Recht zusteht, an allen Versammlungen und Sitzungen der Organe aller Gebietsverbände, Vereinigungen und Sonderorganisationen teilzunehmen und sich jederzeit über alle Angelegenheiten der Partei zu unterrichten. Bei der Vorbereitung und Durchführung von Bundestagswahlen sind die nachgeordneten Gebietsverbände, Vereinigungen und Sonderorganisationen an die Weisungen des Generalsekretärs gebunden. Zum Kompetenzbereich des Generalsekretärs gehört auch seine erforderliche Zustimmung zur Berufung der Landesgeschäftsführer durch die Landesverbände und zu den Etats der Bundesvereinigungen. Diese weitreichenden Koordinations- und Weisungsbefugnisse förderten die Zentralisierung der Partei und hatten „eine neuartige Macht der Bonner Zentrale“5 zur Folge, welche eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung der CDU zu einer modernen Volkspartei unter den Generalsekretären Kurt Biedenkopf und Heiner Geißler darstellte. In ihrer Bedeutung für die Geschichte der CDU kann die grundlegende Änderung des Parteistatuts von 1967 mit der Demokratisierung des innerparteilichen Willensbildungsprozesses und der Schaffung des Amtes eines Generalsekretärs daher nicht hoch genug eingeschätzt werden. Frank Bösch spricht von dem „Achtundsechzig in der CDU“6, und für Wulf Schönbohm findet erst auf dem Bundesparteitag in Braunschweig die eigentliche Gründung der CDU als „handlungsfähige Partei auf Bundesebene, als 5 Frank Bösch: Macht und Machtverlust. Die Geschichte der CDU. Stuttgart u. a. 2002, S. 96. 6 Ders.: Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei 1945– 1969. Stuttgart u. a. 2001, S. 412.

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Instrument der kontroversen Diskussion und politischen Willensbildung durch demokratische Mehrheitsentscheidungen in Sach- und Personalfragen“7 statt. Mit ihren Parteitagsbeschlüssen von 1967 hat sich die CDU eine Führungsstruktur geschaffen, die in ihren Grundzügen bis heute unverändert geblieben ist. Lediglich bei der Anzahl der stellvertretenden Bundesvorsitzenden und der zahlenmäßigen Zusammensetzung des Parteipräsidiums ist es seither zu Veränderungen gekommen. Machtpolitische Überlegungen, insbesondere Fragen des regionalen, konfessionellen und Geschlechterproporzes haben dabei eine Rolle gespielt. Besonders hinzuweisen ist an dieser Stelle auf das Jahr 1990, als auf dem Vereinigungsparteitag in Hamburg am 1. Oktober Lothar de Maizière, der letzte Vorsitzende der CDU in der DDR, zum alleinigen stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU Deutschlands gewählt wurde. Nach seinem Rücktritt von allen politischen Ämtern im September 1991 wählte der 2. Parteitag der CDU Deutschlands, der vom 15. bis 17. Dezember 1991 in Dresden stattfand, die Bundesministerin für Frauen und Jugend, Angela Merkel, zu seiner Nachfolgerin, ehe mit dem 3.Parteitag im Oktober 1992 in Düsseldorf die Zahl der stellvertretenden Bundesvorsitzenden wieder auf vier (ab 2012: fünf) erhöht wurde.

Forschungs- und Quellenlage Die entscheidenden organisatorischen Veränderungen in der Bundespartei ereigneten sich in den beiden ersten Jahrzehnten ihres Bestehens, bis sie 1967 mit den weitreichenden Beschlüssen zur Änderung des Parteistatuts auf dem Bundesparteitag in Braunschweig „die ihr adäquate formale Willensbildungs- und Führungsstruktur“8 fand. Das herausragende Ereignis des Braunschweiger Parteitages, die Einführung des Amtes des Generalsekretärs, analysiert Philip Rosin, der zu dem Ergebnis kommt, dass der Generalsekretär eine starke Stellung innerhalb des Parteigefüges der CDU einzunehmen vermöge, also mehr „General“ als „Sekretär“ sein könne, wie die Beispiele Kurt Biedenkopfs und Heiner Geißlers zeigten. Die Ablösung Geißlers als Generalsekretär 1989 sei zugleich aber auch ein Beleg für die Grenzen der Macht des jeweiligen Amtsinhabers, denn „einen Machtkampf mit dem Parteivorsitzenden kann ein Generalsekretär […] kaum gewinnen“.9 Gestützt auf breiter Quellenbasis untersuchen Wulf Schönbohm10 und Frank Bösch11 über den Braunschweiger Parteitagsbeschluss hinaus die wichtigsten Entwicklungen in der Organisationsgeschichte der CDU. Dabei zeigen sie die Beziehung zwischen organisatorischen Veränderungen und Parteireformen auf. Für die 1970er und 1980er Jahre beleuchtet Hans-Jürgen Lange aus sozialwissenschaftlicher Perspektive die organisatorischen Veränderungen in der Bundespartei mit ihren Auswirkungen auf den Prozess der Modernisierung der CDU.12 Organisatorische Veränderungen beförderten nicht nur Parteireformen. Damit sind auch immer Machtfragen verbunden gewesen. Dies 7 Schönbohm: CDU, S. 65. 8 Ebd., S. 69. 9 Philip Rosin: Abschied von der „Adenauer-CDU“. Innerparteiliche Veränderungen in Regierungsund Oppositionszeit 1967 – 1971, in: HPM 25 (2018), S. 135 – 157, hier 139. 10 Schönbohm: CDU. 11 Bösch: Macht und Machtverlust. 12 Lange: Responsivität und Organisation.

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zeigt Hans-Peter Schwarz in seiner Adenauer-Biografie an mehreren Beispielen aus den 1950er und 1960er Jahren auf.13 Wiederholt wehrte sich der Bundeskanzler und Parteivorsitzende gegen weitreichende Veränderungen in der Führungsstruktur der CDU, die seine Machtposition beeinträchtigen konnten. Ein besonderes Beispiel ist der Machtkampf mit Josef Hermann Dufhues in der ersten Hälfte der 1960er Jahre, nachdem der westfälische Politiker 1962 auf dem Bundesparteitag in Dortmund in das neu geschaffene Amt des Geschäftsführenden Bundesvorsitzenden gewählt worden war. Neben der Adenauer-Biografie von Schwarz ist an dieser Stelle auch die Studie von Daniel Koerfer über den „Kampf ums Kanzleramt“ zu nennen, in der der Autor sehr anschaulich diesen Machtkampf zwischen Adenauer und Dufhues darstellt.14 Die Diskussionen über organisatorische Veränderungen in der Bundespartei fanden wesentlich in den Sitzungen des Bundesvorstands der CDU statt, deren Protokolle von Günter Buchstab ediert worden sind und die für den Zeitraum von 1950 bis 1983 vorliegen.15 Auf dem Internetportal der Konrad-Adenauer-Stiftung zur Geschichte der CDU (www.cdu-geschichte.de) stehen die Bundesvorstandsprotokolle bis zum Wechsel im Parteivorsitz von Rainer Barzel zu Helmut Kohl 1973 auch online zur Verfügung. Die Protokolle der Bundesparteitage der CDU, auf denen die Satzungsänderungen beschlossen worden sind, welche die organisatorischen Veränderungen in der Bundespartei bewirkten, sind ebenfalls auf diesem Portal eingestellt.

13 Hans-Peter Schwarz: Konrad Adenauer. Der Staatsmann: 1952 – 1967. Stuttgart 1991. 14 Daniel Koerfer: Kampf ums Kanzleramt. Erhard und Adenauer. Erw. u. akt. Neuaufl. Elsbethen 2020 (zuerst Stuttgart 1987). 15 Adenauer: „Es musste alles neu gemacht werden.“ Die Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1950 – 1953. Bearb. von Günter Buchstab (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd.  8). Stuttgart 1986; Adenauer: „Wir haben wirklich etwas geschaffen.“ Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1953 – 1957. Bearb. von Günter Buchstab (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 16). Düsseldorf 1990; Adenauer: „… um den Frieden zu gewinnen“. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1957 – 1961. Bearb. von Günter Buchstab (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 24). Düsseldorf 1994; Adenauer: „Stetigkeit in der Politik“. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1961 – 1965. Bearb. von Günter Buchstab (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 32). Düsseldorf 1998; Kiesinger: „Wir leben in einer veränderten Welt.“ Die Protokolle des CDUBundesvorstands 1965 – 1969. Bearb. von Günter Buchstab unter Mitarbeit von Denise Lindsay (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 50). Düsseldorf 2005; Barzel: „Unsere Alternative für die Zeit der Opposition“. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1969 – 1973. Bearb. von Günter Buchstab mit Denise Lindsay (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 56). Düsseldorf 2009; Kohl: „Wir haben alle Chancen“. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1973 – 1976. Bearb. von Günter Buchstab (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 67). Düsseldorf 2015; Kohl: „Stetigkeit, Klugheit, Geduld und Zähigkeit“. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1976 – 1980. Bearb. von Günter Buchstab (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 68). Düsseldorf 2017; Kohl: „Gelassenheit und Zuversicht“. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1980– 1983. Bearb. von Günter Buchstab (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 70). Düsseldorf 2018.

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Parteivorsitzende 21.10.1950 – 23.03.1966 23.03.1966 – 23.05.1967 23.05.1967 – 04.10.1971 04.10.1971 – 12.06.1973 12.06.1973 – 07.11.1998 07.11.1998 – 10.04.2000 10.04.2000 – 07.12.2018 07.12.2018 – 22.01.2021 22.01.2021 – 31.01.2022 seit 31.01.2022 Generalsekretäre 05.06.1962 – 23.03.1966 23.03.1966 – 23.05.1967 23.05.1967 – 05.10.1971 05.10.1971 – 12.06.1973 12.06.1973 – 07.03.1977 07.03.1977 – 11.09.1989 11.09.1989 – 27.10.1992 27.10.1992 – 07.11.1998 07.11.1998 – 10.04.2000 10.04.2000 – 23.10.2000 20.11.2000 – 22.12.2004 24.01.2005 – 05.12.2005 05.12.2005 – 26.10.2009 26.10.2009 – 16.12.2013 16.12.2013 05.04.2014 – 26.02.2018 26.02.2018 – 07.12.2018 08.12.2018 – 31.01.2022 seit 31.01.2022

Konrad Adenauer Ludwig Erhard Kurt Georg Kiesinger Rainer Barzel Helmut Kohl Wolfgang Schäuble Angela Merkel Annegret Kramp-Karrenbauer Armin Laschet Friedrich Merz

Josef Hermann Dufhues (Geschäftsführender Vorsitzender) Bruno Heck (Geschäftsführendes Präsidialmitglied) Bruno Heck Konrad Kraske Kurt Biedenkopf Heiner Geißler Volker Rühe Peter Hintze Angela Merkel Ruprecht Polenz Laurenz Meyer Volker Kauder Ronald Pofalla Hermann Gröhe Peter Tauber (kommissarisch) Peter Tauber Annegret Kramp-Karrenbauer Paul Ziemiak Mario Czaja

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Wähler und Mitglieder der CDU Viola Neu Vor allem die beiden Volksparteien leiden seit Jahrzehnten an einem kontinuierlichen Mitgliederschwund. Von der Wiedervereinigung bis 2019 hat die CDU etwa die Hälfte ihrer Mitglieder verloren, bei der SPD ist es über die Hälfte der Mitglieder. Doch heißt dies nicht, dass die Parteien quasi als Schicksalsgemeinschaft Mitglieder verlieren. Denn der Schwund trifft nicht alle Parteien. Die Grünen konnten ihre Mitgliedschaft von 2009 bis 2019 etwa verdoppeln und die AfD konnte Ende 2019 ca. 35.000 Parteimitglieder neu gewinnen. Bei den anderen Parteien gibt es in den letzten Jahren abwechselnd geringere Verluste oder Zuwächse. Doch ist das Hauptproblem das „Ergrauen“ der Mitgliedschaften. Aus der vergleichenden Mitgliederumfrage aller im Bundestag vertretenen Parteien aus dem Frühjahr 2017 wird von einem Prozess der „massiven Überalterung“1 gesprochen: „So entsprach der Anteil der mindestens 65-Jährigen noch 1998 mit 25 Prozent exakt ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung. Bis 2017 ist dieser dann aber sprunghaft auf fast 50 Prozent angestiegen, während in der Bevölkerung lediglich 27 Prozent dieser Altersgruppe angehören […].“2 Doch trifft dieser Prozess nicht nur die Unionsparteien, Linke und SPD, auch die Grünen altern schleichend mit. So schreiben die Autoren, dass auch bei den Grünen der Anteil der unter 50-Jährigen von 81 Prozent 1981 auf 38 Prozent 2017 geschrumpft ist.3 Das eigentliche Problem stellen mangelnde Eintritte von Neumitgliedern dar. Diese machen sich vor allem in den Volksparteien rar. Würden aus den jüngeren Jahrgängen wieder mehr Menschen Interesse an parteipolitischen Aktivitäten finden, würden sich die sozialstrukturellen Schieflagen (zu denen auch noch die Konfessionsstruktur der CDU gehört) rasch ändern. Leider ist es trotz aller Bemühungen nicht so einfach, Menschen als Parteimitglieder zu gewinnen, und eine Zauberformel existiert nicht. Es wird auch in Zukunft eine nicht ganz einfache Aufgabe sein, die Mitmachpartei lebendig zu halten.4 Seit den 1990er Jahren werden Parteimitglieder von großem, wissenschaftlichem Interesse begleitet. Die Konrad-Adenauer-Stiftung begann mit einer repräsentativen Mitgliederumfrage von CDU-Mitgliedern im Jahr 1992/1993, die von einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage flankiert wurde. Daran schlossen sich in den Jahren 2006 und 2015 erneute Mitgliederumfragen der Konrad-Adenauer-Stiftung an, bei der die Umfrage von 2015 erneut von einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage sowie von qualitativen Tiefeninterviews von Parteimitgliedern und zivilgesellschaftlich organisierten Personen begleitet wurde.5 In der universitären Forschung wurde 1998 mit dem Vergleich von Partei1 Markus Klein u. a.: Die Sozialstruktur der deutschen Parteimitgliedschaften. Empirische Befunde der Deutschen Parteimitgliederstudien 1998, 2009 und 2017, in: ZParl 50 (2019), S. 81 – 98, hier 92. 2 Ebd. 3 Ebd. 4 Vgl. Norbert Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU. München 2020. 5 Wolfgang Falke: Die Mitglieder der CDU. Berlin 1982; Benjamin Höhne: Demokratie braucht Enga-

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Viola Neu

mitgliedern aller im Bundestag vertretenen Parteien begonnen.6 In den Jahren 2009 7 und 2017 erfolgte eine Replizierung. Auch eine Reihe weiterer wissenschaftlicher Publikationen widmete sich ausschließlich Parteimitgliedern.8 Seitdem scheint das Forschungsinteresse an Parteimitgliedern erlahmt zu sein. Aus der Deutschen Parteimitgliederstudie aus dem Jahr 2017 ist bislang ein Aufsatz erschienen.9 Weitere Studien über Parteimitglieder sind der Autorin nicht bekannt. Dies mag auch daran liegen, dass sich die Untersuchungen in ihren Ergebnissen eher fortschreiben. Die drängende Frage nach einer Wiederbelebung der Parteienlandschaft können auch sie nicht beantworten, falls dies überhaupt möglich sein sollte.

Die Wähler der CDU Während die Zeitgeschichtsforschung sich über die Entstehung und die Entwicklung10 der CDU ein recht detailliertes Bild machen kann, sieht es auf der empirischen Seite deutlich schlechter aus. Umfragen11 waren im Nachkriegsdeutschland noch weitgehend unbekannt und unbedeutend. Wenn, dann wurden sie in den frühen Jahren von den Besatzungsmächten in Auftrag gegeben und hatten die demokratischen Einstellungen der Deutschen im Fokus. Erst allmählich etablierte sich die Umfrageforschung, und vor allem durch das Institut für Demoskopie und dessen Leiterin Elisabeth Noelle-Neumann begann die professionelle Wahlforschung.12 Bekannt ist, dass Noelle-Neumann zu den Wahlkampfberatern Konrad Adenauers gehörte.13 Trotz der frühen Offenheit der CDU für die Demoskopie ist eine Wählergeschichte nicht einfach aufzuschreiben, da erst ab 1953 vergleichbare Trenddaten vereinzelt vorliegen. So gleicht die Datenlage eher einem Flickenteppich, sowohl was die wiederholte Befragung als auch die Erhebung gleicher Variablen anbetrifft. Dies führt zwar zu einer gewissen Unschärfe, dennoch lassen sich die zentralen Entwicklungstendenzen gut erkennen.

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gement. Gesellschaftliche und politische Beteiligung in und außerhalb von Parteien aus Sicht von Mitgliedern und Nichtmitgliedern. Sankt Augustin u. a. 2015; Viola Neu: Die Mitglieder der CDU. Eine Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung. Sankt Augustin u. a. 2007; Dies.: Sozialstruktur und politische Orientierungen der CDU-Mitglieder 1993 – 2006, in: Uwe Jun u. a. (Hg.): Zukunft der Mitgliederpartei. Opladen 2009, S. 159 – 186; Wilhelm P. Bürklin u. a.: Die Mitglieder der CDU. Sankt Augustin 1997; Viola Neu: „Ich wollte etwas bewegen.“ Die Mitglieder der CDU. Eine empirische Analyse von Mitgliedern, Wählern und Bevölkerung. Sankt Augustin u.a. 2017. Heiko Biehl: Parteimitglieder im Wandel. Partizipation und Repräsentation. Wiesbaden 2005. Tim Spier u. a. (Hg.): Parteimitglieder in Deutschland. Wiesbaden 2011; Klein u. a.: Die Sozialstruktur der deutschen Parteimitgliedschaften, S. 92. Uwe Jun u. a.: Zukunft der Mitgliederparteien; Fabian Schalt u. a.: Neuanfang statt Niedergang. Die Zukunft der Mitgliederparteien. Berlin 2009. Klein u. a.: Die Sozialstruktur der deutschen Parteimitgliedschaften, S. 92. Vgl. Frank Bösch: Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei 1945 – 1969. Stuttgart u. a. 2001. Anja Kruke: Demoskopie in der Bundesrepublik Deutschland: Meinungsforschung, Parteien und Medien 1949 – 1990 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bd. 149). Düsseldorf 2012. https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/19908/ssoar-zarchiv-2002-50-meyen-die_anfange_der_empirischen_medien-.pdf, S. 62 ff. (Abruf: 30.6.2021). Manfred Güllner u. a.: Der vergessene Wähler. Vom Aufstieg und Fall der Volksparteien. Marburg 2017, S. 20.

Wähler und Mitglieder der CDU

Nivellierung und das Abschleifen von traditionellen Wähler- und Mitgliederstrukturen kennzeichnen die wesentlichen Entwicklungen. Die klassischen sozialen und weltanschaulichen Milieubindungen verlieren an Bedeutung. Dies geht einher mit einer erstaunlich konstanten, langlebigen und traditionellen Verankerung der Parteien in Milieus, deren Entstehung sich bis ins Kaiserreich zurückverfolgen lässt. Allerdings sind es gerade diese klassischen Milieus, die zwar in ihrer Anbindung an Parteien noch eine „verlässliche“ Klientel darstellen, die jedoch aufgrund ihrer abnehmenden Größe keinen nennenswerten Einfluss auf das Abschneiden der Parteien hat. So wählten bei der Bundestagswahl 2017 14 in den alten Ländern zwar 66 Prozent der Katholiken, die wöchentlich in die Kirche gehen, die Union. Allerdings stellen Katholiken mit hoher Kirchgangshäufigkeit nur noch 5 Prozent der Wähler. Von den Katholiken, die selten oder nie in die Kirche gehen, wählen 35 Prozent die Union. 20 Prozent der Wähler sind Katholiken mit niedriger Kirchgangshäufigkeit. Gleiches gilt auch für Landwirte. In dieser Gruppe stimmten bundesweit 61 Prozent für die Union, bei einem Bevölkerungsanteil von einem Prozent. 1979 unternahmen Hans-Joachim Veen und Peter Gluchowski den ersten Versuch, anhand von Umfragen den sozialstrukturellen Wandel bei der Unions- und der SPDWählerschaft nachzuzeichnen. Dies wurde in den folgenden Jahren bis zuletzt 1994 regelmäßig angepasst.15 1994 resümieren die Autoren: „Dabei wurde deutlich, daß sich die beiden Volksparteien hinsichtlich der Sozialstruktur ihrer Wähler seit den 50er Jahren fortschreitend einander angenähert haben. Bei den Bildungs- und Berufsstrukturen und Geschlechteranteilen waren die Nivellierungen besonders stark. Andererseits blieben auch die traditionellen Schwerpunkte in beiden Wählerschaften erhalten, auch wenn sie sich quantitativ in den Elektoraten immer weniger widerspiegelten.“16 Die Autoren lokalisieren die 1960er und die frühen 1970er Jahre als die Phase, in der die traditionellen Bindungen aufbrechen und die nachlassende Wirkung sozialstruktureller Prägung einsetzt.17 Die Bundestagswahl 1972, die sogenannte Willy-Wahl, markiert bei den vorliegenden Daten für Arbeiter, Angestellte, Katholiken und Protestanten recht markant diesen Übergang. Es gibt bestimmte Gruppen, in denen Parteien eine größere oder kleinere Anhängerschaft finden. Dies sind die klassisch angestammten Gruppen, deren über- oder unterdurchschnittliche Neigung zu Parteien bestens dokumentiert ist.18 In Deutschland neigen traditionell zum Beispiel die kirchennahen Katholiken stark zur CDU/CSU. Dieser Zu14 Bundestagswahl. Eine Analyse der Wahl vom 24. September 2017. Forschungsgruppe Wahlen. Mannheim 2017, S. 53, 56, 112, 113. 15 Peter Gluchowski/Hans-Joachim Veen: Nivellierungstendenzen in den Wähler- und Mitgliedschaften von CDU/CSU und SPD von 1959 bis 1979, in: ZParl 10 (1979), S. 312 – 331; Dies.: Tendenzen der Nivellierung und Polarisierung in den Wählerschaften von CDU/CSU und SPD von 1959 – 1983, in: ZParl 14 (1983), S. 545 – 555; Dies.: Sozialstrukturelle Nivellierung bei politischer Polarisierung – Wandlungen und Konstanten in den Wählerstrukturen der Parteien 1953 – 1987, in: ZParl 19 (1988), S. 225 – 248; Dies.: Die Anhängerschaften der Parteien vor und nach der Einheit – eine Langfristbetrachtung von 1953 bis 1993, in: ZParl 25 (1993), S. 165 – 186. 16 Dies.: Die Anhängerschaften der Parteien, S. 165. 17 Vgl. http://www.socsci.uci.edu/~rdalton/archive/Germanpolitics2014.pdf (Abruf: 30.6.2021). In der Wahlforschung wird das mit dem Begriff des Dealignment bezeichnet, zu dem u. a. Russel J. Dalton gearbeitet hat. 18 Vgl. Harald Schoen: Soziologische Ansätze in der empirischen Wahlforschung, in: Jürgen W. Falter u. a. (Hg.): Handbuch Wahlforschung. Wiesbaden 2005, S. 135 ff.

423

Viola Neu

sammenhang bleibt in seiner Ausprägung über die Jahrzehnte verhältnismäßig stabil, bei schwindender Gruppengröße. Auch bei anderen sozialstrukturell verortbaren Neigungen zu Parteien ist dieser Effekt ähnlich. Kurzum: Parteien haben in einigen sozialstrukturell verankerten Gruppen einen unterschiedlich hohen „Sockel“ oder ein anderes Ausgangsniveau. In anderen sozialen Gruppen zeigen sich hingegen kaum Unterschiede in der Präferenz für bestimmte Parteien. Allerdings zeigt die langfristige Betrachtung dieser Gruppen, dass der „Sockel“ zwar bestehen bleibt, der Anteil der Wähler bei jeder Wahl jedoch erheblich schwankt. Die einzelnen Wähler bewegen sich parallel zum (Gesamt-)Wahlergebnis. Dieser Befund verdeutlicht, dass (auch wenn es engere Bindungen an Parteien in einzelnen Sozialstrukturen gibt) der „politische“ Charakter der Wahl sich in allen Anhängerschaften etwa gleich auswirkt. Seit der Wiedervereinigung ist bei jeder Wahl dieser Trend sichtbar (von dem es natürlich gelegentlich Ausnahmen gibt): Wenn eine Partei verliert, dann verhältnismäßig gleichförmig in allen Gruppen, wenn sie gewinnt, findet sie auch überall mehr Zuspruch. Nur das Ausgangsniveau ist unterschiedlich. Man könnte auch sagen, die Wähler fahren im Aufzug rauf und runter. Nur bei manchen Wählern startet der Parteiaufzug in einer höheren Etage. Die Beobachtung dieser großen homogenen und auch nivellierenden Bewegungen der Wählerschaft lässt es eher unwahrscheinlich erscheinen, dass „Zielgruppenstrategien“ der Parteien aufgehen. Dies gilt sowohl für die Mobilisierung der eigenen als auch für die Demobilisierung der Anhängerschaften anderer Parteien. Betrachtet man das Wahlverhalten in sozialen Gruppen im Zeitverlauf, lässt sich der „Aufzug“-Effekt deutlich belegen. Dies soll jetzt nicht im Detail für jede dargestellte Gruppe beschrieben werden, da hier die Bilder wirken. Als Interpretationsformel, die auf alle Grafiken angewandt werden kann, ein Beispiel: In der Anhängerschaft der Union sind Arbeiter traditionell etwas unterrepräsentiert. Dieser Befund bleibt stabil. Wenn die Union gewinnt, gewinnt sie auch bei Arbeitern, und wenn sie verliert, verliert sie auch dort. Dieser Zusammenhang ist ebenfalls stabil. Da es auf Basis der repräsentativen Wahlstatistik für das Wahlverhalten von Männern und Frauen seit 1953 Daten gibt, kann hier eine langfristige Betrachtung erfolgen. Zum einen sieht man die Nivellierungstendenzen im Wahlverhalten. Zunächst hatte die Union einen deutlichen Frauenüberschuss. Dieser war bereits Ende der 1970er Jahre weitgehend ausgeglichen. In dieser Zeit sind die Unterschiede im Wahlverhalten der Geschlechter kaum noch erkennbar. Erst bei den letzten Bundestagswahlen und besonders deutlich bei der Bundestagswahl 2017 zeichnet sich wieder ein deutlicher Unterschied zwischen den Geschlechtern ab. Die Union kann wieder deutlich besser bei Frauen mobilisieren, während die AfD einen Überhang bei Männern hat.

424

Wähler und Mitglieder der CDU

Männer – Frauen

Soziale Zusammensetzung der CDU/CSU-Wähler bei Bundestagswahlen (Gesamtdeutschland, 1987: Westdeutschland) – Männer und Frauen nach Alter –

425

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Soziale Zusammensetzung der CDU/CSU-Wähler bei Bundestagswahlen (Gesamtdeutschland; 1983 u. 1987: Westdeutschland) – Männer nach Alter –

Soziale Zusammensetzung der CDU/CSU-Wähler bei Bundestagswahlen (Gesamtdeutschland; 1983 u. 1987: Westdeutschland) – Männer und Frauen –

426

Wähler und Mitglieder der CDU

Soziale Zusammensetzung der CDU/CSU-Wähler bei Bundestagswahlen (Gesamtdeutschland; 1983 u. 1987: Westdeutschland) – 18- bis 29-jährige Männer und Frauen –

Soziale Zusammensetzung der CDU/CSU-Wähler bei Bundestagswahlen (Gesamtdeutschland; 1983 u. 1987: Westdeutschland) – 30- bis 44-jährige Männer und Frauen –

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Viola Neu

Soziale Zusammensetzung der CDU/CSU-Wähler bei Bundestagswahlen (Gesamtdeutschland; 1983 u. 1987: Westdeutschland) – 45- bis 59-jährige Männer und Frauen –

Soziale Zusammensetzung der CDU/CSU-Wähler bei Bundestagswahlen (Gesamtdeutschland; 1983 u. 1987: Westdeutschland) – über 60-jährige Männer und Frauen –

428

Wähler und Mitglieder der CDU

Soziale Zusammensetzung der CDU/CSU-Wähler bei Bundestagswahlen (Gesamtdeutschland) – Berufstätige –

Soziale Zusammensetzung der CDU/CSU-Wähler bei Bundestagswahlen (Gesamtdeutschland) – Rentner –

429

Viola Neu

Soziale Zusammensetzung der CDU/CSU-Wähler bei Bundestagswahlen (Gesamtdeutschland) – Arbeitslose –

Soziale Zusammensetzung der CDU/CSU-Wähler bei Bundestagswahlen (Gesamtdeutschland; vor 1990: Westdeutschland) – Arbeiter –

430

Wähler und Mitglieder der CDU

Soziale Zusammensetzung der CDU/CSU-Wähler bei Bundestagswahlen (Gesamtdeutschland; vor 1990: Westdeutschland) – Angestellte –

Soziale Zusammensetzung der CDU/CSU-Wähler bei Bundestagswahlen (Gesamtdeutschland) – Beamte –

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Viola Neu

Soziale Zusammensetzung der CDU/CSU-Wähler bei Bundestagswahlen (Gesamtdeutschland; vor 1990: Westdeutschland) – Selbstständige –

Soziale Zusammensetzung der CDU/CSU-Wähler bei Bundestagswahlen (Gesamtdeutschland; vor 1990: Westdeutschland) – Landwirte –

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Wähler und Mitglieder der CDU

Soziale Zusammensetzung der CDU/CSU-Wähler bei Bundestagswahlen (Gesamtdeutschland; vor 1990: Westdeutschland) – Katholiken –

Soziale Zusammensetzung der CDU/CSU-Wähler bei Bundestagswahlen (Gesamtdeutschland; vor 1990: Westdeutschland) – Protestanten –

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Soziale Zusammensetzung der CDU/CSU-Wähler bei Bundestagswahlen (Gesamtdeutschland) – Konfessionslose –

Unabhängig von Über- und Unterrepräsentationen in einzelnen sozialen Gruppen, zeigt sich im Wahlverhalten ein anderer langfristiger Trend, der im Übrigen auch bei allen anderen Parteien – cum grano salis – sichtbar ist. Wenn Parteien verlieren oder gewinnen, gewinnen oder verlieren sie in allen Wählergruppen recht homogen. Gegen den Trend Wähler hinzuzugewinnen oder abzugeben, ist aus dieser Perspektive eher unwahrscheinlich. Die Ursache ist eine Erkenntnis, die mittlerweile zum Allgemeingut geworden ist: Nur noch eine Minderheit der Wähler hat eine stabile Parteibindung oder Parteiidentifikation. Ist diese vorhanden, verhindert sie sowohl kurzfristige Entscheidungen als auch Wechsel zwischen den Parteien. Die nachlassende Bindung führt dazu, dass die Wähler recht offen und spontan ihre Kreuze vergeben. Nun sind solche gesellschaftlichen Trends keine hereinbrechenden Naturkatastrophen. Es handelt sich um schleichende Prozesse, die jedoch konstant voranschreiten. Ob es dabei in Zukunft zu einer Bodenbildung kommt, also der Prozess auf niedrigem Niveau stoppt, kann niemand vorhersagen. Doch eine Reetablierung stabiler und dauerhafter Parteibindungen erscheint ausgesprochen unwahrscheinlich. Im Trend steigt der Anteil der Bindungslosen seit den 1970er Jahren kontinuierlich an. Im Jahr 2017 gaben 42 Prozent der Ostdeutschen an, keine Parteibindung mehr zu haben, 24 Prozent nannten eine Parteibindung zugunsten der Union und 14 Prozent gaben die SPD an. Allerdings war in den neuen Ländern die Quote der Nichtidentifizierer von Anfang an hoch. Anders stellt sich die Entwicklung in Westdeutschland dar. 1976 sagten 16 Prozent, sie würden über keine Parteibindung verfügen. 2017 betrug der Anteil 39 Prozent und ist damit vergleichbar mit den Werten in den neuen Ländern. Damit 434

Wähler und Mitglieder der CDU

haben sich die alten Länder peu à peu den neuen Ländern angeglichen. 28 Prozent geben in den alten Ländern an, eine langfristige Bindung zur Union zu haben, und 21 Prozent haben eine Parteiidentifikation zur SPD.

Parteibindung Westdeutschland 100 90 80 70 60 50 40 30 20

CDU/CSU

SPD

FDP

Grüne

Linke

AfD

Sonstige

2020

2018

2016

2014

2021

2010

2008

2006

2004

2002

2000

1998

1996

1994

1992

1990

1988

1986

1984

1982

1980

1978

0

1976

10

Keine

Quelle: Berichte der Forschungsgruppe Wahlen e.V., Mannheim

Parteibindung Ostdeutschland 100 90 80 70 60 50 40 30 20

CDU/CSU

SPD

FDP

Grüne

Linke

AfD

Sonstige

2020

2018

2016

2014

2021

2010

2008

2006

2004

2002

2000

1998

1996

1994

1992

0

1990

10

Keine

Quelle: Berichte der Forschungsgruppe Wahlen e.V., Mannheim

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Zuletzt soll ein kursorischer Blick auf Themen geworfen und die Frage beleuchtet werden, ob sich hierbei spezifische Themenpräferenzen jenseits der Parteipräferenz erkennen lassen. Beispielhaft wird dies anhand des Geschlechts geprüft. Außer beim Thema Innere Sicherheit, bei dem es zwischen den Geschlechtern leichte Unterschiede gibt, ist bei allen abgefragten Problemlösungskompetenzen die Parteipräferenz ausschlaggebend, nicht das Geschlecht. Dort, wo bei einer Partei eine große oder schwache Lösungskompetenz verortet wird, finden sich nur äußerst gering voneinander abweichende Einstellungen der Befragten, unabhängig von ihrem Geschlecht.

Die Zukunftsprobleme Deutschlands lösen/Die wichtigsten Aufgaben Deutschlands lösen März 1998 – September 2018

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Wähler und Mitglieder der CDU

Arbeitsplätze sichern und neue schaffen März 1998 – März 2017

Den Wirtschaftsstandort Deutschland sichern/voranbringen März 1998 – März 2017

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Die Altersversorgung langfristig sichern/Eine gute Rentenpolitik betreiben September 1998 – September 2018

Für soziale Gerechtigkeit sorgen September 1998 – März 2017

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Wähler und Mitglieder der CDU

Kriminalität und Verbrechen bekämpfen Mai 1998 – September 2018

Eine gute Bildungspolitik betreiben Januar 2002 – September 2018

439

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Eine gute Asyl-/Flüchtlings-/Ausländer-/Integrationspolitik betreiben Mai 1998 – September 2018

Die Mitglieder der CDU Nicht nur Daten über Wähler sind für die frühen Jahre der Bundesrepublik Mangelware. Auch die Informationen zur Mitgliederentwicklung19 sind eher dürftig. Vor 1952 liegen keine gesicherten Daten vor. Bis 1966 basieren die Mitgliederdaten auf Schätzungen der Bundesgeschäftsstelle und erst danach liegt eine genauere Erfassung vor. Dennoch lassen sich aus den vorhandenen Daten belastbare Rückschlüsse ziehen, da es unwahrscheinlich ist, dass die CDU vor der systematischen Erfassung sozialstrukturell andere Mitglieder gewinnen konnte als später. Nach den Parteigründungen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Anzahl der Parteimitglieder in den Westzonen stark an, dann aber gingen die Mitgliederzahlen der Union und der SPD zunächst zurück, um ab Mitte der 1950er Jahre wieder anzusteigen. In den 1950er Jahren bewegte sich die Mitgliederanzahl der CDU bei gut 200.000. Danach setzte in den 1960er Jahren ein kontinuierlicher Anstieg ein. Ende der 1960er Jahre waren ca. 300.000 Mitglieder zu verzeichnen. In der Hochphase der politischen Partizipation der Bundesrepublik Anfang der 1970er Jahre traten fast 400.000 Neu-Mitglieder in die CDU ein, ein Trend, der nicht nur alle Parteien, sondern auch die unkonventionellen Partizipationsformen erfasste. Die Wahlbeteiligung erreichte 1972 mit 91,1 Prozent bei der Bundestagswahl das höchste Niveau in der Geschichte der Bundesrepublik. Parallel verbreiteten sich unkonventionelle politische Partizipationsmuster. Diese mündeten zum Teil in die Gründung der Grünen 1980, wodurch die konventionelle mit der unkonventionellen Par19 https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/mitgliederstudie-und-statistik (Abruf: 30.6.2021).

440

Wähler und Mitglieder der CDU

tizipation verbunden wurde. Von der partizipatorischen Revolution profitierten somit alle Formen des politischen Verhaltens. Sie wirkte auf alle Organisationen und die Parteien. Der Aufschwung setzte sich in den 1980er Jahren verlangsamt fort. Für die CDU bedeutete dies, dass sie mit 734.555 Mitgliedern 1983 ihren höchsten Mitgliederstand erreichte.20 Danach setzte ein schleichender Prozess des Rückgangs der Mitgliederzahlen ein, welcher SPD und CDU betraf. Mit der Wiedervereinigung stiegen die Mitgliederzahlen der CDU (aber auch der FDP) kurzfristig deutlich an, da sie mit ihnen im politischen Spektrum entsprechenden Parteien der DDR fusionierten. Doch war damit der Rückgang der Mitgliederzahlen nur kurzfristig aufgeschoben und nicht angehalten. So lässt sich festhalten, dass die CDU seit 1983 Mitglieder verliert. Diese – wenn auch etwas früher einsetzende – Entwicklung zeigt sich auch bei der SPD. Die kleineren Parteien sind davon weniger bis gar nicht betroffen oder sogar mit tendenziell wachsenden Mitgliedschaften ausgestattet. Neben anderen Entwicklungen hat dies dazu geführt, dass sich in der Parteienforschung quasi ein Forschungszweig entwickelt hat, der sich dem Niedergang der Volksparteien widmet.21 Mitgliederentwicklung der Parteien seit 1946

Bei der Sozialstruktur von Parteimitgliedern sind die Daten, welche den Parteien selbst vorliegen, mit einem kritischen Blick zu betrachten. Nur in zwei Merkmalen sind diese verlässlich: beim Alter und dem Geschlecht. Angaben über ihre Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht machen Mitglieder nur einmal: zum Zeitpunkt des Eintritts. Da 20 Zur Mitgliederentwicklung siehe https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=0015a1a8fad5-bf10-0dc3-2daedd929db6&groupId=252038 (Abruf: 30.6.2021). 21 Vgl. zum Forschungsstand, wenn auch im Tenor von der „Niedergangsliteratur“ abweichend: Elmar Wiesendahl: Volksparteien: Aufstieg, Krise, Zukunft. Opladen u. a. 2011.

441

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nur wenige Menschen in Parteien eintreten, wenn sie z.B. Rentner sind und sich in der Biografie keine Veränderungen mehr ergeben, kann die aktuelle Sozialstruktur am besten mit Umfragen erhoben werden. Gerade die Berufsposition und der berufliche Werdegang ändern sich im Laufe des Lebens und hier können die Mitgliederstatistiken keinen Aufschluss geben. Die Konrad-Adenauer-Stiftung ist u. a. dieser Fragestellung in vier CDU-Mitgliederumfragen nachgegangen.22 Die Sozialstruktur der CDU hat über die Jahrzehnte einige „typische“ Eigenschaften bewahrt. Die Partei hat einen überdurchschnittlichen Männeranteil. In den 1960er Jahren betrug der Frauenanteil etwa 14 Prozent.23 Zum Stand 31. Dezember 2018 betrug der Anteil 26,3 Prozent. Doch hat keine Partei einen Frauenanteil, welcher dem in der Gesellschaft entspricht. Auch bei den Grünen sind „nur“ 40,5 Prozent der Mitglieder weiblich. Mitglieder einer Partei sind generell älter als der Durchschnitt der Bevölkerung. Auch dies ist ein Trend, der nicht neu ist, sich aber in den 1970er Jahren durch den starken Strom der Neumitglieder vorübergehend abschwächte. Seit den 1980er Jahren ist das „Ergrauen“ der Parteien zwar ein schleichender Prozess, nichtsdestotrotz bei allen Parteien sichtbar (außer bei der Linken, die sich durch die Fusion mit der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit verjüngte). Derzeit beträgt das Durchschnittsalter der CDU-Mitglieder 60 Jahre.24 Anteil älterer Jahrgänge seit 1974

Da an der Gründung der CDU viele ehemalige Zentrumsmitglieder beteiligt waren, sind von Anfang an sowohl in der Mitglieder- als auch in der Wählerschaft Katholiken überrepräsentiert. 1967 wurde der Anteil der Katholiken unter den CDU-Mitgliedern auf 22 Siehe die in Fußnote 5 genannte Literatur. 23 Vgl. Ute Schmidt: Christlich Demokratische Union Deutschands, in: Richard Stöss: Parteienhandbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945 – 1980 (Schriften des Zentralinstituts für sozialwissenschaftliche Forschung. Bd. 38). Bd. 1: AUD-EFP. Opladen 1983, S. 490 – 660, hier 647. 24 https://www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/forschung/systeme/empsoz/team/ehemalige/Publikationen/ schriften/Arbeitshefte/Arbeitsheft-Nr-30_2019.pdf, S. 28 (Abruf: 30.6.2021).

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Wähler und Mitglieder der CDU

77 Prozent beziffert.25 Doch bereits 1977 sieht man Nivellierungstendenzen, die sich nicht nur bei Wählern, sondern auch bei Mitgliedern bemerkbar machen. Schönbohm gibt an, dass 1977 61,4 Prozent der Mitglieder Katholiken gewesen seien.26 Der CDU-Mitgliederumfrage27 zufolge sind 36 Prozent der CDU-Mitglieder evangelisch, 52 Prozent katholisch und zehn Prozent sind ohne Bekenntnis. Zur Mitgliederstatistik28 gibt es Abweichungen, die vor allem aus der Kategorie „keine Angaben“ resultieren. Während in der Mitgliederumfrage nur ein Prozent keine Angabe über die Konfession macht, liegen in der Statistik der CDU von 17,3 Prozent der Mitglieder keine Angaben vor. Entsprechend kleiner sind die Anteile der Protestanten mit 30,7 und der Katholiken mit 48,3 Prozent. Inzwischen gibt es sehr viele Mitglieder, die beim Eintritt keine Angaben zum konfessionellen Bekenntnis mehr machen. So haben 41,2 Prozent der neuen Mitglieder in 2014 keine Angabe zu ihrer Konfessionszugehörigkeit gemacht. Mitglieder von Parteien verfügen, so ein klassischer Befund der Parteienforschung, über eine überdurchschnittliche Ausstattung an Ressourcen: Sie verfügen über ein höheres Bildungs- und Einkommensniveau und ein größeres Zeitbudget. Auch dies ist ein altbekannter Befund: Beschäftigte im Öffentlichen Dienst sind in Parteien überdurchschnittlich stark repräsentiert. Das Bildungsniveau der CDU-Mitglieder liegt deutlich über dem der Unionswähler und der Bevölkerung. Wähler und Bevölkerung weisen eine weitgehend ähnliche Bildungsstruktur auf. Bei den Mitgliedern ist die Verteilung des hohen und des niedrigen Bildungsniveaus disproportional zur Bevölkerung. Das mittlere Bildungsniveau ist etwa gleich verteilt. Bildungsniveau

25 26 27 28

Wulf Schönbohm: CDU. Porträt einer Partei. München 1979, S. 126. Ebd. Neu: „Ich wollte etwas bewegen“. Stichtag: 31.12.2014.

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Dagegen fallen die Unterschiede in den drei Gruppen (Bevölkerung, Wähler und CDU-Mitglieder) in der Frage nach der Art des beruflichen Status geringer aus als vermutet. Zwar sind Arbeiter und Angestellte (nicht Öffentlicher Dienst) unter- und Beamte/Angestellte im Öffentlichen Dienst überrepräsentiert, jedoch sind die Differenzen nicht allzu groß. Auch der Anteil von Landwirten und Selbstständigen in der Mitgliedschaft weicht von dem Anteil der Wähler und der Bevölkerung nur gering ab. Während sich Arbeiter schon immer unterdurchschnittlich häufig unter den Mitgliedern der CDU fanden, haben sich die Beschäftigungsarten im Zeitverlauf stark verändert. Waren 1975 9,2 Prozent der Bevölkerung Selbständige, betrug der Anteil unter CDU-Mitgliedern 1977 25,6 Prozent.29 2015 sind die Unterschiede zwar noch sichtbar und werden auch durch die Deutsche Mitgliederumfrage bestätigt. So lag 2017 der Anteil der Selbstständigen und Freiberufler in der Bevölkerung bei 11  Prozent; bei CDU-Mitgliedern bei 25 Prozent.30 Beschäftigungsverhältnis

Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung e. V., CDU-Mitgliederumfrage 2015.

29 Schmidt: Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 646. 30 Klein u.a: Die Sozialstruktur der deutschen Parteimitgliedschaften, S. 92.

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IV. Innenpolitische Positionen und Weichenstellungen

Soziale Marktwirtschaft David Gregosz/Martin Schebesta „Nicht die freie Marktwirtschaft des liberalistischen Freibeutertums einer vergangenen Ära […], sondern die sozial verpflichtete Marktwirtschaft, die das einzelne Individuum wieder zur Geltung kommen läßt, die den Wert der Persönlichkeit obenan stellt, der gerechten Leistung dann aber auch den verdienten Ertrag zugute kommen läßt, das ist die Marktwirtschaft moderner Prägung.“1

Einführung Die robuste volkswirtschaftliche Entwicklung Deutschlands in der Nachkriegszeit ist wesentlich auf das Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell der Sozialen Marktwirtschaft zurückzuführen. Das trifft auch auf die wirtschaftlichen Erfolge der vergangenen Dekade zu: Deutschland erlebte vor dem Einbruch der Corona-Pandemie 2020/21 und der völkerrechtswidrigen Invasion Russlands in der Ukraine im Februar 2022 einen der längsten konjunkturellen Aufschwünge seiner Geschichte. Dieser gründet mit Blick auf potentielle Partner in der Welt auf dem ausgeprägten Offenheitsgrad der eigenen Wirtschaftspolitik, an den kaum eine andere Volkswirtschaft heranreicht. Die deutschen Wirtschaftskontakte erstrecken sich gleichermaßen nach China und Amerika, nach Indien, Pakistan, Russland oder in den Nahen Osten. Deutsche Unternehmen haben es verstanden, sich mit innovativen Produkten auf weltweiten Absatzmärkten zu behaupten und globale Wertschöpfungsketten aufzubauen. Dies macht das Land zur drittgrößten Exportnation der Welt.2 Insgesamt lässt sich festhalten, dass nur wenige Länder die Globalisierung in ähnlicher Weise nutzen konnten und gleichzeitig eine sukzessive Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch stattfand. Die CDU hat als „Partei der Sozialen Marktwirtschaft“ einen wesentlichen Beitrag zum westdeutschen Wirtschaftswunder, dem „Aufbau Ost“ nach der deutschen Wiedervereinigung und der Finanzstabilität, mit der sich die Soziale Marktwirtschaft auch in Krisenzeiten bewährt hat, geleistet. Gleichzeitig berufen sich inzwischen Politiker, Parteien und Verbände jeglicher Couleur auf die „Soziale Marktwirtschaft“, um unterschiedlichste, teils widersprüchliche wirtschaftspolitische Forderungen zu untermauern. Ziel des Beitrags ist es, die wirtschaftspolitische Konzeption, die ideengeschichtlichen Wurzeln hinter dem langfristigen ökonomischen Erfolg Deutschlands näher zu beleuchten.

1 Ludwig Erhard, in: Zweiter Parteitag der CDU für die Britische Zone, 28./29. August 1948, Recklinghausen. Wirtschaftlicher Neuaufbau im Dienste des Menschen. Opladen 1948, S. 3. 2 Vgl. World Trade Organization (WTO): Time Series on International Trade; https://timeseries.wto.org/ (Abruf: 18.5.2021).

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David Gregosz/Martin Schebesta

Der Weg zur gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft Die Soziale Marktwirtschaft ist ein Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell, das das Ergebnis eines langen historischen und politischen Prozesses darstellt. Dieser Prozess nahm seinen Anfang im Klassischen Liberalismus, der vor allem auf Adam Smith, David Ricardo, Jean-Baptiste Say sowie Robert Malthus zurückgeht. Der Klassische Liberalismus hob die wohlstandsmehrende Wirkung der Arbeitsteilung hervor, die folgerichtig auch zur Forderung eines möglichst unbehinderten, freien Außenhandels führt. Der bei Smith und anderen bereits vorgezeichneten Ordnungsfunktion des Staates, vor allem in Bezug auf die Wettbewerbspolitik und die Notwendigkeit einer hinreichenden öffentlichen Infrastruktur, widmete die Politik allerdings nicht genügend Aufmerksamkeit. Die vom Liberalismus propagierten Freiheitsrechte, die die zentralen Werte der Aufklärung aufgreifen, konnten daher von der Kapitalseite stärker genutzt werden als von der Seite der Arbeitnehmer. Dem Aufbau eines privaten Kapitalstocks standen die Auflösung der Großfamilienstruktur bäuerlicher und handwerklicher Prägung, die Verstädterung und sehr belastende (Industrie-)Arbeitsbedingungen gegenüber. So verwundert es nicht, dass es zu solidarisch motivierten Gegenbewegungen kam, die unter anderem im klassischen Sozialismus vor allem durch Karl Marx ihren konzeptionellen Ausdruck fanden. Der klassische Sozialismus strebte die Überwindung des Kapitalismus und des „Klassenkampfs“ zwischen Kapitaleigentümern und der Arbeiterklasse an, u. a. durch die Vergemeinschaftung der Produktionsmittel und die zentrale Lenkung des Wirtschaftsprozesses. Als Gegenmodell zu Liberalismus und Marxismus setzte die katholische Soziallehre zur Lösung der „sozialen Frage“ auf die Versöhnung der Klassen. Aufbauend auf dem christlichen Menschenbild definierte Papst Leo XIII. in seiner Enzyklika Rerum Novarum (1891) die Rechte und Pflichten von Arbeitern, Unternehmern und die Rolle des Staates: die Würde der Arbeiter begründet deren Recht auf gerechten Lohn und menschenwürdige Behandlung. Gleichzeitig lehnt Leo XIII. die Vergemeinschaftung von Privatbesitz ab, der zur Wesensnatur des Menschen gehöre. Wesentliche Aufgaben des Staates seien die Förderung des Gemeinwohls, die Schaffung günstiger wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen sowie die Befähigung der Arbeiter zur Eigentumsbildung.3 Die Betonung des Rechts der Arbeiter, sich zu organisieren, um u. a. „das gesunde Verhältnis zwischen Arbeitern und Lohnherrn in Bezug auf Rechte und Pflichten“4 herzustellen, stellt eine Vorform der Tarifpartnerschaft dar.

Die Freiburger Schule: Euckens Prinzipien der Wettbewerbsordnung Geprägt von diesen Überlegungen und den negativen Erfahrungen mit Laissez-faireKapitalismus und (National)Sozialismus versuchte eine Gruppe von Wissenschaftlern in Freiburg im Breisgau, den liberalen Grundgedanken in Wirtschaft und Gesellschaft wiederzubeleben und dabei Fehlentwicklungen zu vermeiden. Die sogenannte Freiburger 3 Leo XIII: Rerum Novarum. 1891, Art. 26, 34, 35. 4 Ebd., Art. 43, siehe auch Art. 35.

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Schule des Neoliberalismus um den Nationalökonomen Walter Eucken, den Rechtswissenschaftler Franz Böhm sowie unter anderem Adolf Lampe entwickelte den Ordoliberalismus, wonach der Liberalismus den Freiheitsgedanken nur fruchtbar entfalten kann, wenn der Staat einen Ordnungsrahmen setzt, der Freiheit und Wettbewerb nicht nur herstellt, sondern auch schützt. Der Staat nimmt eine „Schiedsrichterfunktion“ ein, indem er die Regeln des Wettbewerbs nicht nur festlegt, sondern auch für deren Einhaltung sorgt. Für die Vertreter der Freiburger Schule ist eine marktwirtschaftlich organisierte Wettbewerbsordnung am besten geeignet, um die Freiheit des Einzelnen entfalten zu können. Eine solche Wettbewerbsordnung basiert laut Walter Eucken auf folgenden konstituierenden Prinzipien:5 • Ein funktionsfähiges Preissystem als Grundprinzip gewährleistet, dass Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht stehen. Das Preissystem dient als Signal für Güterknappheit und schafft die Grundlage für Entscheidungen der Marktteilnehmer. • Die Geldwertstabilität ist für die Signalfunktion und Funktionalität des Preissystems unerlässlich. Ohne Geldwertstabilität würden die Marktteilnehmer Preissignale missinterpretieren und verzerrte Entscheidungen treffen. • Offene Märkte erweitern das Warenangebot, intensivieren den Wettbewerb und verhindern so Monopolbildung. Von der steigenden Qualität und den sinkenden Preisen durch den Wettbewerb profitieren die Verbraucher – und damit jeder Bürger. • Der Schutz des Privateigentums gewährleistet die Handlungsfreiheit des Individuums und verantwortungsvolle Entscheidungen der Marktteilnehmer. • Das Haftungsprinzip besagt: „Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen.“ Ansonsten bestünden Anreize, verantwortungslose oder ineffiziente Entscheidungen zu treffen. Das Haftungsprinzip verhindert, dass Einzelne die Risiken ihrer Entscheidungen auf die Allgemeinheit abwälzen. • Die Vertragsfreiheit ist für die Wettbewerbsordnung unabdingbar. Nur, wenn Marktteilnehmer die Transaktionsbedingungen frei aushandeln können, kann echter Wettbewerb herrschen. Allerdings müssen die Verträge im Zeichen eines fairen Wettbewerbs stehen – Kartellverträge fallen nicht unter die Vertragsfreiheit, da Preisabsprachen den Wettbewerb zulasten des Verbrauchers einschränken. • Die Konstanz der Wirtschaftspolitik schafft Vertrauen und Planungssicherheit – und damit die Grundlage für Investitionen und Wohlstand. Herrscht beispielsweise Unsicherheit oder Misstrauen bei Produzenten vor, werden Investitionen vertagt oder gar nicht erst getätigt. Die Einhaltung dieser konstituierenden Prinzipien gewährt in der Regel eine zuverlässige Wettbewerbsordnung. Allerdings erfordern Marktversagen oder große Ungleichheit staatliche Eingriffe. Die regulierenden Prinzipien ergänzen die konstituierenden Prinzipien und gewährleisten zugleich deren Einhaltung. Sie stärken die konstituierenden Prinzipien und geben die Anlässe und Regeln für staatliche Eingriffe vor:6 • Vorkehrungen gegen anormales Angebotsverhalten sollen verhindern, dass das Angebot entgegen natürlicher Marktprozesse arbeitet. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn das Arbeitsangebot trotz sinkender Löhne steigt. 5 Walter Eucken, in: Grundsätze der Wirtschaftspolitik. Hg. von Edith Eucken-Erdsiek und K. Paul Hensel. Tübingen 1990, S. 254 – 290. 6 Ebd., S. 291 – 303.

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• Die Wirtschaftsrechnung regelt den Umgang des Staates mit externen Effekten. Externe Effekte herrschen vor, wenn sich die Handlungen der Wirtschaftsakteure auf unbeteiligte Dritte auswirken und diese Auswirkungen nicht im Preis erfasst sind (Beispiel: umweltschädliche Emissionen und Produktionsabfälle). Der Staat hat die Aufgabe, solche Effekte zu internalisieren – also in den Preismechanismus einzubeziehen. • Wettbewerbspolitik bzw. Monopolkontrolle ist eine Grundlage für wirtschaftlichen Wohlstand. Wettbewerb garantiert gute Qualität zu vernünftigen Preisen – der Wettbewerb um die Gunst des Verbrauchers gibt Produzenten Anreize, ihre Produkte stetig im Sinne der Verbraucher zu verbessern. Monopole hingegen versetzen mächtige Unternehmer in die Lage, sich dem Wettbewerbsdruck zu entziehen und höhere Preise zu verlangen. Die Monopolkontrolle soll dafür sorgen, dass Märkte „bestreitbar“ bleiben und nicht abgeschottet sind. Der Staat hat für niedrige Markteintrittsbarrieren und die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs(drucks) zu sorgen. • Die Einkommenspolitik ist ein weiteres regulierendes Prinzip der Wettbewerbsordnung, um Marktversagen durch staatliche Eingriffe zu korrigieren. Der Staat sollte Einkommen besteuern und umverteilen, um sozialen Ausgleich und Teilhabe sicherzustellen. Konkret geht es bei der Einkommenspolitik also um steuerliche Umverteilung, damit ein soziales Sicherungsnetz für Bedürftige entsteht.

Von der Freiburger Schule zur Sozialen Marktwirtschaft: Konzept, Menschenbild und Werte Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stand das besetzte Deutschland vor der Frage nach einem geeigneten Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell für den Wiederaufbau. Die Furcht vor der Renaissance von Liberalismus und Sozialismus waren groß, ebenso die Vorbehalte in der Bevölkerung gegen eine Rückkehr zum kapitalistischen System der Vorkriegszeit, das viele mit der Großen Depression, Arbeitslosigkeit und Ungerechtigkeit verbanden. Gleichzeitig sympathisierten viele mit sozialistischen, planwirtschaftlichen Ansätzen – auch innerhalb der Christdemokratie.7 Um die Menschen bei der Einführung einer marktwirtschaftlichen Ordnung mitzunehmen, ihre Vorbehalte gegen marktwirtschaftliche Konzepte auszuräumen und den Wertekonflikt zwischen Liberalismus (Freiheit) und Sozialismus (soziale Gerechtigkeit) zu überwinden, prägte Alfred Müller-Armack den Begriff der Sozialen Marktwirtschaft (mit „großem S“). Ziel dieser Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist es, „das Prinzip der Freiheit auf dem Markte mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden“.8 Diese „irenische Formel“ – also „Versöhnungsformel“ – verdeutlicht, dass es sich bei der Sozialen Marktwirtschaft auch um eine Gesellschaftsordnung handelt, die der Erreichung gesellschaftlicher Ziele dienen soll.9

7 Vgl. Markus Lingen: Alfred Müller-Armack, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/alfred-mueller-armack-v1 (Abruf: 19.5.2021); Christian L. Glossner/ David Gregosz: The Formation and Implementation of the Social Market Economy by Alfred MüllerArmack and Ludwig Erhard. Hg. von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Sankt Augustin u. a. 2011, S. 6. 8 Alfred Müller-Armack: Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik. Bern 1976, S. 243. 9 Ebd., S. 301.

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Obwohl Müller-Armacks Konzept der Sozialen Marktwirtschaft damit über die gesellschaftspolitische Dimension der Freiburger Schule hinausgeht, teilen beide Konzepte den Grundgedanken einer freiheitlichen Ordnung, in der ein starker Staat die Freiheit und den Wettbewerb schützt, als Schiedsrichter agiert und sich mit Eingriffen in den Wirtschaftsprozess weitestgehend zurückhält.10 Darüber hinaus verbindet beide Konzepte eine christliche Prägung. Müller-Armacks Betonung der Irenik bzw. Versöhnung und die Gemeinwohlorientierung verdeutlichen, dass er die christliche Sozialethik und das christliche Menschenbild in seine Konzeption integrierte. Müller-Armack betonte stets die Würde des Menschen und den Wertekontext von Freiheit, Gerechtigkeit, Subsidiarität und Solidarität. Demnach ist dem Menschen die Freiheit zu geben, sich frei von privater wie auch staatlicher Macht zu entfalten und selbstverantwortliche Entscheidungen zu treffen. Die Würde des Menschen begründet und begrenzt seine Freiheit: Der Staat soll dem Menschen die Entfaltung seiner Freiheit zutrauen, ermöglichen und ihn zu dieser befähigen; gleichzeitig soll er verhindern, dass die freien Entscheidungen des Einzelnen andere schädigen. Dafür erfordert es Regeln, die der Staat setzt und deren Einhaltung er überwacht. Er ist Regelsetzer und Schiedsrichter zugleich. Ein demokratisch verfasster Staat erfüllt diese Aufgabe am besten. Auf wirtschaftlicher Ebene wird der oben skizzierte Grundgedanke am besten in einer Marktwirtschaft realisiert, in der ein starker Staat den Wettbewerb schützt. Die Soziale Marktwirtschaft fördert überdies die Eigenverantwortung und solidarische Hilfe in der jeweiligen engeren sozialen Bezugsgruppe, in der Regel der Familie. Kommt diese Subsidiarität an ihre Grenzen, so ist die übergreifende gesellschaftliche Solidarität gefragt. Diejenigen, die nicht in der Lage sind, ihren eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten – etwa aufgrund von Alter oder Krankheit –, sollen durch Sozialleistungen dennoch ein menschenwürdiges Leben führen können (Solidaritätsprinzip). Der Staat bzw. die Gemeinschaft stellt Bildungs- und Sozialleistungen für Bedürftige durch Umverteilung von Steuereinnahmen bereit. Eine progressive, leistungsgerechte Besteuerung ist dafür unabdingbar: starke Schultern sollen auch eine höhere Steuerlast tragen und die Solidargemeinschaft unterstützen; wer mehr leistet, soll aber dennoch mehr verdienen. Ebenfalls vorgesehen ist ein Einkommen aus der Teilhabe am volkswirtschaftlichen Kapitalstock, um nicht nur auf die eigene Arbeitskraft angewiesen zu sein, die krankheitsoder altersbedingt schwinden kann. Staatliche und gemeinschaftliche Solidarität soll nur denjenigen zugutekommen, die sich und ihre Familien nicht selbst versorgen können. Freiheit, Verantwortung, Subsidiarität, Solidarität und Gemeinwohlorientierung stellen also zeitlose Grundwerte der Sozialen Marktwirtschaft dar.

Die Umsetzung der Sozialen Marktwirtschaft, ihre Weiterentwicklung und Rolle in der CDU Als Direktor der Wirtschaftsverwaltung der Bizone (der amerikanischen und britischen Besatzungszone) griff Ludwig Erhard Müller-Armacks Konzept der Sozialen Marktwirt10 Die Rolle des Staates unterscheidet sich allerdings in beiden Konzepten: Während staatliche Eingriffe in den Wirtschaftsprozess für die Ordoliberalen weitestgehend tabu waren, räumte Müller-Armack dem Staat prozesspolitische Eingriffe zur Konjunkturglättung und zum sozialen Ausgleich in Ausnahmefällen ein; vgl. Lingen: Alfred Müller-Armack.

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schaft auf. Obwohl er theoretisch der Freiburger Schule und insbesondere Wilhelm Röpke näher stand, war sich Erhard bewusst, dass die Bevölkerung eine marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung nicht mittragen würde. Müller-Armacks Konzept der Sozialen Marktwirtschaft kam den Präferenzen der Bevölkerung dagegen deutlich eher entgegen.11 Mit seinem Leitsätze-Gesetz hob Erhard parallel zur Währungsreform vom 20. Juni 1948 die Preisbindung auf, womit er die Umsetzung der Sozialen Marktwirtschaft begann und wirtschaftspolitische Potenziale freisetzte, die im Rahmen des späteren Wirtschaftswunders „Wohlstand für alle“ schufen. Darüber hinaus warb Erhard auch innerhalb der CDU erfolgreich für die Soziale Marktwirtschaft und setzte die Düsseldorfer Leitsätze, die ein Bekenntnis der CDU zu den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft darstellen, durch. Die Düsseldorfer Leitsätze spielten eine große programmatische Rolle beim Bundestagswahlkampf 1949, in dem laut Erhard die „Soziale Marktwirtschaft und die CDU zu einer Identität geworden“ sind.12 Erhard verlor allerdings nie die seiner Meinung nach notwendige „zweite Stufe“ der Sozialen Marktwirtschaft aus den Augen, die er – sprachlich vielleicht etwas unglücklich – als „Formierte Gesellschaft“ verstanden wissen wollte. In ihr ging es unter anderem darum, die zweite Seite der Formel von der Sozialen Marktwirtschaft umzusetzen, nämlich die Forderung nach „Eigentum für jeden“. Das zielte nicht nur auf ein gewisses Sparvermögen und ein Eigenheim, sondern auf die Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten am volkswirtschaftlichen Kapitalstock ab. Darüber hinaus ging es Ludwig Erhard darum, die Vereinnahmung der Politik durch Interessengruppen zu verhindern. (Wirtschafts-)Politik solle mehr auf Basis gesamtgesellschaftlicher Interessen stattfinden als auf der Befriedigung von gegensätzlichen Partikular- und Gruppeninteressen. In seiner Vorstellung bestand die „Formierte Gesellschaft“ nicht mehr aus Klassen oder Gruppen mit gegensätzlichen Zielen, sondern beruhte auf gemeinsamen Interessen und Kooperationen.13 Alfred Müller-Armack sprach im Gegensatz dazu von der „zweiten Phase“ der Sozialen Marktwirtschaft, in der es ebenfalls um die Lösung gesellschaftlicher Probleme jenseits der materiellen Versorgung ging.14 Wirtschaftspolitik sei demnach nicht nur auf die Güterversorgung ausgerichtet, sondern auch auf Wissenschafts- und Forschungsförderung, Erziehung, Selbstständigkeit, Umweltpolitik, Strukturpolitik, europäische Integration und Entwicklungshilfe. Auch wenn eine richtig verstandene Soziale Marktwirtschaft aus sich heraus schon zu einem gewissen sozialen Ausgleich beiträgt, so ist doch nicht zu bestreiten, dass eine anonyme, pluralistische Industriegesellschaft unterstützende, spannungsmildernde Sozialkomponenten braucht. Beispielhaft seien nur genannt: eine hinreichende Sozialversicherung, ein wirksamer Unfallschutz am Arbeitsplatz, ein gewisses 11 Lingen: Alfred Müller-Armack. 12 Ludwig Erhard, zit. nach Markus Lingen: 15. Juli 1949: Verabschiedung der „Düsseldorfer Leitsätze“ zur „Verwirklichung der sozialen Marktwirtschaft“ durch die CDU/CSU-Arbeitsgemeinschaft, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/kalender/kalender-detail/-/content/verabschiedung-derduesseldorfer-leitsaetze-zur-verwirklichung-der-sozialen-marktwirtschaft-durch-die-cdu-csu-arbeitsgemeinschaft (Abruf: 18.5.2021). 13 Vgl. Wissenschaftlicher Dienst: Das Konzept der „Formierten Gesellschaft“ nach Ludwig Erhard, in: Ausarbeitung WD 1 – 3000 – 016/19. Hg. vom Deutschen Bundestag 2019. 14 Vgl. Alfred Müller-Armack: Die zweite Phase der Sozialen Marktwirtschaft. Ihre Ergänzung durch das Leitbild einer neuen Gesellschaftspolitik, in: Ders. (Hg.): Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik. Bern u. a. 1976, S. 267 – 291.

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Maß an Kündigungsschutz, der Mutterschutz sowie Unterstützungen durch Stipendien, Wohngeld und die Sozialhilfe. Hinzu kommen die verfassungsrechtliche Garantie der Tarifautonomie sowie Mitspracherechte in den Betrieben. Das alles kann nur in einer demokratischen und dem Rechtsstaatsprinzip verpflichteten Gesellschaftsordnung wirksam werden (Interdependenz der Ordnungen). Nach Müller-Armack ist die Soziale Marktwirtschaft im zuvor umrissenen Sinne darüber hinaus in der Lage, den mit der Industriellen Revolution aufgekommenen Konflikt zwischen Kapital und Arbeit zu beenden bzw. Kapital und Arbeit zu versöhnen.15 Müller-Armack bezeichnete die Soziale Marktwirtschaft als „irenische Formel“ (benannt nach Irene, der griechischen Göttin des Ausgleichs und der Versöhnung), die die Ideale von Gerechtigkeit, Freiheit und Wachstum zusammenbringt bzw. versöhnt.16 Im weiteren Sinne kann man folgern, dass das permanente Werben und Erklären der Sozialen Marktwirtschaft, möglichst in einem nicht einzwängenden, aber doch institutionell gesicherten Rahmen, Zweifler und Gegner allmählich von diesen zu Wohlstand und Freiheit führenden Werten zu überzeugen und so mit ihr zu versöhnen vermag. Sie böte auch die Plattform, um über Inhalte und Reichweite der gesellschaftspolitischen Ziele der „Formierten Gesellschaft“ zu beraten. Im Sinne der „Versöhnung von Kapital und Arbeit“ und einer gestaltenden Sozialpolitik ergibt sich eine ganze Reihe von sozial- und gesellschaftspolitischen Zielsetzungen, die man – auch wenn der Ausdruck längst vergessen ist – der „Formierten Gesellschaft“ zurechnen könnte und die für alle bisherigen Regierungen in Deutschland leitend waren. Allerdings besteht stets die Gefahr, dass das „Soziale“ überdehnt, die Subsidiarität vernachlässigt und die Leistungskraft der Wirtschaft überfordert werden. Wie sein ehemaliger Doktorand und wissenschaftlicher Referent Joachim Starbatty berichtete, beklagte MüllerArmack bereits die in den 1960er-Jahren beginnende „sozialpolitische Überfrachtung“.17 Dennoch besteht eine wesentliche Stärke der Sozialen Marktwirtschaft in ihrer Anpassungsfähigkeit an die praktischen Herausforderungen der jeweiligen Zeit. Nach Alfred Müller-Armack ist die Soziale Marktwirtschaft ein „der Ausgestaltung harrender, progressiver Stilgedanke“: „Die Soziale Marktwirtschaft ist gemäß ihrer Konzeption kein fertiges System, kein Rezept, das, einmal gegeben, für alle Zeiten im gleichen Sinne angewendet werden kann. Sie ist eine evolutive Ordnung, in der es neben dem festen Grundprinzip, daß sich alles im Rahmen einer freien Ordnung zu vollziehen hat, immer wieder nötig ist, Akzente neu zu setzen gemäß den Anforderungen einer sich wandelnden Zeit.“18 Allerdings ist freimütig einzuräumen, dass die 1966 einsetzende erste, leichte Rezession in der Nachkriegszeit, die Ölkrisen von 1973 und 1978/79 mit den daraus folgenden Wirtschaftskrisen, Gewerkschaftsforderungen, die den Einkommenszuwachs stärker

15 Vgl. Sigfried F. Franke: Die gefährdete Demokratie: Illiberale Demokratie – Populismus – Europaskepsis. Baden-Baden 2017, S. 192. 16 Vgl. Alfred Müller-Armack: Genealogie der Sozialen Marktwirtschaft. Frühschriften und weiterführende Konzepte. 2. Aufl. Bern u. a. 1981, S. 131. 17 Vgl. Jürgen Starbatty: Soziale Marktwirtschaft als Konzeption, in: Nils Goldschmidt/Michael Wohlgemuth (Hg.): Die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft: Sozialethische und ordnungsökonomische Grundlagen. Tübingen 2004, S. 136. 18 Alfred Müller-Armack: Genealogie der Sozialen Marktwirtschaft, S. 15.

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akzentuierten als die Beteiligung am Kapitalstock, die Wiedervereinigung, der voranschreitende Prozess der Globalisierung und nicht zuletzt die Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/2008 (Immobilienkrise, Lehman Brothers-Pleite, Bankenkrise, Staatsverschuldungskrise, Eurokrise) kaum Zeit und Gelegenheit ließen, die konzeptionellen Weiterentwicklungen Erhards und Müller-Armacks einheitlich zu gestalten. Dennoch griff die CDU in ihren Wahl- und Grundsatzprogrammen den Grundgedanken der Sozialen Marktwirtschaft als „der Ausgestaltung harrende[n], progressive[n] Stilgedanken“ auf. Schon das Ludwigshafener Programm von 1978, das erste Grundsatzprogramm der CDU, thematisiert neben berechtigtem Stolz auf die Erfolgsgeschichte der Sozialen Marktwirtschaft vor dem Hintergrund des Wirtschaftswunders und der Überwindung der Ölkrise bereits Mitbestimmung, die Ressourcen- und Energiefrage, Beschäftigungsrisiken durch Strukturwandel und das Thema Umweltschutz.19 Das Hamburger Programm von 1994 stellt den Versuch dar, die Soziale Marktwirtschaft auf dieser Basis zu einer „Ökologischen und Sozialen Marktwirtschaft“ weiterzuentwickeln. Dieser Ansatz hat jedoch innerhalb der Union wenig Zuspruch gefunden und konnte sich bislang nicht durchsetzen.20 An dieser Stelle ist festzuhalten, dass die seit geraumer Zeit mit großer Münze gehandelte umweltpolitische Zielsetzung weder der Sozialen Marktwirtschaft noch der CDU fremd ist. Der Ansatz der CO2-Bepreisung als Leitinstrument der Klimapolitik steht in der ordnungspolitischen Tradition der Internalisierung von externen Effekten im Sinne von Walter Euckens Prinzip der Wirtschaftsrechnung. Die Ordoliberalen mahnten, dass es „keinen Raubbau an den begrenzt vorhandenen Naturkräften“21 geben dürfe. MüllerArmack hat umweltpolitische Überlegungen in seine Überlegungen zur zweiten Phase der Sozialen Marktwirtschaft einbezogen.22 Noch bevor es ein eigenes Umweltministerium gab, war das Innenressort für die Umweltpolitik zuständig – eine Aufgabe, die durchaus akzeptabel gelöst wurde. Die Regierung Kohl schuf 1986 infolge der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl das erste Umweltministerium, das zunächst Walter Wallmann leitete und das durch Klaus Töpfer von 1987 bis 1994 entscheidend geprägt wurde. Das (noch) geltende Grundsatzprogramm von Hannover (2007) greift die Internationalisierung und Globalisierung als zentrale Herausforderungen auf und spannt über die Verankerung der Sozialen Marktwirtschaft in internationaler Perspektive den Bogen zu den Düsseldorfer Leitsätzen. Dieser wichtige Grundgedanke bleibt vor den derzeitigen Herausforderungen des Klimawandels, der Digitalisierung, des steigenden Protektionismus und des Systemwettbewerbs ein dringendes Anliegen, das das neue Grundsatzprogramm der CDU adressieren wird.

19 Vgl. Michael Borchard/Wolfgang Tischner (Hg.): Soziale Marktwirtschaft. Eine Quellensammlung zu ausgewählten Begriffen aus den Programmen der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands. Berlin u. a. 2018, S. 251. 20 Ebd., S. 252. 21 Wilhelm Röpke, zit. in: Hans-Jörg Hennecke: Wilhelm Röpke: Ein Leben in der Brandung. Stuttgart 2010, S. 69. 22 Alfred Müller-Armack: Die Soziale Marktwirtschaft nach einem Jahrzehnt ihrer Erprobung, in: Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik. Hg. von Alfred Müller-Armack, Bern u. a. 1976, S. 251 – 265, hier 265.

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Ordnungspolitik ist gefordert Gleichzeitig haben sich die externen Risiken für das deutsche, exportorientierte Wirtschaftsmodell vervielfacht. Dazu zählen ein weltweit zunehmender Protektionismus, eine erratische US-Handelspolitik, überstrapazierte Ökosysteme und labile Finanzmärkte. Man muss konstatieren, dass Deutschland überdies in einer komplizierten geopolitischen Lage steckt: Handelspolitisch ist man enorm von China abhängig, energiepolitisch mit Russland eng verbunden und sicherheitspolitisch ohne die USA kaum handlungsfähig. Der Krieg Russlands in der Ukraine hat diese Situation evident noch verstärkt. Konnte ein global stark vernetztes Deutschland bisher eine beispiellos offene Wirtschaftspolitik praktizieren, sofern alle Partner die grundlegenden Regeln des Welthandelns beachteten und Menschenrechtsverletzungen sich, solange wesentlich auf das Inland begrenzt, politisch mittels Mahnungen abhandeln ließen, droht nun angesichts der Aggression Putins und des historisch umfangreichsten Sanktionswerks, dem auch die deutsche Politik sich nicht verschließen kann, inzwischen sogar die Spaltung der Welt in einen China-zentrierten Osten und einen US-zentrierten Westen. Damit steht Deutschland – mehr noch als zuvor – zwischen den um Deutungshoheit ringenden Gestaltungsmächten und muss, vielleicht stärker als zu früheren Zeiten, eigene Interessen formulieren und sich bewusst machen, dass ökonomischer Erfolg kein Selbstläufer ist. Vielmehr muss dieser durch eine kluge Wirtschafts- und Innovationspolitik immer wieder neu gewonnen werden. Eine solche Politik zeichnet sich durch eine solide Konzeption aus und fokussiert in besonderer Weise auf marktwirtschaftliche Elemente, die zukünftigen Wohlstand sichern können. Zum einen gehört dazu der Einsatz für offene Märkte, freien Welthandel und eine globalisierungszugewandte Agenda; zum anderen die Etablierung einer Innovationskultur, die technische und soziale Veränderungen als notwendige Bedingungen begreift, um Wohlstand für alle im Sinne Ludwig Erhards zu wahren. Entgegen manchen Kritikern ist festzuhalten, dass es zwar einer in diesem Sinne verstandenen Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft bedarf, jedoch keiner konzeptionellen Weiterentwicklung in eine „Ökologische und Soziale Marktwirtschaft“ oder gar einer Abkehr von ordnungspolitischen Grundsätzen oder Prinzipien. Die Lösung der auf Deutschland und Europa zukommenden Probleme – demographischer Wandel, Klimawandel, Ressourcenknappheit, die Überwindung der Corona-Pandemie – erfordert eine klare ordnungspolitische Basis. Die Erfahrung zeigt, dass zentrale interventionistische Eingriffe den Problemdruck mittel- und langfristig eher noch erhöhen. Die Wiederbesinnung auf eine Ordnungspolitik, die auf den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft beruht, und das Werben dafür in Europa sind dringender denn je, beispielsweise muss der Ordnungsrahmen der Europäischen Zentralbank wieder auf seine Kernaufgaben zurückkehren.23 Anders als in der Nachkriegszeit, als es um die grundsätzliche Ausrichtung des Neuanfangs ging, läuft die aktuelle ordnungspolitische Aufga-

23 Vgl. Rolf Hasse: Die Währungspolitik der CDU zwischen D-Mark und Euro, in: Norbert Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union – Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU. München 2020, S. 231 – 277.

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be darauf hinaus, institutionell etablierte und eingeschliffene Verhaltensweisen – sozusagen bei laufendem Betrieb – zu ändern. Das ist eine enorm schwierige Aufgabe, weil sie auch europäische und globale Aspekte mitbedenken muss. Umso wichtiger ist es, sich von Zeit zu Zeit immer wieder die Grundlagen und Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft zu vergegenwärtigen. Solange die CDU dies tut, „Partei der Sozialen Marktwirtschaft“ bleibt und sich aktuellen Herausforderungen auf Basis ordnungspolitischer Grundsätze stellt, ist sie für diese Aufgaben gerüstet.

Forschungs- und Quellenlage Der Nachlass von Walter Eucken befindet sich in der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena. Der Nachlass von Ludwig Erhard findet sich im Archiv der LudwigErhard-Stiftung, der Nachlass von Alfred Müller-Armack im Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung. Für eine Gesamtgeschichte der Sozialen Marktwirtschaft in der CDU siehe Michael Borchard/Wolfgang Tischner: Soziale Marktwirtschaft. Eine Quellensammlung zu ausgewählten Begriffen aus den Programmen der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands. Hg. von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Berlin u. a. 2018. Zu Wilhelm Röpke siehe Hans-Jörg Hennecke: Wilhelm Röpke: Ein Leben in der Brandung. Stuttgart 2010; zur Biografie Ludwig Erhards siehe Volker Hentschel: Ludwig Erhard – Ein Politikerleben. Berlin 1998.

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Bildungspolitik Markus Lingen Bildungspolitik ist in der Bundesrepublik Deutschland Angelegenheit der Länder, die die Kulturhoheit haben. Dies hat dazu geführt, dass sich in Deutschland die Schulsysteme zwischen den Ländern stark unterscheiden. In der Regierungszeit von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger1 wurden 1969 die Zuständigkeit für die Hochschulen (Rahmengesetzgebung, Ausbildungsförderung, Bildungsplanung, Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau) sowie die außerschulische Berufsbildung (Berufsbildungsgesetz 1969) dem Bund übertragen. Mit der Föderalismusreform I von 2006 wird die Länderhoheit wieder gestärkt; beim Bund verbleiben lediglich die Kompetenzen zur Regelung der Hochschulzulassung und der Hochschulabschlüsse − von der die Länder abweichen können − sowie jene für den betrieblichen Teil der beruflichen Bildung im dualen System. Die bisherige Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau geht ebenso in die Zuständigkeit der Länder über wie die Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung. Damit zieht sich der Bund aus der Finanzierung des Hochschulbaus und aus den direkten Finanzhilfen im Schulbereich zurück, obwohl angesichts der Finanzlage der Länder immer wieder nach Wegen gesucht wird, den Bund allein oder verstärkt anteilig finanzieren zu lassen.

Schulpolitik In Deutschland waren die Ursprünge des Schulwesens eng mit den Kirchen verbunden und von Anfang an konfessionell geprägt. In der Zeit des Kulturkampfes im Deutschen Kaiserreich wurden die Schulen unter staatliche Schulaufsicht gestellt, aber noch in der Weimarer Republik existierten regional unterschiedlich sowohl Bekenntnisschulen als auch Gemeinschaftsschulen. Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs 1918 wollten die Parteien der „Weimarer Koalition“ mit einer Reform des Schulsystems2 entscheidende Impulse für die Demokratisierung von Staat und Gesellschaft setzen. Aber es traten schwerwiegende schulpolitische Differenzen auf: die Sozialdemokraten und die Liberalen wollten ein einheitliches und gestuftes Schulsystem, das vom Einfluss der Kirchen befreit und allein der staatlichen Aufsicht unterliegen sollte. Die Zentrumspartei unterstützte grundsätzlich das Anliegen, die ständische Trennung der Schülerschaft zu überwinden. Als katholisch geprägte Partei wollte sie aber, dass Katholiken und Protestanten auf Wunsch der Eltern weiterhin getrennt voneinander in „Bekenntnisschulen“ unterrichtet werden konnten. Auch andere Forderungen der Zentrumspartei, wie etwa

1 Siehe Philipp Gassert: Kurt Georg Kiesinger 1904 – 1988. Kanzler zwischen den Zeiten. München 2006. 2 Günther Grünthal: Reichsschulgesetz und Zentrumspartei in der Weimarer Republik (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bd. 39). Düsseldorf 1968.

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die nach einer geistlichen Schulaufsicht und einem verpflichtenden konfessionellen Religionsunterricht, standen den Vorstellungen der Koalitionspartner diametral entgegen. Nach zähen Auseinandersetzungen einigten sich die Koalitionäre auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, den „Weimarer Schulkompromiss“. Erstmals in der deutschen Geschichte sollte eine für alle Kinder gemeinsame „Grundschule“ geschaffen werden. Private Vorschulen sollte es nur in seltenen Ausnahmefällen geben dürfen. Allerdings sah der Kompromiss eine Grundschuldauer von lediglich vier Jahren vor, anschließend sollten die Schülerinnen und Schüler wieder auf verschiedene Schulformen aufgeteilt werden, die gemäß der „Mannigfaltigkeit der Lebensberufe“ als einfache, mittlere und höhere Bildungsgänge unterschieden wurden. Darüber, welche dieser Schulen ein Kind besuchen würde, sollte fortan einzig und allein die in der Grundschule festgestellte „Anlage und Neigung“ entscheiden, „nicht die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung oder das Religionsbekenntnis seiner Eltern“.3 In der NS-Zeit wurden die Konfessionsschulen in mehreren Schritten vom Regime abgeschafft, obwohl zumindest formal für die katholischen Schulen ein Schutz durch das Reichskonkordat gegeben war. Die Bildungspolitik der neugegründeten CDU musste deshalb 1945 angesichts des NS-Totalitarismus und der weitgehenden Entchristlichung bzw. des „Verfall[s] abendländischer Gesittung“ 4 getragen sein von dem Bemühen um eine christlich-humanistische Erneuerung des Einzelnen wie auch von Staat und Gesellschaft. Dabei sollte sich ein religiös fundiertes, kulturelles Leben organisch entfalten. Die CSU proklamierte in ihrem Zehn-Punkte-Appell vom 31. Dezember 1945 die „Reform unseres Erziehungswesens im Geiste der Demokratie und der christlichen Grundsätze“.5 Eine von Christine Teusch6 beeinflusste Entschließung der CDU zur Schulreform forderte 1946, die religiösen Kräfte müssten in allen Schulformen wirksam werden. Es waren dies Leitbilder, die den Entwurf für ein kulturpolitisches Grundsatzprogramm der CDU 1952 und die Kulturkongresse der CDU/CSU 1960 und 1962 prägten. Eine der schwierigsten Aufgaben, die es zu lösen galt, war die Problematik der Konfessionsschulen. Man wollte weg von zu kleinen, einklassigen Schulen hin zu gegliederten Schulen, zu größeren Schulen. Das ging aber auf der Basis der Konfessionsschulen nicht. Dabei kam es aus dem Konflikt um die Frage nach Bekenntnis- oder Konfessionsschulen zu einer Stützung des gegliederten Schulsystems, besonders das Gymnasium wurde als zentrales Kulturgut der deutschen Nation verteidigt. Beide Motive waren für die Entwicklung der bildungspolitischen Positionen der CDU von großer Bedeutung, allerdings mit deutlichen regionalen und konfessionellen Unterschieden. Während die katholischen Teile an die Bekenntnisschule anknüpften, war den konservativ-protestantischen Teilen das Gymnasium heilig und die Bekenntnisschule meist sogar eher suspekt. Besonders in 3 Artikel 146, Weimarer Reichsverfassung. 4 Helmuth Pütz: Vom christlichen Humanismus zur sozialen Bildungsgesellschaft. Die Programmentwicklung der CDU in der Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik seit 1945. Dokumentation, in: Konrad-Adenauer-Stiftung (Hg.): Christliche Demokratie in Deutschland. Melle 1978, S. 145 – 251, hier 148. 5 Siehe Barbara Feit/Alf Mintzel (Hg.): Die CSU 1945 – 1948. Protokolle und Materialien zur Frühgeschichte der Christlich-Sozialen Union. Bd. 1: Protokolle 1945 – 1946 (Texte und Materialien zur Zeitgeschichte. Bd. 4). München 1993, S. 1713 f. 6 Siehe Kathrin Zehender: Christine Teusch. Eine politische Biographie (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bd. 166). Düsseldorf 2014.

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den katholischen Regionen vertrat die CDU seit 1945 strikt die Position der Bekenntnisschule und trat damit direkt das kulturpolitische Erbe des Zentrums an. Ziel der „Rechristianisierung“ war es, das deutsche Volk zurück zum christlichen Glauben zu führen und damit von totalitären Einflüssen zu befreien. Dabei war die Schulpolitik zentral, denn als Stätten der öffentlichen Erziehung boten sich die Schulen als Instrument der Erziehung zu christlichen Werten an. Die symbolische Bedeutung des Schulsystems für die Rechristianisierung wurde auch dadurch erhöht, dass die Nationalsozialisten der konfessionellen Beschulung der Schülerinnen und Schüler durch staatliche Interventionen in das Schulwesen ein Ende gemacht hatten. Diese hatten die bekenntnisfreie bzw. -übergreifende Schule zur Regelschule gemacht. Damit war, aus Sicht der katholischen Unionsgründer, der Beleg erbracht, dass die Nationalsozialisten eine anti-christliche Schulpolitik betrieben hatten. Jeder weitere Versuch, die Bekenntnisschule in Frage zu stellen, war damit relativ einfach als totalitär zu desavouieren. Die öffentlichen Gegenpole bildeten, neben vor allem der amerikanischen und französischen Militärverwaltung, die SPD und die Liberalen, die beide die Trennung von Staat und Kirche anstrebten. Dabei ging es zuvorderst meist um Bekenntnisschule gegen konfessionsübergreifende Gemeinschaftsschule und nicht um die Frage der Trennung zwischen Volks-, Mittelschulen und Gymnasien. Eine Einheitsschule war aber auch eine direkte Bedrohung für die konfessionelle Trennung der Kinder. Zum einen, da die Gegner der Bekenntnisschule außerhalb der CDU meist gleichzeitig die Befürworter der Einheitsschule waren und die beiden Maßnahmen in ihren Forderungen verbanden, zum anderen aus einem praktischen Grund: Eine Schule für alle Kinder hätte in immer mehr Gegenden eine konfessionsübergreifende Beschulung verlangt, da die Flüchtlingsmigration zu einer stark zunehmenden konfessionellen Pluralität entgegen der hergebrachten regionalen Homogenitäten führte. Im Sinne der konfessionellen Geschlossenheit der Schulen wurden daher, u. a. in Rheinland-Pfalz, auch bewusst sogenannte Zwergschulen, d. h. unvollständige Schulen mit jahrgangsübergreifendem Unterricht in Kauf genommen und Gemeinschaftsschulen eben gerade als „Vermassung“ abgelehnt. Dort, wo die CDU diese Positionen vertrat, konnte sie auf massive Unterstützung durch die katholische Kirche setzen. Insgesamt war dies überall dort Parteilinie der Union, wo diese sich auf sehr starke katholische Milieus stützte. Die protestantischen und säkularen Kräfte innerhalb der CDU hingegen waren deutlich stärker an dem Erhalt des Gymnasiums und der Nichtverlängerung der vierjährigen Grundschulzeit interessiert.7 Diese Verteidigung des Gymnasiums hatte ihre Basis vor allem im Philologenverband als Standesvertretung der Gymnasiallehrer und unter den Professoren an den Universitäten. Sie verwiesen auf die Notwendigkeit von Elitenbildung auch in demokratischen Gesellschaften und begründeten damit die frühestmögliche Einteilung der Kinder. In der Nachkriegszeit wurde von dieser Seite sehr offen ein nativistisches Begabungsdenken als Grundlage dieser Position vertreten. Das gegliederte Schulwesen sei in der Biologie der Begabung begründet, so argumentierte etwa der damalige bayerische Kultusminister 7 Siehe Jörg-Dieter Gauger: Zum Bildungsverständnis der CDU. Das christliche Verständnis vom Menschen begründet eine Hinführung zu innerer Freiheit, verantwortungsvoller Persönlichkeit und individueller Leistung, in: DPM 56 (2011), S. 19 – 24; ausführlich dazu ders.: Kontinuität und Wandel. Bildungsbegriff und Bildungssystem in den Grundsatzerklärungen der CDU zwischen 1945 und 2011. Sankt Augustin/Berlin 2011; Sören Messinger/Yvonne Wypchol: Moderne CDU? Programmatischer Wandel in der Schul- und Familienpolitik (Göttinger junge Forschung. Bd. 20). Stuttgart 2014.

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und spätere Präsident der Kultusministerkonferenz, Alois Hundhammer, 1947 in einem Bericht gegenüber der amerikanischen Militärregierung. Zudem wurde das Gymnasium als wesentlich für die Abwehr der großen, historischen Gefahren für das deutsche Volk gesehen: „Das Gymnasium richtete sich gegen drei Gegner: Nationalsozialismus, den Sozialismus des Ostblocks und die ,Moderne‘.“ 8 Vor diesen könne nur die zweckfreie, persönlichkeitsbildende Bildung humanistischer Kolorierung schützen. Das Verhältnis der CDU zur Bekenntnisschule war in protestantischen Regionen deutlich schwieriger als in den katholischen. Entweder handelte es sich um katholische Minderheitsgründungen, die dann ebenfalls an die Bekenntnisschulforderungen anknüpfen konnten, dadurch aber zunächst auch nur diese Minderheit ansprachen, oder aber es handelte sich um protestantische Versuche, eine christlich-bürgerliche Partei aufzubauen, die meist ein deutlich ambivalenteres, teils ablehnendes Verhältnis zur Bekenntnisschule hatten. Vielerorts verhinderte die Frage nach Bekenntnisschulen ein frühes Zusammengehen der häufig eine spezifische Konfession ansprechenden unterschiedlichen CDU-Vorläufer. Die CDU-internen Auseinandersetzungen um die Frage der Bekenntnisschule zwischen den beiden Konfessionen wurden aber für eine Zeit über mehrere Mechanismen verdrängt. Erstens machte es die Zuständigkeit der Länder zum Teil möglich, regional unterschiedliche Schwerpunkte zu setzen. So wurde in Bayern und Nordrhein-Westfalen klar für die Bekenntnisschule gekämpft und in den Stadtstaaten, die keine Bekenntnisschultradition hatten, die christliche Gemeinschaftsschule befürwortet. Hierin liegt auch die überwiegende Zurückhaltung der Partei auf Bundesebene in bildungspolitischen Fragen begründet und weniger in einem innerparteilichen Konsens über Bildungsfragen. Seit Anfang der 1960er Jahre wandte sich unter dem Einfluss von Alois Schardt, Hanna Walz, Berthold Martin 9 u. a. die Union allmählich einer pragmatischen Bildungspolitik zu, die ein eigenes, nicht nur subsidiäres Recht des Staates bei der Verwirklichung von Bildungschancen vertrat und sich auch internationalen Herausforderungen stellte. 1963 erklärte Bundeskanzler Ludwig Erhard 10, die Aufgaben der Bildung und Forschung besäßen in der Gegenwart den gleichen Rang wie die soziale Frage für das 19. Jahrhundert. Die Reformtendenzen Anfang der 1960er Jahre verstärkten sich unter dem Eindruck der Warnrufe von Georg Picht 11 und Ralf Dahrendorf 12 und dem Einfluss der CDU-Kultusminister Wilhelm Hahn13 und Paul Mikat14. Auf dem Kulturpolitischen Kongress der CDU/ CSU 1964 und den Bundesparteitagen der CDU 1964/65 zog die Union die Konsequenzen aus dem sozialen und technologischen Wandel und löste sich von der Vorstellung, Bildung sei wesentlich ein personal-charakterlicher Vorgang mit Transzendenzbezug. Individuelle 8 Zit. nach Torsten Gass-Bolm: Das Gymnasium. 1945 – 1980. Bildungsreform und gesellschaftlicher Wandel in Westdeutschland. Göttingen 2005, S. 87. 9 Siehe Bernhard Vogel/Berthold Martin (Hg.): Bildungspolitik. Plädoyer für ein realistisches Konzept. Herford 1972. 10 Siehe Hans Jörg Hennecke: Art.: Erhard, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/ biogramm-detail/-/content/ludwig-erhard-v1 (Abruf: 30.6.2021). 11 Die deutsche Bildungskatastrophe. München 1965. 12 Bildung ist Bürgerrecht. Plädoyer für eine aktive Bildungspolitik. Hamburg 1965. 13 Siehe Jörg Dieter Gauger: Art.: Hahn, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/ biogramm-detail/-/content/wilhelm-hahn (Abruf: 30.6.2021); Erik Lommatzsch: Wilhelm Hahn (1909 – 1996). Ein Kultusminister im Spiegel seiner Erinnerungen, in: HPM 23 (2016), S. 261 – 285. 14 Siehe Markus Lingen: Art.: Mikat, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/paul-mikat (Abruf: 30.6.2021).

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und umfassende Förderung des Einzelnen, Chancengerechtigkeit und die Ausschöpfung der „Begabungsreserven“ für den „Standort Deutschland“ wurden zu Leitbildern, die auch die seinerzeit forcierte Bildungsplanung bestimmten. Im Berliner Programm 1968 wurde dem Thema „Bildung, Jugend, Kunst und Forschung“ erstmals in einem Parteiprogramm der Union ein eigener Abschnitt gewidmet. Das erste bildungspolitische Programm der CDU, „Schule und Hochschule von morgen“15 von 1969, wurde bis hin zum „Kulturpolitischen Programm“ der CDU/CSU-Kultusminister 1976 fast unverändert fortgeschrieben. Die Bildungspolitik der Union wurde in den späten 1960er, den 1970er und den frühen 1980er Jahren von Persönlichkeiten wie den CDU/CSU-Kultusministern Wilhelm Hahn, Paul Mikat, Bernhard Vogel16, Hans Maier17 und Hanna-Renate Laurien18 geprägt. Sie traten den Auswüchsen der Reformen der frühen 1970er Jahre entgegen und bestimmten die Auseinandersetzungen mit der SPD sowie mit sozialistischen und neomarxistischen Strömungen. Die beträchtlichen gesellschaftspolitischen Gegensätze verdeutlichte 1978 der Bonner Kongress „Mut zur Erziehung“.19 Das Grundsatzprogramm der CDU 1978 formulierte, Bildung und Erziehung als individueller und gesellschaftlicher Prozess sollten weder weltanschauliche Parteilichkeit noch wertneutrale Beliebigkeit fördern, sondern sich orientieren an Leitbildern wie der „freiheitlich-demokratischen Ordnung“ und dem Prinzip „personaler Verantwortung“20; sie sollten helfen, einen ethischen und religiösen Standpunkt zu finden, Geschichtsbewusstsein und Zugang zu den Kulturgütern vermitteln; „Leistung“ wurde als „unentbehrlicher Ansporn“ betont; ein leistungsorientiertes, differenziertes Bildungssystem sollte der „Chancengerechtigkeit“ dienen und „Solidarität“ fördern. Die „konfliktorientierte Pädagogik“ wurde verworfen, das Elternrecht und das Zusammenwirken von Schule und Eltern in der Erziehung hervorgehoben, der Wert der dualen Berufsausbildung und beruflichen Bildung unterstrichen. Ausgangspunkt für die 1990er Jahre war das 1993 verabschiedete, mit Georg Gölter und Norbert Lammert21 verbundene Bildungsprogramm „Erziehung und Ausbildung in unserem freiheitlich demokratischen Bildungssystem“, fortgeschrieben im Projekt „Zu15 Schule und Hochschule von morgen. Leitsätze der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. Bonn 1969. 16 Siehe Markus Lingen: Art.: Vogel, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/bernhard-vogel-v1; Karl Martin Graß: Bernhard Vogel und die Bildungspolitik in Rheinland-Pfalz, in: Dieter Althaus u. a. (Hg.): Mut Hoffnung Zuversicht. Festschrift für Bernhard Vogel zum 75.Geburtstag. Paderborn 2007, S. 87 – 130; Hanna-Renate Laurien: Akzente und Wurzeln – Ein „ganzer“ Kultusminister, in: Peter Haungs u. a. (Hg.): Civitas. Widmungen für Bernhard Vogel zum 60.Geburtstag (Studien zur Politik. Bd. 19). Paderborn u. a. 1992, S. 109 – 118; Albrecht Martin: Bildungspolitik in Rheinland-Pfalz 1967 – 1971, ebd., S. 139 – 154. Siehe auch: Deidesheimer Leitsätze zur Schulpolitik, in: ACDP 01-628- 034/1. 17 Siehe Heinrich Oberreuter: Art.: Maier, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/ biogramm-detail/-/content/hans-maier-v1 (Abruf: 30.6.2021). 18 Siehe Angela Keller-Kühne: Art.: Laurien, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/ biogramm-detail/-/content/hanna-renate-laurien-v1 (Abruf: 30.6.2021). 19 Siehe Wilhelm Hahn (Hg.): Mut zur Erziehung. Beiträge zu einem Forum am 9./10. Januar 1978 im Wissenschaftszentrum Bonn-Bad Godesberg. Stuttgart 1979. 20 Christlich-Demokratische Union Deutschlands: Freiheit Solidarität Gerechtigkeit. Grundsatzprogramm der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands. Bonn 1978, S. 15. 21 Siehe David Maaß: Art.: Lammert, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/norbert-lammert-v1 (Abruf: 30.6.2021).

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kunftschancen“ (1997)22, im „Zukunftsprogramm“ (1998)23, in den Erfurter Leitsätzen (1999)24, den Leitsätzen „Aufbruch in die lernende Gesellschaft“25, erarbeitet unter Vorsitz von Annette Schavan26 (2000). Verstärkt wurde die Diskussion durch die Krise am Lehrstellenmarkt (seit 1994), die Frage der Attraktivität der Berufsbildung und die neuen Herausforderungen im Zusammenhang mit Europäisierung, Globalisierung, internationalem Wettbewerb und den erforderlichen Anpassungen an die Entwicklungen in Naturwissenschaften, Technologie und Kommunikationssystemen. Die Einbeziehung von Internet und Multimedia in den Unterricht, naturwissenschaftliche und sprachliche Kompetenz, „lebenslanges Lernen“, neue Unterrichtsformen und die von der CDU schon auf dem Hamburger Parteitag 1981 geforderte Verkürzung der gymnasialen Schulzeit traten hinzu. Erziehung zu Grundwerten und Tugenden und Einheit von Bildung und Erziehung blieben Eckpunkte christlich-demokratischer Bildungsideen und Bildungspolitik. Mit ihrem 2007 in Hannover verabschiedeten jüngsten Grundsatzprogramm27 reagiert die CDU wie auch schon zuvor auf neue Entwicklungen und Herausforderungen, etwa auf die wachsende Bedeutung der frühkindlichen Bildung auch für die Migrantenintegration oder auf die Ergebnisse der internationalen Vergleichsstudien (PISA seit 2000), ohne ihre bewährten Grundlinien zu verlassen. Gleich eingangs ordnet sie Erziehung und Bildung dem Kontext „Unser Gesellschaftsbild“ zu und betont damit deren Stellenwert und setzt auf Persönlichkeitsbildung, wobei dazu „soziale Rücksicht“, „Eigenverantwortung und Solidarität“ ebenso gehören wie „Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit“. Daher bekennt sich die CDU wie zuvor zu einem ganzheitlichen Bildungsbegriff als „Anregung aller Kräfte des Menschen, damit dieser sich entfalten und zu einer sich selbst bestimmenden Individualität und Persönlichkeit entwickeln kann“. Daher steht die CDU auch ganz konkret zur Übernützlichkeit von Bildung und zu „Werten“ und Inhalten, die das leisten und über „verbindliche nationale Standards überprüfbare Lerninhalte und Schlüsselkompetenzen in Kerncurricula“ umgesetzt werden sollen, etwa „unsere moralischen und ökonomischen Werte“, neue Bedeutung der „Allgemeinbildung“, musische, auch eigens erwähnt politische Bildung, „konfessioneller“ Religionsunterricht als Pflicht (daneben auch in anderen Religionen nach Bedarf mit in Deutschland ausgebildeten Lehrern und in deutscher Sprache), Verstärkung der „ökonomischen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Bildung“.28 Dieser Ansatz wird 22 Leitantrag „Verantwortung für Deutschland – Das 21. Jahrhundert menschlich gestalten – Projekt Zukunftschancen“, in: https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=844713c5-d361-154c-3632-ae546ba99481&groupId=252038 (Abruf: 30.6.2021). 23 Siehe Das Zukunftsprogramm der CDU, in: https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid= 7ec03543-1a6a-92b5-395d-2efd4a8d06f6&groupId=252038 (Abruf: 30.6.2021). 24 Siehe Erfurter Leitsätze, in: https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=31db6333-131abcc3-19b7-03a165595d14&groupId=252038 (Abruf: 30.6.2021). 25 Aufbruch in die lernende Gesellschaft. Bildungspolitische Leitsätze Beschluss des Bundesausschusses der CDU Deutschlands vom 20. November 2000 in Stuttgart, in: https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=31db6333-131a-bcc3-19b7-03a165595d14&groupId=252038 (Abruf: 30.6.2021). 26 Siehe Yvonne Blatt: Art.: Schavan, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/annette-schavan-v1 (Abruf: 30.6.2021). 27 Christlich-Demokratische Union Deutschlands: Freiheit und Sicherheit. Grundsätze für Deutschland. Das Grundsatzprogramm. Berlin 2007. 28 Jörg-Dieter Gauger: „Bildung“ in den Grundsatzerklärungen der Parteien im Deutschen Bundestag, in: HPM 17 (2002), S. 25 – 53.

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dadurch verstärkt, dass in dem hier zugeordneten Kapitel „Kultur: Ausdruck nationaler Identität und Weltoffenheit“ nicht nur betont wird, dass auch in Zukunft der Bestand der Kultureinrichtungen gesichert werden soll, es geht um Grundsätzlicheres: „Ohne Kultur entsteht keine Bildung, ohne Bildung wächst keine Kultur. Kulturelle Bildung ist unerlässlich, um dem Einzelnen zu helfen, seine Persönlichkeit zu entfalten und an Demokratie und Gesellschaft teilzuhaben“, sie sei daher „unverzichtbarer Bestandteil des öffentlich verantworteten und geförderten Bildungssystems“. Unter der Überschrift „Zusammenhalt unserer Gesellschaft“ benennt die CDU überdies das „patriotische Zusammengehörigkeitsgefühl“, das sich nicht nur auf die negativen, sondern auch auf die positiven Seiten der deutschen Geschichte beziehen könne und spricht von „kulturellen Werten und historischen Erfahrungen“ als „Grundlage für den Zusammenhang in unserer Gesellschaft“ bzw. auf die „christlich geprägten Wertgrundlagen unserer freiheitlichen Demokratie“. Ihr Bekenntnis zu einem „vielfältige(n) gegliederte(n) Schulwesen“ und die Ablehnung der „Einheitsschule“ begründet die CDU mit der Feststellung, es habe sich „bewährt und erfolgreich weiterentwickelt“, „mit der Vielfalt an Lernkonzepten und Lernwegen“ und der Begabungsgerechtigkeit („begabungsgerechtes differenziertes Schulwesen“). Daher lehnt die CDU das von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN favorisierte Konzept gemeinsamen längeren Lernens in der Grundschule auch weiterhin ab. Die Frage, inwieweit Verbundmodelle in der Sekundarstufe I nach sächsischem und thüringischem Vorbild auch in den „alten“ Ländern zum Erhalt der Vielfalt der Bildungsgänge beitragen können, gehört zu den derzeit in der CDU diskutierten bildungspolitischen Themen. In der SBZ bzw. DDR setzte die sowjetische Besatzungsmacht schon 1945 in der „Demokratischen Schulreform“, die durch keinerlei demokratisch gewählte Legislative legitimiert war, mithilfe der deutschen Kommunisten die Einheitsschule durch und verschloss sich jeglichem staatlichen Religionsunterricht. Die CDU in der SBZ kämpfte engagiert für den Religionsunterricht und das Recht der Kirchen, Privatschulen einzurichten bei den Beratungen über die Länderverfassungen der SBZ 1946/47. Gegen den Willen der sowjetischen Besatzungsmacht war dies jedoch nicht zu erreichen. In der Folge konnten zwar die Kirchen bis in die 1950er Jahre noch Religionsunterricht in eigener Regie in den Schulräumen durchführen, wurden dann im Zuge des „beschleunigten Aufbaus des Sozialismus“ aber aus den Schulen verdrängt. Die Kirchen bauten eine religiöse Unterweisung auf freiwilliger Grundlage in kirchlichen Räumen auf, die jedoch nur wenige Prozent der Schüler erreichte. Die CDU in der DDR war zu dieser Zeit freilich nicht mehr an der politischen Entscheidungsfindung beteiligt, da sie spätestens Anfang 1950er Jahre politisch gleichgeschaltet war und bis zur Friedlichen Revolution 1989 nicht mehr den Führungsanspruch der SED in Frage zu stellen wagte. In der DDR war neben der Wissensvermittlung die Erziehung der jungen Menschen zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ das zweite zentrale Ziel staatlicher Bildung. Das Jugendgesetz von 1964 nennt die Formung von „sozialistischen Persönlichkeiten“29 eine der wichtigsten Aufgaben aller Staats- und Wirtschaftsorgane. Nach dem Bildungsgesetz 29 Gesetz über die Teilnahme der Jugend der Deutschen Demokratischen Republik am Kampf um den umfassenden Aufbau des Sozialismus und die allseitige Förderung ihrer Initiative bei der Leitung der Volkswirtschaft und des Staates, in Beruf und Schule, bei Kultur und Sport, in: http://www.verfassungen.de/ddr/jugendgesetz64.htm (Abruf: 30.6.2021).

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von 1965 galt im sozialistischen Bildungssystem „der Grundsatz der Einheit von Bildung und Erziehung“.30 Von frühester Kindheit an verbrachten die Kinder in der DDR einen Großteil der Zeit in staatlichen Bildungsinstitutionen, welche gemäß diesem Erziehungsziel gestaltet waren. Eine Ausnahme bildeten allerdings die Kindergärten. Da die sowjetische Besatzungsmacht den Kirchen den Betrieb eigener Kindergärten gestattet hatte, wagte die SED bis 1989 nicht, hier einzugreifen. Die gerechtere Verteilung von Bildungschancen war eines der wichtigsten Versprechen, das die DDR ihren Bürgern machte. Der Bildungszugang sollte gerechter sein als im Kaiserreich und in der Weimarer Republik – und auch als in der sich gleichzeitig mit der DDR entwickelnden Bundesrepublik. Der Gedanke, die soziale Hierarchie umzukehren, war auch wichtig bei der Entscheidung, wer Abitur machen durfte – und wer nicht. Jugendliche aus bildungsbürgerlichen Familien durften dies häufig nicht, unabhängig von ihren Schulnoten. Vor allem in den 1950er und 1960er Jahren wurde der Zugang zur Erweiterten Oberschule (EOS) und zum Studium stark nach sozialer Herkunft reglementiert – vorrangig „Arbeiter- und Bauernkinder“ sollten zum Zug kommen. Die Folgen einer jahrzehntelangen atheistischen Jugenderziehung und der radikalen Säkularisierung des Bildungswesens wurden bei der Wiedervereinigung 1990 sichtbar. Die Wiedereinführung des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen im Sinne des Grundgesetzes führte in den neuen Ländern zu erheblichen Problemen und regional unterschiedlichen Lösungen.

Hochschulpolitik Die Lehrkörper der deutschen Hochschulen waren nach 1933 durch die Entlassung und Emigration jüdischer und dem NS-Regime missliebiger Gelehrter, später auch durch Kriegsopfer, dezimiert worden. 1945/46 kehrten Professoren, die in der äußeren und inneren Emigration überlebt hatten, an die Hochschulen zurück. Die Generation der Hochschullehrer, die nach 1945 den Lehrbetrieb wiederaufnahm, war durch die Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus geprägt, der die Fachdisziplinen weltanschaulichen Deutungsmustern untergeordnet hatte. Ein Teil der Hochschullehrer war hierdurch politisch sensibilisiert; andere aber sahen die Aufgaben der Hochschulen vorwiegend darin, im Rahmen der Fachdisziplinen wissenschaftlich-methodisches Denken zu schulen. Für die Wiedereröffnung gab es 1945 überall zahlreiche Bemühungen, mit Hilfe verschiedener Kommissionen bzw. der Einsetzung von Ehrenräten, Schiedshöfen und Gutachterausschüssen eine Überprüfung des Lehrkörpers zu erreichen und die Entfernung nationalsozialistischer Dozenten durchzusetzen. Allgemein bedeuteten die Mitgliedschaft in SS, SD oder Spitzeltätigkeit, dass ein Dozent nicht länger tragbar war. Die verschiedenen Bewertungskriterien differierten von Universität zu Universität und in den Besatzungszonen. In der Praxis erwies sich oft die Aktenlage als zu unergiebig, war die Beweislage zu dünn, war die Grauzone zu unbestimmt und die Zahl der zu Überprüfenden zu groß. Die Hochschulpolitik, zu der sich zuvor nur der RCDS zu Wort gemeldet hatte (1956/57: Ausbau der Hochschulen, Mitwirkung, Studienreform, bundeseinheitliches Hoch30 Lutz-Rainer Reuter: Normative Grundlagen des politischen Unterrichts. Dokumentation und Analyse. Wiesbaden 1979, S. 29.

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schulgesetz), wurde erstmals beim Kulturpolitischen Kongress der CDU/CSU 1960 eigens thematisiert. 1966 folgten Empfehlungen des Bundeskulturausschusses der Unionsparteien zu Freiheit von Forschung und Lehre, Hochschulen als Körperschaften des öffentlichen Rechts, einheitlicher Hochschulverwaltung. Die Empfehlungen betrafen ferner die schnelle Besetzung vakanter Lehrstühle, die Reform des Habilitationsverfahrens, die Studentenschaft als Gliedkörperschaft der Hochschule und anderes mehr. Auf dem Kulturpolitischen Kongress in Bad Godesberg 1969 wurde ein ausführlicher Passus zu den Hochschulen formuliert: Einrichtung von Fachhochschulen, Kooperation mit den Universitäten, Privatinitiativen, Präsidialverfassung, höhere Haushaltsflexibilität. Im „Schul- und Hochschulreformprogramm der CDU“31 1971 fanden Forderungen nach Freiheit von Forschung und Lehre, Erhaltung des Leistungsprinzips in der Wissenschaft, mehr Verantwortung der Hochschulen gegenüber dem Staat, und funktionsgerechter Mitbestimmung ihren Niederschlag. Mit „Hochschulsonderprogrammen“ (1980, 1990, 1996) und dem „Erneuerungsprogramm“ für die neuen Länder (1991) leistete die Regierung unter Helmut Kohl32 ihren Beitrag zur Modernisierung und zum Zusammenwachsen des deutschen Hochschulsystems; mit ihrem Bildungsprogramm (1993) und den Leitsätzen (2000) trat die CDU (wie auch die CSU) im Sinne von Differenzierung und Konkurrenz ein für den Ausbau der Fachhochschulen, die Profilschärfung der Hochschultypen, die Berufsakademien, die Stärkung des Abiturs, ein stärkeres Auswahlrecht der Hochschulen, die Neugliederung des Studiums, die Frauenförderung, den Ausbau integrierter bzw. modularer berufsbildender Angebote, die Abschaffung der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS), ein beiderseitiges Auswahlrecht, Evaluation, ein leistungsbezogenes Dienstrecht sowie für die Stärkung des (föderalen) Wettbewerbs unter den Hochschulen, dem auch die unter Jürgen Rüttgers33 1998 erneut vorgenommene Novellierung des Hochschulrahmengesetzes diente. In ihrem Grundsatzprogramm von 2007 bekennt sich die CDU zur „Einheit von Forschung und Lehre“, bezeichnet die „Berufsakademien“ als „Erfolgsgeschichte“34 neben den Fachhochschulen, tritt für einen differenzierten Hochschulraum ein (auch mit privaten Hochschulen) und betont: „Wissenschaft und Forschung entscheiden über den materiellen und immateriellen Wohlstand einer Gesellschaft und tragen zur Bewältigung der großen Herausforderungen der wachsenden Weltbevölkerung bei.“35

Berufliche Bildung und Weiterbildung Auf ihren Kulturpolitischen Kongressen (1962/1964) formulierten die Unionsparteien erstmals ausführlich ihre bis heute prinzipiell nicht veränderte Position (vgl. „Leitsätze“ 2000) zur beruflichen Bildung in gemeinsamer Verantwortung von Staat und Wirtschaft, auch wenn sich einige Rahmenbedingungen verändert haben: Dazu gehören Auslän31 Schul- und Hochschulreformprogramm der CDU (Argumente, Dokumente, Materialien. Nr. 5258). Bonn 1971. 32 Siehe Horst Möller: Art.: Kohl, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogrammdetail/-/content/helmut-kohl-v2 (Abruf: 30.6.2021). 33 Siehe Markus Lingen: Art.: Rüttgers, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/juergen-ruettgers-v1 (Abruf: 30.6.2021). 34 Grundsatzprogramm 2007, S. 38. 35 Ebd., S. 40.

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der- bzw. Aussiedlerintegration, wirtschaftlich-technische Entwicklung der neuen Länder, Gleichwertigkeit allgemeiner und beruflicher Bildung, Ergänzung des Lehrbetriebs durch überbetriebliche Ausbildungsstätten, duales Regelsystem, staatlich kontrollierte Ausbildereignung, Kooperation/Verzahnung von Berufs-, allgemeinbildender Schule und Betrieb, Berufsgrundschuljahr, Ausbildungsförderung analog zur Studienförderung, Differenzierung und Flexibilisierung entsprechend der Leistungsfähigkeit sowie besondere Begabtenförderung, modulare Formen, weiterführende Bildungswege, Modifizierungen des Hochschulzugangs, Förderung von Berufsakademien, Ablehnung einer allgemeinen Berufsbildungsabgabe; Verbindung von Selbstverantwortung und Qualität in der Weiterbildung (u. a. „Stiftung Bildungstest“). Jürgen Rüttgers setzte einen Schwerpunkt hinsichtlich der rascheren Anpassung der Berufsbilder, des Ausbaus der Förderpalette („Meister-Bafög“) und der Förderung Leistungsschwächerer („Kleiner Gesellenbrief“). In ihrem Grundsatzprogramm von 2007 bekennt sich die CDU zum dualen System als „Standortvorteil im internationalen Wettbewerb und als die beste Vorbeugung gegen Jugendarbeitslosigkeit“; dazu gehöre überdies, „Mädchen und Jungen bei ihrer Berufsorientierung Lust auf Vielfalt der Wege der Ausbildungsmöglichkeiten zu machen. „Leistungsschwächere Jugendliche [brauchen] zusätzliche Einstiegschancen, die zu arbeitsmarktverwertbaren und bescheinigten Qualifikationen führen und Anschlüsse offen halten“36; plädiert wird außerdem für „mehr qualifizierte Stufenausbildungen sowie insbesondere Ausbildungsbausteine als abgegrenzte und standardisierte Lerneinheiten, die eigenständig bescheinigt und als Ausbildungsleistung angerechnet werden […], Übergangs- und Anrechnungsmöglichkeiten für die Zulassung von Absolventen einer beruflichen Ausbildung zum Hochschulstudium verbessern, […] Zu den Anforderungen der Arbeitswelt gehört es, mobil zu sein. Deshalb brauchen wir einen europäischen Bildungsraum, in dem Ausbildungsgänge und Bildungsabschlüsse vergleichbar sind und gegenseitig anerkannt werden.“37 Das Thema „Weiterbildung“ hatte die CDU zuvor schon 2000 38 zu einem Schwerpunkt im Kontext des Prinzips des lebenslangen Lernens gemacht.

Zusammenfassung Die Union hat sich stets zum differenzierten Schulwesen bekannt – als Konsequenz des Elternrechts und aus der Einsicht heraus, dass die menschlichen Begabungen ebenso wie Leistungsfähigkeit und Neigungen unterschiedlich verteilt sind. Dementsprechend will sie im Sinne bestmöglicher individueller Förderung den unterschiedlichen Leistungsprofilen gerecht werden. Chancengerechtigkeit soll durch freien Zugang zum Bildungswesen und dessen Durchlässigkeit gewährleistet werden. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit habe sich zu verbinden mit sozialer Verantwortung; „Chancengleichheit“ suggeriere nur die Illusion gleicher Ergebnisse. 36 Ebd. S. 38 – 39. 37 Ebd. S. 39. 38 Aufbruch in die lernende Gesellschaft. Bildungspolitische Leitsätze Beschluss des Bundesausschusses der CDU Deutschlands vom 20. November 2000 in Stuttgart, in: https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=31db6333-131a-bcc3-19b7-03a165595d14&groupId=252038 (Abruf: 30.6.2021).

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Die SPD-Konzeption der Einheitsschule bzw. der integrierten Gesamtschule (seit 1968; damals in den CDU/CSU-geführten Ländern weithin nur auf Modellversuche beschränkt) wurde zuerst abgelehnt; dort, wo die Gesamtschulen existieren, sollten sie sich in ihrem Anspruch auf besondere Förderung und „soziale Erziehung“ echter Konkurrenz stellen. Die Ergebnisse der innerdeutschen PISA-Studien seit 2000, die den differenzierten Systemen in den CDU/CSU-geführten Ländern nicht nur ein höheres Leistungsniveau, sondern auch eine bessere Migrantenintegration attestierten, bestätigen diesen Kurs. Der auch von der CDU unterstützte steigende Zulauf zum Gymnasium seit den 1970er Jahren hat immer wieder Qualitätsdebatten hervorgerufen, die seit Mitte der 1990er Jahre und v.a. nach 2000 durch nationale und internationale Untersuchungen und ihre für die Bundesrepublik nicht immer erfreulichen Ergebnisse angefacht wurden. Daher setzt die Union auch weiterhin auf eine Renaissance des Leistungsprinzips durch länderweite und -übergreifende Evaluation in Schule und Hochschule, Notengebung auch in der Grundschule, Verschlankung der Reformierten Oberstufe zugunsten der Kernfächer, zentrale Abschlussprüfungen und eine Neuregelung beim Hochschulzugang. Damit verbindet sich die ebenfalls immer erneut geführte Diskussion um Grundbildung und Bildungs-„Kanon“, die den kulturellen, allgemeinbildenden und berufsbefähigenden Auftrag der Schule auch weiterhin garantieren sollen.

Forschungs- und Quellenlage Eine Monographie zur Bildungspolitik der CDU stellt bislang ein Desiderat dar. Es gibt vereinzelte Darstellungen, die anhand der Grundsatzerklärungen der CDU die Thematik behandeln: Jörg-Dieter Gauger: Kontinuität und Wandel, Rudolf Hars: Die Bildungsreformpolitik und Scharfenberg, Dokumente zur Bildungspolitik. Eine sorgfältige Analyse des programmatischen Wandels der Schul- und Familienpolitik bietet die Untersuchung von Messinger und Wypchol: Moderne CDU? Die archivalischen Quellen zur Bildungspolitik der CDU sind im ACDP in den Beständen der Bundes-CDU (07-001) und der CDU-Landesverbände in den Bereichen Kultur- und Bildungspolitik zu finden. Auch in einzelnen Nachlässen der beteiligten Kultusminister wie Wilhelm Hahn (01-392), Hanna-Renate Laurien (01-889), Bernhard Vogel (01-451) finden sich Archivalien zur Thematik.

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Kulturpolitik und Medien Martin Falbisoner In den unmittelbaren Nachkriegsjahren lag in Deutschland über jeglicher kultur- und medienpolitischen Debatte unweigerlich der lange Schatten der NS-Herrschaft. Denn deren totalitärer Anspruch hatte die Freiheiten des kulturellen Schaffens durch Unterwerfung unter radikale ideologische Prinzipien weitgehend vernichtet. Presse und Rundfunk waren zu zentral gelenkten Propagandainstrumenten eines repressiven Regimes herabgesetzt worden. Auch eine von Grund auf neu gefasste kultur- und medienpolitische Sphäre staatlichen Handelns musste sich 1945 erst einmal wieder legitimieren. Allerdings waren einer solchen Debatte ohnehin enge äußere Grenzen gesetzt, unterlagen doch alle deutschen Überlegungen strengen alliierten Vorbehaltsrechten. In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und nachfolgend auch in der Deutschen Demokratischen Republik sorgten diese für umfassende Einschränkungen hinsichtlich der grundsätzlichen Möglichkeiten einer pluralistischen Entfaltung des politischen wie des kulturell-medialen Lebens. Die CDUD konnte sich dort mit ihrer überkonfessionell-bürgerlichen Programmatik nur für die Dauer weniger Jahre dem Gleichschaltungsdruck der sozialistischen Führung erwehren. Die „Neue Zeit“, das insbesondere vom Publizistikwissenschaftler Emil Dovifat im Juli 1945 mit großen journalistischen Ambitionen begründete Zentralorgan der Christdemokratie in der SBZ, unterlag engmaschiger Vorzensur und sank nach 1948 zum anspruchslosen Verlautbarungsorgan herab.1 Franzosen, Briten und Amerikaner hingegen setzten mit Nachdruck auf eine freiheitliche, staatsferne, dezentral organisierte Erneuerung kulturellen und medialen Lebens in ihren jeweiligen Besatzungszonen.2 Ihre Maßgaben korrelierten dabei in bemerkenswertem Umfang mit dem frühen programmatischen Selbstverständnis der CDU in ihren regional verankerten Gründungskernen. Denn schon in den „Kölner Leitsätzen“ vom Juni 1945 wurde postuliert, das „kulturelle Schaffen muss frei vom staatlichen Zwang 1 Vgl. insg. Ralf Thomas Baus: Die Christlich-Demokratische Union Deutschlands in der sowjetisch besetzten Zone 1945 bis 1948. Gründung – Programm – Politik (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 36). Düsseldorf 2001; Manfred Agethen: Emil Dovifat, https://www.kas.de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/emil-dovifat (Abruf: 1.4.2021) u. Andreas Morgenstern: „Mitteldeutschland“: ein Kampfausdruck? Der Begriffswandel in der DDR-Tageszeitung Neue Zeit, in: Deutschland Archiv, 25. Mai 2018, www.bpb.de/269713 (Abruf: 1.4.2021). 2 Vgl. Otto Singer: Kulturpolitik und Parlament. Kulturpolitische Debatten in der Bundesrepublik Deutschland seit 1945. Berlin 2003 (Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages), S.  14 f., https://www.bundestag.de/resource/blob/194112/0dbad9b8141eceb2075000afac4bd533/kulturpolitik_und_parlament-data.pdf (Abruf: 1.4.2021); Dirk Arnold: Medienföderalismus: Geschichte der Auslöser und Auswege für Kompetenzstreite, in: Martin Eifert/Tobias Gostomzyk (Hg.): Medienföderalismus. Föderale Spannungslagen und Lösungsansätze in der Medienregulierung (Materialien zur rechtswissenschaftlichen Medien- und Informationsforschung. Bd. 79). Baden-Baden 2018, S. 23 – 44, hier 23 f. sowie Andreas Wirsching: Restauration oder Modernisierung – Deutungen der Ära Adenauer, in: Norbert Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU. München 2020, S. 737 – 768, hier 757, 762.

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sein. Seine Grundlage ist die deutsche, christliche und abendländische Überlieferung.“3 Die „Frankfurter Politischen Leitsätze“ vom September des gleichen Jahres verlangten zudem, dass Presse und Rundfunk „in Zukunft so geführt und verwaltet werden, daß das Volk ein neues Vertrauen zur Wahrheit von Nachricht und Darstellung und zur Glaubwürdigkeit des gesprochenen und geschriebenen Wortes gewinnt“. Überdies erfordere die spezifische Publizität des Rundfunks auch „die paritätische Mitarbeit aller Parteien und Bekenntnisse“.4 Durch die Etablierung von repräsentativ besetzten Rundfunkräten als Kontrollgremien der sich formierenden Rundfunkanstalten wurde diesem Gedanken dann unmittelbar Rechnung getragen. Gleichzeitig wurden mit der Konstituierung von Rundfunkräten zentrale alliierte Forderungen umgesetzt. Als besonders einflussreiches Modell für die Strukturierung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den westlichen Besatzungszonen bzw. Ländern diente hierbei vor allem die britische BBC.5 Der verfassungsrechtliche Rahmen des Grundgesetzes baute 1949 auf diesem Fundament auf und legte die weiteren Grundlagen für eine der modernsten und freiheitlichsten Medienlandschaften Europas. Grundsätzlich verortet die auf dem Prinzip der Subsidiarität fußende, föderal geprägte Ordnung der Bundesrepublik Deutschland dabei die hoheitlichen Kompetenzen in Kulturfragen bei den Ländern. Diese erstrecken sich insbesondere auf das Feld der Medienpolitik sowie auf das gesondert zu betrachtende Bildungswesen.6 Im Ganzen besehen erweist sich die Kulturhoheit bis heute, so die berühmte Formulierung des Bundesverfassungsgerichts von 1957, als das faktische „Kernstück der Eigenstaatlichkeit der Länder“.7 Tatsächlich schultern diese auch seit jeher – neben den in Fragen der praktischen Kulturarbeit ebenso wichtigen Kommunen – den Löwenanteil an den Ausgaben für Kulturpflege. Der Bund hingegen trägt von jenen gegenwärtig lediglich 15 Prozent, trotz seiner gerade in jüngerer Zeit gewachsenen Bedeutung. Die historisch entwickelte Kulturlandschaft Deutschlands präsentiert sich somit fortgesetzt dezentral gegliedert und ist schon hierdurch bemerkenswert reichhaltig und vielschichtig gestaltet.8 Ohnehin gilt, dass die öffentliche Hand im gesetzten Rahmen einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung prinzipiell zwar als finanzieller Träger kulturellen Lebens auftreten kann. Dadurch wird die staatliche Sphäre aber nur in den seltensten Fällen zum eigentlichen kulturellen Akteur, denn, so stellte auch die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestags im Jahr 2007 fest, ihre „Aufgabe ist es nicht, selbst Kultur zu schaffen, sondern für die erforderlichen politischen Rahmenbedingungen zu sorgen“. Dies schließt entsprechend auch das engere Feld der Medienpolitik ein, garantiert doch schon Artikel 5 des Grundgesetzes Meinungs- und Pressefreiheit wie auch Schutz vor Zensur.9 Hierdurch leitet sich staatlicherseits dann eine etwas paradoxe Obliegenheit ab. Denn es 3 Kölner Leitsätze. Vorläufiger Entwurf zu einem Programm der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. Köln 1945, S. 4. 4 Politische Leitsätze der Christlich-Demokratischen Union. Frankfurt a. M. 1945, S. 6. 5 Vgl. Arnold: Medienföderalismus, S. 23 – 25. 6 Siehe den Beitrag von Markus Lingen in diesem Band. 7 BVerfG, 26. März 1957 – 2 BvG 1/55 (BVerfGE 6, 309 ). 8 Vgl. Kulturfinanzbericht 2018. Hg. von den statistischen Ämtern des Bundes und der Länder. Wiesbaden 2018, S. 19, sowie zur historischen Einordnung Paul-Ludwig Weinacht: Kulturpolitik, in: Winfried Becker u. a. (Hg.): Lexikon der Christlichen Demokratie in Deutschland. Paderborn u. a. 2002, S. 586 – 589. 9 Vgl. Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestags vom 11. Dezember 2007 (Bundestagsdrucksache 16/7000), Zitat S. 10, zum Medienrecht S. 63 – 65.

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gilt, eine zwischen den föderalen Polen verortete, dezidiert staatsferne, bürgerlich-freie Kommunikations- und Medienkultur durch aktive Bereitstellung eines äußeren normativen und infrastrukturellen Ordnungsrahmens mit öffentlichen Mitteln zu organisieren und zu regulieren.10 Mit zunehmender Beschleunigung des medialen Wandels, der wachsenden Konvergenz klassischer und dem Aufkommen neuer Kanäle, spielen in jüngerer Zeit überdies verstärkt europäische Maßgaben eine immer gewichtigere Rolle.11 Hieraus entfaltet sich notwendigerweise ein Spannungsfeld von Medien- und Pressefreiheit auf der einen sowie dem normativen Ordnungsrahmen auf der anderen Seite. Seine genaue Austarierung muss gesellschaftlich immer wieder neu verhandelt werden. Dies zeigt sich anschaulich am durchaus kontroversen, seitens der CDU/CSU-Fraktion schon im Oktober 1949 dem Deutschen Bundestag vorgelegten Antrag, der die Bundesregierung ersuchte, „angesichts der die deutsche Jugend und die öffentliche Sittlichkeit bedrohenden Entwicklung gewisser Auswüchse des Zeitschriftenwesens ein Bundesgesetz gegen Schmutz und Schund vorzulegen“.12 Mit ihm wurde erkennbar an das Weimarer „Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften“ von 1926 angeknüpft,13 das von der Zentrumspartei mitgetragen worden war. Gerade katholische Stimmen in der CDU verschafften sich hierbei Gehör, nicht nur auf der Ebene der Bundespolitik. Denn ebenso wurde 1949 auf Initiative des rheinland-pfälzischen Justiz- und Kultusministers Adolf Süsterhenn ein entsprechendes Landesgesetz geschaffen.14 1953 wurde schließlich von Bundestag und Bundesrat das „Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften“ verabschiedet, das die „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“ als Oberste Bundesbehörde institutionalisierte.15 Zwar bestanden ausgeprägte personelle und programmatische Kontinuitäten zwischen Zentrum und CDU, doch wurde bald augenfällig, dass erprobte Ansätze aus der Weimarer Republik keine schlüssigen Antworten mehr auf die anstehenden Fragen der jungen Bundesrepublik boten. Deren Presselandschaft entwickelte sich nun in grundlegend andere Richtungen. So sollten, anders als während der ersten deutschen Demokratie, gerade etwa Milieupublizistik und parteieigene Zeitungen insgesamt keine bedeutsame Rolle für den Meinungsbildungsprozess einnehmen können. Sie verschwanden, spätestens in den 1970ern, ohnehin mehrheitlich vom Markt.16 10 Vgl. Jürgen Wilke: Die Medienpolitik der Ära Kohl. Durchbruch zum Fortschritt, in: DPM Nr. 411 (2004), S. 35 – 39, hier bes. 36. 11 Vgl. Ruth Hieronymi: Europäisches Medienrecht. Kulturelle Vielfalt sichern – Wirtschaft fördern, in: DPM Nr. 450 (2007), S. 5 – 8, sowie das Positionspapier „Vielfalt sichern, Zugang erleichtern. Die Medienordnung im digitalen Zeitalter“ des Netzwerks „Medien und Regulierung“ der CDU Deutschlands und der „Kommission für Medien und digitales Leben“ der CSU vom 6. Juli 2015, https://archiv.cdu.de/ system/tdf/media/dokumente/150710-vielfalt-sichern-zugang-erleichtern.pdf?file=1 (Abruf: 1.4.2021). 12 Bundestagsdrucksache 01/103. 13 Reichsgesetzblatt Teil I (67/1926), S. 505 f. 14 Vgl. Christoph von Hehl: Adolf Süsterhenn (1905 – 1974). Verfassungsvater, Weltanschauungspolitiker, Föderalist (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 62). Düsseldorf 2012, hier S. 311 – 313, zur Person Süsterhenns prägnant ders.: Adolf Süsterhenn, https://www.kas.de/de/statische-inhalte-detail/-/content/suesterhenn-adolf (Abruf: 1.4.2021). 15 Bundesgesetzblatt Teil I (27/1953), S. 377 – 379, vgl. zudem Stephan Buchloh: Erotik und Kommunismus im Visier. Der Staat gegen Bertolt Brecht und gegen die ‚Schundliteratur‘, in: York-Gothart Mix (Hg.): Kunstfreiheit und Zensur in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin/Boston (MA) 2014, S. 67 – 95, hier 84 – 89. 16 Vgl. Hermann Meyn/Jan Tonnemacher: Massenmedien in Deutschland. 4. Aufl. Konstanz 2012, bes. S. 55 – 112.

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Das Verhältnis von CDU und den sich rasant entwickelnden Massenmedien war während der gesamten Ära Adenauer durchaus gewissen Ambivalenzen unterworfen. Konrad Adenauer selbst etwa traute gerade dem schreibenden Journalismus nur wenig. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wähnte er, dies auch nicht ganz unzutreffend, überwiegend in sozialdemokratischer Hand. Ohnehin hätte er die Regulierung von Radio und Fernsehen gerne in der Zuständigkeit des Bundes verortet, denn er war sich gerade der wachsenden Bedeutung des damals neuen Mediums TV völlig gewahr – und wusste auf seiner Klaviatur im Übrigen selbst auch geschickt zu spielen.17 1961 scheiterte der vom Bundeskanzler getragene Versuch, mittels der „Deutschland-Fernsehen GmbH“ ein zweites deutsches Fernsehen unter Kuratel des Bundes zu installieren, zwar an verfassungsrechtlichen Hürden.18 Immerhin erwuchs mit dem dann wenig später begründeten ZDF doch noch die erwünschte Konkurrenz zum Gemeinschaftsprogramm der Landesrundfunkanstalten.19 Die Initiative hierfür stand zwar unter den Vorzeichen der Länder, berücksichtigte dabei aber die Positionen der unionsregierten Landeshauptstädte. Wesentliche Impulse setzte Peter Altmeier, der christdemokratische Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz (1947 – 1969).20 Nutzen und Vorteil einer föderal strukturierten Medienlandschaft für die eigenen bundespolitischen Belange lernte die CDU ohnehin nach ihrem Wechsel auf die Bonner Oppositionsbank im Jahr 1969 zu würdigen.21 Von dort konnte sie beobachten, wie die sozialliberale Koalition medienpolitisch überaus zögerlich agierte und sich dabei auch Zukunftstechnologien weitgehend zu verweigern schien. Während die CDU etwa das Potential Neuer Medien rasch erkannte und für die perspektivische Einführung eines privaten Rundfunks plädierte, stoppte die Regierung Helmut Schmidt 1979 die bereits geplante Verkabelung von Großstädten – private Programme hielt der Kanzler sogar für „gefährlicher als Kernenergie“22. Die CDU hingegen hatte sich kultur- und medienpolitisch rechtzeitig runderneuert. Den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen wie technologischen Wandel im Blick behaltend, reflektierte sie Chancen und Möglichkeiten einer sich verändernden Medienlandschaft explizit im Ludwigshafener Grundsatzprogramm von 1978 unter dem Titel „Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit“. Einer „freien Gesellschaft“, so postulierte dieses, „entspricht die Pluralität der Medien“.23 Auf dieser Basis vermochte es die CDU in der Folgezeit, den zentralen medienpolitischen Weichenstellungen ihren Stempel aufzudrücken.24 17 Vgl. Hanns Jürgen Küsters: Konrad Adenauer, die Presse, der Rundfunk und das Fernsehen, in: KarlGünther von Hase (Hg.): Konrad Adenauer und die Presse (Rhöndorfer Gespräche. Bd. 9). Bonn 1988, S. 13 – 31. 18 Vgl. Karl Holzamer: Konrad Adenauer und das Fernsehen, ebd., S. 84 – 89. 19 Vgl. den Standpunkt von Anneliese Poppinga in der Fachdiskussion des 23.Rhöndorfer Gesprächs im Jahr 2006, in: Tilman Mayer (Hg.): Medienmacht und Öffentlichkeit in der Ära Adenauer (Rhöndorfer Gespräche. Bd. 23). Bonn 2009, S. 187 f. 20 Vgl. Denise Lindsay: Peter Altmeier, https://www.kas.de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogrammdetail/-/content/peter-altmeier (Abruf: 1.4.2021). 21 Vgl. Wilke: Die Medienpolitik der Ära Kohl, S. 38, sowie Robert Grünewald: Medienordnung und Bundesstaat. Zur Medienpolitik der CDU in der Konstituierungsphase der Bundesrepublik Deutschland 1949 – 1969. Berlin 2005, bes. S. 311 . 22 Vgl. Privat-TV: „Gefährlicher als Kernenergie“, in: DER SPIEGEL, 1.10.1979, S. 21 f. 23 Grundsatzprogramm der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. Verabschiedet auf dem 26.Bundesparteitag Ludwigshafen, 23.– 25. Oktober 1978, Ziffer 123. 24 Vgl., auch zum Folgenden, Martin Falbisoner: Netzpolitik vor dem World Wide Web. Die CDU, das Kabelfernsehen und der Bildschirmtext, in: HPM 27 (2020), S. 153 – 180, daneben konzise Barthel

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Den ordnungspolitischen und infrastrukturellen Handlungsstau entschlossen zu beheben war dann auch ein Schwerpunkt der schwarz-gelben Regierung unter Helmut Kohl ab 1982 mit Christian Schwarz-Schilling als Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen bzw. Post und Telekommunikation (1982 – 1992).25 In mehrfacher Hinsicht wurden dabei entscheidende Hürden auf dem Weg in eine moderne Informationsgesellschaft genommen. Rasch als Erfolgsmodell erwies sich insbesondere die deutschlandweite Etablierung des Kabelfernsehens ab 1984, das die Bundesregierung gemeinsam mit den unionsgeführten Landesregierungen durchsetzte. Gerade der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Bernhard Vogel brachte sich dabei als Verantwortlicher des Kabelpilotprojekts Ludwigshafen entscheidend ein. Die CDU verfolgte insgesamt eine dreifache Zielrichtung. Zum Ersten wollte sie die Meinungshoheit der als überwiegend linkslastig empfundenen Kanäle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch Schaffung privater Konkurrenz durchbrechen und damit für mehr journalistische Ausgewogenheit sorgen. Zum Zweiten, dies darf bei aller machtpolitischen Motivation keinesfalls übersehen werden, widerstrebte es aber auch ihrem grundsätzlichen Gesellschaftsbild, dass private Anbieter vom Rundfunkmarkt weiterhin kategorisch ausgeschlossen blieben. Denn das ursprünglich bestehende Grundproblem einer terrestrischen Frequenzknappheit, welches das Paradigma der exklusiven öffentlich-rechtlichen Trägerschaft des bundesdeutschen Rundfunks mitdefiniert hatte, war inzwischen durch neue technische Optionen, wie eben dem kabelgebundenen Hörfunk- und Fernsehempfang, endgültig überwunden worden. Zum Dritten schließlich erkannte die CDU ebenfalls das enorme volkswirtschaftliche Potential, das eine Entfesselung des Rundfunkmarktes auslösen würde.26 Letzteres war auch einer der Gründe, warum die Regierung Kohl eine schrittweise Privatisierung der Bundespost einleitete, in deren Hand zugleich das für den Rundfunkmarkt strukturell zentrale Fernmeldewesen lag. Die behördlich geführte Bundespost war erkennbar immer weniger in der Lage, flexibel auf die Ansprüche sich rasant entwickelnder Geschäftsfelder zu reagieren. Die Ergebnisse einer 1985 eingesetzten „Regierungskommission Fernmeldewesen“ zur Neuordnung des deutschen Kommunikationssektors führten 1989 zum Poststrukturgesetz, das die Deutsche Bundespost in die eigenständigen Einheiten Postdienst, Postbank und Telekom gliederte. Der mit dieser „Postreform I“ eingeschlagene Weg mündete schließlich über die „Postreform II“ (1994) sowie die „Postreform III“ (1996) in einen vollständig liberalisierten deutschen Telekommunikationsmarkt. Dieser sollte dann letztlich auch genau die Dynamik entfalten, die unter der Kuratel eines staatlich geführten Monopolisten unmöglich war.27 Es erschien mithin unerlässlich, so erklärte die Regierung schon 1988 gegenüber dem Bundestag, „den ordnungspolitischen Rahmen an die veränderten Marktbedingungen anzupassen und Schölgens: Medienpolitik, in: Winfried Becker u. a. (Hg.): Lexikon der Christlichen Demokratie in Deutschland. Paderborn u. a. 2002, S. 594. 25 Vgl. Wilke: Die Medienpolitik der Ära Kohl, S. 38 f.; Christian Schwarz-Schilling: Der Neuerer hat Gegner auf allen Seiten. Eine Bilanz, in: HPM 9 (2002), S.  177 – 193 u. Judith Michel: Christian Schwarz-Schilling, https://www.kas.de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/ christian-schwarz-schilling-v1 (Abruf: 1.4.2021). 26 Vgl. Falbisoner: Netzpolitik vor dem World Wide Web, hier bes. S. 156 – 165 u. Bernhard Vogel: Der Kampf um die neue Medienordnung. Initiativen und Innovationen, in: HPM 9 (2002), S. 169 – 175, hier bes. 171 f.; zur Person Vogels siehe prägnant Markus Lingen: Bernhard Vogel, https://www.kas.de/de/ web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/bernhard-vogel-v1 (Abruf: 1.4.2021). 27 Vgl. Falbisoner: Netzpolitik vor dem World Wide Web, S. 173.

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die vorhandenen institutionellen Gegebenheiten neu zu strukturieren, um ihnen mehr Flexibilität, Marktnähe und Innovationsfähigkeit zu verleihen“28. Dass sich dabei das Bekenntnis zur gebotenen Freiheit des Marktes und ein Festhalten am tradierten Wertekanon keineswegs gegenseitig ausschließen, veranschaulicht nicht zuletzt die programmatische Fortentwicklung der CDU. Im entsprechend mit „Freiheit in Verantwortung“ betitelten Hamburger Grundsatzprogramm von 1994 wurde mit Nachdruck die Bedeutung einer auf den „Dienst am Menschen bezogenen Medienethik“ betont. In „ihrem Mittelpunkt muß die Ehrfurcht vor dem Leben, die Unantastbarkeit der Würde des Menschen, Toleranz und Bereitschaft zum Dialog stehen“.29 Auch kulturpolitisch wurden in der Ära Kohl neue Akzente gesetzt und dabei vor allem die identitätsstiftende Rolle des Bundes geschärft. Für den in historischen Kategorien denkenden Kanzler war aktive Erinnerungskultur in gleichzeitig nationaler wie europäischer Perspektive ein politisches Postulat. Insbesondere die Begründung des Bonner „Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ (1986) und des Berliner „Deutschen Historischen Museums“ (1987) stieß dabei allerdings auf teils vehemente Kritik, medial wie seitens der Opposition. Und doch erscheint die 1998 unter Kohls sozialdemokratischem Nachfolger Gerhard Schröder erfolgende Institutionalisierung des Amtes des „Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien“ ohne das von der CDU gelegte Fundament kaum vorstellbar.30 Zu dessen 20-jährigem Bestehen im Oktober 2018 unterstrich Bundeskanzlerin Angela Merkel die Bedeutung von Kultur und Medien für „die Innovationskraft und Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft“. Beide seien „sozusagen systemrelevant“31. Dass dies immer in doppelter Hinsicht gilt, in gesellschaftlicher genauso wie wirtschaftspolitischer, konstatierte zudem bereits das 2007 in Hannover beschlossene CDU-Grundsatzprogramm „Freiheit und Sicherheit“. Es schlug angesichts eines global boomenden Informationsmarkts, der an Landes- wie Sprachgrenzen schon längst keinen Halt mehr machte, ostentativ den Bogen von Kultur und Medien zu struktur- und standortpolitischen Erwägungen: „Freie Medien sind ein wesentliches Element unserer demokratischen Ordnung, ein besonders schützenswertes Kulturgut und ein bedeutender Wirtschaftsfaktor mit einer herausgehobenen Verantwortung. In einer sich schnell wandelnden Medienwelt kommt es vor allem auf die Sicherung der Vielfalt 28 Die Reform des Post- und Fernmeldewesens in der Bundesrepublik Deutschland. Konzeption der Bundesregierung zur Neuordnung des Telekommunikationsmarktes vom 2. September 1988 (Bundestagsdrucksache 11/2855), S. 3. 29 Freiheit in Verantwortung. Grundsatzprogramm der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. Beschlossen vom 5.Parteitag Hamburg, 20.– 23. Februar 1994, Ziffer 64. 30 Zu Helmut Kohls geschichtspolitischem Grundverständnis siehe Horst Möller: Helmut Kohl – Geschichtsbewusstsein und Geschichtspolitik, in: HPM 27 (2020), S. 283 – 297; zum Beitrag Kohls für eine stärkere Akzentuierung der Bundeskulturpolitik siehe zusammenfassend Norbert Lammert: Die Kulturpolitik nach 1982, in: HPM 12 (2005), S. 235 – 239; Anton Pfeifer: Die Kulturpolitik der Bundesregierung unter Helmut Kohl im Zeichen der deutschen und europäischen Einigung, ebd., S. 241 – 259 u. Oscar Schneider: Kulturpolitische Schwerpunkte in den 80er Jahren, ebd., S. 261 – 272; exemplarisch für geradezu polemische Kritik Karl-Heinz Krüger: Wie soll die Staatsvitrine aussehen?, in: DER SPIEGEL, 9.11.1986, S. 54 – 60. 31 Rede von Bundeskanzlerin Merkel zum 20-jährigen Bestehen des Amtes der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) am 29. Oktober 2018 in Berlin, https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/staatsministerin-fuer-kultur-und-medien/aktuelles/rede-von-bundeskanzlerin-merkel-zum-20-jaehrigen-bestehen-des-amtes-der-beauftragten-der-bundesregierung-fuer-kultur-und-medien-bkm-am-29-oktober-2018-1543444 (Abruf: 1.4.2021).

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und Qualität der Medieninhalte, aber auch auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Medienanbieter an.“32 Diese Maxime gilt unvermindert, ist Medienpolitik doch längst Infrastrukturpolitik geworden. Wenn die Bundesnetzagentur als Nachfolgerin des Postministeriums die Rahmenbedingungen einer Frequenzversteigerung für Mobilfunk definiert, so sind die Folgen für die Automobilindustrie mindestens genauso bedeutsam wie für die Anbieter klassischer, sich inzwischen immer konvergenter präsentierenden Medienkanäle. Deren primäre Plattform wird mehr und mehr die digitale Welt, wie im Übrigen auch die traditionelle Kulturarbeit durch das Internet ganz neue, partizipative Möglichkeiten entdeckt. Die Aufgabe der Politik und mithin der CDU wird künftig vor allem darin liegen, diesen rasanten Wandel weiterhin durch stete Rückkopplung an das eigene Wertegerüst diskursiv wie normativ zu begleiten. Schließlich gilt es immer wieder, zentrale Zielkonflikte zu moderieren. Dies ließ sich jüngst etwa anhand der Debatte um das Leistungsschutz- und Urheberrecht im Internet veranschaulichen, die gesamtgesellschaftlich genauso kontrovers geführt wurde wie in den Reihen der CDU selbst. Nicht zuletzt in ihrer Außenwahrnehmung geriet die Christdemokratie jedoch insbesondere seit Mitte 2019 unter erheblichen Druck, fand sie sich doch gerade seitens der aktiven, mehrheitlich jugendlichen Netzcommunity offener Kritik ausgesetzt, die im Kern in Abrede stellte, dass es die CDU gegenwärtig überhaupt noch vermag, zukunftsgerichtete Netzpolitik zu betreiben.33 Als entscheidend für die künftige kultur- und medienpolitische Schlagkraft der Christdemokratie dürfte sich somit erweisen, inwieweit sie sich dauerhaft in die Lage versetzen kann, auch in diesem Politikfeld positiv besetztes Agenda-Setting zu betreiben.34 Sie darf sich hierbei freilich stets ihrer eigenen Erfolgsgeschichte vergegenwärtigen, war es doch in erster Linie immer die CDU, die die medienpolitischen Rahmenbedingungen der Bundesrepublik Deutschland optimistisch und vorausschauend geprägt hat.

Daten • Juni 1945: Die „Kölner Leitsätze“ postulieren die Freiheit der Kultur • September 1945: Die „Frankfurter Politischen Leitsätze“ skizzieren den Rahmen freiheitlich-demokratischer Medien • 14. Oktober 1949: Antrag auf „Vorlage eines Gesetzentwurfs gegen Schmutz und Schund“ der CDU/CSU-Fraktion • 9. Juni 1953: Das „Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften“ wird verabschiedet • 28. Februar 1961: Die „Deutschland-Fernsehen GmbH“ wird vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt • 1. April 1963: Sendebeginn des Zweiten Deutschen Fernsehens 32 Freiheit und Sicherheit. Grundsätze für Deutschland. Das Grundsatzprogramm der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. Beschlossen vom 21.Parteitag Hannover, 3.– 4. Dezember 2007, Ziffer 133. 33 Vgl. Laura Backes u. a.: Kinder der Apokalypse, in: DER SPIEGEL, 1.6.2019, S. 12 – 21, sowie Andreas Hoidn-Borchers u. a.: Ihr von Gestern! Wir von Morgen!, in: STERN, 6.6.2019, S. 24 – 33. 34 Vgl. mit weiteren Hinweisen Ralf Fücks: Kampf um die Mitte – Perspektiven und Koalitionsoptionen der Union, in: Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union, S. 165 – 180, hier 174 f.

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• Oktober 1978: Das Grundsatzprogramm „Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit“ fordert Medienpluralismus und privaten Rundfunk • 1. Januar 1984: Start des Kabelfernsehens in Deutschland • 1. Juli 1989: Mit Inkrafttreten des Poststrukturgesetzes beginnt die sukzessive Privatisierung der Deutschen Bundespost • 21. September 1989: Spatenstich des „Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ in Bonn • Februar 1994: Das Grundsatzprogramm „Freiheit in Verantwortung“ definiert medienethische Maßgaben • Dezember 2007: Das Grundsatzprogramm „Freiheit und Sicherheit“ betont die volkswirtschaftliche Bedeutung eines leistungsfähigen Mediensektors

Forschungs- und Quellenlage Eine große Gesamtdarstellung zur Kultur- und Medienpolitik der CDU fehlt. Immerhin sind sowohl die Ära Adenauer als auch die Ära Kohl in kultur- wie medienpolitischen Fragen zumindest hinsichtlich einiger zentraler Aspekte gut erforscht. Wesentliche Erkenntnisse erbrachten dabei insbesondere die im Anschluss auch publizierten Beiträge zu den Kolloquien „Rhöndorfer Gespräche“ im Jahr 1987 35 sowie „Die Ära Kohl im Gespräch“ im Jahr 200136 beziehungsweise im Jahr 2004 37. Allerdings mangelt es insbesondere an Untersuchungen zur jüngsten Parteigeschichte. Aufgrund der hochgradigen Heterogenität der möglichen kultur- wie medienpolitischen Fragestellungen zeigt sich die Quellenlage insgesamt als überaus disparat. Relevante Überlieferungen finden sich somit in einer Vielzahl an Beständen auf der Ebene der Kommunal- und Landesarchive wie des Bundesarchivs und des Archivs für Christlich-Demokratische Politik (ACDP) der Konrad-Adenauer-Stiftung. Letzteres verfügt nicht zuletzt über Vor- und Nachlässe zentraler Protagonisten kultur- und medienpolitischen Handelns auf allen Ebenen – und durch sein Medienarchiv darüber hinaus auch über einzigartige audiovisuelle Bestandsgruppen.

35 Hase (Hg.): Konrad Adenauer und die Presse. 36 Die Medienpolitik der 80er Jahre, in: HPM 9 (2002), S. 161 – 225. 37 Kulturpolitik in der Regierungszeit von Bundeskanzler Helmut Kohl, in: HPM 12 (2005), S. 233 – 283.

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Die Sozialpolitik der CDU Kathrin Zehender Sozialpolitik in der Ära Adenauer Die Folgen des Zweiten Weltkriegs waren verheerend, sodass in den ersten Nachkriegsjahren zunächst die Wiedererrichtung der Sozialversicherung sowie die Linderung der schlimmsten Kriegsfolgen im Mittelpunkt aller sozialpolitischen Bemühungen standen. Dabei galt es, auch den enormen sozialen Sprengstoff, der sich aus dieser Situation ergab, zu entschärfen.1 In seiner ersten Regierungserklärung am 20. September 1949 betonte Konrad Adenauer: „Das Streben nach Linderung der Not, nach sozialer Gerechtigkeit, wird der oberste Leitstern bei unserer gesamten Arbeit sein.“2 Wie aber in der Sozialen Marktwirtschaft die soziale Komponente ausgestaltet werden sollte, ob Wirtschafts- und Sozialpolitik gleichwertig sein sollten oder ob die Wirtschaftspolitik Vorrang vor der Sozialpolitik haben sollte, war in der CDU umstritten. So war die Sozialpolitik der Partei seit ihrer Gründung geprägt von den politischen Grundströmungen, die sie in sich vereinigte. Auf der einen Seite setzten sich nach 1945 Vertreter des Gewerkschaftsflügels um Karl Arnold und Jakob Kaiser für einen „christlichen Sozialismus“, der die Vergesellschaftung von Schlüsselindustrien vorsah, und einen ausgedehnten Sozialstaat ein. Sie trugen das Erbe der Christlichen Gewerkschaften in die CDU, organisierten sich in den Sozialausschüssen und bekannten sich zu den Werten der katholischen Soziallehre: Personalität, Solidarität und Subsidiarität.3 Auf der anderen Seite gab es Vertreter aus protestantischen Kreisen, die wirtschaftsnahe Vorstellungen in die CDU brachten. Die Väter der Sozialen Marktwirtschaft um Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack vertraten dabei die Ansicht, dass die Wirtschaftspolitik der Sozialpolitik übergeordnet sein müsse und sozialpolitische Maßnahmen nur zur Bewältigung von Notlagen angebracht seien.4 Spannungen zwischen dem Gewerkschaftsflügel und dem liberalen Wirtschaftsflügel gehörten 1 Vgl. Manfred G. Schmidt: Sozialpolitik in Deutschland. Historische Entwicklung und internationaler Vergleich. 3. Aufl. Wiesbaden 2005, S. 73 f. Vgl. dazu auch Hans Günter Hockerts: Der deutsche Sozialstaat. Entfaltung und Gefährdung seit 1945 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft. Bd. 199). Göttingen 2011, S. 23 – 28; Wolfgang Schroeder: Die Sozialpolitik der Union: Christdemokratische Sozialpolitik im Wandel der Zeit, in: Norbert Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU. München 2020, S. 657 – 700, hier 669 ff. 2 BT Plenarprotokoll 01/5, S. 23. 3 Vgl. Holger Wiemers: Die Entwicklung der Sozialpolitik in der Bundesrepublik 1966 – 1975. Programme, Akteure, Ergebnisse (Kölner Schriften zur Sozial- und Wirtschaftspolitik. Bd. 35). Regensburg 1999, S. 186 ff. Vgl. dazu auch Rudolf Uertz: Christentum und Sozialismus in der frühen CDU. Grundlagen und Wirkungen der christlich-sozialen Ideen in der Union 1945 – 1949 (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Bd. 43). Stuttgart 1981. 4 Vgl. Frank Bösch: Macht und Machtverlust. Die Geschichte der CDU. Stuttgart u. a. 2002, S. 12 – 22; Dominik Geppert: Die Ära Adenauer (Geschichte kompakt). 3. Aufl. Darmstadt 2012, S. 23 f.

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zu den Konstanten der Ära Adenauer und flammten auch in der weiteren Geschichte der Partei immer wieder auf. Für Konrad Adenauer waren Wirtschafts- und Sozialpolitik eng miteinander verknüpft. Immer wieder erklärte er, dass eine gute Wirtschaftspolitik Grundvoraussetzung für jede Sozialpolitik sei. In seiner ersten Regierungserklärung betonte der Bundeskanzler, dass „die beste Sozialpolitik eine gesunde Wirtschaftspolitik ist, die möglichst vielen Arbeit und Brot gibt“.5 Gleichwohl wusste er um die enormen gesellschaftlichen Herausforderungen, die es zu bewältigen galt. Der soziale Sprengstoff, den die Kriegsfolgen mit sich brachten, barg zudem die Gefahr, dass die junge Demokratie – ähnlich wie nach dem Ersten Weltkrieg – mit schweren Hypotheken belastet würde. Vor diesem Hintergrund befürwortete Adenauer immer wieder weitgehende sozialpolitische Maßnahmen, auch wenn finanz- und wirtschaftspolitische Bedenken dagegen sprachen.6 In der ersten Legislaturperiode gehörte zunächst der Wiederaufbau der Sozialversicherung zu den grundlegenden Aufgaben. Während sich Gewerkschaften, SPD und anfangs auch die Alliierten für den Aufbau einer Einheitsversicherung einsetzten, plädierten die bürgerlichen Parteien für die Wiedereinrichtung der gegliederten Sozialversicherung und setzten dies nach der ersten Bundestagswahl 1949 um.7 Auch die Arbeitsbeziehungen mussten neu geregelt werden. Anstelle der früheren christlichen, sozialdemokratischen und freien Richtungsgewerkschaften sollte eine große Einheitsgewerkschaft entstehen, deren Gründung von den westlichen Alliierten unterstützt wurde.8 So entstand 1949 der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) als Dachverband von 16 Einzelgewerkschaften. Parteipolitisch war er neutral, stand aber traditionell der SPD nahe. Für die Einhaltung der Neutralität kämpften indessen die Mitglieder der Sozialausschüsse der CDU, die im DGB vertreten waren.9 Nach der ersten Bundestagswahl entwickelte sich zwischen Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften ein kooperatives und am Konsens orientiertes Verhältnis. Dies zeigte sich nicht zuletzt an der Lohndisziplin der Gewerkschaften, die damit nicht unwesentlich zum wirtschaftlichen Aufschwung beitrug. Nach der Bildung der kleinen Koalition aus CDU/CSU, FDP und Deutscher Partei (DP) unter Konrad Adenauer stellten sie zudem frühere Forderungen nach Vergesellschaftung der Großbetriebe und Einführung einer zentral geplanten Bedarfsdeckungswirtschaft erst einmal zurück und konzentrierten sich stattdessen auf ein anderes Ziel: die Mitbestimmung der Arbeitnehmer.10 Aus Sicht des DGB und unterstützt von der SPD sollten die 1947 in der britischen Zone erlassenen Bestimmungen zur paritätischen Mitbestimmung in der Eisen- und 5 Adenauers Regierungserklärung am 20. September 1949, BT Plenarprotokoll 01/5, S. 26. 6 Vgl. dazu Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und die Soziale Marktwirtschaft. Adenauer (Rhöndorfer Ausgabe). Bearb. von Holger Löttel. Paderborn 2019, S. 19 – 25. 7 Vgl. Hans Günter Hockerts: Sozialpolitische Entscheidungen im Nachkriegsdeutschland. Alliierte und deutsche Sozialversicherungspolitik 1945 bis 1957 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 1). Stuttgart 1980, S. 426 – 431. 8 Vgl. Theodor Eschenburg: Jahre der Besatzung 1945 – 1949 (Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in fünf Bänden. Bd. 1). Stuttgart 1983, S. 210 ff. Vgl. dazu auch Michael Schneider: Kleine Geschichte der Gewerkschaften. Ihre Entwicklung in Deutschland von den Anfängen bis heute. 2. Aufl. Bonn 2000, S. 236 – 258. 9 Vgl. Eschenburg: Jahre der Besatzung, S. 213 ff. Vgl. dazu auch Schroeder: Sozialpolitik, S. 670 f. 10 Vgl. Hans-Peter Schwarz: Die Ära Adenauer. Gründerjahre der Republik. 1949 – 1957 (Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in fünf Bänden. Bd. 2). Stuttgart 1981, S. 127 ff.

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Stahlindustrie auf die gesamte Großindustrie übertragen werden. Innerhalb der Regierung war die Frage jedoch umstritten. Während der Wirtschaftsflügel und das Bundeswirtschaftsministerium die Ausweitung auf die Kohleindustrie ablehnten, unterstützte der Arbeitnehmerflügel der CDU die Forderungen von SPD und Gewerkschaften. Im Januar 1951 spitzte sich der Konflikt weiter zu. Auch Konrad Adenauer lehnte das Vorhaben ab, wollte jedoch eine Eskalation vermeiden und erreichte mit dem DGB-Vorsitzenden Hans Böckler, zu dem er stets ein gutes und respektvolles Verhältnis pflegte, eine Einigung. Das am 10. April vom Deutschen Bundestag verabschiedete Montanmitbestimmungsgesetz sah erstmals vor, Arbeitgeber und Arbeitnehmer paritätisch im Aufsichtsrat zu beteiligen.11 Für den sozialen Frieden in der Bundesrepublik hatte die Einigung zwischen Adenauer und Böckler große Bedeutung. Gleichwohl blieb die Mitbestimmungsfrage in der CDU zwischen den Sozialausschüssen und dem Wirtschaftsflügel auch in Zukunft heftig umstritten. Nicht weniger herausfordernd war die Unterstützung und Integration der rund zehn Millionen deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen aus den ehemaligen Ostgebieten sowie der etwa 1,5 Millionen Flüchtlinge aus der SBZ bzw. der DDR. Ihre Eingliederung gehörte zu den größten innenpolitischen Herausforderungen der Nachkriegszeit.12 Ein erster Meilenstein war das vom Wirtschaftsrat der Bizone erlassene Soforthilfegesetz von 1949 zur Linderung der existentiellen Not. Das im August 1952 verabschiedete Lastenausgleichsgesetz wurde zum Hauptinstrument zur Entschädigung und Eingliederung der Vertriebenen und Bombenkriegsgeschädigten und machte die Bewältigung der Kriegsfolgen zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe. Verluste an Haus- und Grundvermögen und an Betriebsvermögen sowie nicht in den Währungsausgleich einbezogene Geldvermögen und immateriellen Vermögenselementen sollten im Rahmen der sogenannten Hauptentschädigung ausgeglichen werden. Die Höhe der Entschädigung wurde dabei aber nicht proportional zum Verlust festgelegt, sondern nach einer stark degressiven Formel. Die Finanzierung erfolgte über eine Ausgleichsabgabe, die sich aus einer Vermögensabgabe, einer Hypothekengewinnabgabe und einer Kreditgewinnabgabe zusammensetzte. Die Besitz- und Vermögensstruktur blieb damit weitgehend erhalten. Die Gesamtleistungen des Lastenausgleichs bezifferte das Bundesausgleichsamt zum 1. Januar 2002 auf rund 127 Milliarden DM.13 Mit dem Ende der ersten Legislaturperiode waren die dringendsten Probleme der Nachkriegszeit angegangen. Eine Vielzahl an Maßnahmen, oftmals noch unkoordinierte und improvisierte Einzelgesetze, hatte dazu beigetragen, die schlimmste Not zu lindern. Dazu gehörten das Wohnungsbaugesetz (1950), das Heimkehrergesetz (1950), das Bundesversorgungsgesetz (1950) oder das Bundesvertriebenengesetz und das Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung von Verfolgten des Nationalsozialismus (1953).14 Übereinstimmung herrschte zwischen Regierung und Opposition, dass nun aber die Zeit des „Flickwerks“ vorbei und eine umfassend geplante Reform der Sozialleistungen notwendig sei. Gleichwohl waren einer Zusammenarbeit enge Grenzen gesetzt. So plädierte die 11 Vgl. Geppert: Ära Adenauer, S. 65 f. 12 Vgl. ebd., S. 70. Vgl. dazu auch Andreas Kossert: Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945. München 2008, S. 87 – 109. 13 Vgl. Geppert: Ära Adenauer, S. 71 f.; Schwarz: Ära Adenauer, S. 166 f. 14 Vgl. Rudolf Morsey: Die Bundesrepublik Deutschland. Entstehung und Entwicklung bis 1969 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte. Bd. 19). 4. Aufl. München 2000, S. 47 und 49 ff.

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SPD grundsätzlich für steuerfinanzierte Fürsorge, während die CDU dem beitragsfinanzierten Versicherungssystem den Vorrang geben wollte.15 Der Wirtschaftsaufschwung und die gute Beschäftigungslage sowie die Unterzeichnung des Londoner Schuldenabkommens 1953, mit dem der Bundesrepublik ein Teil ihrer Schulden erlassen wurde, lieferten die finanzielle Grundlage für weitere sozialpolitische Maßnahmen.16 Vor diesem Hintergrund kündigte Adenauer nach seiner Wiederwahl zum Bundeskanzler im Oktober 1953 eine große Sozialreform an. Während vom wirtschaftlichen Aufstieg bislang in erster Linie die im Arbeitsleben Stehenden profitiert hätten, sollten nun Maßnahmen erfolgen, durch die die wirtschaftliche Lage der Rentner, Invaliden, Waisen und Hinterbliebenen verbessert würde.17 Eine Gesamtreform wurde im Laufe der Legislaturperiode jedoch immer unwahrscheinlicher, sodass Adenauer beschloss, nur eine Teilreform umzusetzen, die sich zunächst auf die Renten beschränken sollte.18 Im Herbst 1955 wurden die Ideen für eine Rentenreform konkret. Angeregt durch das Konzept des Kölner Privatdozenten Wilfried Schreiber, unterstützte der Bundeskanzler die Idee eines Solidarvertrags zwischen den Generationen, wonach die jeweils Erwerbstätigen für die Renten der vorhergehenden Generation aufkommen sollten. Zudem sollte die Rente „dynamisch“ sein, das heißt an die Entwicklung der Löhne angepasst werden. Sie sollte nicht mehr nur Lohnersatz sein, sondern den erreichten Lebensstandard erhalten.19 Was Adenauer und Bundesarbeitsminister Anton Storch überzeugte, löste bei Wirtschaftsminister Ludwig Erhard und Finanzminister Fritz Schäffer große Bedenken aus. Sie wiesen auf die hohen Kosten, die nicht kalkulierbare demographische Entwicklung und den ungewissen Konjunkturverlauf hin.20 Die Befürworter der Reform, einschließlich Adenauer, betrachteten die Risiken vor dem Hintergrund der guten Beschäftigungslage und des Wirtschaftswachstums aber als vertretbar und setzten die Reform gegen die Widerstände in den eigenen Reihen durch. Mit den Stimmen der SPD und gegen FDP und DP wurde die Einführung der dynamischen Rente am 21. Januar 1957 beschlossen, nur wenige Monate vor der dritten Bundestagswahl, bei der die Union die absolute Mehrheit errang. Bis heute gilt die Einführung der dynamischen Rente als herausragende sozialpolitische Leistung.21 Am Ende der Ära Adenauer konnte die Bundesrepublik auf eine beachtliche sozialpolitische Bilanz zurückblicken. Der Wohlstand kam breiten Bevölkerungsschichten zugute. Ausgleichende sozialpolitische Maßnahmen trugen wesentlich zur Akzeptanz und damit Stabilisierung der Demokratie bei. Nicht zuletzt schützte der Erfolg der Sozialpolitik vor kommunistischen Agitationen und zeigte, dass soziale Gerechtigkeit auch in einem marktwirtschaftlichen System möglich war. Zudem trug er auch zur Einhegung des rechtsradikalen Potentials bei. Gleichwohl hatte dies seinen Preis und blieb auch innerhalb der CDU nicht unumstritten. Insbesondere mit der Rentenpolitik begann eine

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Vgl. Hockerts: Sozialpolitische Entscheidungen, S. 431 f. Vgl. Schmidt: Sozialpolitik, S. 75. Zur Regierungserklärung Konrad Adenauers am 20. Oktober 1953 vgl. BT Plenarprotokoll 02/3, S. 13. Vgl. Schwarz: Ära Adenauer, S. 329 ff. Vgl. ebd., S. 331 f. Vgl. ebd., S. 333 f. Vgl. Schmidt: Sozialpolitik, S. 79 – 82; Hockerts: Sozialpolitische Entscheidungen, S. 434 f.; Geppert: Ära Adenauer, S. 122 f.

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neue Etappe der Sozialpolitik,22 die nicht mehr nur der Linderung existentieller Notlagen diente, sondern den Übergang zum Wohlfahrtsstaat markierte.23

Die 1960/70er Jahre: Sozialpolitik unter Erhard und Kiesinger und in der Opposition Die 1960er Jahre wurden zu einer Zeit des Übergangs. 1963 wurde mit Ludwig Erhard der Hauptrepräsentant des Wirtschaftsflügels der CDU Bundeskanzler. Er hatte stets vor einem Ausufern des Sozialstaats gewarnt. In seiner ersten Regierungserklärung am 18. Oktober 1963 erklärte Erhard, dass die materiellen Kriegsfolgen weitgehend überwunden und die Nachkriegszeit zu Ende sei. Er mahnte eine maßvolle Ausgabenpolitik an und erinnerte an die „Grenzen des Begehrens“.24 Auch die Gewerkschaften forderte Erhard auf, auf übermäßige Lohnforderungen zu verzichten, was mit Blick auf die Tarifautonomie mehrfach zu Konflikten führte.25 Innerhalb der Regierung gelang es Erhard nicht, sich mit seinen Maßhalteappellen gegen die Wünsche der Ressorts durchzusetzen und dem Bedürfnis nach kollektiver Absicherung entgegenzustellen. So wurde 1963 die Anhebung der Kriegsopferversorgung beschlossen, außerdem wurde das Kindergeld erhöht und der Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert. Auch das Wohngeld wurde 1965 weiter angehoben. 26 Dabei brachte das Jahr 1965 eine erste kleine Konjunkturdelle, die allerdings erhebliche psychologische Wirkungen hatte. Nach Jahren ungebremsten Aufschwungs kühlte sich die Konjunktur ab und erschwerte zumindest vorläufig weitere kostenintensive Maßnahmen.27 Mit dem wirtschaftlichen Umschwung schwand aber auch Erhards Autorität zunehmend. In Folge des Streits um den Ausgleich des Defizits im Bundeshauhalt zerbrach im Oktober 1966 die Koalition mit der FDP und Ludwig Erhard trat als Bundeskanzler zurück. Erstmals wurde unter Kurt Georg Kiesinger eine Große Koalition aus CDU/CSU und SPD gebildet, deren Fürsprecher insbesondere auf Seiten des Arbeitnehmerflügels der CDU zu finden waren. Die Sozialausschüsse vermochten es in der Allianz mit der SPD, auch in Zeiten der Rezession Kürzungen im Sozialbudget zu verhindern. Zudem setzten sie die innerparteilich heftig umstrittene Lohnfortzahlung für Arbeitnehmer im Krankheitsfall durch. Darüber hinaus wurden die Rentenversicherung weiterentwickelt und das Arbeitslosengeld und die Arbeitslosenhilfe erhöht.28 Konstruktiv entwickelte sich in dieser Konstellation das Verhältnis zu den Gewerkschaften. Mit seinem Düsseldorfer Programm hatte sich der DGB – ähnlich wie die SPD mit dem Godesberger Programm von 1959 – neu orientiert und auf den Boden der Sozialen Marktwirtschaft gestellt. Das Ziel konsensualer Arbeitsbeziehungen wurde damit 22 Vgl. Schmidt: Sozialpolitik, S. 84 – 87. 23 Vgl. Schwarz: Ära Adenauer, S. 327. 24 Zur Regierungserklärung Ludwig Erhards am 18. Oktober 1963 vgl. BT Plenarprotokoll 04/90, S. 4192 und 4199. 25 Vgl. Julia Angster: Die Bundesrepublik Deutschland 1963 – 1982 (Geschichte kompakt). Darmstadt 2012, S. 32. 26 Vgl. Morsey: Bundesrepublik, S. 73 und 87 f. 27 Vgl. ebd., S. 93 f. 28 Vgl. Schmidt: Sozialpolitik, S. 88 ff.; Wiemers: Sozialpolitik, S. 155 f.

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bekräftigt.29 Institutionalisiert wurde es zudem durch die im Rahmen des 1967 verabschiedeten Stabilitätsgesetzes eingerichtete „Konzertierte Aktion“, ein „runder Tisch“ aus Arbeitgebervertretern, Gewerkschaften, Politik, Bundesbank und Wissenschaftlern, der in regelmäßig stattfindenden Konsultationen Interessenkonflikte zwischen Arbeit und Kapital einvernehmlich lösen sollte.30 Die 1960er Jahre markierten schließlich auch die Verlagerung des Schwerpunkts von der Sozialpolitik hin zur Gesellschaftspolitik. Mit dem Arbeitsförderungsgesetz sowie dem Berufs- und Ausbildungsgesetz wurde die traditionelle Sozialpolitik um neue Aufgabenfelder ergänzt.31 Maßnahmen zur Vermögensbildung – ein bedeutender Aspekt der Sozialen Marktwirtschaft – sollten es breiten Bevölkerungsschichten ermöglichen, vom Wohlstand zu profitieren, Sparguthaben anzulegen und Wohneigentum zu erwerben.32 Mit der Bundestagswahl 1969 wurde die CDU/CSU – gleichwohl als stärkste Kraft – erstmals auf die harten Bänke der Opposition verwiesen. Mit dem Schock über den Verlust der Regierungsverantwortung ging in den folgenden Jahren ein Richtungsstreit einher, der sich nicht nur auf die Ostpolitik der neuen Bundesregierung erstreckte, sondern auch auf sozialpolitische Fragen. So stärkte die Reformeuphorie der sozialliberalen Koalition auch den Arbeitnehmerflügel in der CDU. Er nahm auf viele sozialpolitische Maßnahmen Einfluss, setzte sich mit eigenen Forderungen durch und trug somit zur Ausdehnung der Leistungen bei: bei der Einführung der Krankenversicherung für Landwirte, bei der Reform der Krankenversicherung, in der Vermögensbildung oder bei der Rentenreform 1972.33 Dabei bleib die Ausdehnung der Sozialleistungen in der CDU umstritten.34 In Folge des Ölschocks 1973 und der anschließenden Rezession endete jedoch die Reformeuphorie der sozialliberalen Ära abrupt. An einen weiteren Ausbau der Sozialleistungen war nicht mehr zu denken. Von nun an ging es in erster Linie um Bestandserhalt. Leistungskürzungen und Beitragserhöhungen in der Rentenversicherung führten 1976 zum „Rentendebakel“. Nach der Bundestagswahl 1976 musste die sozialliberale Bundesregierung eine große Finanzierungslücke in der Rentenversicherung eingestehen und die im Wahlkampf versprochene Rentenerhöhung verschieben. Die Union warf den Regierungsparteien daraufhin „Rentenbetrug“ vor.35 Dabei war die Wirtschaftskrise der 1970er Jahre keine vorübergehende Rezession, sondern leitete einen langfristigen Strukturwandel ein, der eine anhaltend hohe Sockelarbeitslosigkeit zur Folge hatte und somit auch die Sozialsysteme dauerhaft in Bedrängnis brachte.36 In der CDU waren die 1970er Jahre indessen von der programmatischen Erneuerung und Modernisierung der Partei geprägt, die sich mit dem Namen Helmut Kohls verbanden. Breiten Raum nahmen dabei auch sozialpolitische Fragen ein. Kernstück der 1975 verab29 30 31 32 33 34

Vgl. Angster: Bundesrepublik, S. 34 f. Vgl. ebd., S. 44 f. Vgl. ebd., S. 46. Vgl. Morsey: Bundesrepublik, S. 88. Vgl. Wiemers: Sozialpolitik, S. 162 ff.; Schmidt: Sozialpolitik, S. 92 – 95. Vgl. Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Sitzungsprotokolle 1969 – 1972 (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Vierte Reihe: Deutschland seit 1945. Bd. 11/VI). Bearb. von Kathrin Zehender. Düsseldorf 2016, S. 44 ff. 35 Vgl. dazu Wolfgang Jäger/Werner Link: Republik im Wandel 1974 – 1982. Die Ära Schmidt (Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in fünf Bänden. Bd. 5/2). Stuttgart 1987, S. 64 ff. 36 Vgl. Angster: Bundesrepublik, S. 77 ff.

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schiedeten Mannheimer Erklärung der CDU war die „Neue Soziale Frage“, mit der die Interessen nicht organisierter Bevölkerungsgruppen in den Mittelpunkt gerückt werden sollten: Arbeitslose, Frauen und Rentner. Der Begriff ging auf den rheinland-pfälzischen Sozialminister Heiner Geißler zurück, der 1977 Kurt Biedenkopf als Generalsekretär der CDU nachfolgen sollte.37 Unter Geißler, der hierbei stets von Helmut Kohl gefördert und unterstützt wurde, stärkte die CDU ihr soziales Profil deutlich, was parteiintern allerdings nicht unumstritten blieb. Zu Konflikten zwischen dem Wirtschafts- und dem Arbeitnehmerflügel kam es auch in Zusammenhang mit der Ausarbeitung des ersten Grundsatzprogramms der CDU. Kritik kam insbesondere vom früheren Generalsekretär Biedenkopf, der die wirtschaftspolitischen Artikel des Programmentwurfs beanstandete. Seine Äußerungen führten dazu, dass die entsprechenden Kapitel einer umfassenden Revision unterzogen wurden und ordoliberale Positionen stärkere Berücksichtigung fanden.38

Sozialpolitik in der Ära Kohl Am 1. Oktober 1982 wählte der Bundestag Helmut Kohl zum Bundeskanzler. In seiner ersten Regierungserklärung am 13. Oktober 1982 zeichnete er ein düsteres Bild der Lage. Kohl verwies auf die hohe Arbeitslosigkeit und insbesondere die rund 200.000 jugendlichen Arbeitslosen, die immense Schuldenlast des Bundes und die Haushaltslücke – 1983 fehlten rund 5,4 Mrd. DM im Etat – sowie die daraus folgende Krise der Sozialversicherung.39 Um diese zu überwinden, appellierte er an die Leistungsbereitschaft und die Selbstverantwortung der Menschen. Der Staat solle auf seine ursprünglichen Aufgaben zurückgeführt werden, den Menschen müsse mehr zugetraut und das Prinzip der Subsidiarität gestärkt werden.40 Die Konsolidierung der Sozialversicherung hatte somit in den ersten Jahren seiner Kanzlerschaft oberste Priorität. Um dieses Ziel zu erreichen, waren Einschnitte in der Rentenversicherung, der Krankenversicherung und der Arbeitslosenversicherung notwendig. Als Dringlichkeitsmaßnahmen beschloss die neue christlich-liberale Bundesregierung am 27. Oktober 1982 die Verschiebung der Rentenanpassung um ein halbes Jahr, die Staffelung der Leistungsdauer beim Arbeitslosengeld sowie die Kürzung von Unterhaltsleistungen. Besonders umstritten waren die Abschaffung des Schüler-BAföG sowie Kürzungen beim Kindergeld für einkommensstarke Familien.41 Begleitet wurden die Einschnitte von massiven Protesten der Opposition und der Gewerkschaften, die den „Sozialabbau“ der Regierung Kohl anprangerten. Auch in der CDU/CSU-Fraktion wurde Unmut laut, obwohl die Kürzungen moderat blieben.42 37 Bösch: Macht und Machtverlust, S. 35 f. 38 Vgl. Biedenkopf kritisiert CDU-Grundsatzprogramm, in: FAZ, 24.9.1977. Vgl. dazu auch Wulf Schönbohm: Die CDU wird moderne Volkspartei. Selbstverständnis, Mitglieder und Apparat 1950 – 1980 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 7). Stuttgart 1985, S. 143 f. 39 Vgl. BT Plenarprotokoll 09/121, S. 7213 f. 40 Vgl. ebd., S. 7224 f. 41 Vgl. Andreas Wirsching: Abschied vom Provisorium. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 1982 – 1990 (Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in sechs Bänden. Bd. 6). München 2006, S. 29. 42 Vgl. Schmidt: Sozialpolitik, S. 99 ff; Hans-Peter Schwarz: Helmut Kohl. Eine politische Biografie. München 2012, S. 332 ff.

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Der Konflikt um die Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes, mit der im Nachgang des Metallarbeiterstreiks von 1984 Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit an durch einen Streik von Kurzarbeit oder gar Arbeitslosigkeit betroffene Arbeitnehmer eingeschränkt wurden, blieb indessen der einzige nennenswerte Konflikt mit den Gewerkschaften.43 Kohl hatte trotz aller Konsolidierungsziele auch nie einen neoliberalen Abbau des Sozialstaats im Sinn, wie es beispielsweise in Großbritannien unter Margaret Thatcher der Fall war und Sozialstaatskritiker seit den 1970er Jahren auch für Deutschland forderten.44 Dies zeigte sich nicht zuletzt bei der Besetzung der Schlüsselministerien mit profilierten Sozialpolitikern wie Norbert Blüm (Arbeit und Sozialordnung) und Heiner Geißler (Jugend, Familie und Gesundheit), die beide für eine umfassend ausgebaute Sozialpolitik eintraten.45 Die Konsolidierungsmaßnahmen der Jahre 1983/84 zeigten indessen schon bald Wirkung und führten zu einem fühlbaren Rückgang der Sozialleistungsquote. Damit eröffnete sich ab Mitte der 1980er Jahre Spielraum für neue Impulse in der Sozialpolitik. Zum zentralen Angelpunkt und Markenzeichen der Unions-Sozialpolitiker wurde die Familienpolitik: Das Bundeserziehungsgeld und der Erziehungsurlaub wurden eingeführt. Geradezu revolutionär war die Anrechnung der Kindererziehungszeiten in der Rente, weil damit erstmals Familienarbeit mit außerhäuslicher Erwerbsarbeit gleichgesetzt wurde.46 Institutionelle Reformen strebte die Regierung bei der Kranken- und der Rentenversicherung an. In beiden Bereichen herrschte Einigkeit, dass Reformen dringend notwendig waren, um die Kostenspirale zu stoppen. Gleichzeitig war es aber gerade in der Gesundheitspolitik aufgrund des komplexen Interessengeflechts der verschiedenen Akteure besonders schwierig, umfassende Reformen zu verabschieden. Mit dem Gesundheitsreformgesetz von 1989 gelang es immerhin, die Kosten im Gesundheitswesen vorübergehend zu dämpfen, auch wenn damit noch keine grundlegende strukturelle Reform erreicht war. Die damit einhergehenden Leistungseinschränkungen und höheren Zuzahlungen lösten gleichwohl einen Proteststurm aus, der erneut bis in die eigenen Reihen hineinreichte.47 Weitgehender war die Rentenreform, die am 9. November 1989 vom Bundestag verabschiedet wurde und 1992 in Kraft treten sollte. Auch hier waren sich die verschiedenen Akteure darüber im Klaren, dass die „demographische Zeitbombe“ nicht länger ignoriert werden konnte. Dennoch kam es nicht zur Loslösung vom alten System, sondern lediglich zu einer behutsamen „Neujustierung“. Während es auch innerhalb der CDU Befürworter eines Wechsels vom lohn- und beitragsbezogenen Versicherungssystem hin zu einer kapitalgedeckten Grundsicherung gab, setzte sich Blüm mit seinem Kurs durch und fand dafür auch die Unterstützung Kohls.48 Die Erfolge, die die Regierung Kohl in der Sozialpolitik bis zum Vorabend der Deutschen Einheit erreichte, würdigte der Historiker Manfred G. Schmidt: „Bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen ging sie weiter als alle Vorgänger und weiter als die Sozialpolitik der meisten anderen Industrieländer in dieser Zeit. Hinzu kam der Einstieg in die 43 Vgl. Andreas Rödder: Die Bundesrepublik Deutschland 1969 – 1990 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte. Bd. 19A). München 2004, S. 87 f. 44 Vgl. Schwarz: Kohl, S. 333 f. 45 Vgl. Manfred G. Schmidt: Sozialpolitik 1982 – 1989, in: HPM 15 (2008), S. 241 – 254, hier 247. 46 Vgl. Schmidt: Sozialpolitik, S. 100 ff.; Schwarz: Kohl, S. 336 f. 47 Vgl. Wirsching: Provisorium, S. 349 – 355. 48 Ebd., S. 358 f.

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institutionelle Reform der Sozialpolitik. Gemessen an den Zielen der Regierung Kohl war beides ein Erfolg.“49 Mit dem Fall der Mauer und der Deutschen Einheit stand die Sozialpolitik vor ihrer größten Herausforderung seit Gründung der Bundesrepublik. Die Konsolidierungstendenz der Vorwendezeit brach damit abrupt ab, die Sozialleistungsquote stieg erneut stark an und erreichte 1996/97 den Höchststand seit Gründung der Bundesrepublik.50 Mit der Wiedervereinigung wurde das westdeutsche Sozialsystem auf die neuen Länder übertragen – eine Entscheidung, die umstritten, politisch jedoch geboten war, um die Abwanderung aus der früheren DDR in die westdeutschen Länder zu stoppen und den Umbruch sozial abzufedern. Diese „Herkulesaufgabe“, zu der auch der Aufbau einer funktionsfähigen Sozialverwaltung in den neuen Ländern gehörte, meisterte Kohl mit seiner Sozialpolitik gleichwohl „bravourös“.51 Das Vorgehen der Bundesregierung war nach Ansicht des Historikers Gerhard A. Ritter angesichts der Dynamik des Wiedervereinigungsprozesses und der politischen Konstellation alternativlos.52 Massiv unterschätzt wurden dabei jedoch die Folgekosten. So stieg die Arbeitslosigkeit nach einem kurzen Wiedervereinigungsboom in den neuen Ländern dramatisch an, auch wenn der expansive Einsatz arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen eine noch höhere Arbeitslosenquote verhindern konnte.53 Die Hoffnung, dass ähnlich wie nach dem Zweiten Weltkrieg ein langanhaltendes „Wirtschaftswunder“ eintreten würde, erfüllte sich vorerst nicht.54 Die vor der Wende weitgehend bewältigte „latente Krise“ des Sozialstaats wurde so durch die Wiedervereinigung erneut massiv verschärft,55 hinzu kam eine weltweite Rezession.56 Zu den großen sozialpolitischen Neuerungen dieser Jahre gehörte die Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung als fünfte Säule der deutschen Sozialversicherung. Sie sollte der gestiegenen Lebenserwartung und dem damit einhergehenden größeren Risiko der Pflegebedürftigkeit Rechnung tragen. Bedenken wegen der Finanzierung machten insbesondere der Wirtschaftsflügel der CDU, aber auch der Koalitionspartner FDP geltend. Sie bevorzugten eine privatwirtschaftliche, kapitalgedeckte Pflegeversicherung. Blüm plädierte hingegen für eine zu gleichen Teilen durch Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer umlagefinanzierte Pflichtversicherung wie auch schon in anderen Zweigen der Sozialversicherung und setzte sich damit weitgehend durch. Mit den Stimmen der SPD wurde die Pflegeversicherung 1994 verabschiedet.57 Die auch nach der Bundestagswahl 1994 anhaltend hohe Arbeitslosigkeit, die steigenden Kosten für die Rentenversicherung, die Finanzierung der Einheit und die Mittel für den Aufbau der Pflegeversicherung machten weitere umfassende Konsolidierungs49 Schmidt: Sozialpolitik 1982 – 1989, S. 253. 50 Vgl. Hans Günter Hockerts: Einführung zu: Die Ära Kohl im Gespräch: VIII. Die Sozialpolitik vor und nach der Wiedervereinigung, in: HPM 15 (2008), S. 233 – 240, hier 239. 51 Schmidt: Sozialpolitik, S. 102. 52 Vgl. Gerhard A. Ritter: Sozialpolitik im Prozess der Wiedervereinigung, in: HPM 5 (2008), S. 255 – 270, hier 256 und 263; Ders.: Der Preis der deutschen Einheit. Die Wiedervereinigung und die Krise des Sozialstaats. München 2006, S. 293 – 298. 53 Vgl. Schmidt: Sozialpolitik, S. 107. 54 Ritter: Sozialpolitik im Prozess der Wiedervereinigung, S. 265; Schmidt: Sozialpolitik, S. 102 f. 55 Ritter: Sozialpolitik im Prozess der Wiedervereinigung, S. 256. 56 Vgl. Bösch: Macht und Machtverlust, S. 62 f. 57 Vgl. Ritter: Preis der deutschen Einheit, S. 332 – 337.

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maßnahmen notwendig. Dabei setzte die Bundesregierung erneut auf mehr Eigenverantwortung und Selbstvorsorge und einen „schlanken Staat“.58 Unter dem Titel „Mut zum Umdenken – Kraft zur Erneuerung“ kündigte Kohl in seiner Regierungserklärung am 23. November 1994 an, den Sozialstaat umzubauen, für die Zukunft wetterfest zu machen und – vor dem Hintergrund der Debatte über den Standort Deutschland – mit der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit in Einklang zu bringen.59 Die immer weiter steigenden Sozialabgaben hatten Arbeit in Deutschland teuer gemacht und gefährdeten nun ebenfalls Arbeitsplätze.60 Als weiterer Faktor traten die bevorstehende Einführung des Euro und die damit verbundenen Konvergenzkriterien hinzu. Die Bundesrepublik musste die Arbeitslosigkeit senken, um die Kosten der Sozialversicherungen reduzieren und damit auch ihre Finanzen stabilisieren zu können.61 Mit einem „Bündnis für Arbeit“ versuchte Kohl, gemeinsam mit Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften den Umschwung einzuleiten, doch gelang es letztlich nicht, sich auf konkrete Konzepte zu einigen.62 Auch das „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung“ von 1996 sollte die Arbeitslosigkeit senken. Zu dieser Zeit verschlechterten sich jedoch die Beziehungen zu den Gewerkschaften und es kam zur Aufkündigung des Bündnisses. Die im Programm vorgesehenen Maßnahmen – die Herabsenkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf 80 Prozent sowie die Lockerung des Kündigungsschutzes – lösten einmal mehr einen Proteststurm von Seiten der Gewerkschaften und der SPD aus. Kohl verfolgte dennoch weiter mit großem Eifer sein Reformprogramm – vor dem Hintergrund der Blockadehaltung der SPD im Bundesrat, die hier eine Mehrheit hatte, ein oft aussichtsloses Unterfangen. Unter anderem setzte der Bundeskanzler eine Reformkommission zur Zukunft der sozialen Sicherungssysteme ein und trieb die Arbeiten an einer weiteren Gesundheitsreform voran. „Denkverbote“, so Kohl, sollte es dabei nicht geben.63 Der sozialpolitische Kurs, den Kohl in diesen Jahren umsetzte, brachte der CDU den Ruf ein, die Partei der „sozialen Kälte“ zu sein.64 In Großbetrieben führten die Maßnahmen zu Protesten.65 Innerparteilich waren die Sozialausschüsse in der Defensive. Andererseits wurde dem Bundeskanzler aus Wirtschaftskreisen und auch dem liberalen Wirtschaftsflügel der CDU vorgeworfen, die Reformen seien nicht weitgehend genug.66 Die Proteststürme, die Kohls Politik zur Folge hatte, resümiert dagegen der Historiker Hans Günter Hockerts, passten nicht zu den Vorwürfen, es habe unter Kohl in den 1990er Jahren nur „sehr schüchterne Reformversuche“ gegeben.67

58 59 60 61 62 63 64 65 66 67

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Schwarz: Kohl, S. 766. Zur Regierungserklärung am 23. November 1994 vgl. BT Plenarprotokoll 13/5, S. 45. Vgl. Schmidt: Sozialpolitik, S. 103 ff. Vgl. Manfred G. Schmidt: Der deutsche Sozialstaat. Geschichte und Gegenwart. München 2012, S. 85; Hockerts: Entfaltung und Gefährdung, S. 347. Vgl. Schwarz: Kohl, S. 786 f. Vgl. ebd., S. 790 f. Vgl. Bösch: Macht und Machtverlust, S. 64 f. Vgl. Schmidt: Sozialpolitik, S. 106 f. Vgl. Schwarz: Kohl, S. 927. Hockerts: Einführung Ära Kohl, S. 239.

Die Sozialpolitik der CDU

In der Opposition Ungeachtet der wirtschaftlichen Lage beendete die erste rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder nach ihrem Wahlsieg 1998 den Reformkurs der Regierung Kohl, machte notwendige Leistungseinschränkungen insbesondere bei der Rentenversicherung rückgängig und beschloss verschiedene Leistungsverbesserungen.68 Ihr Ziel, die Arbeitslosigkeit zu senken, erreichte die Regierung Schröder nicht, vielmehr prägte die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit auch die zweite Regierungszeit und veranlasste Schröder bereits im Wahlkampf 2002, der Öffentlichkeit die Vorschläge der nach Peter Hartz benannten Kommission zu präsentieren, die seit Februar 2002 Ideen für eine Arbeitsmarktreform ausgearbeitet hatte. Im Kern ging es um die Senkung der Lohnnebenkosten, flexiblere Arbeitszeiten, die Bekämpfung der Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit sowie die Förderung von Existenzgründungen. Die aus den Vorschlägen der Kommission folgenden Gesetze wurden später als Hartz I bis IV bekannt,69 wobei Hartz IV mit der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum damals neuen Arbeitslosengeld II bis heute umstritten ist. Mehrfach wurden aufgrund der Rechtsprechung Neujustierungen nötig. Nach seiner Wiederwahl 2002 kündigte Schröder zudem weitere Leistungskürzungen an, die die Hartz-Gesetze ergänzen sollten. Mit der „Agenda 2010“ sollte ein umfassender Umbau der Sozialversicherung umgesetzt werden. Große Teile des Konzeptes wurden von den Oppositionsparteien unterstützt und auch von der Union, an deren Spitze seit 2000 Angela Merkel stand, aktiv mitgestaltet. Im Dezember 2003 wurde das gesamte Paket zunächst im Bundesrat, wo CDU und CSU inzwischen eine Mehrheit hatten, und dann im Bundestag beschlossen.70 Wenige Tage zuvor hatte die CDU auf ihrem Leipziger Parteitag einen Kurswechsel vollzogen und forderte nun harte Einschnitte und Reformen in der Renten- sowie in der Gesundheitspolitik. Merkel positionierte die CDU in der Folge als liberale Modernisierungspartei, was parteiintern jedoch nicht unumstritten blieb.

Sozialpolitik der Ära Merkel Mit dem Ergebnis der Bundestagswahl am 18. September 2005 war die Wunsch-Koalition der Union – ein Bündnis mit der FDP – nicht möglich und es wurde zum zweiten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik eine Große Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel gebildet.71 In ihrer Regierungserklärung am 30. November 2005 stellte sie sich in 68 So zum Beispiel im Bereich der Gesundheitspolitik. Vgl. dazu Manfred Krapf: Der deutsche Sozialstaat seit der Jahrhundertwende. Von den Reformen nach 2000 bis zur Gegenwart. Darmstadt 2019, S. 83. 69 Vgl. Schmidt: Sozialstaat. Geschichte und Gegenwart, S. 42; Kathrin Dümig: Ruhe nach und vor dem Sturm: Die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik der Großen Koalition, in: Christoph Egle/Reimut Zohlnhöfer (Hg.): Die zweite Große Koalition. Eine Bilanz der Regierung Merkel 2005 – 2009. Wiesbaden 2010, S. 279 – 301, hier 281 f. 70 Vgl. Schmidt: Sozialstaat. Geschichte und Gegenwart, S. 94 f.; Dümig: Arbeitsmarktpolitik der Großen Koalition, S. 294 f. 71 Vgl. Thomas Brechenmacher: Die CDU unter Angela Merkel (2000 – 2018), in: Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union, S. 81 – 135, hier 96 ff.

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die Kontinuität der Reformpolitik ihres Vorgängers Gerhard Schröder.72 Auch der Koalitionsvertrag sah vor, die Politik der Agenda 2010 fortzusetzen.73 Positiv wirkte sich dabei die überraschend schnelle Erholung auf dem Arbeitsmarkt aus, die jedoch von der Wirtschafts- und Finanzkrise seit Ende 2008 erneut bedroht wurde. Durch die massive Ausweitung des Kurzarbeitergeldes sowie die Verabschiedung von zwei Konjunkturpaketen gelang es aber, die Folgen der Krise abzufedern und nachhaltige Auswirkungen auf die Beschäftigungslage zu verhindern.74 In ihrer ersten Regierungserklärung hatte Merkel auch die Reform des Gesundheitsund des Rentensystems zu zentralen Anliegen erklärt.75 Bereits in der Oppositionszeit waren dazu auf ihre Initiative hin umfassende Konzepte erarbeitet worden. Im Oktober 2003 – im Vorfeld des Leipziger Parteitags – hatte eine unter dem Vorsitz des früheren Bundespräsidenten Roman Herzog tagende Kommission ihren Bericht vorgelegt. Die darin vorgeschlagenen Maßnahmen – höhere Eigenverantwortung der Versicherten im Gesundheitswesen, ein Prämienmodell statt der von der SPD favorisierten Bürgerversicherung, eine langfristige Umstellung der Pflegeversicherung vom Umlage- auf ein Kapitaldeckungsverfahren und eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre – wurden von der Vorsitzenden begrüßt, führten jedoch auch dazu, dass Merkel zunehmend als „Vorkämpferin einer radikal-liberalen Wende“ galt 76. Besonders die Sozialausschüsse kritisierten den in ihren Augen angeblich „neoliberalen“ Kurs und fürchteten um das sozialpolitische Profil der Partei. Die Vorschläge der Herzog-Kommission lehnten sie ab. Aber auch von der CSU kam starke Kritik.77 Kern der Auseinandersetzung war die sogenannte Kopfpauschale in der Krankenversicherung, ein Prämienmodell, nach dem jeder Versicherte unabhängig vom Einkommen eine monatliche Pauschale bezahlen sollte.78 In ihrem Koalitionsvertrag einigten sich CDU, CSU und SPD darauf, im Laufe des Jahres 2006 ein Konzept zu entwickeln, „das dauerhaft die Grundlage für ein leistungsfähiges, solidarisches und demografiefestes Gesundheitswesen sichert“.79 Es folgten jedoch zähe Monate, in denen die Parteien versuchten, ihre unterschiedlichen Ansätze in ein gemeinsames Reformkonzept zu gießen.80 Am 2. Februar 2007 konnte die Gesund72 Vgl. BT Plenarprotokoll 16/4 vom 30. November 2005, S. 78. 73 Gemeinsam für Deutschland – mit Mut und Menschlichkeit. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, https://www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/05_11_11_Koalitionsvertrag_Langfassung_navigierbar_0.pdf (Abruf: 11.11.2019). Sozialpolitische Kontinuität sieht auch Manfred G. Schmidt. Vgl. dazu ders.: Die Sozialpolitik der zweiten Großen Koalition (2005 – 2009), in: Egle/Zohlnhöfer (Hg.): Die zweite Große Koalition, S. 302 – 326. 74 Dümig: Arbeitsmarktpolitik der Großen Koalition, S. 291 ff. 75 Vgl. BT Plenarprotokoll 16/4 vom 30. November 2005, S. 78. 76 Hans-Peter Schwarz: Turbulenzen: die zweite Oppositionszeit 1998 – 2005, in: Ders. (Hg.): Die Fraktion als Machtfaktor. CDU/CSU im Deutschen Bundestag 1949 bis heute. Bonn 2010, S. 201 – 226, hier 220. 77 Stoiber: Auf die soziale Balance achten, in: FAZ, 8.10.2003; Mit der Härte der CSU hat Merkel nicht gerechnet, in: FAZ, 14.10.2003; CDU und CSU streiten über Sozialreformen, in: FAZ, 18.11.2003; „Sozial unausgewogen und nicht finanzierbar“, in: FAZ, 27.11.2003. 78 Vgl. Schwarz: Turbulenzen, S. 221 ff.; Gerd Langguth: Angela Merkel. Biografie. München 2005, S. 272 ff. 79 Gemeinsam für Deutschland – mit Mut und Menschlichkeit. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, https://www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/05_11_11_Koalitionsvertrag_Langfassung_navigierbar_0.pdf, S. 102 (Abruf: 11.11.2019). 80 Vgl. Hans-Peter Schwarz: In der zweiten Großen Koalition, 2005 – 2009, in: Ders. (Hg.): Die Fraktion als Machtfaktor, S. 229 – 252, hier 243; Langguth: Merkel, S. 351ff.; Anja Hartmann: Die Gesundheitsreform der Großen Koalition: Kleinster gemeinsamer Nenner oder offenes Hintertürchen?, in: Egle/

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heitsreform (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz) im Bundestag verabschiedet werden.81 Kern war der sogenannte Gesundheitsfonds als Kompromiss zwischen den politisch rivalisierenden Modellen der Bürgerversicherung und der Gesundheitsprämie,82 der die Finanzierung der Krankenkassen neu regelte und zu mehr Wettbewerb zwischen den Kassen beitragen sollte.83 Nach der Bundestagswahl 2009 übernahm mit Philipp Rösler erstmals ein FDP-Politiker die Leitung des Gesundheitsressorts. In dieser Zeit wurde die Finanzierung der Krankenkassen mit dem GKV-Finanzierungsgesetz erneut reformiert.84 Vor dem Hintergrund der zunehmend guten Beschäftigungslage entwickelten sich in den folgenden Jahren die Finanzen des Gesundheitsfonds überraschend positiv, sodass kein dringender Handlungsbedarf für weitere Reformen bestand.85 Stattdessen legte Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) in der zweiten Großen Koalition unter Merkel (2013– 2017) den Schwerpunkt auf die Verbesserung der medizinischen Versorgung, so mit dem Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und Prävention und dem Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung (beide 2015) sowie dem Krankenhausstrukturgesetz (2016).86 2012 wurde mit dem Pflegeneuausrichtungsgesetz auch die Pflegeversicherung weiterentwickelt. Damit sollten insbesondere die Leistungen für Demenzkranke und deren Angehörige verbessert werden. Zudem wurde eine staatlich subventionierte private Pflege-Zusatzversicherung eingeführt.87 Mit den seit 2013 verabschiedeten Pflegestärkungsgesetzen wurden der Pflegebegriff neu definiert, die Pflegestufen in fünf neue Pflegegrade umgewandelt und den Kommunen mehr Kompetenzen übertragen.88 Das Pflegeberufsreformgesetz sollte den Pflegeberuf attraktiver machen und den dort andauernden Fachkräftemangel beheben.89 Der Mangel an Fachkräften blieb indessen ein Problem, dem sich seit 2018 Bundesgesundheitsminister Jens Spahn intensiv widmete.90 Zu heftigen parteiinternen Diskussionen führte ein anderes Vorhaben: So wurde im Vorfeld der Bundestagswahl 2009 die Einführung eines allgemeinen, gesetzlichen MinZohlnhöfer (Hg.): Die zweite Große Koalition, S. 327 – 349, hier 329 ff. 81 Der Bundestag verabschiedet die Gesundheitsreform, in: FAZ, 3.2.2007. 82 Klaus-Dirk Henke: Gesundheitspolitik als Kunst des Möglichen, in: FAZ, 17.2.2007; Manfred G. Schmidt: Die Sozialpolitik der zweiten Großen Koalition (2005 bis 2009), in: Egle/Zohlnhöfer (Hg.): Die zweite Große Koalition. S. 302 – 326, hier 309 f. 83 Vgl. Krapf: Sozialstaat seit der Jahrhundertwende, S. 88 ff. Vgl. dazu auch Union in Deutschland, Nr. 26/2006, 10. Oktober 2006, S. 1ff.; So funktioniert der Gesundheitsfonds, in: FAZ, 5.7.2006. 84 Vgl. Manfred G. Schmidt: Die Sozialpolitik der CDU/CSU-FDP-Koalition von 2009 bis 2013, S. 397 – 426, hier 399 – 402; Nils C. Bandelow/Anja Hartmann: Gesundheitspolitik unter schwarz-gelber Führung: begrenzte Erklärungskraft der Parteiendifferenz in einem vermachteten Politikfeld, in: Reimut Zohlnhöfer/Thomas Saalfeld (Hg.): Politik im Schatten der Krise. Eine Bilanz der Regierung Merkel 2009 – 2013, Wiesbaden 2015, S. 427 – 449, hier 437 ff. 85 Vgl. Nils C. Bandelow/Anja Hartmann/Johanna Hornung: Selbstbeschränkte Gesundheitspolitik im Vorfeld neuer Punktuierungen, in: Reimut Zohlnhöfer/Thomas Saalfeld (Hg.): Zwischen Stillstand, Politikwandel und Krisenmanagement. Eine Bilanz der Regierung Merkel 2013 – 2017. Wiesbaden 2019, S. 445 – 467, hier 447 f. 86 Vgl. ebd., S. 452 – 459. 87 Vgl. Bandelow/Hartmann: Gesundheitspolitik unter schwarz-gelber Führung, S. 443. 88 Vgl. Bandelow/Hartmann/Hornung: Gesundheitspolitik, S. 455 f. 89 Vgl. ebd., S. 456. 90 Koalition will 13.000 neue Pflegestellen, in: Die Welt, 24.5.2018; Bundestag stellt Geld für mehr Pflegestellen bereit, in: FAZ, 10.11.2018; In der Pflege geht es um alles, in: FAZ, 14.11.2019.

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destlohns diskutiert, den die CDU damals mehrheitlich ablehnte.91 Zum einen, weil die Aushandlung von Löhnen unter die Tarifautonomie falle, zum anderen wurde befürchtet, dass ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn Arbeitsplätze gefährde. Stattdessen favorisierte die CDU einen Kombi-Lohn, mit dem niedrige Einkommen aufgestockt werden sollten.92 Einen ersten Schritt in Richtung Mindestlohn trug die CDU schließlich aber doch widerstrebend mit: Am 22. Januar 2009 beschloss der Bundestag, im Arbeitnehmerentsendegesetz für weitere Branchen Lohnuntergrenzen festzuschreiben.93 Ihre Position weichte die CDU in den folgenden Jahren weiter auf und näherte sich damit der Position der Sozialausschüsse an, die sich schon vorher für einen Mindestlohn ausgesprochen hatten. Zwar blieb die CDU dabei, keinen gesetzlichen Mindestlohn zu beschließen, doch wurden auf Initiative von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen weitere Branchen in das Entsendegesetz aufgenommen.94 2013 wurde das Thema im Zuge der Koalitionsverhandlungen mit der SPD erneut diskutiert. Im Koalitionsvertrag einigte man sich schließlich auf die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro für das gesamte Bundesgebiet.95 Bis zur Verabschiedung des Mindestlohngesetzes im Bundestag am 3. Juli 2014 kam es jedoch immer wieder zu parteiinternen Auseinandersetzungen um mögliche Ausnahmeregelungen und die genaue Ausgestaltung, zum Beispiel bei Praktikanten oder Saisonarbeitern.96 Problematisch blieb zudem, dass der Staat mit dem Mindestlohn den Preis von Arbeit festsetzt, was im Widerspruch zu ordoliberalen Grundsätzen steht. Zudem warnten viele CDUPolitiker vor einem politischen Überbietungswettbewerb, bei dem die Höhe des Mindestlohns Wahlkampfthema werde und sich auch deshalb von den Preisrealitäten immer weiter entferne. Auch die verschiedenen Reformen zur Rentenversicherung blieben nicht ohne parteiinternen Widerspruch. Den Auftakt bildete die Verschiebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre,97 die vor dem Hintergrund des enormen Handlungsbedarfs von der Großen Koalition – trotz Kritik in den eigenen Reihen und massiver Proteste von Seiten der Gewerkschaften – im Frühjahr 2007 verabschiedet wurde.98 Wurde die Rente mit 67 von Seiten der Wirtschaft als notwendige Maßnahme zur Stabilisierung des Rentensystems gelobt, verabschiedete die Große Koalition ab 2013 ein Rentenpaket, das eine erneute Ausweitung der Leistungen und die Rücknahme vorheriger Einschnitte vorsah: So beschloss der Bundestag 2014 auf Drängen der SPD die abschlagsfreie Rente mit 63 für 91 Beck macht Mindestlohn-Einigung fast unmöglich, in: FAZ, 12.6.2007. 92 Vgl. Union in Deutschland, Nr. 26/2006, 10. Oktober 2006, S. 4 f.; Dümig: Arbeitsmarktpolitik der Großen Koalition, S. 287. 93 Zusätzlich zum Baugewerbe, Gebäudereinigern und Postdienstleistern wurden nun auch Wachdienste, die Altenpflege und die Entsorgungswirtschaft in das Entsendegesetz aufgenommen. Vgl. dazu Schmidt: Sozialpolitik 2005 – 2009, S. 307. 94 Vgl. Kerstin Schwenn: Schwarz-rot-gelber Mindestlohn, in: FAZ, 24.4.2010. 95 Deutschlands Zukunft gestalten. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, https://www.cdu. de/sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf, S. 49 (Abruf: 12.11.2019). 96 Vgl. Linda Voigt: Let the good times roll. Eine Bilanz der Sozialpolitik der dritten Großen Koalition 2013 – 2017, in: Zohlnhöfer/Saalfeld (Hg.): Zwischen Stillstand, Politikwandel und Krisenmanagement, S. 423 – 428. 97 Gemeinsam für Deutschland – mit Mut und Menschlichkeit. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/05_11_11_Koalitionsvertrag_Langfassung_ navigierbar_0.pdf?file=1&type=field_collection_item&id=543, S. 96 f. (Abruf: 21.11.2019). 98 Vgl. Schmidt: Sozialpolitik 2005 – 2009, S. 310 ff.

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Versicherte, die 45 Jahre Beitragsjahre vorweisen konnten. Gleichzeitig wurde die Ausweitung der Anrechnung von Kindererziehungszeiten auf vor 1992 geborene Kinder vereinbart. Diese „Mütterrente“ war im Bundestagswahlkampf ein Kernanliegen der CSU gewesen und Bedingung für deren Zustimmung zum Koalitionsvertrag. Als Zugeständnis an den Wirtschaftsflügel der Union, der die geplanten Leistungsausweitungen besonders kritisch sah, wurde die sogenannte „Flexirente“ beschlossen, die den Übergang vom Erwerbsleben zur Rente flexibler gestalten sollte. Ergänzt wurden die Maßnahmen durch Verbesserungen in der Erwerbsminderungsrente.99 Schon in der Koalition mit der FDP (2009 – 2013) hatte die damalige Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen zudem eine „Zuschussrente“ beziehungsweise „Lebensleistungsrente“ angestrebt, mit der die Altersarmut bekämpft und kleine Renten langjähriger Beitragszahler aufgebessert werden sollten. Sie konnte sich mit ihrem Konzept jedoch nicht durchsetzen.100 Auch in der darauffolgenden Koalition mit der SPD (2013 – 2017) gelang es nicht, sich auf ein Konzept zu einigen, obwohl der gemeinsame Koalitionsvertrag 2013 die Einführung einer „solidarischen Lebensleistungsrente“ für Geringverdiener ausdrücklich vorsah.101 Die Idee blieb somit auf der Agenda und wurde nach der erneuten Regierungsbildung mit der SPD 2018 wiederum im Koalitionsvertrag festgehalten.102 Da hier als Voraussetzung für das Bestehen einer „Grundrente“ eine Bedürftigkeitsprüfung vorgesehen war, kam es in den folgenden Monaten zu einer intensiven Debatte um die Umsetzung einer solchen Prüfung.103 Im Herbst 2019 drohte der Streit um die Grundrente die Koalition zu sprengen, sodass sich Merkel für einen Kompromiss einsetzte, der in der Partei und in der Bundestagsfraktion jedoch umstritten blieb. Dabei verwies sie auf administrative Probleme bei der Durchführung einer umfassenden Bedürftigkeitsprüfung und plädierte dafür, nur Einkommen, nicht aber Vermögen zu prüfen.104 Sowohl die Junge Union als auch die Mittelstandsunion kritisierten aber weiter, dass mit einer Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung das Sozialstaatsprinzip in Frage gestellt sei.105 Am 10. Dezember 2019 gelang der Koalition die Einigung: Zum 1. Januar 2021 wurde die Grundrente auf Basis einer Einkommensprüfung eingeführt.106

Ausblick Angela Merkel wurde nach ihrer Wahl zur CDU-Bundesvorsitzenden 2002 zunächst vom linken Parteiflügel wegen ihres vermeintlich „neoliberalen“ Kurses kritisiert. Den mit der 99 Vgl. Voigt: Let the good times roll, S. 432 ff. 100 Von der Leyens Rentenreform gerät ins Stocken, in: FAZ, 26.1.2012; Manfred G. Schmidt: Die Sozialpolitik der CDU/CSU-FDP-Koalition von 2009 bis 2013, S. 397 – 426, hier 419. 101 Deutschlands Zukunft gestalten. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. https://www.cdu. de/sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf, S. 52. (Abruf: 18.11.2019). 102 Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. https://www.cdu.de/system/tdf/media/ dokumente/koalitionsvertrag_2018.pdf?file=1, S. 92. (Abruf: 18.11.2019). 103 Einigung bei Grundrente nicht in Sicht, in: Die Welt, 28.9.2019. 104 Robin Alexander: Grundrente: Merkel für Kompromiss mit SPD, in: Die Welt, 6.11.2019. 105 Robin Alexander: JU und Wirtschaftsflügel wollen Grundrente mit Trick stoppen, in: Die Welt, 20.11.2019. 106 Ansgar Graw: Einigung unter Schmerzen: GroKo beschließt Grundrente, in: Die Welt, 11.11.2019.

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Herzog-Kommission und dem Leipziger Parteitag 2003 beschrittenen Weg ordoliberaler Reformen verließ sie in den folgenden Jahren jedoch. Später wurde ihr deshalb der Vorwurf gemacht, die CDU zu „sozialdemokratisieren“.107 Dafür können drei Gründe ausgemacht werden: Zum einen hatte das enttäuschende Ergebnis bei der Bundestagswahl 2005 zu der Einsicht geführt, dass die Wähler liberalisierungsfreundliche Programme und weitere Reformen nicht goutieren. Nach den einschneidenden Hartz-Reformen, die vor dem Hintergrund der hohen Arbeitslosigkeit parteiübergreifend befürwortet worden waren, herrschte nun eine gewisse Reformmüdigkeit.108 Hinzu kamen koalitionäre Zwänge: In der Großen Koalition wollte keine der beiden großen Sozialstaatsparteien CDU und SPD sich dem Vorwurf der „sozialen Kälte“ aussetzen. Stattdessen waren beide bestrebt, ihr soziales Profil zu schärfen. Möglich war dies drittens vor dem Hintergrund der sich positiv entwickelnden Konjunktur und der damit einhergehenden sinkenden Arbeitslosigkeit, wodurch der finanzielle Spielraum für eine expandierende Sozialpolitik gegeben war. Von einem Ab- oder Rückbau des Sozialstaats in der Bundesrepublik kann deshalb nicht die Rede sein. Dabei stellte auch Bundeskanzlerin Merkel in den letzten Jahren immer wieder fest, dass sich die Bundesrepublik einen Sozialstaat leiste, der über die Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft hinausgehe. Im Zuge der COVID-19-Pandemie wurden 2020 jedoch umfassende sozialpolitische Maßnahmen beschlossen, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise abzufedern. Auch wenn deren Folgen für die Zukunft bisher nur schwer abzuschätzen sind, trug doch die Finanzkonsolidierung der vorangegangenen Jahre dazu bei, dass die weitgehenden sozialpolitischen Maßnahmen überhaupt möglich sind. Doch gerade auch vor diesem Hintergrund wird es in der CDU in Zukunft mehr denn je darauf ankommen, einen angemessenen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen zu finden und Prioritäten mit Bedacht zu setzen.

Meilensteine in der Sozialpolitik 1950 1951 1952 1953 1957 1956 1961 1969 1972 1985

Wohnungsbaugesetz Montanmitbestimmungsgesetz Lastenausgleichsgesetz, Betriebsverfassungsgesetz Bundesvertriebenengesetz Rentenreform (Einführung der dynamischen Rente), Studentenförderung („Honnefer Modell“) Gesetz über Lohnfortzahlung im Krankheitsfall Bundessozialhilfegesetz, Vermögensbildungsgesetz („312-DM-Gesetz“) Arbeitsförderungsgesetz Rentenreform (Einführung der flexiblen Altersgrenze; Öffnung der Rentenversicherung für Hausfrauen und Selbständige) Erziehungsgeld, Rentenreform (Anrechnung von Erziehungszeiten)

107 Bereits am Ende der ersten Regierungszeit Merkels sieht Manfred G. Schmidt „ein erhebliches Maß an Sozialdemokratisierung“. Vgl. dazu ders.: Sozialpolitik 2005 – 2009, S. 307. Ähnlich urteilte er vier Jahre später. Vgl. ders.: Sozialpolitik 2009 – 2013, S. 413 f. 108 Vgl. Schmidt: Sozialpolitik 2005 – 2009, S. 308 f.

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1986 1989 1990 1992

Erziehungsurlaub Gesundheitsreformgesetz Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion mit der DDR Rentenreform (Rentenanpassung gemäß Nettolohnentwicklung; Anhebung der Altersgrenze auf 65 Jahre) 1993 Gesundheitsstrukturgesetz 1995 Einführung der Pflegeversicherung 1996 Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz; Entsendegesetz 2002/2003 Verabschiedung der Hartz-Gesetze 2007 Gesundheitsreform (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz), Rentenreform (Anhebung der Altersgrenze auf 67 Jahre) 2010 Gesundheitsreform (GKV-Finanzierungsgesetz) 2012 Pflegeneuausrichtungsgesetz 2014 – 2016 Verabschiedung der Pflegestärkungsgesetze 2014 Mindestlohngesetz, Rentenreform (Ausweitung der Anrechnung von Erziehungszeiten und abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren für langjährig Versicherte) 2015 Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und Prävention; Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung; Verabschiedung der Mietpreisbremse 2016 Krankenhausstrukturgesetz 2019 Einigung der Koalition auf eine „Grundrente“

Forschungs- und Quellenlage Zahlreiche Historiker haben sich in den vergangenen Jahrzehnten intensiv mit den verschiedenen Bereichen der Sozialpolitik der CDU seit 1945 befasst.109 Weitgehend Konsens herrscht über die Bedeutung der Sozialpolitik der Ära Adenauer für die Stabilisierung der Bundesrepublik. Auch in der Beurteilung der Schattenseiten der Expansion der Sozialpolitik, die in den 1970er Jahren ihren Höhepunkt erreichte, besteht ein Grundkonsens. Positiv beurteilt wird der Konsolidierungskurs, den Helmut Kohl nach der Regierungsübernahme 1982 zunächst einleitete. Kontroversen gibt es hingegen über den Umgang mit den Folgen der Wiedervereinigung: zum einen mit Blick auf die Übertragung der Sozialsysteme auf die DDR, zum anderen wird in der Forschung die Frage diskutiert, ob Kohls Reformen – insbesondere nach 1994 – angemessen waren oder ob er hier hätte mutiger agieren müssen.110 Während der Zeitraum bis 1998 gut erforscht ist, gibt es bislang nur wenige historische Arbeiten zur Sozialpolitik der Ära Merkel. Naturgemäß befasst sich die Literatur in erster Linie mit der Politik der Bundesregierung, während die Positionen der CDU in der Opposition – zum Beispiel zu den Hartz-Reformen der rot-grünen Koalition – und ihre eigenen programmatischen Initiativen – wie die Arbeit der Herzog-Kommission – nur 109 Darunter Hans Günter Hockerts und Gerhard A. Ritter sowie der Politikwissenschaftler Manfred G. Schmidt. 110 Vgl. dazu Ritter: Der Preis der deutschen Einheit.

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wenig Beachtung finden. In der Presse sowie in politikwissenschaftlichen Arbeiten wird insbesondere die Entwicklung der CDU von einem liberalen Kurs hin zur vermeintlichen „Sozialdemokratisierung“ – als Folge der verschiedenen Koalitionen mit der SPD – diskutiert.111

111 Siehe Anm. 107.

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Familien- und Generationenpolitik Jan Philipp Wölbern Familienpolitik Die Förderung von Familien gehört im Selbstverständnis der CDU seit ihrer Gründung zum Markenkern der Partei. In den vergangenen sieben Jahrzehnten hat sich das der Familienpolitik zugrundeliegende Leitbild, was eigentlich unter dem Begriff „Familie“ zu verstehen sei und wie ihr Verhältnis zum staatlichen Ganzen aussehen solle, sowohl in der Gesellschaft insgesamt als auch in der Programmatik und praktischen Familienpolitik der Partei gewandelt.1 Der Blick auf die Aspekte Rollenverständnis der Partner und Stellenwert von Kindern in den Parteiprogrammen der CDU verdeutlicht diese Entwicklung. So vertraten die Frankfurter Leitsätze von 1945 das religiös und christlich-naturrechtlich begründete Ideal der bürgerlichen (Klein)Familie auf Basis der Ehe zwischen Mann und Frau, eine klassische Rollenverteilung zwischen ihnen und des Vorhandensein von Kindern zum Leitbild der Familienpolitik. Es lässt eine starke Anlehnung an die Wurzeln „christliche Werte, katholische Soziallehre und bürgerliches Familienbild“ erkennen 2: „Der neue Staat muss alles tun, um die Ehe zu erhalten und ihre gottgegebene Würde […] zu befestigen. […] Ihr Lebensbund entfaltet […] sich nach dem ihm innewohnenden Gesetz der Natur […] zu einer mit Kindern gesegneten Familie. […] Der Mann muss […] das Haupt der Familie sein […], die Frau das Herz.“3 Die gesellschaftlichen Veränderungen mit Blick auf die Gleichberechtigung der Frau spiegelten sich im Berliner Programm von 1971 wider, in welchem nunmehr vom Leitbild der „partnerschaftlichen Familie“ die Rede war.4 Das Ludwigshafener Grundsatzprogramm von 1978 konkretisierte diesen Begriff schließlich dahingehend, dass sich Mann und Frau „ihre Aufgaben in Familie, Beruf, Gesellschaft und Freizeit gleichberechtigt vereinbaren“. Auch war erstmals von „Familien mit nur einem Elternteil“ die Rede.5 Fortan galten auch Alleinerziehende als Familie, was nicht zuletzt eine Forderung der Frauenvereinigung der CDU gewesen war.6 Auch mit Blick auf die sich abzeichnenden demographischen Alterungsprozesse forderte die CDU ausdrücklich eine „familien- und kinderfreundliche Haltung“ ein.7 1 Leitbilder der Familienpolitik sind eng verbunden mit der Frauenpolitik, die hier nur am Rande berücksichtigt werden kann (vgl. die Beiträge von Ina vom Hofe und Kathrin Zehender in diesem Band). 2 Sören Messinger/Yvonne Wypchol: Moderne CDU? Programmatischer Wandel in der Schul- und Familienpolitik. Stuttgart 2014, S. 211. 3 Zit. nach Michael Borchard/Wolfgang Tischner (Hg.): Soziale Marktwirtschaft. Eine Quellensammlung zu ausgewählten Begriffen aus den Programmen der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands. Berlin u. a. 2018, S. 90 f. 4 Ebd., S. 94. 5 Ebd., S. 94 f. 6 Frank Bösch: Macht und Machtverlust. Die Geschichte der CDU. München 2002, S. 246 f. 7 Quellensammlung Soziale Marktwirtschaft, S. 94.

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Das Hamburger Grundsatzprogramm von 1994 hielt ausdrücklich an der Ehe als „Leitbild der Gemeinschaft von Frau und Mann“ fest, forderte aber Respekt für „nichteheliche Partnerschaften“, jedoch ohne eine „rechtliche Gleichstellung mit der Ehe“.8 Das Grundsatzprogramm Hannover von 2007 schließlich legte ohne Exklusivität eines Partnerschaftsmodells fest, dass „Familie überall dort“ sei, „wo Eltern für Kinder und Kinder für Eltern dauerhaft Verantwortung tragen“; aber auch in kinderlosen Ehen übernähmen die Partner „dauerhaft füreinander Verantwortung“.9 Zwar verwies das Programm nach wie vor auf die Ehe als „Leitbild der Gemeinschaft von Mann und Frau“, zollte freilich „alle(n), die Kindern Leben schenken und in anderer Weise Familie leben […], Respekt und Anerkennung“.10 Insgesamt dokumentieren die Programme, wie die Volkspartei CDU gesellschaftliche Entwicklungen nachvollzogen hat und ihr programmatisches Verständnis von Familie pluraler, liberaler oder auch „moderner“ geworden ist.11 Dabei hält sie nach wie vor am bürgerlichen Idealbild einer Familie fest, die aus einer Ehe zwischen Frau und Mann besteht und in der Kinder aufwachsen, doch ist dies kein exklusives Modell mehr, sondern die „beste“ Variante unter mehreren. Zur Förderung von Familien stehen dem Staat die Instrumente Recht, Geld und Kommunikation zur Verfügung.12 Welche familienpolitischen Forderungen stellte die CDU beziehungsweise konnte sie tatsächlich in der praktischen Politik umsetzen? Grundsätzlich lassen sich drei Phasen unterscheiden: In der ersten Phase, der Regierungszeit der CDU/CSU-geführten Bundesregierung von 1949 bis 1969, initiierte die Union wegweisende familienpolitische Leistungen. Der erste Bundesminister für Familienfragen, Franz-Josef Wuermeling (1953 – 1962), etablierte die Familienpolitik „als eigenständigen Politikbereich“13. So verabschiedete der Bundestag 1952 das Mutterschutzgesetz, das eine mehrwöchige Schutzfrist für Mütter einführte, die vor der Geburt ihres Kindes in einem Arbeitsverhältnis standen. 1954 folgte das Kindergeldgesetz, das ab dem dritten Kind die Zahlung von 25 DM vorsah.14 1961 wurde die Leistung auf das zweite und alle weiteren Kinder ausgedehnt; auch waren die steuerlichen Freibeträge bis dahin schrittweise deutlich angehoben worden.15 Rechtlich basierte die Familienpolitik auf dem Modell der Versorgerehe, in dem ausschließlich der Mann berufstätig ist. Mit Blick auf das o.g. Kriterium Kommunikation signalisierte der erste Familienbericht der Bundesregierung zur „Lage der Familien in Deutschland“16 von 1968 den Stellenwert, den die Union der Familienpolitik beimaß. 8 9 10 11 12

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Ebd., S. 96 f. Ebd., S. 98. Ebd., S. 97 f. Messinger/Wypchol: Familienpolitik, S. 212. Ursula Münch: Familienpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Maßnahmen, Defizite, Organisation familienpolitischer Staatstätigkeit. Freiburg i. Br. 1990, S. 146 ff., zit. nach Irene Gerlach: Familienpolitik. 2. Aufl. Wiesbaden 2010, S. 141. Stefan Marx: Biogramm Franz-Josef Wuermeling, https://www.kas.de/de/statische-inhalte-detail/-/content/wuermeling-franz-josef (Abruf: 16.7.2020). §4, Abs. (1) des Gesetzes über die Gewährung von Kindergeld und die Errichtung von Familienausgleichskassen (Kindergeldgesetz) vom 13. November 1954, Bundesgesetzblatt Teil I, Jg. 1954, 15. November 1954, Nr. 37. Ebd. Gerlach: Familienpolitik, S. 169, insbes. Anm. 95.

Familien- und Generationenpolitik

In der zweiten Phase, während der programmatischen Erneuerung und Modernisierung der CDU in der Phase der Opposition im Bund, wurden auch in der Familienpolitik neue Wege eingeschlagen, vor allem mit Blick auf das bisher dominierende Leitbild der Frau als Hausfrau und Mutter. Besonders die Vorsitzenden der Frauenvereinigung der CDU, Aenne Brauksiepe und Helga Wex, setzten sich für das neue Leitbild der Wahlfreiheit ein, mit dem sowohl Hausfrauen wie berufstätige Mütter angesprochen werden sollten.17 Im Ergebnis des Bundesparteitags in Essen 1985 wurden „Partnerschaft und Wahlfreiheit“ schließlich die neuen Leitbegriffe der Frauen- und damit indirekt auch der Familienpolitik der CDU.18 In dieser zweiten Phase war die Partei bereits mit ihrem ersten Grundsatzprogramm von Ludwigshafen 1978 „explizit für eine stärkere staatliche Hilfe“ für Familien eingetreten.19 Nach der Regierungsübernahme Helmut Kohls 1982 wurden zwar zunächst Kürzungen auch im Bereich der Familienleistungen vorgenommen. Seit Mitte der 1980er Jahre unter der Ägide von Bundesfamilienminister Heiner Geißler sowie seiner Nachfolgerinnen im Amt Rita Süssmuth, Ursula Lehr und Angela Merkel wurden jedoch die Leistungen wieder spürbar verbessert: So wurden bei der Rentenberechnung Erziehungszeiten anerkannt, das Kindergeld und der Kinderfreibetrag erhöht sowie 1986 das Erziehungsgeld eingeführt.20 Die dritte Phase umfasst die weitreichenden Veränderungen in der Familienpolitik während der Kanzlerschaft Angela Merkels. In ihrer Amtszeit als Bundesfamilienministerin (2005 – 2009) rückte unter Ursula von der Leyen der Ansatz, die Erwerbstätigkeit von Müttern und die (staatliche) Kinderbetreuung zu fördern, mit einigen Neuregelungen stärker in den Mittelpunkt.21 So zielte das Kinderförderungsgesetz 2008 auf den Ausbau der Kinderbetreuung auch für unter Dreijährige.22 Ein weiterer Meilenstein war die Einführung des Elterngeldes zum 1. Januar 2007,23 mit dem die Union erstmals „eine Maßnahme befürwortet[e], die die Erwerbstätigkeit im Rahmen der Familienpolitik in den Vordergrund stellt“.24 Nicht zuletzt aus diesem Grund waren die Gesetzesvorhaben in der Union umstritten. Vor allem die von der Schwesterpartei CSU forcierte Einfüh17 Ina vom Hofe: Die Frauenpolitik der CDU. Traditionen – Entwicklungen – Einflüsse 1945 bis 2013. Sankt Augustin u. a. 2017, S. 105 f., 135 f. Zu Brauksiepe und Wex siehe Christopher Beckmann: Biogramm Aenne Brauksiepe, https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/aenne-brauksiepe-v1 (Abruf: 9.6.2021) und Denise Lindsay: Biogramm Helga Wex, https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/helga-wex (Abruf: 9.6.2021). 18 Ebd., S. 119. 19 Bösch: Geschichte der CDU, S. 40. 20 Ebd., S.  51 f. Zu den genannten Personen siehe Jan Philipp Wölbern: Biogramm Heiner Geißler, https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/heiner-geissler (Abruf: 9.6.2021); Andreas Grau: Biogramm Rita Süssmuth, https://www.kas.de/de/web/geschichteder-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/rita-suessmuth-v1 (Abruf: 9.6.2021); David Maaß: Biogramm Ursula Lehr, https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/ursula-lehr-v1 (Abruf: 9.6.2021); Hanns Jürgen Küsters/Michael Borchard: Biogramm Angela Merkel, https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/angelamerkel-1 (Abruf: 9.6.2021). 21 Christine Bach: Biogramm Ursula von der Leyen, https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/ursula-von-der-leyen-1 (Abruf: 9.6.2021). 22 Vom Hofe: Frauenpolitik, S. 126, 253, 260. 23 Gesetz zur Einführung des Elterngeldes vom 5. Dezember 2006, Bundesgesetzblatt Jahrgang 2006 Teil I Nr. 56, ausgegeben zu Bonn am 11. Dezember 2006. 24 Ebd., S. 251.

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rung des Betreuungsgeldes 2012 sollte demgegenüber den hergebrachten Grundsatz der Wahlfreiheit stärken, die „Familienarbeit in den Fokus“ stellen und an die frauen- und familienpolitische Tradition der alten Bundesrepublik anknüpfen.25

Generationenpolitik Ziel der CDU-Generationenpolitik ist laut dem Grundsatzprogramm von 2007 „Solidarität zwischen den Generationen“ sowie „Generationengerechtigkeit“.26 Sichtbarster Ausdruck dieser Solidarität ist die Idee des Generationenvertrags. Er liegt dem System der dynamischen Rente zugrunde, die mit der Rentenreform der Regierungskoalition unter Bundeskanzler Konrad Adenauer 1957 eingeführt wurde. Dadurch profitierte die ältere Generation in viel stärkerem Maße als jemals zuvor vom wirtschaftlichen Aufschwung. Die Rentenreform war damit „das populärste Gesetz, das je in der alten Bundesrepublik verabschiedet wurde“.27 Die Stabilität des Generationenvertrags geriet jedoch mit dem sich seit Mitte der 1960er Jahre abzeichnenden demographischen Wandel zunehmend unter Druck. Einerseits stieg die Lebenserwartung, was vor allem auf die medizinischen Fortschritte sowie die Verbesserung der generellen Lebens- und Arbeitsbedingungen zurückzuführen war. Andererseits gingen die Geburtenzahlen stetig zurück. In den 1960er und 1970er Jahren vollzog sich daher allmählich eine grundlegende Verschiebung im Generationengefüge der (west-)deutschen Gesellschaft. Da das Renteneintrittsalter nicht an die längere Lebenserwartung angepasst, das heißt angehoben wurde, entstand zudem eine neue Generation der „Senioren“, „jungen Alten“ oder „neuen Alten“. Damit sind ältere Menschen gemeint, die oft „gebildet, gesund, vital, voll leistungsfähig, finanziell gut situiert, konsumerfahren und konsumfreudig“ sind.28 Ein Alleinstellungsmerkmal der CDU war und ist bis heute, dass sie als Volkspartei der gesellschaftlichen Mitte mit der Gründung einer eigenen Senioren-Organisation auf den demographischen Großtrend einer alternden Gesellschaft reagierte. Seit Ende der 1960er Jahre enthielten die Parteiprogramme Ankündigungen über Reformvorhaben mit Blick auf die Gruppe der Senioren. In den 1970er Jahren, verstärkt unter dem Einfluss Heiner Geißlers, rheinland-pfälzischer Sozialminister und seit 1978 Generalsekretär der CDU, wurden auf verschiedenen Ebenen Überlegungen zur Gründung einer „Vereinigung der älteren Generation der CDU“ angestellt. Der „Problemstau in der Altenpolitik“, so ein Papier der Bundesgeschäftsstelle von 1978, sei „unverkennbar“. Mit der Gründung einer eigenen Vereinigung verbanden sich zwei Hoffnungen: Zum einen sollte die 25 Ebd., S. 278, 281. Das Bundesverfassungsgericht verwarf 2015 eine bundeseinheitliche Regelung, sodass seitdem nur Regelungen auf Länderebene existieren. 26 Freiheit und Sicherheit. Grundsätze für Deutschland. Das Grundsatzprogramm. Beschlossen vom 21.Parteitag der CDU, Hannover, 3.– 4. Dezember 2007, https://www.kas.de/c/document_library/get_ file?uuid=5f72a0b2-5c95-01ad-092f-0039ff40c168&groupId=252038, S. 9 (Abruf: 18.6.2020). 27 Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 5: Bundesrepublik und DDR 1949 – 1990. München 2008, S. 262. 28 Andreas Ebert: Die jungen Alten: Best Ager als Zielgruppe im Marketing. Hamburg 2014, S. 30. Vgl. für das folgende auch Jan Philipp Wölbern: Die „neuen Alten“ der CDU. Geschichte der SeniorenUnion. 2.korr. Aufl. Berlin u. a. 2020.

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Familien- und Generationenpolitik

Gründung einer Senioren-Vereinigung das Problem sichtbar machen und zum anderen den Älteren ein stärkeres Mitspracherecht im Prozess der Willensbildung in der Partei geben. Hinzu kamen wahltaktische Überlegungen: „Ältere Mitbürger sind eher als andere Altersgruppen geneigt, CDU zu wählen; sie beteiligen sich zudem stärker an Wahlen als andere Altersgruppen. Gelänge es der CDU, hier ihr Potential zu erweitern und besser auszuschöpfen, würden ihre Wahlchancen verläßlich steigen.“29 Es dauerte freilich ein weiteres Jahrzehnt, bis sich auf Bundesebene eine SeniorenUnion gründete. Eine Reihe von Einwänden kreiste dabei um die Frage, welchen Einfluss die Senioren-Vereinigung auf die Machtverhältnisse in der Partei haben würde.30 Letztlich überwogen jedoch die inhaltlichen wie wahltaktischen Argumente, die für die Gründung sprachen. 1985 berief der Essener Bundesparteitag Gerhard Braun MdB zum ersten Seniorenbeauftragten, der Parteitag am 9. November 1987 schließlich beschloss, das Statut der CDU dahingehend zu ändern, die Senioren-Union als achte Vereinigung zu gründen.31 1988 erfolgte die Gründung der Senioren-Union in Bonn, die sich 1990 mit der Senioren-Union Ost vereinigte.32 Auch wenn die Vereinigung sowohl mit Blick auf ihre Mitgliederzahl und tatsächlichem innerparteilichen Einfluss auf die Generationen- und Seniorenpolitik der CDU mit wechselndem Erfolg agiert hat, tragen wesentliche Weichenstellungen der Generationenpolitik doch die Handschrift der CDU. Die Einführung der Pflegeversicherung als fünfte Säule der Sozialversicherung 1994, die Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung sowie die Einführung der Mütterrente ist einerseits für die Stabilität des Generationenvertrages und der damit angestrebten Generationengerechtigkeit wohl kaum zu unterschätzen. Angesichts des fortschreitenden demographischen Wandels und seiner Wirkung auf die Stabilität des Generationenvertrages steht die Generationenpolitik vor großen Herausforderungen. Gerade vor dem Hintergrund der hier aufgezeigten historischen Perspektive darf nicht aus dem Blick geraten, dass der Generationenvertrag nicht darauf gegründet ist, dass bei Eintritt in die Rente ein selbst angespartes Kapital konsumiert wird, sondern darauf, dass die arbeitende Generation stark genug ist, um auskömmliche Transferleistungen an die nicht mehr arbeitende Generation zu erbringen. Damit schließt sich der Kreis zur Familienpolitik.

Daten 6. Februar 1952 1955 1968

Inkrafttreten des Mutterschutzgesetzes Einführung des Kindergeldes 1.Familienbericht der Bundesregierung zur „Lage der Familien in Deutschland“

29 Vermerk „Notwendigkeit und Chancen einer intensivierten Seniorenarbeit der CDU“, 18.8.1978, in: ACDP 07-001-22179. 30 Wölbern: Senioren-Union, S. 24 – 26. 31 35.Parteitag der CDU Deutschlands. Protokoll. Bonn, 9. November 1987. Hg. von der CDU Deutschlands, Bundesgeschäftsstelle. Bonn 1987, S. 125, http://www.kas.de/upload/ACDP/CDU/Protokolle_ Bundesparteitage/1987-11-09_Protokoll_35.Bundesparteitag_Bonn.pdf (Abruf: 18.6.2020), S. 124. 32 Wölbern: Senioren-Union, S. 38 – 41, 45 – 53.

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Jan Philipp Wölbern

Oktober 1985

1986 2007 2008 2012

Der CDU-Bundesparteitag in Essen spricht sich für „Partnerschaft und Wahlfreiheit“ als Leitbegriffe der Frauen- und damit indirekt auch der Familienpolitik aus. Einführung des Erziehungsgeldes Einführung des Elterngeldes Kinderförderungsgesetz Einführung des Betreuungsgeldes (2015 vom BVerfG als bundeseinheitliche Regelung verworfen)

1. Januar 1957

Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes, Einführung der dynamischen Rente 14. Oktober 1985 Der 33.Bundesparteitag der CDU in Essen beruft Gerhard Braun zum Seniorenbeauftragten der CDU. 9. November 1987 35.Bundesparteitag der CDU in Bonn: Die Senioren-Union wird in die Satzung aufgenommen. 20. April 1988 Gründungsversammlung der Senioren-Union im Konrad-Adenauer-Haus in Bonn 1. Januar 1995 Inkrafttreten der Pflegeversicherung als 5. Säule der Sozialversicherung 1. Juli 2014 Inkrafttreten der Mütterrente

Forschungs- und Quellenlage Familien- und Generationenpolitik gehören zu den Markenkernen der CDU. Insbesondere auf dem Feld der Familienpolitik hat die CDU in der Ära Kohl und vor allem der Ära Merkel einen Modernisierungsprozess durchlaufen, in dessen Folge die Programmatik mit den gesellschaftlichen Entwicklungen in Einklang gebracht wurde. In der jüngeren historischen Forschung sind die Themen Familien- und Generationenpolitik wieder in das Blickfeld gerückt. Dort werden sie in die längeren Wandlungs- und oft konfliktbehafteten Aushandlungsprozesse über Definition der Familie, ihre gesellschaftliche Funktion und Rollenverständnisse in der Familie eingeordnet.33 Der spezifische Beitrag der Unionsparteien steht dort jedoch weniger im Fokus als die gesellschaftlichen Veränderungen, die politischem Handeln vorausgingen. Die im vorangehenden Text genannten Spezialstudien34 hingegen fokussieren stark auf die programmatischen Diskussionen innerhalb der Unionsparteien. Bis zu welchem Grade sie Eingang in die praktische Politik fanden, in Gesetzeshandeln umgesetzt wurden und welche Wirkungen hiervon ausgingen, könnte in weiteren Schwerpunktuntersuchungen exemplarisch beleuchtet werden, sofern die Sperrfristen des einschlägigen Archivguts der Bundes- und Landesbehörden dies bereits zulassen. Auch die systematische Auswertung der Nachlässe wegweisender familienpolitischer Akteure der CDU im ACDP, etwa Heiner Geißlers u. a., wäre hier einzubeziehen. 33 Siehe beispielsweise Lukas Rölli-Alkemper: Familie im Wiederaufbau. Katholizismus und bürgerliches Familienideal in der Bundesrepublik Deutschland 1945 – 1965. Paderborn 2000; Christopher Neumaier: Familie im 20. Jahrhundert. Konflikte um Ideale, Politiken und Praktiken. Berlin u. a. 2019. 34 Vgl. Anm. 17.

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Frauenpolitik Ina vom Hofe Seit rund 100 Jahren können Frauen in Deutschland wählen und gewählt werden. Zudem regelt das Grundgesetz seit über 70 Jahren mit Artikel 3 Absatz 2: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Damit müsste an sich alles geklärt sein: Der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen in Gesellschaft und Politik steht nichts im Wege. Bei Betrachtung der Führungsriege der Christlich-Demokratischen Union wird diese Annahme untermauert. So stellte die CDU mit Angela Merkel über 16 Jahre die Bundeskanzlerin. Die Generalsekretärin der CDU und spätere Nachfolgerin Merkels als Parteivorsitzende war mit Annegret Kramp-Karrenbauer ebenso eine Frau. Silvia Breher ist seit Ende November 2019 stellvertretende Parteivorsitzende der CDU und Christina Stumpp wurde im September 2022 zur stellvertretende Generalsekretärin der CDU gewählt. Seit 2019 ist Ursula von der Leyen Präsidentin der EU-Kommission, ist ebenso eine Frau der CDU – wichtige Ämter sind folglich mit Frauen der CDU besetzt worden. Doch der Weg bis dahin war für die Partei kein leichter, wie die geschichtliche Entwicklung der Frauenpolitik zeigt. Unter Frauenpolitik ist eine an gesellschaftlichen Bedürfnissen orientierte Politik zu verstehen, die Selbstbestimmung und Wahlfreiheit beinhaltet und auf eine rechtliche, gesellschaftliche und politische Gleichstellung der Frau abzielt. In allen Besatzungszonen zählten Frauen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu den Mitbegründern der CDU.1 Gerade die britischen und amerikanischen Besatzungsmächte förderten einen Zusammenschluss der Frauen im dezentralen Parteiaufbau der CDU.2 Diese Bemühungen mündeten 1946 in eine überregionale Vereinigung für Frauen. 1948 entstand daraus – unter dem Vorsitz der ehemaligen Zentrumspolitikerin Helene Weber – die Frauenarbeitsgemeinschaft. Drei Jahre später etablierte sich hieraus in den ehemaligen westlichen Besatzungszonen die Frauenarbeitsgemeinschaft in der westdeutschen CDU. In der Sowjetischen Besatzungszone wurde hingegen ein anderer Weg eingeschlagen: Versuchten die CDU-Frauen in den Anfangsjahren nach dem Zweiten Weltkrieg noch, sich von der Etablierung und Gleichschaltung der Parteien im Sozialismus zu distanzieren, mussten sie sich spätestens Anfang der 1950er Jahre dem zunehmenden Druck der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) auf die gesamte Partei beugen.3 Mit der Mitgliedschaft der CDU-Frauen im Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD) und 1 Vgl. Angela Keller-Kühne: Frauen im demokratischen Aufbau. Zur Gründungsgeschichte der CDU in Hessen, in: HPM 4 (1997), S. 19 – 34, hier 24. 2 Vgl. Protokoll der Sitzung des Zonenausschusses der CDU in der britischen Zone in Königswinter am 28. und 29.10.1948, in: Konrad-Adenauer-Stiftung (Hg.): Konrad Adenauer und die CDU in der britischen Besatzungszone. Eichholz 1975, S. 771. 1956 benannte sich die Frauenarbeitsgemeinschaft in Frauenvereinigung und 1988 in Frauen-Union um. 3 Vgl. Konrad-Adenauer-Stiftung: Kleine Geschichte der CDU. Stuttgart 1995, S. 3 f.; Elke Mocker: DFD: historisch-systematische Analyse einer DDR-Massenorganisation. Diss. Berlin 1991, S. C – 1 und Frank Bösch: Macht und Machtverlust. Die Geschichte der CDU. Stuttgart 2002, S. 241.

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Ina vom Hofe

letztlich der Anerkennung der Meißner Thesen 1951 vollzog sich die Eingliederung in ein politisches System, das eine eigenständige Entwicklung einer Frauenpolitik von Parteien zu verhindern wusste.4 Die Gründung des DFD als einzige Organisation zur Vertretung von frauenpolitischen Angelegenheiten in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) erleichterte die Etablierung von frauenpolitischen Maßnahmen im Sinne der SED. Politiker und Politikerinnen, die das nicht taten, wurden, wie das Beispiel der DFD-Vorsitzenden Elli Schmidt zeigt, abgesetzt.5 Somit bestand für die Frauen der Ost-CDU keine Möglichkeit, eine eigenständige Frauenpolitik zu entwickeln. Wie die Verabschiedung von diversen Gesetzen dokumentiert, war Gradmesser für alle frauenpolitischen Maßnahmen innerhalb der DDR die Berufstätigkeit der Frau und die damit in Einklang zu bringende Mutterschaft.6 Die Aufgabe der Ost-CDU bestand zu dieser Zeit vornehmlich darin, christliche Frauen einzubinden und vor allem eine bessere Integration der CDU-Politikerinnen in der Partei zu fördern, wozu eigens eine Frauenkommission gebildet wurde.7 Anhand dessen werden bereits die Unterschiede zwischen der frauenpolitischen Entwicklung in West- und Ost-CDU deutlich: In den 1950er und 1960er Jahren war in den ersten programmatischen Ansätzen der West-CDU die Rolle der Frau eindeutig als Teil der Familie in der Gesellschaft von Bedeutung.8 Frauen wurden in ihrer Mutterrolle und als Hausfrau wahrgenommen, was letztlich auch zur Konsequenz hatte, dass sie auf dem politischen Parkett keine bedeutende Rolle innehatten. Die erste Bundesministerin Elisabeth Schwarzhaupt wurde von Bundeskanzler Konrad Adenauer nur auf fühlbaren Druck der CDU-Frauenvereinigung 1961 berufen.9 Dabei wurde für die Juristin ein neues Ressort, das Gesundheitsministerium, geschaffen, um nicht einem männlichen Politiker den Aufgabenbereich streitig zu machen.10 Zwar in diesem Fall erfolgreich, aber ansonsten marginal war die Machtposition der Frauenvereinigung in der CDU. Ihre Aufgaben lagen in der politischen Bildung und Schulung der Frauen zur Vorbereitung und Unterstützung ihrer Arbeit in der Partei.11 Erste wichtige Veränderungen vollzogen sich in der Amtszeit der Vorsitzenden Aenne Brauksiepe. Gerade die Doppelfunktion von Brauksiepe als Vorsitzende und ihre ein4 Vgl. Martin Rissmann: Zur Rolle der CDU (Ost) im politischen System der DDR, in: HPM 1 (1994), S. 69 – 88, hier 74. 5 Vgl. Grit Bühler: Mythos Gleichberechtigung in der DDR. Politische Partizipation von Frauen am Beispiel des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands. Frankfurt a. M. 1997, S. 57. 6 Vgl. Heike Schmidt: Frauenpolitik in der DDR: Gestaltungsspielräume und -grenzen in der Diktatur. Berlin 2007. 7 Vgl. CDU-Parteileitung, Abteilung Politik: Beschluss zur Bildung einer Frauenkommission der CDU, 21.5.1963, in: ACDP 07-013-305. 8 Vgl. Angela Keller-Kühne: Frauen in der CDU. Zur Überlieferung im Archiv für Christlich-Demokratische Politik, in: HPM 16 (2009), S. 293 – 303, hier 295; Politische Leitsätze der CDU. Frankfurt a. M. 1945, S. 4; Düsseldorfer Leitsätze über Wirtschaftspolitik, Landwirtschaftspolitik, Sozialpolitik und Wohnungsbau. Düsseldorf 1949, S. 24 f.; Ahlener Programm: CDU überwindet Marxismus und Kapitalismus. Ahlen 1947. 9 Vgl. Hessische Landesregierung (Hg.): Elisabeth Schwarzhaupt. Portrait einer streitbaren Politikerin und Christin. Freiburg i. Br. 2001, S. 93. 10 Vgl. Frank Bösch: Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei von 1945 – 1969. Göttingen 2001, S. 304. 11 Vgl. Frauenvereinigung: Satzung für die Vereinigung der Frauen der CDU Deutschlands und Bundesfrauenausschuss der CDU: Protokoll über die Sitzung am 29./30.11.1957, Königswinter 1956, in: ACDP 04-003-003/1.

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jährige Tätigkeit als Familienministerin 1968/69 ermöglichten eine veränderte Weichenstellung. Unter ihr betonte die Frauenvereinigung nicht mehr nur die Rolle der Hausfrau und Mutter, sondern thematisierte auch die Situation von berufstätigen und alleinstehenden Frauen. Die Frauenvereinigung veranstaltete 1964 etwa einen Bundesfrauenkongress unter der Thematik: „Frau und Arbeitswelt – morgen“.12 Die Öffnung der CDU für Frauenthemen über die Familie hinaus wurde durch den Verlust der Regierungsmehrheit 1969 und gesellschaftliche Umbrüche begünstigt.13 Diese Niederlage resultierte unter anderem auch aus dem Rückgang der Stimmen junger Wählerinnen.14 Zudem rückte Ende der 1960er /Anfang der 1970er Jahre die Frauenpolitik zunehmend in den Fokus der politischen Aufmerksamkeit: Das Erstarken der Frauenbewegung in Deutschland und die gesellschaftliche Diskussion um das Strafrechtsänderungsgesetz zur Abtreibung, (218 StGB), intensivieren eine Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft innerhalb der CDU.15 So wurden zudem eine EnqueteKommission „Frau und Gesellschaft“ sowie ein Arbeitsstab Frauenpolitik im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit gegründet, die sich mit den gesellschaftlichen, politischen und sozialen Belangen von Frauen auseinandersetzten.16 Diese politischen und gesellschaftlichen Veränderungen ermöglichten ein Wachsen des Einflusses der Frauenvereinigung innerhalb der Partei: Unter der Vorsitzenden Helga Wex wurden verschiedene Grundsatzprogramme wie das Dortmunder oder das Mannheimer Programm erarbeitet.17 Aufbauend darauf wurden 1976 die „Familienpolitischen Leitsätze“ der CDU verabschiedet.18 Der Name des Programms suggerierte eine neuerliche Zuordnung der Frauenpolitik zur Familienpolitik, was den Leitsätzen nicht ganz gerecht wurde. Sie beschäftigten sich mit den Problemen der Gleichwertigkeit der Arbeit der Frau innerhalb und außerhalb der Familie, den Chancen der Frau im Beruf und mit konkreten Aktionsfeldern, wie Schule, Massenmedien und Verbraucherverhalten.19 Im Rahmen dessen entwickelte sich ein Ansatz der Wahlfreiheit, der im Gegensatz zur SPD nicht nur auf berufstätige Frauen programmatisch abzielte, sondern auch Hausfrauen in 12 Vgl. bspw. folgende Artikel: Lisbet Pfeiffer: Die eigene Wirklichkeit schaffen, in: Stuttgarter Zeitung, 15.12.1964; Magda Menzerath: Frauen im Beruf, in: Bonner Rundschau, 13.12.1964; Elisabeth Kamm: Frau und Arbeitswelt – morgen, in: Rhein-Neckarzeitung, 10.12.1964. 13 Vgl. Viola Neu: Alter gegen Geschlecht. Was bestimmt die Wahlentscheidung. Sankt Augustin 2004, S. 16. 14 Vgl. Peter Schindler (Hg.): Datenhandbuch zur Geschichte des deutschen Bundestages 1949 – 1999. Baden-Baden 1999, S. 227. Vorausgegangen war eine Wahlrechtsänderung am 31.7.1970, bei der das Wahlalter von 21 auf 18 Jahre herabgesetzt worden war. 15 Vgl. Michael Gante: Paragraph 218 in der Diskussion (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 20). Düsseldorf 1991. Diese Auseinandersetzung wurde ebenfalls nach der Wiedervereinigung fortgeführt. Hierbei ging es um die Schaffung einer gesamtdeutschen Neuregelung zum Schwangerschaftsabbruch. 16 Vgl. Deutscher Bundestag: Jenseits der Tagespolitik – Die Enquete-Kommissionen, keine Datumsangabe, https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/21987896_enquete1-199442 (Abruf: 1.6.2021) und Tätigkeitsbericht zum Arbeitsstab Frauenpolitik von 1979 bis 1981, in: ACDP 01-379-025/1. 17 Vgl. CDU Deutschlands: Protokoll des 23.Bundesparteitages; CDU-Bundesfrauenvereinigung: Protokoll des neunten Bundesdelegiertentages in Dortmund vom 21./23.2.1975 der CDU-Frauenvereinigung, in: ACDP 04-003-069/3 und CDU Deutschlands: Protokoll des 23. Bundesparteitages der CDU Deutschlands. Mannheim 1975, S. 293 ff. 18 Vgl. CDU Deutschlands: Familienpolitische Leitsätze, Hannover 1976, und FU der CDU Deutschlands: Beschlüsse der Bundesdelegiertentage, S. 25. 19 Vgl. ebd.

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einem frauenpolitischen Konzept berücksichtigte.20 Insbesondere wurde eine Abgrenzung gegen das sozialistische Konzept, das hauptsächlich auf die Erwerbstätigkeit der Frau fokussiert war, angestrebt.21 Eine parteipolitische Zäsur wurde mit der Ausrichtung des ersten Frauenparteitages 1985 in Essen gesetzt.22 Unter erneuter CDU-Regierungsverantwortung in den 1980er Jahren wurde die Institutionalisierung von Frauenpolitik mit Errichtung des Ressorts auf Bundesebene 1986 unter Federführung von Rita Süssmuth besiegelt. Bundeskanzler Helmut Kohl setzte sich für eine stärkere Gewichtung dieses Themas ein, um es zum einen nicht anderen Parteien zu überlassen und zum anderen mehr jüngere Wählerinnen und auch weibliche Parteimitglieder für die CDU zu gewinnen.23 Innerhalb der Partei betrug der Frauenanteil Anfang der 1990er Jahre 25,1 Prozent und das Durchschnittsalter lag bei 53,8 Jahren.24 Rund 30 Jahre später sind es 26,3 Prozent.25 Es hat sich jedoch in der Ausgestaltung der CDU-Frauenpolitik einiges getan: Mittlerweile wird der CDU ein weiblicheres Image zugeschrieben.26 Mit dazu beigetragen haben seit der Wiedervereinigung Deutschlands sowohl interne Veränderungen als auch politische Maßnahmen. Innerparteilich wurde beispielsweise 1996 die Einführung eines parteiinternen Frauenquorums beschlossen.27 Netzwerke zur Förderung von Frauen wurden ebenfalls ausgebaut.28 Auf dem Bundesparteitag im September 2022 wurde nach intensiver Diskussion das Quorum von der Frauenquote bei der Vergabe von Parteiämtern abgelöst. Ab dem kommenden Jahr müssen bei Vorständen ab der Kreisebene ein Drittel der Posten mit Frauen besetzt werden, ab 2024 sind es 40 Prozent und ab Mitte 2025 dann 50 Prozent.29 Mit dem Aufstieg Angela Merkels zur CDU-Generalsekretärin, -Vorsitzenden und dann Bundeskanzlerin besetzten fortan 20 Das Konzept der Wahlfreiheit beinhaltete die Vorgabe, keine Frauenleitbilder vorgeben zu wollen. Vgl. Dorothee Wilms: Vermerk für Helga Wex, Bonn 28.2.1980, in: ACDP 01-379-025/2. 21 Vgl. Helga Wex: Presseerklärung, Bonn am 21.8.1980, in: ACDP 01-379-029/6. 22 Vgl. CDU Deutschlands: Leitsätze der CDU für eine neue Partnerschaft zwischen Mann und Frau. Essen 1985. 23 Vgl. FDP: Freiheit braucht Mut, in: ADL, Druckschriftenbestand; Signatur D1-250, archiviert als PDFDokument; Signatur IN5-197, S. 5, und Helmut Kohl: Berichte zur Lage 1982 bis 1989. Der Kanzler und Parteivorsitzende im Bundesvorstand der CDU Deutschlands. Bearb. von Günter Buchstab und Hans-Otto Kleinmann (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 65). Düsseldorf 2014, S. 74. 24 Vgl. FU Deutschland: Frauen im geeinten Deutschland 1992/1993, S. 4, in: AdsD: 2/PVAX000599. 25 Vgl. Statista: Anteil der Frauen an den Mitgliedern der politischen Parteien in Deutschland am 31. Dezember 2018, in: Statista Research Department 2019. 26 Vgl. Robin Alexander: Auf den Herd gekommen, in: Welt am Sonntag, 11.11.2012; Silvia Stammer: Überholte Feindbilder, in: Hamburger Abendblatt, 17.4.2012: Wie weiblich wird die CDU?, in: Die Welt, 11.11.2010; Mariam Lau: Hat die CDU den Frauen etwas zu bieten?, in: Die Welt, 18.4.2009; Melanie Amann: Trotz Merkel: Das Gesicht der CDU ist männlich, in: FAZ, 10.4.2005, und Nina Grunenberg: Kerle, wollt ihr ewig kungeln?, in: Die Zeit, 24.1.2002. 27 Vgl. CDU Deutschlands: Statut der CDU. Finanz- und Beitragsordnung. Parteigerichtsordnung, Geschäftsordnung, Parteiengesetz. o.O. 1996, Paragraph 15, und CDU Deutschlands: Protokoll des 14. Bundesparteitages der CDU Deutschlands. Dresden 2001, S. 189. 28 Nicht nur die Frauen-Union, sondern z.B. auch die Gruppe der Frauen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ein Netzwerk für Migrantinnen, ein Programm namens „Frauen fördern Frauen“, eine Gruppe „Unternehmerfrauen im Mittelstand“ oder „Frauen in der CDA“ schlossen sich im Laufe der Jahre zusammen. Vgl. FU der CDU Deutschlands: Kreisvorsitzenden-Konferenz der FU der CDU am 4.9.2010 in Mainz, und CDU Deutschlands Frauen- bzw. Gleichstellungsbericht. Hannover 2012, S. 13. 29 Vgl. o. A.: CDU-Parteitag beschließt Frauenquote, in: Tagesschau, 26.12.2022 und Ferdinand Otto: Zur Quote gequält, in: Die Zeit, 22.12.2022.

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weitere CDU-Frauen hochrangige Ämter wie etwa den Parteivorsitz, waren Ministerpräsidentin oder hatten Ämter als Ministerinnen oder Staatssekretärinnen inne.30 Außerdem wurden einige Gesetzesentscheidungen vorgenommen, die auf eine Veränderung der gesellschaftlichen Rolle der Frau in der CDU schließen lassen: Auch wenn die Idee des Bundeselterngeldes und der Elternzeit von der SPD entwickelt worden war31, wurde am 29. September 2006 das Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit unter einer CDU-Regierung verabschiedet. Die Verabschiedung rüttelte massiv an christlichdemokratischen Rollenbildern, wie die vorangegangenen innerparteilichen und politischen Diskussionen belegen.32 Insbesondere die Einführung sogenannter Vätermonate beim Bundeselterngeld war bei einigen CDU-Parteimitgliedern höchst umstritten.33 Ähnlich verhielt es sich mit der Verabschiedung des Kinderförderungsgesetzes am 26. September 2008. Damit wurde jedem Kind ab dem 1. August 2013 nach Vollendung des ersten Lebensjahres ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz garantiert. 34 Da auch die Möglichkeit eingeräumt wurde, sein Kind mit Unterstützung eines Betreuungsgeldes zuhause zu betreuen, fiel die parteiinterne Kontroverse jedoch weniger stark als beim Bundeselterngeld aus.35 Wie die Entwicklung gezeigt hat, wurde in den letzten Jahren einiges für die Gleichstellung der Frau in CDU und Gesellschaft getan. Und dennoch ist die Union nach wie vor eine der Parteien mit dem geringsten Anteil weiblicher Mitglieder. Dieser ist zudem in den vorigen Jahren kaum gewachsen. Die Gefahr eines Rückschritts in der Besetzung von hochrangigen Ämtern mit Frauen innerhalb der CDU sieht die Frauen-Unions-Vorsitzende Annette Widmann-Mauz stets als gegeben an.36 Abhilfe soll hier nun die kürzlich eingeführte Frauenquote schaffen: CDU-Chef Friedrich Merz geht es dabei um ein Signal an die Wählerschaft, dass die gleichberechtigte Teilhabe von der CDU ernst genommen werde.37 Doch zu einer dauerhaften Einführung konnte sich die Partei nicht durchringen. Die Regelung zur Frauenquote soll bis 2029 gelten und dann erneut diskutiert werden.

Forschungs- und Quellenlage Obwohl die CDU neben der SPD eine der beiden großen deutschen Volksparteien ist – und die Frauenpolitik allein durch die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen in den 30 Vgl. Markus Wehner: Die heimliche Frauenpartei, in: FAZ, 24.11.2013; Robin Alexander: Die CDU ist die Partei der starken Frauen, in: Die Welt, 27.11.2012, und Katharina Ugowski: Das neue Gesicht der CDU, in: Bild, 8.12.2004. 31 Vgl. Deutscher Bundestag, Drs. 13/6577, 13.12.1996. 32 Vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 16/4, 30.11.2005, S. 80; Matthias Geis u. a.: Männer an den Herd, in: Die Zeit, 27.4.2006 und Robin Mishra: „Die Männer stimmen mit den Füßen ab“, in: Rheinischer Merkur, 12.3.2009. 33 Vgl. ebd. 34 Vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 16/180. 35 Vgl. Dorothea Siems: Die Krippenoffensive kann starten, in: Die Welt, 27.9.2008. 36 Vgl. Daniela Vates: „Die CDU braucht starke Frauen“. Annette Widmann-Mauz im Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger, 15.2.2020. 37 Vgl. o. A.: CDU-Parteitag beschließt Frauenquote, in Tagesschau, 26.12.2022 und Ferdinand Otto: Zur Quote gequält, in: Die Zeit, 22.12.2022.

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vergangenen Jahrzehnten einen höheren Stellenwert erhalten hat –, wurden die Christdemokraten lange Zeit nicht in Verbindung mit Frauenpolitik gebracht. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Forschung zur CDU-Frauenpolitik nicht sonderlich umfangreich ist, wie die Autorin ausführlich in ihrer Dissertation zu der Thematik aufzeigt.38 Ein Nachweis für die überschaubare Forschungslage war nicht zuletzt auch lange Zeit die vielfache Berücksichtigung der wenigen vorliegenden Studien zu Frauen in der Politik der 1950er und 1960er Jahre in neueren Arbeiten Mitte und Ende der 1980er Jahre.39 Erst mit dem Aufstieg Angela Merkels zur Parteivorsitzenden und zur Bundeskanzlerin rückten die CDU und ihre Frauenpolitik sukzessiv in den Untersuchungsfokus der Wissenschaft; bemerkenswert ist hierbei besonders die Beschäftigung der anglo-amerikanischen Forschung mit der Thematik.40 Um dem Forschungsdesiderat bei der Untersuchung des Verhältnisses der CDU zu Frauen entgegenzuwirken, berücksichtigte die Autorin Dokumente aus dem Archiv für Christlich-Demokratische Politik sowie aus dem Dokumentations- und Informationssystem des Deutschen Bundestages. Zudem wurden CDU-Bundesparteitagsprotokolle, CDU-Frauen- bzw. Gleichstellungsberichte, Plenarprotokolle, Stenographische Berichte und Gesetzesentwürfe zur Auswertung einbezogen.41 Schließlich lieferte die Auswertung von Artikeln aus den Printmedien sowie von Meldungen der Nachrichtenagenturen wichtige Hinweise zur Analyse der CDU-Frauenpolitik. Eine wichtige Sammlung mündlicher Quellen entstand durch ein umfassendes Interviewprojekt, dessen Projektleitung die Verfasserin innehatte.42

38 Vgl. Ina vom Hofe: Die Frauenpolitik der CDU. Sankt Augustin/Berlin 2017. 39 Vgl. Gabriele Bremme: Die politische Rolle der Frau in Deutschland. Eine Untersuchung über den Einfluß der Frauen bei Wahlen und ihre Teilnahme in Partei und Parlament. Göttingen 1956; Mechtild Fülles: Die Frau in der Politik. Frauen in Partei und Parlament. Köln 1969. 40 Vgl. Sarah Wiliarty: The CDU and the Politics of Gender in Germany; Joanna McKay: Women MPs and the socio-environmental preconditions for political participation in the Federal Republic, in: German Politics, Vol. 16, No. 3, 9/2007, S. 379 – 390; Angelika von Wahl: Gender Equality in Germany: Comparing Policy Change across Domains, in: West European Politics, Vol. 29, No. 3, 5/2006, S. 461 – 488; Brigitte Geissel/Evelin Hust: Democratic Mobilisation through Quotas: Experiences in India and Germany, in: Commonwealth & Comparative Politics, Vol. 43, No. 2, 7/2005, S. 222 – 244; Joanna McKay: Women in German Politics: Still Jobs for the Boys?, in: German Politics, Vol. 13, No. 1, 3/2004, S. 56 – 80. In Deutschland zuletzt Mariam Lau: Die CDU und die Frauen, in: Norbert Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union. München 2020, S. 397 – 418. 41 Einige dieser Dokumente können unter folgendem Link eingesehen werden: http://dipbt.bundestag. de/dip21.web/bt (Abruf: 6.4.2021). Auch die Bundesparteitagsprotokolle können online eingesehen werden: http://www.kas.de/wf/de/71.8935/ und http://www.kas.de/wf/de/71.8936/ (Abruf: 6.4.2021), sowie CDU Deutschlands: Frauen- bzw. Gleichstellungsberichte, 1989 bis 2013. 42 Vgl. Beate Neuss/Hildigund Neubert (Hg.): Mut zur Verantwortung. Frauen gestalten die Politik der CDU. Köln u. a. 2013.

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Energie- und Umweltpolitik1 Wolfgang Tischner Das christliche Menschenbild Die Politik der Union basiert auf dem christlichen Menschenbild. Dies gilt besonders auch für die Energie- und Umweltpolitik. Die zentralen Werte, die hier das Christentum konfessionsübergreifend vorgibt, lassen sich etwas vereinfachend in dem Auftrag, die Schöpfung zu bewahren, sie aber andererseits auch für den Menschen zu nutzen, zusammenfassen. Damit sind die beiden Pole, in denen sich die Politik der Union seit 1945 bewegt hat, vorgegeben. Generell war die Umweltpolitik der CDU immer von dem Bestreben getragen, Ökonomie und Ökologie zu verbinden. Je nach gesellschaftlicher Notwendigkeit hat dabei mehr der eine oder der andere Aspekt im Vordergrund gestanden. In der Not der unmittelbaren Nachkriegszeit spielte Umweltschutz keine Rolle, da das rudimentäre Überleben gesichert werden musste. In den 1950er Jahren stand im Zeichen des Wirtschaftswunders der Energiebedarf der Industriegesellschaft im Vordergrund. Seit der Ölkrise Anfang der 1970er Jahre hat der Umweltschutz an gesellschaftlicher Relevanz gewonnen. In der Ära Kohl wurden die Grundzüge der heutigen deutschen Umweltpolitik formuliert und implementiert, und auch das Wahlprogramm der CDU zu den Bundestagswahlen 2021 definierte als Ziel christlich-demokratischer Umweltpolitik eine Verbindung von Klimaschutz und Wirtschaft.2

Sicherung der Energieversorgung nach 1945 In den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes 1945 und der Gründung der Christlich-Demokratischen Union spielte der Umweltschutz im besiegten Deutschland kaum eine Rolle. Die Not der Nachkriegszeit zwang zur Konzentration auf das unmittelbar Erforderliche, so dass die Gründungsprogramme der verschiedenen regionalen CDU-Gliederungen immer die Sicherung der Energieversorgung als vorrangiges Ziel betonten, teilweise, etwa im Notprogramm des Berliner Gründungsaufrufs, verknüpft mit Verstaatlichungsforderungen für Schlüsselindustrien.3 Das anfangs in ver1 Der Text basiert auf einem internen Arbeitspapier der Adenauer-Stiftung, das der Verfasser zusammen mit Christian Hübner 2011 erstellt hat. Der hier zugrunde liegende, vom Verfasser verantwortete historische Teil ist in gekürzter Form 2013 veröffentlicht worden, vgl. Wolfgang Tischner: Energieund Umweltpolitik in Deutschland von 1945 bis 2011, in: Norbert Eschborn (Hg.): Umweltpolitik und Umweltrecht in Deutschland und Südkorea. Seoul 2013, S. 9 – 26. 2 Vgl. das Wahlprogramm der Union zur Bundestagswahl 2021, https://www.csu.de/common/download/ Regierungsprogramm.pdf (Abruf: 24.6.2021), S. 42 – 47. 3 Berliner Gründungsaufruf vom 26. Juni 1945, abgedruckt bei Peter Hintze (Hg.): Die CDU-Parteiprogramme. Eine Dokumentation der Ziele und Aufgaben. Bonn 1995, S. 3 – 6, hier 5.

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schiedene Besatzungszonen auch wirtschaftlich geteilte Deutschland verfügte an nennenswerten eigenen Energieträgern nur über Stein- und Braunkohle, deren Abbau in den Jahren 1945 bis 1949 immens intensiviert wurde. Da jedoch auch Reparationsleistungen in Kohle gezahlt wurden, dauerte es bis Anfang der 1950er Jahre, bis in der Bundesrepublik bzw. der DDR eine durchgängige Energieversorgung ohne zeitweilige Stromsperren erreicht werden konnte. Die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) 1951 band die Energiepolitik der Bundesrepublik in einen europäischen Kontext ein. In den 1950er Jahren stand in Ost wie West der Ausbau der Stromversorgung für den Wiederaufbau der Industrie im Vordergrund. Die westdeutsche CDU, die sich als Partei der Sozialen Marktwirtschaft verstand, räumte diesem Ziel Priorität ein; es war innenpolitisch in der Bundesrepublik auch unumstritten. In der DDR wurde die CDUD bis 1952 völlig gleichgeschaltet, so dass sie bis in das unmittelbare Vorfeld der Friedlichen Revolution 1989 keine eigenständigen politischen Positionen mehr formulierte. Die Energiepolitik, auf der das „Wirtschaftswunder“ der frühen Bundesrepublik aufbaute, nutzte vor allem die heimische Stein- und Braunkohlevorkommen und war zwischen den Parteien des Bundestages im Grundsatz anfangs nicht umstritten. Da die in der NS-Zeit gebauten Hydrierwerke im ostdeutschen Chemiedreieck Halle-Bitterfeld und somit im kommunistischen Machtbereich lagen, musste die Bundesrepublik Erdöl importieren, was aber aufgrund des Zahlungsbilanzüberschusses und der hervorragenden Beziehungen zu den arabischen Staaten unproblematisch war. Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard setzte dann 1956 aus ordnungspolitischen Überlegungen die Aufhebung der Preisregulierung für Kohle und Zollsenkungen für ausländische Erdölimporte durch, was zum Rückgang des deutschen Steinkohlebergbaus beitrug.4 Erste Folgen des industriellen Aufschwungs wie die zunehmende Luft- und Wasserverschmutzung wurden Anfang der 1960er Jahren fühlbar. Die CDU war dabei vor allem auf der Ebene der Länder stark engagiert und oft Vorreiter des praktischen Umweltschutzes, da sie – anders als die den Gewerkschaften verpflichtete SPD – nicht bedingungslos die Interessen der Belegschaften in der Großindustrie vertrat. Franz Meyers etwa war als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen ein Pionier der Immissionsschutzpolitik und hat das Thema auch auf die Agenda des CDU-Bundesparteitages 1960 in Karlsruhe gesetzt.5 Helmut Kohl, der in Ludwigshafen beruflich der chemischen Industrie verbunden war, verdiente sich als junger Parlamentarier seine Sporen mit der Konzeption des dortigen Abwasserrechts.6 Einen Ausweg schien in den 1960er Jahren die als schadstofffrei geltende Kernenergie zu bieten. Erfolgte diese praktische Politik in Reaktion auf konkret fühlbare Umweltschäden, so machte schon erstaunlich früh ein Vordenker der christlich-demokratischen Bewegung, Alfred Müller-Armack, auf das Problem der Umweltverschmutzung aufmerksam und betrachtete es 1960 grundsätzlich im Kontext der Aufgaben, die die Soziale Marktwirtschaft in Zukunft noch zu bewältigen habe. Dabei ging es vor allem darum, klar die Spielregeln für den Markt zu definieren: „Aber so […] sollte der Staat […] sich auf seine spezifischen 4 Vgl. Henning Türk: Treibstoff der Systeme. Kohle, Erdöl und Atomkraft im geteilten Deutschland (Die geteilte Nation. Deutsch-deutsche Geschichte 1945 – 1990. Bd. 3). Berlin/Brandenburg 2021. S. 45 – 46. 5 Franz Meyers: Gez. Dr. Meyers. Summe eines Lebens. Düsseldorf 1982, S. 347 – 350. 6 Helmut Kohl: Erinnerungen 1930 – 1982. München 2004, S. 118 f.

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Aufgaben für die Setzung einer konkreten Umweltordnung besinnen.“ 7 Ökonomie und Ökologie waren auch aus wirtschaftstheoretischer Perspektive für die Union gut vereinbar.

Die Atompolitik der 1950er und 1960er Jahre Weil Deutschland in der NS-Zeit führend in der Nuklearforschung gewesen war – die Kernspaltung wurde 1938 in Deutschland entdeckt und die „Uranmaschine“ war der erste Versuchsaufbau für einen Kernreaktor –, verboten die Besatzungsmächte nach dem Krieg zunächst sämtliche Nuklearforschung. Etliche deutsche Atomphysiker wurden 1945 von den verschiedenen alliierten Siegermächten interniert und teilweise zu langjährigen Forschungsaufenthalten gezwungen, um ihr Wissen militärisch nutzen zu können. Bis Anfang der 1950er Jahre stand deshalb die militärische Nutzung der Kernenergie im Vordergrund, die junge Bundesrepublik war nicht direkt beteiligt. Diese Diskrepanz, dass die Bundesrepublik wissenschaftlich mit führend im Bereich theoretischer Kernphysik war, ihr aber von den westlichen Besatzungsmächten der Zugang zur praktischen und besonders militärischen Nutzung verwehrt wurde, führte zu einer schwierigen Gemengelage.8 Die Regierung Adenauer erwog durchaus eine nukleare Bewaffnung der Bundeswehr. Der die Atomkraft betreffende Teil der Römischen Verträge hielt hier jedoch eine europäische Option offen.9 In der innenpolitischen Diskussion wurde der verteidigungspolitische Aspekt der deutschen Nuklearpolitik freilich fast immer tabuisiert, was sich bis heute in der Forschung fortgesetzt hat.10 In der öffentlichen Meinung allerdings wurde die Kernenergie in der Bundesrepublik zu einer Chiffre, in der sich Fortschrittsoptimismus mit sozialpolitischen Forderungen verband: Eine friedliche Nutzung sollte grenzenlosen Wohlstand bringen, man projektierte Züge, Privathäuser, Flugzeuge und sogar Autos mit eigenen Atomreaktoren, alle Energieprobleme schienen der Vergangenheit anzugehören. Im „Godesberger Programm“ der SPD von 1959 etwa wird mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie alle Hoffnung auf den Fortschritt der Menschheit begründet, Technikgläubigkeit ersetzt den marxistischen Chiliasmus.11 Eine öffentliche Opposition gegen die Nutzung der Kernenergie gab es bis 7 Alfred Müller-Armack: Die Zweite Phase der Sozialen Marktwirtschaft. Ihre Ergänzung durch das Leitbild einer neuen Gesellschaftspolitik, in: Ders.: Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik. Studien und Konzepte zur Sozialen Marktwirtschaft und zur Europäischen Integration (Beiträge zur Wirtschaftspolitik. Bd. 4). 2. Aufl. Bern/Stuttgart 1976, S. 267 – 291, hier 281. 8 Vgl. Michael Eckert: Die Anfänge der Atompolitik in der Bundesrepublik Deutschland, in: VfZ 37 (1989), S. 115 – 143, sowie Ders.: Kernenergie und Westintegration. Die Zähmung des westdeutschen Nuklearnationalismus, in: Ludolf Herbst u. a. (Hg.): Vom Marshallplan zur EWG. Die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die westliche Welt. München 1990, S. 313 – 334. 9 Peter Fischer: Atomenergie und staatliches Interesse. Die Anfänge der Atompolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1949 – 1955 (Internationale Politik und Sicherheit 30/3, Nuclear History Program 3). Baden-Baden 1994. 10 Edgar Wolfrum: Rot-Grün an der Macht. Deutschland 1998 – 2005. München 2013, S. 244. Wolfrum ignoriert die sicherheitspolitischen Implikationen des deutschen Verzichts auf die deutschen Plutoniumvorräte 2004. 11 „Aber auch das ist die Hoffnung dieser Zeit, daß der Mensch im atomaren Zeitalter sein Leben erleichtern, von Sorgen befreien und Wohlstand für alle schaffen kann“, gedichtete Präambel des Godesberger Programms. Vgl. Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Köln 1959, S. 5.

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in die 1970er Jahre hinein nicht; lediglich die atomare Bewaffnung der Bundeswehr und der Nato wurde seit den 1950er Jahren unter dem Motto „Kampf dem Atomtod!“ auf Demonstrationen kritisiert. Die kommerzielle Nutzung der Kernenergie begann in der Bundesrepublik in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre. Zuerst wurden mehrere Forschungsreaktoren in Betrieb genommen, bevor dann 1961 der erste für die Energieproduktion nutzbare Reaktor in Kahl ans Netz ging. Eine Debatte innerhalb der Union über die Nutzung der Kernenergie ist bei ihrer Einführung nicht geführt werden, ebenso wenig wie in den anderen Parteien: Es bestand Konsens, dass die Bundesrepublik als rohstoffarmes Industrieland nicht auf Kernenergie verzichten könne. Da die Kernenergie als „saubere“ Energie galt, spielten Fragen des Umweltschutzes nur am Rande eine Rolle. Im zweiten „Berliner Programm“ der CDU von 1971 wird deshalb der Ausbau der Kernenergie nur im Zusammenhang mit der nötigen Versorgungssicherheit der Bundesrepublik erwähnt.12

Die CDU und die Entstehung der Umweltbewegung in den 1970er Jahren Anfang der 1970er Jahre veränderte sich die umweltpolitische Diskussion in der Bundesrepublik grundlegend. Ausschlaggebend dafür war zum einen, dass seit den 1960er Jahren Umweltschäden gehäuft auftraten. Neben einer immer stärker fühlbaren Luftverschmutzung durch Industrieabgase und den zunehmenden PKW-Bestand betraf dies die Wasserqualität in den Flüssen und die Lärmbelästigung durch Straßen- und Luftverkehr. Zunehmend setzte sich die Erkenntnis durch, dass es sich nicht um punktuelle Gesundheitsgefährdungen durch das Fehlverhalten einzelner Manager handelte – dies war bei Industrieunfällen in Deutschland schon in der Weimarer Republik geahndet worden –, sondern um das Zusammenspiel vieler Faktoren in einer Industriegesellschaft. Dementsprechend wandelte sich die Terminologie: Hatte man bis dahin je nach Einzelfall von „Gesundheitsschutz“, „Landschaftsschutz“ und „Naturschutz“ geredet, so wurde jetzt das Problem als „Umweltschutz“ ganzheitlich begriffen. Zudem wurde die Verbindung von Wachstum und Umweltverschmutzung thematisiert: Weltweit gingen etliche Autoren auf den Zusammenhang zwischen ungezügeltem Wachstum und der Verschmutzung der Umwelt ein, ein öffentlicher Diskurs entwickelte sich.13 Ein weiterer Auslöser für den deutlich gesteigerten Diskussionsbedarf in Umweltund Energiefragen war die Ölkrise im Gefolge des Yom-Kippur-Krieges 1973. Die schockartige Erhöhung des Rohölpreises durch die erdölexportierenden Staaten stürzte die Weltwirtschaft in eine schwere Krise und führte den westlichen Industriestaaten ihre energiepolitische Abhängigkeit vor Augen. Der Ausbau der Kernenergie versprach hier eine deutlich größere Unabhängigkeit von Erdölimporten, eine Vorstellung, die alle im Bundestag vertretenen Parteien teilten. In der öffentlichen Debatte wurden allerdings zunehmend die Gefahren auch der friedlichen Nutzung der Kernenergie themati12 S. das Berliner Programm in der Fassung vom 20. November 1973, abgedruckt bei Hintze (Hg.): Die CDU-Parteiprogramme, S. 47 – 87, hier 76, § 90. 13 Ein international rezipierter Beitrag war der Bericht des Club of Rome, vgl. Dennis L. Meadows: Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Stuttgart 1972.

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siert. Eine radikalisierte Minderheit von Kernkraftgegnern versuchte mit gewaltsamen Protesten den Bau weiterer Kernkraftwerke in der Bundesrepublik zu verhindern, so in Brokdorf 1976. Für die CDU war die Wahrnehmung und Bekämpfung der Umweltverschmutzung zwingend geboten: Die Bewahrung der Schöpfung ist eine klare Verpflichtung für jeden Christen, strittig sein kann lediglich, ob man punktuell dem Wachstum oder dem Umweltschutz den Vorrang gibt. Aufgrund der Affinität des christlichen Menschenbildes zu Fragen des Umweltschutzes ist es nicht verwunderlich, dass 1970 in Bayern das erste Umweltministerium eingeführt wurde. Auch der vermutlich einflussreichste umweltpolitische Vordenker in der Bundesrepublik in den 1970er Jahren kam aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Herbert Gruhl war von 1970 bis 1976 Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Umweltvorsorge“ der Unionsfraktion und verlieh der CDU in den Bundestagsdebatten ein deutliches Profil, etwa als er 1971 als erster Bundestagsabgeordneter auf das Waldsterben hinwies.14 Für den Wahlkampf 1972 entwickelte die Arbeitsgruppe ein „Konzept der CDU für Umweltvorsorge“, und auch das Wahlprogramm für die Bundestagswahlen 1976 hatte einen eigenen Abschnitt zum Umweltschutz. Gruhls schonungslose Darstellung der Umweltzerstörung „Ein Planet wird geplündert“ erschien 1975 und wurde ein Bestseller.15 Zur Entfremdung mit der Partei kam es in der Frage der Kernenergie und über die Auflösung der Arbeitsgruppe durch den neuen Fraktionsvorsitzenden Helmut Kohl nach der Wahl 1976, so dass Gruhl 1978 die CDU verließ.16 Die von ihm gegründete „Grüne Aktion Zukunft“ beteiligte sich 1980 an der Gründung der Partei „Die Grünen“. Gruhl stand mit seiner kritischen Haltung zur Kernenergie in der Union durchaus nicht allein. Der CSU-Abgeordnete Max Schulze-Vorberg etwa war ebenfalls ein deutlicher Kritiker des Ausbaus der Kernenergie, der schon früh auf die Problematik eines fehlenden Endlagers hinwies.17 Insgesamt jedoch erschien der Union die Kernenergie zur Sicherung der deutschen Energieversorgung unverzichtbar. Auf dem 30.Bundesparteitag der CDU wurde in den dort beschlossenen Leitsätzen am 5. November 1981 der Ausbau der Kernenergie, aber auch eine Erforschung regenerativer Energien gefordert.18 Vorausgegangen war eine Intensivierung der Parteiarbeit zu Energie- und Umweltfragen, bei der 1979 im Bundesvorstand ein Umweltprogramm vorbereitet worden war und die CDU die Energie- und Umweltthematik auf mehreren Fachkongressen behandelt hatte.19

14 Volker Kempf: Herbert Gruhl. Pionier der Umweltsoziologie. Graz 2008, S. 103 ff. 15 Herbert Gruhl: Ein Planet wird geplündert. Die Schreckensbilanz unserer Politik. Frankfurt a. M.  1975. 16 Helmut Kohl sah im Abgang von Gruhl später selbstkritisch einen großen Verlust, vgl. Kohl: Erinnerungen 1930 – 1982, S. 493 f. 17 Vgl. Christopher Beckmann: „… eigenwillig wie der Frankenwein!“ – Der Journalist, CSU-Abgeordnete und Zeitzeuge Max Schulze-Vorberg und sein Nachlass im Archiv für Christlich-Demokratische Politik, in: HPM 16 (2009), S. 267 – 291, hier 282. 18 Leitsätze „Mit der Jugend – unser Land braucht einen neuen Anfang“, abgedruckt bei Hintze (Hg.): Die CDU-Parteiprogramme, S. 171 – 200, hier § 30, S. 183 f. 19 Vgl. die Diskussion auf den Bundesvorstandssitzungen vom 5. November und 3. Dezember 1979, abgedruckt bei Kohl: „Stetigkeit, Klugheit, Geduld und Zähigkeit“. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1976 – 1980. 2. Halbband: 10/1978-8/1980. Bearb. von Günter Buchstab (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 68/2). Düsseldorf 2018, S. 2093 – 2118, 2149 – 2167.

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Die Ära Kohl (1982 – 1998): Zimmermann, Töpfer und Merkel als Architekten der deutschen Umweltpolitik Nach dem konstruktiven Misstrauensvotum vom 1. Oktober 1982, mit dem die Regierung Schmidt abgewählt und Helmut Kohl zum Bundeskanzler einer christlich-liberalen Koalition gewählt wurde, ergab sich im Bereich des Umweltschutzes besonderer Handlungsbedarf. Für die CDU/CSU bestand jetzt die Möglichkeit, umweltpolitisch auf Bundesebene zu handeln. Ein Glücksfall für die Union war, dass drei der vier in der Amtszeit Kohls zuständigen Minister den Umweltschutz als ihre genuine Aufgabe begriffen. Am Ende der Ära Kohl hatten sie mit robusten Schutzmaßnahmen, der Förderung erneuerbarer Energien und einer „Umweltaußenpolitik“ die Marksteine deutscher Umweltpolitik formuliert. Finanzpolitisch waren die Handlungsspielräume der neuen Regierung eng, da man schließlich am selbst gewählten Ziel gemessen werden würde, den Bundeshaushalt zu konsolidieren. Die Wirtschaft hatte sich nach der Ölkrise 1973/74 noch nicht vollständig wieder erholt, und die in der öffentlichen Wahrnehmung hohe Arbeitslosigkeit, obwohl nach heutigen Standards eher niedrig, bot den Industrieverbänden ein bequemes Argument gegen schärfere Umweltauflagen. Institutionell ressortierte die Umweltpolitik traditionell beim Bundesinnenministerium, das bis 1982 die FDP innegehabt hatte. Neuer Innenminister wurde der CSU-Politiker Friedrich Zimmermann, der vor allem als profilierter Politiker im Bereich der inneren Sicherheit hervorgetreten war und dieses traditionell von der Union besetzte Politikfeld sichern sollte. Dies gelang dem Bayern, der sich aber zur allgemeinen Überraschung auch von Anfang an als kenntnisreicher und durchsetzungsstarker Umweltpolitiker zeigte. Als gravierendstes Umweltproblem stellte sich Anfang der 1980er Jahre die Beeinträchtigung der Baumbestände in den deutschen Wäldern dar, das „Waldsterben“. Als Verursacher waren die schwefeldioxidhaltigen Industrieabgase und die bleihaltigen Autoabgase ausgemacht. Von Seiten der vorhergehenden sozialliberalen Regierung war außer vollmundigen Ankündigungen wenig passiert; die Schadstoffbelastung der Luft war Anfang der 1980er Jahre größer als zehn Jahre zuvor. Schuld daran war die unselige Verkettung, bei der die FDP die vermeintlichen Interessen der deutschen Montan- und chemischen Industrie schützen wollte und die SPD-nahen Gewerkschaften in dieselbe Kerbe schlugen. Sehr schnell handelte die neue Unionsregierung: Zimmermann setzte schon 1983 die erlaubten Schadstoffmengen für industrielle Großfeueranlagen drastisch herunter, innerhalb von zehn Jahren sollte der Schadstoffausstoß um 75  Prozent sinken.20 Zwar blieben mehrere heftig kritisierte Sondergenehmigungen und Ausnahmen für einige Jahre noch erhalten, wie etwa das nahe der innerdeutschen Grenze gelegene Kraftwerk Buschhaus, doch stellt auch in der rückwirkenden Betrachtung diese Verordnung eine entscheidende Zäsur in der deutschen Umweltgeschichte dar. Immerhin waren 1983 216 Kohlekraftwerke in der Bundesrepublik in Betrieb, für die nach Übergangsfristen sukzessive die Verordnung Gültigkeit erlangte. 1985/86 wurde sie ergänzt durch die Technische Anleitung Luft, die die Bundesrepublik endgültig zum Vorreiter bei der

20 Friedrich Zimmermann: Kabinettstücke – Politik mit Strauß und Kohl 1976 – 1991. München/Berlin 1991, S. 218 – 220.

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Bekämpfung von Luftschadstoffen machte.21 In der Retrospektive war dabei insbesondere die Person Zimmermann entscheidend, da er das nötige Durchsetzungsvermögen gegenüber Großindustrie, Gewerkschaften und auch dem Koalitionspartner FDP besaß. Konnte die CDU/CSU-geführte Regierung im nationalen Rahmen relativ einfach agieren, stellte sich die Sachlage bezüglich der Reduzierung der Autoabgase deutlich schwieriger dar. Technisch ließen sich durch die Einführung eines geregelten Drei-Wege-Katalysators und unverbleiten Benzins die Schadstoffmengen in den Autoabgasen drastisch reduzieren; die Technik und die positiven Auswirkungen waren etwa durch die strengen kalifornischen Abgasnormen bekannt und erprobt. Zwar versuchte Bundesinnenminister Zimmermann schon im Juli 1983, die amerikanischen Abgasnormen auf europäischer Ebene durchzusetzen.22 Allerdings gab es hier hinhaltenden Widerstand durch die deutsche Automobilindustrie, die eine Verteuerung ihrer Fahrzeuge fürchtete, und die anderen Staaten der europäischen Gemeinschaft, die ebenfalls wirtschaftliche Interessen ins Feld führten. Nach zähem Ringen konnte der „Brüsseler Kompromiss“ gefunden werden, bei dem in der Bundesrepublik über steuerliche Anreize die Beschaffung von abgasreduzierten PKW gefördert und europaweit unverbleites Benzin eingeführt wurde. Der ebenfalls diskutierte Vorschlag, ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen einzuführen, konnte sich nicht durchsetzen. Mitte 1989 waren bereits 70 Prozent aller in der Bundesrepublik neuzugelassenen PKW mit Katalysator ausgerüstet. Schon Ende der 1980er Jahre waren die Erfolge der Kohl’schen Umweltpolitik nachweisbar, als sich der Zustand des deutschen Waldes deutlich gebessert hatte.23

Die Katastrophe von Tschernobyl 1986 und die deutsche Atompolitik Zu Beginn der Ära Kohl schien die bundesdeutsche Atompolitik klar konturiert: Trotz der teilweise gewaltsamen Proteste der Anti-Atombewegung bestand zwischen den im Bundestag vertretenen Parteien CDU/CSU, FDP und dem größeren Teil der SPD Konsens, am Energiemix aus fossilen Energien und Atomkraft festzuhalten. Die Rohstoffknappheit der Bundesrepublik, die gerade überstandene Ölkrise und der Energiebedarf der Industrie schienen dies zu diktieren. Zudem war man stolz auf den hohen Sicherheitsstandard der bundesdeutschen Atomindustrie, die Risiken schienen beherrschbar. Als am 26. April 1986 der Reaktorblock eines sowjetischen Kernkraftwerks im ukrainischen Tschernobyl explodierte, veränderte dies die Risikoeinschätzung grundlegend. Zwar war Tschernobyl bei weitem nicht die erste schwere Nuklearkatastrophe; der Kyschtym-Unfall 1957 in der Sowjetunion etwa ist in der Größenordnung vergleichbar gewesen, und die USA entgingen 1979 bei einem Störfall im Atomkraftwerk Harrisburg nur knapp einer ähnlichen Katastrophe. Allerdings gab es zu Tschernobyl, auch durch die „Glasnost“-Politik des neuen sowjetischen Parteichefs Michail Gorbatschow, erstmals eine umfassende weltweite Berichterstattung. Die Bundesrepublik war durch den radioaktiven Fallout teilweise direkt betroffen; bis heute sind einzelne bayerische 21 Andreas Wirsching: Abschied vom Provisorium. 1982 – 1990 (Geschichte der Bunderepublik Deutschland. Bd. 6). Stuttgart 2006, S. 365 f. 22 Zimmermann: Kabinettstücke, S. 233 – 242, wobei das Agieren der verschiedenen Stakeholder bei den Brüsseler Verhandlungen sehr plastisch herausgearbeitet wird. 23 Wirsching: Abschied vom Provisorium, S. 366.

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Waldgebiete so stark strahlenbelastet, dass Wild und Pilze von dort immer noch nicht verzehrt werden können. Die direkten Handlungsoptionen der Bundesregierung waren begrenzt; die Katastrophe war auf eine Kombination von Bedienungsfehlern mit einem risikobehafteten sowjetischen Reaktordesign zurückzuführen, das die bundesdeutschen Kernkraftwerke nicht aufwiesen. Allerdings stieg daraufhin die Skepsis gegenüber der friedlichen Nutzung der Kernenergie in der Bundesrepublik stark an. Die SPD beschloss auf ihrem Nürnberger Parteitag 1986 die Forderung nach einem Atomausstieg innerhalb von zehn Jahren.24 Der Atomkonsens der etablierten Parteien war damit aufgekündigt und für die neu entstandenen „Grünen“ war der Atomausstieg sowieso die zentrale politische Forderung. Die Regierung Kohl reagierte auf die öffentliche Besorgnis, indem sie den politischen Stellenwert der Reaktorsicherheit und des Umweltschutzes allgemein in der Bundesrepublik deutlich erhöhte: Am 6. Juni 1986 wurde das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gegründet und seine Geschäftsbereiche aus dem Innenressort und dem Forschungsministerium ausgegliedert.25 Außerdem wurde das Bundesamt für Strahlenschutz als nachgeordnete Behörde geschaffen. Ergänzt wurde der institutionelle Ausbau 1990 durch die Gründung der Bundesstiftung Umwelt. Auch die Legislative zog hier mit: Seit den 1980er Jahren gibt es in fast jeder Wahlperiode eine Enquête-Kommission des Bundestages zu umweltpolitischen Fragen. Erster Bundesumweltminister wurde der hessische CDU-Vorsitzende Walter Wallmann. Helmut Kohl wollte einen politischen Vertrauten auf diesem Posten sehen, der freilich schon am 23. April 1987 als Ministerpräsident in die Wiesbadener Staatskanzlei wechselte.26 Sein Nachfolger wurde der rheinland-pfälzische Umweltminister Klaus Töpfer, der auch schon bei der Gründung des Bundesministeriums im Gespräch gewesen war und als der profilierteste CDU-Umweltpolitiker galt. Unter Töpfer gewann der Umweltschutz in der Union ein besonderes Gewicht.

Das Töpfer-Papier 1988 und die „Ökologische und Soziale Marktwirtschaft“ Allerdings blieb das Verhältnis der Union zur Umweltbewegung zwiespältig. Während in dem grundsätzlichen Anliegen der Bewahrung der Schöpfung durchaus eine Schnittmenge zwischen den Zielen bestand, war die gegenseitige Wahrnehmung jedoch deutlich ablehnend. Die CDU wurde verzerrt als Interessenwalter von Großindustrie und „Atomlobby“ gesehen, ohne dass ihre im Praktischen sehr erfolgreiche Umweltpolitik objektiv gewürdigt worden wäre. In der CDU wiederum wurde vor allem die gewaltbereite linksradikale Minderheit der Kernkraftwerksgegner wahrgenommen und nicht der ungleich größere Teil der demokratisch gesonnenen besorgten Bürger. Trotzdem fand die gesellschaftliche 24 Aufgrund von innerparteilichen Querelen wurde erst am 20. Dezember 1989 ein neues SPD-Parteiprogramm mit der Forderung nach einem Atomausstieg verabschiedet, vgl. Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, abgedruckt bei Susanne Miller/Heinrich Potthoff: Kleine Geschichte der SPD. Darstellungen und Dokumente 1848 – 1990. 7.Aufl. Bonn 1991, S. 461 – 507, hier 495. 25 Michael Mertes/Helmut G. Müller: Der Aufbau des Bundes-Umweltministeriums, in: Verwaltungsarchiv 78 (1987), S. 459 – 474. 26 Zu Kohls Überlegungen bei der Einrichtung des Ministeriums und der Berufung von Wallmann s. dessen Memoiren: Helmut Kohl: Erinnerungen 1982 – 1990. München 2005, S. 418 – 423.

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Diskussion über Umweltschutz und Kernkraft auch im Unionslager statt. Die schon 1980 geäußerte Besorgnis der katholischen Bischofskonferenz über die Gefahren der friedlichen Nutzung der Kernenergie war eine für die CDU wichtige Stimme.27 Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Joseph Kardinal Höffner, artikulierte diese Bedenken 1986 in einem Interview nochmals deutlich. Der Union blieb nichts anderes übrig, als im öffentlichen Diskurs den Dissens herunterzuspielen. Intern gab Kohl aber klar zu erkennen, wie enervierend er die öffentliche Kritik von Seiten der katholischen Kirche empfand.28 Auch innerhalb der Union wurden Alternativen erwogen. Eine zentrale Bedingung für jedes Ausstiegsszenario musste die Versorgungssicherheit sein. Dies wäre mit der Nutzung fossiler Energieträger sicherlich zu erreichen gewesen, doch war gerade für einen weitsichtigen Umweltpolitiker wie Klaus Töpfer klar, dass man auch die durch den Kohlendioxidausstoß verursachte Klimaerwärmung im Blick haben musste. Die Lösung konnte also nur in der Entwicklung CO2-neutraler Methoden der Energiegewinnung bestehen. Die Perzeption der Kernenergie innerhalb der Union wandelte sich deutlich; von einer alternativlosen Zukunftsenergie wurde sie jetzt nur noch zur „Brückentechnologie“, die es aufgrund ihrer Risiken sobald mittelfristig zu ersetzen galt. Im Vorfeld des Wiesbadener Parteitages der CDU 1988 brachte Töpfer seine Überlegungen in die Programmkommission ein. Er wollte die Erforschung der Nutzung regenerativer Energien deutlich forcieren, um dadurch dem Endziel eines verantwortbaren Atomausstiegs ohne wesentliche Steigerung des CO2-Ausstoßes näherzukommen. Sein Entwurf für den Leitantrag des CDU-Parteitages benannte dieses Endziel klar: man müsse „eine Zukunft ohne Kernenergie, aber auch mit immer weniger fossilen Energieträgern erfinden“. Auf Veranlassung der Parteiführung wurden die entsprechenden Passagen aus dem Antragsentwurf herausgestrichen.29 Inhaltlich steht das 2009 von Klaus Töpfer initiierte und als Gründungsdirektor geleitete Potsdamer Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in der Tradition dieser Planungen. Töpfer selbst arbeitet weiter an entsprechenden Konzepten, die Ökonomie und Ökologie verbinden sollen.30 Obwohl diese Initiative 1988 gescheitert war, stieg doch der Stellenwert der Umweltpolitik in der CDU deutlich. Auf dem Bremer Parteitag im September 1989 wurde ein umweltpolitisches Programm der CDU verabschiedet, das inhaltlich ganz maßgeblich Töpfers Handschrift erkennen lässt.31 Die Partei gab sich damit ein stringent durchdach27 Zukunft der Schöpfung – Zukunft der Menschheit. Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zu Fragen der Umwelt und der Energieversorgung (Die Deutschen Bischöfe Nr. 28). Bonn 1980. 28 So seine Ausführungen über die Kritik des Salzburger Erzbischofs Karl Berg vor dem Bundesvorstand der CDU am 28. August 1986, vgl. Helmut Kohl: Berichte zur Lage 1982 – 1989. Der Kanzler und Parteivorsitzende im Bundesvorstand der CDU Deutschlands. Bearb. von Günter Buchstab und Hans-Otto Kleinmann (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 65). Düsseldorf 2014, S. 458 f. 29 Zu den damals auch in der Tagespresse diskutierten Abläufen vgl. Jürgen Gros: Politikgestaltung im Machtdreieck Partei, Fraktion, Regierung. Zum Verhältnis von CDU-Parteiführungsgremien, Unionsfraktion und Bundesregierung 1982 – 1989 an den Beispielen der Finanz-, Deutschland- und Umweltpolitik (Beiträge zur Politischen Wissenschaft. Bd. 104). Berlin 1998, hier S. 371 – 376. Das Papier selber wurde der Öffentlichkeit zugespielt, vgl. den Abdruck in der Frankfurter Rundschau vom 27.2.1988: „Dem Wirtschaftswunder muß das Umweltwunder folgen“. 30 Dieter Flämig/Lothar de Maizière/Klaus Töpfer (Hg.): Weiter Denken. Von der Energiewende zur Nachhaltigkeitsgesellschaft. Plädoyer für eine „Klimaschutz-Rente“ als Instrument einer bürgernahen Versöhnung von Ökologie, Ökonomie und Sozialstaat. Berlin u. a. 2016. 31 „Unsere Verantwortung für die Schöpfung“, abgedruckt bei Hintze (Hg.): Die CDU-Parteiprogramme, S. 289 – 318.

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tes umweltpolitisches Programm, das die Grundlagen christlich-demokratischer Umweltpolitik seitdem geprägt hat und viele Elemente des Entwurfs von 1988 enthält. Der von Klaus Töpfer geprägte Begriff der „Ökologischen und Sozialen Marktwirtschaft“ soll dabei die Fortentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft beschreiben.

Der Ausstieg aus der nuklearen Kreislaufwirtschaft 1988 Von der Öffentlichkeit kaum in dieser Konsequenz wahrgenommen, begann schon in der Regierungszeit Helmut Kohls der Rückzug der Bundesrepublik aus der nuklearen Kreislaufwirtschaft: In der Nuklearplanung war ein Brennstoffkreislauf vorgesehen, bei dem die Bundesrepublik Uran importieren oder selbst fördern würde, dieses in den entsprechenden Reaktoren verbrannt und die Brennstäbe wiederaufbereitet würden in einer Wiederaufbereitungsanlage im bayerischen Wackersdorf. Die Bundesrepublik wäre damit zu einer fast autarken Nuklearmacht geworden. Nachdem allerdings deutlich wurde, dass die technischen Probleme bei dem geplanten Betrieb des „Schnellen Brüters“ in Kalkar und der Wiederaufarbeitung in Wackersdorf immens und die Umweltrisiken gravierend sein würden, zudem die Proteste in der Bevölkerung zunahmen und in der Industrie eine Verarbeitung der abgebrannten Brennstäbe in Frankreich favorisiert wurde, entschied sich die Regierung Kohl im Mai 1989, auf den Bau von Wackersdorf zu verzichten.32 Die Entsorgung der bundesdeutschen Brennstäbe erfolgte seitdem über britische und französische Wiederaufarbeitungsanlagen. Mit dieser Entscheidung verabschiedete sich die Bundesrepublik schon in der Ära Kohl von einer nuklearen Kreislaufwirtschaft. Sicherlich spielte dabei auch die veränderte Sicherheitslage eine Rolle, da in den Zeiten der beginnenden Ost-West-Entspannung eine völlige nukleartechnische Unabhängigkeit der Bundesrepublik mit den entsprechenden sicherheitspolitischen Implikationen nicht mehr notwendig erschien.

„Kleiner Atomausstieg“ 1990 und Umweltsanierung in den neuen Ländern Eine besondere Herausforderung für die Umwelt-, besonders aber auch die Energiepolitik ergab sich durch die Friedliche Revolution in der DDR und die Wiedervereinigung 1990. Die DDR-Wirtschaft lebte seit Mitte der 1970er Jahre, als die SED unter Erich Honecker aus Gründen des Machterhalts die Versorgung der DDR-Bevölkerung mit Konsumgütern verbessert hatte, von ihrer Substanz: Die Investitionsquote war nicht mehr hoch genug, um den industriellen Standard zu halten, geschweige denn die notwendigen technischen 32 Die seitens der Regierung Kohl propagierte Darstellung, dass der Verzicht auf Wackersdorf von der Industrie quasi hinter dem Rücken der Bundesregierung betrieben worden sei, findet sich auch bei Wirsching: Abschied vom Provisorium, S. 390 ff., ist aber in dieser Ausschließlichkeit aufgrund der dazu notwendigen staatlichen Genehmigungen unwahrscheinlich. Zudem wird bei dieser Argumentation der militärische Gesichtspunkt – eine Wiederaufarbeitungsanlage hätte der Bundesrepublik über die Plutoniumerzeugung immer kurzfristig den Aufbau einer Nuklearstreitmacht erlaubt – völlig außer Acht gelassen. Kohl war allerdings zweifellos über das Vorgehen der Industrie schwer verärgert, vgl. seine Ausführungen vor dem Bundesvorstand der CDU am 8. Mai 1989, abgedruckt bei Kohl: Berichte zur Lage 1982 – 1989, S. 722 f.

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Innovationen für einen effektiven Umweltschutz einzuführen. Gleichzeitig führte die Devisenknappheit der DDR zu dem Bestreben, möglichst umfangreich importiertes Erdöl durch heimische Braunkohle zu ersetzen. Die Wohnungsbeheizung erfolgte ebenfalls noch größtenteils durch schwefelhaltige Braunkohle. In der Folge war der Pro-Kopf-Ausstoß an Schadstoffen in der DDR einer der höchsten weltweit. Auch im Bereich der Nuklearpolitik gab es gravierende Probleme: Zwar hatten die beiden der Energieversorgung dienenden DDR-Atomkraftwerke in Rheinsberg und Lubmin einen für Ostblockverhältnisse vergleichsweise hohen Sicherheitsstandard, doch bestand im sächsischen Erzgebirge eine massive Strahlenbelastung durch die Abraumhalden aus dem Uranbergbau der Wismut AG, der ursprünglich dem sowjetischen Atombombenprogramm gedient hatte.33 Trotz aller politischen Repression bildete sich unter dem Dach der Kirchen eine unabhängige Umweltbewegung, die im Vorfeld der Friedlichen Revolution 1989 eine wichtige Rolle spielte. Wenig rezipiert ist, dass die Wirtschafts- und Währungsunion 1990 auch von einer Umweltunion begleitet wurde. Bereits am 14. Dezember 1989 wurde eine gemeinsame Umweltkommission von Bundesumweltminister Töpfer und seinem DDR-Kollegen Hans Reichelt vereinbart.34 Durch die Vereinbarung einer „Umweltunion“ (1. Juli 1990) gelang es schon während der Beitrittsverhandlungen, die Umsetzung wesentlicher Ziele der bundesdeutschen Umweltpolitik in der noch bestehenden DDR zu implementieren. Nach der Währungsunion brach ein Teil der DDR-Wirtschaft im Verlauf weniger Monate zusammen. Dadurch reduzierte sich der CO2-Ausstoß relativ schnell. Gleichzeitig wurde von der Bundesregierung das erste mehrerer Förderprogramme für den privaten Wohnungsbau bzw. die private Wohnungsmodernisierung in den neuen Bundesländern aufgelegt. Über massive steuerliche Anreize wurde bis Ende der 1990er Jahre fast der gesamte Wohnungsbestand in den neuen Ländern auf „Weststandard“ gebracht, was zum weitgehenden Verschwinden des Hausbrandes mit Braunkohle führte. Im Bereich der Energiepolitik wäre ein Weiterbetrieb der DDR-Atomkraftwerke die rein wirtschaftlich sinnvollste Lösung gewesen, zudem stand im Atomkraftwerk Lubmin eine weitere Ausbaustufe kurz vor der Fertigstellung. Da die Reaktortypen jedoch nicht den westdeutschen Sicherheitsstandards entsprachen, entschied die von der CDU geführte letzte ostdeutsche Regierung unter Ministerpräsident Lothar de Maizière, hierin unterstützt von Bundesumweltminister Töpfer, die Reaktoren im Juni bzw. Juli 1990 vom Netz zu nehmen: Im Zweifel stand die Sicherheit der Bevölkerung vor wirtschaftlichen Erwägungen.35 Der „kleine Atomausstieg“ der DDR 1990 wurde in der Öffentlichkeit nur wenig wahrgenommen, vollzog sich aber in durchaus vergleichbarem Bedingungsgefüge wie 2011: Eine CDU-geführte Regierung entschied sich aufgrund von Sicherheitsbedenken gegen wirtschaftliche Argumente für den Atomausstieg.

33 Paul Reimar: Das Wismut-Erbe. Geschichte und Folgen des Uranbergbaus in Thüringen und Sachsen. Göttingen 1991. 34 Vgl. Wolfgang Schäuble: Der Vertrag. Wie ich über die deutsche Einheit verhandelte. Stuttgart 1991, S. 292. 35 Die Übergangsregierung unter Modrow hatte Töpfer noch gebeten, dass die Bundesrepublik die Reaktorsicherheit in der DDR übernehmen solle, aber dieser hatte ein Abschalten empfohlen, vgl. die Mitteilung Kohls vom 10. Februar 1990 an Generalsekretär Gorbatschow, abgedruckt bei Hanns Jürgen Küsters/Daniel Hoffmann (Bearb.): Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90. München 1998, Dok. 174, S. 795 – 807, hier 798.

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Als Ersatz für die stillgelegten DDR-Atomkraftwerke und die Braunkohlekraftwerke kamen aufgrund des damals noch geringen Entwicklungsstandes bei der Erzeugung regenerativer Energien nur fossile Energieträger in Frage. Gleichzeitig mussten sehr schnell neue Kraftwerkskapazitäten aufgebaut werden, sollte es nicht zu einer Versorgungslücke kommen. Die Regierung Kohl widerstand dem politischen Druck, aus arbeitsmarktpolitischen Kriterien die heimische Braunkohle aus dem Revier bei Halle/Leipzig trotz ihrer höheren Schadstoffbelastung stärker zu berücksichtigen. Der Zusammenbruch der ostdeutschen Industrie wurde zumindest zeitweise durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen kompensiert. Bei aller berechtigten Kritik an punktuellen Fehlentwicklungen waren diese Programme jedoch sehr erfolgreich im Bereich der Umweltsanierung. Die Abraumhalden der Wismut AG wurden saniert, der Uranbergbau selbst eingestellt. Die gravierenden Umweltschäden im Chemiedreieck Halle-Bitterfeld wurden ebenfalls weitgehend beseitigt.

Die „Umweltaußenpolitik“ der Regierung Kohl Schon vor der Wiedervereinigung hatte sich abgezeichnet, dass die Bundesrepublik ständig an Gewicht auf der internationalen Bühne gewann. Bundeskanzler Helmut Kohl war ein weltweit angesehener Staatsmann, die Wiedervereinigung steigerte das internationale Prestige noch zusätzlich. Die auf friedliche Kooperation in internationalen Gremien ausgerichtete deutsche Politik, der Verzicht auf militärische Interventionen ohne Zustimmung der Völkergemeinschaft, die nur geringe Belastung durch eine koloniale Vergangenheit und das wirtschaftliche Gewicht der Bundesrepublik sind Faktoren, die Deutschland zu einem der einflussreichsten Staaten weltweit machen. Unter der Regierung Kohl wurde dieses Gewicht gezielt genutzt, um die internationale Kooperation in Umweltfragen voranzutreiben. Diese „Umweltaußenpolitik“ entwickelte sich in der Ära Kohl zu einem Markenzeichen bundesdeutscher Politik. Helmut Kohl gab 1988 der Toronto-Konferenz durch seine Anwesenheit Gewicht und setzte 1989 auf dem Weltwirtschaftsgipfel durch, dass die Umweltpolitik als ein vorrangiges Ziel auf die Tagungsagenda kam. Besonders der Umweltgipfel 1992 in Rio de Janeiro wurde auch durch sein Engagement zu einem Erfolg. Auch die Opposition musste den Erfolg der Politik von Helmut Kohl und Klaus Töpfer anerkennen. Sichtbaren Ausdruck fand die internationale Anerkennung der deutschen Rolle durch die Wahl von Klaus Töpfer 1998 zum Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) in Nairobi. Die Wahl eines ebenfalls deutschen Nachfolgers nach Töpfers zweiter Amtszeit 2006 zeigt, dass die Weltgemeinschaft das besondere Engagement der Bundesrepublik für den Klimaschutz würdigt. Nachfolgerin von Klaus Töpfer als Umweltministerin wurde 1994 Angela Merkel, die in der DDR aufgewachsen war. Kurz vor dem Ministerwechsel wurde am 27. Oktober 1994 der Umweltschutz als Staatsziel ins Grundgesetz aufgenommen. Merkel brachte als promovierte Physikerin eine besondere naturwissenschaftliche Kompetenz mit. Schwerpunkt ihrer Arbeit wurde der Kampf gegen den Klimawandel. In ihrer Amtszeit begann die 1990 mit dem Energieeinspeisegesetz (EEG) beschlossene Energiewende Wirksamkeit zu entfalten. Schon 1997 wurde die Bundesrepublik zum weltweiten Spitzenreiter in der Windkraft, wenig später auch bei der Nutzung von Solarstrom. Wohl wichtigster 518

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Erfolg in Merkels Amtszeit war die Rolle, die Deutschland beim Zustandekommen des Kyoto-Protokolls im Dezember 1997 spielte.36 Die Kompromissfindung zwischen Industrie- und Schwellenländern wurde maßgeblich durch das geschickte Zusammenspiel der deutschen Akteure erleichtert.

Rot-Grüner Atomausstieg und CDU-geführte Koalitionen seit 2009 Der Wechsel zu einer rot-grünen Regierung nach der für die christlich-liberale Koalition verlorenen Bundestagswahl 1998 brachte weniger inhaltlich Neues in der Umweltpolitik, als vorher vollmundig angekündigt worden war. Im Wesentlichen wurden die in der Regierung Kohl angelegten Grundsätze prolongiert, eine Ausnahme bildete lediglich der Atomausstieg. Hier kam es nach Verhandlungen zwischen rot-grüner Bundesregierung und der Industrie zur Vereinbarung vom 14. Juni 2000 über Reststrommengen für deutsche Kernkraftwerke, was einen stufenweisen Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie bis etwa 2020 bedeutet hätte. Die CDU kritisierte die Regelung, da ihrer Meinung nach dadurch die Energieversorgung der Bundesrepublik nicht ausreichend gesichert werden würde. Umweltpolitisch wurden, abgesehen vom geplanten Atomausstieg, eher die unter Töpfer entwickelten Konzepte weitergeführt: Eine 1999 mit viel propagandistischem Aufwand eingeführte verbrauchsorientierte Energiebesteuerung („Ökosteuer“) stellte in Wirklichkeit eine Fortentwicklung bestehender Steuern dar, der Ausbau der regenerativen Energien und der Klimaschutz waren Projekte, die die Regierung Kohl in Angriff genommen hatte.

Klimaschutz in der Ära Merkel Nach der für die Regierung Schröder verlorenen Bundestagswahl 2005 einigten sich CDU/CSU und SPD auf eine große Koalition. Umweltpolitisch gab es relativ große Übereinstimmung in der Forderung, dass Umweltpolitik und Wirtschaftswachstum keine Gegensätze sein dürften („ökologische Industriepolitik“). Schon in der Endphase der Ära Kohl hatte sich gezeigt, dass ein vordringliches Ziel der Umweltpolitik die Bekämpfung des anthropogenen Klimawandels sein musste; darüber bestand überparteilicher Konsens. Während alle Bundesregierungen seit Kohl auf internationaler Bühne sehr erfolgreich als Impulsgeber internationaler Klimaschutzvereinbarungen agierten, war deren Umsetzung in Deutschland selbst von Zielkonflikten geprägt. Aufgrund der gegensätzlichen Positionen der Koalitionspartner CDU/CSU und SPD wurde der Atomausstieg im Koalitionsvertrag ausgeklammert und das rot-grüne Ausstiegsgesetz blieb somit in Kraft. Das noch von Klaus Töpfer initiierte einheitliche Umweltgesetzbuch konnte vom SPD-Umweltminister Sigmar Gabriel 2009 nicht durchgesetzt werden, was u. a. am Widerstand der CSU lag.37 Gabriel selbst verzögerte aus 36 Vgl. Angela Merkel: Neue Ziele für die Umwelt- und Klimaschutzpolitik, in: Die Umweltmacher. 20 Jahre BMU – Geschichte und Zukunft der Umweltpolitik. Hamburg 2006, S. 36 – 47. 37 Der Text war in seiner Substanz lange fertiggestellt, vgl. Umweltgesetzbuch (UGB-Entwurf) – Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Berlin 1998.

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durchsichtigen wahltaktischen Gründen die Suche nach einer geeigneten Endlagerstätte für den deutschen Atommüll. Beim Klimaschutz wurden die schon angedachten Instrumente weiterverfolgt – Ausbau der erneuerbaren Energien, Energieeinsparung insbesondere im Bereich der Wohnimmobilien durch verschärfte Vorgaben zur Wärmedämmung, Reduktion der Kohleverstromung. In der Praxis begannen sich allerdings bald sehr viele Detailprobleme zu zeigen, die größtenteils bis zur Gegenwart noch nicht gelöst sind, wie etwa explodierende Baukosten aufgrund drastisch verschärfter Dämmvorgaben. Die CDU/CSU trug diese Maßnahmen mit, die ja durchaus den Zielen ihrer eigenen Politik entsprachen. Sie muss sich allerdings fragen lassen, ob sie dabei nicht zu sehr auf eine programmatische Weiterentwicklung ihrer Umweltpolitik verzichtet und im Korsett mit einem sozialdemokratischen Koalitionspartner zu stark staatsdirigistische Ansätze mitgetragen hat. Mit der Finanzkrise und den folgenden Verwerfungen in Europa seit 2009 verdrängte die Sorge um den Bestand von Euro und EU zeitweilig die Umweltpolitik von der Spitze der politischen Agenda.

Der Atomausstieg der schwarz-gelben Koalition 2011 Sowohl die CDU/CSU wie auch die FDP waren im Wahlkampf 2009 mit der Forderung angetreten, den rot-grünen Atomausstieg rückgängig zu machen. Konsequenter Weise wurde deshalb 2010 das entsprechende Änderungsgesetz in den Bundestag eingebracht, dass sowohl den Neubau von Atomkraftwerken erlaubte wie auch die Laufzeitbeschränkungen bei bestehenden Anlagen aufhob. Innerhalb der Union war dies weitgehend unumstritten. Eine der wenigen skeptischeren Stimmen aus der CDU war der damalige Umweltminister Norbert Röttgen.38 Mit dem durch einen Tsunami verursachten Atomunfall im japanischen Fukushima am 11.März 2011 änderte sich die politische Bewertung der Atomkraft grundlegend. Sehr schnell entschied Bundeskanzlerin Angela Merkel, die ältesten deutschen Atommeiler vom Netz zu nehmen. Ein Gesetz zum Ausstieg aus der atomaren Stromerzeugung folgte. Diese rasche Entscheidung hatte sicherlich den Vorteil, für die verunsicherte Öffentlichkeit sofort sichtbar entschieden auf die Katastrophe in Fukushima zu reagieren und dadurch auch den Oppositionsparteien SPD und Grüne keinerlei Angriffsfläche mit Mobilisierungspotential zu lassen. Zudem wurde damit strategisch der Weg zu schwarz-grünen Koalitionen auf Bundesebene frei. Die kurz nach der Entscheidung zum schwarz-gelben Atomausstieg stattfindenden Landtagswahlen, die keinerlei spektakuläre Zuwächse an Wählerstimmen bei den Oppositionsparteien brachten, zeigten, dass dieses Kalkül aufgegangen war. Dem standen aber auch gravierende Nachteile gegenüber. Zum einen bedeutete die plötzliche Änderung der Energiepolitik eine Kehrtwende gegenüber der nur ein halbes Jahr zuvor beschlossenen Abkehr vom rot-grünen Ausstiegsgesetz, und war mit heißer Nadel genäht. Der langfristige Verzicht auf die von den deutschen Atomkraftwerken erzeugten Strommengen konnte nicht ohne weiteres durch den Ausbau der erneuerbaren Energien kompensiert werden, und verstärkte dadurch die strategische Abhängigkeit von russischen Erdgasimporten. Zudem wurde dadurch die bis dahin weltweit mitführende 38 Nils Kleine: Die Energiepolitik der CDU zwischen 1972 und 2011. Konzepte, Programme, Debatten. Baden-Baden 2018, S. 215 – 216.

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deutsche Nuklearforschung in Mitleidenschaft gezogen. Außerdem war dies de facto eine im wesentlichen von der Kanzlerin getroffene Entscheidung, die die Partei nur aus machtpolitischen Gründen ohne allzu großen Widerstand mit einem entsprechenden Parteitagsbeschluss im November 2011 nachvollzog. Auch wenn, wie der Atomausstieg in der DDR 1990 im Zuge der Wiedervereinigung und die Position speziell von Klaus Töpfer zeigen, dies auch in der Programmgeschichte der CDU Vorläufer hatte, so waren die strategischen Folgen des Ausstiegs zu diesem Zeitpunkt nicht hinreichend durchdacht worden.

Zunehmende Abhängigkeit von russischen Gasimporten Die ab 2013 erneut regierende schwarz-rote Koalition sah sich mit der Notwendigkeit konfrontiert, die aufgrund des Ausstiegsbeschlusses wegfallenden Strommengen zu substituieren. Auf den ersten Blick schien die Lösung einfach: günstiges russisches Erdgas, für das zudem mit einem gut ausgebauten Pipelinenetz sichere Transportwege zur Verfügung zu standen, bot scheinbar für alle etwas: Die Wirtschaft bekam billige Energie, genauso die durch die EEG-Umlagen belasteten Privathaushalte, das Erdgas eignete sich außerdem hervorragend, um Zeiten der geringen Stromerzeugung durch Wind- und Solaranlagen zu überbrücken, und der CO2-Ausstoß durch die Gasverbrennung war in etwa nur halb so groß wie durch eine entsprechende Kohleverstromung. Die zunehmende Abhängigkeit der Bundesrepublik von russischem Erdgas hat eine lange Vorgeschichte.39 1970 schloss die sozial-liberale Regierung unter Willy Brandt den ersten Liefervertrag, damals noch mit der Sowjetunion. In Zeiten des Kalten Krieges lief dies unbeschadet weiter; sowohl die Regierung Schmidt wie auch die Regierung Kohl widerstanden amerikanischem Druck, in Folge des sowjetischen Einmarschs in Afghanistan 1979 neue Geschäfte mit der UdSSR, bei denen mit bundesdeutschem Kapital und technischem Equipment Gaspipelines von den sibirischen Gasfeldern nach Europa finanziert wurden, die die UdSSR anschließend mit den Erträgen aus den Gaslieferungen bezahlen sollte, zu kündigen. In den Zeiten der rot-grünen Koalition ab 1998 unter dem SPD-Kanzler Gerhard Schröder begann die Bundesrepublik hier in eine Schieflage zu geraten. Hatten noch Helmut Schmidt und Helmut Kohl sehr darauf geachtet, durch eine Diversifizierung der Lieferländer und den Ausbau der Gasspeicherkapazitäten die bundesdeutsche Unabhängigkeit wenigstens partiell zu wahren, spielte dies bei Schröder keine Rolle mehr. Er vereinbarte mit dem russischen Machthaber Wladimir Putin 2005 den Bau der Nord-Stream 1-Pipeline, die russisches Gas direkt von Russland nach Deutschland durch die Ostsee liefern sollte. Dass Schröder als Lobbyist russischer Firmen nach seinem Ausscheiden aus dem Amt das traurige Schauspiel eines ehemaligen SPD-Vorsitzenden und Bundeskanzlers liefern sollte, der in russischem Sold steht, macht im Nachhinein diese Verträge noch zweifelhafter. Die Problematik begann sich spätestens nach der russischen Annexion der Krim 2014 zu zeigen.40 Angela Merkel spielte eine führende Rolle bei dem letztlich erfolglosen Ver39 Falk Illing: Energiepolitik in Deutschland. Die energiepolitischen Maßnahmen der Bundesregierung 1949 – 2013. Baden-Baden 2012 (sic!), S. 150 – 52. 40 Stephan G. Gross: Making Space for Sanctions. The Economics of German Natural Gas Imports from Russia, 1982 and 2014 Compared. In: German Politics and Society 34 (2016), S. 1 – 25.

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such, Russland mithilfe von Sanktionen und einer geduldigen Gesprächsdiplomatie zur Rückkehr zu einer multilateralen, auf Konsens und Gewaltverzicht basierenden Außenpolitik zu bewegen. Da der von Putin abhängige russische Gazprom-Konzern jedoch weiterhin die Gaslieferverträge mit deutschen Geschäftspartnern erfüllte, wurde er von den europäischen Sanktionen ausgenommen und durfte sogar in der Bundesrepublik noch Teile des Pipelinenetzes sowie Gasspeicher erwerben. Ebenfalls hielt die deutsche Seite gegen massive Widerstände der osteuropäischen Staaten sowie der USA am Bau einer zweiten Pipeline, Nord-Stream 2, in einem Allparteienkonsens fest. Hier offenbart sich im Nachhinein ein Versagen aller in dieser Zeit an der Regierung beteiligten politischen Kräfte in der Bundesrepublik: Die CDU/CSU und FDP waren aus wirtschaftspolitischen Gründen dafür, während bei der SPD irrige Vorstellungen über deutsche Einflussmöglichkeiten auf die russische Politik vorherrschten. Nicht unbeteiligt waren allerdings auch die USA, deren herablassend wirkende Kritik an dem Pipelinebau nicht zu trennen war von der Propagierung des in den USA geförderten, aber deutlich teureren Fracking-Gases. Alle an den verschiedenen Kabinetten Merkel beteiligten Parteien haben zu verantworten, dass nach der Annexion der Krim hier nicht umgesteuert wurde. Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 wurde die Verwundbarkeit der deutschen Energieversorgung deutlich. Politisch war die Sanktionierung russischer Gas- und Ölexporte unabdingbar, belastete jedoch die deutsche Energieversorgung schwer. Derzeit (Anfang 2023) ist noch nicht absehbar, ob eine Substituierung russischer Gaslieferungen aus anderen Quellen überhaupt gelingt, und falls ja, zu welchen Preisen. Deutschland hat bei dem Versuch, gleichzeitig den Atomausstieg und eine massive CO2-Reduktion bei nur geringer finanzieller Belastung der Wirtschaft und der Privathaushalte zu ermöglichen, die sicherheitspolitischen Implikationen seiner Energieversorgung vernachlässigt. In Zukunft wird der Aspekt der Versorgungssicherheit vermutlich wieder gleichgewichtig neben den anderen Zielen stehen, und sich ggf. die Frage nach der Nutzung von Atomkraft auch für die Programmatik der Union neu stellen.

Die Umweltpolitik der Union: ein Fazit Die Union hat sich früh mit umweltpolitischen Fragen auseinandergesetzt, was sich aus ihrer Fundierung im christlichen Menschenbild ergibt. Die Bewahrung der Schöpfung steht dabei gleichgewichtig neben wirtschaftlichen Erwägungen, auch wenn dies der Öffentlichkeit vielleicht nicht immer genügend kommuniziert wurde. Besonders in der Ära Kohl hat die CDU mit Bundesumweltminister Klaus Töpfer die entscheidenden Weichenstellungen für die deutsche Umweltpolitik getroffen: Klimaschutz in enger internationaler Abstimmung, CO2-Reduktion in Deutschland, die Förderung erneuerbarer Energien. Geradezu ein Musterbeispiel gelungener CDU-Umweltpolitik stellt die Wiedervereinigung dar, als es gelang, den Umweltschutz in den neuen Bundesländern sehr schnell auf westdeutsches Niveau zu bringen. Als ein zentrales Thema des Umweltschutzes in Deutschland kristallisierte sich seit den 1970er Jahren die Frage der friedlichen Nutzung der Atomenergie heraus. Innerhalb der Union war dies, wie die Positionen von Gruhl und Töpfer zeigen, bei den umweltpolitisch arbeitenden Politikern nicht unumstritten; hier setzte sich jedoch der damalige Parteivorsitzende Helmut Kohl durch. 522

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Nach der Katastrophe von Tschernobyl 1986 sind die Sicherheitsstandards verschärft worden, und eine CDU-geführte Regierung hat trotz der finanziellen Belastungen der Wiedervereinigung im „kleinen Atomausstieg“ 1990 die Reaktoren sowjetischer Bauart in der DDR aus Sicherheitsbedenken abgeschaltet. Nach der Kernschmelze in Fukushima 2011 hat sich die Sicherheitseinschätzung nochmals verändert. Der Atomausstieg 2011 stellt deshalb, anders als öffentlich wahrgenommen, keine völlige Kehrtwende dar. Vielmehr hat gerade die erfolgreiche Umweltpolitik der CDU die Bedingungen geschaffen, unter denen ein Ausstieg möglich wurde. Allerdings wurden sicherheitspolitische Aspekte in der deutschen Energie- und Umweltpolitik zu wenig beachtet.

Forschungs- und Quellenlage Eine Monographie zur Umweltpolitik der CDU stellt bislang ein Desiderat dar. Eine erste Sammlung von Beiträgen zur Umweltpolitik unter Helmut Kohl geschah im Rahmen der „Ära Kohl im Gespräch“, abgedruckt in den HPM 13 (2006). Weder die Kohl-Biographie von Hans-Peter Schwarz noch die von Henning Köhler räumen der Umweltpolitik einen ihrer Bedeutung angemessenen Raum ein, während ihr bei Wirsching, Abschied vom Provisorium, ein Kapitel gewidmet ist, das allerdings inhaltlich aufgrund des fehlenden Zugangs zu staatlichen Archivquellen nicht über den Stand der zeitgenössischen Presseberichterstattung hinausgeht. Eine sorgfältige Analyse für den behandelten Zeitraum bietet die Untersuchung von Gros, Politikgestaltung. Besser ist die Forschungslage im Bereich der Energiepolitik. Die Studie von Falk Illing, Energiepolitik in Deutschland, konzentriert sich auf die Regierungsebene, so dass dabei zwangsläufig die Kontinuitäten der bundesdeutschen Energiepolitik überbetont werden, weil die parteipolitischen Entscheidungsprozesse der jeweiligen Regierungsparteien unterbelichtet bleiben. Die neue Studie von Henning Türk bietet insbesondere zur Montanpolitik viel, nimmt aber die Differenzierungen innerhalb der CDU etwa im Bereich der Nuklearpolitik nicht wahr. Nils Kleine, Die Energiepolitik der CDU, basiert auf veröffentlichtem Material und zeichnet gut die öffentlichen Debatten nach, bietet aber weniger zu den Entwicklungen innerhalb der Partei. Die archivalischen Quellen zur Umweltpolitik der CDU sind verstreut und unterliegen teilweise noch der 30-Jahres-Sperrfrist. Da es sich um ein vergleichsweise junges Politikfeld handelt, bei dem wesentliche Akteure noch leben, ist die Umweltpolitik noch wenig in Nachlässen fassbar. Neben der staatlichen Überlieferung existieren in einzelnen Nachlässen im ACDP Splitterbestände. Etliches Material zur programmatischen Entwicklung der Partei ist veröffentlicht, und wichtige Belege finden sich in den Memoiren der beteiligten Politiker wie Zimmermann oder Kohl. Zeitzeugenberichte sind in der erwähnten Veranstaltung der Reihe „Ära Kohl im Gespräch“ gesammelt worden.

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Für Recht und Ordnung – Eine programmatische Betrachtung der Politik zur Inneren Sicherheit David Maaß In seiner Bewerbungsrede für das Amt des Parteivorsitzenden der CDU auf dem digitalen Bundesparteitag am 16. Januar 2021 warb Armin Laschet für seine Person mit dem Hinweis auf den Einsatz der von ihm geführten nordrhein-westfälischen Landesregierung auf dem Feld der Inneren Sicherheit: „Während alle von innerer Sicherheit reden, setzen wir Null Toleranz gegen Rechtsbruch und Kriminalität durch, Tag für Tag, Nacht für Nacht.“1 Auch seine Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer bekannte sich zur Inneren Sicherheit als Teil des Markenkerns der CDU. So verkündete sie 2019 auf dem Bundesparteitag in Leipzig: „Regeln sind dafür da, dass sie befolgt werden. Wir haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass genau das passiert. Das ist unser Markenkern.“2 Mit dem Begriff des „Markenkerns“ umriss die damalige Parteivorsitzende das über Jahrzehnte gepflegte Selbstverständnis der CDU als die Partei der Inneren Sicherheit. Das zeigt sich auch daran, dass in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die Unionsparteien im Falle einer Regierungsbeteiligung das Amt des Bundesministers des Innern stets für sich reklamierten. Überhaupt gehörten bis 2021 von insgesamt 18 Bundesinnenministern 13 der Union an, darunter neun der CDU. Auch daran wird deutlich, welch hohe Stellung CDU und CSU der Inneren Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung beimessen. Das wurde auch in der Bevölkerung seit jeher anerkannt. Der hohe Kompetenzvorsprung der Union auf diesem Feld wird durch viele Meinungsumfragen bestätigt. Lediglich um die Jahrhundertwende, zu Zeiten des sozialdemokratischen Innenministers Otto Schily und der CDU-Parteispendenaffäre, gelang es der SPD, hier mit der Union gleichzuziehen.3 Dieser Beitrag soll die Bedeutung des Themas „Innere Sicherheit“ für die CDU anhand einer Analyse der Kernaussagen in den Grundsatzprogrammen und Wahlprogrammen zu den Bundestagswahlen aufzeigen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Programme der frühen Jahre zumeist sehr knapp gefasst sind und schon aus diesem Grund weniger konkrete Aussagen enthalten als die ausführlicheren Programme der jüngeren Vergangenheit. Zudem hatten in den frühen Jahren der Bundesrepublik andere Themen Vorrang – wie der Wiederaufbau des Landes oder die außenpolitische Orientierung –, während für den Erhalt der Inneren Sicherheit teilweise noch die Besatzungsmächte ver1 Bewerbungsrede Armin Laschet, https://www.cdu-parteitag.de/sites/www.pt21.cdu.de/files/downloads/ bewerbungsrede-armin-laschet-digitaler-bundesparteitag-2021.pdf (Abruf: 9.6.2021). 2 Bericht der Vorsitzenden der CDU Deutschlands, https://www.cdu.de/system/tdf/media/images/200111-22-bericht-der-parteivorsitzenden.pdf?file=1 (Abruf: 9.6.2021). 3 Vgl. Peter Müller: „Ohne Sicherheit ist keine Freiheit“ – die CDU und die Innere Sicherheit, in: Norbert Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU. München 2020.

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antwortlich waren. Dennoch lassen sich eine Schwerpunktsetzung und programmatische Entwicklung im Wandel der Zeit aufzeigen.

Aufbau von Strukturen Die Gründungsdokumente der Partei betonten die Wiederherstellung des Rechtsstaates in klarer Abgrenzung zur nationalsozialistischen Diktatur. Im übertragenen Sinne ging es um die Gewinnung von Sicherheit vor staatlicher Willkür, wie sie im „Dritten Reich“ geherrscht hatte. „Das Recht muss wieder Grundlage des ganzen öffentlichen Lebens werden“,4 hieß es demnach im Berliner Gründungsaufruf 1945. Gefordert wurden eine unabhängige Justiz und der Ausschluss jeglicher Willkür. Eine Gestapo mit ihrem Terror sollte es nie wieder geben dürfen. In die gleiche Richtung stießen die Kölner Leitsätze, die die Gerechtigkeit als staatliches Fundament und die Gleichheit aller vor dem Gesetz hervorhoben.5 1949/50 wurde in der Bundesrepublik um den Aufbau einer Bundespolizei gerungen. Besonders Bundeskanzler Konrad Adenauer setzte sich dafür massiv ein und trieb entsprechende Planungen voran. Zudem versuchte er die westalliierten Besatzungsmächte von seinen Ideen zu überzeugen. Während Innenminister Gustav Heinemann ihren Aufgabenbereich auf die Fälle von verfassungsfeindlichen Unruhen im Land beschränken wollte, sah Bundeskanzler Konrad Adenauer in ihr auch ein mögliches Gegengewicht zur kasernierten Volkspolizei der DDR und damit den Ansatz eines bundesdeutschen Wehrbeitrags gegen die Bedrohung aus dem Osten.6 In den 1950er Jahren wurde die Innere Sicherheit durch das Verbot der neonazistischen Sozialistischen Reichspartei (SRP) 1952 und der Kommunistischen Partei Deutschlands 1956 gestärkt.7 Die Einleitung eines Verbotsverfahrens der bei Wahlen besonders in Niedersachsen und Bremen erfolgreichen SRP ging auch auf die Initiative von Bundesinnenminister Robert Lehr zurück. Für den ehemaligen Widerstandskämpfer im Dritten Reich war der Kampf gegen ein Wiederaufflammen des Nationalsozialismus eine Herzensangelegenheit. Daher prangerte er mit besonderer Entschiedenheit die Wesensverwandtschaft der SRP mit der NSDAP an. Den Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD durch das Bundesverfassungsgericht stellte die Bundesregierung drei Tage nach dem Antrag auf Verbot der SRP am 23. November 1951.8 Bereits im Juni 1951 verbot die Bundesregierung die Freie Deutsche Jugend (FDJ), die auf dem Gebiet der Bundesrepublik de facto als Jugendorganisation der KPD agierte, und verschärfte in 4 Christlich-Demokratische Union Deutschlands: Berliner Gründungsaufruf der CDU: Deutsches Volk! 1945. 5 Vgl. Kölner Leitsätze: Vorläufiger Entwurf zu einem Programm der Christlich-Demokratischen Partei Deutschlands, vorgelegt von den Christlichen Demokraten Kölns im Juni 1945. 6 Vgl. Hans-Peter Schwarz: Adenauer. Bd. 1: Der Aufstieg. 1876 – 1952. Stuttgart 1986, S. 734 ff. 7 Vgl. Henning Hansen: Die Sozialistische Reichspartei. Aufstieg und Scheitern einer rechtsextremen Partei (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bd. 148). Düsseldorf 2007. 8 Vgl. Dietrich Staritz: Die Kommunistische Partei Deutschlands, in: Richard Stöss (Hg.): ParteienHandbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945 – 1980 (Schriften des Zentralinstituts für Sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin. Bd. 39). Bd. 2: FDP bis WAV. Opladen 1984, S. 1663 – 1809.

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dem Zusammenhang auch das Strafrecht. Ein als „Adenauer-Erlass“ bekanntgewordener Beschluss der Bundesregierung von 1950 verbot öffentlich Bediensteten der Bundesrepublik zudem die Mitgliedschaft in als verfassungsfeindlich eingestuften Organisationen. Der Erlass richtete sich gleichermaßen gegen links- und rechtsextreme Organisationen.9 Das Hamburger Programm von 1953 enthielt lediglich die spärliche, aber dafür sehr konkrete Aussage, dass man die Stellung des Richters durch ein entsprechendes Gesetz zu verbessern trachte. Zudem wurde eine „überfällige“ Reform des Strafrechts angekündigt.10 Der Begriff der „Inneren Sicherheit“ indes wurde in dem Programm nicht verwendet. Stattdessen wurde er auf dem Hamburger Parteitag von Bundesinnenminister Robert Lehr im Zusammenhang mit der Spionageabwehr und der Sicherung der Ostgrenze gebraucht.11

Konfrontation mit der 68er Bewegung Die 1960er Jahre waren sicherheitspolitisch geprägt von den Auseinandersetzungen mit der Mitte des Jahrzehnts aufkommenden Studentenbewegung und der Bildung der Außerparlamentarischen Opposition (APO).12 In dem Konflikt ging es auch um die von der großen Koalition unter Bundeskanzler Kiesinger geplante Notstandsgesetzgebung. Diese wurde mit dem Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten verglichen. Einen Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung bei den Demonstrationen am 2. Juni 1967 gegen den Besuch des Schahs von Persien, bei denen der Student Benno Ohnesorg durch den Polizisten und, wie Jahrzehnte später bekannt wurde, inoffiziellen Mitarbeiter der Staatssicherheit Karl Heinz Kurras erschossen wurde.13 Nach dem Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke am 11. April 1968 radikalisierten sich Teile der Bewegung. Es entstand mit der Roten Armee Fraktion (RAF) eine neue Form des Linksterrorismus.14 Die CDU-Programme Ende der 1960er Jahre unterbreiteten neue, teils weitgehende Vorschläge zur Verbesserung des Rechtsstaates, der Sicherheitslage und der Bekämpfung der Kriminalität. So sollten die Rahmenkompetenzen des Bundes erweitert und die Strafverfahren beschleunigt werden. Vorgesehen war eine Stärkung der Kriminalpolizei durch eine bessere Ausbildung der Beamten und eine modernere Ausstattung. Erneut tauchte die Forderung nach einer Reform des Strafprozessrechts auf, die aber in erster Linie die Rechte des Angeklagten stärken sollte. Gestärkt werden sollte auch das Gerichtswesen. Die Themen Wirtschaftskriminalität und Kindesmissbrauch wurden angesprochen. Im Bereich des Sexualstrafrechts – Homosexualität wurde damals noch strafrechtlich verfolgt – wurde eine Entkriminalisierung vorgeschlagen. Die Bedrohung der 9 Vgl. Dominik Rigoll: Staatsschutz in Westdeutschland. Von der Entnazifizierung zur Extremistenabwehr (Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts. Bd. 13). Göttingen 2013. 10 Vgl. Christlich-Demokratische Union Deutschlands: Hamburger Programm 1953. 11 Vgl. Christliche-Demokratische Union Deutschlands: 4.Bundesparteitag, 18.– 22.4.1953 in Hamburg, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=583d2701-176e-aaa4-9efb-e446cd2a7569&groupId=252038 (Abruf: 9.6.2021). 12 Vgl. Norbert Frei: 1968. Jugendrevolte und globaler Protest. München 2008. 13 Vgl. Sven Felix Kellerhoff: Die Stasi und der Westen. Der Kurras-Komplex. Hamburg 2010. 14 Vgl. Stefan Aust: Der Baader-Meinhof-Komplex. Hamburg 2008.

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Sicherheit der Bundesrepublik erfolgte für das Aktionsprogramm von 1968 von außen und weniger von innen.15 Auch das Wahlprogramm zur Bundestagswahl 1969 forderte zur „entschiedenen“ Verbrechensbekämpfung auf. Erreicht werden sollte dieses Ziel durch eine bessere bundesweite Vernetzung und Zusammenarbeit sowie eine „zeitgemäße“ Ausrüstung in technischer und elektronischer Hinsicht. Auch die Auseinandersetzungen mit dem politischen Extremismus, dem beginnenden Terrorismus der Vorläufer der RAF und der 68er-Bewegung flossen in den sicherheitspolitischen Teil des Programmes ein und sorgten hier für stärkere Akzente. Den Angriffen von Links- und Rechtsradikalen auf Staat und Gesellschaft wurde der „entschlossene“ Kampf angesagt, sowohl politisch und da, wo es zu kriminellem Verhalten in Form von gewalttätigen Ausschreitungen und Terrorismus kam, mit der Durchsetzung von „Recht und Gesetz“.16

Herausforderung Linksterrorismus In den 1970er Jahren standen die Bekämpfung des deutschen, aber auch des internationalen Terrorismus im Fokus der deutschen Sicherheitspolitik. Die CDU unterstützte dabei grundsätzlich den Kurs der sozialliberalen Koalition bei der Verschärfung entsprechender Gesetze. Das galt zum Beispiel für den Radikalenerlass, mit dem Extremisten aus dem Öffentlichen Dienst ferngehalten werden sollten.17 Auch die Aufstellung der Antiterroreinheit GSG 9 nach dem Attentat auf die israelische Olympiamannschaft 1972 in München fand die Zustimmung der Union.18 Die CDU wurde durch die Entführung des Berliner CDU-Politikers Peter Lorenz 1975 durch Linksterroristen selbst unmittelbar betroffen.19 Im Berliner Programm von 1971 fanden sich einige ähnliche Formulierungen wie in den vorangegangenen Programmen. Es wurde zu einer entschiedenen Verbrechensbekämpfung und einer besseren Koordinierung der Kriminalpolizei aufgerufen. Außerdem sollte die Attraktivität des Polizeiberufes erhöht werden, um dadurch noch besser qualifiziertes Personal gewinnen zu können. Kriminelle Serientäter wären in bestimmten Fällen in Untersuchungshaft zu nehmen. Das Strafrecht wäre so zu gestalten, dass es der Gesellschaft größtmöglichen Schutz vor Verbrechen gewährleistete. Die Wiedereingliederung von Verurteilten in die Gesellschaft, bei denen Aussicht auf eine Resozialisierung bestand, sollte gefördert werden. Handlungsempfehlungen zu den Themen Extremismus und Terrorismus fehlten in dem Programm.20 Diese wurden hingegen in das Wahlprogramm von 1972 aufgenommen, in dessen gedruckter Fassung Aussagen des damaligen Spitzenkandidaten und CDU-Parteivorsitzen15 Vgl. Entwurf für ein Aktionsprogramm der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands 1968, in: ACDP 07-001-22059. 16 Vgl. Christlich-Demokratische Union Deutschlands: 1969 – 1973. Wahlprogramm der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands. Bonn 1969. 17 Vgl. Gerard Braunthal: Politische Loyalität und Öffentlicher Dienst: der Radikalenerlass von 1972 und die Folgen. Marburg 1992. 18 Vgl. Ulrike Zander/Harald Biermann (Hg.): GSG 9 – Stärker als der Terror. Münster 2017. 19 Vgl. Matthias Dahlke: „Nur eingeschränkte Krisenbereitschaft.“ Die staatliche Reaktion auf die Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz 1975, in: VfZ 55 (2007), S. 641 – 678. 20 Vgl. Christlich-Demokratische Union Deutschlands: Das Berliner Programm. 2.Fassung 1971. Bonn 1971.

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den Rainer Barzel zur Inneren Sicherheit vorangestellt wurden. Darin lobte er die Verabschiedung eines Gesetzespaketes zur Inneren Sicherheit im Deutschen Bundestag 1972 als Erfolg der oppositionellen Unionsfraktion in der Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Baader-Meinhof-Bande. Auch die Gefahren durch die Aktivitäten radikaler Ausländerorganisationen sprach Barzel an. Diese stellten eine schwere Bedrohung der Inneren Sicherheit dar. Barzel forderte ein Verbot aller ausländischen Organisationen im Bundesgebiet, die Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele ansahen. „Entschlossene“ Maßnahmen gegen Terroristen aller Art wären zur Vorbeugung weiterer Anschläge notwendig. Von der Staatsführung verlangte er, im Sinne des Gedankens der „kämpferischen Demokratie“ entsprechend zu handeln.21 Auch im 1972er Wahlprogramm selbst machte die Union deutlich, dass für sie Terrororganisationen auf deutschem Boden keinen Platz hätten. Gewalt und Gewaltandrohung dürften keine Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele sein und schadeten dem Frieden und der Freiheit. Die Union werde daher im Falle eines Wahlsiegs die Bürger „vor politischer Nötigung, vor Gewalt und Terror schützen“.22 Die anderen Parteien forderte sie zum gemeinsamen Zusammenstehen und einer klaren Abgrenzung von verfassungsfeindlichen Kräften auf. Als ein Instrumentarium der „streitbaren Demokratie“ nannte sie die Prüfung der Treue zur Verfassung als Eignungsvoraussetzung, um im öffentlichen Dienst tätig sein zu dürfen. Bei der Verbrechensbekämpfung hob das Programm verschiedene Bereiche hervor, die besonders angegangen werden sollten. Dazu zählten Gewaltverbrechen, Straftaten gegen Kinder sowie alte und hilflose Menschen, politische Gewalttaten, Rauschgift- und Wirtschaftskriminalität. Im Bundestagswahlprogramm von 1976 wurde diese Aufzählung noch durch das „Bandenwesen“ ergänzt. Als neuer Aspekt wurde die internationale Zusammenarbeit als Instrument zur Bekämpfung des Terrorismus eingeführt. Gefordert wurde die Errichtung eines Europäischen Kriminalamtes für die EG-Mitgliedsstaaten.23 Das Ludwigshafener Grundsatzprogramm von 1978 betonte die Unteilbarkeit einer erfolgreichen Sicherheitspolitik. Äußere und innere, militärische und politische, wirtschaftliche und soziale Sicherheit gehörten zusammen und ergänzten einander. Das Programm hob das Prinzip der wehrhaften Demokratie hervor. Der freiheitliche Staat müsse gegen seine Feinde verteidigt werden. Das Programm rief die Bürger zur Mithilfe und zur Solidarität mit den Sicherheitsbehörden auf.24

Neue Soziale Bewegungen und der Streit um die Durchsetzung des Rechts Die 1980er Jahre waren sicherheitspolitisch weiterhin von der Gefahr durch den Terrorismus geprägt. Zudem wurde die Innere Sicherheit auch durch Protestbewegungen gegen 21 Vgl. Christlich-Demokratische Union Deutschlands: Wir bauen den Fortschritt auf Stabilität. Regierungsprogramm. Bonn 1972. 22 Ebd., S. 37. 23 Vgl. Christlich-Demokratische Union Deutschlands: Aus Liebe zu Deutschland: Für die Freiheit, die wir lieben. Für die Sicherheit, die wir brauchen. Für die Zukunft, die wir wollen. Das Wahlprogramm der CDU und CSU. Bonn 1976. 24 Vgl. Christlich-Demokratische Union Deutschlands: Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit. Grundsatzprogramm der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands. Bonn 1978.

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die Stationierung von Mittelstreckenraketen, die Infragestellung des staatlichen Gewaltmonopols und des Mehrheitsprinzips durch zumindest Teile der Neuen Sozialen Bewegungen, den Widerstand gegen die weitere friedliche Nutzung der Kernenergie, die Errichtung der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf oder gegen die Durchführung der Volkzählung 1987 auf die Probe gestellt.25 Die seit 1982 amtierende schwarz-gelbe Koalition unter Bundeskanzler Helmut Kohl zeigte sich von den nicht immer gewaltfrei abgelaufenen Protesten gegen ihre Politik unbeeindruckt und setzte ihren politischen Kurs durch. Zudem beschloss sie Maßnahmen, die darauf zielten, der Durchsetzung des Rechts Geltung zu verschaffen. Dazu zählte zum Beispiel das 1985 unter Federführung von Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann beschlossene Vermummungsverbot, das die Verfolgung von im Rahmen von Demonstrationen begangenen Straftaten erleichtern sollte.26 Ohne Sicherheit und Ordnung gebe es keinen inneren Frieden, lautete einer der Kerngedanken im Wahlprogramm von CDU/CSU zur Bundestagswahl 1980. Es prognostizierte einen Vertrauensverlust bei den Bürgerinnen und Bürgern für den Fall, dass der Staat bei der Erfüllung dieser wichtigen Aufgabe versagen sollte. Anders als die Regierungsparteien SPD und FDP wollte die Union den Staat wieder in die Lage versetzen, auf Gefahren für Sicherheit und Freiheit angemessen reagieren zu können. Wie schon in den vorangegangenen Programmen sprachen die Unionsparteien die Mitverantwortung der Bürger bei der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung und die Unterstützung der Polizei an. Auch auf die weiterhin vorhandene Gefahr durch den Terrorismus wurde Bezug genommen. Als besonderes Anliegen fand die Beseitigung der geistigen Ursachen des Terrorismus Erwähnung. Zur Eindämmung jeglichen Extremismus‘ forderte das Programm die Entfernung von Staatsfeinden aus dem öffentlichen Dienst. Dazu zählten auch ausdrücklich Mitglieder von verfassungsfeindlichen Parteien und Organisationen.27 Während das Wahlprogramm von 1983 nur bekannte, kurz gefasste Aussagen zur Inneren Sicherheit formulierte, nahm das Programm von CDU und CSU zur Bundestagswahl 1987 deren Gefährdung durch die „erschreckende Zunahme“ terroristischer Gewaltverbrechen und den Missbrauch des Demonstrationsrechts durch „militante Gewalttäter“ in den Blick. Die Unionsparteien forderten daher, das Demonstrationsrecht vor Missbrauch zu schützen. Konkret verlangten sie unter anderem die Bestrafung von vermummten Demonstrationsteilnehmern sowie derjenigen, die zur Gewalt oder zur Verletzung der Gesetze aufriefen. Außerdem müssten die „Behörden der Inneren Sicherheit“ die für ihre Arbeit nötigen Rechtsgrundlagen erhalten. Das sollte auch für die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz gelten.28 Das Programm wies in dem Zusammenhang auf datenschutzrechtliche Probleme hin und bekannte: „Datenschutz darf nicht zum Täterschutz werden.“29 25 Vgl. Roland Roth/Dieter Rucht (Hg.): Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch. Frankfurt a. M. 2008. 26 Vgl. Heiner Busch: Per Gesetz gegen ein Grundrecht – Eine kurze Geschichte des Demonstrationsrechts, in: Cilip Nr. 072 vom 7.8.2002. 27 Vgl. Christlich-Demokratische Union Deutschlands: Für Frieden und Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland und in der Welt. Wahlprogramm der CDU und CSU für die Bundestagswahl 1980. Bonn 1980. 28 Vgl. Christlich-Demokratische Union Deutschlands: Weiter so, Deutschland. Für eine gute Zukunft. Das Wahlprogramm von CDU und CSU für die Bundestagswahl 1987. Bonn 1987. 29 Ebd., S. 18.

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Wiedervereinigung und offene Grenzen Die Integration der neuen Bundesländer nach der Wiedervereinigung war auch für den Bereich der Inneren Sicherheit eine große Herausforderung. Die durch den Fall des Eisernen Vorhangs entstandenen offenen Grenzen nach Osteuropa führten in den 1990er Jahren auch zu einem verstärkten Kriminalitätsaufkommen in Deutschland, etwa im Bereich der Einbruchs-, aber auch der Drogenkriminalität.30 „Das Recht schützt die Freiheit und sichert den inneren Frieden“31, schrieb die CDU in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 1990 und leitete damit ihr sicherheitspolitisches Kapitel ein. Thematisch stand es ganz unter dem Zeichen der deutschen Einheit. Die CDU forderte die restlose Beseitigung der Strukturen des SED-Unrechtsstaates. Wer in der DDR schwere Schuld auf sich geladen hatte, sollte Konsequenzen zu spüren bekommen. Für die Herstellung des inneren Friedens im Land sah die CDU aber auch eine Aussöhnung zwischen den Anhängern und Profiteuren des SED-Regimes und den Regimegegnern als notwendig an. Die CDU bekannte sich zu einem Staat, der seine Bürger wirksam zu schützen hätte. Das Programm mahnte eine Lösung der Datenschutzproblematik für die Arbeit der Sicherheitsbehörden an. Die Partei kündigte an, in der kommenden Legislaturperiode ein Konzept zur Bekämpfung der international organisierten Kriminalität zu entwickeln und umzusetzen. In dem Zusammenhang verwies das Programm auf die Herausforderungen durch den Wegfall von Grenzkontrollen innerhalb Europas. Der CDU schwebte die Gründung einer europäischen Polizei nach dem Vorbild des amerikanischen FBI vor. Terroristische Gewalttaten sollten mit den Mitteln des Rechtsstaates bekämpft werden. Ausführlich befasste sich das Programm mit der Rauschgiftkriminalität als einer „schweren Herausforderung“ für die ganze Welt. Hier setzte die CDU auf eine verstärkte internationale Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern, die Harmonisierung des Betäubungsmittelrechts innerhalb der Europäischen Gemeinschaft sowie eine Verstärkung der Drogenfahndung an den EU-Außengrenzen. Der Vermögensgewinn aus Drogengeschäften sollte eingezogen werden.32 Der Inneren Sicherheit im Rechtsstaat Priorität zu geben, forderte das Hamburger Grundsatzprogramm der CDU von 1994. Es hob die Wahrung der Inneren Sicherheit als zentrale Aufgabe des Rechtsstaates hervor. Die CDU bekannte sich in dem Programm zur wehrhaften Demokratie und zum staatlichen Gewaltmonopol. Die staatliche Gewalt sollte weder konkurrierende Macht noch rechtsfreie Räume dulden. Die Verbrechensbekämpfung sollte den veränderten Herausforderungen gerecht werden. Gefordert wurden neue gesetzliche Grundlagen und Ermittlungsmöglichkeiten, ohne diese näher zu konkretisieren. Die Polizei sollte gut ausgebildet und ausgerüstet, angemessen bezahlt und öffentlich anerkannt werden. Als wichtiger Bestandteil der Inneren Sicherheit fand der für den Kampf gegen den politischen Extremismus zuständige Verfassungsschutz Erwähnung. Das Programm nahm die Bürger zum Erhalt der Inneren Sicherheit in die Pflicht 30 Vgl. Christoph Mayerhofer: Organisierte Kriminalität: Lagebilder und Erscheinungsformen. Heidelberg 1996. 31 Christlich-Demokratische Union Deutschlands: Ja zu Deutschland. Ja zur Zukunft. Wahlprogramm der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands zur gesamtdeutschen Bundestagswahl am 2. Dezember 1990. Bonn 1990, S. 18. 32 Vgl. ebd.

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und erwartete deren aktive Mitwirkung. Die Partei bekannte sich zudem zu einer Verbesserung der Inneren Sicherheit in Europa und zur Einrichtung einer europäischen Polizei. Internationale Verbrecherorganisationen könnten nur in „engster“ übernationaler Zusammenarbeit überwunden werden, hieß es in dem Programm. Betont wurde ferner der Wert der Prävention, die eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ sei: „Das Rechtsbewusstsein zu fördern, jede Form von Gewalt zu ächten und das Bekenntnis zu Freiheit und Menschenwürde zu verdeutlichen muss Ziel der Erziehung und Wertevermittlung in unserer politischen Kultur sein.“ Die Bekämpfung der Rauschgiftsucht umfasste ebenfalls sicherheitspolitische Forderungen. Die CDU forderte ein konsequenteres und systematischeres Vorgehen gegen Drogenkartelle und Drogendealer. Eine „resignative Flucht“ in die Legalisierung des Drogenkonsums wurde abgelehnt. Als Herausforderung für den Rechtsstaat bezeichnete das Grundsatzprogramm die Verfolgung der Straftaten der Handlanger des SED-Regimes, wobei bei diesem Thema zugleich die Grenzen des Strafrechts betont wurden.33 Das Wahlprogramm von CDU und CSU zur Bundestagswahl 1994 beschrieb die Sicherheit der Bürger als eine „grundlegende Voraussetzung“ für das freiheitliche und friedliche Zusammenleben in Deutschland. CDU und CSU versprachen daher, sich konsequent für den Schutz der Bürger vor Kriminalität einzusetzen. Sie forderten die Solidarität der Demokraten bei der Bekämpfung des politischen Radikalismus und Extremismus ein. Auch die Ausländerkriminalität rückten die Unionsparteien in den Fokus. Ausländer, die ihr Gastrecht missbraucht hätten, sollten „schnellstmöglich“ abgeschoben werden. Gegen unter Zuhilfenahme von Gewalt agierende politische Organisationen von Ausländern versprach das Programm vorzugehen. Anders als in verschiedenen Programmen zuvor umfasste das Wahlprogramm zahlreiche allgemeine, aber auch konkrete Forderungen und Ankündigungen. Dazu zählten bei der Kriminalitätsbekämpfung die Ausdehnung der Kronzeugenregelung auf den Bereich der organisierten Kriminalität, eine verbesserte Überwachung von „Gangsterwohnungen“, die Telefonüberwachung und der Einsatz von „Verdeckten Ermittlern“. Den Straftatbestand des Landfriedensbruchs wollte die Union erweitern, um Gewalttätern ihre Deckung in einer Menschenmenge zu nehmen. Auch der Verfassungsschutz sollte stärker in die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität einbezogen werden. Als weitere Aspekte enthielt das Programm Forderungen zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, der Nuklearkriminalität und der Rauschgiftkriminalität. Extremistische Bestrebungen müssten vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Konkret wurden an dieser Stelle die beiden Parteien „Die Republikaner“ und die PDS genannt. Beide sollten aber vor allem durch die politische Auseinandersetzung in die Bedeutungslosigkeit getrieben werden. Zugleich kündigten CDU und CSU an, den Kampf gegen „politische Gewalt, Ausländerfeindlichkeit und Extremismus“ zu verstärken. Dies sollte durch eine Erweiterung der Strafbarkeit bei entsprechenden Delikten und der Kompetenzen des Verfassungsschutzes, aber auch durch Verbote geschehen. Auch die Arbeit der Polizei sollte gestärkt werden, da nur eine präsente, leistungsfähige und hochmotivierte Polizei in der Lage sei, der wachsenden Kriminalität zu begegnen. CDU und CSU kündigten daher an, die Polizei von vollzugsfremden Aufgaben zu ent33 Vgl. Christlich-Demokratische Union Deutschlands: Freiheit in Verantwortung. Das Grundsatzprogramm. Bonn 1994.

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lasten und die Attraktivität des Polizeiberufes durch bessere Karrieremöglichkeiten zu erhöhen.34 Ein Bekenntnis zum „starken Staat“ und zu „Null Toleranz bei Rechtsbruch und Gewalt“ enthielt die „Wahlplattform“ von CDU und CSU zur Bundestagswahl 1998. Der Leitsatz bei der Bekämpfung von Kriminalität und Gewalt müsse lauten: „Wehret den Anfängen!“ Als „Anfänge“ wurden beispielsweise Verwahrlosungserscheinungen im öffentlichen Raum charakterisiert. Besonders ausführlich thematisiert das Programm die Kinder- und Jugendkriminalität, aber auch die Gefahren für Kinder und Jugendliche durch „gemeingefährliche“ Straftäter. Zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität forderte das Programm eine bessere Überwachung von „Verbrecherwohnungen“. Zudem sollte die Zusammenarbeit in der Europäischen Union und den Staaten des ehemaligen Ostblocks bei der Kriminalitätsbekämpfung verbessert werden. Das galt insbesondere für die Eindämmung von Schleuserorganisationen. Der Kampf gegen die Rauschgiftkriminalität und die Drogenmafia sollte weiter verschärft werden, auch durch härtere Strafen. Kriminellen Ausländern wurde die Abschiebung angedroht.35

Neue Terrorgefahren und Cyberkriminalität Ab den 2000er Jahren rückte der Bereich des Terrorismus wieder stärker in den Fokus der Sicherheitsbehörden.36 Das betraf in Folge des Attentats vom 11. September 2001 in den USA37 die Gefahr durch den islamistischen Terrorismus sowie die durch die Morde der NSU deutlich gewordene Bedrohung durch den Rechtsterrorismus. Die Union unterstützte stets die Bemühungen der rot-grünen Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder zur verbesserten Terrorabwehr und setzte unter Bundeskanzlerin Angela Merkel eigene Akzente. So wurde nach der Aufklärung der NSU-Morde eine zentrale Datei zur Erfassung von Neonazi-Strukturen und Personen angelegt sowie die Verzahnung von Bundespolizei und Verfassungsschutz verbessert. Ein Gemeinsames Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum wurde geschaffen.38 Neben dem Terrorismus entwickelte sich auch die Cyberkriminalität zur wichtigsten neuen Bedrohung der Inneren Sicherheit.39 Das Wahlprogramm 2002 von CDU und CSU führt den Begriff „Sicherheit“ prominent im Titel. „Sicherheit“ wird dort als soziales Grundrecht und Voraussetzung für Freiheit charakterisiert. Alle Menschen in Deutschland sollten sich vor Kriminalität und Terror sicher fühlen können. Diese Form von Sicherheit zu garantieren, sei eine ureigene Aufgabe des Staates. Das Programm betonte die Sicherheit im öffentlichen Raum und forderte konsequente Verfolgung und Bestrafung. Entkriminalisierungsforderungen erteilte das Programm eine Absage. Es folgen Ausführungen und Forderungen zu den 34 Vgl. Christlich-Demokratische Union Deutschlands: Wir sichern Deutschlands Zukunft. Regierungsprogramm von CDU und CSU. Bonn 1994. 35 Vgl. Christlich-Demokratische Union Deutschlands/Christlich Soziale Union: 1998– 2002 Wahlplattform von CDU und CSU. Bonn 1998. 36 Vgl. Josef Isensee (Hg.): Der Terror, der Staat und das Recht. Berlin 2004. 37 Vgl. Stefan Aust/Cordt Schnibben (Hg.): 11. September 2001. Geschichte eines Terrorangriffs. Stuttgart 2003. 38 Vgl. Stefan Aust/Dirk Laabs: Heimatschutz. Der Staat und die Mordserie des NSU. München 2014. 39 Vgl. Misha Glenny: Cybercrime. Kriminalität und Krieg im digitalen Zeitalter. München 2012.

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Themenfeldern Sexualverbrechen, Amokläufe, Kinder- und Jugendkriminalität sowie Rauschgiftkriminalität. So wurde als Konsequenz aus dem Amoklauf von Erfurt vom 26. April 2002 eine Verschärfung des Waffenrechts angestrebt. Auch die Forderung nach einer besseren Überwachung von Verbrechertreffs im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität fand wieder Aufnahme in den Forderungskatalog. Extremismus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit sollte konsequent entgegentreten werden. Das galt auch für den Bereich des Internets. Verbessert werden sollte auch der Schutz des Staates vor politisch motivierter Gewalt und „religiös verbrämtem Fanatismus“. Aufmärsche extremistischer Gruppen an Orten mit hoher Symbolkraft müssten unterbunden werden. Das Programm bekannte sich zum liberalen, aber starken Staat, der Schutz vor Terror nicht vernachlässigt. Es forderte eine wirksamere Überwachung extremistischer Organisationen und vereinfachte Verbotsmöglichkeiten. Ausländische Extremisten sollten von Deutschland ferngehalten werden.40 Das Wahlprogramm der Unionsparteien zur Bundestagswahl 2005 bezeichnete mit Blick auf die terroristischen Anschläge vom 11. September 2001 sowie Anschläge in europäischen Großstädten den islamistischen Terrorismus als eine der größten Herausforderungen für die westliche Wertegemeinschaft. Zum Schutz der Menschen in Deutschland fordern die Unionsparteien beispielsweise, die Bundeswehr für die Abwehr von terroristischen Gefahren im Innern zuzulassen. Zudem müssten Schwächen in der Organisationsstruktur der Sicherheitsbehörden beseitigt werden. Die Sympathiewerbung für kriminelle und terroristische Vereinigungen wollten CDU und CSU unter Strafe stellen. Geplant wurde außerdem, ein gemeinsames Informations- und Analysezentrum sowie gemeinsame Anti-Terror-Dateien von Polizei und Nachrichtendiensten zu schaffen. Bei der Kriminalitätsbekämpfung setzte das Programm auf die DNA-Analyse und bezeichnete diese als „Fingerabdruck des 21. Jahrhunderts“.41 „Freiheit und Sicherheit. Grundsätze für Deutschland“ lautete der Titel des 2007 in Hannover verabschiedeten und bis heute gültigen CDU-Grundsatzprogramms. Die Sicherheit wurde darin als gefährdet beschrieben. Neue Bedrohungen wären entstanden. Deutschland und seine Werte wären durch den politischen Extremismus, gewaltbereiten Fundamentalismus, Terrorismus und die organisierte Kriminalität bedroht. Das Programm stellte einen Zusammenhang zwischen der äußeren und der Inneren Sicherheit her. Beides müsste zusammenhängend betrachtet werden. Freiheit und Sicherheit bedingten einander. Es wäre eine staatliche Verpflichtung, beides zu gewährleisten. Ansonsten drohe ein Akzeptanzverlust des Staates. Das Programm mahnte zur Wachsamkeit und wendete sich gegen Toleranz gegenüber Extremismus. Die Verhinderung von Kriminalität wurde als gesamtgesellschaftliche Aufgabe definiert. Deren Bagatellisierung wurde abgelehnt. Stattdessen müsste eine wehrhafte Demokratie ihren staatlichen Organen die „notwendigen“ technischen Mittel an die Hand geben. Das Programm forderte einen weiteren Ausbau der internationalen Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung und der Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Als besondere Gefahren für die Innere Sicherheit in Deutschland wurden explizit der politische Islam und der terroristische 40 Vgl. Christlich-Demokratische Union Deutschlands: Leistung und Sicherheit. Zeit für Taten. Regierungsprogramm 2002/2006 von CDU und CSU. Berlin 2002. 41 Vgl. Christlich-Demokratische Union Deutschlands: Deutschlands Chancen nutzen. Wachstum. Arbeit. Sicherheit. Regierungsprogramm 2005 – 2009. Berlin 2005.

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Islamismus herausgestellt. Das Programm setzte sich für eine Stärkung der Polizei und eine verbesserte Zusammenarbeit der verschiedenen Ebenen im Rahmen eines nationalen Sicherheitskonzeptes ein, wobei auch der Einsatz der Bundeswehr im Innern bei bestimmten Gefährdungsszenarien ermöglicht werden sollte. Das Programm würdigte auch die Rolle der Europäischen Union. Diese wäre die beste Antwort auf neue Bedrohungen der Sicherheit in Deutschland. Sie ermögliche eine effektive Bekämpfung von Terrorismus und anderen Formen internationaler Kriminalität.42 CDU und CSU wollten Deutschland als eines der sichersten Länder der Welt erhalten, hieß es im Wahlprogramm der Unionsparteien zur Bundestagswahl 2009. Die Verhinderung von Straftaten, der Schutz vor Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie die Aufklärung und Ahndung von Verbrechen wären „unabdingbare Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben der Bürger und das Vertrauen in den Staat“.43 Das Programm forderte die Möglichkeit zum Einsatz der Bundeswehr im Innern, betonte aber zugleich, dass die „strikte“ Trennung zwischen Polizei und Militär gewahrt bleiben müsste. Von der Gewinnung von mehr Interessenten mit Migrationshintergrund für den Polizeiberuf versprachen sich die Unionsparteien eine Stärkung der Polizei insgesamt. Zudem kündigten die Unionsparteien an, durch präventive Maßnahmen Gewalt- und Kriminalitätskarrieren oder das Abgleiten in den Extremismus verhindern zu wollen. Die beste Prävention gegen extremistische Ideologien wäre die Stärkung der Demokratie. Deshalb kündigten die Unionsparteien an, die politische Bildung, die schulische Bildung und die gesellschaftliche Aufklärung über alle Formen des Extremismus zu verstärken. Neben anderen Formen der Kriminalität befasste sich das Programm speziell auch mit dem Internet. Hier forderte es eine stärkere Bündelung der Aktivitäten im Kampf gegen Internet-Kriminalität sowie einen Ausbau der internationalen Zusammenarbeit. Das Programm forderte ferner u. a. die Ausweisung von mindestens zu einem Jahr Gefängnis ohne Bewährung verurteilten Ausländern sowie die Schaffung eines neuen Ausweisungstatbestandes für „massiv integrationsfeindliches Verhalten“. Es müsste zudem verhindert werden, dass Terrorgruppen Täter einschleusten. Das Programm forderte die weitere Beobachtung extremistischer Gruppen. Als „zunehmend besorgniserregend“ wurde der Umfang rechtsextremistischer Straftaten bezeichnet und zugleich vor einer Unterschätzung des Linksextremismus gewarnt. Das Programm rief zur Wachsamkeit gegenüber dem islamistischen Extremismus auf und wies auf dessen Bezüge zum Antisemitismus hin. Die Unionsparteien würden daher für eine konsequentere Überwachung und Sanktionierung antisemitischer und antiwestlicher Propaganda in den diversen islamistischen Veröffentlichungen sorgen. Auch gegen Gewalt im öffentlichen Raum, wie bei den regelmäßig stattfindenden Krawallen um den 1. Mai, sollte entschieden vorgegangen werden.44 Im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 kündigten CDU und CSU an, den Einsatz von Videoüberwachung an Brennpunkten zu verstärken. Zudem sollte der Fahndungsdruck insbesondere im Bereich der grenzüberschreitend agierenden Einbruchskriminalität verstärkt werden. Es sei das Ziel von CDU und CSU, dass „alle Menschen 42 Vgl. Christlich-Demokratische Union Deutschlands: Freiheit und Sicherheit. Grundsätze für Deutschland. Das Grundsatzprogramm. Berlin 2007. 43 Christlich-Demokratische Union Deutschlands: Wir haben die Kraft. Regierungsprogramm 2009 – 2013. Berlin 2009, S. 78. 44 Vgl. ebd.

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in Deutschland frei und sicher leben können“. Das Programm zählte verschiedene Bereiche auf, in denen ein besonderer Handlungsbedarf festgestellt wurde. Dazu gehörten „Sicherheit im Alltag“, worunter der Kampf gegen Vandalismus, Gewalt und Diebstähle verstanden wurde, die Kinder- und Jugendkriminalität, die Einbruchskriminalität, Menschenhandel und Zwangsprostitution, Gewalt gegen Frauen, politischer Extremismus und Terrorismus. Einen besonders großen Raum nahm das Thema Cybersicherheit ein. Das Programm forderte, Gefahrenabwehr und Strafverfolgung auch im Netz sicherzustellen. Die „kritische Infrastruktur“ und die deutsche Wirtschaft müssten vor Attacken aus dem Internet und Cyberspionage geschützt werden. Die Union setzte sich daher für ein IT-Sicherheitsgesetz ein. Deutschland sollte zudem Marktführer auf dem Gebiet der Cybersicherheit werden.45 Das gemeinsame Wahlprogramm von CDU und CSU zur Bundestagswahl 2017 bezeichnete Sicherheit und Stabilität als „Voraussetzung für jede Art von gutem Leben und wirtschaftlichem Erfolg“. Die Unionsparteien seien „die Parteien der Inneren Sicherheit“. Das Programm enthielt ein Bekenntnis zum „starken Staat“, der sich schützend vor seine Bürger stellt und auch die Schwächeren schützt. Die Unionsparteien dankten darin ausdrücklich den Sicherheitsbehörden und der Polizei für ihren Dienst. Das Programm benannte die Erfolge der Union auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit aus den vergangenen Jahren und zeigte weitere Anstrengungen für die folgenden Jahre auf. Das galt nicht zuletzt für den Bereich der Terror- und Verbrechensbekämpfung.46 Hier versprachen die Unionsparteien, durch verschiedene konkrete Einzelmaßnahmen „noch besser zu werden als bisher, denn wir werden uns dem menschenverachtenden Terrorismus, der die Welt in Atem hält, weder jetzt noch künftig beugen“.47 Die CDU setzte sich stets für einen starken und wehrhaften Staat ein, der in der Lage ist, sich gegen seine Feinde im Innern zu behaupten. Den Bedrohungen durch Kriminalität, Extremismus und Terrorismus begegnete sie zu allen Zeiten mit der Forderung nach einer angemessenen und zeitgemäßen Ausstattung der Sicherheitsorgane, einer Anpassung der Gesetze an die jeweilige Bedrohungslage, sowie nach erfolgversprechenden präventiven Maßnahmen. Diese Politik setzte die Partei im Rahmen ihres eigenen Regierungshandelns um oder unterstützte aus der Opposition heraus die jeweilige Regierung. Mit Recht kann die CDU daher von sich behaupten, die Partei der Inneren Sicherheit zu sein. Ihren Anspruch löst sie dabei laut Peter Müller nicht nur programmatisch, sondern auch in der politischen Umsetzung ein.48

Forschungs- und Quellenlage Die Politik der CDU zur Inneren Sicherheit stand entgegen ihrer Bedeutung lange Zeit nicht im Fokus wissenschaftlicher Betrachtungen. Erst mit dem im Jahr 2020 erschienenen Aufsatz des früheren saarländischen Ministerpräsidenten und Richters am Bundes45 Vgl. Christlich-Demokratische Union Deutschlands: Regierungsprogramm: Gemeinsam erfolgreich für Deutschland. Regierungsprogramm 2013 – 2017. Berlin 2013. 46 Vgl. Christlich-Demokratische Union Deutschlands: Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben. Regierungsprogramm 2017 – 2021. Berlin 2017. 47 Ebd., S. 60. 48 Vgl. Müller: „Ohne Sicherheit ist keine Freiheit“, S. 525.

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verfassungsgericht Peter Müller, der sich darin auch den verschiedenen Bereichen innerhalb der Inneren Sicherheit widmete, wurde dies angerissen.49 Die Grundsatz- und Wahlprogramme zeigt indes auf, welch hohen Stellenwert die Innere Sicherheit für die Politik der CDU im Laufe der Jahre und Jahrzehnte gewonnen hat. Sie geben zudem Aufschluss über die Entwicklung und die Veränderung der Schwerpunkte in diesem Politikfeld und zeigen, dass die Partei neue Entwicklungen und Fragestellungen auch programmatisch berücksichtigte. Fanden sich in den ersten Programmen keine oder wenige Aussagen zum Thema, so wurden die Programme bis 2017 immer ausgefeilter und bearbeiteten die verschiedensten mit dem Thema verbundenen Aspekte.

49 Müller: „Ohne Sicherheit ist keine Freiheit“.

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Vertriebene, Flüchtlinge, Migranten, Asylpolitik Andreas Grau Die Integration von Vertriebenen, Flüchtlingen, Gastarbeitern, Aussiedlern, Asylanten oder Flüchtlingen beschäftigt die CDU schon seit ihrer Gründung. Weil es sich aber um ganz verschiedene Bevölkerungsgruppen handelte, die im Laufe der Zeit integriert werden sollten, und dies unterschiedliche Probleme mit sich brachte, werden im folgenden Überblick die Gruppen der Vertriebenen und Umsiedler, der Ausländer und Asylanten sowie der Aussiedler getrennt behandelt. Dies ist auch deshalb geboten, weil es sich bei Vertriebenen und Aussiedlern um deutsche Staatsbürger handelt im Unterschied zu Ausländern und Asylanten.

Vertriebene Bereits im Verlauf des Zweiten Weltkrieges flohen hunderttausende Deutsche aus den östlichen Gebieten des Deutschen Reiches in den Westen. Im Potsdamer Abkommen von 1945 stimmten die Siegermächte der weiteren „ordnungsgemäßen und humanen“ Vertreibung der Deutschen aus ihren Siedlungsgebieten vor allem in Polen und der Tschechoslowakei zu. Aufgrund dieses Beschlusses und spontaner Vertreibungen aus ganz Osteuropa kamen von 1945 bis 1947 insgesamt zwischen 12 und 15 Millionen Vertriebene in die vier Besatzungszonen. Der Großteil davon – rund 8 Millionen – strömte in den Westen, insbesondere in die britische und amerikanische Zone. 1950 betrug ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland 16,5 Prozent.1 Die Versorgung und Unterbringung der mittellosen Vertriebenen führte in den Westzonen meist zu Konflikten mit den Einheimischen, die vielfach mit der Situation überfordert waren und Angst vor einer Überfremdung hatten.2 Zusätzlich zum Zusammenbruch der wirtschaftlichen und politischen Ordnung standen sie nun auch noch vor der Aufgabe, das Vertriebenenproblem zu lösen. Die soziale und wirtschaftliche Integration der Vertriebenen wurde deshalb von den Parteien schon früh als wichtige Aufgabe erkannt. Bereits Anfang 1946 bildeten sich in der CDU auf Kreis- und Landesebene Flüchtlingsausschüsse. Im April 1946 wurde von der CDU der Britischen Zone ein Zonenflüchtlingsausschuss unter dem Vorsitz von Linus Kather eingerichtet. Mit seiner gut ausgebauten Organisation bis auf Kreisebene war der Ausschuss nicht nur Betreuungs- und Beratungsstelle für die Vertriebenen, sondern verlieh auch ihren politischen Forderungen Nachdruck. Auf der Reichstagung der Landesflüchtlingsausschüsse der CDU im April 1 Vgl. Mathias Beer: Flüchtlinge und Vertriebene in den Westzonen und der Bundesrepublik Deutschland, in: Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Flucht, Vertreibung, Integration. 2.Aufl. Bielefeld 2006, S. 109 – 123, hier 110 f. 2 Vgl. ebd., S. 115, und mit vielen Beispielen: Andreas Kossert: Kalte Heimat. Die Geschichte einer schwierigen Ankunft, in: Matthias Stickler (Hg.): Jenseits von Aufrechnung und Verdrängung. Neue Forschungen zu Flucht, Vertreibung und Vertriebenenintegration. Stuttgart 2014, S. 89 – 98.

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1948 wurde u. a. beschlossen, eine Arbeitsgemeinschaft der Landesflüchtlingsausschüsse mit einem Sekretariat in Frankfurt am Main einzurichten.3 In der Sowjetisch Besetzten Zone (SBZ) bemühte sich die CDU ebenfalls erfolgreich um die Vertriebenen. Wie die Kommunalwahlen 1946 zeigten, hatte sie neben der SED unter den Vertriebenen die meisten Anhänger.4 Zur Diskussion der „Flüchtlingspolitik“ richtete die CDU im Frühjahr 1947 beim Hauptvorstand und bei den Landesvorständen entsprechende Ausschüsse ein. Auf sowjetischen Druck musste sich der Ausschuss beim Hauptvorstand jedoch schon bald in „Ausschuss für Umsiedler und Heimkehrer“ umbenennen und im Juni 1950 wurde er schließlich in den Ausschuss für Sozialpolitik überführt.5 In den Ländern waren die Umsiedlerverwaltungen bereits 1948 den von der SED kontrollierten Innenministerien unterstellt und damit dem Einfluss der bürgerlichen Parteien entzogen worden.6 Als die SED ab Herbst 1948 auch auf Abschaffung der Umsiedlerausschüsse drängte, stellte sich die CDU als einzige Blockpartei dagegen. Am 30. August 1949 forderte der Umsiedlerausschuss der CDU sogar, die Umsiedlerausschüsse weiter zu erhalten und eine Beteiligung der Vertriebenen an den Wohnungs- und Sozialausschüssen zu gewährleisten.7 Tatsächlich waren die meisten Umsiedlerausschüsse zu dieser Zeit aber bereits aufgelöst worden. Offizielle Gremien zur Vertretung der Interessen von Umsiedlern bzw. Vertriebenen existierten damit nach 1949 in der SBZ resp. DDR nicht mehr.8 In der Bundesrepublik hingegen bekräftigte die Union durch die Einrichtung eines Bundesministeriums für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsbeschädigte 1949 unter dem Vertriebenenpolitiker und CDU-Mitgründer Hans Lukaschek ihren Anspruch, Ansprechpartner für die Vertriebenen und Flüchtlinge zu sein. Mit Soforthilfen, Umsiedlungsaktionen und Wohnungsbauprogrammen gelang es der Bundesregierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer erfolgreich, das Vertriebenenproblem zu entschärfen. So wurden bis Ende 1953 über 600.000 Vertriebene umgesiedelt und dadurch die Hauptaufnahmeländer Bayern, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein entlastet. Mit dem vom Bundestag 1952 verabschiedeten Lastenausgleichsgesetz erhielten die Vertriebenen Anspruch auf Entschädigungsleistungen für ihr verlorenes immobiles Vermögen. Der Lastenausgleich – ein massiver Eingriff in die Vermögensverhältnisse und eine große Umverteilungsaktion – trug sowohl praktisch als auch psychologisch stark zur Eingliederung der Vertriebenen bei.9 Bis 1971 wurden über 82 Milliarden DM aufgrund des Lastenausgleichs umverteilt. Mit dem Bundesvertriebenengesetz von Mai 1953 wurden die 3 Vgl. Hans-Otto Kleinmann: Geschichte der CDU 1945 – 1982. Hg. von Günter Buchstab. Stuttgart 1993, S. 110, sowie Matthias Stickler: Von der Integration der Vertriebenen zum „Integrationsland Deutschland“ – die Migrationspolitik der CDU im Wandel, in: Norbert Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU. München 2020, S. 703 – 735, hier 706. 4 Vgl. Michael Schwartz: Vertriebene und „Umsiedlerpolitik“. Integrationskonflikte in den deutschen Nachkriegs-Gesellschaften und die Assimilationsstrategien in der SBZ/DDR 1945 bis 1961 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte. Bd. 61). München 2004, S. 209. 5 Vgl. ebd., S. 215 ff. 6 Vgl. ebd., S. 218 f. 7 Vgl. ebd., S. 467 f. 8 Vgl. ebd., S. 469. 9 Vgl. Beer: Flüchtlinge und Vertriebene, S. 119 f., sowie Wolfgang Schroeder: Die Sozialpolitik der Union: Christdemokratische Sozialpolitik im Wandel der Zeit, in: Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union, S. 657 – 700, hier 671 f.

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Vertriebenen der einheimischen Bevölkerung gleichgestellt und erhielten zugleich einen Sonderstatus.10 Auch die Rentenreform von 1957 unterschied nicht zwischen Vertriebenen und Einheimischen. Die letztlich erfolgreiche politische und soziale Integration der Vertriebenen sowie der rund 2,7 Millionen Bürger, die aus der DDR in den Westen flohen, zählt zu den großen Erfolgsgeschichten der Bundesrepublik Deutschland und trug maßgeblich zur Akzeptanz der Demokratie in Westdeutschland bei.11 Durch die intensiven Bemühungen der CDU um die Vertriebenen und ihre Integration konnte die Partei von Anfang an viele Wähler und Mitglieder aus dieser Bevölkerungsgruppe gewinnen, insbesondere in überwiegend evangelischen Gebieten. Aber auch viele Vertriebene engagierten sich in der CDU und gehörten in einigen Gebieten sogar zu den maßgeblichen Parteigründern. An führenden Stellen waren Vertriebene, die nicht aus dem christlich-sozialen Milieu kamen, in der CDU aber kaum zu finden.12 Die Bildung einer eigenen Vertriebenenpartei wurde von der CDU stets abgelehnt. Mit dem Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) entstand allerdings 1950 eine solche Partei, die auf Anhieb in viele Landtage und 1953 auch in den Bundestag einziehen konnte. Für Parteimitglieder aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten gründete die CDU 1950 jedoch den Landesverband Oder-Neiße. Daneben bestand weiter der Bundesvertriebenenausschuss. 1968 wurden der Bundesvertriebenenausschuss und der Landesverband Oder-Neiße zur „Union der Vertriebenen und Flüchtlinge/Vereinigung der Ost- und Mitteldeutschen in CDU und CSU“ fusioniert. Seit 1981 heißt diese nur „Ostund Mitteldeutsche Vereinigung“. Bis in die 1970er Jahre konnte die Union der Vertriebenen und Flüchtlinge aufgrund ihrer Mitgliederzahlen mit den anderen Vereinigungen der CDU noch konkurrieren.13 Während in den 1950er und 1960er Jahren sich noch alle Parteien um eine Repräsentation und die Einbindung der Vertriebenen bemühten, wurde die CDU in den 1970er Jahren durch die Ostpolitik der Regierung Brandt/Scheel und die Ostverträge zum natürlichen Verbündeten der Vertriebenenverbände. Als große Wählergruppe fanden deren Forderungen in der Union deshalb überproportional Gehör. Die Haltung von CDU und CSU z.B. zur Oder-Neiße-Grenze oder zur Gültigkeit des Münchener Abkommens hängt auch mit diesem Einfluss zusammen. Nach der Wiedervereinigung und dem politischen Umbruch in Osteuropa verloren die Vertriebenenorganisationen und damit auch die Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung der CDU stark an Bedeutung. Dass die von Helmut Kohl geführte Bundesregierung in diesem Prozess nicht die Forderungen der Vertriebenenverbände berücksichtigte, führte bei vielen Repräsentanten der Vertriebenen zu Verbitterung und zu innerparteilichen Auseinandersetzungen.14 Die Vertriebenenpolitik von CDU und CSU insgesamt aber als „Lebenslüge“ und „Illusion“ zu bezeichnen15, ist aus Sicht des Autors eine unzutreffende Bewertung aus der Rückschau. Denn wer konnte Ende der 1940er oder Mitte der 1950er Jahre den Gang der Geschichte erahnen? Dementsprechend müssten dann auch alle Entscheidungen der Bundesregierungen im Hinblick auf die Wiedervereinigung oder den fehlenden Friedensvertrag als illusionär und falsch bezeichnet werden. 10 11 12 13 14 15

Vgl. Beer: Flüchtlinge und Vertriebene, S. 118. Vgl. Wolfgang Schroeder: Die Sozialpolitik der Union, S. 672. Vgl. Stickler: Die Migrationspolitik der CDU, S. 707. Vgl. Kleinmann: Geschichte der CDU, S. 475. Vgl. Stickler: Die Migrationspolitik der CDU, S. 711 f. Vgl. ebd., S. 728.

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Ausländer und Asylanten Die Anfänge der Ausländerpolitik in der Bundesrepublik Deutschland reichen bis in die 1950er Jahre zurück. 1955 bzw. 1960/61 wurden von der Bundesregierung die ersten Anwerbeabkommen mit Italien, Griechenland, Spanien und der Türkei geschlossen. Weitere Abkommen mit Marokko, Portugal und Tunesien folgten. Darin war nur ein begrenzter Aufenthalt von ausländischen Arbeitnehmern in der Bundesrepublik vorgesehen. Trotzdem nahm ihre Zahl in den 1960er Jahren ständig zu, unter anderem, weil viele Arbeitgeber an einer dauerhaften Beschäftigung der Gastarbeiter interessiert waren. 1973 lebten schon etwa 4 Millionen Ausländer in der Bundesrepublik.16 Deshalb richtete Bundesarbeitsminister Hans Katzer (CDU) bereits 1966 den Koordinierungskreis „Ausländische Arbeitnehmer“ in seinem Ministerium ein. Auch die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag befasste sich mit diesem Thema und gründete 1971 eine Arbeitsgruppe „Ausländische Arbeitnehmer“. 1973 wurde in der Konferenz der Fraktionsvorsitzenden von CDU und CSU über die Ausländerpolitik beraten. Das Ergebnis der Diskussion brachte die CDU/CSU-Fraktion 1974 als Antrag in den Bundestag ein.17 Der von der Bundesregierung im November 1973 verhängte Anwerbestopp für ausländische Arbeitnehmer führte nicht zu dem beabsichtigten Rückgang der Zahl der Ausländer. Daneben führten Probleme wie Ghettobildung, Arbeitslosigkeit und Ausbildungsdefizite in den 1970er Jahren erstmals zu einer öffentlichen Debatte über Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland.18 Die CDU, die sich bereits 1975 für die Mitgliedschaft von Ausländern geöffnet hatte, legte im gleichen Jahr ein umfassendes Konzept zur Ausländerpolitik vor. Darin sprach sie sich für die soziale Integration der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer aus. Diese sollten allerdings ihre kulturelle Eigenständigkeit bewahren können, um die Möglichkeit einer Rückkehr in die Heimat nicht zu verlieren. Der Anwerbestopp sollte beibehalten und der weitere Zuzug von Ausländern stärker kontrolliert und gesteuert werden. Außerdem sollte die EG eine gemeinsame Arbeitsmarktpolitik etablieren. Im Rahmen einer europäischen Regelung sollten Ausländer die Möglichkeit erhalten, in der gesamten EG ihre staatsbürgerlichen Rechte auszuüben. Letztlich lag dem Konzept der CDU die Vorstellung zu Grunde, dass die meisten Ausländer nur aus wirtschaftlicher Not in die Bundesrepublik gekommen seien und möglichst bald wieder in ihre Heimat zurückkehren wollten.19 Ausgehend von diesen Grundgedanken legte der Bundesfachausschuss Innenpolitik der CDU 1977 ein Gesamtkonzept zur Ausländerpolitik vor, in dem der damaligen Bundesregierung schwere Versäumnisse vorgeworfen wurden. Es wurde betont, dass die CDU Ausländer nicht als Bürger zweiter Klasse ansähe. Deren Einbürgerung sei jedoch „nicht das Ziel der Integrationspolitik der CDU“.20 1979 folgte nochmals ein umfangreicher Beschluss des CDU-Präsidiums zur Ausländerpolitik. Weil die Bundesrepublik „kein klassisches Einwanderungsland“ sei, könne das Ziel der Integrationspolitik nicht 16 Vgl. Wolfgang Gieler/Supriyo Bhattacharya: Deutsche Migrationspolitik. Die Standpunkte und Strategie politischer Parteien im Vergleich (Politikwissenschaft. Bd. 186). Berlin 2013, S. 117 f. 17 Vgl. Andreas Grau: Dokumentation zur Ausländer- und Integrationspolitik der CDU 1955 – 2012. Sankt Augustin 2012, S. 1 f. 18 Vgl. Gieler/Bhattacharya: Deutsche Migrationspolitik, S. 118 f. 19 Vgl. Grau: Dokumentation, S. 2 f., und Stickler: Die Migrationspolitik der CDU, S. 714 f. 20 Vgl. Grau: Dokumentation, S. 3.

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die „Eindeutschung“ der Ausländer sein. Die Einbürgerung von Ausländern müsse vielmehr am Ende einer erfolgreichen Integration stehen. Außerdem sollten die Ausländer ihre „Reintegrationsfähigkeit“ in ihre Heimat behalten.21 Im Januar 1982 mündeten diese Überlegungen der Union in einen „Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag zur Ausländerpolitik“, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, „umgehend wirksame und umfassende ausländerpolitische Maßnahmen“ zu ergreifen. Mit rund 7 Prozent Ausländeranteil sei die Grenze der „Belastung für unseren Staat und seine Bevölkerung“ nun erreicht. Die „Untätigkeit der Bundesregierung“ sei für diese „unerträgliche politische Situation“ verantwortlich. Der weitere Zuzug von Ausländern müsse begrenzt und die Rückkehrbereitschaft der im Land lebenden Ausländer gestärkt werden.22 Vorläufiger Höhepunkt der Beschäftigung der CDU mit dem Thema „Ausländerpolitik“ war ein zweitägiger Kongress, der im Oktober 1982 in der Bundesgeschäftsstelle unter dem Motto „Deutsche und Ausländer – für eine gemeinsame Zukunft“ stattfand. Unmittelbar vor dem Kongress fand am 1. Oktober 1982 die Wahl von Helmut Kohl zum Bundeskanzler statt. In seiner Regierungserklärung vom 13. Oktober 1982 bezeichnete Kohl die Ausländerpolitik als einen Schwerpunkt seiner Politik. Er sprach sich für die Integration der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer aus, deren Rückkehrbereitschaft allerdings gefördert werden solle. Ein weiterer Zuzug von Ausländern nach Deutschland müsse verhindert werden. Damit trug Kohl der ausländerkritischen Haltung der Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion und des CSU-Innenministers Friedrich Zimmermann Rechnung.23 Die Umsetzung der von Kohl geforderten Ausländerpolitik führte allerdings zu heftigem Streit in der Regierungskoalition, insbesondere zwischen CSU und FDP, z.B. über das Nachzugsalter. Die von der Regierung dann im Oktober 1983 beschlossene Rückkehrhilfe bzw. Rückkehrförderung wurde von der Opposition und den Gewerkschaften scharf kritisiert. Obwohl die Bundesregierung am Ende von etwa 300.000 Ausländern ausging, die die Rückkehrhilfen in Anspruch genommen hätten, trug diese Maßnahme nicht dazu bei, die Zahl der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer signifikant zu senken.24 Auch der Versuch der Regierungskoalition, ein neues Ausländergesetz zu verabschieden, welches die zahlreichen Einzelvorschriften in einem Gesetzespaket bündeln sollte, scheiterte lange an ihrer Zerstrittenheit. Erst im April 1990 konnten sich CDU, CSU und FDP auf einen Gesetzentwurf einigen, der am 9. Juli 1990 in Kraft trat. Das Gesetz schrieb im Wesentlichen den Status quo fest. In vielen Bereichen brachte es aber den hier lebenden Ausländern Rechtssicherheit und erleichterte den Aufenthalt der zweiten Ausländergeneration. Maßnahmen zur besseren Integration der Ausländer wurden von der Regierung Kohl allerdings nicht geplant. Ende der 1980er Jahre verlagerte sich die Diskussion dann von der Ausländer- zur Asylpolitik. Ursache war die seit 1988 massiv ansteigende Zahl von Asylsuchenden. Von 1988 bis 1994 erhöhte sich die Zahl der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer da21 22 23 24

Vgl. ebd., S. 77 ff. Vgl. Stickler: Die Migrationspolitik der CDU, S. 717. Vgl. ebd., S. 718, sowie Grau: Dokumentation, S. 124 f. Vgl. Klaus Bade: Migration, Flucht, Integration. Kritische Politikbegleitung von der „Gastarbeiterfrage“ bis zur „Flüchtlingskrise“. Erinnerungen und Beiträge. 2. Aufl. Karlsruhe 2017, S. 83.

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durch um über 50 Prozent. Während die Bundesregierung mit Gesetzesverschärfungen versuchte, den Zustrom der Asylbewerber zu begrenzen, pochten Opposition, Kirchen und Gewerkschaften auf die Beibehaltung des Grundrechts auf Asyl. Auch innerhalb der Union kam es zum Streit über die Asylpolitik.25 Da die Union die einzige Lösung des Problems in einer Änderung des Asylartikels 16 des Grundgesetzes (GG) sah, übte sie starken Druck auf die SPD aus, um diese zu einer Änderung des Grundgesetzes zu bewegen. In der aufgeheizten Diskussion über die „Asylantenflut“ kam es ab Herbst 1991 in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Greifswald, Wismar, Mölln und anderen Orten leider zu fremdenfeindlichen Anschlägen und Ausschreitungen. Von der in Teilen der Gesellschaft ausländerfeindlichen Stimmung profitierten außerdem rechtsradikale Parteien wie die Republikaner und die DVU.26 Nicht zuletzt deshalb einigten sich im Dezember 1992 schließlich Union, SPD und FDP auf einen „Asylkompromiss“. Danach galt das Asylrecht nicht mehr für Flüchtlinge, die aus Staaten einreisten, die die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet hatten (Drittstaatenregelung). Außerdem fielen Kriegsflüchtlinge künftig nicht mehr unter das Asylverfahren. Am 23. Mai 1993 wurde die Änderung des Artikels 16 GG vom Bundestag mit großer Mehrheit verabschiedet.27 Wie beabsichtigt, ging in den folgenden Jahren die Zahl der in Deutschland gestellten Asylanträge deutlich zurück und sank bis 1998 auf unter 100.000. Nach der Änderung des Asylrechts rückte das Staatsbürgerschaftsrecht und die Frage nach einem Einwanderungsgesetz in den Mittelpunkt der Debatte über die Ausländerund Integrationspolitik. Die Bundesregierung unter Helmut Kohl konnte sich bis 1998 aufgrund der Uneinigkeit der Koalitionspartner jedoch nicht mehr über entsprechende Reformen verständigen. Trotz der umfangreichen programmatischen Vorarbeiten der CDU zur Ausländerund Integrationspolitik während ihrer Oppositionszeit war davon am Ende der Ära Kohl nur wenig umgesetzt worden. Nach wie vor stand die Ausländerpolitik der Partei unter dem Leitmotiv „Integration und Begrenzung“, auch wenn sie in ihrem Grundsatzprogramm von 1994 die Integration von Menschen anderer Herkunft befürwortete und offen für Einwanderung war. Über die Möglichkeiten einer geregelten Einwanderungspolitik wurde aber nicht nachgedacht. Dies wurde nicht zuletzt von CDU-Politikern wie etwa Armin Laschet und Rita Süssmuth zunehmend kritisch gesehen.28 Die 1998 gebildete rot-grüne Regierungskoalition unter Gerhard Schröder reformierte 1999 das Staatsbürgerschaftsrecht: Gegen den Widerstand der Union („Ja zur Integration – Nein zur doppelten Staatsbürgerschaft“) vereinfachte die Bundesregierung die Möglichkeiten zum Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft, auch unter Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft. Mit dem am 1. Januar 2000 in Kraft getretenen neuen Staatsbürgerschaftsrecht erhielten in Deutschland geborene Kinder von Ausländern jetzt automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft. Auf Druck des von der Union dominierten Bundesrates mussten sie sich allerdings zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr für 25 Vgl. Ulrich Herbert: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge. München 2001, S. 263 – 273. 26 Vgl. ebd., S. 298 ff. 27 Vgl. ebd., S. 319, und Stickler: Die Migrationspolitik der CDU, S. 720. 28 Vgl. Stickler: Die Migrationspolitik der CDU, S. 721 ff.

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eine Staatsbürgerschaft entscheiden (Optionsmodell).29 2014 wurde die Optionspflicht vom Bundestag jedoch wieder abgeschafft und generell die Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft zugelassen. Zur Jahrtausendwende änderte die Union allmählich ihre Einstellung zur Ausländer- und Integrationspolitik. Im Januar 1999 legte die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag ein umfangreiches Eckpunktepapier zur Integrationspolitik vor. Darin waren sowohl Vorschläge für eine bessere Integration als auch für eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechtes enthalten.30 Noch im gleichen Jahr gab die Bundesgeschäftsstelle einen Aktionsleitfaden „Integration aktiv gestalten“ heraus.31 In seinem Beschluss „Zuwanderung steuern und begrenzen – Integration fördern“ vom 7. Juni 2001 sprach sich der Bundesausschuss der CDU erstmals für eine geregelte Zuwanderungspolitik aus. Neben der Forderung nach Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung waren darin auch detaillierte Vorschläge für eine erfolgreiche Integrationspolitik enthalten. Zu ihrer Umsetzung sollte ein Bundesamt für Zuwanderung und Integration geschaffen werden. Die Entwicklung von Parallelgesellschaften wurde weiterhin abgelehnt.32 Dementsprechend beteiligte sich die Union 2003/2004 auch konstruktiv an den Verhandlungen mit der Regierungskoalition über ein neues Zuwanderungsgesetz. Am 1. Juli 2004 stimmte der Bundestag dem Gesetz zu, das am 1. Januar 2005 in Kraft trat. Das Zuwanderungsgesetz löste das Ausländergesetz von 1990 ab und sah erstmals umfassende Integrationsmaßnahmen für alle Zuwanderer vor. Außerdem wurde mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine zentrale Migrationsverwaltung eingerichtet.33 Auch nach der erneuten Übernahme der Regierungsverantwortung durch die CDU/ CSU mit Bundeskanzlerin Angela Merkel 2005 blieb die Zuwanderungs- und Integrationspolitik weiter auf der Tagesordnung. Zu den Projekten, die von den Regierungen Merkel in diesem Bereich umgesetzt wurden, gehört u. a. die Einrichtung der Deutschen Islam Konferenz (2006), die Verabschiedung des Nationalen Integrationsplans (2007), die Einführung von Einbürgerungstests (2008) und der Beschluss zum Nationalen Aktionsplan Integration (2012). Die gewachsene Bedeutung der Integrationspolitik kam auch in der Ernennung der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung zur Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin 2005 zum Ausdruck. Der Regierung Merkel war es damit nicht nur gelungen, die Blockaden in der Diskussion um die Ausländer- und Integrationspolitik zu überwinden, sondern hier auch einen großen Schritt voranzukommen. Die veränderte Haltung der CDU zur Ausländer- und Integrationspolitik spiegelt sich nicht zuletzt in ihrem Grundsatzprogramm von 2007 wider: Die entsprechenden Aussagen im Kapitel „Integrationsland Deutschland“ sind deutlich umfangreicher als noch im Grundsatzprogramm von 1994 und Integration wird als Schlüsselaufgabe bezeichnet. Deutschland brauche eine kontrollierte Zuwanderung, heißt es dort. Dabei dürften aber Demokratie und Menschenrechte nicht in Frage gestellt werden. Die Entwicklung von Parallelgesellschaften werde abgelehnt. Am Ende des erfolgreichen Integrationsprozesses könne dann die Einbürgerung stehen.34 29 30 31 32 33 34

Vgl. Herbert: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland, S. 332 f. Vgl. Grau: Dokumentation, S. 182 ff. Vgl. ebd., S. 215 ff. Vgl. ebd., S. 226 ff., sowie Stickler: Die Migrationspolitik der CDU, S. 724 f. Vgl. Bade: Migration, Flucht, Integration, S. 66 f. Vgl. Grau: Dokumentation, S. 278 ff., sowie Stickler: Die Migrationspolitik der CDU, S. 704. Gieler/

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Dass die Ausländer- und Integrationspolitik auch weiterhin auf der politischen Agenda bleiben wird, machte die Flüchtlingskrise von 2015 deutlich. Durch die Entscheidung der Bundeskanzlerin im September 2015, in Ungarn festsitzenden Flüchtlingen die Weiterreise nach Deutschland zu gestatten, kamen in den folgenden Monaten ca. eine Million Flüchtlinge in die Bundesrepublik. Angesichts dieser Herausforderung setzte die CDU auf eine Integrationspolitik des Förderns und Forderns. Wer in Deutschland leben wolle, müsse bereit sein, sich zu integrieren. Wer sich verweigere, habe mit Konsequenzen zu rechnen. Außerdem sei die Flüchtlingskrise ein gesamteuropäisches Problem, dem nur mit einem europäischen Asylsystem wirksam zu begegnen sei.35 Stickler weist allerdings zu Recht darauf hin, dass die Integrationspolitik in der Union selbst weiterhin umstritten ist.36

Aussiedler Laut Grundgesetz (Art. 116) besitzen die noch in Osteuropa lebenden deutschen Minderheiten ebenfalls die deutsche Staatsbürgerschaft. Außerdem sahen sich alle Bundesregierungen gegenüber den in die Bundesrepublik kommenden Aussiedlern, die besonders unter Krieg und Verfolgung zu leiden gehabt hatten, stets in einer besonderen Verantwortung. Nach dem Bundesvertriebenengesetz von Mai 1953 sind sie den Vertriebenen gleichgestellt.37 Während zwischen 1950 und 1987 ca. 36.000 Aussiedler pro Jahr kamen, nahm deren Zahl seit dem Machtantritt Michail Gorbatschows in der UdSSR ab 1985, als sich die Verhältnisse im Ostblock zu liberalisieren begannen, stark zu.38 1989 überstieg die Zahl der Aussiedler sogar diejenige der Asylbewerber. Insgesamt kamen zwischen 1988 und 1995 rund zwei Millionen Aussiedler in die Bundesrepublik – insbesondere aus Polen und der UdSSR. Die Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl hatte – im Gegensatz zu abweichenden Vorstellungen der Opposition – stets an der Forderung des Grundgesetzes, Aussiedler wie deutsche Staatsbürger zu behandeln, festgehalten. Um ihnen bei ihrer Eingliederung in die Gesellschaft zu helfen, ernannte die Bundesregierung im September 1988 den Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister des Inneren, Horst Waffenschmidt, zum Aussiedlerbeauftragten und verabschiedete ein umfangreiches Hilfsprogramm. Bis heute kümmert sich der Bundesbeauftragte für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten um die Probleme der Aussiedler bei der In-

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Bhattacharya machen darauf aufmerksam, dass die CDU hier bewusst von „Integrationsland“ spricht, während andere Parteien den Begriff „Einwanderungsland“ verwenden; Gieler/Bhattacharya: Deutsche Migrationspolitik, S. 57. Vgl. dazu die im Koalitionsvertrag von 2018 festgelegten Maßnahmen, in: https://www.cdu.de/themen/ integration-zuwanderung-und-aussiedler (Abruf: 31.1.2020). Vgl. Stickler: Die Migrationspolitik der CDU, S. 729. Vgl. Jürgen Hensen: Zur Geschichte der Aussiedler- und Spätaussiedleraufnahme, in: Christoph Bergner/Matthias Weber (Hg.): Aussiedler- und Minderheitenpolitik in Deutschland. Bilanz und Perspektiven (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa. Bd. 38). Oldenburg 2009, S. 47 – 61, hier 48. Vgl. Barbara Dietz: Aussiedler – die fremden Deutschen, in: Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland. Bonn/Mainz 2014, S. 128 – 137, hier 130.

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tegration und engagiert sich für die deutschen Minderheiten in Osteuropa.39 Unter den Aussiedlern, die zwischen 1991 und 2004 vor allem aus Russland in die Bundesrepublik kamen, waren auch über 200.000 jüdische Kontingentflüchtlinge, die zumeist ebenfalls die deutsche Staatsbürgerschaft annahmen.40 Die positive Haltung der CDU gegenüber Aussiedlern resultiert nicht zuletzt aus der Tatsache, dass diese für sie lange Zeit eine relativ sichere Wählergruppe darstellten, um die auch mit Werbemitteln in russischer Sprache geworben wurde.41 Mit dem Kriegsfolgenbereinigungsgesetz von 1993 legte die Regierung Kohl fest, dass nach 1992 geborene Angehörige der deutschen Minderheiten keinen Anspruch mehr auf ihre Anerkennung als Aussiedler haben. Außerdem mussten sie nun individuell eine Diskriminierung aufgrund ihrer deutschen Abstammung nachweisen – ausgenommen Aussiedler aus der früheren UdSSR. Auch die Einführung eines Sprachtestes im Herkunftsland ab 1996 ließ die Zahl der Aussiedler, die in die Bundesrepublik kamen, deutlich sinken. Durch das Zuwanderungsgesetz von 2005 wurden schließlich Aussiedler den übrigen Einwanderern gleichgestellt.42 Die Zahl der Spätaussiedler, die seitdem jährlich nach Deutschland kommen, liegt nur noch bei wenigen Tausend. Insgesamt hat die Bundesrepublik seit ihrer Gründung 1949 bis zum Jahr 2000 mehr als drei Millionen Aussiedler aufgenommen.

Forschungs- und Quellenlage Zu den Themen Vertriebene, Ausländer und Aussiedler gibt es eine Fülle an Literatur. Zur Politik der CDU gegenüber diesen Gruppen ist die Literaturauswahl hingegen begrenzt. In dem Buch von Kleinmann finden sich viele Hinweise über die Arbeit der CDU für und mit den Vertriebenen sowie die dazu gegründeten Parteiorganisationen.43 Von Bösch werden diese Hinweise unter Verwendung zahlreicher Quellen noch weiter ausgebaut und verdichtet.44 Einen kurzen Überblick über die Politik der Alliierten und der Bundesregierung gegenüber den Vertriebenen bietet der Aufsatz von Mathias Beer.45 Die Arbeit und das Selbstverständnis der Vertriebenenverbände stehen im Fokus der Arbeit von Stickler.46 Dabei geht er in einem Kapitel auch detailliert auf den Umgang der CDU mit diesen Verbänden ein. In seinem Aufsatz von 2020 fasst er den Forschungsstand zur Vertriebenenpolitik der Union nochmals zusammen und kommt insgesamt zu 39 Vgl. Wolfgang Schäuble: Zwei Jahrzehnte Politik für Aussiedler und nationale Minderheiten. Rede zur Tagungseröffnung, in: Bergner/Weber (Hg.): Aussiedler- und Minderheitenpolitik, S. 17 – 22, hier 18 f. 40 Vgl. Stickler: Die Migrationspolitik der CDU, S. 722. 41 Vgl. etwa die Wahlwerbung für Aussiedler zur Bundestagswahl 1998, in: ACDP Bestand Bundesgeschäftsstelle 07-001-5693 und -5695. 42 Vgl. Dietz: Aussiedler, S. 131 f. 43 Kleinmann: Geschichte der CDU. 44 Frank Bösch: Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei 1945 – 1969. Stuttgart/München 2001. 45 Beer: Flüchtlinge und Vertriebene. 46 Matthias Stickler: „Ostdeutsch heißt Gesamtdeutsch“. Organisation, Selbstverständnis und heimatpolitische Zielsetzungen der deutschen Vertriebenenverbände 1949 – 1972 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 46). Düsseldorf 2004.

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einem negativen Urteil.47 Für die Umsiedlerpolitik in der SBZ bzw. DDR 1945 – 1961 liegt mit dem Buch von Michael Schwartz eine detaillierte, quellengestützte Untersuchung vor.48 Schwartz beleuchtet ausführlich die Politik der Sowjets und der SED gegenüber den Umsiedlern und geht dabei auch auf die übrigen Parteien ein, wenn auch nicht so umfassend. Das Standardwerk zur Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland von 1880 bis zur Jahrtausendwende stammt von Ulrich Herbert.49 In seinen gemeinsam mit Karin Hunn verfassten Beiträgen in der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland von 2005 und 2007 hat er seine Erkenntnisse zur Ausländerpolitik in der Ära Kohl nochmals zusammengefasst und fortgeschrieben.50 Die Ziele und die Umsetzung der Ausländerpolitik in der ersten Hälfte der Ära Kohl sind von Wirsching detailliert beschrieben worden.51 Eine vollständige Übersicht über die Auseinandersetzung der CDU zum Thema Ausländer- und Integrationspolitik von 1956 bis 2012 bietet die vom Autor zusammengestellte Dokumentation.52 Die kleine Studie von Wolfgang Gieler und Supriyo Bhattacharya beleuchtet die Programmatik der im Bundestag vertretenen Parteien zur Ausländer- und Integrationspolitik seit der Jahrtausendwende.53 Zusammengefasst stellt Stickler in seinem Aufsatz von 2020 den Kurs der Union in der Ausländer- und Vertriebenenpolitik seit 1945 sowie die innerparteilichen Auseinandersetzungen darüber dar.54 Aus subjektiver Sicht schildert der Migrationsforscher Klaus Bade 2017 den Wandel der Ausländer- und Integrationspolitik in der Bundesrepublik von den 1970er Jahren bis zur Gegenwart sowie seine Erfahrungen mit der Regierungspolitik.55 Der Beitrag von Barbara Dietz gibt einen guten und knappen Überblick über die Einwanderung von Aussiedlern von den Anfängen in den 1950er Jahren bis 2013.56 Die Texte von Wolfgang Schäuble57 und Jürgen Hensen58 von 2009 fassen die Politik der Bundesregierung gegenüber den Aussiedlern zusammen und zeigen die noch bestehenden Probleme auf. Zum Themenkomplex Vertreibung, Migration und Integration finden sich auch im ACDP eine Reihe von Quellen. Als Querschnittsthema sind sie jedoch über viele Nachlässe, Bestände und Bestandsgruppen verstreut. Für das Thema Flucht und Vertreibung stellt der Bestand der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung der CDU/CSU (OMV) na47 48 49 50

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Ders.: Die Migrationspolitik der CDU. Schwartz: Vertriebene und Umsiedlerpolitik. Herbert: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Ders./Karin Hunn: Beschäftigung, soziale Sicherung und soziale Integration von Ausländern, in: Bundesministerium für Arbeit und Soziales/Bundesarchiv (Hg.): Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945. Bd. 7: 1982 – 1989. Baden-Baden 2005, S. 619 – 651; Dies.: Beschäftigung, soziale Sicherung und soziale Integration von Ausländern, in: Bundesministerium für Arbeit und Soziales/ Bundesarchiv (Hg.): Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945. Bd. 11: 1989 – 1994. Baden-Baden 2007, S. 943 – 975. Andreas Wirsching: Das Ende des Provisoriums. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 1982 – 1990 (Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 6). Wiesbaden 2006, S. 296 – 308. Grau: Dokumentation. Gieler/Bhattacharya: Deutsche Migrationspolitik. Stickler: Die Migrationspolitik der CDU. Bade: Migration, Flucht, Integration. Dietz: Aussiedler. Schäuble: Zwei Jahrzehnte. Hensen: Zur Geschichte der Aussiedler- und Spätaussiedleraufnahme.

Vertriebene, Flüchtlinge, Migranten, Asylpolitik

türlich eine Hauptquelle (04-015) dar. Außerdem finden sich in vielen Landesverbänden Unterlagen zur Vertriebenenproblematik. Bei den Nachlässen ist an erster Stelle derjenige von Linus Kather (01-377) zu nennen. Er war der führende Vertriebenenfunktionär der CDU in den Nachkriegsjahren und der erste Vorsitzende des Landesverbandes Oder-Neiße. Aus Enttäuschung über die Politik der CDU wechselte er 1954 zum BHE und später sogar zur NPD. Mit dem großen Nachlass des Sudetendeutschen Josef Stingl (01-168) befindet sich ein weiterer Vorsitzender des Landesverbandes Oder-Neiße bzw. der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung (OMV) im ACDP. Außerdem hat noch der langjährige Vorsitzende der OMV Herbert Hupka (01-415) seinen Nachlass dem ACDP übergeben. Als weitere wichtige Vertriebenenfunktionäre sind noch die Nachlässe von Herbert Czaja (01-291), dem langjährigen Präsidenten des BdV, und von Clemens Riedel (01-094) zu nennen. Zum Thema Aussiedler kann vor allem der sehr umfangreiche Nachlass des ersten Aussiedlerbeauftragten der Bundesregierung Horst Waffenschmidt (01-346) herangezogen werden sowie der Bestand des Aussiedlerbeauftragten von 2006 – 2014, Christoph Bergner (01-980). Zur Ausländer- und Integrationspolitik der CDU befinden sich Materialien in erster Linie im Bestand der Bundespartei (07-001) und im Bestand der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag (08-001). Außerdem haben sich verschiedene CDU-Landtagsfraktionen mit dem Thema befasst. Von den Personenbeständen sind hier derjenige von Maria Böhmer (01-783), der Staatsministerin und Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, zu nennen sowie der von Johannes Gerster (01631), dem zeitweiligen innenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion.

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Wissenschaft, Forschung, Technologie Christine Bach Wissenschaftspolitik gliedert sich in die Bereiche Forschungs- und Hochschulpolitik. Überschneidungen gibt es zu den Themen Innovation und Technologie sowie zur Bildungspolitik, dies vor allem auf dem Gebiet der Lehre an den Fachhochschulen und Universitäten. Der Gestaltungsauftrag der Wissenschaftspolitik ist darauf ausgerichtet, die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für die deutsche Wissenschafts- und Forschungslandschaft in einer Weise zu schaffen, dass sie im internationalen Wettbewerb bestehen kann. Für alle Maßnahmen, die dies betrifft, gilt seit 1949 als oberstes Prinzip die im Grundgesetz verankerte Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre (Art. 5 GG). Die Betonung des Freiheitsgrundsatzes entspricht auch den Leitgedanken der Christlichen Demokratie. So lautete bereits eine Forderung im Berliner Gründungsaufruf der CDU: „Wissenschaft und Kunst sollen sich frei entfalten und die Lehren echter Humanität, deren deutsche Künder der ganzen Menschheit gehören, sollen den sittlichen Wiederaufbau unseres Volkes tragen helfen.“1 Im 1978 verabschiedeten Grundsatzprogramm („Ludwigshafener Programm“) bekannte sich die CDU zu den Grundwerten Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit und formulierte: „Die Bundesrepublik Deutschland ist als hochentwickeltes Land auf leistungsfähige Hochschulen angewiesen. Die Hochschulen brauchen den Wettbewerb wissenschaftlicher Ideen, sie dürfen nicht in die Hände von Ideologen fallen. Unserer Kultur entspricht die Freiheit der Forschung, der Lehre und des Lernens. Sie ist Voraussetzung für die Leistungsfähigkeit der Hochschulen.“2 Im Grundsatzprogramm „Freiheit in Verantwortung“ (1994) wurden „erstmals in einem Grundsatzprogramm der CDU systematisch Hochschule und Wissenschaft angesprochen“3:„Erziehung und Bildung zielen auf die Bejahung des demokratischen und sozialen Rechtsstaates und die im Grundgesetz verankerte Wertordnung. Weltanschauliche Parteilichkeit oder wertneutrale Beliebigkeit sind mit dem Bildungswesen des demokratischen Staates unvereinbar.“4 Begrenzungen ergeben sich aus Sicht der Christlichen Demokratie allerdings aus dem christlichen Menschenbild und den daraus abgeleiteten ethischen Grundsätzen: „Mit den ständig wachsenden Einsichten in die Konstruktionsmuster der Natur, die uns Wissenschaft und Forschung vermitteln, steigt auch unsere Verantwortung für Mensch, Natur und Umwelt. […] Wir müssen lernen, Kosten und Nutzen 1 Berliner Gründungsaufruf der CDU vom 26. Juni 1945, https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/ grundsatzprogramme (Abruf: 15.1.2020). 2 Grundsatzprogramm der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. Verabschiedet auf dem 26.Bundesparteitag Ludwigshafen, 23.– 25. Oktober 1978, S. 17, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=6ab8ab48-871d-52a2-a603-989c928e127f&groupId=252038 (Abruf: 15.1.2020). 3 Josef Lange: Die Wissenschaftspolitik der CDU. Sankt Augustin 2016, S. 6. 4 Freiheit in Verantwortung. Grundsatzprogramm der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. Beschlossen vom 5.Parteitag Hamburg, 20.– 23. Februar 1994, S. 29, https://www.kas.de/c/document_ library/get_file?uuid=3c7580d4-1a63-31f6-5d94-4f057de659c0&groupId=252038 (Abruf: 1.2.2020).

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abzuschätzen, und bereit sein, auf Anwendungsmöglichkeiten zu verzichten, wenn die Risiken und Gefahren ethisch nicht vertreten werden können.“5 Im 2007 verabschiedeten Grundsatzprogramm „Freiheit und Sicherheit“ wurde dargelegt: „Die CDU bekennt sich zur Freiheit von Wissenschaft und Forschung. Chancen und Risiken der Forschung sind gewissenhaft abzuwägen. Die Freiheit der Forschung findet ihre Grenzen dort, wo die unantastbare Würde des Menschen verletzt oder die Schöpfung gefährdet ist.“6 Ein strukturelles Merkmal der Wissenschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland ist die geteilte Verantwortung von Bund und Ländern. Das Grundgesetz von 1949 ordnete die Bereiche Bildung, Wissenschaft und Kultur den Ländern zu, räumte allerdings in Artikel 74 Absatz 13 dem Bund die Möglichkeit ein, auf dem Gebiet der Forschungsförderung einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen zu schaffen. Der Vorrang der Ländergesetzgebung („Kulturhoheit der Länder“) bestimmte seither die Struktur und die politische Gestaltung des Wissenschaftsbetriebs in der Bundesrepublik insofern, als „insbesondere Gründung und Entwicklung von Hochschulen zuerst und vorrangig Länderangelegenheiten sind und der Bund auf diesem Gebiet kein eigenes Initiativund Exekutivrecht geltend machen kann“.7 Auch die großen nationalen Forschungseinrichtungen, die 1946 gegründete Max-Planck-Gesellschaft bzw. die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaften (ab 1954 Deutsche Forschungsgemeinschaft/DFG) wurden in den ersten Jahren der Bundesrepublik ausschließlich aus Ländermitteln finanziert. Dies änderte sich erst, nachdem der Bund seit der Mitte der 1950er Jahre nach und nach seine Kompetenzen, vor allem im Bereich der anwendungsorientierten Grundlagenforschung, ausbauen konnte.8 Ein wichtiger Schritt hierzu war die Gründung des Bundesministeriums für Atomfragen, der Vorgängerinstitution des heutigen Bundesministeriums für Bildung und Forschung, am 20. Oktober 1955. Konrad Adenauers Entscheidung, die Atomförderung durch ein eigenes Ministerium betreuen zu lassen, stand damals im Zusammenhang mit seinen Bestrebungen, die internationale Anschlussfähigkeit der Bundesrepublik auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Atomkraft zu sichern. Am 25. März 1957 unterzeichnete die Bundesrepublik neben dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) auch den Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom). Dieser formulierte als Aufgabe der Atomgemeinschaft, „durch die Schaffung der für die schnelle Bildung und Entwicklung von Kernindustrien erforderlichen Voraussetzungen zur Hebung der Lebenshaltung in den Mitgliedstaaten und zur Entwicklung der Beziehungen mit den anderen Ländern beizutragen“.9 Der Euratom-Vertrag kann als Beispiel für übernationale Forschungspolitik in der Aufbauphase der Bundesrepublik gewertet werden, politisch gesehen diente er 5 Vgl. ebd., S. 101. 6 „Freiheit und Sicherheit“. Grundsätze für Deutschland. Das Grundsatzprogramm. Beschlossen vom 21.Parteitag Hannover, 3.– 4. Dezember 2007, S.  40, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=5f72a0b2-5c95-01ad-092f-0039ff40c168&groupId=252038 (Abruf: 1.2.2020). 7 Andreas Stucke: Staatliche Akteure in der Wissenschaftspolitik, in: Dagmar Simon/Andreas Knie/ Stefan Hornbostel (Hg.): Handbuch Wissenschaftspolitik. Wiesbaden 2010, S. 363 – 376, hier 363 f. 8 Vgl. Martin Lengwiler: Kontinuitäten und Umbrüche in der deutschen Wissenschaftspolitik des 20. Jahrhunderts, in: Handbuch Wissenschaftspolitik, S. 13 – 26, hier 16. 9 Konsolidierte Fassung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft, Art. 1, https:/ /europa.eu/european-union/sites/default/files/docs/body/consolidated_version_of_the_treaty_establishing_the_european_atomic_energy_community_de.pdf (Abruf: 12.5.2021).

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vorrangig dem Ziel der Westintegration, also dem zentralen Signum der Adenauerschen Außenpolitik. Das Bundesministerium für Atomfragen wurde Ende 1962 zum Bundesministerium für Wirtschaft und Forschung ausgebaut, 1969 wurde es in Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft umbenannt. 1972 wurde dann zusätzlich das Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) gegründet, dessen Aufgabe darin bestand, die Grundlagenforschung, die angewandte Forschung und die technologische Entwicklung zu fördern. Nach der Bundestagswahl 1994 wurden beide Ministerien zum Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) zusammengelegt. Seit 1998 trägt das Ministerium die Bezeichnung Bundesministerium für Bildung und Forschung. Christlich-Demokratische Politikerinnen und Politiker an seiner Spitze waren Gerhard Stoltenberg (1965 – 1969), Dorothee Wilms (1982 – 1987), Jürgen Rüttgers (1994 – 1998), Annette Schavan (2005 – 2013), Johanna Wanka (2013 – 2018) und Anja Karliczek (2018 — 2021). Bundesminister für Forschung und Technologie waren Heinz Riesenhuber (1982 – 1993), Matthias Wissmann (1993) und Paul Krüger (1993 – 1994). Die 1960er Jahre waren in der Bundesrepublik insgesamt und auch innerhalb der Union ein Jahrzehnt des bildungs- und wissenschaftspolitischen Aufbruchs. Den Hintergrund hierfür bildeten der zeitgenössische Eindruck fortschreitender „Verwissenschaftlichung“, aber auch die Studentenproteste und Debatten über die Hochschulreform. 1964, im Jahr des Erscheinens der „Deutschen Bildungskatastrophe“ von Georg Picht, diskutierte die CDU auf dem Bundesparteitag vom 12.– 14. März in Hannover Fragen der Zukunftsfähigkeit des deutschen Bildungs- und Wissenschaftsbetriebs, wobei, auch im Blick auf die seit 1963 geplante große Reform der föderalen Finanzströme, Kompetenzverlagerungen zwischen Bund und Ländern im Fokus standen. Im für die Bundestagswahl 1969 erarbeiteten „Berliner Programm“ forderte die CDU in „Lockerung ihrer föderalistischen Grundeinstellung“ (H.-O. Kleinmann) eine Erweiterung der gesetzgeberischen Kompetenzen des Bundes. Dies gelte „insbesondere für die Förderung des Bildungswesens und der wissenschaftlichen Forschung, die Planung bei Verkehrs- und Raumordnung, den Schutz und die Sicherung der Gesundheit“.10 Mit der Änderung des Grundgesetzes im Mai 1969 beschloss die Große Koalition unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger schließlich eine Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes über die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens11, die Mitwirkung im Rahmen der BundLänder-Gemeinschaftsaufgaben (Ausbau und Neubau von Hochschulen, Bildungsplanung, Förderung von Einrichtungen und Vorhaben der überregionalen Forschung)12. Fragen der Hochschulpolitik blieben auch in den folgenden Jahren, bis zur Verabschiedung des Hochschulrahmengesetzes vom 29. Januar 1976, ein wichtiges Thema für die CDU, denn vor allem Landespolitiker in Regierungsverantwortung fürchteten Einschränkungen durch ein Hochschulgesetz des Bundes, das die Handschrift der damals regierenden sozial-liberalen Koalition tragen würde. Das übergreifende Anliegen von CDU-Politikerinnen und -Politikern in Bund und Ländern in dieser Phase war es, die Überlagerung wissenschaftspolitischer durch gesellschaftspolitische Ziele zu verhindern. Auf den Punkt 10 Berliner Programm der CDU Deutschlands, 1. Fassung, S. 78, https://www.kas.de/c/document_library/ get_file?uuid=48998652-a937-c1b0-6283-f9895032bca3&groupId=252038 (Abruf: 20.2.2020). 11 Art. 75 Nr. 1a GG. 12 Art. 91a Abs. 1 Nr. 1; Art. 91 b GG.

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brachte dies das im Juli 1971 verabschiedete „Schul- und Hochschulreformprogramm der CDU“, in dem es hieß: „Die Arbeitsformen der Wissenschaft sind Forschung, Lehre und Studium. Wissenschaft kann alles zu ihrem Gegenstand machen. Ihr kritisches Verhalten gegenüber Axiomen, Fragestellungen, Werturteilen, Sachanforderungen und Zwecken ist für sie konstitutiv und zugleich ein begründendes Moment der Freiheit der Wissenschaft. Ideologische Verfremdung und gesellschaftspolitische Instrumentalisierung der Wissenschaft sind damit unvereinbar.“13 Schließlich konnte die Union über ihre Mehrheit in den Bundesländern erreichen, dass am Ende des Gesetzgebungsverfahrens ein – aus Sicht der CDU – „tragfähiger Kompromiss“ zustande kam, der „eindeutig die Handschrift der Union trage“.14 Eine umfassende Novellierung erfuhr das Gesetz jedoch bereits neun Jahre später durch die nun unionsgeführte Bundesregierung, wobei eines der Ziele in einer Stärkung der Professorenschaft in den Hochschulgremien bestand.15 Auf dem Gebiet der Forschungspolitik mündete die umfangreiche Programmarbeit der Union in den 1970er Jahren in die Verabschiedung des „Technologiepolitischen Konzepts der CDU“ vom 14. April 1980.16 „Erfolgreiche Forschungs- und Technologiepolitik ist Impuls für die geistige, gesellschaftliche und wirtschaftliche Weiterentwicklung sowie Voraussetzung zur Lösung unserer großen Probleme, z.B. der Energie- und Rohstoffversorgung“, hieß es hier.17 Nach dem Ende der sozial-liberalen Koalition und der erneuten Regierungsübernahme der Union in Bonn forderte die Partei in ihren „Stuttgarter Leitsätzen“ im Abschnitt „Verbesserte Rahmenbedingungen für Forschung und moderne Technik“ eine „Entbürokratisierung der universitären Forschung“, einen „Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Wirtschaft“ und den Ausbau der Drittmittelforschung in der Bundesrepublik.18 Inwieweit die wissenschaftspolitischen Programmschriften der Oppositionszeit dann ab 1982 von der Regierung Helmut Kohl verwirklicht wurden, ist beim jetzigen Forschungsstand unklar. In den 1990er Jahren bestimmten Fragen der Vereinigung mit den Wissenschaftseinrichtungen der untergegangenen DDR die wissenschaftspolitische Agenda. Im Einigungsvertrag vom 31. August 1990 wurde festgelegt, dass die Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen der neu zu bildenden Länder in „die gemeinsame Forschungsstruktur der Bundesrepublik Deutschland“ einzupassen seien.19 Umfangreiche Programme zur Umstrukturierung und Förderung der Hochschulen und der Wissenschaftseinrichtungen in Ostdeutschland wurden nicht zuletzt mit den Stimmen der CDU-Politiker aus Bund und Ländern auf den Weg gebracht. Das finanzstärkste hiervon war das Hochschulerneue13 Schul- und Hochschulreformprogramm der CDU, Bonn 1971, in: ACDP 08-007-012/1. 14 Vgl. die Dokumentation „Hochschulrahmengesetz – Ein tragfähiger Kompromiss“, in: ACDP 07-0018250 (1). 15 Tobias Hoymann: Der Streit um die Hochschulrahmengesetzgebung des Bundes. Politische Aushandlungsprozesse in der ersten großen und der sozialliberalen Koalition. Wiesbaden 2010, S. 218. 16 Technologiepolitisches Konzept der CDU. Forschung und Technologie für die Sicherung unserer Zukunft. Bonn 1980. 17 Ebd., S. 5. 18 Deutschlands Zukunft als moderne und humane Industrienation. Stuttgarter Leitsätze für die 80er Jahre, beschlossen auf dem 32. Bundesparteitag vom 9.– 11. Mai 1984 in Stuttgart, S. 16, https://www. kas.de/c/document_library/get_file?uuid=3737a86e-163b-dca4-95be-e574aa13f326&groupId=252038 (Abruf: 1.6.2020). 19 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands, Art. 38.

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rungsprogramm vom 11. Juli 1991 mit einem Gesamtvolumen von 2.426,7 Millionen DM. Ein Teil dieser Summe brachte der Bund mit Mitteln aus dem Gemeinschaftswerk Aufbau Ost auf. Die Laufzeit des Programms umfasste den Zeitraum vom 1. April 1991 bis 31. Dezember 1996.20 Die Maßnahmen, die in dieser Zeit realisiert wurden, um das Wissenschaftssystem in den ostdeutschen Ländern auf eine neue Grundlage zu stellen, basierten in hohem Maße auf Evaluationen und Empfehlungen des Wissenschaftsrates als der „wichtigsten Beratungsarena für wissenschaftspolitische Fragen in der Bundesrepublik“.21 In der Fachliteratur wird der Umbau des ostdeutschen Wissenschaftsbetriebs in den 1990er Jahren als „Erfolgsgeschichte“ gewertet.22 Andreas Stucke zieht folgende Bilanz: „Auch im Folgeprozess der Einpassung der Wissenschaft der DDR in die Bundesrepublik, der für die beteiligten Akteure mit erheblichen Belastungen verbunden war, kam es, trotz einzelner Friktionen, nicht zu einer Störung des wissenschaftspolitischen Gleichgewichts. Weder kam es zu einer dauerhaften Kompetenzerweiterung des Bundes gegenüber den (anfangs nur eingeschränkt handlungsfähigen neuen) Ländern, noch zu einer nachhaltigen Schwächung der Wissenschaftsorganisationen gegenüber einem starken Bund, der im Verlauf des Einigungsprozesses der Wissenschaftsorganisationen immer wieder mit dezidierten Erwartungen, sich in Ostdeutschland zu engagieren, gegenübertrat.“23 Nach dem erneuten Sieg der schwarz-gelben Koalition bei den Bundestagswahlen 1994 berief Helmut Kohl Jürgen Rüttgers an die Spitze des neugeschaffenen Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie („Zukunftsminister“). Ein Schwerpunkt seiner Amtszeit war die Novellierung des Hochschulrahmengesetzes. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes vom 20. Oktober 1997 wurde als Ziel der Novelle formuliert: „Reform des deutschen Hochschulsystems mit dem Ziel, durch Deregulierung, durch Leistungsorientierung und durch die Schaffung von Leistungsanreizen Wettbewerb und Differenzierung zu ermöglichen sowie die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Hochschulen für das 21. Jahrhundert zu sichern.“24 In die Amtszeit Rüttgers, fielen außerdem die Anfänge des sogenannten Bologna-Prozesses, also der Hochschulreform mit dem Ziel einer europaweiten Vereinheitlichung von Studiengängen und -abschlüssen sowie der Ausweitung der internationalen Mobilität der Studierenden. Zusammen mit den Bildungsministern aus Italien, Frankreich und Großbritannien unterzeichnete Rüttgers am 25. Mai 1998 in Paris die „Sorbonne-Erklärung“ über eine gemeinsame europäische Hochschulpolitik.25 Nach der Jahrtausendwende forderte die CDU in ihrem Regierungsprogramm 2005 – 2009 eine deutliche Erhöhung der jährlichen Investitionen in Forschung und Entwicklung zusätzlich zur bereits unter Rot/Grün beschlossenen Exzellenzinitiative26. Als 20 21 22 23 24

Lange: Wissenschaftspolitik, S. 20. Stucke: Staatliche Akteure, S. 366. Ebd., S. 21. Ebd., S. 369. Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes. Deutscher Bundestag, 13.Wahlperiode, Drucksache 13/8976 vom 20.10.1997, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/13/087/13 08796.pdf (Abruf: 7.9.2020). 25 Vgl. Lange: Wissenschaftspolitik, S. 26. 26 Bund-Länder-Vereinbarung gemäß Artikel 91 b des Grundgesetzes (Forschungsförderung) über die Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder zur Förderung von Wissenschaft und Forschung an deutschen Hochschulen, Exzellenzvereinbarung (ExV) vom 18. Juli 2005. BAnz S. 13347, https://www.

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Ziel formulierte das Programm, die Bundesrepublik müsse ab 2010 einen Anteil von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts jährlich in Forschung und Entwicklung investieren. Weitere Leitgedanken waren die bessere Vernetzung der universitären und außeruniversitären Forschung und deren Integration in die europäische Forschungspolitik sowie die Stärkung des Wettbewerbs im Wissenschaftsbereich.27 Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung von 2005 bis 2013, erreichte in ihrer Amtszeit eine außerordentliche Steigerung der Forschungsetats des Bundes um 40 Prozent (13,8 Milliarden Euro im Jahr 2012). Das Jahrzehnt zwischen 2000 und 2010 war insgesamt von einer großen Dynamik in den Bereichen Bildungs- und Wissenschaftspolitik gekennzeichnet. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang vor allem die Föderalismusreform zur Neuordnung der Zuständigkeiten von Bund und Ländern, die im Juni und Juli 2006 vom Deutschen Bundestag und vom Bundesrat mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit beschlossen wurde und am 1. September 2006 in Kraft trat.28 Im Ergebnis kam es zwar nicht zu einer „Veränderung der grundlegenden Kooperations- und Verhandlungsstrukturen“, die sich seit 1969 entwickelt hatten, aber doch zu einer deutlichen Entzerrung von Zuständigkeiten. Abgeschafft wurden die Hochschulrahmengesetzgebung durch den Bund sowie die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau. Der nach der Reform neu gefasste Artikel 91b des Grundgesetzes ermöglichte jedoch weiterhin die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in den Bereichen „Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung außerhalb von Hochschulen, Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen, Forschungsbauten an Hochschulen einschließlich Großgeräten“.29 Ebenfalls in die Amtszeit Schavans fiel die Verlängerung des 2005 beschlossenen Pakts für Forschung und Innovation zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschaftssystems. Er gilt für die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die vier großen Organisationen der außeruniversitären Forschung: Fraunhofer-Gesellschaft (FhG), Helmholtz-Gemeinschaft (HGF), Leibniz-Gemeinschaft (WGL) und Max-Planck-Gesellschaft (MPG). In jüngster Zeit, das heißt in der Amtszeit der Nachfolgerin Schavans im Amt der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Johanna Wanka, setzte sich der positive Trend des Mittelzuwachses für Wissenschaft und Forschung fort. Nach Angaben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung stiegen die Ausgaben des Bundes für Forschung und Entwicklung im Zeitraum von 2005 bis 2017 von 9,0 Milliarden Euro auf 16,6 Milliarden Euro im Jahr 2017. Dies bedeutet eine Steigerung von etwa 85 Prozent.30 Im Jahr 2017 betrug der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt (BIP) erstmals 3 Prozent. Die Budgets für Bildung, Forschung und Wissenschaft erreichten zusammengenommen in diesem Jahr erstmals einen Anteil von 9 Prozent des BIP. Ein zentrales Thema der Wissenschaftspolitik ist seit der Jahrtausendwende die Europäisierung des Hochschulbereiches. Es ist anzunehmen, dass die „Europapartei“ CDU gwk-bonn.de/fileadmin/Redaktion/Dokumente/Papers/exzellenzvereinbarung.pdf (Abruf: 7.9.2020). 27 Deutschlands Chancen nutzen. Wachstum–Arbeit–Sicherheit. Regierungsprogramm der CDU Deutschlands, S.  9 – 10, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=6c914ac8-7c46-b010b1a1-24aa4261d24b&groupId=252038 (Abruf: 7.9.2020). 28 Vgl. https://www.bundesrat.de/DE/plenum/themen/foekoI/foekoI-node.html (Abruf: 7.10.2020). 29 Olaf Bartz: Der Wissenschaftsrat. Entwicklungslinien der Wissenschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1957 – 2007. Stuttgart 2007, S. 234. 30 Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hg.): Bildung und Forschung in Zahlen 2019. Ausgewählte Fakten aus dem Daten-Portal des BMBF. Bonn 2019, S. 7.

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diese Entwicklung entscheidend mit vorangetrieben hat. Mit welchen Schritten dies konkret geschah, muss beim jetzigen Stand der Forschung jedoch offenbleiben.

Forschungs- und Quellenlage Historische Arbeiten zur Wissenschaftspolitik in der Bundesrepublik befassen sich bislang vor allem mit einzelnen Akteuren und Institutionen wie dem Wissenschaftsrat. Die Einflüsse einzelner Parteien, also auch der CDU, finden dabei allenfalls am Rande Erwähnung. Grundlegende Aussagen zu den wissenschaftspolitischen Leitvorstellungen der CDU finden sich in den programmatischen Schriften der Partei. Inwieweit die vor allem seit den 1970er Jahren entstandenen Konzepte jedoch in praktische Politik überführt wurden, ist eine offene Frage und wäre anhand ausgewählter Beispiele zu prüfen. Anhand der bisher erschienenen, vorwiegend der politikwissenschaftlichen, Literatur ist davon auszugehen, dass die Wissenschaftspolitik der CDU in den letzten Jahrzehnten vor allem auch von den durchaus divergierenden Interessen der Politikerinnen und Politiker in Bund und Ländern geprägt wurde. Abgesehen von finanziellen Fragen standen hierbei stets auch Fragen der Machtverteilung zwischen den verschiedenen politischen Ebenen zur Diskussion. Eine Aufgabe zukünftiger Forschungen wird es sein, den Bedeutungsgewinn der Wissenschaftspolitik des Bundes seit der Wiedervereinigung zu untersuchen. Auch der zunehmende Kompetenzgewinn der Europäischen Union und dessen Auswirkungen sollte ein Thema zukünftiger Forschungen sein. Bislang sind hierzu nur begrenzt Aussagen möglich, zumal die entsprechenden Quellenbestände in den Archiven aufgrund der Sperrfristen noch nicht ausgewertet wurden. Ein weiteres Forschungsdesiderat ist die systematische Auswertung einzelner Nachlässe von Politikern und Politikerinnen der CDU, die die Wissenschaftspolitik der Partei in besonderem Maße geprägt haben. Zu denken ist hierbei etwa an die Nachlässe Gerhard Stoltenberg, Heinz Riesenhuber, Dorothee Wilms und Jürgen Rüttgers. Weitere Quellen im Archiv für Christlich-Demokratische Politik, die ebenfalls noch nicht systematisch ausgewertet wurden, finden sich in der Überlieferung der einzelnen Fachausschüsse und Arbeitsgruppen in Bund und Ländern.

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Bioethische Positionen in christlich-demokratischer Programmatik und Rechtspolitik Rita Anna Tüpper Die Christlich-Demokratische Union Deutschlands verstand sich bei ihrer Gründung in nahezu allen Politikbereichen als Gegenbewegung zum Totalitarismus und Terror des nationalsozialistischen Regimes und seiner ideologischen Grundlagen. Dies gilt besonders auch für die antagonistische Orientierung an den reichen Facetten eines kirchlich tradierten und seit der Aufklärung ebenfalls humanistisch begründeten Christlichen Menschenbildes, das nach den zivilisationszerstörenden Auswirkungen des ‚Dritten Reiches‘ eine Renaissance als parteipolitisch und verfassungsrechtlich relevantes Gegenbild erleben sollte. Der hier dargestellte Umgang mit dem Lebensbeginn des Menschen als einem der sensibelsten Momente seiner Existenz gibt dabei konkreten Aufschluss über die spezifisch christliche Ausdeutung der Menschenwürde und steht als historisch erste Lebensrechtsfrage exemplarisch für die bioethische Basis der Partei. Der umfassende Begriff der Würde des Menschen wurde im Konsens der Parteien mit Unterzeichnung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland am 23. Mai 1949 in der Präambel und im ersten Artikel allen weiteren Bestimmungen zugrunde gelegt. Ihre dabei festgeschriebene Unantastbarkeit hatte bei der Restitution der Demokratie in Westdeutschland eine vor allem abwehrrechtliche Dimension,1 die verhindern sollte, dass die Bürger erneut zum bloßen Objekt des Staates würden.

Die großen Debatten und Entscheidungen zum § 218 und ihre Hintergründe Die Vorgeschichte: Marginalisierung der personalen Würde Im anthropologischen Zentrum der NS-Ideologie stand eine sozialdarwinistisch unterlegte, rassistische Hierarchie, die vom arischen ‚Herrenmenschen‘ an der Spitze über den slawischen ‚Untermenschen‘ bis zu angeblich unwerten Individuen eingeschränkter ‚Funktionsfähigkeit‘ oder semitischer Abstammung eine abgestufte Wertigkeit menschlichen Lebens behauptete und in deren Konsequenz Ermordungen als ‚rassenhygienische‘ Maßnahme angeordnet wurden. Diese wurden als „Aktion T4“ bekannt, der systematischen, von der Berliner Tiergartenstraße 4 aus gesteuerten sogenannten „Euthanasie“ zuerst kranker und behinderter Kinder und dann Erwachsener; nach einer deutlichen Kritik insbesondere von Vertretern der katholischen Kirche (v.a. des Münsteraner Bischofs Clemens August Graf von Galen) wurde sie in den 1940er Jahren dezentralisiert fortgeführt; dennoch fielen ihr etwa 200.000 Menschen zum Opfer. Der erste Schritt auf diesem Vernichtungsweg war die Zwangssterilisation von Menschen mit vermeintlichen 1 Manfred Baldus: Kämpfe um die Menschenwürde. Die Debatten seit 1949. Berlin 2016, u. a. S. 225.

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Erbkrankheiten; fortgesetzt wurde er durch eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bei diagnostizierten Erbkrankheiten am 26. Juni 1935 mittels des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses.2 Damit wurden Richtlinien für eine ‚medizinische‘ Indikation zur Abtreibung aufgestellt und Gutachterverfahren unter Aufsicht des Reichsministeriums des Inneren vorgeschrieben. Vor dem Genozid wurden so zuerst die Ungeborenen der tödlichen Selektion des totalitären Staates ausgeliefert und der Holocaust in „rassehygienisch“ begründeten Abtreibungen vorbereitet. Dieser funktionalistischen Logik entsprach andererseits die Verschärfung des Strafmaßes für künstliche Aborte während des Zweiten Weltkrieges am 9. März 1943, bei denen Gefängnis-, Zuchthausoder sogar Todesstrafe für den Fall vorgesehen wurden, dass durch die Abtreibung „die Lebenskraft des deutschen Volkes“ beeinträchtigt werde.3 Die Regelung brach mit der deutschen Rechtstradition und führte an Stelle des Rechtsgutes keimenden Lebens die „deutsche Volkskraft“ ein; zudem verwendete sie nun den Begriff des „Abtötens“ statt des „Tötens“ und insinuierte so eine deutlich mindere Eigenwertigkeit des Embryos. Bei der Rückänderung des § 218 nach dem Ende des „Dritten Reiches“ blieb diese Formulierung (wohl unbedacht) stehen; Befürworter einer weit zurückgenommenen Abtreibungsregelung beriefen sich in den höchst kontroversen Debatten der 1970er Jahre auch auf dieses Wort als Nachweis einer geringeren Wertschätzung des aktuellen Gesetzgebers gegenüber dem ungeborenen Leben. Dabei hatte schon zum Ende des 18. Jahrhunderts das Allgemeine Landrecht für Preußen im Zuge fortschreitender medizinischer Kenntnisse zur embryonalen Entwicklung 4 in § 10 I 1 bestimmt, „[d]ie Allgemeinen Rechte der Menschheit gebühren auch den noch ungeborenen Kindern schon von der Zeit ihrer Empfängnis“,5 und das Strafmaß für Abtreibungen von Motiven, Nebenumständen und Alter der Leibesfrucht abhängig gemacht. Entsprechende Regelungen übernahm das Preußische Strafgesetzbuch. Tradiert über den Norddeutschen Bund und das Kaiserreich, fanden sie Eingang in die Gesetzgebung der Weimarer Republik. In den turbulenten Zeiten der ersten deutschen Demokratie scheiterte ein 1918 eingebrachter Entwurf für ein neues Abtreibungsgesetz, das den künstlichen Abort zur Abwendung einer schweren Gefahr für das Leben der Mutter vorsah, an Verfahrensfragen. De facto wurde es vom Reichsgericht mit einer Entscheidung 2 Michael Gante: § 218 in der Diskussion. Meinungs- und Willensbildung 1945 – 1976 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 21). Düsseldorf 1991, S. 18, sowie für den gesamten Abschnitt S. 19, v.a. Anm. 45: Selbst der Verband der Evangelischen Frauen erinnerte bei seiner Positionierung für eine Abschaffung des § 219a (Beratungs- und Informationsregelung) in Person ihrer Vorsitzenden Susanne Kahl-Passoth an die Strafbewehrung des § 218 unter den Nationalsozialisten, ohne diese in den Gesamtkontext der NS-Gesetzgebung zur ‚Euthanasie‘ einzuordnen. Siehe: Wird Abstimmung über Abtreibungsparagraf zur Gewissensfrage?, in: Der Tagesspiegel, 20.2.2018, https://m.tagesspiegel.de/politik/schwangerschaftsabbruch-wird-abstimmung-ueber-abtreibungsparagraf-zur-gewissensfrage/20979218.html (Abruf: 22.5.2020). 3 Gante: § 218 in der Diskussion, S. 18 f. 4 Dirk von Behren weist darauf hin, dass die vor dem 18. Jahrhundert praktizierten Strafbarkeitsunterschiede je nach Entwicklungsstadium aufgrund der Annahme einer Sukzessiv-Beseelung durch die Erkenntnis einer vollständigen Konzeption des Menschen mit der Fertilisation überflüssig wurden; andererseits behauptet er, dass trotz der tradierten rechtssystematischen Zuweisung der Abtreibung zu den Tötungsdelikten die Rechtslehre „nach einhelliger Auffassung“ auch noch im 19. Jahrhundert in ihr kein Tötungsdelikt gesehen habe. Ders.: Kurze Geschichte des Paragrafen 218, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 69. Jg. (2019) 20, S. 12. 5 Zit. nach Gante: § 218 in der Diskussion, S. 13.

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vom 11. März 1927 im Fall einer unverheirateten Schwangeren mit schwerer Depression jedoch anerkannt, so dass sich eine medizinische Indikation unter den Bedingungen eines Notstandes nach Güter- und Pflichtenabwägung im Hinblick auf das Leben und die Gesundheit der Mutter etablierte. Diese gerichtliche Entscheidung war – neben dem fortbestehenden § 218 StGB – nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wiederum ein Orientierungspunkt in den meisten westlichen Ländern, die durch uneinheitliche Gesetzeslagen und Rechtsunsicherheit geprägt waren, während eine große Zahl von Vergewaltigungen zu einer damals ungewöhnlich hohen Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen und einer de facto weitgehend einheitlichen liberalen Rechtswirklichkeit führte.6 In den Ländern der sowjetischen Zone wurden bald neue Gesetze geschaffen, die medizinische, kriminologische und in Ausnahmen soziale und kindliche (d.i. eugenische) Indikationen zuließen. Im Westen bewegte sich das Handeln der Ärzte nach einer oft nur behaupteten kriminologischen Indikation (angezeigte Abtreibung nach Vergewaltigung) auf halblegalem Boden. Trotz der Verschiedenartigkeit der regionalen Lösungen gingen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg die Regelungen insgesamt über eine medizinische und kriminologische Indikation nicht hinaus. Abtreibungen wurden von den Medizinern noch grundsätzlich als Vernichtung eines Menschenlebens angesehen, auch wenn man eine Schwangerschaft nach Vergewaltigung allgemein als unzumutbar und daher den Abbruch dann als medizinisch vertretbar und legitim betrachtete.7 Die sich hierin ausdrückende christlich-humanistische Tradition der grundsätzlichen Achtung menschlichen Lebens hatte durch die gezielte Entchristlichung des totalitären Staates nicht erstickt werden können.

Orientierung am Christlichen Menschenbild Unmittelbar nach dem Zusammenbruch des ‚Dritten Reiches‘ und vor dem Zusammenschluss der CDU während des ersten Parteitages auf Bundesebene vom 20. bis 22. Oktober 1950 in Goslar hatten sich spontan an vielen Orten der Besatzungszonen christlich-demokratisch bzw. christlich-sozial orientierte Politiker zusammengefunden und in Parteien organisiert. Sie verband die tiefe Ablehnung des Nationalsozialismus aus dem Geist einer demokratischen Überzeugung und christlichen Lebensauffassung sowie biographisch vielfach das Schicksal einer bisweilen nur knapp überlebten Verfolgung und/oder Internierung.8 Ihre Grundüberzeugungen wurzelten zu einem erheblichen Teil im politischen und sozialen Katholizismus des frühen 20. Jahrhunderts.9 6 Ebd., S. 26 – 29; jährlich wurden von 1945 bis 1950 vermutlich zwischen 500.000 und 1.000.000 Abtreibungen vorgenommen, vgl. ebd., S. 43; zu den Regelungen der sowjetischen Zone S. 341; Weiteres zu westlichen Zonen S. 30 – 33. 7 Ebd., S. 36. Vereinzelte und intern umstrittene Initiativen von SPD-Frauenorganisationen zur Einführung einer sozialen Indikation fanden zwar 1947 das Interesse der Presse, stießen aber auf einen weithin ablehnenden gesellschaftlichen Konsens, der das eigentliche Ziel der Abschaffung des § 218 als unrealistisch erscheinen ließ. Vgl. S. 46 f. Vgl. auch Urteil des Landgerichtes Flensburg vom 19.12.1946, zit. ebd., S. 37, Anm. 56, das von einer verlängerten Notwehrsituation spricht. 8 Vgl. Günter Buchstab/Brigitte Kaff/Hans-Otto Kleinmann (Hg.): Christliche Demokraten gegen Hitler. Aus Verfolgung und Widerstand zur Union. Freiburg i. Br. 2004, sowie Horst Möller: Vom christlich-bürgerlichen und konservativen Widerstand gegen Hitler zur Gründung von CDU und CSU nach 1945, in: Politische Studien 56 (2005), S. 26 – 38. 9 Winfried Becker: Weltanschauung: Christliche Demokratie, in: kas.de/web/geschichte-der-cdu (Abruf:

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Gemeinsam war allen integrierten Denkströmungen die Abwehr einer vielfach staatlich beanspruchten Allzuständigkeit, der bestimmte vorstaatliche natürliche Rechte des Bürgers entzogen bleiben müssten; auch lehnten sie die Verdrängung des Christentums durch einen allumfassenden Primat des Säkularismus ab.10 Mit dieser Haltung verbanden sich anthropologische Auffassungen des Personalismus, die „jedem Menschen eine unverwechselbare Individualität und Würde“11 zuerkannten und „aus der menschlichen Mitwirkung an der Gnade Gottes die innere Aufforderung zu einer aktiven, Gesellschaft und Politik einbeziehenden Gestaltung des Lebens“ ableiteten: Der einzelne Mensch solle – im Konsens mit dem Aufklärungsphilosophen Immanuel Kant (1724 – 1804) – stets als Subjekt des Handelns verstanden werden, dessen moralische Regeln in seinem Gewissen gründen und das auch im staatlichen Handeln nicht zum Objekt werden dürfe.12 Nach christlicher Überzeugung liegt der tiefere Grund für die Würde einer jeden Person in der Dignität, die ihr ungeachtet aller Eigenschaften und losgelöst von jeder Bedingung allein mittels ihrer transzendenten Verwurzelung zukommt13 und die sich – nicht zuletzt als Konsequenz des Glaubens an die göttliche Inkarnation im Menschen Jesus von Nazareth – in vollem Umfang auch auf die menschliche Leiblichkeit bezieht. So hatte etwa der 1943 internierte und zwei Jahre später im KZ Flossenbürg (auf ausdrücklichen Befehl Hitlers) hingerichtete evangelisch-lutherische Theologe Dietrich Bonhoeffer diesen Gedanken unmittelbar vor seiner Verhaftung in einer Ethik des Leibes weiter ausgeführt, in welcher er die von Gott gewollte Leiblichkeit des Menschen (und mit ihr auch seine Verletzlichkeit) als „selbstzwecklich“14 bezeichnete und damit der – wie auch immer ausgerichteten – Instrumentalisierung zu Fremdzwecken entzog. Es war eben dieses Menschenbild, das die Solidarität mit Schwachen und Kranken einfordert, das eine Propaganda der Überlegenheit ‚auszumerzen‘ suchte. Die Substitution religiöser Sinngebung durch den modernen Mythos des Übermenschen, der politisch-ideologisch zum Führerprinzip ausgestaltet und zur Begründung eines Genozids und eines Angriffskrieges genutzt worden

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22.8.2019). Vgl. auch Christopher Beckmann: Soest. Hotel Overweg. Vom politischen Katholizismus zur überkonfessionellen christlichen Volkspartei, in: Michael Borchard/Judith Michel (Hg.): Erinnerungsorte der Christlichen Demokratie in Deutschland. Berlin 2020, S. 10 – 17. Vgl. zur weitergeführten Ablehnung eines umfassenden Säkularismus in der CDU Antonius Liedhegener: Das „C“ als „Himmelanker“ oder: Warum die CDU der Säkularisierung trotzt, in: Norbert Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU. München 2020, S. 421 – 466. Becker: Weltanschauung. Zur späteren philosophisch-theologischen Begründung des Personalismus siehe auch die Schriften Karol Wojtyłas bzw. Papst Johannes Pauls II., hier insbesondere „Person und Tat“. Freiburg i. Br./Basel/Wien 1981, dessen Habilitation sich mit der Ethik Max Schelers und Immanuel Kants auseinandersetzte. Hierzu Thomas Maria Rimmel: Die Theologie des Leibes von Papst Johannes Paul II. Philosophische und theologische Grundlagen. Sankt Ottilien 2014. Die durchgängig zentrale Bedeutung des individuellen Gewissens für eine christlich-demokratische Politikauffassung hat Christoph Böhr unter der Überschrift „Gewissen und Politik“ in Michael Borchard (Hg.): Im Zentrum: Der Mensch. Sankt Augustin 2006, S. 65 – 80, paradigmatisch beschrieben. Die zur Untermauerung dieses Gedankens oft genannte Gottesebenbildlichkeit (vgl. etwa Arnold Angenendt: Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert. Münster 2009, S. 110 – 115), die nach Genesis 1,26 das Menschenbild des Alten Testamentes begründet, hat jedoch in der christlichen Theologie eine teils widersprüchliche (Sündenfall-These) Rezeption erfahren. Auf Bonhoeffer und dessen Ethik bezieht sich insbesondere Ulrich H. J. Körtner: Leib und Leben: Bioethische Erkundungen zur Leiblichkeit des Menschen. Göttingen 2010, zum Beispiel auf S. 19.

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war, führte sich selbst im militärischen und politischen Zusammenbruch ad absurdum. So wurde der Raum frei für die Bündelung der Kräfte, die der rassistischen und antisemitischen Ideologie geistesgeschichtlich explizit entgegengestanden hatten im – jetzt befreiten – „Katakombengeist“ (Leo Schwering) überkonfessioneller, christlicher Strömungen mit politischem Gestaltungswillen auf demokratischer Grundlage.

Lebensschutz: Debatten, Positionierungen und Gesetzesänderungen 1949 bis 1976 Mit der schnellen Verbesserung der Lebensverhältnisse seit 1949 ging die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche zurück. Eine pragmatisch orientierte, liberale Praxis, die sich in der Ärzteschaft angesichts der großen Zahl kriminologisch induzierter Abtreibungen unmittelbar nach dem Kriegsende etabliert hatte, wurde auch in den 1950er und 1960er Jahren beibehalten,15 ohne dass sich daraus zunächst eine breitere gesellschaftliche Debatte über die Änderung der gesetzlichen Grundlagen ergeben hätte.16 Für die Jahre 1950 bis 1962 ist andererseits eine der lockeren Praxis entgegenstehende, überaus kritische Behandlung des medizinisch indizierten Abortes in der medizinischen (nicht politischen!) Fachliteratur nachzuweisen. Bei derartigen Eingriffen standen die Mortalitätsrate (über einem Prozent) und die Komplikationsquote (um die 20 Prozent) in unmittelbarer Folge sowie prozentual noch weit höher angegebene Spätfolgen den vergleichsweise wenigen Verschlechterungen des Krankheitsbildes der Frauen bei abgelehnter Abtreibung (ca. 4,5 Prozent) gegenüber.17 Dennoch wurde die medizinisch indizierte Abtreibung straflos praktiziert; dabei sah man bisweilen auch soziale Faktoren als „maßgeblich“18 für die medizinischen Diagnosen an und integrierte diese, während eine rein materielle, ökonomische Argumentation eher auf Ablehnung stieß. Auch eine eugenische Indikation betrachteten die Mediziner mit Skepsis und lehnten sie überwiegend ab – dies nicht allein aus ethischen Motiven und historischer Sensibilität, sondern auch aufgrund der damals noch höchst unsicheren diagnostischen Methoden im Hinblick auf mögliche Beeinträchtigungen des Embryos. Die gelegentlich und verdeckt vorgetragene Zustimmung zu eugenisch begründeten Eingriffen stützte sich „auf ein allem Anschein nach intuitiv motiviertes anthropologisches Unwert-Urteil über das behinderte ungeborene Leben.“ Sowohl in der Bundesrepublik als auch und vor allem in der DDR berief man sich dabei auf die Ziele der Leidensvermeidung und der Verbesserung der Lebensbedingungen, welche vor allem im kommunistisch geführten Teil Deutschlands eine deutliche Unterscheidbarkeit zur NS-Rassenhygiene herausstellen sollten. 1953 wurde in der Bunderepublik der § 218 im Rahmen der Reform im dritten Strafrechtsänderungsgesetz lediglich in eine verfassungskonforme Version gebracht: Die 1943

15 Gante zeigt, dass die Konsequenzen der Ausnahmesituation nach dem Krieg lange spürbar waren und die Grenzen der wissenschaftlich anerkannten, extensiven Indikationen in der Praxis noch weit überschritten wurden. § 218 in der Diskussion., S. 64 f. 16 Von Behren: Kurze Geschichte des Paragrafen 218, S. 12 – 19. 17 Gante: § 218 in der Diskussion, S. 56 – 59. 18 Ebd., S. 59; Gante weist auch darauf hin, dass 1958 in West-Berlin die Abtreibung eines mutmaßlich behinderten Kindes auf das positive Gutachten eines anerkannten Humangenetikers und den Wunsch der Eltern hin straflos möglich gewesen sei; nachfolgendes Zitat S. 62.

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in ihn eingeführte Todesstrafe wurde wieder entnommen.19 Anfang der 1960er Jahre beriet der Bundestag über ein neues Strafgesetzbuch. Dabei waren sich alle Beteiligten darüber einig, dass die eigentlich schon seit 1927 überfällige gesetzliche Regelung einer medizinischen Indikation im § 218 nun festgeschrieben werden sollte. Zwei Entwürfe von 1960 und 1962 sahen Strafmilderungen und die offizielle Aufnahme der medizinischen Indikation vor, klammerten aber eine ausdrückliche kriminologische Indikation wegen zu hoher Missbrauchsgefahr aus.20 Obwohl sie in der vierten Legislaturperiode (1961 bis 1965) nicht mehr zur parlamentarischen Beratung und Abstimmung gebracht werden konnten, war vorübergehend vor allem durch die im Bundesrat geführten, schließlich aber an den Rechtsausschuss verwiesenen Debatten um eine kriminologische Indikation eine gewisse öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema des Lebensschutzes erzeugt worden. Sie waren trotz ihrer zunächst geringen Breitenwirkung Katalysator der heftigen gesellschaftlichen und politischen Debatten der 1970er Jahre. Die CDU-geführte Bundesregierung stand damals der Einführung der kriminologischen Indikation vor allem in Person des Bundesfamilienministers Franz Josef Wuermeling ablehnend gegenüber 21; er hatte die Sorge, dass der „Schutzwall um das unantastbare Gut des Rechtes auf Leben“ durch die Zulassung jeder weiter gefassten Indikation eingerissen werden könnte. Der Arbeitskreis für Allgemeine und Rechtsfragen der Bundestagsfraktion der CDU/CSU war hingegen für eine neue gesetzliche Regelung deutlich offener; hier hielt Max Güde (CDU, 1950 bis 1961 beim Bundesgerichtshof Bundesanwalt, Senatspräsident und Oberbundesanwalt) am 9. Oktober 196222 ein Referat, in dem er die Rechtmäßigkeit einer Abtreibung nach Vergewaltigung zwar ausschloss, aber die Möglichkeit erwog, Straffreiheit vorzusehen.23 Der Paradigmenwechsel von vorpositiver Verankerung rechtlich relevanter Werte hin zur Anerkennung gesellschaftlicher, kommunikativer Setzungen als Letztbegründungen vollzog sich größtenteils unterhalb der Wahrnehmungsschwelle politischer Aktivitäten, wurde aber in Lebensrechtsfragen zum entscheidenden Faktor der politischen und rechtshistorisch umwälzenden Veränderungen der folgenden Jahrzehnte. Das relative Desinteresse von Öffentlichkeit und Parteien der jungen Bundesrepublik an den Abtreibungsregelungen änderte sich auch dann noch nicht, als 1969 – nota bene vor dem 19 Von Behren: Kurze Geschichte des Paragrafen 218, S. 15. 20 Ebd., S. 15; Gante weist jedoch, wie auch oben schon erwähnt, darauf hin, dass die medizinische Indikation in den 1950er und 1960er Jahren häufig die sozial-medizinische und kriminologische, manchmal auch die eugenische de facto umfasste. § 218 in der Diskussion, S. 64. 21 Ebd., S. 71 f., folgende Äußerung Wuermelings zit. ebd., S. 72. 22 ACDP 08-002-063/2; vgl. Gante § 218 in der Diskussion, S. 72. 23 Güde stand damit 1962 quasi auf dem Scheitelpunkt eines ideengeschichtlichen Übergangs der rechtsphilosophischen Anerkennung einer – auch – sittenbildenden Funktion des Strafrechts (also einer engen Verwobenheit von Recht und Moral) hin zu Zweckmäßigkeitsüberlegungen im Sinne eines pragmatischen ‚Realitätsprinzips‘ selbst in der rechtsbegründenden Argumentation. Im Zuge dieses Umdenkungsprozesses wurde auch der Fundamentalwert des sittlichen Tötungsverbotes als durch Kriterien modifizierbar vorgestellt, die ‚die Gesellschaft‘ – als neuer intellektueller Fixpunkt – erst zu definieren habe. Vgl. Gante: § 218 in der Diskussion, S. 96. Hoimar von Ditfurth sprach bereits 1950 von einer „Krise für alles Sittliche überhaupt“, vgl. ebd., S. 95. Zur ontologischen Begründung von Menschenwürde und Menschenrechten siehe auch Bernhard Vogel: Im Zentrum: Menschenwürde. Politisches Handeln aus christlicher Verantwortung – Christliche Ethik als Orientierungshilfe, in: Borchard (Hg.): Im Zentrum: Der Mensch, S. 13 – 43, hier 32 f.

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Regierungswechsel zur sozial-liberalen Koalition! – am 25. Juni der Straftatbestand des § 218 StGB vom Verbrechen zum Vergehen herabgestuft wurde.24 1970 legten zusätzlich zu einem Gesetzesentwurf der Mehrheitsfraktionen im Bundestag (SPD/FDP) namhafte liberale Strafrechtslehrer einen – von heute aus betrachtet wegweisenden – „Alternativentwurf“ vor, der mit einer Fristenregelung Abtreibungen innerhalb der ersten drei Monate straffrei stellen wollte. Sie nahmen damit gesellschaftliche Umbrüche im Zuge der sexuellen Revolution und der Einführung der Antibabypille auf dem deutschen Markt auf. Abtreibung erschien nun mitunter als „‚nachsteuernde‘ Maßnahme der Geburtenregelung“.25 Breite öffentliche Aufmerksamkeit erhielt das Thema jedoch erst durch eine medial von einer feministischen Gruppe gesteuerte Selbstbezichtigungskampagne im Sommer 1971, die die völlige Streichung des § 218 StGB zum Ziel hatte: Am 6. Juni veröffentlichte das Magazin „Stern“ die Erklärung „Wir haben abgetrieben“, zu der sich unter Federführung von Alice Schwarzer und in Anlehnung an ein französisches Vorbild 374 (auch prominente) Frauen bekannten.26 Die Kampagne wurde systematisch zu Demonstrationen in verschiedenen deutschen Städten ausgeweitet, die das Selbstbestimmungsrecht der Frauen unter dem Motto „Mein Bauch gehört mir“ einforderten, die Rechte des Ungeborenen negierten und unter die körperliche Selbstverfügung der Mutter subsumierten;27 die natürliche Hemmschwelle gegen Abtreibungen sollte zusätzlich durch die Veröffentlichung eines mitgefilmten Abortes eingerissen werden.28 Da diese außerparlamentarische Extremposition keinerlei Abwägung mit den Lebensrechten des Embryos traf, konnte sie ihre Forderungen nicht eins zu eins in die parlamentarischen Entscheidungsprozesse einbringen; dies verhinderte jedoch nicht eine massive Einflussnahme auf das Meinungsklima im Parlament. Dessen Veränderung wurde zunächst von der FDP aufgriffen, die so den Koalitionspartner SPD erheblichem Druck aussetzte.29 Auch die Einstellung der Sozialdemokraten wandelte sich binnen weniger Wochen, so dass der Indikationen-Entwurf (Abtreibung nach angezeigten Kriterien) des Justizministers Gerhard Jahn (SPD) in die Defensive geriet. Der Fristenregelungsentwurf, der die Tötung des Embryos in den ersten Monaten freistellte und zuvor noch ein Gruppenantrag gewesen war, wurde am 21. März 1973 als Fraktionsantrag von FDP und SPD eingebracht. Der frühere Regierungsentwurf schrumpfte nun zu einem Gruppenantrag einiger Sozialdemokraten um Müller-Emmert. Obwohl es sich bei der Frage des Lebensschutzes um ein das Christliche Menschenbild massiv tangierendes Thema handelte, verhielt sich die Unionsfraktion in den frühen 24 25 26 27

Gante: § 218 in der Diskussion, S. 343. Von Behren: Kurze Geschichte des Paragrafen 218, S. 15 f. Ebd., S. 16. Freilich muss darauf hingewiesen werden, dass erste Demonstrationen hierzu bereits 1970 stattfanden; sie wurden v.a. von der „Frauenaktion 70“ initiiert, die aus der „Humanistischen Union“ hervorgegangen war. Zudem ließ sich die Evangelische Akademie Bad Boll schon Anfang 1971 vom Justizministerium für eine Veranstaltung zum § 218 anwerben, die dann von den extremen Frauengruppen unter Führung von Dr. Renate Lepsius zu einer offenbar ohne Wissen des Veranstalters geplanten medienwirksamen Demonstration umfunktioniert wurde. Vgl. Gante: § 218 in der Diskussion, S. 123. 28 Gante: § 218 in der Diskussion, S. 127 f., 14 Mitglieder einer „Initiativgruppe“ trieben vor der Kamera das Kind einer 34-jährigen Mutter ab; ein Ehepaar, das dieses Kind adoptieren wollte, wurde abgewiesen; aufgrund heftiger Proteste konnte der Film nicht, wie geplant, in „Panorama“/ARD am 11. März 1973 gezeigt werden, wurde jedoch etwas später in den Dritten Programmen des NDR ausgestrahlt. 29 Gante: § 218 in der Diskussion, S. 344.

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1970er Jahren überraschend passiv. Zwar hatten Vertreter der CDU im Verwaltungsrat des NDR die Ausstrahlung der o.g. gefilmten Abtreibung (vergeblich) zu verhindern versucht, aber auf der legislativen Ebene schienen C-Parteien und Fraktion in diesen Jahren angesichts der abrupten Wendung des Zeitgeistes in Schockstarre zu verharren. Bis 1973 war ihre Politik auf einen Kompromiss mit dem Indikationen-Entwurf der Sozialdemokraten gerichtet,30 dessen Perspektive sich durch die Kehrtwendung der SPD auflöste. Ein eigenes Modell brachte die Union erst am 11. Mai 1973 ein – nach einem vermutlich nicht vor dem März dieses Jahres gefassten Entschluss. Er sah eine sozial-medizinische Indikation vor, die auch eine kriminologische und kindliche Indikation umfasste. Allerdings war dieser Entwurf für eine Gruppe von 28 Unionsabgeordneten nicht tragbar, die einen eigenen, stärker auf die spezifisch medizinische Indikation fokussierten Gruppenantrag einbrachte. Die zu dieser Zeit der 1960er und frühen 1970er Jahre offen zutage getretene und noch nicht hinreichend reflektierte Spannung zwischen säkularem und religiösem (im „C“ begründeten) Anspruch mag die Umwandlung der defensiven in eine aktive Haltung erschwert haben. Auch waren in den Argumentationen der extremen Feministinnen generell berechtigte Kritik an mangelnder weiblicher Selbstbestimmung mit Ignoranz gegenüber dem Eigenrecht des verletzlichsten Frühstadiums menschlichen Lebens, dessen Schutz zum männlichen Machtinstrument erklärt wurde, verwoben; die Zurückweisung ihrer Forderungen musste daher eine Differenzierung leisten, der die propagandistische Zuspitzung den Weg erschwerte. Zum zeitgleichen Vakuum in der Programmatik31 der CDU kam hinzu, dass der breite Einzug von Frauen in die Union, die sich in dieser Situation Gehör für eine dem Lebensrecht authentischer und nachdrücklicher zugewandte Position hätten verschaffen können, erst ein Jahrzehnt später einsetzte.32 Obwohl die Frauenunion schon 1948 gegründet worden war, war ihre Rolle in den ersten Dekaden und in den lebensrechtlichen Debatten der 1970er Jahre eher schwach ausgeprägt. Was auf dem Wege parlamentarischer Willensbildung versäumt worden war, holten die Christlichen Demokraten jedoch so weit wie möglich auf juristischem Wege nach: Nachdem der federführende Sonderausschuss die inzwischen vier Entwürfe (zwei Gruppen- und zwei Fraktionsanträge, jeweils einer aus den Reihen der Regierung, einer aus jenen der Opposition) in das Plenum zurück überwiesen hatte, stimmte das Parlament nach einer zweiten Lesung über alle vier Entwürfe ab; das Ergebnis machte eine Stichwahl erforderlich, bei der die Fristenregelung und der Fraktionsentwurf der CDU/CSU zur Entscheidung standen.33 Bei dieser Abstimmung votierten die meisten der 35 Unterstützer Müller-Emmerts (SPD) nun zugunsten ihrer Parteikollegen, so dass es am 26. April 1974 zu einem Beschluss der Fristenregelung mit 247 gegen 233 Stimmen kam. Dieser Abstimmung war am Tag zuvor eine der heftigsten Generaldebatten in der bundesdeutschen Parlamentsgeschichte mit 27 Rednern vom Morgen bis nach Mitternacht voraus30 Ebd., S. 345. 31 Hans-Otto Kleinmann hat darauf hingewiesen, dass sich die SPD und die FDP in den frühen 1970er Jahren besser auf das neue Lebensgefühl einstellen konnten, in: Geschichte der CDU 1945 – 1982. Hg. Günter Buchstab. Stuttgart 1993; siehe insbesondere S. 317 f., 326. Näheres zur programmatischen Entwicklung in Kapitel 2 des Beitrages. 32 Vgl. Ina vom Hofe: Die Frauenpolitik der CDU. Traditionen – Entwicklungen – Einflüsse 1945 bis 2013. Sankt Augustin/Berlin 2017, S. 63 – 136. 33 Gante: § 218 in der Diskussion, S. 345.

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gegangen, in der sich etwa Paul Mikat mit Vehemenz gegen eine Fristenlösung aussprach und daran erinnerte, dass sich die Deutschen im Nationalsozialismus wie kein anderes Volk am Leben versündigt hätten und sich deshalb für die Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens aussprechen sollten.34 Am 10. Mai beantragten die unionsgeführten Länder (Bayern, Baden Württemberg, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig Holstein), den Vermittlungsausschuss des Bundesrates anzurufen; 35 obwohl diesem Begehren stattgegeben wurde, scheiterten alle Bemühungen um einen Kompromiss, der offenbar von der Regierungskoalition nicht gewünscht war. Der Einspruch des Bundesrates gegen das Gesetz wurde am 5. Juni 1974 vom Plenum zurückgewiesen. Zwei Wochen später erreichte die Landesregierung Baden Württembergs durch Beantragung einer einstweiligen Anordnung beim Bundesverfassungsgericht, dass der § 218a StGB in der Neufassung nicht in Kraft treten durfte.36 Am gleichen Tag, dem 20. Juni 1974, beantragten 192 Mitglieder der Bundestagsfraktion der CDU/CSU ebendort, einen Widerspruch zum Grundgesetz und damit die Nichtigkeit der neuen Vorschrift festzustellen. Am 25. Februar 1975 stellte das höchste deutsche Gericht die Verfassungswidrigkeit der vom Bundestag beschlossenen Fristenregelung fest; sie trage dem vom Grundgesetz gebotenen Schutz des ungeborenen Lebens nicht in ausreichendem Maße Rechnung,37 denn das verbürgte Recht auf Leben lasse sich nicht für eine bestimmte Frist aussetzen. Notgedrungen schwenkten die Regierungsfraktionen auf ein Indikationenmodell um, das sie jedoch soweit als möglich auszudehnen trachteten. Immer noch auf Kompromisssuche, auf die auch weite Teile der Öffentlichkeit ihre Hoffnung setzten,38 machte die Union erhebliche Zugeständnisse, die die Abwendung einiger wichtiger Fraktionsmitglieder wie etwa Bruno Heck39 vom Antrag der eigenen Fraktion zur Folge hatten.40 Sie sahen in der extremen Ausdehnung der Indikationen eine De-facto-Akzeptanz der sozialen Indikation – also die nach Beratung erlaubte Tötung des Embryos aufgrund problematischer sozialer Umstände – durch die Hintertür. Ab dem 7. November 1975 wurden zwei neue Entwürfe im Bundestag beraten. Die Union verzichtete darauf, ihren Entwurf zur Abstimmung zu stellen, so dass jener der Regierungskoalition mit 248 Ja-Stimmen – darunter auch drei Stimmen aus der Union – und 195 Nein-Stimmen angenommen wurde. Versuche der Christlichen Demokraten, erneut über Bundesrat und Vermittlungsausschuss gegen das Gesetz vorzugehen und die eigene Regelung zu installieren, scheiterten. Es trat am 22. Mai 1976 in Kraft und stellte den Abbruch der Schwangerschaft durch einen Arzt/eine Ärztin als nicht strafbar fest, wenn die Schwangere einwilligte, entweder eine medizinisch-soziale, eugenische oder kriminologische Indikation beziehungsweise eine Notlage vorlag und die Abtreibung innerhalb der jeweiligen Fristen erfolgte. Den Ärzten/Ärztinnen blieb ihre „Kontroll- und Filterfunktion“ erhalten.41 Die Union hatte mit ihrer Intervention beim Bundesverfassungsgericht zwar eine massive Relativierung des Lebensrechtes durch eine Fristenlösung verhindert und war 34 35 36 37 38 39 40 41

https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/25475709_debatten07-200096 (Abruf: 1.7.2020). Gante: § 218 in der Diskussion, S. 162. Ebd., S. 345 f. Ebd., S. 346. Ebd., S. 197. Vgl. auch Kleinmann: Geschichte der CDU, S. 360. Gante: § 218 in der Diskussion, S. 199; zum weiteren 200. Von Behren: Kurze Geschichte des Paragrafen 218, S. 18.

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ihrer ethischen Ausrichtung grundsätzlich treu geblieben. Dennoch wurden in der Partei die Vorzeichen des sich massiv wandelnden Zeitgeistes übersehen; so versäumte man es, in die Rolle einer intellektuell agilen Akteurin einzutreten und frühzeitig auf den öffentlichen Diskurs Einfluss zu nehmen. In der zögerlichen Positionsfindung und defensiven Rolle der Union in den frühen 1970er Jahren spiegeln sich nicht zuletzt die Anfechtungen einer „Entmoralisierung des Strafrechts“42, die sich schon seit den frühen 1960er Jahren in den Vorwürfen eines angeblichen „ethischen Rigorismus“ der hergebrachten Rechtsauffassungen (Werner Maihofer, FDP) ankündigte. Man sprach sogar von einer „Überethisierung des Strafrechts“, dessen Aufgabe es nicht sein könne, ethische Positionen durchzusetzen – ein eklatanter Widerspruch zur Auffassung etwa der deutschen Bischöfe, das „Herz des Verpflichtungscharakters des Rechts“ sei „ethischer Natur“.43 Es kennzeichnet die zweite und vor allem dritte Dekade der Bundesrepublik, dass mit den notwendigen Reformen eines zu engen und teils frauenfeindlichen Korsetts gesellschaftlicher Konventionen das ‚Kind mit dem Bade‘ ausgegossen wurde und fundamentale Werte in Misskredit gerieten, die die verfassungsmäßigen Fundamente und nicht zuletzt den weltanschaulichen Kern der Union betrafen. In einem pragmatischen Fehlschluss wurden damals Zweckmäßigkeits- und Nützlichkeitserwägungen der Gesellschaft in den Rang eines letzten Kriteriums gehoben, dem sie per definitionem nachgeordnet sein müssten. Die Auseinandersetzung um den Abtreibungsparagrafen war „kein Disput über den effektivsten Weg zum optimalen Lebensschutz, sondern ein Streit über das Rechtsgut selbst“.44 Für die CDU ging es dabei um entscheidende Grundlagen ihres Menschenbildes, die ihr wegzubrechen drohten, die sie jedoch im Grundsatzprogramm von 1978 im Wesentlichen für die Parteiarbeit zurückgewinnen konnte. Dennoch ist mit der Reform des § 218 ein gesellschaftlicher und rechtshistorischer Wandel im Hinblick auf den Lebensschutz vollzogen worden, der sich als unumkehrbar erwiesen hat.45

Wandlungen bis in die Gegenwart Am 23. August 1990 beschloss die erste freigewählte Volkskammer der DDR den Beitritt der DDR zur Verfassung der Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 23 des Grundgesetzes; der Gesetzgeber geriet jetzt durch den Einigungsvertrag in Zugzwang, da die im Beitrittsgebiet nunmehr verfassungswidrigen Abtreibungsregelungen der DDR für eine Übergangszeit bis zum 31. Dezember 1992 in Geltung gelassen wurden.46 Eine einfache Zurücknahme der freizügigeren Regelungen der DDR schien aus frauenpolitischen Gründen unmöglich,47 da sich dort der Konnex von weiblicher Selbstbestimmung und der Möglichkeit der schwangeren Frau, über das Leben des Ungeborenen zumindest in 42 Gante: § 218 in der Diskussion, S. 212. 43 So Professor Jürgen Baumann 1962 bei einem Vortrag, zit. ebd., S. 215. Vgl. auch S. 218: Eine Sachverständigenanhörung des Deutschen Bundestages vom 10. bis 12. April 1972 beschäftigte sich ausführlich mit dem inneren Zusammenhang zwischen rechtlichen und sittlichen Normen, bei dem die Professoren Heck und Bökmann als Vertreter des Kommissariats der Deutschen Bischöfe darauf hinwiesen, dass ein Recht ohne ethische Norm sich selbst in Frage stelle. Das Recht drücke das sittliche Anspruchsniveau einer Gesellschaft aus. O.g. zweites Zitat ebenfalls hier. 44 Ebd., S. 225. 45 Vgl. Emma Budde: Abtreibungspolitik in Deutschland. Ein Überblick. Wiesbaden 2015. 46 Vgl. Von Behren: Kurze Geschichte des Paragrafen 218, S. 18; Einigungsvertrag Art. 31 Abs. 4. 47 Vgl. Vom Hofe: Frauenpolitik der CDU, S. 195 – 225.

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den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft frei und ohne Rechenschaft zu verfügen, inzwischen weithin etabliert und eine ganze Generation geprägt hatte. Zum Verständnis dieser Tatsache und der weiteren Entwicklung ist ein kurzer Rückblick auf die Regelung der DDR und ihre Begründungen erforderlich: Bereits seit dem 9. März 1972 hatte in der DDR nach den §§ 153 bis 155 DDR-StGB jede Frau das Recht, „bis zur zwölften Woche der Schwangerschaft diese durch einen ärztlichen Eingriff unterbrechen zu lassen, wofür weder eine förmliche Antragstellung noch eine Offenlegung der Motive erforderlich war“.48 Bei der Verkündigung des (zunächst vom Zentralkomitee der SED beschlossenen) „Gesetz[es] über die Unterbrechung einer Schwangerschaft“ vor der Volkskammer 49 wurde es mit der Gleichberechtigung, Eigenverantwortung und Selbstentscheidung der Frau begründet; der Staat lege „vertrauensvoll“ das Recht in die Hände der Frau, die die Möglichkeit erhalten müsse, dem biologischen Zufall entgegenzuwirken. Neben eher praktischen Problemen, etwa der Schwierigkeiten, die eine unerwünschte Schwangerschaft in die berufliche Entwicklung und Ehe trage, und den negativen Auswirkungen einer zu strikten Regelung wie einer durch sie begünstigten Kurpfuscherei einerseits und innere Konfliktlagen von Ärzten andererseits, verwies die ideologische Begründung des neuen Gesetzes besonders auf die soziale Befreiung der Frau als Teil der revolutionären Arbeiterbewegung. Sie prangerte die restriktivere Praxis der „Ausbeutergesellschaften“ an, in denen die abtreibungswilligen Arbeiterinnen sich selbst überlassen blieben, während die Besitzenden immer einen Weg zur Abtreibung gefunden hätten. Das Entscheidungsrecht der Frau zeige die Realisierbarkeit der Gleichberechtigung und der klassenlosen Gesellschaft. Das Ziel des sozialistischen Staates sei dabei letztlich die Erhöhung der Geburtenfreudigkeit durch bewusste Mutterschaft, Ehefestigkeit und die Entwicklung der Frau als Arbeiterin und Mutter. Bei der – wie stets – nur pro forma durchgeführten Abstimmung der Volkskammer gab es zum ersten und bis 1989 einzigen Mal in der Geschichte der DDR Gegenstimmen: vierzehn aus den Reihen der DDR-CDU und weitere acht aus anderen Parteien.50 In einer Kammer von 500 Abgeordneten stellten diese zwar eine praktisch zu vernachlässigende Größe dar, sie zeigten jedoch, dass mit der Frage der erlaubten Tötung des Ungeborenen eine besonders neuralgische Gewissensfrage berührt war. Die sonst in allen politischen Bereichen gleichgeschaltete DDR-CDU wurde so für einen kurzen Augenblick in ihrem ethischen Kern sichtbar. Die gesetzliche Entscheidung und Selbstbestimmungs-Argumentation der DDR konnte ihr in den frühen 1970er Jahren das Fluidum eines fortschrittlichen Staates verleihen.51 Es ist zu vermuten, dass die propagandistisch geschickt eingesetzte Liberalisierung des Abtreibungsrechtes mit dem Fokus auf der Selbstbestimmung der Frau einen (möglicherweise auch kalkulierten) Effekt auf die westlichen Frauenbewegungen hatte. Wenn es heißt, „[n]icht zufällig entwickelte sich der Konflikt über die Regulierung von Abtreibungen zum Symbol des Konfliktes über die sich wandelnde Rolle der Frau in 48 49 50 51

Von Behren: Kurze Geschichte des Paragrafen 218, S. 18. Vgl. die vollständige Wiedergabe auf https://www.mdr.de/zeitreise/stoebern (Abruf: 22.5.2020). https://www.welt.de/kultur/history/article13912738 (Abruf: 23.6.2020). So äußerte sich auch die spätere, in Rostock geborene Familienministerin (1994 – 1998) Claudia Nolte (später Crawford) rückblickend: „Nach meiner Auffassung wurde das Gesetz in der DDR damals nur gemacht, um die angebliche Fortschrittlichkeit des DDR-Staates zu betonen.“ Aus: Das Gegenteil von Macht ist Ohnmacht, in: Hildigund Neubert/Beate Neuss (Hg.): Mut zur Verantwortung. Frauen gestalten die Politik der CDU. Berlin 2013, S. 651 – 662, hier 656.

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der Familie und Gesellschaft“52, da mit allen Abtreibungsregelungen in ihr körperliches Selbstbestimmungsrecht eingegriffen werde, so ist damit eine Perspektive auf die Problematik in freiheitlichen Gesellschaften beschrieben; in der sozialistischen DDR jedoch galt dieses Selbstbestimmungsrecht, insofern es sich jenseits der vorausgesetzten Identifikation mit der Arbeiterklasse (bzw. mit dem sozialistischen Staat) auch auf das Individuum als solches bezog, per se wenig. Es war wohl in erster Linie ein willkommenes Etikett für die staatliche Freigabe der Abtreibung, von der sich ihre Führung keine Nachteile und – neben dem Imagegewinn – möglicherweise Vorteile im Sinne einer Produktionssteigerung durch die ungebrochene Einsatzfähigkeit der Frau als Arbeiterin versprach. Die Propaganda erreichte das Bedürfnis der Frauen nach größerer Selbstbestimmung, lenkte dieses aber – anstatt insgesamt bürgerliche Freiheitsrechte zu gewähren – in den hoch sensiblen, körperlichen Bereich der Frauen, die jetzt (etwa in ihrem beruflichen Umfeld unliebsame) Schwangerschaften nicht mehr besonders geschützt sehen konnten und sie gegebenenfalls verteidigen mussten. Obwohl sich diese Vorgänge im Wesentlichen unterhalb der Schwelle des historisch Dokumentierten vollzogen haben dürften, wird ihre Existenz immerhin gestützt von einer Äußerung Angela Merkels von 1991, damals Bundesministerin für Jugend und Frauen: „Die Frage des Schwangerschaftsabbruches war auch in der ehemaligen DDR aus meiner Sicht nicht so gelöst, dass sie das Wertebewusstsein oder das Empfinden für ‚was ist Leben und wie gehe ich mit Leben um‘ besonders geschult hätte. Man hatte das gesetzlich geregelt und letztlich die Frauen mit einer Lösung sitzengelassen, wo alle Probleme im individuellen Bereich dann diskutiert werden mussten.“53 Die noch 2018 von den Jusos erhobene Forderung nach einer völligen Abschaffung des § 218 als endgültige ‚Befreiung‘ der Frauen im Kontext der neu zu regulierenden Spätabtreibungen zeigt, dass die Argumentation aus der (wohl vorbewussten) defensiven – von der SED-Führung geschickt genutzten – Rolle der Frauen heraus noch sehr lebendig ist.54 Das einerseits durch eine Opferperspektive bestimmte Selbstverständnis und – daraus resultierend – ein Verharren der weiblichen Rolle in einem Selbstverteidigungsmodus sowie andererseits die Gewöhnung an die Privatisierung der Abtreibungsfrage während der DDR-Zeit waren in den frühen 1990er Jahren virulent: Ein subtileres und differenzierteres Verständnis weiblicher Selbstbestimmung hatte ebenso wenig wie die Priorisierung des Lebensrechtes als solches gegenüber den lautstarken Forderungen nach einer weiteren Eingrenzung des § 218 eine Chance auf politische Durchsetzbarkeit. Nur ein Jahr vor den umwälzenden und selbstauflösenden Prozessen in der DDR hatte die CDU hingegen auf ihrem 36.Parteitag in Wiesbaden (vom 13. bis 15. Juni, und den Tagungen der Bundesausschüsse am 12. und 26. September) 1988 ein Programm unter der Überschrift „Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes“55 beschlossen, das über zwanzig Prozent seines Gesamtumfanges für Lebensschutzfragen im en52 Budde: a.a.O., S. 5. 53 Angela Merkel im Interview des Hessischen Rundfunks am 27. Mai 1991. 54 https://www.tagesschau.de, Liveübertragung vom 13.12.2018 (Abruf: 23.6.2020), oder: Deutscher Bundestag. Stenographischer Bericht. 71. Sitzung, 19.Wahlperiode, Aktuelle Stunde, (Plenarprotokoll 19/71), S. 8256 – 8271. 55 Peter Hintze (Hg.): Die CDU-Parteiprogramme. Eine Dokumentation der Ziele und Aufgaben. Bonn 1995, S. 24 – 57. Obwohl die programmatischen Entwicklungen in diesem Aufsatz schwerpunktmäßig im 2. Kapitel behandelt werden, sind die Positionen von Wiesbaden aufgrund ihres bemerkenswerten Zeitkontextes schon an dieser Stelle angebracht.

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geren Sinne aufwendete – so für die Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens, den besonderen Schutz am Lebensanfang, den Schutz des ungeborenen Kindes, den verantwortlichen Umgang mit dem Erbgut und menschenwürdiges Sterben. „Über menschliches Leben“, so heißt es da, „darf nicht verfügt werden“56, und dieses beginne mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Dass Embryonen vor der Nidation vom Strafgesetzbuch durch die §§ 218/19 der Schutz verweigert werde, sei mit neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht zu vereinbaren;57 die Regelung bedürfe daher der Änderung. Die künstliche Befruchtung wurde akzeptiert, die Anzahl der erzeugten Embryonen sei aber zu beschränken auf die zur Herbeiführung der Schwangerschaft notwendige; Untersuchungen an Embryonen seien ausschließlich zu heilenden Zwecken hinnehmbar. Dabei plädierte das Programm für eine breit angelegte öffentliche Überzeugungsarbeit zum Schutz der ungeborenen Kinder, denn „was die einzelne Frau an Belastung tragen kann, hängt auch von der Einstellung der Gesellschaft zum ungeborenen Kind und zum Leben mit Kindern ab“,58 eine Politik aus christlicher Verantwortung müsse sich den Notlagen schwangerer Frauen „helfend zuwenden.“ In diesem Zusammenhang wird das Augenmerk ausdrücklich nicht auf Verschärfung von Sanktionen gelegt, sondern auf die Wertschätzung des Lebens und derer, die sich in seinen Dienst stellen, so auch alleinerziehender Mütter und Väter. Es müsse, so eine zentrale Forderung, das Bewusstsein dafür geschärft werden, dass das ungeborene Kind ein Mensch ist und das Lebensrecht dem Selbstbestimmungsrecht grundlegend vorausgehe. In diesem Kontext der notwendigen gesellschaftlichen und politischen Unterstützung hebt das Programm Erziehungsgeld, „Erziehungsurlaub“ und die Stiftung „Mutter und Kind“ als Leistungen der Union hervor; auch die Bundesaktion „Kleine Hände“ der Frauen-Union – eine flankierende Hilfe für junge und werdende Mütter in besonderen Notlagen, um die sich etwa Renate Diemers, Frauenreferentin in Westfalen-Lippe, verdient gemacht hat – wird ausdrücklich als „erstes erfolgreiches Modell“ hervorgehoben.59 Mit diesen programmatischen Aussagen wurde vier Dekaden nach der Gründungsphase jenes ethische Fundament ausformuliert, welches die christlich-demokratische Bewegung zu Beginn intuitiv getragen und schon 1978 im ersten Grundsatzprogramm thematisiert hatte. Die ethische Fundierung der christlich-demokratischen Programmatik erfolgte in Punkto Lebensschutz jedoch am Vorabend ihrer praktischen Erosion, denn die Übernahme des § 218 konnte 1990 nicht für das gesamte wiedervereinigte Land im Einigungsvertrag einvernehmlich geregelt werden. Dieser sah vielmehr vor, eine Regelung zu finden, die den Schutz des vorgeburtlichen Lebens, aber auch die rechtlich gesicherten Ansprüche der Frau „besser gewährleistet, als dies in beiden Teilen Deutschlands derzeit der Fall ist“,60 verlangte damit augenscheinlich quasi die Quadratur des Kreises und ließ für zunächst zwei Jahre zweierlei Recht bestehen. Abgeordnete der neuen Länder sammelten 33.000 Unterschriften gegen den § 218 in seiner bisherigen (also 1976 definierten) Form und auch die Volkskammer verweigerte sich einem Gesetz, das im Extremfall bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe für eine Abtreibung ohne bestätigte Indikation 56 57 58 59 60

Ebd., S. 250. Ebd., 252. Ebd., S. 253. Ebd., S. 254. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR über die Herstellung der Einheit Deutschlands: Familie und Frauen, Artikel 31 Absatz 4.

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vorsah.61 Im Bundestag wurde am 10. Oktober 1991 ein Sonderausschuss „Schutz des ungeborenen Lebens“ auf Antrag von CDU/CSU, SPD und FDP eingerichtet, dem Ursula Männle (CSU) vorsaß. Bereits am 26. September 1991 lagen dem Parlament sechs Gesetzesentwürfe vor, die bis zur Abstimmung 1992 noch um einen weiteren überfraktionellen ergänzt wurden. Die Einlassungen von Claudia Nolte im Deutschen Bundestag am 29. Juni 1995 62 – dem Tag des um drei Jahre verspäteten Beschlusses der heute gültigen Regelung –, damals Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, und von Hubertus Hüppe, am selben Tag sowie zuvor am 11. März 1992,63 legen ein beredtes Zeugnis davon ab, dass die noch wenige Jahre zuvor in Wiesbaden – als programmatischer Konsens der stärksten Regierungspartei für einen klar definierten Lebensschutz – beschlossenen Positionen sich im ‚wind of change‘ binnen kurzer Frist in eine Außenseiterposition verwandelt hatten. Nolte hatte sich als ostdeutsche Katholikin nicht mit den DDR-Regelungen abfinden können und wünschte ein endgültiges Ende des in der DDR bestehenden Rechtes auf Abtreibung als Mittel der ‚Familienplanung‘ und eine deutlichere Abkehr vom mangelnden Respekt vor dem Leben. Hüppe, Vater von vier Kindern, darunter auch eines adoptierten, nach einem misslungenen Abtreibungsversuch schwer behinderten Kindes, äußerte sich am deutlichsten und konkretesten; er erläuterte Details der Abtreibungspraxis, etwa der Curettage-Methode, bei der dem Embryo im Mutterleib ohne Schmerzmittel Glieder abgetrennt würden; dies solle den sicheren Tod herbeiführen, denn eine bislang nur wenig bekannte Zahl von Embryonen überlebten den Abort.64 Die in bestimmten Fällen mögliche Abrechnung einer Abtreibung über die Krankenkasse brandmarkte er als „Diskriminierung der Frauen, die sich unter Inkaufnahme aller Mühen und Belastungen dazu durchringen, die Kinder auszutragen“. Die Abtreibung behinderter Kinder sogar bis zur 22.Woche greife um sich – ein Missstand, der erst 2018 gesetzlich eingedämmt wurde. Es mag symptomatisch sein für das ethische Profil der CDU in der Mitte der 1990er Jahre, dass die im Lebensschutz jahrelang engagierte Irmgard Karwatzki65, die 1994 Vorsitzende der „Gruppe der Frauen“ in der Bundestagsfraktion der CDU/CSU wurde und zuvor schon, gleich nach der Wiedervereinigung, die Arbeitsgruppe „Schutz des ungeborenen Lebens“ der Fraktion geleitet hatte, 1995 als Parlamentarische Staatsekretärin ins Bundesfinanzministerium ging. Sie hatte sich im Prozess der Neuregelung des § 218 StGB vergeblich für eine „verbesserte Indikationsregelung im § 218 bei gleichzeitiger Beratung und verstärkter Hilfe für betroffene Frauen“ eingesetzt66 und gegen ein Fristenmodell. Am 25. Juni 1992 stimmte die Mehrheit des Bundestages, dessen Sonderausschuss die Abstimmungsinhalte als Gewissensfrage eingestuft hatte, nach 16-stündiger Debatte vor 61 Vom Hofe: Die Frauenpolitik der CDU, S. 205. 62 Deutscher Bundestag. Stenographischer Bericht. 47. Sitzung, 13.Wahlperiode (Plenarprotokoll 13/47), S. 3766 f. 63 Ebd., S. 3776 f. 64 So etwa das sogenannte Oldenburger Baby Tim, das 1997 für Schlagzeilen sorgte, oder die amerikanische Sängerin und Lebensrechtsaktivistin Gianna Jessen, die am 6. April 1977 lebend abgetrieben und zur Adoption freigegeben wurde. 65 Vgl. zu Irmgard Karwatzki das Biogramm von Denise Lindsay, https://www.kas.de/de/web/geschichteder-cdu (Abruf: 1.7.2020). 66 Ebd.

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allem mit den Stimmen von SPD, FDP und PDS und einigen (32) Stimmen der CDU/ CSU dem fraktionsübergreifenden Gruppenantrag von Inge Wettig-Danielmeier zu; obwohl sich unter diesen 32 prominente CDU-Politiker wie Rita Süssmuth und Friedbert Pflüger befanden, kann von einer (von einigen behaupteten) extremen Zerrissenheit der Union, die aus ihren Reihen zwei eigene Anträge hervorgebracht hatte, unter den Bedingungen einer Gewissensentscheidung nicht die Rede sein, zumal die Zahl der ‚Abweichler‘ bei 356 Ja-Stimmen und 282 Nein-Stimmen nicht wahlentscheidend war. Kurz nach der Abstimmung zeigte sich – trotz der veränderten innenpolitischen Parameter und intensiver parlamentarischer Kompromisssuche gewissermaßen zwischen den Fronten – die immer noch weitgehende Gemeinsamkeit deutlich: Am 14. Juli 1992 reichten 248 Abgeordnete der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und die Bayerische Staatsregierung Klage beim Bundesverfassungsgericht ein – unter ihnen Norbert Blüm, Maria Böhmer, Helmut Kohl, Claudia Nolte und Hannelore Rönsch, damals Bundesministerin für Familie und Senioren,67 die später gestand: „Für mein ethisches Empfinden war es ausgesprochen schwer, wenn in den Debatten über einen ‚himbeergroßen Blutklumpen‘ gesprochen wurde.“68 Am 28. Mai 1993 wurde der § 218a Abs. 1 StGB in seiner Neufassung sowie auch der 219 StGB zur Regelung der Beratung und Information vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt. Der Entwurf hatte eine Fristenregelung mit Pflichtberatung vorgesehen, die mindestens drei Tage vor Abbruch erfolgt sein musste. Sexualaufklärung und die weitere Verbesserung der Rahmenbedingungen für Familien sollten dem Schutz des Ungeborenen Genüge tun, die Letztentscheidung bei der Frau liegen, allerdings eine generelle Strafandrohung – zumindest für Abbrüche nach der zwölften Schwangerschaftswoche – nicht entfallen. Das Gericht trug dem Parlament auf, einen neuen Weg zu beschreiten, für den es klare Wegweiser definierte: Der deutlicher hervorzuhebende Lebensschutz solle zwar auf die Letztentscheidung der Frau setzen, dies jedoch nach einer verpflichtenden Beratung, die die Schwangere ausdrücklich zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen habe. Nach Ausarbeitung eines neuen Entwurfs unter diesen Maßgaben erklärte die CSUAbgeordnete Maria Eichborn als erste Rednerin der 47. Sitzung des Bundestages am 29. Juni 1995,69 dass die neue Gesetzesvorlage, die nun der Frau innerhalb der ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft das letzte Endscheidungsrecht nach einer „Beratung zum Leben“ übertrug, trotz aller Kompromiss-Arbeit die Handschrift der Union trage, denn im Wortlaut des § 219 Abs.1 werde es heißen: „[Die Beratung] hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen […]. Dabei muss der Frau bewußt sein, daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat.“ Zudem werde es in Zukunft für jene Abbrüche, die nach Indikation – also auch pro forma und bis zur 22.Schwangerschaftswoche rechtmäßig – erfolgten, lediglich eine medizinische sowie eine kriminologische Indikation geben; eine explizit embryopathische werde entfallen. Auch Gerhard Scheu70, CSU-Abgeordneter des Wahlkreises Bamberg, verteidigte den 67 Vom Hofe: Die Frauenpolitik der CDU, S. 218. 68 Hannelore Rönsch: Ich habe immer versucht, mir treu zu bleiben, in Neubert/Neuss (Hg.): Mut zur Verantwortung, S. 271 – 280, hier 275. 69 Deutscher Bundestag. Stenographischer Bericht. 47. Sitzung, 13. Wahlperiode, 47. Satzung (Plenarprotokoll 13/47), S. 3755 – 3756. 70 Ebd., S. 3773 – 3774.

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Kompromissentwurf leidenschaftlich, denn der § 218, so Scheu, „bleibt immer ein unvollendeter und unvollendbarer, sich auch in Schuld verstrickender Versuch, angesichts der Zerrissenheit des modernen Menschen im Widerstreit zwischen Sollen und Sein, auf in tieferen, unerreichbaren Schichten getroffene Entscheidungen mit exekutiven Mitteln einzuwirken“. Scheu beschrieb die existentielle Dimension der Frage, die sich in der noch mehr tragischen als verwerflichen Entscheidung zur Abtreibung als Ergebnis einer tödlichen Ausweglosigkeit zeigt, und machte bewusst, dass es um nichts anderes als um „Schadensbegrenzung, um den legitimen und gebührenden Versuch, die ungerechten Aspekte von Gesetzgebung zu begrenzen“ gehe. Die Formulierungen der neuen Regelung tasteten die „Werteordnung der Verfassung“ nicht an, denn das Ziel der Beratung der Schwangeren sei eben nicht ergebnisoffen, sondern offen sei nur das Mittel – das Gespräch – zu diesem Zweck. Scheu wies darauf hin, dass sein Plädoyer in Einklang mit der Enzyklika „Evangelium Vitae“ stehe und die zu beschließende Neufassung der §§ 218 und 219 StGB als historische Möglichkeit einer Alternative zu einem Gesetz zu betrachten sei, „das eine auf das vermeintliche Selbstbestimmungsrecht der Frau gegründete Fristenlösung mit einer Negation der Werteordnung beinhalten würde.“ In der Tat war der nun verfassungskonforme Kompromiss in einem mühsamen und langwierigen Prozess über fünf Jahre hinweg zwischen DDR-Recht und bundesrepublikanischen Regelungen gefunden worden.71 Zeitgleich war die Herkulesaufgabe der politischen, sozialen und ökonomischen Einigung Deutschlands zu bewältigen, so dass die Neufassung des Abtreibungsparagrafen trotz seiner hohen ethischen Relevanz und der Vehemenz der Debatten eher einen Nebenschauplatz darstellte. Helmut Kohl meldete sich in ihnen nicht öffentlich zu Wort. Erst am 21. August 1995 konnte die ursprünglich auf 1992 terminierte, aber wiederum – wie in den 1970er Jahren – durch das Bundesverfassungsgericht revidierte Regelung zu der heute gültigen Fassung des § 218 umgeformt wirksam werden, die einen Kompromiss „in Form einer Kombination aus einem durch eine Beratungspflicht ergänzten Fristenmodell bis zur zwölften Schwangerschaftswoche (§ 218a Abs.1 StGB) und einer erweiterten medizinischen und kriminologischen Indikationenlösung (§ 218a Abs.2 u. 3 StGB)“72 darstellt. Der problematische Findungs- und Entscheidungsprozess, der eine extreme Kompromissbereitschaft jenseits der aufeinanderprallenden Grundsatzpositionen erforderte, ereignete sich zwischen dem 3. Oktober 1990 und dem 21. August 1995 in einer stabilen Phase der Regierungspartei CDU, die jedoch mit ihrem Koalitionspartner FDP in Lebensschutzfragen einen weitgehenden Dissens hatte. Der 1995 erwirkte Rechtsfrieden, der die programmatische anthropologische Positionierung der C-Parteien an ihre Grenze führte, bedeutete jedoch nicht, dass die weltanschaulichen Differenzen in der sensiblen Frage der Abtreibungsregelungen zu einem Einklang gekommen wären. Die parlamentarische Lösung trug einen neuen, überaus heiklen Konflikt in den deutschen Katholizismus, der sich an der Ausstellung von Beratungsscheinen nach der Schwangeren-Konfliktberatung, wie sie etwa die Caritas leistete, entzündete. Deren obligatorische Vorlage vor einer Abtreibung und damit ihre Verwendung qua71 Volker Kauder, 2005 bis 2018 Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, rekapituliert diesen Prozess in: Das hohe C. Politik aus dem Christlichen Menschenbild. Freiburg i. Br./Basel/Wien 2020, und unterstreicht seine Position darin mit dem Satz „Eltern haben kein Recht auf ein gesundes Kind, ungeborene Kinder aber sehr wohl das Recht auf Leben“, S. 180 – 183, das Zitat 183. 72 Von Behren: Kurze Geschichte des Paragrafen 218, S. 18.

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si als ‚Freibrief‘ zur Abtreibung „verdunkele“ – so der damalige päpstliche Nuntius in Deutschland, Giovanni Lajolo – das Zeugnis der Katholischen Kirche,73 eine Position, die auch vom Kölner Erzbischof Kardinal Meisner vertreten wurde und die den Abschied von der bisherigen Form integrierter kirchlicher Beratung verlangte. Dem stand die Auffassung des Limburger Bischofs Kamphaus und insbesondere des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken entgegen, dass nur durch eine weitere Beteiligung an der Konfliktberatung inklusive Beratungsschein die um eine Entscheidung über ihre Schwangerschaft ringenden Frauen wirklich erreicht würden und das Leben der Ungeborenen praktisch gerettet werden könnte. Am 11. Januar 1998 sprach Papst Johannes Paul II. ein Machtwort, in dem er die deutschen Bischöfe erstmals ausdrücklich aufforderte, in der kirchlichen Schwangerenkonfliktberatung keine Beratungsscheine mehr auszustellen. Deutsche Laien gingen daraufhin auf Konfrontationskurs zum Vatikan und gründeten 1999 den Verein Donum Vitae e.V., der seither die Konfliktberatung auf christlicher Grundlage und mit dem Ziel des Lebensschutzes leistet, aber dennoch Beratungsscheine ausstellt. Zu seinen Gründungsmitgliedern gehörten prominente Christdemokraten wie Bernhard Vogel und Erwin Teufel. Rita Waschbüsch – saarländische Landespolitikerin der Union und 1988 bis 1997 Präsidentin des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken – war seine erste Vorsitzende und blieb dies bis 2019. In herausragenden Persönlichkeiten erwies sich die CDU damit als pragmatische Akteurin ihrer ethischen Grundsätze, deren Selbstbewusstsein in Fragen einer moralischen Standortbestimmung in Lebensrechtsfragen eine Unterordnung unter klerikale Positionen nicht erlaubte. Inzwischen ist die ursprüngliche Kluft einer auch offiziell anerkennenden Haltung der Deutschen Bischofskonferenz gegenüber der Arbeit Donum Vitaes gewichen; am 24. Januar 2018 würdigte ihr damaliger Vorsitzender Reinhard Kardinal Marx74 das Einwirken auf den Mut zum Leben mit Kindern, der in zahlreichen Fällen der Arbeit der Beratungsstellen des Vereins zu verdanken sei. Selbstverständlich sollten nunmehr auch Mitarbeiter von Donum Vitae in kirchliche Stellen wechseln können – das war nach einem Abgrenzungsbeschluss von 2006 nicht mehr möglich gewesen. Thomas Sternberg, von 2015 bis 2021 Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, begrüßte dies als einen qualitativen Sprung, der es möglich mache, alte Wunden heilen zu lassen. Am 19. Juni 2019 bestätigte der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode75 das wechselseitige Interesse an einem verstärkten Austausch zwischen den Deutschen Bischöfen und Donum Vitae, in dem die wechselseitige Wertschätzung stärker zum Ausdruck kommen solle. Schließlich sei man sich in der wesentlichen Frage einer notwendigen hohen Sensibilität gegenüber den werdenden Müttern einig. Ist der CDU auch seit den 1970er Jahren keine Meinungsführerschaft zur Umsetzung eines umfassenden Lebensschutzes mehr gelungen und konnte sie sowohl 1976 als auch 1995 lediglich defensive Gefechte gegen einen Zeitgeist führen, der Liberalität mit ungehinderter gesellschaftlicher Funktionalität zu verwechseln schien, so gelang es doch einigen ihrer besonders engagierten Vertreter, eine Schneise für eine heute allgemein anerkannte pragmatische Umsetzung ihres ethischen Anspruchs auf Lebensschutz zu schlagen. 73 www.katholisch.de/artikel/13813-25-jahre-abtreibungsgesetz-lebenschutz (Abruf: 11.8.2020). 74 www.katholisch.de/artikel/16277-deutsche-bischoefe-wuerdigen-donum-vitae (Abruf: 11.8.2020). 75 www.katholisch.de/artikel/22066-weitere-annaeherung-von-bischoefen-und-donum-vitae (Abruf: 11.8. 2020).

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Weltanschauliche Differenzen entzündeten sich erneut etwa an den Bestimmungen des § 219a StGB, der das öffentliche Anbieten, Bewerben und Anpreisen von Abtreibungen unter Strafe stellt – eine Sanktionierung, von der etwa die Ärzte Kristina Hänel76 und Andreas Stapf (neben dem durch den Memminger Prozess77 hervorgetretenen Horst Theissen die wohl bekanntesten deutschen Abtreibungsärzte) durch Bußgelder, allerdings lediglich im drei- und vierstelligen Bereich, betroffen waren. Die Unionsparteien, für die Katharina Jestaedt im Bundestag auch in ihrer Funktion als stellvertretende Leiterin des Kommissariats der deutschen Bischöfe sprach, mahnten vergeblich, den mühsam gefundenen Kompromiss nicht zu gefährden und eine Änderung des § 219 zu unterlassen. In der Fassung, die am 29. März 2019 in Kraft trat,78 war eine neutrale Information über Abtreibung erlaubt, die zuvor den dafür qualifizierten Beratungsstellen vorbehalten war. Am 24. Juni 2022 beschloss der nun von einer Ampelkoalition dominierte Bundestag die Streichung des § 219a gegen die Stimmen von CDU/CSU und AfD. Ein Antrag der Unionsfraktion (20/1017, 15.3.2022) hatte vor der Banalisierung und Kommerzialisierung sowie irreführenden Bezeichnungen des Fötus als „Schwangerschaftsgewebe“ gewarnt. Das Jahr 2018 war bereits von einigen eher symbolpolitischen Ereignissen im Hinblick auf den vorgeburtlichen Lebensschutz geprägt gewesen. So trennten sich Präsidium und Bundesvorstand der CDU am 27. August 2018 nicht nur vom Wirtschaftsrat der CDU und der „Werteunion“, sondern auch von den Christdemokraten für das Leben (CDL); sie verloren den Status als Sonderorganisationen der Partei.

Aktuelle Herausforderungen Die Alternative für Deutschland (AfD) sah in der teils historisch (Wiedervereinigung), teils sachlich (Rückgang der religiösen Bindungen), teils demoskopisch (gegenläufige Trends) motivierten Verallgemeinerung und unkonkreter werdenden Ausformulierung des Christlichen Menschenbildes der CDU vor dem Hintergrund der einstigen problematischen Kompromissfindung der späteren Koalitionäre CDU und SPD zum Lebensschutz eine günstige Voraussetzung für einen demagogischen Coup: Nach einem (schon erwähnten) per se indiskutablen, weil ohnehin verfassungswidrigen Beschluss der Jungsozialisten zur Abschaffung des § 218 ließ die AfD eine Debatte zu dieser eher irrelevanten Meinungsäußerung einer Jugendorganisation als Aktuelle Stunde auf die Tagesordnung der 71.Sitzung des Deutschen Bundestages (am 13. Dezember 2018) setzen. Bereits das Eingangsstatement von Beatrix von Storch (eine der fünf stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der AfD) machte das Ziel ihrer Äußerungen deutlich:79 „Ich weiß, dass die Kollegen von 76 Anne Will bot in der ARD zur besten Sendezeit dieser Ärztin ausführliche Gelegenheit zur Selbstdarstellung und versuchte ausgerechnet den jüngsten CDU-Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor als einzigen Abtreibungskritiker und zugleich einzigen Mann ihrer Talkrunde in die Enge zu treiben. Vgl. Bericht in der Morgenpost vom 5.2.2019, https://www.morgenpost.de/kultur/tv/article216360705 (Abruf: 10.9.2020). 77 Der genannte Prozess fand von September 1988 bis Mai 1989 gegen den Arzt wegen des Verdachtes des illegalen Schwangerschaftsabbruches in mehreren Fällen statt; wegen dieser Vergehen und wegen Steuerhinterziehung wurde er zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt, die jedoch in der Revision zur Bewährung ausgesetzt wurde; ein Berufsverbot wurde nicht erteilt. 78 https://www.buzer.de/gesetz/6165/al69852-0 (Abruf: 1.7.2020). 79 Deutscher Bundestag. Stenographischer Bericht. 19. Wahlperiode, 71. Sitzung (Plenarprotokoll 19/71), S. 8256 ff.

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CDU und CSU genauso schockiert sind wie wir […]. Sagen Sie das auch! Auch Koalitionspragmatismus hat Grenzen.“ Die AfD versuchte unverhohlen die Koalition unter Ausnutzung eines hoch emotionalen Themas auseinander zu treiben. Sie durchbrach so ein jahrzehntelanges Tabu des deutschen Parlamentarismus, Gewissensfragen zwar engagiert zu diskutieren, sie jedoch nicht zum parteitaktischen Instrument zu machen. Es folgten herbe Provokationen an die Adressen des SPD-Vorstandes, der Familienministerin Franziska Giffey (SPD) sowie der Union und der Amtskirche. Auch Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU) kritisierte die Juso-Rede vom angeblich falschen feministischen Bewusstsein bei Abtreibungsgegnerinnen, mahnte aber beiderseits Versachlichung an. Schärfer waren die Einlassungen Ingmar Jungs (CDU), der den Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert zur propagandistischen Unterstützung durch die AfD beglückwünschte. Während die inszenierte Aufregung der AfD groß war, der Stil der Debatte durch ständige Zwischenrufe und persönliche Diffamierungen einen Tiefpunkt erreichte, blieben die inhaltlichen Argumente der Themen-Setzer dürftig: Das Menschenbild der Jusos sei „nicht das Menschenbild unserer Kultur und auch nicht das Menschenbild unserer Zivilisation“,80 so von Storch. Diese flache Argumentation stützt die These Antonius Liedhegeners von der nur kulturalistischen Verwertung, nicht jedoch inhaltlichen Rezeption christlicher Topoi durch die AfD.81 Der zu den Unionsparteien geradezu konträre Begründungszusammenhang der AfD-Programmatik, in dem das Christentum zwar als abendländisches Identifikationszeichen und Kulturmerkmal herangezogen, aber zu einer desintegrativen Größe etwa gegenüber Migranten umdefiniert wird, macht diese Partei angesichts der oberflächlichen Ähnlichkeit der Positionen gerade in Fragen des Lebensschutzes zu einem brandgefährlichen Gegner der christlichen Parteien, da er die eigene programmatische Basis nachhaltig diskreditieren könnte. Den Populisten gelang es, das Parlament in einen tumultartigen Zustand zu versetzen und so einen qualifizierten Diskurs unmöglich zu machen, um mit Schlagworten jene subtil konstruierte gesetzesförmige Verbindung zu zerstören, die seit 1995 als demokratietauglicher Kompromiss eine tiefe Kluft ethisch kaum vereinbarer Positionen verfassungsgemäß überbrückt. Im Hinblick auf den Lebensschutz nicht weniger problematisch ist auf der anderen Seite das subkutane Vorgehen von Verbänden der auch international agierenden Abtreibungsbetreiber wie der Deutschen Stiftung für Weltbevölkerung (DSW), der German Alliance for Choice und der International Planned Parenthood Federation (IPFF)82 – letztere ist das Flaggschiff der internationalen Abtreibungslobby, der es gelingt, sich als Gesundheitsdienstleister darzustellen und mittels der Tarn-Organisation „she decides“ zu agieren. Die DSW, die unter „sexuellen Rechten“ auch Abtreibungsfreiheit versteht und nicht zuletzt auf die Reduzierung der schwarzen Bevölkerung Afrikas hinzuwirken scheint, ist es gelungen, 28 Bundestagsabgeordnete zu gewinnen, zehn davon aus der Union. Zumindest eine dieser Abgeordneten, die zugleich dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) angehörte, ließ sich – offenbar schlecht beraten – von „she decides“ überrumpeln und zu einem werbeträchtigen Mitglied machen, was nicht zuletzt Thomas Sternberg, den Präsidenten des ZdK, in Erklärungsnot brachte.83 80 Ebd., S. 8258. 81 2010-06-20_afd-kurzfassung_grundsatzprogramm_webversion, S. 9 (Abruf: 7.7.2020). 82 Vgl. zu diesen Organisationen etwa https://aerzte-fuer-das-Leben.de/neues/aktuell-2020/04-03-20 (Abruf: 7.7.2020). 83 Siehe dazu Rudolf Gehrig am 26.6.2020 in: https://catholicnewsagency, com/story/zdk-präsident-wollen-abtreibung-verhindern-6463 (Abruf: 7.7.2020).

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Die Herausforderungen an einen wirksamen Lebensschutz sind enorm gestiegen und – nicht nur aufgrund der im medizinischen Fortschritt vervielfältigten lebensrechtlichen Fragen – durch eine neue Unübersichtlichkeit geprägt. Die Angaben des Statistischen Bundesamtes 84 verzeichnen zwar einen Rückgang der Abtreibungszahlen in Deutschland; die absoluten Zahlen sind jedoch in Beziehung zum Rückgang der Geburtenzahlen und der Jahrgänge von Frauen in heute gebärfähigem Alter zu setzen. 2019 standen 778.129 Lebendgeburten in Deutschland 100.893 Abtreibungen gegenüber; bei 878.993 Schwangerschaften (hier ohne Berücksichtigung der zahlenmäßig sehr geringen natürlichen Totgeburten) wurden also 11 Prozent der Embryonen abgetrieben. Die CDU steht vor der schwierigen Aufgabe, ihren steinigen lebensrechtlichen Weg im Dickicht eines verdeckten Kampfes und trotz der jüngsten Absolutsetzung individueller Autonomie etwa durch das Bundesverfassungsgericht im Urteil zum selbstbestimmten Sterben vom 26. Februar 2020 fortzusetzen zu müssen. In Frage gestellt werden die verfassungsmäßig geschützte Ordnung und ihr Kern, die Würdegarantie. Dies geschieht immer weniger im Austausch der Argumente und Empfindungen, sondern durch Aushöhlung der gesetzlichen Bestimmungen und Marginalisierung des ungeborenen Menschen einerseits oder durch Instrumentalisierung desselben zu machttaktischen Zwecken andererseits. Genese und Entwicklung der programmatischen Rolle einer christlichen Anthropologie als Kontext der Lebensrechtsfrage innerhalb der CDU sind daher nicht nur parteihistorischer Inhalt, sondern zugleich christlich-demokratischer Proviant 85 für eine möglicherweise deutlich inhumanere Zukunft, an die die C-Parteien durch bloße Anpassung ihren ursprünglichen „Katakombengeist“ verraten würden.

Zur Bedeutung anthropologischer Grundlagen in den Programmen der CDU Der Antagonismus zum Nationalsozialismus und dessen Menschenbild überdeckte zunächst die Spannung einer explizit religiös konnotierten Motivation für politisches Handeln in einem säkularen Kontext. Nachdem sich politisch wirksame Absolutheitsansprüche der christlichen Weltsicht mit der Reformation längst aufgespalten und schließlich in der nachmetaphysischen, erkenntniskritischen Philosophie seit der Aufklärung relativiert hatten, blieb die ideengeschichtliche Essenz86 des Christentums dennoch im Kern bis in die 84 https://www.destatis.de/DE/Thenmen/GesellschaftUmwelt/Gesundheit/Schwangerschaftsabbrueche/ inhalt (Abruf: 1.7.2020). 85 Mariam Lau, Korrespondentin der ZEIT, monierte bei einer Veranstaltung der Konrad-AdenauerStiftung am 27. August 2020 in Berlin, dass derzeit nur selten Stimmen aus der CDU zu hören seien, die sich mit den Themen Lebensschutz und Bioethik befassten. Vgl. Christopher Beckmann: Stabilität und Innovation. Buchpräsentation zum 75.Parteijubiläum der CDU, www.kas.de/de/veranstaltungsberichte/detail/-/content/stabititaet-und-innovation (Abruf: 12.7.2021). 86 Wolfgang Graf Vitzthum weist darauf hin, dass gerade die transzendentalphilosophische (und somit nicht wertphilosophische!) Rezeption für den globalen Erfolg christlicher Grundgedanken entscheidend war: „Zum Exportschlager über unseren Kulturkreis hinaus wurde die Menschenwürde nicht wegen ihres Wertgehaltes, geschweige denn wegen ihrer (metaphysischen) Wurzeln in der christlichen Lehre vom unveräußerlichen Wert jedes gottgeschaffenen, gottebenbildlichen Individuums. Exportentscheidend war vielmehr ihre Verortung im Reich ethischer Axiome, ihre transzendentallogische Akzentuierung, wie sie zumal in der Kant zu verdankenden Selbstzweck- und in Dürings korrespon-

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Moderne hinein virulent – nicht zuletzt, weil es durch die Etablierung des Gewissens als ethischem forum internum das Potential zur Verankerung freiheitlicher Säkularität selbst freisetzte.87 Allerdings hatte die christliche Religion spätestens mit dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1806 ihre staatstragende Funktion verloren; der moderne Verfassungsstaat beschränkte sie immer stärker auf den kirchlichen Raum und gesellschaftlich auf die Rolle einer lediglich prägenden Kraft,88 indem sie nun immer weniger als normative Richtlinie seiner juristischen Setzungen fungierte,89 sondern vielmehr als ein geistiges, Werte generierendes Fundament verstanden wurde. Der Gestaltungsmacht christlicher Überzeugungen sind damit auch politisch deutliche Grenzen gesetzt, nicht jedoch ihrer ethisch orientierenden, zivilreligiösen Funktion, die für die ChristlichDemokratische Union in ihrem Bezug auf das Christliche Menschenbild verbindlich blieb. Die „eigenartige Dialektik“ des Christlichen Menschenbildes innerhalb eines pluralistischen Gemeinwesens, dessen Grundlagen und dessen Bürger in großer Zahl jedoch dem Christentum zuzuordnen waren,90 wurde in der Geschichte der Christlich Demokratischen Union erst vor dem Hintergrund des Wertewandels der 1960er und 1970er Jahre relevant: Die Gründung einer christlichen Partei hatte in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre nach einem Ausspruch Jakob Kaisers gewissermaßen ‚in der Luft‘ gelegen, da das Christentum explizit für jene Werte stand, die die Nationalsozialisten abschaffen wollten. Folglich schien die Orientierung an einer christlichen Ethik zunächst unproblematisch;91 aber schon 1958 diskutierte eine Münchener Tagung der Katholischen Akademie in Bayern, dass eine christliche Sozialethik parteipolitisch nicht vereinnahmt werden könne – mit ähnlichem Recht sei diese nämlich auch als Grundlage eines demo-

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dierender Objektformel zum Ausdruck kommt.“ Wolfgang Graf Vitzthum: Eher Kant als Klon – Zu Biotechnologie und Verfassungsrecht in Deutschland, in: Das Recht vor den Herausforderungen neuer Technologien. Hg. von Kazushige Asda. Tübingen 2004, S. 46. Vgl. Christoph Böhr: Profanität und Säkularität. Glaube und Gesellschaft aus dem Geist der Religion des Christentums, in: Ders./Claudia Crawford/Lars Hoffmann u. a. (Hg.): Politik und Christentum – Kohärenzen und Differenzen. Eine deutsch-russische Sicht auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Berlin 2019, S. 3 – 16. Vgl. Christian Hillgruber: Kommentar, in: Horst Dreier: Säkularisierung und Sakralität. Zum Selbstverständnis des modernen Verfassungsstaates. Tübingen 2013, S. 119 – 133. Der schwierigen Definition des Christlichen im säkularen Verfassungsstaat geht Hillgruber in Anlehnung an Dreier durch die Unterscheidung von Legitimations- und Geltungsebene nach. Die Menschenwürdeformel anerkenne einen „heiligen Bezirk“ des Individuums (S. 130), der vom Staat nicht betreten werden dürfe, und rücke diesen in den Bereich des Sakrosankten. Die Brücke zur christlichen Ethik, die die CDU und die Deutsche Partei haben im Grundgesetz verankern wollen, sei evident, habe sich aber öffnen müssen. Ernst Wolfgang Böckenförde: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ – so die erstmals in den 1960er Jahren geäußerte Aussage, in: Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte. Frankfurt a. M. 1991, S. 112. Rudolf Uertz: Das christliche Menschenbild in Politik und Politikwissenschaft, in: Hans Zehetmair (Hg.): Politik aus christlicher Verantwortung. Wiesbaden 2007, S. 96 – 109, hier 99. Dieser Konnex wurde durch Konrad Adenauers aufgeklärten und weiten Naturrechtsbegriff erleichtert. Siehe dazu Rudolf Uertz: Die Bedeutung des christlichen Menschenbildes und christlicher Wertauffassungen in der Parteipolitik, in: Böhr u. a. (Hg.): Politik und Christentum, S. 309 – 325, hier 315. Und allgemeiner Ders.: Das Christliche Menschenbild in der Programmatik der CDU (1945 – 2010), in: Jörg-Dieter Gauger u. a. (Hg.): Das Christliche Menschenbild. Zur Geschichte, Theorie und Programmatik der CDU. Freiburg i. Br. 2013, S. 149 – 187, hier 150.

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kratischen Sozialismus zu betrachten.92 In der ersten Gründungsphase 1945 war das „lebendige Christentum aller Bekenntnisse als Grundlage unseres politischen Handelns“93 noch zum ausdrücklichen Motto erhoben worden. Nun aber löste sich der bis dato bestehende selbstverständliche Konnex zwischen kirchlichem Milieu und christlichen Parteien, die ihre religiösen Bezüge in der ersten Dekade ihrer bundesweiten Existenz kaum in ihren Programmen explizieren mussten,94 mit der Münchener Tagung beginnend auf. Einerseits wurde jetzt deutlich, dass keine Partei einen Ausschließlichkeitsanspruch auf das Christliche schlechthin erheben konnte, andererseits nahm neben klassischen katholischen Argumentationsmustern (Naturrecht, Befolgung der Gebote Gottes) die Bedeutung breiterer Bezüge der CDU auf das humanitäre Erbe der abendländischen Kultur in Aufklärung, Konservatismus und Liberalismus zu.95 Im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils96 (1962 – 1965) fand im katholischen Milieu zudem eine weitere Lösung aus neuscholastischen Denktraditionen statt und wirkte – nicht zuletzt aufgrund der hier endgültig erfolgten Anerkennung der Demokratie als adäquater Staatsform sowie der Idee der Menschenrechte durch die Katholische Kirche – auf die Partei zurück. An ihre Stelle trat in den 1960er Jahren zunehmend der Bezug auf die menschliche Vernunft und den moralischen Personalismus, der dem christlich-demokratischen Denken zuvor schon mit geringerem Gewicht inhärent war. So spricht die Präambel der zweiten Fassung des Berliner Programms 1971 nur sehr knapp von „christlicher Verantwortung“ im Hinblick auf die Freiheit der Person; das Vorwort der Mannheimer Erklärung von 1975 unterlässt einen religiösen Bezug ganz.97 In der Präambel des ersten Grundsatzprogrammes von 1978 (Ludwigshafen) heißt es hingegen gleich im dritten Satz unter Punkt 1: „Die Politik der CDU beruht auf dem christlichen Verständnis vom Menschen und seiner Verantwortung vor Gott.“98 Das intensive argumentative Ringen um die Konturen dieses parteigeschichtlich einschneidenden Programmes während der Bundesvorstandssitzungen der Jahre 1977 bis 1978 99 zeigt den entscheidenden Einfluss des damals moderierenden und an wissenschaftlicher sowie intellektueller Untermauerung interessierten Führungsstils des Parteivorsitzenden Helmut Kohl (seit 1973) und der im Hinblick auf die Verankerung des Christli-

92 Uertz: Das Christliche Menschenbild in der Programmatik der CDU, S. 151; in dieser Auffassung kehrten Überzeugungen des Ahlener Programms verschärft und gegen die Partei gewendet wieder zurück. 93 Aus den Frankfurter Leitsätzen 1945, zit. nach Michael Borchard/Wolfgang Tischner (Hg.): Soziale Marktwirtschaft. Eine Quellensammlung zu ausgewählten Begriffen aus den Programmen der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands. Berlin u. a. 2018, S. 174. 94 Gleichwohl konnotiert das Hamburger Programm von 1953 unter „I.Staatspoltische Grundforderung“ den Auftrag der Kirchen positiv. 95 Detef Grieswelle: Das Christliche Menschenbild in der Familien- und Frauenpolitik, in: Gauger u. a. (Hg.): Das Christliche Menschenbild, S. 244 – 287, hier 247 f. 96 Siehe Markus Lingen: 11. Oktober 1962. Eröffnung des zweiten Vatikanischen Konzils, https://www. kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/kalender/kalender-detail/-/content/eroeffnung-des-2.-vatikanischenkonzils (Abruf: 30.6.2021). 97 Peter Hintze (Hg.): Die CDU. Parteiprogramme. Eine Dokumentation der Ziele und Aufgaben. Bonn 1995, S. 47 u. 89 f. 98 Ebd., S. 123. 99 Kohl: „Stetigkeit, Klugheit, Geduld und Zähigkeit“. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1976 – 1980. Bearb. von Günter Buchstab. 2 Bde. (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 68). Düsseldorf 2018, siehe hier Einleitung, S. XXVI – XXVII und Protokolle Nr. 17 – 19, S. 892 – 1159.

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chen Menschenbildes maßgeblichen Akteure Heiner Geißler, Norbert Blüm, Richard von Weizsäcker und Bernhard Vogel. Die Umbrüche der Dekade seit 1968 machten eine neue Reflexionstiefe auf die Inhalte der bei diesen Protagonisten noch vorhandenen, tief christlichen (hier außer bei von Weizsäcker insbesondere katholischen) Verwurzelung und deren politischer Relevanz erforderlich. Die traditionell eher von der deutlich älteren Sozialdemokratie gepflegte intellektuelle Aura und die sich hieraus ergebende Wahrnehmung ihres Vorsprungs politikwissenschaftlich fundierter Theoriebildung100 konnte in dieser Zeit aufgeholt werden. Das Motto einer „geistig-moralischen Wende“, das zur Losung der ersten Kanzlerjahre Kohls (ab 1982) werden sollte, spiegelte dieses neue Selbstbewusstsein und das auf die ethischen Grundlagen christlich-demokratischer Politik reflektierende Selbstverständnis wider. Von dem Ludwigshafener Impuls ausgehend, wurde der ethische Impetus 1988 in Wiesbaden noch deutlich weiter und mit konkretem Bezug auf den Lebensschutz ausgeführt und erreichte einen Höhepunkt (siehe Seiten 570 – 571). Nach der Wiedervereinigung und nach der Integration von Teilen der oftmals christlich (insbesondere evangelisch) inspirierten Bürgerrechtsbewegungen der DDR, der Ost-CDU, des Demokratischen Aufbruchs und der Bauernpartei in die CDU griffen auch die Grundsatzprogramme von 1994 (Hamburg) mit einem prominenten Bezug auf das „geistige Fundament in der zum christlichen Verständnis des Menschen gehörenden Idee der verantworteten Freiheit“ und 2007 (Hannover) mit der Bezeichnung des „einzelnen Menschen als Geschöpf Gottes, dessen Würde unantastbar ist“, die immer mehr zivilreligiös verstandenen Grundlagen von 1978 auf.101 Dennoch ist unter den Bedingungen des Ringens um eine Harmonisierung des im Einigungsvertrag ausgesparten Lebensschutzes des Ungeborenen in Ost und West eine stark rückläufige Konkretisierung der anthropologischen Grundpositionen zu bemerken. Zudem war mit dem Beitritt der neuen Länder die Zahl derer, die in Deutschland keiner Religionsgemeinschaft angehörten, stark gestiegen – eine Tatsache, der die CDU durch eine Wertegeneralisierung des „C“ Rechnung trug.102 Eine statistische Analyse der Grundsatz- und Wahlprogramme von Adenauer bis Merkel103 führt zu der überraschenden Feststellung, dass die Bedeutung des Christlichen Menschenbildes gemessen sowohl an den absoluten Zahlen seiner Nennung als auch im prozentualen Anteil an allen Programmthemen zwischen 1957 bis 1961 bei null lag, in der Ära Kohl aber ebenso wie in der Ära Merkel hohe Werte zu verzeichnen hat100 In den Kontext der intellektuellen „Aufrüstung“ der CDU gehört auch der Beginn der Zusammenarbeit Helmut Kohls mit dem 1970 promovierten und 1982 bei Karl-Dietrich Bracher habilitierten Politikwissenschaftler und Katholiken Wolfgang Bergsdorf, der 1973 zu seinem Büroleiter wurde, während der Kanzlerschaft Kohls im Bundespresseamt und im Bundesinnenministerium Schlüsselpositionen besetzte, zugleich ab 1987 als außerplanmäßiger Professor an der Universität Bonn lehrte und bis zum Ende der Regierungszeit Kohls 1998 im sogenannten Küchenkabinett zu seinen engsten Beratern gehörte. Vgl. Rudolf Uertz: Das christliche Menschenbild, S. 169: „[d]ie Union [besaß] trotz politischer Erfahrung keinen hinreichenden politiktheoretischen Fundus.“ 101 Zit. nach Borchard/Tischner (Hg.): Soziale Marktwirtschaft, S. 178 f.; auch Rudolf Uertz bemerkt: „In den Grundsatzprogrammen der CDU von 1994 und 2007 […] wurden im Wesentlichen die Ausführungen […] von 1978 zum christlichen Menschenbild nur geringfügig modifiziert.“, in: Ders.: Das christliche Menschenbild, S. 173. 102 Liedhegener: Das „C“, S. 427 und 444. 103 Petra Hemmelmann: Der Kompass der CDU. Analyse der Grundsatz- und Wahlprogramme von Adenauer bis Merkel. Wiesbaden 2017, S. 278 – 284.

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te (siehe Grafik). Eine ‚Delle‘ ist seit Mitte der 1970er Jahren nur in der Zeit des Machtverlustes 1998 und der Übernahme der Parteiführung durch Wolfgang Schäuble zu bemerken, die im Zuge der Spendenaffäre abrupt endete. Angesichts des rasanten und sich immer weiter beschleunigenden Verlustes religiöser Bindungen in den vergangenen fünf Jahrzehnten der Bundesrepublik ist dieser Befund alles andere als selbstverständlich. Im Hinblick auf die Bedeutung des Christlichen Menschenbildes für die Programmatik der Partei kann daher von einer Entkernung nicht die Rede sein.

Anteil an allen Themen in diesem Programm

20

20

15

15

10

10

2013

2009

2005

2002

1998

1994

1990

1987

1983

1980

1976

1972

1969

1965

0

1961

0

1957

5

1953

5

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Zahl absolut

25

Themen mit Verweis auf christliches Menschenbild

Prozent

25

Zahl und Anteil aller Themen mit Verweis auf das christliche Menschenbild in den Programmen 1949 – 2013 nach Petra Hemmelmann: Der Kompass der CDU. Wiesbaden 2017, S. 281.

Während etwa hinsichtlich der Wehrpflicht, der Atomkraft und des Familienbildes sogenannte Markenkerne unter der Parteivorsitzenden Angela Merkel seit 1999 aus der Programmatik der Partei verschwanden, scheint die Bedeutung ethischer Grundsatzorientierungen bis 2013 eher gewachsen zu sein. Eine qualitative Perspektive auf dieses Phänomen der letzten beiden Dekaden lässt den Einfluss einzelner Denkrichtungen und Persönlichkeiten wie etwa Bernhard Vogel, Volker Kauder oder Christoph Böhr erkennen. Letzterer stand (neben seinem landespolitischen Wirken und seiner Position als stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU 2002 bis 2006) der Wertekommission der CDU von 1999 bis 2006 auf Bundesebene als Gründungsvorsitzender vor und hat so den deutlichen Aufwuchs der Verweise auf das Christliche Menschenbild von 2005 zu 2009 wesentlich mit bewirkt. Böhr zog sich zwar 2006 nach Wahlverlusten in Rheinland-Pfalz und Skandalen um Verfahrensfehler aus der Politik zurück, blieb aber in kritischer Distanz auf der Schnittstelle politischer und philosophischer Fragen wissenschaftlich und publizistisch – insbesondere in bio- und medizinethischen Debatten – tätig; welche Reichweite er im Umfeld der Union erzielt, muss hier offen bleiben.104 104 Böhr nimmt eine stringente Verknüpfung der Würde des Menschen mit der notwendigen Begrenzung

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Indem die Bestandsbedingungen von Demokratie und Pluralismus in der Gründungsphase der CDU eher intuitiv, seit 1978 aber immer schlüssiger an ein christlich generiertes, transzendent gegen alle Formen instrumenteller Verfügungsmacht imprägniertes Verständnis vom Menschen gebunden werden, tritt die vor allem in den 1960er und 1970er Jahren wahrgenommene programmatische Spannung zwischen religiösen Inhalten und säkularem Kontext in den Hintergrund bzw. geht, v.a. nach der Wiedervereinigung, in einer wertegeneralisierenden, zivilreligiösen Synthese auf. Die gegenwärtige philosophische Begründung der Unverfügbarkeit des Menschen im Umfeld der Union gleicht in ihrer Struktur der verfassungsrechtlichen Böckenförde-Argumentation, die die Möglichkeit freiheitlicher Realitätsgestaltung (Geltungsebene)105 an ihre Werte-Konditionen (Legitimationsebene) knüpft: Erst die Achtung vor dem Unfassbaren des menschlichen Lebens entlässt dieses in die Freiheit einer respektvollen Selbstbestimmung – im Falle einer Missachtung der bindenden Voraussetzung seiner Unverfügbarkeit könnte sich der Mensch selbst zerstören. Diese Argumentation stützt nolens volens die Konsistenz einer echten zivilreligiös verwurzelten politischen Programmatik im Gegensatz zu desintegrativen Reden von einem kulturalistisch verstandenen „christlichen Abendland“. Ein integrativ verstandenes Christliches Menschenbild kann auch in einer religiös weitgehend ungebundenen Gesellschaft bislang noch hohe Zustimmungswerte erreichen. Trotz des respektablen programmatischen Wegweisers „Christliches Menschenbild“ blieb die Umsetzung der hohen ethischen Ansprüche auf Lebensschutz – auch im Hinblick auf den Umgang mit der pränatalen Diagnostik, der Sterbehilfe oder der Synthetischen Biologie – in der Geschichte der Union massiven äußeren, aber auch erheblichen inneren Anfechtungen ausgesetzt und war in der Praxis oft nur gebrochen erkennbar. Dennoch: Dem breit akzeptierten, wertegeneralisierenden „Himmelsanker“ (Liedhegener) in der Funktion eines Kompasses zwischen Tradition und Moderne entspricht das tatsächliche politische Potential des Christentums; seine Anthropologie und Sozialethik haben genügend Substanz, den Menschen im säkularen Gemeinwesen geistig Orientierung zu geben (Uertz). Die Räume für ethische Auseinandersetzungen sind durch die Dominanz der deskriptiven Naturwissenschaften allerdings verengt worden: Ein ethisches Vakuum im Kontext der „Schöpfungskrise“ bemerkten die deutschen Bischöfe schon 1980 und verwiesen auf den – später von Angelika Krebs so genannten – „eudämonistischen Eigenwert“ der Schöpfung, dessen Anerkennung die ethische Leerstelle füllen könne.106 In lebensrechtlicher Hinsicht aber sind heute die Voraussetzungen gegeben, insbesondere der nicht zu Ende gedachten Widersprüchlichkeit des Selbstbestimmungsrechtes schwangerer Frauen zum Lebensrecht des Embryos aus christlich-demokratischer Perspektive weiter nachzugehen107. Pragmatische Relativierungen des ethisch seiner Verfügungsgewalt vor. Vgl. Christoph Böhr u. a. (Hg.): Anthropologie und Ethik der Biomedizin – Grundlagen und Leitfragen. Wiesbaden 2021. Darin geht Böhr (im Aufsatz: Selbstbestimmung – ein Selbstbetrug? Zur Dialektik von Autonomie und Heteronomie. Eine Skizze) auf das BVG-Urteil zum selbstbestimmten Sterben ein. Vgl auch die von Böhr herausgegebene Buchreihe „Das Bild vom Menschen und die Ordnung der Gesellschaft“. 105 Zur Unterscheidung von Legitimations- und Geltungsebene in diesem Kontext siehe auch Hillgruber: Kommentar, in: Dreier (Hg.): Säkularisierung und Sakralität, S. 126. 106 Norbert Arnold: Schöpfung und Umwelt, in: Gauger u. a. (Hg.): Das Christliche Menschenbild, S. 288– 306, hier 292, 296 f. 107 Dies könnte etwa auch unter den Aspekten moderner Leibphilosophie gelingen, zum Beispiel unter Berücksichtigung der Ansätze von Beate Herrmann: Der menschliche Körper zwischen Vermarktung

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Angestrebten werden sich per definitionem und durch Rücksichtnahme auf individuelle Situationen immer vollziehen. Den maximalen Schutz des Verletzbarsten im Menschen dennoch anzustreben, zollt dem, was als Seele die menschliche Würde begründet und ausmacht,108 den ihm gebührenden Respekt – auch in der werdenden Mutter und schon im Nasciturus.109 Ein solches Streben imprägniert das politische Handeln gegen utopistische und funktionalistische Heilsvorstellungen. Eine historisch fundierte Weiterentwicklung des Christlichen Menschenbildes und seine Deklination in die aktuellen ethischen Fragestellungen hinein sind daher auch aufgrund populistischer Übernahmeversuche für die C-Parteien essentiell.

Zur Forschungslage Michael Gante hat in seiner 1991 erschienenen Untersuchung zu den Debatten um den § 218 zwischen den Jahren 1945 und 1976 die maßgebliche Arbeit für die ersten Dekaden der Bundesrepublik vorgelegt – ohne expliziten parteihistorischen Bezug, der jedoch implizit mitgeliefert wird. Auf diese rechtshistorisch wie rechtsphilosophisch grundlegende Arbeit bezieht sich für die ersten Jahrzehnte auch Dirk von Behren in seiner essayistischen Historie des § 218 von 2019; allerdings behauptet er (ohne Nachweise) die Existenz bevölkerungspolitischer Ziele für angeblich politisch rigide (praktisch aber zugegebenermaßen weitgehend liberale) Haltungen zur Abtreibung in den 1950er und 1960er Jahren, die darauf abgezielt hätten, das Volk für ein zu erwartendes Kriegsszenario mit Nachwuchs auszustatten (S. 12 – 19); diese Einschätzung ist schon aus militärischen Gründen angesichts der Hochrüstung während des Kalten Krieges mit nuklearen, weitgehend hochtechnisierten Bomben absurd und zeigt, dass in lebensrechtlichen Fragen linke Stereotype zur Adenauer-Ära unreflektiert übernommen werden. Auch in der feministischen Literatur wie im Überblick Emma Buddes von 2015, die hier den allgemeineren Kontext der parteihistorischen Positionierungen markiert, finden sich unhinterfragte Wertungen, in denen die Reformen des § 218 generell als Fortschritt in Richtung Liberalisierung gesehen werden, ohne dass die ‚Funktionalisierungsfalle‘ der männlich dominierten Leistungsgesellschaft oder der Hintergrund des historischen Auftaktes dieser Art von ‚Liberalität‘ kritisch reflektiert würden – verräterisch ist hierbei die Bemerkung, die Selektion Behinderter im Nationalsozialismus habe „sogar“ zur Liberalisierung des Abtreibungsrechtes geführt (S. 7). Budde repräsentiert jene einflussreichen Teile der Frauenbewegungen, die annehmen, weibliche Selbstbestimmung benötige die Verfügung über das Leben des Embryos als Teil des weiblichen Körpers; die umgekehrte Annahme einer besonders wirkmächtigen weiblichen Schutzkraft für das Kind und ein selbstbestimmtes, von tradierten Erfolgskonventionen befreites Leben als Frau und Mutter wird hier nicht bedacht. Explizit auf die Parteigeschichte bis 2013 bezogen ist die Untersuchung zur Frauenpolitik, die Ina vom Hofe 2017 vorgelegt hat, ohne jedoch innerhalb des frauenpolitischen Kontextes den Raum für die Einordnung der lebensrechtlich-ethischen und Unverfügbarkeit (Lebenswissenschaften im Dialog. Bd. 7). München 2011. 108 Siehe hierzu etwa Wolfram Hogrebe: Der implizite Mensch. Berlin 2013, v.a. Kap. 7: Das implizite Individuum: die Seele (S. 43 – 57). 109 Sandra Schulz: „Das ganze Kind hat so viele Fehler“ – Die Geschichte einer Entscheidung aus Liebe. Hamburg 2017.

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und programmatischen Bedeutung der Positionierungen zum § 218 zu haben. Hinsichtlich der programmatischen Rolle ethischer Positionen für die CDU ist die Literatur bis zur Gegenwart umfangreicher: Während Rudolf Uertz (v.a. 2007, 2013 und 2019) für den gesamten Darstellungszeitraum seit 1945 die historische Deskription der religiösen Grundlagen der Parteiarbeit geleistet hat, begründete Antonius Liedhegener im von Norbert Lammert herausgegebenen Debattenband, warum die CDU der Säkularisierung trotzt (2020) und sich damit dem Kulturalismus der neuen Rechten entgegenstellt. Petra Hemmelmann weist (2017) empirisch durch statistische Untersuchungen aller Parteiprogramme nach, dass die Verwurzelung der CDU im Christlichen Menschenbild Schwankungen seiner Explikation unterlag, anders als andere Markenkerne seine Bedeutung jedoch gefestigt hat. Philosophisch-theologische Grundlagen der christlich geprägten Ethik legte der von Michael Borchard 2006 für die Konrad-Adenauer-Stiftung herausgegebene Sammelband zum christlichen Humanismus vor, ebenso der Sammelband von Jörg-Dieter Gauger et al. 2013. Weiter auszuwerten bleiben Primärquellen zur lebensrechtlichen Transformation im Prozess der Wiedervereinigung. Außerdem liefert Christoph Böhr110 in Ergänzung und Weiterführung von Borchard und Gauger philosophische Grundlegungen zivilreligiöser und gesellschaftlicher Reflexionen zu einem menschlichen Selbstverständnis aus dem Geist christlicher Kern-Überzeugungen, die einer biopolitischen Rezeption harren. Eine erste Sichtung lässt fundierte ethische Untersuchungen erkennen, die nahelegen, dass eine bewusst zurückhaltende Biopolitik nicht etwa Ausfluss einer restriktiven Moral, sondern eines besonders freiheitlichen und zugleich der Verletzlichkeit zugewandten Menschenbildes sein könnte. Angesichts der Inflation bioethischer Themen111 müsste die anthropologische Literatur112 der letzten Dekaden für eine fundierte und profiliertere biopolitische Agenda ausgewertet werden. Auch leibphilosophische Ansätze wie jener Beate Herrmanns113 (2011) helfen mittelbar, den psychologischen Kern einer christlich geprägten Ethik zeitgemäß zu rezipieren: In der Unterscheidung zwischen Körper und Leib erscheint der menschliche Leib nicht vornehmlich als steuerbares Objekt, sondern als Essenz und Konstante des seelischen Selbstverhältnisses und als Teil der beseelten Schöpfung. So ergeben sich aus einem antizyklischen aber perspektivischen Wertedenken ethische Grenzen der Selbstverfügung, die – insbesondere weibliche – Selbstfürsorge statt Entmündigung bedeuten könnten.

110 V. a. in: Christoph Böhr u. a. (Hg.): Anthropologie und Ethik der Biomedizin. 111 Vgl. hierzu Dirk Lanzerath/Dieter Sturma: Ethik in den Biowissenschaften – Sachstandsberichte des Deutschen Referenzzentrums für Ethik in den Biowissenschaften (DRZE, 1 – 19). Freiburg i. Br./ München 2003 – 2019, sowie Dieter Sturma/Bert Heinrichs (Hg.): Handbuch Bioethik. In Zusammenarbeit mit dem DRZE. Berlin/Heidelberg 2015, und Wilhelm Korff/Lutwin Beck: Lexikon der Bioethik. Gütersloh 1998. 112 Etwa des o.g. Wolfram Hogrebes sowie auch u. a. Walter Schweidler: Über Menschenwürde: Der Ursprung der Person und die Kultur des Lebens (Das Bild vom Menschen und die Ordnung der Gesellschaft). Wiesbaden 2012. 113 Herrmann: Der menschliche Körper. A. a. O.

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V. Außen-, deutschland- und europapolitische Positionen und Weichenstellungen

Die Partei der Westbindung – Transatlantische Sicherheitspartnerschaft und deutsch-französische Freundschaft Philip Rosin Paradigmenwechsel der deutschen Außenpolitik Mit dem Satz „Im Anfang war Adenauer“1 lässt Arnulf Baring seine Pionierstudie über die frühe Außenpolitik des ersten Bundeskanzlers beginnen. Und in der Tat: Mit Adenauers Kanzlerschaft ist ein Paradigmenwechsel in der deutschen Außenpolitik verbunden, der die Grundkoordinaten der Bundesrepublik Deutschland seit nunmehr über 70 Jahren bestimmt. Anders als wichtigen früheren Entscheidungsträgern wie Otto von Bismarck und Gustav Stresemann gelang es Adenauer, seinen außenpolitischen Vorstellungen weit über seine Amtszeit hinaus Gültigkeit zu verschaffen2, was diesen Erfolg umso bedeutsamer macht. Worin bestand nun die „außenpolitische Revolution“3 Adenauerscher Prägung? Erstens in der eindeutigen Option für den Westen – sowohl geographisch als auch weltanschaulich. Zweitens in der engen (sicherheits-)politischen Kooperation mit der Weltmacht USA. Drittens in der Aussöhnung mit Frankreich und der Zusammenarbeit bei der europäischen Integration. Die Lage Deutschlands in der Mitte des europäischen Kontinents hatte die außenpolitischen Akteure seit der Reichsgründung in der Regel dazu gebracht, eine Art Schaukelpolitik zwischen West und Ost zu betreiben, mal in Annäherung an die Weltmacht Großbritannien und mal in Kooperation mit Russland beziehungsweise der Sowjetunion. Was Bismarck mit einer ausgeklügelten (Geheim-)Diplomatie noch einigermaßen zu gelingen schien, stellte sich auf längere Sicht als Sackgasse heraus. Denn das Deutsche Reich war als neue Großmacht auf seine Unabhängigkeit bedacht und lehnte es ab, Juniorpartner einer der Weltmächte zu sein. Dieser Weg aber führte in die (Selbst-)Isolation und ließ das Deutsche Reich „mit einer parvenuhaften Überbürdung seiner inneren und äußeren Kräfte“4 als permanenten Störenfried der internationalen Ordnung erscheinen. Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg spitzte sich die Schaukelpolitik 1 Arnulf Baring: Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie. Bonns Beitrag zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (Schriften des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Bd. 28). München/Wien 1969, S. 1. 2 Hans-Peter Schwarz: Anmerkungen zu Adenauer. München 2004, S. 36. 3 Christian Hacke: Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Von Konrad Adenauer bis Gerhard Schröder. Aktualisierte Neuauflage Berlin 2003, S. 49. 4 Klaus Hildebrand: Das vergangene Reich. Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler. 2.Auflage Stuttgart 1996, S. 883.

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im Interesse der Revisionspolitik gegen den Versailler Vertrag noch einmal zu. Der in der italienischen Kleinstadt Rapallo geschlossene Vertrag mit der Sowjetunion von April 1922 führte im Westen zu einem „Rapallo-Komplex“, gleichzeitig gab es mit den Locarno-Verträgen 1925 Ansätze zu einem Ausgleich mit Frankreich, die sich jedoch bald wieder zerschlugen. Im Lichte der „deutschen Katastrophe“5 war dann ein verändertes außenpolitisches Denken und Handeln notwendig. Konrad Adenauer besaß als Kölner und Rheinländer eine klare Vorstellung von der europäischen Dimension seiner einst von den Römern gegründeten Heimatstadt und der Bedeutung des Rheins als Strom, der verschiedene Regionen des Kontinents miteinander verbindet.6 Als Christ sah er zudem die verbindende Rolle des Glaubens im katholisch-europäischen Abendland. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Adenauer bereits in seiner Zeit als Kölner Oberbürgermeister eine engere wirtschaftliche Kooperation mit Frankreich angestrebt hatte, was ihm zeitgenössisch den Vorwurf eingetragen hatte, ein rheinischer Separatist zu sein.7 Der Westen war ideell zudem verbunden mit Prinzipien wie Demokratie und Parlamentarismus, denen der überzeugte Republikaner Adenauer in seinen Funktionen als Vorsitzender des Parlamentarischen Rates und anschließend als Bundeskanzler zum Durchbruch verhalf – mit nachhaltigem Erfolg, denn Bonn wurde eben nicht Weimar.8 Das Scheitern der bisherigen deutschen Außenpolitik und die Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus führten ihn zu der Überzeugung, „daß man die Deutschen künftig vor sich selber schützen müsse, indem man sie so fest wie nur möglich mit den Staaten des europäischen Westens verbände“.9 Zweifelsohne haben Faktoren wie die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen, die Entstehung des Kalten Krieges und in der Folge die deutsche Teilung die Hinwendung zur Politik der Westbindung mit beeinflusst, doch Adenauer hat die Teilung nicht bewusst herbeigeführt. Auf längere Sicht sollte er mit seiner Magnettheorie, wonach ein starkes und erfolgreiches Westdeutschland auf die Deutschen im Osten eine anziehende Wirkung entfalten sollte10, jedenfalls Recht behalten. Als Realpolitiker war sich Adenauer seit Mitte der 1940er Jahre bewusst, dass der westliche Teil Deutschlands nur mit Unterstützung der westlichen Besatzungsmächte, insbesondere der USA, der drohenden Aggression der Sowjetunion begegnen konnte.11 Alternativlos oder gar unumstritten war die Politik der Westintegration dennoch nicht, sie stand in der ersten Legislaturperiode vielmehr innen- und außenpolitisch unter starkem Druck. Innerparteilich setzte sich eine Gruppe um den Berliner Jakob Kaiser für ein Festhalten an der Idee einer deutschen Brückenfunktion ein, verlor bereits Ende der 1940er Jahre jedoch an Einfluss.12 Die SPD verfolgte eine in Teilen gar nationalistisch anmutende, harte Oppositionspolitik gegen Adenauers innovativen Kurs der Öffnung nach 5 6 7 8 9 10

Vgl. Friedrich Meinecke: Die deutsche Katastrophe. Betrachtungen und Erinnerungen. Wiesbaden 1946. Baring: Adenauer, S. 48 – 51. Werner Biermann: Konrad Adenauer. Ein Jahrhundertleben. Berlin 2017, S. 144 f. Vgl. Fritz René Allemann: Bonn ist nicht Weimar. Köln 1956. Baring: Kanzlerdemokratie, S. 57. Klaus Hildebrand: Integration und Souveränität. Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland 1949 – 1982. Bonn 1991, S. 19 f. 11 Schwarz: Anmerkungen, S. 84. 12 Hacke: Außenpolitik, S. 37 f.

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Westen und der europäischen Zusammenarbeit. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an den bösen Vorwurf des SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher vom „Kanzler der Alliierten“.13 Die größte Gefahr für die Politik der Westintegration ging allerdings 1952 von den so genannten Stalin-Noten aus. Geschickt nutzte der sowjetische Diktator den Wunsch der Deutschen nach Überwindung der Teilung ihres Landes, um mit der Formel „Wiedervereinigung gegen Neutralität“ den bundesdeutschen Kurs der Westintegration noch aufzuhalten. Adenauer und seine Regierung haben damals gegen großen innenpolitischen Druck den Schalmeienklängen aus Moskau widerstanden. Für den Kanzler stand fest, dass ein neutrales Gesamtdeutschland über keine eigenen Machtmittel verfügen und somit zwangsläufig in den sowjetischen Einflussbereich geraten würde.14 Kurz nach Veröffentlichung der ersten Stalin-Note erläuterte er Anfang April 1952 im Rahmen seiner „Teegespräche“ mit Journalisten, das Ziel der sowjetischen Außenpolitik bestünde darin, „im Wege der Neutralisierung Deutschlands die Integration Europas zunichte zu machen, [um] damit die USA aus Europa wegzubekommen und im Wege des kalten Krieges Deutschland, die Bundesrepublik und damit auch Europa in seine Machtsphäre zu bringen“.15 Zeitgenössisch und in der Rückschau ist immer wieder der Vorwurf einer 1952 angeblich verpassten Gelegenheit zur deutschen Einheit erhoben worden, doch haben die Forschungen insbesondere seit den 1990er Jahren mit der Verfügbarkeit russischer Archivalien mittlerweile belegt, dass es sich in der Tat um ein Störmanöver Stalins handelte und es keine wirkliche Chance zur Einheit gab.16 Wie nicht nur böswillig, sondern auch falsch der einen Mangel an Patriotismus implizierende Vorwurf Schumachers war, zeigt sich schon daran, dass ein, wenn nicht gar das wichtigste Ziel der Adenauerschen Politik der Westintegration zunächst darin bestand, die Bestimmungen des Besatzungsstatuts schrittweise zu überwinden und Souveränität für die Bundesrepublik Deutschland zu erlangen.17 Die Politik der Integration in europäische Strukturen, die wie gezeigt inhaltlich gewollt war, fiel auch deshalb leicht, weil die Bundesrepublik noch kaum über Rechte verfügte, auf die sie verzichten musste. Umgekehrt erhielt sie im Gefolge ihrer Integration in die westliche Welt einen Teil ihrer Handlungsmöglichkeiten zurück. Diesen Politikansatz des „Souveränitätsgewinns durch Souveränitätsverzicht“18 verfolgte Adenauer sehr erfolgreich. Dabei konnte er sich auf einen mächtigen Verbündeten stützen, nämlich die Vereinigten Staaten von Amerika. Mit der typischen Mischung aus wirtschaftlichem Eigeninteresse und politischem Idealismus wandelten sie sich schon bald nach Kriegsende vom Besatzer zum Unterstützer und Beschützer. Amerikanische Hilfsmaßnahmen wie die Versorgung mit Care-Paketen, der Marshall-Plan und die Berliner Luftbrücke gruben sich tief in das kollektive Gedächtnis der Westdeutschen ein.19 13 Hans-Peter Schwarz: Die Ära Adenauer. Bd. 1: 1949 – 1957 (Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 2). Stuttgart 1981, S. 69. 14 Biermann: Adenauer, S. 364 f. 15 Hanns Jürgen Küsters (Bearb.): Adenauer. Teegespräche 1950 – 1954, (Rhöndorfer Ausgabe). Berlin 1984, Dok. 26, S. 227. 16 Siehe hierzu auch den Beitrag von Judith Michel in diesem Band. 17 Hildebrand: Integration, S. 27 f. 18 Helga Haftendorn: Deutsche Außenpolitik zwischen Selbstbeschränkung und Selbstbehauptung. Stuttgart/München 2001, S. 436. 19 Rolf Steininger: Deutschland und die USA. Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart. München 2014, S. 73.

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Transatlantische Sicherheitspartnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika Während die Nähe Adenauers zu Frankreich und den Benelux-Staaten in geographischer und politischer Hinsicht naheliegt, scheint das mit Blick auf die Vereinigten Staaten von Amerika nicht so zu sein. Doch dieser Eindruck täuscht. Adenauer gehörte zu einer Generation, der noch bewusst war, wie stark die deutsche Auswanderung und Flucht im 19.Jahrhundert die Entwicklung der USA mitgeprägt hatten. Erst die beiden Weltkriege sorgten dafür, dass diese große Minderheit an öffentlicher Sichtbarkeit verlor. Zum 100.Geburtstag des rheinisch-deutschen Revolutionärs Carl Schurz veröffentlichte Adenauer 1929 einen Artikel in der „Chicago Tribune“, in dem er an dieses Erbe erinnerte und bei Deutschamerikanern für einen Besuch in Köln warb.20 Als Oberbürgermeister verfügte er über transatlantische Kontakte. So gelang es ihm, die neuen deutschen Ford-Werke nach Köln zu holen, im Herbst 1930 legte er gemeinsam mit Henry Ford den Grundstein.21 Nach der nationalsozialistischen Diktatur waren die Amerikaner für ihn vor allem die herbeigesehnten Befreier, von denen er sich, mehr noch als von den Briten und Franzosen, Impulse für die Entwicklung in Nachkriegsdeutschland versprach. Dabei war entscheidend, dass sich zwei Fehler der amerikanischen Deutschlandpolitik in der Zwischenkriegszeit nicht – wie von Adenauer zunächst befürchtet – wiederholten, nämlich erstens der Rückfall in den Isolationismus mit einem erneuten Rückzug vom europäischen Kontinent, und zweitens der Widerstand gegen eine engere deutsch-französische Wirtschaftskooperation.22 Mit dem Aufkommen des Kalten Krieges wurden die USA zur essentiellen Schutzmacht Westdeutschlands und Westeuropas – und somit zur bestimmenden Macht auf dem Kontinent. Obwohl Adenauer sich mit dem amerikanischen Hohen Kommissar John McCloy so manches Wortgefecht lieferte 23, so waren es doch vor allem die USA, die sich – auch gegen Widerstände der Regierungen in Paris und London – für eine schrittweise Ablösung des Besatzungsstatuts und für eine deutsche Wiederbewaffnung einsetzten. Mit dem Amtsantritt von Präsident Dwight D. Eisenhower im Januar 1953 intensivierte sich das Verhältnis zwischen Bonn und Washington weiter. Zu jener Zeit besaß das Verhältnis zu den USA für den Kanzler Vorrang gegenüber dem zu Frankreich24, zumal nach dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und der Ersatzlösung des bundesdeutschen NATO-Beitritts 1955 die sicherheitspolitische Dimension der neuen atlantischen Partnerschaft aus der Bonner Perspektive nochmal stark an Bedeutung gewann. Mit dem amerikanischen Außenminister John Foster Dulles entwickelte sich bis zu dessen Tod 1959 gar eine Art politische Freundschaft.25 Sichtbarer Ausdruck des Erfolgs der Politik der Westbindung war der USA-Besuch Adenauers im April 1953. Bei seiner Ankunft in New York am 6.April 1953 betonte der 20 Hans Peter Mensing: Amerika-Eindrücke Konrad Adenauers und Adenauer-Bilder in den USA, in: Klaus Schwabe (Hg.): Adenauer und die USA (Rhöndorfer Gespräche. Bd. 14). Bonn 1994, S. 241 – 263, hier 246 f. 21 Hans-Peter Schwarz: Adenauer. Bd. 1: Der Aufstieg 1876 – 1952. Stuttgart 1986, S. 243. 22 Werner Link: Adenauer, Amerika und die deutsche Nachwelt, in: Klaus Schwabe (Hg.): Adenauer und die USA (Rhöndorfer Gespräche. Bd. 14). Bonn 1994, S. 130 – 150, hier 135 f. 23 Steininger: USA, S. 89 – 93. 24 Link: Adenauer, S. 137. 25 Hans-Peter Schwarz: Adenauer. Bd. 2: Der Staatsmann 1952 – 1967. Stuttgart 1991, S. 58; vgl. auch Detlef Felken: Dulles und Deutschland. Die amerikanische Deutschlandpolitik 1953 – 1959. Bonn 1993.

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Kanzler das Besondere dieser Reise und dankte den USA für deren Unterstützung: „Ich glaube, es ist selten in der Geschichte vorgekommen, daß ein siegreiches Volk dem Besiegten in einer solchen Weise seine hilfreiche Hand hingestreckt hat, wie es das amerikanische Volk tat.“26 Direkt vor dem Hamburger CDU-Bundesparteitag und nur wenige Monate vor der Bundestagswahl lag die Reise strategisch günstig. Beide Regierungen gingen gewissermaßen eine Art Symbiose ein: Adenauer und die Bundesregierung konnten zeigen, dass sie Deutschland in die internationale Staatengemeinschaft zurückgeführt hatten und wie eng sich die Beziehungen zur Weltmacht USA sich mittlerweile gestalteten. Umgekehrt demonstrierten die Gastgeber ihre Rolle als Schutzmacht Westdeutschlands und des freien Westens, verbunden mit dem deutlich vernehmbaren Unterton, dass man die Zusammenarbeit mit Adenauer nach der Bundestagswahl fortzusetzen hoffe.27 Der Kanzler wurde in Washington mit großer Geste empfangen, 21 Salutschüsse waren eigentlich nur Staatsoberhäuptern vorbehalten und mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Juristischen Fakultät der Georgetown University wurde ihm nur acht Jahre nach Kriegsende eine weitere besondere Ehre zuteil. Der symbolische Höhepunkt des Besuchs war eine Kranzniederlegung auf dem Nationalfriedhof in Arlington am Grabmal des Unbekannten Soldaten für die Toten beider Länder mit dem Abspielen der deutschen Nationalhymne. Nach seiner Rückkehr konnte der Kanzler und CDU-Vorsitzende vor dem Bundesvorstand seiner Partei mit Befriedigung feststellen: „Das Ganze war eine demonstrative Begrüßung für die Bundesrepublik Deutschland, die wirkungsvoller und besser nicht mehr zu denken ist. Daß wir versuchen, nach wie vor mit Washington sehr enge und gute Fühlung zu halten, versteht sich von selbst.“28 Das Konzept der Eisenhower-Administration des „roll back“ gegenüber der Sowjetunion war zwar zumindest in Europa mehr Rhetorik als praktische Handlungsmaxime, doch konnte Adenauer sich lange gewiss sein, dass die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschlands und West-Berlins für Washington oberste Priorität besaß. Doch seit der zweiten Berlin-Krise ab 1958 und Dulles’ Ableben 1959 kamen dem Kanzler zunehmend Zweifel an der Zuverlässigkeit der USA.29 Diese Einschätzung verstärkte sich mit dem Wahlsieg des jungen Demokraten John F. Kennedy bei der Präsidentschaftswahl 1960, zu dem sich das politische und persönliche Verhältnis schwierig gestaltete.30 In Washington setzte sich mehr und mehr die Ansicht durch, dass die Weltmacht USA in ihrer globalen Rivalität mit der Sowjetunion die Interessen Westdeutschlands und West-Berlins nicht absolut setzen sollte. Bei Adenauer machte sich seit Ende der 1950er Jahre eine generelle Skepsis gegenüber der amerikanischen Deutschland- und Europapolitik bemerkbar, die er nicht mehr ablegte – „[d]em Verhältnis Adenauers zu den USA war kein ‚happy end‘ beschieden“.31 Allerdings hatte die Sicherheitspartnerschaft mit den USA als zent26 Konrad Adenauer: Erinnerungen. Bd. 1: 1945 – 1953. 4. Auflage Stuttgart 1980, S. 566. 27 Steininger: USA, S. 182 f. 28 Günter Buchstab (Bearb.): Adenauer: „Es mußte alles neu gemacht werden“. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1950 – 1953 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 8). Stuttgart 1986, Dok. 23, S. 521. 29 Klaus Larres: Eisenhower, Dulles und Adenauer. Bündnis des Vertrauens oder Allianz des Mißtrauens (1953 – 1961), in: Ders./Torsten Oppelland (Hg.): Deutschland und die USA im 20.Jahrhundert. Geschichte der politischen Beziehungen. Darmstadt 1997, S. 119 – 150, hier 139 f. 30 Vgl. Joachim Arenth: Die Bewährungsprobe der Special Relationship. Washington und Bonn (1961– 1969), ebd., S. 151 – 177. 31 Link: Adenauer, S. 141.

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raler Pfeiler der neuen deutschen Außenpolitik mittlerweile eine Stetigkeit erreicht, die sie von persönlichen Animositäten und Dissonanzen in Einzelfragen ein Stück weit unabhängig machte, zumal es innerhalb der CDU etwa mit Außenminister Gerhard Schröder und Wirtschaftsminister Ludwig Erhard weiterhin starke Protagonisten einer engen atlantischen Zusammenarbeit gab.

Aussöhnung mit Frankreich und Beginn der europäischen Integration Bereits seit seiner Zeit als Kölner Oberbürgermeister setzte sich Adenauer für eine engere Bindung zwischen Deutschen und Franzosen ein. Die Voraussetzungen dafür waren in den Jahren nach Kriegsende zunächst denkbar schlecht: Die deutsche Besatzungsherrschaft in Frankreich mit ihren Gräueltaten zwischen 1940 und 1944, die französische Rolle als Besatzungsmacht in Deutschland seit 1945, die ungelöste Saarfrage, all das sprach eigentlich für die Fortsetzung der angeblichen deutsch-französischen „Erbfeindschaft“. Doch es kam anders, weil es in beiden Ländern Persönlichkeiten gab, die aus den negativen Erfahrungen der Zwischenzeit gelernt hatten und den Teufelskreis des Hasses und gegenseitiger militärischer Revanche durchbrechen wollten. Am 9.Mai 1950 präsentierte der französische Außenminister Robert Schuman in einer aufsehenerregenden Pressekonferenz den in der Folge nach ihm benannten Plan, der konzeptionell eigentlich auf den europäischen Vordenker Jean Monnet zurückging.32 Er sah im Kern die Errichtung einer Behörde zur Schaffung eines gemeinsamen deutsch-französischen Marktes für Kohle und Stahl vor und lud weitere europäische Länder zur Teilnahme ein. Adenauer erkannte sofort die Nähe zu seinen langgehegten Vorstellungen und willigte umgehend in Verhandlungen ein, zu denen noch die Benelux-Staaten und Italien hinzukamen. Der Schuman-Plan war, in den Worten des Historikers Klaus Schwabe, „eine Art deutsch-französischer Friedensvertrag auf der Grundlage beiderseitiger freiwilliger Zustimmung sowie internationaler Gleichberechtigung und stand damit in einem scharfen Kontrast zum Versailler Frieden“.33 Im April 1951 waren die multilateralen Gespräche abgeschlossen und Adenauer reiste zur Unterzeichnung des Vertrages über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) zu seinem ersten offiziellen Auslandsbesuch nach Paris. Der Bundeskanzler (und in Personalunion Außenminister) auf diplomatischer Bühne im Kreise der anderen Außenminister europäischer Staaten nur sechs Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges: das waren für das In- und Ausland hochsymbolische Bilder, die verdeutlichten, dass das von Adenauer repräsentierte Deutschland in die internationale Völkergemeinschaft zurückgekehrt war. Über die Symbolik hinaus war aber auch der Vertragsinhalt selbst von besonderer Bedeutung, denn er enthielt mit der Schaffung einer gemeinsamen Hohen Behörde als dem wichtigsten Gremium der EGKS supranationale Strukturen. Die Gründung der zeitgenössisch so bezeichneten „Montanunion“ bedeutete die Geburtsstunde des europäischen Integrationsprozesses. In einer Sitzung des CDUBundesvorstands am 10.Mai 1951 hob Adenauer die Wichtigkeit des EGKS-Vertrags her32 Corine Defrance/Ulrich Pfeil: Deutsch-Französische Geschichte. Bd. 10: Eine Nachkriegsgeschichte in Europa 1945 bis 1963. Darmstadt 2011, S. 70 – 72. 33 Klaus Schwabe: Die Gründung der Montanunion aus deutscher und französischer Sicht, in: Manfred Rasch/Kurt Düwell (Hg.): Anfänge und Auswirkungen der Montanunion auf Europa. Die Stahlindustrie in Politik und Wirtschaft. Essen 2007, S. 13 – 30, hier 25.

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vor: „Der Schumanplan wird für uns, für Europa von größter Bedeutung sein. Wir werden dadurch einen Markt für 150 Millionen Menschen schaffen. Wir werden frei werden vom Ruhrstatut, und die Stahlquote wird nicht mehr beschränkt sein. Auf dem Gebiete der Kohle und des Eisens werden wir in Europa gleichberechtigt sein. Die SPD ist blöd, wenn sie diesen Plan eine Verlängerung des Besatzungsregimes auf 50 Jahre nennt.“34 Dass die europäische Einigung trotz aller Erfolge – damals wie heute – jedoch kein Selbstläufer war, zeigte sich im Jahr 1954, als die französische Nationalversammlung der Schaffung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) die Zustimmung verweigerte, es war die wohl größte politische Enttäuschung in Adenauers Karriere 35. Doch pragmatisch ging der Kanzler sofort daran, die weitere Integration in den Westen und die Wiederbewaffnung nun über den Umweg des NATO-Beitritts zu erreichen, was bereits im darauffolgenden Jahr gelang und sich für die Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik als Glücksfall erweisen sollte.36 Ebenfalls 1955 stimmte darüber hinaus bei der Volksabstimmung an der Saar eine große Mehrheit der Bevölkerung für eine Zugehörigkeit zur Bundesrepublik Deutschland. Damit erhielt diese nicht nur ein weiteres Bundesland, sondern in außenpolitischer Perspektive war zudem der schwerste Konfliktherd im deutsch-französischen Verhältnis in beiderseitigem Einvernehmen entschärft 37, hatte die „Saar-Frage“ doch bislang einer längerfristigen Annäherung zwischen beiden Ländern im Wege gestanden. Mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge am 25.März 1957 vollzog sich mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) der bis dahin bedeutendste Schritt des europäischen Integrationsprozesses. Die Rückkehr Charles de Gaulles an die Regierungsspitze Frankreichs in innenpolitisch krisenhafter Lage 1958 38 bestimmte wesentlich den Fortgang der Europapolitik und der deutsch-französischen Beziehungen bis Ende der 1960er Jahre. Während die europäische Integration aufgrund der ablehnenden Haltung des Generals zur Supranationalität bald in schweres Fahrwasser geriet, ergaben sich für die deutsch-französischen Beziehungen unerwartet neue Impulse. Dabei gab es in den Unionsparteien und auch bei Adenauer selbst zunächst große Skepsis gegenüber dem einstigen Führer der „Forces françaises libres“, der während seiner vorangegangenen Regierungsverantwortung (1944 – 1946) ein pragmatisches Verhältnis zu den französischen Kommunisten gepflegt und ein Freundschaftsabkommen mit der Sowjetunion abgeschlossen hatte39. Entsprechend versuchte der Parteivorsitzende und Bundeskanzler in seinen Ausführungen am 11.Juli 1958 sich selbst und die Mitglieder des CDU-Bundesvorstands mit der Aussage zu beruhigen, er habe verlässliche Informationen erhalten, wonach de Gaulle mittlerweile „ein entscheidender Gegner des sowjetischen Kommunismus geworden ist“.40 Am 14.September 1958 fand die erste persönliche Begegnung zwischen beiden Staatsmännern in de Gaulles privatem Anwesen im Dorf Colombey-les-Deux-Églises in der Champagne statt. Diese 34 35 36 37 38 39 40

Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1950 – 1953: Dok. 2, S. 36. Biermann: Adenauer, S. 401. Hacke: Außenpolitik, S. 75. Defrance/Pfeil: Deutsch-Französische Geschichte, S. 84 f. Vgl. René Rémond: 1958, le retour de De Gaulle. Paris 2008. Johannes Willms: Der General. Charles de Gaulle und sein Jahrhundert. München 2019, S. 286 – 288. Günter Buchstab (Bearb.): Adenauer: „… um den Frieden zu gewinnen.“ Die Protokolle des CDUBundesvorstands 1957 – 1961 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 24). Düsseldorf 1994, Dok. 4, S. 181.

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Begegnung ist später als das „Wunder von Colombey“ bezeichnet worden 41, denn bei allen Differenzen in Einzelfragen, die es auch in den folgenden Jahren immer wieder gab, wurde hier eine politische und persönliche Freundschaft begründet. In einem gemeinsamen Kommuniqué wurde festgehalten, „daß die frühere Gegnerschaft ein für allemal überwunden sein muß und daß Franzosen und Deutsche dazu berufen sind, in gutem Einvernehmen zu leben und Seite an Seite zu arbeiten“.42 Sichtbarer Ausdruck der im Entstehen begriffenen „Entente élémentaire“43 waren die gegenseitigen Staatsbesuche des Jahres 1962. Im Juli reiste Adenauer nach Frankreich. Symbolischer Höhepunkt war ein gemeinsamer Gottesdienstbesuch der beiden Katholiken in der Kathedrale von Reims, einst Krönungsort der französischen Könige, die im Ersten Weltkrieg von deutschen Truppen schwer beschädigt worden war. Der Gegenbesuch des französischen Staatspräsidenten in der Bundesrepublik fand im September statt und glich in den Worten von Hans-Peter Schwarz einem „Triumphzug“.44 In einer auf Deutsch gehaltenen Ansprache in Ludwigsburg rief de Gaulle die Jugendlichen in beiden Ländern dazu auf, „alle Kreise bei ihnen und uns dazu zu bewegen, einander immer näher zu kommen, sich besser kennen zu lernen und engere Bande zu schließen“.45 Die beiden Staatsbesuche mit der jeweils freundlichen Aufnahme des Gastes auch durch die Bevölkerungen markierten den Übergang von der reinen Aussöhnung hin zur Freundschaft, die mehr und mehr von der Regierungsebene auch auf die Gesellschaften überging, was sich in den folgenden Jahren etwa in einer Vielzahl neuer Städtepartnerschaften niederschlug.46 Den vorläufigen Höhepunkt dieses Annäherungsprozesses – mit Auswirkungen bis heute – stellte die Unterzeichnung des Élysée-Vertrags im Januar 1963 dar. Der „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die deutsch-französische Zusammenarbeit“ sah regelmäßige Konsultationen zwischen beiden Regierungen sowie eine engere Zusammenarbeit in der Außen- und Verteidigungspolitik sowie in den Bereichen Bildung und Jugend vor. Letztere erwies sich als besonders fruchtbar, denn in der Konsequenz wurde bereits im Juli 1963 das Deutsch-Französische Jugendwerk gegründet.47 Wenige Monate vor seinem angekündigten Rücktritt sah Adenauer den Élysée-Vertrag als sein Vermächtnis an.48 In seiner vierzehnjährigen Kanzlerschaft etablierte er neben der Sicherheitspartnerschaft mit den USA die europäische Zusammenarbeit und die Freundschaft zu Frankreich als zweiten Pfeiler der neuen deutschen Außenpolitik der Westbindung. 41 Vgl. Ulrich Lappenküper: Das „Wunder“ von Colombey. Konrad Adenauer bei Charles de Gaulle im September 1958, in: Dokumente/Documents 3/2012, S. 45 – 50, https://www.dokumente-documents. info/fileadmin/uploads/tx_ewsdokumente/DD3_2012.pdf (Abruf: 17.12.2022). 42 Konrad Adenauer: Erinnerungen. Bd. 3: 1955 – 1959. 2. Auflage Stuttgart 1978, S. 435. 43 Vgl. Ulrich Lappenküper: Von der „Erbfeindschaft“ zur „Entente élémentaire“, 2 Bde. (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte. Bd. 49). München 2001. 44 Schwarz: Adenauer Bd. 2, S. 765. 45 Rede an die deutsche Jugend vom 9.9.1962, https://www.dfi.de/pdf-Dateien/deGaulle/Rede_de_ Gaulle.pdf (Abruf: 17.12. 2022). 46 Defrance/Pfeil: Deutsch-Französische Geschichte, S. 176. 47 Ansbert Baumann: Erziehungs- und Jugendfragen: die Bande enger gestalten und das Verständnis füreinander vertiefen, in: Corine Defrance/Ulrich Pfeil (Hg.): Der Élysée-Vertrag und die deutschfranzösischen Beziehungen 1945, 1963, 2003 (Pariser Historische Studien. Bd. 71). München 2005, S. 147 – 166, hier 162 f. 48 Schwarz: Anmerkungen, S. 96 f.

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„Atlantiker-Gaullisten-Kontroverse“ Um die Frage allerdings, wer aus der Perspektive Bonns wohl der verlässlichere Bündnispartner sei, Washington oder Paris, war seit Ende der 1950er Jahre ein heftiger Streit innerhalb der Unionsparteien entbrannt, der sich im Verlaufe der 1960er Jahre weiter zuspitzte und das außenpolitische Handeln der Bundesregierung zunehmend erschwerte.49 Auf der einen Seite standen die „Atlantiker“, zu denen insbesondere der Wirtschaftsminister und spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard, Außenminister Gerhard Schröder und Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel zählten, auf der anderen Seite die „Gaullisten“ mit Protagonisten wie (Alt-)Bundeskanzler Adenauer, Heinrich Krone und Franz Josef Strauß. Zwar war beiden Seiten im Grunde klar, dass der nukleare Schutzschirm der USA für die Bundesrepublik unverzichtbar war, doch gab es, wie am Beispiel Adenauers dargestellt, bei einigen Unionspolitikern zunehmend Zweifel an der Krisenfestigkeit dieser Sicherheitsgarantien.50 Genau zu dem Zeitpunkt, als diese Zweifel aufkamen, trat mit de Gaulle ein neuer Akteur auf die internationale Bühne, der mit seiner Politik der „grandeur“51 eine wichtige Rolle Frankreichs in den europäischen und in den Ost-West-Beziehungen anstrebte und gegenüber der Bundesrepublik mit einer Charmeoffensive um ein exklusives bilaterales Verhältnis warb. In den Unionsparteien herrschten anfangs Besorgnis und Zurückhaltung gegenüber de Gaulle, bald jedoch auch Neugier und Sympathie bei denjenigen, die das laxe Handeln der USA in der zweiten Berlin-Krise kritisch beurteilten und von dem „Blankoscheck“52 des französischen Präsidenten vom November 1958 („nous sommes avec vous, sans réserve“) beeindruckt waren. Die USA, deren europäische Führungsrolle innerhalb des westlichen Bündnisses der General immer offener in Frage stellte, sahen sich nun jedenfalls mit der „gaullistische[n] Herausforderung“53 konfrontiert. Die Staatsbesuche de Gaulles 1962 und Kennedys 1963 in der Bundesrepublik waren vor diesem Hintergrund in gewissem Sinne auch Konkurrenzveranstaltungen.54 Aus Sicht der Atlantiker war die enge Bindung zu Washington alternativlos, in de Gaulle sahen sie einen an französischen Eigeninteressen interessierten Nationalisten, der durch sein in Teilen unberechenbares Reden und Handeln die Einheit des Westens gegenüber der Sowjetunion gefährdete und damit den deutschen Interessen schaden würde.55 Bei den Atlantikern handelte es sich überwiegend um Norddeutsche, Protestanten und Anhänger einer ordoliberalen Wirtschaftspolitik, hingegen bei den Gaullisten eher um Süddeutsche (und teilweise Rheinländer), Katholiken und Be49 Günter Buchstab: Zwischen „Zauber und Donner“. Die CDU/CSU und de Gaulle, in: Wilfried Loth/ Robert Picht (Hg.): De Gaulle, Deutschland und Europa. Opladen 1991, S. 95 – 107, hier 100 f. 50 Ronald J. Granieri: The Ambivalent Alliance. Konrad Adenauer, the CDU/CSU and the West, 1949 – 1966. New York/Oxford 2003, S. 113 f. 51 Vgl. Maurice Vaïsse: La grandeur. Politique étrangère du général de Gaulle 1958 – 1969. Paris 1998. 52 Reiner Marcowitz: Option für Paris? Unionsparteien, SPD und Charles de Gaulle 1958 bis 1969 (Studien zur Zeitgeschichte. Bd. 49). München 1996, S. 35. 53 Vgl. Eckart Conze: Die gaullistische Herausforderung. Die deutsch-französischen Beziehungen in der amerikanischen Europapolitik 1958 – 1963. München 1995. 54 Klaus Hildebrand: „Atlantiker“ versus „Gaullisten“. Zur Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland während der sechziger Jahre, in: Ders.: Der Flug des Ikarus. Studien zur deutschen Geschichte und internationalen Politik. München 2011, S. 155 – 163, hier 155 f. 55 Marcowitz: Option, S. 115 f.

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fürworter eines gemäßigten „rheinischen Kapitalismus“. Die Kontroverse spielte sich zudem vor dem Hintergrund des jahrelangen „Kampfs ums Kanzleramt“56 zwischen Adenauer und Erhard ab, sie stellte zwar nur einen Nebenaspekt in diesem Machtkampf dar, doch immerhin bildeten beide Protagonisten auch die unterschiedlichen inhaltlichen Pole dieser Kontroverse ab. Zum „Ausbruch des offenen innerparteilichen Streits“57 zwischen Atlantikern und Gaullisten kam es ausgerechnet in Zusammenhang mit dem bereits erwähnten deutschfranzösischen Élysée-Vertrag vom Januar 1963, denn nur wenige Tage vor Adenauers Reise nach Paris zur Vertragsunterzeichnung verkündete der General bei einer Pressekonferenz das Veto Frankreichs gegen einen Beitritt Großbritanniens zur EWG, womit die Pläne zu einer Erweiterung der Gemeinschaft zunächst gestoppt waren. Insbesondere die Atlantiker zeigten sich über dieses Verhalten de Gaulles entrüstet und schritten zur Tat, als der Élysée-Vertrag im Deutschen Bundestag zur Ratifikation anstand. Eine Ablehnung dieser historischen Vereinbarung kam zwar aus diplomatischen Gründen nicht in Betracht, doch stellten die Abgeordneten dem Vertrag schließlich eine Präambel voran58, in der das enge Verhältnis der Bundesrepublik zu den USA und die Bedeutung der NATO betont wurden. Unter anderem wurde auf „die gemeinsame Verteidigung im Rahmen des nordatlantischen Bündnisses und die Integrierung der Streitkräfte der in diesem Bündnis zusammengeschlossenen Staaten“59 verwiesen. De Gaulle zeigte sich als Reaktion schwer enttäuscht, für ihn verlor das Vereinbarte damit seinen Wert.60 Zeitgenössisch bedeutete der Elysée-Vertrag somit einen „Triumph des Atlantizismus“.61 Gleichwohl markiert das Vertragswerk im Rückblick eine Zäsur im bilateralen Verhältnis und prägt etwa mit den regelmäßigen Konsultationen zwischen beiden Regierungen die deutschfranzösischen Beziehungen bis heute. Im Verhältnis zu den USA sorgten im Verlauf der 1960er Jahre die Ausgleichszahlungen für die in Westdeutschland stationierten amerikanischen Truppen sowie die Weigerung Bonns, den Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen, für Konfliktstoff. Aus der Perspektive der CDU war es problematisch, zwei Klassen von Staaten mit unterschiedlichen Rechten hinsichtlich des Besitzes von Nuklearwaffen zu schaffen. In diesem Punkt herrschte zwischen Adenauer, Strauß und dem Ende 1966 an der Spitze einer Großen Koalition ins Amt gekommenen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger Einigkeit.62 Die Unionsparteien grenzten sich an dieser Stelle von der unterzeichnungswilligen SPD ab und zögerten die deutsche Zustimmung bis zum Ende der Großen Koalition hinaus. Auch unter den Kanzlerschaften von Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger zwischen 1963 und 1969 setzte sich trotz so mancher Krise im Beziehungsdreieck zwischen Washington, Paris und Bonn doch insgesamt die erfolgreiche Politik der Westbindung 56 Vgl. Daniel Koerfer: Kampf ums Kanzleramt. Erhard und Adenauer. ND München 2020. 57 Tim Geiger: Atlantiker gegen Gaullisten. Außenpolitischer Konflikt und innerparteilicher Machtkampf in der CDU/CSU (Studien zur Internationalen Geschichte. Bd. 20). München 2008, S. 197. 58 Dominik Geppert: Die Ära Adenauer. 4., vollständig überarbeitete und aktualisierte Ausgabe Darmstadt 2022, S. 137 f. 59 Siehe für den Text der Präambel: https://germanhistorydocs.ghi-dc.org/docpage.cfm?docpage_id=1550 &language=german (Abruf: 17.12. 2022). 60 Eric Roussel: De Gaulle. Bd. 2: 1946 – 1970. Paris 2007, S. 359 f. 61 Geiger: Atlantiker, S. 213. 62 Horst Möller: Franz Josef Strauß. Herrscher und Rebell. München/Berlin 2015, S. 400 f.

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fort.63 Das außenpolitische Vermächtnis Adenauers fasste Kiesinger beim Staatsakt für den verstorbenen Gründungskanzler am 25.April 1967 in die folgenden Worte: „Die Zukunft seines Volkes beruhte ihm in einer engen Verbindung Deutschlands mit der freien, westlichen Welt, in dauernder Versöhnung mit Frankreich und in der Einigung Europas.“64

Entwicklungspolitik und Demokratieförderung Als neues Politikfeld etablierte sich seit den 1950er Jahren die Entwicklungspolitik, also Hilfsmaßnahmen zur Verbesserung der Situation der Bevölkerungen in der damals so genannten Dritten Welt vor dem Hintergrund des Prozesses der Dekolonialisierung in weiten Teilen Afrikas und Asiens. Im Zeitalter des Kalten Krieges handelte es sich dabei zugleich um den Versuch der politischen Einflussnahme auf die neu entstehenden Staaten. Für die Bundesrepublik Deutschland war es hierbei besonders wichtig, mit den Regierungen der Entwicklungsländer in guten Kontakt zu kommen, mussten sich diese mit Blick auf die von der Bundesregierung verfolgte „Hallstein-Doktrin“65 zur internationalen Isolierung der DDR doch in der Regel entscheiden, ob sie mit der Bundesrepublik oder mit der DDR diplomatische Beziehungen aufnahmen.66 Mit Beginn der 4.Wahlperiode wurde noch während der Ära Adenauer Ende 1961 das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit unter der Leitung des FDPPolitikers und späteren Bundespräsidenten Walter Scheel geschaffen. Auch Bundeskanzler Adenauer selbst hatte, wie Peter Molt in seiner Studie überzeugend herausgearbeitet hat, durchaus Interesse am neuen Politikfeld und maß ihm große Bedeutung bei, denn der Kalte Krieg war eben nicht nur die Auseinandersetzung zweier Wirtschaftssysteme, sondern, in den Worten des amerikanischen Historikers Melvyn Leffler, ein Kampf „[f]or the soul of mankind“.67 In diesem Sinne war es laut Adenauer von großer Bedeutung, „ob es dem Westen gelänge, das zum Teil verzerrte Bild, das sich manche Völker Asiens und Afrikas von ihm machten, zu korrigieren und die Sympathien dieser Länder zu gewinnen. Wir mußten der Verpflichtung, die wir als hochentwickelte Industrieländer den weniger begünstigten Gebieten der Welt gegenüber hatten, helfend nachkommen.“68 Von der bundesdeutschen Bevölkerung wurde die neue Politik der Entwicklungshilfe mehrheitlich befürwortet. Bei einem großen Teil der deutschen Bevölkerung waren die eigenen Erfahrungen von Krieg, Hunger, Flucht und Vertreibung noch präsent, die junge Generation begeisterte sich hingegen für das globale entwicklungspolitische Programm, das US-Präsident Kennedy nach seinem Amtsantritt im Januar 1961 lancierte.69 63 Vgl. Klaus Hildebrand: Von Erhard zur Großen Koalition 1963 – 1969 (Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 4). Stuttgart 1984. 64 Dieter Oberndörfer (Hg.): Kurt Georg Kiesinger. Die Grosse Koalition 1966 – 1969. Reden und Erklärungen des Bundeskanzlers. Stuttgart 1979, S. 51. 65 Siehe hierzu näher den Beitrag von Judith Michel in diesem Band. 66 Peter Molt: Die Anfänge der Entwicklungspolitik der Bundesrepublik Deutschland in der Ära Adenauer (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 69). Düsseldorf 2018, S. 23. 67 Vgl. Melvyn P. Leffler: For the soul of mankind. The United States, the Soviet Union, and the Cold War. New York 2007. 68 Konrad Adenauer: Erinnerungen. Bd. 3: 1955 – 1959. 2.Auflage Stuttgart 1978, S. 155. 69 Peter Molt: Artikel Entwicklungspolitik, in: https://www.konrad-adenauer.de/politikfelder/seite/entwicklungspolitik/ (Abruf: 6.1.2023).

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Die Entwicklungshilfe und -zusammenarbeit stellte für den Bundeskanzler insofern eine „Ergänzung zur Außenpolitik“70 dar. Bereits früh setzte er ein Zeichen, indem er den indischen Premierminister Jawaharlal Nehru im Juli 1956 zu einem Staatsbesuch nach Bonn einlud, den Adenauer in seinen Erinnerungen als „die profilierteste Führungspersönlichkeit der jungen asiatischen Staaten beschrieb“.71 Damit trug er zugleich der steigenden Bedeutung der so bezeichneten blockfreien Länder Rechnung. Ein besonderes persönliches Anliegen war dem Bundeskanzler zudem die Entwicklungszusammenarbeit mit dem Staat Israel in Zusammenhang mit den Leistungen zur Wiedergutmachung seit dem Luxemburger Abkommen von 1952. Zwar standen sie in einem besonderen historischen und moralischen Kontext, doch „der Sache nach handelte es sich […] um wirtschaftliche Hilfeleistungen“.72 Die bundesdeutsche Entwicklungspolitik blieb nicht auf das neu gegründete Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit beschränkt. Hinzu traten weitere Akteure wie die christlichen Kirchen und die parteinahen politischen Stiftungen. Bereits Anfang 1962 stellte die CDU-nahe Politische Akademie Eichholz e.V. – die Vorläuferin der Konrad-Adenauer-Stiftung – den Antrag zur Förderung eines Projekts der Politischen Bildung in Caracas in Venezuela. Hierbei handelte es sich um eine direkte Initiative Adenauers, der das Ziel der Herausbildung von westlich orientiertem politischen Führungspersonal in den Entwicklungsländern verfolgte.73 Molt kommt zusammenfassend zu dem Ergebnis: „Zu keinem späteren Zeitpunkt hat seither die Entwicklungspolitik in den bundesdeutschen auswärtigen Beziehungen eine so große Rolle gespielt wie in den letzten Amtsjahren Konrad Adenauers. […] Mit der Einrichtung eines eigenen Bundesministeriums für die Entwicklungszusammenarbeit und der gewichtigen Beteiligung gesellschaftlicher Kräfte, vornehmlich der Kirchen und politischen Stiftungen, begründeten die Bundesregierungen unter seiner Leitung und der seiner Nachfolger Erhard und Kiesinger in den 1960er Jahren einen langfristig international eigenständigen Weg der deutschen Entwicklungszusammenarbeit.“74 Seit diesen Anfängen hat die Entwicklungszusammenarbeit für die Unionsparteien und die ihr nahestehenden politischen Stiftungen stets eine wichtige Rolle gespielt. Während der langen Kanzlerschaften von Helmut Kohl und Angela Merkel hat fast immer ein Christsozialer das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit geführt. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges waren die USA bei der Auswahl ihrer Verbündeten teils nicht zimperlich, es galt nicht selten das Prinzip „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“. Die Bundesrepublik Deutschland befand sich vor dem Hintergrund der deutschen Teilung und der Rivalität mit der DDR in einer besonders schwierigen Situation und ging entsprechend moralische Kompromisse ein, etwa gegenüber den Regimen des Schahs von Persien (Iran) oder in Nord-Vietnam. Gleichwohl waren für den aufgrund seiner jüngsten Vergangenheit „verdächtige[n] Staat“75 die Ideale von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit mehr als bloße Rhetorik und wurden durch die neue Politik der Kooperation mit den Demokratien des Westens auch in die Praxis umgesetzt. Das galt 70 71 72 73 74 75

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Ders.: Anfänge, S. 222. Adenauer: Erinnerungen Bd. 3, S. 178. Molt: Anfänge, S. 246. Ebd., S. 168 f. Ebd., S. 326. Zit. nach Hildebrand: Integration, S. 27.

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umso mehr, als 17 Millionen Deutsche östlich der Elbe nach der NS-Herrschaft eine zweite Diktaturerfahrung machen mussten. Vor diesem Hintergrund galt das programmatische Diktum Adenauers aus seiner berühmten Bundestagrede vom 3.Dezember 1952 in der Debatte über den Deutschlandvertrag und den EVG-Vertrag: „Es ist die Schicksalsfrage Deutschlands. Wir stehen vor der Wahl zwischen Sklaverei und Freiheit. Wir wählen die Freiheit!“76 Dass das keine reine Rhetorik war, zeigten wiederholt die die bundesdeutsche Gesellschaft erschütternden gewalttätigen Ereignisse östlich des „Eisernen Vorhangs“. Die Aufstandsversuche in der DDR 1953, in Ungarn 1956 und in der Tschechoslowakei 1968 stießen auf viel Sympathie, doch wurden sie jeweils von den sowjetischen Truppen blutig niedergeschlagen. Und ein aktives Eingreifen des Westens war unter den damaligen Gegebenheiten des Ost-West-Konflikts nicht möglich. Anders verhielt es sich, als 1975 der langjährige spanische Diktator Francisco Franco starb und sich das Land unter der Ägide des neuen Königs Juan Carlos I. auf den Weg des schrittweisen Übergangs zur Demokratie begab. Kurz zuvor war mit der Nelkenrevolution auch die Zeit der Diktatur im benachbarten Portugal zu Ende gegangen.77 Die CDU – zu jener Zeit in Bonn in der Opposition – unterstützte wie auch die sozial-liberale Koalition aktiv den Übergangsprozess hin zur Demokratie auf der Iberischen Halbinsel. Eine wichtige Rolle spielten zudem die parteinahen Politischen Stiftungen. In ihrer neueren Untersuchung vertritt Natalia Urigüen López de Sandaliano mit Blick auf Spanien die Ansicht, „dass die deutsche Christdemokratie eine entscheidende Rolle in der spanischen Transition gespielt hat“.78 Das Ergebnis der Bemühungen von CDU und KonradAdenauer-Stiftung war allerdings paradox. Der Übergang zur Demokratie gelang, doch die unterstützte Partnerpartei Unión de Centro Democratico (UCD) war nach anfänglichen Erfolgen bald zerstritten, erlitt 1982 eine verheerende Wahlniederlage und löste sich im Jahr darauf auf. Vor diesem Hintergrund kam der Vorsitzende der Adenauer-Stiftung Bruno Heck im April 1983 zu dem Ergebnis, die UCD „hat sich auf lange Sicht nicht als tragbares Fundament für die spanische Demokratie erwiesen. Diese Partei war aber am Anfang und etliche Jahre die einzige mögliche Gruppierung, um die Übergangspolitik zu tragen. Im übrigen glaube ich schon, dass die Tatsache, dass die spanische Verfassung so ist wie sie heute ist, zu einem bemerkenswerten Teil darauf zurückzuführen ist, dass und wie sich die Konrad-Adenauer-Stiftung dabei engagiert hat.“79

Westpolitik in der Ära Kohl Mit dem erfolgreichen konstruktiven Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt wurde Helmut Kohl am 1. Oktober 1982 von den Abgeordneten des Deutschen Bundestages 76 Stenographische Berichte des Deutschen Bundestages. Erste Wahlperiode. 240.Sitzung vom 3.Dezember 1952, S. 11114. 77 Vgl. Matthias Stenger: Transnationale Parteienzusammenarbeit. Die Beziehungen der deutschen und portugiesischen Christlichen Demokraten von der Nelkenrevolution bis zum Vertrag von Maastricht (1974 – 1992) (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 60). Düsseldorf 2011. 78 Natalia Urigüen López de Sandaliano: Deutsche Christliche Demokraten und die Transition Spaniens. Von der Franco-Diktatur zur Demokratie 1975 bis 1982 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 73). Düsseldorf 2021, S. 18. 79 Zit. nach ebd., S. 247.

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zum Bundeskanzler gewählt. Damit kehrten die Unionsparteien nach 13 Jahren in der Opposition zurück an die Macht. Im Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung stand zu jener Zeit die Umsetzung des NATO-Doppelbeschlusses80, die mit zum Scheitern der sozial-liberalen Koalition beigetragen hatte. Um einem drohenden Ungleichgewicht der Kräfte nach der Indienststellung neuer atomarer sowjetischer Raketen vom Typ SS 20 entgegenzuwirken, hatten die NATO-Staaten auf Initiative Schmidts die Nachrüstung mit eigenen Mittelstreckenraketen vom Typ Pershing II beschlossen, verbunden mit einem Gesprächsangebot an die Staaten des Warschauer Pakts zu Verhandlungen über Rüstungsbegrenzung. In der bundesdeutschen Gesellschaft und auch in der SPD selbst war die Entscheidung zur Nachrüstung jedoch umstritten und wurden als Aufrüstung und Eskalation im Ost-West-Konflikt interpretiert.81 Zu Beginn der 1980er Jahre fanden mehrere Massendemonstrationen in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn statt. Helmut Kohl jedoch war entschlossen, den NATO-Doppelbeschluss, dem der Bundestag noch zustimmen musste, auch gegen große Widerstände durchzusetzen. Es gehe, so betonte Kohl in der Bundestagsdebatte anlässlich der Schlussabstimmung vom 21.November 1983, „im entscheidenden Kern um die Frage, ob wir, ob die Bundesrepublik Deutschland willens und fähig ist, sich mit ihren Verbündeten einem Vormachtanspruch der Sowjetunion entgegenzustellen oder nicht. Die außenpolitische Orientierung unseres Landes steht auf dem Spiel. Es darf der Sowjetunion nicht gelingen, mit Hilfe ihrer gewaltigen Rüstungsanstrengungen, die durch kein erkennbares Verteidigungs- und Sicherheitsbedürfnis zu rechtfertigen sind, uns Westeuropäer einzuschüchtern, unsere politische Handlungsfreiheit einzuengen und uns von den Vereinigten Staaten zu trennen.“82 Mit 286 zu 226 Stimmen bei 39 Enthaltungen stimmte eine deutliche Mehrheit der Abgeordneten schließlich für den NATO-Doppelbeschluss. Wie Kohl rückblickend betonte, ging es in dieser Debatte auch um die grundsätzliche Ausrichtung der bundesdeutschen Außenpolitik. Für ihn war entscheidend, „dass der Weg, den CDU, CSU und FDP unter Konrad Adenauer eingeschlagen hatten, nicht verlassen wurde. Wir waren keine Wanderer zwischen Ost und West.“83 In diesem Sinne unterstützte die Regierung Kohl auch die Pläne des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan für eine neue weltraumgestützte Raketenabwehr (SDI-Programm).84 Als sich in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre der Wind der internationalen Beziehungen in Richtung Wandel und Entspannung drehte und mit Michail Gorbatschow ein dialogbereiter Politiker zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion bestimmt worden war, wurde das von der Bundesregierung trotz anfänglicher Befürchtungen in der CDU hinsichtlich einer zu großen amerikanischen Nachgiebigkeit unterstützt. Das Gesprächsangebot zur Rüstungsbegrenzung, das generell seit dem Harmel-Bericht der NATO 1967 mit dem Zweiklang von Sicherheit und Entspannung verankert und im NATO-Doppelbeschluss konkretisiert worden war, konnte nun in 80 Andreas Wirsching: Abschied vom Provisorium. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 1982 – 1990 (Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 6). München 2006, S. 79 – 86. 81 Vgl. Jan Hansen: Abschied vom Kalten Krieg? Die Sozialdemokraten und der Nachrüstungsstreit (1977 – 1987) (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Bd. 112). München 2016. 82 Rede vor dem Deutschen Bundestag zum NATO-Doppelbeschluss vom 21.  November 1983, in: https://www.bundeskanzler-helmut-kohl.de/seite/21-november-1983/ (Abruf: 11.1.2023). 83 Helmut Kohl: Erinnerungen. Bd. 2: 1982 – 1990. München 2005, S. 200. 84 Wirsching: Provisorium, S. 501 f.

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die Tat umgesetzt werden. Gerade die Politik der Stärke und die Bereitschaft zur Wehrhaftigkeit in der ersten Hälfte des Jahrzehnts im engen Dialog zwischen Bonn und Washington hatten dafür erst die Voraussetzung geschaffen. Ihren vermutlichen Höhepunkt erreichten die deutsch-amerikanischen Beziehungen in der Amtszeit von George H. Bush (1989 – 1993). Bereits bei seinem Deutschlandbesuch im Mai 1989 sprach der bisherige Vizepräsident und neue US-Präsident von „partners in leadership“ 85 und gab damit zu erkennen, welch wichtige nicht nur wirtschaftliche, sondern auch außenpolitische Rolle er der Bundesrepublik zudachte. In der Zeit des Mauerfalls und der Verhandlungen über die deutsche Wiedervereinigung waren die USA dann der aktivste und wichtigste Verbündete der Deutschen,86 gegen die auch teils kritische Stimmen unter anderem aus Frankreich und Großbritannien nicht ankamen. Mit seiner klaren Politik der transatlantischen Partnerschaft in den 1980er Jahren hatte Kohl das Fundament für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gelegt, was sich in den Jahren 1989/90 auszahlte, denn „[n]ur er und der US-Präsident George Bush wollten etwas erreichen, die anderen eher etwas verhindern“.87 Die Bush-Administration hegte keine Zweifel daran, dass ein wiedervereinigtes Deutschland unter Kohl keine erneute Schaukelpolitik betreiben, sondern weiterhin fester Teil des Westens bleiben würde. In der Frage einer NATO-Mitgliedschaft Deutschlands bestand zwischen beiden Seiten kein Dissens. Und umgekehrt war Kohl, in den Worten von Hans-Peter Schwarz, sehr wohl bewusst, „daß ohne die Bush-Administration wenig, mit ihr aber alles möglich ist“.88 Das gegenseitige Vertrauen und die engen Absprachen waren der Schlüssel zum Erfolg in den bilateralen Verhandlungen mit Moskau sowie bei den 2 + 4-Gesprächen. Nach der Wiedervereinigung und dem Ende des Kalten Krieges gestalteten sich die transatlantischen Beziehungen zwar etwas schwieriger, weil sich etwa durch den Zerfall Jugoslawiens neue internationale Herausforderungen ergaben, Deutschland seine neue außenpolitische Rolle erst noch finden musste und sich, wie im ersten Golfkrieg, zunächst durch „Scheckbuchdiplomatie“ aus der Affäre zog.89 Doch auch das Verhältnis zwischen Kohl und dem 1993 ins Amt gekommenen US-Präsidenten Bill Clinton war trotz einiger inhaltlicher Differenzen eng und freundschaftlich – bei der Trauerfeier für den Altkanzler im Europäischen Parlament am 1.Juli 2017 hielt Clinton eine bewegende Ansprache. Auch unter Angela Merkel setzte sich die Tradition guter transatlantischer Beziehungen fort, zunächst als Oppositionsführerin, als sie Anfang 2003 in einem Gastartikel in der Washington Post unter dem Titel „Schröder spricht nicht für alle Deutschen“ im Vorfeld des Irak-Kriegs die Politik und die antiamerikanische Rhetorik des sozialdemokratischen Bundeskanzlers kritisierte,90 sodann ab 2005 als Bundeskanzlerin, wobei das Verhältnis zu Barack Obama besonders gut war, während unter Donald Trump eine deutliche Entfremdung stattfand. 85 Matthias Oppermann: Art. Transatlantische Beziehungen, in: https://www.bundeskanzler-helmut-kohl. de/seite/transatlantische-beziehungen/#anchor-10 (Abruf: 12.1.2023). 86 Christian Hacke: Zur Weltmacht verdammt. Die amerikanische Außenpolitik von J. F. Kennedy bis George W. Bush. Aktualisierte Neuauflage Berlin 2005, S. 459. 87 Henning Köhler: Helmut Kohl. Ein Leben für die Politik. Die Biografie. Köln 2014, S. 626. 88 Hans-Peter Schwarz: Helmut Kohl. Eine politische Biographie. 2.Auflage München 2012, S. 568. 89 Manfred Görtemaker: Die Berliner Republik. Wiedervereinigung und Neuorientierung (Deutsche Geschichte im 20.Jahrhundert. Bd. 16). Berlin 2009, S. 70. 90 Ralph Bollmann: Angela Merkel. Die Kanzlerin und ihre Zeit. München 2021, S. 239 f.

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Für den Pfälzer Helmut Kohl besaß das Verhältnis zu Frankreich eine besondere Bedeutung, in seinen Erinnerungen spricht er gar von einem „Herzensthema“.91 Schon als Heranwachsender hatte er sich 1947 als begeisterter Anhänger des Europagedankens am Niederreißen von Schlagbäumen an der Grenze zum Elsass beteiligt.92 Auch auf diesem Politikfeld erwies er sich als würdiger „Enkel“ des Gründungskanzlers und ersten CDUParteivorsitzenden. Bei einer Veranstaltung der Reihe „Die Ära Kohl im Gespräch“ der Konrad-Adenauer-Stiftung beschrieb Kohl 2002 seine Grundüberzeugung in Bezug auf Frankreich folgendermaßen: „Von Adenauer kannte ich den Ausspruch, man müsse die Trikolore dreimal grüßen und die Bundesflagge nur einmal – nicht aus mangelndem Respekt vor der Bundesflagge, sondern aus dem einfachen Hinnehmen der Grande Nation. Das war, glaube ich, eine sehr vernünftige Einstellung.“ 93 Obwohl sie aus unterschiedlichen Parteifamilien kamen, entwickelte sich bald ein enges Verhältnis Kohls zum französischen Präsidenten François Mitterrand.94 Im Jahr 1983 wurde das 20.Jubiläum des Élysée-Vertrags feierlich begangen und der französische Präsident hielt aus diesem Anlass eine Rede vor dem Deutschen Bundestag. Zum 70.Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs kam es am 22.September 1984 zum berühmten Händehalten zwischen Kohl und Mitterrand in Verdun, wohin Kohl bereits als junger Erwachsener mehrmals gereist war und wo sein Vater einst gekämpft hatte.95 Neben dem Bild von Adenauer und de Gaulle in der Kathedrale von Reims 1962 handelt es sich hierbei wohl um die wichtigste symbolische Geste der deutsch-französischen Versöhnung und Freundschaft, die zudem in einer schriftlichen Erklärung beider Staatsmänner bekräftigt wurde. Im 25.Jahr der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags 1988 wurde Kohl und Mitterrand gemeinsam der Aachener Karlspreis für ihre Verdienste um das bilaterale Verhältnis und die europäische Verständigung verliehen. Zum Jubiläum im Januar des Jahres war bereits ein bilateraler Verteidigungsrat gegründet und die Gründung der integrierten deutsch-französischen Brigade beschlossen worden. In seiner Ansprache bei der Preisverleihung in Aachen wertete der Bundeskanzler das Aufstellen integrierter Streitkräfte als „Symbol für die Schicksalsgemeinschaft, zu der unsere Länder mehr denn je zusammengewachsen sind“.96 Der Fall der Berliner Mauer und der Prozess der Wiedervereinigung stellten diese Schicksalsgemeinschaft alsbald vor eine große Herausforderung, doch konnte ein Bruch letztendlich vermieden werden. Mitterrand fürchtete ein Machtungleichgewicht zugunsten eines wiedervereinigten Deutschlands, zudem informierte ihn Kohl nicht vorab über seinen am 28.November 1989 im Bundestag präsentierten Zehn-Punkte-Plan – was allerdings für alle ausländischen Staatsführer außer George Bush und im Inland selbst für Außenminister Hans-Dietrich Genscher galt. Mitterrand reagierte als Gastgeber auf dem EG-Gipfel am 9.Dezember 1989 in Straßburg mit kühler Ablehnung und zudem mit be91 92 93 94

Helmut Kohl: Erinnerungen. Bd. 1: 1930 – 1982. München 2004, S. 149. Schwarz: Kohl, S. 56 f. Diskussionsbeitrag Helmut Kohls in den HPM 10 (2003), S. 312. Ulrich Lappenküper: Art. François Mitterrand, in: https://www.bundeskanzler-helmut-kohl.de/personen-1/francois-mitterrand/ (Abruf: 12.1.2022); vgl. auch ders.: Mitterrand und Deutschland. Die enträtselte Sphinx (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte. Bd. 89). München 2011. 95 Jürgen Hartmann: Das Frankreichbild Helmut Kohls, in: HPM 20 (2013), S. 233 – 245, hier 235. 96 Ansprache von Helmut Kohl anlässlich der Verleihung des Internationalen Karlspreises in Aachen am 1.November 1988, in: https://www.bundeskanzler-helmut-kohl.de/seite/1-november-1988/ (Abruf: 12.1.2022).

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zeichnender Symbolik. So hatte er sich erst drei Tage zuvor zu einem Gespräch mit Gorbatschow getroffen. Er reiste darüber hinaus vom 20. bis 22.Dezember 1989 zu einem bereits länger vereinbarten Staatsbesuch in die DDR.97 Der Beginn des Besuchs lag einen Tag nach Kohls umjubelter Dresdener Rede und wirkt dadurch noch anachronistischer. Bei mehreren persönlichen Begegnungen fanden Kohl und Mitterrand im Laufe des Jahres 1990 wieder zusammen. Der gemeinsame Kitt lautete Europa. Bereits in den 1980er Jahren war es insbesondere mit der Verabschiedung der Einheitlichen Politischen Akte gelungen, die sogenannte Eurosklerose zu überwinden. Der Weg zur Wirtschafts- und Währungsunion war bereits beschritten, der Zeitplan allerdings noch unklar. Insofern gab es kein Tauschgeschäft „Einheit gegen Aufgabe der D-Mark“, doch haben die Verhandlungen über die deutsche Wiedervereinigung den europäischen Integrationsprozess vermutlich beschleunigt. Gemäß seinem Motto „deutsche und europäische Einigung sind zwei Seiten derselben Medaille“98 erhielt in den 1990er Jahren die Europapolitik für Kohl noch größere Bedeutung und es wurden wegweisende Schritte zur Erweiterung und Vertiefung unternommen: mit dem Vertrag von Maastricht 1992, der Einführung des Europäischen Binnenmarktes 1993 und dem Vertrag von Amsterdam 1997. Für seine Verdienste ernannten die EU-Staats- und Regierungschefs im Dezember 1998 Kohl als zweite Person nach Jean Monnet zum Ehrenbürger Europas. Als erster Staatsmann überhaupt wurde er nach seinem Ableben mit einem Staatsakt im Europäischen Parlament in Straßburg geehrt.99

Besondere Verantwortung für den Staat Israel Ein wichtiges Anliegen christlich-demokratischer (Außen-)Politik und der Bundesregierungen von Adenauer bis Merkel war die besondere Verantwortung Deutschlands für das Judentum und den Staat Israel infolge des Menschheitsverbrechens des Holocaust. 1952 wurde das Luxemburger Abkommen über Wiedergutmachungsleistungen geschlossen. Im Jahr 1960 trafen David Ben-Gurion und Adenauer persönlich in New York zusammen und im Rahmen seiner Israel-Reise 1966 besuchte der Altkanzler Ben-Gurion im Kibbuz Sde Boker. Im Jahr zuvor hatten die Bundesrepublik unter Bundeskanzler Erhard und Israel offiziell diplomatische Beziehungen aufgenommen. Aus dem Dezember 1966 ist folgende Einschätzung Ben-Gurions über Adenauer überliefert: „Meine Wertschätzung für Adenauer, den ich 1960 in New York getroffen habe, beruht nicht nur auf meinen Eindrücken während dieser Begegnung. Ich habe seine Politik und seine Leistungen verfolgt und außerdem mit ihm korrespondiert. All das bestärkt mich in der Ansicht, daß er in die deutsche und in die europäische Geschichte als einer der großen Staatsmänner unserer Zeit eingehen wird. Ihm vor allem gebührt der Kredit für den wirtschaftlichen, politischen und moralischen Wiederaufbau seines Landes nach dem Schrecken und der Schande des Nazi-Regimes.“100

97 Schwarz: Kohl, S. 559 – 564. 98 Dominik Geppert: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. München 2021, S. 69. 99 Jürgen Elvert: Art. Europäische Einigung, in: https://www.bundeskanzler-helmut-kohl.de/seite/europaeische-einigung/#anchor-1 (Abruf: 12.1.2022). 100 Zit. nach Michael Borchard: Eine unmögliche Freundschaft. David Ben-Gurion und Konrad Adenauer. Freiburg i. Br. 2019, S. 282.

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Bei ihrem Israel-Besuch im Jahr 2008 fuhr Bundeskanzlerin Merkel in den Kibbuz Sde Boker und legte am Grab Ben-Gurions einen Kranz nieder. In ihrer Rede vor der Knesset am 18.März 2008 betonte sie das besondere deutsche Verhältnis zum Staat Israel: „Jede Bundesregierung und jeder Bundeskanzler vor mir waren der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels verpflichtet. Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar.“101

Fazit In über sieben Jahrzehnten bundesrepublikanischer Geschichte hat die CDU in rund 50 Jahren den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin gestellt und die bundesdeutsche Diplomatie in Bonn und später in Berlin auf diese Weise wesentlich geprägt. Die Grundsätze christdemokratischer Außenpolitik seit Konrad Adenauer, basierend auf dem Prinzip der Westbindung, zeichnen sich dabei durch eine bemerkenswerte Kontinuität aus und haben sich insgesamt als stabil und verlässlich erwiesen. Vor dem Hintergrund neuer Herausforderungen seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine am 24.Februar 2022 darf Deutschland sich im westlichen Bündnis und in Europa nicht isolieren und – wie teils bereits zwischen 1998 und 2005 geschehen – international als „Republik ohne Kompass“102 agieren. Auch im 21.Jahrhundert bleiben die transatlantische Sicherheitspartnerschaft mit den USA in der NATO und die Freundschaft zu Frankreich im Rahmen der erweiterten Europäischen Union für eine erfolgreiche deutsche Außenpolitik unverzichtbar.

101 Angela Merkel: Die großen Reden. München 2021, S. 37. 102 Vgl. Hans-Peter Schwarz: Republik ohne Kompass. Anmerkungen zur deutschen Aussenpolitik. Berlin 2005.

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Deutschlandpolitik und deutsche Einheit Judith Michel Einheit nur in Freiheit – Konrad Adenauers deutschlandpolitische Weichenstellungen Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa übernahmen die vier Hauptsiegermächte im Juni 1945 die oberste Regierungsgewalt im besiegten Deutschland. Anschließend beschlossen die USA, Großbritannien und die Sowjetunion auf der Potsdamer Konferenz die Errichtung von vier Besatzungszonen. Die Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie wurden unter polnische Verwaltung gestellt, der nördliche Teil Ostpreußens um Königsberg von der Sowjetunion annektiert. Die endgültige Entscheidung über diese Gebiete sollte erst mit einem Friedensvertrag gefällt werden. Schon bald wurde deutlich, dass sich der Konsens der Anti-Hitler-Koalition auflöste. Die Verhärtung der Fronten zwischen den Westmächten und der Sowjetunion wirkte sich unmittelbar auf das besetzte Deutschland aus: Während in den Folgejahren in den drei westlichen Besatzungszonen demokratische und marktwirtschaftliche Strukturen aufgebaut wurden und 1949 die Bundesrepublik Deutschland entstand, wurde in der sowjetischen Besatzungszone eine kommunistische Einparteienherrschaft in Abhängigkeit von Moskau errichtet und mit der DDR ein Separatstaat gegründet. Konrad Adenauer hatte bereits früher als viele seiner Zeitgenossen erkannt, dass der Expansionsdrang der kommunistischen Sowjetunion zur Spaltung Deutschlands und Europas führen würde.1 Vor diesem Hintergrund ging es Adenauer zunächst darum, die Freiheit Westdeutschlands zu sichern, was für ihn nur durch eine enge Bindung an einen starken Westen gelingen konnte. Nach Bildung der ersten Bundesregierung formulierte Adenauer 1949 den Alleinvertretungsanspruch als deutschlandpolitische Doktrin. Da nur in der Bundesrepublik freie Wahlen stattgefunden hätten folgerte er: „Die Bundesrepublik Deutschland ist somit bis zur Erreichung der deutschen Einheit insgesamt die alleinige legitimierte staatliche Organisation des deutschen Volkes.“2 Dieser Kernstaat habe gemäß dem Auftrag des Grundgesetzes darauf hinzuwirken, die Einheit und Freiheit Deutschlands in freier Selbstbestimmung zu vollenden. Eine Anerkennung des in der sowjetischen Zone errichteten kommunistischen Regimes beziehungsweise der DDR als Staat konnte somit nicht in Frage kommen.

1 Vgl. Anlage zu einem Schreiben Konrad Adenauers an Heinrich Weitz vom 31. Oktober 1945, in: Konrad Adenauer: Briefe über Deutschland 1945 – 1955. Eingeleitet und ausgewählt von Hans Peter Mensing (Rhöndorfer Ausgabe). München 1999, S. 30 f. 2 Regierungserklärung Konrad Adenauers am 21. Oktober 1949, in: BT Plenarprotokoll 01/13, S. 307 – 309, hier 308.

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Adenauers langfristiges Konzept zur Erlangung der Einheit in freier Selbstbestimmung war heftig umstritten. Er erntete nicht nur Kritik seitens der Sozialdemokraten3, sondern auch aus den eigenen Reihen. Insbesondere im Berliner Gründerkreis der CDU um Jakob Kaiser, Andreas Hermes und Walther Schreiber standen viele Adenauers Politik der Westbindung skeptisch gegenüber. Sie befürchteten, diese werde den Weg zur Wiedervereinigung erschweren. Sie hofften vielmehr darauf, ein geeintes Deutschland könne neutrale Brücke zwischen Ost und West sein. Auch viele Mitglieder der CDU in der Sowjetischen Besatzungszone setzten ihre Hoffnung auf Kaisers Brückentheorie.4 Die Unterstützung für die Brückentheorie war bereits seit der sowjetischen Blockade Berlins 1948/49 maßgeblich zurückgegangen. Spätestens mit der blutigen Niederschlagung des Volksaufstands vom 17. Juni 1953 in der DDR wurde offensichtlich, dass eine Vereinigung auf Grundlage freier Selbstbestimmung derzeit nicht zu erreichen war. Innenpolitisch nahm die Zustimmung zu Adenauers Westbindungspolitik daher entscheidend zu. Indem er Kaiser zum Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen berief, gelang es ihm zudem, die Kräfte in die Union einzubinden, die an die baldige Möglichkeit glaubten, die nationalstaatliche Einheit zu erhalten.5 Gleichzeitig erteilte Adenauer aber jeglichen Neutralisierungsplänen eine Absage: „Die Wiedervereinigung in einem neutralisierten und damit isolierten Gesamtdeutschland wäre eine Wiedervereinigung unter kommunistischem Vorzeichen.“6 Ebenso konnte es eine Schaukelpolitik zwischen Ost und West – ehemals ein Signum deutscher Außenpolitik – unter Adenauer nicht geben. Vor diesem Hintergrund ist auch seine ablehnende Haltung gegenüber der sogenannten Stalin-Note zu verstehen. Am 10. März 1952 bot die Sowjetunion den Westmächten ein neutrales Gesamtdeutschland an, mit dem ein Friedensvertrag abgeschlossen werden sollte. Adenauer ging ebenso wie die Westmächte – die eigentlichen Adressaten der Note – davon aus, dass das Angebot nicht ernst gemeint sei, sondern lediglich ein Störmanöver gegenüber seiner Westbindungspolitik darstellte, was ihm den Vorwurf einbrachte, eine Möglichkeit zur Einheit nicht hinreichend ausgelotet zu haben.7 Adenauer versuchte, weitreichende Souveränität für die unter Besatzung stehende junge Bundesrepublik zu erlangen, ihre Integration in den Westen weiter voranzutreiben und die Westmächte auf das Ziel der deutschen Einheit festzulegen. Dies gelang ihm 3 Vgl. Alexander Gallus: Die Neutralisten. Verfechter eines vereinten Deutschland zwischen Ost und West 1945 – 1990 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bd. 127). Düsseldorf 2001, S. 65 – 75. 4 Vgl. Ralf Thomas Baus: Die Christlich-Demokratische Union Deutschlands in der sowjetisch besetzten Zone 1945 bis 1948. Gründung – Programm – Politik (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 36). Düsseldorf 2001, S. 259 – 268, 278. 5 Vgl. Manuela Glaab: Deutschlandpolitik der Bundesrepublik Deutschland, in: Werner Weidenfeld/ Karl-Rudolf Korte (Hg.): Handbuch zur deutschen Einheit 1949 – 1989 – 1999 (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung. Bd. 363). Bonn 1999, S. 239 – 252, hier 240. 6 Interview mit Konrad Adenauer, in: Politisch-Soziale Korrespondenz 5/1, 1. Januar 1956, S. 3. 7 Zu den Stalin-Noten vgl. z. B. Peter Ruggenthaler: Stalins großer Bluff. Die Geschichte der Stalin-Note in Dokumenten der sowjetischen Führung. München 2007; Hans-Peter Schwarz (Hg.): Die Legende von der verpassten Gelegenheit. Die Stalin-Note vom 10. März 1952 (Rhöndorfer Gespräche. Bd. 5). Stuttgart 1982; Gerhard Wettig: Die Stalin-Note. Historische Kontroverse im Spiegel der Quellen. (Diktatur und Demokratie im 20. Jahrhundert. Bd. 1.). Berlin 2015, und Jürgen Zarusky (Hg.): Die Stalin-Note vom 10. März 1952. Neue Quellen und Analysen (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Bd. 84). München 2002.

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zum einen durch seinen Einsatz für die europäische Integration, dessen Herzstück die deutsch-französische Aussöhnung bildete. Zum anderen wurden im Oktober 1954 nach zähem Ringen die Pariser Verträge verabschiedet. Diese enthielten unter anderem den Deutschlandvertrag, der das Besatzungsstatut aufhob und der Bundesrepublik weitreichende Souveränität zubilligte. Zugleich hielt er die deutsche Frage weiter offen, da er die alliierten Vorbehaltsrechte für Deutschland als Ganzes und den Grenzvorbehalt bis zum Abschluss eines Friedensvertrags bestätigte. Zudem erklärten die Westmächte, sich für die Wiedererlangung der deutschen Einheit mit friedlichen Mitteln einsetzen zu wollen. Die Pariser Verträge regelten außerdem die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik im Rahmen der NATO und der Westeuropäischen Union, wodurch Westdeutschland zugleich die amerikanische Sicherheitsgarantie gewann.8 Für Adenauer schlossen sich Westintegration und Wiedervereinigung keinesfalls aus. Die Integration in den Westen war für ihn vielmehr die Voraussetzung für die Einheit: Nur ein freier, starker, geeinter und prosperierender Westen werde es mit der Sowjetunion aufnehmen können und letztlich wie ein Magnet auf den Osten wirken. Erst nach Abbau weltweiter Spannungen und in einer Schwächephase der Sowjetunion könne die Einheit in Frieden und Freiheit erlangt werden.9 Adenauer folgte jedoch keinem Geschichtsdeterminismus, wenn er davon sprach, dass über eine Politik der Stärke und internationale Entspannung die Einheit erlangt werden würde.10 Für ihn war die Wiedervereinigung „ein reales Grundziel seiner Politik und nicht deklamatorisches Beiwerk. Dieses Grundziel figurierte dem Rang nach jedoch als strategisches Langziel und war dem strategischen Nahziel der ‚Freiheit‘ untergeordnet.“11 Wie sich 1989/90 herausstellen sollte, hatte Adenauer mit seinem Wiedervereinigungskonzept bereits in den 1950er Jahren wichtige deutschlandpolitische Weichen für den späteren Einigungsprozess gestellt.

Konrad Adenauers deutschlandpolitische Geheimpläne Der Deutschlandvertrag schuf die grundsätzliche Voraussetzung für eine operative Ostund Deutschlandpolitik der Bundesregierung. Im Rahmen der Westbindung war Adenauer nun bereit, neue Akzente zu setzen, ohne jedoch seine deutschlandpolitischen Grundprinzipien offiziell zur Disposition zu stellen. Bereits im September 1955 reiste er nach Moskau. Diese Reise hatte zunächst einmal nur dem gegenseitigen Kennenlernen dienen sollen. Die wechselseitige diplomatische Anerkennung sollte nicht ohne Fortschritte in der Wiedervereinigungsfrage erfolgen. Die Verhandlungen entwickelten vor Ort jedoch eine Dynamik, die dazu führte, dass 8 Vgl. Hans-Peter Schwarz: Adenauer. Der Staatsmann: 1952 – 1967. Stuttgart 1991, S. 140 – 177. 9 Vgl. dazu z. B. Konrad Adenauer vor internationaler Presse am 23. Oktober 1954 im Hotel Bristol in Paris, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 202, 26. Oktober 1954, S. 1782. 10 Vgl. Peter Siebenmorgen: Gezeitenwechsel. Aufbruch zur Entspannungspolitik. Bonn 1990, S. 73, und Rudolf Morsey: Die Deutschlandpolitik Adenauers. Alte Thesen und neue Fakten. Opladen 1991, S. 20 – 24. 11 Klaus Gotto: Adenauers Deutschland- und Ostpolitik 1954 – 1963, in: Rudolf Morsey/Konrad Repgen (Hg.): Adenauer Studien III. Untersuchungen und Dokumente zur Ostpolitik und Biographie (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe B: Forschungen. Bd. 15). Mainz 1974, S. 3 – 91, hier 7.

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die Aufnahme diplomatischer Beziehungen gegen Freilassung der restlichen rund 10.000 deutschen Kriegsgefangenen bei Wahrung der Rechtsposition der Bundesregierung beschlossen wurde. Obgleich in Moskau keine unmittelbaren deutschlandpolitischen Erfolge erzielt wurden, argumentierte Adenauer rückblickend, der Botschafteraustausch sei im Interesse der Bundesrepublik gewesen, da er ihr internationales Gewicht stärkte. Auch könne ohne Moskau nicht ernsthaft über die deutsche Einheit verhandelt werden, weshalb direkte Beziehungen zur östlichen Siegermacht unverzichtbar seien. Problematisch war jedoch die Tatsache, dass nun zwei deutsche Vertretungen in Moskau präsent waren, was im Widerspruch zum Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik stand.12 Vor diesem Hintergrund wurde die sogenannte Hallstein-Doktrin formuliert, nach der es die Bundesrepublik als „unfreundlichen Akt“ betrachtete, wenn dritte Staaten die DDR völkerrechtlich anerkannten. Ziel war es, die DDR weiterhin international zu isolieren. Die Sowjetunion als eine der vier für Deutschland als Ganzes verantwortlichen Mächte war hiervon ausgenommen.13 Trotz der Hallstein-Doktrin war Adenauers Ost- und Deutschlandpolitik keinesfalls unflexibel. Ab Mitte der 1950er Jahre entwickelte er hinter den Kulissen recht undogmatische Vorschläge und signalisierte gegenüber der Sowjetunion Verhandlungsbereitschaft. So schlug er der UdSSR im Frühjahr 1958 die sogenannte Österreich-Lösung vor. Adenauers Frage lautete, ob die Sowjetunion bereit sei, „der ‚DDR‘ den Status Österreichs zu geben“14. Dies hätte die Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik als zweiter deutscher Staat unter der Bedingung der Neutralität, des Verbots eines Beitritts zur Bundesrepublik und der vollen inneren Selbstbestimmung der DDR bedeutet. Unter dem Eindruck der zweiten Berlin-Krise arbeitete der Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Hans Globke, Anfang 1959 den nach ihm benannten und von Adenauer gebilligten Globke-Plan aus, welcher der Sowjetunion jedoch letztlich nicht unterbreitet wurde. Der Plan enthielt einige bemerkenswerte Zugeständnisse wie die Anerkennung der DDR, die Umwandlung Berlins in eine freie Stadt und eine indirekte Akzeptanz der Ostgrenzen. Vorab sollte jedoch ein fünfjähriges Moratorium stehen, währenddessen unter anderem den Menschen in der DDR wichtige Grundrechte zugestanden werden und an dessen Ende Volksabstimmungen über die Wiedervereinigung stattfinden sollten. Entschied sich die Mehrheit gegen die Einheit, hätten die Bundesrepublik und die DDR zwei getrennte souveräne Staaten werden sollen. Im Falle einer Einheit hätte sich das geeinte Deutschland für eine Mitgliedschaft in der NATO oder im Warschauer Pakt entscheiden müssen. Der Teil Deutschlands, dessen Mitgliedschaft im Militärbündnis aufgekündigt worden wäre, hätte entmilitarisiert werden sollen. Für die Neutralität hätte das geeinte Deutschland hingegen nicht votieren dürfen.15 12 Zur Moskau-Reise vgl. Werner Kilian: Adenauers Reise nach Moskau. Freiburg i. Br. 2005, und Michael Borchard: Die deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion. Zur politischen Bedeutung der Kriegsgefangenenfrage 1949 – 1955 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 35). Düsseldorf 2000. 13 Zur Hallstein-Doktrin vgl. Werner Kilian: Die Hallstein-Doktrin. Der diplomatische Krieg zwischen der BRD und der DDR 1955 – 1973. Aus den Akten der beiden deutschen Außenministerien (Zeitgeschichtliche Forschungen. Bd. 7). Berlin 2001 und William G. Gray: Germany’s Cold War. The Global Campaign to Isolate East Germany 1949 – 1969. Chapel Hill 2003. 14 Konrad Adenauer: Erinnerungen 1955 – 1959. 2. Aufl. Stuttgart 1978, S. 378. 15 Vgl. die Ausarbeitung von Hans Globke von 1959, in: ACDP 01-070 – 025/2.

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Im Juni 1962 schlug Adenauer schließlich dem sowjetischen Botschafter in Bonn, Andrei Smirnow, ein Stillhalteabkommen für zehn Jahre vor, für den sich später der Begriff „Burgfriedensplan“ einbürgerte. Mit dem Burgfriedensplan griff Adenauer zwei Elemente des Globke-Plans auf: eine mehrjährige Interimsphase und die Forderung nach menschlichen Erleichterungen. Bei all diesen Vorschlägen wäre Adenauer bereit gewesen, das Ziel der Wiedervereinigung auf längere Sicht aufzuschieben, wenn dafür den Menschen in der DDR mehr Freiheiten gewährt würden. Die Österreich-Lösung und der Globke-Plan hätten gar eine Anerkennung der DDR enthalten. Trotz dieser spektakulären Zugeständnisse, sich mit der DDR ein Stück weit zu arrangieren, hielt Adenauer jedoch an zwei Prinzipien fest: dem Selbstbestimmungsrecht und der Ablehnung eines neutralen Gesamtdeutschlands.16 Hauptmotivation für Adenauers deutschlandpolitische Vorstöße war – insbesondere seit dem Mauerbau von 1961 – die Lage der Menschen in der DDR zu verbessern: „Wenn in der Sowjetzone eine Lage entstehen würde, die den Menschen ein Leben in Freiheit nach ihren Wünschen ermöglicht, läßt die Bundesrepublik über vieles mit sich reden. Das Entscheidende ist das Leben der Menschen nach humanen Gesichtspunkten.“17 Langfristig sollten die Menschen in der DDR durch ein freieres Leben eine stärkere Widerstandskraft gegen den Kommunismus entwickeln. Die Stillhalteelemente sollten einen Beitrag dazu leisten, die deutsche Frage aus den Verhandlungen zwischen den Siegermächten herauszuhalten, indem sie zeitweise neutralisiert würde. Dies hatte den Hintergrund, dass Adenauer zu dieser Zeit mit ungünstigen deutschlandpolitischen Entscheidungen im Rahmen der Ost-West-Verhandlungen rechnete – insbesondere die USA und Großbritannien hielt der Kanzler für zu konzessionsbereit gegenüber der UdSSR. Adenauer wollte außerdem in der festgefahrenen innen- und außenpolitischen Diskussion um die deutsche Frage seit Mitte der 1950er Jahre selbst die Initiative ergreifen und konkrete Vorschläge zu ihrer Lösung unterbreiten, um den guten Willen der Sowjetunion auf die Probe zu stellen. Dabei zeigte sich, dass diese nicht bereit war, auf Adenauers Vorschläge einzugehen. Die Gründe werden nicht nur darin gelegen haben, dass Adenauer am Prinzip freier Wahlen vor einer Wiedervereinigung und der Ablehnung eines neutralen Gesamtdeutschlands festhielt. Der Kanzler beharrte darüber hinaus auf seinem Standpunkt, dass den 17 Millionen Deutschen in der DDR nur dann geholfen werden könne, wenn die Bundesrepublik ihre Freiheit in enger Westbindung erhalten könne – schließlich helfe es ihnen nichts, wenn Westdeutschland ebenfalls unter kommunistischen Einfluss gerate. Bei aller Prinzipientreue war Adenauers Deutschlandpolitik jedoch nicht starr oder auf juristische Formeln beschränkt. Auch hatte er kein unverrückbares Konzept, sondern verschiedene sich ergänzende Elemente von Lösungsansätzen, die er je nach Situation und Gesprächszusammenhang kombinierte.

16 Vgl. Volker Erhard: Adenauers deutschlandpolitische Geheimkonzepte während der zweiten BerlinKrise 1958 – 1962. Hamburg 2003; Gotto: Adenauers Deutschland- und Ostpolitik, S. 10 – 12, 49 – 55, 70 – 83; Morsey: Deutschlandpolitik Adenauers, S. 38 – 44. 17 Konrad Adenauer: Maximen für die Gegenwart. Rat und Mahnung des ersten deutschen Bundeskanzlers. Hg. von Klaus Otto Skibowski. Stuttgart 1974, S. 29.

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Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger als Wegbereiter für die „Neue Ostpolitik“? In der damaligen Konstellation des Kalten Kriegs blieben Adenauers Konzepte wenig mehr als Gedankenspiele, die nicht in operative Politik überführt werden konnten. Mit zunehmender Entspannungsbereitschaft der Supermächte entwickelte sich in den 1960er Jahren jedoch eine Situation, in der die Bundesrepublik stärker auf den Osten zugehen konnte beziehungsweise musste, wollte sie international nicht als rückwärtsgewandt wahrgenommen werden und sich im westlichen Lager isolieren. Adenauers Nachfolger Ludwig Erhard und dessen Außenminister Gerhard Schröder leiteten daher eine „Politik der Bewegung“ ein. Sie zielten unter Ausnutzung des wirtschaftlichen Gewichts der Bundesrepublik darauf ab, die Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten zu verbessern, ohne den Alleinvertretungsanspruch aufzugeben. Bereits unter Adenauer war eine Handelsvertretung in Warschau errichtet worden. Nun folgten 1963/64 Vertretungen in Bukarest, Budapest und Sofia. Ziel war es, auf diesem Weg die DDR im östlichen Lager zu isolieren und in den osteuropäischen Staaten Vertrauen zu schaffen. Obwohl man mit der Errichtung der Handelsvertretungen unterhalb der Ebene diplomatischer Beziehungen blieb, wurde die Hallstein-Doktrin damit aufgeweicht.18 Da Moskau bei diesen ostpolitischen Vorstößen ausgeklammert blieb, konnten auf diesem Weg auch keine deutschlandpolitischen Fortschritte erzielt werden. Am 25. März 1966 schlugen Erhard und Schröder schließlich den Warschauer Pakt-Staaten – mit Ausnahme der DDR – in einer Friedensnote den Austausch von Gewaltverzichtserklärungen vor. Die Adressaten reagierten verhalten auf die Note, da in ihr keine deutschlandpolitischen Rechtspositionen der Bundesrepublik aufgegeben wurden.19 Nachdem unter Kurt Georg Kiesinger die erste Große Koalition gebildet worden war, rückte der Bundeskanzler im außenpolitischen Teil seiner Regierungserklärung die Ostpolitik an die erste Stelle. Er setzte damit neue Akzente und bezog indirekt auch die DDR in das Angebot eines Gewaltverzichts ein.20 In den Jahren 1967/68 knüpften Kiesinger und sein sozialdemokratischer Außenminister Willy Brandt nun an die Vorarbeit von Gerhard Schröder an und errichteten eine Handelsmission in Prag, vereinbarten einen Botschafteraustausch mit Jugoslawien und nahmen diplomatische Beziehungen mit Rumänien auf. Die Bundesregierung verfolgte damit weiter die Taktik, ohne Anerkennung der DDR Kontakte mit den osteuropäischen Staaten zu knüpfen, während die DDR gleichzeitig keine Kontakte zu den westlichen Staaten hatte. Das SED-Regime reagierte darauf mit der von Moskau unterstützen Ulbricht-Doktrin, welche beinhaltete, dass kein Mitglied des Warschauer Pakts Kontakte mit der Bundesrepublik aufnehmen sollte, solange die DDR nicht von diesen anerkannt worden war.21 Die Gesprächsbereitschaft des Ostens sank damit enorm, und es war somit nicht nur den nun immer stärker 18 Vgl. Torsten Oppelland: Der „Ostpolitiker“ Gerhard Schröder. Ein Vorläufer der sozialliberalen Ostund Deutschlandpolitik?, in: HPM 8 (2001), S. 73 – 94, hier 75 f. 19 Vgl. Helmut Welge: Bundeskanzler Ludwig Erhard. Außenpolitiker im weltpolitischen Wandel. Berlin 2018, S. 140 f. 20 Vgl. Regierungserklärung Kurt Georg Kiesingers am 13. Dezember 1966, in: BT Plenarprotokoll 05/80, S. 3656 – 3665, hier 3662 f. 21 Vgl. Torsten Oppelland: Gerhard Schröder (1910 – 1989). Politik zwischen Staat, Partei und Konfession (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 39). Düsseldorf 2002, S. 475 – 481.

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zu Tage tretenden Differenzen innerhalb der Regierungskoalition zuzuschreiben, dass die ostpolitische Bilanz der Großen Koalition mager blieb, sondern auch der Abschottung des Ostblocks. Bundeskanzler Kiesinger nahm eine vermittelnde Position zwischen der vergleichsweise konzessionsbereiten SPD und seiner eigenen Fraktion ein. Anders als führende Sozialdemokraten wie Egon Bahr lehnte es Kiesinger ab, der DDR Staatsqualität zuzusprechen und den Status quo anzuerkennen, um ihn schließlich nach und nach zu verändern. Dennoch war Kiesinger der erste Bundeskanzler, der – gegen Widerstände aus den eigenen Reihen – Post aus „Pankow“ nicht ungeöffnet zurückgehen ließ, sondern sie beantwortete, wodurch das Prinzip der Nichtanerkennung relativiert wurde.22 Mit Rücksicht auf die Vertriebenen hielt Kiesinger jedoch ebenso wie seine christdemokratischen Vorgänger und Nachfolger daran fest, dass die Grenzfrage erst mit einem Friedensvertrag geklärt werden dürfe.23 Standen Teile der Union der Ostpolitik generell schon eher skeptisch gegenüber, so verhärteten sich die Fronten in der Koalition nach dem Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei im August 1968.24 Die Unionsparteien sahen die Entspannungsbemühungen nun als gescheitert an, während die SPD der Meinung war, man solle weiterhin Verhandlungen anstreben. Die Prager Ereignisse können somit als Ende des außenpolitischen Konsenses der Koalitionspartner betrachtet werden.25 Obwohl sich die Sowjetunion nach der Konsolidierung ihres Machtbereichs nun deutlich gesprächsbereiter zeigte und Bewegung in die internationalen Entspannungsbemühungen kam, konnte die Große Koalition keine nennenswerten ostpolitischen Erfolge mehr erzielen. Die Frage, wie man mit Kambodscha umzugehen habe, welches durch die Anerkennung der DDR bei bereits bestehenden diplomatischen Beziehungen zur Bundesrepublik die Hallstein-Doktrin in Frage stellte, führte sogar nahe an einen Koalitionsbruch.26 Auch wenn Kiesinger grundsätzlich durchaus offen für ostpolitische Bemühungen war, konnte er sich am Ende seiner Amtszeit gegen seine eigene Fraktion nicht mehr durchsetzen. Es stellte sich vielmehr heraus, dass „die Ostpolitik des Kanzlers Regierungs-, aber keine Unionspolitik“ war.27 22 Vgl. Dirk Kroegel: Einen Anfang finden! Kurt Georg Kiesinger in der Außen- und Deutschlandpolitik der Großen Koalition (Studien zur Zeitgeschichte. Bd. 52). München 1997, S. 141 – 168. Der Schriftwechsel zwischen Kiesinger und dem Vorsitzenden des Ministerrats der DDR, Willi Stoph, führte zu keinem Ergebnis. 23 Zum Einfluss der Vertriebenen und ihrer Verbände auf die Unionspolitik vgl. Matthias Stickler: „Ostdeutsch heißt gesamtdeutsch“. Organisation, Selbstverständnis und heimatpolitische Zielsetzungen der deutschen Vertriebenenverbände 1949 – 1972 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 46). Düsseldorf 2004, S. 212 – 235. 24 Vgl. Daniela Taschler: Vor neuen Herausforderungen. Die außen- und deutschlandpolitische Debatte in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion während der Großen Koalition (1966 – 1969) (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bd. 132). Düsseldorf 2001, S. 292 – 295. 25 Vgl. Philipp Gassert: Kurt Georg Kiesinger 1904 – 1988. Kanzler zwischen den Zeiten. München 2006, S. 680, und Gottfried Niedhart: Revisionistische Elemente und die Initiierung friedlichen Wandels in der neuen Ostpolitik, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 233 – 266, hier 239, 241 – 249. 26 Vgl. Klaus Schönhoven: Wendejahre. Die Sozialdemokratie in der Zeit der Großen Koalition 1966 – 1969 (Die deutsche Sozialdemokratie nach 1945. Bd. 2). Bonn 2004, S. 483 – 486. Das Kabinett konnte sich nur mühsam darauf verständigen, die diplomatischen Beziehungen nicht offiziell abzubrechen, sondern lediglich den Botschafter zurückzuberufen. 27 Oliver Bange: Kiesingers Ost- und Deutschlandpolitik von 1966 – 1969, in: Günter Buchstab/Philipp

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Unter Erhard und Kiesinger wurden zwar keine bahnbrechenden ost- und deutschlandpolitischen Wegmarken gesetzt, das Klima gegenüber Osteuropa wurde jedoch unter Beibehaltung der rechtspolitischen Standpunkte schrittweise verbessert.28 Obwohl Kiesinger in manchen ostpolitischen Fragen konzessionsbereiter war als seine Partei, war auch er – anders als Adenauer in seinen ostpolitischen Gedankenspielen – nicht bereit, den Status quo anzuerkennen, um ihn dann zu überwinden. Zum Vorreiter ostpolitischer Ideen machte sich nun die FDP.29 Den Status quo in Europa zu akzeptieren, um ihn dann zu verändern, wurde daher ab Herbst 1969 das Ziel der neuen sozial-liberalen Koalition. Diese verfolgte somit einen methodisch anderen Ansatz als die uniongeführten Vorgängerregierungen, konnte jedoch auf deren außen- und auch ostpolitische Vorarbeiten aufbauen.

Bremser oder konstruktives Korrektiv? Die Opposition und die „Neue Ostpolitik“ Die sozial-liberale Koalition machte sich sofort nach der Wahl daran, ihr ostpolitisches Programm umzusetzen. Indem Bundeskanzler Willy Brandt in seiner Regierungserklärung von „zwei Staaten in Deutschland“30 sprach, erkannte er die DDR zwar nicht rechtlich an, deutete jedoch seine Bereitschaft an, gewisse Realitäten zu akzeptieren und damit in Vorleistung für die Verhandlungen zu treten. Ein wichtiges Signal war die umgehende Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrags durch die neue Regierung. Der Vertrag war insbesondere in den Unionsparteien umstritten gewesen. Für die Sowjetunion war der Beitritt der Bundesrepublik jedoch Voraussetzung für Verhandlungen über weitere Entspannungsmaßnahmen. Anschließend konnte die Bundesrepublik mit der Sowjetunion und Polen schon bald Gewaltverzichtsabkommen aushandeln, die die Unverletzlichkeit der Grenzen festhielten. Diese sollten gleichzeitig mit dem Berlinabkommen verabschiedet werden, das von den vier Hauptsiegermächten verhandelt wurde. Nach Abschluss dieser Verträge sollte der Grundlagenvertrag das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der DDR normalisieren. Schließlich folgte noch ein Gewaltverzichtsvertrag mit der Tschechoslowakei. Mit dieser Ostpolitik brachte die sozial-liberale Regierung die bundesdeutsche Politik weitgehend in eine Linie mit der internationalen Détente der 1960/70er Jahre.31

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Gassert/Peter Thaddäus Lang (Hg.): Kurt Georg Kiesinger 1904 – 1988. Von Ebingen ins Kanzleramt. Freiburg i. Br. 2005, S. 455 – 498, hier 464. Vgl. Julia von Dannenberg: The Foundations of Ostpolitik. The Making of the Moscow Treaty between West Germany and the USSR (Oxford Historical Monographs). Oxford/New York 2008, S. 101. Vgl. Klaus Hildebrand: Von Erhard zur Großen Koalition, 1963 – 1969 (Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 4). Stuttgart 1984, S. 339. Regierungserklärung Willy Brandts am 28. Oktober 1969, in: BT Plenarprotokoll 06/05, S. 20 – 34, das Zitat 21. Zur „Neuen Ostpolitik“ vgl. Peter Bender: Die „Neue Ostpolitik“ und ihre Folgen. Vom Mauerbau bis zur Wiedervereinigung. München 1995; Frank Fischer: „Im deutschen Interesse“. Die Ostpolitik der SPD von 1969 bis 1989 (Historische Studien. Bd. 464). Husum 2001; Carole Fink/Bernd Schaefer (Hg.): Ostpolitik, 1969 – 1974. European and Global Responses. Cambridge/GB 2009; Wolfgang Schmidt: Willy Brandts Ost- und Deutschlandpolitik, in: Bernd Rother (Hg.): Willy Brandts Außenpolitik. Wiesbaden 2014, S. 161 – 257; Gottfried Niedhart: Durch den eisernen Vorhang. Die

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Die Opposition begrüßte grundsätzlich die Verhandlungen über einen Gewaltverzicht mit Moskau und Warschau als Fortsetzung der Politik Erhards und Kiesingers. Sie hielt allerdings das Ostvertragswerk in der Form, in der es in den Bundestag eingebracht wurde, für nicht akzeptabel. Sie warnte davor, Grenzen festzuschreiben, die dem Friedensvertragsvorbehalt unterlagen, und so die Hegemonie der UdSSR zu verfestigen. Mit dieser Position machte sie sich auch zum „politischen Sprachrohr“ der Vertriebenenverbände.32 Die Union kritisierte zudem die Aufgabe von Rechtspositionen und die Anerkennung der DDR ohne Gegenleistung. Zum Berlinabkommen äußerte sie sich aufgrund der Beteiligung der Viermächte nur zurückhaltend. Deutlich war jedoch die Ablehnung des Grundlagenvertrags, da er die DDR unnötig aufwerte. Zudem bleibe er unklar in Hinblick auf die Menschenrechte, die Selbstbestimmung, die Staatsbürgerschaft und die Einheit der Nation. Zudem befürchtete die Union, die Annäherung an den Osten würde auf Kosten der Westbindung gehen und ein Erstarken des Marxismus in der Bundesrepublik begünstigen.33 Die Mehrheit der CDU/CSU teilte grundsätzlich diese Kritikpunkte. Während die Ostpolitik insbesondere bei den Vertriebenenverbänden, aber auch bei führenden Unionspolitikern wie Franz Josef Strauß, Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg und Werner Marx auf Ablehnung stieß, fanden sich mit Erik Blumenfeld, Walther Leisler Kiep, Ernst Majonica, Paul Mikat, Richard von Weizsäcker und Olaf von Wrangel aber auch prinzipielle Befürworter der Verträge. Zwischen diesen beiden Lagern stand der Vorsitzende der CDU und der CDU/CSU-Fraktion Rainer Barzel. Dieser wollte aus der Opposition heraus die Vorlage der Regierung im Sinne der Union so verbessern, dass die Verträge für sie annehmbar würden. Auf diese Weise wollte er verhindern, in die „Ecke prinzipieller Obstruktion“ gestellt zu werden, und die Union für den Fall einer vorzeitigen Regierungsübernahme regierungsfähig halten.34 Die sozial-liberale Ostpolitik war auch unter den Abgeordneten von SPD und FDP nicht völlig unumstritten, so dass die Regierungsmehrheit bröckelte. So wechselten beispielsweise der SPD-Abgeordnete und Vorsitzende der Landsmannschaft Schlesien, Herbert Hupka, der in Oberschlesien geborene FDP-Abgeordnete Erich Mende und andere – von denen nicht alle eine Vertreibung erlitten hatten – zur Unionsfraktion, so dass diese kurz vor Verabschiedung der Ostverträge ein konstruktives Misstrauensvotum einbringen konnte.35 Unerwartet scheiterte Barzel an zwei fehlenden Stimmen, die – wie

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Ära Brandt und das Ende des Kalten Krieges. Darmstadt 2019, und Michael Borchard u. a. (Hg.): Entspannung im Kalten Krieg. Der Weg zum Moskauer Vertrag und zur KSZE. Graz/Wien 2020. Siehe auch die Edition von sowjetischen Dokumenten zur „Neuen Ostpolitik“ aus dem Russischen Staatlichen Archiv für Neuere Geschichte unter www.ostpolitik.de. Matthias Stickler: Von der Integration der Vertriebenen zum „Integrationsland Deutschland“ – die Migrationspolitik der CDU im Wandel, in: Norbert Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU. München 2020, S. 703 – 735, das Zitat 712. Vgl. Andreas Grau: Gegen den Strom. Die Reaktion der CDU/CSU-Opposition auf die Ost- und Deutschlandpolitik der sozial-liberalen Koalition 1969 – 1973 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 47). Düsseldorf 2005, S. 503 – 506. Werner Link: Die Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Brandt 1969 – 1974, in: Karl Dietrich Bracher/Wolfgang Jäger/Werner Link: Republik im Wandel 1969 – 1974. Die Ära Brandt (Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 5/I). Stuttgart 1986, S. 163 – 284, hier 207 ff. Ausführlich zu Barzels Position Kai Wambach: Rainer Barzel. Eine Biographie. Paderborn 2019, S. 467 – 586. Vgl. Wolfgang Fischer: Heimat-Politiker? Selbstverständnis und politisches Handeln von Vertriebenen als Abgeordnete im Deutschen Bundestag 1949 bis 1974 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentaris-

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heute erwiesen ist – von der DDR-Staatssicherheit gekauft worden waren.36 Doch auch Brandt fehlten nun Stimmen zur Verabschiedung der Ostverträge. Als Kompromiss verabschiedete der Bundestag am 17. Mai 1972 eine Gemeinsame Erklärung, auf die Brandt die Sowjetunion verpflichten sollte. Sie hielt den Friedensvertragsvorbehalt, das Selbstbestimmungsrecht mit dem Ziel der friedlichen „Wiederherstellung der nationalen Einheit im europäischen Rahmen“, die Fortgeltung des Deutschlandvertrags und des Moskauer Abkommens von 1955 sowie der Rechte und Verantwortlichkeiten der Viermächte, das Bekenntnis zum Atlantischen Bündnis und zur europäischen Einigung sowie die Berlin-Bindung als Vertragsinterpretation der Bundesrepublik fest. Die Erklärung wurde als offizielles Dokument der Bundesrepublik dem sowjetischen Botschafter überreicht. Obwohl sie somit die deutsche Frage weiter offen hielt und den Modus vivendi-Charakter der Verträge betonte, waren viele in der Union weiterhin nicht bereit, den Verträgen zuzustimmen. In dieser Zerreißprobe gelang es Barzel, die Einheit der Fraktion zu wahren, indem er sie zur Stimmenthaltung bewegte. Am 17. Mai 1972 passierten der Moskauer und der Warschauer Vertrag – letzterer sogar mit einigen Stimmen der Union – den Bundestag.37 Da die sozial-liberale Koalition nach den Neuwahlen im November 1972 eine deutliche Mehrheit hatte, konnte sie den Grundlagenvertrag gegen die mehrheitlich mit „Nein“ stimmende Union am 11. Mai 1973 verabschieden. Der Vorsitzende der CSU Franz Josef Strauß und die Mehrheit der CSU-Landesgruppe drängten nun darauf, vor dem Bundesverfassungsgericht Klage gegen den Grundlagenvertrag einzureichen, da dieser das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes verletze. In seinem Urteilsspruch erklärte das Bundesverfassungsgericht zwar die Vereinbarkeit des Vertrags mit dem Grundgesetz, betonte allerdings die für alle Staatsorgane verpflichtende Gültigkeit des Wiedervereinigungsgebots in dessen Präambel.38 Obgleich gegenüber dem Prager Vertrag geringere Vorbehalte bestanden, lehnte die Union auch diesen – insbesondere mit Rücksicht auf die Sudentendeutschen – ab.39 Die zeitgenössische öffentliche und veröffentlichte Meinung nahm die Unionsparteien als ostpolitische Bremser wahr. Auch die Forschung warf – deutlich differenzierter – die Frage auf, ob die Christdemokraten in Bezug auf die „Neue Ostpolitik“ als „reluctant realists“ beziehungsweise „odd m[e]n out“ „gegen den Strom“ geschwommen seien.40 Tatsächlich war die Haltung innerhalb der Union heterogen. Wichtig war zudem, dass die CDU/CSU mit ihrer Forderung nach mehr Freizügigkeit und Menschlichkeit auf den Kern der deutschen Frage hinwies und damit vor zu großem Optimismus gegenüber der Entspannungsbereitschaft des Ostblocks warnte. Sie war damit ein „konstruktives Widerlager“ gegenüber einer teils zu forschen Ostpolitik der sozial-liberalen Regierung. mus und der politischen Parteien. Bd. 157). Berlin 2010, S. 357 – 367. 36 Vgl. Andreas Grau: Auf der Suche nach den verlorenen Stimmen 1972. Zu den Nachwirkungen des gescheiterten Misstrauensvotums Barzel/Brandt, in: HPM 16 (2009), S. 1 – 17. 37 Vgl. Link: Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, S. 210 – 213. 38 Vgl. Grau: Gegen den Strom, S. 492 – 500. 39 Vgl. Christian Hacke: Die Ost- und Deutschlandpolitik der CDU/CSU. Wege und Irrwege der Opposition seit 1969 (Bibliothek Wissenschaft und Politik. Bd. 12). Köln 1975, S. 101. 40 Clay Clemens: Reluctant Realists. The Christian Democrats and West German Ostpolitik. Durham/ London 1989; Ronald J. Granieri: Odd Man Out? The CDU-CSU, Ostpolitik, and the Atlantic Alliance, in: Matthias Schulz/Thomas A. Schwartz (Hg.): The Strained Alliance. U.S.-European Relations from Nixon to Carter. Washington/DC/Cambridge/GB 2010, S. 83 – 101 und Grau: Gegen den Strom.

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Zudem stärkte die Kritik der Opposition letztlich die Verhandlungsmacht der Regierung gegenüber der Sowjetunion.41 In Hinblick auf die langfristige Wirkung der Unionspolitik gegenüber den Ostverträgen gelang es der CDU/CSU, mit der Gemeinsamen Erklärung eine Vertragsinterpretation herbeizuführen, „die der nationalen Interessenlage entsprach und geeignet war, die Kontinuität deutscher Ostpolitik über die Ära der sozial-liberalen Koalition hinaus zu gewährleisten“.42

Pragmatische Kooperation und normativer Dissens unter Helmut Kohl Obwohl die sozial-liberale Ostpolitik in der Union heftig umstritten gewesen war, fand mit der Wahl Helmut Kohls zum Bundeskanzler am 1. Oktober 1982 keine grundsätzliche ost- und deutschlandpolitische Revision statt.43 Gleichwohl setzte Kohl neue Akzente, etwa, indem er seinen ersten Bericht zur Lage der Nation wieder um den Zusatz im geteilten Deutschland ergänzte. Darin formulierte er auch seine deutschlandpolitischen Leitlinien: Verdeutlichung der normativen Distanz zur DDR, Einbettung der Deutschlandpolitik in die europäische Integration und pragmatische Kooperationsbereitschaft gegenüber der DDR.44 Unablässig benannte er die Freiheit als Kern der deutschen Frage, die er rechtlich, politisch und geschichtlich als offen definierte.45 Er schuf sich somit „ein gewaltiges Vertrauenskapital“, das ihn 1989/90 durch die „Vereinigungskrise“ hindurchtragen sollte.46 Dabei war es Kohl aber auch wichtig, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen zu stärken und humanitäre Erleichterungen für die Menschen in der DDR zu erlangen. Handlungsfähig wurde seine Regierung dabei insbesondere durch die Bürgschaft für einen Milliardenkredit für die DDR, für die im Gegenzug Reiseerleichterungen und der Abbau von Selbstschussanlagen an der innerdeutschen Grenze erlangt wurden.47 Trotz einer Eiszeit in den Ost-West-Beziehungen nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan 1979 versuchten sich die beiden deutschen Staaten mit der Formel der 41 Christian Hacke: Die deutschlandpolitischen Konzeptionen von CDU und CSU in der Oppositionszeit (1969 – 1982), in: HPM 1 (1994), S. 33 – 48, hier 47 f. 42 Link: Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, S. 213. 43 Vgl. Wolfgang Jäger: Die CDU und das Ziel der deutschen Einheit, in: Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union, S. 301 – 333, hier 330. 44 Vgl. Karl-Rudolf Korte: Deutschlandpolitik in Helmut Kohls Kanzlerschaft. Regierungsstil und Entscheidungen 1982 – 1989 (Geschichte der deutschen Einheit. Bd. 1). Stuttgart 1998, S. 479. 45 So auch im September 1987 bei dem Besuch des Generalsekretärs des Zentralkomitees der SED Erich Honecker in der Bundesrepublik, der ansonsten den Charakter eines Staatsbesuchs hatte. In seiner Tischrede, die sowohl im west- wie im ostdeutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde, sagte Kohl: „Die deutsche Frage bleibt offen, doch ihre Lösung steht zur Zeit nicht auf der Tagesordnung der Weltgeschichte, und wir werden dazu auch das Einverständnis unserer Nachbarn brauchen. […] Die Menschen in Deutschland leiden unter der Trennung. Sie leiden an einer Mauer, die ihnen buchstäblich im Wege steht und die sie abstößt. Wenn wir abbauen, was Menschen trennt, tragen wir dem unüberhörbaren Verlangen der Deutschen Rechnung: Sie wollen zueinander kommen können, weil sie zusammengehören.“ Siehe Tischrede von Bundeskanzler Helmut Kohl am 7. September 1987 in Bonn, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 83, 10. September 1987, S. 705 ff. 46 Andreas Wirsching: Abschied vom Provisorium. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 1982 – 1990 (Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 6). München 2006, S. 604. 47 Vgl. Henning Köhler: Helmut Kohl. Ein Leben für die Politik. Köln 2014, S. 412, 416.

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„Verantwortungsgemeinschaft“ aus dem Konflikt der Supermächte herauszuhalten. Gemeinsame Abkommen und Projekte über Kultur, Wirtschaft, Umwelt, Wissenschaft und Gebietsaustausche sowie Städtepartnerschaften belebten die deutsch-deutschen Beziehungen.48 Hierbei nahm der Chef des Bundeskanzleramts und Bundesminister für besondere Aufgaben Wolfgang Schäuble als „innerdeutsche[r] Topmanager des Kanzlers“ eine zentrale Rolle ein.49 1985 leitete der Amtsantritt Michail Gorbatschows als Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU international eine Phase der Entspannung ein, die auch das deutsch-deutsche Verhältnis weiter dynamisierte.50 Dennoch lehnte Kohl konsequent die sogenannten Geraer Forderungen der DDR vom Oktober 1980 ab, die eine Grenzkorrektur an der Elbe, die Abschaffung der Erfassungsstelle für DDR-Unrecht in Salzgitter, die Anerkennung der Staatsbürgerschaft der DDR durch die Bundesrepublik und die Umwandlung der Ständigen Vertretungen in Bonn und Ost-Berlin in Botschaften verlangten.51 Ebenso stieß ein gemeinsames Papier auf seine Ablehnung, das die SPD mit der SED 1987 verabschiedete und in dem auf viele der Geraer Forderungen eingegangen wurde.52 Der problematischste Aspekt des SPD/ SED-Papiers markierte zugleich den zentralen Unterschied zur Unionspolitik gegenüber dem SED-Regime: „Die SPD ging über die Anerkennung der staatlichen Existenz der DDR hinaus, wenn sie die Existenzberechtigung des Gesellschaftssystems der DDR ausdrücklich bestätigte.“ Damit vollzog die Partei eine Abkehr von der grundsätzlichen Ablehnung des Systems, „das nicht aufgehört hatte, eine Diktatur zu sein“.53 Doch auch in den Reihen der Union gab es Dissens um den operativen Stellenwert der Wiedervereinigung. Dies kulminierte in einer Auseinandersetzung um einen Leitantrag für den Bundesparteitag 1988 in Wiesbaden, der in seinem ersten Entwurf deklaratorisch widerspiegelte, was faktisch schon lange pragmatische Deutschlandpolitik der Union war, und die „Lösung der deutschen Frage“ als „gegenwärtig nicht zu erreichen“54 bezeichnete. Helmut Kohl griff vermittelnd ein zwischen den deutschlandpolitischen Reformern in der CDU um Heiner Geißler und Rita Süssmuth und ihren Kritikern wie Alfred Dregger, Herbert Hupka oder Ottfried Hennig, indem er den Antrag dahin gehend überarbeiten ließ, dass die Offenheit der deutschen Frage stärker betont wurde.55 48 Vgl. Hermann Wentker: Helmut Kohl als Deutschlandpolitiker. Vom Regierungswechsel zum ZehnPunkte-Programm, in: Deutschland Archiv (2017), S. 191 – 196, hier 192 f. 49 Korte: Deutschlandpolitik in Helmut Kohls Kanzlerschaft, S. 486. 50 Vgl. Glaab: Deutschlandpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 249. 51 Vgl. Wirsching: Abschied vom Provisorium, S. 599. 52 Vgl. Grundwertekommission der SPD/Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED: Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit, in: Politik – Informationsdienst der SPD 3 (3.8.1987), dazu unter anderem Christopher Beckmann: Gemeinsames Papier von SPD und SED: „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“, https://www.kas.de/de/web/geschichteder-cdu/kalender/kalender-detail/-/content/gemeinsames-papier-von-spd-und-sed-der-streit-der-ideologien-und-die-gemeinsame-sicherheit- (Abruf: 7.4.2022). 53 Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Bd. 2: Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung. Bonn 2004, S. 453. 54 Unsere Verantwortung in der Welt. Christlich-demokratische Perspektiven zur Außen-, Sicherheits-, Europa- und Deutschlandpolitik. Diskussionsentwurf der durch den Bundesvorstand eingesetzten Kommission, in: CDU-Dokumentation 6/1988, S. 18, in: ACDP 07-001-22365. 55 Vgl. Clay Clemens: CDU Deutschlandpolitik and reunification 1985–1989 (Occasional Paper 5). Hg. vom German Historical Institute. Washington 1992, S. 8 – 13 und Hans-Peter Schwarz: Helmut Kohl. Eine politische Biographie. München 2014, S. 470 f.

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Helmut Kohl als Kanzler der Einheit Trotz der humanitären Erfolge verfolgte Helmut Kohl bis 1989 keine operative Wiedervereinigungspolitik.56 Die Chance, die deutsche Teilung zu überwinden, kam somit auch für diejenigen Unionspolitiker überraschend, die stets die Offenheit der deutschen Frage hervorgehoben hatten. Welche Bedeutung hatten nun die Unionspolitik und insbesondere das Handeln Helmut Kohls für die Wendejahre 1989/90? Die Möglichkeit zur Überwindung der deutschen Teilung war durch eine Vielzahl von geopolitischen und wirtschaftlichen Gründen sowie die Reformbewegungen in Ostmitteleuropa und der DDR möglich geworden. Wie Adenauer vorausgesagt hatte, bot sich die Chance auf die Einheit in einer Schwächephase der Sowjetunion und einer Phase der Entspannung in der internationalen Politik sowie bei grundlegender Neuordnung des europäischen Staatensystems. Die Bereitschaft der Sowjetunion, neue Antworten auf die deutsche Frage zu geben, zeigte sich bei dem Besuch Gorbatschows im Juni 1989 in der Bundesrepublik: In der von ihm und Kohl am 13. Juni 1989 unterzeichneten „Gemeinsamen Erklärung“ bekräftigte die UdSSR erstmals gegenüber einem westlichen Land das Recht jeden Staates, „das eigene politische und soziale System frei zu wählen“57. Diese Entspannung war sicherlich auch – wenn auch nicht zwangsläufig, wie die Frostphase der Jahre 1979 bis 1985 zeigte – durch die sozial-liberale Ostpolitik als Teil der globalen Détente und durch den Prozess der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) mit begünstigt worden. Dass die Umwälzungen zur deutschen Einheit führen konnten, lag aber ebenso an der Außen- und Deutschlandpolitik, die die Union in den vorangegangen vierzig Jahren vertreten hatte: So war kein Bundeskanzler von Adenauers früher Weichenstellung abgewichen, mit der er die Bundesrepublik fest im Westen verankert und die europäische Integration vorangetrieben hatte. Diese Vertrauensgrundlage war essentiell, um die internationale Zustimmung zur deutschen Vereinigung im europäischen Rahmen zu erlangen. Auch hatten alle maßgeblichen Unionspolitiker die deutsche Frage offengehalten. Insbesondere die unter Kohl ermöglichte Intensivierung der Begegnungen zwischen den Menschen in den beiden Teilen Deutschlands spielte eine „unterminierende […] Rolle“, indem sie den Menschen in der DDR die Freiheiten und die wirtschaftlichen Vorzüge des Westens vor Augen führte.58 Die von Adenauer propagierte Magnettheorie schien nach Öffnung der Grenzen mit den Flüchtlingsströmen ihre Bestätigung zu finden. Dass die Union bis zuletzt an der Idee des Kernstaats und der deutschen Staatsbürgerschaft für alle Deutschen festgehalten hatte, begünstigte diese Entwicklung, die zur Erosion der DDR beitrug.59 Dennoch war auch Helmut Kohl nicht an einer Destabilisierung der DDR interessiert. Erst am 8. November 1989 knüpfte er weitere finanzielle Unterstützung für die DDR an die Zulassung oppositioneller Gruppen, die Zusage, freie Wahlen abzuhalten, und die Aufgabe 56 Vgl. Korte: Deutschlandpolitik in Helmut Kohls Kanzlerschaft, S. 481. 57 Gemeinsame Erklärung von Helmut Kohl und Michail Gorbatschow vom 13. Juni 1989, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 61, 15.6.1989, S. 543. 58 Günter Buchstab: Einführung, in: Ders./Hans-Otto Kleinmann/Hanns Jürgen Küsters (Hg.): Die Ära Kohl im Gespräch. Eine Zwischenbilanz. Köln/Weimar/Wien 2010, S. 461 – 465, hier 464. 59 Vgl. Jürgen Aretz: Von Adenauer zu Kohl. Zur christlich-demokratischen Deutschlandpolitik 1945 – 1990, in: Günter Buchstab (Hg.): Brücke in eine neue Zeit. 60 Jahre CDU. Freiburg i. Br. 2005, S. 219– 247, hier 236 f.

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des absoluten Führungsanspruchs der SED.60 Er folgte damit einer weiteren Grundannahme Adenauers, dass nur die Selbstbestimmung in Form freier Wahlen die Einheit in Freiheit bringen konnte. Nach dem Fall der Mauer hatte die Union keine Pläne zur Herstellung der deutschen Einheit in der Schublade. Sie musste ihre Deutschlandpolitik jedoch auch keiner Revision unterziehen, da sie im Gegensatz zu anderen nie von der Zweistaatlichkeit ausgegangen war. Mit dem 10-Punkte-Programm ergriff Kohl am 28. November 1989 die Initiative und legte einen Fahrplan in Richtung Wiedervereinigung vor. Unterstützt von wichtigen Beratern wie Horst Teltschik begann Kohl damit seine operative Wiedervereinigungspolitik und reagierte auf die Forderungen der Deutschen in der DDR.61 Während die USA unterstützend auf Kohls Vorstoß reagierten, konnte die Skepsis Frankreichs und Großbritanniens erst durch die Einbettung der deutschen Einheit in den europäischen Integrationsprozess zerstreut werden. Auch die Sowjetunion gab letztlich ihre Bedenken – selbst gegenüber einer gesamtdeutschen NATO-Mitgliedschaft – auf, was nicht zuletzt an dem wirtschaftlichen Entgegenkommen der Bundesrepublik gegenüber der geschwächten UdSSR lag.62 Ein weiterer geschickter Schachzug Kohls war es darauf hinzuwirken, dass die sich erneuernde CDU der DDR vor den ersten freien Wahlen in der DDR ein Wahlbündnis mit dem Demokratischen Aufbruch (DA) und der Deutschen Sozialen Union (DSU) schloss – die Allianz für Deutschland. Die ehemalige Blockpartei gewann durch die Zusammenarbeit mit den Bürgerrechtlern an moralischer Glaubwürdigkeit.63 Nach dem deutlichen Sieg der für die deutsche Einheit und Soziale Marktwirtschaft eintretenden Allianz bei der ersten freien Volkskammerwahl am 18. März 1990 gestaltete die CDU/DA-Fraktion maßgeblich den inneren Einigungsprozess. Damit bestätigte sich die Annahme, dass letztlich freie Wahlen zur Einheit führen würden. Am 1. Juli 1990 trat die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion in Kraft und am 31. August 1990 wurde der Einigungsvertrag unterschrieben, nach der die DDR laut Art. 23 GG dem Geltungsbereich der Bundesrepublik beitrat. Die Fusion der CDU in Ost und West verlief ähnlich, indem die neu gegründeten Landesverbände der CDU der DDR am 2. Oktober 1990 der westdeutschen CDU beitraten.64 Mit dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag besiegelten die vier Hauptsiegermächte und die beiden deutschen Staaten die Einheit und die Bundesrepublik wurde vollständig souverän. Der deutsch-polnische Grenzvertrag vom 14. November 1990 legte endgültig die Oder-Neiße-Linie als Ostgrenze Deutschlands fest. Dass es nach dem Fall der Mauer so schnell zur friedlichen Vereinigung Deutschlands im Einvernehmen mit den Nachbarn kam, ist vor allem Kohls beherztem Einsatz zu verdanken. Da die Menschen in der DDR in diesen turbulenten Wendemonaten weiter in 60 Vgl. Wentker: Helmut Kohl als Deutschlandpolitiker, S. 193 – 194. 61 Vgl. Hanns Jürgen Küsters: Das Ringen um die Deutsche Einheit. Die Regierung Helmut Kohl im Brennpunkt der Entscheidungen 1989/90. Freiburg i. Br. 2009, S. 89 – 94 und Andreas Rödder: Deutschland einig Vaterland. Die Geschichte der Wiedervereinigung. München 2009, S. 139 – 142. 62 Vgl. Wentker: Helmut Kohl als Deutschlandpolitiker, S. 195, und Rödder: Deutschland einig Vaterland, S. 245 – 252. 63 Vgl. Schwarz: Helmut Kohl, S. 544 ff. Zur Allianz für Deutschland vgl. Wolfgang Jäger/Michael Walter: Die Allianz für Deutschland. CDU, Demokratischer Aufbruch und Deutsche Soziale Union 1989/90. Köln/Weimar/Wien 1998. 64 Vgl. dazu Hanns Jürgen Küsters: Die Vereinigung von CDU (Ost) und CDU (West) 1990, in: HPM 18 (2011), S. 167 – 192.

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Massen in die Bundesrepublik strömten, stellte er die Politik bedingungslos über wirtschaftliche Fragen. Erst später wurden die Kosten der Umstrukturierung in Ostdeutschland – als Folge der deutschen Teilung – deutlich, die sich im Osten in hoher Arbeitslosigkeit und im Westen durch Belastung der Haushalte äußerten. Missmut erregte auch, dass die Bundesregierung die Einheit ganz nach Denkmustern der alten Bundesrepublik gestaltete, nach denen die DDR als Unterdrückungsregime und System der Misswirtschaft verstanden wurde. Dabei wurde die Lebenserfahrung vieler Menschen in der DDR vernachlässigt, die die Einheit zum Teil als „Anschluss“ empfanden.65 Faktisch traf jedoch Kohls Prognose, es werde in Ostdeutschland niemandem schlechter gehen als zuvor, dafür vielen besser, selbst auf die meisten Verlierer der Einheit in materieller Hinsicht zu.66 Noch wichtiger aber ist eine Tatsache, die heute viele für selbstverständlich halten: Alle Deutschen leben seit der Einheit in freier Selbstbestimmung unter den Bedingungen einer freiheitlichen parlamentarischen Demokratie.

Ereignisse 17.7.– 2.8.1945 Potsdamer Konferenz der Staats- und Regierungschefs der USA, der UdSSR und Großbritanniens 23.5.1949 Gründung der Bundesrepublik Deutschland 7.10.1949 Gründung der Deutschen Demokratischen Republik 21.10.1949 Verkündung des Alleinvertretungsanspruchs der Bundesrepublik Deutschland 17.6.1953 Volksaufstand in Berlin und in der DDR 23.10.1954 Unterzeichnung der Pariser Verträge, die den Deutschlandvertrag enthalten 8.– 14.9.1955 Moskau-Reise Konrad Adenauers und Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR 22.9.1955 Verkündigung der Hallstein-Doktrin 13.8.1961 Beginn der Errichtung der Berliner Mauer und der Befestigung der innerdeutschen Grenze durch die DDR 25.3.1966 Friedensnote der Regierung Erhard 10.5.1967 Erster deutsch-deutscher Briefwechsel 3.6.1972 Inkrafttreten des Moskauer Vertrags, des Warschauer Vertrags und des Berlinabkommens 21.6.1973 Inkrafttreten des Grundlagenvertrags 19.7.1974 Inkrafttreten des Prager Vertrags 29.6.1983 Bürgschaft der Bundesregierung für einen Milliardenkredit der DDR, im Gegenzug folgen humanitäre Erleichterungen und der Abbau der Selbstschussanlagen an der innerdeutschen Grenze

65 Vgl. Schwarz: Helmut Kohl, S. 616 f. 66 Vgl. Rödder: Deutschland einig Vaterland, S. 375.

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6.5.1986 9.11.1989 28.11.1989

18.3.1990 1.7.1990 23.8.1990 31.8.1990 12.9.1990 1.– 2.10.1990 3.10.1990 14.11.1990

Unterzeichnung des deutsch-deutschen Kulturabkommens Fall der Mauer Bundeskanzler Kohl legt im Bundestag ein Zehn-Punkte-Programm zur schrittweisen Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas vor Erste freie Volkskammerwahl in der DDR, die von der Allianz für Deutschland (CDU, DA und DSU) gewonnen wird Inkrafttreten der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion Beitrittserklärung der Volkskammer Unterzeichnung des Vertrags über die Herstellung der Einheit Deutschlands Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrags Vereinigungsparteitag der CDU in Hamburg Deutsche Einheit Unterzeichnung des deutsch-polnischen Grenzvertrags

Forschungs- und Quellenlage Die Ost- und Deutschlandpolitik der Bundesrepublik und die deutsche Einheit gehören zu den vergleichsweise gut erforschten Themen der Zeitgeschichte. Quelleneditionen wie die Dokumente zur Deutschlandpolitik oder die Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland bieten hierfür eine wichtige Grundlage. Einige zeitgenössische Kontroversen um das Thema sind inzwischen durch die Forschung geklärt beziehungsweise durch den Lauf der Ereignisse überholt, andere bewegen nach wie vor die Gemüter. Die zentrale Kontroverse um Konrad Adenauer dreht sich um die Fragen, wie sehr der Gründungskanzler an der Einheit interessiert war und welche deutschlandpolitische Flexibilität er an den Tag legte. Insbesondere Josef Foschepoth und Rolf Steininger vertreten die These, Adenauer habe kein Interesse an der Einheit gehabt.67 Dem widersprechen u. a. Hans-Peter Schwarz, Klaus Gotto und Rudolf Morsey, die hervorheben, Adenauer sei lediglich nicht bereit gewesen, die Einheit um den Preis der Freiheit zu erwerben. Die Einheit der Nation und das humanitäre Schicksal der Menschen in der DDR hätten ihm aber sehr wohl am Herzen gelegen.68 Besonders umstritten war unter Zeitgenossen und Historikern Adenauers Ablehnung der sogenannten Stalin-Note, die auch von Historikern wie Wilfried Loth als verpasste Chance betrachtet wird. Die aktuelle Forschung geht jedoch auf Grundlage westlicher und östlicher Quellen inzwischen überwiegend davon aus, dass Adenauer und die Westmächte mit ihrer Einschätzung richtig lagen, dass die

67 Vgl. z. B. Josef Foschepoth: Potsdam und danach. Die Westmächte, Adenauer und die Vertriebenen, in: Wolfgang Benz (Hg.): Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. Frankfurt a. M. 1985, S. 70 – 90, hier 90, und Rolf Steininger: Ein vereintes, unabhängiges Deutschland? Winston Churchill, der Kalte Krieg und die deutsche Frage im Jahre 1953, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 36 (1984), S. 105 – 144, hier 123. 68 Vgl. z. B. Hans-Peter Schwarz: Anmerkungen zu Adenauer. München 2004, S. 129 f.; Gotto: Adenauers Deutschland- und Ostpolitik, S. 7; Morsey: Deutschlandpolitik Adenauers, S. 19 f.

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Stalin-Note keine wirkliche Chance zu einer Wiedervereinigung unter freiheitlich-demokratischen Vorzeichen geboten hätte.69 Seit der Publikation zentraler Quellen70 zu Adenauers deutschlandpolitischen Geheimplänen, die er ab der zweiten Hälfte der 1950er Jahre entworfen hatte, erkennen zudem viele Forscher an, dass Adenauers Ostpolitik beweglicher war, als bis dahin angenommen.71 Bis heute ist umstritten, inwieweit die „Neue Ostpolitik“ der sozial-liberalen Koalition eine Fortsetzung der Ostpolitik der christlich-demokratischen Kanzler Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger war.72 Ebenso gehen die Meinungen auseinander, ob die Unionspolitiker in Bezug auf die „Neue Ostpolitik“ eher rückwärtsgewandte Bremser73 oder notwendiges Korrektiv74 waren – eine Debatte, die bereits zeitgenössisch innerhalb der Fraktion geführt wurde75. Die Forschung ist sich einig, dass Helmut Kohl die sozial-liberale Ost- und Deutschlandpolitik grundsätzlich – mit neuen Akzenten – fortsetzte. Diskutiert wird, inwieweit die an humanitäre Erleichterungen gebundenen Milliardenhilfen für die DDR in den 1980er Jahren eher systemstützend oder destabilisierend wirkten und welchen Einfluss sie auf die Wende von 1989/90 hatten.76 Die Mehrheit der Forscher würdigt schließlich Kohls Verdienste um die deutsche Einheit. Welcher Anteil an der Vollendung der Einheit ihm persönlich im Vergleich zu anderen Akteuren wie beispielsweise dem Auswär-

69 Vgl. hierzu zusammenfassend Wettig: Die Stalin-Note. 70 Vgl. dazu Morsey/Repgen (Hg.): Adenauer Studien III. 71 Vgl. z. B. Erhard: Adenauers deutschlandpolitische Geheimkonzepte, und Michael Borchard: Alles neu an der „Neuen Ostpolitik“? Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit der Sowjetunion, ihre Folgen und die Kontinuitätslinien zur Politik von Willy Brandt, in: Ders. u. a. (Hg.): Entspannung im Kalten Krieg, S. 33 – 54. 72 Eher die Kontinuität betonen Borchard: Alles neu an der „Neuen Ostpolitik“?; Taschler: Vor neuen Herausforderungen; Kroegel: Einen Anfang finden, S. 115 – 310 und Siebenmorgen: Gezeitenwechsel. Julia von Dannenberg hebt hervor, die Ostpolitik habe nicht die Vorarbeiten der Unionsparteien umgesetzt, sondern die der Sozialdemokratie. Vgl. von Dannenberg: The Foundations of Ostpolitik, S. 128. 73 So vor allem die zeitgenössische Publizistik. Vgl. auch Peter Bender: Neue Ostpolitik. Vom Mauerbau bis zum Moskauer Vertrag (Deutsche Geschichte der neuesten Zeit vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart). 2. Aufl. München 1989, S. 198. 74 Vgl. z. B. Hacke: Die Ost- und Deutschlandpolitik der CDU/CSU; Grau: Gegen den Strom; Werner Link: Die CDU/CSU-Fraktion und die neue Ostpolitik – in den Phasen der Regierungsverantwortung und der Opposition, 1966 – 1975, in: Hans-Peter Schwarz (Hg.): Die Fraktion als Machtfaktor. CDU/ CSU im Deutschen Bundestag 1949 bis heute. München 2009, S. 115 – 139. 75 Im Fall von Ernst Majonica führte die Kritik an der ablehnenden Haltung der Unionsparteien gegenüber der „Neuen Ostpolitik“ gar zur Isolation innerhalb der CDU/CSU-Fraktion und trug zum vorzeitigen Ende seiner politischen Karriere bei. Vgl. Hans-Otto Kleinmann/Christopher Beckmann: Einleitung, in: Ernst Majonica. Das politische Tagebuch 1958 – 1972. Bearb. von Kleinmann/Beckmann (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 55). Düsseldorf 2011, S. VII – LXXVI, hier XXXII – XXXVII. 76 Laut Henning Köhler trugen die dadurch erweiterten Reisemöglichkeiten maßgeblich zum Sturz der DDR bei. Vgl. Köhler: Helmut Kohl, S. 416. Andreas Wirsching teilt diese Einschätzung zwar, betont aber auch den zeitweise stabilisierenden Charakter der Milliardenhilfe. Vgl. Wirsching: Abschied vom Provisorium, S. 603, 608.

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tigen Amt, den Bürgerrechtlern oder den vier Hauptsiegermächten zugeschrieben wird, variiert je nach Perspektive.77

77 So begünstigte die Sonderedition zur deutschen Einheit aus den Akten des Bundeskanzleramts lange Zeit die Wahrnehmung, dass die Vereinigungspolitik überwiegend im Kanzleramt gemacht wurde, vgl. Hanns Jürgen Küsters/Daniel Hofmann (Hg.): Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90 (Dokumente zur Deutschlandpolitik). München 1998. Die Edition der Akten des Auswärtigen Amts und des DDR-Außenministeriums (Heike Amos/Tim Geiger [Bearb.]: Die Einheit. Das Auswärtige Amt, das DDR-Außenministerium und der Zwei-plus-Vier-Prozess. Göttingen 2015) sowie die Monografie von Gerhard A. Ritter (Hans-Dietrich Genscher, das Auswärtige Amt und die deutsche Vereinigung. München 2013), relativieren diese Einschätzung. Den internationalen Kontext stellen zum Beispiel her Alexander von Plato: Die Vereinigung Deutschlands – ein weltpolitisches Machtspiel. Bush, Kohl, Gorbatschow und die geheimen Moskauer Protokolle. Bonn 2003; Frédéric Bozo/Andreas Rödder/Marie Elise Sarotte (Hg.): German Reunification. A Multinational History. London u. a. 2016; Hanns Jürgen Küsters (Hg.): Der Zerfall des Sowjetimperiums und Deutschlands Wiedervereinigung = The decline of the Soviet empire and Germany’s reunification. Köln/Weimar/Wien 2016, und Werner Weidenfeld mit Peter M. Wagner und Elke Bruck: Außenpolitik für die deutsche Einheit. Die Entscheidungsjahre 1989/90 (Geschichte der deutschen Einheit. Bd. 4). Stuttgart 1998.

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Europapolitik Olaf Wientzek Europa als historisches Fundament der deutschen Christlichen Demokraten Von Anfang an bekannte sich die CDU zu ihrem „europäischen Auftrag“1. Schon im Anschluss an den Goslarer Gründungsparteitag 1950 wurde die Hoffnung festgehalten, „daß […] die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Kräfte Europas zu gemeinsamem Wirken zusammenfinden“. Doch eigentlich ist das europäische Engagement der Christlich Demokratischen Union älter als deren bundesweiter Zusammenschluss. Bereits am 6. März 1946 erklärte der damals frischgewählte Vorsitzende der CDU der Britischen Besatzungszone und spätere Bundesvorsitzende und Bundeskanzler, Konrad Adenauer, im NWDR: „Ich hoffe, daß in nicht zu ferner Zukunft die Vereinigten Staaten von Europa, zu denen Deutschland gehören würde, geschaffen werden, und daß dann Europa, dieser so oft von Kriegen durchtobte Erdteil, die Segnungen eines dauernden Friedens genießen wird.“2 Seit 1948 gehörte die Union auch den ein Jahr vorher gegründeten Nouvelles Equipes Internationales (NEI) an, ein Zusammenschluss christlich-demokratischer Parteien Europas.3 Das Thema der Europäischen Integration war der CDU somit schon in die Wiege gelegt. So hielt die erste jemals in der Bundesrepublik Deutschland geschlossene Koalitionsvereinbarung, diejenige zwischen CDU/CSU und der Deutschen Partei (DP) von 1957, auf der ersten Seite fest: „Die Politik des europäischen Zusammenschlusses wird […] verstärkt fortgesetzt mit dem Ziel, die Verfassungswirklichkeit der Europäischen Gemeinschaft auf politischem, militärischem, kulturellem, wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Gebiet zu festigen und zu vervollständigen.“4 Zu diesem Zeitpunkt war mit dem Abschluss der Römischen Verträge vom 25. März 1957 bereits die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft entstanden, die auf der 1952 gegründeten Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl aufbaute und mit der ebenfalls 1957 gegründeten Euratom eine gemeinsame Parlamentarische Versammlung bildete. Diese Versammlung hatte sich als erste internationale Institution nicht nach Na-

1 Titel des Grundsatzreferats von Heinrich von Brentano auf dem Gründungsparteitag in Goslar, dort auch zitierte Erklärung, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=c5cb8072-08a4-cf37-24b 3-959d0160a148&groupId=252038 (Abruf: 8.10.2019). 2 Beitrag von Konrad Adenauer im NWDR, 6.3.1946, https://www.konrad-adenauer.de/quellen/zitate/ europa (Abruf: 8.10.2019). 3 Mehr hierzu bei Winfried Becker (2008): Die Nouvelles Equipes Internationales und der Föderalismus, in: HPM 15 (2008), S. 81 – 102. 4 Koalitionsvereinbarungen 1957, ACDP NL Hans-Joachim von Merkatz 01-148-050/2.

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tionalitäten, sondern nach politischen und ideologischen Gemeinsamkeiten organisiert. So war bereits 1952/53 eine Christlich-Demokratische (CD-)Fraktion entstanden. In Hinblick auf die politische Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaften und insbesondere der Parlamentarischen Versammlung, die sich seit 1962 Europäisches Parlament nennen sollte, hatte die CDU schon 1953 im Hamburger Programm gefordert: „Die politische und wirtschaftliche Einigung Europas müssen Hand in Hand gehen.“5 Das nächste Grundsatzprogramm, das Berliner Programm von 1968, drängte schon ganz konkret „auf die politische Einigung Europas“ und verlangte: „Das Europäische Parlament soll direkt gewählt werden und Gesetzgebungs-, Haushalts- und Kontrollhoheit ausüben.“6 Der Beschluss der Europäischen Gemeinschaften von 1976, das Europäische Parlament in Zukunft direkt wählen zu lassen, beschleunigte schließlich die bereits vorher angestoßene Gründung einer europäischen christlich-demokratischen Partei. Diese bildete sich zum einen aus der Nachfolgeorganisation der NEI, der Europäischen Union Christlicher Demokraten (EUCD), und zum anderen aus der CD-Fraktion im Europäischen Parlament. Am 8. Juli 1976 schlossen sich CDU und CSU mit zehn weiteren christlich-demokratischen Parteien aus sieben Ländern – Benelux, Frankreich, Italien, Deutschland und Irland – zur „Europäischen Volkspartei (EVP), Föderation der christlich-demokratischen Parteien der Europäischen Gemeinschaft“ zusammen. Der damalige CDU-Vorsitzende Helmut Kohl war entscheidend an der Gründung beteiligt. Auf ihrem ersten Kongress am 6./7. März 1978 gab sich die EVP als erste europäische Partei ein Politisches Programm unter der Devise „Gemeinsam für ein Europa freier Menschen“. Diskussionen hatte es dabei immer wieder über Ausrichtung der EVP gegeben; im Gegensatz zu einem Fokus auf Kerneuropa, der anfangs von den oft eher christlich-sozial orientierten Gründungsmitgliedern aus Belgien, den Niederlanden und Italien bevorzugt wurde, setzte sich die CDU für eine größere europäisch-konservative Ausrichtung ein.7 Die Eigenbezeichnung als „Volkspartei“ entspricht diesem Gedanken und weist einerseits auf die christdemokratische Tradition ihrer Gründungsparteien hin, ermöglichte andererseits aber auch die von der CDU und der CSU verfochtene spätere Öffnung für andere politische Kräfte des Mitte-Rechts-Spektrums. Die CDU plädierte mithin schon während dieses Gründungsprozesses und auch danach für eine Erweiterung der EVP und auch der Europäischen Gemeinschaft selbst. So betonte das Ludwigshafener Programm von 1978: „Demokratischen Staaten, die die Grundlagen und Zielsetzungen der wirtschaftlichen und politischen Integration anerkennen, steht die Europäische Gemeinschaft offen.“8 5 Hamburger Programm, verabschiedet auf dem 4.Bundesparteitag der CDU, 18.– 22. 4.1953, https: //www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=f72d77e5-7581-4e80-80cd-652518392fdb&group Id=252038 (Abruf: 8.10.2019). 6 Berliner Programm der CDU, 1968, Punkt 8, Absatz 2, https://www.kas.de/c/document_library/get_file ?uuid=48998652-a937-c1b0-6283-f9895032bca3&groupId=252038 (Abruf: 8.10.2019). 7 Vgl. Michael Gehler: Die CDU, Europa und die europäische Einigung: Motor der Multifunktionalität im Mehrebenensystem, in: Norbert Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union – Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU. München 2020, S. 183 – 229, hier 209. 8 Grundsatzprogramm der CDU, verabschiedet auf dem 26.Bundesparteitag, 23.– 25. Oktober 1978, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=6ab8ab48-871d-52a2-a603-989c928e127f&group Id=252038 (Abruf: 8.10.2019).

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Die erste Direktwahl zum Europäischen Parlament vom 7. bis 10. Juni 1979 unterstützte die CDU uneingeschränkt und sah darin, da sie seit 1969 im Bund in der Opposition war, außerdem eine Gelegenheit, sich politisch zu präsentieren. Das in diesem Zusammenhang 1976 verabschiedete „Europäische Manifest“ erklärte: „In keiner anderen Partei ist der Wille zur Einigung Europas tiefer verankert als in der CDU.“9 Tatsächlich erhielt die Union in der Bundesrepublik mit 49,2 Prozent die meisten Stimmen, wie in allen Wahlen zum Europäischen Parlament bis heute. Dabei setzte sie sich stets dafür ein, die Attraktivität, das Verständnis, die Sichtbarkeit und das Ansehen der europäischen Wahlen zu stärken, weshalb die CDU sich auch für die Einführung des Spitzenkandidatensystems engagierte. Aktiv beteiligten sich CDU-Politiker auch an der Politik der Europäischen Gemeinschaften durch die Übernahme von Spitzenämtern. Nach Walter Hallstein als erster Präsident der Kommission (1958 – 1967) amtiert seit 2019 Ursula von der Leyen als Chefin der EU-Kommission. Mit Hans Furler (1956 – 1958, 1960 – 1962), Egon A. Klepsch (1992 – 1994) und Hans-Gert Pöttering (2007 – 2009) standen deutsche Christliche Demokraten dem Europäischen Parlament vor. Auch die CD- bzw. EVP-Fraktion bzw. die EVP-EDFraktion wurde über die Hälfte ihrer bisherigen Existenzzeit von deutschen Christdemokraten geleitet: Joseph Illerhaus (1966 – 1969), Hans August Lücker (1969 – 1975, CSU), Egon A. Klepsch (1977 – 1982 und 1984 – 1992), Hans-Gert Pöttering (1999 – 2007) sowie Manfred Weber (seit 2014, CSU). Die deutsche Delegation in der EVP-Fraktion, die CDU/ CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, bildete innerhalb der EVP-Fraktion bislang bei allen Europawahlen die stärkste Delegation. 2022 wurde beim EVP-Kongress in Rotterdam mit Manfred Weber erstmals ein Unionspolitiker zum Vorsitzenden der EVP gewählt. Eine entscheidende Rolle spielten deutsche Christdemokraten auch im Europäischen Rat, sei es durch Helmut Kohl, sei es durch Angela Merkel; eine Vorabstimmung mit anderen Regierungschefs der EVP-Parteienfamilie erfolgt stets im Rahmen der EVP-Vortreffen unmittelbar vor Beginn der Gipfeltreffen der Europäischen Staats- und Regierungschefs.

Deutsche Christdemokraten als zentrale Akteure in Schlüsselmomenten der Europäischen Einigung Sowohl in der EVP, im Europäischen Parlament, aber auch in der Kommission und im Europäischen Rat spielten bei Schlüsselmomenten der Europäischen Integration deutsche christdemokratische Politiker eine entscheidende Rolle. Regelmäßig wirkte die Union integrierend innerhalb der europäischen Familie: So haben die beiden deutschen christdemokratischen Generalsekretäre der EVP, Thomas Jansen und Klaus Welle, nachhaltig dazu beigetragen, dass die Europäische Volkspartei auch nach den Erweiterungen der EU eine zentrale und integrierende europäische Kraft blieb und seit 1999 auch ununterbrochen im Europäischen Parlament die größte Fraktion ist. Welle spielte eine zentrale Rolle bei der Strategie zur Öffnung der EVP gegenüber Parteien aus Mittelost- und Südosteuropa: dies trug auch entscheidend zur politischen Integration dieser Länder in die EU bei. Mit einer intensiven Begleitung dieser neuen Par9 Europäisches Manifest der Christlich Demokratischen Union Deutschlands – 24. Bundesparteitag der CDU – Europatag, Präambel, 24.– 26. Mai 1976 in Hannover.

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teien im Zuge des Aufnahmeprozesses in die EVP hat die CDU das Zusammenwachsen Europas nach dem Fall des Eisernen Vorhangs unterstützt.10 Dazu gehört auch der Ausgleich zwischen den traditionell christlich-demokratisch orientierten Gründerparteien der EVP und den oft liberal oder klassisch konservativ orientierten neuen Mitgliedern, mithin ist die CDU gemeinsam mit der CSU innerhalb der EVP ein wichtiger Bezugspunkt für Parteien aus ideologisch und geographisch unterschiedlichen „Flügeln“. Eine solche Brückenfunktion nahm besonders Helmut Kohl durch seinen Einsatz für die sogenannten kleinen Mitglieder und damit der Absage an ein Direktorat der großen EUMitgliedstaaten ein. Mit vielen ihrer Leitprinzipien hat die CDU die europäische Politik in zentralen Politikfeldern geprägt. Dazu gehören das ordnungspolitische Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft, die transatlantische Ausrichtung und das Subsidiaritätsprinzip. Dabei sah sich die Europapolitik der Union stets mit der Herausforderung konfrontiert, unterschiedliche Ziele miteinander in Einklang zu bringen. In der Wirtschafts- und Währungspolitik prägten gerade auch deutsche Christdemokraten die Formulierung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes als Ausgleich der Prinzipien von Solidarität, Stabilität und Haftung. Zudem setzten sich deutsche Christdemokraten stets für eine vertragliche Verankerung des Leitprinzips der Sozialen Marktwirtschaft in den EU-Verträgen ein, was mit dem Lissabonner Vertrag 2009 auch erfolgte.11 Eine stärkere Rolle der EU in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik gehörte seit Adenauer und dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft 1954 zu den europapolitischen Zielen der CDU, immer wieder auch verbunden mit der Forderung nach einer Europäischen Armee. Gleichzeitig bekräftigte die CDU stets die Bedeutung der transatlantischen Allianz und sah die Stärkung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik auch als Stärkung des europäischen Pfeilers der NATO. In der Erweiterungspolitik setzte sich die CDU für einen Ausgleich zwischen der Offenheit für die Aufnahme weiterer EU-Mitglieder einerseits und der strikten Einhaltung der Beitrittskriterien sowie der Absorptionsfähigkeit der EU andererseits ein. In der Migrations- und Asylpolitik erfuhren Forderungen der CDU/CSU-Gruppe im EP nach einem Europäischen Außengrenzschutz und einer Stärkung des Gemeinsamen Asylsystems nach Jahren abwehrender Haltung von mitgliedstaatlicher Ebene mit Verspätung Akzeptanz. Insgesamt sah sich die Europapolitik der CDU sowohl der Förderung des europäischen Einigungsgedankens als auch der gleichzeitigen Respektierung des Subsidiaritätsprinzips und der damit verbundenen nationalen Rückkopplung politischer Entscheidungen verpflichtet. Im Zuge der Diskussion um den sogenannten Verfassungsvertrag erklärte der Vorsitzende der EVP/ED-Fraktion, Hans-Gert Pöttering, am 8. Juni 2005: „Ich plädierte dafür, dass die Europäische Union sich auf das Wesentliche konzentrierte, dass Europa dort stark sein müsste, wo nur Europa handeln könnte, dass wir aber im Übrigen verstärkt das Subsidiaritätsprinzip anwenden müssten.“12 Vertreter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion setzten sich daher stets (auch, aber nicht nur im EVP-Rahmen) für eine engere Ver10 Vgl. Thomas Jansen/Steven Van Hecke: At Europe’s Service. The Origins and Evolution of the European People’s Party. Berlin 2011, S. 68 – 70. 11 Der Lissabon-Vertrag nennt in Artikel 3(3) EUV „eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft“ als Ziel. 12 Hans-Gert Pöttering: Wir sind zu unserem Glück vereint. Mein europäischer Weg. Köln u. a. 2014, S. 238.

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netzung und Stärkung der Rolle der nationalen Parlamente ein. Im Sinne des Subsidiaritätsprinzips sprach sich die CDU traditionell für einen maßvollen Kompetenztransfer auf die EU-Ebene aus und widersetzte sich Schritten, welche der Balance von Solidarität und Haftung widerstrebten, etwa einer europäischen Vergemeinschaftung von Schulden. CDU-Parlamentarier haben sich auch über die Tagespolitik hinaus immer wieder proaktiv mit langfristig angelegten Vorschlägen zur Zukunft der EU eingebracht: Das 1994 verfasste Schäuble-Lamers-Papier13 etwa ist noch heute ein zentraler Referenzrahmen für die Zukunftsdebatte der EU, die in diesem Papier vorgeschlagenen Kernpunkte (institutionelle Weiterentwicklung der Union, Verwirklichung der Subsidiarität, Festigung des Kerns, qualifizierte Intensivierung der deutsch-französischen Beziehungen, Stärkung der außen- und sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit der Union, Erweiterung nach Osten) haben entweder die folgenden Jahrzehnte der Europapolitik nachhaltig geprägt oder bleiben sogar heute noch unverändert aktuell. Ebenso kamen deutschen christdemokratischen Parlamentariern bei der Erarbeitung der letztlich gescheiterten Europäischen Verfassung und bei den folgenden schwierigen – und erfolgreichen – Diskussionen um den Vertrag von Lissabon zentrale Rollen zu: Das gilt zum einen für den Europaparlamentarier (und langjährigen Vorsitzenden im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des EP) Elmar Brok, der im Verfassungskonvent als Vorsitzender der informellen EVP-ED-Gruppe eine Schlüsselstellung innehatte. Gerade der damalige Präsident des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering, spielte wiederum nach den gescheiterten Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden eine zentrale Rolle – nicht zuletzt auch durch die Berliner Erklärung 2007 – als Wegbereiter für den späteren Lissabonner Vertrag, der wichtige Elemente des Verfassungsvertrags wiederaufnahm. Durch ihre starke Stellung innerhalb der EVP-Fraktion und der EVP prägten deutsche Europaabgeordnete regelmäßig auch als Ausschussvorsitzende (wie etwa David McAllister, Herbert Reul, Ingeborg Gräßle), als Koordinatoren oder im EVP-Vorstand die politischen Entwicklungen auf europäischer Ebene. In mehreren Krisenmomenten der Europäischen Politik spielten vor allem auch deutsche christdemokratische Regierungschefs (und immer wieder auch Minister) eine tragende Rolle: Konrad Adenauer hielt trotz Rückschlägen, wie dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, und innenpolitischen Widerständen am europäischen Einigungsweg fest. Eine Schlüsselrolle spielte Helmut Kohl bei den Maastricht-Verträgen, bei der Vorbereitung der europäischen Wiedervereinigung ebenso wie bei der Wegbereitung für eine gemeinsame europäische Währung. Für diese Meilensteine der europäischen Einigung erhielt Kohl als eine von bisher nur drei Personen bereits kurz nach dem Ende seiner Kanzlerschaft die Auszeichnung eines Ehrenbürgers Europas. Das Wirken Angela Merkels (im Verbund mit Finanzminister Wolfgang Schäuble) im Zuge der Finanz- und Staatsschuldenkrise vermied wiederum ein Auseinanderbrechen und ein mögliches Scheitern des Euro; in den zahllosen Sitzungen wurde sie zunehmend zu einer bestimmenden Figur des europäischen Rats.14 Die Präsidentin der Europäischen Kom13 Wolfgang Schäuble/Karl Lamers: Überlegungen zur Europäischen Politik (1994), https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/schaeuble-lamers-papier-1994.pdf;jsessionid=6D3372A 5793DD911282FDDF785D1B947.delivery2-master?__blob=publicationFile&v=3 (Abruf: 9.10.2019). 14 Nachzulesen in den Analysen zu den Europäischen Ratsgipfeln von Peter Ludlow u. a., auch in: Peter Ludlow: In the Last Resort. The European Council and the Euro Crisis, Spring 2010, Eurocomment Briefing Note Vol. 7, Nr. 7/8 (2010).

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Olaf Wientzek

mission Ursula von der Leyen spielte eine zentrale Rolle bei der europäischen Antwort auf die Corona-Pandemie und übernahm bei der Reaktion der EU auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine eine zentrale europäische Führungsrolle. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass Europapolitik immer wieder zu kontroversen Diskussionen innerhalb der Partei und mit der bayerischen Schwesterpartei geführt hat, sei es bei der Balance zwischen der Nähe zu Frankreich und den „Atlantikern“, die mit Blick auf Außen- und Sicherheitspolitik erheblich stärker auf die Vereinigten Staaten setzten und französischem Drängen nach stärkerer europäischer Eigenständigkeit auch von den USA skeptischer gegenüberstanden.15 Auch die Einführung einer gemeinsamen Währung war in den 1990er Jahren bei weitem nicht unumstritten. Noch kontroverser war die Frage der Bewältigung der Banken-, Finanz- und Staatsschuldenkrise ab 2008, die Schaffung von Rettungsschirmen und der Neuaufstellung und Reform der Wirtschafts- und Währungsunion, ebenso wie die Antwort der EU auf die Migrationskrise 2015. Diese Kontroversen gingen nicht ohne Verluste vonstatten und nicht immer gelang und gelingt es letztlich, einen Konsens zu finden. Verschiedene Positionen innerhalb der CDU spiegelten aber oft auch einen weiten Teil des Meinungsspektrums innerhalb der EVP und zum Teil unter den moderaten Kräften in der EU wider. In den meisten dieser kontroversen Fragen gelang es, einen Kompromiss zu finden (sei es durch das „Sowohl-als-auch“ mit Blick auf transatlantische Solidarität und Stärkung europäischer außen- und verteidigungspolitischer Verantwortung, sei es durch einen Ausgleich zwischen Solidarität und Konditionalität in wirtschaftspolitischen Fragen) oder aber in der Partei die Reihen zu schließen. Diese wiederholt nachgewiesene Fähigkeit zum Ausgleich und zur Abwägung zwischen verschiedenen Zielen hat in vielen Fragen entscheidend zur Konsensfindung und zur breiten Akzeptanz von Lösungen auch auf europäischer Ebene beigetragen. Die vergangenen Jahrzehnte haben deutlich gemacht, dass sowohl die Fähigkeit von Christdemokraten, an Gabelungen des europäischen Wegs politische Führung und Verantwortung zu übernehmen, als auch verschiedene oft widerstreitende Positionen in Ausgleich zu bringen, den europäischen Integrationsprozess entscheidend geprägt haben. Im Zuge des Krieges Russlands gegen die Ukraine spielen deutsche Christdemokraten eine wichtige Rolle bei den Diskussionen über die notwendige (und von ihnen seit langem geforderte) Stärkung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die Heranführung der Ukraine an die EU und die künftige Ausrichtung des EU-Erweiterungsprozesses spielen.

Forschungs- und Quellenlage Die Arbeit der Christdemokraten auf europäischer Ebene ist recht gut aufgearbeitet. Wichtige Werke sind die Monographien von Thomas Jansen (2006)16 und Pascale Fontaine (2009)17 über die CD- bzw. EVP-Fraktion und von Thomas Jansen und Steven Van 15 Vgl. Gehler: Die CDU, Europa und die europäische Einigung, S. 199 – 202. 16 Thomas Jansen: Die Europäische Volkspartei – Entstehung und Entwicklung. Brüssel 2006. 17 Pascale Fontaine: Herzenssache Europa. Eine Zeitreise 1953 – 2009. Geschichte der Fraktion der Christdemokraten und der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament. Brüssel 2009.

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Hecke (2011) „At Europe’s Service“ über die EVP18. Eine Reihe von Dokumenteneditionen ergänzen die Literatur, zuletzt erschienen (2018) sind die neuesten Bände der von Michael Gehler u. a. herausgegebenen Reihe „Transnationale Parteienkooperation der Europäischen Christdemokraten und Konservativen“.19 Ergänzt werden diese wissenschaftlichen Werke durch Autobiographien direkt beteiligter Personen wie denen von Wilfried Martens (2009)20 oder von Hans-Gert Pöttering (2014)21. Doch es gibt weiter offene Forschungsfelder, bei deren Aufarbeitung die Archivbestände der EVP-Fraktion in Brüssel sowie im ACDP (09-001) und der EVP im ACDP (09-007) hilfreich sind. Diese werden ergänzt durch eine Reihe von, teilweise unerschlossenen, Beständen von Personen [z.B. der Präsidenten des Europäischen Parlaments Hans Furler (01-015), Egon A. Klepsch (01-641) und Hans-Gert Pöttering (01-905), und der Kommissionspräsidenten Walter Hallstein (01-341) und Ursula von der Leyen (01-888)], Vorgängerorganisationen (NEI 09-002, EUCD 09-004) und Unterorganisationen (EDS 09-003, YEPP 09-015). Die Europapolitik der CDU selbst ist dagegen weniger gut erforscht, abgesehen von dem substanziellen Beitrag in Hans-Otto Kleinmanns (1993) „Geschichte der CDU“22, der Darstellung der Europawahlkämpfe der CDU von 1979 bis 2009 von Jochen Blind (2012)23 sowie zwei von Günter Rinsche (1997)24 sowie einem von Hanns Jürgen Küsters (2014)25 herausgegebenen Sammelbänden. Darum ist es umso wichtiger, dass im ACDP mit den laufend fortgeführten Unterlagen der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament (09-010) sowie den Dokumenten des CDU Europabüros (08-010) und der AG Angelegenheiten der Europäischen Union der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (08-100) grundlegende Bestände zur Erforschung bereitstehen.

18 Jansen/Van Hecke: At Europe’s Service. 19 Michael Gehler u. a. (Hg.): Transnationale Parteienkooperation der Europäischen Christdemokraten und Konservativen. München 2004/2018. 20 Wilfried Martens: Europe. I struggle, I overcome. Berlin 2009. 21 Pöttering: Wir sind zu unserem Glück vereint. 22 Hans-Otto Kleinmann: Geschichte der CDU 1945 – 1982. Hg. von Günter Buchstab. Stuttgart 1993. 23 Jochen Blind: Das Heimspiel der „Europa-Parteien“? Die Europawahlkämpfe der Union von 1979 bis 2009. Wiesbaden 2012. 24 Günter Rinsche (Hg.): Frei und geeint. Europa in der Politik der Unionsparteien. Darstellungen und Dokumente. Köln u. a. 1997; Ders./Ingo Friedrich (Hg.): Europa als Auftrag. Die Politik deutscher Christdemokraten im Europäischen Parlament 1957 – 1997. Von den Römischen Verträgen zur Politischen Union. Köln u. a. 1997. 25 Hanns Jürgen Küsters (Hg.): Deutsche Europapolitik Christlicher Demokraten. Von Konrad Adenauer bis Angela Merkel (1945 – 2013) (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 66). Düsseldorf 2014.

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Sicherheits- und Verteidigungspolitik Michael Hansmann Einleitung Bereits kurz nach Entstehung der Bundesrepublik Deutschland und der Erlangung der Teilsouveränität wurde die Sicherheitspolitik Teil der politischen Agenda der CDU. Gekennzeichnet war der Weg der CDU und damit auch ihre sich entwickelnde Sicherheitspolitik bis zum Verlust der Regierungsverantwortung 1969 von der Rolle als dominierende Kanzlerpartei.1 Dies galt vor allem für Konrad Adenauer in seiner Amtszeit von Gründung der Bundesrepublik bis 1963. Das Thema Sicherheit ist integraler Bestandteil des Grundgesetzes. Bereits in Artikel 1 wird die Schutzpflicht des Staates für seine Bürger deutlich, indem es dort u. a. heißt, dass es Verpflichtung aller staatlichen Gewalt sei, die Würde des Menschen zu schützen. Die Sicherheitspolitik selber ist im konservativen Verständnis ein Teilbereich der Außenpolitik, die sich mit den Fragen der äußeren Sicherheit in Bezug auf Krisen und Konflikte zwischen Staaten, Staatengruppen oder nicht staatlichen Akteuren innerhalb von Staaten, wie beispielsweise in einem Bürgerkrieg, beschäftigt.2 Diese eher auf die äußere Sicherheit zielende Definition hat sich allerdings in den letzten Jahren im politischen Verständnis innerhalb der Bundesrepublik so weit verändert, dass die Fragen der Öffentlichen Sicherheit im Inneren ebenfalls als Bestandteil einer umfassenden Sicherheitspolitik angesehen werden und beide Bereiche nicht mehr scharf voneinander unterschieden werden können. Die sicherheitspolitische Lage der Bundesrepublik war bei ihrer Gründung bestimmt von der Konfrontation zwischen Ost und West, in der beide deutschen Staaten einen Teil der Frontlinie bildeten und sich die deutsche Teilung zementierte. Ein weiteres Merkmal war die fast völlige Entmilitarisierung als Resultat der totalen Niederlage des nationalsozialistischen Deutschlands im Zweiten Weltkrieg. Bereits seit der Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland und noch vor Gründung der CDU auf Bundesebene auf dem Goslarer Parteitag 1950 sah Konrad Adenauer in der Integration in den Westen die einzige Garantie für die Erlangung und Sicherung der staatlichen Souveränität sowie für die langfristige Bewahrung des demokratischen Wiederaufbaus. Die Sicherung des demokratischen Aufbaus der Bundesrepublik und damit auch West-Berlins war für ihn eng verbunden mit der Frage der äußeren Sicherheit, die durch die Sowjetunion unmittelbar bedroht war. 1 Klaus Gotto: Bundespartei CDU – Entwicklung – Geschichte der CDU, https://www.kas.de/de/web/ geschichte-der-cdu/bundespartei-cdu-entwicklung (Abruf: 16.4.2020). 2 Ernst-Christoph Meier/Andreas Hannemann/Rainer zum Meyer Felde: Wörterbuch zur Sicherheitspolitik. Deutschland in einem veränderten internationalen Umfeld. 8. Aufl. Hamburg 2012, S. 446.

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Die Sicherheitspolitik wurde von der CDU daher seit den 1950er Jahren maßgeblich durch die Sicherheitspartnerschaft mit den USA definiert. Gleichzeitig setzte sich die Partei für eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik ein.3 Beide Punkte sind auch heute noch Grundlage bei der Wahrung und Vertretung des sicherheitspolitischen Standpunktes der Christlichen Demokratie. Beginnend mit dem ersten von der CDU gestellten Bundesminister der Verteidigung Theodor Blank bis zur letzten von der Union gestellten Amtsinhaberin Annegret Kramp-Karrenbauer, hat sich eine klare Linie im Verständnis der Sicherheitspolitik mit dem grundlegenden Bekenntnis zur westlichen, das heißt atlantischen und europäischen Sicherheits- und Verantwortungsgemeinschaft herausgebildet.4 Dies beinhaltet das Verständnis als Parlamentsarmee, die integraler Bestandteil der demokratischen Gesellschaft ist. Ebenso galt bis zu ihrer Aussetzung 2011 die Wehrpflicht als wichtiges Bindeglied der demokratischen Gesellschaft. So stellte Ingo Gädechens für die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag fest, dass sich die Union nur schweren Herzens von der Wehrpflicht verabschiede. Die Bundeswehr sei eben doch „eine Art Schule der Nation“ gewesen. Dort hätten junge Menschen unterschiedlichster sozialer Herkunft zum ersten Mal gelernt, dass sie als Bürger auch etwas für den Staat und die Gesellschaft tun müssten.5 Ein Thema, das auch seit 2018 mit der Diskussion um die Einführung eines „Pflichtjahres“ in den Fokus der Öffentlichkeit kam, aber aus verfassungsrechtlichen Bedenken wieder fallen gelassen wurde. 2020 wurde mit der Idee eines Freiwilligendienstes für den Heimatschutz bzw. ein „Jahr für Deutschland“ für einen Dienst in der Bundeswehr die Thematik von KrampKarrenbauer wieder aufgegriffen und konnte 2021, wenn auch zunächst nur in einem sehr geringen Umfang, umgesetzt werden.

Integration in die freie Welt Die grundlegenden Entscheidungen für die Einbindung der Bundeswehr in die demokratische Gesellschaft und das westliche Verteidigungsbündnis wurden von den ersten Verteidigungsministern, die die Union stellte – Theodor Blank, Franz Josef Strauß und Kai-Uwe von Hassel – entscheidend mitgeprägt. Sie gehörten der Kriegsgeneration an, die als Soldaten den Zweiten Weltkrieg und die Folgen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erlebt hatten und dann aufgrund ihrer Erfahrungen ein besonderes Verantwortungsbewusstsein für die neue Rolle des Soldaten als „Staatsbürger in Uniform“ entwickelten. 3 Michael Hansmann: Europäische Sicherheitspolitik: Vorstellungen und Konzepte deutscher Christlicher Demokraten in europäischen Institutionen am Beispiel der WEU und des Europäischen Parlaments, in: Michael Borchard (Hg.): Deutsche Christliche Demokraten in Europa. Sankt Augustin/ Berlin 2020, S. 473 – 511. 4 Rupert Scholz: Die Verteidigungspolitik der CDU/CSU. Die Verteidigungsminister von Theodor Blank bis Volker Rühe, in: Klaus-Jürgen Bremm (Hg.): Entschieden für Frieden. 50 Jahre Bundeswehr – 1955 bis 2005. Baden-Baden 2005, S. 379 – 395, hier 380 f. 5 Alexander Weinlein: Deutscher Bundestag – Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht beschlossen, NaN, https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2011/33831649_kw12_de_wehrdienst-204958 (Abruf: 14.7.2020).

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Dies war in den 1950er Jahren noch kein bundesdeutscher Konsens, da von sozialdemokratischer und kommunistischer Seite befürchtet wurde, dass durch eine Westbindung eine Wiedervereinigung, gerade auch vor dem Hintergrund der Gründung der DDR und des sich verschärfenden Kalten Krieges, unmöglich werden würde. Die heftige innenpolitische Diskussion, die um die sogenannte Stalin-Note von 1952 geführt wurde, belegt dies deutlich. Die Sowjetunion bot hier gegen den Verzicht auf den Beitritt der Bundesrepublik zu einem westlichen Verteidigungsbündnis und der bündnispolitischen Neutralität die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten an. Es ist bis heute nicht völlig geklärt und immer wieder Gegenstand der Forschung 6, ob es sich hierbei um ein ernsthaftes Angebot, ein Täuschungsmanöver oder eine kalkulierte Aktion Stalins gehandelt hatte, um die innere Lage der noch jungen Bundesrepublik zu destabilisieren. Konrad Adenauer bestätigte die Westmächte in ihrer Ablehnung, er sprach sich gegen die Neutralität und gegen jeden Sonderweg der Bundesrepublik in Europa aus. Dies blieb bis zur Wiedervereinigung für die Deutschland- und Sicherheitspolitik die Ausrichtung von CDU und CSU. Der Weg von der Besatzungszeit über die Einbindung in den Westen bis hin zur Wiederherstellung der deutschen Einheit 1990 sowie folgend zur aktiven Rolle der Bundesrepublik im Rahmen auch aktiver Auslandseinsätze war teilweise sehr steinig. Der sich verschärfende Kalte Krieg und der Ausbruch des Korea-Krieges 1950, der auch als Bedrohung Westeuropas wahrgenommen wurde, gaben den Gedanken um einen deutschen Verteidigungsbeitrag, nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit den Bemühungen um die staatliche Souveränität, Auftrieb. Dies führte in den nächsten Jahren zu heftigsten innenpolitischen Diskussionen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges und der Erfahrungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. In der „Himmeroder Denkschrift“7, die von deutschen Militärexperten 1950 im Auftrag der Bundesregierung erarbeitet wurde, waren u. a. Fragen der Wiederbewaffnung sowie der Organisation und Ausrüstung neuer deutscher Streitkräfte die Themen.8 Bereits hier war die Möglichkeit einer Wehrpflicht bzw. Dienstpflicht angedacht, ohne die eine ausreichende Truppenstärke nicht erreichbar gewesen wäre. Der Streit um die Form des Wehrsystems in der Bundesrepublik war elementar mit der Frage nach dem Personalumfang der künftigen Streitkräfte verknüpft. Ausschlaggebend für die von der Bundesregierung unter Konrad Adenauer favorisierte Lösung der Wehrpflicht war schließlich der EVG-Vertrag, der eben diese vorsah. Im Hinblick auf die Unterzeichnung des EVG-Vertrages erfolgte die entsprechende Ergänzung des Grundgesetzes am 26. Februar 1954. Damit wurde eine Klärung der rechtlichen Voraussetzungen für den deutschen Verteidigungsbeitrag vorgenommen. Mit der Neufassung des Artikels 73 Abs. 1 6 Siehe dazu: Peter Ruggenthaler (Hg.): Stalins großer Bluff. Die Geschichte der Stalin-Note in Dokumenten der sowjetischen Führung (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Bd. 95). Berlin/Boston 2007. 7 Christoph Nübel (Hg.): Dokumente zur deutschen Militärgeschichte 1945 – 1990. Bundesrepublik und DDR im Ost-West-Konflikt (Deutsch-deutsche Militärgeschichte. Bd. 1). Berlin 2019, S. 122 – 134. 8 Hans-Jürgen Rautenberg/Norbert Wiggershaus: Die „Himmeroder Denkschrift“ vom Oktober 1950. Politische und militärische Überlegungen für einen Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur westeuropäischen Verteidigung, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 22 (1977), S. 135 – 206.

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wurde explizit die Möglichkeit einer Wehrpflicht für Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an in das Grundgesetz aufgenommen. Diese ersten grundlegenden Schritte, von der Planung bis zum Aufbau der Bundeswehr sind vor allem mit dem Namen Theodor Blank in Verbindung zu setzen. „Christ und Demokrat aus Überzeugung“, so würdigte Heiner Geißler ihn anlässlich seines zehnten Todestages im Jahre 1982. Theodor Blank war entscheidend an der Einbindung der Bundesrepublik in die NATO und an ihrer Entwicklung zu einem modernen Sozialstaat beteiligt. Er gehörte einerseits zu den Gründungsmitgliedern der CDU in Westfalen und war damit einer der Christlichen Demokraten der ersten Stunde, andererseits war er einer der Mitbegründer des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) als Einheitsgewerkschaft. Adenauer wählte ihn, den Gewerkschafter, katholischen Christen und gedienten Reserveoffizier, aus, da er von der deutschen Öffentlichkeit nicht mit dem Militarismus in Verbindung gebracht werden konnte. Er sollte den Primat der Politik gegenüber den militärischen Beratern sicherstellen. Blank kämpfte gegen die Ablehnung der Wiederbewaffnung, die u. a. von der Sozialdemokratie vertreten wurde, und gegen die in großen Teilen der Bevölkerung verbreitete „Ohne-mich-Stimmung“.9 Am 23. Oktober 1950 wurde Blank offiziell, mit Billigung der Westmächte, von Adenauer zum Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen ernannt. Bekannt wurde seine Organisation als „Amt Blank“ oder „Dienststelle Blank“ mit Sitz zunächst direkt am Museum Koenig und dann in der Ermekeilkaserne in Bonn. Vom Pleven-Plan 1950, der in den Plan zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) mündete, über deren Scheitern 1954 zu den Pariser Verträgen vom 23. Oktober 1954 bis zur Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die NATO am 9. Mai 1955, war es ein komplizierter Weg. Neben den Fragen der politischen Einbindung der Bundesrepublik in die westliche Gemeinschaft und der Frage der Souveränität mussten auch die Strukturen der geplanten westdeutschen Streitkräfte festgelegt werden. Blank hatte für diese Aufgaben tatkräftige Mitarbeiter wie die Generäle Adolf Heusinger und Hans Speidel sowie den Wegbereiter der späteren zivilen Bundeswehrverwaltung, Ernst Wirmer. Untrennbar verknüpft mit der Gründung der Bundeswehr und der Einführung der Wehrpflicht sind der Grundsatz des „Bürgers in Uniform“ und der Begriff der „Inneren Führung“. Die Wehrpflicht sollte das Bindeglied zwischen Staatsbürger und Streitkräften sein und im Gegensatz zur Reichswehr der Weimarer Republik stehen, die als Berufsarmee quasi einen Staat im Staat gebildet hatte.10 Dies ist ein gravierender Unterscheid zur ebenfalls 1949 entstandenen DDR, die bereits früh unter Aufsicht der Sowjetunion begann, bewaffnete Strukturen zu schaffen.11 Kasernierte Volkspolizei (KVP) und später Nationale Volksarmee (NVP) standen von 9 Michael Hansmann/Hans-Otto Kleinmann: Theodor Blank, 2018, https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/theodor-blank-v1 (Abruf: 19.7.2020). 10 Michael Hansmann: Bundestag ermöglicht Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht, https://www. kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/kalender/kalender-detail/-/content/bundestag-ermoeglicht-einfuehrung-einer-allgemeinen-wehrpflicht (Abruf: 28.12.2019). 11 Torsten Diedrich (Hg.): Im Dienste der Partei. Handbuch der bewaffneten Organe der DDR (Forschungen zur DDR-Gesellschaft). Berlin 1998.

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Beginn unter der alleinigen bestimmenden Kontrolle der SED und somit nach eigener Definition der Arbeiterklasse.12 Durch die Einrichtung der Politischen Hauptverwaltung (PHV) in der NVA, die sowohl im Ministerium für nationale Verteidigung als auch in der SED als Abteilung aufgebaut wurde, bestand der direkte Zugriff durch die Partei auf die Armee. Andere Parteien in der DDR, und gerade auch die CDU in der DDR, waren hier ohne jeden Einfluss auf die NVA. Ebenso konnten CDU-Mitglieder, wie die der anderen bürgerlichen Parteien, fast ausnahmslos nicht Offiziere werden. In der Bundesrepublik geriet Theodor Blank schnell unter starken innenpolitischen Druck. So unterschätzte er den parlamentarischen Weg für die Freigabe von Beschaffungen und die Fragen der Finanzierung. Innerhalb der eigenen Koalition war Franz Josef Strauß einer seiner schärfsten Kritiker. Dieser plädierte u. a. für deutsche Atomwaffen und zog die konventionelle Stärke in Zweifel. Blank vermisste für seine Arbeit auch die Unterstützung durch die Koalitionsparteien. Im Zuge der ersten großen Kabinettsumbildung Adenauers wurde Theodor Blank am 16. Oktober 1956 entlassen. Ihm folgte Franz Josef Strauß von der CSU im Amt. Sein Name bleibt verbunden mit dem weiteren Aufbau der Bundeswehr, den er mit großem Engagement betrieb. Strauß setzte auf eine hochmoderne Ausrüstung der Bundeswehr, die anfangs vor allem mit gebrauchten Waffen aus den USA und Großbritannien erfolgte. Zudem lag sein Augenmerk auf dem Aufbau von professionellen und gut ausgebildeten Streitkräften. Diese sollten auch in die Nuklearstrategie der NATO eingebunden werden und somit über die nukleare Teilhabe verfügen, die bis heute durch die SPD, die Linke und die Grünen immer wieder infrage gestellt wird. Die Bundesrepublik hat zwar mit der Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages auf Herstellung und Besitz eigener Nuklearwaffen verzichtet und vertraut dem nuklearen Schutzschirm der USA und der NATO. Im Rahmen der nuklearen Teilhabe stellt sie allerdings geeignete Trägersysteme zum Einsatz dieser Waffen unter der Kontrolle der USA zur Verfügung. Franz Josef Strauß und die Union erkannten, dass aufgrund der massiven konventionellen Überlegenheit der Sowjetunion und ihrer Partner im Warschauer Pakt nur eine überzeugende Nuklearstrategie, die auch auf den Ersteinsatz von Atomwaffen nicht verzichtet, eine glaubhafte Abschreckung darstellte, die damit einen Krieg unmöglich machte. Als Nachfolger von Strauß übernahm im Januar 1963 Kai-Uwe von Hassel das Amt des Verteidigungsministers, der sich intensiv für die Stärkung der transatlantischen Beziehungen, vor allem zu den USA, einsetzte. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit lag auf der Festigung der Grundsätze der „Inneren Führung“. Damit leistete er einen wichtigen und unverzichtbaren Anteil zur völligen Integration der Bundeswehr in die demokratische Gesellschaft der Bundesrepublik. Nach Bildung der ersten Großen Koalition in der noch jungen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wurde unter der Kanzlerschaft von Kurt Georg Kiesinger der bereits kabinettserfahrene Gerhard Schröder13 neuer Bundesminister der Verteidigung. Schröder, zuvor Innenminister, und dann Außenminister, war ein entschiedener Verfechter der nordatlantischen Sicherheitsgemeinschaft mit den USA als Kern der deutschen

12 Nübel: Dokumente zur deutschen Militärgeschichte 1945 – 1990, S. 22 – 32. 13 Wolfgang Tischner/Stefan Marx: Gerhard Schröder, https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/ personen/biogramm-detail/-/content/gerhard-schroeder-v1 (Abruf: 1.7.2021).

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Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit14 war gekennzeichnet vom Bemühen sowohl der USA als auch Frankreichs, die Bundesrepublik auf ihren jeweiligen nuklearen Schutzschirm einzuschwören. Schröder war deshalb bereits in seiner Zeit als Außenminister unter Adenauer in Diskussionen über Fragen der Sicherheitspolitik und der deutsch-französischen Beziehungen verwickelt worden. Da letztendlich die amerikanische Offerte einer multinationalen Atomstreitkraft (MLF) gegen das französische nukleare Konzept gerichtet war, nahmen die USA folgerichtig davon Abstand, nachdem sich Frankreich für eine eigene nukleare Abschreckung mit der „Force de frappe“ entschieden hatte.15 Grundlage der Sicherheitspolitik der CDU blieb trotz dieser kurzfristigen Irritationen die feste Einordnung in die westliche Wertegemeinschaft, die die Bereiche Sicherheitspolitik sowie Europa- und Außenpolitik umfasste. Für die CDU war die Westbindung die politische Lebensversicherung, um ihre Politik, vor allem die Deutschlandpolitik zur Überwindung der deutschen Teilung, auf einer sicheren Basis fortzuführen. Im grundsätzlichen Sinne wurde die Westbindung als bundesdeutsche Staatsraison verstanden, auf die Freiheit und Demokratie in der Nachkriegszeit aufbauten.

Von der Regierungs- zur Oppositionspartei 1969 – 1982 Mit dem Ende der Großen Koalition 1969 schied die Union aus der Regierungsverantwortung aus, was aber nicht bedeutete, dass die Sicherheitspolitik aus ihrem Fokus geriet. Im Gegenteil, nach der notwendigen Umstellung auf die Rolle einer parlamentarischen Opposition gewannen die Partei als Organisation und die parlamentarischen Strukturen an Gewicht. Zu nennen sind hier in erster Linie die AG Verteidigung der CDU/CSUFraktion im Deutschen Bundestag und der Bundesfachausschuss für Sicherheitspolitik der CDU. Gekennzeichnet waren die Jahre der sozialliberalen Koalition zunächst von der Entspannungspolitik gegenüber dem Osten und der Gestaltung einer Abrüstungspolitik, vor allem im nuklearen Bereich, aber auch vertrauensbildenden Maßnahmen im Bereich der konventionellen Streitkräfte. Nicht zuletzt die Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki 1975 war ein Meilenstein auf dem Weg zur späteren Auflösung des Kalten Krieges, auch wenn dies im Prozess der KSZE zunächst nicht absehbar und auch in der Union umstritten war, vor allem im Hinblick auf die deutsche Ostgrenzen und auf die früheren deutschen Ostgebiete. Nach einer kurzen Entspannungsphase führten der sowjetische Einmarsch in Afghanistan 1979 und die Aufrüstung durch sowjetische Mittelstreckenraketen des Typs SS20 zu einer Debatte um den weiteren sicherheitspolitischen Weg und eine Antwort des nordatlantischen Bündnisses. Der NATO-Doppelbeschluss, der einerseits Verhandlungen mit der UdSSR und dem Warschauer Pakt vorsah, andererseits aber auch die Nachrüstung durch Mittelstreckenwaffen der Typen Pershing 2 und Cruise Missile, war einer der Gründe für das Scheitern der sozial-liberalen Koalition. Vor allem innerhalb der SPD gab es eine immer stärker werdende Ablehnung des vom eigenen Kanzler Helmut Schmidt initiierten Beschlusses, was zu der wohl intensivsten und schärfsten Debatte über die Si14 Gerhard Schröder war von 1953 bis 1961 Bundesminister des Innern, von 1961 bis 1966 Bundesminister des Auswärtigen und von 1966 bis 1969 Bundesminister der Verteidigung. 15 Scholz: Die Verteidigungspolitik der CDU/CSU, S. 383.

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cherheits- und Verteidigungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland seit Gründung der Bundeswehr führte. Die CDU unterstützte den NATO-Doppelbeschluss in der Tradition ihrer Sicherheitspolitik und der Stärkung des westlichen Bündnisses, um den Schutz der Bundesrepublik durch die nukleare Abschreckung, die letztlich kriegsverhindernd wirkte, sicherzustellen. Maßgeblicher Verteidigungspolitiker der CDU war damals bereits Manfred Wörner16, der von 1976 bis 1980 Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages und seit 1973 Mitglied des Bundesvorstandes der CDU war. Wörner, 1934 geboren, gehörte zu den „Weißen Jahrgängen“ und hatte deshalb keinen Wehrdienst geleistet. Er entschied sich aber, sich als Reserveoffizier in der Luftwaffe ausbilden zu lassen und wurde Pilot. Zuletzt flog er den leichten Jagdbomber Alphajet und erreichte den Dienstrang eines Oberstleutnants der Reserve. Mit Werner Marx17 besaß die CDU einen weiteren sehr profilierten und geschätzten Außen- und Sicherheitspolitiker, der 1985 leider viel zu früh verstarb. Er war von 1966 bis 1972 Vorsitzender des Bundesfachausschusses Verteidigungspolitik der CDU und von 1969 bis 1980 Vorsitzender der Arbeitskreise für auswärtige, gesamtdeutsche, Verteidigungs-, Europa- und Entwicklungspolitik der CDU/CSU-Fraktion. Im Bundestag amtierte er 1980 – 1982 als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses und war von 1982 bis zu seinem Tod 1985 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses.

Regierungsverantwortung 1982 – 1998 Manfred Wörner wurde nach dem erfolgreichen konstruktiven Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt 1982 Verteidigungsminister im Kabinett von Helmut Kohl und blieb dies bis zu seinem Amtsantritt als Generalsekretär der NATO 1988. Der Bundestagswahlkampf 1983 wurde, neben wirtschaftlichen Themen, gerade auch durch die Fragen der Sicherheitspolitik im Rahmen der Debatte um die Umsetzung des NATO-Doppelbeschlusses bestimmt. Die CDU setzte sich unter dem Slogan „Frieden sichern“ für eine aktive Politik der Friedenssicherung ein. Im Wahlprogramm von CDU/ CSU heißt es unter Punkt 3: „Wir sichern Frieden und Freiheit“: „Die Atlantische Gemeinschaft ist eine Freiheitsgemeinschaft, indem sie unsere Freiheit verteidigt. Die Atlantische Gemeinschaft ist eine Friedensgemeinschaft. Sie verhindert durch ihre glaubwürdige Verteidigungsbereitschaft Krieg und politische Erpressung. Bündnispolitik ist Friedenspolitik.“18 Nach der gewonnenen Bundestagswahl 1983 setzte sich Wörner als Verteidigungsminister stark für die Umsetzung des NATO-Doppelbeschlusses ein und stellte die Weichen für die weitere moderne Ausrüstung der Bundeswehr. In seiner Amtszeit begann die Entscheidung zur Entwicklung des „Jäger 90“ als European Fighter Aircraft (EFA), heute als Eurofighter das Rückgrat der Luftwaffe. Die europäische Dimension Wörners zeigte 16 Peter Crämer: Manfred Wörner, https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogrammdetail/-/content/manfred-woerner-v1 (Abruf: 1.7.2021). 17 Angela Keller-Kühne: Werner Marx, https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/werner-marx (Abruf: 3.7.2021). 18 CDU-Bundesgeschäftsstelle: Arbeit, Frieden, Zukunft – Miteinander schaffen wir es. Das Wahlprogramm der CDU/CSU. Bonn 1983, S. 8 f.

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sich auch bei den Vorbereitungen zur Aufstellung der Deutsch-Französischen Brigade, die kurz nach seinem Wechsel zur NATO 1989 in Dienst gestellt wurde. Im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 1987 steht die Sicherheitspolitik an erster Stelle unter dem Slogan: „Wir sichern Frieden und Freiheit.“ Die enge Verbundenheit mit dem westlichen Bündnis und die Wiederherstellung der Politik Konrad Adenauers seit der Wende 1982 in sicherheitspolitischen Fragen werden deutlich betont. Freiheit zu bewahren und den Frieden in Deutschland und Europa in der westlichen Wertegemeinschaft zu sichern ist Politik der CDU. Das Bündnis mit den USA wird als Grundlage der Sicherheit der Bundesrepublik bewertet. Gleichzeitig fordert die Union deutlich die Stärkung der europäischen Komponente als gleichberechtigten Bestandteil Partner in der Sicherheitspolitik. Hier galt Europa zwar als wirtschaftlich stark, aber sicherheitspolitisch noch als Zwerg.19 Auf Manfred Wörner folgte 1988 Rupert Scholz20 für knapp ein Jahr als Verteidigungsminister. Seine Amtszeit war gekennzeichnet von der Auseinandersetzung um die Nachfolge der für den Einsatz im Rahmen der nuklearen Teilhabe vorhandenen Kurzstreckenrakete vom Typ „MGM-52 Lance“, deren Zielreichweite von 130 km im Prinzip nur deutschen Boden umfasste und auch innerhalb der Koalition aus CDU/CSU und FDP umstritten war, da die FDP eine Nachfolgelösung strikt ablehnte, während die Union dieses Thema möglichst aus dem kommenden Wahlkampf heraushalten wollte. Gleichzeitig machte sich in Teilen der bundesdeutschen Bevölkerung eine gewisse Ablehnung von Auswirkungen der Verteidigungspolitik auf das Alltagsleben breit. Dies ist im Zusammenhang und vor dem Hintergrund der sich anbahnenden Entspannungspolitik mit der Sowjetunion und der daraus resultierenden Abrüstungspolitik vor allem im nuklearen Bereich zu betrachten. So kam es u. a. zu Diskussionen um die Notwendigkeit von Tiefflügen von deutschen und alliierten Luftstreitkräften über bewohnten Gebieten. Angeheizt wurde die Debatte zusätzlich durch das Flugzeugunglück auf der USBasis Ramstein in Rheinland-Pfalz 1988 und dem Absturz eines US-Kampfflugzeuges über Remscheid in Nordrhein-Westfalen im Dezember 1988. Rupert Scholz, der die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik als Paket ansah, setzte sich weiter dafür ein, die Verteidigungsfähigkeit zu erhalten, was mit einer militärischen Präsenz im Alltag und auch Manövertätigkeiten verbunden war.21 Im Zuge einer Kabinettsumbildung 1989 wurde Gerhard Stoltenberg, bereits seit 1982 als Finanzminister im Kabinett, neuer Bundesminister der Verteidigung. Der Fall der Mauer, die Umbrüche in der Mitte und im Osten Europas, die Wiederherstellung der Deutschen Einheit und die Auflösung des Warschauer Paktes führten zu einer völlig veränderten Sicherheitslage, die immense Auswirkungen auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik des nun wiedervereinigten Deutschlands hatten und das Land auch international vor neue Herausforderungen stellten. Dazu gehörte die mitten in der Vorbereitungsphase der deutschen Einheit erfolgte Invasion Kuwaits durch den Irak und der

19 CDU-Bundesgeschäftsstelle: Weiter so, Deutschland – Für eine gute Zukunft, https://www.kas.de/c/ document_library/get_file?uuid=e68c4584-f8fa-0ab6-e805-008bffa77c6b&groupId=252038 (Abruf: 2.8.2020), S. 8 f. 20 Tim B. Peters: Rupert Scholz, https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/rupert-scholz-v1 (Abruf: 3.7.2021). 21 Scholz: Die Verteidigungspolitik der CDU/CSU, S. 393.

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im Januar 1991 folgende zweite Golfkrieg und die militärischen Auseinandersetzungen im zerfallenden Jugoslawien. Noch vor Herstellung der deutschen Einheit resümierte die CDU ihr Wirken in der Außen-, Sicherheits-, Europa- und Entwicklungspolitik in einer Leistungsbilanz von der Übernahme der Regierungsverantwortung 1982 bis zum Jahr 1990.22 Die Vision Konrad Adenauers eines „freien und geeinten Deutschlands in einem freien und geeinten Europa“ war greifbar nahe. Für Helmut Kohl und die CDU bedeute die Fortentwicklung dieser Politik, dass Deutschlands Zukunft Europa heiße und die politische Union Europas, vor allem im Verbund mit Frankreich, voranzutreiben sei. Gleichzeitig sollte der Weg zur kontrollierten Abrüstung unter dem Motto „Sicherer Frieden mit weniger Waffen“ fortgesetzt werden, der schon 1987 mit der Abschaffung der Mittelstreckenraketen in Europa begann und 1990 auch zum Abzug der chemischen Waffen aus der Bundesrepublik führte. Das Festhalten der CDU am NATO-Doppelbeschluss gegen viele Widerstände in der Bundesrepublik führte auch in der Sowjetunion, mit Michail Gorbatschow an der Spitze, zur Einsicht, den Rüstungswettlauf wirtschaftlich nicht gewinnen zu können und stattdessen auf Verhandlungen und Entspannung zu setzen. Dies war nicht zuletzt einer der Faktoren, die letztendlich auch die deutsche Einheit mit ermöglichten. Die Abrüstungsinitiativen und die vertragliche Ausgestaltung der deutschen Einheit sorgten auch für einen massiven Abbau des Personalumfangs der Bundeswehr auf 370.000 Soldaten bis 1994. Gerhard Stoltenberg übernahm mit dem 3. Oktober 1990 die Aufgabe, Teile der ehemaligen Nationalen Volksarmee als Kommando Ost in die Bundeswehr zu integrieren und den größten Teil aufzulösen. Forderungen nach finanziellen Einsparungen nach Ende des Kaltes Krieges machten auch vor der Bundeswehr nicht halt. Stoltenberg entschied Anfang 1992, auf die Beschaffung von neuen Waffensystemen zu verzichten. Dies sollte aber nicht auf Kosten der Einsatzbereitschaft der NATO geschehen, die Verteidigungsfähigkeit sollte weiter gewährleistet bleiben. Die schwierige Aufgabe der Integration von ehemaligen Soldaten und in geringerem Maße auch von Waffensystemen der NVA bei gleichzeitiger deutlicher Reduktion der Gesamtstärke der Bundeswehr bewältigt zu haben, bleibt ein Verdienst der Amtszeit Gerhard Stoltenbergs. 1992 folgte ihm Volker Rühe23 im Amt nach und musste sich ebenfalls schwierigen Herausforderungen stellen und unbequeme Entscheidungen, auch gegen Widerstände in der Bundeswehr und der Politik, treffen und durchsetzen. Aufgrund der veränderten Anforderungen und sich abzeichnender Auslandseinsätze setzte er grundlegende Änderungen in der Struktur der Bundeswehr, bei weiterer Reduktion auf eine Stärke von 340.000 Soldaten, durch. Gleichzeitig schloss er die Integration der ehemaligen NVA in die Bundeswehr ab, die damit zur Armee der Einheit wurde. International setzte sich Rühe nach dem Ende des Warschauer Paktes, gerade auch bei den westlichen Verbündeten, für die Möglichkeit eines Beitritts der ehemaligen mittel- und osteuropäischen Staaten zur NATO ein, was als ersten Staaten Polen, der Tsche22 Aussen-, Sicherheits-, Europa- und Entwicklungspolitik, in: CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hg.): UID 1990 Nr. 27 Beilage: CDU-Dokumentation, Union in Deutschland, S. 17 – 24. 23 Dorothea Oelze: Volker Rühe, https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/volker-ruehe-v1 (Abruf: 1.7.2021).

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chischen Republik und Ungarn die Mitgliedschaft im westlichen Verteidigungsbündnis ermöglichte. Unter Volker Rühe begannen die ersten vorsichtigen Auslandseinsätze der Bundeswehr außerhalb des NATO-Bündnisgebiets, unter dem Stichwort „out of area“, mit dem Einsatz von Sanitätskräften in Kambodscha und einem Unterstützungsverband in Somalia.24 Dies alles geschah in einer Phase, in der die historische Verantwortung zur militärischen Zurückhaltung als Folge des Zweiten Weltkrieges noch tief im Bewusstsein vieler Deutscher verankert war und auch verfassungsrechtliche Bedenken bestanden. Während CDU/CSU und FDP schon in der Kuwait-Krise 1990/1991 der Ansicht waren, dass Auslandseinsätze unter einem Mandat der UN rechtlich möglich seien, lehnten SPD und Grüne dies ab. Das Bundesverfassungsgericht stellte in seinem Urteil vom 12. Juli 1994 fest, dass die sogenannten Out-of-Area-Einsätze verfassungskonform seien, betonte aber gleichzeitig, dass der Bundestag zustimmungspflichtig sei. Deutlich hob das Bundesverfassungsgericht hervor, dass das Grundgesetz den Beitritt zu kollektiven Sicherheitssystemen, wie UN und NATO, vorsehe und damit auch die sich daraus ergebenden militärischen Einsätze gedeckt seien. Das Urteil begründete den Parlamentsvorbehalt, der die Rechte des Deutschen Bundestages sicherte und 2005 schließlich im Parlamentsbeteiligungsgesetz mündete. Das Regierungsprogramm der Union für die Bundestagswahl 1994 unter dem Motto „Wir sichern Deutschlands Zukunft“ zeigte deutlich, wie das Ende des Kalten Krieges auch die Sicherheitspolitik der CDU stärker auf Europa fokussierte, bekräftigte aber auch die atlantische Partnerschaft mit den USA weiter als zentrales Element.25

In der Opposition Nach der verlorenen Bundestagswahl 1998 und dem Ende der Ära Kohl sah sich die CDU nach langer Zeit wieder in der Rolle der Opposition. In diese Zeit fielen die ersten Kampfeinsätze der Bundeswehr im Kosovo-Krieg sowie nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in Afghanistan. Die Union hatte es zunächst nicht leicht, ihre sicherheitspolitischen Vorstellungen gegenüber der neuen rot-grünen Regierung öffentlichkeitswirksam zu präsentieren, da SPD und Grüne, trotz teilweiser Ablehnung der NATO und ihrer pazifistischen Herkunft, die Kontinuität der bundesdeutschen Regierungspolitik fortsetzten, allerdings bei gleichzeitiger Verschlechterung der Beziehungen zu den USA. Grundsätzlich hielt die CDU an der Landesverteidigung und der allgemeinen Wehrpflicht fest, befürchtete aber, dass drastische Kürzungen im Verteidigungshaushalt zu einer Unterfinanzierung der Bundeswehr führen würden und somit die Einsatzfähigkeit, auch für weitere friedenserhaltende Auslandseinsätze, nicht dauerhaft garantiert werden könnte. CDU und CSU stellten im sicherheitspolitischen Kapitel ihres Regierungsprogramms für die Bundestagswahl 200226 fest: „Voraussetzung für Freiheit und Demokratie ist Si24 Scholz: Die Verteidigungspolitik der CDU/CSU, S. 394. 25 CDU-Bundesgeschäftsstelle: Wir sichern Deutschlands Zukunft. Regierungsprogramm von CDU und CSU 1994. 26 CDU-Bundesgeschäftsstelle: Leistung und Sicherheit. Zeit für Taten. Regierungsprogramm 2002 – 2006, S. 64 – 72.

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cherheit. Sicherheit und Freiheit für die Menschen in Deutschland können nur im Bündnis mit unseren Partnern und Freunden in Europa und in der Welt geschützt werden.“27 Dies galt vor allem vor dem Hintergrund der Terroranschläge vom 11. September 2001. Die Union griff die veränderte Sicherheitslage auf und plädierte erneut für eine fundierte, verlässliche Partnerschaft mit den USA bei gleichzeitiger Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeit als zweitem Pfeiler der NATO. Die CDU strebte „deshalb im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) eine gemeinsame Streitkräfteplanung, eine gemeinsame Rüstungspolitik sowie ein gemeinsames militärisches Beschaffungswesen an“.28 Die Bundeswehr selber sollte wieder entsprechend finanziert und ausgestattet werden, um den Anforderungen sowohl in der Landes- und Bündnisverteidigung als auch in Auslandseinsätzen gerecht zu werden. Deutlich wird im Regierungsprogramm der Kurs von Rot-Grün kritisiert, der für die Verteidigungspolitik zu wenig Haushaltsmittel bereitstelle. Ein Punkt, der bei der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 auch für die Union eine Rolle spielte, da man sich bewusst war, dass die bundesdeutsche Gesellschaft eher auf eine „Friedensdividende“ setzte und sich mit diesem Thema keine Mehrheiten gewinnen ließen.29

Zwischen finanziellen Engpässen, Auslandseinsätzen und der Rückbesinnung auf die Landesverteidigung Im gemeinsamen Regierungsprogramm von CDU und CSU für die vorgezogene Bundestagswahl 2005 stand der Aspekt der Sicherheits- und Verteidigungspolitik unter der Überschrift „Verantwortung für Frieden, Freiheit und Entwicklung“. Im Vergleich zu den früheren Wahlprogrammen fällt dieser Teil 2005 kürzer aus und betont auch die knappen finanziellen Rahmenbedingungen. Hier wird deutlich Kritik am bisherigen Kurs der rot-grünen Regierung geübt. „In den letzten Jahren hat die Bundesregierung ohne außen- und sicherheitspolitisches Gesamtkonzept internationales Vertrauen verspielt und Deutschlands Ansehen in der Welt beschädigt – durch eine systematische Aushöhlung unserer Bündnisfähigkeit in der NATO, durch eine prinzipienlose Russland- und Chinapolitik, durch eine Visa-Politik, die deutsche Interessen verletzt und letztlich auf Kosten der Menschen geht.“ 30 Erneut betonen CDU und CSU, dass die NATO „das wichtigste Sicherheitsnetz für Deutschland“ bleibt und gestärkt werden müsste. Gleichzeitig setzt sich die Union erneut für eine Stärkung des europäischen Pfeilers ein, um die Fähigkeiten und Optionen der Europäischen Union zu erhöhen. Die CDU/CSU betrachtet die Bundeswehr weiterhin als wichtigstes Instrument der äußeren Sicherheit, stellt aber auch klar, dass ihre Effizienz trotz der schwierigen finanziellen Lage und einer knappen Finanzierung gesteigert werden müsse. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die Landesverteidigung zugunsten 27 Ebd., S. 64. 28 Ebd., S. 68. 29 Klaus Naumann: Die CDU zwischen transatlantischer Bündnistreue und Ausgleich mit dem Osten, in: Norbert Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU. München 2020, S. 577 – 610, hier 603 f. 30 CDU-Bundesgeschäftsstelle: Deutschlands Chancen nutzen – Wachstum. Arbeit. Sicherheit. Regierungsprogramm 2005 – 2009. Berlin 2005, S. 36 ff.

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der Fähigkeiten zu Auslandseinsätzen vernachlässigt wurde obwohl sie die verfassungsmäßige Kernaufgabe der Bundeswehr, gerade im Sinne einer Wehrpflichtarmee, sei. Die Frage der Wehrgerechtigkeit beschäftigte die Union, da die Personalstärke der Bundeswehr immer weiter abnahm und gleichzeitig die Anzahl der Berufs- und Zeitsoldaten im Verhältnis anstieg. Dies bedeutete, dass weniger Wehrpflichtige für den Dienst benötigt und viele wehrtaugliche Männer nicht eingezogen wurden. Eine Diskussion, die noch die nächsten Jahre andauerte und letztendlich 2011 zur Aussetzung der Wehrpflicht auch aufgrund einer noch weiteren Absenkung der Personalstärke führen sollte. Das durch Rot-Grün beschädigte Verhältnis zu den USA, nicht zuletzt bei der Entscheidung zur Ablehnung des Irak-Krieges 2003, begannen Angela Merkel und die Union nach ihrer Wahl zur Bundeskanzlerin 2005 wiederherzustellen. Sie stellte die Sicherheits- und Verteidigungspolitik wieder in die Tradition der Politik Konrad Adenauers und Helmut Kohls. Gleichzeitig schaffte diese feste Verankerung im Westen auch Gestaltungsspielraum in Richtung Osten und damit Russlands. Franz Josef Jung 31, bislang stellvertretender hessischer CDU-Vorsitzender und Vorsitzender der CDU-Fraktion im Hessischen Landtag, wurde von Angela Merkel 2005 in ihrem ersten Kabinett zum Bundesminister der Verteidigung berufen. Jung hielt an der Wehrpflicht auch mit dem Argument fest, dass die Bundeswehr nicht zuletzt dadurch tief in der deutschen Gesellschaft verankert sei. Um diese Verankerung in der Bevölkerung zu betonen und deutlich zu machen, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist, fand 2008 erstmals ein öffentliches Gelöbnis vor dem Reichstagsgebäude, dem Sitz des Deutschen Bundestages, statt. Im Gegensatz zu den Krawallen in den 1980er Jahren blieb es im Umfeld dieses Gelöbnisses und weiterer Gelöbnisse relativ ruhig, was verdeutlicht, dass die Akzeptanz der Bundeswehr in der Öffentlichkeit sich verbessert hatte. Die Bundesrepublik engagierte sich verstärkt mit der Bundeswehr in Afghanistan, auch mit Kampfeinsätzen. Der Fokus verlagerte sich hier von einem Stabilisierungseinsatz zur Aufstandsbekämpfung32, was zu einer Veränderung der Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit führte und damit auch der Erkenntnis, dass es bei solchen Einsätzen zum Tod von Soldatinnen und Soldaten kommt. Zudem setzte sich die CDU, hier vor allem Jung nach einem Besuch in Afghanistan, für eine öffentlich sichtbare Würdigung in Form eines zentralen Ehrenmals für über 3.200 Soldaten der Bundeswehr ein, die im Dienst verstorben waren. Das Ehrenmal auf dem Gelände des Verteidigungsministeriums in Berlin wurde schließlich am 8. Oktober 2009 eingeweiht. Die Bundestagswahl 2009 stand für die CDU im Zeichen der Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise, während die Sicherheits- und Verteidigungspolitik nur eine geringe Rolle spielte, obwohl sich als Folge die finanziellen Rahmenbedingungen für die Bundeswehr deutlich veränderten. Das gemeinsame Wahlprogramm von CDU und CSU von 2009 widmet sich der Sicherheitspolitik vor allem unter Punkt IV.2 „Internationale Sicherheit festigen“.33 31 Jan-Philipp Wölbern: Franz-Josef Jung, https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/franz-josef-jung-1 (Abruf: 10.1.2021). 32 Ulrich Schlie: Deutsche Sicherheitspolitik seit 1990: Auf der Suche nach einer Strategie, in: SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen 4 (2020), S. 304 – 314, hier 307 f. 33 CDU-Bundesgeschäftsstelle: WIR haben die Kraft – Gemeinsam für Deutschland. Regierungsprogramm 2009 – 2013.

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Das Bekenntnis zur Bundeswehr, ein Markenkern der CDU, wird gekoppelt an die Forderung nach einer leistungsfähigen Armee als unverzichtbarem Instrument der Landes- und Bündnisverteidigung und damit einer bestmöglichen Ausrüstung, verbunden mit der Forderung nach einer entsprechenden finanziellen Ausstattung. Gleichzeitig wird allerdings darauf hingewiesen, dass die personellen, militärischen, aber auch finanziellen Ressourcen der Bundeswehr begrenzt sind, was sich im Laufe der Wahlperiode 2009 bis 2013 noch sehr deutlich zeigen sollte. Dies galt auch für die Wehrpflicht, die im Wahlprogramm noch angesichts der neuen Bedrohungslage als auch weiter notwendig angesehen wurde, aber beim künftigen Koalitionspartner FDP, die eine Abschaffung forderte, als nicht mehr zeitgemäß angesehen wurde. Auf europäischer Ebene setzt sich die CDU in Kapitel IV.3 „Starkes Europa – sichere Zukunft“ für eine starke und handlungsfähige Außen- und Sicherheitspolitik der EU ein. Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik soll einschließlich einer Beistandsverpflichtung ergänzend zur Transatlantischen Partnerschaft ausgebaut werden, diese aber nicht ersetzen. Mit Russland wird weiterhin ein gutnachbarliches Verhältnis angestrebt, das im deutschen und europäischen Interesse liege. Hier wird allerdings darauf hingewiesen, dass dies in seiner Qualität vor allem auch von der Bereitschaft Russlands abhängt, seinen Verpflichtungen im Rahmen u. a. von Vereinten Nationen, OSZE und des Europarates nachzukommen. Dies kann als indirekter Hinweis auf den Kaukasuskrieg von 2008, in dem Russland auf der Seite Südossetiens in Georgien intervenierte, verstanden werden. Die Union bekennt sich in ihrem Programm ebenfalls wiederholt zum Existenzrecht Israels als Teil der deutschen Staatsräson und der besonderen Verantwortung Deutschlands dafür.

Aussetzung der Wehrpflicht und Neuausrichtung der Bundeswehr Nach der Wahl 2009 wurde eine Regierung aus CDU, CSU und FDP gebildet und KarlTheodor zu Guttenberg von der CSU am 28. Oktober 2009 neuer Bundesminister der Verteidigung. Bereits kurz nach Amtsantritt sah er sich einer Vielzahl von Herausforderungen gegenüber. Neben einem im Koalitionsvertrag ausgehandelten Kompromiss, die Wehrpflicht zwar beizubehalten, aber den Wehrdienst auf sechs Monate zu verkürzen, waren es die finanziellen Engpässe, die auch von der Bundeswehr, trotz ausgeweiteter Auslandseinsätze, ihren Tribut erforderten und die Union zu schmerzlichen Entscheidungen nötigten. Auf der Kabinettsklausur vom 7. Juni 2010 wurde festgelegt, dass auch der Verteidigungshaushalt einen Beitrag zur Konsolidierung des Haushaltes und zur Einhaltung der Schuldenbremse in Höhe von 8,2 Milliarden Euro leisten müsse und die Bundeswehr bis zu 40.000 Berufs- und Zeitsoldaten abbauen müsse. Gleichzeitig wurde die Einsetzung einer Kommission beschlossen, welche u. a. die Folgen in Bezug auf die Sicherheitspolitik und die Einsatz- und Bündnisfähigkeit sowie die Möglichkeiten einer Wehrreform untersuchen sollte. Zu Guttenberg beauftragte gleichzeitig den Generalinspekteur der Bundeswehr, General Volker Wieker, mit einer entsprechenden Analyse, die am 1. September 2010 vorlag und eine starke Reduzierung der Bundeswehrstärke auf 156.000 bis 210.000 Soldatinnen und Soldaten vorsah, wobei eine Stärke von etwa 150.000 den vor645

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gegebenen Finanzlinien, allerdings bei erheblichen Fähigkeitsverlusten der Bundeswehr, am nächsten käme. Auch der Bericht der Bundeswehr-Strukturkommission, der sogenannten „Weise-Kommission“34, mündete am 26. Oktober 2010 in eine Empfehlung, die Truppenstärke sehr stark auf höchstens 180.000 Soldaten zu reduzieren, die Wehrpflicht auszusetzen und einen Freiwilligendienst zu ermöglichen, ohne allerdings direkt auf den finanziellen Rahmen einzugehen.35 Zu Guttenberg beschloss, einen Kompromiss aus beiden Gutachten umzusetzen. Deshalb wurde auf seine Empfehlung hin am 15. Dezember 2010 beschlossen, die Wehrpflicht ab dem 1. Juli 2011 auszusetzen, aber nicht formal abzuschaffen. Vorher hatte zu Guttenberg allerdings sich noch die Unterstützung von CSU und CDU gesichert. Auf dem Karlsruher Parteitag der CDU36, der vom 14. bis 15. November 2010 stattfand, warb er eindringlich für die Aussetzung der Wehrpflicht und für die Reform der Bundeswehr. Der Bundesvorstand der CDU hatte den Antrag „Zukunft der Bundeswehr“ eingebracht. Bereits in ihrer Rede auf dem Parteitag hatte Angela Merkel sich deutlich dazu bekannt und formuliert, dass die sicherheitspolitische Notwendigkeit für die Wehrpflicht nicht mehr gegeben sei. In der folgenden Diskussion auf dem Parteitag wurde deutlich, dass der CDU die Aussetzung der Wehrpflicht schwerfiel. Der verteidigungspolitische Sprecher Ernst Reinhard Beck formulierte es so: „Wenn wir heute von der Wehrpflicht Abschied nehmen, ist dies ein schmerzhafter, ein historischer Einschnitt in der Geschichte der Christlich Demokratischen Union. Wir waren und sind die Partei der Wehrpflicht, aber darüber hinaus sind wir die Partei der äußeren und inneren Sicherheit. Wir müssen unsere Konzepte jeweils daraufhin überprüfen lassen, ob sie den zukünftigen Herausforderungen der Sicherheitsvorsorge für dieses Land entsprechen.“37 Gleichzeitig machte er deutlich, dass er einen bedarfsgerechten Bundeswehrumfang von 200.000 Soldatinnen und Soldaten sehe, was seit 2017 auch wieder eine Zielgröße ist. Letztendlich wurde der Antrag des Bundesvorstandes angenommen, wenn auch mit zahlreichen Gegenstimmen und Enthaltungen, die zeigten, wie schwer diese Reform den Delegierten fiel. Nach dem Rücktritt Karl-Theodor zu Guttenbergs folgte ihm Thomas de Maizière am 3. März 2011 als neuer Verteidigungsminister. Er musste die beschlossene Neuausrichtung der Bundeswehr umsetzen, wenn auch mit geringfügigen Verbesserungen. De Maizière ging die Quadratur des Kreises zwischen den sicherheitspolitischen Notwendigkeiten und den finanziellen Sparvorgaben der Bundesregierung mit aller Kraft an. Zur Bundestagswahl 2013 bekennen sich CDU und CSU mit dem Slogan „Europa: Stark in der Welt“38 erneut zu einer abgestimmten, aber zugleich handlungsfähigen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Dazu ist die Union bereit, weitere Schritte der militärischen Zusammenarbeit in der Europäischen Union zu gehen. Langfristig 34 Benannt nach dem Vorsitzenden Frank-Jürgen Weise, 2004 bis 2017 Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit. 35 Ulf von Krause: Die Bundeswehr als Instrument deutscher Außenpolitik. Wiesbaden 2013, S. 327 – 329. 36 CDU Bundesgeschäftsstelle: Protokoll 23.Parteitag der CDU Deutschlands. 15.– 16. November 2010 – Messe Karlsruhe 2010. 37 Ebd., S. 150 f. 38 CDU-Bundesgeschäftsstelle: Gemeinsam erfolgreich für Deutschland. Regierungsprogramm 2013 – 2017. 2013, S. 73.

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strebt die CDU eine europäische Armee an, wobei sie die transatlantische Zusammenarbeit weiterentwickeln will und bislang nationale militärische Fähigkeiten zusammenlegen und gemeinsam nutzen will. Für die Union und damit die CDU sind die USA weiterhin, außerhalb Europas, der wichtigste Partner und Grundpfeiler der internationalen Zusammenarbeit. Auch 2013 bekennt sich die CDU zur NATO und ihren Aufgaben und betont weiterhin, dass die gemeinsame Verteidigung seiner Mitgliedsstaaten die zentrale Aufgabe des Bündnisses sei. Um dieses Ziel zu erreichen, fordert die Union in ihrem Wahlprogramm eine „Moderne Verteidigungspolitik für ein sicheres Deutschland“39 und bekennt sich zur Neuausrichtung der Bundeswehr und will sie entsprechend den Aufgaben weiter umbauen und die Finanzierung nachhaltig gestalten.

Trendwende in der Sicherheitspolitik und bei der Bundeswehr Die Bundestagswahl 2013 führte erneut zur Bildung einer Großen Koalition unter Angela Merkel. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wurde mit Ursula von der Leyen40 am 13. Dezember 2013 eine Frau in das Amt des Bundesministers der Verteidigung berufen. Nach dem Umbau der Bundeswehr zu einer Freiwilligenarmee war eines der vordringlichen Probleme von der Leyens die Gewinnung von Personal. Damit verbunden waren ihre Bemühungen, die Bundeswehr zu einem attraktiven Arbeitgeber zu machen. Auf sicherheitspolitischem Gebiet forderte sie bereits kurz nach ihrem Amtsantritt auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 ein stärkeres außen- und sicherheitspolitisches Engagement der Bundesrepublik. Hauptthemen ihrer Amtszeit waren die Neuordnung des Rüstungs- und Beschaffungswesens und der weitere Umbau der Bundeswehr. Das Jahr 2014 führte zu einer Rückbesinnung auf die Landesverteidigung, hervorgerufen durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland und die Kämpfe in der Ost-Ukraine. Dazu kamen die weiteren weltpolitischen Krisenherde, so in Afghanistan, der Bürgerkrieg in Syrien und das Erstarken des sogenannten Islamischen Staates vor allem im Nahen und Mittleren Osten, die auch die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Bundesrepublik und damit die Bundeswehr stark forderten. Bereits auf der NATO-Tagung in Wales 2014 wurde der Fokus aufgrund der russischen Aggression wieder auf die Fähigkeiten der unmittelbaren Bündnisverteidigung gelegt und in der Erklärung von Wales die Selbstverpflichtung erneuert, dass die Mitgliedsstaaten zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung investieren wollen. Der Gipfel galt als Erfolg für die NATO, weil sie trotz der Zahl von 28 Mitgliedern Einigkeit bewies, eine klare strategische Orientierung ermöglichte und Geschlossenheit nach außen zeigte.41 39 Ebd., S. 75 f. 40 Christine Bach: Ursula von der Leyen, https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/ursula-von-der-leyen-1 (Abruf: 10.1.2021). 41 Patrick Keller: Die NATO nach dem Gipfel von Wales: Anker transatlantischer Partnerschaft und europäischer Sicherheit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, https://www.bpb.de/apuz/197174/die-natonach-dem-gipfel-von-wales-anker-transatlantischer-partnerschaft-und-europaeischer-sicherheit?p=all (Abruf: 10.1.2021).

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Diese Ereignisse schlagen sich auch im Wahlprogramm von CDU und CSU zur Bundestagswahl 201742 deutlich nieder. In den Punkten „Europa: Mit Sicherheit“ und „Sicherheit im Inneren und nach außen“ werden die sicherheits- und verteidigungspolitischen Forderungen der CDU deutlich artikuliert. Die Partei betont hier deutlich, dass die Europäische Union ein Friedensprojekt sei, hervorgegangen aus den Katastrophen des Ersten und Zweiten Weltkrieges, und mit dem Erfolg, dass es seitdem keinen Krieg zwischen den ehemaligen Feinden gegeben habe. Dies sei auch ein Auftrag, die Verantwortung für Frieden und Freiheit zu übernehmen und bei der Bewältigung von Konflikten in der Nachbarschaft zu helfen, so auch im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Die Union unterstützt deshalb das Ziel, eine Europäische Verteidigungsunion aufzubauen und einen Europäischen Verteidigungsfond einzurichten, und möchte, dass die EU eine „Wirksame Sicherheitsgarantie für die innere und äußere Sicherheit seiner Mitgliedstaaten“43 sein soll. In diesem Sinne sind auch die Bemühungen zu sehen, die militärische Zusammenarbeit zu stärken, wie mit der deutsch-französischen Brigade, dem Eurokorps und der gegenseitigen Integration militärischer Verbände, wie beispielsweise zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Niederlanden. Für die CDU ist es ein Grundbedürfnis, die bilaterale und multilaterale Zusammenarbeit gerade im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik zu stärken, hier im Rahmen der NATO, der EU, der Vereinten Nationen und der OSZE, und in enger Absprache mit den Verbündeten und Partnern. Traditionell wird auch in diesem Wahlprogramm die enge Verbindung zu den USA deutlich artikuliert und die besondere Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel, verbunden mit der erneuerten Aussage, dass das Existenzrecht Israels Teil der deutschen Staatsräson sei. Der Bundeswehr wird erneut Respekt gezollt als Garanten der äußeren Sicherheit Deutschlands. CDU und CSU betonen in ihrem Wahlprogramm, dass die Aufgaben der Bundeswehr gewachsen seien und auf Grundlage des Weißbuchs von 2016 eine Trendwende bei der Bundeswehr eingeläutet wurde. Dies bedeutet, dass die Bundeswehr wieder wächst und eine neue und bedarfsgerechte Ausrüstung erhält. Zudem soll sie vor allem ausreichend finanziert werden, mit Verweis auf den NATO-Gipfel von 2014 in Wales. Deutlich wird hier betont, dass auch die SPD diesem Ziel zugestimmt hat. Zudem wird erstmals die Bedeutung der Cybersicherheit hervorgehoben, die neue Strukturen in der Bundeswehr erfordert, und es wird gefordert, dass die Bundeswehr auch über offensive Cyberfähigkeiten verfügen soll. Die Union stellt zudem klar, dass, um den außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen künftig gewachsen zu sein, die „Instrumente der Diplomatie, der Polizei, der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie der Entwicklungspolitik innerhalb eines vernetzten Ansatzes besser abgestimmt werden müssen“.44 Nach der Bundestagswahl 2017 erfolgte in Ermangelung anderer politischer Alternativen eine Neuauflage der Koalition mit der SPD, wieder mit Angela Merkel als Kanzlerin. Ursula von der Leyen führte das Amt der Verteidigungsministerin weiter und arbeitete u. a. an der Reform der Bundeswehr. Die personelle Trendwende zeigte ers42 CDU-Bundesgeschäftsstelle: Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben. Regierungsprogramm 2017 – 2021. 2017. 43 Ebd., S. 56. 44 Ebd., S. 66.

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te Wirkungen durch einen leichten Anstieg der Stärke der Bundeswehr, die nach ihrem Tiefstand im Jahre 2016 mit ca. 176.000 45 gegen Ende 2020 wieder auf ca. 184.000 Soldatinnen und Soldaten anwuchs. Die angepeilte Zielstärke liegt bei 203.000 Soldatinnen und Soldaten. Zwischenzeitlich stellte der Koalitionspartner SPD allerdings zentrale Elemente im Bereich der Verteidigungspolitik in Frage. Dies betraf vor allem den Bereich der nuklearen Teilhabe in der NATO. Durch sie wird es Staaten ohne Kernwaffen wie der Bundesrepublik ermöglicht, in die Zielplanung und den Einsatz einbezogen zu werden. Im Zuge der notwendigen Diskussion um die Nachfolge des Mehrzweckkampfflugzeuges Tornado, bei dem ein Geschwader u. a. für diese Rolle vorgesehen ist, forderte die SPD 2020 den Verzicht auf die Fähigkeit, nukleare Waffen einsetzen zu können, was auf heftigen Widerstand innerhalb der CDU stieß. Zudem entspann sich eine Debatte um die Bewaffnung von Drohnen, die ebenfalls vom Koalitionspartner SPD und auch von Linken und Grünen46 abgelehnt wurde. Die CDU hält aus sicherheitspolitischen Gründen, vor allem auch zum Schutz der eigenen Soldaten, an der Bewaffnung fest und kämpft für eine zeitgemäße Ausstattung der Bundeswehr auch auf diesem Gebiet. Nicht zuletzt der Krieg um Bergkarabach zwischen Aserbaidschan und Armenien im Kaukasus 2020 demonstrierte die Bedeutung der Drohne als Waffe, zeigte aber auch deutlich, dass u. a. eine funktionierende Heeresflugabwehr eine unabdingbare Voraussetzung für die Sicherheit der eigenen Soldaten darstellt. Die Bundestagswahl am 26. September 2021 hatte zur Folge, dass CDU und CSU in die Opposition gingen. Noch während des Wahlkampfs blieben die sicherheitspolitischen Programmanteile der SPD vage und die vom CDU-geführten Verteidigungsministerium angepeilte Erhöhung der Personalstärke auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten wurde in Frage gestellt, ebenso blieben die bereits genannten Bedenken in Bezug auf die nukleare Teilhabe und die Bewaffnung der angeschafften Drohnen bestehen.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die sicherheitspolitischen Folgen Russland begann am 24.Februar 2022 seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine, der in den westlichen Ländern, aber gerade auch in der Bundesrepublik, eine Kehrtwende in der Sicherheitspolitik auslöste. Bundeswehr sowie Landes- und Bündnisverteidigung rückten plötzlich wieder in den Fokus von Politik und öffentlicher Meinungsbildung. Die Zeit der „Friedensdividende“ war endgültig Geschichte. Durch Bundeskanzler Scholz wurde als Reaktion auf den russischen Angriff ein Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro angekündigt. Ebenso erfolgte die Ankündigung, dass die Bundesrepublik Deutschland die Vorgabe des 2-Prozent-Zieles der NATO für Verteidigungsausgaben nun erfüllen wolle. Mit diesen Maßnahmen soll die Bundeswehr wieder voll ausgestattet und veraltete Systeme ersetzt 45 Thomas Wiegold: Neue Zahlen zur Personalstärke: Die kleinste Bundeswehr aller Zeiten – Augen geradeaus!, https://augengeradeaus.net/2016/07/neue-zahlen-zur-personalstaerke-die-kleinste-bundeswehr-aller-zeiten/comment-page-1/ (Abruf: 10.1.2021). 46 Bei den Grünen gibt es 2021 erste Aussagen, die von dieser ablehnenden Haltung abrücken.

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werden. Die nukleare Teilhabe in Form des Kaufs und der Bereitstellung von entsprechenden Kampflugzeugen, in diesem Fall der Lockheed Martin F-35 Lightning II, wurde nun ebenfalls nicht mehr infrage gestellt, sondern im Laufe des Jahres 2022 beschlossen. Geradezu in atemberaubender Geschwindigkeit wurde unter dem Eindruck russischer Raketenangriffe auf die Ukraine auch grundsätzlich positiv über die Beschaffung eines Systems zur Abwehr von u.a. ballistischen Raketen diskutiert. Mit der „Saarländischen Erklärung – Krieg mitten in Europa – Realitätscheck für Freiheit, Sicherheit und Versorgung“ reagierte der CDU-Bundesvorstand auf seiner Klausurtagung am 4. und 5.März 2022 in St.Ingbert auf die bedrohlich veränderte sicherheitspolitische Lage in Europa. Hier bekennt sich die CDU zur gemeinsamen Pflicht, Flüchtlinge aus der Ukraine in die Länder der Europäischen Union aufzunehmen und von deutscher Seite den Ukrainern unbürokratisch und schnell zu helfen. Gleichzeitig wird die Notwendigkeit betont, aufgrund der Tatsache, dass sich die sicherheitspolitische Lage geändert habe und Europa nicht nur von Freunden umgeben sei, für seine Werte zu streiten. Dazu bedürfe es einer grundlegenden Neuausrichtung der deutschen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die unter der Überschrift „Für Wehrhaftigkeit durch glaubhafte Abschreckung“ formuliert wird. Die CDU tritt für eine leistungsstarke und sehr gut ausgerüstete Bundeswehr ein und unterstützt die Forderungen, dass ab 2023, wie in der NATO beschlossen, 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts für die Verteidigung investiert werden. Ebenso wird die Ankündigung des Sondervermögens in Höhe von 100 Milliarden Euro begrüßt und als ein erster Schritt in die richtige Richtung angesehen. In der „Saarländischen Erklärung“ wird zudem deutlich darauf hingewiesen, dass Deutschland auf den nuklearen Schutzschirm seiner transatlantischen Partner angewiesen sei. Gleichzeitig wird allerdings deutlich eine Stärkung der europäischen Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen gefordert, die letztendlich in der Schaffung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft im Verbund mit der NATO münden soll. Deutlich wird zudem der notwendige Schutz der kritischen Infrastruktur angesprochen sowie der Schutz vor Spionage, Cyberangriffen und gezielter Desinformation im Rahmen einer hybriden Kriegsführung. Ebenso wird durch den Bundesvorstand der Ausbau der Zivilverteidigung und des Katastrophenschutzes angemahnt und dies herausgehoben im Rahmen einer nationalen Sicherheitsstrategie. Einen weiteren Schwerpunkt der Erklärung bildet die Frage der Energiesicherheit in der Bundesrepublik. Hier wird ein nationales Energiesicherheitskonzept gefordert, gerade vor dem Hintergrund der bislang hohen Abhängigkeit aus dem Ausland und nicht zuletzt von Russland. Explizit wird hier in Bezug auf Erdgasversorgung die Errichtung von LNG-Terminals in deutschen Häfen gefordert, um unabhängig von Gas und Erdöl aus Russland zu werden. Die CDU betont zudem, dass trotz der Folgen des russischen Angriffskriegs das Erreichen der Klimaneutralität für das Jahr 2045 Ziel sei. In den Gesamtkontext der veränderten Lage, vor allem vor dem Hintergrund der Unterbrechung der Getreideexporte aus der Ukraine durch die russische Blockade, wird auch die Frage nach der Nahrungssicherheit, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit gestellt. In der Debatte im Deutschen Bundestag am 23.März 2022 betonte die CDU mit ihrem neuen Vorsitzenden Friedrich Merz, dass sich die Regierung auf die Unterstützung der Unionsfraktion bei den von Bundeskanzler Scholz genannten Punkten, wie das Sondervermögen und das 2-Prozent-Ziel für den Verteidigungshaushalt, verlassen könne. Es wurde aber deutlich formuliert, dass die derzeitige Koalition eine eigene Mehrheit im 650

Sicherheits- und Verteidigungspolitik

Bundestag für diese Punkte erreichen müsse und dass CDU und CSU „nicht die Ersatzbank der Regierung seien“. Dies betonte er nicht zuletzt vor dem Hintergrund von Diskussionen in den Reihen von SPD und Grünen über die Notwendigkeit der Wiederherstellung der Fähigkeiten der Bundeswehr. Zudem stellte Merz u.a. die Forderung, dass die 100 Milliarden aus dem Sondervermögen alleine der Bundeswehr zugutekommen sollten, nachdem es in Kreisen der Regierungskoalition zu Diskussionen darüber kam, die Gelder auch in weiteren sicherheitspolitisch relevanten Bereichen zu nutzen. Hierfür forderte die Union gesonderte Mittel. Nach wochenlangen Diskussionen mit der Koalition stimmte die Union der Grundgesetzänderung zu, in der das Sondervermögen in Artikel 87a des Grundgesetzes festgeschrieben wurde und sich die CDU mit ihren Forderungen weitgehend durchsetzen konnte. Neben den Entscheidungen für Investitionen in die Bundeswehr rückte der seit dem Ende des Kalten Krieges vernachlässigte, ja fast abgeschaffte Zivilschutz mit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ebenfalls in den Fokus der Diskussion. So forderte Roderich Kiesewetter in der Haushaltsdebatte, die Mittel für das Bundesamt für Bevölkerungshilfe und Katastrophenschutz (BBK) deutlich zu erhöhen, um die Zivilverteidigung und damit den Bevölkerungsschutz deutlich zu stärken. Ebenso forderte der BKK-Präsident Schuster, das 2007 aufgegebene Schutzraumkonzept neu zu überdenken und u.a. wieder in den Schutzraumbau zu investieren. Mit der „Kölner Erklärung“ der Präsidien von CDU und CSU vom 2.Mai 202247 unter dem Titel „Sicherheit in neuen Zeiten –Verantwortung übernehmen, Führung zeigen, Probleme lösen“ gingen beide Schwesterparteien auf das Ende der bisherigen europäischen Friedensordnung und die Auswirkungen vor allem auf Deutschland sowie die derzeitige Lage nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ein, die in der Tat eine Zeitenwende 48 einläutete. Dies wurde verbunden mit der Forderung, die deutsche Sicherheitspolitik an die neue Wirklichkeit anzupassen. Der Begriff der Sicherheitspolitik wurde in dieser Erklärung durch die Union einleitend so definiert, dass „Bürgern Freiheit in Sicherheit zu gewähren, die wichtigste Aufgabe eines demokratischen Rechtsstaates“ sei. Friedrich Merz betonte, dass die Union den Sicherheitsbegriff umfassend versteht. Nicht nur im Hinblick auf die Innenpolitik und die Außenpolitik, sondern auch im Hinblick auf eine umfassende Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Er wird umfassend definiert mit Bezügen zur äußeren und inneren Sicherheit, der Wirtschaft, der sozialen Sicherheit, einer Forderung nach Energiesicherheit und nachhaltigen Klimatechnologien, Ernährungssicherheit und der Forderung nach einer modernen Verwaltung, um die Handlungsfähigkeit des Staates zu erhöhen. Zudem werden Forschung und Innovation als Grundlagen für eine umfassende Sicherheitspolitik genannt. Gleichzeitig wird eine europäische Verteidigungs- und Abschreckungskapazität gefordert, die von Deutschland und Frankreich initiiert werden und allen europäischen Partnern offen stehen solle, und betont, dass Deutschland mehr Verantwortung in der Welt übernehmen müsse. Explizit wird die Einrichtung eines nationalen Sicherheitsrats gefordert. 47 Quelle: Kölner Erklärung: Sicherheit in neuen Zeiten (cdu.de) (Abruf: 11.1.2023). 48 Zum Begriff der Zeitenwende: Norbert Lammert: „Zeitenwende“–Alte Denkgewohnheiten und neue Handlungsmuster, in: Die Politische Meinung, Nr. 576, September/Oktober 2022, S. 16 – 20.

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Michael Hansmann

Die Positionen der CDU in Bezug auf die Sicherheitspolitik und die „Zeitenwende“ zeigte Johann Wadephul zuletzt in einem Artikel im Herbst 2022 kurz und knapp auf.49 Deutschland muss sich mehr in der NATO und für den sicherheitspolitischen Teil der EU engagieren. Die Bundeswehr muss zügig wieder eine Vollausstattung erhalten und modernisiert werden und die Rüstungsindustrie muss gestärkt werden. Dazu sind vollumfänglich das 100 Milliardensondervermögen ausschließlich für die Bundeswehr zu nutzen und dauerhaft die Mittel bereitzustellen, welche die Bundeswehr benötigt. Hier pocht die CDU darauf, das 2-Prozent Ziel für Verteidigungsaufgaben dauerhaft umzusetzen, da es bereits durch Bundeskanzler Scholz für die Jahre ab 2023 aufgeweicht wurde. Als weiteren entscheidenden Punkt nennt Wadephul, den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr die Wertschätzung und öffentliche Wahrnehmung zuteilwerden zu lassen, die diese verdienen. Sicherheits- und außenpolitische Experten in der CDU wie Jürgen Hardt, Roderich Kiesewetter und Johann Wadephul forderten verstärkt seit Ausbruch des Krieges eine Neuorientierung der Bundeswehr auf die Bündnis- und Landesverteidigung und damit verbunden eine Wiederherstellung der Verteidigungsfähigkeit. Gleichzeitig unterstützten sie die Bemühungen der Ukraine, westliche Waffensysteme zur Verfügung gestellt zu bekommen. Nachdem zunächst die Bundesregierung mit Zurückhaltung reagierte, hat sie sich dann unter dem wachsenden innenpolitischen Druck, nicht zuletzt aus der Union aber auch aus den eigenen Reihen sowie im Lichte der Waffenlieferungen der Verbündeten in der NATO zu ersten Lieferungen von leichten Waffen und Defensivwaffen durchgerungen. Die Union drängte weiter auch auf die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine, so bereits im April 2022. Der Bundestag beschloss schließlich am 28.April eine weitgehende Unterstützung der Ukraine, die auch die Möglichkeit beinhaltet schwere Waffen zu liefern. Die Lieferung von Waffen und weiterem Material, um die Verteidigung der Ukraine zu ermöglichen, war in den Monaten seit Kriegsausbruch durch die zögerliche Haltung der Bundesregierung bestimmt, die sich erst durch Druck aus dem Aus- und Inland nach und nach bewegte. Dies geschah immer unter der vom Bundeskanzler ausgegebenen Prämisse, deutsche Alleingänge zu verhindern, was gerade in der Union, aber auch in Teilen seiner eigenen Koalition auf teils heftige Kritik stieß. Stückweise wurden schließlich Panzerhaubitzen sowie Flugabwehrsysteme geliefert und zuletzt, nach Absprachen mit den USA, von deutscher Seite auch die Lieferung von Schützenpanzern des Typs Marder aus Beständen der Industrie, aber auch aus den Beständen der Bundeswehr angekündigt, während die USA Schützenpanzer vom Typ Bradley zusagten. Dem Wunsch nach der Lieferung von Kampfpanzern wurde vonseiten der Bundesregierung Anfang 2023 stattgegeben, wozu der Druck, gerade aus Polen, das selbst Leopard Panzer besitzt und diese liefern will, und Frankreich, das Aufklärungspanzer liefert, entscheidend beigetragen hat. Trotz der Etablierung des 100 Milliarden Euro Sondervermögens für die Bundeswehr und ersten Entscheidungen zu Beschaffungen wie beispielsweise des Jagdbombers F 35 Lightning II, der Optimierung des Schützenpanzers Puma und der Beschaffung von Sturmgewehren G 95 (HK 416) und Digitalisierungsmaßnahmen, wurde schnell deutlich,

49 Johann Wadephul: Sicherheit in neuen Zeiten – Positionen der CDU, in: Die Politische Meinung, Nr. 576, September/Oktober 2022, S. 77– 80.

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Sicherheits- und Verteidigungspolitik

dass die Summe, auch durch die hohe Inflationsrate und Kostensteigerungen, nicht ausreicht um die Bundeswehr ausreichend zu modernisieren sowie die zahlreichen Ausrüstungs- und Fähigkeitslücken zu beseitigen. So mussten erste notwendige Beschaffungswünsche bereits wieder gestrichen werden, beispielsweise bei zusätzlichen Korvetten und zwei optionalen Fregatten der Klasse 126. Ebenso wurde die Beschaffung von FuchsTransportpanzern in den verschiedenen Varianten aus dem Sondervermögen herausgelöst und soll nun, soweit möglich, aus dem regulären Verteidigungshaushalt der nächsten Jahre bestritten werden. Auch die dringend notwendige Erhöhung der Personalstärke der Bundeswehr auf 203.000, die ursprünglich noch von der ehemaligen Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer auf den Weg gebracht worden war, aber zunächst von der SPD infrage gestellt wurde, kommt nicht voran, so stand die Personalstärke Ende 2022 in etwa auf der gleichen Höhe von etwas über 183.000 Soldatinnen und Soldaten wie zu Beginn des Jahres. Danach musste die damalige Ministerin Lambrecht eingestehen, dass diese Zielmarke bis 2025 nicht zu halten sei. Dies wird unmittelbar Auswirkungen auf die weiteren benötigten Fähigkeiten haben und die Einsatzfähigkeit gefährden. Gleiches gilt auch für die materielle Ausstattung der Bundeswehr, die auch bedingt durch die Abgabe von Waffen und Gerät an die Ukraine, vor allem im Heeresbereich, am Ende des Jahres 2022 noch schlechter dastand als zu Beginn des russischen Angriffskrieges. Ersatzbeschaffungen und dringend notwendige Munitionsbeschaffungen erfolgen nur verzögert und mit langer Vorlaufzeit. Im Januar 2023 dauerte der russische Angriffskrieg weiter an und ein Ende sowie die weitere Entwicklung im sicherheitspolitischen Bereich sind zum derzeitigen Zeitpunkt nicht absehbar.

Forschungs- und Quellenlage Ausarbeitungen explizit zur Sicherheitspolitik der CDU sind in der Forschung eher selten und konzentrieren sich auf einzelne Themen bzw. historische Ereignisse oder sind in den Kontext der bundesrepublikanischen Geschichte als Teilaspekte, auch über die handelnden Personen, eingebunden. Zudem kann man zur Thematik auf Memoiren und Veröffentlichungen von Politikern und Politikerinnen zurückgreifen. Zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik der CDU finden sich im Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP) zahlreiche Quellen von Persönlichkeiten und umfangreiche Unterlagen in den Organisationsbeständen und im Bereich der Pressesammlung. Zudem stehen über das Portal zur Geschichte der CDU50 viele Quellen mittlerweile digitalisiert zur Verfügung, wie beispielsweise die Wahl- bzw. Regierungsprogramme der CDU. Weitere Quellen finden sich in dem in Aufbau befindlichen Digitalen Lesesaal51, der neben einer Übersicht der Bestände, Findmittel, digitalisierte Akten, die Plakatsammlung sowie zahlreiche digitalisierte Publikationen, wie u. a. die Bundesvorstandsprotokolle der CDU als auch die Lageberichte von Helmut Kohl im Bundesvorstand, enthält. Hier finden sich auch entsprechende Aussagen zur Sicherheitspolitik. 50 Konrad-Adenauer-Stiftung: Geschichte der CDU, 2021, https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/ home (Abruf: 2.7.2021). 51 Konrad-Adenauer-Stiftung: Digitaler Lesesaal, 2021, https://digitaler-lesesaal.kas.de/ (Abruf: 2.7.2021).

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Michael Hansmann

Hervorzuheben sind für den Themenbereich im ACDP die Bestände der CDU-Bundespartei und der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, u.a. mit den Protokollen, Wahlprogrammen, Parteitagsprotokollen, Sachakten und Unterlagen der Fachausschüsse und Arbeitsgruppen. Wichtige Archivbestände im ACDP sind auch die Nachlässe früherer Verteidigungspolitiker und -minister wie beispielsweise Theodor Blank (01-098), Gerhard Schröder (01-483), Kai-Uwe von Hassel (01-157), Manfred Wörner (01-636), Gerhard Stoltenberg (01-626) sowie Franz Josef Jung (01-847) und Volker Rühe (01-759). Auch in zahlreichen weiteren Personenbeständen finden sich Unterlagen und Gedanken zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik, so beispielsweise bei Kurt Birrenbach (01-433) und vor allem bei Werner Marx (01-356), einem der profiliertesten Außen- und Sicherheitspolitiker der 1970er und Anfang der 1980er Jahre bis zu seinem Tod 1985.

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Anhang

Abbildungen

1 Plakat des Zentrums zur Reichstagswahl 1930

2 Eugen Gerstenmaier, der spätere Bundestagspräsident, vor dem Volksgerichtshof 1944

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Anhang

3 Wahlplakat in der SBZ 1946

4 Plakat zur Landtagswahl in NordrheinWestfalen 1947

5 Plakat zur Bundestagswahl 1949

6 Plakat zur Bundestagswahl 1953

658

Abbildungen

7 Jakob Kaiser und Konrad Adenauer im Parlamentarischen Rat am 14. April 1949

8 Konrad Adenauer auf dem ersten Bundesparteitag in Goslar am 20. Oktober 1950

659

Anhang

9 Ludwig Erhard mit seinem Bestseller „Wohlstand für Alle“ 1957

10 Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard, Väter der Sozialen Marktwirtschaft, am 10. Februar 1965 in der Universität Köln

660

Abbildungen

11 Aenne Brauksiepe beim CDU-Frauenkongress in Ludwigshafen am 11. April 1969

12 Plakat zur Landtagswahl in Hessen 1982

661

Anhang

13 Die Schulungsstätte der CDU der DDR in Burgscheidungen

14 Baustelle des Konrad-AdenauerHauses in Bonn 1970 –1971

662

Abbildungen

15 Bundesparteitag in Dortmund 1962

16 Bundesparteitag in Hannover 1976

663

Anhang

17 Bundesparteitag in Hamburg 1990

18 Bundesparteitag in Dresden 2001

664

Abbildungen

19 Plakat zur Landtagswahl in Hessen 1982

20 Mitgliederwerbung 2007. Ursula von der Leyen mit ihrem Vater Ernst Albrecht

665

Anhang

21 Plakat zur Landtagswahl in Thüringen 2014

22 Norbert Blüm auf dem Marktplatz in Bonn am 21. April 1986

666

Abbildungen

23 Plakat der Jungen Union

24 Plakat zur Kommunalwahl in NordrheinWestfalen 1994

25 Plakat zur Landtagswahl in Niedersachsen 1998

667

Anhang

26 Plakat zur Europawahl 1984

27 Plakat zur Europawahl 1989

668

Abbildungen

28 Wahlplakat 1983

29 Plakat zur Landtagswahl in Niedersachsen 1998

30 Plakat zur Landtagswahl in Niedersachsen 2008

669

Anhang

31 Gerald Götting (Mitte) am 31. Oktober 1963, dem „Tag der offenen Tür“, in Burgscheidungen

670

Abbildungen

32 Kabinettssitzung der Ersten Großen Koalition im Garten des Kanzleramtes 1967

33 Wahlkampf in der Dortmunder Westfalenhalle am 29. Oktober 1972: Kurt Georg Kiesinger, Rainer Barzel, Franz Josef Strauß, Hans Katzer (v. l.)

671

Anhang

34 Helmut Kohl und Heiner Geißler im Bundestag 1983

35 Karl Carstens und Richard von Weizsäcker 1984

672

Abbildungen

36 Gerhard Stoltenberg und Manfred Wörner

37 Helmut Kohl und Lothar de Maizière in Erfurt am 20. Februar 1990

673

Anhang

38 Wahlplakat 1986

39 Bundespräsident Roman Herzog. Berliner Rede („Ruck-Rede“) am 26. April 1997 im Hotel Adlon

674

Abbildungen

40 Norbert Lammert und Angela Merkel bei der Vereidigung als Bundeskanzlerin am 22. November 2005

41 Angela Merkel und Wolfgang Schäuble in der Sondersitzung zur Finanzhilfe an Griechenland am 17. Juli 2015

675

Anhang

42 Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet auf dem 31. Bundesparteitag in Hamburg am 8. Dezember 2018

43 Der neue CDU-Vorsitzende Friedrich Merz auf dem 34. Bundesparteitag am 22. Januar 2022

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Bildquellen Umschlagabbildungen (von oben nach unten)

12 KAS/ACDP 10-007-552: CC-BY-SA 3.0 DE 13 KAS/ACDP Burgscheidungen Siegfried Krüger

Jakob Kaiser spricht auf dem 1. Exilparteitag der Ost-CDU 1950 im Titaniapalast in West-Berlin

14 Erwin Fingerhuth, Bonn

00046503 SZ Photo/Süddeutsche Zeitung Photo

16 60050003 dpa picture alliance

Bundestagspräsident Hermann Ehlers bei der Eröffnung des CDU-Parteitags am 19. April 1953 in Hamburg

18 3219499 dpa picture alliance

00325307 ap/dpa/picture alliance/Süddeutsche Zeitung Photo

20 KAS/ACDP 10-031-60014: CC-BY-SA 3.0 DE

CDU-Parteitag in Dortmund am 28. August 2005

21 KAS/ACDP 10-037-1010: CC-BY-SA 3.0 DE

00125788 Marco Urban/Süddeutsche Zeitung Photo

22 30318932 dpa picture alliance

CDU-Parteitag in Hamburg am 7. Dezember 2018

24 KAS/ACDP 10-017-1424: CC-BY-SA 3.0 DE

113339861 picture alliance / dpa Rainer Jensen

25 KAS/ACDP 10-031-725: CC-BY-SA 3.0 DE

Herausgeberbild Norbert Lammert KAS / Juliane Liebers

26 KAS/ACDP 10-008-1109: CC-BY-SA 3.0 DE

Bildteil 01 KAS/ACDP 10-043-12 CC-BY-SA 3.0 DE 02 743160 dpa picture alliance 03 KAS/ACDP 10-024-171 Ost-CDU 1946: CC-BY-SA 3.0 DE 04 KAS/ACDP 10-009-20 LTW NRW 1947: CC-BY-SA 3.0 DE 05 KAS/ACDP 10-001-6 BTW 1949: CC-BY-SA 3.0 DE

15 KAS/ACDP BPT 1962 Bouserath 17 7059724 dpa picture alliance 19 KAS/ACDP 5137-1: CC-BY-SA 3.0 DE

23 KAS/ACDP 10-028-277: CC-BY-SA 3.0 DE

27 KAS/ACDP 10-030-100: CC-BY-SA 3.0 DE 28 KAS/ACDP 10-030-205: CC-BY-SA 3.0 DE 29 KAS/ACDP 10-008-1120: CC-BY-SA 3.0 DE 30 KAS/ACDP 10-008-1602: CC-BY-SA 3.0 DE 31 Neue Zeit 1963 32 8567627 dpa picture alliance 33 125840675 dpa picture alliance 34 13284749 dpa picture alliance 35 B 145 Bild 00084923 BPA Schulze-Vorberg, Richard 36 5.02374971 United Archives / Frank Darchinger / Süddeutsche Zeitung Photo

06 KAS/ACDP 10-001-410 BTW 1953: CC-BY-SA 3.0 DE

37 42290974 dpa picture alliance

07 00148808 ullstein bild – BPA

38 KAS/ACDP 10-031-852 : CC-BY-SA 3.0 DE

08 00325304 ap/dpa/picture alliance/ Süddeutsche Zeitung Photo

39 2211095 picture-alliance / dpa Andreas | Altwein

09 594503 dpa picture alliance

40 10760603 dpa picture alliance

10 B 145 Bild 00045349

41 60249578 dpa picture alliance

11 PA 58568101 picture alliance / Roland Witschel

42 113578471 dpa picture alliance 43 Bild ID: 03196648 Sepp Spiegel/Süddeutsche Zeitung

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Anhang

Abkürzungsverzeichnis ABC-Waffen ACDG ACDP ADL AdsD AfD APO ARD

Atomare, biologische und chemische Waffen Arbeitsgemeinschaft Christlich-Demokratischer Gruppen Archiv für Christlich-Demokratische Politik Archiv des Liberalismus Archiv der sozialen Demokratie Alternative für Deutschland Außerparlamentarische Opposition Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland

BBC BCSV BEK BFD BHE BIP BKM BMBF BMFT BPA BRD BT Btx

British Broadcasting Corporation Badische Christlich-Soziale Volkspartei Bund Evangelischer Kirchen in der DDR Bund Freier Demokraten Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten Bruttoinlandsprodukt Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie Bundesministerium für Forschung und Technologie Bundespresseamt Bundesrepublik Deutschland Bundestag Bildschirmtext

CDA CDL CDP CDU CDUD CSU CSV CSVD CVP

Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft Christdemokraten für das Leben Christlich-Demokratische Partei Christlich Demokratische Union Christlich-Demokratische Union Deutschlands Christlich-Soziale Union Christlich-Soziale Volkspartei Christlich-Sozialer Volksdienst Christliche Volkspartei

DA DBD DDP DDR DFD DFG

Demokratischer Aufbruch Demokratische Bauernpartei Deutschlands Deutsche Demokratische Partei Deutsche Demokratische Republik Demokratischer Frauenbund Deutschlands Deutsche Forschungsgemeinschaft

678

Abkürzungsverzeichnis

DGB DKP DKP-DRP DM DNVP DP DPD DPM DSU DSW DU DVP DVU

Deutscher Gewerkschaftsbund Deutsche Konservative Partei Deutsche Konservative Partei – Deutsche Rechtspartei Deutsche Mark Deutschnationale Volkspartei Deutsche Partei Demokratische Partei Deutschlands Die Politische Meinung Deutsche Soziale Union Deutsche Stiftung für Weltbevölkerung Demokratische Union Deutsche Volkspartei Deutsche Volksunion

EAK EDV EFA EG EKD EOS ESVP EU Euratom EVG EWG

Evangelischer Arbeitskreis Elektronische Datenverarbeitung European Fighter Aircraft Europäische Gemeinschaft Evangelische Kirche in Deutschland Erweiterte Oberschule Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik Europäische Union Europäische Atomgemeinschaft Europäische Verteidigungsgemeinschaft Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

FAZ FBI FDJ FDP FhG FU

Frankfurter Allgemeine Zeitung Federal Bureau of Investigation Freie Deutsche Jugend Freie Demokratische Partei Fraunhofer-Gesellschaft Frauen Union

GAL GB Gestapo GG GKV GmbH GSG 9 GVP

Grün-Alternative Liste Gesamtdeutscher Block Geheime Staatspolizei Grundgesetz Gesetzliche Krankenversicherung Gesellschaft mit beschränkter Haftung Grenzschutzgruppe 9 Gesamtdeutsche Volkspartei

HB HGF HPM HJb

Hamburger Block Helmholtz-Gemeinschaft Historisch-Politische Mitteilungen Historisches Jahrbuch 679

Anhang

IM IPPF

Inoffizieller Mitarbeiter des MfS der DDR International Planned Parenthood Federation

JU

Junge Union

KAB KPD KPdSU KPV KSZE KVP

Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei der Sowjetunion Kommunalpolitische Vereinigung der CDU und CSU Deutschlands Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Kasernierte Volkspolizei

LDP/LDPD LSBTIQ* LSU LV

Liberaldemokratische Partei Deutschlands Lesbische, schwule, bisexuelle, trans-, intersexuelle und queere Menschen Lesben und Schwule in der Union Landesverband

MdB MfS MGM MIT MPG MRP

Mitglied des Deutschen Bundestages Ministerium für Staatssicherheit Militärgeschichtliche Mitteilungen Mittelstands- und Wirtschaftsunion Max-Planck-Gesellschaft Mouvement républicain populaire

NATO NDPD NDR NPD NS NSDAP NSU NVA

North Atlantic Treaty Organization Nationaldemokratische Partei Deutschlands Norddeutscher Rundfunk Nationaldemokratische Partei Deutschlands Nationalsozialismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Untergrund Nationale Volksarmee

OMV OSZE

Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

PDS PEGIDA PHV

Partei des Demokratischen Sozialismus Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes Politische Hauptverwaltung

RAF RCDS

Rote Armee Fraktion Ring Christlich-Demokratischer Studenten

SA

Sturmabteilung

680

Abkürzungsverzeichnis

SAPMO SBZ SD SED SMAD SMAS SPD SRP SS StGB SWR SZ

Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Sowjetische Besatzungszone Sicherheitsdienst des Reichsführers SS Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sowjetische Militäradministration in Deutschland Sowjetische Militäradministration Sachsens Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sozialistische Reichspartei Schutzstaffel Strafgesetzbuch Südwestrundfunk Süddeutsche Zeitung

TA Luft TAZ

Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft Die Tageszeitung

UdSSR UN USA UVF

Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken United Nations United States of America Union der Vertriebenen und Flüchtlinge

VBH VdgB VfZ

Vaterstädtischer Bund Hamburg Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte

WD WEU WGL WTO

Wissenschaftliche Dienste Westeuropäische Union Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz e. V. World Trade Organization

ZdK ZParl ZVS

Zentralkomitee der deutschen Katholiken Zeitschrift für Parlamentsfragen Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen

681

Auswahlbibliographie Julia Gusenfeld Editionen, Handbücher, Lexika

Adenauer, Konrad: Erinnerungen. 1945 – 1953. Stuttgart 1965. Ders.: Erinnerungen. 1953 – 1955. Stuttgart 1966. Ders.: Erinnerungen. 1955 – 1959. Stuttgart 1967. Ders.: Erinnerungen. 1959 – 1963. Fragmente. Stuttgart 1968. Adenauer im Dritten Reich. Bearb. von Hans Peter Mensing (Rhöndorfer Ausgabe). Berlin 1991. Adenauer und die FDP (Rhöndorfer Ausgabe). Bearb. von Holger Löttel. Paderborn 2013. Adenauer, Konrad: Briefe 1945 – 1947 (Rhöndorfer Ausgabe. Briefe. Bd. 1). Bearb. von Hans Peter Mensing. Berlin 1984. Ders.: Briefe 1947 – 1949 (Rhöndorfer Ausgabe. Briefe. Bd. 2). Bearb. von Hans Peter Mensing. Berlin 1984. Ders.: Briefe 1949 – 1951 (Rhöndorfer Ausgabe. Briefe. Bd. 3). Bearb. von Hans Peter Mensing. Berlin 1985. Ders.: Briefe 1951 – 1953 (Rhöndorfer Ausgabe. Briefe. Bd. 4). Bearb. von Hans Peter Mensing. Berlin 1987. Ders.: Briefe 1953 – 1955 (Rhöndorfer Ausgabe. Briefe. Bd. 5). Bearb. von Hans Peter Mensing. Berlin 1995. Ders.: Briefe 1955 – 1957 (Rhöndorfer Ausgabe. Briefe. Bd. 6). Bearb. von Hans Peter Mensing. Berlin 1998. Ders.: Briefe 1957 – 1959 (Rhöndorfer Ausgabe. Briefe. Bd. 7). Bearb. von Hans Peter Mensing. Paderborn u.a. 2000. Ders.: Briefe 1959 – 1961 (Rhöndorfer Ausgabe. Briefe. Bd. 8). Bearb. von Hans Peter Mensing. Paderborn u.a. 2004. Ders.: Briefe 1961 – 1963 (Rhöndorfer Ausgabe. Briefe. Bd. 9). Bearb. von Hans Peter Mensing. Paderborn u.a. 2006. Ders.: Heuss –Adenauer. Unserem Vaterlande zugute. Der Briefwechsel 1948 – 1963 (Rhöndorfer Ausgabe). Bearb. von Hans Peter Mensing. Berlin 1989. Ders.: Die letzten Lebensjahre 1963 – 1967. Briefe und Aufzeichnungen. Gespräche, Interviews und Reden. Bd. 1: Oktober 1963 – September 1965 (Rhöndorfer Ausgabe). Bearb. von Hans Peter Mensing. Paderborn 2009. Ders.: Die letzten Lebensjahre 1963 – 1967. Briefe und Aufzeichnungen. Gespräche, Interviews und Reden. Bd. 2: September 1965 –April 1967 (Rhöndorfer Ausgabe). Bearb. von Hans Peter Mensing. Paderborn 2009. Ders.: Teegespräche 1950 – 1954 (Rhöndorfer Ausgabe. Teegespräche. Bd. 1). Bearb. von Hanns Jürgen Küsters. Berlin 1984. 682

Auswahlbibliographie

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Julia Gusenfeld

Wette, Wolfram (Hg.): Filbinger – eine deutsche Karriere. Springe 2006. Wettig, Gerhard: Der Konflikt der Ost-CDU mit der Besatzungsmacht 1945 – 1948 im Spiegel sowjetischer Akten, in: HPM 6 (1999), S. 109 – 137. Ders.: Die Stalin-Note. Historische Kontroverse im Spiegel der Quellen. Berlin 2015. Ders. (Hg.): Die sowjetische Deutschland-Politik in der Ära Adenauer (Rhöndorfer Gespräche. Bd. 16). Bonn 1997. Wewer, Göttrik (Hg.): Bilanz der Ära Kohl. Christlich-liberale Politik in Deutschland 1982 – 1998. Opladen 1998. Wieck, Hans Georg: Die Entstehung der CDU und die Wiederbegründung des Zentrums im Jahr 1945 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bd. 2). Düsseldorf 1952. Wiegand, Simon: Die Europäisierung der Energie- und Klimaschutzpolitik NordrheinWestfalens. Die Regierungszeit von CDU/FDP von 2005 bis 2010 (Studien der NRW School of Governance). Wiesbaden 2015. Wilbers, Joachim: Die Kommunalpolitische Vereinigung der CDU und CSU Deutschlands. Ein Beitrag zur Untersuchung des Vereinigungssystems der Unionsparteien (Europäische Hochschulschriften. Bd. 86). Frankfurt a.M. 1986. Wilde, Manfred: Die SBZ-CDU 1945−1947. Zwischen Kriegsende und Kaltem Krieg. München 1998. Wilke, Jürgen: Die Medienpolitik der Ära Kohl. Durchbruch zum Fortschritt, in: DPM 411 (2004), S. 35 – 39. Winter, Thomas: Die Christdemokraten als Analyseobjekt oder wie modern ist die CDU-Forschung?, in: Niedermayer u.a. (Hg.): Stand und Perspektiven der Parteienforschung in Deutschland, S. 57 – 80. Wirsching, Andreas: Abschied vom Provisorium. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 1982 – 1990 (Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in sechs Bänden. Bd. 6). München 2006. Ders.: Eine „Ära Kohl“? Die widersprüchliche Signatur deutscher Regierungspolitik 1982 – 1998, in: Brechtken, Magnus u. a. (Hg.): Andreas Wirsching. Demokratie und Gesellschaft. Historische Studien zur europäischen Moderne. Göttingen 2019, S. 360 – 382. Ders.: Restauration oder Modernisierung – Deutungen der Ära Adenauer, in: Lammert, Norbert (Hg.): Christlich Demokratische Union, S. 737 – 768. Wlodarczak, Johannes (Hg): Festschrift zum CDU Kongress 1950 in Hamburg. Hamburg 1950. Wölbern, Jan Philipp: Die „neuen Alten“ der CDU. Geschichte der Senioren-Union. Zweite Aufl. Berlin/Sankt Augustin 2020. Wolf, Werner: Neubeginn und Kampf um die Mehrheit. Die CDU Hessen unter Alfred Dregger 1967 – 1982, in: Ders. (Hg.): CDU Hessen 1945 – 1985. Politische Mitgestaltung und Kampf um die Macht, S. 59 – 97. Wolfrum, Edgar: Volksparteien – Entwicklungen und Perspektiven, in: Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union, S. 771 – 793. Worms, Bernhard: Die Europäische Senioren-Union. Politische Interessenvertretung der Älteren in Europa, in: DPM 469 (2008), S. 11 – 14. Wulf, Peter: „Der Landesfürst“. Carl Schröter und die schleswig-holsteinische CDU 1945 – 1951, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte 132 (2007), S. 211 – 250. 722

Auswahlbibliographie

Ders.: „Sammlung rechts von der Sozialdemokratie“. Geschichte der CDU in Schleswig-Holstein 1945/46. Neumünster 2001.

Zehender, Kathrin: Christine Teusch. Eine politische Biographie (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bd. 166). Düsseldorf 2014. Zehetmair, Hans (Hg.): Politik aus christlicher Verantwortung. Wiesbaden 2007 Zehnpfennig, Barbara: Die CDU, die parlamentarische Demokratie und die Frage der Repräsentation, in: Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union, S. 795 – 818. Zeidler, Stephan: Auf dem Weg zur Kaderpartei? Zur Rolle der Ost-CDU in der inneren Entwicklung der DDR 1952−1953. Hamburg 1996. Ders.: Die CDU in der DDR vor dem Mauerbau (1953 – 1961). Bonn 2001. Zick, Rolf: Die CDU in Niedersachsen. Eine Chronik. Hg. von der Konrad-AdenauerStiftung. Sankt Augustin 2008. Ders.: Ein starkes Land im Herzen Europas. Die CDU in Niedersachsen 1945 bis 2015. Sankt Augustin/Berlin 2016. Ders. (Hg.): Chronik. 20 Jahre Senioren-Union Niedersachsen. Hannover 2009. Ziemiak, Paul (Hg.): 70 Jahre Junge Union Deutschlands. Monschau 2017. Zimmer, Matthias: Nationales Interesse und Staatsräson. Zur Deutschlandpolitik der Regierung Kohl 1982 – 1989. Paderborn u.a. 1992. Zimmermann, Friedrich: Kabinettstücke. Politik mit Strauß und Kohl 1976 – 1991. München/Berlin 1991. Zimmermann, Karl: Die erste Reichstagung der CDU am 14., 15. und 16.Dezember 1945 (Schriftenreihe der CDU des Rheinlands. Bd. 3). Köln 1946. Zitelmann, Rainer: Adenauers Gegner. Streiter für die Einheit. Erlangen 1991. Zohlnhöfer, Reimut/Saalfeld, Thomas (Hg.): Politik im Schatten der Krise. Eine Bilanz der Regierung Merkel 2009 – 2013. Wiesbaden 2015. Dies. (Hg.): Zwischen Stillstand, Politikwandel und Krisenmanagement. Eine Bilanz der Regierung Merkel 2013 – 2017. Wiesbaden 2018. Zolleis, Udo: Die CDU. Das politische Leitbild im Wandel der Zeit. Wiesbaden 2008. Ders./Bartz, Julia: Die CDU in der Großen Koalition – Unbestimmt erfolgreich, in: Egle/Zohlnhöfer (Hg.): Die zweite Große Koalition. S. 51 – 68.

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Autorinnen und Autoren Abmeier, Karlies Dr. Karlies Abmeier, geboren 1953 in Münster, Historikerin; war bis 2019 Leiterin des Teams Religions-, Integrations- und Familienpolitik in der Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in Berlin. Bach, Christine Dr. Christine Bach, geboren 1970 in St. Ingbert, Historikerin, 2011 Promotion an der Goethe-Universität Frankfurt am Main; seit 2012 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Bauer, Theresia Dr. Theresia Bauer, geboren 1966 in Rosenheim, Akademische Oberrätin am Historischen Seminar der LMU München, Studium der Geschichte, Germanistik, bayrischen Landesgeschichte, Wirtschaftswissenschaften in München; Interessensgebiete: Politikund Sozialgeschichte des NS, der Bundesrepublik und der DDR in internationalen Verflechtungen, Religionsgeschichte. Beckmann, Christopher Dr. Christopher Beckmann, geboren 1966 in Essen, Historiker; Referent und Redakteur der „Historisch-Politischen Mitteilungen“ in der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., zahlreiche Veröffentlichungen und Vorträge zur Zeitgeschichte und zur Christlichen Demokratie. Borchard, Michael Dr. Michael Borchard, geboren 1967 in München, Leiter der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-AdenauerStiftung e. V.; 1998 Promotion an der Universität Bonn bei Hans-Peter Schwarz, 1998 bis 2003 Referatsleiter in der Thüringer Staatskanzlei, dort Redenschreiber des Ministerpräsidenten Bernhard Vogel, 2003 bis 2014 Leiter Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., 2014 bis 2017 deren Büroleiter in Israel. Buchstab, Günter Dr. Günter Buchstab, geboren 1944 in Lauchheim, bis März 2009 Leiter der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik der KonradAdenauer-Stiftung e.V. in Sankt Augustin. Crämer, Peter Peter Crämer M.A., geboren 1970 in Bad Neuenahr-Ahrweiler, 1994 bis 2001 Mitarbeiter im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn; seit 2001 Sachbe725

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arbeiter in der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Falbisoner, Martin Martin Falbisoner M.A., geboren 1978 in München, Wissenschaftlicher Dokumentar, Studium der Geschichte und Amerikanistik; Leiter der Abteilung Medienanalyse und -archiv in der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Gassert, Philipp Prof. Dr. Philipp Gassert, geboren 1965 in Wertheim am Main, Inhaber des Lehrstuhls für Zeitgeschichte an der Universität Mannheim; jüngste Veröffentlichungen u. a.: Bewegte Gesellschaft. Deutsche Protestgeschichte seit 1945 (2018); Der 11. September 2001 (2021). Granderath, Horst Horst Granderath, Studium der Geschichte und Vergleichenden Religionswissenschaften in Bonn; seit 2011 Mitarbeiter in der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik, dort in der Abteilung Medienanalyse und -archiv zuständig für das Sachgebiet Parteien und Politische Stiftungen, seit 2018 als Referent im Schriftgutarchiv betraut mit den Beständen CDU-Bundespartei und CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Grau, Andreas Dr. Andreas Grau, geboren 1969 in Geilenkirchen, Studium der Politischen Wissenschaft, Geschichte und Kunstgeschichte in Bonn, Mitarbeiter der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, 2004 Promotion bei Hans-Peter Schwarz über die Reaktion von CDU und CSU auf die Ost- und Deutschlandpolitik der Regierung Brandt/ Scheel; seit 2001 Referent im Archiv für Christlich-Demokratische Politik der KonradAdenauer-Stiftung e.V.; Veröffentlichungen zur Zeitgeschichte und zur Parteiengeschichte. Gregosz, David David Gregosz, geboren 1983 im thüringischen Leinefelde, Doppelstudium der Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg, Altstipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.; Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in Warschau/Polen. Gusenfeld, Julia Julia Gusenfeld, geboren 1974 in Sankt Petersburg, Studium an der Humboldt-Universität in Berlin: Bachelor der Bibliotheks- und Informationswissenschaft sowie Slawistik und Master in Kulturen Mittel- und Osteuropas; seit 2020 Bibliothekarin in der KonradAdenauer-Stiftung e.V. Berlin. Hammes, Frank Frank Hammes, Diplom-Politologe, geboren 1966 in Koblenz, Studium der Politikwissenschaft an der Universität Bamberg; seit 1992 Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., dort seit 2005 im Archiv für Christlich-Demokratische Politik. 726

Autorinnen und Autoren

Hansmann, Michael Michael Hansmann M.A./M.A., geboren 1966 in Köln, Studium der Mittleren und Neuen Geschichte, Politischen Wissenschaften und Klassischen Archäologie in Köln, berufsbegleitendes Masterstudium der Archivwissenschaften in Potsdam; Leiter der Abteilung Schriftgutarchiv in der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für ChristlichDemokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.; Arbeitsschwerpunkte: Digitale Archivierung, Archivmanagement, Geschichte der Christlichen Demokratie. Hofe, Ina vom Dr. Ina vom Hofe, geboren 1984 in Schwerte, Studium der Politischen Wissenschaft, Psychologie und Neueren deutschen Literatur in Bonn und Stockholm; von 2011 bis 2013 Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., Promotion bei Hanns Jürgen Küsters 2017 an der Universität Bonn über die Frauenpolitik der CDU. Küsters, Hanns Jürgen Prof. Dr. Hanns Jürgen Küsters, geboren 1952 in Krefeld, lehrt Politische Wissenschaft und Zeitgeschichte an der Universität Bonn; 2009 bis 2018 Leiter der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Lammert, Norbert Prof. Dr. Norbert Lammert, geboren 1948 in Bochum, 1980 bis 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages, 2005 bis 2017 Bundestagspräsident, seit 2018 Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Lingen, Markus Markus Lingen, geboren 1968 in Rheydt-Odenkirchen, studierte katholische Theologie, Geschichte und Philosophie an den Universitäten Bonn und Innsbruck, Mitarbeiter an der Universität Bonn; seit 2004 Mitarbeiter der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., seit 2020 dort Referent der Abteilung Publikationen; Schwerpunkte: Geschichte der christlich-sozialen Idee und Bewegung, Ethik und christliche Grundwerte, Staat-Kirche-Verhältnis, Kirchengeschichte. Maaß, David David Maaß M.A., geboren 1973 in Rheinbach, Studium der Mittleren und Neueren Geschichte, Politischen Wissenschaft und Osteuropäischen Geschichte an den Universitäten Bonn und Köln; seit 2006 Mitarbeiter in der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., seit 2011 dort Referent in der Abteilung Medienanalyse und -archiv. Marx, Stefan Dr. Stefan Marx, geboren 1969 in Waldbröl/Oberbergischer Kreis, Studium der Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Siegen, Promotion 2001; seit 2008 Referent in der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische 727

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Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., hier archivfachliche Betreuung der Personen- und Organisationsbestände der CDU in Nordrhein-Westfalen, Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sowie selbständige wissenschaftliche Forschungstätigkeit, insbesondere zu Fragen der Parlaments- und Parteiengeschichte in Deutschland. Michel, Judith Dr. Judith Michel, geboren 1979 in Tübingen, arbeitete am Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bonn, beim Institut für Zeitgeschichte München und in der Abteilung Zeitgeschichte der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in Berlin; seit 2022 Referentin im Bundesministerium für Bildung und Forschung. Neu, Viola Dr. Viola Neu, geboren 1964 in Ludwigshafen, seit 1992 Mitarbeiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., bis 2000 Leiterin der Abteilung Empirische Politikforschung, dann Leiterin des Teams Politische Kommunikation, Meinungs- und Parteienforschung und seit 2011 Leiterin des Teams Empirische Sozialforschung; von 2011 bis 2015 Datenschutzbeauftragte der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., ab 2017 zudem stellvertretende Leiterin der Hauptabteilung Politik und Beratung. Seit 2020 stellvertretende Leiterin der Hauptabteilung Analyse und Beratung und dort auch Leiterin der Abteilung Wahl- und Sozialforschung; Forschungsschwerpunkte: Wahl-, Sozial- und Parteienforschung. Oppermann, Matthias PD Dr. Matthias Oppermann, geboren 1974 in Auetal, stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. und dort Leiter der Abteilung Zeitgeschichte; Forschungsschwerpunkte: Ideengeschichte, Internationale Beziehungen, Geschichte Frankreichs und Großbritanniens. Pickert, Carsten Carsten Pickert B.A., geboren 1977 in Dessau, Ausbildung zum Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste (Fachrichtung Archiv) im Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., berufsbegleitende Fernweiterbildung mit Bachelor-Abschluss an der FH Potsdam; seit 2005 Sachbearbeiter im Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. mit den Schwerpunkten CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag sowie Vereinigungen und Sonderorganisationen der CDU. Pries, Thilo E. Thilo E. Pries M.A./M.A., geboren 1984 in Eutin, Referent im Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.; Magister der Geschichte und Politik in Kiel und Salamanca; berufsbegleitendes Masterstudium der Archivwissenschaften in Potsdam, Fachgebiete Datenschutz und Archivrecht sowie Archivmanagement und Geschichte der Christlichen Demokratie.

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Autorinnen und Autoren

Rödder, Andreas Prof. Dr. Andreas Rödder, geboren 1967 in Wissen, ist seit 2005 Professor für Neueste Geschichte an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Rosin, Philip Dr. Philip Rosin, geboren 1980 in Bonn, Historiker; Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Bonn und Potsdam; seit 2020 Referent in der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-AdenauerStiftung e. V.; Forschungsschwerpunkte: Ära Kohl 1982 – 1998, Geschichte der deutschen Außenpolitik, Große Koalition 1966 – 1969. Salten, Oliver Dr. Oliver Salten, geboren 1977 in Oldenburg, 1998 bis 2003 Studium der Mittleren und Neueren Geschichte, Politikwissenschaft und Kunstgeschichte in Bonn, hier auch Promotion; seit 2014 Referent in der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.; Forschungsschwerpunkt: Geschichte der CDU der SBZ/DDR. Schebesta, Martin Martin Schebesta M. Sc., geboren 1993 in Aachen, Studium Global Politics an der London School of Economics; Bachelor in Philosophy, Politics and Economics der University of Durham (UK); seit 2017 zuständig für Grundsatzfragen der Sozialen Marktwirtschaft und Ordnungspolitik in der Hauptabteilung Analyse und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., seit 2020 dort Policy Advisor. Tischner, Wolfgang Dr. Wolfgang Tischner, geboren 1967 in Berlin, Studium der Geschichte, Germanistik und Klassischen Archäologie in Bonn und Leipzig, 1993 bis 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Leipzig, dort Promotion zur Geschichte der katholischen Kirche in der DDR; seit 2007 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., hier Leiter der Abteilung Publikationen/Bibliothek der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste. Tüpper, Rita Anna Rita Anna Tüpper M.A., geboren 1965 in Simmerath, Studium der Philosophie, Kunstgeschichte und Politikwissenschaft in Bonn, 1993 bis 1998 Koordinatorin Urheberrechte der VG Bild-Kunst für Museen/Ausstellungsinstitute; 1999 bis 2016 Redakteurin „Die Politische Meinung“, seit 2017 Referentin Publikationen in der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-AdenauerStiftung e.V. Westermann, Daniel Daniel Westermann M.A., geboren 1992 in Salzkotten; Referent im Archiv für ChristlichDemokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.; Studium der Geschichtswissenschaft und Anglistik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn; seit 2019 Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., von 2019 bis 2022 als Sachbearbeiter für die Akten der CDU-Bundespartei mitverantwortlich; seit 2022 als Referent für die 729

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Aktenbestände der europäischen und internationalen christlich-demokratischen Institutionen und des CDU-Landesverbands Baden-Württemberg zuständig. Wientzek, Olaf Dr. Olaf Wientzek, geboren 1982 in Krappitz (Krapkowice, Polen), seit 2019 Leiter des Genfer Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.; 2016 bis 2019 Koordinator Europapolitik bei der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in Berlin, 2009 bis 2015 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Europabüro Brüssel der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.; Schwerpunkte: Europapolitik, Europäische Volkspartei, Internationale Politik. Wölbern, Jan Philipp Dr. Jan Philipp Wölbern, geboren 1980 in Marburg, Lehramtsstudium Geschichte, Politikwissenschaft und Englisch in Marburg, Freiburg und Sheffield (UK). Altstipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., 2013 Promotion an der Universität Potsdam; 2014 bis 2016 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am ZZF Potsdam, 2016 bis 2020 Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Zeitgeschichte der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., seit 2020 Referent für Osteuropa in der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit. Zehender, Kathrin Dr. Kathrin Zehender, geboren 1983 in Heidelberg, Wissenschaftliche Mitarbeiterin verschiedener Abgeordneter im Europäischen Parlament und im Deutschen Bundestag sowie in der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien in Berlin; seit Juli 2016 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Zeitgeschichte der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in Berlin; Forschungsschwerpunkte: Geschichte des Parlamentarismus, der Bundesrepublik und der CDU. Ziwitza, Yvonne Yvonne Ziwitza M.A., geboren 1985 in Northeim, Studium der Mittleren und Neueren Geschichte, Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie Religionswissenschaft an der Universität Göttingen; seit 2012 Sachbearbeiterin mit dem Schwerpunkt Nordrhein-Westfalen im Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

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Personenregister Ackermann, Else 217, 249, 251 Adenauer, Konrad 11, 18 – 20, 24 f., 27 f., 32, 36 f., 43 f., 48, 53 – 56, 59, 63, 66, 68, 75, 77, 80, 82, 84, 86 – 89, 95, 105, 107, 109, 112 – 114, 118 f., 125 – 127, 129, 131 – 145, 147 f., 150, 153 – 156, 159, 161 – 163, 172, 194, 196, 255 – 258, 261, 266, 268, 276, 299, 303, 306, 313, 321, 335, 349, 365, 366, 370, 376, 413 – 415, 418 f., 422, 472, 476 – 480, 493, 498, 502, 509, 526 f., 540, 552 f., 579, 581, 584, 589 – 602, 604 – 612, 614, 619 – 623, 625, 628 f., 633, 635 – 638, 640 f., 644, 659 Adenauer, Paul 143, 145 Adorno, Eduard 237 Agethen, Manfred 195, 220, 252 Ahlhaus, Christoph 270 f., 274 Albers, Johannes 27 f., 57, 362 f. Albers, Karl 266 Albert, Klaus 338 Albert, Veit 384 Albrecht, Ernst 97, 171, 181, 291, 293, 665 Albrecht, Rudolph 227 Alsleben, Thorsten 399 Althaus, Dieter 343, 345, 347 Althusmann, Bernd 292 – 294 Altmann, Rüdiger 91 Altmeier, Peter 72, 307 f., 310, 472 Altschull, Herbert 20 Amelunxen, Rudolf 298 Amrehn, Franz 241, 244 Andre, Josef 231, 237 Andrich, Paul 281 Anke, Manfred 227 Arentz, Hermann-Josef 363 Arndgen, Josef 275 Arnold, Karl 86, 134 f., 298 f., 303, 305, 362 f., 477 Aron, Raymond 23 Asmussen, Hans 46 Atatürk, Mustafa Kemal 133 Auer, Joachim 328 Baader, Andreas 529 Bach, August 216, 221, 342, 345 f.

Bach, Ernst 414 Bachem, Karl 56 Bade, Klaus 548 Bahr, Egon 153 f., 613 Bajohr, Frank 273 Baldauf, Christian 309 f. Bannas, Günter 105 Barschel, Uwe 181, 335 f., 338 Barth, Heinrich 258, 263 Barth, Karl 31 f. Bartnig, Fritz-Karl 325 Bartram, Walter 334 Bartz, Julia 206 Barzel, Rainer 24, 93 f., 139, 141, 143, 147 – 157, 159 – 161, 164 – 166, 259f. 350, 415, 418 f., 529, 615 f., 671 Baudissin, Wolf Graf 365 Bauer, Gerhard 316 Bauer, Theresia 228 Baumeister, Brigitte 201 Baus, Katrin 252 Baus, Ralf Thomas 76, 219, 244, 252, 324, 331, 345 Bausch, Paul 231 Beck, Ernst Reinhard 646 Beck, Kurt 309 Beckel, Albrecht 116 Becker, Felix 83 Becker, Leopold 332 Becker, Otto 333 Becker, Winfried 37, 76, 80, 106 Beckerath, Erwin von 49, 52 Beckmann, Christopher 345 Beer, Mathias 547 Behren, Dirk von 560, 584 Behrend, Werner 346 Beissel, Rudolf 265 Benda, Ernst 55, 406 Bender, Christoph 377 Benedikt XVI., Papst 116 Ben-Gurion, David 118 Benz, Wolfgang 75 Benzler, Hartwig 410 Berg, Karl 515

731

Anhang

Berghaus, Siegfried 245, 325 Bergner, Christoph 329, 332, 549 Bergsdorf, Wolfgang 581 Berlusconi, Silvio 206 Bertram, Erik 407 Bettels, Dirk 384 Beust, Ole von 270 f., 273 Beyer, Helmut 293 Beyerle, Josef 231 Beyrich, Franz 265 f., 273 Bhattacharya, Supriyo 546, 548 Biedenkopf, Kurt 95, 97, 105, 158 f., 165 f., 168 – 170, 180, 184 f., 189, 194, 300 f., 305 f., 323 – 325, 416 f., 419, 483 Bienert, Michael C. 252, 345 Birrenbach, Kurt 654 Bismarck, Otto von 589 Bitter, Wilhelm 388, 390 f. Blank, Joseph-Theodor 390 Blank, Theodor 634, 636 f., 654 Blasius, Tobias 303 Blind, Jochen 631 Bloch, Peter 247, 251 Blome, Nikolaus 107 Blue, Mark 384 Blüm, Norbert 187 f., 190, 194, 205, 301 f., 305 f., 362 f., 484 f., 573, 581, 666 Blumenfeld, Erik 36, 268, 273, 615 Bock, Lorenz 231f. Bode, Franz-Josef 375 Boden, Wilhelm 308 Böck, Willibald 343, 347 Böckenförde, Ernst-Wolfgang 579, 583 Böckler, Hans 129, 479 Böge, Reimer 339 Böhm, Franz 28 f., 49, 52, 55, 279, 449 Böhmer, Maria 199, 371 f., 549, 573 Böhmer, Wolfgang 329 – 332 Böhr, Christoph 309 f., 377, 379 f., 562, 582 f., 585 Börner, Holger 277 Bösch, Frank 76, 90 – 92, 94 f., 106, 109, 144, 158, 194, 356, 416 f., 547 Boeselager, Joseph-Emanuel Freiherr von 264 Boetticher, Christian von 339 Bohl, Friedrich 186 Bonhoeffer, Dietrich 46, 51, 562 Borchard, Michael 585 Borchert, Jochen 366 f. Born, Leopold 384

732

Bornholt, Tim-Rainer 390 Bosselmann, Gustav 294 Bossong, Joseph 255 f. Bostel, Lars von 384 Bouffier, Volker 278, 280 Bracher, Karl-Dietrich 581 Brammer, Karl 74, 239, 244 Brand, Christoph 407 Brandt, Helmut 240, 245 Brandt, Willy 114, 138, 153 – 155, 162, 241, 521, 541, 612, 614 – 616 Brauksiepe, Aenne 370 f., 477, 502, 661 Braun, Gerhard 409 – 411, 499 f., Braun, Wolfgang 328 Bregger, Klaus 398 f. Breher, Silvia 295, 501 Brentano, Heinrich von 125, 130, 138, 145, 625 Breschnew, Leonid 377 Brink, Marianne 403 Brocke, Wulf Rüdiger 274 Brok, Elmar 629 Brüggemann, Wolfgang 406 Brüning, Heinrich 41, 47 Bucerius, Gerd 266 Buchhaas, Dorothee 80, 89, 91, 106 Buchheim, Karl 319 Buchna, Kristian 109 Buchstab, Günter 56, 82, 91, 101, 418 Budde, Emma 584 Bülow, Christoph von 384 Büttner, Heinz 346 Bukert, Karl 245 Burgemeister, Alfred 295 Burger, Ulrich 379 Burger, Werner 237 Burkiczak, Christian 384 Buschfort, Wolfgang 351 Bush, George H. 603 f. Butterhof, Franz-Xaver 374, 379 Caffier, Lorenz 283 f., 286 f. Carstens, Karl 165 f., 170 f., 261, 676 Carstens, Manfred 295 Carstensen, Peter Harry 336 – 339 Cassens, Johann-Tönjes 259, 263 Chapeaurouge, Paul de 267, 273 Christiansen, Max 287 Chruschtschow, Nikita 136, 241 Cillien, Adolf 290, 294 Clemens, Conrad 379 Clinton, Bill 603

Personenregister

Cornelsen, Carsten 399 Creuzberger, Stefan 351 Crößmann, Harald 384 Czaja, Herbert 549 Czaja, Mario 419 Daehre, Karl-Heinz 329, 332 Dahlmann, Friedrich Christoph 37 Dahrendorf, Ralf 460 Danker, Uwe 338 D’Antonio, Oliver 356 Dautzenberg, Thomas 379 Dedek, Magnus 321 f., 325 Degener, Johannes 256 – 258, 263 Degenhardt, Ernst 256 f. Dehler, Thomas 133, 136 Delbrück, Hans 37 Delp S.J., Alfred 49 Demirbüken-Wegner, Emine 121 Dertinger, Georg 213 f., 220 f., 321 Dibelius, Otto 46, 111 Dichtel, Anton 231, 237 Diederichs, Georg 290 Diehl, Lorenz 307 Diekmann, Walther 295 Diemers, Renate 571 Diepgen, Eberhard 37, 242, 244 Dietsch, Conrad Wilhelm 274 Dietz, Barbara 548 Dietze, Constantin von 52 Diez, Theopont 231 Dingerkus, Stefan 406 Dirks, Walter 275 Döhl, Klaus 379 Dölling, Karl 253 Döring, Wolfgang 134 Dörpinghaus, Bruno 275 Donth, Stefan 324 Dormann, Franz 407 Dorn, Wolfram 134 Dornhofer, Hugo 341 f., 345 f. Doss, Hans-Jürgen 398 – 400 Dovifat, Emil 243, 469 Dregger, Alfred 174, 276 f., 280, 618 Dreischer, Stephan 252 Dreßler, Herbert 325 Dropmann, Hermann 245 Duchacˇ, Josef 184, 343 Dübel, Siegfried 350 – 352 Dufhues, Josef Hermann 89 f., 135, 141 – 143, 157, 299 f., 305 f., 375, 379 f., 415, 418 f.

Dullenkopf, Otto 233, 237 Dulles, John Foster 592, 593 Dumann, Manfred 379 Dutschke, Rudi 527 Echternach, Jürgen 268 f., 273, 376 f., 379 f. Eckardt, Ernst 253 Eckstein, Wolfgang 245 Egbring, Carl 289 Egen, Peter 367 Eggert, Heinz 187 Ehlers, Hermann 30, 32, 46, 112, 128, 294 f., 365 – 367, 677 Ehrich, Uwe 343, 347 Eichborn, Maria 573 Eichelbaum, Maria 371 Eisel, Stephan 406, 408 Eisenhower, Dwight D. 137, 592 f. Eisenmann, Susanne 235 Engholm, Björn 336 Eplée, Hermann 402 f. Eppelmann, Rainer 218 f., 363 Epstein, Klaus 125 Erhard, Ludwig 19, 27 f., 53, 55, 87, 91, 112, 125, 133 f., 137 – 145, 148, 150 f., 153, 155, 159, 259, 267, 415, 419, 451 f., 454 – 456, 460, 477, 480 f., 508, 594, 597 f., 600, 605, 612, 614, 621, 623, 660 Escher, Klaus 378 f. Etzel, Franz 87 Eucken, Walter 28 f., 34, 49, 448 f., 454, 456 Even, Bert 376, 379 f. Fascher, Erich 327, 332 Faulenbach, Bernd 149 Faulhaber, Michael Kardinal von 43 f. Fay, Wilhelm 276, 280 Feldhaus, Günther 263 Felix, Walter 231 Felmberg, Bernhard 367 Fera, Charlotte 371 Ferreau, Frederik 407 Filbinger, Hans 55, 233 f., 236 f. Filzen, Wilhelm 256 Finck, Johannes 307 Fink, Ulf 250, 253, 362 f. Fischer, Dirk 268, 270 f., 273 Fischer, Joschka 207 Fischer, Lothar 325 Fisenne, Josef von 273 Flath, Steffen 323

733

Anhang

Flick, Fritz 406 Flick, Friedrich Karl 179, 201 Flint, Fritz 245, 253 Foerster, Karl 281 Fontaine, Pascale 630 Ford, Henry 592 Foschepoth, Josef 622 Franco, Francisco 601 Fratzscher, Arnold 256, 293 Freitag, Otto 321, 325 Frerichs, Göke 397 Frese, Birgit 363 Freytag, Michael 271, 273 Fricke, Otto 289, 294 f. Friedensburg, Ferdinand 27, 30 Friedman, Michel 119 Frings, Josef Kardinal 111 Frölich, Günter 253 Fromme, Jochen-Konrad 295 Fuchtel, Hans-Joachim 204 Funcke, Liselotte 134 Furler, Hans 627, 631 Gablentz, Otto Heinrich von der 25, 243 Gabriel, Sigmar 519 Gaddum, Willfried 406 Gädechens, Ingo 634 Gajewski, Alexander 356 Galen, Clemens August Kardinal Graf von 44, 111, 559 Galley, Michael 346 Gansäuer, Jürgen 291 f. Gante, Michael 563 f., 584 Gantenberg, Mathilde 307 Ganter-Gilmans, Hans-Paul 252 Garski, Dietrich 241 Gauger, Jörg-Dieter 385, 467, 585 Gaulle, Charles de 136, 140 f., 143, 163, 595 – 598, 604 Gauly, Thomas 109 Gehler, Michael 631 Geisler, Hans 366 Geißler, Heiner 95, 98, 148, 150, 159, 170, 177, 180 – 183, 186, 194, 201, 203, 416 f., 419, 483 f., 497 f., 500, 581, 618, 636, 672 Gelfert, Joachim 325 Gensch, Christoph 311 Genscher, Hans-Dietrich 604, 624 Gerhardus, Felix 311 Gerigk, Hermann 252

734

Gerstenmaier, Eugen 30, 32, 35 f., 39, 46, 48 f., 57, 81, 132, 136, 139, 657 Gerster, Johannes 309 f., 549 Gestier, Markus 316 Gieler, Wolfgang 546, 548 Gies, Gerd 184, 328, 332 Giffey, Franziska 577 Gilsing, Anton 67 Gimbel, John 68 Giousouf, Cemile 121 Glawe, Harry 286 Glintenkamp, Michael 264 Globke, Hans 54, 137, 150, 610 f. Gluchowski, Peter 423 Glück, Gebhard 410 Glup, Gerhard 295 Gockeln, Josef 135 Goebbels, Joseph 179 Goeckel, Robert F. 220 Göb, Rüdiger 149, 156, 158 f. Göhner, Reinhard 100 Gölter, Georg 461 Goerdeler, Carl Friedrich 48, 50, 52 Görgen, Hermann Mathias 47 Götting, Gerald 183, 214, 216 – 218, 221, 249, 283, 322, 343, 670 Götz, Heinz Theodor 265 Götz, Hermann 402 Götz, Peter 389 – 391 Götz, Richard 346 Gohr, Arnold 240, 245 Goldenbaum, Ernst 223, 225, 227 f. Gollwitzer, Helmut 32 Gomolka, Alfred 184, 283, 286 Gorbatschow, Michail 179, 217, 249, 513, 517, 546, 602, 605, 618 f., 624, 641 Gotto, Klaus 622 Gradl, Johann Baptist 183, 243, 350 – 352 Gräßle, Ingeborg 629 Grau, Andreas 273 Graul, Walter 281 Graupner, Gotthardt 325 Gregor XVI., Papst 33 Grewe, Günther 346 Griesinger, Annemarie 236 Grobbel, Karl 220, 247 f., 252 Gröhe, Hermann 118, 377 – 379, 419, 489 Gröhler, Julius K. 384 Gröwel, Margareta 265 f. Gronowski, Johannes 305 f. Gros, Jürgen 195, 523

Personenregister

Grosse, Georg 341 f., 346 Großmann-Doerth, Hans 49, 55 Grotz, Claus-Peter 236, 380 Gruber, Ludger 304 Grütters, Monika 243, 245 Gruhl, Herbert 511, 522 Gruhner, Stefan 378 Grundmann, Konrad 306 Güde, Max 564 Güler, Serap 121 Günther, Daniel 337, 339 Güntner, Michael 384 Güth, Hans 346 Güth, Luise 286 Gulich, Heinz 253 Gurian, Waldemar 48 Gurk, Franz 231, 237 Guttenberg, Karl Theodor Freiherr von und zu (1921 – 1972) 151, 615 Guttenberg, Karl-Theodor Freiherr von und zu (*1971) 645 f. Haase, Christian 390 Haase, Günther 253 Hachelberger, Manfred 227 Hackler, Erhard 367 Hähle, Fritz 323, 325 Hähne, Heinz 253 Hänel, Kristina 576 Hahn, Michael 379 Hahn, Wilhelm 236, 460 f., 467 Hallstein, Walter 627, 631 Hamacher, Wilhelm 73 Hamburger, Egbert 399 Hammer, Gert 406 Hans, Tobias 315 – 317 Hardt, Jürgen 407, 652 Harlander, Florian 379 Hars, Rudolf 467 Hartfelder, Carola 250, 253 Hartmann, Friedrich 311 Hartmann, Jürge 311 Hartz, Peter 487 Haseloff, Reiner 331 f. Hassel, Kai-Uwe von 137, 143, 334 f., 338, 597, 637, 654 Hasselmann, Wilfried 291, 294 Haufler, Antonia 379 Haungs, Peter 310, 356 Haupt, Wolfgang 250, 253 Hauss, Carl Wilhelm 273

Heck, Bruno 79, 91 f., 95, 143, 149 – 151, 153, 156 – 159, 161, 163, 236, 260, 415, 419, 567 f., 601 Hecke, Steven Van 630 f. Heckelmann, Günther 406 Heide, Birgit 367 Heidenreich, Bernd 279 Heilmann, Thomas 243 Hein, Georg-Willi 253 Heinemann, Gustav 32, 112, 126, 128, 136, 148, 365, 526 Heinrich, Emma 287 Heintze, Roland 272 f., 396 Heißner, Philipp 272 Heitzer, Horstwalter 304, 380 Heller, Willy 247, 251 Hellwege, Heinrich 69, 290 Helmes, Peter 379, 399 Hemmelmann, Petra 98, 104, 107, 585 Henkel, Frank 243, 245 Hennecke, Hans Jörg 286, 456 Hennig, Ottfried 149, 159, 336, 338 f., 618 Hensen, Jürgen 548 Herbers, Winfried 77 Herbert, Ulrich 548 Herbst, Hans R. 410 Herbst, Peter Stefan 384 Herdieckerhoff, Martin 394, 396 Herkenrath, Adolf 390 Hermes, Andreas 25, 50 – 52, 57, 65, 84, 110, 211 f., 220 f., 239, 248, 608 Herrmann, Beate 585 Herrmann, Hans-Christian 316 Hertling, Georg von 33 f. Herwegen, Leo 327, 332 Herzog, Roman 119, 189 f., 204, 366 f., 488, 674 Heurich, Fridolin 231, 237 Heusinger, Adolf 636 Heuss, Theodor 73, 137 Heyden, Wichard von der 407 Heyl, Wolfgang 325 Heyn, Walter 265, 267 Hickmann, Hugo 213, 221, 319 – 321, 324 f. Hillmann, Bernd 287 Hilpert, Werner 275 f., 280 Hindenburg, Paul von 41 – 43 Hintze, Peter 86, 88 f., 98, 107, 186 f., 189, 366 f., 419 Hirte, Christian 344, 347 Hitler, Adolf 30, 39, 41 – 43, 46, 56, 60, 81, 562

735

Anhang

Hitze, Guido 195, 304 Hitzfeld, August 256 Hochrebe, Jörn 379 Hockerts, Hans Günter 486, 493 Höffner, Joseph Kardinal 34, 114, 116, 515 Höppner, Reinhard 329 Hofe, Ina vom 371, 584 Hoffmann, Heinz-Rudolf 245 Hoffmann, Johannes 47, 52, 132, 313 f., 316 Hoffmann, Paul 281 Hollweg, Uwe 261, 263 Holtmann, Everhard 331 Holz, Stefan 407 Holzapfel, Friedrich 66, 72, 77, 128, 414 Holzenkamp, Franz-Josef 295 Honecker, Erich 155, 179, 225, 516, 617 Horrmann, Horst 295 Huchel, Philipp 286 Hübner, Christian 507 Hülsenbeck, Dirk 411 Hüppe, Hubertus 572 Hüttenberger, Peter 72 Hüwel, Detlev 303 Huhn, Martina 343 Humbert, Alexander 379 Hundhammer, Alois 460 Hunn, Karin 548 Hupka, Herbert 402 – 404, 549, 615, 618 Ibielski, Dieter 406 Illerhaus, Joseph 627 Jacoby, Peter 315 f. Jaecke, Gregor 274 Jäger, Wolfgang 196, 220, 226 Jähnichen, Traugott 37 Jager, Jost de 339 Jahn, Ernst-Henning 295 Jahn, Gerhard 565 Jahn, Hans Edgar 294 f. Jahn, Philipp 255 – 257 Jander, Ingrid 252 Jansen, Jan Christian 411 Jansen, Thomas 627, 630 Jansen, Walter 388, 390 Jedin, Hubert 47 Jenninger, Philipp 236 Jenssen, Ernst 281 Jestaedt, Katharina 576 Jochmus, Hedwig 371 f. Jöhren, Werner 285

736

Johannes Paul II., Papst 562, 575 Johnen, Wilhelm 135, 299, 306 Jones, Mark Terence 394, 396 Juan Carlos I., König 601 Jung, Christian 384 Jung, Edgar Julius 43 Jung, Franz Josef 644, 654 Junghanns, Ulrich 226 f., 250, 253 Jungs, Ingmar 577 Kaas, Ludwig 47 Kaff, Brigitte 56, 380 Kaftan, Julius 31 Kahle, Dennis 407 Kaisen, Wilhelm 258 Kaiser, Jakob 25, 50, 65, 82, 84, 86, 100, 115, 126, 129, 183 f., 212 – 214, 219 – 221, 239 f., 257, 313, 320 f., 342, 349 – 352, 362, 414, 477, 579, 590, 608, 659, 677 Kalb, Hermann 346 Kammradt, Steffen 220 Kamphaus, Franz 575 Kanka, Karl 275 Kant, Immanuel 562, 578 Kanther, Manfred 277, 280 Karliczek, Anja 553 Karwatzki, Irmgard 572 Kasimier, Helmut 291 Kasischke, Lars 407 Kaske, Volker 338 Kastendiek, Jörg 262 f. Kather, Linus 402 – 404, 539, 549 Katzer, Hans 152, 362 f., 542, 671 Kauder, Volker 419, 574, 582 Kaufmann, Marcel 407 Kaum, Johann 256 f., 263 Keitel, Klaus 328 Keller, Michael 111 Kemmerich, Thomas 344 Kennedy, John F. 140, 593, 597, 599 Ketels, Max Detlev 273 Kiefer, Markus 345 Kiefert, Cathleen 371 Kiep, Walther Leisler 201, 269, 279, 615 Kiesewetter, Lutz 384 Kiesewetter, Roderich 651 f. Kiesinger, Kurt Georg 19, 91, 127, 142, 144, 147 – 159, 161, 163 f., 233, 236, 259, 414, 419, 457, 481, 527, 553, 598 – 600, 612 – 615, 623, 637, 671 Kießling, Günter 179

Personenregister

Kind, Friedrich 253 Kirchhof, Paul 205 Kirchner, Franz 346 Kirchner, Martin 218 f., 221, 343 Kirsch, Ludwig 72, 319, 324 Kißener, Michael 310 Klages, Karl 255 Klausener, Erich 43 Klauss, Hans-Georg 397, 399 Klein, Jürgen 274 Klein, Michael 367 Kleinmann, Hans-Otto 51, 56, 76, 91, 106, 144, 157, 161, 194 f., 244, 293, 338, 363, 380, 404, 547, 553, 631, Klemm, Dieter 287 Klepsch, Egon A. 376, 379 f., 627, 631 Klöckner, Julia 309 f. Klueting, Claudius 407 Knabl, Alois 265 Koch, Hans 282, 287 Koch, Roland 199, 202, 208, 277 – 280 Köcher, Renate 16 Köhler, Charlotte 245 Köhler, Erich 275 Köhler, Erwin 249 Köhler, Heinrich 231 Köhler, Henning 194, 523 Köhler, Horst 205 Köller-Pernice, Siegrid von 410 Koenen, Gerd 149 Köppler, Heinrich 300, 303, 305 f. Koerfer, Daniel 418 Körner, Walter 341 f., 346 Köster, Thomas 398 Kohagen, Bodo 257 Kohl, Helmut 18 f., 55, 88, 92 – 99, 105, 114, 116, 118 f., 144, 148 – 150, 153, 155 f., 158 f., 163 – 188, 190 – 194, 196 – 198, 201 – 203, 205, 218 f., 241, 253, 259 – 261, 299, 301, 308 – 310, 335, 350 f., 355, 366, 398, 409, 418 f., 465, 472 – 474, 476, 482 – 486, 493, 497, 504, 508, 511 – 519, 521 – 523, 530, 541, 543 f., 546, 554 f., 573 f., 580 f., 600 – 605, 617 – 524,626 – 629, 639, 641, 644, 653, 672 f. Kokert, Vincent 285, 287 Kolter, Max 341, 345 f. Konrad, Christoph 399 Konrad, Walter 406 Kopf, Hinrich Wilhelm 289 Korbella, Horst 325 Koring, Friedrich 319

Koschnick, Hans 261 Kotsch, Detlef 228 Kotulla, Albert 245 Krabbe, Wolfgang R. 380 Krätzig, Johannes 325 Kraft, Lothar 379 Krakow, Karl Ludwig 274 Kram, Johannes 384 Kramnig, Karl 260 Kramp-Karrenbauer, Annegret 104, 209, 315, 317, 419, 501, 525, 634, 653, 676 Kraske, Konrad 92, 149, 156 – 159, 161, 163, 166, 406, 408, 419 Krause, Günther 283 f., 287 Krebs, Angelika 583 Kretschmann, Winfried 235 Kretschmer, Karl-Heinz 253 Kretschmer, Michael 323, 325 Krieger, Lukas 384 Krishnan, Jenovan 407 Kroll, Frank-Lothar 81, 110 Krone, Heinrich 77, 112, 135, 137, 142 f., 597 Kronenberg, Volker 303 Krüger, Gisela 410 Krüger, Paul 284, 553 Krukenmeyer, Hans 281 Kuban, Tilman 378 f. Kubel, Alfred 291 Kühl, Wolfgang 384 Kühn, Heinz 325 Kühne, Johannes 255 Kühnert, Kevin 577 Küpper, Moritz 303 Küppers, Heinrich 316 Küsters, Hanns Jürgen 145, 220, 631 Küsters, Tim 407 Kulenkampf, Hans Ludwig 265 Kunst, Arnold 263 Kunst, Hermann 112 Kurbjuweit, Dirk 107 Kurras, Karl-Heinz 527 Kutsch, Matthias 407 Lafontaine, Oskar 190, 200, 314 Lajolo, Giovanni Kardinal 575 Lambrecht, Christine 653 Lamby, Stephan 201 Lamennais, Félicité de 33 Lamers, Karl 629 Lammert, Norbert 12, 56, 76, 301, 356, 461, 585, 675, 677

737

Anhang

Lampe, Adolf 49, 449 Lampersbach, Egon 398 f. Landsberg, Kurt 239, 244 Lange, Arndt 396 Lange, Hans-Jürgen 194, 356, 417 Langen, Werner 309 f. Langguth, Gerd 107, 385, 406, 408 Laschet, Armin 118, 120, 302 f., 306, 419, 525, 544, 676 Lassowsky, Heinz 253 Last, Dorlies 407 Lau, Mariam 107 Laumann, Karl-Josef 303, 363 Laurien, Hanna-Renate 371, 461, 467 Legge, Petrus 45 Lehmann, Dietrich 287 Lehmann, Karl Kardinal 116 Lehmann-Himmel, Sebastian 338 Lehnen, Hans-Dieter 399 Lehr, Robert 27, 526 f. Lehr, Ursula 497 Lemke, Helmut 335, 338 Lemmer, Ernst 27, 30, 32, 65, 115, 183, 212, 214, 220, 241, 244, 247, 257, 349 – 352 Lemmer, Henning 352 Lempp, Jakob 244 Lensing, Lambert 67, 306 Lenz, Otto 244 Lenz, Wilhelm 300, 305 Leo XIII., Papst 448 Lepsius, M. Rainer 40 Lepsius, Renate 565 Leser, Fritz 390 f. Leyen, Ursula von der 207, 490 f., 497, 501, 627, 630 f., 647 f., 665 Lieberknecht, Christine 343 – 347, 366 Liebing, Ingbert 339, 389 f. Liedhegener, Antonius 109, 577, 583, 585 Lingens, Hermann 255 – 257, 263 Link, Otto 265 Linnemann, Carsten 104, 398 f. Linssen, Helmut 301 f., 305 Lobedanz, Reinhold 213, 221, 281 f., 287 Löttgen, Bodo 303 Lohmeyer, Ernst 71, 281 Lorenz, Peter 241, 244, 528 Loth, Wilfried 622 Ludewig, Gottfried 407 Ludwig, Saskia 250, 253 Ludwigs, Klaus-Dieter 274 Lübke, Friedrich-Wilhelm 334, 338

738

Lübke, Heinrich 137 Lücke, Paul 143 Lücker, Hans August 627 Lütkens, Carl Otto 257 Lukaschek, Hans 540 Luther, Jan Peter 412 Mäder, Wolfgang 287 Magerl, Fabian 407 Maier, Hans 461 Maier, Reinhold 232 Maihofer, Werner 568 Maizière, Lothar de 99 f., 183 – 185, 187, 202, 218 f., 221, 250, 253, 322, 328, 351, 417, 517, 677 Maizière, Thomas de 646 Majonica, Ernst 138, 375, 379 f., 615, 623 Maleuda, Günter 225 – 227 Malthus, Robert 448 Mann, Thomas 61 Mappus, Stefan 235 – 237 Martens, Wilfried 631 Martin, Albrecht 366 f. Martin, Anne 310 Martin, Berthold 460 Marx, Karl 448 Marx, Reinhard Kardinal 575 Marx, Stefan 303 Marx, Werner 615, 639, 654 Matthis, Karsten 410 Maurer, Adolf 253 Mayer, Friedrich 325 McAllister, David 292, 294, 629 McCloy, John 592 Mecklenburg, Ernst 225, 227 Mehnert, Gottfried 367 Meisner, Joachim Kardinal 116, 575 Meißner, Christian 367 Mende, Erich 138, 615 Merkatz, Hans-Joachim von 54, 268 Merkel, Angela 19, 55, 101 f., 104 f., 107, 116 f., 119 f., 156, 187, 191, 197 – 210, 284, 286 f., 366 f., 394, 417, 419, 474, 487 – 489, 491 – 493, 497, 501, 504, 506, 512, 518 – 522, 533, 545, 570, 581 f., 600, 603, 605 f., 627, 629, 644, 646 – 648, 675 Merz, Friedrich 104, 202 – 205, 208 f., 419, 505, 650 f., 676 Messinger, Sören 467 Metz, Reinhard 261 Meyer, Laurenz 305, 419

Personenregister

Meyer-Bodemann, Werner 227 Meyer-Heder, Carsten 262 f. Meyers, Franz 135, 299, 303, 305, 414, 508 Mierendorff, Carlo 50 Mikat, Paul 460 f., 567, 615 Milbradt, Georg 323, 325 Milde, Georg 379 Mintus, Otto 227 Miquel, Johannes von 29 Mißfelder, Philipp 378 f., 384 Mitchell, Maria D. 38 Mitterrand, François 179, 604 f. Mock, Hermann 253 Modrow, Hans 218, 517 Möller, Hans 265 Mohler, Armin 35 Mohr, Ulrich 351 Mohring, Mike 344, 347 Mohr-Lüllmannn, Rita 262 f. Moll, Hans Michael 390 Moltke, Helmuth James Graf von 46, 49 f. Momper, Walter 242 Monnet, Jean 594, 605 Moritz, Lothar 283, 287 Morsey, Rudolf 47, 622 Mosberg, Helmuth 357 Muckermann SJ, Friedrich 48 Müllenbach, Peter 311 Müller, Eberhard 32 Müller, Ernst siehe Müller-Hermann, Ernst Müller, Gebhard 231 – 233, 236 f. Müller, Gottfried 217, 343 Müller, Hildegard 378 f. Müller, Josef 50, 257 Müller, Klaus 293 Müller, Ludwig 46 Müller, Michael 243 Müller, Peter 315 f., 536 f. Müller, Philipp 379 Müller, Silke 264 Müller-Armack, Alfred 28, 53, 87, 188, 450 – 454, 456, 477, 508, 660 Müller-Emmert, Adolf 565 f. Müller-Hermann, Ernst 256 f., 259 – 261, 263 Münch, Werner 185, 328, 332 Nathusius, Martin von 31 Nehru, Jawaharlal 600 Neitzke, Martina 279 Nell-Breuning SJ, Oswald von 34 Neubert, Ehrhart 220, 352

Neubert, Hildigund 371 Neumann, Arijana 279 Neumann, Bernd 260 – 263 Neumann, Günter 346 Neuss, Beate 371 Nevermann, Paul 268 Ney, Hubert 313 f., 316 Niemöller, Martin 32, 128 Nipperdey, Thomas 110 Noack, Paul 80 Nölken, Oliver 407 Noelle-Neumann, Elisabeth 422 Nolte, Claudia 569, 572 f. Nolte, Georg 255 Noltenius, Jules-Eberhard 258 f., 261, 263 Nooke, Günter 198 Nuschke, Otto 213 f., 216, 221, 321, 349 Obama, Barack 603 Oberländer, Theodor 402 f. Oberreuter, Heinrich 162 Oertel, Klaus 399 Oesterhelweg, Frank 295 Oettinger, Günther H. 235 – 237 Özkan, Aygül 121 Ohler, Rolf 396 Ohnesorg, Benno 527 Oppelland, Torsten 367 Oppenhoff, Franz 51 Ordnung, Carl 220 Ostermann, Marcus 384 Ouaqasse, Younes 384 Pacelli, Eugenio (siehe Pius XII.) Pagel, Paul 333, 338 Pahlavi, Mohammad Reza 527, 600 Panse, Michael 379 Papen, Franz von 41 – 43 Parteike, Wolfgang 274 Penning, Andreas 263 Perschau, Hartmut 270, 274 Petersen, Rudolf 266, 273 Pfad, Bernhard 289 Pflüger, Friedbert 406, 573 Pflugradt, Helmut 263 Picard, Walter 279 Picht, Georg 460, 553 Pieck, Wilhelm 282 Pieroth, Elmar 398 f. Pietzsch, Johannes 325 Pilz, Waldemar 225

739

Anhang

Pitz-Savelsbergh, Elisabeth 279 Pius XII., Papst 44 Pleven, René 636 Plewe, Eberhard 244 Pöttering, Benedict 378 Pöttering, Hans-Gert 627 – 629, 631 Pofalla, Ronald 102, 419 Pott, Peter 384 Prachtl, Rainer 283, 286 Preysing, Konrad Kardinal von 44, 49, 54, 115 Priebus, Sonja 331 Prien, Karin 119 Priesnitz, Walter 323 Primas, Egon 403 Prosch, Eduard 274 Pünder, Hermann 80 Pütz, Helmuth 106 Pütz, Joseph 389 – 391 Pützhofen, Dieter 301, 306 Putin, Wladimir 206, 455, 521 f. Raabe, Cuno 275 Rachel, Thomas 366 f. Rambo, Joseph 321, 325 Ramelow, Bodo 344 Ratmann, Martin 406 Rau, Johannes 301 Rau, Rolf 325 Rauch, Stefan 286 Rauen, Peter 398 – 400 Raurin-Kutzner, Ursula 245 Rautmann, Christian 274 Reagan, Ronald 179, 602 Reckers, Hans 381, 384, 406 Rehberg, Eckhardt 283 – 287 Rehling, Luise 366 Rehlinger, Anke 315 Reichart-Dreyer, Ingrid 99, 107, 244 Reichelt, Hans 225 f., 228, 517 Reichenbach, Klaus 322 f., 325 Reichwein, Adolf 50 Reimers, Stephan 269 Reinert, Egon 314, 316 Repgen, Konrad 42 Resing, Volker 102, 107 Reul, Herbert 301, 629 Reuter, Ernst 240 Reutter, Max 245 Rex, Emil 257, 263 Ricardo, David 448

740

Richter, Arno 77 Richter, Michael 219 f., 244, 252, 324, 331, 345, 351 Riedel, Clemens 399 f., 404, 549 Riesenhuber, Heinz 177, 279, 553, 557 Rietz, Hans 227 Ringstorff, Harald 284 Rink, Berthold 325 Rinsche, Günter 631 Rißmann, Martin 219 f. Ritter, Gerhard A. 485, 493, 624 Rock, Edelhard 295, 404 Röckert, Martin 407 Rödder, Andreas 106, 196 Röder, Franz-Josef 142, 314 – 316 Röhm, Ernst 43 Rönneburg, Heinrich 289, 295 Rönsch, Hannelore 573 Röpke, Wilhelm 28 f., 452, 456 Röseler, Oliver 407 Rösler, Philipp 489 Rösner, Hansjürgen 245, 282, 287 Röttgen, Norbert 302 f., 306, 520 Röwekamp, Thomas 262 f. Rojek, Alfred 404 Rollmann, Dietrich-Wilhelm 268 f., 273 Ronsöhr, Heinrich-Wilhelm 295 Rosenbauer, Josef 311 Rosin, Philip 417 Roth, Martin 264 Rudolph, Peter 263 Rücker, Walther 342 Rühe, Volker 183, 185 – 187, 200, 336, 419, 641 f., 654 Rüschenschmidt, Heinrich 279 Rüstow, Alexander 28 f. Rüttgers, Jürgen 116, 302 f., 305 f., 465 f., 553, 555, 557 Ruland, Carl Günther 319 Rummler, Gerold 404 Sack, Michael 285, 287 Sadler, Otto 287 Sagner, Alfred 375, 379 Salten, Oliver 219, 324, 351 Sandberg, Eberhard 346 Sarkozy, Nicolas 206 Sauer, Heinz 252 Sauer, Helmut 403 Say, Jean-Baptiste 448 Schaefer, Aloys 341, 345

Personenregister

Schäffer, Fritz 480 Schäuble, Wolfgang 79, 120, 155, 186, 190 f., 197 – 204, 236, 419, 548, 582, 618, 629, 679 Schardt, Alois 460 Scharf, Jürgen 330, 332 Scharfenberg, Günter 467 Scharnberg, Hugo 273 Scharping, Rudolf 188, 309 Schauff, Johannes 43, 47 Schavan, Annette 120, 461, 553, 556 Schede, Christian 407 Scheel, Walter 134, 153, 541, 599 Schepers, Wilhelm 263 Scherer, Werner 314 – 316 Scheu, Gerhard 573 f. Scheufelen, Klaus 237 Schierack, Michael 251, 253 Schill, Ronald Barnabas 270 f. Schily, Otto 525 Schimoneck, Johannes 346 Schira, Frank 272 f. Schirmer, Herbert 250, 253 Schlange-Schöningen, Hans 27, 73, 333 Schlarmann, Josef 398 f. Schleusener, Franz 249 Schlumberger, Friedrich Claudius 311, 379 Schmettau, Hubertus Graf von 247, 251 Schmid, Carlo 137 Schmid, Josef 107, 279 Schmidt, Elli 502 Schmidt, Helmut 151, 169, 172, 174, 179, 472, 512, 521, 601 f., 638 f. Schmidt, Manfred G. 484, 493 Schmidt, Max 325 Schmidt, Otto 77 Schmidt, Robert H. 316 Schmidt, Ute 76, 220, 252, 356 Schmidt-Pohl, Jürgen 286 Schmiechen-Ackermann, Detlef 293 Schmitt, Ingo 242, 244 Schmitt, Karl 195 Schmitz, Heinz 397 Schmücker, Kurt 397 – 400 Schneider, Georg 269 Schneider, Karl-Heinz 293 Schneider, Otto 342, 346 Schneller, Christian 407 Schnieber, Bernhard 346 Schnieder, Patrick 311 Schnoor, Steffie 284, 287 Schnur, Wolfgang 218 f.

Schönbohm, Jörg 185, 250 – 253 Schönbohm, Wulf 94, 103, 149, 161, 194, 356, 406, 416 f., 443 Scholder, Klaus 41 Scholz, Olaf 17, 272, 649 f., 652 Scholz, Paul 225, 227 Scholz, Rupert 640 Schorlemmer, Friedrich 218 Schottenhamel, Michael 384 Schreiber, Karl-Heinz 201 Schreiber, Walther 27, 30, 65, 211 f., 239 – 241, 244, 608 Schreiber, Werner 369 Schreiber, Wilfried 480 Schreiner, Gerd 311 Schröder, André 330 Schröder, Gerhard (CDU) 55, 113, 140 f., 145, 151, 366 f., 414, 594, 597, 612, 637 f., 654 Schröder, Gerhard (SPD) 181, 190 f., 204 – 206, 291 f., 474, 487 f., 519, 521, 533, 544, 603 Schröder, Ulrich 406 Schröter, Carl 27, 333 f., 338 Schuck, Florian 384 Schuck, Klaus 404 Schuckert, Margarete 371 Schulenburg, Wedige von der 263 Schulmeister, Dietmar 407 Schulze, Sven 331 f. Schulze-Vorberg, Max 511 Schumacher, Kurt 126, 591 Schuman, Robert 126, 594 Schurz, Carl 592 Schuster, Armin 651 Schuster, Frank 384 Schuster, Silke 237 Schwartz, Michael 548 Schwarz, Carsten 407 Schwarz, Hans-Peter 18, 86, 145, 191, 194 f., 418, 523, 596, 603, 622 Schwarz, Heinz 379 f. Schwarzer, Alice 565 Schwarzhaupt, Elisabeth 135, 139, 279, 366, 370, 502 Schwarz-Schilling, Christian 177, 279, 400, 473 Schwering, Leo 77, 306, 563 Schwesig, Manuela 284 Schwießelmann, Christian 76, 286 Seehofer, Horst 205 Seela, Rayk 346 Seidel, Jürgen 283 f., 286 f.

741

Anhang

Seite, Berndt 283 f., 286 Seiters, Rudolf 186 Sellering, Erwin 284 Senftleben, Ingo 251, 253 Sevenich, Maria 275 Shinnar, Felix 55 Siemer, Hermann 289 Sieveking, Kurt 268, 273 Simon, Uwe-Rainer 150, 163, 406 Simpfendörfer, Wilhelm 231, 237 Six, Bruno 374 f., 379 f. Sklenar, Volker 227 Smirnow, Andrei 611 Smith, Adam 448 Sobetzko, Werner 332 Söhlmann, Fritz 295 Späth, Lothar 172, 180, 182, 188, 234, 237 Spahn, Jens 489 Spary, Peter 399 f. Speckbötel, Johannes 265, 273 Speckmann, Thomas 345 Speer, Albert 49 Speidel, Hans 636 Sprengel, Wolfgang 263 Sprung, Rudolf 295 Stahlknecht, Holger 330, 332 Stalin, Josef 136, 591, 635 Staudacher, Wilhelm 367 Stauffenberg, Claus Graf Schenk von 48, 50, 52 Stapf, Andreas 576 Steber, Martina 38 Steckel, Adolf 333 Steiner, Ulrich 231 Steininger, Rolf 194, 622 Steinwascher, Gerd 293 Steffel, Frank 242 Stelzer, Theodor 265 Sternberg, Thomas 116, 575, 577 Stickler, Matthias 120, 546 – 548 Stingl, Josef 402 – 404, 549 Stobbe, Dietrich 173, 241 Stock, Christian 276 Stock, Josef 291, 294 Stöber, Christian 345 Stoecker, Adolf 30 f. Stölzl, Christoph 242, 244 Stöss, Richard 252 Stoiber, Edmund 203 f. Stohr, Albert 74 Stolpe, Manfred 250

742

Stoltenberg, Gerhard 144, 148, 177, 259, 335 f., 338, 375 f., 379 f., 553, 557, 640 f., 654, 673 Storch, Anton 480 Storch, Beatrix von 576 f. Strauß, Franz Josef 85, 97, 136, 138, 140 f., 149, 151, 154 f., 169 – 173, 181, 199, 209, 300, 597 f., 615 f., 634, 637, 671 Stresemann, Gustav 29, 589 Streu, Volker 384 Strickrodt, Georg 289, 294 f. Strobl, Thomas 235 – 237 Strohmann, Heiko 264 Stubbe-da Luz, Helmut 272 f. Stucke, Andreas 555 Strümpfel, Hans 365, 367 Strunk, Heinrich 73 Struppek, Kurt 406 Struve, Detelf 333 Stübgen, Michael 251, 253 Stürmann, Heinz-Ulrich 399 Stumpp, Christina 501 Süssmuth, Rita 177, 181, 370 – 372, 497, 504, 544, 573, 618, 674 Süsterhenn, Adolf 471 Suhr, Otto 241 Swiderski, Karolina 384 Sybel, Heinrich von 37 Tauber, Peter 121, 395, 419 Teltschik, Horst 620 Tenbergen, Rasmus 407 Teufel, Erwin 187, 234 – 237, 575 Teusch, Christine 135, 266, 458 Thatcher, Margaret 484 Theis, Roland 317 Theissen, Horst 576 Thiel, Oliver 274 Thoben, Christa 302 Thole, Reinhardt 396 Thuß, Holger 407 Tibi, Bassam 203 Tillich, Stanislaw 323, 323, 325 Tillmanns, Robert 128, 241, 244, 349, 366 f., 414 Tischner, Wolfgang 244, 456 Titel, Werner 225 Töpfer, Klaus 181, 315 f., 454, 512, 514 – 519, 521 f. Toscani, Stephan 316 f. Träger, Hendrik 331 Triebel, Bertram 219, 324, 345

Personenregister

Trommsdorff, Siegfried 342, 345 f. Trump, Donald 206, 603 Tullner, Mathias 331 Uertz, Rudolf 583, 585 Uhl, Markus 317 Uhl, Niklas 384 Ulbricht, Walter 211, 612 Uleer, Christoph 293, 399 Uslar, Elisabeth von 410 Vaatz, Arnold 100, 322 f. Veen, Hans-Joachim 197, 423 Velden, Johannes van der 51 Verhülsdonk, Roswitha 370 Verweyen-Emmrich, Susanne 379 Villain, Emil 281 Vitzthum, Wolfgang Graf 578 Vogel, Bernhard 185, 187, 193, 309 f., 343, 345, 347, 461, 467, 473, 575, 581 f. Vogel, Friedrich 376 Vogel, Hans-Jochen 241 Vogt, Alexander 393, 395 f. Vogt, Hans-Jürgen 406 Voigt, Gustav 259, 263 Voigt, Mario 344, 407 Voigtberger, Dietrich 245 Vowinckel, Günther 399 Wadephul, Johann 336, 652 Wälzholz, Eckhard 407 Wärner, Henrik 407 Waffenschmidt, Horst 389 – 391, 546, 549 Wagner, Carl-Ludwig 309 Wagner, Frank 317 Wagner, Jochen 380 Wagner, Peter 250, 253 Wagner, Walter 325 Wahl, Volker 345 Waigel, Theo 182 Wallmann, Walter 177, 181, 277, 280, 454, 514 Wallrabenstein, Axel 379 Walter, Franz 106 Walter, Michael 220 Walther, Klaus 384 Wälzholz, Eckhard 407 Walz, Hanna 460 Wambach, Kai 154 f., 159 Wambach, Kim 380. Wandhoff, Finn C. 384

Wanka, Johanna 250, 253, 553, 556 Warken, Hans Georg 385 Warken, Sebastian 384 Warnking, Franz 255 Waschbüsch, Rita 575 Webel, Thomas 330, 332 Weber, Helene 135, 370 f., 501 Weber, Manfred 627 Weberling, Johannes 407 Wegmann, August 294 f. Wegner, Kai 243, 245 Wehner, Friedrich 257 Wehner, Herbert 138, 154 Wehner, Michael 237 Weil, Stephan 293 Weinacht, Paul Ludwig 236 Weinberg, Marcus 272 f. Weise, Frank-Jürgen 646 Weizsäcker, Richard von 32, 55, 94, 96, 105, 173, 179, 189, 241, 244, 581, 615, 672 Weiß, Franz 237 Weiß, Gerald 363 Welle, Klaus 627 Wellinghausen, Walter 271 Wellmann, Hans 256 Weltlinger, Siegmund 118 Wendel, Joseph 74 Wendt, Otto Wilhelm 273 Wentker, Hermann 220 Wenzel, Rigobert 345 Wernet-Tietz, Bernhard 228 Westphal, Jürgen 338 Wettig-Danielmeier, Inge 573 Weyer, Willy 134 Wex, Helga 370 – 372, 497, 503 Widmann-Mauz, Annette 371, 505 Wieck, Hans-Georg 76 Wieker, Volker 645 Wilbers, Joachim 390 Wilde, Manfred 219 Wilhelm, Hans-Otto 309 f. Wilkens, Martin-Heinrich 263 Will, Anne 576 Willecke, Friedrich Wilhelm 390 Wilms, Dorothee 177, 410, 553, 557 Wilson, Robert 67 Winands, David 384 Windelen, Heinrich 300, 305 f. Windelen, Sabine 411 Winter, Thomas von 356 Winter, Wiebke 262

743

Anhang

Wipler, Georg 346 Wirmer, Ernst 636 Wirmer, Josef 51 Wirsching, Andreas 196, 523, 548, 623 Wirth, Günter 220 Wirth, Joseph 47 Wissmann, Matthias 236, 377, 379 – 381, 385, 553 Witt, Heiko 384 Witte, Siegfried 282 Wnuk-Lipinski, Barbara von 407 Wölbern, Jan Philipp 411 Wördemann, Heiko 263 Wörner, Manfred 148, 179, 236, 639 f., 654, 673 Wohleb, Leo 231 f., 237 Wohlrabe, Jürgen 244 Wolf, Erika 248 Wolf, Ernst-Rudolf 403 f. Wolf, Guido 235 Wolf, Werner 279 Wolf, Wilhelm 213, 247 f., 252 Wolff, Gustav 307 Wollweber, Tizian Florian 384 Worms, Bernhard 180, 301, 305 f., 410 f. Wowereit, Klaus 242 f. Wojtyła, Karol Józef (siehe Johannes Paul II.)

744

Wrangel, Olaf von 615 Wuermeling, Franz-Josef 414, 496, 564 Würzbach, Peter Kurt 336, 339 Wujciak, Josef 332 Wulf, Peter 338 Wulff, Christian 120 f., 292 – 294, 379, 384 Wulff, Otto 410 Wypchol, Yvonne 467 Zachow, Werner 253 Zander, Erich 258 Zborowski, Ernst 252 Zeidler, Stephan 220 Zeitel, Gerhard 237, 398 f. Zeller, Joachim 242, 244 f. Zettel, Heinrich 274 Zeyer, Werner 314 – 316 Ziblatt, Daniel 15 Zick, Rolf 293 Ziegler, Helmut 379 f. Ziemiak, Paul 378 f., 419 Zieschang, Tamara 407 Zimmer, Alois 414 Zimmer, Jan 311 Zimmermann, Friedrich 170, 196, 512 f., 523, 530, 543 Zolleis, Udo 90, 107, 206 f.

Handbuch zur Geschichte der CDU

Die 2. Ausgabe berücksichtigt schon die Beschlüsse des Parteitages der CDU in Hannover 2022.

Norbert Lammert (Hg.)

Handbuch zur Geschichte der CDU

Grundlagen, Entwicklungen, Positionen 2. überarbeitete und erweiterte Ausgabe

Norbert Lammert (Hg.)

Prof. Dr. Norbert Lammert, 1948 in Bochum geboren, gehörte von 1980 bis 2017 dem Deutschen Bundestag an, von 2005 bis 2017 als Bundestagspräsident, und ist seit 2018 Vorsitzender der Konrad-AdenauerStiftung e.V.

Keine andere Partei hat die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland so geprägt wie die Christlich Demokratische Union. Der vorliegende Band bietet einen Überblick über ihre Geschichte seit 1945 sowie einen Einblick in ihre programmatische Entwicklung, die Organisationsstrukturen, die Geschichte ihrer Landesverbände und ausgewählte Politikfelder sowie umfangreiche Literaturangaben, eine Auswahlbibliographie und Quellenhinweise.

ISBN 978-3-534-45046-6

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