Handbuch Schädelhirntrauma 9783110366853, 9783110372342

Despite great progress in diagnosis and treatment, craniocerebral trauma remains the principal cause of death in persons

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Handbuch Schädelhirntrauma
 9783110366853, 9783110372342

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Autorenverzeichnis
Verzeichnis der Abkürzungen
1. Geschichte der Neurotraumatologie
2. Epidemiologie des Schädel-Hirn-Traumas
3 .Pathologie und rechtsmedizinische Aspekte
4. Pathophysiologie und Pathobiochemie
5. Erstuntersuchung, Erstversorgung und Transport
6.Schädel-Hirn-Trauma und Polytrauma
7 .Radiologische Diagnostik
8 .Akute intrakranielle Hämatome
9 .Grundzüge der intensivmedizinischen Behandlung
10. Multimodales erweitertes Neuromonitorings nach SHT
11. Dekompressionskraniektomie
12. Gerinnungsstörungen im Rahmen des SHT
13. Besondere Verletzungsformen
14. Begleitverletzungen im Kopf- und Halsbereich
15 .Spätfolgen, Sekundärerkrankungen
16 .Frührehabilitation und berufliche Wiedereingliederung
17. Soziale Teilhabe nach Schädel-Hirn-Trauma
18 .Begutachtung
19. Leitlinien
20. Neurotraumatologische Definitionen und Scores
21. Links zu neurotraumatologischen Webseiten
Stichwortverzeichnis

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Eckhard Rickels, Jürgen Piek (Hrsg.) Handbuch Schädel-Hirn-Trauma

Handbuch Schädel-Hirn-Trauma

| Herausgegeben von Eckhard Rickels, Jürgen Piek

Herausgeber Prof. Dr. med. Eckhard Rickels Allgemeines Krankenhaus Celle Klinik Neurotraumatologie Siemensplatz 4, 29223 Celle E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. med. Dr. h. c. Jürgen Piek Universitätsmedizin Rostock Chirurgische Klinik und Poliklinik Abteilung für Neurochirurgie Schillingallee 35, 18057 Rostock E-Mail: [email protected]

Der Verlag hat für die Wiedergabe aller in diesem Buch enthaltenen Informationen mit den Autoren große Mühe darauf verwandt, diese Angaben genau entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abzudrucken. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Die Wiedergabe der Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen und dergleichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um gesetzlich geschützte, eingetragene Warenzeichen, auch wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

ISBN 978-3-11-037234-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-036685-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-038639-4 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Names: Rickels, Eckhard, 1954- editor. | Piek, Jurgen, 1955- editor. Title: Handbuch Schadel-Hirn-Trauma / herausgegeben von Eckhard Rickels, Jurgen Piek. Other titles: Handbuch Schadel Hirn Trauma Description: Berlin ; Boston : Walter de Gruyter, GmbH, [2018] | In German. Summary in English. | Includes bibliographical references and index. Identifiers: LCCN 2018009046| ISBN 9783110372342 (hardcover) | ISBN 9783110366853 (pdf) | ISBN 9783110386394 (epub) Subjects: LCSH: Head--Wounds and injuries. Classification: LCC RD521 .H365 2018 | DDC 617.5/1044--dc23 LC record available at https://lccn.loc.gov/2018009046 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie – Universitätsmedizin Rostock Satz: PTP-Berlin, Protago-TEX-Production GmbH, Berlin Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Vorwort Jeder¹ von uns erleidet während seines Lebens einmal eine mehr oder weniger schwere Kopfverletzung. Schädel-Hirn-Traumen zählen damit zu den häufigsten Verletzungen überhaupt. Trotzdem hat das Thema „SHT“ in der Öffentlichkeit nahezu keine Bedeutung. Es findet allenfalls kurzfristig mediales Interesse, wenn bekannte Persönlichkeiten von einer schweren Verletzung betroffen sind. An ihren Krankheitsverläufen wird klar: von Kopfverletzungen betroffen sind oft gerade die jungen und aktiven Teile der Bevölkerung; aus dem Leistungsträger in der Familie und im Sozialsystem wird plötzlich ein Patient, dessen langer Krankheitsweg die Lebensplanung persönlich, aber auch für die Angehörigen, dramatisch verändert. Aber auch in der Neurochirurgie findet das Thema „SHT“ oft nur am Rande statt, obwohl wahrscheinlich weltweit jährlich mehr Patienten durch die Operation intrakranieller Hämatome gerettet werden als durch die Operation aller Hirntumoren und intrakranieller Gefäßfehlbildungen zusammen. Dass dem so ist, hat viele Gründe: Neurotraumatologie ist unangenehmes Alltagsgeschäft, oft zu ungünstigen Zeiten und nicht immer mit dankbaren Patienten, die häufig am Rande der Gesellschaft stehen. Trotzdem haben sich in der Vergangenheit immer wieder Neurochirurgen und Vertreter anderer Fachdisziplinen gefunden, die durch ihr klinisches und wissenschaftliches Engagement die Versorgung Schädel-Hirn-Verletzter verbessert und auf das heutige Niveau gehoben haben. Ihnen und allen, die sich täglich aktiv um diese oft vernachlässigte Patientengruppe kümmern, widmen wir dieses Buch. Durch ihre Arbeit hat sich die Prognose von Patienten mit Schädel-Hirn-Traumen in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert. So hat sich die unmittelbare Sterblichkeit nach schwerem SHT seit den frühen 1980er-Jahren auf unseren Intensivstationen und in den ersten 6 Monaten nach dem Trauma nahezu halbiert – welche andere medizinische Spezialität kann derartige Erfolge aufweisen?! Diese Erfolge wurden erreicht, indem wir heute Neurotraumatologie als eine ununterbrochene, interdisziplinäre Versorgungskette begreifen, die mit den Erstmaßnahmen am Unfallort beginnt und sich über optimierte Rettungs- und Transportwege, Schockraumversorgung und Notaufnahmen über die Intensivtherapie bis hin zur Rehabilitation und Wiedereingliederung erstreckt. Das vorliegende Buch ist ein Versuch, die an der Versorgung beteiligten Disziplinen zusammenzuführen, einen gegenseitigen Einblick in die jeweiligen Versorgungsstrategien zu ermöglichen und so ein gut funktionierendes Zusammenspiel der unterschiedlichen Professionen zu ermöglichen, von den pathophysiologischen und patho-

1 Für alle Personen- und Funktionsbezeichnungen wird generell das generische (geschlechtsneutrale) Maskulinum verwendet, das die weibliche Form einschließt. https://doi.org/10.1515/9783110366853-001

VI | Vorwort

biochemischen Grundlagen bis hin zur Wiedereingliederung des Patienten mit „Teilhabe an der Gesellschaft“. Dies erschien uns nur in Form eines Handbuchs möglich. Hierbei war es nicht das Ziel, nur das Leitlinienwissen zu rekapitulieren, weil Leitlinien bei aller Berechtigung immer nur einen Minimalkonsens darstellen können. In diesem Buch soll bewusst auch das aufgezeigt werden, was sich beim aktiven Behandler aufgrund seiner langen Erfahrung als notwendig herausgestellt hat, auch wenn es „nur“ die aus der Praxis begründete persönliche Meinung ist. Bewusst wurde hierbei auch auf manche Darstellungen verzichtet, die sich leicht an anderer Stelle finden lassen und den Umfang des Werkes nur unnötig aufgebläht hätten. Hierzu sollen Interessierten die Hinweise auf Internetadressen dienen. Die medizinische Wissenschaft ist natürlich in einer permanenten Weiterentwicklung durch andauernde Diskussion. In diesem Sinne sind die Aussagen der einzelnen Experten neben der Beschreibung des Wissenstandes zum Teil auch als pointierte Meinungsäußerungen zu Detailfragen zu verstehen, die zu einer aktiven Diskussion auffordern. Wir möchten mit diesem Buch alle ermuntern, aktiv an der Versorgung der uns anvertrauten Traumapatienten zu arbeiten, sei es klinisch, wissenschaftlich oder beides. Aus eigener, langjähriger Arbeit können ihnen die Herausgeber versichern: es lohnt sich für Sie und Ihre Patienten! Eckhard Rickels Jürgen Piek Celle und Rostock im Frühjahr 2018

Inhalt Vorwort | V Autorenverzeichnis | XIII Verzeichnis der Abkürzungen | XVI Jürgen Piek 1 Geschichte der Neurotraumatologie | 1 1.1 Vor- und Frühgeschichte | 1 1.2 Altertum | 2 1.3 Mittelalter bis zum Beginn der modernen Neurochirurgie | 3 1.4 Neurotraumatologie im Ersten und Zweiten Weltkrieg | 4 1.5 Entwicklung der Neurotraumatologie nach 1945 | 5 1.6 Nachwort | 9 Eckhard Rickels 2 Epidemiologie des Schädel-Hirn-Traumas | 13 2.1 Vorbemerkungen | 13 2.2 Epidemiologische Datenquellen zum SHT | 13 2.3 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen | 20 Andreas Büttner 3 Pathologie und rechtsmedizinische Aspekte | 23 3.1 Einleitung | 23 3.2 Biomechanische Grundlagen | 23 3.3 Kopfschwarte | 24 3.4 Knöcherner Schädel | 31 3.5 Extraaxiale Hämatome | 35 3.6 Intraaxiale Verletzungen | 39 3.7 Sekundärschäden | 44 3.8 Rechtsmedizinische Aspekte bei SHT und Verdacht auf Kindesmisshandlung | 46 Nicole Terpolilli und Nikolaus Plesnila 4 Pathophysiologie und Pathobiochemie | 51 4.1 Einleitung | 51 4.2 Mechanismen des primären Hirnschadens nach SHT | 51 4.3 Mechanismen des akuten zerebralen Sekundärschadens | 53

VIII | Inhalt

4.4 4.5

Mechanismen des chronischen zerebralen Sekundärschadens | 62 Zusammenfassung | 64

Eckhard Rickels 5 Erstuntersuchung, Erstversorgung und Transport | 71 5.1 Einteilungen der Schwere des Schädel-Hirn-Traumas | 71 5.2 Versorgung am Unfallort | 72 5.3 Versorgung in der Notaufnahme | 77 Hans-Jörg Oestern 6 Schädel-Hirn-Trauma und Polytrauma | 83 6.1 Vorbemerkungen | 83 6.2 S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletztenbehandlung/Weißbuch | 84 6.3 Definition des Polytraumas | 84 6.4 Scores | 84 6.5 Präklinische Leitlinien | 86 6.6 Schockraumversorgung | 88 6.7 Phasen in der Polytraumaversorgung | 91 6.8 Empfehlungen für Diagnostik und Therapie | 94 6.9 Beckenverletzungen | 96 6.10 Urogenitaltrakt | 96 6.11 Damage Control für die Extremitätenversorgung | 96 6.12 Reihenfolge in der Versorgung beim Schwerverletzten mit besonderer Berücksichtigung des SHT | 97 Dieter Woischneck und Hans-Peter Dinkel 7 Radiologische Diagnostik | 101 7.1 Eine ganz kurze Geschichte der Radiologie des SHT | 101 7.2 Besonderheiten der cCT-Diagnostik in der Frühphase nach SHT | 101 7.3 Wertigkeit der MRT-Diagnostik in der Frühphase nach SHT | 105 7.4 Radiologische Befunde für die Begutachtung | 107 7.5 Ausblick | 110 8 Akute intrakranielle Hämatome | 113 Caroline Degenhardt und Jürgen Piek 8.1 Epidurales Hämatom | 113 Caroline Degenhardt und Jürgen Piek 8.2 Akutes Subduralhämatom | 126 Svorad Trnovec und Jürgen Piek 8.3 Kontusionsblutungen | 133

Inhalt

| IX

Alexander Younsi und Andreas Unterberg 9 Grundzüge der intensivmedizinischen Behandlung | 143 9.1 Einleitung | 143 9.2 Der SHT-Patient auf der Intensivstation | 144 9.3 Management des erhöhten ICP | 159 Jürgen Meixensberger 10 Multimodales erweitertes Neuromonitorings nach SHT | 185 10.1 Definition und Grundlagen eines erweiterten multimodalen Neuromonitorings | 185 10.2 Methoden des erweiterten multimodalen Monitorings | 186 10.3 Steuerung der Therapie unter erweitertem multimodalen Neuromonitoring (MMM) | 193 Eckhard Rickels 11 Dekompressionskraniektomie | 197 11.1 Geschichte | 197 11.2 Prinzipien der Dekompressionskraniektomie | 198 11.3 Komplikationen durch und nach Dekompressionskraniektomie | 200 11.4 Studienlage zur Dekompressionskraniektomie | 201 11.5 RESCUE-ICP-Studie | 202 11.6 Fazit | 205 Thomas Thiele und Andreas Greinacher 12 Gerinnungsstörungen im Rahmen des SHT | 209 12.1 Zusammenfassung | 209 12.2 Grundlagen der Gerinnung und medikamentöse Angriffspunkte | 209 12.3 Gerinnungsstörungen in der Akutphase des Schädel-Hirn-Traumas | 211 12.4 Verbrauchskoagulopathie und disseminierte intravasale Gerinnung | 211 12.5 Gerinnungsstörungen durch Antikoagulanzien | 212 12.6 Gerinnungsstörungen durch Thrombozytenaggregationshemmer | 213 12.7 Gerinnungsstörung bei Leber- und Niereninsuffizienz | 214 12.8 Gerinnungsstörungen nach der Akutphase des SHT | 215 13 Besondere Verletzungsformen | 221 Ulrich Kunz und Chris Schulz 13.1 Kraniale Penetrationsverletzungen | 221

X | Inhalt

Jürgen Piek 13.2 Fronto- und otobasale Verletzungen, traumatische Liquorfisteln | 243 Svorad Trnovec und Jürgen Piek 13.3 Diffuse axonale Schädigung | 252 Axel Gänsslen, Claus Reinsberger, Eckhard Rickels und Werner Krutsch 13.4 Gehirnerschütterung/Concussion | 257 Martina Messing-Jünger 13.5 Schädel-Hirn-Trauma im Kindes- und Jugendalter | 288 Janina Deyng, Ludwig Schürer und Christianto B. Lumenta 13.6 Schädel-Hirn-Trauma des alten Menschen | 309 14 Begleitverletzungen im Kopf- und Halsbereich | 323 Neriman Özkan und Sophia Goerike 14.1 Dissektion hirnversorgender supraaortaler Arterien | 323 Tobias Schuldt und Robert Mlynski 14.2 Verletzungen des HNO-ärztlichen Fachgebietes | 336 Bernhard Frerich 14.3 Verletzungen des MGK-chirurgischen Fachgebietes | 348 15 Spätfolgen, Sekundärerkrankungen | 373 Holger S. Willenberg und Andreas Knauerhase 15.1 Neuroendokrinologische Veränderungen | 373 Markus Schomacher, Andrea von Helden und Dag Moskopp 15.2 Posttraumatischer Hydrozephalus | 382 Christian Henker und Jürgen Piek 15.3 Chronisches Subduralhämatom | 389 Wolfgang Müllges und Jürgen Piek 15.4 Entzündliche Komplikationen | 400 Uwe Runge 15.5 Posttraumatische epileptische Anfälle und Epilepsien | 418

Inhalt

| XI

Bernd Frank 16 Frührehabilitation und berufliche Wiedereingliederung | 425 16.1 Das Modell der „neurologisch/neurochirurgischen Rehabilitation“ | 425 16.2 Struktur- und Prozessqualität in der (intensivmedizinischen) Frührehabilitation (IMFR) | 432 16.3 Das therapeutische Team | 437 16.4 Kernsymptome der Frührehabilitation – Diagnostik und Therapie | 439 16.5 Mobilität und Spastik | 446 16.6 Typische Komplikationen und deren Management | 451 16.7 Weiterführende Rehabilitation und Outcome | 453 Helga Lüngen und Carsten Freitag 17 Soziale Teilhabe nach Schädel-Hirn-Trauma | 461 17.1 Psychosoziale Langzeitfolgen nach einem Schädel-Hirn-Trauma | 462 17.2 Lebensqualität nach einem Schädel-Hirn-Trauma | 463 17.3 Kontextfaktoren und ihre Bedeutung für die Teilhabe | 464 17.4 Strategien und Hilfen für ein Leben nach einem Schädel-Hirn-Trauma | 466 17.5 Hilfreiche Adressen für psychosoziale Unterstützung | 474 Ingo Schmehl 18 Begutachtung | 477 18.1 Einleitung | 477 18.2 Relevante Begriffserläuterungen | 477 18.3 Allgemeines zur Gutachtenerstellung | 479 18.4 Symptome nach Schädel-Hirn-Trauma und deren Begutachtung | 481 18.5 Gutachterliche Gesamtbeurteilung | 491 Karsten Schwerdtfeger 19 Leitlinien | 493 19.1 Was sind Leitlinien? | 493 19.2 Deutsche Leitlinien zum Schädel-Hirn-Trauma | 495 19.3 Internationale Leitlinien zum Schädel-Hirn-Trauma | 503 19.4 Fazit | 505 Eckhard Rickels 20 Neurotraumatologische Definitionen und Scores | 509 20.1 Schädel-Hirn Trauma (SHT) | 509 20.2 Offenes SHT | 509 20.3 Primärer Hirnschaden | 509

XII | Inhalt

20.4 20.5 20.6 20.7 20.8 20.9 20.10 20.11

Sekundärer Hirnschaden | 509 Glasgow Coma Scale (GCS) | 509 Komaskala der World Federation of Neurosurgical Societies (WFNS) | 510 FOUR score (F ull Outline of UnResponsiveness) score | 511 Glasgow Outcome Scale (GOS) | 512 Erweiterte Glasgow Outcome Scale (GOS-E) | 512 Computertomographische Klassifikation des Schädel-Hirn-Traumas | 513 MRT-Klassifikation des Schädel-Hirn-Traumas | 513

Jürgen Piek 21 Links zu neurotraumatologischen Webseiten | 515 Stichwortverzeichnis | 517

Autorenverzeichnis Prof. Dr. med. Andreas Büttner Universitätsmedizin Rostock Institut für Rechtsmedizin Postfach 108880, 18057 Rostock [email protected] Kapitel 3 Dr. med. Caroline Degenhardt Abteilung für Neurochirurgie Universitätsmedizin Rostock Schillingallee 35, 18057 Rostock [email protected] Kapitel 8.1, 8.2 Dr. med. Janina Deyng Kliniken der Stadt Köln – Merheim Ostmerheimer Str. 200, 51109 Köln [email protected] Kapitel 13.6 Dr. med. Hans-Peter Dinkel Klinik für diagnostische und interventionelle Radiologie, Klinikum Landshut Robert Koch Str.1, 84034 Landshut Kapitel 7 Prof. Dr. med. Bernd Frank HELIOS Klinik Leezen Wittgensteiner Platz 1, 19067 Leezen [email protected] Kapitel 16 Carsten Freitag ZNS-Hannelore Kohl Stiftung Rochusstraße 24, 53123 Bonn Kapitel 17 Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Bernhard Frerich Universitätsmedizin Rostock Klinik und Poliklinik für Mund-, Kieferund Plastische Gesichtschirurgie Schillingallee 35, 18057 Rostock [email protected] Kapitel 14.3

Dr. med. Axel Gänsslen Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Handchirurgie Klinikum Wolfsburg Sauerbruchstraße 7, 38440 Wolfsburg [email protected] Kapitel 13.4 Dr. med. Sophia Goerike Neurochirurgische Universitätsklinik Essen Hufelandstraße 55, 45147 Essen [email protected] Kapitel 14.1 Prof. Dr. med. Andreas Greinacher Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Immunologie und Transfusionsmedizin Sauerbruchstraße, 17489 Greifswald [email protected] Kapitel 12 Dr. med. Andrea von Helden Vivantes Klinikum Spandau Zentrum für Schwerst-Schädel-Hirnverletzte Neue Bergstraße 6, 13585 Berlin Kapitel 15.2 Dr. med. Christian Henker Abteilung für Neurochirurgie Universitätsmedizin Rostock Schillingallee 35, 18057 Rostock [email protected] Kapitel 15.3 Dr. med. Andreas Knauerhase Universitätsmedizin Rostock, Sektion Endokrinologie und Stoffwechselkrankheiten Ernst-Heydemann-Straße 6, 18057 Rostock [email protected] Kapitel 15.1 PD Dr. med. Werner Krutsch Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie Universitätsklinikum Regensburg Franz-Josef-Strauß-Allee 11, 93053 Regensburg [email protected] Kapitel 13.4

XIV | Autorenverzeichnis

Prof. Dr. med. Ulrich Kunz Bundeswehrkrankenhaus Ulm Oberer Eselsberg 40, 89081 Ulm [email protected] Kapitel 13.1

Prof. Dr. med. Hans-Jörg Oestern Schubertstraße 12, 29223 Celle [email protected]; [email protected] Kapitel 6

Prof. Dr. med. Christianto B. Lumenta Städtisches Klinikum München Englschalkinger Straße 77, 81925 München [email protected] Kapitel 13.6

PD Dr. med. Neriman Özkan Neurochirurgische Universitätsklinik Essen Hufelandstraße 55, 45147 Essen [email protected] Kapitel 14.1

Helga Lüngen Rochusstraße 24, 53123 Bonn [email protected] Kapitel 17

Prof. Dr. med. Dr. h. c. Jürgen Piek (Hrsg.) Universitätsmedizin Rostock Chirurgische Klinik und Poliklinik Abteilung für Neurochirurgie Schillingallee 35, 18057 Rostock [email protected] Kapitel 1, 8, 13.2, 13.3, 15.3, 21

Prof. Dr. med. Jürgen Meixensberger Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie Universitätsklinikum Leipzig AöR Liebigstraße 20, 04103 Leipzig [email protected] Kapitel 10 Prof. Dr. med. Martina Messing-Jünger Asklepios Klinik St. Augustin Arnold-Janssen-Straße 29, 53757 Sankt Augustin [email protected] Kapitel 13.5 Prof. Dr. med. Robert Mlynski Klinik und Poliklinik für Hals-, NasenOhrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie „Otto Körner“, Universitätsmedizin Rostock Doberaner Str. 137–139, 18057 Rostock [email protected] Kapitel 14.2 Prof. Dr. med. Dag Moskopp Vivantes Klinikum im Friedrichshain Klinik für Neurochirurgie Landsberger Allee 49, 10249 Berlin [email protected] Kapitel 15.2 Prof. Dr. med. Wolfgang Müllges Neurologische Universitätsklinik Josef-Schneider-Straße 2, 97080 Würzburg [email protected] Kapitel 15.4

Prof. Dr. med. Nikolaus Plesnila Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD) Klinikum der Universität München Feodor-Lynen-Straße 17, 81377 München [email protected] Kapitel 4 Prof. Dr.Dr. Claus Reinsberger Department Sport & Gesundheit – Sportmedizin, Universität Paderborn Warburger Straße 100, 33098 Paderborn [email protected] Kapitel 13.4 Prof. Dr. med. Eckhard Rickels (Hrsg.) Allgemeines Krankenhaus Celle Klinik Neurotraumatologie Siemensplatz 4, 29223 Celle [email protected] Kapitel 2, 5, 11, 13.4, 20 Prof. Dr. med. Uwe Runge Universitätsmedizin Greifswald Ferdinand-Sauerbruch-Straße, 17475 Greifswald [email protected] Kapitel 15.5

Autorenverzeichnis

Dr. med. Ingo Schmehl Unfallkrankenhaus Berlin, Klinik für Neurologie mit Stroke Unit und Frührehabilitation Warener Straße 7, 12683 Berlin [email protected] Kapitel 18 Dr. med. Markus Schomacher Vivantes Klinikum im Friedrichshain Klinik für Neurochirurgie Landsberger Allee 49, 10249 Berlin [email protected] Kapitel 15.2 Dr. med. Tobias Schuldt Klinik und Poliklinik für Hals-, NasenOhrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie „Otto Körner“, Universitätsmedizin Rostock Doberaner Str. 132–139, 18057 Rostock [email protected] Kapitel 14.2 Flottillenarzt Dr. med. Chris Schulz Bundeswehrkrankenhaus Ulm Oberer Eselsberg 40, 89081 Ulm [email protected] Kapitel 13.1 Prof. Dr. med. Ludwig Schürer Städtisches Klinikum München Englschalkinger Straße 77, 81925 München [email protected] Kapitel 13.6 Prof. Dr. med. Karsten Schwerdtfeger Universitätsklinik des Saarlandes, Klinik für Neurochirurgie Kirrberger Straße 100, 66424 Homburg, Saarland [email protected] Kapitel 19 Dr. med. Nicole Terpolilli Neurochirurgische Klinik und Poliklinik Klinikum der Universität München Marchioninistr. 15, 81377 München [email protected] Kapitel 4

|

XV

Dr. med. Thomas Thiele Ernst-Moritz-Arndt Universität, Institut für Immunologie und Transfusionsmedizin Abteilung Transfusionsmedizin Sauerbruchstraße, 17489 Greifswald [email protected] Kapitel 12 MU Dr. (Univ. Bratislava) Svorad Trnovec, PhD Abteilung für Neurochirurgie, Universitätsmedizin Rostock Schillingallee 35, 18057 Rostock Kapitel 8.3, 13.3 Prof. Dr. med. Andreas Unterberg Universitätsklinikum Heidelberg Neurochirurgische Klinik Im Neuenheimer Feld 400, 69120 Heidelberg [email protected] Kapitel 9 Prof. Dr. med. Holger S. Willenberg Universitätsmedizin Rostock, Sektion Endokrinologie und Stoffwechselkrankheiten Ernst-Heydemann-Straße 6, 18057 Rostock Holger. [email protected] Kapitel 15.1 Prof. Dr. med. Dieter Woischneck Klinikum Landshut gGmbH Klinik für Neurochirurgie Robert-Koch-Straße 2, 84034 Landshut [email protected] Kapitel 7 Dr. med. Alexander Younsi Universitätsklinikum Heidelberg Neurochirurgische Klinik Im Neuenheimer Feld 400, 69120 Heidelberg [email protected] Kapitel 9

Verzeichnis der Abkürzungen ACSCOT American College of Surgeons Committee on Trauma ADL Activities of daily Living AHB Anschlussheilbehandlung AIS Abbreviated Injury Scale ALS Amyotrophe Lateralsklerose AUB Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen AUC Area Under the Curve AWMF Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften BAR Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation BBB Blood Brain Barrier BESS Balance Error Scoring System BIS Bispectral Index BMRC British Medical Research Councel BMS bare metal stent BODS Bogenhausener Dysphagie Score BTF Brain Trauma Foundation CATCH Canadian assessment of tomography for childhood head injury CBF Cerebral Blood Flow CCF Carotis-Sinus-cavernosus-Fistel cCT kranielle CT-Diagnostik CDC Centers for Disease Control and Prevention CHADS2-Score C = congestive heart failure, Herzinsuffizienz; H = hypertension, Hypertonie; A = age, Alter > 75 Jahre; D = Diabetes; S = stroke Apoplex CHALICE Children’s head injury algorithm for the prediction of important clinical events CI Critical Illness CPP Cerebral Perfusion Pressure CTE chronisch-traumatische Enzephalopathie CVR cerebraler Gefäßwiderstand DAI diffuse axonal injury DAMPs danger associated molecular patterns DES drug-eluting stent DGNC Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie e. V. DGU Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie DIC Diabetes insipidus centralis DIC disseminated intravascular coagulopathy DOC Damage Control Orthopedics DPL diagnostische Peritoneallavage DRG Diagnosis Related Groups DTI Diffusion Tensor Imaging DVT digitale Volumentomographie EDH epidurales Hämatom EEG Elektroenzephalographie EFNS European Federation of Neurological Societies EVD extraventrikuläre Drainage FAST Focused Assessment with Sonography for Trauma FDT funktionelle Dysphagietherapie

https://doi.org/10.1515/9783110366853-002

Verzeichnis der Abkürzungen | XVII

FGCS Frankfurter Glasgow Coma Scale FHD maximale Vorderhorndistanz FOT facio-orale Therapie FRBI Frühreha-Bartel-Index GCS Glasgow Coma Scale GdB Grad der Behinderung GdS Grad der Schädigungsfolgen GOAT Galveston Orientation and Amnesia Test GOS Glasgow Outcome Scale GOSE Erweiterte Glasgow Outcome Scale GUV gesetzliche Unfallversicherung HHL Hypophysenhinterlappen HODT handlungsorientierte Diagnostik und Therapie HVL Hypophysenvorderlappen HWS Halswirbelsäule ICB intrazerebrale Blutung ICP intracranial pressure ICR Interkostalraum IMF intermaxilläre Fixation INR International Normalized Ratio ISS Injury Severity Score ITB intrathekale Baclofenbehandlung Itbi inflicted traumatic brain injury JVP Jugularvenendruck KRS Koma-Remissions-Skala LAE Lungenarterienembolie LOI Laktat-Sauerstoff-Index MAP mean arterial pressure MCS Minimally conscious state MEBDT Modifieded Evan’s Blue Dye Test MMM multimodales Monitoring MPR Multiplanare Rekonstruktion MOV Multiorganversagen MRT Magnetresonanztomographie MSCT Mehrschicht-Spiral-CT MSS multisensorische Stimulation mTBI mild traumatic brain injury NAHI non-accidental head injury NICE National Institute for Health and Care Excellence NIRS Nah-Infrarotspektroskopie NISS New Injury Severity Score NMES neuromuskuläre Elektrostimulation NNCHFR neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitation NOE naso-orbito-ethmoidal NPO nihil per os NSAIDs nichtsteroidale Antiphlogistika NSE neuronenspezifische Endolase OER Sauerstoffextraktionsrate OPS Operationen- und Prozedurenschlüssel

XVIII | Verzeichnis der Abkürzungen

OPT Orthopantomogramm PECARN Pediatric Emergency Care Applied Research Network PEEP positive End-Expiratory Pressure PGCS Pediatric Glasgow Coma Scale PNF propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation PRRs non-specific pattern recognition receptors PTE posttraumatische Epilepsie PTHI posttraumatische Hypophyseninsuffizienz pti O2 Hirngewebesauerstoffpartialdruck PTS Polytraumaschlüssel PTT partielle Thromboplastinzeit PVS Persistent Vegetativ State RASS Richmond Agitation Sedation Scale RCT randomisierte kontrollierte Studie RISC II Revised Injury Severity Classification SAB Subarachnoidalblutung SAC Standardized Assessment of Concussion SCAT Sport Concussion Assessment Tool SDH subdurales Hämatom SGB Sozialgesetzbuch SHT Schädel-Hirn-Trauma SjvO2 jugularvenöse Sauerstoffsättigung SMAS Superficial muscular aponeurotic system SNC Scandinavian Neurotrauma Committee SRW Syndrom reaktionsloser Wachheit TCD transkranielle Dopplersonographie TLR Toll-like-Rezeptor TON traumatische Opticusneuropathie TVT tiefe Venenthrombose UWS unresponsive wakefullness syndrome VAP Ventilator-assoziierte Pneumonien VHF Vorhofflimmern VKA Vitamin-K-Antagonist WFNS World Federation of Neurological Societies ZVD zentralvenöser Druck ZVK zentraler Venenkatheter

Jürgen Piek

1 Geschichte der Neurotraumatologie 1.1 Vor- und Frühgeschichte Am Anfang der Entwicklung der Neurochirurgie als Fach stand die Neurotraumatologie. Die operative Behandlung von Kopfverletzungen – oft, aber nicht nur durch tätliche oder kriegerische Auseinandersetzungen hervorgerufen – lässt sich bis in die Vor- und Frühgeschichte zurückverfolgen. Eine der ältesten Kopfverletzungen wurde 2015 aus der „Sima des los Huesos“ nahe Burgos, Spanien, publiziert und als „Cranium 17“ beschrieben. Cranium 17 ist der Schädel eines jüngeren Erwachsenen von etwa 20 Jahren, nahezu vollständig erhalten und weist zwei unverheilte Frakturen im Stirnbereich links auf. Er wurde auf ein Alter von etwa 400.000 bis 430.000 Jahren datiert. Während also Schädelverletzungen seit dieser Zeit immer wieder in archäologischem Fundmaterial auftauchen (Abb. 1.1) [1], lassen sich Zeugnisse ihrer operativen Behandlung deutlich seltener finden. Der Verfasser konnte 2011 einen neolithischen Schädel aus der Zeit um 1950 v. Chr. publizieren, an dem sich eindeutig das gleichzeitige Vorhandensein einer Kopfverletzung (Impressionsfraktur) und eines Heilungsversuchs (Trepanation) nachweisen ließen [2].

Abb. 1.1: Beispiel eines bronzezeitlichen Schädels aus dem Schlachtfeld bei Weltzin (MecklenburgVorpommern) mit ausgedehnter frontaler Impressionsfraktur.

https://doi.org/10.1515/9783110366853-003

2 | 1 Geschichte der Neurotraumatologie

1.2 Altertum Im Papyrus Edwin Smith, bei dem es sich um eine etwa 1700 v. Chr. entstandene Abschrift eines wesentlich älteren Originals (3000 bis 2600 v. Chr.?) handelt, werden insgesamt 48 Krankheitsfälle, beginnend mit dem Kopf in kranio-kaudaler Richtung abgehandelt. Der Papyrus ist unvollständig und bricht mit dem Brustbereich ab. Dies erklärt die Tatsache, dass sich unter diesen 48 Fällen 27 Erkrankungen des Kopfes finden, hiervon 15 Schädelverletzungen. Vor jeder Krankengeschichte steht in roter Schrift die Kapitelüberschrift mit einer summarischen Diagnose, es folgen dem Untersuchungsbefund eine genauere Diagnose, Prognose und therapeutische Vorschläge. Als Beispiel sei der Fall 6 herausgegriffen (zitiert nach [3]): „Anweisung inbetreff einer klaffenden Wunde in seinem Kopfe, die bis zum Knochen durchdringt und das Gehirn bis zum Schädel freilegt“. Folgender Befund wird erhoben: „Bei der Untersuchung sollst du die Wunde mit dem Finger betasten. Findest du die Zerschmetterung seines Schädels, sowie jene Ausscheidungen, welche sich auf geschmolzenem Kupfer bilden und darin etwas, was unter deinen Fingern klopft und flattert wie die schwache Stelle auf dem Scheitel eines kleinen Kindes, bevor sie ganz fest wird, – es ist nämlich das Klopfen und Flattern unter deinen Fingern da, weil das Gehirn seines Schädels freigelegt ist – und er Blut aus beiden Naslöchern absondert und an Steifigkeit seines Nackens leidet, dann sollst du sagen: ein Leiden, das nicht behandelt werden soll. Du sollst die Wunde mit Fett bestreichen. Du sollst sie nicht verbinden; du sollst nicht zwei Streifen darauf befestigen, bis du weißt, dass er einen entscheidenden Punkt erreicht hat.“ Es handelt sich also um den klassischen Fall eines offenen Schädel-HirnTraumas mit nachfolgender Meningitis und zur damaligen Zeit infauster Prognose. Zwar wird im Papyrus selbst von keiner Trepanation berichtet, jedoch war diese Methode in Ägypten wohl bekannt [4]. Die klassische Heilkunde beginnt für die Neurotraumatologie mit Hippokrates (460 bis 375 v. Chr.). Dieser schreibt z. B. im 20. Kapitel seiner Schrift „De capitis vulneribus“: „Über die Schädelbohrung muss man folgendes wissen: Man darf den Knochen nicht gleich bis auf die Hirnhaut durchbohren, damit diese nicht Schädigungen ausgesetzt wird. Auch besteht ja die Gefahr, dass man dabei die Hirnhaut verletzen könnte. Man muss vielmehr beim Bohren dann, wenn der Knochenteil beinahe ganz ausgebohrt ist und sich bereits zu bewegen anfängt, mit dem Bohren einhalten und die letzte Knochenlamelle sich von selbst lösen lassen. Dabei darf man auch mithilfe der Sonde die Umlaufbahn des Schädelbohrers untersuchen. Doch gebe man acht, dass man immer an der Stelle, wo der Knochen augenscheinlich am dicksten ist, den Bohrer aufsetzt. Auch mit dem Drillbohrer (trypanon) sehe man sich vor, nicht bis auf die Hirnhaut zu perforieren. Nachdem man den Knochen durch Hin- und Herbewegen entfernt hat, schlage man die Behandlung ein, welche für die Wunde angemessen erscheint“ (zitiert nach [3]). Weitere neurotraumatologische Krankheitsbeschreibungen verdanken wir Herophilos (geb. im letzten Drittel des 4. Jahrhunderts) und Erasistratos (um 304 bis 250 v. Chr.) sowie Aulus Aurelius Cornelius Celsus (ca. 25 v. Chr. bis

1.3 Mittelalter bis zum Beginn der modernen Neurochirurgie

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3

50 n. Chr.). Letzterer beschrieb u. a. als Erster die heute noch gültigen Zeichen der lokalen Entzündung Tumor, Rubor, Calor, Dolor, beschäftigte sich aber auch mit der Neurotraumatologie und verfasste eine umfangreiche Enzyklopädie, von denen sich acht Bücher mit der Medizin beschäftigten. Im fünften Buch, Kapitel 14 aus „De medicinae“ heißt es: „Es fließt Blut durch die Nase ab, bei einigen auch aus den Ohren; meist folgt Erbrechen; bei manchen trübt sich das Sensorium, sie reagieren nicht auf Anruf; bei einigen ist das Gesicht verzerrt, andere verdrehen die Augen …“ (zitiert nach [3]). Galenos von Pergamon (129 bis 201 n. Chr.) beschrieb Trepanationsinstrumente und empfahl deren gemäßigte Anwendung. Bei einem sorgfältigen Vorgehen (Kapitel 6 aus Buch VI in der „Methodus medendi“) hielt er durch Anwendung des Linsenmessers die Verletzung der Dura bei der Trepanation für vermeidbar und empfahl zur Nachbehandlung warmes Rosenöl und eine Netzhaube als Verband. Oreibasios aus Pergamon (um 325 bis 403 n. Chr.) beschrieb Blutansammlungen unter dem Knochen nach Archigenes von Apamea (um 100 n. Chr.). Aus dem Übergang vom Altertum zum frühen Mittelalter existiert relativ wenig an Sekundärliteratur zur Neurotraumatologie. An namhaften Chirurgen der damaligen Zeit sollen aber genannt werden: Abu Bakr Muhammad ibn Zakariya ar-Razi (um 850 bis 930), der sich in seinem „Liber ad Almansorem“ für eine Trepanation bei strenger Indikation aussprach, und die verschiedenen, durch Constantinus Africanus (1015 bis 1087) übersetzten arabischen und byzantinischen Schriften, die eine wesentliche Grundlage für die Heilkunde des frühen Mittelalters bildeten. Die sog. Bamberger Chirurgie (ein Kompendium von Schriften aus etwa gleicher Zeit) beschreibt unter dem Titel „Cirologica, in qua est flos medicinae“ in ihren ersten fünf Kapiteln die Behandlung von Kopfwunden.

1.3 Mittelalter bis zum Beginn der modernen Neurochirurgie Über die Geschichte der Trepanation vor dem Zeitalter der modernen Neurochirurgie findet sich eine schöne Literaturzusammenstellung in E. v. Bergmanns „Lehre von den Kopfverletzungen“, einem Klassiker der neurotraumatologischen Literatur [5]. An Chirurgen, die in der Zeit des Mittelalters und später die Neurotraumatologie besonders vorangetrieben haben, sind zu nennen: Guy de Chauliac (1298 bis 1368; Montpellier, Paris, Bologna), Ambroise Paré (1510 bis 1590; Paris), sowie Jean-Louis Petit (1674 bis 1750; Paris), der Erstbeschreiber des freien Intervalls beim Epiduralhämatom und Perzivall Pott (1714 bis 1788; London). Eine schöne Zusammenstellung der im Mittelalter zur Trepanation benötigten Instrumente findet sich bei da Cruce [6] und Seerig [7]. Nach dieser Zeit kamen operative neurotraumatologische Aktivitäten auch in Deutschland weitgehend zum Erliegen, nicht zuletzt durch negative Berichte und Artikel von C. von Textor (1782 bis 1860; u. a. Würzburg, München, Paris) und Johann

4 | 1 Geschichte der Neurotraumatologie

(a)

(b)

(c)

Abb. 1.2: Abbildungen aus einem Votivaltar – gestiftet durch Andreas von Ettling, 1586 – in der Kirche von Tuntenhausen (Bayern) mit der mittelalterlichen Darstellung einer Trepanation ((a), (b), (c)). Dargestellt ist die Behandlung einer Wunde, die dieser sich 1584 „durch ein unversehner Straich auf das Haupt und Hirnschaln“ zuzog [43].

Friedrich Dieffenbach (1792 bis 1847; u. a. Rostock, Greifswald, Berlin). Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts gelangte man zu einer wieder aktiveren Vorgehensweise, nicht zuletzt angeregt durch von Bergmanns Zusammenstellung erfolgreicher eigener und fremder Fälle und Fallserien. 1901 schlug Theodor Kocher (1841 bis 1917; Bern) als Erster die Dekompressionstrepanation zur Behandlung des erhöhten Hirndrucks vor [8].

1.4 Neurotraumatologie im Ersten und Zweiten Weltkrieg Mit mehr als 9 Millionen Toten und 4,5 Millionen Verwundeten allein auf deutscher Seite, hiervon schätzungsweise 15 % Kopfverletzten, brachte der Erste Weltkrieg unendliches Leid über Europa. Bernhard v. Langenbeck (1810 bis 1887), Ernst von Bergmann (1836 bis 1907), Georg Friedrich Stromeyer (1804 bis 1876), Theodor Billroth (1829 bis 1894), Ferdinand Sauerbruch (1875 bis 1951) und Johann Nepomuk von Nußbaum (1829 bis 1890) prägten durch ihre medizinischen Veröffentlichungen und Kongressbeiträge die deutsche Chirurgie ihrer Zeit. Für die Verletzungsmuster des Ersten Weltkrieges waren ihre Erkenntnisse jedoch denkbar ungeeignet, sodass dieser Krieg die deutsche Militärmedizin relativ unvorbereitet traf. Besonders überrascht war man zu Beginn des Krieges von der hohen Anzahl schwerster infizierter Wunden (Gasbrand, Tetanus) [9, 10]. Mit der Einführung des Stahlhelms (auf deutscher Seite 1916) kam es zum signifikanten Rückgang der Kopfverletzungen. Fortschritte in der Antisepsis (I. Semmelweis, J. Lister, R. von Volkmann) und die Entdeckung der Röntgenstrahlen (W. C. Röntgen) – insbesondere auch die Möglichkeit, durch stereoskopische Aufnahmen diese Fremdkörper im Gewebe zu lokalisieren – trugen zu verbesserten Heilungschancen der Verletzten bei. Dennoch lag deren Letalität auf deutscher Seite bei nahezu 50 % [9]. Besondere Zentren zur Versorgung derartig Verletzter bildeten sich in der Folge

1.5 Entwicklung der Neurotraumatologie nach 1945 | 5

bei allen Kriegsparteien heraus. Die Strategie der Behandlung bestand auf deutscher Seite in der Anlage eines sterilen Verbandes durch geschultes Personal auf vorgelagerten, frontnahen Verbandsplätzen und dem baldmöglichsten Transport in das rückgelagerte zuständige Feldlazarett, in dem möglichst sofort die operative Versorgung erfolgte [9]. Auch Cushing berichtete aus seiner Zeit in Europa während des Ersten Weltkrieges über eine extrem hohe Anzahl posttraumatischer Infektionen: 60 % aller Patienten mit offenen Schädel-Hirn-Traumen starben an Infektionen. Seiner Ansicht nach war eine Senkung der Sterblichkeit nur durch eine möglichst frühzeitige neurochirurgische Versorgung zu erreichen. Es gelang ihm, durch entsprechende Maßnahmen die Sterblichkeit von 54 % auf 29 % zu senken [11]. Eine umfassende Darstellung der Chirurgie der Kopfverletzungen im Zweiten Weltkrieg findet sich bei Behrendt [12]. Während die Akutversorgung von allgemein Verletzten vorwiegend in frontnahen Feldlazaretten bzw. zugeordneten Verbandsplätzen durchgeführt wurde, richtete man für Hirn- und Rückenmarkverletzte frontfernere Fachlazarette ein, in denen diese Verwundeten betreut und auch nachbehandelt wurden. Für sie sollte möglichst erfahrenes neurochirurgisches Fachpersonal mit dem entsprechenden Instrumentarium zur Verfügung stehen. Teilweise umfassten diese Lazarette mehrere Hundert Verletzte. Zur Erstellung von Behandlungsrichtlinien und zur Beratung hinsichtlich der Organisation der Versorgung Verwundeter bediente man sich sog. beratender Chirurgen, bei denen es sich zumeist um Ordinarien oder Chefärzte großer Kliniken handelte. Von neurochirurgischer Seite sind hier insbesondere Herbert Peiper (1890 bis 1952) (beratender Neurochirurg des Heeres) und W. Tönnis (beratender Neurochirurg der Luftwaffe, später der ganzen Wehrmacht) [13–17] zu nennen; Letzterer initiierte u. a. auch die ersten luftgebundenen Transporte (Ju 52) Hirnverletzter. Aufseiten der Alliierten erwarb sich der Brite Hugh Cairns (1896 bis 1952) besondere Verdienste durch die Etablierung mobiler neurochirurgischer Einheiten, bestehend aus u. a. einem Neurochirurgen, einem Neurologen und einem Anästhesisten, um die Zeitverzögerung zur Versorgung der Kopfverletzten möglichst gering zu halten [11, 18, 19]. Dieses Konzept der mobilen neurochirurgischen Einheiten wurde aufgrund seines Erfolgs auch von der kanadischen Armee im Zweiten Weltkrieg übernommen und von seinem Prinzip her von der amerikanischen Armee sowohl während des Koreakrieges als auch im Vietnamkrieg und bei weiteren militärischen Auseinandersetzungen weiter verfolgt und optimiert [19].

1.5 Entwicklung der Neurotraumatologie nach 1945 Die zunehmende Industrialisierung und Motorisierung Deutschlands wie auch der anderen Industrieländer nach dem Zweiten Weltkrieg führte zu einer steilen Zunahme an Schädel-Hirn-Traumen und konsekutiv zum weiteren Ausbau der neurotraumatologischen Versorgung in spezialisierten Abteilungen. Auf die Fortschritte in der operativen Behandlung soll im Rahmen dieses Kapitels nicht eingegangen werden.

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Ein weiterer Meilenstein in der Behandlung schwer kopfverletzter Patienten war die Möglichkeit der Behandlung auf spezialisierten Wach- und Intensivstationen, wie sie allerorts – so auch in Deutschland – ab Mitte der 1960er-Jahre in großer Zahl entstanden. Die erste neurochirurgische „Intensivstation“ in Deutschland wurde als sog. Wachzimmer von Tönnis 1947 in Bochum-Langendreer eingerichtet [20]. Derartige Intensivstationen entstanden infolge der Polioepidemie in Kopenhagen, die 1952 erstmals zur Einrichtung einer spezialisierten Beatmungsstation führte [19]. Bereits 1958 erkannten MacIver und Kollegen den negativen Einfluss des respiratorischen Versagens auf die Prognose von Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma und richteten in Newcastle eine spezielle Behandlungsstation für kopfverletzte Patienten ein, auf der sie großzügig und früh schwer Hirnverletzte tracheotomierten und mit antispastischen Medikamenten behandelten. Der weitere Ausbau der Intensivstationen und die damit verbundenen Fortschritte in Überwachung/Monitoring, Transfusions- und Infusionsmedizin, enteraler und parenteraler Ernährungsbehandlung, Beatmungs- und Infektionstherapie ermöglichten eine kontinuierliche Verbesserung der Prognose schwer hirnverletzter Patienten. Nach den grundlegenden klinischen Vorarbeiten von Fred Plum, Donald McNealy und Jerome Posner [21, 22] beschäftigten sich in den 1960er- und 1970er-Jahren viele Neurotraumatologen mit den klinischen Verläufen von Patienten mit Schädel-HirnTrauma und den prognostischen Einflüssen, insbesondere der Tiefe und Dauer des posttraumatischen Komas. Die Entwicklung von sog. Koma- und Outcome-Skalen ermöglichte erstmals u. a. eine einheitliche Kommunikation zwischen den verschiedenen Arbeitsgruppen und kann in ihrer Bedeutung für die weitere klinische Forschung gar nicht hoch genug geschätzt werden. Insbesondere die von Brian Jennett und Graham Teasdale entwickelte Glasgow Coma Scale und Glasgow Outcome Scale sind hier zu nennen. Sie erlangten international die weiteste Verbreitung [23, 24]. Neben diesen wurde vom Head Injuries Committee der World Federation of Neurosurgical Societies (WFNS) 1978 eine ebenfalls weitverbreitete Klassifikation der posttraumatischen Bewusstseinsstörung publiziert [25], die im Wesentlichen auf den Vorarbeiten von Frowein beruhte [26], der aufgrund minutiös dokumentierter Langzeitverläufe bewusstseinsgestörter Patienten zu einer auch heute noch validen Unterscheidung zwischen posttraumatischer Bewusstseinstrübung und posttraumatischem Koma gelangte. Ohne Zweifel hat neben den zuvor beschriebenen Entwicklungen der Fortschritt der bildgebenden Diagnostik, insbesondere der zerebralen Computertomographie und des zerebralen MRT die Neurotraumatologie revolutioniert. Das erste computertomographische Bild am Menschen wurde 1971 aufgenommen und 1972 wurde der erste kommerziell erhältliche Computertomograph der Firma EMI (Mark 1) in London installiert. Aufgrund ihrer kleinen Gantryöffnung wurden diese Geräte von Beginn an zunächst für Untersuchungen des Kopfes eingesetzt, dann erfolgte auch rasch die Einführung dieser Untersuchungstechnik in die Neurotraumatologie. Flächendeckend verbreiteten sich in Deutschland CT-Geräte in den 1970er-Jahren, als Hauptthema beschäftigte sich die DGNC während ihrer 32. Jahrestagung 1981 in

1.5 Entwicklung der Neurotraumatologie nach 1945 | 7

Tübingen mit diesem Thema [27]. Die flächendeckende Verbreitung von MRT-Geräten begann Anfang bis Mitte der 1980er-Jahre. Trotz der Überlegenheit in der Weichteildarstellung bei vielen Fragestellungen hat es das kranielle CT in der Notfallbildgebung bislang noch nicht abgelöst. Hauptgründe sind die (immer noch) vergleichbar lange Untersuchungszeit, Schwierigkeiten bei der kontinuierlichen Überwachung der oft kritisch-kranken Patienten und die geringere Verfügbarkeit. Mit Verbesserung der Geräte und den dadurch verkürzten Untersuchungszeiten sind hier aber sicherlich weitere wesentliche Erkenntnisse zu erwarten. Über den derzeitigen Stellenwert der Methode informiert das Kapitel 7. Neben den Fortschritten in Bildgebung und Intensivmedizin ermöglichten insbesondere die Neuropathologie und die experimentelle Neurotraumatologie nähere Einblicke in die posttraumatischen Veränderungen des geschädigten Gehirns. Besondere Verdienste erwarben sich Adams und Graham, die anhand ihrer neuropathologischen Untersuchungen an mehr als 600 Gehirnen nicht nur den diffusen Axonschaden als eine Entität der primären Hirnschädigung beschrieben, sondern auch das Konzept des primären und des sekundären Hirnschadens entwickelten [28, 29]. Sie konnten bei mehr als 40 % der im Krankenhaus verstorbenen Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma ischämische Veränderungen im Gehirn nachweisen, mehr als 70 % der Gehirne wiesen Zeichen des erhöhten intrakraniellen Drucks auf. Klinisch vermutete man eine Kombination von erhöhtem intrakraniellen Druck in Verbindung mit Hypoxämie und Hypotonie als wesentliche Ursachen dieser (vermeidbaren) Sekundärschäden. Douglas Miller (Edinburgh) hat sich von Ende der 1970er-Jahre bis zu seinem frühen Tod 1995 mit der klinischen Umsetzung der Idee des sekundären Hirnschadens und der Entwicklung von Strategien zu dessen Vermeidung kaum zu überschätzende Verdienste erworben und zahlreiche bedeutende Neurotraumatologen richtunggebend beeinflusst. Gennarelli und Mitarbeiter konnten anhand ihrer zahlreichen tierexperimentellen Arbeiten die Bedeutung des Primärschadens, ausgelöst durch Akzelerationsund Dezelerationstraumen, herausarbeiten [30] und beschrieben in Kooperation mit der Arbeitsgruppe in Philadelphia Art und Ausmaß der diffusen Hirnschädigung, die durch diese Beschleunigungstraumen ausgelöst wird [28]. Ihre Arbeiten folgten ersten Untersuchungen von Holbourn, der bereits in den 1940er-Jahren anhand von Gelatinemodellen des Gehirns derartige axonale Läsionen postulierte, die neuropathologisch erstmals von Strich nachgewiesen wurden [31]. Basierend auf den zuvor geschilderten Arbeiten wurde das Konzept der diffusen und der fokalen Hirnschäden entwickelt. Wesentliche Beiträge zum Verständnis der biochemischen Vorgänge der Entwicklung des posttraumatischen Hirnödems leistete neben vielen anderen Alexander Baethmann am Institut für Chirurgische Forschung der LMU München, der sich mit vielen seiner Mitarbeiter in über 200 Arbeiten mit diesem Thema beschäftigte. Nachdem man also erkannt hatte, dass sekundäre Schäden das Schicksal des Schädel-Hirn-Traumatisierten entscheidend bestimmten, versuchte man die verantwortlichen Faktoren zu identifizieren und zu beeinflussen. Als einer der maßgeblichen

8 | 1 Geschichte der Neurotraumatologie

Faktoren für die Entwicklung des sekundären Hirnschadens wurde die intrakranielle Druckerhöhung identifiziert. Seit den Arbeiten von Guillaume und Janny [32] sowie Lundberg [33] bestand die Möglichkeit der kontinuierlichen Registrierung des ICP, zunächst in Form der Ventrikeldruckmessung mit fortlaufendem Ausdruck über einen laufenden Papierstreifen mit Tinten- oder Thermoschreiber. Mit den zunehmenden technischen Möglichkeiten verbreiteten sich epidurale und parenchymatöse Messverfahren; die Entwicklung der Computertechnik ermöglichte dann letztlich die Weiterverarbeitung der gewonnenen Messwerte und lieferte neue Erkenntnisse zur Pathologie und Pathophysiologie. A. Marmarou in Richmond, Virginia und J. D. Miller in Edinburgh haben in ihren Arbeitsgruppen bahnbrechende Arbeiten hierzu geleistet. In Deutschland haben sich insbesondere Brock und Gaab um die Verbreitung der Methode Verdienste erworben. Ersterer veranstaltete im Juli 1972 gemeinsam mit Dietz das erste internationale Symposium zum intrakraniellen Druck [34], Letzterer trug mit seiner Habilitationsarbeit Wesentliches zum Verständnis, zur Messmethodik und zur Indikationsstellung der intrakraniellen Druckmessung bei [35]. Mit der technischen Entwicklung wurde in den nächsten drei Jahrzehnten auch die Erfassung von Parametern, die über die intrakranielle Oxygenierung Auskunft gaben (Sauerstoffsättigung im Bulbus venae jugularis, Hirngewebs- und Liquor-PO2 ) möglich und letztlich zum sog. multimodalen Neuromonitoring ausgebaut, worum sich in Deutschland insbesondere die Arbeitsgruppen um Meixensberger und Unterberg verdient machten. Die diskontinuierliche Überwachung biochemischer Vorgänge im Rahmen der Entwicklung des sekundären Hirnschadens ermöglichte die zerebrale Mikrodialyse, die Ende der 1980er-Jahre ihren Eingang in das klinische Monitoring fand [36–38] und ebenfalls Bestandteil des multimodalen Neuromonitorings ist. Parallel zu den zuvor dargestellten Entwicklungen, die tiefe Einblicke in die Pathologie, Pathophysiologie und Pathobiochemie der traumatischen Hirnschädigung ermöglichten, und zur Entwicklung des klinischen und apparativen Neuromonitorings erkannte man dann früh die führende Bedeutung des sekundären Hirnschadens für die Prognose des Schädel-Hirn-verletzten Patienten und versuchte, sie günstig zu beeinflussen. Um den Einfluss von Behandlung auf den klinischen Verlauf erkennen zu können, war es notwendig, die klinischen Verläufe von Patienten zu erfassen und zu vergleichen. Dies führte in den 1970er-Jahren zur Entwicklung sog. KomaDatenbanken, also prospektiven und standardisierten Datensammlungen von klinischen Verläufen, teils unizentrisch (siehe zuvor), teils im internationalen Vergleich [39]. Besondere Bedeutung erlangte die Traumatic Coma Data Bank [40, 41], 1983 initiiert von L. F. Marshall aus San Diego, aus deren Datenauswertung wesentliche Erkenntnisse u. a. zur Bedeutung des intrakraniellen Drucks, der Bedeutung extraund intrakranieller Faktoren wie auch eine noch heute gültige CT-Klassifikation für die Prognosefaktoren der Patienten resultierten. Nach Kenntnis der entscheidenden prognostischen Faktoren war es dann auch möglich, anhand ähnlich angelegter multizentrischer internationaler Datenbanken mit einer exakten statistischen Grundlage Phase-III-Studien zu zwischenzeitlich aus Kenntnis der Pathobiochemie entwickelten

1.6 Nachwort | 9

Substanzen durchzuführen, wie sie ab Anfang der 1990er-Jahre (leider ohne bislang klinisch positives Ergebnis) durchgeführt wurden. Ein guter Überblick über die Ergebnisse und die Konsequenzen findet sich bei Narayan et al. [42]. Nachfolgend entwickelte sich national und international aus der Zusammenarbeit der an diesen Studien beteiligten Zentren zahlreiche Initiativen (American Brain Injury Consortium, European Brain Injury Consortium, Brain-IT, Brain Trauma Foundation), die auf verschiedenen Ebenen versuchen, koordiniert Forschung zu betreiben und Leitlinien zu entwickeln, um die Prognose schwer Schädel-Hirn-Verletzter weiter voranzutreiben (entsprechende Links finden sich in Kap. 21). Neben diesen Fortschritten auf dem Gebiet der Akutmedizin hat sich die Rehabilitationsbehandlung von Patienten mit schweren Schädel-Hirn-Traumen mit einer ähnlichen Dynamik entwickelt. In Bezug auf die Rehabilitationsmedizin kann Deutschland mit Fug und Recht als Pionier auf diesem Gebiet gelten. Standen Ende der 1970er-Jahre für die Rehabilitation in unserem Land nur eine Handvoll Zentren zur Verfügung, ist es v. a. der Initiative von Frau Dr. med. h. c. Hannelore Kohl (1933 bis 2001) zu verdanken, die 1983 die nach ihr benannte Stiftung gründete und mit ihrem Wirken die entscheidenden Grundlagen für eine flächendeckende Versorgung Deutschlands mit Zentren der (Früh-)Rehabilitation schuf (s. a. Kap. 16).

1.6 Nachwort Dieser kurze Abriss der Geschichte der Neurotraumatologie zeigt die stürmische Entwicklung und die überragenden klinischen Erfolge auf, die diese Subspezialität der Neurochirurgie seit ihren Anfängen in der Vor- und Frühgeschichte genommen hat. Wie auch in anderen Fächern hat sie sich in den Industrieländern besonders im letzten Jahrhundert asymptotisch ihrem maximal möglichen Behandlungserfolg genähert, d. h., es bedarf eines immer höheren finanziellen und personellen Einsatzes, um bei einem immer geringer werdenden Anteil an Patienten ein gutes neurologisches Ergebnis zu erreichen. Weitere Verbesserungen werden in Bezug auf die Intensivmedizin, v. a. aber in der Prävention und der Rehabilitation möglich sein. Möglich ist, dass die Entwicklung neuer Substanzen zur Minimierung des Sekundärschadens nach Schädel-Hirn-Trauma beiträgt. Am wesentlichsten erscheint aber, das in der Vergangenheit erworbene neurotraumatologische Wissen weiter zu geben und international eine Verbesserung der neurotraumatologischen Versorgung in Ländern mit geringeren Ressourcen als den unseren zu erreichen. Danksagung: Der Verfasser dankt Herrn Prof. em. Dr. med. A. Karimi für das Überlassen des umfangreichen Informationsmaterials und Herrn Prof. em. Dr. med. H. Collmann für die Durchsicht des Kapitels.

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Eckhard Rickels

2 Epidemiologie des Schädel-Hirn-Traumas 2.1 Vorbemerkungen Die Erhebung epidemiologischer Daten ist Grundvoraussetzung für den Umgang einer Gesellschaft mit einer Erkrankung. Nur aufgrund valider epidemiologischer Daten können Versorgung und Behandlung geplant werden und der Einsatz von Ressourcen hierfür zielgerichtet, bedarfsorientiert und ökonomisch sinnvoll erfolgen.

Damit dokumentieren epidemiologische Daten zum SHT die Bedeutung dieser Pathologie für die Gesellschaft, sie ermöglichen es aber auch, einzelne Problemfelder z. B. durch Vergleich mit anderen Behandlungsergebnissen zu identifizieren. Vorher Gesagtes gilt nicht nur für die Gesundheitspolitik eines Staates und seiner Länder; auf der untersten Ebene ist jede neurotraumatologische Einheit gehalten, sich für den eigenen Versorgungsbereich einen Überblick über Häufigkeit, Schwere und zeitliches Aufkommen der Schädel-Hirn-Traumen zu verschaffen, um entsprechende Versorgungsstrukturen vorzuhalten. Wichtig ist auch die kontinuierliche Erhebung dieser Daten, um zum einen eine Veränderung der Anforderungen (Häufigkeit und Art der Verletzungen) nicht zu übersehen und zum anderen aber auch im internen und externen Vergleich den Erfolg eigener Maßnahmen beurteilen zu können. Neurochirurgen haben diese Notwendigkeit relativ früh erkannt und seit den späten 1970er-Jahren versucht, im internationalen Vergleich ihre Behandlungsergebnisse zu optimieren [1] und durch die Entwicklung sog. Koma-Datenbanken die epidemiologische Forschung zum SHT wesentlich mit vorangetrieben [2].

2.2 Epidemiologische Datenquellen zum SHT Der ICD-Schlüssel subsummiert die Verletzungen von Schädel und Gehirn in der Gruppe S0 und die intrakraniellen Verletzungen in der Untergruppe S06. Die Analysen der WHO beruhen auf den statistischen Angaben der Mitgliedsländer. Hier sind zwar Angaben zur Gesamtzahl der Unfälle verfügbar, aber von den meisten Ländern gibt es keine speziellen Angaben zur Häufigkeit des SHT. Selbst in der Europäischen Union wird Eurostat nicht mit Zahlen zum SHT (ICD-10 S06 Gruppe) versorgt. In Deutschland führt das Statistische Bundesamt die Daten der Länder für den Gesundheitsergebnisbericht des Bundes (www.geb-bund.de) zusammen. Diese Daten basieren auf den ICD- bzw. DRG-Schlüsseln und geben verlässlich Auskunft über Häufigkeiten, Alter- und Geschlechtsverteilung und Todesfälle. Die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) unterhält das Traumaregister mit allen Daten zu polytraumatisierten Verletzten [3]. Dieses Register beantwortet auch viele Fragen zum SHT, https://doi.org/10.1515/9783110366853-004

14 | 2 Epidemiologie des Schädel-Hirn-Traumas

aber mit der Einschränkung, dass im Traumaregister der DGU nur Schockraumpatienten dokumentiert werden. Berufsgenossenschaften (Arbeitsunfälle) oder Versicherungen (z. B. Sportunfälle) sammeln zwar Daten zum SHT, diese Zahlen werden aber nicht zusammengeführt. Die in der Literatur immer wieder zitierten Zahlen aus den USA basieren im Wesentlichen auf Daten beim Traumatic Brain Injury Model Systems National Data and Statistical Center (www.tbindc.org) von 16 Traumazentren und 3 Follow-up-Zentren, von denen auf das gesamte Land geschlossen wird, oder vom Centers for Disease Control and Prevention (CDC, www.cdc.gov) mit Extrapolationen der Daten von South Carolina und Colorado. Bei der Interpretation all dieser Statistiken ist zu beachten, dass die Rettungssysteme in vielen Staaten teilweise nicht oder nur rudimentär existent sind. Ein Notarztsystem wie in Deutschland gibt es in den meisten Ländern nicht, was sich z. B. in einer wesentlich geringeren Intubationsrate am Unfallort bei SHT-Patienten zeigt. Auch ist der Zugang für Patienten mit SHT zu ärztlicher Hilfe in Mitteleuropa durch die dortigen Rahmenbedingungen und die Versicherungsstruktur gegenüber anderen Regionen der Welt deutlich einfacher. Aus diesen Gründen sind die Ergebnisse einer prospektiven Studie in den Großräumen Hannover und Münster aus den Jahren 2000 und 2001 mit über 6.700 Patienten, die in einem Krankenhaus wegen eines Schädel-Hirn-Traumas behandelt worden sind, derzeit noch immer die einzigen empirisch belastbaren Daten für die Details der Versorgung in Deutschland [4, 5]. Die wesentlichen Ergebnisse dieser Studie sollen nachfolgend zusammengefasst werden. Einschränkend muss aber auch hier bemerkt werden, dass diese Studie zwar den Stand der Krankenhausversorgung Schädel-Hirn-Verletzter widerspiegelt, aber Patienten mit besonders leichten („geht nicht zum Arzt“ bzw. „geht zum Arzt, gelangt aber nicht ins Krankenhaus“) oder schweren Verletzungen („tot aufgefunden“ bzw. „vor Krankenhauseinlieferung verstorben“) nicht erfasst wurden.

2.2.1 Absolute Anzahl In der Hannover-Münster-Studie errechnete sich eine Anzahl von 272.000 SchädelHirn-Verletzten pro Jahr. Dies korreliert gut mit den im Gesundheitsergebnisbericht des Bundes für 2014 angegebenen 267.186 Patienten. Zum Vergleich: In den USA wurden im Jahr 2010 ca. 2,5 Millionen Patienten mit allen Schweregraden eines SHT in der Notaufnahme aufgenommen (CDC).

2.2 Epidemiologische Datenquellen zum SHT

| 15

2.2.2 Inzidenz Entsprechend muss in der Hannover-Münster-Studie von einer Inzidenz von 332 Schädel-Hirn-Verletzten pro 100.000 Einwohnern pro Jahr ausgegangen werden bzw. 325/100.000 Einwohnern nach den Daten des Statistischen Bundesamtes für 2014. Demgegenüber gehen z. B. Analysen aus Schweden von 446/100.000 Einwohner mit SHT pro Jahr aus [6], und in den USA wird von 824/100.000 Einwohnern im Jahr 2010 ausgegangen [7]. Bei einer Inzidenz von 332/100.000 Einwohnern ist somit das Schädel-HirnTrauma häufiger als der Schlaganfall (215/100.000 Einwohner), und es ist die vierthäufigste Diagnose bei stationär behandelten Männern.

2.2.3 Geschlechtsverteilung In der Literatur wird prinzipiell von einer Dominanz der Männer im Verhältnis von mindestens 2 : 1 ausgegangen [8, 9], in den USA sogar von 3 : 1. In Deutschland zeigt sich hingegen, dass sich hier langfristig eine Parität entwickelt. Derzeit dürfte das Schädel-Hirn-Trauma in Deutschland bei Männern 1,4-mal häufiger als bei Frauen sein. Nimmt man jedoch nur die Gruppe der 16- bis 36-jährigen Patienten, ist in der Tat das Verhältnis 2 : 1.

2.2.4 Altersverteilung In Deutschland ist der hohe Anteil von Kindern bei den Patienten mit SchädelHirn-Traumen bemerkenswert: 29,7 % aller Patienten, die wegen eines SchädelHirn-Traumas ein Krankenhaus aufsuchen, sind jünger als 16 Jahre. Insbesondere 2- und 3-jährige Kinder haben die höchste Häufigkeit überhaupt. Dementsprechend zeigt die Alterspyramide für Schädel-Hirn-Verletzungen eine Häufigkeit in den ersten Lebensjahren und dann den aus epidemiologischen Studien bekannten Häufigkeitsgipfel für Traumen bei der Altersgruppe um 20 Jahre. Es kommt dann zu einem nochmaligen Gipfel in der Population jenseits von 75 Jahren mit einem Anteil von 10,8 % aller Verletzten mit einer deutlichen Betonung der Frauen aufgrund deren höherer Lebenserwartung (Abb. 2.1).

2.2.5 Kindliche Verletzungen Der Anteil der Patienten unter 16 Jahren ist mit fast 30 % sehr hoch, obwohl diese nur 15,5 % der Bevölkerung ausmachen. Das entspricht einer Inzidenz von 581/100.000 Einwohner. Die Letalität für Kinder unter 16 Jahren beträgt nur 0,75 %. Betrachtet man jedoch die Letalität bei schweren Schädel-Hirn-Traumen, so beträgt sie bei Kindern

Alter in Jahren

16 | 2 Epidemiologie des Schädel-Hirn-Traumas 100 95 90 85 80 75 70 65 60 55 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0

Männer

40 36 32 28 24 20 16 12

Frauen

8

4

0

4

8

12 16 20 24 28 32 36 40

Patientenanzahl Abb. 2.1: Altersverteilung des SHT in Deutschland. Blaue Balken: Anteil Männer, rote Balken: Anteil Frauen.

unter 6 Jahren 60 %, dies spiegelt die hohen Gefährdungen gerade kleiner Kinder bei schweren Schädel-Hirn-Traumen wider. Die generelle Aussage, die sich in vielen neurochirurgischen Arbeiten wiederfindet, dass das Schädel-Hirn-Trauma die Haupttodesursache der unter 45-Jährigen sei [10], ist sicherlich so nicht richtig. Diese Aussage mag für die entwickelten Länder gelten, die WHO gibt aber als Haupttodesursache in jungen Jahren für die gesamte Welt die Unterernährung an [11].

2.2.6 Verletzungsschwere Für die Betrachtung anhand der Schweregrade eines SHT wird generell die Glasgow Coma Scale verwandt. Aber auch in Deutschland wird nicht jeder Patient, bei dem ein Schädel-Hirn-Trauma diagnostiziert wird, neurologisch eingeschätzt. Eine Einschätzung durch Erhebung der Glasgow Coma Scale erfolgte am Unfallort nur bei 70,9 % und in den Kliniken nur bei 88,6 %. Mit diesen Einschränkungen ist festzuhalten, dass in Deutschland ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma bei 90,9 % aller diagnostizierten Schädel-Hirn-Verletzungen vorliegt. Mittelschwere Schädel-Hirn-Traumen erleiden 3,9 % und schwere SHT 5,9 % aller Schädel-Hirn-Verletzten. Somit wäre von einer Inzidenz des leichten Schädel-Hirn-Traumas von 302/100.000 Einwohnern, des mittelschweren Schädel-Hirn-Traumas von 13/100.000 Einwohnern und des schweren Schädel-Hirn-Traumas von 17/100.000 Einwohnern auszugehen. Generell geht man in den entwickelten Ländern von einem Anteil von 70–90 % leichter Schädel-HirnTraumen aus, mittelschwere und schwere SHT verteilen sich gleichmäßig auf den restlichen Anteil [12, 13]. Somit haben wir in Deutschland eher eine geringe Anzahl mitt-

2.2 Epidemiologische Datenquellen zum SHT

| 17

lerer und schwerer Schädel-Hirn-Traumen im Vergleich mit anderen Ländern. Dies dürfte zum Großteil an der erleichterten Verfügbarkeit ärztlicher Hilfe in unserem Gesundheitssystem liegen und an den effektiven Präventionsmaßnahmen.

2.2.7 Unfallursachen In den meisten entwickelten Ländern mit Ausnahme Polens [14] nimmt der durch Verkehrsunfälle bedingte Anteil der Schädel-Hirn-Traumen ab [15], sodass mittlerweile der Sturz mit 52,5 % die häufigste Ursache einer Schädel-Hirn-Verletzung ist. Verkehrsunfälle sind nur noch bei 26,3 % aller Verletzungen ursächlich, Sportunfälle bei 6,9 % und Gewaltanwendungen bei 14,2 %. Schon in der Altersgruppe bis 16 Jahre ist der Sturz Hauptunfallursache, in der Altersgruppe 17–26 Jahre sind Verkehrsunfälle (37,5 %) Hauptunfallursache. In der Altersgruppe von 27–65 Jahre dominiert dann wieder der Sturz mit 41,1 % bei 35,2 % Verkehrsunfällen. In der Altersgruppe älter 65 Jahre ist aber der Sturz eindeutig mit 80,9 % die Hauptursache und ab 75 Jahren bedingt der Sturz über 87 % aller SchädelHirn-Verletzungen (USA: Sturz 40,5 %, Gewalt 10,7 %, Verkehr 14,3 %, Schlag gegen den Kopf 15,5 % und unbekannt 19 %) [16]. Es gibt jahreszeitlich keine eindeutige Korrelation mit der Zahl der Unfälle. Auffällig ist hingegen, dass sich mit 19,1 % die meisten Arbeitsunfälle an einem Montag ereignen und dann im Laufe der Woche abnehmen. Umgekehrt ereignen sich 24,8 % aller Schädel-Hirn-Traumen durch Sportunfälle am häufigsten an einem Sonntag. Bei 15 % aller Schädel-Hirn-Verletzungen handelt es sich um Arbeitsunfälle, 35,7 % ereignen sich in der Freizeit, 30 % in der häuslichen Umgebung.

2.2.8 Begleitverletzungen Bei 73 % aller Schädel-Hirn-Verletzungen liegen zusätzliche Verletzungen – insbesondere Gesichtsverletzungen – vor! Umgekehrt gilt, dass 48,2 % aller Schockraumpatienten eine Kopfverletzung haben [17].

2.2.9 Versorgungsablauf Aus dem Traumaregister der DGU (2015) wissen wir, dass nur 81 % der SHT-Patienten mit einem GCS 3–8 am Unfallort intubiert werden. Bei 83 % aller Patienten verstreicht nur eine Stunde zwischen dem Unfallereignis und dem Beginn der klinischen Untersuchung (Abb. 2.2). Vom Aufnahmezeitpunkt bis zum CT des Kopfes vergehen durchschnittlich 22 Minuten. 77 % aller Patienten mit der Diagnose Schädel-HirnVerletzung werden stationär aufgenommen, aber nur 4,3 % benötigen eine sofortige

18 | 2 Epidemiologie des Schädel-Hirn-Traumas 40 % 35 % 30 % 25 % 20 % 15 % 10 % 5% 0%

0–20 min.

21–40 min.

41–60 min.

> 60 min.

Abb. 2.2: Zeitspanne Unfall bis Untersuchungsbeginn.

900

100

800

90

700

80

600

70 60

500

50

400

40

300

30

200

20

100

10

0

mehr 1–5 6–10 11–15 16–20 21–25 26–35 36–45 46–55 46–65 66–75 als 75 Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre

Notfallaufnahme

864

532

508

615

535

794

727

538

469

468

733

stationäre Aufnahme

71,3

74,1

78,3

74,3

72,7

77,8

78,7

79,2

80,8 79,9

81,6

Intensivstation

3,0

3,6

4,1

11,7

10,5

13,0

13,5

15,8

18,6

19,2

16,5

Tote in %

0,3

0,0

0,4

0,7

0,6

0,6

1,0

0,7

2,1

2,4

3,1

Behandlung in %

Patientenanzahl

Operation. Immerhin werden 14,9 % aller Patienten mit Schädel-Hirn-Traumen aller Schweregrade auf eine Intensivstation aufgenommen. Während in den Altersgruppen zwischen 0 und 15 Jahren über 60 % nur 1 Tag stationärer Behandlung bedürfen und nur 3 % mehr als 7 Tage im Krankenhaus bleiben müssen, ist festzustellen, dass bei den über 65-Jährigen 54,1 % bis zu 7 Tagen im Krankenhaus verbleiben und mehr als 30,5 % mehr als 7 Tage stationär behandelt werden (Abb. 2.3). Von allen Patienten mit Schädel-Hirn-Traumen werden immerhin 51,1 % als arbeits- oder schulunfähig aus dem Krankenhaus entlassen.

0

Abb. 2.3: Notfallaufnahmekontakte, stationäre Aufnahmen, Intensivstationsaufnahmen und Verstorbene in Relation zum Alter.

2.2 Epidemiologische Datenquellen zum SHT

| 19

2.2.10 Verstorbene Betrachtet man die Gesamtanzahl der Sterbefälle nach Schädel-Hirn-Verletzungen, so beträgt die Mortalität 1 %. In der Gruppe der über 75-Jährigen versterben 34,1 %, in der Gruppe der unter 16-Jährigen 11,4 %. Die Sterblichkeit in der Gruppe der unter 6 Jahre alten Patienten mit schweren Traumen ist hingegen extrem hoch und beträgt ca. 60 %! Generell gilt, dass fast die Hälfte (45,4 %) der Patienten mit einem Schädel-HirnTrauma, die versterben, dies innerhalb der ersten 24 Stunden tun. Bei der insgesamt geringen Sterblichkeit ist jedoch zu bedenken, dass bei der Angabe der Letalität von 1 % nur die Patienten betrachtet worden sind, die im Krankenhaus aufgenommen wurden. Es ist davon auszugehen, dass zwischen 11 und 30 % [8, 19] der Patienten mit schweren Schädel-Hirn-Traumen schon am Unfallort versterben. Es ist somit von einer wesentlich höheren Letalität bei schweren Verletzungen des Gehirns auszugehen, wenn auch hier die konkreten Zahlen fehlen. Hiermit übereinstimmend geht das Statistische Bundesamt von einer Gesamtzahl von 5.294 Toten nach SHT pro Jahr aus. Ein Vergleich der Letalität zwischen Deutschland (3,3/100.000) und den USA (17,1/100.000) ist schwierig. Zum einen zeigt sich auch am Anteil leichter SHT, dass auch mit leichten Verletzungen ärztlicher Rat eher in Deutschland gesucht wird. Zum anderen dürfte für die USA der hohe Anteil von Gewalt (struck and firearms) zu berücksichtigen sein. Die CDC publizierte eine Todeursachenstatistik [20], nach der der Tod durch SHT neben anderen Ursachen zu 34,8 % durch Schusswaffen, bei 31,4 % durch einen Verkehrsunfall und nur zu 16,7 % durch Sturz bedingt ist.

2.2.11 Outcome Verlässliche Daten zum Langzeitverlauf bei mittleren und schweren SHT-Verletzungen und zur Effektivität der Rehabilitation gibt es auch für die Bundesrepublik Deutschland nicht. Für leichte SHT fällt auf, dass einer Nachbefragung nach 1 Jahr noch mehr als die Hälfte der Patienten über Restbeschwerden klagte und die Hälfte der Patienten noch in medizinischer Betreuung war (Abb. 2.4).

2.2.12 Kostenabschätzung Im Rahmen der Hannover-Münster-Studie wurde eine Analyse der gesundheitsökonomischen Kosten durchgeführt. An den gesellschaftlichen Kosten für Schädel-HirnVerletzte sind der Krankenhausaufenthalt nur zu 3 % und die Rehabilitation ebenfalls nur zu 3 % beteiligt. Über 90 % der gesamtgesellschaftlichen Kosten entstehen

20 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0

12,3 8,1

8,2

1,3

1,8

1,7

1,5

1,7

er Sc ze hw n in Ko de nz lg en ef tra üh tio le ns st ör Be un we ge gu n ng ss tö ru ng Sp en ra ch st ör un ge n Se hs tö ru ng en Hö rs tö ru ng en Ri ec hs tö an ru de ng re en Be sc hw er de n

1,8

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Prozent

20 | 2 Epidemiologie des Schädel-Hirn-Traumas

Art der Beschwerden Abb. 2.4: Subjektive Beschwerden 1 Jahr nach dem SHT.

dadurch, dass die in der Regel jungen Patienten, die versterben, nicht mehr in die Sozialsysteme einzahlen. Somit ist aus der Perspektive der Gesamtgesellschaft die Reduzierung vorzeitiger Todesfälle der wichtigste ökonomische Ansatz, während Faktoren wie Krankenhausbehandlung oder Rehabilitation mit jeweils 3 % Gesamtkosten zu vernachlässigen sind.

2.3 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen – – – –

In Deutschland ist von 273.000 Schädel-Hirn-Verletzten pro Jahr auszugehen. Dies führt in 200.000 Fällen zur stationären Aufnahme in einem Krankenhaus. Für die Versorgung werden 30.000 Intensivplätze benötigt und 9.000 Aufnahmen in den Reha-Bereichen. mindestens 5.200 Patienten sterben pro Jahr als Folge eines SHT.

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Andreas Büttner

3 Pathologie und rechtsmedizinische Aspekte 3.1 Einleitung Die forensische Neuropathologie ist ein hochspezialisiertes Gebiet und befasst sich insbesondere mit nichtnatürlichen, traumatischen oder rechtlich bedeutsamen Veränderungen des Nervensystems [1]. Eine wichtige Aufgabe ist hierbei u. a. auch die Abgrenzung von natürlichen Erkrankungen und die zeitliche Einschätzung von Verletzungen. Schädel-Hirn-Traumen (SHT) machen etwa 15 % des rechtsmedizinischen Sektionsguts aus und sind im Hinblick auf traumatologisch-biomechanische Aspekte sowie in der Zusammenhangsbegutachtung eine klassische Domäne der Rechtsmedizin [2]. Im Folgenden sollen die wesentlichen morphologischen Grundlagen der Formen eines SHT beschrieben werden.

3.2 Biomechanische Grundlagen Ein SHT ist die Folge einer kurzdauernden mechanischen Gewalteinwirkung auf den Schädel. Entsprechend der Querschnittsfläche der einwirkenden Kraft werden hierbei stumpfe, halbscharfe und scharfe Gewalteinwirkungen unterschieden [10, 18]. Bei einer stumpfen Gewalteinwirkung wird der Schädel meist breitflächig getroffen, wobei trotz der auftretenden Deformation und einer möglichen Fraktur die Dura mater in der Regel intakt bleibt, sodass ein geschlossenes oder gedecktes SHT resultiert. Bei einer scharfen oder anderweitig penetrierenden Gewalteinwirkung wird der Schädel auf einer kleinen Fläche getroffen, sodass – bei entsprechender Intensität – durch eine Verletzung von Knochen, Dura mater und Gehirn ein offenes SHT resultiert. Letzteres tritt gleichfalls im Rahmen schwerer SHT, z. B. bei Verkehrsunfällen oder Stürzen aus großer Höhe, auf. Eine Einteilung der Gewebeschäden im Rahmen der morphologischen Beurteilung ist hierbei in primär traumatisch (unmittelbare direkte Folgen der mechanischen Gewalteinwirkung) und sekundär traumatisch (Folgen ischämisch-hypoxischer Veränderungen) vorzunehmen, wenngleich dies, insbesondere bei längeren Überlebenszeiten oder neurochirurgischen Interventionen (z. B. Dekompressionskraniektomie), nicht immer möglich ist. Bei den biomechanischen Modellen ist die Gewalteinwirkung auf den freibeweglichen (Akzelerations-/Dezelerationstrauma) von derjenigen auf den fixierten Schädel (Kompressionstrauma) zu unterscheiden. Bei einer Gewalteinwirkung auf den freibeweglichen Schädel wiederum können Translationstraumen (lineare Beschleunigung des Schädels mit Verlauf der Stoßachse durch den Mittelpunkt des Schädels) von Rohttps://doi.org/10.1515/9783110366853-005

24 | 3 Pathologie und rechtsmedizinische Aspekte

tationstraumen (Winkelbeschleunigung mit Auftreten von Scherkräften) abgegrenzt werden, wobei in der Realität meist eine Kombination beider Formen auftritt [3, 4].

3.3 Kopfschwarte Die Verletzungen der Kopfschwarte können vielfach wichtige Hinweise über Art, Lokalisation und Schwere der Gewalteinwirkung gegen den Schädel geben, wobei oftmals eine erhebliche Diskrepanz zwischen den äußerlich sichtbaren Veränderungen und den inneren Befunden bestehen kann [1, 4].

3.3.1 Schürfungen Schürfungen (Exkoriationen) entstehen durch tangentiale Einwirkung flächenhafter Gewalt auf die Kopfhaut und sind meist uncharakteristisch geformt (Abb. 3.1). Sie finden sich üblicherweise über prominenten knöchernen Regionen. Gelegentlich können seidenpapierartige Epithelfetzen am Ende der Schürfung Hinweise auf die Richtung der Gewalteinwirkung geben.

3.3.2 Kontusionen/Prellungen Kontusionen der Kopfschwarte sind Folgen stärkerer oder länger dauernder stumpfer Gewalteinwirkung auf den Schädel und führen durch Zerreißen von Blutgefäßen zu unterschiedlich stark ausgeprägten intrakutanen oder subkutanen Hämatomen (Abb. 3.2).

Abb. 3.1: Schürfung nach Treppensturz mit umgebendem Hämatom.

3.3 Kopfschwarte |

25

Abb. 3.2: Diskret ausgeprägtes Hämatom nach Anschlagen des Kopfes.

Abb. 3.3: Ausgedehnte Kopfschwarteneinblutung nach Sturz auf den Hinterkopf.

3.3.3 Quetsch-Risswunden Quetsch-Risswunden („Platzwunden“, Lazerationen) sind Zerreißungen der Kopfhaut nach stumpfer Gewalteinwirkung gegen den Schädel als Widerlager. Die Wundränder sind meist unregelmäßig geformt mit einem umgebenden Schürfsaum (Abb. 3.3, 3.4), können bei kantigen Werkzeugen oder Widerlagern jedoch auch glattrandig (Abb. 3.5) oder sternförmig imponieren (Abb. 3.6, 3.7). In der Kopfschwarte sind aufgrund des darunterliegenden Schädelknochens oft sämtliche Hautschichten durchtrennt. Die Wunden sind häufig auch unterminiert durch die Abscherung der Hautschichten vom

26 | 3 Pathologie und rechtsmedizinische Aspekte

Abb. 3.4: Quetsch-Risswunde nach Sturz gegen Bettkante mit umgebender Schürfung und Hämatom.

Abb. 3.5: Quetsch-Risswunde mit Austreten von Unterhautfettgewebe und Gewebsbrücken in der Tiefe nach einem Fußgänger-Pkw-Unfall.

3.3 Kopfschwarte |

27

Abb. 3.6: Nahezu glattrandige QuetschRisswunde ohne umgebende Schürfung nach Sturz gegen Treppenkante.

(a)

(b)

Abb. 3.7: Multiple, teils glattrandige, teils sternförmige Quetsch-Risswunden nach multiplen Hammerschlägen (a) und nach Axthieben (b).

Periost bis hin zu ausgedehnten Skalpierungsverletzungen. Im Gegensatz zu Schnittoder Stichwunden lassen sich in der Tiefe vielfach Gewebsbrücken aus intakten Gefäßen oder Nerven nachweisen. Gelegentlich finden sich auch Fremdkörper (Glassplitter, Steine, Erdschmutz, Pflanzenmaterial) oder angepresste Haare. Infolge der guten Blutversorgung der Kopfhaut können aus diesen Wunden erhebliche Blutverluste resultieren.

28 | 3 Pathologie und rechtsmedizinische Aspekte

3.3.4 Schussverletzungen Schussverletzungen sind in Ausprägung und Verletzungsfolgen vielfältig [3, 5, 6]. Eine grobe Einteilung verwendeter Waffen kann in Hand- und Faustfeuerwaffen (Pistolen, Revolver, Schreckschusswaffen) und langläufige Waffen (Büchsen, Flinten, Militärgewehre, Karabiner, Kleinkalibergewehre) mit jeweils unterschiedlichen Projektilen und Kalibern vorgenommen werden. Besondere Schussapparate sind Bolzenund Nagelschussapparate, Leucht- und Signalpistolen, Schrot- und Druckluftwaffen sowie Schreckschusspistolen. Forensisch-kriminalistische Fragen sind hierbei neben der verwendeten Waffe die Schussentfernung (Nah- oder Fernschuss) und die Schussrichtung (Ein- und Ausschuss). Bei der klinischen Behandlung von Schussverletzungen sollten entsprechende Empfehlungen zur Schussspurensicherung beachtet werden [7].

3.3.4.1 Schussentfernung Beim absoluten Nahschuss mit aufgesetzter oder fast aufgesetzter Waffenmündung entsteht typischerweise eine sternförmige Wunde mit Schmauch- und Pulvereinsprengungen in der Wundhöhle und Abhebung des Weichteilgewebes von der Knochenoberfläche. Durch den innerhalb der entstehenden Schmauchhöhle aufgebauten Druck kann es an der Haut zu Stanzmarken (geformte Exkoriation) der Waffenmündung kommen (Abb. 3.8). Bei einem näheren, relativen Nahschuss finden sich Pulvereinsprengungen in der Kopfhaut und ein Schmauchhof (metallische Schmelzprodukte und Verbrennungsrückstände) um die Schusswunde. Bei einem weiteren relativen Nahschuss (ca. 30–150 cm) können ggf. noch Pulvereinsprengungen in der Haut, jedoch keine Schmauchniederschläge mehr gesehen werden. Der Fernschuss ist charakterisiert durch das Fehlen von Nahschusszeichen.

Differenzierung von Ein- und Ausschuss Die Differenzierung von Ein- und Ausschuss sollte nach Möglichkeit durch einen erfahrenen Rechtsmediziner erfolgen, weil diese Unterscheidung erhebliche Bedeutung in einem möglichen Strafverfahren haben kann [6]. Die Einschussverletzung kann Hinweise auf die Schussentfernung, den Auftreffwinkel und eventuelle Besonderheiten des Geschosses geben. Der Schädelknochen ist zudem eine eher formstabile Matrix, aus der sich häufig Hinweise z. B. auf die Schussrichtung ergeben. Eine Differenzierung von Ein- und Ausschuss allein anhand des Vergleichs ihrer Größen in der Kopfhaut ist nicht zu empfehlen. So kann, je nach verwendeter Munition und Flugsituation, eine ausgedehnte temporäre Wundhöhle im Einschussbereich mit einer großen Einschussverletzung entstehen. Bei aufgesetzten Schüssen im Kalot-

3.3 Kopfschwarte |

(a)

29

(b)

Abb. 3.8: Suizidaler Kopfdurchschuss mit „Ruger P89“, Kaliber 9 mm (b), absoluter (aufgesetzter) Nahschuss: Einschuss vor dem rechten, oberen Ohransatz mit Einprägen des sog. Waffengesichtes in die Haut (a).

tenbereich kommen Druckeffekte durch die eingetriebenen Treibmittelgase hinzu, die häufig einen großen, sternförmig aufgerissenen Einschuss erzeugen.

Charakteristika des Einschusses (Abb. 3.8) – runder oder ovaler zentraler Gewebsdefekt, – Wundränder nicht adaptierbar, – Hautdefekt meist kleiner als Geschossdurchmesser (Elastizität der Haut), – Abstreifring (12 mm breiter Schmutzsaum), scharf begrenzt, – Schürfsaum (23 mm breit), bei Schrägschüssen zum Schützen hin oval ausgezogen, – Kontusionssaum mit Abblassung zur gesunden Haut, – Nahschusszeichen (Schmauch, Stanzmarke), – am Schädelknochen: trichterförmige Erweiterung des Schusskanals nach innen (Abb. 3.9).

Charakteristika des Ausschusses (Abb. 3.10) – breite Variabilität der Wunden (schlitzförmig, mehrstrahlig), – Wundränder meist adaptierbar, – intakte Hornhaut bis zum Wundrand, – kein Abstreifring, – Schürfsaum möglich (Widerlager),

30 | 3 Pathologie und rechtsmedizinische Aspekte

Abb. 3.9: Suizidaler Kopfsteckschuss mit Revolver „Taurus Brasil“, Kaliber 9 mm, trichterförmig nach innen geformter Schussbruch des Schädelknochens.

Abb. 3.10: Suizidaler Kopfdurchschuss mit „Ruger P89“, Kaliber 9 mm, Ausschuss: schlitzförmiger, teils strahlig verlaufender, vollständig adaptierbarer Defekt der Kopfschwarte mit dreieckförmiger Konfiguration.

– – –

Kontusionssaum möglich, keine Nahschusszeichen, am Schädelknochen: trichterförmige Erweiterung des Schusskanals nach außen (Abb. 3.11).

3.3.4.2 Hirnverletzungen Aufgrund der anatomischen Verhältnisse am Kopf mit dem von der Kalotte umschlossenen Gehirn stellen Kopfschussverletzungen eine Besonderheit dar [3, 6, 8]. Das Gehirn ist unter wundballistischen Betrachtungen physikalisch als unelastisch und kaum komprimierbar anzusehen. Im Verlauf des Schusskanals wird das Hirngewebe

3.4 Knöcherner Schädel

|

31

Abb. 3.11: Suizidaler Kopfdurchschuss mit „Walther“, Kaliber 9 mm, Ausschuss: trichterförmig nach außen geformter Schussbruch des Schädelknochens.

zentral zerstört mit umgebenden Einblutungen (Abb. 3.12). Durch radiale Beschleunigung des Hirngewebes und kurzfristigen hohen Druckgradienten mit erheblichen Verdrängungseffekten sowie Dehnungs- und Scherbewegungen entsteht zusätzlich eine temporäre Wundhöhle mit ausgedehnten Substanzdefekten auch fernab des eigentlichen Schusskanals. Daher treten bei Schädel-Hirn-Schüssen meist letale hydrodynamische Effekte auf, auch wenn keine unmittelbar vitalen Strukturen direkt getroffen sind. Neben der unmittelbar tödlichen Verletzung vitaler Zentren, den ausgedehnten Hirnsubstanzdefekten, Blutungen, einer Luftembolie durch Eröffnung venöser Blutleiter oder Blutaspiration sind bei überlebten Schussverletzungen Infektionen die führenden Komplikationen, weil es sich bei Schussverletzungen um offene Hirnverletzungen handelt.

3.4 Knöcherner Schädel 3.4.1 Schädelfrakturen Eine Einteilung der Schädelfrakturen erfolgt nach dem Frakturtyp in Berstungs- und Biegungsbrüche sowie Impressionsfrakturen [9, 10]. Für deren Entstehung sind insbesondere die Trägheit der Masse und die pro Fläche auftreffende Energie von Bedeutung. Für die resultierenden Verletzungen ist daher entscheidend, ob der Kopf gegen ein stationäres Hindernis prallt (Sturz) oder der ruhende Kopf von einem bewegten Objekt getroffen wird (Schlag).

3.4.1.1 Lineare Schädelfrakturen Berstungsbrüche entstehen infolge Kompression des Schädels durch Zugspannungen bei einer Verkürzung des Schädeldurchmessers in Richtung der Gewalteinwirkung bei

32 | 3 Pathologie und rechtsmedizinische Aspekte

Abb. 3.12: Suizidaler Kopfdurchschuss mit Revolver „Smith & Wesson Magnum“, Einschuss rechte Schläfe: eingebluteter querverlaufender Schusskanal (Frontalschnitt fixiertes Präparat).

Abb. 3.13: Lineare Fraktur nach Treppensturz.

Verbreiterung des Querdurchmessers (Abb. 3.13). Die überwiegend linearen Frakturen ziehen vielfach in die mittleren und vorderen Schädelgruben, teils mit begleitenden Felsenbeinfrakturen (Otoliquorrhoe) und Impressionsfrakturen in den Orbitadächern (Monokel- oder Brillenhämatome) (Abb. 3.14). Biegungsbrüche entstehen konzentrisch um die Stelle einer Gewalteinwirkung hoher Intensität und sind meist mit Berstungsbrüchen kombiniert (sog. Globusbruch). Sie treten insbesondere bei Stürzen auf das Hinterhaupt oder Schlag mit einem breiten Werkzeug (Zaunlatten, Baseballschläger) auf (Abb. 3.15).

3.4 Knöcherner Schädel |

Abb. 3.14: Bruch beider Orbitahöhlendächer mit kräftiger Einblutung in die Augenhöhlen nach Treppensturz.

Abb. 3.15: Globusfraktur mit Punctum maximum links parieto-okzipital nach Treppensturz.

33

34 | 3 Pathologie und rechtsmedizinische Aspekte

Abb. 3.16: Scharnierbruch der Schädelbasis nach Pkw-gegen-Pkw-Unfall.

3.4.1.2 Schädelbasisfrakturen Scharnierbrüche der Schädelbasis (Abb. 3.16) als Sonderform der Berstungsbrüche entstehen durch beidseitige Gewalteinwirkung gegen den Schädel, z. B. bei Einklemmen des Kopfes oder Überrollungsvorgängen. Ringbrüche der Schädelbasis entstehen infolge Drucks durch Einstauchen der Wirbelsäule (Fallen eines schweren Gegenstandes auf das Schädeldach, Sturz auf das Gesäß oder gestreckte Beine) oder Zug durch Ausriss der Schädelbasis bei Hyperextension des Kopfes bzw. Rumpfes (Pkw-Frontal- oder Heckaufprall, Tragen schwerer Helme).

3.4.1.3 Impressionsfrakturen Impressionsfrakturen entstehen als Loch- oder Terrassenbrüche bei senkrechtem oder schrägem Auftreffen geformter Werkzeuge mit einer Fläche von bis zu 4 × 4 cm (z. B. Hammerschläge) (Abb. 3.17). Eine Sonderform sind Schussfrakturen (Abb. 3.9, 3.11).

3.4.1.4 Trümmerbrüche und multiple Frakturen Trümmerfrakturen treten insbesondere im Rahmen von Verkehrsunfällen oder bei Stürzen aus der Höhe auf (Abb. 3.18), sie können aber auch bei massiver stumpfer Gewalteinwirkung durch entsprechende Werkzeuge hervorgerufen werden (Abb. 3.19). Bei mehrfach aufeinanderfolgenden Gewalteinwirkungen gegen den Schädel mit multiplen Frakturen (z. B. Schlag auf den Kopf mit nachfolgendem Sturz) besagt die Puppe’sche Regel, dass die Bruchlinien eines zweiten Bruches an den Bruchlinien einer vorangegangenen Gewalteinwirkung enden.

3.5 Extraaxiale Hämatome | 35

Abb. 3.17: Lochbruch des Schädels mit imprimierten Knochenfragmenten infolge Einwirkung durch Hammerschläge.

Abb. 3.18: Trümmerfraktur des Schädeldaches nach Pkw-gegen-Pkw-Unfall.

3.5 Extraaxiale Hämatome 3.5.1 Epidurales Hämatom (EDH) Ein epidurales Hämatom ist eine Blutung zwischen der Tabula interna der Kalotte und der Dura mater. Hauptursache ist die Verletzung einer Meningealarterie infolge eines den im Schädel liegenden Gefäßkanal kreuzenden Bruches [10]. Häufig sind hierbei die A. meningea media oder einer ihrer Äste bei temporalen oder temporoparietalen Frakturen betroffen (Abb. 3.20 (a)). In der hinteren Schädelgrube können sie bei Frakturen des Os occipitale mit Verletzung des Sinus transversus auftreten. Wesent-

36 | 3 Pathologie und rechtsmedizinische Aspekte

Abb. 3.19: Große Trümmerzone des Schädeldaches an der linken Schläfenpartie mit zusätzlichen Schädeldach- und Schädelbasisbrüchen nach multiplen Axthieben.

(a)

(b)

Abb. 3.20: Temporo-okzipitale Schädelfraktur (a) mit ausgedehntem EDH (300 cm3 ) nach Sturz auf der Straße in alkoholisiertem Zustand. Tod etwa 10 Stunden nach dem Ereignis (b).

3.5 Extraaxiale Hämatome

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Abb. 3.21: Brückenvenen in enger Beziehung zu einem SDH bei ungebremstem Sturz auf das Hinterhaupt.

lich seltener zeigen sich isolierte Gefäßverletzungen ohne korrespondierende Fraktur. Durch fortschreitendes Abheben der Dura mater vom Schädelknochen kommt es zur konsekutiven Ausbreitung der Blutung mit entsprechender raumfordernder Wirkung (Abb. 3.20 (b)). Zu klinischer Symptomatik, Bildgebung und Operationsindikation siehe Kapitel 8.1.

3.5.2 Subdurales Hämatom (SDH) Ein subdurales Hämatom ist eine Blutung zwischen der Dura mater und der Arachnoidea [10]. Als isolierte Verletzung resultiert es aus einer Ruptur von Brückenvenen zwischen der Hirnoberfläche und dem venösen Sinus sagittalis superior (Abb. 3.21, 3.22), z. B. bei Rotationstraumen (Faustschlag gegen das Kinn, ungebremster Sturz zu Boden). Die Blutung lässt keine Rückschlüsse auf die Intensität der Gewalteinwirkung zu, insbesondere nicht bei Vorliegen einer Hirnatrophie oder einer bestehenden Therapie mit Antikoagulanzien. Subdurale Hämatome sind häufig nur filmartig ausgeprägt und finden sich bevorzugt über der Konvexität der Großhirnhemisphären. Kleinere SDH sind vielfach nicht symptomatisch und können sich nach mehr oder weniger langem Verlauf und entsprechenden Organisationsvorgängen im Rahmen eines Bagatelltraumas mit Rezidivblutung manifestieren (Abb. 3.23). Weitere Pathomechanismen sind penetrierende Verletzungen der Sinus, eine Verletzung von arteriellen und venösen Gefäßen bei Hirnkontusionen und an die Hirnoberfläche durchbrechende intrazerebrale Blutungen. Die Einteilung erfolgt in Abhängigkeit von der Überlebenszeit in akut, subakut und chronisch. Die Organisation des Hämatoms erfolgt vonseiten der Dura mater und der Leptomeningen. Zur histologischen Altersbestimmung eines subduralen Hämatoms sollten neben konventionellen Färbungen und einem Eisennachweis auch immunhistochemische Techniken zum Nachweis von entzündlichen Infiltraten, proliferierenden

38 | 3 Pathologie und rechtsmedizinische Aspekte

Abb. 3.22: SDH (100 cm3 ) nach Sturz zu Boden.

Abb. 3.23: Älteres SDH mit frischer Rezidivblutung.

Kapillaren u. a. reaktiven Veränderungen durchgeführt werden [10]. Die in der Literatur beschriebenen Stadienabläufe der Resorption und Organisation können jedoch aufgrund einer Vielzahl von Einflussfaktoren (Größe der Blutung, zerebraler Perfusionsdruck, Rezidivblutung, Antikoagulanzientherapie usw.) im Einzelfall erheblich variieren. Zu klinischer Symptomatik, Bildgebung und Operationsindikation (siehe entsprechende Kapitel 8.3 und 15.3).

3.6 Intraaxiale Verletzungen |

39

3.6 Intraaxiale Verletzungen 3.6.1 Kontusionen/Parenchymblutungen Hirnkontusionen („Rindenprellungsherde“) werden typischerweise an den Windungskuppen beobachtet und sind Folgen sowohl direkter mechanischer Gewalteinwirkung (Coup) als auch (bei frei beweglichem Schädel) an der der Gewalteinwirkung diametral gegenüberliegenden Seite (Contre-coup) infolge Unterdrucks [4, 10, 11]. Prädilektionsstellen sind Regionen, in denen die Liquorräume nur spaltförmig sind und somit die Windungen dem Schädel eng anliegen, z. B. die Basis der Stirnlappen und die Stirn- und Schläfenpole (Abb. 3.24 bis 3.26), seltener auch die Okzipitalpole und das Kleinhirn (Abb. 3.27). Sogenannte contusional tears oder gliding contusions sind schlitzförmige Einrisse in der subkortikalen weißen Substanz, die sowohl hämorrhagisch als auch nichthämorrhagisch sein können. Sie werden auf Scherkräfte am Übergang von der grauen zur weißen Substanz zurückgeführt.

Abb. 3.24: Ausgedehnte frische Kontusionsblutungen frontobasal mit begleitender SAB nach Sturz auf das Hinterhaupt.

Zu klinischer Symptomatik, Bildgebung und Operationsindikation (siehe Kapitel 8.3). Die morphologischen Stadienabläufe können wie folgt eingeteilt werden: Blutungen und Nekrosen. Unmittelbar nach der Gewalteinwirkung treten punktbis streifenförmige Rhexisblutungen bevorzugt der Windungskuppen auf, die teils konfluieren und sich bis in das subkortikale Marklager ausdehnen können (Abb. 3.28). Regelhaft finden sich darübergelegene subarachnoidale Blutungen (Abb. 3.29). Nachfolgend zeigen sich perivaskuläre Blutungen, eine Schrumpfung der umliegenden Neuronen mit Verlust an Nissl-Schollen und Kernauflösung sowie ein traumatisch

40 | 3 Pathologie und rechtsmedizinische Aspekte

Abb. 3.25: Frische Kontusionsblutungen frontobasal und an beiden Temporalpolen nach Sturz infolge Faustschlägen (fixiertes Präparat).

Abb. 3.26: Frische konfluierende Kontusionsblutungen frontobasal mit begleitender SAB nach Treppensturz (Frontalschnitt, fixiertes Präparat).

Abb. 3.27: Frische Kontusionsblutungen in der rechten Kleinhirnhemisphäre nach Verkehrsunfall (fixiertes Präparat).

3.6 Intraaxiale Verletzungen |

41

Abb. 3.28: Frische konfluierende Kontusionsblutungen frontobasal (HE-Färbung, Vergrößerung 20×).

Abb. 3.29: Frische Kontusionsblutung frontobasal mit Subarachnoidalblutung und eingesprengten Knochenfragmenten (HEFärbung, Vergrößerung 200×).

induziertes Ödem. Nach wenigen Stunden erfolgt eine Hämoglobindiffusion in das umliegende Gewebe. Nach etwa 12 Stunden tritt eine Nekrose ein, die Herde sinken keil- oder muldenförmig ein. Im weiteren Verlauf beginnt eine leukozytäre Infiltration. In der Phase der Resorption und Organisation demarkiert sich die Nekrose nach etwa 48 Stunden. Das umgebende Ödem nimmt zu, es besteht eine ausgeprägte Schwellung der Astrozyten. Vom Rand her dringen weiter Leukozyten und Makrophagen in die Nekrose ein. Es beginnt eine Proliferation der Kapillaren, die in die Nekrose einwachsen, sodass Kontusionen relativ gefäßreich erscheinen. Die Abbauprodukte der untergegangenen Nerven- und Gliazellen sowie der Markscheiden werden in Makrophagen (Fettkörnchenzellen) gespeichert und abgeräumt. Nach dem Abräumen der Fettkörnchenzellen und Rückbildung der Kapillarproliferate resultiert als End- und Defektstadium ein zystischer, mit Liquor gefüllter Hohlraum (Abb. 3.30, 3.31). In der Umgebung ist eine reaktive Gliose nachweisbar. Hämo-

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Abb. 3.30: Narbenstadium frontobasaler Kontusion mit schüsselförmigen, bräunlichen Rindendefekten, links unter Einbeziehung des N. olfactorius (fixiertes Präparat).

Abb. 3.31: Narbenstadium frontobasaler Kontusion mit schüsselförmigen, bräunlichen Rindendefekten und Entmarkungen (Frontalschnitt, fixiertes Präparat).

siderinablagerungen als Reste der Blutungen oder verkalkte Neuronen sind vielfach noch nach Jahren erkennbar.

3.6.2 Diffuse Axonschäden Der Begriff des diffusen Axonschadens (diffuse axonal injury – DAI) war initial eine klinische und pathologische Diagnose gestützt durch radiologische Befunde bei Patienten mit schweren funktionellen Ausfällen, aber ohne entsprechende Schädelfrakturen oder wesentliche pathologische Hirnbefunde.

Er sollte streng morphologisch allerdings als multifokaler Axonschaden (traumatisch oder ischämisch) bezeichnet werden. Die pathogenetisch-biomechanischen Konzepte gehen von Scherverletzungen von Axonen und deren Myelinscheiden bei Akzelerations-/Dezelerations- oder schweren Rotationstraumen aus, wenngleich Störungen des axonalen Metabolismus und Transports gleichfalls eine Rolle spielen [1, 12, 13].

3.6 Intraaxiale Verletzungen |

43

Abb. 3.32: Traumatischer Axonschaden mit frischen Blutungen im dorsalen Abschnitt des Corpus callosum (Frontalschnitt, fixiertes Präparat).

Abb. 3.33: Traumatischer Axonschaden: ovale pinkfarbene Axonauftreibungen im Corpus callosum (HE-Färbung, Vergrößerung 400×).

Makroskopisch zeigen sich typischerweise Blutungen und Zerrungen im Corpus callosum (Abb. 3.32) und Blutungen in dorsolateralen Hirnstammregionen. In ausgeprägteren Fällen finden sich auch petechiale Einblutungen in der weißen Substanz sowie in Thalamus und Basalganglien. Mikroskopisch lassen sich in der konventionellen Hämatoxylin-Eosin-Färbung nach etwa 12–20 Stunden Überlebenszeit Axonauftreibungen (axonal bulbs) bzw. Retraktionskugeln nachweisen (Abb. 3.33). Nach einigen Tagen beginnt eine axonale (Waller-)Degeneration mit Mikrogliaaktivierung und -proliferation. Immunhistochemisch lassen sich die axonalen Schäden mit einem Antikörper gegen das AmyloidPrecursor-Protein (βAPP) bereits nach einer Mindestüberlebenszeit von 1,5–3 Stunden posttraumatisch nachweisen. Die Interpretation der Ergebnisse ist allerdings abhängig von der Überlebenszeit, der adäquaten Anzahl repräsentativer Hirnregionen und der Verteilung der Läsionen [1, 12]. Differentialdiagnostisch muss weiterhin zwischen einem traumatischen und einem vaskulären Axonschaden infolge einer Hypoxämie oder einer Hirnschwellung unterschieden werden [1, 12].

44 | 3 Pathologie und rechtsmedizinische Aspekte

Abb. 3.34: Primär traumatische Blutung im Mesencephalon bei SDH nach Sturz (Überlebenszeit wenige Stunden).

Abb. 3.35: Sekundär traumatische Blutung im Mesencephalon bei transtentorieller Herniaton nach SDH (Überlebenszeit 3 Tage).

3.6.3 Hirnstammläsionen Primär traumatische Hirnstammläsionen mit Blutungen oder Rupturen finden sich bevorzugt in lateralen und dorsalen Regionen von Mesencephalon, Pons sowie Medulla oblongata und sind Folgen massiver Gewalteinwirkung, insbesondere bei Rotationstraumen mit erheblichen Zug- und Scherkräften (Abb. 3.34) [10]. Sekundäre (durch eine supratentorielle Raumforderung verursachte) Hirnstammläsionen sind im Wesentlichen Folge der bei einem SHT auftretenden intrakraniellen Raumforderung mit transtentorieller Verlagerung von mediobasalen Schläfenlappenanteilen, Kompression von Venen und Arterien sowie Auftreten von Stauungsblutungen und/oder Nekrosen. Sie liegen bevorzugt zentral (Abb. 3.35).

3.7 Sekundärschäden Bei mehr oder weniger langen Überlebenszeiten sind die dann nach einem SHT auftretenden Sekundärschäden für das Outcome des Patienten von Bedeutung [10].

3.7 Sekundärschäden |

45

Abb. 3.36: Ausgeprägte Herniation des Hirngewebes trotz Dekompressionskraniektomie.

Ischämisch-hypoxische Schäden im Rahmen eines SHT, teils mit Rindenbandnekrosen oder globaler Hirnschädigung sind Folge einer Hypotension oder eines erhöhten intrakraniellen Drucks. Das nach einem SHT auftretende Ödem ist überwiegend eine Kombination aus vasogenen (Extravasation von Ödemflüssigkeit durch eine geschädigte Blut-Hirn-Schranke bei Gefäßschädigung) und zytotoxischen (erhöhter Flüssigkeitsgehalt von Neuronen und Gliazellen) Faktoren. Die daraus resultierende Hirnschwellung wird vielfach durch zugleich bestehende Blutungen und eine vaskuläre Stase potenziert. Trotz neurochirurgischer Intervention mittels Dekompressionskraniektomie (Abb. 3.36) besitzt die Hirnschwellung eine hohe Letalität. Bei einer intrakraniellen Drucksteigerung zeigen sich makroskopisch verbreiterte, abgeplattete Gyri und eingeengte Sulci. Abhängig von der Lokalisation der Raumforderung können Massenverschiebungen in verschiedenen Kompartimenten auftreten. Bei unilateral dominierenden Läsionen, wie EDH oder SDH (Abb. 3.37) wird der Gyrus cinguli unter die Falx cerebri zur Gegenseite verlagert (subfalxiale Herniation) (Abb. 3.38). Die transtentorielle Herniaton betrifft den mediobasalen Temporallappen (Gyrus parahippocampalis) mit Verlagerung durch den Tentoriumsschlitz. Hierbei auftretende Phänomene sind die Kompression des N. oculomotorius und des Hirnstamms. Im hinteren Stromgebiet kommt es vielfach zur hämorrhagischen Infarzierung im Okzipitallappen durch eine venöse (Vena occipitalis interna, Vena basalis) oder arterielle Kompression (Arteria cerebri posterior bzw. Calcarinaast) (Abb. 3.39). Bei der transforaminalen (tonsillären) Herniation werden die Kleinhirntonsillen durch das Foramen magnum nach kaudal verlagert mit Nekrosen (Abb. 3.40) und einer Kompression der Medulla oblongata. Makroskopisch zeigen sich bei hierbei kleinere Blutungen und Nekrosen. Weitere mögliche posttraumatische Spätfolgen sind insbesondere ein Hydrocephalus, ein Hygrom, ein chronisches SDH und eine Sinus-cavernosus-Fistel.

46 | 3 Pathologie und rechtsmedizinische Aspekte

Abb. 3.37: Verlagerung der linken Hemisphäre infolge eines SDH.

Abb. 3.38: Subfalxiale Herniation des Gyrus cinguli und nach SDH rechts mit Mittellinienverlagerung und petechialen Einblutungen u. a. im rechten Thalamus (Überlebenszeit 3 Tage).

Hirn-Dura-Narben können zu einer posttraumatischen Epilepsie führen. Bei offenem SHT besteht insbesondere das Risiko für Infektionen mit dem Auftreten von Hirnabszessen und Meningitiden.

3.8 Rechtsmedizinische Aspekte bei SHT und Verdacht auf Kindesmisshandlung Todesfälle nach SHT sind in der Regel als nichtnatürlich zu klassifizieren und werden darum in der Regel rechtsmedizinisch untersucht. Fragestellungen sind hierbei u. a. eine strafrechtliche Relevanz, die Kausalität zu einem beschriebenen Unfallmecha-

3.8 Rechtsmedizinische Aspekte bei SHT und Verdacht auf Kindesmisshandlung | 47

Abb. 3.39: Hämorrhagische Infarzierung im Okzipitallappen nach transtentorieller Herniaton bei SDH (Überlebenszeit 5 Tage).

Abb. 3.40: Tonsilläre Herniation mit Verlagerung der Kleinhirntonsillen nach kaudal und Nekrosen.

nismus, eine mögliche Fremdbeibringung, z. B. die Differenzierung zwischen Sturz und Schlag, und die Rekonstruktion eines Unfall-/Tatablaufs (Werkzeug). Gleiches gilt für die klinische Untersuchung überlebender Patienten nach einem SHT durch den Rechtsmediziner. Darauf aufbauend soll vielfach ein Gutachten erstellt werden und/oder eine Sachverständigentätigkeit in foro erfolgen. Hinzu kommen zivil- und versicherungsrechtliche Fragen, insbesondere der Unfallversicherung. In seltenen Fällen soll auch die Frage nach einem möglichen Behandlungsfehler beantwortet werden, wobei hierzu meist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den involvierten Fachdisziplinen erforderlich ist.

48 | 3 Pathologie und rechtsmedizinische Aspekte

Zu beachten ist, dass in Fällen von SHT für die behandelnden Mediziner die ärztliche Schweigepflicht nach § 203 des Strafgesetzbuches gilt.

Differenzierung von Sturz- oder Schlagverletzungen Die sog. „Hutkrempenlinie“ bezeichnet einen etwa 5 cm breiten bandartigen Bezirk, der sich nach oben an die Linie des größten Kopfumfanges (um die Stirn- und Hinterhauptshöcker) anschließt [14]. Verletzungen oberhalb dieser Linie sprechen eher für eine Gewalteinwirkung von oben (Schlagverletzungen v. a. in der hohen Scheitelregion), wohingegen bei einem Sturz zu Boden Verletzungen in oder unterhalb dieser Linie liegen (Hinterkopf, Augenbrauen, Nase, Kinn, Jochbogen). Dies gilt allerdings nicht für Treppenstürze, Stürze aus der Höhe oder Faustschläge und Tritte gegen Liegende. Weitere Hinweise für die Differenzierung in Sturz- oder Schlagverletzung kann die Unterminierung der Wundränder der Quetsch-Risswunde geben. So ist bei einem Sturz mit Einwirkung der Gewalt von unten der obere Wundrand und bei einem Schlag mit Einwirkung der Gewalt von oben der untere Wundrand unterminiert. Gleiches gilt für die Wundränder mit stärkerer Schürfung des unteren Wundrandes bei einem Sturz und des oberen Wundrandes bei einem Schlag. Bei Verletzungen durch Schlag finden sich Rindenprellungen überwiegend unterhalb der Stelle der maximalen Gewalteinwirkung, wohingegen bei Stürzen Gegenstoßherde oder Coup- und Contre-coupLäsionen häufiger beobachtet werden können. Bei epiduralen und subduralen Hämatomen ist zu beachten, dass zwischen der Gewalteinwirkung und dem Einsetzen der Hirndrucksymptomatik oftmals ein sog. freies Intervall besteht. Von besonderer forensischer Bedeutung sind hierbei alkoholisierte Personen, bei denen die Symptome häufig als Rauschsymptomatik fehlgedeutet werden. Durch Unterbleiben einer eingehenden Diagnostik und Todeseintritt wird oftmals ein Verfahren gegen die behandelnden Ärzte eingeleitet. Im Kindesalter ist das SHT die häufigste Ursache gewaltsamer Todesfälle [15–17]. Hierbei ist die Differenzierung zwischen akzidentellen (Stürze) und nichtakzidentellen (Kindesmisshandlung) Ursachen von erheblicher forensischer Relevanz [13, 18, 19]. Im Kleinkindalter ist insbesondere das sog. Schütteltrauma (shaken baby syndrome, shaken impact syndrome, inflicted traumatic brain injury – iTBI – oder non-accidental head injury – NAHI) bedeutsam, wobei die letzten beiden Begriffe international gebräuchlich sind [13]. Zu diesem Terminus und insbesondere der diagnostischen Wertigkeit der Trias subdurale und retinale Blutungen und hypoxischischämische Enzephalopathie bestehen sowohl in der Literatur als auch in der juristischen Würdigung teils erhebliche Kontroversen [13, 20]. Es ist unerlässlich, in derartigen Verdachtsfällen nicht nur eine umfassende körperlich-neurologische Untersuchung einschließlich Fundoskopie und Erfassung klinisch-chemischer Laborund Gerinnungsparameter vorzunehmen, sondern auch entsprechende bildgebende Verfahren (Röntgen, CT, MRT, Szintigraphie) einzusetzen und nach Möglichkeit

Literatur

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einen Rechtsmediziner konsiliarisch hinzuzuziehen [13]. Auf die klinischen Aspekte kindlicher Schädel-Hirn-Traumen wird in Kapitel 13.5 eingegangen.

Literatur [1] [2] [3]

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50 | 3 Pathologie und rechtsmedizinische Aspekte

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Nicole Terpolilli und Nikolaus Plesnila

4 Pathophysiologie und Pathobiochemie 4.1 Einleitung Wie bereits in anderen Kapiteln dargelegt, ist das Schädel-Hirn-Trauma (SHT) eine schwerwiegende Erkrankung, die mit einer hohen Mortalität und meist lebenslangen Morbididät vergesellschaftet ist. Die pathophysiologischen Vorgänge, die nach einem SHT ablaufen, sind im Rahmen grundlagenwissenschaftlicher Forschung inzwischen gut untersucht. Grundprinzip ist die therapeutisch relevante Unterscheidung zwischen primären und sekundären Hirnschädigungen. Die Mechanismen, die dem primären und sekundären Hirnschaden zugrunde liegen, sollen im Folgenden näher beschrieben werden.

4.2 Mechanismen des primären Hirnschadens nach SHT Die Parenchymverletzung, die unmittelbar durch die traumatische Gewalteinwirkung entsteht, wird als Primärschaden bezeichnet. Das Ausmaß des Primärschadens wird maßgeblich durch die physikalischen Charakteristika der Verletzung bestimmt und kann nur durch Prävention, nicht aber therapeutisch beeinflusst werden [1]. Neben Parenchymquetschungen (Kontusionen) sind Gefäßverletzungen und der diffuse Axonschaden die wichtigsten primären Hirnschädigungen.

4.2.1 Kontusionen Kontusionen gehören zu den häufigsten beobachteten Schädigungsmustern nach SHT; sie lassen sich bei nahezu der Hälfte aller Patienten mit einer fatalen SchädelHirn-Verletzung nachweisen [2]. Kontusionen sind umschriebene Verletzungen des Hirnparenchyms, die v. a. an den Temporalpolen und frontobasal auftreten, weil an diesen Stellen das Gehirn gegen die scharfkantige Schädelbasis und die Sphenoidalkante gedrückt wird [3, 4]. Bei Gewalteinwirkung von lateral oder okzipital kommt es neben der Kontusion am Aufprallort (coup) zudem durch Zugkräfte häufig auch zu Läsionen, die dem Aufprallort diametral gegenüberliegen (contre-coup) [5]. Die Kontusion selbst besteht aus mechanisch zerstörtem Gewebe und ist darum bereits primär avital. Im perikontusionellen Gewebe, das initial noch vital ist, kommt es zu charakteristischen neurophysiologischen und biochemischen Veränderungen, die dazu führen, dass dieses Gewebe mit einer Verzögerung von 3–12 Stunden ebenfalls abstirbt [6]. Die Mechanismen, die hierbei eine Rolle spielen, werden in Abschnitt 4.3 besprochen. https://doi.org/10.1515/9783110366853-006

52 | 4 Pathophysiologie und Pathobiochemie

Liegen größere Gefäße im Bereich einer Kontusion, kann es zu Einblutungen oder intraparenchymatösen Hämatomen kommen. Dieses Phänomen nennt man hämorrhagische Transformation oder Progression; es ist mit hoher Mortalität und schlechter neurologischer Funktion nach SHT assoziiert [7].

4.2.2 Blutungen Je nach Gefäßverletzung kann es nach SHT zu extraduralen (epiduralen) oder intraduralen (subduralen oder subarachnoidalen) Blutungen kommen (Abb. 4.1). Extra-/ Epidurale Blutungen (s. Kap. 8) sind meist mit Kalottenfrakturen assoziiert und stammen häufig aus Ästen der A. meningea media. Strukturelle Schädigungen des Hirngewebes sind hierbei üblicherweise minimal. Aufgrund der Möglichkeit zur schnellen Größenzunahme können Epiduralblutungen jedoch kurzfristig zu einem raschen Anstieg des intrakraniellen Drucks und somit zu einer transtentoriellen Herniation führen; dies kann den Patienten vital gefährden oder zu sekundären Schädigungen des Parenchyms führen. Bei schneller Evakuierung ist die Prognose epiduraler Blutungen aufgrund der geringen primären Parenchymschädigung allerdings gut. Subdurale Blutungen (s. Kap. 8) werden durch Verletzungen kortikaler Venen und/oder Arterien sowie durch Zerreißung von Brückenvenen verursacht. Werden durch eine massive Krafteinwirkung Arterien im Subarachnoidalraum oder im Hirnepidurales Hämatom

Hämatom Dura Mater Normalzustand Knochen

subdurales Hämatom

Hämatom Dura Mater

Arachnoidea

Arachnoidea

Pia Mater

Pia Mater

Dura Mater Arachnoidea

subarachnoidale Blutung

Pia Mater Blutung Dura Mater Arachnoidea Pia Mater

Abb. 4.1: Schematische Darstellung der posttraumatischen Blutungstypen. (a) Normalzustand, (b) epidurales Hämatom, (c) subdurales Hämatom, (d) subarachnoidale Blutung [9].

4.3 Mechanismen des akuten zerebralen Sekundärschadens |

53

parenchym verletzt, kommt es zu einer traumatischen Subarachnoidalblutung bzw. einer Kontusionsblutung. Wie aufgrund des Pathomechanismus erwartet, sind diese Blutungen in über 50 % der Fälle mit einem schweren SHT assoziiert und mit einem schlechten Outcome vergesellschaftet [8].

4.2.3 Diffuser Axonschaden Eine weitere primäre Hirnschädigung ist der diffuse Axonschaden (diffuse white matter shearing injury, diffuse axonal injury – DAI). Hierbei handelt es sich um anfänglich schwer nachweisbare, asymmetrische und diffus verteilte Scherverletzungen der langen Nervenzellfortsätze bei z. T. tief bewusstlosen Patienten. Diese Art der Verletzung findet sich bevorzugt in der weißen Substanz, wie z. B. im Corpus callosum und im oberen Abschnitt des Hirnstamms [1]. Primär kommt es hauptsächlich zu einer Dehnung von Axonen; eine primäre mechanische Zerreißung wird selbst elektronenmikroskopisch nur selten gefunden [9]. Vielmehr scheint es durch die traumatische Dehnung der Nervenzellfortsätze zu Störungen des axonalen Transports zu kommen, die sekundär zur Axotomie führen [9–11].

4.3 Mechanismen des akuten zerebralen Sekundärschadens Die klinische Erfahrung lehrt, dass sich der Zustand von Patienten, die ein SHT erlitten haben, im Laufe der ersten Stunden und Tage nach dem Insult häufig verschlechtert. Da sich diese Verschlechterung erst mit der Zeit entwickelt, wird sie als sekundär bezeichnet. Eindrückliche Beispiele für sekundäre Verschlechterungen sind Patienten, die initial wach sind und sprechen, innerhalb von Stunden aber eintrüben und versterben (patients who talk and die) [12, 13]. Außer in diesen sehr augenscheinlichen Fällen, die nur 3–10 % aller Schädel-Hirn-Traumen ausmachen, manifestiert sich der sekundäre Hirnschaden aber auch in der überwiegenden Anzahl der SchädelHirn-Trauma-Patienten als eine Vergrößerung des primären Hirnschadens über die Zeit [14]. So kann das Volumen zerebraler Kontusionen, die Entwicklung eines Hirnödems oder das Ausmaß des diffusen Axonschadens erst Tage nach stattgefundenem Schädel-Hirn-Trauma eine Dimension entwickeln, die den klinischen Verlauf betroffener Patienten nachhaltig negativ beeinflusst. Die entscheidende Bedeutung dieses Konzepts ist, dass sich der sekundäre Hirnschaden erst mit der Zeit entwickelt und somit einer Therapie grundsätzlich zugänglich ist. Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie sekundärer Hirnschäden ist allerdings die genaue Kenntnis der zugrunde liegenden pathophysiologischen und pathobiochemischen Mechanismen. Diese werden klassischerweise in extrakranielle/sytemische Ursachen wie Hypotension, Hypoxie, Hypoglykämie oder Schädelfrakturen und intrakranielle Ursachen wie intrakranielle

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Hypertension, intradurale Blutungen, zerebrale Ischämie, Spontandepolarisationen und akute axonale Degeneration eingeteilt [15] und im Folgenden besprochen.

4.3.1 Extrakranielle Ursachen In etwa 50 % der Fälle ist das Schädel-Hirn-Trauma mit einem Polytrauma und den damit verbundenen Komplikationen wie Hypotension, Hypoxie und Immunsuppression vergesellschaftet [15]. Sinkt der systemische Blutdruck unter die Autoregulationsschwelle des Gehirns oder ist diese im Rahmen pathologischer Abläufe gestört, verringert eine Hypotonie (systolischer Blutdruck < 90 mmHg, mittlerer arterieller Druck < 60 mmHg) direkt den zerebralen Perfusionsdruck (cerebral perfusion pressure – CPP) und damit die Durchblutung des gesamten Gehirns. Das gesunde Gehirn kann eine solche globale Ischämie in gewissen Grenzen tolerieren; im geschädigten Gehirn, das u. U. bereits unter lokalen Durchblutungsstörungen und Störungen der Gefäßreaktivität leidet, führt eine Hypotonie unmittelbar zur Ausweitung der primären Schädigung. Darüber hinaus scheint eine Hypotonie die Auslösung kortikaler Spontandepolarisationen zu begünstigen und ihre nachteilige Wirkung auf die lokale Hirndurchblutung zu verstärken [16]. Der Zusammenhang zwischen hypotonen Blutdruckwerten in der Frühphase nach SHT und einem schlechten neurologischen Outcome ist im Rahmen zahlreicher klinischer Studien nachgewiesen worden [17–24]. Ähnliches gilt für die Hypoxie; auch sie wird vom geschädigten Gehirn schlechter als vom gesunden Gehirn vertragen und korreliert mit einem schlechten Outcome nach SHT [25]. Ein suffizienter Gasaustausch ist auch zur Vermeidung einer Hyperkapnie (arterieller pCO2 > 45 mmHg) erforderlich. Kohlendioxid ist ein selektiver zerebraler Vasodilatator; eine Hyperkapnie führt deswegen zur Vasodilatation zerebraler Gefäße mit Zunahme des zerebralen Blutvolumens und konsekutivem Anstieg des intrakraniellen Drucks. Ein weiterer extrakranieller Schädigungsfaktor ist Fieber [26]. Fieber kann nach einem SHT u. a. im Rahmen erregerbedingter Entzündungsreaktionen, z. B. der Lunge, auftreten oder durch Schädigung der hypothalamischen Temperaturregulation [27, 28]. Eine erhöhte Körper- oder Hirntemperatur beschleunigt so gut wie alle pathobiochemischen Vorgänge, die nach einem SHT zu einer sekundären Schädigung des Gehirns führen, wie z. B. Inflammation, Exzitotoxizität, Azidose, programmierter Zelltod und Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke [29]. Schließlich sind auch systemische Gerinnungsstörungen eine häufige Begleiterscheinung der Akutphase des SHT [30]. Es werden sowohl pro- als auch antikoagulatorische Effekte beschrieben [31]. Beide Veränderungen der Blutgerinnung sind mit einer erhöhten Mortalität nach SHT vergesellschaftet [24]; eine verlangsamte Blutgerinnung verstärkt Blutungen, eine beschleunigte Blutgerinnung führt zu einer verstärkten mikrovaskulären Thrombosierung im geschädigten Hirngewebe mit

4.3 Mechanismen des akuten zerebralen Sekundärschadens | 55

nachfolgender Ischämie und sekundärer Ausdehnung des Primärschadens [32]. Daher sollte auf eine Normalisierung der Blutgerinnung hingewirkt werden.

4.3.2 Intrakranieller Druck und Hirnödem Bei ausreichendem Sauerstoff- und Glukoseangebot ist der zerebrale Perfusionsdruck (cerebral perfusion pressure – CPP) der entscheidende Parameter für eine regelrechte zerebrale Funktion. Der CPP ist die Differenz zwischen dem mittleren arteriellen Blutdruck (mean arterial pressure – MAP) und dem Druck, der diesem im Schädel entgegenwirkt, d. h. dem intrakraniellen Druck (intracranial pressure – ICP) und dem meist vernachlässigbaren venösen Druck. Es gilt demnach die Formel CPP = MAP – (ICP + Druck im Sinus sagittalis superior). Aus dieser Formel wird ersichtlich, dass bei ausreichendem MAP eine suffiziente zerebrale Perfusion (CPP > 60 mmHg) und somit eine regelrechte Funktion des Gehirns hauptsächlich vom ICP abhängt. Beim gesunden Erwachsenen beträgt der ICP im Liegen 7–15 mmHg; ab 20 mmHg wird von einem behandlungsbedürftigen ICP gesprochen. Bereits im frühen 19. Jahrhundert wurde von Monro und Kellie erkannt, dass sich das intrakranielle Volumen aus drei Kompartimenten zusammensetzt: dem Hirnparenchym, dem intrakraniellen Blutvolumen und dem Volumen der Liquorräume. Nimmt das Volumen eines Kompartiments zu, kann dies bis zu einem gewissen Grad durch die Abnahme des intrakraniellen venösen Blut- oder Liquorvolumens mittels Flüssigkeitsverlagerung nach extrakraniell ausgeglichen werden, sodass der intrakranielle Druck zunächst nicht ansteigt (Abb. 4.2, grüner Pfeil). Erst nach Ausschöpfen dieser Möglichkeit nimmt der intrakranielle Druck zu, dann allerdings exponentiell, weil sich bereits kleinste Volumenzunahmen direkt auf den ICP auswirken (Abb. 4.2, roter Pfeil). Die Fähigkeit dieses Systems, eine intrakranielle Volumenzunahme zunächst zu kompensieren, wird als intrakranielle Compliance bezeichnet. Die Compliance ist für das Verständnis des intrakraniellen Druckanstiegs und dessen Behandlung von größter Bedeutung, weil sie bei genauerer Betrachtung zwei wichtige Punkte deutlich werden lässt: 1. Der ICP steigt erst dann an, wenn die intrakranielle Compliance aufgebraucht ist. Ein erhöhter ICP ist also das Resultat sekundärer pathologischer Prozesse, die bereits vor Stunden oder Tagen abgelaufen sind. Daher sollte die Vermeidung und nicht die Senkung eines erhöhten ICPs das primäre Ziel jeder neurointensivmedizinischen Therapie des Schädel-Hirn-Traumas sein. 2. Kleine Änderungen des intrakraniellen Volumens resultieren in späten Stadien der intrakraniellen Drucksteigerung in großen Änderungen des ICP. Insofern genügen in der Frühphase der Pathophysiologie des Schädel-Hirn-Traumas u. U. bereits kleine Reduzierungen des intrakraniellen Volumens, um den ICP niedrig zu halten und sekundäre Hirnschäden zu vermeiden.

intrakranieller Druck

56 | 4 Pathophysiologie und Pathobiochemie

intrakranielles Volumen

Abb. 4.2: Schematische Darstellung der intrakraniellen Druck-Volumen-Kurve.

Wie bereits angesprochen können verschiedene intrakranielle Kompartimente an einem Anstieg des intrakraniellen Drucks beteiligt sein. Betrachtet man das intrakranielle Blutvolumen, kann zwischen extra- und intravasalem Blutvolumen unterschieden werden. Betrifft die primäre Hirnschädigung größere arterielle oder venöse Blutgefäße, kommt es je nach Lokalisation zu epi- oder subduralen Hämatomen, nicht selten auch zu Subarachnoidalblutungen (SAB). Der Volumeneffekt des Hämatoms führt zu einem direkten Anstieg des intrakraniellen Drucks. Zusätzlich führt das mechanische Trauma zu einer Überproduktion des Vasodilatators Stickstoffmonoxid im zerebrovaskulären Endothel und zu einer Dilatation zerebraler Arterien und Arteriolen [33]. Dies führt experimentell als auch bei Patienten zu einer Zunahme des zerebralen Blutvolumens (vascular engorgement) und wird häufig als ein wichtiger Mechanismus der posttraumatischen Hirnschwellung angesehen [34]. Vergleichende Untersuchungen des zerebralen Blutvolumens und des Hirnwassergehalts an SHTPatienten haben gezeigt, dass die Zunahme des intrakraniellen Blutvolumens nur einen kleinen Teil der posttraumatischen Hirnschwellung ausmacht [35]. Da aber bei aufgebrauchter Compliance auch kleine Volumenänderungen zu großen Veränderungen des ICP führen können (s. o.), darf die Bedeutung eines erhöhten intrakraniellen Blutvolumens unter pathologischen Bedingungen nicht vernachlässigt werden. Dies wird durch experimentelle Untersuchungen bestätigt, die zeigen, dass die pharmakologische Hemmung der posttraumatischen Vasodilatation einen pathologisch erhöhten ICP signifikant senken kann [33]. Daher müssen besonders bei Patienten mit erhöhtem ICP die zerebrale Durchblutung und der zerebralvenöse Abfluss in alle therapeutischen Überlegungen mit einbezogen werden. Neben dem intrakraniellen Blutvolumen macht die posttraumatische Schwellung des Hirnparenchyms quantitativ den größten Teil der intrakraniellen Volumenzunahme nach einem Schädel-Hirn-Trauma aus [35]. Führender Mechanismus ist der Anstieg des Hirnwassergehalts, d. h. die Bildung eines Hirnödems [36]. Prinzipiell unterscheidet man ein vasogenes von einem zytotoxischen Hirnödem. Das vasogene Hirnödem ist extrazellulär und entsteht auf Basis eines erhöhten Flüssigkeitsaustritts aus dem Gefäßsystem in das Hirnparenchym infolge von Gefäßverletzungen oder einer gestörten Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke. Das zytotoxische Hirnödem

4.3 Mechanismen des akuten zerebralen Sekundärschadens | 57

ist intrazellulär, betrifft hauptsächlich Astrozytenendfüßchen und entsteht durch die physiologische Funktion von Astrozyten, toxische Substanzen aus dem Extrazellulärraum zu entfernen. Welche Ödemform zu welchem Zeitpunkt nach einem Schädel-Hirn-Trauma entsteht, ist bisher nicht vollständig geklärt. Es scheint aber klar zu sein, dass sich sowohl örtlich als auch zeitlich überlappend beide Ödemformen ausbilden können [37, 38]. Die aktuelle Vorstellung ist, dass es im Augenblick des Traumas zu einer akuten Dehnung zerebraler Mikrogefäße kommt. Dies führt zu einer sofortigen Schädigung des zerebralen Endothels und einem Übertritt von Plasmaflüssigkeit in das angrenzende Hirnparenchym mit Bildung eines akuten vasogenen Hirnödems. Die Schädigung des Endothels aktiviert das Kallikrein-Kinin-System, das das proinflammatorische Peptid Bradykinin freisetzt und das humorale Gerinnungssystem aktiviert. Bradykinin erhöht die Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke [39]. So entsteht mit einer Latenz von Minuten oder wenigen Stunden zusätzlich zum akuten vasogenen Hirnödem ein verzögertes vasogenes Hirnödem, das zu einem großen Teil von Bradykinin-B2 -Rezeptoren vermittelt wird [40–42] (Abb. 4.3). Während das akute vasogene Hirnödem hauptsächlich im primär geschädigten Hirnparenchym entsteht, bildet sich das verzögerte/sekundäre vasogene Hirnödem hauptsächlich in

akuter Anstieg der Gefäßpermeabilität, Plättchenadhäsion, Mikrothrombosen

Aktivierung des Kontaktsystems (FXI, FXII, Kallikrein, Bradykinin)

Gewebeschädigung (Primärschaden)

Freisetzung von danger associated molecular patterns (DAMPs) in Gewebe und Blut (ATP/ADP, dsDNA, RNA, HMGB1, S-100, ... )

DAMPs binden an nicht-spezifische patters recognition receptors (PRRs) auf Mikroglia, peripharen Monozyten, Astrozyten und Neuronen [purinerge Rezeptoren (P2X4 und 7, P2Y1), TLR-3/9 und 2/4/RAGE, NLRP1-3/caspase-1 Inflammasom]

Produktion von Zytokinen und Hochregulation von Adhäsionsmolekülen (CAMs) (IL-1β, IL-6, IL-12, IL-18, CCL2, ... , TNF-α, Interferon-γ, ICAM-1, ... )

chronischer Anstieg der Gefäßpermeabilität/Einwanderung von Leukozyten ins Gehirn (zunächst Granulozyten, später CD45hiLy6Chi-Monozyten) Abb. 4.3: Entstehung eines akuten vasogenen Hirnödems und eines verzögerten vasogenen Hirnödems.

58 | 4 Pathophysiologie und Pathobiochemie

der traumatischen Penumbra aus, d. h. im initial noch funktionsfähigen Hirngewebe, das an die primäre Schädigung angrenzt [43]. Ein weiterer Faktor, der zum Hirnödem führt, ist der akute Gewebeschaden. Aus geschädigten Zellen diffundieren intrazelluläre Substanzen, wie z. B. Glutamat, Kalium, Kalzium, oder Protonen in hoher lokaler Konzentration in den Extrazellulärraum des umliegenden Gewebes. Dort werden diese Substanzen, die auch unter physiologischen Bedingungen von Neuronen freigesetzt werden, von Astrozyten aufgenommen und dadurch neutralisiert. Da so gut wie alle an diesem Prozess beteiligten Transporter den vom extra- nach intrazellulär gerichteten Natriumgradienten als Antrieb verwenden, steigt die intrazelluläre Natriumkonzentration der Astrozyten an, und es kommt durch Nachfließen von extrazellulärem Wasser zur Zellschwellung [44]. Dieses sog. zytotoxische Hirnödem basiert demnach auf einem physiologischen Kompensationsmechanismus, der unter pathologischen Bedingungen verstärkt abläuft. Die weit verbreitete Ansicht, das zytotoxische Hirnödem werde durch einen Mangel an ATP verursacht, ist bereits vor knapp 30 Jahren durch experimentelle Untersuchungen widerlegt worden, die zeigten, dass auch eine komplette Hemmung der zellulären ATP-Synthese zu keiner Zellschwellung führt [45]. Nach einer traumatischen Gewebeschädigung kommt es demnach zu einem sofortigen vasogenen Hirnödem im geschädigten Hirnparenchym und zu einem verzögert auftretenden vasogenen und zytotoxischen Hirnödem in der traumatischen Penumbra. Das zytotoxische Hirnödem bildet sich in der unmittelbaren Umgebung des Gewebeschadens aus, während das vasogene Hirnödem weitere Bereiche umfasst und teilweise auch gesundes Gewebe betrifft. Diese Abläufe, die vorwiegend experimentell nachgewiesen wurden, sind inzwischen auch an Schädel-Hirn-traumatisierten Patienten validiert worden [43]. Das akute vasogene und zytotoxische Hirnödem führen zu einer Schwellung des Gehirns, die nach Aufbrauchen der zerebralen Compliance zu einer Erhöhung des intrakraniellen Drucks und einer konsekutiven Senkung des zerebralen Perfusionsdrucks führt. Die dadurch bedingte Senkung der zerebralen Durchblutung verstärkt das vorbestehende akute zytotoxische Hirnödem, sodass es schließlich im Sinne eines Circulus vitiosus zu einem weiteren Anstieg des ICP und einem weiteren Abfall der zerebralen Durchblutung kommt. In Bereichen des Gehirns, die vorgeschädigt, aber nach dem Trauma vital geblieben sind und als traumatische Penumbra bezeichnet werden, kann diese zunehmende Abnahme der Durchblutung zu einem endgültigen Untergang von Hirngewebe führen. Durch den neu hinzugekommenen Gewebeschaden werden alle bisher genannten Vorgänge erneut initiiert und verstärkt, sodass es durch zwei ineinandergreifende Circuli vitiosi zur sekundären Schädigung des Gehirns kommt (Abb. 4.4). Die hier beschriebenen Vorgänge zeigen deutlich, dass der pathologisch erhöhte ICP zum Teil Auslöser, ganz besonders aber nach bereits abgelaufener Akutphase in aller Regel auch Ausdruck einer sekundären Hirnschädigung ist. Therapeutische Be-

4.3 Mechanismen des akuten zerebralen Sekundärschadens | 59

primärer Hirnschaden

sekundärer Hirnschaden Zelltod CSD Axonschaden

6 primärer Gefäßschaden 1

Ischämie 4

7

1

5

Ödem Hämatom

zytotoxisch (Azidose, Glutamat, K+, Arachidonsäure)

Mikrothrombosen

vasogen (primär) entzündlich (sekundär) (Bradykinin, DAMPs, Leukozyten)

2 CPP ↓

3

ICP ↑

Abb. 4.4: Sekundäre Schädigung des Gehirns durch zwei ineinandergreifende Circuli vitiosi.

strebungen, einen bereits pathologisch erhöhten ICP zu senken, laufen demnach den Ereignissen hinterher und erscheinen nur bei vitaler Bedrohung des Patienten durch eine Einklemmung des Hirnstamms sinnvoll. Alle therapeutischen Anstrengungen, die darauf abzielen, die sekundäre Schädigung des Gehirns zu verhindern, müssen hingegen darauf gerichtet sein, die oben beschriebenen Circuli vitiosi frühzeitig zu unterbrechen und damit den ICP erst gar nicht ansteigen zu lassen. Basierend auf den dargelegten pathophysiologischen Abläufen, müssten frühzeitige chirurgische Dekompressionen bei Patienten mit entsprechendem Risikoprofil, neuroprotektive Maßnahmen zur Verzögerung ischämischer Hirnschäden und die Hemmung der sekundären Hirnschwellung (s. o.) die erfolgversprechendsten Strategien darstellen. Eine weitere mögliche Therapieoption des Hirnödems, die bisher nur wenig Beachtung gefunden hat, ist die Beschleunigung der Ödemresolution. Die Ödemflüssigkeit wird über einen als „bulk flow“ bezeichneten Prozess hauptsächlich über die Ventrikel abdrainiert [46, 47]. Die Diffusion des Ödemwassers erfolgt dabei nicht frei, sondern über spezifische Wasserkanäle, den sog. Aquaporinen [48, 49]. Da diese pharmakologisch beeinflussbar sind, sind Aquaporine mögliche Zielmoleküle für eine zukünftige integrierte Ödemtherapie.

4.3.3 Zerebrale Ischämie Zusätzlich zum Hirnödem und zum erhöhten intrakraniellen Druck sind auch Störungen der zerebralen Durchblutung maßgeblich am posttraumatischen Hirnschaden beteiligt. Auch hier sind die zugrunde liegenden Mechanismen komplex und nicht monokausal. Die Durchblutung des Gehirns erfolgt über den an der Schädelbasis lokalisierten Circulus Willisii. Von dort abgehende Arterien verlaufen in dem auf der Hirnoberfläche

60 | 4 Pathophysiologie und Pathobiochemie

gelegenen Subarachnoidalraum und versorgen die daruntergelegene Großhirnrinde über senkrecht in das Hirnparenchym abtauchende Arteriolen. Ein von außen auf das Gehirn einwirkendes Trauma betrifft primär auch diese Gefäße. Kommt es zu einer subarachnoidalen oder subduralen Blutung und zum direkten Kontakt dieser Gefäße mit Blut, können sich diese, wie weiter unten im Detail dargelegt, akut verengen und zu einer ausgeprägten Ischämie des daruntergelegenen Hirngewebes führen [50–52]. Der Mechanismus, der dieser akuten Gefäßverengung zugrunde liegt, ist eine Inaktivierung des endothelialen Vasodilatators Stickstoffmonoxid (NO) durch freies Hämoglobin [53]. Eine Dehnung pialer Gefäße mit Schädigung des Endothels und Freilegung der Basalmembran setzt Faktor XII frei, aktiviert das humorale Gerinnungssystem und führt zur Bildung von Mikrothromben in der zerebralen Mikrozirkulation [54]. In den am stärksten vom Trauma betroffenen Hirnarealen kommt es zu kompletten Gefäßverschlüssen und zu einer schnellen, irreversiblen Schädigung des Gehirns innerhalb von Minuten [55]. In weiter vom Trauma entfernten Hirnarealen, die initial noch vital sind, reduzieren Mikrothromben die zerebrale Mikroperfusion und könnten somit zu weiteren sekundären Schädigungen führen [54]. Ob Mikrothromben allerdings auch an der Reparatur und Abdichtung geschädigter Mikrogefäße beteiligt sind, muss noch geklärt werden. Erst dadurch wird verstanden werden, ob die Bildung von Mikrothromben in der traumatischen Penumbra in Summe einen negativen und dadurch therapeutisch ausnutzbaren oder einen positiven Effekt hat. Außer diesen direkten Folgen des Traumas auf zerebrale Gefäße und auf die zerebrale Mikrozirkulation kann es auch zu einer indirekten Einschränkung der zerebralen Durchblutung durch einen Abfall des zerebralen Perfusionsdrucks kommen [56]. Solche Durchblutungseinschränkungen sind global, d. h., sie betreffen das gesamte Gehirn und führen zu einer generalisierten zytotoxischen Hirnschwellung und zu neuronalen Schäden in selektiv vulnerablen Arealen wie dem Hippocampus. Die besondere Bedeutung der ICP-induzierten Durchblutungserniedrigung besteht allerdings darin, dass sie Gewebe, in dem die Durchblutung durch Störungen der Mikrozirkulation bereits beeinträchtigt ist, weiter schädigen kann. Insofern ist auch die ICPinduzierte Durchblutungserniedrigung eine wichtige Teilkomponente der Vorgänge, die zum sekundären Hirnschaden führen.

4.3.4 Blutungen Eine traumatische extra- oder intradurale Blutung führt über eine intrakranielle Volumenzunahme zu einem Anstieg des intrakraniellen Drucks. Bei ausgedehnten Hämatomen, insbesondere wenn diese epidural und daher meist arteriellen Ursprungs sind, können Anteile des Di- und Mesencephalons durch den Tentoriumsschlitz herniieren (transtentorielle Herniation) und das Leben des Patienten durch Schädigung des Atemzentrums akut bedrohen. Daher muss ein epidurales Hämatom so schnell

4.3 Mechanismen des akuten zerebralen Sekundärschadens | 61

wie möglich evakuiert werden; eine verzögerte Operation kann zu irreversiblen Stauungsblutungen und Mikroinfarkten im Hirnstamm führen und klinisch in einen persistierenden vegetativen Zustand münden. Im Falle einer nicht akut vital bedrohlichen Blutung führt der erhöhte ICP zu einer Verringerung der zerebralen Perfusion, was zu einer sekundären Verstärkung ischämischer Sekundärmechanismen und zu einer Vergrößerung des Hirnschadens führen kann [57]. Zusätzlich zum Volumeneffekt können Blutungen aber auch einen direkten Einfluss auf die zerebrale Durchblutung haben. Dies ist der Fall, wenn Blut, wie bei Subdural- oder Subarachnoidalblutungen, direkt mit den hirnversorgenden Gefäßen in Kontakt kommt. Das im Blut enthaltene Hämoglobin bindet den endogenen Vasodilatator Stickstoffmonoxid (NO) mit hoher Affinität und verhindert damit seine Wirkung. Dadurch kommt es zur Konstriktion hirnversorgender Arterien und Arteriolen [52], zu ausgeprägten kortikalen und subkortikalen Durchblutungsstörungen [58] und zur Auslösung von kortikalen Spontandepolarisationen [50]. Bestehen bereits weitere Störungen der lokalen oder globalen zerebralen Durchblutung (s. Kap. 3.3), können intradurale Blutungen maßgeblich zum sekundären Hirnschaden [51, 59] und zum schlechten Outcome nach SHT beitragen [60].

4.3.5 Kortikale Spontandepolarisationen Kortikale Spontandepolarisationen (cortical spreading depolarisation – CSD) wurden 1944 erstmals beschrieben und sind Depolarisationswellen, die sich mit einer Geschwindigkeit von 3–5 mm/min langsam über den Kortex ausbreiten [61]. Elektrophysiologisch sind CSDs durch eine Abnahme der EEG-Amplitude und eine Negativierung des Direktstrom(DC)-Potenzials charakterisiert. Die Repolarisation der Zellen nach einer CSD benötigt Energie, sodass CSDs über die Kopplung zwischen neuronalem Metabolismus und Hirndurchblutung eine Hyperämie auslösen [62]. Diese Vorgänge sind weder für das gesunde noch für das traumatisierte Gehirn schädlich [63]. Erst, wenn sekundäre Insulte wie Hypoxie oder eine gestörte neurovaskuläre Kopplung hinzukommen, resultieren CSDs in einer relativen Gewebeischämie (spreading ischemia), die zusammen mit bereits vorbestehenden Durchblutungsstörungen anderer Genese zur weiteren sekundären Schädigung des traumatisierten Gehirns führen kann [16]. CSDs sind wiederholt bei SHT-Patienten nachgewiesen worden [64, 65] und die aktuelle Forschung beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit CSDs gehemmt werden können und ob eine solche Hemmung das Outcome nach SHT verbessern kann.

62 | 4 Pathophysiologie und Pathobiochemie

4.3.6 Axonale Degeneration Bei vielen Schädel-Hirn-Trauma-Patienten sind trotz massiver Einschränkungen des Bewusstseins keine fokalen Läsionen nachweisbar, sodass schon früh angenommen wurde, dass sich der zugrunde liegende Schaden auf zellulärer Ebene befinden müsse. Histologische Untersuchungen an verstorbenen Patienten zeigen ausgeprägte Schwellungen und Verbindungsunterbrechungen von Axonen in der weißen Substanz [66, 67]. Daher spricht man heutzutage bei solchen Patienten von einem diffusen Axonschaden (diffuse axonal injury – DAI). Zerreißungen von Axonen führen wie im peripheren Nervensystem zur retrograden Degeneration betroffener Neuronen [68]. Allerdings kommt es ähnlich wie bei Kontusionen und Blutungen auch beim diffusen Axonschaden nicht nur zum primären, sondern auch zur verzögerten/sekundären Degeneration von Axonen. Die von der verzögerten Degeneration betroffenen Axone sind primär nicht zerrissen, sondern nur gedehnt. Durch eine Schädigung der Axonmembran kommt es zum übermäßigen Einstrom von Kalziumionen in das Axon, zur Aktivierung Kalzium-abhängiger Enzyme wie Calpain und Calcineurin und schließlich zum Zerfall des Zytoskeletts. Dies führt zur lokalen Unterbrechung des axonalen Transports, zur Schwellung und schließlich zur sekundären Ruptur des Axons [9]. Diese Vorgänge sind beim Menschen und in verschiedenen Tiermodellen detailliert untersucht worden. Calpain- und Calcineurininhibitoren konnten im Tierversuch erfolgreich den sekundären Axonschaden vermindern. Klinische Studien am Menschen sind bisher allerdings noch nicht durchgeführt worden, sodass unklar bleibt, ob diese Therapieansätze auch eine klinische Relevanz besitzen [69].

4.4 Mechanismen des chronischen zerebralen Sekundärschadens Epidemiologische Untersuchungen zeigen, dass Patienten, die ein Schädel-HirnTrauma erlitten haben, auch Monate und Jahre nach dem initialen Insult zusätzliche neurologische Symptome entwickeln können [70]. Im Englischen hat sich dafür der Begriff „chronic TBI – cTBI“ etabliert, der im Deutschen am besten mit „chronischem Schädel-Hirn-Trauma – cSHT“ übersetzt wird. Im Folgenden soll genauer auf die Formen und Mechanismen des chronischen Schädel-Hirn-Traumas eingegangen werden.

4.4.1 Neurodegeneration Der wohl für alle chronischen Folgen eines Schädel-Hirn-Traumas maßgebliche Mechanismus ist der fortschreitende Untergang von Nervenzellen, der sich in der Bildgebung selbst nach leichten und mittelschweren Schädel-Hirn-Traumen als kortikale und subkortikale Atrophie manifestiert [71]. Die Folgen sind je nach Lokalisation

4.4 Mechanismen des chronischen zerebralen Sekundärschadens | 63

der posttraumatischen Neurodegeneration eine Abnahme der kognitiven Leistung bis hin zur Demenz, eine posttraumatische Epilepsie, eine Hypophyseninsuffizienz oder ein posttraumatischer Parkinsonismus, um nur die Wichtigsten zu nennen [70]. Die genauen Ursachen der chronischen Neurodegeneration sind bisher nicht bekannt; auf Basis epidemiologischer und tierexperimenteller Untersuchungen werden aber verschiedene Mechanismen diskutiert [72]. So könnten beispielsweise Neuronen mit Projektionen in das initial geschädigte Areal erst mit einer Verzögerung von Wochen oder Monaten degenerieren. Eine andere Erklärung könnte sein, dass Patienten mit einer genetischen Prädisposition für Neurodegeneration (z. B. durch Expression des Epsilon-4-Allels von Apolipoprotein E) zu einer vermehrten Ablagerung von β-Amyloid und somit zu einer beschleunigten Bildung von Plaques und der Entwicklung einer Demenz vom Alzheimer Typ führen könnte [73]. Ein weiteres Erklärungsmodell ist die Entwicklung einer chronischen neuroinflammatorischen Antwort, die zu einer fortwährenden Zerstörung von Nervengewebe führt (s. u.). Welche Erklärungsmodelle valide sind und eine therapeutische Relevanz haben, ist bisher nicht bekannt und Inhalt aktueller Forschungsbemühungen [72].

4.4.2 Neuroinflammation Ausgehend von der Primärläsion kommt es innerhalb von Stunden nach einem Schädel-Hirn-Trauma zu einer ausgeprägten sterilen Entzündungsreaktion, die durch Freisetzung von immunogenen Substanzen wie ATP, doppelsträngige DNA oder RNA aus den geschädigten Zellen ausgelöst wird (Abb. 4.4). Diese sog. danger associated molecular patterns (DAMPs) binden an nichtspezifische Mustererkennungsrezeptoren (non-specific pattern recognition receptors – PRRs), z. B. purinerge (P2X4 und P2X7 , P2Y1 ) oder Toll-like-Rezeptoren (TLR-2, -3, -4 und -9), die die Produktion von proinflammatorischen Zytokinen [74] und die Hochregulation von Adhäsionsmolekülen induzieren [75, 76]. Zytokine werden sezerniert und können darum innerhalb von Minuten zu Vasodilatation und Permeabilitätssteigerung der Blut-Hirn-Schranke führen, während Adhäsionsmoleküle erst hochreguliert werden müssen und darum erst nach 3–5 Stunden Leukozyten rekrutieren [77, 78]. Die genaue Bewertung dieser Vorgänge in Bezug auf die akute sekundäre Schädigung, d. h. innerhalb der ersten 48 Stunden nach einem SHT, ist noch nicht vollständig abgeschlossen. Die im Augenblick vorliegende Literatur weist allerdings darauf hin, dass die akute Freisetzung von Zytokinen und die Invasion von Leukozyten in das geschädigte Hirnareal eher als Abräum- und Reparaturreaktion betrachtet werden müssen und sehr wahrscheinlich nicht am akuten zerebralen Sekundärschaden beteiligt sind [79]. Anders verhält es sich wahrscheinlich mit dem chronischen zerebralen Sekundärschaden; sowohl im Tierversuch als auch beim Menschen kommt es nach einem singulären Schädel-Hirn-Trauma zu einer chronischen Aktivierung von Mikroglia, phagozytisch aktiven Zellen, die das zelluläre Immunsystem des Gehirn darstellen. Diese

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Aktivierung erfolgt zunächst in der Umgebung akut geschädigten Gewebes, kann sich aber in einem Zeitraum von bis zu 18 Jahren auf das gesamte Gehirn ausdehnen [80–83]. Ob dieser Vorgang den vergeblichen Versuch der Mikroglia darstellt das massiv geschädigte Gehirn zu reparieren oder ob dadurch eine zusätzliche Schädigung stattfindet ist bisher allerdings nicht geklärt [79].

4.4.3 Posttraumatische Epilepsie Kommt es nach SHT zu einem generalisierten oder fokalen epileptischen Anfall, spricht man von posttraumatischer Epilepsie (PTE). Je nach zeitlicher Latenz zum Trauma teilt man in sofortige (< 24 Stunden), frühe (24 Stunden bis 7 Tage) oder verzögerte (< 7 Tage) PTE ein. Die Häufigkeit von PTE variiert stark in den unterschiedlichen Studien (5 % bis über 50 % aller Patienten); hierbei haben v. a. Soldaten nach kriegsbedingtem SHT, die häufig penetrierende Verletzungsmuster aufweisen, ein langfristig sehr hohes Risiko für PTE [84], man schätzt jedoch, dass die PTE in der zivilen Bevölkerung 10–15 % aller symptomatischen Anfallsleiden und 5 % aller Epilepsien ausmacht [85]. Die Wahrscheinlichkeit, Anfälle zu erleiden, steigt mit zunehmender Verletzungsschwere [86, 87]; hierbei prädisponieren v. a. dislozierte Kalottenfrakturen (Impressionsfrakturen), Duraverletzung, subdurale oder intraparenchymatöse Blutungen (Kontusionen) für die Entwicklung einer späten PTE [87, 88]. Die genauen zellulären/pathophysiologischen Mechanismen, die zur Entstehung epileptogener Foci nach Schädel-Hirn-Trauma führen, sind weitgehend unbekannt; aus verschiedenen Tiermodellen und Untersuchung an humanem Hirngewebe weiß man jedoch, dass die oben beschriebenen inflammatorischen Vorgänge, neuroregenerativen Mechanismen sowie eine Störung bzw. ein Ungleichgewicht inflammatorischer und exzitatorischer Neurotransmitter entscheidend zur Entwicklung posttraumatischer Epilepsie beitragen [89, 90].

4.5 Zusammenfassung Das Schädel-Hirn-Trauma ist eine individuelle und somit sehr heterogene Erkrankung. Sie wird deswegen gern als die komplizierteste Erkrankung im komplexesten Organ bezeichnet („The most complicated disease of the most complex organ“) [91]. Daher ist auch die Pathophysiologie des SHT manchmal unübersichtlich und verwirrend und nur dann verständlich, wenn die einzelnen Mechanismen im Detail betrachtet und miteinander in Beziehung gebracht werden. Grundlegend für das Verständnis der Vorgänge, die nach einem Schädel-HirnTrauma ablaufen, ist die Erkenntnis, dass ausgehend von der primären Schädigung sekundäre Mechanismen angestoßen werden, die den Schaden mit der Zeit vergrößern. Das geschieht sowohl in den ersten Stunden und Tagen nach einem SHT, wäh-

Literatur

Intensität

akute Phase

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chronische Phase

Leukozyteninvasion

Hirnschaden

Bradykinin Microgliaaktivierung Monozyteninvasion

TBI

24 h

6 Monate

12 Monate

Abb. 4.5: Von der primären zur sekundären Schädigung des Gehirns.

rend sich der Patient auf der Intensivstation befindet, als auch in den Monaten und Jahren danach, wenn der Patient das Krankenhaus bereits verlassen hat (Abb. 4.5). Die frühen sekundären Vorgänge nach einem SHT sind verhältnismäßig gut, wenn auch nicht vollständig verstanden und werden maßgeblich davon bestimmt, ob extraund intrakranielle Schädigungsmechanismen vermieden werden können, raumfordernde Blutungen vorliegen und der mikrovaskuläre Schaden mit seinen negativen Folgen (Perfusionsstörungen und Hirnödem) unter Kontrolle gebracht werden kann. Entscheidend ist nun, dass dieses Wissen die Klinik erreicht, dort rational umgesetzt wird und im Lichte der klinischen Wirklichkeit validiert wird. Die Mechanismen, die zu den chronischen Veränderungen nach SHT führen, sind erst kürzlich in den Fokus des Interesses gerückt und unsere Erkenntnisse sind entsprechend begrenzt. Daher sind in diesem Bereich in den nächsten Jahren wichtige Fortschritte zu erwarten, die wahrscheinlich einen großen Einfluss auf die langfristige Erholung der SHT-Patienten haben werden.

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Eckhard Rickels

5 Erstuntersuchung, Erstversorgung und Transport Leitsymptom und somit entscheidender Parameter für alle weiteren Entscheidungen ist die Bewusstseinslage des Schädel-Hirn-Verletzten. Die Differenzierung zwischen „wach“ oder „bewusstlos“ ist gleichzeitig die Unterscheidung zwischen „zu diesem Zeitpunkt der Untersuchung weniger bedrohlich“ und „jetzt akut lebensgefährlich“. Diese Unterscheidung bestimmt maßgeblich die Dynamik des weiteren Ablaufs der Versorgung. Bewusstlosigkeit (Synonym: Koma) ist definiert als Zustand, in dem der Patient weder spontan noch auf Zuruf oder Schmerzreiz die Augen öffnet. Aufforderungen werden nicht befolgt.

5.1 Einteilungen der Schwere des Schädel-Hirn-Traumas Die Einteilung der Schwere einer Schädel-Hirn-Verletzung erfolgt aus obigen Gründen anhand der Bewusstseinslage zum Zeitpunkt der Untersuchung. Diese kann sich jederzeit verbessern (Patient wird wach) oder verschlechtern (z. B. Patient zeigt Einklemmungszeichen). Ein SHT muss deshalb als ein dynamischer Prozess begriffen werden, bei dem sich besonders in der Frühphase die Bewusstseinslage des Verletzten jederzeit und rasch ändern kann. Die engmaschige neurologische Kontrolle des Frischverletzten ist darum unabdingbar.

Zwar gibt es eine Unzahl (z. B. [1–4]) von Einteilungen des SHT, international hat sich aber die Glasgow Coma Scale (GCS) durchgesetzt. Die Einschränkungen der Anwendbarkeit ergeben sich daraus, dass die GCS die eminent wichtige Pupillenweite und die Lichtreaktion nicht abgebildet. Außerdem wird die beste und nicht die schlechteste motorische Antwort gewertet; ein Vergleich der Körperseiten findet nicht statt. In der ursprünglichen Empfehlung durch Teasdale et al. [5] erfolgte die Erhebung der GCS erst nach erfolgreicher hämodynamischer Stabilisierung. Zu beachten ist ferner, dass der GCS-Befund (s. zuvor) lediglich den augenblicklichen Zustand des Verletzten beschreibt und eine Einschätzung der klinischen Entwicklung und Verletzungsschwere lediglich durch wiederholte Untersuchungen möglich ist. Die Schwere der eigentlichen Bewusstlosigkeit bildet die GCS nicht ab. Dies gelingt wesentlich besser mit der Komaeinteilung der World Federation of Neurological Societies (Tab. 5.1) [6], die sich jedoch im klinischen Alltag nicht durchgesetzt hat. Auch der 2005 vorgestellte FOUR-Score beschreibt die Komatiefe besser [7].

https://doi.org/10.1515/9783110366853-007

72 | 5 Erstuntersuchung, Erstversorgung und Transport

Tab. 5.1: Komaskala der WFNS [6]. Komatiefe

Klinischer Befund

Koma I Koma II Koma III Koma IV

Patient auf Schmerz nicht weckbar; keine fokalen neurologischen Ausfälle Patient auf Schmerz nicht weckbar; Pupillenstörungen und/oder Paresen Patient auf Schmerz nicht weckbar; Beuge- oder Strecksynergismen Komatöser Patient mit schlaffer Areflexie der Extremitäten; keine Schmerzabwehr; Pupillen beidseits weit, reaktionslos; Eigenatmung erhalten

Alte Einteilungen der Verletzungsschwere haben ebenfalls Grenzen der Anwendbarkeit. Die in der Unfallchirurgie übliche Einteilung nach Frowein [8] in SHT Grad I, II oder III orientiert sich an der Dauer der Bewusstlosigkeit, die jedoch zu Beginn der Behandlung nicht vorhersehbar ist. Damit ist diese Einteilung im Rahmen der Erstversorgung nicht hilfreich. Dies gilt auch für die alte Einteilung in Commotio cerebri (kein morphologischer Schaden), Contusio cerebri (lokale Schäden, Kontusionen) und Compressio (druckbedingte Schäden), die sich an der klinischen Entwicklung und den morphologischen Veränderungen des Gehirns orientiert und somit in der Notfallbehandlung nicht vollziehbar ist.

1.

2.

Grundlegend für die Versorgung des Schädel-Hirn-Verletzten sind zwei Fakten: Entsprechend der Monro-Kellie-Doktrin wird die Zunahme eines Kompartiments im knöchernen Schädel zu einem Druckanstieg auf der exponentiellen Hirndruckkurve führen. Erst die Bildgebung wird klären, ob die augenblickliche klinische Symptomatik des Patienten druckbedingt ist, der Patient sich also gerade in einer Phase des lebensbedrohlichen ICP-Anstiegs befindet, oder die gesamte Symptomatik nicht hirndruckbedingt, sondern z. B. Ausdruck einer direkten, primären Schädigung ist. Da das Gehirn keine Energiespeicher hat, ist die gesamte Hirnfunktion, aber auch die Überlebensfähigkeit jedes Hirnareals abhängig von der effektiven Versorgung mit Sauerstoff und Glukose. Jede neurologische Funktion setzt somit einen suffizienten Blutdruck und eine suffiziente Oxygenierung voraus. Die Sicherstellung dieser vitalen Parameter ist für die Funktionsfähigkeit des Gehirns unabdingbar. Bekannt ist auch, dass ein Unterschreiten der Sauerstoffsättigung unter 90 % bzw. des systolischen Blutdrucks unter 90 mmHg direkt mit einem schlechten neurologischen Outcome verbunden ist [9, 10].

5.2 Versorgung am Unfallort Klinische Untersuchung des Patienten und Stabilisierung der Vitalfunktionen müssen Hand in Hand gehen. Prinzipiell unterscheidet sich aber die klinische Untersuchung

5.2 Versorgung am Unfallort

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73

des Patienten mit SHT jedweden Schweregrades nicht von dem Untersuchungsablauf bei anderen Krankheitsbildern und wird nachstehend entsprechend widergegeben.

5.2.1 Stabilisierung der Vitalfunktionen Extrakranielle Komplikationen sind wesentliche Ursachen sekundärer Hirnschäden und potenziell vermeidbar. Längere Phasen der Hypotonie und Hypoxämie spielen hierbei eine führende Rolle. Aber auch Faktoren wie aspirationsbedingte Bronchopneumonien und Blutgerinnungsstörungen als Folgen eines hämorrhagischen Schocks gelten als Prädiktoren eines schlechten Outcomes nach schwerem SHT [10]. Diesen Faktoren ist auch bei der Erstversorgung besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

5.2.1.1 Atmung Nach einem Schädel-Hirn-Trauma kann es jederzeit zu Atemstörungen kommen. Störungen der kaudalen Hirnnerven können zu Schluckstörungen und damit zur Aspiration von Erbrochenem oder Blut aus dem Nasen-Rachenraum führen. Die Indikation zur Intubation orientiert sich ebenfalls an der Tiefe der Bewusstseinsstörung. Die deutschen Leitlinien [11] fordern eine Intubation des komatösen Patienten. Dies entspricht ungefähr einem GCS-Score von < 9 Punkten. Diese eher großzügige Indikationsstellung zur Intubation steht im Widerspruch zu Regelungen in anderen Ländern. Hier ist zu beachten, dass in den meisten Ländern die Erstversorgung vor Ort nicht durch Ärzte erfolgt. Dort ist die Intubation eine Maßnahme, die nur im äußersten Notfall vorgenommen und nur bei extrem schweren SHT angewandt wird. In der Folge ist in den analysierenden Arbeiten anderer Länder das klinische Ergebnis der intubierten Patientengruppe nach SHT meist schlecht, sodass von der Intubation abgeraten wird. In Deutschland hatte sich aber in den 1960er-Jahren gezeigt, dass die Sicherstellung der Atemwege eine signifikante Verbesserung der Ergebnisse in der Klinik zeigte. Diese Erkenntnis wurde auch auf die Präklinik extrapoliert. Erste Arbeiten jetzt auch im internationalen Raum zeigen, dass sich dieser Vorteil auch dort abbilden lässt [12]. Die Indikation zur Intubation muss auch im Zusammenhang mit dem Transportziel, dem Rettungsmittel (Schwierigkeit der Intubation im Hubschrauber) und der erwarteten Transportzeit gestellt werden. Dabei ist zu beachten, dass die am Unfallort nicht diagnostizierbare akute intrakraniellen Raumforderung jederzeit zur Atemdepression führen kann. Der Nachteil der Intubation und der erforderlichen Analgosedierung liegt in der aufgehobenen neurologischen Beurteilbarkeit. Bei isolierten SHT mit stabilem Blutdruck kann eine Oberkörperhochlage zur Verbesserung des venösen Abflusses aus dem Schädel erfolgen.

74 | 5 Erstuntersuchung, Erstversorgung und Transport

5.2.1.2 Kreislauf Prinzipiell ist im Rahmen der Erstversorgung neben einer Normokapnie und Normooxie eine Normotonie anzustreben. Das Anstreben eines Blutdrucks von systolisch über 100 mmHg gilt auch für das Polytrauma mit SHT (s. Kap. 6). Eine Hypertonie sollte nur bei exzessiv hohen Werten behandelt werden, weil ein hoher Blutdruck bei einem Patienten mit schwerem SHT und insbesondere bei einem Patienten mit einer raumfordernden Blutung ein Erfordernis-Hochdruck sein kann, also der Versuch des Körpers, den zunehmenden intrakraniellen Perfusionswiderstand mittels Blutdruckerhöhung zu kompensieren. Eine übermäßige Blutdrucksenkung würde dann zu einem Zusammenbrechen der Hirndurchblutung führen. Eine Schocksymptomatik ist – abgesehen von Säuglingen und Kleinkindern – nie Folge einer intrakraniellen Blutung und muss immer an eine extrakranielle Blutungsursache denken lassen!

5.2.2 Erhebung der Vorgeschichte Die Erhebung von Eigen- oder Fremdanamnese vermittelt eine Vorstellung über den Unfallmechanismus (z. B. Hochrasanztrauma oder Bagatelltrauma, das die neurologische Symptomatik nicht erklärt), Vorerkrankungen (u. a. Lähmungen, Glasauge) oder auch Vormedikation (Gerinnungshemmer!). Wichtig sind auch Angaben über den Unfallmechanismus wie Fahrzeugschäden oder Absturzhöhe. Die Energie eines Hochrasanztraumas macht eine intrakranielle Verletzung wahrscheinlicher. Bei der Erhebung der Vorgeschichte sind auch Fälle zu bedenken, bei denen das Trauma durch eine Bewusstseinsstörung aus innerer Ursache verursacht wurde, z. B. Hypoglykämie, Herzrhythmusstörungen, Herzinfarkt oder Subarachnoidalblutung, Hirninfarkt etc.

5.2.3 Erhebung des Lokalbefundes Orientierend wird der Kopf auf äußere Verletzungszeichen wie Blutungen, Skalpierungen, Liquorfluss (Nase, Ohr) oder Fremdkörper untersucht. Man achte insbesondere auf retroaurikuläre und orbitale Blutungen, die stark verdächtig auf eine frontooder otobasale Fraktur sind. Offene Wunden werden nicht sondiert, sondern nur abgedeckt. Große Blutungen aus dem Skalp werden durch Kompression oder tangentiales Fassen der Wundränder mit einer Klemme zum Stehen gebracht, weil sie unversorgt Ursache erheblicher Blutverluste (besonders bei längeren Transporten) sein können. Heftige Blutungen aus dem Nasen-Rachenbereich werden soweit möglich tamponiert. Perforierende Gegenstände sind in situ zu belassen.

5.2 Versorgung am Unfallort

|

75

5.2.4 Neurologische Untersuchung Die neurologische Untersuchung orientiert sich zwar am allgemeinen neurologischen Untersuchungsgang, wird in der Notfallsituation aber entsprechend verkürzt durchgeführt. Beurteilt werden Bewusstseinslage, Pupillenverhalten und periphere Motorik. Beim Kontakt mit dem Patienten zeigt schon die erste Reaktion auf Ansprache, Berührung oder Schmerzreiz, ob der Patient normal wach ist oder komatös oder bewusstseinsgetrübt. Diese Feststellung entscheidet über den weiteren Ablauf. Beim wachen Patienten werden eine kurze Befragung und eine orientierende Untersuchung neurologische Defizite aufzeigen. Es sollte schriftlich fixiert werden, ob der Patienten zu diesem Zeitpunkt (Uhrzeit aufschreiben!) wach oder bewusstseinsgetrübt ist. Ebenso sollten Weite und Reagibilität der Pupillen sowie die motorische Funktion im Seitenvergleich an Armen und Beinen schriftlich festgehalten werden. Diese orientierende neurologische Untersuchung soll kurzfristig wiederholt und mit einer Zeitangabe dokumentiert werden, denn nur so kann der Weiterbehandelnde eine Veränderung erkennen. Bei einem komatösen und bei einem bewusstseinsgetrübten Patienten wird während der Sicherstellung von Atmung und Blutdruck die Pupillenweite geprüft. Eine einseitig weite Pupille oder beidseits weite Pupillen und die Reagibilität der Pupillen auf Licht geben Informationen über die Bedrohlichkeit der Situation. Werden beim komatösen Patienten Schmerzreize ausgelöst und diese nur einseitig mit Abwehrreaktionen beantwortet, so muss bis zum Beweis des Gegenteils von einer Läsion der kontralateralen Seite durch eine akute Blutung ausgegangen werden. Zeigt der Patient nur Abwehrreaktionen beider Arme, ist dies bis zum Beweis des Gegenteils auf eine Querschnittsläsion, also eine Wirbelsäulenverletzung mit Rückenmarkbeteiligung, verdächtig. Auch beim komatösen Patienten muss die neurologische Untersuchung kurzfristig wiederholt werden, um eine Verschlechterung zu erkennen. Bei jedem Bewusstlosen mit Schädel-Hirn-Trauma ist außerdem von einer Verletzung der Halswirbelsäule auszugehen. Deshalb erfolgt zwingend die Immobilisation der HWS (z. B. stiff neck).

5.2.5 Medikamentöse Behandlung Es gibt derzeit keine spezifische hirnprotektive Therapie. Die früher oft durchgeführte Gabe von Glukokortikoiden ist obsolet [11, 13]. Kommt es während des Transports in die Klinik zu Einklemmungszeichen (weite Pupillen, fehlende Lichtreaktion derselben, vegetative Symptome [Blutdruckkrisen, Rhythmusstörungen]), kann durch Hyperventilation und Gabe hyperosmolarer Lösungen (NaCl 10 % oder Mannitol 20 %) Zeit gewonnen werden.

76 | 5 Erstuntersuchung, Erstversorgung und Transport

Abb. 5.1: Ausschnitt aus dem DIVI-Notarztprotokoll Version 5.1.

5.2.6 Dokumentation Die Dokumentation mithilfe des DIVI-Notarztprotokolls (Abb. 5.1) berücksichtigt alle wesentlichen Punkte. Hier finden sich neben der GCS ein Feld für Pupillenweite und Lichtreaktion sowie ein Viererfeld zur Markierung einer Minderbewegung der Extremitäten im Seitenvergleich.

5.2.7 Transport und Krankenhauseinweisung Indikationen für eine Krankenhauseinlieferung sind: – jede Form von Bewusstseinstrübung, – Vorhandensein einer Amnesie, – Auffälligkeiten in der neurologischen Untersuchung, – Krampfanfall im Verlauf, – klinischer Verdacht auf eine Schädelfraktur, – vermutete Liquorfistel/offenes SHT/perforierende Verletzung, – bekannte Gerinnungsstörung (Antikoagulanzientherapie).

5.3 Versorgung in der Notaufnahme | 77

Anhand der Einschätzung der Bedrohlichkeit muss entschieden werden, in welchem Krankenhaus die weitere Versorgung stattfindet. Diese taktische Entscheidung orientiert sich zum einen an dem vermuteten Verletzungsmuster, zum anderen aber auch an lokalen Gegebenheiten, dem zur Verfügung stehenden Transportmittel und der Zeitspanne bis zum Erreichen des Krankenhauses. Bei einem wachen Patienten kann der Transport in das nächstgelegene Krankenhaus, das eine schnelle CT-Untersuchung (regionales Traumazentrum) ermöglicht, erfolgen. Ist der Patient hämodynamisch instabil mit einer offensichtlich größeren extrakraniellen Blutung, wird das nächstgelegene Krankenhaus angefahren, um diese Blutung zu stillen. Unterschieden werden muss hier jedoch von Patienten, die hämodynamisch instabil sind, weil die zentrale Regulation zusammengebrochen ist bzw. sich der Patient im spinalen Schock befindet (hier aber üblicherweise Kombination von Hypotonie und Bradykardie!). Hämodynamisch zu stabilisierende Verletzte mit Bewusstseinstrübung oder Koma und Patienten mit einem offenen SHT sollten in einer Klinik aufgenommen werden, die jederzeit eine schnelle neurochirurgische Versorgung (überregionales Traumazentrum) ermöglicht.

5.3 Versorgung in der Notaufnahme Es ist sinnvoll, dass bei einem angekündigten Schädel-Hirn-Trauma auch der Neurochirurg beim Eintreffen des Patienten im Schockraum anwesend ist. Dies ermöglicht bei der Übergabe des Patienten durch den Notarzt, Informationen aus erster Hand über den Unfallmechanismus und den Bewusstseinszustand am Unfallort sowie über neurologische Veränderungen zu erhalten. Es ist auch hilfreich, den neurologischen Status bei Patienten zu sehen, die nicht intubiert in die Notfallaufnahme kommen, aber aufgrund des klinischen Zustands intubiert werden müssen und danach nicht mehr neurologisch beurteilbar sind. In der Notaufnahme wird durch Ansprache, Anfassen und ggf. Setzen eines Schmerzreizes unterschieden, ob der Verunfallte wach, komatös oder bewusstseinsgestört ist. Aus dieser Unterscheidung ergibt sich die Dringlichkeit der weiteren Versorgung. Je tiefer die Bewusstlosigkeit, umso höher die Wahrscheinlichkeit einer akuten intrakraniellen Traumafolge [14]. Die Aufnahme eines komatösen Patienten in der Notaufnahme wird mit Unterstützung des Notaufnahmeteams erfolgen. Dementsprechend wird die Erstversorgung eines Verletzten nach den Regeln des ATLS® durchgeführt. Auch in der Notfallaufnahme gelten die zuvor besprochenen Richtwerte für Blutdruck und Oxygenierung. Parallel zur Stabilisierung der Vitalfunktionen erfolgt die neurologische Untersuchung. Die Untersuchung sollte systematisch erfolgen: Zuerst der Blick in die Augen mit der Frage der Pupillenweite und Lichtreaktion. Es folgen die orientierenden Un-

78 | 5 Erstuntersuchung, Erstversorgung und Transport

tersuchungen auf Schmerzreize. Wird seitengleich reagiert oder gibt es Hinweise auf eine Seitendifferenz oder eine Querschnittslähmung? Mit dieser in wenigen Sekunden durchgeführten Untersuchung lassen sich verlaufsentscheidende Befunde erheben: – Bewusstseinszustand: Wach, komatös, bewusstseinsgetrübt? Oder analgosediert und beatmet? – Weite Pupillen als Zeichen der Einklemmung mit akuter Lebensbedrohung oder einseitige Pupillenerweiterung als Zeichen der akuten Raumforderung (in der Regel auf der Seite der erweiterten Pupille), beide mit sofortigem Handlungsbedarf (cCT). – Minderreaktion einer Körperhälfte auf Schmerzreiz als Ausdruck einer supratentoriellen Raumforderung mit kontralateraler Schädigung des Gehirns bzw. Abwehrbewegungen der Arme ohne Beinreaktion bei Verdacht auf eine Querschnittssymptomatik. Eine eingehendere neurologische Untersuchung ist zunächst nicht erforderlich und verzögert nur die nachfolgende bildgebende Diagnostik. Bei Inspektion des Kopfes wird nach äußeren Verletzungszeichen gesucht. Größere Skalpierungen können durch die Haare verdeckt sein, aber zu erheblichen Blutverlusten führen. Sind Knochendefekte tast- oder sichtbar? Blutet es aus Nase oder Ohren oder im Rachenbereich (heftige Blutungen bei Verletzungen großer Gefäße an der Schädelbasis)? Oder findet sich Liquor in Nase oder Ohren oder aus Hautverletzungen oder gar ein Austritt von Gehirn? Verletzungen im Mund- oder Schädelbasisbereich können zu heftigen Blutungen führen, die nach Sicherstellung der Atemwege nur durch Tamponade (z. B. Bellocq-Tamponade) zu stillen sind. Diese erste Untersuchung gibt eine Einschätzung der Bedrohlichkeit. Sie entscheidet damit auch über die Dringlichkeit der weiteren radiologischen Diagnostik.

– – – – – – – – – – –

Zwingende Indikation für ein CT [12] sind: Koma, Amnesie und andere neurologische Störungen, mehrfaches Erbrechen, Krampfanfall, Zeichen einer Schädelfraktur oder Impressionsfraktur, Verdacht auf Liquorfistel, Hinweis auf Gerinnungsstörung, Fakultative Indikation: unklare Angaben zur Unfallanamnese, starke Kopfschmerzen, Intoxikation mit Alkohol oder Drogen, Hinweise auf ein Hochenergietrauma.

5.3 Versorgung in der Notaufnahme | 79

Es gilt auch für den SHT-Patienten entsprechend den ATLS® -Guidelines: „Treat first what kills first“. Wenn der Patient hämodynamisch stabil und suffizient oxygeniert ist, muss als Ursache für weite Pupillen von einer Hirnverletzung ausgegangen werden, bei der jetzt entschieden werden muss, ob die Ursache chirurgisch behebbar ist. Dies erfordert ein sofortiges CT. Sind die Pupillen eng, und besteht die bedrohliche Gefährdung z. B. in einem Pneumothorax, so erfolgt eine Computertomographie nach Stabilisierung. Auch beim als „isoliertes SHT“ angekündigten Bewusstlosen erfolgt die Computertomographie als Trauma-Spiral-CT, um Begleitverletzungen nicht zu übersehen. Die Computertomographie des Schädels gibt Auskunft über das Ausmaß der intrakraniellen Verletzung. Anhand des klinischen Befundes und der Computertomographie muss bestimmt werden, ob eine neurochirurgische Versorgung notwendig ist. Ferner muss anhand der CT-Aufnahmen entschieden werden, ob weitere bildgebende Zusatzuntersuchungen jetzt notwendig sind (z. B. CT-Angio bei knöchernen Verletzungen im Verlauf des Carotiskanals oder Hinweise auf Dissektionen der hirnversorgenden Gefäße). Ferner müssen befundabhängig Vertreter anderer Fachdisziplinen (MKG, HNO, Ophthalmologie) zur Weiterbehandlung hinzugezogen werden. Verschlechtert sich der neurologische Zustand und kommt es während der Schockraumphase zu Einklemmungszeichen (weite Pupillen, fehlende Lichtreaktion, vegetative Symptome wie Blutdruckkrisen und Rhythmusstörungen), kann durch die Hyperventilation und die Gabe von hyperosmolaren Lösungen (NaCl 10 % oder Mannitol 20 %) Zeit gewonnen werden. Die beim Trauma-Scan durchgeführte Diagnostik der Halswirbelsäule entscheidet auch, ob die Immobilisation der Halswirbelsäule aufgehoben werden kann, was z. B. die Lagerung im Falle einer Operation beeinflusst. In Absprache mit anderen Disziplinen muss anhand der morphologischen Befunde eine Prioritätenliste der operativen Versorgung festgelegt werden. Die Notwendigkeit, eine Kraniotomie durchzuführen, schließt die gleichzeitige Versorgung einer Blutung des Körperstamms oder der Extremitäten nicht aus. Ist zum jetzigen Zeitpunkt keine Operation notwendig, erfolgt eine Anweisung an die weiterversorgenden Stationen zur Häufigkeit der neurologischen Kontrolle, zu Vorgaben für Blutdruck und Gerinnungsfaktoren etc. Zeigt die Computertomographie zum Aufnahmezeitpunkt Einblutungen in das Gehirn, und es wurde entschieden, dass hier zum jetzigen Zeitpunkt keine operative Maßnahme notwendig ist, so sollte bei der Verlegung aus der Notaufnahme auf die Intensivstation schon festgelegt werden, wann eine computertomographische Kontrolluntersuchung stattfinden wird (üblicherweise nach 6–8 Stunden). Prinzipiell ist in der Notfallaufnahme eine verlässliche Prognosestellung nach einem SHT auch für den erfahrenen Arzt nahezu unmöglich. Eine Diskussion über einen Therapieabbruch sollte zu diesem Zeitpunkt deshalb vermieden werden.

Summe

6 5 4 3 2 1

5 4 3 2 1

4 3 2 1

Uhrzeit

links

rechts

Abb. 5.2: Standardisierter Überwachungsbogen (Normalstation, Intermediate Care) für Patienten mit SHT. Pupillengröße-Vergleich gleich: =; größer / kleiner: > / 3. Zusätzlich muss eines der nachfolgenden fünf Kriterien erfüllt sein [12]: 1. Hypovolämie (systolischer Blutdruck < 90 mmHg), 2. Vigilanzminderung (Glasgow Coma Scale [GCS] ≤ 8), 3. Azidose (Base Excess) ≤ –6, 4. Koagulopathie (International Normalized Ratio [INR] > 1,4, partielle Thromboplastinzeit [PTT] > 40 Sekunden), 5. Alter > 70 Jahre.

6.4 Scores Ein Ziel eines Scores besteht darin, eine Vergleichbarkeit innerhalb eines Traumazentrums oder im Vergleich zu anderen nationalen oder internationalen Traumazentren zu ermöglichen, um die Qualität in der Versorgung zu steigern. Eine weitere Aufgabe besteht in der Entwicklung prognostischer Parameter zumeist im Sinne von Überleben, Versterben und Häufigkeit von Multiorganversagen. Darüber hinaus sollte ein Score auch eine Hilfestellung für eine Kostenanalyse ermöglichen.

6.4 Scores

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Die beiden wichtigsten Aspekte in der Bewertung eines Scores sind Reliabilität und Validität. Bei der Reliabilität eines Scores steht die Frage im Vordergrund, ob der Score das, was er misst, genau, objektiv und reproduzierbar misst. Die Validität oder Gültigkeit beschreibt hingegen die inhaltliche Seite: Misst ein Score wirklich das, was er zu messen vorgibt? Ein Score zur Schweregradklassifikation von Verletzungen sollte Patienten, die aus klinischer Sicht tatsächlich schwerverletzt sind, deutlich höhere Punktwerte zuweisen als weniger schwerverletzten Patienten [13]. Zur Validität, insbesondere bei prognostischen Scores, gehört aber auch, ob deren Prognose tatsächlich valide, also gültig ist. Hierzu werden die folgenden drei Eigenschaften untersucht: 1. Diskriminierung, 2. Präzision, 3. Kalibrierung. Zur Prüfung der Diskriminierung wird untersucht, wie stark sich die Score-Werte von den überlebenden und verstorbenen Patienten unterscheiden. Unter Präzision versteht man die Fähigkeit eines Scores, in Gruppen von Patienten möglichst genau die beobachtete Überlebens- oder Letalitätsrate vorherzusagen. Die Kalibrierung schließlich untersucht, ob die Prognosen gleichmäßig gut für leicht wie für schwerverletzte Patienten gelten [13]. Eingeteilt werden können die Scores in anatomische, physiologische und in Kombinationsscores. Hierbei sind die nachfolgend aufgeführten Scores für die Versorgung von Mehrfachverletzten von besonderer Bedeutung.

6.4.1 Anatomische Scores 6.4.1.1 Abbreviated Injury Scale (AIS) Die AIS [14] dient der Beschreibung der Einzelverletzungen und somit konsekutiv des Verletzungsmusters. Grundsätzlich wird bei Anwendung der AIS die Verletzungsschwere jeder einzelnen Körperregion in den Zahlenwerten bzw. AIS-Codes 1–6 dargestellt. Nach Zuordnung der Einzelverletzungen liegt statistisch betrachtet eine ordinal skalierte Rangfolge vor: Eine Verletzung mit der Ausprägung 1 führt hierbei sicher nicht zum Versterben, während eine Verletzung mit der Ausprägung 6 nicht mit einem Überleben vereinbar ist. Als einzeln zu bewertende Körperregionen sind Kopf, Gesicht, Thorax, Abdomen, Extremitäten und Extern (Weichteilverletzungen, thermische Schädigungen) benannt. Die AIS-Region „Kopf“ beschreibt hierbei anatomische Verletzungen des Gehirnschädels, während die AIS-Region „Gesicht“ entsprechend den Gesichtsschädel berücksichtigt.

86 | 6 Schädel-Hirn-Trauma und Polytrauma

6.4.1.2 Injury Severity Score (ISS) Trotz verschiedenartiger Schwächen ist der ISS seit seiner Erstbeschreibung durch S. Baker [15] der am häufigsten angewandte Score. Er setzt sich aus der Summe der Quadrate der drei am schwersten betroffenen Körperregionen zusammen. Die Schwäche dieses Scores besteht in der Unterbewertung des Patienten bei mehr als drei verletzten Körperregionen, bei schweren Schädel-Hirn-Traumen mit mehr als einer Verletzungslokalisation und -morphologie sowie bei multiplen Extremitätenverletzungen [16].

6.4.1.3 New Injury Severity Score (NISS) Um die Schwächen des ISS auszugleichen wurde von Osler et al. 1997 [17] der NISSScore eingeführt, der die drei höchsten AIS-Codes – unabhängig von einer Einzelbewertung der Körperregionen – bewertet. Dadurch können z. B. die drei schwersten Einzelverletzungen auch innerhalb einer Körperregion in die Berechnung einfließen.

6.4.2 Kombinationsscores 6.4.2.1 Polytraumaschlüssel (PTS) Er stellt ein kombiniertes Scoring-System zur Bewertung der Verletzungsschwere dar. Der PTS umfasst neben den schwersten Verletzungen gemäß dem AIS und dem Patientenalter auch das Basendefizit sowie den Horowitz-Koeffizienten (PaO2 /FI O2 ) und die GCS [18–20].

6.4.2.2 Revised Injury Severity Classification (RISC II) Hierbei handelt es sich um einen komplexeren Score, in den die beiden schwersten Verletzungen, GCS, Alter, Geschlecht, ASA-Klassifikation, Unfallmechanismus, Blutdruck, INR, Base Excess, Hb und die Notwendigkeit einer Reanimation eingehen. Die Validierung mit den Daten des Traumaregisters ergab für RISC II eine Area Under the Curve (AUC) von 0,953 im Vergleich zu NISS mit 0,849 [21–23].

6.5 Präklinische Leitlinien [7] Bei polytraumatisierten Patienten sollte bei folgenden Indikationen präklinisch eine endotracheale Intubation und Beatmung durchgeführt werden: – schweres SHT (GCS < 9), – Hypoxie/SpO2 < 90 % trotz Sauerstoffgabe und nach Ausschluss eines Spannungspneumothorax),

6.5 Präklinische Leitlinien |

– –

87

Trauma-assoziierte hämodynamische Instabilität (RRsys < 90 mmHg), schweres Thoraxtrauma mit respiratorischer Insuffizienz (Atemfrequenz > 29) (GoR B).

6.5.1 Empfehlungen für Schädel-Hirn-Trauma Für Verletzte mit Schädel-Hirn-Trauma ist zu beachten: – Beim Erwachsenen sollte eine arterielle Normotension mit einem systolischen Blutdruck nicht < 90 mmHg angestrebt werden (GoR B). – Ein Absinken der arteriellen Sauerstoffsättigung < 90 % sollte vermieden werden (GoR A). – Die wiederholte Erfassung und Dokumentation von Bewusstseinsklarheit, Bewusstseinstrübung oder Bewusstlosigkeit mit Pupillenfunktion und Glasgow Coma Scale soll erfolgen (GoR A). – Auf die Gabe von Glukokortikoiden soll verzichtet werden (GoR 0). – Bei Verdacht auf stark erhöhten intrakraniellen Druck, insbesondere bei Zeichen der transtentoriellen Herniation (Pupillenerweiterung, Streckenergismen, Streckreaktion auf Schmerzreiz, progrediente Bewusstseinseintrübung) können die folgenden Maßnahmen angewendet werden: Hyperventilation, Mannitol, hypertone Kochsalzlösung. – Bei perforierenden Verletzungen sollte der perforierende Gegenstand belassen werden, evtl. muss er abgetrennt werden (GoR B).

6.5.2 Empfehlungen für Wirbelsäulenverletzungen – – –

Bei bewusstlosen Patienten soll bis zum Beweis des Gegenteils von einer begleitenden Wirbelsäulenverletzung ausgegangen werden (GoR A). Die Halswirbelsäule soll vor der eigentlichen technischen Rettung immobilisiert werden (GoR A). Patienten mit neurologischen Ausfällen und vermuteter Wirbelsäulenverletzung sollten mindestens in ein regionales Traumazentrum mit Wirbelsäulenchirurgie transportiert werden (GoR B).

6.5.3 Empfehlungen für Extremitätenverletzungen Grob dislozierte Frakturen und Luxationen sollten, wenn möglich – und insbesondere bei begleitender Ischämie der betroffenen Extremität oder langer Rettungszeit – präklinisch annähernd reponiert werden (GoR B).

88 | 6 Schädel-Hirn-Trauma und Polytrauma

1. 2. 3.

Aktive Blutungen sollten gemäß einem Stufenschema wie folgt behandelt werden: manuelle Kompression/Druckverband, Hochlagerung, Tournique (GoR B).

Indikationen für einen sofortigen Gebrauch des Tournique/der Blutsperre können sein: – lebensgefährliche Blutungen, – multiple Blutungsquellen an einer Extremität, – keine Erreichbarkeit der eigentlichen Verletzung, – mehrere Verletzte mit Blutungen, – schwere Blutung der Extremitäten bei gleichzeitigem kritischen A-, B- oder CProblem, – Unmöglichkeit der Blutstillung durch andere Maßnahmen, – schwere Blutungen an Extremitäten bei Zeitdruck unter Gefahrensituationen. Ein Amputat sollte grob gereinigt und in sterile, feuchte Kompressen gewickelt werden. Es sollte indirekt gekühlt transportiert werden (GoR B).

6.5.4 Empfehlungen für den Transport Insbesondere bei mittlerer bis hoher Verletzungsschwere kann bei primärer Luftrettung ein Überlebensvorteil resultieren (GoR 0). Schwerverletzte Patienten sollten primär in ein Traumazentrum eingeliefert werden (GoR B).

6.6 Schockraumversorgung Die Qualität der Schockraumversorgung hat nach Ansicht von Experten einen wesentlichen Einfluss auf das Outcome des Patienten. Die Versorgung eines Mehrfachverletzten im Schockraum stellt aufgrund der Akutsituation der Ereignisse und der hohen Anzahl von behandelnden Ärzten aus unterschiedlichen Fachdisziplinen eine hohe Anforderung an den Behandlungsprozess. Die Versorgung im Schockraum sollte hierbei durch vorgegebene Abläufe und eine gemeinsame Sprache geprägt sein. Wichtig ist es, dass ein Schockraumalgorithmus für jede Klinik existiert und dass alle potenziell Beteiligten diesen kennen.

6.6 Schockraumversorgung

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6.6.1 Schockraumteam Zur Polytraumaversorgung sollen feste Teams nach vorstrukturierten Plänen arbeiten und/oder ein spezielles Training absolviert haben (GoR A). Das Schockraum-Basisteam soll aus mindestens drei Ärzten (zwei Chirurgen, ein Anästhesist) bestehen, wobei mindestens ein Anästhesist und ein Chirurg Facharztstandard haben sollen. Das Schockraum-Basisteam (Tab. 6.1) sollte bereits vor Eintreffen des Patienten im Schockraum anwesend sein. Hierdurch werden schon zu Beginn der Behandlung Verzögerungen und Informationsdefizite vermieden. Clarke et al. [18] zeigten, dass bei Patienten, die den Schockraum mit intraabdominellen Blutungen im Volumenmangelschock erreichen, die Überlebenswahrscheinlichkeit um 1 % je 3 Minuten Zeitverzögerung bis zur Laparotomie sinkt. Die Zeitabhängigkeit der Prognose bei der Operation intrakranieller Blutungen ist ebenfalls allgemein bekannt und in der Literatur vielfach belegt. Tab. 6.1: Schockraum-Basisteam im regionalen bzw. lokalen Traumazentrum. Basisteam im Schockraum – regionales Traumazentrum (TZ)

Basisteam im Schockraum – lokales Traumazentrum (TZ)

1 Facharzt für Orthopädie/Unfallchirurgie* bzw. Weiterbildungsassistent (Facharztstandard)

1 Facharzt für Orthopädie/Unfallchirurgie oder Viszeralchirurgie oder Allgemeinchirurgie bzw. Weiterbildungsassistent* (Facharztstandard)

1 Weiterbildungsassistent in Orthopädie/Unfallchirurgie oder in Viszeralchirurgie und/oder Allgemeinchirurgie* 1 Facharzt für Anästhesiologie bzw. Weiterbildungsassistent (Facharztstandard)

1 Facharzt für Anästhesiologie bzw. Weiterbildungsassistent (Facharztstandard)

1 Facharzt für Radiologie bzw. Weiterbildungsassistent (Facharztstandard) 2 Pflegekräfte Chirurgie

2 Pflegekräfte Chirurgie

1 Pflegekraft Anästhesiologie

1 Pflegekraft Anästhesiologie

1 medizinisch-technische Radiologiefachkraft (MTRA)

1 medizinisch-technische Radiologiefachkraft (MTRA)

* Die Hälfte der im Schockraum eingesetzten verantwortlichen unfallchirurgischen Ärzte (d. h. 1. Dienst- der Oberarzt) muss eine Fortbildung im Schockraummanagement in mindestens Advanced-Trauma-Life-Support® (ATLS® )-Kurs-Standard nachweisen. Die DGU empfiehlt die Teilnahme am ATLS® -Kurs oder einem ATLS® -äquivalenten Kurs.

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6.6.2 Alarmierung des Schockraumteams Damit das Team rechtzeitig informiert werden kann, wurden Alarmierungskriterien ausgearbeitet. Treffen ein oder mehrere dieser Kriterien zu, wird das Team am günstigsten über einen Sammelruf parallel aktiviert. Bei folgenden Verletzungen soll das Trauma-/Schockraumteam aktiviert werden: – systolischer Blutdruck < 90 mmHg nach Trauma, – Vorliegen von penetrierenden Verletzungen der Rumpf-Hals-Region, – Schussverletzungen der Rumpf-Hals-Region, – GCS < 9 nach Trauma, – Atemstörungen/Intubationspflicht nach Trauma, – Frakturen von mehr als zwei proximalen Knochen, – instabiler Thorax, – Beckenfrakturen, – Amputationsverletzungen proximal der Hände/Füße, – Querschnittsverletzungen, – offene Schädelverletzungen, – Verbrennung > 20 % und Grad ≥ 2b. Bei folgenden zusätzlichen Kriterien sollte das Schockraumteam aktiviert werden: – Sturz aus über 3 m Höhe, – Verkehrsunfall mit Frontalaufprall mit Intrusion > 50–75 km/h oder einer Geschwindigkeitsveränderung von Δ > 30 km/h, – Fußgänger-/Zweiradkollision, – Tod eines Insassen, – Heraussschleudern eines Insassen. Treffen ein oder mehrere dieser Kriterien zu, wird das Team – optimalerweise – über einen Sammelruf parallel aktiviert [25]. Alarmierungskriterien haben aber darüber hinaus auch den Zweck, jene Patienten frühzeitig zu identifizieren, welche einer initialen Diagnostik und Behandlung im Schockraum bedürfen. Dass anhand der Alarmierungskriterien ein Großteil der Patienten letztendlich „falsch“ eingestuft wird (overtriage), ist zu akzeptieren, um die Zahl derer zu minimieren, die trotz ihrer Verletzungsschwere (zunächst) nicht als polytraumatisiert erkannt werden (undertriage). Das American College of Surgeons Committee on Trauma (ACSCOT) [20] gibt die Raten für „undertriage“ mit 5–10 % und für die „overtriage“ mit 30–50 % an. Primäres Ziel sog. Traumakriterien/Schockraumaktivierungskriterien ist es daher, die „Untertriage“ niedrig zu halten und dabei die „Übertriage“ nicht inakzeptabel zu erhöhen.

6.7 Phasen in der Polytraumaversorgung

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6.6.3 Initiale Einschätzung Stumpfe Verletzungen am Körperstamm (Thorax und Abdomen) und Frakturen der langen Röhrenknochen, insbesondere am Femur, haben relevante Auswirkungen auf den klinischen Verlauf eines polytraumatisierten Patienten: Hierbei sind vier Punkte besonders zu beachten: 1. hämorrhagischer Schock, 2. Hypothermie, 3. Koagulopathie, 4. Weichteilverletzungen und Begleitverletzungen. Zu 1.: Der wichtigste Parameter ist der systolische Blutdruck < 90 mmHg sowie die notwendige Katecholamingabe. Wichtig ist, dass insbesondere junge Patienten einen relevanten Blutverlust länger kompensieren und im Verlauf plötzlich kreislaufmäßig einbrechen können. Zu 2.: Die Körpertemperatur unter 33 °C wurde als kritischer Grenzwert beschrieben [27–29]. Zu 3.: Einigen Untersuchungen entsprechend bedeutet ein Thrombozytenabfall < 90.000/μl am ersten posttraumatischen Tag ein erhöhtes Risiko hinsichtlich Multiorganversagen und Mortalität [30–32]. Zu 4.: Schwere Extremitäten- und Weichteilverletzungen oder Quetschungen, schwere Beckenfrakturen, Thorax- und Abdominaltraumen mit einer AIS ≥ 3 können das Immunsystem stimulieren und eine ausgeprägte Entzündungs- und Immunreaktion hervorrufen [33].

6.7 Phasen in der Polytraumaversorgung Es werden vier Phasen des Polytraumas unterschieden. Alle Phasen sind mit typischen Komplikationen und pathophysiologischen Veränderungen assoziiert. 1. Akute Phase (1.–3. Stunde): Wiederbelebung 2. Primäre Phase (1.–48. Stunde): Stabilisierung 3. Sekundäre Phase (2.–10. Tag): Regeneration 4. Tertiäre Phase (Wochen–Monate): Rekonstruktion und Rehabilitation

6.7.1 Akute Phase: Wiederbelebung und Eindämmung der Blutungen In der akuten Phase sollen die lebensbedrohlichen Verletzungen erkannt und behandelt werden. Die Einschätzung des Patienten im Schockraum sollte nach dem ATLS® -Prinzip erfolgen. Die ATLS® -Strategie wurde in den meisten Kliniken in die Versorgung von Polytraumapatienten integriert. Die ABCDE-Regeln ermöglichen eine

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geordnete Evaluation, eine standardisierte Diagnostik und fokussiertes therapeutisches Vorgehen unabhängig von der Verletzungsschwere und Muster. Im Vordergrund stehen die Sicherung der Atemwege, das Atemwegsmanagement und die prioritätenorientierte Behandlung in Bezug auf Entlastung von Pneumo- und Hämatothorax, Blutungsmanagement und Volumentherapie. Darüber hinaus ist die Protektion sekundärer Organschädigungen, z. B. nach Schädel-Hirn-Trauma und Organverletzungen, ebenfalls in das Konzept eingebunden.

Damage Control Resuscitation Die Schlüsselempfehlungen beinhalten, dass bei Patienten, die aktiv bluten, bis zur chirurgischen Blutstillung eine permissive Hypotension (mittlerer arterieller Druck ~65 mmHg, systolischer arterieller Druck ~90 mmHg) angestrebt werden soll. Als Kontraindikation für dieses Konzept gilt das Schädel-Hirn-Trauma. Weitere Schlüsselempfehlungen sind der Ausgleich der Azidose (pH ≤ 7,2), die Vermeidung bzw. Therapie der Hypokalzämie (< 0,9 mmol/l) und Hypothermie (< 34 °C) [28].

6.7.2 Primäre Phase: Stabilisierung und Einstufung des Patienten In dieser Phase erfolgt die Einstufung des Patienten [35–37] nach: – stabiler Patient, – Borderline-Patient, – instabiler Patient, – Patient in extremis. Entscheidend für die Einteilung sind die vier Kategorien: – Schock, – Koagulation, – Temperatur, – Weichteilverletzungen. Stabiler Patient: Kennzeichnend für diese Verletzten ist die Tatsache, dass sie hämodynamisch und respiratorisch stabil sind und auf die initiale Volumentherapie reagieren. Cave: Patienten mit erheblichen Komorbiditäten profitieren von einem Stufenkonzept, ebenso wie Patienten mit begleitenden schweren Kopfverletzungen.

Borderline-Patient: Folgende Grenzwerte liegen vor:

6.7 Phasen in der Polytraumaversorgung



– – – –

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Schock: 80–100 mmHg, Transfusion von 2–8 EK/2 Stunden, Laktatspiegel bis 2,5 mmol/l, Koagulation: Thrombozyten 90.000 bis 110.000/μl, Faktor II und V 70–80 %, Fibrinogen < 1 g/dl, Ca-1-D-Dimere abnormal, Temperatur: 33–35 °C, Lungenfunktion: PaO2 /Fi O2 (= Horovitz-Index) 300–350 mmHg, Extremitäten: AIS II–III, Beckentrauma (Typ B oder Typ C).

In dieser Patientengruppe sollte eine vorsichtige operative Strategie gewählt werden. Bei geringen Anzeichen für eine Verschlechterung sollte eine Damage-ControlStrategie angestrebt werden. Instabiler Patient: Instabile Patienten (im Hinblick auf Hämodynamik, Koagulation, Hypothermie und Schwere der Begleitverletzungen) können sich vom Gesamtzustand her rasch verschlechtern und haben ein hohes Risiko, ein Multiorganversagen zu entwickeln und daran zu versterben. Patient in extremis: Bei diesen Patienten besteht ein unkontrollierter Blutverlust. Diese Patienten müssen sofort auf die Intensivstation zum Monitoring, zur HerzKreislauf-Unterstützung und mechanischen Beatmung. Nicht selten sind chirurgische Eingriffe zur Blutstillung oder neurochirurgischen Intervention notwendig. Frakturen und Weichteilverletzungen sind im Schockraum oder auf der Intensivstation, z. B. mit Fixateur externe, zu versorgen.

6.7.3 Sekundäre Phase: Regeneration In dieser Phase sollten die chirurgischen Eingriffe auf absolut notwendige Interventionen (z. B. Wunddébridement, „Second-look“-Operationen) begrenzt und langandauernde und komplexe Eingriffe vermieden werden. Folgende Parameter erlauben den Übergang in eine sichere definitive Versorgung: – hämodynamische Stabilität und normalisiertes Laktat, – normalisierte Diurese, – normale respiratorische Funktion, – Normothermie, – normale Gerinnung.

6.7.4 Tertiäre Phase: Rekonstruktion und Rehabilitation In dieser Phase werden die noch ausstehenden Verletzungen oder Korrekturen definitiv versorgt. Intensive Rehabilitationsmaßnahmen haben eine hohe Bedeutung mit dem Ziel, den Bewegungsumfang, die Funktionalität, die soziale Wiedereingliederung und die Rückkehr auf den Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

94 | 6 Schädel-Hirn-Trauma und Polytrauma

6.8 Empfehlungen für Diagnostik und Therapie 6.8.1 Thorax (inkl. Sofortmaßnahmen und Notoperation) GoR [7] – – –



– – – – –



Hochrasanztraumen und Verkehrsunfälle mit Lateralaufprall sollten als Hinweise auf Thoraxtrauma/Aortenruptur gedeutet werden (GoR B). Wenn ein Thoraxtrauma klinisch nicht ausgeschlossen werden kann, soll eine radiologische Diagnostik im Schockraum erfolgen (GoR A). Eine Spiral-CT des Thorax mit Kontrastmittel sollte bei jedem Patienten mit klinischen bzw. anamnestischen Hinweisen auf ein schweres Thoraxtrauma durchgeführt werden (GoR B). Eine initiale Ultraschalluntersuchung des Thorax sollte bei jedem Patienten mit klinischen Zeichen eines Thoraxtraumas (im Rahmen der Ultraschalluntersuchung des Körperstamms) durchgeführt werden, es sei denn, ein initiales Thorax-Spiral-CT mit Kontrastmittel wurde durchgeführt (GoR B). Ein klinisch relevanter oder progredienter Pneumothorax soll initial beim beatmeten Patienten entlastet werden (GoR A). Beim nichtbeatmeten Patienten sollte ein progredienter Pneumothorax entlastet werden (GoR B). Hierfür soll eine Thoraxdrainage eingelegt werden (GoR A). Großlumige Thoraxdrainagen sollten bevorzugt werden (GoR B). Eine Perikardentlastung sollte bei nachgewiesener Herzbeuteltamponade und sich akut verschlechternden Vitalparametern durchgeführt werden (GoR B). Es wird aber auch klargestellt, dass die dafür vorliegende Evidenz begrenzt und der dahinterstehende Empfehlungsgrad gering ist (GoR 0). Eine Thorakotomie kann bei einem initialen Blutverlust von > 1.500 ml aus der Thoraxdrainage oder bei einem fortwährenden Blutverlust von > 250 ml/h über mehr als 4 Stunden erfolgen (GoR 0).

Thorakotomie bei relevanten thorakalen Blutungen oder kardialen Verletzungen Die Thorakotomie erfolgt anterolateral im 5. Interkostalraum (ICR) und kann bis auf die Gegenseite erweitert werden (sog. clamshell) und/oder mit einer Sternotomie kombiniert werden. Über diesen Zugang lässt sich die Aorta erreichen und abklemmen, um lebensbedrohliche thorakale Blutungen zu versorgen

6.8.2 Abdomen (inkl. Sofortmaßnahmen und Notoperation) [7] –

Das Abdomen soll untersucht werden, obwohl ein unauffälliger Befund eine relevante intraabdominelle Verletzung selbst beim wachen Patienten nicht ausschließt (GoR A).

6.8 Empfehlungen für Diagnostik und Therapie | 95







– –





Eine initiale abdominelle Sonographie zum Screening freier Flüssigkeit, „Focused Assessment with Sonography for Trauma“ (FAST) sollte durchgeführt werden (GoR B). Sonographische Wiederholungsuntersuchungen sollten im zeitlichen Verlauf erfolgen, wenn eine computertomographische Untersuchung nicht zeitnah durchgeführt werden kann (GoR B). Sofern die Computertomographie nicht durchführbar ist, kann eine gezielte sonographische Suche nach Parenchymverletzungen ergänzend zu FAST eine Alternative darstellen (GoR 0). Die diagnostische Peritoneallavage (DPL) soll nur noch in Ausnahmefällen eingesetzt werden (GoR A). Bei hämodynamisch instabilen Patienten mit freier abdomineller Flüssigkeit sollte unverzüglich eine Notfalllaparotomie durchgeführt werden, um die Blutung zu stoppen. Hämodynamisch stabile Patienten mit einer abdominellen Verletzung können nach CT-Diagnostik und Ausschluss einer Hohlorganverletzung häufig konservativ behandelt werden. Wichtig ist hier das proaktive Gerinnungsmanagement und die kontinuierliche Reevaluation des Patienten. Die Mehrschicht-Spiral-CT (MSCT) hat eine hohe Sensitivität und die höchste Spezifität im Erkennen intraabomineller Verletzungen und soll deshalb nach Abdominaltrauma durchgeführt werden (GoR A). Bei hämodynamisch aufgrund einer intraabdominellen Läsion (freie Flüssigkeit) nichtstabilisierbaren Patienten sollte unverzüglich eine Notfalllaparotomie eingeleitet werden. Die Möglichkeit eines Schocks nichtabdomineller Ursache sollte hierbei berücksichtigt werden (GoR B).

Mediane Laparotomie zur Inspektion des gesamten Abdomens Blutungen können durch Crush-Splenektomie, 4-Quadranten-Packing oder auch intestinale Segmentresektionen beherrscht werden. Es werden keine Anastomosierungen durchgeführt, Dünndarmsegmente ggf. nur mit dem Stapler abgesetzt und im Rahmen des „second look“ definitiv versorgt. Die Splenektomie hat in der Traumasituation bei Schwerstverletzten ihren festen Platz. Lediglich bei ausschließlichen Milzverletzungen und kleinen Einrissen kann ggf. ein Erhaltungsversuch unternommen werden. Ausgeprägte hepatische Blutungen können oft mittels Pringle-Manöver kontrolliert werden; nichtkontrollierbare Lebervenenverletzungen sollten gepackt werden. Resektionen der Leber verbieten sich – bis auf wenige Ausnahmen – in der Traumasituation [34].

96 | 6 Schädel-Hirn-Trauma und Polytrauma

6.9 Beckenverletzungen Beckenverletzungen können lebensbedrohlich bluten und im Rahmen des Primärchecks bereits bei der Abklärung eines C-Problems (Schock, Hypotonie) erkannt werden. Im Rahmen des Sekundärchecks sollen eine klinische Stabilitätsprüfung und eine radiologische Abklärung erfolgen. Die Röntgenaufnahme des Beckens reicht aus, um relevante knöcherne Beckenverletzungen zu erkennen. Je nach Schockraumprotokoll kann auf die Röntgenübersichtsaufnahme des Beckens verzichtet werden, wenn das Becken im Rahmen einer CT-Diagnostik untersucht wird. Bei einem instabilen Beckenring sollte eine mechanische Stabilisierung erfolgen. Dabei sind Beckengurt, Beckenzwinge oder Fixateur externe alternative Verfahren. Daten, die die Überlegenheit eines dieser Verfahren nachweisen, liegen nicht vor. Bei persistierender Blutung sollte diese gestillt werden. Die chirurgische Blutstillung mittels Tamponade des cavum retzii ist sicher der Standard in den meisten Kliniken. Wo möglich, sollte insbesondere bei hämodynamisch stabilen Patienten geprüft werden, ob die Blutung mittels Angioembolisation gestoppt werden kann.

6.10 Urogenitaltrakt Die Makrohämaturie ist das Leitsymptom für Verletzungen von Niere, Blase und Urethra. Die S3-Leitlinie stellt klar, dass die Anlage eines Blasenkatheters auch bei Hinweis auf eine Urethraverletzung unter besonderer Vorsicht durchgeführt werden kann. Ist dies nicht möglich, sollte eine weitergehende Diagnostik eingeleitet und ein Katheter dann suprapubisch perkutan oder im Rahmen einer Laparotomie angelegt werden.

6.11 Damage Control für die Extremitätenversorgung Der Begriff Damage Control Orthopedics wurde im Jahr 2000 von Scalea et al. [38] etabliert und umfasst die notfallmäßige – nur präliminär stabilisierende – Versorgung von Knochen- und/oder Weichteilverletzungen bei instabilen Patienten, um die definitive Versorgung zu einem späteren Zeitpunkt vorzunehmen, wenn sich die physiologischen Parameter des Patienten wieder stabilisiert haben. Der Vorteil eines solchen Vorgehens liegt in der Verkürzung der primären Phase zwischen Schockraum und Intensivstation und in der Reduktion postoperativer Komplikationen (Multiorganversagen, ARDS) und damit auch der Mortalität [39, 40]. Bezogen auf die zu versorgenden knöchernen Verletzungen bedeutet dies, dass Schaftfrakturen von z. B. Humerus, Tibia und Femur sowie Ellenbogen-, Knie- und Sprunggelenksfrakturen primär mit Fixateur externe – unseres Erachtens aber auch ebenso gut mittels Gipsschiene o. Ä. – versorgt werden sollten. Frakturen z. B. des

6.12 Reihenfolge in der Versorgung

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Unterarms, Handgelenks oder des Fußes können gleichfalls auf einer Schiene ruhiggestellt werden. Weichteilverletzungen werden débridiert und anschließend temporär gedeckt (Vakuumversiegelung oder Kunsthaut).

6.12 Reihenfolge in der Versorgung beim Schwerverletzten mit besonderer Berücksichtigung des SHT An erster Stelle stehen hier die lebensrettenden Sofortoperationen, d. h. der perakuten Druckentlastungen (Hirn, Thorax) und der Massenblutungen (Leber, Milz, Aorta und Becken). Es folgen dann die dringlichen Primäreingriffe (Versorgung weiterer Organverletzungen, intrakranieller Raumforderungen, Rückenmarkkompression sowie offener Frakturen und Luxationen und grober Instabilitäten). Evidenz-basierte Empfehlungen finden sich in der Literatur hierzu jedoch nicht. Early Total Care bei allen Patienten mit einem leichten Schädel-Hirn-Trauma (GCS 13–15 Punkte) und einem normalen Schädel-CT. Die Ausnahme bildet eine Marknagelung, die kontraindiziert ist beim schweren Thoraxtrauma, traumatisch hämorrhagischen Schock etc. Damage Control Orthopedics (DOC) mit Anwendung des Fixateurs bei allen Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma (GCS < 9 Punkte), ferner bei einer signifikanten intrakraniellen Pathologie im CT wie Ödem, Mittellinienverlagerung, sub-/ epidurale Blutung, offene Schädelverletzung mit intrakranieller Luft. Parallel kann eine Notfallkraniotomie und eine Fixateur-externe-Versorgung erfolgen. Damage Control Orthopedics sollte ebenso bei allen Patienten mit einem mittelschweren SchädelHirn-Trauma erfolgen (GCS 9–12 Punkte) oder bei Patienten mit einer Glasgow Coma Scale von 13–15 mit geringer intrakranieller Pathologie im CT (z. B. traumatische Subarachnoidalblutung, extraaxiale Hämatome, die nur eine Beobachtung erfordern). Keine zusätzliche Operation bei Patienten mit erhöhtem ICP, nicht erklärbarer neurologischer Verschlechterung sowie bei zerebral infauster Prognose. Wechsel von Fixateur externe auf eine interne Fixation bei den Patienten mit einem Schädel-Hirn-Trauma, die sich von ihrem komatösen Zustand erholt haben, wach und ansprechbar sind (GCS > 12 Punkte) oder bei komatösen Patienten mit einem stabilen intrakraniellen Druck (< 20 mmHg) und einem zerebralen Perfusionsdruck (CPP > 50 mmHg) über einen Zeitraum von mehr als 48 Stunden.

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Dieter Woischneck und Hans-Peter Dinkel

7 Radiologische Diagnostik Nicht jeder Patient, der unter der Verdachtsdiagnose eines Schädel-Hirn-Traumas (SHT) das Krankenhaus erreicht, hat ein traumatologisches Problem. Das Kapitel „Radiologie des SHT“ behandelt den Notfall, bei dem „die Visualisierung von abnormer Morphologie dazu beiträgt, dass Schäden durch unverzügliches Handeln verhindert werden können“ [1]. Für den in der Notaufnahme Tätigen bedeutet das aber auch die Auseinandersetzung mit spontanen, intrakraniellen Blutungen, der Differentialdiagnose zwischen traumatischer und spontaner Subarachnoidalblutung und vielen anderen Pathologien. Viele solcher Aspekte der Radiologie des traumatologischen Notfalls werden in den krankheitsspezifischen Abschnitten dieses Buches beschrieben. Wir konzentrieren uns in unserem Beitrag auf Aspekte, die im klinischen Kontext vielleicht etwas untergehen. Auch beschränken wir uns auf den Umgang mit dem schweren SHT.

7.1 Eine ganz kurze Geschichte der Radiologie des SHT Die Letalität des schweren SHT hat sich von etwa 40 % in den 1960er-Jahren auf nunmehr etwa 22 % eingependelt. Dieser Erfolg beruht v. a. auf einer immer besseren radiologischen Darstellung des intrakraniellen Raumes. Der Meilenstein ist bekannt: die Einführung der axialen Computertomographie (CT) des Schädels (Abb. 7.1 (a)–(d)), besonders durch Sir Godfrey Hounsfield. Demgegenüber treten alle anderen, vorherigen und nachherigen Neuerungen der Radiologie in den Hintergrund. Entsprechend groß waren Anfang der 1990er-Jahre die Hoffnungen, mit der kraniellen Kernspintomographie (MRT) einen ähnlichen Entwicklungsschub zu erreichen – er ist bisher ausgeblieben. Unser Beitrag konzentriert sich damit auf die Möglichkeiten der kraniellen CT-Diagnostik (cCT), der Einsatz der MRT wird so weit geschildert, wie er derzeit klinisch sinnvoll und vertretbar erscheint.

7.2 Besonderheiten der cCT-Diagnostik in der Frühphase nach SHT In der akuten Neurotraumatologie bleibt die Computertomographie das Bildgebungsverfahren der ersten Wahl, weil es am besten und schnellsten geeignet ist, operationspflichtige Blutungen zu identifizieren und den intensivmedizinischen Verlauf zu strukturieren (Abb. 7.1 (a)–(d)). Die Kombination aus CT und Neurochirurgie vor Ort ist das entscheidende Kriterium für das Notarztteam, beim SHT (aber auch bei anderen

https://doi.org/10.1515/9783110366853-009

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(a)

(b)

(c)

(d)

Abb. 7.1: Die Computertomographie beim schweren SHT – die tägliche Herausforderung. Beispiele für ein epidurales (a) und ein subdurales (b) Hämatom, wobei die Unterscheidung oftmals im CT nicht eindeutig ist. Ersteres ist meist linsenförmig, Letzteres sichelförmig zum Gehirn hin konfiguriert. Letztlich kann nur der Operateur sicher angeben, welches Kompartiment betroffen ist. Die Abbildungen (c) und (d) zeigen intrazerebrale Blutungen, teilweise konfluierend. Ganz frische Kontusionen sind isodens. Zu sekundären Komplikationen führt das zusätzliche, traumatische Hirnödem, oft treten Monroi-Blockaden und Hydrocephalus auf (d). (CT-Aufnahmen zur Verfügung gestellt von H. P. Dinkel)

Ursachen einer Bewusstseinstrübung) das primäre Behandlungszentrum zu wählen [2, 3]. So einfach das klingt, so schwierig erscheint die Umsetzung, gerade bei zunehmendem Einfluss von Kostenfinanzierungen. Seit 1998 wurde schrittweise die Multidetektor-CT mit gleichzeitiger Akquisition von vier Schichten erreicht, seit 2006 sind bis zu 128 Zeilen bei einer Rotation aufnehmbar. Damit sind in kurzer Zeit Ganzkörperscans möglich. Atem- und Bewegungsartefakte werden durch die schnelle Scangeschwindigkeit reduziert, die räumliche Auflösung verbessert und damit auch Kontrastmittel eingespart. Dreidimensionale Darstellungen einzelner Organe und, je nach Akquisition, des Gefäßsystems sind möglich. Durch die neuen Techniken sind die Diskussionen, welches Organsystem radiologisch-konventionell oder sonographisch zuerst abgebildet werden soll, in den Hintergrund getreten.

7.2 Besonderheiten der cCT-Diagnostik in der Frühphase nach SHT

| 103

7.2.1 Einschränkungen der cCT für den Notfall Der neurotraumatologische Notfall hat hohe Priorität; Kontraindikationen, die in der täglichen Routine bedeutsam sind, spielen eine untergeordnete Rolle [1]. Dennoch sollte, im Dialog mit der Radiologie, einiges nicht vergessen werden: Besteht eine (latente) Niereninsuffizienz, ist die Indikation zur Kontrastmittel(KM)-Gabe streng zu stellen. Besondere Vorsicht ist bei Diabetikern unter Biguanidtherapie angebracht. Bei klinischem Verdacht auf eine Hyperthyreose oder eine Autonomie der Schilddrüse sollte auf die KM-Gabe, soweit vertretbar, vor weiterer endokrinologischer Abklärung verzichtet werden. Seit Einführung der nichtionischen Kontrastmittel Ende der 1970erJahre treten „Allergien“ nur noch sehr selten auf – trotzdem sollte anamnestisch stets eine Kontrastmittelallergie ausgeschlossen werden, dabei spielt das Ausmaß einer Überempfindlichkeitsreaktion bei vorangegangenen KM-Gaben eine Rolle: Sind bei einer Angiographie, Phlebographie, einem intravenösen Urogramm oder einer vorangegangenen CT-Untersuchung nach KM-Gabe nur geringe Übelkeit, Juckreiz oder vereinzelte Hautbläschen/Rötungen aufgetreten, ist eine erneute KM-Gabe im Einzelfall vertretbar. Werden jedoch eine hypotone Kreislaufreaktion oder ein Schock berichtet, muss die Indikation zur KM-Gabe äußerst streng gestellt oder auf die Gabe verzichtet werden. Nach einer CT im Kopf-Hals-Bereich ist das Krebsrisiko für Kinder um etwa 14 % erhöht. Vor allem Schilddrüsen- und Hirntumoren scheinen häufiger aufzutreten. Wenn immer möglich wird man versuchen, weniger strahlenbelastende Alternativen, wie die Sonographie oder die MRT, zum Einsatz zu bringen [1].

7.2.2 Fallstricke in der Bildinterpretation Die schnelle Akquise der CT-Aufnahmen darf im Notfall nicht zu einer oberflächlichen Auswertung der Bilder verleiten. Der interdisziplinäre Austausch mit einem erfahrenen Radiologen darf nicht unterschätzt werden. Es gibt ein paar Tücken in der Bildinterpretation und einige sollen hier genannt werden:

7.2.2.1 Anatomische Orientierung Üblich ist die Darstellung der Schichtebene auf dem Monitor in der Ansicht von kaudal. Dadurch wird das Gehirn quasi seitenverkehrt abgebildet. Das ist gerade im Notfall für den Operateur gefährlich: Kraniotomie der falschen Seite. Noch gefährlicher ist die Analyse von CT-Aufnahmen aus anderen Kliniken, z. B. von bei Verlegung mitgegebenen Bildern oder in der Telemedizin: Nach wie vor gibt es Zentren, in denen die Rechts-links-Darstellung umgekehrt als üblich gewählt wird. Weniger schwer wiegen in der Neurotraumatologie die Probleme in der räumlichen Orientierung bei Übertragung der CT-Aufnahmen auf den Situs, die Lagerung des

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Kopfes und die Planung der Kraniotomie. Empfehlenswert ist es, die radiologischen Möglichkeiten zu nutzen und sich den Befund in allen drei Ebenen zeigen zu lassen. Für die spätere Dokumentation sei auf das medikolegale Problem der sprachlichen Orientierung hingewiesen: Bezieht sich der radiologische Befund der Lokalisation eines Defekts auf die Schädelkalotte oder das Gehirn? Wo genau ist eigentlich frontal? Häufig wird auch „okzipital“ für „subokzipital“ gesetzt.

7.2.2.2 Das Dichteproblem Per Definition gibt es 4.096 CT-Grauwerte, die unterschiedliche Dichtewerte in Hounsfield-Einheiten (HE) angeben [1]. Dabei wird der Dichte des Wassers der Wert 0 HE und der von Luft der Wert –1.000 HE zugeordnet. Am Monitor werden nur maximal 256 Graustufen dargestellt, der Mensch kann je nach Helligkeit etwa 20–50 Grautöne unterscheiden: je dunkler die Umgebung, desto besser! Da sich die Dichtewerte des menschlichen Körpers aber auf ein enges Fenster des Gesamtspektrums beschränken, wird die sog. Ausspielung des gewählten Fensters dem vorherrschenden Dichtebereich angepasst. Man wählt den mittleren Dichtewert des ausgespielten Fensters möglichst nahe an dem Dichtebereich des zu untersuchenden Gewebes: Um die geringen Dichteunterschiede zwischen grauer und weißer Hirnsubstanz zu erfassen, muss das „Hirnfenster” mit einer schmalen Fensterbreite (80–100 HE [= höherer Kontrast]) um die mittlere Dichte des Hirngewebes (ca. 35 HE) gewählt werden. Dadurch wird allerdings eine Beurteilung der Schädelkalotte unmöglich, weil bereits alle Strukturen mit einer Dichte oberhalb von ca. 75–85 HE weiß dargestellt werden. Ein „Knochenfenster“ sollte dementsprechend um deutlich höhere Dichtewerte bei +300 HE Fenstermitte mit ausreichender Fensterbreite von ca. 1.500 HE angesiedelt sein.

7.2.2.3 Das Teilanschnittphänomen (Partialvolumeneffekte) Die Schichtdicke kann frei bestimmt werden. Bei Schädeluntersuchungen werden meist 2–5 mm gewählt. Die abgebildete Struktur kann entweder die gesamte Transversalschicht durchziehen oder randständig nur angeschnitten sein. Das Rechnersystem muss aber die gemessenen Dichtewerte über die gesamte Schichtdicke mitteln. Durchzieht eine Struktur also die gesamte Schichtdicke mit weitgehend gleichbleibender Breite, wird sie auch scharfrandig abgebildet. Liegt dagegen ein Teilanschnitt z. B. eines Knochens vor, kann dies zur unscharfen Abbildung führen. Für die Neurotraumatologie ergeben sich v. a. Probleme in der Darstellung an der Schädelbasis, der tief temporalen Region und der hinteren Schädelgrube [2].

7.3 Wertigkeit der MRT-Diagnostik in der Frühphase nach SHT

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7.2.3 Progredienz intrakranieller Verletzungen: Wie damit umgehen? Ein seit Jahren diskutiertes Problem ist die Bedeutung der cCT-Verlaufskontrolle während der intensivmedizinischen Behandlungsphase [4]. Da verlässliche Parameter bisher nicht definiert wurden, bewerten einige Arbeitsgruppen die frühe cCTVerlaufskontrolle als kritisch: Sie favorisieren ein rasches Absetzen sedierender Maßnahmen und richten die Notwendigkeit eines Folge-cCT nach dem neurologischen Befund oder einem gemessenen Hirndruckanstieg aus. Andere Gruppen empfehlen routinemäßige radiologische Kontrollen innerhalb definierter Zeitabstände, wobei die Längen der Intervalle umstritten sind. Nach unseren Erfahrungen sind Prädiktoren für eine Progredienz der traumatischen intrakraniellen Blutung: eine traumatische Subarachnoidalblutung in der initialen cCT (Frequenzanstieg) und die Operation eines akuten Subduralhämatoms (Volumenzunahme). Kritische Volumina für eine Größenzunahme intrazerebraler Blutungen nach SHT sind die Bereiche 5–10 ml und > 20 ml in der initialen CT. Dennoch ist unklar, bei welcher Progredienz in der cCT-Kontrolle welche klinischen Folgen zu erwarten sind. Eine allgemein akzeptierte Antwort gibt es derzeit nicht.

7.3 Wertigkeit der MRT-Diagnostik in der Frühphase nach SHT Mit Verbreitung der CT-Diagnostik nach Unfällen stellte sich seit den 1980er-Jahren die Frage, woran bewusstlose Patienten sterben, bei denen das CT vergleichsweise unauffällig ist [2, 5]. Seit den 1990er-Jahren wurde versucht, diese Lücke mittels MRT-Untersuchungen zu schließen. Die von mehreren Arbeitsgruppen systematisch erhobenen Befunde waren unter zwei Gesichtspunkten überraschend: 1. Läsionen des Hirnstamms nach SHT sind wesentlich häufiger als bisher angenommen und 2. die bisher nicht hinreichend bekannten Hirnstammschäden sind in hohem Maße verlaufsbestimmend bzgl. Letalität, Behandlungsergebnis der Überlebenden und Dauer der Bewusstlosigkeit. Wichtig ist also, zu erkennen, dass der im MRT erfasste Hirnstammschaden per se nicht eine schlechte Prognose anzeigt – er beeinflusst nur sehr stark das Behandlungsergebnis [6].

7.3.1 Auswertungsschemata für MRT-Aufnahmen nach SHT Trotz der Ergebnisse blieb die Durchführung der MRT auf Einzelfälle begrenzt. Einer der Gründe, neben bekannten Problemen wie u. a. Überwachungsaufwand, Verfügbarkeit, ist die schwierige Analyse einer MRT nach SHT: Es finden sich immens viele Läsionen in unterschiedlichen Verteilungen, die alle gewertet werden müssten. Ein Ausweg ist der Versuch, Gruppen von Läsionen zusammenzufassen, also Kategorien

106 | 7 Radiologische Diagnostik

zu bilden. Für die MRT-Diagnostik sind mehrere Vorschläge gemacht worden, ohne dass sich eine dieser Empfehlungen durchgesetzt hätte [7]: 1. Planimetrie der Hirnstammläsionen mit dem Versuch, kritische Größen in Korrelation mit dem Behandlungsergebnis zu finden. Die Methode ist v. a. neuroradiologischerseits kritisch gesehen worden, weil die Planimetrie solch kleiner Läsionen im Ergebnis sehr unsicher ist [3, 6]. 2. Bewertung der Faserabbrüche, wie sie mittels Diffusion Weighted Imaging (Fibre tracking) nachweisbar sind. Hier sind mehrere Vorschläge gemacht worden. Alle haben das Problem, dass nicht klar wird, welche Läsionen welche pathogenetische Bedeutung haben [2, 6]. 3. Korrelation des Hirnstammschadens zu den Streckmechanismen, wobei betont wird, dass Patienten mit Strecksynergismen schlechter überleben als solche mit Hirnstammschaden ohne Strecken, gefolgt von denen ohne Hirnstammschaden, aber mit Strecksynergismen. Die beste Prognose haben Patienten ohne Hirnstammläsion und ohne den MRT-Nachweis einer Hirnstammläsion. Das Schema eignet sich durchaus für eine grobe Beurteilung, individuelle Prognosen sind nicht möglich [6, 8]. 4. Die MRT-Klassifikation von Patienten nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma (Abb. 7.2): Eine aus Klinik und Intensivtherapie heraus entwickelte Klassifikation, deren Kategorien (Grade) eng mit Letalität, Lebensqualität und Komadauer korrelieren. Sie erscheint als eine praktikable Klassifikation. Ihre Ergebnisse könnten helfen, die Schnittstelle zur Frührehabilitation zu optimieren [9].

7.3.2 Was kann die MRT-Klassifikation in der Frühphase nach SHT leisten? Die MRT-Klassifikation hat einerseits eine Prädiktorqualität für den Komaverlauf, die Komadauer und den Glasgow Outcome Scale Score. Eine besondere Bedeutung hat sie für die Vorhersage des apallischen Syndroms. Andererseits differenziert sie zwischen Patienten mit keiner oder leichter und solchen mit schwerer Behinderung. Anhand der Daten kann zu rehabilitationsrelevanten Fragen Stellung genommen werden: Wiedergewinnung der Eigenatmung, Pneumonierisiko und Tracheotomienotwendigkeit. Die Anwendung der Klassifikation ist weitgehend resistent gegenüber unterschiedlichen Sedierungsregimen. Dies sollte das Vertrauen in die Daten weiter stärken. Das sollte ermutigen, die Klassifikation anzuwenden und über die Erfahrungen zu berichten. Damit kann die Frequenz der von den Regeln abweichenden Krankheitsverläufe (Abb. 7.3) erfasst werden [9]. Zudem sind Fälle publiziert worden, die von der Klassifikation aufgrund der Topographie der Läsion nicht erfasst werden (Abb. 7.4) [9]. Es wäre, in Anbetracht der überzeugenden Ergebnisse schade, wenn die Klassifikation infolge der Nicht-Publikation positiver klinischer Erfahrungen unterginge.

7.4 Radiologische Befunde für die Begutachtung | 107

ausschließlich supratentorielle Läsionen

einseitige Hirnstammläsion (mit oder ohne Grad-I-Läsion)

Grad I

‣ Patient erwacht aus dem Koma ‣ kurze Komadauer ‣ geringe Letalität ‣ Überlebende zumeist nicht oder leicht behindert beidseitige Läsion des Mesencephalons oder Läsion der Mittellinie mesencephal (mit oder ohne Grad-II-Läsion)

Grad II

‣ Patient erwacht aus dem Koma ‣ verlängerte Komadauer ‣ geringe Letalität ‣ Überlebende zumeist leicht behindert

beidseitige Läsion des Pons (mit oder ohne Grad-III-Läsion)

Grad III

‣ Patient erwacht aus dem Koma ‣ sehr lange Komadauer ‣ erhöhte Letalität ‣ Überlebende oft schwer behindert ‣ apallische Syndrome nur in dieser Gruppe

Grad IV

‣ Patient erwacht nicht aus dem Koma ‣ keine Angabe einer Komadauer ‣ sehr hohe Letalität

Abb. 7.2: Die MRT-Klassifikation für Patienten mit schwerem SHT. Dargestellt sind die Merkmale der ordinal zu wertenden Kategorien der Klassifikation (Grade). Die Beziehungen zu Komadauer und Behandlungsergebnis konnten an einem vom ursprünglichen Patientengut unabhängigen Untersuchungskollektiv bestätigt werden und erscheinen verlässlich. Die entscheidende Aussage ist nicht, dass Hirnstammschäden gefährlich sind. Vielmehr können bestimmte Hirnstammschäden gut überlebt werden – der Hirnstammschaden bestimmt vielmehr in hohem Maße das Behandlungsergebnis. Da er häufig ist, kann er damit als Klassifikationsgrundlage sinnvoll verwendet werden [9].

7.4 Radiologische Befunde für die Begutachtung In der Begutachtung schwerer Schädel-Hirn-Traumen ist der Läsionsbeweis zu führen: Lässt sich eine zerebrale Läsion wahrscheinlich machen, die mit dem Behandlungsergebnis im Zusammenhang steht? Nachdem die Computertomographie diesen Beweis oft nicht erbringen kann, hat die MRT hier große Bedeutung. Gutachterlich sollte nach Möglichkeit immer auf die Befunde einer MRT möglichst früh nach Unfall zurückgegriffen werden, weil spätere Untersuchungen kleine, pathogenetisch wichtige Befunde oft nicht mehr zeigen. Als weitgehend sichere Bildgebungshinweise auf eine traumatische Hirnschädigung können gelten: Substanzdefekt nach Kontusion, Rinden- oder Marklagerblutung, kleine Hyper- oder Hypodensitäten im Bereich der Mark-Rinden-Grenze und in der Initialphase isolierte Diffusionsrestriktionen (Signalanhebung im DWI-MRT, Signalabsenkung im ADC). Auch eine fokale kortikale Atrophie als Zeichen einer fokalen Rindenkontusion und sekundäre Waller-

108 | 7 Radiologische Diagnostik

(a)

(b)

(c)

Abb. 7.3: Ausnahme von der Regel: Erwachen aus dem Koma mit bipontiner Läsion. Bilder eines 12jährigen Mädchens, das von einem Pkw angefahren wurde. Im MRT 4 Tage nach Unfall zeigt sich ein Ödem im hinteren Anteil von Pons und Mesencephalon (Pfeile in (a), (b) und (c)). Das Kind erwacht 12 Tage nach dem Trauma aus dem Koma. Nach weiteren 6 Monaten ist es schwerbehindert, wach und kommunikationsfähig. Hier liegt ein Fall vor, in dem eine Grad-IV-Läsion in wachem Zustand wach überlebt wurde. Interpretation: Die Läsion liegt ausschließlich dorsal der Formatio reticularis. (MRT-Aufnahmen zur Verfügung gestellt von H. P. Dinkel)

(a)

(b)

Abb. 7.4: Intrakranielle Läsion, die in der MRT-Klassifikation nicht abgebildet wird. Kranielle (a) und zervikale (b) MRT eines 25-Jährigen, der mit Tetraparese eine Läsion von Halsmark und Medulla überlebt. Es zeigt sich eine Kontusion des oberen zervikalen Myelons und der distalen Medulla oblongata. Dieser Typ der intrakraniellen traumatischen Schädigung wird von der MRT-Klassifikation nicht erfasst. Er scheint bei etwa 2,5 % der schweren Schädel-Hirn-Verletzungen möglich. (MRTAufnahmen zur Verfügung gestellt von H. P. Dinkel)

Degenerationen in der Spätphase sind zu beachten. Ganz wichtig ist der Nachweis multifokaler Hämosiderinablagerungen. Akute subdurale Hämatome stellen Indizien für eine traumatische Hirnschädigung dar, müssen aber nicht zwingend mit einem Dauerschaden einhergehen.

7.4 Radiologische Befunde für die Begutachtung | 109

Der diffuse, axonale Hirnschaden (DAI) gilt als (ein?) wesentliches Korrelat des morphologischen Hirnschadens in der Begutachtung [10]. DAI ist in seiner Definition eine histologische Diagnose: Adams, der Erstbeschreiber, führte experimentelle Schädel-Hirn-Verletzungen bei Affen durch, die dann zur Entdeckung der diffusen, axonalen Schädigungen führten. Adams selbst schrieb: „diffuse white matter injury – probably the most important factor governing outcome“. Die Annahme, die im „probably“ enthalten ist, halten die Autoren dieses Beitrages, den Sie gerade lesen, nach wie vor aber für unbewiesen. Wir weisen darauf hin, dass histologische Daten von menschlichen Gehirnen aus Sektionsmaterial stammen und Korrelationen zu klinischen Parametern wie Komadauer und GOS schwierig sind. Unbestritten ist auch die prognostische Bedeutung der immer zahlreicheren radiologischen Befunde nach SHT, insbesondere in den T2*-Wichtungen und im „Fibre tracking“. Offen ist, inwieweit diese als DAI angesprochenen Läsionen tatsächlich einem „diffuse axonal injury“ entsprechen. Genauso kritisch kann die Korrelation des DAI mit neuroradiologischen Befunden gesehen werden (Abb. 7.5 und 7.6) [6]. Hier ist noch viel Arbeit zu leisten: Speziell in der Wertung der MRT-Aufnahmen und insbesondere des „Fibre trackings“ erscheint es zumindest klar, dass die Lokalisation eines Faserabbruchs wichtiger ist als dessen morphologische Ursache. Bahnendiskontinuitäten in der DWI als DAI zu interpretieren, speziell in so kleinen Strukturen wie dem Hirnstamm, wenn MRT-Daten aus der Frühphase der Verletzung fehlen, ist spekulativ. Die prognostische und gutachterliche

(a)

(b)

Abb. 7.5: Kontusionen nach Hochrasanztrauma: Beispiele im MRT. Zwei junge Männer, die 2 (a) und 6 Tage (b) nach Unfall an einer Kontusion (a) bzw. einem Prolaps nach Kontusion (b) operiert wurden. Bei ähnlichem Verletzungsmuster in der MRT zeigte sich in einem Fall (a) das histologische Bild des diffusen axonalen Schadens, im anderen Fall (b) finden sich lediglich unspezifische Veränderungen wie perivaskuäre Infiltrate und kleine Diapedeseblutungen. Der eingefügte Kreis markiert die Stelle der Entfernung der Kontusionszone [6].

110 | 7 Radiologische Diagnostik

(a)

(b)

(c)

(d)

Abb. 7.6: Kontusionen nach Hochrasanztrauma: Histologische Diagnostik. Histologischer Nachweis eines diffusen axonalen Hirnschadens mittels Gewebeentnahme bei einem Überlebenden nach SHT (MRT-Befunde: s. Abb. 7.5 (a). (a) Bodian-Färbung: verdickte, teils Perlenketten(Pfeile)artig konfigurierte Fasern. (b) Immunhistologische Antikörper gegen APP markieren verdickte Neuriten (Pfeil), teilweise bilden sich im Bereich von Rupturstellen kolbige Auftreibungen. Die Befunde in (a) und (b) waren die Grundlage der histologischen Diagnose des DAI. Weitere Methoden, die bei hoher Fallzahl Aussagen zum zeitlichen Verlauf ermöglichen: (c) Reaktive Astrozyten markiert mit Antikörpern gegen saures Gliafaserprotein (GFAP). (d) Reaktive Mikroglia markiert mit Antikörper gegen CD68 [6].

Relevanz vieler neuroradiologischer Befunde in der Begutachtung ist nicht zu kritisieren. Es ist aber ungeklärt, was das pathomorphologische Korrelat dieser CT- und MRT-Veränderungen tatsächlich ist.

7.5 Ausblick Die Computertomographie ist das „Arbeitspferd“ in der Notfallradiologie. Nachteilig ist die Belastung des Patienten mit Röntgenstrahlen. Daher werden Anstrengungen unternommen, die Strahlenbelastung weiter zu reduzieren. Ein Beispiel hierfür ist die iterative Bildrekonstruktion, ein altes Bildberechnungsverfahren, das durch die heute verfügbare höhere Leistung der modernen Computer auch für die komplexen Rechenvorgänge bei hochauflösender Computertomographie nutzbar ist. infolge des umstrittenen klinischen Impact und der Kostendiskussionen im Krankenhauswesen wird die MRT auf besondere Patientengruppen (Kinder) und spezielle Fragestellungen beschränkt bleiben. Allerdings gestatten es unsere nationalen Leitlinien, eine geplante cCT-Verlaufskontrolle durch die MRT zu ersetzen. Wo immer möglich, sollte das auch genutzt werden.

Literatur

| 111

60 50

Prozent der Patienten

50 ohne DAI mit DAI

40

43 36

30 20

22

21 17 14

10

7 0

0

verstorben

apallisch

schwer behindert

leicht behindert

nicht behindert

Abb. 7.7: Behandlungsergebnis und histologischer Nachweis des diffusen axonalen Hirnschadens. Der Glasgow Outcome Scale (GOS) Score 6 Monate nach Unfall korreliert nicht mit dem Nachweis des diffusen axonalen Hirnschadens (DAI) durch den Neuropathologen.

Danksagung: Wir bedanken uns bei Frau Dr. Angelika Scheuerle (Sektion Neuropathologie, Universitätsklinikum Ulm) für die Beiträge zur Histologie. Unser Dank gilt Herrn Prof. Raimund Firsching (Neurochirurgische Klinik, Universität Magdeburg), Prof. Martin Skalej (Institut für Neuroradiologie, Universitätsklinikum Magdeburg) und Prof. Bernd Schmitz (Sektion Neuroradiologie, Universitätsklinikum Ulm) für die langjährige Unterstützung. Wesentliche Ideen und Auswertungen verdanken wir Herrn Steffen und Ullrich Pauli (Klinik für Neurochirurgie, Klinikum Landshut) sowie Herrn PD Dr. Thomas Kapapa (Klinik für Neurochirurgie, Universitätsklinikum Ulm).

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8 Akute intrakranielle Hämatome Caroline Degenhardt und Jürgen Piek

8.1 Epidurales Hämatom 8.1.1 Definition Unter einem Epiduralhämatom (EDH) versteht man eine Blutung zwischen Dura mater und der Tabula interna des Schädelknochens.

8.1.2 Epidemiologie Epidemiologische Daten zu epiduralen Hämatomen variieren in der neurotraumatologischen Literatur erheblich. Dies hängt damit zusammen, dass in unterschiedlichen Regionen der Welt unterschiedliche Traumamechanismen mit differierenden Verletzungsmustern zu Kopfverletzungen führen. Populationsbezogen ist in Industrieländern mit etwa 0,6 epiduralen Hämatomen auf 100.000 Einwohner/Jahr zu rechnen [1]. Sie werden in etwa 1–4 % aller Schädel-Hirn-Traumen [2–10] und bei etwa 10 % aller schweren Schädel-Hirn-Verletzungen diagnostiziert [7, 11–13]. Epidurale Hämatome treten seltener auf als Subduralhämatome. Männer sind 4-mal häufiger betroffen als Frauen. Der Erkrankungsgipfel liegt im jungen Erwachsenenalter zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr [7, 14–25]. Vor dem 2. Lebensjahr und nach dem 60. Lebensjahr sind EDH selten.

8.1.3 Pathophysiologie Epidurale Hämatome entstehen meist traumatisch als Folge einer Schädelfraktur [26–28] mit Verletzung der A. meningea media. Diese wird entweder am Hauptstamm selbst oder an einem ihrer Äste im Bereich der Fraktur abgeschert [27, 33]. Führende Verletzungsursache sind Verkehrsunfälle mit 53 % der Verletzten vor Stürzen und Gewalttaten [2, 7, 14, 21, 30–32]. Epidurale Hämatome im Kindes- und Greisenalter sind selten. Grund ist die feste Anhaftung der Dura am Inneren des Schädelknochens, die der Entwicklung eines Hämatoms einen höheren Widerstand entgegensetzt. Die Häufigkeit, mit der die A. meningea media betroffen ist, wird mit 30 % [30] bis zu 85 % [34] angegeben. Die Inzidenz epiduraler Hämatome beim Vorliegen einer linearen Schädelfraktur liegt bei etwa 30 % [27]. Auch die Verletzung eines Hirnsinus durch ihn kreuzende Impressions- oder Berstungsfrakturen sowie Blutungen aus dem Frakturspalt, selbst aus Venen der Diploe können zum EDH führen.

https://doi.org/10.1515/9783110366853-010

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Eine eingeschränkte Blutgerinnung und die Gabe von Antikoagulanzien erhöhen das Risiko epiduraler Blutungen [40–43]. Epidurale Hämatome als Komplikation intrakranieller oder spinaler Eingriffe sollen an dieser Stelle nicht betrachtet werden.

8.1.4 Lokalisation In über 90 % der Fälle sind Epiduralhämatome supratentoriell lokalisiert, ein infratentorieller Sitz wird mit 4–12 % angegeben [44–54]. Am häufigsten (etwa 75 %) liegen die Hämatome temporal. Jeweils 10 % der Blutungen sind einseitig parietal und frontal zu finden, der Rest findet sich hoch biparietal als sog. Vertexhämatom [55–63], okzipital oder sonst beidseitig [5, 8, 19, 64]. Eine Besonderheit stellen retroclivale Hämatome dar, die überwiegend – aber nicht ausschließlich – bei Kindern und Jugendlichen vorkommen [65, 75].

8.1.5 Klinische Symptomatik und Verlauf Eine der ersten umfassenden Darstellungen der klassischen Symptomatik epiduraler Hämatome und ihrer Behandlung samt einer Fallsammlung der bis dahin operierten Fälle verdanken wir Ernst von Bergmann [76]: „Zunächst bleibt die Raumbeengung wirkungslos, bis das Quantum des sich einpressenden Blutes eine gewisse Größe erreicht hat, dann folgen Kopfschmerzen, Unbehagen, Unruhe, Übelkeit, Erbrechen, Benommenheit, Müdigkeit, Schlaf, schnarchende Respiration und evidente Pulsverlangsamung. Das Coma wird immer tiefer, das Athmen schwerer und mühsamer. Zum Schluss stellt sich wieder eine Beschleunigung des kleinen, unregelmässigen und aussetzenden Pulses ein, ebenso cessirt momentan die Athmung und wechseln diese Pausen mit frequenten Respirationen, bis der Tod ein Ende macht.“

Von Bergmann wies bereits auch darauf hin, dass ein solcher Verlauf nahezu immer innerhalb der ersten Stunden nach dem Trauma beobachtet wird. Dieses freie Intervall mit sekundärer Bewusstseinstrübung nach initialer kurzer Bewusstlosigkeit wird in industrialisierten Ländern mit einem hohen Anteil an Hochgeschwindigkeitsverletzungen und somit primären Hirnschäden jedoch deutlich seltener beobachtet [7, 14, 19, 77–80] und im Durchschnitt der operierten Patienten mit 47 % angegeben [81]. Beim typischen Verlauf werden bei supratentorieller Lokalisation eine ipsilaterale Anisokorie durch Kompression des N. oculomotorius am Tentoriumrand und eine zum Hämatom kontralaterale früher oder später auftretende Hemiparese beobachtet. Eine Anisokorie ist bei etwa einem Drittel aller operierten Patienten mit EDH und etwa zwei Dritteln aller komatös Operierten vorhanden [14, 18, 29, 64]. Auch bei infratentorieller Lokalisation ist in bis zu 50 % der Fälle mit einem freien Intervall zu rechnen [30, 82]. Klinisch führend sind hier Kleinhirnzeichen und beim

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Fortschreiten des Hämatoms eine rasche Dekompensation mit Zeichen der direkten Hirnstammkompression. Zwischen 30 und 50 % aller Patienten mit operierten Epiduralhämatomen haben weitere intrakranielle Verletzungen (Literatur in [81]). In diesen Fällen ist ein freies Intervall oft nicht vorhanden, und der bereits komatöse Patient verschlechtert sich klinisch progredient durch das sich entwickelnde Hämatom (sog. latentes Intervall). Beim „reinen“ Epiduralhämatom bestimmt die Art der Verletzung die Geschwindigkeit der klinischen Symptomatik. Verletzungen des Meningeahauptstamms und großer Sinus bewirken eine rasche klinische Verschlechterung innerhalb weniger Stunden, solche der Meningeaäste oder Blutungen aus Diploevenen einen eher verzögerten Verlauf (Abb. 8.1). 22–56 % der Patienten sind bei Einlieferung in die Klinik bewusstlos (Literatur in [81]). Subakute Verläufe finden sich in etwa 10 % aller Fälle, chronische Hämatome mit einer Latenz von bis zu Jahrzehnten zumeist als Fallberichte [56, 61, 63, 83–96]. Besonderheiten im Verlauf bieten Patienten mit zuvor angelegten Liquorshunts, ventrikulostomierte Patienten und solche mit Arachnoidalzysten [35–39]. Hier können durch die Kompensation durch rasche Liquorverschiebung epidurale Blutungen oft eine erhebliche Größe erreichen (Abb. 8.2), ohne klinisch auffällig zu werden, bevor die Patienten dann nach Aufbrauch der Reserveräume rasch dekompensieren. 0:19 Uhr

(a)

5:30 Uhr

(b)

Abb. 8.1: Zeitliche Entwicklung eines rechts temporookzipitalen EDH (Pfeil) über 5 Stunden. Klinisch war die Patientin initial wach und ansprechbar (GCS-Score 14 Punkte), um sich dann bis auf einen GCS-Score von 9 Punkten zum Zeitpunkt 2 zu verschlechtern.

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Abb. 8.2: Koronare Darstellung eines ausgedehnten EDH (Pfeil) links parietal bei vorhergegangener neurochirurgischer Operation (Olfaktoriusmeningeom mit postoperativem Hydrocephalus aresorptivus) mit u. a. Anlage eines ventrikuloperitonealen Shunts (Doppelpfeil). Trotz der erheblichen Raumforderung war der Patient zu diesem Zeitpunkt noch auf Anruf stets weckbar. Beachte außerdem das sog. swirl-sign [97] als Hinweis auf eine noch aktive Blutung.

8.1.6 Diagnostik Diagnostische Methode der Wahl ist die kraniale CT-Untersuchung, die bei Schwerverletzten als sog. Traumaspirale durchgeführt wird. Mit ihr können neben den intrakraniellen Verletzungsfolgen im Weichteilfenster subgaleale Hämatome und im Knochenfenster Frakturverläufe dargestellt werden. Auch evtl. begleitende Verletzungen des Gesichtsschädels lassen sich diagnostizieren. MRT-Untersuchungen bei Hämatomverdacht sollten nur bei wachen und klinisch stabilen Patienten durchgeführt werden und dürfen das weitere Management auf keinen Fall erheblich verzögern! Konventionelle Röntgenuntersuchungen sind nur dann gerechtfertigt, wenn kein CT zur Verfügung steht. Frakturen und die Verlagerung einer verkalkten Glandula pinealis zur Gegenseite können dann neben der klinischen Symptomatik Hinweise auf die Hämatomlokalisation geben. Typischerweise stellt sich das EDH in der Nativ-CT-Untersuchung als hyperdense, kalottennahe, bikonvexe Raumforderung dar (Abb. 8.3). Enthält das Hämatom noch hypodense Areale, wird dies oft als noch aktive Blutung gedeutet (sog. swirl-sign) [97]. Neben dem EDH selbst achte man auf eventuelle Begleitpathologien und auf das Ausmaß der durch das EDH verursachten Raumforderung, weil sowohl der Status der

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Abb. 8.3: Multiplanare cCT-Darstellung eines links frontoparietalen Epiduralhämatoms. Das Hämatom stellt sich wie hier typisch als linsenförmige, der Kalotte anliegende, hyperdense Struktur dar. Ausmaß und Lokalisation werden in dieser Darstellung besonders gut sichtbar und können das operative Vorgehen erleichtern. Zusätzlich lassen sich im Knochenfenster eventuelle Frakturen (Pfeil) gut darstellen.

basalen Zisternen als auch das Ausmaß der Mittellinienverlagerung eine erhebliche Bedeutung für die Prognose haben (Literatur in [81]). Schwierigkeiten in der Diagnostik können temporobasale Hämatome (Abb. 8.4) bereiten, die manchmal als intrazerebrale Blutungen oder bei oberflächlicher Betrachtung als Anschnitt knöcherner Strukturen fehlgedeutet werden können. Es ist ferner darauf zu achten, dass die entsprechende Schichtung bis hoch parietal erfolgt, um Vertexhämatome nicht zu übersehen. Eine koronare Rekonstruktion sichert in diesen Zweifelsfällen die Diagnose (Abb. 8.5). Retroclivale Hämatome werden oft erst im MRT sichtbar. Während im akuten Fall auch im Kindesalter die CT- immer der MRT-Untersuchung vorzuziehen ist, sollte bei subakuten Verläufen diese durch das MRT (Abb. 8.6) ersetzt werden. Bei offenen Fontanellen lassen sich epidurale Hämatome auch gut

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Abb. 8.4: Rechts temporobasales EDH (einfacher Pfeil) als Folge einer basalen Impressionsfraktur (doppelter Pfeil). Derartige Hämatome können von Unerfahrenen mit intrazerebralen Blutungen des Temporallappens verwechselt werden.

Abb. 8.5: Typisches Vertexhämatom, das in der koronaren Rekonstruktion am besten zur Darstellung kommt. In der Abbildung rechts unten ist die zugehörige transversale Schnittführung erkennbar.

sonographisch darstellen (Abb. 8.7). Näheres zur Diagnostik im Kindesalter findet sich in Kapitel 13.5.

8.1.7 Therapie Grundsätzlich sind symptomatische Epiduralhämatome und solche mit Zeichen der Raumforderung operativ so rasch wie möglich zu entfernen, weil jede zeitliche Verzögerung eine Verschlechterung der Prognose bedeutet. Dies gilt insbesondere für Hämatomgrößen > 30 cm3 , bei denen die Entfernung unabhängig vom klinischen Zustand des Patienten durchzuführen ist. Lediglich kleine Hämatome mit einer Dicke von < 15 mm, einer Mittellinienverlagerung von < 5 mm und einer GCS > 8 Punkte ohne fokales neurologisches Defizit können durch klinische Überwachung und engma-

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Abb. 8.6: Darstellung eines links frontalen Epiduralhämatoms in der nativen MRT-Untersuchung in verschiedenen gängigen Untersuchungstechniken.

Abb. 8.7: Sonographische Darstellung eines parietalen Epiduralhämatoms (Pfeile) beim Säugling. Deutlich sind in der koronaren Schnittführung der Sinus sagittalis superior und die abgehobene parietale Dura erkennbar.

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(a)

(b)

(c)

Abb. 8.8: Darstellung typischer Operationsschritte beim akuten Epiduralhämatom. (a) ausreichend große Kraniotomie, die bereits eine Lambdanahtsprengung mit hiervon ausgehenden multiplen Frakturen erkennen lässt (Pfeil); (b) Kraniotomie und Ausräumen des Hämatoms; (c) Situs vor Anlage zirkulärer Hochnähte und Wiedereinfügen des Knochendeckels.

schige CT-Kontrollen primär konservativ angegangen werden (Literatur in [81]). Im Zweifelsfall sollte man sich im Sinne des Patienten eher für als gegen ein operatives Vorgehen entscheiden (If in doubt, take it out!). Wesentliche Punkte des operativen Vorgehens (Abb. 8.8 (a)-(c)) sind: – ausreichend große osteoplastische Trepanation, die das Hämatom und die vermutete Blutungsquelle möglichst komplett erreichen lässt, – Ausräumen der Blutung, in Notfällen über Bohrlochtrepanation beginnend, dann als Kraniotomie komplettiert, – sichere Blutstillung am blutenden Gefäß, evtl. Abwachsen des Gefäßaustritts im Foramen spinosum, – engmaschige, zirkuläre Durahochnähte, – subdurale Inspektion bei Duravorwölbung oder -verfärbung nach Entfernung des EDH, – Anlage von mindestens zwei großlumigen Redondrainagen – subgaleal und epidural; Wundverschluss unter laufendem Sog an den Drainagen, um ein passives Nachlaufen des Hämatoms zu vermeiden. – Bei Verdacht auf Sinusverletzung für ausreichend Blutkonserven und erfahrenes Operationsteam sorgen!

8.1.8 Prognose, Komplikationen Alter, klinischer Zustand bei Operation, Ausmaß der Mittellinienverlagerung im CT und das Vorhandensein zusätzlicher intrakranieller Verletzungen beeinflussen im Wesentlichen die Prognose der Patienten mit einem Epiduralhämatom (Literatur in [81]). Reine Epiduralhämatome ohne intrazerebrale Begleitverletzungen haben rechtzeitig operiert eine exzellente Prognose [14].

8.1 Epidurales Hämatom

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Entscheidend für die Prognose ist das Zeitintervall ab der klinischen Verschlechterung (Koma, Anisokorie) bis zur Operation [15, 98]. Besteht eine Mydriasis länger als 70 Minuten, ist von einer extrem hohen Letalität auszugehen [98], bei kürzeren Zeitintervallen ist selbst bei einer beidseitigen Mydriasis oft noch ein gutes funktionelles Ergebnis zu erreichen [6, 99].

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126 | 8 Akute intrakranielle Hämatome

Caroline Degenhardt und Jürgen Piek

8.2 Akutes Subduralhämatom Subduralhämatome (SDH) entstehen durch eine Einblutung zwischen Dura und Arachnoidea. Im Normalfall existiert zwischen diesen beiden Hirnhäuten kein freier Raum. Es besteht vielmehr zwischen ihnen ein leicht verletzlicher Gewebsübergang aus duralen Zellen (sog. dural border cells), der bereits durch ein triviales Trauma unterbrochen werden kann. Traditionell werden die SDH in akute, subakute und chronische Hämatome eingeteilt, wobei die Nomenklatur jedoch uneinheitlich ist. Histologische Untersuchungen des Hämatoms führten bislang nicht zu einer einheitlichen Altersklassifikation. Besteht der Hämatominhalt überwiegend aus einer Mischung von koaguliertem und frischem Blut, spricht man üblicherweise von akuten Hämatomen, besteht er aus einem Gemisch aus geronnenem Blut und Flüssigkeit, von subakuten. Ist der Inhalt vollkommen flüssig, handelt es sich um ein chronisches subdurales Hämatom. Es werden hierfür in den meisten Fällen zeitliche Grenzen von < 48 Stunden (akutes subdurales Hämatom), 2–14 Tagen (subakutes subdurales Hämatom) und > 14 Tagen (chronisches subdurales Hämatom) angegeben. Ein SDH tritt bei etwa einem Fünftel aller Patienten mit einem schweren und bei etwa einem Zehntel aller Patienten mit einem Schädel-Hirn-Trauma (SHT) jedweden Schweregrades auf [1–6]. Trotz schnellstmöglicher Trepanation und Hämatomentfernung ist seine Prognose aufgrund der oft begleitenden Schädigung des Hirnparenchyms ausgesprochen schlecht, insbesondere, wenn es bereits in der 1. Stunde nach dem Trauma zu einer Einklemmungssymptomatik mit Mydriasis geführt hat.

8.2.1 Epidemiologie ASDH entstehen am häufigsten infolge von Stürzen, Tätlichkeiten und Verkehrsunfällen. Je nach Alter finden sich unterschiedliche Ursachen. So werden SDH bei jüngeren Patienten (18–40 Jahre) häufiger durch Verkehrsunfälle (56 %), bei Älteren (> 65 Jahre) häufiger durch Stürze (56 %) verursacht [7]. Neben der Blutungsquelle sind Gerinnungsstatus, Blutdruck, vorbestehende Hirnatrophie [8] (etwa durch chronischen Alkoholabusus) [9] oder als Traumaspätfolge [10] und rasch ansteigender ICP mitbestimmende Faktoren [11]. Blutgerinnungsstörungen durch Antikoagulanzien stellen ein besonderes Risiko dar [9, 12]. Dabei ist das Risiko für ein ASDH bei Männern unter oraler Antikoagulation 7fach und bei Frauen 26fach erhöht [13]. Das mittlere Erkrankungsalter wird in der älteren Literatur mit zwischen 31 und 47 Jahren angegeben, wobei Männer deutlich häufiger betroffen sind [1, 14–16]. In eigenen, neueren Untersuchungen [17] zeigte sich ein zweiter Erkrankungsgipfel im höheren Lebensalter, in dem Frauen deutlich überwogen. Auch hier waren Stürze die häufigste Ursache der Hämatomentstehung.

8.2 Akutes Subduralhämatom

|

127

8.2.2 Pathophysiologie Die häufigsten Ursachen für Blutungen im subduralen Raum sind Brückenvenenrupturen, Rindenarterienläsionen und Kontusionsblutungen [9, 11, 18, 19]. Brückenvenenrupturen werden in der Literatur oft als eine der häufigsten Blutungsursachen genannt [9, 20]. Im eigenen Krankengut konnte dies nicht nachvollzogen werden: Hier waren es zumeist Kontusionen (34 %) und rupturierte Gefäße auf der Hirnoberfläche (51 %), die zu akuten Subduralhämatomen führten [17]. Diese Verletzungen erlauben anhand der Anzahl verletzter Gefäße Rückschlüsse auf die Art, Intensität und Richtung der Gewalteinwirkung. Die Verletzung entsteht am oder unmittelbar nach dem Gefäßdurchtritt durch die Arachnoidea und führt so direkt zu einer subduralen Blutung [11]. Rindenarterienläsionen betreffen fast immer Äste der A. cerebri media und finden sich besonders nahe der Fissura lateralis, wo die Arteriolen besonders häufig über die Gyri hinwegziehen. Damit ein subdurales Hämatom entstehen kann, muss es zu einer direkten Verletzung der Arachnoidea gekommen sein. Es zeigte sich, dass von dieser Art der Läsion häufig Patienten mit deutlicher Hirnatrophie, also meist ältere Menschen betroffen sind. Oft werden derartige Hämatome schon durch leichte Traumen verursacht [20], wonach diese Patienten oft eine gute neurologische Erholung zeigen [11, 17]. Häufig konnte bei den betroffenen Patienten auch eine Neigung zu Bluthochdruck beobachtet werden [21]. Bei Verletzung der Hirnrinde durch Kontusion kann es bei gleichzeitiger Beschädigung der Arachnoidea ebenfalls nach subdural einbluten [11]. Im Gegensatz zum Kortexarterieneinriss und der Ruptur von Brückenvenen sind von diesem Verletzungsmechanismus vorwiegend jüngere Patienten betroffen [17].

8.2.3 Symptomatik, Klinik, Differentialdiagnosen Die Symptome des ASDH sind nicht hämatomspezifisch und gleichen denen aller sich akut entwickelnder intrakranieller Raumforderungen. Im Vordergrund stehen Bewusstseinseintrübung (40–80 % GCS < 9 bei Aufnahme [1, 14, 22, 23]) und Einklemmungszeichen, die auf den hohen intrakraniellen Druck hinweisen [18]. Eine ipsilaterale Pupillenerweiterung durch Einklemmung des N. oculomotorius zwischen Felsenbeinkante und dem in den Tentoriumsschlitz hineingepressten medialen Temporalhirnanteil sowie eine kontralaterale Hemiparese sind als Herdzeichen zu deuten [5, 24]. Bei weiterer Zunahme des ICP kann es zu Atemstillstand, tiefem Koma und zu Krampfanfällen kommen. Prognostisch ungünstig ist die beidseitige Pupillenerweiterung mit Verlust der Lichtreaktion [11]. Differentialdiagnostisch kommen nach der klinischen Symptomatik eine epidurale Blutung, eine raumfordernde intrazerebrale Blutung und eine massive Hirnschwellung in Betracht.

128 | 8 Akute intrakranielle Hämatome

40 N = 127 31,5 27,6

Anzahl in %

30

20 14,2 11,0

9,4 10

0

6,3

frontal

gesamte Hemisphäre

temporal

parietal

beidseits

mehrere Hirnregionen

Abb. 8.9: Lokalisation akuter traumatischer Subduralhämatome im eigenen Krankengut.

8.2.4 Diagnostik Die Computertomographie (CT) ist die diagnostische Methode der Wahl zum Nachweis eines ASDH. Das Hämatom erscheint im CT sichelförmig hyperdens über der Großhirnrinde, der Kalotte anliegend [25]. Vorzugslokalisation ist die parietotemporale und frontale Region [9, 24] mit Verlagerung der Mittellinie (Abb. 8.9). Es kann auch interhemisphärisch und infratentoriell auftreten. Typische akute Subduralhämatome sind in Abbildung 8.10 dargestellt. 1982 beschrieb Krauland, dass venös und arteriell verursachte SDH im CT eine unterschiedliche Form aufweisen. Dieses Phänomen wurde auch von anderen Autoren publiziert [26]. Venöse Blutungen stellten sich „lang und dünn“ dar, während arterielle eher „kurz und dick“ erschienen [11]. Eigene Untersuchungen (Tab. 8.1) belegen, dass Brückenvenenrupturen zu besonders großen Hämatomen führen, wohingegen die subduralen Blutungen durch Kontusionen eher klein sind [17]. Zu mehr als 50 % der Fälle finden sich intrakraniell zusätzliche Pathologien, in den meisten Fällen eine begleitende, traumatische Subarachnoidalblutung oder ein intrazerebrales Hämatom [17]. Folgende Kriterien spielen für Therapie und Prognose eine wichtige Rolle: – Dicke und Ausdehnung des Hämatoms und deren Relation zur Mittellinienverlagerung, Tab. 8.1: Mittlere Hämatomdicke im cCT bei unterschiedlichen Blutungsursachen [17].

Hämatomdicke

Kortexarterie

Kontusion

Brückenvene

p-Wert

16,5

14,1

23,0

0,024*

* Kruskal-Wallis-Test (N = 127).

8.2 Akutes Subduralhämatom

(a)

(b)

(d)

(e)

|

129

(c)

Abb. 8.10: (a) cCT mit typischem akuten Subduralhämatom über der linken Hemisphäre; (b) cCT mit akutem Subduralhämatom über der rechten Hemisphäre mit Ausdehnung in den Mittelspalt; (c) cCT mit akutem Subduralhämatom über der linken Hemisphäre mit ausgedehnter begleitender traumatischer Subarachnoidalblutung; (d) cCT mit riesigem akuten Subduralhämatom über der linken Hemisphäre. Beachte den konsekutiven Aufstau des kontralateralen Seitenventikels durch Blockade des Foramen Monroi! (e) cCT mit „ultrafrischem“ Subduralhämatom über der rechten Hemisphäre. Beachte die hypodensen Areale im Hämatom, die den noch nicht koagulierten Hämatomanteilen entsprechen!

– – – –

begleitendes Hirnödem, Nachweis einer zusätzlichen Kontusionsblutung oder subarachnoidalen Einblutung (SAB), Zustand der basalen Liquorräume (frei, eingeengt, fehlend), Schädelfrakturen.

In einer Studie von Howard et al. konnten eine signifikante Korrelation zwischen der Größe des Hämatoms, der Mittellinienverlagerung und der neurologischen Erholung nachgewiesen werden [7]. Zumkeller et al. sahen eine 10%ige Letalität bei Patienten mit einer Hämatomdicke von < 10 mm. 90 % ihrer Patienten starben, wenn das Hämatom dicker als 30 mm war. Gleiches gilt für eine Mittellinienverlagerung von > 20 mm

130 | 8 Akute intrakranielle Hämatome

[27]. Besonders schlecht ist die Prognose bei kontusionsbedingten Hämatomen, die erfahrungsgemäß auch zu einer massiven Hirnschwellung führen und durch einen initial oft schlechten neurologischen Zustand imponieren [17].

8.2.5 Therapie Nach Prüfung der Vitalfunktionen des Patienten, der GCS, des Patientenalters, des ggf. vorliegenden Patientenwillens, der Hämatomlokalisation, -größe und Mittellinienverlagerung im cCT sowie der aktuellen Gerinnungssituation einschließlich möglicher Antikoagulanzientherapie besteht die neurochirurgische Behandlung des akuten Subduralhämatoms abhängig von der Größe in der sofortigen großen Trepanation, Hämatomentfernung und Blutstillung. Dabei sollten Hämatome > 10 mm Dicke oder mit einer Mittellinienverlagerung von > 5 mm unabhängig vom GCS-Score so schnell wie möglich operativ entfernt werden. Hämatome von < 10 mm oder mit einer Mittellinienverlagerung von < 5 mm sollten operiert werden, wenn es zu einer GCS-Verschlechterung von mehr als 2 Punkten in der Zeit zwischen Unfall und Krankenhauseinlieferung kommt, eine Pupillenasymmetrie auftritt oder der intrakranielle Druck auf > 20 mmHg steigt. Des Weiteren sollte jeder Patient mit einem akuten Subduralhämatom und einem GCS-Score < 9 Punkten ein ICP-Monitoring erhalten [28]. Chirurgisch ist eine große Trepanation – in der Größe etwa einer Dekompressionskraniektomie entsprechend – für eine bessere Übersicht und sofortige Druckentlastung bei meist ausgeprägtem Hirnödem empfehlenswert (Abb. 8.11). Trotz großer Trepanation kann es an den Trepanationsrändern zur Infarzierung des prolabierenden Gehirns kommen. In solchen Fällen ist es ratsam, kleinere Duraeröffnungen auszuführen, um einen Hirnprolaps zu vermeiden. Bei intraoperativ bereits bekannter Neigung zur Hirnschwellung sollte die Operation primär als Dekompressionskraniektomie durchgeführt werden. Nach der chirurgischen Behandlung ist die konservative Hirnödembehandlung unter ICP-Monitoring bei komatösen Patienten obligat (s. Kap. 10).

(a)

(b)

(c)

Abb. 8.11: (a)–(c) Typische intraoperative Bilder bei Entleerung eines akuten subduralen Hämatoms. Die Schwellungsneigung des Gehirns und die zugrunde liegende Kontusion sind gut erkennbar.

8.2 Akutes Subduralhämatom

|

131

8.2.6 Prognose, Komplikationen Größe und Ausdehnung des Hämatoms selbst spielen hinsichtlich der Prognose eine eher untergeordnete Rolle. Prognostisch entscheidend sind vielmehr neben dem Alter und einer eventuellen gerinnungshemmenden Therapie die primären und sekundären intra- und extrakraniellen Begleitpathologien und der Zeitpunkt der chirurgischen Intervention. Die Prognose wird umso schlechter, je mehr intrakranielle Begleitverletzungen (traumatische SAB, Kontusionsblutungen) zum eigentlichen Subduralhämatom hinzukommen. Auch das Ausmaß der Mittellinienverlagerung spielt eine wichtige Rolle. Die Letalität des ASDH wird in der Literatur über alle Fälle mit 50–80 % angegeben, eine Operation innerhalb der ersten 4 Stunden scheint das Outcome günstig zu beeinflussen (Literatur in [28]). Zumkeller et al. [27] fanden eine über 50%ige Letalität, wenn die Dicke des Hämatoms 18 mm überschritt oder die Mittellinienverlagerung 20 mm betrug. Im eigenen Krankengut lag die Krankenhaussterblichkeit akuter Subduralhämatome bei etwa 50 %, wenn Kontusionsblutungen Ursache des Hämatoms waren („Polytrauma des Gehirns“), hingegen nur bei etwa 25 %, wenn rupturierte Kortexarterien oder Brückenvenen Blutungsursache waren [17].

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8.3 Kontusionsblutungen |

133

Svorad Trnovec und Jürgen Piek

8.3 Kontusionsblutungen 8.3.1 Epidemiologie In Deutschland ist pro Jahr ungefähr mit 332 Schädel-Hirn-Traumen pro 100.000 Einwohner zu rechnen, von denen etwa ein Drittel eine stationäre Behandlung erfordern. In ca. 10 % aller Schädel-Hirn-Traumen findet man eine Hirnkontusion oder traumatische intraparenchymale Blutung. Männer sind etwa 1,5-mal häufiger betroffen als Frauen [1].

8.3.2 Definition Als Hirnkontusion wird eine traumatische Verletzung des Gehirns bezeichnet, die durch eine Hirnprellung entsteht. infolge einer starken Gewalteinwirkung kommt es zur Zerreißung von Gewebe und Gefäßen am Ort der Verletzung. Somit handelt es sich bei Kontusionen um eine klassische fokale Hirnläsion. Mit Einführung der CT-Diagnostik in den 1970er-Jahren war erstmals eine genaue morphologische Diagnostik dieser Form der Hirnschädigung am Lebenden möglich. Repetitive CT gaben aber auch einen Einblick in die zeitliche Entwicklung dieser fokalen Schäden [2]. Im CT-Bild stellen sich Kontusionen zumeist als gemischt hyper- und hypodense Areale dar. Das Verhältnis beider ist variabel und neben der Art der Schädigung auch vom zeitlichen Verlauf abhängig. Auch isoliert rein hyper- oder hypodense Kontusionen kommen vor. Das hyperdense Areal entspricht den Blutungsanteilen der Kontusion, das hypodense dem Umgebungsödem. Der Übergang zwischen Kontusion und traumatischer intrazerebraler Blutung ist fließend, eine genaue Abgrenzung ist nicht möglich.

8.3.3 Pathophysiologischer Mechanismus Die initiale Ursache der Entstehung einer Hirnkontusion oder traumatischen intrazerebralen Blutung ist eine starke Gewalteinwirkung auf den Schädel. Die Entstehung der Kontusionen ist hierbei von der Stärke und Richtung der mechanischen Kraft und deren Einwirkstelle abhängig. Im Rahmen von Unfällen, bei denen der Kopf ungebremst aufschlägt, kommt es hierbei zu Akzelerations-/Dezelerationstraumen, wobei der Schädelknochen selbst, aber auch Falx und Tentorium als Anprallflächen fungieren, an denen Kontusionen entstehen können [3]. Da sich die meisten Unfälle in der Vorwärtsbewegung ereignen, sind demzufolge Frontallappen und Temporallappen in der Hauptsache von Kontusionen betroffen. Prinzipiell können aber abhängig von

134 | 8 Akute intrakranielle Hämatome

Stärke und Richtung der Gewalteinwirkung sämtliche Hirnregionen von einer Kontusion betroffen sein. In klassischer Weise finden sich Kontusionen mit ihrer größten Ausdehnung am unmittelbaren Ort der Gewalteinwirkung (Coup) und an der gegenüberliegenden Seite des Schädels (Contre-coup). Kontusionen sind somit Folge einer mechanischen Beschädigung des Hirngewebes mit Ruptur von kleinen Arterien und Venen sowie Kapillaren. Wird ein größeres Gefäß geschädigt, kann es zu größeren Blutungen und/oder einer traumatischen intrazerebralen Blutung kommen [4]. Am Rand der Kontusion, wo die Kraftwirkung zur kompletten Zerreißung von Gefäßen nicht ausgereicht hat, können die Gefäße trotzdem mechanisch beschädigt werden. Das führt zum Versagen ihrer Funktionen und Ausbildung petechialer Blutungen sowie einer gestörten Funktion der Blut-Hirn-Schranke, was primär ein zytotoxisches Hirnödem zur Folge hat [5–7]. Des Weiteren werden auch im Augenblick der Gewalteinwirkung Nervenfasern, Nervenzellen und gliale Zellen mechanisch geschädigt. Folge ist eine sofortige Nekrose des betroffenen Gewebes. Hierdurch wird ein Ausfall der dort beheimateten neurologischen Funktionen mit einer entsprechenden neurologischen Symptomatik bewirkt. Im Gegensatz zu den beschriebenen Akzelerations-/Dezelerationsverletzungen können penetrierende Traumen ebenfalls zu einer lokalen Kontusion führen. Ist die mechanische Energie des penetrierenden Objekts gering (Beispiel: Messerstich), wird Energie nur in die unmittelbare Umgebung abgegeben, sodass sich auch nur dort eine kontusionelle Hirnschädigung in unmittelbarer Nähe des penetrierenden Objekts finden lässt. Im Gegensatz hierzu verursachen penetrierende Verletzungen hoher Energie (Beispiel: Schussverletzungen – s. Kap. 13.1) ausgedehnte kontusionelle Hirnschäden. Der im Augenblick des Unfalls eintretende Primärschaden, der durch eine kontusionelle Läsion hervorgerufen wird, ist therapeutischen Maßnahmen nicht zugänglich und bestimmt ganz wesentlich das neurologische Ergebnis nach dem Schädel-Hirn-Trauma. Umso wesentlicher ist es, die sekundären Schäden, die aus einer Hirnkontusion entstehen, zu minimieren, um die Prognose der Patienten zu verbessern.

Eine Hirnkontusion ist ein sich dynamisch entwickelnder Prozess [8]. Dieser lässt sich in repetitiven CT nachverfolgen. So zeigt sich im 48-h-Kontroll-CT in ca. 50 % aller Kontusionen eine hämorrhagische Progression des Kontusionsherdes, als relevante Progression wurde in Studien eine Volumenzunahme um mehr als 30 % definiert [5, 9]. Die Größenzunahme von Kontusionen kann zur sekundären Verschlechterung des neurologischen Zustands führen. Erst mittels des kranialen CT konnte die Zunahme von Blutungsanteilen und des perifokalen, traumatischen Hirnödems diagnostiziert werden, evtl. auch neue Kontusionen, die im primären CT nicht sichtbar waren [10]. Die primäre Läsion entsteht, wie zuvor erwähnt, durch eine mechanische Zerreißung des Hirnparenchyms und der Gefäße. Von abgestorbenen Zellen und Blut

8.3 Kontusionsblutungen |

135

werden intrazelluläre Proteine und Aminosäuren freigesetzt. Weiter kommt es zum direkten Kontakt zwischen Blut und Hirnparenchym. Auf zellulärer Ebene werden hierdurch zahlreiche pathologische Prozesse ausgelöst, die den Sekundärschaden unterhalten und verstärken [11]. Sie werden als biochemische Kaskade des Sekundärschadens bezeichnet. Eine ausführliche Darstellung der pathophysiologischen und pathobiochemischen Reaktionen, die zum Sekundärschaden führen, gibt Kapitel 4.

8.3.4 Klinischer Befund Das klinische Bild ist bei Patienten mit einer oder mehreren Kontusionen nach Schädel-Hirn-Trauma sehr unterschiedlich und muss nicht unbedingt dem Ausmaß der Verletzung in der Bildgebung entsprechen. Weiter ist zu beachten, dass Hirnkontusionen nicht immer isoliert auftreten. Oft finden sie sich als begleitende Verletzung anderer Hämatome des subduralen oder epiduralen Raumes. Die klinische Symptomatik von Kontusionen unterscheidet sich nicht von denen anderer Entitäten und ist abhängig von Größe und Lage derselben. Allgemeine Zeichen der Hirnverletzung bzw. des erhöhten intrakraniellen Drucks sind Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen und retrograde Amnesie. Zu den fokalen Störungen zählen bei entsprechender Lage der Kontusion Sprach- und Orientierungsstörungen und motorische Defizite. Krampfanfälle sind bei parietalem oder temporalem Sitz nicht selten. Bei der oft beobachteten Vergrößerung von Kontusionen im Verlauf kann es zur sekundären Verschlechterung der Bewusstseinslage kommen – erkennbar an einem Abfall des Glasgow Coma Scale Scores in der klinischen Überwachung.

8.3.4.1 Diagnostik Auf die initiale Versorgung von Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma und die Indikationen zur kraniellen Bildgebung wird an anderer Stelle eingegangen. Diagnostische Methode der Wahl im Akutfall ist nach wie vor das kranielle Nativ-CT, während das MRT speziellen Fragestellungen v. a. der subakuten Phase vorbehalten ist [12]. Im nativen cCT finden sich Kontusionen hirnrindennahe an typischen Prädilektionsstellen frontobasal, fronto- und temporopolar sowie okzipital. In den meisten Fällen handelt es sich um multiple Kontusionen, oft sind beide Hemisphären betroffen. Infratentorielle Kontusionen größeren Volumens sind relativ selten. Fast immer sind Kontusionen hämorrhagisch und bestehen aus zwei Anteilen, einem hyperdensen Blutungs- und einem hypodensen Ödemanteil. Die Randzone ist nicht klar abgegrenzt. Die raumfordernde Wirkung kann verschieden stark ausgeprägt sein und entspricht der Größe der Kontusion und der Ausprägung des perifokalen Ödems. Zeichen der lokalen Raumforderung sind verstrichene Sulci. Bei stärkerer raumfordernder Wirkung kommt es zur Kompression des ipsilateralen Seitenventrikels bis hin zu den computertomographischen Zeichen der subfalcinen oder transtentoriellen Her-

136 | 8 Akute intrakranielle Hämatome

Abb. 8.12: Kleine, links temporale Kontusion im MRT eines 8-jährigen Kindes (Zustand nach Sturz; GSC-Score 14 Punkte).

niation. Rein hypodense Kontusionen sind selten. Etwa 7–10 Tage nach dem Trauma werden die primär hyperdensen Anteile der Kontusion mit Resorption der Blutung isodens, später hypodens und heilen letztlich unter Narbenbildung aus. Bei größeren Kontusionen sind diese Narbenbildungen im CT oft von einer Ausziehung bzw. Erweiterung des ipsilateralen Ventrikelsystems begleitet. Im MRT lassen sich Kontusionen auch noch Jahre nach dem Trauma v. a. in der T2-Wichtung gut nachweisen [13]. Der Übergang der traumatischen intrazerebralen Blutung zu der hämorrhagischen Kontusion ist fließend. Die Blutung stellt sich in der cCT als homogenes Areal höherer Dichte und mit schärferen Rändern dar. Wenn aufgrund der Anamnese differentialdiagnostisch der Verdacht auf einen anderen pathologischen Prozess als Ursache der Blutung besteht (Beispiel: Unfall unklarer Ursache mit der Folge eines Schädel-Hirn-Traumas), muss eine Abklärung mittels MRT bzw. MR-Angiographie oder DSA bei Verdacht auf Gefäßmalformation erfolgen. Das MRT als Untersuchung der ersten Wahl beim Schädel-Hirn-Trauma wird nur bei kleinen Kindern durchgeführt, wenn es der klinische Zustand des Kindes erlaubt – siehe Kapitel 13.5 (Abb. 8.12). Auf keinen Fall sollte aber nur aus Gründen des Strahlenschutzes eine dringend notwendige Diagnostik hierdurch verzögert werden! Bei Erwachsenen empfiehlt sich auch bei stabilem klinischen Zustand ein Routine-cCT zur Kontrolle innerhalb der nächsten 12 Stunden nach Erst-CT, um das Auftreten neuer Kontusionen oder die Vergrößerung bekannter nicht zu übersehen [14]. Dies gilt insbesondere für Patienten mit angeborenen oder erworbenen Störungen der Blutgerinnung (Abb. 8.13). Diese haben ein deutlich höheres Risiko für eine hämorrhagische Progression der Kontusion und für eine traumatische intrakranielle Blutung; dies ist mit einer deutlich ungünstigeren Prognose verbunden [15, 16].

8.3 Kontusionsblutungen

|

137

(a)

(b) Abb. 8.13: Deutliche Vergrößerung einer links temporoparietalen Kontusion bei 81-jähriger Patientin unter gerinnungshemmender Medikation (Quickwert inital 21 %). (a) CT unmittelbar nach Trauma; GCS-Score 13 Punkte); (b) CT 3 Stunden später; GCS-Score 6 Punkte).

138 | 8 Akute intrakranielle Hämatome

Bei bewusstlosen, oder analgosedierten intubierten Patienten sollte diese Kontrolluntersuchung innerhalb von 6 Stunden nach Primär-CT erfolgen [17]. Weitere Indikationen zum Kontroll-CT sind bei komatösen Patienten ein sekundärer Anstieg des ICP, bei allen Patienten die Entwicklung einer Anisokorie, eines neuen neurologischen Defizits und eine Verschlechterung der Bewusstseinslage um 2 oder mehr Punkte auf der Glasgow Coma Scale [18].

8.3.4.2 Stationäre Aufnahme und Überwachung Jeder Patient, der nach einem Schädel-Hirn-Trauma im cCT eine Parenchymverletzung aufweist, ist unabhängig von seinem klinischen Zustand stationär aufzunehmen [19]! Gleiches gilt für Patienten mit einem Schädel-Hirn-Trauma und einer Störung der Blutgerinnung.

Die klinischen und radiologischen Befunde entscheiden in Zusammenschau mit etwaigen Begleitverletzungen, begleitenden Intoxikationen (Alkohol, Drogen) und dem zeitlichen Abstand des Primär-CT zum Trauma über Ort, Art und Intensität der notwendigen Überwachung. Aufgrund der Variabilität der Begleitumstände, der Erkrankung selbst und der klinischen Verläufe können hier nur einige allgemeine Hinweise gegeben werden. Patienten mit leichtem Trauma (initialer GCS-Score 13–15 Punkte) können normalerweise auf der Normalstation überwacht werden. In der Frühphase nach Trauma sind neben den Vitalparametern die Bewusstseinslage nach Glasgow Coma Scale sowie Pupillo- und Okulomotorik halbstündlich, später in größeren Abständen zu kontrollieren. Ein in unserer Klinik hierzu verwendeter Überwachungsbogen findet sich in Abbildung 8.14. Ein Routine-cCT zur Kontrolle wird auch beim klinisch stabilen Patienten nach spätestens 12 Stunden durchgeführt. Bei klinischer Verschlechterung muss dieses zeitlich vorgezogen werden. Patienten mit primär mittelschweren Verletzungen (GCS-Score 9–12 Punkte bei Klinikaufnahme) oder Patienten unter dem Einfluss sedierender Substanzen (Alkohol, Drogen, analgetische Medikation) sollten zumindest auf einer Intermediate-CareStation aufgenommen und analog überwacht werden. Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma und dem Nachweis von Kontusionen im cCT sind intensivmedizinisch zu überwachen; sie sollten generell analgosediert, intubiert und beatmet werden und sind im Allgemeinen mit einer intrakraniellen Druckmessung zu versorgen. Das obligate Kontroll-CT sollte hier früher, nämlich etwa 6–8 Stunden nach dem Primär-CT erfolgen [20].

Summe

6 5 4 3 2 1

5 4 3 2 1

4 3 2 1

Uhrzeit

links

rechts

Abb. 8.14: Hauseigener Bogen zur klinischen Überwachung nach Schädel-Hirn-Trauma. Pupillengröße-Vergleich gleich: =; größer / kleiner: > / 40 Jahre, – fokale motorische Defizite (uni- oder bilateral), – systolischer Blutdruck < 90 mmHg (Abb. 9.1). Weitere wichtige Begriffe für das ICP-Monitoring sind der zerebrale Perfusionsdruck (Cerebral Perfusion Pressure – CPP) und der mittlere arterielle Druck (Middle Arterial Pressure – MAP). Durch Kenntnis des genauen ICP kann über die Beziehung CPP = MAP – ICP auch die Hirnperfusion indirekt abgeschätzt werden (s. Abschn. 9.3.3). Zur Vermeidung von sekundären Hirnschäden nimmt die Kontrolle von ICP und auch CPP in der intensivmedizinischen Behandlung des schweren SHT v. a. in den Industrienationen eine zentrale Funktion ein (s. Abschn. 9.3.3). Das Konzept des kontinuierlichen ICP-Monitorings zur Durchführung einer ICPgesteuerten Therapie (s. Abschn. 9.3.4) ist in der neurochirurgischen Fachwelt trotzdem nicht unumstritten. Es sprechen zwar die meisten Studienergebnisse dafür, dass die Überwachung des ICP einen positiven Einfluss auf das Behandlungsergebnis von Patienten mit schwerem SHT hat. Eine belastbare und endgültige Evidenz für diesen Ansatz mit einer eindeutigen Korrelation zu einem besseren Behandlungsergebnis existiert in der Literatur jedoch bisher nicht [7–12]. In der aktuellen Leitlinie zur Behandlung des schweren SHT der Brain Trauma Foundation [13] wird von den o. g. konkreten Kriterien zum ICP-Monitoring deshalb vorerst Abstand genommen. Das ICPMonitoring wird zur Reduzierung der Mortalität im Krankenhaus und 2 Wochen nach Trauma für Patienten mit schwerem SHT aber weiterhin noch mit Level-IIB-Evidenz

146 | 9 Grundzüge der intensivmedizinischen Behandlung

Polytrauma

Monitoring

SHT CT: Befund unauffällig

Alter > 40 Jahre motorische Defizite RR systolisch < 90 mmHg

Monitoring

SHT CT: einfaches EDH

neurologische Überwachung Kontroll-CT in 6–12h

Monitoring befundabhängig

SHT CT: EDH + zusätzliche Läsion

Monitoring

SHT CT: ASDH, ICB, DAI, SAB

Monitoring

SHT CT: infauste Prognose

kein Monitoring

Abb. 9.1: Entscheidungsbaum zur ICP-Messung. EDH = Epdiurales Hämatom, ASDH = Akutes Subduralhämatom, ICB = Intraparenchymale Blutung, DAI = Diffuse Axonale Schädigung, SAB = Subarachnoidalblutung, RR = Riva-Rocci-Blutdruck.

empfohlen und stellt nach wie vor in den meisten spezialisierten Zentren den Standard des apparativen Neuromonitorings dar. Die Ätiologie der ICP-Erhöhung, die unterschiedlichen Methoden der ICP-Messung, die Grenzwerte des ICP sowie der Umgang mit einer ICP-Erhöhung werden im Abschnitt 9.3 beschrieben.

9.2.1.3 Herz- und Kreislauffunktion Als Basismonitoring für die Herz- und Kreislauffunktion, aber auch für die zerebrale Oxygenierung und Perfusion dient die Messung des mittleren arteriellen Blutdrucks (MAP), kalibriert auf den rechten Vorhof. Der normale MAP liegt zwischen 70 und 105 mmHg und ist für die Organdurchblutung entscheidend. Eine exakte Bestimmung des MAP ist nur durch eine invasive (direkte) Blutdruckmessung möglich (Integration der arteriellen Druckkurve über die Zeit und Ermittlung der horizontalen Flächenhalbierenden, Durchführung mittels Monitoringsoftware), bei nichtinvasiver Blutdruckmessung (z. B. Blutdruckmanschette) kann der MAP mittels folgender Formel näherungsweise berechnet werden: 1 × (systolischer − diastolischer Druck) 3 Bei Patienten mit schwerem SHT sollte der MAP auf der Intensivstation zur besseren Therapiesteuerung invasiv (direkt) und kontinuierlich erfasst werden [14]. HämodynaMAP = diastolischer Druck +

9.2 Der SHT-Patient auf der Intensivstation

|

147

mische Veränderungen können so unmittelbar erfasst und z. B. Zeichen einer Hypovolämie oder der hämodynamische Effekt von Herzrhythmusstörungen mitevaluiert werden. Durch die invasive Blutdruckmessung wird außerdem ein direkter Zugang zum Gefäßsystem geschaffen, durch den z. B. engmaschige, arterielle Blutgasanalysen möglich sind. Für die Einstellung des Blutdrucks werden bei Patienten mit schwerem SHT folgende Richtwerte empfohlen: – In der Altersgruppe von 50–69 Jahren sollte ein systolischer Blutdruck ≥ 100 mmHg aufrechtgehalten werden. – In der Altersgruppe von 15–49 Jahren und für Patienten > 70 Jahre sollte der systolische Blutdruck ≥ 110 mmHg gehalten werden. Durch die Vermeidung einer Hypotonie, die mit einer diffusen Schwellung des Hirngewebes und bei fehlender Autoregulation mit dem Auftreten von zerebralen Ischämien assoziiert werden kann [15–17], lassen sich laut aktuellen Studien das Behandlungsergebnis von Patienten mit schwerem SHT verbessern und die Mortalität senken [18–20]. Nicht nur in der präklinischen Phase, sondern auch auf der Intensivstation können solche hypotonen Phasen ohne engmaschige Überwachung und ggf. Therapie auftreten und zur Entstehung von sekundären Hirnschäden beitragen [21]. Da bei Patienten mit schwerem SHT häufig eine Therapie mit z. B. hyperosmolaren Lösungen, eine parenterale Ernährung oder eine Katecholamintherapie notwendig sind, wird in der Regel auch die Anlage eines zentralen Venenkatheters (ZVK) empfohlen [22]. Über diesen kann als weiterer Bestandteil des Basismonitorings auch der zentralvenöse Druck (ZVD) gemessen werden, der Aussagen über den Volumenstatus und die Druckverhältnisse im Thorax zulässt. Der ZVD liegt beim Gesunden zwischen 2 und 8 cmH2 O und wird ebenfalls auf dem Niveau des rechten Vorhofs gemessen [23]. Bei Patienten mit schwerem SHT, die häufig aufgrund von ICP-Erhöhung nicht flach liegen dürfen (s. u.), sollte der ZVD immer in der gleichen Körperlage und mit der gleichen Druckwandlerposition gemessen werden, um nicht absolute Einzelwerte, sondern relative Veränderungen im Verlauf zu erfassen. Bei Patienten mit schwerem SHT gehört zum Basismonitoring auf der Intensivstation zudem die Aufzeichnung eines 12-Kanal-EKGs bei Aufnahme, die kontinuierliche EKG-Registrierung am Monitor und die Wiederholung des 12-Kanal EKGs bei Veränderungen im Verlauf. EKG-Veränderungen können neben Pathologien der Herzund Kreislauffunktion auch Hinweise auf ZNS-Störungen geben: So kommt es bei der Cushing-Reaktion im Rahmen eines pathologischen ICP-Anstiegs (s. u.) zu einer Bradykardie mit Blutdruckanstieg (und unregelmäßiger Atmung/Apnoe), bei einem Mittelhirnsyndrom zu Tachykardien und bei einer ICP-Erhöhung generell zu einem erhöhten Risiko für Herzrhythmusstörungen [24].

148 | 9 Grundzüge der intensivmedizinischen Behandlung

9.2.1.4 Beatmung Generell ist für Patienten mit zentral gestörtem Atemantrieb nach schwerem SHT die Indikation zur Intubation großzügig zu stellen. Solange keine pathologische ICPErhöhung vorliegt, die teilweise eine spezifische Atemtherapie mit vorübergehender Hyperventilation notwendig macht (s. Abschn. 9.3.5.3), gilt es, bei SHT-Patienten auf der Intensivstation eine normale Atemfunktion aufrechtzuerhalten (Normoventilation). Zur Überwachung der Beatmung im Rahmen des Basismonitorings werden regelmäßig die Partialdrücke von Sauerstoff und Kohlenstoffdioxid (PaO2 und PaCO2 ) im arteriellen Blut herangezogen. Der PaCO2 -Wert korreliert dabei am stärksten mit dem zerebralen Blutfluss (CBF) (lineare Abhängigkeit von PaCO2 und CBF zwischen 20 und 80 mmHg), sodass niedrige Werte einen niedrigen CBF mit dem Risiko einer zerebralen Ischämie und hohe Werte eine zerebrale Hyperämie mit ICP-Steigerung bedingen können [25]. PaCO2 -Werte zwischen 35 und 45 mmHg gelten für beatmete Patienten mit schwerem SHT ohne pathologische ICP-Erhöhung laut aktueller Studien als optimal, von einer Hyperventilation mit PaCO2 -Werten ≤ 25 mmHg wird abgeraten [26–28]. Bei der Einstellung der Beatmungsparameter ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass hohe Spitzendrücke und ein hoher positiver endexpiratorischer Druck (Positive End-Expiratory Pressure – PEEP) den venösen Rückfluss aus dem Schädelinneren beeinträchtigen und damit indirekt den ICP steigern können. Niedrige Werte (pinsp < 35 cmH2 O, PEEP 5–10 cmH2 O) sollten deshalb bevorzugt werden. Im Rahmen des Basismonitorings sind auch die Beatmungsparameter und Ergebnisse der Blutgasanalysen engmaschig zu dokumentieren. Um die Beatmung auf der Intensivstation nichtinvasiv und kontinuierlich zu überwachen ist zudem die Pulsoximetrie als Basismonitoring anzuwenden. Mit dieser einfachen Methode kann die partielle Sauerstoffsättigung des Hämoglobins (SpO2 ) im peripheren, arteriellen Blut gemessen werden. Die Messung der tatsächlichen Sauerstoffsättigung (SO2 ) ist nur direkt im arteriellen Blut möglich. Aufgrund der Eigenschaften der Sauerstoffbindungskurve ist durch die Pulsoximetrie im SpO2 -Bereich von 70–90 % auch eine Aussage bzgl. des PaO2 möglich (der PaO2 liegt ca. um den Betrag 30 unter dem SpO2 -Wert, somit bedeutet ein SpO2 von 80 % einen PaO2 -Wert von ca. 50 mmHg), ab einer SpO2 > 90 % aber nicht mehr. Bei Patienten mit schwerem SHT sollten PaO2 und SpO2 im Normbereich gehalten werden (PaO2 zwischen 80 und 100 mmHg, SpO2 zwischen 95 und 99 %) [29]. Vor allem im Falle einer kontrollierten Hyperventilation zur ICP-Senkung bei Patienten mit schwerem SHT (s. Abschn. 9.3.5.3) kann als weiteres Monitoringverfahren die Kapnometrie auf der Intensivstation angewendet werden. Dabei wird die endexpiratorische CO2 -Konzentration (FCO2 ) direkt im Atemgas gemessen und von der Monitoringsoftware in Abhängigkeit von Barometer- und Wasserdampfdruck meist unmittelbar in den endexpiratorischen CO2 -Partialdruck (PetCO2 ) umgerechnet. Dieser liegt bei normaler kardiopulmonaler Funktion nur ca. 4 mmHg unter dem arteriellen

9.2 Der SHT-Patient auf der Intensivstation

| 149

PaCO2 , ist aber kontinuierlich erfassbar. Da Patienten mit schwerem SHT häufig kardiopulmonal oder metabolisch instabil sind, kann die Kapnometrie die regelmäßigen Blutgasanalysen auf der Intensivstation nicht ersetzen und sollte deshalb nur additiv eingesetzt werden [30–32].

9.2.1.5 Temperaturüberwachung Ein Anstieg der Körperkerntemperatur über den Normbereich zwischen 36 und 37,5 °C hinaus (Hyperthermie) kann bei Patienten mit schwerem SHT zu einer gesteigerten Stoffwechselrate mit Anstieg der CO2 -Produktion führen, die bei ausbleibender Gegenregulation durch die physiologische CO2 -Abatmung (bei intubierten und beatmeten Patienten) in einem ICP-Anstieg resultieren kann. Fieber gilt deshalb als prognostisch ungünstiger Faktor und ist bei der intensivmedizinischen Behandlung des schweren SHT mit einem schlechteren Outcome assoziiert. Als Ursachen kommen neben Infektionen auch zerebrale Störungen (z. B. Mittelhirnsyndrom) oder systemische Reaktionen nach Gewebetrauma infrage. Die Temperaturmessung als Teil des Basismonitorings sollte auf der Intensivstation deshalb engmaschig oder kontinuierlich erfolgen. Einzelmessungen über den äußeren Gehörgang spiegeln zwar am Ende die Temperatur des Gehirns wider [33] und weichen nur um ±0,2 °C von der Körperkerntemperatur ab, trotzdem hat sich bei der intensivmedizinischen Behandlung von SHT-Patienten aber die kontinuierliche Bestimmung der Körperkerntemperatur über z. B. Blasenkatheter mit integrierten Messsonden durchgesetzt [34, 35]. Für die Messung der Temperatur im Hirnparenchym existieren spezielle Sonden, die über einen kleinen neurochirurgischen Eingriff direkt in die weiße Substanz eingebracht werden und für die Steuerung z. B. der Hypothermie (s. Abschn. 9.3.5.4) verwendet werden. Ein pathologischer Anstieg der Körperkerntemperatur sollte ggf. nach Gewinnung von Blutkulturen zur Fokussuche bei Infekten rasch durch kühlende Maßnahmen und medikamentös gesenkt werden, außerdem ist die Flüssigkeitszufuhr bei Fieber zu erhöhen (etwa 500 ml/1 °C Temperaturerhöhung > 37 °C/24 h) und eine erhöhte CO2 -Produktion ggf. durch Steigerung der maschinellen Ventilation abzuatmen [36]. Auch ein Absinken der Körperkerntemperatur (Hypothermie) hat Auswirkungen auf die verschiedenen Organsysteme. Die Hypothermie wird dabei in vier Grade eingeteilt: milde Hypothermie (36,5–34 °C), moderate Hypothermie (33,5–28 °C), tiefe Hypothermie (27,5–17 °C) und profunde Hypothermie (16,5–4 °C) [37]. In der Regel kommt eine Hypothermie auf der Intensivstation am ehesten nach operativen Eingriffen vor, weil durch Anästhetika die Ruhewärmeproduktion direkt oder indirekt gesenkt wird und es über die chirurgisch eröffneten Körperhöhlen zu weiterem Wärmeverlust kommt. Diese Abkühlung kann zu einer Beeinträchtigung der Lungenfunktion [38], des pH-Managements [39], der Nierenfunktion, des Immunsystems und der Blutgerinnung führen [40–42]. Bis auf den Ausnahmefall der zur Be-

150 | 9 Grundzüge der intensivmedizinischen Behandlung

handlung des erhöhten ICP induzierten Hypothermie (s. Abschn. 9.3.5.4) sollte die Körperkerntemperatur bei Patienten mit schwerem SHT deshalb im Normbereich gehalten werden.

9.2.1.6 Ernährung und Stoffwechsel Bereits unter allgemeinen, intensivtherapeutischen Maßnahmen hat die Ernährungstherapie einen hohen Stellenwert, weil intensivpflichtige Patienten meist einen Postaggressionsstoffwechsel mit erheblichem Katabolismus aufweisen, der u. a. durch Eiweißabbau- und verluste gekennzeichnet ist. Ohne adäquate Zufuhr von Flüssigkeit und Nährstoffen können so z. B. eine erhöhte Infektanfälligkeit oder eine Reduzierung der Muskelmasse mit konsekutiven Schwierigkeiten bei der Mobilisierung oder bei der Entwöhnung vom Respirator resultieren [43]. Bei der Behandlung von Patienten mit schwerem SHT stellt die Ernährungstherapie zusätzlich eine wichtige Voraussetzung für das korrekte Einsetzen von zerebralen Reparationsvorgängen im zeitlichen Verlauf nach der Primärläsion und damit für die Prävention eines sekundären Hirnschadens dar. Zwar konnte mittlerweile gezeigt werden, dass der Energieumsatz bei Patienten mit schwerem SHT im Vergleich zu anderen Traumapatienten entgegen früherer Lehrmeinung [44] nicht im besonderen Maße erhöht ist [45, 46]. Weiterhin weisen Patienten mit isolierten Läsionen des Gehirns aber einen ausgeprägten Postaggressionsstoffwechsel auf, durch den ihr Energiebedarf bereits in Ruhe oft für längere Zeit erhöht ist [47, 48]. Die Intensität dieses Hypermetabolismus korreliert beim SHT mit dem Schweregrad und kann in einer Steigerung von 30–90 % des normalen Ruheenergieumsatzes resultieren [49–51]. Zusätzlich konnte eine Abhängigkeit des Energiebedarfs vom ICP und von der Komatiefe nachgewiesen werden [52, 53]. Der Flüssigkeitshaushalt hat bei Patienten mit schwerem SHT einen direkten Einfluss auf die Entwicklung eines sekundären Hirnschadens: Durch eine Überwässerung kann das Fortschreiten eines Hirnödems begünstigt werden, Dehydratationszustände führen wiederum zu ausgeprägten Stoffwechselstörungen. Im Rahmen des Basismonitorings sollte bei Patienten mit schwerem SHT deshalb die Flüssigkeitsbilanz (Ein- und Ausfuhr, Drainagen, Sekrete, Erbrechen, Durchfälle, Salivation) stündlich kontrolliert und dokumentiert werden, außerdem sind regelmäßige Kontrollen der Serumelektrolyte notwendig. Auch der Ruheenergieumsatz sollte täglich abgeschätzt werden. Ferner sind Laboruntersuchungen von u. a. Glukose, Harnstoff, Kreatinin, Triglyzeriden, Gesamteiweiß, Hämoglobin, Hämatokrit, Bilirubin, Transaminasen, Elektrolyten und Gerinnungswerten im Blut sowie das spezifische Gewicht und die Elektrolyte im Urin notwendig. Bei kritisch-kranken Patienten mit erhöhtem Katabolismus ist zudem die tägliche Bestimmung des renalen Stickstoffverlustes sinnvoll. Eine Messung des Energieumsatzes ist nur durch direkte oder indirekte kalorimetrische Verfahren möglich. Die indirekte Kalometrie, bei der nicht die abgegebene Wärmemenge (direkte Kalometrie), sondern der Sauer-

9.2 Der SHT-Patient auf der Intensivstation

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151

stoffverbrauch gemessen wird, kann auch bei Patienten mit schwerem SHT auf der Intensivstation angewandt werden. Allerdings konnte ein Vorteil dieses Verfahrens gegenüber Schätzverfahren nicht abschließend bestätigt werden [54]. Klinisch können neben Stuhl- und Urinhäufigkeit/-qualität, dem Auftreten von Reflux/Erbrechen, der Darmmotilität und des Körpergewichts sowie der Temperatur auch Atmung, Hämodynamik und die Bewusstseinslage Schlüsse über den Ernährungszustand liefern. Ziel der Ernährungstherapie ist dann die Deckung des gemessenen oder geschätzten Energiebedarfs bzw. der Ausgleich spezifischer Verluste durch eine adäquate Zufuhr von Glukose, Proteinen, Fetten, Aminosäuren und Vitaminen/Spurenelementen sowie von ausreichend Flüssigkeit und Elektrolyten (Tab. 9.1). Letztere stehen bei Patienten mit schwerem SHT aufgrund einer hohen Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von zentralen Störungen des Wasser- und Elektrolythaushaltes [55] besonders im Vordergrund: Diabetes insipidus, das Syndrom inadäquater ADH-Sekretion oder die zentrale Hypernatriämie sind Krankheitsbilder, die erkannt und entsprechend therapiert werden müssen. Für Patienten mit schwerem SHT gilt ansonsten allgemein ein Flüssigkeitsbedarf von ca. 30–35 ml/kg KG/Tag in der ersten posttraumatischen Woche [56]. Da der individuelle Energiebedarf von Patienten mit schwerem SHT stark schwankt, existiert keine allgemeine und gleichzeitig exakte Ernährungsformel. Semiindividualisierte Schätzungen des Energiegrundumsatzes anhand von BMI, Alter, Geschlecht und Körpergewicht, mit Korrektur für Übergewicht und systematische Fehler (BMR-Faktoren) sowie Berücksichtigung der Komatiefe und der zugrunde liegenden Erkrankung sind jedoch für die Planung der Ernährungstherapie im klinischen Alltag ausreichend genau [56, 57]. Konzepte einer strengen Blutzuckereinstellung aus der Behandlung von kritischkranken Intensivpatienten [58] können aufgrund von möglichen negativen Folgen auf den zerebralen Glukosestoffwechsel nicht direkt auf das SHT übertragen werden [59], eine hyper- oder hypoglykämische Stoffwechsellage gilt es aber weiterhin zu vermeiden [60–62]. Eine künstliche Ernährung ist indiziert, wenn intensivmedizinische Patienten nach 24–48 Stunden voraussichtlich noch nicht in der Lage sind, ihren Energiebedarf durch orale Nahrungsaufnahme zu decken. Zwar sollte aufgrund metabolischer Tab. 9.1: Bedarfswerte künstlich ernährter Patienten mit schwerem SHT. Ernährungsbestandteil

Bedarf

Flüssigkeit Aminosäuren Glukose Fette

30–35 ml/kg KG/d 1,25 g/kg KG/d 70 % der Energiezufuhr 30 % der Energiezufuhr

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Probleme bei langfristiger, parenteraler Ernährung [63] im Prinzip der enteralen Ernährung bei Patienten mit schwerem SHT der Vorzug gegeben werden [64]. Allerdings ist gerade in der Initialphase nach SHT, besonders unter Sedierung, durch gastrointestinale Motilitätsstörungen die enterale Ernährung nicht ausreichend [65] und der Energiebedarf muss häufig für die ersten 5–7 Tage zusätzlich durch eine parenterale Ernährung abgedeckt werden, die stufenweise reduziert werden sollte. Ein Beginn der enteralen Ernährung in den ersten 24–48 Stunden nach Trauma und ein voller Kostaufbau innerhalb von 5–7 Tagen wird auch in den aktuellen BTFLeitlinien empfohlen [66]. Für die enterale Ernährung steht neben der oralen Nahrungsaufnahme die Anlage von verschiedenen Nahrungssonden (nasogastral/nasojejunal, perkutan endoskopisch gastral, perkutan endoskopisch jejunal) zur Verfügung. Die Indikation ergibt sich dabei jeweils aus der Dauer der künstlichen Ernährung und den individuellen Gegebenheiten des Patienten (z. B. Aspirationsgefahr bei neurogener Schluckstörung oder niedriger Vigilanz, mangelnde Compliance, herabgesetztes Durstempfinden) [67]. Bei der Anlage einer transnasalen Sonde ist bei Patienten mit schwerem SHT immer besonders auf das Vorliegen einer Schädelbasisfraktur zu achten, weil es dabei in seltenen Fällen zu einer Penetration ins Schädelinnere kommen kann. Liegt bei Patienten mit schwerem SHT eine Störung des Schluckreflexes vor, sind die Durchführung von Schluckübungen und ein Kostaufbau über Breikost notwendig. Eine totale parenterale Ernährung sollte über einen zentralen Venenkatheter realisiert werden, es sind aber auch Kombinationen aus enteraler und peripher-venöser Ernährung sowie Formen der peripher-venösen Langzeiternährung möglich.

9.2.1.7 Lagerung und Pflege Bei der Aufnahme eines Patienten mit schwerem SHT auf die Intensivstation sollte aufgrund der ggf. längeren Behandlung bei erhöhtem ICP direkt die Möglichkeit einer Lagerung in ein „Low-flow“-Bett evaluiert werden, wodurch das Dekubitusrisiko im Verlauf gesenkt werden kann. Bis eine Verletzung der HWS ausgeschlossen ist, sollten komatöse Traumapatienten zudem achsengerecht gelagert und mit einer immobilisierenden Halsorthese versorgt werden. Kardiopulmonal stabile Patienten mit schwerem SHT werden auch ohne ICPMessung in einer mäßigen Oberkörperhochlagerung (15–30°) in gerader Längsachse gelagert, um den venösen Rückstrom zu begünstigen. Es ist dabei spezifisch darauf zu achten, dass der Kopf nicht zur Seite abweicht, nicht überstreckt ist und nicht durch Kissen zu stark angehoben wird, weil sonst der venöse Rückfluss aus dem Schädelinneren wieder behindert werden kann. Wenn eine ICP-Messung in Kombination mit einer Messung der zerebralen Oxygenierung vorliegt (s. Abschn. 9.2.2), sollte die Lagerung den Messwerten angepasst werden, weil ggf. durch eine flachere Lagerung trotz höherem ICP die Oxygenierung verbessert werden kann (optimale Messwerte s. Abschn. 9.3.4).

9.2 Der SHT-Patient auf der Intensivstation

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153

Im Falle einer ICP-Erhöhung gelten für Patienten mit schwerem SHT besondere Regeln bzgl. Lagerung und Pflege: Da jede Manipulation zu einer weiteren Erhöhung des ICP führen kann, müssen diese auf das Notwendigste beschränkt werden, was unter dem Begriff „minimal handling“ zusammengefasst wird. Dazu gehört, jede pflegerische Maßnahme und jeden Transport genau zu evaluieren, so kurz wie möglich zu halten, unter Analgosedierung durchzuführen und ggf. mehrere Maßnahmen sinnvoll zu koordinieren. Eine Tracheobronchialtoilette sollte z. B. nur bei dringender Notwendigkeit und nicht nach einem festen Zeitschema erfolgen. Unbedingt ist bei bewusstlosen Patienten darauf zu achten, dass regelmäßig eine sorgfältige Mund-, Augen- und Nasenpflege vollzogen wird, die auch eine Befeuchtung der Schleimhäute beinhaltet.

9.2.1.8 Labordiagnostik Zum Basismonitoring des schweren SHT auf der Intensivstation zählt auch die regelmäßige Durchführung von Laboruntersuchungen. Um eine ausreichende O2 -Transportkapazität sicherzustellen, sollten die Werte von Hämoglobin und Hämatokrit engmaschig kontrolliert werden. Gleiches gilt für den Wert der Blutglukose und die Werte der Elektrolyte (Natrium, Kalium, Chlorid, Kalzium). Insbesondere ein Abfall der Serumnatriumkonzentration kann die Entstehung eines Hirnödems mitbegünstigen und sollte immer abgeklärt und ggf. therapiert werden. Zusätzlich sollten tägliche Kontrollen der Infektwerte wie die Leukozytenzahl, das „C-reaktive Protein“ (CRP) oder das Procalcitonin (PCT) erfolgen, um infektiöse Komplikationen wie Respirator-assoziierte Pneumonien oder Harnwegsinfekte frühzeitig zu erkennen. Neben den Standard-Gerinnungsparametern (Thrombozyten, INR, PTT) kann bei Verdacht auf eine Blutungsneigung oder bei ausgedehnten Begleitverletzungen zusätzlich eine Bestimmung des Fibrinogens sinnvoll sein. Zum Monitoring der sog. neuen oralen Antikoagulanzien stehen zudem spezielle Gerinnungsassays zur Verfügung. Durch Point-of-care-Methoden wie die Multiplate-Analyse kann z. B. direkt die Thrombozytenfunktion untersucht werden, die ROTEM-Analyse lässt eine bessere Steuerung von Massentransfusionen zu. Im Falle einer antiödematösen Behandlung mit Osmodiuretika (s. Abschn. 9.3.5.2) muss zudem regelmäßig die Serumosmolarität kontrolliert werden, die die Grenze von 320 mosm/l aufgrund der Gefahr eines akuten Nierenversagens nicht für längere Zeit übersteigen sollte.

9.2.2 Erweitertes Neuromonitoring Ein wacher Patient mit SHT kann bzgl. seiner neurologischen Funktionen kontinuierlich überwacht und untersucht werden, sodass intrakranielle Komplikationen im Normalfall rasch identifiziert und abgeklärt werden können. Bei bewusstlosen oder bewusstseinseingeschränkten Patienten ist die neurologische Untersuchung aber li-

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Tab. 9.2: Übersicht von Basismonitoring und Basistherapie. Zusammenfassung Neurologische Untersuchung:

Erheben von standardisierten Scores (GCS, RAAS), Pupillenfunktion und Funktion der Motorik Engmaschige Untersuchungsabstände! Kontroll-CT bei neurologischer Verschlechterung

ICP-Monitoring:

Indiziert bei SHT-Patienten mit GCS 3–8 und intrakranieller Pathologie Kritisch zu diskutieren bei bewusstlosen SHT-Patienten mit unauffälligem CT

Herz- und Kreislauffunktion:

Messung des MAP invasiv und kontinuierlich bei Patienten mit schwerem SHT Aufrechterhaltung eines systolischen Blutdrucks ≥ 100 mmHg (Patientenalter 50–69 Jahre) bzw. ≥ 110 mmHg (Patientenalter > 70 Jahre) Aufzeichnung eines 12-Kanal-EKGs bei Aufnahme und kontinuierliches Monitor-EKG Anlage eines ZVK u. a. zur Katecholamingabe und Messung des ZVD

Beatmung:

Indikation zur Intubation großzügig stellen Normoventilation anstreben bei normalem ICP (PaCO2 35–45 mmHg, PaO2 80–100 mmHg) Keine prophylaktische Hyperventilation (PaCO2 ≤ 25 mmHg)! Hohe Spitzendrücke und hohen PEEP vermeiden (pinsp < 35 cmH2 O, PEEP 5–10 cmH2 O) Pulsoximetrie und regelmäßige Blutgasanalysen durchführen

Temperaturüberwachung:

Engmaschige Einzelmessungen (äußerer Gehörgang) oder kontinuierliche Messung (Blasenkatheter) Vermeidung von Hyper- und Hypothermie (jeweils prognostisch ungünstig)

Stoffwechsel:

Semiquantitative Abschätzung des individuellen Energiegrundumsatzes ausreichend Energiezufuhr zu 70 % über Glukose und 30 % über Fette Normoglykämische Stoffwechsellage anstreben Enterale Ernährung 24–48 Stunden nach Trauma beginnen, vollen Kostaufbau innerhalb von 5–7 Tagen durchführen

Lagerung und Pflege:

Achsengerechte Lagerung und Immobilisierung mit Halsorthese bis HWS-Verletzungen ausgeschlossen sind Mäßige Oberkörperhochlagerung (15–30 °) in gerader Längsachse auch ohne ICP-Messung „Minimal handling“ bei pathologisch erhöhtem ICP

Labordiagnostik:

Tägliche Kontrolle von Hämoglobin, Hämatokrit, Elektrolyten, Blutglukose, Infektwerten und Gerinnungsparametern Regelmäßige Kontrolle der Serumosmolarität bei Behandlung mit Osmodiuretika

9.2 Der SHT-Patient auf der Intensivstation

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mitiert (z. B. auf Pupillenstatus, Hirnstammreflexe, GCS), sodass der Behandler es bzgl. der Gehirnfunktion wortwörtlich mit einer „black box“ zu tun hat. In der modernen Neurointensivmedizin können über spezielle Messsonden aber zusätzliche Parameter bzgl. der Gehirnfunktion abgeleitet und überwacht werden. Diese erlauben es, auch bei bewusstlosen Patienten das Auftreten von intrakraniellen Veränderungen zu erfassen, hierdurch frühzeitig Komplikationen zu erkennen und über eine zielgesteuerte Therapie das Behandlungsergebnis zu verbessern. Auch eine bessere Prognoseabschätzung wird durch diese zusätzlichen Messwerte möglich [68]. Die entsprechenden Verfahren werden unter dem Begriff „erweitertes Neuromonitoring“ oder „multimodales Neuromonitoring“ zusammengefasst und in Kapitel 10 besprochen. Aktuelle Empfehlungen bzgl. des multimodalen Monitorings stammen neben den BTF-Leitlinien [66] auch von der International Multidisciplinary Consensus Conference on Multimodality Monitoring in Neurocritical Care [69].

9.2.3 Allgemeine medikamentöse Therapie Trotz vielversprechender Ergebnisse aus der Grundlagenforschung und aus Tierversuchen konnte in den letzten Jahrzenten für keines der vielen bislang getesteten „neuroprotektiven“ Medikamente ein relevanter Wirksamkeitsnachweis bei der Behandlung von Patienten mit schwerem SHT in klinischen Studien gezeigt werden. Als beispielhafte Substanzen hierfür seien 21-Aminosteroide, Kalziumantagonisten, Glutamatrezeptorantagonisten oder auch Tris-Puffer genannt, für deren Anwendung zur potenziellen Vermeidung eines Hirnödems oder zur Förderung der Neuroregeneration weiterhin eine klare Empfehlung fehlt [70]. Zuletzt wurde sogar für die Verabreichung von hochdosierten Steroiden bei der Behandlung des SHT gezeigt, dass sich die 14-Tages-Letalität entgegen der Erwartung erhöht, sodass ihre Anwendung heute unbedingt unterbleiben sollte [71]. Die allgemeine medikamentöse Therapie bei der Behandlung von Patienten mit schwerem SHT auf der Intensivstation umfasst deshalb v. a. die Bereiche Sedierung/Analgesie sowie die medikamentöse Prophylaxe von Thrombosen, Infektionen und Krampfanfällen. Spezifische medikamentöse Therapiekonzepte zur Behandlung extrazerebraler Krankheitsbilder werden im Weiteren nicht besprochen. Sie spielen bei der intensivmedizinischen Behandlung von Patienten mit schwerem SHT aber ebenfalls eine große Rolle, weil ihr Auftreten im Rahmen der intensivmedizinischen Behandlung die Prognose erheblich verschlechtern kann [72].

9.2.3.1 Sedierung und Schmerzbehandlung Für die intensivmedizinische Behandlung von Patienten mit schwerem SHT ergeben sich bzgl. der Sedierung und Analgesierung neben den typischen Hauptindikationen Anxiolyse, Beseitigung von Schmerzen und Erleichterung der maschinellen

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Beatmung folgende Besonderheiten: Durch eine adäquate Analgosedierung kann der zerebrale Stoffwechsel gesenkt und dadurch einer ICP-Erhöhung vorgebeugt werden, außerdem werden der zerebrale Blutfluss optimiert sowie die Ischämietoleranz verbessert, und das Auftreten von Krampfanfällen wird reduziert [73]. Als neuroprotektiver Effekt wird auch der inhibierende Einfluss der Analgosedierung auf die Lipidperoxidation durch Sauerstoffradikale beschrieben [74]. Auch wenn die Datenlage bis heute für einen hohen Evidenzgrad nicht ausreicht, besteht doch Konsens darin, dass bei Patienten mit schwerem SHT durch die Analgosedierung dem sekundären Hirnschaden entgegengewirkt und das neurologische Outcome ggf. verbessert werden kann [75]. Allerdings haben die verwendeten Substanzen auch Nebenwirkungen (Hypotonie, verringertes Herzzeitvolumen, Zunahme von intrapulmonalen Shunts), die sich neben allgemeinen negativen Effekten auch ungünstig auf den CPP und die Oxygenierung des Hirnparenchyms auswirken können [76]. In der AWMF-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin zur Analgesie, Sedierung und zum Delirmanagement auf der Intensivstation [77] werden für die Subgruppe der Patienten mit schwerem SHT und erhöhtem ICP spezifische Empfehlungen ausgesprochen. So sollte ein an den individuellen Patienten und seine Situation angepasstes Sedierungsziel definiert und anhand von standardisierten Monitoringinstrumenten regelmäßig überprüft werden. In der Akutphase nach schwerem SHT oder spätestens bei ICP-Erhöhung wird in der Regel eine tiefe Sedierung angestrebt [78]. Auf der häufig verwendeten Richmond Agitation Sedation Scale (RASS), die als subjektives Monitoringinstrument die Sedierungstiefe in zehn Stufen einteilt, entspricht dies einem Wert von –5. Bezüglich des zu verwendenden Monitoringinstruments für die Sedierungstiefe (Sedierungsscores, EEG, Bispectral Index – BIS) ist die Datenlage für eine abschließende Empfehlung bislang nicht ausreichend, dieses sollte vielmehr klinikintern festgelegt werden. Regelmäßige neurologische Untersuchungen sind aber bei sedierten Patienten immer obligat. Bei der Substanzauswahl ist bzgl. der Sedativa und Analgetika möglichst darauf zu achten, dass die Wirkprofile ideal auf die Anforderungen und Voraussetzungen des individuellen SHT-Patienten abgestimmt sind. Das gewählte Sedativum/Analgetikum sollte eine ICP-senkende Wirkung haben, dabei aber trotzdem den CPP aufrechterhalten, die zerebrale Hämodynamik einschließlich der Autoregulation erhalten, den zerebralen Stoffwechsel senken, antikonvulsive und neuroprotektive Eigenschaften besitzen und eine rasche neurologische Beurteilung des Patienten nach Pausieren der Substanz ermöglichen [79]. Propofol, Midazolam und Ketamin sowie Sufentanil sind in diesem Kontext als Präparate gebräuchlich und werden als sicher eingestuft. Eine Überlegenheit in Bezug auf das neurologische Outcome, den ICP oder den CPP konnte aber für keine der Substanzen gezeigt werden [80]. In der Praxis ist deshalb je nach Dauer der Beatmung eine Kombinationstherapie aus kurz- oder langwirksamen Sedativa (Propofol/Midazolam) und Analgetika (Re-

9.2 Der SHT-Patient auf der Intensivstation

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mifentanil/Sufentanil/Fentanyl/Ketamin) gängig. Vor allem Propofol ist bzgl. der ICP-senkenden Eigenschaft gut untersucht und wird für diesen Einsatz in der aktuellen BTF-Leitlinie empfohlen, allerdings konnte eine Verbesserung der Mortalität oder des 6-Monate-Behandlungsergebnisses nicht nachgewiesen werden [81]. Für den Einsatz von volatilen Anästhetika oder Alpha-2-Adrenorezeptoragonisten in der Analgosedierung von Patienten mit schwerem SHT fehlt bislang noch eine ausreichende Evidenz [82]. Barbiturate nehmen bei der Analgosedierung von Patienten mit schwerem SHT weiterhin eine wichtige Rolle zur Senkung des therapierefraktären ICP ein. Die Hochdosisapplikation wird dabei unter EEG-Monitoring und nur bei kardiopulmonal stabilen Patienten durchgeführt (s. Abschn. 9.3.5.2). Auf eine prophylaktische Anwendung von Barbituraten bei Patienten mit schwerem SHT sollte aber verzichtet werden. Durch die Analgosedierung wird die hochgradig wichtige neurologische Beurteilbarkeit bei Patienten mit schwerem SHT insgesamt erschwert, auch wenn heute durch die Methoden des multimodalen Neuromonitorings (s. Abschn. 9.2.2 und Kap. 10) Teilaussagen möglich sind. Trotzdem sollte auf eine vordefinierte tägliche Unterbrechung der Sedierung im Sinne eines „Neurofensters“ verzichtet werden, weil die negativen Folgen wie ICP-Anstieg und vegetative Stressreaktion die positiven Effekte wie die der Detektion eines neuen neurologischen Defizits überwiegen [83–85].

9.2.3.2 Thromboseprophylaxe und Antikoagulation Für Patienten mit schwerem SHT besteht aufgrund von längerer Immobilisierung, fokal-motorischen Defiziten und einer Hyperkoagulabilität sowie möglichen Begleitverletzungen ein erhöhtes Risiko für venöse Thromboembolien, mit einer Inzidenz von bis zu 54 % [86, 87]. Diese können u. a. zu einer lebensbedrohlichen Lungenarterienembolie führen, weshalb eine Thromboseprophylaxe möglichst früh begonnen werden sollte. Auf der Intensivstation besteht diese Prophylaxe aus einer physikalischen Komponente mittels z. B. Kompressionsstrümpfen, die sofort begonnen werden kann, sowie einer medikamentösen Komponente. Zur medikamentösen Thromboseprophylaxe sollte, wenn immer möglich, niedermolekulares Heparin eingesetzt werden. Der Therapiebeginn ist dabei abhängig von den intrakraniellen Verletzungen zu wählen, und die Risiken einer Progredienz intrakranieller Blutungen müssen bei jedem Patienten individuell abgeschätzt werden. In der Regel überwiegen bei einem stabilen intrakraniellen Befund aber die Vorteile der medikamentösen Thromboseprophylaxe, sodass diese meist bereits am 1. oder 2. Tag nach dem Trauma eingeleitet werden kann. Durch die kombinierte Thromboseprophylaxe lässt sich das Risiko für eine tiefe Beinvenenthrombose bei Patienten mit schwerem SHT um das 3 bis 4fache senken [88]. Eine alleinige physikalische Prophylaxe durch mechanische Kompression ist nicht ausreichend [89].

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Auf Diagnostik und Therapie angeborener oder erworbener Störungen der Blutgerinnung wird im Kapitel 12 eingegangen. Bei diesen Patienten ist in jedem Fall besonderes Augenmerk auf eine verzögerte neurologische Verschlechterung bei protrahierter Hämatombildung zu legen, weshalb eine engmaschige Überwachung mit ggf. Verlaufs-CT-Kontrollen des Schädels empfohlen wird. Der Zeitpunkt des Wiederbeginns einer gerinnungshemmenden Therapie nach schwerem SHT richtet sich individuell nach Dringlichkeit der Indikation (z. B. Schlaganfallprophylaxe vs. mechanische Herzklappe) und nach dem intrakraniellen Verletzungsmuster.

9.2.3.3 Infektionsprophylaxe Das Infektionsrisiko ist für Patienten der Intensivstation mit schwerem SHT aufgrund verschiedener Faktoren erhöht. So tragen der Postaggressionsstoffwechsel, die häufige Notwendigkeit einer maschinellen Beatmung und das teilweise invasive (Neuro-) Monitoring zur Entstehung von Pneumonien oder Katheter-assoziierten Infekten bei. Das Auftreten von Ventilator-assoziierten Pneumonien (VAP) korreliert mit der maschinellen Beatmungsdauer. Die Inzidenz der VAP liegt bei Patienten mit schwerem SHT bei bis zu 40 % [90]. Hypoxie, Fieber, Hypotension und ein Anstieg des ICP als Folge von VAP verschlechtern die Prognose der betroffenen Patienten. Eine generelle, antibiotische Prophylaxe für VAP wird aufgrund der damit verbundenen Häufung von resistenten Keimen nicht empfohlen [91], allerdings sollte bei laborchemischem oder klinischem Verdacht ggf. direkt nach Gewinnung von Trachealsekret empirisch, immer aber bei positiver Bakterienkultur erregerspezifisch antibiotisch therapiert werden. Neuere Studien zeigen, dass die frühzeitige Tracheotomie die Dauer der maschinellen Beatmung reduzieren kann, ohne dabei aber die Mortalität der Patienten oder das Auftreten von VAP zu reduzieren [92]. In der aktuellen BTF-Leitlinie wird die frühzeitige Tracheotomie (z. B. 5–6 Tage nach Trauma) trotzdem empfohlen, solange die Gesamtvorteile die Risiken des Eingriffs überwiegen. Auf die Anwendung von Jod-Polyvidon bei der Mundpflege von maschinell beatmeten Patienten mit schwerem SHT zur VAP-Prophylaxe sollte wegen des erhöhten Risikos für das Auftreten eines schweren akuten respiratorischen Syndroms verzichtet werden [93, 94]. Da Patienten mit schwerem SHT häufig eine extraventrikuläre Drainage (EVD) im Rahmen des ICP-Monitorings oder der ICP-Therapie benötigen, spielt auch die Erkennung und Behandlung von Infektionen des Liquorsystems und Gehirns (Ventrikulitis, Meningitis) bei der intensivmedizinischen Behandlung eine große Rolle. Einzelheiten hierzu sind im Kapitel 15 dargestellt.

9.3 Management des erhöhten ICP |

159

9.2.3.4 Krampfanfallsprophylaxe Auf die Behandlung posttraumatischer Krampfanfälle und deren Prophylaxe wird im Kapitel 15.5 eingegangen.

9.3 Management des erhöhten ICP 9.3.1 Ätiologie des erhöhten ICP Die Verknöcherung des Schädels vollzieht sich bereits in den ersten Lebensjahren, danach stellt die Schädelkapsel einen starren Hohlraum mit definiertem Volumen dar. Dieses intrakranielle Volumen besteht aus drei Komponenten: dem weichen Hirngewebe sowie den inkompressiblen Flüssigkeiten Liquor und Blut. Das gesamte Volumen innerhalb der Schädelkapsel beträgt ca. 1.500–1.700 ml, davon nimmt die Hirnsubstanz selbst ca. 80–90 % ein. Das zirkulierende Blutvolumen beträgt ca. 150 ml, wobei sich ein Drittel des Blutes auf das arterielle und zwei Drittel auf das venöse System verteilen. Die Liquormenge macht je nach Alter und Hirnatrophie insgesamt weitere 5–15 % des Volumens aus [95–97]. Vergrößert sich das Volumen einer dieser Komponenten, kann dies physiologisch nur auf Kosten einer anderen geschehen, weil sonst der intrakranielle Druck ansteigt. Den Zusammenhang zwischen intrakraniellem Volumen und intrakraniellem Druck bezeichnet man als „intrakranielle Compliance“, die erstmals durch Monro im 18. Jahrhundert beschrieben wurde und durch Kellie Anfang des 19. Jahrhunderts bestätigt werden konnte [98]. Mithilfe der Monro-Kellie-Doktrin lassen sich die Einflüsse der intrakraniellen Komponenten zueinander darstellen: Vgesamt = VBlut + VLiquor + VGehirn Kommt es zu einer Volumenzunahme in einem der Kompartimente, kann v. a. durch Ausgleichsbewegungen des flüssigen Rauminhalts zunächst eine Kompensation erreicht werden (Verschiebung von Blutvolumen nach extrakraniell oder von Liquor nach intraspinal, Erhöhung der Liquorresorption). Auch das Gehirnvolumen kann sich über einen längeren Zeitraum verändern (Hirnatrophie bei chronischer Liquorabflussstörung). Tritt eine neue, vierte intrakranielle Komponente mit eigenem Volumen (= Raumforderung) zu diesem empfindlichen Gleichgewicht hinzu, brauchen sich die intrakraniellen Reserveräume auf. Nach einer Anfangsphase mit noch kompensiertem ICP kann es dann schlagartig zu einer weiteren, exponentiellen Druckerhöhung kommen (Abb. 9.2) [99]. Anatomisch ist der intrakranielle Raum durch das Tentorium cerebelli in einen supra- und infratentoriellen Bereich geteilt, außerdem sind die beiden Großhirnhemisphären durch die Falx cerebri ebenfalls dural voneinander abgegrenzt. Die Druckverteilung des ICP kann somit beim Auftreten einer lokalen Volumenzunahme (Raum-

160 | 9 Grundzüge der intensivmedizinischen Behandlung

140

dekompensiert

120

ΔV

ICP (mmHg)

100 ΔP

80 60 40 ΔV

20

ΔP

kompensiert

0 Volumen

Abb. 9.2: Druck-Volumen-Diagramm des ICP. Abhängigkeit des ICP vom intrakraniellen Volumen, ΔP = Druckdifferenz, ΔV = Volumendifferenz.

forderung) zwischen den intrakraniellen Kompartimenten unterschiedlich sein. Die entstehenden Druckgradienten sind dabei umso ausgeprägter, je rascher die entsprechende Volumenzunahme erfolgt. Diese Druckgradienten sind auch für Hirnmassenverschiebungen verantwortlich, die letztendlich klinisch zu Einklemmungserscheinungen führen. Bei einer supratentoriellen Raumforderung mit Volumenzunahme und ICP-Steigerung sind dies eine Verschiebung der betroffenen Großhirnhemisphäre unter die Falx cerebri auf die Gegenseite und die Herniation der mittleren Anteile des Temporallappens in den Tentoriumsschlitz (sog. obere Einklemmung). Bei weiterer Drucksteigerung kann sich diese Verschiebung über das infratentorielle Kompartiment bis in den Spinalkanal fortsetzen und zu einer Herniation der Kleinhirntonsillen in das Foramen magnum führen (sog. untere Einklemmung), wobei der Druckgradient bis zu 80 mmHg betragen kann. Im Falle einer infratentoriellen Raumforderung mit Drucksteigerung ist neben der „unteren Einklemmung“ auch eine inverse „obere Einklemmung“ möglich. Da das Reservevolumen infratentoriell im Vergleich zum supratentoriellen Kompartiment wesentlich geringer ist, treten Hirnmassenverschiebungen und somit Einklemmungserscheinungen hier rascher in Erscheinung. Die Gefahr eines Druckgradienten und somit einer Hirnmassenverschiebung mit „oberer“ oder „unterer Einklemmung“ ist für infratentorielle Volumenzunahmen demnach am größten. Beim Krankheitsbild des schweren Schädel-Hirn-Traumas (SHT) können derartige Volumenzunahmen lokalisiert (z. B. sub-/epidurale Hämatome, intraparenchymale Blutungen) oder generell (z. B. Hydrocephalus, Hirnödem) oder als Kombination beider in Erscheinung treten. Vor allem beim schweren SHT gefährdet häufig erst die sekundäre Steigerung des ICP die betroffenen Patienten vital und bestimmt den klinischen Verlauf, wohingegen der primären Hirnschädigung oft nur eine Nebenrolle zukommt.

9.3 Management des erhöhten ICP |

161

9.3.2 Pathophysiologie des erhöhten ICP Kommt es nach schwerem SHT zum Absinken des zerebralen Blutflusses (Cerebral Blood Flow – CBF) unter einen kritischen Wert, können lokale oder generalisierte Ischämien auftreten, durch die die Wasser- und Elektrolythomöostase gestört wird [100]. Während dieser Phasen der Mangelversorgung verlieren auch Ionenaustauschpumpen in der Zellmembran von Gehirnzellen ihre Funktion und ein zytotoxisches Hirnödem bildet sich aus [101]. Durch irreversible Zellschäden kann im Verlauf die Blut-Hirn-Schranke (Blood Brain Barrier – BBB) ihre Funktion verlieren und es findet eine Extravasation von Serumproteinen statt, sodass zusätzlich ein vasogenes Hirnödem entsteht [101]. Diese beiden Formen des traumatischen Hirnödems gehören zu den sekundären Hirnschäden und entwickeln sich je nach Ausmaß und Progress der Primärläsion sowie je nach Begleitsymptomen wie systemischer Hypotension, Hypoxie oder Fieber unterschiedlich fulminant und schnell. Charakterisiert ist das traumatische Hirnödem durch eine Ansammlung von intrazellulärem Wasser in Neuronen und Astrozyten sowie von proteinreichen Exsudaten im Extrazellulärraum, wodurch es insgesamt zu einer massiven Gewebeschwellung und intrakraniellen Volumenvergrößerung kommt. Diese „Netto-Zunahme“ von Flüssigkeit im traumatisierten Hirngewebe lässt sich auch tierexperimentell nachweisen [102]. Neben dem „generalisierten Hirnödem“, das durch o. g. Mechanismen diffus und meist erst sekundär auftritt, kann es im Rahmen von intraparenchymalen Blutungen bereits nach 2–3 Tagen auch zu lokalen, das nekrotische Gewebe umgebenden „fokalen Ödemen“ kommen [103, 104]. Nach der Monro-Kellie-Doktrin führt das Auftreten aller pathologischen Volumenvermehrungen nach Aufbrauchen der physiologischen Kompensationsmöglichkeiten zu einer Zunahme des ICP, der wiederum in einer Abnahme des zerebralen Perfusionsdrucks (Cerebral Perfusion Pressure – CPP) und des CBF resultiert. Die daraufhin entstehende Hypoperfusion des Hirngewebes führt wiederum zu weiterer Ischämie, die das Hirnödem im Sinne eines Circulus vitiosus (Abb. 9.3) erneut steigert. Der maximale ICP-Anstieg ereignet sich häufig ca. 24–96 Stunden nach Trauma und ist meist durch raumfordernde, intrakranielle Läsionen (sub-/epidurale Hämatome, intraparenchymale Blutungen, Impressionsfrakturen) oder ein fokales sowie generalisiertes posttraumatisches Hirnödem (s. o.) bedingt [105]. Teilweise kommt es nach schwerem SHT aber auch zu einem zweiten ICP-Anstieg, der erst nach ca. 3–10 Tagen auftritt und durch eine weitere Blutungsprogredienz, in seltenen Fällen aber auch Ödem Ischämie

CFB↓

ICP↑

CPP↓ Abb. 9.3: Circulus vitiosus des traumatischen Hirnödems.

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durch Vasospasmen bei traumatischer SAB [106] oder systemische Faktoren wie Hyponatriämie oder Hypoxie entstehen kann. Als Spätfolge nach schwerem SHT kann sich z. B. aufgrund eines Missverhältnisses der Liquorproduktion/-resorption auch noch nach Monaten ein Hydrocephalus communicans (malresorptivus) entwickeln, der erneut zu einer langsamen Zunahme des ICP führt [107]. Zur definitiven Therapie ist in diesen Fällen meist die neurochirurgische Anlage einer dauerhaften Liquorableitung aus dem Ventrikelsystem, z. B. ein ventrikuloperitonealer (VP) Shunt, notwendig, wodurch sich das neurologische und neuropsychologische Ergebnis wieder verbessern lässt [108, 109].

9.3.3 ICP, Hirndurchblutung und Autoregulation Um Aussagen über den zerebralen Blutfluss (Cerebral Blood Flow – CBF) bei Patienten mit schwerem SHT treffen zu können, sind normalerweise aufwendige und kostspielige Untersuchungen notwendig. Da es aber von hohem pathophysiologischem und auch klinischem Interesse ist, ob der CBF den metabolischen O2 -Bedarf (CMRO2 ) des Gehirns deckt und somit eine ausreichende Oxygenierung, die zur Vermeidung sekundärer Hirnschäden wichtig ist, besteht, bedient man sich in der Praxis der intensivmedizinischen Behandlung des SHT eines Surrogatparameters – des zerebralen Perfusionsdrucks (CPP). Der CPP ist definiert als Druckunterschied zwischen Ein- und Ausfluss des Blutes über das vaskuläre Gefäßbett des Gehirns hinweg. Da der Ausfluss des Blutes im Gehirn nicht durch den Jugularvenendruck (JVP), sondern durch den ICP bedingt ist, lässt sich der CPP als Gradient zwischen dem systemischen mittleren arteriellen Druck (MAP) als Einfluss- und dem ICP als Ausflussdruck berechnen [110]. CPP = MAP − ICPmittel Dabei nicht berücksichtig ist der Druck der venösen Blutleiter im Gehirn (Sinusdruck), der nur ca. 1–3 mmHg beträgt und in dieser Formel vereinfachend vernachlässigt werden kann. Der zerebrale Blutfluss (CBF) ergibt sich aus dem Verhältnis von zerebralem Perfusionsdruck (CPP) und zerebralem Gefäßwiederstand (CVR) [111]. CBF = CPP/CVR Sowohl MAP als auch ICP lassen sich standardisiert und mit relativ geringem Aufwand messen (s. Abschn. 9.2.1.2 und 9.2.2), sodass der daraus abgeleitete CPP in der Neurointensivmedizin im Allgemeinen als Richt- und Steuerungsgröße für die Durchblutung des Gehirns dient. Zu beachten ist dennoch, dass sowohl MAP als auch ICP als Messwerte Fehlerquellen und Messungenauigkeiten unterliegen, die sich auf die Berechnung des CPP übertragen. Da der CPP als Rechengröße Einflüsse von z. B. zerebralen Gefäßspasmen oder Karotisstenosen nicht widerspiegelt, kann in solchen

9.3 Management des erhöhten ICP |

163

Fällen die Beurteilbarkeit der „wahren“ Hirnperfusion ebenfalls eingeschränkt bleiben. Offensichtlich wird, dass die Hirndurchblutung durch Änderungen des MAP als auch des ICP direkt beeinflusst werden kann. Um den zerebralen Blutfluss trotz dieser Einflussgrößen aufrechterhalten zu können, besitzt das Gehirn autoregulatorische Fähigkeiten: Über große CPP-Bereiche (50–150 mmHg) hinweg kann unter physiologischen Bedingungen durch Veränderung des zerebralen Gefäßwiederstandes (CVR), also durch Verengung (Bayliss-Effekt) oder Erweiterung der zerebralen Gefäße, der CBF konstant gehalten werden [112]. Sobald sich der CPP außerhalb dieser kritischen Grenzen bewegt, verhält sich der CBF zu ihm linear und verändert sich druckpassiv, sodass entweder eine Ischämie (Minderversorgung) oder eine Hyperämie (ICPSteigerung) entstehen [113]. Im Rahmen des schweren SHT sind die Autoregulationsmechanismen des Gehirns durch Hypoxie, Hyperkapnie oder auch pharmakologisch (z. B. volatile Anästhetika) oft eingeschränkt. Ein weitverbreitetes Konzept der intensivmedizinischen Behandlung von Patienten mit schwerem SHT ist es deshalb, den CPP zu überwachen und durch Einflussnahme auf MAP und ICP zu regulieren. Eine Verminderung des CBF und dadurch eine eingeschränkte Sauerstoffversorgung des Gehirns mit Entwicklung eines Hirnödems und sekundärer Hirnschäden soll so vermieden werden. Bezüglich des optimalen CPP bleibt die Diskussion bis heute kontrovers: Weder eine generelle Reduktion des CPP (Lund-Konzept [114]) noch eine Steigerung des CPP (Rosner-Konzept [115]) mit jeweils dem Ziel einer ICP-Senkung können auf alle Patienten gleichermaßen angewendet werden. Vielmehr können beide konkurrierende Therapieansätze je nach individuellem Zustand der zerebrovaskulären Autoregulation und der Blut-Hirn-Schranke indiziert sein. Neben dem CPP ist die Hirndurchblutung noch von einer Vielzahl weiterer physiologischer Faktoren abhängig, zu denen u. a. die Blutviskosität, die Partialdrücke von Sauerstoff (PaO2 ) und Kohlenstoffdioxid (PaCO2 ) im Blut sowie die altersabhängige Gefäßrigidität gehören. Letztendlich ist für eine ausreichende Oxygenierung des Gehirns aber nicht nur die zerebrale Durchblutung, sondern auch die metabolische Rate (CMRO2 ) verantwortlich, die je nach metabolischer Situation variiert. Zwar konnte in Studien des multimodalen zerebralen Monitorings (s. Abschn. 9.2.2 und Kap. 10) gezeigt werden, dass die Oxygenierung des traumatisierten Gehirns bei einem CPP unter 50 mmHg abfällt und ein CPP über 60 mmHg die zerebrale Sauerstoffentsättigung wieder reduziert [116, 117]. Eine Aufrechterhaltung höherer CPP Werte (> 70 mmHg) führte aber z. B. zu einer hohen Nebenwirkungsrate, ohne das neurologische Outcome der Patienten mit schwerem SHT zu verbessern [118, 119]. Aktuell wird deshalb bei der intensivmedizinischen Behandlung von Patienten mit schwerem SHT die CPP-Überwachung zur Senkung der 2-Wochen-Mortalität empfohlen (Evidenz-Level II B) [66]. Als CPP-Bereich werden 60–70 mmHg empfohlen (Evidenz-Level II B), wobei von einer Steigerung des CPP über 70 mmHg klar abgeraten

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wird (Evidenz-Level III), der optimale untere Grenzwert aber offen und abhängig vom individuellen Autoregulationsstatus des Patienten bleibt [66]. Es wird vermutet, dass sich durch eine individuelle Anpassung des optimalen CPP an die spezifischen Gegebenheiten des jeweiligen Patienten sowie dessen kontinuierliche Überwachung und Anpassung durch Methoden des multimodalen Monitorings und der Abschätzung der Autoregulation durch validierte Indizes (PressureReactivity-Index – PRx, [120], Low-Frequency-Autoregulation-Index – LAx, [121]) das Behandlungsergebnis in Zukunft weiter verbessern lassen wird [122].

9.3.4 Messung des ICP auf der Intensivstation Zwar können klinische Symptome wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, allmähliche Bewusstseinstrübung bis hin zum Koma und beim bewusstlosen Pateinten schließlich auch Pupillenerweiterung sowie Beuge- und Strecksynergismen auf eine pathologische ICP-Erhöhung hindeuten. Allerdings kommen die einzelnen Symptome auch unabhängig von einer ICP-Erhöhung vor und ihre Reihenfolge sowie Ausprägung kann individuell unterschiedlich ausfallen. Auch bildgebende Verfahren wie die CT- oder MRT-Untersuchung können nur indirekte Hinweise auf eine ICP-Steigerung liefern. Bei Patienten mit schwerem SHT, bei denen sich eine bedrohliche intrakranielle Druckerhöhung entwickeln kann, ist die Messung des ICP in der Neurointensivmedizin deshalb essenziell. Die gängigen Indikationen zur ICP-Messung sind in Abschnitt 9.2.2 dargestellt. Erneut sei darauf hingewiesen, dass das jahrzehntealte Konzept der ICP-Messung bei Patienten mit schwerem SHT v. a. in den westlichen Industrienationen zum Standard der Intensivbehandlung gehört und ihr Nutzen in randomisiert-kontrollierten Studien (Randomized Controlled Trial – RCT) deshalb lange nicht überprüft wurde. Die Evidenz, dass ein pathologisch erhöhter ICP bei Patienten mit schwerem SHT zu einem schlechteren Behandlungsergebnis führt, gilt trotzdem als unangefochten [123–125]. Erst in einer kürzlich publizierten RCT wurde das Paradigmum der ICP-Messung angefochten und dabei gezeigt, dass die invasive Druckmessung in einer Region der Welt, in der diese nicht routinemäßig eingesetzt wird, der klinischen- und bildmorphologischen Kontrolle bzgl. der Mortalität und des neurologischen Outcomes von Patienten mit schwerem SHT nicht überlegen ist [126]. Von der Fachwelt wurden diese Ergebnisse kritisch diskutiert [127]. Auch heute gilt, dass die ICP-Erhöhung nach schwerem SHT eine zentrale Komplikation darstellt, deren Erkennung und Behandlung im Rahmen einer adäquaten Behandlung betroffener Patienten mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln nachgegangen werden sollte. Allgemein verstanden und definiert wird der ICP als Flüssigkeitsdruck in Höhe des Foramen Monroi im Seitenventrikel. Wie physikalisch üblich, sollte er eigentlich als Quotient aus Kraft und Fläche in N/m2 = Pascal [Pa] angegeben werden, in der

9.3 Management des erhöhten ICP |

165

Tab. 9.3: Normalwerte des ICP. Aktivität

Erwachsene

Säuglinge

Husten REM-Schlaf Non-REM-Schlaf Liegend Stehend

30–110 mmHg 15–25 mmHg 8–17 mmHg 5–15 mmHg –10–0 mmHg

20–40 mmHg 19–22 mmHg 5–9 mmHg 5–7 mmHg –10–0 mmHg

(b)

ICP (mmHg)

(a)

ICP (mmHg)

Medizin wird er aber weiterhin als Differenz zum atmosphärischen Druck in der historischen Einheit mmHg ausgedrückt (1 kPa = 7,501 mmHg, 1 mmHg = 0,133 kPa). Der „Ventrikeldruck“ dient zwar als Referenzdruck des ICP, unterscheidet sich aber von ICP-Messungen an anderen intrakraniellen Punkten: Epidural gemessene Drücke liegen ca. 5–10 mmHg höher [128], wohingegen der im Parenchym gemessene Druck ca. 2–4 mmHg niedriger ausfällt [129]. Die Normalwerte des ICP in Höhe des Foramen Monroi im Seitenventrikel sind für verschiedene Altersgruppen und Aktivitäten in Tabelle 9.3 dargestellt [130]. Bereits die physiologische ICP-Kurve zeigt fünf pulssynchron auftretende Wellen, die ersten drei Wellenspitzen sind dabei arteriell und die letzten beiden Wellenspitzen venös induziert. Eine Schwankung des ICP von 2–4 mmHg im Rahmen der Atmung ist dabei normal, diese Schwankungen können sich bei pathologisch erhöhtem ICP aber auf bis zu 20 mmHg erhöhen (Abb. 9.4). Mit steigendem ICP zeigt sich zudem eine Zunahme der Amplitude der gesamten ICP-Kurve, und auch weitere pathologische Auffälligkeiten wurden in Wellen- und Frequenzanalysen des ICP beschrieben [131]. Im Folgenden werden die gängigen Methoden und technischen Aspekte der ICPMessung bei der intensivmedizinischen Behandlung von Patienten mit schwerem SHT dargestellt. Die epidurale sowie auch die subdurale ICP-Messung wurden in der heutigen klinischen Praxis nahezu aufgegeben und werden im Rahmen dieses Kapitels nicht mehr behandelt.

30 15

30 15

Abb. 9.4: Atem- und pulsabhängige Wellenform der ICP-Kurve. Schwankungen der ICP-Druckwelle in Abhängigkeit von Atmung (a) und Puls (b).

166 | 9 Grundzüge der intensivmedizinischen Behandlung

9.3.4.1 Ventrikeldruckmessung Die Messung des „Ventrikeldrucks“ mit einem Ventrikelkatheter entspricht der ursprünglichen Form der ICP-Messung und gilt auch heute noch als „Goldstandard“. Dabei wird eine externe Ventrikeldrainage (EVD) in der Regel über eine frontale Bohrlochtrepanation oder teilweise ein Schraubensystem in das Vorderhorn des Seitenventrikels, falls möglich der nichtdominanten Hemisphäre, eingebracht. Der intraventrikuläre Druck wird flüssigkeitsgekoppelt auf einen extrakraniellen Druckaufnehmer (Transducer) übertragen. Da der ICP auf das Niveau des Foramen Monroi standardisiert ist, sollte auch der Transducer ungefähr auf dieses Bezugsniveau positioniert werden (aus Gründen der anatomischen Vereinfachung wird der Meatus acusticus externus als äußerer Bezugspunkt benutzt) (Abb. 9.5). Um hydrostatische Messfehler zu vermeiden, sollte die Lage des Transducers bei Höhenveränderungen des Kopfes immer sofort angepasst werden, hierfür sind verschiedene Vorrichtungen, die den Vorgang vereinfachen, im Handel verfügbar. Der große Vorteil der ICP-Messung über eine EVD ist die Möglichkeit, dass gleichzeitig z. B. eine therapeutische Liquordrainage zur ICP-Senkung (s. Abschn. 9.3.5.5) oder Ableitung von intraventrikulärem Blut, aber auch eine Liquordiagnostik durchgeführt werden können. Eine gleichzeitige akkurate ICP-Messung und Liquordrainage ist jedoch bei diesen einfachen hydrostatischen Messungen nicht möglich; für die Messung muss das Ableitsystem in der Regel geschlossen werden. Weiterer Vorteil der EVD-Anlage ist ihre relativ einfache, kostengünstige und ubiquitär verfügbare Anwendbarkeit. Aufgrund von Risiken bei der Durchführung des kleinen, neurochirurgischen Eingriffs mit v. a. den Komplikation „Stichkanalblutung“ (Inzidenz ca. 2 %) und „Katheterfehllage“ (Inzidenz ca. 6 %) sowie der zunehmenden Infektionsgefahr mit Dauer der Anwendung (Inzidenz ca. 5 %) [132] wird von der Methode trotzdem zunehmend Abstand genommen. Weitere Nachteile sind die relevanten Artefakt- und Fehleranfälligkeiten (Abknicken/Verstopfen des Katheters, Dislokation des Systems, hydrostatische Fehler, Dämpfung durch Luftblasen etc.). Für eine valide ICP-Messung über ein EVD-System gilt es deshalb, besonders auf mögliche Fehler- und Komplikationsquellen zu achten: So sollte das EVD-System routinemäßig und auch bei jedem Auftreten einer auffälligen ICP-Erhöhung überprüft werden, außerdem muss die drainierte Liquormenge stündlich bilanziert werden. Beim erwachsenen Patienten kann z. B. durch eine Drainagemenge von ca. 5–10 ml/h eine Überdrainage vermieden werden, weil die Liquorneubildung den Verlust noch ausgleicht. Die hydrostatische Messung wird vom Transducer umgewandelt und zur graphischen Darstellung der Kurve in der Regel über einen ICP-Monitor oder über eine Schnittstelle an einen Patientenmonitor weitergegeben. Auf eine gute Darstellung der pulssynchronen ICP-Kurve ist regelmäßig zu achten, atemabhängige Schwankungen weisen auf eine korrekte Funktion hin. Fehlerquellen können Luftblasen oder Debris im peripheren Schlauchsystem oder ein Abknicken der Drainage sein. Durch kurze

9.3 Management des erhöhten ICP |

167

Tieflagerung, bei der der ICP ansteigen sollte, kann das System zudem überprüft werden. Bei längerem Sistieren der Liquorförderung wird außerdem durch Tiefhaltung der Tropfkammer die Durchgängigkeit für Liquor getestet. Falls keine Fehlerquelle für eine mangelnde ICP-Messung oder eine unzureichende Liquordrainage gefunden werden kann, sollte eine CT-Untersuchung des Schädels zur Kontrolle der EVD und der Ventrikelweite sowie ggf. ein EVD-Wechsel durchgeführt werden. Neuere Systeme kombinieren einen Ventrikelkatheter mit einem zweiten, unabhängigen Druckmesssystem zur gleichzeitigen Liquordrainage und kontinuierlichen ICP-Messung. Durch antimikrobiell beschichtete EVDs kann das Risiko für eine Katheter-assoziierte Infektion zudem reduziert werden [133].

9.3.4.2 Parenchymdruckmessung Bei der intraparenchymatösen Druckmessung werden flexible Messsonden ohne Lumen verwendet, die nicht in das Ventrikelsystem, sondern direkt in das Hirnparenchym eingebracht werden. Moderne Systeme verfügen über intrakranielle (Tip-) Transducer, die sich direkt an der Sondenspitze befinden und den Druck meist piezoresistiv (d. h. durch mechanisch bedingte Änderungen des elektrischen Widerstands eines Halbleiters) oder optoelektronisch (d. h. durch Umwandlung der mechanischen Verformung einer Membran zunächst in ein optisches und dann in ein elektrisches Signal) aufnehmen. Die Sonden können über eine Bohrlochtrepanation oder ein Schraubensystem einfach und relativ komplikationsarm sowie oft bettseitig durch einen kleinen neurochirurgischen Eingriff implantiert werden und sollten typischerweise ca. 2–3 cm ab Kortex im Hirnparenchym zu liegen kommen (Abb. 9.5). Neben der Einfachheit der Implantation und Handhabung sind weitere Vorteile der intraparenchymatösen ICP-Sonden, dass ihre Anwendung im Vergleich zur Ventrikeldruckmessung mit einer niedrigeren Infektionsgefahr und einer niedrigeren Rate an chirurgischen Komplikationen (z. B. Blutungen) verbunden ist [134]. Ein Nachteil ist der oft hohe Preis der Sonden und der notwendigen InterfaceSysteme. Messfehler, z. B. durch Nullpunktdrift oder Temperaturgang treten auch bei der intraparenchymatösen Druckmessung auf. Ferner ist zu beachten, dass die Sonden streng genommen keinen Druck, sondern lokale Kraftvektoren auf einer Messmembran registrieren. Aus diesem Grund kann es bei plötzlichen Volumenverschiebungen zu lokalen Druckänderungen kommen, die nicht unbedingt mit dem Ventrikeldruck korrespondieren. Eine Liquordrainage ist über ICP-Sonden ebenfalls nicht möglich. Trotzdem erfreuen sich intraparenchymatöse ICP-Sonden zunehmender Beliebtheit.

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(a)

(b)

(c)

(d)

Abb. 9.5: (a) Äußere Ansicht des Schädels mit der über ein Schrauben-System implantierten ICPSonde (1) rechts, dem läppchenförmigen Hautschnitt für die EVD links (2), der Ausleitungsstelle der EVD links mit weißem Konnektor (3) sowie des Dreiwegehahns. (b) Ansicht der Tropfkammer (4) sowie des Druckabnehmers (Transducer) auf Höhe des äußeren Gehörgangs (5). (c) Äußere Ansicht des Schädels mit ICP-Sonde (1) rechts, läppchenförmigem Hautschnitt für die EVD links frontal (2) sowie ausgeleiteter EVD links temporal (3). (d) Darstellung des Ventrikelkatheters der EVD (3) mit Lage im linken Seitenventrikelvorderhorn sowie der ICP-Sonde (1) mit Lage im Parenchym rechts frontal in einer nativ CT-Untersuchung des Neurokraniums.

9.3.5 Behandlung des erhöhten ICP Noch ohne ICP-Messung kann bei Patienten mit schwerem SHT anhand der initialen Schnittbilddiagnostik im Falle von raumfordernden Primärläsionen (sub-/epidurale Hämatome, intraparenchymatöse Blutungen, dislozierte Kalottenfrakturen) durch eine chirurgische Therapie mit Evakuation der pathologischen Volumenzunahme eine unmittelbare Behandlung des klinisch oder bildmorphologisch erhöhten ICP erfolgen. Postoperativ ist der ICP-senkende Effekt der Therapie auch klinisch (z. B. Rückgang einer Anisokorie oder Vigilanzminderung) oder bildmorphologisch überprüfbar. Als bildmorphologische Anhaltspunkte für einen erhöhten ICP gelten beispielsweise eine aufgehobene kortikale Gyrierung, eine Kompression des Ventrikelsystems – besonders des 3. Ventrikels – und eingeengte parapontine Zisternen. Für die Therapie der in Abschnitt 9.3.2 beschriebenen, sekundären ICP-Erhöhung nach schwerem SHT stehen verschiedene Konzepte zur Verfügung, die im Folgenden beschrieben werden (Abb. 9.6 für einen Therapie-Algorithmus). Grenzwerte, ab denen der ICP behandelt werden sollte, werden schon seit Beginn der invasiven ICP-Messung kontrovers diskutiert. Auch die Datenlage bzgl. des Effektes einer ICP-Senkung auf das Behandlungsergebnis ist nicht eindeutig. Hinzu kommt die schwierige ethische Fragestellung, welcher neurologische Zustand durch Behandler und Patienten nach der ICP-Therapie als zufriedenstellend gewertet werden kann. Es muss deshalb zunächst angemerkt werden, dass der ICP-Grenzwert, ab

9.3 Management des erhöhten ICP |

169

ICP-Therapie: Stadium 1 Hochlagerung des Oberkörpers (bis 30°) Analogsedierung (keine Barbiturate) maschinelle Beatmung (Normoventilation) ICP > 25 mmHg, therapierefraktär ICP-Therapie: Stadium 2 Anlage einer EVD Gabe von Osmodiuretika Gabe von hypertoner Kochsalzlösung moderate Hyperventilation (paC02 30–35 mmHg) „minimal handling“ bei Pflege/Lagerung ICP > 25 mmHg, therapierefraktär ICP-Therapie: Stadium 3 Dekompressionstrepanation (Hemikraniektomie) Gabe von hochdosierten Barbituraten (bis zur „burst supression“ im EEG) forcierte Hyperventilation (paC02 25–30 mmHg)

Abb. 9.6: Algorithmus zur stufenweisen Behandlung des erhöhten ICP.

dem eine Behandlung erfolgen sollte, wissenschaftlich weiterhin nicht eindeutig belegt ist. Wichtig ist außerdem, dass der ICP-Wert nicht isoliert, sondern im Kontext mit seinem umgekehrten Verhältnis zum CPP, mit zusätzlichen Monitoringergebnissen und mit dem individuellen Patienten selbst interpretiert werden muss. Empfohlen wird aktuell, den ICP ab Werten > 22 mmHg zu senken, weil unbehandelte Werte darüber mit einer erhöhten Mortalität verbunden sind [135]. Für die Entscheidung, den ICP therapeutisch zu senken, kann eine Kombination aus ICP-Messwerten sowie klinischen und bildmorphologischen Erkenntnissen herangezogen werden [136].

9.3.5.1 Basistherapie des erhöhten ICP Die Basistherapie des erhöhten ICP bei Patienten mit schwerem SHT entspricht den Prinzipien der allgemeinen Basistherapie, die bereits in Abschnitt 9.2.1 beschrieben wurde. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die Lagerung (25–30° Oberkörperhochlagerung, freier venöser Abfluss aus dem Schädelinneren), die Pflege betroffener Patienten (ggf. „minimal handling“) und eine adäquate Analgosedierung zu legen.

9.3.5.2 Pharmakotherapie des erhöhten ICP Generell kommt bei SHT-Patienten mit erhöhtem ICP eine Infusionstherapie zum Einsatz, mit der hypovolämische Zustände korrigiert und die Aufrechterhaltung eines

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physiologischen intravasalen Volumenstatus angestrebt werden sollten (normofrequent, normoton, ZVD 8–12 mmHg, zentralvenöse Sauerstoffsättigung > 70 %, spontane Diurese von > 70 ml/h). Die verabreichten Lösungen orientieren sich dabei an der physiologischen Plasmaosmolarität, um die Entwicklung eines Hirnödems zu vermeiden (isotone NaCl-Lösungen, Ringer-Lösung, ggf. kolloidale Substanzen). Auf die Infusion von Glukoselösungen sollte unter diesen Gesichtspunkten, wenn möglich verzichtet werden. Spezifische Pharmaka werden im Folgenden besprochen.

Osmodiuretika Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts konnte gezeigt werden, dass sich durch die Gabe von Osmodiuretika teilweise drastische Senkungen des Hirnvolumens erzielen lassen [137]. Durch einen passageren Osmolaritätsgradienten zwischen Plasma und Hirngewebe wird kurzfristig Wasser nach intravasal gezogen, gleichzeitig kommt es durch die herabgesetzte Blutviskosität zur Verbesserung der Hirndurchblutung und zu einem kurzfristigen Anstieg des MAP. Diese „Entwässerung“ des Gehirngewebes, die das intrakranielle Volumen und somit den ICP senkt, macht man sich bei der ICPTherapie seitdem zunutze. Die letztgenannten Effekte von Osmodiuretika auf MAP und Hirndurchblutung tragen bei intakter Autoregulation zusätzlich zur Verringerung des ICP und Verbesserung des CPP bei [138, 139]. Zu den Osmodiuretika, die für die Therapie des erhöhten ICP bei SHT-Patienten verwendet werden, gehören Mannitol (15%ige oder 20%ige Lösung), hypertone Kochsalzlösungen (7,5–30 %) sowie auch Sorbit (40%ige Lösung) und Glycerol (10%ige Lösung). Am besten untersucht ist dabei die Anwendung von Mannitol, das als Kurzinfusion (ca. 20 min) in Phasen pathologischer ICP-Werte in einer Dosis von 0,25–1 g/kg KG i.v. verabreicht werden sollte, ohne eine Tagesdosis von 4 g/kg KG oder eine Plasmaosmolarität von 320 mOsm/kg KG (Gefahr der akuten renalen tubulären Nekrose) zu überschreiten [140–142]. Die osmotische Wirkung von Mannitol tritt in der Regel nach ca. 5–20 Minuten ein. Der Sorge, dass es in geschädigten Bereichen der sonst für Mannitol impermeablen Blut-Hirn-Schranke zu einer Extravasation der Substanz und im Verlauf zu einem zunehmenden Hirnödem mit tendenziellem ICP-Anstieg, also einem „Rebound-Phänomen“ kommen könnte, kommt in der Praxis keine Bedeutung zu [31–44]. Eine konkrete Empfehlung zur medikamentösen Senkung des erhöhten ICP mittels Mannitol aus der BTF-Leitlinie von 2007 [144] wurde allerdings in der aktuellen Leitlinienfassung nicht mehr übernommen, weil zwar der ICP-senkende Effekt gesichert, der positive Effekt auf das klinische Behandlungsergebnis aber nicht ausreichend belegbar ist [66]. Alternativ oder additiv hat sich zuletzt die Infusion von hypertonen Kochsalzlösungen etabliert, die ähnlich wie Mannitol zur raschen, aber kurzfristigen ICPSenkung führen [145, 146]. Die optimale Konzentration und der optimale Zeitpunkt der Gabe dieser Lösungen sind bislang noch Gegenstand der Forschung, im direkten

9.3 Management des erhöhten ICP |

171

Vergleich zu Mannitol konnte aber für keine der Substanzen eine Überlegenheit gezeigt werden [147]. Insgesamt wird die repetitive Gabe von Osmodiuretika über einen längeren Zeitraum zur Senkung des pathologisch erhöhten ICP in der aktuellen BTF-Leitlinie weiterhin empfohlen, auch wenn für eine Aussage bzgl. der zu verwendenden Substanz oder der Dosis keine ausreichende Evidenz mehr besteht. Unbestritten ist jedoch ihr positiver Effekt im Rahmen eines kurzzeitigen Einsatzes zur Behandlung einer akuten intrakraniellen Drucksteigerung. Zu beachten ist, dass osmodiuretische Substanzen auch zu einer vermehrten Flüssigkeitsausscheidung über die Nieren führen und deshalb durch adäquate Flüssigkeitsbilanzierung und ggf. Volumensubstitution (s. Abschn. 9.2.1.5) eine Normovolämie erhalten werden sollte.

Barbiturate Bereits seit Jahrzehnten ist für hochdosierte Barbiturate ein ICP-senkender Effekt bekannt [148]. Dieser ergibt sich aus einem Abfall der Hirndurchblutung und ggf. sogar aus einer Umverteilung der Blutversorgung von gesunden Hirnarealen zugunsten ischämischer Areale, die wiederum dem dämpfenden Einfluss der Substanz auf den zerebralen Stoffwechsel und Energiebedarf sowie die neuronale Aktivität geschuldet ist [149]. Auch auf die Oxygenierung des Hirngewebes (pti O2 ) wirken sich Barbitrate deshalb positiv aus [150]. Über die Notwendigkeit einer adäquaten Sedierung hinaus (s. Abschn. 9.2.3.1), kann mittels Hochdosis-Barbiturattherapie ein tiefes Koma herbeigeführt werden, das durch „burst suppression“ im EEG charakterisiert ist (s. Abschn. 9.2.2). Im Vergleich zu Phenobarbital hat sich Thiopental dabei in Studien als für die ICP-Senkung effektiver herausgestellt [151]. In der Praxis werden unter kontinuierlichem Monitoring von ICP und CPP zunächst 5 mg/kg KG Thiopental über 30 Minuten i.v. infundiert. Falls der ICP-Wert unter der Therapie sinkt und der CPP-Wert steigt, kann die Gabe über eine Infusionspumpe in einer Erhaltungsdosis von z. B. 5 mg/kg KG/h fortgesetzt werden. Während der Infusion ist außerdem die kontinuierliche Ableitung eines EEG erforderlich, um ein Erreichen des „burst suppression“-Musters darzustellen. Eine Barbituratüberdosierung bis zur Nulllinie wird so verhindert [152]. Der ICP-senkende Effekt von Barbituraten konnte in einer Cochrane-Analyse nachgewiesen werden, allerdings zeigte sich im Vergleich zur Standardtherapie ohne Barbiturate kein Behandlungsvorteil bzgl. der Mortalität oder des neurologischen Outcomes [153]. Als hierfür ursächlich werden die ausgeprägten Nebenwirkungen diskutiert, die bei der Behandlung mit Barbituraten auftreten und u. a. zu einer Hypoxie führen können (z. B. Hypotension, verringertes Herzzeitvolumen und intrapulmonales Shunting). Der ICP-senkende Effekt der Barbiturate kann zudem teilweise durch die autoregulative Vasodilatation nach MAP-Abfall wieder aufgehoben werden.

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Unter der Voraussetzung hämodynamischer Stabilität wird trotzdem bei Patienten mit schwerem SHT und pharmakologisch, physikalisch und chirurgisch austherapiertem ICP eine hochdosierte Barbiturattherapie zur Reduktion des ICP empfohlen [154]. Die prophylaktische Gabe von Barbituraten mit dem Ziel, eine Zunahme des ICP zu vermeiden, sollte aber in jedem Fall vermieden werden [154].

9.3.5.3 Hyperventilation bei erhöhtem ICP Auf Grundlagen der Beatmung von Patienten mit schwerem SHT wird in Abschnitt 9.2.1.3 eingegangen. Eine Senkung des pathologisch erhöhten ICP kann bei intubierten und maschinell beatmeten Patienten prinzipiell auch über die physikalische Maßnahme einer Hyperventilation versucht werden. Dabei macht man sich die CO2 -Reaktivität der zerebralen Gefäße zunutze, die auf eine Abnahme des PaCO2 im Blut mit einer Vasokonstriktion reagieren. Diese Abhängigkeit von Gefäßtonus und PaCO2 dient physiologisch der Autoregulation des CBF und ist dementsprechend stark ausgeprägt. Das traumatisierte Gehirn weist häufig eine interstitielle Laktatazidose, eine Hyperämie und ein Hirnödem auf, die durch die Vasokonstriktion bei PaCO2 Abfall und Alkalose reduziert werden können. Auch der ICP wird so gesenkt, und die Fähigkeit zur Autoregulation verbessert sich [155, 156]. Dieser Effekt lässt sich therapeutisch durch die Hyperventilation herbeiführen, bei der CO2 forciert abgeatmet wird, wodurch eine Hypokapnie mit niedrigem PaCO2 im arteriellen Blut entsteht. Unterschieden werden eine moderate (PaCO2 30–35 mmHg) und eine forcierte Hyperventilation (PaCO2 < 30 mmHg). In Studien konnte gezeigt werden, dass niedrige PaCO2 -Werte (< 25–30 mmHg) nach schwerem SHT auch zu Hypoxie oder Ischämie des Hirngewebes mit metabolischen Veränderungen führen [157, 158]. Diese negativen Effekte könnten bei Patienten mit schwerem SHT teilweise überwiegen und sich negativ auf das neurologische Outcome auswirken [159, 160]. Aktuell wird deshalb eine generelle, präventive, forcierte Hyperventilation zur Behandlung des erhöhten ICP bei Patienten mit schwerem SHT nicht mehr durchgeführt. Bei Patienten mit passageren ICP-Krisen kann eine vorübergehende Hyperventilation (PaCO2 30–32 mmHg) trotzdem eine lebensrettende Maßnahme darstellen, bis spezifischere Interventionen die Hyperventilationstherapie ersetzen [161]. Auf eine prolongierte Hyperventilation mit PaCO2 -Werten von ≤ 25 mmHg sollte aber generell verzichtet werden [154].

9.3.5.4 Hypothermie bei erhöhtem ICP Die moderate Hypothermie (ca. 32–35 °C Körperkerntemperatur) stellt eine weitere physikalische Maßnahme zur Therapie des erhöhten ICP bei schwerem SHT dar, die bereits 1945 beschrieben wurde [71]. Im Rahmen der Herzinfarktbehandlung wird die Hypothermiebehandlung zudem zur Neuroprotektion bereits seit längerem erfolg-

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173

reich eingesetzt [162]. Pathophysiologisch sollen durch eine Reduktion der zerebralen Stoffwechselaktivität die Hirndurchblutung und das zerebrale Blutvolumen verringert werden, was wiederum den ICP senken soll. In der Praxis kann die moderate Hypothermie durch die Applikation von gekühlten Infusionen, den Einsatz intravasaler Kühlkatheter, den Einsatz konvektiver thermischer Systeme oder die direkte Kühlung der Haut von extern herbeigeführt werden. Die kurzfristige Gabe nichtdepolarisierender Muskelrelaxanzien zur Reduktion eines physiologischen oder thermoregulatorischen Muskelzitterns kann ebenfalls zur Temperatursenkung beitragen. Vielversprechende Ergebnisse aus Phase-II-Studien zur kurzen (24–48 Stunden), moderaten Hypothermiebehandlung nach schwerem SHT konnten bislang in prospektiven, randomisierten Studien nicht bestätigt werden [163, 164]. Auch die zuletzt veröffentlichte „Eurotherm-Studie“ musste noch während der Rekrutierungsphase gestoppt werden, weil trotz besserer ICP-Kontrolle die Hypothermie zu höherer Mortalität und einem schlechteren Outcome führte [165]. Die „LTH-1 Studie“, eine randomisierte, kontrollierte Studie zur längeren Hypothermiebehandlung (5 Tage) ist bislang noch nicht abgeschlossen [166]. In den aktuellen BTF-Leitlinien wird eine frühe (innerhalb von 2,5 Stunden) und kurzzeitige (für 48 Stunden) prophylaktische Hypothermie bei Patienten mit schwerem SHT deshalb nicht empfohlen [154].

9.3.5.5 Liquordrainage bei erhöhtem ICP Im Abschnitt 9.3.4.1 wurde bereits auf die Technik der ICP-Messung über eine externe Ventrikeldrainage (EVD) eingegangen. Diese Methode bietet zusätzlich die therapeutische Möglichkeit, Liquor zu drainieren und so den Liquorraum als Komponente des intrakraniellen Gesamtvolumens zu verkleinern. Dies hat direkt Einfluss auf den ICP, der so gesenkt werden kann. In der Praxis kann die Liquordrainage je nach Voraussetzung des Patienten entweder kontinuierlich oder intermittierend erfolgen. Risiken wie Stichkanalblutungen bei der EVD-Anlage oder bakterielle Infektionen über den Katheter (Meningitis, Ventrikulitis) sind zu beachten; die externe Liquordrainage stellt ansonsten eine sehr einfache, aber effektive Maßnahme zur ICP-Senkung dar. Auch in Studien konnte gezeigt werden, dass sich durch die Liquordrainage die Menge an zusätzlich verabreichten Osmodiuretika und anderen ICP-senkenden Maßnahmen reduzieren lässt [167].

9.3.5.6 Dekompressionstrepanation bei erhöhtem ICP Das Prinzip der Dekompressionstrepanation ist alt und datiert bereits auf das Jahr 1901 zurück [168]. Durch die chirurgische Eröffnung des starren Schädels und der Dura wird dem nach schwerem SHT geschwollenen und ödematösen Gehirn mehr Raum geboten, wodurch sich der ICP reduzieren und der CBF verbessern lässt. Trotz

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dieses einfachen Wirkprinzips wird der Nutzen der Dekompressionstrepanation seit Jahrzehnten kritisch diskutiert. Positive Ergebnisse bzgl. des positiven Einflusses der chirurgischen Dekompression auf den erhöhten ICP, die Entwicklung eines posttraumatischen Hirnödems und sogar das funktionelle Outcome aus tierexperimentellen Untersuchungen [169] konnten in retrospektiven Single-Center-Studien mehrfach bestätigt werden [170, 171]. Die DECRA-Studie zum Nutzen der Dekompressionstrepanation im Vergleich zur maximalen konservativen Therapie wurde als erste randomisierte, kontrollierte Studie zu dieser Technik im Jahr 2011 veröffentlicht. Die Ergebnisse bestätigten den ICPsenkenden Effekt des Eingriffs, zeigten aber keinen Unterschied in der Mortalität und sogar eine Verschlechterung des neurologischen Outcomes für dekomprimierte Patienten [172]. Als kritisch wurden die bei dieser Studie verwendete Technik der „bifrontalen“ Trepanation mit nur kleiner Duraeröffnung und die Einschlusskriterien (mehr Patienten mit GCS 3 oder Pupillenerweiterung in der chirurgischen Gruppe) gewertet. Erst kürzlich wurden die von der Fachwelt lange erwarteten Ergebnisse der RESCUE-ICP-Studie, einem europäischen Pendant zur DECRA-Studie mit optimiertem Studienprotokoll, veröffentlicht. Patienten mit einem durch verschiedene konservative Maßnahmen nicht mehr beherrschbaren ICP von > 25 mmHg über einen Zeitraum von 1–12 Stunden wurden dabei in den chirurgischen Arm (bifrontale oder frontoparietale Dekompressionstrepanation) oder einen konservativen Arm (Barbituratkoma) randomisiert. Auch die RESCUE-ICP-Studie konnte eine signifikant höhere Reduktion des ICP im chirurgischen Arm nachweisen. Zusätzlich war auch die Mortalität bei Entlassung sowie nach 6 und 12 Monaten signifikant reduziert. Das ethische Dilemma der maximalen ICP-Therapie tat sich aber auch bei RESCUE-ICP auf: Zwar erreichten signifikant mehr Patienten nach Dekompressionstrepanation ein gutes Outcome, dafür blieben aber auch signifikant mehr Patienten in einem vegetativen Status [173]. Anhand der durch die DECRA-Studie geprägten Datenlage ohne die Ergebnisse der RESCUE-ICP-Studie wird in den BTF-Leitlinien aktuell von der bifrontalen Dekompressionstrepanation zur Verbesserung des neurologischen Outcomes bei therapierefraktären ICP-Werten > 20 mmHg für > 15 Minuten innerhalb eines Zeitfensters von 1 Stunde abgeraten [174]. Bezüglich der frontoparietalen Dekompressionstrepanation wird im Falle der Durchführung eine Mindestgröße des Knochendeckels von 12 × 15 cm empfohlen. Unter Berücksichtigung der neueren RESCUE-ICP-Studie kann die Dekompressionstrepanation wieder als Reservebehandlungsoption für Patienten mit therapierefraktärer ICP-Erhöhung angesehen werden. Für eine prophylaktische ICP-Senkung wird sie weiterhin nicht empfohlen. Weitere Studien müssen nun klären, welche Patienten am ehesten von der Dekompressionstrepanation profitieren und wann der Eingriff durchgeführt werden sollte.

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Jürgen Meixensberger

10 Multimodales erweitertes Neuromonitorings nach SHT 10.1 Definition und Grundlagen eines erweiterten multimodalen Neuromonitorings Das Ausmaß einer traumatischen Hirnschädigung wird durch die Primärschädigung und die daraufhin einsetzende komplexe pathophysiologische Kaskade der ischämischen Sekundärschädigung bestimmt, die beim einzelnen Schädel-Hirn-Verletzten unterschiedlich ablaufen kann (s. Kap. 4). Das Schädel-Hirn-Trauma wird somit durch einen dynamischen Krankheitsprozess und nicht nur allein durch das Traumaereignis selbst charakterisiert [1]. In Anbetracht der dynamischen Abläufe ergibt sich die Rationale für ein kontinuierliches Neuromonitoring [4]. Die Komplexität der akuten Hirnschädigung legt nahe, dass der Verlauf des intrakraniellen Drucks oder des zerebralen Perfusionsdrucks nur unzureichend die pathophysiologischen Abläufe beschreibt und deswegen allein nicht geeignet ist, um eine patientenindividuelle Therapie/-steuerung zu gewährleisten. Ein multimodales Monitoring (MMM) unter Einbeziehung weiterer pathophysiologisch relevanter Parameter sollte jedoch ein besseres Verständnis der Pathophysiologie der akuten Hirnschädigung im zeitlichen Verlauf ermöglichen, eine zerebrale Verschlechterung frühzeitig erkennen helfen und gezielte therapeutische Maßnahmen im Sinne einer individualisierten Therapie ermöglichen [2, 3, 5]. Dies ist umso bedeutsamer, weil bei schwer SchädelHirn-Verletzten eine neurologische Beurteilung und Verschlechterung aufgrund der Sedierung klinisch nicht suffizient möglich ist. Letztendlich könnte die Einbeziehung eines MMM in die Therapie zu einer Verbesserung der Gesamtprognose eines SchädelHirn-Traumas und der Lebensqualität der Schädel-Hirn-Verletzten beitragen [6–8]. Die Erfassung unterschiedlicher pathophysiologischer zerebraler Parameter beim MMM erfordert die zuverlässige Echtzeitdatenaufnahme, die Integration und Darstellung auf dem Patientenmonitor sowie spezifische Analysetools über verschiedene Zeitfenster, um u. a. Einzelepisoden und Trends am Patientenbett beurteilen zu können. Hierbei spielen im Langzeitmonitoring für die weitere Bearbeitung und Analyse der Daten die Zuverlässigkeit der Datenaufnahme sowie die Qualität und Validität der Daten eine große Rolle. Softwaregestützte Artefaktbereinigungstools wie auch pathophysiologisch basierte Auswerte- und Therapieentscheidungsprogramme könnten hier den Neurointensivmediziner im klinischen Alltag bei der patientenindividuellen Therapiesteuerung zusätzlich unterstützen. Aktuell besteht hier sicherlich weiterhin ein praxisrelevanter Entwicklungsbedarf [2]. Im Folgenden wird in Ergänzung zu den Überwachungstechnologien des intensivmedizinischen Basismonitorings, des intrakraniellen Drucks (ICP) und des zerebralen

https://doi.org/10.1515/9783110366853-012

186 | 10 Multimodales erweitertes Neuromonitorings nach SHT

Perfusionsdrucks (CPP) (s. Kap. 9) auf relevante ergänzende Überwachungstechnologien der zerebralen Durchblutung und Oxygenierung, des Metabolismus und der Hirnfunktion eingegangen, deren Einsatz im Rahmen eines erweiterten multimodalen Neuromonitorings nach einem schweren Schädel-Hirn-Trauma im klinischen Alltag möglich ist.

10.2 Methoden des erweiterten multimodalen Monitorings Vom Grundsatz her können nichtinvasive und invasive sowie diskontinuierliche und kontinuierliche bettseitige Techniken unterschieden werden. Beim bewusstlosen, schwer Schädel-Hirn-Verletzten stehen für den klinischen Einsatz auf der Intensivstation verschiedene Echtzeitüberwachungstechnologien zur Verfügung, die eine Überwachung der pathophysiologischen Abläufe, insbesondere der Oxygenierung und des Metabolismus des traumatisch geschädigten Gehirns erlauben. Hierbei stellen die Verfahren des erweiterten Neuromonitorings eine Ergänzung des intensivmedizinischen Basismonitorings nach akuter Hirnverletzung dar. Tabelle 10.1 gibt einen Überblick unterschiedlicher nichtinvasiver und invasiver Überwachungsmethoden des Basis- und des erweiterten Neuromonitorings. Tab. 10.1: Überwachungstechnologien des multimodalen Neuromonitorings. Monitoring

Messbereich

Bedeutung

Vorteile

Nachteile

ICP*

lokal/global

Therapiesteuerung

Drift der Sensoren

CPP*

global

Volumen-/ Druckzunahme Abschätzung der Hirndurchblutung

Therapiesteuerung

im Langzeitverlauf individuelle kritische Grenze, kein CBF

Bildgebung (cCT, MRT)*

lokal/global

OP-Indikation, Therapieanpassung

regionale Auflösung Perfusion möglich

aufwendig, punktuell

SjvO2 **

global

Steuerung CPP, PaCO2

kontinuierlich

artefaktanfällig, aufwendig, invasiv

pti O2 **

lokal

kontinuierlich

nur lokal, invasiv

NIRS**

lokal

Thermodiffusionsblutflussmessung**

lokal

Steuerung CPP, PaCO2 Steuerung CPP, PaCO2 Steuerung CPP, PaCO2

kontinuierlich, nichtinvasiv kontinuierlich

Validität der Daten im Langzeitverlauf Validität der Daten im Langzeitverlauf/ Temperaturanfälligkeit invasiv

10.2 Methoden des erweiterten multimodalen Monitorings

|

187

Tab. 10.1: (fortgesetzt) Monitoring

Messbereich

Bedeutung

Vorteile

Nachteile

Mikrodialyse**

lokal

Steuerung CPP, PaCO2 , Analgosedierung

metabolisches Monitoring

nur lokal, teuer, Interpretation invasiv

TCD**

lokal

Anpassung CPP, PaCO2

einfach, reproduzierbar, nichtinvasiv

intermittierend

PressureReactivity-Index (PRx)**

lokal/global

Steuerung CPP

kein zusätzlicher Mikrosensor notwendig

spezielle Software

EEG**

global

Steuerung Analgosedierung Erfassen epileptischer Aktivität

topographische Analyse

spezielle Kenntnisse erforderlich

Elektrokortikographie

regional

Steuerung der Analgosedierung, CPP

kontinuierlich, weniger artefaktanfällig als EEG

invasiv, spezielle Kenntnisse erforderlich

* Basisneuromonitoring ** Methoden des erweiterten multimodalen Neuromonitorings (MMM) SjvO2 = jugularvenöse Sauerstoffsättigung, pti O2 = Hirngewebesauerstoffpartialdruck, NIRS = Nahinfrarotspektroskopie, TCD = transkranielle Dopplersonographie, EEG = Elektroenzephalographie.

10.2.1 Monitoring der zerebralen Oxygenierung und des Blutflusses 10.2.1.1 Bulbus-jugularis-Oximetrie: jugularvenöse Sauerstoffsättigung (SjvO2 ) Die Überwachung der jugularvenösen Sauerstoffsättigung mittels eines im Bulbus venae jugularis positionierten fiberoptischen Messkatheters stellt eine globale Überwachungstechnologie der Oxygenierung dar [9, 10]. Die Analyse der jugularvenösen Sauerstoffsättigung (SjvO2 ) und Berechnung weiterer metabolischer Indizes (z. B. Laktat- Sauerstoff-Index [LOI], Sauerstoffextraktionsrate [OER] und Differenzen [arterio-jugularvenöse Laktatdifferenz]) ermöglichen es, globale Veränderungen der Oxygenierung und des metabolen Status des Gehirns bereits in der Frühphase auch bei normalem Hirndruck zu erkennen. Diese korrelieren sehr gut mit lokalen pti O2 -Veränderungen. Episoden von SjvO2 ≤ 50 % zeigen in Verbindung mit der arteriovenösen Sauerstoffdifferenz (AvDO2 ) und einem erhöhten Laktat eine zerebrale Ischämie an, die therapiert werden sollte, weil sie mit einer metabolischen Beeinträchtigung und einer erhöhten Letalität und Morbidität verbunden ist. SjvO2 > 80 %

188 | 10 Multimodales erweitertes Neuromonitorings nach SHT

legen eine Hyperämie im Sinne einer Luxusperfusion oder einen unzureichenden Sauerstoffverbrauch nahe. Die Einlage des Katheters sollte unter sonographischer Kontrolle zur Vermeidung der Karotispunktion ipsilateral zur geschädigten Hirnhemisphäre erfolgen. Die Katheterspitze in Höhe des Processus mastoideus ist radiologisch zu kontrollieren, um das Risiko für eine Sinusvenenthrombose zu minimieren. Tab. 10.2: SjvO2 – Schwellenwerte und Ursachen. SjvO2 -Werte

Bedeutung

Ursache

< 55 %

Hypoxie/Ischämie bei erhöhtem jugularvenösen Laktat: schwere Ischämie

– – – – –

Hyperventilation inadäquate Analgosedierung unzureichender CPP Vasospasmus (TCD) Fieber

55–75 %

Normalwerte

> 75 %

Hyperämie (TCD) = Luxusperfusion

– – – – –

Vasodilatation Autoregulationsstörung zu hoher CPP zu tiefe Analgosedierung schwerer Hirnschaden (> 80 %)

Bewertung der Methode: Um eine gute Datenqualität im Langzeitmonitoring zu erreichen, ist ein hoher Personalaufwand notwendig. Im klinischen Routinebetrieb liegt die Datenqualität aufgrund der Artefaktanfälligkeit der fiberoptischen Messung < 55 %. Im klinischen Intensivalltag wird diese sensitive und spezifische Überwachungstechnologie der zerebralen Oxygenierung nur an einzelnen spezialisierten Zentren angewandt.

10.2.1.2 Gewebesauerstoffpartialdruck – Pti O2 Für die Überwachung des lokalen Gewebesauerstoffpartialdrucks stehen zwei Mikrosensoren zur Verfügung: die polarographische Clark-Typ-Mikroelektrode und ein Sensor, der auf der Basis optischer Fluoreszenzmethoden arbeitet. Der Gewebesauerstoffpartialdruck spiegelt die Balance zwischen Sauerstoffangebot und Sauerstoffverbrauch wider und reflektiert lokale Veränderungen, die auch bei normalen ICP auftreten können. Ein Pti O2 < 10 mmHg (Licox® ) entspricht einer Hypoxie, die auf der metabolen Seite mit einer erhöhten extrazellulären Laktat-Pyruvat-Ratio einhergeht und klinisch mit neuropsychologischen Einschränkungen korreliert [8, 11].

10.2 Methoden des erweiterten multimodalen Monitorings

|

189

Die lokal, in der Regel frontal auf der geschädigten Hemisphäre, gemessenen pti O2 -Werte mit guter Datenqualität im Langzeitmonitoring korrelieren sehr gut mit pathologischen SjvO2 -Werten und lokalen CBF-Messungen [12]. Die pti O2 -Werte spiegeln die zerebrale Perfusion wider und ermöglichen, Ausmaß und Art der therapeutischen Interventionen zu steuern (Tab. 10.3). Unterschiedliche Untersuchungen konnten zeigen, dass durch das Erkennen und die gezielte Therapie kritisch hypoxischer pti O2 -Werte die Zahl kritischer hypoxischer Episoden vermindert werden kann [7, 13]. Eine individuelle Therapiesteuerung eines ausreichenden CPP ist pti O2 -basiert möglich. Eine Metaanalyse unter Einschluss von vier Studien, die die Ergebnisse einer ICP/CPP-gesteuerten Therapie mit einer pti O2 /ICP/CPP-gesteuerten Therapie verglichen, konnte zeigen, dass eine pti O2 -basierte Therapie mit einer günstigeren neurologischen Erholung verbunden ist [6]. Tab. 10.3: Schwellenwerte des pti O2 und Ursachen. pti O2 -Werte

Bedeutung

Grund

< 10 mmHg

Hypoxie/Ischämie bei erhöhtem Glutamat, Laktat: schwere Ischämie

– – – – – – –

forcierte Hyperventilation inadäquate Analgosedierung unzureichender CPP Vasospasmus (TCD) Fieber Anämie Hypoxie

> 15 mmHg

Normalwerte

> 30 mmHg

Hyperämie

– – – – –

Vasodilatation Autoregulationsstörung zu hoher CPP zu tiefe Analgosedierung zu starke Oxygenierung

Bewertung der Methode: Im klinischen Routinebetrieb ist die pti O2 -Messung sicher und valide durchzuführen. Sie zeigt eine verlässliche Datenqualität im Langzeitverlauf. In spezialisierten Neurotraumazentren ist die Überwachungstechnologie weiter verbreitet und angewandt als die Bulbus-jugularis-Oximetrie.

10.2.1.3 Nah-Infrarot-Spektroskopie (NIRS) Die Nah-Infrarot-Spektroskopie ist eine nichtinvasive Technik zur Bestimmung der regionalen Sauerstoffsättigung durch Berechnung der durchschnittlichen Veränderung von Oxyhämoglobin/Desoxyhämoglobin, die in der Regel frontal gemessen wird [14]. Im Langzeitverlauf und speziell bei Schädel-Hirn-Verletzten kann aufgrund der

190 | 10 Multimodales erweitertes Neuromonitorings nach SHT

Veränderungen im extrakraniellen Kompartment die Datenvalidität und Aussagekraft eingeschränkt sein. Eine weitere klinische Implementation der NIRS-Technologie erfordert weitere Validierungsuntersuchungen und die Verifizierung kritischer Schwellenwerte trotz einiger vielversprechender Ergebnisse im Rahmen der Überwachung von Schädel-Hirn-Trauma-Patienten [15].

10.2.1.4 Zerebrale Blutflussgeschwindigkeit und zerebraler Blutfluss (CBF) Die Untersuchung der Blutflussgeschwindigkeit mit der nichtinvasiven Technik der transkraniellen Dopplersonographie (TCD) kann einen Abfall des CBF in der Akutphase nach Trauma bettseitig nachweisen und eine indirekte Beurteilung der zerebralen Perfusion ermöglichen [16, 17]. Eine exakte Messung des CBF ist damit jedoch nicht möglich. Die Einordnung eines Anstiegs der Blutflussgeschwindigkeit im Verlauf (DD Hyperämie/Vasospasmus) ist bettseitig technisch schwierig und erfordert im klinischen Alltag die Einbindung weiterer Untersuchungen (z. B. CT-Angiographie, pti O2 , SjvO2 , Mikrodialyse). Eine wichtige Anwendung stellt jedoch die Testung der zerebrovaskulären Reserve, d. h. die Überprüfung des Autoregulationsstatus und der CO2 -Reaktivität, dar [18]. Bewertung der Methode: Die methodischen Limitationen der transkraniellen Dopplersonographie und die speziellen Anforderungen in der Überwachung schwer Schädel-Hirn-Verletzter führen zu einem untergeordneten Stellenwert und Nutzen im klinischen Langzeitmonitoring. Nichtdestotrotz kann die TCD hilfreich sein, wenn beispielsweise aufgrund einer gestörten Gerinnungssituation keine ICP-Sonde implantiert werden kann. Mit der Thermodiffusions-CBF-Messung ist die lokale regionale quantitative Bestimmung des CBF in ml/100 g/min möglich [19, 20]. Werte zwischen 18 und 25 ml/100 g/min werden als normal angesehen. Nachteile der Methode im klinischen Alltag sind die häufige Rekalibrierung im Langzeitmonitoring und die eingeschränkte Nutzung bei erhöhter Temperatur über 39 °C, die zu einer reduzierten schlechten Datenqualität führen [21]. Bewertung der Methode: Aufgrund technischer Probleme und fehlender Validierung an größeren Patientenkollektiven konnte die sensitive Messtechnologie bisher keinen Eingang in das MMM finden.

10.2.2 Monitoring des zerebralen Metabolismus Die zerebrale Mikrodialyse erlaubt es, lokale Veränderungen des Hirnstoffwechsels zu verifizieren, die therapeutisch angegangen werden können [5, 11, 22–24]. In der klinischen Routine können bettseitig (semi-online, diskontinuierlich) v. a. Glukose, Laktat, Pyruvat, Glycerol und Glutamat enzymatisch in der Extrazellulärflüssigkeit, die über einen Mikrodialysekatheter gewonnen wird, analysiert werden. Hierdurch las-

10.2 Methoden des erweiterten multimodalen Monitorings

|

191

sen sich durch die Bestimmung des Laktat/Pyruvat-Quotienten eine mitochondriale Dysfunktion und Ischämie verifizieren. Glutamat/Glycerolanstiege in der Extrazellulärflüssigkeit zeigen eine verstärkte neuronale Aktivität und einen Zellschaden bzw. einen Membranschaden an. Unterschiedliche Untersuchungen konnten zeigen, dass trotz der regional unterschiedlichen metabolischen Veränderungen im Gehirn bei einem Anstieg des Hirndrucks und bei systemischen Veränderungen (Hypotonie, Hyperventilation, Fieber, epileptische Entladungen) die metabole zerebrale Antwort durch extrazellulär bestimmte Parameter erfasst wird und gezielt therapierbar ist [11]. Der Einsatz der Mikrodialyse erlaubt u. a. eine kontrollierte Reduktion des CPP wie beim „LundKonzept“ postuliert [23]. Des Weiteren konnte nachgewiesen werden, dass eine metabole Verschlechterung vor einer sich entwickelnden ICP-Erhöhung durch die Mikrodialyse erkannt werden kann. Bewertung der Methode: Der Einsatz der zerebralen Mikrodialyse ist kostspielig und erfordert einen hohen Personalaufwand. Spezifische Kenntnisse der Pathophysiologie nach Schädel-Hirn-Trauma sind angesichts der verschiedenen methodischen Schwierigkeiten (lokale Messung, kleine Messvolumina des Messkatheters, unzureichende Definition der Normalbereiche) zur validen Dateninterpretation notwendig. Sie wird aktuell nur an speziellen Neurotraumazentren praktiziert.

10.2.3 Monitoring des Druckreaktivitätsindex (PRx) Der Druckreaktivitätsindex (PRx) wird als gleitender linearer Korrelationskoeffizient zwischen MAP und ICP über 3–4 Minuten bestimmt. Der PRx ist als Maß für die zerebrale Autoregulation zuverlässig kontinuierlich bettseitig darstellbar und hat eine Variationsbreite von –1 bis +1 [25–28]. Ein negativer Wert des PRx stellt eine intakte Autoregulation dar, während eine gestörte Autoregulation als positver PRx-Wert angezeigt wird. Eine gestörte zerebrovaskuläre Reaktivität geht mit einem gesteigerten Risiko für eine sekundäre zerebrale Hypoxie einher. Untersuchungen zeigten eine gute Korrelation zwischen schlechter neurologischer Erholung nach Schädel-Hirn-Trauma und gestörter Autoregulation. Des Weiteren erlaubt der PRx die optimale bettseitige Einstellung des CPP [26, 27]. Damit wird eine patientenindividuelle Steuerung des CPP im Rahmen der intensivmedizinischen Behandlung möglich. Eine Anhebung des CPP über den optimalen CPP hinaus führte zu keiner weiteren Verbesserung der Hirnoxygenierung [29]. Metabole Veränderungen im Sinne eines Anstiegs der Laktat-PyruvatRatio im Rahmen hypoxischer Episoden werden durch eine fehlende bzw. gestörte zerebrovaskuläre Reaktivität verstärkt [5, 11]. Bewertung der Methode: Die kontinuierliche Bestimmung des PRx ist im klinischen Alltag softwaregestützt zuverlässig und bei guter Datenqualität möglich und findet in speziellen Neurotraumazentren im klinischen Langzeitmonitoring Anwendung.

192 | 10 Multimodales erweitertes Neuromonitorings nach SHT

10.2.4 Elektrophysiologisches Monitoring Posttraumatisch auftretende Anfälle infolge einer erhöhten Expression von neuroexzitatorischen Transmittern im Rahmen der sekundären Schädigungskaskade sind klinisch relevant (20–40 % der Schädel-Hirn-Verletzten) und stellen die Rationale zur Überwachung der elektrophysiologischen Aktivität des Gehirns dar [5, 30]. Die meisten posttraumatischen Anfälle sind non-konvulsiv und entziehen sich somit einer eindeutigen klinischen Diagnostik [31]. Die Elektroenzephalographie (EEG) ist geeignet, generalisierte und fokale konvulsive und non-konvulsive Anfälle nach akuter Hirnschädigung zu detektieren und die Wirksamkeit einer eingeleiteten antikonvulsiven Therapie zu überprüfen. Die kontinuierliche Ableitung über 48 Stunden ist mit einer Sensitivität von über 90 % einem diskontinuierlichen EEG-Monitoring von 50 % überlegen [32]. Ein kontinuierliches EEG-Monitoring ist zur Beurteilung des Burst-Suppression-Musters bei Durchführung einer Barbituratnarkose zur Durchbrechung eines Status epilepticus bzw. im Rahmen der Behandlung der intrakraniellen Drucksteigerung essenziell. Cortical spreading depression (CSD) als Ursache neuronaler und glialer Depolarisation führt zu einer fortschreitenden neuronalen Funktionsstörung durch einen erhöhten zellulären Energieverbrauch und trägt hierdurch zur Vasokonstriktion und zum Wachstum einer posttraumatischen Läsion bei [33–35]. CSD-Wellen führen zu einer Suppression spontaner kortikaler Aktivität, die Minuten bis Stunden andauern kann. CSD kann kontinuierlich mittels Elektrokortikographie invasiv regional überwacht werden. Zur Ableitung müssen operativ spezielle Gitterelektroden implantiert werden. Dies erfordert eine spezielle operative Expertise und beinhaltet die Risiken einer subduralen Blutung bzw. Infektion. Bewertung der Methode: Die Überwachungstechnologie findet aktuell nur in einzelnen spezialisierten Neurotraumazentren im Rahmen klinischer Studien Anwendung. Wenn auch nachgewiesen werden konnte, dass längere Phasen von CSD mit einer schlechten neurologischen Erholung nach Schädel-Hirn-Trauma korreliert sind [36, 37], steht der wissenschaftliche Nachweis einer Prognoseverbesserung bei Anwendung der Methode noch aus. Die punktuelle Ableitung somatosensorisch (SSEP) und akustisch evozierter Potenziale (AEP) ist zur Einordnung der funktionellen Integrität des Mesencephalons und der Pons zur Beurteilung einer diffus axonalen traumatischen bzw. postanoxischen Schädigung in Ergänzung zur bildgebenden kraniellen Diagnostik sinnvoll und zur Prognosebeurteilung nützlich (Carter 2005, Carrai 2010, Morgalla 2006).

10.3 Steuerung der Therapie unter erweitertem multimodalen Neuromonitoring (MMM)

| 193

Tab. 10.4: Möglichkeiten der Therapiesteuerung mittels MMM. – – – – – –

Therapie eines individuell optimierten CPP Steuerung der Beatmung und Oxygenierung Steuerung der Analgosedierung Definiton des ausreichenden Hämoglobinlevels Bestimmung des optimalen Blutglukosespiegels Indikation und Wahl des günstigsten Zeitpunkts einer Dekompressionskraniektomie

10.3 Steuerung der Therapie unter erweitertem multimodalen Neuromonitoring (MMM) Die Überwachung spezifischer Parameter der zerebralen Oxygenierung, des Hirnmetabolismus und der Hirnfunktion ermöglichen durch die multimodale Aufzeichnung und Analyse bettseitig die Erkennung und die gezielte Therapie zerebraler Krisen im Verlauf der traumatischen Sekundärschädigung jenseits von ICP-Erhöhung und Veränderungen des CPP. Eine gezielte, individuell gesteuerte Therapie ist möglich; weitere Untersuchungen sind jedoch erforderlich, um die Evidenz der Überlegenheit einer personalisierten, pathophysiologisch basierten Therapie unter Einbindung eines MMM gegenüber bisherigen Therapiekonzepten (ICP/CPP) auf die neurologische Erholung nach einem schweren Schädel-Hirn-Trauma zu belegen [2, 3]. MMM-basierte Therapieprotokolle erfordern überdies spezielle Erfahrung und Kenntnisse der Pathophysiologie in der Behandlung von Neurotraumapatienten. Die Tabelle 10.4 fasst spezifische Therapieansätze unter Nutzung eines MMM zusammen [4].

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Eckhard Rickels

11 Dekompressionskraniektomie 11.1 Geschichte Trepanationen zur Behandlung von Hirnverletzungen sind seit der Vor- und Frühgeschichte bekannt (s. Kap. 1). Der Schweizer Chirurg Emil Theodor Kocher (1841 bis 1917, Nobelpreis 1909) war wohl der erste Arzt der Moderne, der die großflächige Entfernung des Schädelknochens zur Reduktion des Widerlagers bei Hirndruckerhöhung vorschlug und durchführte [1]. Harvey Cushing (1869 bis 1939) besuchte Kocher in Bern. 1905 erwähnte auch er die subtemporale Dekompressionskraniektomie als Mittel zur Beherrschung des erhöhten intrakraniellen Drucks [2]. Auch bei Victor Horsley findet sich 1906 eine Anleitung zur posttraumatischen Dekompression durch Entfernung der Schädeldecke [3]. Ein anderer Fall wurde von Hudson 1912 beschrieben [4]. Dieses chirurgische Verfahren zur Reduktion des erhöhten intrakraniellen Drucks wurde in der Folgezeit wegen der hohen Komplikationsrate weitgehend vergessen und nur noch gelegentlich durchgeführt [5]. Auch die wenigen Kraniektomiearbeiten in den 1970er-Jahren boten wenig erfolgversprechende Ergebnisse [6, 7]. Mit der Einführung der intrakraniellen Druckmessung – in Deutschland 1972 – wurde der Zusammenhang zwischen Schwere der Hirnverletzung und intrakraniellem Druck dann auf der Intensivstation für jeden Behandler erfahrbar [8]. Marshall zeigte 1979 [9] sehr überzeugend, dass die Behandlung des erhöhten ICP einen direkten eindeutigen Einfluss auf das neurologische Behandlungsergebnis hat. In der folgenden Zeit etablierte sich die neurochirurgische Intensivmedizin und die Möglichkeit, den intrakraniellen Druck direkt zu messen, lenkte von dem sich aufdrängenden chirurgischen Ansatz ab. ICP-Monitoring wurde gleichbedeutend mit einer Ära der medikamentösen Behandlung zur Reduktion des erhöhten Schädelinnendrucks. Dieser rein medikamentöse Ansatz wurde sicherlich auch dadurch gefördert, dass aus den pathophysiologischen und pathobiochemischen Erkenntnissen der Grundlagenwissenschaften zum Hirnödem seitens der Pharmaindustrie in den 1970erbis 1990er-Jahren eine große Anzahl von Substanzen zu dessen Behandlung entwickelt und klinisch (allerdings ohne Erfolg) erprobt wurde. So verwundert es letztlich nicht, dass es doch noch einige Zeit brauchte, die logische, sich anbietende Konsequenz aus der Erkenntnis zu ziehen, dass die knöcherne Hülle des Gehirns als Widerlager die eigentliche physikalische Ursache der Erhöhung des Hirndrucks bei dessen Volumenzunahme ist und dass eine Entfernung des Schädelknochens zur Druckentlastung führen muss. Die Grundfrage aber, ob die zum Teil exzellenten Erfolge der Methode bei Wenigen die hohe Anzahl von in schlechtem neurologischen Zustand Überlebenden rechtfertigen, blieb unbeantwortet.

https://doi.org/10.1515/9783110366853-013

198 | 11 Dekompressionskraniektomie

11.2 Prinzipien der Dekompressionskraniektomie Zur Druckentlastung haben sich zwei Operationsverfahren etabliert, die es erlauben, die vordere und mittlere Schädelgrube zu entlasten, ohne den venösen Abstrom zu gefährden.

11.2.1 Uni- bzw. bilaterale Hemikraniektomie Hierbei wird einseitig oder auch beidseitig der größtmögliche Anteil des Schädelknochens entfernt. Ziel ist eine Trepanationsöffnung von mindestens 14 cm in der a.-p. Distanz und ca. 10 cm von temporobasal nach parietal [10, 11]. Dies geschieht unter der Vorstellung, dass nur eine möglichst große Schädeleröffnung eine ausreichende Druckentlastung ermöglicht. Ein zu kleiner Knochendefekt kann die Herniation von Gehirn an den Trepanationsrändern durch Abklemmen des venösen Abstroms verstärken. Es gibt aber auch Autoren, die der Vorstellung „je größer, desto besser“ widersprechen [12]. Da der Temporallappen bei einer Volumenzunahme in Richtung Hirnstamm drängt, sollte der kleine Keilbeinflügel ebenfalls entfernt werden, um so eine Verschiebung des Gehirns nach lateral zu erleichtern. Entscheidend für die Effektivität der Kraniektomie ist eine – in der Regel – sternförmige Eröffnung der Dura mater. Diese Duraöffnung wird dann plastisch erweitert (autologer Muskel, Durapatch, anderes Fremdmaterial). Das Gehirn sollte hierbei komplett bedeckt sein, um eine spätere Präparation der Duraschicht bei Reimplantation des Knochens zu erleichtern. Der angestrebte Duraverschluss muss so groß sein, dass er dem Hirn die Möglichkeit zur Expansion gibt. Nach der Hautnaht sollt auf dem nicht einengenden Verband die Knochendefektzone eindeutig markiert werden, damit beim Lagern des Patienten kein direkter Druck auf das Gehirn ausgeübt wird. Diese Form der Dekompression ist die in Deutschland am meisten verbreitete. Die einzelnen Schritte der Dekompression sind in Abbildung 11.1 dargestellt.

11.2.2 Bifrontale Kraniektomie Nach einem koronaren Hautschnitt wird der Knochendeckel von der vorderen Schädelbasis bis zur Koronarnaht entfernt. Hierbei muss der Knochen vom vorderen Drittel des Sinus sagittalis superior gelöst werden. Nach beiseitiger Duraeröffnung sollte nach Ligatur des Sinus sagittalis superior die vordere Falx durchtrennt werden. Die Duraerweiterung erfolgt dann ebenfalls mittels autologem Muskel oder Durapatch mit Fremdmaterial. Die bifrontale Kraniektomie ist in Deutschland weniger gebräuchlich.

11.2 Prinzipien der Dekompressionskraniektomie | 199

(a)

(b)

(c)

(d)

Abb. 11.1: Typische intraoperative Bilder bei Dekompressionskraniektomie zur Senkung des erhöhten intrakraniellen Drucks. (a) Darstellen der Schädelkalotte durch großen fronto-temporoparieto-okzipitalen Hautlappen; (b) Situs nach Kraniektomie; (c) Situs nach sternförmiger Duraeröffnung; (d) Situs nach plastischer Duraerweiterung durch allogenes Ersatzmaterial. Abbildungen aus: Piek J. (Hrg.). Neurochirurgische Intensivmedizin. München: Zuckschwerdt; 2017. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

11.2.3 Zeitpunkt der Dekompression Der richtige Zeitpunkt der Dekompression wird weiterhin kontrovers diskutiert. In der überwiegenden Zahl der Studien ist die Dekompressionskraniektomie die letzte Therapieoption. Erst wenn alle konservativen Mittel versagt haben, der Hirndruck über längere Zeit nicht abfällt, kommt es zur Operation. Es stellt sich die Frage, ob man mit dieser Haltung, die die Schädigung des Gehirn weit fortschreiten lässt, nicht die positiven Auswirkungen der Dekompression verhindert. Ultrafrühe Dekompressionen, die die Hirndruckentwicklung erst gar nicht abwarten wollen, erzeugen so viele Nebenprobleme, dass ein positiver Effekt nicht nachweisbar wird. Park et al. [13], Cianchi et al. [14] wie auch Huang et al. [15] konnten keinen Unterschied bei einer Dekompression innerhalb von 24 Stunden nach dem Trauma zu einer späteren Dekompression sehen. Auch Dekompressionskraniektomien bei beidseits weiten Pupillen und/oder einem GCS von 3 Punkten ergaben kein positives Resultat [16].

200 | 11 Dekompressionskraniektomie

Insgesamt scheint also das derzeit überwiegend geübte Vorgehen, sich sekundär verschlechternde Patienten mit konservativ schwer zu therapierender intrakranieller Druckerhöhung vor dem Erreichen des Bulbärhirnsyndroms zu trepanieren, der sinnvollste Ansatz zu sein. Über den optimalen Zeitpunkt innerhalb dieses Fensters konnte noch nicht abschließend geurteilt werden.

11.3 Komplikationen durch und nach Dekompressionskraniektomie Generell ist zu bedenken, dass die Kraniektomie ein Eingriff mit einer sehr großen Wundfläche ist. Allein der naturgemäß sehr große Hautlappen kann zu signifikanten, auch hämodynamisch wirksamen Blutverlusten führen, insbesondere bei Traumapatienten mit Gerinnungsstörungen und bei kleinen Kindern. Postoperativ kann es nach der Entfernung des knöchern-duralen Widerlagers zur Herniation des Gehirns kommen. Ursächlich hierfür kann eine maligne Schwellungstendenz des Gehirns nach dem Trauma sein, die durch die Operation nicht kompensierbar ist. Hiervon zu unterscheiden ist eine Situation, in der die Eröffnung des Schädels für die Schwellung des Gehirns fälschlich zu klein gewählt wurde, das heraustretende Gehirn am Knochenrand in der Folge dann so gequetscht wird, dass der venöse Abstrom verhindert wird, was den Hirnschaden und die Schwellneigung also eher verstärkt. Es wird auch empfohlen, den Abfluss über die kortikalen Venen durch Tunnelungen zu sichern (Einzelheiten unter [17]). Nach Dekompressionskraniektomien sind subdurale Hygrome, bedingt durch die Verbindung von Epi- und Subduralraum, häufig. Hier werden Inzidenzen von 26–63 % [18–21] bzw. 16 % [22] genannt. Nach der Kraniektomie nimmt auch die Häufigkeit von Liquorresorptionsstörungen zu [23–25]. Saade et al. beschreiben eine Rate von 10 % [22]. Seltener sind kontralaterale Hämatome [26], induziert durch die plötzliche Druckentlastung. Das tiefe Einsinken des Gehirns nach erfolgter Kraniotomie (Abb. 11.2) bedingt oft ein klinisches Syndrom, das als „Syndrome of the trephined“ [27] oder auch als „sinking-skin-flap-syndrome“ [28] bezeichnet wird. Beschrieben sind Kopfschmerzen, Schwindel, epileptische Anfälle, kontralaterale Paresen und verschiedene neuropsychologische Auffälligkeiten. Zur Behebung wird eine frühzeitige Defektdeckung nach Abklingen der Schwellneigung empfohlen, weil Rehabilitationsmediziner hier oft eine erstaunliche Besserung bestehender Defizite sehen. Objektivierbar ist eine Verbesserung der Blutflussregulation und ein gebesserter Glukosemetabolismus oder auch des lagebedingten zerebralen Blutflusses [29, 30]. Es wird auch eine Reduktion der kontralateralen Hygromsäume nach Re-Implantation des Knochendeckels beschrieben [31]. Der Zeitpunkt der Re-Implantation muss individuell bestimmt werden.

11.4 Studienlage zur Dekompressionskraniektomie | 201

Abb. 11.2: Eingesunkener Trepanationsdefekt nach Dekompressionskraniektomie rechts.

11.4 Studienlage zur Dekompressionskraniektomie Wie bei jeder Einführung eines Verfahrens waren die ersten Arbeiten ab 2000 sehr positiv in der Bewertung der Ergebnisse. Erst dann folgten kritische Einschränkungen. Den Anwendern der Dekompressionskraniektomie wurde von Anfang an entgegengehalten, dass diese Methode vielleicht die Überlebenswahrscheinlichkeit von Patienten mit schwerem SHT erhöhe, dies aber keine Verbesserung des neurologischen Outcomes bedeuten würde, man würde nur Patienten in den schlechten OutcomeKategorien „produzieren“. Die erste neuere, aber retrospektive Studie zur Dekompression kam 1966 von Diemath [32] mit 55 % Verstorbenen und 12 % Patienten mit einem GOS-Score von 5 (keine Behinderung). Kjellberg und Prietro [6] sahen dann 1971 ein Ergebnis mit 78 % Verstorbenen und 15 % in gutem Zustand Überlebende (GOS 4 und 5). Ähnlich schlecht waren die Resultate von Venes und Collins 1975 [7]. Um das Jahr 2000 pendeln sich die retrospektiven Studien [33–35] dann bei einem GOS 1 von 20 % und bei GOS-4- und -5-Werten von ca. 30 % ein. Es ist das Verdienst der Arbeitsgruppe um Gaab, 1990 [36], erstmals eine prospektive Studie zu diesem Thema veröffentlicht zu haben. Die aus derselben Arbeitsgruppe stammende Arbeit von Kleist Welch-Guerra et al. [37] löste dann eine wachsende Aufmerksamkeit für die Dekompressionskraniektomie aus, da ein GOS1 nur bei 19 %, aber ein GOS4 und 5 bei 58 % erreicht wurde.

202 | 11 Dekompressionskraniektomie

Nachfolgende Studien [38] und Meier 2003 [39] zeigten dann zwar weniger enthusiastisch gute Resultate, aber das Interesse, diesen alten therapeutischen Ansatz wieder aufzugreifen und klinisch-wissenschaftlich zu untersuchen, war geweckt. Eine Cochrane-Analyse 2006 [40] zeigte, dass sich zu diesem Zeitpunkt ein besseres neurologische Ergebnis durch die Dekompressionskraniektomie bislang nur in einer pädiatrische Studie zeigen ließ [41] und empfahl deshalb keine Routineanwendung dieser Technik. Erst die DECRA-Studie von Cooper et al. 2011 [42] brachte neue Fakten in die Diskussion. Bei dieser prospektiven randomisierten Studie wurden die Ergebnisse bei diffuser traumatischer Hirnschädigung zwischen der Gruppe mit maximaler konservativer Therapie gegenüber einer Gruppe mit bifrontaler(!) Kraniektomie innerhalb von 72 Stunden nach Trauma verglichen. Einschlusskriterium war ein Hirndruck von mehr als 20 mmHg über mehr als 15 Minuten innerhalb einer Stunde. Die Studie zeigte einen evidenten ICP-Abfall nach der Dekompression. Ernüchternd war aber, dass zwar die Anzahl Verstorbener gleich, bei den Überlebenden aber die Anzahl der schlechten Ergebnisse (vegetativer Status, schwere neurologische Behinderung) in der Dekompressionsgruppe signifikant größer war (70 % vs. 51 %, p = 0,02). Kritikpunkte an dieser Studie sind, dass bei den bifrontalen Kraniektomien die Falx nicht durchtrennt wurde. Die Randomisierungskriterien mit einem sehr niedrigen ICP von 20 mmHg und mit einer mit 15 Minuten sehr kurzen Ansprechzeit auf die medikamentöse Therapie wurden ebenfalls kritisiert [43, 44]. Kritikwürdiger war aber die Tatsache, dass in der Kraniektomiegruppe 27 % der Patienten mit nichtreagierenden Pupillen eingeschlossen wurden gegenüber 12 % in der konservativen Gruppe. Die nach der DECRA-Studie erschienenen Arbeiten ergaben, auch wenn sie nicht als multizentrische randomisierte Arbeiten konzipiert waren, ein anderes Bild. Die Studie von Talving et al. [45] zeigt eine verbesserte Überlebensrate in der trepanierten Gruppe. Beachtenswert war auch die Feststellung aus den nichtentwickelten Ländern, dass die Dekompressionstrepanation eine erfolgversprechende Therapie in Ländern mit beschränkten Ressourcen ermöglicht. Barthelemy 2016 [46] und OJA 2015 [47] Hartings et al. [48] konnten dann 2014 in einem Zwei-Zentrums-Vergleich zeigen, dass ein aggressiveres Vorgehen mit früher Dekompression zu einer Erhöhung der Anzahl guter neurologischer Ergebnisse führt.

11.5 RESCUE-ICP-Studie Im September 2016 wurden endlich die Ergebnisse der sog. RESCUE-ICP-Studie [49] veröffentlicht. Diese war eine internationale, multizentrische, prospektive und randomisierte Studie mit zwei Behandlungsgruppen. Verglichen wurde bei behandlungsrefraktärem ICP eine medikamentöse Behandlung mit der sekundären dekompressiven Kraniektomie als letzte Therapieoption. Eingeschlossen wurden Patienten zwischen 10 und 65 Jahren mit einem pathologischen CT, die unter kontinuierlichem ICP-

11.5 RESCUE-ICP-Studie

|

203

Monitoring Hirndruckerhöhungen über 25 mmHg über 1–12 Stunden zeigten. Ebenfalls eingeschlossen wurden Patienten, die diese Hirndruckwerte nach Entleerung eines intrakraniellen Hämatoms zeigten, bei denen der Knochendeckel wieder eingesetzt worden war. Ausschlusskriterium waren beidseitig weite, nichtreagible Pupillen, Gerinnungsstörungen oder primär nicht überlebbares Trauma. Alle Patienten erhielten eine initiale Allgemeinbehandlung mit Kopfhochlage, Ventilation, Analgosedierung, optional Paralyse sowie Messung von ZVD, arteriellem Druck und Hirndruck. Ließ sich der ICP hierunter nicht unter die kritische Grenze senken, kam als Zweitlinienbehandlung die Anlage einer externen Ventrikeldrainage, die Gabe inotroper Substanzen, von Mannitol oder hypertonem Kochsalz, Schleifendiuretika und eine therapeutische Hypothermie in Betracht. War hierunter der ICP höher als 25 mmHg über 1–12 Stunden, wurde randomisiert. Die Medikamentengruppe erhielt Barbiturate, die Operationsgruppe wurde dekompressiv krainektomiert, beide unter Fortführung der bisherigen Intensivtherapie. Operationstechnisch waren bifrontale Kraniektomien (empfohlen bei diffusen Schwellungen in beiden Hirnhälften) oder einseitige große frontotemporale Kraniektomien gestattet. Das Ergebnis neben der Mortalitätsrate wurde anhand der Glasgow-Extended Outcome Scale (GOS-E, s. Kap. 20 und Tabelle 11.1) ermittelt. Behandelt wurden 2.008 Patienten zwischen 2004 und 2014, von denen letztlich 408 randomisiert wurden, davon 71,1 % im Vereinigten Königreich. 206 Patienten wurden für den Operationsarm randomisiert, 202 Patienten in den konservativen Studienarm. 12 Monate nach dem Trauma ergab sich folgendes Bild: s. Tabelle 11.1: Tab. 11.1: Glasgow Extended Outcome scale und Ergebnisse der Rescue-ICP-Studie Kategorie (GOS-E) 1 2 3 4 5 6 7 8

Tod Vegetativ Schwere Behinderung, unterer Bereich Schwere Behinderung, oberer Bereich Mäßige Behinderung, unterer Bereich Mäßige Behinderung, oberer Bereich Gutes Outcome, unterer Bereich Gutes Outcome, oberer Bereich

Operationsgruppe

Konservative Gruppe

30,4 % 6,2 % 18,0 % 13,4 % 10,3 % 11,9 % 7,2 % 2,6 %

52,0 % 1,7 % 14,0 % 3,9 % 7,8 % 12,3 % 3,9 % 4,5 %

Betrachtet man nur die Gruppe „obere, bessere schwere Behinderung (GOS-E 4) oder besseres Ergebnis“, also GOS-E 4 bis GOS-E 8 – wie es auch in den Studien zum malignen Infarkt durchgeführt wurde –, so zeigt sich, dass sich in der operierten Gruppe eine Verbesserung von 45,4 % der Patienten gegenüber 32,4 % in der Barbituratgruppe darstellen ließ (p = 0,01).

204 | 11 Dekompressionskraniektomie

Diese Studie kann als ein Meilenstein betrachtet werden, denn mit ihr lag erstmals eine prospektive, randomisierte Untersuchung zum Stellenwert der Dekompressionskraniektomie nach schwerem SHT vor. Sie zeigte, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit bei schweren Schädel-Hirn-Verletzungen durch eine Dekompressionskraniektomie eindeutig verbessert werden kann. Verbunden mit der starken Reduktion der Sterbefälle ist allerdings ein Anstieg von Patienten mit schwerer Behinderung oder in persistierendem vegetativem Status, gleichzeitig aber auch eine Steigerung in den guten Outcome-Kategorien, sodass sich hier ein ethisches Dilemma ergibt, das dringend zu diskutieren ist. Mit diesen Ergebnissen zeigt sich ein Unterschied zur DECRA-Studie, die bei gleicher Anzahl an Verstorbenen nur einen Anstieg der schlechten Ergebnisse zeigte. In der Wertung sind die Ergebnisse der RESCUE-ICP-Studie noch nicht eindeutig. Kritikpunkte sind die Operationstechnik und die Indikation zur Operation: In 63 % der Operationen wurden diese als bifrontale Kraniektomien durchgeführt, was z. B. nicht die übliche Operationstechnik in Deutschland ist. Noch entscheidender ist der Umstand, dass bei 37,2 % der Patienten aus dem medikamentösen Studienarm ein (erlaubtes) Umschwenken auf die Kraniektomie stattfand. Offensichtlich versagte bei einem Drittel der in den Barbituratarm randomisierten Patienten die konservative Behandlung und erforderte letztendlich ein operatives Vorgehen. Damit zeigt die RESCUE-ICP-Studie ein ähnliches Ergebnis wie die Studie zur Dekompressionstrepanation bei malignem Mediainfarkt, nämlich dass dieser Eingriff die Anzahl der Verstorbenen signifikant senkt, gleichzeitig aber die der in schlechtem neurologischen Zustand Überlebenden erhöht. Für die Wertung mit Hinblick auf das Outcome erscheint neben der reinen Überlebenswahrscheinlichkeit wichtig, dass auch alle anderen Studien zum SHT an dieser Stelle versagt haben. So zeigten die wissenschaftlich gut fundierten Pharmastudien der letzten drei Jahrzehnte, trotz bester intellektueller Vorbereitung ein negatives Ergebnis. Es muss deshalb befürchtet werden, dass das SHT bei allen klinischen Outcome-Studien ein so heterogenes Patientenmuster liefert, dass Studienergebnisse nur schwer zu allgemeingültigen Aussagen führen. Dies ist Gegenstand einer umfangreichen Diskussion [50]. Unabhängig von der derzeit schwierigen Situation, überhaupt in SHT-Studien eine neurologische Verbesserung nachzuweisen, gilt weiterhin das Dogma der Behandlung des schweren Schädel-Hirn-Traumas: Ein über längere Zeit bestehender hoher Hirndruck bedingt ein schlechtes neurologisches Outcome. Der medikamentöse Ansatz und erst recht die Hypothermie oder hyperbare Oxygenierung versuchen, diese Druckentwicklung indirekt durch Beeinflussung der Entstehung bzw. Unterhaltung des Hirnödems zu behandeln. Im Gegensatz hierzu ist die Dekompressionstrepanation die direkte, sicher wirksame Therapieform der bedrohlichen intrakraniellen Druckerhöhung, weil sie das Widerlager für die Druckentwicklung reduziert.

11.6 Fazit

| 205

11.6 Fazit – – –







Die dekompressive Kraniektomie nach SHT führt zu einer sicheren Senkung des intrakraniellen Drucks und zur Erhöhung der Wahrscheinlichkeit des Überlebens. Ob dies mit einer Verbesserung des neurologischen Endergebnisses assoziiert ist, bleibt unklar. Nachteil der bis dato durchgeführten Studien ist, dass in diesen die dekompressive Kraniektomie erst am Ende der Behandlungskette erfolgte, so auch in der bislang aussagekräftigsten RESCUE-ICP-Studie, in der sogar 37 % der konservativ behandelten Patienten letztendlich operiert wurden. Unklar bleibt demnach, ob eine frühzeitigere Entscheidung zur Operation nicht einen Zuwachs des sekundären Schadens verhindern und so das Outcome verbessern könnte. Trotz aller klinischen und wissenschaftlichen Unsicherheit wird die Dekompression daher derzeit in vielen neurochirurgischen Kliniken durchgeführt – so auch in denen der Herausgeber. Bei diesem Vorgehen sollte sich jeder, der diesen Eingriff durchführt, der ethischen Implikationen angesichts der vorliegenden Daten bewusst sein.

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Thomas Thiele und Andreas Greinacher

12 Gerinnungsstörungen im Rahmen des SHT 12.1 Zusammenfassung Bei Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma (SHT) sind sowohl das Blutungsrisiko als auch das Risiko für Thrombosen erhöht. Dies trifft besonders für Patienten zu, die zur primären oder sekundären Prophylaxe von Gerinnungsstörungen mit Medikamenten behandelt werden. Dieses Kapitel behandelt zunächst die Grundlagen der Gerinnung, um danach die Gerinnungsstörungen bei Patienten mit SHT und die daraus resultierenden Besonderheiten der Therapie darzustellen. Neben der Behandlung der akuten Gerinnungsstörung beim SHT liegen weitere Schwerpunkte auf der Entstehung und Behandlung häufiger erworbener Gerinnungsstörungen wie der Leber- und Niereninsuffizienz. Zum Schluss wird die Prophylaxe thrombotischer Verschlüsse im weiteren Verlauf der Behandlung von Patienten mit SHT beschrieben.

12.2 Grundlagen der Gerinnung und medikamentöse Angriffspunkte An der Hämostase sind Thrombozyten, Endothelzellen, plasmatische Gerinnungsfaktoren, das Fibrinolysesystem, Monozyten, Makrophagen, aktivierte Granulozyten, Komplementfaktoren und das Bradykinin-Histamin-System beteiligt. Zusammen bilden sie die bekannten drei Elemente der Virchow-Trias: den Blutfluss, die Blutzusammensetzung und die Eigenschaften der Gefäßwand. Eine Störung dieses Systems kann zu Blutungen bzw. zu Thrombosen führen [1]. Die Thrombozyten strömen am Endothel entlang und erkennen frühzeitig Gefäßwandschäden. Strömungsbedingt ist hierfür ein suffizienter Hämatokrit von > 30 % notwendig [2]. Erythrozyten sind wichtig für eine ausreichende Hämostase. Bei kritischer Blutungssituation sollte der Hämatokrit nicht unter 30 % sinken.

Bei einem Gefäßschaden wird Kollagen freigelegt. Daran bindet der von-WillebrandFaktor (vWF). Thrombozyten binden an vWF und Kollagen. Sie ändern ihre Form und schütten Mediatoren wie Thromboxan oder ADP aus. Die Mediatoren aktivieren weitere Thrombozyten vor Ort und bewirken über die glatten Muskelzellen eine Vasokonstriktion [3]. Acetylsalicylsäure und andere nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAIDs) hemmen durch die Blockierung der Cyclooxygenase die Thromboxansynthese in Thrombozyten [4]. Ticlopidin, Clopidogrel, Prasugrel, Cangrelor und Ticagrelor hemmen den P2Y12 https://doi.org/10.1515/9783110366853-014

210 | 12 Gerinnungsstörungen im Rahmen des SHT

ADP-Rezeptor und damit die ADP-vermittelte Plättchenaktivierung, während Abciximab, Eptifibatide und Tirofiban die Bindung von Fibrinogen an den Glykoproteinrezeptor IIb/IIIa und damit die Thrombozytenaggregation blockieren [5]. Auch Metamizol [6], Serotonin-Wiederaufnahmehemmer [7] und Antiepileptika wie Valproinsäure [8] und Levetiracetam [9] können die Thrombozytenfunktion beeinträchtigen.

Auf der aktivierten Thrombozytenoberfläche läuft verstärkt die plasmatische Gerinnung ab. Ziel ist die Generierung von Thrombin (Faktor IIa), das zur Spaltung von Fibrinogen in Fibrin benötigt wird. Durch eine Verletzung wird Gewebethromboplastin (Tissue Factor – TF) u. a. aus aktivierten Endothelzellen freigesetzt. Tissue Factor bindet aktivierten Faktor VII, der in geringen Mengen aktiv im Blut zirkuliert. Der TF/Faktor-VIIa-Komplex aktiviert Faktor X zu Faktor Xa, der dann Prothrombin in Thrombin spaltet. Durch die Interaktion mit weiteren Gerinnungsfaktoren wird die Gerinnung um den Faktor 1.000 amplifiziert. Zum Schluss spaltet Thrombin Faktor XIII zu Faktor XIIIa, dieser führt zur Quervernetzung der Fibrinmoleküle und stabilisiert damit den Thrombus [1, 10]. Vitamin-K-Antagonisten hemmen die Vitamin-K-abhängige γ-Carboxylierung der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X. Direkte Antikoagulanzien hemmen spezifisch Thrombin (Dabigatran, Argatroban, Bivalirudin) oder Faktor Xa (Apixaban, Edoxaban, Rivaroxaban, Betrixaban) [11].

Gebremst wird die Gerinnung u. a. über das Protein-C-/-S-System, über Antithrombin, das vorzugsweise Faktor Xa und Thrombin inhibiert und Tissue-Factor-PathwayInhibitor, der den Faktor-VIIa/TF-Komplex und Faktor Xa hemmt [1, 12]. Niedermolekulare Heparine, Fondaparinux und Danaparoid erhöhen durch Bindung an Antithrombin die Affinität des Antithrombins zum Faktor Xa. Bei längerkettigen Heparinen wird zusätzlich auch Thrombin gehemmt [12]. Bei intensivpflichtigen Patienten, die Heparin erhalten (z. B. für die Nierenersatztherapie) verstärkt die gleichzeitige Substitution von Antithrombin die Gerinnungshemmung (Cave: Nachblutungen!).

Das Fibrinolysesystem löst Gerinnsel wieder auf. Das wichtigste Enzym der Fibrinolyse ist Plasmin. Es entsteht aus Plasminogen, das durch den Gewebe-PlasminogenAktivator (t-PA) in Plasmin gespalten wird. Nach Bindung an Fibrin wird die katalytische Aktivität von t-PA um das ca. 1.000fache gesteigert. t-PA wird durch den Plasminogen-Aktivator-Inhibitor inaktiviert. Gehemmt wird die Fibrinolyse u. a. durch α2 -Antiplasmin und Thrombin-aktivierbaren Fibrinolyseinhibitor [1]. Plasminogen-Aktivatoren werden für die Lysetherapie akuter thrombotischer Verschlüsse eingesetzt.

12.3 Gerinnungsstörungen in der Akutphase des Schädel-Hirn-Traumas

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12.3 Gerinnungsstörungen in der Akutphase des Schädel-Hirn-Traumas Bei Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma (SHT) ist sowohl das Risiko für Blutungen als auch das Risiko für Thrombosen erhöht. Blutungen treten dann auf, wenn das Endothel verstärkt permeabel wird und sich das Gefäß wie beim SHT nicht mehr adäquat engstellen kann. Durch den Gewebeschaden kommt es zur Hypoperfusion mit Hypoxie, Azidose und Hypothermie. Die Azidose hemmt die Enzyme der Gerinnung, die ihr Wirkungsoptimum bei normalen pH-Werten haben [13]. Hinzu kommt eine Störung der Endothelfunktion mit einer gesteigerten Aktivierung des Protein-C-/-S-Systems. Beides führt zu einer gesteigerten Blutungsneigung. Blutungen ohne adäquates Trauma können ein Hinweis auf Gefäßveränderungen sein, z. B. bei Amyloidose.

Eine gesteigerte Fibrinolyse spielt eine herausragende Rolle für zerebrale Gerinnungsstörungen [13, 14], weil zahlreiche endogene Plasminogen-Aktivatoren beim SHT freigesetzt werden. Die Hyperfibrinolyse bewirkt ebenfalls eine gesteigerte Blutungsneigung [15]. Zuletzt treten bei massivem Trauma eine Thrombozytopenie, eine Thrombozytenfunktionsstörung und eine Verbrauchskoagulopathie auf [16]. Hypoxie, extrem hohe Scherkräfte, Zytokine oder bakterielle Toxine machen Endothelzellen dagegen prothrombogen [1, 12]. Das Protein-C-/-S-System kann nicht mehr aktiviert werden, was sekundär zu Mikrothrombosen führt [14, 17, 18]. Das Gehirngewebe enthält viel Tissue Factor. Dieser gelangt bei Verletzungen und Operationen in die Blutbahn und steigert das Risiko für Thrombosen und eine Verbrauchskoagulopathie bei Patienten mit SHT.

12.4 Verbrauchskoagulopathie und disseminierte intravasale Gerinnung Eine Verbrauchskoagulopathie entwickelt sich nach hohen Blutverlusten z. B. nach Polytrauma oder während ausgedehnter operativer Eingriffe. Die erhöhte Blutungsneigung beruht auf dem Verlust von Gerinnungsfaktoren und Thrombozyten bei gesteigerter Gerinnungsaktivierung (Verbrauch). Gleichzeitig wird Plasminogen aktiviert, was zu einer zusätzlichen Hyperfibrinolyse beitragen kann. Durch massive Volumensubstitution zur Kreislaufstabilisierung entsteht zusätzlich eine Verdünnungskoagulopathie, die durch die gerinnungshemmende Eigenschaft von kolloidalen Plasmaexpandern noch weiter verstärkt wird.

212 | 12 Gerinnungsstörungen im Rahmen des SHT

Eine ähnliche Entgleisung der Gerinnung wird auch bei der Sepsis oder bei Tumorerkrankungen beobachtet. Hier kommt es zur unkontrollierten, disseminierten intravasalen Gerinnung (disseminated intravascular coagulopathy – DIC) auch ohne Trauma und Blutverlust. Tissue Factor wird bei der DIC bei Tumorerkrankungen durch den Tumor freigesetzt und bei der Sepsis durch aktivierte Monozyten. Das Resultat ist die systemische Aktivierung der Gerinnungskaskade und Fibrinentstehung, die sowohl eine Blutungs- als auch eine Thromboseneigung hervorrufen kann. Sowohl bei der Verbrauchskoagulopathie als auch bei der DIC sind Gerinnungstests wie INR, aPTT, Fibrinogen und D-Dimere pathologisch verändert. Häufig besteht eine begleitende Thrombozytopenie [16]. Die Diagnose der DIC basiert auf dem Zugrundeliegen einer DIC-auslösenden Erkrankung und spezifischen Laborveränderungen der INR, aPTT, Thrombozytenzahlen und D-Dimere [19, 20]. Therapie: Die Grundsäulen der Behandlung polytraumatisierter Patienten sind ein restriktiver Einsatz kristalloider Lösungen, die frühzeitige Substitution von Erythrozytenkonzentraten und Frischplasma im Verhältnis 1 : 1 und der Thrombozytentransfusion im Verhältnis von 1 Thrombozytenkonzentrat auf 4–6 Erythrozytenkonzentrate. Hierzu sollte ein Algorithmus-basiertes Transfusions- und Hämostasemanagement festgelegt werden [21], um frühzeitig ein weiteres Entgleisen der Gerinnung zu vermeiden. Für Polytraumapatienten wurde eine Reduktion der Mortalität durch den frühen Einsatz von Tranexamsäure gezeigt [22] und sollte entsprechend bei Polytrauma mit SHT gegeben werden. Der Stellenwert von Tranexamsäure bei isoliertem SHT ist weniger gut belegt bzw. sogar umstritten [23].

Die Behandlung der Grunderkrankung und symptomatische Substitution von Gerinnungsfaktoren, v. a. Plasma, Fibrinogen und Thrombozyten, stehen bei der DIC im Vordergrund. Die Gabe von Tranexamsäure oder von Antikoagulanzien ist umstritten bzw. vom Verlauf der DIC abhängig.

12.5 Gerinnungsstörungen durch Antikoagulanzien Die häufigste Ursache einer erworbenen Gerinnungsstörung ist die Einnahme von Antikoagulanzien und Thrombozytenfunktionshemmern. Die Medikamentenanamnese ist bei SHT-Patienten häufig schwierig. Daher sollte nach einem Antikoagulationsausweis gesucht und ggf. sollten die Angehörigen befragt werden. Neben der Art des Gerinnungshemmers sind der Zeitpunkt der letzten Einnahme und die Nierenfunktion wesentlich. Besonders neuere orale Antikoagulanzien werden renal eliminiert. Bei nichtansprechbaren Patienten kann mit wenigen Labortests der Einfluss von Gerinnungshemmern nachgewiesen werden. Wir haben an unserem Klinikum für die

12.6 Gerinnungsstörungen durch Thrombozytenaggregationshemmer | 213

Tab. 12.1: Laboranforderung bei unklarer Blutung. Gerinnungstest

Pathologische Abweichung

Hinweis auf Gabe von

Quick/INR

erniedrigt/erhöht

Vitamin-K-Antagonisten, Überdosierung von NOAKs

aPTT

verlängert

Überdosierung von NOAKs, unfraktioniertes Heparin

Thrombinzeit

verlängert

Dabigatran

Anti-Faktor-Xa-Test

erhöht

niedermolekulares Heparin, Fondaparinux, Faktor-Xa-Antagonisten (Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban)

NOAKs: nicht Vitamin-K-Antagonisten orale Antikoagulanzien: Dabigatran, Rivaroxaban, Edoxaban, Apixaban.

Notfalldiagnostik die Laboranforderung „unklare Blutungsneigung“ eingeführt; dies ermöglicht, den Einfluss von Antikoagulanzien schnell nachzuweisen (Tab. 12.1). Therapie: Vitamin-K-Antagonisten (VKA) können mit ProthrombinkomplexKonzentraten (PPSB) antagonisiert werden. Zusätzlich sollte immer Vitamin K gegeben werden (10 mg i.v.) [11]. Für die Antagonisierung des direkten Thrombininhibitors Dabigatran ist mit Idarucizumab ein i.v. applizierbares Antidot verfügbar [24]. Für alle Faktor-Xa-Inhibitoren (Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban) wird zurzeit (Stand: März 2018) ein modifizierter Faktor Xa in einer Phase-3-Studie getestet [11, 25]. Bis zu dessen Zulassung können PPSB (30–50 IE/kg KG), aktiviertes PPSB (FEIBA, 20–40 IE/kg KG) und rekombinanter Faktor VIIa (Novoseven; 90 μg/kg KG) eingesetzt werden [26]. Erste Beobachtungen zur Effektivität dieser Therapie sind publiziert [27, 28].

12.6 Gerinnungsstörungen durch Thrombozytenaggregationshemmer Die Einnahme von Thrombozytenfunktionshemmern kann meist nicht über schnelle Labortests erfasst werden, weil nur wenige Labore den Einfluss von ASS- oder ADPRezeptorantagonisten nachweisen können. Wesentlich ist auch hier die Information über den Zeitpunkt der letzten Einnahme, weil noch zirkulierende Plättchenhemmer oder deren Metaboliten Thrombozytentransfusionen hemmen können (Tab. 12.2). Therapie: Die Transfusion von zwei Thrombozytenkonzentraten verbessert die Hämostase in Abhängigkeit von der Halbwertszeit der Plättchenhemmer [29–31]. Nach Einnahme von ASS oder NSAIDs kann auch durch die Gabe von Desmopressin, DDAVP, 0,3 μg/kg KG als Kurzinfusion über 30 Minuten [32] eine Verbesserung der Thrombozytenfunktion erreicht werden.

214 | 12 Gerinnungsstörungen im Rahmen des SHT

Tab. 12.2: Pharmakologie der Thrombozytenfunktionshemmer (adaptiert [44]). Präparat

Wirkmechanismus

Halbwertszeit

Zeitpunkt der letzten Einnahme, ab dem eine Thrombozytentransfusion wirken kann

Acetylsalicylsäure

Irreversible Inhibition der COX-1 und COX-2

15–30 min

2 h (länger bei Retardpräparaten)

Clopidogrel

Irreversible Inhibition des P2Y12 -ADP-Rezeptors

30 min

~8 h

Ticlopidin

Irreversible Inhibition des P2Y12 -ADP-Rezeptors

24–36 h (nach einer Dosis)

keine Information

Prasugrel

Irreversible Inhibition des P2Y12 -ADP-Rezeptors

7h

~24 h

Ticagrelor*

Reversible Inhibition des P2Y12 -ADP-Rezeptors

7h

~72–96 h*

Vorapaxar

Reversible Inhibition des PAR-1-Rezeptors

8d

unklar#

* Plasmaspiegel von Ticagrelor sind sehr hoch, sodass mehrere Halbwertszeiten notwendig sind, um Plasmaspiegel zu erreichen, bei denen transfundierte Thrombozyten wirken können. # Tiermodelle zeigen, dass eine Normalisierung der Thrombozytenfunktion nach Thrombozytentransfusion eintritt [45]. Bei der extrem langen Halbwertszeit von Vorapaxar ist eine Übertragung dieser Ergebnisse auf den Menschen nur bedingt möglich.

12.7 Gerinnungsstörung bei Leber- und Niereninsuffizienz Leberfunktionsstörungen führen zu einem Mangel an pro- und antikoagulatorischen Gerinnungsfaktoren sowie der Inhibitoren Protein C, Protein S, Antithrombin und Plasminogen-Aktivator-Inhibitor [33]. Bei chronischem Leberschaden ist die Thrombozytenzahl typischerweise erniedrigt und die Thrombozytenfunktion gestört. Fibrinogen und Faktor VIII sind häufig erhöht. Die Standardlaborparameter (INR/aPTT) sind meist derangiert, vermitteln aber ein falsches Bild (Abb. 12.1). Häufig besteht bei Leberinsuffizienz eine ausgeglichene bzw. eine paradoxe prothrombotische Situation der Gerinnung [16]. Allerdings besteht eine eingeschränkte Reservekapazität, wenn diese Patienten ein SHT erleiden. Die oben ausgeführte Pathologie der Verlustund Verbrauchskoagulopathie tritt besonders schnell ein. Eine Hyperfibrinolyse ist ebenfalls häufig. Therapie: Möglichst frühzeitig muss eine Substitutionstherapie mit Plasma und Thrombozyten erfolgen. Gegebenenfalls ist die Gabe von Fibrinogen und PPSB indiziert. Tranexamsäure sollte zur Behandlung der Hyperfibrinolyse gegeben werden.

12.8 Gerinnungsstörungen nach der Akutphase des SHT

normale Gerinnung Thrombose

|

215

Gerinnung bei Leberinsuffizienz Blutung

Thrombose

Blutung

Abb. 12.1: Standardlaborparameter (INR/aPTT) vermitteln ein falsches Bild bei Leber- und Nierenfunktionsstörung.

Bei chronischer Niereninsuffizienz entsteht eine urämische Thrombozytopathie, die das Blutungsrisiko erhöhen kann. Die größte Gefahr bei Niereninsuffizienz ist die Akkumulation von Antikoagulanzien mit einer Erhöhung des Blutungsrisikos.

12.8 Gerinnungsstörungen nach der Akutphase des SHT 12.8.1 Prophylaxe venöser Thrombosen und Embolien bei Patienten mit SHT Traumapatienten mit SHT haben ein hohes Thromboserisiko von ca. 20 % [34]. Lungenembolien treten bei neurochirurgischen Patienten in bis zu 10 % der Fälle mit einer Letalität zwischen 9 und 50 % auf [35]. Patientenspezifische Risikofaktoren wie eine positive (Familien-)Anamnese für Thrombosen, aktive Tumorerkrankung oder höheres Alter (> 60 Jahre) weisen auf ein erhöhtes Thromboserisiko hin. Bei SHT-Patienten besteht die Indikation für eine frühzeitige physikalische Thromboseprophylaxe z. B. mittels intermittierender pneumatischer Kompression, die das Thromboserisiko in etwa um die Hälfte auf unter 10 % reduziert [36–40].

Ist eine physikalische Thromboseprophylaxe unmöglich, kann primär eine medikamentöse Thromboseprophylaxe notwendig werden. Traumapatienten ohne SHT profitieren von einem frühen Beginn der medikamentösen Thromboseprophylaxe [41]. Evidenz-basierte Empfehlungen, ab wann nach einem SHT mit der medikamentösen Thromboseprophylaxe begonnen werden sollte, existieren nicht. Jedoch ist innerhalb von 6 Stunden nach größeren chirurgischen Eingriffen das Blutungsrisiko zu stark erhöht [41]. Auf der Basis von Fallbeobachtungen [42] und eigener Erfahrungen erscheint bei stabiler Blutungssituation (> 24 Stunden) und normalisierter plasmatischer Gerinnung eine medikamentöse Prophylaxe im Hinblick auf das Blutungsrisiko sicher.

216 | 12 Gerinnungsstörungen im Rahmen des SHT

Da unfraktioniertes Heparin das Risiko für eine heparininduzierte Thrombozytopenie um das 10fache erhöht, sollte für die medikamentöse Thromboseprophylaxe niedermolekulares Heparin verwendet werden [43].

Tab. 12.3: Stratifizierung des Thromboserisikos von Patienten unter antithrombotischer Therapie (adaptiert [11]). Risiko

Indikationen für Antikoagulation/ Thrombozytenaggregationshemmung

hoch ( > 10 %/Jahr)

Mechanischer Mitralklappenersatz Biologischer Mitralklappenersatz < 3 Monate Multiple mechanische Klappenersätze VHF und Apoplex < 3 Monate Rheumatoide Herzklappenerkrankung TVT oder LAE < 3 Monate CHADS2-Score 5–6 Erstgeneration DES < 1 Jahr Neueste Generation DES < 6 Monate BMS < 3 Monate Herzinfarkt < 3 Monate Aortenklappenersatz und weitere Risikofaktoren VHF und CHADS2-Score 2–4 Rezidivierende TVT/LAE Solide Tumoren DES innerhalb von 1–2 Jahren BMS innerhalb von 3–12 Monaten Herzinfarkt > 3 Monate Aortenklappenersatz ohne weitere Risikofaktoren VHF und CHADS2-Score < 2 TVT/LAE > 12 Monate DES > 2 Jahre BMS > 1 Jahr Primärprävention CHADS2-Score 0–1

moderat (5–10 %/Jahr)

gering (< 5 %/Jahr)

VHF = Vorhofflimmern; TVT = tiefe Venenthrombose; LAE = Lungenarterienembolie; CHADS2-Score: C = congestive heart failure (Herzinsuffizienz) 1 Punkt; H = hypertension (Hypertonie) 1 Punkt; A = age (Alter > 75 Jahre) 1 Punkt; D = Diabetes 1 Punkt; S = stroke (Apoplex) 2 Punkte. DES = drug-eluting stent; BMS = bare metal stent.

Literatur

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12.8.2 Prophylaxe vaskulärer Verschlüsse bei Hochrisikopatienten Abhängig von der Indikation der Gerinnungshemmung besteht ein deutlich höheres Risiko vaskulärer Verschlüsse (Tab. 12.3). Hier sollte interdisziplinär ein postoperatives bzw. posttraumatisches Hämostasemanagement festgelegt werden. Patienten mit künstlicher Mitralklappe und Patienten mit einer frischen Thrombose oder Lungenembolie (< 4 Wochen) haben ein hohes Risiko für lebensbedrohliche thromboembolische Komplikationen [11].

Die Entscheidung zur Fortsetzung der Antikoagulation in therapeutischer Dosierung kann nur im Einzelfall getroffen werden. Es empfiehlt sich unfraktioniertes Heparin für die Antikoagulation in therapeutischer Dosierung, weil es bei Befundverschlechterung effektiv antagonisiert werden kann bzw. eine kurze Halbwertszeit hat. Ein kürzlicher Myokardinfarkt oder eine Stentimplantation bedingen ein hohes Risiko kardiovaskulärer Verschlüsse bei Patienten mit der Indikation zur Thrombozytenaggregationshemmung.

Auch hier muss eine individuelle Entscheidung bzgl. der Fortsetzung der Thrombozytenfunktionshemmung erfolgen. Wir haben zudem beobachtet, dass das Blutungsrisiko nach intrakranieller Blutung unter Plättchenhemmern nach neurochirurgischer Intervention höher ist als das Risiko zerebro- oder kardiovaskulärer Verschlüsse. Dies weist daraufhin, dass nach intrakranieller Blutung die Thrombozytenaggregationshemmung nur zurückhaltend fortgesetzt werden kann.

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13 Besondere Verletzungsformen Ulrich Kunz und Chris Schulz

13.1 Kraniale Penetrationsverletzungen 13.1.1 Epidemiologie Die perforierenden (durchgehenden) und penetrierenden (ein-, aber nicht austretenden) Schussverletzungen des Schädels spielen in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkrieges und Einführung restriktiver Waffengesetze in den 1970er-Jahren zahlenmäßig in der Neurotraumatologie eine untergeordnete Rolle. In den Kriegs- und Krisenregionen dieser Welt sowie in sozialen Brennpunkten stellt sich die Situation jedoch völlig anders dar. Weltweit betrachtet zählen Schussverletzungen des Kopfes zu den häufigsten Ursachen penetrierender Hirnverletzungen. In den USA sind sie beispielsweise für etwa 35 % der tödlichen Kopfverletzungen ursächlich, besonders betrifft dieses die Altersgruppe < 45 Jahren. Da neben Schussunfällen, Selbstmorden und Gewaltdelikten mit Waffengebrauch aktive militärische Auseinandersetzungen auch auf dem europäischen Kontinent und in den unmittelbaren Randregionen stattfinden (Balkankriege, Ukrainekonflikt, syrischer Bürgerkrieg) werden auch Kliniken in Deutschland wieder regelmäßiger mit Schädelpenetrationswunden verschiedener Ursachen und Stadien konfrontiert. Des Weiteren haben die terroristischen Anschläge auf Zivilpersonen in Madrid, London, Paris und Boston gezeigt, dass Schuss- und Explosionsverletzungen jederzeit und an jedem Ort auch in hoher Fallzahl gleichzeitig auftreten können. Dies stellt insbesondere den erstbehandelnden Neurotraumatologen vor vielerlei Probleme. Neben der u. U. vorzunehmenden Kategorisierung nach der Dringlichkeit bei einem Massenanfall von Verletzten (sog. Triage) kommen in solchen Situationen auch die personellen und materiellen Grenzen einzelner Behandlungseinrichtungen zum Tragen. Penetrierende Kopfverletzungen werden aber auch nicht Schuss-assoziiert beobachtet, so z. B. bei stichwaffenartigem Gebrauch diverser hierzu geeigneter Gegenstände (Messer etc.). Neben den meist konfliktbezogenen Waffenwirkungen sind zudem auch im Rahmen von Unfällen penetrierende Kopfverletzungen möglich, wobei sich hier in den letzten Jahren durch vermehrte Unfallverhütungs- und Arbeitsschutzauflagen ebenfalls eine Abnahme der Inzidenz ergeben hat. Für die zerebralen Penetrations- und Perforationswunden gibt es keine komparativen Studien, aus denen eindeutige klinische Handlungsempfehlungen mit höherem Evidenzgrad abgeleitet werden könnten. 2001 wurde erstmals eine Leitlinie für die Behandlung penetrierender Schädelverletzungen erstellt [1]. Diese „Guidelines for the Management of Penetrating Brain Injury“ spiegelten den Wissensstand der internationalen Literatur von 1966 bis 2000 wider, wobei die meisten Empfehlungen auf einer unzureichenden Stärke der Evidenz beruhten. Die Sonderaspekte für die Behandlung https://doi.org/10.1515/9783110366853-015

222 | 13 Besondere Verletzungsformen

militärischer Penetrationstraumen des Schädels wurden in der vierten Ausgabe des Manual of Emergency War Surgery im Jahr 2011 revidiert [2]. Seitdem sind die Empfehlungen für die penetrierenden Verletzungen noch keiner weiteren offiziellen Ergänzung oder Aktualisierung zugeführt worden. Diverse Aspekte aus den Erfahrungen bei schweren geschlossenen und offenen SHT können zwar auf die Behandlungspfade bei der kranialen Penetrationsverletzung übertragen werden [3] – die im Vergleich zum geschlossenen SHT ca. 35-mal höhere Wahrscheinlichkeit, an einem zerebralen Penetrationstrauma zu versterben, deutet jedoch schon an, dass es bei dieser Spezialform des SHT auch relevante Unterschiede und Besonderheiten gibt.

13.1.2 Wundballistische Grundlagen Für die Formierung einer zerebralen Penetrationsverletzung sind viele verschiedene physikalische Parameter des Penetrans (Kaliber, Größe, Gewicht, Oberflächenstruktur, Form, Eintrittsgeschwindigkeit) und des verletzten Organs (Kalottendicke am Eintrittspunkt, Ausmaß an mitgerissenen Knochenfragmenten etc.) entscheidend [1, 2, 4]. Die Vielfalt dieser Parameter ermöglicht es in der Regel kaum, die auf den Schädel abgegebene und auf das Gehirn übertragene kinetische Energie zu bestimmen. Daher rücken derartige theoretische Maßzahlen für therapeutische Überlegungen in der Primärsituation zunächst in den Hintergrund. Für das Verständnis der differenzierten Wirkungen unterschiedlicher Waffen und Geschosse auf verschiedene Gewebetypen sind einige ballistische Erläuterungen aber unumgänglich. Vereinfachend kann man sagen, dass niedrigenergetische Penetrationen (typischerweise Stichverletzungen durch z. B. Messer und Pfeile sowie Verletzungen durch Bolzenschussgeräte, Luftgewehre und meist auch kleinere Handfeuerwaffen, ebenso Splitter durch Explosionen) ihre wesentliche energetische Wirkung unmittelbar am Eintrittsort des penetrierenden Gegenstandes entfalten. Die Energie solcher Waffen oder Fragmente muss dabei zunächst erst einmal ausreichend sein, um die Kalotte überhaupt durchschlagen zu können. Dies gelingt an Regionen mit typischerweise geringer Knochendicke (z. B. Orbitae, Rhinobasis, Temporalschuppe) am leichtesten, weshalb dort auch häufiger der kraniale Eintrittspunkt derartiger Objekte gelegen ist. Fernwirkungen im Sinne großvolumiger Nekrosezonen um den Durchtrittskanal finden sich bei niedrigenergetischen Penetrationen seltener. Die Eindringtiefe solcher Gegenstände ist zudem meist geringer. Auch diffuse axonale Schäden stehen nicht im Vordergrund, so wie die Schädigungen insgesamt sehr stark auf den eigentlichen Penetrationskanal beschränkt sind. Die unmittelbare vitale Bedrohung solcher Verletzungen geht im Wesentlichen von akuten intrakraniellen Hämatomen und weniger von direkten Stich-assoziierten Hirnläsionen aus. Bei hochenergetischen Penetrationen (typischerweise militärische Feuerwaffen und Langrohrwaffen mit einer Mündungsgeschwindigkeit > 800 m/s) treten hingegen auch in einiger Distanz zum eigentlichen Eintrittsort Gewebeschäden unterschied-

13.1 Kraniale Penetrationsverletzungen

| 223

lichen Ausmaßes auf. Diese sog. Kavitationseffekte, bei denen schockwellenartig Druck- und Unterdruckphänomene (bis zu 4 atm) auf die Gewebe in der Nachbarschaft des eigentlichen Penetrationskanals übertragen werden, führen zu den typischen streifen-, spindel- oder trichterförmigen Parenchymzerstörungen. Je nach Geschossart und Gewebeelastizität kann eine solche temporäre Kavitationswundhöhle bis zum 30fachen der Größe des am Ende verbleibenden permanenten Penetrationskanals betragen. Die kinetische Geschossenergie wird unter idealisierten physikalischen Bedingungen (nur) durch die Masse des Projektils und das Quadrat der Geschossgeschwindigkeit zum Zeitpunkt des Eintretens in den Schädel bestimmt. Die früher übliche Klassifikation von Schusswunden nach der Mündungsgeschwindigkeit der verursachenden Feuerwaffe in Hoch- und Niederrasanz-Penetrationsverletzungen sollte keine Verwendung mehr finden; einerseits aufgrund unklarer Definitionen bzgl. der Grenze zwischen Hoch- und Niedriggeschwindigkeit, andererseits wegen des Bezuges auf die Mündungsgeschwindigkeit der Waffe (die unmittelbar am Austritt des Projektils an der Waffe gemessen wird) und nicht auf die Geschwindigkeit beim Eintritt in den Kopf (die kaum eindeutig bestimmbar sein dürfte). Natürlich kann man von den grundsätzlichen Voraussetzungen bestimmter Waffen eine gewisse Extrapolierung für eher hochenergetische oder eher niedrigenergetische Projektile ableiten – es kann sich dabei aber nur um ganz grobe Annahmen handeln. So verliert z. B. auch das mit Mündungsgeschwindigkeiten von bis zu 1.000 m/s abgefeuerte Projektil eines modernen Militärgewehrs auf eine Schussentfernung von mehreren Hundert Metern so viel Geschwindigkeit (< 600 m/s nach ca. 300 m und < 250 m/s nach ca. 1.000 m [1]), dass es sich beim Auftreffen auf das Ziel wie ein niedrigenergetisches Geschoss verhält. Umgekehrt kann eine aus der unmittelbaren Nahdistanz abgefeuerte Handfeuerwaffe (Mündungsgeschwindigkeit zwischen 250 und 500 m/s) Penetrationsverletzungen verursachen, die mit den für hochenergetische Projektile typischen massiven Destruktionen im Schädelinneren vergleichbar sind.

13.1.3 Präklinische Phase Dezidierte Angaben zu den penetrierenden Objekten, den ggf. verwendeten Waffen (wie z. B. Mündungsgeschwindigkeit, Munitionskaliber und Entfernung von der Waffe zum Schädel etc.), also Daten, die wenigstens näherungsweise eine Extrapolierung der kinetischen Energie des Penetrans zulassen könnten, sind erfahrungsgemäß nur selten schnell, einfach und zuverlässig zu gewinnen [5]. Auch die anamnestische Situation des Zustandekommens der Verletzung mag interessant erscheinen, spielt für die primären Entscheidungen jedoch keine maßgebliche Rolle. In der Rettungsund Stabilisierungsphase sollte vielmehr so genau wie möglich versucht werden, den neurologischen Status zu rekonstruieren und zu dokumentieren. Hierbei sind nicht nur die aktuellen Befunde (insbesondere der Bewusstseinsgrad und die Hirnstammreflexe), sondern auch der zeitliche Verlauf neurologischer Ausfälle von Interesse.

224 | 13 Besondere Verletzungsformen

Die präklinische Einstufung der klinischen Situation erfolgt derzeit am häufigsten nach der GCS, deren alleinige prognostische Aussagekraft bei der kranialen Penetrationsverletzung jedoch kontrovers diskutiert wird [6]. Gleichwohl ist die GCS eine (speziell unter Notärzten) international weitverbreitete Klassifikation, deren Anwendung zumindest eine grob orientierende Einordnung der klinischen Situation erlaubt. In Tierexperimenten wurde durch Penetrationstraumen mit Schusswaffen häufig ein reflexartiger Kreislauf- und Atemstillstand induziert (selbst wenn der Penetrationskanal nicht im Hirnstamm gelegen und die Schussenergie niedrig waren). Als Ursache vermutet man eine indirekte Energieübertragung durch Druckwellen über das Liquorsystem auf die Neuronen der Kreislauf- und Atemzentren [7]. Neben der akuten Apnoe und dem Herz-Kreislaufstillstand ist das beherrschende präklinische Problem der Patienten der akute Blutverlust. Dabei sind nicht nur die großen intrakraniellen (insbesondere venöse Sinus) sondern die auch extraduralen Gefäße von Galea und Knochen als relevante Blutungsquellen zu nennen. Daneben sind bei Penetrationsverletzungen, wie bei allen anderen SHT auch, die Parameter Hypotension, Hypoxie (Hyperkapnie) und Hypothermie negative Prediktionsfaktoren [1, 2] und darum so früh wie möglich zu behandeln. Bei klinischen Zeichen des erhöhten ICP sind die beim geschlossenen SHT üblichen Maßnahmen (Oberkörperhochlagerung und ggf. Hyperventilation) ebenfalls wirksam und empfehlenswert. Mit hyperosmolaren Lösungen können kritische Situationen temporär bis zur operativen Versorgung überbrückt werden. Sichtbar aus den Wunden bis an die Oberfläche ragende Fremdkörper (unabhängig davon, wie banal sie erscheinen mögen) sind unbedingt in situ zu belassen – deren Entfernung ohne vorherige Bildgebung im präklinischen Bereich ist mit höherer Letalität verknüpft. Der Transport in klinische Behandlungseinrichtungen sollte natürlich umgehend erfolgen, man darf allerdings davon nicht zwangsläufig eine relevante Verbesserung von Letalität und Morbidität des Gesamtkollektivs mit penetrierenden Kopfverletzungen erwarten. Vielmehr ist es häufig so, dass die Nutzung schneller Transportmittel (z. B. RTH) in Kombination mit hohen materiellen und personellen Aufwendungen für die Beschleunigung in der Rettungskette zu einer vermehrten Zuweisung von eher chancenlosen Fällen (die früher nicht mehr lebend eine Klinik erreicht hätten) geführt haben [8]. Spätestens bei Übergabe in der Notaufnahmeeinheit/den Schockraum ist die Fotodokumentation der (manchmal schwer identifizierbaren) Ein- und Austrittswunden sowie der äußerlich erkennbaren penetrierenden Gegenstände und die Entnahme von mikrobiologischen Abstrichen an den Wunden sinnvoll. Etwaige Schmauchspuren sollten mit einem separaten Abstrich für die Rechtsmedizin gesichert werden. Der notwendige Tetanusschutz sollte im Rahmen der Erstversorgung nicht vergessen werden.

13.1 Kraniale Penetrationsverletzungen

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Bildgebung Aus der Konstellation der oberflächlichen Wunden und aus konventionellen Röntgenbildern sind gewisse Basisinformationen einer kranialen Penetrationsverletzung (z. B. Geschossweg, verbliebene Projektile, zusätzliche Knochenfragmente, begleitende Frakturen, intrakranielle Luftansammlungen) ableitbar. Indirekt kann hieraus in Verbindung mit dem neurologischen Status wenigstens näherungsweise auf die verletzten intrakraniellen Strukturen geschlossen werden. Goldstandard zur primären Diagnostik ist aber eindeutig das cCT [1, 2, 9]. Diese Untersuchung gibt den schnellsten und umfassendsten Einblick in das Verletzungsmuster, wenngleich Detailinformationen gelegentlich durch Artefakte röntgendichter Projektile und Fragmente verdeckt werden können (Reduktion durch DECT-Technik möglich). Multiplanare CT-Rekonstruktionen erleichtern die Einschätzung der Verletzungsausdehnung und des intrakraniellen Verlaufs penetrierender Gegenstände erheblich (Abb. 13.1). Das CT-Topogramm kann zudem den artefaktarmen Informationsgehalt einer seitlichen Schädelübersichtsaufnahme liefern, was eine Orientierung besonders bei größeren und unregelmäßig geformten Penetrationsobjekten mit langer Penetrationsstrecke vereinfacht (Abb.13.2). Unter Umständen liefert aber selbst das CT keine ausreichende Information zur Erklärung neurologischer Ausfälle (z. B. bei kavitationsbedingten Schädigungen und sog. Blast-Wirkungen). Vielfach wäre dann eine Magnetresonanztomographie (MRT) wünschenswert, allerdings sollte vorab sichergestellt sein, dass keine ferromagnetischen Fremdkörper im Untersuchungsbereich liegen. Dies verursacht zwar nicht zwangsläufig klinische Probleme durch Fragmentbewegungen, allerdings ist die Artefaktbildung mitunter massiv [1, 9]. Bei kranialen Penetrationen sind je nach intrakraniellem Penetrationsverlauf unterschiedlich häufig auch größere arterielle und venöse Gefäße verletzt, was ggf. frühzeitig eine Angiographie (als CTA oder konventionelle aDSA) erforderlich macht [1, 9].

(a)

(b)

Abb. 13.1: CT einer mittellinienkreuzenden suizidalen intrakraniellen Schussverletzung mit 3DRekonstruktion. Ausgedehnte Parenchymverletzung mit ICB, Ventrikelblutung, massenhaften Knochenfragmenten und verbliebenem Projektil. Klinische Situation bei Auffinden des Patienten GCS 4 mit bilateraler Mydriasis. Letaler Verlauf.

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(a)

(b)

(d)

(g)

(c)

(e)

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Abb. 13.2: (a–i) Transorbital eingedrungener Fremdkörper (i: Elektrokabel bei Arbeitsunfall), bei Auffinden GCS 5. Klinisches Bild bei Eintreffen (a), exemplarisches axiales CT (b), (c), CT-Topogramm, 3D-VR-Rekonstruktion (d)–(f), intraoperatives Bild (g), (h). Guter Verlauf, linkes Auge nicht mehr sehfähig, ansonsten keine neurologischen Ausfälle.

13.1.4 Prognoseeinschätzung anhand CT und klinischem Zustand Die weniger häufig akut lebensbedrohlichen niedrigenergetischen Penetrationen werden hierzulande meist durch Unfälle mit stark beschleunigten Werkstücken oder durch Schlagwerkzeuge, Stichwaffen, Luftgewehre und andere, teils ungewöhnlichere Gegenstände (z. B. Pfeile, Stricknadeln, Eiszapfen, Bleistift, Stöckelschuh, Autoan-

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(a)

(a)

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(a)

(a)

Abb. 13.3: (a)–(d) Im Drogenrausch selbst beigefügte Kalottenpenetration mit einem Taschenmesser-Pfriem. Klinisches Bild bei Eintreffen GCS 15. CT-Topogramm. Entfernung des regelmäßig geformten Penetrans im Schockraum mit unmittelbar nachfolgender Hautnaht unter CT-Kontrolle. Unauffälliger weiterer Verlauf, keine neurologischen Störungen.

tenne etc.) verursacht. Wenngleich derartige Gegenstände mit ausreichender Gewalt an dünnwandigen Kalottenabschnitten (speziell transorbital und transtemporal) zwar zur Penetration führen können, sind sie dennoch im Vergleich zu hochenergetischen Projektilen üblicherweise weniger destruktiv (s. Abschn. 13.1.2). Die Prognose solcher Verletzungen ist gut, wenn ein sicherer Duraverschluss gelingt und sich die eingedrungenen Gegenstände einfach und komplikationslos entfernen lassen (Abb. 13.3). Insbesondere jedoch, wenn diese von unregelmäßiger Form sind, kann eine Extraktion technisch überaus herausfordernd werden, und schlechte Ergebnisse sind dann möglich (Abb. 13.4). Hochenergetische Penetrationen (typischerweise die Nahschussverletzungen; in Deutschland meist suizidal) enden hingegen in der Mehrzahl der Fälle letal. Zwei Drittel der Verletzten versterben bereits am Ort des Geschehens und insgesamt überleben weniger als 10 % die Verletzung [10]. Innerhalb der Patientengruppe, die nach einem Penetrationstrauma noch ein Krankenhaus zur weiteren Versorgung erreicht, wird die Überlebensrate in der Literatur jedoch zwischen 30 % und 57 % angegeben [1–3]. Die Kombination aus CT-Befunden und klinisch-neurologischem Status erlaubt eine recht sichere weitergehende Einschätzung der Prognose der Penetrationsverletzung. Perforierende (also durchgehende) Verletzungen sind mehr als doppelt so letal wie penetrierende Traumen. Mittellinienkreuzende Verletzungen sind mit einer we-

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(a)

(c)

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(d)

(f)

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(g)

Abb. 13.4: Transorbital eingedrungene Astschere, initial GCS 6. Klinisches Bild bei Eintreffen. Röntgenübersicht und CT. Intraoperatives Bild bei der Entfernung des unregelmäßig geformten und tief sitzenden Griffendes der Schere. Letaler Verlauf.

sentlich höheren Letalität belastet als unilaterale Penetrationen. Rein frontale Penetrationen sind meist mit geringeren Ausfällen im Vergleich zu anderen Lokalisationen verknüpft (selbst bei mittellinienkreuzenden Gegenständen, speziell wenn die Penetration vor dem Optikusverlauf und dem Circulus Willisii liegt). Ähnliches gilt für mehr tangential verlaufende Penetrationen, die eher oberflächliche als tiefergehende Hirnwunden verursachen. Hinweise auf bihemisphärische oder transventrikuläre Läsionen, multilobuläre Verletzungsmuster, indirekte bildgebende Zeichen eines hohen intrakraniellen Drucks, subarachnoidale oder intrazerebrale Blutungen > 15 ml korrelieren mit einem schlechten Outcome [11]. In unserem Patientengut hatte knapp ein Viertel der Fälle eine die Mittellinie kreuzende beidseitige Verletzung mit Ventrikelblutung, was keiner der Betroffenen überlebt hat [12, 13]. Die Prognose penetrierender Schädel-Hirn-Verletzungen richtet sich neben dem bildgebenden Ausmaß der Verletzung aber auch wesentlich nach dem initialen neurologischen Untersuchungsbefund. Klinisch stellen Koma, Apnoe und Hypotension anerkannte negative Prognosefaktoren dar. Nach historischer und aktueller Literatur sowie unseren eigenen Ergebnissen der letzten Jahre, korreliert ein hoher GCS-Score (12–15 Punkte – teilweise gelangten Kopfschusspatienten im Zweiten Weltkrieg selbstständig in die Lazarette [14, 15] – Abb. 13.5) mit einem guten Outcome bei Patienten mit penetrierenden Schädel-Hirn-Verletzungen [1–3, 10–13]. Trotzdem ist selbst bei Patienten mit hohen GCS-Werten ohne adäquate chirurgische Erstversorgung eine lang-

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(b)

(e)

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Abb. 13.5: Transmastoidal nach infratentoriell eingedrungenes Metallstück nach IED-Anschlag im ISAF-Einsatz in Afghanistan. Klinisch bei Eintreffen des Soldaten im ELAZ GCS 15 ohne neurologische Störungen. Präoperatives CT und Topogramm. Im Verlauf nach Tagen und zwischenzeitlich erfolgtem Rücktransport nach Deutschland Ausbildung meningealer Reizzeichen und Keimnachweis im Liquor. Operative navigationsgestützte Fragmentextraktion über erweiterte Bohrlochtrepanation am 6. Tag nach Trauma (Navi-Screenshot und intraoperatives Foto). Unauffälliger Verlauf, keine neurologischen Störungen.

fristig ungünstige Prognose möglich. Auch initial oligosymptomatische Patienten sind durch verzögert auftretende intrakranielle Hämatome und Ödembildung bedroht. Patienten mit GCS-Punkten zwischen 6 und 9 haben heterogene Verläufe. Aussagen über die Prognose sind in diesem Bereich schwer zu treffen [16]. Bei Patienten, deren Prognose anhand der Bildgebung wahrscheinlich eher günstig ist, sollten die chirurgische Erstversorgung und die Zuverlegung in eine Spezialklinik erfolgen. Alle Patienten unserer Analyse, die an den Folgen ihrer Schussverletzungen starben, wiesen initial einen GCS-Score von 3–5 auf [12, 13]. Dies deckt sich mit den Berichten vieler anderer Autoren [1–3, 10, 11]. Welcher Patient in solch einer Situation noch welches Ausmaß an Behandlung erfahren sollte, ist auch eine ethische Frage, die immer individuell und

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persönlich getroffen werden muss. Klinische Scores und Indizes (wie GCS und ISS) sind dabei nicht isoliert als Entscheidungskriterium geeignet [6, 17]. Bis zu 58 % der Verletzten erfahren trotz Erreichen einer medizinischen Einrichtung keinerlei operative Versorgung [1, 2, 5, 10, 11]. Hauptgrund hierfür sind zumeist die ausweglose klinische Primärsituation, aber auch reduzierte infrastrukturelle Rahmenbedingungen (z. B. im Falle militärischer Konflikte, wenn es gelegentlich eine große Anzahl Verletzter gleichzeitig mit u. U. beschränkten Mitteln zu versorgen gilt). Unserer Meinung nach sollte bei noch erhaltenen Hirnstammfunktionen und noch nicht bestehendem Pendelfluss im TCD die intensivmedizinische und chirurgische Behandlung forciert werden – auch wenn die Prognose quoad vitam schlecht erscheint.

13.1.5 Antibiotische Prophylaxe Penetrationswunden sollten prinzipiell als verunreinigt betrachtet werden. Dabei sind nicht nur Hautkeime bedeutsam, sondern auch durch Querschlag und Durchtritt an der Kleidung etc. auftretende zusätzliche Verunreinigungen mit Keimen, die nicht zur „normalen“ Hautflora gehören. Als wesentliche Infektionsquelle müssen kontaminierte Knochenfragmente angesehen werden, wie sie z. B. durch Bolzenschussgeräte tief bis in das Hirnparenchym gelangen können (Abb. 13.6). Terroristische Explosionsladungen sind zudem häufig gezielt mit ungewöhnlichen (meist dem Fäkalspektrum entstammenden) Keimen kontaminiert, um eventuellen Überlebenden solcher Anschläge im Verlauf noch zusätzliche Infektionsprobleme zu bereiten. Durch Kavitationsunterdruckphänomene können Fremdpartikel (Haut, Haare, Kopfbedeckung) u. U. tief in die Penetrationswunden gelangen. Etwa die Hälfte der Infektionen nach kranialem Penetrationstrauma manifestiert sich innerhalb der ersten 3 Wochen, 90 % in den ersten 6 Wochen [1]. In der präantibiotischen Ära wurden Infektionsraten um 60 % publiziert. Dies verringerte sich drastisch auf 10–30 % durch Einführung von Penicillin und Sulfonamiden in die Therapie von militärischen Schusswunden. Seit Verfügbarkeit moderner Breitspektrumantibiotika hat sich dies nochmals auf ca. 5 % reduziert [1, 2, 18]. Es ergibt sich somit die Frage nach einer antibiotischen Prophylaxe (d. h. früher Therapiebeginn nach Trauma auch ohne Vorliegen von Zeichen einer zerebralen Infektsituation). Die prophylaktische Antibiotikatherapie wurde aufgrund nicht befürwortender komparativer Untersuchungen lange Zeit kontrovers diskutiert und ein klinischer Vorteil im Sinne einer relevanten Senkung von ZNS-Infekten ist umstritten [19]. Das Keimspektrum variiert massiv (Staphylococcus aureus überwiegt dabei). Aber auch ungewöhnliche Erreger müssen in Betracht gezogen werden (insbesondere Anaerobier, deren Nachweis mitunter schwierig sein kann). Wenn man sich zur prophylaktischen Antibiose entscheidet, sollte ein breites Spektrum der antimikrobiellen Therapie (ggf. durch Kombination) für 1–2 Wochen herangezogen werden [20]. Möglich ist aber auch ein abwartendes Verhalten mit regelmäßigen Liquorproben und Wundkontrollen sowie

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Abb. 13.6: Suizidal beigefügte okzipitale Bolzenschussverletzung. CT und Topogramm und klinisches Bild. Initial nur Entfernung des Bolzenschussgerätes und Wundverschluss (Foto mit Austritt von Hirndetritus). Nach Stabilisierung der klinischen Situation ergab sich unter antibiotischer Abdeckung eine infektionsfreie Defektheilung ohne Erfordernis weiterer intrakranieller Eingriffe.

-abstrichen, an deren Befunden dann u. U. eine resistogrammgerechte Antibiotikabehandlung angeschlossen werden kann.

Chirurgische Erstversorgung Die kraniale Penetrationsverletzung ist letztlich als eine Spezialform des offenen SHT anzusehen, deren Initialbehandlung Parallelen beinhaltet und sich hieran orientiert. Aufgrund uneinheitlicher Empfehlungen in der einschlägigen Literatur ist das Vorgehen zumeist individuell. Nach Erstinspektion und Bilddokumentation der Verletzung richtet sich die weitere Vorgehensweise zur Blutstillung und Wundreinigung nach den gängigen chirurgischen Verfahren der Wundbehandlung. Das Hauptaugenmerk sollte auf die möglichst sichere oberflächliche Blutstillung gelegt werden, weil über Hautund Galeawunden relevante Blutmengen verloren gehen können und fest sitzende Druckverbände oder Torniquets meist schwierig anzubringen sind. Exzisionen an den Kopfweichteilen sind in der primären Phase nicht zu empfehlen, um den Hautverschluss nicht unnötig zu erschweren. Aufwendigere plastische Deckungen von Weichteildefekten (z. B. mit Schwenklappen etc.) sind ebenfalls kein Primat der

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Akutsituation. Hier kann bei größeren Substanzdefekten vorübergehend mit sterilen Verbänden oder ggf. Alloplastiken gearbeitet werden. Von Débridements an den Schädelweichteilen und insbesondere unterhalb des Kalottenniveaus im Rahmen der Initialtherapie wird abgeraten (speziell dem Ungeübten, Cave: blutungsintensive Sinusverletzungen!). Häufig sind einfache oberflächliche Weichteilversorgungen und sterile Verbände als chirurgische Erstmaßnahme zunächst ausreichend. Dies gilt insbesondere für Patienten in gutem klinischen Zustand (GCS > 10), die schnell (< 6 Stunden) in allgemeine chirurgische Behandlung gelangen und gleichzeitig keine ausgedehnte/globale intra- oder extrakranielle Verletzung, kein intrakranielles raumforderndes Hämatom und keine durchgehende Perforation aufweisen. In solchen Situationen konnten durch ausschließliche oberflächliche Reinigung und einschichtigen Wundverschluss sowie eine Antibiotikabehandlung akzeptable klinische Langzeitergebnisse mit geringer Infektionsrate erreicht werden [1, 2, 21–23]. Das Débridement ausgedehnter Durazerreißungen und deren Deckung muss nicht sofort in der Primärsituation angestrebt werden, wenngleich der sichere Verschluss der Dura mittel- bis langfristig natürlich ein wesentlicher Bestandteil der Infektionsund Krampfprophylaxe ist. Ausnahmsweise können zur initialen Behandlung einer Liquorrhoe (neben dem vordringlichen möglichst dichten Weichteilverschluss oberhalb der Dura) unter Beachtung der Kontraindikationen auch zusätzlich lumbale oder ventrikuläre Drainagen angelegt werden. Es besteht bei einem GCS-Score < 8 Punkten in den meisten Fällen formal die Indikation zur invasiven intrakraniellen Druckmessung. Die aktuelle Literatur zum Stellenwert der ICP-Messung nach Penetrationsverletzungen liefert uneinheitliche Ergebnisse [1, 2].

13.1.6 Spezielle neurochirurgisch-operative Akutversorgung In der Akutsituation reicht die neurochirurgisch-operative Behandlung von der Blutstillung sowohl im Bereich des Eintritts- bzw. Austrittsdefektes mit Entfernung zerstörten und verschmutzten Gewebes über die Evakuation akuter raumfordernder epiduraler, subduraler oder intrazerebraler Blutungen bis hin zur uni- oder bilateralen osteoklastischen Entlastungstrepanation. Bei Penetrationsverletzungen mit Beteiligung der Gesichtsregion sowie von Mund-Rachenraum, Nase, Ohr und Auge ist die frühzeitige Einbindung der entsprechenden Fachgebiete (Ophthalmologie, MKG und HNO) in interdisziplinäre Therapiekonzepte überaus empfehlenswert. Sofern im Operationsgebiet oberflächlich liegende Fremdkörper und Knochen- oder Geschossanteile im Rahmen der Weichteilversorgung oder Hämatomentlastung technisch einfach und voraussichtlich ohne zusätzliche Traumatisierung von intaktem Hirnparenchym erreichbar sind, kann deren Entfernung versucht werden. Fremdkörper, die sich in der Tiefe des Gehirns und nicht in unmittelbarer Nähe von akut bedrohlichen intrakraniellen Hämatomen befinden, sollten zum Schutz gesunden Gewebes vorerst im Situs

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(a)

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(e) Abb. 13.7: Metallfragment nach Bombenanschlag von rechts seitlich nach parietal eingedrungen. Klinisch initial GCS 12 mit rascher Eintrübung im Verlauf der Verbringung in das ELAZ Kabul. Dort Diagnose eines aSDH, das unmittelbar evakuiert wurde. Das in der Tiefe liegende Fragment wurde im Rahmen des Ersteingriffs belassen. Zuverlegung nach Deutschland am 8. postoperativen Tag ohne persistierende neurologische Ausfälle und ohne Zeichen einer Meningitis, jedoch mit intermittierenden Krampfanfällen, die medikamentös nicht suffizient einstellbar waren. Darum am 22. Tag nach Trauma navigationsgestützte Fragmententfernung und zusätzlich Dura- sowie Kalottenplastik an der vorbestehenden Mini-Kraniektomie der Hämatomentlastung. Unauffälliger postoperativer Verlauf ohne neurologische Ausfälle und sistierten Krampfanfällen.

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belassen und (nur wenn es überhaupt erforderlich ist) in einem zweiten Eingriff unter bestmöglichen Elektivbedingungen entfernt werden (Abb. 13.7). Da oft nicht die Hirnverletzungen selbst, sondern der sekundäre intrakranielle Druckanstieg zum Tode führt, empfiehlt es sich bei beatmeten Patienten in den meisten Fällen eine intrakranielle Drucksonde zu implantieren, um einen verzögerten Druckanstieg und damit eine erneute bildgebende Diagnostik mit der Möglichkeit zur maximalen Ausschöpfung der konservativen und operativen Therapie nicht zu versäumen. Grundlage hoher bzw. ansteigender ICP-Werte sind im Wesentlichen verzögert auftretende intrakranielle Blutungen und die posttraumatische Hirnschwellung. Operativ kann dies eine Hämatomentlastung und als Ultima Ratio auch die Dekompressionskraniektomie bei konservativ nicht beherrschbarer ICP-Erhöhung indizieren [1, 2, 10, 11, 18]. Ob diese chirurgische Maximallösung schon zu Beginn oder in einem abgestuften Behandlungsregime erst schrittweise am Ende der operativen Therapiekette zu erfolgen hat, ist durch eindeutige Studien für diese spezielle Verletzungsform bisher nicht zweifelsfrei belegt [1, 24, 25].

13.1.7 Sekundärkomplikationen Im späteren Verlauf gilt es, den Patienten vor den möglichen Folgeerkrankungen (Liquorrhoe, Meningitis, Hirnabszess, Empyem, posttraumatische Epilepsie, Migration verbliebener intrazerebraler Geschoss- oder Knochenfragmente; Abb. 13.8) zu bewahren [26]. Speziell ein neu auftretender Hirnprolaps kann auf intrakranielle Komplikationen aufmerksam machen. Einheitliche sekundäre Behandlungsschemata in der Folge einer überlebten Kopfpenetrationsverletzung sind nicht bis ins Detail allgemein akzeptiert – es existieren im Gegenteil viele verschiedene konservative und operative Behandlungsoptionen. Insbesondere die Entfernung von unkomplizierten metallischen oder knöchernen Fragmenten aus dem Hirngewebe ist umstritten, weil auch elektive Sekundäroperationen eine zusätzliche Hirnschädigung zur Folge haben können [1, 2]. Auch existiert bislang noch kein wissenschaftlich tragfähiger Beweis für eine signifikante Reduktion verletzungsbedingter Infektionen oder Epilepsien durch eine sekundäre Entnahme unkomplizierter Projektile oder Fragmente [1]. Durch computergestützte intraoperative Navigation ist jedoch eine Reduktion der perioperativen eingriffsbezogenen Morbidität denkbar, was sich u. U. in einer Ausweitung der Indikation zur sekundären Fragmententfernung niederschlagen könnte [27]. Für komplizierte Projektile oder Fragmente (z. B. in Verbindung mit Abszessbildungen) gilt hingegen eindeutig die Indikation zur Entfernung [28]. Die Wiederherstellung der natürlichen duralen Infektionsbarriere sollte im zeitlichen Verlauf grundsätzlich so penibel wie möglich versucht werden (das Risiko für eine zerebrale Infektkomplikation ist bei aktiver Fistel 10-mal und die Letalität etwa 4-mal höher). Daher sind nach penetrierenden Verletzungen gezielte Untersuchungen zum Ausschluss einer Verbindung des Liquorraums zur Außenwelt auch schon früh-

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Abb. 13.8: Im Zweiten Weltkrieg erlittene Granatsplitterverletzung (Durchtritt von frontal nach okzipital links hemisphärisch), die im Krieg nur oberflächlich versorgt wurde. Fast 40 Jahre nach Kriegsende Ausbildung eines Hirnabszesses im ehemaligen Penetrationskanal unmittelbar in der Nachbarschaft eines verbliebenen Fragments. Operative Entlastung und antibiotische Behandlung. Ausheilung ohne neurologische Störungen. (Die Autoren danken Herrn OTA a. D. Prof. Dr. Waldbaur für die Überlassung der Bilder.)

zeitig von großer Bedeutung. Hiermit sollte nicht erst begonnen werden, wenn sich bereits Zeichen der Meningitis oder Enzephalitis ausbilden (etwa drei Viertel der Leckagen manifestieren sich innerhalb der ersten 2 Wochen nach Penetrationstrauma) [1, 2, 29]. Aufwendigere Deckungseingriffe zum Verschluss von Liquorfisteln (inkl. der fronto- oder otobasalen Fisteln, die bei hochenergetischen Verletzungen häufig auch keine direkte Verbindung zum eigentlichen Penetrationskanal haben müssen) sollten aber erst beim kardio-pulmonal stabilisierten Patienten erfolgen, wenn konservative Bemühungen nicht zum Erfolg geführt haben. Fast die Hälfte aller Fisteln nach kranialen Penetrationsverletzungen sistiert sogar spontan bzw. durch weniginvasive Maßnahmen wie Punktionen und Drainagen etc. Dennoch sind speziell die frontobasalen Fisteln (die meist nur vorübergehend durch in den Defekt prolabierende Hirnanteile okkludiert werden) bildgebend im Verlauf nachuntersuchungspflichtig und dann meist doch revisionsbedürftig. Bei persistierenden Fisteln sollte zudem eine posttraumatische Liquorresorptionsstörung in Betracht gezogen werden. Einen wissenschaftlichen Beweis für die Überlegenheit sofortiger Explorations- und Deckungseingriffe bzgl. der Infektionsprophylaxe gibt es trotz einzelner befürwortender Berichte und Erfahrungen bisher nicht [1, 2]. Die plastische Deckung von Kalottendefekten nach kranialer Penetration sollte erst nach abgeschlossener Behandlung der Hirnverletzung und sicher ausgeschlossener Liquorfistel erfolgen. Im Gegensatz zur möglichst frühzeitigen Kranioplastik nach geschlossenem SHT fand man eine erhöhte Komplikationsrate (20 % vs. 4 %) bei Rekonstruktionsoperation innerhalb des 1. Jahres nach militärischem Kopfpenetrationstrauma im Vergleich zu späteren Zeitpunkten [30]. Ob tatsächlich so lange abgewartet werden muss, ist unklar. Unserer Meinung nach reichen ggf. auch schon 3 Monate Wartezeit aus – entscheidend ist, dass die Verletzung selbst infektionsfrei ausgeheilt

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ist. Die positiven neuropsychologischen Effekte einer frühzeitigen Wiederherstellung der Kalottenkontinuität zur Vermeidung des Hirnprolapses sind hier gegen die möglichen Frühinfektkomplikationen abzuwägen. Hinsichtlich der Art des Deckungsmaterials (sowohl bei Dura- als auch Kalottendefekten) gibt es jeweils für autologe und homo- oder heterologe Materialien spezifische Vor- und Nachteile, aber keine Evidenz für die Überlegenheit eines einzelnen Materials [1, 2, 30]. Bei „sauberen“ Wunden ist heterologes Material unserer Ansicht nach nicht prinzipiell kontraindiziert. Bei ausgedehnteren Kalottendefekten inkl. kosmetisch relevanter Regionen bevorzugen wir mittlerweile CAD-CAM-gefertigte Kalottenplastiken aus PEEK, wenn der autologe Knochen nicht mehr verfügbar ist. PMMA-, Keramik- und Titanplastiken können ebenfalls verwendet werden. Hirngefäßaneurysmen werden in etwas weniger als 1 % der Fälle durch ein Trauma verursacht. Unter den traumatischen Aneurysmen werden etwa 20 % der Fälle infolge penetrierender oder perforierender Schädel-Hirn-Verletzungen gefunden [1, 2, 31]. Auch andere Gefäßläsionen wie arteriovenöse Fisteln oder venöse Gefäßverschlüsse werden beobachtet, weshalb angiographische Untersuchungen (initial meist CT-Angiographie) zunehmend bei den diagnostischen Verfahren nach penetrierender Schädel-Hirn-Verletzung an Bedeutung gewinnen. Eine Beschränkung der angiographischen Abklärung auf lediglich hochenergetische Verletzungen ist unserer Meinung nach nicht sinnvoll. Auch eine niedrigenergetische Stichverletzung kann eine Gefäßläsion induzieren und die Belastung durch eine CT-Angiographie halten wir in diesem Zusammenhang für vertretbar. Nach klinischer Stabilisierung sollte dann je nach Art der Läsion die radiologisch-interventionelle oder heute eher seltener eine operative Versorgung erfolgen [1, 2, 32]; Abb. 13.9. Posttraumatische Anfälle treten insgesamt in ca. 30–50 % der Fälle nach einem Penetrationstrauma auf. Das Risiko für Anfälle ist höher als bei geschlossenen Verletzungen. Etwa 10 % der Epilepsien manifestieren sich innerhalb der ersten 4 Wochen

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Abb. 13.9: Durchtritt eines Geschosses über die Nackenweichteile und die hintere Schädelgrube nach okzipital. Dabei Tangierung des Verlaufs der A. vertebralis, an der sich ein Aneurysma entwickelt hat. Dieses wurde ohne Probleme vollständig interventionell verschlossen. (Die Autoren danken Herrn Prof. Dr. Steudel, Homburg/Saar für die Überlassung der Bilder.)

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und 80 % in den ersten 2 Jahren. Bislang gibt es keine Studie, die eine langfristige Reduktion von Früh- und Spätepilepsien durch die generelle unmittelbar beginnende prophylaktische Gabe von Antikonvulsiva nachgewiesen hat [1, 2, 33]. Die Interposition einer Grenzschicht (auto- oder heterolog), die die Hautweichteile sicher von der Hirnoberfläche separiert, reduziert hingegen die Rate an posttraumatischen Anfällen.

13.1.8 Exkurs: Blast Injury des Gehirns Durch den Wandel der Kriegsführung in den derzeitigen Auseinandersetzungen und der Verbesserung der ballistischen Kopfschutzausrüstungen (Kevlar-Helme) hat sich das Spektrum der militärischen Kopfverletzungen geändert [34]. Direkte Verletzungen des Kopfes durch ein Projektil im Rahmen von Kampfhandlungen sind bei deutschen Soldaten seltener geworden und dominieren mittlerweile sogar eher bei den zivilen Penetrationstraumen (Mord, Selbstmord, Unfälle etc.). Während der kriegerischen Auseinandersetzungen im Irak und in Afghanistan war fast die Hälfte der verletzten Soldaten von einer Explosion mit den typischen Verletzungen durch umherfliegende Fremdkörper (also eher niedrigenergetische Schrapnelle) sowie die Hitze- und Gasentwicklung betroffen [35]. Daneben können bei solchen Explosionssituationen auch Hirnverletzungen ohne direktes Kopftrauma durch Luftdruckschwankung auftreten. Eine Explosion bewirkt einen Wechsel von Überdruck und Unterdruck im Millisekundenbereich. Welche Stärke eine Explosionsdruckwelle haben muss, um eine Hirnparenchymverletzung beim Menschen zu erzeugen, ist nicht eindeutig geklärt. In Tierversuchen waren Druckwellen bis zu 75 kPa schon bei einmaliger Exposition mit Einblutungen in den Plexus choroideus und die Ventrikel verbunden. Ab 100 kPa traten auch Kontusionen, Subduralhämatome und DAI (diffuse axonal injury) auf [36]. Wie auf den Körper einwirkende Druckwellen auch ohne direktes SHT eine Verletzung des Gehirns erzeugen, ist weiterhin Gegenstand der aktuellen Forschung. Es gibt im Wesentlichen drei Theorien, wie die Druckwelle bei einer Blast injury (BI) auf das Gehirn übertragen werden könnte. Druckschwankungen entfalten ihre Wirkung auf das Gehirngewebe einerseits durch direkte Energieübertragung an der Kopfoberfläche (zugrunde liegender Mechanismus ist ein akustischer Impedanz-Mismatch; sog. Spallation). Die Übertragung findet aber wahrscheinlich hauptsächlich über das abdominale und thorakale (venöse) Gefäßsystem und/oder über den Liquor des Spinalkanals nach intrakraniell statt. An allen diesen drei Übertragungspunkten (jeweils unterschiedlich harte Gewebetypen) kommen nach einer Explosion Druckschwankungen zu differenten Zeitpunkten mit unterschiedlichen Wellenmustern und -amplituden an. Dies führt neben den isolierten Effekten der einzelnen Druckwelle auch zu Wellenüberlagerungen, die den mechanischen Zerstörungseffekt in der Schädelkapsel noch verstärken können [37]. Cernak et al. konnten zeigen, dass durch einen isolierten Schutz des Schädels bei Exposition in einer Explosionsdruckwelle die Veränderungen im Gehirn nicht verhindert werden können, wohingegen ein Kör-

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perstammschutz effektiv die explosionsinduzierten morphologischen Veränderungen im Gehirn verhinderte [38]. Der Schutz des Thorax und des Abdomens reduzierte in Tierversuchen nicht nur die Letalität bei derartigen Druckverletzungen, sondern auch das Ausmaß der Hirnverletzung. Im Schweinemodell konnte z. B. gezeigt werden, dass nach einer BI eine axonale Verletzung in verschiedenen Hirnregionen eintritt. Deshalb wird bisher die Hypothese vertreten, dass der traumatische axonale Schaden das Hauptkorrelat eines Druck-induzierten Hirnschadens ist. Zusätzlich wird noch diskutiert, inwieweit auch eine systemische aseptische Entzündungsreaktion wesentlich für die Veränderungen im Gehirn bei einer BI verantwortlich sind [39, 40]. Primäre CT-Aufnahmen zeigen nach Blast-Verletzungen (speziell bei geringer Druckamplitude) mitunter keine wesentlichen Auffälligkeiten. Im MRT sind aber als Korrelate der sog. white matter lesions oder auch diffuse axonal injury trotzdem häufig diffuse feine Einblutungen in der FLAIR-Wichtung und in den Standard-T2Sequenzen, besonders jedoch in den häm-sensitiven Sequenzen (z. B. T2*) identifizierbar (Abb. 13.10). Es konnte im Tierversuch und auch bei Nachuntersuchungen von militärischen Blast-Kollektiven gezeigt werden, dass sich zwar in den Standard-MRTSequenzen unauffällige Untersuchungsbefunde darstellen können, in den DiffusionTensor-Imaging(DTI)-Sequenzen hingegen aber manchmal Veränderungen erkennbar waren [41, 42]. Die Wertigkeit von DTI-Sequenzen wird jedoch sehr kontrovers diskutiert. Dies liegt an der hohen Artefaktanfälligkeit und am digitalen Zustandekommen der Bilder sowie deren differenter Befundung (mit hohem Inter- und Intra-Observer-

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Abb. 13.10: CT nach einem Minenanschlag (Blast) ohne direktes Kopftrauma. Zwei kleinere Kontusionsblutungen frontal, aber auch eine deutliche globale Hypodensität mit wenigen intrakraniellen Reserveräumen. Im MRT der Nachweis multipler Mikroblutungsherde, die der CT-Diagnostik entgangen sind. (Die Autoren danken Herrn Prof. Dr. Steudel für die Überlassung der Bilder.)

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Mismatch), was zusammen genommen eine zweifelsfreie Abgrenzung gegenüber „wahren“ Befunden sehr schwierig macht. Zudem ist bislang nicht ausreichend klar geworden, wie diese Befunde (ob wahr oder Artefakt) hinsichtlich ihrer Bedeutung für neurologische Spätsymptome nach BI zu bewerten sind. Darüber hinaus wird untersucht, inwiefern psychiatrische Störungen (z. B. PTBS) und neuropsychologische Leistungsdefizite in einem pathophysiologischen Zusammenhang mit den bildgebenden Hirnparenchymveränderungen nach Blast-Verletzungen stehen könnten [37, 42, 43]. Unserer Auffassung nach sind die teilweise sehr enthusiastischen Ergebnisse einiger amerikanischer Studien, die recht offensiv die morphologischen Veränderungen in einen ursächlichen Zusammenhang mit den ohnehin häufigen psychiatrischen Symptomen von Kriegsteilnehmern bringen, diesbezüglich bisher als nicht hinreichend beweiskräftig zu erachten. Meist sind die posttraumatischen psychischen Reaktionen eben doch intrinsisch reaktiv und nicht auf der Grundlage eines nachweisbaren Gewebeschadens entstanden. Auch traumatische intrakranielle Aneurysmen und auch zerebrale Vasospasmen können durch eine Blast-Exposition verursacht werden, weshalb eine frühzeitige angiographische Abklärung empfohlen wird [44, 45]. Die Vasospasmen konnten in über 80 % der angesprengten Patienten im Schnitt bis zu 14 Tage (im Maximum bis zu 30 Tage) nach dem BI nachgewiesen werden [46].

13.1.9 Stichverletzungen Hier sind typische Verletzungsmuster durch Schlagwerkzeuge im Streit, wie der Stöckelschuh, im Bereich dünner Kalottenanteile, frontoorbital oder temporal zu erwähnen oder der Eintritt hoch beschleunigter Werkstückanteile beim Arbeitsunfall (Abb. 13.2). Bei den „Stichverletzungen“ ist aus dem Topogramm bzw. der Schädelübersicht die Ausdehnung des sinnvollerweise zunächst belassenen Fremdkörpers am einfachsten zu überblicken. Hieraus kann man dann eine Strategie zu dessen Entfernung überlegen. Wenn keine große Hirnverletzung vorliegt, haben die Patienten nach Fremdkörperentfernung und sauberer Duraversorgung eine gute Chance (Abb. 13.3). Bei unregelmäßigen Fremdkörpern kann besonders frontoorbital die vollständige Entfernung aber sehr anspruchsvoll bis unmöglich sein (Abb. 13.4).

13.1.10 Zusammenfassung Bei penetrierenden und perforierenden Schädel-Hirn-Traumen sind eine zügige Rettung und CT-Diagnostik sowie chirurgische Erstversorgung erforderlich. Eine oberflächliche chirurgische Wundversorgung sollte in allen Fällen erfolgen. Auf unnötige Manipulationen an den Schädelweichteilen, besonders aber unterhalb des Kalottenniveaus oder gar im Hirngewebe (z. B. zur Entfernung von Fremdkörpern) sollte in der

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Primärsituation unbedingt verzichtet werden. Akut bedrohliche Verletzungsmuster, wie raumfordernde intrakranielle Hämatome, oder ein Liquoraufstau müssen (abgesehen von Fällen mit desaströser Prognose) unmittelbar operativ behandelt werden. Eine parallele konservativ-intensivmedizinische Hirndrucktherapie ist erforderlich und das kontinuierliche Hirndruckmonitoring hierfür empfehlenswert. Die prophylaktische antibiotische Abdeckung mit Breitspektrumantibiotika wird mittlerweile eher unterstützt, von Kortikosteroiden ist dagegen abzuraten. Mögliche sekundäre Komplikationen wie ZNS-Infektionen, Liquorfisteln, der Hydrocephalus oder traumatische Gefäßläsionen und Anfallsleiden müssen ständig bedacht und im Verlauf in die differentialdiagnostischen und therapeutischen Abläufe integriert werden. Für elektive Sekundäreingriffe sollten die höchstmöglichen anästhesiologischen, intensivmedizinischen und neurochirurgisch-operativen Standards (z. B. intraoperative Navigation, Ultraschall, Röntgendurchleuchtung, mikrochirurgisches Operationsinstrumentarium etc.) verfügbar sein. Trotz der insgesamt hohen Letalität bei penetrierenden Kopfverletzungen ist ein Überleben auch mit gutem Ergebnis und geringen neurologischen Defiziten möglich (speziell bei niedrigenergetischen Verletzungsursachen wie Messerstichen u. Ä.). Dies setzt neben biologischen und traumaspezifischen Aspekten aber auch die adäquate primäre und sekundäre Behandlung solcher Fälle voraus.

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13.2 Fronto- und otobasale Verletzungen, traumatische Liquorfisteln

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243

Jürgen Piek

13.2 Fronto- und otobasale Verletzungen, traumatische Liquorfisteln 13.2.1 Vorbemerkungen Nach der Einführung von Rückhaltegurten und Airbags zum Schutz der Fahrzeuginsassen ist die Häufigkeit frontobasaler Verletzungen im Rahmen eines Schädel-HirnTraumas deutlich zurückgegangen, weil der typische Unfallmechanismus für derartige Verletzungen wie der ungeschützte Aufprall des Gesichtsschädels auf Lenkrad oder obere Begrenzung der Windschutzscheibe bei Fahrzeugkollisionen nur noch in Ausnahmefällen beobachtet wird. Durch die Entwicklung neuer Antibiotika hat auch die früher gefürchtete aszendierende Meningitis als Folge unbehandelter Verletzungen ebenfalls viel von ihrem Schrecken verloren. Neuere diagnostische Möglichkeiten wie das Dünnschicht-CT mit 3D-Rekonstruktion und das MRT erlauben eine wesentlich genauere Beurteilung und Einschätzung der erlittenen Verletzungen sowie eine exaktere Lokalisation etwaiger Defekte der knöchernen Schädelbasis. Minimalinvasive Zugänge auf neurochirurgischem und HNO-ärztlichem Gebiet machen den früher geübten neurochirurgischen Standardzugang der bifrontalen Freilegung der vorderen Schädelbasis oft überflüssig. Insgesamt hat sich so in den letzten zwei Jahrzehnten ein deutlicher Wandel in Beurteilung und Behandlung derartiger Verletzungen vollzogen, dem Rechnung zu tragen ist.

13.2.2 Epidemiologie Etwa 2–5 % aller Schädel-Hirn-Traumen führen zu einer posttraumatischen Liquorfistel [1]. Bei Kiefer- und Gesichtsfrakturen werden sie in größeren Serien bei etwa 1,2 % der Patienten beobachtet [2]. Betroffen sind vorwiegend jüngere Männer, diese Frakturen können aber prinzipiell in jedem Alter und auch beim weiblichen Geschlecht beobachtet werden [1–3].

13.2.3 Pathophysiologie, Morphologie Frontobasale Verletzungen entstehen durch eine umschriebene Gewalteinwirkung auf Gesichtsschädel und Stirn. Dies erklärt, warum sie häufig kombiniert mit extrakraniellen Verletzungen, die den Versorgungsbereich anderer Fachgebiete wie HNO, Mund-Kiefer- und Gesichtschirurgie sowie Ophthalmologie betreffen, zu finden sind. Typische Unfallmechanismen sind Schläge gegen den Gesichtsbereich im Rahmen von Rohheitsdelikten, Tritte durch Huftiere oder ein ungeschützter Anprall des Kopfes im Rahmen von Stürzen oder anderen Unfällen. Direkte (Impressionsfraktur) und

244 | 13 Besondere Verletzungsformen Mittelgesicht: 103 Nasenskelett: 118 Stirnbein : 87 Rhinobasis: 162 N. olfactorius (einer) : 110 N. olfactorius (beide): 57 Orbitadach : 48 Keilbeinflügel : 55 N. opticus: 7 N. oculomotorius : 5

Abb. 13.11: Verletzungsmuster bei frontobasalen Traumen (167 Patienten, eigene Operationsserie).

indirekte (Berstungsfraktur) Gewalteinwirkungen führen neben dem eigentlichen Bruch dazu, dass die mit der vorderen Schädelbasis eng verwachsene, dünne Dura einreißt und zu einer Kommunikation mit den benachbarten pneumatisierten Räumen von Sinus frontalis und Keilbeinhöhle führt. Da zumeist auch die Schleimhaut der Nebenhöhlen einreißt, entsteht ein indirekt offenes Schädel-Hirn-Trauma. Das Ausmaß der Verletzungen reicht von dem einfachen Duraeinriss von einer umschriebenen Fraktur bis hin zur kompletten Zertrümmerung von Stirnbein und frontaler Schädelbasis unter Beteiligung des Nasen- und Orbitaskeletts. Neben dem knöchernen Schädel und der Dura sind bei derart umfangreichen Verletzungen Läsionen der hier gelegenen Hirnnerven zu erwarten, insbesondere solche des N. olfactorius und des N. opticus. Einen Überblick gibt Abbildung 13.11. Hiervon abzugrenzen sind die eher seltenen perforierenden frontobasalen Verletzungen, häufig iatrogen als Komplikation endonasaler Eingriffe, selten auch nach sonstigen Traumen.

13.2.4 Klinische Befunde Es ist dringend zu empfehlen, bei dem Verdacht auf eine fronto- oder otobasale Verletzung befundabhängig Konsiliarii aus den Fachgebieten Augen/MKG/HNO hinzuzuziehen, um gemeinsam mit ihnen eine zielgerichtete bildgebende Diagnostik zu initiieren und keine relevante Verletzung zu übersehen. Bei der äußeren Inspektion (Abb. 13.12) ist das Vorliegen eines Brillen- oder Monokelhämatoms hochverdächtig auf eine Fraktur der vorderen Schädelbasis. Eine retroaurikuläre Blutung – Battle’s sign [4–6] oder ein Hämatotympanon – deutet auf eine otobasale Verletzung hin. Sicherer Hinweis auf ein indirekt offenes Schädel-Hirn-Trauma ist der Austritt von Hirnbrei oder Liquor aus Nase oder Ohr. Über 95 % aller posttraumatischen Liquorfisteln treten innerhalb der ersten 3 Monate auf, die Mehrzahl innerhalb der ersten 24–48 Stunden nach der Verletzung. Eine verzögerte Rhinoliquorrhoe nach SHT kann jedoch noch selbst Jahrzehnte nach

13.2 Fronto- und otobasale Verletzungen, traumatische Liquorfisteln

(a)

(d)

(b)

(e)

|

245

(c)

(f)

Abb. 13.12: Typische klinische Befunde mit Hinweis auf das Vorliegen einer fronto- oder otobasalen Verletzung. (a) Brillenhämatom, (b) nasaler Hirnbreiaustritt, (c) nasaler Liquoraustritt, (d) retroaurikuläre Unterblutung – „Battle’s sign“, (e) Liquoraustritt aus dem Ohr mit Spiegelbildung in der Ohrmuschel (Pfeile), (f) Hirnbreiaustritt aus dem Ohr.

einem Trauma auftreten, sodass man beim spontanen Auftreten einer solchen stets nach lange zurückliegenden Traumen fragen sollte. Eine verzögerte Otoliquorrhoe ist hingegen eine absolute Rarität. Den morphologischen Verletzungen folgend ist eine posttraumatische Rhinoliquorrhoe oft mit einer ein- oder beidseitigen Anosmie verbunden, sodass am wachen Patienten stets bei entsprechendem Verletzungsmuster eine differenzierte Geruchsprüfung erfolgen sollte. Visus, Bulbusstellung und Motilität sind ebenfalls zu untersuchen. Bei otobasalen Verletzungen ist besonderes Augenmerk auf das vestibulo-cochleäre System und den N. facialis zu richten, weil dieser bei Felsenbeinfrakturen ebenfalls beschädigt werden kann. Meningitiden als Folge derartiger Verletzungen werden in der Literatur mit Häufigkeiten zwischen 10 und 85 % angegeben. Sie werden fast immer durch aszendierende Keime aus dem Nasen-Rachenraum verursacht (Pneumokokken, Haemophilus influencae). In manchen Fällen nasaler Liquorfisteln sind rezidivierende Meningitiden das einzige klinische Zeichen.

13.2.5 Diagnostik Besteht der klinische Verdacht auf eine fronto- oder otobasale Verletzung, sollte eine computertomographische Abklärung in Dünnschichttechnik (maximaler Schichtabstand 1 mm) mit zusätzlicher multiplanarer Rekonstruktion erfolgen (Abb. 13.13). Spezialschichtungen und die Darstellung des Mittelgesichts sind vorher mit den Nach-

246 | 13 Besondere Verletzungsformen

(a)

(b)

(c)

Abb. 13.13: Kranielles Dünnschicht-CT bei ausgedehnter frontaler Impressionsfraktur mit Beteiligung von linker Orbita und Sinus frontalis. (a) horizontale Schnittführung, (b) koronare Schnittführung, (c) 3D-Rekonstruktion.

bardisziplinen abzustimmen. Man achte insbesondere auf Frakturen, Knochenlücken und dislozierte Knochenfragmente. Einblutungen in die pneumatisierten Höhlen können einen indirekten Frakturhinweis geben. In etwa ein Drittel aller Fälle wird intrakranielle Luft beobachtet. Diese besteht fast immer aus nur kleinen, basal gelegenen Luftbläschen (beweisend für eine stattgehabte Kommunikation) und stellt im Allgemeinen kein besonderes Problem dar. Selten kann es aber am spontan atmenden Patienten über einen Ventilmechanismus zu einem raumfordernden Spannungspneumenzephalus (Abb. 13.14) mit rascher Bewusstseinstrübung kommen, der dann einer sofortigen Behandlung bedarf. Die Darstellung des Hirnparenchyms deckt intrakranielle Verletzungsfolgen wie Hämatome auf.

Abb. 13.14: cCT mit ausgedehntem Spannungspneumenzephalus bei frontobasaler Verletzung.

13.2 Fronto- und otobasale Verletzungen, traumatische Liquorfisteln |

247

Der Nachweis einer posttraumatischen Liquorfistel ist klinisch schwierig zu führen. Kräftiger Fluss klarer Flüssigkeit aus der Nase beweist nahezu das Vorliegen einer Liquorfistel, ist die Fistelmenge jedoch gering oder tritt Flüssigkeit nur intermittierend aus, ist die Diagnosestellung schwer. Durch Kopftieflage kann evtl. eine Verstärkung des Flusses erreicht werden. Wenn die austretende Flüssigkeit mit Blut vermischt ist, kann man sie auf eine Mullkompresse tropfen lassen. Findet sich ein klarer oder rosafarbener Hof um einen zentralen Blutfleck, handelt es sich wahrscheinlich um eine Liquorbeimengung. Die Unterscheidung zur Flüssigkeit bei der reinen Rhinitis kann durch die Bestimmung des Glukosegehalts erfolgen (Teststreifen). Bei Liquor beträgt sie etwa 50–80 % des gleichzeitig bestimmten Blutglukosewertes [7]. Sicherer gelingt der Nachweis von Liquor in der Nasenflüssigkeit durch die Bestimmung des ß2 -Transferrins mit einer über 95%igen Sensitivität und hohen Spezifität [7]. Da dieses Protein beim Neugeborenen oder bei Leberschädigungen auch im peripheren Blut vorkommen kann, ist parallel zur Bestimmung in der fraglichen Flüssigkeit stets eine Blutbestimmung mit durchzuführen. Ebenfalls von hoher Sensitivität und Spezifität ist das β-Trace-Protein [8–10]. Nichtinvasiv können Liquorfisteln bei entsprechendem Verdacht oft im stark T2-gewichteten MRT (Abb. 13.15) nachgewiesen werden [11, 12]. Bei Versagen nichtinvasiver Techniken und entsprechendem klinischen Verdacht sind invasive Methoden zum Nachweis einer Liquorfistel und zur Darstellung des Fistelverlaufs angezeigt, um eine operative Versorgung gezielt planen zu können. Dieser Nachweis kann durch intrathekale Gabe von Substanzen, die entweder endoskopisch direkt sichtbar sind oder als kontrastgebende Substanz in CT oder MRT abgebildet

(a)

(c)

(d)

(b)

Abb. 13.15: Schnittbilddiagnostik zur Abklärung spontanen Liquorflusses. (a) Dünnschicht-CT in koronarer Rekonstruktion mit Nachweis einer Knochenlücke (Pfeil) im hinteren linken Siebbeinbereich, (b) sagittales T2-gewichtetes MRT mit Nachweis der offenen Verbindung dort sowie einer unklaren Masse in der Nasenhaupt- und Keilbeinhöhle, (c) intraoperativer endoskopischer Befund mit Nachweis eines Hirnprolapses, (d) intraoperatives Präparat.

248 | 13 Besondere Verletzungsformen

werden können, geführt werden. Die Injektion von Substanzen in den Intrathekalraum (positive Röntgenkontrastmittel oder Gadolinium [13]) mit anschließendem Schnittbildverfahren (CT, MRT) wurde in der Vergangenheit vielfach untersucht. Diese Verfahren sind jedoch auf eine aktive, laufende Fistel während der Untersuchung angewiesen. Bei den diagnostisch schwierigen intermittierenden Fisteln versagen sie. Eine direkte Darstellung der Fistel kann durch die intrathekale Gabe von Fluorescein erreicht werden, das selbst in hoher Verdünnung unter Blaulicht bei Endoskopie nachweisbar ist [14]. Hauptgefahr hierbei ist das Auslösen epileptischer Anfälle; die Anwendung von maximal 50 mg in hoher Verdünnung soll allerdings weitgehend komplikationsfrei sein [15].

13.2.6 Therapie 13.2.6.1 Indikation Die Rationale in der operativen Behandlung offener frontobasaler Verletzungen besteht in der Annahme, dass durch den operativen Verschluss der Fistel aszendierende Infektionen wie Meningitiden oder Hirnabszesse vermieden werden und dass der Spontanverlauf derartiger Fisteln ungünstigere klinische Ergebnisse ergibt als mit operativem Fistelverschluss. Aufgrund jahrzehntelanger klinischer Erfahrung gibt es hierfür zwar gute Gründe, ein Beweis im Sinne der Evidenz-basierten Medizin durch kontrollierte Studien ist allein aufgrund der zum Teil großen zeitlichen Latenz der Fisteln, des unterschiedlichen Alters der Patienten (unterschiedliche, altersabhängige Anhaftung der Dura an der Schädelkalotte) nicht zu führen. Für den Spontanverlauf frontobasaler Liquorfisteln existieren mittlerweile recht gute Daten aus der Literatur. So ist nach Daudia et al. [16] kumulativ bei nachgewiesener Fistel mit einem etwa 20%igen Meningitisrisiko zu rechnen, was in dieser Untersuchungsgruppe von 111 Patienten über 12 Jahre einem jährlichen Meningitisrisiko von 0,3 Ereignissen pro Patient entsprach. Nach 1 Jahr scheint sich das Risiko posttraumatischer Meningitiden nach dieser Untersuchung zu verringern. Betrachtet man dieses Risiko des Spontanverlaufs, sind natürlich die äußeren Umstände, unter denen sich diese Meningitis verwirklicht, zu beachten. So wird man in Zentraleuropa mit allen Möglichkeiten der antibiotischen und intensivmedizinischen Behandlung das Risiko einer solchen Komplikation sicherlich anders einschätzen als in weniger entwickelten Regionen. Problematischer ist die Indikation bei okkulten oder intermittierenden Fisteln und unklaren Befunden. Hier ist man zumeist auf die Kombination verschiedener klinischer, laborchemischer und radiologischer Verfahren (s. Abschn. 13.2.5) angewiesen. Aufgrund der schlechten Datenlage, die u. a. der Variabilität des Verletzungsmusters geschuldet ist, variieren von Klinik zu Klinik die Indikation und Operationstechniken zur Deckung der Liquorfistel. Autoren, die ein eher konservatives Vorgehen befürworten, plädieren für ein Abwarten für etwa 7–10 Tage, ggf. unter Anlage einer

13.2 Fronto- und otobasale Verletzungen, traumatische Liquorfisteln

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249

Tab. 13.1: Indikationen zum operativen Verschluss posttraumatischer Liquorfisteln. – Perforierende Verletzung – Austritt von Hirnbrei – Persistierende Liquorrhoe über 7 Tage trotz Lumbaldrainage oder wenn zwei der nachfolgenden Symptome gleichzeitig vorhanden sind – Rhinorrhoe – Nachweis intrakranieller Luft – Basale Fraktur – Meningitis

Lumbaldrainage zur Behandlung der Fistel und operieren erst, wenn die Fistel über diesen Zeitraum hinaus persistiert [17]. Andere Autoren hingegen [18] sind deutlich aggressiver und sehen eine Indikation bereits dann, wenn Frakturen an der Hinterwand der Stirnhöhle, am Dach der Keilbeinhöhle oder im Bereich des Siebbeins erkennbar sind. In der eigenen Klinik sehen wir eine klare Indikation zur Operation bei gesicherter Rhinoliquorrhoe, die über 5–7 Tage trotz Lumbaldrainage persistiert. Die eigenen Indikationen zum operativen Eingreifen lassen sich wie in Tabelle 13.1 dargestellt zusammenfassen.

13.2.6.2 Zeitpunkt der operativen Versorgung Sofort im Sinne eines Notfalls zu versorgen sind frontobasale Verletzungen, die mit einem raumfordernden Hämatom vergesellschaftet sind und der raumfordernde Pneumenzephalus. Einer raschen Versorgung, möglichst innerhalb der ersten 8–12 Stunden, bedürfen frische perforierende Verletzungen. In allen anderen Fällen ist eine verzögerte Versorgung anzustreben, die erst nach Abklingen der posttraumatischen Hirnschwellung erfolgen sollte und klinisch die besten Ergebnisse garantiert [19]. Hierzu sollte mindestens 10–14 Tage abgewartet werden. Eine antibiotische Prophylaxe kann aufgrund der schlechten Datenlage hierzu [20] nicht empfohlen werden, wird jedoch an vielen Kliniken durchgeführt. Ausnahmen sind verschmutzte, perforierende Verletzungen. Sind zusätzlich Verletzungen aus Nachbargebieten zu versorgen, plädieren wir für ein simultanes Vorgehen der beteiligten Fachgebiete nach zuvor festgelegter Reihenfolge. Auf jeden Fall aber sind in derartigen Fällen eine exakte Operationsplanung und eine interdisziplinäre Absprache über das Vorgehen erforderlich.

Zugänge und Prinzipien der operativen Versorgung Ziel der chirurgischen Behandlung sind der sichere Verschluss der Fistel und die Rekonstruktion knöcherner Defekte unter Vermeidung zusätzlicher Schäden an Gehirn oder Hirnnerven unter Berücksichtigung kosmetischer Aspekte sowie ggf. die zusätzliche Behandlung extra- und intrakranieller Verletzungsfolgen.

250 | 13 Besondere Verletzungsformen

Die Wahl des operativen Zugangswegs hat in den letzten 20–30 Jahren einen deutlichen Paradigmenwandel erfahren. Der früher nahezu ausschließlich geübte bifrontale intradurale Zugang zur vorderen Schädelbasis ist angesichts der rasanten Entwicklung miniaturisierter und auch endoskopischer transnasaler Techniken deutlich seltener erforderlich. Es ist sinnvoll, stets in interdisziplinärer Absprache denjenigen Zugang zu wählen, welcher nach der vorliegenden Diagnostik einen kompletten Überblick über die zu versorgende Verletzung und einen voraussichtlich sicheren Fistelverschluss ermöglicht. Dies bedeutet nach eigener Erfahrung, dass man im Falle komplexer und ausgedehnter Zertrümmerungen der vorderen Schädelbasis üblicherweise einen klassischen bifrontalen intraduralen Zugang wählen sollte. Dieser ist ebenfalls zu bevorzugen, wenn sich der Ort der Fistel nicht exakt lokalisieren lässt oder eine > 1 cm im Durchmesser betragende Knochenlücke besteht. In letzterem Fall lässt sich ein sicherer Duraverschluss im Allgemeinen nicht erreichen. In allen anderen Fällen sollte ein transnasales (befundabhängig endoskopisches oder offenes) Vorgehen diskutiert werden, wobei wir an unserer Klinik dieses gemeinsam mit den Kollegen der HNO-Klinik durchführen. Der genaue Operationsablauf für die einzelnen Eingriffe kann den gängigen Operationslehren entnommen werden.

13.2.6.3 Prognose Die Prognose der Patienten wird entscheidend von der Schwere der begleitenden Hirnverletzung bestimmt, sodass hier keine generellen Aussagen getroffen werden können. Oft ist die eigentliche Hirnverletzung, selbst bei ausgedehnten frontobasalen Verletzungen, recht gering. In Abbildung 13.16 sind die eigenen Ergebnisse von 167 Patienten mit operativ versorgten frontobasalen Verletzungen dargestellt.

neurologisches Defizit (vorübergehend) neurologisches Defizit (permanent) Infektion (lokal) Meningitis Rezidiv verstorben

N = 167 0

5

10

15

Anzahl Patienten Abb. 13.16: Operationsergebnisse bei 167 Patienten mit frontobasaler Verletzung (eigene Serie).

13.2 Fronto- und otobasale Verletzungen, traumatische Liquorfisteln

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252 | 13 Besondere Verletzungsformen

Svorad Trnovec und Jürgen Piek

13.3 Diffuse axonale Schädigung 13.3.1 Definition Die diffuse axonale Verletzung (DAI) ist eine Form der Primärschädigung nach Schädel-Hirn-Trauma. Neuropathologisch liegt ihr eine Scherverletzung von Axonen zugrunde, die sich an bestimmten Prädilektionsstellen des Gehirns nachweisen lässt. Hierzu gehören die weiße Substanz der Großhirnhemisphären, die Basalganglien, das Corpus callosum, der dorsolaterale Hirnstamm und seltener das Kleinhirn [1, 2]. In der älteren Literatur finden sich auch die Bezeichnungen „diffuse Scherverletzung“, „diffuse Schädigung der weißen Substanz“, „diffuser Axonschaden“ u. Ä..

13.3.2 Epidemiologie Die Angaben über die Inzidenz der diffusen Axonschäden variieren, weil sich im klinischen Alltag diffuse und fokale Schäden selten in Reinform finden, sondern meist gemischte Verletzungsmuster vorliegen, von denen das eine oder das andere Schädigungsmuster überwiegt. Damit stellen diffuse axonale Schädigungen sehr oft nur einen Teil der komplexen Gesamtschädigung des Gehirns dar und stehen klinisch nicht unbedingt im Vordergrund der akuten Versorgung und Therapie. Manche Autoren beschreiben dieses als Stealth-Phänomen, weil sich das gesamte Ausmaß des diffusen Schadens der primären cCT-Diagnostik entzieht, jedoch klinisch und prognostisch schwerwiegende Konsequenzen hat [3]. Etwa 50 % aller Patienten mit mittelschwerem und schwerem SHT zeigen im CT keine fokale Läsion, sondern eine diffuse Schädigung des Gehirns [4]. Etwa 35 % aller Todesfälle nach Schädel-Hirn-Trauma [5, 6] sind Folge einer solchen Schädigung.

13.3.3 Pathologie, Pathophysiologie Als ursächlicher Mechanismus des DAI wurde bereits von Strich 1956 [2] gemutmaßt, dass es sich um eine direkte Zerreißung von Axonen handelt. Dennoch war dieser Mechanismus lange umstritten. Bis Ende der 1970er-Jahre wurden von manchen Autoren als Ursachen dieser Läsionen eine Ischämie oder sekundäre Einklemmungsfolgen am Hirnstamm vermutet [7, 8]. In den 1980er-Jahren konnten verschiedene Autoren jedoch nachweisen, dass es sich tatsächlich um direkte Schädigungen im Rahmen eines Akzelerations-/Dezelerationstraumas handelt und eine Graduierung der Verletzung vornehmen [1, 9, 10]. Die typische Ursache der Entstehung eines DAI ist eine auf den Schädel wirkende, tangentiale Kraft, die eine Rotationsbewegung des Kopfes mit großer Akzeleration verursacht. Trägheitskräfte, die in diesem Moment auf das

13.3 Diffuse axonale Schädigung

| 253

Gehirn wirken, verursachen eine schnelle Deformation des Gehirns. Die einzelnen Hirnteile bewegen sich in Relation zueinander mit verschiedener Winkelgeschwindigkeit. Dabei wirken Scher-, Zug- und Druckkräfte auf das elastische Hirnparenchym. Spielt sich dieses Geschehen jedoch in sehr kurzer Zeit ab (unter 50 ms), kommt es zu einer rapiden Elongation von Axonen, die das Zytoskelett schädigt und bis zu einer Ruptur führen kann. Das Ausmaß der Schädigung hängt hierbei von der Stärke der tangentialen Beschleunigung und vom Ausmaß der Scherbewegung der einzelnen Hirnteile ab. Entsprechend der Verteilung der Läsionen lassen sich diffuse Axonschäden in drei Schweregrade einteilen: Grad 1 – rein mikroskopisch fassbare Läsionen, Grad 2 – zusätzlich fokale Läsionen im Corpus callosum und Grad 3 – fokale Läsionen im dorsolateralen Hirnstamm [1]. Pathophysiologisch lässt sich beim Schädigungsmuster des diffusen Axonschadens eine primäre von einer sekundären Axotomie unterscheiden, die letztlich aber das gleiche Endergebnis – die Zerstörung des betroffenen Neurons mit dessen Funktionsverlust – haben. Die primäre Axotomie ist hierbei eine mechanische Zerreißung des Axons, im Rahmen derer es zur rapiden Proteolyse des Axoplasmas und zum Ausfall der Funktion des betroffenen Neurons kommt. Die sekundäre Axotomie ist Folge einer komplexen Interaktion zwischen Neuronen aller Typen, Gliazellen, vaskulärem System und Immunsystem, die eine neurovaskuläre Einheit bilden [11–13]. Stress durch mechanische Schädigung führt zur Schädigung von Plasmalemma aller Zelltypen der neurovaskulären Einheit mit Verlust der homöostatischen Regulation in diesen Zellen. Neuronen depolarisieren, und wenn die Homöostase nicht wiederhergestellt wird, kommt es zu einer Initialisierung der Kalziumkaskade. Die Depolarisation von Astrozyten und Oligodendrozyten generiert die „Kalziumwelle“, die sich weiter ausbreitet. Wenn geschädigte Axonen das terminale Stadium dieser pathologischen Kaskade erreichen, werden die Axonfragmente diskonnektiert, und es kommt zur sekundären Axotomie. Eine umfassende Darstellung dieser Abläufe findet sich in der Arbeit von Maxwell [14].

13.3.4 Klinische Symptomatik und Prognose Das typische klinische Bild einer diffusen axonalen Schädigung ist die (anhaltend) tiefe Bewusstseinsstörung. 1982 untersuchten Gennarelli et al. den Zusammenhang zwischen intrakraniellem Läsionstyp sowie Schwere und Dauer der Bewusstseinsstörung nach Schädel-Hirn-Trauma [4]. 44 % ihrer 1.107 Patienten wiesen diffuse Hirnschäden auf, 56 % hatten eine raumfordernde fokale Läsion. Die Sterblichkeit der Patienten mit fokalen Schäden betrug etwa das 1,5fache derjenigen mit rein diffusen Schädigungen. Patienten mit einem Glasgow Coma Scale Score von 3–5 und diffusen Schäden hatten eine etwa 4fach höhere Sterblichkeit gegenüber denen mit einem GCSScore von 6–8 Punkten (Abb. 13.17).

254 | 13 Besondere Verletzungsformen

60 % GCS3–5 GCS6–8 50 % 40 % 30 % 20 % 10 % 0%

verstorben

vegetativ

schwer behindert

leicht keine behindert Behinderung

Abb. 13.17: Neurologische Erholung nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma mit diffusem Axonschaden als führende Verletzung (nach [4]).

Ein wesentlicher Aspekt ist die Tatsache, dass derartige Traumen einen erheblichen Risikofaktor für die Entwicklung späterer neurodegenerativer Erkrankungen darstellen, wobei der Pathomechanismus erst in Anfängen verstanden wird [15, 16].

13.3.5 Diagnostik Die ersten Hinweise auf eine diffuse axonale Schädigung erhält man bei der klinischen Untersuchung und Anamneseerhebung (Unfallmechanismus). Bei einem Hochgeschwindigkeitstrauma, verbunden mit initialer Bewusstseinsstörung, ist immer an eine diffuse axonale Schädigung zu denken [5, 9]. Bei der initialen CT-Untersuchung kann der radiologische Befund sogar negativ sein, jedoch sind oft kleine hyperdense Areale sichtbar, die kleinen petechialen Blutungen im Balken oder im Hirnstamm entsprechen [17–19]. Weitere typische Lokalisationen sind am Übergang zwischen grauer und weißer Substanz und in den periventrikulären und hypokampalen Regionen (Abb. 13.18). Oft finden sich Zeichen der DAI im Rahmen weiterer fokaler Läsionen, insbesondere bei akuten subduralen Hämatomen. Bei einem Verdacht auf eine diffuse axonale Schädigung besteht die Indikation, eine MRT-Untersuchung des Schädels durchzuführen, weil die MRT die deutlich sensitivere Untersuchungsmethode ist, besonders bei der Darstellung der weißen Substanz, des Balkens und des Hirnstamms [20]. T2- und FLAIR-Sequenzen ermöglichen eine gute Darstellung der nichthämorrhagischen Läsionen (Abb. 13.19). DWI-Sequenzen ermöglichen die Differenzierung zwischen Läsionen mit erhöhter und verminderter Perfusion. Eine gute zusammenfassende Darstellung findet sich z. B. bei Currie et al. [21].

13.3 Diffuse axonale Schädigung

| 255

Abb. 13.18: Typisches cCT bei schwerem DAI (initialer Glasgow Coma Scale Score 4 Punkte; Outcome: persistierender vegetativer Zustand).

(a)

(b)

Abb. 13.19: T2-gewichtete MRTAufnahmen bei DAI mit typischen Läsionen in Balken (a) und dorsolateralem Hirnstamm (b).

13.3.6 Therapie Eine spezifische Behandlung der Patienten mit diffusem Axonschaden existiert nicht. Sie richtet sich nach den allgemeinen Therapiegrundsätzen, die in Kapitel 10 und 13 dargestellt sind.

256 | 13 Besondere Verletzungsformen

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13.4 Gehirnerschütterung/Concussion |

257

Axel Gänsslen, Claus Reinsberger, Eckhard Rickels und Werner Krutsch

13.4 Gehirnerschütterung/Concussion 13.4.1 Vorbemerkungen Aufgrund der spezifischen Symptomatik sind schwerere Schädel-Hirn-Traumen im Allgemeinen leicht zu erkennen, die Versorgungsabläufe sind gut definiert, jeder sieht hier auch die Notwendigkeit von Rettungsmaßnahmen, Notfallbehandlung und stationärer Aufnahme sofort ein. Wesentlich unübersichtlicher sind die Handlungsabläufe beim sog. leichten SHT. Dass Patienten nach Bagatellverletzungen des Kopfes an ihrem Trauma versterben können, ist seit Jahrhunderten bekannt (s. Kap. 1)und stellt die eine Seite des Spektrums an Patienten mit leichten Hirnverletzungen dar. Bereits 1975 prägten Reilly et al. hierfür den Begriff „talk and die“ [1]. Sie wiesen u. a. darauf hin, dass es nicht nur intrakranielle Hämatome, sondern in etwa 25 % ihrer Fälle auch Patienten mit Kontusionen und hierdurch erhöhtem intrakraniellen Druck waren, die dieses Schicksal erlitten. Auf der anderen Seite klagen aber auch rund 50 % der überlebenden Patienten nach 1 Jahr über Beschwerden, die sie den Folgen eines leichten SHT zuordnen. Diese Unschärfe des Begriffs „leichtes Schädel-Hirn-Trauma“ spiegelt sich auch in den wenig präzisen Begriffen „leichtes SHT“, „Commotio cerebri“, „Gehirnerschütterung“, „Concussion“, „mild Traumatic Brain Injury“, „mild head injury“ wider. Sind nun obige Bezeichnungen synonym zu verwenden, oder beschreiben sie nur unterschiedliche Ausprägungen eines leichten SHT? Am besten untersucht sind die Probleme des leichten SHT im Sport, wo sie zunehmend an Bedeutung gewinnen. In den letzten Jahren wurden in Nordamerika Begriffe wie „The Silent Epidemic“ und „Concussion Burden“ geprägt, die auf die zunehmende Häufung und Relevanz von Gehirnerschütterungen hinweisen. Die gesellschaftspolitische Bedeutung der Gehirnerschütterung zeigt sich v. a. im Sport. Über die letzten 15 Jahre ist es zu einem 4,2fachen Anstieg berichteter Gehirnerschütterungen gekommen (1997 bis 2008), was einem Anstieg der Häufigkeit von 11,5 %/Jahr entspricht [2]. Auch findet sich ein hoher Anteil von Gehirnerschütterungen an allen Verletzungen im Sport, teilweise mit 15–20 % bei Hochrisikosportarten wie Eishockey, American Football, aber auch Fußball bei Frauen und Basketball [3]. Während insgesamt weniger andere Verletzungen im Sport beobachtet wurden, stieg die Häufigkeit diagnostizierter Gehirnerschütterungen kontinuierlich an mit Häufigkeiten von teilweise > 20 % [4–6]. Dies liegt sicherlich auch an der zunehmenden Kenntnis der Verletzung an sich, aber auch an der Sensibilisierung aller Beteiligten. Jeder zehnte Sportler erlitt mindestens zwei Gehirnerschütterungen [7]. Gehirnerschütterungen werden dabei regelhaft v. a. durch die Sportler selbst, aber auch durch Ärzte, zu häufig als eine zu leichte Verletzung eingeschätzt und damit in ihren Konsequenzen unterschätzt [8–10]. Sportler nehmen häufig zu früh, trotz

258 | 13 Besondere Verletzungsformen

adäquaten Wissens über die Verletzung, ihren Sport wieder auf, teilweise aufgrund eines „Drucks“ von außen durch Coaches, Trainer und Team-Ärzte [11–13]. Die Rate übersehener bzw. nicht berichteter Gehirnerschütterungen wird mit durchschnittlich 40 % (30,5–81,5 %) angegeben [10, 14–17]. Gerade im nicht ärztlich betreuten Sport (Breitensport, Schulsport) ist aber mit einer deutlich höheren Rate nicht erkannter Verletzungen zu rechnen [18].

13.4.2 Begrifflichkeit Der Begriff „Gehirnerschütterung“ ist nicht eindeutig definiert. Er wird teilweise mit dem leichten SHT gleichgesetzt und häufig als dessen vermeintliche leichteste Form angesehen. Eine klare Definition liegt bis zum heutigen Tage nicht vor. Auch ob eine Abgrenzung zum Schädel-Hirn-Trauma an sich besteht, wird weiter kontrovers diskutiert. Im Rahmen der Konsensus-Konferenzen der letzten 10 Jahre wurde eine neue Definition der Gehirnerschütterung etabliert [19]. Die Gehirnerschütterung wird meist unter dem Oberbegriff leichtes Schädel-HirnTrauma (SHT) subsummiert oder entspricht sogar dem leichten SHT. Ein leichtes SHT ist definiert als (neurologische) Funktionsstörung des Gehirns infolge einer direkten oder indirekten Gewalteinwirkung gegen den Kopf mit oder ohne Verletzung des Gehirns [19–21]. Entscheidend bei dieser Definition ist, dass keine makroskopisch vorliegende Verletzung des Gehirns (struktureller Schaden) vorliegen muss. Die neurologische Funktionsstörung ist Grundbedingung der Gehirnerschütterung. Entsprechend sind zunächst die Zeichen einer neurologischen Funktionsstörung zu analysieren, bevor die Diagnose „Gehirnerschütterung“ gestellt werden kann. Das SHT wird anhand der Glasgow Coma Scale (GCS) eingeteilt. Das leichte SHT entspricht hierbei einer GCS von 13–15 Punkten [20]. Demnach kann bei einem leichten SHT der Patient in der Regel sprechen bzw. es liegt keine relevante Bewusstseinsstörung vor. Das Wort „Gehirnerschütterung“ beschreibt ausschließlich einen (Unfall-)Mechanismus ohne ein eigenständiges Krankheitsbild zu definieren. In Europa wird die Gehirnerschütterung häufig mit dem Begriff der Commotio cerebri gleichgesetzt. Das Wort Commotio kann mit „Erschütterung“ übersetzt werden. Somit ist auch diese Begrifflichkeit nicht eindeutig, weil auch hier nur ein Verletzungsmechanismus beschrieben wird. Im angloamerikanischen Bereich hat sich der Begriff „concussion“, insbesondere im Sport, als eigenständige Verletzungsfolge durchgesetzt und wird im Folgenden mit dem Begriff der Gehirnerschütterung gleichgesetzt, während das leichte SHT im angloamerikanischen Bereich mit dem Begriff „mild traumatic brain injury“ (mTBI) be-

13.4 Gehirnerschütterung/Concussion |

259

schrieben wird [19, 20]. Auch hier wird häufig die GCS als Grundlage der Diagnosestellung verwendet.

13.4.2.1 Aktuelle Definition Die Konsensus-Konferenzen zur Gehirnerschütterung im Sport haben im Rahmen von Expertendiskussionen die aktuell zu empfehlende Definition der Gehirnerschütterung festgelegt [19]: Die Gehirnerschütterung ist definiert als ein durch biomechanische Kräfte ausgelöstes GehirnTrauma.

Hervorzuheben ist hier, dass von einem Trauma des Gehirns gesprochen wird und nicht von einem Trauma des Kopfes. Entsprechend wird diese Definition durch bestimmte biomechanische, klinische und pathologische Beschreibungen ergänzt [19]: 1. Die Gehirnerschütterung kann entweder direkt durch einen Schlag gegen den Kopf, das Gesicht oder den Hals verursacht werden oder indirekt durch eine Gewalteinwirkung an anderer Stelle des Körpers mit einer fortgeleiteten, „impulsiven“ Einwirkung der Kräfte auf den Kopf. 2. Eine Gehirnerschütterung führt typischerweise zu einer sich rasch entwickelnden kurzfristig bestehenden Beeinträchtigung der neurologischen Funktion, die sich spontan wieder bessert. In einigen Fällen entwickelt sich die Symptomatik erst Minuten bis Stunden nach dem Trauma. 3. Eine Gehirnerschütterung kann auch zu neuropathologischen Veränderungen führen. Die akuten klinischen Symptome weisen eher auf eine funktionelle Störung als auf eine strukturelle Schädigung hin; entsprechend zeigt die Standardbildgebung meist keine strukturellen Pathologien. 4. Klinisch führt eine Gehirnerschütterung zu einer abgestuften Reihe klinischer Symptome, mit oder ohne Verlust des Bewusstseins. Das Verschwinden der klinischen und kognitiven Symptome erfolgt in der Regel sequenziell. Bei wenigen Patienten können diese Symptome persistieren. Die klinischen Symptome und Zeichen dürfen nicht durch Drogen, Alkohol oder Medikamente erklärbar oder durch andere Verletzungen (z. B. Verletzungen der Halswirbelsäule, periphere vestibuläre Dysfunktion usw.) oder Komorbiditäten (psychologische Faktoren, Begleiterkrankungen) bedingt sein.

13.4.2.2 Unfallmechanismus Ein exakter Unfallmechanismus, der zu einer Gehirnerschütterung führt, ist nicht bekannt, weil völlig unterschiedliche Krafteinwirkungen stattfinden können.

260 | 13 Besondere Verletzungsformen

Abb. 13.20: Darstellung der typischen linearen und rotatorischen Krafteinwirkungen auf das Gehirn bei Gehirnerschütterungen.

Der Verletzungsvektor kann geradlinig sein (lineare Krafteinwirkung), zu einer Rotationsbewegung des Kopfes und des Gehirns führen oder, am häufigsten, eine kombinierte lineare und rotatorische Bewegung bewirken (Abb. 13.20) [22]. Prinzipiell werden zwei Entstehungsmechanismen unterschieden [19, 23]: 1. Direkte Krafteinwirkung am Kopf: Am Ort der Krafteinwirkung besteht die Gefahr einer lokalen Gehirnverletzung; die Kraft erschüttert das Gehirn durch Weiterleitung von Schwingungen; dadurch kann es zu Coup-/Contre-coup-Verletzungen kommen; zusätzlich können Verletzungen durch Scherbewegungen und Gewebeabbremsungen entlang der unregelmäßig geformten Schädelbasis und an Falx cerebri und Tentorium auftreten. 2. Indirekte, fortgeleitete Krafteinwirkung auf den Kopf: Der indirekte Mechanismus entsteht durch eine nicht am Kopf auftreffende Gewalt, die meist über den Körperstamm auf das Gehirn fortgeleitet wird; die Folgen sind dann, bis auf die lokale Verletzung, identisch zur direkten Krafteinwirkung. Als Folge dieser Krafteinwirkungen auf das Gehirn resultieren unterschiedliche Gehirnbewegungen im knöchernen Schädel, sodass verschiedene Hirnareale geschädigt werden können, was die große Bandbreite zu beobachtender Symptome erklärt. Dabei treten definitiv Verletzungen an der grauen und weißen Substanz auf, die aber meist so gering ausgeprägt sind, dass sie mit den üblichen Bildverfahren in der Radiologie (cCT, MRT) derzeit nicht darstellbar sind. Trotzdem müssen immer Verletzungen der Nervenzellen des Gehirns und der kleinsten Blutgefäße angenommen werden. Diese Zellverletzungen führen zu komplexen Veränderungen an den Zellen, die Entzündungsreaktionen im Gewebe auslösen und chemische Veränderungen sowie die Zellernährung einschränken können [23–28].

13.4 Gehirnerschütterung/Concussion | 261

Insbesondere die Rotationsbeschleunigungen scheinen für die Entstehung von Gehirnerschütterungen ursächlich zu sein. Aufgrund der irregulären Schädelbasis muss auch an eine Verletzung der Gehirnstrukturen in diesem Bereich gedacht werden. So werden z. B. hormonelle Fehlfunktionen durch Verletzungen der Hypophyse nach SHT aller Schweregrade in 28–69 % der Fälle beobachtet [29–38] (s. Kap. 15).

13.4.3 Pathophysiologie Durch die mechanische Verformung des Hirngewebes beim Trauma kann es zu Scherverletzungen an den Gehirnzellen kommen. Dadurch können die betroffenen Zellen überreizt und funktionsunfähig werden. Auf zellulärer Ebene resultiert eine komplexe Kaskade neurochemischer und neurometabolischer Veränderungen [24, 39, 40]. Zusätzlich können die Axone verletzt werden oder sogar abreißen, was mittlerweile, zumindest teilweise mittels spezieller MRT-Techniken (DTI), nachweisbar ist [41–43]. Im schlimmsten Fall resultiert eine zelluläre Apoptose [44, 45]. Es kann entsprechend dem primären Unfallmechanismus zwischen fokalen/ direkten und diffusen Gehirnverletzungen unterschieden werden. – Die fokale Hirngewebeschädigung führt zu einer überschießenden Zelldepolarisation mit der Folge einer zellulären Energiekrise für 5–10 Tage, die durch ein axonales und vaskuläres „stretching“ mit möglicher Zerreißung der neuronalen Membranen ausgelöst wird [24]; die resultierende erhöhte Membrandurchlässigkeit kann zu Zellschwellung und Zellfunktionsunfähigkeit führen; das Ausmaß der mitochondrialen Schädigung korreliert dabei mit den langfristigen Folgen [46, 47]; die lokale Hypoperfusion verstärkt die Zellenergiekrise [24]; es wird vermutet, dass diese Veränderungen meist vollständig reversibel sind. – Bei der diffusen Schädigung tritt regelhaft eine axonale Verletzung auf [48, 49]; schon eine Axonverlängerung von 10 % innerhalb von 100 ms kann zu einer dauerhaften axonalen Schädigung führen [50]; einen gewissen Schutz bietet eine vorhandene Myelinisierung. Da gerade im Kindes- und Jugendalter die Myelinisierung im Rahmen der allgemeinen Gehirnreifung noch nicht vollständig abgeschlossen ist, scheinen Kinder besonders gefährdet zu sein; histologisch lassen sich zusätzlich Alzheimer-artige Veränderungen feststellen. Systemisch ist durch Entkoppelung von autonomem und Herz-Kreislauf-System eine Herzfrequenzvariabilität unter körperlicher und geistiger Belastung zu beobachten. Schwereabhängig resultiert zusätzlich eine, mindestens lokale, Abnahme des zerebralen Blutflusses (CBF) und eine Störung der zerebralen Autoregulation [40].

262 | 13 Besondere Verletzungsformen

13.4.4 Symptomatik Es findet sich regelhaft ein vielfältiger Symptomkomplex aus klinischen und neurokognitiven Symptomen sowie Verhaltens- und Schlafveränderungen. Es wird zwischen Zeichen einer Gehirnerschütterung (Beurteilung durch Dritte) und subjektiven Symptomen (Beurteilung durch den Betroffenen selbst) unterschieden. Zeichen sind u. a. Verwirrtheit, Bewusstseinsverlust, Verlangsamung, Gangunsicherheit, Schwanken, Pupillendifferenz und der sog. leere Blick. Klassische Symptome wie Bewusstlosigkeit und Amnesie kommen bei Leistungssportlern nur in etwa 20 % [51] und im Breitensport in < 10 % der Fälle vor [52]. Eine sofortige ärztliche Evaluation eines Patienten ist notwendig bei Vorliegen der sog. „red flag“-Symptome [21]: jugendliches Alter, Verwirrtheit > 30 Minuten, Bewusstseinsverlust > 5 Minuten, fokal-neurologisches Defizit, Pupillendifferenz und Verschlechterung einer Symptomatik oder der Bewusstseinslage. Typische und häufige Symptome sind in der Tabelle 13.2 dargestellt: – Typische klinische Symptome sind Kopfschmerzen (70–80 %), Schwindel (34–70 %), Übelkeit/Erbrechen (20–40 %), Nackenschmerzen (ca. 20 %), Schwäche/Müdigkeit (20–50 %), visuelle Störungen (ca. 20 %) und Empfindlichkeit gegenüber Licht und Lärm (10–60 %) [51, 53]. – Kognitive Symptome umfassen u. a. ein geistig „nebliges“ Gefühl, eine mentale Verlangsamung, Konzentrations- und Erinnerungsschwierigkeiten, vermehrte Vergesslichkeit, Verwirrtheitszustände sowie ein verlangsamtes Antworten auf Fragen und wiederholtes Fragen. – Verhaltensauffälligkeiten können u. a. eine vermehrte Reizbarkeit, Nervosität oder Traurigkeit, eine vermehrte Emotionalität, einen Verlust der Impulskontrolle und mangelndes Interesse an Aktivitäten umfassen. – Im Verlauf auftretende Störungen des Schlafverhaltens können eine vermehrte Schläfrigkeit, die Notwendigkeit von weniger oder mehr Schlaf als üblich und Probleme beim Einschlafen sein: Diese Symptome und Zeichen verschwinden meist ohne eine spezifische Behandlung; sie verbessern sich in der Regel mit der Zeit und sind keine Hinweise auf einen dauerhaften Schaden des Gehirns.

13.4.5 Akut-Evaluationskonzepte (Sideline-Evaluation) Im professionellen Sport ist häufig medizinisch ausgebildetes Personal schnell verfügbar. In der überwiegenden Anzahl sportlicher Betätigung erfolgt dagegen ausschließlich eine medizinische Laienüberwachung. Entsprechend ist eine schnelle Beurteilung anhand standardisierter Kriterien noch am Spielfeldrand gefordert [54]. Grundlage stellt die Taschenkarte (Concussion

13.4 Gehirnerschütterung/Concussion | 263

Tab. 13.2: Typische Symptomatik nach Gehirnerschütterung. Körperlich

Kognitiv (Denken)

Emotional

Schlafverhalten

Kopfschmerz

geistiges Nebelgefühl

Traurigkeit

Schwindel

Verlangsamung

Reizbarkeit

Gleichgewichtsprobleme Übelkeit/Erbrechen

Konzentrationsprobleme Erinnerungsprobleme

vermehrte Emotionen

Einschlafschwierigkeiten allgemeine Schläfrigkeit mehr Schlaf als sonst

Lichtempfindlichkeit Lärmempfindlichkeit Müdigkeit/Schwäche Sehstörungen

Verwirrtheit Vergesslichkeit wiederholtes Fragen

Nervosität

weniger Schlaf als sonst

mangelndes Interesse

Recognition Tool) dar, die neben Abfragen zu Person und Ort, objektive und subjektive Zeichen und Symptome abfragt [55] (Abb. 13.21). Bei „red flag“-Symptomen (s. o.) wird eine unmittelbare ärztliche Vorstellung gefordert. Weitere primäre Beurteilungsverfahren wurden in den letzten Jahren propagiert, entwickelt und analysiert [56]. Dazu zählen die Glasgow Coma Scale (GCS), Gehirnerschütterungs-Symptomchecklisten (PCSS), das SAC-Konzept (Standardized Assessment of Concussion), das BESS-Konzept (Balance Error Scoring System), der King-Devick-Test sowie die Testung der Reaktionszeit. Die GCS, PCSS, SAC und BESS wurden in das sog. SCAT-Konzept (Sport Concussion Assessment Tool 1–3 [19, 57]) integriert. – GCS: Die GCS erlaubt orientierend die relativ schnelle (1–2 Minuten) Einschätzung der Schwere einer Hirnverletzung, lässt aber keine Differenzierung zwischen Patienten mit und ohne Gehirnerschütterung zu; auch ist sie typischerweise nicht durch Laien anwendbar [56]. – SCAT-Testung: Der SCAT-Test ist das derzeit am häufigsten verbreitete und angewendete Sideline-Evaluationsinstrument; neben der Analyse von Symptomen anhand einer 22 Parameter umfassenden Symptomcheckliste (PCSS) erfolgt eine GCS-Beurteilung, eine kognitive Analyse mit kurzen Tests zur Beurteilung der Orientierung zur Zeit (Maddocks-Fragen [58]), eine Testung der Konzentration sowie des primären und sekundären Erinnerungsvermögens, eine Koordinationstestung und eine standardisierte Testung des Gleichgewichts (BESS [59, 60]). Nachteilig ist die Untersuchungsdauer von etwa 20 Minuten zur Erfassung aller Parameter und dass insbesondere der prognostische Parameter Amnesie (retrograd und antegrad) nicht aufgeführt ist, während die GCS und die MaddockFragen nicht zur Verlaufsbeurteilung geeignet sind; der Einfluss der körperlichen Belastung, „red flag“-Zeichen, zusätzliche Befunde im Kopf- und Halsbereich, Art der Diagnostik und eingeleitete Therapie sind aktuell im SCAT3, der sowohl

264 | 13 Besondere Verletzungsformen

Abb. 13.21: Taschenkarte (Concussion Recognition Tool) zur (nichtärztlichen) Akut-Evaluation nach Gehirnerschütterung.

13.4 Gehirnerschütterung/Concussion |



265

für Erwachsene als auch für Kinder modifiziert wurde, umgesetzt. Gerade im Spiel steht häufig nicht genügend Zeit zur Verfügung, um die komplette SCATUntersuchung durchzuführen; das sog. Pocket Concussion Recognition Tool (s. o.) trägt diesem Umstand Rechnung [55]. King-Devick-Test: Dieser Test ist ein visuell-basierter Test, bei dem Zahlen schnell gelesen und erkannt werden müssen (Abb. 13.22) [61, 62]. Es können Einschränkungen der sakkadischen Augenfunktionen, von Aufmerksamkeit und Konzentration sowie von Schnelligkeit und Sprechvermögen überprüft werden. Neben der visuellen Funktion wird die Integrität von Hirnstammfunktionen, Kleinhirnfunktionen und kortikalen Funktionen überprüft. Dieser Test kann ideal am Spielfeldrand angewendet werden und benötigt etwa 1 Minute zur vollständigen Durchführung; vorteilhaft sind die einfache Durchführung und Interpretation, auch durch nichtmedizinisches Personal, die kurze Dauer der Durchführung und das einfache Gebrauchsmaterial; positiv ist auch die unwesentliche Beeinträchtigung durch Müdigkeit bzw. körperliche Anstrengung. Eine Baseline-Untersuchung ist sinnvoll; jede Verlangsamung der gesamten Lesedauer kann auf eine Gehirnerschütterung hindeuten.

Abb. 13.22: King-Devick-Beispiel-Testkarte.

266 | 13 Besondere Verletzungsformen

Abb. 13.23: App-basierte Reaktionstestung. Antippen des Bildschirms, wenn das Magenta-Quadrat erscheint und entsprechende Basis-Reaktionszeit-Auswertung.





Reaktionszeit: Die Testung der Reaktionszeit dient u. a. als Maß für die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung und wird als eine wertvolle Ergänzung in der neuropsychologischen Beurteilung von SHT-Patienten angesehen, weil sie nach SHT regelhaft eingeschränkt ist [63–66]; etablierte Computerbasierte Testbatterien beinhalten sog. Composite-Ergebnisse, sind aber mit einem Zeitaufwand von mindestens 20 Minuten verbunden [67]; eine einfache klinische Testung [68–74], wird als wichtiges zukünftiges Instrument angesehen [19]; durch eine 70 Sekunden dauernde App-basierte Testung steht derzeit ein einfaches Instrument zur Verfügung (Abb. 13.23) Gleichgewichtstestung: Eine Gleichgewichtstestung kann anhand des BalanceError-Systems (BESS) erfolgen [59, 75, 76]; dazu wird die Balance für jeweils 20 Sekunden mit geschlossenen Augen und Händen an den Hüften im Ein-Bein-, ZweiBein- und Tandem-Stand bewertet (Abb. 13.24) und die dabei auftretenden Fehler (Hand-Abheben vom Becken, Augen öffnen, Ausfallschritt, stolpern oder fallen, Hüftabduktion > 30°, Heben von Vorfuß oder Ferse oder Verlassen der Testposition > 5 Sekunden) dokumentiert. Pro Testposition sind maximal 10 Fehler möglich; als „normal“ werden 10 ± 2 Fehler angesehen.

13.4.6 Ärztliches Vorgehen in Krankenhaus oder Praxis Die klinische und neurologische Einschätzung des Patienten mit Gehirnerschütterung wird häufig nicht ausreichend durchgeführt, weil eine Beurteilung neurokognitiver Folgen noch regelhaft unterbleibt. Als Standard in der Beurteilung von Patienten nach Gehirnerschütterung ist zunächst eine ausführliche Anamnese zu erheben, ferner sind eine klinische Allgemeinbeurteilung, ein neurologischer Befund sowie eine neuropsychologische Befundung

13.4 Gehirnerschütterung/Concussion | 267

Abb. 13.24: Balance-Error-Scoring-System(BESS)-Testung im Zwei-Bein-Stand, Ein-Bein-Stand und Tandem-Stand auf festem und weichem Untergrund.

(z. B. Gleichgewichtstestung, kognitive Testung und Gangbildanalyse) durchzuführen. Zusätzlich ist bei Vorliegen von Risikofaktoren oder den „red flag“-Symptomen eine radiologische Diagnostik (Neuro-Imaging) zwingend [20]. Aufgrund der prognostischen Relevanz sollten anamnestisch die Anzahl bereits erlittener Gehirnerschütterungen und die damalige Symptomdauer abgefragt werden und ob ein geringeres Trauma zur erneuten Gehirnerschütterung führte. Zusätzlich sollte gezielt nach Bewusstlosigkeit oder Amnesie gefragt werden (retrograd und/oder antegrad) [19]. Amnestische Veränderungen können z. B. relativ gut mit dem Galveston Orientation and Amnesia Test (GOAT, [77]) oder der Westmead Post Traumatic Amnesia Scale (PTA, [78]) abgeschätzt werden. Die klinische Allgemeinbeurteilung orientiert sich an einem standardisierten ABCDE-Konzept, z. B. ATLS® , mit HWS-Beurteilung, Untersuchung der Pupillenfunktion und Bestimmung der GCS-Scores [54]. Ein neurologischer Befund sollte orientierend eine Beurteilung von Hirnnervenfunktionen, grober Kraft und Sensibilität, Ganganalyse und Koordination (z. B. Romberg-Test, Finger-Nase-Versuch) beinhalten. Die Gleichgewichtstestung wird nach Gehirnerschütterung als wesentlich angesehen. Sie scheint einen relevanten Stellenwert in der Einschätzung nach Gehirnerschütterung zu haben [79] und erfolgt meist anhand des BESS, das auch in das SCAT3 integriert ist.

13.4.7 Radiologische Diagnostik Die radiologische Diagnostik dient dem Ausschluss oder der Bestätigung struktureller Folgen. Bei Vorliegen von Risikofaktoren oder von „red flag“-Symptomen ist eine radiologische Diagnostik obligat [20]. Die Röntgennativaufnahme des Schädels ist nicht hilfreich und deshalb obsolet [21].

268 | 13 Besondere Verletzungsformen

Tab. 13.3: „New Orleans Criteria“ für CT-Untersuchungen beim leichten SHT (GCS 15). (persistierender) Kopfschmerz Erbrechen Alter > 60 Jahre Intoxikation mit Alkohol oder Drogen persistierende antegrade Amnesie (> 60 min) Hinweise für eine Weichteil- bzw. knöcherne Verletzung oberhalb des Clavicula-Niveaus epileptischer Anfall

Tab. 13.4: „Canadian CT Head Rule“ für CT-Untersuchung beim leichten SHT (GCS 13–15, > 16 Jahre). Hohes Risiko für eine neurochirurgische Intervention GCS < 15 innerhalb von 2 Stunden nach Trauma (vermutete) penetrierende Verletzung bzw. Impressionsfraktur klinischer Hinweis auf Schädelbasisfraktur ≥ 2 mal Erbrechen Alter > 65 Jahre Mittleres Risiko für den Nachweis einer Hirnverletzung im CT retrograde Amnesie > 30 min gefährlicher Verletzungsmechanismus* * Fußgänger kollidiert mit Fahrzeug, Person wird bei Unfall aus Fahrzeug geschleudert, Sturz mit Fallhöhe ≥ 1 m bzw. Treppensturz ≥ 5 Stufen.

13.4.7.1 Computertomographie Mit den „New Orleans Criteria“ (Tab. 13.3) und der „Canadian CT Head Rule“ (Tab. 13.4) liegen validierte Kriterien zur Durchführung eines cCT vor [80, 81]. Im Sport sind dies eine prolongierte antegrade Amnesie, eine retrograde Amnesie > 30 Minuten, Hinweise auf Verletzung(en) oberhalb des Clavicula-Niveaus inkl. Schädelfraktur, ein persistierender (heftiger) Kopfschmerz, Erbrechen und jedes fokal-neurologische Defizit. Es ist zu berücksichtigen, dass das Vorliegen von Gerinnungsstörungen bei der Entwicklung dieser Kriterien nicht berücksichtigt wurde. Bei Gerinnungsstörungen ist die Durchführung eines cCT obligat! Generell ist bei einer Gehirnerschütterung mit GCS 15 in 5 % der Fälle mit cCTmorphologisch strukturellen Schäden zu rechnen, während beim leichten SHT bis zu 30 % strukturelle Schäden nachgewiesen wurden [82–84].

13.4.7.2 Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) Im Gegensatz zum cCT zeichnet sich die MRT durch eine erhöhte Sensitivität für geringe strukturelle und axonale Schäden aus. Es können in 10–57 % der Pathologien

13.4 Gehirnerschütterung/Concussion | 269

nach leichtem SHT und in 30 % der Pathologien bei negativem cCT nachgewiesen werden (Übersicht in [85]).

13.4.7.3 Weitere diagnostische Optionen Radiologische Untersuchungen wie funktionelles MRT (fMRT), MR-Spektroskopie, SPECT, PET u. a. befinden sich noch im frühen Stadium der Entwicklung zur Beurteilung der Gehirnerschütterung [86]. Das Diffusion Tensor Imaging (DTI) scheint geeignet zu sein, kombinierte Verletzungen der Axone, der Gliazellen und von Gefäßen im akuten und chronischen Stadium nach Gehirnerschütterung und leichtem SHT nachzuweisen. Mit dieser Technik fanden sich nach 3–6 Monaten und auch im höheren Alter [87] bei klinisch normalen Sportlern diffuse Veränderungen der weißen Hirnsubstanz [88]. Die fMRT lässt auch nicht offensichtliche funktionelle Störungen erkennen. Diese Technik ist jedoch derzeit nur in speziellen Zentren verfügbar.

13.4.7.4 Serummarker Serumbiomarker, wie Serumprotein S100b und neuronenspezifische Enolase (NSE) sind nach Gehirnerschütterung und leichtem SHT erhöht [89–91]. Das Serumprotein S100b hat eine kurze Halbwertszeit von 30–90 Minuten und lässt sich früh nach einer Kopfverletzung im Blut nachweisen [92]. Es ist ein sensibler Marker für Hirnschäden, aber nicht sehr spezifisch, weil es auch nach körperlicher Belastung erhöht ist [93].

13.4.8 Neuropsychologische Testungen Eine zusätzliche neuropsychologische (NP) Testung kann unterstützend erfolgen und die Verlaufsbeurteilung nach Gehirnerschütterung erleichtern. Im nordamerikanischen Breiten- und Leistungssport ist die zusätzliche neuropsychologische Beurteilung eingeführt und diskutiert worden [94–96]. Da die neurokognitive Symptomatik im Vergleich zur klinischen Symptomatik häufig länger bestehen bleibt [97, 98], sollte eine neuropsychologische Beurteilung von Sportlern nach Gehirnerschütterung erfolgen. Sie sollte jedoch nicht alleinige Grundlage von Entscheidungen hinsichtlich des Managements sein [19, 99]. Zur NP-Testung stehen zeitaufwendige klassische Papier-und-Bleistift-Tests zur Verfügung, die jedoch keine Bewertung der Reaktionszeit zulassen. Computer-basierten NP-Testbatterien werden als Vorteil eine Evaluation ohne geschulte Tester nachgesagt [100–102]. Die ImPACT-Testbatterie ist in verschiedenen Sportorganisationen etabliert [103]. Sie unterstützt die Beurteilung der Schwere von Gehirnverletzungen und die daraus abzuleitenden Return-to-Play-Empfehlungen. Die Sensitivität und Spezifität der Ver-

270 | 13 Besondere Verletzungsformen

laufsbeurteilung wird im Vergleich zur alleinigen Symptombeurteilung verbessert, weil häufig relevante neurokognitive Störungen vorliegen [100, 104–110]. Allerdings ist noch unklar, ob diese NP-Tests das Management der Gehirnerschütterung richtungweisend beeinflussen können [19]. Deshalb wird die zusätzliche NP-Testung nur als ein zusätzlicher Faktor in der Gesamtbeurteilung der Rekonvaleszenz nach Gehirnerschütterung angesehen und sollte auf keinen Fall die medizinisch-klinische Einschätzung ersetzen.

13.4.9 Akutverlauf Regelhaft kommt es innerhalb kurzer Zeit zur vollständigen Symptomerholung. Eine vollständige Erholung von klinischen Symptomen, kognitiven Funktionen und Gleichgewicht erfolgt typischerweise innerhalb 1 Woche [111]. Häufiger ist die klinische Erholung rascher als die neurokognitive (Abb. 13.25). Neurokognitive Symptome sind aber wie die klinische Symptomatik selbstlimitierend und meistens nach 2–14 Tagen vollständig verschwunden [97, 98]. Wurde mittels cCT oder MRT ein struktureller Schaden ausgeschlossen, erfolgt typischerweise eine noch schnellere Symptomerholung [93]. In 85 % der Fälle besteht die Symptomatik nach Gehirnerschütterung maximal 1 Woche und in 97 % besteht vollständige Symptomfreiheit nach 1 Monat. Eine komplette Symptomerholung erfolgt typischerweise spätestens innerhalb von 3–12 Monaten [93, 112]. Trotzdem sind nach 1 Jahr unabhängig von der Verletzungsschwere noch in > 15 % der Fälle relevante, aber unspezifische Symptome, überwiegend Kopfschmerzen und Bewegungsstörungen, nachzuweisen [113–115]. Zu berücksichtigen sind Traumaunab100 90 80 % Patienten

70 60

klinisch kognitiv Return-to-Play

50 40 30 20 10 0

0

1

2

3

4

5 6 7 8 9 Tage nach Trauma

10 11 12 13

Abb. 13.25: Unterschiedlicher Zeitverlauf von klinischer und neurokognitiver Erholung sowie korrespondierendes Return-to-Play.

13.4 Gehirnerschütterung/Concussion | 271

hängige Faktoren wie Schuldzuweisungen an andere, eine geringe soziale Unterstützung, Angst/Depression, vorbestehende psychiatrische Erkrankungen, ein PTBS, eine Somatisierung und/oder bestimmte Motivationsfaktoren (Übertreibung, Simulation). Häufige initiale Symptome, die eine prolongierte Erholungsphase bedingen können, können primär vorhandene erhebliche Kopfschmerzen, Schwäche/Müdigkeit und das Vorliegen einer Amnesie sowie eine pathologische neurologische Untersuchung sein [93]. Signifikante Faktoren für einen zeitlichen Ausfall > 10 Tage im ProfiEishockey waren Kopfschmerzen (2,17fach erhöhtes Risiko) und Schwäche/Müdigkeit (1,72fach erhöhtes Risiko) [51]. Verschiedene Risikofaktoren können einen protrahierten und/oder ungünstigen Verlauf bedingen. Eine bereits früher erlittene Gehirnerschütterung birgt ein 3fach erhöhtes Risiko für die gleiche Saison und bei Vorliegen einer Bewusstlosigkeit im Rahmen der Erst-Gehirnerschütterung sogar ein 6fach erhöhtes Risiko [93]. Mehrfach-Gehirnerschütterungen verlängern die Erholungsphase und scheinen stärkere Symptome auszulösen [4]. Das weibliche Geschlecht ist mit stärkeren Symptomen und einer verlängerten Rekonvaleszenz assoziiert. Das Vorliegen einer retrograden/antegraden Amnesie bewirkt 10- bzw. 4-mal häufiger eine stärkere klinische Symptomatik und eine verzögerte Rekonvaleszenz. Vorbestehende hirnfunktionelle Störungen können protrahierend wirken: Angstzustände und/oder Depression, Lernstörungen oder Migräne können zu vermehrter Müdigkeit, Verstärkung einer Depression und Angstzuständen sowie vermehrten kognitiven Beschwerden führen. Eine vorbestehende Migräne kann die Erholung verlängern, und eine vorbestehende Lernstörung kann durch eine Gehirnerschütterung verstärkt werden [93]. Daneben kann auch eine zu frühe Belastung die Erholung verzögern. Kinder und Jugendliche weisen statistisch gegenüber Adoleszenten und Erwachsenen eine verlängerte Erholungsphase auf [116–120]. Relevant ist die inverse Beziehung zwischen Patientenalter und Dauer von Gehirnerschütterungssymptomen, sodass gerade bei Kindern von einer längeren Erholungszeit auszugehen ist [121, 122]. Deshalb sollte gerade bei Kindern kein Return-to-Play am selben Tag erfolgen.

13.4.10 Wiederaufnahme von Schule/Beruf Gerade Kinder können in ihrer Erholung deutlich eingeschränkt sein. In einer nordamerikanischen Untersuchung konnte gezeigt werden, dass 45 % der Schüler nach Erleiden einer Gehirnerschütterung zu früh in die Schule reintegriert wurden, was sich durch Wiederauftreten von Symptomen zeigte [49]. Fast jeder zweite Schüler gab an, durch bestehende Symptome Probleme in der Schule gehabt zu haben, obwohl kaum Unterrichtszeiten verpasst wurden [123]. Auch wird häufig gerade bei Kindern die sportliche Betätigung zu früh wieder aufgenommen, obwohl noch mehr als ein Drittel relevante Symptome aufwiesen. Bei knapp 40 % der Schüler

272 | 13 Besondere Verletzungsformen

erfolgte ein Return-to-Play am selben Tag [124]. Dabei bestand ein Zusammenhang zwischen schulischen Problemen und der Dauer der klinischen Erholungsphase und der Gesamtanzahl primär vorliegender Symptome, während Patientenalter, Geschlecht oder eine bereits schon einmal erlittene Gehirnerschütterung keinen Einfluss auf die schulischen Probleme hatten [123]. Eine übermäßige psychische und mentale Belastung kann Symptome verstärken und die Erholungsphasen verlängern [125–127]. Es wird deshalb eine Modifikation des Schulalltags zur Vermeidung der Provokation von Symptomen vorgeschlagen [19]. Entsprechend wurde eine gestaffelte Wiedereingliederung in den schulischen Alltag gefordert [128, 129], die sich an den kognitiven Symptomen wie Konzentrationsstörungen usw. orientiert. Dabei ist die Schwelle des Auftretens dieser Symptome zu berücksichtigen, d. h., es können die schulischen Anforderungen umgesetzt werden, die keine kognitiven Symptome hervorrufen [127, 130]. Die subjektiv-klinische Symptomatik verbessert sich innerhalb der ersten 20 Tage. Die zunehmende Teilnahme am Unterricht (Stundenanzahl) bedingte aber eine Zunahme der Symptomschwere, unabhängig von der Dauer der Gesamterholungsphase [131]. Durch zu frühe und zu ausgedehnte Teilnahme am Unterricht können Symptome verschlechtert werden. Eine gestaffelte, schrittweise Schulbelastungserprobung sollte deshalb als Option angedacht werden [132].

13.4.11 Wiederaufnahme des Sports (Return-to-Play) Die Return-to-Play-Entscheidung basiert im Wesentlichen auf der Pathophysiologie, dem normalen Erholungsverlauf sowie der klinischen Beurteilung und Symptomatik, der neuropsychologischen Bewertung und der Gleichgewichtstestung. Ein Sportler sollte in Ruhe und nach Belastung klinisch und kognitiv symptomfrei sein, bevor Wettkampffähigkeit besteht! International hat sich ein sechsstufiges gestaffeltes Return-to-play-Protokoll etabliert, das sich an der Pathophysiologie der Gehirnerschütterung orientiert und somit den Schutz anfälliger/gefährdeter Zellen und Axone durch Minimierung der zerebralen Glukoseanforderungen und die Vermeidung zusätzlicher Belastungen des zerebralen Blutflusses berücksichtigt [19, 54, 133, 134] (Abb. 13.26). Es vergehen vom Tag des Unfalls somit meist mindestens 6 Tage bis zur MatchFähigkeit, entsprechend der Mindestzeit für die Erholung der Nervenzellen. Ein Return-to-Play noch am Tag des Traumas ist die absolute Ausnahme und sollte nur erfolgen, wenn ein Arzt mit ausreichender Erfahrung in der Behandlung von Gehirnerschütterungen und der Möglichkeit einer sofortigen neurokognitiven Beurteilung des Betroffenen evaluiert und die volle klinische und kognitive Erholung nachgewiesen wurde [19]. Junge Sportler (< 18 Jahren) sollten aufgrund der verzögerten Rekonvaleszenz eher konservativ behandelt werden.

13.4 Gehirnerschütterung/Concussion | 273

Schütz Deinen Kopf!

Gehirnerschütterungen im Sport

Eine Initiative der

Zurück-in-die-Schule: erwartetes Zeitfenster 2-4 Tage Stufe 1

keine geistige Aktivität = geistige Ruhe: keine Belastung, die Beschwerden verursacht, keine Konzentrationsleistungen (keine Hausaufgaben, kein Lesen, keine SMS, keine Videospiele, keine Arbeit am Computer usw.), ggf. viel Schlaf.

Stufe 2

stufenweise, kontrollierte Zunahme der geistigen Aktivitäten Beginn geistiger Aktivität für kurze Zeit (5-15 Minuten).

Stufe 3

Erhöhung der geistigen Ausdauer (in Intervallen) Durchführung von Hausaufgaben, Konzentrationsleistungen in 20-30 Minuten Intervallen.

Stufe 4

Schulbeginn: ggf. eingeschränkt, schrittweise Absolvieren eines (Teil)-Schultages, tolerierte 1-2 Stunden (kumulativ) Hausaufgaben zu Hause; Erhöhung der Aktivität bis zum vollen Schultag.

Stufe 5

Wiederaufnahme der vollen geistigen Arbeit Vollständige Rückkehr zur Schul-Aktivität; Beginn des Zurück-zum-Sport-Protokolls.

Zurück-zum-Sport: erwartetes Zeitfenster mindestens 5 Tage Stufe 6

leichtes, kurzes aerobes Training leichte Herz-Kreislaufbelastung: z. B. Gehen, 15 Minuten Fahrradfahren u.ä. mit Puls bis maximal 125/min, Schüttelbewegungen des Kopfes vermeiden.

Stufe 7

Sportspezifisches Intervalltraining Antastversuch an Intervallbelastung für Kreislauf und Kopf. Aufwärmen und Sprinttraining unter Aufsicht, zusätzlich sportart-spezifisches Training und Kraftausdauer-Training.

Stufe 8

Mannschafts-Training ohne Körperkontakt Teilnahme am normalen Mannschaftstraining, aber ohne jeglichen Körperkontakt!

Stufe 9

Normales Mannschaftstraining Teilnahme an einem normalen Mannschaftstraining.

Stufe 10

Match-Test Match möglich, allerdings klar deklariert als letzte Stufe im Aufbauprogramm.

· für die Stufe 4 ist in Deutschland bisher keine schulische Überwachungsmöglichkeit gegeben, so dass hier eine Einzelfallentscheidung erfolgte sollte, die im Idealfall ärztlich überwacht wird · für die Stufen 6-10: bei Wiederauftreten von Symptomen Verbleib auf der jeweiligen Stufe (auch am Folgetag). Erneuter Versuch, bis die Stufe gut ertragen wird. Erst bei vollständiger Beschwerdefreiheit Übergang zur nächsten Stufe am folgenden Tag! · die Gesamterholungsphase umfasst somit 6-10 Tage = typische Erholungszeit der Nervenzellen und berücksichtigt den bei Kindern verlängerten Heilungsverlauf

Abb. 13.26: Kombiniertes Return-to-School/Work-Protokoll und Return-to-Play-Protokoll.

13.4.12 Therapie Auf dem Boden der Kenntnis der pathophysiologischen Veränderungen auf zellulärer Ebene wurde das primäre Einhalten körperlicher und geistiger Ruhe empfohlen [19], um die gestörten Zellen nicht noch mit schulischer kognitiver Arbeit zu stressen und damit den Erholungsprozess zu verlängern. Bisher verfügbare Daten legen nahe, dass die Wiederaufnahme des Schulalltags, mit und ohne zeitliche Einschränkung, mit entsprechenden Anpassungen ohne eine verlängerte symptomatische Erholungsphase möglich ist. In welchem Umfang und in welchem zeitlichen Rahmen derartige Anpassungen nötig sind, ist nicht bekannt [116, 126, 135]. Zu berücksichtigen ist, dass eine vollständige geistige und körperliche Ruhe nicht sinnvoll zu sein scheint, sondern vielmehr frühzeitig eine geistige und körperliche Aktivität die Erholungsphase verbessern kann [136, 137]. Eine prolongierte vollständige Ruhephase kann zu anderen Problemen führen, wie z. B. zu depressiver Verstimmung und Müdigkeit [138]. Kognitive Ruhe beinhaltet die Vermeidung/Verringerung von Lesen, Computerund Smartphone-Nutzung, Fernsehen oder Filmen, Videospielen und mentalen Akti-

274 | 13 Besondere Verletzungsformen

vitäten. Die vollständige Ausschaltung kognitiver Reize wird hingegen nicht empfohlen [129]. Ziel ist es, die Reize so zu modifizieren, dass keine Symptomatik ausgelöst oder verstärkt wird. Gioia empfiehlt das Konzept des „Nicht zu wenig, nicht zu viel“ [125]. Die Schüler sollen bis zur Symptomschwelle, dem Wiederauftreten oder der Zunahme von Symptomen, arbeiten, aber nicht darüber hinaus. Mit zunehmender Symptomreduktion kann parallel die kognitive Belastung erhöht werden. Durch Modifikationen des Schulalltags kann trotz weiteren Vorliegens kognitiver Symptome wahrscheinlich die schulische Reintegration mit nur minimalem Risiko einer kognitiven Überanstrengung verbessert und verkürzt werden. Im Rahmen der Abwägung sollte berücksichtigt werden, dass zu viele Fehlzeiten zu sozialer Isolation, schulischem Stress und psychosozialen Problemen führen können [125].

13.4.13 Vulnerabilität In der unmittelbaren posttraumatischen Phase nach Gehirnerschütterung ist das Gehirn aufgrund der noch andauernden pathophysiologischen Veränderungen besonders vulnerabel [139–141]. Es besteht ein deutlich erhöhtes Risiko eine weitere Gehirnerschütterung zu erleiden. Kommt es zu einer erneuten Gehirnerschütterung steigt das Risiko für einen noch protrahierteren Verlauf bzw. für Komplikationen bis zur, teilweise malignen, Hirnschwellung, dem sog. Second Impact Syndrome. Diese seltenen Fälle sind mit einer Letalität von bis zu 50 % und einer Morbidität bis zu 100 % assoziiert [48, 142–144]. Beim Zweit- oder Mehrfachtrauma ist häufiger mit dem Vorliegen einer Bewusstlosigkeit zu rechnen, d. h., die Schwere des Hirntraumas scheint zuzunehmen. Weiterhin liegen vermehrt Gedächtnisstörungen vor und es besteht die Gefahr der Neurodegeneration mit möglicherweise einer erhöhten Rate weiterer langfristiger neurologisch-psychiatrischer Folgen wie erhöhter Suizidalität, eingeschränkter Impulskontrolle, verstärkter Aggressivität und einer höheren Rate an Parkinson- und Demenzerkrankungen [145]. Experimentell und mit Einschränkung auch klinisch scheint ein vulnerables Fenster zwischen dem 1. und 5. Tag nach Primärtrauma einer Gehirnerschütterung, mit Maximum um den 3. Tag zu bestehen [139, 146, 147].

13.4.14 Post-concussion-Syndrom und Brain-Check Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen persistieren bei einigen Patienten über längere Zeit unspezifische Symptome (sog. Post-concussion-Syndrom). Dabei handelt es sich um ein Syndrom, das nach SHT auftreten kann und über 3 Monate nach dem Trauma verbleibende unterschiedliche Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel, Müdigkeit, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen, Gedächt-

13.4 Gehirnerschütterung/Concussion |

275

nisstörungen, Schlafstörungen, reduzierte Stresstoleranz und emotionale Reizbarkeit umfassen kann [148]. Häufiger liegen neurokognitive Probleme als klassische körperliche Symptomatik mit Kopfschmerzen und vegetativen Folgen vor. Das frühzeitige Erkennen und Behandeln dieser neurologischen, neuropsychologischen, psychiatrischen und psychotraumatologischen Defizite sollte dann die entscheidende Aufgabe aller beteiligten Fachrichtungen in der Postakutphase nach der Gehirnerschütterung sein. Gerade bei der Gehirnerschütterung ist dies oft nicht oder nur unzureichend der Fall. Das interdisziplinäre Brain-Check-Modul der VBG (Verwaltungs-Berufsgenossenschaft) trägt diesem Umstand Rechnung und stellt ein stationäres Diagnostikverfahren dar, das sich dem Erfassen von Symptomen nach einer Gehirnerschütterung, dem Festlegen der sich daraus ergebenden rehabilitativen Maßnahmen und der Differenzierung unfallbedingter und unfallfremder Symptome widmet [149, 150]. Es beinhaltet u. a.: – eine detaillierte klinische und neurologische Untersuchung, – eine zerebrale Magnetresonanztomographie (MRT) einschließlich T2*- und FLAIR-Sequenz, – eine MR-Angiographie, – eine EEG-Analyse, – somatisch evozierte Potenziale, – visuell evozierte Potenziale, – akustisch evozierte Potenziale, – eine Elektromyographie und Elektroneurographie, – motorisch evozierte Potenziale, – neuropsychologische Untersuchungen, – psychotraumatologische Konsultationen, – psychiatrische Konsultationen, – individuell angepasste Behandlungen und Untersuchungen (Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Neurolinguistik, Sozialarbeiterkonsultation), – eine Analyse der körperlichen und psychischen Leistungs- und Arbeitsfähigkeit. Je nach Art der Störungen werden weitere klinische Fachrichtungen wie Hals-NasenOhren-Heilkunde und Augenärzte involviert [151]. Zum Abschluss des Brain-Check-Verfahrens erfolgt eine ausführliche Auswertung der Untersuchungsbefunde, eine Festlegung der weiteren therapeutischen Maßnahmen, eine Differenzierung unfallbedingter und unfallunabhängiger Faktoren und die Festlegung der voraussichtlichen Minderung der Erwerbsfähigkeit. Im Einzelnen sind die Vorteile des Brain-Check-Verfahrens – die frühzeitige Feststellung relevanter neurologischer, neuropsychiatrischer, psychotraumatologischer, neuropsychologischer und ergotherapeutischer Defizite und frühzeitige Einleitung stationärer oder ambulanter Rehabilitationsmaßnahmen,

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– – – – –

die Abgrenzung von unfallbedingten und unfallunabhängigen Symptomen, die Abgrenzung organischer und psychischer Ursachen, die frühzeitige interdisziplinäre Gesamtbeurteilung des Patienten, die langfristige Reduktion der Erwerbsfähigkeit in Schule und Beruf, die Überprüfung der Rehabilitationsergebnisse anderer Kliniken.

Schwierig bleibt im Rahmen des Brain-Check-Verfahrens die Interpretation von posttraumatisch anmutenden Defiziten nach SHT ohne nachweisbare strukturelle Hirnschädigungen in den bildgebenden Verfahren. Inwieweit neuere bildgebende Verfahren wie das DTI-basierte Fibertracking (s. o.; In-vivo-Darstellung von Faserverbindungen im menschlichen Gehirn) es ermöglicht, eine noch bessere Differenzierung der möglichen Gehirnerschütterungsfolgen vorzunehmen, ist noch Gegenstand wissenschaftlicher Forschung.

13.4.15 Mittel- und Langzeitprobleme Es gibt zunehmend Hinweise, dass nicht jede Gehirnerschütterung folgenlos ausheilt. Verschiedene Untersuchungen lassen dies v. a. auch für das Kindesalter vermuten: – Bei Kindern und Jugendlichen dauerte die Symptomatik altersunabhängig durchschnittlich 43 ± 53 Tage an [116]. – Bei 21 % der 8- bis 18-Jährigen war mit einer Symptomdauer von mindestens 4 Wochen zu rechnen [119]. – Bei 81 % der Sportler wurden primäre Einschränkungen der Blickstabilität (VOR) beobachtet; bei zusätzlich eingeschränktem Tandem-Gang verzögerte sich das Return-to-School (59 Tage) bzw. die vollständige Erholung (106 Tage) [117]. – Bei Profi-Fußballspielern (UEFA) wurde ein um 50 % erhöhtes Risiko für andere Verletzungen im 1. Jahr nach Gehirnerschütterung beobachtet [152]. – Wochen bis Monate nach Gehirnerschütterung wurden unter körperlicher Belastung noch Einschränkungen der Herzfrequenzvariabilität nachgewiesen [153]. – Es fand sich eine 1,7fach erhöhte Rate von Kopfschmerzen 3 Monate nach Gehirnerschütterung [154]. – 7 Jahre nach Gehirnerschütterung im Jugendalter waren noch neurokognitive Einschränkungen nachweisbar [155]. Langfristig werden Gehirnerschütterungen mit neurodegenerativen Erkrankungen und der chronisch-traumatischen Enzephalopathie (CTE) in Beziehung gebracht. Für den M. Alzheimer ist das SHT als Risikofaktor akzeptiert [156]. In der Literatur finden sich Hinweise, dass durch ein erlittenes SHT die Zeit bis zum Auftreten eines M. Alzheimer verkürzt sein könnte. Je schwerer das erlittene SHT, umso möglicher scheint dieser Zusammenhang, wobei kein sicherer Zusammenhang beim leich-

13.4 Gehirnerschütterung/Concussion | 277

ten SHT gefunden wurde. Vergleichbare Zusammenhänge wurden für das Auftreten einer Demenz beobachtet [157]. Weiterhin existieren Hinweise, dass sich gerade im Fußball nach repetitiven Kopftraumen eine amyotrophe Lateralsklerose (ALS) entwickeln kann. Die Häufigkeit war bei Fußballprofis in Italien ungewöhnlich hoch [158, 159]. Es fand sich eine 6,5fach höhere ALS-Rate im Vergleich zur Normalbevölkerung – v. a. bei unter 49-Jährigen –, während ältere Sportler kein erhöhtes Risiko aufwiesen. Zusätzlich fand sich ein dosisabhängiges Risiko (> 5 Jahre Fußballsport als Risikofaktor) [158]. Aktuelle Daten dieser Sportler zeigten eine 4 bis 5fach höhere ALS-Rate als erwartet. Im Gegensatz dazu wurden keine ALS-Fälle bei Basketballern und Radfahrern beobachtet, sodass geschlussfolgert wurde, dass Fußball allein einen Risikofaktor für die Entwicklung einer ALS darstellt und nicht die sportliche Aktivität an sich [159]. Diese Ergebnisse konnten in einer amerikanischen Untersuchung zu Kopfverletzungen bestätigt werden [160]. Personen mit mehr als einem erlittenen SHT wiesen ein 3,1fach höheres Risiko für die Entwicklung einer ALS auf, während das anamnestische Vorliegen eines einzelnen SHT keinen Einfluss auf die ALS-Häufigkeit hatte. Die Kombination aus mehrfachem SHT innerhalb der letzten 10 Jahre resultierte in einem 11fach höheren Risiko einer ALS. Auch eine Metaanalyse fand ein 1,7fach höheres ALS-Risiko bei positiver SHT-Anamnese [160]. Frühere Untersuchungen legten einen Zusammenhang zwischen einer Suizidalität und der SHT-Schwere nahe. Es wurden Raten von 0,59 % berichtet, entsprechend einem 3fach erhöhten Risiko gegenüber der Allgemeinbevölkerung [161]. Bei Frauen lagen die Raten höher als bei Männern. Im Alter zwischen 21 und 60 Jahren war das Risiko besonders erhöht. Auch waren Begleitprobleme wie Tablettenmissbrauch mit höheren Suizidalitätsraten assoziiert. Aktuelle Literaturanalysen konnten im Verlauf keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen neuropathologischen Zeichen einer CTE und einer erhöhten Suizidalität nachweisen [162, 163]. Eine Subanalyse bei ehemaligen Footballern zeigte sogar ein geringeres Risiko [164]. In einer Analyse von 235.110 Patienten nach Gehirnerschütterung mit einem Durchschnittsalter von 41 Jahren wurden 667 nachfolgende Suizide nach 9,3 Jahren beobachtet (= 31 Todesfälle/100.000 Patienten/Jahr). Dies entspricht einem 3fach erhöhten Risiko im Vergleich zur Normalbevölkerung. Als Risikofaktor wurde eine aufgetretene Gehirnerschütterung am Wochenende angegeben (relatives Risiko 1,36) [165]. Vor diesem Hintergrund besteht zumindest der Verdacht, dass repetitive Gehirnverletzungen neurodegenerative Folgen nach sich ziehen könnten. Im Sport wurde deshalb der Begriff der CTE geprägt. Heute wird zwischen der klassischen und der modernen Form einer CTE unterschieden [166, 167]

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13.4.15.1 Chronisch-traumatische Enzephalopathie (CTE) Die CTE ist eine progressive neurodegenerative Erkrankung, die nach mehrfachen leichten SHT, Gehirnerschütterungen und subklinischen Hirntraumen auftreten kann [168]. Das klinische Bild ist variabel und umfasst alle Domänen neurotraumatologischer Symptome (Abb. 13.27). Radiologisch kann eine abnorme Tau-Pathologie in den Verletzungsregionen des Gehirns nachgewiesen werden, die beim typischen Akzelerations-/Dezelerationsmechanismus verletzt werden können. Die mittlere Expositionsdauer seit Verletzung liegt zwischen 10 und 20 Jahren [169]. Klinische Symptome der CTE entwickeln sich ebenfalls in diesem Zeitfenster. Die meisten Sportler hatten im Mittel 20 SHT erlitten, aber auch nach nicht erlittenem Hirntrauma kann sich eine CTE entwickeln [169].

13.4.15.2 Präventions-, Protektions- und Ausbildungsstrategien In Nordamerika sind zwischenzeitlich ausführlich ausgearbeitete Konzepte zur Prävention und Protektion sowie ausgiebige Lehrkonzepte für Schulen, Eltern, Trainer, Betreuer, Spieler und Sportler erarbeitet worden (USA: „Heads up“, Kanada: „Think First“). Hierbei handelt es sich um Konzepte, mit denen alle Beteiligten über Grundlagen und insbesondere mögliche Folgen sowie Behandlungsstrategien informiert werden (www.thinkfirst.org; www.cdc.gov/concussion/headsup). Als wichtiger Anteil wird die Integration und Assoziation der Lehrkonzepte zwischen Schul- und Freizeitsport angesehen. Es ist deshalb auf politischer Ebene eine derartige Kooperation zu etablieren.

Gehirnerschütterung

PCS

Symptome

Neurodegeneration

CTE

Abb. 13.27: Überlappende Langzeitsymptomatik bestehend aus klassischen Gehirnerschütterungssymptomen und Symptomen einer CTE, eines PCS und von neurodegenerativen Symptomen. PCS = postkommotionelles Syndrom; CTE = chronisch-traumatische Enzephalopathie.

13.4 Gehirnerschütterung/Concussion | 279

In Deutschland sollte deshalb auch ein Ausbildungs- und Lehrkonzept zur Gehirnerschütterung im Breiten- und Leistungssport mit Integration der Schulen und Sportvereine etabliert werden. Dies wird derzeit durch die Initiative „Schütz Deinen Kopf“ der ZNS – Hannelore Kohl Stiftung (www.schuetzdeinenkopf.de) umgesetzt.

13.4.16 Zusammenfassung 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

Die Gehirnerschütterung ist eine wesentliche, häufig noch unterschätzte Verletzung. Zelluläre Folgen sind für 7–10 Tage nach dem Trauma regelhaft nachweisbar. Die Symptomatik umfasst klassische klinische Symptome und neurokognitive Symptome sowie Verhaltens- und Schlafveränderungen. Eine unmittelbare Sideline-Evaluation soll erfolgen. Die ärztliche Beurteilung orientiert sich an etablierten Standards. Eine neuropsychologische Evaluation kann hilfreich sein. Eine Symptomerholung erfolgt regelhaft innerhalb von 1 Woche in > 85 % der Fälle. Ein Return-to-School/Work oder Return-to-Play orientiert sich an den klinischen und pathophysiologischen Ergebnissen. Bestimmte Risikofaktoren, v. a. junges Alter, können eine protrahierte Erholungsphase bedingen. Langzeitfolgen sind möglich. Die Initiative „Schütz Deinen Kopf“ soll sensibilisieren und die Problematik der Gehirnerschütterung weiter etablieren.

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Martina Messing-Jünger

13.5 Schädel-Hirn-Trauma im Kindes- und Jugendalter 13.5.1 Einleitung Das Schädel-Hirn-Trauma ist in den Industrienationen die häufigste Todesursache im Kindes- und Jugendalter. Ist im Rahmen eines kindlichen Unfalls das Gehirn betroffen, so bedeutet dies ein signifikant erhöhtes Risiko für Tod oder lebenslange Behinderung. Neben der hohen Inzidenz gibt es weitere, zum Teil erhebliche Unterschiede zwischen dem kindlichen und adulten Schädel-Hirn-Trauma, insbesondere in Bezug auf den Unfallmechanismus, die pathophysiologischen und anatomischen Gegebenheiten und auch die Prognose. Es existieren wesentliche altersabhängige Besonderheiten, die ein angepasstes Management sowohl hinsichtlich der Diagnostik als auch der Therapie notwendig machen. Viele Grundsätze der neurochirurgischen Traumabehandlung, die im Erwachsenenalter Gültigkeit besitzen, sind auch auf Kinder und Jugendliche anwendbar, weshalb sich das nachfolgende Kapitel auf die Darstellung der spezifischen Aspekte bei jungen Patienten beschränkt. Neben dem unfallbedingten Schädel-Hirn-Trauma (SHT) spielen bei Säuglingen und Kleinkindern auch die Misshandlungsfälle eine große Rolle, die hier ebenfalls berücksichtigt werden [1].

13.5.2 Epidemiologie und Klinik In Deutschland liegt die jährliche Inzidenz des SHT im Kindes- und Jugendalter bis 16 Jahre bei 580 Fällen pro 100.000 Einwohner, was 28,1 % aller SHT entspricht. In

13.5 Schädel-Hirn-Trauma im Kindes- und Jugendalter |

289

etwa 90 % handelt es sich um ein leichtes SHT (GCS 13–15). Rund 6 % der Betroffenen weisen ein schweres SHT (GCS 3–8) auf, wovon 14 % daran versterben. Die Gesamtmortalität liegt bei 0,5 % [2]. In den USA versterben jährlich 3.000 Kinder bis zu einem Alter von 14 Jahren an den Folgen eines SHT und fast 30.000 müssen stationär behandelt werden. Die Mortalitätsrate der unter 4-Jährigen ist höher als die bei älteren Kindern, was zum Teil an den in dieser Altersgruppe häufigen Misshandlungsfällen liegt [1]. Eine Analyse aller Krankenhausdaten des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 1996 ergab, dass im 1. Lebensjahr sowie zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr die höchste Inzidenz für Schädelfrakturen gefunden wird. Intrakranielle Verletzungen werden ebenfalls am häufigsten bis zum 25. Lebensjahr registriert, wobei Alter und Inzidenz in dieser Gruppe umgekehrt proportional sind. Die Mortalität infolge SHT lag im 1. Lebensjahr bei 2,43 und bei den 15- bis 25-Jährigen bei 8,7 [3]. Neuere Daten mit einer ähnlich präzisen altersabhängigen Auswertung liegen nach unserem Kenntnisstand aktuell nicht vor (Tab. 13.5). Ab dem 2. Lebensjahr ist ein erhöhtes Unfallrisiko für das männliche Geschlecht erkennbar. Mit bis zu 75 % sind Sturzereignisse die häufigste Unfallursache, insbesondere bei jüngeren Kindern, gefolgt von Verkehrsunfällen, die mit zunehmendem Alter an Bedeutung zunehmen. Hierunter fallen Unfallereignisse von Fußgängern und Autoinsassen und im höheren Alter durch aktive Teilnahme am Straßenverkehr mit nichtmotorisierten oder motorisierten Fahrzeugen. Tab. 13.5: Altersspezifische Inzidenzen von Schädelfrakturen und intrakraniellen Verletzungen. Altersspezifische Mortalitätsraten bei intrakraniellen Verletzungen. Epidemiologische Erhebung des Statistischen Bundesamtes (Steudel, Cortbus, Schwertfeger, 1996).

Alter in Jahren 0–1 1–5 5–15 15–25 25–35 35–45 45–55 55–65 65–75 > 75

Altersverteilung der Inzidenzen pro 100.000 Einwohner 1996 ICD 9: 800–804 Schädelfrakturen

Altersverteilung der Inzidenzen pro 100.000 Einwohner 1996 ICD 9: 850–854 Intrakranielle Verletzungen

Mortalität pro 100.000 Einwohner 1996

Inzidenz 215,1 58,7 46,7 127,3 74,9 55,9 45,0 38,4 37,6 68,4

Inzidenz 849,1 665,9 516,1 451,6 187,7 157,2 147,0 147,3 163,8 422,1

Inzidenz 2,43 1,63 1,43 8,7 5,14 5,14 5,52 6,43 8,9 24,08

ICD 9: 850–854 Intrakranielle Verletzungen

290 | 13 Besondere Verletzungsformen

Die frühkindliche Schädelkalotte ist zum Teil hauchdünn und äußerst fragil, was sie anfälliger für Frakturen macht. Impressionsfrakturen sind daher ebenfalls häufiger anzutreffen. Zudem ist der Kopf überproportional groß und die ligamentären und knöchernen Strukturen der Halswirbelsäule sind vergleichsweise zart ausgebildet. Dies führt zu einer vermehrten Beweglichkeit des Kopfes im Rahmen von Translations- und Rotationstraumen sowie zu einer deutlich erhöhten Verletzungsgefahr der kraniozervikalen Übergangs- und Zervikalsegmente. Das durch Scherverletzungen des Hirnparenchyms im Rahmen von Hochgeschwindigkeitstraumen entstehende diffuse axonale Trauma (DAI) kommt aufgrund des überproportional großen Kopfes ebenfalls häufig bei Kindern vor. Die Myelinisierung des Gehirns ist bei Geburt noch nicht abgeschlossen und die Ausreifung der weißen Substanz dauert bis in das 2. Lebensjahr hinein an. Daher ist der Wassergehalt des jungen Gehirns besonders hoch. Durch die Reifungsprozesse sind sowohl die Kapillardichte als auch das Blutvolumen relativ hoch. Diese Faktoren haben eine gesteigerte Verletzbarkeit und Ödemneigung des Gehirns zur Folge [4, 5].

13.5.3 Diagnostik Die primäre Diagnostik des SHT besteht im Wesentlichen aus der klinischen Untersuchung und der ergänzenden bildgebenden Darstellungsverfahren. Neben einer sorgfältigen neurologisch-klinischen Untersuchung können auch andere organspezifische Abklärungen sinnvoll sein: Aus Hals-Nasen-Ohren-ärztlicher Sicht sind Verletzungen der frontalen oder lateralen Schädelbasis mit den Folgen eines Blut- und Liquoraustritts aus Nase und Ohr sowie begleitende knöcherne Verletzungen die Nasennebenhöhlen und das Innenohr betreffend von Bedeutung. Zusätzliche Orbitaund Mittelgesichtsfrakturen benötigen eine mund-kiefer-gesichts-chirurgische Diagnostik und eine augenärztliche Untersuchung ist bei Verdacht auf eine intraorbitale Verletzung und zum Ausschluss retinaler Blutungen unerlässlich. Erst im weiteren Behandlungsverlauf kommen weitere Funktionsuntersuchungen, wie z. B. die Ableitung eines EEG oder evozierter Potenziale sowie invasive Hirndruckmessungen im Einzelfall hinzu. Die klinisch-neurologische Untersuchung initial und im Verlauf ist grundlegend für die Einteilung des kindlichen Schädel-Hirn-Traumas. Wie im Erwachsenenalter gilt hier die Glasgow Coma Scale (GCS) als Standard. Naturgemäß ist jedoch die Anwendung der einzelnen Kriterien bei Säuglingen und Kleinkindern nur eingeschränkt möglich, weshalb eine modifizierte Variante, die sog. Pediatric Glasgow Coma Scale (PGCS) und eine Frankfurter Erweiterung (FGCS) entwickelt wurden [6, 7] (Tab. 13.6 und Abb. 13.28). Die Einteilung in ein leichtes, mittelschweres und schweres SHT nach GCSPunkten korreliert mit der im Erwachsenenalter. Zusätzlich können typische bildgebende Befunde den jeweiligen Schweregraden zugeordnet werden.

13.5 Schädel-Hirn-Trauma im Kindes- und Jugendalter |

Augen öffnen Punkte

> 1 Jahr

< 1 Jahr

4

Spontan

Spontan

3

Auf Anruf

A uf Schr eien

2

Auf Schmerz

Auf Schmerz

1

Kein

Kein

Beste motorische Antwort Punkte

> 1 Jahr

< 1 Jahr

6

Befolgt Aufforderungen

Spontane Bewegungen

5

Gezielte Ab wehr

Gezielte Ab wehr

4

Zurückziehen auf Schmerzen

Zurückziehen auf Schmerzen

3

Flexion auf Schmerzen

Flexion auf Schmerzen

2

Extension auf Schmerzen

Extension auf Schmerzen

1

Keine

Keine

Beste verbale Antwort Punkte

> 5 Jahre

2–5 Jahre

0–23 Monate

5

Orientiert

Verständliche Worte

Plappernde Sprache

4

Verwirrt

Unverständliche Worte

Schreien, aber tröstbar

3

Unzusammenhängende Untröstbares Schreien Worte

Untröstbares Schreien

2

Unverständlich

Stöhnen oder unverständliche Laute

Stöhnen oder unverständliche Laute

1

Keine

Keine

Ke i n e

Augensymptome (FGCS) Punkte 4

Konjugierte Augenbewegung, Lichtreaktion positiv

3

Konjugiert, Puppenaugenbewegung

2

Divergenzstellung der Bulbi

1

Weite, lichtstarre Pupillen

Abb. 13.28: Pädiatrische GCS (PGCS) mit Frankfurter Erweiterung (FGCS).

291

292 | 13 Besondere Verletzungsformen

Bei kleinen Kindern werden auch im Rahmen eines leichten SHT vorübergehend fokal-neurologische Symptome wie beispielsweise Sehstörungen beobachtet, ohne dass morphologische und funktionelle Korrelate gefunden werden. Ein SHT im Säuglingsalter kann als einziges klinisches Zeichen mit einer gespannten Fontanelle einhergehen. Initiale Krampfanfälle sind gerade bei sehr jungen Kindern häufig. Ein SHT liegt immer dann vor, wenn eine Bewusstseinsstörung vorhanden ist oder anamnestisch bestanden hat, und/oder äußere oder intrakranielle Verletzungszeichen erkennbar sind. Von einer Schädelprellung spricht man bei jeglichem Fehlen von Bewusstseinsstörungen und intrakraniellen oder knöchernen Verletzungszeichen. Neben der Schweregradeinteilung unterscheidet man geschlossene und offene SHT. Die diagnostischen Zeichen entsprechen denen im Erwachsenenalter (Tab. 13.7). Stets ist im Rahmen der Erstdiagnostik auch an eine Begleitverletzung der HWS und der intra- und extrakraniellen Gefäße zu denken. Ein assoziiertes HWS-Trauma ist in Abhängigkeit vom Unfallmechanismus in bis zu 10 % der Fälle zu finden. Traumatische Gefäßdissektionen oder Carotis-Sinus-cavernosus-Fisteln sind seltene Ereignisse, sollten aber bei prädisponierenden Unfallmechanismen und klinischen Zeichen abgeklärt werden. Eine Dissektion von A. carotis oder vertebralis führt meist zu einer sekundären fokal-neurologischen Verschlechterung je nach Stromgebiet und zu lokalen Schmerzen im Nackenbereich. Eine Fistel zwischen A. carotis interna und Sinus cavernosus führt typischerweise zu einem pulsierenden Exophthalmus mit pulssynchronem Geräusch und begleitenden Sehstörungen. Tab. 13.6: Schädel-Hirn-Trauma. Einteilung nach Teasdale und Jennet, erweitert um Frankfurter GCS.

Leichtes SHT Mittelschweres SHT Schweres SHT

GCS

Frankfurter GCS (FGCS)

13–15 9–12 3–8

17–19 12–16 < 11

Tab. 13.7: Checkliste klinische Untersuchung beim Schädel-Hirn-traumatisierten Kind. Bewusstsein und sensomotorischer Status Augen- und Pupillenstatus Hirndrucksteigerung beim Säugling Verdacht auf Schädelfraktur Verdacht auf Schädelbasisfraktur

Gefahr durch relevanten Blutverlust

PGCS FGCS Gespannte Fontanelle? Ausgeprägtes Galeahämatom? Sicht-/tastbare Impressionsfraktur? Monokel-/Brillenhämatom? Retroaurikuläres Hämatom? Austritt von Blut/Liquor/Hirngewebe aus Nase und/oder Ohr? Stark blutende Skalpwunde?

13.5 Schädel-Hirn-Trauma im Kindes- und Jugendalter |

293

Neben der klinischen Einschätzung spielen die radiologischen Untersuchungen eine wesentliche Rolle. Dabei gilt im Kindesalter ein wichtiger Grundsatz: So wenig wie möglich, so viel wie nötig! Grundsätzlich ist eine Computertomographie (CT) des Schädels je nach Traumamechanismus mit Darstellung der Halswirbelsäule und der oberen Brustwirbelsäule bzw. der gesamten spinalen Achse am besten geeignet, knöcherne Schädel- und Wirbelsäulenverletzungen sowie intrakranielle Blutungen und andere Hirnpathologien darzustellen. Gleichzeitig werden auch Verletzungen der Augen, Nasennebenhöhlen und des Innenohrs hinreichend abgebildet. Neben einer Standardaufnahme ist immer auch eine Abbildung im Knochenfenster und bei Verletzungen der Schädelbasis oder des Gesichtsschädels eine 3D-Rekonstruktion hilfreich. Konventionelle Röntgenaufnahmen von Schädel und Halswirbelsäule reichen hingegen nicht aus, um eine knöcherne Verletzung sicher auszuschließen, weshalb diese in der akuten Traumadiagnostik keinen Stellenwert mehr besitzen. Eine Kernspintomographie (MRT) des Schädels kann im Verlauf sinnvoll werden, insbesondere um den Verdacht einer diffusen axonalen Verletzung mit multiplen punktförmigen Einblutungen weiter einzugrenzen oder sekundäre Durchblutungsstörungen darzustellen. In der Akutdiagnostik spielt sie allerdings keine Rolle. Im Ausnahmefall kann jedoch eine frühzeitige MRT-Abklärung bei Verdacht auf ligamentäre oder intradurale Wirbelsäulenverletzung, insbesondere am kraniozervikalen Übergang oder zervikal, indiziert sein. Bei Säuglingen und Kleinkindern kann die Ultraschalldiagnostik von Schädelkalotte und Gehirn eine sinnvolle Erstuntersuchung bei leichtem und mittelschwerem SHT sein. Moderne Geräte erlauben neben der Darstellung der intrakraniellen Strukturen durch eine noch offene Fontanelle auch eine transkranielle Darstellung der Weichteilstrukturen im B-Modus. [8]. Das zunehmende Wissen um die altersabhängige Gefahr durch eine Strahlenexposition im Kindesalter im Hinblick auf die Entwicklung einer Leukämie oder eines Hirntumors im späteren Lebensalter hat zunehmend zu einer kritischen Indikationsstellung in Bezug auf den Einsatz einer Röntgendiagnostik geführt [9, 10]. Das primäre Management von Kindern mit schwerem SHT unterscheidet sich nicht von dem im Erwachsenenalter. Es fehlen jedoch bislang klar definierte Richtlinien, wann ein leichtes oder mittelschweres SHT zu einer CT-Diagnostik führen sollte. Unter den bekannten klinischen Einteilungen lassen sich drei verlässliche Scores, die in Nordamerika definiert wurden, herausstellen. Es handelt sich hierbei um CATCH (Canadian assessment of tomography for childhood head injury), PECARN (Pediatric Emergency Care Applied Research Network) und CHALICE (Children’s head injury algorithm for the prediction of important clinical events). Alle drei Scores wurden auf ihre klinische Relevanz hin untersucht [11]. Es wurden je nach Einteilung unterschiedliche Variablen untersucht. Alle drei Systeme hatten eine hohe Sensitivität bei jedoch niedriger Spezifität. Nur PECARN berücksichtigt auch Kleinkinder [12]. Die Anwendung aller drei Scores kann bei der klinischen Einschät-

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zung eines kindlichen SHT-Patienten hilfreich sein, weshalb die jeweiligen Kriterien nachfolgend aufgeführt werden: CATCH – Canadian assessment of tomography for childhood head injury Ein Schädel-CT ist bei einem leichten SHT erforderlich, wenn zusätzlich mindestens einer der folgenden Aspekte zutrifft: Es besteht ein hohes Risiko für erforderliche weitere Maßnahmen, wenn: – GCS < 15 2 Stunden nach Trauma, – eine offene oder Impressionsfraktur vermutet wird, – Kopfschmerzen zunehmen, – Irritabilität bei Untersuchung vorhanden ist. Es besteht ein mittleres Risiko für erforderliche weitere Maßnahmen, wenn: – ein Hinweis auf eine Schädelbasisfraktur vorliegt (Liquorrhoe, Hämatotympanon etc.), – ein großes Galeahämatom vorhanden ist, – ein bedeutsamer Unfallmechanismus (Fahrzeugbeteiligung, Fallhöhe > 1 m, Fahrradsturz ohne Helm etc.) vorliegt. PECARN – Pediatric Emergency Care Applied Research Network Ein leichtes SHT ohne weiteren notwendigen Interventionsbedarf liegt bei folgenden altersabhängigen Gegebenheiten vor: PECARN A (< 2 Jahre) – normaler mentaler Status, – allenfalls frontales Galeahämatom, – Bewusstlosigkeit max. 5 Sekunden, – kein bedeutsamer Unfallmechanismus, – keine tastbare Fraktur, – normale Interaktivität mit Eltern. PECARN B (≥ 2 Jahre) – normaler mentaler Status, – keine Bewusstlosigkeit, – kein Erbrechen, – kein schwerer Unfallmechanismus, – kein Hinweis auf Schädelbasisfraktur, – leichte Kopfschmerzen. CHALICE – Children’s head injury algorithm for the prediction of important clinical events Ein Schädel-CT ist bei folgenden Kriterien erforderlich: Anamnese: – Bewusstlosigkeit > 5 Minuten, – Amnesie > 5 Minuten, – vermehrte Schläfrigkeit, – mehrmaliges Erbrechen nach SHT, – Verdacht auf Kindesmisshandlung, – Krampfanfall (in Vorgeschichte keine Epilepsie).

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Untersuchung: – GCS < 14 oder GCS 15, aber Kind jünger als 1 Jahr, – Verdacht auf offenes SHT oder Impressionsfraktur oder gespannte Fontanelle, – Hinweise auf Schädelbasisfraktur (Liquor- und/oder Blutaustritt aus Ohr oder Nase, Brillenhämatom etc.), – neurologische Herdsymptome, – Schwellung oder Lazeration am Kopf > 5 cm bei Kindern unter 1 Jahr. Unfallmechanismus: – Verkehrsunfall als Fußgänger, Radfahrer oder Fahrzeuginsasse (> 65 km/h), – Fallhöhe > 3 m. – Hochrasanzanpralltrauma (Geschosse, Gegenstände).

13.5.4 Management des kindlichen Schädel-Hirn-Traumas Das SHT ist einer der häufigsten Gründe für eine Vorstellung bei einem Kinderarzt oder in einer Notaufnahme. Die primäre Einschätzung, ob es sich um ein leichtes oder mittelschweres Trauma handelt, ist anhand des geschilderten Unfallmechanismus und des klinischen Erscheinungsbildes nicht immer einfach, sodass im Einzelfall eine klinische Nachbeobachtung unumgänglich ist. Gerade bei Säuglingen sind eindeutige Kriterien oftmals nicht anwendbar und die präsentierte Symptomatik unspezifisch. Dies gilt insbesondere auch für die Differentialdiagnose des Schütteltraumas. Grundsätzlich kommen aber die bekannten klinischen Kriterien für die Einschätzung eines Schädel-Hirn-Traumas zur Anwendung. Hierbei handelt es sich in erster Linie um eine Bewusstseinsstörung nach vorangegangenem Trauma und das Vorliegen eindeutiger äußerer Verletzungszeichen. Die besonderen physiologischen und anatomischen Gegebenheiten bei Kindern führen allerdings zu spezifischen Traumafolgen.

13.5.4.1 Leichtes SHT Ein leichtes SHT liegt dann vor, wenn ein GCS von 13–15 vorliegt. Ein schwerwiegender Unfallmechanismus liegt zumeist nicht zugrunde. Anamnestisch oder zum Untersuchungszeitpunkt liegt eine kurzandauernde Bewusstseinsstörung vor. Selten wird über eine vorübergehende fokal-neurologische Störung, wie beispielsweise Visusstörungen oder Doppelbilder, geklagt. Übelkeit und Erbrechen sind ebenfalls typisch für ein leichtes SHT. Äußerlich erkennbare Brüche und Anzeichen eines offenen SHT müssen ebenso ausgeschlossen werden wie klinische Hinweise auf eine begleitende Wirbelsäulen- oder anderweitige schwerwiegende Begleitverletzung. Bei fehlender klinischer Verschlechterung kann auf eine Schnittbildgebung verzichtet werden. Allerdings wird eine stationäre Überwachung zumindest für 24 Stunden empfohlen. Eine Schädelprellung bedarf keiner Nachbeobachtung.

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Liegt ursächlich ein signifikanter Traumamechanismus vor, so erhöht sich das Risiko für eine klinisch noch nicht erkennbare relevante Verletzung wie beispielsweise eine Schädelfraktur oder eine intrakranielle Blutung. In diesen Fällen ist eine Abklärung mittels Schädel-CT und ggf. Darstellung der angrenzenden HWS indiziert. Das Gleiche gilt auch für eine anhaltende Bewusstseinseintrübung (GCS < 15). Deutlich erkennbare und auch größenprogrediente Schwellungen über der Kalotte oder orbital können Hinweis auf eine Schädelfraktur sein. Eine radiologische Abklärung ist auch hierbei notwendig. Bei Säuglingen und Kleinkindern in wachem Zustand kann zunächst eine Ultraschalluntersuchung in Erwägung gezogen werden. Bei älteren Kindern gelingt der Frakturausschluss nur im CT.

13.5.4.2 Mittelschweres SHT Das mittelschwere SHT ist durch einen GCS von 9–12 definiert. Zusätzlich kann es zu sicht- und tastbaren relevanten Begleitverletzungen wie Frakturen und Blutungen sowie Liquoraustritt aus Nase und Ohr kommen. Der Unfallmechanismus ist oftmals als bedeutsam einzustufen. Eine Abklärung mittels Schädel-CT ist stets notwendig, wenn die entsprechenden o. g. Kriterien (CATCH, PECARN, CHALICE) erfüllt sind. Krampfanfälle nach einem SHT bei ansonsten gesunden Kindern sind ebenfalls verdächtig auf eine intrakranielle Verletzung und müssen mit einem Schnittbildverfahren abgeklärt werden. Bei Säuglingen kann primär eine orientierende Schädelsonographie durchgeführt werden. Bei fehlendem Nachweis einer operationsbedürftigen intrakraniellen Läsion kann zu einem späteren Zeitpunkt eine Kernspintomographie diskutiert werden. In jedem Fall ist eine mehrtägige stationäre Überwachung, u. U. auch auf einer intermediate Care oder intensivmedizinischen Station, weil jederzeit eine klinische Verschlechterung mit neurochirurgischem Handlungsbedarf eintreten kann. Auf einer Allgemeinstation ist eine Monitorüberwachung mit EKG und permanenter Messung der O2 -Sättigung anzuraten. Zunächst nicht interventionsbedürftige intrakranielle Blutungen oder Kontusionen können auch noch Tage nach dem Unfallereignis an Größe zunehmen und sich zu bedrohlichen Raumforderungen mit Einklemmungsgefahr entwickeln.

13.5.4.3 Schweres SHT Im Wesentlichen gelten bei der Versorgung von Kindern mit einem schweren SHT die Richtlinien, die auch im Erwachsenenalter zur Anwendung kommen. Ist ein Kind am Unfallort bewusstlos, besteht immer die Gefahr eines schweren Schädel-Hirn-Traumas und es muss umgehend für eine ausreichende Sauerstoffzufuhr und Aufrechterhaltung des Kreislaufes gesorgt werden, um eine Hypoxie und arterielle Hypotension zu vermeiden, die schwerste sekundäre Hirn-, aber auch andere Organschädigungen hervorrufen können. Daher ist eine frühzeitige Sicherung der Atemwege und ggf. Intubation mit Beatmung erforderlich. Stets ist hierbei an die Gefahr einer begleiten-

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den HWS-Verletzung zu denken und ein Stiffneck anzulegen. Bei Kleinstkindern muss der Kopf anderweitig stabilisiert und die Wirbelsäule achsengerecht gelagert werden. Relevante Begleitverletzungen im Rahmen eines Polytraumas müssen angemessen versorgt werden. Belege für die Wirksamkeit einer frühen hirnprotektiven Therapie in der Initialphase liegen nicht vor. Zur Vermeidung sekundärer Schädigungen ist die Aufrechterhaltung eines ausreichenden zerebralen Perfusionsdrucks bereits in der direkten posttraumatischen Phase essenziell. Bei Verdacht auf das Vorliegen eines schweren SHT muss das verunfallte Kind in ein Traumazentrum mit 24-stündiger neurochirurgischer Versorgung eingewiesen werden. Unter Aufrechterhaltung der lebenswichtigen Funktionen, insbesondere einer ausreichenden Sauerstoffzufuhr und Kreislaufstabilisierung mit systolischen Blutdruckwerten von > 70 mmHg (+ 2 × Alter des Kindes in Jahren), wird eine CT-Untersuchung des Schädels und der Wirbelsäule (zumindest HWS und obere BWS), im Idealfall als Spiral-CT, durchgeführt. Die Indikation einer vollständigen „Traumaspirale“ mit Darstellung des gesamten Skelettsystems ist bei jungen Kindern aus Strahlenschutzgründen eng zu stellen. Ist das primäre CT bei einem intubierten Kind mit schwerwiegendem Trauma und initaler Bewusstlosigkeit unauffällig, so wird die Beatmung zunächst weitergeführt und eine CT-Kontrolle in 4–8 Stunden wiederholt. Ist diese weiterhin ohne pathologischen Befund kann ein Aufwachversuch unternommen werden. Bei initialen Anzeichen einer Hirnschwellung und vorliegenden Pupillenzeichen (ein- oder beidseitige verzögerte oder fehlende Lichtreaktion) ist eine sofortige Hirndruckmessung indiziert. Hierzu kommen Drucksonden (Gewebe oder Liquorraum) oder externe Ventrikeldrainagen analog zum Erwachsenenalter zum Einsatz. Bei erhöhtem intrakraniellen Druck wird umgehend eine Hirndrucktherapie eingeleitet. Der minimale zerebrale Perfusionsdruck (CPP) sollte bei Kindern zwischen 40 und 65 mmHg liegen. Ein CPP > 70 mmHg kann sich ebenso ungünstig auswirken wie ein zu niedriger Wert < 40 mmHg. Eine Hirndrucksenkung kann durch Ablassen von Liquor über eine EVD oder durch Osmodiuretika zumindest kurzfristig erreicht werden. Der Einsatz von hyperosmolaren Kochsalzlösungen zur Hirnödembehandlung wird im Kindesalter immer wieder diskutiert. Nutzen und Risiko dieser Therapie sind weiterhin unklar. Insbesondere Kleinkinder neigen zu klinisch relevanten Störungen des Wasser- und Elektrolythaushaltes, die häufig mit einer Hyponatriämie einhergehen. Diese hat eine deutlich schlechtere Prognose und muss unbedingt vermieden werden [13]. Es gibt auch Hinweise, dass eine Hypernatriämie bei kindlichem SHT mit einer erhöhten Mortalität einhergeht [14]. Bislang konnte für keine weitere medikamentöse oder intensivmedizinische Maßnahme im Rahmen eines gesteigerten intrakraniellen Drucks eine sichere hirnprotektive Wirkung nachgewiesen werden. Dennoch kommen Hyperventilation, Hypothermie und Barbiturattherapie im Notfall zum Einsatz. Hierbei gelten die gleichen Risiken und zeitlichen Begrenzungen wie im Erwachsenenalter. Selbstverständlich müssen raumfordernde Blutungen oder kolliquierte Kontusionsherde operativ entfernt werden, um den intrakraniellen Druck

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zu stabilisieren. Eine dekompressive Kraniektomie ist ebenfalls als Ultima-RatioMaßnahme möglich. Aufgrund fehlender Evidenz für die prognostische Bedeutung im Kindesalter und die zusätzlichen perioperativen Risiken sollte die Indikation jedoch mit Vorsicht gestellt werden. Generell wird empfohlen, bei Bewusstlosigkeit (GCS ≤ 8) ein Hirndruckmonitoring durchzuführen. Liegt ein diffuses axonales Trauma ohne bildmorphologische Anzeichen einer Hirndrucksteigerung vor, kann darauf verzichtet werden. Das Heben von Impressionsfrakturen ohne sichere raumfordernde Wirkung oder die Deckung einer offenen Schädelbasisverletzungen sind im Akutfall nicht notwendig. Lediglich penetrierende Kalotten- oder Gesichtsschädelverletzungen müssen unverzüglich zur Vermeidung von Infektionen operativ versorgt werden. Bei Säuglingen bis zum 6. Lebensmonat sind operative Eingriffe am Hirnparenchym äußerst zurückhaltend zu indizieren. Die Myelinisierung ist noch nicht abgeschlossen und die Hirnstruktur durch den sehr hohen Wassergehalt und niedrigen Faseranteil extrem vulnerabel. Das Gleiche gilt auch für die Indikationsstellung zur dekompressiven Kraniektomie oder zur Durchführung großer Schädeltrepanationen. Da jederzeit im Verlauf einer intensivmedizinischen Überwachung eines kindlichen SHT-Patienten eine Verschlechterung des intrakraniellen Befundes eintreten kann, sind entweder bei klinisch erkennbaren neurologischen Symptomen oder Hirndrucksteigerungen, aber auch bei analgosedierten Patienten ohne sichere Beurteilbarkeit CT- oder MRT-Kontrollen im Verlauf sinnvoll und notwendig. Bei Säuglingen und Kleinkindern können auch Ultraschalluntersuchungen sowohl über die Fontanelle als auch transkraniell vorgenommen werden. Von Vorteil sind hier die Reduzierung der Belastung durch den Transport und die Vermeidung von Strahlung (Abb. 13.29). Unabhängig von der primären Schweregradeinteilung müssen stark blutende Skalpwunden oder andere Körperverletzungen wegen des geringeren Blutvolumens bei Kindern umgehend komprimiert und so früh wie möglich chirurgisch versorgt werden.

13.5.5 Spezielle Aspekte 13.5.5.1 Frakturen Schädelfrakturen sind im Kindesalter häufig. Die dünne Kalotte und häufige Sturzereignisse insbesondere im Kleinkindalter sind hier prädisponierend. Am häufigsten kommt es zu linearen Frakturen, die zumeist folgenlos ausheilen. Im Vergleich zum Erwachsenenalter sind epidurale Blutungen bei Kindern oftmals direkte Folge einer Frakturspaltblutung und seltener eines Abrisses der A. meningea media, weil der kindliche Schädelknochen stark durchblutet ist und der Verlauf der meningealen Gefäße fast vollständig außerhalb der Kalotte liegt. Subdurale Blutungen sind seltener und treten bevorzugt als Folge von Sinusverletzungen durch benachbarte Frakturen auf. Einen Sonderfall stellen geburtstraumatische Subdural- und Epiduralblutungen (Abb. 13.30 und 13.31) dar, die durch Gefäß- oder Sinuseinrisse infolge der

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Kalottenkompression im Geburtskanal oder durch instrumentierte Geburten hervorgerufen werden. Bei neonatologischen intrakraniellen Blutungen muss neben einer geburtstraumatischen Genese immer auch eine konnatale Hämophilie differentialdiagnostisch in Erwägung gezogen werden. Fast immer gelingt es in diesen Fällen, ein epidurales oder subdurales Hämatom minimal-invasiv durch einen limitierten Zugang und das Legen einer Drainage vollständig zu drainieren. Bei zunehmendem Alter des Kindes erfolgt die Hämatomentlastung wie bei einem erwachsenen Patienten. Impressionsfrakturen sind ebenfalls typische kindliche Kalottenverletzungen. Sie werden auch durch Stürze zumeist aus signifikanter Höhe oder auf Gegenstände

Verdacht auf leichtes SHT GCS 13–15

Bewusstseinsstörung andauernd oder zunehmend

Verdacht auf mittleres SHT GCS 9–12

Verdacht auf schweres SHT GCS 3–8

Bewusstseinsstörung nur kurz

bei V.a. Schädelfraktur oder offenes SHT

Transport mit Notarzt in Traumazentrum

Sicherung der Atemwege Aufrechterhaltung des Kreislaufs HWS-Sicherung

im Zweifelsfall 24 h Beobachtung

Schädel-CT u./o. -Ultraschall

Schädel-CT gemäß Kriterien aus CATCH, PECARN und CHALICE

Transport mit Notarzt in Traumazentrum mit Neurochirurgie (7/24)

mehrtägige stationäre Beobachtung/ ggf. neurochirurgische Therapie

CT-Schädel und obere Wirbelsäule

(P)ICU ggf. neurochirurgische Therapie

Abb. 13.29: Erstversorgung in Abhängigkeit vom Schweregrad eines kindlichen SHT.

(a)

(b)

Abb. 13.30: CT bei 6 Monate altem Säugling nach Sturz vom Wickeltisch. Epidurales Hämatom rechts parietal (a) bei linearer Kalottenfraktur ((b), siehe Pfeil).

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Abb. 13.31: Epiduralhämatom bei 5 Monate altem Mädchen mit Berstungsfraktur links temporoparietal (siehe Pfeil).

(a)

(b)

(c)

Abb. 13.32: Initiales CT bei einem 9-jährigen Patienten mit drittgradig offener Kalottenimpressionsfraktur durch Schlag mit einem Golfschläger. (a) Darstellung der Fraktur im Knochen- und (b) Weichteilfenster. (c) Die MRT-Kontrolle im postoperativen Verlauf zeigt die benachbarte Rindenkontusion in der T2-Sequenz.

oder durch eine direkte Gewalteinwirkung erzeugt. Sie können geschlossen, mit einer Hautverletzung oder aber auch drittgradig offen mit zusätzlicher Duraverletzung einhergehen (Abb. 13.32). Prinzipiell sind hier dieselben Behandlungsrichtlinien wie im Erwachsenenalter anzuwenden: Eine Hebung ist bei neurologischer Symptomatik oder aus kosmetischen Gründen indiziert. Offene Verletzungen müssen zumindest mit einer angemessenen Weichteilversorgung und Antibiotikaprophylaxe behandelt werden. Bei hochgradigem Verdacht auf eine begleitende Duraverletzung oder bei eindeutigem Nachweis ist stets eine operative Versorgung indiziert. Eine Besonderheit im Säuglings- und Kleinkindalter ist die sog. wachsende Fraktur (Abb. 13.33).

13.5 Schädel-Hirn-Trauma im Kindes- und Jugendalter |

301

Abb. 13.33: Wachsende Fraktur bei 7 Monate altem Mädchen nach Sturz aus dem Kinderbett mit beginnender Liquorzirkulationsstörung extrazerebral im Schädel-MRT (T2-Sequenz).

Hierbei kommt es infolge einer Schädelfraktur mit begleitender Duraverletzung zu einer progredienten Frakturspaltdehiszenz bis hin zu einem Hirnprolaps. Diese Entwicklung wird durch die erhöhte Pulsatilität von Liquor und Hirnparenchym und die noch nachgebenden Hüllstrukturen begünstigt. Unbehandelt kommt es schon nach wenigen Wochen zu einer zunehmenden intraparenchymatösen Zystenbildung durch sich in das Gewebe hineinpulsierenden Liquor. Gleichzeitig retrahieren sich die freien Duraenden, die zunehmend mit der Hirnoberfläche verwachsen. Eine begleitende Liquorzirkulationsstörung in den inneren und äußeren Liquorräumen kommt erschwerend hinzu. Funktionsstörungen mit fokalen Ausfallserscheinungen und Krampfanfälle sind häufig Folge dieser Komplikation. Eine Behandlung im Spätstadium macht fast immer eine dauerhafte Liquorableitung und eine aufwendige Duraplastik notwendig. Dabei liegen die Duraenden zumeist einige Zentimeter hinter dem Frakturspalt, sodass eine großflächige Trepanation durchgeführt werden muss. Ein offenes frontales oder laterales Schädelbasistrauma wird auch bei initialem Liquorfluss zumeist konservativ behandelt. Eine Antibiotikaprophylaxe gilt hierbei bislang nicht als sicher wirksam. Eine operative Deckung ist nur in Fällen einer deutlichen Dislokation des Frakturspaltes und bei Weichteilinterponat notwendig. Eine weitere spezielle Erscheinungsform der kindlichen Schädelfraktur ist die sog. Pingpong-Fraktur. Dabei handelt es sich um eine Grünholzfraktur der noch weichen Säuglingskalotte, die gelegentlich eine spontane Rückbildung zeigt. Eine Hebung ist zumeist nur aus kosmetischen Gründen indiziert und kann minimalinvasiv erfolgen (Abb. 13.34).

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Abb. 13.34: Typische Pingpong-Fraktur der Kalotte beim Säugling.

13.5.5.2 Kranioplastik bei Kindern Kranioplastiken im Kindesalter, insbesondere nach SHT, haben eine vergleichsweise hohe Komplikationsrate. Nach dekompressiven Kraniektomien kommt es deutlich häufiger zu einer sekundären Resorption des wiedereingesetzten Knochendeckels im Vergleich zu älteren Patienten. Das liegt zum einen an einer erhöhten osteoklastischen Aktivität des kindlichen Knochens, zum anderen an der gesteigerten Pulsatilität, die über die Dura fortgeleitet auch auf das Knochenimplantat einwirkt und somit einen Abbau begünstigt. Aber auch komplexe Rekonstruktionen bei Stückbrüchen der Kalotte zeigen häufig eine sekundäre Defektheilung durch Resorption. Wesentlich ist bei jeglicher Form der kindlichen Kranioplastik eine sehr stabile Fixierung der Knochenteile unter- bzw. miteinander. Des Weiteren sollten allogene Duraersatzmaterialien vermieden werden, damit der Knochen allseits von einem autologen Milieu umgeben ist. Prinzipiell ist auch der Einsatz von allogenen Kalottenplastiken möglich. Auch hier gilt der Grundsatz, dass diese dauerhaft stabil fixiert werden und möglichst keine zusätzlichen allogenen Duraersatzmaterialien zum Einsatz kommen. Große Kalottendefekte – auch nach einer dekompressiven Kraniektomie – müssen bei Kindern, besonders im sehr frühen Alter, zeitnah gedeckt werden, weil ansonsten der starke Wachstumsdruck des frühkindlichen Gehirns nicht zu einem ausreichenden Schädelwachstum führt und ein schwer zu behandelnder Hirnprolaps bei relativer Mikrozephalie resultiert.

13.5.5.3 SHT bei Kindesmisshandlung Im Rahmen von Kindesmisshandlungen kommt es gerade im Säuglingsalter häufig zu neurochirurgisch relevanten Formen eines SHT. Das Schütteltrauma oder auch Shaken-Baby-Syndrom kann anamnestisch und differentialdiagnostisch problematisch sein, wohingegen Traumen nach grober Gewalteinwirkung, wie beim sog. Battered-Child-Syndrom, leichter diagnostiziert und zugeordnet werden können. Exakte epidemiologische Daten liegen nicht vor, weil von einer relativ hohen Dunkelziffer ausgegangen werden muss. In Schottland liegt die Inzidenz bekannter Fälle bei 24,6 Kindern < 1 Jahr auf 100.000. Etwa ein Viertel aller SHT bei Kindern in den ersten beiden Lebensjahren hatten einen nichttraumatischen Hintergrund. Eine Häufung

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(a)

303

(b)

Abb. 13.35: Ausgedehntes beidseitiges Subduralhämatom bei 5 Monate altem Mädchen nach Schütteltrauma. Das Mädchen wurde mit einer Spina bifida geboren und war zum Zeitpunkt des Traumas noch nicht mit einer Liquorableitung versorgt. Schädel-MRT in axialer (a) und sagittaler (b) T2-Sequenz.

der Fälle fand sich in städtische Regionen sowie zur Herbst- und Winterzeit [15]. Ein SHT durch Kindesmisshandlung ist in Europa und Nordamerika die häufigste unfallbedingte Todesursache (Abb. 13.35 und 13.36). Das Shaken-Baby-Syndrom wurde 1974 erstmals von Caffey definiert [16]. Dabei beschrieb er die Koinzidenz von metaphysären Extremitätenfrakturen, Subduralhämatomen und retinalen Einblutungen. Die entsprechenden Verletzungen werden einem Säugling durch gewinkelte Akzelerations-/Dezelerationsbewegungen im Sinne eines Beschleunigungstraumas mit Dezeleration durch die differente Massebeschleunigung von Hirn und Schädel zugefügt. Zusätzlich kann ein Abbremsen des Kopfes durch direkte Gewalteinwirkung von außen erfolgen. Die klinischen Präsentationen des Schütteltraumas können stark variieren und gelegentlich, insbesondere bei mehrzeitigen Ereignissen, nicht von einem Battered-Child-Syndrom abgegrenzt werden. Die genauen pathophysiologischen Mechanismen sind nicht hinlänglich geklärt. Man geht von einem multifaktoriellen Geschehen durch Abriss von Blutgefäßen und Nervenfasern, ähnlich einem diffusen axonalen Trauma, sowie einer Hypoxie mit nachfolgendem Hirnödem und sekundären Parenchymschäden aus. Jeder Fall von frühkindlichem Subduralhämatom oder -hygrom mit unklarer Ursache oder fremdanamnestisch berichtetem Bagatelltrauma muss entsprechend abgeklärt werden. Hierzu gehören wiederholte Anamnesegespräche mit Eltern und Angehörigen sowie eine unverzügliche Fundoskopie zum Ausschluss einer Retinablutung. Des Weiteren muss eine Ganzkörperinspektion vorgenommen werden, um nach etwaigen Griffspuren oder Verletzungen an den Extremitäten oder am Oberkörper des Kindes zu suchen. Differentialdiagnosen, wie beispielsweise die Glutarazidurie, sind selbstverständlich abzuklären. Das Vorliegen einer zumeist beidseitigen ausgeprägten Retinablutung hat einen hohen prädiktiven Wert für das Vorliegen eines Schütteltraumas. Eine Retinoschisis mit

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(b)

(a)

(c)

(d)

(e)

(f)

Abb. 13.36: 9 Monate alter männlicher Säugling mit GCS 3 und beidseits weiten und lichtstarren Pupillen und Anzeichen eines Battered-Child-Syndroms: (a) Initiales CT mit aufgehobener Rinden-Mark-Differenzierung supratentoriell und Stauungszeichen infratentoriell. (b) Die sagittale Rekonstruktion des CT am kraniozervikalen Übergang zeigt eine kraniozervikale Dissoziation mit einem Clivus-Dens-Abstand von 9 mm (siehe Pfeil). (c) MRT in sagittaler T2-Sequenz mit Hirnstammkontusion und Verletungszeichen der ligamentären Strukturen im Segment C1/C2. (d) MRT in axialer T2-Sequenz mit beidseitigen parietookzipitalen Signaländerungen. Multiple mehrzeitige periphere Verletzungen mit frischer Rippenserienfraktur und Hämatothorax sowie subkapitaler Humerusfraktur links ((f), siehe Pfeil) und älterer distaler Unterarmfraktur links ((e), siehe Pfeil 2).

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Glaskörperblutung gilt als sicheres Zeichen für Kindesmisshandlung. Eine einseitige Blutung schließt sie jedoch nicht aus [17]. Die weitere Diagnostik umfasst eine Schädelsonographie, die sich auch gut als Kontrolluntersuchung eignet sowie ein Schnittbildverfahren (CT, MRT), ein EEG und bei hochgradigem Verdacht Röntgenuntersuchungen des gesamten Skelettes oder alternativ eine Skelettszintigraphie. Hierbei werden 30–70 % begleitende, zumeist mehrzeitige Skelettfrakturen diagnostiziert. Neben den typischen subduralen Flüssigkeitsansammlungen, die Blut oder Liquor entsprechen können, finden sich bei schweren Verläufen zum Teil ausgedehnte Infarktzonen mit dem typischen CT-Bild des „Black Brain“ ohne erkennbare RindenMark-Differenzierung. Zusätzlich können Kontusionsherde sowie Blutungen im Interhemisphärenspalt und in der hinteren Schädelgrube vorliegen. Klinisch imponiert zumeist das Bild eines erhöhten intrakraniellen Drucks mit gespannter Fontanelle und erhöhter Reizbarkeit, wahrscheinlich schmerzbedingt, bis hin zur schweren Bewusstseinsstörung. Lethargie, Krampfanfälle und Atemstörungen sind häufig. Therapeutisch steht im Akutfall die Hämatom- bzw. Hygromentlastung im Vordergrund. Je nach Schwere der Hirnschädigung sind alle Maßnahmen zur Hirndrucktherapie zu diskutieren. Im Langzeitverlauf entwickeln viele der betroffenen Kinder eine Liquorzirkulationsstörung mit der Notwendigkeit einer subduro- oder ventrikuloperitonealen Liquorableitung. Kommt es zu ausgedehnten Hirninfarkten, so liegt die Mortalitätsrate bei bis zu 67 %. Überlebende Kinder sind zumeist schwer geschädigt und zeigen eine Erblindung, Zerebralparese, Epilepsie und psychomotorische Retardierung.

Assoziierte Verletzungen des kraniozervikalen Übergangs und der oberen Halswirbelsäule Die Ursachen für eine überproportional hohe Verletzungsgefahr der zervikalen Wirbelsäule und des kraniozervikalen Übergangs sind vergleichbar mit denen des SHT. Auch hier prädisponieren der überproportional große Kopf sowie Sturz- und Hochgeschwindigkeitstraumen. Zusätzlich begünstigen unreife knöcherne und ligamentäre Strukturen das resultierende Verletzungsmuster. Begleitende Hirnstamm- und auch supratentorielle Verletzungen sowie Gefäßdissektionen sind häufig. Bis zum 13. Lebensjahr sind der zweite Halswirbelkörper der am häufigsten frakturierte Wirbel und das Bewegungssegment C1/C2 das am meisten betroffene Segment [18]. 61 % aller Wirbelsäulenverletzungen im Kindesalter sind zervikal lokalisiert [19]. Die Diagnostik knöcherner und ligamentärer Wirbelsäulenverletzungen im Kindesalter erfordert eine große Erfahrung aufgrund der gerade in den oberen zervikalen Segmenten häufigen Anomalien und der erhöhten ligamentären Beweglichkeit bei Kleinkindern. Das atlantodentale Intervall ist bei Kindern bis zum 8. Lebensjahr bis 5 mm

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breit. Auch zwischen den Bewegungssegmenten C2–C4 kann eine 4 mm breite Distanz noch normal sein und eine Pseudoluxation vortäuschen. Auch im Rahmen von Kindesmissbrauch können kombinierte Schädel-Hirn- und Halswirbelsäulenverletzungen auftreten.

13.5.6 Prognose Grundsätzlich ist die Langzeitprognose vom Schweregrad des initialen SHT abhängig. Es gibt jedoch weitere wesentliche Prädiktoren. Negativ wirken sich eine prätraumatische ungünstige psychosoziale und auch schulische Situation und das Vorliegen und die Art eines intrakraniellen Hämatoms aus. Hierbei ist die Entwicklung nach Epiduralhämatom deutlich günstiger als nach Subduralblutung. Eine initiale Mittellinienverlagerung von mehr als 1 cm sowie ein Misshandlungshintergrund führen ebenfalls zu einem ungünstigeren Langzeitergebnis. Das Alter bei SHT ist ein weiterer bedeutender Prognosefaktor. Erleiden Kinder in den beiden ersten Lebensjahren ein signifikantes SHT, so ist die Prognose deutlich schlechter als bei Kindern im Alter von 2–10 Jahren. Zu den typischen Langzeitfolgen zählen motorische Defizite, Koordinationsstörungen, Sprach- und Kommunikationsdefizite, Verhaltensauffälligkeiten und generelle kognitive Dysfunktionen. Diese werden auch nach leichten oder mittelschweren SHT beobachtet und oftmals übersehen, weil entsprechende Reha-Maßnahmen nicht eingeleitet und Langzeitergebnisse nicht erfasst wurden. Epidemiologische Breitenstudien lassen hier eine hohe Dunkelziffer

(a)

(b)

Abb. 13.37: (a) Initiales CT bei 4-jährigem Mädchen nach Fenstersturz (GCS 4). Im Verlauf linksseitige Einklemmung bei zunehmenden Kontusionen und Mittellinienverlagerung sowie anschließender dekompressiver Kraniektomie. (b) MRT-Kontrolle nach 1 Jahr mit ausgedehnten Infarktzonen temporoparietal links und passiver Erweiterung der inneren Liquorräume in T2-Sequenz. Klinisch liegen eine hochgradige armbetonte Hemispastik rechts und eine schwere sensomotorische Sprachstörung vor.

13.5 Schädel-Hirn-Trauma im Kindes- und Jugendalter |

307

vermuten [20]. Zu den speziellen Traumafolgen zählt die posttraumatische Epilepsie – sie liegt bei 10 % –, die als Frühepilepsie bei Kindern häufiger auftritt. Eine Initialepilepsie in den ersten Tagen nach dem Trauma wird in 12 % der Fälle beobachtet. Eine Spätepilepsie ist mit maximal 14 % zu erwarten. Der Stellenwert einer antikonvulsiven Therapie ist fragwürdig. Eine Empfehlung zur antikonvulsiven Behandlung wird lediglich für die Initialphase (Tag 1–7) ausgesprochen. Spezifische Outcome-Scores für Kinder existieren nicht. Es kommen die üblichen standardisierten Einteilungen wie z. B. die Glasgow Outcome Scale (GOS) oder der BarthelIndex zu Anwendung. Des Weiteren kommt es zu posttraumatischen Liquorzirkulationsstörungen, die entweder lokal oder durch eine generelle Resorptionsstörung hervorgerufen werden. Die Häufigkeit eines behandlungspflichtigen posttraumatischen Hydrocephalus wird mit 18–72 % angegeben. Gelegentlich wird die Diagnose erst Monate nach dem Trauma

(a)

(b)

(d)

(e)

(c)

Abb. 13.38: Diffuses axonales Trauma (DAI) bei 9-jährigem Jungen, der als Fußgänger von einem Pkw erfasst wurde. (a) Initiales CT mit punktförmiger Stammganglienblutung links. (b)–(d) Schädel-MRT mit multiplen punktförmigen Blutungen und Stammganglienblutung rechts in T2-Hämo-Sequenz. (e) Stammganglienläsionen und Signalanhebungen im Balken in T2-Sequenz. 2 Jahre nach Trauma leidet der Patient unter einer schwersten Tetraspastik und ist mit einer Baclofenpumpe versorgt).

308 | 13 Besondere Verletzungsformen

gestellt, weil eine Abgrenzung zu einem Hydrocephalus e vacuo infolge des Parenchymverlustes schwierig sein kann. Eine posttraumatische Spastik tritt immer nach einem schwersten generalisierten SHT auf (Abb. 13.37). Sie wird auch nach einem ausgeprägten diffusen axonalen Trauma gesehen (Abb. 13.38). Sie tritt schon nach 3–4 Wochen auf und sollte frühzeitig medikamentös und durch spezielle krankengymnastische und Lagerungsbehandlungen therapiert werden. Als typische chirurgische bzw. traumatische Spätfolgen gelten auch Abszesse, Empyeme und Meningitiden, insbesondere nach offenen Hirnverletzungen.

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13.6 Schädel-Hirn-Trauma des alten Menschen | 309

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Janina Deyng, Ludwig Schürer und Christianto B. Lumenta

13.6 Schädel-Hirn-Trauma des alten Menschen 13.6.1 Definition des Alters „Altern wird definiert als die normalen, vorhersehbaren und irreversiblen Veränderungen von mehreren Organsystemen im Verlauf der Zeit, welche letztendlich zum Tod führen. Physiologische Veränderungen, die mit dem Alter stattfinden, beeinflussen Patienten auf unterschiedliche Arten, aber führen generell zu einem Verlust der funktionellen Reserve der meisten Organsysteme.“ [1].

13.6.2 Vorbemerkungen Altersbezogen findet man zwei Häufigkeitsgipfel des SHT: Junge Menschen stellen die größte Risikogruppe; ein zweiter Häufigkeitsgipfel existiert für Patienten über 65 Jahre [2]. Nicht zuletzt als Folge vieler protektiver Maßnahmen im Straßenverkehr (technische Verbesserungen der Verkehrsmittel, Einführung der Helmpflicht für Motorradfahrer, Einführung verkehrsberuhigter und geschwindigkeitsbeschränkter Zonen) ist in den letzten Jahren in jüngeren Patientenkollektiven die Prävalenz der Schädel-HirnVerletzungen deutlich gesunken [3]. Ältere Menschen erleiden ihr SHT jedoch vorwiegend als Folge von Stürzen bzw. als Fußgänger im Straßenverkehr, sodass die zuvor erwähnten Maßnahmen in dieser Patientengruppe nicht greifen. Demzufolge ist auf-

310 | 13 Besondere Verletzungsformen

grund der demographischen Entwicklung der Bevölkerung langfristig mit einer Zunahme von Schädel-Hirn-Verletzungen bei älteren Menschen zu rechnen [4]. Neben dieser bei Älteren zu erwartenden absoluten Zunahme der Häufigkeit von Schädel-Hirn-Traumen hat hohes Alter auch eine erhebliche prognostische Bedeutung. So nimmt die Wahrscheinlichkeit der stationären Behandlungsbedürftigkeit nach SHT mit steigendem Lebensalter zu [5]. Ein Lebensalter von mehr als 65 Jahren ist zudem ein unabhängiger Prädiktor für ein schlechtes Outcome (Tod oder schlechtere funktionelle Erholung) nach Schädel-Hirn-Trauma [6]. Die Mortalität von Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma steigt mit jedem Lebensjahrzehnt um 37 % [7, 8].

13.6.2.1 Epidemiologie Das Statistische Bundesamt sagt eine Zunahme der Bevölkerungsgruppe der über 65-Jährigen um 8 Prozentpunkte auf 28 % bis zum Jahr 2030 voraus. Insbesondere die Gruppe der Hochbetagten wird dabei stark wachsen, sodass in 50 Jahren jede achte Person in Deutschland 80 Jahre oder älter sein wird [9]. Dies ist neurotraumatologisch besonders relevant, weil auch innerhalb der Gruppe der „älteren Patienten“ Unterschiede in Bezug auf deren Behandlungsbedürftigkeit nach SHT bestehen: Patienten über 70 Jahre werden fast doppelt so häufig wegen eines Schädel-Hirn-Traumas stationär aufgenommen wie Patienten mit 65–69 Jahren [10]. Während der letzten Jahre ist insbesondere bei Patienten in der Altersgruppe von 83–90 Jahren eine Verdopplung der Inzidenz des SHT zu konstatieren [11]. Für diese sehr alten Patienten ist das Risiko, nach einem Schädel-Hirn-Trauma im Krankenhaus zu versterben doppelt so hoch wie für Patienten zwischen 60 und 79 Jahren [12]. In jüngeren Altersgruppen erleiden Männer 3-mal häufiger ein Schädel-HirnTrauma als Frauen. Bei älteren Patienten sind beide Geschlechter gleich häufig von einem SHT betroffen. Durch die geringere Lebenserwartung der Männer überwiegt im Alter der Anteil der Frauen. Bei diesen ist wiederum die Prävalenz für chronische Krankheiten und Behinderungen höher, was Gebrechlichkeit und Fallneigung und somit einen relativen Anstieg des Frauenanteils begünstigt [15].

13.6.3 Ursachen des Schädel-Hirn-Traumas im Alter Im Gegensatz zu jüngeren Patienten, die oft im Rahmen eines Verkehrsunfalls ein Schädel-Hirn-Trauma erleiden, ist der Unfallmechanismus bei älteren Patienten meist mit geringerer Dynamik verbunden: Je älter die Patienten sind, desto häufiger führen Bagatellstürze zu einem Schädel-Hirn-Trauma [13]. Mehr als die Hälfte der SchädelHirn-Traumen bei Patienten, die älter als 65 Jahre sind, sind sturzbedingt [14]. Alte Menschen leben häufig in Pflegeheimen oder werden durch Angehörige oder Pflegepersonal betreut. 60 % der Bewohner in Pflegeheimen stürzen mindestens 1-mal im Jahr [13].

13.6 Schädel-Hirn-Trauma des alten Menschen | 311

(a)

(b) Abb. 13.39: Initiale Aufnahmen (a) und Verlaufskontrolle (b) eines 75-jährigen Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma: bifrontale Kontusionsblutungen, traumatische Subarachnoidalblutung und nichtdislozierte Kalottenfraktur okzipital unter laufender Medikation mit ASS und Prasugrel.

Die bei diesen Patienten oft vorliegenden chronischen Erkrankungen erhöhen das Risiko zu stürzen: So verdoppelt sich das Sturzrisiko bei Patienten mit Diabetes mellitus und bei vorliegender Demenz gegenüber altersgleichen Gesunden [16, 17]. Häufig vorkommende altersbedingte Einschränkungen wie Presbyopie, Hypakusis, Abnahme der Muskelkraft mit Auftreten von Gangunsicherheit und Schwindel führen bei abnehmender Ausdauerfähigkeit in Kombination mit vielfach notwendiger Polymedikation zu Stürzen und Unfällen als Fußgänger [6, 13]. Etwa 9 % der verunfallten älteren Patienten stehen unter einer Dauertherapie mit Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmern. Hierdurch wird die Gefahr für eine traumatische intrakranielle Blutung erhöht (Abb. 13.39) und die daraus resultierende höhere Mortalitätsrate steigt bereits bei einem einfachen Sturz um ca. 20 % [18].

13.6.4 Diagnostik des Schädel-Hirn-Trauma beim älteren Menschen Die klinische Untersuchung eines alten Patienten mit SHT unterscheidet sich prinzipiell nicht von der Untersuchung in anderen Altersgruppen. Bei leichten Formen des SHT kann die klinisch-neurologische Untersuchung in Hinblick auf eindeutige Traumafolgen jedoch erschwert sein: Kognitiv-amnestische Defizite können bereits vor dem Unfall aufgrund von Demenz und anderen psychiatrischen Erkrankungen (z. B. Depression, Angststörungen) bestanden haben und ggf. den Befund verschleiern. Differentialdiagnostisch müssen derartige Symptome von Traumafolgen mittels Bildgebung, ggf. Liquorpunktion und psychiatrischem Konsil abgegrenzt werden. Es ist bei der Erstuntersuchung ferner zu bedenken, dass es aufgrund der Hirnatrophie bei älteren Patienten häufiger zu einem längeren beschwerdefreien Intervall

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zwischen dem Trauma und dem Auftreten von Symptomen durch den raumfordernden Effekt einer evtl. vorhandenen intrakraniellen Blutung kommt [19].

13.6.4.1 Klinische Untersuchung beim älteren Patienten Die klinische Untersuchung des älteren Patienten entspricht der anderer Patienten. Nach Sicherung der Vitalfunktionen und lokaler Inspektion des gesamten Kopfes im Hinblick auf äußere Verletzungen folgt die neurologische Untersuchung mit Prüfung der Bewusstseinslage, der Untersuchung der Hirnnerven und der peripheren Motorik, des Reflexverhaltens und der Sensibilität. Der meist genutzte Prädiktor für das Outcome von Schädel-Hirn-Trauma-Patienten ist die Glasgow Coma Scale (GCS). Dies gilt auch für ältere Patienten [20]. Die Glasgow Coma Scale bildet die Schwere des Schädel-Hirn-Traumas ab und korreliert auch in höheren Altersgruppen direkt mit dem Outcome, gemessen in der Glasgow Outcome Scale (GOS) [21]. Die Bestimmung des GCS-Wertes kann – wie zuvor beschrieben – beim Älteren jedoch nicht immer verlässlich erfolgen, weil eine Demenz oder vorbestehende chronische neurologische Erkrankungen den Ausgangs-GCS-Wert beeinflussen kann [22]. Neben dem GCS-Wert wird auch die Pupillenreaktion beurteilt. In der Frühphase hat die Pupillenreaktion nach Schädel-Hirn-Trauma einen besseren Vorhersagewert als die GCS, weil sie weniger durch Sedierungseffekte oder vorbestehende Lähmungen beeinflusst wird [23]. Wie bei anderen Patienten können Pupillenabnormalitäten auf eine Hirnstammkompression hinweisen und sind insbesondere bei älteren Patienten mit schlechterem Outcome assoziiert [24, 25]. Dabei ist allerdings zu beachten, dass mit steigendem Alter der Anteil von Patienten mit stattgehabter Augenoperation, die die Beurteilbarkeit der Pupillen einschränkt, zunimmt [2].

13.6.4.2 Bildgebende Diagnostik Jeder Patient über 60 Jahre sollte nach SHT mit Bewusstseinsverlust oder posttraumatischer Amnesie eine native CT-Bildgebung erhalten. Bei Patienten über 65 Jahre sollte eine solche auch ohne vorherigen Bewusstseinsverlust in Betracht gezogen werden [26]. Klinische Hinweise auf eine Kopfverletzung mit der Notwendigkeit einer zerebralen Bildgebung ergeben sich bei der Inspektion aus Abschürfungen der Kopfschwarte, Platzwunden, subgalealen (insbesondere retroaurikulären) Blutungen, Monokeloder Brillenhämatomen (Abb. 13.40). Zu beachten ist ferner die Angabe von starken Kopfschmerzen, besonders in Zusammenhang mit neurologischen Defiziten und Gedächtnislücken. Stets ist eigen- oder (oft sicherer) fremdanamnestisch zu erfragen, ob der Patient unter dem Einfluss gerinnungshemmender Medikamente steht [27].

13.6 Schädel-Hirn-Trauma des alten Menschen | 313

Bei leichten Schädel-Hirn-Verletzungen kann es sein, dass trotz neuropsychologischer Auffälligkeiten Traumafolgen weder in der CT- noch in der MRT-Bildgebung dargestellt werden können. In diesen Fällen kann eine spätere neuropsychologische Untersuchung helfen, etwaige Traumafolgen von einer beginnenden demenziellen Entwicklung abzugrenzen[19].

Abb. 13.40: Ausgeprägte frontale subgaleale Unterblutung, Brillenhämatom und Abrasion am Nasenhöcker bei Zustand nach leichtem SHT 3 Tage zuvor.

13.6.5 Verletzungsfolgen und deren Besonderheiten im Alter Als häufigste Verletzungsfolge werden beim Älteren in ungefähr 40 % der Fälle Subduralhämatome beobachtet. Deren Inzidenz nimmt mit steigendem Alter deutlich zu [30]. Kontusionsblutungen, Subarachnoidalblutungen oder deren Kombination sind deutlich seltener [10, 28]. Wegen des festen Anhaftens der Dura sind traumatische Epiduralhämatome in dieser Patientengruppe die Ausnahme [29].

13.6.5.1 Subduralhämatom Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Patient mit Schädel-Hirn-Trauma ein Subduralhämatom entwickelt, nimmt mit steigendem Alter zu [30]. Dabei kann als direkte Traumafolge zunächst ein akutes Subduralhämatom entstehen. Ist dieses von erheblicher Größe, führt es in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Trauma zu einer entsprechenden klinischen Symptomatik.

Akutes Subduralhämatom Die Behandlungsgrundsätze beim akuten Subduralhämatom sind für alle Altersgruppen gleich. Diese beinhalten bei akutem Subduralhämatom die Kontrolle und Behand-

314 | 13 Besondere Verletzungsformen

lung des intrakraniellen Drucks und die operative Entlastung des Subduralhämatoms durch eine Kraniotomie oder Kraniektomie (s. Kap. 9). Bei älteren Patienten haben akute Subduralhämatome die höchste Letalität aller Schädigungsformen nach SHT [6]. Insbesondere nach schwerem Schädel-HirnTrauma ist die Letalität sehr hoch und beträgt nach 180 Tagen 51 % für operierte Patienten [38]. In der Altersgruppe der über 70-Jährigen steigt die Letalität auf über 50 % an, ein weiteres Viertel der Patienten überlebt die Verletzung vegetativ oder schwerbehindert [39]. Dennoch sollte man angesichts dieser Daten nicht in einen operativen Nihilismus verfallen, weil eine operative Behandlung Morbidität und Letalität auch in dieser Altersgruppe deutlich senkt [40]. Prognostisch ungünstig beim akuten Subduralhämatom des Älteren sind die Einnahme von Gerinnungshemmern, zusätzliche intrakranielle Traumafolgen wie Kontusionsblutungen oder traumatische Subarachnoidalblutungen, die Schwere der Begleitverletzungen (gemessen anhand des Injury Severity Scores [ISS]) und das Ausmaß der Mittellinienverlagerung im cCT. Eine begleitende intrazerebrale Blutung oder eine Ventrikeleinbruchsblutung, der Nachweis der Herniation wie auch eine Kalottenfraktur sind ebenfalls mit einem tödlichen Verlauf assoziiert [22]. Vor dem Trauma unabhängig lebende Patienten weisen eine deutlich geringere 1-Jahres-Mortalität auf [41].

13.6.5.2 Chronisch subdurales Hämatom Schmale, nichtraumfordernde Hämatome sind zunächst klinisch stumm, können aber im weiteren Verlauf chronifizieren (Abb. 13.41). Die Brückenvenen von älteren Patienten sind aufgrund der Hirnatrophie und der damit verbundenen Vergrößerung des Subduralraums stärkeren Scherkräften ausgesetzt, sodass oft schon geringe Belastungen zu Rissen der Brückenvenen und somit zu Subduralhämatomen führen können [31]. Aufgrund des vergrößerten Subduralraums bei Hirnatrophie kann es sein, dass ein akutes Subduralhämatom zunächst keine zerebrale Kompressionswirkung mit klinischer Relevanz verursacht. Insbesondere durch veränderte Blutgefäße [32], gesteigerte Fibrinolyse und veränderte Gerinnungssituation [33] können Subduralhämatome bei älteren Patienten langsam an Größe zunehmen und so erst im Verlauf eine klinische Verschlechterung bewirken [19]. Etwa ab dem 4. Tag nach Auftreten eines akuten Subduralhämatoms entstehen innerhalb des Hämatoms Membranen [42]. In diese Membranen wachsen Kapillaren ein, es kommt zur enzymatischen Fibrinolyse und somit zur Verflüssigung des Hämatoms. Die Abbauprodukte des Fibrins hemmen die Hämostase. Die Größe des chronischen Subduralhämatoms wird daher zum einen durch erneute Mikroblutungen aus den Kapillaren und den osmotisch bedingten Plasmaeinstrom und zum anderen durch die Resorption des Hämatoms beeinflusst [43].

13.6 Schädel-Hirn-Trauma des alten Menschen | 315

Ältere Patienten, die initial im CT ein schmales und klinisch stummes Subduralhämatom haben, bedürfen einer engmaschigen klinischen und cCT-Verlaufsuntersuchung (zunächst befundabhängig 2–4 Wochen erstmalig nach dem Trauma).

Chronische Subduralhämatome führen bei älteren Patienten zu einem deutlichen Anstieg der 1- und 2-Jahres-Mortalität gegenüber vergleichbaren Patienten ohne chronisches Subduralhämatom [44]. Innerhalb einer älteren Studienpopulation verstarben 31 % der Patienten mit chronischem Subduralhämatom innerhalb von 6 Monaten nach der Diagnosestellung [45], wobei nur ein Todesfall mit der chirurgischen Behandlung assoziiert war. Die Entscheidung zur Operation ist insbesondere bei über 80-Jährigen schwer zu treffen, weil chronisch subdurale Hämatome in dieser Altersgruppe nicht nur als nach einem Trauma auftretende Pathologie, sondern – analog zu z. B. Oberschenkelhalsfrakturen – als Folgen eines in diesem Alter generell schlechteren Allgemeinzustands begriffen werden müssen [46]. Auf die Einzelheiten der Behandlung chronisch subduraler Hämatome wird im Kapitel 15.3 eingegangen.

13.6.6 Besonderheiten der intensivmedizinischen Behandlung Die Therapie eines älteren Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma unterscheidet sich grundsätzlich nicht von der Therapie eines jüngeren Patienten und erfolgt gemäß

Abb. 13.41: Präoperative Bildgebung bei chronischem, septiertem Subduralhämatom mit frischen Anteilen unter gerinnungshemmender Behandlung.

316 | 13 Besondere Verletzungsformen

den Grundsätzen, die in vorherigen Kapiteln beschrieben werden. Aufgrund altersspezifischer Besonderheiten und der unterschiedlichen Prognosen, die im Folgenden beschrieben werden, muss jedoch das therapeutische Vorgehen angepasst werden. Zur Festlegung des therapeutischen Vorgehens wird neben der klinischen Untersuchung und Bildgebung im Verlauf häufig eine Messung des intrakraniellen Drucks genutzt. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die zerebrale Autoregulationsfähigkeit und Druckreaktivität bei älteren Patienten abnehmen, sodass das ältere Gehirn eine geringere Fähigkeit hat, nach einer Verletzung zerebrovaskulär zu reagieren. Wegen der geringeren zerebrovaskulären Kompensationsmöglichkeit Älterer [35] ist ein Abfall des systolischen Blutdrucks unter 90 mmHg ein unabhängiger Prädiktor für deren Letalität und sollte im Rahmen der intensivmedizinischen Behandlung unbedingt vermieden werden [36]. Unter Umständen sind für ältere Patienten sogar höhere Blutdruckwerte anzustreben. So erwies sich ein höherer Blutdruckwert von 131–150 mmHg bei Aufnahme als Prädiktor für ein besseres Outcome [6]. Der Einsatz der ICP-Messung bei älteren Patienten bedarf daher weiterer Studien [34]. Auf den möglichen Nutzen der intensivmedizinische Behandlung Älterer nach Schädel-HirnTrauma mit Neuromonitoring und Operation wies eine japanische Studie hin, in der ein signifikantes Absinken der Mortalität und ein Anstieg guter Verläufe beobachtet wurde, aber auch die Zahl der schwerbehindert Überlebenden deutlich zunahm [37]. Die unterschiedlichen Schädigungsmuster (diffuses Hirnödem bei jüngeren Patienten im Gegensatz zu lokalisierter, raumfordernder Blutung bei älteren Patienten) können erklären, warum im Gegensatz zu jüngeren Patienten ältere Patienten häufiger in der Periode zwischen 48 Stunden und 10 Tagen nach Schädel-Hirn-Trauma versterben. Todesursachen älterer Patienten sind dabei meist internistische Komplikationen oder Nachblutungen, wohingegen jüngere Patienten oft früh aufgrund behandelbaren Hirndruckanstiegs und dessen Folgen versterben [6].

13.6.7 Prognosebestimmende Besonderheiten bei älteren Menschen Im Gegensatz zu jüngeren Patienten haben ältere Patienten oft vorbestehende Erkrankungen, die wiederum selbst die Letalität bei Schädel-Hirn-Trauma beeinflussen. Des Weiteren erfordern diese Komorbiditäten oft eine medikamentöse Behandlung, die ebenfalls den weiteren Verlauf beeinflussen kann.

13.6.7.1 Komorbiditäten Patienten mit vorbestehenden systemischen Erkrankungen haben nach SHT eine deutlich schlechtere Prognose [10]. So konnte z. B. gezeigt werden, dass Patienten mit Subduralhämatom, die älter als 80 Jahre alt waren, eine deutlich erhöhte Letalität hatten, wenn sie drei oder mehr Komorbiditäten aufwiesen [10]. Auch bei leichtem Schädel-Hirn-Trauma führen Begleiterkrankungen wie z. B. Diabetes mellitus, Zu-

13.6 Schädel-Hirn-Trauma des alten Menschen | 317

stand nach Schlaganfall und maligne Erkrankungen zu einem Anstieg der Mortalität [50].

13.6.7.2 Begleitmedikation Die Studienlage zu Schädel-Hirn-Trauma unter Antikoagulanzien ist nicht eindeutig. Lavoie et al. berichteten z. B., das Phenprocoumon keinen Einfluss auf Morbidität und Mortalität hat [18], andere Studien hingegen berichteten von einer 3 bis 6fach erhöhten Letalität [10, 20]. Die Letalität scheint dabei direkt proportional zur Höhe der Phenprocoumondosis zu sein [10]. Bei Patienten, die ein Schädel-Hirn-Trauma unter antikoagulativer Therapie erleiden, wird für eine Operation eine Normalisierung der Gerinnungssituation angestrebt. Auf die Einzelheiten der medikamentösen Gegensteuerung bei einer vorbestehenden antikoagulativen Behandlung wird in Kapitel 12 eingegangen. Statine und Betablocker sind bis jetzt die einzigen bekannten Medikamentengruppen, die die Prognose von älteren Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma zu verbessern scheinen [51]. Die Wirkung der Statine ist dabei vermutlich antiinflammatorisch und immunmodulierend [20].

13.6.8 Prognose und Rehabilitation nach Schädel-Hirn-Trauma Die Prognose älterer Patienten nach SHT wird – analog zum jüngeren – von Art und Schwere des SHT und durch extrakranielle Begleitfaktoren wie Hypotonie und/oder Hypoxämie bestimmt [25]. Daneben ist aber auch das Alter selbst ein unabhängiger Prädiktor für ein schlechtes Outcome. So überlebte in einer vergleichenden Studie kein Patient über 65 Jahre mit einem initialen GCS von 11 oder weniger Punkten sein SHT in einem guten neurologischen Zustand [52]. Auch bei ausschließlich schwerem Schädel-Hirn-Trauma (GCS 3–8) lassen sich diese schlechten klinischen Ergebnisse nachvollziehen: 20 % der Patienten mit einem GCS von 8 versterben oder überleben im apallischen Syndrom, bei einem GCS von 6 oder 7 steigt der Anteil dieser Patienten auf 67 % und bei einem GCS von 3–5 sind es 100 % [28]. Auch sind ältere Patienten nach schwerem SHT länger komatös als jüngere Patienten mit vergleichbarem Verletzungsgrad [53]. Hierbei ist die Gesamtdauer des Krankenhausaufenthalts für jüngere und ältere Patienten annähernd gleich, die Dauer der anschließenden Rehabilitationsbehandlung jedoch etwa doppelt so lang [54]. Neben der im Vergleich zu jüngeren Patienten deutlich längeren Rehabilitationsbehandlung sind auch die Rehabilitationsergebnisse für ältere Patienten schlechter. Mit steigendem Alter nimmt der Anteil derjenigen Patienten, welche in eine Langzeitpflegeeinrichtung entlassen werden müssen, zu [13] und ist insbesondere für über 80-Jährige deutlich erhöht [12].

318 | 13 Besondere Verletzungsformen

Die Wahrscheinlichkeit, nach einem Schädel-Hirn-Trauma wieder unabhängig für sich sorgen zu können, ist für ältere Patienten geringer [54]; im Gegensatz zu jüngeren bedürfen sie nach der Entlassung aus der Rehabilitationsklinik signifikant häufiger externer Unterstützung [13]. Dies ist vorwiegend auf die Einschränkung kognitiver Funktionen zurückzuführen; ältere und jüngere Patienten mit ähnlicher Verletzungsschwere verfügen zwar direkt nach der Rehabilitationsbehandlung wie auch 1 Jahr nach Entlassung aus dem Akutkrankenhaus über ungefähr die gleichen physischen Fähigkeiten, der Anteil deutlicher Verhaltens- und Funktionseinschränkungen ist im Alter jedoch höher [4, 54, 55]. Eine deutlich bessere Prognose haben lediglich ältere Patienten nach leichtem SHT (GCS 13–15): Ein Großteil dieser Patienten kann nach längerer Rehabilitationsbehandlung wieder selbstständig leben, wenngleich auch der Anteil funktionell gut Überlebender bei Jüngeren etwas höher ist [56]. Die im Vergleich mit Jüngeren schlechtere Rehabilitationsfähigkeit hat unterschiedliche Gründe: Beim Älteren sind die Mechanismen der zerebralen Kompensation, Plastizität und Reorganisation im Alter ineffektiver, sodass die funktionelle Erholung eingeschränkt ist [6]. Zudem besteht bei älteren Patienten eine höhere Inzidenz von medizinischen Komplikationen, die die Erholung verzögern können [27]. Nach einem Schädel-Hirn-Trauma leiden viele Patienten unter Folgesymptomen, die die Rehabilitation erschweren. Bei älteren Patienten treten häufiger als bei jüngeren kognitive Einschränkungen, Müdigkeit, vestibulärer Schwindel, Einschränkungen des Schlaf-Wach-Rhythmus, psychiatrische Auffälligkeiten und Verhaltensstörungen wie Apathie, Unruhe, Reizbarkeit und Aggression [19], Kopfschmerzen sowie Seh- und Hörstörungen auf und behindern Rehabilitation und Wiedereingliederung. Allgemeine körperliche Schwäche, Spastizität, Dysphagie, Paresen, Krampfanfälle, Sprachstörungen und Hormon- sowie Elektrolytstörungen sind auch beim jungen Patienten bekannt und erschweren zusätzlich den Rehabilitationsverlauf [27]. Als Folge der allgemein schlechteren Prognose für ältere Patienten nach SchädelHirn-Trauma besteht ein hoher Bedarf an adäquaten akuten Rehabilitations- und Versorgungsplätzen, weil mehr als 85 % der älteren Patienten mit schwerem und über 70 % der älteren Patienten mit mittelschwerem Schädel-Hirn-Trauma entweder pflegebedürftig wieder in das häusliche Umfeld oder in eine weitere Rehabilitationseinrichtung entlassen werden [57].

13.6.9 Spätfolgen des Schädel-Hirn-Traumas bei älteren Patienten Spätfolgen bzw. nach Entlassung aus stationärer Behandlung auftretende Komplikationen können durch Krampfanfälle, Hydrocephalus und durch Verletzungen im Rahmen weiterer Stürze auftreten [19]. So haben Patienten über 65 Jahre ein erhöhtes Risiko, nach einem Schädel-Hirn-Trauma Krampfanfälle zu entwickeln [47].

13.6 Schädel-Hirn-Trauma des alten Menschen |

319

Neben diesen Komplikationen ist ein SHT auch ein bekannter Risikofaktor für eine spätere Demenz. Diese ist in der Risikogruppe nicht nur häufiger, sie beginnt auch früher. Insbesondere bei Vorliegen genetischer Marker wie einem ApoE-Genotyp erhöht ein Schädel-Hirn-Trauma im Alter das Risiko für eine Demenz vom AlzheimerTyp [48, 49]. Auch wiederholte leichte Schädel-Hirn-Verletzungen können langfristig eine chronische traumatische Enzephalopathie verursachen, die später mit Gedächtnisstörungen, Verhaltens- und Persönlichkeitsveränderungen, Parkinsonismus, Sprachund Gangabnormalitäten symptomatisch wird [20].

13.6.10 Prävention Stürze stellen die häufigste Verletzungsursache alter Patienten mit SHT dar. Aus diesem Grund ist eine Sturzprävention sinnvoll. In der häuslichen Umgebung kann dies bereits durch einfache Maßnahmen wie ausreichende Beleuchtung, Beseitigung möglicher Sturzursachen (Treppen, Stufen, Teppichkanten etc.) erfolgen. Durch gezieltes Training können Kraft, Balance, physische Flexibilität und Ausdauer gestärkt werden. Entsprechende Kurse werden mittlerweile von vielen Veranstaltern wie Krankenkassen, Volkshochschulen, Turnvereinen usw. heimatnah angeboten. Da viele Medikamente sedierende Nebenwirkungen haben (z. B. zentral wirkende Analgetika), sollte die jeweilige Medikation im Hinblick auf diese Nebenwirkungen, aber auch auf mögliche Interaktionen im Alter kritisch überprüft werden. Die Gabe von Vitamin-D-Präparaten kann die Kraft, die Reaktionszeit und die Balance bei älteren Patienten steigern [10].

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14 Begleitverletzungen im Kopf- und Halsbereich Neriman Özkan und Sophia Goerike

14.1 Dissektion hirnversorgender supraaortaler Arterien Bei Schlaganfällen jüngerer Patienten (< 50 Jahre) ist in 25 % der Fälle eine Dissektion hirnversorgender Gefäße die Ursache. Die Inzidenz beläuft sich auf 2,6–5 pro 100.000 Einwohner pro Jahr [1–3]. Dissektionen der A. carotis interna sind 3-mal häufiger als die der A. vertebralis, Dissektionen intraduraler Arterien sind meist von extradural fortgeleitet. Etwa 1 % der Patienten erleiden eine Dissektion im Rahmen eines SchädelHirn-Traumas. Eine plötzliche Überstreckung des Kopfes, eine auffällige Häufung nach chiropraktischen Behandlungen und vorangegangene Bagatelltraumen vor Symptombeginn und prädisponierende Bindegewebserkrankungen finden sich häufig beim Auftreten einer Dissektion der supraaortalen Gefäße [4, 5]. Dissektionen wurden auch im Zusammenhang mit exzessiven Spielen von Blasinstrumenten [6] und nach einer abrupten Überstreckung des Halses bei Intubation [7] beobachtet. Auch zugrunde liegende Gefäßerkrankungen können Dissektionen verursachen, z. B. Arteriosklerose, fibrodysplastisches Syndrom, Marfan-Syndrom, Morbus Takayasu, Syphilis, Moya Moya [8, 9]. Zudem können iatrogene Dissektionen z. B. im Rahmen einer Katheterangiographie auftreten.

14.1.1 Klinische Symptomatik Falls der Patient nach einem Trauma ansprechbar ist, fällt er mit Dissektion ipsilateraler Hals- und Nackenschmerzen oder Kopfschmerzen auf. Ein ipsilaterales HornerSyndrom oder ipsilaterale Hirnnervenausfälle, insbesondere der kaudalen Hirnnerven (N. lingualis, N. facialis, Chorda tympani, N. accessorius, N. hypoglossus) werden in 10–30 % der Fälle beobachtet. Bis zu 60 % der Patienten zeigen keinen Infarkt oder lediglich eine flüchtige ischämische Symptomatik [10–12].

14.1.2 Pathophysiologie Durch ein Trauma bedingte Verletzungen der einzelnen Gefäßwandschichten können unterschiedliche Formen der Gefäßdissektion auslösen [13]: – Gefäßdissektion: Durch Eintritt von Blut zwischen Intima und Media wird das Lumen des Gefäßes einengt und dieses u. U. konsekutiv verschlossen.

https://doi.org/10.1515/9783110366853-016

324 | 14 Begleitverletzungen im Kopf- und Halsbereich





Dissektionsaneuryma: Durch Eintritt von Blut zwischen Media und Adventitia kann ein Aneurysma mit eventueller Ruptur in den Subarachnoidalraum entstehen. Pseudoaneurysma: Blut tritt aus der verletzten Gefäßwand aus und kann mit oder ohne Membran als Pseudoaneurysma in Erscheinung treten.

Durch Austreten von Blut in die verletzten Gefäßwände und Hämatombildung zwischen den einzelnen Schichten der Gefäßwand kann sich ein Aneurysma ausbilden. Diese Veränderungen können bei intrakranieller Ruptur eine subarachnoidale Blutung hervorrufen [14]. Subintimale Dissektionen werden häufiger in intrakraniellen Gefäßen beobachtet, Dissektionen zwischen Media und Adventitia sind bei extrakraniellen Gefäßen bis zur Aorta häufiger.

14.1.3 Diagnostik Eine Dissektion sollte bei entsprechender klinischer Symptomatik und/oder Anamnese rasch diagnostiziert werden, um durch schnelle Akut- und Sekundärtherapie einen zerebralen Schlaganfall zu verhindern [15]. Dabei ist die farbduplexsonographische Diagnostik aufgrund breiter Verfügbarkeit zumeist die Methode der Wahl bei der Abklärung dissektionsverdächtiger Symptome in der Praxis [16]. Mittels Ultraschalldiagnostik kann eine Dissektion in bis zu 90 % der Fälle sicher dargestellt oder hochwahrscheinlich gemacht werden[17, 18]. Bei Dissektionen der A. carotis interna, die nur lokale klinische Manifestationen (z. B. Kopf- und Nackenschmerzen, Horner-Syndom) aufweisen, ist die Sensitivität der Sonographie allerdings geringer [19]. Die Duplexsonographie kann in bis zu 31 % der Fälle normal ausfallen, weil die Gefäße trotz Dissektion einen normalen Blutfluss zeigen können [20]. Nach schweren Unfällen ist die Computertomographie (CT) und kontrastmittelgestützte CT-Angiographie ein wichtiger Bestandteil in der Traumabildgebung. Sie erlaubt eine schnelle und sichere Abklärung der kraniozervikalen Gefäße und ist in allen Fällen indiziert, in denen ein Trauma der Halswirbelsäule vorliegt oder angesichts des Unfallhergangs angenommen werden muss [21]. Die CT-Angiographie kann dabei die CT von Kopf und HWS durch einfache intravenöse Kontrastmittelgabe ergänzen. Typische Befunde wie Kalibersprünge, Lumeneinengung, Septierung und Doppelkontur von dissezierten Gefäßen und Pseudoaneurysmen lassen sich zuverlässig nachweisen [22]. Die aussagekräftigste Methode in der Dissektionsbildgebung ist die Magnetresonanztomographie (1,5 oder 3 Tesla) [23]. Dabei können Schnittbilder das Wandhämatom selbst und eventuelle zerebrale Infarktfrühzeichen und die MR-Angiographie die Gefäßbefunde darstellen [24]. Die MRT bleibt im Notfall der ergänzenden Abklärung

14.1 Dissektion hirnversorgender supraaortaler Arterien | 325

unklarer CT-Befunde aufgrund geringerer Verfügbarkeit, zeitlichen Aufwands und Erfordernis der Patientenüberwachung vorbehalten. Eine Katheterangiographie kann zur endgültigen Klärung von klinisch und/oder bildmorphologisch unklaren Einzelfällen beitragen. Die digitale Subtraktionsangiographie (DSA) hat ihren Stellenwert in der endovaskulären Therapie von hämodynamischen Stenosen oder der Behandlung von intraduralen (Pseudo-)Aneurysmen bei bzw. nach einer Gefäßdissektion (Abb. 14.1).

14.1.4 Therapie Die gängige Behandlungspraxis extraduraler Dissektionen ist die Antikoagulation mit Heparin (2 bis 3fache PTT) und die nachfolgende Umstellung auf orale Antikoagulation (INR 2–3) oder die Behandlung mit Thrombozytenaggregationshemmern, wobei Studien keinen relevanten Unterschied beider Verfahren fanden [25, 26]. Die Rate der Rekanalisation und Wiedereröffnung zervikaler Dissektionen unter medikamentösen Maßnahmen ist mit bis zu 80 % sehr hoch [27]. Eine Verbesserung des zerebralen Perfusionsdrucks durch induzierte Hypertension sollte bei relevanten hämodynamischen Problemen im Rahmen einer Dissektion erwogen werden [25]. Gefäßchirurgische oder endovaskulär/neuroradiologische Verfahren wie Ballondilatation und/oder Stenting einer Dissektion sind in Einzelfallen bei hämodynamischer Relevanz der Gefäßeinengung mit Gefahr zerebraler Ischämien notwendig [28]. Gefährlich ist die intradurale Ausbreitung oder Lokalisation der Dissektion. Vor allem bei distalen Vertebralisdissektionen beträgt das Risiko, eine Subarachnoidalblutung aus einem assoziierten Aneurysma zu erleiden, bis zu 25 %. Aneurysmen, die zu einer Blutung geführt haben oder zu einer Hirnnervenkompression führen, sollten in jedem Fall behandelt werden. Dazu sind die gängigen neurochirurgischen und endovaskulären Verfahren wie Coiling, ballon- oder stentgestütztes Coiling geeignet [29, 30]. Aufgrund des hohen Rezidivrisikos ist auch der therapeutische Gefäßverschluss nicht obsolet. Extrakranielle dissezierende Aneurysmen sollten nur im Fall nicht therapierbarer thromboembolischer zerebraler Ereignisse oder bei relevant raumforderndem Effekt operativ behandelt werden.

14.1.5 Traumatische intrakranielle Aneurysmen Traumatische Aneurysmen sind sehr selten und machen nur etwa 1 % aller intrakraniellen Aneurysmen aus [31, 32], der Erstbeschreiber war Guibert im Jahr 1895 [33]. Die Häufigkeit ist bei penetrierenden Kopfverletzungen deutlich höher. Ein traumatisch bedingtes intrakranielles Aneurysma kann durch ein Akzelerationstrauma entstehen,

326 | 14 Begleitverletzungen im Kopf- und Halsbereich

(a)

(b)

(c)

(d)

(e)

(f)

Abb. 14.1: Dissektion in der Bildgebung. (a) CTA: koronare MPR, (b) KM MRA MIP, (c) DSA, (d) T2 axial, (e) arterielle TOF MRA, (f) T1 nativ fettgesättigt koronar. Typische Bildzeichen: Doppelkontur (grüner Pfeil), Kaliberminderung/Stenose (gelber Pfeil), hyperintenses Wandhämatom (roter Pfeil).

wobei der Kontakt der Arterie zur Dura in der Entstehung eine Rolle spielt und es entsprechende Prädilektionsstellen (A. pericallosa und distale A. cerebri posterior) gibt [34, 35]. Traumatische Aneurysmen können auch iatrogenen Ursprungs sein, beispielsweise nach transsphenoidalen Eingriffen, Operationen im Sinus cavernosus, stereotaktischer Biopsie und endoskopischer Ventrikulostomie [36–38]. In Beobachtungsstudien konnte gezeigt werden, dass sich in 10–14 % der Fälle nach Stichverletzungen mit Messer oder Schraubendreher und nach Schussverletzungen ein Aneurysma ausbildet [39]. Es zeigte sich, dass Männer 12-mal häufiger betroffen sind als Frauen [40].

14.1 Dissektion hirnversorgender supraaortaler Arterien | 327

14.1.5.1 Pathologie Abhängig vom betroffenen Gefäßwandkompartiment werden echte, dissezierende oder falsche Aneurysmen unterschieden. Bei echten Aneurysmen stülpt sich die Intima zwischen einzelne Lücken der Elastika aus, wohingegen falsche Aneurysmen eine Verletzung aller Gefäßwandschichten zeigen [41, 42]. Intrakranielle Pseudoaneurysmen sind häufig am Gefäßstamm lokalisiert und imponieren in typischer „blister like“-Konfiguration. Form und Lokalisation erlauben häufig eine Unterscheidung zu echten Aneurysmen an Bifurkationen oder distalen mykotisch/postentzündlichen Aneurysmen (Abb. 14.2). Die Differenzierung zwischen echten und falschen Aneurysmen kann letztlich nur histopathologisch getroffen werden. Nichtpenetrierende Verletzungen können zur Ausbildung von Dissektionsaneurysmen führen. Diese Aneurysmen können durch Verletzung von ein oder zwei Gefäßwandschichten entstehen. Die Einblutung breitet sich zwischen den Gefäßwänden aus, wobei es zu Gefäßokklusionen oder Embolien kommen kann. Eine Verletzung aller Wände kann in einer Subarachnoidalblutung (SAB) resultieren [42, 43].

14.1.5.2 Klinische Symptome Patienten nach einem Schädel-Hirn-Trauma können bis zu 2 Wochen später Symptome nach einer Aneurysmaruptur und subarachnoidaler Blutung zeigen [37]. Je nach Lokalisation, Ausmaß und Auftreten einer Ruptur können die Symptome variieren, so können ein einmaliges tolerierbares Kopfschmerzereignis, aber auch das Vollbild einer SAB mit Bewusstseinsverlust und Liquoraufstau oder Symptome einer Hirnnervenkompression auftreten.

14.1.5.3 Therapie Eine geringe Anzahl an traumatischen zerebralen Aneurysmen nach penetrierenden Verletzungen können spontan thrombosieren [44]. Die Therapie ist meistens operativ, wobei in 10–15 % der Fälle das aneurymatragende Gefäß offengehalten werden kann, weil häufig der Aneurysmahals fehlt [32]. Ist der Verschluss des Trägergefäßes notwendig, so sollte ein Externa-Interna-Bypass in Erwägung gezogen werden [45]. Ohne Therapie liegt die Morbidität und Letalität bei 50–70 %, wohingegen bei operativ therapierten Aneurysmen eine geringere Morbidität und Letalität mit 15–30 % beschrieben wird [38, 42]. Die Therapie von Pseudoaneurysmen ist aufgrund fehlender Begrenzung zum Subarachnoidalraum komplex, und es kann während der Therapie zur erneuten Ruptur kommen. So kann sich das Coil-Material beim interventionellen Verschluss von Pseudoaneurysmen im Wanddefekt und auch im angrenzenden Thrombus und Subarachnoidalraum verteilen und so die Rupturstelle verschließen [45, 46].

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(a)

(d)

(b)

(e)

(c)

Abb. 14.2: Zustand nach Sturz beim Skifahren 1 Woche zuvor, seither aushaltbare Kopfschmerzen, aktuell neue Fazialisparese links und erste Vorstellung. (a) Nativ-CT: links zerebelläre SAB (roter Pfeil), (b) DSA: A. vertebralis links seitl.: traumatische Dissektion der linken A. vertebralis auf Höhe des Atlasbogens, V4-Segment und proximale A. basilaris und apikal gerichtetes Pseudoaneurysma der distalen A. vertebralis distal der linken PICA (gelber Pfeil), (c) DSA: A. vertebralis links seitl.: nach Coil-Verschluss der distalen A. vertebralis inkl. des Pseudoaneurysmas (grüner Pfeil) unter Erhalt der linken PICA, (d) DSA: A. vertebralis rechts seitl.: hypoplastische, primär PICA endende A. vertebralis rechts mit nur zarter Versorgung der A. basilaris (weißer Pfeil), (e) DWI-Sequenz im MRT: kein Infarktnachweis. Patient klinisch stabil, Aneurysma langfristig ausgeschaltet.

14.1.6 Traumatische arteriovenöse Fistel Arteriovenöse Fisteln sind ganz allgemein atypische Gefäßverbindungen zwischen arteriellen und venösen Gefäßen, die zumeist erworben sind und abhängig von ihrer Lokalisation zu venösen Abflussstörungen, thromboembolischen zerebralen Ereignissen und bei Beteiligung kortikaler Venen zu zerebralen Blutungen führen können. Ganz generell kann man zwischen schnell und langsam durchflossenen Gefäßpathologien unterscheiden. Dabei sind die vaskulären Veränderungen sehr vielfältig und ihre Symptomatik abhängig von ihrer Lokalisation. Wenn oberflächliche Venen in die venöse Drainage einer duralen arteriovenösen Fistel einbezogen

14.1 Dissektion hirnversorgender supraaortaler Arterien | 329

werden, steigt das Blutungsrisiko. Insbesondere Fisteln in der vorderen Schädelgrube haben mit bis zu 84 % ein besonders hohes Blutungsrisiko und sollten behandelt werden [47, 48].

14.1.6.1 Carotis-Sinus-cavernosus-Fistel Die wichtigste posttraumatische, vaskuläre Pathologie ist die Carotis-Sinus-cavernosus-Fistel (CCF). Dabei besteht eine pathologische Verbindung zwischen A. carotis interna und/oder A. carotis externa und dem Sinus cavernosus. Trotz typischer klinischer Symptomatik mit Protrusio bulbi, Zeichen einer orbitalen, venösen Abflussstörung und mit Augenmuskelparesen in unterschiedlicher Ausprägung ist die Diagnosestellung oft verzögert. Bei Fisteln, die eine venöse Drainage in kortikale Venen zeigen, besteht ein zerebrales Blutungsrisiko (Abb. 14.3). Allein durch den erhöhten venösen Druck besteht die Gefahr des Visusverlustes und damit die unbedingte Therapieindikation mit zumeist endovaskulärem Fistelverschluss. Carotis-Sinus-cavernosus-Fisteln können idiopathisch, iatrogen (z. B. nach einer perkutanen Thermokoagulation bei einer Trigeminusneuralgie) oder posttraumatisch (z. B. bei 0,2 % aller Patienten mit einem Schädel-Hirn-Trauma) auftreten [49]. Ätiologisch können zwei Formen unterschieden werden. Zum einen direkte Fisteln, die in den häufigsten Fällen durch eine Schädelbasisfraktur oder durch Ruptur eines intrakavernösen Aneurysmas bedingt sein können, zum anderen indirekte Fisteln, die spontan infolge von Gefäßerkrankungen, Sinusitiden oder Sinus-cavernosusThrombosen auftreten können. Neben der Unterscheidung nach der Ätiologie differenziert man zudem hämodynamisch zwischen High-flow-Fisteln (direkte Fistel mit hohem Shuntvolumen) und Low-flow- oder indirekten Fisteln. Pathophysiologisch resultiert durch den Shunt zwischen A. carotis interna und dem Sinus cavernosus eine hämodynamische Strömungsumkehr im Sinussystem mit venösen Abflussstörungen; bei sehr hohem Shuntvolumen ist auch ein Versorgungsdefizit der zerebralen arteriellen Gefäße denkbar.

Klinische Symptomatik Ein pulssynchrones Rauschen wird von den meisten Patienten wahrgenommen, das sogar mit dem Stethoskop auskultiert werden kann. Ein pulsierender Exophthalmus ist dabei möglich. Dieser wird durch Arterialisierung der V. ophthalmica ausgelöst. Es kommt daneben zu einer massiven ausgeprägten konjunktivalen und ziliaren Injektion sowie zur Chemosis. Der Augeninnendruck kann erhöht sein, woraus sich eine Optikusatrophie und damit eine Erblindung entwickeln kann. Da durch die Wand des Sinus auch der N. oculomotorius, der N. trochlearis und der N. abducens ziehen, können diese Hirnnerven mitbetroffen sein, das klinische Bild wird als Sinus-cavernosusSyndrom bezeichnet. Das typische Bild der Abduzensparese sind Doppelbilder durch

330 | 14 Begleitverletzungen im Kopf- und Halsbereich

Abb. 14.3: Patient nach SHT und das klinische Bild einer CCF rechts mit einem Exophthalmus, ziliarer Injektion und Chemosis (Foto: J. Piek).

Parese des M. rectus lateralis mit Zunahme bei Blick in Richtung des betroffenen Auges und kompensatorischer Kopfwendung in dessen Richtung.

Diagnostik Aufgrund der zum Teil diffusen Symptomatik ist die Diagnostik häufig nicht anhand des klinischen Befundes zu stellen. Neben dezidierter Anamnese, klinischer Untersuchung der Augen und Hirnnervenprüfung (III, IV, VI) ist eine entsprechende Bildgebung unerlässlich. Man muss bei der Abklärung posttraumatischer Fisteln beachten, dass in der initialen Traumaabklärung die Fistel nur selten abgrenzbar ist. So ist die arterielle Verletzung im Halsbereich mit Fistelung in eine zervikale Vene erkennbar; kleine Mikroshunts, Vorläufer arteriovenöser Malformationen, können der initialen CT-Darstellung im Notfallsetting jedoch entgehen. Nach schweren Unfällen ist die kontrastmittelgestützte CT-Angiographie ein wichtiger Bestandteil in der Traumabildgebung. Sie erlaubt eine schnelle und sichere Abklärung der kraniozervikalen Gefäße und den Nachweis pathologisch verfrühter Kontrastmittelverteilung in venöse Kompartimente in der arteriellen Phase, z. B. in den Sinus cavernosus. Typische Symptome wie pulssynchrone Ohrgeräusche können sich erst im Verlauf und/oder bei zunehmender Gefäßbeteiligung entwickeln oder bei initial bewusstlosen Patienten nicht detektierbar sein. Die Abklärung eines Ohrgeräusches gelingt zuverlässig mit hochaufgelösten MR-Sequenzen inkl. MR-Angiographie [50]. (Abb. 14.4) Schwierig kann die Diagnostik Trauma-assoziierter arteriovenöser Fisteln z. B. an der Mantelkante sein, hier kann durchaus ein Blutungsrisiko bestehen, die Fistel aber aufgrund geringer Größe oder Fehlens von Symptomen nicht, erst verzögert oder gar erst im Verlauf bei Eintreten einer atypischen Blutung erkannt werden. Sollten im Verlauf nach einem adäquaten Trauma neue Symptome wie pulssynchrone Ohrgeräusche, Dauerkopfschmerzen, Sehstörungen oder fokal-neurologische Symptome auftreten, ist die weitere Abklärung zunächst mittels MRT indiziert. Die Katheterangiographie bleibt der Goldstandard in der Abklärung arteriovenöser zerebraler oder spinaler Malformationen zu deren Diagnose, Klassifikation (und Erhebung des Blutungsrisikos) und

14.1 Dissektion hirnversorgender supraaortaler Arterien | 331

(a)

(b)

(c)

(e)

(d)

(f)

Abb. 14.4: Patient nach Treppensturz mit Sprengung der Sutura occipitomastoidea rechts ((a) CT im Knochenfenster, roter Pfeil) und schmalem epiduralen Hämatom und intrakraniellen Lufteinschlüssen ((b) CTA, roter Pfeil). Symptom: pulssynchrones Ohrgeräusch rechts. Arteriovenöse Fistel zwischen A. occipitalis und Sinus sigmoideus rechts ((c) pa, (d) seitlich, Fistel, weißer Pfeil). Vollständige transarterielle Ausschaltung mit Coil und Onyx ((e), (f), schwarzer Pfeil).

zur Therapieplanung. Zudem hat die DSA ihren Stellenwert in der endovaskulären Therapie von arteriovenösen Fisteln (Abb. 14.5).

Therapie der CCF Die Indikation zur Therapie einer arteriovenösen Fistel ergibt sich aus der Symptomatik des Patienten und der angiographischen Klassifikation. Etwa 50 % aller Low-flowCSFS verschließen sich durch eine spontane Thrombose. Aus diesem Grund können diese CSFS bei gutem Visus und einem Augeninnendruck von < 25 mmHg beobachtet werden. Für die High-flow-CSFS ist die Therapie unbedingt indiziert. Neben der operativen Exstirpation ist die endovaskuläre Embolisation ein mögliches minimalinvasives Verfahren zum Fistelausschluss. Behandlungsziel ist immer, die pathologische Kurzschlussverbindung zu unterbinden und dabei möglichst die normale Gefäßanatomie und -versorgung zu erhalten. Bei der Fisteltherapie hat die Weiterentwicklung der interventionell-neuroradiologischen, minimal-invasiven Verfahren die operative Therapie mehr und mehr abgelöst. Endovaskulär kann man grundsätzlich den transvenösen oder transarteriellen Weg zum Fistelpunkt aufsuchen, um dort möglichst alle an der Fistelzone beteiligten pathologischen Gefäße zu unterbinden oder zu verschließen. Dabei stehen verschiedene Materialien, wie gecoverte Stents und Embolisatmaterialien wie Coils, Partikel

332 | 14 Begleitverletzungen im Kopf- und Halsbereich

und Flüssigembolisate zu Verfügung. Die Verwendung verschiedener Ballons erlaubt die Kontinuität eines an einer duralen arteriovenösen Fistel beteiligten Sinus unter Flüssigembolisateinbringung zu erhalten. Am Beispiel der Carotis-Sinus-cavernosusFistel wird das verfrüht arteriell drainierende Sinuskompartiment verschlossen. Dabei kann man transvenös über die Jugularvene oder, in Einzelfällen erforderlich nach chirurgischer Exploration, über die Orbitalvene das Sinuskompartiment direkt erreichen oder transarteriell über den/die arteriellen Feeder das Fistelareal verschließen [51, 52] (Abb. 14.6).

(a)

(c)

(b)

(d)

Abb. 14.5: Fahrradsturz (ohne Helm) bei hoher Geschwindigkeit. Massive traumatische Mittelgesichtsdestruktion mit multiplen Frakturen der Schädelbasis, des Carotiskanals beidseits und des Clivus. Traumatische Carotis-Sinus-cavernosus-Fistel beidseits mit KM-Abstrom in den Sinus cavernosus (roter Pfeil) und die Keilbeinhöhle (grüner Pfeil). (a) CTA, (b) CT Knochenfenster, (c)+(d) ACI links pa und seitlich.

14.1 Dissektion hirnversorgender supraaortaler Arterien | 333

(a)

(b)

(c)

(d)

(e)

(f)

Abb. 14.6: Seit 3 Jahren, im Anschluss an ein Trauma aufgetretener, langsam progredienter Exophthalmus und Rötung des rechten Auges sowie Doppelbilder. In der DSA Nachweis einer indirekten duralen Carotis-Sinus-cavernosus-Fistel rechts ((a)–(c), roter Pfeil) mit venöser Drainage in die Orbitalvene (grüner Pfeil) und nach transvenösem Fistelverschluss mit Coil-Paket ((d)–(f), weißer Pfeil). (a)+(d): ACI seitl., (b)+(e): ACE seitl., (c)+(f): ACI pa.

Bei aggressiven arteriovenösen Fisteln kann neben der Embolisation eine operative Resektion der Fistel unter Schonung von drainierenden Venen notwendig werden [53, 54]. Zur genauen Lokalisation des Fistelpunktes können die Stereotaxie oder die Neuronavigation eingesetzt werden. Zu den derzeit modernsten Einrichtungen zählen die sog. Hybrid-Operationssäle. In diesen Sälen ist die Implementierung einer Vielzahl von unterschiedlichen hochauflösenden diagnostischen Methoden möglich ist (z. B. hochauflösende digitale 3D-Angiographie), aber auch die Therapie mit interdisziplinären Behandlungskonzepten bestehend aus einer Kombination von interventionellen und mikrochirurgischen Verfahren [55].

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Tobias Schuldt und Robert Mlynski

14.2 Verletzungen des HNO-ärztlichen Fachgebietes 14.2.1 Einleitung Die Versorgung von Patienten mit einem Schädel-Hirn-Trauma bedingt auch aus HNOärztlicher Sicht ein interdisziplinäres Vorgehen, wobei der HNO-Arzt zum „erweiterten Schockraumteam“ gehört [1]. Einen wesentlichen Teil macht hier das sekundäre Atemwegsmanagement aus. Schnittpunkte und Überschneidungen zu anderen Fachgebieten insbesondere zur Neurochirurgie, Augenheilkunde und MKG-Chirurgie stellen z. B. Verletzungen der Rhino- und Otobasis, der Hirnnerven, der Orbita sowie Mittelgesichtsfrakturen dar. Ein Schwerpunkt der HNO-ärztlichen Versorgung von Patienten mit einem Schädel-Hirn-Trauma ist die Versorgung der Rhinobasis und Laterobasis unter Erhalt und Wiederherstellung von Funktionsstörungen dieser Organsysteme. Die initiale Untersuchung umfasst einen vollständigen HNO-Status, der neben der Prüfung der Atemwege mit Rhino-, Pharyngo- und Laryngoskopie auch die Otoskopie und einen Hirnnervenstatus beinhaltet, um dringliche Behandlungsschritte zu veranlassen.

14.2.2 Schädelbasis Die Schädelbasis ist charakterisiert durch eine hohe Konzentration an Gefäßen und Nervenstrukturen, die isoliert oder gebündelt über Fissuren und Knochenkanäle die Grenzregion zwischen dem Gesichtsschädel und dem Hirnschädel kreuzen. Schädel-Hirn-Traumen führen daher häufig zu Verletzungen von Hirnnerven und Sinnesorganen in diesem Gebiet. Es ist deshalb eine frühzeitige Beurteilung der klinisch und radiologisch sichtbaren Traumafolgen erforderlich, um Ausfälle der Sinnesfunktionen und der Motorik zu erkennen und deren Erhalt und ggf. Wiederherstellung bei der interdisziplinären Versorgung zu ermöglichen. In der Hals-

14.2 Verletzungen des HNO-ärztlichen Fachgebietes |

337

Nasen-Ohrenheilkunde steht hierfür eine Vielzahl an diagnostischen und klinischen Möglichkeiten zur Verfügung. Die Schädelbasis trennt als ossäre Grundplatte den Gesichtsschädel vom Hirnschädel. Es wird zwischen vorderer, mittlerer und hinterer Schädelbasis unterschieden, wobei Stirnbein, Siebbein, Keilbein, Schläfenbein und das Hinterhauptbein durch Suturen und Bandapparate miteinander verbunden sind. Die Nerven- und Gefäßdurchtrittsstellen an der Schädelbasis stellen für die Beurteilung von Komplikationen nach Frakturen wichtige Landmarken dar. Chirurgisch-anatomisch relevante Strukturen der Schädelbasis aus HNO-ärztlicher Sicht sind in der Tabelle 14.1 zusammengefasst. All diese Strukturen sind in Schnittbildverfahren darstellbar und müssen deshalb mit einem entsprechendem Traumaprotokoll erfasst und beurteilt werden. Tab. 14.1: Chirurgisch-anatomische Landmarken der Schädelbasis. Vordere Schädelgrube

Stirnbein, Siebbein, Keilbein, Lamina cribrosa (Fila olfactoria), Canalis opticus (Arteria et Vena ophthalmica), Fissura orbitalis superior

Mittlere Schädelgrube

Keilbein, Schläfenbein, Fissura orbitalis superior (N. oculomotorius, N. trochlearis, N. abducens, V. ophthalmica), Foramen rotundum (N. maxillaris), Foramen ovale (N. mandibularis), Foramen spinosum (A. meningea media)

Hintere Schädelgrube

Hinterhauptbein, Foramen magnum, Foramen jugulare, Canalis hypoglossus, Porus acusticus internus

Frakturen der Schädelbasis treten infolge einer großen Krafteinwirkung in Abhängigkeit von der Einwirkungsrichtung, der kraftaufnehmenden Fläche (punktförmig oder flächig) und der spezifischen Lokalisation in typischen Frakturlinien an der Schädelbasis und Kalotte auf. Prinzipiell wird zwischen einer Biegungs- und Berstungsfraktur unterschieden. Durch eine umschriebene Gewalteinwirkung und eine lokale Deformation am Einwirkungsort resultieren Biegungsbrüche, wobei aufgrund der von außen einwirkenden Biegung die Lamina interna vor der Lamina externa bricht. Aus einer breitflächigen Krafteinwirkung, die zur Verformung des gesamten Schädels führt, resultieren Berstungsbrüche. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass durch den Bandapparat erhebliche Rückstellkräfte wirken. Der in der Bildgebung sichtbare Zustand ist immer das Endprodukt der nach der Krafteinwirkung wieder reformierten Form der Schädelknochen. Typischerweise sind je nach Traumaform einzelne Strukturen weit ausgedehnter verformt worden als in der Bildgebung später sichtbar. Besonderer Bedeutung kommt hierbei dem Verlauf der A. carotis interna zu. So können kleine Frakturen im Verlauf des Carotiskanals ein Hinweis auf ausgedehntere Verformungen mit konsekutiver Aneurysmabildung sein. Aus klinischer Sicht wird die Schädelbasis in einen lateralen Anteil (Laterobasis) und einen frontalen Anteil (Frontobasis oder Rhinobasis) unterschieden. Eine Diffe-

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renzierung in diese beiden Regionen ist vor dem Hintergrund der Erkrankungen, dem Verletzungsmuster bei Schädel-Hirn-Traumen sowie der Klassifizierung von Frakturen und dem therapeutischen Vorgehen sinnvoll.

14.2.2.1 Laterale Schädelbasisfraktur (Schläfenbeinfraktur) Als Laterobasis wird die Region des Schläfenbeins mit dem angrenzenden Kleinhirnbrückenwinkel und der mittleren Schädelgrube bezeichnet. Von klinischer Bedeutung ist insbesondere die Anatomie des Schläfenbeins. Es setzt sich aus einer Pars petrosa, der Pars squamosa, der Pars mastoidea und der Pars tympanica zusammen. Es beherbergt neben dem Hör- und Gleichgewichtssinn Teile des Schmecksinnes, die Hirnerven N. VII, VIII, IX, X, XI, die A. carotis interna, den Sinus sigmoideus und stellt die hintere Begrenzung des Kiefergelenks dar. Etwa 6–8 % der stumpfen SHT führen zu Schläfenbeinfrakturen [2]. Damit gehören diese Frakturen zu den häufigsten Schädelbasisfrakturen, wobei die Symptomatik durch die Frakturlinien, die in Richtung des Hauptkraftvektors verlaufen, bestimmt wird [3]. Klinisch werden aus didaktischen Gründen Längs- und Querfrakturen unterschieden, wobei etwa 70 % der Schläfenbeinfrakturen als Längsfrakturen klassifiziert werden [4]. Häufig finden sich jedoch Frakturverläufe in allen drei Ebenen [5] (Abb. 14.8 (a)). Längsfrakturen, zumeist durch eine Gewalteinwirkung von lateral bedingt, laufen typischerweise vom Gehörgangsdach über die Paukenhöhle entlang der Pyramide. Klassische Symptome dieser Frakturen sind eine Gehörgangsblutung mit Stufenbildung, ein Hämatotympanon mit konsekutiver Schallleitungsschwerhörigkeit und in 10–20 % der Fälle eine Fazialisparese. Querfrakturen, häufig durch frontale oder okzipitale Gewalteinwirkung verursacht, können klinisch asymptomatisch sein. Beim Verlauf mit einer Fraktureinstrahlung in den Fazialiskanal oder die Cochlea treten Schwindel, cochleäre Schwerhörigkeit bis zur Ertaubung und eine Fazialisparese (50 % der Fälle) auf [2] (Abb. 14.7 (a)). Bei Verletzungen der Dura treten eine Otoliquorrhoe oder über die Drainage der Tuba auditiva eine Rhinoliquorrhoe auf. Schläfenbeinfrakturen sind grundsätzlich offene Schädel-Hirn-Traumen, weil die belüfteten Mittelohr- und Warzenfortsatzräume eine Verbindung zur Außenwelt mit entsprechendem Infektionsrisiko darstellen.

Diagnostik Bei der Beteiligung der Schläfenbeinpyramide können subjektiv Schluckbeschwerden und Heiserkeit, Schmeckstörungen, Hörstörungen einschließlich Tinnitus, Schwindel sowie Fazialisparesen angegeben werden und müssen anamnestisch und diagnostisch geprüft werden.

14.2 Verletzungen des HNO-ärztlichen Fachgebietes |

(a)

339

(b)

Abb. 14.7: Schläfenbeinquerfraktur mit Fraktur der Cochlea und konsekutiver Ertaubung (a). Derselbe Patient mit Cochleaimplantatelektrode zur Hörrehabiliation (b). Wegen der Achsenverschiebung der Cochleafragmente und einsetzender Fibrose ist die Elektrode nur unvollständig inseriert.

(a)

* (b)

(c)

Abb. 14.8: (a) Schläfenbeinfraktur rechts nach Leitersturz mit kompletter Fazialisspätparese (3 Tage nach Trauma, Stennert-Index 10) und Sprengung des Hammer-Amboss-Gelenks. (b) Intraoperativer Situs zu Abb. 14.8 a mit Dekompression des G. geniculi (↘) und Kettenrekonstruktion durch Hammerkopfinterposition (*). HB = horizontaler Bogengang. (c) Verlauf des N. facialis im Schläfenbeinpräparat mit Darstellung des G. geniculi (↘) bis zum Foramen stylomastoideum.

340 | 14 Begleitverletzungen im Kopf- und Halsbereich

Otoskopisch liegt der Verdacht auf eine Fraktur des Schläfenbeins bei Stufenbildung im Gehörgang, Trommelfelldefekten und einem Hämatotympanon vor. Ergänzend zur Ohrmikroskopie gehören die Stimmgabeldiagnostik nach Rinne und Weber, die Nystagmusprüfung mit der Frenzel-Brille und die Prüfung und Dokumentation der Fazialisfunktion zur initialen klinischen Untersuchung. Somit können bei reizlosem Trommelfell und Gehörgang Zeichen einer Schläfenbeinquerfraktur erfasst werden. Für die Bildgebung und insbesondere die Beurteilung des Fazialiskanals, der Cochlea und der Ossikelkette ist ein axiales Dünnschicht-Schläfenbein-CT mit einer Schichtdicke von 0,5–1 mm erforderlich. Eine hochauflösende MRT kann zur Beurteilung von Fazialisparesen, Liquorfisteln und traumatischen Meningoenzephalozelen hilfreich sein. Frakturen können im Knochenfenster anhand von Dehiszenzen und Dislokationen direkt erkannt werden. Verschattungen der pneumatisierten Räume oder intrakranielle Lufteinschlüsse sind indirekte Frakturzeichen.

Komplikationen Die häufigste Komplikation von Schläfenbeinfrakturen ist die Schwerhörigkeit als Schallleitungsschwerhörigkeit infolge eines Hämatotympanons und Kontinuitätsunterbrechungen der Gehörknöchelchenkette. Weiterhin treten Liquorfisteln (15 %), Verletzungen des N. facialis (7 %) und Meningitiden (1,8 %) auf. Zusätzlich sind Ausfälle des Gleichgewichtsorgans und Ertaubung bei Beteiligung der Cochlea zu nennen. Bereits bei einem leichten SHT ohne Fraktur der Schädelbasis werden Schwindelprobleme in Form eines Lagerungsschwindels durch die Mitbeteiligung der Otolithenorgane beschrieben [2]. Stumpfe SHT ohne Nachweis einer Fraktur oder mechanischen Schädigung können durch die Übertragung der Druckwelle ausgehend von der Kalotte auf die Cochlea bzw. das Vestibularorgan zu einer Innenohrfunktionsstörung, bezeichnet als „Commotio labyrinthi“ führen. Diese ist gekennzeichnet durch eine unmittelbar posttraumatische Hörminderung, oftmals von einem Tinnitus begleitet. Das audiometrische Bild entspricht dem eines akustischen Traumas mit einer relativ breiten c5-Senke [6].

14.2.2.2 Therapie Im Gegensatz zu Frakturen der Rhinobasis benötigen asymptomatische Frakturen der Otobasis keiner invasiven Therapie. Bei einer Otoliquorrhoe kann zunächst konservativ unter Antibiotikaschutz das spontane Sistieren, ggf. nach Anlage einer Lumbaldrainage abgewartet werden. Bei Persistenz länger als 7 Tage erhöht sich das Meningitisrisiko, sodass in diesen Fällen ein operativer Fistelverschluss nach interdisziplinärer Absprache indiziert ist. Dringliche Operationsindikationen stellen aus HNO-ärztlicher Sicht eine komplette Sofortparese oder inkomplette progrediente

14.2 Verletzungen des HNO-ärztlichen Fachgebietes |

341

Sofortparesen des N. facialis dar. Zur Verlaufskontrolle wird eine tägliche Dokumentation z. B. nach Stennert oder House-Brackmann empfohlen. Die Dekompression des Nervs erfolgt in der Regel transmastoidal mit Darstellung des gesamten Fazialiskanals vom G. geniculi bis zum Foramen stylomastoideum (Abb. 14.8 c). Bei Frakturen der Pyramide muss insbesondere auf eine Verletzung des Ganglion geniculi geachtet werden. Hämatome können über Druck und sekundäre Infektion des gelegentlich nicht knöchern bedeckten G. geniculi und des tympanalen Fazialisverlaufs zu Paresen führen [7] (Abb. 14.8 b). Bei einer posttraumatischen Schwerhörigkeit ist zwischen einer Schallleitungsund einer Schallempfindungsschwerhörigkeit zu unterscheiden. Bei einer reinen Contusio labyrinthi mit Innenohrschwerhörigkeit und periphervestibulärem Schwindel ohne Fraktur durch die Cochlea oder das Bogengangssystem sollte symptomatisch mit Antivertiginosa und Glukokortikoiden intravenös (z. B. nach Stennert-Schema [8]) therapiert werden. Bei radiologischen und klinischen Zeichen einer Labyrinthfistel, d. h. Eröffnung des Peri- oder Endolymphsystems der Cochlea und/oder der Bogengänge, ist eine otochirurgische Exploration und Abdeckung zu diskutieren. Bei Beteiligung des Innenohrs sollten, je nach Ausmaß, zur Infusionstherapie mit Cortison nach dem Stennert-Schema eine Tympanotomie durchgeführt und Perilymphfisteln abgedeckt werden [8]. Bei einer hochgradigen Schwerhörigkeit oder persistierenden Ertaubung ist die Indikation zum Organersatz des Innenohrs mit einem Cochleaimplantat zu überprüfen. Bei der Cochleaimplantation ist die Platzierung eines Elektrodenträgers in die Endolymphräume der Cochlea erforderlich. Bei Frakturen der Cochlea kann es durch Stufenbildung oder einwachsendes Bindegewebe zu einer Obliteration der sonst flüssigkeitsgefüllten Binnenräume in den Skalen der Cochlea kommen, was die Platzierung des Elektrodenträgers unmöglich macht und die Wiederherstellung des Hörvermögens für den Patienten verhindert (Abb. 14.7 b). Hier ist ein sehr enges Zeitfenster (wenige Wochen) zu beachten und der Patient zügig in ein Implantationsprogramm aufzunehmen! Eine Schallleitungsschwerhörigkeit – zumeist infolge eines Hämatotympanons – wird zunächst konservativ mit abschwellenden Nasentropfen und antiphlogistisch behandelt. Die Ausheilung des Hämatotympanons und des Trommelfells ist abzuwarten. Bei persistierender, Rinne-negativer Schallleitungsschwerhörigkeit 6 Monate posttraumatisch und/oder einem persistierenden Trommelfelldefekt besteht die Indikation zur Tympanoplastik.

14.2.3 Frontale Schädelbasisfraktur (Rhinobasisfraktur) Die frontale Schädelbasis – auch „Rhinobasis“ genannt, bezeichnet die vordere Schädelgrube mit den angrenzenden Nasennebenhöhlen (Stirnhöhle, Siebbeinzellen, Keilbeinhöhle) und der Orbita.

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Etwa 15–20 % der Schädel-Hirn-Traumen betreffen ebenfalls die Frontobasis [4]. Die Inzidenz ist mit zunehmender Entwicklung der Assistenz- und Rückhaltesysteme in Fahrzeugen deutlich rückläufig. Explizit werden unter Frontobasisfrakturen Verletzungen der vorderen Schädelbasis und der angrenzenden Nasennebenhöhlen sowie der Orbita verstanden. Diese können isoliert oder in Kombination mit Mittelgesichtsfrakturen oder Frakturen der zentralen Schädelbasis auftreten. Unter der Berücksichtigung der Prädilektionsstellen wie der Lamina cribrosa, der Keilbeinhöhle, der Stirnhöhlenhinterwand und des Siebbeindaches werden Frontobasisfrakturen nach Escher in hohe (Escher I), mittlere (Escher II), tiefe Frakturen mit „Abriss“ des Gesichtsschädels (Escher III) und lateroorbitale Frakturen (Escher IV) unterschieden. Die Einteilung der Frontobasisfrakturen nach Regionen wie durch Ernst vorgeschlagen (Region I: Stirnhöhlenhinterwand, Region II: vorderes Siebbein/Lamina cribrosa, Region III: hinteres Siebbein, Region IV: Keilbeinhöhle, Region V: Orbitadach), ermöglicht im Vergleich eine strukturierte Planung der Operationsstrategie und insbesondere des endoskopischen Zugangswegs. In der klinischen, radiologischen und labortechnischen Diagnostik ist zwischen sicheren und unsicheren Frakturzeichen zu differenzieren. Die klinische Untersuchung schließt Inspektion und Palpation des Mittelgesichts inkl. der Nase wie auch die Funktionsprüfung des Auges und eine Riechprüfung mit Riechstiften ein. Bei der endoskopischen Rhinoskopie ist auf Frakturen, Duradefekte und eine Liquorrhoe zu achten. Als sichere Frakturzeichen gelten eine Rhinoliquorrhoe und ein sichtbarer Duradefekt. Hingegen gelten Brillen- bzw. Monokelhämatome, eine Riechstörung, Paresen des N. abducens bzw. des N. oculomotorius, Sehstörungen, Sensibilitätsstörungen von Wange und Stirn und Pupillenreaktionsstörungen, wie auch das Seyferth-Zeichen (submuköses Hämatom des Rachendaches), als indirekte, unsichere Frakturzeichen. Für die bildgebende Diagnostik bei Verdacht auf eine Frontobasisfraktur ist eine hochauflösende CT (0,5–1 mm) des Gesichtsschädels und der Frontobasis mit koronarer, axialer und sagittaler Rekonstruktion erforderlich. Dadurch können Frakturverläufe, das Ausmaß von Dislokationen, eine Beteiligung des Karotiskanals, des Optikuskanals und des Sinus cavernosus beurteilt werden. Intrakranielle Lufteinschlüsse gelten als indirekte, sichere Frakturzeichen. Verschattungen der Nasennebenhöhlen werden dagegen als unsichere radiologische Frakturzeichen definiert. In speziellen Fällen kann für die Operationsplanung eine 3D-Rekonstruktion aus CT-Datensätzen erforderlich sein. Bei Frakturen des Karotiskanals ist eine Angiographie zur Diagnostik der Gefäßverletzung indiziert (Dissektion, Aneurysma, Carotis-Sinus-cavernosus-Fistel). Eine weiterführende bildgebende Diagnostik ist angezeigt, wenn eine Rhinoliquorrhoe laborchemisch nachgewiesen wurde, in der CT jedoch eine Fraktur nicht sicher bestätigt werden konnte. Hierzu bieten sich die MR-Zisternographie (T2-gewichtete Sequenz ohne Kontrastmittel), die CT-Zisternographie (Dünnschicht-CT mit intrathekaler Kontrastmittelapplikation) und die Fluoreszein-Endoskopie (intrathekale

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Abb. 14.9: Flureszeindarstellung einer Liquorfistel nach SHT mit endonasaler Exploration und Duraplastik. Der mit Flureszein nach Lumbalpunktion angefärbte Liquor lässt sich mit Filtervorsätzen endonasal-endoskopisch identifizieren und dichtet die Austrittsstelle (↘) ab.

Gabe von Fluoreszein und endoskopischer Nachweis in der Nase – Cave: Off-label use!) an (Abb. 14.9).

14.2.3.1 Therapie Jede Frontobasisfraktur mit persistierender Liquorrhoe bedarf der chirurgischen Versorgung. Ziele des operativen Vorgehens sind hierbei Blutstillung, Enttrümmerung, Duraplastik und Dekompression bzw. Rekonstruktionen von Nerven. Da es sich zumeist um polytraumatisierte Patienten handelt, erfolgt die chirurgische Versorgung häufig im Intervall. Es ist zwischen vitalen, absoluten und relativen Indikationen zu unterscheiden. Konservativ unbeherrschbare Blutungen aus der Nase, den Nasennebenhöhlen und Schädelverletzungen mit lebensbedrohlicher intrakranieller Drucksteigerung durch intrakranielle Blutungen stellen vitale Indikationen dar, die einer sofortigen Intervention bedürfen. Offene Hirnverletzungen, Früh- und Spätkomplikationen (z. B. Meningitis, Osteomyelitis) und orbitale Komplikationen werden als absolute Indikationen betrachtet und sollten dringend behandelt werden. Dislozierte Knochenfragmente, Frakturen mit Beteiligung der ostiomeatalen Einheit, akute oder chronische Sinusitiden zur Zeit des Traumas stellen Indikationen dar, die im Anschluss an die Akutversorgung durchgeführt werden können. Unzureichend enttrümmerte Nasennebenhöhlenfrakturen führen häufig zu Spätkomplikationen wie posttraumatische Muko- und Pyozelenbildung mit sekundären Risiken für eine Meningitis oder orbitale Komplikationen (Abb. 14.10). Operationsindikationen bei Duradefekten ohne Liquorrhoe werden unterschiedlich diskutiert. Einige Autoren halten die narbige Ausheilung der Dura für einen ausreichenden Infektionsschutz, wohingegen andere auch bei nicht nachweisbarer Liquorrhoe eine Operationsindikation sehen, weil die Arachnoidea keinen ausreichenden Schutz gegen aufsteigende Infektionen aus den Nasennebenhöhlen biete

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(a)

(b)

Abb. 14.10: (a) Orbitaphlegmone als Folge einer posttraumatischen Stirnbeinpyozele eines Patienten mit Zustand nach SHT und Kraniotomie (↘). (b) Der chirurgische Situs nach endonasaler Drainage und Drainage von außen.

und die Dura mater als bradytrophes Gewebe nur langsam in Form einer bindegewebigen Narbe heile [3]. Vor dem Hintergrund, dass selbst nach Jahrzehnten Meningitiden bei Patienten mit chirurgisch unzureichend versorgten Frontobasisfrakturen beobachtet werden, kann jeder Frakturspalt der Stirnhöhle, der Keilbeinhöhle oder des Siebbeindaches als Indikator für einen Duradefekt interpretiert werden. Die endoskopische Nasennebenhöhlenchirurgie ermöglicht heutzutage, solche Defekte bis zu einem Durchmesser von 1 cm von endonasal zu explorieren und ggf. zu verschließen. Dadurch minimiert sich das Meningitisrisiko. Für die endonasale Duraplastik existieren verschiedene Techniken, die die chirurgische Versorgung unterschiedlicher Schädelbasisdefekte ermöglichen [3]. Das Ausmaß der chirurgischen Versorgung richtet sich nach der Ausdehnung der Fraktur sowie den Begleitkomplikationen und orientiert sich an den dargestellten Einteilungen der Frontobasisfraktur. Prinzipiell wird zwischen intrakraniellen extraduralen, intraduralen sowie endonasal-endoskopischen Zugängen und kombinierten Techniken unterschieden. Vor der Notwendigkeit einer interdisziplinären Versorgung der Patienten wird ebenfalls zwischen rhinochirurgischen, kombiniert rhinochirurgisch-neurochirurgischen und rein neurochirurgischen Zugängen unterschieden. Über einen endonasalen Zugang können umschriebene Duraverletzungen des Siebbein- und des Keilbeinhöhlendaches sowie der Riechspalte versorgt werden. Ebenfalls ist eine Dekompression des N. opticus von endonasal möglich. Frakturen nach Escher II, III und IV, des Sinus frontalis mit Verletzung der Dura der Sinushinterwand und Duraverletzungen an der Lamina cribrosa werden über einen osteoplastischen frontoethmoidalen extraduralen Zugang operiert. Transfrontal extradural sind ausgedehnte Frakturen des Stirnbeins, des Orbitadaches und des Sinus frontalis, Trümmerfrakturen der medialen und lateralen Frontobasis sowie ausgedehnte Escher-I, -III- und -IV-Frakturen chirurgisch übersichtlich zugänglich (Abb. 14.11).

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Abb. 14.11: Situs nach Osteosynthese des durch das Trauma vorgegebenen Zugangs für eine intrakranielle extradurale Rhinobasisexploration.

Bei der Versorgung dieser Patienten steht die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Vordergrund. Grundsätzlich empfiehlt sich für ein optimales funktionelles und kosmetisches Ergebnis die interdisziplinäre Bewertung, Absprache und ggf. Durchführung der chirurgischen Therapie.

14.2.3.2 Komplikationen Blutungen Endonasale Schleimhautblutungen oder Gefäßblutungen aus den Aa. ethmoidalis anteriores et posteriores können meist mit vorderen oder hinteren Nasentamponaden suffizient versorgt werden. Blutungen werden rhinoskopisch oder endoskopisch lokalisiert und zunächst mit einer vorderen Nasentamponade versorgt. Blutungen aus Ästen der A. sphenopalatina und der A. maxillaris müssen zusätzlich mit einer hinteren Nasentamponade versorgt werden. Sind die Blutungen mit Tamponaden nicht zu beherrschen, müssen diese endovaskulär oder chirurgisch durch eine Unterbindung der A. sphenopalatina, A. maxillaris oder A. carotis externa versorgt werden. Bei Verdacht auf eine Mitbeteiligung der A. carotis interna ist stets eine Angiographie mit der Möglichkeit einer Intervention indiziert.

Hirnnervenausfälle Die Fila olfactoria der Bulbi olfactorii penetrieren zusammen mit den Aa. ethmoidalis anteriores et posteriores die Lamina cribrosa. Aufgrund der Massebeschleunigung des Gehirns können bereits stumpfe Schädeltraumen zu einer Scherbewegung mit Quetschung und Abriss der Fila olfactorii führen. Ein parallel auftretender Ausfall der Schmeckempfindung ist aufgrund der anatomischen Gegebenheiten kaum vorstellbar. Bei diesen Fällen muss von einer zentralen Läsion ausgegangen werden. Traumatisch bedingte Riechstörungen sind in der Regel vollständig und beiderseits vorhanden. Ursächlich ist zumeist ein sagittal gerichtetes stumpfes Schädeltrauma, dies entweder von vorn (dann zumeist mit einer frontobasalen Fraktur verbunden) oder häufiger bei einem Sturz auf das Hinterhaupt, wobei schon bei geringer Beschleu-

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nigung die Fila abscheren können. Traumatische Anosmien sind in 80 % der Fälle irreversibel.

Traumatische Opticusneuropathie: Durch die Gewalteinwirkung kommt es bei adäquatem Trauma im Verlauf des Sehnervs durch Kompression mit Schädigung der perineuralen Gefäße zur Schädigung von Nervenzellen mit dem Risiko einer bleibenden Sehminderung bzw. Erblindung. Weiterhin können Läsionen des N. supraorbitalis zu einer Sensibilitätsstörung der Stirnhaut führen, die ebenfalls zu erfassen sind.

Infektionen: Auch versorgte Frontobasisfrakturen weisen ein erhöhtes Risiko für aszendierende Infektionen aus den Nasennebenhöhlen durch Pneumokokken, Streptokokken, Meningokokken und Staphylokokken auf. Auf deren Prophylaxe und Behandlung wird in den Kapiteln 13.2 und 15.4 eingegangen.

Verletzungen der Dura Fremdkörper, einschneidende Knochenfragmente oder Zerreißungen als Folge von Berstungsbrüchen können Verletzungen der Dura bewirken. Breitflächige, scharfe Durchtrennungen führen häufig zu einer sichtbaren Liquorrhoe, wohingegen schlitzförmige Risse ohne sichtbaren Liquoraustritt verlaufen können. Insbesondere bei diesen Rissen kann das schwellende Gehirn in den ersten Tagen nach einem Trauma die Dura kurzzeitig abdichten und erst im weiteren Verlauf eine Rhinoliquorrhoe auftreten. Die häufigste traumatische Liquorrhoe ist die Rhinoliquorrhoe mit 91 %, gefolgt von der Otoliquorrhoe (6 %) oder Mischformen (3 %), die bei ausgedehnten Schädelbasisverletzungen entstehen [9]. Bei jeder wässrigen Otorrhoe und Rhinorrhoe müssen eine Liquorrhoe differentialdiagnostisch bedacht und anamnestisch Schädel-Hirn-Traumen sowie Operationen der Schädelbasis und Nasennebenhöhlen erfragt werden. Heutzutage stellt der Nachweis von β-Trace-Protein im Sekret aus Ohr oder Nase und im Blut den Standard für den Nachweis einer Oto- bzw. Rhinoliquorrhoe dar.

14.2.4 Komplikationen nach einer Schädelbasisfraktur Komplikationen nach einer Schädelbasisfraktur werden in Abhängigkeit vom Zeitintervall in frühe und späte Komplikationen unterteilt. Als zeitliche Grenze wird hier 1 Woche angesetzt. Typische frühe Komplikationen nach einer Schädelbasisfraktur im Fachgebiet der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde sind Blutungen aus Nase, Nasenrachen, Gehörgang und Orbita. Weitere frühe Komplikationen sind Hirnnervenausfälle

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sowie eine frühe Meningitis bei Duradefekten mit und ohne Liquorrhoe. Verletzungen großer Gefäße können zu rezidivierenden Blutungen führen. Häufige Gefäßblutungen nach Schädelbasisfrakturen mit Relevanz für das HNO-Fachgebiet treten bei Verletzung der A. sphenopalatina und Aa. ethmoidalis auf. Blutungen der A. carotis interna, des Sinus cavernosus sowie des Sinus sigmoideus und transversus sind selten, jedoch vital bedrohlich. Der knöcherne Verlauf der genannten Blutleiter ist darum im CT auf Frakturbeteiligung zu prüfen. Bei jeder Epistaxis, auch Jahre nach einem Schädel-Hirn-Trauma, muss zudem an eine CarotisSinus-cavernosus-Fistel gedacht werden. Späte Komplikationen nach einer Schädelbasisfraktur sind auf HNO-ärztlichem Gebiet die rezidivierende Liquorrhoe, die Spätmeningitis, aneurysmatische Blutungen, Muko- und Pyozelen sowie die Stirnbeinosteomyelitis.

Literatur [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9]

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Bernhard Frerich

14.3 Verletzungen des MGK-chirurgischen Fachgebietes 14.3.1 Einleitung Verletzungen im Gesichts- und Gesichtsschädelbereich gehören zu den häufigsten Begleitverletzungen des Schädel-Hirn-Traumas (SHT) [1, 2]. Die Koinzidenz von SchädelHirn-Trauma und Gesichtsschädelverletzungen macht eine enge interdisziplinäre Abstimmung und Zusammenarbeit der behandelnden Fachgebiete notwendig, sowohl in der Diagnosestellung wie auch im therapeutischen Vorgehen. Beispielsweise sind im Zusammenhang mit harmlos erscheinenden Gesichtsschädelfrakturen okkulte intrakranielle Verletzungen keineswegs selten [5–8], und einer fachübergreifenden und ausreichenden SHT-Diagnostik kommt bei Patienten mit Gesichtsschädeltrauma deshalb hohe Bedeutung zu. Vice versa besteht bei der Diagnose eines SHT die Notwendigkeit, die Diagnostik einer Gesichtsschädelfraktur rechtzeitig in Erwägung zu ziehen und entsprechende Symptome deuten zu können. Diese Forderung nach interdisziplinärer Zusammenarbeit und Kenntnissen ist insbesondere auch für die Behandlung kombinierter Schädel-Hirn- und Gesichtsschädelverletzungen gültig, bei denen sich ein abgestimmtes und simultanes Vorgehen als vorteilhaft gegenüber dem sequenziellen fachgetrennten Vorgehen erwiesen hat.

14.3.2 Koinzidenz von Schädel-Hirn-Trauma und Gesichtsschädelverletzungen 14.3.2.1 Risiko intrakranieller Verletzungen bei Gesichtsschädelfrakturen Nach Keenan [9] erhöht das Auftreten einer Gesichtsschädelfraktur das Risiko für eine intrakranielle Verletzung gegenüber vergleichbaren Schädelprellungen ohne Gesichtsschädelfraktur um den Faktor 10 und es ist nachvollziehbar, dass eine Kraft, die zu einer Gesichtsschädelfraktur führt, eine traumatisierende Beschleunigung auf das Hirn ausübt. Die in der Literatur verfügbaren Koinzidenzraten von Gesichtsschädelverletzungen und Schädel-Hirn-Traumen divergieren allerdings beträchtlich von 18 % bis 85 %, was an der retrospektiven Natur der zugrunde liegenden Untersuchungen, uneinheitlichen Scores und SHT-Definitionen sowie der unterschiedlichen Zusammensetzung der Untersuchungskollektive liegen mag. Man kann aber davon ausgehen, dass deutlich über die Hälfte der maxillofazialen und kraniofazialen Verletzungen mit Schädel-Hirn-Traumen der unterschiedlichen Schweregrade vergesellschaftet sind [4, 5, 8, 10]. In der Bildgebung manifeste intrakranielle Verletzungen lassen sich bei 7 % bis über 10 % der Gesichtsschädelverletzten nachweisen [5, 6, 10–12] und auch bei initial neurologisch unauffälligen Patienten mit Gesichtsschädelfraktur treten in fast 3 % okkulte intrakranielle Blutungen auf [6, 7]. Eine neurochirurgische Intervention wird je nach Kollektiv bei 2–8 % notwendig [13–15]. Intrakranielle Verletzungen sind die Haupttodesursache bei Polytraumapatienten

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mit kraniomaxillofazialen Frakturen [3]. In ihrer Studie an 6.117 Patienten mit stumpfem Kopftrauma fanden Plaisier et al. [16], dass 48 % der Patienten, die an einer intrakraniellen Verletzung verstarben, eine Mittelgesichtsfraktur hatten. Aus diesen Koinzidenzzahlen und insbesondere dem Umstand eines relevanten Anteils okkulter Verletzungen gerade im Zusammenhang mit Mittelgesichtsfrakturen ergibt sich die Forderung nach einer gegenüber früheren Regelungen erweiterten Indikation zur cCT bei Mittelgesichtsfrakturen.

14.3.2.2 Abhängigkeit des intrakraniellen Verletzungsumfangs von der Topographie der Gewalteinwirkung Gelegentlich finden sich schwere Gesichtsschädelverletzungen, die mit vergleichsweise geringem intrakraniellen Trauma einhergehen. Es wurde deshalb postuliert, dass der Gesichtsschädel einen gewissen Schutz vor intrakraniellen Verletzungen bietet, indem er einen Teil der kinetischen Energie absorbiert, insbesondere die luftgefüllte Wabenstruktur des Mittelgesichts [17]. In der Tat besteht eine Abhängigkeit der Mortalität und der Rate okkulter intrakranieller Verletzungen von der Lokalisation und der „Topographie“ einer Gesichtsschädel- bzw. kraniofazialen Fraktur. Frakturen des unteren Gesichtsdrittels (Unterkiefer einschließlich Gelenkfortsatz) sind weniger häufig mit intrakraniellen Verletzungen vergesellschaftet (3–6 %) [3, 5]. Hingegen sind bei Frakturen des mittleren Gesichtsdrittels (Maxilla, Jochbein, Siebbein, Orbitaboden) okkulte intrakranielle Verletzungen bereits mehr als doppelt so wahrscheinlich [3, 6]. Das Risiko intrakranieller Verletzungen und von Mortalität steigt deutlich um das 3 bis 6fache, sobald das obere Gesichtsdrittel mitbeteiligt ist (Stirnhöhle, Supraorbitalrand, panfaziale Frakturen) [3]. Im oberen Gesichtsdrittel ist das Risiko intrakranieller Verletzungen darüber hinaus abhängig von der Richtung der einwirkenden Kraft. Für die Absorption von anterior kommender Gewalteinwirkung ist die Stirn und der Supraorbitalrand vergleichsweise gut ausgelegt, was auch in Finite-Elemente-Untersuchungen modelliert werden konnte [18]. Hingegen führen Gewalteinwirkungen gegen den Stirnbereich von lateral zu signifikant schwereren intrakraniellen Verletzungen [19]. Als Ursache kann die direkte Transmission kinetischer Energie auf das Neurokranium im lateralen Bereich angenommen werden, wohingegen die verstrebte Wabenstruktur im Mittelgesicht, und je nach Ausdehnung der Stirnhöhle und der orbitalen Zellen im Orbitadachbereich eine „Knautschzonen“Funktion hat, die einen Teil der kinetischen Energie aufnimmt und offensichtlich das Trauma im intrakraniellen Raum abmildern kann.

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14.3.3 Diagnostik im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich 14.3.3.1 Klinische Diagnostik Die Bandbreite mund-, kiefer- und gesichtschirurgischer Verletzungen reicht von schweren panfazialen Frakturen mit unmittelbarem Handlungsbedarf oder maxillofazialen Frakturen im Rahmen von Mehrfachverletzungen oder Polytraumen bis zu vergleichsweise harmlosen lokalisierten Frakturen mit und ohne begleitendes Hirntrauma, die problemlos im Intervall versorgt werden können.

Orientierende Erstuntersuchung Die orientierende klinische mund-, kiefer- und gesichtschirurgische Untersuchung eines Schwer- oder Mehrfachverletzten in der ersten präklinischen oder klinischen Phase, z. B. im Schockraum, soll eine grobe Einschätzung des Umfangs des Verletzungsgeschehens bieten. Sie muss klären, ob und welche Verletzungen bestehen, ob eine weiterführende bildgebende Diagnostik (z. B. Erweiterung der CT-Diagnostik auf den Gesichtsschädelbereich) erforderlich ist und ob Indikationen zu einer mund-, kiefer-, gesichtschirurgischen Primärversorgung bestehen. Im Wesentlichen umfasst eine solche gezielte Untersuchung in wenigen Minuten folgende Punkte: – Visuelle Einschätzung: Hämatome, insbesondere periorbitale Monokel- und Brillenhämatome, Schwellung, Hyposphagma – Palpationsbefund Stirn, Supraorbitalrand, angrenzende Kalottenabschnitte – Palpation der Mittelgesichts„pfeiler“, dies sind Orbitaränder, Jochbogen, paranasaler Bereich und Crista zygomatico-alveolaris von intraoral auf Stufen und Dislokationen – Bimanuelle Prüfung auf abnorme Beweglichkeit von Oberkiefer oder Mittelgesicht relativ zu Supraorbitalrand, Stirnbein oder Nasenwurzel – Prüfung bzw. grobe Einschätzung der Okklusion, sofern beim intubierten Patienten möglich – Prüfung auf abnorme Beweglichkeit am Unterkieferkörper – Prüfung auf abnorme Beweglichkeit an den Alveolarfortsätzen des Ober- und Unterkiefers, Prüfung abnorme Beweglichkeit von Zähnen oder Zahngruppen – Prüfung Pupillen-Lichtreaktion (falls möglich) und Einschätzung Bulbusposition. Wichtig im Hinblick auf ein mögliches Kompartmentsyndrom der Orbita ist eine Inspektion hinsichtlich Proptosis und Tensio der Bulbi. Ein „steinharter“, gespannter Bulbus erfordert sofortiges Handeln wegen irreversibler Erblindungsgefahr (Zeitfenster < 2 Stunden) – Inspektion Mundhöhle und Rachen/Mundhöhlen-Rachenschleimhaut Beim wachen und kooperationsfähigen Patienten werden zusätzlich insbesondere untersucht:

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Abfrage von Schmerzen auf Palpation an den o. g. Pfeilerstrukturen Überprüfung maximal mögliche Mundöffnung, Seitabweichungen bei Mundöffnung, Schmerzen bei Öffnungsbewegungen des Unterkiefers Palpation und Prüfung der präaurikulären Gelenkregion: Mitbewegung des Gelenkkopfs bei Öffnungsbewegungen, Palpationsschmerz, indirekte Schmerzen bei Druck auf Kinn oder Kieferwinkel Visuskontrolle getrennt für beide Augen, Prüfung Bulbusmotilität, Abfrage Doppelbilder Genaue Prüfung der Okklusion Prüfung der Sensibilität im Projektionsgebiet der drei Trigeminusäste Vitalitätsprüfung der Zähne

Klinische Verdachtszeichen auf Gesichtsschädelfrakturen beim Schädeltrauma Gesichtsschädelfrakturen können bei geringer Beschwerdesymptomatik oder durch die Präponderanz anderer Verletzungen übersehen werden [20, 21]. Eine späte sekundäre Versorgung oder Korrektur ist deutlich aufwendiger als eine Primärversorgung und führt eher zu unbefriedigenden Ergebnissen. Forensische Konsequenzen, z. B. bei übersehenen Jochbein- oder Gelenkfortsatzfrakturen kommen immer wieder vor, nicht nur dort, wo keine Expertise in der Versorgung von Gesichtsschädelfrakturen zur Verfügung steht. Lebensbedrohliche Komplikationen oder gravierende Folgen wie insbesondere der Verlust des Sehens können auch nach harmlos erscheinenden Kopftraumen auftreten [22, 23]. Es ist deshalb wichtig, klinische Hinweise zu kennen, die den Verdacht auf das Vorliegen einer Gesichtsschädelfraktur begründen, um gezielt eine weiterführende bildgebende Diagnostik oder eine fachspezifische Untersuchung zu veranlassen. Folgende direkte und indirekte klinische Zeichen sind typisch (wenn auch nicht beweisend) für das Vorliegen einer Gesichtsschädelfraktur und sollten dringlichen Anlass zur weiterführenden Diagnostik geben: – Blutungen aus Nase und/oder Mund nach Schädelprellung – Offene Wunden im periorbitalen und Stirnbereich – Lidschwellungen und -hämatome bzw. periorbitale Schwellungen/Hämatome. Monokelhämatome sind für Jochbeinfrakturen typisch, Brillenhämatome für Frakturen im zentralen Mittelgesicht (Le-Fort-II- oder Le-Fort-III-Frakturen, Nasoethmoidalfrakturen, aber auch einfache Nasenbeinfrakturen). – Insbesondere ein Hyposphagma gibt in Kombination mit einer Gesichtsprellung einen deutlichen Hinweis auf eine Blutungsquelle hinter dem Septum orbitale, die im Zusammenhang mit einem Trauma meist mit einer Fraktur im Orbitaringbereich assoziiert ist. – Konturasymmetrien und -unregelmäßigkeiten (z. B. Jochbeinprominenz) – Andeutungen des Patienten zu Bissverschiebungen und Änderungen des Zusammenbisses

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Sichtbare oder fühlbare Störungen der Okklusion als ein typisches Leitsymptom vieler Gesichtsschädelfrakturen Schmerzen bei der Mundöffnung oder beim Kauen, Mundöffnungseinschränkungen („Kieferklemme“) oder Behinderungen des Kieferschlusses („Kiefersperre“) Sensibilitätsstörungen (Hypäshesien, Anästhesien) im Gesichtsbereich bzw. im Versorgungsbereich der Äste des N. trigeminus (infraorbital/Wange/Oberlippe bei Jochbeinfraktur, Unterlippe bei Unterkieferkörperfraktur, supraorbital bei Stirnhöhlen-, Stirnbein- oder Orbitadachfrakturen)

Bei Vorliegen eines dieser Symptome sollte das CT im Rahmen des Schädel-HirnTraumas gleich vom Kinn bis zum Scheitel durchgeführt werden, um Gesichtsschädelverletzungen und konkomitante Schädelbasisverletzungen zu erfassen. Verletzungen der Halswirbelsäule müssen ebenfalls ausgeschlossen sein und erfordern im Verdachtsfall eine entsprechende Diagnostik. Dies ist im Zusammenhang mit kraniofazialen und maxillofazialen Traumen insofern von Bedeutung, weil deren operative Versorgung in der Regel mit Kopfwendungen, ggf. auch Überstreckung verbunden ist, und eine HWS-Fraktur vor der Versorgung ausgeschlossen sein muss. Bei allen Mittelgesichtsfrakturen mit Orbitabeteiligung ist eine augenärztliche Untersuchung vor und nach operativer Versorgung obligat.

14.3.3.2 Bildgebende Diagnostik Mittelgesicht und kraniofaziale Region Standard in der Darstellung von Traumen der Mittelgesichtsregion und des kraniofazialen Bereichs ist die Computertomographie. Sie liefert eine präzise Diagnostik aller Frakturen des Gesichtsschädels sowie der Schädelbasis und gleichzeitig Informationen über intrakranielle Blutungen und Hirnverletzungen [24]. Zwar können unkomplizierte Jochbeinfrakturen grundsätzlich auch mittels konventioneller Röntgendiagnostik (NNH, Schädel axial) dargestellt werden. Allerdings liefert die CT zusätzliche Hinweise insbesondere für die Versorgung des Orbitabodens, die mit konventioneller Röntgendiagnostik nicht zu erzielen sind. Wesentlicher Grund ist aber, dass wegen der hohen Koinzidenz von fazialen Frakturen und intrakraniellen Verletzungen wie auch Schädelbasisfrakturen die Durchführung eines CT zur Beurteilung des intrakraniellen Raumes und der Schädelbasis verpflichtend sein sollte [18, 24, 26]. Lediglich für isolierte Jochbogenfrakturen ohne jeden klinischen Hinweis auf weitere Verletzungen ist die alleinige konventionelle Röntgendiagnostik noch gebräuchlich. Ein rasch erfassbares Verdachtsmoment bei erster Durchsicht des CT geben Verschattungen im Sinus maxillaris bzw. im Ethmoid, die hoch wahrscheinlich mit Mittelgesichtsfrakturen assoziiert sind [21]. Für die Mittelgesichtsregion ist die Darstellung in axialer und koronarer Schichtung obligat, um den Frakturtyp zuverlässig klassifizieren und das Ausmaß der Fraktur definieren zu können [24]. Für die Beurteilung

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von Orbitabodenfrakturen sind auch parasagittale oder parasagittal schräge MPR in der Orbitaachse hilfreich. Dreidimensionale Darstellungen können für die Visualisierung komplexer Frakturen hilfreich sein, weil sich mit ihnen manchmal die räumliche Anordnung dislozierter Fragmente leichter erfassen lässt. Dass für die Rekonstruktion komplexer kraniofazialer und Mittelgesichtsfrakturen eine intraoperative Navigation wünschenswert ist, ist eine weitere Indikation für die CT. Alternatives Verfahren zur dreidimensionalen Darstellung knöcherner Strukturen des Gesichtsschädels ist die digitale Volumentomographie (DVT), die eine sehr gute dreidimensionale Darstellung der knöchernen Strukturen liefert, allerdings keine differenzierte Weichgewebsdarstellung. Sie kommt deshalb in Situationen zum Einsatz, in denen es nur auf die knöcherne Darstellung ankommt, das ist die Primärdiagnostik in Fällen ohne jeden klinischen Hinweis auf begleitendes Hirntrauma, additive Darstellung im Intervall zur Planung von Operation und Navigation und die postoperative Kontrolldiagnostik. Wo verfügbar, kann die intraoperative dreidimensionale Bildgebung zur Kontrolle des Repositionsergebnisses bei komplexen Frakturen hilfreiche Dienste leisten (CT oder DVT).

Unterkiefer und Gelenkfortsatz Für die Frakturen des unteren Gesichtsdrittels (Unterkieferkörper und Alveolarfortsätze) ist nach wie vor die konventionelle Röntgendiagnostik Standard, d. i. Orthopantomogramm (OPT) und Clementschitsch-Aufnahme (Schädel p.-a. 15° bei geöffnetem Mund). Bei komplexen Unterkieferfrakturen, Trümmerfrakturen und insbesondere Gelenkfortsatzfrakturen werden als dreidimensionale Bildgebungsverfahren die CT bzw. hier vorzugsweise die DVT zusätzlich durchgeführt. Die DVT hat gegenüber der CT in der Darstellung von Gelenk- und Gelenkfortsatzfrakturen den Vorteil der individuell und durch den Behandler konfigurierbaren Darstellungsebenen und Schichten, was die Indikationsstellung und Planung eines operativen Vorgehens erleichtert. Bei nichtgeh- oder -sitzfähigen Patienten (oder während Intensivbehandlung) wird ein CT durchgeführt (axiale, koronare und bei entsprechendem Befund parasagittale Schichten für den Gelenkbereich).

Diagnostik bei kindlichen Traumen Bei der Darstellung kindlicher Frakturen muss es das Ziel sein, die Strahlenexposition generell, insbesondere aber für den Linsenbereich auf ein Minimum zu reduzieren. Kritisch ist hier die Computertomographie im Orbitabereich bzw. in Orbitanähe. Zum Ausschluss bzw. zur Darstellung insbesondere von Orbitabodenfrakturen bzw. medialen Orbitawandfrakturen kann bei Kindern auf die MRT, ggf. mit speziellen Spulen, zurückgegriffen werden [25], die der NNH-Aufnahme (Schädel halbaxial) als konventioneller Alternative bzgl. der diagnostischen Sicherheit deutlich überlegen ist. Bei Frakturverdacht im unteren Gesichtsdrittel (Unterkiefer, Alveolarfortsatzbereiche) ist

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in aller Regel eine konventionelle Röntgendiagnostik ausreichend (OPT ab 4–5 Jahren möglich, und/oder Clementschitsch-Aufnahme), mit sehr niedriger Strahlenexposition.

14.3.4 Zeitlicher Ablauf der mund-, kiefer- und gesichtschirurgischen Versorgungen Der Zeitpunkt der Versorgung wird nach primärer Diagnostik im interdisziplinären Traumateam von Anästhesie, Neurochirurgie, Unfallchirurgie, Augenheilkunde und HNO abgestimmt. Bei geschlossenen oder nur umschrieben offenen und nicht zu mobilen Gesichtsschädelfrakturen ist eine Versorgung im Intervall gut möglich, d. h. nach der sekundären Phase der Stabilisierung des Allgemeinzustands und Abschwellung der Weichgewebssituation. Angestrebt wird eine Versorgung innerhalb 2–3 Tagen. Im Zusammenhang mit dem milden Schädel-Hirn-Trauma kann somit insbesondere die Phase der SHT-Überwachung und ggf. eine neurochirurgische Freigabe gut abgewartet werden. Innerhalb eines Intervalls von bis zu 10 Tagen gilt die Versorgung der knöchernen Gesichtsschädelverletzungen noch als primär und ist gut möglich. Dies gilt insbesondere für alle Frakturen des Mittelgesichts ohne größere Weichgewebsverletzungen. Danach beginnen eine Remodellation und Fixierung der Bruchflächen, die die Reposition erschweren und das Ergebnis beeinträchtigen können. Bei Unterkieferfrakturen sollte die Versorgung möglichst innerhalb der ersten 2–3 Tage erfolgen. Frakturen im Gelenkfortsatzbereich, insbesondere höhere Collum- und Gelenkfrakturen sind nur innerhalb der ersten 3 Tage nach Verletzung gut versorgbar, danach ist aufgrund Granulationsgewebsbildung und erschwerter Reposition mit schlechteren Ergebnissen zu rechnen. Daneben gibt es bestimmte Situationen, in denen ein sofortiges und vordringliches Handeln bei Gesichts- und Gesichtsschädelverletzungen unerlässlich ist. Sofort und absolut vordringlich sind die lebenserhaltenden Maßnahmen wie Tracheotomie/Koniotomie bei Atemwegsverlegung, Kontrolle profuser Blutungen oder starker Blutungen aus dem Mittelgesichtsbereich, aber auch keinen Aufschub duldende Notfallmaßnahmen wie die Kanthotomie/Kantholyse bei drohender Erblindung durch ein Orbitakompartment, das auch bei vermeintlichen Bagatelltraumen auftreten kann. Eine sofortige und präzise Diagnostik hat deshalb größte Bedeutung bei Polytraumen wie auch bei umschriebenen Verletzungen, um dringlichen Handlungsbedarf rechtzeitig zu identifizieren. Für weitere, ebenfalls dringliche Maßnahmen besteht ein Spielraum von bis zu einigen Stunden oder sie sind in ihrem Umfang in Relation zur Gesamtverletzung zu bewerten (z. B. die Zahnverletzungen). Je nach Verletzungsschwere und -ausmaß, Begleitverletzungen und Allgemeinzustand des Patienten gibt es verschiedene Szenarien (modifiziert nach [23]):

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Umschriebene Gesichtsschädelfraktur ohne Bedarf für Notversorgung, die im frühen Intervall nach Stabilisierung des Allgemeinzustands und initialer Überwachungsphase eines Schädel-Hirn-Traumas versorgt werden kann. Bedarf für Notversorgung bei umschriebener Verletzung, die in Abhängigkeit von Allgemeinzustand und Begleitverletzungen gleich als definitive Versorgung durchgeführt wird. Schwerere oder ausgedehntere Verletzungen, Begleitverletzungen mit Stabilisierungsbedarf, die quoad vitam im Vordergrund stehen, z. B. Schädel-Hirn-Trauma, intrakranielle Blutung, Thoraxtrauma bei gleichzeitigem dringlichem Bedarf für mund-, kiefer- und gesichtschirurgische Notversorgung: Es wird eine kurzdauernde, nur das Nötigste umfassende provisorische Notversorgung vorgenommen, um einen oder mehrere der o. g. Punkte zu behandeln. Die definitive Versorgung wird im Intervall nach Stabilisierung des Allgemeinzustands vorgenommen. Gelegentlich kann die Entwicklung lebensbedrohlicher Komplikationen (Sepsis, Multiorganversagen) dazu führen, dass eine Versorgung der maxillofazialen Frakturen nicht in den o. g. Intervallen erfolgen kann. Dann muss auf die Verfahren der Sekundärkorrektur zurückgegriffen werden, und es müssen ggf. auch im Interesse des Allgemeinzustands gewisse Abstriche im funktionellen und ästhetischen Ergebnis in Kauf genommen werden.

Die Notfallindikationen werden im Folgenden beschrieben. Wenn aus diesen Gründen eine primäre Operation erfolgt, ist somit zu klären, ob diese bereits als definitive Versorgung oder als vorläufige Notversorgung durchgeführt wird. Die Entscheidung darüber hängt vom Ausmaß der Gesamtverletzung, Zustand des Patienten und Umfang des Versorgungsbedarfs ab und muss interdisziplinär im Traumateam abgestimmt werden. Bei komplexen Frakturen im Rahmen des Poly- oder Schädel-Hirn-Traumas wird der Versorgungszeitpunkt der quoad vitam unproblematischen Gesichtsschädelfrakturen durch den Allgemeinzustand des Patienten bestimmt.

14.3.4.1 Maßnahmen der sofortigen (lebenserhaltenden) Notfallversorgung Folgende Behandlungen sind notfallmäßig und sofort notwendig, weil entweder direkt lebens- oder visuserhaltend oder für die Stabilisierung des Patienten zwingend erforderlich:

Akut lebensbedrohliche Blutungen Blutungen aus dem Mittelgesichtsbereich können beim intubierten Patienten provisorisch durch aufblasbare Nasopharyngealtuben oder Tamponaden in Nase, Nasenrachen (Bellocq) und/oder Mundhöhlenraum durchgeführt werden. Blutungen aus dislozierten Mittelgesichtsfragmenten erfordern eine Fixierung bzw. Kompression des Mittelgesichts zur Schädelbasis, die in der präklinischen Phase auch über einen Bar-

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ton’schen Spatelverband realisiert werden kann, danach über transmuköse Osteosynthesen, Drahtaufhängungen am nächstfesten Punkt (Adams) oder eine definitive Osteosynthese. In der Notfallsituation sind beim intubierten Patienten auch einfach eine Tamponade und umlaufende Kopfverbände unter gewisser Kompression als rasches Provisorium möglich, um Zeit für weitere Maßnahmen zu gewinnen. Bei persistierenden Blutungen aus dem Mittelgesichtsbereich, meist aus intraossären Endästen der A. maxillaris, z. B. A. sphenopalatina, kann auch die superselektive Katheterembolisation zum Einsatz kommen [26]. Dies ist aber eher eine Maßnahme für Blutungen im Intervall nach Tamponadenentfernung. Direkt sichtbare arterielle Gefäßblutungen in den Gesichtsweichgeweben können gezielt abgeklemmt und unterbunden werden. Blinde Abklemmungen sind wegen der Gefahr der Schädigung von N.-facialis-Ästen zu vermeiden. Blutungen aus offenen Knochenflächen, am Unterkiefer in Richtung Mundboden und aus dem Mittelgesichtsbereich sind am besten über Reduktion der Frakturen und provisorische Ruhigstellung zu stillen (z. B. Drahtligaturen um frakturnahe Zähne, sog. Achterligaturen, Schienung).

Chirurgische Atemwegssicherung Grundsätzlich bestehen bei Gesichtsschädelfrakturen Risiken für den Atemweg, das gilt sowohl für Mittelgesichtsfrakturen (v. a. Blutung, Schwellung) wie auch Unterkieferfrakturen, wenn sie bilateral oder getrümmert sind, und damit die Zungenaufhängung mobil ist, weshalb die Indikation zur Intubation früh gestellt werden muss. Dringliche Notwendigkeit zur Tracheotomie besteht zunächst für den absoluten Notfall der Nicht-Intubierbarkeit (dann ggf. als Koniotomie). Ferner sollten alle Patienten mit schwerer Mittelgesichtsverletzung und begleitendem schweren SHT oder Thoraxtrauma möglichst rasch tracheotomiert werden.

Visusverschlechterung/Visusverlust/Traumatische Opticusneuropathie (TON) Bei manifestem oder zunehmendem Visusverlust als Folge eines Orbitakompartments besteht sofortige Reaktionspflicht. Ophthalmologische Komplikationen treten bei bis zu 13 % aller Gesichtsschädelfrakturen auf (meist Mittelgesicht oder Stirnbein) [27], direkt visusbedrohende Situationen bestehen bei 0,8 % [28]. Der Visusverlust kann auch im Zusammenhang mit vergleichsweise harmlos wirkenden Traumen auftreten. Der N. opticus ist kein peripherer Nerv, sondern eine zentrale Leitungsbahn, die bei Schädigung nicht regeneriert. Schädigungen treten durch Verlust der vaskulären Versorgung (A. ophthalmica/A. centralis retinae), durch Quetschungen/Verletzungen im Canalis opticus im Rahmen von Keilbeinfrakturen oder durch Kompressionen (Kompartment) innerhalb des geschlossenen knöchernen Raumes der Orbita auf, z. B. durch Weichgewebeschwellung und Hämatom. Gelegentlich kommt es auch zu Verletzungen im intraorbitalen Verlauf durch Orbitawand- und -dachfragmente, die den N. opticus im Augenblick der Fraktur verletzen und danach zurückfedern, d. h. bei Bildgebung wie-

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der Distanz zum N. opticus zeigen. Die Verletzung des N. opticus ist dann durch Opticusscheidenhämotome und andere Irregularitäten im Nervverlauf am besten im MRT zu erkennen. Eine Dekompression der Orbita hat nur innerhalb der ersten Stunden nach Visusverlust bzw. -verschlechterung Aussicht auf Erfolg. Es existieren unterschiedliche Angaben zu den Zeitfenstern, innerhalb derer die Orbita erfolgreich, d. h. mit Erhalt oder Wiedererlangung eines Visus dekomprimiert werden kann. Mehrheitlich werden Intervalle zwischen 2 und 6 Stunden genannt [29, 36], ab denen der Visusverlust irreversibel ist. Je nachdem, wann der Visusverlust entdeckt wird, sollte man eher von einer 2-Stunden-Frist ausgehen und schnellstmöglich die Dekompression durchführen [31, 32]. Frühe Zeichen eines sich anbahnenden Visusverlusts sind Defizite im Farbensehen (zunächst Orangetöne), Gesichtsfeldausfälle oder ein relativer afferenter Pupillendefekt (RAPD) im „swinging flashlight test“. Auf ein CT oder MRT vor der Entlastung kann bei entsprechender Symptomatik wegen der Gefahr des zeitlichen Verzugs verzichtet werden, dringlich ist aber die ophthalmologische Beurteilung. Das einfachste und an fast jedem Ort mögliche Entlastungverfahren der Orbita ist die laterale Kantholyse/Kanthotomie [33]. Das Ergebnis kann durch Messung der Tensio bulbi kontrolliert werden. Bei ausgeprägten Schwellungen kann auch eine knöcherne Dekompression (lateral und Orbitaboden) durchgeführt werden, wenn dabei sparsame Zugänge verwendet werden und eine Blutung vermieden wird. Zusätzlich wird medikamentös abschwellend behandelt (hochdosierte Kortikoidtherapie). Keilbeinfrakturen können mit kleinen Fissuren den Canalis opticus tangieren. Häufig ist keine wesentliche Einengung zu erkennen, sodass man davon ausgehen muss, dass eine kurzeitige Scherung oder Quetschung und nachfolgende Rückstellung beim Unfallereignis stattgefunden hat. Selten kann das stumpfe Stirnbeintrauma auch ohne Fraktur durch Krafttransmission in den Orbitakanal zu einer entsprechenden Schädigung der vaskulären und nervalen Leitungsbahnen führen, möglicherweise durch schwingungsbedingte Zerreißungen [34]. Vor dem Hintergrund der engen Reaktionszeiten sind das frühzeitige Erkennen und eine sofortige fachspezifische Vorstellung (MKG, Ophthalmologie oder HNO) eminent wichtig. Ophthalmologische Verletzungen werden in der Notfallsituation oft unterschätzt oder übersehen [35, 36]. Das Orbitakompartment kann insbesondere auch postoperativ durch Schwellung und Retrobulbärhämatom auftreten, weshalb regelmäßige Visuskontrollen auch prä- und postoperativ obligat sind.

14.3.4.2 Maßnahmen der dringlichen Notfallversorgung (innerhalb weniger Stunden) Weichgewebsverletzungen Ausgedehnte Weichgewebsverletzungen, Fremdkörpereinsprengungen und Penetrationsverletzungen bedürfen der sofortigen Versorgung. Bei Verletzungen in der Region des Fazialisfächers kann eine Koaption durchtrennter Fazialisäste notwendig

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werden. Da sich die peripheren Stümpfe bereits nach wenigen Stunden nicht mehr mittels elektrischer Nervstimulation auffinden lassen, sollte eine Versorgung, soweit vertretbar, sofort angestrebt werden. Alternativ erfolgt eine Nahtmarkierung der Nervstümpfe und Koaption zu einem späteren Zeitpunkt. Weichgewebsamputate sollten präklinisch asserviert und gekühlt auf Ringer- oder NaCl-getränkten Kompressen transportiert werden. Gegebenenfalls können beispielsweise Lippen- und andere Weichgewebsamputate mikrovaskulär anastomosiert und replantiert werden. Aufgrund der guten vaskulären Versorgung des Gesichtsbereichs ist eine Wundausschneidung auch im Intervall nicht erforderlich bzw. nur sparsam auszuführen bei stark kontaminierten Wunden oder nekrotischen Gewebeanteilen. Falls es die Allgemeinsituation erfordert, können Gesichtsweichteilwunden initial adaptiert und nach einigen Stunden dann definitiv versorgt werden. Defektwunden können primärplastische Maßnahmen notwendig machen.

Offene und mobile Frakturen Offene und mobile Frakturen müssen zumindest vorläufig stabilisiert oder ruhiggestellt werden, z. B. durch Ober- und Unterkieferschienung und intermaxilläre Fixation. Falls es von den Begleitverletzungen her vertretbar ist und der Allgemeinzustand es zulässt, können insbesondere offene mobile Unterkieferfrakturen sofort definitiv versorgt werden. Bei umfangreichen oder panfazialen Frakturen kann es notwendig sein, allein um der Blutstillung willen eine vorläufige osteosynthetische Stabilisierung und Fixierung einzelner Fragmente oder Abschnitte vorzunehmen und die definitive Versorgung in Abhängigkeit von dem Allgemeinzustand später durchzuführen.

Kombination mit offenen Hirnverletzungen Die Kombination von unmittelbar versorgungspflichtigen offenen Hirnverletzungen und Mittelgesichtsfrakturen erfordert interdisziplinäre Absprache und ein differenziertes Vorgehen, das von Allgemeinzustand und Belastbarkeit des Patienten, aber auch von der unmittelbaren Verfügbarkeit der Fachrichtungen abhängt. Häufig ist es angebracht, zunächst die notfallmäßige Versorgung der offenen Hirnverletzung durchzuführen und die Versorgung von kraniofazialen und Gesichtsschädelverletzungen im Intervall vorzunehmen. Gelegentlich bietet es sich an, im Rahmen der neurochirurgischen Versorgung exponierte Fragmente des oberen Mittelgesichtsbereichs primär zu stabilisieren. Die definitive osteosynthetische Versorgung im kraniofazialen Bereich (Schädelbasis, Stirnhöhle, Stirnbein) sollte nach Möglichkeit zusammen mit einer Mittelgesichtsfrakturversorgung durchgeführt werden (s. Abschn. 14.3.5.1 Mittelgesichtsfrakturen).

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Verletzungen der Zähne und des Zahnhalteapparats Verletzungen des Zahnhalteapparats (Luxationen, Dislokationen) und Zahnfrakturen mit offenen Pulpenverletzungen müssen ebenfalls sofort behandelt werden. Luxierte Zähne werden reponiert bzw. replantiert und geschient. Die korrekte Asservierung von total luxierten Zähnen hat forensische Bedeutung. Der erstversorgende Arzt ist für den korrekten Transport und die Aufbewahrung eines Amputats verantwortlich (OLG Celle, 1983). Am besten eignen sich die üblichen Zahnrettungsboxen, alternativ der Transport in Ringer- oder NaCl-getränkter Kompressenpackung. Der Zahn darf nicht austrocknen. In den Zahnrettungsboxen kann der Zahn bis zu 48 Stunden zur Replantation aufbewahrt werden. Bei konventioneller Lagerung total luxierter Zähne in Ringer- oder kochsalzgetränkten Kompressen bzw. feuchter Kammer können Zähne innerhalb von 90 Minuten mit guter Erfolgsaussicht replantiert werden. Danach ist mit Ankylosen zwischen Knochen und Wurzeldentin durch den Verlust von Wurzelhautarealen zu rechnen. In diesen ankylosierten Bereichen wird die Zahnwurzel später resorbiert, was nach Monaten bis Jahren zum Zahnverlust führt. In den Zahnrettungsboxen mit Nährlösungen überleben die Zellen der Wurzelhaut und dadurch kann dieses Intervall bis zu 24–48 Stunden verlängert werden. Bei entsprechender Allgemeinsituation können die Zähne somit in Zahnrettungsboxen zwischengelagert werden, um eine diesbezügliche Versorgung auf den Folgetag zu verschieben. Eine Zwischenlagerung in den Rettungsboxen ist immer empfehlenswert, weil bereits in der unkomplizierten Situation die Einhaltung des 90-Minuten-Intervalls schwierig realisierbar sein kann. Zahnrettungsboxen sollten deshalb in Notaufnahmen vorgehalten werden und verfügbar sein.

14.3.5 Spezielle Gesichtspunkte zu einzelnen Fraktur- und Verletzungstypen un deren Versorgung Ziel der Behandlung ist die vollständige Wiederherstellung von Form und Funktion. Erreicht wird das mittels anatomisch korrekter Reposition und stabiler Fixierung der Fragmente einschließlich Wiederherstellung der Okklusion, frühfunktioneller Mobilisierung mit Verzicht auf (insbesondere längerfristige) mandibulo-maxilläre Fixierungen sowie atraumatische Operationstechniken und Zugänge [37, 38].

14.3.5.1 Mittelgesichtsfrakturen Anatomische und biomechanische Grundlagen Das Mittelgesicht ist der knöcherne Abschnitt zwischen Schädelbasis und Alveolarfortsatz des Oberkiefers. Es ist in wabenförmiger Leichtbauweise aufgebaut und besteht aus einem Strebwerk vertikaler, transversaler und sagittaler Knochenpfeiler, die luftgefüllte (Nasen- und Nasennebenhöhlen) und weichgewebsgefüllte (Orbitae)

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knöcherne Höhlen umrahmen. In jeder Oberkieferhälfte werden die Kaukräfte von drei dieser Knochenpfeiler, paranasal, zygomatico-alveolär und im Pterygoidfortsatz wie von einen umgekehrten „Dreibein“ aufgenommen, das sich direkt oder über weitere Pfeilerstrukturen (lateraler Orbitarand, Crista lacrimalis, Proc. pterygoideus) an Schädelbasis und Kalotte abstützt. In der Schädelbasis und der Kalotte finden sich ebenfalls trajektorielle Pfeilerstrukturen, die die Kräfte aus dem Mittelgesicht aufnehmen (Keilbeinflügel, Felsenbein, Längspfeiler). Zumindest bei „low velocity“-Traumen werden die typischen Frakturlinien der Le-Fort-Klassifikation durch dieses Strebwerk vorgegeben, dessen Pfeiler an Schwachstellen quer frakturieren. Topographisch wird das laterale Mittelgesicht (Jochbeinkomplex, lateraler Orbitarand, „zygomatico-orbitaler Komplex“) vom zentralen Mittelgesicht (Oberkieferalveolarfortsatz und Hartgaumen = „dento-alveolärer Komplex“, naso-orbitoethmoidaler Komplex, Nasenbein und Pfeilerbegrenzung der Apertura pririformis = „naso-maxillärer Komplex“) unterschieden. Je nach Verlauf und Ausprägung können Mittelgesichtsfrakturen somit zentral, lateral oder übergreifend zentrolateral lokalisiert sein.

Klassifikationssysteme Für die subkranialen Frakturen des Mittelgesichts ist eine Reihe unterschiedlicher Klassifikationen entwickelt worden. Die gebräuchlichste ist immer noch die Le-FortEinteilung [39]. Zwar kann sie den heutigen Gegebenheiten mit Trümmer- und Mehrfragmentfrakturen im Rahmen von Hochgeschwindigkeitstraumen („high velocity“), die es zur Zeit René Le Fort’s in diesem Umfang nicht gab, kaum Rechnung tragen. Sie ist aber eingängig und definiert leicht verständlich die Regionen und insbesondere auch die zu rekonstruierenden bzw. zu osteosynthetisierenden Pfeilerstrukturen. Die Le-Fort-Ebenen geben den osteosynthetischen Versorgungsbedarf an. Die Le-Fort-Einteilung in die drei Frakturverlaufsebenen des zentralen oder zentrolateralen Mittelgesichtsabrisses von der Schädelbasis, d. h., – Le Fort I: Abriss des Oberkiefers und des Hartgaumens im Niveau der Kieferhöhlenwände, – Le Fort II: pyramidaler Abriss einschließlich des Nasenskeletts und des Tränenbeins über das Ethmoid als „Pyramidalfraktur“, – Le Fort III: hoher vollständiger Abriss des gesamten Mittelgesichts von der Schädelbasis, ist in der originalen Beschreibung immer in symmetrischer Ausprägung zu verstehen. In der Realität sind asymmetrische Frakturverläufe häufiger. Im klinischen Sprachgebrauch wird deshalb von (atypischer) Mittelgesichtsfraktur nach Le Fort mit Angabe der Frakturverlaufsebenen rechts und links gesprochen (beispielsweise nach Le Fort II rechts und Le Fort III links). Auch ist es bei den ausgedehnteren Frakturen nicht selten, dass sich Frakturverläufe auf mehreren Le-Fort-Ebenen finden. Nach der o. g. Defini-

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tion sind Le-Fort-I- und -II-Frakturen zentral, weil sie nur das zentrale Mittelgesicht betreffen, Le-Fort-III-Frakturen zentrolateral. Laterale Mittelgesichtsfrakturen, Jochbeinfrakuren und die vielfältigen Orbitafrakturen werden von der Le-Fort-Einteilung nicht berücksichtigt [40]. Auch geht die Le-Fort-Einteilung nicht auf die kraniofazialen Frakturverläufe oder -ausläufer ein, wodurch das reale Frakturausmaß bei den Polytraumen und größeren Frakturen nur unzureichend wiedergegeben wird. Dies ist allerdings für die Wahl des Zeitpunkts, des operativen Zugangs und für andere therapeutische Entscheidungen bedeutsam. Es sind deshalb weitere Klassifikationssysteme vorgeschlagen worden, um zygomatico-orbitale, naso-orbito-ethmoidale (NOE) und kraniofaziale Frakturen umfassend definieren zu können. Es gibt bislang aber keine allgemein akzeptierte, verbindende Klassifikation der kraniofazialen und maxillofazialen Frakturen. In der Regel geht die Betrachtung bei den verschiedenen Systemen entweder von der kraniofazialen Region oder vom Mittelgesichtskomplex aus, oder von einzelnen Subregionen, z. B. Klassifikation der NOE-Frakturen werden nach Markowitz in drei Schwergraden (s. Abschn. „Naso-orbito-ethmoidale Frakturen“). Aktuell gibt es ein Projekt der AO Classification Group, die eine übergreifende und intuitiv handhabbare Klassifikation aufgestellt hat. Sie kann auf drei Niveaus unterschiedlichen Detailierungsgrades angewendet werden, ist mit Therapiemodulen verknüpft und eignet sich insbesondere für Datenbanken-Evidenz-basierte Evaluierung [40–42].

Zentrale und zentrolaterale Mittelgesichtsfrakturen Das grundlegende Behandlungsprinzip bei Mittelgesichtsfrakturen ist die Wiederherstellung der Pfeilerstrukturen in vertikaler, transversaler und sagittaler Projektion und die Rekonstruktion der verbindenden knöchernen Wandstrukturen. In der Regel geschieht dies durch Miniplattenosteosynthese entlang dieser Pfeilerstrukturen. Bei Knochendefekten oder sehr versprengten Trümmerfrakturen kann eine primäre Knochentransplantation erforderlich werden. Für umfangreiche Frakturen hat sich bei der Rekonstruktion ein systematisches Vorgehen bewährt, bei dem „top-down“ zuerst die kranialen und lateralen Rahmenstrukturen des Gesichtsschädels vom nächstfesten Ansatzpunkt an der Schädelbasis als „outer facial frame“ reponiert und fixiert werden (z. B. lateraler Orbitarand, Jochbeinkörper, Crista zygomaticoalveolaris). Davon ausgehend werden dann die zentralen, innerhalb und unterhalb dieses Rahmens gelegenen Strukturen reponiert und versorgt [43]. In der Le-Fort-IEbene erfolgt die Reposition zusätzlich anhand der Okklusion über die natürliche Bezahnung oder den prothetischen Ersatz, weil die exakte Wiederherstellung der Okklusion ein wichtiges Therapieziel ist. Durch die Verfügbarkeit von intraoperativer Navigation und ggf. Repositionskontrolle durch intraoperative dreidimensionale Bildgebung geht die Tendenz weg von breit freilegenden koronaren und sichtbaren transfazialen Zugängen hin zu limitierten und verdeckten Zugangsformen. Klassischerweise wird als Zugang zur

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Le-Fort-I-Ebene ein Sublabialschnitt in der vestibulären Schleimhaut des Oberkiefers verwendet. Für den Zugang zum Infraorbitalrand und Orbitaboden stehen subtarsale oder subziliäre Zugänge zur Verfügung, die in Hautfalten gelegt werden. Die Tendenz geht aber auch hier zu den transkonjunktivalen, verdeckten Zugangsformen. Mit einer Kombination aus transkonjunktivalem und transkarunkulärem Zugang erreicht man den gesamten Orbitaboden und die mediale Orbitawand. Der Nachteil des transkonjunktivalen Zugangs besteht lediglich darin, dass bei Notwendigkeit der Erweiterung nach lateral eine Kanthotomie durch den lateralen Lidwinkel erforderlich wird (in einer Lidwinkelfalte). Kosmetisch günstiger als der Zugang in der lateralen Augenbraue für die Darstellung des lateralen Orbitarands ist eine modifizierte Blepharoplastikschnittführung, die unauffällig abheilt, allerdings auch eine subtile Nahttechnik erfordert. Für die Rekonstruktion des Orbitabodens steht eine Palette unterschiedlicher Materialien und Verfahren zur Verfügung. Bei mittleren Frakturen bzw. Defekten bis etwa 2–3 cm2 eignen sich resorbierbare Materialien wie z. B. Polydioxanon-Folien [44, 45], bei kleineren Frakturen ggf. auch flexiblere Vliese (Ethisorb) oder Kollagenmembranen, mit denen Lücken überbrückt und eine Verschiebeschicht gewährleistet wird. Nachteil der PDS-Folie ist ihre vergleichsweise schlechte Formbarkeit und Anpassungsfähigkeit an die komplexe Orbitaanatomie, weshalb sie für größere oder Mehrwanddefekte nicht so gut geeignet ist. Für komplexe und großflächigere Frakturen haben sich in den letzten Jahren Titanmeshs durchgesetzt und die primäre Knochentransplantation (z. B. split calvaria grafts) verdrängt. Mit konfektionierten oder auch patientenindividuellen Titanmeshs gelingt es zuverlässig, die im Sagittalschnitt S-förmige Kontur des Orbitabodens wiederherzustellen, die für die korrekte Positionierung und Motilität des Bulbus und damit die Vermeidung von Doppelbildsehen essenziell ist. Konfektionierte, präformierte Titan-Orbitameshs sind in unterschiedlichen Größen aus gemittelten anatomischen Daten konstruiert, können intraoperativ an die Defektkonfiguration angepasst werden und lassen sich sehr einfach in den Defekt einbringen [46]. Hilfreich ist der Einsatz der Navigation, mit der die intraoperative Validierung der Mesh-Positionierung erfolgt. Lasergesinterte patientenspezifische Titanimplantate sind bereits individuell konfiguriert. Insbesondere haben sich diese Meshs für sekundäre Korrekturen der Orbita und Revisionseingriffe bewährt (s. u.). Bei Beteiligung der Nase stellt sich die Frage des Intubationswegs, weil die Versorgung von Mittelgesichtsfrakturen zur Reposition eine intraoperative mandibulomaxilläre Fixation erfordert. Je nach Bezahnung kann der Tubus neben und hinter der geschlossenen Zahnreihe geführt werden. Bei vollbezahnten Patienten besteht das Risiko einer Verschiebung durch den Tubus. In diesem Fall wird entweder sequenziell vorgegangen (nach Stabilisierung des Oberkiefers in nasaler Intubation wird für die Versorgung der Nase und ggf. paranasaler Strukturen oral umintubiert) oder es wird von vornherein eine submentale Durchleitung für einen oral platzierten Tubus chirurgisch geschaffen, womit man sich die intraoperative Umintubation erspart und

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die zentralen Mittelgesichtsfrakturen zusammen mit der Nase in einem Arbeitsablauf versorgt werden können.

Laterale Mittelgesichtsfrakturen, zygomatico-orbitale Frakturen Die Jochbeinfraktur ist eine der häufigsten, wenn nicht die häufigste Gesichtsschädelfraktur. Bei der klassischen Jochbeinfraktur sind die vier Fortsätze des Jochbeinkörpers am Proc. zygomatico-frontalis, am Infraorbitalrand, am Jochbogen und an der Crista zygomatico-alveolaris frakturiert. Zudem verläuft die Bruchlinie durch den Orbitaboden, wobei zusätzliche Aussprengungen nicht selten sind. Die Versorgung erfolgt analog zu den oben geschilderten Abläufen anhand der Pfeilerstrukturen. Erste Referenz für Reposition und Osteosynthese stellt die laterale Orbitawand mit dem äußeren Stirnbeinpfeiler dar. Je nach Dislokationsform werden zusätzlich oder alternativ der Infraorbitalrand und die Crista zygomatico-alveolaris gestellt und osteosynthetisch versorgt, letztere von intraoral. Der Orbitaboden wird analog zu dem o. g. Vorgehen versorgt. Gleiches gilt für die isolierten Orbitabodenfrakturen, bei denen der Orbitarahmen intakt geblieben ist. Daneben gibt es komplexe Jochbeinfrakturen, die als laterale Mittelgesichtsfrakturen auch in die temporale Kalotte, das Stirnbein oder die Schädelbasis auslaufen können oder die als Trümmerfrakturen hohe Ansprüche an die operative Versorgung stellen. In den Fällen komplexer Trümmerfrakturen sind navigationsgestütztes Vorgehen, ggf. intraoperative Bildgebung, fast unabdingbar. In komplexen Fällen kann der Jochbogen als Referenz für die sagittale Projektion dienen, hierfür können auch aufwendige Zugänge (koronar bzw. hemikoronar) hilfreich sein, wobei sich deren Notwendigkeit durch die Verfügbarkeit intraoperativer Navigation relativiert hat. Wichtig ist auch die Berücksichtigung der Weichgewebesituation bei diesen Zugängen, für die die superfizielle temporale Faszie inzidiert wird. Letztere ist Teil des SMAS (superficial muscular aponeurotic system) und ist unbedingt wieder zu vernähen, um eine Ptose von Gesichtsweichgewebsanteilen zu verhindern. Auch die Refixierung des M. temporalis ist wesentlich, um Einziehungen an der Schläfe zu vermeiden.

Naso-orbito-ethmoidale Frakturen Naso-orbito-ethmoidale (NOE-)Frakturen können isoliert, meist aber im Zusammenhang mit anderen zentralen Mittelgesichtsfrakturen und mit weiteren kraniofazialen Frakturen (frontofazial und/oder Schädelbasis) auftreten. Der Schweregrad wird durch das Ausmaß der Zertrümmerung und den Verlust der Anheftung der medialen Lidbänder bestimmt. Ein Insertionsverlust führt zum Telekanthus. Mehr als für alle anderen Frakturen gilt, dass in der Nasoethmoidalregion sekundäre Korrekturen sehr schwierig sind und nur mit ästhetischen Abstrichen korrigiert werden können, sodass es hierbei auf die Erstversorgung ankommt. Leitsymptom der NOE-Fraktur ist die Vergrößerung der interkanthalen Distanz durch Verlust der Lidbandinsertion. Bei NOE-Frakturen mit neurochirurgischem Versorgungsbedarf ist eine Absprache

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wichtig, weil der NOE-Komplex und die Lidbandaufhängung über einen frontalen Zugang gut operiert werden können. Eine Diagnose und Klassifizierung ist nur mittels Schichtbildgebung (CT) möglich. Die Klassifikation nach Markowitz erfolgt in drei Schwergrade: Grad 1 entspricht einer NOE mit wenigen großen Fragmenten, die noch intakte Lidbandinsertionen tragen. Mit Reposition und Osteosynthese der Fragmente wird auch die Position der Lidbandansätze wiederhergestellt. Beim Markowitz-Typ 2 liegt eine Trümmerfraktur mit kleineren Fragmenten vor, die Lidbänder hängen aber immer noch an einem der kleinen Fragmente. Die Fixation erfolgt durch transnasale Drähte. Beim Markowitz-Typ 3 sind keine knöchernen Lidbandanheftungen mehr vorhanden. Bei der direkten Kanthopexie erfolgt die Anheftung durch einen Draht, der transnasal zur Gegenseite und von hier aus am Stirnbein befestigt und angespannt wird. Wichtig ist es, die Kanthopexie weit genug nach intern in die Orbita zu legen, und auch eine gewisse Überkorrektur durchzuführen. Inzwischen gibt es auch kommerziell erhältliche Kanthopexiesysteme. Bei starken Zertrümmerungen oder Defekten im Nasenwurzelbereich bzw. im köchernen Nasenskelett kann auch eine primäre Knochentransplantation erforderlich sein, um spätere Sattelnasenbildung zu vermeiden. Dieses wird dann in der Regel mit Split calvaria grafts durchgeführt, alternativ bzw. je nach Defektlage auch durch Titanmeshs oder patientenindividuelle Titanimplantate.

14.3.5.2 Kraniofaziale Frakturen und Kombinationen mit Schädelbasisfrakturen Kraniofaziale Frakturen sind die kombinierten Frakturen des Viszero- und Neurokraniums und umfassen variable Frakturen der vorderen Schädelbasis, der GlabellaRegion, der Orbitae und des Oberkieferkomplexes. Die neurokranielle Beteiligung bei kraniofazialen Frakturen reicht von fakultativen Schädelbasisfrakturen bei subkranialen Mittelgesichtsfrakturen bis hin zu obligatorischen frontobasalen und frontofazialen Polyfragmentierungen in Kombination mit Dura- und intrakraniellen Verletzungen [24]. Frontobasisfrakturen zeigen eine hohe Koinzidenz mit Frakturen des Gesichtsschädels (Orbita 36 %, Oberkiefer und Jochbein 29 %, Nase 7 % und Unterkiefer 4 %, [47]). Aufgrund dieser hohen Inzidenzen ist bei Mittelgesichtsfrakturen immer eine Abklärung der Schädelbasis mittels CT erforderlich [26]. Bei der Versorgung von kombinierten Schädelbasisfrakturen und Mittelgesichtsfrakturen wird unter dem Gesichtspunkt der weiter oben geschilderten Versorgungsalgorithmen „top-down“ ein einzeitiges und damit ggf. simultan interdisziplinäres Vorgehen bevorzugt, dass das frühere, streng nach Fachgebieten getrennte sequenzielle Vorgehen abgelöst hat [38, 48]. Bei den kraniofazialen Frakturen muss zunächst das frontoorbitale „Bandeau“ wiederhergestellt werden, das dann als Basis für die Reposition und Wiederherstellung der subkranialen Mittelgesichtsanteile dient. Wichtig ist die Abstimmung bzgl. der Versorgung der Dura. Die Duraversorgung sollte möglichst nach der Reposition des Mittelgesichts durchgeführt werden, um Liquorlecks durch die Rüttelbewegungen bei der Reposition nicht wieder aufzureißen.

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Ist die Versorgung von Durazerreißungen an der Frontobasis mit einem perikranialen Periostlappen vorgesehen, sollte die Osteosynthese kraniofazialer Frakturen bereits erfolgt sein. Nach Einnaht des Lappens in die Frontobasis sind das frontale „Bandeau“ und die Nasoethmoidalregion nämlich nicht mehr von kranial erreichbar [38]. Die Versorgung des Stirnhöhlenbereichs muss je nach Verletzungsmuster interdisziplinär (Neurochirurgie/HNO/MKG) abgesprochen werden. Mögliche Versorgungsvarianten sind je nach Beteiligung der Hinterwand und Erhalt des Ductusfrontalis-Systems der Sinuserhalt, die Kranialisation oder die Obliteration. Für die Obliteration können Knochentransplantate (z. B. Beckenkammspongiosa) oder auch mit gutem Erfolg Fetttransplantate aus der Bauchdeckenregion verwendet werden. Fremdmaterialien haben sich nicht bewährt [38]. Zugangswege sind subkranial, transkranial oder endonasal möglich (s. Kap. 14.2 – HNO).

14.3.5.3 Unterkiefer- und Gelenkfortsatzfrakturen Anatomische Grundlagen und Frakturentypen Übergeordnet werden die Frakturen des horizontalen Unterkieferkörpers von denen des aufsteigenden Ramus mandibulae und den Gelenkfortsatzfrakturen unterschieden. Im Unterkieferkörper treten Frakturen bevorzugt an Schwachstellen auf, z. B. im Kieferwinkel im Bereich der retinierten Weisheitszähne. Weitere typische Lokalisationen am Unterkieferkörper sind die Medianfraktur in der Unterkiefermitte ventral, paramedian (bis zur Eckezahnregion), Seitenzahnbereich. Frakturen des bezahnten Unterkieferabschnitts sind über das Parodontium der frakturnahen Zähne grundsätzlich als offene Frakturen zu betrachten. Typische Mehrfachfrakturkombinationen sind die Kombination einer Fraktur im paramedianen bzw. Eckenzahnbereich mit einer Kieferwinkelfraktur der Gegenseite (bei seitlichem Schlag gegen das Kinn), oder die Medianfraktur in Kombination mit einer beidseitigen Gelenkfortsatzfraktur (bei Sturz auf die Kinnmitte). Trümmerfrakturen sind typisch für Schuss- und Explosionsverletzungen sowie Verkehrsunfälle bei hoher Geschwindigkeit. Gelenkfortsatzfrakturen machen fast die Hälfte der Unterkieferfrakturen aus, dazu gehören die Frakturen des Collum mandibulae und des Caput mandibulae. Collumfrakturen können tief (in Höhe des tiefsten Punkts der Incisura semilunaris), mittel (in Höhe der stärksten Einziehung des Gelenkfortsatzes) oder hoch (unterhalb der Ansatzlinie der Gelenkkapsel) sein. Der Ansatz der Gelenkkapsel ist in der konventionellen radiologischen Diagnostik allerdings nur indirekt als kleine Ausziehung ventral, korrespondierend mit dem knöchernen Ansatz des M. pterygoideus lateralis zu erkennen, dies entspricht in realiter der Höhe des konventionell röntgenologisch nicht sichtbaren Kapselansatzes. Capitulumfrakturen liegen somit oberhalb des Kapselansatzes. Rein intrakapsuläre Capitulumfrakturen kommen bei Erwachsenen allerdings kaum vor, in der Regel ziehen sie schräg vom Capitulum als Scherfraktur in den hohen bis mittleren Collumbereich („diacapituläre Frakturen“).

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Rein intrakapsuläre Capitulumfrakturen treten eher bei Kindern auf, bei denen der Kieferwinkel noch flacher ausgebildet ist und die Kräfte beim Sturz auf das Kinn auf den noch nicht vollständig ausgebildeten Gelenkkopf axial einwirken und eher Stauchungsfrakturen verursachen. Aufgrund der gelegentlichen Beschwerdearmut sollte bei Kindern mit Kinnplatzwunde deshalb immer eine entsprechende klinische, ggf. auch röntgenologische, Diagnostik erfolgen, auch vor dem Hintergrund, dass unbehandelte kindliche Gelenkfrakturen zu späteren Ankylosen und Wachstumsstörungen des Unterkiefers führen können. Wesentliche Parameter für die Prognose und den Behandlungsbedarf bei einer Gelenkfortsatzfraktur sind der Dislokations- und Luxationsgrad. Dislokationen im Bereich der Fraktur bei nichtluxiertem Gelenkkopf sind prognostisch günstiger (was potenzielle spätere Funktionseinschränkungen angeht) als Luxationsfrakturen, bei denen der Gelenkkopf unter Zerreißung des Kapsel-Band-Apparats die Fossa articularis verlassen hat und selbstredend auch eine Dislokation im Frakturbereich vorliegt. Meist erfolgt die Luxation als Abkippung des kleinen Fragments nach medial oder medio-ventral. Bei Luxationsfrakturen ist auch bei anatomisch korrekter Reposition eher mit späteren Funktionsdefiziten zu rechnen, weil die nichtknöchernen Gelenkbinnenstrukturen bislang einer Reparatur nicht zugänglich sind.

Versorgungsgrundsätze bei Unterkieferkörperfrakturen Eine mobile Fraktur des Unterkiefers, insbesondere des vorderen Unterkieferbogens als Ansatz für die suprahyoidale Muskulatur und die Zungenaufhängung muss zeitnah stabilisiert und ruhiggestellt werden. Führende Gründe sind Blutungsrisiko, Infektionsgefahr, wenn die Fraktur ventral und damit zur Mundhöhle freiliegt, und Schmerzen. Zwar ist eine Ruhigstellung auch über eine intermaxilläre Fixation (IMF) durch Ober- und Unterkieferschienung oder mittels sog. IMF-Schrauben realisierbar, diese behindert aber die Zugänglichkeit für die Pflege des Mund-Rachenraums gerade beim beatmeten und mehrfachverletzten Patienten (Pneumonierisiko). Schon aus diesen Gründen sollten Unterkieferkörperfrakturen möglichst rasch einer operativen Versorgung zugeführt werden. Frakturen des dorsalen Unterkiefers und des aufsteigenden Astes sowie Gelenkfortsatzfrakturen sind diesbezüglich unkritischer und können auch noch nach einigen Tagen versorgt werden (s. u.). Standardverfahren für die operative Versorgung von Unterkieferkörperfrakturen ist die Miniplattenosteosynthese mit monokortikalen Schrauben entlang der trajektoriellen Zugbeanspruchungslinien des Unterkieferkörpers. Die Ideallinie für die Plattenlage liegt etwa in Höhe der Wurzelspitzen. Die Miniplatten werden über intraorale Inzisionen im Bereich der vestibulären Schleimhaut eingebracht. Im Bereich der Unterkieferfront, wo auch Torsionskräfte auftreten, werden zwei parallel liegende Miniplatten in Höhe der Wurzelspitzen und basal angebracht. Die Miniplattenosteosynthese stabilisiert den Unterkiefer nach dem Zuggurtungsprinzip, was eine einigermaßen stabile Bruchfläche voraussetzt, über die sich die Biegebeanspruchungen

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am Unterkiefer abstützen. Die Miniplattenosteosynthese ist übungsstabil, d. h., sie erlaubt Mundöffnung, volle Unterkiefermobilität und weiche Kost, aber keine festen Speisen bis zur knöchernen Konsolidierung (etwa 3–4 Wochen). Sie ist deshalb an eine entsprechende „Adhärenz“ und Mitarbeit des Patienten gebunden. Bei Trümmerfrakturen ist die Abstützung über den Kieferquerschnitt nicht möglich, weshalb das Zuggurtungsprinzip bei Trümmerfrakturen nicht funktionieren kann. Deshalb wird bei Trümmerfrakturen, genauso wie auch bei Frakturen des atrophen Unterkiefers (wegen des niedrigen Unterkieferquerschnitts) auf die Verfahren der stabilen Überbrückungsosteosynthese zurückgegriffen. Bei der stabilen Überbrückungsosteosynthese werden ausreichend dimensionierte Platten am Unterkieferrand mit bikortikalen Schrauben verankert, die in der vestibulären und lingualen Kortikalis fassen. Die Dimensionierung dieser Platten und ihrer Verankerung neutralisiert alle am Unterkiefer auftretenden Kräfte und ist somit funktionsstabil in dem Sinne, dass im Idealfall eine volle Funktion einschließlich Kauen fester Nahrung möglich ist. Auch diese Platten werden heutzutage nach Möglichkeit von intraoral eingebracht, bei längerstreckigen Rekonstruktionen von extraoral submandibulär.

Versorgungsgrundsätze bei Gelenkfortsatzfrakturen Gelenkfortsatzfrakturen waren lange Zeit eine Domäne der konservativen Versorgung über Ruhigstellung mittels intermaxillärer Fixation und frühfunktioneller Nachbehandlung. Inzwischen haben prospektive Studien den Nutzen einer operativen Versorgung auch für Gelenkfortsatzfrakturen (Collum- und Capitulumfrakturen) belegen können [49], und eine Indikation zur operativen Versorgung besteht zumindest bei luxierten Frakturen und bei Dislokationsfrakturen, bei denen sich die Fragmente über eine geschlossene Reposition nicht zufriedenstellend einstellen lassen. Darüber hinaus gibt es unabhängig vom Dislokations- und Luxationsgrad weitere Indikationen für die operative Versorgung von Gelenkfortsatzfrakturen bei panfazialen Frakturen. Der Unterkiefer ist Teil des „outer frame“ (s. o.) und wichtige Referenzstruktur für die Rekonstruktion der Gesichtshöhe. Bei panfazialen Frakturen, die Mittel- und Untergesicht umfassen, insbesondere bei Trümmerfrakturen des Mittelgesichts kann es schwierig sein, die Gesichtshöhe allein aus der anatomischen Reposition der Mittelgesichtsanteile heraus zu rekonstruieren. Dann bildet der Unterkiefer, speziell auch der aufsteigende Ast mit dem Gelenkfortsatzanteil die Referenz für die Gesichtshöhe. Eine operative osteosynthetische Versorgung ist dann zur Rekonstruktion der Gesichtshöhe erforderlich. Bekanntes Problem beim chirurgischen Zugang zu der Gelenkregion ist der darüberliegende Fazialisfächer. Die Vielzahl der beschriebenen Zugänge ist Ausdruck des Umstands, dass es keinen universellen Zugang gibt, der eine Übersicht über alle Formen der Gelenkfortsatzfrakturen bietet. Tiefe und mittelhohe Collumfrakturen lassen sich in Abhängigkeit vom Dislokationsgrad von intraoral, ggf. endoskopisch assistiert zur Repositionskontrolle, versorgen. Alternativ stehen prä- oder retroaurikuläre Zugänge für den oberen Gelenkbereich sowie retromandi-

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buläre, transparotideale und submandibuläre Zugänge für den eher tiefer liegenden Gelenkfortsatzbereich zur Verfügung, deren detailliertere Beschreibung aber den Rahmen dieses Kapitels sprengen würde. Wesentliches Risiko aller Zugänge ist die temporäre, selten auch permanente Schädigung von N.-facialis-Ästen.

14.3.5.4 Sekundärkorrekturen Sekundäre Korrekturen können in verschiedenen Situationen am Gesichtsschädelknochen, an den Weichgeweben oder im dentalen Bereich erforderlich werden.

Sekundärkorrekturen am Gesichtsschädel Es gibt ein breites Portfolio von Verfahren für die sekundäre Korrektur nach Gesichtsschädelfraktur, das von Korrekturosteotomien über die Knochentransplantation bis hin zur Anwendung konfektionierter oder individueller Implantate reicht. Die sekundäre Korrektur in Fehlstellung verheilter maxillofazialer Frakturen ist sehr viel schwieriger als die Primärversorgung und kann mit präoperativer Bildgebung, virtueller Planung und intraoperativer Navigation, ggf. auch intraoperativer Bildgebung, erheblich verbessert werden. Sekundärkorrekturen können erforderlich sein, wenn aus übergeordneten Gründen eine ausreichende Primärversorgung der Gesichtsschädelverletzungen nicht oder nur eingeschränkt möglich war. Grundsätzlich gilt, dass Sekundärkorrekturen umso geringer ausfallen, je genauer und besser die primäre Versorgung bereits erfolgt ist. Die Therapie der ersten Wahl bei Fehlstellungen ist die Korrekturosteotomie. Im zentralen Mittelgesicht erfolgt diese nach den Regeln der Dysgnathiechirurgie (orthognathe Chirurgie), d. h. die Korrektur von skelettalen Kieferfehllagen mit Osteotomie von Ober- und/oder Unterkiefer und osteosynthetischer Fixierung nach entsprechender Modellplanung, die sich an der Okklusion orientiert. Bei Knochendefiziten werden zusätzlich autologe Knochentransplantate eingesetzt. Im lateralen Mittelgesicht ist die intraoperative Orientierung mitunter deutlich schwieriger, weil die Referenzpunkte nicht mehr klar erkennbar sind. Zur korrekten Orientierung und Projektion des Jochbeinkörpers ist deshalb in der Regel die präoperative bildgebende Planung und intraoperative Navigation erforderlich. Bei Knochendefekten im Orbitaring- und Schläfenbereich ist in den letzten Jahren die Ausformung mit am individuellen CADCAM-Schädelmodell geformten Titangittern mehr und mehr angewendet worden, mit denen sich die Ausformung zuverlässiger gestalten lässt als mit autologen Knochentransplantaten allein. Inzwischen sind patientenspezifische, lasergesinterte Titanimplantate auch kommerziell verfügbar. Als Methode der zweiten Wahl nach der Reosteotomie können Konturdefekte auch mit konfektionierten oder individualisierten Implantaten im Sinne einer „Camouflage“ korrigiert werden. Hierfür stehen neben Knochentransplantaten eine ganze Reihe unterschiedlicher Materialien und Verfahren zur Verfügung, genannt seien

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Hydroxylapatitzemente, die sich zum Ausgleich kleiner Defekte am Stirnbein und an der Kalotte eignen, oder patientenspezifische Implantate für die Jochbeinprominenz.

Sekundäre Korrektur der internen Orbita Besondere Ansprüche stellt die Rekonstruktion der internen Orbita, deren Form sowohl bzgl. der Ästhetik (Enophthalmus) wie unter funktionellen Gesichtspunkten (Doppelbildsehen) exakt wiederhergestellt werden muss. Die Position des Bulbus in vertikaler (z. B. Tieferstand) wie auch sagittaler (Enopthalmus) Richtung wird durch das Volumen der knöchernen Orbita, wie auch die S-Kontur des Orbitabodens bestimmt. Liegen hier Defekte vor, z. B. Ausweitung des Orbitabodens oder der medialen Orbitawand in die benachbarten Nebenhöhlenbereiche, kommt es zum konsekutiven Tieferstand des Bulbus und/oder Enophthalmus und ggf. Doppelbildsehen. Im Vergleich zur primären Rekonstruktion besteht bei Sekundärkorrekturen das Problem, dass die Orbitaweichgewebe in ihrer Fehlpositionierung narbig fixiert sind, und dass es auch Weichgewebevolumenverluste gibt, die mit einer Rekonstruktion kompensiert werden müssen. Letztlich muss dabei das Orbitaweichgewebe aus seiner Fehlpositionierung gelöst und nach den Prinzipien der Primärrekonstruktion die Orbitawand mit einem Mesh rekonstruiert werden. Da anatomische Landmarken nicht ausreichend zur Verfügung stehen, ist eine intraoperative Navigation unabdingbar. Bei größeren Defekten gelingt die Rekonstruktion am besten mit Titanmeshs, die es konfektioniert gemittelt nach anatomischen Angaben gibt, oder als direkt im CADCAM-Verfahren hergestellte patientenspezifische Implantate [50]. Mit knöcherner Transplantation ist die benötigte Exaktheit insbesondere bei komplexeren Defekten deutlich schwieriger zu erzielen.

Weitere sekundäre Maßnahmen Weitere sekundäre Korrekturen können die Nase bzw. das Nasenseptum betreffen, wenn die Reposition im Primäreingriff nicht zufriedenstellend war. Sekundäre Korrekturen der Nasoethmoidalregion sind besonders problematisch, insbesondere ein verbliebener Telekanthus ist häufig sekundär nicht völlig korrigierbar. Da es durch den Zug der Lider immer zu einem gewissen Rezidiv kommt, ist eine Überkorrektur erforderlich, ggf. auch ein wiederholtes Vorgehen. Möglicherweise sind auch hier patientenspezifische Implantate die bessere Option, um die Kontur in einem Schritt formgerecht wiederherzustellen. Die Augmentation des defizienten Alveolarkamms nach Zahnverlust ist eine weitere sekundäre Maßnahme und ein eigenes Thema, das der Vollständigkeit halber erwähnt werden soll. Je nach Notwendigkeit und Defektausmaß kommt das Spektrum augmentativer Maßnahmen zur Implantatlagerverbesserung mit lokalen Maßnahmen bis hin zu umfangreicheren Knochentransplantationen bei umfangreicheren Alveolarkammdefekten zur Anwendung.

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Obwohl die knöcherne Grundlage im Wesentlichen die Kontur bestimmt, können korrigierende Eingriffe auch im Weichgewebsniveau angezeigt sein. Dies betrifft zum einen Narbenkorrekturen, zum anderen kann aber auch die Weichgewebsaugmentation mittels Lipofilling insbesondere im periorbitalen Bereich genutzt werden, um Asymmetrien zu kaschieren.

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15 Spätfolgen, Sekundärerkrankungen Holger S. Willenberg und Andreas Knauerhase

15.1 Neuroendokrinologische Veränderungen Eine Unterfunktion der Hypophyse kann den Hypophysenvorderlappen und den Hypophysenhinterlappen betreffen und tritt als Folge eines Schädel-Hirn-Traumas oder bei Boxsportarten bei ca. 10–15 %, bei schweren Verlaufsformen bei bis zu 50 % der Betroffenen auf. Die Schädigung kann sich als direkte Folge des Traumas bzw. mit einer zeitlichen Latenz über indirekte Mechanismen manifestieren. Jeder Patient, der ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten hat oder Kontaktsport auf Wettkampfniveau betrieb, sollte einer endokrinologischen Funktionsdiagnostik zugeführt werden. In der Akutphase können mehrere Faktoren vorliegen, die mit der hormonellen Diagnostik interferieren, sodass das unmittelbare Ziel zunächst im Ausschluss eines Diabetes insipidus centralis (DIC), einer Nebennierenrindeninsuffizienz bzw. einer zentralen Hypothyreose besteht. Surrogatparameter sind ebenso wichtig wie die hormonelle Labordiagnostik. Endokrine Funktionstests für die Feineinstellung sollten nicht vor Ablauf von ca. 1–3 Monaten erfolgen. Die Therapie konzentriert sich auf die Restitution der Nebennierenrindenfunktion und der Schilddrüsenfunktion sowie der Kontrolle des Salz-Wasser-Haushaltes bei Vorliegen eines DIC. Letzterer wird mit DDAVP (1-Desamino-8-D-Arginin-Vasopressin/ Minirin® ) behandelt, die adrenokortikotrope Insuffizienz nach Asservation von Serum, Plasma und Urin mit Hydrocortison und die thyreotrope Insuffizienz mittels L-Thyroxin – im Zweifelsfall intravenös. Endokrinologische Verlaufskontrollen und ambulante Reevaluationen sind sinnvoll, weil sich die Insuffizienz sowohl verbessern als auch verschlechtern kann.

15.1.1 Einleitung Eine Unterfunktion der Hypophyse kann den Hypophysenvorderlappen (HVL) oder den Hypophysenhinterlappen (HHL) betreffen. Funktionsstörungen können „komplett“ („total“), d. h. ohne wesentliche Restfunktion, bzw. „partiell“ sein, wobei mit „partiell“ der Ausfall einzelner Achsen gemeint sein kann bzw. ein milder Verlauf bzw. eine Funktionseinschränkung aller HVL-Achsen, adrenokortiotrop, thyreotrop, laktotrop, gonadotrop und somatotrop. Eine typische Komplikation der HHL-Unterfunktion ist der DIC. Ist die Funktion des gesamten HVLs und des HHLs ausgefallen, spricht man auch vom Panhypopituitarismus. Der Zusammenhang zwischen einem Schädel-Hirn-Trauma (SHT) und der Hypophysenfunktion wurde relativ schnell nach Erstbeschreibung der Hirnanhangsdrüsenunterfunktion hergestellt [1]. Allerdings konzentrierte man sich zunächst auf Mehttps://doi.org/10.1515/9783110366853-017

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chanismen, die direkt zu nachvollziehbaren anatomischen Veränderungen führten, wie Schädelbasisfraktur und Hypophysenabriss bzw. die direkte Einblutung in das Organ. Dabei entsteht die Hypophyseninsuffizienz akut. HVL und HHL sind in diesen Fällen oft gleichermaßen betroffen. Erst später erkannte man, dass sich eine Hypophyseninsuffizienz auch mit einer zeitlichen Latenz entwickeln kann und dass HVL und HHL nicht beide geschädigt sein müssen und deshalb auch andere Mechanismen zu diskutieren sind, die zu einem Hypopituitarismus führen. Da sich die Funktion der Hypophyse nach einem Trauma spontan bessern, allerdings in einem kleineren Prozentsatz auch mit einer variablen zeitlichen Latenz verschlechtern kann, findet man in Abhängigkeit vom diagnostischen Fenster und der benutzten diagnostischen Methoden eine schwankende Häufigkeit der posttraumatischen Hypophyseninsuffizienz (PTHI) mit einer Prävalenz von 20–50 %. Bei einem Glasgow Coma Scale Score von < 9 Punkten ist von einer Hypophyseninsuffizienz in ca. einem Drittel der betroffenen Patienten auszugehen, bei leichteren SHT-Formen in ca. 10–15 %. Auch bei Kontaktsportarten wie Boxen oder Kickboxen wurde das Auftreten einer Hypophyseninsuffizienz mit einer Häufigkeit von 10–15 % berichtet. Derart betroffene Personen scheinen auch Autoantikörper gegen Hypophysen- bzw. Hypothalamusgewebe zu entwickeln und im Verlauf kleinere Hypophysenvolumina aufzuweisen als Sportler ohne diese Komplikation [2]. Dies würde im Gegensatz zur allgemeinen Wahrnehmung bedeuten, dass die Ursache einer Hypophyseninsuffizienz häufiger ein SHT als ein Hypophysentumor oder eine Operation im Bereich der Sella ist. Deshalb sollte jeder Patient, der ein SHT erfahren hat oder (Kick-)Boxen als Wettkampfsport betrieb, im Verlauf einer endokrinologischen Diagnostik zugeführt werden. Für eine zunächst als idiopathisch klassifizierte Hypophyseninsuffizienz lässt sich in der Mehrzahl der Fälle ein Trauma identifizieren, das eine entsprechende Risikokonstellation aufwies. Es wurden mehrere Risikofaktoren für die Entstehung einer PTHI identifiziert (Tab. 15.1). Tab. 15.1: Risikofaktoren, die mit einer Hypophyseninsuffizienz nach Trauma assoziiert sind. Risikofaktoren schweres SHT Schädelbasisfraktur neurologische Ausfälle erhöhter intrakranieller Druck Subarachnoidalblutung Länge und Ausmaß der intensivmedizinischen Maßnahmen Kontaktsportart wie (Kick-)Boxen als Wettkampfsport Es sind die wichtigsten Risikofaktoren aufgeführt, wobei insbesondere deren Kombination an hormonelle Ausfälle denken lassen muss.

15.1 Neuroendokrinologische Veränderungen | 375

15.1.2 Diagnostische Aspekte Da etablierte Normbereiche für die Hormonassays unter den Bedingungen des diagnostischen und therapeutischen Stresses sowie der medikamentösen Therapie im Krankenhaus nicht anwendbar sind, spielen anamnestische Aspekte und die indirekte Diagnostik eine große Rolle (Tab. 15.2). Allerdings ist eine gute endokrinologische Anamnese nach einem SHT oft nur begrenzt erhebbar. Die Diagnostik hormoneller Veränderungen im Rahmen eines SHT kann deshalb mitunter sehr komplex und schwierig sein. Dies hat aber auch wichtige weitere Gründe, auf die nachfolgend eingegangen werden soll.

15.1.2.1 Gleichzeitiges Vorliegen einer „Critical Illness“ (CI) Ein schweres Schädel-Hirn-Trauma bedeutet immer Stress für den Organismus und macht den Umstand einer CI wahrscheinlich. Dies erschwert aber wiederum die hormonelle Diagnostik einer PTHI, weil eine CI per se zu profunden hormonellen Veränderungen führt. Auch diagnostische und therapeutische Maßnahmen, einschließlich einer Beatmung, sowie Komplikationen in Form von Infektionen haben hormonelle Anpassungsmechanismen zur Folge, insbesondere eine Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse. Allein dieser Umstand führt bereits zur Suppression der thyreotropen, gonadotropen, laktotropen und somatotropen Hypophysenfunktionen und auch zur Suppression von ADH über ein negatives Feedback durch die Glukokortikoide in allen Hypophysenzellen. Eine eingeschränkte Leberfunktion greift ebenfalls in den Metabolismus von Effektorhormonen ein und bewirkt eine geringere Verfügbarkeit von freiem T3, IGF-1 und Bindungsproteinen und führt zur Anhebung des Verhältnisses von freiem zu gebundenem Cortisol. Die hohen Glukokortikoidspiegel und die verminderte Wirkung von Schilddrüsenhormon, gonadalen Steroiden sowie Wachstumshormon führen zur Umverteilung von Energieressourcen und somit zu Veränderungen im Kohlenhydrat-, Fett- und Eiweißstoffwechsel mit Allokation der Glukose in das Gehirn. Außerdem bewirkt Cortisol bei erhöhten Spiegeln über die Erhöhung der Glukose als Glukokortikoid und die Retention von Natrium als Mineralokortikoid Veränderungen im Flüssigkeitsvolumenhaushalt. Dennoch kann trotz erhöhter ACTH- und Cortisolspiegel im Blut bereits eine „relative Nebennierenrindeninsuffizienz“ vorliegen, weil für die Kontrolle der Inflammation und Zytokinaktivitäten noch höhere Cortisolspiegel notwendig sein könnten. Hierfür gibt es verschiedene Ursachen (Tab. 15.3).

15.1.2.2 Vorliegen einer partiellen Hypophysenvorderlappeninsuffizienz Der (partielle) Ausfall von Achsen, die nicht das unmittelbare Überleben des Patienten gefährden, ist oft klinisch inapparent. Liegt gleichzeitig eine CI vor, dann kann die labordiagnostische Konstellation einer Unterfunktion jeder anderen als der adreno-

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Tab. 15.2: Parameter zur Diagnostik einer Hypophysenunterfunktion. Hypophysenachse

Klinik der Unterfunktion

Screening-Test

Stimulationstest

adrenokortikotrope Achse

Müdigkeit, Frieren, Schwäche, Adynamie, Kopf- und Gliederschmerzen, Konzentrationsstörungen, Übelkeit, Appeptitlosigkeit, Gewichtsabnahme, Hypotonie mit Schwindel, Hyponatriämie, Anämie, Azidose, Exsikkose

Cortisol, DHEAS

InsulinHypoglykämietest (Glukose, ACTH, Cortisol, ggf. STH), Metyrapontest (ACTH, 11-Desoxycortisol), ACTH-Test (Cortisol), CRH-Test (ACTH, Cortisol)

thyreotrope Achse

Müdigkeit, Frieren/niedrige Körpertemperatur, Schwäche, Adynamie, Depressivität, Gewichtszunahme, Ödeme, Obstipation, langsamer Puls, trockene und kühle Haut, Herzinsuffizienz

TSH, freies T4, freies T3

TRH-Test (TSH, Prolaktin), nur in Ausnahmefällen sinnvoll

laktotrope Achse

Probleme beim Stillen

Prolaktin

TRH-Test (TSH, Prolaktin), dafür praktisch nicht mehr angewendet

gonadotrope Achse

Zyklusunregelmäßigkeiten, Libidoverlust, Potenzverlust, Hitzewallungen mit Schwitzattacken, Adynamie, Schwäche, Anämie

FSH, LH, Testosteron/Östradiol, SHBG

GnRH-Test (LH, FSH)

somatotrope Achse

Schwäche, Adynamie, Depressivität, u. v. a. m.

IGF-1

InsulinHypoglykämietest (Glukose, ACTH, Cortisol, STH), Arginin-GHRH-Test (STH)

Es sind die anamnestischen Angaben aufgeführt, auf die nach Möglichkeit hin eingegangen werden sollte, sowie die hormonellen Parameter zur Einschätzung der Integrität der einzelnen Achsen. Die Stimulationstests haben eine viel stärkere Aussagekraft. In Klammern sind die notwendigen Laborwerte aufgeführt.

kortikotropen Achse einem Ausfall entsprechen oder einer physiologischen Reaktion. Zwar ist eine partielle Hypophyseninsuffizienz bereits mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität assoziiert, allerdings ist der so betroffene Patient dann in der Regel nicht akut gefährdet und der zeitliche Rahmen der Abklärungsbedürftigkeit kann weiter gefasst werden. Eine ambulante Screening-Diagnostik ist ca. 1 Monat nach Entlas-

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Tab. 15.3: Gründe für die Entstehung einer „relativen Nebennierenrindeninsuffizienz“. Gründe der Anstieg des Cortisols führt bereits zur Hemmung der ACTH-Sekretion und beschneidet zunehmend den Einfluss von CRH und ADH auf die Freisetzung von ACTH erhöhte Zytokinspiegel interferieren mit der Bindung von Cortisol und Corticosteron am Glukokortikoidrezeptor und setzen seine Sensitivität gegenüber Glukokortikoiden herab (erworbene Glukokortikoidresistenz) Hemmung der adrenalen Steroidbiosynthese durch Medikamente (z. B. Imidazolderivate, Etomidate, Arbiraterone) beschleunigter Abbau von Glukokortikoiden über Induktion von CYP3A4 durch Medikamente (z. B. Phenytoin, Benzodiazepine) Vorliegen von Begleitumständen, die die Bindung und damit die Gewebeverfügbarkeit von Cortisol beeinflussen (z. B. Einnahme der Pille bzw. von Östrogenpräparaten im Vorfeld) dem SHT und dem Aufenthalt auf der Intensivstation ist bei bestimmten Grunderkrankungen eine Glukokortikoidtherapie vorausgegangen (Inhalativa, Injektionen, systemische Therapie) der Patient hat eine Grunderkrankung bzw. eine Intervention durchlaufen, die die Hypophyse bzw. die Nebennieren direkt oder indirekt betreffen

sung von der Station ausreichend, Stimulationstests kommen oft 3 Monate nach dem SHT zur Anwendung. Dieses Vorgehen ist auch deshalb sinnvoll, weil in der akuten Phase paradoxe Ergebnisse auf Stimulationstests berichtet wurden [3].

15.1.2.3 Endokrine Komorbiditäten/Therapien Endokrine Erkrankungen sind häufig; die Wahrscheinlichkeit einer hormonellen bzw. antihormonellen Therapie ist deshalb hoch. Eine Medikation mit Prednisolon, Prednison und Methylprednisolon interferiert in der Regel mit den Immunoassays. Die Anwendung von Dexamethason oder von Triamcinolon im Rahmen orthopädischer Instillationen führt zur Suppression der Nebennierenfunktion. Inhalative Glukokortikoide verursachen eine Hemmung der Hypophysen-Nebennierenfunktion in Abhängigkeit von der Dosis, wovon mindestens 10 % der Patienten betroffen sind. Eine hormonelle Diagnostik unter laufender Glukokortikoidtherapie ist nur bei Pausieren etwas hilfreich. Die Einnahme von L-Thyroxin verhindert die korrekte Diagnostik der thyreotropen Funktion. Da L-Thyroxin aus unterschiedlichen Gründen eingesetzt wird (Strumatherapie, postinterventionelle Substitution, [Autoimmun-]Thyreoiditis mit Unterfunktion) und eine lange Halbwertszeit besitzt, ist die hormonelle Diagnostik zur Einschätzung der Hypophysenfunktion dann oft nicht weiterführend. Das Halbieren der L-Thyroxin-Dosis ist ein gangbarer Weg, um die thyreotrope Funktion ohne größeres Risiko ca. 3 Wochen später zu testen. Aufgrund der langen Halbwertszeit von Thyroxin wird dieses Vorgehen in der Regel in den ambulanten Bereich verlagert. Bei Komedikation mit Amiodaron sind manchmal diagnostische Kompromisse zu machen.

378 | 15 Spätfolgen, Sekundärerkrankungen

Während der Einsatz von Aromataseinhibitoren eine Erhöhung der Gonadotropine verursacht, bewirkt die Therapie mit Östrogenen oder Tamoxifen neben der Suppression der Gonadotropine auch eine Änderung in der Plasmaeiweißbindung verschiedener Hormone. Für die Cortisol- und Steroidhormonanalytik müssen unter diesem Einfluss andere Grenzwerte angenommen werden. Bei Antitumortherapien mit GnRH-Analoga (Mammakarzinom, Prostatakarzinom) sind die Gonadotropine niedrig und Auswirkungen der Pharmakotherapie (Androgenrezeptorblockade, Steroidogeneseenzym-Blockade) für jeden Einzelfall zu prüfen und interdisziplinär abzusprechen.

15.1.2.4 Diabetes insipidus centralis Etwa ein Viertel der Patienten mit SHT entwickeln in der Akutphase einen DIC, bei ca. 7 % persistiert er. Tritt er als Diabetes insipidus centralis totalis auf, ist er durch die eindeutige klinische Symptomatik der Polyurie und Negativbilanzierung bei renalem Wasserverlust sowie die Hypernatriämie schnell zu erkennen. Die Osmolalität des Urins ist dann oft niedriger als 200 mosmol/kg und sein spezifisches Gewicht kleiner als 1010 (trotz Hypernatriämie). Partielle Varianten äußern sich häufig in einer stetig zunehmenden Hypernatriämie. Davon sind Zustände abzugrenzen, in denen die Hypernatriämie auf eine höherdosierte Hydrocortisongabe und Infusionstherapie mit kochsalzhaltigen Lösungen zurückzuführen ist. Im Verlauf ist beim partiellen DIC eine spezifische Diagnostik durchzuführen: Durstversuch mit Bestimmung der Osmolalitäten mit/ohne Copeptin im Plasma. Ein partieller DIC kann dann übersehen werden, wenn gleichzeitig eine adrenokortikotrope Insuffizienz besteht und eine Infusionstherapie durchgeführt wird. In diesen Fällen geben die Patienten dennoch eine Nykturie an und entwickeln eine Hypotonie.

15.1.2.5 Konsequenzen für die Hormondiagnostik Da der Glukokortikoidexzess unter dem Einfluss von Stress zwangsläufig zu einer Suppression der anderen Hypophysenachsen führt, ist die Untersuchung zum Zwecke des Nachweises einer thyreotropen, gonadotropen, laktotropen oder somatotropen Insuffizienz in der akuten Phase bzw. unter den Bedingungen einer Intensivtherapie, bei begleitenden Infektion bzw. bei CI nur bedingt sinnvoll. Allerdings ist der Nachweis von erniedrigten freien T4- und freien T3-Spiegeln bei inadäquat niedrigem TSH zum Aufnahmezeitpunkt bzw. dann hilfreich, wenn die Veränderungen über das übliche Ausmaß eines „low T3-Syndroms“/„non-thyroidal illness-Syndrom“ hinausgehen (z. B. Erniedrigung von freien T4- und T3-Spiegeln um mehr als ein Drittel der unteren Normgrenze). Niedrige Spiegel für FSH bei eindeutig postmenopausalen Frauen sind ebenfalls suggestiv für eine Hypophyseninsuffizienz sowie niedrig normale Werte für das Stresshormon Prolaktin. Liegt ein DIC vor, dann sollte aus Sicherheitsgründen eine HVL-Insuffizienz angenommen und laborchemisch abgeklärt werden. An-

15.1 Neuroendokrinologische Veränderungen | 379

sonsten konzentriert sich die Diagnostik in ihrer Hauptaussagekraft auf den Nachweis einer etwaigen Nebennierenrindeninsuffizienz durch Messung der Cortisolspiegel und der Cortisolwirkung über die Bestimmung von Parametern, die indirekt über die glukokortikoide Aktivität Auskunft geben (z. B. Entstehung einer Hyponatriämie und einer Azidose, niedriger Blutdruck, fortbestehende Katecholaminabhängigkeit, Anämie/Leukopenie ohne andere Gründe). Das Vorliegen weiterer Komplikationen bzw. von endokrinen Komorbiditäten macht die Diagnostik nicht einfacher, weshalb in verschiedenen Situationen Stimulationstests der Nebennierenfunktion eingesetzt werden bzw. eine Therapie ex juvantibus initiiert wird. Eine Nebennierenrindeninsuffizienz tritt bei ca. 15 % der Patienten auf. Funktionstests mit der besten Aussagekraft sind der Insulinhypoglykämietest sowie der Metyrapontest. Beide Verfahren sind in der Akutsituation jedoch problematisch. Die besten Sicherheitsdaten liegen für den ACTH-Test vor, der jedoch bei der sekundären Nebennierenrindeninsuffizienz falschnegative Ergebnisse liefern kann – besonders dann, wenn das SHT noch nicht lange zurückliegt (< 3–6 Monate). Bei Anwendung der Kriterien der Arbeitsgruppe Surviving Sepsis Campaign, die am ehesten für die Bedingungen eines CI und schweren SHT anzuwenden ist, sind bestimmte Grenzwerte für Cortisol anzunehmen (Tab. 15.4). Unter normalen Bedingungen bzw. nach adäquater Erholung vom SHT gelten die Standards der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie zur Diagnostik von Funktionsstörungen des HVL [4], z. B. die Erniedrigung von freiem T4 in zwei unabhängigen Blutproben zum Nachweis einer manifesten Hypothyreose, wenn keine CI vorliegt, und inadäquat niedrige Spiegel von FSH (und LH) trotz Östradiolspiegel < 100 pmol/l oder bei erniedrigtem Testosteron. Tab. 15.4: Kriterien für die labordiagnostische Untersuchung auf eine Nebennierenrindeninsuffizienz. Parameter

Nachweis

Ausschluss

Cortisol basal morgens Cortisolanstieg (Δ) nach 250 μg Synacthen absolutes Cortisol nach 250 μg Synacthen absolutes Cortisol im Insulinhypoglykämietest 11-Desoxycortisol im 2-g-Metyrapontest

< 275 nmol/l (10 μg/dl) < 250 nmol/l (9 μg/dl) < 550 nmol/l (20 μg/dl) < 500 nmol/l (18 μg/dl)

> 500 nmol/l (18 μg/dl) > 460 nmol/l (16,8 g/dl) > 1.200 nmol/l (44 μg/dl) > 550 nmol/l (20 μg/dl)

< 215 nmol/l (7,5 μg/dl)

> 245 nmol/l (8,5 μg/dl)

Die Werte wurden der Übersichtlichkeiten wegen gerundet. Im Graubereich müssen Surrogatparameter herangezogen werden (Vorschlag zum Vorgehen ist im Text beschrieben). Blutabnahmen erfolgen basal, nach 30 und nach 60 min. Der ACTH-Test hat Schwächen in der Diagnostik einer hypophysär bedingten Nebennierenrindeninsuffizienz.

380 | 15 Spätfolgen, Sekundärerkrankungen

15.1.3 Therapie Die initiale Behandlung konzentriert sich auf die Restitution essenzieller endokrinologischer Funktionen (Nebennierenrindenfunktion, Schilddrüsenfunktion) sowie die Kontrolle des Salz-Wasser-Haushaltes bei Vorliegen eines DIC. Die gravierendsten Fehler werden v. a. bei Patienten mit mittelschweren Funktionsstörungen der Hypophyse gemacht. Während schwere Ausfälle oft zu eindeutigen klinischen und labordiagnostischen Ergebnissen führen und leichte Funktionsausfälle ohnehin erst im Verlauf sicher zu diagnostizieren sind, entstehen Schwierigkeiten bei schwer interpretierbaren Ergebnissen der Diagnostik, der Anwendung von Stimulationstests bzw. der Auswertung eines Durstversuchs, wenn die entsprechende Erfahrung nicht vorliegt. Folge kann das Auslassen einer notwendigen Therapie bzw. eine Überdosierung notwendiger Medikamente sein. Für die adrenokortikotrope Insuffizienz gilt, dass im Zweifelsfall eine Therapie durchgeführt werden sollte. Üblich ist die initiale Gabe von 100 mg Hydrocortison über eine Spritzenpumpe. Auch bei Hyponatriämie sollte Hydrocortison in einer Dosis von 100 mg/Tag i.v. über Spritzenpumpe appliziert werden. Alternativ ist es möglich, Prednisolon in einer Dosis von 20 mg zu verabreichen. Dieses stärkere Glukokortikoid und schwächere Mineralokortikoid kann als Alternative zu Hydrocortison dann Anwendung finden, wenn keine Hypotonieproblematik besteht bzw. wenn eine Hypernatriämie oder eine Hypokaliämie vorliegt. Hat der Patient bereits eine Glukokortikoidtherapie, so ist bei Schock bzw. Intensivtherapie obiges Vorgehen adäquat. Bei leichterem SHT könnte ein pragmatischer Ansatz in der Verdopplung der Ausgangsdosis, bei Fieber bzw. hohem CRP in der Verdreifachung der Ausgangsdosis liegen. Bei klinischer Stabilisierung des Patienten sollte bereits auf der Normalstation bei guter Kontrolle von Inflammation bzw. Infektkonstellation mit der Reduktion der Glukokortikoiddosis begonnen werden. Eine anschließende ambulante endokrinologische Evaluation ist in jedem Fall anzuraten. Dort werden nach dem Einsatz von Funktionstests und Nachweis des Fortbestehens einer adrenokortikotropen Insuffizienz die Patienten auch einer adäquaten Schulung zur Glukokortikoidtherapie und selbstständigen Anpassung der Dosen zugeführt. Auch eine thyreotrope Insuffizienz sollte behandelt werden. 50 μg L-Thyroxin sind eine gute Startmenge. Die Zieldosis richtet sich nach Körpergewicht und Restleistung der Drüse. Wichtig ist hierbei die Einnahme nüchtern mit Wasser. Die Tablette sollte deshalb nicht in einem Schächtelchen mit anderen Tabletten liegen, sondern separat mit Wasser dargereicht werden. Bei Patienten mit Magensonden ist zu überlegen, die gleiche L-Thyroxin-Dosis intravenös oder subkutan 1-mal/Tag zu injizieren oder die wöchentliche Gesamtdosis aufzuteilen und 2-mal/Woche über eine Spritzenpumpe zu applizieren. Ziel ist zunächst ein niedrig-normaler Spiegel für freies T4. Aufgrund der langen Halbwertszeit sollten die Thyroxinspiegel unter den Bedingungen der In-

15.1 Neuroendokrinologische Veränderungen | 381

tensivstation ca. 1-mal/Woche zusammen mit dem TSH-Wert in der Einstellungsphase kontrolliert werden. Der DIC wird mit dem Vasopressin-Typ-2-Rezeptoragonisten DDAVP behandelt, wobei ein Ziel die Normalisierung des Serumnatriums bzw. der Serumosmolalität ist. Dieses Ziel ist wichtiger als das Ausgleichen einer Bilanzstörung, weil letztere sich auch durch Verschätzen ergeben kann. Ist das Durstzentrum intakt, ist der Patient durch zu niedrige Dosen an DDAVP nicht prinzipiell gefährdet, weil er durch Trinken von Wasser den renalen Flüssigkeitsverlust ausgleichen kann. Eine Übertherapie bzw. das Trinken einer Mindestmenge ohne Durstgefühl birgt die potenzielle Gefahr einer Hyponatriämie mit Komplikationen. Eine gute Aufklärung der Patienten ist deshalb ebenso wichtig wie eine gute Einstellung, erst recht wenn eine Begleitmedikation mit ACE-Hemmern, AT1 -Blockern bzw. ähnlichen Medikamenten oder mit Diuretika besteht. Auf den Zusammenhang mit einer etwaigen adrenokortikotropen Insuffizienz wurde weiter oben bereits hingewiesen, weil dies auch die Therapie mit Hydrocortison betrifft. Ist das Durstzentrum nicht mehr intakt, dann wird die Einstellung problembehaftet sein. Oft ist dann eine rigoros konstante Flüssigkeitszufuhr und eine absolut regelmäßige DDAVP-Applikation Grundbedingung, um hohen Amplituden im Serumnatrium vorzubeugen. Endokrinologische Verlaufskontrollen und Reevaluationen sind sinnvoll, weil sich die Insuffizienz in Ausmaß und Zahl der betroffenen Achsen sowohl verbessern als auch verschlechtern kann. Eine begonnene Therapie ist deshalb im Intervall zu hinterfragen, wobei sich die Zeitabstände nach den anamnestischen und klinischen Befunden und nach der hormonellen Labordiagnostik richten.

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382 | 15 Spätfolgen, Sekundärerkrankungen

Markus Schomacher, Andrea von Helden und Dag Moskopp

15.2 Posttraumatischer Hydrozephalus 15.2.1 Einleitung Das Auftreten eines Hydrocephalus nach einem Schädel-Hirn-Trauma ist eine bekannte, subakute bzw. chronische Folge dieses Traumas. Die auslösenden Faktoren sind – teils abhängig vom Traumaereignis – mannigfaltig und häufig nur schwer zu differenzieren. Nicht immer lässt sich ein eindeutiger Entstehungsmechanismus dieser Liquorzirkulationsstörung klar benennen, weil eine Abgrenzung gegenüber hirnatrophischen Prozessen durch direkte kontusionelle Schädigung oder Hypoxie schwierig sein kann. Eine frühe Erwähnung des traumatisch-chronischen Krankheitsbildes findet sich in einem von Plehn (1887) beschriebenen Fall: „Ein 23-jähriger Student, der 13 Jahre früher ein heftiges Kopftrauma erlitten hatte, bekam danach alle 3–8 Tage heftige Kopfschmerzen. Am Abend vor dem Tode ohne nachweisbare Ursache von Neuem sehr heftiges Kopfweh, bald darauf Coma und Tod. Die Section ergab eine sehr starke Erweiterung aller vier Ventrikel.“ [1].

15.2.2 Symptomatologie Leitsymptome bei akuten Verlaufsformen des Hydrocephalus sind Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, aber auch neuropsychologische Defizite in Form von Distanzlosigkeit oder Konzentrationsschwäche treten mitunter in der akuten Phase auf. Eine klare Ursachenzuordnung dieser Funktionseinschränkungen ist jedoch bei den häufig multiplen traumatischen und zerebralen Schädigungen schwierig. Bei langsamer Entwicklung können sich Stauungspapillen mit Sehstörungen in der augenärztlichen Untersuchung nachweisen lassen. Auch ein Doppelbildsehen, meist durch einen Ausfall des N. abducens oder durch nukleäre oder internukleäre Störungen bei Affektion im Hirnstammbereich hervorgerufen, ist möglich. Eine vertikale Blickparese sowie Störungen der Konvergenzreaktion und Akkommodation, auch als „Parinaud-Syndrom“ benannt, sind ein inkonstantes Zeichen, das typischerweise mit dem Hydrocephalus bei einer Aquäduktstenose durch Irritation der Vierhügelregion entsteht. Die zunehmende Bewusstseinsstörung ist ein spätes Symptom, das ein sofortiges therapeutisches Handeln erfordert. Im Rahmen einer chronischen Symptomentwicklung stehen die psychomotorische Verlangsamung und der zunehmende geistige Abbau (Demenz), die Gangstörung im Sinne eines kleinschrittigen Gangbildes und eine Inkontinenzsymptomatik im Vordergrund. Die Symptomentwicklung kann auch uncharakteristisch sein und sich durch eine verzögerte Rehabilitationsphase bemerkbar machen [2, 3].

15.2 Posttraumatischer Hydrozephalus | 383

15.2.3 Pathophysiologie/Anatomie/Neuropathologie Ein Hydrocephalus kann sowohl akut nach einem Schädel-Hirn-Trauma infolge einer Obstruktion des Ventrikelsystems (etwa durch Blutbestandteile) oder aber auch noch Monate nach dem Traumaereignis ohne ein Obstruktionshindernis auftreten. In einer älteren Studie entwickelten 23 von 32 jungen Patienten nach einem schweren Hirntrauma einen Hydrocephalus, dessen Grad nicht immer mit der Dauer der Bewusstlosigkeit und den neurologischen Störungen korrelierte [4]. In älteren Arbeiten werden als Ursachen des Hydrocephalus Störungen der Produktion, im Transport und in der Resorption des Liquors gesehen. Bei normaler Liquorproduktion wird ein Hydrocephalus occlusus – Verlegung des Liquorwegs durch Hämatome, Kontusion oder Entzündungen – von einem Hydrocephalus aresorptivus bzw. malresorptivus – verursacht durch Fibrosierungen an der Resorptionsstelle – unterschieden. Davon abzugrenzen ist eine Hydrocephalie, die durch traumatische Defektbildung nur in pathologisch anatomischer Sicht eine Ähnlichkeit aufweist, aber nicht auf einer Liquorzirkulationsstörung beruht [5].

15.2.4 Diagnostik Als apparative Untersuchungsmethoden zur Diagnostik des Hydrocephalus kommen je nach Verfügbarkeit und Dringlichkeit die digitale Schnittbildtechnik in Form der Computertomographie (CT) oder die Kernspintomographie (MRT) infrage. Die CT-Untersuchung ist meist schneller und besser verfügbar, darum wird in perakuten Fällen meist auf eine MRT-Diagnostik verzichtet. Im CT finden sich als typisches Zeichen einer Ventrikelerweiterung die ballonierte Form des 3. Ventrikels und eine Erweiterung der Temporalhörner – ferner eine verminderte Rindenzeichnung an der Konvexität. Der Evans-Index (EI – s. Abb. 15.1), d. h. der Quotient aus maximaler Vorderhorndistanz (FHD) und maximalem Innendurchmesser (ID) des Schädels ist größer als 0,3. Frontal betonte periventrikuläre Dichteminderungen im CT, als „Druckkappen“ bezeichnet, werden als Zeichen einer transependymalen Liquorresorption gedeutet. In der MRT-Untersuchung sind transversale T1- und T2-gewichtete Aufnahmen sowie Flair-Sequenzen zur Beurteilung notwendig. Typisch für einen Liquoraufstau ist ein ballonierter 3. Ventrikel mit Auswölbung des Bodens im frontalen Bereich. Ferner sind auch eine Temporalhornerweiterung und abgeflachte Sulci erkennbar. Die im CT erkennbaren „Druckkappen“ stellen sich ebenfalls auf Protonendichte- und T2gewichteten Bildern als Zeichen einer transependymalen Liquorresorption gut dar. Ergänzend zu den MRT-Standardsequenzen kann mittels EKG-Triggerung einer Bildserie der sagittalen Mittelschicht die pulsatile Liquorbewegung an kraniozervikalem Übergang und Aquädukt in einer sog. Liquorpulsationsdarstellung abgebildet wer-

384 | 15 Spätfolgen, Sekundärerkrankungen

Abb. 15.1: Verdeutlichung anhand einer cCT-Aufnahme zur Berechnung des Evans-Index (EI) als Quotient aus maximaler Vorderhorndistanz (FHD) und maximalem Innendurchmesser des Schädels (ID). EI = FHD/ID; hier: 0,4. Die Bildgebung wurde freundlicherweise aus dem Institut für Radiologie und interventionelle Therapie (Chefarzt Prof. Dr. J. Wagner, Vivantes Klinikum im Friedrichshain) zur Verfügung gestellt.

den. Techniken mit Phasenkontrastdarstellung erlauben eine Geschwindigkeitsmessung und eine Bestimmung der Liquorflussrichtung [6]. Neben der bildgebenden Diagnostik besteht auch die Möglichkeit, mittels Durchführung einer einmaligen oder mehrfachen Punktion und Entnahme von 30–50 ml Liquor über eine Lumbalpunktion, mit Nachweis eines erhöhten Öffnungsdrucks sowie Zeichen einer klinischen Besserung, einen Hinweis auf das Vorliegen eines Hydrocephalus zu erhalten [7, 8]. Alternativ ist auch die Anlage einer lumbalen Dauerdrainage mit Förderraten von 100–300 ml/24 h zur Austestung empfehlenswert [9]. Als weiterer diagnostischer Standard zur Messung der Liquordynamik gilt der lumbale Infusionstest nach Katzman. Mittels kontinuierlicher Flüssigkeitszufuhr (NaCl 0,9 % oder künstlicher Liquor) über eine Spritzenpumpe erfolgt eine kontinuierliche Volumenbelastung des Liquorraums mit paralleler Messung des intrakraniellen Drucks im Subarachnoidalraum. Nach Erreichen eines plateauförmigen Fließgleichgewichts wird aus der Differenz des Ruhedrucks und des Plateaudrucks der Liquorabflusswiderstand bzw. die Resorptionsfähigkeit (Einheit: mmHg/ml/min) berechnet. Somit erhält man Aufschluss, unter welchem intrakraniellen Druck wie viel Liquor pro Zeiteinheit resorbiert werden kann. Hierbei werden Werte von größer 10 mmHg/ml/min bei jüngeren Patienten als pathologisch angesehen [10, 11]. Bei Messung der Liquorpulsationskurve mittels kontinuierlicher intrakranieller Druckmessung und Auswertung von spezifischen Wellenmustern gelten ein hoher Anteil von sinusoidalen B-Wellen (Oszillationen des Liquordrucks mit einer Frequenz von 0,5–2/min) und das Auftreten von rampenförmigen B-Wellen als pathognomonisch und sind weitere, wenn auch nur sehr unspezifische diagnostische Möglichkeiten [12–14].

15.2 Posttraumatischer Hydrozephalus |

385

15.2.5 Klinischer Verlauf Sowohl in der Akut- als auch in der Spätphase nach einem Schädel-Hirn-Trauma kann sich als mögliche Komplikation ein Hydrocephalus ausbilden. Da dieser unbehandelt zu einem signifikant schlechteren Outcome führt, haben sowohl die Diagnose als auch die entsprechende Behandlung einen besonderen Stellenwert im klinischen Verlauf der Erkrankung [15]. Nach bilddiagnostisch gesicherter Rückbildung der akuten und sekundären traumatisch bedingten intrakraniellen Raumforderung (cCT oder MRT) kann schrittweise mit einer Entwöhnung von der externen Ventrikeldrainage begonnen werden. Bei Liquordrainagemengen < 120 ml/24 h kann ein Auslassversuch mittels Abklemmen der Drainage erfolgen. Zeigt sich hierunter nach 24 Stunden unter engmaschiger neurologischer Kontrolle keine Änderung des klinischen Zustands und bleiben die ICP-Werte stabil, kann die Ventrikeldrainage entfernt werden. Es sollte dann nach Entfernung der Drainage auch nach 3–4 Tagen bei stabiler klinischneurologischer Symptomatik eine Kontrollbildgebung erfolgen, weil die klinische Symptomatik den radiologischen Hirndruckzeichen durchaus verzögert folgen kann. Bei zunächst ausbleibenden Zeichen einer Liquorzirkulationsstörung hat sich die Durchführung einer kranialen Bildgebung im Abstand von 4–6 Wochen nach dem Schädel-Hirn-Trauma als sinnvoll erwiesen (Abb. 15.2), um einen – in der Spätphase auftretenden Hydrocephalus – nicht zu übersehen, der die rehabilitativen Bemühungen beinträchtigen kann [16].

(a)

(b)

(c)

Abb. 15.2: Bildgebender Verlauf (native cCT-Aufnahme) der Behandlung eines Patienten mit posttraumatischem Hydrocephalus: (a) Zustand nach SHT eines 59-jährigen Patienten nach osteoplastischer Trepanation rechts nach Entlastung eines aSDH rechts. Rechts und links frontale Kontusionsherde sowie SAB am ersten postoperativen Tag. (b) Verlaufskontrolle nach 79 Tagen mit bekannten Defektarealen rechts frontotemporal und links frontal. Vorwölbung des Hirnparenchyms rechts über den Trepanationsdefekt rechts und zunehmender Ventrikelweite. (c) Verlaufskontrolle am 331. Tag nach Reimplantation des Eigenknochens rechts und Anlage eines ventrikuloperitonealen Shuntsystems mit noch erweiterten Ventrikelvorderhörnern bei einliegender Ventrikeldrainage von links (auf der nicht vor-operierten Seite). Die Bildgebung wurde freundlicherweise aus dem Institut für Radiologie und interventionelle Therapie (Chefarzt Prof. Dr. J. Wagner, Vivantes Klinikum im Friedrichshain) zur Verfügung gestellt.

386 | 15 Spätfolgen, Sekundärerkrankungen

15.2.6 Therapieformen Als therapeutische Maßnahme kommt in der akuten Phase des Hydrocephalus die Anlage einer externen Ventrikeldrainage nach entsprechender Punktion der Seitenventrikel infrage. Mit diesem System ist es – je nach Ausführung – auch möglich, eine Liquorpulsationskurve mit ICP-Messwerten aufzuzeichnen. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Anlage einer temporären Lumbaldrainage bzw. in kurzzeitigen lumbalen Entlastungspunktionen. Im Rahmen einer dauerhaften Therapie des Hydrocephalus ist die Implantation von Ventil- bzw. Shuntsystemen indiziert. Hier werden üblicherweise ventrikuloperitoneale oder ventrikuloatriale Ableitungssysteme verwendet. Die ventrikuloperitoneale Ableitung findet die häufigste Verwendung. Eine atriale Ableitung wird als sekundäre Methode gesehen. Der Ventrikelkatheter wird hierbei meist im Vorderhorn der nichtdominanten Hemisphäre über ein Bohrloch (Cushing-Kocher’scher Punkt) eingebracht. Die Platzierung des Ventrikelkatheters kann bei komplizierten Fällen sowohl sonographisch als auch navigationsgestützt erfolgen. In das System wird ein Punktionsreservoir integriert, zudem das Shuntventil und nach distal ein Ableitungsschenkel. Mit subkutanen Tunnelinstrumenten wird das Ableitungssystem in den Ableitungsort platziert. Entweder peritoneal mit Implantation im Mittelbauch oder nach Punktion der V. jugularis oder V. facialis (ggf. auch der V. temporalis superficialis) in Seldinger-Technik im rechten Vorhof. Zur Implantation eignen sich bei nicht gehfähigen Patienten bevorzugt verstellbare Shuntsysteme ohne Shuntassistent. Bei Nachweis einer funktionellen Obstruktion durch Zysten oder einem Verschluss des Aquädukts besteht auch die Möglichkeit einer endoskopischen Fensterung von membranösen Anteilen der Ventrikelwände oder des Bodens des 3. Ventrikels mittels endoskopischer Technik [17, 18].

15.2.7 Prognose Die Häufigkeit des Auftretens eines symptomatischen Hydrocephalus nach einem Schädel-Hirn-Trauma mit entsprechender Therapiebedürftigkeit wird in der Literatur mit 0,7–86 % beschrieben [19, 20, 22]. Diese große Spannbreite der Inzidenz erklärt sich durch die Unterschiede in der Größe der Patientenkollektive, die verschiedenen Scoring-Systeme, die Heterogenität der Verletzungen sowie die verschiedenen verwendeten diagnostischen Kriterien, Einschlussklassifikationen und OutcomeKriterien. Eine retrospektive Analyse des eigenen Patientenkollektivs über die vergangenen 5 Jahre zeigte in 33 Fällen eines schweren Schädel-Hirn-Traumas mit der Notwendigkeit einer dekompressiven Hemikraniektomie für 10 Patienten die Ausbildung eines Hydrocephalus mit Shuntpflichtigkeit [21]. Ähnliche Daten finden sich auch in der Literatur. So konnte bei Patienten mit einem schweren SchädelHirn-Trauma (GCS 3–8) in 24 von 61 Fällen und bei Patienten mit einem moderaten

15.2 Posttraumatischer Hydrozephalus | 387

Schädel-Hirn-Trauma (GCS 9–13) in 9 von 34 Fällen die Ausbildung eines Hydrocephalus nachgewiesen werden. Das Auftreten eines Hydrocephalus lag 4 Wochen nach dem Trauma bei 58 % und nach 2 Monaten bei 70 %. Mit dem Auftreten eines Hydrocephalus ist zudem auch ein signifikant schlechteres Outcome für die Patienten verbunden [23]. Eine verlängerte Komadauer, höheres Lebensalter, die Durchführung einer dekompressiven Kraniektomie und subarachnoidale Blutungszeichen scheinen das Risiko des Auftretens eines Hydrocephalus zu erhöhen [24, 25]. In mehr als der Hälfte der Fälle konnte in einer retrospektiven Studie anhand von 48 Patienten eine klare Verbesserung durch eine Shuntoperation verzeichnet werden [26].

15.2.7.1 Epilepsie Epileptische Anfälle sind eher typische Lokalsymptome verursacht durch Hirnsubstanzläsion, kontusionelles Hirnödem, extra- oder intrazerebrales Hämatom, fokale Ischämie durch einen traumatischen arteriellen Gefäßprozess oder eine Phlebothrombose und entzündliche Prozesse (Meningitis, subdurales Empyem, Frühabszess) und eher untypisch als Frühsymptom eines Hydrocephalus.

15.2.7.2 Neurologische Frührehabilitation Während der neurologischen Frührehabilitation bestehen durch die engmaschige Betreuung gute Voraussetzungen, einen sich entwickelnden Hydrocephalus auch bei schwer betroffenen Patienten zu diagnostizieren. Klinisch zeigt sich nach anfänglichen Fortschritten eine Stagnation oder eine Verschlechterung von Vigilanz und Antrieb, seltener auch Schwallerbrechen. Die Symptomatik tritt verstärkt im Zeitraum zwischen der 9. und 12. Woche nach Rehabilitationsbeginn auf, einige Patienten entwickelten einen Hydrocephalus bis zur 16. Woche [27]. Gerade bei Patienten mit eingeschränkter Vigilanz und Kommunikationsfähigkeit ist es besonders wichtig, die kleinen Fortschritte in diesen Bereichen zu erhalten und die Möglichkeit einer langfristigen Erholung offenzuhalten. Die Indikation zur seriellen Entlastungspunktion und zu cCT-Kontrollen mit Vorstellung in der Neurochirurgie sollte hierbei entsprechend großzügig gestellt werden.

15.2.7.3 Begutachtung Im Rahmen einer quantitativen Schadensbemessung nach stattgehabtem SchädelHirn-Trauma wird in den Tabellen nach Widder und Gaidzik (2011), als Standard der quantifizierenden Bewertung in der neurologischen Begutachtung, ein GdB/GdSWert von mindestens 30 bei Patienten mit einem mit Shunt versorgten Hydrocephalus angegeben [28].

388 | 15 Spätfolgen, Sekundärerkrankungen

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15.3 Chronisches Subduralhämatom

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Christian Henker und Jürgen Piek

15.3 Chronisches Subduralhämatom 15.3.1 Epidemiologie Das chronische Subduralhämatom ist v. a. eine Erkrankung älterer Patienten mit einem Durchschnittsalter der Betroffenen von 63–70 Jahren [1]. Patienten unter 65 Jahren sind mit einer jährlichen Inzidenz von 3–13,5/100.000 Einwohner deutlich seltener als solche über 65 Jahre mit einer geschätzten Inzidenz von 8–58/100.000 Einwohner/Jahr betroffen [2]. Männer erkranken mit einem Verhältnis von 3 : 1 häufiger, was allerdings in höherem Alter durch die ungleiche Alterspyramide beider Geschlechter wieder ausgeglichen wird [3]. In naher Zukunft ist aufgrund der steigenden Lebenserwartung mit einer deutlichen Zunahme der Inzidenz zu rechnen, zumal eine Vielzahl neuer Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmer als begünstigende Ursachen vor der Zulassung stehen bzw. kürzlich zugelassen wurden.

15.3.2 Pathophysiologie Initiale Ursache in der Entstehung eines chronischen subduralen Hämatoms ist fast immer ein Trauma. Oft handelt es sich um Bagatelltraumen, die nur in weniger als 50 % der Fälle überhaupt erinnerlich sind. Durch das initiale Trauma kommt

390 | 15 Spätfolgen, Sekundärerkrankungen

es zu einer Blutung in den nichtpräformierten Raum zwischen Dura mater und der daruntergelegenen Arachnoidea – dem Subduralraum. Die beiden Hirnhäute sind gegeneinander verschieblich und werden von den Brückenvenen durchzogen, die die Kortexoberfläche drainieren und innerhalb des fiktiven Subduralraums verlaufen, um schließlich im venösen Sinus zu enden. Die Verschieblichkeit der beiden Schichten macht die Brückenvenen innerhalb dieser Grenzschicht vulnerabel und führt zum Einbluten in den Subduralraum. Neben dieser eher klassischen Entstehungstheorie der Subduralhämatome kann initial auch eine kortikale Kontusion als Blutungsursache infrage kommen. Nach initialer Koagulation durch die Gerinnungskaskade kommt es später durch Fibrinolyse und Entzündungsreaktionen zur Verflüssigung des Hämatoms und zu seinem charakteristischen Maschinenöl-farbigen Aussehen. Durch die nachfolgende inflammatorische Reaktion kommt es zur Ausbildung von Neomembranen und einer Kapsel um das Hämatom herum mit einer parietalen/duralen Außenschicht und einer viszeralen/kortikalen inneren Schicht. Dieses Zusammenspiel aus hämorrhagischer als auch inflammatorischer Komponente wurde bereits 1857 von Virchow beobachtet und daher als „Pachymeningitis haemorrhagica interna“ bezeichnet [4]. Diese wird weiter durch einsprießende, fragile Gefäße im Sinne einer Neovaskularisation versorgt [5], aus denen es zu rezidivierenden Einblutungen und weiterer Vergrößerung des Hämatoms kommen kann. Exsudative Prozesse spielen bei der Größenzunahme ebenfalls eine Rolle [6]. Per definitionem ist das chronische Subduralhämatom älter als 3 Wochen, d. h., es ist klinisch zumeist erst viel später auffällig als durch die initiale Blutung. Bedingt wird diese Latenz durch eine kontinuierliche Vergrößerung des Hämatoms. 1972 veröffentlichten Watanabe et al. ihre tierexperimentellen Daten mit einer möglichen Erklärung dieses Phänomens: Sie mischten Blut mit Liquor und injizierten dieses Gemisch in den Subduralraum von Hunden und Affen. Im Verlauf entstanden größenprogrediente und gekapselte chronische Subduralhämatome [7]. Auf diesen Beobachtungen fußten die nachfolgenden onkotischen oder osmotischen Theorien, wonach die entstandenen Membranen semipermeabel sind und durch den größeren onkotischen Druck innerhalb des Hämatoms gegenüber dem Arachnoidalraum Liquor osmotisch in das Hämatom übertritt und dieses verflüssigt und vergrößert. Nach und nach wurden diese Theorien jedoch widerlegt und gerieten wieder in den Hintergrund [8, 9]. Die derzeitigen und bisher schlüssigsten Theorien, gehen von der zuvor genannten Theorie einer zunehmenden Neovaskularisierung der beiden Membranen aus. Diese Gefäßaussprossungen sind jedoch so instabil, dass es fortlaufend zu erneuten Mikroblutungen in das Hämatom kommt und sich nachfolgend die antikoagulative/profibrinolytische Kaskade wiederholt [10, 11]. Aufgrund der innerhalb des subduralen Hämatoms veränderten Gerinnungsvorgänge [12, 13] bleibt der Inhalt des Hämatoms überwiegend flüssig, was die Behandlung erleichtert. Wichtigster Risikofaktor für die Entstehung eines chronischen Subduralhämatoms ist die Einnahme von Antikoagulanzien und/oder Thrombozytenaggregationshemmern [14]. Ein weiterer wichtiger Grund für die vermehrte Häufung dieses

15.3 Chronisches Subduralhämatom

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Hämatoms bei älteren Patienten ist deren fortschreitende Hirnatrophie. Hierdurch sind die Brückenvenen im arachnoidalen Verlauf stärker gespannt und reißen leichter an der Grenzschicht der Hirnhäute ein [15, 16]. Der durch die Hirnatrophie vergrößerte Subarachnoidalraum bedingt auch einen potenziell größeren Subduralraum, weshalb das chronische Subduralhämatom bei älteren Patienten auch zumeist ausgedehnter ist [17]. Weitere Risikofaktoren sind Gerinnungsstörungen, Sturzneigungen (beispielsweise durch Epilepsien), Alkoholabusus (erhöhte Sturzneigung, Hirnatrophie und evtl. kompromittierte plasmatische Gerinnung) und ein niedriger intrakranieller Druck, beispielsweise im Rahmen eines „overshunting“ nach VP-Shuntanlage und zuviel Liquorabfluss (Literatur in [18]).

15.3.3 Klinische Symptomatik Die klinische Symptomatik [18] entspricht der einer sich langsam entwickelnden intrakraniellen Raumforderung. Häufig treten zunächst allgemeine Symptome wie Kopfschmerz, Schwindel und Übelkeit auf, die von leichteren neurologischen Defiziten begleitet sein können. Hierzu gehören Wortfindungsstörungen, Koordinationsstörungen und Verwirrtheit (Cave: Dies kann bei älteren Patienten mit einem beginnenden demenziellen Syndrom verwechselt werden!). Häufig kommt es auch bei erstmaliger klinischer Manifestation zu schwereren Ausfällen im Sinne von kontralateralen Hemiparesen, Aphasie, Krampfanfällen bis hin zu Vigilanzstörungen oder sogar einer Einklemmungssymptomatik. Die Symptome können auch wie bei einer TIA nur undulierend und selbstlimitierend vorhanden sein. Manchmal kann auch eine akute Verschlechterung des Patienten durch eine neuerliche/größere Einblutung auf Basis eines bestehenden kleineren Hämatoms erfolgen.

15.3.4 Bildgebung Schnellste, kostengünstigste und nahezu immer verfügbare apparative Untersuchung ist die native Computertomographie. Diese stellt nach wie vor den Goldstandard der Diagnostik dar. Sie ermöglicht nahezu immer, Ausdehnung und Struktur des Hämatoms sicher und ausreichend darzustellen. Gegenüber dem MRT haben die heutigen extrem schnellen Scanner zudem den Vorteil, dass sie bei den oft wesensveränderten oder unruhigen Patienten eine ausreichende Aussage ohne zusätzliche Sedierung ermöglichen. Typisch ist ein sichelförmiges Aussehen des zwischen Schädelkalotte und Kortex gelegenen Hämatoms (Abb. 15.3). Neben der typischen Sichelform spiegeln die Dichtewerte des Hämatoms auch sein Alter wider. In der Akutphase (< 3 Tage) ist es noch hyperdens, im subakuten Stadium (3 Tage bis 3 Wochen) isodens zum Kortex und nachfolgend (> 3 Wochen) entspricht das hypodense Aussehen dem eines typischen chronischen Subduralhämatoms. Sedimentationsphänomene, d. h. hyper-

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Abb. 15.3: Typisches chronisch subdurales Hämatom rechts frontoparietal in der nativen cCT-Untersuchung. Beachte insbesondere die Septierung innerhalb des Hämatoms (Pfeil).

dense Areale im okzipitalen Bereich des Hämatoms, entstehen durch Ablagerungen frischerer Hämatomanteile; der Schwerkraft folgend liegen diese im unteren Anteil des Hämatoms. Teilweise sind die Hämatome stark septiert, was in die operative Planung einbezogen werden muss, weil das gesamte Hämatom ausgespült und drainiert werden muss. Schwierigkeiten in der Diagnostik können isodense Hämatome (Abb. 15.4) bereiten. Bei entsprechendem Verdacht kann in der Notfallsituation durch intravenöse Kontrastmittelgabe eine Dichteanhebung des Hirnparenchyms und damit eine bessere Abgrenzbarkeit erreicht werden. Von zumindest gleicher Aussagekraft ist die native kernspintomographische Untersuchung, in der sich chronisch subdurale Hämatome sowohl in der T1- als auch in der T2-Wichtung (Abb. 15.5) darstellen lassen [19]. In den meisten Fällen liegen die Hämatome frontal bzw. frontoparietal oder dehnen sich über die gesamte Hemisphäre aus. Ein beidseitiges Vorkommen wird in 10–25 % der Fälle berichtet [18, 20], zumeist ist eine Hemisphäre jedoch dominant in der Ausdehnung des Hämatoms betroffen. Rein temporale oder okzipitale Hämatome sind eine Rarität. Differentialdiagnostisch ist bei Vorliegen einer hypodensen subduralen Raumforderung an ein Empyem zu denken. Dieses lässt sich durch klinische (allgemeine Infektzeichen, ggf. Meningismus) oder laborchemische (CrP, Leukozyten, BSG) Parameter im Vorfeld nahezu immer von einem reinen Hämatom differenzieren. In seltenen Fällen kann eine Meningeosis carcinomatosa ebenfalls zu einer subduralen Flüssigkeitsansammlung führen. Auch hier ist die Vorgeschichte oft wegweisend.

15.3.5 Therapie Ist das Hämatom klinisch auffällig oder deutlich raumfordernd, so sollte es auch operativ therapiert werden. „Zufallsbefunde“ ergeben sich selten, manchmal nach

15.3 Chronisches Subduralhämatom

| 393

Abb. 15.4: Ausgedehntes isodenses Subduralhämatom über der gesamten linken Hemisphäre mit erheblicher Mittellinienverlagerung im cCT. Das Hämatom lässt sich praktisch nicht vom Hirngewebe abgrenzen, lediglich die erhebliche Mittellinienverlagerung ist erkennbar.

(a)

(b)

Abb. 15.5: Typisches chronisch subdurales Hämatom rechtshemisphärisch in der nativen MRTUntersuchung (a) in der T1-Wichtung, (b) in der T2-Wichtung.

Kontrolluntersuchungen aufgrund eines stattgehabten Schädel-Hirn-Traumas. Die Dringlichkeit des Eingriffs richtet sich nach der klinischen Symptomatik und dem computertomographischen Bild. Bewusstseinsgetrübte oder bewusstlose Patienten bedürfen der sofortigen Versorgung. Ebenfalls dringlich sind klinisch stabile Patienten zu operieren, bei denen das Hämatom eine erhebliche Mittellinienverlagerung bewirkt, weil auch wache Patienten z. B. nach einem Anfall rasch dekompensieren können. Der Eingriff sollte besonders bei verwirrten Patienten in Vollnarkose durchgeführt werden, Operationen in Lokalanästhesie unter anästhesiologischem Stand-by sind

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aber besonders bei alten, multimorbiden Patienten durchaus möglich. Vor der Operation sollte – wenn es die zerebrale Situation zulässt – eine Normalisierung des Gerinnungsstatus erfolgen. In der Vergangenheit wurde eine Vielzahl von Operationstechniken zur Behandlung des chronisch subduralen Hämatoms entwickelt, die sich aber nur in Nuancen unterscheiden und sich im Prinzip auf drei Grundtechniken zurückführen lassen: Bohrlochtrepanation (burr-hole craniostomy): Dies ist die am häufigsten durchgeführte und mit den geringsten Risiken behaftete Operation. Typischerweise wird ein sichelförmiger Schnitt über dem Bohrloch gesetzt. Dieses sollte auf der betroffenen Seite an der Stelle der größten Ausdehnung des Hämatoms angelegt werden. Eine typische Stelle hier für die der Treffpunkt der Kranznaht mit der Linea temporalis superior. Es sollte so groß bemessen sein, dass ein möglichst tangentiales Ausleiten der anzulegenden subduralen Drainage garantiert ist, da es sonst beim zu steilen Eintritt der relativ steifen Drainagen zur Verletzung des Kortex kommen kann (Abb. 15.8). Nach dem Durchtritt durch die Kalotte wird die Dura kreuzförmig inzidiert und koaguliert. Anschließend wird das Hämatom vorsichtig ausgespült, evtl. werden septierende Membranen unter Sicht eröffnet. Die meisten Kliniken legen dann eine subdurale, nach okzipital gerichtete Drainage ein. Diese sollte möglichst weich und elastisch sein und darf niemals mit einem Sog versehen werden, um den Kortex nicht zu verletzen (Ablaufdrainage). Die Kapsel, insbesondere die viszerale Membran sollte nicht über eine Bohrlochtrepanation reseziert werden, weil es ansonsten oft zu Nachblutungen kommt. Vor dem Wundverschluss sollte residuelle Luft ausgespült

Abb. 15.6: Raumfordernder Pneumenzephalus als Komplikation einer versehentlichen Dekonnektion der Subduraldrainage bei Zustand nach Operation eines chronisch subduralen Hämatoms an gleicher Stelle. Klinisch kam es sekundär zur raschen Bewusstseinstrübung der Patientin.

15.3 Chronisches Subduralhämatom

| 395

werden, weil diese die Resorption verhindert und nur langsam abgebaut wird (Rezidivgefahr). Dieses Ausspülen der residuellen Luft wird dadurch erleichtert, dass der Patient präoperativ so gelagert wird, dass sich das Bohrloch an der höchsten Stelle des Operationsgebietes befindet. Die Drainage ist unterhalb des Kopfniveaus abzuleiten und wird üblicherweise für einige Tage belassen, bis das computertomographische Bild eine ausreichende Entfaltung des Gehirns zeigt. Sind kleine Hämatomreste vorhanden, sollte bei klinisch gutem Zustand nicht zu rasch reoperiert werden, weil sich diese erfahrungsgemäß oft selbst resorbieren. Bei versehentlicher Dekonnektion der Drainage kann es zu einem raumfordernden Pneumenzephalus kommen (Abb. 15.6). Eine Abwandlung dieser Technik ist das Anlegen zweier paralleler Bohrlöcher und das subgaleale Legen einer Sog-Drainage. Über den Sog wird hierbei das Resthämatom ohne die potenzielle Gefahr einer Kortexschädigung oder -reizung drainiert. Trepanation mit dem Handbohrer (twist-drill craniostomy): Der Vorteil dieser Operationstechnik liegt in der einfachen Handhabung und der Möglichkeit, den Eingriff überall und unabhängig von einem OP durchführen zu können. Die Trepanation erfolgt loco typico wie bei der Bohrlochtrepanation, nur besteht der Zugang aus einer simplen Stichinzision, und die Trepanation selbst erfolgt mittels Handbohrer. Hierbei ist das Bohrloch kleiner als bei der klassischen Bohrlochtrepanation und die Übersicht und Interventionsmöglichkeiten sind deutlich geringer. Außerdem ist die Drainageeinlage schwieriger, weil der Kortex durch die Drainage leichter verletzt werden kann. Eine Variation dieses Zugangs besteht in der „Duisburger Schädelschraube“, wobei die Hohlkammerschraube selbst im Hämatom liegt und dieses drainiert. Die klinischen Ergebnisse entsprechen in etwa denen der größeren Bohrlochtrepanation [21]. Kraniotomie: Die klassische Kraniotomie zur Primärbehandlung chronisch subduraler Hämatome ist deutlich risikoreicher als eine Bohrlochtrepanation und zeigt klinisch auch sehr viel schlechtere Ergebnisse; im Rezidivfall ist sie jedoch eindeutig

(a)

(b)

Abb. 15.7: Intraoperative Ansicht eines chronisch subduralen Hämatoms. Die Entfernung war wegen ausgedehnter Septierung des Hämatoms erforderlich. (a) Blick auf die äußere Kapsel, (b) nach Eröffnung und Teilresektion des Hämatoms.

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den geringer invasiven Verfahren überlegen [2, 21]. Meist wird ein gebogener Schnitt fronto-temporal angelegt und ein im Durchmesser maximal 10 cm großer Knochendeckel ausgesägt. Anschließend erfolgen die Duraeröffnung und die Resektion des Hämatoms (Abb. 15.7) mit Drainageeinlage. Eine Drainage sollte immer eingelegt werden, da sie das Rezidivrisiko deutlich senkt [22, 23]. Hierbei muss immer ein geschlossenes System ohne Sog Anwendung finden, außer in der genannten subgalealen Variante der Drainageeinlage. Der Zeitpunkt der Operation ist neben der klinischen Symptomatik auch vom Alter des Hämatoms abhängig: Befindet sich das Hämatom noch in der subakuten Phase und ist noch nicht vollständig verflüssigt, so sollte die Operation – wenn es die klinische Symptomatik zulässt – aufgeschoben werden. Zeigt sich in den bildmorphologischen Kontrollen eine zunehmend hypodensere Darstellung, sollte die alleinige Bohrlochtrepanation im Verlauf ausreichend zur Entlastung sein. Falls möglich, sollten alle Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmer pausiert und auf niedermolekulare Heparine umgestellt werden. Des Weiteren ist eine Überprüfung der Indikationsstellung zur Antikoagulation wichtig, weil nach unserer Erfahrung z. B. die rein prophylaktische Gabe von Aspirin ohne konkrete Indikation relativ häufig vorkommt. Nach unserer Erfahrung sollte bei vorhandener Indikation zur Gerinnungshemmung ein postoperatives Überbrücken mittels niedermolekularen Heparins erfolgen. 3 Wochen nach der Operation und bei unauffälligen CT-Verlaufskontrollen kann dann meist die ursprüngliche Antikoagulation wieder aufgenommen werden.

15.3.6 Nachsorge und Komplikationen Die häufigste Komplikation ist das Rezidiv, das in etwa 10 % der Fälle vorkommt [21–24]. Die Einlage einer Drainage senkt das Rezidivrisiko deutlich [21–23]. Sollte ein erneuter Eingriff nötig sein, so kann dies ebenfalls durch ein neuerliches Ausspülen über das präexistentes Bohrloch erfolgen, spätestens der Dritteingriff sollte aber dann als offene Resektion über eine große Kraniotomie geplant werden. Die postoperative Nachsorge kann problemlos auf einer Normalstation erfolgen. Die Überwachung auf einer IMC- oder Intensivstation sollte nur multimorbiden Patienten vorbehalten bleiben, bzw. wenn der Patient bereits initial komatös und damit intensivbehandlungsbedürftig ist. Die Drainage sollte für ungefähr 2–3 Tage belassen, bzw. entfernt werden, wenn sie keine Hämatomflüssigkeit mehr fördert. Eine CT-Kontrolle wird bei unauffälligem Verlauf in unserer Klinik um den zweiten postoperativen Tag herum durchgeführt. Hierbei lassen sich die Drainagenlage, Regredienz des Hämatoms und evtl. aufgetretene Komplikationen beurteilen.

15.3 Chronisches Subduralhämatom

(a)

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(b)

Abb. 15.8: Kortexnahe intrazerebrale Blutung als Komplikation der Entleerung eines chronisch subduralen Hämatoms mittels Drainage. Klinisch bot der Patient postoperativ eine rasch zunehmende kontralaterale Hemiparese. (a) initiales Hämatom, (b) postoperative Blutung.

Als weitere Nachsorge über den stationären Verlauf hinaus empfiehlt sich eine erneute CT-Kontrolle 2–4 Wochen poststationär. Somit kann ein erneutes Rezidiv sicher ausgeschlossen werden. Eine klinische Verbesserung wird bereits durch Ablassen von ca. 20 % der Hämatomflüssigkeit erreicht [25], und in fast 80 % der Fälle sieht man in den postoperativen CT-Kontrollen noch residuelle Hämatomanteile [26]. Daher steht zur Beurteilung der Behandlung die klinische Symptomatik an erster Stelle und nicht der bildmorphologische Befund. Weitere Komplikationen sind Krampfanfälle durch die Manipulation, die dem Kortex anliegende Drainage oder durch intrazerebrale Blutungen, welche oftmals verheerende Folgen haben (Abb. 15.8). Eine weitere Komplikation durch ein zu schnelles Ablassen größerer Flüssigkeitsmengen ist ein kontralaterales Subduralhämatom als sog. Entlastungsblutung oder eine persistierende Flüssigkeitsansammlung subdural und das Unvermögen des Gehirns zur Reexpansion. Des Weiteren sollte neben der kritischen Überprüfung der Indikation von Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmern auch die Möglichkeit anderer Interventionen überprüft werden, wie der Vorhofohrverschluss bei Vorhofflimmern oder eine kardiale Ablation.

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15.3.7 Outcome Das Outcome der Patienten ist im Allgemeinen sehr gut. Einschränkungen sollten nach einem komplikationslosen Verlauf nicht bestehen, wobei dezidierte neuropsychologische und -physiologische Untersuchungen häufig noch Konzentrationsschwierigkeiten nachweisen können [18]. Bleibende Schädigungen sind sehr selten und eher durch periprozeduale Komplikationen als durch das Hämatom selbst verursacht. Nichtsdestotrotz kann das chronische Subduralhämatom eine lebensgefährliche Erkrankung darstellen; mit schneller Dekompensation bis hin zur zerebralen Einklemmung und den Tod des Patienten. Eine Sonderform einer subduralen Flüssigkeitsansammlung stellt das subdurale Hygrom dar. Wie der griechische Name es schon verrät, handelt es sich um klare Flüssigkeit subdural, nämlich Liquor. Es kommt durch traumatische Genese zum Einriss der Arachnoidea und nachfolgend zum Liquorübertritt in den Subduralraum. Dies wurde bereits 1894 von Mayo als einem der ersten beobachtet und publiziert [19]. In bis zu 39 % der Fälle können Kalottenfrakturen begleitend nachgewiesen werden. Typische Rupturstellen sind die Sylvische Fissur und die cisterna chiasmatica. Es kann nachfolgend zu einer Resorption des Hygroms kommen oder, begünstigt durch einen Ventilmechanismus der arachnoidalen Rupturstelle, zum weiteren Anwachsen des Hygroms. Begünstigt wird dies durch eine Hirnatrophie, weshalb Alkoholiker – neben der hierdurch bedingten Sturzneigung – auch häufiger betroffen sind. Als operative Komplikation können Hygrome ebenfalls auftreten, v. a. nach dekompressiven Kraniektomien [27]. Kommt es im weiteren Verlauf zu einer Membranbildung und Neovaskularisierung, so bildet sich aus dem Hygrom ein chronisches Subduralhämatom heraus.

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400 | 15 Spätfolgen, Sekundärerkrankungen

Wolfgang Müllges und Jürgen Piek

15.4 Entzündliche Komplikationen 15.4.1 Epidemiologie, Pathogenese Die Inzidenz posttraumatischer infektiöser Komplikationen ist stark von der jeweiligen Versorgungssituation abhängig und lässt sich daher nur schwer erfassen. In industrialisierten Ländern sollen etwa 4 % der Schädel-Hirn-Traumen mit einer intrakraniellen bakteriellen Komplikation einhergehen [1]. Meistens handelt es sich dabei um eine eitrige Meningitis, deren Inzidenz zwischen 0,2 und 18 % berichtet ist. Die Inzidenz soll mit dem initialen GCS korrelieren (bis GCS 7: 19 %, ab GCS 8: 8 % [2]). Viel seltener sind posttraumatische Hirnabszesse. Deren jährliche Inzidenz wird generell mit ca. 1/100.000 Einwohner berichtet. Sehr selten sind posttraumatische subdurale Empyeme und epidurale Abszesse. Völlig unbekannt ist die Frequenz einer septisch-metastatischen Herdenzephalitis, die im Zuge eines Polytraumas oder einer Venenkatheter-assoziierten Bakteriämie selbstverständlich auch bei SHT-Patienten vorkommt. Weil die Herdenzephalitis bei SHT aber nicht speziell untersucht wurde und sie den allgemeinen Behandlungsrichtlinien septischer Erkrankungen unterliegt, wird sie in diesem Kapitel nicht behandelt. Nicht unmittelbar mit dem Trauma verknüpft ist die sehr häufige komplizierende Ventrikulitis bei externer Liquordrainage, die darum in diesem Kapitel einen entsprechenden Stellenwert erhält. Posttraumatische intrakranielle Infektionen nach SHT zeichnen sich durch folgende Besonderheiten aus: – die Eintrittspforte ist fast immer eine Duraverletzung, selten das Durchbrechen der anatomischen Barriere Hirnhaut über venöse Perforatoren über den Epiduralraum wie z. B. im Falle imprimierter Frakturen; – die verursachenden Erreger entstammen einer besonderen bakteriellen Flora von Haut, aus Nebenhöhlen und von kontaminiertem Schmutz, wobei man immer mit jedem Erreger und mit Mischinfektionen rechnen muss; – traumatische Hämatome, eingedrungene Fremdkörper oder Gewebsnekrosen bei perforierender Verletzung stellen einen besonders guten Nährboden für Bakterien dar; – Operationen tragen ein erhebliches eigenes Infektionsrisiko bei (z. B. bei dekompressiver Kraniektomie 9 % [3]); – die Infektionen treten bei 50–90 % der SHT-Patienten innerhalb der ersten beiden Wochen ein, aber langsam wachsende Erreger geringer Pathogenität können auch erst nach Monaten zu einer Infektion führen [4]; – die bei ambulant erworbenen Infektionen so charakteristischen klinischen Symptome werden aufgrund der Hirnverletzung selbst oder deren Akuttherapie mittels Analgosedierung fast immer maskiert. Weil insbesondere bei Meningitis und Empyem die frühe Diagnose und Therapie (Cut-off für Mortalität bei ambulant erworbener Meningitis 3 Stunden!) entscheidend für die Prognose sind [5], kann darum

15.4 Entzündliche Komplikationen | 401

ein initial günstiger Verlauf mit guter Prognose leicht in eine Katastrophe münden, wenn die Patienten nicht besonders sorgfältig untersucht und hochfrequent in Hinblick auf entzündliche Komplikationen überwacht werden.

15.4.2 Posttraumatische Meningitis 15.4.2.1 Symptomatik Die Diagnosestellung der posttraumatischen Meningitis ist beim Intensivpatienten erschwert. Kopfschmerz und Bewusstseinstrübung, zwei Faktoren der klassischen Trias einer eitrigen Meningitis, sind nur beim nichtsedierten Patienten zu erwarten. Hohes Fieber als dritter Faktor kann auf der Intensivstation vielfältige Ursachen haben, und epileptische Anfälle nach SHT gibt es auch ohne Meningitis. Neu aufgetretenes Fieber oder epileptische Anfälle müssen nach einem SHT bis zum Beweis des Gegenteils immer die Differentialdiagnose einer Meningitis mit einbeziehen!

Das gilt insbesondere im Falle einer Oto- oder Rhinoliquorrhoe oder einer anderen Liquorfistel, die als wichtigste Einzelfaktoren die Inzidenz der posttraumatischen Meningitis um den Faktor 10 erhöhen [6]. Auch ein unerwarteter ICP-Anstieg sollte stets die Suche nach einer Meningitis auslösen. Liquorfisteln wurden bei bis zu 24 % der Basisfrakturen beschrieben [7, 8]. Klinische Warnzeichen sind bei Felsenbeinfrakturen Blut im Gehörgang, Hörverlust, Vestibularisausfall, Fazialisparese, submastoidales Hämatom (Battle-Zeichen), bei frontobasalen Frakturen Anosmie (os ethmoidale) und Monokel-/Brillenhämatom. Ein Duraleck wird klinisch offensichtlich bei Oto- (os petrosum plus Tympanon-Membran) oder Rhinoliquorrhoe. Liquorrhoe wird meist (80 %) innerhalb von 48 Stunden nach Trauma am Austritt wässriger Flüssigkeit erkennbar [9]. Sie persistiert in der Regel (92 %) nur 1 Woche [10]. Klinische Abbildungen zum vorher Gesagten finden sich in Kapitel 13.2. Meningitiden Wochen bis Jahre oder Jahrzehnte nach einem SHT oder einer HNOOperation und rezidivierende Meningitiden generell sind stets verdächtig auf eine persistierende Liquorfistel und müssen wie eine unmittelbar nach Trauma auftretende Meningitis diagnostiziert und behandelt werden [11].

15.4.2.2 Diagnostik Auf die Diagnostik posttraumatischer Liquorfisteln wird in Kapitel 13.2 eingegangen. Zum Nachweis einer floriden bakteriellen posttraumatischen Meningitis ist der systemische Entzündungsnachweis mittels CRP und PCT bei Polytrauma und Beatmung wenig spezifisch. Bei jedem Verdacht auf Meningitis muss daher – wenn immer

402 | 15 Spätfolgen, Sekundärerkrankungen

möglich vor Beginn einer spezifischen Behandlung mit Antibiotika – Liquor gewonnen werden. Dies geschieht zumeist durch Lumbalpunktion oder Entnahme von Ventrikelliquor aus liegender EVD. Ist eine Lumbalpunktion bei stark erhöhtem ICP kontraindiziert, muss ggf. auf eine Subokzipitalpunktion zurückgegriffen werden (auch in Rückenlage durch Punktion in Höhe HWK 1/2 von lateral ohne Provokation einer ICP-Steigerung durchführbar). Der Ort der Liquorgewinnung (lumbal oder ventrikulär) kann im Falle einer Abflusssperre entscheidend sein. Meningitischer Liquor ist trüb und zellreich an Neutrophilen (> 700/μl). Bei Blutzumischung muss man den normalen Quotienten von Leukozyten : Erythrozyten = 1 : 1000 einberechnen. Im Gegensatz zur nichttraumatischen Meningitis sind erniedrigte Liquorglukose und erhöhtes -laktat wenig zuverlässig. Die Bestimmung des Procalcitonins im Liquor ist nicht indiziert, weil dieses bei SHT-Patienten dem Liquorlaktat an Spezifität und Sensitivität zur Diagnose einer Meningitis unterlegen ist [15]. Die Erregerdiagnostik erfolgt über Direktmikroskopie und ergiebiger mit Kulturen (aerob plus anaerob). So kann in mindestens 70 % der Fälle der Erreger gesichert werden. In jedem Fall sind Blutkulturen ergänzend zu gewinnen, auch wenn deren diagnostische Effizienz sehr unterschiedlich und jedenfalls < 50 % berichtet wird. Zusätzlich sollte die Universal- und ggf. spezifische bakterielle PCR veranlasst werden [16]. Ein Antigennachweis ist bei Meningo- und Pneumokokken sowie Haemophilus influencae und Streptococcus agalactiae möglich. Bei perfekter Probengewinnung und -verarbeitung kann die Erregeridentifikation bei bis zu 90 % der Meningitispatienten gelingen.

15.4.2.3 Erreger Ausweislich der kaum überschaubaren Zahl von Kasuistiken kommt jeder Keim als Erreger einer posttraumatischen Meningitis in Betracht. Liegt die Eintrittspforte in den Nebenhöhlen, dann haben Pneumokokken, Hämophilus influencae, Gruppe-AStreptokokken, Meningokokken und Staphylococcus spp. die höchste Prävalenz. Aber auch mit diversen gramnegativen Keimen wie E. coli, Pseudomonas aeruguinosa und Enterobacter spp. muss gerechnet werden, insbesondere bei Impressionsfrakturen und penetrierenden Wunden oder bei Assoziation mit thorakoabdominellem Trauma. Auch die oft noch geübte antibiotische Prophylaxe bei Basisfrakturen mit Ampicillin oder Cephalosporin führt zu einer Verschiebung der nasopharyngealen Flora ins gramnegative Spektrum [17]. Pseudomonas-Infektionen treten oft im Zusammenhang mit neurochirurgischen Eingriffen auf [18]. Tritt eine Meningitis bei stumpfem SHT innerhalb von 3 Tagen auf, sind Pneumokokken am wahrscheinlichsten, wenn sie erst nach 10 Tagen auftritt, Staphylokokken und gramnegative Keime [4].

15.4 Entzündliche Komplikationen | 403

15.4.2.4 Antiinfektive Therapie Bei Liquorrhoe wurde die Effizienz einer Antibiotikaprophylaxe oft untersucht. Die Ergebnisse an stets kleinen Kollektiven sind dermaßen uneinheitlich, dass eine allgemeine Empfehlung zur prophylaktischen Antibiotikaapplikation Evidenz-basiert problematisch ist [19]. Eine ältere Metaanalyse aus sechs Studien mit 324 Patienten erbrachte aber z. B. eine Reduktion der Fistel-assoziierten Meningitis von 10 % auf 2,5 % [8], sodass die frühe Applikation eines Drittgeneration-Cephalosporins verbreitete Praxis scheint. Allgemein wird empfohlen, Liquoraustrittspforten steril abzudecken, um eine Erregerinvasion zu reduzieren. Bei klinischem Verdacht auf eine eitrige Meningitis muss sofort empirisch antibiotisch behandelt werden [20].

Unter Berücksichtigung des häufigen Erregerspektrums besteht die leitliniengerechte [21] Ersttherapie aus: – Vancomycin (2 × 1 g/Tag; Spiegelkontrolle!) + Meropenem 3 × 2 g/Tag oder – Vancomycin (2 × 1 g/Tag; Spiegelkontrolle!) + Ceftriaxon (1 × 4 g oder 2 × 2 g/Tag) (+ Metronidazol 3 × 500 mg/Tag bei Schleimhautverletzung); – bei wahrscheinlicher(!) Pneumokokken-Infektion ist auch zu erwägen: Rifampicin 1 × 600 mg/Tag (rasch Antibiogramm wegen gelegentlicher Resistenz) + Ceftriaxon 1 × 4 g oder 2 × 2 g/Tag + für 4 Tage 4 × 10 mg Dexamethason im zeitlichen Zusammenhang mit erster Antibiotikagabe [22]. – Linezolid 2 × 600 mg/Tag kann Vancomycin wegen des ähnlichen Wirkungsspektrums und sehr guter Liquorgängigkeit bei ZNS-Infektion ersetzen [23], sollte aber wegen seiner mäßigen Bakterizidie nur gewählt werden, wenn Vancomycin kontraindiziert/nebenwirkungsbelastet oder nicht erfolgreich ist. Das kann bei gleichzeitiger Cortisongabe der Fall sein, die die Liquorgängigkeit von Vancomycin reduziert [24]. Die Liquorgängigkeit der Akutantibiotika ist allerdings bei der Erstlinienbehandlung kein sehr starkes Argument für deren Auswahl, weil die Blut-Hirn-Schranke durch das Trauma bereits offen ist und über Tage bleibt. – Zu beachten ist weiterhin, dass Meningokokken inzwischen zu 19 % intermediär und zu 3 % vollständig penicillinresistent sind [25]. Auch Pneumokokken sind nicht mehr immer cephalosporinsensibel (Südeuropa!). Hämophile sind inzwischen zu über 10 % ampicillinresistent [26]. Bei den gramnegativen Klebsiellen sind inzwischen bis zu 18 % ESBL-Bildner und sprechen nur auf Carbapenem an (längerfristig oral Trimethoprim/Sulfamethoxazol) [27]. Bei der Auswahl der Antibiotika zur Erstbehandlung richte man sich darum auch nach der jeweiligen Resistenzsituation in der eigenen Klinik. – Wegen all dieser Unsicherheiten muss nach 2 Tagen eine erneute Liquoruntersuchung zur Überprüfung des Behandlungserfolgs vorgenommen werden. Dann sollten auch die Resistenz- und Kulturbefunde vorliegen, und Antibiotika können

404 | 15 Spätfolgen, Sekundärerkrankungen





ggf. erreger- und resistenzgerecht angeglichen werden. Dabei sind natürlich eventuelle Begleitinfektionen zu berücksichtigen. Die notwendige Behandlungsdauer ist in der Regel länger als bei ambulant erworbenen Meningitiden. Sie hängt nicht nur vom Erreger, sondern auch von der Persistenz eines Duralecks und dem verletzten Situs ab. Wiederholte Liquoruntersuchungen sind darum bei Trauma-assoziierter Meningitis zwingend. Immer wieder gibt es extrem schwer zu therapierende Fälle, bei denen identifizierte, eigentlich sensible Erreger selbst durch eine hochdosierte, intravenöse Antibiotikabehandlung nicht beseitigt werden können. Das gilt insbesondere, wenn eine Meningitis durch eine Ventrikeldrainage mit unterhalten wird. In diesen Fällen sollte, wenn immer möglich und vertretbar, die Drainage entfernt und über ein getrenntes Bohrloch eine neue Drainage angelegt werden. Staphylococcus spp. sowie gramnegative Keime wie Acinetobacter, Pseudomonas, E. coli, Klebsiellen und Serratia spp. spielen bei derartigen Infektionen eine vorwiegende Rolle [28]. In solchen Fällen kann auch einmal erfolgversprechend (> 70 % Heilung) auf eine rein intraventikuläre Antibiotikabehandlung mit Aminoglycosiden und Colistin zurückgegriffen werden [28]. Das scheint ebenso mit einer Applikation über Lumbalkatheter möglich [29]. Die intrathekale Aminoglycosidapplikation (Gentamicin 4–10 mg/Tag; Tobramycin 5–10 mg/Tag; Amikacin 5–50 mg/Tag) über 3–21 Tage hat sich bei gramnegativen Infektionen metaanalytisch als sehr sicher und sehr gut verträglich erwiesen [30]. Gegen multiresistente Acinetobacter baumannii war Colistin (20–50 mg/Tag) über 2–3 Wochen zu 89 % erfolgreich, allerdings unter dem Preis einer etwas verwirrenden aseptisch-chemischen Meningitis bei 11 % der Patienten [31]. Auch über die erfolgreiche intrathekale Anwendung von Vancomycin und Linezolid wurde bei ZNS-Infektionen mit multiresistenten Erregern verschiedentlich berichtet [32–34].

15.4.2.5 Zur Operationsindikation bei Duraleck Auf die Indikationen zur operativen Duradefektdeckung bei nachgewiesener Liquorfistel und assoziierter Meningitis wird in Kapitel 13.2 eingegangen.

15.4.2.6 Verlauf, Komplikationen und Prognose der posttraumatischen Meningitis Es besteht Einigkeit darüber, dass eine posttraumatische Meningitis die Prognose eines SHT relevant verschlechtert. Allerdings ist der Anteil der Meningitis am GesamtOutcome nach SHT mit Ausnahme eines leichten SHT (z. B. Frontobasisfraktur ohne Hirnbeteiligung) schwer einzuschätzen, weil eine Unterscheidung zwischen Komplikationen der Meningitis selbst und Trauma-bedingten Komplikationen bei schwereren Verletzungen nahezu unmöglich ist. Man kann demzufolge zur prognostischen Abschätzung also nur auf die Ergebnisse bei nichttraumatischer Meningitis zurückgreifen [21]:

15.4 Entzündliche Komplikationen | 405

– –

– –

Ein Hydrocephalus (meist aresorptivus) ist bei 10–15 % der Patienten zu erwarten und verdoppelt die Letalität auf 46 % [39]; sowohl arterielle (Arteriitis, Vasospasmus, fokale Hyperperfusion) als auch venöse (septische Sinus- und Venenthrombose, septische Phlegmone) vaskuläre Komplikationen finden sich bei 15–20 % der eitrigen Meningitis und erhöhen die Letalität erheblich [40]; epileptische Anfälle sind häufig (bis 15 %) und erhöhen die Letalität, wenn sie in einen Status epilepticus übergehen; plausibel darf ebenfalls angenommen werden, dass ein meningitisches vasogenes Hirnödem (10–15 %) ein traumatisches erheblich negativ beeinflusst.

Die Therapie intrakranieller Komplikationen der Meningitis unterscheidet sich bei Trauma im Wesentlichen nicht von den allgemeinen Leitlinien. Prognostisch wesentlich ist die Senkung eines erhöhten ICP, was am effizientesten durch eine frühzeitige Liquordrainage geschieht [41]. Glukokortikosteroide sind naheliegend indiziert bei Pneumokkenmeningitis [22]. Glycerin zur intrakraniellen Drucksenkung hatte sich in einer Studie an HIV-positiven malawischen Meningitispatienten als sehr ungünstig erwiesen [42]. Bei Arteriitis und Vasospasmus kann Nimodipin erwogen werden. Bei septischen Thrombosen empfiehlt sich eine PTT-wirksame Heparinisierung [43], soweit chirurgisch vertretbar. Hypothermiebehandlung hat die Letalität nichttraumatischer Meningitiden von 31 auf 51 % erhöht [44] und sollte darum bei kompliziertem SHT besonders kritisch indiziert werden. Bei der Behandlung epileptischer Anfälle ist zu beachten, dass bei Carbapenemgabe ein wirksamer Valproatspiegel kaum aufgebaut werden kann. Die Letalität einer ambulant erworbenen Pneumokokkenmeningitis liegt bei 20–30 %, bei Meningokokken bis 10 % [21] in wesentlicher Abhängigkeit von der Latenz bis zur ersten Antibiotikagabe und Wahl eines wirksamen Antibiotikums [20]. Diese Zahlen liegen bei schlechterer Datenlage im Falle traumatischer Meningitiden etwas höher. Residuell bleiben bei einer nichttraumatischen eitrigen Meningitis bei 10–40 % der Patienten Hörstörung, Wesensänderung und Epilepsie zurück. Auch hier darf man annehmen, dass diese Schädigungen nach kompliziertem SHT häufiger sind.

15.4.3 Katheter-assoziierte Ventrikulitis Eine Ventrikulitis ist eine regional begrenzte Entzündung des Ventrikelependyms, bei der das eingebrachte Fremdmaterial für Erregerinvasion, Persistenz und therapierefraktäres Verhalten verantwortlich ist. Diese fokale Meningitis kann jederzeit generalisieren, was bei etwa einem Drittel der Patienten mit externer Ventrikeldrainage der Fall ist. Entlang des Drainagekatheters können sich Phlegmone und später auch ein Abszess entwickeln.

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Im Rahmen dieses Kapitels soll nur auf die Infektionen eingegangen werden, die im Rahmen der Anlage einer externen Ventrikeldrainage (EVD) zum Monitoring und zur Senkung des intrakraniellen Drucks entstehen. Über diese „künstliche Liquorfistel“ können Keime entweder im OP oder auf der Station von der Haut her sowie durch Öffnen der Systeme (Wechsel, Liquorentnahme) eingebracht werden, über den Kunststoff erleichtert invadieren, oder das liegende Fremdmaterial kann eine bereits bestehende Meningitis als Sekundärfokus weiter unterhalten. Ausweislich des Erregerspektrums besteht das wesentliche Invasionsrisiko von der Haut her [45]. Zur Inzidenz Drainage-assoziierter Infektionen existiert im neurochirurgischen Schrifttum eine Unzahl von Arbeiten, die kaum zu überblicken sind. Nach umfangreichen Literaturrecherchen kommt es zeitabhängig bei etwa 6–8 % aller externen Ventrikeldrainagen zu einer intrakraniellen Infektion. Parenchymdruckmessungen haben demgegenüber eine deutlich geringere Infektionsrate, bieten aber prinzipiell natürlich auch eine mögliche Eintrittspforte für Erreger (Tab. 15.5). Tab. 15.5: Komplikationen der verschiedenen Druckmessverfahren (nach [79–83]).

EVD Parenchymal Epidural

Blutung tödlich

Blutung signifikant

Blutung klein

Infektion

Inklusive Kontamination

0,28 %

~1 % 0,5 % 0,16 %

3–7 %

6,7 % 0,7 % 0,6 %

8,3 % 2,4 %

0%

Allein die Traumakonstitution mit dem obligaten SIRS und die Menge invasiver Zugänge stellt eine Disposition zum Erwerb einer Drainage-assoziierten Ventrikulitis dar [47]. Diese Patienten erhalten ohnehin häufig Antibiotika aus anderen Gründen, was eine besondere Keimselektion an der EVD fördert. Hauptrisikofaktor für die Infektion ist aber neben der Verweildauer die Häufigkeit von Manipulationen am System. Jede Injektion in die Drainage (z. B. zum Spülen) stellt eine weitere starke Kontaminationsmöglichkeit dar [48]. Ein weiterer Risikofaktor ist Blut im Ventrikel als guter bakterieller Nährboden.

15.4.3.1 Symptomatik Klinisch ist eine Ventrikulitis bei diesem akuten, intensivmedizinisch betreuten und meist bewusstlosen Patientenkollektiv nur selten zu diagnostizieren. Ausnahme sind die wenigen Fälle, die wach bzw. nicht sediert sind und dann über Kopfschmerzen klagen, unerwartet eintrüben oder, häufiger, noch deliranter werden als sie es durch das Trauma ohnehin sind. Nackensteife kann gefunden werden. Allgemeine Infektzeichen sind vorhanden, aber unspezifisch und allfällig im Zuge einer intensivmedizinischen Behandlung.

15.4 Entzündliche Komplikationen | 407

15.4.3.2 Diagnostik Bei Patienten mit EVD ist ab dem 3. Liegetag der EVD eine mindestens tägliche laborchemische Untersuchung des Ventrikelliquors dringend anzuraten, zusätzlich bei jedem Fieberanstieg. Grundsätzlich zeigt der Liquor bei Drainagen immer eine Reizpleozytose, insbesondere wenn Blut zugemischt ist. Letzteres macht die Interpretation von Liquorglukose und -laktat dann schwierig. Deswegen kommt dem Liquorzellindex hier eine besondere Bedeutung zu (Leukozyten im Liquor:Blut geteilt durch Erythrozyten im Liquor:Blut), der im Normalfall 1 betragen sollte. Eine Ventrikulitis ist sicher bei einem Zellindex > 5,2 und hochwahrscheinlich, wenn der Wert innerhalb eines Tage auf > 4 ansteigt [46]. Bakteriologische Untersuchungen des Liquors sollten im Verdachtsfalle stets, als Verlaufsuntersuchungen spätestens ab dem 3. Liegetag der EVD durchgeführt werden. Die bildgebende Diagnostik (CT oder MRT nativ/+KM) trägt zur Diagnostik der Infektion nichts bei, ist jedoch bei Verdacht auf eine raumfordernde Infektion (Abszess, Empyem) indiziert.

15.4.3.3 Erreger Entsprechend dem beschriebenen Invasionsweg [45] besteht das typische Erregerspektrum infizierter externer Drainagesysteme zu 80–90 % aus Staphylokokken spp. [45, 46]. Den Rest teilen sich gramnegative Stäbchen (Klebsiellen, Pseudomonas) und auch Candida. Gramnegative Meningitiden gehen meist mit sehr viel deutlicherer Erhöhung der Liquorzellzahl einher als durch Staphylokokken verursachte. Candida finden sich v. a. bei Patienten mit länger dauernder Breitbandantibiotikatherapie, insbesondere mit Carbapenemen. Bei offenem SHT kommen, wie bei posttraumatischer Meningitis, grundsätzlich alle „Community-Keime“ als Erreger infrage.

15.4.3.4 Adjuvante Therapie Der erste und wesentliche Schritt sollte die Entfernung des infizierten Katheters und die kulturelle Aufarbeitung seiner Spitze (steril ziehen und sofort in Nährmedium) sein. Wenn möglich und im Einzelfall klinisch vertretbar, sollte mit einer Neuimplantation (über anderen Zugangsweg) 24 Stunden gewartet werden [46]. Von einer routinemäßigen, zusätzlichen intrathekalen Antibiotikagabe über einen infizierten Katheter wird allgemein abgeraten [48, 49], auch wenn das in verzweifelten Fällen einmal die einzige erfolgversprechende Behandlungsoption sein kann.

15.4.3.5 Infektiologische Therapie Als Sofortbehandlung wird entsprechend dem zu erwartenden Erregerspektrum allgemein eine Kombination [21] empfohlen aus – Oxacillin 3 × 4 g/Tag + Rifampicin 2 × 600 mg/Tag i.v.,

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alternativ Fosfomycin 3 × 8 g/Tag + Rifampicin 2 × 600 mg/Tag oder Vancomycin 4 × 500 mg/Tag [50].

Die Alternative ist besonders sinnvoll, wenn im Krankenhaus mit einer erhöhten MRSA-Rate gerechnet werden muss oder eine Neigung zu Status epilepticus besteht (Oxacillin senkt die Krampfschwelle). Bei Unverträglichkeit von Vancomycin kann dieses durch Linezolid 2 × 600 mg/Tag ersetzt werden [51]. Bei gesicherter Staphylokkokkenbesiedlung stellt zur Vermeidung systemischer Nebenwirkungen die intrathekale Verabreichung von Vancomycin 10–20 mg/Tag als Monotherapie über 7–21 Tage eine echte Alternative dar [52]. Dabei müssen vorher 2 ml Liquor abgelassen werden, und nach Gabe muss das System mit mindestens 1 ml 0,9 % NaCl gespült werden; die Drainage sollte im Anschluss 1 Stunde verschlossen gehalten werden (unter kontinuierlicher ICP-Messung). Dieses Behandlungsregime ist auch probat im OP nach Neuanlage einer Drainage bei einem infizierten Patienten. Wenn weder eine intravenöse noch eine intrathekale Antibiotikabehandlung zur Sanierung einer Ventrikulitis ausreichen, was v. a. bei gramnegativen multiresistenten Bakterien vorkommen kann, ist in diesen Extremfällen eine endoskopische Ventrikellavage in Betracht zu ziehen [53].

15.4.3.6 Prophylaxe Operativ sollte eine EVD mit einem möglichst langen Tunnel aus der Haut herausgeleitet werden. Das Ableitsystem sollte zudem bereits intraoperativ unter sterilen Bedingungen komplett angeschlossen werden. Da die Haut das größte Reservoir für eine Besiedlung des Katheters darstellt [45], ist peinlichste Pflege der Haut an der Eintrittsstelle angebracht [47], wobei eine beste Methode nicht evaluiert ist. Jede Station verfolgt hier wahrscheinlich ihr eigenes Regime. Jeder pflegerische und ärztliche Kontakt mit einer externen Ventrikeldrainage bedarf höchster Sterilität [48]. Eine operationalisierte Konzentration auf definierte Pflegeprozeduren konnte an einem Zentrum die Ventrikulitisinzidenz von 28 auf 10 % senken und die Verweildauer auf der Intensivstation von 44 auf 20 Tage [54]. Ob antibiotikabeschichtete Drainagen das Ventrikulitisrisiko jenseits der erste beiden Tage [55, 56] wirklich begrenzen, ist trotz zahlreicher Untersuchungen dazu, die alle ihre methodischen Mängel aufweisen, metaanalytisch bis 2016 noch nicht entschieden [57].

15.4.3.7 Verlauf und Prognose Geht man wie zuvor beschrieben vor, dann schien bislang eine Drainage-assoziierte Ventrikulitis nicht mit einer erhöhten Letalität verknüpft zu sein, führt aber zu einer Verlängerung der Intensivbehandlung. Zumindest bei 34.000 Patienten mit Hirnblutungen erhöhte eine komplizierende Ventrikulitis das Sterberisiko aber um 38 %,

15.4 Entzündliche Komplikationen | 409

wie eine unlängst publizierte Studie ergab [58]. Von einer größeren Mischkohorte aus Erwachsenen und pädiatrischen Patienten wurden kürzlich eine Ventrikulitisassoziierte Letalität von 9 % und schwere residuelle Defektzustände bei 40 % berichtet [59]. Nach den zuvor zitierten Studien kann – obwohl zum SHT keine ähnlichen Daten vorliegen – nicht ausgeschlossen werden, dass eine Ventrikulitis das neurologische Outcome von Patienten mit SHT ebenfalls negativ beeinflusst. Eine wesentliche prognostische Auswirkung scheint aber den insgesamt seltenen Fällen mit schwierig identifizierbaren oder multiresistenten Keimen sowie bei meningitischer Ausbreitung und Hirnabszessentstehung vorbehalten.

15.4.4 Posttraumatischer Hirnabszess Wenn nicht hämatogen verursacht, dann entstehen Abszesse durch direkte Keimverschleppung von der Oberfläche im Zuge einer penetrierenden Verletzung, insbesondere mit Impressionsfraktur [1], eines operativen Eingriffs oder entlang einer infizierten Ventrikeldrainage [60]. Ein Abszess entwickelt sich erst subakut bis chronisch (zwei Drittel innerhalb eines Monats nach Trauma) aus einer fokalen Phlegmone durch zunehmende Abkapselung einer Eiteransammlung. Die Spannbreite der Inzidenz nach SHT beträgt je nach Kohorte 2–17 % [61]. Die beste Prophylaxe eines posttraumatischen Hirnabszesses stellen zweifellos eine konsequente primäre Wundversorgung mit großzügigem Debridement des nekrotischen und verschmutzten Gewebes, die intraoperative topische Behandlung mit Antiinfektiva und eine frühzeitige sowie ausreichend lange antibiotische Behandlung mit wirksamen Medikamenten bei nachgewiesener Wundkontamination dar.

15.4.4.1 Symptomatik Intraparenchymale Abszesse bewirken chronische Kopfschmerzen (80 %), oft auch bei später Diagnose bereits mit Erbrechen, sowie epileptische Anfälle bei 25 % der Patienten. Ansonsten bestimmt die Lokalisation die Symptomatik (60 % fokale Ausfälle) [62]. Höheres Fieber ist selten. Abszesse können insbesondere durch das sie umgebende fokale Ödem raumfordernd wirken. Sind Abszesse mittelliniennah lokalisiert, könne sie durch Blockade der Liquorabflusswege einen akuten Stauungshydrocephalus mit entsprechend dramatischer klinischer Symptomatik verursachen.

15.4.4.2 Diagnostik Die Diagnose eines Abszesses wird mittels CT oder noch eindeutiger per MRT (jeweils mit zusätzlicher KM-Gabe) gestellt. Gas im Herd ist bei Parenchymherden pathognomonisch (Anaerobier, E. coli). Kontrastmittel stellt je nach Alter bzw. „Reifegrad“ die

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Abszesskapsel dar. In der Hirnabszessentwicklung werden vier Stadien unterschieden [63, 64]: – frühe Phlegmone („Cerebritis“): unscharf begrenzte Hypodensität ohne oder mit nur geringer KM-Aufnahme; – späte Phlegmone: Hypodensität mit flauer ringförmiger Anreicherung; – frühe Kapselbildung: nach zentral hin scharf begrenzte Ringkapsel; – späte Kapselbildung: bereits im Nativ-CT ringförmige Hyperdensität mit flauer zentraler Hypodensität. Die allgemeine Entzündungsreaktion im Blut ist in der Regel nur mäßig ausgeprägt, unspezifisch und kann auch gänzlich fehlen. Daher kommt der radiologischen Differentialdiagnostik gegenüber Tumoren und Metastasen mittels MRT mit Diffusionswichtung (95 % Sensitivität [62]), diffusion-tensor-imaging und ProtonenSpektroskopie hohe Bedeutung zu [60]. Die Liquordiagnostik trägt zur Diagnostik kaum etwas bei und führt höchstens in den Einzelfällen weiter, wenn ein Abszess ins Ventrikelsystem rupturiert oder Meningen/Ventrikelependym Kontrastmittel anreichern (Meningitis). Daher ist eine Lumbalpunktion zum Nachweis eines Abszesses auch aufgrund der meist vorhandenen erheblichen intrakraniellen Drucksteigerung fast immer kontraindiziert. Blutkulturen sind ergiebiger, was sich aber eher auf eine nicht mit Trauma assoziierte Fokussuche bezieht (Nebenhöhlen, Zähne, Endokarditis) [61]. State-of-the-art ist der Diagnosebeweis mitsamt Erregeridentifikation durch neurochirurgische Abszesspunktion, Drainage oder Exzision. Das gewonnene Material muss umgehend auf aeroben und anaeroben Medien der Mikroskopie und mikrobiologischen Weiterverarbeitung zugeführt werden. Dann findet man in 60 % der Fälle den Erreger [66].

15.4.4.3 Erreger Typisch (40 %) sind Mischinfektionen durch Aerobier und Anaerobier [16]. Das Spektrum der Keime ist schier unendlich, nahezu jeder Keim kommt als Erreger in Betracht. Bei Abszesspunktaten werden am häufigsten Streptokokken (insbesondere viridans) mit 35–50 % isoliert, gefolgt von obligaten Anaerobiern wie Bacteriodes spp. (15–40 %), gramnegativen wie Enterobakterien und Pseudomonas spp. (15–30 %), erst dann Staphylococcus aureus (10–15 %) und andere Staphylokokken (5–10 %) [16]. Bei posttraumatischen Abszessen führen koagulasepositive und -negative Staphylokokken die Liste an. Protozooen, Toxoplasmen und Würmer sind nichttraumatischen Abszessen vorbehalten [60].

15.4.4.4 Antiinfektive Therapie Die initiale antibiotische Behandlung geschieht kalkuliert, hochdosiert und intravenös. Weil bei posttraumatischen Abszessen zunächst mit Staphylokokken gemeinsam

15.4 Entzündliche Komplikationen | 411

mit verschiedensten Aerobiern und Anerobiern zu rechnen ist, besteht bei noch nicht identifiziertem Erreger die Erstlinienkombination [62, 67] aus – Vancomycin 2 × 1 g/Tag + Cefotaxim 4 × 3 g/Ceftriaxion 2 × 2 g/Tag + Metronidazol 3 × 0,5 g, – alternativ Vancomycin 2 × 1 g/Tag + Meropenem 3 × 2 g/Tag. Die ungezielte, kalkulierte Initialtherapie wird durch eingehende mikrobiologische Befunde zielgerichtet angepasst. Zu bedenken ist immer, dass in einer Kultur schnell wachsende Bakterien langsam wachsende überdecken können. Das gilt insbesondere, wenn nur Aerobier nachgewiesen wurden, sodass Metronidazol sicherheitshalber weiter mitzuführen ist. Zu Vancomycin wird auf die Anmerkungen bei Meningitis verwiesen. Es kann bei Unverträglichkeit – wie bei Meningitis –durch Linezolid ersetzt werden. Gramnegative Erreger erfordern gemäß Antibiogramm oft einen Gyrasehemmer (Ciprofloxacin, Moxifloxacin, Levofloxacin) in Kombination mit Drittgeneration-Cephalosporin. Die gefürchteten Aspergillen reagieren auf Voriconazol 2 × 0,2 g/Tag [68], ebenso Scedosporien (mit Terfenadin) [69]. Candidaabszesse werden mit liposomalem Amphotericin B 5 mg/kg/Tag + Flucytosin 4 × 37,5 mg/kg/Tag (Nierenfunktion!) [61, 67] behandelt. Die Dauer der antibiotischen Behandlung hängt vom klinischen Verlauf ab. Sie ist meist über 1–2 Monate erforderlich und hängt von der Größe und Lokalisation des Abszesses, dem Erfolg der chirurgischen Maßnahmen und den nachgewiesenen Erregern ab. Gelegentlich kann nach erfolgreicher Punktion/Exzision die antibiotische Behandlung bereits nach 2 Wochen beendet werden, wenn die bildgebende Kontrolle nur noch eine infektiologisch bedeutungslose Restkapsel zeigt.

15.4.4.5 Operative Therapie Nur im Stadium der Phlegmone, ferner bei operativ nur riskant erreichbarem Abszess (Hirnstamm) oder bei multiplen kleinen Abszessen wird man sich zunächst mit einer Antibiotikatherapie allein begnügen. Immer, wenn an der Abszessdiagnose zu zweifeln ist, ein begleitendes Hirnödem den Patienten eintrüben lässt, der Liquorfluss gestört wird und eine Antibiotikabehandlung nicht erkennbar wirksam ist, ist eine Operation zur Beseitigung der Raumforderung indiziert [60, 67]. Unabhängig hiervon kann in manchen Fällen ein operativer Eingriff ausschließlich zur Erregersicherung erforderlich werden. Standard [67] ist die gering traumatisierende und rasch durchzuführende navigierte (mittels Sonographie, stereotaktisch oder rahmenlos stereotaktische) Abszesspunktion, die den Eiterherd beseitigt, Material gewinnt und eine lokale Spülung der Abszesshöhle ermöglicht. Die intraoperative Sonographie hilft hierbei, Blutungskomplikationen sofort zu erkennen. Bei großen Abszessen kann zusätzlich eine externe Abszessdrainage zur Spülung über die nächsten Tage eingelegt werden.

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Bei gekammerten Abszessen, Fremdkörpern im Abszessbereich oder Abszessen, die aus einer Liquorfistel hervorgehen, wird in der Regel die offene Kraniotomie mit Abszessexzision erforderlich. Diese Empfehlung relativiert sich bei Abszessen in eloquenten Kortexarealen, in Stammganglien und im Hirnstamm. In verzweifelten Fällen rezidivierender, oberflächennaher Abszesse und erfolgloser mehrfacher chirurgischer/antibiotischer Behandlung kann die alte Methode der Marsupialisation des Abszesses mit Schwammbehandlung eine letzte Möglichkeit der Heilung eröffnen.

15.4.4.6 Verlauf und Prognose Antibiotika haben die Letalität des Hirnabszesses in den letzten 50 Jahren von 40 auf 12 % gesenkt [62]. Der Einfluss der operativen Behandlung selber konnte wegen der hohen Operationsfrequenz nicht vergleichend evaluiert werden. Eine Operation ist nach plausibler Erfahrung immer anzustreben, und nur die oben berichteten seltenen Einzelbedingungen können eine alleinige konservative Behandlung rechtfertigen [60]. Präoperativ kann die Antibiotikabehandlung mit Glukokortikoiden ergänzt werden, wenn das Abszessödem bedrohlich ist oder z. B. das besonders ödemsensible Kleinhirn betroffen ist. Ob Osmotherapie bei Abszessödem wirksam ist, ist unklar. Epileptische Anfälle sind mit 25 % so häufig bei Abszessen, dass in der Akutphase von mehreren Autoren nachvollziehbar eine antikonvulsive Prophylaxe bereits mit der Diagnosestellung empfohlen wird [63, 64]. Die relevante Kontrolluntersuchung im Verlauf ist bildgebend. Am aussagekräftigsten ist die MRT mit DWI und tensor-diffusion-imaging [70]. Diese sollte im klinischen Verlauf etwa 10- bis 14-tägig oder bei ausbleibendem klinischem Erfolg durchgeführt werden. Wenn das MRT nur noch eine schwach anreichernde Restkapsel darstellt, ist der Abszess als geheilt zu betrachten. Bei komatösen, beatmeten Intensivpatienten wird man sich u. U. mit regelmäßigen cCT-Kontrollen begnügen müssen. Langfristig überstehen 70 % der Patienten einen Hirnabszess heute ohne fokalneurologische Ausfälle oder Epilepsie [62], verbleibende neuropsychologische Defizite sind jedoch häufig [71].

15.4.5 Subdurales Empyem und epiduraler Abszess Subdurale Empyeme sind fast ausschließlich über den Hemisphären und im Interhemisphärenspalt lokalisiert. Sie neigen zu einer rasanten Ausbreitung [72], teils innerhalb von Stunden, während die epiduralen Abszesse in der Regel lokal begrenzt bleiben. Posttraumatisch können sie ähnlich wie Abszesse erst spät manifest werden [73]. Sehr selten sind subdurale Empyeme Komplikation einer Meningitis [74]. Empyeme und Abszesse entstehen viel häufiger als Komplikation einer oto-, sinuoder odontogenen Entzündung. Die Inzidenz nach Trauma wird völlig unterschied-

15.4 Entzündliche Komplikationen | 413

lich zwischen 0 und 33 % berichtet [75]. Epidurale Abszesse sind so selten, dass auch postuliert wird, dass sie wie subdurale Empyeme [76] durch bakteriämische Kontamination von Hämatomen (spontan oder intraoperativ) entstehen.

15.4.5.1 Symptomatik Die Symptomatik des subduralen Empyems wird nicht nur durch dessen raumfordernde Wirkung verursacht, weil sich die kortikale/subkortikale Entzündung generalisiert auswirkt, d. h., die Bewusstseinstrübung ist exzessiver, als man sie bei einem subduralen Hämatom gleicher Größe erwarten würde [72, 75]. Für epidurale Abszesse gilt im Prinzip dasselbe, aber die Symptomatik bleibt zunächst fokaler. Sofern sich der Patient äußern kann, werden Kopfschmerzen berichtet. Meningismus ist bei subduralem Empyem regelmäßig vorhanden. Früh auffällig ist bei diesen Entzündungen oft ein periorbitales Ödem und eine auch kutan tastbare regionale Schwellung und Überwärmung [72].

15.4.5.2 Diagnostik Patienten mit subduralem Empyem sind so schwerkrank wie bei einer Meningitis und haben meist noch zusätzliche neurologische Herdsymptome. Fieber und allgemeine Entzündungszeichen sowie die Erhöhung der entzündungsspezifischen Laborparameter (Leukozyten, BSG, CRP, PCT) werden selten vermisst. Diagnostisch ist der CTbzw. MRT-Befund einer sichelförmigen Hypodensität mit KM-aufnehmender Begrenzung [72]. Epidurale Abszesse bewirken sehr viel mildere Beeinträchtigungen.

15.4.5.3 Erreger Bei subduralen Empyemen entspricht das Erregerspektrum dem der posttraumatischen Meningitis. Mit Streptokokken und Anaerobiern ist also seltener zu rechnen als bei intraparenchymalen Abszessen [1, 72]. Bei epiduralen Abszessen führt Staphylococcus aureus die Liste der möglichen Erreger deutlich an [75].

15.4.5.4 Antiinfektive Therapie Das subdurale Empyem und der epidurale Abszess werden antibiotisch zunächst genauso behandelt wie eine posttraumatische Meningitis [72, 75].

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15.4.5.5 Operative Therapie Subdurale Empyeme stellen eine absolute Notfalloperationsindikation dar.

Frische Empyeme werden über mehrere Bohrlöcher aspiriert und weiter gespült, bei älteren Empyemen und infizierten subduralen Hämatomen scheint eine Kraniotomie sinnvoller [77, 78]. Epidurale Abszesse werden effizient mit Bohrlochtrepanation beseitigt [75].

15.4.5.6 Verlauf und Komplikationen Epileptische Anfälle scheinen bei subduralen Empyemen fast regelmäßig aufzutreten, weswegen sich immer eine antikonvulsive Therapie empfiehlt [75, 77]. Komplizierend muss mit septischen Sinusthrombosen gerechnet werden. Aufgrund der geringen Fallzahlen kann keine generelle Aussage zur Prognose der subduralen Empyeme abgegeben werden. Sie scheint plausibel ungünstiger zu sein als bei entsprechenden subduralen Hämatomen. Bei epiduralem Abszess kann von vollständiger Heilung ausgegangen werden [75, 77].

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Uwe Runge

15.5 Posttraumatische epileptische Anfälle und Epilepsien 15.5.1 Anfallsformen Posttraumatische Anfälle werden zunächst nach ihrem zeitlichen Abstand zum Schädel-Hirn-Trauma (SHT) in Frühest-, Früh- und Spätanfälle unterschieden. Frühest- oder Sofortanfälle treten innerhalb von Sekunden bis wenige Minuten nach einem leichten SHT (Glasgow Coma Scale 14–15) auf [1, 2]. Frühanfälle manifestieren sich innerhalb der 1. Woche nach der Verletzung, meist in den ersten 24 Stunden. Nach der 1. Woche spricht man von Spätanfällen. Bereits bei Auftreten des ersten Spätanfalls ist nach der neuen Klassifikation der Epilepsien von einer posttraumatischen Epilepsie auszugehen [3]. Frühestanfälle sind in der Regel bilaterale, konvulsive Abläufe, die einem generalisiert tonisch-klonischen Anfall sehr ähneln. Ob es sich dabei wirklich um klassische epileptische Anfälle handelt, ist umstritten. Früh- und Spätanfälle sind einfache fokale motorische Anfälle oder fokale Anfälle, die in einen generalisiert tonisch-klonischen Anfall übergehen [4, 5]. Komplex fokale Anfälle treten nur selten auf. Bis zu 10 % der Patienten mit einem SHT entwickeln einen

15.5 Posttraumatische epileptische Anfälle und Epilepsien | 419

Status epilepticus [4, 6]. Ein Status epilepticus (SE) ist ein prolongierter epileptischer Anfall bzw. durch rezidivierende, d. h. mindestens zwei epileptische Anfälle ohne zwischenzeitliche Wiedererlangung des vorbestehenden neurologischen Befundes in einem umschriebenen Zeitraum gekennzeichnet. Da eine spontane Terminierung des oder der epileptischen Anfälle nach 5 Minuten unwahrscheinlich ist, sollte spätestens nach 5 Minuten von einem SE ausgegangen werden [7]. Im Rahmen des SHT sind Status einfach fokaler motorischer Anfälle, generalisiert tonisch-klonischer Anfälle (konvulsiver Status) und Status komplex fokaler Anfälle (nonkonvulsiver Status) möglich.

15.5.2 Inzidenz Genaue Angaben zur Inzidenz posttraumatischer Anfälle und Epilepsien liegen nicht vor [8]. In populationsbasierten Studien konnte gezeigt werden, dass die Gesamtinzidenz für posttraumatische Anfälle und Epilepsien bei 2–2,5 % liegt. Bei Patienten mit schwerem SHT (Glasgow Coma Scale ≤ 8 Punkte) liegt die Gesamtinzidenz für posttraumatische Anfälle und Epilepsien bei 10–15 % für Erwachsene und bei 30–35 % für Kinder [9]. Die Inzidenz von Spätanfällen mit einer posttraumatischen Epilepsie ist bei schwerem SHT 7,7 % im 1. Jahr und 13,3 % in den ersten 5 Jahren. Bei leichtem SHT (Glasgow Coma Scale 14–15 Punkte) dagegen zeigt sich kein wesentlicher Unterschied zur allgemeinen Inzidenz der Epilepsien [9]. Insbesondere Patienten mit penetrierenden Hirnverletzungen haben bis zu 15 Jahre lang ein erhöhtes Risiko, an Spätanfällen zu erkranken [10]. Bei Patienten mit nichtpenetrierenden Hirnverletzungen ist dieses Risiko nach 5 Jahren nicht mehr erhöht.

15.5.3 Risikofaktoren Das Ausmaß der Hirnverletzung ist entscheidend für das Auftreten von posttraumatischen Anfällen. Zusätzlich wird das Risiko durch subdurale Hämatome, intrazerebrale Hämatome, kortikale Verletzungen, hämorrhagische Kontusionen und Impressionsfrakturen mit Durariss erhöht. Vom Ort der Verletzung her ist die Zentralregion am risikoreichsten [11, 12]. Des Weiteren ist ein Alkoholentzug, unabhängig von der Schwere des SHT, ein Risikofaktor für Früh- und Spätanfälle [1, 13].

15.5.4 Diagnostik Das SHT an sich macht schon eine bildgebende Diagnostik des Gehirns notwendig, unabhängig davon, ob es zu Anfällen kommt oder nicht. Das heißt, es sollte mindestens ein kraniales Computertomogramm mit Kontrastmittel, besser eine zerebrale

420 | 15 Spätfolgen, Sekundärerkrankungen

Magnetresonanztomographie (cMRT) zur Abklärung eines posttraumatischen Anfallsgeschehens durchgeführt werden. Der Vorteil der cMRT liegt in der besseren Darstellung nichthämorrhagischer Kontusionen, besonders fronto- und temporobasal [8]. Bei unauffälliger Bildgebung und Vorliegen von Frühanfällen ist eine Liquordiagnostik obligat, weil bei Frühanfällen meist von einer schweren Hirnverletzung auszugehen ist [8]. Das EEG spielt in der Akutphase des SHT eine untergeordnete Rolle, weil bei Auftreten von epileptischen Anfällen nach klinischen Kriterien behandelt wird. Eine Ausnahme stellt der Verdacht auf einen nonkonvulsiven Status dar. Bei Spätanfällen ist das EEG zur Diagnosestellung und zur Abgrenzung psychogener, nichtepileptischer Anfälle notwendig.

15.5.5 Behandlung 15.5.5.1 Frühestanfälle Die Frühestanfälle, die nach einem leichten SHT (concussive convulsions) häufig bei Sportunfällen auftreten, bedürfen keiner medikamentösen Therapie [2].

15.5.5.2 Prophylaxe und Therapie der Frühanfälle Die schädliche Wirkung von epileptischen Anfällen auf das traumatisierte Gehirn mit gesteigerter Hirnperfusion, erhöhtem zerebralen Metabolismus mit Laktatproduktion und Azidose sowie Freisetzung von exzitatorischen Neurotransmittern ist bekannt. Generalisierte tonisch-klonische Anfälle führen außerdem zu einem erhöhten intrakraniellen Druck und zur Beeinträchtigung der Atmung mit Hypoxämie und Hyperkapnie. Dieser Mechanismus kann zur Zunahme des Hirnödems und zur weiteren Hirnschädigung führen [8]. Außerdem kann sich der Patient im Anfall weitere Verletzungen zuziehen. Deshalb sollte bei mittelschweren und schweren Schädel-Hirn-Traumen eine antikonvulsive Prophylaxe mit möglichst intravenöser schneller Aufdosierung durchgeführt werden. In Studien konnte die Wirksamkeit von Phenytoin, Carbamazepin und Levetiracetam nachgewiesen werden [14–16]. Da Phenytoin und Levetiracetam intravenös verabreicht werden können, wird man eines dieser beiden Präparate bevorzugen [15]. In den letzten Jahren wird zunehmend Levetiracetam verwendet [17]. Zusätzlich können Benzodiazepine eingesetzt werden, die aber sedierend wirken und die neurologische Verlaufsbeurteilung erschweren können. Die Prophylaxe und Therapie von Frühanfällen sollte nach 1 Woche oder spätestens nach Abklingen der akuten Effekte des Schädel-Hirn-Traumas beendet werden, weil die Prävention und Behandlung der Frühanfälle keinen Einfluss auf die Entwicklung von Spätanfällen und damit einer posttraumatischen Epilepsie hat [15].

15.5 Posttraumatische epileptische Anfälle und Epilepsien | 421

15.5.5.3 Status epilepticus Da ein Status epilepticus meist in der 1. Woche nach dem SHT auftritt und damit den Frühanfällen zuzurechnen ist, soll seine Behandlung hier besprochen werden. Alle im Rahmen des SHT auftretenden Status epileptici sollten auf der Intensivstation wie ein Status generalisiert tonisch-klonischer Anfälle behandelt werden (Tab. 15.6), d. h. initial Benzodiazepine, vorzugsweise Lorazepam 0,05 mg/kg i.v. mit einer Infusionsgeschwindigkeit von 2 mg/min. Die Gabe kann bei Persistenz des SE ggf. nach 5 Minuten wiederholt werden, um dann die Maximaldosis von ca. 0,1 mg/kg zu erreichen. Alternativ kommen bei Nichtverfügbarkeit Clonazepam 0,015 mg/kg i.v. (0,5 mg/min, ggf. nach 5 Minuten wiederholen, max. ca. 3 mg) oder Diazepam 0,15 mg/kg i.v. (5 mg/min, ggf. nach 5 Minuten wiederholen, max. ca. 30 mg) infrage. Parallel zur Gabe eines Benzodiazepinpräparats sollte über einen separaten venösen Zugang eine Schnellaufsättigung mit Phenytoininfusionskonzentrat 20 mg/kg i.v. (max. 50 mg/min, max. 30 mg/kg) erfolgen. Für die Weiterbehandlung Tab. 15.6: Therapie des Status generalisiert tonisch-klonischer Anfälle (Grand-mal-Status) auf der Intensivstation (modifiziert nach [7, 15, 17]). Abfolge

Therapeutische Schritte

1. (Behandlungsbeginn)

Intravenöse (i.v.) Lorazepaminjektion (LZP, 0,05 mg/kg) mit einer Geschwindigkeit von nicht mehr als 2 mg/min bis die Anfälle sistieren oder eine Gesamtdosis von 0,1 mg/kg erreicht ist, oder 0,015 mg/kg Clonazepam (CZP) i.v. mit einer Geschwindigkeit von 0,5 mg/min, max. ca. 3 mg, oder Diazepam (DZP, 0,15 mg/kg) i.v. mit einer Geschwindigkeit von 5 mg/min, max. ca. 30 mg. Parallel zur LZP-, CZP- oder DZP-Gabe werden über einen separaten i.v. Zugang 20 mg/kg Phenytoininfusionskonzentrat (PHT) mit max. 50 mg/min, max. 30 mg/kg, infundiert (Cave: Blutdruckabfall, Arrhythmien). Es sollte ein PHT-Spiegel von 20–25 μg/ml angestrebt werden.

2.

Falls der Status nach 30 min, spätestens 60 min, nach adäquater Benzodiazepin(LZP, CZP, DZP) und Phenytointherapie nicht beherrscht wird, ist eine Midazolam-, Propofol- oder Thiopentalnarkose unter Intubation und assistierter Beatmung notwendig. Eine Midazolaminfusion wird als Bolus mit 0,2 mg/kg i.v. begonnen und mit 0,1–0,5 mg/kg/h für 24 h unter EEG-Kontrolle weitergeführt. Bei Propofol, Bolusinjektion von 2 mg/kg, dann 4–10 mg/kg/h für 24 h unter EEG-Kontrolle. Wird Thiopental gewählt, Bolusinjektion von 5 mg/kg i.v., dann 3–7 mg/kg/h über Infusionspumpe für 24 h unter EEG-Kontrolle. Kontinuierliche EEG-Kontrollen sind obligat, ein Burst-Suppression-Muster im EEG wird angestrebt. Nach 24 h langsame Reduktion des jeweiligen Narkosemittels, bei erneuten epilepsietypischen Potenzialen oder Anfallsmustern im EEG kann die Dosis wieder erhöht werden.

3.

Nach Stoppen des Status mit kombinierter Benzodiazepin- (LZP, CZP, DZP) und Phenytointherapie ab dem 2. Tag Weiterbehandlung mit Phenytoin nach Plasmaspiegel (Ziel 20–25 μg/ml), in allen anderen Fällen Konsultation eines Epileptologen/Neurologen zur Frage der weiteren Behandlung.

422 | 15 Spätfolgen, Sekundärerkrankungen

sollte ein Phenytoinspiegel von 20–25 μg/ml angestrebt werden. Wenn der SE mit der Kombinationstherapie aus Benzodiazepinpräparat und Phenytoin nach 30 Minuten, spätestens 60 Minuten, nicht durchbrochen werden kann, ist die Intubation und die Narkose mit Midazolam, Propofol oder Thiopental notwendig [7]. Ist der Status epilepticus erfolgreich behandelt, wird man die antikonvulsive Therapie bei einem Status im Rahmen von Frühanfällen auch nach 1 Woche oder spätestens nach Abklingen der akuten Effekte des SHT beenden. Bei Auftreten eines Status epilepticus 1 Woche nach dem SHT handelt es sich um eine posttraumatische Epilepsie, die mindestens 2 Jahre antikonvulsiv behandelt werden muss.

15.5.5.4 Spätanfälle und posttraumatische Epilepsien Da es sich bereits bei Auftreten des ersten Spätanfalls um eine Epilepsie handelt und die Gefahr, ohne Behandlung weitere Spätanfälle zu erleiden, sehr hoch ist, sollte bereits nach dem ersten epileptischen Anfall behandelt werden. Eingesetzt werden können alle gegen fokale Epilepsien zugelassenen Antikonvulsiva, wobei man nichtenzyminduzierende Präparate wie z. B. Levetiracetam oder Lamotrigin vorziehen wird [18]. Die Dauer der Therapie sollte sich dann nach der Art der Verletzung und dem Krankheitsverlauf richten und mindestens 2 Jahre betragen. Dann muss individuell über die Weiterführung der Therapie entschieden werden. Bei Pharmakoresistenz der posttraumatischen Epilepsie ist auch eine präoperative Epilepsiediagnostik mit evtl. nachfolgender epilepsiechirurgischer Behandlung indiziert.

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Bernd Frank

16 Frührehabilitation und berufliche Wiedereingliederung 16.1 Das Modell der „neurologisch/neurochirurgischen Rehabilitation“ 16.1.1 Einleitung Die Rehabilitation des Schädel-Hirn-Verletzten ist ein wesentlicher Bestandteil der neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation (NNCHFR) in Deutschland. Diese junge Disziplin im Kontext der klinischen Neurologie und der Neurochirurgie nahm in den letzten 30 Jahren in Deutschland einen stürmischen Aufschwung. Sie ist aktuell nur zu einem geringen Teil in den Ausbildungscurricula der Landesärztekammern zur Erlangung der Facharztbezeichnung abgebildet. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es ca. 49 spezialisierte neurologisch-neurochirurgische Kliniken bzw. eigenständige Abteilungen. In einigen Bundesländern wie z. B. Mecklenburg-Vorpommern können diese zusätzlichen Zentren einen spezialisierten Versorgungsauftrag, nämlich – Versorgung schwerst „Schädel-Hirn-Verletzter“ – im Rahmen der Krankenhausbehandlung aufweisen. Die ärztliche Leitung dieser Kliniken obliegt nach dem Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) 8-552 [1] ausdrücklich Fachärzten für Neurologie bzw. Neurochirurgie, die nach Abschluss ihrer Facharztausbildung eine mindestens 3-jährige Spezialisierung in leitender Position absolviert haben müssen. Eine Zusatzbezeichnung „Sozialmedizin“ bzw. „Rehabilitationswesen“ ist obligat. Ursprünglich wurde mit „Rehabilitation“ die Wiederherstellung der Rechte eines zisterziensischen Ordensmitglieds im 15. Jahrhundert bezeichnet [2]. Das lateinische „Habilis“ bedeutet von seiner Wortwurzel „tauglich“ bzw. „geeignet“. Auf die heutigen Verhältnisse übertragen, fasst der Begriff jene Rehabilitationsmaßnahmen zusammen, welche es einem Patienten ermöglichen, ein maximales Maß an physischer und psychischer Unabhängigkeit zu erlangen. Die NNCHFR bildet Anteile der neurologisch-neurochirurgischen Weiterbildung zum Facharzt und Aspekte der Intensivmedizin, der kognitiven Neuropsychologie, der klinischen Neurophysiologie und Neuroradiologie mit Schwerpunkt im Bereich der neuronalen Plastizität und der Psychiatrie ab. Weitere wichtige Inhalte betreffen die Sozialmedizin und das Rehabilitationswesen. Frommelt [3] weist darauf hin, dass man „den roten Faden durch die Geschichte der Neurorehabilitation vergebens sucht“ und führt weiterhin aus, dass es nicht „den Ariadnefaden, sondern eine Unzahl von Fäden gibt, die sich durch die Geschichte eines so jungen Gebietes wie der Rehabilitation von Menschen mit neurologischen Erkrankungen ziehen.“ Diese Ausführungen betreffen nicht nur die Neurorehabilitahttps://doi.org/10.1515/9783110366853-018

426 | 16 Frührehabilitation und berufliche Wiedereingliederung

tion als Fach insgesamt, sondern im speziellen Maße auch die (Früh-)Rehabilitation von Patienten mit schweren Schädel-Hirn-Verletzungen. Anfänge der neurologischen/neurochirurgischen Rehabilitation treten erstmals in der Zeit des Ersten Weltkrieges zutage. Durch eine hohe Anzahl hirnverletzter Soldaten bestand die Notwendigkeit, eine umfassende medizinische und psychologische Rehabilitation aufzubauen. Die zu der damaligen Zeit erforderliche Beschäftigung mit den mentalen Folgen von Hirnverletzungen wurde von Nervenärzten betrieben. Das junge Gebiet wurde damals Hirnpathologie genannt und ist im Wesentlichen als Vorgänger der modernen Neuropsychologie zu sehen. Bereits während des Ersten Weltkrieges nahm die neurologisch-neurochirurgische Rehabilitation ihre ersten institutionalisierten Formen an. Wegen der großen Anzahl von Kopfschussverletzungen wurden Einrichtungen zur Hirnverletztenrehabilitation in Deutschland und Österreich zur intensiven Rehabilitationsbehandlung von Kriegsversehrten unter stationären Bedingungen geschaffen. Durch Ottfried Foerster, der eine zentrale Rolle in der deutschen Neurologie bzw. dem späteren Fach der Neurochirurgie spielte, wurde in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts ein richtungweisendes Behandlungskonzept für schwerst Hirn- und Nervenverletzte geschaffen [4, 5]. Neben der Rehabilitation motorischer Störungen wurden in den Hirnverletztenlazaretten auch psychologische Labore zur Untersuchung und Prüfung der Leistungsund Berufsfähigkeit der verletzten Soldaten etabliert. Eine besondere Stellung in diesem Konzept nahm das Hirnverletzten-Institut in Frankfurt/M. unter der Leitung von K. Goldstein unter Mitarbeit von A. Gelb [6] ein. Im Fokus ihrer wissenschaftlichen Betrachtungsweise stand die Person mit ihrer Haltung und ihren Bemühungen, individuelle Verluste auszugleichen. In die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und den folgenden Jahren fallen die Arbeiten des russischen Neuropsychologen A. Luria [7], dessen grundlegende Arbeiten zur Psychologie heute aus der klinischen Neuropsychologie und der neurologischneurochirurgischen Rehabilitation nicht wegzudenken sind. In den letzten 40–50 Jahren stieg durch die Einführung moderner präklinischer und klinischer medizinischer Notfall- und Akutversorgung von neurologischneurochirurgischen Patienten und hier insbesondere von schwerst Schädel-Hirnverletzten Patienten die Überlebenschance und der Anteil überlebender Patienten erheblich an. Jedem auf einer Intensivstation tätigen Neurologen oder Neurochirurgen sind Situationen geläufig, bei denen Patienten so schwer krank sind, dass sie in „normale“ Rehabilitationskliniken nicht verlegbar sind. An der Nahtstelle zwischen Akutklinik und Frührehabilitation fehlte bis in die 1980iger-Jahre eine Struktur, die diese Patienten versorgen konnte. Erste Kliniken in Deutschland, die sich dem Konzept der NNCHFR widmeten, waren beispielsweise die BDH-Klinik Hessisch-Oldendorf oder die Schmieder Kliniken in Gailingen. In den folgenden Jahren wurden dort Frührehabilitationskonzepte zur Betreuung schwerstkranker neurologisch-neurochirurgischer Patienten entwickelt und etabliert.

16.1 Das Modell der „neurologisch/neurochirurgischen Rehabilitation“ |

427

Seit Anfang der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts spielte die ZNS – Hannelore Kohl Stiftung für Unfallopfer mit Verletzungen des zentralen Nervensystems eine maßgebliche Rolle zur Versorgung von Patienten mit erworbenen schwersten SchädelHirn-Verletzungen. Seit 2005 fördert die ZNS – Hannelore Kohl Stiftung für Verletzte mit Schäden des zentralen Nervensystems intensiv Forschungsprojekte im Bereich der neurologisch-neurochirurgischen (Früh-)Rehabilitation und versteht sich als zentrales Organ in der Beratung schwerst Schädel-Hirn-verletzter Patienten und deren Familien. Somit ist seit den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts einerseits eine zunehmende Etablierung von neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitationskliniken und andererseits eine engagierte Stiftungsarbeit der ZNS – Hannelore Kohl Stiftung zu verzeichnen, die gemeinsam zu einer zunehmenden Etablierung von Beratungs- und Rehabilitationsstrukturen für Patienten mit schweren erworbenen Schädel-Hirn-Verletzungen anzusehen sind. Mit der steigenden Anzahl von intensivpflichtigen Patienten und komplikationsträchtigen Verläufen einerseits sowie der Anzahl eng begrenzter intensivmedizinischer Kapazitäten andererseits entstand Ende der 1990er-Jahre das Konzept der „Intensivmedizinischen Frührehabilitation“ (IMFR), das konsequent seit 1998 in der HELIOS Klinik Leezen aufgebaut wurde. Schwerpunkt dieser IMFR ist die Übernahme von kritisch-kranken Patienten zu einem sehr frühen Zeitpunkt ihrer Erkrankung. Hier spielt die Parallelität von intensivmedizinischen Strukturen einerseits sowie intensiver frührehabilitativer Expertise andererseits eine zentrale Rolle. Durch die Einführung des DRG-Systems (2003) kam es zu einer massiven Verkürzung der mittleren Verweildauer sowohl in den Kliniken als auch im besonderen Maße auf den Intensivstationen. Dies machte in den letzten 15 Jahren eine rasche Verlegung schwerstkranker noch beatmungspflichtiger Patienten in spezialisierte Abteilungen und Kliniken erforderlich.

16.1.2 Das Phasenmodell der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) Seit den 1990er-Jahren hat sich die Frührehabilitation bzw. die IMFR als Subdisziplin der NNCHFR stürmisch entwickelt. Initial hierfür verantwortlich war die zwingend erforderliche Weiterversorgung schwerst Schädel-Hirn-Verletzter in Deutschland. In den Jahren 1994 und 1995 [8] erlitten 280.000 Menschen ein Schädel-Hirn-Trauma. Hiervon verblieben 4.500 Menschen pflegebedürftig. Aktuell ereignen sich 250.000 SHT in Deutschland, wobei 2.750 Menschen versterben. Die Gesamtkosten, die durch ein Schädel-Hirn-Trauma verursacht werden, belaufen sich auf 2,8 Milliarden Euro/Jahr [9]. Um die Zahl der (schwerst) pflegebedürftigen Patientinnen und Patienten zu senken und zum Erreichen einer Lebensqualität sowie den Umfang nötiger Pflege zu vermindern, wurden in den 1990er-Jahren spezielle Stationen und Kliniken geschaffen, die sich dieser Aufgabe widmen.

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Tab. 16.1: Patientenkriterien Phase B/C nach BAR. Eingangskriterien Phase B

Eingangskriterien Phase C

– Abgeschlossene Akutversorgung. – Eine Operation ist aktuell nicht erforderlich. – Keine (drohende) Hirndrucksteigerung. – Keine Sepsis, keine Osteomyelitis. – Nicht mehr (kontrolliert) beatmet. – Herz/Kreislauf im Liegen stabil. – Unfähig zur kooperativen Mitarbeit. – Voll von pflegerischer Hilfe abhängig. – In der Regel Sondenernährung nötig. – In der Regel Blasen-/Darminkontinenz. – Unter Umständen Gefährdung durch psychische Störung. – Bestehende Begleiterkrankungen dürfen Mobilisierung nicht verhindern.

– Der Patient ist überwiegend bewusstseinsklar, kommt einfachen Aufforderungen nach. Seine Handlungsfähigkeit reicht aus, um an mehreren Therapiemaßnahmen täglich von je etwa 30 min Dauer aktiv mitzuarbeiten. – Der Patient ist kommunikations- und interaktionsfähig (ggf. unter Verwendung von Hilfsmitteln). – Der Patient ist teilmobilisiert (z. B. längere Zeit kontinuierlich 2–4 Stunden im Rollstuhl verbringend). – Für alltägliche Verrichtungen weitgehend auf pflegerische Hilfe angewiesen. – Der Patient bedarf keiner intensivmedizinischen Überwachung/Therapie, weil praktisch keine Gefahr für lebensbedrohliche Komplikationen mehr besteht (vital-vegetative Stabilität). – Der Patient ist nicht mehr beatmungspflichtig. – Bestehende Begleiterkrankungen dürfen eine Mobilisierung nicht verhindern. – Es besteht keine konkrete Selbst- und Fremdgefährdung (z. B. durch Weglauftendenz, aggressive Durchbrüche) und keine schwere Störung des Sozialverhaltens. – Kleingruppenfähigkeit (3–5 Patienten) muss vorliegen und darf nicht durch schwere Verhaltensstörungen gefährdet werden. Diese sollten nicht nur kurzfristig beeinflussbar sein.

Die BAR veröffentlichte erstmals 1995 die „Empfehlungen zur neurologischen Rehabilitation von Patienten mit schweren und schwersten Hirnschäden in den Phasen B und C“ [10]. Die Phase A wird nach BAR-Kriterien als Akutbehandlung unmittelbar im Anschluss an das Akutereignis (Schädel-Hirn-Trauma) verstanden. Unter dem Begriff der Frührehabilitation wird die Phase B nach Definition der BAR verstanden. Synonym wird für die Phase B nach BAR-Modell bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften der Begriff Phase 1B benutzt. Die Eingangskriterien der Phasen B und C sind in Tabelle 16.1 wiedergegeben. Diese Eingangskriterien der Phase B beinhalten definitionsgemäß, dass in dieser Phase intensivmedizinische Behandlungsmöglichkeiten vorgehalten werden müssen. Die Verlegungskriterien aus der Phase B in die Phase C entsprechen somit auch den Aufnahmekriterien der Phase C. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass die Phase C synonym mit dem Begriff der sog. postprimären Rehabilitation“ gebraucht wird. Unter der Phase D wird im klassischen Sinne die Anschlussheilbehandlung (AHB) verstanden. Dieses Verfahren wurde 1977 zur Verbesserung der medizinischen Rehabilitation gemeinsam von den Rentenversicherungsträgern

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429

und den gesetzlichen Krankenkassen eingeführt. Zum damaligen Zeitpunkt lag die Besonderheit dieses Verfahrens in der engen zeitlichen Anbindung an die vorausgegangene Krankenhausbehandlung und dem in der Regel höheren Schweregrad der zugrunde liegenden Erkrankung und ihrer Folgen. Grundsätzlich muss bei dem Erkrankten, der sich nach der Akutphase in der Stabilisierungsphase befindet, die sog. AHB-Fähigkeit gegeben sein. Dies bedeutet, dass der Patient früh mobilisiert sein muss. Das heißt, der Patient muss in der Lage sein, sämtliche Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) selbstständig durchzuführen. Die AHB sollte sich unmittelbar an den Abschluss der akutstationären Behandlung anschließen. Auch eine Überleitung aus der Phase C ist möglich. Die medizinisch-berufliche Rehabilitation (mbR) beinhaltet Maßnahmen wie die Belastungserprobung, Arbeitstherapie, Berufsfindung und berufliche Rehabilitation in sog. Phase-II-Einrichtungen. In der täglichen Praxis findet die Zuweisung der Patienten in die Phase F (Zustandserhaltende Pflege) meist aus spezialisierten Kliniken der Phase B statt. Die Abbildung 16.1 gibt das Phasenmodell der BAR wieder. Der Anspruch dieses Phasenmodells ist letztendlich die Darstellung einer geschlossenen Behandlungskette neurologisch-neurochirurgischer Patienten. Selbstverständlich wird in der Realität diese Behandlungskette nicht immer von der Phase A bis zur Phase D durchlaufen. Prinzipiell gibt es die Möglichkeit einer Überleitung vom Akutkrankenhaus, je nach Ausprägung des Schweregrades, entweder in die Phase B (Frührehabilitation), C (postprimäre Rehabilitation) oder in die Phase D (Anschlussheilbehandlung). Im Folgenden werden die Kostenträgerstrukturen und die Überleitungsmöglichkeiten von Patienten in neurologisch-neurochirurgische Kliniken nach dem Phasenmodell dargestellt. Angesichts des komplexen Sachverhalts verschiedener Sozialleistungsträger (Krankenkassen, Rentenversicherungsträger, Berufsgenossenschaften, Arbeitsämter etc.) wird eine für die Praxis vereinfachte, aber in den meisten Fällen gültige Verfahrensweise geschildert. Grundsätzlich wird die NNCHFR (Phase B) von den Kostenträgern leistungsrechtlich in der Mehrheit als Krankenhausbehandlung (§ 39 bzw. § 108 SGB V) definiert. In Deutschland finden sich jedoch zwischen den Bundesländern unterschiedliche Verfahrensweisen. Dies führt dazu, dass in der Mehrheit der Bundesländer die bettenführenden Kliniken nach Landeskrankenhausplan ausgewiesen sind, dies zum Teil mit Spezialaufträgen wie „Versorgung schwerst Schädel-Hirn-Verletzter“ oder „Versorgung Querschnittsverletzter“. Das bedeutet in der konkreten Situation zwischen verlegendem Krankenhaus/verlegender Intensivstation in die spezialisierte Klinik/Abteilung, dass es sich um eine Krankenhausdirektverlegung handelt. Ein vorheriger Kostenübernahmeantrag durch die Krankenkassen ist nicht erforderlich. Demgegenüber findet sich in manchen Bundesländern (z. B. Nordrhein-Westfalen) ein Zuweisungsverfahren in der Phase B über den § 40 SGB V. Dies bedeutet, dass eine Verlegung des Patienten ohne Zustimmung der gesetzlichen Krankenversicherung

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Akutereignis (Schlaganfall, SHT u.a.) Phase A Akutbehandlung, ggf. intensivmedizinische Behandlung (Normal-, ggf. Intensivstation) Phase B Patient schwer bewusstseinsgestört, kurativmedizinische Diagnostik und Behandlung, rehabilitative Einzelförderung Pflege-Abteilung/Station Phase C Patient kooperativ, z.T. pflegeabhängig, umfassende rehabilitative Therapie Pflege-Abteilung/Station Phase D Patient ist frühmobilisiert, umfassende Therapie Phase F unterstützende, betreuende und/oder zustandserhaltende Maßnahmen

Phase E nachgehende Rehabilitationsleistungen und berufliche Rehabilitation

Abb. 16.1: Phasenmodell der BAR (Quelle: BAR-Rahmenempfehlung).

bzw. einer Prüfung und Empfehlung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) nicht stattfindet [11]. Für die Zuweisung eines Patienten aus dem Akutkrankenhaus bzw. der Phase B in eine Phase C nach BAR ist eine Kostenübernahme durch eine Krankenkasse erforderlich. Die gesetzliche Krankenversicherung behält sich die alleinige Steuerung vor. Eine Besonderheit der leistungsrechtlichen Zuordnung der Phase C besteht in der Erhebung des sog. Reha-Assessments. Dieses soll spätestens bis zum 10. Kalendertag nach Aufnahme in der Klinik erhoben werden. Die Krankenversicherung erteilt der Reha-Klinik eine vorläufige Kostenzusage für mindestens 4 Wochen. Das Reha-Assessment dient der Beurteilung der Verlaufsprognose, der Erwerbsprognose, des Reha-Potenzials, der Definition der Reha-Ziele sowie der Alltags- und Berufskompetenz des Patienten. Wird im Rahmen dieses Reha-Assessments eine posi-

16.1 Das Modell der „neurologisch/neurochirurgischen Rehabilitation“ |

431

tive Erwerbsprognose gestellt, „übernimmt die Rentenversicherung bei Vorliegen der übrigenLeistungsvoraussetzungen die Kosten für die Reha-Maßnahme in der Phase C einschließlich des für das neurologische Reha-Assessment erforderlichen Begutachtungszeitraumes“ [10]. Kann durch das Reha-Assessment keine positive Erwerbsprognose gestellt werden, ist die Krankenversicherung weiterhin für die Phase-C-Behandlung in der Leistungspflicht. Eine Zergliederung in mehrere Kostenträger findet sich demgegenüber im berufsgenossenschaftlichen Verfahren nicht. Die Berufsgenossenschaft ist im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags für die gesamte Behandlung eines Patienten einschließlich Pflegeleistungen und beruflicher Wiedereingliederung bzw. Förderung zuständig. Bezüglich des Behandlungs-/Rehabilitationszeitraums für die Phasen B und C sei auf die „Empfehlung zur Neurologischen Rehabilitation von Patienten mit schweren und schwersten Hirnschädigungen in den Phasen B und C“ [10] verwiesen. Der Behandlungszeitraum der Phase B beträgt bis zu 6 Monaten, bei besonderer medizinischer Indikation und Prognose kann auch länger behandelt werden. Der Behandlungszeitraum der Phase C beinhaltet in der Regel eine 8-wöchige Beobachtungsphase zur Klärung des Reha-Potenzials und kann bis zu 6 Monaten, bei besonderer medizinischer Indikation und günstiger Prognose auch länger dauern. Der Abbruch der Phase C erfolgt, wenn über mindestens 8 Wochen kein funktioneller Zugewinn feststellbar ist. Die Versorgungsrealität in Deutschland ist jedoch eine andere. Aktuell lag der Median der Behandlungsdauer in der Phase B bei 57 Tagen [11, 12], es muss jedoch von einer weiterhin stattfindenden Verkürzung der stationären Behandlungsdauer ausgegangen werden.

16.1.3 Diagnosis Related Groups (DRG) in der neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation (NNCHFR) Wie im Abschnitt 16.1.2 dargestellt, ist die neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitation eine Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V. Dies führte 2006 zur Einführung von Diagnosis Related Groups (DRG) in die NNCHFR. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass es in Deutschland auch spezialisierte Kliniken gibt, die in der Phase B leistungsrechtlich dem Akutbereich (Krankenhausbehandlung) nach § 39 SGB V zugeordnet, aber außerhalb des DRG-Systems als „Besondere Einrichtung“ dargestellt sind. Dies liegt in der Regel an der Patientencharakteristik und dem Schweregrad der behandelten Patienten. Mit Einführung der DRG in die NNCHFR [13] erfolgte auch die Implementierung eines Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS). Für die neurologischneurochirurgische Frührehabilitation wurde die OPS 8-552 entwickelt. Dieser ist in Tabelle 16.2 wiedergegeben. Immer wieder gibt es Konfliktpotenzial bzgl. der Einordnung der Patienten in das Phasenmodell der NNCHFR einerseits sowie der Behandlungsdauer andererseits mit

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Tab. 16.2: Anforderungen des OPS 8-552 „Neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitation“. 8-559 Fachübergreifende und andere Frührehabilitation – Frühreha-Team – Leitung Facharzt Neurologie oder Neurochirurgie, Physikalische und rehabilitative Medizin oder Kinder- und Jugendmedizin mit der Zusatzbezeichnung Neuropädiatrie und mindestens 3-jährige Frühreha-Erfahrung in leitender Funktion – kontinuierlicher neurologischer oder neurochirurgischer Sachverstand – Standardisiertes Frülırehabilitations-Assessment – Frühreha-Barthel-Index bis maximal 30 Punkte zu Beginn – Vorhandensein von mindestens vier Therapiebereichen – wöchentliche Teambesprechung mit Dokumentation – aktivierend-therapeutische Pflege durch besonders geschultes Pflegepersonal – Physiotherapie, Physikalische Therapie, Ergotherapie, Neuropsychologie, Logopädie – Entlassungsassessment zur gezielten Entlassung oder Verlegung des Patienten Mindestens 300 Therapieminuten täglich durch besonders geschultes Personal

dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung. In der Realität reichen die BARKriterien allein nicht, um eine eindeutige Zuordnung des Patienten zu einer Phase zu gewährleisten. Vielmehr stehen hierfür Assessments zur Verfügung, die seit Jahren in der täglichen Routine Anwendung finden und validiert sind [14–16]. Mit Einführung des DRG-Systems in Deutschland kam es zu einer massiven Verkürzung der Krankenhausverweildauern und insbesondere der Verweildauern auf den Intensivstationen. Dieser Umstand verschärfte letztendlich die Situation dahin gehend, dass Patienten, die einer NNCHFR bedürfen, im Laufe der Jahre mit zunehmend ausgeprägten Defiziten und Begleitkomplikationen in spezialisierten Kliniken aufgenommen wurden. Bereits im Jahr 2002 waren 17 % der Patienten, die in spezialisierten Phase-B-Einheiten aufgenommen wurden, beatmet [12]. Dieser Prozentsatz ist aktuell deutlich höher [18]. Eigene Zahlen belegen derzeit eine Größenordnung von 30 % [19, 20].

16.2 Struktur- und Prozessqualität in der (intensivmedizinischen) Frührehabilitation (IMFR) 16.2.1 Patientenkriterien Das Phasenmodell der BAR definierte 1995 die Eingangskriterien für Patienten der Phase B [10]. Diese sind in Tabelle 16.1 dargestellt. Ein Kriterium lautete: „Der Patient sollte nicht mehr (kontrolliert) beatmet sein.“ Zum damaligen Zeitpunkt stellte die Aufnahme von respiratorabhängigen Patienten in Frührehabilitationseinheiten eine Ausnahme dar. Die Realität der aktuellen Versorgungssituation hat sich innerhalb der letzten 15 Jahre jedoch grundsätzlich gewandelt [18–20]. In spezialisierten Frühreha-

16.2 Struktur- und Prozessqualität in der (intensivmedizinischen) Frührehabilitation | 433

bilitationseinheiten mit Beatmungsmöglichkeit sind aktuell ca. 70 % aller zur Frührehabilitation angemeldeten Patienten respiratorabhängig [20]. Bezogen auf die tatsächliche Anzahl von beatmungspflichtigen Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma sind 25 % aller Patienten, die wegen eines Schädel-Hirn-Traumas in einer Frührehabilitationsklinik behandelt werden, beatmungspflichtig. Die mittlere Beatmungszeit dieser Patientenklientel liegt bei 13,8 Tagen [18, 20]. Somit stellt eine der zentralen Aufgaben der IMFR die Entwöhnung vom Beatmungsgerät (Weaning) dar. Keinesfalls ist diese spezialisierte Kompetenz im Rahmen der IMFR zu vergleichen mit Weaning-Zentren pulmonologischer Kliniken. Dies wird durch die unterschiedlichen Patientencharakteristika bzw. den Ausprägungsgrad der Schädigung neurologisch-neurochirurgischer Patienten und deren Komorbidität deutlich. Die IMFR stellt einen spezialisierten Teil der neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation dar. Sie muss sowohl die strukturellen Voraussetzungen als auch die Prozessqualität zur Versorgung schwerstkranker Patienten kontinuierlich 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr gewährleisten. Nicht jede Klinik für NNCHFR ist in der Lage, respiratorabhängige Patienten zu behandeln und vom Respirator zu entwöhnen. Die spezifischen Strukturmerkmale bzgl. Ausstattung und Personal werden gesondert dargestellt. Die Definition der Eingangskriterien der Phase B der BAR spiegelt diese aktuelle Entwicklung nicht wider [10]. Zwei Gründe haben zur raschen Entwicklung spezialisierter Kliniken beigetragen. Der erste Grund beinhaltet das originäre Konzept der Frührehabilitation. Diese muss in der Lage sein, schwerstkranke neurologisch-neurochirurgische Patienten zu einem möglichst frühen Zeitpunkt zu behandeln. Hintergrund dieses Gedankens ist, dass mit einer möglichst frühen spezialisierten Behandlung das Outcome deutlich zu verbessern ist [21]. Der zweite wesentliche Grund ist die drastische Verweildauerverkürzung, die mit Einführung des DRG-Systems auf den Kliniken und insbesondere den Intensivstationen der Akutkrankenhäuser lastet. Dies führt an der Nahtstelle zur Frührehabilitation und hier insbesondere im Bereich der IMFR zu einem massiven Anstieg von schwerstkranken multimorbiden Patienten. Aktuell ist eine Stagnation oder gar Umkehr dieser Entwicklung nicht absehbar. Zentrales Anliegen der IMFR ist eine frühestmögliche Übernahme des Patienten zur Verbesserung des Outcomes. Neben dem Entwöhnen (Weaning) respiratorpflichtiger schwerstkranker Patienten mit Schädigung des zentralen und peripheren Nervensystems gehört die Beherrschung von Komplikationen, die die besonderen Strukturmerkmale einer Krankenhausbehandlung verlangt. Dieser kurativmedizinische Aspekt der Frührehabilitation soll insbesondere die Anzahl der Rückverlegungen von Patienten in Akutkliniken verringern. Aktuell weisen diese Patienten eine erhebliche Morbidität und Komplexität ihres Krankheitsbildes auf. So ist festzustellen, dass ca. 15 % aller Patienten beatmet waren und 40 % ein absaugpflichtiges Tracheostoma

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Tab. 16.3: Strukturqualität intensivmedizinischer Rehabilitation. Rehabilitative Konzepte ständige fachärztliche Präsenz komplettes invasives und nichtinvasives Monitoring differenzierte Beatmungstherapie Dialyse – chronische Hämodialyse – kontinuierliche venovenöse Hämofiltration (CVVH) – Blutgasanalyse und Notfalllabor (POCT) – Notfallendoskopie – – – –

aufwiesen. Die Erkrankungsschwere ist darüber hinaus durch eine sehr hohe Anzahl von Hilfsmitteln charakterisiert [12, 22]. Die hohe Morbidität und die ausgeprägte Immobilität der Patienten beinhalten naturgemäß ein hohes Maß an Komplikationen bzw. vitalen Bedrohungen, die von der Klinik frühzeitig erkannt und versorgt werden müssen. Die Strukturqualität spezialisierter medizinischer Frührehabilitationseinheiten ist in Tabelle 16.3 dargestellt. Die Größe der Zimmer sollte die Mobilisation eines schwerstkranken beatmungspflichtigen Patienten durch mehrere Therapeuten ermöglichen [23, 24]. Die Zugangsmöglichkeit zum Bett muss von drei Seiten bestehen. Die sonstigen Ausstattungscharakteristika einer intensivmedizinischen Frührehabilitationseinheit entsprechen weitgehend den Maßgaben, wie sie aus dem akutmedizinischem Bereich bekannt sind. Hierbei ist ein bettseitiges bzw. ein zentrales Monitoring selbstverständlich wie moderne Intensivrespiratoren, die in der Lage sind, eine differenzierte Beatmungstherapie und folglich auch komplexe Weaning-Strategien umzusetzen. Die personelle Ausstattung (Tab. 16.4) spiegelt auch die Anforderung der OPS 8-552 wider mit mindestens 300 Therapieminuten pro Tag und findet sich bereits in ähnlicher Art und Weise bei Ashley et al. [25]. Tab. 16.4: Übersicht Pflege- und Therapeutenschlüssel. Kern-Team

Erweitertes Team

Intensivmediziner verschiedener Fachrichtungen (1 : 4) Therapeutische Pflege (1 : 2) Physiotherapeuten (1 : 4) Ergotherapeuten (1 : 8) Logopäden (1 : 8) Physikalische Therapie (1 : 16) Psychologe (1 : 16) Ernährungsberatung

Sozialarbeiter Musiktherapeuten Kunsttherapie Masseure Sporttherapeuten MTA

16.2 Struktur- und Prozessqualität in der (intensivmedizinischen) Frührehabilitation | 435

Sowohl die räumliche als auch die personelle Ausstattung mit den entsprechenden Qualifikationen der Teammitglieder sind zentraler Bestandteil der IMFR. Diese dienen der Diagnostik und Behandlung vitaler Bedrohungen. Des Weiteren sind sie für die frühzeitige Erkenntnis häufiger Komplikationen erforderlich und sind somit für die frührehabilitative Behandlung von Patienten mit schweren Schädel-HirnVerletzungen zwingend zu gewährleisten [26].

16.2.2 Assessment-Instrumente und Prozessqualität Assessment definiert einen Evaluationsprozess, bei dem patientenspezifische Probleme in Form von Ursache und Ausmaß erfasst und gemessen werden [27, 28]. Die Einführung von Assessment-Instrumenten erfolgte in der NNCHFR in den 80er- und 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts sehr schleppend. Mit der Entwicklung externer Qualitätssicherungsprogramme, der Einführung des DRG-Systems und insbesondere der OPS 8-552 besteht mittlerweile für die Mehrzahl der neurologischneurochirurgischen Frührehabilitationseinheiten ein standardisiertes Assessment. Die Instrumente werden in der Regel bei Aufnahme, im wöchentlichen Abstand und bei Entlassung des Patienten erhoben. Erfasst und gewertet werden funktionelle Defizite aus den Bereichen Bewusstsein, Kommunikation, Kognition, Mobilität, Selbsthilfefähigkeit, Verhalten und Emotionen. Die gebräuchlichsten Instrumente sind ADL-Skalen (Activities of daily Living) wie der Barthel-Index [14], der ergänzt wird durch den Frühreha-Bartel-Index (FRBI) nach Schönle [16, 17] und den Functional Independence Measure (FIM), der 1987 von Keith [29] entwickelt wurde. Zur Graduierung von Vigilanzstörungen kommen die Glasgow Coma Scale (GCS) oder die Koma-Remissions-Skala (KRS) zur Anwendung [30, 31]. Zur Dokumentation der OPS 8-980 (Intensivmedizinische Komplexbehandlung) müssen zusätzlich intensivmedizinische Scoring-Systeme wie der SAPS II und der TISS 10 [33] täglich dokumentiert werden. Am häufigsten findet der Barthel-Index [14] Einsatz (Tab. 16.5). Dieses Instrument ist gut validiert, und es besteht eine signifikante Korrelation zum Behandlungsaufwand und der Verweildauer in der neurologischen Rehabilitation [34]. Einschränkend ist anzumerken, dass der Barthel-Index eine begrenzte Änderungssensitivität aufweist und kognitive Einschränkungen nicht misst. Der Frühreha-Barthel-Index (FRBI) nach Schönle [16] bildet sieben Items mit Minuspunkten ab (Tab. 16.5). Zur Berechnung des FRBI werden von den positiven Barthel-Index-Punkten die Negativpunkte des FRBI abgezogen. Ein Patient mit einem Barthel-Index (BI) von 40 kann durch die Vergabe einer beaufsichtigungspflichtigen Schluckstörung (–50) oder eines absaugpflichtigen Tracheostomas (–50) der FRBI einen Wert von –10 Punkten erreichen. Dieser Umstand hat eine hohe Bedeutung, weil er Bestandteil der Eingangskriterien für die OPS 8-552 ist.

436 | 16 Frührehabilitation und berufliche Wiedereingliederung

Tab. 16.5: Barthel-Index (BI) als Hamburger Manual und Frühreha-Index (FRI). Barthel-Index 1. Essen und Trinken (mit Unterstützung), wenn Speisen vor dem Essen zurechtgeschnitten werden

Nicht möglich Mit Unterstützung Selbstständig

0 5 10

2. Baden, Duschen

Nicht möglich Mit Unterstützung Selbstständig

0 0 5

3. Persönliche Pflege (Gesicht waschen, kämmen, rasieren)

Nicht möglich Mit Unterstützung Selbstständig

0 0 5

4. An-/Ausziehen (einschließlich Schuhe binden, Knöpfe schließen)

Nicht möglich Mit Unterstützung Selbstständig

0 5 10

5. Stuhlkontrolle

Nicht möglich Mit Unterstützung Selbstständig

0 5 10

6. Harnkontrolle

Nicht möglich Mit Unterstützung Selbstständig

0 5 10

7. Benutzung der Toilette (An-/Auskleiden, Körperreinigung)

Nicht möglich Mit Unterstützung Selbstständig

0 5 10

8. Umsteigen auf den Rollstuhl ins Bett und umgekehrt

Nicht möglich Mit Unterstützung Selbstständig

0 10 15

9. Fortbewegung auf ebenem Untergrund

Nicht möglich Mit Unterstützung Selbstständig

0 10 15

9. Treppen auf-/absteigen

Nicht möglich Mit Unterstützung Selbstständig

0 5 10

Frühreha-Index

ja

nein

1. Beatmung 2. absaugpflichtiges Tracheostoma 3. intensivmedizinisch überwachungspflichtiger Zusatnd 4. beaufsichtigungspflichtige Orientierungsstörung 5. beaufsichtigungspflichtige Verhaltensstörung 6. schwere Verständigungsstörung 7. beaufsichtigungspflichtige Schluckstörung

–50 –50 –50 –50 –50 –25 –50

0 0 0 0 0 0 0

16.3 Das therapeutische Team |

437

Sowohl in der Phase B der NNCHFR als auch in der Phase C kommt das Assessment des FIM [29] zum Einsatz. Hier werden 18 Items auf einer Skala von 1–7 Punkten bewertet, wobei 1 Punkt eine vollständige Unselbstständigkeit und 7 Punkte eine komplette Selbstständigkeit darstellen. Der FIM misst auch kognitive Items [29, 35]. Der Zeitaufwand zur Erhebung des FIM ist erheblich höher als die Erstellung des Barthel-Index nach Hamburger Manual. Die Graduierung des Bewusstseinszustands wird mit der Glasgow Coma Scale [30] ermittelt und nimmt bei der Schweregradermittlung des Schädel-Hirn-Traumas eine zentrale Rolle ein. Als Weiterentwicklung der Glasgow Coma Scale spielt die KomaRemissions-Skala (KRS) [32] bei der Rückbildung von quantitativen Bewusstseinsstörungen eine zentrale Rolle und ist im Vergleich zur GCS änderungssensitiver [31]. Für die Ermittlung der Aufwandspunkte für die intensivmedizinische Komplexbehandlung stehen die beiden intensivmedizinischen Scoring-Systeme SAPS II und TISS 10 zur Verfügung [33]. Darüber hinaus gibt es für verschiedene therapeutische Disziplinen in der Frührehabilitation weitere umfangreiche Assessment-Instrumente [28, 36].

16.3 Das therapeutische Team Dem therapeutischen Team in der NNCHFR gehören im deutschsprachigen Raum folgende Berufsgruppen an: Pflege bzw. therapeutische Pflege, Physiotherapie, physikalische Therapie, Psychologen und Neuropsychologen, Logopädie, Ergotherapie, Sozialdienst/Überleitungsmanagement und der ärztliche Dienst mit diversen Facharztdisziplinen. Hier sind in erster Linie Ärztinnen und Ärzte mit neurologischneurochirurgischer Facharztausbildung und intensivmedizinischen Kenntnissen sowie Intensivmediziner unterschiedlicher Ausbildungsrichtungen zu erwähnen. Gerade in der Frührehabilitation, in der die unterschiedlichsten Berufsgruppen mit einem hohen Qualifikationsgrad beteiligt sind, lassen sich Organisationsformen nicht von inhaltlichen Konzepten trennen. Diese setzen eine geeignete Teamorganisation und eine aufeinander abgestimmte Arbeitsweise voraus [37]. Das therapeutische Team ist definiert als ein interdisziplinäres Team, bei dem eine gemeinsame Zielsetzung im Vordergrund steht, über die sich die Teammitglieder aus verschiedenen Fachdisziplinen verständigen und austauschen müssen. In der NNCHFR definiert das Team anhand der individuellen Stärken und Schwächen des Patienten die Ziele und formuliert eine Strategie zum Erreichen dieser. Die Ziele und Strategien werden mindestens 1-mal wöchentlich (OPS 8-552), bei Bedarf auch häufiger in Form interdisziplinärer Teamvisiten evaluiert und ggf. modifiziert. Den größten Personalanteil in der Frührehabilitation stellt die therapeutisch aktivierende Pflege dar. Eine Unterscheidung in Grund- und Behandlungspflege ist aus aktueller Sicht willkürlich und weist fließende Übergänge auf [38]. Zur Entwicklung verbindlicher Standards wurden in den letzten Jahren Kataloge zur Erfassung von Leistungen der therapeutisch aktivierenden Pflege erstellt. Einen

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dieser Vorschläge stellt der Elzacher Katalog [39] dar, der entsprechende Plausibilitätszeiten der Pflege enthält. Das Spektrum dieser therapeutisch aktivierenden Pflege weist darauf hin, dass innerhalb der nächsten Jahre im Bereich der intensivmedizinischen Frührehabilitation mit einer weiteren Spezialisierung der Pflegenden zu rechnen ist [38]. Diese sind in Tabelle 16.6 zusammengefasst. Tab. 16.6: Therapeutische Pflege in der IMFR. – – – – – – – – – – – – –

Kommunikationsaufbau Wahrnehmungsförderung Orientierungstraining Therapeutische Lagerung Trachealkanülenmanagement Aktivierungstherapie Mobilisierung Schlucktraining Wasch-, Ess- und Anziehtraining Kontinenztraining Koordination therapeutischer Maßnahmen Wundmanagement Beatmungsmanagement

Der therapeutisch aktivierenden Pflege kommt somit eine wichtige und zentrale Rolle im Bereich des therapeutischen Teams zu. Neben den anderen therapeutischen Berufsgruppen im Team fällt der Pflege somit auch ein wesentlicher Anteil an der Erbringung der nach OPS 8-552 geforderten 300 Therapieminuten/Tag zu. Durch die Berufsgruppen der Physiotherapeuten und Ergotherapeuten wird – gemeinsam mit der therapeutischen Pflege – ein wesentlicher Bestandteil bei der Lagerung und der Mobilisation des Patienten erbracht. Den hier zur Verfügung stehenden unterschiedlichen Konzepten der Lagerung und Mobilisation des Patienten auf neurophysiologischer Basis kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. Es sei jedoch betont, dass es im Rahmen des therapeutischen Teams diesen Berufsgruppen – gemeinsam mit dem ärztlichen Dienst – obliegt, die entsprechenden zur Verfügung stehenden Therapieformen individuell für den Patienten auszuwählen. Ein reines Festlegen auf eine physiotherapeutische „Schule“ sollte keinesfalls stattfinden. Auf die Tätigkeit anderer Berufsgruppen wie Logopäden, Psychologen und Neuropsychologen wird in den beiden folgenden Abschnitten gesondert eingegangen.

16.4 Kernsymptome der Frührehabilitation – Diagnostik und Therapie | 439

16.4 Kernsymptome der Frührehabilitation – Diagnostik und Therapie 16.4.1 Bewusstseinsstörung und organische Psychosyndrome Die Mehrzahl der Patienten in der neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation weisen Bewusstseinsstörungen auf. Diese werden über das Bewusstseinsniveau (Level of consciousness), den Bewusstseinsinhalt (Content of consciousness) und die Wachheit (Arousal) definiert [40]. Das Schädel-Hirn-Trauma ist nicht immer allein der ausschlaggebende Grund einer Bewusstseinsstörung. Differentialdiagnostisch sind neben Infektionen des zentralen Nervensystems vaskulär, epileptisch, metabolisch, endokrin und toxisch verursachte Störungen des Bewusstseins abzugrenzen. Die Ausprägung der Bewusstseinsstörung kann von der Somnolenz (gerichtete Reaktion auf Ansprache oder Schmerzreize) bis zum Koma reichen. Hier ist der Patient nicht in der Lage, eine gerichtete und willensbestimmte Handlung zu vollziehen. Vom Koma sind klinische Bilder abzugrenzen, bei denen der Patient aus anderen Gründen keine oder nur minimale Reaktionsmöglichkeiten aufweist, wie das Locked-in-Syndrom, der akinetische Mutismus und der katatone Stupor. Das apallische Syndrom wurde erstmals 1940 von Kretschmer [41] beschrieben. Die betroffenen Patienten wiesen aus seiner Sicht keine Funktionen der Hirnrinde (Pallium = Mantel) auf. Allerdings bestand ein Schlaf-Wach-Rhythmus. Ein Blickkontakt, Blickfolgebewegungen oder reizgerichtete Reaktionen waren nicht vorhanden. In der Literatur werden die Begriffe „Coma vigile“ (Wachkoma) oder „Persistent Vegetativ State“ (PVS) verwendet. Von einem PVS wird gesprochen, wenn er für mindestens 1 Monat nach Hirnschädigung bestanden hat. Ein permanenter (irreversibler) vegetativer State besteht bei einer länger als 12 Monate anhaltenden Bewusstseinsstörung nach traumatischer Läsion. Aktuell wird die Bezeichnung „Syndrom reaktionsloser Wachheit“ (SRW) oder „unresponsive wakefullness syndrome“ (UWS) [42] empfohlen, weil dieser Terminus das Vollbild neurologisch-verhaltensneurologischer Beeinträchtigungen nach einer schwersten Hirnschädigung abbilden soll. Die Prävalenz für das UWS beträgt in Europa 0,5–2/100.000 Einwohner, wobei ca. ein Drittel durch ein SHT verursacht wird [42]. Bemerkenswerterweise traf nach Andrews et al. [43] die Diagnose eines sog. vegetative state für rund 40 % der in neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitationszentren aufgenommenen Patienten nicht zu und musste revidiert werden. Die sorgfältige klinisch-neurologisch und neurochirurgische Befunderhebung – wenn erforderlich, auch mehrfach – ist unabdingbar für eine valide Diagnosefindung. Die Erhebung zusätzlicher neurophysiologischer Befunde liefert weitere „Mosaiksteine“ zur Diagnosestellung. Von einem Minimally conscious state (MCS) [44] wird bei einem reproduzierbaren Nachweis eines Selbst- oder Umweltbewusstseins durch bestimmte Verhaltensmuster gesprochen. Diese sind: Befolgen einfacher Kommandos, gestische oder verbale Bejahungen und Verneinungen, verständliche Verbalisationen, zielgerichtetes Verhalten. Die klinische Untersuchung ist bei der

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Mehrzahl der Patienten in der Lage, das UWS von dem Zustand des minimalen Bewusstseins (MCS) zu differenzieren [45]. Weitere prognostische Aussagen lassen sich durch den Einsatz neurophysiologischer Verfahren zum sog. verdeckten Verhalten (covert behavior) oder einer zunehmenden Koordination vegetativer und somatischer Reaktionen auf Außenreize gewinnen [46, 47]. Ein hoher Prozentsatz von Patienten weist zusätzlich ein nichtalkoholbedingtes Delir auf. Diese zum Teil massiv ausgeprägten deliranten Syndrome sind in der Regel multifaktorieller Genese und nicht alleiniger Ausdruck der zugrunde liegenden organischen Hirnschädigungen. Differentialdiagnostisch ist neben metabolischen und toxischen Ursachen das Nebenwirkungsspektrum von Medikamenten mit anticholinergen Eigenschaften zu berücksichtigen. Neben deliranten Bildern finden sich eine Vielzahl neuropsychologischer Symptome, sodass Wallesch [48] betont, dass „neurologische Frührehabilitationsstationen eine Fundgrube für seltene neuropsychologische Syndrome“ darstellen. Hier sind v. a. Halluzinationen, Konfabulationen, Missidentifikationssyndrome, gefolgt von emotional affektiven Störungen zu nennen. Es handelt sich hier um depressive Verstimmungen, organisch bedingte Manien und maniforme Störungen. Viele Patienten bieten das Bild einer ausgeprägten Agitiertheit und Aggressivität und bedürfen somit spezieller betreuender Strukturen. Therapieansätze für diese Patienten, die häufig nicht nur eine Beeinträchtigung des Bewusstseins, sondern auch eine massive Störung der Wahrnehmung aufgrund der vollständigen Immobilität und der damit verbundenen perzeptiven sensorischen Störung aufweisen, sind in berufsübergreifenden Konzepten zwischen therapeutischer Pflege, Physiotherapie, Ergotherapie und Neuropsychologie zu sehen. Das Konzept der basalen Stimulation geht davon aus, dass komatöse Menschen ein elementares Bedürfnis nach Wahrnehmung, Bewegung und Kommunikation verspüren [49]. Der Patient wird nicht als Objekt der Pflege, sondern als eigenaktives Subjekt, das der Pflege bedarf, gesehen. Der Patient strebe bewusst oder unbewusst nach mehr Selbstständigkeit. Zentraler Punkt dieses Konzepts ist die Festlegung interdisziplinärer Therapieziele zwischen therapeutischer Pflege, Physiotherapie, Ergotherapie und physikalischer Therapie. Von den unterschiedlichen Disziplinen wird auf verschiedenen Stimulationsebenen (somatisch, vibratorisch, vestibulär, optisch) gearbeitet. Durch den elementaren Dialogaufbau soll eine Förderung der Wahrnehmungsfähigkeit und durch die multisensorische Stimulation (MSS) eine erhöhte Aufmerksamkeit erreicht werden. Sowohl für das Konzept der basalen Stimulation als auch der multisensorischen Stimulation gibt es Hinweise für einen geringen Evidenzgrad [50]. Die Mehrzahl der Patienten weist im weiteren Verlauf der neurologischen Frührehabilitation ausgeprägte kognitive Einschränkungen auf. Hier stehen sowohl ergotherapeutische als auch neuropsychologische und sozialpädagogische Therapiekonzepte zur Verfügung. In der ergotherapeutischen Diagnostik werden neben Explorationsgesprächen und der Verhaltensbeobachtung Daten zur Eigen- und Frem-

16.4 Kernsymptome der Frührehabilitation – Diagnostik und Therapie | 441

danamnese erhoben. Hier ergibt sich eine gemeinsame Schnittmenge zur klinischen Neuropsychologie [51, 52]. Die Anwendung kognitiver Tests in der Frührehabilitation ist nur sehr eingeschränkt bzw. gar nicht möglich. Die handlungsorientierte Diagnostik und Therapie (HODT) wird spezifisch zur Behandlung kognitiver Störungen in der Frührehabilitation eingesetzt. Alltagshandlung und die isolierte kognitive Basisfähigkeit spielen eine zentrale Rolle [53]. Viele Patienten weisen eine fehlende Krankheitseinsicht auf, die als Anosognosie bzw. Unawareness bezeichnet wird [54, 55]. Dieses Störungsmuster ist multifaktorieller Genese. Konsens besteht darüber, dass eine Anosognosie häufiger bei Läsionen der rechten Hemisphäre auftritt [56]. Anosognostische Störungen bzw. Unawareness sind nur im interdisziplinären Team zu diagnostizieren und zu behandeln. Neben dem ergotherapeutischen Schwerpunkt HODT finden sich hier auch Therapieansätze der Neuropädagogik und der Neuropsychologie (z. B. Funktionstraining, Aufmerksamkeit, Orientierung). Für eine neuropsychologische Diagnostik muss der Patient in einfachster Form in der Lage sein, mit dem Untersucher zu kommunizieren. Hierzu eignen sich Fragebögen und die Verhaltensbeobachtung. Die Domäne der neuropsychologischen Diagnostik und Therapie ist mithin die späte Phase B, die postprimäre Rehabilitation der Phase C und die Anschlussheilbehandlung (Phase D). Als Assessment zum Verlauf quantitativer Bewusstseinsstörungen kommen die GCS und KRS zum Einsatz. Neuropharmakologisch stehen für die Therapie von Patienten, die unter Halluzinationen, wahnhaften Überzeugungen oder unter einer ausgeprägten Agitiertheit und Aggressivität leiden, Risperidon oder Haldol zur Verfügung.

16.4.2 Störung der Kommunikation Die frühe Phase der NNCHFR ist bei vielen Patienten durch eine bettseitige diagnostische und therapeutische Situation gekennzeichnet [57]. Neben schweren Kommunikationsstörungen finden sich ausgeprägte Störungen des Bewusstseins, des Antriebs, der psychomotorischen Geschwindigkeit und Wahrnehmungsstörungen. Besonders durch begleitende organische Psychosyndrome oder ein Delir treten zusätzlich Störungen mit Eigen- und Fremdgefährdung hinzu. Diese Situation reduziert die Möglichkeit einer standardisierten Diagnostik und Therapie, für die es wissenschaftlich fundierte Ansätze erst in der Phase C/D gibt. Dies macht deutlich, dass die Diagnostik und Therapie von Kommunikationsstörungen im multiprofessionellen Team erfolgen muss, weil standardisierte Screening- oder Testverfahren nicht eingesetzt werden können. Eine geblockte Trachealkanüle, Beatmungspflicht, Tetraparese/-plegie erschweren zusätzlich die Diagnostik und Therapie von Kommunikationsstörungen. Der Verhaltensbeobachtung und der klinischen Einschätzung des Patienten kommt eine zentrale Bedeutung zu. Dem interdisziplinären Team obliegt die Einschätzung der Tiefe einer Bewusstseinsstörung, um kurze Interaktionsmöglichkeiten mit dem Patienten zu nutzen. Kann der Patient während

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eines längeren Zeitraums Aufmerksamkeit zeigen, besteht die Möglichkeit, Mittel zum Kommunikationsaufbau wie Symboltafeln, Zeichnungen etc. einzusetzen. Hierbei kommt den kognitiven Fähigkeiten und der Hilfestellung des Patienten bei Sprachverständnisleistung eine grundlegende Bedeutung zu. Kommt es zu einer Verbesserung von Wachheit und Aufmerksamkeit, eröffnen sich zunehmende Möglichkeiten der Behandlung. Mit einer weiteren Stabilisierung sind umfangreiche sprachspezifische diagnostische und therapeutische Methoden anwendbar. Bei Patienten im Koma oder im Syndrom reaktionsloser Wachheit besteht der Schwerpunkt der logopädischen Therapie im Anbahnen des Schluckreflexes. Eine Diagnostik/Therapie von Sprachstörungen ist in diesem Stadium nicht möglich. Im Stadium des minimalen Bewusstseins (MCS) stehen die Kontaktaufnahme und die Aufmerksamkeitsfokussierung [58]. Neben dem Konzept der basalen Stimulation [49] kommen musiktherapeutische Mittel zur Kontaktanbahnung zum Einsatz [59]. Erst in den späteren Phasen der Frührehabilitation mit Erreichen eines konstanten Wachheits- und Aufmerksamkeitsniveaus ist die Diagnostik einer Aphasie, Sprechapraxie oder einer Dysarthrie möglich. Innerhalb der ersten 2 Wochen nach einem Akutereignis ist wegen der starken Einschränkung der Kognition eine Klassifikation akuter Aphasien nicht sinnvoll [60]. Häufigste Aphasie in der Frührehabilitation ist die globale Aphasie. Wegen der erheblich eingeschränkten sprachlichen Möglichkeiten steht das Training im nonverbalen Bereich an erster Stelle [61]. Zusammengefasst stehen in der Frühphase der Rehabilitation des schwerst Schädel-Hirn-Verletzten die Frage einer Aphasie und deren Ausmaß sowie erste Maßnahmen zur Optimierung der Verständigungsfähigkeit im Vordergrund. Neben einer Aphasie bestehen häufig eine Dysarthrie und eine Dysphagie [62]. Dies insbesondere dann, wenn der Patient tracheotomiert und invasiv beatmet ist. Hier kommt dem multidisziplinären Team und den Ansätzen der facio-oralen Therapie (FOT) [63] eine zentrale Bedeutung zu. Differentialdiagnostisch muss bei einer schweren Kommunikationsstörung ein akinetischer Mutismus nach bilateraler Läsion des medialen Frontallappens/des frontalen Marklagers in Erwägung gezogen werden [64]. Die Patienten sind wach, befinden sich nicht im Wachkoma. Sie sprechen – auch auf Ansprache – gar nicht. Die Fähigkeit zur lautsprachlichen Äußerung ist bei weitgehend erhaltenem Sprachverständnis aufgehoben. Nach einem Schädel-Hirn-Trauma kann ein traumatischer Mutismus auftreten [65]. Der Mutismus stellt in der Frührehabilitation ein erhebliches therapeutisches Problem dar und wird im interdisziplinären Team mit Schwerpunkt im Bereich einer kognitiv ausgerichteten Sprachtherapie behandelt [66]. Als kognitive Dysphasien werden neurogene Kommunikationsstörungen aufgrund kognitiver Beeinträchtigungen bezeichnet [66]. Die Patienten weisen primär Aufmerksamkeitsoder Gedächtniseinschränkungen auf. Da die kognitiven Dysphasien nicht nur Störungen der Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses, sondern häufig auch Orientierungsstörungen beinhalten, werden sie auch als „language of confusion“ bezeichnet. Somit sind sie therapeutisch nur im interdisziplinären Team zusätzlich durch einen

16.4 Kernsymptome der Frührehabilitation – Diagnostik und Therapie | 443

strukturierten Tagesablauf, Orientierungshilfen und Führen eines Gedächtnistagebuchs zu behandeln. Dem Locked-in-Syndrom (Querschnittsyndrom auf Höhe der Brücke) kommt differentialdiagnostisch eine besondere Bedeutung zu. Dieses Syndrom ist v. a. vom Syndrom reaktionsloser Wachheit (SRW) abzugrenzen. Klinisch weisen die Patienten eine hochgradige Tetraparese/-plegie und einen Ausfall der Artikulation auf. Bei erhaltenen kognitiven Fähigkeiten sind sie in der Lage, Blickkontakt aufzunehmen und über Augenbewegung zu kommunizieren. Diese basalen Fähigkeiten können bei ausreichender Wachheit und Motivation erste Kommunikationsmöglichkeiten für einen „Ja/Nein-Code“ ermöglichen. Ist der Patient in der Lage, über längere Zeit Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten, sind Kommunikationscodes für Buchstaben möglich. Letztendlich kann es bei einer Stabilisierung des klinischen Zustands mit Adaptation eines elektronischen Kommunikationssystems zu einer validen Kommunikation mit dem Patienten kommen. Diese Kommunikationssysteme sind auf Umweltsteuerungsmöglichkeiten zu adaptieren, sodass letztendlich auch eine Kommunikation über das Internet möglich ist [67]. Bei Patienten, die invasiv über eine geblockte Trachealkanüle beatmet werden, ist eine sprachliche Äußerung nicht möglich. Dies gelingt erst nach temporärem Entblocken der Kanüle, wenn diese mit einem Sprechventil versehen ist. Beatmete Patienten mit einem Sprechventil zu versorgen, setzt aber voraus, dass eine willkürliche Kontrolle der Glottisfunktion ohne gravierende Schluckstörung und kognitive Beeinträchtigung vorhanden ist. Dies ist für die Mehrzahl der Patienten nach einem schweren Schädel-Hirn-Trauma nicht der Fall. Zusammengefasst wird deutlich, dass für schwerst Schädel-Hirn-verletzte Patienten in der Frühphase der neurologisch-neurochirurgischen Rehabilitation die Verhaltensbeobachtung und die klinische Beurteilung im interdisziplinären Team die Grundlage für die Diagnostik und weitere Therapie bilden. Standardisierte diagnostische Prozeduren und Therapien, wie sie aus der klassischen neurologischen Rehabilitation der Phase C und D bekannt sind, kommen hier aufgrund der Schwere der Bewusstseinsstörung und der begleitenden kognitiven Defizite nicht infrage. Eine besondere Bedeutung kommt dem Kommunikationsaufbau bei Patienten mit schweren Bewusstseinsstörungen und der differentialdiagnostischen Abgrenzung von aphasischen Syndromen, den kognitiven Dysphasien sowie dem Locked-in-Syndrom zu. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich bei tracheotomierten invasiv beatmeten Patienten, die zusätzlich eine Bewusstseinsstörung aufweisen. Mit zunehmendem Grad der Wachheit und des Konzentrationsvermögens sowie der Kooperationsfähigkeit des Patienten ergeben sich verschiedene strategische Möglichkeiten, die Trachealkanüle temporär zu entblocken und mit einem Sprechventil zu versorgen und somit einen Kommunikationsaufbau zu ermöglichen.

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16.4.3 Dysphagie Neurogene Dysphagien sind ein schwerwiegendes Symptom bei Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma. In der Akutphase erleiden ca. 60 % dieser Patienten eine klinisch relevante Dysphagie [68]. Eine Glasgow-Coma-Scale(GCS)-Punktzahl unter 6 und eine höhergradige kognitive Beeinträchtigung stellen bei Patienten mit schweren SHT Prädikatoren für das Auftreten von Aspirationen dar [69]. Die Prognose von Dysphagien nach schweren Schädel-Hirn-Traumen wird insgesamt als günstig angesehen. 1 Jahr nach SHT soll bei über 90 % der Patienten eine vollständige orale Ernährung möglich sein [70]. Schlucken ist ein komplexer physiologischer Prozess, in den Strukturen des Hirnstamms und des Kortex einbezogen sind [71]. Der normale Schlucktakt wird in vier Phasen unterteilt: Phase 1 wird als orale Vorbereitungsphase, Phase 2 als orale Phase, Phase 3 als pharyngeale Phase und Phase 4 als ösophageale Phase definiert [72]. Nach Abschluss der oralen Phase kann der Mensch nicht mehr willentlich in den Steuerungsmechanismus eingreifen, und es beginnt ein diffizil abgestimmter reflektorischer Bewegungsmechanismus. Der gesunde Mensch schluckt etwa 500bis 2.500-mal pro Tag. Voraussetzung für die Schluckreflextriggerung ist ein Bolus, ohne den die Auslösung eines Schluckaktes nicht möglich ist. Eine Störung des normalen Schluckaktes kann somit in jeder Phase auftreten. Ein äußerlich regelrecht ablaufender Schluckakt schließt allerdings eine Dysphagie nicht aus. Somit ist in der NNCHFR die möglichst frühe Diagnose einer Dysphagie für die Prognose und Lebensqualität des Patienten entscheidend. Die wichtigsten klinischen Symptome einer Schluckstörung sind das Leaking (unkontrolliertes Entgleiten des Bolus nach außen oder hinten in den Rachen), das pharyngeale Pooling (Auffangen von Bolusteilen im Rachen vor der Schluckreflexauslösung) und das Verbleiben von Bolusresten nach der Auslösung des Schluckreflexes im Mundraum, Rachen oder Kehlkopf. Jeder Patient in der Frührehabilitation ist unter dem Verdacht einer Dysphagie zu untersuchen. Hierzu ist ein einfach durchzuführendes Screening-Verfahren erforderlich (50-ml-Wassertest zur Überprüfung der pharyngealen Sensibilität). Bei Auftreten möglicher Aspirationsanzeichen ist dieser Test abzubrechen. Die Prüfung der pharyngealen Sensibilität erfolgt mittels taktiler Reizung. Ist einer der beiden Tests positiv, so ist von einem erhöhten Aspirationsrisiko im Rahmen einer Dysphagie auszugehen [73]. Ergänzend kann der 50-ml-Wassertest mit Pulsoximetrie durchgeführt werden. Hierzu ist der Patient in einer aufrechten Körperposition zu lagern. Während der Gabe des Wassers ist die Sauerstoffsättigung kontinuierlich zu beobachten und sollte nicht um mehr als 2 % des Ausgangswertes abfallen. Kontraindikation für diese Verfahren sind bereits bestehende Aspirationszeichen, eine Pneumonie und eine schwere Bewusstseinsstörung. Liegt diese vor, erfolgt die Prüfung des Schluckreflexes mittels Eisstimulation an der hinteren Rachenwand. Sollte der Schluckreflex hierbei verzögert auslösbar sein, muss von einer erhöhten Aspirationsgefahr ausgegangen werden. Ergänzend kann bei Patienten mit einer Trachealkanüle ein Färbetest durchgeführt

16.4 Kernsymptome der Frührehabilitation – Diagnostik und Therapie | 445

werden. Der gebräuchlichste ist der Modifieded Evan’s Blue Dye Test (MEBDT). Direkt nach Gabe der gefärbten Substanz wird das Sekret des Patienten über die Trachealkanüle abgesaugt. Bei einer Verfärbung ist von einer Aspiration auszugehen [68]. Unabdingbar bei diesem Manöver ist hier das Entblocken der Trachealkanüle. Bei Verdacht auf eine Dysphagie muss sich unmittelbar die klinische Schluckdiagnostik anschließen (Abb. 16.2). Diese ist abhängig vom klinischen Zustand des Patienten (Kooperationsfähigkeit, Trachealkanüle, PEG). Neben der Anamnese folgt die Prüfung aller schluckrelevanten motorischen und sensorischen Funktionen und – falls notwendig – eine fiberoptische endoskopische Evaluation des Schluckens (FEES) [74]. Vorteil ist, dass die FEES auch bei bewusstseinsgestörten Patienten erfolgen kann. In Einzelfällen kann die Durchführung einer videofluoroskopischen Untersuchung erforderlich sein [75]. Zum Abschluss der klinischen Schluckuntersuchung werden die Befunde durch standardisierte Protokolle dokumentiert [62]. Das gebräuchlichste ist der Bogenhausener Dysphagie Score (BODS), bei dem der höchste Score den stärksten Ausprägungsgrad der Dysphagie widerspiegelt [68]. Die Dysphagietherapie orientiert sich am klinischen Befund und Ausprägungsgrad der Dysphagie und beinhaltet unterschiedliche Komponenten [68, 76]. Im deutschsprachigen Raum kommen hier insbesondere Verfahren der funktionellen Dysphagietherapie (FDT) zum Einsatz. Bei den restituierenden Verfahren werden zunächst beinträchtigte Schluckfunktionen wiederhergestellt oder Restfunktionen gefördert. Hier kommen thermische Verfahren, Mobilisationstechniken, Bewegungsübungen, aber auch die neuromuskuläre Elektrostimulation (NMES) zum Einsatz. Direkt während des Schluckens werden kompensatorische Verfahren eingesetzt, die gewährleisten sollen, dass trotz Funktionsbeeinträchtigungen ein effektives und aspirationsfreies Schlucken möglich ist [62, 68]. Die adaptiven Verfahren umfassen diätetische Veränderungen der Nahrung als auch den Einsatz spezieller Trink- und Esshilfen. Bezüglich der Kostformanpassung stehen unterschiedliche Koststufen zur Verfügung. Besteht aufgrund von Aspirationsgefahr keine Möglichkeit der oralen

Abb. 16.2: Videofluoroskopie, Aspiration von Flüssigkeit.

446 | 16 Frührehabilitation und berufliche Wiedereingliederung

Ernährung, so bedeutet dies „nihil per os“ (NPO). Verschiedene Arten der Sondenernährung sind dann erforderlich (PEG, PEJ). Für den weiteren Kostaufbau stehen die feinpürierte, die pürierte, die weiche und die Vollkost zur Verfügung. Des Weiteren ist auch die Kombination verschiedener Therapieverfahren [77] möglich. Die Therapiefrequenz in der Frührehabilitation sollte 1-mal täglich für 30–60 Minuten, vorzugsweise als Einzeltherapie erfolgen. Mit Erreichen der Kooperationsfähigkeit des Patienten ist es dann möglich, ein individuelles Trainingsprogramm mit eigenständigen Übungsanteilen durchzuführen [62].

16.5 Mobilität und Spastik 16.5.1 Mobilität Nahezu alle Patienten in der Frührehabilitation mit schweren Schädel-Hirn-Verletzungen weisen ausgeprägte Störungen sowohl der Mobilität als auch des Muskeltonus auf. Dies findet sich in den eigenen Daten als auch in der Literatur mit einem Barthel-Index (BI) bei Aufnahme unter 10 [12, 20]. Die in der Klinik übliche Einteilung peripherer Paresen nach dem British Medical Research Council (BMRC) [78] findet aufgrund der schweren Bewusstseinsstörung der Patienten kaum eine Anwendung. Somit bleibt zur Beurteilung der Motorik allein die klinische Beschreibung bzgl. der Bewegungen und des Bewegungsausmaßes und die Rivermead-Motor-Skala [79]. Zur Einteilung spastischer Tonusveränderungen hat sich im klinischen Alltag die Ashworth-Skala durchgesetzt. Daneben kommen in der physiotherapeutischen Praxis diverse Assessment-Instrumente zur Messung von Mobilität [34] zur Anwendung. Liegt eine ausgeprägte Bewusstseinsstörung vor, erfolgt die Mobilisation in Form einer passiven oder assisstierten Mobilisation an die Bettkante, dann in den Rollstuhl und schließlich in den Stehtisch. Parallel erfolgt eine Quantifizierung der Tiefe bzw. der Remission der Bewusstseinsstörung. Die Anwendung basaler multimodaler Stimulationstechniken im interdisziplinären Team erfolgt, um die Anbahnung von Motorik und Mobilität zu fördern. Mit Einsetzen der Wachheit werden parallel die Kopfund Rumpfkontrolle durch eine assistierte Mobilisation als auch die Interaktions- und Kommunikationsfähigkeit gefördert. In dieser Phase sollte bereits eine Einschätzung über die längerfristig bestehende Einschränkung von Mobilität bei erhaltener (Rest-) Wachheit möglich sein und ein Urteil über den Einsatz von Kommunikations- und Umweltsteuerungssystemen gefällt werden. Alle physiotherapeutischen Konzepte in der Rehabilitation gehen davon aus, dass das ZNS in der Lage ist, nach einer Läsion zu lernen. Hierzu zählen die in Tabelle 16.7 dargestellten geläufigsten neurophysiologischen Methoden sowie Konzepte zur Förderung somato-sensibler Afferenzen für die Restitution motorischer Leistung wie beispielsweise das Affolter-Konzept [80]. Dieses Konzept fasst Störungen der Willkürmotorik als Einschränkung der Wahrnehmung auf und stellt die Vermittlung von

16.5 Mobilität und Spastik | 447

Tab. 16.7: Physiotherapeutische Konzepte. Bobath

– Inhibition pathologischer Haltungs- und Bewegungsmuster – Fazilitation normaler Bewegungen

Propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation (PNF)

– Taktile propriozeptive Stimulation von „Schlüsselpunkten“ – Verbesserung motorischer Leistungen – Stimulation von Proprio-Extero-, Telerezeptoren

Vojta

– Aktivierung „blockierter“ ZNS-Funktionen und Integration in Spontanmotorik – Propriozeptive Stimulation löst komplexe Bewegungsmuster aus

taktilen und kinesthetischen Informationen in den Vordergrund. Das Perfetti-Konzept [81] sieht in der Verbesserung der sensiblen Informationsaufnahme eine Voraussetzung für die Verbesserung von Willkürmotorik. Keine der neurophysiologischen „Schulen“ ist nach Evidenz-basierten Kriterien in ihrer wissenschaftlichen Begründung und ihrer Behandlungseffektivität abgesichert [82]. Der Aufbau von Mobilität beinhaltet in der täglichen Praxis einen stufenweisen Wiedergewinn motorischer Funktionen. Anhand des Erreichens unterschiedlicher Mobilitätsstufen wird auch die Wahl des adäquaten Hilfsmittels durch das therapeutische Team bestimmt. Wesentliche Ziele der motorischen Rehabilitation sind in folgender Reihenfolge: – aktive Kopfkontrolle, – aktive Rumpfkontrolle, – Fähigkeit, mit Hilfe zu stehen, – Fähigkeit, ohne Hilfe zu stehen, – die Möglichkeit aufzustehen, – mit Hilfe einen Transfer durchzuführen, – einen Transfer mit Hilfsmitteln durchzuführen, – ohne Hilfe einen Transfer durchzuführen. Ab diesem Leistungsniveau schließen sich dann die Möglichkeit des Gehens mit Hilfsmitteln/Hilfspersonen sowie des eigenständigen Gehens und die Fähigkeit mit oder ohne Hilfsmittel Treppen zu steigen an. Jeder einzelne Therapieschritt bei schwerst beeinträchtigten Patienten erfordert zum Teil die Mobilisation durch mehrere Therapeuten (Abb. 16.3). Dies gilt insbesondere in der frühen Phase der intensivmedizinischen Rehabilitation, aber auch in den weiterführenden Phasen. Der Vollständigkeit halber sei hier auch für die späten Phasen der Rehabilitation auf die Mobilisation mittels Laufbandtraining mit partieller Gewichtsentlastung sowie durch sog. Gangroboter hingewiesen [83].

448 | 16 Frührehabilitation und berufliche Wiedereingliederung

Abb. 16.3: Robotische Frührehabilitation.

Weiterer Schwerpunkt zur Rehabilitation der eingeschränkten Mobilität ist die Prophylaxe und Behandlung von Kontrakturen. Im optimalen Fall reicht zur Vermeidung von Kontrakturen eine frühzeitige Überleitung des Patienten in eine spezialisierte Einrichtung. Gerade bei schwerstgeschädigten Patienten können sich Kontrakturen bemerkenswert rasch insbesondere an den großen Körpergelenken entwickeln und in den weiteren Phasen der Frührehabilitation ein entscheidendes Hindernis zur Fortführung der motorischen Rehabilitation darstellen. Essenzieller Behandlungsauftrag – nicht nur für die physiotherapeutischen Mitglieder des therapeutischen Teams – ist deshalb ein regelmäßiges, wenn nötig endgradiges Bewegen der paretischen Extremität, die wechselnde Lagerung des Patienten in unterschiedlichen Körperpositionen und die intermittierende Nutzung von Lagerungsschienen. In diesem Gesamtkontext muss auch eine zugrunde liegende spastische Tonuserhöhung berücksichtigt werden, die ihrerseits zur Entstehung und zum Fortschreiten einer Kontraktur erheblich beitragen kann. Lagerungsschienen müssen individuell angepasst werden und dürfen bei einer effektiven Lagerung keine Druckschäden verursachen.

16.5.2 Spastik Die Diagnostik und Therapie der Spastik stellt eine zentrale Aufgabe in der neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation dar. Spastik wird definiert als erhöhter und geschwindigkeitsabhängiger Dehnungswiderstand des nicht willkürlich aktivierten Skelettmuskels. Pathophysiologisch liegt eine Läsion deszendierender zentraler motorischer Bahnsysteme zugrunde. Die Kombination einer hochgradigen Parese/Plegie, einer bewegungseinschränkenden Kontraktur und einer erheblichen Spastik stellt ein erhebliches Problem in der Frührehabilitation dar (Abb. 16.4). Hier wird noch einmal die Rolle des gesamten therapeutischen Teams in der Frührehabi-

16.5 Mobilität und Spastik | 449

Abb. 16.4: Ausgeprägte spastische Tetraparese nach SHT.

litation deutlich. Die Therapie der Spastik erfolgt nach den Leitlinien der deutschen Gesellschaft für Neurologie [84]. Basis stellt die Physiotherapie dar, die je nach Ausprägung und Ausbreitung der Spastik durch eine orale, lokale oder intrathekale Therapie der Spastik ergänzt wird. Neben der Funktionsverbesserung darf aber die Erleichterung der Pflege von Patienten mit ausgeprägter Spastik durch eine adäquate spastische Therapie nicht vernachlässigt werden. Diese führt nachweisbar zu einer deutlichen Besserung der Lebensqualität [85, 86]. Eine orale antispastische Therapie ist besonders bei einer generalisierten spastischen Symptomatik mit nur gering erhaltener Restfunktion erforderlich. In jeder Phase der Frührehabilitation mit zunehmendem Erwerb motorischer Funktionen muss die Dosierung der oralen antispastischen Medikation individuell kritisch geprüft werden; dies ist wichtig, um die Stützfunktion des wiedereinsetzenden Muskeltonus nicht übermäßig zu hemmen. Die Tabelle 16.8 fasst die Medikamente, die zur oralen Therapie der Spastik gebräuchlich sind, zusammen. Anzumerken ist: Eine Modifikation der Dosis im höheren Lebensalter ist häufig erforderlich. Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie [84] sehen wegen des tolerablen Nebenwirkungsspektrums Baclofen und Tizanidin als Mittel der ersten Wahl. Canabinoide sind in Deutschland lediglich als Sativex® zur Zusatzbehandlung der mittelschweren Spastik bei Patienten mit multipler Sklerose zugelassen. Ihr Einsatz in der Spastiktherapie nach SHT ist derzeit kein Standard. Zur Behandlung der lokalen Spastik stellt die Botulinumtoxintherapie als Mittel der Wahl zur Tonussenkung seit vielen Jahren eine etablierte Methode dar [86]. Sie hat niedrige Nebenwirkungsraten und kann mit anderen Therapien kombiniert werden. Deshalb ist sie ein typisches Beispiel einer Behandlungsmethode, die durch das multidisziplinäre Team im Rahmen von Fallkonferenzen entschieden werden sollte. Innerhalb des Vergütungssystems gibt es in den Frührehabilitationskliniken immer wieder Schwierigkeiten bei der Kostenabbildung dieser Medikamente. Die Behandlung der Spastik der oberen Extremitäten anderer Ätiologie als nach einem Schlaganfall bzw. der unteren Extremitäten mit Botulinumtoxin stellt aktuell einen Off-labelUse dar. Vollkommen klar ist aber, dass die Botulinumtoxintherapie auch bei Spastik

450 | 16 Frührehabilitation und berufliche Wiedereingliederung

Tab. 16.8: Medikamentöse Therapie der Spastik. Indikation

Dosierung

Nebenwirkung

Baclofen (Lioresal® )

– Behandlung spinaler Spastik

– 3 × 5 mg/Tag – Steigern um 5 mg jeden 3. Tag – Max. Dosis 120(150) mg/Tag

– – – – –

– Epilepsie Sedierung – Terminale NieSchwindel reninsuffizienz Ataxie – Parkinson RR-Abfall Leberfunktionsstörungen

Tizanidin (Sirdalud® )

– Alle Formen der Spastik

– Abends 2 mg, alle 5 Tage um 2 mg steigern (3 × 2 mg) – Max. Dosis 36 mg/Tag

– – – –

RR-Abfall Schwindel Müdigkeit Bradykardie

Tetrazepam (Musaril® )

– Kurzzeittherapie – (Abhängigkeit) bei schmerzhaften Spasmen

– 50 mg/Tag – Steigerung 25 mg/Tag – Max. Dosis 200(400) mg/Tag

– Schläfrigkeit – Schwindel – Artikulationsstörungen

– Schwere Leberschäden und respiratorische Insuffizienz – Wegen Abhängigkeitspotenzial eingeschränkt

Tolperison (Mydocalm® )

– Schmerzhafte Spasmen – Muskelverspannung

– 3 × 50 mg/Tag – Max. Dosis 3 × 150 mg/Tag

– Schwindel – Schläfrigkeit – Kopfschmerz

– Myasthenia gravis

– 2 × 25 mg/Tag; – 1. Woche 4 × 25 mg/Tag – 2. Woche Steigern bis 4 × 50 mg/Tag – Max. Dosis 400 mg/Tag

– Müdigkeit – Schwächegefühl – Durchfall – Kopfschmerz – Leberfunktionsstörungen

– Lebererkrankungen – Eingeschränkte Lungenfunktion – Herzinsuffizienz – Symptome der ALS können verstärkt werden

Dantrolen – Nur unter (Dantamacrin) strenger Indikationsstellung

Kontraindikation

– Myasthenia gravis – Herz-KreislaufInsuffizienz

anderer Ätiologie sicher und zuverlässig wirkt [87]. Durch die Anwendung der Botulinumtoxintherapie bei lokaler Spastik sind Lokalanästhetika und destruierende Stoffe (Alkohol, Phenol) weitgehend verdrängt worden. Bei nicht beherrschbarer schwerer chronischer Spastik muss die Indikation zur intrathekalen Baclofenbehandlung (ITB) diskutiert werden. Die Dosierung der intrathekalen Baclofengabe liegt um den Faktor 100 bis 1.000 niedriger als bei der oralen Gabe. Die Blut-Hirn- bzw. Blut-Liquor-Schranke, die das Baclofen nur eingeschränkt passie-

16.6 Typische Komplikationen und deren Management

| 451

ren kann, wird umgangen. Ziele dieser Therapie sind neben dem Funktionszugewinn die Schmerzreduktion wie auch eine Tonusreduktion zur Verbesserung der pflegerischen Hygiene. Vor Implantation einer Baclofenpumpe erfolgt zur Indikationsprüfung die intrathekale Bolusapplikation von Baclofen unter kontinuierlicher Überwachung der Vitalparameter. Die erste Bolusgabe erfolgt mit 25 μg. Bei Nichtansprechen der Spastik wird die Dosis in den nächsten Sitzungen auf 50 μg, 75 μg bzw. 100 μg erhöht. Der Behandlungserfolg wird über die Ashworth-Skala [79] dokumentiert. Nebenwirkungen (z. B. RR-Senkung) sollten dokumentiert werden. Vor Bolusgabe muss mit dem behandelnden Neurochirurgen die Indikation/Kontraindikation zur Implantation einer Baclofenpumpe besprochen werden. Die zunehmend häufigere Besiedlung der Patienten mit multiresistenten Erregern muss bei der Indikationsstellung berücksichtigt werden. Nach Implantation der Pumpe erfolgt die Dosisfindung, wobei die individuelle Dosierung erheblich variieren kann. Bei einer mittleren Tagesdosierung zwischen 100 und 800 μg und einem Füllungsvolumen des Reservoirs zwischen 10 und 60 ml ist somit alle 3–6 Monate eine erneute Befüllung erforderlich. Da es sich dabei um eine intrathekale Applikation handelt, muss wegen der Gefahr einer iatrogenen Meningitis unbedingt unter sterilen Kautelen gearbeitet werden.

16.6 Typische Komplikationen und deren Management Die Behandlung schwerstkranker Patienten in der neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation beinhaltet neben intensivmedizinischen und frührehabilitativen Aspekten auch die Kenntnis der häufigsten Komplikationen und deren Management. Häufig können sich heterotope Ossifikationen entwickeln, die sich prinzipiell an jedem großen Körpergelenk als abnorme benigne Knochenbildung periartikulär und im Weichteilgewebe abspielen können (Abb. 16.5). Ihre Pathogenese ist nicht hinreichend geklärt. Anscheinend spielen neben traumatischen und neurogenen Einflüssen auch genetische Faktoren eine Rolle. Isoliert, aber auch in Kombination mit einer Spastik bzw. Parese der betroffenen Extremität stellen die heterogenen Ossifikationen ein zentrales Problem dar. Die klinische Symptomatik äußert sich in Form von Fieber, Schmerzen, lokalen Entzündungszeichen, ödematöser Schwellung und Bewegungseinschränkung in dem betroffenen Gelenk. Die Diagnostik und Behandlung der heterotopen Ossifikation erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Frührehabilitation und Unfallchirurgie/Orthopädie. Dies betrifft insbesondere die prophylaktische Therapie mit nichtsteroidalen Antiphlogistika (z. B. Indometacin oder Celecoxib) und die frühfunktionelle Bewegungstherapie [88] sowie die Frage des optimalen Operationszeitpunkts und der aktiven Nachbehandlungsfähigkeit des Patienten. Weiter müssen posttraumatische Liquorzirkulationsstörungen unbedingt frühzeitig diagnostiziert werden. Diese liegen zumeist in Form eines Hydrocephalus aresorptivus vor. Eine Erweiterung des Ventrikelsystems kann aber auch durch einen „Hydrocephalus e vacuo“ bedingt sein [89, 90]. Bei Komplikationen seitens des Shuntsys-

452 | 16 Frührehabilitation und berufliche Wiedereingliederung

Abb. 16.5: Heterotope Ossifikation des Hüftgelenks beidseits.

tems ist in erster Linie an eine Shuntunterfunktion oder -überdrainage [91] zu denken. Auch die Möglichkeit einer Shuntinfektion mit nachfolgender Ventrikulitis muss differentialdiagnostisch Berücksichtigung finden. Im Rahmen einer Shuntüberdrainage kann es zu einem Schlitzventrikelsyndrom [89] kommen. Ist das Shuntsystem mit einem verstellbaren Ventil ausgestattet, sollte in der Frührehabilitationsklinik die Möglichkeit bestehen, den Öffnungsdruck magnetisch von außen einzustellen [92]. Überdrainagen können zu chronisch subduralen Hämatomen führen. Dies erfordert ggf. eine engmaschige Überwachung bzw. die operative Entlastung über eine Bohrlochtrepanation. Auch die Versorgung von Schädeldefekten nach dekompressiver Kraniektomie bedarf der engen Absprache mit dem vorversorgenden operativen Zentrum [93]. Die Entscheidung, ob die Deckung durch eigenen Schädelknochen oder eine Alloplastik erfolgt sowie der Zeitpunkt der Defektdeckung ist individuell zu treffen. Bis zu 50 % der Patienten entwickeln nach dekompressiver Kraniektomie Hygrome [94]. Häufig sind auch Elektrolytverschiebungen. Besonders oft findet man eine persistierende Hyponatriämie. Hier kann es sich einerseits um das Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH, Schwartz-Bartter-Syndrom) oder andererseits um ein zerebrales Salzverlustsyndrom handeln. Medikamente wie trizyklische Antidepressiva und Carbamezepin können ebenfalls zu einer persistierenden Hyponatriämie führen. Bezüglich der Diagnostik und Behandlung von Elektrolytstörungen wird auf Kapitel 15 verwiesen. In der Frührehabilitation aufgetretene epileptische Anfälle müssen entsprechend ihren Ursachen geklärt und behandelt werden. Auch die Beherrschung einer Anfallsserie bzw. eines Status epilepticus muss gewährleistet sein. Posttraumatische Bewegungsstörungen nach einem Schädel-Hirn-Trauma können bei 23 % (13–66 %) der Patienten auftreten [95, 96]. Prinzipiell sind dies alle Arten von Bewegungsstörungen [97], wobei die häufigsten Syndrome unterschiedliche Tremorformen und Dystonien sind [95]. Die klinische Symptomatik, das Auftreten und die Persistenz von Bewegungsstörungen nach einem schweren Schädel-Hirn-Trauma sind

16.7 Weiterführende Rehabilitation und Outcome

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vielfältig. Zudem kann es unterschiedliche Mischbilder diverser Bewegungsstörungen geben. Deshalb ist die medikamentöse Therapie posttraumatischer Bewegungsstörungen insgesamt schwierig. Wegen der erheblichen Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens bedarf in manchen Fällen einer neurochirurgischen Intervention wie beispielsweise der tiefen Hirnstimulation.

16.7 Weiterführende Rehabilitation und Outcome Bezüglich der weiterführenden Rehabilitationen sei auf das Phasenmodell der BAR [10] verwiesen. Im Anschluss an die Phase C (Postprimäre Rehabilitation] kann ein Teil der Patienten in die Phase D übergeleitet werden oder es werden Patienten aus der Klinik im Anschlussheilbehandlungsverfahren (AHB) in die Phase D verlegt. Die Patienten sollten sich ohne fremde Hilfe auf Stationsebene bewegen können und in den ADL-Tätigkeiten selbstständig sein. Schwerpunkte in der späten Phase C und der Phase D sind neben Behandlung motorischer Probleme die Diagnostik und Therapie neuropsychologischer Defizite. Eine Ausnahme im Phasenmodell stellen Patienten mit schweren kognitiven Defiziten und beaufsichtigungspflichtigen Verhaltens- und Orientierungsstörungen dar. Einige Frührehabilitationskliniken halten hierfür Spezialstationen – sog. fakultativ geschlossene Stationen – für hirnorganisch beeinträchtigte Patienten vor. Von dort aus sollten die Patienten stufenweise in ein normales Behandlungskonzept integriert werden. Falls erforderlich kann sich an die Phase D eine ambulante bzw. teilstationäre Rehabilitationsbehandlung der Phase E anschließen. Ziel dieser ist die Wiedereingliederung in das Leben in der Gesellschaft und insbesondere in die Berufs- und Arbeitswelt. Eine besondere Herausforderung für die berufliche Rehabilitation und Reintegration stellen v. a. die chronischen Folgen einer traumatischen Hirnschädigung im neuropsychologisch-neurokognitiven und organisch-psychischen Bereich dar [99]. Die psychosozialen Folgen nach einem Schädel-Hirn-Trauma sind v. a. durch eine Störung emotionaler Fähigkeiten und Fertigkeiten, durch Depressionen und Angststörungen sowie eine posttraumatische Belastungsstörung gekennzeichnet und bedürfen spezieller therapeutischer Ansätze [100]. In der Regel wird die Behandlungszeit von den Krankenkassen auf 3 Wochen befristet. Einen Sonderweg stellt die medizinisch-berufliche Rehabilitation zulasten der Renten- und Unfallversicherungen dar. Eingeleitet werden diese Maßnahmen durch Berufshelfer der Renten- und Unfallversicherungen. Bezüglich der Prognose und der Wiedererlangung von ADL-Fähigkeiten ist sicherlich das Verletzungsmuster wichtig. Zur Frage der Prognose eines isolierten SHT bzw. einer schweren Schädel-Hirn-Verletzung im Rahmen eines Polytraumas liegen wenige Daten vor. Der Aufbau neurotraumatologischer Zentren und die frühzeitige Überleitung in spezialisierte Kliniken für intensivmedizinische Frührehabilitation

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bzw. neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitationen hat die Prognose der Patienten entscheidend verbessert. Daten zum Outcome nach der intensivmedizinischen bzw. neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation wie auch zu Langzeitverläufen der Phase B und der weiterführenden Rehabilitation anhand standardisierter Assessment-Instrumente sind rar und wegen der spezifischen Situation der Frührehabilitation in Deutschland schwierig [22]. Viele Publikationen zur Frührehabilitation der Phase B bzw. schwerst Schädel-Hirn-verletzter Patienten und des Outcomes zeigen methodische Schwierigkeiten. Diese betreffen die Größe der Patientenkollektive, Unterschiede der verwendeten Scoring-Systeme zur Beurteilung des Schweregrades, Heterogenität des Verletzungsmusters, unterschiedliche Beurteilungen der Outcome-Kriterien, unterschiedliche Ein- und Ausschlusskriterien sowie unterschiedliche Beobachtungszeiträume [98]. Bezüglich der Ergebnisqualität anhand standardisierter AssessmentInstrumente von Patienten der Frührehabilitation mit schweren Schädel-Hirn-Verletzungen finden sich unterschiedliche Angaben [12, 18, 22]. In der multizentrischen Untersuchung von Hoffmann et al. [12] konnte für verschiedene Krankheitsbilder wie SHT, Hirninfarkt und SAB der Erfolg der Frührehabilitation – gemessen an der Differenz des Barthel-Index – für die Phase B belegt werden. Keine konkreten Angaben findet man jedoch hinsichtlich des Schweregrades des SHT oder bestehender Begleitverletzungen [12, 22]. Bezüglich der Beatmungsentwöhnung von Patienten der NNCHFR finden sich ebenfalls wenige Literaturangaben [18, 20]. So gelingt ein Weaning bei über 68 % aller Patienten der Phase B, wobei die Gruppe der Patienten mit primär zerebralen Schädigungen häufiger (79,6 %) vom Respirator entwöhnt werden konnte als Patienten mit nichtzerebralen Schädigungen (46,4 %). Darüber hinaus finden sich in der Literatur diagnosebezogene Ergebnisse nach Frührehabilitationsbehandlungen wie beispielsweise nach aneurysmatischer Subarachnoidalblutung [2]. Betrachtet man die Outcome-Daten bzgl. der Steigerung von Funktion und Fähigkeiten, so ergibt sich für die Frührehabilitation und Langzeitverläufe von Patienten nach Schädel-Hirn-Trauma, verglichen mit der Gruppe von Patienten nach hypoxischen Hirnschäden eine raschere und umfangreichere Steigerung der Funktionen und Fähigkeiten [22]. Eigene Untersuchungen von schwerst Schädel-Hirn-Verletzten, die zur Frührehabilitation aufgenommen worden sind, sind in der Abbildung 16.6 anhand des BI und FRBI dargestellt [20]. Insgesamt ist davon auszugehen, dass mit weiterem Ausbau spezialisierter Kliniken und enger Zusammenarbeit mit neurotraumatologischen Zentren die Prognose dieser Patienten weiter verbessert werden kann.

Literatur

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p < 0,001

60

56,88

p < 0,001

//Achsenbeschriftung??//

51,33

50 40

p < 0,001

33,96

35,42

29,27 28,17

30

21,46

20

17,37

durchs. BI-A durchs. BI-E Δ

10 1,1

0

//Achsenbeschriftung??//

(a)

Barthel 200 150 100 50 0 –5 –100 –150 –200 –250 –300

(b)

mit Behandlung

ohne Behandlung

150,68 89,38

p < 0,001

73,95

–41,32

–55,19 –110,32

–115,27

–144,57

p < 0,001

Barthel

–261

mit Behandlung

p < 0,001

durchs. FRI-A durchs. FRI-E Δ

ohne Behandlung

Abb. 16.6: Outcome SHT (N = 858). (a) Gruppe „Entlassene“, Barthel-Index Aufnahme und Entlassung, mit und ohne Beatmung; (b) Gruppe „Entlassene“, Frühreha-Index Aufnahme und Entlassung, mit und ohne Beatmung.

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460 | 16 Frührehabilitation und berufliche Wiedereingliederung

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Helga Lüngen und Carsten Freitag

17 Soziale Teilhabe nach Schädel-Hirn-Trauma Es besteht grundsätzlich der gesetzliche Auftrag, neben einer modernen medizinischen Versorgung und der Unterstützung für die Rückführung in das Arbeitsleben auch die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu fördern. Hierzu findet sich auch ein eigenes Kapitel im Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), in dem die Leistungsansprüche in den drei Schwerpunkten der Rehabilitation beschrieben sind. Schon in der Definition durch die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) im Jahr 1994 wird darauf gedrungen, auch im sozialen Bereich Beeinträchtigungen nicht dauerhaft werden zu lassen und deren Auswirkungen auf ein Minimum zu beschränken. Rehabilitation umfasst: „…alle Bemühungen, eine Funktionsstörung nicht zu einer dauerhaften Einschränkung/Beeinträchtigung der persönlichen, sozialen und beruflichen Lebensumstände werden zu lassen oder zumindest die Auswirkungen auf die genannten Lebensbereiche auf ein Minimum zu reduzieren.“ Definition der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (1994) Regelhaft werden im Rahmen des Verständnisses von Rehabilitation die Ausheilung körperlicher Verletzungen und die Wiedereingliederung in das Erwerbsleben in den Fokus gestellt. Ebenfalls wichtige Aspekte für einen gesunden, leistungsfähigen und im Sinne seiner Lebensgesellschaft funktionsfähigen Menschen sind die sozialen Netzwerke, die sich ein Mensch aufbaut, dessen Netzwerkpartner und natürlich auch die sozialen Angebote, die eine Gesellschaft mit ihren kulturellen Landschaften anbieten kann. Ein Beispiel, um diesen Aspekt zu verdeutlichen: Es ist nachvollziehbar, wenn ein Mitarbeiter eines mittelständischen Betriebes mit einer anspruchsvollen und herausfordernden Tätigkeit und einem durchschnittlichen beruflichen Stundeneinsatz von ca. 40 Stunden/Woche seine Familie zum Teil als Stütze und Unterstützung, aber auch als Belastung empfindet. Ausgleich und Entlastung erfährt die Beispielperson durch Treffen mit Freunden, bei denen er eine gänzlich andere Rolle denn als Ehemann, Familienvater oder Angestellter übernehmen kann. Körperlich verausgaben kann er sich in seinem Sportverein und beim Anfeuern seines Fußballclubs. Abschalten und Entspannen kann er beim Wandern oder beim Besuch eines Yogakurses. Um zu erkennen, weshalb insbesondere nach einem Schädel-Hirn-Trauma der Wiedererwerb der Fähigkeiten und Möglichkeiten zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft so wichtig ist, wird im folgenden Abschnitt ein Blick auf die Langzeitfolgen nach einem Schädel-Hirn-Trauma geworfen.

https://doi.org/10.1515/9783110366853-019

462 | 17 Soziale Teilhabe nach Schädel-Hirn-Trauma

17.1 Psychosoziale Langzeitfolgen nach einem Schädel-Hirn-Trauma Viele Betroffene stehen, durch ihre Hirnschädigung verursacht, vor weitreichenden Problemen. Sie sehen sich im Rehabilitationsprozess mit Schwierigkeiten bei der Krankheitsverarbeitung und der Wiedereingliederung in das berufliche und soziale Umfeld konfrontiert. Sie müssen sich mit existenziell bedeutsamen Veränderungen auseinandersetzen, in denen die üblichen und alltäglichen Möglichkeiten der Bewältigung nicht mehr ausreichen. Die Verletzung führt deshalb auch zu einer massiven Veränderung der personellen psychischen Stabilität (und Fähigkeit zur Resilienz) und wirkt sich zudem negativ auf die psychosozialen Kompetenzen aus. Über die psychosozialen Folgen gibt es Erkenntnisse aus Langzeitstudien mit unterschiedlichen Untersuchungsschwerpunkten. Nachstehend die wichtigsten Ergebnisse: Das Risiko, an einer psychischen Störung zu erkranken, ist nach einer Hirnschädigung deutlich erhöht. Es wird davon ausgegangen, dass im 1. Jahr nach dem Ereignis bei einem Drittel der Schädel-Hirn-Verletzten eine Behandlungsbedürftigkeit aufgrund einer Depression vorliegt. Bei diesen besteht zudem in fast der Hälfte der Fälle zusätzlich eine generalisierte Angststörung [1]. Weiterhin ist festzustellen, dass nach der Verletzung das Suizidrisiko signifikant steigt. Aus einer kanadischen Studie ist bekannt, dass sogar ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma die Wahrscheinlichkeit eines Suizids um das 3fache erhöhen kann [2]. Auch das Risiko, von Obdachlosigkeit bedroht zu werden oder eine Suchtproblematik zu entwickeln, steigt deutlich im Vergleich zur Normalbevölkerung. In anderen Untersuchungen mit einem Fokus auf das Thema berufliche Teilhabe zeigt sich, dass eine uneingeschränkte Rückkehr an den früheren Arbeitsplatz oder überhaupt die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit deutlich erschwert ist. Hier schwanken die Zahlen von Studie zu Studie. In einer norwegischen Studie konnten 42 % der Patienten mit mittelgradigen bis schweren Verletzungen nach 1 Jahr keiner Erwerbstätigkeit nachgehen [3]. Mit fehlender Erwerbstätigkeit treten nicht nur negative finanzielle Auswirkungen auf, sondern damit einhergehend eine Verschlechterung sozialer Kontakte und v. a. eine subjektive Verschlechterung der psychischen Gesundheit (Wohlbefinden bzw. Lebenszufriedenheit) [3–5]. Besondere Probleme ergeben sich auch im Bereich von Partnerschaft und Familie. Die Scheidungsrate bei Paaren nach einer Schädel-Hirn-Verletzung ist deutlich erhöht, nicht zuletzt durch seelische Veränderungen und sexuelle Störungen. Die Stabilität der Beziehung wird hier v. a. durch die Länge der bisherigen Beziehung beeinflusst. Gerade nahestehende Angehörige weisen häufig ebenfalls Depressionen (27 %) oder Angststörungen (47 %) auf. Als besonders belastend für die Angehörigen stellen sich dabei Veränderungen der Persönlichkeit des betroffenen Partners dar [6].

17.2 Lebensqualität nach einem Schädel-Hirn-Trauma |

463

Untersuchungen zeigen zudem, dass auch bei guter körperlicher Erholung häufig Störungen im Hirnleistungsbereich, in der Affektivität und der Persönlichkeit bestehen bleiben. 6 Jahre nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma waren 76 % der Patienten nicht ausreichend sozial reintegriert. Auch Patienten mit insgesamt guten Ergebnissen bzw. nur geringer körperlicher Restbehinderung waren nur zur Hälfte wieder zufriedenstellend sozial eingegliedert [7]. Diese vielen psychosozialen Folgen werden in der Fachwelt und bei den betroffenen Familien im Langzeitverlauf zunehmend als das schwerwiegendste Problem wahrgenommen. Sie haben weitreichende Konsequenzen für die Wiedereingliederung bzw. den Aufbau eines neuen Lebens. Sie sind ein ungünstiger Prädikator für den weiteren Rehabilitationsverlauf. Anhand dieser Studienlage wird deutlich, dass eine Teilhabe, also das Einbezogensein in Freizeitaktivitäten, soziale Kontakte und Beziehungen, ein Aktivsein in unserer Gesellschaft nur noch stark eingeschränkt funktionieren. Darauf müsste in der langfristigen Nachsorge Schädel-Hirn-Verletzter und deren Angehöriger ein viel größeres Augenmerk gelegt werden.

17.2 Lebensqualität nach einem Schädel-Hirn-Trauma Jedwedes SHT ist für den Betroffenen ein plötzliches Ereignis, das ihn unvorhersehbar und unberechenbar aus dem alltäglichen Leben herausreißt. Es durchkreuzt bei fast allen Betroffenen einschneidend die gefassten Lebenspläne und -ziele und zwingt alle Beteiligten, sich auf ein Leben mit vielen neuen Einschränkungen und Anforderungen einzustellen. Dies kostet viel Kraft und wirkt sich unmittelbar auf die Lebensqualität aus. Untersucht man die Lebensqualität von Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, so hat sich in der Forschung der Begriff „Gesundheitsbezogene Lebensqualität“ etabliert. Sie umfasst viele verschiedene Teilbereiche, von denen die vier wesentlichen – psychisches Befinden, – körperliche Verfassung, – soziale Beziehung und – funktionale Kompetenz [8] sind. Die aus vielen Untersuchungen festzustellenden Folgen wie der Verlust von Aktivität, die Bedrohung der eigenen Autonomie, die aus der Belastung entstandenen Paarprobleme etc. wirken sich deutlich auf die Lebensqualität nicht nur der Betroffenen selbst, sondern auch auf die der Angehörigen aus. Wie stark sich dies im Alltag zeigt, verdeutlichen Beispiele aus der Beratungspraxis. Viele der Ratsuchenden berichten, dass ihr Alltag sehr stark von Vermeidungsstrategien mit gravierenden Auswirkungen gerade auf bestehende soziale Beziehungen geleitet wird. Beispielsweise werden gesellige Aktivitäten in größeren Gruppen gemieden, weil bestehende Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen schnell

464 | 17 Soziale Teilhabe nach Schädel-Hirn-Trauma

zu einer Überforderung führen. Verstärkend wirkt hier das Informationsdefizit des sozialen Umfelds. Betroffene sind in ihrem Verhalten häufig so verändert, dass sie Befremdung und Unverständnis auslösen. Freunden und Verwandten fehlt das notwendige Krankheitswissen, um das veränderte Verhalten richtig einordnen zu können. Das spüren viele Schädel-Hirn-Traumatisierte sehr deutlich und ziehen sich deshalb immer mehr in sich selbst zurück. Das wiederum kann dazu führen, dass viele der vor dem Ereignis praktizierten Hobbys, die deutlich zum Wohlbefinden beigetragen haben, beispielsweise das Engagement in einem Verein, Lesen oder Musikhören, nicht mehr weiterverfolgt und ausgeübt werden. Gerade bei sportlichen Aktivitäten kann kaum ein Hirnverletzter mit seinem veränderten Leistungsniveau in seiner alten Mannschaft mithalten. Viele dieser und weiterer Phänomene sind Prädikatoren für eine Depression. Dies zeigt sich sehr deutlich in verschiedenen Untersuchungen zur Prävalenz [9, 10]. Die Einschätzung, dass mit einem ansteigenden Schweregrad der Verletzung auch automatisch ein höherer Verlust an Lebensqualität einhergeht, konnte jedoch nicht bewiesen werden. Im Gegenteil, diese Patienten sind häufig sogar zufriedener [11]. Viele Untersuchungen belegen darüber hinaus, dass nicht nur die Betroffenen selbst eine verminderte Lebensqualität zeigen, sondern die nahestehenden Angehörigen ebenfalls psychologische Langzeitfolgen entwickeln. Auch sie stehen vor der Aufgabe, den eigenen Lebensentwurf überarbeiten zu müssen. Im Alltag ist für sie nun eine Doppelrolle zu übernehmen, die mit gestiegener Verantwortung, erhöhten Belastungen und fehlender Unterstützung einhergeht. Insbesondere die Veränderungen der Persönlichkeit des Verletzten und seine fehlende Krankheitseinsicht wirken sich auf die Lebensqualität der Angehörigen aus. Von dieser Situation ausgehend ist es wichtig, nachhaltige, psychosozial ausgerichtete Angebote zu implementieren, die explizit auf die Verbesserung des Wohlbefindens und auf eine Erhöhung der Aktivitäten aller Beteiligten abzielen. Die ZNS – Hannelore Kohl Stiftung hat schon vor Jahren in diesem Bereich ein Versorgungsdefizit erkannt. Mit der Konzeption spezieller Schulungsangebote mit psychosozialem Schwerpunkt konnte eine „erste Hilfestellung“ für eine neue Perspektivenentwicklung begonnen werden. Auf den dabei gewonnenen guten Erfahrungen aufbauend wäre es wünschenswert, die Angebote für Schädel-Hirn-Traumatisierte im Sinne von Patientenschulungsangeboten auszubauen und wohnortnah zu etablieren.

17.3 Kontextfaktoren und ihre Bedeutung für die Teilhabe Kontextfaktoren stellen den zentralen Lebenshintergrund eines Menschen dar und haben eine maßgebliche Bedeutung für den Rehabilitationserfolg, Bisher gibt es dazu nur wenige wissenschaftliche Studien, allerdings wird in einer Untersuchung an 49 Rehabilitanden deutlich, dass nach Einschätzungen des therapeutischen Teams

17.3 Kontextfaktoren und ihre Bedeutung für die Teilhabe | 465

zu einem erheblichen Anteil, nämlich zu 40 %, die Kontextfaktoren zur Behinderung beitragen [12]. In der Rehabilitation galt es lange Zeit als oberste Prämisse, die funktionellen Defizite des Rehabilitanden zu erkennen und diese möglichst weitgehend zu therapieren. Zunehmend erweist sich diese fokussierte Vorgehensweise jedoch als nicht erfolgreich. Deshalb wurde das Modell der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit entwickelt (s. Abb. 17.1). Wie sehr eine Person durch Krankheits- oder Unfallfolgen das Leben gestalten kann und welche Ressourcen ihr dabei zur Verfügung stehen, hängt auch unmittelbar von den Kontextfaktoren ab. Diese lassen sich in zwei Bereiche einteilen. Zum einen die Umweltfaktoren: Das sind alle Faktoren, die von außen Einfluss darauf nehmen, inwieweit eine Person das Leben nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten kann. Als Beispiel sei an dieser Stelle eine mehr oder weniger barrierefrei gestaltete Umgebung genannt. Hilfsmittel werden ebenfalls unter den Aspekt der Umweltfaktoren eingeordnet. Zum anderen die personenbezogenen Faktoren: Auch Aspekte wie Alter, Geschlecht, sozialer Status, Charakter und Lebenserfahrung spielen eine erhebliche Rolle. Gesundheitsproblem (Gesundheitsstörung oder Krankheit)

Körperfunktionen und -strukturen

Umweltfaktoren

Aktivitäten

Partizipation [Teilhabe]

personenbezogene Faktoren

Abb. 17.1: Die Komponenten der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit und ihre möglichen Wechselwirkungen.

Das Individuum ist demnach nicht immer allein verantwortlich für das erreichte Maß der Funktionsfähigkeit, sondern auch das Lebensumfeld und die Lebenswirklichkeit. Es sind die im Einzelfall relevanten Kontextfaktoren, die sich förderlich (Förderfaktoren) oder hinderlich (Barrieren) auf die Teilhabe auswirken können. Die Berücksichtigung individueller relevanter Kontextfaktoren dient der umfassenden Identifizierung von Teilhabebedarf. Umwelt- wie personenbezogene Faktoren können den beteiligten Akteuren wichtige Hinweise für ein zielgerichtetes Handeln geben. Aus diesem Grund kann eine strukturierte Beschreibung relevanter Kontextfak-

466 | 17 Soziale Teilhabe nach Schädel-Hirn-Trauma

toren nur im Interesse des betroffenen Menschen liegen. Die systematische und systemische Berücksichtigung der Kontextfaktoren ermöglicht individualisierte Leistungen und ist Voraussetzung für passgenaue nachgehende Maßnahmen zur Sicherung des Rehabilitationserfolgs. Hier müssen die Konzepte in der Rehabilitation deutlich weiterentwickelt und viel stärker wohnortnah und damit auch alltagsnäher umgesetzt werden. So sollte unbedingt im Bereich der psychotherapeutischen Angebote mit einem systemischen Ansatz gearbeitet werden. Einen der wichtigsten Umweltfaktoren stellen Angehörige dar. Sie müssen viel früher und intensiver zur Thematik Hirnverletzung und den sich daraus ergebenden individuellen Folgen gecoacht werden. Die „ökologische“ Wirksamkeit der Rehabilitation ist daran zu messen, in welchem Maß die erworbenen Verbesserungen tatsächlich im Alltag und im wirklichen sozialen Umfeld für den Patienten nutzbar sind, auch genutzt werden und langdauernd nutzbar bleiben. Dies kann nur durch eine angemessene Nachsorge im interdisziplinären Kontext ausreichend sichergestellt werden.

17.4 Strategien und Hilfen für ein Leben nach einem Schädel-Hirn-Trauma Die aus der Hirnverletzung resultierenden Einschränkungen können sich, besonders unter gezielter Förderung und Therapie, mit der Zeit verbessern. Diese Erfolge treten aber meistens sehr langsam ein und führen kaum zu einer vollständigen Heilung. Die Behinderung schwer Hirnverletzter beeinflusst auf Dauer viele Lebensbereiche. Der Betroffene sollte deshalb auch lernen, die verloren gegangenen Funktionen zu kompensieren und sich mit seinen verbliebenen oder neu erlernten Fähigkeiten an die neuen Bedingungen seines Lebens anpassen.

17.4.1 Maßnahmen der sozialen Rehabilitation (Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft) Als Maßnahmen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gelten all jene, die den Patienten selbstständig und möglichst unabhängig von Pflege machen. Teilhabe bedeutet in diesem Sinne die Wiederherstellung der Fähigkeit, am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen. Dabei bleibt relativ unklar, was unter „Leben in der Gemeinschaft“ allgemein verstanden werden soll bzw. wird.

Teilhabe am Leben in der elterlichen Familie Rückführung in das Familiengefüge mit dem Ziel (besonders bei jüngeren Patienten), das unterbrochene Sozialisationsgeschehen wieder aufnehmen zu können, um zu ei-

17.4 Strategien und Hilfen für ein Leben nach einem Schädel-Hirn-Trauma

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467

nem späteren Zeitpunkt den elterlichen Haushalt zu verlassen und möglichst selbstständig leben zu können. Hierzu werden die Persönlichkeitsbildung gefördert, Neuwissenerwerb angestrebt und weitere Fähigkeiten zur Loslösung aus dem elterlichen Versorgungssystem trainiert, um das „Erwachsenwerden“ mit dem Ziel der größtmöglichen Selbstständigkeit und Sozialkompetenz zu erreichen. Dies kann z. B. in einer Wohngemeinschaft mit klar umrissenen Verhaltensregeln und Normen trainiert werden.

Teilhabe am Leben in der eigenen Familie Wiedererwerb der Kompetenz, das Leben in der eigenen Familie mit allen notwendigen und möglichen Rollen (z. B. Vater, Erzieher, Ehemann ...) angemessen führen zu können. Hierzu wird rehabilitativ an dem Wiederaufbau der Fähigkeiten gearbeitet, die dem Patienten aufgrund seiner bisherigen Rolle in der eigenen Familie zur Verfügung stehen müssen. Es gilt Einsicht zu vermitteln, dass z. B. der Vater/Ehemann zumindest aktuell nicht alle bisherigen Aufgaben leisten kann, dass sich Aufgaben und angestammte Rollenzuweisungen im Familiensystem verschieben können/müssen oder verschoben haben. Trainiert werden die Regeln des sozialen Miteinanders unter Berücksichtigung der durch die Verletzungsfolgen veränderten Lebenssituation.

Teilhabe am Leben in der Öffentlichkeit Befähigung am öffentlichen Leben teilnehmen zu können (z. B. Nutzung der Infrastruktur, öffentliche Verkehrsmittel, Theater, Kirche, Kino, Verein ...). Ziel dieses Bereichs ist es, den Patienten zu befähigen, infrastrukturelle Angebote in seinem Umfeld annehmen zu können (z. B. der Erwerb eines Führerscheines, Besuch von Kirche, Theater, Kino bis hin zur Urlaubsreise).

Teilhabe am Leben in der beruflichen Gemeinschaft (Kollegen) Erwerb oder Wiedererwerb von Kompetenzen und Fachkenntnissen, um Kontakt mit Kollegen/Freunden aufrechterhalten zu können und um gleichfalls im Bereich des sich Beschäftigens/Arbeitens und dem Vollbringen anerkennenswerter Leistungen erfolgreich zu sein. Hierzu wird mit trainiert, Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit zu überwinden oder zu mindern. Es gilt, Fachwissen zu reaktivieren und durch Neuerwerb von spezifischem Fachwissen und Fähigkeiten eine zumindest alltagsstrukturierende Beschäftigung aufnehmen zu können. Hierdurch soll die Grundlage für eine berufliche Förderung oder Weiterbildung bis hin zu einer Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit im alten Beruf oder durch eine leistungsbezogene Alternativtätigkeit gelegt werden. Viele dieser Ziele können nur dann erreicht werden, wenn das bisherige therapeutische Angebot durch psychosoziale Angebote ergänzt wird, die nicht allein auf

468 | 17 Soziale Teilhabe nach Schädel-Hirn-Trauma

eine Symptomverbesserung ausgerichtet sind. Deren Ziel sollte es sein, die sozialen Kompetenzen zu erweitern, die Fertigkeiten im Umgang mit sich selbst und anderen zur Steigerung der eigenen Lebensqualität wieder zu verbessern. Psychoedukative Ansätze verfolgen dieses Ziel. Sie sind sehr stark auf die individuelle Erfahrungswelt der Betroffenen ausgerichtet und versuchen, mit praktischem Handlungswissen bei der Bewältigung zu unterstützen. Erst wenn die Beteiligten ausreichend informiert sind, können die Betroffenen wichtige Entscheidungen zu vielen anstehenden existenziellen Fragen treffen. Die Wirksamkeit der Psychoedukation in der Behandlung chronisch Kranker wurde bereits nachgewiesen. Psychoedukation sollte deshalb regelhaft im Gesamtbehandlungsplan für Schädel-Hirn-Verletzte und ihre Angehörigen angeboten werden. Trainiert werden müssen unbedingt auch soziale Kompetenzen. Durch die Schädel-Hirn-Verletzungen sind häufig Alltagsfertigkeiten und soziale Fertigkeiten beeinträchtigt. Insbesondere die Verhaltens- und Wesensveränderungen sowie die fehlende Krankheitseinsicht bereiten im Alltag die meisten Probleme. Zu fördern sind deshalb diejenigen Fähigkeiten, die für zwischenmenschliche Kontakte und ein soziales Miteinander erforderlich sind und in viele verschiedene Lebensbereiche hineinwirken (Familie, Freizeit, Arbeit, Selbstsorgen, gesellschaftliche Teilhabe). Die Themen wären sehr vielfältig und beinhalten beispielsweise kommunikative Fähigkeiten (Lautstärke, Mimik, Gestik etc.) und Aspekte des Miteinanders. Auch Sport- und Bewegungsangebote können die Lebensqualität wieder deutlich verbessern. Hier ist mit dem Rehabilitationssport seit einigen Jahren ein fest installiertes Angebot vorhanden, das die Verbesserung der körperlichen Gesundheit und die Stärkung psychischer Funktionen (Konzentration, Motivation etc.) fördert. Es hilft zudem, neue soziale Kontakte zu finden. Im Alltag ist es aber gerade für die jungen Schädel-Hirn-Verletzten besonders schwierig, passende Angebote entsprechend dem Alter und den persönlichen Interessen zu finden. Bei all diesen Angeboten ist es immens wichtig, die besonders komplexen und heterogenen Folgen für die Schädel-Hirn-Verletzten im Auge zu behalten und ihnen deshalb ein angepasstes Lernumfeld zu bieten. Beispielsweise müssen Lerninhalte dem Lerntempo angepasst oder häufiger wiederholt werden. Es müssen barrierefreie Zugänge für die Hirn-Verletzten mit vielfältig auftretenden Symptomen geschaffen werden. Das ist bei den sich daraus ergebenden unterschiedlichen Bedürfnissen nicht immer ganz einfach. In diesen wichtigen Bereichen existieren bisher leider nur sehr wenige Angebote. Hier müsste dringend ein Nachsorgeangebot im Sinne eines Patientenschulungsangebots installiert werden. Bei Diabetes oder Parkinson’scher Erkrankung wurde dies bereits verwirklicht.

17.4 Strategien und Hilfen für ein Leben nach einem Schädel-Hirn-Trauma |

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17.4.2 Auf dem Weg zu einem neuen realistischen Selbstbild: Ressourcen erkennen – Barrieren verstehen Nach einer Hirnverletzung besteht die Aufgabe u. a. darin, sich selbst wieder zu finden. Mit dem Verlust motorischer, kognitiver und emotionaler Fähigkeiten und Fertigkeiten ist der Betroffene ein anderer Mensch. Die Auseinandersetzung mit der neuen Realität dauert viele Jahre. Eine Zufriedenheit kann häufig erst dann gelingen, wenn eine vergleichende Orientierung am früheren Leben durch die Akzeptanz des neuen Lebens mit einer veränderten Ausgangslage abgelöst wird. Ganz wichtig für alle an der Nachsorge beteiligten Personen ist dabei ein von Respekt geprägter Umgang mit den Hirnverletzten. Unabdingbar sind zudem fundierte Kenntnisse über die individuellen Störungsbilder und deren Akzeptanz. Eine ständige Förderung der Selbstwahrnehmung ist hier eine zentrale Hilfestellung auf dem Weg zu einem neuen Lebensentwurf als Mensch mit einem chronischen Handicap. Für den Rehabilitationsprozess ist es wichtig, sich von der anfänglichen Fokussierung auf die Defizite und Einschränkungen zu lösen, um danach eine Perspektive für die Zukunft entwickeln zu können. Es gilt, den Blick auf das zu richten, was möglich ist und welche Lebenserfahrungen und Fähigkeiten ein Mensch mitbringt. Hier gibt es kein Erfolgsrezept, sondern es bedarf biographischer Arbeit, für die derzeit in der Regel kein Platz ist. Bisher scheinbar belanglose Fähigkeiten können hier der Ansatzpunkt für eine Neuorientierung sein. Aus unseren Erfahrungen ist es besonders hilfreich, Betroffenen dafür einen geschützten Raum anzubieten, weil viele zunächst auch ihre Scham überwinden müssen. Im Austausch mit anderen Betroffenen ist es zudem leichter, Neues auszuprobieren. Mit den Seminarangeboten für Schädel-HirnVerletzte verschiedener Altersgruppen unterbreitet die ZNS – Hannelore Kohl Stiftung hier ein wiederkehrendes Angebot mit folgenden Inhalten: – Themenzentrierter moderierter Erfahrungsaustausch in den Bereichen Krankheitsbewältigung, Leben in sozialen Beziehungen, berufliche Neuorientierung, praktische Alltagsbewältigung – Förderung der Wahrnehmung eigener Stärken und Schwächen – Hilfestellung bei der Selbstreflextion durch das Geschehen und Erleben in der Gruppe – Unterstützung bei der Bildung neuer Selbsthilfenetzwerke – Förderung neuer sozialer Kontakte – Anregung für Sport- und Freizeitaktivitäten – Ziele setzen und Handlungspläne erstellen Hilfe ist hierbei sehr individuell und abhängig von den eigenen Bedürfnissen, Möglichkeiten und Vorlieben. Vieles muss ausprobiert oder neu gelernt werden. Nicht jeder wird beispielsweise wieder Fahrradfahren lernen wollen. Andererseits konnten die Betroffenen, die ein auf ihre Behinderung ausgerichtetes Fahrrad ausprobierten, sich auch außerhalb der Physiotherapie bewegen und damit etwas für ihre Gesundheit

470 | 17 Soziale Teilhabe nach Schädel-Hirn-Trauma

und Beweglichkeit tun und so ihre Mobilität verbessern. Die so wiedergewonnene Mobilität eröffnet vielen Betroffenen neue Lebensperspektiven. Hilfreich ist es, immer dort neue Wege auszuprobieren, wo die Einschränkungen am stärksten empfunden werden. Das sind häufig gerade die Themen Mobilität und Selbstständigkeit. Bestandteil des Konzepts ist es auch, dass Betroffene selbst schrittweise Verantwortung in der inhaltlichen Mitgestaltung übernehmen. Sie bringen viele Fähigkeiten und Kenntnisse aus ihrem „vorherigen“ Leben und dem Leben mit der Behinderung ein und können damit sich und andere Betroffene bereichern. Der dabei gewonnene Zuwachs an positivem Erleben legt Neues frei und hilft, unbekannte oder bisher wenig genutzte Fähigkeiten zu entdecken. Die Priorität der Selbstfindung sollte v. a. in der professionellen Begleitung stärker beachtet werden. Derartige Angebote steigern das psychische Wohlbefinden und die Eigenmotivation. Schädel-Hirn-Verletzte und ihre Familien benötigen hier dringend Unterstützung von außen.

17.4.3 Hilfen bei der Lebens- und Krankheitsbewältigung Bei der Krankheitsverarbeitung neurologischer Patienten gibt es besondere Schwierigkeiten. Anders als bei vielen somatischen Krankheitsbildern sind gerade die Funktionen beeinträchtigt, die zum Gelingen des Verarbeitungsprozesses maßgeblich sind. Dazu zählen beispielsweise die Fähigkeiten zur Selbstwahrnehmung, die Fähigkeit zum Perspektivwechsel sowie Planungs- und Problemlösungsfähigkeiten [13, 14]. Erschwerend wirken hier noch die durch die organische Schädigung verursachten Persönlichkeitsveränderungen mit erheblichen Folgen für das bestehende soziale Umfeld. Häufig ist gerade bei zunächst weitgehend erfolgreich Rehabilitierten in den Bereichen Selbstversorgungskompetenzen und Mobilität erst im weiteren Verlauf erkennbar, welche Konsequenzen diese Schädigung mit sich bringt. Mit frühen psychologischen Hilfen für die Familie kann der gesamte Weg der Neuorientierung, der Akzeptanz der Verletzung und deren lebenslanger Folgen grundlegend vereinfacht und beschleunigt werden. Hierbei sind schon die Informationsstandards in der Akutklinik als Grundstein zu verstehen. Frühe und eindeutige prognostische Aussagen sind für Angehörige hilfreich. Dazu zählt, dass auch gesagt werden muss, dass eine seriöse langfristige Prognose bei einem schweren SchädelHirn-Trauma oft nicht möglich ist. Die Angehörigen als (empathische) Informationsträger sind gerade in den ersten Wochen und Monaten wichtige Eckpfeiler für die weitere Rehabilitation. Je besser der Betroffene kommunikativ und konfrontativ in den Rehabilitationsprozess einbezogen werden kann, umso direkter kann an der Krankheitsbewältigung gearbeitet werden. Fachtherapeutisch sind hier Psychologen gefordert, die mit den Betroffenen ein kognitives Training durchführen und psychotherapeutisch arbeiten. Neuropsychologische Behandlung setzt dabei auf verschiedene Ansatzpunkte:

17.4 Strategien und Hilfen für ein Leben nach einem Schädel-Hirn-Trauma

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471

Restitution Mit übenden Methoden wird an der Wiederherstellung oder Besserung von Funktionen gearbeitet.

Kompensation Als Ergänzung dazu können Ersatzstrategien entwickelt werden. Bleiben Funktionsstörungen bestehen, können diese beispielsweise durch Ersatzstrategien oder externe Hilfen bewältigt werden. Eine Erinnerungsfunktion des Handys kann z. B. im Alltag dabei helfen, Termine einzuhalten. Bei einer veränderten Belastungsfähigkeit kann es notwendig sein, durch die Reduzierung der Arbeitszeit eine Anpassung im Arbeitsleben vorzunehmen.

Integrierte Verfahren Der Betroffene selbst hat die Aufgabe, sich mit der veränderten Lebenssituation auseinanderzusetzen und die Erkrankung mit ihren Folgen psychisch angemessen zu verarbeiten. Dieser Prozess muss manchmal in der neuropsychologischen Therapie erst angestoßen werden. Zudem fällt es allen Betroffenen schwer, die langfristigen Folgen der Schädigung zu erkennen und zu akzeptieren, was häufig zu Lebenskrisen führt. Hier ist der Neuropsychologe in seiner Funktion als Psychotherapeut gefragt. Unter Einsatz von Methoden und Techniken aus dem Bereich der Verhaltenstherapie sollen psychologische Aspekte wie Krankheitsverarbeitung oder die Behandlung von Anpassungs- und Entwicklungsstörungen, die in Zusammenhang mit der Hirnschädigung stehen, behandelt werden. Hier ist unbedingt eine systemische Sichtweise gefragt, weil zur Stabilisierung dringend auch die wichtigen Bezugspersonen einzubinden sind. Von besonderer Bedeutung sind darüber hinaus die Hilfen zur Bewältigung im Alltag, die das Laiennetzwerk der Selbsthilfegruppen bietet. Deren Arbeit ist nicht auf materielle Gewinnerzielung ausgerichtet. Ziel ist vielmehr die Verbesserung der persönlichen Lebensqualität und die Überwindung der mit vielen Behinderungen und chronischen Krankheiten einhergehenden Isolation und der gesellschaftlichen Ausgrenzung. Selbsthilfegruppen wirken im regionalen Bereich in ihr soziales und politisches Umfeld hinein. In Abgrenzung zu anderen Formen des bürgerschaftlichen Engagements richtet sich die Arbeit von Selbsthilfegruppen v. a. auf ihre Mitglieder und ist geprägt von gegenseitiger Unterstützung und einem regelmäßigen Erfahrungsaustausch. Die Weitergabe von Erfahrungswissen an andere Betroffene trägt häufig zur Lösung von Problemen bei, die für den Einzelnen zunächst unlösbar erscheinen. Selbsthilfegruppen sind kein Ersatz für notwendige professionelle Therapien. Sie werden nicht von professionellen Helfern (z. B. Ärzten, Therapeuten, anderen Medizin- oder Sozialberufen) geleitet; manche ziehen jedoch gelegentlich Experten zu bestimmten Fragestellungen hinzu.

472 | 17 Soziale Teilhabe nach Schädel-Hirn-Trauma

Leider gibt es auch hier nach wie vor viel zu wenige passende Angebote gerade für junge Hirnverletzte oder aber auch für Familien mit einem Schädel-Hirn-verletzten Kind. Deshalb bietet die ZNS – Hannelore Kohl Stiftung ein Seminarkonzept zur Qualifizierung von Selbsthilfeangeboten an, mit dem Ziel neue Angebote zu initiieren und bestehende Angebote zu unterstützen.

17.4.4 Soziale Netzwerke einbinden und neu aufbauen Die notwendige Neuorientierung in einem Leben mit chronischem Handicap gelingt selten allein. Sie hängt häufig von der Art und Lokalisation der Verletzung, zu einem erheblichen Teil aber auch von dem sozialen Umfeld ab. Soziale Beziehungen können hier wesentlich zur Stabilisierung, Gesundung und zum Wohlbefinden beitragen. Die verschiedenen Teilbereiche sozialer Netzwerke werden in unterschiedlichem Ausmaß von dem kritischen Lebensereignis beeinflusst. Meist ist in den Beziehungen zur Familie und den Verwandten eine gleichbleibende Kontinuität oder sogar noch eine Zunahme der Intensität festzustellen. Dagegen werden die Beziehungen zu Freunden und Bekannten – Beziehungen, die eben auch anders gepflegt werden müssen – eher weniger. Es sind zumeist dieselben Personen (Eltern, Geschwister und Partner), die Unterstützung leisten, mit denen aber aufgrund des Ungleichgewichts von Geben und Nehmen durchaus problematische Interaktionen bestehen. Im Rehabilitationsprozess ist es sehr wichtig, eine Netzwerkanalyse vorzunehmen und die vorhandenen tragfähigen sozialen Netzwerke zu aktivieren und zu stabilisieren. Hierbei ist ein systemischer Ansatz erforderlich, der nicht nur auf den Betroffenen selbst fokussiert, sondern in dem die wichtigsten Bezugspersonen über die Folgen der Verletzung und deren Wirkung informiert werden. Zudem muss von Anfang an eine mögliche soziale Unterstützung angesprochen werden, weil die Angehörigen vielfältigen Belastungen ausgesetzt sind und sich das soziale Netzwerk erst neu justieren muss. Bei zunehmender Anpassung und psychischer Stabilisierung des Schädel-HirnVerletzten ist es im Prozess der Krankheitsverarbeitung von besonderer Bedeutung, die soziale Rehabilitation in den Fokus zu nehmen. Neben der Stärkung sinnstiftender Aktivitäten geht es auch um den Neuaufbau sozialer Kontakte. Die Kontaktaufnahme zu Selbsthilfegruppen bietet hier einen ersten Einstieg. Weitere Ansatzpunkte bieten auch Aktivitäten in Vereinen oder die modernen Medien. Für erste Schritte auf diesem Weg ist häufig eine Unterstützung notwendig. Die im Jahr 2002 eingeführten Disease-Management-Programme, in denen standardisierte Behandlungsvorgaben für Krankheitsbilder festgelegt werden, sollten stärker als bisher auch für derartige Ziele genutzt werden.

17.4 Strategien und Hilfen für ein Leben nach einem Schädel-Hirn-Trauma |

473

17.4.5 Professionelle Hilfe suchen Dank der modernen Medizin können heute viele Menschen gerettet werden. Damit ist aber die Verpflichtung verbunden, ihnen Chancen einzuräumen und dabei zu helfen, eine individuell gewünschte und gesellschaftlich übliche Lebensweise zu ermöglichen. Deshalb ist im Anschluss an eine erste medizinische Rehabilitation noch eine weitergehende Versorgung mit vorhandener Neurokompetenz erforderlich. Theoretisch ist diese mit dem Konzept zur neurologischen Rehabilitationsphase E bereits beschrieben. Solange diese aber noch nicht regelhaft vorhanden sind, ist es ratsam, sich an neurokompetente Versorgungsstrukturen zu wenden. Hier könnten beispielsweise sozialräumliche Einrichtungen der Eingliederungshilfe, ambulante Rehabilitationszentren oder stationäre Rehabilitationseinrichtungen mit ambulanter Öffnung erste Ansatzpunkte sein, um Hilfe zu erhalten. Idealerweise benötigen die Familien einen Case Manager, der sie dabei unterstützt, unabhängig vom zuständigen Kostenträger die diversen Schnittstellen in unserem Sozialsystem zu überwinden und ihnen als Lotse zur Seite steht. Da dies regelhaft nur bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) existiert, sind die betroffenen Familien gezwungen, sich andere Helfer zu suchen. Hier könnten insbesondere spezialisierte Beratungsstellen eine erste wichtige Hilfestellung leisten. Leider gibt es regional erhebliche Unterschiede in der Verfügbarkeit und der dahinterstehenden Dienstleistung. Ratsuchende können über das Netzwerk der Beratungsstellen für Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen (www.bnb-meh.de) einen ersten Hinweis über etablierte Strukturen und das inhaltliche Angebot in ihrer Nähe erhalten. Für diese Angebote bestehen noch keine allgemeingültigen Qualitätsstandards. Die dort gelisteten Angebote weisen in der Regel die notwendige Neurokompetenz, Kenntnisse im Sozial- und Leistungsrecht, Lotsen- und Netzwerkkompetenz auf und sind niedrigschwellig verfügbar. Die ZNS – Hannelore Kohl Stiftung bietet mit ihrem multiprofessionellen Beratungsteam telefonische Unterstützung und arbeitet dabei nach folgenden Grundsätzen: Vertraulichkeit: Bei den Beratungen werden persönliche Anliegen besprochen, die stets diskret und vertraulich behandelt werden. Unabhängigkeit: Das Wohl des Verletzten steht im Mittelpunkt. Lotsenfunktion: Es wird über vorhandene Versorgungsstrukturen und Ansprüche in den Bereichen Rehabilitation, Pflege und Nachsorge informiert. Falls erforderlich, wird an kompetente Ansprechpartner weitervermittelt. Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung, bei der Neuorganisation von Selbstwert und beim Erarbeiten einer neuen Identität leistet zudem die Neuropsychologie. Die neuropsychologische Therapie ist im Leistungskatalog der Krankenversicherungen enthalten und ermöglicht Versicherten, bei denen die Verletzung nicht länger als 5 Jahre zurückliegt, eine therapeutische Unterstützung. Da die psychische Stabilität des Verletzten entscheidend zur Genesung beiträgt, sollten die Angehörigen in den Behandlungsprozess unbedingt mit einbezogen werden. Zertifizierte

474 | 17 Soziale Teilhabe nach Schädel-Hirn-Trauma

Therapeuten sind über den Berufsverband der Neuropsychologie (www.gnp.de) zu finden. Viele Betroffene benötigen im Alltag eine persönliche, individuelle pädagogische Förderung und oftmals auch eine Begleitung und Assistenz. Hier bedarf es unbedingt neurokompetenter Angebote. Die Erfahrung zeigt, dass die regelhaft vorhandene heilpädagogische und pflegerische Unterstützung aus den bisherigen Versorgungsangeboten für andere Zielgruppen nur bedingt weiterhilft. Die integrierten Hilfen sollten v. a. den Aspekt der Förderung und Entwicklung von Kompetenzen fokussieren. Hier gibt es erfreulicherweise eine stetig wachsende Zahl neuer Versorgungsangebote, sowohl im ambulanten und stationären Sektor, die allerdings noch längst nicht den bestehenden Bedarf reflektiert. Nähere Informationen dazu erhalten Interessierte beispielsweise über Unterstützungsangebote aus dem Bereich Wohnen bei der „Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnen für Menschen mit erworbener Hirnschädigung“. Informationen zu speziellen Angeboten zur beruflichen Teilhabe sind über die Arbeitsgemeinschaft Werkstätten für Menschen mit erworbener Hirnschädigung (AG WfMeH) erhältlich.

17.5 Hilfreiche Adressen für psychosoziale Unterstützung – –

AG WfMeH (Arbeitsgemeinschaft Werkstätten für Menschen mit erworbener Hirnschädigung), www.wfmeh.de BAG Wohnen MeH (Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnen für Menschen mit erworbener Hirnschädigung), www.bag-wohnen-meh.de

Spezialisierte Beratungsstellen – BNB – MeH (Bundesweites Netzwerk – Beratung für Menschen mit erworbener Hirnschädigung), www.bnb-meh.de – Bundesverband Kinderneurologie-Hilfe e. V. Coerderstraße 60, 48147 Münster Tel.: 0251-29 78 48, Fax: 0251-686 97 56 E-Mail: [email protected], www.kinderneurologiehilfe.de

ZNS – Hannelore Kohl Stiftung für Menschen mit Verletzungen des Zentralen Nervensystems Rochusstraße 24, 53123 Bonn Tel.: 0228-97 84 50, Fax: 0228-97 84 555 E-Mail: [email protected], www.hannelore-kohl-stiftung.de

17.5 Hilfreiche Adressen für psychosoziale Unterstützung

| 475

Berufsverbände Neuropsychologie – GNP (Gesellschaft für Neuropsychologie) e. V., www.gnp.de – VNN (Verband der niedergelassenen Neuropsychologen) e. V., www.vnn-online. de

Neuronetzwerke – NeuroNetzwerk KölnBonn, www.neuro-netz.info – Netzwerk für Menschen mit erworbener Hirnschädigung in Ansbach, www. shv-an.de

Selbsthilfe NAKOS (Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen) Otto-Suhr-Allee 115, 10585 Berlin Tel.: 030-31 01 89 80 [email protected], www.nakos.de BDH Bundesverband Rehabilitation e. V. Eifelstraße 7, 53119 Bonn Tel.: 0228-969 84-0 [email protected], www.bdh-reha.de Bundesverband für die Rehabilitation der Aphasiker e. V. Klosterstraße 14, 97084 Würzburg Tel.: 0931-25 01 30-0 [email protected], www.aphasiker.de – Bundesverband Schädel-Hirnpatienten in Not e. V. Bayreuther Straße 33, 92224 Amberg Tel.: 09621-6 48 00 [email protected], www.schaedel-hirnpatienten.de – SelbstHilfeVerband – FORUM GEHIRN e. V. Bundesverband für Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen und deren Angehörige Schnörringer Weg 1, 51597 Morsbach-Erblingen Tel. 02294-909 99 22 [email protected], www.shv-forum-gehirn.de

Sportangebote – RehaSport Deutschland e. V., www.rehasport-deutschland.de – DBS (Deutscher Behinderten Sportverband) e. V., www.dbs-npc.de/

476 | 17 Soziale Teilhabe nach Schädel-Hirn-Trauma

Literatur [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8]

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Weiterführende Literatur von Wild K, Janzik H-H. (Hrsg.). Neurologische Frührehabilitation. Germering: Zuckschwert Verlag; 1990: 207–210. Wehmann P, West M, Kregel J, Sherron P, Kreutzer J. Return to work for persons with severe traumatic brain injury. A data-based approach to program development. Journal of Head Trauma Rehabilitation. 1995; 10: 27–39.

Ingo Schmehl

18 Begutachtung 18.1 Einleitung Die Begutachtung des Schädel-Hirn-Traumas stellt sich sowohl für den Betroffenen selbst als auch für den Gutachter sehr komplex dar. Neben der Beurteilung von rein körperlichen Symptomen wie Lähmungserscheinungen, Koordinationsstörungen oder Beeinträchtigungen der Sinnesorgane werden kognitive Defizite, Störungen des Affekts und Funktionsstörungen im Bereich des autonomen Nervensystems einschließlich Hormonstörungen sowie deren Auswirkungen im Arbeits- bzw. Privatleben begutachtet. Diese Einzelsymptome zu erfassen und einzuordnen, verlangt eine komplexe interdisziplinäre Zusammenarbeit. Bezüglich der Begutachtung nach gedecktem Schädel-Hirn-Trauma existiert eine spezielle Leitlinie [1].

18.2 Relevante Begriffserläuterungen In der Tabelle 18.1 werden relevante Begriffe im Zusammenhang mit einer Begutachtung kurz erläutert. Tab. 18.1: Zusammenstellung der relevanten Begriffserläuterungen. Gesetzliche Unfallversicherung Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) Private Unfallversicherung Invaliditätsgrad (nach Gliedertaxe)

Haftpflichtversicherung

Abstraktes Maß für den Umfang der verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (allgemeiner Arbeitsmarkt). Abstraktes Maß für die dauernde Beeinträchtigung der durchschnittlichen körperlichen und/oder geistigen Leistungsfähigkeit. Die Grundlage stellen die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) dar. Prozentuale Einbuße an Arbeits- und sonstigem Erwerbseinkommen durch die schädigungsbedingte Gesundheitsstörung (z. B. Verdienstausfall, Umschulungskosten). Damit ist die Einschätzung der MdE nur ein Aspekt der Begutachtung.

https://doi.org/10.1515/9783110366853-020

478 | 18 Begutachtung

Tab. 18.1: (fortgesetzt) Schwerbehindertenrecht Grad der Behinderung (GdB) Grad der Schädigungsfolgen (GdS)

Gesetzliche Rentenversicherung Erwerbsminderung

Kausalitätstheorien Strafrecht

Zivilrecht

Sozialrecht

Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung in allen Lebensbereichen, die auf einem körperlichen oder geistigen Zustand beruht, der von dem für das jeweilige Lebensalter typischen abweicht. Der GdB bezieht sich auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von ihrer Ursache. Der GdS bezieht sich nur auf die Schädigungsfolgen. Die versorgungsmedizinischen Grundsätze beinhalten seit dem 1.1.2009 die Kriterien zur Bestimmung des GdB/GdS. Wer wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mind. 6 h (teilweise Erwerbsminderung) oder mind. 3 h (volle Erwerbsminderung) täglich erwerbstätig zu sein. Nachweis des Kausalzusammenhanges mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichlichkeit. Als kausal für eine bestimmte Folge gilt jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass auch der Erfolg entfiele (Bedingungstheorie). Dabei gilt jede Einzelbedingung als gleichwertig. → Äquivalenztheorie Das schädigende Ereignis muss nach allgemeiner Lebenserfahrung auch normalerweise geeignet sein, die in Rede stehende Schadensfolge herbeizuführen. Ein ungewöhnlicher, nicht vorhersehbarer Ablauf führt zur Ablehnung der Haftung für die Folgen. → Adäquanztheorie Theorie der wesentlichen Bedingung. Der Schaden ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, der Kausalzusammenhang zum Unfallereignis mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen. Wenn an dem Zustandekommen des Schadens mehrere Ursachen mitgewirkt haben, so kann der Arbeitsunfall nur dann als kausal anerkannt werden, wenn er eine wesentliche Teilursache der Schadensfolge gewesen ist. Bei Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens muss der Unfall hierfür eine wesentliche Teilursache sein. → Relevanztheorie

18.3 Allgemeines zur Gutachtenerstellung |

479

Tab. 18.1: (fortgesetzt) Fahreignung

Eine Person kann nur dann sicher ein Fahrzeug führen, wenn aufgrund des individuellen körperlich-geistigen Zustands beim Führen des Fahrzeugs keine Verkehrsgefährdung zu erwarten ist. Unterscheidung nach Führerscheinklassen 1 und 2, Fahrerlaubnisverordnung (FeV), Straßenverkehrsgesetz (StVG), Begutachtungsleitlinien zur Fahreignung [2], Leitlinie zur Beurteilung der Fahreignung bei neurologischen Erkrankungen [3].

18.3 Allgemeines zur Gutachtenerstellung Je nach Rechtsgebiet erfolgt die Begutachtung nach unterschiedlichen Kriterien hinsichtlich der Kausalität und Beweisanforderung. Hierzu wird unter Beachtung der Komplexität des Themas und des Anliegens dieses Buches auf die ausführliche Literatur bzgl. der allgemeinen Grundlagen der neurologischen Begutachtung [4–7] verwiesen. So sind im Rahmen der Begutachtung z. B. der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) die Fragen nach schadensstiftender Situation (versicherte Tätigkeit), Schädigungsereignis (Arbeitsunfall), Primärschaden (erlittene Gesundheitsschädigung) und Sekundärschaden (resultierende Funktionsstörung) zu klären. Die haftungsbegründende Kausalität (GUV) bezeichnet den Zusammenhang zwischen Schädigungsereignis wie z. B. Unfall und erlittener Gesundheitsschädigung wie z. B. Hirnblutung. Die haftungsausfüllende Kausalität beinhaltet den Zusammenhang zwischen Gesundheitsschädigung und resultierender Funktionsstörung wie z. B. Sprachstörung [8]. In den Sozialgesetzbüchern V (Gesetzliche Krankenversicherung), VI (Gesetzliche Rentenversicherung) und VII (Gesetzliche Unfallversicherung) sind die entsprechenden Definitionen und Zielsetzungen hinterlegt. Im Bereich des Zivilrechts unterscheidet man folgende gutachterlich relevante Gebiete: – Private Krankenversicherung, – Private Unfallversicherung, – Private Berufsunfähigkeitsversicherung, – Haftpflichtversicherungsrecht, – Geschäftsunfähigkeit, – Betreuungsrecht, – Arzthaftung, – Bundesentschädigungsgesetz.

480 | 18 Begutachtung

18.3.1 Hinweise für die Praxis Der Gutachter sollte nach Beauftragung für ein Gutachten zunächst seine Qualifikation und sein Zeitkontingent prüfen. Anschließend sind folgende Aspekte zu beachten: 1. Vor der Begutachtung (a) Welche Versicherungsart mit welcher Fragestellung liegt vor? (b) Soll das Gutachten mit persönlicher Untersuchung oder nach Aktenlage erfolgen? (c) Existieren Vorgutachten? (d) Befindet sich der Begutachtende diesbezüglich im Streitverfahren? (e) Sind die Unterlagen vollständig, einschließlich der CT-/MRT-Bilder? (f) Welche Zusatzuntersuchungen sind notwendig? (g) Welche Zusatzgutachten werden zur Gesamtbeurteilung benötigt? (h) Ist der Versicherte in der Lage, diese Untersuchungen zu realisieren? (i) Wird ein Dolmetscher (öffentlich bestellter und vereidigter Dolmetscher?) benötigt? (j) Ist eine Begleitung (z. B. Familienmitglied, Betreuer) möglich/notwendig? (k) Sind Besonderheiten im Umgang mit dem Versicherten (z. B. isolierungspflichtige Erreger) zu beachten? 2. Bei der Begutachtung (a) Ist die Identifikation des zu Begutachtenden durch Personalpapiere erfolgt? (b) Ist der zu Begutachtende in ausreichender Verfassung für die Untersuchung? (c) Liegen die Einverständniserklärungen für die Diagnostik, z. B. MRT, vor? (d) Ist ein ausreichendes Zeitfenster für die Begutachtung eingeplant? (e) Lassen sich alle relevanten anamnestischen Daten ermitteln? (f) Werden die Beschwerden des zu Begutachtenden vollständig erfasst und dokumentiert? (g) Besteht ein Widerspruch zwischen geschilderten Beschwerden und objektivierbaren Befunden? (h) Wie beinflussen die Symptome den privaten und/oder beruflichen Alltag? (i) Ist eine vollständige Untersuchung neurologisch/neuropsychologisch erfolgt? 3. Nach der Begutachtung (a) Wurden alle für die Beantwortung des Gutachtenauftrags relevanten Informationen dokumentiert? (b) Erfolgte die Festlegung und Diskussion der Diagnosen (laienverständlich)? (c) Liegen diagnosebedingte Leistungseinschränkungen und Behinderungen vor? (d) Wie hoch ist der Schädigungsgrad einzuschätzen? (e) Wurden Kausalzusammenhänge und deren Wahrscheinlichkeit entsprechend dem Gutachtenauftrag diskutiert?

18.4 Symptome nach Schädel-Hirn-Trauma und deren Begutachtung |

481

(f) Erfolgte die Bewertung aller relevanten klinischen Untersuchungen, Zusatzuntersuchungen, Zusatzgutachten unter Einbeziehung der Vorgutachten? (g) Gibt es einen Anhalt für z. B. Aggravation, Simulation, Dissimulation?

18.3.2 Besonderheiten bei der Begutachtung des SHT Bildgebung: cCT, cMRT → siehe Kapitel „Bildgebung bei SHT“; Zusatzuntersuchungen: hormonelle Störungen → siehe Kapitel „Neuroendokrinologische Veränderungen im Rahmen des SHT“; 3. Dissektionen → siehe Kapitel „Verletzungen der hirnversorgenden Gefäße (extraund intakraniell)“; 4. Zusatzgutachten: HNO, MKG, Augen → siehe Kapitel 14; 5. Kraftfahreignung: Die Begutachtungsleitlinien der Kraftfahreignung [2, 3] enthalten die relevanten Leitsätze zur Beurteilung der Folgesymptome nach einem Schädel-Hirn-Trauma. Besondere Bedeutung haben dabei die Kategorien: (a) Zustände nach Hirnverletzungen und Hirnoperationen, (b) Anfallsleiden (Anfallscharakteristika und notwendige anfallsfreie Zeiträume), (c) Störungen des Gleichgewichts, (d) Demenz und organische Psychosyndrome. (e) Neben der Begutachtung der neurologischen Einzelsymptome (dauerhaft, passager) erfolgt die Beurteilung der Fahreignung nach Führerscheinklassen, ggf. bei bedingter Kraftfahreignung mit Auflagen/Beschränkungen.

1. 2.

18.4 Symptome nach Schädel-Hirn-Trauma und deren Begutachtung In den folgenden Abschnitten werden einzelne Funktionsstörungen, die nach einem leichten, mittelschweren und schweren Schädel-Hirn-Trauma auftreten können, dargestellt. Die Darstellung des Schädigungsgrades in den einzelnen Rechtsgebieten wird tabellarisch jeweils am Ende des Abschnitts aufgeführt.

18.4.1 Zentrale Lähmungen Zentrale Lähmungen nach SHT werden in Mono-, Hemi- und Tetraparesen unterteilt. Im Rahmen von schweren Schädel-Hirn-Traumen tritt durch die Schädigung des Hirnstamms häufig eine Tetraspastik auf. Der Kraftgrad wird entsprechend dem British Medical Research Counsil (BMRC 1978) in fünf Stufen eingeteilt (Tab. 18.2).

482 | 18 Begutachtung

Tab. 18.2: Motorische Funktionsprüfung entsprechend BMRC. Kraftgrad

Klinischer Befund

0 1 2 3 4– 4 4+ 5

Keine erkennbare Muskelkontraktion Erkennbare Muskelanspannung ohne Bewegung Aktive Bewegung unter Ausschaltung der Schwerkraft Aktive Bewegung gegen Schwerkraft Aktive Bewegung gegen leichten Widerstand Aktive Bewegung gegen mäßigen Widerstand Aktive Bewegung gegen kräftigen Widerstand, aber geringer als auf der Gegenseite Aktive Bewegung in vollem Umfang gegen starken Widerstand

Tab. 18.3: Bewertungstabellen bei zentralen Paresen. Zentrale Paresen

GUV: MdE

Hemiparese leicht mittelgradig schwer Hemiplegie

30 40–50/variabel 60–80 100

PUV: Invalidität

GdB/GdS 30

1/1 Arm und Bein

100

Literatur [7, 9, 25] [7, 9, 25] [7, 9] [7, 25]

Zusätzlich ist die Beurteilung des Muskeltonus in hypoton, normoton und hyperton (Spastik oder Rigor, Kontraktur) vorzunehmen (Bewertung des Schädigungsgrades in Tab. 18.3).

18.4.2 Schwindel und Koordinationsstörungen Bei der Begutachtung des zentral bedingten Schwindels und der Koordinationsstörungen ist die Differenzierung zwischen neurologischen, HNO-ärztlichen, internistischen, augenärztlichen und ggf. auch psychiatrischen Symptomen notwendig. Das Erkennen ataktischer Bewegungsmuster der Extremitäten, der Sitz-, Stand- und Gangataxie und die Abgrenzung von spinalen und peripheren Ataxien stellen in der Regel kein wesentliches Problem in der neurologischen Begutachtung dar. Die häufigsten posttraumatischen Gleichgewichtsstörungen des HNO-ärztlichen Gebietes sind die benigne paroxysmale positionale Vertigo, die Commotio labyrinthi, der endolymphatische Hydrops und andere [10]. In der Tabelle 18.4 werden Empfehlungen zur Bewertung posttraumatischer Störungen der Koordination und des Gleichgewichts dargestellt.

18.4 Symptome nach Schädel-Hirn-Trauma und deren Begutachtung |

483

Tab. 18.4: Bewertungstabellen bei posttraumatischen Störungen der Koordination/des Gleichgewichts. Schwindel/Koordinationsstörungen

GUV: MdE

PUV: Invalidität

Koordinations- und Gleichgewichtsstörung zerebraler Ursache (je nach Gebrauchsfähigkeit der Gliedmaßen)

30–100

30–100

GdB/GdS

Literatur [7, 9, 25]

18.4.3 Hirnnervenausfälle Im Rahmen von Schädel-Hirn-Traumen besteht die Möglichkeit der Schädigung einzelner oder mehrerer Hirnnerven. Neben der zentralen Läsion im Hirnstamm ist die periphere Verletzung partiell oder komplett durch z. B. Schädelfrakturen möglich. Der isolierte Ausfall eines Hirnnerven stellt damit keinen Beweis für eine Hirnparenchymschädigung dar [25]. Die Begutachtung der Hirnnervenausfälle erfolgt teils interdisziplinär zwischen den Fachgebieten Neurologie, HNO, MKG-Chirurgie und Augenheilkunde. Als Beispiel wären an dieser Stelle die Mittelgesichtsfrakturen (Le Fort 1–3) mit Beteiligung der Augenhöhle, der Nasennebenhöhlen, der Frontobasis, des Oberund/oder Unterkiefers und der möglichen Symptomenkombinationen Anosmie, Doppelbilder, Visusminderung DD Gesichtsfeldausfälle, Trigeminus- und Fazialisausfälle zu nennen. Tabelle 18.5 gibt eine Übersicht der relevanten posttraumatischen Hirnnervenläsionen und deren Bewertungen.

18.4.4 Sensibilitätsstörungen Zentrale, durch das SHT verursachte Sensibilitätsstörungen betreffen eine oder beide Körperhälften. Die klinische Untersuchung der Oberflächen- und Tiefensensibilität ist obligat. Eine Abgrenzung von Empfindungsstörungen anderer Schädigungslokalisation beispielsweise im Rahmen eines Polytraumas (sensibler Querschnitt bei Rückenmarkschädigung, Nervenwurzelausrisse bei Wirbelsäulenverletzungen und/oder Sprengung des Sakroiliakalgelenks, Plexuszerrungen oder- zerreißungen besonders bei Thoraxtraumen, Schädigungen von peripheren Nerven bei Extremitätenverletzungen bzw. im Rahmen der Critical-Illness-Polyneuropathie) kann eine Herausforderung für den Gutachter darstellen. Die Beurteilungen des Schädigungsgrades sollte sich an den Bewertungstabellen peripherer Nervenläsionen orientieren. Besondere Beachtung für die Praxis verdienen dabei Sensibilitätsstörungen mit Einbeziehung der Handinnenfläche und der Fußsohle.

484 | 18 Begutachtung

Tab. 18.5: Bewertungstabellen bei posttraumatischen Hirnnervenläsionen. Hirnnervenausfälle

GUV: MdE

PUV: Invalidität

GdB/GdS

Literatur

Anosmie Homonyme Hemianopsie Bitemporale Hemianopsie Gesichtsfeldausfall homonymer Quadrant oben Gesichtsfeldausfall homonymer Quadrant unten Augenmuskellähmung einseitig ohne wesentliche Störung des beidäugigen Sehens Augenmuskellähmung einseitig mit wesentlicher Störung des zweiäugigen Sehens Augenmuskellähmung einseitig mit Erfordernis der ständigen Okklusion eines Auges Doppelbilder in allen Blickrichtungen

10 40 30 20

1/1 Geruchssinn

15

20

[7] [7, 9] [19] [7, 9]

30

[7, 9]

N. trigeminus leichte sensible Läsion ausgeprägte sensible Läsion, perioral einbeziehend komplette Läsion einseitig Trigeminusneuralgie leicht mittelschwer schwer sehr schwer N. facialis einseitig, wenig störend einseitig, ausgeprägtere Lähmungen/Kontrakturen einseitige komplette Lähmung/entstellende Kontrakturen beidseitig, je nach Ausprägung/ komplette Lähmung

30 10

[7, 9]

20/30

[7, 9]

30

30

25 0–10 20–30

0–10 20–40 50–60 70–80 10 20/20–30

[7]

[9] 0–10 20–30

[7, 25] [25]

20–30

[7]

0–10 20–40 50–60 70–80

[7, 25] [7, 25] [7, 25] [7, 25]

0–10

[7, 9, 25] [7, 9, 25]

30/40

40

[7, 9, 25]

30–50/50

50

[7, 9, 25]

18.4 Symptome nach Schädel-Hirn-Trauma und deren Begutachtung |

485

Tab. 18.6: Bewertungstabellen bei zentral vegetativen Störungen. Endokrine/autonome Funktionsstörungen

GUV: MdE

PUV: Invalidität

GdB/GdS

Literatur

30 40 50

[7, 9] [7, 9, 25] [7, 9, 25]

Zentrale vegetative Störungen (z. B. Schwindel, Schlafstörungen, Kreislauf- und Schweißregulationsstörungen) leicht mittelschwer schwer

10–20/30 20–30/40 30–40/50

18.4.5 Autonome und endokrine Störungen Bei mittelschweren/schweren Hirnschädigungen ist eine Einbeziehung des Zwischenhirns im Rahmen einer direkten Läsion bzw. sekundär durch Mittellinienverlagerung bei raumforderndem Hirnödem oder durch Blutungen möglich. Im Rahmen einer Hypophysenvorder- und/oder -hinterlappeninsuffizienz können Symptome wie Amenorrhoe, Adynamie, Hypothyreose, Diabetes insipidus, Gewichts- und Libidoverlust auftreten [1, 26]. Eine endokrinologische Zusatzbegutachtung ist dann notwendig. Die Tabelle 18.6 beinhaltet die Bewertungsempfehlungen bei zentral vegetativen Störungen.

18.4.6 Neuropsychologische Störungen Nach Abklingen der akuten Symptome des Schädel-Hirn-Traumas werden teilweise von den betroffenen Personen selbst oder von Angehörigen neben den kognitiven Defiziten affektiv-emotionale Veränderungen und Wesensveränderungen bemerkt. Besonders im Rahmen der traumatischen Stirnhirnschädigung sind oftmals die Eigenwahrnehmung und die Krankheitseinsicht beeinträchtigt. Die unzureichende oder teils fehlende Selbstreflexion stellt in der Begutachtung den begutachtenden Arzt/Neuropsychologen oft vor Probleme. Bei den posttraumatischen kognitiven Defiziten dominieren Gedächtnisstörungen, Aufmerksamkeitsdefizite, vermindertes kognitives Tempo, Konzentrationsminderungen und Störungen der exekutiven Funktionen [1, 11–15]. Differentialdiagnostisch können Aufmerksamkeitsdefizite, Verlangsamung, Wesensveränderungen und Depression aber auch durch Hypophysenvorderlappeninsuffizienz bedingt sein und müssen berücksichtigt werden. Gegebenenfalls ist eine entsprechende Substitionstherapie einzuleiten. Abzugrenzen sind ebenfalls funktionelle psychische Störungen und eine medikamentöse Beeinflussung.

486 | 18 Begutachtung

Die neuropsychologische Zusatzbegutachtung für den neurologischen Gutachter muss alle wesentlichen kortikalen Funktionen erfassen. Dafür ist eine Vielzahl an Einzeltests notwendig. Die Auswertung auch mit einer semiquantitativen Auswertungstabelle ist zur besseren Veranschaulichung zu empfehlen (Tab. 18.7). Neuropsychologen bewerten die Validität der Untersuchungsergebnisse anhand der Informationen des Gesamtleistungsprofils eines Patienten/Versicherten. Darüber hinaus stehen ihnen Symptomvalidierungstests zur Verfügung. Die Tabelle 18.8 enthält relevante Funktionen, Teilfunktionen und Empfehlungen für entsprechende Tests. Die Tabelle 18.9 gibt eine Übersicht zur Bewertung neuropsychologischer Defizite im Rahmen des Gutachtens.

18.4.7 Funktionelle psychische Störungen Besonders in der Begutachtung des Schädel-Hirn-Traumas ist die Abgrenzung zwischen neuropsychologischen und funktionellen psychischen Störungen einerseits [16] und andererseits unfallunabhängigen psychiatrischen Vorerkrankungen relevant. Die Zusatzbegutachtung durch den Neuropsychologen und den Psychiater ist durch den begutachtenden Neurologen bei entsprechender Fragestellung in Rücksprache mit der Versicherung in Auftrag zu geben. Zu beachten ist, dass funktionelle psychische Störungen im Rahmen der privaten Unfallversicherung (AUB) nicht versichert sind und damit nicht begutachtet werden müssen. Nach der ICD-10 unterscheidet man folgende funktionelle psychische Störungen: – akute Belastungsreaktion, – posttraumatische Belastungsstörung, Tab. 18.7: Beispiel für ein Auswertungsprotokoll nach neuropsychologischer Diagnostik. Kognitive Leistung Leistungsstörung Schwer Automatisierte Funktion Visuelle Wahrnehmung Mnestik Kurzzeitgedächtnisspanne Kognitives Tempo Aufmerksamkeit Exekutive Funktion

Mittel

Normbereich Leicht

Unterer

Mittlerer

Oberer

18.4 Symptome nach Schädel-Hirn-Trauma und deren Begutachtung |

487

Tab. 18.8: Neuropsychologische Untersuchung. Übersicht über die zu prüfenden kognitiven Funktionen mit Beispielen für Testverfahren (besonders vulnerable Funktionen wurden grau unterlegt). Leistungsbereiche

Teilfunktionen

Testverfahren Beispiele

Automatisierte Funktionen

verbales Wissen/Wortschatz Leseflüssigkeit Kalkulie Wortfinden/Benennen

WST, LPS (UT 1+2), BORB (UT 14), Lese-, Schreib- und Rechenproben

Visuelle Wahrnehmung

Gestaltwahrnehmung

Untertests aus VOSP, BORB, LPS; Mosaiktest aus HAWIE oder WIE

Objekterkennung räumliche Vorstellung visuell-konstruktive Leistung Anterograde Mnestik

gesamt verbal figural Vergessensprozess Elaboration mnestische Interferenzen

Berliner Amnesie Test

Kurzzeitgedächtnisspanne

verbal-akustisch räumlich-visuell

Zahlenspanne (z. B. BAT UT 5), Corsi-Blockspanne

Reaktionsschnelligkeit

Einfachreaktion Wahlreaktion motorische Schnelligkeit

WTS (Reaktionstest), TAP (Alertness)

Aufmerksamkeit

phasische Alertness lselektive Aufmerksamkeit, Tempo selektive Aufmerksamkeit, Genauigkeit geteilte Aufmerksamkeit Hemmung irrelevanter Reize

TAP (Alertness, GoNogo, Geteilte Aufmerksamkeit), d2, KVT, Stroop-Test, TMT

Exekutive Funktionen

Kontrollfunktionen Arbeitsgedächtnis formal-logisches Denken verbales Denken divergentes Denken Handlungsplanung/-organisation konzeptgeleitetes Problemlösen Umstellfähigkeit

TAP (Arbeitsgedächtnis), LPS (UT 3), WIE (UT 4, 7), Sprachliche Analogieaufgaben, SLP, WCST oder CKV, TL-D

→ Untersuchungsdauer ≥ 4 Stunden

488 | 18 Begutachtung

Tab. 18.9: Bewertungstabellen bei neuropsychologischen Defiziten. GUV: MdE Hirnschaden allgemein mit sehr leichter Leistungsbeeinträchtigung leichter Leistungsbeeinträchtigung mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung schwerer Leistungsbeeinträchtigung

PUV: Invalidität

GdB/GdS

10

Literatur [7]

10–20/30–40 30–50/50–60

30–40 50–60

[7, 9, 25] [7, 9, 25]

60–100/70–100

70–100

[7, 9, 25]

Kognitive Defizite im Alltag leicht mittelschwer schwer

20–40 40–50 60–100

30–40 50–60 70–100

[7] [7] [7]

Kognitive Teilleistungsstörungen (z. B. Aphasie, Apraxie) leicht mittelschwer schwer

0–30/30–40 40–60/50–80 70–100/90–100

30–40 50–80 90–100

[7, 9, 25] [7, 9, 25] [7, 9, 25]

Organische, posttraumatische Wesensveränderung leicht mittelschwer schwer

20–40 40–50 60–100

– –

[25] [25] [25]

Anpassungsstörungen, andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung.

Zur Begutachtung dieser funktionellen psychischen Störungen wird an dieser Stelle auf die entsprechende psychiatrische Fachliteratur verwiesen [17].

18.4.8 Posttraumatische Epilepsie Bezüglich Diagnostik und Therapie wird auf das Kapitel „Behandlung und Prophylaxe von Krampfanfällen im Rahmen des SHT“ verwiesen. Wichtig bei der Begutachtung ist die ausführliche Anamnese hinsichtlich epileptischen Anfalls oder Epilepsie. Dabei sollten neben dem Zeitpunkt der Erstmanifestation, die eigen- als auch auch fremdanamnestische Beschreibung der Anfälle, die antiepileptische Medikation und die unfallunabhängige Eigen- und Familienanamnese genau analysiert werden.

18.4 Symptome nach Schädel-Hirn-Trauma und deren Begutachtung |

489

Tab. 18.10: Bewertungstabellen bei posttraumatischer Epilepsie. Epilepsie

GUV: MdE

nach 3 Jahren Anfallsfreiheit bei weiterer Notwendigkeit antikonvulsiver Medikation sehr seltene Anfälle seltene Anfälle mittlere Häufigkeit häufige Anfälle

PUV: Invalidität

GdB/GdS

Literatur

20

30

[7, 25]

30–40 40–50 50–60 70–100

40 50–60 60–80 90–100

[7, 25] [7] [7] [7]

Das Routine-EEG wird im Rahmen der Begutachtung mit den Vor-EEG-Befunden verglichen und ggf. um ein Langzeit-EEG ergänzt. Die Schwere des Traumas und das Ausmaß der Hirnschädigung stehen einerseits in direkter Beziehung zum Risiko einer posttraumatischen Epilepsie. Das Risiko für eine posttraumatische Epilepsie ist anderseits auch nach einem leichten SHT im Vergleich zur Normalbevölkerung verdoppelt [18]. Argumente für einen Zusammenhang zwischen Primärschaden und Sekundärschaden wären offene Hirnverletzungen, parietale, temporale und frontale Läsionen, die Schwere der Hirnverletzungen, ananmnestisch beschriebene Frühanfälle (2.–7. Tag nach SHT), Neigung zum Status epilepticus, fokale/fokal beginnende Anfälle passend zur Läsionslokalisation und regionale Funktionsstörungen im EEG [1, 9, 19–21]. Argumente gegen einen Zusammenhang zwischen Primärschaden und Sekundärschaden wären leichte Hirnverletzung, gedeckte Hirnverletzung, okzipitale Läsion, tageszeitliche Bindung der Anfälle, generalisierte Krampfaktivität im EEG, Anhalt für Alkoholabusus, Petit-mal-Anfälle [1, 9, 19–21]. Hinsichtlich der zeitlichen Latenz zwischen dem Primärschaden (z. B. parietaler Kontusion) und Sekundärschaden (z. B. posttraumatischer, fokaler Epilepsie) gibt es keine feste Regel. Die Mehrzahl der posttraumatischen Anfälle tritt innerhalb der ersten 2–4 Jahre nach dem SHT auf [1]. In Einzelfällen liegen deutlich längere Latenzen, teils > 10 Jahre [18]) vor. Tabelle 18.10 fasst die relevanten Bewertungen bei einer posttraumatischen Epilepsie zusammen.

18.4.9 Posttraumatischer Kopfschmerz Kopfschmerzen stellen ein häufiges Symptom nach Schädel-Hirn-Trauma dar. In der Literatur schwanken die Angaben zum posttraumatischen Kopfschmerz erheblich. Es wird zwischen dem akuten und dem chronischen posttraumatischen Kopfschmerz unterschieden. Die akute Form tritt zeitnah nach dem Akutereignis auf und bildet sich innerhalb von 3 Monaten wieder zurück [22, 27]. Sie tritt häufig als Symptomenkomplex „Kopfschmerz, Reizbarkeit, Schwindel, schnelle Erschöpfbarkeit,

490 | 18 Begutachtung

Tab. 18.11: Kriterien des Kopfschmerzes vom Spannungstyp [22]. A

B

C D

Episoden oder Kopfschmerzen, die das Kriterium A für einen sporadisch auftretenden episodischen Kopfschmerz vom Spannungstyp (2.1), einen häufig auftretenden episodischen Kopfschmerz vom Spannungstyp (2.2) oder einen chronischen Kopfschmerz vom Spannungstyp (2.3) erfüllen sowie die unten aufgeführten Kriterien B–D. Die Kopfschmerzdauer liegt zwischen 30 Minuten und 7 Tagen. Der Kopfschmerz weist mindestens zwei der folgenden Charakteristika auf: 1 beidseitige Lokalisation 2 Schmerzqualität drückend oder beengend, nicht pulsierend 3 leichte bis mittlere Schmerzintensität 4 keine Verstärkung durch körperliche Routineaktivitäten wie Gehen oder Treppensteigen keine Übelkeit (Appetitlosigkeit kann auftreten), Erbrechen, Photophobie oder Phonophobie nicht auf eine andere Erkrankung zurückzuführen

Merkfähigkeits- und Konzentrationsminderung, Verlangsamung und vegetative Symptomatik“ auf. Dieser Kopfschmerz spielt für die Begutachtung eine untergeordnete Rolle. Eine genaue Dokumentation initial und im Verlauf ist jedoch zu empfehlen. Die Begutachtung des chronischen posttraumatischen Kopfschmerzes (anhaltender Kopfschmerz über mehr als 6–12 Monate nach Ereignis) ist dagegen häufig relevant. Das Symptom „Kopfschmerz“ kann in allen Rechtsgebieten Bedeutung haben. Der chronische posttraumatische Kopfschmerz präsentiert sich häufig als Kopfschmerz vom Spannungstyp [23]. In der Tabelle 18.11 sind die Kriterien dieser Kopfschmerzform entsprechend der IHS dargestellt. Im Rahmen der Begutachtung nach gedecktem Schädel-Hirn-Trauma wird die Diagnose chronischer posttraumatischer Kopfschmerz erst dann gestellt und bewertet, wenn ein entsprechendes morphologisches, intrakranielles Korrelat (z. B. Hirnhautverletzung) vorliegt [1]. Seltener sind die posttraumatische Migräne mit einer Inzidenz von 2,5 % und der posttraumatische Clusterkopfschmerz. Beide Kopfschmerzarten sind jedoch im Rahmen der Begutachtung meist im Sinne einer passageren Verschlimmerung, selten als Erstmanifestation zu sehen [23]. Differentialdiagnostisch ist im direkten/indirekten Zusammenhang mit dem SHT der Kopfschmerz bei Medikamentenmissbrauch, Kopf- oder Gesichtsschmerz nach SHT im Rahmen von Verletzungen des Halses, der Nasennebenhöhlen, Ohren, Augen, Zähne, des Mundes oder anderer Gesichts-/Schädelstrukturen abzuklären. Unfallunabhängig sind die aus der Eigenanamnese bekannten Kopfschmerzarten abzugrenzen. Das Führen eines Kopfschmerzkalenders ist zu empfehlen. Unter Beachtung der Art und Schwere des Schädigungsmusters und der Versicherungsart sind ggf. Zusatzgutachten in den Bereichen Augen- und HNO-Heilkunde, MKG-Chirurgie, Psychosomatik, Psychiatrie bzw. spezielle Schmerztherapie in Rück-

18.5 Gutachterliche Gesamtbeurteilung | 491

sprache mit den Versicherungen zu veranlassen. Tabelle 18.12 gibt eine Übersicht der Bewertungen bei chronischem posttraumatischen Kopfschmerz. Tab. 18.12: Bewertungstabellen bei chronischem posttraumatischen Kopfschmerz. Posttraumatischer Kopfschmerz

GUV: MdE

PUV: Invalidität

chronisch Migräne leicht mittelschwer schwer

10–20

10–20

GdB/GdS

Literatur [23]

0–10 20–40 50–60

[7] [7] [7]

18.5 Gutachterliche Gesamtbeurteilung In der neurologischen Zusammenhangsbegutachtung sind die Ergebnisse aller Zusatzgutachten unter Beachtung unfallunabhängiger Vorerkrankungen, des Unfallmechanismus, einschließlich Eigen- oder Fremdverschulden, der Lokalisation der zerebralen Schädigungen und der resultierenden Symptome kritisch zu bewerten. Besonders die Begutachtung der Folgeerscheinungen eines initial als leicht eingeschätzten Schädel-Hirn-Traumas mit teils zahlreich geklagten Folgesymptomen sollte einerseits mit allen notwendigen diagnostischen Maßnahmen abgeklärt und anderseits kritisch auf deren Unfallabhängigkeit geprüft werden. Die Erfassung neurologischer/neuropsychologischer Defizite in der Frühphase der Behandlung ist von erheblicher Relevanz für den später begutachtenden Arzt. Ein mögliches Instrument einer interdisziplinären Abklärung von Symptomen nach Schädel-Hirn-Trauma stellt der Brain-Check – ein diagnostisches Modul der DGUV [24] – dar.

Literatur [1] [2]

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492 | 18 Begutachtung

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[15]

[16]

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[19] [20] [21] [22]

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Karsten Schwerdtfeger

19 Leitlinien 19.1 Was sind Leitlinien? Medizinische Leitlinien sind definiert als „systematisch entwickelte, wissenschaftlich begründete und praxisorientierte Entscheidungshilfen für die angemessene ärztliche Vorgehensweise bei speziellen gesundheitlichen Problemen“ [1]. Der Begriff „Medizinische Leitlinie“ ist jedoch nicht geschützt, und im Prinzip kann jede Organisation, jeder Interessenverband, sogar jede einzelne Personen Leitlinien formulieren, die nicht immer der erwähnten Definition genügen müssen. Ziel der Entwicklung und Umsetzung von Leitlinien ist eine „optimale medizinische Praxis“. Voraussetzung hierfür kann jedoch nicht die Einzelmeinung sein, sondern es bedarf der wissenschaftlichen Begründung, der kritischen Überprüfung und des Konsensus möglichst aller an der Versorgung Beteiligten. Die Leitlinienaktivitäten der medizinischen Fachgesellschaften in Deutschland werden von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) e. V. als fachübergreifende Vereinigung koordiniert. Um eine möglichst hohe Qualität der Leitlinien zu erreichen, hat die AWMF ein Regelwerk und Entwicklungshilfen entwickelt [2]. Je nach Aufwand, der bei der Leitlinienentwicklung betrieben wird, lassen sich verschiedene Entwicklungsstufen (S1, S2k, S2e und S3) unterscheiden, die in Tabelle 19.1 definiert sind. S1-Leitlinien genügen dabei relativ geringen Anforderungen, sind aber am ehesten anfällig für Beeinflussungen (Bias) durch Denken in „Schulen“ oder durch Interessenverbände. Die formale Konsensusfindung (S2k) und die systematische Literaturrecherche mit Bewertung der Evidenz (S2e) stellen demgegenüber Qualitätsmerkmale dar, die diesen Bias vermindern sollen. Die höchste Qualitätsstufe S3 umfasst die Anforderungen für S2k und S2e verbunden mit einer Graduierung der Empfehlungsstärke je nach vorliegender Evidenz mit kritischer Abwägung von Nutzen und Schaden eiTab. 19.1: Entwicklungsstufen von Leitlinien nach AWMF.

S1 S2k S2e S3

Handlungsempfehlungen von Experten Konsens-basierte Leitlinie Evidenz-basierte Leitlinie Evidenz- und Konsens-basierte Leitlinie

Für die Anwender repräsentative Entwickler

Systematische Evidenzbasierung

Strukturierte Konsensusfindung

nein

nein

nein

ja nein ja

nein ja ja

ja nein ja

https://doi.org/10.1515/9783110366853-021

494 | 19 Leitlinien

ner Empfehlung, der Relevanz von Studienzielgruppen und der Anwendbarkeit in der Patientenzielgruppe. Die kritische Recherche und Bewertung der wissenschaftlichen Literatur und die Feststellung ihrer Aussagekraft (Evidenzgrad) sind nicht immer einfach und bedürfen methodischer Vorkenntnisse. Weltweit gibt es leider kein einheitliches Bewertungsschema für die Evidenz einer Publikation. Grundsätzlich spielt das Studiendesign die entscheidende Rolle und eine Abwertung kann durch Mängel in der Durchführung und Auswertung der Studie erfolgen. Für die meisten aktuellen deutschsprachigen Leitlinien wurde das Oxford-Bewertungsschema [3] verwandt, das für Therapiestudien in Tabelle 19.2 dargestellt ist. Die höchste Aussagekraft haben Metaanalysen aus mehreren „guten“ randomisiert-kontrollierten Studien, wie z. B. die Systematic Reviews der Cochrane Collaboration. Leider gibt es für viele Fragestellungen keine hochwertige Evidenz, sodass auch auf Studien mit niedriger Evidenz zurückgegriffen werden muss. Umso wichtiger ist die Arbeit der möglichst interdisziplinären Leitliniengruppen, um eine optimale Praxisempfehlung zu formulieren und eine Empfehlungsstärke anzugeben. Auch für Empfehlungsgrade gibt es unterschiedliche Schemata. In Deutschland wird meist nach dem A-B-0-Schema der Nationalen Versorgungsleitlinien bewertet [4]. Der Empfehlungsgrad bringt dabei das Ausmaß der Überzeugung vom Überwiegen eines Nutzens zum Ausdruck, A-Empfehlungen sind starke Empfehlungen und sollen in den allermeisten Behandlungsfällen befolgt werden, B-Empfehlungen in der Mehrzahl der Fälle und 0-Empfehlungen stellen eine fakultative (optionale) Behandlungsform dar. Die Empfehlungsgrade korrelieren häufig mit den Evidenzgraden, wie in Tabelle 19.2 impliziert. Sie können aus den genannten Gründen aber auch abweichen. Üblicherweise sollte im Hintergrundtext ausgeführt werden, wie Empfehlung und Empfehlungsgrad hergeleitet wurden. Es ist festzustellen, dass Leitlinien zunehmend auch eine medikolegale Bedeutung erlangen. Leitlinien sind allerdings keine Richtlinien, die einen verpflichtenden Tab. 19.2: Klassifikation Evidenz- und Empfehlungsgrade bei therapeutischen Fragestellungen. Empfehlungsgrad

Evidenzgrad

Studien-/Literaturtyp

A

1a 1b

Systematisches Review randomisierter kontrollierter Studien Mindestens eine randomisierte kontrollierte Studie (RCT)

B

2a–b 3a–b

Systematisches Review von vergleichenden Kohortenstudien Systematisches Review von Fall-Kontrollstudien oder mindestens eine gut geplante kontrollierte Studie

0

4

Fallserien und mangelhafte Fall-Kontrollstudien, begründete Expertenmeinung Meinungen ohne explizite kritische Bewertung, Modell-basierte Überlegungen

5

19.2 Deutsche Leitlinien zum Schädel-Hirn-Trauma

| 495

Charakter haben (wie z. B. die Hämotherapie-Richtlinie [5]) und deren Nichtbefolgen Sanktionen nach sich ziehen könnten. Leitlinien sind Orientierungshilfen im Sinne von „Handlungs- und Entscheidungskorridoren“, von denen in begründeten Fällen abgewichen werden kann oder sogar muss [2], wenn es die individuelle Situation eines Patienten erfordert. Aber für dieses Abweichen wird insbesondere bei A-Empfehlungen in S3-Leitlinien vor Gericht und von Gutachtern eine gut dokumentierte Begründung verlangt.

19.2 Deutsche Leitlinien zum Schädel-Hirn-Trauma 19.2.1 Schädel-Hirn-Trauma im Erwachsenenalter Die von der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie in Abstimmung mit der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, der Deutschen Gesellschaft für Anästhesie/Intensivmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie und der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie zuletzt 2015 aktualisierte Leitlinie richtet sich an die in der Versorgung Schädel-Hirn-verletzter Patienten tätigen Gesundheitsberufe [6]. Der Schwerpunkt dieser Leitlinie liegt auf Empfehlungen zu diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen – präklinisch (Unfallort, Transport), – in der Akutversorgung im Krankenhaus und – in der sich unter stationären Bedingungen anschließenden Therapie. Der präklinische Bereich umfasst 16 Empfehlungen, die in Tabelle 19.3 aufgelistet sind. Die ersten drei Empfehlungen (E1–E3) umfassen dabei Maßnahmen zur Sicherung der Vitalfunktionen. Bei der Entwicklung dieser Leitlinie bestand Konsens, dass der Sicherung der Vitalfunktionen absolute Priorität einzuräumen sei. Die bereits in der Vorgängerversion der Leitlinie mit einem starken Empfehlungsgrad versehene Empfehlung, bewusstlose Patienten zu intubieren, beruhte initial auf einem reinen Expertenkonsens. In der Abstimmung mit der federführend von der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie entwickelten Polytrauma-Leitlinie [7] war der Empfehlungsgrad bei der Vorgängerversion umstritten, weil von einigen Experten auf die Gefahr einer Fehlintubation mit konsekutiver Schädigung des Patienten hingewiesen wurde. Da viele bewusstlose Patienten ausreichend spontan atmen, müsste die Intubation einer sorgfältigen Schaden-Nutzen-Analyse unterzogen werden. Zwischenzeitlich wurde eine prospektiv randomisiert-kontrollierte Studie [8] zu dieser Fragestellung publiziert, bei der gezeigt werden konnte, dass am Unfallort intubierte Patienten 6 Monate nach Trauma signifikant um 12 % häufiger in der besseren neurologischen Outcome-Gruppe vertreten waren. Da es sich bei diesem Auswertparameter nicht um ein primäres Studienziel handelte, kann hierfür nicht

496 | 19 Leitlinien

Tab. 19.3: Empfehlungen der Leitlinie Schädel-Hirn-Trauma im Erwachsenenalter. Präklinische Versorgung Sicherung der Vitalfunktionen am Unfallort E1 A Bewusstlose Patienten (Anhaltsgröße GCS ≤ 8) sollen intubiert werden und für ausreichende (Be-)Atmung ist zu sorgen E2 B Ein Absinken der arteriellen Sauerstoffsättigung unter 90 % sollte vermieden werden E3 B Beim Erwachsenen sollte versucht werden, den systolischen Blutdruck nicht unter 90 mmHg sinken zu lassen Anamnese und klinische Untersuchung am Unfallort E4 A Neben dem klinischen Befund gibt die Anamnese Hinweise auf eine potentielle intrakranielle Verletzung. Sie soll daher unbedingt erhoben werden E5 A Folgende Parameter zum neurologischen Befund – Bewusstseinsklarheit, Bewusstseinstrübung oder Bewusstlosigkeit – Pupillenfunktion und – motorische Funktionen seitendifferent an Armen und Beinen sollen erfasst und dokumentiert werden E6 B Kurzfristige Kontrollen des neurologischen Befundes zur Erkennung einer Verschlechterung sollten durchgeführt werden E7 B Der neurologische Befund sollte standardisiert erhoben werden. International hat sich hierfür die GCS eingebürgert. Die Limitationen der Skala (Scheinverbesserungen, Befund bei Intubation, Analgosedierung u. a.) müssen berücksichtigt werden Einweisung und Transport E8 A Bei Vorliegen folgender Symptome soll unbedingt eine stationäre Einweisung zur weiteren diagnostischen Abklärung und ggf. Beobachtung des Patienten erfolgen: – Koma – Bewusstseinstrübung – Amnesie – andere neurologische Störungen – Krampfanfall – klinische Zeichen oder röntgenologischer Nachweis einer Schädelfraktur – Verdacht auf Impressionsfraktur und/oder penetrierende Verletzungen – Verdacht auf nasale oder otogene Liquorfistel E9 B Bei folgenden Symptomen, im Zusammenhang mit einer Gewalteinwirkung auf den Schädel, sollte die Einweisung in ein Krankenhaus erfolgen: – Erbrechen, wenn ein enger zeitlicher Zusammenhang zur Gewalteinwirkung besteht – Bei Hinweisen auf eine Gerinnungsstörung (Fremdanamnese, „Pass zur Antikoagulanzienbehandlung“, nicht sistierende Blutung aus oberflächlichen Verletzungen usw.) – Im Zweifel E10 A Die Wahl der Klinik soll sich nach ihrer bestmöglichen Erreichbarkeit hinsichtlich Entfernung bzw. Transportzeit und der Ausstattung richten E11 A Im Falle eines Schädel-Hirn-Traumas mit anhaltender Bewusstlosigkeit (GCS < 8), einer zunehmenden Eintrübung (Verschlechterung einzelner GCS-Werte), Pupillenstörung, Lähmung oder Anfällen soll die Klinik über die Möglichkeit einer neurochirurgischen Versorgung intrakranieller Verletzungen verfügen E12 0 Zur Frage der Analgosedierung und Relaxierung für den Transport kann keine eindeutige Empfehlung ausgesprochen werden

19.2 Deutsche Leitlinien zum Schädel-Hirn-Trauma |

497

Tab. 19.3: (fortgesetzt) Hirnprotektive Maßnahmen in der präklinischen Versorgung E13 A Auf die Gabe von Glukokortikoiden zur Behandlung des Schädel-Hirn-Traumas soll aufgrund einer signifikant erhöhten 14-Tage-Letalität verzichtet werden E14 0 Bei Verdacht auf transtentorielle Herniation und den Zeichen des Mittelhirnsyndroms (Pupillenerweiterung, Strecksynergismen, Streckreaktion auf Schmerzreiz, progrediente Bewusstseinstrübung) kann durch die Gabe von Mannitol oder hypertoner Kochsalzlösung eine Senkung des intrakraniellen Druckes versucht werden E15 0 In den Fällen mit Verdacht auf transtentorielle Herniation und den Zeichen des Mittelhirnsyndroms (Pupillenerweiterung, Strecksynergismen, Streckreaktion auf Schmerzreiz, progrediente Bewusstseinstrübung) kann die Hyperventilation als Behandlungsoption in der Frühphase nach Trauma eingesetzt werden Dokumentation E16 A Für die weitere Versorgung des schädelhirnverletzten Patienten sind Angaben zum Unfallmechanismus, der initiale Befund und der weitere Verlauf von großer Bedeutung. Sobald die Versorgung des Patienten es erlaubt, sollten die Angaben schriftlich dokumentiert werden Akutversorgung nach Aufnahme (Schockraum) Bildgebende Diagnostik E17 A Die kraniale CT gilt als Goldstandard und soll bei schädelhirnverletzten Patienten durchgeführt werden, wenn folgende Befunde vorliegen bzw. bekannt sind (absolute Indikation): – Koma – Bewusstseinstrübung – Amnesie – andere neurologische Störungen – mehrfaches Erbrechen, wenn ein enger zeitlicher Zusammenhang zur Gewalteinwirkung besteht – Krampfanfall – Zeichen einer Schädelfraktur – Verdacht auf Impressionsfraktur und/oder penetrierende Verletzungen – Verdacht auf Liquorfistel, Hinweise auf eine Gerinnungsstörung (Fremdanamnese, „Pass zur Antikoagulanzienbehandlung“, nicht sistierende Blutung aus oberflächlichen Verletzungen usw.) E18 B Eine kraniale CT sollte in Zweifelsfällen durchgeführt werden (fakultative Indikation), z. B. bei: – unklaren Angaben über die Unfallanamnese – starken Kopfschmerzen – Intoxikation mit Alkohol oder Drogen – Hinweisen auf ein Hochenergietrauma E19 0 Die Magnetresonanztomographie kann aufgrund ihrer höheren Sensitivität für umschriebene Gewebsläsionen nach der Akutversorgung zur Abklärung von Patienten mit neurologischen Störungen ohne pathologischen CT-Befund eingesetzt werden

498 | 19 Leitlinien

Tab. 19.3: (fortgesetzt) E20

A

E21

B

Eine stationäre Aufnahme, ggf. operative Versorgung und Überwachung des Patienten, soll erfolgen im Falle von: – operativ zu versorgenden Verletzungsfolgen – Bewusstseinsstörung, Bewusstlosigkeit – neurologischen Störungen – Schädelfraktur – Liquoraustritt, offener Schädel-Hirn-Verletzung – im CT erkennbaren Verletzungsfolgen Darüber hinaus sollte die stationäre Aufnahme im Zweifelsfall (z. B. starke Kopfschmerzen, Übelkeit, Intoxikation mit Drogen oder Alkohol) erfolgen

Therapie Operative Therapie E22 A Raumfordernde, intrakranielle Verletzungen sollen operativ entlastet werden E23 B Offene oder geschlossene Impressionsfrakturen ohne Verlagerung der Mittellinienstrukturen, penetrierende Verletzungen und basale Frakturen mit Liquorrhoe, für die eine operative Indikation besteht, sollten ggf. mit aufgeschobener Dringlichkeit versorgt werden E24 B Nicht vital erforderliche Operationen von Begleitverletzungen sollten im Rahmen der Primärversorgung nur durchgeführt werden, soweit sie für die Herstellung einer adäquaten Intensivtherapie erforderlich sind E25 0 Aufgrund der effektiven Senkung des erhöhten intrakraniellen Druckes kann die operative Dekompression durch Kraniektomie und Duraerweiterungsplastik bei erhöhtem Hirndruck erfolgen. Eine Beeinflussung des klinischen Ergebnisses ist bislang nicht durch hochwertige Studien belegt E26 0 In Einzelfällen kann bei nicht raumfordernden Blutungen und stabilem neurologischem Befund ein nicht operatives Vorgehen gerechtfertigt sein Hirndruckmessung E27 B Die Messung des intrakraniellen Druckes sollte aus pathophysiologischen Überlegungen heraus erfolgen, zumal bei SHT-Patienten die klinische Überwachung vieler zerebraler Funktionen nur eingeschränkt möglich ist E28 B Im Falle einer intrakraniellen Druckmessung sollten Maßnahmen ergriffen werden, die den CPP nicht unter 50 mmHg sinken lassen E29 B Im Falle einer intrakraniellen Druckmessung sollte der CPP nicht durch eine aggressive Therapie über 70 mmHg angehoben werden E30 B Zur kontinuierlichen Bestimmung des CPP ist eine invasive ICP-Messung erforderlich. Solange die Ventrikel nicht vollständig ausgepresst sind, sollte das ICP-Monitoring über eine Ventrikeldrainage erfolgen. Sie bietet die Möglichkeit, durch Ablassen von Liquor einen erhöhten ICP zu senken

19.2 Deutsche Leitlinien zum Schädel-Hirn-Trauma |

499

Tab. 19.3: (fortgesetzt) Nichtoperative Therapie E31 0 Osmodiuretika, z. B. Mannitol oder hypertone Kochsalzlösung können zur kurzzeitigen Senkung des ICP eingesetzt werden E32 0 Die Hyperventilation kann bei erhöhtem Hirndruck und akuter Gefahr einer transtentoriellen Herniation für einen kurzen Zeitraum hilfreich sein E33 0 Die Oberkörperhochlagerung auf 30° kann zur Senkung extrem hoher ICP-Werte eingesetzt werden E34 0 Die (Analgo-)Sedierung ist eine Option, Unruhezustände zu vermeiden und eine Beatmung zu ermöglichen E35 0 Die Gabe von Barbituraten kann bei anderweitig nicht beherrschbaren Krisen intrakranieller Hypertension erwogen werden E36 0 Die hyperbare Sauerstofftherapie kann optional angewandt werden E37 0 Die Hypothermie ist eine Behandlungsoption beim Schädel-Hirn-Trauma E38 0 Bei frontobasalen Frakturen mit Liquorrhoe kann eine Antibiotikagabe erwogen werden E39 A Auf die Gabe von Glukokortikoiden zur Behandlung des Schädel-Hirn-Trauma soll aufgrund einer signifikant erhöhten 14-Tage-Letalität verzichtet werden E40 0 Zur Vermeidung eines Anfalls in der ersten Woche kann eine antikonvulsive Therapie erfolgen E41 B Eine über ein bis zwei Wochen hinausgehende Antikonvulsivagabe sollte nur in Ausnahmefällen (z. B. vorbestehende Epilepsie, persistierende Anfälle) durchgeführt werden E42 A Die Thromboseprophylaxe mittels physikalischer Maßnahmen soll angewandt werden, sofern keine Kontraindikationen vorliegen E43 0 Die Gabe von Heparin bzw. Heparinderivaten ist eine Option zur Vermeidung thromboembolischer Komplikationen. Die Anwendung ist umstritten E44 A Mydriatica sollen bei bewusstlosen Patienten nach SHT grundsätzlich nicht angewandt werden, da nach ihrer Anwendung die Entwicklung einer Anisokorie mit Pupillenstarre als Frühzeichen einer intrakraniellen Einklemmung nicht mehr erfasst werden kann Poststationäre Empfehlungen E45 B Bei Patienten, bei denen eine Kraniektomie durchgeführt wurde, sollte aus kosmetischen, aber auch aus funktionellen Gesichtspunkten (Schutz des unterliegenden Gewebes) eine operative Deckung des Kalottendefektes erfolgen. Empfehlungen zum optimalen Zeitpunkt und zum operativen Verfahren können aus der derzeitigen Literatur nicht abgeleitet werden

der für randomisiert-kontrollierte Studien vorgesehene Evidenzgrad von Ib nach dem Oxford-Schema vergeben werden. Im Rahmen der formalen Konsensfindung für die aktuelle Leitlinienversion wurde sie aber von allen Experten als Beleg für die Notwendigkeit einer Intubation Bewusstloser am Unfallort gesehen und der Empfehlungsgrad A bestätigt. Für die Empfehlungen zur Anamneseerhebung und neurologischen Untersuchung (E4–E7) gibt es keine prospektiven randomisiert-kontrollierten Studien. Sie resultieren aus der praktischen klinischen Erfahrung und der Erkenntnis, dass ein strukturiertes Vorgehen per se zu einem besseren klinischen Ergebnis führt. Insbe-

500 | 19 Leitlinien

sondere die erforderliche Verlaufskontrolle in kurzen Abständen (Empfehlung E6) ist bei dem dynamisch verlaufenden Krankheitsbild des Schädel-Hirn-Traumas zu betonen. Ein wichtiger Aspekt ist natürlich die Entscheidung, welcher Patient in ein Krankenhaus eingewiesen werden muss (E8–E12). Diese Frage stellt sich in erster Linie bei Patienten mit vermeintlich leichterem Schädel-Hirn-Trauma. Aufgrund der bereits erwähnten Dynamik, gerade in der Anfangsphase, ist eine Schweregradeinteilung bereits kurz nach der Verletzung eher kontraproduktiv. Wie im Hintergrundtext der Leitlinie explizit ausgeführt, muss sich die Versorgung nach dem aktuell klinischneurologischen Befund und vor allem dessen Entwicklung richten. Die Entscheidung zur Einweisung sollte daher die in Empfehlung E8 und E9 aufgelisteten Kriterien berücksichtigen. E8 nennt eindeutige Symptome, bei deren Vorliegen eine Einweisung zwingend erscheint (Empfehlungsgrad A) und E9 bezieht sich auf Symptome, die eine Einweisung ratsam erscheinen lassen (Empfehlungsgrad B). Das Auftreten von Erbrechen wurde kontrovers diskutiert, weil z. B. durch erhöhten Alkoholgenuss Erbrechen häufig aus anderen Gründen als einer Hirnverletzung auftritt. Insofern erfolgte eine konkrete Einschränkung auf den engen zeitlichen Zusammenhang mit der Gewalteinwirkung. Durch diese Einschränkung können sicher nicht alle unnötigen Krankenhauseinweisungen vermieden werden. In Anbetracht des möglichen Patientenschadens bei einer fehlerhaften Nichteinweisung erscheint die gewählte Formulierung als ein dem deutschen Versorgungssystem adäquater Kompromiss. Für die Beurteilung hirnprotektiver Maßnahmen wurde nochmals für die Aktualisierung der Leitlinie die Literatur gesichtet. In der präklinischen Versorgung (E13–E15) wurden die bereits in der Vorläuferversion formulierten Empfehlungen zur (Nicht-) Gabe von Glukokortikoiden und den Maßnahmen bei Verdacht auf eine transtentorielle Herniation mit den gleichen Empfehlungsgraden bestätigt. Ein neuer Aspekt ist die Gabe hypertoner Kochsalzlösungen in dieser Situation, die dem früher empfohlenen Mannitol gleichwertig ist. Die aufwendige Vorbereitung der Mannitollösungen mit Schütteln und Aufwärmen vor Infusion wird in der präklinischen Versorgung wahrscheinlich zur Bevorzugung der hypertonen Kochsalzlösung führen. Die Empfehlungen für die Akutversorgung im Krankenhaus beziehen sich auf die Frage, welche Diagnostik angewandt werden soll (E17–E19) und welche Patienten stationär weiterbehandelt werden müssen (E20). Auch wenn die Kernspintomographie viele zusätzliche Informationen ergibt, die im CT zumindest anfänglich nicht erkennbar sind, kann das kraniale CT weiterhin als Goldstandard nach SchädelHirn-Trauma angesehen werden. Die Häufigkeit der Geräte, der Aufwand einer Untersuchung bei bereits intubierten Patienten mit Vitalparametermonitoring und die Zeitdauer der Untersuchung sind Argumente, die für die rasche und meist unproblematische CT-Durchführung sprechen. Ähnlich wie bei den Indikationen zur stationären Einweisung wurde die Notwendigkeit einer CT-Untersuchung bei vermeintlich leichteren Schädel-Hirn-Traumen mit Erbrechen kritisch diskutiert. Als alternativer

19.2 Deutsche Leitlinien zum Schädel-Hirn-Trauma |

501

Selektionsfaktor für die Durchführung eines kranialen CT wurden Biomarker, konkret das S100B, vorgeschlagen [9]. Nach Analyse der Evidenzlage konnte für die deutsche Leitlinie die Aufnahme des S100B-Wertes in den Empfehlungskatalog noch nicht ausreichend begründet werden. Die verbleibenden 23 Empfehlungen zur Therapie des SHT beginnen mit der Indikation für ein operatives Vorgehen (E22–E26). Für raumfordernde intrakranielle Verletzungen mit Verlagerung der Mittellinienstrukturen muss dies unbedingt erfolgen, auch wenn es nach wie vor keine prospektive, randomisiert-kontrollierte Studie mit dieser Fragestellung gibt. Da diese Empfehlung als eine Grundannahme in der medizinischen Versorgung des SHT angesehen wird, erscheint es aus ethischen Gründen auch nicht vorstellbar, eine derartige Studie zu konzipieren. Für die in den letzten Jahren durch mehrere prospektiv randomisiert-kontrollierte Studien untersuchte Frage des Nutzens der Entlastungskraniektomie beim SchädelHirn-Trauma zeigt sich im Gegensatz zur Entlastungskraniektomie beim raumfordernden Infarkt keine überzeugende Evidenz. Die Durchführung dieser operativen Maßnahmen konnte daher nur als Kann-Empfehlung (E25) formuliert werden. Die kürzlich publizierte RESCUE-ICP-Studie [10] zeigt als erste randomisiert-kontrollierte Studie Ergebnisse, die auf einen klinischen Vorteil der Entlastungskraniektomie beim Erwachsenen hinweisen. Für eine Änderung der Empfehlung sollte aber zunächst die Einbindung der Ergebnisse in eine Metaanalyse abgewartet werden. Die Entscheidung bei nicht raumfordernden Blutungen (E26) mit Verlaufsbeobachtung vorzugehen, sollte von einem versierten, in der Versorgung dieses Krankheitsbildes erfahrenen Arzt vorgenommen werden. Nutzen und Schaden der Messung des intrakraniellen Drucks waren bei der Vorläuferversion dieser Leitlinie ein heftig diskutierter Punkt. Bislang war die Qualität der hierzu durchgeführten Studien eher niedrig, sodass keine ausreichende Evidenz vorlag. Zwischenzeitlich ist eine Multicenterstudie publiziert worden [11]. Der Nutzen des Hirndruckmonitorings erscheint aufgrund dieser Studie fraglich, allerdings ist als Intervention nicht die Durchführung des Monitorings per se definiert worden, sondern die Senkung des intrakraniellen Drucks auf konkret 20 mmHg. In der Kontrollgruppe ohne Berücksichtigung dieser Grenze erfolgte kein Monitoring. Dies verdeutlicht die Komplexität der Fragestellung, die nicht nur den Aspekt der Messung umfasst, sondern auch die Technik, die zu erreichende Zielgröße, den Schwellenwert für eine therapeutische Reaktion, das zur Hirndrucksenkung genutzte Verfahren und die daraus resultierenden potenziellen Schäden, z. B. bei unkontrollierter Katecholamingabe. Die Empfehlungen E27–E30 versuchen, dieser Komplexität Rechnung zu tragen. Die Empfehlungen E32–E40 zur nichtoperativen Therapie mussten aufgrund der Studien der letzten Jahre keine wesentlichen Änderungen erfahren. Wie bereits erwähnt, ist die hypertone Kochsalzlösung dem Effekt von Mannitol gleichzusetzen. Die Erkenntnis, dass beim akuten Schädel-Hirn-Trauma Glukokortikoide zu einer erhöhten 14-Tage-Letalität führen, ist seit der CRASH-Studie 2004 [12, 13] bekannt. Bemer-

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kenswert ist, dass viele Therapieansätze, die sich in der Behandlung von Patienten mit ischämischen Infarkten als vorteilhaft erwiesen haben, in Studien beim Schädel-HirnTrauma leider keinen adäquaten oder vergleichbaren Effekt zeigen konnten. Daher sind Maßnahmen wie hyperbare Sauerstofftherapie oder Hypothermie nur als KannEmpfehlung auszusprechen. Ein besonderer Aspekt ist die Thromboembolieprophylaxe (E42), die in Form von physikalischen Maßnahmen auf jeden Fall bei Schädel-Hirn-Trauma-Patienten empfehlenswert ist. Umstritten ist jedoch die Gabe von Heparin bzw. Heparinderivaten (E43), die einerseits das Risiko einer Vergrößerung intrakranieller Blutungen in sich birgt. Andererseits ist aus pathophysiologischen Überlegungen nach einem SchädelHirn-Trauma mit einer erhöhten Rate von thromboembolischen Komplikationen inkl. der Ausbildung einer intravasalen diffusen Koagulation mit Organschäden (Multiorganversagen [MOV], Sepsis) zu rechnen. Aus diesem Grund sollte die Gabe immer überdacht werden. Weitergehende Informationen zur Thromboembolieprophylaxe in der Neurochirurgie sind der S3-Leitlinie der AWMF zu entnehmen [14]. Empfehlungen zur Rehabilitation finden sich in gesonderten Leitlinien. Bezüglich der poststationären Versorgung wurde lediglich der Aspekt einer plastischen Deckung im Falle einer Entlastungskraniektomie in Empfehlung E45 aufgegriffen. Prinzipiell sollte eine derartige Maßnahme durchgeführt werden. Es gibt zahlreiche klinische Beobachtungen, die für einen Nutzen beim Patienten sprechen, wenngleich bislang auch noch keine überzeugende Evidenz dargestellt werden konnte. Empfehlungen zum optimalen Zeitpunkt und zum operativen Verfahren können aus der derzeitigen Literatur jedoch nicht abgeleitet werden.

19.2.2 Schädel-Hirn-Trauma im Kindesalter Die von der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin federführend entwickelte Leitlinie zum Schädel-Hirn-Trauma im Kindesalter [15] adressiert die gleichen Versorgungsaspekte wie die Erwachsenenleitlinie, geht allerdings auf die Spezifika im Kindesalter ein. Sie ist im Unterschied zur Erwachsenenleitlinie nicht Evidenz-basiert, sondern wurde in einem formalen Konsensverfahren mit anderen Fachgesellschaften abgestimmt. Als S2k-Leitlinie enthält sie auch keine Empfehlungsgrade. Zum Zeitpunkt der Drucklegung ist eine Überarbeitung angekündigt. Im Folgenden werden nur die Unterschiede zur Erwachsenenleitlinie beschrieben: – Den Spezifika im Kindesalter wird z. B. bei der Indikation für eine Krankenhauseinweisung Rechnung getragen. Diese wird empfohlen, wenn Verdacht auf Kindesmisshandlung mit Wiederholungsgefahr besteht, und auch bei kindlichen Verhaltensänderungen, die lediglich von den Eltern berichtet werden. Dies gilt v. a., wenn die Kinder unter 24 Monate alt sind. – Bei Kindern ist die Indikation zu einer kranialen Computertomographie aufgrund der damit verbundenen Röntgenbelastung sehr sorgfältig zu stellen. Wenn keine

19.3 Internationale Leitlinien zum Schädel-Hirn-Trauma







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Bewusstlosigkeit vorliegt, sollte die Indikation gegenüber einer sorgfältigen Beobachtung unter stationären Bedingungen abgewogen werden. Im Vergleich zum Erwachsenenalter ist darum die Liste für eine zwingende CT-Abklärung deutlich kürzer und umfasst nur Bewusstlosigkeit oder anhaltende Bewusstseinstrübung und fokale neurologische Defizite. Ferner ist bei Verdacht auf Impressions-, Schädelbasisfraktur oder bei offenen Verletzungen das kraniale CT indiziert. Zusätzlich anzuraten ist ein CT bei einer erheblichen Gewalteinwirkung (z. B. einem PkwUnfall oder bei einer Fallhöhe des Kindes von über 1,5 m). Bis zu einem Lebensalter von etwa 18 Monaten besteht die Möglichkeit einer transfontanellen Sonographie und bis 16 Jahren die einer transkraniellen Sonographie. Beide bieten in den Fällen, in denen sich zu einer Überwachung entschlossen wurde, eine zusätzliche Sicherheit. Die diagnostische Lücke dieser Verfahren umfasst aber raumfordernde kalottennahe Blutungen. In der aktuell noch gültigen Fassung der Leitlinie für das Kindesalter ist der Nutzen einer Entlastungskraniektomie noch nicht abschließend bewertet worden und dementsprechend wird keine Empfehlung ausgesprochen. Der letzte Unterschied zum Erwachsenenalter ist, dass im Falle einer invasiven intrakraniellen Druckmessung der zerebrale Perfusionsdruck 40 mmHg (beim Erwachsenen 50 mmHg) nicht unterschreiten sollte.

19.2.3 Empfehlungen zur Rehabilitation Eine spezielle Leitlinie zur Rehabilitation nach Schädel-Hirn-Trauma existiert nicht. Es existiert aktuell jedoch eine S1-Leitlinie mit Empfehlungen zur Rehabilitation von Patienten mit zerebrovaskulären Erkrankungen [16]. Auch innerhalb dieser Leitlinie gibt es keine gesonderten Empfehlungen für das Schädel-Hirn-Trauma. Die zu ergreifenden Maßnahmen richten sich in erster Linie nach den klinischen Befunden sowie einer umfassenden Evaluation der Alltagsfähigkeiten und Teilhabemöglichkeiten eines Patienten. Von Bedeutung ist, dass die konkreten Maßnahmen möglichst frühzeitig, d. h. noch im Akutkrankenhaus, begonnen werden. Für die weiterbehandelnde RehaEinrichtung ist ein interdisziplinäres multiprofessionelles Team ratsam, das unter Leitung bzw. Supervision eines für zerebrovaskuläre Erkrankungen qualifizierten Arztes steht.

19.3 Internationale Leitlinien zum Schädel-Hirn-Trauma Der Vergleich deutschsprachiger Leitlinien mit internationalen Leitlinien ist aus verschiedenen Gründen schwierig. Zum Teil unterscheidet sich die Organisation der Versorgungskette deutlich. So ist z. B. das Notarztsystem in den deutschsprachigen Län-

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dern und Frankreich verbreitet, während in den USA und Großbritannien in der Regel zusatzqualifizierte, nichtärztliche Mitarbeiter des Rettungsdienstes (Paramedics) die präklinische Versorgung übernehmen. Einige Leitlinien beschäftigen sich nur mit vermeintlich leichteren SHT-Formen oder beschränken sich auf bestimmte Abschnitte in der Versorgungskette. Ein weiteres Hindernis für den direkten Vergleich sind die unterschiedlichen Grundlagen der Evidenzbeurteilung und der Vorgehensweise bei der Formulierung von Empfehlungen und Empfehlungsstärken. Aus den in den letzten 5 Jahren aktualisierten SHT-Leitlinien wurden folgende Leitlinien für den Vergleich ausgewählt: – National Institute for Health and Care Excellence (NICE) 2014: Head Injury-Triage, assessment, investigation and early management of head injury in children, young people and adults [17], – Ontario Neurotrauma Foundation 2015: Updated clinical practice guidelines for concussion/mild traumatic brain injury and persistent symptoms [18], – Scandinavian Neurotrauma Committee (SNC) 2013: Scandinavian guidelines for initial management of minimal, mild and moderate head injuries in adults: an evidence and consensus-based update [19], – Scandinavian Neurotrauma Committee (SNC) 2016: Scandinavian guidelines for initial management of minor and moderate head trauma in children [20], – European Federation of Neurological Societies (EFNS) 2012: Mild traumatic brain injury [21], – Brain Trauma Foundation (BTF) 2016: Guidelines for the Management of Severe Traumatic Brain Injury, 4th Edition [22]. Beim Vergleich fällt auf, dass sich z. B. die amerikanische BTF-Leitlinie auf wenige Empfehlungen beschränkt, für die aber ausreichend Evidenz in der wissenschaftlichen Literatur vorliegt. Die deutschen Leitlinien und v. a. die britische NICE-Leitlinie enthalten dagegen detaillierte Empfehlungen für die jeweilige Versorgungsthematik. Fehlende Evidenz wird dabei durch einen interdisziplinären Konsens ersetzt. Eine ausführliche Darstellung der Unterschiede in Grundlagen und Inhalten würde den Rahmen dieses Buchbeitrages sprengen, sodass im Folgenden nur einige Beispiele ausgeführt werden. Ein sehr wichtiger Punkt, der in fast allen Leitlinien angesprochen wird, ist die Indikation für eine frühe Bildgebung, konkret ein kraniales CT. Bei initialen Symptomen, die auf eine schwere Hirnverletzung hinweisen, gibt es de facto keine Unterschiede. Hingegen unterscheiden sich die vorgeschlagenen Algorithmen bei scheinbar milden SHT-Formen. So gilt eine retrograde Amnesie überwiegend als Indikation für ein kraniales CT, in der kanadischen und der NICE-Leitlinie muss sie hingegen länger als 30 Minuten (bei Kindern länger als 5 Minuten) andauern und bei NICE mit einem weiteren Risikofaktor kombiniert sein. Das Alter als unabhängiger Risikofaktor für eine intrakranielle Verletzung schwankt zwischen 60 und 65 Jahren und muss bei NICE ebenfalls mit einem weiteren Risikofaktor kombiniert sein, um als CT-Indikation

19.4 Fazit

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zu gelten. Die Bedeutung von Erbrechen als Einzelsymptom ist bereits bei der deutschen SHT-Leitlinie diskutiert worden. Bei der kanadischen Leitlinie und bei NICE werden mehrere Episoden verlangt, um daraus eine CT-Indikation abzuleiten. Die Bedeutung von Biomarkern ist systematisch in der NICE-Leitlinie evaluiert worden. Mit Ausnahme von S100B erlaubt die Studienqualität keinerlei Aussage. Im Gegensatz zu den skandinavischen Leitlinien, die S100B als einen geeigneten Parameter für die CTIndikation sehen, konnten sich die NICE-Leitlinienentwickler dem vorerst noch nicht anschließen. Therapeutische, insbesondere spezifisch neurochirurgische Aspekte finden sich im Wesentlichen nur in der BTF-Leitlinie zum Management des schweren SHT. Eine nähere Betrachtung lohnen die beiden Empfehlungen zur dekompressiven Kraniektomie, für die allerdings die Ergebnisse der RESCUE-ICP-Studie [10] ebenfalls noch nicht berücksichtigt wurden. Es gibt eine stärkere Empfehlung (entspricht in etwa einer B-Empfehlung in deutschsprachigen Leitlinien) für die bifrontale Entlastungskraniektomie zur Senkung des Hirndrucks verbunden mit dem Hinweis, dass dies nicht zur Verbesserung des klinischen Outcomes nach 6 Monaten führt. Ob ein anderer Nutzen wie z. B. ein kürzerer Intensivaufenthalt, kürzere Beatmungszeiten o. Ä. aus der Durchführung dieser operativen Maßnahme resultiert, wurde nicht analysiert. Die zweite Empfehlung ist, dass eine große fronto-temporo-parietale Entlastungskraniektomie bzgl. des Outcomes besser ist als eine umschriebene kleine Kraniektomie. Beide Empfehlungen spiegeln direkt die Evidenz in der wissenschaftlichen Literatur wider. Während die Bedeutung der ersten Empfehlung für das praktische Vorgehen unklar bleibt, lässt sich bei der zweiten Empfehlung für die klinische Praxis zumindest ableiten, dass im Falle einer notwendigen Kraniektomie diese in ausreichender Größe (nicht kleiner als 12 × 15 cm) erfolgen sollte. An anderer Stelle sind die BTF-Empfehlungen jedoch sehr gut auf praktische Fragestellungen abgestimmt und hilfreich (z. B. die Empfehlung zur frühen Tracheostomie als Maßnahme zur Infektionsprophylaxe oder die Vermeidung von Povidon-Jod in der Wundpflege des Tracheostomas aufgrund eines erhöhten ARDS-Risikos).

19.4 Fazit Der Vergleich mit internationalen Leitlinien erweist sich aufgrund unterschiedlicher Rahmenbedingungen in der Versorgung, unterschiedlicher methodischer Konzepte bei der Erarbeitung und der unterschiedlichen Schwerpunktsetzung erwartungsgemäß schwierig. Dennoch lassen sich viele Anregungen für die Weiterentwicklung der nationalen Leitlinien erhalten. Besonders erwähnenswert ist das Konzept der NICELeitlinien, gezielte Empfehlungen für die Konzeption zukünftiger Studien zu geben. Es wäre hilfreich, wenn es weltweit eine unabhängige Förderung gäbe, um diese Studien auf hohem Niveau durchführen zu können und damit die gerade beim SHT noch häufigen Evidenzlücken zu schließen.

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Literatur

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Eckhard Rickels

20 Neurotraumatologische Definitionen und Scores 20.1 Schädel-Hirn Trauma (SHT) Ein Schädel-Hirn-Trauma ist Folge einer äußeren Gewalteinwirkung auf den Schädel, die zu einer Funktionsstörung und/oder Verletzung des Gehirns geführt hat. Anatomisch unterscheidet man Verletzungen – der Kopfschwarte, – des Schädelknochens, – der Dura mater, – des Gehirns, – der hirnversorgenden Gefäße und – Kombinationsverletzungen der zuvor genannten Strukturen.

20.2 Offenes SHT Eine Verletzung der Haut, des Knochens und der Dura, die eine Verbindung des Schädelinneren mit der Außenwelt bewirkt, wird als offenes Schädel-Hirn-Trauma bezeichnet.

20.3 Primärer Hirnschaden Als primärer Hirnschaden wird die akute Folge der direkten Gewalteinwirkung mit der irreversiblen Zerstörung vaskulärer und neuraler Strukturen verstanden.

20.4 Sekundärer Hirnschaden Als Folge des primären Hirnschadens kommt es sekundär zu einer Kaskade biochemischer Reaktionen im geschädigten und umgebenden Hirngewebe, dem sekundären Hirnschaden, der den primären Schaden verstärkt. Die Eindämmung dieses sekundären Schadens ist das eigentliche Ziel der Behandlung des Schädel-Hirn-Traumas.

20.5 Glasgow Coma Scale (GCS) Die Glasgow Coma Scale dient der Einschätzung der Schwere eines Hirnschadens. Es handelt sich um eine halbquantitative Skala, bei der den drei Grundfunktionen https://doi.org/10.1515/9783110366853-022

510 | 20 Neurotraumatologische Definitionen und Scores

Tab. 20.1: Glasgow Coma Scale [1]. Augenöffnen

Punkte Beste motorische Antwort

Punkte Beste verbale Antwort

Punkte

befolgt Aufforderung

6

gezielte Schmerzabwehr

5

Koordiniertes Gespräch 5

Spontan

4

ungezielte Schmerzabwehr

4

Unkoordiniertes Gespräch

4

Auf Anruf

3

auf Schmerzreiz Beugesynergismen

3

Einzelne Worte

3

Auf Schmerz

2

auf Schmerzreiz Strecksynergismen

2

Unverständliche Laute

2

Auf Schmerz nicht 1

keine Reaktion auf Schmerzreiz

1

Keine Antwort

1

des Bewusstseins (Augenöffnen, verbale Reaktion, motorische Reaktion) jeweils eine Punktzahl zwischen 1 (Minimum) und 6 (Maximum) zugeordnet wird (Tab. 20.1). Die Punktwerte für die Unterkategorien werden zu einer Gesamtpunktzahl addiert [1]. Cave: Die Skala darf nur bei kreislaufstabilen und suffizient oxygenierten Patienten angewendet werden, um Verfälschungen durch Hypoxämie und Hypotonie zu vermeiden! Bei der motorischen Antwort ist der Befund der besten motorischen Seite zugrunde zu legen.

Ein Lehrvideo zur praktischen Durchführung der Befunderhebung anhand der GCS findet man unter www.glasgowcomascale.org/.

20.6 Komaskala der World Federation of Neurosurgical Societies (WFNS) Tab. 20.2: Komaskala der World Federation of Neurosurgical Societies (WFNS) [2]. Komatiefe

Klinischer Befund

Koma I Koma II Koma III Koma IV

Patient auf Schmerz nicht weckbar; keine fokalen neurologischen Ausfälle Patient auf Schmerz nicht weckbar; Pupillenstörungen und/oder Paresen Patient auf Schmerz nicht weckbar; Beuge- oder Strecksynergismen Komatöser Patient mit schlaffer Areflexie der Extremitäten; keine Schmerzabwehr; Pupillen beidseits weit, reaktionslos; Eigenatmung erhalten

20.7 FOUR score (F ull Outline of UnResponsiveness) score

|

511

20.7 FOUR score (F ull Outline of UnResponsiveness) score Tab. 20.3: FOUR score [3]. Punktzahl

Englische Version

Deutsche Version

Augenöffnen 4

Eyelids open or opened, tracking, or blinking to command

Augen offen oder werden geöffnet. Verfolgt Bewegungen oder blinzelt auf Aufforderung

3

Eyelids open but not tracking

Augen offen, aber kein Verfolgen von Bewegungen oder Blinzeln auf Aufforderung

2

Eyelids closed but open to loud voice

Augen spontan geschlossen , aber Öffnen auf laute Aufforderung

1

Eyelids closed but open to pain

Augen spontan geschlossen, aber Öffnen auf Schmerzreiz

0

Eyelids remain closed with pain

Augen trotz Schmerzreiz geschlossen

Motorische Antwort 4

thumbs-up, fist, or peace sign

Handbewegungen (Daumen hoch, Faustschluss, Peace-Zeichen)

3

localising to pain

Gezielte Schmerzabwehr

2

flexion response to pain

Beugebewegung auf Schmerzreiz

1

extension response to pain

Streckbewegung auf Schmerzreiz

0

no response to pain or generalised myoclonus status

Keine Reaktion auf Schmerzreiz oder generalisierte Myoklonien

Hirnstammreflexe 4

pupil and corneal reflexes present

Pupillen- und Kornealreflexe auslösbar

3

one pupil wide and fixed

Einseitig weite, lichtstarre Pupille

2

pupil or corneal reflexes absent

Pupillen- oder Kornealreflexe nicht auslösbar

1

pupil and corneal reflexes absent

Pupillen- und Kornealreflexe nicht auslösbar

0

absent pupil, corneal, and cough reflex

Pupillen- und Kornealreflexe sowie Hustenreflex nicht auslösbar

4

not intubated, regular breathing pattern

Nicht intubiert, normales Atemmuster

3

not intubated, Cheyne-Stokes breathing pattern

Nicht intubiert, Cheyne-Stokes-Atmung

2

not intubated, irregular breathing

Nicht intubiert unregelmäßige Atmung

1

breathes above ventilator rate

Hyperventiliert am Respirator

0

breathes at ventilator rate or apnoea

Kontrolliert beatmet oder Apnoe

Atmung

512 | 20 Neurotraumatologische Definitionen und Scores

20.8 Glasgow Outcome Scale (GOS) Tab. 20.4: Glasgow Outcome Scale (GOS) [4]. Punkte

englisch

Klinischer Befund

5

Good recovery

Gute Erholung, führt normales Leben, minimale Behinderungen möglich

4

Moderate disability

Mäßige Behinderung; von fremder Hilfe unabhängiges Leben möglich

3

Severe disability

Schwere Behinderung; Patient bei Bewusstsein, aber auf fremde Hilfe angewiesen

2

Persistent vegetative state

Persistierender vegetativer Status

1

Death

Verstorben

20.9 Erweiterte Glasgow Outcome Scale (GOS-E) Hierbei handelt es sich um eine Erweiterung der ursprünglichen GOS, wobei die besten drei Kategorien jeweils in einen oberen und einen unteren Bereich unterschieden werden. Die Skala wurde ursprünglich 1981 von Jennett vorgeschlagen [5]. Hinweise zur Durchführung der zur Klassifikation erforderlichen Untersuchungen finden sich unter [6, 7]. Tab. 20.5: Erweiterte Glasgow Outcome Scale (GOS-E) [5–7]. Punkte

Beschreibung

1 2 3 4 5 6 7 8

Tod Vegetativer Status Schwere Behinderung, unterer Bereich Schwere Behinderung, oberer Bereich Mäßige Behinderung, unterer Bereich Mäßige Behinderung, oberer Bereich Gute Erholung, unterer Bereich Gute Erholung, oberer Bereich

20.10 Computertomographische Klassifikation des Schädel-Hirn-Traumas

|

513

20.10 Computertomographische Klassifikation des Schädel-Hirn-Traumas Tab. 20.6: Computertomographische Klassifikation des Schädel-Hirn-Traumas [8]. Diffuses SHT-Typ I (keine sichtbaren intrakraniellen Läsionen)

Keine computertomographisch fassbaren Läsionen

Diffuses SHT-Typ II

Basale Zisternen abgrenzbar mit einer Mittellinienverschiebung von maximal 5 mm; sämtliche im Computertomogramm fassbaren Läsionen unter 25 cm3

Diffuses SHT-Typ III (mit Schwellung)

Basale Zisternen komprimiert oder fehlend mit einer Mittellinienverschiebung von maximal 5 mm; sämtliche im Computertomogramm fassbaren Läsionen unter 25 cm3

Diffuses SHT-Typ IV (mit Mittellinienverlagerung)

Mittellinienverschiebung über 5 mm; sämtliche im Computertomogramm fassbaren Läsionen unter 25 cm3

Raumfordernde Blutung, operiert

Alle Verletzungstypen, bei denen eine raumfordernde intrakranielle Blutung operativ entfernt wurde

Raumfordernde Blutung, nicht operiert

Alle Verletzungstypen, bei denen eine raumfordernde intrakranielle Blutung operativ nicht entfernt wurde

Hirnstammverletzung

Verletzung des Hirnstamms im CT sichtbar

20.11 MRT-Klassifikation des Schädel-Hirn-Traumas – – – –

Grad-I-Verletzung (ohne Hirnstammläsionen) Grad-II-Verletzung (mit einer einseitigen Hirnstammverletzung) Grad-III-Verletzung (bei einer beidseitigen mesenzephalen Verletzung) Grad-IV-Verletzung (bei beidseitiger Läsion des Pons) [9]

Literatur [1] [2]

[3] [4]

Teasdale G, Jennett B. Assessment of coma and impaired consciousness. A practical scale. Lancet Lond Engl. 1974; 2(7872): 81–84. Brihaye J, Frowein RA, Lindgren S, Loew F, Stroobandt G. Report on the meeting of the WFNS Neuro-Traumatology Committee. Brussels. I. Coma scaling. Acta Neurochir (Wien). 1978; 40: 181–186. Wijdicks EF, Bamlet WR, Maramattom BV, Manno EM, McClelland RL. Validation of a new coma scale: The FOUR score. Annals of Neurology. 2005; 58(4): 585–593. Jennett B, Bond M. Assessment of Outcome after severe brain damage. Lancet. 1975; 1(7905): 480–485.

514 | 20 Neurotraumatologische Definitionen und Scores

[5] [6]

[7]

[8]

[9]

Jennett B, Snoek J, Bond MR, Brooks N. Disability after severe head injury: observations on the use of the Glasgow Outcome Scale. J. Neurol. Neurosurg. Psychiatry. 1981; 44: 285–293. Teasdale GM, Pettigrew LE, Wilson JT, Murray G, Jennett B. Analyzing outcome of treatment of severe head injury: A review and update on advancing the use of the Glasgow Outcome Scale. Journal of Neurotrauma. 1998; 15: 587–597. Wilson JT, Pettigrew LE, Teasdale GM. Structured interviews for the Glasgow Outcome Scale and the extended Glasgow Outcome Scale: Guidelines for their use. J Neurotrauma. 1998; 15: 573–585. Marshall LF, Bowers Marshall S, Klauber MR, van Berkum Clak M, Eisenberg HM, Jane JA, Luerssen TG, Marmarou A, Foulkes MA. A new classification of head injury based on computerized tomography. J Neurosurg. 1991; 75: S14–S20. Firsching R. Akutes Schädel-Hirn-Trauma mit Bewusstlosigkeit. Dtsch Ärztebl Int. 2017; 114: 313–320.

Jürgen Piek

21 Links zu neurotraumatologischen Webseiten Sektionssprecher Intensivmedizin und Neurotraumatologie der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC) http://www.dgnc.de/dgnc-homepage/ueber-die-dgnc/organe-und-personalia/sektionen.html Section of Trauma and Critical Care der European Association of Neurosurgical Societies (EANS) http://www.eans.org/pages/about-us/sections/section-trauma-and-critical-care Neurotraumatology Committee der World Federation of Neurosurgical Societies (WFNS) https://www.wfns.org/committees Deutsche Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin http://www.dgni.de Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie http://www.dgu-online.de Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin http://www.divi.de Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin http://www.dgai.de Deutsche Gesellschaft für Neurorehabilitation www.dgnr.de Brain-IT Forschungsgruppe http://www.brain-it.eu Brain Trauma fondation (USA) http://www.braintrauma.org European brain injury consortium http://www.ebic.nl Überblick des National Institute of Neurological Disorders and Stroke über neurotraumatologische Fachgesellschaften der USA http://www.ninds.nih.gov/disorders/tbi/org_tbi.htm, https://www.ninds.nih.gov/Disorders/All-Disorders/Traumatic-Brain-Injury-InformationPage ZNS – Hannelore Kohl Stiftung http://www.hannelore-kohl-stiftung.de/

https://doi.org/10.1515/9783110366853-023

516 | 21 Links zu neurotraumatologischen Webseiten

Bundesverband NeuroRehabilitation http://bv-neuroreha.de Deutsche Gesellschaft für Neurotraumatologie und klinische Neurorehabilitation https://www.dgnkn.de

Stichwortverzeichnis ß2 -Transferrin 247 β-Amyloid 63 β-Trace-Protein 247, 346 50-ml-Wassertest 444 A. carotis interna 323 A. centralis retinae 356 A. cerebri media 127 A. maxillaris 356 A. meningea media 35, 52, 113, 298 A. ophthalmica 356 A. sphenopalatina 356 A. vertebralis 323 Abciximab 210 Abduzensparese 329 Ablaufdrainage 394 abnorme Beweglichkeit von Oberkiefer oder Mittelgesicht 350 absoluter Nahschuss 28 ACTH-Test 376, 379 adrenokortikotrope Achse 376 Adressen für psychosoziale Unterstützung 474 Affolter-Konzept 446 akinetischer Mutismus 442 Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) 429 akutes Subduralhämatom 126, 313 Akzelerationstrauma 23, 42, 133, 252, 325 Alkoholabusus 391 Altersverteilung 15 Alzheimer Typ 63 American Brain Injury Consortium 9 Analgesie 155 Analgesierung 155 Analgosedierung 156, 157 Anfall 64 Anisokorie 114, 140 Anosmie 245 Anosognosie 441 Anschlussheilbehandlung (AHB) 428, 453 Antibiotikaprophylaxe 300, 301 Antikoagulanzien 37, 114, 126, 212, 311, 317, 325, 389, 390 apallisches Syndrom 439 Aphasie 442 Aquäduktstenose 382 Aquaporine 59

Arachnoidalzyste 115 Arachnoidea 126 ärztliche Schweigepflicht 48 Ashworth-Skala 446, 451 Aspiration 444 Aspirationsgefahr 152 Assessment 435 assistive Mobilisation 446 aszendierende Meningitis 243 Atemwegsverlegung 354 Atmung 73 ATP 58, 63 Atrophie 62 Aufmerksamkeitsfokussierung 442 Aufwachversuch 297 Augenmuskelparese 329 Augenpflege 153 Autoregulation 147, 162, 164, 172 – Mechanismus 163 – Schwelle 54 AWMF 493 – Leitlinie zur Behandlung des Schädel-Hirn-Traumas 143 – Leitlinienentwicklung 493 Azidose 54 B-Wellen 384 Baclofen 449 Bagatellstürze 310 Ballondilatation 325 Bamberger Chirurgie 3 Barbiturate 157, 171 Barbiturattherapie 297 Barthel-Index 307, 435 Barton’schen Spatelverband 356 basale Stimulation 440 basale Zisterne 117 Basalganglien 43, 252 Basismonitoring 144, 146, 147 Basistherapie 144 – des erhöhten ICP 169 Battered-Child-Syndrom 302 Battle’s sign 244 Bayliss-Effekt 163 Beatmungszeit 433 Begleitverletzungen 17

518 | Stichwortverzeichnis

Begutachtung 477 Behandlungsfehler 47 Bellocq-Tamponade 355 Benzodiazepin 420 Berstungsfraktur 31, 244 Bewusstseinsinhalt 439 Bewusstseinslage 138 Bewusstseinsniveau 439 Bewusstseinsstörung 295, 382, 439 Biegungsbruch 31, 32 Bispectral Index 156 Bissverschiebung 351 Black Brain 305 Blasenkatheder 149 Blut-Hirn-Schranke 45, 54, 56, 57, 63, 134, 161 Blutgasanalysen 148 Blutgerinnung 114, 149 Blutgerinnungsstörungen 126 Blutungsneigung 211 Blutzuckereinstellung 151 Bogenhausener Dysphagie Score (BODS) 445 Bohrlochtrepanation 120, 167, 394 Botulinumtoxintherapie 449 Bradykinin 57 Bradykinin-B2 -Rezeptoren 57 Bradykinin-Histamin-System 209 Brain Trauma Foundation 9, 143 Brain-IT 9 Brillenhämatom 244, 292, 295, 312, 350, 351 Bronchialtoilette 153 Brückenvene 37, 52, 390 Brückenvenenruptur 127 BTF-Leitlinie 171, 173 bulk flow 59 Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) 428 burst suppression-Muster 171 Calcineurin 62 Calpain 62 Canalis opticus 356 Cangrelor 209 Carbamazepin 420 Carotis-Sinus-cavernosus-Fistel 292, 329, 342 CATCH XVI, 293, 296 CBF 148, 162 cCT 387 Cerebral Blood Flow 161

CHALICE XVI, 293, 294, 296 Chemosis 329 Chirurgische Atemwegssicherung 356 Chorda tympani 323 chronisch zerebraler Sekundärschaden 62 chronischer posttraumatischer Kopfschmerz 490 chronisches subdurales Hämatom 126, 314, 389 Circulus vitiosus 58, 161 Circulus Willisii 59 Clementschitsch-Aufnahme 353 Clonazepam 421 Clopidogrel 209 CMRO2 162 Coma vigile (Wachkoma) 439 Commotio labyrinthi 340 Computertomograph 6 Computertomographie 352, 383 contre-coup 39, 51, 134 contusional tears 39 Corpus callosum 43, 53, 252, 253 Cortical spreading depression 192 Cortisolspiegel 379 coup 39, 51, 134 Coup- und Contre-coup-Läsionen 48 covert behavior 440 CRH-Test 376 CT-Angiographie 324 CT-Diagnostik 350 CT-Klassifikation 8 CT-Zisternographie 342 Cushing-Reaktion 147 Danaparoid 210 Darmmotilität 151 DDAVP 381 Dehydration 150 Dekompression der Orbita 357 dekompressive Kraniektomie 23, 45, 130, 173, 197, 204, 452 Delir 440 Demenz 63, 311, 382 dento-alveolärer Komplex 360 Dezelerationstrauma 23, 42, 133, 252 Diabetes insipidus 151 – centralis (DIC) 373 – centralis totalis 378 Diagnosis Related Groups (DRG) 431

Stichwortverzeichnis

Dialogaufbau 440 Diazepam 421 diffuse axonale Verletzung (DAI) 51, 53, 62, 252, 290, 293 digitale Volumentomographie (DVT) XVI, 353 Diploevenen 115 Diplopie – Doppelbilder 329, 351 – Doppelbildsehen 369 Dissektion 323 Dissektionsaneuryma 324 disseminierte intravasale Gerinnung 212 dorsolateraler Hirnstamm 43, 252, 253 Druck-Volumen-Diagramm des ICP 160 Druckgradienten 160 Druckmessung, intrakranielle 384 Dünnschicht-CT 243 Durahochnähte 120 dural border cells 126 Durstgefühl 381 Durstversuch 378 Durstzentrum 381 Dysarthrie 442 Dysphagie 442, 444 EEG 290, 305 einfacher fokaler motorischer Anfall 418 Eingangskriterien 433 Einklemmungserscheinung 160 Einklemmungssymptomatik 126, 127, 391 Einschussverletzung 28 Einstellung des Blutdrucks 147 Einteilungen der Schwere des Schädel-Hirn-Traumas 71 Empfehlungsgrade 494 endokriner Funktionstest 373 endokrinologische Verlaufskontrollen 373 Enophthalmus 369 enterale Ernährung 152 Epidemiologie 13, 288 epidurale Blutungen 52 epidurale ICP-Messung 165 epidurales Hämatom 35, 60, 113, 300 Epilepsie 294, 305, 307 Eptifibatide 210 Erblindungsgefahr 350 erhöhter intrakranieller Druck 374 Erster Weltkrieg 4

| 519

Erstuntersuchung 71, 350 Ertaubung 340 erweitertes Neuromonitoring 155 erweitertes Schockraumteam 336 Erwerbsprognose 430 European Brain Injury Consortium 9 Evans-Index 383 Exkoriationen 24 Externa-Interna-Bypass 327 extraventrikuläre Drainage 158 Extrazellulärraum 57, 58 facio-oralen Therapie (FOT) 442 Faktor XII 60 Färbetest 444 Fazialisparese 338 fehlender Autoregulation 147 Felsenbeinfraktur 32, 245 Fentanyl 157 Fernschuss 28 Fiberoptische endoskopische Evaluation des Schluckens (FEES) 445 Fieber 54, 149 FIM 437 Fluorescein 248 Fluoreszein – Endoskopie 342 Flüssigkeitsbedarf 151 Flüssigkeitshaushalt 150 fokale Hirnläsion 133 fokaler Anfall 418 Fondaparinux 210 Fontanelle 293 Foramen magnum 45, 160 Foramen Monroi 164, 166 Foramen spinosum 120 forensische Neuropathologie 23 Fraktur, wachsende 300 Frakturen der Schädelbasis 337 freie T3 Spiegel 378 freie T4 Spiegel 378 freies Intervall 48, 114 Fremdkörper 27 frontobasale Verletzung 243, 244 Frontobasis 337 Frühabszess 387 Frühanfall 418 Frühepilepsie 307

520 | Stichwortverzeichnis

Frühestanfall 418 Frühreha-Bartel-Index 435 Frührehabilitation 9, 428 – und berufliche Wiedereingliederung 425 Frührehabilitation, neurologische 387 Functionals independence measure (FIM) 435 Funduskopie 48, 303 funktionelle Dysphagietherapie (FDT) 445 funktionelle psychische Störungen 486 gastrointestinale Motilitätsstörung 152 gedecktes SHT 23 Gefäßprozess 387 Gelenkfortsatzfraktur 351, 365 gerinnungshemmende Medikation 143 Gerinnungsstörung 54, 209, 211 Geruchsprüfung 245 Geschlechtsverteilung 15 geschlossenes SHT 23 Gesichtsfeldausfall 357 Gesichtsschädelfraktur 348 Gesichtsschädelverletzung 348 Gesichtsweichteilwunde 358 Gewebesauerstoffpartialdruck (Pti O2 ) 188 Glandula pinealis 116 Glasgow Coma Scale (GCS) 6, 71, 290, 509 Glasgow Outcome Scale (GOS) 6, 307 Glasgow-Extended Outcome Scale (GOS-E) 203 Glaskörperblutung 305 gliding contusions 39 globale Aphasie 442 Globusbruch 32 Glutamat 58 Glutamatrezeptorantagonist 155 GnRH-Test 376 gonadotrope Achse 376 gonadotrope Insuffizienz 378 Grand-mal-Status 421 Gyrus parahippocampalis 45 hämorrhagischen Kontusion 136 Halsorthese 152 Hämatom, epidurales 299, 306 Hämatom, subdurales 299, 303 Hämatotympanon 244, 338 Hämostase 209 handlungsorientierte Diagnostik und Therapie (HODT) 441 Hannover-Münster-Studie 14

Harnwegsinfekt 153 Head Injuries Committee der World Federation of Neurosurgical Societies 6 Hemikraniektomie 198 Hemiparese 114, 127, 391 Herzrhythmusstörung 147 heterotope Ossifikationen 451 Hirnabszess 248, 409 Hirnatrophie 37, 314, 391 Hirnbrei 244 Hirndrucktherapie 297 Hirndurchblutung 162 Hirngewebs- und Liquor-PO2 8 Hirnkontusionen 39 Hirnmassenverschiebung 160 Hirnnervenausfälle 483 Hirnödem 56 Hirnpathologie 426 Hirnprolaps 130, 302 Hirnschaden – primärer 509 – sekundärer 509 Hirnstamm 53, 61 Hirnstammläsionen 44 Hirnsubstanzdefekte 31 hochdosierte Steroide 155 Hochdosis-Barbiturattherapie 171, 172 Hochgeschwindigkeitstrauma 114, 254, 290 Horner-Syndrom 323 Hutkrempenlinie 48 HVL-Insuffizienz 378 HWS-Trauma 292, 297 Hydrocephalus 382–384, 386, 387 – communicans 162 – Implantation 386 Hydrocephalus, Ableitungssysteme 162 Hydrocortison 373, 380 Hydrozephalus, Ableiungssysteme 386 Hyperfibrinolyse 211 Hyperkapnie 54 Hypermetabolismus 150 Hypernatriämie 297, 378 hyperosmolaren Lösungen 147 Hyperthermie 149, 172 hypertone Kochsalzlösung 170 Hyperventilation 148, 172, 297 hypodense Kontusionen 136 Hypoglykämie 53

Stichwortverzeichnis

Hypophysenhinterlappen 373 Hypophyseninsuffizienz 63 Hypophysenvorderlappen 373 Hypopituitarismus 374 Hyposphagma 350, 351 Hypotension 53 hypothalamische Temperaturregulation 54 Hypothermie 149, 172, 297 Hypothyreose 379 Hypotonie 54 Hypoxämie 43 Hypoxie 53, 54 ICP 55, 162 ICP-Erhöhung 153, 156, 164 ICP-Grenzwert 168 ICP-Kurve 165 ICP-Messung 164, 316 ICP-Monitoring 145, 158 ICP-Senkung 166 ICP-Sonden 167 Impressionsfraktur 31, 32, 243, 290, 298, 299 Indikation zur cCT 349 Indikation zur Intubation 148, 356 indirekt offenes Schädel-Hirn-Trauma 244 Infektion 31 Infektionsprophylaxe 158 inflammatorische Reaktion 390 Infusionstherapie 169 Inkontinenz 382 Insulin-Hypoglykämietest 376, 379 Intensivmedizinische Frührehabilitation (IMFR) 427 Intensivstation 6 interdisziplinäres Team 437 interkanthale Distanz 363 intermaxilläre Fixation 358 internationale Leitlinien 503 internukleär 382 Intervall, atlanto-dentales 305 intrakraniell 246 – Blutvolumen 56 – Compliance 55, 159 – Druck 143 – Druckerhöhung 164 – Druckmesssonde 140 – Druckmessung 8 – Drucksteigerung 45

| 521

– Kompartimente 56 – Reserveräume 159 – Volumen 159 intrakutanes Hämatom 24 intrathekale Baclofenbehandlung (ITB) 450 Intubation 148 invasive Blutdruckmessung 147 inverse obere Einklemmung 160 Inzidenz 15 isodenses Subduralhämatom 393 isolierte Jochbogenfraktur 352 Jochbein 349 Jochbeinfraktur 351, 363 Jochbogen 350 jugularvenöse Sauerstoffsättigung (SjvO2 ) 187 Körperkerntemperatur 149 Kallikrein-Kinin-System 57 Kalottendefekt 302 Kalzium 58 Kalziumantagonist 155 Kantholyse 354 Kanthotomie 354, 357 Kapnometrie 148 Karotiskanal 342 Katabolismus 150 Katheterembolisation 356 Keilbeinfraktur 356, 357 Keilbeinhöhle 341 Kernspintomographie 383 Ketamin 156 Kieferklemme 352 Kiefersperre 352 Kieferwinkelfraktur 365 Kindesmisshandlung 46, 48, 294, 302, 305 Klassifikation Evidenz- und Empfehlungsgrade 494 Klassifikation nach Markowitz 364 kognitive Dysphasien 442 Koma-Datenbank 8 Koma-Remissions-Skala (KRS) 437 Komaeinteilung der World Federation of Neurological 71 Komaskala der World Federation of Neurosurgical Societies (WFNS) 72, 510 Kommunikationsaufbau 443 Komplementfaktor 209 komplex fokaler Anfall 418

522 | Stichwortverzeichnis

komplexe Jochbeinfraktur 363 Kompressionsstrümpfe 157 Kompressionstrauma 23 Koniotomie 354 Kontrakturen 448 Kontroll-CT 138 Kontusionen 51, 135 – der Kopfschwarte 24 Kontusionsblutung 53, 127, 133 Koordinationsstörungen 391 Kopfdurchschuss 30 Kopfschussverletzung 30 Kopfschwarte 24, 25 Kopfsteckschuss 30 koronare Schichtung 352 kortikale Spontandepolarisation 61 Kostaufbau 152 Kostenabschätzung 19 Krampfanfall 135, 292, 296, 301, 305, 391, 397 kraniales CT 134 Kraniektomie, dekompressive 298, 302 kraniofaziale Fraktur 364 kraniofaziale Verletzung 348 kraniomaxillofaziale Fraktur 349 Kranioplastik 302 Kraniotomie 140, 395 kraniozervikal 383 kraniozervikaler Übergang 305 Krankenhausdirektverlegung 429

Lebensqualität nach einem Schädel-Hirn-Trauma 463 Leberinsuffizienz 214 leichtes SHT 295 Leitlinienentwicklung – Entwicklungsstufen von Leitlinien 493 – Evidenzgrad 494 Leitsymptome 382 Levetiracetam 210, 420 Liquoraustritt 296 Liquordrainage 166, 173 Liquordynamik, Messung der 384 Liquorfisteln 340 Liquorshunt 115 Liquorzirkulationsstörung 301, 305, 307, 382 Lochbruch 34 Locked-in-Syndrom 443 Lorazepam 421 low T3-Syndrom 378 Low-flow-Bett 152 Low-Frequency-Autoregulation-Index 164 Luftembolie 31 Lumbaldrainage 249, 340 lumbale Infusionstest 384 lumbalen Dauerdrainage 384 Lumbalpunktion 384 Lund-Konzept 163 Lungenarterienembolie 157 Lungenembolie 215

L-Thyroxin 373, 377 Länge und Ausmaß der intensivmedizinischen Maßnahmen 374 Lagerungsschienen 448 Lagerungsschwindel 340 laktotrope Achse 376 laktotrope Insuffizienz 378 Langzeiternährung 152 latentes Intervall 115 laterale Kantholyse 357 laterales Mittelgesicht 360 Laterobasis 337 Laufbandtraining 447 Lazerationen 25 Le Fort I 360 Le Fort II 360 Le Fort III 360 Leaking 444

Makrophage 41 Mannitol 170 Massenverschiebung 45 Maxilla 349 maxillofaziale Verletzung 348 maximaler ICP-Anstieg 161 Medical Research Councel (MRC) 446 medikamentöse Thromboseprophylaxe 215 Medulla oblongata 44, 45 Meningeahauptstamm 115 Meningitis 158, 173, 400 – Risiko 248, 340 Mesencephalon 44 Metamizol 210 Methylprednisolon 377 Metyrapontest 379 Midazolam 156 Mikrodialyse 190

Stichwortverzeichnis

Mikrothromben 60 Militärmedizin 4 minimal handling 153, 169 Minimally conscious state (MCS) 439 Miniplattenosteosynthese 361, 366 Mittelgesichtsblutung 355 Mittelgesichtsfraktur 290, 342, 349, 359, 364 Mittelgesichtspfeiler 360 Mittelhirnsyndrom 147 Mittellinienverlagerung 117, 118, 128, 130 mittelschwere SHT 296 Mobilität 446 Modifieded Evan’s Blue Dye Test XVII, 445 Monitoring 145 Monokelhämatom 244, 292, 312, 350, 351 Monro-Kellie-Doktrin 55, 159, 161 MR-Zisternographie 342 Mukozele 343 multifokaler Axonschaden 42 multimodal erweitertes Neuromonitoring 185 multimodales Neuromonitoring 8, 155 multiple Kontusionen 135 multisensorische Stimulation (MSS) 440 Mundhöhle 350 Mundpflege 153 Mydriasis 121 N. abducens 329, 382 N. accessorius 323 N. facialis 245, 323, 340 N. hypoglossus 323 N. lingualis 323 N. oculomotorius 114, 127, 329 N. olfaktorius 244 N. opticus 244, 356 N. trochlearis 329 Nah-Infrarot-Spektroskopie (NIRS) 189 Nahrungssonde 152 Nahschuss 28 Nase 369 Nasenbeinfraktur 351 Nasenblutung 351 Nasenpflege 153 Nasenseptum 369 Nasentamponade 345 Nasenwurzel 350 naso-maxillärer Komplex 360 naso-orbito-ethmoidale Frakturen 363

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naso-orbito-ethmoidaler Komplex 360 Natriumsgradient 58 Nebennierenrindenfunktion 380 Nebennierenrindeninsuffizienz 379 Nekrose 41 neuen Pupillenstörung 144 neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) 461 neurochirurgische Intensivstation 143 Neurodegeneration 62 neurogene Schluckstörung 152 Neurointensivmedizin 144 neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitation (NNCHFR) 425 neurologische Untersuchung 144, 290 neurologischer Ausfall 374 neuromuskuläre Elektrostimulation (NMES) 445 neuropsychologische Störungen 485 neuropsychologische Testung 140 Neuroregeneration 155 niedermolekulares Heparin 157, 210 Niereninsuffizienz 214 nonkonvulsiver Status 419 Normalwerte des ICP 165 Normoventilation 148 Notversorgung 355 Ober- und Unterkieferschienung 358 obere Einklemmung 160 Oberkörperhochlagerung 152 Ödemtherapie 59 offene Fontanelle 117 offene Hirnverletzung 31, 358 offenes Schädel-Hirn-Trauma (SHT) 23, 509 Okklusion 350–352 Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) 431 OPS 8-552 425 Opticusneuropathie XVIII, 356 Opticusscheidenhämatom 357 Optikusatrophie 329 optimales CPP 163 oraler Antikoagulation 126 Orbitaboden 349, 352 Orbitagesichtsfraktur 290 Orbitakompartment 350, 354, 357 Orbitaphlegmone 344 organische, posttraumatische Wesensveränderung 488

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Osmodiuretika 170, 171 Osmolalität des Urins 378 osteoplastische Trepanation 120 otobasale Verletzung 243, 244 Otoliquorrhoe 32, 245, 338 Outcome 44, 54, 61, 131, 149, 433 Pachymeningitis haemorrhagica interna 390 PaCO2 148 panfaziale Fraktur 349, 350 Parenchymdruckmessung 167 parenterale Ernährung 152 PECARN XVIII, 293, 294 Pediatric Glasgow Coma Scale (PGCS) XVIII, 290 Penetrationsverletzung 357 penetrierendes Trauma 134 Penumbra 58 Perfetti-Konzept 447 perifokales Hirnödem 134 perifokales Ödem 135 periventrikuläre Dichteminderungen 383 Persistent Vegetativ State (PVS) 439 persistierende Hyponatriämie 452 persistierende Liquorrhoe 343 Pharmakotherapie des erhöhten ICP 169 pharyngeales Pooling 444 Phasenmodell der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) 427 Phenytoin 420 Phenytoininfusion 421 physikalische Thromboseprophylaxe 215 Pingpong-Fraktur 301 Plasminogen 211 Platzwunde 25, 312 Pneumenzephalus 394, 395 Pons 44 positiver endexpiratorischer Druck 148 Postaggressionsstoffwechsel 150 postprimäre Rehabilitation 428 poststationäre Versorgung 502 posttraumatische Bewusstseinstrübung 6 posttraumatische Epilepsie 63, 64, 418, 422, 488 posttraumatische Gleichgewichtsstörung 482 posttraumatische Hypophyseninsuffizienz 374 posttraumatische Liquorfistel 243 posttraumatische Liquorzirkulationsstörungen 451

posttraumatischen Hirnschwellung 56 posttraumatischen Vasodilatation 56 posttraumatischer Anfall 418 posttraumatischer Hydrozephalus 307, 382 posttraumatischer Parkinsonismus 63 posttraumatisches Hirnödem 7, 143 posttraumatisches Koma 6 Prädilektionsstelle 135 präklinische Versorgung 495 Prasugrel 209 Prednisolon 377, 380 Pressure-Reactivity-Index 164 primäre und sekundäre Hirnschädigungen 51 primärer Hirnschaden 509 Prognose 297, 306 Propofol 156 Proptosis 350 Prothrombinkomplex-Konzentraten (PPSB) 213 Protrusio bulbi 329 Pseudoaneurysma 324 psychosoziale Langzeitfolgen 462 pulsierender Exophthalmus 292, 329 Pulsoximetrie 148 pulssynchrone Ohrgeräusche 330 Pupillenreaktion 127, 144, 312 Puppe’sche Regel 34 Pyozele 343 Quetsch-Risswunde 26, 27, 48 Reha-Assessments 430 Rehabilitation 461 Rekonstruktion des Orbitaboden 362 relative Nebennierenrindeninsuffizienz 377 relativer Nahschuss 28 Remifentanil 157 renaler Stickstoffverlust 150 renaler Wasserverlust 378 repetitives CT 134 RESCUE-ICP-Studie 174, 202 Reserveraum 115 Retinalblutung 48, 290, 303 Retinoschisis 303 retroaurikuläre Blutung 244, 312 Retrobulbärhämatom 357 retroclivale Hämatome 114 rezidivierende Meningitiden 245 Rhexisblutungen 39 Rhinobasis 337

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Rhinoliquorrhoe 244, 338, 342 Richmond Agitation Sedation Scale 156 Riechprüfung 342 Rindenarterienläsion 127 Rindenprellungsherde 39 Ringbruch 34 Rivermead-Motor-Skala 446 Rosner-Konzept 163 Rotationstrauma 24, 42, 44, 290 Ruheenergieumsatz 150 SAPS 437 Sauerstoffsättigung im Bulbus venae jugularis 8 Schädel-Hirn-Trauma (SHT) 509 – computertomographische Klassifikation 513 – MRT-Klassifikation 513 – offenes 509 Schädelbasisfraktur 31, 152, 289, 292, 294, 295, 301, 346, 364, 374 Schädelfraktur 296, 298 Schädelsonographie 296, 305 Schallleitungsschwerhörigkeit 338 Scharnierbruch 34 Scherverletzung 53 Schilddrüsenfunktion 380 Schläfenbein-CT 340 Schläfenbeinfraktur 338 Schlagverletzung 48 Schlitzventrikelsyndrom 452 Schluckreflextriggerung 444 Schürfungen 24 Schussentfernung 28 Schusskanal 30 Schussrichtung 28 Schussspurensicherung 28 Schussverletzung 28, 134 Schütteltrauma 48, 295, 302, 303 Schwartz-Bartter-Syndrom 452 schweres SHT 147, 296, 374 Sedierung 155 sekundäre Korrektur der internen Orbita 369 sekundäre Schäden 7 sekundärer Hirnschaden 8, 114, 143, 145, 509 sekundärer Hirnstamm 53 sekundärer ICP-Anstieg 140 Sekundärkorrekturen am Gesichtsschädel 368 Sekundärschaden 44, 135

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Serumosmolarität 153 Seyferth-Zeichen 342 Shaken-Baby-Syndrom 48, 302 SHT, offenes 295 Siebbein 349 Siebbeinzelle 341 Simulationstest 379 Sinus frontalis 244 Sinus maxillaris 352 Sinus sagittalis superior 37 Sinusverletzung 120, 298 Skalpierungsverletzung 27 somatotrope Achse 376 somatotrope Insuffizienz 378 Somnolenz 439 Sorbit 170 soziale Teilhabe 461 Spannungspneumenzephalus 246 Spastik 448 Spätanfall 418, 419, 422 Spätmeningitis 347 Sprechventil 443 Spritzenpumpe 384 Störungen der Blutgerinnung 136 stationäre Überwachung 296 Status epilepticus 419, 421, 452 Stauungspapillen 382 sterile Entzündungsreaktion 63 Steroide 155 Stickstoffmonoxid 56, 60, 61 Stiffneck 297 Stirnbeinosteomyelitis 347 Stirnhöhle 341, 349 Störung des Schluckreflexes 152 Strahlenexposition 353 Strukturqualität 434 stumpfe Gewalteinwirkung 23, 25, 34 Sturz 126 Sturzneigung 391 Sturzprävention 319 Sturzrisiko 311 subakutes subdurales Hämatom 126 Subarachnoidalblutung 374 subdurale Hygrome 200 subdurale ICP-Messung 165 subdurales Hämatom 37, 52, 298, 313 Subduralraum 390 subfalcine Hernation 136

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subfalxiale Herniation 45 subkutanes Hämatom 24 Sufentanil 156 Suizidrisiko 462 Supraorbitalrand 349, 350 swinging flashing test 357 swirl-sign 116 Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH) 151, 452 Syndrom reaktionsloser Wachheit (SRW) 439 Syndrome of the trephined 200 Teamvisiten 437 Tentoriumsschlitz 45, 60, 127, 160 Terassenbruch 34 Thalamus 43 therapeutisches Team 437 Therapie, antikonvulsive 307 Thiopental 171 Thrombose 209 Thromboseprophylaxe 157, 215 Thromboserisiko 215 Thromboxan 209 Thrombozyten 209 Thrombozytenaggregationshemmer 212, 213, 311, 325, 389, 390 Thrombozytenfunktionsstörung 211 thyreotrope Achse 376 thyreotrope Insuffizienz 378, 380 Ticagrelor 209 Ticlopidin 209 tiefe Beinvenenthrombose 157 Tinnitus 340 Tirofiban 210 TISS 10 437 Titanmesh 362 tonisch-klonischer Anfall 418 Tracheostoma 433 Tracheotomie 158, 354, 356 Tranexamsäure 212 transforaminale (tonsilläre) Herniation 45 Translationstrauma 23, 290 Transport und Krankenhauseinweisung 76 transtentorielle Herniation 45, 52, 60, 136 Traumaereignis 382 Traumaspirale 297 Traumateam 354 Traumatic Coma Data Bank 8

traumatische arteriovenöse Fistel 328 traumatische intrazerebrale Blutung 133 traumatische Liquorfistel 243 traumatische Opticusneuropathie (TON) 346, 356 traumatische Penumbra 60 traumatische Subarachnoidalblutung 53, 162 traumatischer Mutismus 442 traumatisches Aneurysma 325 Trepanation 2, 3, 126, 130 Trepanationsinstrumente 3 TRH-Test 376 Trümmerfrakturen 34 Übergang, kraniozervikaler 293, 305 Überwachungsbogen 138 Überwässerung 150 Ultraschalldiagnostik 293 Unfallursachen 17 Unfallversicherung 47 untere Einklemmung 160 Unterkieferfraktur 365 Valproinsäure 210 vasogen 56 vasogenes Hirnödem 161 Vasopressin 373 Vasospasmen 162 venöse Thromboembolien 157 Ventilator-assoziierte Pneumonie 158 Ventrikeldrainage 173 Ventrikeldruck 165 Ventrikelerweiterung 383 Ventrikelkatheder 166 Ventrikulitis 158, 173, 405 ventrikuloperitoneale Ableitungssysteme 162, 386 Verbrauchskoagulopathie 211 Verkehrsunfall 126 Verletzungsschwere 16 Vermeidung 143 Versorgung am Unfallort 72 Versorgung in der Notaufnahme 77 Verstorbene 19 Vertebralisdissektion 325 vertikale Blickparese 382 Verwirrtheit 391 videofluoroskopische Untersuchung 445 Visus 356

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Visuskontrolle 351, 357 Visusverlust 356, 357 Visusverschlechterung 356, 357 Vitalitätsprüfung der Zähne 351 Vitamin-K-Antagonisten 210, 213 von-Willebrand-Faktor 209 Vorhofohrverschluss 397 Wachheit 439 Wachstation 6 Weaning 433 Weichgewebsamputat 358 Windungskuppen 39 Wirbelsäulenverletzungen im Kindesalter 305 Wortfindungsstörungen 391 Zähne 350 Zahnfraktur 359 Zahnrettungsbox 359 zentral vegetative Störung 485

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zentrale Hypernatriämie 151 zentrale Lähmungen 481 zentrale Mittelgesichtsfraktur 361 zentraler Venenkatheter 147 zentrales Mittelgesicht 360 zentralvenöser Druck 147 zentrolaterale Mittelgesichtsfraktur 361 zerebrale Compliance 58 zerebrale Hyperämie 148 zerebrale Ischämie 54, 59 zerebraler Blutfluss (CBF) 162, 190 zerebraler Gefäßwiederstand 163 zerebraler Perfusionsdruck (CPP) 54, 55, 58, 145, 162, 297 zerebrales Salzverlustsyndrom 452 ZNS – Hannelore Kohl Stiftung 427 Zweiter Weltkrieg 5 Zytokine 63 zytotoxisches Hirnödem 56, 58, 134, 161