Handbuch für den praktischen Kriminaldienst: Ein Lehrbuch für Gendarmerie- und Polizeischulen, ein Lern- und Nachschlagebehelf für jeden Kriminalbeamten [Reprint 2022 ed.] 9783112689745

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Handbuch für den praktischen Kriminaldienst: Ein Lehrbuch für Gendarmerie- und Polizeischulen, ein Lern- und Nachschlagebehelf für jeden Kriminalbeamten [Reprint 2022 ed.]
 9783112689745

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Allgemeiner Teil
Erster Abschnitt. Kriminaldienst und Kriminalbeamter
Zweite Abschnitt. Einvernahme
Dritter Abschnitt. Augenscheinsaufnahme. Das Vorgehen auf dem Tatorte
Vierter Abschnitt. Ausforschung des Täters
Fünfter Abschnitt. Sachverständige
Besonderer Teil
l. Besondere Kenntnisse
6. Abschnitt. Grundzüge der Identitätsfeststellung und Verwandtes
7. Abschnitt. Gauner-Eigenheiten
8. Abschnitt. Gaunersprache
9. Abschnitt. Zigeuner
10. Abschnitt. Aberglaube
11. Abschnitt. Waffen
II. Einzelne Fertigkeiten
12. Abschnitt. Zeichnen
13. Abschnitt. Fußspuren
14. Abschnitt. Blutspuren
15. Abschnitt. Über Geheimschriften und deren Entziffern (Dechiffrierkunde)
16. Abschnitt. Behandlung der corpora delicti
III. Besondere strafbare Handlungen
A. Eigentumsschädigungen
17. Abschnitt. Diebstahl
18. Abschnitt. Betrug
19. Abschnitt. Brandlegung
20. Abschnitt. Wucher
21. Abschnitt. Gefährliche Drohung
22. Abschnitt. Raubmord
B. Gewaltsame Gesundheitsschädigungen und Todesarten
Allgemeines
23. Abschnitt. Verletzungen
24. Abschnitt. Tod durch Vergiftung
25. Abschnitt. Tod durch Erstickung
26. Abschnitt. Andere gewaltsame Körperbeschädigungen und Todesarten
27. Abschnitt. Kindesmord
28. Abschnitt. Fruchtabtreibung
29. Abschnitt. 1. Totenbeschau
30. Abschnitt. Erste Hilfeleistung bei plötzlichen Unglücksfällen
31. Abschnitt.Gesundheitspflege
Sachregister

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Handbuch für den praktischen Kriminalöienst Ein Lehrbuch für Gendarmerie- und Polizeischulen,

ein Lern- unö Nachschlagebehelf für jeden Kriminalbeamten

Mit über 50 Abbildungen

herausgegeben von

Wilhelm Poher, Polizeikommissär in Wien.

192 2 München, Berlin und Leipzig 0. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier)

Nachdruck — auch auszugsweise — verboten. Alle Rechte, einschließlich des Rechtes der Übersetzung in ausdrücklich Vorbehalten.

fremde Sprachen,

Copyright 1922 by J. Schweitzer Verlag, München. Gesetzliche Formel für den Urheberrechtsschutz in den Vereinigten Staaten von Nordamerika.

Druck von Dr. F. V. Datterer & Cie., Freising-München.

Vorwort. Bei Abfassung des vorliegenden Buches waren mir im wesent­ lichen zwei Werke richtunggebend7 Für den kriminalistischen Teil das von meinem unvergeßlichen Lehrer, weiland Universitäts­ professor Dr. Hans Groß, veröffentlichte, in fast allen Kultursprachen übersetzte „Handbuch für Untersuchungsrichter als System der Kriminalistik" (I. Schweitzer Verlag, München. 1921, 7. Aufl., 2 Bände), für den medizinischen das von Hofrat Dr. Julius Kratter, Universitätsprofessor in Graz, herausgegebene „Lehrbuch der gerichtlichen Medizin" mit seinem kürzlich erschienenen II. Teil: „Gerichtsärztliche Praxis" (Verlag von Ferdinand Enke, Stuttgart. 1919) und zwar deshalb, weil diese von berufensten Fachleuten geschrieben sind und eine überreiche Fülle von durch Jahrzehnte gesammelten Erfahrungen enthalten.*) Allen, die mir bei der Ausarbeitung dieses Buches fördernd zur Seite standen, sei hiemit mein ergebenster Dank ausgesprochen, so ins­ besondere Hofrat Dr. J. Kratter, der mir in besonders entgegen­ kommender Weise und an der Hand der von ihm angelegten so reich­ haltigen Sammlungen des Gerichtlich-medizinischen In­ stitutes an der Universität Graz den in Betracht kommenden Stoff erklärte, Chefarzt der freiwilligen Rettungsgesellschaft in Wien, Dr. J. Lambert und Geh. Ober-Medizinalrat Dr. j. Ristor in Berlin für die Genehmigung zur Benützung der von diesen herausgegebenen vorzüglichen „Wandtafeln" der „Ersten Hilfeleistung bei plötz­ lichen Unglücksfällen", Regierungsrat Dr. H. Weinberger bei der Polizeidirektion Wien, Dr. E. R. v. Liszt, Privatdozent des Straf­ rechts an der Universität Graz und Vorstand des Kriminalistischen Institutes der Polizeidirektion Wien, und Dr. H. Schneickert, Seifet des Erkennungsdienstes beim Polizeipräsidium Berlin und Dozent für die kriminalistischen Hilfswissenschaften an der dortigen Universi­ tät, für eine Reihe sehr wertvoller Ratschläge bezüglich Ausgestaltung und Anordnung des Inhaltes usw. usw. und nicht zuletzt auch dem Verlage für den so angenehmen Druck und die schöne Ausstattung des Buches. Für das vorliegende „Handbuch" wurde absichtlich eine hand­ liche Größe gewählt, weil es auch dazu bestimmt ist, den Kriminal­ beamten auf auswärtigen, d. h. außerhalb der Amtsstube vor­ zunehmenden Amtshandlungen zu begleiten. Das möglichst genau abgefaßte Inhalts- und Sachverzeichnis werden das Gewünschte umgehend finden lassen. Graz, im Frühjahr 1920. __________

DerBerfasser.

*) Die oben genannten Werke seien dem, der sich, über den Rahmen diese„Handbuches" hinausgehend, der Sache noch eingehender widmen will, wärmstenempfohlen. Wo immer eine Bibliothek für Kriminalbeamte besteht, werden sie keinesfalls fehlen dürfen.

Inhaltsverzeichnis. Sette

Vorwert......................................................................................................................... Inhaltsverzeichnis.................................................................................................... Einleitung..............................................................................

in V 1

Allgemeiner Teil.

1. Abschnitt. Kriminaldienst und Kriminalbeamter............................................................... 1. Der Kriminaldienst..................................................................................... 2. Der Kriminalbeamte ......................... ,..................................................... 3. Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen.......

8 8 9 13

Behandlung namenloser (anonymer) Anzeigen.................................................... Übersichtliche Aufstellung für bestimmte Straftaten.......................................... Zugehörigkeit erstatteter Anzeigen (Kompetenz). . ..............................................

14 15 16

2. Abschnitt. Einvernahme............................................................................................................... 1. Allgemeines........................................................................................ 16 2. Besonderes........................................................................................ 17 3. Wann und wiesoll eine Meldung,Anzeige verfaßt werden? ... 4. Verfügungen aufGrund einerbereitsvorliegenden Anzeige....

23 24

3. Abschnitt. Augenscheins-Aufnahme.......................................................................................... Das Vorgehen auf dem Tatort................................................................................ 1. Anleitungen zur Klarstellung des Sachverhaltes.................................... 2. Wert und Verwendung der „Ausrückungstasche"..................................... 3. Anleitungen für das Suchen nach versteckten Gegenständen .... A. Personsdurchsuchung ................................................................................ B. Hausdurchsuchung..................................................................................... 1. Durchsuchung von gedeckten Räumlichkeiten................................ 2. Durchsuchung im Freien..................................................................... 4. Verwertung des Vorgefundenen................................................................ 5. Über den Polizeihund.....................................................................................

27 27 27 31 33 34 35 36 37 37 37

4. Abschnitt. Ausforschung des Täters............................................................................... 1. Ermitteln des Namens................................................................................ 2. Eigentliche Nachforschung..................................................... 3. Art der Nachrichtenverbreitung..................................... i.......................... A. In der Stadt . . . . ..................................................................... B. Auf dem Lande...........................................................................................

38 38 41 42 42 42

5. Abschnitt. Sachverständige......................................................................................................... 1. Allgemeines.................................................................................................... 2. Erfordernisse für ein Sachverständigen-Gutachten................................ 3. Beispiele für Fragen an Sachverständige ..................................................

42 42 44 45

16

VI

Inhaltsverzeichnis. Besonderer Teil.

I.

Besondere Kenntnisse.

6. Abschnitt. •rundzüge der Identitätsfesstellung und Verwandtes..................................... 1. Personsbeschreibung (Vorlage)..................................................................... 2. Daktyloskopie.................................................................................................... A. Abnehmen von Fingerabdrücken.......................................................... B. Wer ist daktyloskopisch abzunehmen?................................................ 3. Jdentitätsfeststellung Unbekannter............................................................... Allgemeines.................................................................................................... A. Gemeinsames betreffend Jdentitätsfeststellung unbekannter Lebender und Toter . ................................ "...................................................... Berufsmerkmale.................................................................................... 1. An^en Händen............................................................................... aa) eigenartige durch den Beruf bedingte Verfärbung der Hände bb) eigenartige Hautverdickungen, Berufsschwielen..................... 2. An den Zähnen............................................................................... aa) Schuster.................................... bb) Tapezierer.................................................................................... ec) Glasbläser.................................................................................... dd) Schneider(innen), Modistinnen............................................... ee) Lehrer und Zeichner............................................................... ff) Zuckerbäcker.................................................................................... gg) Arbeiter in chemischen Fabriken................................................ hh) Metallarbeiter............................................... ............................... 3. Durch den Beruf bedingte eigenartigeKörperhaltung.... 4. Narben............................................................................................... 5. Tätowierungen..................................................................................... 6. Sonstige Merkmale.......................................................................... B. Weitere Anhaltspunkte zur Jdentitätsfeststellung Lebender ... C. Weitere Anhaltspunkte zur Jdentitätsfeststellung von Leichen und Leichenteilen............................................................................................... 1. Zerstückle und verstümmelte Leichen................................................ 2. Haare.................................................................................................... 3. Knochen............................................................................................... 4. Jdentitätszeugen.................................................................................... 1. ^Wiedererkennen Dritter nach einem Lichtbild.......................... 2. Wiedererkennen Dritter bei Gegenüberstellung................................ 5. Die Photographie im Dienste der Kriminalistik..................................... Allgemeines.................................................................................................... 1. Unterschied zwischen Lichtbild und Zeichnung desselben Gegenstandes 2. In welchen Fällen kann eine photographische Aufnahme wesentlich Klarheit schaffen?.................................................................................... 3. Wann und was soll unbedingt photographiert werden? ....

©eite

50 50 53 54 54 55 55

55 58 58 58 58 59 59 60 60 60 61 61 61 62 62 63 63 64 65 65 66 66 67 67 68 68 70 70 71

72 73

7. Abschnitt. Gaunereigenheiten.................................................................................................... Allgemeines................................................................................... 1. Angebliche (— simulierte) Krankheiten und Leiden................................ 2. Beilegung eines falschen Namens............................................................... 3. Zu Täuschungszwecken verändertes Aussehen.......................................... 4. Geheime Verständigungen (»Zinken" und Chiffriertes)........................... a) Worte........................................................................................................ b) Zeichnungen („Zinken").......................................................................... c) Zeichengeben............................................................................................. . d) Warnrufe...................................................................................................

74 74 74 77 77 79 79 79 82 8t

Inhaltsverzeichnis. 8. Abschnitt. Gaunersprache...............................................................................................................

VII Bette

84

9. Abschnitt. Zigeuner.................................................................................................................... 1. Sittliche Eigenschaften der Zigeuner....................................................... 2. Wann kommen Zigeuner als Täter in Betracht?................................ 3. Wann kommen Zigeuner als Täter bestimmt nicht in Betracht? . . 4. Amtshandlung mit Zigeunern.....................................................................

85 85 85 86 87

10. Abschnitt. Aberglaube..................................................................................................................... 1. Allgemeines.................................................................................................... 2. Besonderes......................................................................................................... A. Kennzeichen abergläubischer Veranlagung........................................ B. Behandlung abergläubischer Personen..............................................

88 88 89 89 91

11. Abschnitt. Waffen..........................................................................................................................

92

II. Einzelne Fertigkeiten. 12. Abschnitt. Zeichnen.................................................................................................................... 94 1. Allgemeines..................................................................................................... 94 2. Besonderes . . .......................................................... .... 94 Vorgang beim Zeichnen............................................................................... 96 1. Zeichnung eines Einzelraumes . 96 2. Zeichnung einer Wohnung..................................................................... 98 3. Zeichnung der Umgebung eines Hauses („Konventionelle Bezeich­ nungen", „Topographische"- oder „Aufnahme-Signaturen"). 99 4. Zeichnung eines größeren Teiles einer Landschaft ..... 103 5. Zeichnung eines Teiles einer Stadt............................................................106 6. Abzeichnen von Unebenheiten des Bodens (mit Hilfe eines Paus­ apparates) ............................................................................... ... 106 3. Das Zurechtfinden (Orientieren) bei Tag und bei Nacht, Orientierungs­ mittel .......................................................................................................... 109 4. Behandlung verkohlten Papieres...................................................................... 112 5. Zusammensetzen zerrissenen Papieres................................................................. 113 6. Abformen fester Gegenstände............................................................................116

13. Abschnitt. Fußspuren............................................... 117 Allgemeines.................................................................................... 117 1. Spurenbezeichnung und Spurenlesen.......................................... . 118 a) Eindruck..................... 118 b) Abdruck........................................................................................................... 118 c) Fußspur............................................................................................... 119 d) Gangbild.................................................................................................... 119 e) Schrittweite.....................................;........................................................... 120 f) Schleifspuren...................................................................................................... 121 g) Richtungslinie................................................................................................ 121 h) Fußwinkel......................................................................................................121 i; Fußspuren beim.................................................... 121 aa) raschen Gehen......................................................................................121 bb) laufen......................................................................................................121 cc) längeren Stehen......................................................................................121 2. Spuren von nackten und beschuhten Füßen .................................................122 3. Fußspuren zur Irreführung................................................................................ 123 4. Verwerten des Gesagten für den Ernstfall...................................................... 124 5. Sachverständige für Fußspuren........................................................................... 125

V1U

Jrchallsverzetchnis. Leite

6. Sonstige Spuren................................................................................................. ,125 7. Abformen von Fußspuren................................................................................... 126 a) Mittel................................................................................................................... 128 b) Anhaltspunttefür die Deutung von Fußspuren (Gangart, Gangbild) 131

14. Abschnitt. Blutspuren.............................................................................................................................. 132 Allgemeines................................................................. •.................................................. 132 1. Vorgehen beim Aufsuchen vonBlutspuren.......................................................... 135 a) Das Aussuchen ................................................................................................... 135 b) Das Sichern................................................................ 137 c) Abnehmen der Blutspur.................................................................................. 138 2. Verwahren blutbefleckter Gegenstände. a......................................................... 138 3. Sachverständige für Blutspuren...................................................... . . 138 15. Abschnitt. Geheimschriften und deren Ziffern (Dechiffrierkunde)....................................... 139 Allgemeines......................................................................................................................... 139 1. Aussehen von Chiffriertem................................................................................... 139 A. Schriftlich Chiffriertes................................................................................... 139 B. Mündlich Chiffriertes................................................................................... 140 2. Wo ist Chiffriertes zu suchen?............................................................................. 142 3. Verwertung solcher Mitteilungen........................................................................ 142 Die Morse-Zeichen................................................................. 142 16. Abschnitt. Behandlung der corpora delicti................................................................................... 143 Borgetäuschte Verbrechen................................................................................................... 143 Kurzer Wegweiser für Tatbestandsaufnahmen............................................................. 144

III. Besondere strafbare Handlungen. A. Eigentumsschädigungen.

17. Abschnitt. Diebstahl..............................................................................................................................146 Allgemeines........................................................................................................................ 146 1. Art der Verübung des Diebstahles........................................................... ' 147 a) Das Auskundschaften..................................................... 149 b) Die Tätigkeit des Mithelfers(Komplizen).................................................... 150 2. Die häufigsten Arten desDiebstahles............................................................... 150 a) Auslagendiebstahl.............................................................................................. 152 b) Einbruchsdiebstahl.............................................................................................. 153 c) Einmietediebstahl.............................................................................................. 154 d) Einschleichdiebstahl...................................................... '.................................... 154 e) Fahrraddiebstahl................................................. ;....................................... 154 f) Geldwechseldiebstahl........................................................................................ 155 g) Gelegenheitsdiebstahl . ...................................................... 155 h) Gepäcksdiebstahl............................................................................................. 155 i) Hausdiebstahl................................................................................................... 155 j) Ladendiebstahl................................................................................................... 156 k) sog. „Leichenfledderer"........................................................................................ 157 l) Marktdiebstahl...................................................................... 157 m) Metalldiebstahl................................................................................................... 157 n) Opferstockdiebstahl............................................................................................. 157 o) Viehdiebstahl................................................................................................... 158 p) Raub...................................................................................................................158 q) Rockdiebstahl........................................................................................................ 159 r) Taschendiebstahl................................................................................ • . 159

Inhaltsverzeichnis.

IX Sette

1. Wie erkennt man Ausführung derTat und Täter? .... 160 2. Amtshandlung mit Taschendieben...................................................... 163 s) Unzuchtsdiebstahl........................................................................................... 164 t) Wilddiebstahl..................................................................... 164 u) Diebstahl aus Aberglauben........................................................................... 164 Hehler..................................... .....

.

.

.

............................................................165

18. Abschnitt. Betrag................................................................................................................................ 165 Allgemeines......................................................................................................................165 1. Besondere Begehungsformen des Betruges................................................ 167 a) Sog. Jnseratenbetrug...................................................................................... 167 b) Sog. Bauernfängerei............................................... 168 c) Hochstapler...................................................................................................... 169 d) Gelegenheitsbetrüger...................................................................................... 170 2. Besondere Fälschungen........................................... ' . ..................... 170 Vorgang bei der Prüfung von Schriftstücken auf ihre Echtheit . . . 170 a) Fälschungen von Urkunden und Stampilien............................................ 170 b) Münz- und Kreditpapierverfälschung.......................................................171 Erkennungsmerkmale............................................................................................172 a) bei Hartgeld.......................................................................................................172 b) bei Banknoten ..................................................... 172 c) Briesmarkenfälschungen.................................................................................172 d) Fälschungen von altertümlichen und Kunst-Gegenständen . . . 173 e) Betrug beim Viehhandel............................................................................173 3. Sachverständige in Betrugsfällen.......................................................................174 4. Amtshandlung mit Betrügern............................................................................174 5. Gegenmaßnahmen..................................................................... 174 19. Abschnitt. Brandlegung . . 175 1. Brandlegung.......................... 175 A. Brand absichtlich hervorgerufen................................................................. 175 B. Brand durch Unvorsichtigkeit oder Fahrlässigkeit entstanden ... 177 2. Selbstentzündung ............................................................................................177 A. Durch physikalische Ursachen.....................................................................# 1/7 B. Durch chemische Ursachen.................................................... 177

20. Abschnitt. Wucher.................................................................................................................................179

21. Abschnitt. Gefährliche Drohung....................................................................................................... 179 22. Abschnitt. Raubmord............................................................................................................................180

B. Gewaltsame Gesundheitsschädigungen un.d Todesarten. Allgemeines...................................................................................................................... 180 1. Erfahrungstatsachen............................................................................................181 2. Feststellung der wirklichenTodesursache.............................................................. 186 a) Sanitätspolizeiliche Obduktion...................................................................... 186 b) Gerichtliche Obduktion................................................................................. 187 23. Abschnitt. Verletzungen......................................................................................................................187 1. Tod durch Schnittwunden ..................................................................... 188 A. Halsabschneiden.................................................................................................188 B. Aderaufschneiden........................................................................................... 190 C. Bauchaufschlitzen („Harakiri")......................................................................190 2. Tod durch Hiebe (Erschlagen)...........................................................................190 3. Tod durch Stiche (Erstechen)...........................................................................191

X

Inhaltsverzeichnis. Sette

4. Tod durch Schuß (Erschießen).......................................................................... 193 5. Tod durch stumpfe Gewalten.......................................................................... 196

24. Abschnitt. Tod durch Vergiftung....................................................................................................197 25. Abschnitt. Tod durch Erstickung....................................................................................................199 1. Strangulation................................................... 199 ' A. Tod durch Erhängen ............... .................................................................... 199 B. Tod durch Erdrosseln.................................... ..... . •................................ 201 C. Tod durch Erwürgen .............................................................. 202 2. Tod durch Ertrinken.............................. 203 3. Andere Arten der gewaltsamen Erstickung................................................... 205 A. Tod durch Verschluß der Atemöffnungen.............................................. 205 B. Tod durch Verstopfung der Atemwege................................................... 205 C. Tod durch Behinderung der Atembewegungen............................. 205 26. Abschnitt. Andere gewaltsame Körperbeschädigungen und Todesarten ..... 206 1. Verhungern........................................................................................................ 206 2. Temperaturwirkungen......................................................................................... 206 A. Wirkungen zu hoher! Temperatur:.......................................................... 206 1. Verbrennung................................ .................................................. 206 2. Sonnenstich und Hitzschlag..................................................................... 206 B. Wirkungen zu niedriger Temperatur:............................... • . . 206 Erfrieren......................................................................................................... 206 3. Körperverletzungen und Tod durchElektrizität............................................. 206 A. Blitzschlag............................................................................. .....' 206 B. Starkstromwirkungen....................................................................................207 4. Körperbeschädigung und Tod durch seelischeEinwirkungen .... 207

27. Abschnitt. Kindesmord................................................................................................................... 207 Allgemeines............................................................................................................... 207 Todesarten des Kindes.............................................................................................. 208 1. Natürlicher Tod eines Kindes.......................................................................... 209 2. Absichtlich herbeigeführter Tod einesKindes.................................................. 209 A. Tötung durch gewaltsamen Eingriff.......................................................... 209 1. Tötung durch Verletzungen............................................................... 209 2. Tötung durch Erstickung.................................................................... 209 3. Andere gewaltsame Kindestötung..................................................... 209 B. Tötung durch absichtliche Unterlassung des bei der Geburt nötigen Beistandes............................................................................. 209

28. Abschnitt. Fruchtabtreibung........................................................................................................ 210 Allgemeines .............................................................. -.......................................... 210 1. Innere Abtreibmittel......................................................................................... 211 2. Außere Abtreibmittel......................................................................................... 212 29. Abschnitt. 1. Totenbeschau............................................................................................................. 213 2. Leichenerscheinungen........................................................ 215 A. Sterbezeichen.......................... -.....................................215 B. Sichere Todeszeichen.........................................................................................215 3. Leichen Verletzungen .............................................................................................. 217 30. Abschnitt. \ Brite Hilfeleistung bei plötzlichen Ungläcksfallen................................................ 218 1. Allgemeines (allg. Verhaltungsmaßregeln)..................................................... 218 2. Besonderes........................................ 219

HnhaltSoerzeichniZ

A. Krankheitserscheinungen 1. Blutungen aus Körperhöhlen a) Blutharnen b) Darmblutung ................................ c) Gebärmutterblutung ................................ d) Lungenblutung e) Magenblutung f) Nasenblutung .......................................... g) Ohrblutung h) Rachenblutung i) Zahnblutung .......................................................... 2. Blutungen aus Wunden .................................................................... - a) Haarröhrchenblutungen . ................................................................ b) Blutaderblutungen . c) Schlagaderblutungen 3. Brandwunden 4. Eingeklemmter Eingeweidebruch ................................ 5. Elektrischer Unfall (Blitzschlag) 6. Epileptischer Anfall (Fallsucht) 7. Erfrierung 8. Erhängen, Erdrosseln, Erwürgen 9. Erstickungsgefahr durch Fremdkörper in den Luftwegen 10. Erstickungsgefahr durch atmungsschädliche Gase 11. Ertrinken............................................................... -....................................... 12. Fraisen 13. Fremdkörper in den natürlichen Öffnungen a) im Auge b) im Hals c) in der Haut d) in der Nase e) im Ohr 14. Geburtswehen (Straßengeburt) 15. Gehirnerschütterung 16. Hautabschürfungen 17. Hitzschlag (Sonnenstich) 18. Hysterischer Krampfanfall ..................... 19. Knochenbruch .......................................... 20. Kolik (Magen- und Darmkolik) 21. Nervenschok (Nervenerschütterung) 22. Ohnmacht 23. Quetschung (Blutbeule, Blutunterlaufung) . ..................................... 24. Schlaganfall 25. Trunkenheit . ..................................................... 26. Verätzungen (mit Säuren und Laugen) 27. Vergiftete Wunden (Schlangenbiß, Biß toller Hunde) 28. Verrenkung 29. Verschüttung 30. Verstauchung ..................................................................... 31. Vergiftungen ........................... a) Äther (Petroleum, Ligroin, Benzin) b) Arsenik (Schweinfurtergrün)................................................................ c) Blausäure (Zyankali) ................................ d) Karbolsäure (Lysol) . . . e) Chloroform ..................................................................... f) Grünspann (Essigsaures Kupfer) g) Laugen ..................................... h) Morphium (Opium) ...... i) Nikotin (Tabak) k) Phosphor l) Säuren

XI Sritr 219 219 219 219 219 219 220 220 220 220 221 221 221 221 222 223 224 225 225 226 226 226 227 228 228 228 229 229 229 230 230 231 231 231 231 232 233 233 234 234 234 235 235 235 236 236 237 237 237 237 238 238 238 238 239 239 239 239 240

XII

Inhaltsverzeichnis. Seite

in) Schlangengift................................................................................................... 240 n) Schwämme................................................................................. 240 o) Sublimat..............................................................................................................240 p) Tailli eschen...................................................... ...... 241 q) Wncslgift............................................................................................................. 241 32. Wunden (Gnndverband)........................................... 241 Künstliche Atmung................................................................................................... 246

31. Abschnitt. Gesundheitspflege............................................................................................................. 247 Sachverzeichnis.......................................................................................................

249

Einleitung. Mit vorliegendem Buche wollte ich hauptsächlich für nicht rechts­ kundige Kriminalbeamte einen Behelf schaffen, der es ermöglichen soll, den schweren, verantwortungsvollen dienstlichen Obliegenheiten gerecht zu werden. Veranlassung zur Schaffung dieses Hilfsmittels war mir die Tat­ sache, daß es an einem solchen mangelt. — Es gibt zwar eine große Anzahl von Werken kriminalistischen Inhaltes, aber sie alle haben — vom Gesichtspunkte dieser Kriminalbeamten aus gesehen — ihre Nachteile: Die einen sind zu wissenschaftlich geschrieben, enthalten auch eine Menge Fremdwörter, so daß vieles unverständlich bleibt, dabei oft zu umfangreich oder aber zu kurz gehalten, schlagwortähnlich, unvoll­ ständig und stets auf andere Werke verweisend, oder sie behandeln bloß Sondergebiete (z. B. nur Diebstahl, nur Betrug, nur Münz- und Kreditpapierverfälschung usw.) und — was da gesagt wird, ist oft nicht mit richtigen Worten, nicht „mundgerecht" ausgedrückt.

Der nicht rechtskundige Kriminalbeamte braucht aber genaue und klare Anleitungen in leicht faßlicher, „mundgerechter“ Form, die ihm in jedem Falle, womöglich in zeitlicher Aufeinanderfolge und punktweise äufzählen, was zu geschehen hat; er braucht einen gemein­ verständlichen Lern- und Nachschlagebehelf, in welchem Alles zu finden sein soll, was er für seinen Dienst benötigt. Die jungen Beamten (Anfänger) werden für den Dienst in eigenen Fachkursen ausgebildet, nach deren Beendigung eine Prü­ fung abzulegen ist. Nun treten wir unparteiisch der Frage näher, ob Lehrkräfte oder Lehrbücher mehr geeignet sind, diese fachliche Ausbildung zu vermitteln? Ich verkenne gewiß nicht den Wert guter Vorträge, die von Vorgesetzten abgehalten werden, welche diesfalls wirklich ganz auf ihrem Platze sind, im Gegenteil: Das lebendige Wort, unterstützt durch er­ läuternde einschlägige Beispiele, wird den Zuhörer gewiß viel mehr für die Sache einnehmen, als tote, vielleicht noch dazu trockene und umfangreiche Lernbehelfe es vermögen. Wer der Ausbildung durch Lehrkräfte sind auch so manche Grenzen gesteckt: Wer lehren will, soll den Stoff wissenschaftlich und praktisch vollkommen beherrschen, soll für den Unterricht „geeignet", womöglich „besonders geeignet" sein, d. h. „das Zeug haben, jemandem etwas beizubringen", soll auch Zeit W. Polzer, Srlmlnalbienft.

1

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Einleitung.

finden, sich für den Unterricht nötigenfalls noch eigens vorzube­ reiten und muß Zeit für den Unterricht selbst haben. Nun frage'ich: Wer entspricht aber allen diesen Forderungen? Wer von den Lehrern hat alle fachwissenschaftlichen Kenntnisse und vermag sie geeignet anzuwenden? Trägt er auch klar und bündige „mundgerecht", vor? Spricht er nicht zu rasch und damit zu undeut­ lich, so daß die Zuhörer bestenfalls nur teilweise zu folgen vermögen oder trägt er nicht etwa zu eintönig und daher einschläfernd vor? Hat er vielleicht auch die allen Kursteilnehmern verhaßte Gewohnheit, während des Unterrichtes „abzufragen" und dabei vielleicht noch „Rügen" auszuteilen? Zudem vereinigt jeder solche Lehrgang naturgemäß fleißige Schüler, die mit Leib und Seele bei dem Unterricht sind, und solche, die den Beruf als Kriminalbeamte vielleicht nur deshalb ergriffen haben, um „versorgt" zu sein und — „weil dort gerade eine Stelle frei war". Außerdem gibt es — wie überall — besonders und minder be­ fähigte Schüler, der Vortragende hat also einen bunt zusammenge­ würfelten Zuhörerkreis vor sich und kann sich daher unmöglich nach den Fähigkeiten des einzelnen Schülers richten: Er setzt daher ein bestimmtes Maß von Kenntnissen und guten Willen zur Sache voraus und richtet darnach seine Vorträge ein. So liegt also schon in der Tatsache allein, daß sich der Vortra­ gende den Fähigkeiten des Einzelnen nicht anpassen kann und sie zu hoch oder zu niedrig einschätzt, ein bedeutender Nachteil des Unter­ richtes. Aber auch diese Vorträge kommen den Schülern nicht bleibend zu­ gute, sind daher keine genügende Grundlage für die spätere Fach­ prüfung und den praktischen Dienst, denn fast keiner von ihnen vermag den ganzen Vortrag schriftlich festzuhalten, weil ihm die Kenntnis der Kurzschrift (Stenographie) fehlt; aber selbst wenn er stenogra­ phieren könnte, müßte er den Vortrag nachher (und dies erfordert wieder viel Zeit) in gewöhnliche Schrift übertragen, da die steno­ graphischen Zeichen dem Auge doch immer mehr fremd sind (und sich im Laufe der Zeit auch verwischen). Es werden also beim Vortrag im besten Falle Schlagworte mitgeschrieben, die natürlich immer nur Schlagworte bleiben; wollte aber der Vortragende so langsam sprechen, daß seine Zuhörer mitschreiben könnten, so würde der für den Kurs bemessene Zeitraum bei weitem nicht ausreichen. Ein weiterer wesentlicher Umstand ist zu berücksichtigen: Fach­ kurse werden (aus verschiedenen Gründen) gewöhnlich in größeren Städten, also oft fern vom ständigen Wohnsitz der Kursteil­ nehmer abgehalten und dauern mindestens Wochen oder Monate; das ist mit Kosten und Zeitverlusten verbunden, die erspart werden könnten. Ferner gibt es viele den Dienst betreffende Fragm, die sich dem Kriminalbeamten immer und immer wieder aufdrängen, auf die er aber keine Antwort hat, denn entweder — seien wir offen — können sie andere Fachgenossen ebenfalls nicht beantworten oder es sind die Bücher nicht zur Hand, die darüber Aufschluß geben könnten oder man

Einleitung.

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will den Vorgesetzten nicht fragen, weil dieser eine solche „Wissens­ lücke" vielleicht gar zum Nachteile des Betreffenden auslegen könnte oder weil der Untergebene weiß, daß er seinem Vorgesetzten „mit solchen Fragen nicht kommen darf". Was erübrigt also? M. E. soll der Ausbildung der Kriminal­ beamten ein allen dienstlichen Anforderungen entsprechender Behelf zugrunde gelegt werden, ein Buch, das einerseits der Vorgesetzte bei seinem Vortrag wie auch andrerseits der Schüler zum Lernen benützen kann, ein Buch, das er für die Fachprüfung und seinen späteren Dienst benötigt, um sich zu unterrichten, wenn er heute oder morgen einem anderen Dienstzweige zugewiesen wird. Gibt es ein solches Buch, wird es der Vorgesetzte, der Lehrkurse abzuhalten hat, gern als Grundlage für seine Vorträge benützen, ebenso wie sich der Schüler— ich meine natürlich den, der mit vollem Eifer bei der Sache ist — solange damit befassen wird, bis er sich den Inhalt zu eigen gemacht hat. So kommt der Kursteilnehmer nicht in die ihm höchst peinliche Lage, sich beim „Abfragen" eine Blöße zu geben und — auf die Fähigkeiten des Einzelnen ist damit die weitestgehende Rücksicht genommen: Der Eine faßt eben rascher auf, lernt leichter, der Andere braucht zur selben Arbeit mehr Zeit; das Ziel aber — die erforderliche Ausbildung — er­ reichen Beide. Bleibt dem Schüler dennoch das eine oder andere aus dem Lernstoff unklar, so sind ältere, erfahrenere Berufsgenossen und Vorgesetzte da, welche gewiß gern helfend einspringen werden. Ein solches Lehr- und Lernbuch, das zugleich auch als Nach­ schlagebehelf verwendet werden kann, soll das vorliegende „Hand­ buch“ sein, dessen Inhalt damit klar umschrieben ist. Als ein Schüler des bahnbrechenden Kriminalisten, f Umversitätsprofessors Dr. Hans Groß, habe ich mich (durch ihn in besonderer Weise dazu angeregt) schon seit meiner Studienzeit an der Grazer Uni­ versität voll Eifer mit Kriminalistik befaßt, fachwissenschastlich und in praktischen Übungen betätigt, war von Prof. Groß deshalb zu sei­ nem I. Assistenten am Kriminalistischen Universitätsinstitut in Graz bestimmt worden und bin dann zur Wiener Polizeidirektion überge­ treten, woselbst ich von f Hofrat Stu kart in den praktischen Kriminal­ dienst eingeführt wurde, dem ich mich voll und ganz widmete. Dort gelangte ich bald zur Einsicht, daß es auch den nicht rechtskundigen Kriminalbeamten an einem Hilfsmittel fehlt, aus dem sie sich über verschiedene Fragen, wie sie der abwechslungsreiche Kriminaldienst mit sich bringt, jederzeit unterrichten können.*) Und wie es diesfalls in Wien ist, wird es zweifellos auch anderwärts sein. So hielt ich mich im Dienste einer möglichst guten Strafrechtspflege berechtigt und verpflichtet, einen solchen Behelf zu schaffen, um diese Lücke zu überbrücken. *) Wessen Kenntnisse in den Fächern des allgemeinen Wissens nicht voll­ ständig sind, dem sei das von Dr. Friedrich Gampp veröffentlichte vorzügliche „Kurzgefaßte Lehrbuch der Fächer des allgemeinen Wissens für die Gendarmerie" (Verlag von H. Gusek, Kremsier) bestens empfohlen; es bietet eine wertvolle Er­ gänzung nach der angegebenen Richtung.

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Einleitung.

Mein redliches Bestreben bei Ausarbeitung dieses Werkes war es, möglichst Erschöpfendes zu bieten, nicht nur zusammenzutragen, was in den Rahmen eines solchen Buches gehört, sondern den Stoff auch s o darzustellen, wie ihn der nicht juridisch geschulte Kriminalbeamte braucht, also gemeinverständlich, „mundgerecht"; tote weit der Inhalt des Buches von diesem Ziel noch entfernt ist, d. h. was noch fehlt, was überflüssig ist und was hätte besser gesagt werden können, wird mich die Kritik des Werkes lehren. So kurz der Buchtitel ist, so schwer war es oft, ihm gerecht zu werden, da auf Schritt und Tritt die Verleitung vorhanden ist, vom richtigen Wege abzukommen, sich in Einzelheiten zu verlieren und damit umfangreich und übersichtslos zu werden. Viele Bücher kriminalistischen Inhaltes, selbst von hervorragenden Gelehrten geschrieben, geben in der Absicht, verschiedene Verbrechen zu erklären, geradezu Anleitungen, wie man möglichst geschickt Verbrechen begehen und die behördlichen Nachforschungen irreführen kann, oder bringen, statt näher auf einen Abschnitt einzugehen, zur Verdeutlichung eine Anzahl von Fällen aus der Praxis; das erstere ist ebenso gefährlich (weil sich ja auch Gauner das Buch kaufen können), wie das letztere unvollständig. Ich gebe ja zu, daß mancher erlebte und erzählte Fall das, was gesagt werden soll, eher und besser erläutert, als umständliche, schwerfällige Abhandlungen; aber lediglich Fälle aneinander zu reihen, deren Aufzählung schon morgen nicht mehr vollständig ist, halte ich zum mindesten für zweck­ los. So habe ich bloß dort, wo ich es zum besseren Verständnis des Gesagten für notwendig erachtete, praktische Fälle eingestreut und an der Hand zahlreicher in den Text aufgenommener Abbildungen den Inhalt anschaulicher und leichter faßlich zu machen versucht. In zwei Punkten bin ich scheinbar über den Titel des Buches hinausgegangen; in Wirklichkeit wurden jedoch Abschnitte behandelt, deren Kenntnis zu den Obliegenheiten des Beamten, deren Darstellung somit in den Rahmen dieses Buches gehört: Der eine Punkt betrifft die Tatsache, daß so manche strafbare Handlung nicht begangen worden wäre, wenn entsprechende Vorsichts­ maßnahmen wären getroffen worden; ich habe deshalb bei der Be­ handlung von strafbaren Tatbeständen auch stets angegeben, wie ihrer Verübung nach Möglichkeit vorgebeugt werden kann. Der zweite Punkt betrifft Ratschläge für die „Erste Hilfeleistung bei plötzlichen Unglücksfällen". Der auf der Straße Dienst versehende Polizeibeamte wird fast täglich zur Hilfeleistung der verschiedensten Art herbeigerufen; denn es besteht in der Bevölkerung die feste Meinung, daß er auch da helfend einspringen kann. So erfreulich es einerseits ist, wenn dieser Beamte mit kundiger Hand zugreifen kann, bis ärztliche Hilfe eintrifft, so pein­ lich ist es auch andrerseits, wenn der Gendarm oder Polizist bei einem Unfall — meist noch von einer größeren Zuschauermenge umringt — sich gar nicht zu helfen weiß und ratlos dasteht. Nicht selten hört man dann auf Aneiferung aus der Menge: „So helfen Sie doch dem Ver­ letzten!" vom Sicherheitsbeamten die Antwort: „Woher soll ich denn wissen, was man da zu tun hat?"

Einleitung.

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Um solchem peinlichen „Versagen" vorzubeugen, habe ich anhangs­ weise einen Abschnitt: „Erste Hilfeleistung bei Plötzlichen Unglücks­ fällen" samt dazugehörigen Abbildungen eingeschaltet, aus dem sofort zu ersehen ist, was vorläufig zu geschehen hat. Es liegt mir keinesfalls im Sinn, behaupten zu wollen, daß sich der Kriminalbeamte in die Lösung von Fragen drängen soll, die aus­ schließlich dem Sachverständigen, insbesondere dem Arzt, Vorbe­ halten ist: Das ist fremdes Gebiet und nicht einmal der rechtskundige Kriminalist darf sich diesfalls Rechte anmaßen. Allein es wird häufig vorkommen, daß der betreffende Sachver­ ständige nicht gleich oder überhaupt nicht zur Seite ist, es aber sehr im Dienste der Sache gelegen wäre, wenn namentlich über einen ver­ wickelt erscheinenden Sachverhalt schon einigermaßen Klarheit gleich geschaffen werden könnte. So gibt es auch auf ärztlichem Gebiet eine Reihe von Erscheinungen z. B. an Verletzten, äußere Merkmale, die, ohne an der Sachlage etwas ändern zu müssen, auf Grund von Erfahrungen in solchen Fällen mit mehr oder minder Sicherheit nach dieser oder jener Richtung hin erklärt werden können: Mit einer solchen Erklärung ist aber in den meisten Fällen schon sehr viel geholfen; so läßt sich aus der Lage und Beschaffenheit der Verletzung allein oft nahezu mit Sicherheit entnehmen, ob eigenes oder frem­ des Verschulden vorliegen dürfte, dazu kommt noch oft helfend -der Umstand, daß bei der Zufügung der Verletzung Kleidungsstücke durch­ trennt bzw. absichtlich zur Seite geschoben finb usw. kurz, eine Reihe von Anhaltspunkten dafür, ob eigene oder fremde Handanlegung anzu­ nehmen sein wird. Im medizinischen Teil dieses Buches sind derartige höchst wichtige Fragen mit möglichster Klarheit behandelt. Was die praktische Verwertung des Buches betrifft, möchte ich den Rat geben, es nicht etwa „auswendig zu drillen", sondern dessen Inhalt sowie auch das Inhalts- und Sachverzeichnis immer und immer wieder aufmerksam durchzulesen, zu „studieren", bis man völlig weiß, was es enthält und welche Fragen dortselbst erörtert sind — so wird man sich im Ernstfall sofort Rat holen können. Auch auf dem Tatort selbst kann in diesem „Handbuch" noch rasch nachgesehen werden (aber wohlgemerkt, nur nachgesehen wer­ den, um sich zurechtzufinden, denn gekannt muß der Inhalt bereits sein). Dies wird der Umgebung vielleicht kaum auffallen und wenn, wird es von verständiger Seite gewiß nicht nachteilig ausgelegt wer­ den, im Gegenteil, es ist nur ein Zeichen besonderer Genauigkeit, wenn man sich im Trubel der einstürmenden Ereignisse an eine sichere Richt­ schnur hält und sich nicht ins Ungewisse mitfortreißen läßt.. Auch erfahrene Fachleute pflegen noch an Ort und Stelle in ihren beson­ deren Taschenbüchern nachzusehen, bevor sie an die eigentliche Arbeit gehen. Ja es ist für alle Fälle, in welchen der Beamte auch nur im Zweifel wäre, wie die Sache richtig anzupacken ist, unbedingt nötig, in diesem „Handbuch" noch rechtzeitig nachzusehen, damit übereilte vielleicht nicht wieder gutzumachende Verfügungen unterbleiben.

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Einleitung.

Wer bloß jene Fragen, die auf dem Tatort selbst, also außer­ halb der Amtsstube, entstehen, in einer in sich abgeschlossenen Form Mbersichtlich zusammengestellt haben will, findet dies in dem von mir herausgegebenen, soeben in III., völlig umgearbeiteter und wesentlich vermehrter, Auflage (im selben Verlage) erschienenen Buche: „Prak­ tischer Leitfaden für kriminalistische Tatbestandsaufnahmen.“ Möge das „Handbuch des praktischen Kriminaldienstes" nicht nur den nicht juridisch geschulten Kriminalbeamten ein willkommener Ratgeber bei Ausübung des verantwortungsvollen, vielseitigen Dienstes sein, sondern auch in den Kreisen der Kriminaljuristen, Polizeiund Gerichtsärzte, kurz, bei allen jenen Beamten, welche beruflich an der Aufklärung strafgesetzwidriger Tatbestände mitzuwirken haben, recht viele Freunde findm!

Der Verfasser.

Allgemeiner Teil.

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Der Kriminaldienst.

1. Abschnitt.

Kriminaldienst und Kriminalbeamter. 1. Der Kriminaldienst. Der Beruf als Sicherheitsbeamter gehört für den, der seinen Pflichten nach bestem Wissen und Gewissen nachkommt, zweifellos zu den schwierigsten, denn er stellt bisweilen gleichzeitig viele und hohe, ja oft an den Rand des Menschenmöglichen gehende Anforderungen: Volle körperliche Eig­ nung, mutiges, tatkräftiges Auftreten, zielbewußtes Vorgehen, uner­ müdlichen Eifer in der Pflichterfüllung, die Kunst, alle Vorgänge in sich aufzunehmen und geeignet zu verwerten, gute Beobachtungs­ gabe, genaue Kenntnis von Land und Leuten (völliges Beherrschen des zugewiesenen Bezirkes), richtiges Auffassen, Lernen und Ver­ werten alles desjenigen, was das tägliche Leben mit sich bringt und der Kriminalist für seinen Beruf brauchen kann und endlich genaue Kenntnis und Befolgung der einschlägigen gesetzlichen Be­ stimmungen. Die Praxis hat mich wider Erwarten gelehrt, daß viele Beamte nicht genau wissen, was alles nur z. B. im Strafgesetz geregelt ist, d. h. worüber es Bestimmungen enthält, und auch den Inhalt vieler Paragraphen nicht kennen. Praktisch gesprochen heißt Ües, daß leider

viele Sicherheitsbeamte nicht wissen, wann — mit Zugrundelegung des österreichischen Strafgesetzbuches — z. B. das Verbrechen der Störung der öffentlichen Ruhe oder des Aufstandes, Aufruhres, gegeben ist, welche Verbrechen zur öffentlichen Gewalttätigkeit gehören, wann das Verbrechen der Verfälschung der öffentlichen Kreditpapiere und der Münzfälschung vorliegt, oder das Verbrechen der Religionsstörung gegeben ist, wann von Notzucht, Schändung gesprochen werden kann und welche Arten des Verbrechens der Unzucht zu unterscheiden sind, wann Mord, Totschlag, Raub vorliegt und welche Arten dieser Ver­ brechen es gibt,' wann das Verbrechen der Abtreibung der Leibes­ frucht, der Weglegung eines Kindes, der schweren körperlichen Beschä­ digung gegeben ist, wann das Verbrechen der Brandlegung schon ver­ übt ist, ferner, wann Diebstahl, Betrug und Veruntreuung vorliegt, welche Umstände den Diebstahl, den Betrug, die Veruntreuung zum Verbrechen machen und wann diese Straftaten als Übertretungen behandelt werden, wann Straflosigkeit wegen tätiger Reue eintritt, usw. usw. Wie soll aber Einer, der nicht weiß, aus welchen Tatbestands­ merkmalen eine Handlung besteht, wann und ob eine bestimmte Tat überhaupt strafbar ist, wem gegebenenfalls die Bestrafung zu­ steht usw., brauchbare Meldungen verfassen und richtig einschreiten? Da gibt es nur den einzigen, dringendsten Rat, rasch und gründlich die bestehenden Lücken auszufüllen!

Der Kriminalbeamte.

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2. Der Kriminalbeamte. Für den Sicherheitsdienst sollen nur Leute ausgenommen werden, die ,bd§ Zeug" dazu haben; was darunter zu verstehen ist, läßt sich schwer erklären, wohl aber mit diesem einen Wort, das jedem Deutschen geläufig ist, treffend zum Ausdrucke bringen. Die allgemeinen Anforderungen, wie sie im vorigen Abschnitte aufgezählt sind, müssen einmal für jeden Fall vorhanden sein. Dazu kommen noch gewisse, unbedingt erforderliche Eigenschaften: Menschenfreundlich, zuvorkommend, nötigenfalls aber auch tatkräftig, imstande sein, sich rasch und sicher zurechtzuflnden, die Tragweite der zu treffenden Anordnungen richtig zu ermessen, wohl zu überlegen und das für gut befundene Nötige aber auch ganz durchzuführen, d. h. von der in Angriff genommenen Arbeit nicht eher zu lassen, bis sie nach bestem Wissen und Können klargestellt ist. Stets muß der Beamte verläßlich darüber entscheiden können, ob das Gegebene einen bestimmten Tatbestand ausmacht oder nicht. Dazu ist natürlich genaue Kenntnis der einschlägigen gesetzlichen und sonstigen Bestimmungen erforderlich, ohne welche eine vollwertige Meldung über einen angeblichen Tatbestand nicht denkbar ist. Entweder es ist eine bestimmte Straftat gegeben öder nicht; ein Mittelding, ein bloßes „Worte machen“, ein „Herumschneiden“ gibt es nicht! Und keines­ falls darf ein vorliegender Tatbestand, bei dem es mit dem einen oder anderen Tatbestandsmerkmal „nicht recht ausgeht", gewaltsam unter eine gesetzliche Bestimmung gezwängt werden! Die Fälle, in denen ein Wachmann den Täter bei einer straf­ baren Handlung gerade betritt, sind selten; da aber doch so erschreckend viele gesetzwidrige Handlungen verübt werden, muß er in erster Linie trachten, vorbeugend zu wirken, d. h. trachten, die Verübung solcher Handlungen nach Möglichkeit zu verhindern; ist aber die Tat bereits verübt, so soll der Kriminalbeamte auch imstande sein, den Täter zu ermitteln und ihn der Tat zu überweisen; wie dies int ein­ zelnen Falle geschehen kann, ist im Besonderen Teil angeführt. Daß jeder Schutzmann dabei auch für die sorgfältige, geeignete Überwachung des ihm zugewiesenen Bezirkes und nötigenfalls auch für die Aufklärung der Bevölkerung nach besten Kräften zu sehen hat, soll nur ergänzend angeführt sein. Jeder Polizeibeamte soll ferner, wenn ihm nicht gerade eine einseitige dienstliche Betätigung zugewiesen ist, unbedingt bemüht sein, es mit allen gewiegten Verbrechern „aufnehmen zu können", da ein Versagen in dieser oder jener Richtung zweifellos ein Zunehmen der betreffenden gleichen Straftaten zur Folge haben muß und wird; prak­ tisch gesprochen heißt das: Wenn der Beamte z. B. nicht weiß, wo und wie Taschendiebe „arbeiten", wie sie zu erkennen, bei der Tat zu ertappen und zu überweisen sind, oder wie es Spielbetrüger machen und wo sie „stoppen", d. h. sich zusammenfinden, oder wie ein und der­ selbe Gauner für mehrere auf die gleiche Art begangene Einbruchsdieb­ stähle oder Betrügereien usw. verantwortlich gemacht werden kann usw., so muß und wird ein derartiges Versagen in der Verfolgung bestimmter

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Der Kriminalbeamte.

strafgesetzwidriger Handlungen und Täter in der Gaunerwelt natür­ lich die gegründete Meinung hervorrufen, daß man sich darauf nicht entsprechend oder gar nicht „versteht", also bestimmte Straftaten fast ungestört begangen werden können. Die Frage, was für jede Amtshandlung und insbesondere auf dem Tatorte selbst stets zu bedenken und zu veranlassen ist, ist in einem besonderen Abschnitt: „Das Vorgehen auf dem Tatorte", „All­ gemeine Anleitungen zur Klarstellung des Sachverhaltes", Seite 27 behandelt, worauf hier ausdrücklich hingewiesen sei. Der Kriminalbeamte soll aber auch mit den Ereignissen des täglichen Lebens vertraut sein, also vor allem Zeitungen lesen: Fürs erste enthält ein gutes Blatt stets Wissenswertes: Politik, dann Tagesneuigkeiten, Gerichtssaalberichte, Anzeigenteil usw. — eine Fülle von Mitteilungen, die ein Sicherheitsbeamter nicht unberücksichtigt lassen darf, und dann wird aus dem Anzeigenteil Manches aufzu­ greifen sein, was zum mindesten den Verdacht einer strafbaren Hand­ lungrege macht: Doch — man verstehe mich recht — strafgesetzwidrige Handlungen sollen aufgedeckt und gesühnt, nicht etwa Lockspitzel und Schnüffler großgezogen werden I Eine weitere höchst wichtige Aufgabe des Sicherheitsbeamten ist die, den ihm zugewiesenen Bezirk samt allem, was sich darin befindet, vollständig zu beherrschen. Professor Groß verlangt von dem Beamten, daß er „orientiert" ist und dies ist man dann, wenn man seinen Be­ zirk, seine Gegend, seine Leute, seine Hilfsmittel, die zu schaffenden Erleichterungen, die möglichen Schwierigkeiten, kurz alles kennt, womit man in Berührung kommt, was einem helfen oder schaden kann. Dieser Satz sei im nachstehenden näher ausgeführt: 1. Der Beamte muß zunächst die Ausdehnung des Bezirkes genauestens kennen, die Grenzen, die ihn umschließen und was innerhalb dieser Grenzen liegt und steht. An der Hand einer möglichst genauen Karte der betreffenden Gegend ist der Bezirk zu „studieren" und zwar so, daß man ihn der Kreuz und Quere nach durchwandert, alle Straßen, Wege, Stege, Brücken, Flußufer usw. mit der Uhr in der Hand abgeht und sich so oft als möglich die Entfernung zwischen wichtigen Punkten vermerkt, (z. B. vom Gemeindegasthaus bis zur Wegkreuzung beim Feuerwehrhaus so und so viele Schritte, bei gutem Wetter, zur Sommerszeit (Tag) in so und so vielen Minuten ohne Überanstrengung gegangen). Das Gehen zur Nachtzeit wird wegen Finsternis begreiflicherweise mehr Zeit in Anspruch nehmen. 2. Bei solchen Abmessungen nehme man immer den Kom­ paß mit. 3. Bei solchen Wanderungen ist das Augenmerk auf alle Gebäude, Flüsse, Gewässer usw. zu richten und zu vergleichen, ob sie in der Karte auch richtig eingezeichnet sind. Dabei wird es vorkommen, daß Manches auf der Karte zu lesen ist, was in Wirklichkeit nicht mehr vor­ handen ist, (z. B. ein bedeutendes Gebäude ist inzwischen abgetragen, ein Teich aufgelassen worden usw.) und wiederum Manches tatsächlich vorhanden ist, was die Karte nicht oder anders zeigt, (z. B. es ist eine

Der Kriminalbeamte.

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neue Fabrik errichtet, ein Fahrweg in eine Straße umgewandelt worden usw.). 4. Alle diese Änderungen müssen sorgfältig vermerkt werden. 5. Dieses Wandern im Bezirk gibt dem Beamten auch Gelegenheit, von Haus zu Haus zu gehen und auch nachzusehen, ob den Sicher­ heitsvorkehrungen entsprechend Genüge getan ist; gerechtfertigte Be­ mängelungen werden seitens des Besitzers stets mit Dankbarkeit ab­ gestellt werden. 6. Der Gendarm kann (namentlich auf dem Lande) dabei auch darauf hinwirken, daß öfter Löschproben abgehalten werden: eine verläßliche Feuerwehr kommt ja allen Bezirksbewohnern zugute. 7.,Auf diese Weise lernt der Sicherheitsbeamte auch die Be­ wohner des Bezirkes kennen und tritt Mit ihnen in persönliche Fühlung. 8. Er muß auch trachten, sich nach und nach (wohlerprobte) Ver­ trauenspersonen zu gewinnen; je mehr er deren hat, desto besser; der verläßliche Rat solcher Leute wird oft von Unschätzbarem Vorteil und manche Amtshandlung (vertrauliche Erhebungen, namenlose Anzeigen usw.) nur auf diese Weise zu erledigen sein. Zu diesen Vertrauenspersonen gehören in Städten auch: D i e n st männer, Lohnkutscher und Dirnen, weil diese von Ver­ brechern sehr oft zu einem Weg, einer Fahrt gedungen werden, oder mit ihnen Geld verpraßt wird. Dienstmänner und Kutscher verbringen die Zeit, die sie auf ihrem Standorte stehen, naturgemäß mit Beobachtungen aller Art und mit Tratsch; was der Eine weiß, erzählt er dem Andern und schließlich — sie lernen sich ja im Laufe der Zeit kennen — wissen es alle unter ihnen. Ereignet sich daher etwas Außergewöhnliches oder sonst irgendwie Auffallendes oder bleibt Gewohntes auf einmal aus, so fällt es solchen Leuten, die den ganzen Tag auf der Straße zubringen, in erster Linie auf. Sind es nun verläßliche, einwandfreie Leute, so können sie in vielen Fällen wesentlich zur Klarstellung des Sachver­ haltes beitragen. Dirnen (Prostituierte) — und solche werden nach der Tat fast immer aufgesucht — haben beim Geschlechtsakt Gelegenheit, ihren Gast näher anzusehen, sie sind mit Toilettekünsten gut vertraut und merken daher etwas „unechtes" an ihrem Gast viel eher als ein anderer. Sie können sich viel leichter an ihn „heranmachen", können leicht Kleider und Inhalt mustern, können ihn um verschiedenes fragen usw. usw., kurz, wenn der Beamte Dirnen zu „erziehen" weiß, wird er sie in wichtigen Fällen auch zur Mithilfe heranziehen können. Auch die Erfahrungstatsache, daß Verbrecher nach der Tat bei Dirnen Unterschlupf suchen und finden, ist nicht zu vergessen. So können also Dienstmänner, Kutscher und Dirnen unter Um­ ständen sehr wichtige Be- oder Entlastungszeugen sein. 9. Der Kriminalbeamte braucht auch geschickte Handwerker und Mithelfer, d. h. Leute, welche auf diesem oder jenem Gebiete be-

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sondere Kenntnisse haben oder sich sonst in den Dienst der Sache stellen. 10. Er soll sich aber auch nm Maschinenbetriebe u. dgl. kümmern, insbesondere um jene, welche im zugewiesenen Bezirk liegen. Die längste und ausführlichste Beschreibung vermag in diesem Falle nicht das zu ersetzen, was man in wenigen Augenblicken in solchen Be­ trieben hören und sehen kann. Auf einen weiteren Umstand, der sehr ins Gewicht fällt, sei auch an dieser Stelle hingewiesen: Das „Aufbauschen" eines Tat­ bestandes; genau genommen ist das Aufbauschen, Übertreiben, nichts anderes als eine Unwahrheit, die der Betreffende sagt, die man als solche aber nicht gelten lassen will. Unter den gegenwärtigen Verhält­ nissen haben schlichte Darstellungen an Wert wesentlich eingebüßt. Um das in einer Strafsache tatsächlich Vorliegende unter den sich geradezu überstürzenden Tagesereignissen wenigstens im kleinen Maßstabe her­ vorzuheben und zur Geltung zu bringen, muß der Fall „interessant" gemacht werden. Der auf Grund oft nur schwacher Verdachtsgründe in Haft Genommene wird von der Sicherheitsbehörde und sohin auch von der Presse kurzweg als „der zweifellose Täter" bezeichnet, harrn-, lose Umstände werden „gedreht" und zum Nachteile des Verhafteten ausgelegt, es wird ihm jeder sittliche Halt einfach abgesprochen — er wird als „Verbrechernatur" hingestellt. Die Anzeigen an das Gericht sind dann im gleichen Sinne gehalten. — Seien wir offen und ehrlich: es liegt in der Natur vieler Sicherheitsbeamten, sich Andern gegen­ über nach Möglichkeit hervorzutun, sie „auszustechen" und weil der Gendarm 36 kürzlich wirklich einen bedeutenden Erfolg aufzuweisen hatte, muß der Kriminalbeamte A mit seiner nächsten Verhaftung zu­ mindest ein „Gegenstück" leisten, den 36 womöglich noch „über­ trumpfen", der (vielleicht schuldlos). Verhaftete muß also zu einem „schweren Kopf"2) gemacht werden, gehe es wie es wolle. Man mag darüber denken wie man will, solange derartige Übertreibungen nicht die Haut eines Anderen treffen; ist dies aber der Fall, so hat man wissentlich eine Lüge gesagt — und ein anständiger Mensch lügt nicht! Für das „Jntcressantmachen" eines Falles gibt es ein besonderes Mittel, das jedem Sicherheitsbeamten zur Darnachachtung dringendst empfohlen sei: Die Vorerhebungen so gründlich als möglich durch­ zuführen ; tut man dies, so wird manchem unschuldig Verdächtigten der ehrliche Name wiedergegeben, andererseits ein wirklicher Gauner für eine Reihe von weiteren Verbrechen, die er tatsächlich verübt hat, aber verschweigt, verantwortlich gemacht werden, können; der eine wie der andere Fall ist weit „interessanter" und — was die Hauptsache ist — auf gesetzlicher Grundlage aufgebaut! So unnütz es scheinbar aussieht, so wichtig ist -es, noch eines Umstandes Erwähnung zu tun: Peinliche Ordnung in allen Dingen! Wer diese von jeher gewöhnt war, möge auf Berufsgenossen, die unordentlich sind, diesfalls einwirken: Es wird nur zum Vorteil Aller 2) D. h. berüchtigter Verbrecher.

Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen.

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sein! Wie unendlich zeitsparend ist es, wenn man Alles ordentlich bei­ sammen hat: Deutliche Schrift, genaues Bezeichnen der zum Akt etwa gehörenden Beilagen, Einteilung der auf dem Tische befindlichen, „laufenden" Akten nach ihrer Dringlichkeit, in: a) Haftsachen und zwar: betreffend eigene und fremde (d. h. außer Haus befindliche) Häftlinge, b) dringende und c) nicht dringende. Innerhalb dieser drei Gruppen sollen die Akten wieder nach fortlaufenden Eingangszahlen geordnet sein, so daß ein rasches Auffinden möglich ist. Die Akten dieser drei Gruppen sollen in je einem Umschläge, mit der erwähnten Bezeichnung versehen, liegen, so daß nötigenfalls auch andere Beamte den gesuchten Akt sofort finden können. Alle Erhebungen sind je nach ihrer Wichtigkeit, so bald und so ge­ wissenhaft als möglich zu erledigen! Nicht genug zu empfehlen sind die sog. Spezial-Evidenzbehelfe, welche sofort einen Überblick über bestimmte Verbrecher-Gattungen (sog. „Spezialisten") gewähren sollen. Näheres darüber siehe im Besonderen Teil, Bestimmte Straftaten, z. B. Diebstahl, Betrug, usw.

Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Die diesfalls in der Praxis herrschenden Ansichten sind zum Teile sehr verschieden. Es erscheint natürlich, wenn sich Vorgesetzte einer­ seits und Untergebene anderseits enger aneinander schließen; daß sie sich aber geradezu von einander a b schließen, kommt leider nur zu häufig vor und hat seinen Grund in dem Wesen des einen oder anderen Teiles oder beider Teile. Jeder Mensch hat Fehler und Schwächen, die er fast niemals bei sich selbst, dafür aber umso eher und unnachsichtlicher bei Anderen sieht und ausstellt. Die natürliche Folge davon ist eine begreifliche Uneinigkeit, welche nie und nimmer eine gute Grundlage für gedeihliche Arbeit sein kann. Tatsache ist, daß gewisse Vorgesetzte und gewisse Untergebene sich niemals zu einem einheitlichen erfolgreichen Arbeiten zusammenfinden werden. Aber gerade im Kriminalsache bedarf es des gewissenhaften Zusammenschlusses aller beteiligten Kräfte; es wird weder der Jurist am Schreibtisch noch das Erhebungsorgan an Ort und Stelle die ganze zu leistende Arbeit allein bewältigen können; der Jurist hat den vorliegenden Fall seinen auf Erhebung entsandten Untergebenen vorerst genau nach allen erdenklichen Richtungen hin auseiuanderzusetzen, den Untergebenen aufzuklären, was er, wenn die Sache sich auf einmal so oder so wendet, zu tun hat, usw.; der Untergebene, der dieser höchst wichtigen Aufklärung nicht entbehren kann, wird dann auch und nur so sein Möglichstes tun. Es bedarf Einer der Hilfe und Mitwirkung des Anderen und im besten Einvernehmen liegt erst der Erfolg!

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Behandlung namenloser Anzeigen.

Behandlung namenloser (anonymer) Anzeigen.

Die Frage, wie namenlose Anzeigen, die ja häufig einlaufen, zu behandeln sind, sei kurz erörtert. Jeder wird zugeben müssen, daß es zum mindesten voreilig und ungerechtfertigt, wenn nicht vielleicht überhaupt gänzlich verfehlt wäre, wollte man entweder alles sofort für wahr halten, was darin behauptet wird, oder sie als überhaupt nicht eingelaufen betrachten und daher völlig unberücksichtigt lassen. In derartigen Anzeigen steckt bisweilen ein wertvoller Kern, sie sind aber oft auch das Ergebnis mißlicher persönlicher Verhältnisse zwischen Anzeiger und Angezeigtem. Wenn es gelingt, den Verfasser der Anzeige vielleicht aus Schrift, Rechtschreibung, Schreibart (Stil)3), Art des verwendeten Briefpapieres, Poststempel usw. soweit zu bestimmen, daß man sagen kann, welchen Kreisen er vermutlich angehören dürfte und dann dort weitersorschen zu können, ist schon sehr viel erreicht. In wichtigen Fällen wird auch der Amtsarzt oder ein be­ sonderer Sachverständiger im Schriftfach mit Anhalts­ punkten an die Hand gehen können. Vielleicht vermögen auch geeignete Vertrauensper­ sonen (Näheres siehe Seite 11, P. 8) Aufschluß zu geben. Ferner wird der Leumund, den der Angezeigte genießt, für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der vorgebrachten Anschuldigung meist von ausschlaggebendem Wert sein. In irgendwie heiklen Fällen ist Idas Einvernehmen mit Vorge­ setzten zu pflegen, welche dann über die zu treffenden Verfügungen zu entscheiden haben. Die Frage, ob man dem anonym Angezeigten die Anzeige selbst vorweisen soll oder nicht, kann für die Mehrzahl der Fälle be­ jaht werden, denn man soll kein unwürdiges Versteckenspiel treiben; allerdings müßten in einem solchen Falle die etwa nötigen Vor­ erhebungen bereits beendet sein, damit so gut wie klargelegt ist, ob die Anschuldigungen (wenigstens teilweise) auf Richtigkeit beruhen. Für den einen oder andern besonderen Fall, namentlich wenn zu befürchten ist, daß der Angezeigte sich gegenüber dem nun bekannt gewordenen Anzeiger zu Tätlichkeiten hinreißen lassen könnte oder aus anderen besonderen Gründen, wird es vielleicht besser sein, sich damit nicht zu übereilen und im Zweifel den Vorgesetzten zu fragen. Läßt man den Angezeigten in die Originalanzeige Einsicht nehmen, so wird er in den meisten Fällen imstande sein, aus der äußeren Form und dem Inhalt der Anzeige die eine oder andere ihm mißliebig gesinnte Person (die vielleicht noch dazu der schlechtere Teil ist) als den vermutlichen Anzeiger zu bezeichnen; so wird man sich über den Wert der Anzeige bald ein richtiges Bild machen können. In erster Linie handelt es sich für die Behörde stets darum, ob ein „von Amts wegen" zu verfolgen­ der Tatbestand behauptetwird oder ob es lediglich dem Angezeigten anheim•) Nicht selten kommen absichtliche Irreführungen vor, um den Ver­ dacht der Urheberschaft von bestimmten Personen ab- und aus andere hinzulenken.

Übersicht!. Aufstellungen f. best. Straftaten.

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gestellt ist, die Entscheidung einer Gerichtsbehörde über diese Angelegen­ heit anzurufen; wenn letzteres der Fall ist, ist der Beamte überhaupt nicht verpflichtet, eine Amtshandlung darüber einzuleiten.

Übersichtliche Aufstellungen für bestimmte Straftaten. In allen Fällen, in welchen einem oder mehreren Tätern meh­ rere und gleichartige Straftaten zur Last liegen, empfiehlt sich die Anlegung übersichtlicher Verzeichnisse. Wer erst deren Wert erprobt hat, wird sich in ähnlichen Fällen stets derselben bedienen. Solche Verzeichnisse sollen die oft in langen Aufnahmeschriften u. dgl. verstreuten, wichtigen Umstände in übersichtlicher Kürze zusammengestellt enthalten und zwar: Namen und Wohnort der geschädigten Person, Zeit und Ort der Tatverübung, nähere Be­ zeichnung des Gegenstandes und dessen Wert (Näheres über Wert­ erhebung siehe Seite 30), ob der Tat überwiesen oder bloß ver­ dächtig, ob der (vermutliche) Täter g eständi g ist oder leugnet, ob der Schaden gut gemacht ist, ob der Geschädigte den Ange­ zeigten wiedererkannt (agnosziert) hat oder nicht, ob bereits eine Anzeige erstattet worden ist oder nicht und wenn ja, wo sie erstattet worden ist und wo sie gegenwärtig erliegt. Ob sich der Geschädigte dem Strafverfahren anschließt usw. In der „Anmerkung" können etwaige noch wichtige weitere Umstände ange­ geben werden. Ähnliche Verzeichnisse sollen ferner in allen Strafsachen angelegt werden, in welchen ein einziger, wichtiger Gegenstand in kurzer Zeit durch verschiedene Hände gegangen ist oder in welchen eine über­ sichtliche Darstellung der Aufeinanderfolgen wichtiger Umstände von besonderer Bedeutung ist. Ersteres wird namentlich bei dem Verbrechen der Münz- und Kreditpapier-Verfälschung der Fall sein, wenn jemand beim Ein­ wechseln einer falschen Banknote oder eines falschen Geldstückes be­ treten wird und behauptet, dieses Geldstück vom A bekommen zu haben, der dann den B als denjenigen bezeichnet, der es ihm ge­ geben habe, der B dann den C, der C den D und sofort bis stch nichts mehr feststellen läßt. Oder es soll übersichtlich dargestellt werden, durch welche Hände z. B. ein bestimmter Giftstoff gegangen ist und be­ schafft wurde, usw. usw. In solchen Fällen handelt es sich also um eine Kette von in Betracht kommenden Personen. Letzteres, d. i. die Darstellung der Aufeinanderfolge einzelner wichtiger Umstände, wird anzufertigen sein, wenn viele derartige Um­ stände gegeben sind und es zum mindesten sehr wünschenswert er­ scheint, sie immer und sofort in ihrer Aufeinanderfolge vor Augen zu haben; ein praktisches Beispiel soll das Gesagte verdeutlichen helfen: Am 14. Jänner wurde A in Z verhaftet, am 17. Jänner über­ wältigte er den Arrestaufseher und entkam, nächtigte vom 17.—19. bei seinem Mitschuldigen K in X, beging dortselbst mit diesem am 20. einen Geschäftseinbruch in das Feinkostgeschäft des D, wurde am 21. von Kriminalbeamten erkannt und verfolgt, flüchtete jedoch nach Y, wo

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Kompetenz erstatteter Anzeigen. — Einvernahme.

er sich dem Landbriefträger L anzufreunden wußte. Am 22. Jän­ ner vormittags wurde A in dem dortigen Gemeindegasthaus gesehen, am 23. früh wurde die Leiche des Briefträgers auf dem Waldweg nach W erwürgt und beraubt aufgefunden, am 24. wurde A anläßlich einer Streifung von dem Polizeihunde der Gendarmerie in V gestellt und verhaftet, usw. usw. Hat man sich diese wichtigen Zeitpunkte übersichtlich ausgeschrieben, so wird man sich stets und sofort verläßlich zurechtfinden. Zugehörigkeit erstatteter Anzeigen, (Kompetenz). Was darüber gesagt wird, ist eigentlich nur für den Anfänger bestimmt. Die Praxis lehrt, daß der Anfänger stets eine große Zahl von Akten unerledigt auf dem Tisch liegen hat.4), Akten, von denen er vielleicht in wenigen Minuten einen Großteil hinausschaffen könnte, wenn er über die Kompetenz genau unterrichtet wäre. Viele Akten lassen sich kurzweg „ab tret en", d. h. endgültig mit einem kurzen Vermerk, wie z. B.: „Wird dem Gendarmeriekommando in zur weiteren Amtshandlung übermittelt", erledigen. Im allgemeinen kann man sagen, daß jene Kriminalbehörde zur Bearbeitung einer Anzeige über einen strafgesetzwidrigeft Tat­ bestand zuständig und verpflichtet ist, in deren Bezirk die Straftat verübt, also z. B. der Diebstahl begangen wurde, (Gerichtsstand des Tatortes). Im einzelnen ist folgendes zu merken: Anzeigen über Veruntreuungen müssen von jeder Sicherheits­ behörde behandelt werden, in. deren Wirkungskreis der Ort, an dem sich die (dann veruntreute) Sachen vor ihrer Veruntreuung be­ funden hat, liegt. Anzeigen über Betrug sind von jeder Sicherheitsbehörde zu er­ ledigen, in deren Bezirk der Ort liegt, an dem sich die betrügerische Tätigkeit abgespielt hat. Anzeigen über Diebstähle müssen stets von der Sicherheits­ behörde des Tatortes erledigt werden.

2. Abschnitt.

Einvernahme. 1. Allgemeines. Die Fähigkeit, jemanden richtig einzuvernehmen, ist nicht jeder­ mann eigen, doch läßt sich auch hier vieles lernen; was das Wort „richtig" in diesem Falle heißt, soll im folgenden auseinandergesetzt werden. Die nachstehenden Darstellungen sind in zwei Gruppen geteilt: Die eine Gruppe soll die Anleitungen für alle jene Fälle umfassen, in *) Das Liegenlassen der Akten hat dann natürlich Unlust zur Arbeit und die lästigen unangenehmen Betreibungen zur Folge.

Einvernahme.

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welchen der Polizeibeamte die erste Meldung über einen Tatbestand zu verfassen hat; in die andere Gruppe sollen jene Fälle eingerecht werden, in denen eine solche Meldung dem Beamten schon vorliegt, also schon eine Grundlage für die weitere Amtshandlung gegeben ist. Was es für diese beiden Gruppen in vielen Punkten Gemein­ sames gibt, ist in einem besonderen Abschnitte zusammengefaßt unU diesen beiden Gruppen vorangestellt. Diese Unterscheidung wurde in der Hoffnung gemacht, dadurch zur Schaffung wirklich brauchbarer Meldungen beitragen zu können. Ob­ wohl kein Straffall dem andern vollkommen gleicht, können Richt­ linien, die für jede Fassung eines Tatbestandes Geltung haben, ge­ geben werden, deren Befolgung nichts Wesentliches wird vergessen lassen. Im nachstehenden sei also zunächst das diesen beiden Gruppen Gemeinsame behandelt und dann auf die Frage: „Wie und wann soll eine Meldung, Anzeige verfaßt werden?" und „Was hat auf Grund einer vorliegenden Anzeige zu geschehen?" eingegangen werden.

2. Besonderes. Gemeinsames für beide Gruppen.

1. Für die Beantwortung der Frage, wie eine Meldung über einen Tatbestand zu v e r f a s.s e n bzw. eine schon vorliegende Meldung in dieser oder jener Richtung zu ergänzen ist, möge das im Ab­ schnitt : „Allgemeine Anleitungen zur Klarstellung des Sachverhaltes", Seite 27, Gesagte richtunggebend sein; insbesondere sei auf die dor­ tigen Punkte 2, 5, 6, 7 bis einschließlich 10 und 18 bis einschließ­ lich 21 hingewiesen. 2. Das Gerippe jeder Fragestellung sollen „die 7 goldenen ,W* des Kriminalisten" bilden; Näheres darüber in Punkt? der „Allgemeinen Anleitungen". 3. Stets trachten, die Wahrheit über den vorliegenden Sach­ verhalt zu erforschen und selbst in allen Äußerungen bei der Wahrheit bleiben! Das sind zwei Umstände, die nur selten, gelinde gesagt, einge­ halten werden. a) Die Wahrheit erforschen, heißt sachgetreu, unbefangen, Vorgehen, also alles erheben, was für und gegen den (die) Beschuldigten spricht: Der Beamte muß ebenso bestrebt sein, einem möglicherweise unschuldig Verdächtigten auf Grund allseitiger Erhebungen den ehr­ lichen Namen zurückzugeben, wie eine Person, die sich strafgesetzlich tatsächlich vergangen hat, im vollen Umfange dafür verantwortlich zu machen. Der Verdächtigte weiß, daß die Sicherheitsbehörde in erster Linie dazu da ist, um strafgesetzwidrige Tatbestände aufzullären. Er wird dem Beamten gegenüber daher auch keinerlei drohende Haltung ein­ nehmen, wenn auf alle gegen ihn sprechenden Umstände sachlich und ruhig — ohne sich jedoch bei der Vernehmung irgendwie ein» W. Polzer, Kriminaldienst. 2

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Einvernahme.

schüchtern zu lassen — eingegangen und wenn auch dem entsprechend nachgegangen wird, was der Verdächtigte (Beschuldigte) zu seiner Entlastung anführt, kurz, wenn unparteiisch an der Aufklärung des Sach Verhaltes gearbeitet wird. Bei besonders gewalttätigen Leuten wird eine gewisse Vor­ sicht sicherlich am Platze sein; um einen etwaigen immerhin mög­ lichen Angriff abzuwehren: Es soll noch ein zweiter Beamter für alle Fälle zugegen sein. b) Selbst bei der Wahrheit bleiben heißt: dem Beschuldigten gegenüber nicht falsch sein und nichts übertreiben. Wie sehr dagegen verstoßen wird, wird jeder Praktiker bestätigen; im ersten Falle wird leider nur zu oft schleuderhaft und voreinge­ nommen vorgegangen, im zweiten Falle mitunter mit allen mög­ lichen „Mitteln" versucht, dem Verdächtigten (Beschuldigten) an den Lew zu rücken, ihn „mürbe" zu machen, um, wenn möglich, ein „Ge­ ständnis" — das ersehnte Ziel so vieler Kriminalbeamten! — „herauszubringen", deutlicher gesagt: zu „erpressen". c) Eine Richtschnur für die Beurteilung der Fragen, ob man jemandem Glauben schenken darf oder nicht, wird immer die Erwägung sein, ob der A u s g a n g der Sache für den Gefragten irgendwie Bedeutung hat, d. h. man muß also erwägen, ob und ioelche Vorteile, Nachteile, es für den Betreffenden hätte, wenn er feine Aussage in diesem oder jenem Sinne macht. Ergibt sich dabei, daß die Sache durch seine Angaben für ihn günstig erscheint, so ist der Verdacht ge­ rechtfertigt, daß der Gefragte nicht die Wahrheit gesagt hat; in diesem Falle sind seine Angaben Schritt für Schritt auf ihre Stichhältigkeit zu überprüfen. 4. über den Wert von Zeugenaussagen, insbesondere bei Gegen­ überstellungen, siehe auch Seite 64, 68 u. 82. 5. Bei der Erforschung der Wahrheit, Aufklärung oft sehr bedeutender Widersprüche in den Aussagen mehrerer Personen über ein und denselben Vorgang sind mitunter Besonderheiten von ausschlaggebender Bedeutung zu berücksichtigen, mit deren Würdigung (weil dazu eigene höhere Schulung und Vorkenntnisse nötig sind), sich der Jurist oder Arzt oder beide zusammen zu befassen haben werden. Ergeben sich Widersprüche in den Aussagen mehrerer Personen über ein und denselben Vorgang! oder wird ein einfacher Vorgang ganz absonderlich dargestellt, so ist der Ursache dieses Widerspruches nach Möglichkeit nachzugeben; es kann der Fall sein, daß Leute ein und denselben Vorgang infolge verschiedenen Geschlechtesx) oder ver­ schiedenen Alters, besonders lebhafter Einbildung, sehr hoch oder fast nicht entwickelter geistiger Fähigkeiten, von Auf­ regung, von bedeutenden Kopfverletzungen, von Sinnes­ täuschungen aller Art, von Beeinflussung seitens dritter Personen, usw. usw. bisweilen ganz anders auffassen und daher — unabsichtlich — auch ganz anders darstellend) *) Die Entwicklungszeit und auch spätere (infolge Schwängerung oder Geburt) anhaltende geschlechtliche Erregungen können da eine bedeutende Rolle spielen. *) Fälle dieser Art wird jeder schon wiedrrholl erlebt haben.

Einvernahme.

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6. Es wird sehr oft vorkommen, daß Personen, deren Aussagen in wesentlichen Punkten übereinstimmen, doch und zwar absichtlich falsch ausgesagt haben: Sie beabsichtigen, einem anderen (d. i. der Behörde) den Glauben an einen bestimmten Hergang eines Vorfalles aufzudrängen; Näheres darüber siehe im Punkt 8. In solchen Fällen wird nur zu oft jeder Versuch, die Wahrheit zu erfahren, oder wenigstens dem Betreffenden die Unwahrheit seiner Behauptungen nachzuweisen, mit der Begründung aufgegeben, „es sei jede.weitere Mühe zwecklos, denn die Betreffenden haben sich ja ohne­ hin in allen Punkten genau besprochen." Dies scheint aber nur so, in Wirklichkeit ist der Nachweis einer etwaigen Unwahrheit selbst in solchem Falle immer zu erbringen: Die wesentlich st en Punkte werden unter den beteiligten Personen wohl besprochen und daher die wichtigsten Aussagen darüber gleichlautend sein; wenn man aber auf alle Einzelheiten eingeht und diese bei jedem und einzeln genauestens abfrägt, so wird man finden, daß da genug Wider­ sprüche vorhanden sind, und oft beginnt mit dem Aufgreifen eines scheinbar ganz harmlosen Umstandes, der sich zum Nachteile des Gefragten aufklärt, eine Kette von Inzichten, ja vielleicht sogar Be­ weisen, gegen den Betreffenden! In Fällen, in denen also eine Be­ sprechung unter Beteiligten zweifellos schon stattgefunden hat, heißt es also, allen solchen unscheinbaren Einzelheiten, allen noch so unbedeutenden Nebenumständen genauestens nachgehen — die aufgewendete Mühe ist nicht nur nicht zwecklos, sondern oft von gerade­ zu überraschendem Erfolge begleitet! 7. Wie schon in einem früheren Abschnitt ausdrücklich erwähnt, soll der Beamte die Bewohner des ihm zugewiesenen Bezirkes möglichst gut kennen und auch sonst Menschenkenntnisse haben. Kümmert sich der Beamte aber nicht darum, so wird er fortwährend mit Schwierig­ keiten aller Art zu tun haben, die Erhebungen werden trotz größeren Zeitverlustes nicht genau sein. In jedem Bezirk gibt es Leute, die — ich möchte sagen — „ohne Polizei und Gericht nicht leben können": Heute dies, morgen jenes, bald eine Anzeige, dann eine „vertrauliche" Mitteilung, dann wieder eine Frage, uff.; Andere dagegen sind überhaupt nicht zu Polizei und Gericht zu bringen, „sie haben ihre Zeit für etwas Besseres aufzu­ wenden"; eine dritte Gruppe von Leuten erscheint bei der Behörde nur dann, wenn sie wirklich einen Grund dazu hat. Kann der Beamte die Bewohner des ihm zugewiesenen Bezirkes verläßlich in eine dieser drei Gruppen einteilen, so hat er schon viel voraus und wenn er auch weiß, wie der Eine oder der Andere beleumundet oder wie er etwa vorbestraft oder was sonst über ihn bekannt ist, so hat er für den „Ernstfall" schon einen wesentlichen Vorsprung in Tatsachen, die von grundlegender Bedeutung sind, und deren Feststellung für eine be­ stimmte Strafsache nur schwer und unvollständig möglich ist. 8. Wie schon in Punkt 7 der vorerwähnten „Allgemeinen An­ leitungen — —" besonders hervorgehoben ist, lasse man sich nie gewaltsam in eine bestimmte Richtung ablenken! Nur zu oft läßt

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Einvernahme.

sich namentlich der Anfänger durch geschickt geführte Gespräche seitens Personen, die an dem gegebenen Sachverhalte irgendwie beteiligt sind, auf ein Stockgeleise abdrängen oder er wird durch verschiedene einstürmende Ereignisse mitfortgerissen; um dieser Gefahr zu ent­ gehen, halte man sich stets „die 7 goldenen ,W* des Kriminalisten" vor Augen, (Näheres darüber in Punkt 10 der „Allgemeinen Anleitungen"). 9. Manche Leute haben die Eigenheit, unaufhaltsam zu erzählen; unterbricht man sie und fordert sie auf, endlich „zur Sache" zu kom­ men, so fangen sie (nach einigen Worten der Entschuldigung) wieder von vorne an — es ist also zwecklos. Für solche Fälle ist es am besten, man merkt während ihrer Erzählung sehr gut auf und hält es im übrigen mit dem Kegelschieber: „Auslaufen lassen", d. h. man läßt den Betreffenden reden, bis er selbst irgendwo „anstößt“, sich „ver­ rennt“, d. h. etwas, wenn auch nur mit einem Worte anführt, was zu seinem Nachteile ist, sich widerspricht und infolgedessen abbricht. Aus seiner Darstellung wird dann so manches Wichtige zu entnehmen sein. Gewisse Umstände wird der Betreffende fortwährend und besonders hervorgehoben, andere dagegen nur flüchtig oder gar nicht erwähnt haben; das immer wieder und besonders Betonte wird vorsichtig aufzunehmen, dem nur flüchtig oder gar nicht Er­ wähnten entsprechend nachzugehen sein! 10. Die Frage, wie man die Kunst „richtig“ einzuvernehmen, erlernen kann, ist zur Hälfte schon durch die vorstehenden Ausfüh­ rungen beantwortet; im übrigen trachte man bei Verhören, die von erfahrenen, tüchtigen Kriminalisten geführt werden, anwesend sein zn können: Das zielbewußte Anpacken der ganzen Sache, die zeitliche, natürliche Reihenfolge für das Ganze, das Festhalten an einem gewissen Fragegerippe, das Aufarbeiten aller Begleitumstände usw. — ein Gerüst, das der Laie nicht merkt, das aber in jeder Vernehmung, die dann eine brauchbare Grundlage für weitere Arbeiten sein soll, vorhanden sein muß und vorhanden sein wird. Man sehe und höre nur zu, wie — ich möchte sagen — spielend der erfahrene Kriminal­ beamte an die Klärung eines Tatbestandes geht und wie meist unge­ schickt, weil unerfahren, sich der Anfänger dazu stellt; so ist cs aber Jedem ergangen, denn das Sprichwort: „Kein Meister fällt vom Himmel" gilt nirgends so wie hier; aber lernen läßt sich auch hier sehr vieles und deshalb soll auch da jede sich bietende Gelegenheit, Kenntnisse zu vervollständigen, aufgegriffen werden! 11. Nicht selten wird man dem Befragten irgendwie „nachhelfen“, „draufhelfen“, d. h. sein Gedächtnis unterstützen müssen, wenn es sich um die möglichst genaue Wiedergabe von wichtigen Begebenheiten oder deren Zeitpunkt oder dergleichen handelt. Jemandem3) „nachhelfen" heißt aber nicht, ihn irgendwie beeinflussen, ihm Verschiedenes, dem er vielleicht gänzlich ferne steht, einreden; davor sei jeder Beamte so nachdrücklich als nur möglich gewarnt! Nachhelfen heißt nichts •) Namentlich Leute mit beschränktem oder schwerfälligem Denk­ vermögen.

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anderes, als die Erinnerung an Vorgänge wachrufen, die sich un­ mittelbar vor oder nach einem wichtigen Vorfall abgespielt haben und dazu irgendwie in Beziehung stehen (können) und ein genaues Besinnen auf das, was man zu hören wünscht, ermöglichen.^) 12. Dieses möglichste Eingehen auf allerhand Fragen ist aber wohl zu unterscheiden von dem „Bearbeiten" des Angezeigten, d. h. von den unausgesetzten Fragen, weil man vermeint, daß er etwas ver­ heimlicht, was man nun erst recht „herausbringen" will; quält man ihn fortgesetzt mit allerhand Fragen, so wird er entweder — weil schließlich überdrüssig — gar keine Antwort mehr geben oder er wird den Beamten absichtlich oder unabsichtlich belügen, indem er ihm Dinge erzählt, um ihn auf Irrwege zu bringen oder Dinge als rvirklich geschehen vorbringt, die nur in seiner Einbildung bestehen. 13. Jede Meldung, jede Einvernahme soll einerseits lückenlos sein, anderseits aber auch nichts Überflüssiges enthalten. Lückenlos ist eine Meldung, eine Einvernahme dann, wenn sie alles enthält, was rum Verständnis der Sache notwendig ist; was darüber hinausgeht, (langes Herumreden und schwungvolle Ausschmückung des Falles), ist als nur überflüssig und sogar hinderlich, weil die Übersicht hemmend und dadurch Wichtiges zurückdrängend, unbedingt zu unterlassen. 4) Ein praktisches Beispiel soll das Gesagte verdeutlichen helfen. Nehmen wir an, es solle möglichst genau der Zeitpunkt festgestellt werden, wann die silberne Uhr des Bauern M. abhanden gekommen sein kann, weil z. B. gerade dieser Zeit­ punkt von besonderer Wichtigkeit wäre. Zunächst ergibt sich, daß es seine „bessere" Uhr ist, d. h. jene, die er nur an Sonn- und Feiertagen trägt. Der Tag, an dem ihm diese Uhr abhanden gekommen ist, war aber weder ein Sonn- noch ein Feier­ tag, sondern ein W o ch e n t a g. Es wird also weiter zu fragen sein, ob der Bauer nie­ mals die Uhr an einem gewöhnlichen Tage trägt, Antwort: Höchstens bei besonderen Anlässen. Bei der Frage, ob ein solcher Anlaß vielleicht gegeben war, fällt ihm ein, daß er die Uhr am vergangenen Donnerstag bestimmt noch trug, weil an diesem Tage das Begräbnis seiner Schwester war, an dem er auch teilnahm. Weiteres Fragen ergibt, daß er die Uhr nach dem Nachhausekommen nicht mehr hatte; sie mußte also in der Zeit von 11 Uhr Vormittag — er erinnert sich jetzt genau, daß er gerade um diese Stunde auf die Uhr gesehen habe, weil die Kirchenuhr schlug — bis zu seinem Eintreffen in seiner Behausung (etwa 4 Uhr nachmittags) abhanden gekommen sein. Die weitere Frage: Ob er nicht nach 11 Uhr nochmals auf die Uhr gesehen habe, kann er nun bestimmt bejahen, denn einer der Trauergäste habe den Zug um 2 Uhr erreichen wollen und die Anwesenden nach der „richtigen Zeit" gefragt — da habe auch er auf die Uhr gesehen, sie also noch besessen. Die Frage, ob er sie vielleicht verloren haben könnte, oder ob sie ihm etwa gestohlen worden sein konnte, weiß er nicht zu beantworten. Befragt, ob sich irgend jemand in auf­ fälliger Weise (nach Art der Taschendiebe) in seiner unmittelbaren Nähe zu schaffen gemacht hätte, verneint er, doch weiß er sich jetzt zu erinnern, daß ihm ein junger Bursch, wie aus Versehen, einen Stoß mit dem Ellbogen ins Gesicht gegeben habe und sich dabei entschuldigte; das sei ihm aufgefallen, weil der Betreffende gleich darauf verschwunden war. Auf die Frage, ob auf dem Heimwege nichts mehr vorgefallen sei, fällt ihm ein, daß er einen Uhrschlüssel, den er etwa auf dem halben Wege vor sich liegen sah, aufgehoben habe, weil er versuchen wollte, ob er für seine Uhr passe — bei dieser Gelegenheit habe er das Fehlen der Uhr bemerkt, usw. usw. An diesem Beispiel sollte gezeigt werden, wie man dem Gedächtnis durch geeignete Fragen nachhelfen kann, ohne irgendwie zn beeinflussen; es sind da eine Reihe von wichtigen Umständen zutage getreten, auf die man beim schnellen Ver­ hören nie und nimmer gekommen wäre. Vor einem solchen schnellen Verhören sei daher auch an dieser Stelle nachdrücklichst gewarnt!

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Einvernahme.

14. Die Frage: Wie kann man den Verdächtigen möglichst ausholm ? sei ebenfalls erörtert. Wie in so vielen Fällen muß besonders auch hier der Vernehmende „das Zeug" dazu haben, d. h. er muß ein „offener Kopf" sein, ge­ schickt zu Werke gehen, ein gutes Gedächtnis haben, gerecht und nicht aufbrausend sein, sich in die Lage des Vernommenen hineindenken und mitfühlen können, nötigenfalls aber auch tatkräftig sein und — ein vertrauenerweckendes Äußeres haben; es ist eigentümlich, daß Be­ schuldigte fast immer nur solchen Beamten gestehen, welche „vertrauen­ erweckend" aussehen. Es sei hier angegeben, wie — gewiß in den meisten Fällen und fast hei jedem Angezeigten — das meiste und auf gesetzlicher Grundlage erreichbar ist; unter den Polizeibeamten, die in einem Bezirk Dienst tun, gibt es stets sog. „Losgeher“ oder „Draufgänger“, welche in scharfer Tonart dem Beschuldigten hart an den Leib rücken, und solche, mit denen sich reden läßt", d. h. „einsichtsvolle" Beamte. Von diesen beiden grundverschiedenen Naturen paßt fast immer die eine oder andere auf die des Häftlings, dem auf diese oder jene Weise leichter „beizukommen" ist: Für den einen Angezeigten wird eine schärfere Natur am Platz sein, für den anderen eine gemäßigtere. Da in wichtigen Fällen ohnehin zum mindesten zwei Kriminalbeamte mit der Amtshandlung betraut sind, so ist es empfehlenswert, wenn der eine von ihnen ein sog. „Losgeher", der andere aber einer ist, „mit dem sich reden läßt". So wird der Erfolg, der dem Einen vielleicht versagt bleibt, sich beim Andern, der an seine Stelle tritt, zeigen. Wenn man dem Verhafteten dann offen erklärt, daß die Er­ hebungen mit aller Genauigkeit durchgeführt werden, jeder Umstand auf seine Richtigkeit überprüft wird, wenn man ihm weiter sagt, daß etwa verstocktes oder leugnendes Benehmen seine Lage nur verschlechtert und die Annahme rechtfertigt, daß er die Tat, deren er verdächtig erscheint, vielleicht aber auch noch weitere begangen haben dürfte, wenn man ihm erklärt, daß das Lügen und Rückhältigsein daher keinen Zweck hat, ein offenes, rückhaltloses Ein­ bekennen aber (weil die Erhebungen kürzend) nur Vorteile für den Häftling mit sich bringt, (indem man ihm auch einige Erleichterungen während der Haft gewähren und sich für ihn beim Vorgesetzten. Unter­ suchungsrichter, usw. einsetzen kann), wird er dies in den meisten Fällen einsehen und wahrheitsgetreue Angaben machen — der berüchtigte Verbrecher allerdings nie. Personen, die einer strafgesetzwidrigen Tat durch irgendwelche Umstände überwiesen sind, soll man nahelegen, daß sie durch ein volles Geständnis eine wesentliche Strafmilderung zu gewärtigen haben; hei Personen, die einer strafgesetzwidrigen Tat aber bloß verdächtig erscheinen, soll man immer im Auge behalten, daß sie auch unschuldig sein können und sie daher nicht gleich wie „Ver­ brecher" behandeln. Im letzteren Falle sind daher alle Tatsachen, die der Verdächtigte (Beschuldigte) zu seiner Entlastung anführt, wohl zu würdigen, eingehend auf ihre Stichhältigkeit zu prüfen!

Abfassung von Meldungen. — Anzeigen.

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15. Gibt der einer Tat überwiesene der Behörde gegenüber Anhaltspunkte an, welche zur Aufdeckung neuer, bisher unbekannter, Straftaten führen oder die Untersuchung sonst irgendwie erleichtern, kürzen, so ist dieser Umstand stets dem Betreffenden gutzuschreiben, d. h. in einem Amtsvermerk festzuhalten. Gerade der vorbestrafte Verbrecher weiß sehr wohl, ob und in welcher Weise man sich für ihn verwenden kann, wenn er einem an die Hand geht; man hüte sich aber davor, bloße Versprechungen zu machen, bezüglich deren man sofort weiß, daß man sie nicht einhalten wird oder kann, nur um den Ange­ zeigten womöglich zu „fangen". 16. Eine weitere viel zu wenig gewürdigte Erfahrungstatsache ist die, daß man sich in gewissen Fällen auch mit der Person des An­ zeigers näher befassen soll. Daß ungünstige persönliche Verhältnisse zwischen Anzeiger und Angezeigtem nur zu oft eine bedeutende Rolle spielen, (auch Aberglaube, siehe Näheres Seite 88), hat schon jeder erfahren; daß aber der Anzeiger bisweilen der schlechtere Teil ist und die Stelle des Angezeigten einnehmen sollte, hat sich leider oft zu spät herausgestellt. Es- empfiehlt sich also in Fällen, in denen die Person des An­ zeigers nicht über jeden Makel erhaben ist, diesen ebenso zu perlustrieren und ihn zu priorieren, d. h. nachzuforschen, was er etwa selbst auf dem Kerbholz hat und aus welchem Grunde er die Anzeige erstattet haben mag. Auf diese Weise kommen mitunter überraschende Ergebnisse zutage, die beim „schnellen Verhören" und raschem Hinausschaffen der Akten usw. niemals auftauchen können!

3. Wann «nd wie soll eine Meldung, Anzeige verfaßt werden? A. Für die Frage: Wann eine Meldung, Anzeige aufzunehmen ist, gibt es nur die eine, immer geltende Beantwortung: Wenn man über den vorliegenden Tatbestand im klaren ist; (Näheres darüber siehe Seite 27).

B. Zur Frage: Wie eine Anzeige aufzunehmen ist: 1. Zunächst muß man sich den ganzen Sachverhalt vom An­ zeiger oder sonstigen Auskunftspersonen (Näheres darüber siehe Seite 27) genau erzählen lassen; wo Lücken vorhanden sind, ist entsprechend zu fragen bzw. „nachzuhelfen"; als Fragegerippe mögen die „7 goldenen,W* des Kriminalisten" (Näheres darüber siehe Seite 29) dienen; was unter „Nachhelfen" zu verstehen ist, siehe Seite 20. 2. Jede Anzeige muß ferner enthalten: a) Volle Anschrift des Anzeigers, b) Tag und Stunde der Aufnahme der Anzeige, c) Tatbestand in zeitlicher Aufeinanderfolge, klar, übersicht­ lich, so geschildert, daß der ganze Hergang allgemein verständ­ lich ist,

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Verfügungen auf Grund der Anzeige.

d) (Womöglich) volle Anschrift des Verdächtigten (Beschul­ digten) oder wenigstens eine möglichst genaue Personsbe­ schreibung; (Näheres darüber siehe Seite 50), e) Für abhanden gekommene Sachen eine möglichst genaue Sach­ beschreibung; (Näheres darüber siehe Seite 63), f) Angabe etwaiger Verdachtsgründe, g) Angabe etwaiger Zeugen des Vorfalles, Tatzeugen, h) Sonstiges. 3. Sodann ist der Akt sofort zu protokollieren und dem Vorgesetzten zur Einsicht und Zuteilung an den Beamten vorzu­ legen; der Vorgesetzte oder dessen Stellvertreter hat dann die im Gegen­ stände etwa sofort nötigen Verfügungen unverzüglich zu treffen; (über entsprechende Verlautung des Vorgefallenen, Ausforschung usw., siehe Näheres Seite 41). 4. Was hat auf Grund einer bereits vorliegenden Anzeige zu geschehe«?

Die Antwort scheint auf der Hand liegend, also so einfach, daß es Manchen vielleicht wundernehmen mag, wenn darüber Worte ver­ loren werden und doch muß das Nötige gesagt sein, weil sich nament­ lich der Anfänger hier, oft nicht recht zu helfen weiß und mit dem schlechten „anpacken" oft alles verloren sein kann. 1. Vgl. zunächst das in den vorliegenden Abschnitten Gesagte. 2. über die Frage, ob der Verdächtigte (Beschuldigte) erst vorzu­ laden oder gleich zu verhaften ist, siehe Näheres Seite 26. 3. Da immer mit der Möglichkeit gerechnet werden muß, daß der Verdächtigte (Beschuldigte) leugnet, fojnüffen alle bisher namhaft gemachten an der Sache irgendwie beteiligten Personen bereits ein­ vernommen sein, noch bevor dieser befragt wird. 4. Sind zwei oder mehrere Personen, Zeugen, in ein und d er selb en Sache einzuvernehmen, so müssen sie so rasch als möglich, d. h. ohne Verzug und für den gleichen Tag und zur selben Stunde vorgeladen sein, sie müssen unmittelbar nacheinander einvernommen und muß dabei verhütet werden, daß sich die bereits Einvernommenen mit den noch nicht Verhörten besprechen, (um eine Beeinflussung der Aussagen nach Möglichkeit auszuschalten). 5. Für den Fall, als Vorgeladene (Zeugen oder Beschuldigte) der Behörde nicht persönlich bekannt sind, ist stets zu prüfen, ob der Erschienene mit dem Vorgeladenen auch wirklich wesensgleich! ist. Das überprüfen geschieht in der Weise, daß er von einwandfreien, der Behörde bekannten Personen als NN. bezeichnet und um zweifellos feststehende, also schon bekannte Einzelheiten (z. B. persönliche, Familien­ verhältnisse oder dergleichen) gefragt wird, die nur der Betreffende selbst und nicht ein vielleicht aus irgendwelchen Gründen Unter­ schobener wird wissen können. 6. Sohin ist die (vom Geschädigten gefertigte) Anzeige'dem Ange­ zeigten zunächst ganz vorzulesen.

Verfügungen auf Grund der Anzeige.

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7. Dann sind die in der Anzeige enthaltenen Anschuldigungen in zeitlicher Reihenfolge einzeln vorzunehmen und dem Beschuldigten vorzuhalten, der nun darauf zu antworten hat?) 8. Die in der Anzeige genannten Personen, sowie jene, welche von feiten des Anzeigers oder des Angezeigten namhaft gemacht werden, sind natürlich gleichfalls einzuvernehmen, damit alle Personen ge­ hört werden, welche in der betreffenden Sache etwas wissen und so eine unbefangene Beurteilung des Sachverhaltes möglich ist. 9. Die Aufklärung etwaiger Widersprüche in den Aus­ sagen der Beteiligten ist womöglich sofort zu versuchen; (vgl. dazu auch das auf Seite 18 Gesagte). 10. Schließlich sind dem Verdächtigten (Beschuldigten) alle gegen ihn sprechenden Umstände, wie sie sich aus der An­ zeige und den Aussagen der daran beteiligten Personen ergeben haben, zeitlich nacheinander folgend, „Schlag auf Schlag", vorzuhalten 8) Ein einfaches Beispiel: „Ich, der Gastwirt NN. in ....... Gasse Nr... wohnhaft und eingerichtet, erstatte gegen W., Handlungsreisender, derzeit in ...., .... Straße Nr... bei Frau .... wohnhaft, folgende Anzeige: XD., der einigemale in meinem Gasthaus verkehrte, (wobei ich gelegentlich von Gästen seine Anschrift erfuhr), erschien am 12. März l. I. in meiner Abwesenheit im Geschäfte, erklärte, daß er „unter der Hand" günstig Lebensmittel kaufen könne, doch habe er dazu das nötige Geld nicht; er wolle aber dem, der ihm dieses Geld vorstrecke, von diesen billigen Lebensmitteln die Hälfte ablassen. Meine Frau schenkte seinen Angaben Gehör und erklärte schließlich, sie würde ihm die nötige Summe von 300 K. vor­ strecken, wenn er ihr dafür irgend eine Sicherstellung gäbe. W. sagte nach einigem Überlegen, daß er seine Uhrkette, die aus Gold und jetzt das Vielfache der benötigten Summe wert sei, als Pfand geben wolle. Meine Frau fragte ausdrücklich, ob diese Kette wirklich aus Gold und soviel wert sei und händigte dann dem W. auf dessen nochmalige Versicherung die 300 K. ein. Obwohl XU. damals erklärte, daß er das entliehene Geld spätestens am nächsten Tage samt den Lebensmitteln bringen werde, ist er seither — es sind inzwischen über 8 Tage vergangen — nicht mehr gekommen. Ich ließ nun diese Uhrkette von dem Goldschmied schätzen, der mir sagte, daß sie nicht aus Gold, sondern aus einem ganz minderwertigen Metall sei und einen Wert von nur einigen Kronen habe. Die erwähnte Uhrkette lege ich der Anzeige bei. Ich bemerke noch, daß den Wortlaut der zwischen meiner Frau und dem W. geführten Verhandlungen noch zwei in unmittelbarer Nähe befindliche, mir persönlich bekannte Gäste gehört haben und zwar der Bäckermeister .... und der Gemischtwarenhändler , diese beiden können als Zeugen den ganzen Vorfall bestätigen. In diesem Falle wird der W. etwa folgendermaßen zu befragen sein: 1. Kennen Sie das Gasthaus des NN. und haben Sie dort einigemale verkehrt? 2. Waren Sie am 12. März dort? (Nötigenfalls ist hier irgendwie „nach­ zuhelfen". 3. Haben Sie der Gastwirtin erklärt, daß Sie „unter der Hand" günstig Lebensmittel kaufen können, jedoch das nötige Geld, 300 K, nicht haben? 4. Haben Sie ihr erklärt. Sie wollen dem, der Ihnen das Geld vorstteckt, die Hälfte der Lebensmittel zu billigen Preisen ablassen und diese sowie den Betrag am nächsten Tag zurückbringen? 6. Haben Sie der Wirtin eingeredet, sie soll Ihnen das Geld leihen? 6. Haben Sie gewußt, daß Ihre Kette nicht aus Gold und nur einige Kronen wert und daher kein gleichwertiges Pfand ist? 7. Woher haben Sie die Uhrkette? 8. Warum sind Sie seither nicht mehr in dieses Gasthaus gegangen? (Die Antworten des Angezeigten sind weggelassen, da nur das Frage stellen besprochen werden sollte).

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Verfügungen auf Grund der Anzeige.

und ist dieser aufzufordern, sich zu rechtfertigen; die so erhaltenen An­ gaben sind natürlich genau auf ihre Stichhältigkeit zu überprüfen. 11. Vgl. auch die für die bestimmte Tat im Besonderen Teil ge­ gebenen Weisungen. 12. Sieht der mit Recht Verdächtigte (Beschuldigte) auf Grund der gegen ihn vorliegenden belastenden Tatsachen nun­ mehr „keinen Ausweg", fühlt er sich also überwiesen, so wird man dies an seinem meist plötzlich geänderten Benehigen erken­ nen können: der Eine gesteht nunmehr offen und rückhaltlos (wenigstens so viel ein, als man ihm zur Last gelegt hat); der Andere, der sich bisher unnahbar gefühlt und daher vielleicht noch hochfahrend, ja oft geradezil frech benommen hat, ist auf einmal verstummt oder ver­ legt sich nun (vielleicht noch unter heftigem Weinen) aufs Bitten oder täuscht, um Mitleid zu erregen, einen „plötzlichen Anfall" vor; (wie Echtes von Gemachtem diesfalls-zu unterscheiden ist, siehe Seite 74); ein Dritter, aus dem bisher kein Wort herauszubringen war, setzt nun alles auf eine Karte, beginnt mit einem Redeschwall, mit dem er die Grundfesten der gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen zu erschüt­ tern hofft, spielt die Rolle des grundlos Verdächtigten, Entrüsteten, sucht mit angedrohten „Beschwerden", „Unannehmlichkeiten" aller Art, „Enthüllungen" oder dergleichen den ihn vernehmenden Beamten einzuschüchtern, um seine Freilassung zu erlangen. 13. Ist der Beamte im Zweifel darüber, ob der Angezeigte nunmehr auf freiem Fuße zu belassen oder in Haft zu nehmen ist, so hat stets der Vorgesetzte, dem über den Sachver­ halt sogleich zu berichten und der Akt zur Einsicht vorzulegen ist, zu entscheiden; ist es ein besonders heikler Fall, so soll die Entscheidung dem zuständigen Strafgericht überlassen werden; (wenigstens liegt bei solchem Vorgehen die Verantwortung für die getroffene Verfügung nicht auf den Schultern des Polizeibeamten allein). 14. Als Richtlinie mag dienen: Wenn auf Grund des vorliegenden Tatbestandes eine Verhaftung nach dem Gesetze gerechtfertigt ist oder gar vorgenommen werden muß, ist der Betreffende stets in Haft zu nehmen. 15. Schließlich noch eine Erfahrungstatsache: Niemals soll der Beamte dem Einvernommenen sagen, ob die gegen ihn geführten Er­ hebungen bereits abgeschlossen sind; erfährt es der Beschuldigte dennoch, so wird er niemals etwaige weitere strafgesetzwidrige Handlungen, die er noch verübt hat, von denen die Behörde aber noch nichts weiß, einge­ stehen. Ist der Beschuldigte diesfalls aber im Unklaxen (und mancher Beamte versteht es sehr gut, zu tun, als ob er noch Verschiedenes wider den Beschuldigten wüßte), so wird er in der Befürchtung, daß die Behörde tatsächlich noch mehr gegen ihn weiß, nicht selten noch weiteres von selbst eingestehen.

Das Vorgehen auf dem Tatorte.

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Dritter Abschnitt.

Augenscheinsaufnahme. Das Vorgehen auf dem Tatorte. 1. Anleitungen zur Klarstellung des Sachverhaltes. Eingangsweise sei bemerkt, daß diese „Allgemeinen Anleitungen zur Klarstellung des Sachveihaltes“ für alle Tatbestände, an deren Erforschung der Beamte mitzuwirken hat, Geltung haben, weshalb sie als allgemeine Richtlinien stets im Auge behalten werden sollen. Sie sind inhaltlich ferner möglichst „mundgerecht" abgefaßt und zeit­ lich aufeinanderfolgend angereiht, also so gebracht, wie sie fast immer sofort gebraucht werden können. Eine Ergänzung dieser allgemei­ nen Anleitungen bilden die „Allgemeinen Anhaltspunkte zur Aus­ forschung des Täters", (Seite 38). 1. Sobald der Beamte Kenntnis von einem Sachverhalt be­ kommen hat, zu dessen Klarstellung „von Amts wegen“ eingeschritten werden muß, ist sofort „auszurücken“, d. h. hat er sich unver­ züglich auf dem kürzesten Wege nach dem Tatort zu begeben und dabei die sog. „Ausrüstungstasche“1) mitzunehmen (nachbringen zu lassen); vor dem Weggehen ist auf jeden Fall der Vorgesetzte ent­ sprechend zu verständigen. 2. Nicht nervös, sondern ruhig, überlegt und zielbewußt vor­ gehen, Ordnung in allen Dingen bewahren und für alle Vorgänge Augen und Ohren offen halten! 3. Am Tatorte angelangt, sind sichtlich bloß neugierige und an dem Sachverhalt ganz unbeteiligte Personen, Zuschauer, aufzufordern, sich zu entfernen; der für die Durchführung der Amtshandlung augen­ scheinlich in Betracht kommende Platz ist dann nach Möglichkeit ab­ zusperren. 4. Spuren, die zweifellos oder möglicherweise mit dem Sachverhalt zusammenhängen (können),sind vorderhand, so gut es geht, zu schützen; (Näheres darüber siehe Seite 117, 125 u. 132). 5. Nach Überblicken der Sachlage trachten, sich durch etwaige Erst dazugekommene und sonstige Auskunftspersonen rasch und möglichst sicher über den Hergang des scheinbar vorliegenden Sachverhaltes klar zu werden; dabei ja keine übereilte Äußerung nach dieser oder jener Richtung fallen lassen! 6. Personen, die über den Sachverhalt Auskunft geben können, ersuchen, einerseits vor Schluß der Amtshandlung nicht wegzugehen, da sie möglicherweise noch für eine weitere Auskunft benötigt wer­ den können, andrerseits über das Vorgefallene vor der Einvernahme nicht, zu sprechen, weil sonst am Schluß niemand mehr weiß, was er selbst wahrgenommen hat, was er sich über die Sache gedacht uitb was er von anderen davon erfahren hat und daher sonst alles durch­ einander bringt. Da unter diesen Leuten möglicherweise auch Mit*) Das ist eine Tasche mit dem für die Tatbestandsaufnahme nötigen Inhalt; (Näheres darüber Seite 31).

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Das Vorgehen auf dem Tatorte.

schuldige oder sonst irgendwie Beteiligte sein können, soll der Beamte auch nach Möglichkeit dafür Sorge tragen, daß nichts Auffälliges, Geheimnisvolles, vor sich gehen kann, (z. B. einander zuwinken, zu­ flüstern oder dergleichen. 7. Von Einflüsterungen und Bekräftigungen sich vordrängender, namentlich u n bekannter Leute sich nicht irremachen lassen, sie aber auch nicht im vorhinein barsch wegweisen und ganz überhören: Im Gegenteil, ihnen (aber für sie selbst unmerklich­ besondere Aufmerksamkeit zuwenden, da sie erfahrungsgemäß an dem Vorgefallenen oft irgendwie beteiligt sein können (als Täter oder Mitschuldige) und die behördlichen Erhebungen vom richtigen Wege ab­ zudrängen versuchen. Dabei stets gut aufmerken, was solche Leute bei ihrer Schilderung besonders hervorheben und was sie nach Möglichkeit zu übergehen suchen: Das besonders Betonte wird vor­ sichtig aufzunehmen, dem ängstlich Verschwiegenen oder nur flüchtig Erwähnten wird entsprechend nachzugehen sein. Personen, welche sich in dieser Weise vordrängen, verstehen es leider nur zu gut, sich den „imponierenden" Anschein verläßlicher, einwandfreier Leute zu geben, daher ist Vorsicht am Platze! 8. Zwar stets höflich und menschenfreundlich, nötigenfalls aber auch tatkräftig auftreten und sich für keinen Fall in Vertraulichkeiten mit der Bevölkerung einlassen, (wodurch man bloß vom Ziel abkommt und das Amtsansehen untergräbt). 9. Auch wenn Auskunftspersonen nicht vorhanden sind, sich den Hergang stets auf die natürlichste, einfachste und naheliegendste Weise zu erklären suchen. Den vorgefundenen Tatbestand eingehend und immer wieder von neuem betrachten und sich schrittweise (b. h. aufeinanderfolgend, ohne überspringen) so recht in den Hergang hineindenken und sich vorstellen, wie es sich im gegebenen Falle nacheinander zugetragen haben mag; dabei sich stets vor Augen halten, daß der Tatbestand einerseits wirklich so sein kann, wie er vor­ gefunden wurde, (es kann also z. B. ein erhängt Aufgefundener sich wirklich in Selbstmordabsicht erhängt haben), daß anderseits aber Verschleierung des Tatbestandes vorliegen und eine dritte Hand im Spiel sein kann, (es kann also z. B. der erhängt Aufgefundene vorher gewaltsam ums Leben gebracht — vergiftet, erdrosselt, erstochen — und dann, um Selbstmord vorzutäuschen, aufgehängt worden sein). Erst bis entweder bloß das Eine oder bloß das Andere zweifellos festgestellt und bewiesen ist, kann man die andere Möglichkeit mit gutem Wissen und Gewissen auflassen und auf dem sicheren einen Weg weiterarbeiten! Nur durch so planmäßiges Vorgehen kommt eine eina eh en de Tatbestandsaufnahme zustande, welche für das weitere Ver­ fahren eine brauchbare, wertvolle Grundlage wird, und — was etwa an dem Sachverhalte seitens dritter Personen mit Absicht zwecks Irreführung der behördlichen Nachforschungen (Verschleierung des Tat­ bestandes) geändert wurde, das nunmehr Auffällige, Unwahr­ scheinliche tritt dabei von selbst hervor.

10. Als Richtschnur für die Durchführung einer jeden Amts­ handlung mögen „die 7 goldenen ,W‘ des Kriminalisten“, (d. i.: „Wer?", „was?", „wie?", „wo?", „wann?", „womit?", „warum?") dienen; hat man das ehrliche Bestreben, jede dieser 7 Fragen so genau als nur möglich zu beantworten, d. h. die Antwort darauf (wenn auch mit Mühe und Zeitverlust) zu suchen, so wird ein anfangs vielleicht verwickelt erscheinender Sachverhalt bald geklärt, in Unsicheres bald ein festes Gerippe hineingebracht und niemals etwas Wesentliches übersehen werden! Sie seien daher, zum Auswendiglernen, nochmals aufgezählt: „Wer?", „was?", „wie?", „wo?", „wann?", „womit?", „warum?"'). 11. Hat man nun auf diese Weise den Sachverhalt einerseits zer­ gliedert und anderseits doch wieder klar und übersichtlich vor sich, so wird man sich auch darüber im klaren sein, ob fremdes Verschulden zweifellos ausgeschlossen oder möglich oder bestimmt anzu­ nehmen ist. Ist man so weit gekommen, dann ist der eigenen vor­ gesetzten Stelle Meldung zu erstatten (auf dem kürzesten Wege) und sind nötigenfalls weitere Weisungen einzuholen. Nur bei Gefahr im Verzüge hat der Kriminalbeamte (dann aber natürlich auf eigene Verantwortung) das ihm geeignet Scheinende zu veranlassen. 12. Tritt (vielleicht auf Grund dieser Meldung an die vorgesetzte Stelle) nunmehr ein Wechsel in der Person des erhebenden Beamten noch vor Beendigung der Tatbestandsaufnahme ein, (z. B. dadurch, daß ein Vorgesetzter erscheint, die Amtshandlung übernimmt und weiterführt), so ist diesem das bisher Wahrgenommene samt den eigenen Vermutungen und allen Einzelheiten genau zu melden und auch anzugeben, was man bisher etwa auf eigene Faust verfügt hat; ein dabei vielleicht begangener Fehler, der im Dienste der Sache nicht verheimlicht werden darf, ist bei dieser Gelegenheit unbe­ dingt und hier am leichtesten einzugestehen. 13. Stets ist festzustellen, ob auf dem Tatort noch vor dem Eintreffen der Behörde etwaige Veränderungen vorgenommen worden sind, (z. B. Fuß-, Fingerabdruckspuren erzeugt, ein Erschossener ab­ gewaschen und ins Bett gebracht wurde, nsw.), was diesfalls geändert wurde, warum und von wem es geschah. Bei größeren Unfällen werden nicht selten sog. „Sicherungsarbeiten“ oder dergleichen als „unbedingt nötig" und „unaufschiebbar" bezeich­ net und durchgeführt; der Zweck ist in solchen Fällen aber meist der, die wahre Ursache des Unfalles dadurch vor der Behörde zu besei­ tigen oder doch zu verschleiern. Der Beamte hat jeden, der solche Arbeiten anschafft oder durchführt, hiefür verantwortlich zu machen und besonders aufzumerken, um hierüber eine genaue Meldung abgeben zu können. *) Diese Worte stammen auS dem Lateinischen, wo sie — weil in Reim­ form — in anderer Reihenfolge stehen, im Deutschen prägen sie sich dem Ge­ dächtnis aber in obiger Aneinanderreihung besser ein.

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Das Vorgehen auf dem Tatorte.

14. Da fast mit jedem Tatbestand, an dessen Feststellung ein Sicherheitsbeamter mitwirkt, später eine (Zivil- oder Strafgerichts-) Behörde zu tun bekommt, so ist es zur recht deutlichen Veranschau­ lichung des Tatbestandes höchst wünschenswert, ja bisweilen sogar notwendig, daß dieser (womöglich auch von verschiedenen Seiten aus gesehen) photographiert oder doch wenigstens gezeichnet wird; ein Bild prägt sich erfahrungsgemäß in.wenigen Augenblicken weit besser dem Gedächtnis ein, als eine noch so sorgfältige und gerade darum umständliche Beschreibung es vermag. Dabei soll, was besonders wichtig ist oder wichtig werden kann, noch einzeln photographiert oder doch wenigstens gezeichnet werden, (z. B. die Körper­ stelle mit der tödlichen Verletzung); Näheres über „Photographieren" siehe Seite 70, über „Zeichnen", Seite 94. 15. Mitunter wird auch etwas, was nicht vorhanden ist, bei ähnlichen Fällen aber vorzukommen pflegt, festzuhalten sein, damit es nicht den Anschein erwecke, als ob es übersehen wurde. So wird z. B. bei einer Leiche, die sichtlich tiefgehende Wunden ausweist und daher bedeutenden Blutverlust gehabt haben muß, die Tatsache, daß nur wenig oder gar kein Blut vorhanden ist, besonders zu erwähnen sein; oder, wenn bei einer Vergiftung keinerlei Giftreste gefunden wurden, oder bei einem Selbstmord durch Erschießen die Waffe fehlt, usw. usw. 16. Stets ist der Tatort und seine Umgebung nach allerhand Spuren, auch sog. „Zinken" und sonstigen zurückgebliebenen Gegen­ ständen oder dgl., die mit dem betreffenden Sachverhalt im Zusammen­ hänge stehen (können), genau abzusuchen; Näheres darüber siehe Seite 79. Bei größeren (sog. kiamorosen) Verbrechen wird auch der Tatort in geeigneter Weise zu überwachen sein,' da es erfahrungsgemäß den flüchtigen Verbrecher nicht selten dorthin zurückzieht. 17. Wenn ein Polizeihund wirksam angesetzt werden kann, darf dies nie verabsäumt werden; Näheres siehe - Seite 37. 18. Über Hilfeleistung bei Unfällen siehe Näheres Seite 218. 19. Stets, womöglich gleich am Tatort, auch feslzustellen trachten: a) Etwaigen Täter, (falls fremdes Verschulden möglich oder zweifel­ los ist); Näheres darüber siehe Seite 38; b) Bei strafbaren Hand­ lungen gegen das Eigentum: Wert des betreffenden Gegen­ standes, also: Wann, von wem, in welchem Zustande, unter welchen Verhältnissen, um welchen Preis, usw. erstanden, ist der Gegenstand inzwischen (und wodurch?) mehr oder weniger wert geworden? usw.; c) Beweggrund (Motiv) der Tat; vgl. auch Abschnitt: „Aber­ glaube", Seite 88, und d) Auf das Vorkommen der „Gauner eigenh eit en" nicht vergessen! Näheres siehe Seite 74. 20. Vgl. als Ergänzung zu diesen Ausführungen auch den folgenden Abschnitt: „Ausforschung des Täters", Seite 38. 21. In jeder Meldung stets ausdrücklich betonen und auseinander­ halten, was auf eigener Wahrnehmung beruht, (was man also z. B. selbst gehört und gesehen hat, usw.) und was man als (augenblicklich nicht überprüfbare) Angaben dritter Personen, deren Vertrauens­ würdigkeit angegeben werden muß, festhält.

Wert und Verwendung der „Ausrückungstasche".

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22. Bei verhafteten Personen muß man stets und unverzüglich fest­ stellen (lassen), ob ihre Zurechnungsfähigkeit etwa durch den Genuß geistiger Getränke beeinträchtigt ist und ob ihr Körper — wie sie oft behaupten — durch Erstangriffe des Gegners tatsächlich Verletzungen aufweist. Es ist nämlich eine bekannte, leider viel zu wenig gewürdigte, Erfahrungstatsache, daß sich der Beschuldigte vor Gericht nur zu oft auf (strafausschließende oder strafmildernde) Trunkenheit oder Notwehr auszureden versucht und ist ein behördlicher voller Gegenbeweis, wenn überhaupt, dann nur schwer zu erbringen! 23. Bei offenkundigem oder auch nur möglicherweise vorliegendem Verschulden fremder Personen ist nach Abschluß der Amtshandlung der Erhebungsakt stets sofort dem zuständigen Gerichte zu über­ mitteln; Näheres darüber siehe in dem betreffenden Abschnitte des Be­ sonderen Teiles.

2. Wert und Verwendung der »Ausrückungstasche". Mit jeder Aufnahme eines Augenscheines ist ein „Ausrücken"8) verbunden; das „Ausrücken" hat aber wieder ein Amtshandeln oft weitabseits vom Schreibtisch zur Folge: In solchen Fällen empfindet, man erst an Ort und Stelle, wie schwer man bald das eine, bald das andere Hilfsmittel vermißt, dessen Beschaffung — wenn überhaupt möglich — dann meist mit großem Zeitverlust verbunden ist und — schließlich hat man noch nicht das, was man für solche Fälle immer wieder braucht! Es empfiehlt sich daher auf das dringendste die An­ schaffung eine'r solchen „Ausrückungstasche" 4* ),* die mit dem nötigen Inhalt versehen und nach jedem Gebrauch sofort wieder ergänzt, stets unschätzbare Dienste leisten wird. Die Größe dieser Tasche ist durch ihren Inhalt bestimmt; am zweckmäßigsten sind wohl die so bequemen, handlichen (sperrbaren) Aktentaschen, in denen der hier nötige Inhalt (von jedem Taschner) geschickt und fest angebracht werden kann. Die ,.Ausrückungstasche“ soll bei möglichster Ausnützung des ver­ fügbaren Raumes nachstehende Gegenstände enthalten: A. Zum Zurechtfinden (Orientieren): 1. Einen Stadtplan, (wenn ein solcher von dem Ort, in dem der Beamte Dienst tut, vorhanden ist), 2. Eine geographische Übersichtskarte, (auf welcher der betreffende Bezirk und seine Umgebung in möglichst großem Maßstabe dargestellt ist),8) 3. Einen guten Kompaß. *) Näheres darüber siehe Punkt 1 der „Allgemeinen Anleitungen zur Klar­ stellung des Sachverhaltes", S. 27. 4) Die Anschaffung einer solchen Tasche, wie sie zuerst von Prof. Groß in seinem „Handbuch" empfohlen würde, obliegt, wenn der betreffenden Sicherheits­ behörde ein Jurist zugeteilt ist, diesem; wo dies nicht der Fall ist, dem leitenden nicht rechtskundigen Sicherheitsbeamten. (Die Kosten der Anschaffung und Instand­ haltung derselben sind nicht namhaft und werden wohl in den meisten Fällen audem dem Amt zugewiesenen Pauschale zu bestreiten sein). •) Vgl. dazu auch die Ausführungen auf Seite 10 und Seite 103.

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Inhalt der , Ausriulungstasche ".

B. Zum Schreiben und Zeichnen:6) 1. Etwa 20 Bogen glattes Schreibpapier (weder gerollt noch gefaltet) in Kanzleiformat, 2. Ein crn-Maß und einen Maßstab, 3. Zeichenpapier mit rnrn-Einteilung, 4. Je 2—3 Bogen Pauspapier, 5. Ebensoviel (weißes) Seidenpapier (zur Herstellung von sog. Abklatschen; Näheres darüber siehe Seite 116), 6. Ebensoviel (weißes) Lösch- oder Filtrierpapier (auch zum Aufsaugen geringer, aber möglicherweise wichtiger Flüssig­ keiten), 7. Ein Fläschchen gute Tinte, 8. Mehrere verschiedenartige Federn bester Gattung, mit denen ein rasches Schreiben möglich ist, mit verschiedenen (dünnen, dicken und bauchigen Federstielen, je nach Gewohnheit des Schreibers), womöglich aber die ganz vorzügliche Heidelberger „Kaweco “-Füllfeder, die nicht genug empfohlen werden kann, 9. Einige gute Bleistifte. Sehr empfehlenswert sind die sog. „D r u s e i d t"-Füllbleistifte (mit Graphit-, Kopier- und Farb­ minen; erhältlich durch die Generalvertretung Eugen Le dl & Eo., Graz (Steiermark), Neutorg. 28). 10. Ein weiches und ein hartes Radiergummi (bester Gattung).

C. Zum Spurensuchen und Abnehmen: 1. Eine (womöglich zusammenlegbare) Taschenlampe mit Zu­ behör, 2. Eine Schachtel Zündhölzchen, 3. Eine stark vergrößernde Lupe, 4. Zum Abnehmen der Linien auf der Innenseite der Finger­ spitzen (-Papillarlinien) (nach dem Schneiderschen Verfahren) sind die dazu nötigen Gegenstände dort bereits in einer Schach­ tel (Taschenformat) vereinigt,?) 6. Zum Abnehmen sonstiger Spuren:^) a) 2 Blechgefäße (zu je i/2 kg Inhalt) mit sog. Alabastergips), b) 2—3 dicke Starinkerzen, c) Etwa 1/2 kg Tischlerleim in Tafelform, d) Ebensoviel Stangenschwefel, e) Ein niedriges Gefäß (wie es zum Zubereiten des Gipsbreies, zum Leimkochen, zum Schwefelschmelzen verwendbar ist), f) 2 kleine weiche Pinsel, g) Ein kleines Fläschchen mit öl, h) Ein kleines Fläschchen mit arabischem Gummi, i) Eine Bürste. •) Vgl. dazu auch den Abschnitt: „Zeichnen", S. 94. *) Vom Erzeuger Polizeiphotograph Rudolf Schneider, Wien, IX., Elisabeth­ promenade 7, sowie von der Folien- und Flitterfabrik in Hanau a. Main zu beziehen; vgl auch den Abschnitt: „Daktyloskopie", S. 53. •) Vgl. auch den Abschnitt über Spuren, Seite 117, 125 u, 132.

Das Suchen nach versteckten Gegenständen.

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Die zur ersten Hilfeleistung bei plötzlichen Unglücksßlllen Mittel.9) Verschiedenes: Bindzeug (je einige Meter dünnen und starken Mndfaden), Siegellack mit Amtspetschaft, 2—3 teilte, kleine Fläschchen mit je gut schließendem Stöpsel (zum Verwahren kleiner wichtiger Gegenstände u. dgl.), 4. Eine Pinzette (zum Anfassen kleiner Gegenstände, die mit den Fingern nicht berührt werden sollen oder können), 5. Ein Stück Seife (zum Händewaschen nach der Amtshandlung), 6. Ein Desinfektionsmittel,^) 7. Ein sog. Universalwerkzeug. Anschließend an diese Aufzählung des Inhaltes der „Ausrückungs­ tasche" sei ausdrücklich betont, daß jeder Kriminalbeamte unbedingt eine verläßliche, Erfolg sichernde Handfeuerwaffe bei sich haben muß. Eine solche Waffe muß großkalibrig sein, um den Angegriffenen augenblicklich zu „werfen", sie soll dabei aber auch ein handliches For­ mat haben und möglichst leicht sein. Alle diese Erfordernisse erfüllt in idealster Weise die Bayard-Pistole 9 mm, wie sie die weltbekannten Pieperwerke in Herstal bei Lüttich (Belgien) erzeugen. Das große Kaliber bürgt für sofortige Kampfunfähigmachung des Getroffenen, die kleine Länge von nur 120 mm und das unbe­ deutende Gewicht dieser Pistole — in gefülltem Zustande nur 510 g schwer — sind weitere Vorteile dieser nie versagenden Selbstlade­ pistole, welche in ihren Vorzügen von keiner anderen Waffe erreicht geschweige denn übertroffen wäre; deren einheitliche Einführung wäre Pflicht des Staates!

D. nötigen E. 1. 2. 3.

3. Anleitung für das Suchen nach versteckten Gegen­ ständen. Zu merken ist, daß eine Persons- oder Hausdurchsuchung, wenn sie im gegebenen Falle gerechtfertigt oder nach dem Gesetz unbedingt vorzunehmen ist, so vorgenommen werden muß, daß seitens des Beamten das Möglichste dabei geleistet wird. Daher vorerst überlegen, ob der zu suchende Gegenstand ohne (namhafte) Schädigung seines Wertes vielleicht auch verkleinerbar (zerlegbar, zusammenfaltbar, zusammenrollbar) ist und daher an Orten untergebracht sein kann, die bei voller Größe des Gegenstandes als Versteck nicht in Betracht kämen. Ist man darüber im klaren, dann mit dem planmäßigen, genauesten Suchen beginnen, ohne das geringste zu übergehen. e) Vgl auch den Abschnitt: »Unfälle«, Seite 218 und die dort für die einzelnen Fälle angegebenen Gegenmittel; im übrigen lasse man sich vom Amtsarzt beizeiten unterweisen. 10) Um ein solches ist der Amtsarzt anzusprechen.

W. Polzer, Kriminaldienst.

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Personsdurchsuchung.

A. Persons durchsuchung. 1. Oft trägt der Verdächtigte Gegenstände (wenn es deren Größe und Gestalt erlauben) in höchst abgefeimter Weise ver­ steckt bei sich und hängt der Erfolg einer Strafamtshandlung nur zu oft von der Übung, dem Scharfblick und — der Gewissenhaftigkeit der mit dem Absuchen betrauten Person ab. Im letzteren Punkte greife ich nicht etwa den zur Dienstleistung beeideten Beamten in seiner Ehre an, sondern will sagen, daß, solange das Durchsuchen weiblicher Häftlinge zu den Obliegenheiten der in dem betreffenden Amte beschäftigten Hausmeisterin oder Be­ dienerin gehört, ein diesfalls ergebnislos gebliebenes Suchen nie­ mals ein Beweis dafür ist, daß der Häftling tatsächlich nichts Bedenk­ liches bei sich hatte. Es mag ja —- hie und da vielleicht — eine gewissenhafte Hausmeisterin, Bedienerin, geben, aber di« Tatsache, daß die absuchende Person während dieser Beschäftigung mit dem Häftling in abgesperrtem Zimmer allein ist, „Trink- (und vielleicht auch Schweig-)Gelder" zu nehmen gewohnt ist und unmittelbar nachher unüberprüfbar frei aus- und eingeht, den ihr etwa zugesteckten Gegenstand also sehr leicht und völlig unbemerkt beseitigen oder gar einer an der Strafsache beteiligten dritten Person (Mitschuldige) übergeben kann, ist eine Gefahr für jede Strafamtsbandlung, wie sie größer nicht gedacht werden kann. Solange diesfalls nicht Wandel geschaffen wird, ist die Haus­ meisterin, Bedienerin, welche die Durchsuchung vorgenommen hat, schriftlich über das Ergebnis einzuvernehmen; so kann sich das Gericht selbst ein Urteil bilden. 2. Nie zu vergessen ist, daß die angehaltene Person auch eine (vielleicht geschickt verborgene) Waffe bei sich halten und im Augen­ blick der Durchsuchung gegen sich selbst oder gegen den betreffenden Beamten zur Wirkung bringen kann: Daher in erster Linie darnach und zwar bei „Hände hoch!" suchen! 3. Bei männlichen wie bei weiblichen Häftlingen sind deren Kleidung und die von ihnen etwa eingebrachten Habseligkeiten auf das eingehendste abzugreifen, namentlich an Stellen, an denen der Stoff doppelt liegt oder durch Futter verstärkt ist, da der Gegenstand auch eingenäht sein kann.") 4. Der Häftling muß vom Anfang an unausgesetzt und mit größter Aufmerksamkeit beobachtet werden, um Flucht, Besprechen oder Verständigen mit andern Personen (worunter Mitschuldige sein können), Wegwersen von ihn belastenden (d. h. aus unredlichem Er­ werb stammenden oder ihm sonst irgendwie nachteiligen) Gegenständen u. dgl. und um auch Selbstmordverübung rechtzeitig zu verhindern. Sollte dennoch der Versuch gemacht werden, derartiges auszuführen, so wären sofort geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. ,l) Personsdurchsuchungen an männlichen Häftlingen habe ich stets selbst vor­ genommen — die aufgewendete Mühe hat so manches Überraschende zutage gefördert.

Personsdurchsuchung. — Hausdurchsuchung.

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Etwaige mitbeschuldigte, gleichfalls verhaftete Personen sind natürlich streng abgesondert von einander zu behandeln. 5. Sind etwaige Habseligkeiten und Kleider des Häftlings bereits durchsucht, dann sind auch die Körperhöhlen des Betreffenden einer genauen Untersuchung zu unterziehen.- Nicht selten wird ein „un­ angenehmer", d. h. belastender, Gegenstand in den Mund oder unter die Achselhöhlen gesteckt; auch zwischen den Gesäßhälften sowie im After sind schon Gegenstände versteckt vorgefundcn worden. 6. Bei weiblichen Personen kommen noch weitere Ver­ stecke am Körper selbst in Betracht: Scheide, Brüste (falls sie hängend sind) und Kopfhaar. Es sind daher alle diese Körperstellen (auch Nase, Ohren, Zehen) nach etwaigen versteckten Gegenständen zu untersuchen, wovon im Dienste der Sache keinesfalls Abstand genommen werden kann. 7. Bei allen Persons- und Hausdurchsuchungen ist ferner die Er­ fahrungstatsache zu berücksichtigen, daß belastende Gegenstände durch den Täter bzw. dessen Mitschuldige auch zu Verwandten oder Be­ kannten gebracht oder als solche entweder offen oder in einem anderen Gegenstände verborgen und dann letzterer auch verpfändetn) oder schließlich und zwar namentlich größere Gegenstände — unter fal­ scher Bezeichnung und absichtlich anders aussehender Verpackung^) in Lagerräumen oder dergleichen eingestellt worden sein können. Es wird daher der Verwandten- und Bekanntenkreis des (der) Betreffenden festzustellen und bei begründeten Verdacht auch dort­ selbst zu suchen sein, es wird auf Grund etwa Vorgefundener Pfand­ scheine — solche sind immer sehr wichtig — in den betreffenden Versatzämtern zu erheben, der verpfändete Gegenstand auszuheben und genauestens zu untersuchen und die über die Herkunft der verpfändeten Gegenstände gemachten Angaben auf ihre Stichhältig­ keit zu überprüfen, es wird endlich auch in Einlagerungsräumen zu erheben, zu prüfen und der Sachverhalt nötigenfalls auch ent­ sprechend zu verlautbaren sein; Näheres darüber siehe Seite 42.") B. Hausdurchsuchung.

Dieses Wort ist für das, was darunter zu verstehen ist, nur selten zutreffend, da die Person, bei welcher eine solche Untersuchung vorgenommen wird, nur in wenigen Fällen das Haus allein bewohnt, so daß die Durchsuchung sich also auf alle Räumlichkeiten vom Keller bis zum Dachboden (auch sonstiges Zubehör wie Stallungen, Schupfen oder dergleichen) erstrecken wird. Stets sind bei Hausdurchsuchungen alle jene "Räume zu besichtigen, über welche der Angezeigte (oder seine Angehörigen) das Verfügungsrecht besitzt, also Wohnung **) Z. B. es werden Kleider verpfändet, in denen Banknoten etngenäht sind. *•) Z. B. eine entwendete Schreibmaschine wäre in einer mehrfachen größeren Kiste verpackt und als „Maschinenbestandteile" bezeichnet ob. dgl. “) Bei so umseitigem Vorgehen und nur auf solche Weise ist schon mancher überraschende Erfolg zustande gekommen!

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Hausdurchsuchung.

und Zubehör. Ist jedoch der gegründete Verdacht gegeben, daß Gegen­ stände, nach welchen gesucht werden muß, auch zu dessen Verwandten oder Bekannten verschleppt worden sein können, ist — wie bereits erwähnt — die Hausdurchsuchung auch auf diese Räumlichkeiten aus­ zudehnen. Hausdurchsuchungen womöglich nur bei Tag vornehmen! Auch die Durchsuchung von im Freien gelegenen Vermögens­ sachen gehört hieher. Zu merken ist die Erfahrungstatsache, daß der Verhaftete oder dessen Angehörige, sofern sie bei der Hausdurchsuchung zugegen sind, fast immer trachten, das Belastende zur Gänze oder doch nach Möglichkeit beiseite zu schaffen, oder sich sonst irgendwie be­ merkbar machen; sie müssen daher unausgesetzt beobachtet wer­ den: Aus ihrem Gehaben ist oft leicht zu erkennen, ob man sich auf der richtigen Fährte befindet, d. h. nahe an dem Versteck des betreffenden Gegenstandes ist oder nicht. 1. Durchsuchung von gedeckten Räumlichkeiten. a) Es ist natürlich gänzlich ausgeschlossen, anzugeben, wo überall Sachen versteckt sein können und wäre eine solche Zusammenstellung auch zwecklos, denn selbst eine noch so umfangreiche und daher nur schleppende, übersichtlose Aufzählung wäre schon morgen unvollständig, da seitens geschickter Personen beim Verstecken von Gegenständen oft geradezu Verblüffendes geleistet werden kann. Während der Eine Gegenstände in oft kaum zugängliche weit abseits gelegene Verstecke bringt und bei deren Auswahl bisweilen geradezu erfinderischen Geist betätigt, wählt der Andere absichtlich gerade die gewöhnlichsten Orte als Versteck, legt den Gegenstand der Behörde sozusagen offen vor die Augen und rechnet dabei, daß der Suchende „so einfache" Verstecke einer näheren Betrachtung gar nicht unterziehen wird und — behält nur zu oft Recht: Das — ich möchte sagen — „frech" d. h. so gut wie gar nicht Versteckte wird dabei sehr oft übersehen; „der Täter wird doch nicht so dumm sein und es der Behörde so leicht machen" — nein, er ist rin Menschenkenner und die „Dummheit" ist auf Seite des Such en­ den, welcher Derartiges einfach außer acht läßt. b) Als oberster Grundsatz gelte auch hier: Planmäßig und so genau als möglich suchen, zwar mit möglichster Sachschonung Vor­ gehen, aber auch: „Alles umdrehen I“. c) Auf Einiges sei noch eigens aufmerksam gemacht: Bilder, auch sog. „blinde", Kamintüren sind oft das Deckblatt für Ver­ stecke im Mauerwerk I d) Sichtlich erst verputzte und hohlklingende Stellen in der Mauer, ferner merklich lose, keinen, oder sichtlich anderen Fugenschmutz enthaltende Fußbodenteile rechtfertigen den Verdacht, daß dahinter (darunter) etwas versteckt sein kann. e) Auch Öfen, Aborte, Gefäße mit „zugestellter" oder bereits fertiger Mahlzeit, auch solche mit sichtlich unreinem Inhalt, sichtlich schmutzige Fetzen usw. usw. sind ebenfalls zu durchsuchen, sie können — wie die Erfahrung lehrt — ebenso als Verstecke gewisser Gegenstände verwendet werden, wie z. B. die Lagerstätte (anscheinend

Durchsuchung im Freien. — Polizeihund.

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oder wirklich) kranker Familienmitglieder oder die Windel, die daS neugeborene Kind um den Leib trägt. Aus dem nur Angedeuteten mag hervorgehen, daß stets so genau als nur möglich zu suchen ist und als Richtschnur immer wieder die zwei Worte gelten sollen: „Alles umdrehen!". 2. Durchsuchung im Freien. a) Wenn auch nur die Möglichkeit vorhanden ist, daß das Ansetzen eines Polizeihundes von Erfolg begleitet sein könnte, darf dies nie verabsäumt werden; Näheres darüber siehe im folgenden Unterabschnitt. b) Die suchenden Personen müssen in kurzen Abständen von einander, Schwarmlinien ähnlich, Vorgehen; dazu kann man sich (auf dem Lande) in vielen Fällen auch einer entsprechend auf­ geklärten Schulkinderschar mit größerer Aussicht auf Erfolg bedienen. c) Die Frage, ob ein Erdstück erst kürzlich ausgehoben wurde und daher der Verdacht gerechtfertigt ist, daß an dieser Stelle etwas.vergraben sein könne, wird sich sicher in dem einen oder an­ deren Sinne beantworten lassen, wenn man auf die betreffende bedenk­ liche Stelle Wasser schüttet: Nimmt der Boden das Wasser bei gleichzeitiger Luftblasenbildung begierig auf, so ist an dieser Stelle erst vor kurzem gegraben worden; außerdem ist das Erd­ reich (im Vergleich zur Umgebung) entweder etwas eingesunken oder gewölbt und federnd — kurz, es sticht von der Umgebung sicht­ lich ab. d) Diese „Wasserprobe“ bewährt sich auch dann, wenn es sich um die Frage der kürzlichen Auflockerung einer Pflasterung handelt. e) Im übrigen sind auch Felsspalten, natürliche Höh­ lungen in Bäumen und in der Erde, Steinhaufen, Maul­ wurfhügel usw. usw. oft beliebte Verstecke. 4. Verwertung des Vorgefundenen. Wird auf diese Weise etwas vorgefunden, was als bedenklich zu beschlagnahmen ist, so muß die Herkunft solcher Gegenstände mög­ lichst einwandfrei festgestellt werden; bisweilen ergibt auch die genaue Besichtigung des Gegenstandes selbst einen Anhalts­ punkt: Einen Namen, eine Anschrift, ein Wappen oder dergleichen; vgl. dazu auch Seite 56. Stets muß der Täter darüber so ein­ gehend als möglich befragt und müssen seine Angaben auf ihre Stichhältigkeit überprüft werden; hat man keine oder nur falsche Angaben über die Herkunft eines Gegenstandes, so ist dieser ent­ sprechend zu beschreiben, der Sachverhalt in geeigneter Fassung zu verlautbaren (Näheres darüber siehe Seite 42) und die Be­ völkerung zur Mitarbeit an der Aufdeckung dieses Sachverhaltes heranzuziehen. 5. Über den Polizeihund. über den Wert des Polizeihundes sind die Ansichten sehr geteilt und vielfach den Erfahrungstatsachen nicht entsprechend. Der Polizei­ hund wurde und wird in seinen Leistungen einerseits vielfach über-

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Ausforschung des Täters.

schätzt, anderseits infolge Unterschätzung in Fällen nicht verwendet, in denen er zur Aufklärung des Sachverhaltes zum mindesten mit Aussicht auf Erfolg angesetzt werden könnte. Der Kriminalbeamte aber muß wissen, welches Hilfsmittel er in einem brauchbaren Polizeihund nötigenfalls haben kann und wo aber auch die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit liegen; diese Fragen sind in dem für unsere Zwecke geeignetsten Buche: „Leitfaden für die Abrichtung des Hundes"^) von Polizeihauptmann Konrad Most in Berlin zur vollen Klarheit gelöst. Vierter Abschnitt.

Ausforschung des Täters. Die Fähigkeit, in Strafsachen mit unbekanntem Täter diesen auszuforschen und ihn der von ihm verübten Tat zu über­ weisen, ist nur geschulten, erfahrenen, geschickten Kriminalisten eigen. Aber auch diese waren einmal Anfänger und sind durch Lernen zu ihren Kenntnissen gekommen. Was aber erlernbar ist, muß auch lehr­ bar sein. Da es eine bekannte Tatsache ist, daß erfahrene Fachgenossen die jüngeren diesfalls überhaupt nicht oder sehr unvollständig unter­ weisen — aus Besorgnis, der Anfänger könnte es dann ebenso oder viel­ leicht sogar bald „besser treffen" — sind im folgenden die nötigen An­ haltspunkte und Richtlinien aufgezählt. Die Ausforschung umfaßt einerseits das Ermitteln des Namens des unbekannten Täters und anderseits die dann einsetzende Nach­ forschung zwecks Habhaftwerdens desselben.

1. Das Ermitteln des Namens. 1. Um eine sichere Grundlage für die weiteren Erhebungen zu haben, muß man zunächst über den vorliegenden Sachverhalt nach Möglichkeit genau unterrichtet sein; (was darunter zu verstehen ist, siehe insbesondere Punkt 5—11 und 15 der „Allgemeinen Anleitungen für das Vorgehen auf dem Tatorte", Seite 27 ff.). 2. Der Beantwortung der Frage, wer gegebenenfalls als Täter in Betracht kommen kann, wird man in den meisten Fällen wesentlich näher kommen, wenn man auf folgende allgemeine Anhaltspunkte eingeht: a) Der altbewährte lateinische Satz: „Fecit, cui prodest“, d. h. als Täter kommt (fast immer) derjenige in Betracht, der aus der Tat in irgend einer Weise einen Vorteil hat, wird meist schon von Anfang an auf die richtige Spur verhelfen?) b) Die immer wieder erprobte Erfahrungstatsache: „Cherchez la femme“, d. h. das Weib ist der Urgrund des Verbrechens, oder mit den “) 5. Auflage 1919, Verlag Kameradschaft, Berlin W 35, Flottwellstraße 3. *) Nicht zu vergessen ist, daß der eigentliche Täter zur Tat auch gedungen sein kann, daher möglicherweise eine Person in Betracht kommt, auf die vorderhand keinerlei Verdacht fällt.

Ausforschung des Täters.

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meisten Verbrechen steht ein Weib irgendwie im Zusammenhänge, ist ost richtungsgebend, z. B.: aa) Das Verbrechen ist eines Weibes wegen verübt worden, (z. B. um die Geliebte zu beschenken, um ihr sonst gefällig zu sein und dergleichen), bb) das Verbrechen ist mit einem Weibe begangen worden, (wobei die weibliche Person als Aufpasserin, Auskundschafterin und dergleichen tätig war), cc) aus dem verübten Verbrechen hat ein Weib einen Vorteil gezogen, (z. B. als Hehlerin, Verkäuferin der gestohlenen Sachen und dergleichen), dd) das Verbrechen ist auf Anraten eines Weibes begangen worden, ee) das Verbrechen ist wegen einer bis aufs äußerste gesteigerten Eifersucht zwischen Weibern verübt worden. c) Aus dem Umstande, ob eine Tat besonders geschickt oder sehr ungeschickt angelegt und ausgeführt wurde, lassen sich oft schon wichtige Schlüsse dahin ziehen, ob man den Täter unter den geübten, berufsmäßigen Verbrechern oder unter noch unbescholtenen „Anfängern" zu suchen haben wird; darnach wird sich auch Umfang und Richtung der Ausforschungsschreiben ermessen lassen. d) Nicht vergessen, daß auch der geübte Verbrecher nur zu oft die bekannte „Eine große Dummheit“ begeht und damit selbst die behörd­ lichen Nachforschungen auf seine Spur lenkt. Worin diese: Eine große Dummheit besteht, kann natürlich niemals im voraus gesagt werden; es ist dies aber ein beim genauen Vorgehen gewiß nicht zu übersehender Anhaltspunkt für die Ausforschung des Täters, (z. B. bedeutende Geldausgaben seitens Personen, die es „leicht" erworben haben und sich daher nicht enthalten können, es gleich zu vergeuden; solche Leute haben dabei immer etwas „Unechtes" an sich, d. h. etwas, was mit ihrem sonstigen Sichgeben nicht in Einklang zu bringen ist: Das gerade macht sie dann dem Kennerauge verdächtig; oder ein auf dem Tatorte zurückgebliebenes (echtes) Ausweis­ papier, das dem Täter bei der „Arbeit" herausgefallen ist, oder ein Wäschestück, aus dessen (sog. „Wäscher"-)Zeichen Näheres über seine Person in Erfahrung gebracht werden kann, usw. usw. e) Sorgfältiges Erheben aller Nebenumstände, auch wenn sie noch so unbedeutend und als „mit der Tat zweifellos nicht im Zu­ sammenhang stehend“ erscheinen, (z. B. außergewöhnliche Besuche, Begegnungen, Vorgänge usw.) wird die aufgewandte Mühe stets reich­ lich lohnen; f) Und nicht zuletzt — sorgfältigstes Eingehen auf „die 7 gol­ denen W des Kriminalisten“ (d. i.: wer? was? wie? wo? wann? womit? warum?) wird eine sichere Richtschnur bei der Durchführung der Amtshandlung abgeben; man mache es sich zur Pflicht und Regel, bei jeder Amtshandlung diese Fragen so genau als mög­ lich zu beantworten!

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Ausforschung des TäterS.

g) Für den Fall, daß auch nur die Möglichkeit besteht, daß Zigeuner als Täter in Betracht kommen, vgl. den bezüglichen Ab­ schnitt Seite 85. 3. Festzustellen trachten (aus Evidenzbehelfen, Protokollen, durch Umfrage bei Fachgenossen des eigenen und womöglich auch der um­ liegenden Bezirke usw.), ob vielleicht noch weitere strafbare Hand­ lungen auf dieselbe Art verübt wurden, so daß die Annahme gerecht­ fertigt wäre, sie seien von ein und demselben Täter begangen worden; Ist dies der Fall, dann sind zweifellos mehrere Personen (Tatzeugen) imstande. Näheres über die Ausführung der Tat, die Person des (ver­ mutlichen) Täters usw. anzugeben. Die so erhaltene verdichtete Personsbeschreibung nebst etwaigen weiteren Angaben sind wesentliche Handhaben für die Verlautbarung des Falles, an dessen Klarstellung nun auch andere Kriminalbeamte, vielleicht auch die Bevölkerung mit­ arbeiten werden; Näheres siehe Seite 42. 4. Die Anzahl jener Personen, welche auf Grund der bisherigen Erhebungen nunmehr noch als Täter in Betracht kommen können, wird sich auf diese Weise wesentlich verringert, die Aussicht auf Erfolg be­ deutend gesteigert haben, da die Erhebungen bezüglich der übrig­ bleibenden Personen jetzt viel eingehender geführt werden können. 5. Es kommt sehr darauf an, den richtigen Namen des vermut­ lichen Täters auszumitteln. Auf Grund der von den Geschädigten oder Tatzeugen erhaltenen Auskünfte über Personen und Art der Tat­ verübung, sog. „Trick“ toirb es in vielen Fällen schon möglich sein, zu beurteilen, ob der Täter der Behörde etwa aus früheren Straffällen schon bekannt ist oder noch nicht. Verfügt die Behörde noch über ein Lichtbild des Verdächtigten, (z. B. aus dem Verbrecheralbum), und wird dieses vom Geschädigten als das des Täters wiedererkannt (agnosziert), so ist die Wesensgleichheit des Täters mit der abgebildeten Person wohl in den meisten Fällen nahezu festgestellt; doch kommen auch hier nur zu oft falsche Agnoszierungen aus verschiedenen Gründen vor; Näheres darüber siehe Seite 68. Hat man nun den Namen des vermutlichen aber noch unbekannt wo aufhältlichen Täters sicher festgestellt, so ist, falls es sich um einen bereits Vorbestraften handelt, bei Fachgenossen Umfrage zu halten, in Fahndungsblättern 2), im Eingangsbuch und ähnlichen Behelfen nach­ zusehen, auch bei Gerichten, Strafanstalten auf kürzestem Wege zu erheben, ob der Betreffende zur fraglichen Zeit nicht etwa in Haft war, also die Tat, deretwegen er beschuldigt wird, nicht verübt haben konnte. Anderseits können aber auch Personen als Täter in Betracht kommen, welche (infolge ihrer letzten Aburteilung und der damit ver­ bundenen Strafverbüßung) nach dem Wortlaut des Urteiles zwar noch in Strafhaft, in Wirklichkeit aber schon wieder in Freiheit sind: Entweder deshalb, weil es ihnen gelungen ist, auszubrechen, oder weil sie die Strafe in Einzelhaft (also in wesentlich verkürzter *) Das ist eine fortlaufende Sammlung von Aufzeichnungen über Straf­ taten mit unbekanntem Täter.

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Strafzeit)/) verbüßt haben ober weil ihnen aus besonderen Gründen ein Teil der Strafe nachgesehen worden ist. Aus dem Gesagten mag wohl zur Genüge hervorgehen, welchen nicht zu unter schätzenden Wert derartige Feststellungen, die mit größter Genauigkeit durchgeführt werden müssen, haben; die auf­ gewendete Mühe und Zeit ist im Hinblick darauf, daß man auf dem richtigen Wege fortarbeitet, tausendfach hereingebracht. Die Aussicht auf Erfolg, den unbekannt wo aufhältlichen Täter zu ermitteln, ist — wie Jeder zugeben wird — eine ganz andere, wenn jemand mit seinem richtigen Namen und genauer Personsbeschreibung verfolgt werden kann, als wenn es etwa bloß heißt: Mann, etwa 40 Jahre alt, untersetzt, schwarzes Haar, dunkel gekleidet,-------Ist es aber trotz genauer Erhebung nicht möglich, Namen und Aufenthalt des vermutlichen Täters festzustellen oder den zwar namentlich bekannten, aber unbekannt wo aufhältlichen Täter aus­ zuforschen, so wird eine einem Steckbrief ähnliche, alle wesentlichen Umstände enthaltende Beschreibung der Tat und des Täters einsetzen müssen. 2. Eigentliche Nachforschung nach dem Täter.

Als oberster Grundsatz gelte: Je bedeutender die strafbare Tat ist, desto umsichtiger muß die Verfolgung des Täters ausgenommen werden. Vom Telephon soll in allen Fällen, wo es sich darum handelt, eine einmalige, dringende. Nachricht an diese oder jene Stelle zu geben, ausgiebig Gebrauch gemacht werden, (z. B. Arzt, Rettungsgesell­ schaft, Verstärkung herbeirufen usw.). Ist ein Telephongespräch aus irgend welchen Gründen nicht gleich oder überhaupt nicht möglich und die Nachricht dringend, so tritt an Stelle der telephonischen Verständigung die telegraphische. Letztere ist in kriminal- und sicherheitspolizeilichen Ämtern überall dann in Anwendung, wenn eine und dieselbe kurze Meldung gleichzeitig an mehrere Stellen abzugeben ist; (das sog. Zirkulartelegramm) z. B. über Anzeigen, zu deren Erledigung die Mit­ arbeit weiterer Berufsgruppen zum mindesten zweckdienlich, wenn nicht unbedingt erforderlich ist, also Anzeigen über vermißte Personen, über Diebstähle, Betrügereien, alle sog. klamorosen Fälle, denen allgemein er­ höhte Bedeutung zukommt, wie etwa Mord, Raub, Brandlegung ufto.4*)* * *) Darauf hat zuerst und zwar schon i. I. 1892 Ed. v. Liszt auf­ merksam gemacht; („Die Strafverbüßung in Einzelhaft und die Evidenz" in »Allgem. österr. Gerichtszeitung" 52. Jahrg, Nr. 6, Wien 1901; ferner derselbe in H. Groß „Archiv", 70. Bd., Leipzig 1918. S. 239/240: „Daktyloskopie und Evidenz"). 4) So werden auch gewisse Anzeigen über Abgängige, namentlich über Kinder und Personen, die Selbstmordabsichten geäußert haben, dann An­ zeichen über Funde und Verluste, wenn sie auf ein Verbrechen Hinweisen oder auf verübten Selbstmord schließen lassen oder sonst besondere Bedeutung haben, auf telegraphischem Wege verbreitet werden müssen.

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Nachrichtenverbreitung. — Sachverständige.

Verständigungen, die nicht dringend sind, daher auch mit der Post geschickt werden können, sollen nur im Postwege übermittelt werden.

3. Art der Nachrichtenverbreitung. A. In der Stadt. Die selbständige Verbreitung von Nachrichten über Straftaten in die Öffentlichkeit obliegt in Städten wohl ausnahmslos juri­ disch geschulten Beamten. Derartige Mitteilungen sind in den gelesensten Tages blättern (auch in Fach blättern von in Betracht kommender Gewerbetrei­ benden), auch durch besondere Kundmachungen oder bleibend eingeführte schriftliche Verständigungen oder dergleichen an Bestimmte Schichten der Bevölkerung zu verlautbaren. B. Auf dem Lande.

Soll auf dem Lande die Mitteilung über eine Straftat rasch verbreitet werden, so sind nach Möglichkeit Telephon und Tele­ graph zu benützen, um entferntere Sicherheitsämter zu verständigen, hauptsächlich aber auch in der Gemeinde selbst Gewerbetreibende, insbesondere Kaufleute, Wirte usw. zu benachrichtigen, Kirche und Schule um Mithilfe zu ersuchen und außerdem eine kurze, ge­ eignete Tatschilderung in besonders auffälliger Weise an stark besuchten Orten anzubringen.

Fünfter Abschnitt.

Sachverständige. 1. Allgemeines. Es «kann weder vom Juristen und daher noch weniger von einem nicht rechtskundigen Beamten verlangt werden, daß er sich auf Ge­ bieten, die nicht unmittelbar ins Fach gehören, sofort und erschöpfend zurechtfindet und Bescheid weiß; dazu sind eben Sachverständige da, die um Rat gefragt werden sollen. Wenn aber vom Kriminalisten, der Jurist ist, im Dienste der Sache — und mit Recht — ein mög­ lichstes Unterrichtetsein auf den verschiedenen Gebieten der Wissenschaft sowie der Künste und Fertigkeiten verlangt wird, soll auch der nicht rechtskundige Beamte wenigstens Einiges über Sachverständige und deren Verwendung wissen, soll wissen, wann sie beizuziehen und was sie zu leisten imstande sind,1) um gebenenfalls womöglich för*) Hiefür ein lehrreiches Beispiel aus Kölner Blättern: ,($in Dienstmädchen war in der Wohnung ihres Dienstgebers während seiner Abwesenheit erdrosselt worden. Der Mörder hatte sich aus den Vorräten des Hausherrn neu ausgestattet und seine eigene Kleidung zurückgelassen. Das sollte ihm zum Verhängnis werden, denn die eingehende Untersuchung dieser Kleidungsstücke ergab so viele Anhaltspunkte, daß sich aus ihnen ein Steckbrief aufstellen ließ. Es wurde nämlich gefunden:

Hilfe durch Sachverständige.

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dernd mitwirken zu können, jedenfalls aber an der Amtshandlung nichts zu verpatzen. Wie oft wird — aber dann meist zu spät — von Vorgesetzter Seite darüber Rechenschaft verlangt, warum in diesem oder jenem Falle tein Sachverständiger befragt worden ist; dann hört man die bezeichnende Antwort: „Ja, gibt es denn auch dafür Sachver­ ständige?", oder: „An dem betreffenden Gegenstand war ohnehin nichts Auffallendes, u. dgl. mehr! Wie weit da in geradezu unverantwortlicher Weise gefehlt ist, wird nur der beurteilen sönnen, der die oft einzige Hilfe von Sachverständigen richtig einzuschätzen weiß. Es soll daher in jedem Amte, in dem triminal- und sicherheits­ polizeiliche Dienste versehen werden, eine Liste aufliegen, in welcher die Sachverständigen für verschiedene Gebiete mit Namen, voller Anschrift (und Fernrufnummer) eingetragen sind; diese Liste soll stets auf dem neuesten, besten Stand erhalten sein. Eine ver­ feinerte Abschrift davon soll in dieses Buch eingelegt werden; wel­ chen Wert dies hat, wird man im „Ernstfälle" ermessen lernen. Der Beamte tommt mit Gegenständen und Vorgängen, die für den Verlauf der Untersuchung von Wichtigkeit sind oder sein können, meist zuerst in Berührung, jedenfalls aber immer früher, als eine etwaige „Kommission" eintrifft. Es hängt daher meistens sehr von diesem ab, ob einem Vorgang Bedeutung beigelegt oder ein bestimmter Gegen­ stand in die Untersuchung miteinbezogen wird oder nicht. Es ist schon vieles verloren gegangen, weil der Beamte der Meinung war, daß daß ein bestimmter Gegenstand oder Vorgang mit der gegebenen Strafsache zweifellos nicht im Zusammenhang steht, weil an ihm nichts Auffälliges zu sehen war ob. dgl. Wie kann man aber im vorhinein mit gutem Gewissen sagen, ob etwas mit dem vorliegenden Fall „zweifellos nicht im Zusammenhänge" steht, oder wer tann mit gutem Gewissen gleich etwas beiseite tun, an dem nicht auf den ersten Blick „etwas Auffälliges" zu sehen ist? Die Merkmale sind oft klein Am Aufschlag des Rockes ein blondes, schwach rötlich schimmerndes Schnurrbart­ haar; am Kragen eine Anzahl blonder Kopfhaare; in den Taschen schwarze Tabakreste, Stückchen von Weißbrot, Pflanzenteile und eine Anzahl Tischschuppen; in einer Tasche befanden sich zwei Phosphorzündhölzchen, deren Köpfchen blau gefärbt waren, was sehr wenig vorkommt. Der stark ver­ schlissene und speckig beschmutzte Anzug war an mehreren Stellen nach allen Regeln her Kunst geflickt. Diese Befunde führten zur Aufstellung folgenden Steckbriefes: „Der Mörder hat blondes Haupthaar, sein Schnurrbart weist einen Stich ins Rötliche aus. Er ist Raucher starken Tabaks und die Flickarbeit weist darauf hin, daß er in der Hand­ habung von Nadel und Zwirn erfahren ist, doch nicht so, daß man ihn für einen perfekten Schneider erklären könnte. Wahrscheinlich hat er das Nähen in einer An­ stalt — Zuchthaus oder Arbeitshaus — erlernt. Die Reste von Weißbrot, Pflanzen und Fischen lassen auf einen Landstreicher schließen, der die erfochtenen Nahrungs­ mittel in der Tasche mitträgt. Die Angaben des Steckbriefes erwiesen sich als zutreffend; in zwei Herbergen von Köln fanden sich die Streichhölzchen mit blauem Kopf und nach zwei Tagen war der Mörder gefaßt.“ (Aus dem viel genannten „Handbuch für UntersuchungSrichter", Seite 281, Anmerkung).

und unbedeutend, ja mit freiem Auge bisweilen nicht mehr recht sichtbar und doch können seitens Sachverständiger oft folgenschwere Schlüsse daraus gezogen werden. Wenn man im Zweifel ist, ob etwas für den gegebenen Fall Bedeutung haben könnte, dann es vorläufig ^sicherstellen", kurz, für etwaige spätere Untersuchung festzuhalten suchen, oder wenn ein Sach­ verständiger zur Hand ist, ihn gleich darüber befragen, aber selbst endgültig und im verneinenden Sinne niemals entscheiden! Es ist eine alte Erfahrungstatsache, daß Sachverständige zur Lösung eines Falles, der bereits aussichtslos erschien, bisweilen An­ haltspunkte geben können, die allein eine Weiterführung der Unter­ suchung auf fester Grundlage, ja schließlich vielleicht sogar eine Über­ weisung des Täters ermöglichen. Voraussetzung dabei ist allerdings, daß man den Sachverständigen über alle, auch die kleinsten Neben­ umstände genau unterrichtet, daß man ihn zur richtigen Zeit frägt, d. h. nicht zu früh und nicht zu spät, nichts Unmögliches von ihm verlangt und — daß man auch den geeigneten Mann vor sich hat.

2. Besonderes. Im folgenden seien die hier wichtigsten Fragen: „Was nötig ist, um von dem Sachverständigen das Äußerste seines Könnens erwarten zu dürfen" einerseits und: „Welche Frage beispielsweise von Sachver­ ständigen beantwortet werden können" anderseits näher behandelt. A. Was ist nötig, um von einem Sachverständigen das Äußerste seines Könnens erwarten zu dürfen ? 1. Man muß ihn über alle, auch die kleinsten Neben­ umstände, selbst über das, was — wie man nur zu oft und gerne annimmt (um es los zu sein) — „mit dem. Sachverhalt zweifellos nicht im Zusammenhang steht", bis in alle Einzelheiten in Kenntnis setzen; so wird er wissen, was er zu tun hat. Damit man dies aber auch kann, muß man zuerst selbst klar sehen und den Tatbestand so genau als möglich erhoben haben; wie dies geschieht, darüber siehe insbesondere: „Allgemeine Anhaltspunkte zur Klarstellung des Sachverhaltes", Seite 27. 2. Man muß ihn zur richtigen Zeit fragen, also nicht zu früh und nicht zu spät, d. h. man muß zuerst selbst vollkommen im klaren sein, um zu wissen, wo es fehlt und was man ihn fragen soll: Kennt man sich selbst noch nicht aus, so hilft einem auch der beste Sach­ verständige nichts! Man soll ihn aber auch nicht zu spät fragen, weil der. Sachverständige, zur richtigen Zeit befragt, den Verlauf der Unter* suchung eine ganz andere Richtung geben kann; wann der richtige Zeitpunkt da ist, zu dem man den Sachverständigen fragen soll, läßt sich natürlich niemals im voraus sagen: Gewöhnlich wird es dann sein sollen, wenn man sich über den Sachverhalt bereits ein klares Bild gemacht hat und daher imstande ist, auch einen anderen genau zu unterrichten; früher kann man den Sachverständigen nicht fragen,. und frägt man ihn später, so ist es meistens schon irgendwie zu spät.

Hilfe durch Sachverständige.

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3. Man darf nicht Unmögliches von ihm verlangen, denn niemand kann übernatürliches leisten. Man darf z. B. einen Gegen­ stand, über den er Wichtiges aussagen soll, (z. B. ein blutbeflecktes Messer ob. dgl.), keinesfalls von Hand zu Hand gehen, („anschauen") lassen, bevor ihn der Sachverständige bekommt; der Sachverständige muß ihn womöglich aus erster Hand, d. h. möglichst unversehrt und so bald als nur möglich, d. h. womöglich unmittelbar nach der Sicherstellung bekommen. Man darf die Folgerungen, die der Sachverständige aus dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein ge­ wisser Vorgänge kraft seiner besonderen Kenntnisse zu ziehen imstande ist, nicht ins Äußerste treiben und den Sachverständigen keinesfalls gewaltsam zu Äußerungen drängen, zu denen er selbst niemals gelangt wäre und die auch niemand rechtfertigen könnte! 4. Man muß geeignete Sachverständige beiziehen; es gibt heutzutage fast für alle Fragen, die im Lause einer Untersuchung wichtig werden können, geschulte Sachverständige, also Fachmänner. Man !muß also Zunächst denjenigen heranziehen, der auf dem Gebiet Sachverständiger ist, in welches das' abzugebende Gutachten fallen soll. Unter den in Betracht Kommenden gibt es — wie überall so auch hier — zwei Gruppen: die einen nehmen es mit ihrer Aufgabe sehr genau, haben die nötigen Kenntnisse, erhalten sich mit den Fort­ schritten auf ihrem Gebiete im Laufenden, sind überaus gewissenhaft, kurz, sie leisten das Menschenmögliche; die anderen sind vielleicht auch gute Köpfe, aber schleuderhaft, wollen die aufgelaufene Arbeit so rasch als möglich erledigen, nur um wieder „reinen Tisch" zu haben; das geht dann natürlich auf Kosten der Gründlichkeit. Den in jeder Beziehung geeigneten Mann, der voll und ganz auf seinem Platze ist, für die Tat herauszufinden, soll auch Mitbestreben des gewissenhaften Beamten sein. B. Welche Fragen werden beispielsweise von Sachverständigen beantwortet werden können ? 1. £>b behauptete Krankheiten und Leiden auf Wahrheit beruhen (können); Näheres darüber Seite 74. 2. Ob — wie vielleicht behauptet — wirklich ein „Unfall“ vorliegt oder fremdes Verschulden gegeben sein kann; Näheres darüber siehe auch unter „Unfälle", Seite 29, ferner Seite 29, P. 11; Seite 175 ff. u. Seite 180 ff. 3. jOb eine bestimmte Verletzung mit der vorgewiesenen Waffe erzeugt worden sein kann oder nicht, wieso (vermutlich oder sicher) die Verletzung entstanden sein wird; Näheres darüber siehe auch im Abschnitt: „Gewaltsame Gesundheitsschädigungen und Todesarten", Seite 180. 4. Ob Verletzungen an Leichen gewaltsam beigebracht sein mußten oder konnten, oder wie sie sonst zu erklären sind; Näheres darüber siehe auch im Abschnitt „Leichenverletzungen", Seite 217. 5. Was sich aus den Eigenheiten der Zähne sagen läßt; Näheres darüber im Abschnitt „Jdentitätsfeststellung Unbekannter", Seite 59.

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Hilfe durch Sachverständige.

6. Welche Aufschlüsse die Punze geben kann, (z. B. ob der betref­ fende Gegenstand im In- oder Ausland erzeugt wurde usw., aus welchem Metall er besteht usw. usw.). 7. Ob Verunreinigungen, Staubteilchen ob. dgl., wie solche fast jedem Gegenstand änhaften, gewisse Vermutungen rechtfertigen oder gar beweisen, oder ob ein bestimmter Gegenstand mit einem andern in Berührung gekommen sein kann oder zweifellos gekommen ist. 8. Ob ein bestimmter Fleck von Blut herrührt, ob ein Fleck Mensch en blut ist, wie alt er ist und aus welcher Körper stelle das Blut, das ihn erzeugte, vermutlich gekommen sein wird; Näheres darüber siehe auch im Abschnitt „Blutspuren", Seite 132. 9. Ob haarähnliche Fäden wirklich Haare sind, ob sie kürz­ lich oder schon seit längerer Zeit geschnitten, ob sie ausgefallen, ausgerissen oder (z. B. anläßlich einer Verletzung wie bei Kopf­ wunden) zerquetscht wurden, ob sie natürliche Farbe haben oder gefärbt sind, ob die Haare und damit der Körper des Betreffenden längere Zeit in stark riechender Umgebung waren; Näheres darüber siehe auch Seite 66. 10. Ob zwei oder mehrere Gegenstände zuverlässig von der­ selben Beschaffenheit sind oder ob dies bestimmt nicht der Fall ist, (z. B. bei einer Strafsache wurde etwas verwendet, was sich auch im Besitz des Verdächtigten vorfindet, ein Stück Zündschnur, ein Brief­ papier, ein Stück Zeitungspapier, vermutlich vom selben Blatt stammend usw.). 11. Ob etwas wirklich Gift ist, welches Gift es ist und wie es auf den Körper wirkt; Näheres darüber siehe auch im Abschnitt „T o d durch Vergiftung", Seite 197 und „Erste Hilfeleistung bei Vergiftungen", Seite 237ff. 12. Ob ein bestimmtes Schriftstück irgendwie gefälscht wurde, ob es Geheimschrift (chiffriert) ist oder sein kann, und was es beinhaltet; Näheres darüber siehe auch im Abschnitt über „Urkunden­ fälschungen", Seite 170 und „Geheimschriften und deren Entziffern", Seite 139. 13. Welchen Veränderungen ein Gegenstand durch Zeitablauf, durch gewöhnliche oder außergewöhnliche Abnützung, durch Ein­ wirkung der Witterungsverhältnisse, sonstiger Natur- und mechani­ scher Kräfte usw. unterworfen ist; Näheres darüber im Abschnitt über Spuren, Seite 117, 125 u. 132. 14. Ob und welche Hilfe die Photographie zu leisten imstande ist; Näheres darüber siehe im Abschnitt „Die Photographie im Dienste der Kriminalistik", Seite 70. 15. Ob eine Fußspur bestimmt mit dem vorgewiesenen Schuh erzeugt worden ist oder nicht, welche Schlüsse sich aus der fachmän­ nischen Begutachtung mehrerer solcher Fußspuren („Gangbild") ziehen lassen, (z. B. ob die betreffende Person plattfüßig, o- oder x-beinig, klein, groß, gesund bei .Fuß oder leidend gewesen sein muß; Näheres darüber siehe auch im Abschnitt „Fußspuren", Seite 117.

Hilfe durch Sachverständige.

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16. Ob am Tatorte Zurückgelassenes (z. B. menschlicher Kot, bestimmte eigenartige Zeichen, sonstige Gegenstände usw.) einen Schluß auf die Person des Täters zuläßt und wenn, welchen; Näheres darüber siehe auch im Abschnitt „Aberglaube", Seite 88 und Seite 85. Diese Aufzählungen ließen sich wohl weiter fortsetzen, würden aber nie vollständig werden. Zweck dieser Ausstellung ist ja nur, zu zeigen, daß der Sachverständige auf allen Gebieten verwendet werden kann und soll und daß er überall dort gefragt werden muß, wo etwas nicht einwandfrei feststeht und noch eine zweite oder zehnte Möglich­ keit offen bleibt. Die sichere Beantwortung solcher und ähnlicher Fragen, wie sie im vorstehenden zusammengestellt sind, werden einer Untersuchung oft mit einem Schlag eine ganz andere, d. h. richtige Wendung geben; es mag daraus ersehen werden, welche meist unschätzbare Bedeu­ tung dem Gutachten von Sachverständigen zukommt. Welche Sachverständige für den einzelnen Fall in Betracht kommen und daher beigezogen werden sollen, hat fast ausnahmslos der Jurist zu entscheiden; um aber auch dem nicht rechtskundigen Be­ amten den nötigen Fingerzeig zu geben, ist dies bei den betreffenden Abschnitten des Besonderen Teiles stets angeführt.

Besonderer Teil.

W. Polzer, Krimtnaldieust.

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Personsbeschreibung.

l. Besondere Kenntnisse. 6. Abschnitt.

Grundzüge der Identttätsfeststellung und Verwandtes. 1. Persortsbeschreibimg. Die Erfahrungstatsache, daß leider nur in sehr wenigen Fällen brauchbare, d. h. möglichst vollständige und verläßliche Beschreibungen von in Betracht kommenden Personen (und Gegenständen) ausgenom­ men werden, rechtfertigt, ja fordert es, daß in diesem „Handbuch" auch dafür Richtlinien zu finden seien. Der Wert des Portrait park (— gesprochenes Bild) gewinnt immer mehr an Bedeutung, da man auch in maßgebenden Kreisen nach und nach endlich einsehen lernt, welch unschätzbare Vorteile es für den Kriminaldienst hat, eine Person so beschreiben zu können, daß man sie — vorausgesetzt, daß das Bezeichnende gut auswendig gelernt wurde — daraufhin aus Tausenden von Menschen herauszufinden vermag. Um eine solche brauchbare Personsbeschreibung zu liefern, ist es aber nötig, daß man auf alle Einzelheiten, Eigenheiten, welche der mensch­ liche Körper, besonders der Kopf, dem Beschauer bietet, sorgfältigst eingeht; so wurde dieser Abschnitt über Personsbeschreibung im wesent­ lichen mit Zugrundelegung der anerkannt vorzüglichen ReißSchneicker t schen „Signalementslehre"*) gearbeitet und daraus soviel und in derartiger Zusammenstellung entlehnt, als hier eben nötig ist. Bei Aufnahme von Personsbeschreibungen werden nach Möglich­ keit folgende Fragen zu beantworten sein: 1. Familienname (Bei Frauen auch Geburts- (Mädchen-)Name. 2. Vorname (— Zuname; bei zwei oder mehreren ist der gebräuchliche Rufname zu unterstreichen). 3. Beruf (Ständiger, gegenwärtiger [= aushilfsweiserj). 4. Ort der Ausübung des Berufes (Gegenwärtiger, seit wann hier?; früherer, von wo nttb warum hieher gekommen?). 6. Vorgesetzte Stelle (In wessen Diensten?). 6. Geboren am (Tag, Monat, Jahr) in Bezirk Kreis Land 7. Stand (Ledig, verheiratet, verwitwet, geschieden, getrennt). *) Reiß-Sch neiciert, „Signalementslehre*, München 1908, I. Schweitzer Verlag; Neubearbeitung in Vorbereitung.

Personsbeschreibung.

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8. Wohnung (Gegenwärtige, vermutete; vorhergehende,.... seit.... bis....). 9. Größe (Womöglich in cm anzugeben, sonst durch Vergleich mit um­ stehenden Personen möglichst genau festzustellen trachten; sehr ileitt — 1.40—1.52 m, klein — 1.53—1.58 m, mittel — 1.59—1.70 m, groß — 1.71—1.76 m, sehr groß — 1.77 bis 1.89 m). 10. Gestalt (Schwächlich, schlank, untersetzt, kräftig, stark). 11. Haar 1. Haarbeschaffenheit (aufgestellt, gewellt, gelockt, ge­ kräuselt). 2. Haaransatz (— Form des Haarsaumes auf Stirne und Schläfen), sichelförmig, rechtwinkelig, spitzwinkelig sogen. „Weisheitsecken". 3. Haar fülle (spärliches, dichtes Haar); Stirnglatze — sogen, hohe Stirn; Scheitelglatze — die Glatze liegt auf dem Scheitel, Wirbel; volle Glatze. 4. Haarfarbe (verschiedene Abstufungen von) blond, braun, rot; schwarz, weiß. 12. Bart 1. Farbe 2. Form (— Tracht) 3. Fülle. 13. Gesicht 1. Farbe 2. Form (kreisrund, viereckig, rechteckig, länglich, pyramiden­ förmig [= Unterkiefer breit, Schädelspitze klein); Gegensatz: kreiselförmig, rauten- oder karoförmig, hervorstehende oder eingefallene Schläfen bzw. Jochbeine, breite und enge Kie­ fer; verschoben) 3. Fülle (volles, sogen. Vollmondgesicht, Gegensatz: knochiges Gesicht. 14. Stirne (Hoch, niedrig, zurückweichend, senkrecht, vorstehend [= gewölbt)). 15. Auge 1. Farbe 2. Größe a) Größe des „Augenschlitzes" (je nachdem, vb die Iris ganz oder nur teilweise sichtbar ist), b) Neigung desselben (gerade, schräg), c) Besonderheiten (z. B. links oder rechts oder beiderseits ein- oder auswärts schielend, sichtlich getrübtes, blut­ unterlaufenes Auge, überhängendes Oberlid, sackförmiges Unterlid usw.).

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Personsbeschreibung. 16. Augenbrauen 1. Lage (nahe beisammen, weit getrennt, dem Augapfel sehr nahe [= niedrig), von ihm weit entfernt [= Hochs) 2. Form (bogenförmig, geradlinig, wellenförmig) 3. Größe (kurz, lang, schmal, breit) 4. Richtung (schief gestellt) 5. Besonderheiten (schwacher und dichter Haarbesatz, zu­ sammengewachsene, bürsten- oder pinselförmige Augen­ brauen). 17. Nase (Klein, mittel, groß, dick, schmal, breit, eingedrückt, geradlinig, wellenförmig, Stumpf-, Adler-, höckerige Nase). 18. Ohren 1. Größe (klein, mittel, groß) 2. Form (dreieckig, rechteckig, eiförmig, rund) 3. Ab st and vom Kopf (ganz anliegend, gewöhnlich, sehr ab­ stehend) 4. Ohrläppchen (freihängend, angewachsen, durchlocht). 19. Mund 1. Größe (sehr klein, gewöhnlich, sehr groß) 2. Mundöffnung (zusammengekniffener, offenstehender Mund) 3. Besonderheiten a) (links oder rechts oder auf beiden Seiten) herunter­ hängende, aufwärtsgehende Mundwinkel, b) nach rechts oder links schräger Mund, c) sichtbare bloß untere, bloß obere, oder obere und untere Schneidezähne 4. Mundfalten. 20. Zähne (Auffallend groß oder klein; in einer Reihe, überwachsen oder schräg zueinander gestellt; vollständig oder fund wo?) lückenhaft). 21. Kinn (Zurückweichend, senkrecht, vorspringend; spitz, breit, Doppel­ kinn, Kinngrübchen, Kinnfalte). 22. Hände und Füße (Wenn besonders groß oder klein). 23. Gang und Haltung (Wenn besonders auffallend). 24. Sprache (Mundart, Dialekt, mit merklich fremder Betonung und Aus­ sprache sz. B. mit böhmischem Einschlag), stotternd, lispelnd, auffallend tiefe oder hohe Stimme). 25. Tätowierungen (Zunächst solche, die trotz Bekleidung auffallen, also auf Finger, Hand, Rücken, Handgelenk, Unterarm; dann womöglich auch die durch die Bekleidung verdeckten; die Körperstelle, auf wel­ cher die Tätowierung vorhanden ist, muß genau angegeben, die Zeichnung selbst möglichst genau wenigstens beschrieben werden).

Personsbeschreibung. — Daktyloskopie

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26. Besondere Kennzeichen (Ins Auge fallende Eigenheiten: Z. B. X- oder O-Beine, Ver­ krüppelungen, Buckel, auffallend hervortretende Stirn-, Äugen-, Mundfalten, Warzen, Narben, Leberflecke, Muttermale, Augengläser, Zwicker usw.). 27. Bekleidung 1. Bei der Tat 2. Überhaupt im Besitz des Betreffenden befindlich 3. Ob er (durch Geld, Begünstigung von Verwandten, Be­ kannten usw.) die Möglichkeit hatte, sich auch anders zu kleiden. 28. Unterschrift desjenigen, der die Personsbeschreibung ausge­ nommen hat, mit Beisetzung des Tages und Ortes der Aufnahme. Nicht zu vergessen ist, daß Körpergröße und Gestalt, Haar- und Bartfarbe (Perücken!), Gang, Haltung, Sprache und auch die sog. besondern Kennzeichen, ja selbst Gesicht, Augenform und -Farbe zu Täuschungszwecken verändert werden können. Es sei gestattet, gleich auch an dieser Stelle anzuführen, was über zu sagen ist. Sachbeschreibung

Da Gegenstände, welche in strafrechtlicher Beziehung wichtig werden können, erschöpfend nicht aufzuzählen sind, Vorlagen für gute, d. h. vollständige Sachbeschreibungen im vorhinein daher nicht gegeben werden können, es aber dennoch und zwar auf besonders genaues Vor­ gehen ankommt, erübrigt nur, sich an den Einen immer wieder bewährten und anwendbaren Grundsatz zu halten: Man denke sich, man müsse den betreffenden Gegenstand zeichnen und malen — so ist man von selbst gezwungen auf alle Einzelheiten einzu­ gehen und kann daher Wesentliches nicht übersehen.

2. Daktyloskopie. Im nachstehenden sei auch das daktyloskopische Verfahren erörtert, ein Verfahren, das sich wegen seiner Einfachheit und Zweckmäßigkeit derzeit schon fast allgemein im polizeilichen Erkennungsdienste einge­ bürgert und damit das anthropometrische Verfahren, die sog. Bertillonage, überholt hat. Die Innenseite der Fingerspitzen zeigt eigenartig ver­ laufende Linien, die sog. Papillarlinien, die in vier Grund­ formen eingeteilt werden. Der Wert des daktyloskopischen Verfahrens beruht auf der durch eingehende Forschungen gewordenen Tatsache, daß es nicht zwei Finger gibt, deren Papillarlinien in allen Punkten übereinstimmen — eine Tatsache, welche heutzutage auch nicht mehr angezweifelt wird. Weil nun diese Linien samt ihren Einzelheiten während des ganzen Lebens in allen Einzelheiten unverändert bleiben und sich erst mit der Zersetzung der Haut nach dem Tode verlieren, kommt ihnen für den Identitätsnachweis so grundlegende Bedeutung zu.

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Daktyloskopische Aufnahmen.

Praktisch wichtig ist die Frage: A. Wie werden Fingerabdrücke ausgenommen? Diesfalls ist zu unterscheiden, ob sie von der H an d der betreffenden Person (Verhafteter, Leiche) oder als bereits auf einem Gegenstand oder dergleichen erzeugte Abdrücke ausgenommen werden sollen.

1. Uas Aufnehmen der Fingerabdrucke von der Hand. In den Erkennungsämtern der Polizeibehörden geschieht dies mit Zuhilfenahme einer Metallplatte, auf welche Druckerschwärze in dünner Schichte aufgetragen und mit einer Gummiwalze gleichmäßig verteilt ist. Die einzelnen Finger werden in feststehender Reihenfolge (zuerst rechte Hand: Rechter Daumen, — Zeige-, — Mittel-, — Ring-, — Kleinfinger, dann ebenso linke Hand, schließlich gleichzeitiger Abdruck der dreigliedrigen Finger der rechten, sohin der linken Hand) auf dieser Farbschichte leicht gewälzt und dann die mit diesem Farbstoff behafteten Fingerkuppen ebenso auf die daneben liegende Fingerabdruckkarte übertragen. Im Notfall, d. h. wenn diese Behelfe aus irgend welchen Gründen nicht zur Hand wären, kann auch verwendet werden: 1. Eine reine, glatte, erwärmte Glas- oder Metallplatte, 2. Eine berußte Glas- oder Metallplatte, 3. Etwas Fett oder flüssiger Farbstoff, (z. B. Tinte, Kaffee, auch Ölfarbe oder dergleichen), womit die Fingerkuppen leicht ein­ gerieben bzw. bestrichen werden, 4. Auch Wachs, feiner Lehm, Teig, Staniolpapier. 2. Das Abnehmen der auf einem Gegenstand od. dgl. zurück­ gebliebenen Fingerabdrücke. Dies geschieht sehr einfach z. B.nach dem Verfahren von Schnei­ der (Wien) oder Rubner (München); Näheres Seite 32. Alle diese Verlahrensarten sollen schon bei Zeiten versucht werden, um gegebenenfalls sicher vorgehen zu können. Schließlich sei noch erwähnt, daß für den Fall, als _eine (z. B. blutige) Fingerabdruckspur etwa auf dem Körper einer Leiche vor­ handen wäre, der Arzt darauf aufmerksam zu machen ist, der die be­ treffende Hautstelle abzupräparieren haben wird.

B. Wer ist daktyloskopisch aufzunehmen? Nicht selten kommt diesfalls ein Verstoß vor, d. h. es werden Leute ins Verbrecheralbum eingereiht, die nicht hineingehören, dagegen Verbrecher, die daktyloskopiert werden müssen, nicht ausgenommen. Die Schuld dieser verschiedenen Behandlung liegt fast ausnahms­ los an dem den Häftling beamtshandelnden Beamten: Die Vorerhe­ bungen lassen sich anfangs mitunter anders an, für den einen scheint das Ergebnis augenblicklich schlechter, für den andern besser zu werden — so wird nicht selten eine dann ungerechtfertigte Verfügung getroffen. Um Mißgriffe und Irrungen auszuschalten, gelte als Grundsatz: Die Vorerhebungen so genau als möglich durchführen und ja keine Übereilung! Wer dabei eines Verbrechens oder Vergehens über­ wiesen ist, ist daktyloskopisch aufzunehmen.

Jdentitätsfeststellung Unbekannter.

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Identitätsfeststellung Unbekannter. Allgemeines. Es dürste ziemlich allgemein bekannt sein, daß die berufsmäßige Ausübung ein und derselben Beschäftigung am Körper des Be­ treffenden im Laufe der Zeit gewisse eigenartige Merkmale, mitunter auch Färbungen und narbenähnliche Veränderungen erzeugt. Diese Merkmale sind fast immer ein untrügliches und daher höchst wertvolles Mittel zu Feststellung der Wesensgleichheit bei Lebenden sowohl wie bei Toten; deren Kenntnis ist daher für den Kriminalbeamten von be­ sonderer Wichtigkeit. Außer diesen Kennzeichen gibt es auch noch andere beson­ dere Merkmale, die ziemlich häufig Vorkommen und einen nahezu sicheren Rückschluß vor allem auf den Beruf des Trägers gestatten. Es wird wiederholt Vorkommen, daß Verhaftete, deren Identi­ tät noch nicht festgestellt ist, jede Auskunft darüber hartnäckig ver­ weigern oder Angaben machen, die nicht der Wahrheit entsprechen; Ursache dieses Verhaltens bei solchen Leuten ist wohl fast ausschließlich die, daß sie zweifellos „viel auf dem Kerbholz haben" und nun auf gut Glück versuchen, die Behörde über ihre Person im unklaren zu halten oder gar auf Irrwege zu führen, um womöglich „mangels weiteren Haftgrundes" wieder in Freiheit zu kommen. Es wird sich auch öfter ereignen, daß Leichen gefunden werden, deren Identität überprüft oder gar erst festgestellt werden soll. Auch bei genauem Besichtigen der Kleidung und ihres Inhaltes wird sich nicht selten mancher Fingerzeig ergeben. In solchen Fällen heißt es nun, alle Anhaltspunkte, welche Körper und Kleidung des Unbekannten bieten, suchen und verwerten. Im folgenden ist alles zusammengetrag'en, was diesfalls von Bedeutung sein könnte. Das Vorgehen bei Jdentitätsfeststellung ist bei Lebenden und bei Toten in vielen Punkten gemeinsam; es ist daher zunächst das diesfalls Gemeinsame behandelt und dann das bei L^enden und schließlich bei Leichen erörtert. Es sei ausdrücklich betont, daß solche Erhebungen so sorgfältig als nur möglich gemacht werden müssen; geschieht dies, dann werden sie wohl auch fast immer von Erfolg begleitet sein.

Besonderes. 1. Gemeinsames betreffend die Jdentitätsfeststellung unbekannter Lebender und Toter. 1. Genaueste Personsdurchsuchung, (vgl. dazu auch den besondern Abschnitt auf Seite 34) und zwar: a) Die Kleidertaschen nach allem, was Anhaltspunkte bieten kann, insbesondere nach etwaigen Ausweispapieren, Anschrif­ ten, Vermerken oder dergleichen durchsuchen und diese Schriftstücke?) ’) Falls sie kaum lesbar wären, kann durch geschicktes Photographieren sehr ost der Text entziffert werden.

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Identitätsfeststellung Unbekannter.

nach Möglichkeit verwerten, d. h. deren Echtheit, Verhältnis zum Träger usw. feststellen; vgl. auch den Abschnitt „Urkunden­ fälschung", Seite 170 und Geheimschriften und deren Entziffern", Seite 139. b) Kleidungsstücke absuchen und zwar: aa) nach sog. „Märken" und Namensanfangsbuchstaben auf Taschentüchern, Unterwäsche, Mantelinnenseite usw., ferner bb) nach etwaigen Firmenadressen (meist auf einem finger­ langen als „Aufhänger" oder „Schlupfen" angenähten Bändchen oder Stoffleckchen oder an der Innenseite von Halsbinden, Krägen, Man­ schetten, Hüten usw. ersichtlich), cc) nach sog. „Wäscherzeichen", d. h. einzelnen Buchstaben mit danebenstehender Zahl oder letzteren allein. Kleidungsstücke namentlich dort, wo der Stoff doppelt liegt oder unterfüttert ist, sorgfältig abgreifen, da Gegenstände, die mög­ licherweise einen Anhaltspunkt liefern, auch eingenäht sein können, dd) wenn augenblicklich trotzdem kein Anhaltspunkt aus der Kleidung entnommen werden kann, dann diese für Sachver­ ständige sicherstellen, die aus dem Kleiderstaub und den wulst­ artigen Ansammlungen, wie sich solche zwischen Stoff und Futter int Laufe der Zeit bilden, sehr oft wichtige Schlüsse ziehen können; Nähe­ res darüber siehe im Abschnitt „Sachverständige", Seite 42. ee) nach etwaigen Schmucksachen oder sonstigen (Gebrauchs-) Gegenständen, auch Waffen^) usw., da sie einen Anhaltspunkt für die Jdentitätsfeststellung bieten können, (wie z. B. gravierte, vielleicht noch besonders gestaltete Ringe, Anhängsel mit Photographien, Rauch­ zeugbehälter mit Namenszug, Widmungen, Wappen/) Taschenuhren)/) ff) Falls im Besitze des Betreffenden absonderliche Gegen­ stände gefunden würden, welche die Annahme rechtfertigen, daß der Inhaber abergläubisch ist, siehe Näheres im Abschnitt: „Aber­ glaube", Seite 88. 2. Kleidung und Äußeres des Betreffenden dahin vergleichen, ob die Kleidung zum Äußeren ..paßt“ und zwar hinsichtlich ihrer Beschaffenheit (Kleidung nach Maß oder sichtlich fertiggekaufte, die nicht so gut „sitzt"), ob neu oder schon (stark) getragen und abgenützt •) Über Waffen wird der nächste Waffenhändler oder sonstige Sachverständige Näheres anzugeben wissen. *) Über Wappen werden selbst in einem kleinen Orte z. B. Lehrkräfte, Buch­ händler zum mindesten Mittel und Wege toi fett, wie der Inhaber dieses Wappens der weiter zu befragen sein wird, in Erfahrung gebracht werden kann; vgl. auch das Seite 37 Gesagte. — „Ter deutsche Herold" (Berlin 1917, 48. Jahrg, S. 109) brachte von Ed. v. Liszt eine sehr sinnreiche und äußerst einfache „Gedächtnishilfe für die heraldischen Bezeichnungen der Wappenfarben", die wörtlich hier über­ nommen sei: „Wiederholt macht Hans Groß auf die Wichtigkeit heraldischer Kenntnisse des Untersuchungsrichters aufmerksam. Ein wunder Punkt betreffs dieser pflegt erfahrungsgemäß die Bezeichnung der einzelnen Wappenfarben in Skulptur und ein­ farbigem Druck zu sein, da viele nicht imstande sind, sich die diesfalls üblichen Schraffierungen zu merken. Solchen glaube ich in der folgenden kleinen Tabelle eine untrügliche Gedächtnishilfe bieten zu können.

Jdentitätsfeststellung Unbekannter.

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usw. Nicht vergessen, daß diesfalls auch absichtliche Verwechs­ lungen Vorkommen können: Der Lebende kleidet sich besser oder schlech­ ter, dem Toten -können die Kleider und damit auch etwaige drin-

B l a u ist der ruhige See, dessen Spiegel eine wagrechte Fläche bildet.

Rot ist das Feuer, das senkrecht aufwärts brennt.

Der Fluß ist als geradeaus in der Richtung der fließenden Schrift') fließend zu denken. Im grünen Wassersall X stürzt er dann in gleicher Richtung schräg ab.

Die purpurnen Strahlen der aufgehenden Sonne fallen von Osten nach Westen zu schräg auf die Erde herab.

Die dunkelste Farbe wird am dunkelsten dargestellt.

Die lichteste Farbe wird am lichtesten dargestellt.

Gold kommt in Körnern vor." *) Man könnt- auch sagen „von links nach rechts". Doch daS könnte zu Minvernändntssen i-gro. Irr ümer.i führen, da e« vom Standpunkt- fce* Beschauer» aus gemeint ist, der Hermdiker aber vom gegenteiligen Standpunkt aus zu svrechen pflegt.

*) Aus der Marke,Fabriknummer und auch vielleicht etwaigen Rep arat Ur­ zeichen können Uhrmacher ost sehr wichtige Ausschlüsse geben.

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Berufsmerkmale an den Händen.

gewesene Ausweispapiere gestohlen oder ausgetauscht worden sein (Grund: Bereicherung oder Aberglaube oder Irreführung des Täters usw.). 3. Untersuchung des Körpers nach etwaigen ..Besonderen Kenn­ zeichen“. Solche sind: Berufsmerkmale, Narben, Tätowierungen und sonstige Merkmale.

1. Berufsmerkmale an den Händen. aa) Eigenartige durch den Beruf bedingte Verfär­ bungen der Hände. Wenn wir zunächst die Hände einer Person betrachten, werden wir die schwere, rauhe Hand des gewöhnlichen Arbeiters wohl sofort von der weichen, gepflegten Hand des Städters, der hauptsächlich geistig schafft, unterscheiden können. Die sichere An­ gabe, ob ein Mensch diesem oder jenem Stande angehört, kann unter Umständen schon von großer Wichtigkeit sein. Es gibt aber noch weitere verläßliche Unterscheidungen (aus Hofr. Kratters „Lehrbuch der gerichtl. Medizin", Seite 40ff.): 1. „Weiß verfärbt sind die Hände des Müllers, Bäckers, Kalk-, Zink- und Bleiweißarbeiters, 2. Blau verfärbt die des Färbers, 3. Schwarz verfärbt die des Kohlenarbeiters, Kessel­ heizers, Schmiedes und Schlossers, 4. Rot und grün sind die Hände des Anstreichers, Malers und Arbeiters in Farbenfabriken, 5. Braun und gelb verfärbt die Fingerspitzen und Nägel 6) bei Gerbern und Kunsttischlern." bb) Eigenartige H aut v erd ick u n g e n, „Berufs­ schwiele n". Das berufsmäßige Ausüben einer bestimmten Beschäftigung er­ zeugt im Laufe der Zeit eigenartige Hautverdickungen, Berufsschwie­ len, die meist schon mit freiem Auge deutlich sichtbar (und auch fühlbar) sind, besonders aber hervortreten, wenn die betreffende Körperstelle photographiert wird. Dazu nur einige Beispiele: „Bei Schmieden, Schlossern, Tischlern, Zimmerleuten, Gerbern und Lederzurichtern finden sich solche Schwielen in der rechten Hohl­ hand ; an den Fingern der rechten Hand bei Bürstenbindern, Stein­ klopfern, Schriftsetzern, Schustern, Schneidern, Uhrmachern und Drechslern; an den Fingern der linken Hand bei Graveuren, Modellierern, Malern, Schlossern, Drechslern, Korbmachern, Schnei­ dern und Näherinnen; an beiden Händen bei Webern, Borten­ machern, Hutmachern, Seilern, Wäscherinnen und Pcrlmutterarbeitern. Neben Schwielen und russiger Verfärbung der Hände finden sich bei allen Feuerarbeitern, also Grubenschmieden, Zeugschmieden, Schlossern, bei Steinbrechern, Steinmetzen und Steinklopfern oft auch bei Maurern kleine Narben an der Haut des Handrückens •) Zigarettenrauchern ähnlich.

Berufsmerkmale an den Zähnen.

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und der Vorderarme, von Verletzungen herrührend, welche absprin­ gende Eisen- und Steinteilchen erzeugen. Wer täglich stundenlang schreibt oder zeichnet, bekommt dort, wo Feder oder Bleistift andrückt, (gewöhnlich rechter Mittel­ finger, erstes Glied cm der dem Zeigefinger zugekehrten Seite) eine kuppelartige Hautverdickung. Wer beruflich mit der Schere um­ geht, hat an der äußeren Seite der Finger der betreffenden Hand (je nachdem er Rechts- oder Linkshänder ist) eine eigenartige Haut­ verdickung: wer mit der Hand näht, hat die linken Fingerspitzen zerstochen, usw. usw.

2. Berufsmerkmale an den Zähnen.7) Gewerbetreibende, welche sich angewöhnt haben, bei Aus­ übung ihres Berufes die Zähne irgendwie mithelfen zu lassen oder zu benützen, wie" Schuster, Tapezierer, Schneider, Mo­ distinnen, Glasbläser und Personen, welche die Gewohnheit haben, mit dem Bleistift in den Vorderzähnen zu bohren, bekommen dadurch im Laufe der Zeit an den Vorderzähnen bezeichnende Zahnmasse-Ver­ luste. Mit Hilfe der im folgenden gegebenen Anleitungen, welche noch durch entsprechende Abbildungen erläutert sind, wird es vorkommenden­ falls wohl immer möglich sein, den Beruf der betreffenden Person zum mindesten mit ziemlicher Sicherheit festzustellen; die Entschei­ dung liegt allerdings beim Arzt. aa) Schuster. Zum Spannen des Leders über den Schuhleisten sowie zum nageln der Schuhabsätze verwenden die Schuster Nägel und Draht­ stifte verschiedener Größen, von welchen sie stets eine ziemliche An­ zahl vor dem Gebrauch in den Mund geben, welcher als' Nagelvorratskammer dient. Je nachdem ein Nagel oder Drahtstift erforderlich, wird durch die Zunge — bei welcher das Tast­ gefühl besonders ausgeprägt sein muß — der Nagel oder der Drahtstift zwischen die Schneide­ flächen der Schneidezähne geschoben und dort festgehalten, bis er mit den Fingern oder mit der Zange gepackt, seinem Bestimmungsorte zu­ geführt und zweckentsprechend verwendet wird. Bild 2. Deshalb sind bei allen Schustern, welche ihr Gewerbe auf diese Weise ausüben, an den Schneidezähnen für gewöhnlich grobschartige Kanten zu sehen. Nur wenn die Nägel immerwährend durch die aneinanderstoßenden Ecken der oberen, inneren Schneidezähne geschoben werden, entstehen daselbst — der Widerstandsfähigkeit des Zahnschmelzes entsprechend — durch Reibung und Druck halbkreisförmige Zahnmasseverluste, welche vom Kopfteile des Nagels herrühren, während die aneinander*) Im wesentlichen meinem im „Archiv für Kriminalanthropologie und Kriminalist»!", Bd. 48, veröffentlichten Aussatze entnommen.

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Berufsmerkmale an den Zähnen.

stoßenden Ecken der unteren, inneren Schneidezähne, dem Stiftteile des Nagels entsprechend, rinnenförmig ausgeschliffen sind (Bild 2). bb) Tapezierer. Fast alle Arbeiten bei diesem Gewerbe wer­ den genagelt. Um rascher arbeiten zu können, nehmen die Arbeiter aus dem Nagelbehälter soviele Nägel, als sie mit den vier Fingerspitzen einer Hand auf einmal fassen können, heraus und geben diese in den Mund, welcher während der Arbeit als Nagelvorratskammer benützt wird. Aus dieser werden die Nägel einzeln mit Hilfe der Zunge in derselben Weise, wie es die Schuster machen, zwischen die Schneidekanten Bild s. der Vorderzähne geschoben und dort bis zur Verwendung festgehalten (Bild 3). cc) Glasbläser. Diese verwenden, um die ausgeschöpfte, zähflüssige Glasmasse in eine geeignete Form zu bringen, zum Aufblasen ein langes, eisernes mit messingnem Mundstück versehenes Rohr, „Pfeife" genannt, wel­ ches zwischen Lippen und Zähne genommen und während des Blasens gedreht wird. Dadurch entstehen infolge beständiger Reibung und beständigen Druckes der sog. Pfeife an den mittleren Flächen der oberen großen Schneidezähne und den entgegengesetzten unteren Schneide­ zähnen eigenartige Abnützungsformen (Bild 4 und 5).

Blld 4.

Bild 6.

dd) Schneider(innen), Modistinnen usw., kurz Leute, welche berufsmäßig mit der Nähnadel zu tun haben. Bei diesen sieht man an den Schneideflächen der Schneidezähne, je nachdem der Arbeiter rechts- oder linkshändig ist, von links nach rechts oder umgekehrt schräg verlaufende Schliff­ flächen oder in der Mitte der Schneidekante längs der Schneidefläche verlaufende schlitzför­ mige Einschnitte (Bild 6). Ursache: Die meisten dem Schneidergewerbe angehörigen Arbeiter und Arbeiterinnen reißen den Faden, bevor sie ihn durch die Ose der Nadel führen, an den n ab.

Berufsmerkmale an den Zähnen.

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ee) Lehrer und Zeichner usw. Bei diesen finden sich ebenfalls Berufsmerkmale an ihren Bor­ derzähnen, nämlich bogenförmige Zahnmasseverluste, wenn sie die Gewohnheit haben, den Bleistift zwischen den Zähnen zu drehen, ff) Zuckerbäcker. Der Zahnfraß, von dem alle Zuckerbäcker befallen werden, ist in seiner Form derartig kennzeichnend, daß das Vorhandensein solcher ausgefressener Zähne (Bild 7) fast mit Gewiß­ heit die Behauptung rechtfertigt, daß der Betref­ fende dem Zuckerbäckergewerbe angehört. Der Zahnfraß beginnt am Zahn­ fleischrand, breitet sich rasch aus und kann auch auf Zahnwurzel übergreifen. Ganz beson­ ders sind die oberen, inneren Schneidezähne er­ griffen, wo nach der baldigen Zerstörung des Zahnschmelzes das freiliegende Zahnbein sofort eine braune oder schwarze Farbe annimmt. Ursache: Der in der Luft befindliche „Zuckerstaub", der während der Arbeit von den Zuckerbäckern eingeatmet, in die Mund­ höhle gelangt und an den Zähnen sich ablagert.b) gg) Bei Arbeitern, die in chemischen Betrieben beschäftigt sind und zwar in Arbeitsräu­ men, in denen Salzsäure er- x' zeugt wird, ist ein kennzeich­ nendes Berufsmerkmal an den Zähnen festzustellen: Abster­ ben der Zähne durch Säure­ einwirkung (Bild 8). Bild 8. Bild 8 rührt von einem Arb ei­ ter her, bei dem, obgleich er bloß ein halbes Jahr bei den Sulfatöfen beschäftigt war, doch schon vom linken, obern großen Schneidezahn nur mehr morsche Reste vor­ handen waren. Rach mehrwöchiger Tätigkeit in solchen Arbeitsräumen bemerken die Arbeiter an ihren unteren und oberen mittleren Schneidezähnen bräunliche Flecken. Die Zähne verlieren den schönen Glanz, welcher gesunden Zähnen eigen ist. Die Oberfläche wird rauh, die Zerstörung nimmt von Monat zu Monat derart rasch zu, daß nach zwei bis drei Jahren von den Kronen der Zähne keine Spur mehr vorhanden ist. Natürlich sind die Vorderzähne die ersten Opfer, weil sie durch ihre Lage und Stellung den schädlichen Einflüssen am ehesten ausgesetzt sind. Außer den bräunlichen Flecken an den Zähnen bemerkt man, daß vom Zahnschmelz des rechten, obern inneren Schneidezahnes nur noch Spuren vorhanden sind. Das größtenteils freiliegende Zahnbein erscheint von den noch vorhandenen Schmelzresten wie eingerahmt. *) Der Zuckerstaub greift die Zähne nicht unmittelbar an, sondern erst die durch Gärung des Zuckers sich bildende „Säuret, welche die Zähne entkalkt.

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Berufsmerkmale an den Zähnen.

Die Oberfläche des Zahnbeines ist bräunlich verfärbt, uneben, feinkörnig; der linke, obere, innere Schneidezahn ist verkürzt, am Halsteile ein kleiner Rest glanzlosen, verfärbten, dünnen Schmelzes. Das vom Schmelz entblößte Zahnbein ist zerklüftet und von morschem Aussehen. Beide großen Schneide­ zähne besitzen an der Zungen­ fläche noch eine dünne, verfärbte Schmelzschliffläche. Dieselben Zerstörungserschei­ nungen finden sich auch an den unteren, inneren Schneidezühnen »Hb 9. (Bild 9), die nur noch Zahn­ stümpfe vorstellen. Arbeiter in solchen Betrieben werden rasch zahnlos.

hh) Metallarbeiter. Bei allen Metallarbeitern, welche Mund- und Zahnpflege ver­ nachlässigen, sind die Zähne vom Zahnfleischrand angefangen, bis etwa zur Hälfte der Zahnfläche mit einem schmutziggrünen Belag versehen, (die Arbeiter sind der Meinung, sie hätten „Grünspan" an den Zähnen). Da dieser Belag selbst nach längerem Berufswechsel noch nach­ weisbar ist, kann er als wichtiges, kennzeichnendes Berufsmerkmal bezeichnet und verwertet werden. Ursache: Der in der Werkstätte befindliche Metallstaub lagert sich beim Atmen an den Zähnen ab, verbindet sich mit dem bei ungepflegten Zähnen stets vorhandenen Schleimbelag und oxydiert. Aber auch andere Eigenheiten des Gebisses können unter Um­ ständen nahezu mit voller Sicherheit die Identität oder Nichtidentität einer bestimmten Person mit einer anderen erweisen; in diesen Fällen muß es aber möglich sein, Zahnärzte zu fragen?) Solche andere Eigenheiten des Gebisses sind z. B. zur Gänze oder teilweise falsches Gebiß, Stockzähne, Goldzähne, plombierte Zähne und deren Beschaffenheit, Zahnstellung, auch Zahnlücken, usw.

3. Durch den Beruf bedingte eigenartige Körperhaltung.

Nicht nur eigenartige Hautverdickungen Wunen die Zugehörig­ keit des Trägers zu einem bestimmten Beruf kennzeichnen, auch die Körperhaltung, die sich der Betreffende im Laufe der Zeit angewöhnt hat, kann mitunter einen Anhaltspunkt dafür geben, welchem Beruf der Betreffende angehört. So bringt es mancher Beruf mit sich, daß sich der Ausübende eine schlechte Körperhaltung (schiefe Schul­ tern, eingefallener Brustkorb mit gebogenem Rücken usw.) angewöhnt hat. Solcher Eigenheiten gibt es eine große Anzahl und wer das, was da gemeint ist, nicht in Wirklichkeit gesehen hat, wird es im Ernstfälle auch nicht zu finden und zu verwerten wissen. Selbst *) Diese führen bisweilen genaue Vormerkungen, über die bet ihnen in Behandlung gewesenen Personen.

Narben. — Tätowierungen.

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umfangreiche Beschreibungen vermögen nicht das zu setzen, was man sich auch auf diesem Gebiete aneignen tarnt, wenn man sich solche Berufsmevkmale erklären und zeigen läßt.

4. Narben. Narben sind gleichfalls sehr wichtige Erkennungsmerkmale. Ihre Lage, Form und sonstige Beschaffenheit kann mitunter einen ziemlich sicheren Rückschluß auf die seinerzeitige Verletzung ermöglichen, das Alter der Narbe kann wenigstens annähernd festgestellt werden, so daß durch entsprechende Erhebungen in Spitälern und Verlautungen in den Tagesblättern, in Ärztekreisen usw. manches Stück Vorge­ schichte aus dem Leben des Trägers in Erfahrung gebracht werden kann. In derartigen Fällen ist natürlich immer der Arzt zu fragen, doch ist es für den Kriminalbeamten gewiß nur von Vorteil, auch hier einige Kenntnisse zu besitzen. Es sei deshalb an dieser Stelle das Nötige aus dem „Lehrbuch der gerichtlichen Medizin" (Seite 42 ff.) wiedergegeben: „Narben nach Stich- uüd Schnitt Verletzungen sind durch ihre überwiegend längere Ausdehnung, Schuß narben durch trichterförmige Einziehung und mitunter durch ein ge­ sprengte Pulvertörner in ihrer Umgebung, Narben nach Quetsch- und R,ß wunden durch ihre größere Breite und un­ regelmäßige Begrenzung zu erkennen. Verbrennungsnarben sind durch ihre großen Flächenausdehnungen und dadurch aus­ gezeichnet, daß innerhalb derselben sehr häufig tammartig hervor­ tretende starre Stränge, die auch Verzerrungen bedingen, vorhanden sind; ähnlich gestaltet sind Erfrierungs- und Verätzungs narben."

5. Die Tätowierungen.10)

„Tätowierungen sind besonders angereihte Stichnarben, welche durch eingeriebene Farbstoffe mehr oder minder dauernd gefärbt sind. Tätowierungen finden sich bei Männern viel häufiger als bei Frauen; sie sind deshalb sehr wichtig, weil man nahezu mit vollkommener Sicherheit auf das Gewerbe, den Beruf oder den Stand des Betreffenden zurückschließen kann, sie also immer in einer gewissen Beziehung zum Träger stehen: Anfangsbuchstaben, fast immer des eigenen Vor- und Zunamens,11) bisweilen auch voller Name, Zahlen, welche wichtige Begebenheiten im Leben des Trägers aus­ drücken (z. B. Geburtsdatum) und bildliche Darstellung des Berufes, sog. Handwertszeichen, meist einfach dargestellt, mit­ unter auch geradezu tünstlerisch ausgestaltet. Auch Sinnbilder der Liebe, der Religion, militärische Abzeichen und unanständige Dar­ stellungen kommen häufig Dor.12) “) „Lehrbuch", Seite 44; Tätowierungen sind eine besondere Art der Narben. ") Mitunter sind es auch Anfangsbuchstaben des Namens der Geliebten. **) So hatte ich Gelegenheit, in den reichhaltigen von Hofrat Kratter angelegten Sammlungen des gerichtlich medizinischen Institutes der Grazer Universität auch eine Reihe solcher bilderreicher Tätowierungen, abpräparierte Hautstellen, zu sehen.

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Tätowierungen. — Sonstige Merkmale.

Solche Tätowierungen sind gewöhnlich an den Vorderarmen oder am Handrücken, auf der Brust, am Rücken, mitunter auch an den Schenkeln und den Hinterbacken angebracht. Hammer und Zange bekunden den Schlosser, Säge und Axt den Zimmermann, den Wagner kennzeichnet das Rad, der Metzger trägt unter dem Tierschädel gekreuzte Beile, der Bäcker eine Bretzel, Matrosen und Kaufleute führen häufig den Anker oder auch die Flagge ihres Staates als Sinnbild des Standes, dem sie angehören." Mitunter mag vielleicht auch die Erfahrungstatsache helfen, daß unter vorbestraften Personen sehr viel Tätowierte sind. Tätowierungen halten, wenn sie gut gemacht sind, auf Lebens­ dauer an; ist dies nicht der Fall, so werden sie schon früher mehr oder minder unkenntlich und verschwinden schließlich. Da sie ein oft gefürchtetes Mittel zur Jdentitätsfeststellung sind, werden sie vom Träger mitunter auch künstlich beseitigt, hinterlassen aber in diesem Falle an der betreffenden Hautstelle Narben, die entweder noch Mit freiem Auge oder mit der Lupe, jedenfalls aber beim Photo­ graphieren der betreffenden Körperstelle, sichtbar werden, was gleich­ falls gesagt sein soll.

6. Sonstige Merkmale. Von diesen „sonstigen Merkmalen", welche für die Feststellung der Identität ebenfalls von großer Bedeutung sein können, seien nur einige beispielsweise genannt: Muttermale, Sommersprossen, Rückgratsver­ krümmung, schiefe Schultern, Plattfüße, starke Frostbeulen, fehlende oder überzählige Gliedmaßen, (z. B. ein 6. Finger oder eine 6. Zehe), X- oder O-Beine, Leistenbrucb, (teilweise oder gänzlich) falsches Gebiß, Beschneidung, usw. usw.

1. Trachten, umgehend (vertrauenswürdige) Personen ausfindig zu machen, welche den Unbekannten gekannt haben (dürften) und daher imstande wären, ihn wieder zu erkennen; dabei sei betont, daß der Name, unter dem jemand Anderen gegenüber bekannt ist, noch nicht beweisen muß, daß der Betreffende tatsächlich der N N. ist. Bei etwaigen Wiedererkennungen (Agnoszierungen) ist immer anzugeben, ob die Zeugen, (deren Vertrauenswürdigkeit und volle Anschrift stets anzuführen ist) den Unbekannten „mit einer jeden Zweifel ausschließen­ den Bestimmtheit" als den NN. wiedererkennen oder ob sie nur anzugeben vermögen, daß der Unbekannte „vermutlich" mit dem NN. wesensgleich sein dürfte; Näheres über das Vorgehen bei Gegenüberstellung siehe Seite 64 und 68. 2. Nötigenfalls auch in Sonderverzeichnissen (über Abgängige, Vermißte, Flüchtige usw.) nachsehen, ob nicht etwa eine Be­ schreibung auf die unbekannte Person paßt; wenn dies zutrifft, dann sofort Agnoszierungszeugen herweisen, bzw. die Stelle, die den Be­ treffenden sucht, sofort verständigen.

Jdentitätsfeststellung Unbekannter.

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B. Weitere Anhaltspunkte zur Jdentitätsfeststellung Lebender. 1. Trachten, den Angehaltenen in ein Gespräch zu verwickeln; dies ist mitunter nicht immer sofort möglich, da es auch ganz ver­ stockte Menschen gibt. Wie man einen Menschen zum sprechen bringen kann, bleibt wohl dem einzelnen Fall anhermgestellt; Pro­ fessor Groß rät, die Eitelkeit des.Betreffenden rege zu machen. Nach der Mundart wird man den Angehaltenen mit mehr minder großer Berechtigung diesem oder jenem Lande zuweisen. Dann heißt es, jemanden diesem Gespräch beiziehen, der womöglich aus der Gegend, in welcher diese Mundart üblich ist, stammt oder sie zum min­ desten gut kennt. Der Geschicklichkeit dieses Sprachkundigen bleibt es dann überlassen, den Unbekannten möglichst auszuholen: So wird der fragliche Erdteil immer enger begrenzt. Spricht jemand ein Gemisch von Dialekten, so deutet dies zwar auf keine be­ stimmte Gegend, wohl aber auf ein langes Wanderleben in diesen Weltteilen hin. 2. Ist der Angehaltene im Besitze eines Arbeits- oder Dienst­ botenbuches, in dem mehrere Dienstplätze verzeichnet sind, so ist dieses Ausweispapier zunächst auf seine Echtheit zu prüfen, (vgl. das über Urkundenfälschung, Seite 170, Gesagte); sohin ist zu ver­ gleichen, ob die dort angegebene Personsbefchreibung und Beschäftigung auf den gegenwärtigen Besitzer zutrifft. Auch wird es sich nötigenfalls empfehlen, die angeblichen Fach kennt nisse auf diesem oder jenem Gebiete durch einen bekannten Fachmann über­ prüfen zu lassen. Dann ist der Betreffende um Reihefolge und Arbeitsdauer der einzelnen Dienstplätze zu befragen; kann er das nicht hersagen, so hat er das Arbeitsbuch unrechtmäßig, kann er die Aufzählung lückenlos, so ist stets auch mit der Möglichkeit zu rechnen, daß er nicht der rechtmäßige Besitzer ist und den Inhalt aus­ wendiggelernt haben kann, es ist daher bei den betreffenden DienstgÄbern unverzüglich zu erheben, bzw. Gegenüberstellung zu veranlassen. 3. Legt sich der Unbekannte einen adelig en Namen bei, so wird die Überprüfung dieser Angabe innerhalb der kurzen, den Kriminal­ behörden zur Verwahrung von Angehaltenen eingeräumten Zeit wohl nur möglich sein, wenn einschlägige Behelfe zur Hand sind. Es sei an dieser Stelle dankbar hervorgehoben, daß sich die „Heraldische Gesellschaft Adler" in Wien I., Wallnerstr. 6, über meine besondere Anfrage bereit erklärt hat, behördliche Anfragen über Adelsanmaßungen unentgeltlich zu beantworten; dies zu wissen, kann gegebenenfalls sehr wichtig sein; vgl. auch das auf Seite 56 Gesagte. C. Weitere Anhaltspunkte zur Jdentitätsfeststellung von Leichen und Leichenteilen. Kann ein Wiederevkennen von (ganzen) Leichen etwa bloß des­ halb nicht erfolgen, weil der Leichnam bereits (arg) entstellt ist, so kann der Arzt auf künstliche Weise (z. B. mit Zuhilfenahme W. Polzer, Krlmlnaldienst. 5

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Zerstückle und verstümmelte Leichen. — Haare.

von Schminken, Paraffineinspritzungen, nötigenfalls Einsetzen künst­ licher Augen, usw.) bisweilen zu Hilfe kommen. Werden Körperteile gefunden, welche möglicherweise oder sichtlich die eines Menschen sind, so hat der Beamte unverzüglich die vor­ gesetzte Stelle und den Arzt hievon zu verständigen, am Platze zu bleiben, bis die Kommission eintrifft, und bloß darüber zu wachen, daß keine Änderungen auf dem Tatorte geschehen können.

Zu unterscheiden sind:

1. Zerstückte und verstümmelte Leichen.18) Wir sprechen von Leichenzerstückung, wenn der Leichnam in Teile zerschnitten oder zerhackt vorgefunden wird. Bei der Leichenverstümmelung unterscheiden wir eine ab­ sichtliche und unabsichtliche. Absichtliche liegt vor, wenn jene Körperteile, auf welchen die Erkennung eines Menschen beruht, durch gewalttätige Einwirkung des Täters unkenntlich gemacht wurden, (z. B. Zerstörung des Gesichtes, Abziehen der Haut, Abschneiden und Fortschaffen des Kopfes usw.). Unabsichtliche: Freiliegende sowie Wasser-Leichen werden von Tieren benagt, von Ratten, Schweinen usw. teilweise aufgefressen, auch ganze Gliedmaßen von Tieren (z. B. Füchsen) fortgetragen; das Ergebnis ist dann ebenfalls ein (allerdings unabsichtlich) verstümmelter Leichnam. Todesursache und Zeitpunkt des eingetretenen Todes (wenigstens annähernd) festzustellen, ist natürlich Sache des Arztes, der bisweilen auch aus der Art und Weise, wie die Zerlegung des Leichnams stattgefunden hat, einen Anhaltspunkt für die Ausforschung der Person des Täters wird geben können; ist die Zerlegung des Leichnams kunstgerecht geschehen — und dies hat eben der Arzt zu beurteilen — so kann dies nur von einem Sachkundigen (z. B. einem Fleischer) vorgenommen worden sein. „Leichenzerstückung kommt viel häufiger bei Neugebore­ nen oder Kindern der ersten Lebensperiode vor als bei Er­ wachsenen. Fast ausnahmslos handelt es sich um die Zerstückung vorerst auf andere Art getöteter Menschen." Für die Feststellung der Identität werden die im vorstehenden ausgeführten Anleitungen richtunggebend sein.

2. Haare. Die besondere Bedeutung, welche Haaren in einer Strafsache zu­ kommen kann, wird meistens sehr unterschätzt. Es sei daher im folgenden angegeben, in welcher Richtung Haare wesentliche Anhalts­ punkte für die Aufklärung des Sachverhaltes geben können. Sachverständige können aus Haaren, die ihnen zur Untersuchung vorgelegt find, bestimmen: 1. Ob etwas tatsächlich ein Haar oder bloß eine haar ähnliche Pflanzenfaser ist; “) .Lehrbuch", Seite 72/73.

Schlüsse aus Haaren, Knochen.

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2. Ob es Menschen- oder Tier haare sind; 3. Wie alt der Mensch, von dem gewisse Haare herstammen, annähernd sein dürfte; 4. Ob das Haar ausgefallen, abgerissen, abgeschnitten oder zerquetscht wurde;") 5. Von welcher Körperstelle das Haar stammt; 6. Ob es von einem bestimmten Menschen herrührt oder nicht; 7. Ob es gefärbt ist. Schließlich sei auch erwähnt, daß Haare, ebenso wie Kleider, Wäsche u. dgl. die Eigenschaft haben, starke Gerüche aus der Um­ gebung gierig aufzunehmen und längere Zeit festzuhalten;16) dieser Umstand kann mitunter wichtig sein. 3. Knochen. „Wo und wann immer menschliche Knochen aufgefunden werden, findet nach den gegenwärtig geltenden Bestimmungen eine gericht­ liche Beschau statt“ (Kratter, „Lehrbuch"). Es sei an dieser Stelle bloß bemerkt, daß der Arzt aus der Beschaffenheit der Knochen fast immer und meist ziemlich sichere Anhaltspunkte für weitere Erhebungen geben kann; so können Men­ schen- von Tierknochen unterschieden, Alter, Geschlecht und Körperbeschaffenheit des Trägers, Todeszeit und vielleicht auch Todesursache wenigstens annähernd bestimmt werden. Hiebund Schuß Verletzungen, die den Knochen getroffen haben, sind sicher feststellbar. Endlich sei noch betont, daß Knochen auch durch verschiedene Tiere benagt oder angefressen worden, auch durch eingedrungenes dann zu Eis gewordenes Wasser ebenso wie durch eingedrungene dann treibende Pflanzen gesprengt worden sein können. Es muß also bei derartig beschaffenen Knochen nicht unbedingt ein Verbrechen gegeben sein. Wohl aber ist bei einem Knochenfund vorsichtshalber stets die vor­ gesetzte Behörde und der Arzt zu verständigen.

Sollte trotz der im vorstehenden angegebenen Richtlinien die Identität noch nicht festgestellt sein, so müßte umgehend eine genaue Personsbeschreibung (Näheres darüber siehe Seite 50) unter Angabe aller nötigen Begleitumstände verfaßt und unverzüglich in geeigneter Weise verlautbart werden (Näheres darüber siehe Seite 42).

4. Identitätszeugen. Die Wiedererkennung (Identifizierung) einer Person (z. B. des Verhafteten) durch eine andere (z. B. den Geschädigten) kommt im kriminalpolizeilichen Dienste alltäglich vor. Es gehört daher auch in “) Aus diesen Merkmalen können auch Schlüsse auf die stattgehabte Gewalt­ einwirkung, auf das verwendete Werkzeug gezogen werden. 1S) Wer z. B. stundenlang in einem rauchigen Raum gesessen ist, wird diese Tatsache vielleicht an sich selbst gewiß schon bemerkt haben.

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Jdentitätszeugen.

den Rahmen dieses Buches, Wer den Wert, den solche Identifi­ zierungen haben, einiges zu sagen. Wir unterscheiden, ob der Jdentitätszeuge eine Person nach der Photographie erkennen soll oder bei der Gegenüberstellung (= Konfrontation). 1. Wiedererkennen Dritter nach einem Lichtbild. a) Bevor dem Jdentitätszeugen Lichtbilder von in Betracht kom­ menden Verbrechern gezeigt werden dürfen, ist von ihm eine mög­ lichst genaue Personsbeschreibung über den zu Erkennenden abzufragen. Sind mehrere Jdentitätszeugen vorhanden, welche ihn gesehen haben (können), sind diese ebenfalls vorerst genau abzu­ hören, um womöglich eine genauere Personsbeschreibung zu erhalten. Ergeben sich bei den Aussagen der Beteiligten auffal­ lende Widersprüche, so ist der Ursache dieser Erscheinung nachzu­ forschen; (Näheres darüber stehe Seite 18). b) Erst dann dürfen dem Zeugen Lichtbilder, unter denen der Gesuchte tatsächlich ist (wenn also die Behörde bereits weiß, wer als Täter in Betracht fomrnt, sich denselben aber vom Jdentitäts­ zeugen bezeichnen lassen will) oder vermutlich sein könnte, gezeigt und kann der Zeuge aufgefordert werden, den Betreffenden herauszufinden. c) Vermag er sichtlich sicher ein bestimmtes Bild zu bezeich­ nen, so ist zum mindesten mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß der Bezeichnete mit dem Gesuchten tatsächlich wesensgleich ist. Es gibt aber auch hier Ausnahmen, wovon am Schlüsse dieses Abschnittes die Rede sein wird; nötigenfalls ist auch noch der Alibi­ beweis durchzuführen. d) Geht der Zeuge aber zögernd vor, d. h. sucht er gewissenhaft aber ergebnislos, so ist die Tatsache, daß er niemanden- aus- den ihm gezeigten Bildern (Verbrecher-Album) erkennen konnte, bei gebilde­ ten Zeugen fast immer von großer Bedeutung. e) Wird der Zeuge oder der Borzeiger der Bilder infolge längeren bisher vergeblichen Durchsuchens etwa ungeduldig und bezeichnet er schließlich, „nur um jemandem zu agnoszieren", ein be­ stimmtes Bild als das des Gesuchten, so kommt dieser Angabe natür­ lich kein Wert zu, sie gilt als überhaupt nicht gemacht. f) Zu erwähnen ist noch, daß der Vorzeiger dem Zeugen, namentlich wenn dieser irgendwie unbeholfen ist, nötigenfalls wohl „drauf­ helfen“ soll, (Näheres darüber siehe Seite 20), ihn aber unter keinen Umständen irgendwie beeinflußen oder etwa durch fortgesetzte Fragen, wie: „Ist es diese Person?", „oder diese?", usw. quälen darf. 2. Wiedererkennen Dritter bei Gegenüberstellung Konfrontation). a) Diesfalls sei auch auf den Abschnitt „Einvernahme", Seite 16, hingewiesen; über den Wert von Konfrontierungen siehe insbesondere Seite 82. b) Bevor eine Gegenüberstellung durchgeführt werden darf, ist der Jdentitätszeuge um die genaue Personsbeschreibnng des zu Erkennenden zu befragen; siehe auch das unter 1. Gesagte.

Jdentitätszeugen.

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Im übrigen sei noch folgendes erwähnt: 1. Stets ist auf die Ursache, warum ein Zeuge jemand, sei es nach einem Bild oder nach der Natur (bei Gegenüberstellung), mit Bestimmtheit wiedererkennt oder warum er dies nicht vermag, mit peinlichster Genauigkeit einzugehen; vgl. dazu auch das „Abfragen der Nebenumstände", Seite 19 Punkt 6. 2. Nicht zu vergessen ist, daß sich viele Personen bei Wieder­ erkennungen zu sehr an Einzelheiten des Täters klammern und davon nicht oder nur selten abzubringen sind. Ein Beispiel: Der Täter trug zur Zeit der Tat (zu Täuschungszwecken) einen dunklen Zwicker, auf dem Bild, oder aus der Haft vorgeführt, hat er -ihn aber nicht, sieht deshalb ganz anders aus und — wird nicht wieder­ erkannt; oder er hatte damals einen auffallend gestreiften Anzug, auf dem Bild öder bei der Gegenüberstellung aber einen anderen an; der Täter kann — namentlich bei Jdentitätszeugen mit beschränkter geistigen Fähigkeit — sicher sein, daß er als solcher nicht erkannt wird, oder — und dieses Beispiel ist besonders wichtig — der Täter sah zur Zeit der Tat sichtlich gesund, lebhaft und wohlgepflegt aus; auf dem Bild oder bei Gegenüberstellung ist er tatsächlich kaum wiederzuerkennen, denn er sieht kränklich, gedrückt und ver­ kommen aus. — Diese Erfahrungstatsachen sind von derartiger Be­ deutung, daß nicht nachdrücklich genug darauf hingewiesen werden kann! 3. Kurzsichtige Personen sind im allgemeinen keine ver­ läßlichen Jdentitätszeugen; es ist daher in solchen Fällen stets der Amtsarzt zu befragen. 4. Stets ist besonders zu fragen, ob der Zeuge Gelegenheit hatte, sich die andere Person (Täter) gut anzusehen; kann er dies nicht behaupten, weil die Begegnung nur eine flüchtige war, so kommt einer etwaigen Bezeichnung durch ihn kaum eine wesentliche Bedeutung zu. 5. Wiedererkennungen bereits entstellter (Wasser-)Leichen sind, selbst wenn sie in sichtlich bestimmter Form bejahend oder ver­ neinend geäußert werden, immer nur mit Vorsicht aufzunehmen und alle näheren Umstände sorgfältig zu erheben. Geht man diesfalls sehr genau vor, so kann es sich ergeben, daß gerade das Gegenteil des zuerst Behaupteten schließlich zutage kommt. Erwähnt sei, daß Ärzte selbst ziemlich stark entstellten Gesichtern von Wasserleichen auf künstliche Weise ein natürliches Aussehen geben können (Näheres siehe Seite 65), was mitunter von hohem Wert sein kann. 6. Über Verwertung besonderer Kennzeichen bei Agnoszierungen siehe den folgenden Abschnitt. 7. Auch das im Abschnitt: „Gaunereigenheiten", Seite 74, Ge­ sagte kann für eine einwandfreie Abnoszierung mitbestimmend sein. 8. Wo es zweckmäßig oder gar nötig ist, sind unbedingt Sach­ verständige beizuziehen. Über die Frage, auf welche Entfernung und bei welcher Beleuchtung man eine andere (bekannte oder fremde) Person mit voller Bestimmtheit oder mit Wahrscheinlichkeit erkennen kann, wird

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Wert der Photographie im Kriminaldienst.

der Sachverständige (Arzt, Physiker) zu befragen und werben wo­ möglich Versuche an Ort und Stelle unter möglichst gleichen Verhält­ nissen vorzunehmen sein. Über die Bedeutung, die der 'Photographie als Hilfsmittel für Identitätsnachweise u. dgl. zukommt, siehe Näheres im folgenden.

Es kann auch die Frage besondere Wichtigkeit haben, ob eine be­ stimmte Person mit einer anderen vor Jahren, vielleicht Jahrzehnten, vorbestraften wesensgleich ist. In solchen Fällen darf man nicht gleich aufs Ziel losgehen, son­ dern es muß zunächst der betreffende Strafakt beschafft und genauestens durchgearbeitet werden, um Anhaltspunkte zu gewinnen, bei deren lückenlosem Übereinstimmen die Identität erwiesen wäre. Solche An­ haltspunkte können dann unauffällig von der in Betracht kommenden Person ab gefragt werden. Dazu ein Beispiel: A hat um eine Stelle eingereicht, die nur einwandfreien Bewerbern verliehen wird. Ein Gleichnamiger erscheint vor vielen Jahren wegen Verbrechens des Diebstahles vom Gerichte in Z schwer vorbestraft. Aus dem beigeschafften Strafakt, der damals noch nicht — wie derzeit — vollständige Geburtsdaten enthielt, ergibt sich, daß der Vorbestrafte fünf Klassen Volksschule in 0, drei Klassen Bürgerschule in M besucht hat und unmittelbar vor der Abstrafung bei dem Kaufmann H wohnte. Der gleichnamige Bewerber ist nun vorzuladen, nach und nach zu fragen, welche Schulbildung er genossen hat und wo, sowie um seine Vorwohnungen. Stimmen seine Angaben, deren Stich­ hältigkeit in geeigneter Weise zu überprüfen wäre, mit den Vermerken im Strafakt nicht überein, so ist der Vorgeladene mit dem Abgestraften nicht wesensgleich; gibt er aber die Volksschule in 0, die Bürger­ schule in M und die Wohnung beim Kaufmann H an, so kann man ihm auf den Kopf zu sagen, daß er der im Jahre 18 .. abgestrafte A ist.

ä. Die Photographie im Dienste der Kriminalistik.

Allgemeines. Der Wert, den die Photographie als Hilfsmittel auch für den Kriminalisten besitzt, hat sich durch die Erfahrungen namentlich der letzten Jahre derart gesteigert, daß heutzutage daran wohl kaum mehr gezweifelt wird. Ein Sachverhalt kann selbst durch eine noch so genaue, über­ sichtliche und dabei umständliche Beschreibung niemals so recht ver­ anschaulicht werden: Ein Bild dagegen prägt sich dem Gedächtnis in wenigen Augenblicken — wie Jeder aus Erfahrung weiß -- unver­ gleichlich besser ein. Da es für jede Tatbestandsaufnahme nur von Vorteil, für die meisten aber geradezu unerläßlich ist, eine genaue Wiedergabe des Sachverhaltes und Alles dessen, was sonst damit irgendwie zusammen­ hängt, zu besitzen, so sei es, da erfahrungsgemäß in wichtigen Fällen

Photographie oder Zeichnung?

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und zur richtigen Zeit ein Berufsphotograph nur sehr selten verfüg­ bar ist, jedem Beamten empfohlen, sich mit Photographie zu be­ fassen zu trachten, diese Kunst selbst und gut zu erlernen. Leute, die sich (von Berufs wegen oder aus Liebhaberei) darauf verstehen und dem Beamten diesfalls gern an die Hand gehen würden, gibt es heute überall. Besonderes. Für den Beamten kommen hier folgende Fragen in Betracht: 1. Welcher Unterschied besteht zwischen Lichtbild und Zeich­ nung desselben Gegenstandes? 2. In welchen Fällen sann ein Lichtbild wesentlich Klarheit schaffen? 3. Wann und was soll unbedingt photographiert werden? Es kann natürlich keineswegs in den Rahmen dieses Buches fallen, erschöpfende Anleitungen für das Photographieren zu geben; diesfalls sei auf die Ratschläge des für unsere Zwecke besonders geeigneten, hervorragenden Buches: „Ratgeber im Photogra­ phieren" von Generalmajor Ludwig David,16) verwiesen. Im nachstehenden seien die vorerwähnten Fragen näher behandelt: Zu 1. Weicher Unterschied besteht zwischen Lichtbild und Zeichnung desselben Gegenstandes? Es ist stets im Auge zu behalten, daß für den einen Fall bald eine Photographie, für den anderen bald eine Zeichnung das Ge­ wünschte besser zum Ausdruck bringen wird; in manchen Fällen wird man photographieren und zeichnen müssen: Die Photographie veranschaulicht eben alles, während eine Zeichnung (oder Skizze) nur das Wichtigste hervorhebt. Stellt eine Photo­ graphie das Gewünschte nicht so dar, wie es in Wirklichkeit aussieht, d. h. täuschen etwa Beleuchtung, Farbenton, Größenverhältnisse usw., vermag also das Lichtbild bei einem anderen Beschauer nicht die richtige Vorstellung von dem Dargestellten zu erwecken, weil sich vielleicht auch noch zu viel Nebensächliches aufdrängt, so wird noch eine gesonderte Zeichnung anzufertigen sein, die das Wichtige hervorhebt und das Undeutliche oder scheinbar Unrichtige richtigstellen soll. Natürlich muß dann auch eine kurze Beschreibung hinzugefügt werden, um die Sache klarzustellen. Ein Beispiel: Die Lage des auf dem Boden liegenden Ermordeten soll durch eine photographische Aufnahme festgehalten werden. Wegen besonders ungünstiger Raumverhältnisse und Beleuchtung muß der Apparat in unmittelbarer Nähe der Füße des Toten aufgestellt wer­ den, so daß diese auf dem Bilde dann übermäßig groß erscheinen, während der Oberkörper scheinbar sehr kurz ist. In diesem Falle müßte eine erläuternde Bemerkung etwa folgenden Inhaltes dem Bilde “) Mit 106 Textbildern, 31 Bildertafeln und einer Belichtungstabelle als Bei­ lage, Verlag von Wilhelm Knapp in Halle a. d. Saale, Mühlweg 19; (Preis nur wenige Mark; bei Bestellung wolle — wegen Begünstigung — auf die An­ kündigung in diesem „Handbuch . ." Bezug genommen werden).

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Photographie oder Zeichnung?

beigegeben werden: „Um die Lage des Ermordeten festzuhalten, wurde eine photographische Aufnahme gemacht.^) Der Apparat konnte wegen schlechter Beleuchtung und besonders ungünstiger Raumverhältnisse nur unmittelbar bei den Füßen der Leiche aufgestellt werden. Diese waren somit der Linse sehr nahe und hat es daher den Anschein, als ob die Füße, überhaupt der Unterkörper, besonders lang, Ober­ körper und Arme dagegen sehr kurz wären. In Wirklichkeit ist dem nicht so, die Leiche ist 168 cm groß und sind die Gliedmaßep in ver­ hältnisgleicher Größe" usw. Oder, es soll eine Reihe von Fuß- oder Blutspuren festgehalten werden, die im Lichtbild im ganzen nicht so recht hervortritt, da wird noch eine Zeichnung zu machen sein, auf welcher diese Spuren deutlich eingetragen sind.

Stets ist also jene Form der bildlichen Darstellung zu wählen, welche das Darzustellende am besten veranschaulicht. Zu 2. In welchen Fällen kann eine photographische Aufhahme wesentlich Klarheit schaffen? Im allgemeinen kann man sagen, daß man sich in all den Fällen, in welchen Dinge mit dem freien Auge nur schwer oder selbst gar nicht mehr wahrgenommen werden können, noch von der photo­ graphischen Aufnahme Erfolg versprechen darf. Da man das erhalten Bild beliebig vergrößern und damit verdeutlichen kann, ist es möglich, auf alle, auch die unscheinbarsten, Einzelheiten einzugehen. Well eine Aufzählung aller Fälle, in welchen die Photographie als Hilfsmittel in ^Betracht kommt, einerseits endlos, andrerseits doch unvollständig und daher zwecklos wäre, seien nur einige wichtige herausgehoben: a) Wenn es sich um den Nachweis handelt, daß an einer be­ stimmten Stelle Blutspuren vorhanden gewesen oder Flecke sichtbar sind, die von Blut erzeugt worden sein konnten, selbst wenn die Be­ seitigung dieser Spuren durch besondere Einwirkung des an der Sache Beteiligten (mit mehr oder minder gutem Erfolg) versucht wurde. b) Wenn es sich um die Feststellung handelt, ob eine bestimmte Körperstelle äußeren (wenn auch noch so geringen) Gewaltanwendungen ausgesetzt war; jede solche Gewaltanwendung erzeugt nämlich an der betreffenden Körperstelle eine mehr oder minder starke Rötung der Haut, die mit freiem Auge oft nicht einmal wahrnehmbar ist. Ist also die Gewißheit oder auch nur die Möglichkeit (Verdacht) vorhanden, daß der Körper des Opfers oder des Täters solchen An­ griffen (in Ab- oder Gegenwehr) ausgesetzt gewesen war, so wird die photographische Aufnahme dieser Körperstelle selbst schwache solche Einwirkungen deutlich erkennen lassen. Solche sichtlich oder scheinbar gerötete Körperstellen sind wegen ihrer Vergänglichkeit womöglich unmittelbar nach ickren Auf­ findung zu photographieren. ”) Dabei sind alle wichtigen Begleitumstände, wie sie später von Be­ deutung werden können, (z. B. Beleuchtung, Dauer des Exponierens usw.), genau anzugeben.

Photographie im Kriminaldienst.

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c) Wenn es sich um die Feststellung handelt, ob eine bestimmte Stelle (z. B. auf Fußboden, Kleidung, Wäsche, Schriftstücken usw.) aus- oder abgekratzt, radiert bzw. ausgewaschen worden ist; hier vermag die Photographie mitunter den einzigen Anhaltspunkt für weitere Erhebungen zu liefern. Auch für Schriftvergleichungen ist entsprechende Vergröße­ rung des Textes oft geradezu notwendig. d) Wenn es sich um das Lesbarmachen von kaum sichtbaren oder an bestimmter Stelle gar nur vermuteten Schriftzeichen handelt. e) Wenn es sich um den Identitätsnachweis von Unbekannten handelt, wozu als einziger Anhaltspunkt deren bisweilen kaum sicht­ baren Berufsmerkmale und besondere Kennzeichen dienen müssen; vgl. auch den Abschnitt: „Jdentitätsfeststellung Unbekannter", Seite 55. Wenn die Photographie als Hilfsmittel versagt, ist stets zu be­ denken, daß es auch noch Sachverständige (z. B. Ärzte, Chemiker, Mikroskopiker usw.) gibt, welche aus dem betreffenden Gegenstände vielleicht noch wichtige Schlüsse zu ziehen imstande sind: In solchen Fällen ist das fragliche Stück daher für diese zu beschlagnahmen. Zu 3. Wann und was soll unbedingt photographiert werden ? Im allgemeinen kann man sagen, daß jeder Sachverhalt und jeder Gegenstand, welcher für das spätere gerichtliche Verfahren Wichtigkeit hat oder haben kann und Veränderungen unterworfen ist, wenigstens im Bild erhalten bleiben und von verschiedenen Seiten aus­ genommen werden soll, da man augenblicklich niemals mit Bestimmtheit behaupten kann, was zur Klarstellung des Sachverhaltes zweifellos nicht in Betracht kommen wird; vgl. auch das Seite 30 P. 14 Gesagte. Im übrigen wird bei wichtigen Tatbestandsaufnahmen, die ein Photographieren wünschenswert oder gar nötig machen, ohnehin stets auch eine vorgesetzte Amtsperson zugegen sein, deren Sache es dann ist, das Erforderliche zu veranlassen. Zu photographieren sind jedenfalls: 1. Grössere Unfälle, also z. B. Unfälle durch die Eisenbahrr, durch Bauten der verschiedensten Arten, welche eingestürzt, verbrannt sind oder dgl., durch umfangreiche Erd- oder Gesteinsrutschungen, durch Sprengungen, durch bedeutende Zusammenstöße usw.; vgl. auch das auf Seite 29, P. 13, Gesagte. 2. Bei Handlungen, die den Tod eines Menschen zur Folge hatten: Die Lage des Ermordeten und die etwa sichtlich beigebrachten Verletzungen; vgl. auch den Abschnitt: „Gewaltsame Gesund­ heitsschädigungen und Todesarten", Seite 180. 3. Wichtige Spuren (Fuß-, Fingerabdrücke-, Blut-, Werkzeugund sonstige Spuren; Näheres darüber siehe auch im Abschnitt über Spuren, Seite 117, 125, 132. 4. Bedenkliche Stellen bei sichtlicher oder vermutlicher Schrift­ fälschung ; die betreffende Stelle photographiert und entsprechend ver­ größert, wird eine etwaige Fälschung deutlich erkennen lassen.

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Gaunereigenheiten.

7. Abschnitt.

Gauner-Eigenheiten. Allgemeines. Daß die Kenntnis der Gauner-Eigenheiten in vielen Fällen den einzigen und richtigen Fingerzeig für das Anpacken und Auf­ klären des Sachverhaltes gegeben hat, wird jeder Kriminalist aus dienstlichen Erfahrungen bestätigen. Die Hilfsmittel, deren sich Verbrecher vor, zwecks, bei oder nach Verübung der Tat bedienen, sind fast immer dieselben, nur daß sie mit mehr oder minder Geschick angewendet werden. Der alte Satz: „Wenn das Übel erkannt ist, ist es auch bekämpfbar", hat auch hier Geltung; es kommt also nur darauf an, Gauner-Eigenheiten als solche zu erkennen; wie dies in den meisten Fällen geschieht, ist im folgenden näher erörtert.

Besonderes. Nehmen wir die häufigsten Gauner-Eigenheiten, wie sie täg­ lich vorkommen, vor:

1. Angebliche (— simulierte) Krankheiten und Leiden. Wir unterscheiden — nach Kratter — folgende Formen des Vortäuschens (Simulation): 1. Eine überhaupt nicht vorhandene Krankheit wird vorgetäuscht; 2. Ein tatsächlich bestehendes Gebrechen wird übertrieben dargestellt, 3. Krankheiten und Gebrechen werden absichtlich erzeugt. a) Personen, welche z. B. vom Betteln „leben" wollen, müssen besonderes Mitleid erregen: Vielleicht wirklich vorhandene Krank­ heiten und Leiden müssen daher sichtlich ärger dargestellt, bzw. über­ haupt ganz vorgetäuscht werden. Gegenmaßnahmen: Bettler (Landstreicher) sind stets vom Amtsärzte auf ihre Arbeitsfähigkeit untersuchen zu lassen; werden sie als arbeitsfähig befunden, so sind sie, da zum mindesten der Haftgrund der Wiederholungsgefahr gegeben ist, niemals auf freiem Fuflzu belassen, sondern nach Abschluß der Amtshandlung bei gleich­ zeitiger Erstattung der Anzeige dem Gerichte zu überstellen. Arbeits­ unfähige Personen sind in die Versorgung abzugeben. Bezüglich der Art der Überprüfung ihrer Ausweispapiere und ihrer Identität siehe Näheres Seite 170. b) Gewisse Personen, die einer strafgesetzwidrigen Handlung be­ schuldigt sind, pflegen, wenn sie zu einer Einvernahme vorgeladen sind, meist nicht persönlich zu kommen, sondern schicken unter dem Vorwande sie seien „krank" oder „dringend auf kurze Zeit verreist" oder dgl. einen befreundeten Dritten, ja auch einen der Behörde noch unbe-

Borgetäuschte Krankheiten und Leiden.

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kannten Mitschuldigen, der die Aufgabe hat, bei der Behörde „heraus­ zubringen, was denn los sei", damit für den Fall, als die Behörde auf dem persönlichen Erscheinen des Vorgeladenen dennoch besteht, dieser dann schon entsprechend vorbereitet hinkommt. (Wie diesfalls vorzugehen ist, darüber siehe Näheres im Ab­ schnitte: „Einvernahme", Seite 16). Erscheint der Beschuldigte (auf Grund der Vorladung oder vor­ geführt) persönlich, und werden Fragen an ihn gestellt, auf die er augenblicklich „keinen Ausweg" weiß, die aber beantwortet werden müssen, so täuscht er irgendeine Krankheit oder ein Leiden vor, um dadurch womöglich Mitleid zu erregen und ein sofortiges Abbrechen des Verhöres zu erwirken, zum mindesten aber, um Zeit zum Über­ legen zu gewinnen. Wenn diese „plötzliche Erkrankung“ in einem Zeitpunkte eingetreten ist, der dazu gerade günstig war — also bei solcher Frage­ stellung — so ist die Annahme gerechtfertigt, daß sie vor getäuscht ist; die im folgenden angegebenen Unterscheidungsmerkmale werden hier wohl stets Klarheit schaffen. Da natürlich jede Störung oder Unterbrechung einer Einver­ nahme nach Möglichkeit verhindert werden muß, müssen auch die Kennzeichen vorgeschützter Krankheiten gekannt sein, um gegebenen Falles echtes von unechtem unterscheiden zu können. Diese Unter­ scheidung ist zum Glück in den meisten Fällen so einfach, daß sie von jedermann gemacht werden kann. Vorgetäuscht werden hauptsächlich: Ohnmacht, Fallsucht-(Epilepsie), Schwerhörigkeit, Taubheit und — Dummheit. Zunächst sei betont, daß jede „plötzliche Erkrankung“ bis zum Beweise des Gegenteiles stets für echt gehalten und daher Dem­ entsprechendes sofort veranlaßt werden muß; (siehe: „Erste Hilfe­ leistung bei plötzlichen Unglücksfällen", Seite 218ff). Um den Arzt über die plötzliche Erkrankung später Bericht erstatten zu können, ist der Verlauf der plötzlichen Erkrankung" so genau als möglich zu beobachten. Falls Ohnmachtsanfall oder Fallsucht vorzuliegen scheint, ist stets wenigstens soviel vorzukehren, daß sich der Erkrankte (durch herunter­ fallen, herumschlagen, in die Zunge beißen usw.) nicht unnütz selbst verletzen kann; bezüglich der weiteren Behandlung der Ohnmacht und Fallsucht siehe Näheres im Abschnitt: „Erste Hilfeleistung bei plötzlichen Unglücksfällen", Seite 218ff., insbesondere Punkt 22 (für Ohnmacht) und Punkt 6 (für Epilepsie). Im einzelnen ist zu merken: 1. Ein Ohnmachtsan fall ist echt, wenn Gesicht, Lippen- und Zahnfleisch plötzlich tief erbleichen, fog. „Leichenblässe". Ein Ohnmachtsanfall ist vorgetäuscht, wenn diese verläßlichen Erkennungsmerkmale fehlen. 2. Ein epileptischer Anfall ist echt, wenn der Erkrankte plötzlich, ohne sich dabei irgendwie zu schützen, hinfällt, tief erbleicht („Leichenblässe"), wenn zwischen Schulter und Kopfhaarsaum zuk-

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Vorgetäuschte Krankheiten- und Leiden.

kende Muskelbewegungen sichtbar sind, (daher ist diese KörpScstelle sofort daraufhin zu untersuchen) und wenn die Krämpfe auf der einen Körperseite anders sind als auf der andern. An Stelle des tiefen Erbleichens tritt dann ein Dunkelrotblauwerden. Es soll auch hier betont sein, baß wirklich Fallsüchtige (Epileptiker) sehr leicht erregbar sind und nur höchst selten die Wahrheit sagen. Ein epileptischer Anfall ist vorgeschützt, wenn diese verläßlichen Erkennungsmerkmale fehlen und der Scheinkranke vielleicht noch dazu langsam zu Boden sinkt, (um sich vor zu starkem Aus­ fallen zu schützen). 3. Bei behaupteter Schwerhörigkeit, Taubheit oder Taubstumm heit sage man — zwecks Überprüfung der Stichhältigkeit — leise etwas zu dem Betreffenden, z. B. (wenn er schon lange gestanden ist): „Setzen Sie sich", oder: „Bringen Sie doch Ihre Kleidung in Ord­ nung oder „Sind Sie so gut und heben Sie mir meinen kleinen Bleistift auf, der mir früher hinunter gefallen ist und neben Ihnen liegt!", oder dgl. oder man läßt z. B. hinter den Betreffenden etwas Schweres unbemerkt auf den Boden fallen: Leute, welche tat­ sächlich schwer oder gar nicht hören, spüren die Erschütterung des Bodens dennoch und drehen sich um; wer sich aber trotz der merk­ lichen Erschütterung nicht rührt, ist ein Betrüger. Bei wirklicher Schwerhörigkeit gibt sich der Betreffende sicht­ lich alle Mühe, den Fragenden zu verstehen, (verzerrt das Gesicht und hält den Kopf näher); der Heuchler wird „steif" dasitzen. Bei behaupteter Taubheit eines Ohres soll man dem Be­ treffenden gleichzeitig und im Flüsterton in jedes Ohr etwas anderes sagen und dann wiederholen lassen: Die auf einem Ohr tatsächlich tauben Personen werden das in das andere Ohr Go» sagte nachsagen können; der Schwindler hört nur ein Durcheinander beider Gespräche und vermag nichts nachzusagen. 4. Behauptete oder anscheinende Dummheit. Es kommt oft vor, daß sich der einer strafbaren Handlung Be­ schuldigte dumm stellt, tut, als ob er die an ihn gerichteten Fragen nicht verstehen würde und verlangt, daß ihm alles in einer Reihe von Einzelfragen einfachster Art'vorgehalten werde: Der Ver­ nommene kann sich auf diese Weise die Antworten auf jede Frage besser zurechtlegen, entgeht daher leichter der Gefahr, sich in Widersprüche zu verwickeln. Wird gegebenenfalls der Verdacht rege, daß der Einvernommene zweifellos gescheiter ist, als er sich stellt, so lasse man sich mit ihm in ein längeres Gesprächein und betrachte auch seinen Blick unausgesetzt: Dabei wird sich zweifellos ergeben, ob er wirklich so beschränkt ist, als er sich den Anschein gibt. Gegenmaßnahmen: Ist auf Grund des Vorhergesagten die Annahme gerechtfertigt, daß man einen Heuchler vor sich hat, dann sage man dies dem Betreffenden ohne Umstände ins Gesicht und ermahne ihn ernstlich, die Vernehmung nicht weiter unmöglich zu machen oder zu erschweren, da er dadurch seine Lage nur ver-

Falscher Name, verändertes Aussehen.

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schlechtere: Derartig sicheres, nachdrückliches Auftreten, wo­ möglich noch unter gleichzeitiger Ankündigung, daß der bereits ver­ ständigte Arzt jeden Augenblick eintreffen wird, hat bei dem Einvernommenen, der sich nun durchschaut fühlt, nahezu immer die Folge, daß sich sein „Anfall auf einmal bessert", wenn nicht gar „wieder gut" ist. Krankheiten und Gebrechen werden oft auch absichtlich erzeugt: Verhaftete haben das Bestreben, so in Spitalsbehandlung zu kom­ men, die ihnen in vieler Hinsicht angenehmer ist. 2. Beilegung eines falschen Namens. Wenn sich Einer einen falschen Namen beilegt oder über seine Per­ son überhaupt jede Auskunft verweigert, hat die Kriminalbehörde die Pflicht, das Geheimnis aufzuklären, da der Betreffende zweifellos „etwas auf seinem Kerbholz haben wird", das sein Vorgehen erklär­ lich macht. Es ist, vielleicht noch „ein schöner Zug" am Verbrecher, wenn er seinen von Geburt aus ehrlichen Namen nach Möglichkeit rein zu erhalten sucht und sich unter einem anderen Namen strafen läßt; solange dieser falsche Name bloß in der Einbildung lebt, mag man dies vielleicht noch nachsichtsvoller beurteilen, wenn aber der ehrliche Name eines Anderen, den der Verbrecher vielleicht irgendwo kennen gelernt hat, oder dem er sonst irgendtyie näher steht, rücksichtslos mißbraucht wird, dann heißt es, ein derartiges Vor­ gehen, das von niederster Sinnesart zeigt, auch gebührend ins Licht zu stellen, damit es voll und ganz gesühnt werde. Über die Frage: Wie die Identität solcher Personen, von denen man überzeugt ist oder vermutet, daß sie sich einen falschen Namen beigelegt haben, feststellbar ist, siehe Näheres im Abschnitte: „Identitütsfeststellung Unbekannter", Seite 55.

3. Zu Täuschungszwecken verändertes Aussehen. Daß Gauner ihr Aussehen in der Hoffnung ändern, dadurch unentdeckt zu bleiben ist bekannt; daher ist die Frage wichtig, was alles am menschlichen Körper geändert werden kann, um sich anders aus­ sehen zu machen. Wer je einen Schauspieler, Verwandlungskünstler oder dgl. unmittelbar hintereinander in mehreren Rollen hat auftreten sehen, weiß, wie mit oft ganz einfachen Mitteln das Aussehen eines Menschen mitunter bis zur Unkenntlichkeit verändert werden kann; und wie es auf der Bühne gemacht wird, so geschieht es auch, nur meist bedeutend verbessert, alltäglich unter der Gaunerwelt. Der berufsmäßige Verbrecher weiß natürlich ebenso, daß etwaige Besonderheiten einerseits auffallen und daher zum Verräter werden können; wenn er etwa solche „besondere Kennzeichen" von Geburt aus hat, er wird also trachten, diese nach Möglichkeit zu beseitigen oder wenigstens zu verdecken. Er weiß anderseits aber auch, daß solchen „besonderen Kennzeichen" namentlich von den breiten Schichten der

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Absichtlich verändertes Aussehen.

Bevölkerung große Bedeutung beigelegt wird und so bringt er sich — zwecks Irreführung — absichtlich welche bei (der gewiegte Ver­ brecher tut dies vor der Tat, läßt sie bei der Tatverübung, die ihn etwa mit Menschen zusammenbringt, merken und beseitigt sie nach­ her sofort). Personen, die den Täter gesehen haben (Tatzengen), schwören nun darauf, daß er z. B. „auf der linken Wange ein finger­ nagelgroßes Muttermal", oder „eine im Handschuh getragene, sicht­ lich verkrüppelte, rechte Hand hatte", oder „einen sichtlich kurzen Hals und dunkle Augengläser", usw. und geben diese „besonderen Kenn­ zeichen" der Behörde an, welche geflissentlich auf die derartig Beschrie­ benen Jagd macht: ln Wirklichkeit waren diese „besonderen Kenn­ zeichen“ aber nur Mache, der beabsichtigte Erfolg: Irreführung der behördlichen Nachforschungen und der vielleicht zur Mit­ arbeit an der Ausforschung des Täters herangezogenen Bevölkerung ist erreicht. Die Fragen: Was am menschlichen Körper geändert werden kann, ist ebenso leicht zu beantworten, wie es mitunter ungemein schwer ist, jemanden in geschickt verändertem Aussehen zu erkennen. Wenn man bedenkt, daß ein Mensch, bei dem man stets ein- und dieselbe Art sich zu kleiden, gewohnt ist, ganz verändert aussieht, wenn er sich auf einmal gegenteilig kleidet oder wenn er noch dazu Haar-und Barttracht wechselt, wenn er Zwicker oder Augengläser trägt, bzw. auf einmal ablegt, wenn man ihn stets wie bisher flott daher­ gehend, nun mühsam und gebückt einherschreiten sieht, so haben wir schon eine Reihe von Veränderungen des Aussehens, wie sie jeder bei Bekannten schon gesehen haben wird. Wie aber, wenn der Betreffende ein besonderes Bestreben hat, während einer bestimmten Spanne Zeit (Tatverübung) anders auszusehen als gewöhnlich? Was ist da natürlicher, als daß er sich aller Mittel wie sie ihm durch geänderte Kleidung, Haar- und Bart­ tracht, die gegenwärtigen Verschönerungsmittel usw. zur Verfügung stehen, bedient, daß er etwaige „besondere Kennzeichen", die ihn leicht kenntlich machen würden, nach Möglichkeit zu verbergen oder ganz zu beseitigen sucht, dagegen absichtlich solche vortäuscht, wo sie in Wirk­ lichkeit nicht vorhanden sind! Solche Änderungen des Aussehens macht der arbeitsscheue Bettler, der die gesunde Hand oder den gesunden Fuß eingefatscht den Vorübergehenden hinstreckt, wie der abgefeimte Ver­ brecher, der in besonders geschickter Weise selbst auch Körper­ größe, Gang, Stimme, Mundart, Gesichtsfarbe usw. verblüffend zu ändern versteht. Aus dem Gesagten ergibt sich wohl auch, daß eine richtige und möglichst vollständige Personsbeschreibung für die Ermittelung eines gesuchten Verbrechers von grundlegender Wichtigkeit ist; (Näheres über „Personsbeschreibung" siehe Seite 50, über „Ausfor­ schung des Täters", Seite 38). Muß eine Personsbeschreibung von Tatzeugen abgefragt werden, so behalte man die Möglichkeit solcher Änderungen stets im Auge und nehme selbst das an der Person des Gesuchten als „auffallend“

Geheime Verständigungen.

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Bezeichnete nur mit Vorsicht auf; auf diese Weise und nur so wird man zu Personsbeschreibungen kommen, die eine brauchbare Grund­ lage für die Ausforschung des Gesuchten sein werden. Es ist auch nicht zu vergessen und sei auch an dieser Stelle betont, daß Tatzeugen mitunter falsch sehen und hören (z. B. infolge Auf­ regung, Schreck oder dgl.), ihren Aussagen daher, auch wenn sie von vollkommen einwandfreien, vertrauenswürdigen Leuten stammen, nicht immer voller Glauben beigemessen werden muß. In den meisten dieser Fälle wird der Arzt über den Wert der betreffenden Zeugenaussagen zu befragen sein; (Näheres siehe Seite 64 und 68).

4. Geheime Verständigungen untern Verbrechern (sog. „Zinken“, Chiffriertes).

Allgemeines. Daß geheime Verständigungen zwischen Verhafteten und der Außenwelt und umgekehrt, sowie zwischen Verhafteten untereinander täglich mindestens versucht werden und leider nur zu oft gelingen, weiß man aus aufgedeckten derartigen Fällen. - Da solche Verständi­ gungen keine unnötigen und weitschweifenden Mitteilungen enthalten, sondern in wenigen Worten — oft ist es nur ein einziges Wort oder ein Zeichen — das, worum sich die ganze Untersuchung dreht, womit sie sozusagen steht und fällt, klar ausdrücken, ist es von grundlegender Bedeutung, zu wissen: Welche Arten von geheimen Verständigungen vorkommen und in welcher Form sie auftreten, was nach berent Auffinden zu tun ist, und welche Gegenmaßnahmen diesfalls in Betracht kommen.

Besonderes.

1. Welche Arten von geheimen Verständigungen gibt es und in welcher Form treten sie auf? Es gibt Verständigungen a) die durch dem Laien unverständ­ liche Worte (Gauner spräche), oder b) durch Zeichnungen — „Zin­ ken", oder c) durch Zeichengeben, oder d) durch Warnrufe zum Ausdruck gebracht werden. Zu a) Durch Worte, die dem Laien unverständlich sind (Gaunersprache); vgl. das auf Seite 84 und 140 Gesagte. Zu b) Durch Zeichnungen-„Zinke n", die dem Laien un­ verständlich sind. Die eigentlichen „Zinken", wie sie namentlich nach den lang­ jährigen Kriegen voriger Jahrhunderte an Gegenständen sich fanden, die nach der Ermordung der Inwohner in Brand gesteckt werden sollten („Mordbrennerzinken"), sind gottlob fast ausgestorben; was sich bis auf unsere Tage erhalten hat, sind Zinken, Zeichnungen, wie sie von Landstreichern, Bettlern, Zigeunern *) und Scherenschleifern an’) Vgl. dazu auch die Abschnitte über „Zigeuner", Seite 85; „Aber­ glaube", S. 88.

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Gauner-Zinken und ihre Bedeutung.

gebracht werden: Von den beiden Ersteren zu dem Zwecke, um Nach­ kommenden ihres Stammes „den Weg zu ebnen", d. h. um ihnen zu sagen, wo und auf welche Weise (z. B. ob durch Betteln oder Wahrsagen) von den Inwohnern des betreffenden Hauses etwas zu bekommen ist; es ist aus solchen Zeichen auch zu ersehen, wer im Hause wohnt, z. B. ob und wieviele Männer, ob vielleicht auch jemand darunter ist, die zu fürchten ist, (z. B. ein Polizei- oder Gerichtsbeamter). Scherenschleifer machen ähnliche Zeichen an Häusern, Woh­ nungen, aus denen sie Messer, Scheren oder dgl. zum Herrichten über­ geben bekommen haben, damit sie das betreffende Stück mit anderen nicht verwechseln und wieder an Ort und Stelle abliefern können. Die Frage: Wie solche Zinken aussehen, läßt sich nicht für jeden einzelnen Fall genau beantworten, da es viele hunderte solcher Zinken gibt, die mitunter ziemlich voneinander abweichen und doch dasselbe bedeuten; im allgemeinen kann man sagen, daß es Zeichnungen sind, wie sie Kinder (mit Bleistift, Kreide, Kohle oder dgl.) machen, wo sie eine glatte Mauer, eine Bretterwand oder eine weiche Masse, wie Schnee, Sand, Staub usw. zur Verfügung haben. Solche Zeich­ nungen sehen aus wie ein Kreis, bald mit, bald ohne Durchkreuzung, ein schiefes oder aufrecht gezeichnetes Kreuz, ein Dreieck, ein Viereck allein oder je zwei davon einander etwas übergreifend, wie winkel­ förmig abgebogene, oder wie eine Anzahl geradliniger, senkrecht zu­ einander stehender Striche, also gitterähnlich, wie ein Stück fort­ laufendes Zickzack, ähnlich einer Reihe von aneinandergestellten „V" usw., oder es sind oft ganz eigenartige verwickelte Zeichnungen. Bis­ weilen ist solchen Zinken auch eine Zeitangabe mit einem Pfeil bei­ gesetzt: Das Datum bedeutet den Zeitpunkt, zu welchem der betreffende Schreiber da war und der Pfeil zeigt in die Richtung, in die er gezogen ist. Zum besseren Verständnisse des letzteren (— eigenartige Zeich­ nungen) seien nachstehend zwei Gruppen solcher Zinken samt Be­ schreibung 2) gebracht. „Der in einem Zuge gezeichnete Vogel soll einen Papagei dar­ stellen, anspielend auf die große Sprachfertigkeit des Wappeninha­ bers, eines bekannten Einbrechers.

befinden sich drei runde Gegen­ stände über einem Strich — in dem sog. „Bauernkalender" (in Steier­ Bild 10. mark) das Zeichen des heiligen Stephanus, nämlich drei Steine auf dem Erdboden, da dieser Heilige den Märthrertod durch Steinigung erlitten hat. Diese drei Steine können hier nur ein D a t u m bedeuten, nämlich den T a g des heiligen Stephanus, d. i. 26. Dezember. Daneben ein Wickelkind; auch im s) Aus dem „Handbuch für Untersuchungsrichter", S. 413 n. 417.

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Gauner-Zinken und ihre Bedeutung.

„Bauernkalender" das Zeichen der Geburt des Heilandes, als Datum: 25. Dezember. Die Gendarmen verstandeU sich auf solche Zeichen, brachten sie zu Gericht, der Pfarrer half die auf den Gottesdienst bezügliche Er­ klärung finden, so daß das Ganze zu lesen ist: „Der allen Gaunern wohlbekannte Besitzer des Papagei-Wappens beabsichtigt am 26. De­ zember in eine Kirche einzubrechen; er sucht Genossen und wird sich am 25. Dezember am Orte der Anbringung dieses Zinkens (einer einsamen Waldkapelle) einfinden, um Genossen zu treffen, die an dem Raubzuge teilnehmen wollen." — Am Christtag wurden drei berüchtigte Gauner bei der Waldkapelle gefangen! „Vor etwa 30 Jahren wurde auf einsamer Waldstraße in der östlichen Steiermark ein Gendarm erstochen aufgefunden; er war durch unzählige Messerstiche getötet worden. Der Augenschein hatte ergeben, daß er sich am Rande der Straße mit dem Rücken gegen den steil ansteigenden Wald niedergesetzt hatte, um sich eine Pfeife zu stopfen; sein Tabak­ beutel war offen, der Tabak zerstreut, die Pfeife frisch und halb gefüllt. Er n war wegen seines überaus pflichttreuen. tatkräftigen Vorgehens, namentlich bei den Landfahrern und Zi­ geunern gefürchtet und verhaßt und auch von Zigeunern, die ihn in jener geschilderten Stellung meuchlings überfallen hatten, ermordet worden. Wenige Tage nach seinem Tode wurde nicht weit vom Tatorte auf einer halb verfallenen Mauer eine rohe Zeichnung ge­ funden (Bild 11), deren Deutung nicht zweifelhaft sein konnte. Es war zwar ein verzerrt gezeichnetes, aber nicht zu verkennendes Gesicht mit dem (damaligen) Hahnenfederhute der Gendarmen; die Gesichts­ züge waren dadurch kenntlich, daß der besonders kräftige Schnurrbart des ermordeten Gendarmen ungeschickt, aber unverkennbar nachgeahmt war. Über dem Kopf waren vier Messer deutlich gezeichnet. Daß die Zeichnung nicht später, d. h. nicht nach dem Tode entstanden war, hat der Umstand bewiesen, daß sie vom Regen arg verwaschen war, obwohl es in der Zeit, vom Morde bis zur Auffindung der Zeichnung nicht geregnet hatte. In diesem Falle hat es sich zweifellos um eine Drohung, eine Aufforderung zur Hilfeleistung, vielleicht auch um eine Warnung gehandelt und hätte die rechtzeitige Auffindung dieses Zinkens den braven Gendarmen warnen und sein Leben erhalten können, da er dann mindestens nicht allein bei Nacht jenen gefährlichen Weg zurück­ gelegt hätte." Wo sind solche Zinken zu finden? Namentlich auf dem Lande, an einsam stehenden Gebäuden (Häusern, Scheunen, Kapellen, Bildstöcken usw.), dann auch auf Eisenbahn-Frachtwagen, Lagerräumen, die hochwertige Sendungen ent­ halten, usw. usw. W. Polzer, Krimtnaldlenst.

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Gegenüberstellung (Konfrontierung)

Was ist beim Auffinden solcher Zinken zu tun? Entdeckt ein Beamter selbst solche Zinken oder wird er durch die (vorher entsprechend aufgeklärte) Bevölkerung darauf aufmerksam ge­ macht, so ist dies der vorgesetzten Stelle unverzüglich zu melden, um womöglich noch rechtzeitig Vorkehrungen zur Verhütung etwaigen Unheils, zur Verhaftung von Gaunern, die an einem bestimmten Tag an einer bestimmten Stelle zusammenkommen wollen, zu treffen.

Wer besorgt die Entzifferung solcher Zinken ? Beim Entziffern solcher Zinken werden mitunter alle verfüg­ baren Kräfte (bes. Untersuchungsrichter, Staatsanwalt, Pfarrer usw.) mitzuwirken haben, soweit sie eben die erforderlichen Kenntnisse be­ sitzen. Fahrende oder seßhafte Scherenschleifer diesfalls zu fragen, ist immer von Nutzen, weil sie zum mindesten ihre Zeichen oder Zeichen ihresgleichen von Gaunerzeichen zu unterscheiden vermögen und damit ist oft schon viel getan.

Zu c) Durch Zeichengeben. Dieses Zeichengeben kann erfolgen teils bei Gegenüberstellung von Parteien durch einfache Handbewegungen, durch Blicke, durch ver­ ständnisvolles Stoßen unter den mitwissenden Teilen, teils in der Zelle selbst und zwar durch Klopfen, einander Zurufen, Zusingen und durch Ein- oder Ausschmuggeln von Geschriebenem oder dgl. Kriminalbehörden arbeiten bekanntlich sehr viel mit Gegen­ überstellungen, teils um festzustellen, ob die vom Anzeiger bezeichnete Person mit dem Verhafteten tatsächlich wesensgleich ist, teils deshalb, damit der Anzeiger selbst dem etwa hartnäckig leugnenden Angezeigten die Anschuldigung ins Gesicht sage. über den Wert der Gegenüberstellungen sind die Meinungen verschieden: Die Einen sehen darin ein einfaches Mittel, in wenigen Augenblicken Klarheit in den gegebenen Sachverhalt zu bringen und machen davon den ausgiebigsten Gebrauch. Andere bedienen sich dieses Mittels deshalb nicht, weil sie Verständi­ gungen zwischen den Beteiligten, ja auch Einschüchterung des Anzeigers durch den Angezeigten befürchten und dem gerichtlichen Ver­ fahren nicht vorgreifen wollen. Ob das eine oder andere Vorgehen für alle Fälle immer das richtige ist, läßt sich im voraus natürlich nicht sagen. Ich würde raten, von Konfrontierungen nur im äußersten Falle und dann nur mit allen Vorsichtsmaßregeln Gebrauch zu machen, um Verständigungen zwischen den Mitwissenden nach Möglichkeit hintanzuhalten. Wenn man bedenkt, wie leicht und oft unbemerkt selbst in Gegenwart des Beamten eine solche Verständigung möglich ist, daß eine kurze Hand­ bewegung, ein Blick, ein Kopfnicken, ein „verständnisvolles Stoßen" genügen kann, um den Aussagen eine andere Wendung zu geben und damit eine noch so genau geführte Vorerhebung mit einem Schlage zunichte machen kann, wird man sich wohl hüten, den Parteien dazu Gelegenheit zu geben, zumal man die vielen Verständigungen, wie sie

Geschmuggelte Verständigungen.

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unter in Haft befindlichen Personen täglich Vorkommen,') niemals gänzlich unmöglich machen, sondern höchstens — und dies nur durch besondere Vorkehrungen — auf ein Mindestmaß wird einschränken können. Es sei daher jedem Sicherheitsbeamten, der sich mit Ver­ hafteten zu befassen hat, diesfalls größte Achtsamkeit zur Pflicht gemacht! Noch einige Worte über das Ein- und Ausschmuggeln von ge­ schriebenen Verständigungen. Diese Art der Verständigung kommt viel häufiger vor, als man annimmt; wollte man diesfalls genauer vorgehen, so würde man nur zu oft vielleicht sogar höchst wichtige Mitteilungen auffangen, durch die ein etwa verwickelter Sachverhalt auf einmal geklärt würde — allein der Jurist wie der Nichtjurist ist leider und in unverantwortlicher Weise meist zu „bequem" dazu! Solche schriftlichen Verständigungen können ausgetauscht wer­ den z. B. während der Aussprache mit den Angehörigen, die der Häftling in geschickter Weise herbeizuführen weiß: Bei einem einfachen Händedruck, bei einem Kuß, bei einer Umarmung usw. er­ gibt sich leicht Gelegenheit, dem Anderen selbst in Gegenwart des Be­ amten einen vorbereiteten kleinen Zettel oder dgl. unbemerkt zustecken. So sind auch alle Gegenstände, insbesondere auch Lebensrnittel usw., die für den Verhafteten abgegeben werden, genauestens zu durchsuchen! Auch ein öfteres, unverhofftes Durchsuchen des Häftlings selbst und seiner Zelle wird nicht selten solche schon vorbereitete Verständigungen finden lassen. Briefe, die für den Häftling bestimmt, bzw. von ihm geschrieben finb,4) dürfen dem Empfänger niemals in Urschrift, sondern nur in Abschrift ausgefolgt oder am besten nur vorgelesen werden.') Ist der Inhalt nicht vollkommen klar und einwandfrei6), ist dem Unklaren, Bedenklichen, nachzugehen und die Verständigung an den Empfänger unbedingt zu unterlassen! Bisweilen tritt durch besondere Behandlung des Briefes, (z. B. durch Erwärmen, mäßiges Befeuchten, Anhauchen usw.) eine mit dem freien Auge nicht sichtbare, eingeschmuggelte Schrift hervor, die von einem der mitwissenden Teile durch Beschreiben des Papiers mit bestimmten Flüssigkeiten oder sonstwie erzeugt worden ist; auch diese schon wiederholt vorgekommene Tatsache ist bei solchen Briefen stets int Auge zu behalten, namentlich wenn man es mit Häft­ lingen aus mehr minder gebildeten Kreisen zu tun hat. •) Z. B. durch Zurufen, Zusingen, Klopfen (etwa nach dem Morsesystem, leicht denkbar, wenn die in Hast befindlichen Mitschuldigen diese Zeichen (siehe S. 142] kennen, z. B. Angestellte der Post, Bahn usw.). *) Häftlinge dürfen Briefe nur im Beisein von Gefangenaufsehern schreiben! •) Die Urschrift muß stets dem Akt beigelegt werden! •) Siehe dazu auch das im Abschnitt über „Geheimschriften und deren Ent­ ziffern", Seite 139 Gesagte.

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Warnrufe.

Gaunersprache.

Gelingt es dem Beamten einen Häftling bei der Ausführung einer solchen Verständigung mündlicher oder schriftlicher Art zu er­ tappen, so ist ein etwaiges Schriftstück und dessen Zubehör sofort abzunehmen, der Wortlaut einer mündlichen Verständigung aber wohl zu merken und hievon dem Vorgesetzten unverzüglich zu berichten. Zu d) Verständigungen durch dem Laien unauffällige Warnrufe. Diese kommen namentlich bei Diebstählen vor und haben den Zweck, die eigentlichen Täter vor Überraschungen seitens Fremder bei der ..Arbeit“ zu behüten. Mitwisser, Aufpasser und eigentliche Täter haben die Form der Warnrufe, die meist ganz harmlos klingen, vor Begehung der Tat vereinbart. Was der Aufpasser im einzelnen Fall zu tun hat, wird von den gegebenen Verhältnissen abhängen; im allgemeinen kann man sagen, daß es seine Aufgabe ist, eine etwa herannahende Gefahr (Erscheinen von Personen, welche die Ausfüh­ rung des Diebstahls hindern könnten, z. B. Hausparteien, besonders aber Sicherheitswache) auf eine möglichst unauffällige Art seinen Leuten rechtzeitig bekannt zu geben und die herankommende Person auf irgend eine unauffällige Weise aufzuhalten, (z. B. anzusprechen, um etwas zu fragen, etwas „sehr wichtiges" zu erzählen oder dgl.). Ist dann die Gefahr vorüber oder etwa noch größer geworden, so daß nur Flucht als einziger Ausweg erübrigt oder ist der Dieb­ stahl glücklich verübt, so läßt der Aufpasser bzw. der eigentliche Dieb abermals ein Verständigungszeichen (Rufen, Pfeifen oder dgl.) hören. Ergänzungen zu diesen Ausführungen, insbesondere Aufklärungen über die in solchen Fällen zu treffenden Gegenmaßnahmen siehe auch im Abschnitt: „Diebstahl", Seite 149ff.

8. Abschnitt.

Gaunersprache. Die Kenntnis der Gaunersprache ist für jeden, der sich mit Verbrechern berufsmäßig zu befassen hat, von grundlegender Be­ deutung: Wie wollte Einer Gauner verstehen, ohne ihre Sprache zu kennen? Ein einziges im Verlauf einer Strafsache „aufgefangenes", dann richtig übersetztes Gaunerwort kann dem ganzen Fall mit einem Schlag eine andere Wendung geben, in einen um­ fangreich und verwickelt erscheinenden Sachverhalt sofort Kürze und Klarheit und vielleicht Beweise bringen, die sonst kaum hätten erbracht werden können! Ein Wörterverzeichnis der Gaunersprache, wie es der praktisch tätige Kriminalist in seinem Beruf braucht, hat aber allein schon einen Umfang, der einen Großteil dieses „Handbuches" ausmachen, dieses daher zu stark belasten würde; nur „wichtige" Worte hier zu bringen, wäre nicht nur halbe Arbeit, sondern auch schwer

Zigeuner.

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durchführbar, denn was dem Einen „wichtig" erscheint, hält der Andere vielleicht für „unwichtig" — so habe ich mich entschlossen, diesen Abschnitt abgesondert zu behandeln und kann ich daher hier auf mein schon demnächst und im selben Verlag erscheinendes „Gaunerwörterbuch für den Kriminalpraktiker“ verweisen.

9. Abschnitt.

Zigeuner. Wer je Gelegenheit gehabt hat, mit Zigeunern beruflich zu ver­ kehren, weiß, daß diese Menschengattung eine in jeder Beziehung ganz eigen­ artige ist. Nur wer den Zigeuner kennt, wird ihn auch verstehen und daher richtig zu behandeln wissen; wer ihn nicht kennt, wird sich von ihm nur zu oft irreführen lassen und ihm schlit ßlich auch noch Unrecht tun. Jeder Beamte, welcher in einem Lande Dienst tut, welches unter der Zigeunerplage zu leiden hat, soll trachten, sich so rasch und eingehend als möglich über diesen Menschenschlag zu unterrichten. Die im folgenden gegebenen Richtlinien sollen zeigen, wie Zi­ geuner und alles, was mit ihnen zusammenhängt, zu werten ist 1. Sittliche Eigenschaften der Zigeuner.

Wenn man die sittlichen Eigenschaften der Zigeuner kurz und doch vollständig zusammenfassen will, kann man sagen: Sehr träge, ge­ nußsüchtig und eitel, sinnlich, schamlos, sehr rach­ süchtig, grausam, aber dabei sehr feig, äußerst verlogen, trotz schwach entwickelten Verstandes st ess ihren Vorteil suchend, sehr listig, untertänig, mit äußerst entwickeltem Sinn, sich überall sehr rasch und verläßlich zurechtzufinden.

2. Wann kommen Zigeuner als Täter in Betracht? Diese Frage findet in dem soeben Gesagten fast zur Gänze ihre Beantwortung; trotzdem seien noch nachfolgende Punkte angeführt:

a) Wenn Zigeuner, wenn auch in bedeutendem Umkreis des Tatortes um die fragliche Zeit gesehen wurden; b) Wenn die Begehung der Tat nach allen Richtungen hin wohl vorbereit, also bestens ausg< kundschaltet, sehr geschickt, ja oft geradezu „frech" angepackt und dann sichtlich mit aller Ruhe „gearbeitet“ worden ist.1) x) Der Zigeuner ist der beste Kundschafter, während der Mann als Draht­ binder, Kesselflicker, Rattenvertilger, Spielmann, Bettler od. dgl. sich Eingang in die Häuser zu verschaffen weiß, tritt die alte Zigeunerin als Wahrsagerin auf, das dralle Zigeunermädel weiß mit ihren Reizen sehr geschickt zu locken und so den Sohn der zu bestehlenden Familie vorübergehend zu betören: Den gemeinsamen Zweck aber, d. i. das allseitige Aus'pähen, wie und wann die Tat am sichersten, schnellsten und erfolgreichsten zu begehen ist, erreichen sie dabei stets. Die

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Zigeuner als Täter?

c) Wenn eigentümliche, sehr geschickte Sicherungen der Woh­ nungsöffnungen2) und d) Wenn der bezeichnende, oft lang anhaltende, durchdringende Geruch, der dem Kenner stets die frühere Anwesenheit von Zi­ geunern verrät, zurückgeblieben sind. Wie z. B. eine in Gebrauch stehende Tabakschachtel, ein starkbesuchtes Schankzimmer, ein belegter Stall usw. usw. eigenartigen, lange anhaftenden Geruch aufweist, so hat der Zigeuner eine ganz eigenartige Ausdünstung. Prof. Groß sagt diesbezüglich: „----------- Müßte man den Zigeunergeruch mit etwas Bekanntem vergleichen, so würde man vielleicht am besten sagen: Fettgeruch mit Mäuseduft ver­ bunden"; ' e) Wenn ein blutiger Angriff feig, d. h. aus dem Hinterhalt und mit einer Mehrheit von Tätern verübt wurde; f) Wenn es dabei sehr grausam zuging, (z. B. wiederholtes Stechen, Schießen, Einhauen auf einen bereits leblosen Körper); g) Wenn das Opfer bei Zigeunern aus irgend einem Grunde gefürchtet, verhaßt war; h) Wenn seltenes Zurechtfinden (auch bei Nacht) und hervor­ ragende Beobachtungsgabe vorhanden gewesen sein mußten; i) Wenn etwa eine (zum Kleider- oder Hühnerdiebstahl benutzte) sog. „Wurfangel“ (— nach Art eines Ankers aneinander befestigte Angelhaken, mit einer festen Schnur versehen) am Tatorte zurückgeolie­ ben oder wenn namentlich bei nächstgelegenen Wegkreuzungen sicht­ lich eigens hingelegte Stöcke, Ruten, Halme oder Steine bzw. in weichen Boden eingekratzte Striche oder Stossetzen zu finden sind. j) Wenn bei kräftiger Abwehr die Gegner derart schwer verletzt wurden, daß sie sich zweifellos nicht von der Stelle rühren konnten und dann dennoch und noch dazu in kürzester Zeit entkommen sind, so ist die Annahme gerechtfertigt, daß die verletzten Täter Zigeuner gewesen sind. 3. Wann kommen Zigeuner als Täter bestimmt nicht in Betracht? a) Wenn zur Verübung einer Tat besonderer persönlicher Mut erforderlich war; b) Wenn die Tat zu sehr stürmischer Zeit begangen wurde; Tat selbst wird dann unter Mithilfe der ganzen Familie begangen; die einen sind wohl abgerichtete und daher unbezahlbare Wachtposten, die anderen äußerst geschickte Diebe.

•) Hier ist zu unterscheiden, ob die Türe des Raumes, in dem der Zigeuner gerade „arbeitet", nach innen zu öffnen ist oder nach außen. Im erstere« Falle spreizt er (nach Absperrung des Schlosses) ein starkes, entsprechend langes Holz^ stück unter die Klinke und befestigt es entsprechend in dem Boden; im letztere» Falle bindet er ein über den Türstock hinausgehendes kräftiges Holzstück wagrecht an die Türschnalle.

Amtshandlung mit Zigeunern.

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c) Wenn — bei Diebstählen — die erwähnten eigentümlichen Türsicherungen nicht vorgefunden wurden; d) Wenn der eigenartige Geruch nicht wahrnehmbar ist; e) Wenn angeblich Kinder gestohlen worden fein sollen.

4. Amtshandlung mit Zigeunern. . Zigeuner kommen hauptsächlich als Diebe in Betracht, und so kann im großen und ganzen auf das tat Abschnitte: „Diebstahl", Seite 146, Gesagte verwiesen werden. Im besonderen ist nur folgendes zu merken:

1. Der Zigeuner sucht auf alle erdenkliche Art den ihn ver­ nehmenden Beamten irrezuführen und ihn für sein Schicksal nach Möglichkeit günstig zu beeinflußen: Er versichert unter allen Be­ teuerungen, daß er noch nie mit der Behörde etwas zu tun gehabt habe, daß er sich auf ehrliche Weise durch Gelegenheitsverdienst fortbringe, daß er die bei ihm Vorgefundenen, als bedenklich beschlag­ nahmten Gegenstände usw. in gutem Glauben von einem „Un­ bekannten" zur Aufbewahrung übernommen habe, daß nicht er der Gesuchte sei, da viele ebenso heißen wie er, daß er zur fraglichen, Zeit ganz wo anders gewesen sei und daher keinesfalls als Täter oder Mitschuldiger in Betracht komme, usw. usw. 2. Diese meist ununterbrochenen Aufzählungen u. dgl. soll man nicht hemmen, sondern aufmerksam anhören: Bald ergibt sich da, bald dort ein AnhaltspuiUt, ein offener Widerspruch, den man sich vorläufig merken muß.

3. Wenn der Zigeuner mit seinen Reden schließlich zu Ende ist, halte man ihm kurz und klar alle gegen ihn sprechenden, ihn also belastenden Umstände, Widersprüche, vor, stellt ihm nötigenfalls etwaige Tatzeugen und deren Aussagen gegenüber —so wird er auf einmal kleinmütig und vielleicht sogar (vollkommen) geständig.

4. Die Zigeuner haben — mit gutem Grunde — nur sehr wenige verschiedene Namen; so werden die behördlichen Nachforschungen ungemein erschwert, denn der Verhaftete bestreitet (meist mit Glück) die Wesensgleichheit mit dem gesuchten Gleichnamigen. Um dieser Schwierigkeit nach Kräften und erfolgreich zu steuern, soll jeder Zigeuner, selbst wenn ihm ein nur als Übertretung zu strafende Tatbestand zur Last fällt, daktyloskopisch behandelt und natürlich photographiert werden. Der Wert der Einsendung solcher Meß­ karten an die nächste größere Polizeibehörde ist ein unschätzbarer. 5. Die Gaunersprache enthält viele Wörter, die auch der Zi­ geuner versteht, ja viele Wörter sind rein zigeunerischen Ursprunges, so namentlich die Eigenschaftswörter, teils allein­ stehend, teils in Verbindung mit Hauptwörtern, wie uns solche Namen aus den Karl May-Geschichten erinnerlich sind. z. B.: Der „Einäugige", der „Kahle", der „Hinkende", oder: Die „eiserne Faust", der „schnelle

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Aberglaube.

Hirsch", das „flinke Beil" oder dgl.; es sei daher auch auf den Abschnitt „Gaunersprache", Seite 84, hingewiesen. 6. Eine abgesonderte laufende Eintragung der bereits beamtshandelten Zigeuner wird gleichfalls wesentliche Erleichterungen für etwaige spätere Beanstandungen desselben Menschen mit sich bringen und sei deshalb dringend empfohlen. 7. Zu erwähnen ist schließlich, daß der längere Entzug der Frei­ heit auf den echten Zigeuner viel stärker einwirkt als auf andere Menschen, ja mit der Zeit sogar tödlichen Ausgang nehmen kann; daher dürfen etwaige angebliche Krankheiten und Leiden von Zigeunern von vornherein niemals als bloße „Heuchelei" bezeichnet und dement­ sprechend behandelt werden!

10. Abschnitt.

Aberglaube. 1. Allgemeines. Es mag Manchem vielleicht befremdend Vorkommen, wenn auch dieser Abschnitt in den Rahmen des Buches ausgenommen wurde; er m u ß t e aber eingefügt werden, weil dem Aberglauben auch heute noch eine sehr bedeutende Rolle zi kommt, da Anzeiger und An­ gezeigter nur zu oft davon befangen sind. Wieviel Anzeigen werden nicht einerseits bei Polizei- und Ge­ richtsbehörden erstattet, worin seitens abergläubischer Leute die schwersten Beschuldigungen gegen bestimmte, meist ganz einwandfreie, ja gesellschaftlich hochstehende Personen erhoben werden, bloß weil der anzeigende Teil die (natürlich fast immer allgemein gehaltenen) Angaben einer Wahrsagerin mit seinen eigenen Vermutungen unbedingt in Übereinstimmung bringt; wirkliche Täter werden selten zur Anzeige gebracht, ja von jedem Verdacht einer strafbaren Handlung ängstlich ferngehalten, nur weil es der Spruch der Wahrsagerin — viel­ leicht mit Vorbedacht — so will! Wieviel strafbare Handlungen werden anderseits bloß aus dem Grunde begangen, weil der Täter — vom Aberglauben befangen — sich in den Besitz eines Gegenstandes setzen will, mit dessen Hilfe er dann vermeintlich wird Übernatürliches ausführen fönnett; er muß also diesen „Talisman" auf jeden Fall bekommen, gehe es zu, wie es wolle, selbst wenn er deshalb ein schweres Sittlich­ keitsverbrechen, eine Leichenschändung, oder sogar einen Mord begehen müßte! So berichtet Prof. Groß in seinem „Handbuch",*) daß „in Italien (Sizilien) im Jahre 1894 einmal 24 und einmal 20 Kinder gemordet wurden, .weil dort der Aberglaube be­ stand, daß man mit dem Blute unschuldiger Kinder Schätze heben könne". (!). *) Seite 530.

Kennzeichen Abergläubischer.

8S

Es konnte natürlich an dieser Stelle keinesfalls angeführt werden, wie dieser oder jener Vorgang von abergläubischen Leuten („Wahr­ sagern") ausgelegt wird, denn der Aberglaube ist in verschiedenen Gegenden verschieden; zudem würde es weit über den Rahmen des Darzustellenden hinausgehen, wenn eine solche Zusammenstellung hier gebracht werden sollte; die nötigen Ergänzungen im Besondern muß sich Jeder eben selbst beschaffen. Wo er sich diese Kenntnisse zu holen hat, werden ihm ältere Berufsgenossen, die an dem betreffen­ den Orte bereits länger dienen, sagen können: Überall gibt es aber­ gläubische, meist alte Leute, welche gerne gesprächig werden, wenn sie sehen, daß man gerne zuhört und die Sache nicht ins Lächerliche zieht. Hat man aber nur einige Kenntnisse und versteht es, sich das Vertrauen der Person, von der man Auskünfte haben will, zu er­ werben, so „schwimmt" man schon, d. h. man kommt leichter vorwärts, weil der Gefragte sieht, daß man nicht ganz Laie ist; diese ersten, also die Grundkenntnisse zu vermitteln, ist aber Sache dieser Ausführungen. Da abergläubische Leute nur zu oft die Opfer von Betrügereien werden, sei auch auf den Abschnitt „Betrug", Seite 165, hingewiesen, zumal beide Abschnitte an vielen Stellen wesentlich ineinander greifen.

2. Besonderer. Zunächst sei erwähnt, daß man in sonst „unerklärlichen“ Fällen sich stets die Frage vorlegen muß, ob der Täter die Tat nicht auch aus abergläubischem Beweggrund begangen haben kann; der recht­ zeitige Gedanke daran hat schon wiederholt sonst unfaßbares Handeln erklärt und glauben geholfen. Da die Beantwortung der Frage, ob jemand abergläubisch ist oder nicht, für die Ausforschung bzw. Überführung des Täters von großer Bedeutung ist, sei zunächst auf Anhaltspunkte cingegangen, welche dafür sprechen, daß jemand abergläubisch ist, sodann seien Richt­ linien für die Behandlung abergläubischer Personen gegeben. A. Wann kann angenommen werden, daß jemand (sei es An­ zeiger oder Täter) abergläubisch veranlagt ist?

1. Beim Anzeiger: Wenn er in kurzen Zeitabständen Eingaben, die einander oft geradezu überstürzen, an Behörden macht oder dortselbst meist wieder­ holt erscheint und in nicht abzubringender und deshalb auf­ fallender Weise den Verdacht der Täterschaft auf eine bestimmte (fast immer einwandfreie) Person lenkt, ohne stichhältige Gründe dafür angeben zu können, warum gerade der Verdächtige der Täter sein soll.

2. Beim (mutmaßlichen oder wirklichen) Täter: a) Wenn er auf dem Tatorte Sachen hinterlassen hat, von denen er sich besondere, d. h. ihn schützende Wirkung verspricht (—Unentdecktbleiben der Tat und des Täters); solche Sachen sind

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Abergläubische Mittel.

z. B. Menschenko t,2) absichtlich und an besonders sichtbaren Stellen erzeugte, daher auffallende Einzelspuren (Abdrücke, Eindrücke) der Hand oder des Fußes, blutiges Waschwasser, Stechapfel­ famen, eigenartig gelegte Stäbe usw.; b) Wenn anläßlich der Haus- oder Personsdurchsuchung Gegen­ stände vorgefunden werden, welche mit der Tat in irgend einer Be­ ziehung stehen (können), z. B.: Sichtlich einfach verfertigte kerzen­ ähnliche Lichter, sog. „Schlaflichter", (denen etwas vom Körper ermordeter Kinder beigemengt ist, wie Blut, Fett oder dgl. und welche den Besitzer bei Einbrüchen schützen sollen); oder Nach­ bildungen von Gliedmaßen (einer Person, welcher der Besitzer Übles will; der Besitzer verübt nun an solchen Gliedmaßen das, was — nach seiner festen Überzeugung — gleichzeitig auch die be­ treffende Person spürt, z. B. Hauen, Stechen oder dgl.); oder eigen­ artige, ziemlich menschenähnliche Wurzeln (finger- bis spann­ lang, von giftigen Kräutern, Stauden u. dgl., mit deren Hilfe man fast widerstandslos in versperrte Räume gelangen soll, daher bei Dieben vorfindlich), oder ein Gegenstand, den eine verstorbene oder eine auf unnatürliche Art ums Leben gekommene (namentlich erhängte) Person in letzter Stunde bei sich hatte; oder eigen­ artige Sprüche, z. B. sog. „Stockfegen"; zum besseren Verständnis des hier Gemeinten, sei im folgenden der Inhalt eines solchen „Segens" mitgeteilt/) wie er im Jahre 1894 in Wien auf dem Reste einer größeren gestohlenen Summe im Haus der Beschuldigten vorge­ funden wurde: „Ich trat in des Richters HauS, Da schau'n drei tote Männer heraus. Der erste ist stumm, Der zweite winkt mir zu, O hilf mit, heilige Mutter GotteS von Lanzendorf!"

Wie Prof. Groß in seinem „Handbuch"^) erwähnt, hat ein solcher Stocksegen einmal dadurch Wichtigkeit bekommen, daß er als Beweismittel diente, welches die Verurteilung einer eines Giftmord­ versuches beschuldigten Frau herbeiführte. Diese Frau war wegen des genannten Versuches in Haft, da allerdings zahlreiche belastende Umstände vorlagen, trotzdem war die Untersuchung auf dem Punkte, eingestellt zu werden, besonders deswegen, weil kein Beweis dafür vorlag, daß die Genannte mit dem Menschen, an dem der Mordver­ such begangen worden war, in Feindschaft gelebt oder auch nur eine Äußerung getan hätte, aus der Gehässigkeit, Rache oder sonst ein feindliches Empfinden hätte entnommen werden können. Als die Enthaftung der Beschuldigten unmittelbar bevorstand, siel es dem Untersuchungsrichter ein, noch einmal eine Hausdurchsuchung bei ihr *) Auch hier können Sachverständige (Gerichtsarzt, Mikrostopiker, Chemiker «fw.l bisweilen wichtige Anhaltspunkte geben, welche dann zur Ermittelung, ja viel­ leicht sogar Überführung des Täters führen können u. zw. durch Untersuchung deS Vorgefundenen Kotes mit dem des Verdächtigten. •) Aus dem .Handbuch für Untersuchungsrichter", S. 539. *) Seite 541.

Benehmen Abergläubischer.

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vorzunehmen und hiebei kam ihm ein alter, gebräunter Zettel (in einem Gebetbuch liegend!) in die Hände, auf welchem ein solcher „Stocksegen" geschrieben stand; darin war nun die gemeinte Person durch Namensanfangsbuchstaben und Wohnort angeführt und der Zauber ausgesprochen, daß der Betreffende, dem es galt, mit dem nun zu schneidenden Stock in Abwesenheit könne geprügelt werden, „weil er eine andere liebe, als es recht sei", (also wohl eine ander«!, als die, welche den Segen brauchte); nun war die Feindseligkeit erwiesen und auch bald die Tat eingeslanden. — Auch Sittlichkeits­ verbrechen, Leichenschändungen usw. können aus abergläubi­ schem Beweggrund begangen worden sein, und kann der Täter die Handlung verübt haben, um „gesund" zu werden, „übernatürliche Kräfte" zu erlangen oder dgl.; c) Wenn er ein eigenartiges Benehmen an den Tag legt, in dem er z. B. sog. „Glück bringende Tage" irgendwie feierlich begeht, sich dagegen an „Unglückstagen" nicht aus dem Hause rührt; wenn er angeblich „Glückbringende Sachen" bei sich trägt und sorg­ sam behütet, dagegen ihm etwa zukommende „Unglück bringende" — wenn auch wertvoll — verschenkt oder wegwirft, „um das damit verbundene Unheil los zu sein"; wenn er auf wichtige, kurz und klar gestellte Fragen nicht sofort entsprechend antwortet, sondern zögernd und unter eigenartiger Stellung der Hände, schließlich eine für ihn doch günstige Antwort abgibt, so daß die Verzögerung und das eigentümliche Benehmen dabei auffällt; wenn er diejenige Per­ son, der er Übles will, „totbetet" oder „Mordmessen" für sie lesen läßt. Um zu erklären, was unter „Totbeten" zu verstehen ist, sei kurz ein Fall aus meiner beruflichen Betätigung erzählt: Ein Familien­ vater konnte den Tod seiner schwer kranken Frau nicht mehr er­ warten, da er eine andere heiraten wollte. Er bahrte nun die Kranke, die, sich kaum mehr rühren konnte, wie eine Tote bei verdunkelten Fenstern mitten im Zimmer auf, ließ ringsherum Kerzen brennen und betete ebenso wie die dazu verhaltenen (noch schulpflichtigen) Kinder, angeblich „zu ihrem Seelenheil"; die Frau starb auch wirk­ lich kurz darauf, (vermutlich infolge dieser furchtbaren Aufregung). Das Mordmesselesenlassen verfolgt denselben Zweck. In solchen Fällen kommt es — nebstbei bemerkt — stets auf die Absicht des Anstifters an, der, falls diese abergläubischen Mittel nichts nützen sollten, dann zu tatsächlich wirksamen greifen wird. Schließlich, wenn der Betreffende auf Wahrsager ei, z. B. auf sog. Chiromantie (— Wahrsagen aus den etwa fingerlangen Furchen der inneren Hand), auf Schatzgraben („Spanische Schatzgräberbriefe") und auf das, „was die Karten sagen", viel hält. B. Wie sind abergläubische Personen zu behandeln? 1. Meint man, daß eine Person abergläubisch veranlagt sein könnte, und will man sich darüber Gewißheit verschaffen, so prüfe man, ob von den im vorigen Abschnitte angeführten Punkten

93

Behandlung Abergläubischer. — Waffen

welche zutreffen: Wenn ja, so ist die angezweifelte Person nahezu sicher vom Aberglauben befangen. Um aber bei ihr entsprechend Gehör zu finden, suche man sich deren Vertrauen zu verschaffen, indem man auf ihre Vermutungen scheinbar eingeht und dabei zu geeignetem Zeitpunkt frägt, wie etwa eine Wahrsagerin die Sache auslegen würde? Auf das fällt die Gefragte dann meistens hinein und sagt, sie käme ja eben von dort oder werde gleich zu einer gehen und sofort Antwort bringen. 2. Ist nach dem Vorausgegangenen der Verdacht gerechtfertigt, daß man eine abergläubische Person vor sich hat, so sind — weil solche ihre eigenen Vermutungen als feste Tatsachen hinstellen — deren Angaben nur mit größter „Vorsich t aufzunehmen, d. h. es ist alles, was sie behauptet, sorgfältigst zu überprüfen und kann ihr nur das geglaubt werden, worüber vollgültige Beweise vorliegen. Dabei ist sie auch auf die gerichtlichen Folgen grundloser Be­ schuldigungen aufmerksam zu machen. Auf die Ausforschung von Personen, welche hauptsächlich in be­ trügerischer (oder sonst strafbarer) Weise abergläubische Leute um Hab und Gut bringen wollen, ist namentlich seitens der Polizeibeamten stets besonderes Augenmerk zu lenken; Näheres darüber siehe im Abschnitte: „Betrug", Seite 165.

11. Abschnitt.

Waffen. Mit Waffenwirkungen haben Polizei und Gericht fast täglich zu tun und so ist es nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar notwendig, im Rahmen dieses Buches auch darüber Einiges zu sagen. Das Folgende konnte sehr kurz gehalten werden, weil das bloße Erklären der Bestandteile, der Arten, der Eigentümlichkeiten und der Einteilungen der Waffen, sowie ihres Zubehörs und der Fachaus­ drücke für sich allein nicht viel nützt, wenn man den betreffenden Gegenstand nicht vor sich hat. Da also in Fällen, in welchen das Erklärte dem Lernenden unbedingt gezeigt werden muß, auch ein selbst erschöpfendes Lehrbuch nicht genügt, sei auch hier dem Beamten geraten, sich — je eher desto besser — von Leuten, die sich im Waffenfach auskennen und womöglich selbst Waffen besitzen, (solche gibt es heutzutage fast überall), das Erforderliche er­ klären und zeigen lassen: Was auf diese Weise in kurzer Zeit erlern­ bar ist, vermag nicht einmal das eingehendste Durcharbeiten ein­ schlägiger Bücher zu ersetzen und ist die hiefür aufgewandte Zeit für den „Ernstfall" hundertfach hereingebracht! Ein gewisses, wenn vielleicht manchmal auch nur bescheidenes Maß von einschlägigen Kenntnissen wird wohl fast jeder Beamte vom Unterricht aus der Militärzeit noch besitzen; dieses ist natür­ lich bei weitem nicht ausreichend, aber immerhin eine gewisse Unter­ lage.

Waffen und ihre Kenntnis.

93

Daß auch mit älteren und ganz alten Waffen heutzutage noch Verletzungen vorkommen, ist aus Zeitungsberichten bekannt und soll daher bloß angedeutet sein. In der Stadt (in Waffensammlungen Einzelner, wie in Museen usw.) wie auf dem Lande sind noch solche Stücke vorhanden und wer es auf eine solche Waffe für eine bestimmte Tatverübung abgesehen hat, wird sich dieselbe auch zu verschaffen wissen. Es folgert daraus, daß man auch derartige veraltete Waffen nicht im vorhinein außer acht lassen darf. Ist z. B. aus einem Vorderlader ein Schuß abgegeben worden, so wird stets nach dem sog. „Pfropfen" und „Pflaster" zu suchen sein, da aus dessen Beschaffenheit usw. oft wichtige Anhaltspunkte für wei­ tere Erhebungen gegeben sein können. Es sei auch bemerkt, daß es neben den eigentlichen Waffen noch allerlei Gegenstände gibt, welche mitunter an Stelle von wirklichen Waffen Verwendung finden. Solche aufzuzählen, wäre endlos und trotzdem unvollständig; auch diesfalls wird man sich von Sach­ verständigen und sonst fachkundigen Leuten Belehrung holen müssen. Einer besonderen Erwähnung bedürfen die sog. „Stockflinten“ und „Abschraubgewehre“ und zwar hauptsächlich deshalb, weil erstere namentlick) von Laien auf den ersten Blick wohl kaum als Ge­ wehre angesehen werden und letztere vermöge ihrer eigenen Bauart in so viele kleine Teile zerlegbar sind, daß sie auch in sonst nichtbeachteten Verstecken untergebracht sein können; dies wäre bei vorzunehmenden Untersuchungen nicht zu vergessen; vgl. auch das Seite 33 Gesagte. Vor voreiligen Schlüssen sei — wie überall — so besonders auch hier gewarnt und in allen nur irgendwie unklaren Fällen die Hilfe von Sachverständigen in Anspruch genommen. Als solche kommen hier in Betracht: Ärzte, Jäger, im Waffenfach eigens geschulte Militärpersonen, dann Chemiker und Mikroskopiker. Auf möglicherweise vorhandene stets zu suchende Schuß-Spuren ist genau zu achten; Näheres darüber siehe im Abschnitte über Spuren, bes. S. 125. Die vorgefundene Waffe samt dem zu suchenden Geschoß usw. ist sofort in geeigneter Weise aufzubewahren; Näheres darüber siehe im Abschnitte: „Behandlung der corpora delicti", Seite 143. Handhabungen aller Art, auch das so beliebte, wiederholte, unnötige Angreifen von Waffen und Zubehör sind unbedingt zu unterlassen und ist auch hier stets festzustellen, ob und wer schon vor dem Er­ scheinen der Behörde sich mit der Waffe etwa befaßt hat. Beim notwendigen Entladen der Feuerwaffen ist größte Vorsicht in jeder Beziehung anzuwenden! Im übrigen sei auch auf das im Abschnitte: „Tod durch Erschießen", Seite 193, Gesagte, hin­ gewiesen.

II. Einzelne Fertigkeiten. 12. Abschnitt.

Zeichnen. Allgemeines. Eine wenn auch einfache aber richtige Zeichnung trägt zum besse­ ren Verständnis des Gesagten wesentlich bei; in vielen Fällen ist die Anfertigung einer wenn auch nur einfachen Zeichnung geradezu un­ erläßlich. Es sind daher im folgenden Anhaltspunkte dafür gegeben, wie Zeichnungen von Gegenständen, die für die bestimmten Straf­ sachen von besonderer Wichtigkeit sind oder sein können, anzufertigen sind. Auch hier soll weder dem tüchtigen Zeichner Belehrung aufge­ drängt, noch dem auf diesem Gebiete gänzlich ungeschickten Beamten „Zeichenunterricht" erteilt werden; ersteres ist ebensowenig beabsichtigt wie letzteres möglich. Es sollen bloß Richtlinien für denjenigen aufgestellt werden, der bestrebt ist, sich auch auf diesem Gebiete zu vervollkommnen. Wer eine hübsche Handschrift hat und zudem noch die angegebenen Anleitungen befolgt, wird auch eine brauchbare Zeichnung zuwege bringen; natürlich muß er sich auch in freier Zeit nach Möglichkeit damit beschäftigen, um für den gegebenen Fall zu wissen, wie die Sache am besten anzupacken ist: Also auch hier heißt es, sich üben, Zeichnungen einzelner sowie mehrerer aneinanderliegen­ der Räume und der darin befindlichen Gegenstände (aus der Vogel­ schau gesehen) und kleiner wie größerer Geländeausdehnungen an­ fertigen und sie dann Berufsgenossen oder sonstigen bekannten Personen, die gut zeichnen können, zeigen, damit sie etwaige Fehler er­ klären und ausbessern. Wer so vorgeht, wird und muß es erlernen, brauchbare Zeichnungen zustande zu bringen.

Besonderes. 1. Zunächst ist das Darzustellende in groben Umrissen zu zeichnen (zu skizzieren), denn die Skizze mit ihren wenigen Strichen ist die Grundlage der späteren Zeichnung in genauer Ausführung; also: Keine Zeichnung ohne vorheriges Skizzieren 1 2. Eine (wenn auch noch so einfache aber richtige) Skizze oder Zeichnung verdeutlicht dem Beschauer in wenigen Augenblicken mehr und besser, als die umständliche Schilderung es vermag; daher soll in allen Fällen, die dadurch an Klarheit und raschem Zurechtfinden gewinnen, eine Zeichnung angefertigt werden. 3. Nicht planlos drauflos zeichnen, sondern zuerst bedenken, was wichtig ist und gezeichnet werden soll und in welchem Maß­ stabe man es darstellen will.

Anfertigung und Zweck einer Zeichnung.

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4. Wenn möglich oder zweckmäßig, soll das Darzustellende photographiert werden; über den Unterschied zwischen Photo­ graphie und Zeichnung siehe Näheres Seite 71.

5. Für Zeichnungen womöglich sog. Millimeterpapier,1) das in­ folge seiner Einteilung in mm und cm das Zeichnen wesentlich erleichtert, verwenden; hervorragend ist die dazu von Hofrat Dr. R. Ehmer (Graz) gegebene.Anleitung, (siehe Anhang). 6. Jede Skizze oder Zeichnung unbedingt auf abgesondertem Blatt Papier anfertigen. 7. So viele Zeichnungen machen, als zum genauen Verständnis der Sache nötig sind.

8. Immer anführen, wie gezeichnet wurde, d. h., ob „nach der Natur", nach dem „Augenmaß", „auf Grund genauer, selbst vorgenommener Messungen" oder „gepaust nach dem Plane" oder dgl.; fremde Messungen sind auf ihre Richtigkeit nachzuprüfen. Wenn Ausdehnungen nicht gemessen wurden oder gemessen werden konnten, ist dies immer ausdrücklich zu erwähnen. 9. Stets den gebrauchten Maßstab angeben; am einfachsten und zweckmäßigsten ist das Dezimalmaß: 1:10, 1:100,. 1:1000 usw., d. h. eine bestimmte, auf der Zeichnung aufgetragene Entfernung ist in Wirklichkeit (in der Natur) 10, 100, 1000 fach größer als auf dem Papier dargestellt, also z. B. 100 cm = lm in der Natur —lern auf der Zeichnung usw. 10. Die Zeichnung soll das Darzustellende oder bereits Darge­ stellte verdeutlichen helfen, sie soll also eine Grundlage oder wenigstens eine wesentliche Stütze der weiteren Erklärungen und Fragen bilden, muß also rechtzeitig fertiggestellt sein; was „recht­ zeitig" heißt, ist in diesem Falle leicht zu sagen: Man muß über den Sachverhalt erst möglichst unterrichtet sein, (Näheres darüber siehe Seite 27 ff.). Dann aber muß sie und zwar auf dem Tatorte selbst angefertigt und auch fertiggestellt werden, wenn sie zum besseren Verständnis und zur Abkürzung vieler Umständlichkeiten dienen soll; vor Beginn der Einvernahme der Beteiligten usw. muß sie bereits fertig sein. Die Beschreibung wird am besten an der Hand der Zeichnung geschehen. 11. Weltrichtung (nach dem stets mitzuführenden Kompaß) stets einzeichnen; über die Möglichkeit, sich auch sonst zurechtzufinden, siehe Näheres Seite 109. 12. Werden Gegenstände in die Zeichnung eingezeichnet (z. B. Möbelstücke usw. in den Plan des Zimmers), sind sie der Einfachheit halber mit ihrem Anfangsbuchstaben zu benennen, (z. B. Tisch — T, Bett = B, Diwan — D usw.). 13. Gerade Linien mit dem Lineal (und nicht mit freier Hand) ziehen! *) In Geschäften, die Schreib- und Zeichengegenstände führen, erhältlich.

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Zeichnung eines Einzelraumes.

Vorgang beim Zeichnen. 1.

Zeichnung eines Einzelraumes.

Der diesfalls geeignete Maßstab dürfte 100:1 sein, d. h. 100 cm (1 m) in der Natur — 1 cm in der Zeichnung; es wird also z. B. ein Zimmer, das 5 m lang, 4 rn breit und rechtwinkelig ge­ mauert ist, als Zeichnung ein Rechteck, dessen in gleicher Richtung verlaufende Seiten je 5 bzw. 4 cm lang sind. Nachdem man sich über die Größe, die die Zeichnung haben wird, klar geworden ist, mißt man z. B. die Zimmerwand a b (int Innern gemessen) ab und trägt sie im verkleinerten Maßstab auf eine gerade Linie auf; dann sieht man nach, ob die Zimmerecken recht­ winkelig sind oder nicht: Passen zwei Seiten eines zur Hand genom­ menen Buches in die Mauerecke genau hinein, so ist sie rechtwinkelig; ist das nicht der Fall, d. h. ist die Ecke entweder spitz- oder stumpf­ winkelig^) also kleiner oder größer als ein rechter Winkel, so nimmt man (nach der sehr sinnreichen Idee des Prof. Groß) ein Blatt Papier und schneidet es an einer Ecke solange zu, bis es in den Mauerwinkel paßt. Dann zieht man mit dem gefundenen Winkel die Gerade a d, welche ebenfalls im entsprechend verkleinerten Maßstab aufgetra­ gen wird. Bei d wird wieder der Winkel auf angegebene Weise gemessen und die Gerade dc er­ richtet ; dann wird der Winkel bei c gemessen und die Gerade ca ge­ zogen. Auf diese Weise hat man zunächst den Grundriß des Zimmers vor sich, (Bild 12). Die Linie a b ist durch eine Tür unterbrochen, man mißt also weiter die Entfernung von a bis zur Tür und dann von b bis o zur Tür und schließlich die Tür­ breite selbst ab ; diese drei Zah­ len müssen, wenn genau gemessen wurde, die Länge der Geraden ab ergeben; wäre dies nicht der Fall, so ist irgendwo ein Fehler gemacht worden, der unbedingt sofort aufgeklärt und be­ richtigt werden muß! In den Geraden d c liegt ein Fenster; die Ent­ fernung desselben von den beiden Mauerecken bei d und c muß gleich­ falls auf die angegebene Art festgestellt werden; bc ist eine sog. glatte Wand. Dann muß die Mauer dicke gemessen und entsprechend einge­ zeichnet werden; gemessen wird sie bei der Tür und beim Fenster. (Die Dicke der Holzverkleidungen muß natürlich in Abzug gebracht werden). Tür und Fenster werden nun so gezeichnet, wie es auf Bau­ plänen zu sehen und auf Bild 12 dargestellt ist. Wenn auch Einrich*) Derartige keilförmige Mauern finden sich hauptsächlich bei alten Gebäuden und ganz neuzeitigen „modernen Zinskasernen".

Zeichnung eines Einzelraumes. .Kreuzprojektton'.

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tungsgegenstände eingezeichnet werden sollen, so müssen deren Aus­ dehnungen und Entfernungen von den Ecken der Mauer ebenso genau gemessen und (int verkleinerten Maßstabe) eingetragen werden, wie dies eben besprochen wurde. Die einzelnen Möbelstücke werden mit ihrem Anfangsbuchstaben bezeichnet, (vgl. Punkt 12 des Vorstehenden).

Damit sich ja kein Fehler einschleiche, sind die erhaltenen Maße immer wieder auf ihre Richtigkeit zu überprüfen! Eine sehr sinnreiche und äußerst übersichtliche und — was wohl die Hauptsache ist — in der Herstellung sehr einfache Veranschaulichung des Inneren eines Raumes ist die sog. „Kreuzprojektion“.8) *) Wie Prof. Groß in seinem „Handbuch" (Seite 645, Anm.) sagt, zuerst vom Grazer Untersuchungsrichter, jetzt Hofrat Dr. Ehmer in einem großen Mord­ prozeß mit Erfolg angewendet. (Das obige Bild ist im Interesse der Verbreitung derartig sinnreicher Zeichnungen dem genannten „Handbuche" entnommen). W. Polzer, Kriminaldienst.

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Zeichnung einer Wohnung.

Natürlich läßt sich eine derartige Zeichnung in so genauer Aus­ führung nicht gleich auf dem Tatorte machen, aber unbedingt müssen alle dazu erforderlichen Maße dortselbst abge­ nommen werden, (auf keinen Fall darf aus dem Gedächtnis unvollkommen oder gar falsch zuhause „ergänzt" werden!). Jedermann wird zugeben müssen, daß eine derartige Zeichnung selbst die umständ­ lichste Beschreibung ersetzen wird. Was zu tun ist, um eine solche Zeich­ nung Herstellen zu können, wurde bereits gesagt: Alles auf das sorg­ fältigste messen und die erhaltenen Zahlen in entsprechendem Maß­ stabe auftragen; die genaue Ausfertigung, das „schöne Ausarbeiten", bleibt dann allerdings der „Hausarbeit" Vorbehalten. Falls eine solche „Kreuzprojektion" angefertigt werden soll — was namentlich dann von besonderem Vorteil sein wird, wenn nach einer im betreffenden Raum verübten Bluttat sich Blutspritzer ^) auf Ein­ richtungsgegenständen und Mauern vorfinden — muß natürlich auch die Zimmerhöhe gemessen und entsprechend aufgetragen werden. Jeder Sicherheitsbeamte soll solche „Kreuzprojektionen" (z. B. vom eigenen Wohnzimmer oder Amtsraum) zu Übungszwecken anfertigen: Braucht man eine ähnliche Zeichnung dann wirklich, so geht alles viel rascher und sichrer von statten. 2. Zeichnung einer Wohnung.

Die Zeichnung einer Wohnung oder dgl., kurz mehrerer anoder übereinander liegender Räume ist wohl etwas langwierig, doch nicht schwierig, wenn die Sache nur richtig begonnen wird. Was „richtig" heißt, ist leicht zu sagen und ebenso durchzuführen. Vor allem wird der Maßstab derselbe sein, wie der bei einzelnen Räumen, (also 1 m in der Natur — 1 em auf dem Papier, 100:1). Dre Hauptsache liegt darin, daß der richtige Ausgangspunkt für die Zeichnung gefunden wird; hat man diesen geschickt gewählt, werden die übrigen Räume wie Einzelräume (siehe das unter a Gesagte) gemessen und gezeichnet. Die Frage, wo also mit der Zeich­ nung begonnen werden soll, läßt sich für die meisten Fälle zum Glück im voraus beantworten: Bei einem möglichst in der Mitte ge­ legenen Raum, an den sich die übrigen gut anschließen. Beginnt man nämlich mit der Zeichnung jenes Raumes, dem gegebenenfalls besondere Bedeutung zukommt B. weil dort das Verbrechen verübt wurde), wird man nur zu auf allerlei Schwierigkeiten stoßen. *) Aus deren Lage, Anzahl und Form seitens des Arztes bisweilen sehr wichtige Schlüsse gezogen werden können.

Zeichnung der Umgebung eines Hauses.

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namentlich wenn er ganz abseits gelegen ist. Wenn ein Bauplan (dessen Richtigkeit aber immer erst überprüft werden muß) beigeschafst werden kann, ist die Sache wesentlich erleichtert. Nehmen wir ein Beispiel vor: Im Schlafzimmer der Villa, dessen Grundriß im Bild 14 dargestellt wird, sei ein Raubmord verübt worden. Der Täter ist sichtlich auch in den übrigen Räumen gewesen und hat Spuren hinterlassen, so daß die Anfertigung einer übersichtlichen Zeichnung geradezu notwendig ist. In diesem Fall wird man also mit der Zeichnung des in der Mitte gelegenen Vorzimmers beginnen, und sobald, dieses fertig gezeichnet ist, die anderen Räume dazuzeichnen. 3. Zeichnung der Umgebung eines Hauses.

Hier muß man zunächst erwägen, welche Fläche unbedingt ge­ zeichnet werden muß und in welcher Ausdehnung die Zeichnung entstehen soll. Die natürliche Ausdehnung ist hier eine wesentlich größere als bei einzelnen Räumen, es muß also der entsprechende Maßstab gefunden werden. Ist dieser gefunden, dann ist die Anferti­ gung der Zeichnung leicht. Ein Beispiel:5) „Ein eingezäunter Garten, in dem ein Wohnhaus, ein Wirtschaftsgebäude und ein Stall liegen, sollte auf 1/4 Bogen Schreibpapier, also auf eine Fläche von 20 cm Breite und 17 cm Höhe gezeichnet werden. Da muß die Ausdehnung des Gartens ab­ gemessen werden und mindestens die Hälfte dieses Maßes nach allen Seiten hin für die sog. „Anschlüsse" freibleiben. Für diesen Garten haben wir die Hälfte der Papierbreite, also 10 cm übrig, so daß rechts und links je 6 cm für den „Anschluß" freibleiben. Wir schreiten die Länge des Gartens ab und finden 748 Schritte, der Schritt zu 80 cm angenommen, gibt rund 600 m. Diese müssen auf 10 cm aufge­ tragen werden; wir haben demnach das Verhältnis 600 rn: 10 cm, also 60000 cm: 10 cm, oder als Maßstab 6000:1, d. h. es müssen auf 1 cm Papier 60 m wirklicher Raum aufgetragen werden, oder 1 mm Papier bedeutet 6 m Wirklichkeit. Wollen wir also ein Haus von 20 m Frontlänge ein­ zeichnen, so darf es knapp 3 mm (3x6 18) breit ausfallen. Nun ist der Maßstab gefunden unb das Zeichnen einfach. Wir tragen also für unseren Fall auf einer zur Grund­ linie erwählten Linie ab (Bild 15, auf 1/4 verklei­ nert), die 600 mm = 10 cm auf, messen die Lime ac, cd, de und eb, nehmen für je 6 m Wirklichkeit 1mm für das Papier, und tragen die so gefundenen Längen genau auf. Die Winkel bei c, d, e zu messen, 5) Aus Seite 649 des „Handbuches für Untersuchungsrichter". 7*

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„Konventionelle Bezeichnungen", „Topograph. Signaturen'.

wäre zu schwierig. Wir ziehen also eine Hilfslinie von d senkrecht auf ab, messen diese, sowie die Teile bet ab und finden so, ohne wirk­ liche Messung die Punkte c, d und e. In gleicher Weise geschieht die Vermessung des Hauses und der Nebengebäude und man geht an die Darstellung des eigentlichen wichtigen Geländes, hier des Gartens. Was daselbst zu zeichnen sein wird: Wege, Gartenhaus, Kulturen usw. ist nach dem jeweiligen Zweck verschieden. Ueberflässiges ist zu vermeiden, immer aber zu erwägen, was vielleicht wichtig werden könnte. Zuletzt geht man daran, den „Anschluß" zu geben, also das Gelände ringsherum zu zeichnen, soweit es nötig ist, etwa wie es auf der Skizze (die absichtlich denkbar einfach gegeben ist) dargestellt erscheint". Wenn es sich um Geländedarstellungen handelt, bediene man sich der sog. „Konventionellen Bezeichnungen“6), wie sie allgemein ver­ breitet und bekannt sind. Diese Zeichen, die durchwegs sehr klein dargestellt sind, sollen mit dem Vergrößerungsglas genau angesehen werden, um sie so dem Gedächtnis möglichst ein­ zuprägen; dann versuche man sie einzeln und möglichst nett und klein nachzuzeichnen. Die sog. „Schlagschatten", das sind die kleinen seitlichen Strichelchen, mache man ebenfalls deutlich und genau; sie sind teils wagrecht teils etwas nach aufwärts gerichtet, was zu be­ achten ist. Da es unter Polizei- und Gerichtsbeamten viele ehemalige Soldaten gibt, lasse sich der Anfänger von solchen Berufsgenossen nötigenfalls noch unterweisen. Prof. Groß rät, daß man, um sich einzuüben, vorerst alle Zeichnungen ziemlich groß, dann aber immer kleiner machen soll, bis die nötige Kleinheit erreicht ist; dieser sehr sinnreiche Einfall sei allen Anfängern zur Darnachachtung besonders eingeschärft. Im folgenden seien diese „Konventionellen Bezeichnun­ gen", soweit sie für unsere Zwecke in Betracht kommen, aus amtlichen Quellen7) wiedergegeben, da deren Kenntnis auch zum Kartenlesen unbedingt erforderlich ist.

•) So heißen sie in Österreich, in Deutschland nennt man sie: „Topo­ graphische Signaturen“ oder „Aufnahme-Signaturen“. ’) „Portativer Zeichenschlüssel sür die Darstellung und Beschreibung der Terrainteile und Gegenstände in militärischen Aufnahmen, in der Spezial- und Generalkarte, Verlag des militärgeographischen Institutes in Wien". — H. Schmid, „Handbuch für Unteroffiziere", L. W. Seidel & Sohn, Wien 1914.

Konventionelle Bezeichnungen", „Topograph. Signaturen".

Schmale Fahrwege.

Saumwege.

Fußwege.

Zweigeleisige Eisenbahn.

Eingeleisige Eisenbahn.

.........................

Politische Bezirksgrenze.

Gemeindegrenze.

Steile Wegstellen.

Terrainstufen.

Wasserlauf mit Brücke u. Steg.

Bach.

Zäune, lebende und geflochtene.

Planken.

Mauern.

Wohngebäude.

Weingärten.

Hopfenfeld.

Wirtschaftsgebäude.

Schlösser.

101

102

Konventionelle Bezeichnungen", "Topograph. Signaturen".

Kapelle.

Denkmal.

Bildstock.

Fabrik.

Steinbruch.

Tümpel, Teich.

Quelle.

Gefaßte Quelle, Brunn

Zisterne.

Friedhof.

Feldbrunnen.

Lehm- oder Schottergrube.

Einzelne Bäume.

Acker, Felder.

4

ß

Wiseen.

Y oder Kreuz.

Wirtshaus.

I

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d.__________

Grenzzeichen.

Grenzbäume.

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MZMW

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Wegweiser.

Sandstrecken.

Wald.

Gärten.

|-------q CH'e u i

Nasser Boden.

Kloster.

Kirche.

4. Zeichnung eines größeren Teiles einer Landschaft. Daß Zeichnungen dieser Art oft das einzige Mittel sind, um einen umständlichen Wortlaut zu erläutern, in jedem Fall aber eine äußerst willkommene Ergänzung umfangreicher oder gar lückenhafter Beschreibungen bilden, ist genügend bekannt. Der Beamte soll daher auch solche Zeichnungen anzufertigen verstehen. Wie schon die Überschrift sagt, soll ein verhältnismäßig großer Teil einer Landschaft auf einem ziemlich kleinen Stück Papier dar­ gestellt werden. Man muß sich zunächst auch hier darüber klar werden, wieviel unbedingt dargestellt werden muß. Weiß man nun, welche Fläche in Betracht kommt, so wird sie ab gegangen.^) Die Anzahl der Schritte wird mit 8 multipliziert und dann die letzte Stelle weg­ gestrichen (1 Schritt — 80 cm), also z. B. 600 Schritte mit 8 multipli­ ziert — 4800, letzte Null weg, ergibt 600 Schritte — 480 m. Nun mißt man das Papier, welches man für den -genannten Zweck ver­ wenden will, ab und sucht ein einfaches Verhältnis zwischen der auf­ zunehmenden Landschaft und dem vorhandenen Papier herzustellen.

Sagen wir, die zu zeichnende Fläche habe eine Länge von 1842 Schritten und eine Breite von etwa 1/3 der Länge. Wir wollen zur Zeichnung einen der Länge nach genommenen halben Bogen Schreib­ papier (36 cm lang und 21 cm breit) verwenden. Die 1842 Schritte auf Meter gebracht, geben 1185 m, die wir auf 1200 abrunden; 1200 m — 120000 cm: 35 — 3428,6, was wir als Berhältniszahl auf 3500 abrunden; das anzunehmende Verhältnis ist also: 1:3500 b. h *) Auch hier sei die sehr lehrreiche und dabei höchst einfache Art deS Vorganges an der Hand des im „Handbuch für Untersuchungsrichter, Seite 666, angeführten Beispieles wiedergegeben.

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Zeichnung einer Landschaft.

auf 1 cm Papier müssen 35 m der Natur kommen oder auf 1 mm Papier 3i/2 m der Natur. Nun haben wir ein einfaches Maß; wir messen jeden Teil in der Natur ab, übertragen 35 m auf 1 cm und tragen dies auf. Haben wir also ein Straßenstück mit 460 in abge­ messen, so teilen wir 460:35 —13,1, wir haben also die Straße mit 13 cm und 1 mm aufzutragen. Noch einfacher ist es, sich einen Maß­ stab für die Umrechnung zu machen. Sagen wir z. B. das Gelände sei 320 Schritte — 256 m lang, während das Papier 35 cm mißt; das Verhältnis: 25600 cm:35 cm — 761 ergibt abgerundet etwa 700, so daß 1 cm Papier — 7m Natur darstellt. Wir haben also: 1 cm — 7 m, 2 cm — 14 m, 3 cm — 21 m, wobei wir schon stehen bleiben und sagen können: 3 cm — 20 m, d. h. wir machen auf dem Papier einen Strich von 3 cm Länge, welchen wir dann mit dem Zirkel auf dan Maßstab auftragen, bis wir z. B. 100 m haben. Mit diesem Maßstab ist es leicht arbeiten. Wäre die Verhältniszahl (statt oben 700) 900, so sagen wir 1 cm — 9 in, 2 cm = 18 m, 3 cm = 27 m, —-------9 cm — 81 m oder rund: 9 cm — 80 m. Wir nehmen also einen

Bild 16.

Strich von 9 cm, teilen ihn in 8 Teile und wissen, wie groß 10 cm sind, wonach der Maßstab gemacht wird. Große Erleichterung dabei bietet das schon erwähnte rnrn-Papier. Für die eigentliche Arbeit tritt der günstigste Fall dann ein, wenn sich der Länge nach, quer durch die aufzunehmende Fläche — eine möglichst gerade Linie zieht, z. B. eine Straße, ein Weg, eine Eisenbahn, ein Wasserlauf, ein Zaun, eine aneinanderschließende Reihe von Kulturgrenzen usw. Wenn man eine solche Linie hat, ist die Arbeit so wesentlich erleichtert, daß es sogar zu raten ist, die Ausgangslinie etwas zu verlegen, wenn es dadurch möglich wird, eine solche Linie zu bekommen. Man muß dann zwar auf die Skizze mehr nehmen, als unbedingt nötig ist, man gewinnt dadurch aber soviel an Erleichte­ rung und Sicherheit, daß sich dies doch lohnt. Findet man eine solche

Zeichnung einer Landschaft.

105

gerade Linie durchaus nicht (was aber selten vorkommen wird), dann schafft man sich eine solche dadurch, daß man sich dieselbe durch be­ stimmte feste Punkte (Haus, einzelner Baum und dgl.) legt und diese Linie zur Grundlage der Arbeit-macht. Nehmen wir also ein Beispiel für eine solche Zeichnung an der Hand der Skizze, Bild 16, (die natürlich um vielfaches verkleinert er­ scheint: in Wirklichkeit müßte sie um das dreifache größer sein, um alles einzeichnen zu können, was eigentlich dargestellt werden soll). Der günstigste Fall wäre der, daß eine Straße ungefähr wagrecht quer über die Skizze läuft (a b); ist dies nicht der Fall, so werden wir die Kulturgrenzen von c bis d wählen, da die Raine der Äcker und Wiesen gegen den Wald und die daneben liegenden Wiesen ja auch annähernd eine gerade Linie bilden, die überblickt und gemessen werden kann. Im äußersten Falle müßte man sich die geraden Linien denken; vom Hause unter d bis zum „weit sichtbaren" Baume unter f bis zur Grenze des Weingartens unter gg und von da bis zum Bildstock unter h. (Die Buchstaben wurden außer die Skizze gestellt, um diese viel zu klein angefertigte Darstellung nicht unklar zu machen; dies wird sich in ähnlichen Fällen stets empfehlen). Nehmen wir also an, die Sach­ lage sei so wie oben dargestellt, so werden wir zuerst die Straße einzeichnen und nun alle Vermessungen von dieser aus machen. Man wird also beim Punkt a beginnen, die Straße entlang gegen b gehen und vorerst alle Punkte abschreiten, umrechnen und einzeichnen, welche dadurch entstehen, daß andere Linien die Straße schneiden; also zuerst rechts und links die Kreuzung des Fahrweges, dann rechts den Anlauf eines Ackerraines, links den des Wiesenraines, rechts wieder Wiesenrain, links Waldrain und Weingartengrenze, dann rechts Anlauf des lebenden Zaunes, links Weingartengrenze, rechts Acker­ rain, endlich Brücke. Dann mißt man noch bis zum Punkte b, zählt alle Maße zusammen und sieht nach, ob diese zur ganzen Länge von a b, die früher gemessen war, stimmt. Stimmt dies nicht, so muß nach­ gemessen und verbessert werden. Nun denkt man sich eine senkrechto von allen aufzunehmenden Punkten auf die Grundlinie (Straße), er­ richtet und mißt sowohl diese als auch jene Strecke, welche vom Punkte a bis zu jenem Punkte reicht, an welchem die genannte Senkrechte die Straße trifft, d. h. man geht, die Schritte zählend, von a solange auf der Straße fort, bis man nach dem Augenmaße annehmen kann, daß eine hier auf die Straße gezogene Senkrechte das Haus (unter dem Punkte e) treffen wird. Die gefundene Strecke der Straße wird auf der Skizze aufgetragen und nun geht man wieder Schritte zählend, auf das Haus los und trägt diese Entfernung auf. Hat man richtig gezählt und den rechten Winkel nur annähernd richtig getroffen, so muß das Haus genau auf dem richtigen Platz eingezeichnet sein. Ebenso macht man es nun mit allen folgenden Punkten und Rainen; jeder Punkt wird durch zwei Messungen bestimmt; zuerst auf der Straße die Lage nach rechts und links, dann im rechten Winkel von der Straße, die Lage nach oben und unten."

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Zeichnung eines Stadtteiles.

5. Darstellung eines Teiles einer Stadt. In solchen Fällen wird man sich des Stadtplanes (sofern ein solcher vorhanden ist) bedienen oder einer Spezial- oder Generalkarte, wie man eine solche für die betreffende Gegend stets be­ sitzen muß. Was an Gegen­ ständen eingezeichnet werden muß, (z. B. Zusammenstoß der elektrischen Straßenbahn mit einem von Pferden gezogenen Wagen oder dgl.), wird wie aus der Vogelschau gesehen dargestellt. 6. Abzeichnen von Unebenheiten des Bodens. Die Tatsache, daß der Beamte sehr oft in die Lage kommt, namentlich Fußspuren (aber auch sonstige Spuren), welche mit der verübten strafbaren Handlung im Zusammenhänge stehen (tönnett) und im aufnahmsfähigen Boden (z. B. Staub, Kot, Lehm, Schnee usw.) zurückgeblieben sind, für die Zwecke der Untersuchung nach Möglichkeit erhalten zu sollen, brachten mich schon vor Jahren auf den Einfall, eine Vorrichtung zu schaffen, die hiefür besonders geeignet ist; ich nannte sie damals: „Pausapparat zum Kopieren von Uneben­ heiten des Bodens"?) Daß den auf dem Tatorte zurückgebliebenen Spuren besondere Bedeutung zukommt, weil sie oft der einzige An­ haltspunkt für die Ausforschung des Täters bilden, braucht an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt zu werden und sei auf das im Abschnitt über Spuren, S. 117,125,132, Gesagte verwiesen. Die zurückgebliebene Spur kann nur selten als solche mitgenommen werden, weshalb sie wenigstens genau beschrieben, abgezeichnet, photographiert und womöglich abgeformt werden muß; wie dies geschieht, ist eben­ falls im Abschnitt über Spuren auseinandergesetzt. Hier sei nur erwähnt, daß es zum photograhieren solcher Spuren bekanntlich leider nur sehr selten kommt (da die leidige Kostenfrage u. a. hemmend ein­ greift), es bleibt also im besten Fall beim Beschreiben, Abzeichnen und Abformen. Aber auch diese drei Hilfsmittel haben ihre Nachteile: Das Beschreiben gibt nur in den seltensten Fällen eine richtige Vorstellung vöm Urbild, das Abzeichnen fällt fast immer sehr ungenau aus und beim Abformen geschieht ebenfalls leicht ein Mißgriff, der die Spur verstört. Der „Pausapparat" aber beseitigt alle diese Schwierigkeiten: Ohne die Erstspur auch nur zu berühren, vermag man damit ein Abbild herzustellen, das — Genauigkeit des Zeichners vorausgesetzt — das Urbild in allen Einzelheiten wiedergibt. Es ist mit Hilfe dieses Apparates möglich, geringe Vertiefungen oder Erhabenheiten des Bodens, kurz Unebenheiten desselben, unmittelbar nach der Natur zu „kopieren“, durchzupausen. Der im folgenden beschriebene Apparat •) Beschrieben im „Archiv für Kriminalanthropologie und K r i m i n a l i st i k", Bd. XI,VI. (Er hat sich, wie ich aus einer Reihe von Zuschriften ersehen konnte, inzwischen allseits bestens bewährt).

ist höchst einfach, seine Herstellung, die jeder Tischler besorgen kann, kostet nur wenige Kronen, ist unverwüstlich und für derartige Spuren­ abnahmen geradezu unersetzbar. Er besteht aus einem rechteckigen Holzrahmen mit einer unverschiebbar eingelegten (gefalzten), blasenfreien Glas­ scheibe^) 19x37 cm, eine Fläche, welche für die Abnahme von Fuß­ spuren (und damit auch anderen kleiner Spuren) hinreichend groß ist. Die Rahmenseiten sind 3 cm breit und zusammen 2 cm dick, die Glasscheibe ist auf jeder Seite 1 cm tief eingefalzt, so daß sie von oben gesehen 17x35 cm hat. Die (je 1 cm dicken) Rahmen sind durch Holz­ stifte mit einander fest verbunden; das äußere Kantenrechteck ist 23x41 cm, das innere 17x37 cm groß.") An jeder Ecke des Nahmens ist eine etwa 3 cm lange Schraube mit engen Windungen und flachem, gezähntem Kopf befestigt (ähnlich den Schrauben am Fuße der Brief­ wage oder den an Pendeluhren zum genauen Einstellen und nach­ herigen Festmachen in der Wand angebrachten Schrauben), durch welche ein genaues Einstellen des Apparates über der abzu­ pausenden Unterlage ermöglicht wird. Um das Eindringen der Schraubenspitzen in den vielleicht sehr weichen Erdboden zu verhindern, sind daran Gegenköpfe befestigt. Bild 18 veranschaulicht den „Pausapparat", Bild 19 zeigt einen Querdurchschnitt mit Erklärung der einzelnen Bestandteile.

H

St

Gl

St //

/Schrk

HWCschr

__ M ä—Schrk.Kl

SchrR.kl-----

Bild 19. Gl ---- Glasscheibe, Zg — hier sind die beiden dünnen Rahmen zu einem zusammengesetzt, 8t — Holzstifte, welche die Ruhmenteile fest verbinden, Schrk — Schraubenkopf, gerändert. Sehr — Schraube zum höher und tiefer einnetten der Rahmens, M — MeGittstück, in welchem die Schraube läuft, ________________ Sehr, kl — Schraubenkopf, klein, abnehmbar, H — Holzrahmen.

10) Am besten sog. belgisches Glas, die beste Glassorte. 11) Ein mit einer festen Glasscheibe versehener Bilderrahmen in der bei­ läufigen Größe des Apparates, dessen Ecken entsprechend unterlegt werden müssen, tut im Notfall dieselben Dienste und — kostet nichts!

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Unebenheiten des Bodens abzupausen.

Verwendung des Pausapparates: Man stellt ihn über die abzuzeichnende Spur derart ein, daß die Scheibe möglichst nahe kommt, diese aber noch nicht berührt, sodann legt man ein Blatt Ke Hit12) in der Größe der sichtbaren Scheibe auf, klebt es an den Ecken ein wenig fest, setzt oder legt sich in unmittelbarer Nähe der Spur nieder, schließt das eine Auge und paust nun, ebenso wie man es bei Zeichnungen tut (mit kaum auf­ gelegter Hand), mit gewöhnlicher Schreibtinte oder mit einem dazu geeigneten, möglichst spitzigen Wachsstift") die Unterlage ab. Zum Abpausen verwende man nicht das im Handel befindliche Paus­ papier, sondern Cellit, da letzteres glashell und durch einfaches Abwischen mit einem feuchten Tuch immer wieder verwendbar ist, während Pauspapier, selbst wenn es bester Gattung ist, deutlich die (sehr störenden) Papierfasern zeigt und . nach einmaliger Benutzung nicht mehr verwendet werden kann. Bild 3 und 4 veranschaulichen die besprochenen Unterschiede; bei ersterem ist bestes Pauspapier ver­ wendet, bei letzterem ein Cellit: Die wesentliche Verschiedenheit der Durchsichtigkeit ist sofort erkennbar. Obwohl Bild 20 (Pauspapier) sichtlich größer ist als Bild 21 (Cellit), ist ersteres dennoch viel undeutlicher. Bild 22 zeigt die erhaltende Abbildung in natür­ licher Größe und Klar­ heit. Die Anzahl und Form, Anordnung und Entfernung der einzelnen Nägel von einander, kurz alle Eigenheiten der Spur (eines Schuhabsatzes) tre­ ten vollkommen deutlich zum Vorschein. So ist es mit Zu­ hilfenahme dieses Appa­ rates möglich, natur­ getreue Kopien von Un­ ebenheiten des Bodens herzustellen; selbst der fast gar nicht geübte Zeichner vermag durch einfaches Nachpausen Bild 20. Zeichnungen anzuferti­ gen, die er durch ge­ wöhnliches Abzeichnen nie zustande gebracht hätte. Erst wenn die Spur derart abgepaust ist, darf man darangehen, sie noch abzuformen, (Näheres darüber siehe Seite 128). **) Die Farbenfabrik Friedrich Bayer & Co. in Elberfeld, (Deutsch­ land) liefert mit Bezug auf meinen Aussatz um geringen Betrag derartige Cellitfolien (F 0,04 mm, .wasserhell"). “) In allen größeren Schreibpapierhandlungen erhältlich.

Orientierung nach der Sonne.

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3. Das Zurechtfinden (Orientieren) bei Tag und bei Nacht. Unter Orientierung versteht man bekanntlich die Geschicklich­ keit, sich auch in unbe­ kannter Gegend, bei Nacht und Nebel, mitten im Wade, in übersicht­ lichem und unübersicht­ lichem Gelände zurecht zu finden. Diese Geschicklichkeit soll auch jedem Kriminal­ beamten zu eigen sein, da er leicht in die Lage kom­ men kann, solche Kenntnisse zu verwerten. Es ist da­ her im folgenden zusammen­ gestellt, was wohl Jeder schon einmal darüber gehört, aber vielleicht schon wieder vergessen hat.

Orientierungsmittel:14) 1. Bei Tage: a) Eine Orientierung ist auch mit Hilfe der Sonne möglich, doch ist diese Orientierung ihren Stand fortwährend ändert; die Sonne steht frühim Osten, mittags im Süden, abends im Westen. b) Scheint die Sonne, kann man die Südrichtung und damit die gewünschte Orientierung mit Hilfe

der Taschenuhr genau auf folgende Weise finden: Man denkt sich den großen (— Minuten-)Zeiger weg und dreht die auf die offene Hand gelegte Taschenuhr(Glasnach oben)so lange, bis der kleine (= Stunden-)Zeiger genau gegen die Sonne zeigt; dann teilt man den Winkel, der u) Aus „Geländeübungen des militärischen Jugendbuches von Hauptmann Oskar Jüry". 2. Aufl., Verlag von L. W Seidel & Sohn, Wien. Dem Herrn Ver­ fasser und dem Verlage sei für die Genehmigung der Benützung dieses Behelfes bestens gedankt.

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Orientierung nach dem Mond.

von den Schenkeln des kleinern« Zeigers und der (gedachten) Linie zwischen Zeigerdrehung und der Ziffer XII "" gebildet wird, in die Hälfte: Die Verlängerung dieser Hal­ bierungslinie gibt die Süd­ richtung an (Bild 23). Hat man auf diese Weise die Südrichtung gefunden, so lassen sich die übri­ gen Weltgegenden am einfachsten in der Weise bestimmen, daß man sich mit dem Rücken gegen die

2. Bei Tag und bei Nacht: Am einfachsten und sichersten geschieht das Auffinden der Weltgegenden mit Hilfe einer (leuchtenden) Magnetnadel (Kompaß, Bussole), welche bekanntlich die Eigenschaft hat, sich stets (mit der blauen Spitze) in die Nordrichtung zu stellen;15) dieses Orientierungsmittel kann immer an­ gewendet werden. 3. Bei Nacht:

Mond und Sterne (bei unbewölktem Himmel); a) Mond: Siehe im Kalender: „Mondaufgang". Nach dem Mond ist eine Orientierung ebenso wie nach der Sonne möglich. Weil der Mond das Licht von der Sonne erhält, kann man an der Beleuchtung der Mondscheibe erkennen, wo die Sonne gegenwärtig steht.

Der Stand des Mondes ist beiläufig folgender:

Erstes Viertel

Um 6 Uhr abends Um Mitternacht Um 6 Uhr früh

.

.

.

.... ....

Vollmond

Letztes Viertel

Im Norden

Im Osten

Im Süden

Im Osten

Im Süden

Im Westen

Im Süden

Im Westen

Im Norden

Bei Neumond (siehe Kalender) steht die Sonne genau hinter dem Mond. Im ersten Mondviertel steht die Sonne 90° rechts vom Mond, war also vor 6 Stunden auf der Stelle des Mondes. 16) In unserer Gegend weicht die Nadel allerdings etwas (ungefähr um 9°) von dieser Richtung ab, welche Abweichung auf einer guten Bussole durch einen kleinen nach außen strebenden Pfeil (zwischen Nord- und Nordwestrichtung gelegen) gekennzeichnet ist.

Orientierung nach den Sternen.

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Bei Vollmond steht ihm die Sonne gerade gegenüber (12 Uhr nachts Sonne im Norden, Vollmond im Süden, daher vor 12 Stunden an seiner Stelle). Im dritten Viertel steht die Sonne 90° links vom Mond, wird daher in 6 Stunden an seiner Stelle sein. Will man die Zwischen st ellungen ermitteln, wann die Sonne an der Stelle des Mondes stand, schätzt man, wie viele Zwölftel die Mondscheibe im Augenblick der Beobachtung darstellt. Das erste Viertel — das dritte Viertel — T*T. Z unehmender Mond (hat den inneren Bogen links). Jedes geschätzte Zwölftel ist — 1 Stunde. So viele Zwölftel — so viele Stunden. Vor soviel Stunden war die Sonne an der Stelle des Mondes. Abnehmender Mond (hat den inneren Bogen rechts). Jedes geschätzte Zwölftel ist eine Stunde, So viele Zwölftel — so viele Stunden. Nach soviel Stunden wird die Sonne an Stelle des Mondes stehen. Wenn es also jetzt 11 Uhr abends ist und der Mond — so wird nach 6 Stunden, das ist um 5 Uhr früh, die Sonne an Stelle des Mondes stehen.

b) Sterne. In einer sternhellen Nacht kann man sich nach dem Polar­ stern orientieren. Der Polarstern steht dem Nordpol sehr nahe, gibt daher ckie^orckrichtung an. Er ist der erste und am stärksten glänzende Stern des „kleinen Bären" und wird gefunden, wenn man den „großen Bären" o (oder „großen Wa­ gen") am Himmel 3 aufsucht, seine bei­ 8* den rückwärtigen B Sterne durch eine Gerade: verbunden und diese r" denkt : nach auf­ Gerade wärts verlängert. e.... .*----Trägt man auf die­ X se Gerade die Ent­ fernung der beiden rückwärtigenSterne (Sternbild de« Großen und Kleinen Bären.) ungefähr 51/2 mal Bild 24. auf, so kommt man auf die Stelle, wo sich der Polarstern befinden muß, (siehe Bild 24).

*

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Verkohltes Papier lesbar zu machen.

4. Behandlung verkohlten Papieres.

Wenn Hausdurchsuchungen vorgenommen werden, ist stets die Möglichkeit im Auge zu behalten, daß wichtige Schriftstücke auch verbrannt worden sein können. Findet sich im Ofen verkohltes (verbranntest Papier und gelingt es, die der Vernichtung über­ gebenen Schriftstücke nach Möglichkeit zu retten und vielleicht auch lesbar zu machen, so ist damit, namentlich in schwierigen Fällen, Unersetzbares geleistet. Wie überall, ist auch hier Grundbedingung des etwaigen Gelin­ gens, daß schon beizeiten Versuche gemacht worden sein müssen, um gegebenenfalls die Sache mit den nötigen Vorkenntnissen anpacken zu können. Es soll deshalb jeder Kriminalbeamte trachten, bei der­ artigen Versuchen einen möglichst hohen Grad der Geschicklichkeit zu erreichen, d. h. solange solche Versuche machen, bis er es verant­ worten kann, im Ernstfall, welcher derartiges bietet, sicher und geschickt zuzugreifen. Wer je beim Verbrennen von Schriftstücken zugesehen hat, wird sich vielleicht erinnern, daß der auf bereits verkohlten Schriftstücken vorhanden gewesene Text noch sehr deutlich zu lesen war. Wie ist diesfalls vorzugehen? 1. Wenn im Ofen merklicher Luftzug herrscht (Bei warmer Zim­ mer- und kalter Außentemperatur) ist dieser womöglich sofort abzu­ stellen ; dies geschieht durch Schließen des (namentlich bei älteren Öfen vorhandenen Schubers, Verstopfen der Rauchabzugöffnung, Ofenröhre. Der Luftzug hat nämlich zur Folge, daß die sehr gebrechlichen, äußerst beweglichen, verkohlten Stückchen nach und nach abbröckeln, zerfallen, und muß deshalb unter allen Umständen unterbrochen werden. 2. Fühlt sich der Ofen, in dem sich möglicherweise verkohltes Papier befinden dürfte, noch warm an, so muß man mit dem Auf­ machen des Ofentürls noch zuwarten, da auch halbverkohltes Papier darin sein kann, welches durch plötzlichen Luftzutritt wieder zu brennen an fangen würde. 3. Kann das Ofentür! endlich ohne Gefahr eines dadurch ent­ stehenden Luftzuges geöffnet werden, sind die verkohlten Papierstücke bei möglichst guter Beleuchtung des Ofeninnern — weil sehr ge­ brechlich — mit äußerster Sorgfalt herauszuholen: Linealförmig geschnittene Streifen aus starkem Papier werden zunächst unter die zu ob erst gelegenen verkohlten Papierstücke geschoben und mit diesen behutsam herausgebracht. Die Behandlung verkohlter Papierstücke ist eine verschiedene, je nachdem sie fast flach oder zusammengeballt sind. a) (Fast) flache verkohlte Papierstücke werden vom Ofen aus un­ mittelbar auf ein (schon vorbereitetes) Cellitblatt") gebracht und bei seitlich einfallendem Licht genau betrachtet: So sind etwaige Schrift") Näheres darüber siehe im Abschnitt: „Zeichnen", insbes. S. 94.

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Zusammensetzen zerrissenen Papieres.

zeichen oder dgl. nötigenfalls mit Zuhilfenahme der Lupe gut sichtbar; womöglich soll das Papierstück bereits in diesem Zustande, d. h. also vor weiterem Zugreifen — wegen Gefahr der Zerstörung — photo­ graphiert werden. Dann wird der verkohlte Rest in den Dunst kochenden Wassers gehalten oder vorsichtig in ein breites mit reinem Wasser gefülltes Becken gegeben, so daß er schwimmt und im Augenblick des Untergehens mit einem darunter geschobenen Cellitstreifen, welcher auf der dem verkohlten Papier zugewendeten Seite leicht gummiert ist, derart aufgefangen, daß das Papier durch das angegebene Verfahren weich geworden — darauf Platz findet und sich beinl „legen" nach und nach festklebt. Diesem „Sichlegen" kann nötigenfalls durch sanftes Aufdrücken mit einem trockenen ge­ eigneten Gegenstände (Kaffeelöffel, Fingerhut usw.) entsprechend nach­ geholfen werden. b) Zusammengeballte verkohlte Papiere bieten sehr selten Aus­ sicht, sie auch nur teilweise auseinanderfalten und damit lesbar machen zu können, immerhin muß es versucht werden: Über Wasser­ dunst halten oder mit einem feinen Zerstäuber gut feucht machen. Sind Schriftzüge sichtbar, müssen sie (wenigstens mit der Lupe) gesucht und abgeschrieben, nach Möglichkeit aber photographiert wer­ den. Ein Aufkleben auf gummiertes Cellit darf erst versucht werden, wenn das Papier hiezu geeignet, also ziemlich flach geworden ist, (siehe das unter a) Gesagte). c) Kann man trotz Anwendung dieses Verfahrens selbst so gut wie gar nichts herausbringen, ist noch immer Hoffnung vorhanden, aus dem verkohlten Papier etwas nachweisen zu können: Der Chemiker, Mikroskopiker, geschulte Photograph wird in vielleicht aussichtslos erscheinenden Fällen noch Anhaltspunkte liefern können; (vgl. dazu auch den Abschnitt: „Sachverständige", Seite 42). Derartige (prä­ parierte) Stücke verkohlten Papieres sind daher mit aller Vorsicht in geeignete Behältnisse zu geben, sorgfältigst davor zu be­ wahren, daß sie irgendwie Schaden nehmen könnten und unverzüg­ lich der zuständigen Stelle zu übermitteln, (vgl. auch den Abschnitt: „Behandlung der corpora delicti", Seite 143). Nochmals sei jedem Kriminalbeamten dringend geraten, auch hier beizeiten die nötigen Versuche zu machen, um sich auch im „Ernst­ fälle" mit Aussicht auf Erfolg an eine derartige Arbeit machen zu können.

5. Zusammensetzen zerrissenen Papieres. Es mag auf den ersten Blick vielleicht kleinlich erscheinen, wenn im folgenden auch darüber Anleitungen^) gegeben werden, doch sind siejanur für denAnfänger bestimmtund diesem muß gesagt werden, wie man in einem solchen Falle am einfachsten, schnellsten und sichersten vorgehen kann. Auch dieses „Kunststück" muß beizeiten erprobt werden, um sich im Ernstfall mit Erfolg daransetzen zu können. *’) Im wesentlichen meinem im „Archiv für Kriminalanthropologie und Kriminalistik", 93b. XLIIT, szt. veröffentlichten Aufsatze entnommen. W. Polrer, ffttminalbienft.

8

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Zusammensetzen zerrissenen Papieres.

Es wird häufig der Fall sein, daß dem Beamten im Laufe einer Strafsache Papier schnitzel unterkommen, die offenkundig von ab­ sichtlich zerrissenen Schriftstücken herrühren, welche auf diese Weise ver­ nichtet und beseitigt werden sollten; da sie wichtige Anhaltspunkte bieten können, müssen sie stets gesammelt und verwertet werden. (Zum Zwecke der Vorübung ersuche man einen Bekannten, er möge ein gegenstandsloses Schriftstück, dessen Inhalt dem Ersuchenden na­ türlich unbekannt sein muß, in Keine Teile zerreißen^) und zum Zusammensetzen überlassen; auch auf Spaziergängen kann man solche Papierstückchen finden). Hält inan sich an die im folgenden gegebenen Richtlinien und hat man bei der ganzen Sache einigermaßen Glück, so wird auch hier das Äußerste geleistet werden können. 1. Wo sich Papierstückchen finden, auf das sorgfältigste nach weiteren solchen suchen; „Alles umdrehen!“ 2. Auf freiliegenden oder solchen Stellen, zu denen inzwischen auch andere Personen haben kommen können, ist es nötig, einen größeren Umkreis abzustreifen, weil sie durch Wind, Regen, dazu­ gekommene dritte Personen (z. B. Schulkinder usw.) oft weitab ver­ tragen worden sein können; an windgeschützten, vielleicht nicht sofort sichtbaren Orten finden sich gewöhnlich gleich mehrere solcher Teilchen; auch ein etwa in der Nähe gelegener Kanal, Wassergraben usw. ist genau abzusuchen. 3. Jedes Papierstückchen aufheben, auch wenn es augenblicklich nicht dazu zugehören scheint (weil vielleicht vom Regen verwaschen, mit Erde beschmutzt, von der Sonne gebleicht usw. kurz sichtlich anders aussieht). 4. Das Aufheben der Papierstückchen geschieht am besten mit einer Pinzette, auch mit der unterschobenen Spitze der Taschen­ messerklinge und daraufgelegten Zeigefinger, so daß das Fleckchen in die Mitte zu liegen kommt, oder mit einem zu diesem Zweck ab­ geschnittenen, hufeisenförmig gebogenen, federnden Ästchen; dabei ist unbedingt darauf zu achten, daß die Fleckchen beim Aufheben und Ver­ wahren nicht eingebogen werden! 5. Die gefundenen Fleckchen sind vorläufig in einer kleinen Schachtel, Briefhülle, in einem Büchlein oder dgl. aufzubewahren. 6. Bevor man (im Amt) mit dem Zusammensetzen beginnt, sind die vielleicht von Erde oder dgl. beschmutzten Stückchen nach völliger Trocknung mit einem Pinsel zu reinigen. 7. Auf dem Schreibtisch sind die Papierstückchen (anfassen wie oben angegeben) nebeneinander auszulegen. 8. Sohin ist mit dem Sondern zu beginnen: Fleckchen, biegleiche Schrift (z. B. nur Handschrift, nur Druck, nur Maschinenschrift) *•) Diese sollen im Anfang nicht gar zu llein sein, um die ersten Versuche nicht unnötig zu erschweren; sobald man sich aber schon einigermaßen eingeübt hat, können und sollen sie sogar immer Heiner, schließlich nur messerspitzgroß sein.

aufweisen, sind von den übrigen ebenso abzusondern, wie von etwa verschicdenfärbigen Stückchen solche, die gleiche Farbe haben (z. B. Teile einer blauen Briefhülle oder dgl.); so wird die ursprünglich vielleicht sehr große Menge von Fleckchen in mehrere kleine Gruppen geteilt, deren Aufarbeiten wesentlich leichter ist. 9. Beim Zusammensetzen beginne man mit dem kleinsten Häuf­ chen, weil man damit am schnellsten fertig ist und vielleicht schon Namen, Orte usw. aufgefunden hat — Anhaltspunkte, die für das Weiterarbeiten sehr förderlich sind. 10. Das Zusammensetzen wird wesentlich erleichtert, wenn man sich dabei zweier gleich großer, reiner Glasplatten und mehrerer etwa 3 cm breiter und 20 cm langer Glasstreifen bedient. Von den beiden Glasplatten bleibt die eine vorderhand abseits liegen, auf die andere werden die Papierstückchen — wie folgt — gelegt und mit den Glasstreifen einstweilen niedergehalten. 11. Man suche zuerst die Stückchen mit zwei beschnittenen (— scharfen) Rändern, das sind die Ecken, aus; an diese schließen sich dann die Fleckchen mit je einem scharfen Rand: So ergibt sich von selbst die Ausdehnung des ursprünglichen Schriftstückes. Die ein gebogenen, dachförmigen Stückchen werden wohl durchwegs in die Mitte gehören. Die noch vorhandenen Lücken sind mit den restlichen allseits gerissenen Teilchen bald auszufüllen. Mitunter sind auf den Stückchen deutlich sichtbare sog. „Wasser­ zeichen“ vorhanden, die das Zusammensetzen sehr erleichtern. 12. Hat man vielleicht schon während des Sonderns einige unmittelbar zusammengehörige Stückchen gefunden, so lasse man sie beisammen, bis sich dieser Teil auf einmal in eine Lücke einfügt.

13. Sobald man meint, den Wortlaut richtig und (möglichst) vollständig zusammengestellt zu haben, nehme man die Glas st rei­ fen vorsichtig weg, lege die zweite Glasplatte darauf, so daß die Fleckchen in der Mitte sind, schreibe zunächst die eine Seite und dann (durch umwenden) auch die rückwärtige Seite vorderhand mit Bleistift ab und lese sie noch einmal aufmerksam ganz durch; dabei können noch immer etwaige Richtigstellungen vorgenommen werden. 14. Erst wenn jedes der Stückchen verläßlich an seinem Platz ist, beginne man mit dem Aufkleben, wozu eine stark verdünnte Gummilösung verwendet wird; Die Fleckchen werden auf der einen Seite mit Hilfe eines weichen Pinsels bestrichen und nacheinander auf die Glasplatte18) so geklebt, daß zwischen den einzelnen Stückchen kein freier Raum (sog. „Adern") bleibt; dies ist bei einiger Geschicklich­ keit und Sorgfältigkeit wohl immer zu erreichen. Die zweite Glas­ scheibe wird dann z u m S ch u tz des Aufgeklebten daraufgelegt und deren ie) Das hiezu geeignetste Mittel; nur im Notfälle wären Paus lein wand, Pauspapier u. dgl. zu verwenden, die immer Falten bilden.

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Abformen fester Gegenstände.

Ränder gleichfalls mit gummiertem Papier oder Leinwand­ streifen bleibend zusammengehalten. Fleckchen, die von einem dicken Papierstück herrühren (z. B. Papp­ deckel, aufgeklebte Lichtbilder und dgl.), haben fast durchwegs schief gerissene Ränder,?") sie müssen daher besonders sorgfältig geklebt werden, um „Adern" nach Möglichkeit zu vermeiden. 6. Abformen fester Gegenstände.11) Der Kriminalbeamte wird öfter in die Lage kommen. Gegen­ stände (auch Spuren an solchen) die aus irgendeinem Grunde nicht selbst mitgenommen werden können, abzuformen, weil sie für die betreffende Strafsache von Bedeutung sind. Dies wird namentlich dann der Fall sein, wenn das, was abgeformt werden soll, von der Unterlage kaum lösbar ist oder ohne wesentlichen Sachschaden nicht abgenommen werden kann oder aus ähnlichen anderen triftigen Gründen; um nur einige aufzuzählen: Z. B. die Form der Kante eines größeren Gegenstandes, auf die jemand aufgefallen ist und sich eine tödliche Verletzung zugezogen hat, sichtliche Spuren (Ein­ drücke) an festen großen Körpern, die durch bedeutende Gewalt­ einwirkung (Schuß, Hieb, Stich oder dgl.) entstanden sind, Be­ schaffenheit oder Oberfläche eines großen Gegenstandes (z. B. ob glatt, rauh, rissig oder dgl.) usw. usw. Das Abformmittel ist entweder eine weiche, dazu geeignete Knet­ masse wie: Wachs, Modellierton, Teig, weiche Brotkrume oder dgl.) oder dazu geeignetes Papier, di. Lösch- (Fließ-) oder Filtrierpapier. Knetmasse verwendet man, wenn der abzuformende Gegenstand nicht eben ist; Lösch- oder Filtrierpapier, wenn er flach ist.

Der Vorgang ist in beiden Fällen einfach:

a) Bei Verwendung der Knetmasse: Man drücke sie gegen den betreffenden Gegenstand und vergleiche dann den erhaltenen Ab­ druck— wie bei allen derartigen Versuchen — mit dem Urbild: Ist er schlecht, d. h. undeutlich ausgefallen, so muß der Vorgang wiederholt Werden, bis ein naturgetreuer Abdruck entstanden ist. Stets ist schriftlich festzuhalten, ob der so erhaltene Abdruck das Urbild genau wiedergibt. b) Bei Verwendung von Lösch- oder Filtrierpapier (man kann auch Klosett- oder sog. Seidenpapier dazu verwenden): Das Papier wird vorerst gut befeuchtet, damit es vollkommen geschmeidig sei und dann auf die abzuformende Unterlage gebracht. Hierauf klopft man mit einer Bürste (deren Borsten weder zu hart noch zu weich sein sollen) solange auf das Papier, bis sich dieses der Unterlage ganz an**) Wer dies etwa noch nicht beobachtet haben sollte, möge sich durch Versuche sofort davon überzeugen. **) Vgl dazu auch das über das Abformen von Fußspuren Gesagte, S. 126.

Fußspuren.

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schmiegt;22) reißt es dabei ein, wird ein zweites, nötigenfalls auch ein drittes und zehntes ebenfalls und womöglich mit etwas Gummi­ lösung befeuchtetes Blatt mit gerissenen (nicht geschnittenen) Rän­ dern aufgelegt und jedesmal wieder gut geklopft („zusammengeschweißt") und an Ort und Stelle belassen, bis das ganze trocken,83) d. h. eine feste Schicht geworden ist. Diese kann man dann leicht (wie ein Abzieh­ bild) lösen. Auch hier ist zu vergleichen, ob der erhaltene Abklatsch mit dem Urbild genau stimmt und diese Tatsache schriftlich zu ver­ merken. So einfach die Sache zu machen ist, soll jeder vorerst seine Geschick­ lichkeit versuchen: Nur s o bekommt man die für den Ernstfall nötige Fertigkeit und Sicherheit. 13. Abschnitt. Fußspuren.

Allgemeines.

Wie treffend sagt doch Prof. Groß in seinem Abschnitt über Fußspuren: „Was sieht und hört nicht der Jäger alles im Wald und Feld, was für den andern alles tot ist, was sieht nicht der Künstler in einem Bild, in dem der Unkundige nur ein paar färbige Figuren erblickt; — für den Laien ein langweiliges Chaos, eine Welt voll Leben und Ideen für den Kenner!" Wer beizeiten gelernt hat, sich an scharfes Sehen zu gewöhnen, Fußspuren zu suchen, sie als solche zu erkennen und daraus zu lesen, der ist gegenüber dem diesfalls nicht Geschulten in unvergleich­ lichem Vorteil, denn er wird sich selbst in schwierigen Fällen zu helfen wissen, wird einerseits Zeit und Mühe ersparen, da er sich mit Un­ nötigem nicht abplagt, anderseits höchst Wichtiges aufgreifen und aus­ arbeiten, an dem der Laie achtlos vorübergeht. Was alles aus Fußspuren herauszulesen ist, kann aus Büchern allein nicht gelehrt werden, dazu muß jeder selbst Versuche machen und in der freien Natur beobachten. Hier können sozusagen nur die Grundfeste besprochen und die nötigen Anleitungen gegeben werden; die Vervollkomnung auf diesem Gebiete muß auch da dem Einzelnen überlassen bleiben. Jeder weiß vielleicht aus eigener Erfahrung oder ans Mittei­ lungen seiner Amtsgenossen, aus einschlägigen Büchern, aus Zeitungs­ berichten usw., daß Fußspuren, welche als oft einziger am Tatort zurückgebliebener Anhaltspunkt rechtzeitig aufgegriffen wurden und ver­ wertet werden konnten, zur Ermittlung und Ueberweisung des Täters ’*) Etwaige Blasen sind auf dieselbe Art zu vertreiben. *•) Das Trocknen kann man nötigenfalls auch durch künstliche Wärme be­ schleunigen.

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Spurenbezeichnung und Spurenlesen.

geführt haben. Wie nun, wenn dieses oft einzige Beweismittel un­ beachtet bleibt, bloß weil der erhebende Beamte sich mit Fußspuren nicht zurecht zu finden weiß?!

So sei denn jedem Kriminalbeamten auf das dringendste geraten, sich auch mit diesem zu den wichtigsten zählenden Abschnitt so eingehend als möglich zu befassen und keine Gelegenheit unbenutzt zu lassen, seine Kenntnisse zu ergänzen, Behauptungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, Neues dazu zu lernen.

1. Spurenbezeichnung und Spurenlesen. Vor allem müssen — wie überall, so auch hier — gewisse grund­ legende Bezeichnungen erwähnt und gemerkt werden: Tritt man in einen weichen Boden (z. B. in Kot, Lehm, Schnee oder dgl.), bleibt eine Fußspur zurück: Fuß sind ruck.

Bild 25.

Sind die Füße zuerst in irgendeine Flüssigkeit und dann auf eine feste Unterlage getreten, (z. B. ein Badender steigt aus dem Wasser­ becken und geht ein paar Schritte auf dem Zementboden tveiter), er­ zeugen sie gleichfalls Spuren: Fuß ab drücke. Fuß ein drücke kommen — nebenbei bemerkt — viel öfter vor, als Fuß ab drücke. Wenn wir den Fuß ein druck näher ansehen, finden wir, daß er allerhand Einzelheiten aufweist; die Merkmale des Schuh­ absatzes und der Sohle treten deutlich hervor: Ob der Schuh be­ nagelt oder unbenagelt ist, wieviele Nägel vorhanden und wie sie

Spurenbezeichnung und Spurenlesen.

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geformt sind, wie die Sohle beschaffen ist (z. B. in der Mitte zerrissen, an der Seite ein aufgesetzter Fleck usw.), wie der Absatz aussieht (ob abgetreten oder gerade, mit einem Hufeisen beschlagen oder benagelt usw.), ist aus dem Eindruck wie im Spiegel genau zu ersehen, (Bild 25). Die Fußspur, die der eben aus dem Bade gekommene Mann < "< - s.-u auf dem Zementboden erzeugt —> hat, ist ein sog. „Gangbild“ (Bild 26). ®Ub * Sowohl im ersten Falle (einzelner Fußabdruck) rpie im zweiten Falle (Mehrheit von Fußabdrücken) spricht man von Fußspuren.

I

VUd 27.

Wenn wir uns das „Gangbild" einer Person, also die Mehrheit von Fußspuren, näher ansehen und vielleicht mit dem Gangbild einer zweiten, dritten, vierten, fünften, sechsten Person vergleichen können, finden wir zunächst, daß die Gangbilder verschieden sind: Der Eine stellt seine Füße beim Gehen normal auswärts, der Zweite be­ sonders auswärts, der Dritte gerade, d. h. parallel zueinander, der Vierte.einwärts, der Fünfte macht gleichbleibend kleine Schritte, der Sechste gleichbleibend große Schritte, (vgl. Bild 27).

Auch die nackten Fußabdrücke dieser Personen werden Eigen­ heiten aufweisen: Leute, die normale Füße haben, erzeugen andere Abdrücke, als Personen, die z. B. plattfüßig sind: An der Innenseite sichtlich eingedrückt (entsprechend der Wölbung zwischen Ballen und

120

Spurenbezeichnung und Spurenlesen.

Ferse) einerseits, keilförmig, ja bisweilen sogar noch etwas ausgebaucht anderseits, (Bild 28).

Sohlenabdruck ») eines gesunden normalen Fuße», b) eines solchen mit leichtem, d) mit ungewöhnlich schwerem Plattfüße.

c) mit schwerem,

(Au»: „Handöuch für Unters.-Richter", 6.694). Bild 28.

Ja noch weitere Beobachtungen lassen die Abdrücke von nackten Füßen zu: Der Eine hat die Zehen gerade ge­ stellt, denn er trägt überhaupt kein Schuhwerk oder wenn, dann passendes; der Andere hat zusammen­ geschobene, teilweise verkrüppelte Zehen, weil enges Schuhwerk seine Fußform mißbildend beein­ flußt hat, (Bild 29). Auch noch anderes sehen wir im zweiten Falle (Mehr­ heit von Fußspuren): Die Größe der Entfernung von einer Fußstapfe zur nächsten, die sog. Schrittweite (wird gemessen oom rückwärtigen Rand des einen Absatzes bis zum rück­ wärtigen Rand des nächsten Absatzes, (Bild 30). Sie hängt vom Körper­ maß des Gehenden, von der Geschwindigkeit seiner Bild 80. Fortbewegung und davon ab, wie der Betreffende gewohnt ist zu gehen. Als Durchschnittsmaße kann man annehmen: 70 cm für langsamen Schritt, 80 cm für mittleren sog. Geschäftsschritt, 90 cm für beschleunigten Schritt, was darüber ist: Laufen.

Spurenbezeichnung und Spurenlesen.

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Hebt einer beim Gehen die Füße nicht ordentlich, so erzeugt er eigentümliche, sog. Schleifspuren, (das ist namentlich bei alten, müden, fußkranken, aber auch gehfaulen Leuten der Fall). Jene Richtung, in welcher sich die Person fortbewegt, nennt man die Richtungslinie, (Bild 27, die gestrichelte Linie). Den Winkel, den die Richtungslinie mit der Längs­ achse der Sohle bildet, bezeichnet man als sog. Fuß­ winkel, (Bild 31). Die nächste und sehr wichtige Aufgabe int Spurenlesen geht dahin, daß man sich die Fußspur ansieht, die von verschiedenen Personen in weichem Boden erzeugt tverden. In dienstfreier Zeit möge jeder Kriminalbeamte auf einem nicht zu stark begangenen außerhalb der Stadt gelegenen Weg, der solche hinterlassene Fußspuren deutlich erken­ nen läßt, (weil z. B. staubig, kotig, schneebedeckt usw.), der Reihe nach die des Weges kommenden Personen nach Alter, Ge­ schlecht, vermutlichem Beruf, Körperbeschaffenheit und etwaigen Beson­ derheiten genau ansehen, (z. B. ob eine Last tragend, einen Gehstock benützend oder frei dahergehend, ob X-beinig oder O-beinig, sichtlich betrunken und daher beim Gehen taumelnd, sichtlich vorgebeugter oder wiegender oder sog. vierschrötiger s— unbeholfener) Gang usw.) und ihren Spuren folgen und dies so lange fortsetzen, bis ex sich die nötigen Kenntnisse angeeignet hat. Dabei wird man die eben genannten und int folgenden noch näher ausgeführten Fußspuren gewiß alle in Wirk­ lichkeit vorfinden. Man wird also in diesem Falle sich zuerst die Person und dann die von ihr erzeugte Fußspur ansehen. Im Ernstfälle ist es gerade umgekehrt: Man hat eine Fußspur vor sich und soll das dazugehörige Schuhwerk und damit den Täter suchen. Hat man aus der Person und der von ihr erzeugten Fußspur bestimmte Schlüsse gezogen, so muß man nach und nach auch umgekehrt trachten, aus Fußspuren, welche zweifellos von ein und derselben Person her­ rühren, zu lesen, d. h. sichere Folgerungen zu ziehen. Um sich hierin zu üben, sucht man sich auf einem ziemlich ein­ samen, langen Weg eine sichtlich erst erzeugte Spur aus und verfolgt sie möglichst rasch, so lange, bis man deren Erzeuger eingeholt hat. Dies wird allerdings nicht immer, aber bei öfteren Übungen bestimmt mehrmals gelingen. Dann prüfe man, ob und wieweit die aufgestellten Vermutungen den Tatsachen entsprechen. Ganz eigenartig sind auch die Spuren, die jemand beim raschen Gehen, beim Laufen erzeugt: Die Schrittweite ist wesentlich größer, die Spur ist — durch das kräftige Abstößen des Körpers vom Boden — tiefer eingedrückt, der Hintere Absatz- und vordere Sohlenrand ist auch in ziemlich hartem Boden noch deutlich sichtbar. Auch das längere Stehen auf ein und demselben Platze erzeugt durch das fortwährende Zertreten der eigenen Spur ein eigenartiges Wirrwarr von Fußein- bzw. Abdrücken. Wenn die Frage, ob eine

122

Spuren von nackten nnd beschuhten Füßen.

minder deutlich ausgeprägte Fußspur (besonders Abdruck) die eines rechten oder linken Fußes oder, wie ein arges Durcheinander von Fußspuren zu deuten ist, besonders wichtig wäre, wird man sich mit Hilfe des seinerzeit von mir (im „Archiv für Kriminalanthropologie und Kriminalistik", Band XL) veröffentlichten „Scha­ blonenverfahrens“ wohl immer zurechtfinden können, vorausgesetzt, daß die menschliche Fußspur von einem sog. „einballigen" Schuh oder von einem unbeschuhten Fuß herrührt. Man schneidet aus einem entsprechend großen Stück Pappdeckel oder steifen Papier eine einballige Sohlenform (nach dem eigenen Schuh) aus (vgl. Bild 32) und versucht, die nur kümmerlich vorhandene zweifelhafte Spur durch Darüberhalten dieses Ausschnittes möglichst einzupassen. Da diese Schablone durch Umwenden sowohl für Spuren des linken wie des rechten Fußes verwendbar ist, wird ein derartiger Versuch in solchen Fällen wohl immer Klarheit schaffen. Zur Vervollständigung dieser Vorübungen mache man noch selbst derartige Versuche mit eigenen nackten und beschuhten Füßen.

2. Spuren von nackten und beschuhten Füßen. Spuren von beschuhten Füßen sind für die Frage, ob eine bestimmte Spur von einem bestimmten Fuß erzeugt worden sein kann, unvergleichlich besser zu verwerten, d. h. die Arbeit ist eine viel leich­ tere und sichrere als mit Spuren von nackten Füßen. Der Abdruck eines beschuhten Fußes hat — wie sich bei genauen Betrachtungen feststellen läßt — eine Menge von besondern Merk­ malen, (z. B. voller, oder abgetretener Absatz, ganze oder zerrissene Sohle oder aufgesetzter Fleck, benagelt oder nicht benagelt, Form und Anordnung der Nägel usw., vgl. Bild 25). Beim Abdruck eines, be­ schuhten Fußes wird eine genaue Zeichnung, Vermessung und Beschreibung der Spur (unter sorgfältiger Bedachtnahme auf die eben angeführten Besonderheiten) auch bei einem, der die beschriebene Spur nicht vor sich hat, eine bestimmte Vorstellung erwecken. Nicht so bei der Spur eines nackten Fußes; letztere hat so viele feine, für den Laien aber nicht sofort merkbare Eigenheiten, daß sie, wenn nur irgendwie möglich, zur weiteren Verwertung durch den Sachver­ ständigen zuerst für jeden Fall photographiert und dann noch mit­ genommen und aufbewahrt werden soll. Weil diese Eigenheiten selten bei einer einziges Spur eines nackten Fußes so recht hervortreten, muß man eine Reihe solcher Ein- oder Abdrücke von nackten Füßen betrachten. Da der menschliche Fuß bei verschiedenen Leuten verschieden gebaut ist, (der Erste hat einen besonders hohen Rist und daher eine besonders starke Wölbung zwischen Ferse und Ballen, der Letzte einen eingesenkten Rist und daher einen ausgesprochenen Plattfuß), kann ein vorhandener Abdruck eines nackten Fußes ein Identitäts­ mittel sein, denn innerhalb der beiden genannten Fußsormen gibt es

Fußspuren zur Irreführung.

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natürlich viele Zwischenstufen. Aus meiner beruflichen Betätigung dazu ein Fall: Drei „Schränker" konnten eines Kasseneinbruches dadurch überwiesen werden, weil einer von ihnen, der einen solchen Plattfuß hatte und diesen (in Socken) gegen die Wand stemmte, um die eiserne Kassa wegzurücken. Der Abdruck dieses rechtsseitigen starken Plattfußes war auf der glatten Tapete ganz besonders deutlich zu sehen. Die beiden anderen Einbrecher waren seine bekannten Mithelfer. Zum besseren Verständnis dessen, was über die Form nackter Füße gesagt wurde, sei auf Bild 28 hingewiesen. Schließlich sei noch erwähnt, daß Fußspuren in leicht verschieb­ barer Masse (z. B. in Kot, Schlamm, Sand usw.) stets wesent­ lich kleiner sind als der Fuß, der sie erzeugt hat und zwar aus dem Grunde, weil die leicht verschiebbare Unterlage durch das Eindrücken des Absatzes nach vorne und durch das nachherige Eindrücken des Ballens nach rückwärts, also in die Mitte, wo die Fußwölbung ist, geschoben wird.

3. Fußspuren zur Irreführung. Es wird bisweilen vorkommen, daß der vorliegende Tatbestand mit der vorhandenen Spur nicht recht in Einklang zu bringen ist. Ist dies der Fall und sind die Spuren an besonders sicht­ barer Stelle und noch dazu recht aufdringlich erzeugt, so ist der Verdacht gerechtfertigt, daß es sich um eine beabsichtigte Irreführung handeln dürfte. Um diesfalls im klaren zu sein, muß die Gesamt­ heit der vorliegenden Spuren möglichst genau betrachtet werden. Irgendwo ergibt sich dann zweifellos ein Anhaltspunkt für die An­ nahme der beabsichtigten Irreführung (Simulation). Hier sind folgende Möglichkeiten denkbar: a) Die Tat wurde von einem Manne begangen, der den Verdacht der Täterschaft auf eine Frauensperson ablenken will; a) die Tat wurde von einer Frauensperson begangen, die den Verdacht der Täterschaft auf einen Mann ablenken will; c) die Tat wurde von einem Manne, bzw. einer Frauensperson begangen, der (die) je nach Körpergröße — bedeutend kleinere oder größere Herren- (bzw. Damen-)Schuhe für die Irreführung verwendete. In allen solchen Simulationsfällen wurde entweder ein fremdes Paar Schuhe angezogen oder auf die eigenen angebunden und dann ist im tiefen Kot, Staub, Schnee usw. das benützte Binde­ mittel zwischen Absatz und Sohle im aufnahmsfähigen Boden ebenfalls eingedrückt und daher erkennbar), oder der Täter ist verkehrt (d. h. mit dem Gesicht gegen den Tatort) weggegangen, um so verkehrte Fußspuren zu erzeugen. (Gegebenenfalls ist dies daran zu erkennen, daß die sog. Richtungslinie gebrochen ist, d. h. ein Zickzack darstellt, die einzelnen Fußstapfen näher beisammen liegen, als es sonst der Fall ist und die Spitze der Sohle sichtlich tief in den Boden eingedrückt ist): Alle diese Irreführungen sind einerseits dadurch zu entlarven, daß die Fußspuren nicht so wie gewöhnlich sind, weil eben die Belastung eine andere ist und anderseits ein deutlich

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Spurenbehandlung im Ernstfälle.

sichtbares Mißverhältnis zwischen den einzelnen Spuren selbst und deren Entfernung voneinander besteht, denn ein Mann erzeugt eben größere Schrittweite als eine Frauensperson und umgekehrt. Der Täter hat nach vollbrachter Tat sich vor Entdeckung zu schützen, die Beute in Sicherheit zu bringen usw., trachtet daher, den Tatort rasch zu verlassen und — geht nach wenigen gezwungenen Schritten wieder seine gewohnte Gangart. . Es sei daher auch an dieser Stelle ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß nicht nur am Tatorte selbst nach Fußspuren zu suchen ist, sondern auch in dessen Umgebung. Mit Zugrundelegung des eben Gesagten sollen Versuche gemacht werden: Man merkt sich dann die Sache besser und findet sich gegebe­ nenfalls leichter zurecht. 4. Verwerten des Gesagten für den Ernstfall. Aus dem bisher Erwähnten geht wohl deutlich hervor, welch große Bedeutung Fußspuren, welche bestimmt oder möglicherweise mit einem Kriminalfalle im Zusammenhang stehen — namentlich wenn der Täter nicht auf frischer Tat betroffen wurde und der Fall aus irgend­ welchen Gründen zu den wichtigen (klamorosen) gehört — zukommt. Das Aufsuchen und Sichern der Fußspuren gehört zu den Auf­ gaben des Kriminalbeamten. Dieser hat im Ernstfälle folgendes zu tun:

1. Nach Fußspuren nicht bloß auf dem eigentlichen Tatorte, sondern auch in seinem weiteren Umkreis (namentlich auch bei r ü ckwärtigem Hauseingang usw.) zu suchen. Dabei lieber mehr als „©pur'' ansehen, als zu wenig. .Die Entscheidung darüber, ob eine Spur eine Fußspur ist oder sein kann, ist nötigenfalls von Sach­ verständigen (siehe folgende Abschnitte) einzuholen.

.2. Etwa vorgefundene Fußspuren vor Beschädigung schützen (durch Absperren des Raumes, Überdecken mit — vorerst ausgeklopf­ ten — Kisten, Körben, Brettern usw.). 3. Die etwa in der Umgebung des Tatortes gefundenen Spuren verfolgen, ob sie auch bis zum Tatort führen und daher vom Täter herrühren können. 4. Von mehreren vorhandenen Fußspuren möglichst vollstän­ dige, des rechten und des Unken Fußes suchen. 5. Diese Spuren abnehmen (siehe oben) und unverzüglich der zuständigen Stelle zwecks weiterer Verwertung übermitteln. 6. Aus den Spuren Anhaltspunkte für die Ermittlung des Täters zu finden trachten. 7. Auf dem Tatort feststellen, ob der Täter vielleicht irgendwelche Sachen weggeschleppt hat, und nach solchen etwaigen Schleif­ spuren suchen. 8. Auch nach „Sonstigen Spuren" suchen; vgl. Seite 125, 6.

Sachverständige für Fußspuren.

Sonstige Spuren.

125

5. Sachverständige für Fußspuren.

Als Sachverständige für Fußspuren kommen in Betracht: 1. Der Gerichtsarzt, wenn es sich um Spuren handelt, die aller Wahrscheinlichkeit nach von plattfüßigen, hinkenden und mög­ licherweise schwerverletzten Personen erzeugt wurden. 2. Ein erfahrener Jäger, wenn Spuren von beschuhten und nackten Füßen, Schleifspuren sowie sonstige Spuren im Freien zu suchen und zu erklären sind; auch die Frage, ob ein bestimmter Ein­ oder Abdruck eine Spur ist oder sein kann, wird ein erfahrener Jäger meist entscheiden können. 3. Ein geschickter Schuster, wenn es sich um Spuren von beschuhten Füßen handelt. Zum Ausarbeiten bestimmter Fußspuren wird man unter Um­ ständen einen tüchtigen Polizeihund verwenden; (Näheres darüber siehe Seite 37). 6. Sonstige Spuren. Bei der Aufklärung eines bestimmten Tatbestandes können auch andere Spuren, welche zweifellos oder möglicherweise mit der Tat in irgendwelcher Beziehung stehen, wichtig, ja vielleicht sogar Beweis­ mittel sein. Solche „sonstige Spuren" sind z. B.: Die Spuren von Haustieren, (Pferde, Rinder, Ziegen, Schafe, Hunde, Katzen usw.). Die Spuren von verschiedenen Fahrzeugen, (Fahrräder, zweiräderige Karren und leichte vierräderige Wagen mit schmalen Rädern, schwere Lastwagen mit breiten Rädern, Automobile mit glatten Reifen oder Reifen mit Überzug (eingesetzte Nägel), Lastenautomobil mit hinte­ ren Doppelrädern usw.). Dabei sei gleich bemerkt, daß man die Schnelligkeit, mit der ein mit Zugtieren bespannter Wagen gefahren ist, an den Spuren der Zugtiere ersehen kann: Je größer die Schrittweite, desto größer die Geschwindigkeit. Die Spur en verwendeter Werkzeuge, (z. B. bei Einbrüchen). Die Spur, die entsteht, wenn ein Gegenstand mit einem anderen absichtlich oder zufällig zusammentrifft, (z. B. Spuren vom Stechen, Hauen, Schlagen, Schießen, Anstoßen, Werfen, ferner: Kratze, Biß-, Würgespuren, usw. usw.). Zum Zwecke des sicheren Erkennens derartiger Spuren ist es — wo angängig — nötig, selbst Versuche zu machen oder wenig­ stens dabei zu sein und wohl aufzumerken, wenn derartiges von fach­ männischer Seite erklärt wird. Hat man sich dann auf diese Werse einige Kenntnisse angeeignet, dann bespreche man sich mit Sachver­ ständigen, wodurch man seine Kenntnisse erweitern kann. Sehr oft ist aus der zurückgebliebenen Spur u. a. auch die Rich­ tung, Stärke u. dgl. der Gewalteinwirkung zu erkennen und damit ist in vielen Fällen schon viel gesagt.

126

Fußspuren von Haustieren.

Abformen.

Daß derartige Versuche natürlich nicht etwa erst im letzten Augen­ blick d. h. erst dann geschehen dürfen^ wenn ein solcher Fall bereits vorliegt, sondern daß sie schon beizeiten gemacht worden sein müssen, ist wohl auch hier selbstverständlich. Auch Gegenstände, welche am Tatorte absichtlich (zur Irre­ führung) oder unabsichtlich (weil bei der Arbeit überrascht usw.) zurückgelassen worden sind, (z. B. gestohlene oder gefundene Aus­ weispapiere, um den Verdacht der Täterschaft auf deren Eigentümer abzulenken usw.), gehören hierher. Schließlich sei noch einiges über Spuren von Haustieren1) gesagt, da es zur Aufklärung von Kriminalfällen mitunter sehr wichtig sein kann, auch hier einige Kenntnisse zu besitzen, (z. B. Diebstahl von Haustieren, welche lebend gestohlen und fortgetrieben werden usw.): Bei Pferden sind die Vorderhufe etwas größer als die Hinter­ hufe, daher dementsprechend auch die Hufeisen. Geht das Pferd langsam, so greift es mit dem linken Vorder­ fuß aus, dann folgt der rechte Hinterfuß, dann wird der linke Hinter­ fuß nahe dort aufgesetzt, wo der linke Vorderfuß einen Augenblick war, dann drückt sich der rechte Hinterfuß in der Nähe des rechten Vorder­ fußes ab, (Schrittweite 80 cm). Ist das Pferd im Trab, so ist die Hufspur ähnlich, nur ist die Schrittweite um mehr als die Hälfte länger (130 cm), auch etwas Staub oder dgl. wird nach vorne aufgeworfen. Gallopiert das Pferd, dann greifen die Hinterfüße vor die vorderen, was auch in der Spur ersichtlich wird. Auch wird dadurch mehr Erdreich aufgeworfen, (Schrittweite 220 cm). Das schwer ziehende Pferd stemmt die Vorderkante der Hufe fest ein. Die Spuren von Rindern, Ziegen, Schafen haben, da diese Tiere Zweihufer sind, Ähnlichkeit, sie zeigt die bezeichnenden zwei Eindrücke. Sinken die Tiere in weichem Boden tiefer ein, sieht man auch die Eindrücke der höher befindlichen viel kleineren Afterhufe. Die Spuren der Rinder unterscheiden sich durch ihre bedeutende Größe von jenen der Ziegen und Schafe. Rinder, welche viel im Stalle stehen, haben längere, vorne aufgebogene, Hufe und erzeugen beim Gehen daher längere Spuren. Spuren von Hunden und Katzen: Hunde haben sichtlich größere und längere Fußspuren, auch drücken sie, da sie ihre stumpfen Krallen nicht zurückziehen können, dieselben ein; Katzen dagegen erzeugen einen mehr kreisförmigen Abdruck der Füße ohne sichtbare Krallenspuren. 7. Abformen von Fußspuren.

Allgemeines. Spuren, die mit dem betreffenden Kriminalfall zweifellos Zu­ sammenhängen oder möglicherweise damit im Zusammenhang stehen können, müssen — um dieses htzchst wichtige Beweismittel zu erhalten — *) Aus „Jüry, Geländeübungen-------- “

Abnormen von Fußspuren.

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unverzüglich gesichert, beschrieben, abgezeichnet und sobald als möglich — wenn nur irgendwie angängig — abgeformt werden. Da stets mit der Möglichkeit gerechnet werden muß, daß die Spuren beim Abformen beschädigt oder gar zerstört werden könnten, so müssen sie unter allen Umständen vorher genau beschrieben und abgezeichnet werden; zum Abzeichnen bewährt sich am besten der „Pausapparat“, Näheres darüber Seite 106. Welches Mittel im einzelnen Falle zum Abformen verwendet wird (siehe später), ist abhängig einerseits von der Masse (Sand, Staub, Schnee, Kot u. dgl.), in welche die abzunehmende Spur ein­ gedrückt ist, und anderseits von dem Mittel (Gips, Lem, Stearin, Harz u. dgl.), welches man zum Abformen eben zur Hand hat. Besonderes.

1. Das Abformen von Eindrücken nackter und beschuhter Füße.

1. Von mehreren vorhandenen Spuren ist die deutlichste, vollständigste für das Abformen auszusuchen, und zwar ein Ein­ druck des rechten und des linken Fußes. 2. Bevor die Spur irgendwie berührt wird, ist unter allen Um­ ständen folgendes zu tun: Man muß a) sie möglichst genau beschreiben, b) sorgfältig abmessen und c) womöglich photographieren; dann d) die erhaltenen Maße und e) die Lage der Spur in die Skizze einzeichnen und schließlich f) den ganzen Vorgang so genau als möglich zu Papier bringen. 3. Wenn die Spur ohne Schädigung durch Loslösen von der Umgebung selbst mitgenommen werden kann (was hauptsächlich bei A b drücken der Fall sein wird), ist dies — weil am einfachsten — mit Vorsicht durchzuführen. 4. Ist ein Mitnehmen der Spur aus irgendwelchen Gründen ohne Gefahr für sie nicht möglich, muß sie abgeformt werden. Die zum Abformen verwendeten Mittel sind verschieden, je nach­ dem die Spur a) in feinen trockenen Massen z. B. Mehl, Sand, Staub oder dgl., b) im Schnee, oder c) in einem sonst aufnahmsfähigen Boden erzeugt worden ist. 5. Vor dem Abformen der Spur sind unbedingt die etwa darin befindlichen (nachher dazu gekommenen) Verunreinigungen und zwar feste Körper (wie z. B. Halme, Steinchen, Erdstückchen, Tierchen oder dgl.) mit einer Pinzette zu entfernen; angesammelte, wenn auch noch so geringe Feuchtigkeitsmengen mit Watte oder Fließ-(Lösch-)papier aufzusaugen.

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Mittel zum Abformen und Anleitung dazu.

Das Reinmachen der Spur muß sehr sorgfältig geschehen, d. h. es darf dabei die Spur' auf keinen Fall verletzt werden. 6. Trockene Spuren (in trockener Erde, in trockenem Lehm, trockenem Kot oder dgl.) sind vor dem Abformen mit einem sehr weichen Pinsel oder Wattebausch vorsichtig und gut einzufetten; dabei sind Fettansammlungen, wie sie sich in der Spur leicht bilden (mit Watte oder Löschpapier) geschickt zu entfernen. 7. Sichtlich feuchte Spuren (in feuchter Erde, feuchtem Lehm, feuchtem Schlamm oder dgl.) werden nicht eingefettet; nicht in die Spur Gehörendes ist auch hier — wie früher angegeben — entsprechend zu beseitigen.

A. Mittel zum Abformen und Anleitung dazu. Der besseren Übersicht wegen sei dieser Abschnitt in Form der nachfolgenden Aufstellung behandelt:

e puren in: feinen trockenen Massen, 1. wie in: Mehl, Sand, Staub ob. dgl.

2.

Schnee

Abform-Mttel:

nur Stearin

Vorgang:

Anmerkung:

Über die Spur eine Ste­ In einschlägigen arinkerze halten und hin­ Kaufläden, Drogerien reichend viel davon in mög­ usw. erhältlich. lichst dünnen Schuppen mit dem Taschenmesser ab­ schaben ; dann möglichst nahe den feinen Teilchen ein bren­ nendes Zündholz oder einen sonst heiß gemachten Gegen­ stand halten, bis das Geschabsel geschmolzen ist uüd sich^ in der ganzen Spur verbreitet hat. Wenn nötig, wird die Stearinschichte verstärkt, indem über die betressende dünne Stelle nochmals von der Kerze abgeschabt und geschmolzen wird. Die Masse wird bis zum Erkalten in der Form gelassen und dann vorsichtig herausgehoben.

nur*)TischlerGewöhnlichen Tischlerleim leim möglichst gut und dick ab­ kochen und während des Erkaltens—dasist während der Bildung der Haut, welche zu durchstechen ist — langsam in die Spur gießen. Wenn die Masse hinreichend erstarrt

In Gemischtwaren­ handlungen, Droge­ rien und bei Tischlern erhältlich. Die Leim form ist unbedingt vor Hitze zu bewahren, daher in feuchte Umhül-

*) ES wurden bisher auch andere BerfahrenSarten angegeben, doch scheint die oben genannte die zuverlässigste; so könnte statt Tischlerleim auch sog. „Brauerpech" (Kolophonium und Baumharz) verwendet werden.

Mittel zum Abformen und Anleitung dazu.

Spuren in:

3.

Abform-Mittel:

129

Vorgang:

Anmerkung:

ist, (vollständige Festigkeit tritt erst nach mehreren Stun­ den ein), wird sie heraus­ genommen. Die Schneespur schmilzt nicht, wenn das Eingießen im angegebenen Augenblick geschieht.

lung zu geben und — da sich die Gestalt leicht verändert — so­ bald als möglich in Gips abzuformen.

Für alle übrigen Spuren, d. h. für feuchte, bzw. trockene, aber ein­ gefettete Spuren, womöglich guten Gips, Wachs oder Schwefel verwenden; im Notfälle d. h. wenn Gips, Wachs oder Schwefel nicht zur Hand ist, kann auchFeldgips, Pech, Harz, Unschlitt, Lehm, dasWeiche von frischem Gebäck oder angemachter Wasserteig zum Abformen verwendet werden. sog. »Bildhauer*-, auch „Alabaster"-, auch „Kölner"-, auch ^ParisersGips.

In ein breites Gefäß (Schüssel, Topf ob. dgl) wird etwa 7i 1 reines Wasser gegossen. Dann eben soviel möglichst trockenes Gips­ pulver gleichmäßig (nicht ruckweise!) auf die Wasser­ oberfläche gestreut und das Ganze fortwährend ge­ rührt, bis der Brei ein­ heitlich dick geworden ist. Dann wird er aus un­ mittelbarer Nähe in die Spur gegossen. Dabei ist darauf zu achten, daß der Brei die ganze Spur aus­ füllt. Vorstehende Menge ist für eine große Fußspur nötig, aber auch hin­ reichend. Nach etwa 7« Stunde kann die Gipsform herausgehoben werden.

In einschlägigen Kaufläden, Drogerien erhältlich. Dieser Gips ist der beste. Das Abformen in Gips ist auch bei Kälte mög­ lich ; ist die Kälte aber sehr groß, dann soll man in unmittelbarer Nähe ein Feuer so anmachen, daß die Spur von der warmen Luft bestrichen wird. Also merken: Zu­ erst das Wasser in den Topf und dann den Gips hinein und ja nicht umge­ kehrt, weil sich sonst Klumpen und Blasen­ bilden 1

4.

Wachs

Wird vollständig geschmol­ zen und im Zustande des Er­ kaltens (das ist Trübe­ werdens) in die Spur gegegossen.

In einschlägigen Kaufläden, Drogerien, aus dem Land auch in jedem Bauernhaus vorrätig. Der erhal­ tene Wachsabguß ist aber etwas kleiner als das Urbild.

5.

Schwefel

Etwa 7i kg für eine große Spur wird in einem eisernen Behälter im Freien über schwachem Feuer vollständig geschmolzen. Die bei Tag kaum sichtbare Schwefel-

In einschlägigen Kaufläden, Drogerien, erhältlich. Das Ab­ formen in Schwefel ist auch bei größter Kälte durchführbar.

feuchtem Boden bzw. in trockenem aber einge­ fettetem

W. Pol-er, Kriminaldienst.

130

Mittel zum Abformen und Anleitung dazu.

| C puren in:

Vorgang:

Abform-Mittel:

Anmerkung:

flamme ist durch Bestreuen mit Asche oder Sand zu löschen, da die Spur sonst ausbrennt. Nach dem Erkalten kann der Abguß, der sehr genau alle Einzelheiten wiedergibt, herausgenommen und von etwaigen Verunrei­ nigungen gesäubert werden.

6.

sog. Feldgips

Ist sehr minderwer­ tig und muß vor Verwen­ dung erst (wie Kaffee) ge­ brannt werden. (Das Brennen erfordert sehr viel Sorgfalt, denn durch zu langes oder zu starkes Er­ wärmen wird er gänzlich unbrauchbar).

7.

Pech oder Harz

Auf. dem Lande Ist ebenso zu schmelzen und zu behandeln wie (bei Bauern) oder im Schwefel, (siehe Punkt 5). Walde zu bekommen.

8.

Unschlitt

Wird wie Wachs ge­ schmolzen (siehe Punkt 4) und in die Spur gegossen. Beim Herausnehmen ist das die Spur unmittelbar umgebende Erdreich vorsichtshalber auch mit herauszustechen, da der Abguß sehr ge­ brechlich ist.

In Seifensiedereien und Drogerien er­ hältlich Unschlittkerzen sind auch in Spezerei­ warenhandlungen zu bekommen. Ist nur bei niedriger Tem­ peratur und für feuchte Spuren als Abformmittel ver­ wendbar.

9.

feiner Lehm

Wird wie Teig abgear­ beitet (geknetet) und dann in kleinen gut angefeuchteten Teilen in die gut gefettete Spur gedrückt.

Beim Hafner, in Lehmgruben oder von einer Kegelbahn zu bekommen. Ist na­ türlich nur bei sehr harter Spur zu verwenden.

10.

Das Weiche von Wird als Abformmittel frischem Gebäck wie Lehm (siehe Punkt 9) oder angemachter behandelt. Wasserteig.

In einschlägigen Kaufläden und in Bauernhäusern er­ hältlich; (auch Dün­ germittel).



Kann der fertige Abguß von de/ Unterlage nicht losgelöst werden, so muß der Abguß samt der Unterlage (mit mehreren rundherum angebrachten Spatenstichen) vorsichtig von der Umgebung getrennt

Deutung von Fußspuren.

131

und herausgehoben werden; das nicht dazu gehörende Erdreich ob. dgl. wird dann nach und nach abgebröckelt und die Spur sodann mit einem nassen immer wieder gereinigten Pinsel behutsam bestrichen, bis der reine Abguß übrigbleibt. Der erhaltene Abguß ist stets mit dem Original dahin zu ver­ gleichen, ob beide in allen Punkten übereinstimmen; ist dies der Fall, dann ist diese Tatsache schriftlich ebenso festzuhalten, wie wenn der gewonnene Abdruck (in genau zu bezeichnenden Punkten) vom Urbild abweicht.

B. Anhaltspunkte für die Deutung von Fußspuren.3) (Gangart, „Gangbild".)

Stellung der Fußspuren

Auf wen — als den Erzeuger — deuten sie hin?

Gerade gestellt (parallel zueinander verlaufend)

a) Auf Leute, welche berufsmäßig Lasten tragen und sich daher diese Gangart angewöhnt haben, auch wenn sie nichts tragen, b) auf Leute, welche zur Zeit der Erzeugung dieser Fußspuren etwas Schweres trugen, c) auf einem Boden, auf dem man leicht zu Fall kommt, (z. B. Glatteis, schmieriger Lehm od^dgl.) erzeugen auch Per­ sonen, die sonst eine andere Fußstellung haben, solche Spuren;

einwärts gestellt

a) auf Leute, welche (mehr oder minder ausgebildete) O-Beine haben, oder b) auf Leute, welche unbeholfen sind;

etwas auswärts gestellt besonders auswärts gestellt

auf Leute (meist besseren Standes^, die etwas auf ihren Gang halten; a) auf Leute, welche plattfüßig, b) auf Leute, welche besonders „start', oder c) auf Frauenspersonen welche schwanger sind;

gleichbleibend sichtlich kleine

a) auf Leute, welche alt oder krank (auch wenn sie von großer Gestalt) sind, b) auf Leute, welche vorsichtig auftreten müssen, (z. B. wegen Finsternis und unbekannten Weges usw.), c) auf Personen weiblichen Geschlechtes;

gleichbleibend sichtlich große

auf Leute, welche sich in ihrem Beruf angewöhnten, große Schritte zu machen, z. B. langgediente Militärpersonen, Eisenbahner usw.;

gleichbleibende Ungleichheiten im Schritt

auf Leute, welche hinken; (während der gesunde Fuß normale Schritte macht, wird der kranke nachgezogen und hinterläßt dabei in aufnahmsfähigem Boden meist noch leicht erkennbare S ch l e i f spuren).

•) Die in obiger Aufstellung enthaltenen Angaben sind keineswegs als unbedingt sicher aufzunehmen, da Unfehlbares diesfalls nicht behauptet werden kann; immerhin aber sind es „Anhallspunkte"; vgl. dazu auch die Abbildungen auf S. 119. 9*

132

Blutspuren.

Schließlich ist noch zu erwähnen: 1. Rasches Gehen in Schuhen ist auch in wenig aufnahmsfähigem (ziemlich hartem) Boden daran zu erkennen, daß der Rand des Absatzes und der Sohlenspitze sichtlich besonders stark ein­ gedrückt ist. 2. Fußspuren einer Person, die gelaufen ist, sind daran zu erkennen, daß die Schrittweite, d. h. die Entfernung von einer Fußtapfe bis zur nächstfolgenden eine entsprechend größere und die Fußspitze — namentlich bei geübten Läufern — tiefer in den Boden gedrückt ist (infolge des kräftigen Abstoßens vom Boden). 3. Geräuschloses Gehen, „auf den Fußspitzen", d. h. ohne den Absatz auf den Boden zu setzen, erkennt man an den Halb­ spuren, welche vom bloßen Auftreten mit den Ballen entstehen. 4. Ortsunkundige Personen machen im Dunkel infolge des ihnen unbekannten Weges stets kleine und unsichere Schritte (um nicht zu fallen oder nicht unnötiges Geräusch zu verursachen). 5. Eigentümlich abweichende Fußspuren werden auch von Personen, welche schlecht sitzendes Schuhwerk tragen (wodurch die Form der Fußspur gar sehr beeinflußt wird), erzeugt. 6. Das Abnehmen von Abdrücken nackter und beschuhter Füße. Näheres darüber siehe im Wschnitt über „Fußspuren“, insbe­ sondere Seite 127.

14. Abschnitt.

Blutspuren. Allgemeines.

Auch für Blutspuren gilt in vieler Hinsicht so ziemlich dasselbe, wie für Fußspuren: Wer beizeiten gelernt und sich geübt hat, möglichst scharf zu sehen, Blutspuren zu suchen und zu verfolgen und sie daher als solche zu erkennen vermag, wird auch für den Ernstfall gerüstet sein und' die Sache von der richtigen Seite an­ zupacken wissen. Aus Büchern und Borträgen können nur die Grundsätze gelehrt und gelernt werden: Die praktische Vervollkommnung bleibt auch hier dem Einzelnen überlassen; er muß selbst Versuche machen und in der freien Natur diesfalls beobachten. Die wissenschaftlichen Forschungen haben bis zur Gegenwart auch auf diesem Gebiete eine seltene Höhe erreicht und lassen die berechtigte Hoffnung zu, daß noch Fragen mit einer jeden Zweifel ausschließenoen Bestimmtheit werden beantwortet werden können, die man heute noch für ausgeschlossen hält. Daraus soll für jeden Kriminalbeamten, der an der Klärung von strafgesetzwidrigen Tatbeständen mitzuwirken hat, die dringende Mahnung hervorgehen, nach Blutspuren, wenn solche am Tatorte vorhanden sind oder sein können, besonders sorgfältig zu suchen, da sie den Hergang der Tat oft klar erkennen lassen.

Versuche mit Blutspuren.

133

Dieses Aufsuchen von Blutspuren am Tatort obliegt zum Glück nicht dem Nicht-Rechtskundigen allein, sondern wird, da es sich hier meistens um sog. „klamorose" d. h. besonders wichtige Fälle handelt, meist schon vom Anfang an von einem höheren Vorgesetzten (auch Gerichtskommission) im Beisein des Arztes vorgenommen werden. Trotzdem ist es unbedingtes Erfordernis, sich auch auf diesem Gebiete auszukennen, um nötigenfalls helfend eingreifen zu können. Es ist gewiß keine einfache Sache, Blutflecke als solche stets und mit voller Sicherheit sofort zu erkennen, da sie (durch Zeit ab lauf, Verschiedenheit der Unterlage, Witterungseinwirkun­ gen usw.) mitunter ganz wesentlichen Form- und Farbveränderungen unterworfen sind, so daß sie von einem Laien nie für Blut gehalten werden würden. So kann ein Blutfleck fast farblos sein, aber auch in den verschiedensten Abschattungen von braun oder grün auftreten. Diesen Schwierigkeiten kann man zum Großteil aus dem Wege gehen, indem man Versuche macht und dabei etwa so vovgeht, wie ich es seinerzeit für Studienzwecke am Kriminalistischen Universitätsinstitut in Graz getan habe: Ich sammelte Stück­ chen der verschiedensten Unterlagen, mit denen ein Bluttropfen möglicherweise in Berührung kommen kann, bespritzte sie mit fri­ schem Schweineblut und ließ diese Stückchen dann teils im Freien, so daß Kälte, Hitze, Regen, Tages- und Sonnenlicht ein­ wirken konnten, teils verwahrte ich jedes Stückchen in einem be­ sonderen Abteil einer großen und (um das Staubeindringen möglichst zu verhindern) gut schließenden Schachtel. So einfach dieser Ver­ such war, so geradezu überraschend war das Ergebnis, das ich in einem Aufsatze, „Form- und Farbveränderungen des Bluttropfens x) beschrieben habe. Dieser Versuch war derart lehrreich, und — was gewiß auch bedeutend ins Gewicht fällt — mit gar keinen Kosten ver­ bunden, denn die hier nötigen Unterlagen kann stian sich überall beschaffen, sodaß ich jedem Kriminalbeamten auf das dringendste rate, einen ebensolchen Versuch zu machen; ein bekannter Tischler liefert gerne Abfälle von weichem und hartem, rohem, gebeiztem, ge­ glättetem („fourniertem"), Holz in den gangbarsten Farben; Buch­ binder und Papierhändler geben alle gangbaren Arten von gutund schlechtgeleimtem, rauhem und feinem, glattem Papier usw.; vom Glaser bekommt man Abfälle der gebräuchlichen Scheiben, wie durch­ sichtiges, mattes, geripptes, mit kleinen eingeprägten Mustern usw.; der Spengler und Schlosser gibt Abfälle von blankem, rohem und verrostetem Metall usw.; der Schneider, Tuchhändler gibt Ab­ fälle vom gröbsten bis zum feinsten verschiedenfarbigen Stoff; der Schuhmacher Abfälle von verschjedenen Ledergattungen in rohem und gegerbtem Zustande; der Tapezierer Streifen der verschiedeirsten Tapetenmuster von der billigsten bis zu teuersten; bei abgetragenen Bauten bekommt man Stückchen von Ziegeln, Kacheln, rohe Mauer­ stücke und solche, auf denen noch Malerei ist, glatte und rauhe Steine, *) Im „Archiv für Kriminalanthropologie und Kriminalistik, Band XLIV.

134

Form- und Farbveränderungen des Blutes.

Asphalt usw.; von einem Spaziergange bringt man sich in je einer kleinen Schachtel Staub und Erde mit, sowie frische und dürre Blätter, Moos, verschiedene Gattungen von Rinden, usw. usw. Man kann bei einem solchen Versuch nicht nur die Färb- sondern auch die Formveränderungen des Blutes kennen lernen. „Das Blut findet sich am Tatort in verschiedenen Formen: 1. Als Blutlache; 2. als Blutspritzer; 3. als abgetropftes Blut; 4. als verwischtes und verschmiertes Blut. Die Blutlache bekundet unter allen Umständen einen größeren Blutverlust, vielfach eine tödliche Verletzung. Blutspritzer können entweder von spritzenden Blutgefäßen, also verletzten Schlagadern herrühren; (sie sind dann nicht selten durch ihre in einem Bogen angeordnete Stellung, Größe und Vielheit sowie durch die dicke Blutschichteerkennbar), oder sie können aus meiner Wunde oder von einem blutbefleckten Werkzeug abgetr opft sein. Verschmiertes oder verwischtes Blut ist an der dünnen, meist deutliche Streifung zeigenden Schichte zu erkennen."?)

b

Bezüglich der Formveränderung des Bluttropfens ist noch zu merken: a) Ist der Tropfen kreisrund und strahlenförmig allseits zienrlich regelmäßig von kleinen Spritzern umgeben (Bild 33a), so deutet dies darauf hin, daß er von einem im Augenblicke des Ab­ tropfens im Zustande der Ruhe befindlichen Körper auf die wagrrchte Unterlage gefallen ist; war die Unterlage schief, so nimmt er natürlich längliche Form an. b) Ist der Tropfen länglich (flaschenförmig Bild 33 b), so weist dies darauf hin, daß er von einem im Augenblick des Abtropfens im Zustande der Bewegung befindlichen Körper herstammt, falls die Unterlage wag recht ist. *) ,Kehrbuch", Seite 86.•

Aufsuchen von Blutspuren.

135

Aus dem Gesagten (und Versuchen) Ergibt sich, daß der triefende Körper sich in jene Richtung forlbewegt hat, wohin beim läng­ lichen Tropfen die stets nur nach einer Richtung gelagerten Spritzer (gleichsam wegweisend) zeigen; (das so entstandene Tropf­ bild gleicht den Fingern einer Hand, wenn wir uns den Handteller als Tropfen und die Finger als Spritzer denken). Je länger ein Spritzer (Tropfen) ist, desto rascher also war die Bewegung des Körpers, von dem er erzeugt wurde. Nochmals sei zu solchen Versuchen dringendst geraten! Auch blutigen Finger abdruckspuren und solchen Fußspuren kommt-, wenn sie auf dem Tatorte gefunden werden, besondere Be­ deutung zu; es sei diesfalls auch auf die beiden Abschnitte: „Daktylo­ skopie", Seite 53 und „Fußspuren", Seite 117, verwiesen.

1. Vorgehen beim Aufsuchen von Blutspuren,

a) Das Aufsuchen. Hat man sich auf die angegebene Weise über die Form- und Farbveränderungen des Bluttropfens möglichst eingehend unterrichtet, so wird man auch mit ziemlicher Sicherheit Blutspuren als solche zu erkennen vermögen. Dabei sei auch erwähnt, daß manche Flecke oft täuschend blutähnlich aussehen, ohne jedoch mit Blut etwas gemein zu haben, (z. B. Rost-, Tabakflecke, Tröpfen be­ stimmter Säfte und Säuren usw.) und daß es gewisse moos­ artige kaum über dem Boden erhabene Pilze gibt, welche auf den ersten Blick so aussehen, als wären sie mehr oder minder große Blut­ lachen. Die Unterscheidung dieser Pilze von wirklichen Blutflecken ist leicht, wenn man solche Pilze einmal gesehen hat. (Sie kommen in unseren Gegenden auf feuchten, von der Sonne nicht getroffenen lehmi­ gen Erdstellen sehr häufig vor). Was muß beim Aufsuchen von Blutspuren der Reihe nach geschehen? 1. Etwaige Erstdazugekommene befragen, ob und wo sie viel­ leicht Blutspuren gefunden haben, ob und wer etwa schon den Tatort betreten hat, warum dies geschah und ob er dortselbst etwas angerührt hat, (z. B. Wiederbelebungsversuche, „In Ordnung bringen", Abwaschen und Umkleiden des Toten usw.). 2. Zusehen, daß etwa vorhandene sichtbare Fußspuren nicht beschädigt werden: nicht unnütz herumtreten! 3. Sind die (Blut- oder Fuß-) Spuren teils unter Dach, teils im Freien, dann sind zuerst die im Freien befindlichen Spuren (da den schädlichen Einflüssen der Witterung ausgesetzt) zu behan­ deln. Da aus der Lage, Anzahl, Form und Anordnung von Blutflecken mitunter sehr wichtige Schlüsse zur Aufklärung des Herganges des Tatbestandes gezogen werden können, müssen diese stets unverzüglich so gut als möglich geschützt werden. 4. Sind Fußspuren und Blutspuren vorhanden, sind zuerst stets die Fußspuren zu behandeln ; (siehe Seite 117), damit man dann

136

Aufsuchen von Blutspuren,

beruhigt gehen kann, ohne fürchten zu müssen, eine Fußspur zu zer­ treten. 5. Trachten, den Tatort in möglichst großem Umkreis abzu­ sperren. 6. Nach Ueberblicken des gegebenen Sachverhaltes überlegen, wo überall Blutspuren sein können und dann planmäßig suchen; dabei ist nicht zu vergessen, daß Blutflecke auch an Stellen, die das Auge nicht sofort sieht, (z. B. auf der Unterseite des Tisches, des Sessels, des Teppichrandes, Tischtuches usw. — weil sich der Täter dort vielleicht in Gedanken — die Finger abgewischt hat) vorhanden sein können. 7. Wenn möglich, in Gegenwart des Sachverständigen (Arzt) suchen, damit man einerseits nichts übersieht, was wirklich Blut ist, und sich andrerseits mit dtm Betrachten von Flecken nicht unnötig abmüht, die nach seiner Angabe zweifellos nicht von Blut herrühren. 8. Mutet sich der Kriminalbeamte nicht zu, allein die Ver­ antwortung für sein Vorgehen zu übernehmen, dann soll er den Vorgesetzten nötigenfalls auch das Gericht sofort und auf kürze­ stem Wege davon verständigen und inzwischen den Tatort über­ wachen, damit keine Veränderungen geschehen können. 9. Genauestens und der Reihe nach (z. B. zuerst die Gegen­ stände an einer Wand, dann an der nächsten usw. dann in der Mitte des Raumes usw.) suchen und dabei so wenig als möglich angreifen, was aber angerührt werden muß, soll nur mit Hand­ schuhen geschehen, um nicht noch verwirrende Fingerabdruckspuren zu hinterlassen. 10. Dabei Lupe und künstliches Licht (z. B. elektrische Taschen­ lampe, Kerze, Zündholz usw.) auch bei Tag zu Hilfe nehmen, denn so erkennt man Blutflecke als solche wesentlich besser. 11. Im Zweifel darüber, ob etwas eine Blutspur ist öder sein kann, lieber mehr als „Blutspur" betrachten und als solche behandeln als diese mit der Beruhigung: „Ich glaube, das wird keine Blutfpur sein", einfach zu übergehen. Dabei sind Gegenstände, welche auch nur möglicherweise mit Blut befleckt waren, und dann vielleicht ge­ reinigt worden sein konnten (für spätere Verwertung durch den Sach­ verständigen) unbedingt zu beschlagnahmen und entsprechend auf­ zubewahren. Nicht unnötig angreifen 1 Der Täter kann ferner auch versucht haben, Blutspuren (z. B. auf Händen, Kleidung, Mordwerkzeug usw.) absichtlich zu beseitigen. Trotzdem bleiben aber fast immer noch Spuren von Blut zurück, (z. Bim Schmutz, der sich um und hinter den Fingernägeln ansetzte, in ausgewaschener, früher blutbefleckter Kleidung, in dem benützten Waschwasser selbst oder im Ausguß, in den Fugen des beim Verdächtigten Vorgefundenen Mordwerkzeuges, usw.) — darauf ist stets besonders zu achten und gegebenenfalls die Aufmerksamkeit des Arztes zu lenken, dessen Aufgabe es ist, solche Spuren zu untersuchen.

Sichern der Blutspuren.

137

Bisweilen wird schon die Tatsache allein, daß etwas auffällig ge­ reinigt worden ist, bedenklich und daher aufzuklären sein. 12. Kann man sich irgendwo nicht zurechtfinden, dann sich stets fragen, „wie kann sich der Hergang abgespielt haben?“ So wird man meist aus der Klemme herauskommen. 13. Wegen Nichtvorhandenseins von Blutspuren auf Körper oder Kleidung des Verdächtigten sich vom gegründeten Verdachte der Täterschaft oder Mitschuld weder abbringen, noch sich sonst irgend­ wie irremachen lassen: Der Täter kann bei der Tat auch gar keine oder (um den Verdacht der Tat von sich ab und auf eine andere Person zu lenken), deren fremde Kleidung angehabt oder sie nach der Tat auch versteckt oder vernichtet haben. 14. Ist bei einer größeren oder gar tödlichen Verletzung nur wenig oder gar kein Blut auf dem Tatorte (Leiche), vorhanden, so ist dieser Umstand unbedingt aufzuklären. 15. Gefundene Blutspuren sind sorgfältig zu vermessen, in die Skizze einzuzeichnen, zu sichern (vgl. das folgende) und zu beschreiben; (z. B. „Auf dem Schreibtisch in der großen Stube sind deutlich sicht­ bare Abdrücke von blutigen Fingern, anscheinend von der linken Hand herrührend und zwar am vorderen unteren Rand der Tischplatte über dem Ladenschloß und ein deutlich sichtbarer Abdruck von drei Fingern, anscheinend von der rechten Hand herrührend, auf der unteren Vorderleiste der Schublade unmittelbar unterhalb des Schlüsselloches; allem Anscheine nach wollte der Täter die Schreibtischlade, in der er bestimmt Wertsachen vermutet hat, aufkriegen; dabei hat er zweifellos mit der linken [blutigen] Hand die Tischplatte nach Möglichkeit empor­ gehoben, während er mit der rechten, blutigen Hand an der unteren Schubladenseite anzog," und dgl.). 16. Das Abnehmen der Blut spuren darf nur der Sachkundige (Arzt) besorgen! 17. Beim Aufsuchen und Verfolgen von Blutspuren (namentlich in ausgedehnten Räumlichkeiten oder im Freien) wird ein von einem geschulten Beamten geführter Polizeihund unter günstigen Umständen die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen; vgl. auch S. 37. b) Das Sichern von Blutspuren.

Spuren, welche zweifellos oder möglicherweise von Blut her­ röhren, müssen vor Beschädigung nach Möglichkeit geschützt werden. Dabei kommt kleinen (mutmaßlichen) Blutflecken (Spritzern) die­ selbe Bedeutung zu, wie großen. Die vorzunehmende Sicherung ist eine verschiedene, je nachdem die Blutspuren auf der Erde (Fußboden), auf der Wand oder auf be­ stimmten verschiebbaren Gegenständen sich befinden. a) Sind die Blutflecke auf der Erde (Fußboden), so sind sie vorderhand mit (vorerst gut ausgeklopften) Kisten, Körben, Töpfen, Sitzgelegenheiten und dgl. (wenn an diesen kein« Blutspuren haften), zu überdecken;

b) Sind die Blutflecke (Spritzer) auf der"Wand, so ist die be­ treffende Stelle durch große Papierstücke, welche unterhalb rasch befestigt werden können, vorderhand gut ersichtlich zu machen; c) Sind die Blutspuren auf Einrichtungsstücken, dann sind diese mit der blutbefleckten Seite vorsichtig vorderhand gegen die Wand zu stellen. Schließlich sei auch erwähnt, daß es mit Hilfe der Photographie möglich ist, Blutflecke, auch wenn sie kaum sichtbar sind oder gar nur vermutet werden, deutlich erkennbar zu machen.

c) Abnehmen von Blutspuren. Dies ist ausschließlich Sache des Arztes und deshalb hier auch nicht behandelt; der Kriminalbeamte hat bloß die Aufgabe, nach Blutspuren zu suchen, solche gegebenenfalls zu sichern und zu be­ zeichnen.

1. Aufbewahrung loser blutbefleckter Gegenstände und weitere Verfügung. Näheres darüber siehe Seite 143. 2. Sachverständige für Blutspuren. Damit man von einem Sachverständigen möglichst umfang­ reiche und sichere Aufschlüsse erwarten kann, muß ihm der Fall so ausführlich als nur möglich geschildert und auch der kleinste Nebenumstand bekanntgegeben werden. Diesfalls ist zu unterscheiden: A. Welche Personen (Sachverständige) kommen für die Begut­ achtung von Blutspuren in Betracht ? und B. Welche Fragen können sie stets und sicher beantworten oder wenigstens welche Anhaltspunkte für die Aufklärung eines Falles vermögen sie zu geben? Zu A. Der Gerichtsarzt. Namentlich für Blutspuren im Freien wird auch ein erfahrener Jäger bisweilen wichtige Aufschlüsse geben können. Zu B. Die Fragen: 1. Ob ein bestimmter Fleck überhaupt ein Blutfleck ist, 2. Ob ein bestimmter Blutfleck Menschen- oder Tierblut ist, 3. Ob bestimmte Blutspuren von einer schweren oder leichten Verletzung herrühren, werden wohl immer mit Sicherheit beantwortet werden können. Bezüglich der Fragen: 4. Wann ein bestimmter Blutfleck entstanden sein kann (Alter des Fleckes) und 5. Von welcher Körperstelle das Blut herrühren mag oder bei welcher Gelegenheit es abgegangen sein kann (z. B. ob von Nasenbluten, von Blutspeien, von einer Entjungferung, „monat­ lichen Regeln", usw.), werden in den meisten Fällen wohl gegründete Vermutungen angegeben, selten jedoch bestimmte Behauptungen auf­ gestellt werden können.

Geheimschriften und deren Entziffern.

139

15. Abschnitt.

Über Geheimschriften und deren Entziffern (Dechiffrierkunde). Es gehört keinesfalls zn den Aufgaben des nicht rechtskundigen Kriminalbeamten, Geheimschriften zu entziffern, (Chiffriertes zu de­ chiffrieren); chiffrierten Mitteilungen kommt aber derart wesent­ liche Bedeutung zu, daß jeder Beamte wissen muß: 1. Wie Chiffriertes aussieht oder aussehen kann, 2. Wo darnach zu suchen ist und 3 Was damit zu geschehen hat. Wird Chiffriertes im Verlauf einer Strafsache vorgefunden, so ist diese dadurch noch einmal so wichtig geworden und mahnt zu ganz besonderer Genauigkeit, denn chiffriert werden in der Ver­ brecherwelt naturgemäß nur solche Mitteilungen, welche die Be­ hörde nicht erfahren soll. Vor allem muß betont werden, daß viel mehr Chiffriertes vor­ kommt, als man glaubt, und daß solche Geheimschriften nur deshalb nicht gefunden werden, weil darnach nicht gesucht und etwa gefun­ dene Geheimschriften als solche nicht erkannt werden. Der Beamte muß schon bei der Verhaftung einer Person mit der Möglichkeit rechnen, daß diese trachten wird, sich Sachen unlauterer oder bedenklicher Herkunft unbemerkt zu entäußern und daher zu achten, daß so etwas nicht vorkommt oder wenigstens sofort bemerkt wird und nichts verloren geht! Zur Frage: Wie Chiffriertes aussieht oder aussehen kann und wo darnach zu suchen ist. sei ausdrücklich bemerkt, daß der für die Dechiffrierung notwendige Anhaltspunkt, der sog. „Schlüssel", möglicherweise beim Verhafteten selbst zu finden sein kann, aber natürlich nicht etwa als großes Paket mit der deutlichen Aufschrift: „Lösung der von mir mit meinem Mitschuldigen Franz Berger, Bahnhofstraße 5, verabredeten und gemeinsam benützten Geheimsprache" bezeichnet sein wird, sondern auf einem sonst unauffälligen Gegenstand ver­ merkt sein kann, z. B. die Uhr-, Revolver-, Bajonett-, Kragennummer usw. oder die neuzeitigen Abkürzungen oder Bezeichnungen eines vom Verhafteten getragenen Kleidungsstückes, z. B. für Schuhwerk: „Delka", für Hut: „Hubertus" oder dgl.; beim Vorfinden chiffrierter Mit­ teilungen ist also stets nach dem „Schlüssel" mitzusuchen. Zu 1.: Wie sieht Chiffriertes aus oder kann es aussehen? Es gibt schriftlich Chiffriertes und mündlich Chiffriertes. A. Schriftlich Chiffriertes kann aussehen wie: Eine lange Reihe von fortlaufenden oder zeitweise unterbroche­ nen Zahlen, auch in Bruchform dargestellt; oder ein scheinbares Durcheinander von Buchstaben (Selbst­ oder Mitlauten, getrennt oder auch gemischt) oder Silben; oder aneinander gereihte oder auch einzelne, scheinbar sinnlose Sätze oder Worte (wie aus einer fremden(—Gauner-)Sprache; oder

140

Geheimschriften und deren Entziffern.

„konfuse" Aufzeichnungen; oder in kleine Vierecke (— schachbrettartig) eingeteiltes (— rastriertes) Papier mit eingesetzten Buchstaben oder Ziffern; oder ein solches Papier mit an ungleichen Stellen ausgeschnit­ tenen viereckigen Löchern; oder ein Stück Papier oder dergleichen mit unregelmäßigen größeren Löchern oder mit bloß feinen Nadelstichen versehen; oder scheinbar gegenstandsloses, kindliches Geschreibsel; oder eigenartige Striche, Haken (ähnlich den lateinischen Druckbuch­ staben: E, I, L, T, V, Z oder dgl.), Zeichnungen oder Schnörkel; oder auf den ersten Blick scheinbar unbeschriebene (leere) Zet­ tel, die aber mit besonderer Flüssigkeit beschrieben sein und daher wich­ tige Mitteilungen enthalten können, welche erst bei Erwärmung des Blattes oder dgl. zum Vorschein kommen, (vgl. auch Seite 33); oder ein Kartenspiel mit bezeichneten Blättern oder Rändern; oder ein Buch (auch Lexikon); oder ein oft punktiertes Stück Bindemittel (Zwirn, Schnur oder dgl.); oder ein Zentimetermaß mit Papier- oder Stoffstreifen. Mit den drei letztgenannten Gegenständen' (Buch, Bindemittel und Zentimeiermaß mit Papier- oder Stoffstreifen) müssen jene Leuten welche sich auf diese Weise verständigen wollen, vollkommen gleich ausgerüstet sein. Schließlich ist noch der Vollständigkeit halber zu erwähnen, daß man bei Schriftunkundigen bisweilen Aufzeichnungen finden kann, welche auf den ersten Blick chiffrierten Mitteilungen ähnlich sehen, (meist sehr einfache Aufzeichnungen, wie sie Kinder machen, mit daneben gesetzten Strichen, welche Zahlen, Tage, Monate usw. bedeuten sollen), in Wirklichkeit aber nicht chiffriert sind, sondern bloß die fehlende Schreibkenntnis des Betreffenden ersetzen und sein Gedächtnis unterstützen sollen.

B. Mündlich Chiffriertes: Darunter versteht man entweder das Reden in der dem Laien unverständlichen Gaunersprache, wie sie Verbrecher untereinander be­ nützen oder auch nur ein einziges scheinbar ganz harmloses Wort, das dann in einen annähernd dazu passenden Satz gebracht, durch die Vermittlung des ahnungslosen Beamten den Mitbeteiligten bekannt­ gegeben wird. Dieses Reden oder einzelne Wort hat natürlich eine ganz andere für die Strafsache höchst wichtige Bedeutung. Wenn die beiden Verbrecher, die auf diese Weise ihren Gedanken Ausdruck verleihen wollen, gewiegte Gauner sind und der zur Vermitt­ lung dieser Nachricht meist mit allen erdenklichen Mitteln bewogene Beamte unkundig und ahnungslos ist und tut, worum da ge­ beten wird, kann dadurch ein oft kaum mehr wieder gutzumachen­ des Unheil angerichtet werden. Zum besseren Verständnis dessen, was hier gemeint ist, sei der von Prof. Groß in seinem „Hand-

Chiffrierte Mitteilungen.

141

b n ch" *) veröffentlichte Fall aus seiner Praxis hier wörtlich wieder­ gegeben: „Der Besitzer eines kleinen Waldgrundstückes wurde verdächtigt, daß er seit Jahren den Verkauf großer Mengen von gestohlenen Sachen über die Grenze betreibe. Der Mann.wurde verhaftet, nicht aber seinfe Frau, da sie nur Mitwisserin sein konnte, nicht fluchtverdächtig erschien und eine Anzahl kleiner Kinder, darunter eines an der Brust, zuhause hatte. Der Mann leugnete im ersten Verhör rundweg alles und legte eine unbezwingliche Sehnsucht an den Tag, mit seinem Weib zu sprechen. Dieses wurde zwar den weiten Weg zu Gericht gerufen, mir war aber das auffallende Drängen des Mannes nach jener Unterredung verdächtig geworden, ich schlug diese ab, erklärte mich aber bereit, dem Weibe alles zu melden, was mir der Mann mitteilen werde. Nach langem Sträuben und Hin- lind Herreden verlangte der Mann ledig­ lich, ich solle der Frau mitteilen: „Sie möge die Ochsen gut füttern, er habe dies (bis zur Verhaftung) auch immer getreulich getan, nur möge sie dafür sorgen, daß die Ochsen gutes Futter bekämen." Diese harmlose Nachricht teilte ich dem Weibe mit und dieses zog von dannen. Die Sache beschäftigte mich noch länger und noch an demselben Tage entsandte ich einen Gendarmen, der erheben sollte, ob denn die Leute überhaupt Ochsen besäßen; die Antwort lautete: „Drei Ziegen siird vorhanden und ein abgetriebener Schimmel, mit welchem der Mann seine Fahrten mit gestohlenem Gut besorgt hatte, Ochsen haben die Leute weder jetzt, noch hatten sie welche früher." Zweifellos war ich also in eine Falle gegangen und hatte die Mitteilung einer Nachricht selbst besorgt, die sicherlich einen andern Sinn hatte und für die Unter­ suchung von Bedeutung gewesen sein muß. Die Lösung gewann ich vorläufig nicht, und konnte nichts anderes tun, als den begangenen argen Fehler durch erhöhte Aufmerksamkeit und Genauigkeit möglichst gut zu machen. Lange Zeit darnach, als die Untersuchung beendet war, hatte ich ein Mädchen in Haft, welches unter Zigeunern aufgewachsen war und dort auf das raffinierteste stehlen gelernt hatte. Diese Person interessierte mich lebhaft, da ich glaubte, sie sei als Kind von den Zigeunern gestohlen worden, weshalb ich während ihrer Haft Nach­ forschungen, leider vergeblich, gepflogen habe. Das arme Geschöpf zeigte sich dankbar für die erwiesene Teilnahme und sagte mir eine Menge von Dingen, die ich früher nicht gewußt hatte und später von anderer Seite bestätigt erhielt, (z. B. eine Menge von Zigeunerprak­ tiken beim Reisen, Stehlen, Auskundschaften, Fliehen, Sichverständigen usw., sowie viele Ausdrücke der Zigeunersprache). U. a. fragte ich das Mädchen, was „Ochsen füttern" heiße, und erhielt die Antwort, dies bedeute (aber nicht allgemein): „Die Herren vom Gericht an­ lügen und nichts eingestehen." Der Sinn der damaligen Nach­ richt war also: „Ich habe bis jetzt nichts eingestanden, gestehe auch Du unter keiner Bedingung etwas ein." ') Seite 428/9.

142

Die Morse-Zeichen

Daher größtmöglichste Vorsicht, alles rechtzeitig überprüfen, und ja keine übereilte „Gefälligkeit“! Zu 2.: Wo ist Chiffriertes zu suchen? 1. Beim Verhafteten selbst und in dessen eingebrachten Sachen; 2. in dessen ständiger Wohnung und in dem gegenwär­ tigen Aufenthaltsorte (Zelle); 3. bei gegründetem Verdacht auch bei dessen Verwandten und Bekannten. Zu 1 bis 3 siehe Abschnitt: „Persons- und Hausdurchsuchung", Seite 34 und 35. Auch wird öfteres, unverhofftes Durchsuchen der verhafteten Person und ihrer Zelle usw. nicht selten wichtige, bisher unbe­ kannte Mitteilungen zutage fördern, woraufhin bisweilen sofort Ent­ haftungen oder weitere Verhaftungen werden vorgenommen werden müssen. Zu 3.: Was hat mit vorgefundenen, möglicherweise chiffrierten, Mitteilungen zu geschehen? Über alles, was beim Häftling vorgefunden, und ihm abge­ nommen wurde, ist sofort ein genaues Verzeichnis anzulegen und dem Vorgesetzten (nötigenfalls noch unter ergänzender Bericht­ erstattung) zu übergeben. Die auf Schmucksachen (Uhr), Waffen, Bekleidungsstücken oder dgl. ersichtlichen Zahlen bzw. einzelnen Worte usw. sind dabei genau anzugeben, z. B.: „Die vom NN. bei sich getragene silberne Uhr hat auf dem Jnnendeckel die Fabriksnummer: 20132" oder: Der Häftling hatte einen zwar sehr abgetragenen Hut, auf dessen Lederfütterung aber noch deutlich die Marke: „Hubertus" ersichtlich ist, usw. usw.

Die telegraphischen Zeichen für Buchstaben, Ziffern und die gebräuchlichen Unterscheidungen.

(Nach dem Morse-System). Da es nicht ausgeschlossen ist, daß ein Kriminalbeamter plötzlich in die Lage kommen kann, auch telegraphische Zeichen ver­ stehen zu sollen, sei es vom Streifen abzulesen oder als Ver­ ständigung zwischen Häftlingen (siehe Abschnitt: „Gaunereigen­ heiten", insbes. Seite 84), vielleicht ohne sie je gesehen zu haben, seien sie im nachstehenden angeführt: 1. Buchstaben:

e 6 f g h

— • =---------—-------=--------— --

Corpora delicti. — Borgetäuschte Verbrechen.

143

3. Unterscheidungszeichen Punkt Doppelpunkt Beistrich Fragezeichen Binde- oder Gedankenstrich (— Bruchstrich

(-) (: (,) (?) oder —) (/)

16. Abschnitt.

Behandlung der corpora delicti. Im nachstehenden soll und kann mit wenigen Worten im all­ gemeinen und doch für jeden besonderen Fall zutreffend gesagt sein, wie Gegenstände, welche als zu einer Strafsache gehörig, beschlagnahmt werden, sog. corpora delicti, zu behandeln sind. Derartige Gegenstände sollen 1. so verwahrt, verpackt, werden, daß durch Rütteln, Reiben, Witterungsverhältnisse usw. so gut wie keine Schädigung zu befürchten ist.1) Die dazu notwendigen Umhüllungen und Befestigungsmittel müssen daher unbedingt beschafft werden; 2. so bezeichnet werden, daß eine Irrung ausgeschlossen ist; 3. der zuständigen Stelle zwecks weiterer Verwertung unverzüglich übermittelt werden.

Vorgetäuschte Verbrechen. Jeder praktisch tätige Kriminalist weiß von Anzeigen über Ver­ brechen zu erzählen, deren genaue Untersuchung schließlich ergab, daß sie aus irgend einem Grunde vorgetäuscht waren. Zu diesen häufig vorgetäuschten Verbrechen gehören Unzuchts­ verbrechen, angeblich durch dritte Hand zugefügte Körperbe­ schädigungen, Brandlegung, Diebstahl, Raub, mitunter auch Betrug und Mord. *) So werden z. B. blutbefleckte Kleidungs-, Wäschestücke ob. dgl. mit den Blut­ flecken nach innen zusammenzulegen oder -zurollen sein, usw.

Bei Klarstellung des Sachverhaltes derartiger Berbrechen ist also besondere Aufmerksamkeit am Platze! Vorgetäuschte Unzuchtsverbrechen sollen die Folgen heimlichen oder unerlaubten Geschlechtsverkehres bemänteln helfen, durch angeb­ lich von bestimmter Seite erlittene Körperbeschädigungen sollen Geld­ beträge oder dgl. erpreßt, Brandlegung soll hauptsächlich Betrug usw. verdecken, behaupteter Diebstahl, Raub, die Vergeudung anvertrauter Fremdgüter decken helfen usw. Wird die Tatbestandserhebung in derartigen Fällen unter steter Bedachtnahme auf die Möglichkeit einer Täuschung genauestens durchgeführt, so wird eine tatsächlich vorgetäuschte Anzeige als solche bald durchschaut sein.

Kurzer Wegweiser für Tatbestandsaufnahmen.

Falls ein „ausrücken“ nötig ist, ist der Vorgesetzte vorher zu verständigen und die „AusrückungsLasche" mitzunehmen. Verfügungen auf dem Tatorte selbst: 1. Ruhig, überlegt, zielbewußt handeln, für alle Vorgänge offene Augen und Ohren haben, aber keine voreilige Äußerung fallen lassen I 2. Bloß neugierige Personen, Zuschauer, vom Tatorte entfernen. 3. Wenn Personen verletzt oder scheintot sind, ist sofort ent­ sprechende Hilfe zu leisten, (Näheres siehe Seite 218 ff.), nötigenfalls ist Arzt, Rettungsgesellschaft telephonisch zu verständigen und für Abholung entsprechend zu sorgen. a) Über Amtshandlung mit Leichen siehe 29. Abschnitt. b) Ob gerichtliche oder sanitätspolizeiliche Obduktion zu beantragen ist, siehe Seite 186 und 187. Wenn Tiere arg verletzt sind, ist in Städten das Tierspital telephonisch zu verständigen, auf dem Lande (behufs etwa nötiger sofortiger Schlachtung) der nächste Fleischhauer. 4. Etwa erforderliche oder wünschenswerte Hilfe, Verstärkung, ist auf kürzestem Wege anzusprechen. 5. Der Tatort ist nach Möglichkeit abzusperren. 6. Trachten, sich möglichst rasch und allseitig über den gegebenen Sachverhalt klar zu werden durch Befragen von Aus­ kunftspersonen („7 goldene W: wer, was, wie, wo, warnt, womit, warum") aber deren Besprechen untereinander ver­ hindern, Auskünfte seitens unbekannter Personen zwar hören, aber keinesfalls sofort und unbedingt als richtig und grund­ legend hinnehmen, da auch Irreführung möglich ist. 7. Nur das für sicher annehmen, was man selbst wahrgenommen hat: Angaben (namentlich unbekannter) dritter Personen sind wo­ möglich an Ort und Stelle auf ihre Richtigkeit zu prüfen, bevor weitere Schlüsse daraus gezogen oder weitere Verfügungen daraufhin getrosten werden.

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Wegweiser für Tatbestandsaufnahmen.

8. Stets bedenken, daß der vorliegende Tatbestand sowohl echt als auch vorgetäuscht sein kann, daher beide Möglichkeiten schon von Anfang an verfolgen I Näheres Seite 28. Die vorliegende Sachlage immer wieder betrachten, nötigenfalls photographieren oder zeichnen (Näheres darüber Seite 30). und sich in den ganzen Hergang möglichst hineindenken, er-, wägen, wie es sich Schritt für Schritt zugetragen haben mag: Auf diese Weise muß etwa Unechtes von selbst zutagetreten. 9. In wichtigen Fällen schon in diesem Zeitpunkt der eige­ nen vorgesetzten Stelle über den bisherigen Stand der Erhebungen auf kürzestem Wege (und womöglich selbst) berichten (tele­ phonieren), sonst einen genau unterrichteten, verläßlichen Botenschicken. 10. Tatort und Umgebung nach Spuren absuchen, die mit der Tat im Zusammenhänge stehen (können) und solche, die (durch Witte­ rung, Herumtreten der Beteiligten usw.) in erster Linie gefährdet fein können, nach Möglichkeit schützen und sichern; nicht un­ nötig auf dem Tatorte herumtreten (lassen)! 11. Falls fremdes Verschulden zweifellos oder auch nur mög­ licherweise vorliegt, ist abermals die eigene vorgesetzte Behörde und — bei Gefahr im Verzüge — auch das zuständige Straf­ gericht auf kürzestem Wege vom Sachverhalt zu verständigen und weitere Weisung einzuholen. 12. Stets womöglich gleich auf dem Tatorte festzustellen trachten: a) Etwaige Täter, (falls fremdes Verschulden zweifellos [ober immerhin möglich) ist; Näheres siehe Seite 38; b) bei Eigentumsverletzungen: Wert des betreffen­ den Gegenstandes, (wann, durch wen, in welchem Zustande ititb um welchen Preis angeschafft? Welche Veränderungen hat der Gegen­ stand inzwischen erlebt (verbessert, verschlechtert?), usw.; c) wo zweckdienlich, auch den Beweggrund zur Tat (in mög­ lichst eingehender und verläßlicher Weise) erheben; siehe oazu auch die Ausführungen über den betreffenden Tatbestand im Besonderen Test. 13. Über genaue Aufnahme von Personsbeschreibungen siehe Seite 50. 14. Bei Personsdurchsuchung zuerst nach einer etwaigen Waffe beim Verhafteten bei: „Hände hoch 1“ suchen. 15. über genaue Aufnahme von Sachbeschreibungen siehe Seite53. 16. Über die Frage, wer als Täter in Betracht kommt und bezüglich Einleitung der Verfolgung des Täters und abhanden gekommener Gegenstände siehe Seite 38 ff. 17. Falls das Ansetzen eines Polizeihundes vermutlich von Erfolg sein könnte, darf dies nie verabsäumt werden. 18. Bei Hausdurchsuchung planmäßig vorgehen, d. h. Stück für Stück, Stelle für Stelle absuchen und auf Räumlichkeiten, die zur Wohnung gehören (Keller, Boden, Stallungen, Schupfen usw.) nicht vergessen; Näheres Seite 35. 19. Über die Frage, ob mit einer Verhaftung borge* gangen werden kann oder muß, siehe Näheres Seite 26. W. Polzer, Krimlnaldienft._____________

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Diebstahl.

III. Besondere strafbare Handlungen. A. Eigentumsschädigungen. 17. Abschnitt.

Diebstahl. Allgemeines.

Der Diebstahlin seinen verschiedenen Begehnngsformen gehört zu den meist verübten Straftaten. Die Ursache liegt fast aus­ nahmslos in der dem Dieb sich bietenden Gelegenheit, die teils eine unerwartete, teils eine „abgepaßte" sein kann. Die Sorglosigkeit einer Unzahl von Menschen in der entsprechenden Verwahrung ihrer Vermögenswerte kommt dem Diebe dabei sehr zugute. Wenn man bedenkt, eine wie große Anzahl von Diebstählen aus verschiedenen Gründen überhaupt nicht zur behördlichen Kenntnis ge­ bracht wird, z. B. Diebstähle von Familienmitgliedern untereinander, Diebstähle zum Nachteile des Dienstgebers, begangen durch Dienstleute, die daraufhin kurzweg entlassen werden, alle sog. „unerklärlichen" Hausdiebstähle und solche, bei denen „jeder Anhaltspunkt für die Person des Täters fehlt", solche mit geringer aber auch solche mit großer Schadensziffer, wenn der Geschädigte sich entweder von den behördlichen Nachforschungen keinen oder nicht viel Erfolg verspricht und sich deshalb „nicht erst vor Polizei und Gericht stellen" will, oder wenn es ihm an Zeit und Gelegenheit mangelt, die Anzeige an ent­ sprechender Stelle zu erstatten, (was bei reisenden Personen sehr oft der Fall ist), endlich auch die (namentlich Gelegenheits-)Diebstähle, die der Geschädigte für Verlust hält und im besten Fälle nur als solcher: zur Anzeige bringt, usw. usw., und wenn man bedenkt, daß«, von den zur Anzeige gebrachten Diebstählen sich nur ein geringer Teil auf bestimmte Personen bezieht, (worunter auch noch viele grundlose Beschuldigungen vorkommen), so verbleibt eine gewaltige Summe von Anzeigen gegen unbekannte Täter, die fast niemals eine positive Erledigung finden. Solche An­ zeigen werden dann dem Gerichte mit der allbekannten (inhaltslosen) Redensart abgetreten: „Die nach dem Täter allseits gepflogenen Er­ hebungen blieben ohne jeden Erfolg; die Jnvigilierung wird fortgesetzt und ein etwa positives Ergebnis gemeldet werden", (was aber, nebenbei bemerkt, so gut wie nie der Fall ist). Damit hat sich der Beamte in einfacher Weise seiner Aufgabe entledigt; er geht dabei von dem Standpunkte aus, daß die kleinen Diebstähle für eingehende Erhebungen eben „zu minderwertig" und daher bloß „zeitraubend" sind, ohne LU bedenken, daß die gerade bei kleinen Diebstählen leich­ ten Borerhebungen die beste Vorschulung für die Aufklärung größe­ rer Diebstähle sind.

Jeder auch der kleinste Diebstahl wird in dieser oder jener Rich­ tung Fesselndes bieten, Gewußtes bestätigen. Neues lernen lassen: Man soll sich nur ernsthaft damit befassen! Und ebenso, wie der ab­ gefeimte Gauner nicht über Nacht seine Kenntnisse erworben haben kann, sondern — ich möchte sagen — stufenweise bis zu seinem „Re­ nommee" aufgestiegen ist, so kann sich auch der Kriminalbeamte nicht sofort an die Aufklärung eines größeren Diebstahles machen, ohne die nötigen Vorkenntnisse, wie sie eben gerade die kleinen Diebstähle bieten, erworben zu haben. Fragen wir offen, warum so viele Erhebungen über Diebstähle (natürlich aber auch andere Erhebungen nach dem Täter) ohne be­ stimmtes Ergebnis 'Bleiben, so können wir uns, wenn wir ehrlich sein wollen, die Antwort selbst geben: Es ist immer die altbekannte Tatsache, es fehlt an der nötigen Zeit, an Beamten, an geschulten, arbeits­ freudigen Beamten I —

Besonderes. Der Diebstahl gehört auch in die Reihe jener Straftaten, die oft vorgetäuscht (fingiert) werden; der Beamte muß sich daher — wie immer so auch hier — stets vor Augen halten: Es kann einerseits wirklich Diebstahl vorliegen, es kann anderseits der behauptete Diebstahl aber auch vorgetäuscht sein. Es sind daher beide Möglichkeiten solange zu verfolgen, bis die Grundlage für die eine entfällt und nur die andere übrigbleibt; vgl. auch das über „Vor­ getäuschte Verbrechen", Seite 143, Gesagte. Die Annahme, daß ein Diebstahl vorgetäuscht sein dürfte, wird dann gerechtfertigt sein, wenn bei der Tatbestandsaufkläruntz irgendwo etwas Auffälliges, Ungewöhnliches zutage tritt, kurz, wenn es irgendwo „nicht stimmt", wenn der „Bestohlene" durch den Diebstahl keinerlei Schaden erleidet, ja vielleicht noch sogar sich irgendwelchen Vorteil verspricht, (z. B- Auszahlung der Ver­ sicherungssumme durch die er „gedeckt" ist, oder dgl.). Die Fragen, welche in einem solchen Falle an den Bestohlenen zu stellen sind, werden, sinngemäß angewendet, in vielen Punkten mit dem über­ einstimmen, was im Abschnitt „Brandlegung", Seite 175 unter a) gesagt ist; es sei daher auf die dortigen Ausführungen und auf den Abschnitt: „Das Vorgehen auf dem Tatorte", Seite 27, hingewiesen. 1. Art der Verübung des Diebs'tahls.

Um nach einem verübten Diebstahl, dessen Täter noch unbekannt ist, die Erhebungen und damit auch die Ausforschung desselben usjv. mit Aussicht auf Erfolg einleiten zu können, ist die Besichtigung des Tatortes unbedingt erforderlich, (vgl. auch den Abschnitt: „Vorgehen auf dem Tatorte", Seite 27). Der mit den Erhebungen betraute Kri­ minalbeamte versäume es daher niemals, auch bei sog. minder­ wertigen, d. h. geringfügigen Diebstählen unverzüglich den Tatort und auch dessen Umgebung einer eingehenden Besichtigung 10*

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Art und Weise des verübten Diebstahles.

zu unterziehen. Irgendein Anhaltspunkt wird sich bei solchem Vorgehen immer ergeben, weil die Art und Weise des verübten Diebstahls fast immer einen Schluß auf den Täter zuläßt: Man wird dabei den Eindruck bekommen, ob der Täter den Diebstahl sehr geschickt oder sehr ungeschickt angelegt und ausgeführt hat und wird ihn daher unter den „Anfängern" oder unter den erfahrenen Dieben zu suchen haben; ob die Tat Einer allein verübt haben kann oder sichtlich Mehrere beteiligt gewesen fein müssen; ob der Täter mit dem „Hausbrauch", d. h. mit den allseitigen Verhältnissen, (deren Kenntnis für die erfolgreiche Verübung eines Diebstahls von größter Wichtigkeit ist), genau vertraut gewesen sein mußte oder nicht; ob die Tat auch vom Nächstbesten rein aus Gelegenheit begangen worden sein konnte. Man wird etwaige zurückgebliebene Spuren sehen und festzustellen trachten, wie sie entstanden sein mögen und sie für die spätere Untersuchung sichern, (Näheres darüber siehe im Abschnitt über Spuren, Seite 117, 1*25 und 132); wird man erkennen können, ob mit aller Ruhe gearbeitet worden ist, der Diebstahl also gut ausgekundschaftet und durch Aufpasser vor Überraschung gesichert war, oder ob in sichtlicher Hast alles durchwühlt und durch­ einander geworfen wurde, man wird aus der Beschaffenheit des ent­ wendeten Gutes erkennen können, ob der Täter sachkundig war, d. h. Wertvolles von Minderwertigem zu unterscheiden vermochte, man wird vielleicht von Leuten, die etwas Verdächtiges, Außergewöhnliches, wahrgenommen haben, Anhaltspunkte in dieser oder jener Hin­ sicht erhalten, (dabei aber Vorsicht vor möglicher Irreführung! Näheres darüber siehe Seite 28), usw. usw., kurz, man wird nach Besichti­ gung des Tatortes und sorgfältiger Erhebung aller Begleitumstände, äußerer Vorgänge u. dgl. den Tatbestand gewiß wenigstens teilweise gleich an Ort und Stelle zu klären vermögen. Es sei daher nochmals jedem Kriminalbeamten eingeschärft, die Erhebungen bei allen, auch den unscheinbarsten Diebstählen so sorg­ fältig als nur möglich zu pflegen und stets auf den Tatort zu gehen: Nur so wird es zu erreichen sein, daß die so große Anzahl von Diebstählen mit unbekannten Tätern möglichst herabgedrückt wird! Diebstähle, welche sichtlich dieselben besonderen Merkmale aufweisen, daher die Annahme rechtfertigen, daß diese mehreren Diebstähle von ein und derselben Person ausgeführt wurden, sollen stets noch abgesondert verzeichnet und übersichtlich gesammelt werden, damit der Täter, wenn er dann verhaftet und eines solchen Diebstahles überwiesen wird, auch für die übrigen auf sichtlich gleiche Art verübten Diebstähle verantwortlich gemacht werden kann. Ein Beispiel soll das Gesagte besser verständlich machen: Ange­ nommen, es wird eine Reihe von Einbruchdiebstählen angezeigt, die stets so begangen wurden, daß der Täter die Eingangstüre mit einem Stemmeisen, das sich einmal wenig, dann wieder sehr deut­ lich ins Holz eingedrückt hat, aufgesprengt hat. Die Eindrücke des Stemmeisens int Holz lassen einen genauen Schluß auf dessen Gestalt usw. ziehen, der Täter wird beim nächsten selben Einbruch von einem

Das Auskundschaften.

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zufällig dazukommenden Sicherheitsbeamten ertappt und hat nun durch dieselbe Art des Vorgehens auch die früheren solchen Einbruchdiebstähle zu verantworten. In diesem Falle wird also kurz etwa zu verzeichnen sein: „Wohnungs-", „Geschäftseinbrüche mit Stemmeisen" oder, wenn wiederholte Diebstähle von abgesägten Türklinken angezeigt werden — zweifellos also derselbe Täter — werden diese Diebstähle unter dem Schlagworte: „Türklinkendiebstähle", oder eine Reihe von Diebstählen von Fußabstreifern (wie sie vor den Wohnungseingängen liegen) unter: „Fußabstreiferdiebstähle", „Dieb­ stähle von Fußabstreifern" einzutragen sein usw. usw. Ist etwa aus früheren Amtshandlungen der Name des Täters schon bekannt, weil ihn seine gleichbleibende Begehungsart verrät („Spezialist"), so wird außerdem noch ein Einträgen nachdem Namen des Betreffenden für die späteren Zeiten, d. h. für den Fall seiner Ver­ haftung, sehr zweckentsprechend sein, z. B. NN., Diebstahl beim Geld­ wechseln", oder: „XY., Taschendiebstahl in Banken", usw. usw. Ein Diebstahl kann von einem einzigen Täter ohne jede Vorbereitung verübt worden sein, er kann aber auch ausge­ kundschaftet und mit Helfern begangen worden sein. Es sei daher das Auskundschaften einerseits und die Tätigkeit der Mitbeteiligten anderseits im folgenden erörtert. a) Das Auskundschaften.

Eine Vorbereitung, die für das' Gelingen eines Diebstahls oft von ausschlaggebender Bedeutung ist, ist das Auskundschaften. Damit ist aber keinesfalls gesagt, daß jeder Diebstahl vorher unbedingt aus­ gekundschaftet werden muß: Den zahlreichen Gelegenheitsdieb­ stählen z. B. geht fast nie ein Auskundschaften voraus. Da sich gute Auskundschafter den Anschein von völlig harm­ losen Leuten zu geben wissen, werden sie von nachher Bestohlenen nur in den seltensten Fällen als mit dem verübten Diebstahl mög­ licherweise in Beziehung stehend dem Beamten gegenüber er­ wähnt. Solche Auskundschafter treten in der Stadt wie auf demi Lande unter dem Deckmantel des alltäglich herumziehenden Volkes auf, verstehen es aber auch, sich in die Rolle angeblich Dienst suchender besserer Leute oder sonstiger Personen zu finden, deren Anwesenheit an und für sich nichts Auffälliges bedeutet. Ist die Gewißheit oder auch nur die Möglichkeit vor­ handen, daß ein namentlich größerer Diebstahl vorher aus­ gekundschaftet worden ist und fehlt etwa noch dazu „vom Täter jede Spur", so muß der Geschädigte genauestens darüber befragt werden, ob etwa derartige Leute bei ihm oder seinen Ange­ hörigen vorgesprochen haben; bejahenden Falles muß man trach­ ten, eine möglichst genaue Personsbeschreibung der vermutlich verdächtigen Person durch Befragung aller jener, welche sie vielleicht ebenfalls gesehen und möglicherweise auch gesprochen haben, zu erhalten, um die Ausforschung einleiten zu können; (Näheres über die Aufnahme von „Personsbeschreibungen" siehe Seite 60, über „Aus-

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Mthelfer des Diebes.

forschung des Täters", Seite 38, über die Amtshandlung mit dem dann etwa tatsächlich aufgegriffenen Täter, Seite 22). Die besten Auskundschafter sind unstreitig die Zigeuner; ist daher auch nur die Möglichkeit vorhanden, daß sie als Täter in Betracht kommen, so sei auf das über Zigeuner (Seite 85) Gesagte als Richtschnur hingewiesen.

b) Die Tätigkeit der Mithelfer (Komplizen). Die Aufgabe des Mithelfers ist stets eine die Arbeit des eigent­ lichen Diebes irgendwie unterstützende, besteht also darin, nach Möglichkeit Vorsorge zu treffen, daß der eigentliche Dieb bei Ver­ übung der Tat nicht gesehen oder betreten werden kann, oder darin, daß er den gestohlenen Gegenstand, welcher ihm irgendwie in die Hand gespielt wird, rasch in Sicherheit bringt, damit der eigentliche Dieb selbst im Falle einer Verhaftung das Entwendete nicht mehr in seinem Besitz hat. Wie sich der Komplize im einzelnen Falle benehmen wird, hängt natürlich von verschiedenen Umständen ab, (vgl. z. B. den Abschnitt „Taschendiebstahl", Seite 159, „Ladendiebstahl", Seite 156, „Ein­ bruchsdiebstahl", Seite 153, usw.); sein Benehmen ist für den dies­ falls erfahrenen Kriminalbeamten immer bezeichnend, für den Laien dagegen nicht auffallend. Hat der Mithelfer Aufpasserdienste wegen eines in der Nähe geplanten (Einbruchs-)Diebstahles zu versehen und bemerkt er während dieser Zeit eine Person (namentlich Sicherheitswache) herankommen, so wird er seine Leute in für den Anderen scheinbar harmloser Weise irgendwie warnen, (z. B. pfeifen, jemanden rufen, oder dgl.) und den Ankommenden aufzuhalten trachten, d. h. etwas tun, wodurch der Fremde wenigstens kurze Zeit ihm seine Aufmerksamkeit widmen wird, (z. B. eine Bitte um Auskunft, Mitteilung eines besonderen Vorfalles, der sich angeblich eben abgespielt habe oder dgl.). Trifft der Beamte namentlich bei nächtlichen Streifungen auf einen so, vereinzelt stehenden Menschen, der durch solches Benehmen auffällt so soll dieser Verdächtige jedenfalls zur Ausweisleistung aufgefor­ dert und wenn die Identität des Angehaltenen nicht sofort einwand­ frei feststellbar ist, auch aufgefordert werden, zwecks Überprüfung dieser Angaben in die nächste Wachtstube mitzukommen. Erweisen sich dortselbst seine Angaben als falsch, so ist die Annahme, daß der Angehaltene ein Mithelfer von Einbrechern sein dürfte, gerechtfertigt und er daher bis zur völligen Klarstellung des Sachverhaltes zurück­ zubehalten.

2. Die häufigsten Arten des Diebstahles. Die verschiedenen Arten des Diebstahles werden bald unter diese bald unter jene Einteilung gebracht, bald alphabetisch aneinander­ gereiht; welche Aufzählung davon die beste ist, mag sich für unsere Zwecke gleichbleiben, da es hier einzig und allein nur darauf änkommt, die gebräuchlichsten Arten des Diebstahles mit der für den

Die häufigsten Arten des Diebstahles.

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Anfänger nötigen Erklärung zu besprechen; im folgenden wurde die alphabetische Reihenfolge gewählt. Während der Betrüger fortwährend Neues ersinnen muß, wenn der von ihm einmal angewendete „Trick" nicht mehr „verfängt", kann und wird der Dieb der von ihm gewählten, „erprobten" Dieb­ stahlsart treu bleiben und trachten, es hierin zu besonderer Ge­ schicklichkeit zu bringen. Die Frage, was zu tun ist, um den Täter zu ermitteln, ist in dem Abschnitt: „Ausforschung des Täters", Seite 38, behandelt. Maßnahmen zur Verhütung von Diebstählen. Ich hielt es für notwendig, auch anzuführen, wie Diebstähle nach Möglichkeit ver­ hindert werden können. Wenngleich die im gegebenen Falle zu treffenden Gegenmaßnahmen ost außerhalb des Machtkreises des Beamten liegen, kann gerade er, der ja mit der Bevölkerung in engerer Beziehung steht als der Jurist, diesfalls mitunter viel eher Zweck­ entsprechendes anregen: Die Bevölkerung wird sich gern dem wohl­ meinenden Rate fügen, zumal sie aus solchen Anordnungen ja selbst Nutzen zieht. Der Kriminalbeamte hat eben nicht nur die Aufgabe, bereits verübte strafgesetzwidrige Handlungen nach Möglichkeit klarzustellen, sondern er hat vor allem auch vorbeugend zu wirken; letzteres wird durch entsprechenden geeigneten Wachtdienst, durch Aufklären der Bevölkerung und Abstellung vorliegender Mängel zu erreichen sein. Im allgemeinen kann gesagt werden, daß bei jeder sich bietenden Ge­ legenheit das Sprichwort: „Gelegenheit macht Diebe", Jedem, der über Vermögenswerte, welcher Art immer, verfügt, eingeschärft werden soll; man muß also in erster Linie vermeiden, Gelegenheit zum Dieb­ stahl zu geben! Diebstähle, deren Verhinderung mehr oder minder im allge­ meinen Interesse gelegen ist, (z. B. Einmiete-, Einschleichdiebstähle, Diebstähle von Türklinken, von Telephon- und Telegraphendraht, usw. usw.) sollen vorkommendenfalls stets entsprechend verlautbart werden; (Näheres darüber siehe Seite 42), teils um dadurch etwaige weitere Geschädigte zu suchen, teils, um auch die breiten Be­ völkerungsschichten zur Mitarbeit an der Verhütung und Entdeckung solcher Diebstähle anzueifern und heranzuziehen. Um jede Art des Diebstahles möglichst übersichtlich und in sich abgeschlossen darzustellen, wurden die geeignet scheinenden Gegen­ maßnahmen im unmittelbaren Anschluß an den betreffenden Ab­ schnitt erörtert; für jene Straftaten aber, bei denen eine solche scharfe Abgrenzung aus irgendwelchen Gründen nicht möglich oder nicht zweckmäßig erschien, wurden die Gegenmaßnahmen zusammen­ fassend behandelt. Für einige wenige Arten des Diebstahles lassen sich bestimmte Gegenmaßnahmen im vorhinein allerdings nicht angeben. Die Gegenmaßnahmen sind inhaltlich so zusammengefaßt, daß sie sich wohl für alle denkbaren Fälle bewähren dürften; sind sie jedoch ausnahmsweise mit einem bestimmten Fall nicht recht vereinbarlich, werden die für diesen besonderen Fall am ehesten entsprechenden Gegen-

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Auslagendiebstahl.

maßnahmen einer möglichst ähnlichen Straftat zu ergreifen sein. In den meisten Diebstahlsfällen wird sich auch die Anlegung übersicht­ licher Darstellungen sehr empfehlen; Näheres darüber siehe Seite 15. Ich behaupte gewiß nicht, daß die im folgenden aufgezählten Dieb­ stahlsarten erschöpfend seien, doch werden die am häufigsten vorkommen­ den darunter vertreten sein; nicht genannte werden sich an die eine oder andere dieser Begehungsformen leicht anpassen lassen.

Im besondern seien genannt:

Auslagendiebstahl Einbruchsdiebstahl Einmietediebstahl Einschleichdiebstahl Fahrraddiebstahl Geldwechfeldieb stahl Gelegenheitsdiebstahl Gepäcksdiebstahl Hausdiebstahl Ladendiebstahl sog.: „Leichenfledderer"

Marktdiebstahl Metalldiebstahl Opferst ockdieb stahl Viehdiebstahl Raub Rockdiebstahl Taschendiebstahl Unzuchtsdiebstahl Wilddiebstahl Diebstahl aus Aberglauben.

a) Auslagendiebstahl. Solche Diebstähle werden, wo sich eben Gelegenheit bietet, von Kindern wie von Erwachsenen verübt. Die eines solchen Diebstahles überwiesene Person hat in der Regel meistens noch eine Anzahl weiterer solcher Diebstähle begangen; es empfiehlt sich daher ge­ gebenenfalls die Anlegung übersichtlicher Darstellungen; Näheres dar­ über siehe Seite 15. Zu bemerken ist, daß eine Anzeige des Geschä­ digten meistens nicht vorliegt, da, das Ertappen bei der Tat aus­ genommen, kaum Jemand der Tat mit Recht wird beschuldigt werden können. Auch eine Ermittlung der Geschädigten auf Grund etwa Vor­ gefundener, sichtlich gestohlener Gegenstände ist nur selten von Erfolg begleitet, weil es sich meistens um sog. „Dutzendware" handelt, also Ware, wie sie jeder Kaufmann in seinem Laden hat. Wohl aber macht sich der Dieb, so unglaublich es klingt, über die erfolgreich ver­ übten Diebstähle bisweilen (eigenartige) Aufzeichnungen, auf welche daher gegebenenfalls zu achten ist; siehe daher auch den Abschnitt: „Dechiffrievkunde, Seite 139. Gegenmaßnahmen: Der Verkäufer soll seine Waren stets ganz überblicken können; ist sein Lager zu groß, soll er entsprechend viele Verkäufer beschäftigen. In ständigen Geschäften wird es sich empfehlen, an verschiedenen Stellen großeSpiegelanbringen zu lassen und für die Zahlstelle einen Platz zu wählen, der im Rücken der Kunden liegt. Auch wirkt ständige gute Beleuchtung auf den Täter immer ab halt end. Der Kunde soll nicht mehr Ware vorgelegt sein, als unbedingt nötig, und das nicht in Betracht kommende stets gleich wieder weggeräumt werden.

Einbruchdiebstahl.

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b) Einbruchsdiebstabl.

Für diesen Abschnitt sei auf das über „Die Art der Verübung des Diebstahles", Seite 147, Gesagte und auf den Abschnitt: „Vorgehen auf dem Tatorte", Seite 27, verwiesen. Weil bei Verübung dieser Straftat auf dem Tatorte vielfach auch Spuren verwendeter Werkzeuge oder dgl. zurückbleiben, sollen nötigenfalls stets Sachverständige beigezogen werden, welche aus der Art und Weise, wie an einem bestimmten Gegenstände Gewalt angewendet wurde usw., oft wichtige Schlüsse für die weiteren Erhe­ bungen ziehen können. Daß solche Spuren, wie überhaupt alles vom Täter auf dem Tatort Zurückgelassene, selbst das Unscheinbarste, für den Verlauf der Strafsache von größter Wichtigkeit ist und daher gesichert und verwertet werden muß, soll auch hier betont sein; Näheres darüber siehe im Abschnitt über Spuren, Seite 117, 125 u. 132. Ist die Möglichkeit vorhanden, daß Zigeuner als Täter in Betracht kommen, so sei auf das im Abschnitt über „Zigeuner", Seite 85, Gesagte hingewiesen. Wenn ein Einbruchdiebstahl in der Weise verübt wurde, daß von einem daneben, darunter oder darüber befindlichen Raume aus (der noch dazu vielleicht erst kürzlich gemietet wurde) durchgebrochen worden ist, um in das Zimmer oder dgl., welches Wertsachen enthält, zu gelangen, so ist der Täter mit Recht unter den berufsmäßigen Ein­ brechern zu suchen. Einbruchswerkzeug gibt es vom denkbar einfachsten Aussehen bis zur Verwendung der neuesten technischen Hilfsmittel (letztere na­ mentlich zum Offnen der eisernen Kassen).^) Besondere Bedeutung, weil von jedem gewiegten Einbrecher be­ nützt, haben die sog. Brechstangen, (oft von zusammensetzbarer Bau­ art, auch ähnlich den Stangen, wie sie zum Offnen großer Kisten ver­ wendet werden), die es gewöhnlicher Menschenkraft ermöglichen, bis­ weilen geradezu Übermenschliches zu leisten. Hervorgehoben sei schließlich, daß Einbrecher fast immer gewalt­ tätige Verbrecher sind, die nötigenfalls auch eine Bluttat begehen, um ihr Opfer zu überwinden oder einen gefährlichen Zeugen zu be­ seitigen. Über Anlegung übersichtlicher Darstellungen siehe Näheres S. 15. Gegenmaßnahmen: Einfache Schlösser und Türen mit sog. „Füllungen" (d. h. eingesetzte Tafeln) bieten dem „Kenner" so gut wie gar kein Hindernis; nur (Türen- und Vorhäng-)Schlösser bester Art?) und Türen aus dickem Hartholz mit bestem Sicher­ heitsverschluß,2) werden selbst dem geübten Einbrecher zum mindesten längeren Widerstand entgegensetzen; für den berufsmäßigen Ein­ brecher gibt es allerdings überhaupt kein verläßliches Hindernis. *) Ich habe bei einem berüchtigten Kasseneinbrecher einen vollständigen auf daS beste ausgestatteten Apparat gesehen, den er imRucksack unauffällig mit sich trug t *) Wie sie in jedem größeren Eisenwarengeschäst erhältlich sind.

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Einmiete-, Einschleich-, Fahrraddiebstahl.

Weitere Sicherheitsvorkehrungen sind: Ständiger, verläßlicher Wachtdienst, geschickt angebrachte, geeignete, elektrische Läutevor­ richtungen, gut abgerichtete stets im Innern des Hauses (der Wohnung) zu haltende Wacht Hunde, ständige, gute Beleuchtung, Fensterläden, Türen- und Fenstergitter (die neuartigen „Schieb­ gitter" sind sehr zweckentsprechend und widerstandsfähig), die Siche­ rungen für Eingangstüren, wodurch das Offnen der Riegel bei geschlossenen Türen nicht möglich ist, auch Mitgliedschaft zu den „W achund Schließgesellschaften" sind empfehlenswert.

c) Einmietediebstahl. Diese Art des Diebstahls kommt wegen ihrer einfachen Begehungs­ form sehr häufig vor: Der Täter mietet sich (natürlich unter falschem Namen) höchstens mit Angeld ein, rafft in unbewachter Zeit an geeigneten Wertgegenständen soviel als möglich zusammen und sucht das Weite. Gelingt endlich seine Verhaftung, hat er meistens eine Reihe solcher Diebstähle begangen; es sei daher auf den Wert übersichtlicher Darstellungen, Näheres darüber siehe Seite 15 besonders hingewiesen.

d) Einschleichdiebstahl. Darunter versteht man jene Diebstähle, welche entweder in der Weise begangen werden, daß sich der Täter vor Torschluß in das betreffende Gebäude einsperren läßt und sie früh unmittelbar nach dem Aussperren mit der gestohlenen Ware wieder verläßt, oder solche, welche so verübt werden, daß der Täter bei Tag frech („elegant") unter irgendeinem Vorwand in eine Behausung tritt und bei dieser Gelegen­ heit mitnimmt, was gerade zur Hand ist. Die Täter sind teils An­ fänger, teils erfahrene Verbrecher. Nicht selten wird für solche Diebstähle dann die Dienerschaft oder auch andere Hausparteien verantwortlich gemacht. Über die Anlegung übersichtlicher Darstellungen siehe Näheres Seite 15.

Gegenmaßnahmen: Wie beim „Einbruchdiebstahl", Seite 153. e) Fahrraddiebstahl.

Fahrraddiebe sind sehr oft im Einverständnis mit Hehlern (siehe Seite 165), die ihnen das gestohlene Rad wohl zu jeder Zeit, dafür aber um einen sehr geringen Preis abnehmen, äußerlich etwas verändern, um es dann wieder zu verkaufen. Mitunter wird das Rad auch unmittelbar nach der Tat verpfändet. Bei Fahrraddieb­ stählen ist daher stets bei Fahrradhändlern, Mechanikern, Trödlern und in Versatzämtern zu erheben. Bezüglich übersichtlicher Darstellungen siehe Näheres Seite 15. Gegenma ßnahmen: Eingestellte Fahrräder sollen stets mindestens mit Speichenverschluß versehen sein.

Geldwechsel-, GelegenheitS-, Gepäcks-, Hausdiebstahl.

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f) Diebstahl beim Geldwechseln.

Diese Form des Diebstahles besteht darin, daß der Täter den Geschäftsmann ersucht, ihm eine größere Banknote in Kleingeld umzuwechseln. Sobald das erforderliche Kleingeld vorgezählt ist, streicht es der Dieb samt seiner Banknote ein und sucht das Weite; nötigenfalls muß ihn dabei sein Helfershelfer entsprechend unter­ stützen, meistens in der Weise, daß er unmittelbar nachher ins Geschäft tritt und sich vom Geschäftsmann umständlich die Sache erzählen läßt, (wodurch der Dieb einen Vorsprung gewinnt). Ein dabei verhafteter Täter hat zweifellos mehrere solche Diebstähle begangen, so daß sich übersichtliche Darstellungen empfehlen; Näheres darüber siehe Seite 15; siehe auch den Abschnitt: „Betrug", insbes. Seite 169. Gegenmaßnahmen: Der Sachverhalt ist in geeigneter Fassung entsprechend zu verlautbaren, um weitere Geschädigte zn ermitteln; Näheres darüber siehe Seite 42. g) Gelegenheitsdiebstahl. Diese Diebstahlsart kann fast alle in dieser Aufzählung genannten Diebstähle umfassen. Wenn man bedenkt, welche Unzahl von Menschen nicht nur sorgenlos, sondern geradezu höchst leichtsinnig in der Verwahrung von Wertsachen vorgeht und daß auch Menschen mit nicht allzu festen Grundsätzen zu diesen Werten Zutritt haben, kann die große Anzahl solcher Diebstähle nicht wundernehmen. Sie auf die Mindestzahl einzuschränken, ist Mitaufgabe eines strebsamen Kriminalbeamten, welcher bei- jeder sich bietenden Gelegenheit der Bevölkerung einschärfen soll, zum eigenen Vorteil nach Möglich­ keit alles „unter Schloß und Riegel“ zu verwahren. h) Gepäcksdiebstahl.

Dieser wird namentlich dort verübt, wo regelmäßig Gepäcks­ stücke in großer Anzahl zusammenkommen, also auf Bahnhöfen, auf der Post, in Gasthöfen usw. (Die Gepäcksdiebstähle und -beraubungen haben namentlich während der Kriegszeit eine erschreckende Zu­ nahme erfahren). Ist der Täter eines solchen Diebstahles über­ wiesen, ist auch die Annahme gerechtfertigt, daß er weitere solcher Diebstähle begangen hat. Betreffs übersichtlicher Darstellungen siehe Näheres Seite 15. Gegenmaßnahmen: Solche Gegenstände nicht, aus den Augen lassen (geeignete Überwachung!); muß dies aber dennoch geschehen, dann sie entsprechend versichern! i) Hausdiebstahl. Darunter werden alle im Hause begangene Diebstähle zusammen­ gefaßt: Diebstähle von fremden Leuten (auch „Stiegenläufer" ge­ nannt) an den Sachen der Hausbewohner, Diebstähle von im Hause wohnenden oder beschäftigten Leuten an den Wertsachen der Haus­ parteien, und Diebstähle, die ohne Kenntnis des Geschädigten außer-

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Hausdiebstahl, Ladendiebstahl.

halb des Hauses verübt wurden, (z. B. während des Zustreifens usw.) und dann als (vermutlich) im Hause begangen bezeichnet werden. Haus diebstähle erfolgreich zu lösen, gehört zu den schwierigsten Aufgaben des Kriminalbeamten, weil man bei den Erhebungen nur zu leicht auf falsche Bahn abgelenkt wird und nicht selten den eigent­ lichen Dieb oder Mitwisser zur Auskunftsperson macht. Hier können nur die sorgfältigsten Erhebungen, die womöglich noch durch die Angaben wohl unterrichteter Vertrauenspersonen, wie sie der Beamte möglichst zahlreich gewinnen sollte, (Näheres darüber siehe Seite .11) zu unterstützen sind, zu einem Erfolge führen. Verdächtige Personen sind in solchen Fällen hinsichtlich ihrer Be­ tätigung, Ausgaben usw. eingehend aber geeignet zu über­ wachen. Nur zu oft spielen da persönliche Verhältnisse des Geschädigten oder des Anzeigers eine bedeutende Rolle, oft werden verlorene oder verlegte Gegenstände rasch auch als „entwendet" bezeichnet und dann ist auch der „Täter" bald gefunden. Wird Gestohlenes unter den Habseligkeiten der als „Täter" be­ zeichneten Person gefunden, muß dies nicht auch schon unbedingt seine Schuld beweisen. Dagegen wird der wirkliche Täter nicht selten aus irgendwelchem Grunde geschützt und jede Spur eines Verdachtes sorgfältig von ihm ferngehalten; auch daran ist gegebenenfalls zu denken. Handelt es sich um sog. „unerklärliche“ Hausdiebstähle, so ist nicht aus dem Auge zu lassen, daß unter Umständen als Täter auch Familienmitglieder selbst oder deren weitere Verwandte und Bekannte auch der (oder die) Geliebte der im Hause dienenden Person, ferner Personen, die Liebhaber oder Sammler sind von Gegenständen, wie sie abhanden gekommen sind oder solche Stücke gut zu verwerten wissen, (sofern sie im Gelegenheitsverhältnisse standen), die Täter sein können. Waren zur fraglichen Zeit etwa Zigeuner in der Nähe des Tat­ ortes, können sie als Täter in Betracht kommen; Näheres darüber siehe im Abschnitt: „Zigeuner", Seite 85. Dem Anfänger sei bezüglich der Erhebungen bei Hausdicbstählen geraten, er möge erst ein paar Dutzend andere Diebstähle zu klären versuchen, bevor er sich an die stets heikle Lösung von Haus­ diebstählen heranwagen darf. Zur Lösung der Frage: „Wer der Täter sein kann", vgl. auch den Abschnitt: „Ausforschung des Täters", Seite 38. Gegenmaßnahmen: Keine Gelegenheit zum Dieb­ stahl bieten, daher womöglich alles „unter Schloß und Riegel" geben; im übrigen wie beim „Einbruchs-" ober „Einschleichdiebstahl", Seite 153, 154.

j) Ladendiebstahl. Darunter sind jene Diebstähle zu verstehen, die in einem Ge­ schäftsladen während des Kaufens oder Besichtigens der Waren verübt werden. Berufsmäßige Ladendiebe tragen weite

Leichenfledderer", Markt», Metall-, Opferstockdiebstahl

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Kleidung mit großen Innentaschen, mitunter auch noch weitere Ausrüftungefi8) und „arbeiten", einander scheinbar nicht kennend, meist zu zweit, um die Aufmerksamkeit des Verkäufers abzulenken. Derart ausgerüstete Ladendiebe haben stets mehr als einen solchen Diebstahl begangen; es empfiehlt sich daher die Anlegung übersicht­ licher Darstellungen, (Näheres darüber Seite 15). Gegenmaßnahmen: Wie beim „Auslagendiebstahl", S. 152.

k) Sog. „Leichenfledderer“. So werden jene Personen genannt, welche Diebstähle an hilf­ losen Personen verüben, also z. B. an Schlafenden, Betrunkenen, Verunglückten, Schwerkranken, Toten. Hieher gehören auch Diebstähle der Dirnen (Prostituierten), sofern sie an ihren schlafenden Gästen begangen werden. Gegenmaßnahmen: Der Sachverhalt ist in geeigneter Fassung entsprechend zu verlautbaren, (Näheres darüber siehe Seite 42), damit der Täter womöglich für alle von ihm verübten solchen Dieb­ stähle verantwortlich gemacht werden kann.

1) Marktdiebstahl. Diesfalls sei auf das im Abschnitte: „Auslagendiebstahl", S. 152, und „Ladendiebstahl", Seite 156, Gesagte verwiesen, das sinngemäß anzuwenden ist.

m) Metalldiebstahl. Dazu gehören hauptsächlich die Türklinken-, Telephon- und Tele­ graphendraht-, auch Stahldiebstähle usw., kurz, Diebstähle von hoch­ wertigem leicht erreichbarem Metall, wie sie namentlich toährend der Kriegszeit in der Stadt wie auf dem Lande in bedeutender Zahl verübt wurden. Auch hier hat der eines solchen Diebstahles überwiesene Täter meist mehrere gleichartige begangen, weshalb sich die Anlegung übersichtlicher Darstellungen empfiehlt; Näheres darüber siehe Seite 15. Gegenmaßnahmen: Den Sachverhalt in geeigneter Fassung entsprechend verlautbaren und damit die Bevölkerung zur Mitarbeit an der Aufdeckung weiterer Fälle heranziehen. n) Opferstockdiebstahl.

Richtiger gesagt: Gelddiebstahl aus dem Opferstock, kommt nament­ lich auf dem Lande vor. Der Täter ist als Opferstockdieb dadurch kenntlich, daß er entweder gleich die fertigen dünnen Stäbchen, die an einem Ende mit einer stark klebrigen Masse be­ strichen sind, bei sich trägt oder wenigstens die klebrige Masse besitzt; (auf dem Lande kann er sich die nötigen Ruten jederzeit db•) Ich hatte einmal eine Ladendiebin in Haft, an deren Strumpfbändern je mehrere große Haftel angenäht waren; außerdem hatte sie die bekannten ^Diebstaschen".

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Biehdiebstahl.

Raub.

schneiden; auch Fischbein oder Schirmschienen werden statt der Ruten benützt). Außerdem findet man (wie bei einem Bettler) in seiilem Besitz stets eine Menge Kleingeld (an dem noch Spuren des klebrigen Stoffes vorhanden sein können — ein Beweis, daß er bereits Opfer­ stöcke bestohlen hat).^) Bezüglich übersichtlicher Darstellungen siehe Näheres Seite 15.

o) Viehdiebstahl. Der Preis, der für Großvieh bezahlt wird, und der Umstand, daß ein mit dem Hausbrauch Halbwegs Vertrauter (der damit natürlich wenigstens einigermaßen muß umgehen können) einen solchen Diebstahl leicht begehen kann, hat die häufige Verübung dieser Straftat zur Folge. (Nicht selten sind in solchen Fällen die Hufspuren eigentümlich ver­ wischt; der Grund ist dann der, daß der Täter die Hufe mit Fetzen oder dgl. umwickelt hat, um auch das Geräusch nach Möglichkeit zu dämpfen). Sehr geschickte Pferdediebe sind die Zigeuner; vgl. auch den Ab­ schnitt: „Zigeuner", Seite 85. Bezüglich übersichtlicher Darstellungen mehrerer gleichartiger Diebstähle siehe Näheres Seite 15. Gegenmaßnahmen werden nach den gegebenen Verhältnissen zu treffen fern.

p) Raub — Diebstahl mit Gewaltanwendung. Obwohl in allen Strafgesetzen auf die Verübung dieser Tat schwere Strafe gestellt ist, wird sie nur zu oft begangen, ja manchmal sogar mit Tötungsabsicht: Raubmord (-Versuch). Der Beamte sei auch an dieser Stelle ausdrücklich darauf aufmerk­ sam gemacht, daß Raubanfälle häufig vorgetäuscht (fingiert) werden. Die Annahme, daß der Raub vorgetäuscht sein könne, wird immer dann gerechtfertigt sein, wenn dem angeblich „Beraubten" fremdes Gut (z. B. anvertraute Gelder oder sonst fremde Wert­ sachen usw.) und von einer Person entwendet wurde, welche trotz eingehendster Nachforschung5) nicht ermittelbar ist, wenn der Überfallene keine oder nur leichte Verletzungen „infolge des Raub­ anfalles" davongetragen hat und wenn der ganze Überfall höchst eigenartig dargestellt wird. Liegen derartige verdächtige Um­ stände gegebenenfalls vor, so kann man dem „Überfallenen“ ruhig ins Gesicht sagen, daß man seine Angaben (aus diesen oder jenen Gründen) zum mindesten für höchst unwahrscheinlich, wenn nicht überhaupt für erdichtet hält, und solle er weitere Irre­ führung der Behörde unterlassen: Sieht der Anzeiger, daß er durch­ schaut ist, wird er in den meisten Fällen seine Unwahrheiten lassen und — die vielleicht begangene Veruntreuung eingestehen. Gegenmaßnahmen: Möglichst gute Sicherheitsverhältnisse. 4) Die hartgeldlose Gegenwart kommt solchen Diebstählen zustatten. ') Der Umstand, daß in solchen Fällen entweder feine- oder eine sehr genaue Beschreibung des „Räubers" vorliegt, macht die Angabe verdächtig, da daS Eine wie das Andere unwahrscheinlich ist.

Rockdiebstahl, Taschendiebstahl

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q) Rockdiebstahl. Der geschickte Rockdieb wird meistens schon eine Reihe solcher Diebstähle mit Erfolg begangen haben, bis er dabei endlich verhaftet wird. Dazu ist sehr gute Beobachtungsgabe mit raschem Einschreiten nötig. Woran Rockdiebe zu erkennen sind und wie sie Vorgehen, läßt sich in Worten nicht recht schildern, das muß man gesehen haben: Jeder junge Kriminalbeamte, der es mit Rockdieben zu tun bekommt, möge sich von einem geschulten Berufsgenossen der nächsten größeren Polizeibehörde auf Streifungen nach solchen mitnehmen lassen; das so Gelernte ist von unschätzbarem Werte. Die vom Rockdieb entwendeten Kleidungsstücke sind erfahrungs­ gemäß unmittelbar nach der Tat entweder verkauft oder ver­ setzt; es ist daher stets auch nach Pfandscheinen zu suchen, einige sind fast immer noch in seinem Besitz. Ein Wiedererkennen etwa Vor­ gefundener Kleidungsstücke durch den Bestohlenen ist, wenn der Sach­ verhalt in geeigneter Fassung entsprechend verlautbart wird, (Nähe­ res darüber siehe Seite 42) fast immer möglich und damit sind auch etwaige weitere gleiche Straftaten namhaft gemacht. Der Tatort ist fast immer derselbe: Kleiderablagerungsstellen in Vergnügungsräumen, Lehr- und Wartezimmern (von Ärzten oder dgl.), Lesehallen usw. Ist ein Rockdieb geständig, dann vermag er u. U. die Erhebungen oft wesentlich zu unterstützen, wenn man ihm einen Stadtplan, einen Kalender nebst Bleistift und Papier in die Hand gibt, wodurch er sich mitunter genau an die einzelnen Diebstähle erinnern samt.6)

r) Taschendiebstähl.

Allgemeines. Ich habe es für nötig gefunden, diesen Unterabschnitt aus­ führlicher zu behandeln, weil Amtshandlungen dieser Art sowohl zu den häufigsten wie auch zu den schwierigsten gehören und Richtlinien kaum gegeben sind. Der berüchtigte Taschendieb „arbeitet" am liebsten — weil er­ folgreichsten —, wenn sein Opfer überrockfrei dahergeht, also im Sommer, oder während der zu Bestehlende den Überrock gerade ab­ legt bzw. anzieht, in Garderoben. Er versteht es aber auch, dem Auserkorenen unter allen Umständen beizukommen. So sagte mir einmal ein berüchtigter ungarischer Taschendieb: Ein „ordentlicher" Taschendieb müsse sein Opfer schließlich immer dorthin und in jene Stellung dringen können, wie er es brauche und wenn er es in der vollgepfropften Elektrischen von der rückwärtigen Tür bis zur vor­ deren „schieben" müßte, und: Wenn der zu bestehlende polnische Jude zehnmal seinen schon aufgeknöpften Kaftan wieder zuknöpfe und dabei jedesmal das Vorhandensein seiner Brieftasche noch feststelle, beim elften Male sei sie und der Dieb verschwunden. •) Ich hatte einmal einen Rockdieb in Hast, der mir unter Zugrundelegung dieser Hilfsmittel 34 in kurzer Zeit erfolgreich verübte Rockdiebstähle (richtig) eingestand t

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Taschendiebstahl.

Der Taschendiebstahl gehört auch zu den am meisten verübten Straftaten, denn: Gelegenheit dazu ist selbst für den Mindergeübten bei der oft geradezu unverantwortlichen Sorglosigkeit vieler Menschen bei ihrer Geldverwahrung hinreichend gegeben; der Täter wird ver­ hältnismäßig selten auf frischer Tat (— in flagranti) erwischt, weil dazu seitens des Beamten besondere Schulung und Eignung nötig ist, denn der Taschendieb verfügt meist über besondere Geistesgegenwart und Menschenkenntnis; weil ferner der Bestohlene im Augenblick der Tat seine Aufmerksamkeit auf andere Dinge gelenkt hatte und an einen Taschendiebstahl nicht dachte, das bedenkliche Treiben eines in seiner unmittelbaren Nähe befindlichen Taschendiebes daher gar nicht merkte u. dgl. m. Wenn auf Grund der nach Verhaftung von Taschendieben mit der zuständigen Gemeinde stets und sofort einzuleitenden Anfrage usw. die Antwort einläuft: „NN. ist — — vorbestraft und gilt als der beste Taschendieb des Landes, dessen Spezialität es ist, Brieftaschen aus der inneren Rocktasche zu ziehen", kann man sich beiläufig eine Vorstellung machen, welch verblüffende Leistungen man von so einem Menschen erwarten kann. So erzählte mir einmal ein berüchtigter Taschendieb folgendes Stückchen, das als sehr belehrend an dieser Stelle angeführt sein soll: Er war den Beamten, die ihn verhafteten, als gefährlicher Taschendieb wohl bekannt und wurde deshalb gleichzeitig von mehreren Beamten auf das genaueste durchsucht. Auf einmal kam mit anderen Gegenständen aus seinen Taschen ein Zettel zutage, dessen Inhalt ihm „höchst unangenehm" werden konnte. Was tun? Plötzlich stand er auf und starrte scheinbar höchst neugierig zum Fenster des Wachzimmers hinaus: Die Beamten taten unwillkürlich dasselbe und als sie sich wieder ihm zuwandten, war der gefürchtete Zettel ver­ schwunden und bereits so „verpraktiziert", daß ihn die Behörde nicht mehr fand und — Keinem war der Vorgang und das Fehlen des Zettels weiter ausgefallen! Wie oft mag es schon so ergangen sein!? Da ich mich u. a. auch mit Taschendieben viel zu befassen hatte, versäumte ich niemals eine Gelegenheit, um auch diese „Spezialisten" nach Möglichkeit auszuholen, teils um Behauptungen, wie sie in ein­ schlägigen Büchern darüber aufgestellt sind, auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, teils um Neues zu erfahren. So bezeichneten mir be­ rüchtigte Taschendiebe die vielfach vertretene Behauptung, daß der „Meisterdieb" al-lein stehle, als nicht zutreffend. „Auch die Taschen­ diebe" — so erzählten sie mir — „lernen sich im Verlaufe von Jahren kennen und freunden sich an; gleiche Geschicklichkeit bei sonstigem Zusammenpassen gibt da oft den Ausschlag und so vereinigten sie sich zu gemeinsamer Tätigkeit; denn es ist doch erfolgsicherer, wenn zwei verläßliche Kräfte arbeiten." Besonderes.

1. Wie erkennt man die Ausführung der Tat und den Täter? Die Kunst, Taschendiebe in flagranti zu ertappen, kann aus Büchern weder gelehrt noch gelernt werden. In größeren Städten gibt

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Taschendiebstahl.

es bei den Polizeibehörden für jede der am häufigsten vorkommenden Straftaten eigens ausgebildete, möglichst geeignete Beamte — von diesen soll sich derjenige, der ein guter Taschendiebfänger werden will, entsprechend unterweisen lassenI Wer nie einen Taschendieb „arbeiten“ gesehen hat, wird — außer etwa durch Zufall ob. dgl. — auch niemals einen solchen bei der Tat ertappen können. Für das Kennerauge muß sich die Tätigkeit'eines „arbeitenden" Taschendiebes auch aus einer großen Menschenmenge so abheben, wie etwa dem Laien aus zahlreicher Menschenmenge eine Person sofort auffällt, welche z. B. auf eine fahrende Elektrische aufspringen will: Das eigenartige Schauen auf den fahrenden Wagen, das schnellere, zielbewußte Gehen möglichst nahe dabei, das vor­ zeitige Erheben der Hand zwecks Anpackens der Griffstange, um sicher aufzuspringen, usw. usw. — das alles sind Bewegungen, die dem „Arbeiten“ eines Taschendiebes vergleichbar sind. Taschendiebfänger müssen sehr gut zu Fuß und womöglich wenigstens zu zweit sein, im äußersten Falle kann der zweite Beamte durch einen auf diesem Gebiete brauchbaren Freund ersetzt werden. Liegt ein gesetzlicher Tatbestand zum Einschreiten vor, (versuchter oder verübter Taschendiebstahl), so übernimmt der Kriminalbe­ amte (oder wenn zwei da sind, der geübtere) den Taschendieb, (der andere) ruft sofort und laut der Menge zu, daß soeben ein Taschendieb verhaftet worden ist, frägt nach Personen, die etwa noch bestohlen worden sind, oder an denen ein solcher Versuch ge­ macht worden ist und schreibt Namen, Beruf, Wohnung und den Wertgegenstand, dessen Entwendung versucht oder durch­ geführt worden ist, so genau als möglich auf; (siehe auch das über „Sachbeschreibungen", Seite 53, Gesagte); z. B. „Herrengeld­ börse aus feinem, schwarzen Leder, abgenützt, mit aufklappbarer Mes­ singschließe, Monogramm A. P. in zentimeterlangen Lateinbuchstaben im linken Eck, mehrfächerig, enthaltend zusammen etwa 200 X Bargeld, davon 1 ä 100 X-Note mit einem hellergroßen Tintenfleck auf dem Rand, 1 ä 50 X, 1 ä 20 X, 2 ä 10 X (die beiden letzteren mit vielen Bugfalten und ziemlich beschmutzt), der Rest in Kupfer-, Eifert- und Nickelgeld, eine dreieckige grüne Briefmarke vom „Kap der guten Hoff­ nung", ein loser, etwa linsengroßer Brillant in Scidenpapier ge­ wickelt, ein sog. Flottenvereinskalender v. I. 1919 mit teilweise her­ ausgerissenen sonst mit Rechnungen beschriebenen Blättern, ein kleines, silbernes, rundes Anhängsel mit Muttergottesbild, am Rande gra­ viert: „Maria Zell 1914". Wert des Brillanten und der dreieckigen Briefmarke — da nicht Eigentum des Bestohlenen — augenblicklich nicht feststellbar." Es sei hier so nachdrücklich als möglich betont, daß es bei Taschendiebstählen ganz besonders auf alle solchen Kleinigkeiten ankommt, weshalb ist bei der Aufnahme der gestohlenen bzw. beim Verhafteten vorgefundenen Gegenstände so umständlich genau als nur möglich vorgegangen werden muß! SB. Pol-er, Srimlnalblenft.

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Taschendiebe und ihre Kennzeichen.

Wo „arbeiten“ Taschendiebe hauptsächlich; Taschendiebe sind naturgemäß dort zu finden, wo sich mehrere Menschen aus irgendeinem Grunde gleichzeitig aufhalten, also z. B. bei Kassenschaltern, bei Schaufenstern oder an Straßenbahnhaltestellen, öffentlichen Umzügen, usw. usw. Der Mithelfer des Taschendiebes muß es auch verstehen, nötigenfalls ein solches Zusammenströmen von Menschen künstlich hervorzurufen, indem er z. B. einen betrunkenen, einen plötzlich wahnsinnig gewordenen Menschen oder dgl. vortäuscht, wobei der eigentliche Taschendieb das Gedränge benützt und stiehlt. Die Aufmerksamkeit der Menschen, die sich so zusammengefunden haben, ist auf natürliche oder künstliche Art — ganz so wie der Falsch­ spieler es'tut — an etwas Bestimmtes, nur nicht an die Möglichkeit eines Taschendiebstahles, gefesselt; diesen Zustand und Augen­ blick der Ablenkung macht sich der Taschendieb zunutze. Gewiegte Taschendiebe suchen sich mit Vorliebe einen unbe­ scholtenen, weil der Behörde noch u n bekannten, jungen Burschen als Mithelfer (Komplizen), dem sie unmittelbar nach der Tat das Gestohlene zustecken, um im Fallender Verhaftung nicht überwiesen zu sein. Wie kann man sich bezüglich eines angehaltenen Menschen sofort darüber klar werden, ob man wohl einen Taschendieb vor sich hat? Je mehr von den im folgenden angeführten Tatsachen bei der angehaltenen Person zutreffen, desto größer ist die Wahr­ scheinlichkeit, daß man einen Taschendieb vor sich hat; treffen (fast) alle diese Tatsachen zu — wie sie bei Taschendieben er­ fahrungsgemäß immer gegeben sind — so ist der Verhaftete, auch wenn er noch so leugnen oder sich „entrüstet" zeigen sollte, ein (und noch dazu sehr berüchtigter) Taschendieb: 1. „Behendigkeit in Zunge, Blick, Hand und Fuß." 2. Schmale, lange, weicheHändeundFinger, die, zur sog. „Scher e" geformt, die Börse ziehen. 3. Zum mindesten so gute Kleidung, wie die Um­ gebung, in der er betroffen wurde oder womöglich noch bessere, um nicht als verdächtig angesehen zu werden. 4. Das Opfer muß wirklich entsprechend viel Geld oder Gel­ deswert bei sich haben; (der geübte Taschendieb verkennt dies­ bezüglich sein Opfer niemals!). 5. Behauptung, angeblich erst vor einigen Stunden „mit der Bahn angekommen" und in den Städten, in denen er sich vorher aufgehalten habe, „nur ein bis zwei Tage" gewesen zu sein und sich „wegen des kurzen Aufenthaltes polizeilich erst nicht gemeldet" zu haben. 6. Vorgefundene namentlich größere Geldbeträge an­ geblich.vom „Spiel" oder auf eine sonst schwer überprüfbare Weise „erspart" und sich auch sein Brot im „Gelegenheits­ verdienst" u. dgl. erworben zu haben.

Amtshandlung mit Taschendieben.

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7. Vorhandensein etwa gleich mehrerer Geldbörsen und -beutel und kleiner Gegenstände, wie man sie darin zu ver­ wahren pflegt, oder chiffrierter Mitteilungen, (s. Abschnitt über „Geheimschriften und deren Entziffern", Seite 139). 8. Etwa vorgefundene kleineZangen, Scheren oder dgl. (zum Durchzwicken von Uhrketten, bzw. Abschneiden von Handtäschchen oder dgl.). 9. Vorhandensein eines bei der „Arbeit" über dem Arm getragenen Überziehers, (der die Tätigkeit der Hand verdecken soll.; bei der „Arbeit" hat der Taschendieb bloß hinderliche Gegen­ stände wie z. B. Stock, Schirm, Manschetten und dgl. nicht bei sich). 10. Endlich sei noch erwähnt, daß der geübte Taschendieb durch sein hochfahrendes oft geradezu freches Benehmen (er beteuert — wie jeder Zigeuner — daß er „nie etwas mit einem Gericht zu tun gehabt" habe, verlangt „Rechtfertigung", weshalb man ihn ver­ haften konnte, behauptet, er sei von untergebenen Wachleuten be­ schimpft und geschlagen worden, droht mit allerhand „Be­ schwerden" an höhere Stellen, „Veröffentlichung in der Tagespresse", wenn man ihn nicht sofort freiläßt, u. dgl. m.) den gegen ihn er­ hobenen Verdacht (Beschuldigung) der Täterschaft zu entkräften sucht. Manchmal glaubt der Verhaftete sich dadurch zu helfen, daß er einen minder oder gar nicht zurechnungsfähigen Menschen vor­ täuscht; (wie solche Leute dann zu behandeln sind, s. Abschnitt über „Angebliche Krankheiten und Leiden", Seite 74. Wenn daher die gesetzlichen Erfordei nisse zu einer Verhaftung gegeben waren, lasse man sich diesfalls nie beirren! 2. Amtshandlung mit Taschendieben. Hier ist insbesondere noch folgendes zu beachten: a) Die bestohlene Person ist stets zu fragen, ob sie den Ver­ hafteten nicht in ihrer unmittelbaren Nähe gesehen und ob sie nicht gefühlt hat, wie er sich in auffälliger, geradezu lästiger Weise (z. B. durch fortwährendes Drängen, Herumstoßen, „Änrempeln", umständliches „Feuer erbitten" öder dgl.) bemerkbar ge­ macht hat: Bei diesem für alle Taschendiebe bezeichnenden Gehaben versucht oder verübt der Taschendieb die Tat. b) Ein berüchtigter Taschendieb wird niemals (selbst bei Gegenüberstellung mit dem durch ihn Bestohlenen nicht) Pie Tat rin­ gest e h e n, ein „Anfänger" eher. c) Wohnung zu ermitteln trachten, (nötigenfalls durch Ver­ lautbarung; Näheres siehe Seite 42). d) Da bei Taschendieben stets Flucht- und Wiederholungs­ gefahr (möglicherweise auch noch ein anderer Haftgrund) gegeben ist, sind sie niemals auf freiem Fuß anzuzeigen, sondern nach durch­ geführter Amtshandlung stets dem Gerichte zu überstellen. e) Von jeder Verhaftung eines Taschendiebes und der mit ihm getroffenen Verfügung unter Beigabe einer Fingerabdruck! arte?) *) Wie eine solche leicht und überall angefertigt werden kann, siehe im Abschnitt: „Daktyloskopie", Seite 53.

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Unzuchts-, Wilddiebstahl, Diebstahl auS Aberglauben.

wenn möglich auch eines Lichtbildes (Brustbild mit Vorder- und Seitenansicht) unverzüglich an die nächst größere Polizeibehörde berichten und das Ersuchen stellen: a) die Identität festzustellen, b) etwaige Vorstrafen und c) sonstige sachdienliche Um­ stände dem zuständigen Gericht unmittelbar bekanntzugeben. Auf diese Weise kommt oft Überraschendes zutage! Falls eine Person mehrere Taschendiebstähle verübt hat, siehe Näheres Seite 15. Gegenmaßnahmen: a) An allen Orten, an denen sich fortgesetzt eine Anzahl von Menschen zusammenfindet, an geeigneter Stelle mehrere auffallende Tafeln mit der Aufschrift: „Vor Taschendieben wird gewarnt!" an­ bringen lassen. b) Die Bevölkerung bei jeder sich bietender Gelegenheit auf­ merksam machen, nicht mehr Wertsachen als unbedingt nötig und diese wohlverwahrt bei sich zu führen und stets darauf zu achten. c) Sicherheitsdienst in entsprechender Stärke durch diesfalls ge­ eignete, gutgeschulte Beamte an allen Orten, an denen erfahrungs­ gemäß Taschendiebstähle Vorkommen (können), einrichten. s) Unzuchtsdiebstahl.

Gemeint sind darunter Diebstähle, die gelegentlich des Geschlechts­ verkehres Frauenspersonen, welche der — sei es kontrollierten, sei es unkontrollierten (— „geheimen") — Gewerbsunzucht ergeben sind, an ihren Gästen begehen. Diese Diebstähle werden viel öfter verübt, als sie zur behördlichen Kenntnis kommen. Der Grund liegt wohl hauptsächlich darin, daß der Geschädigte wohl bestrebt ist, zu schwei­ gen, oder sich von der behördlichen Nachforschung nicht viel Erfolg verspricht. Diese vielen nicht erstatteten Anzeigen müssen die für die Sicherheitsverhältnisse höchst gefährliche Folgeerscheinung haben, daß solche Diebstähle nur um so häufiger begangen werden; es wird, daher doppelt eifrig vorzugehen sein, um auch das Umsichgreifen solcher Diebstähle möglichst zu verringern! t) Wilddiebstahl. Was schließlich diese Art des Diebstahls betrifft, möge sich der Kriminalbeamte diesfalls an erfahrene Jäger wenden und sich von ihnen die nötigen Aufklärungen erbitten. Wie Wilddiebstähle begangen werden und wo dies geschieht, wird bald Einer wissen; wie man ihnen aber erfolgreich begegnen kann — die Gegenmaßnah­ men —, darüber soll man den echten Waidmann hören! Anhangsweise sei auch der Diebstahl aus Aberglauben erwähnt. Der Aberglaube spielt aud) heutzutage noch eine bedeutende Rolle; es sei deshalb auf den Abschnitt ,Aberglaube", Seite 88, ausdrücklich hingewiesen. Es kann daher nicht wundernehmen, wenn Jemand, vom Aberglauben befangen, einen D i e b st a h l begeht, um sich z. B. in de»

Hehler. — Betrug.

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Besitz eines Mittels oder dgl. zu setzen, dem „besondere Kraft" inne­ wohnen soll. So mancher Diebstahl, für den es so recht keine Erklärung gibt, sog. „unerklärliche Diebstähle", (siehe auch Seite 146), wird sich vielleicht erklären und glauben lassen, wenn man einen abergläubischen Beweggrund annimmt.

Hehler. Hehler werden Personen genannt, welche sich gewerbsmäßig mit dem Ankauf von Sachen aller Art befassen, von denen sie wissen oder zum mindesten vermuten müssen, daß sie unredlicher Herkunft sind, ihr Erwerb daher st r a f b a r ist. Die Strafamtshand­ lung gegen Hehler ist — da wohl ausnahmslos ein Haftgrund gegeben sein wird — unter Haft einzuleiten. — Betreibt der Hehler nebenbei ein Geschäft, z. B. eine Trödlerei, oder dgl., so ist von jeder derartigen Amtshandlung auch die Magistratsbehörde (zwecks Ent­ ziehung der Gewerbeberechtigung) im kurzen Wege zu verständigen; ein praktisches Beispiel: „Am 10. Jänner l. I. wurde in das Tuch­ warengeschäft des Franz Meixner, Hauptplatz 14, eingebrochen. Als Täter wurde ein gewisser Josef Novak, Schustergehilfe, und Emil Wagner, Mechaniker, ausgeforscht und verhaftet. Die Genannten gaben an, die gesamte gestohlene Ware (verschiedene Stoffe im Schät­ zungswerte von etwa 50000 Kronen) an den Trödler Leopold Meuger, Langegasse 7, um 8000 Kronen verkauft zu haben, da sie vom Hörensagen gewußt hätten, daß dieser Gestohlenes kaufe. Bei Menger, der wegen Diebstahls-Teilnehmung und wegen Ankaufs bedenklicher Gegenstände bereits mit 8 Monaten schweren Kerker beziehungsweise 6 Wochen strengen Arrest vorbestraft erscheint, fanden sich auch noch andere Waren, deren einwandfreie Herkunft er nicht nachzuweisen ver­ mag. Hievon wird mit dem Antrag auf Entziehung der Ge­ werbeberechtigung Mengers Mitteilung gemacht." 18. Abschnitt.

Betrug. Allgemeines. Betrug und Diebstahl sind die Straftaten des Alltags; sie ge­ hören auch in die Reihe jener strafbaren Handlungen, die häufig vorgetäuscht werden; (vgl. daher auch den Abschnitt: „Vorgetäuschte Verbrechen", Seite 143). Der für uns wichtigste Unterschied zwischen den beiden Handlungen ist der, daß wir beim Diebstahl stets die­ selben Begehungsformen wiederfinden, also z. B. den Einbruch, den Taschen-, den Laden-, den Einmietediebstahl usw. usw., die immer auf die gleiche Art begangen werden, sodaß die betreffende Begehungs­ form lehrbar, die Straftat also erkennbar und wirksam bekämpfbar ist, wogegen dies beim Betrug nicht der Fall ist. Da muß der Täter, wenn sein „Trick" verfangen soll, immer wieder Neues ersinnen

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Betrugsanzeigen.

und wir Kriminalisten sind dem Verbrecher gegenüber auch hier um einen bedeutenden Schritt zurück. Beim Betrug gibt es nur einige wenige Begehungsformen, die — ich möchte sagen — „lebensfähig" sind; diese sollen nun im fol­ genden besprochen werden. Noch ein Umstand fällt beim Betrug bedeutend ins Gewicht: Die Feststellung, ob ein bestimmter Tatbestand vor das Strafgericht oder vor das Zivilgericht gehört. Bei anderen strafgesetzwidrigen Handlungen ist es verhältnismäßig leicht, diesfalls richtig zu ent­ scheiden : Man untersucht einfach, ob die für die anscheinend vorliegende Tat nötigen Tatbestandsmerkmale auch wirklich gegeben sind. Ist dies der Fall, so gehört der vorliegende Sachverhalt unter diese oder jene Strafgesetzbestimmung. Ganz anders beim Betrug, wo es mitunter Einzelheiten zu beob­ achten und auszulegen gibt, die weitaus über das Maß dessen, was vom nicht rechtskundigen Beamten verlangt werden kann, hinansgehen und doch soll und muß auch dieser Beamte oft rasch und selbst entscheiden. Da ist es Sache des vorgesetzten Juristen, belehrend zu wirken, damit in diesen heiklen Fällen kein schwerer Verstoß geschehe. Die nach angehörtem Sachverhalt dem Angeber gegenüber ge­ machte Äußerung: „Zeigen Sie ihn an", ist von der zweiten: „Klagen Sie ihn halt ein", sehr weit entfernt: Die erste Ausdrucksweise wird dem Herkommen nach in allen jenen Fällen gebraucht, in denen man einen strafgesetzwidrigen Sachverhalt für gegeben erachtet, also ein Strafgericht zur Austragung des Falles zuständig erscheint, während die zweite darauf hindeutet, daß kein strafgesetzwidriger Tatbestand vorliegt, die Angelegenheit daher von einem Zivilgerichte zu ent­ scheiden ist. Als Grundsatz gelte, daß der Beamte in allen anscheinenden Betrugsfällen, die aus irgendeinem Grunde nicht völlig klar sind, sich an den vorgesetzten Juristen wende, der diesfalls entscheiden soll; ist dies z. B. wegen Dringlichkeit des Falles oder deshalb, weil der betreffenden Sicherheitsbehörde ein Jurist überhaupt nicht zugeteilt ist, nicht möglich, so ist der vorliegende Sachverhalt stets nach der „schär­ feren" Seite auszulegen, d. h. wenn auch nur die Möglichkeit eines strafgesetzwidrigen Tatbestandes gegeben erscheint, ist der Akt nach Abschluß der Erhebungen dem zuständigen Strafgerichte zum mindesten „zur Kenntnisnahme“ oder „zur Beurteilung nach Paragraph...“ zu übermitteln. So ist an der Durchführung eines irgendwie heiklen oder unklaren Tatbestandes wenigstens nichts ver­ dorben, (denn das Strafgericht kann den Akt ja dann dem Zivil­ gerichte abtreten). Man hüte sich davor, Akten einfach „ad acta“ zu legen, „weil dabei ohnedies nichts herausschaut“; damit soll jedoch keinesfalls gesagt sein, daß man in allen Fällen unbedingt auf einen Schuld­ tragenden „losarbeiten" und verdächtigen soll — gründlich arbeiten muß man, d. h. den Tatbestand bis zur Klarheit lösen!

Begehungsformen des Betruges.

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Besonderes. Im nachstehenden seien die für den Kriminalbeamten praktisch besonders wichtigen Fragen in folgenden Abschnitten erörtert: 1. Besondere immer wiederkehrende Begehungsformen des Betruges, u. zw.: a) sog. Jnseratenbetrüger, b) sog. Bauernfänger, c) Hochstapler, d) Gelegenheitsbetrüger, 2. Besondere Fälschungen: a) Fälschungen von Urkunden und Stampiglien, b) Münz- und Kreditpapier-Verfälschung, c) Fälschungen von altertümlichen und Kunst-Gegenständen, d) Betrug beim Viehhandel, 3. Sachverständige in Betrugsfällen, 4. Amtshandlung mit Betrügern, 5. Maßnahmen zur Verhütung von Betrugshand­ lungen.

1. Besondere Begehungsformen des Betruges. Eingangs dieses Abschnittes sei nochmals betont, daß es weder beabsichtigt, noch möglich ist, diesfalls eine erschöpfende Darstellung der Begehungsformen des Betruges zu bringen; es konnten und sollten daher nur besondere Fälle hervorgehoben werden; unter diesen sind zu nennen: a) Inseratenbetrüger; darunter sind jene Personen zu verstehen, welche in betrügerischer Absicht Ankündigungen in Tagesblätter oder dgl. einschalten. Ihre Zahl ist namentlich derzeit eine geradezu un­ übersehbare; man nehme nur solche Blätter zur Hand und lese den Anzeigenteil, (vgl. dazu auch das unten Gesagte). Sich hier in Einzelheiten einzulassen, ginge gegen den Zweck und über den Rahmen des Buches. Gegenmaßnahmen: Um das so gefährliche Umsichgreifen solcher Betrügereien nach Möglichkeit einzudämmen, ist es Aufgabe des Kriminalbeamten, Ankündigungen, welche nach ihrem Inhalt, den Verdacht erregen, daß es sich um eine betrügerische Aus­ beutung der Mitmenschen handeln könne, aufzugreifen *) und geeignete Erhebungen darüber einzuleiten. Das Ergebnis dieser Amts­ handlungen ist zum Zweck der Weiterverwertung seitens einer größeren Polizeibehörde (nächste Polizeidirektion) dieser stets mitzuteilen. *) Praktisch geschieht dies in der Weise, daß der betreffende Wortlaut ausge­ schnitten und aus ein Blatt Kanzleipapier geklebt wird. Dabei ist zu vermerken: Titel der Zeitung, Datum, Nummer und Seite der Druckschrift, aus welcher sie entnommen wurde; z. B auf das Blatt Papier kommt links oben in die Ecke die Aktenzahl aus dem Exhibitenprotokoll und der sog. „Betreff", sagen wir: „Zahl 428 ex 1920 Betr.: NN. Verdacht der betrügerischen Stellenvermittlung". Dann wird oberhalb des Wortlautes der Ankündigung geschrieben: „Das .. ..-Blatt (die . . . Zeitung) vom .... Nr.. . . enthält auf Seite .... in der Spalte .... nachstehende Ankündigung: (folgt der aufgegriffene Text wörtlich)."

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Bauernfänger, Spielbetrüger.

b) Sog. Bauernfänger. So werden Betrüger genannt, welche sich an leichtgläubige Personen, hauptsächlich an die Landbevöl­ kerung, (die ja von den Städtern äußerlich sofort absticht), in ge­ schickter Weise heranzumachen verstehen, ihr Vertrauen wenigstens für kurze Zeit zu gewinnen wissen und sie dann betrügen. Aus der Klasse dieser Bauernfänger sind besonders zu erwähnen: die sog. „Ringwerfer", die Spiel- und Geldwechselbetrüger. aa) Das Vorgehen der Ringwerfer weicht bisweilen in der „Ein­ leitung" ab, gipfelt aber stets darin, daß es sich um einen angeblich erst gefundenen, sehr wertvollen Ring handelt, (an dem — wie in Ge­ schäften — ein Zettelchen mit hoher Preisangabe befestigt ist), den sie dem Bauer ausnahmsweise zu einem „Spottpreis" verkaufen oder gegen ein „entsprechendes Pfand" überlassen wollen. Solche Bauernfänger halten sich naturgemäß überall dort auf, wo Landbevölkerung zu treffen ist, also hauptsächlich bei Bahnhöfen, in bestimmten Gast- und Vergnügungshäusern usw. Über Gegenmaßnahmen siehe Schluß des Abschnittes. bb) Spielbetrüger. Diese sind in vielen Punkten den Taschen­ dieben vergleichbar: Beide haben weiche, äußerst bewegliche, schmale Hände, den alles beobachtenden, daher nie rastenden Blick, beide machen über ihren Unterstand, über ihren Erwerb, ihr Vorleben und über die Herkunft des bei ihnen gefundenen Bargeldes dieselben, rückhältigen (natürlich falschen) Angaben. Spielbetrüger haben zur« Erreichung ihres Zweckes teils Mit­ helfer (Komplizen, Zutreiber), teils bestimmte „Tricks", manchmal auch beides zusammen. Die Mithelfer müssen es verstehen, Leute für das Spiel zu be­ geistern. Falschspieler und ihre Leute haben natürlich für alle Ver­ ständigungen über die eigenen und die gegnerischen Karten be­ stimmte Zeichen genau verabredet und eingeübt. Auch der Falschspieler muß — wie der Taschendieb — das Hauptkunststück gut verstehen: Die Aufmerksamkeit seiner Umgebung von einem bestimmten Vorgang ab und auf etwas anderes hinzulenken; (vgl. dazu auch den Abschnitt: „Taschendiebstahl", Seite 159 und den lehrreichen Fall dortselbst, der so recht das Vorgehen dieser Leute kennzeichnet). Wie es der Falschspieler im gegebenen Falle macht, ob es ihm gelingt, an Stelle der verwendeten nicht gezeichneten Karten völlig gleiche aber schon „gezinkte" einzuschmuggeln oder ob er die Karten erst während des Spieles von rückwärts kenntlich machen muß, ferner welche „Tricks" er beim scheinbaren Kartenmischen, beim Abheben und wieder Auflegen, beim Ablesen einzelner Karten während des Gebens und ganzer Kartenblätter anwendet, wie beim Herannahen anschei­ nender Amtspersonen vom Hazardspiel plötzlich in ein harmloses Spiel übergegangen wird usw. usw., soll hier nicht besprochen werden: Gne noch so genaue Beschreibung der Ausführung wäre einerseits bedenklich mitzuteilen, und anderseits sehr schleppend und doch nicht erschöpfend und nicht zu vergleichen oder zu ersetzen mit dem, bzw. durch das, was

Geldwechselbetrüger,. Hochstapler.

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man in ganz kurzer Zeit von einem diesfalls geschulten und ge­ schickten Berufsgenossen der nächst größeren Polizeidirektion er­ lernen kann; auchz. B. Anleitungen für das Vorgehen beimAusheben von Spielgesellfchaften u. dgl. m., ferner „Kunst­ stücke", wie das sog. „Riemenstechen", „Kettelziehen", „Kar­ tenwerfen", d. h. zwei schwarze Karten mit einer roten, die man erraten soll, usw. usw. cc) Betrug beim Geldwechseln. Diese Art des Betruges kommt sehr häufig vor und wird zumeist mit einem Helfer begangen; da auch Diebstahl auf ähnliche Weise vorkommt, sei auf das dort (Seite 155) Gesagte hingewiesen. Als Gegenmaßnahmen (siehe auch Seite 155) sind für diese Arten von Betrügereien zu nennen: Das Anbringen von ent­ sprechend großen Tafeln mit der Aufschrift: „Vor Betrügern wird gewarnt!" an geeigneter Stelle; ferner entsprechender Sicherheits- (Jnspektions-)Dienst bzw. wiederholte Streifung nach solchen Betrügern. Besitzer von Spielräumlichkeiten sind auf Grund eines solchen Falles, der sich bei ihnen ereignet hat, zu beanstanden und haben die Folgen etwaiger weiterer solcher Beanstandungen zu tragen, (Polizeistrafen, in groben Fällen auch Anzeige an die Magi­ stratsbehörde zwecks Entziehung der Gewerbeberechtigung). Schließlich — wie überall —: Sorgfältigste Amtshandlung mit Ver­ lautbarung des Falles, um den Täter für alle weiteren von ihm etwa noch begangenen Betrügereien verantwortlich zu machen. c) Hochstapler. Die in diese Klasse von Verbrechern gehörigen Betrüger haben sozusagen einen „feineren Schliff" an sich und unter­ scheiden sich in ihrem ganzen Gehaben ganz bedeutend von den ge­ wöhnlichen Betrügern. Hochstapler sind entweder verkappte Leute aus guten Familien, (die oft die beste Erziehung und Ausbildung genossen haben, aber durch irgendeinen Umstand auf Abwege gekommen sind), oder nicht derart gebildete Personen, die aber durch den Verkehr mit hochstehenden und vornehmen Persönlichkeiten sich einen gewissen An­ strich von Bildung erworben und selbstbewußtes Auftreten angelernt haben. Wer also über Geist, „imponierendes" Auftreten und sonst „be­ stechendes" Äußere verfügt, wird als Hochstapler auftreten können, wem dies nicht zu eigen ist, wird immer nup der gewöhnliche Be­ trüger unter den breiten Volksschichten bleiben. Zu den Hochstaplern gehören z. B.: Ordens-, Bank-, Wohltätigkeits-, Kautions-, Heirats-, Kredit-Betrüger, Münz- und Banknotenfälscher, Personen, die sich in betrügerischer Weise den Charakter einer Amtsperson beilegen, kurz, Betrüger, die jedesmal um hohe Summen und in wohldurch­ dachter Weise betrügen; zu den Betrügern niedriger Art gehören z. B. die Landstreicher, Siegel- und Arbeitsbuchfälscher, die Postsparkassen­ betrüger, (die durch gefälschte höhere Eintragungen bei verschiedenen Postämtern je den einmaligen Höchstbetrag, in Österreich 40 K, heraus­ locken), die Bauernfänger, betrügerischen Agenten, Kaufleute, die ge-

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Urkundenfälschung.

ringes Maß und Gewicht verwenden, kurz alle, die fortgesetzt Be­ trügereien, aber nur mit einer niedrigen Schadenssumme verüben, d) Gelegenheitsbetrüger. Zu diesen gehören alle jene Betrüger, die eigentlich nicht schon im vorhinein die Absicht, zu betrügen, hatten, sondern die erst durch eine sich ihnen bietende Gelegenheit zum Betrüger wurden. Allerdings: Hat der Betreffende keine festen Grundsätze und bietet sich diese Gelegenheit oft, so wird er aus dem Gelegenheitsbetrüger ein ständig Rückfälliger.

2. Besondere Fälschungen. a) Fälschungen von Urkunden und Siegeln (Stampiglien). Wenn man bedenkt, wie vielen Schriftstücken die Bedeutung einer „öffentlichen Urkunde" zukommt und wie folgenschwer der Umstand, daß eine falsche Urkunde als solche längere Zeit nicht entdeckt wird, für die beteiligten Kreise sein kann, mahnt dies wohl dazu, möglichst auf der Hut zu sein und vorgewiesene Schriftstücke, welcher Art immer, auf ihre Echtheit hin zu untersuchen. Wie viele falsche „Zeugnisse", „Arbeitsbestätigungen", „Empfehlungen", usw. sind heute noch im Umlaufe und werden fortgesetzt weiter erzeugt! Die Folgen des Fort­ bestehens solcher falscher Ausweispapiere sind unübersehbare, denn vor allem wissen sich dadurch arbeitsscheue und daher zu Ver­ brechen leichter geneigte Leute zum mindesten Duldung in der be­ treffenden Gegend meist aber sogar den EintrittineineStellung zu verschaffen, die sie dann zum Nachteil des Dienstgebers mißbrauchen. Der Beamte soll daher bei der Prüfung vorgewiesener Schrift­ stücke stets sehr genau vorgehen, gleich an Ort und Stelle prüfen, ob der Inhalt des Schriftstückes auf das Äußere des Inhabers „paßt", und nur das als echt nehmen, wovon man sich selbst überzeugt hat! Wie sind Schriftstücke auf ihre Echtheit zu prüfen? Die Beantwortung der Frage, ob ein Schriftstück in allen Punkten echt ist, ist stets von grundlegender Bedeutung. Die Art der Überprüfung ist in den meisten Fällen sehr einfach, das Ergebnis oft ein ungeahnt überraschendes. Im einzelnen wäre folgendes zu merken: 1. Den Wortlaut des betreffenden Schriftstückes langsam und wiederholt durchlesen, sich auch von einem andern vorlesen lassen: Schon dabei allein wird manches etwa Unrichtige, Auffällige u. dgl. von selbst aufstoßen. 2. Das Schriftstück Stelle für Stelle mit dem Vergrößerungsglas absuchen und zwar sowohl bei auffallendem wie bei seitlich ein­ fallendem Licht: Dabei heben sich etwaige nachträgliche Textänderungen, namentlich wenn sie mit anderem Schreibzeug oder fremder Hand gemacht worden sind, von der Umgebung meist gut ab. 3. Das Schriftstück gegen das Licht halten, wodurch etwaige radierte Stellen als lichte Flecke mehr oder minder deutlich sofort zutage treten.

Münz« und Kreditpapierverfälschung.

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4. Das Schriftstück photographieren und die Photographie mög­ lichst vergrößern lassen: Etwaige Besonderheiten treten aas diese Weise sehr deutlich hervor. Wie man sieht, sind dies lauter Untersuchungen, die ohne Schädi­ gung des Urbildes auch vom Laien vorgenommen werden und über die Echtheit Aufschluß geben sönnen.2) Von Siegeln, Stampiglien, sind alle jene türs erste bedenklich, welche einerseits sehr einfach aussehen und klingen anderseits jene, welche sehr schwungvoll gehalten sind; letztere namentlich dann, wenn sie etwa noch gegen die Rechtschreibung verstoßen. Ein fraglicher Ort wird nötigenfalls mit Zuhilfenahme eines Ortslexikons oder einer Landkarte gesucht werden müssen. Außerdem wird der Inhaber eines solchen Schriftstückes diesfalls zu befragen sein und wenn da nicht alles sofort „klappt", ist der Ver­ dacht, daß irgendwo eine Unwahrheit vorliegen dürfte, gerechtfertigt, und wird daher doppelte Vorsicht am Platze sein. b) Münz- und Kreditpapierverfälschung. Bei begründetem solchen Verdacht ist bei dem Betreffenden unver­ züglich eine Persons- und Hausdurchsuchung vorzunehmen. (Näheres darüber siehe Seite 34 und 35). Hartgeld wird durch Prägung oder Guß (hauptsächlich letzteres) hergestellt; Banknoten durch Handzeichnung oder auf photochemischem Wege. Bei der Suche nach Hartgeld ist besonderes Augenmerk zu lenken auf: aa) Gips, (wie er zur Herstellung der sog. Matritzen, d. i. zu­ sammenklappbare Hälften mit dem Bilde der Vorder- bzw. Rückseite der Münze verwendet wird), ferner bb) auf Stücke von Zinn, Zink, Kupfer, Messing, Bronze, Löffel aus sog. „Britanniametall“, Antimon, eiserne Schmelzlöffel, Stichel, (wie er zum Eingravieren bzw. zum Ausbessern der Randinschrift ver­ wendet wirdl und sog. „Königswasser“ (wie es zur Gewichtsvermin­ derung der Goldmünzen gebraucht wird, u. dgl. und — nicht zuletzt natürlich auch auf etwaige (halb-)fertige Falsifikate. Bei der Suche nach Banknoten ist besonderes Augenmerk zu lenken auf: ’) Es sei an dieser Stelle auch daran erinnert, daß gerichtliche SachverständigeimSchriftfachauf Grund ihrer besonderen Kenntnisse und Erfahrungen auf diesem Sondergebiet imstande sind, aus den ihnen vorgelegten Beweismitteln Behauptungen von mitunter ausschlaggebender Bedeutung (Ent- oder Belastung des Beschuldigten) aufzustellen, so zwar, daß die betreffende Untersuchung mit einem Male eine ganz andere Richtung nehmen kann. Es ist daher für den tierichtswiePolizeibeamten von besonderer Wichtigkeit, zu wissen, wie n. a. Schriftproben aufzunehmen sind und sonstiges zu Vergleichszwecken Dienliches zu beschaffen ist, usw. Die Lösung dieser Fragen bildet aber einen Abschnitt für sich und ist im „Leitfaden der gerichtlichen Schriftvergleichung" von Dr Hans Schneidert (Verlagsbuchhandlung I Guttentag, Berlin, 1918) in mustergültiger Weise erschöpfend dargestellt; es sei daher dieses Büchlein zum Unterricht dringend empfohlen.

Photographische Platten mit derartigen Voll- oder Teilauf­ nahmen, Zeichnungen, Entwürfe nach Art der Banknotenbilder, Typendruckereien bzw. gewisse einzelne Buchstaben in der auf echten Banknoten ersichtlichen Größe, Papier, welches echtem Banknotenpapier möglichst ähnlich ist, auf passende Farbstoffe u. dgl. und — nicht zuletzt auch etwa (halb-)fertige Falsifikate.

Erkennungsmerkmale. Scheinbar falsche bzw. verfälschte Geldsorten sollen mit womöglich mehreren gleichwertigen echten Geldstücken durch das Vergröße­ rungsglas sorgfältig verglichen werden. Bei Hartgeld besonders achten auf: a) Unregelmäßigkeit der Buchstaben der Randinschrift, wenn eine solche überhaupt vorhanden ist, b) Unreinheit und Undeutlichkeit der Erhabenheiten, bes. der Buchstaben der (erhabenen) Umschrift, c) Gewichtsunterschiede, (auf sog. Apothekerwagen nachprüfbar), d) Metallfarbe, (bei Falsifikaten stets wesentlich dunkler als bei echten; bisweilen ist unter der obersten [wenn abgewetzten) Schichte ein andersfarbiges Metall sichtbar), e) Metallhärte, (durch Reiben auf einem rauhen Stein oder durch Anschneiden mit dem Messer erkennbar), f) Klang, (bei echten Silbermünzen: Silber klang, bei falschen: dumpf). g) Fettiges An fühlen, das Hauptmerkmal falscher Münzen, h) Falsifikate zieht der Magnet nicht an. Bei Banknoten: a) Eine zweifellos echte und die vermutlich falsche Note über­ einanderlegen und prüfen, ob sich die beiden Papiere genau „decken"; ist dies nicht der Fall, dann ist die eine verfälscht. b) Eine zweifellos echte und die vermutlich falsche nebeneinander gegen starkes Licht halten und aufmerksam Stelle für Stelle be­ trachten und vergleichen: Dabei treten etwaige verschiedene Einzel­ heiten, wie Farbenverschiedenheitm, Papier- und Druckstärke, Größe der Schriftzeichen, etwaige „Wasserzeichen" und dgl. deutlich hervor. c) Die allegorischen Figuren besonders genau betrachten: Ge­ sichter und Hände sind bei Handzeichnungen fast ausnahms­ los mißlungen. Beschlagnahmtes ist umgehend und wohl verwahrt dem Ge­ richte zu übermitteln; Näheres darüber siehe Seite 143. In jüngster Zeit nehmen auch Fälschungen von Briefmarken3) sehr überhand; der Kriminalbeamte wird daher auch auf diese Fälle näher eingehen müssen. *) Dazu habe ich schon vor Jahren in einem Aufsatz: „Das Wiederverwenden gebrauchter Marken", H. Groß „Archiv", Bd. XLIII, Stellung genommen.

Betrug mit Antiquitäten, — beim Viehhandel.

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d) Fälschungen von altertümlichen und KunstGegenständen. Die Nachfrage nach derartigen Sachen ist bei der „Sammelwut" weiter Kreise der Bevölkerung sehr groß geworden. Bisweilen lverden geradezu fabelhafte Preise für solche Werte bezahlt — was Wunder, wenn sich da einer „auf dieses Gebiet verlegt und etwas nachhilft!" Daß gewisse Gegenstände, welche als altertümlich in den Handel gebracht werden, heutzutage in manchen Gegenden gewerbsmäßig hergestellt werden, dürfte bekannt sein. Aber auch im Inland be­ findliche Altertümer werden gefälscht, treffender gesagt, „vervielfäl­ tigt"; wenn nur angängig, wird der betreffende echte Gegenstand in seine Bestandteile zerlegt und dann aus einem ehemals echten Stück einige, gefälschte, gemacht z. B. von einer alten Truhe, einem alten Kasten oder einem sonst gut zerlegbaren Gegenstand wird einmal die Vorderwand, dann die eine der Seitenwände echt belassen, die übrigen Teile möglichst geschickt nachgemacht. Da solche Fälscher meist über gute Vorlagen und die nötigen Hilfsmittel verfügen und auch noch eingehende Kenntnisse in diesem Fache besitzen, können Fäl­ schungen mitunter nur sehr schwer als solche erkannt werden?) Die Aufgabe, Betrügereien dieser Art zu entlarven, wird daher niemals dem Laien allein zufallen, — das ist Sache des geschulten Juristen und der besonderen Sachverständigen. Da es aber nur von Vorteil sein wird, auch auf diesem Gebiete einige Kenntnisse zu besitzen, möge der Kriminalbeamte keine Gelegen­ heit unbenützt lassen, um sich von gebildeten Sachverständigen dieser Art wichtige Aufschlüsse zu erbitten.

e) Betrug beim Viehhandel. Auch diese Straftat gehört zu jenen, die zweifellos viel öfter be­ gangen als angezeigt werden. Der Grund hiefür mag ein verschiedener sein, doch spielt die Tatsache, daß Kriminalbeamte (auch Richter) hie­ von nur höchst selten etwas verstehen, stets eine bedeutende Rolle dabei. Es sollen also auch da lückenhafte.Kenntnisse nach Möglichkeit ergänzt werden, um diesen Betrügereien erfolgreich entgegentreten zu können! Was im folgenden darüber gesagt ist, ist eigentlich so gut wie nichts und doch wieder das ganze um und auf der Sache: Den Sachkundigen hören, worauf man diesfalls zu achten hat, worauf beim Biehhandel stets besonders zu sehen ist, was das Tier haben und nicht haben soll, usw. usw., es wäre dieser Sachkundige zu bitten, er möge einen „in die Schule nehmen", d. h. über alle Fragen, die hier von besonderer Wichtigkeit sein können, möglichst ausführlich unterrichten. Solche sachkundige Personen findet man heutzutage überall und die etwa in dieser oder jener Richtung etwas unvollständigen Angaben des Einen vermag gewiß ein Zweiter zu ergänzen; kurz, wer sich ehrlich bemüht, sich darüber eingehend unterrichten zu lassen, *) Auch der als Zeichen der Echtheit gehaltene Wurmstich usw. wird heut­ zutage, wo nötig, angebracht!

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Sachverständige in Betrugsfällen.

wird auch bald den geeigneten Lehrmeister ftnbeit. Hat man aber nun schon einige Kenntnisse über die Sache, ist man nun auch bestrebt und schon teilweise in der Lage, „mitzureden". Wenn man aber schon „mitreden" kann, ist man in der Sache nicht mehr ganz Laie und wird Anzeigen über Viehbetrug zweifellos anders ,,anpacken", als wenn man davon niemals etwas gehört hat. 3. Sachverständige in Betrugsfällen. Die Frage, wer als Sachverständiger gegebenenfalls in Betracht kommt, wird auch für den Sicherheitsbeamten sehr wichtig sein; es läßt sich dies im vorhinein natürlich niemals ganz genau abgrenzen und behaupten, aber int allgemeinen wird man sagen können:

1. Für Urkundenfälschungen: Sachverständige im Schriftfach, Chemiker, Mikroskopiker, Photographen; 2. Für Münz- und Kreditpapierverfälschung: Z. B. in Öster­ reich : das Hauptmünzamt, bzw. die österreichisch-ungarische Bank in Wien; 3. Für Fälschungen von altertümlichen und Kunst-Gegenständen: Leiter öffentlicher einschlägiger Sammlungen und dgl.; 4. Für Betrügereien beim Vieh handel: Tierarzt, für Pferde: Sportleute, die solche kennen und besitzen.

4. Amtshandlung mit Betrügern. Zu beobachten sind hier folgende Grundsätze: 1. Genaueste Persons- und Hausdurchsuchung bei der verdächtigen Person, insbesondere nach Schriften aller Art, vornehmen; Näheres darüber siehe Seite 34 und 35. 2. Falls ein Hastgrund gegeben ist, ist der Beschuldigte sofort zu verhaften; Näheres darüber siehe Seite 26. 3. Um etwaige weitere Geschädigte zu ermitteln (auch um die Bevölkerung zu warnen) ist der Sachverhalt in geeigneter Fassung entsprechend zu verlautbaren; Näheres darüber siehe Seite 42.

5. Maßnahmen zur Verhütung von Betrügereien.

Diese sind in unmittelbarem Anschluß an die einzelnen Abschnitte größtenteils bereits behandelt. Wo bestimmte Vorkenntnisse nötig sind, soll man trachten, sich dieselben so rasch und so eingehend als möglich anzueignen; solche Vorkenntnisse sind gelegentlich von Sachverständigen zu erbitten; besitzt man aber die nötigen Vorkenntnisse, wird es auch nicht schwer sein, die richtigen Gegenmaßnahmen für den einzelnen Fall zu treffen. Da beim Betrug immer die Möglichkeit, ja oft die Wahrschein­ lichkeit gegeben ist, daß der Beschuldigte noch weitere solche Handlungen begangen hat, so ist der betreffende Sachverhalt in ge­ eigneter Fassung entsprechend zu verlautbaren, (Näheres darüber siehe

Erhebungen bei Brandlegung.

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S. 42), teils um etwaige weitere Geschädigte dadurch zu ermitteln, teils um die Bevölkerung zu warnen. Zu erwähnen ist noch folgende besondere Erfahrungstatsache: Selbst für den Fall, als sich kein Geschädigter meldet, ist damit noch nicht erwiesen, daß der Beschuldigte tatsächlich keine weiteren Betrügereien verübt hat; vielen Geschädigten ist nämlich das Er­ scheinen vor Polizei und Gericht peinlich, hauptsächlich deshalb, weil sie nicht öffentlich bekennen wollen, daß sie sich haben betrügen lassen. So verzichten sie lieber auf ein selbst sicheres Ergebnis einer Strafsache, (Rückgabe des zustandegebrachten ihnen gehörigen Ver­ mögenswertes) und übergehen die Sache mit Stillschweigen. Werden ihre Namen als Geschädigte aber dennoch bekannt, (z. B- infolge Ge­ ständnisses oder Ausschreibungen des Täters) und müssen sie vor der Behörde aussagen, so suchen sie den Beschuldigten nach Möglichkeit zu entlasten, ja nehmen noch sonstwie Partei für ihn.

19. Abschnitt.

Brandlegung. Wie sich aus den nachfolgenden Aufstellungen ergibt, kann man bei ausgebrochenem Brand fast nie im voraus dessen Ursache mit voller Sicherheit angeben: Es kann Brandlegung oder Selbstent­ zündung sein — daher keine vorschnellen Behauptungen! Brandlegung gehört auch zu jenen Straftaten, die häufig vorgetäuscht werden; vgl. auch den Abschnitt: „Vorgetäuschte Verbrechen", Seite 143, und: „Das Vorgehen auf dem Tatorte", Seite 27. Zu unterscheiden ist hier also zwischen Brandlegung und Selbstentzündung. Der bisweilen vielleicht sehr verwickelt erscheinende Tatbestand wird wesentlich Klärung finden, wenn auf nachstehende Fragen sorg­ fältig eingegangen wird. 1. Brandlegung.

A. Der Brand wurde absichtlich gelegt:

a) durch den Eigentümer des betreffenden Gebäudes oder dgl. selbst, daher erheben: 1. Wer ist derzeit Eigentümer desselben? 2. Ist immerhin auch nur die Möglichkeit vorhanden, daß er das Feuer selbst gelegt haben konnte? 3. In welchen Verhältnissen (ob in geordneten oder mißlichen unter fortwährenden Zahlungsschwierigkeiten und dgl.) lebte er? 4. War das Gebäude oder dgl. versichert? 5. Wie hoch war die Versicherungssumme? 6. Ist die Versicherung schon seit Jahren gelaufen oder erst kurz vor dem Brande (und etwa noch dazu auf eine hohe Summe) abgeschlossen worden?

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Erhebungen bei Brandlegung.

7. Wie hat sich der durch den Brand Geschädigte im Augenblick der Verständigung oder des Bemerkens des Feuerscheines verhalten? (War er gleichgültig?, erregt?, hat er sofort Rettungsversuche unter­ nommen? und dgl.). 8. War der Geschädigte beim Feuerausbruch zugegen? 9. War im Falle seiner Abwesenheit diese gerechtfertigt oder absichtlich herbeigeführt? (Befand er sich — vielleicht gegen sonstige Gewohnheit — in entfernter Gegend? Machte er sich in gesuchter Gesellschaft wiederholt und aufdringlich bemerk­ bar, um sich ein Alibi zu schaffen?) 10. Hat der Geschädigte vielleicht kurz vor dem Brand wert­ volle Einrichtungsstücke oder Vieh beiseite geschafft oder ver­ kauft? 11. An welcher Stelle ist der Brand ausgebrochen? 12. War diese Stelle vielleicht versteckt, (so daß ein gelegtes Feuer nicht sofort entdeckt werden konnte) und (durch Windunter­ stützung) für Weiterverbreitung des Feuers sehr günstig? 13. Mußte der Brand von ihm sofort bemerkt werden? 14. Ist er zu einer Zeit ausgebrochen, als auf die Unterstützung durch Nachbarn am wenigsten zu rechnen war?, (z. B- weil zuj dieser Zeit alles mit Feldarbeiten beschäftigt oder auf oem Kirchweih­ fest war, oder dgl.?) 15. Wäre der Brand leicht zu löschen gewesen? 16. Waren dadurch auch andere Gebäude oder gar Menschen­ leben gefährdet? b) durch eine ihm feindlich gesinnte Person; erheben: Kann als Täter nicht auch eine Person in Betracht kommen, die ihm besonders feindselig oder rachsüchtig gesinnt oder höchst neidisch ist oder die er anläßlich eines Ansuchens (um Nächtigung, Unterstützung oder dgl.) kurzweg abgewiesett hat? Und wenn — wie ist sie beleumundet oder vermag sie ein einwandfreies Alibi nachzuweisen? c) um ein anderes (meist unmittelbar vorher verübtes) Ver­ brechen zu verschleiern; erheben: Sind etwa verdächtige Umstände, Anhaltspunkte, gegeben, daß der Brand gelegt worden ist, um die Spur eines eben verübten anderen Verbrechens (z. B. Mord, Raubmord, Plünderung usw.) zu verwischen? d) durch Kinder oder halbwüchsige Personen; erheben: Kommen vielleicht Kinder oder halbwüchsige Personen (beiderlei Geschlechtes), die die Tragweite des Spielens mit dem Feuer nicht ermessen können oder wollen — etwa aus reiner Lust am Feuer und der damit verbundenen Tätigkeit der Feuerwehr — als Brandleger in Betracht? Bezüglich der gelegten Brände ist noch zu bemerken a) daß sich der Täter — wenn es eine erwachsene Person ist — meist in ziemlicher Entfernung von der Brandstätte auffallend herumtreibt und dadurch bemerkbar macht, um sich ein Alibi zu ver­ schaffen. Für den Fall, als diese Person dann der Brandlegung bezich-

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Brand durch Selbstentzündung entstanden.

tigt wird, wird sie sich fortgesetzt auf ihre Abwesenheit von der Brandstätte berufen, ohne zu bedenken, daß dieser besonders und immer wieder hervorgehobene Umstand in den Augen des diesfalls geschulten Beamten gerade sehr auffällig ist und sie verdächtig macht. Kinder und Halbwüchsige bleiben stets in unmittelbarer Nähe des „Schauplatzes". b) hinsichtlich der etwa Vorgefundenen Reste von Zündanlagen ist stets genau zu erheben, ob diese beim Verdächtigten nicht vielleicht schon früher vorhanden waren und gesehen wurden; wenn nicht, wird in einschlägigen Geschäften festzustellen sein, ob derartige Behelfe durch den Verdächtigten gekauft wurden. B. Der Brand ist durch Unvorsichtigkeit oder Fahrlässigkeit entstanden; erheben: 1. Hat sich etwa durch Betreten bestimmter Räume lz. B. einer Mühle) mit offenem Licht der in der Luft befindliche leicht brenn­ bare Staub explosionsartig entzündet? Oder kam etwa unge­ löschter Kalk mit Wasser in Berührung? 2. Oder ist durch achtloses Wegwerfen eines noch brennenden oder glühenden Gegenstandes, (z. B- Zündholz, Zigarren- oder Zigarettenreste) oder durch Funkenflug aus der Lokomotive, einem Rauchfang, durch oft weitfliegende glühende Raketenstücke auf leicht brennbarer Unterlage (Papier, Stroh, Heu u. dgl.) Brand entstanden? 2. Selbstentzündung. Wenn auch nur die geringste Möglichkeit einer derartigen Brandursache vorhanden ist, muß unbedingt und umgehend Rat und Entscheidung von geeigneten Sachverständigen (Gerichtsarzt, Mi­ kroskop! ker, Chemiker) eingeholt werden. A. Durch physikalische Ursachen; erheben: a) Kann der Brand nicht etwa auch ohne Zutun dritter Per­ sonen, also „von selbst" und zwar dadurch verursacht worden sein, daß Gegenstände vermöge ihrer besonderen Gestalt (z. B. eine gefüllte, kugelförmige Wasserflasche, sog. Rasiers-HohlfSpiegel, glänzende Metall­ schüssel, tiefe, blanke Teller u. dgl.) darauffallende Sonnenstrahlen auffingen, und dann auf eine bestimmte, dahinter befindliche, leicht brennbare Unterlage Haben einwirken lassen? b) Kann der Brand nicht auch dadurch entstanden sein, daß brenn­ bare in unmittelbarer Nähe des geheizten Ofens befindliche schon vorgewärmte Gegenstände plötzlich Feuer fingen ? c) Können etwa heiß gelaufene Räder oder sehr stark erhitzte Schwungriemen, Holz oder dgl. die Brandursache gewesen sein? B. durch chemische Ursachen; erheben: a) Ist es gegebenenfalls nicht auch möglich, daß der Brand durch bloße Vereinigung bestimmter (vielleicht sogar eigens vorgerich­ teter) Mittel entstand ?, (z. B. Schwefelsäure kommt mit schwedischen Zündhölzchen in Berührung). b) Waren ölige Pflanzenfasern vorhanden, (z. B. Watta, Werg, Baumwolle, Gewebe, Fäden u. bflt), die sich selbst entzünden konnten? W. Pvlzer, Krlmtnaldienst.

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Zündvorrichtung.

c) Kienruß, Staub von guter Kohle oder bestimmtem Metall, Benzin, Stroh, Heu u. dgl. kann sich selbst bis zür Entzündung erhitzen; liegt gegebenenfalls eine solche Möglichkeit vor? d) Blitzschlag als Brandursache kann erfahrungsgemäß nur angenommen werden, wenn in nächster Nähe des entzündeten Gebäudes ein schweres Gewitter niedergegangen ist; war dies be­ stimmt der Fall? Wirklichen Blitzschlag erkennt man am Schwefelgeruch (wenn auch nur vorübergehend bemerkbar), an „angelaufenem" Metallbeschlag, magnetisch gewordenen Eisenteilen und — wo vorhanden und getroffen — zersplittertem Holz. Die Brandstätte ist stets nach etwaigen gelegten Zündvor­ richtungen abzusuchen. Solche Zündanlagen werden — um ja sicher zu wirken — bisweilen gleich an zwei oder mehreren Stellen auf­ gestellt: Eine davon bleibt oft trotz des Brandes zufällig erhalten; es sei daher nochmals ausdrücklich eingeschärft, daß die ganze Brandstätte und alles mit ihr in Verbindung stehende Brennbare genau darnach abgesucht werden muß. Solche Zündvorrichtungen können sein: ä) Überreste von (gekauften oder selbstangefertigten) Zünd­ schnüren. aa) Bei der sichtlich gekauften wird vielleicht bald deren Herkunft und damit der Käufer festzustellen oder gar als Täter zu überführen sein. bb) Bei der selbst angefertigten Zündschnur (kommt besonders auf dem Lande vor) ist genau auf das Bindemittel zwischen den einzelnen Zündschwammstreifen zu achten, (soweit solches eben noch zu erkennen ist). Etwa Vorgefundene solche Reste sind jedenfalls für den Sach­ verständigen (Mikroskopiker) sicherzustellen. b) Brenngläser, die, (namentlich zur heißen Jahreszeit, wenn die Sonnenstrahlen besonders kräftig sind) entsprechend angebracht, Feuer verursachen können. c) Elektrische Glocken mit fehlender (abgeschraubter) Schelle und daneben befindlichen, rundlichen, dünnen Glasscherben (die Reste der Drahtleitung werden das Auffinden der Glockenanlage erleich­ tern) oder gewöhnliche Wecker oder sog. „Tomasuhren"; tn anen triefen Fällen wirkt (vielleicht auch zu bestimmter Stunde) ein in einem (dann zerschlagenen) Glasbehälter befindliches Mittel auf ein anderes feuer­ fangend ein; sog. Selbstentzündung durch chemische Ursachen. Daß solche Zündanlagen samt etwa daneben befindlichen Glas­ scherben sorgfältigst für den Sachverständigen (Chemiker) zu sam­ meln und aufzubewahren sind, soll hiemit nochmals betont sein. Natürlich ist auch die Schadenshöhe anOrtundStelle nach Möglichkeit festzustellen, (vgl. auch das auf Seite 30 Gesagte). Nach Abschluß der Amtshandlung sind die Erhebungsakten unverzüglich dem zuständigen Gerichte zu übersenden.

Wucher. — Gefährliche Drohung

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20. Abschn itt.

Wucher. Diese Straftat kann nur dann erfolgreich bekämpft werden, wenn alle darauf bezüglichen Anzeigen in einer Zentralstelle gesammelt und womöglich auch von dort aus behandelt werden; sie gehört zu jenen, die viel öfter verübt, als angezeigt werden. Wer auf­ merksam und täglich den Anzeigenteil in Tagesblättern oder dgl. liest, wird unter der Überschrift: „Geldverkehr", „Darlehen" oder dgl. fast immer welche Anerbieten finden, welche den Verdacht eines wucherischen Vorgehens seitens des (mit vollem Namen meist gar nicht genannten) Geldgebers regemachen. Solche Ankündigungen sollen „von Amts wegen“ aufgegriffen und klargestellt werden: Wre dies geschieht, siehe an dem Beispiel im Abschnitt: „Betrug", Seite 167, Anmerkung.

21. Abschnitt. Gefährliche Drohung. Es mag vielleicht Manchen befremden, wenn auch darüber tm Rahmen dieses Buches gesprochen wird, allein ich hielt dies keines­ wegs für überflüssig, zumal derartige Anzeigen besonders seitens ängstlicher Leute sehr oft erstattet werden und der Beamte (nament­ lich wenn er ein Anfänger ist), bezüglich der zu treffenden Verfügungen meist iit der größten Verlegenheit ist, zur Anzeige aber doch Stellung genommen werden muß. Bevor eine Anzeige wegen gefährlicher Drohung ausgenommen wird, ist stets zu prüfen, ob sie auch die nötigen gesetzlichen Tatbe­ standsmerkmale vollständig enthält. Dann sind die allseitigen Verhältnisse des Anzeigers und des Angezeigten sowie ihre Be­ ziehungen zueinander möglichst genau festzustellen — so muß es sid; ergeben, ob der Tatbestand der gefährlichen Drohung tatsäch­ lich vorliegt oder nicht. Ist er gegeben, so ist der Angezeigte unver­ züglich zu verhaften und nach Abschluß der Erhebungen dem zuständigen Gerichte einzuliefern. In den meisten Fällen aber will der Anzeiger von der Behörde nur, daß diese dem Angezeigten „gründlich den Kopf wäscht", d. h. ihm hart an den Leib rückt, „damit er endlich wieder von ihm Ruhe hat". Die zu treffende Verfügung ist daher stets und wohl zu überlegen: Eine zu rasche Verhaftung kann von eben solchen einschneiden­ den Folgen begleitet sein, wie ein zu leichtes Aufnehmen der An­ zeige, auf Grund deren nichts verfügt wird: In dem einen Falle wird der Tatbestand der gefählichen Drohung vielleicht gar nicht gegeben fein, in dem anderen kann es infolge Nichteinschreitens der Be­ hörde zur Ausführung der Tat kommen. Wenn es sich daher um Anzeigen wegen gefährlicher Drohung handelt, soll der Beamte, womöglich nicht allein eine endgültige Verfügung treffen, sondern die Entscheidung lieber dem Vorgesetzten überlassen. 12*

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Raubmord.

22. Abschnitt. Raubmord. Liegt (vermutlich) Raubmord vor, d. h. wurde der Getötete (möglicherweise) noch beraubt, so sind — um darüber Klarheit zu bekommen — Verwandte, Nachbarsleute usw. diesbezüglich sofort zu befragen, ob und was etwa aus dem Besitz des Toten fehlt; sohin ist umgehend die Beschreibung der fehlenden Wertgegenstände zu veranlassen unter gleichzeitiger Einleitung der Nachforschungen; (Näheres siehe auch Seite 38). Zur Ermittlung der Täters erheben, wann, wo und von wem der Ermordete zuletzt noch lebend gesehen wurde, wer zur frag­ lichen Zeit in seiner Gesellschaft war, ob der Täter mit den Ver­ hältnissen des Getöteten vertraut gewesen sein'mußte, oder ob es eine Gelegenheitstat war, usw. usw.; siehe auch Seite 38. Schließlich sei auch erwähnt, daß (Raub-)Mord auch vorge­ täuscht sein kann; vgl. daher auch den Abschnitt: „Vorgetäuschte Verbrechen", Seite 143, und „Verschleierte Todesfälle", Seite 181.

B. Gewaltsame Gesundheitsschädigungen und Todesarten. Allgemeines. Was in diesem Abschnitte darzustellen ist, gehört nahezu ganz auf ärztliches Gebiet und'mußte daher von dort entlehnt werden. Die für die Zwecke dieses Buches geeigneten Ausführungen fand ich — wie bereits eingangs erwähnt — schließlich in dem von Hofrat Dr. Iulius Kratter, Universitätsprofessor in Graz, heraus­ gegebenen „Lehrbuch der gerichtlichen Medizin".^) Hofrat Kratter gestattete mir nicht nur die Benützung dieses Werkes, sondern hat mir auch in entgegenkommendster Weise mündlich eine Fülle von Aufklärungen an der Hand der von ihm angelegten reichen Samm­ lungen des Gerichtlich-medizinischen Institutes in Graz gegeben. Es sei mir gestattet, ihm auch an dieser Stelle im eigenen wie im Nanlen aller Leser und Freunde dieses Buches, denen die folgenden Aus­ führungen zugute kommen sollen, nochmals ergebenst zu danken. Durch die Benützung dieses hervorragenden Lehrbuches?) war es nicht nur möglich, in den Rahmen dieses „Handbuches" aufzu­ nehmen, was hineingehört, sondern es konnte das Ganze auch in ein System gebracht und übersichtlich dargestellt werden. Der Polizeibeamte kommt beruflich alltäglich in die Lage, bei plötzlichen Erkrankungen, Unglücks- und Todesfällen, namentlich wenn sich diese auf der Straße ereignen, einzuschreiten. Bald handelt es •) Verlag von Ferdinand Enke, Stuttgart, 1912. *) Was daraus wörtlich entlehnt ist, wurde (unter Nennung der betreffende« Seitenzahl) unter Anführungszeichen gesetzt; das Übrige wurde für die be­ sondern Zwecke dieses „Handbuches" noch eigens umgestaltet.

Gewaltsame Gesundheitsschädigungen und Todesarten.

181

sich um eine reine Hilfeleistung, bald um ein offenkundiges Verbrechen; nur zu oft aber ist der Sachverhalt anfangs unge­ klärt, die Frage, ob eigenes oder fremdes Verschulden oder un­ glücklicher Zufall vorliegt oder plötzlicher Tod aus natürlicher Ursache eingetreten ist, kann nicht gleich beantwortet werden, höher geschulte Vorgesetzte sind in den seltensten Fällen von Anfang an zugegen und doch drängt die Zeit, eine Reihe von Ereignissen wirkt stürmisch und ablenkend auf den erhebenden Beamten ein: Da ist eine sichere Richtschnur nötig, soll er sich nicht in uferlosen Boden verlieren. Da der Polizeibeamte fast immer die erste (und oft einzige) Amts­ person ist, die auf dem Tatorte erscheint, fast mit jedem Unglücks­ oder Todesfall später eine (Zivil- oder Straf-)Gerichtsbehörde zu tun bekommt, so sind die von diesem getroffenen (einstweiligen) Verfü­ gungen meist von weittragender, weil grundlegender Bedeutung. Je fester dieser Grund ist, desto Erfolg versprechender ist der Weiterbau; je geschulter und sorgfältiger der Beamte bei jeder solchen Amtshand­ lung ist, desto mehr ist vom Ergebnis der Amtshandlung zu erwarten; damit er das von ihm verlangte Beste aber auch leisten könne», seien ihm die nachstehenden Richtlinien an die Hand gegeben. Der anhangsweise beigefügte Abschnitt: „E r st e H i l f e l e i stung bei plötzlichen Unglücksfällen" (Seite 218) enthält alle Weisungen, wie sie für die Hilfeleistung an Verunglückten in Betracht kommen; es sei daher auf diesen Abschnitt auch an dieser Stelle be­ sonders hingewiesen.

Besonderes. 1. Erfahrungstatsachen.

Eingangsweise muß erwähnt werden, daß wirkliche Unglücks­ fälle und wirkliche Selbstmorde mit Körperverletzungen, die durch fremdeHand gesetzt worben sind und dann mit schwerer Gesundheits­ schädigung, ja auch mit dem Tode der angegriffenen Person ausgehen können, im Anfang nicht nur viel Ähnlichkeit haben, sondern sogar gleiches Aussehen bieten können; es kann plötzlicher Todes­ fall aus natürlicher Ursache vorliegen und den Anschein haben, als handle es sich um ein Verbrechen und umgekehrt: Es kann ein gewalt­ samer Tod mehr minder gut verschleiert und ein anderer Tod auch derart vorgetäuscht sein, daß man zuerst mit gutem Recht annehmen könnte, die Sachlage sei wirklich so, wie sie vor Augen liegt. Der erfahrene Kriminalist wird und kann daher nach gewonnenem Überblick über die angetroffene Sachlage niemals s o f o r t mit voller Bestimmtheit angeben, ob fremdes Verschulden zweifellos ausgeschlossen ist. Da man sich also bei solchen Fällen stets vor Augen halten muß: Der Tatbestand kann einerseits wirklich so sein, wie er vorgefunden wurde, er kann andrerseits aber auch (aus irgend welchen Gründen) verschleiert, vorgetäuscht (maskiert) sein, sind die zur Klarstellung des Tatbestandes im folgenden gegebenen An-

182

Unklare Todesfälle.

leitungen in übereinstimmenden Punkten gemeinsam behandelt; jedoch ist bei jeder Gesundheitsschädigung und Todesart geteilt an­ gegeben, welche Umstände für eigenes und welche für fremdes Verschulden sprechen. Diese Art der Zusammenstellung ist also gerecht­ fertigt und — glaube ich — für den Praktiker auch die einzig richtige. Ein Beispiel soll das Gesagte faßlicher machen helfen: Auf einem Bahnkörper, der sich am Fuße einer steilen Wand dahinzieht, wird ein überfahrener Leichnam gefunden. Wer wollte da beim ersten Anblick gleich Todesursache und Vorgeschichte bestimmt behaupten? Es ist da die Möglichkeit vorhanden, daß der Betreffende sich in selbstmörde­ rischer Absicht über den steilen Abhang hinabgestürzt hat und tot auf den Bahnkörper zu liegen kam, bis er überfahren wurde; er kann auch (beim klettern) ab gestürzt sein; er kann von fremder Hand über den Abhang gestoßen worden und dann als Leichnam noch auf die Schienen gelegt worden sein; er kann vorher von dritter Hand erschlagen, erstochen, erschossen, erhängt, erdrosselt, er­ würgt, ertränkt, vergiftet worden und dann zur Verschleie­ rung dieses Verbrechens noch auf die Schienen gelegt worden sein, um Unfall oder Selbstmord vorzutäuschen; es kann ihn auch ein Mit­ reisender aus dem fahrenden Zug gestoßen oder er kann sich selbst vor die Räder der Maschine geworfen haben (Schienenselbstmord); er kann, als er von einem Wagen in den anderen gehen wollte, aus­ geglitten und auf die Schienen gefallen sein, usw. usw. Kurz es gibt, wie sich in diesem einfachen dem Leben entnommenen Fall ersehen läßt, eine unabsehbare Reihe von Möglichkeiten, die im vorhinein alle ins Auge gefaßt und verfolgt werden müssen; erst nach und nach wird durch den einen -ober anderen zweifellos sicheren Umstand die Anzahl der Annahmen für die Erklärung des vorliegenden Sachver­ haltes immer kleiner, das Ziel, die vermutliche oder wirkliche Todes­ ursache kommt immer deutlicher zum Vorschein, bis sich endlich die einzig mögliche Todesursache fast immer ergibt; die mit Zugrunde­ legung des genannten „Lehrbuches" im folgenden gebrachten Aus­ führungen werden diesfalls wohl immer die nötige Klarheit zu schaffen imstande sein. Oberster Grundsatz bei anscheinend vorliegenden Verbrechen ist auch hier: Alles stehen und liegen lassen, den Tatort nach Möglichkeit absperren, trachten, daß dort keine Veränderungen vor sich gehen können. Sachkundige (vorgesetzte Stelle, Arzt, viel­ leicht auch das zuständige Strafgericht usw.) umgehend und auf kürzestem Wege hievon verständigen und ihr Eintreffen auf dem Tatorte erwarten. Nur bei Gefahr im Verzüge wird von dieser Grundregel eine Ausnahme gemacht werden können, da im Dienste der Sache gewisse Vorkehrungen sofort getroffen werden müssen, z. B. Versuch der Ret­ tung des Verletzten, usw. Es ist eine bekannte Erfahrungstatsache, daß von dritter Seite bei Todesfällen, wo immer nur angängig, als Beweggrund der Tat „Selbstmord" der Behörde gegenüber angegeben wird. Wenn

Angeblicher »Selbstmord'.

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wir nun fragen, warum dies so häufig geschieht, können wir uns die Antwort, wenn wir aufrichtig sein wollen, selbst geben: Bei „Selbst­ mord" wird, wenn der Tatbestand nur halbwegs „natürlich" erscheint, seitens des Beamten meistens „nicht viel Wesens" gemacht, der Tat­ bestand wird nur oberflächlich angesehen, dem Einreden der an der Sachlage beteiligten Personen gerne Gehör geschenkt; ist aber doch irgend etwas „Auffälliges" vorhanden, was vielleicht Bedenken bei denr erhebenden Beamten erwecken könnte, so heißt es dann einfach: „Es war halt ein überspannter Kopf, bei dem so etwas eben Vor­ kommen kann." Besprechen wir dies näher an einem häufig vorkommenden Fall aus dem täglichen Leben: Der nächst dem Tatorte diensttuende Polizei­ beamte erhält die Verständigung, daß im Gasthof.... Zimmer Nr.... ein Mann erhängt eben aufgefunden worden sei, „es handle sich zweifellos um einen Selbstmord". Dem Hotelbesitzer ist der Todesfall natürlich höchst peinlich und'so bestürmt er den Beamten, um Gotteswillen nur ja kein Aufsehen zu machen, zumal Selbstmord ja zweifellos sei; er möge doch bedenken, daß sich, wenn die Tät bekannt würde, die Gäste verlieren würden, wodurch er, der Besitzer, zu großem Schaden käme, usw. usw. — kurz, der Beamte wird mir nichts dir nichts auf Seite der einstürmenden Partei gebracht, gibt dem Drängeil schon teilweise nach und erklärt höchstens noch, die poli­ zeiliche Kommission zwecks Tatbestandsfeststellung verständigen zu müssen — doch sei das nur eine Formsache. Die Kommission kommt, es wiederholt sich der Vorgang und nach einigem Herumreden wird ein­ fach „zweifelloser Selbstmord" angenommen und — sogar amtlich ein­ getragen ! Die Leiche wird beerdigt und der Fall ist abgetan; wer plagt sich da viel mit Gedanken, daß es kein „Selbstmord" gewesen sein soll?! So wird leider und in unverantwortlicher Weise fast täglich bei angeblichen „Selbstmordfällen“ vorgegangen; für Todesursache und Beweggrund zur Tat findet sich, wenn man will, bald eine Erklärung; im Notfälle ist es halt wieder ein „mysteriöser Selbstmord mit mrbekanntem Motiv". Auf diese Weise und nur so ist es erklärlich, daß von den gesamten Todesfällen über ein Drittel auf diese „mysteriösen Selbstmorde mit unbekanntem Motiv“ fallen! Wie viele Verbrechen mögen da als „Selbstmord“ verschleiert bis heute noch unentdeckt geblieben sein ?! Wen schaudert nicht bei dem bloßen Gedanken an diese vielen ungesühnten Verbrechen!? Diesen erschreckend hohen Prozentsatz solcher Selbstmorde möglichst herabzudrücken, ist in erster Linie Aufgabe eines gewissen­ haft vorgehenden Polizeibeamten. Es soll damit keinesfalls etwa gesagt sein, daß in derartigen Fällen roh einzuschreiten wäre und von vornherein hinter jedem Selbstmord ein Mord vermutet wer­ den muß; aber der Beamte muß seinen Dienst nach bestem Wissen und Gewissen versehen — tut er dies (an Hand der nachstehenden Richtlinien), so kann und wird dieser erschreckende Prozentsatz nicht aufrecht bleiben.

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Erhebungen in Selbstmordfällen.

Es sei also jeder Beamte nochmals nachdrücklichst davor gewarnt, bei den 'Tatbestandserhebungen von Todes- oder Unglücksfällen bloß deshalb gegen die eigene Überzeugung weniger sorgfältig oder gar schleuderhaft vorzugehen, um nur ja den Angehörigen des „Selbst­ mörders" nicht „unangenehm", sondern womöglich noch „gefällig" zu sein; er ist in erster Linie berufen, einzuschreiten, hat die ersten Verfügungen zu treffen und das Verfügte der vorgesetzten Stelle und auch dein Gewissen gegenüber zu recht fertigen! Da sich der Beamte vor Augen halten muß, daß der gegebene Tatbestand entweder echt (b. h. wirklich so) oder aber vorgetäuscht (maskiert, simuliet) sein kann, ist es seine Pflicht, die Erhebungen nach beiden Richtungen solange fortzusetzen, bis die eine Richtung von selbst aufhört. Liegt offensichtlich zutage oder ergibt sich auf Grund der Erhebungen, daß eine fremde Hand die Tat verübt haben muß oder verübt haben kann, ist sofort die eigene vorgesetzte Stelle, dann der Arzt und — wenn die Weisung des Vorgesetzten ohne Ge­ fahr im Verzüge nicht abgewartet werden könnte — auch das zuständige Strafgericht vom Tatbestand auf dem kürzesten Wege zu verständigen. Nur wenn nach sorgfältigen Erhebungen festgestellt erscheint, daß wirklich Selbstmord vorliegt, kann eine gerichtliche Verständigung, Anzeige, entfallen. Bei anscheinenden Selbstmord fällen wird: 1. Dies aus solchen Äußerungen oder aus „Abschiedsbriefen“ unschwer festzustellen fein. Abschiedsbriefe sind gewöhnlich derart hinterlegt, daß sie kaum übersehen werden können. Sie sind, da diesfalls auch ein Verbrechen und somit Irreführung von dritter Seite vorliegen kann, unverzüglich auf ihre Echtheit zu prüfen und zwar dahin: a) Ob sie wirklich von des Selbstmörders Hand geschrie­ ben worden sein sonnten, (daher mit womöglich herbeizuschaffenden zweifellos echten Schriftstücken dahin vergleichen, ob es dieselbe Schrift ist; ist Schriftvergleichung nicht möglich, dann erwägen, ob Schriftzüge, Rechtschreibung, Stil usw. dem Berufe des Selbst­ mörders entsprechen); b) Welcher Beweggrund zur Tat vorgelegen ist; ist dieser deutlich angegeben, (z. B. unheilbare Krankheit, wirtschaftlicher Zu­ sammenbruch, schweres Familienunglück oder dgl.), dann wird er leicht überprüfbar sein; ist er aber nur undeutlich, allgemein oder gar nicht angegeben, dann ist besondere Vorsicht ebenso geboten, wie wenn etwa sog. „Amerikanisches Duell“ als Todesursache ange­ geben wird, da in letzteremFalle zweifellos an dem Tatbestände etwas nicht richtig ist. Prof. Groß sagt darüber (auf Seite 894seines „Hand­ buch es"), daß er seit vielen Jahren solchen Einzelfällen nachgeforscht und nicht ein einzigesmal die Bestätigung für das Borliegen eines wirklichen „Amerikanischen Duells" gefunden habe. (Auch aus der ein­ schlägigen Literatur ist kein einziger aktenmäßig belegter Fall über ein solches wirkliches „Amerikanisches Duell" bekannt).

Erhebungen in Selbstmordsällen.

185

c) Ob etwaige Widersprüche in Abschiedsbriefen (z. B. das Schreiben ist mit dem Datum des nächstfolgenden Tages ver­ sehen oder dgl.) vorhanden sind; dies kommt bei wirklichem Selbst­ mord bisweilen vor und wäre eher ein Zeichen der Echtheit; 2. Das für den Selbstmord gewählte Mittel zu dem Beruf des Betreffenden meist in gewisser Beziehung stehen, worauf zu achten wäre. Es wird der Selbstmörder fast immer ein Mittel wählen, das er als „verläßlich", d. h. sofort todbringend, kennt. So werden sich Leute, die beruflich mit Chemikalien zu tun haben, (z. B- Apo­ theker, Ärzte, Chemiker, Photographen) bei Selbstmordabsicht wohl zweifellos vergiften; Leute, welche beruflich mit Waffen zu tun haben, (z. B. Militärpersonen, Förster, Waffenhändler) bei Selbstmordabsicht zweifellos erschießen, usw.; 3. Falls Doppelselbstmord vorliegt (fast immer von Personen verschiedenen Geschlechtes, mitunter auch von zwei Personen weib­ lichen Geschlechtes ausgeführt), ist gleiche Todesart ein Anzeichen mehr für die Echtheit des Tatbestandes; ungleiche Todesart, (z. B. der eine Teil wird erschossen, der andere erhängt aufge­ funden) dagegen immer bedenklich und daher durch besondere Erhe­ bungen klarzustellen; (Beweggrund zur Tat, Veranlagung, Ver­ hältnis der beiden Teile zueinander usw. wird aus Abschiedsbriefen, Umfrage im Verwandten- oder Bekanntenkreis, bei vorgesetzter Stelle des einen oder anderen Teiles usw. zu erfahren sein); 4. Falls Selbstmord in Kleidung des andern Geschlechtes oder in sichtlich eigenartig hergerichteter Umgebung tiorgefunben wird, die darauf hindeuten, daß der Selbstmörder entweder widernatür­ liche geschlechtliche Empfindungen hatte oder geistig nicht gesund war oder aus irgendwelchen Gründen Aufsehen erregen wollte, oder — daß die ganze Aufmachung vorgetäuscht ist; 5. Bei sichtlich qualvoller Todesart, (z. B. Verbrennung durch Anzünden der vorher mit brennbarer Flüssigkeit getränkten Kleidung, oder Tötung durch Beilhiebe auf den Kopf, oder dgl.) dreierlei möglich sein: a) Es liegt entweder wirklicher Selbstmord vor, dann war der Täter geistig nicht gesund, religiös wahnsinnig oder sehr ein­ fältig, oder b) es liegt Verunglückung vor, oder c) es hat eine fremde Hand die Tat verübt (und nach Möglich­ keit zu verschleiern versucht); 6. Für die Echtheit eines Selbstmordes der Umstand sprechen, daß Verwandte des Selbstmörders — was natürlich gegebenenfalls zu erheben ist — auch mit Selbstmord aus dem Leben, gegangen sind. Ferner sei erwähnt, daß Selbstmord bei Kindern keine Seltenheit ist; die Beweggründe zu solchen Taten sind meist lächerlich. Hofrat Kratter führt diesfalls an: „Schlechte Schulzeug­ nisse, Furcht vor Strafe, gekränkter Ehrgeiz über eine erhaltene Strafe, ja nicht selten — unglückliche Liebe" (!)

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Feststellung der wirkt. Todesursache.

Der Selbstmörder hat mitunter auch das Bestreben, den Selbstmord zu verschleiern, um den Anschein eines natürlichen Todes zu erwecken; diese Erfahrungstatsache kann bisweilen sehr wich­ tig sein. „Auch Vortäuschung von Selbstmordversuchen kommt vor, wo eine Selbstmordabsicht gar nicht besteht;" dies wird namentlich dann der Fall sein, wenn der Betreffende (z. B. Häftling) zu feig ist, sich eine größere Verletzung beizubringen, aber dadurch wenigstens Mit­ leid bei anderen zu erregen hofft. Dem Vorhandensein oder Fehlen des zur Tat verwendeten Werk­ zeuges, der Waffe, kommt für die Frage, ob eigenes oder fremdes Verschulden anzunehmen ist, keine ausschlaggebende Be­ deutung zu 3): Die Waffe kann in einem zweifellosen Selbstmordfall von dazugekommenen Personen (aus Bereicherung, Aberglauben) ge­ stohlen, wie einem nachgewiesenermaßen Ermordeten^ zur Vor­ täuschung eines Selbstmordes in die Hand gedrückt worden sein; der Täter kann die Waffe nach der Tat auch mit sich genommen, versteckt oder in mehr oder minder größerer Entfernung vom Tatorte beseitigt haben. Wenn Kleider od. dgl. durch die Verletzung Schaden genommen haben, (z. B- durchschossen, durchschnitten worden sind, usw.) sind sie stets zu beschlagnahmen, weil sich daraus, oft wichtige An­ haltspunkte ergeben können. Mehrfacher (kombinierter) Selbstmord, d. h. verschiedene Todesarten an ein und der selb en Person, kommt nicht selten vor, z. B. Erschießen und Erhängen, Erschießen und Ertrinken, Ver­ giften und Erhängen usw.; Näheres siehe im zutreffenden Abschnitt („Tod durch Erschießen", „Tod durch Erhängen", usw.). Über Verletzungen und über die Frage, ob sie vom Verletzten selbst beigebracht worden sein konnten, siehe Näheres im zutreffenden besonderen Abschnitt, also z. B. 'Schußverletzungen im Abschnitt: „Tod durch Erschießen", usw. Über Verletzungen an Leichen und deren Erklärung siehe Näheres Seite 217. 2. Feststellung der wirklichen Todesursache. Die wirkliche Todesursache wird ärztlicherseits bei der Leichen­ öffnung wohl immer und mit voller Sicherheit festgestellt werden können; wenn sie daher nach äußeren Anzeichen und sorgfältig ge­ pflogenen Erhebungen nicht sogleich feststellbar wäre und wenn a) weder ein Anhaltspunkt noch ein gegründeter Verdacht auf Mitschuld dritter Personen gegeben ist, so ist die sog. sanitäts­ polizeiliche Obduktion zu beantragen; wenn aber •) Doch ist, falls ein Werkzeug oder eine Waffe auf dem Tatorte oder in dessen Umgebung vorgefunden wird, womit die Verletzung anscheinend verübt wurde, die Beschlagnahme auszusprechen und die Waffe jener Stelle, an welche der Erhebungsakt übermittelt wird, unverzüglich zu übergeben; Näheres Seite 143.

Verletzungen. Wunden.

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b) der Verdacht oder auch nur die Möglichkeit gegeben ist, daß eine dritte Person den Tod verursacht haben kann, die sog. gerichtliche Obduktion zu beantragen und im letzteren Falle der Erhebungsakt nach Abschluß (samt etwaigen Beilagen) sofort dem zuständigen Gerichte zu übermitteln. 23. Abschnitt.

Verletzungen. „Die Verletzungen sind nach der Art ihrer Zufügung entweder Schnitt-, Hieb-, Stich-, Schußverletzungen oder Verletzungen durch stumpfe Gewalten.“ („Lehrbuch", S. 291 ff.) Jeder Polizeibeamte möge sich vom Amtsarzt über diesen Ab­ schnitt belehren lassen; man tut sich im „Ernstfall" ungleich leichter, wenn man sich auch da einigermaßen auskennt. Zudem sei betont, daß sorgfältiges Eingehen auf alle, auch die kleinsten und scheinbar nicht in Betracht kommenden Nebenumstände auch hier oft ausklärend mitwirken kann. Zunächst sei Einiges über Wunden gesagt: 1. Wunden lassen durchaus nicht immer einen völlig sicheren Schluß auf das Werkzeug, die Waffe, womit sie gesetzt wurden, zu; daher ja keine voreilige Äußerung 1 2. Für die Form einer Wunde kann es große Unterschiede ausmachen, ob sich unterhalb der Hautstelle, gegen welche eine äußere Gewalt verletzend einwirkt, Weichteile oder Knochen be­ finden; ob die Haut an der betreffenden Stelle sehr dehnbar ist oder nicht, ist ebenfalls sehr wichtig, denn dann können gewisse Durchtcewnungen der Haut wie punktförmig oder kleinfaltig aussehen; ob jemand bei einem Unfall, bei einem Angriff usw. nicht auch schwere, ja tödliche innere Beschädigungen davongetragen haben kann, ob­ wohl äußerlich keine nennenswerten Verletzungen wahr­ nehmbar sind, läßt sich augenblicklich fast niemals sagen, wenig­ stens nicht verneinen; 3. Oft paßt Werkzeug und die Form der Wunde, die damit erzeugt worden sein soll, auf den ersten Blick anscheinend gar nicht zusammen, gleichwohl können sie in ursächlichem Zusammenhang stehen. 4. Während stumpfe Werkzeuge auch Wunden hervorrufen können, von denen ein Laie niemals glauben würde, daß sie auf diese Weise zustande kamen, da sie auch wie Schnitt- oder Rißwunden usw. aussehen, läßt sich aus der Gestalt der Wunden, die mit einem scharfen Werkzeug gesetzt wurden, eher genaueres sagen; so sind Schnitt­ wunden durch glatte Ränder und spitze Winkel (vergleichbar dem Eingang einer Säbelscheide) gekennzeichnet. 5. Mitunter kann eine einzige Schnittwunde den Anschein er­ wecken, als ob an dieser Stelle mehrere Schnittwunden gesetzt wor­ den wären; dies ist dann der Fall, wenn die Schnittwunde über

188

Halsabschneiden.

runzelige Haut geht, wie sie z. B. bei alten Leuten am Hals zu finden ist1) 6. Wenn die Wunde von Haarwuchs umgeben ist, wie z. B. bei Kopfverletzungen, wird der Sachverständige aus der Beschaffen» heit der Haare, die durch die Verletzung mitgetroffen und durch­ trennt worden sind, bisweilen wichtige Anhaltspunkte für die Art des (angeblich verwendeten oder gar fehlenden) Werkzeuges zu geben vermögen. 7. Wäre bei einer schweren Verletzung, die gewöhnlich starken Blutverlust zur Folge hat, kein Blut vorhanden, müßte dieser Um­ stand aufgeklärt werden; er kann vielleicht darin Erklärung finden, daß die Wunde nach innen geblutet hat, oder daß das Blut durch den Verletzten selbst oder eine dritte Person bereits weggewischt, ja selbst durch ein dazugekommenes Tier (z. B. Hund) aufgeleckt worden sein kann.

1. Tod durch Schnittwunden. A. Halsabschneiden. Durch Halsabschneiden kann der Tod sowohl von eigener wie von fremder Hand erfolgt sein. Für die Beantwortung der Frage, ob eigenes oder fremdes Verschulden vorliegt, ist besonders zu achten: 1. Ob die vordere oder rückwärtige Körperfeite (beziehungs­ weise Kleidung) besonders blutbefleckt ist; 2. ob eine Hand sehr stark mit Blut befleckt, „wie in Blut getaucht" ist; 3. ob die Hände irgendwelche Schnitt- oder Stichverlet­ zungen zeigen; 4. ob nur eine tiefgehende Halswunde allein oder eine solche mit mehreren, sichtlich oberflächlichen, Wunden vorhanden ist; 5. ob die tiefgehende Wunde mehr auf der linken oder mehr auf der rechten Halsseite liegt, wie sie verläuft und wie der An­ satz aussieht. Die Entscheidung der Frage, ob eigenes oder fremdes Verschulden vorliegt, wird schon auf Grund der äußeren Merkmale mit Sicher­ heit möglich sein. Selbstmord durch Halsabschneiden wird — vgl. auch das auf Seite 184 Gesagte — anzunehmen sein, wenn: 1. Besonders die vorderen Körperteile (Vorderhals, Brust, Bauch) mit Blut arg befleckt sind, die rückwärtigen dagegen nur wenige oder gar keine Blutflecke aufweisen;2) 2. die Hand, die das Messer führte, stark blutbefleckt ist; *) Das Aussehen einer solchen Wunde kann man sich leicht vergegenwärtigen, wenn man ein Stück Papier faltig nach Art der Halsfalten legt und mit dem Taschenmesser quer darüber einen Schnitt führt; wer einen solchen Versuch einmal gemacht hat, wird sich die Zickzackform für immer merken. *) Dies begründet Hofrat Kratter wie folgt: „Selbstmord durch Halsabschneiden kann kaum anders als in stehender oder sitzender Stellung und

HalSabschneiden.

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3. die Hände keinerlei Schnittverletzungen aufweisen; 4. nahezu immer mehrere Schnitte „von denen nicht selten ein­ zelne ganz oberflächlich, sichtlich zaghaft, sind, so daß kaum die Haut durchtrennt ist", vorhanden sind. Bei a'» Rechtshändern3* )* die tödliche Schnittwunde haupt­ sächlich auf der linken Seite liegt; sie verläuft dann von der linken oberen Halsseite schräg nach der rechten untern. b) Linkshändern3) die tödliche Schnittwunde hauptsächlich auf der rechten Halsseite liegt; sie verläuft dann von der rechten oberen Halsseite schräg nach der untern linken. Nicht selten ist der obere Winkel der tödlichen Wunde zacken­ förmig ausgestaltet, „ein Beweis des wiederholten Ansetzens des Messers und des wiederholten Einschneidens in die einmal gemachte Wunde; derartiges kommt beifremdhändiger Zufügung nicht vor". An mehrfachen (kombinierten) Selbstmord ist stets zu denken, wenn der Getötete z. B. mit einer Halswunde und geöffneten Adern, vielleicht auch noch mit Schnittwunden in der Ellenbogenbeuge und Handgelenken gefunden wird oder mit Halsschnittwunden und Schußverletzungen, u. dgl. Mord durch Halsabschneiden wird,anzunehmen sein, wenn: 1. Hauptsächlich diö rückwärtigen Körperteile (Nacken, Hinter­ kopf, Schulter, Rücken) arg blutbefleckt sind, während an den vorderen Körperabschnitten wenig oder gar kein Blut vorhanden ist.4) 2. Eine Hand blutbefleckt, doch niemals „wie in Blut getaucht" ist. Wenn sie blutbefleckt ist, rührt dies von Schnittverlet­ zungen (meist geringfügiger Art) her, die das Opfer beim Versuch „das gezückte Messer abzudrängen" erhalten hat, wobei die Finger an der Beugeseite oder die hohle Hand verletzt wurde. Ein untrüg­ liches Zeichen geleisteter Gegenwehr. 3. Nur eine aber tiefgehende Schnittwunde vorhanden ist. Die Schnittwunde durchtrennt meistens den Vorderhals, liegt also an den beiden Seiten annähernd gleich hoch; sie kann aber auch links tiefer bzw. rechts höher liegen, was dann von der Rechts- bzw. Linkshändig­ keit des Angreifers abhängt. Doch ist zu merken: „Entscheidend ist tne Verlaufrichtung allein allerdings durchaus nicht." Dem Fehlen oder Vorhandensein des zur Tat anscheinend ver­ wendeten Werkzeuges kommt für die Frage, ob eigenes oder frem­ des Verschulden vorliegen dürfte, keine ausschlaggebende Bedeutung zu; 'Näheres siehe Seite 186. bei vorgebeugtem Hals beziehungsweise rückgebeugtem Kopf ausgeführt werden. Ost geschieht dies vor dem «spiegel. Dabei muß nach Verletzungen der großen HalSgefäße der hervorstürzende Blutstrom hauptsächlich die vorderen Körperteile besudeln". •) Ob der Getötete rechts- oder linkshändig war, soll nach Möglichkeit einwandfrei fest gest eilt und dann mit den Wunden verglichen werden. 4) Hofrat Kratter begründet dies wie folgt: „Das Halsabschneiden kann von fremder Hand stehend überhaupt nicht ausgeführt werden. Der Angegriffene wird überwältigt, zu Boden geworfen und es werden dem Liegenden und mehr oder weniger Wehrlosen die tödlichen Schnitte versetzt, oder eS handell sich um schlafende oder irgendwie vorher betäubte Personen. Wird nun einem Liegenden der Vorderhals durchschnitten, so fließt das Blut nach rückwärts ab".

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Adernaufschneiden, Bauchaufschlitzen.

Erschlagen.

B, Adernaufschneiden.6)

Eigene Handanlegung wird — vgl. auch das auf Seite 184 Ge­ sagte — anzunehmen sein, wenn: 1. Die Schnittwunde quer zu dem verletzten Glied verläuft und an den Gelenksbeugeseiten vorhanden sind, ferner 2. wenn sie an kleiderentblößter Stelle beigebracht find, 3. mehrfache, bisweilen sogar zahlreiche Wunden vorhan­ den sind, worunter sich „an einem und demselben Gelenk häufig parallel verlaufende, nahe aneinander gestellte, sichtlich zag­ hafte Einzelwunden finden; das ist bei fremder Handanlegung ausgeschlossen". An mehrfachen (kombinierten). Selbstmord ist zu denken, wenn die Leiche außer mit geöffneten Adern noch erhängt oder mit Schuß­ verletzungen usw. gefunden oder mit solchen Verletzungen als Wasser­ leiche geborgen wird. Dem Fehlen oder Vorhandensein des zur Tat anscheinend ver­ wendeten Werkzeuges tommt für die Frage, ob eigenes oder frem­ des Verschulden vorliegt, keine ausschlaggebende Bedeutung zu; (Näheres Seite 186). C. Bauchaufschlitzen („Harakiri“).

Diese Todesart kommt in unseren Gegenden höchst selten vor. Selbstmord wäre auf diese Weise wohl nurbei Geisteskranken und Trinkern denkbar und nur anzunehmen, wenn der Bauch, gegen den der Schnitt geführt wurde, kleiderentblößt ist; vgl. auch das auf Seite 184 Gesagte. Fremdhändige Tötung liegt vor, wenn der Schnitt durch die Kleidung geführt wurde.

2. Tod durch Hiebe (Erschlagen). Für die wohl immer mit Sicherheit lösbare Frage, ob eigene oder fremde Handanlegung vorliegt, ist gegebenenfalls besonders zu achten auf: 1. Lage der Hiebwunden, (ob sie nur auf dem Vorderteil, Scheitel vielleicht noch auf den Seitenteilen des Schädels vorfindlich oder auch auf dem Hinter köpf, Nacken usw. vorhanden sind), ob sie ziemlich beisammenliegen oder arg verstreut sind); 2. Heftigkeit und Anzahl der Hiebwunden, (ob deren mehrere für sich allein unausgiebig oder fast durchwegs mit großer Gewalt gesetzt sind); 3. Richtung der einzelnen Wunden, (ob durchwegs ziemlich in derselben Richtung verlaufend oder kreuz und quer gestellt). •) „Es werden für das Adernaufschneiden jene Körperstellen gewählt, an denen sich schon nach der Laienlenntnis leicht erreichbare Blutgefäße nahe an der Ober­ fläche befinden, (z. B. Handgelenk, Ellbogen, seltener auch Kniekehle)".

Erstechen.

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Eigenes Verschulden (Selbstmord) kann, obwohl selten vor­ kommend,^) angenommen werden — vgl. auch das auf Seite 184 Gesagte — wenn: 1. Nur Vorderteil, Scheitel, etwa noch die Seitenteile des Schä­ dels getroffen und die Wunden auf verhältnismäßig kleinen Raum (bisweilen nur handtellergroß) beisammen find; 2. sie für sich allein unausgiebig aber meist in größerer Anzahl vorhanden sind; 3. sie durchwegs in gleicher Richtung zueinander verlaufen. Mehrfacher (kombinierter) Selbstmord wäre auch hier denkbar, wenn verschiedene Todesarten vorliegen, z. B. Kopfhiebe und Er­ hängen, Kopfhiebe und Halsabschneiden, Kopfhiebe und Adernöffnen, Kopfhiebe und Schußverletzungen usw. Fremdes Verschulden (Mord) kann angenommen werden, wenn: 1. Die Hiebe über den ganzen Kopf verteilt, daher auch am Hinterkopf, am Nacken, hinter den Ohren usw. vorhanden finb,7) 2. sie (fast durchweg) sichtlich mit großer Gewalt gesetzt worden, dafür nicht so zahlreich vorhanden sind; 3. sie in verschiedener Richtung, also kreuz und quer zu­ einander stehen. Dem Fehlen oder Vorhandensein der Waffe kommt auch hier keine entscheidende Bedeutung zu; siehe Näheres Seite 186.

3. Tod durch Stiche (Erstechen). Für die Frage, ob eigenes oder fremdes Verschulden vorliegt, ist zu achten: 1. Ob die Einstichöffnung kleiderentblößt ist; 2. wo sich die Einstichöffnung befindet. „Der Selbstmörder wählt die Herzgegend, ab und zu auch die Magengrube, die von Laien als Herzgrube bezeichnet und für den Sitz des Herzens gehalten wird; ausnahmsweise auch andere Stellen (Ellbogen, Schenkelbeuge, Hals)." 3. Falls mehrere Stichwunden vorhanden sind: a) In welcher Richtung sie zueinander stehen; b) ob sie eng beisammen liegen; c) ob viele geringfügige darunter sind. Die Anzahl der Stichverletzungen ist für die Frage, ob eigenes oder fremdes Verschulden anzunehmen ist, nicht ausschlag ­ gebend; sie kann bei eigener wie bei fremder Zufügung eine ziemlich große sein. Eigene Handanlegung (Selbstmord) durch Erstechen ist — ob­ wohl selten — vgl. auch das auf Seite 184 Gesagte — anzunehmen, wenn: •) Denkbar wären nur Beilhiebe gegen den Kopf. *) Dies erklärt sich daraus, daß das Opfer — um den Hieben nach Möglich­ keit auszuweichen — fortgesetzt seine Stellung ändert.

1. Die Einstichöffnung-kleiderentblößt, d. h. Kleidung nicht durchstochen ist und 2. die Stichwunde(n) an einer Körperstelle vorhanden ist (sind), die der Betressende selbst leicht erreichen konnte, (z. B. Brust, Magen, Hals). 3. Falls mehrere Stichwunden vorhanden sind: a) Diese in gleicher Richtung verlaufen und b) auf einem verhältnismäßig kleinen (handtellergroßen)Raume beisammen und c) viele von ihnen sichtlich geringfügig sind. Sind besonders viele Stichwunden vorhanden, ist wohl die An­ nahme gerechtfertigt, daß der Betreffende geisteskrank war. Mehrfacher (kombinierter) Selbstmord wäre denkbar, wenn verschiedene Todesarten vorliegen, z.B. Stichwunden und Hals­ abschneiden, Stichwunden und Adernöffnen, Stichwunden und Er­ hängen, Erdrosseln, Stichwunden und Ertrinken usw. Fremdes Verschulden (Mord durch Erstechen) ist anzu­ nehmen, wenn: 1. Kleidungsstücke (Rock, Weste, Mieder, Hemd usw.) und vielleicht noch andere Gegenstände, die sich vor der Einstichöffnung befanden, (wie z.B. Notizbücher, Sacktücher usw.), durchstochen sind; 2. Die Stichwunde(n) an einer Stelle vorhanden ist (sind), die der Betreffende von selbst kaum erreichen konnte, (z. B. im Rücken); 3. Falls mehrere Stiche vorhanden sind, a) diese in verschiedenen Richtungen verlaufen, b) arg verstreut sind; (das Losstechen auf das Opfer, wo immer es zu treffen ist) und c) fast durchweg schwerer Art sind. 4. Etwa Stichschnittverletzungen im Unterarm oder in der Hand vorfindlich sind, sog. „aufgefangene" Stiche. Da Stichverletzungen bisweilen nur sehr klein sind, (infolge Dehnbarkeit der Haut), können sie leicht übersehen werden; der Körper soll daher mit dem Vergrößerungsglas abgesucht werden. Es kommen diesfalls meist folgende Körperstellen in Betracht: Brust (besonders Herzgegend) bei Erwachsenen und Hinterhaupt bei Kin­ dern. Bisweilen sind Brust- oder Kopfhaare bzw. hängende Brust ein natürliches Deckmittel für derartige kleine Stichverletzungen. Dem Vorhandensein oder Fehlen des zur Tat angeblich be­ nützten Werkzeuges fommt für bie grage, ob eigenes oder fremdes Verschulden vorliegt, keine entscheidende Bedeutung zu; (Näh. S. 186). Erwähnt sei schließlich die Erfahrungstatsache, daß Personen, welche selbst einen Stich in das Herz bekommen haben, „noch Eigen­ bewegungen und verständige Handlungen ausführen können; auf diese Weise erklären sich manche sonst unverständliche Handlungen, wie z. B. das „Ordnen der Kleider", nochmaliger Angriff des Geg­ ners usw.

Erschießen.

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4. Tod durch Schuß (Erschießen). Bei Schußverletzungen unterscheiden wir für unsere Zwecke nur den Einschuß und — wenn er vorhanden ist, auch — den Ausschuß. Der Einschuß ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil man daraus entnehmen kann, ob der Schuß aus unmittelbarer Nähe, also sog. Nahschuß, oder aus größerer Entfernung, sog. Fern­ schuß abgegeben wurde. Bon Wichtigkeitist auch die Form und Größe des Einschusses. „Die Form des Einschusses ist teils kreisrund, mitunter aber sternförmig nach mehreren Seiten hin gerissen und unregelmäßig, auch schlitzförmig und oft ziemlich scharfrandig, • daher Stichverletzungen ähnlich. Die Größe des Einschusses ist in vielen Fällen kleiner als das verwendete Geschoß. Hat etwa besondere Sprengwirkung statt­ gefunden (siehe später), so ist die Einschußöffnung groß, unregel­ mäßig, sternförmig und gerissen. Der Ausschuß ist gewöhnlich größer als der Einschuß, meist schlitzförmig, nicht selten aber auch sternförmig und zackig gerissen." Liegt eine S