Handbuch des Marketing, Teilband I: A. Marketing als Denkhaltung – B. Käuferverhalten im Marketing – C. Marketinginformation [7 ed.] 9783428549290, 9783428149292

Das »Handbuch des Marketing« unterscheidet sich seit der ersten Auflage entscheidend von den zahllosen Grundlagen- und E

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Handbuch des Marketing, Teilband I: A. Marketing als Denkhaltung – B. Käuferverhalten im Marketing – C. Marketinginformation [7 ed.]
 9783428549290, 9783428149292

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Werner Pepels

Handbuch des Marketing Teilband I

A. Marketing als Denkhaltung B. Käuferverhalten im Marketing C. Marketinginformation

7., überarbeitete und erweiterte Auflage

Duncker & Humblot



Berlin

WERNER PEPELS

Handbuch des Marketing – Teilband I

Handbuch des Marketing Teilband I A. Marketing als Denkhaltung B. Käuferverhalten im Marketing C. Marketinginformation

Von

Werner Pepels

7., überarbeitete und erweiterte Auflage

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: TextFormA(r)t Daniela Weiland, Göttingen Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany Teilband I ISBN 978-3-428-14929-2 (Print) ISBN 978-3-428-54929-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-84929-1 (Print & E-Book) Gesamtausgabe ISBN 978-3-428-14908-7 (Print) ISBN 978-3-428-54908-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-84908-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende siebte Auflage „Handbuch des Marketing“ erscheint, anders als die sechs vorhergehenden Auflagen seit 1996, nicht mehr im Oldenbourg-Verlag. Eine Fortsetzung der Zusammenarbeit war nach Divergenzen infolge eines erneuten Eigentümerwechsels nicht länger möglich. Daher wird die vorliegende, aktuelle Auflage im Duncker & Humblot-Verlag publiziert. Der Umfang des Handbuchs war in der Vergangenheit an die Grenze der Handhabbarkeit gelangt. Insofern wurde es für erforderlich gehalten, den Inhalt in drei Teilbände zu fassen, die einander nunmehr zum kompletten Handbuch ergänzen. Dadurch ist eine bequemere Nutzung der Inhalte möglich. Aus Anlass der Neuauflage wurden alle Inhalte durchgesehen und überarbeitet, so dass das Handbuch wieder dem aktuellen Stand des Wissens entspricht. Der Schwerpunkt der Inhalte liegt unverändert auf dem Transfer systematisch-analytischer Erkenntnisse auf konkrete praktische Entscheidungssituationen. Es geht also nicht um die Darstellung von Theorien und Modellen losgelöst von der Wirtschaftsrealität, sondern um deren Nutzung für reale betriebswirtschaftliche Anwendungen. Das „Handbuch des Marketing“ unterscheidet sich seit der ersten Auflage erheblich von den zahllosen Grundlagen- und Einführungstiteln zum Thema. Dieses Werk eröffnet eine Bandbreite von Marketingthemen, die in den überschaubaren anderen Bänden dieser Thematik nicht ausgeprägt sind. Zu nennen sind etwa so wichtige Themen wie Verkaufsgesprächsführung, Beschaffungs­marketing, Konditionengestaltung, Außenhandelsfinanzierung, Forschung und Entwicklung. Das Werk ist wiederum ohne externe Unterstützung entstanden, so dass keine Mitarbeitenden zu erwähnen sind, auf die anderweitig mehr oder minder große Anteile der Inhalte zurückgehen. Zu großem Dank ist der Autor hingegen dem Verlag Duncker & Humblot, Berlin, verpflichtet, insb. Herrn Dr. Simon und seinem Team. Ohne ihre Unterstützung wäre die Neuauflage nicht möglich gewesen. Zu vielen Inhalten dieses Handbuchs gibt es ergänzend jeweils spezialisierte Literatur des Autors: • zu Kapitel A: Operatives Marketing, Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2015 Professionelles Marketing, Redline-Verlag, Heidelberg 2013 • zu Kapitel B: Käuferverhalten, 2. Auflage, Erich Schmidt Verlag, Berlin 2013

6

Vorwort

• zu Kapitel  C: für Fortgeschrittene: Moderne Marktforschung, 3.  Auflage,­ Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2014 für Einsteiger: Einführung in die Marktforschung, Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2015 • zu Kapitel D: Produktmanagement, 6. Auflage, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2013 • zu Kapitel E: Preis- und Konditionenmanagement, 3. Auflage, Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2015 • zu Kapitel F: für Fortgeschrittene: Kommunikations-Management, 5. Auflage, Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2014 für Einsteiger: Marketingkommunikation, 3. Auflage, Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2015 • zu Kapitel G: für Fortgeschrittene: Vertriebsmanagement, 2. Auflage, Duncker &  Humblot Verlag, Berlin 2015 für Einsteiger: Grundlagen des Vertriebs, 3. Auflage, Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2015 • zu Kapitel H: Servicemanagement, 2. Auflage, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2012 • zu Kapitel J: Moderne Marketingpraxis, Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2016 • zu Kapitel K: Strategisches Markt-Management, 3. Auflage, Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2015. Zur Erläuterung der Begrifflichkeiten stehen weiterhin diverse Lexika des Autors zur Verfügung, so vor allem: • Lexikon des Marketing, 3. Auflage, Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2011 • Lexikon Marktforschungs-Management, 2. Auflage, Symposion Publishing, Düsseldorf 2011 • Lexikon Produkt-Management, 2. Auflage, Symposion Publishing, Düsseldorf 2010 • Lexikon Kommunikations-Management, 2.  Auflage, Symposion Publishing, Düsseldorf 2011 • Lexikon Vertriebsmanagement, 2. Auflage, Symposion Publishing, Düsseldorf 2010. Zur Einbettung der Buchinhalte in den Kontext dienen folgende Publikationen des Autors: • Arbeitsbuch Grundkurs Marketing I und II, Oldenbourg Wissenschafts-Verlag, München/Wien 2013

7

Vorwort

• Einführung in die allgemeine Betriebswirtschafts- und Managementlehre, 2. Auflage, Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2014. Insofern wird vorliegend ein didaktisches Konzept geboten, wie es für kein anderes Werk dieser Domäne im deutschsprachigen Raum vorhanden ist. Dies verdeutlichen die Eckdaten des „Handbuch des Marketing“: rund 2.000 Seiten Gesamtumfang, über 30 Seiten Inhaltsverzeichnisse zur detaillierten Übersicht, ca. 80 Seiten Literaturhinweise zur weiteren Vertiefung, ca. 300 Abbildungen und zahllose praktische Transferbeispiele. Das „Handbuch des Marketing“ wendet sich an Wirtschaftsstudierende an Universitäten und Fachhochschulen in der Vertiefungsrichtung Marketing sowie an Studierende an qualifizierten Weiterbildungseinrichtungen wie IHK’en, VWA’en, Dualen Hochschulen o. Ä. Dort unterstützt es vor allem Thesis- und Hausarbeiten sowie die Seminarinhalte fortgeschrittener Semester. Außerdem ist es ausdrücklich an Managerinnen und Manager adressiert, die an anspruchsvoller Marketingpraxis interessiert sind und sich am State of Art orientieren wollen, um sich und ihrem Unternehmen einen Wettbewerbsvorsprung zu erarbeiten. Nunmehr sei Ihnen als Leserin oder Leser dieses Werks viel Erfolg beim Transfer der dargestellten Erkenntnisse auf Ihre eigene Studien- oder Berufssituation gewünscht. Krefeld, im Januar 2016

Werner Pepels

Inhaltsübersicht Teilband I

A. Marketing als Denkhaltung

I. Konzeptionelle Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Marketing durch Beziehungsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 III. Marktsegmentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 IV. Markenartikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 V. Positionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 VI. Marketing-Instrumental-Mix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 VII. Rechtsrahmen im Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

B. Käuferverhalten im Marketing

I. Konsumentenverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 II. Organisationales Beschaffungsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

C. Marketinginformation

I. Erhebungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 II. Datenauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 III. Absatzprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565

Teilband II

D. Angebotspolitik im Marketing

I. Produkt-Submix der Angebotspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 II. Programm-Submix der Angebotspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

E. Entgeltpolitik im Marketing

I. Preis-Submix der Entgeltpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 II. Konditionen-Submix der Entgeltpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

10

Inhaltsübersicht F. Informationspolitik im Marketing

I. Kommunikations-Submix der Informationspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 II. Identitäts-Submix der Informationspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524

G. Verfügbarkeitspolitik im Marketing-Mix

I. Distributions-Submix der Verfügbarkeitspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 II. Verkaufs-Submix der Verfügbarkeitspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 670 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 785

Teilband III

H. Sektorales Marketing

I. Konsumtives Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 II. Industrielles Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 III. Dienstleistungsmarketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 IV. Handelsmarketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 V. Beschaffungsmarketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 VI. Internationales Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

J. Spezielles Marketing

I. Broadening des Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 II. Deepening des Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 III. Internes Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 IV. Public Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 V. Kundenmanagement im Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364

K. Marketingmanagement

I. Marketingkonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 II. Marketingorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 III. Marketingcontrolling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570

Inhaltsverzeichnis Teilband I

A. Marketing als Denkhaltung



I. Konzeptionelle Grundlagen

29

1. Inhalte des Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2. Entwicklung des Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 3. Implementierung des Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 3.1 Nicht-integriertes Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 3.2 Marketing als Hilfsfunktion des Vertriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3.3 Marketing und Vertrieb als gleich berechtigte Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3.4 Integriertes Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3.5 Verteilte Marketingfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 4. Marketingsichtweisen im Zeitablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 5. Marketingparadigmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 5.1 Marketing I als Absatzwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 5.2 Marketing II als passive Marktanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 5.3 Marketing III als aktive Marktgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 5.4 Marketing IV als Kundenbeziehungsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 5.5 Marketing V als generisches Beziehungsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 6. Marketingdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 7. Materielle Methoden des Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 8. Rahmenbedingungen des Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 8.1 Konfliktpotenziale im Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 8.2 Marktentwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 8.3 Marktperspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

II. Marketing durch Beziehungsmanagement

73

1. Inhalte und Erklärung des Konzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Anspruchsgruppen des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3. Customer Relationship Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 4. Customized Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

12

Inhaltsverzeichnis Teilband I III. Marktsegmentierung

86

1. Segmentierungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2. Vorteile der Segmentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3. Voraussetzungen der Segmentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 4. Zentrale Abgrenzungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 4.1 Demographische Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 4.2 Aktiographische Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

IV. Markenartikel

94

1. Markenbedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Markeninhalte und Markeneigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3. Markenfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 4. Markenarchitekturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4.1 Horizontale Markentypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4.1.1 Markensegmentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4.1.2 Markendifferenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4.1.3 Markenanzahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 4.1.4 Markenidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 4.2 Vertikale Markentypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 4.2.1 Markenaufwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 4.2.2 Markenabwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 4.3 Absenderbezogene Markentypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4.3.1 Markenhalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 4.3.2 Markenumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 4.3.3 Markenreichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 4.3.4 Markenübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 4.3.5 Markennutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

V. Positionierung

131

1. Idee der Positionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2. Positionsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 3. Positionierungsanlässe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 4. Positionstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 5. Positionsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 6. Beurteilung von Positionierungstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 7. Anforderungen an die Positionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

Inhaltsverzeichnis Teilband I

VI. Marketing-Instrumental-Mix

13 147

1. Idee des Marketing-Mix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 1.1 Begriff und Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 1.2 Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1.3 Instrumente im Marketing-Mix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. Marketing-Mix-Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 2.1 Beziehungen der Instrumente untereinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 2.2 Einteilung der Produktarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 3. Marketing-Mix-Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 3.1 Instrumenteabstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 3.1.1 Intrainstrumentelle Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 3.1.2 Interinstrumentelle Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 3.2 Strukturierungstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 3.2.1 Marginalanalytische Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 3.2.2 Mathematische Programmierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 3.2.3 Computersimulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 3.2.4 Break Even-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 3.2.5 Heuristiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 3.2.6 Heuristische Stufenmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 4. Entscheidungsdilemmata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 5. Marketing-Mix-Budgetierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 5.1 Bezugsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 5.2 Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192

VII. Rechtsrahmen im Marketing

194

1. Gewerbliche Schutzrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 2. Unlauterer Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 3. Produkthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 4. Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 5. Allgemeine Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 6. Medienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 7. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 8. Vertrag und vertragliche Leistungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 9. UN-Kaufrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

14

Inhaltsverzeichnis Teilband I



B. Käuferverhalten im Marketing



I. Konsumentenverhalten

227

1. Grundlagen des privaten Kaufentscheids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 1.1 Entscheidungssituationen beim Kauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 1.2 Kaufentscheidungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 1.3 Entscheidungsregeln beim Kauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 1.4 Markenauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 2. Erklärungsmodelle des Konsumentenverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 2.1 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 2.2 Mechanikansätze zur Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 2.3 Soziologische Erklärungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2.3.1 Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2.3.2 Gruppenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 2.3.3 Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2.3.4 Rollenbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 2.3.5 Meinungsführerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 2.4 Psychologische Erklärungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 2.4.1 Emotion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 2.4.2 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 2.4.3 Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 2.4.4 Involvement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 2.4.5 Risikoempfinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 2.4.6 Lebensstil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 2.4.6.1 Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 2.4.6.2 Typologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2.4.7 Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 2.4.8 Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 2.4.9 Gedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 2.4.10 Gehirnstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 2.4.10.1 Neuromarketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 2.4.10.2 Entwicklungsgeschichte (Anthropologie) . . . . . . . . . . . . . . . 291 2.4.10.3 Gehirndominanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 2.5 Totalmodelle zur Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 2.6 Prozessmodelle zur Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 2.7 Simulationsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304

Inhaltsverzeichnis Teilband I

II. Organisationales Beschaffungsverhalten

15 306

1. Überblick über Entscheidungssituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 1.1 Kennzeichen geschäftlicher Transaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 1.2 Kaufsituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 2. Vertikale Partialmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 2.1 Buying Center-Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 2.2 Potenzialkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 2.3 Reagiererkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 2.4 Informationskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 3. Horizontale Partialmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 3.1 Selling Center-Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 3.2 Bonoma, Zaltman, Johnston-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 4. Totalmodelle zur Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 5. Interaktionsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 5.1 Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 5.2 Relationenkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 5.3 Netzwerkkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 6. Segmentierung im B-t-B-Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335



C. Marketinginformation



I. Erhebungsmethoden

339

1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 1.1 Begriffsabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 1.2 Einsatzfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 1.3 Arbeitsphasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 2. Erhebungsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 2.1 Institutsforschung als Träger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 2.2 Betriebsforschung als Träger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 3. Anforderungen an Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 4. Sekundärerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 4.1 Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 4.2 Datenquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 5. Auswahlverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359

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Inhaltsverzeichnis Teilband I 5.1 Vollerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 5.2 Teilerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 5.2.1 Stichprobengröße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 5.2.2 Stichprobengüte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 5.2.3 Repräsentanzvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 5.3 Zufallsauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 5.3.1 Reine Zufallsauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 5.3.2 Systematische Zufallsauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 5.3.3 Geschichtete Zufallsauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 5.3.4 Klumpenauswahl/Flächenauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 5.3.5 Sonderformen der Zufallsauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 5.4 Bewusstauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 5.4.1 Quota-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 5.4.2 Sonstige Verfahren der Bewusstauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 5.5 Verzerrungen bei der Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377

6. Primärerhebung durch Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 6.1 Mündliche Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 6.1.1 Gruppeninterview . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 6.1.2 Einzelinterview . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 6.1.3 Fragestrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 6.1.3.1 Fragearten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 6.1.3.2 Fragefunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 6.1.3.3 Fragetaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 6.2 Telefonische Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 6.3 Schriftliche Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 6.3.1 Beurteilung der schriftlichen Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 6.3.2 Hinweise zur Fragebogengestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 6.3.3 Ursachen des Rücklaufproblems und dessen Lösung . . . . . . . . . . . . . . 402 6.4 Kombinierte Befragungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 6.5 Computergestützte Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 6.5.1 Bildschirmbefragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 6.5.2 Computerbefragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 6.5.3 Computergestützte Telefonbefragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 6.6 Sonderform Omnibusbefragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 7. Primärerhebung durch Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 8. Primärerhebung durch Experiment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 8.1 Grundformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 8.2 Informale und formale Experimente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420

Inhaltsverzeichnis Teilband I

17

9. Online-Erhebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 9.1 Online-Auswahlverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 9.2 Online-Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 9.3 Online-Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 9.4 Online-Experiment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 9.5 Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 10. Spezielle Anwendungen der Marketingforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 10.1 Markttestverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 10.1.1 Regionaler Testmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 10.1.2 Testmarktsimulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 10.1.3 Storetest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 10.1.4 Mini-Markttest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 10.1.5 Elektronischer Mikromarkttest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 10.2 Kohortenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 10.2.1 Wellenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 10.2.2 Panelerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 10.2.2.1 Anlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 10.2.2.2 Verbraucherpanel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 10.2.2.3 Händlerpanel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453

II. Datenauswertung

459

1. Wahrheitsgehalt von Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 1.1 Reliabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 1.2 Validität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 1.3 Objektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 1.4 Signifikanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 2. Skalierungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 2.1 Skalenarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 2.2 Einstellungsbezogene Messung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 2.3 Präferenzbezogene Messung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 3. Statistische Datenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 3.1 Verfahrenseinteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 3.2 Univariate statistische Analyseverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 3.2.1 Lokalisationsparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 3.2.2 Dispersionsparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 3.2.3 Formparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 3.2.4 Konzentrationsparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 3.3 Bivariate Dependenzanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479

18

Inhaltsverzeichnis Teilband I 3.3.1 Kontingenzanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 3.3.2 Regressionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 3.4 Bivariate Interdependenzanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 3.4.1 Kreuztabellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 3.4.2 Korrelationsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 3.5 Multivariate Dependenzanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 3.5.1 Varianzanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 3.5.2 Diskriminanzanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 3.5.3 Kontrastgruppenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 3.5.4 Präferenzanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 3.6 Multivariate Interdependenzanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 3.6.1 Faktorenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 3.6.2 Clusteranalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 3.6.3 Multidimensionale Skalierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 3.6.4 Kausalanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515

4. Datenverdichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 4.1 Phasen der Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 4.2 Big Data . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 5. Datendarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 5.1 Strukturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 5.2 Schaubilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 5.3 Reporting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 6. Grenzen der Aussagefähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 6.1 Rechtliche Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 6.2 Ethische Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531

III. Absatzprognose

533

1. Prognosearten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 2. Prognosemodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 2.1 Intuitive Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 2.1.1 Naive Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 2.1.2 Prognostische Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 2.1.3 Delphi-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 2.1.4 Szenario-Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 2.2 Systematische Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 2.2.1 Deskriptive Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 2.2.1.1 Durchführungsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 2.2.1.2 Kurzfristige Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544

Inhaltsverzeichnis Teilband I

19

2.2.1.3 Langfristige Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 2.2.2 Analytische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 2.2.2.1 Regressions- und Korrelationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 551 2.2.2.2 Indikatorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 2.3 Mikroökonomische Datenprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 2.3.1 Markenwahlmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 2.3.2 Kaufeintrittsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 2.4 Hochrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 2.5 Markterwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 2.6 Grenzen der Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560 Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1:

Organisatorische Einordnungen des Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

Abbildung 2:

Perspektivwechsel der Marketingdefinitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

Abbildung 3:

Konfliktpotenziale im Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

Abbildung 4:

Marketingrelevante Gegensätze der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

Abbildung 5:

Phasen im Beziehungsmarketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

Abbildung 6:

Elemente des Beziehungsmanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

Abbildung 7:

Abgrenzung Kunden-, Markt- und Marketingorientierung . . . . . . . . . . 78

Abbildung 8:

Wichtige Anspruchsgruppen im Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

Abbildung 9:

Kriterien zur Marktsegmentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

Abbildung 10: Markeneigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Abbildung 11: Markenfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Abbildung 12: Horizontale Markentypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Abbildung 13: Vertikale Markentypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Abbildung 14: Absenderbezogene Markentypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Abbildung 15: Stufen der Positionsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Abbildung 16: Positionierungskreuz (Prinzipdarstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Abbildung 17: Positionierungsanlässe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Abbildung 18: Positionstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Abbildung 19: Einteilungen des Marketing-Mix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Abbildung 20: Unterschiedliche Marketing-Mix-Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Abbildung 21: Einteilung von Kaufobjekten nach Aspinwall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Abbildung 22: Einteilung von Kaufobjekten nach Miracle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Abbildung 23: Augmentiertes Produkt nach Kotler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Abbildung 24: Produkteigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Abbildung 25: Gütertypologie nach Markttransparenz und Kaufhäufigkeit . . . . . . . . . 172 Abbildung 26: Marketing-Mix-Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Abbildung 27: Steuerungsproblematik im Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Abbildung 28: Alternative Budgetierungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Abbildung 29: Stufen des Kaufprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Abbildung 30: Personenidentität Käufer – Nutzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Abbildung 31: Entscheidungsträger und -umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

Abbildungsverzeichnis

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Abbildung 32: Kaufentscheidungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 Abbildung 33: Alternative Entscheidungsregeln beim Kauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 Abbildung 34: Hierarchie der Markenauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Abbildung 35: Ansätze im Käuferverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Abbildung 36: Modelle im Konsumentenverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Abbildung 37: Mechanik des Zufallmodells (Beispiel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Abbildung 38: Abfolge der Klassischen Konditionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Abbildung 39: Einflussfaktoren auf das Kaufverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Abbildung 40: Soziologische Partialmodelle des Konsumentenverhaltens . . . . . . . . . . 242 Abbildung 41: Einteilung von Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Abbildung 42: Kaufentscheidungsanteile in der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Abbildung 43: Modelle der Meinungsführerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Abbildung 44: Psychologische Partialmodelle im Konsumentenverhalten . . . . . . . . . . 256 Abbildung 45: Maslows Bedürfnishierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Abbildung 46: Modelle des Involvements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Abbildung 47: Optionen zur Risikoreduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Abbildung 48: Soziale Milieus (2014) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Abbildung 49: Bausteine Euro Socio Styles (Mental Map) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Abbildung 50: Gedächtnismodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Abbildung 51: Neuromarketing-Gehirnmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Abbildung 52: Struktur des Engel/Kollat/Blackwell-Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Abbildung 53: Struktur des Howard/Sheth-Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Abbildung 54: Struktur des Nicosia-Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Abbildung 55: Individueller Adoptionsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Abbildung 56: Merkmale von Kaufklassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Abbildung 57: Matrix des Buygrid-Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Abbildung 58: Dreidimensionale Kauftypologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 Abbildung 59: Modelle des Organisationalen Beschaffungsverhaltens . . . . . . . . . . . . . 312 Abbildung 60: Funktionen im Einkaufsgremium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Abbildung 61: Struktur des Buying Center . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Abbildung 62: Dimensionen des Potenzialkonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 Abbildung 63: Interaktion nach dem Potenzialkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Abbildung 64: Verhaltensalternativen auf Anbieter- und Nachfragerseite . . . . . . . . . . . 322 Abbildung 65: Struktur des Bonoma/Zaltman/Johnston-Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Abbildung 66: Struktur des Webster/Wind-Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Abbildung 67: Struktur des Sheth-Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326

22

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 68: Struktur des Choffray/Lilien-Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Abbildung 69: Analyseansätze der Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 Abbildung 70: Begriffsabgrenzung Marktforschung/Marketingforschung . . . . . . . . . . 339 Abbildung 71: Anforderungen an Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 Abbildung 72: Alternative Entscheidungssituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 Abbildung 73: Auswahlverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 Abbildung 74: Verfahren der Zufallsauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Abbildung 75: Verfahren der Bewusstauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Abbildung 76: Quellen für Auswahlfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Abbildung 77: Formen der Primärerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Abbildung 78: Formen der mündlichen Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 Abbildung 79: Alternative Fragearten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 Abbildung 80: Alternative Fragefunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Abbildung 81: Computergestützte Befragungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 Abbildung 82: Parameter der Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 Abbildung 83: Bewusstseinsgrad der Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 Abbildung 84: Experimentalvariable . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 Abbildung 85: Experimentarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 Abbildung 86: Testdesigns für Vergleichsexperimente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 Abbildung 87: Testmarktergebnisauswertung (Beispiel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 Abbildung 88: Formen der Online-Marktforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 Abbildung 89: Testmarktersatzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Abbildung 90: Single Source-Mikromarkttest Haßloch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 Abbildung 91: Formen der Kohorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 Abbildung 92: Mögliche Panelteilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 Abbildung 93: Zusammenhang von Validität und Reliabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 Abbildung 94: Verfahren zur Einstellungsmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 Abbildung 95: Semantisches Differenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 Abbildung 96: Verfahren zur Präferenzmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 Abbildung 97: Statistische Analyseverfahren (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 Abbildung 98: Alternative Prognosemodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 Abbildung 99: Szenario-Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 Abbildung 100: Formen der systematischen Absatzprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 Abbildung 101: Markterwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559

Abkürzungsverzeichnis ABC Activity Based Costing (Kostenrechnungsverfahren) AbfG Abfallgesetz ADM Außendienstmitarbeiter AE Annoncen-Expedition (alt für Werbeagentur) Alkoholfreie Erfrischungsgetränke AFG AGB Allgemeine Geschäfts-Bedingungen AGMA Arbeits-Gemeinschaft Media-Analyse Arbeits-Gemeinschaft der Verbraucher AGV AHK Außenhandelskammer Activities, Interests, Opinions (Lebensstil) AIO AKA Ausfuhr-Kredit-Gesellschaft AMA American Marketing Association All Risks (Versicherungsklausel) AR AUMA Ausstellungs- und Messe-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft Added Value AV AV Audio-Vision BBS Bildschirmbefragungssystem Business Environment Risk Index BERI Betr.Verf.G. Betriebs-Verfassungs-Gesetz BGB Bürgerliches Gesetz-Buch BIP Brutto-Inlands-Produkt BPR Business Process Reengineering Business to Business B-t-B Business to Consumer B-t-C BuBaW Bestellung unter Bezugnahme auf Werbung BWL Betriebswirtschaftslehre CA Control Group afterwards CAD Computer Aided Design CAE Computer Aided Engineering CAM Computer Aided Manufacturing CAPI Computer Assisted Personal Interviewing CASI Computer Assisted Self Interviewing CATI Computer Assisted Telephone Interviewing CAWI Computer Assisted Web Interviewing CB Control Group before CBA Control Group before and afterwards CBS Computerbefragungssystem CBT Computer Based Training C & C Cash & Carry CD Corporate Design CEDAR Controlled Exposure Day after Recall

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Abkürzungsverzeichnis

CF Cash-flow CFROI Cash-flow Return on Investment CI Corporate Identity CIM Computer Integrated Manufacturing CIT Critical Incident Technique c.p. ceteris paribus Day after Recall DAR DAX Deutscher Aktienindex DB Deckungsbeitrag DCF Discounted Cash-flow Deutsche Industrie-Norm DIN DPP Direkte Produkt-Profitabilität DPR Direkte Produkt-Rentabilität DR-TV Direct Response Television Duales System Deutschland DSD DTP Desktop Publishing DVO Durchführungsverordnung EA Efficient Assortment Experimental Group afterwards EA EB Experimental Group before EBA Experimental Group before and afterwards EBV Elektronische Bild-Verarbeitung ECR Efficient Consumer Response EDI Electronic Data Interchange Electronic Data Interchange for Administration, Commerce and Transportation EDIFACT eG Eingetragene Genossenschaft EH Einzelhandel EN Europäische Norm Efficient Promotion EP EPI Efficient Product Introduction ERP Efficient Replenishment EU Einzelunternehmung E-V Einstellung-Verhalten EVP Endverbraucherpreis EVU Energie-Versorgungs-Unternehmen Film Funk Fernsehen FFF FiFo First in, first out Fast Moving Consumer Goods FMCG FMEA Fehler-Möglichkeits- und -Einfluss-Analyse Free from Particular Average (Versicherungsklausel) FPA Frequenz-Relevanz-Analyse für Probleme FRAP FuE Forschung und Entwicklung GE Geldeinheit GewO Gewerbeordnung GH Großhandel GI General Interest (Zeitschriftentyp) GRP Gross Rating Point (Medialeistungswert) German Trade and Investment (Bundesagentur für Außenwirtschaft) GTAI

Abkürzungsverzeichnis

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Global Trade Item Number (EAN) GTIN GWB Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen GWWS Geschlossenes Waren-Wirtschafts-System HF Hörfunk HGB Handelsgesetzbuch HiFo Highest in, first out International Air Transport Association IATA IBRD International Bank for Reconstruction and Development International Chamber of Commerce ICC IHK Industrie- und Handelskammer IKP Interessenten-Kontakt-Programm IMF International Monetary Fund IMP International Marketing and Purchasing Group ISDN Integrated Services Digital Network International Organisation for Standardization ISO IT Informations-Technologie I-TV Interactive Television IVW Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern Just in Time JiT KfW Kreditanstalt für Wiederaufbau KKP Kunden-Kontakt-Programm KKV Komparativer Konkurrenz-Vorteil Klein- und Mittelunternehmen KMU KrwG Kreislaufwirtschaftsgesetz KVA Kostenvoranschlag LEH Lebensmitteleinzelhandel Lifo Last in, first out LpA Leser pro Ausgabe Leser pro Exemplar LpE LpN Leser pro Nummer LSP Leitsätze für die Preisermittlung aufgrund von Selbstkosten LZ Lesezirkel MA Media-Analyse Madakom Markt-Daten-Kommunikation MDE Mobile Daten-Erfassung Multidimensionale Skalierung MDS MHD Mindesthaltbarkeitsdatum Multi Level Marketing MLM NBO Non Business Organisation Not invented here NIH NPO Non Profit Organisation NVE Nummer der Versandeinheit OCR Optical Character Recognition OECD Organisation for Economic Cooperation and Development ORI Operation Risk Index (BERI) OTH Opportunity to Hear OTS Opportunity to See Problem Detecting Method PDM

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Abkürzungsverzeichnis

Picture Frustration Test PFT PI Professional Interest (Zeitschriftentyp) PIN Persönliche Identifikations-Nummer PLU Price Look Up PORI Profit Opportunity Recommendation Index (BERI) POS Point of Sale Produktions-Planungs- und Steuerungs-System PPS PR Public Relations (Öffentlichkeitsarbeit) Political Risk Index (BERI) PRI PZ Publikumszeitschrift PZT Personen-Zuordnungs-Test QFD Quality Function Deployment QKZ Qualitätskennziffer Remittance and Repatriation Factor Index (BERI) RFI Recency Frequency Monetary Ratio RFMR SB Selbstbedienung SDR Same Day Recall SE Simultaneous Engineering Standardregelungen einheitlicher Datenaustausch SEDAS SET Satz-Ergänzungs-Test SGE Strategische Geschäftseinheit SGF Strategisches Geschäftsfeld SI Special Interest (Zeitschriftentyp) SINFOS Stammdateninformation S-I-R Stimulus-Information-Response S-O-R Stimulus-Organism-Response SPC Statistical Process Control SPSS Statistical Package for Social Sciences S-R Stimulus-Response SS Special Segment (Zeitschriftentyp) STEP Socio-cultural, Technological, Economical, Politcal-legal Source, Transmitter, Noise, Receiver, Destination STNRD Strenghts, Weaknesses, Opportunities, Threats SWOT TAT Thematischer Apperzeptions-Test TIR Transport International de Marchandise par la Route Total Quality Management TQM TZ Tageszeitung Unique Advertising Proposition UAP UCP Unique Communication Proposition UE Unterhaltungselektronik UMP Unique Marketing Proposition UPC Universal Product Code UPE Unverbindliche Preis-Empfehlung USP Unique Selling Proposition UWG Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb VADM Verkaufsaußendienstmitarbeiter VALS Values and Lifestyles Value Added Network VAN

Abkürzungsverzeichnis VM Verbrauchermarkt VO Verpackungsverordnung VOL Verdingungsordnung für Leistungen VPöA Verordnung über die Preise bei öffentlichen Aufträgen WAT Wort-Assoziations-Test WKZ Werbekostenzuschuss With Particular Average (Versicherungsklausel) WPO World Trade Organization WTO Zero Base Budgeting ZBB

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A. Marketing als Denkhaltung I. Konzeptionelle Grundlagen 1.

Inhalte des Marketing

Den Anfang allen Wirtschaftens bilden Bedürfnisse. Ein Bedürfnis ist das Empfinden eines Mangels und impliziert den Wunsch nach dessen Befriedigung. Natürlich sind nicht alle Bedürfnisse durch wirtschaftliche Güter zu befriedigen. Aber für viele, ursprünglich nicht-ökonomische Bedarfe stehen zwischenzeitlich wirtschaftliche Güter bereit. Ferner sind originäre und sozialisierungsbedingte Bedürfnisse zu unterscheiden. Letztere haben mittlerweile im Marketing die weitaus größere Bedeutung erlangt. Soweit diese Bedürfnisse durch Kaufkraft gestützt werden, entsteht ökonomische Nachfrage. Bedürfnisse ohne Kaufkraft sind wirtschaftlich unergiebig, es sei denn, es gelingt, sie mit fremder (oder fremd bevorschusster eigener) Kaufkraft zu versehen. Dies gilt bei personellem, zeitlichem und/oder räumlichem Auseinanderfallen von Bedarf und Kaufkraft. Nachfrage setzt sinnvollerweise immer Nutzenstiftung voraus. Die Nachfrage verkörpert sich dabei in Personen (unmittelbar oder als Vertreter für Organisationen) als potenziellen Käufern. Für die Vermarktung ist weiterhin Voraussetzung, dass dieser Nutzen sich in einem Produkt konkretisiert. Dessen Erfolgschancen sind allgemein umso größer, je intensiver das Nutzenversprechen scheint, je verbreiteter der durch das Produkt befriedigte Bedarf ist und je genauer ein Produkt diesen Bedarf abdeckt. Ein Produkt muss dabei nicht unbedingt gegenständlicher Natur, sondern kann auch abstrakt und immateriell sein (z. B. Dienstleistungen, Rechte). Damit sich Nachfrage in einem Produkt manifestieren kann, muss eine Transferbasis zum Austausch gegeben sein. Transaktionen beschränken sich allerdings keineswegs nur auf wirtschaftliche Güter, sondern betreffen generisch jedweden sozialen Austausch. Nachfrage allein genügt jedoch nicht, damit ein Austausch zustande kommt. Vielmehr bedarf es als Gegenpart eines Angebots, auf das Nachfrage abzielen kann. Der Transfer zwischen Angebot und Nachfrage kommt, neben Formen des Warentauschs, überwiegend durch Geld als Tauschmittel zustande. Damit ist neben dem Nutzen auch sein Preis ausschlaggebend für den Erfolg eines Angebots. Das Angebot wird ebenfalls von Personen (unmittelbar oder als Vertreter für Organisationen) als potenzielle Verkäufer verkörpert. Eine weitere Voraussetzung für den genannten Transfer ist ein Ort, an dem sich Nachfrage und Angebot treffen können. Dies ist der Markt. Ein Markt bildet sich überall, wo Nachfrage nach Befriedigung sucht und zeit- und raumgleich Angebot zur Verfügung steht. Außerdem auch dort, wo Nachfrage erst noch generiert werden muss

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A. Marketing als Denkhaltung

und Angebot nur gesichert versprochen werden kann. Dadurch wird der Transferprozess allgemein stimuliert. Marketing ist ein Teilbereich der Betriebswirtschaftslehre, die wiederum zu den Sozialwissenschaften gehört. Diese beschäftigen sich mit der Analyse menschlicher Handlungsmöglichkeiten als angewandte Wissenschaft und der Erklärung empirischer Wirklichkeitsausschnitte als reine Wissenschaft. Sie gehören zu den Geisteswissenschaften, die gemeinsam mit den Naturwissenschaften (Physik, Chemie, Biologie) die Realwissenschaften bilden, im Gegensatz zu Logik, Mathematik etc., die zu den Formalwissenschaften gehören und Philosophie, Theologie etc., die zu den Metawissenschaften gehören. ­ eneric Die allgemeinste Fassung des Marketing ist die unter dem Oberbegriff G Marketing. Dieser umfasst alle Transaktionen innerhalb der Gesellschaft, also jeglichen Austausch von Werten. Davon abzutrennen sind Transaktionen innerhalb der Privatsphäre, die im Marketing vordergründig nicht interessieren. Bleiben also Transaktionen innerhalb der Sozialsphäre. Diese werden unter dem Ober­ begriff Social Marketing zusammengefasst, der sowohl altruistische als auch ökonomische Inhalte abdeckt. Insofern ist weiterhin zu unterscheiden zwischen Non Business Marketing, das gemeinnützige, hoheitliche, ideelle Inhalte verfolgt, und Business Marketing, das egoistische, betriebliche, kommerzielle Inhalte verfolgt. Letzteres kann zusätzlich in Corporate Marketing und Instrumental Marketing unterteilt werden. Corporate Marketing betrifft die adressatenorientierte Unternehmensführung als institutionale Absatzwirtschaft, befasst sich von daher also mit der Darstellung des Unternehmens in der Marktöffentlichkeit. Instrumental Marketing hingegen betrifft die adressatenorientierte Marktbeeinflussung als funktionale Absatzwirtschaft, stellt also den Maßnahmenaspekt in den Vordergrund. Aktivitäten können dabei sowohl auf den Einkauf als auch auf den Verkauf gerichtet sein. Ersteres betrifft das Beschaffungsmarketing für Personal, Betriebsmittel, Finanzen, letzteres das Absatzmarketing von Gütern und Diensten des eigenen Unternehmens am Markt. Im Zeitablauf gab es dabei wechselnde ökonomische Engpässe. Da war zunächst der Engpass der Leistungserstellung, der durch Produktion mit Hilfe von Dampferzeugung und Elektrizität rasch überwunden wurde. Dann der Engpass der Beschaffung von Rohstoffen, der elegant durch Kolonialisierung gelöst wurde, von Finanzmitteln, der durch Bildung von Kapitalgesellschaften ausgeschaltet wurde, und von Personal, der durch Ausbildungsmaßnahmen im Wesentlichen beseitigt wurde. Damit aber trat historisch der Engpass der Leistungsverwertung in Kraft. Leider limitiert der Engpass den gesamten wirtschaftlichen Erfolg. Das heißt, selbst ein Überschuss an Produktion, Rohstoff, Kapital und Personal führt zu keinem besseren Betriebsergebnis, solange ein Mehrabsatz von daraus resultierenden Gütern nicht gewährleistet ist. Dies setzt aber einen aufnahmefähigen Markt voraus, wie er eher für Zeiten des Mangels als des Überflusses zutrifft. In Mangelzeiten, wie vor gar nicht so langer

I. Konzeptionelle Grundlagen

31

Zeit noch für die Neuen Bundesländer typisch, sind die Anstrengungen, die Nachfrager unternehmen müssen, um in den Besitz gewünschter Waren zu gelangen, größer als die der Anbieter. Man spricht von einer Verkäufermarktsituation. Nachfrager stehen Schlange, um ein Angebot zu ergattern, müssen den taktisch besten Zeitpunkt erwischen, ihre geringe Chance wahrzunehmen und sind schließlich sogar bereit, dafür unverhältnismäßig hohe Preise zu bezahlen. Umgekehrt hat die Anbieterseite die Gewissheit, dass sie ihre Güter und Dienste beinahe unabhängig von deren Qualität und Preis in jedem Fall losschlagen kann. Es ist unmittelbar einleuchtend, dass sie sich unter diesen Bedingungen Marketinganstrengungen getrost erspart. Glücklicherweise haben die entwickelten Industrienationen diesen Zustand jedoch mehr oder minder weit hinter sich gelassen. Die Realität ist die des Käufermarkts. Nunmehr müssen Anbieter, zumal im Parallelwettbewerb zueinander, versuchen, Nachfrager an ihr Produkt zu binden, neu zu akquirieren oder vom Mitbewerb wegzulocken, während die Nachfrageseite bequem verschiedenste Angebote vergleichen und das bevorzugte auswählen kann. Marketing muss dabei dafür Sorge tragen, dass das eigene Unternehmen gegen konkurrierende andere bei Abnehmern zum Zuge kommt. Ansonsten wenden diese sich Mitbewerbern zu. Marketing wird damit überlebenswichtig für jedes erfolgreiche Unternehmen. Damit aber wird Marketing zum Engpass für den Geschäftserfolg. Fortschrittliche Unternehmen haben dies erkannt und räumen der Marketingfunktion Prio­ rität innerhalb ihrer Organisation ein. Da im Marketing Menschen im Mittelpunkt stehen, kommen Optimierungsverfahren kaum in Betracht. Denn Menschen sind, glücklicherweise, nicht berechenbar, sie denken nicht rational, sondern zutiefst emotional. Und deshalb bleibt Marketing letztlich die Folge von Versuch und­ Irrtum. Man testet den Erfolg von Marketingmaßnahmen am Markt und behält diese bei, sofern sich der gewünschte Erfolg einstellt, oder verändert sie solange, bis man zum gewünschten Erfolg kommt. Leider ist auch dann noch keine Ruhe, weil stetige Veränderungen der Umfeldbedingungen dafür sorgen, dass Voraussetzungen, die gestern noch Erfolg zeitigten, diesen heute schon wieder vermissen lassen. Insofern handelt es sich um einen kontinuierlichen Prozess aus Vorstoß und Verfolgung (Challenge & Response). Nun findet Marketing auf ganz verschiedenartigen Märkten statt. Der Konsumgütermarkt ist der Markt für den privaten Ge- und Verbrauch an Gütern im Haushalt. Der Industriegütermarkt ist der Markt für Produkte, die von Unternehmen zum Zweck der längerfristigen Nutzung nachgefragt und für die Produktion anderer Produkte eingesetzt werden. Der Dienstleistungsmarkt ist der Markt für selbstständige (produktunverbundene) Verrichtungen gegen Entgelt, wobei diese personenzentriert oder anlagenzentriert ausgelegt sein können. Der Institutionaldienstemarkt ist der Markt für hoheitliche Aufgaben, die vom Staat oder von quasistaatlichen Stellen getragen werden, weil sie privaten Anbietern nicht zugemutet werden können oder sollen. Diese Einteilung ergibt sich, wenn man die Objekte als Einteilungskriterien für Marktarten zugrunde legt.

32

A. Marketing als Denkhaltung

Es können aber auch Funktionen als Einteilungskriterien für Marktarten zugrunde gelegt werden. Der Beschaffungsmarkt ist dann der Markt für Trans­ aktionen, die der Versorgung des Unternehmens mit Potenzialfaktoren dienen. Der Auslandsmarkt ist der Markt für grenzüberschreitende Aktivitäten innerhalb des Marketing. Der Sozialmarkt ist der Markt für ideelle Güter, die nicht wirtschaftlich und/oder nicht gewinnorientiert sind, sondern der Erfüllung gesellschaftlicher Anliegen dienen. Und der Handelsmarkt ist der Markt für den Wiederverkauf von Waren ohne deren wesentliche Be- oder Verarbeitung an Dritte.

2.

Entwicklung des Marketing

Mit Marketing werden allgemein alle Vorgänge bezeichnet, die zur zielorientierten Anbahnung, Erleichterung, Abwicklung und Bewertung dieses Austauschs von ideellen und materiellen Werten zwischen Parteien gehören. Aus diesem Blickwinkel ist das ganze Leben durchsetzt von Marketing. Damit handelt es sich um eine Vorgehensweise, der praktische alle Menschen automatisch folgen. Umso erstaunlicher ist es, dass Marketing ein vergleichsweise junger wissenschaftlicher Erkenntniszweig ist. So ist es für jeden Gebrauchtwagenverkäufer selbstverständlich, dass er sein Auto vor dem Angebot noch einmal gründlich wäscht und poliert, damit es schön dasteht und einen höheren Preis erlöst. Und wenn man zum Rendezvous mit seiner neuen Freundin/seinem neuen Freund geht, achten beide Seiten für gewöhnlich peinlich darauf, attraktiv auszusehen, gut zu duften und eine kleine Aufmerksamkeit dabei zu haben. Schließlich ist für jedermann einsichtig, dass eine Gefälligkeit eher dann erbracht wird, wenn höflich darum gebeten, statt dass sie unsensibel eingefordert wird. Diesen alltäglichen Beispielen liegt nichts anderes zugrunde als eine Marketingdenkweise. Alle Maßnahmen des Marketing zielen somit direkt oder indirekt auf die Forcierung des Austauschs zwischen Nachfrage und Angebot ab. Am Anfang stand noch die Betonung des Verkaufsvorgangs (Marketing als Distributionsfunktion). Als dies nicht mehr ausreichte, kam es zur Betonung der Endabnehmer (Marketing als Pull-Funktion) als Nachfrager von Leistungen. Nachdem sich auch dies immer mehr Anbieter zueigen gemacht hatten, wurde, vor allem im Bereich der schnelldrehenden Konsumgüter (FMCG’s), der für die absatzpolitische Entwicklung trendsetzend ist, eine Betonung der Absatzmittler erforderlich (Marketing als Push-Funktion), um den Absatzkanal zu steuern. Danach kam es angesichts stagnierender Marktvolumina, die den eigenen Erfolg nur noch zulasten des direkten Mitbewerbs erlauben, zu einer Betonung der Wett­ bewerbssicht (Marketing als Konkurrenzverdrängungsfunktion). Marketing setzt zu seiner Berechtigung mindestens zwei Parteien als gegeben voraus. Jede Partei muss dabei etwas haben, was für die andere von Wert ist, normalerweise die eine Partei Ware irgendeiner Art und die andere Geld irgendeiner Form. Die beiden Parteien müssen miteinander in Kontakt treten und das Tausch-

I. Konzeptionelle Grundlagen

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objekt abgeben bzw. annehmen können, was voraussetzt, dass sie zu Aktivitäten bereit sind. Dieser Tausch findet auf einem Markt statt, der damit auch konstitutive Voraussetzung für jedes Marketing ist. Jede Partei muss frei in der Annahme oder Ablehnung des Tauschobjekts sein. Dabei nimmt jede Partei in Kauf, dass sie jedes Tauschobjekt nur einmal erhalten bzw. abgeben kann, die Anzahl möglicher Tauschakte also insofern begrenzt ist. Marketing beruht damit im Kern auf zwei Prinzipien: • Das Gratifikationsprinzip besagt, dass ein Austausch zwischen ­Marktpartnern nur stattfindet, wenn dieser für beide Parteien vorteilhaft ist. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass Gratifikationen die maßgeblichen Antriebskräfte menschlichen Verhaltens sind. • Das Knappheitsprinzip besagt, dass beim Streben nach Austauschprozessen die Kapazitätsengpasssituation in der Bereitstellung von Tauschobjekten das Verhalten der Parteien bestimmt (z. B. in Form der Preisbildung). Es gibt jeweils mehrere mögliche Tauschpartner, aber nur ein Partner (durchaus auch Personenmehrheit oder juristische Person) kann Eigentümer werden. Derjenige Akteur, der eine bestimmte Verhaltensreaktion beim anderen zu erreichen sucht, ist der Initiator der Transaktion, der andere sein Transaktionspartner. Beim Initiator kann es sich neben Unternehmen auch um nicht-erwerbswirtschaftliche Organisationen, private Personengruppen oder Individuen handeln. Transaktionspartner können intern (Internes Marketing) oder extern angesiedelt sein. Beschaffungs- und Absatzmärkte bezeichnet man dabei oft als Umwelt  I (nach Raffée), Gesellschaft und Umwelt als Umwelt II. Transaktionen mit der Umwelt I sind meist ökonomischer, solche mit der Umwelt II meist nicht-ökonomischer Art. Wird dabei auf einzelbetriebliche Ziele abgestellt, spricht man von Mikro-Marketing, wird auf überbetriebliche Ziele abgestellt, von Makro-Marketing. Die Ursprünge der Marketingentwicklung liegen in Deutschland in der Handelsbetriebslehre. In Leipzig, Wien, St.Gallen und Köln gab es die ersten Hochschulen, die sich mit dem, was man heute unter Marketing subsumiert, beschäftigten, als Handelshochschulen. Dies liegt auch nahe, wird doch die abstrakte Marktleistung kaum irgendwo sonst so konkret alltäglich erlebbar wie im Handel. Aus diesen Anfängen zur Jahrhundertwende entwickelte sich dann etwa 1­ 925–1970 die Absatzwirtschaftslehre, wesentlich verbunden mit dem Namen Erich Gutenberg. Im Mittelpunkt der Absatzwirtschaft stand die Distributionsfunktion als Verkaufsvorgang, also die Verwertung der wie auch immer erstellten Unternehmensleistung zur Liquidierung am Markt. Zwischen etwa 1965–1985 ergab sich daraus, aufbauend auf amerikanischen Ansätzen (Kotler), die Marketinglehre, hier zulande wesentlich verbunden mit dem Namen Heribert Meffert. Sie stellte erstmals ein in sich geschlossenes Konzept zur Marktbearbeitung dar, das die Ausrichtung aller Aktivitäten auf die Nachfrageseite postulierte, weil dies als Engpass für den Unternehmenserfolg identifiziert wurde. Ab etwa 1980 wurde dieser Ansatz ent-

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A. Marketing als Denkhaltung

scheidend dadurch erweitert, dass eine Marketingsichtweise als Maßgabe für jede strategische Ausrichtung angesehen wurde, eben als Marketing-Management, um damit entscheidende kompetitive Angebotsvorteile zu erreichen. Aktuell schließlich wird Marketing als marktorientiertes Führungskonzept verstanden, das die Ausrichtung des gesamten Unternehmens auf sein Vermarktungsumfeld umfasst, also alle Anspruchsgruppen integriert. Dabei wird von der passiven Marktanpassung zunehmend abgerückt in Richtung der aktiven Marktgestaltung. Stand also am Anfang noch der betriebliche Verkaufsvorgang als solcher im Vordergrund, so wurde angesichts stagnierender Marktumfelder schnell klar, dass der eigene Erfolg nur zulasten der direkten Konkurrenten möglich wird, also eine Wettbewerbsorientierung erforderlich ist. Die Bewertung der eigenen Leistung durch Nachfrager wird insofern immer relativ zu den Leistungen der Wettbewerber vorgenommen, innerbetriebliche Orientierungen reichen daher mitnichten aus. Dies erfordert die Fokussierung auf die Nachfrage, verkörpert durch Kunden, in der Geschäftstätigkeit. Darauf sind dann alle anderen betrieblichen Aufgaben auszurichten. Gleich, welcher Sichtweise man auch anhängt, Marketing ist immer eine Grundhaltung, die sich mit der konsequenten Ausrichtung aller unmittelbar und mittelbar den Markt berührenden Entscheidungen an den Bedürfnissen der Abnehmer umschreiben lässt. Durch planmäßiges Vorgehen und institutionalisierte Wahl von Alternativen kommt es so zu einer fundierten Entscheidungsfindung. Absicht ist dabei die Schaffung von Präferenzen und damit Wettbewerbsvorteilen durch planvolle Marktbeeinflussung mittels absatzpolitischer Instrumente und deren kombinierten Einsatzes.

3.

Implementierung des Marketing

3.1

Nicht-integriertes Marketing

Die Nachkriegszeit war in der gesamten westlichen Welt durch ein scheinbar unbegrenztes Wachstum gekennzeichnet. Über mehr als drei Jahrzehnte hinweg nahm das Wohlstandsniveau der Bevölkerung unaufhaltsam zu. Zunächst waren die Märkte durch das Bestreben zum Nachholkonsum für die Entbehrungen der Vergangenheit geprägt. Es wurde beinahe undifferenziert alles gekauft, was es zu kaufen gab, es herrschte ein klassischer Verkäufermarkt vor. Später, in den 1960er Jahren, wurde dieser Trend abgelöst durch den Edelkonsum, der schon ein selektiveres Kaufverhalten aufzeigte. Der Konsumbereich war bereits durch ein hohes Ausstattungsniveau gekennzeichnet. Zur Finanzierung dieses Konsums nahmen die Haushalte Kredite auf, was ökonomisch auch klug war. Denn durch die Übernachfrage war die Wirtschaft durch Inflation gekennzeichnet, Kredite bedeuteten also, dass man mit „gutem“, werthaltigen Geld heute Konsum finanzieren, und seine Schulden mit „schlechtem“, inflationsgeschädigten Geld morgen zurückzahlen konnte.

I. Konzeptionelle Grundlagen

35

Die enorme Endverbrauchernachfrage im Binnenmarkt wie, beinahe noch stärker, im Export, war der wesentliche Wachstumsmotor für die gesamte Wirtschaft. Denn Nachfrage auf der Endabnehmerstufe führte auf allen vorgelagerten Stufen zu mehr Beschäftigung, damit zu Kaufkraft bei Arbeitnehmern und Investitionsmitteln für Unternehmer. Diese kurbelten die Nachfrage auf den Konsum- und allen in der Wertschöpfungskette vorgelagerten Märkten weiter an, was zu noch mehr Wohlstand führte. Anfang der 1970er Jahre schien das, abgesehen von einer Konjunkturdelle 1966, aber weiter angetrieben durch Kriegswirtschaft, unendlich so weiter gehen zu können. Dass es in einer solchen Situation keiner Betonung der Vermarktung bedurfte, ist klar. Der Engpass der einzelwirtschaftlichen Entwicklung lag vielmehr in der Produktion verkaufbarer Güter und in der Beschaffung von Rohstoffen, Finanzmitteln und Arbeitskräften für diese Produktion. Folglich suchte man auch in der Unternehmensorganisation vergeblich nach einer Marketingfunktion. Abgesehen davon, dass dieser Begriff damals nur Insidern bekannt und in der betrieblichen Praxis so gut wie überhaupt nicht verbreitet war, gab es auch keine Notwendigkeit, besonderes Augenmerk auf die Vermarktung zu legen. Vielmehr waren Ressourcen weitaus besser in der Erstellung von Waren eingesetzt als in deren Vermarktung. Dennoch waren naturgemäß absatzwirtschaftliche Funktionen zu übernehmen, nur waren diese verschiedenen Abteilungen im Unternehmen, jedoch unverbunden, zugeordnet: • Finanzen/Investition befasste sich z. B. mit Fragen der Absatzfinanzierung. • Personal/Organisation übernahm z. B. die Auswahl des Verkaufspersonals. • Produktion/Qualitätssicherung verantwortete z. B. die Produktentwicklung. • Controlling/Planung führte z. B. regelmäßige Absatzerfolgskontrollen durch. • Rechnungswesen/Kostenrechnung war z. B. für die Preisfindung zuständig. • Materialwirtschaft/Logistik beinhaltete z. B. die Absatzlogistik als Teilfunktion. • Information/EDV betrachtete sich z. B. als für Marktforschungsfragen zuständig. Daneben vollzog sich in der Vertriebsabteilung die konkrete Absatzförderung. Die verteilte Zuordnung dieser einzelnen Teilfunktionen indizierte den geringen Stellenwert, den man absatzwirtschaftlichen Aufgaben zumaß. Das sollte sich jedoch im Zeitablauf ändern (siehe Abbildung 1).

36

A. Marketing als Denkhaltung

Abbildung 1: Organisatorische Einordnungen des Marketing

3.2

Marketing als Hilfsfunktion des Vertriebs

Erste Irritationen über die Fortentwicklung der Wirtschaft tauchten auf, als 1972 der Club of Rome seine heute berühmte Studie über die Grenzen des Wachstums (Limits to Growth) vorlegte. Darin wurde aufgezeigt, dass der wirtschaftliche Aufschwung der Vergangenheit sich schon aus rein pragmatischen Gründen der Rohstoffversorgung nicht in der Zukunft so fortsetzen konnte. Diese Prognosen wurden damals allerdings in Zweifel gezogen, so dass sie keine Wirkung hinterlassen konnten. Dafür gab es eine umso drastischere Wirkung infolge des Sieben-Tage-Kriegs (Jom Kippur) zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn. Letztere waren, und sind es heute noch, in der Organisation ölexportierender Staaten zusammengeschlossen (OPEC), und konterten als Rache für eine vermutete Unterstützung der siegreichen israelischen Armee durch die westlichen Staaten mit einer starken Drosselung der Ölförderung. Die Folge war eine Explosion der Rohölpreise mit steigenden Benzinpreisen an den Tankstellen hierzulande und Unterversorgung in den europäischen Nachbarländern mit Höchstpreisverordnungen, deren Belieferung von den internationalen Ölkonzernen weitgehend gemieden wurde. Es kam später zu den legendären autofreien Sonntagen mit den Radfahrern auf der linken Spur der Autobahn. Das Drama löste sich bald auf, weil angesichts der hohen Ölpreise die Gier nach mehr Einnahmen durch höhere Ölförderung stärker war als der Sinn für politische Rache. Dennoch ist diese 1. Ölkrise ein dramatischer Wendepunkt in der Geschichte, denn zum ersten Mal wurde klar, dass das Wachstum in der westlichen Welt auf tönernen Füssen stand und ausgesprochen anfällig für Irritationen war.

I. Konzeptionelle Grundlagen

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Die Unternehmen sahen zudem den Zwang, die gestiegenen Rohstoffkosten auch durch verarbeitete Mineralölprodukte wie Kunststoffe, Pharmazeutika etc. durch Einsparungen an anderer Stelle zu kompensieren. Dazu zwang allein schon der internationale Wettbewerb. Als wesentliches Einsparpotenzial wurden die Lohn- und Lohnnebenkosten identifiziert. Denn infolge der Inflation waren die Tarifabschlüsse über Jahre hinweg sehr hoch ausgefallen, hinzu kamen soziale Wohltaten, die sich bis zum heutigen Tage als letztlich nicht finanzierbar herausstellen. Daher kam es zum Ersatz von Arbeitskräften durch Maschinen, also arbeitssparenden technischen Fortschritt. Die Folgen waren katastrophal und sind bis zum heutigen Tage nicht beherrschbar. Es kam zu Massenentlassungen, die bei Arbeitnehmern die Ungewissheit über ihre Arbeitsplatzsicherheit verstärkten. Im Vorgriff bauten die Haushalte daher Kreditengagements ab und schränkten ihre Nachfrage ein, um Rücklagen für noch schlechtere Zeiten zu bilden. Dieser Nachfrageeinbruch auf dem Konsummarkt setzte sich auf allen vorgelagerten Wirtschaftsstufen fort und führte dort ebenfalls zu geringerer wirtschaftlicher Aktivität, mit der Folge von Entlassungen, Kaufkraftausfall und weiterer Aktivitäteneinschränkung. 1977 war zum ersten Mal in der Nachkriegszeit die Zahl der Arbeitssuchenden höher als die der offenen Stellen. Unternehmen suchten Nachfrageausfälle im Inland auf Auslandsmärkten auszugleichen. Da Handelshemmnisse immer weiter abgebaut wurden, kam es auch zu einer verstärkten Präsenz ausländischer, vor allem japanischer Anbieter auf dem Inlandsmarkt, so dass sich die stagnierende Nachfrage immer mehr Anbietern gegenüber sah. Es entstand ein Käufermarkt. Es leuchtet ein, dass in einer solchen Situation die Vermarktung hergestellter Produkte von zentraler Bedeutung wird. Die Unternehmen reagierten darauf mit einer Stärkung der Vertriebsfunktion, denn augenscheinlich wurde der Absatz zum Engpass des Unternehmenserfolgs. Das Augenmerk lag aber nur auf der reinen Transaktion zwischen Anbieter und Nachfrager, vor- und erst recht alle nachbereitenden Aktivitäten, wie sie Inhalt des Marketing aus heutiger Sicht sind, wurden als weniger bedeutsam eingestuft. Folglich wurde Marketing als Hilfsfunktion des Vertriebs in den Unternehmensorganisationen installiert: • Zu den Kernfunktionen des Vertriebs gehörten dabei u. a. die Absatzfinanzierung, die Verkaufspersonalauswahl, die Verkaufsförderung, die Absatzlogistik, die Werbung, die Reklamationsabwicklung, der Kundendienst etc. • Als eine dieser Teilfunktionen wurde die Absatzvorbereitung angesehen, die sich mit den Inhalten beschäftigte, die man heute typischerweise unter den Begriff Marketing subsumieren würde. Damit war immerhin der Bedeutung der Absatzvorbereitung (Vorkaufphase) gegenüber der Konzentration auf die Verkaufsabwicklung (Transaktionsphase)

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A. Marketing als Denkhaltung

Rechnung getragen. Von einer ausreichenden Gewichtung der verkaufsbegleitenden Aufgaben gegenüber den rein verkaufsdurchführenden konnte bis dato allerdings immer noch keine Rede sein. 3.3

Marketing und Vertrieb als gleich berechtigte Funktionen

Die Stagnation der Märkte und der verschärfte internationale Wettbewerb ließen in den 1980er Jahren keine merkliche Besserung der einzelbetrieblichen Situation mehr zu. Daher begann man, sich Gedanken darüber zu machen, wie man Kunden bereits im Vorfeld einer Kaufentscheidung für das eigene Angebot einnehmen und gegen konkurrierende Angebote immunisieren könnte. Dabei wurde das marketingpolitische Instrumentarium als probates Mittel der Beeinflussung identifiziert. Es sollte bereits im Vorfeld des Kaufs zu einer Beeinflussung potenzieller Käufer zu eigenen Gunsten führen. Diese Bedeutung der Absatzvorbereitung führte zu einer Aufwertung der Marketingfunktion innerhalb der Unternehmen. Marketing trat als gleich berechtigte Funktion neben den Vertrieb und erklärte primär den vorverkaufenden, aber auch den nachverkaufenden Bereich als seine Domäne. Die Aufbauorganisation unterteilte sich folglich allgemein in vier große Gruppen von Funktionen: • Erstens die Gruppe der dem Absatzmarkt fernen Funktionen, z. B. für Beschaffung, Finanzen/Investition, Personal/Organisation, Materialwirtschaft, Bilanzen/ Steuern. • Zweitens die Gruppe der eher marktfernen Funktionen, in denen dennoch Marketingaufgaben übernommen werden, z. B. Produktion/Qualitätssicherung in Bezug auf die Produktentwicklung, Controlling/Planung in Bezug auf die Absatzerfolgskontrolle, Rechnungswesen/Kostenrechnung in Bezug auf die Preisfindung oder Information/EDV in Bezug auf die Marktforschung. • Drittens die Vertriebsfunktion, zentral verbunden mit Aufgaben wie z. B. Verkaufspersonalauswahl, Absatzlogistik, Reklamationsabwicklung etc. • Viertens die Marketingfunktion mit zentralen Aufgaben wie z. B. Werbung, Absatzvorbereitung, Verkaufsförderung und Kundendienst. Dass dieses Nebeneinander von Marketing und Vertrieb einer konvergenten Arbeitsweise nicht gerade dienlich ist, scheint einleuchtend. Zumal bei vielen Auf­ gaben substanziell fraglich ist, ob sie eher der einen oder eher anderen Gruppe zugeordnet werden sollen. Denn tatsächlich handelt es sich um integrierte Aufgaben, deren Trennung nur künstlich vorgenommen werden kann, dann aber unter Hinnahme von Effizienz- und Effektivitätsverlusten.

I. Konzeptionelle Grundlagen

3.4

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Integriertes Marketing

Zunehmend dämmerte es den Unternehmen, dass die Kunden als „externer­ Faktor“ so ziemlich die einzige Einflussgröße darstellten, auf die sie nicht unmittelbar Zugriff nehmen konnten. Alle anderen Erfolgsfaktoren mussten ohnehin beherrscht werden, um im immer härteren Wettbewerb standhalten zu können. Zur Bearbeitung des zentralen Erfolgsfaktors „Kunde“ aber stand nur der MarketingMix zur Verfügung. Marktorientiert agierende Unternehmen reagierten darauf damit, dass sie den Vertrieb konsequenterweise als ein Instrument des Marketing-Mix verstanden (Distributionspolitik) und dementsprechend der Marketingfunktion organisatorisch unterordneten. Es kam zu einer integrierten Marketingfunktion. Diese ist heute bei allen Unternehmen, die etwa im Konsumgüterbereich tätig sind, un­ erlässlich. Viele Unternehmen hingegen, die in der Marktorientierung, trotz anders lautender Statements, offensichtlich noch nicht so weit fortgeschritten sind, leisten sich heute noch den Anachronismus einer Vertriebsfunktion in mehr oder minder gleicher Berechtigung neben der Marketingfunktion. Diese künstliche, dem organischen Aufbau der Marketingdenkweise widersprechende Trennung ist denn auch praktisch steter Quell für Querelen. Selbst dort, wo funktionale Marketingabteilungen installiert sind, wird deren Tätigkeit immer noch vordergründig mit Vertrieb gleichgesetzt. So treten beim Stichwort Marketing häufig zuerst die Assoziationen von Verkauf, Akquisition und Abschluss zutage. Dies ist aber in den heutigen Märkten beinahe die leichtere Übung gegenüber der Absatzvorbereitung. So können zwei große Gruppen von Aufgabenbereichen unterschieden werden: • Erstens die eher marktfernen Funktionen wie z. B. Finanzen/Investition, Personal/Organisation, Produktion/Qualitätssicherung, Controlling/Planung, Rechnungswesen/Kostenrechnung, Materialwirtschaft/Logistik, Information/EDV, Bilanzen/Steuern. Eine gewisse Sonderstellung nimmt hier die Beschaffung ein, da sie zwar durchaus marktnah, aber im Lieferantenmarkt agiert. Die Marketingaufgaben sind aus diesen Bereichen herausgenommen und in der Marketingabteilung zusammen gefasst. • Zweitens die zentrale Funktion des Marketing mit Aufgaben wie z. B. Produktund Programmgestaltung, Preis- und Konditionenbestimmung, Kommunika­ tions- und Identitätswahrung, Marketingforschung, Marketingstrategie, Marketingcontrolling, After Sales Service. Hinzu tritt die Teilfunktion des Vertriebs in Form des Distributions- und Verkaufsvollzugs.

40 3.5

A. Marketing als Denkhaltung

Verteilte Marketingfunktionen

Der Engpass des Marketing als Anwalt des Kunden führt heute dazu, dass zunehmend eine Orientierung aller Abteilungen im Unternehmen, auch derjenigen, die vorgeblich marktfern agieren, an den Kundenbedürfnissen erforderlich ist. Es ist einleuchtend, dass es für ein schlagkräftiges Konzept der Marktorientierung nicht ausreicht, diese nur für die Marketingabteilung zu postulieren, wenn das Konzept in den übrigen Teilen des Unternehmens nicht konsequent umgesetzt oder gar konterkariert wird. Eine solche, und sei es auch primäre, Konzentration springt daher zu kurz. Außerdem wird aus dem Vorhandensein einer Marketingabteilung in anderen Abteilungen leicht darauf geschlossen, dass entsprechend kundenorientierte Aktivitäten sich für diese erübrigen. Dies reicht aber mitnichten aus. Die strikte Kundenorientierung führt nunmehr dazu, dass die Marketing-Denkweise aus dem Marketingbereich herausgelöst und auf alle betrieblichen Funktionen übertragen wird, d. h., die Kundenorientierung ist selbstverständliche Zielgröße auch für eher marktfern agierende Unternehmensbereiche geworden. Besonders deutlich wird dies im Rahmen der Produktion durch Qualitäts- und Prozessorientierungskonzepte. Insofern ist eine verteilt vorrangige Stellung von Marketing in allen Funktionen gegeben („Everybody’s in Marketing“). Die Vergabe von Kompetenzen, die in engem Bezug zum Marketing stehen, an andere als die Marketingabteilung wird daher auf den ersten Blick häufig als eine Schwächung des Marketing interpretiert. Dies ist aber bei näherer Auseinandersetzung keineswegs der Fall. Vielmehr folgt daraus im Gegenteil eine Stärkung des Marketing, indem der kundenorientierte Gedanke über die Grenzen der Fach­ abteilung hinaus in das gesamte Unternehmen getragen wird. So trägt die Betonung der produktions-(japanische Managementtechniken) und ressourcenorientierten Aktivitäten (Kernkompetenzmanagement) im Kern das Gedankengut des Marketing. Die Produktion soll dabei so ausgerichtet werden, dass nicht mehr interne, faktorbezogene Gesichtspunkte im Vordergrund stehen, sondern externe, marktbezogene (z. B. in Form kürzerer Lieferzeiten, höherer Qualität oder zweckgerechterer Produkte). Die Kernkompetenz korrigiert die dominante Wettbewerbsvorteilsorientierung der Vergangenheit, bei der die eigene Strategie vornehmlich von den Strategien des Mitbewerbs geleitet wird, um den Fokus der autonomen Ausrichtung des Unternehmens in einer Art und Weise, wie es die von Kunden am besten honorierten Leistungen erbringt. Mithin steht auch beim „Inside out“ die Kundenorientierung im Mittelpunkt.

I. Konzeptionelle Grundlagen

4.

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Marketingsichtweisen im Zeitablauf

Marketing hat binnen relativ kurzer Frist eine dynamische Entwicklung genommen. Bis vor gar nicht so langer Zeit sprach man noch von Absatzwirtschaft o. Ä. Der Ausgangspunkt liegt sicherlich in den 1950er Jahren bei Domizlaffs Markentechnik, d. h. der Notwendigkeit der strategischen Profilierung von Markenartikeln mit Hilfe von Produkt- und Markenimages. Damit kann ein mehr oder minder standardisiertes Massengut zum Markenartikel mit eigener Identität und interessanter Persönlichkeit stilisiert werden. Insofern bedeutet Marketing verkürzt auch Marken schaffen und Marken pflegen. Denn Marketing für einen Nicht-Markenartikel ist kaum denkbar, und wo doch probiert, weitgehend zum Scheitern oder zur Preisaggressivität verurteilt. Die sich abzeichnende Wende vom Verkäufer- zum Käufermarkt mit Qualitätsselektion und Anspruchsdenken der Saturationsphase bringt die Idee der Segmentation in der Vermarktung hervor. Aufbauend auf Lewins Feldtheorie entwickelt Spiegel sein Marktsegmentationsmodell, das z. B. von („Nischen-Paul“)Hahnemann zur Rettung von BMW durch das Angebot kompakter, sportiver Oberklasse-Limousinen genutzt wird. Bis zum heutigen Tage sind undifferenzierte Massenmarktangebote nur ausnahmsweise Gegenstand des Marketing, erfordert doch der planmäßige Einsatz des Marketinginstrumentariums eine recht genaue Vorstellung darüber, wer als Käufer eines Angebots intendiert ist. Aus der Erkenntnis, dass sich der Absatzbereich im Rahmen des Käufermarkts immer mehr zum Engpassfaktor des Unternehmens entwickelt, entsteht die damals neue Philosophie der marktorientierten Unternehmensführung, die eine tradierte, primär inputorientierte Sichtweise sukzessiv ablöst, nicht zuletzt dadurch, dass Unternehmen, die sich dieser Marketingphilosophie nicht anzuschließen vermögen, vom Markt ausscheiden. So ist manch klangvolle Firma der Historie heute nicht mehr präsent oder wird nur noch als Mantel für fremde Produkte genutzt (z. B. Dual, Nordmende, Grundig). Parallel dazu setzen auch die ersten Controllingmaßnahmen im Absatzbereich ein, denn wenn diesem besondere Erfolgswirkung zukommt, bedarf er auch besonderer betriebswirtschaftlicher Aufmerksamkeit. In letzter Konsequenz setzt sich jedoch erst neuerdings ein spezialisiertes Marketing-Controlling durch, das der Besonderheit dieses Bereichs, sich der üblichen quantitativen Erfolgszumessung weitgehend zu entziehen und stattdessen qualitative, komplexe Inhalte aufzuweisen, gerecht wird. Zu Beginn der 1960er Jahre wird dann das Marketinginstrumentarium formuliert. Gutenberg entwickelt aus dem bildhaften vier P-Ansatz (McCarthy-Borden/ Product, Price, Place, Promotion) die Instrumente, die auch heute noch Grundlage jeder aktionsorientierten Analyse im Absatzbereich sind. Ansätze mit nur drei Variablen (Produkt- und Preispolitik zusammengefasst) oder einer anderen Gliederung (z. B. ursprünglich Nieschlag et al) können sich nicht durchsetzen. Gleichzeitig werden die psychologischen und soziologischen Erkenntnisse zum menschlichen Entscheidungsverhalten auf die Bedingungen der Vermarktung von Gütern und Diensten appliziert. So kommt es zur Einbindung psycho-

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A. Marketing als Denkhaltung

logischer Konsumentenverhaltenstheorien (z. B. Motivationsmodelle von Maslow oder Freud, Lernmodelle von Skinner oder Pawlow, Dissonanzmodell von Festinger) und soziologischer Konsumentenverhaltenstheorien (z. B. Meinungsführermodell von Katz/Lazarsfeld, Referenzgruppenmodell von Festinger, Adoptionsmodell von Rogers). Seither ist Marketing der qualitativen Sichtweise viel näher als der quantitativen. Philip Kotler ist es zu verdanken, dass die Erkenntnisse des kommerziellen Handlungsspektrums im Absatz konsequent auf die nichtkommerziellen (Non Profit- oder Non Business-)Organisationen übertragen werden. Erstere befassen sich mit meist hoheitlich getragenen Unternehmen zur Bedarfsdeckung (z. B. Energieversorgung), sie werden im Rahmen des Broadening im Marketing erfasst, das im Erkenntnisgegenstand über einzelwirtschaftliche Zwecke hinausgeht. Letztere haben eher altruistische Ziele zum Inhalt, wobei dem die Annahme zugrunde liegt, dass der Verkauf einer Idee den gleichen Gesetzmäßigkeiten gehorcht wie der einer Ware (z. B. Umweltschutzorganisationen). Parallel dazu spricht man von einem Deepening im Marketing durch Anlegung ökolo­ gischer, moralischer und ethischer Maßstäbe. In den 1970er Jahren werden die Marketingerkenntnisse systematisch auf humane (Human Marketing), soziale (Social Marketing) und generische Aspekte (Generic Marketing) in der Gesellschaft projiziert. Damit einher geht eine Übertragung der Marketingmechanik auf allgemeine Transaktionsprozesse jeglicher Art.  Zwar ist nicht zu leugnen, dass sich unser ganzes Leben um das Verkaufen, auch der eigenen Person und unserer Wertungen, dreht, um damit egoistische Ziele durchsetzen zu können, doch aus dieser Weiterung des Geltungsbereichs erwächst auch eine erhebliche Unschärfe theoretischer Aussagen, die wiederum eine zweckmäßige Einengung des Rahmens angezeigt erscheinen lässt. Ebenfalls Kotler ist der Hinweis zu verdanken, dass angesichts zunehmender Ressourcenausbeutung (angeregt etwa durch die Club of Rome-Simulation zu den Grenzen des Wachstums) das Ziel des Marketing nicht mehr singulär in der einseitigen Marktausweitung und Konsumintensivierung liegen kann, sondern ein gezieltes Reduktionsmarketing (Demarketing) in bestimmten Marktbereichen (z. B. Rohstoffe, Treibstoffe, Emissionen) erforderlich ist. Damit trägt Marketing eindeutig gesellschaftspolitischen Zielen Rechnung. Dies bedeutet wiederum, dass nicht alles verkauft werden darf, was sich verkaufen lässt, sondern nur das, was vertretbar erscheint, wahrhaftig eine Gratwanderung. Das führt sogar zum Counter-Marketing als bewusster Rückführung von Nachfrage (ehedem z. B. KAT-lose Fahrzeuge, bleihaltiges Benzin, phosphathaltige Waschmittel). Die zunehmende Verschärfung der Vermarktungsbedingungen infolge eines erheblich erweiterten Angebots und einer ständig zunehmenden Konkurrenz führt zur Notwendigkeit sowohl der klareren Abgrenzung des eigenen Angebots gegenüber denen des Wettbewerbs als auch zur besseren Profilierung in Bezug auf die Nachfrageseite. Dieser Anforderung genügt die Marketingpositionierung. Damit werden die Voraussetzungen für eine Differenzierung gegenüber dem Mitbewerb und eine Akzeptanz durch die Abnehmer erreicht, sofern es gelingt, diese Positionierung angemessen, d. h.

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quantitativ ausreichend und qualitativ geeignet, zu kommunizieren. Im Zuge der stetigen Ausweitung des Gültigkeitsbereichs von Marketingaussagen führen verstärkte Wirtschaftsverflechtungen zwischen den Branchen einer Volkswirtschaft zur Entwicklung des Makromarketing, also der Übertragung marketingtypischen Denkens und Handelns auf die allgemeine Struktur- und Wirtschaftspolitik (z. B. im Rahmen der Industrieansiedlung). In den 1980er Jahren zeigen die Märkte erstmals so intensive Wettbewerbsbeziehungen, dass durchaus von kriegsähnlichen Zuständen (z. B. ruinöser Wettbewerb, feindliche Übernahmen) gesprochen werden kann. Die beabsichtigte Konkurrenzvernichtung gilt verstärkt als Marketingziel. Dementsprechend fließen Erkenntnisse aus der Militärstrategie in das Marketing ein (Marketing Warfare). Dies schlägt sich auch in der Nomenklatur nieder, man spricht von Frontalund Flankenangriffen, Überraschungs- und Einschleichtaktiken. In der Literatur wird sogar der Vergleich aus Kriegsschlachten für Marketingfeldzüge (Kampagnen) übernommen. Die zunehmende internationale Integration (EU-Binnenmarkt) führt dazu, dass der Absatzanteil, den Unternehmen nicht mehr auf dem heimischen, sondern auf ausländischen Märkten tätigen, erheblich zunimmt, weshalb Marketing im Rahmen des Internationalen Marketing auch auf Exportgeschäfte bzw. Direktinvestitionen Anwendung findet. Dabei handelt es sich um die Fragen der Marktwahl, des Marktzugangs und der Marktbearbeitung. Vor allem Theodore Levitt ist die Einbringung des Begriffs Global Marketing in die Diskussion zu verdanken. Entsprechend seiner Hypothese, dass die hoch entwickelten Industrienationen konvergente Sozialstrukturen aufweisen, sich in ihren Vermarktungsbedingungen also immer ähnlicher werden und grenzüberschreitende Kommunikation angesichts des Satellitenzeitalters überhaupt nicht mehr zu verhindern ist, tritt er für gleiche (Prototype Campaigns) oder übertragene (Pattern Campaigns) Marketingkampagnen auf verschiedenen nationalen Absatzmärkten international tätiger Unternehmen ein. Damit einher geht die Standardisierung der Produkte zur Nutzung von Kostendegressionseffekten in der Produktion. Als Gegenbewegung ist John Naisbitts Theorie der Multi Options Society zu sehen, die stattdessen auf lokales Marketing abzielt, d. h., den Besonderheiten nationaler Märkte soll genau entgegengesetzt durch einen individuellen Einsatz des Marketinginstrumentariums Rechnung getragen werden (Think global, act local), wobei verstärkt auch intranationale Teilmärkte (Regional-/Lokalmärkte) als selbstständige Planungsobjekte einbezogen werden. Erste Reaktanzwirkungen im Publikum sowie der sinkende Produktivitätsbeitrag immer stärker penetrierter Kommunikationsmaßnahmen führen zur Forcierung der Aktivitäten des Dialogmarketing. Diese schließen sowohl den direkten (einstufigen) Vertrieb von Sachund Dienstleistungen als auch die direkte Ansprache von Zielpersonen durch Mailings, Response-Werbemittel, Haushaltsverteilungen etc. ein. Die wachsende Flut von Direktmarketingstücken lässt jedoch vermuten, dass auch dabei schon Reaktanzwirkungen eintreten. Im gleichen Zuge wird das Aktionsmarketing (Promo­ tions) immer bedeutsamer. Die normalen Kommunikationswege sind durch Infor-

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A. Marketing als Denkhaltung

mationsüberflutung und selektive Wahrnehmung der Verbraucher immer weniger geeignet, die Absenderbotschaften ans Ziel zu transportieren. Erst außergewöhnliche Ereignisse scheinen dazu in der Lage, wobei durch die eskalierende Flut von Events auch hier Wirkschwellen erreicht sind. Wiederum Kotler ergänzt das traditionelle Marketinginstrumentarium der vier P’s um die zwei P’s der fünften Komponente Öffentlichkeitsarbeit (Publicity) und der sechsten Komponente Marktmacht (Power). PR findet in verstärktem Maße als verdeckte Werbung statt, etwa durch Placement, Sponsoring, Networking etc. Dabei wird zunehmend der Graubereich zwischen erkennbarer Beeinflussung und Schleichwerbung, die unter dem Alibi von Information und Unterhaltung auftritt, überschritten. Gleichzeitig wird die Abhängigkeit weiter Teile der Gesellschaft von derartiger Unterstützung immer gravierender (Kultur, Medien, Sport etc.). Marktmacht hingegen ist kein originärer Aktionsparameter, sondern lediglich ein derivativer, dessen man sich freilich durchaus nach einer gewissen Dauer erfolgreicher Marktpräsenz bedienen kann. Die 1990er Jahre sind durch die Individualisierung des Marketing (Customized Marketing) gekennzeichnet. Durch computerunterstützte Fertigungsanlagen, von Outsourcing und Modultechnik ist es darstellbar, unter Einhaltung von Rentabilitätszielen praktisch wieder zur Einzelfertigung zurückzukehren. Damit schließt sich der Kreis hin zur handwerklichen Leistungserstellung, allerdings diesmal um den Preis wachsender Komplexität. Im Rahmen zunehmender, gerade auch lateraler Unternehmenskonzentration steigt zudem die Bedeutung von Marketingallianzen (Marketing Networks), die Konzerne zur Wahrung gegenseitiger Interessensphären in verschiedenen Märkten schließen und deren Sinn sich der einzelmarktlichen Betrachtung entzieht, sondern erst bei Analyse der gesamten Unternehmensaktivitäten zutage tritt. Zu denken ist an modulare Produktionsprozesse, die nur bei sicherer Belieferung durch verbrauchsnahe Standorte zu gewährleisten sind. Und diese wiederum übersteigen bei auf Losgrößen optimierten, zentralen Anlagen und verbreitertem Programm (Systemlieferung) rasch die Möglichkeiten eines einzelnen Unternehmens. Auch ist von der Entstehung reiner Marketingfirmen (Brand Net Companies) auszugehen. Bei ihnen vollzieht sich eine rechtliche und/oder wirtschaftliche Trennung zwischen Produktion und Absatz. Beispiele sind Holdingstrukturen, unter deren Dach konglomerale Unternehmensstrukturen meist in divisionalen Organisationsformen gesteuert werden. So verfügen Markenartikler für gewöhnlich über ein breites Portfolio unterschiedlichster Produkte, die unter eigenständigen Markennamen abgesetzt werden und nach außen hin den Produzenten nur als technischen Herstellerhinweis verraten. Die erhöhte Verarbeitungsgeschwindigkeit und Speicherkapazität von Computern sowie die Verbreitung von Inhouse-Kommunikationsnetzen und der gleichzeitige Zugriff auf externe Datenbanken führen zu einem immer besseren Informationsstand bei Marketingentscheidungen. Folglich treten neben die Management-Infor­ mations-Systeme spezialisierte Formen von Expertensystemen. Im Marketing-­ Service-Bereich kommt es zum Angebot integrierter Beratungslösungen. Die großen Werbeagenturen und Marketing-Consultancies haben dieses Ziel bereits

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weitgehend erreicht. Kotler verweist zudem auf das Turbo-Marketing. Darunter versteht er nicht nur den technologiebedingt besseren Informationsstand im Marketing, sondern auch Vorkehrungen für ein schnelleres Feedback auf Marktreaktionen. Dazu bedienen sich Unternehmen des Networking, meist durch den Aufbau von Kundenclubs, mit deren Hilfe neue Produkte getestet und bestehende verbessert werden. Ein aussagefähiger Meinungsaustausch wird durch elaborierte Kunden-Kontakt-Programme (KKP’s) gewährleistet. Inhalt der Clubidee ist zumeist die Privilegierung der Mitglieder in vielfältiger Form. Als Konsequenz der Internationalisierung kommt es zu deren Übertragung auf geozentrische Dimensionen (Space-Marketing). Dabei wird dann die Standort- und Ansiedlungsentscheidung von Unternehmen durch marketingadäquates Verhalten der Staaten/ Regionen, die um Investitionsvolumina buhlen, beeinflusst (z. B. Steuererleichterung, Subventionierung, Infrastrukturaufbau). Dies ist vor allem deshalb bedeutsam, weil Standortauflagen die Ansiedlung von Industrie behindern und die einzelnen Standorte immer größere Ausmaße erreichen. Außerdem gewinnt der Bereich der technischen und kaufmännischen Kundendienste an Bedeutung (Service Marketing). Zur Differenzierung von Angeboten tragen nämlich bei steigender Gleichartigkeit der objektiven Leistungsmerkmale auf hohem Niveau in erster Linie produktverbundene Dienstleistungen bei. Die Kundenkartenwelle ist dafür ebenso ein Indiz wie die Betonung von Erlebniskauf im präsentierenden Handel. Schließlich rücken auch die moralischen und ethischen Dimensionen des Marketing (­Deepening) verstärkt in den Blickpunkt. Einschlägige Vorhaltungen können nicht mehr ignoriert, sondern müssen offensiv aufgegriffen werden. Die 2000er Jahre sind prädominant durch das Netzwerk-Marketing gekennzeichnet. Dafür gibt es eine Reihe von Ursachen. Zum einen erweist sich die im Zuge zunehmender Konzentrationsbewegungen bereits erreichte hohe Unternehmensgröße und die schattengleich ihr folgende Inflexibilität in der internen Wertschöpfung als immer weniger kompatibel zu den Anforderungen steigender Flexibilität aus den Märkten. Darauf reagieren Unternehmen etwa durch CenterBildung (interne Kunden-Lieferanten-Beziehungen), die organisatorisch entflochten, aber durch ein enges Netzwerk von Waren-, Geld- und Kommunikationsbeziehungen untereinander verbunden sind. Zum anderen zeigt die Denkweise der Fokussierung auf die Kernkompetenz, verbunden mit dem Postulat, alles was nicht kernkompetenzfähig ist, fremd zuzukaufen, ihre Wirkung und führt zu komplexen gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfungsbeziehungen, bei denen die einzelnen Stufen der Wertschöpfungskette zwangsgleich aufeinander angewiesen sind. So ist der Absatz der vorgelagerten Wertschöpfungsstufe für diese ebenso notwendig wie für die nachfolgende Wertschöpfungsstufe die Beschaffung. Dies führt zu Win-Win-Partnerschaften. Aber auch über Branchengrenzen hinweg werden marketingbezogene Netzwerke geknüpft, bei denen jeder Partner von der Fachkompetenz und Markensympathie des anderen profitiert, um z. B. ein unternehmensübergreifendes Cross Selling zu initiieren. Netzwerke finden sich in Bezug auf alle Marketinginstrumente, so in der Angebotsgestaltung durch gemeinsame

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A. Marketing als Denkhaltung

Entwicklung oder parallele Vermarktung baugleicher Produkte bzw. durch die gegenseitige Zulieferung von Produkten zur Abrundung des eigenen Programms (Handelswaren). In der Informationsgestaltung durch die ineinander verzahnte Bewerbung (Tie-ins) unterschiedlicher Angebote. Und in der Verfügbarkeitsgestaltung durch die stufenübergreifende Optimierung von Absatzkanälen und das Mitangebot im Zuge eigener Verkaufsanstrengungen. In der Gegenleistungsgestaltung sind vernetzten Aktivitäten allerdings enge wettbewerbsrechtliche Grenzen gesetzt, ebenso wie diese im Zuge der Identitätspolitik nur begrenzt Sinn machen. Die Vernetzung führt schließlich zu virtuellen Unternehmen, deren Geschäftsidee als Kernkompetenz in der Koordinierung arrondierender Unternehmenspartner liegt. Die 2010er Jahre zeichnen sich durch eine Generik in der Marketingdenkweise aus. Es geht nicht mehr nur darum, Beziehungen zu Kunden aufzubauen, abzusichern, auszubauen und ggfs. wiederherzustellen bzw. abzubrechen, sondern gleichermaßen auch Beziehungen zu allen anderen Interessengruppen des Unternehmens (s. u.). Weiterhin ist die aktuelle Zeit durch die erheblich wachsende Bedeutung des Online-Marketing gekennzeichnet. Dieses verändert alle Bereiche des Marketing. In der Marktforschung ergeben sich neue Recherchemöglichkeiten und Erhebungsformen, in der Preispolitik ergeben sich neue Wege zur Preisbestimmung und in der Produktpolitik entstehen digitale Online-Produkte. Am meisten sind aber wohl im Marketing die Kommunikations- und die Distributionspolitik betroffen. In der Kommunikation sind junge Zielgruppen, aber zunehmend auch alle anderen, vor allem noch durch Online-Werbung effizient und effektiv zu erreichen. Dies zeigt der Zuwachs der einschlägigen Werbeaufwendungen zulasten der Klassischen und der Nicht-klassischen Werbung. Allerdings ergeben sich bereits erhebliche Reaktanzen wie die Verbreitung von Ad-Blockern zeigt. Ob daher der Hype der Online-Werbung Bestand hat, wird sich zeigen. Entsprechende Entwicklungen der Vergangenheit wurden immer wieder zügig relativiert. Den wohl stärksten Einfluss hat das Internet aber sicherlich im e-Commerce. Dies gilt sowohl im B-t-C- als auch erst recht im B-t-B-Bereich. Die gewerbliche Beschaffung vollzieht sich weitgehend präferenzfrei in erheblichem Ausmaß über Internet-Marktplätze und realisiert daraus vor allem bei standardisierten Leistungen enorme Kosteneinsparungen in der Beschaffung. Aber auch im privaten Bereich werden immer größere Umsatzanteile vom traditionellen Handel abgezogen, so dass sich fragt, ob dieser angesichts widriger Umfeldbedingungen auf Dauer noch eine Berechtigung haben wird. Sowohl bei der Interaktion als auch bei der Transaktion ist zu konstatieren, dass mobile Telekommunikations-Endgeräte dominieren. Stationäre (Desktop-)Geräte haben sich nur als Übergangsform herausgestellt. Der Regelfall werden immer mehr Smartphones, Tablets, Smart Watches, Smart Glasses und Smart Clothes sein. Dies wird unterstützt durch die Miniaturisierung der Hardware, vor allem bei Akkus, die Verfügbarkeit leistungsstarker Netze und die Verbreitung arrondierender Services. Die wohl größte Veränderung bieten jedoch 3-D-Drucker. Sie revolutionieren die Wertschöpfung und den Absatz. Bereits

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derzeit lassen sich damit erstaunliche Ergebnisse erreichen und zwar längst nicht mehr nur im experimentellem Maßstab.

5. Marketingparadigmen Marketing unterliegt fundamentalen Veränderungen der Sichtweise innerhalb recht knapper Frist, da es in relativ kurzer Zeit die Entwicklungen, die „traditionelle“ Zweige der Betriebswirtschaftslehre bereits lange hinter sich gelassen haben, nachvollziehen muss. Die noch junge Marketingtheorie ist insofern durch zahlreiche Paradigmenwechsel gekennzeichnet, also keineswegs so gefestigt wie andere, bereits erheblich länger etablierte Betriebswirtschaftsdisziplinen. Ein Paradigmawechsel entsteht nach einer Phase, in der eine Erkenntnisberuhigung eingetreten ist und alle Probleme hinreichend gelöst scheinen, bis Anomalien auftauchen, die sich auf Basis der bestehenden Theorien nicht erklären lassen. Dann wird eine wissenschaftliche Revolution eingeleitet, die in einem Paradigmawechsel mündet und damit in eine neue Phase der Erkenntnisberuhigung, bis der Wandel wieder von Neuem startet (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Perspektivwechsel der Marketingdefinitionen

Zur Systematisierung bietet sich eine Unterscheidung in fünf Marketing-Definitionsklassen an. Einige Definitionen sollen diese Klassen jeweils charakterisieren

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A. Marketing als Denkhaltung

(die Zitate sind im Original teilweise hervorgehoben). Vorab sei bereits erwähnt, dass das Schwergewicht der wissenschaftlichen Betrachtung noch ziemlich eindeutig im Marketing III liegt, allerdings mit Übergang zu Marketing IV, während Marketing V wegen der Inoperationalität des Untersuchungsobjekts zumindest in der Wissenschaft nicht in aller Konsequenz vertreten wird, und Marketing II als historisch unstreitig gesichert gilt. Marketing 0 betrifft noch die Vor-Marketing-Ära. In dieser Zeit waren gleichwohl absatzwirtschaftliche Aufgaben zu erfüllen. Nur waren diese noch auf verschiedene betriebliche Funktionsbereiche verteilt und diesen auch untergeordnet. Auch fand keine konzeptionelle Integration dieser Aktivitäten statt. Dies wurde aufgrund weithin auskömmlicher Vermarktungssituationen als nicht weiter erforderlich angesehen. Diese Zeit ist längst vorbei. Ausgangspunkt des Paradigmawechsels ist die Ölkrise 1973. Am 6.10.1973 bricht der arabisch-israelische Krieg aus. Einen Tag später werden die Ölgesellschaften in Irak verstaatlicht, Lybien hatte dies bereits im September vollzogen. Arabische Ölhäfen werden geschlossen. Die teilmonopolistischen OPEC-Länder erhöhen am 16.10.1973 den Posted Price, den Referenzpreis für die Berechnung der Förderabgaben, einseitig um 70 %. Saudi-Arabien, Kuwait, Irak und Libyen beschließen in der Woche darauf, die Rohölförderung ab sofort um 5 % monatlich zu kürzen. Libyen und Nigeria erhöhen den Posted Price um 94 %. Die Lieferungen in die USA und Niederlande (Euro-Hafen Rotterdam) werden Ende Oktober ganz gestoppt. Am 4.11.1973 beschließen die Ölminister weitere Förderkürzungen, zugleich wird der Preis am 24.12.1973 drastisch erhöht. Schlagartig wurde die Verwundbarkeit der westlichen Welt deutlich. Das unendlich erscheinende Wachstum der Nachkriegszeit war jäh gestoppt. Bis zum heutigen Tag folgt daraus ein Kampf gegen die natürlichen und politischen Restriktionen der Umwelt.

5.1

Marketing I als Absatzwirtschaft

Marketing I betrifft das Marketing als Absatzpolitik von Unternehmen (traditionelle Absatzwirtschaft, ca. 1970er Jahre). Dies führt zu einer Sichtweise des absatzpolitischen Instrumentariums (Produkt- und Programmpolitik, Preis- und Konditionenpolitik, Kommunikations- und Identitätspolitik sowie, mit einem gewissen Schwerpunkt, Distributions- und Verkaufspolitik). Es geht bei Marketing I also, in Reaktion auf den Paradigmawechsel, um die Stimulierung des Flusses von (vor allem) Waren, (aber auch) Geldern und Informationen, im Absatzkanal. Dazu zwei Definitionsbeispiele (die AMA-Definition ist immer perspektivisch gedacht, also zukunftsgerichtet): • AMA (American Marketing Association) 1958: Marketing ist die Erfüllung derjenigen Unternehmensfunktionen, die den Fluss von Gütern und Dienstleistungen vom Produzenten zum Verbraucher bzw. Verwender lenken.

I. Konzeptionelle Grundlagen

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• AMA 1960: Marketing ist die Durchführung von Unternehmensaktivitäten, die den Strom von Gütern und Dienstleistungen vom Hersteller zum Konsumenten oder Nutzer leiten. 5.2

Marketing II als passive Marktanpassung

Nach der Auffassung des Marketing II bedeutet Marketing Marktanpassung durch Ausrichtung aller Unternehmensaktivitäten an den Markterfordernissen (Outside in-Ausrichtung, ca. 1980er Jahre). Das heißt konkret, dass Unternehmen kontinuierlich alle Märkte beobachten und immer dann, wenn sie einen Mangel festzustellen glauben, ein entsprechendes Angebot offerieren. Die Nachfrager als Souverän des Markts entscheiden dann nach Kenntnis und Beurteilung dieses Angebots, ob sie es erstmals oder anstelle eines anderen Angebots annehmen wollen oder nicht. Es leuchtet ein, dass daraus für das betreffende Unternehmen ein sehr hohes Risiko erwächst. Denn alle Initialinvestitionen in ein Angebot gehen ver­loren, wenn es von Abnehmern nicht akzeptiert wird. Dies ist ein betriebswirtschaftlich sehr unbefriedigender Zustand. Weiterhin wird den Unternehmen eine nur reaktive Rolle zugeteilt. Sie hetzen den mutmaßlichen Nachfragerbedürfnissen regelrecht hinterher und versuchen, sich gegenseitig in der Bedürfnisbefriedigung zu überbieten. Die dazu erforderliche Flexibilität passt nicht zu den Planungserfordernissen der Unternehmen, die auf möglichst stabile, sichere und einwertige Erwartungen abzielen. Schließlich stellt sich bei dieser Sichtweise auch die Frage, wie Unternehmen neue Bedarfssituationen erkennen können. Dazu ist es wichtig zu berücksichtigen, dass Nachfrage nicht kreativ sein kann. Vielmehr kann sie nur auf vorhandene Marktangebote reagieren und diese wählen oder ablehnen, nicht aber aktiv artikulieren. Im Übrigen sind Nachfrager im Publikum auch zu wenig organisiert, um Bedarfe manifestieren zu können. So bleibt den Unternehmen nur kontinuierliche, aufwändige Marktforschung mit allen Vorbehalten, die systemimmanent dagegen anzubringen sind, bis hin zu „Bauchgefühl“ und „Wagnisfreude“ zur Nutzung von Marktchancen. Dies ist mit einem zeitgemäßen Marketingverständnis jedoch nicht mehr unbedingt vereinbar. Dazu zwei Definitionsbeispiele: • Kotler 1967: Marketing ist die Analyse, Organisation, Planung und Kontrolle der kundenbezogenen Ressourcen, Verhaltensweisen und Aktivitäten einer Firma mit dem Ziel, die Wünsche und Bedürfnisse ausgewählter Kundengruppen gewinnbringend zu befriedigen. • Weis 1985: (Marketing ist eine, d.V.) umfassende Philosophie und Konzeption des Planens und Handelns, bei der alle Aktivitäten eines Unternehmens konsequent auf die gegenwärtigen und künftigen Erfordernisse der Märkte ausgerichtet werden, mit dem Ziel der Befriedigung von Bedürfnissen des Markts und der individuellen Ziele.

50 5.3

A. Marketing als Denkhaltung

Marketing III als aktive Marktgestaltung

Zeitgemäß aufgefasst ist Marketing III Marktgestaltung, also Beeinflussung der Vermarktungsbedingungen über Instrumentaleinsatz mit der Absicht, diese den eigenen Zielvorstellungen anzupassen (Inside out-Ansatz, ca. 1990er Jahre). Dabei starren Anbieter nicht wie Kaninchen auf die Schlange Markt, sondern beeinflussen den Markt selbst in einer Art und Weise, die den unternehmensegoistischen Zielen entspricht. Diese Beeinflussung erfolgt durch mehr oder minder umfangreichen Einsatz des Marketinginstrumentariums. Diese Sichtweise entspricht weitaus mehr der Realität der Märkte. Jeder Anbieter ist überlebensnotwendig darauf angewiesen, seine Produkte am Markt zum Erfolg zu führen. Da diese Angebote oft aber nicht den originären Bedürfnissen von Abnehmern entsprechen, müssen Anbieter die Vermarktungsbedingungen derart zu ändern versuchen, dass ihr Produkt ein solches Bedürfnis befriedigt. Diese Bedürfnisse sind oft erst artifiziell zu generieren, und zwar über die Nutzung von Marketinginstrumenten, welche die Rahmendaten derart verändern, dass ein Angebot am Markt reüssieren kann. Diese Situation ist in weiten Teilen gesättigter Märkte anzutreffen. Bestehende Bedarfe sind durch eine breite Vielfalt von Produkten bestens abgedeckt. Und zusätzlicher Absatz ist nur durch Generierung neuer bzw. ersetzender oder durch Modifizierung bestehender Bedarfe zu erzielen. Dies erfolgt vor allem durch Sozialtechniken, die gesellschaftliche Sanktionsmechanismen nutzen, um neue Nachfrage zu schaffen. So wird etwa Übergewicht durch Marketingkommunikation als anomal diskreditiert und Joghurt als probate Gegenwehr propagiert, wird etwa Selbstbelohnung als erstrebenswert dargestellt und Schokolade als adäquates Mittel dazu ausgelobt. Damit schafft sich Marketing letztlich die Märkte selbst, auf denen es erfolgreich Produkte anbieten will. Gleichzeitig resultiert daraus allerdings der Vorwurf der Manipulation gegenüber dem Marketing, der grund­ sätzlich berechtigt und nur durch strenge Selbstdisziplin zu unterbinden ist. Marketing III betrifft damit Marketing als marktorientierte Unternehmensführung (Marketing-Management). Alle betrieblichen Aktivitäten, und nicht nur die Absatzpolitik, stehen damit im Dienste einer umfassenden Kunden- und Wettbewerbsorientierung. Dazu zwei Definitionsbeispiele: • Bruhn 1997: Marketing ist eine unternehmerische Denkhaltung. Sie konkre­ tisiert sich in der Planung, Organisation, Durchführung und Kontrolle sämtlicher interner und externer Unternehmensaktivitäten, die durch eine Ausrichtung der Unternehmensleistungen am Kundennutzen im Sinne einer konsequenten Kundenorientierung darauf abzielen, absatzmarktorientierte Unternehmensziele zu erreichen. • Meffert 1998: Marketing ist die bewusst marktorientierte Führung des gesamten Unternehmens oder marktorientiertes Entscheidungsverhalten in der Unternehmung. Marketing bedeutet dementsprechend Planung, Koordination und Kontrolle aller auf die aktuellen und potenziellen Märkte ausgerichteten Unterneh-

I. Konzeptionelle Grundlagen

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mensaktivitäten. Durch eine dauerhafte Befriedigung der Kundenbedürfnisse sollen die Unternehmensziele im gesamtwirtschaftlichen Güterversorgungsprozess verwirklicht werden. Es gibt acht typische Merkmale: Die bewusste Absatz- und Kundenorientierung aller Unternehmensbereiche (Philosophieaspekt). Die Erfassung und Beobachtung der für eine Unternehmung relevanten Umweltschichten zur Analyse der Verhaltensmuster (Verhaltensaspekt). Die schöpferisch-gestaltende Funktion der systematischen Marktsuche und Markterschließung (Informationsaspekt). Die planmäßige Gestaltung des Marktes (Aktionsaspekt). Die Anwendung des Prinzips der differenzierten Marktbearbeitung (Segmentierungsaspekt). Die Koordination aller marktgerichteten Unternehmensaktivitäten (Koordinationsaspekt). Und die Einordnung der Marketingentscheidungen in größere soziale Systeme (Sozialaspekt). 5.4

Marketing IV als Kundenbeziehungsmanagement

Marketing IV betrifft das Management von Austauschprozessen und -beziehun­ gen (Beziehungsmarketing, ca. 2000er Jahre). Es geht um Prozesse von Einzelpersonen, Personengruppen und Organisationen. Dies führt zu einer Weiterung der einzelbetrieblichen Sichtweise um makroökonomische Aspekte. Marketing IV führt zum Management von Austauschprozessen und -beziehungen mit unternehmensinternen und -externen Partnern, insbesondere mit Partnern auf Absatz- und Beschaffungsmärkten sowie im Bereich der allgemeinen Öffentlichkeit. Dazu im Folgenden wiederum einige Definitionsbeispiele: • Kotler 1991: Marketing ist ein Sozial- und Managementprozess, durch den Personen und Gruppen das erhalten, was sie brauchen und wünschen, indem Produkte von Wert kreiert, angeboten und mit anderen getauscht werden. • Gummesson 1994: Relationship Marketing ist Marketing, betrachtet als ein Geflecht von Beziehungen, Netzwerken und Interaktion. • Gierl 1995 (Vorwort): Unter Marketing versteht man jeglichen Umgang mit Mitmenschen, die ohne Zwang zu einem bestimmten Verhalten veranlasst werden sollen. Dabei wird die Situation unterstellt, dass die zu beeinflussenden Personen Wahlmöglichkeiten haben, es ihnen also z. B. grundsätzlich freisteht, einen gewünschten Austausch von Leistungen vorzunehmen oder zu verweigern bzw. eine Beziehung aufrecht zu erhalten oder abzubrechen. Weiterhin wird angenommen, dass der Marketingtreibende das angestrebte Verhalten der Mitmenschen für ihn als vorteilhaft bewerten kann. • Grönroos 1996: Relationship Marketing besteht darin, Beziehungen mit Kunden und anderen Partnern mit Gewinn aufzubauen, zu erhalten und zu verbessern, so dass die Ziele aller beteiligten Parteien erreicht werden; dies geschieht durch ein gegenseitiges Austauschen und Erfüllen von Versprechen.

52 5.5

A. Marketing als Denkhaltung

Marketing V als generisches Beziehungsmanagement

Bereits früh hat Kotler postuliert, dass Marketing im Kern überall dort gegeben ist, wo Interaktionen zwischen Partnern stattfinden (Generic Marketing). Dabei muss es sich keineswegs nur um solche zu direkten oder indirekten, privaten oder gewerblichen Kunden handeln. Vielmehr bedeutet Marketing logisch zu Ende gedacht den konsequenten Austausch von Werten mit allen Partnern des Unternehmens, neben dem Absatzbereich auch solchen in Beschaffung, Produktion, Umfeld und Medien. Dort sind vielfältige Anspruchsgruppen zu bedienen wie Lieferanten, Kreditoren, Eigentümer, Mitarbeiter, Führungskräfte, Kooperationspartner, Medien, Bürger/Anwohner, Staat, Verbände/Lobbys etc. Diese Partner werden allgemein Stakeholders (Interessenhalter) genannt. Es entspricht einer Konvention, dabei, entgegen Kotler’s Ansicht, den Bereich privater Interaktionen auszunehmen. Diese Stakeholders zeichnen sich dadurch aus, dass sie spezifische Interessen gegenüber dem Unternehmen haben. Diese Interessen weichen jedoch von Stakeholder-Partei zu Stakeholder-Partei erheblich voneinander ab, so dass Konflikte bis hin zum Ausschluss entstehen. Die Stakeholder verfügen dabei, sofern sie ernst zu nehmen sind, über mehr oder minder erhebliche Machtmittel, um ihre Interessen gegenüber dem Unternehmen durchzusetzen. Insofern sieht sich das Unternehmen verpflichtet, den Interessen seiner Stakeholder zu entsprechen, um etwaigen Sanktionspotenziale zuvor zu kommen. Die Entsprechung zugunsten einer Stakeholder-Partei bedingt aber häufig zugleich die Entfernung von mehreren anderen. Stakeholder, die ihre Interessen in der Haltung des Unternehmens nicht verwirklicht sehen, tendieren dazu, ihre Machtmittel zur Sanktionierung einzusetzen oder zumindest mit deren Einsatz zu drohen (siehe: II. Marketing durch Beziehungsmanagement). Insofern ist ein dynamisches Gleichgewicht erforderlich, indem das Unternehmen anstrebt, jeder Stakeholder-Partei soweit entgegen zu kommen, dass diese von einem Machtmitteleinsatz absieht. Da jedoch externe Faktoren dieses Gleichgewicht immer wieder verschieben, ist eine stetig neue Justierung der Balance erforderlich. Zu einigen Stakeholdern bestehen Transaktionsbeziehungen den Leistungs- und Geldaustausch betreffend, zu vielen anderen bestehen hingegen Interaktionsbeziehungen den Werteaustausch betreffend. Marketing hat in der Entwicklung bewiesen, dass es als „Social Engineering“ zumindest in der Lage ist, die Beziehungen zu Kunden zu entwickeln und zu stabilisieren. Wenn man sich also fragt, welcher Bereich im Unternehmen für das erforderlich werdende generische Beziehungsmanagement zu Stakeholders prädestiniert ist, liegt es nahe, an Marketing zu denken und zu unterstellen, dass sich die Erfahrungen aus dem Kundenbeziehungsmanagement auf andere Partner adaptieren lassen. Dies scheint konsequent und könnte daher die nächste Entwicklungsstufe des Marketing darstellen, über das Kundenbeziehungsmanagement hinaus zum generischen Beziehungsmanagement zu allen relevanten Zielgruppen. Dies stellt eine

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entscheidende Veränderung dar, denn zum ersten Mal in der vergleichsweisen kurzen Entwicklung des Marketing wird die Kundenperspektive verlassen und gegen eine umfassende Sicht der Transaktions- und Interaktionspartner eingetauscht. Marketing V würde dann zum Generic Relationship Management. Tatsächlich sind erste Anzeichen zu einer solch fundamentalen Veränderung der Marketingdenkweise zahlreich vorhanden. Denn Schritt für Schritt erobert die marketing­ typische Adressatensicht verschiedene Bereiche des Unternehmens. Bereits seit geraumer Zeit wird das Beschaffungsmarketing propagiert. Zunächst ist es fraglich, warum es dieses Ansatzes bedarf, denn Marketing setzt zu seiner Berechtigung für gewöhnlich eine Käufermarktsituation voraus. Gegenüber Lieferanten befindet sich das Unternehmen aber auf der Käuferseite, sollte also seinerseits Zielgruppe des Absatzmarketing der Lieferanten sein. Aber auf hoch konzentrierten Beschaffungsmärkten kann es im Interesse des Unternehmens liegen, sich der Unterstützung ganz bestimmter Lieferanten zu versichern oder diese auch erst zu entwickeln, um die leistungsfähigsten Wertschöpfungspartner zu gewinnen oder die Beschaffungsbasis belastbar abzusichern. Daher werden gezielt Beziehungen zu solchen Partnern aufgebaut, unterhalten, ausgebaut und wiederhergestellt, wie der Pflegeaspekt im Marketing dies vorgibt. Eine andere verbreitete Zielgruppe des Marketing sind neue Mitarbeiter. Angesichts der demographischen Entwicklung ist ein Fachkräftemangel absehbar, sowohl im technischen Bereich als auch beim Führungsnachwuchs. Zwar ist das Angebot nach wie vor hoch, aber jeder Arbeitgeber will auf die potenzialstärksten Mitarbeiter zugreifen, so dass intensive Employer Branding-Aktivitäten ini­ tiiert worden sind. Ihr Ziel ist es, das Unternehmen als attraktiven Arbeitgeber zu profilieren, so dass gewünschte Mitarbeiter sich aktiv zur Stellenbesetzung melden oder besonders gut dafür ansprechbar sind. So haben viele Unternehmen zwischenzeitlich Karriere-Reiter auf ihrer Homepage installiert, verbreitet sind auch Recruiting-Maßnahmen bei Aus- und Weitrerbildungsträgern. Auch dies ist dem Beschaffungsmarketing zuzuordnen. Ein weiterer Fokus liegt auf der Beziehungspflege zu bestehenden Mitarbeitern. Hier geht es um deren Motivation zur Einbringung ihrer Leistung in die interne Wertschöpfung, aber auch um die Verhinderung von Störaktionen, die immer wieder gerade von kleinen, gut organisierten Pressure Groups mit unabsehbaren Folgen initiiert werden. Insofern bedarf es eines Employee Relationship Managements (ERM) zur Absicherung des Unternehmenserfolgs. Auch in diesem Bereich spielen Gratifikations- und Knappheitsprinzipien eine zentrale Rolle. Mittel sind vor allem bevorzugte Information, Entscheidungsbeteiligung und Offenlegung impliziten Wissens. Eine weitere Zielgruppe, die intensiv adressiert wird, sind Kapitalgeber. Viele Unternehmen sind zur Finanzierung ihrer Expansion auf Kreditoren angewiesen wie Banken, Versicherungen oder Pensionsfonds, um sich dort zu vorteilhaften

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Konditionen zu refinanzieren. Da die Kreditoren relativ frei in der Wahl sind, wem sie ihnen anvertrautes Kapital leihen, ist es wichtig, zu den bevorzugten Kreditnehmern zu gehören. Dafür ist es hilfreich, sich als „guter Schuldner“ darzustellen. Zu denken ist aber auch an Eigenkapitalgeber, die sich aus Gründen der Liquidierung stiller Reserven mit minimalen Anteilen druckvoll am Unternehmen beteiligen (Hedgefonds) oder sich unternehmerisch engagieren, um Wertsteigerungspotenziale zu heben (Private Equity Funds). Vielen Unternehmen ist auch daran gelegen, eben dies zu verhindern und ihre Selbstbestimmung zu erhalten. In beiden Fällen geht es um Beziehungsmanagement in Form von Investors Relations. Auch diesen Reiter findet man bereits auf den Homepages vieler Unternehmen. Schon seit langer Zeit wird Public Relations genutzt, um belastbare Beziehungen zur Öffentlichkeit zu gestalten. Hierbei ist sowohl an Medien (Journalisten) als auch andere Meinungsführer und professionelle wie private Multiplikatoren zu denken. Ziel ist es, das Unternehmen im positiven Licht erscheinen zu lassen, um wenig Angriffsfläche für öffentliche Kritik zu bieten. Wie wichtig dies ist, stellt sich gerade in Krisenzeiten heraus, in denen ein Unternehmen auf den Goodwill seines Umfelds angewiesen ist. Die PR-Stelle ist verbreitet organisatorisch außerhalb des Marketingbereichs angesiedelt und meist nahe der Unternehmensführung (Stabsstelle, Zentralabteilung o. Ä.), so dass daraus eine Keimzelle des Beziehungsmanagements entstehen kann. Zu denken ist aber auch an Kooperationspartner, auf die Unternehmen zur Erreichung ihrer Ziele und zur Vermeidung unnötiger Risiken angewiesen sind oder zurückgreifen wollen. Bei diesen Partnern handelt es sich zunehmend auch um Konkurrenten (Coopetition), etwa wenn es um die Bildung Strategischer Allianzen oder die Gründung von Joint Ventures geht. Hier gilt es, geeignete Partner zur Zusammenarbeit zu motivieren und offene oder verdeckte Interessendivergenzen zu kalmieren. Dies ist eine besonders anspruchsvolle Form des Beziehungs­ managements, jedoch auch eine besonders lohnende. Schließlich ist den meisten Unternehmen bewusst, dass sie sich der Erwartung eines einwandfreien Rollenspiels in der Gesellschaft gegenübersehen. Dies bezieht sich sowohl auf die Beziehungen zu Bürgern, häufig Anwohnern, als auch zu Interessengruppen wie Verbänden und Lobbies. Dabei steht im Mittelpunkt, dass die Gewinnerzielung durch Unternehmen immer weniger als Selbstzweck denn vielmehr nur als Ergebnis nachhaltiger Aktivitäten angesehen wird. Kapitalistisches Selbstverständnis provoziert daher oft Vorbehalte, welche die Freiheitsgrade des Unternehmens einengen und seine Reaktion verlangsamen können, beides gravierend für seine, vor allem auch internationale Wettbewerbsfähigkeit. Daher werden für die Beziehungsgestaltung zu diesen Zielgruppen häufig externe Berater engagiert, um einer Eskalation „neutral“ entgegen zu wirken. Bedeutsam sind in diesem Zusammenhang auch NGO’s (Non Governmental Organisations), z. B. Umweltaktivisten (Greenpeace, Peta etc.), Datenschutzverfechter (Anonymus, TTIP-Gegner) oder Politikaktivisten.

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Es zeigt sich also, dass der Ansatz des generischen Beziehungsmanagements bereits in vielfacher Form verfolgt wird. Allerdings sind diese Aktivitäten derzeit noch Insellösungen, d. h. sie werden von verschiedenen Stellen im Unternehmen gesteuert wie Purchasing, Finance, Human Resources, Public Relations, Ligitation, Sales etc. und sind nur unzureichend aufeinander abgestimmt, so dass immer wieder Friktionen entstehen. Häufig entsteht sogar eine Konkurrenzsituation (z. B. Vattenfallskandal). Dies ist gerade auch im Hinblick auf ein ganzheitliches Profil des Unternehmens in den relevanten Öffentlichkeiten nicht hinnehmbar. Eine Bündelung dieser Aktivitäten kann aber wohl am ehesten im Rahmen der Marketingfunktion erreicht werden. Denn erstens hat Marketing bewiesen, dass es zur konstruktiven Pflege von Beziehungen zu Kunden und deren Kunden fähig und in der Lage ist und zweitens ist eine Trennung zwischen Absatz- und anderen Transaktions- und Interaktionspartnern künstlich, da hier vielfältige Wechsel­ beziehungen bestehen und gleichartige Mechanismen wirken. Daher liegt es nahe, Marketing das generische Beziehungsmanagement anzuvertrauen, das sich neben Abnehmern auch auf alle anderen Stakeholder richtet. Durch die Bündelung entsprechender Aktivitäten in einer Hand kann am ehesten eine ganzheitliche Ausrichtung erreicht werden, die im Sinne einer Corporate Identity greift und synergetische Effekte zeitigt. Allerdings ist dies wohl noch ein langer, aber doch sehr plausibler Weg.

6. Marketingdefinition Es ist nicht verwunderlich, dass zu einem vergleichsweise komplexen Begriff wie dem des Marketing unterschiedlichste definitorische Ansätze existieren. Im Allgemeinen besteht jedoch Einigkeit darin, dass Marketing, im Gegensatz etwa zu konkreteren Begrifflichkeiten der Betriebswirtschaftslehre wie etwa Kostenrechnung oder Steuerwesen, in erster Linie eine Denkhaltung darstellt, sich also nicht nur in operativen Techniken ausdrückt, sondern vielmehr in einer bestimmten geistigen Einstellung. Diese stellt das Interesse des Abnehmers wirtschaftlicher Leistungen in den Mittelpunkt aller Betrachtungen. Das heißt, weniger egoistische Gesichtspunkte sind ausschlaggebend als vielmehr das Bemühen, sich in die Lage des Marktpartners zu versetzen und dessen Motivation zu berücksichtigen. Immer dann, wenn vor einem Transaktionsprozess bedacht wird, wie ein individuelles Ziel unter Einbezug der Interessen beteiligter anderer besser erreicht werden kann, handelt es sich um Marketing. Übertragen auf die Sicht des Unternehmens versteht man darunter dessen bewusste Ausrichtung am Markt unter Analyse aller Umfeldfaktoren zur systematischen Chancensuche und Wahrnehmung von Transaktionen. Des Weiteren besteht Einigkeit darüber, Marketing als konkrete Aufgabe zu verstehen. Das heißt, zur Umsetzung der Marketingdenkweise sind Maßnahmen erforderlich, die dieser Einstellung nach außen hin Ausdruck verleihen. Ökonomisch

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bedeutet dies, dass alle Aktivitäten auf die Märkte hin koordiniert werden sollen. Damit unterscheidet sich Marketing von anderen Funktionen im Unternehmen, die eher an interner Zweckmäßigkeit orientiert sind. Marketing bedeutet demgegenüber die Koordination aller Unternehmensaktivitäten zur Marktoffensive. Demgemäß bestimmt allein der Markt, welche Funktionen in welcher Weise wahrgenommen werden. Und dasjenige Unternehmen hat damit die größten Marktchancen, das sich diesem Zwang am Besten anzupassen weiß, weil Abnehmer dessen Leistung am ehesten im Preis honorieren werden. In neuerer Zeit versteht man Marketing auch verstärkt als Sozialkonzept, das es wohlverstanden unterlässt, alle Marktmöglichkeiten, die objektiv vorhanden sind, auszuschöpfen, wenn dadurch der immanenten gesellschaftlichen Verantwor­tung dieser Funktion nicht mehr Rechnung getragen wird. Um zu verhindern, dass aus der Marketinghaltung Ergebnisse resultieren, die mit den gesellschaftlichen Normen nicht mehr vereinbar sind, bedarf es eines Sanktionsrahmens, der möglichst klar ausweist, welche Handlungsweisen noch tolerierbar sind und welche schon nicht mehr. Infolge zunehmend restriktiver Umfeldbedigungen wird jedoch der Rahmen der Marketingmöglichkeiten immer enger gezogen. Wo früher im Einzelfall großzügig geurteilt werden konnte, weil ein potenzieller Schaden nicht weiter ins Gewicht fiel, sind heute viel strengere Maßstäbe angebracht, um knappe und strapazierte Ressourcen vor Ausbeutung zu schonen. Dadurch wächst die Verantwortung im Marketing, nicht mehr alles das zu tun, was möglich ist, sondern selbstgesetzte, strenge Normen zu beachten. Übergeordnet greift dann der Staat durch Ge- und Verbote dort ein, wo der Handlungsspielraum durch die Wirtschaftsakteure überstrapaziert ist. Dies betrifft etwa sensible Produktgruppen wie Zigaretten, Arzneimittel, Spirituosen etc. Mit jeder dieser Phasen änderte sich notwendigerweise auch das Selbstverständnis des Marketing. Waren zu Beginn das dynamische Aufreißen von Kunden, der schnelle Abschluss, das clevere Manipulieren dominant, so wird nunmehr die Verantwortung des Marketing für das Gemeinwohl postuliert. Dieser Wandel ist nicht nur ethisch-moralisch fundiert, sondern dadurch bedingt, dass stagnierende Märkte und restriktive Umfeldbedingungen die Bedeutung der Akquisition neuer Kunden weiter hinter die der Pflege der Beziehungen zu bestehenden Kunden zurücktreten lassen. Denn unter diesen Vorzeichen ist es unmittelbar einsichtig, dass es zunächst einmal der Absicherung der bestehenden Kunden bedarf, bevor man sich an die Gewinnung neuer Kunden macht, denn ansonsten kommt es nur zum kostenaufwändigen Tausch von Abnehmern im Nullsummenspiel. Das heißt, der Fokus der Aktivitäten ist von der Transaktions- und der Vorkaufphase auf die Nachkaufphase gewandert. Mehr noch, bereits früh hatte Kotler festgestellt, dass eigentlich jegliche Form sozialen Austauschs Marketingüberlegungen zugänglich ist, Marketing also keineswegs auf geschäftliche Zwecke begrenzt bleibt, sondern ebenso gut auch im privaten oder gemeinwirtschaftlichen Bereich instrumentalisiert werden kann. Da

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Werte transferiert werden und die absatzpolitische Domäne in der Gestaltung solcher Austauschprozesse liegt, wird modernes Marketing ganz zwangsläufig und sinnvoll zum Beziehungsmanagement. Legt man diese pespektivische Marketingauffassung zugrunde, lässt sich daraus folgende eigene Marketingdefinition ableiten: Marketing ist die • Planung, Organisation, Implementierung und Kontrolle (Managementaspekt) • aller Aktivitäten mit der Absicht der Erreichung qualitativer und/oder quantitativer Vorgaben (Entscheidungsaspekt) • durch Auswahl und Aufbau, Unterhalt und Referenzierung, Ausbau und Intensivierung bzw. Wiederherstellung oder Ausgrenzung von Geschäftsbeziehungen (Pflegeaspekt) • mit jeweils relevanten Zielgruppen in Absatz, Beschaffung, Produktion, Umfeld und Medien (Anspruchsgruppenaspekt). Da Marketing wahrscheinlich noch auf einige Zeit hinaus diesen umfassenden Anspruch nicht wird einlösen können, bietet sich derzeit eine engere Arbeitsfassung wie folgt an: • Marketing beinhaltet die bewusste Beeinflussung der Vermarktungsbedingungen mittels Instrumental-Mix mit der Absicht der Erreichung quantitativer und qualitativer Zielvorstellungen über die Nutzenstiftung für Kunden und deren Kunden durch die zielgerichtete Gestaltung absatzrelevanter Geschäftsbeziehungen mittels deren Aufbau, Unterhalt, Ausbau, Wiederherstellung oder Aufkündigung. Das heißt, Aktivitäten zu anderen Handlungsträgern werden vorläufig nur insoweit als für Marketing relevant betrachtet, als sie einen Einfluss auf die Ziel­ erreichung bei Kunden und deren Kunden („Demandholders“) haben. Aktivitäten mit anderen Handlungsträgern zu anderen Zielen gehören danach nicht mehr zum Marketingobjektbereich. Aus der Sichtweise des Beziehungsmarketing wird die für das Marketing so typische, verbreitet vorkommende zweistufige Kundenbeziehung deutlich, nämlich die Gestaltung der Beziehungen zu gewerblichen oder privaten Endabnehmern (Pull) über häufig eingeschaltete gewerbliche Zwischenabnehmer (Absatzmittler/ -helfer) (Push).

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7.

A. Marketing als Denkhaltung

Materielle Methoden des Marketing

Die Bestimmung der Marketinginhalte hängt ganz entscheidend von den materiellen Methoden ab, die dabei zugrunde gelegt werden. Chronologisch lassen sich dabei die folgenden, wichtigsten Ansätze unterscheiden. Im institutionenorientierten Ansatz werden in der Praxis vorgefundene absatzwirtschaftliche Organe beschrieben, klassifiziert und ihre Konzentration, Kooperation und Wandlung erklärt. Es handelt sich um einen der ältesten Ansätze, der zu einer umfassenden Typisierung führt (z. B. Schäfer, Seyffert). Von Bedeutung ist dieser etwa bei den Betriebsformen des Handels und deren Wandel. Ziel ist die Beschreibung beobachtbarer Absatzinstitutionen und die Ableitung kosten- und ertragswirtschaftlicher Aussagen daraus. Alle denkbaren Typen werden hinsichtlich verschiedener Ausprägungen beschrieben und auffällig häufig zusammentreffende Ausprägungen zu einem Typ verdichtet. Die Vielfalt der Realität mit dem Wunsch, gerade von dieser Typisierung ab- und zu einer Individualisierung hinzukommen, stellt jedoch dabei ein hohes Hindernis dar. Im warenorientierten Ansatz werden einzelne Produkte und Produkttypologien in den Mittelpunkt gestellt (z. B. Koppelmann). Ausgehend von den Besonderheiten der Produktkategorien werden Besonderheiten in der Ausgestaltung des Marketing postuliert. Es wird also unterstellt, dass verschiedene Güterarten auch verschiedene Vermarktungskonzepte nach sich ziehen. Dem liegt die Hypothese zugrunde, dass in Abhängigkeit von der Ware ein abweichendes Markt- und Käuferverhalten vorliegt. Dies spielt vor allem bei der Behandlung von Konsum­gütern, Industriegütern und (selbstständigen) Dienstleistungen eine Rolle. Im Ergebnis entsteht ein „Bindestrich“-Marketing, das bei näherem Hinsehen jedoch offen legt, dass die Markt- und Nachfragemechaniken für alle Angebotsarten grundsätzlich gleich sind und lediglich Abwandlungen ergänzen, von denen fraglich ist, ob sie den Anspruch eines eigenständigen Marketing rechtfertigen. Beim funktionenorientierten Ansatz geht es um die Beschreibung und Strukturierung der einzelnen Funktionen des Marketing, die in eine Vielzahl von Systematisierungsansätzen mündet. Forschungsgegenstand ist dabei ein Gut, wobei Marketing Spannungen zwischen dessen Produktion und Konsumtion zu überwinden hilft (z. B. Oberparleitner, Leitherer). Dieser Ansatz ist vor allem im Handelsmarketing verbreitet. Dies geschieht etwa durch Aufzählung der Handelsfunktionen zur Systematisierung der Absatztätigkeit. Erkenntnisse über die Setzung der Marketingparameter sollen durch die vollständige Erfassung dieser Funktionen erreicht werden. Je vielfältiger verflochten sich jedoch reale Maßnahmenbereiche darstellen (Komplexitäten), desto schwieriger wird es, alle Funktionen angemessen zu charakterisieren. Zumal diese Funktionen situativ stark abweichend ausgeprägt sind. Beim systemorientierten Ansatz geht es um die Erfassung und Beschreibung komplexer Marketingsysteme und den Ausweis der Verhaltensweisen ihrer Teil-

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nehmer, verbunden mit Gestaltungsempfehlungen für das Marketing (z. B. ­Ulrich). Im Mittelpunkt steht die Beschreibung der Austauschbeziehungen zwischen den Systemelementen in Regelkreisen. Insofern können auch mehrdimensionale und ganzheitliche Beziehungen analysiert und mit Verhaltensnormen für ihre optimale Gestaltung versehen werden. Nicht alle Verknüpfungen von Unternehmen und Umwelt finden tatsächlich statt, sondern nur ausgewählte. Ein System besteht aus solchen ausgewählten Verknüpfungen, der Knüpfung neuer Verbindungen bzw. dem Abbau bestehender Verbindungen. Weil aus der Ausblendung anderer Verknüpfungen Risiko (Kontingenz) resultiert, ist die richtige Wahl des relevanten Umweltausschnitts entscheidend (Selektionszwang). Systeme sind lernfähig, d. h. das Risiko wird im Zeitablauf geringer, allerdings werden Systeme dadurch auch immer komplexer (Eigenkomplexität). Ein Beispiel ist der Warenkreislauf. Dabei wird dargestellt, welche Beteiligten in welchem Umfang, wie, wann und wo Waren, Geld und Informationen austauschen. Bereits kleine Abweichungen von der zugedachten Rolle können jedoch durch einander aufschaukelnde Prozesse große Soll-Ist-Abweichungen provozieren und damit einschneidende Korrektureingriffe gegen Fehlentwicklungen indizieren. Zudem handelt es sich dann lediglich um Feedback-Schleifen, wohingegen Feedforward-Schleifen zur zielgerichteten Beeinflussung zukünftiger Aktivitäten sinnvoll wären. Beim verhaltenswissenschaftlichen Ansatz stehen Erkenntnisse über das Verhalten von Konsumenten und Organisationen im Mittelpunkt (z. B. Kroeber-Riel, Vershofen). Dies betrifft vor allem die Kaufentscheidungsprozesse, die durch partielle und totale Modelle zu erklären versucht werden. Dazu werden verschiedene Kaufentscheidungstypen zugrunde gelegt. Bedeutsam ist dieser Ansatz im Rahmen des Relationship Marketing für dauerhafte Kundenbeziehungen. Zu denken ist aber auch an Käufermodelle für den Individual- und Kollektiventscheid in der Privat- oder Organisationssphäre. Demnach sind weitgehend hypothetische Konstrukte für den Erfolg von Marketingmaßnahmen bedeutsam. Ein großes Problem liegt jedoch darin, dass die Mittel zur Aufbrechung der Black Box und zur Offenlegung von Input-Output-Kausalitäten durchaus unvollkommen und angreifbar sind. Meist wird dabei auf vielfältige intervenierende Variable zurückgegriffen, die über Indikatoren messbar gemacht (operationalisiert) werden sollen. Dennoch wird hiermit eine wichtige Erweiterung der rein betriebswirtschaftlichen Sichtweise auf Nachbardisziplinen angestoßen. Beim entscheidungsorientierten Ansatz werden marketingbezogene Problem­ stellungen als Entscheidungsprozess verstanden, der aus Situationsanalysen, Zielen, Strategiealternativen, Umweltzuständen, Instrumentaleinsätzen und Konsequenzen besteht. Es geht um die Erklärung des Ablaufs von Entscheidungsprozessen sowie Verhaltensempfehlungen dafür (z. B. Heinen). Zur Ergebnisfindung stehen Modelle zur Kalkülisierung von Prozessen und Zuständen mit Entscheidungsregeln und -hilfen bereit. Durch Quantifizierung, Bestimmung funktionaler Zusammenhänge und Determiniertheit sollen hier sowohl Beschreibungen als auch Prognosen ermöglicht werden. Dieser Ansatz ist offen für die Integration auch

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A. Marketing als Denkhaltung

a priori betriebswirtschaftsfremder Bezüge, wie gesellschaftlicher, humanistischer und ökologischer Aspekte. Gerade deren qualitative Elemente lassen sich jedoch nur schwerlich quantifizieren. Daher werden subjektive Bewertungsverfahren wie Analytic Hierarchy Process, Nutzwertanalyse, Conjoint Measurement etc. eingesetzt. Beim situativen Ansatz stehen fallweise Gestaltungsempfehlungen im Vordergrund, die anstelle fester Programme kontextbezogene Anpassungsnotwendigkeiten sehen. Es gibt also nicht ein Optimum, sondern mehrere, von der jeweiligen Situation abhängige Optima (z. B. Kast, Rosenzweig). Basis dafür sind Umweltmodelle (Situations-Cluster), die eine flexible Ausrichtung von Strategien an den jeweils gerade gegebenen Marktsituationen ermöglichen. Ein wichtiges situativbasiertes Modell ist das des Produktlebenszyklus, das in Abhängigkeit von den Phasen der zeitlichen Präsenz am Markt aufeinander folgend Gestaltungsempfehlungen hinsichtlich unterschiedlicher Aktivitäten in Bezug auf Marketing und andere Funktionen gibt. Die dabei entstehenden kasuistischen Ergebnisse bergen jedoch ein gewisses Willkürelement und erschweren die Übertragung von Erkenntnissen über Erfolge und Misserfolge in gesichertes Wissen. Allerdings wird damit auch der Vielfalt einer multioptionalen Gesellschaft Rechnung getragen. Beim informationsökonomischen Ansatz steht die Bewältigung von marktbezogenen Informations- und Unsicherheitsproblemen wie Informationsasymmetrien, Informationsdefiziten und Transaktionskosten für Informationen im Vordergrund (z. B. Coase). Daraus resultieren Verhaltensunsicherheiten und Entscheidungsdefekte. Käufe werden danach etwa auf Such-, Erlebnis- und Hoffnungseigenschaften hin untersucht. Dementsprechend gibt es Inspektions-, Erfahrungs- und Vertrauensgüter, die ein unterschiedliches Maß an Unsicherheit, Informationseinholung und Risikoreduktion auszeichnet. Das zugrunde liegende Prinzip des Opportunismus geht jedoch von einem bestimmten (opportunistischen) Menschenbild aus, von dem meist behauptet wird, es träfe auf die Wirtschaftswirklichkeit so nicht zu, wenngleich die Beobachtung realer Märkte da durchaus Zweifel aufkommen lässt. Der interaktive Netzwerk-Ansatz legt explizit die Idee des Beziehungsmarketing zugrunde, das prozessual, ganzheitlich, evolutorisch, dynamisch und langfristig angelegt ist. Ziel ist eine Partnerschaft zwischen externen und internen Anspruchsgruppen. Beabsichtigt wird die Individualisierung, Kundenorientierung und Kundenbindung durch Wertgestaltung etwa in Form Strategischer Allianzen, Prosumerismus, Nachkaufmarketing etc. Dazu ist der Aufbau von Vertrauen eine Grundvoraussetzung jedweder dauerhaften Beziehung, wie er etwa im Industriegütermarketing eine große Rolle spielt, weil es sich um langfristige Lieferanten-Kunden-Bezüge mit hoher Budgetbindung und großer Erfolgswirkung handelt (z. B. Gummesson). Der prozessorientierte Ansatz geht davon aus, dass durch eine arbeitsteilige Zergliederung der Unternehmensaktivitäten Schnittstellenprobleme, Zeitverluste,

I. Konzeptionelle Grundlagen

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Intransparenzen und damit Ineffizienzen entstehen, die vielfache Koordinationskosten verursachen, um diese zu überwinden bzw. abzuschwächen. Diese Perspektive wird vom Markt auf interne Aktivitäten erweitert und führt so zur Sichtweise des Internal Marketing. Allerdings ist die Abgrenzung zum Personalmarketing einerseits und zur internen Kommunikation andererseits nur schwerlich möglich (z. B. Grönroos). Daneben gibt es weitere Ansätze mit eher geringem Einfluss auf das Marketing: • Evolutions-Ansatz: Ausgangspunkt sind hierbei die zunehmenden Instabilitäten und Diskontinuitäten, die jede überwiegend mechanistische Grundhaltung durch immer neue Herausforderungen überfordern. Rationales, analytisches Denken, vollständige Beherrschbarkeit und Überspezialisierung bergen daher Risiken. Dem sollen Lern- und Entwicklungsfähigkeiten zur Wiedererlangung der Handlungsfähigkeit entgegenwirken. Diesem Prinzip folgt etwa das Konzept des organisationalen Wandels. • Strategie-Ansatz: Er geht durch die Phasen Planung, Organisation, Implementierung und Kontrolle von einem Managementansatz aus. Die Auswirkungen dieser Entwicklung zeigt deutlich ein Blick in die Marketinglehrbücher, wo strategische Aspekte früher nur einen bescheidenen Raum einnahmen, nunmehr jedoch oftmals sogar das Schwerpunktthema ausmachen. Allerdings darf über die strategische Ausrichtung nicht das operative Erfordernis des Handelns vergessen werden. Dies gilt gerade bei zeitgerichteter Führung (Time Based Management). • Instrumental-Ansatz: Hier wird die gerade gegenteilige Entwicklung zugrunde gelegt. Der Akzent wird auf die operativen Marketinginstrumente gelegt. Dabei besteht jedoch die Gefahr, dass Instrumente zuwenig ineinander greifen und die langfristige Perspektive vernachlässigen. So kann ein Mehraufwand bei der Konzeption (Zeitnachteil) sich durchaus in einen Zeitvorteil bei der Umsetzung im Markt wandeln. • Prognose-Ansatz: Hier werden Simulationen und Szenarios eingesetzt, die auf Extrapolation bestehender Faktoren beruhen und versuchen, zukünftige Entwicklungen zu antizipieren. Dabei werden durchaus alternative Ausprägungen berücksichtigt (Trendkanal). Die Realität zeigt jedoch zahlreiche in Art und Stärke unvorhersehbare Trendbrüche (Diskontinuitäten), die den Wert solcher Prognosedaten relativieren. • Human-Ansatz: Er geht davon aus, dass Unternehmen ihre Aktivitäten stärker als zuvor an humanitären Zielen ausrichten, und zwar gegenüber Arbeitnehmern durch Schaffung humaner Arbeitsbedingungen, durch Investitionen in Resozialisierung, durch Einräumung von Mitbestimmungsrechten etc., im Absatz­ bereich etwa durch Verhinderung von Gesundheitsrisiken, durch Eindämmung der Umweltverschmutzung, durch Verhinderung negativer Sozialeffekte etc. Dies mag zwar an naiv-soziales Harmoniebedürfnis erinnern, darin liegt jedoch eine der Zukünfte des Marketing.

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A. Marketing als Denkhaltung

8.

Rahmenbedingungen des Marketing

8.1

Konfliktpotenziale im Marketing

Allerdings ergeben sich vielfältige Konfliktfelder zwischen den Ansichten der traditionellen Betriebswirtschaft und der zeitgemäßen Marketingsichtweise. Stellvertretend sind folgende zu nennen (siehe Abbildung 3).

Tradition. Betriebswirtschaft

Modernes Marketing

Kostenpreis

Marktpreis

Spezialisierung

Differenzierung

Standardisierung

Sonderanfertigung

Funktion

Aufmachung

Technik

Nutzen

Forschung und Entwicklung

Marktforschung

Ersparnis

Qualität

Logistikoptimierung Sicherheit

Serviceflexibilität Risiko

Starre Budgetierung

Flexible Budgetierung

Lange Anlauf-/ Auflagezeit

Kurze Anlauf-/ Auflagezeit

Perfektion

Pragmatik

Methodeneffizienz

Strategische Planung

Marktbedienung

Marktschaffung

Also: Verkaufen, was sich produzieren lässt

Also: Produzieren, was sich verkaufen lässt

Abbildung 3: Konfliktpotenziale im Marketing

I. Konzeptionelle Grundlagen

63

Der Gegensatz zwischen Kosten- oder Marktpreis entsteht, weil traditionell von einer Preisbildung auf Kostenbasis ausgegangen und deshalb ein Preisniveau gefordert wird, das über die volle Kostendeckung hinaus einen angestrebten Gewinn ermöglicht. Marketing geht demgegenüber allein von dem am Markt für ein Angebot erzielbaren Preis aus. Deckt dieser die vollen Kosten nicht, so gibt es mehrere Möglichkeiten. Zum einen kann deshalb vom Marktangebot Abstand genommen, zum anderen im Rahmen einer internen Subventionierung zumindest vorübergehend auf die volle Deckung aller Kostenbestandteile verzichtet werden. Schließlich kann, und das ist das Kernanliegen des Marketing, auch versucht werden, den Nutzen des Angebots in den Augen definierter Zielgruppen derart zu steigern, dass diese bereit sind, einen höheren als den ursprünglichen Preis dafür zu bezahlen. Die Kosten der Leistungserstellung als innerbetrieblicher Größe sind dabei zunächst völlig irrelevant. Ein weiterer Konflikt betrifft das Thema Spezialisierung vs. Differenzierung. Traditionell geht man meist davon aus, sich auf einen Produktbereich zu konzentrieren und dort als angesehener, zuverlässiger Anbieter zu etablieren. Aktivitäten über diese angestammte Domäne hinaus werden nur ausnahmsweise für er­ forderlich gehalten. Marketing hingegen sieht in der aktiven Suche (Scanning) und Beobachtung (Monitoring) als erfolgversprechend erachteter neuer Angebots­ sektoren die Chance, ein Unternehmen entscheidend nach vorn zu bringen. Dies entspricht viel eher der dynamischen Marktorientierung. Eng damit verwandt ist das Problem der Standardisierung oder Sonderanferti­ gung. Die produktionsorientierte Sichtweise geht immer noch davon aus, das Programm auf wenige gängige Angebotsvariable zu konzentrieren, da sich diese in großen Losen äußerst rentabel fertigen lassen. Das wiederum bedeutet niedrige Kosten und damit konkurrenzfähige Preise bzw. ansehnliche Gewinne. Die Marktrealität ist jedoch längst durch den Wunsch des Publikums nach Individualisierung von Produkten gekennzeichnet. So entspricht etwa kaum ein Auto­mobil mehr dem serienmäßigen Zustand, Kleidungsstücke werden durch Accessoires subjektiv modifiziert etc. Die darin liegenden Marktchancen werden vernachlässigt, öffnet sich das Unternehmen nicht für die Möglichkeit, verstärkt individuelle Segmente mit Kleinserien zu bedienen. Die vollautomatisierte Fertigung bietet dabei eine Möglichkeit, durch computergesteuertes Assembling zumindest zu kleinen Sonderserien, wenn nicht sogar zur Losgröße 1 zurückzukehren (Mass Customization). Traditionell steht die Funktion eines Angebots im Vordergrund, im Marketing hingegen ist es die Aufmachung, da die Leistungen von Produkten immer austauschbarer werden. Leider kommt es nur selten zur Situation, dass ein Angebot einen wirklich gravierenden Vorteil vor allen anderen aufweist und sich bereits allein damit eine Marktdominanz erarbeiten kann. Weit überwiegend ist es hingegen so, dass die Angebote auf überaus hohem Niveau leistungsmäßig mehr oder minder gleichwertig sind. Für diese Fälle kommt es auf den Preis und das persönliche

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A. Marketing als Denkhaltung

Gefallen an. Oft ist es auch so, dass die Leistung eines Produkts vom Interessenten gar nicht angemessen beurteilt werden kann, weil ihm das fachliche Wissen, die Konsumerfahrung oder einfach der Wille zur Auseinandersetzung fehlen. Dann wird das Design/Styling bedeutsam für die Entscheidung zugunsten eines und damit gegen alle anderen Angebote. Auch sonst dient die Aufmachung von Produkten, mit denen man sich als Konsument umgibt, als Ausdruck des persönlichen Lebensstils. Zuweilen werden dabei sogar funktionale Nachteile in Kauf genommen (z. B. Sportcoupés), damit tritt die Funktion dann endgültig in den Hintergrund. Parallel dazu ist der Konflikt zwischen Technik oder Nutzen zu sehen. In der Vergangenheit standen die technischen Möglichkeiten im Blickpunkt. Angesichts eines unterversorgten Marktumfelds entsprachen diese auch meist dem Nutzen. In einer Überflussgesellschaft jedoch, in der alle elementaren Nutzen bereits hinlänglich abgedeckt sind, animiert technische Faszination allein immer weniger zum Kauf. Zentral sind vielmehr die persönlichen Nutzen. Internal i. S. v. Leistungsnutzen (Gebrauchseignung/Qualität) oder Kennernutzen (Understatement/ Wissen), external i. S. v. Trendnutzen (Zugehörigkeit/Anerkennung) oder Geltungsnutzen (Profilierung/Prestige). Diese allein stellen den äquivalenten Gegenwert für die Geldausgabe beim Kauf dar. Die subjektive Dimension des Nutzens entfernt sich dabei zunehmend von der objektiven der Technik. Während letztere auf innere Qualitätswerte abhebt, ist für erstere vor allem die wahrnehmbare Qualität ausschlaggebend. Vor diesem Hintergrund muss der vorhandene technische Faktor Forschung und Entwicklung durch den Faktor Marketingforschung ergänzt werden. Forschung und Entwicklung ist zwar notwendig, jedoch nicht mehr allein ausreichend zur Sicherung des Unternehmenserfolgs. Sie bedarf der Ergänzung um die Marketingforschung. Dabei ist klar, dass eine gegebene Wettbewerbsposition ohne intensive Forschung und Entwicklung nicht zu halten ist, das gilt sowohl für die Grundlagenforschung als auch für die angewandte Entwicklung. Marketingforschung muss aber helfen, vorhandene Ergebnisse bestmöglich umzusetzen bzw. geeignete Suchfelder für Ergebnisse vorzugeben. Insofern kommen ihr strategisch-analytische anstelle bloß deskriptiver Dimensionen zu. Im Mittelpunkt der Produktion steht die Ersparnis, im Mittelpunkt des Marketing die Qualität. Ersparnisse bei Einsatzstoffen und Verfahren sind nur insofern tolerabel, als dadurch die Qualität nicht negativ tangiert wird. Dass beide Gesichtspunkte sich ergänzen können, beweist der Erfolg von Lean Production, also der größtmöglichen Sparsamkeit in der Fertigung bei hohen Ausstattungs- und Verarbeitungsansprüchen. Nur karge Herstellung allein ist nicht in der Lage, Markterfolge zu evozieren. Dazu gehört eine erkennbare, nachvollziehbare Qualität. Der Kompromiss zwischen beiden Ansprüchen wird in der Wertanalyse gesucht. Dabei geht es darum, die gegebene Gebrauchseignung (= Qualität) bei reduziertem Faktoreinsatz (= Ersparnis) zu erhalten bzw. bei gegebenem Faktoreinsatz eine höchstmögliche Gebrauchseignung. Als Korrektiv wirken hier Qualitätskontrollen.

I. Konzeptionelle Grundlagen

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Damit eng zusammen hängt der Konflikt zwischen hohen/optimierten Bestellgrößen oder langen Bestellintervallen bei niedrigen Lagerbeständen (Logistikoptimierung) einerseits sowie hohen Lagervorräten und kurzen Lieferabständen andererseits (Serviceflexibilität). Ersteres führt durch Minimierung der Kapitalbindung und der bestellfixen Kosten zur Aufwandssenkung, dies aber zulasten der Reagibilität auf Nachfrageschwankungen, letzteres führt zwar zu höherem Aufwand, erhält jedoch die Lieferfähigkeit auch bei schwankender Nachfrage. Angesichts weitgehend austauschbarer Produkte und Anbieter bergen Fehlmengen das hohe Risiko des Kundenverlustes, da Lieferbereitschaft, Lieferzuverlässigkeit und Lieferfrist heutzutage wichtige Wettbewerbsparameter sind. Ein weiteres Konfliktfeld betrifft die subjektive Einstellung zu Sicherheit oder Risiko. Traditionell ist die Absicht der Rechenbarkeit von Eintrittswahrscheinlichkeiten innerhalb eines mehr oder minder deterministischen Umfelds kennzeichnend. Risiken passen in diese Sichtweise nur insoweit, als sie unvermeidlich und kalkulierbar niedrig sind. Erfahrung zeigt jedoch, dass große Gewinnchancen nurmehr durch das Eingehen hoher Risiken erreichbar sind. Wer diese Risiken nicht einzugehen bereit ist, muss auch auf die damit verbundenen Chancen verzichten. Die durchschnittliche Marktentwicklung kann damit allerdings kaum übertroffen werden. Auf der Finanzseite ergibt sich der Konflikt zwischen starrer oder flexibler Budgetierung. Starre Budgetierung impliziert sowohl die Einhaltung fester, verplanter Kostenprogramme als auch Erlöse. Dies erschwert im Marketing die Vereinbarung kundenindividueller Konditionen wie auch sonstiger Abreden. So können im Einzelfall Geschäftschancen nicht wahrgenommen werden, weil sie pauschal vorgegebenen Standards nicht genügen, obgleich die Nachteile daraus womöglich überkompensiert werden durch Vorteile aus den zusätzlichen Abschlüssen. Ein weiterer Konflikt betrifft die Produktionsvorbereitungs- bzw. Modell­ generationsdauer. Marketing ist an kurzen Vorbereitungszeiten und häufigen Modell­wechseln gelegen (Veränderung). Dadurch kann die Wettbewerbsposition gehalten oder ausgebaut werden. Die Technik hingegen fordert sorgfältige Arbeitsvorbereitung und hohe Produktreife (Konstanz). Damit lassen sich jedoch in schnelllebigen Märkten kaum mehr Marktvorsprünge erzielen. Die Zeit ist hier zu einem wesentlichen Wettbewerbsfaktor geworden, oft gewinnt nicht der Bessere, sondern der Schnellere. Das bedingt auch, dass Produkte aus dem Stand heraus Topqualität aufweisen und nicht erst, wie früher, nach einer gewissen Anlaufzeit des Lernens. In enger Verbindung dazu steht die Einstellung zu Perfektion oder Pragmatismus. Marketing sucht nicht um jeden Preis die Optimierung einer Lösung. Der Aufwand, der dazu erforderlich ist, wird als etwas angesehen, das zur Umsetzung „guter“ Lösungen besser geeignet ist. Dies ist deshalb gerechtfertigt, weil Imponderabilien des Umfelds berechtigte Zweifel an der Optimalität ermittelter Lösun­gen aufkommen lassen und außerdem die Dynamik des Umfelds angemes-

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A. Marketing als Denkhaltung

sen rasche Antworten auf Umfeldveränderungen erfordert. Damit soll keinesfalls blindem Aktionismus das Wort geredet werden. Es geht vielmehr darum, Perfektion durch einen gesunden Schuss Pragmatik zu ergänzen. Dies kommt auch im Gegensatz aus Methodeneffizienz oder strategischer Planung zum Ausdruck. Traditionell wird die volle Nutzung vorhandener Methoden ausgereizt, doch dabei gelegentlich übersehen, dass ein Umstieg auf neue Methoden bei gleichem Aufwand zu vergleichsweise besseren Ergebnissen führen kann. Marketing hingegen stellt bestehende Methoden systematisch in Frage und sucht kreativ neue Problemlösungen, die auf ein höheres Leistungsniveau führen. Maxime ist die Erringung der Marktführerschaft, die aufgrund der vielfältigen Parameterverflechtungen selbst mit zufriedenstellenden Methoden realisierbar scheint, da auch der Mitbewerb nicht optimieren kann. Der Konflikt setzt sich in der Philosophie aus Marktbedienung vs. Marktgestaltung fort. Betriebswirtschaftlich wird eher die unternehmensindividuell bestmögliche Bedienung vorhandener Märkte untersucht. Dabei geht es vor allem um die Minimierung der mit Aktivitäten verbundenen Kosten. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die mit der Nutzung bestehender Potenziale verbundene Effizienz nicht geringer einzuschätzen ist als mögliche Effizienzvorteile, die aus der Aktivierung neuer Potenziale erwachsen. Marketing beschäftigt sich maßgeblich mit der Identifizierung und testweisen Bedienung solcher neuen Produktmärkte, aus denen nicht zuletzt Wachstumsimpulse bezogen werden. In der Summe lassen sich die Aspekte im Konflikt Unternehmensorientierung (Grundhaltung: Verkaufen, was sich produzieren lässt) vs. Marktorientierung (Grundhaltung: Produzieren, was sich verkaufen lässt) zusammenfassen. Während traditionell das Unternehmen als produktives soziales System untersucht wird, steht im Mittelpunkt des Marketing der Markt als Ort der Umsatzerzielung. Denn nur die Honorierung von Betriebsleistungen durch den Markt sichert den Bestand des Unternehmens. Und je marktgerechter angeboten wird, desto größer bleibt der Abstand zum Grenzanbieter.

8.2 Marktentwicklungen Ein Spannungsfeld ergibt sich aus der Dichotomie zwischen Individualisierung der Nachfrage und internationaler Homogenisierung von Bedarfstrends. Die Märkte sind durch vielfältige, gegeneinander mehr oder minder deutlich abgegrenzte Marktsegmente charakterisiert. Dem liegt der Wunsch der Nachfrager zugrunde, sich durch die Wahl geeigneter Produkte innerhalb des sozialen Umfelds voneinander abzuheben, aber auch die Absicht der Anbieter, sich durch spezifische Profilierung aus dem Wettbewerbsumfeld abzusetzen. Dieser Trend dürfte sich zukünftig noch verstärken. Als Gegenbewegung dazu lässt sich jedoch zugleich konstatieren, dass die Nachfragestrukturen grenzüberschreitend immer gleichartiger

I. Konzeptionelle Grundlagen

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werden. So bestehen bereits heute stärkere Gemeinsamkeiten zwischen Angehörigen der gleichen sozialen Schicht in verschiedenen Ländern als innerhalb eines Landes zwischen Angehörigen verschiedener sozialer Schichten. Junge Leute etwa denken, zumindest in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften der westlichen Welt, überall ähnlich und entwickeln gleiche Kaufverhaltensmuster. Dasselbe gilt für Professionals, berufstätige Frauen, Senior Managers etc. (siehe Abbildung 4). Individualisierung der Nachfrage

Internationale Homogenisierung

Leistungsorientierung

Freizeitgesellschaft

Ökosoziale Denkhaltung

Materialistische Anspruchserfüllung

Preissensitivität

Qualitätsorientierung

Technologiefeindlichkeit

Innovationsbegeisterung

Protektionismus

Liberalisierung

Deregulierung

Ausweitung des Staatsanteils

Nischenanbieter

Multinationale Konglomerate

Abbildung 4: Marketingrelevante Gegensätze der Gesellschaft

Einer zunehmenden Leistungsorientierung in Teilen der Gesellschaft steht der Trend zur Freizeitgesellschaft/Selbstverwirklichung gegenüber. Personengruppen, welche die Mechanismen des erfolgreichen kapitalistischen Systems anerkennen und für sich gewinnbringend nutzen, sind bereit, durch hohes Engagement von diesem System zu profitieren. Dazu gehören etwa Freiberufler, leitende Angestellte, aber auch Facharbeiter, die in den Leistungsnormen des Systems eine willkommene soziale Einordnung und Absicherung finden. Demgegenüber sehen andere Personengruppen den „Sinn“ des Arbeitens vor allem (oder sogar ausschließlich) darin zu leben. Daraus folgt die Bereitschaft zu nur begrenztem Engagement mit geregelten Arbeitszeiten und durchschnittlichem Arbeitseinsatz („Vollkasko-­ Mentalität“). Die gewonnene Zeit wird zur „lustvollen“ Freizeitgestaltung und persönlichkeitsorientierten Selbstverwirklichung genutzt (Generation Y), wobei der Anteil der arbeitsfreien Zeit bei einigen Personengruppen in Zukunft erheblich steigen und entsprechende Perspektiven für die Erlebnisindustrie bieten wird. Ökosoziale Denkhaltung vs. materialistische Anspruchserfüllung birgt einen weiteren Konflikt. Zweifellos werden die Umfeldbedingungen immer restriktiver

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A. Marketing als Denkhaltung

und engen zukünftige Vermarktungschancen ein. Anbieter tragen dem bereits in vielen Branchen durch ökologieorientierte Produkte Rechnung. Unabhängig vom verstärkten gesellschaftlichen Trend, gibt es dazu ohnehin keine Alternative. Dies erfordert auch Abstriche am allgemeinen Wohlstandsniveau. Produkte werden durch aufwändige Umwelttechnologie, deren Kosten im Preis eingerechnet sind, zwangsläufig teurer. In einigen Bereichen sind auch Leistungsminderungen hinzunehmen. So oder so verschlechtert sich das Preis-Leistungs-Verhältnis. In weiten Teilen der Bevölkerung ist das Problembewusstsein dafür noch nicht ent­wickelt und die Bereitschaft demgemäß recht gering, Abstriche an den Ansprüchen beim Konsum in Kauf zu nehmen. Marketing kommt insofern eine wichtige gesellschaftsgestaltende Rolle zu, der es noch viel gerechter werden muss. Eine Polarisierung ergibt sich auch zwischen dem Primat der Preissensitivität (Versorgungskauf) und der Qualitätsorientierung (Erlebniskauf). Angesichts limi­tierter Budgets gilt es für Haushalte, die finanzielle Lücke zwischen stagnierendem Nettoeinkommen und wachsendem Konsumanspruch zu schließen. Dies geschieht durch Anlegung unterschiedlichen Kaufverhaltens je nach Produkt­ bereich. Bei Grundnutzenprodukten mit einfachem Leistungsprofil und geringem Interessegrad steht das Preisargument im Vordergrund. Daraus folgt der Versorgungskauf vor allem bei (preisaggressiven) Discounters. Die dabei ersparten Budgetmittel werden jedoch dem Konsum nicht unbedingt entzogen, sondern für Zusatznutzenprodukte mit anspruchsvollem Leistungsprofil und hohem Interessegrad investiert. Dies erfolgt als Erlebniskauf vor allem im (beratungsintensiven) Fachhandel oder in fachhandelsähnlichen Warenhauskonzepten (Galeria etc.) und Einkaufspassagen (Malls). Da dieses gegensätzliche Kaufverhalten auf dieselben Personen zutrifft, spricht man bei ihnen von hybriden Verbrauchern. Ein weiterer Gegensatz ergibt sich zwischen Technologiefeindlichkeit und Innovationsbegeisterung. Einerseits ist das Publikum begeistert von technischen Errungenschaften und gerne bereit, dafür teils erhebliche Mehrpreise zu zahlen (z. B. Allradantrieb bei Autos). Hierbei tun sich aufgrund der extrem kurzen Entwicklungszeiten und des hohen technischen Fortschritts vor allem die japanischen Anbieter hervor. Annehmlichkeiten wie DVD-Recorder, Online-Recherche, Digitalkameras etc. sind nicht mehr wegzudenken. Andererseits bestehen gegen ebendiese technischen Errungenschaften aber auch weitgehende Vorbehalte, etwa bei der Konservierung von Lebensmitteln, der Nutzung von Kernenergie, bei pharmakologischen Präparaten für die Medizin, beim Datenschutz im Internet etc. Obgleich in allen Bereichen strengste Sicherheitsstandards angelegt sind, wird der Industrie hier misstraut. Diese Ambivalenz ist oftmals irrational und gefährdet den Markterfolg innovativer Produkte. Neuer Protektionismus steht der Liberalisierung des freien Wettbewerbs gegenüber. Sollte man angesichts der europäischen Integration eigentlich ein endgültiges Fallen der Schranken zur Wettbewerbsfreiheit erwarten, vollzieht sich aus Angst um die Fähigkeit zur Behauptung realiter oft das Gegenteil. Die nationalen

I. Konzeptionelle Grundlagen

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Industrien werden durch staatliche Maßnahmen abgeschottet. Damit wird die Erkenntnis ignoriert, dass nur das Härtebad des Wettbewerbs nationale Industrien derart stählt, dass sie sich im internationalen Vergleich zu behaupten vermögen. So bestehen, angesichts der etwa gegen China erhobenen Vorwürfe protektionistischer Heimatmarktabschottung, Einfuhrbeschränkungen in vielen europäischen Ländern, bei Automobilen etwa mit der Folge, dass die Automobilhersteller dieser Länder zwischenzeitlich international immer weiter zurückgefallen waren und nur unter immensen Anstrengungen wieder aufgeholt haben. Wie sehr Privatisierung staatlicher Unternehmen die Märkte positiv verändern kann, erkennt man im Zeitvergleich bei der Telekommunikationsbranche. Damit eng zusammen hängt die Deregulierung der Märkte, der die Tendenz zur Ausweitung des Staatsanteils gegenübersteht. Gemäß neoklassischer Philosophie irritiert der Staat als Wirtschaftsteilnehmer nur die privaten Anbieter und verursacht nicht überschaubare Sekundär- und Tertiäreffekte, welche die Effizienz der Marktwirtschaft beeinträchtigen. Dementsprechend ist umfassend zu deregulieren. Dieser umstrittenen Tendenz steht die nicht minder umstrittene Doktrin des Staatsinterventionismus gegenüber. So sind weite Teile der Wirtschaft nicht mehr durch einen funktionsfähigen Preismechanismus gekennzeichnet. Wenn man bedenkt, dass nur die pretiale Lenkung für maximale Effizienz sorgen kann, ist dies bedenklich. Preisreglementierungen sind hier zulande in vielfältiger Form zu finden, markant ist dabei, dass einige der betroffenen Branchen gleichzeitig als, milde gesagt, gering innovativ zu kennzeichnen sind. Schließlich bieten noch dynamische Nischenanbieter parallel zu multinationalen Konglomeraten an. Seit Verbreitung der Erkenntnisse um die PorterKurve wird der Erfolg beider Strategien nebeneinander deutlich. Porter behauptet, dass erfolgreiche Wettbewerbspositionen entweder bei niedrigpreisigem Massenmarktangebot infolge Standardisierung und Nutzung von Erfahrungskurveneffekten oder bei hochpreisigem Segmentierungsangebot infolge Spezialisierung und Chance zu kommunikativer Profilierung möglich sind. Dementsprechend sind beide Trends am Markt erkennbar, auf der einen Seite spezialisierte Premium­ anbieter, auf der anderen rationelle Massenfertiger.

8.3 Marktperspektiven Die Grenzen der Absatzexpansion rücken unverkennbar in immer größere Nähe. Dazu tragen eine ganze Reihe von Faktoren bei. Sie sind für die Zukunft unschwer vorauszusehen oder gar schon Gegenwart. Steigende Abgaben und Steuern werden selbst bei real steigenden Bruttoeinkommen für eine Limitation der Kaufkraft sorgen. Hinzu kommt ein wachsendes Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung, das zu einem vermehrten Rücklagenanteil am Einkommen führt, zumal das soziale Netz löchrig bzw. äußerst gespannt ist.

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A. Marketing als Denkhaltung

Die traditionellen Märkte werden verstärkt durch hohe Marktsättigung gekennzeichnet. In vielen Branchen kommt nur noch Ersatzbedarf, wenngleich vielfach auf höherem Niveau, zum Tragen. Gleichzeitig eröffnet jedoch der Wertewandel die Chance des Aufbruchs in neue Märkte. Die Preis-Leistungs-Relation von Angeboten wird zunehmend transparenter. Anbieter, die keine hohe Qualität zu günstigem Preis bieten können, geraten immer mehr unter Existenzdruck. Dies gilt vor allem für unbewegliche, einheimische Anbieter. Die Absatzstruktur verschlechtert sich weiterhin durch Kunden- und Auftragskonzentration bei nur begrenzten Ausgleichsmöglichkeiten. Insofern gewinnt Macht als ökonomisches Argument weiter mit verheerenden Auswirkungen an Gewicht. Der große Rationalisierungsgrad schafft durch Standardisierung und Kapitalbindung die Notwendigkeit eines hohen Auslastungsgrads. Schon leichte Absatzrückgänge können somit zu operativen Verlusten führen, die ein Krisenmanagement erfordern. Weitere Rationalisierungseinsparungen sind allenfalls noch im Gemeinkostenbereich (Administration) gegeben. In der Fertigung verstärken sie durch hohen Fixkostenblock nur die Inflexibilität und Anfälligkeit gegen Marktschwankungen. Dies wird weiter zunehmen und zu einer Verschiebung der internationalen Konkurrenz zur transnationalen Arbeitsteilung führen. Die exekutiven Tätigkeiten werden in weniger entwickelte Länder mit niedrigerem Lohnniveau exportiert, während sich die dispositiven Tätigkeiten in hoch entwickelten Ländern konzentrieren. Damit wird es zu weiter zusammenwachsenden Märkten bei perpetuiertem Wohlstandsgefälle kommen. Es kommt zu einer Zuspitzung des Nord-SüdKonflikts mit dramatischen politischen Veränderungen. Die weniger entwickelten Länder werden ihren gerechten Anteil am Wohlstand einfordern, weil ihre Volkswirtschaften angesichts der Bevölkerungsexplosion ansonsten nicht überlebens­ fähig sind. Die Verweigerung der hoch entwickelten Länder führt zu Problemen bei der Lösung der Verschuldungs- und Energiesituation. Ein ungebrochener Konzentrationstrend lässt je Branche nur wenige extrem leistungsfähige Unternehmen unabhängig überstehen. Deshalb sind sogar ausgesprochen große Anbieter anfällig für Übernahmen. Ein Ende der Merger-Welle ist in keiner Weise absehbar. Verstärkte internationale Verflechtungen führen zur Entstehung neuer Betriebsformen. Zu denken ist an Kontraktfertigung, Marketingholdings, aber auch an Strategische Allianzen und Joint Ventures. Sie sollen grenzübergreifend die Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Partner sichern und steigern helfen. Die zunehmende Verknappung bei fossilen Rohstoffen wird zum eigentlich limitierenden Faktor der wirtschaftlichen Entwicklung. Damit sind die Grenzen des Wachstums endgültig erreicht. Diese Erkenntnis führt zu verbreitetem Zukunftspessimismus und erneuten Zweifeln an der endgültigen Richtigkeit des Kapitalismus als Wirtschaftsform. Es kommt zu einer steigenden Kapitalbindung in der Fertigung durch den Zwang zur Nutzung von Größendegressionseffekten. Dies führt zu ausgepräg-

I. Konzeptionelle Grundlagen

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ter Inflexibilität in der Produktion, extremem Unternehmensrisiko durch Fixkostenbelastung und Zwang zu aggressiven Vermarktungsstrategien. Insofern sind schnellere Innovationsschübe und forcierter technischer Fortschritt zweifelsfrei zu prognostizieren. High tech in allen Lebensbereichen angesichts zunehmender natürlicher Restriktionen ist die einzige Chance zum Erhalt des Lebensstandards. Hier ist vor allem an Informationsübermittlung, -speicherung und -verarbeitung zu denken. Die steigende Dynamik der Märkte erzwingt verkürzte Entwicklungszeiten und Produktlebenszyklen. Wirtschaftliches Wachstum wird vermehrt über schnellere Veralterung getragen. Daraus folgt eine Polarisierung am Markt in progressiven Edelkonsum sowie Selbstbeschränkung als Konsumverweigerung. Neue Zahlungs- und Finanzierungsformen führen zu mehr Entscheidungsfreiraum auf der Nachfrageseite. Käufe können verstärkt spontan (auch von zuhause aus/Internet) getätigt werden. Damit ist zugleich die Gefahr des Overbuying gegeben, die sich besonders für wirtschaftlich weniger erfahrene Publikumsschichten verhängnisvoll auswirken kann. Ordnungspolitische Restriktionen in Umweltschutz, Kartellrecht, Mitbestimmung, Sozialaspekten engen den Spielraum unternehmerischer Gestaltung gravierend ein. Sie sind teils Sanktionierung freiwilliger Selbstbeschränkung der Anbieter, teils Vorbeugung gegen Übervorteilung durch unternehmerische Willkür. Steigende Bürokratisierung bewirkt eine mangelnde Strukturanpassungsfähigkeit. Anstelle des Marktautomatismus, von dem angesichts horrender Probleme Versagen befürchtet wird, tritt wider besseren Wissens multizentralisierte Planung. Beispiele wie EU-Agrarmarkt, Post-Dienste, Energieversorgungsoligopol werden wohl nicht als Warnung verstanden. Die Umkehrung der Alterspyramide führt zu gravierenden Nachfrageveränderungen. Bedarfsverschiebungen lassen Märkte expandieren (z. B. Schonkost, Arzneimittel, Erholung), andere hingegen schrumpfen (z. B. Babynahrung, Jeans, Spielwaren). Im Übrigen entsteht trotz gegenteiliger Beteuerungen eine Altersversorgungsproblematik durch eine immer ungünstigere Relation von Erwerbstätigen zu Rentnern, die noch durch explodierende Kosten (personaler) Sozialer Dienste verstärkt wird. Es kommt zu verstärkter Kritik an unternehmerischem Handeln. Die Forderungen nach Erfüllung gesellschaftlicher Verantwortung in Produktion und Angebot werden eingeklagt. Marketing steht dabei als Kontaktbrücke zum Publikum im Mittelpunkt (Beziehungsmanagement). Verantwortungsbewusste Unternehmen nutzen diese Chance, sich über ethische Haltung zu profilieren. Als Konsumtrends werden Hedonismus, Gesundheitswelle, Körperbewusstsein, Harmoniebedürfnis und Individualität dominant. Angebote in diesen Marktfeldern werden prosperieren. Dem werden Anbieter durch zahlreiche Umpositio­ nierungen ihrer Produkte im Markt gerecht. Zunehmend werden Bürger- und Arbeitnehmerinitiativen auf die gesellschaftlichen Vermarktungsbedingungen Einfluss nehmen. Das Streben nach Selbstbestimmung mündet in Selbsthilfe und dem kollektiven Bewusstsein der Abkopplung von möglicher Interessenverfilzung

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A. Marketing als Denkhaltung

zwischen Staat und Industrie zugunsten einer willkommenen Autonomie (z. B. Stuttgart 21). Daraus folgt womöglich ein Verfall der tradierten Autoritäten (wie Kirche, Parteien, Gewerkschaften). Die postmaterialistische Einstellung führt zu alternativen Lebensformen. Die neuen Ideologien werden durch Emotion und Sensibilität getragen. Als zentrales Konstrukt wird die Lebensqualität angesehen. Dazu gehören Aspekte wie persönliche Gesundheit, ausreichende Möglichkeiten zur Persönlichkeitsentfaltung, gesicherte Beschäftigung an angemessenen Arbeitsplätzen, sinnvolle Gestaltung von Freizeit, ausreichende Verfügung über Güter und Dienste, intakte physische Umwelt, Gewährleistung persönlicher Sicherheit und kollektiver Rechtsstaatlichkeit sowie Chancengleichheit zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Marketing kann diesen Zielen durch adäquate Produktangebote entsprechen.

II. Marketing durch Beziehungsmanagement 1.

Inhalte und Erklärung des Konzepts

Der letzte entscheidende Durchbruch im Marketing betrifft die Verlängerung der Betrachtung der Austauschprozesse von einer Episode auf mehrere Episoden (eine Transaktionsperiode) in Form der Gestaltung von Geschäftsbeziehungen (Relationship Marketing). Eine Geschäftsbeziehung stellt eine auf längere Sicht eingerichtete ökonomische Austauschbeziehung zwischen Marktakteuren dar (siehe Abbildung 5). Die planmäßige Gestaltung der Geschäftsbeziehungen erfolgt im Rahmen des Relationship Marketing. Dafür gibt es vielfältige Definitionen. Als eigene Definition kann folgende zugrunde gelegt werden: Geschäftsbeziehungen stellen allgemein alle zielgerichteten Kontakte eines Unternehmens mit seinen Austauschpartnern auf Basis materieller und/oder informatorischer Interaktionen dar. Relationship Management befasst sich mit der bewussten Gestaltung dieser Geschäftsbeziehungen durch deren planmäßige Steuerung im Zeitablauf. Relationship Marketing umfasst denjenigen Ausschnitt der Geschäftsbeziehungen, der auf die Realisierung und Ausschöpfung von Marktpotenzialen gerichtet ist.

Primat für Akquisition Primat für Abwicklung Vorkaufmarketing

Transaktionsmarketing

Primat für Betreuung Nachkaufmarketing

Phasen im Beziehungsmarketing

Abbildung 5: Phasen im Beziehungsmarketing

Customer Relationship Management (CRM) betrifft dabei nur die Geschäftsbeziehungen zu Kunden (s. u.). Diese betreffen Leistungsströme (Waren und Gelder) sowie Informationsströme. Relationship Marketing bezieht sich aus allen Geschäftsbeziehungen auf denjenigen Ausschnitt, der indirekte und indirekte Abnehmer sowie Lieferanten betrifft. Private Beziehungen bleiben bei der Betrachtung bewusst außen vor (siehe Abbildung 6).

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A. Marketing als Denkhaltung

Relationship Management (alle Anspruchsgruppen) Relationship Marketing (nur Vermarktungsumfeld) Customer Relationship Management (nur Kunden)

Abbildung 6: Elemente des Beziehungsmanagements

Zur Erklärung des Eingehens und Unterhalts von Geschäftsbeziehungen dienen verschiedene theoretische Ansätze, im Einzelnen vor allem solche der neoklassischen Theorie, der neoinstitutionellen Theorie und der neobehavioristischen Theorie. Die neoklassische Theorie fußt auf der mikroökonomischen Theorie, die Entscheidungen von Haushaltungen und Unternehmen unter bestimmten, recht rigiden Anfangsvoraussetzungen (z. B. Informationssicherheit, Rationalität) analysiert. Bei Betrachtung sowohl der Anbieter- als auch der Nachfragerseite sind vor allem die Nutzentheorie und die Gewinntheorie relevant. Die Nutzentheorie wiederum erklärt das Verhalten des Konsumenten im Hinblick auf die Leistungen von Unternehmen. Grundaussage der Nutzentheorie ist es dabei, dass ein Kunde i. S. d. Nutzenmaximierung umso eher Leistungen eines Unternehmens beansprucht, je höher sein Nutzen aus dem Gebrauch dieser Leistung ist. Darüber hinaus nimmt der Grenznutzen in Anspruch genommener Leistungen ab. Je mehr Einheiten einer Leistung dem Kunden also zur Verfügung stehen, desto geringer sind Nutzengewinne aus zusätzlichen Leistungseinheiten für den Kunden. Übertragen auf Kundenbeziehungen bedeutet dies, dass ein Kunde umso eher eine Beziehung mit dem Anbieter eingeht, je eher dieser einen Nutzen für den Kunden erwarten lässt. Auf dieser Argumentation bauen implizit die Bedeutung von Größen wie Leistungsqualität, Kundenzufriedenheit, wahrgenommener Nutzen oder Beziehungsqualität auf. Die Gewinntheorie erklärt das Verhalten von Unternehmen im Hinblick auf für Konsumenten dargebotene Leistungen. Danach orientieren sich Anbieter bei ihren Aktivitäten an den ökonomischen Konsequenzen ihrer Handlungsalternativen. Eine zentrale Anwendung der Gewinntheorie ist in Modellen des Customer Lifetime Value (CLTV) zu sehen, die einer ökonomischen Bewertung von Kunden­ beziehungen dienen. Die neoinstitutionelle Theorie untersucht das Vorkommen und die Bedeutung von Institutionen zwischen Markt und Hierarchie (Penrose). Dazu dienen im Einzelnen vor allem die Ansätze der Informationsökonomik, der Principal-AgentTheorie und der Transaktionskosten.

II. Marketing durch Beziehungsmanagement

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Die neobehavioristische Theorie basiert auf der Interpretation der zwischen einem Input und einem Output ablaufenden moderierenden Prozesse. Dabei sind psychologische und soziologische Ansätze von Belang. Bei den psychologischen Ansätzen sind neben anderen die Lerntheorie, die Risikotheorie und die Dissonanztheorie von hoher Relevanz. Die Lerntheorie besagt u. a., dass nutzbringende Verhaltensweisen der Vergan­ genheit von Individuen beibehalten werden, und umgekehrt. Auf eine Geschäftsbeziehung bezogen bedeutet dies, dass Kunden eine Geschäftsbeziehung beibehalten, wenn und solange sie aus dieser einen klaren Nutzen wahrnehmen, d. h. Zufriedenheit gegeben ist. Die Risikotheorie besagt, dass Individuen versuchen, ihr subjektiv wahrgenommenes (kaufspezifisch gefühltes) Risiko möglichst gering zu halten. Dieses Risiko setzt sich aus der Bedeutsamkeit negativer Konsequenzen einer möglichen Fehlentscheidung sowie der bestehenden Unsicherheit hinsichtlich des Eintretens dieser Negativfolgen zusammen. Eine Risikoreduktion folgt etwa aus der Beibehaltung einer Geschäftsbeziehung, die zufriedenstellend ist oder zufriedenstellender als das vermutete Ergebnis anderer Geschäftsbeziehungen bzw. manifeste Ergebnisse der Vergangenheit. Die Dissonanztheorie geht davon aus, dass Individuen ein dauerhaftes Gleichgewicht ihres kognitiven Systems anstreben. Ihr Ziel ist es daher, entstehende Dissonanzen abzubauen und somit dieses Gleichgewicht wiederherzustellen. In Bezug auf eine Geschäftsbeziehung bedeutet dies, dass nach einem Kauf versucht wird, dissonanzerhöhende Informationen zu vermeiden. Die Stärke der Dissonanzen und damit das Ausmaß des Bemühens, diese zu reduzieren, hängt von vielfältigen Faktoren ab. Bei den soziologischen Ansätzen sind vor allem die Interaktions- und Netzwerksansätze, die Austauschtheorie und die Durchdringungstheorie von Belang. Im Interaktionsansatz werden Geschäftsbeziehungen im B-t-B-Bereich untersucht. Organisationale Beschaffungsprozesse unterscheiden sich durch ihre Problemlösungs- und Entscheidungsprozesse sowie die Art der Interaktionen erheblich vom Konsumentenverhalten. Mit zunehmender Dichte der Interaktionen gewinnen Netzwerkansätze hier an Bedeutung. Dabei geht es vor allem um interorganisationale Netzwerke zwischen Unternehmen. Durch die damit verbundenen allseits vorhandenen Nutzen (Win-Win-Situation) lassen sich die Existenz und die Entwicklung von Netzwerken erklären. Die soziale Austauschtheorie ist ein Konzept zum Zustandekommen solcher Interaktionen. Danach kommt es nur dann zu Markttransaktionen, wenn alle beteiligten Marktpartner auf mittlere Sicht ein Gleichgewicht aus Anreizen und Beiträgen erfahren. Die Existenz von Unternehmen hängt u. a. davon ab, ob für alle Interessengruppen die gewährten Anreize mindestens so groß sind wie die geforderten Beiträge, etwa in Form von Arbeitsleistung bei Mitarbeitern, Kapitalhergabe bei Investoren, Kaufpreisbereitstellung bei Kunden etc. Insbesondere Kunden erhalten eine Beziehung zum Unternehmen nur dann aufrecht, wenn der Nettonutzen aus der Beziehung positiv ist, d. h.

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A. Marketing als Denkhaltung

der wahrgenommene Austauschnutzen größer ist als der dazu einzusetzende Austauschaufwand. Die Durchdringungstheorie geht von einer zunehmenden Bedeutung der persönlichen Beziehung in Transaktionen aus, indem die Beziehungspartner kontinuierlich mehr über einander erfahren und sich besser aufeinander einstellen. Dabei spielt die Persönlichkeit des Menschen eine zentrale Rolle. Persönlichkeitsbreite meint auf Kunden bezogen das Ausmaß der Kenntnisse über einen Anbieter (Quantität), auf Unternehmen bezogen das Ausmaß der Kenntnisse über einen Nachfrager, Persönlichkeitstiefe meint die Dichte der Kenntnisse des Unternehmens über seine Kunden (Qualität) bzw. des Nachfragers über seinen Anbieter. Auf diese Weise lernen die Beziehungspartner einander in immer mehr Bereichen immer besser kennen und verstehen. Es besteht allerdings Kritik dahingehend, inwieweit es sich dabei wirklich um eine sinnvolle Weiterung des Marketing handelt oder vielmehr nur um eine moderne Sichtweise der traditionellen Öffentlichkeitsarbeit, also eines Kommunikationsinstruments. Denn sofern es sich um aktuelle oder potenzielle Abnehmer handelt, wird ihre Berücksichtigung bereits durch das „normale“ Marketinginstrumentarium gewährleistet, und soweit es sich nicht um Abnehmer handelt, besteht kein materielles Transaktionsinteresse (also keine Waren-Geld-Beziehung), sondern nur ein ideelles, mithin kommunikationsbezogenes.

2.

Anspruchsgruppen des Unternehmens

Die Zielgruppen des Relationship Marketing sind vor allem Kunden, aber auch Lieferanten, Kapitalgeber, Konkurrenten, Öffentlichkeit, Management etc. (Stakeholders). Stakeholders sind allgemein Handlungsträger, die in der Lage sind, den Organisationserfolg positiv oder negativ zu beeinflussen. Sie leisten Beiträge (Stakes) für den Geschäftserfolg des Anbieters und leiten daraus Ansprüche an den Beitragsempfänger ab. Diese Ansprüche sind materieller und/oder immaterieller Natur. Sie bestehen in bilateralen Transaktions- und Interaktionsbeziehungen mit einem Fluss von Leistungen und Gegenleistungen. Zur positiven Gestaltung der Beziehungen ist es ratsam, die 7 I’s des Relationship Marketing einzuhalten: • Information der jeweiligen Aktionspartner, Interaktion der Beteiligten, Individualisierung der Beziehungsgestaltung, Integration der Kundeninteressen, Investition in Selektion, Anbahnung, Steuerung und Kontrolle der Beziehungen, Instrumentalisierung der Beziehungen (oft über Netzwerke)  und Institutiona­ lisierung in Instanzen und Stellen. Anspruchsgruppen tangieren damit den Unternehmenszweck und die Überlebensfähigkeit, im Unterschied zu Bezugsgruppen, die verhaltensbeeinflussend wirken, oder Interessengruppen, die keine direkten Beiträge zum Erfolg leisten. Sie bedürfen daher eines bewussten Managements für einen bestmöglichen Inter-

II. Marketing durch Beziehungsmanagement

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essenausgleich zwischen ihnen und dem Unternehmen und werden durch einen kontinuierlichen Informationsaustausch mit Leben erfüllt. Zunächst sind dazu die im Einzelfall in Frage kommenden Stakeholders zu identifizieren. Diese werden dann in Gruppen zusammengefasst und hinsichtlich ihrer Anspruchslage geordnet, zumeist in Endkunden, Zwischenabnehmer, (aktuelle, potenzielle, substitutive) Konkurrenten, Lieferanten, Medienöffentlichkeit, Kapitaleigner und Mitarbeiter. Diese Stakeholders werden jeweils in Bezug auf ihre wichtigsten Merkmale charakterisiert. Dann erfolgt die Bewertung nach Chancen-Risiken-Potenzialen und die Ermittlung der Wichtigkeit dieser Stake­ holders nach festgelegten Kriterien. Darauf aufbauend werden Normstrategien zur Nutzengenerierung bei den Anspruchsgruppen festgelegt. Auf dieser Basis werden die einzelnen Stakeholders betrachtet und spezifische strategische Führungsentscheidungen gestaltet. Diese müssen abgestimmt, umgesetzt und auf ihre Wirksamkeit hin durch Indikatoren/Kennzahlen kontrolliert werden. Für den Aufbau einer Beziehungsstruktur zu den Anspruchsgruppen gibt es mehrere Ausprägungen: • Nach der Auslegung sind die Beziehungen vertikal zu Abnehmern (verschiedenstufig), horizontal zum Wettbewerb (gleichstufig) und lateral zum Umfeld wie Komplementatoren, Staat etc. • Nach der Priorität gibt es primäre Stakeholders, die eindeutige und offensichtliche Bindungen, die meist formell, offiziell und/oder vertraglich ausgeprägt sind, haben, sowie sekundäre Stakeholder, die demgegenüber eher über informelle, wenngleich aber dennoch vorhandene und damit entscheidungsrelevante, Ausprägungen von Bindungen an einen Anbieter verfügen. • Nach den Zielgruppen kann es sich um organisationsinterne Beziehungen zu Institutionen, Gruppen oder Individuen handeln, oder um Beziehungen zu Externen, also Beziehungen des Unternehmens zu seinem Umfeld. Organisationsinterne Beziehungen wiederum finden auf einer Ebene oder zwischen Ebenen statt. Bei letzteren handelt es sich vor allem um solche vom Management zu den Mitarbeitern (Top down) und solche von den Mitarbeitern zum Management (Bottom up). • Nach dem Inhalt der Beziehungen unterscheidet man die Behandlung von Sachproblemen, aber auch von überlagernden Aspekten der Organisation, Macht, Emotionen etc. • Nach der Intensität der Beziehungen kann man in verschiedene Grade der Dauer (kurzfristig/langfristig) und Bedeutung (schwach/stark) von Beziehungen unterscheiden. • Nach der Symmetrie der Beziehungen unterscheidet man solche zwischen gleichberechtigten, autonomen Partnern und solche zwischen ungleichen, abhängigen Partnern.

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A. Marketing als Denkhaltung

• Nach den Zielen steht in Bezug auf Kunden ökonomisch die Betrachtung des (statischen) Kundenwerts und des (dynamischen) Kundenlebenszeitwerts im Mittelpunkt, letzterer umfasst die Sicht der Kundenpotenziale, nicht nur die des Kundenbestands. Vorökonomisch ist vor allem die Kundenzufriedenheit zu nennen. Sie wird für ursächlich dafür erachtet, dass Kunden aufgenommene Geschäftsbeziehungen anbietertreu fortsetzen, sofern nicht Gebundenheitssituationen (Zwangstreue) vorliegen. Der Stakeholder-Ansatz hat den traditionellen Shareholder-Ansatz (Gewinn­ maximierung) in der Diskussion abgelöst. Zu den Stakeholders gehören Marktpartner, interne Partner und Umfeldpartner. Damit sind so unterschiedliche Gruppen wie Eigentümer, Mitarbeiter, Lieferanten, Konkurrenten, Kapitalgeber, Anleger, Verbände, Parteien, Politiker, Kunden, Staat, Gewerkschaften, Manager, Problemgruppen (intern/extern), Betriebsrat, Bevölkerung, Anwohner, Meinungsbildner, Journalisten etc. gemeint (siehe Abbildung 7). Diese Stakeholders haben völlig unterschiedliche Ziele, die sie durch Beiträge aktiv fördern, und Machtmittel, mit denen sie deren Nichterreichung sanktionieren können (siehe Abbildung 8):

Interessengruppen, die Unternehmen tangieren Wettbewerber Kunden Lieferanten Mitarbeiter

Kundenorientierung

Marktorientierung Marketingorientierung

Abbildung 7: Abgrenzung Kunden-, Markt- und Marketingorientierung

II. Marketing durch Beziehungsmanagement

Konkurrenten

Kooperationspartner

Sachmittellieferanten Geldkapitalanbieter

Medien Zwischenabnehmer

Unternehmen

Personalressourcen Bürger/Öffentlichkeit

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gewerbl.Endabnehm. private Endabnehmer

Staat

Verbände / Lobbys

Abbildung 8: Wichtige Anspruchsgruppen im Marketing

• Lieferanten: Ziele: Regelmäßiger Auftragseingang, Sicherheit termingerechter Annahme und Bezahlung, günstige Konditionen, stabile, faire Lieferbasis, Beiträge: Überlassung von Vorleistungen, Einsatz von Betriebsmitteln, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen, Wertkettenintegration, Machtmittel: Zurückweisung von Aufträgen bei schlechten Vertragsbedingungen, bevorzugte Belieferung von Konkurrenten. • Kreditoren: Ziele: Pünktliche Zinszahlungen, sichere Tilgungszahlungen, Bonität, befriedigende Verzinsung, Beiträge: Überlassung von Kapital zur fremden Disposition gegen Risikoprämie, Machtmittel: Rückforderung von Darlehen/Streichung der Kreditlinie, falls Zahlungen ausbleiben, Enteignung bei hohen Rückständen, Verweigerung zusätzlicher Kredite. • Eigentümer/Shareholder: Ziele: Hohe Dividenden, Kursanstieg der Aktien, Gewinn, Wertsteigerung des investierten Kapitals, Unabhängigkeit, Entscheidungsautonomie, Beiträge: risikobehaftete Überlassung von Kapital, Machtmittel: Hauptversammlungsauftritt, Prüfung der Geschäftsbücher. • Mitarbeiter/Betriebsrat: Ziele: Leistungsgerechte Bezahlung, angenehme Arbeitsatmosphäre, Arbeitsplatzsicherheit, sinnvolle Beschäftigung, Entfaltung eigener Fähigkeiten, Arbeitszufriedenheit, Mitbestimmung,

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A. Marketing als Denkhaltung

Beiträge: Überlassung der eigenen Arbeitskraft, Identifikation mit den Zielen, Motivation, Machtmittel: Gewerkschaftsunterstützung, (Warn-)Streik, Mobilisierung der Öffentlichkeit. • Führungskräfte: Ziele: Karriere, Einkommen, Macht, Einfluss, Sozialprestige, Entfaltung eigener Ideen und Fähigkeiten, Selbstverwirklichung, Erfüllung von Zielvorgaben, Beiträge: Arbeitskraft und Wissen, Beziehungen, Machtmittel: Kündigung, Wechsel zur Konkurrenz. • Endkunden: Ziele: Faires Geschäft, sichere und zuverlässige Waren/Dienstleistungen, günstige Konditionen, hohe Leistungsqualität, adäquater Service, Kundenzufriedenheit, Bedarfsdeckung, Beiträge: Kaufpreiszahlung, Weiterempfehlung, Loyalität, Machtmittel: Abwanderung zur Konkurrenz, Boykott nicht zufriedenstellender Angebote. • Händler: Ziele: Zeitgemäße Produkte zu vernünftigen Preisen, Produkte, die vom Verbraucher geschätzt werden, Abverkaufsunterstützung am POS, Beiträge: Marktinformation, Funktionsübernahme im Absatzkanal, Innovations­ anregung, Machtmittel: Zuliefererwechsel bei schlechten Vertragsbedingungen, Boykott von nicht zufrieden stellenden Anbietern. • Konkurrenten: Ziele: Gewinn, Wachstum des Marktanteils, Branchenwachstum, Entwicklung von Branchenstandards, Benchmarking, Beiträge: fairer Wettbewerb, Kooperation auf branchenpolitischer Ebene, Netzwerkbildung, Machtmittel: Innovationen, die zum Nachziehen oder Aufgeben zwingen, Preisunterbietung. • Kooperationspartner: Ziele: Nutzung von Kooperationsvorteilen (Win-Win-Situation), Beiträge: Einbringung von Geld- und Sachmitteln, Know-how und Risiko­tragung, Machtmittel: Zurückbehaltung von Ressourcen, Aufkündigung der Kooperation.

II. Marketing durch Beziehungsmanagement

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• Medien/Meinungsbildner: Ziele: Informationsbereitstellung, Kontrolle der Unternehmenstätigkeit, Artikulation der öffentlichen Meinung, Beiträge: Informationsverbreitung, Einbringung eigener Kompetenz, Machtmittel: Veröffentlichungen, welche die öffentliche Meinung negativ beeinflussen („runterschreiben“). • Bürger/Anwohner: Ziele: Beschäftigung ansässiger Arbeitnehmer, Schutz der Umwelt, positiver Einfluss auf die Infrastruktur, Beiträge: Ansiedlungsanreize (Subventionen/Steuererleichterungen), flexible Verwaltung, Hinnahme von Umweltbelastung, Machtmittel: Vergabe bzw. Einschränkung laufender Genehmigungen, Einflussnahme auf Behörden. • Öffentlichkeit: Ziele: Schutz sozialer Werte, Risikominderung, Wohlstandsmaximierung, Beiträge: Kaufkraft, Kaufbereitschaft, Machtmittel: Ausübung von Druck auf die Regierung, Sanktionen gegen einzelne Unternehmen. • Staat: Ziele: Steuerzahlungen, wirtschaftliche Entwicklung, Sozialleistungen, Einhaltung von Rechtsvorschriften und Normen, öffentliche Sicherheit und Ordnung, Handlungsaufforderung, Beiträge: Gestellung von Infrastruktur, Gewährung von Subventionen und Steuererleichterungen, Rechtssicherheit, Machtmittel: Regulierung, Verbote und Genehmigungen, Sanktionierung industrieller Aktivitäten. • Verbände/Lobbys: Ziele: Unterstützung bei Anpassung an veränderte Umweltbedingungen, Beiträge: Einzelfallunterstützung, Interessenvertretung, Machtmittel: Unterstützung der Unternehmen, Veröffentlichungen. Denkbar ist, die klassischen vier P’s, die anbietergedacht sind, durch nachfragergerechte Instrumente zu ersetzen: statt Angebot hieße es dann Nutzenpolitik, statt Gegenleistung Wertpolitik, statt Information Interaktionspolitik und statt Verfügbarkeit Bequemlichkeitspolitik. Ob sich diese neue Aufteilung allerdings tatsächlich durchsetzt, scheint sehr fraglich.

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3.

A. Marketing als Denkhaltung

Customer Relationship Management

Wegen der Unübersichtlichkeit der verschiedenen Anspruchsgruppen werden, zumindest derzeit, vorwiegend die Beziehungen zu Kunden betrachtet (CRM), andere Anspruchsgruppen (wie Investoren/Investors Relations oder Mitarbeiter/ Internal Relations) können erst ansatzweise im Marketing-Mix berücksichtigt werden. Customer Relationship Management (CRM) steht für drei Ansatzpunkte des Marketing. Erstens wird CRM als Maxime zum zielorientierten Management von lebenszyklusbezogenen Beziehungen zu direkten und indirekten Kunden verstanden. Dies stellt die strategische Denkhaltung in den Vordergrund. Zweitens wird CRM als Mittel zur Gestaltung des Aufbaus, des Unterhalts, des Ausbaus und ggf. der Wiederherstellung oder Ausgrenzung von Kunden gemäß ihrer Profitabilität verstanden. Dies stellt die taktische Instrumentierung der Kundenakquisition, -bindung, -ausweitung und -rückgewinnung in den Vordergrund (dabei liegt eine zeitliche Orientierung am Kundenlebenszyklus zugrunde). Und drittens wird CRM als Methode zur datenbankgestützten Kontaktierung aktueller und teilweise auch potenzieller Kunden mittels geeigneter Software verstanden. Dies stellt den operativen Einsatz in den Mittelpunkt. Allen drei Sichtweisen ist gemein, dass die Nachkaufphase in den Mittelpunkt der Marketingaktivitäten rückt und als Engpass des marktbezogenen Unternehmenserfolgs erachtet wird. Am Anfang stand in den 1970er Jahren das Postulat des Verkaufs, d. h. im Mittelpunkt aller diesbezüglichen Aktivitäten befand sich das Absatzergebnis. Die Entwicklung der Kauferwartung bis zu diesem Absatzergebnis wurde jedoch weitgehend vernachlässigt. Das galt erst recht für die Bewertung des Kauferlebnisses nach dem Absatzergebnis. Dies schien auch insofern gerechtfertigt, als immer noch genügend Nachfrage bereitstand, dass jeglicher Energieeinsatz für die Absatzvor- oder -nachbereitung als unergiebig betrachtet wurde. Wesentliche Energie wurde vielmehr darauf verwendet, vorhandene Nachfrage zu befriedigen. Dies änderte sich in den 1980er Jahren. Die Übernachfrage wurde sichtlich geringer, der Verdrängungswettbewerb der Anbieter intensivierte sich, weil die individuellen Geschäftserfolgsziele ohne aktive Akquisition von Kaufinteressenten nicht mehr zu realisieren waren. Zugleich wurde die Vorkaufphase als Ansatzpunkt entdeckt. Vor allem Erkenntnisse aus der Marketingforschung und dem Käuferverhalten machten deutlich, dass das Absatzergebnis erst am Ende eines mehr oder minder langen Kaufentscheidungsprozesses stand. Wer dabei erfolgreich zum Zuge kommen wollte, musste bereits in diesen dem Kaufakt vorgelagerten Phasen eingreifen. Sichtbarstes Instrument dieses Vorkaufmarketing war und ist die Werbung. Sie soll Nachfrager auf einen Anbieter hin konditionieren und damit gegen Versprechungen von Konkurrenten immunisieren. Marketing konzentrierte sich damit auf die Verkaufs- und die Absatzvorbereitungsphasen. Eine Betreuung in der Nachkaufphase wurde jedoch nach wie vor als unergiebig angesehen.

II. Marketing durch Beziehungsmanagement

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Erst die 1990er Jahre mit ihren existenzbedrohenden Marktverhältnissen ließen die Erkenntnis wachsen, dass „nach dem Kauf vor dem Kauf ist“, d. h. die Kaufentscheidung einen immer wiederkehrenden Prozess darstellt, der mit dem Aufbau einer Nutzenerwartung beginnt, im Kaufakt kulminiert und in einer Nachkaufbewertung mündet, die den Nachfrager darüber aufklärt, ob der Kauf zufriedenstellend war oder nicht. Für den Fall eines zufriedenstellenden Kauferlebnisses spricht kaum etwas dagegen, in einen anbietertreuen Wiederkauf einzutreten. Ein nicht zufriedenstellendes Kauferlebnis lässt es hingegen angesichts überwältigender Kaufalternativen angezeigt erscheinen, einem anderen Anbieter eine Chance zu geben. Führt dieser dann in der Nachkaufbewertung zu einem zufriedenstellenden Kauferlebnis, wird dort anbietertreu wiedergekauft (Stay), entsteht auch bei ihm Unzufriedenheit nach dem Kauf, wird zu einem weiteren Anbieter gewechselt (Exit), und zwar solange, bis eine zufriedenstellende Kaufbewertung erreicht ist, und sei es die des geringsten Übels. Das bedeutet aber, dass die Nachkaufbewertung erst darüber Aufschluss gibt, ob ein Anbieter eine zweite Chance hat, mit einem Nachfrager abzuschließen, oder nicht. Da die Vorkaufaktivitäten zwischenzeitlich ein hypertrophiertes Niveau erreicht haben, verschlingen sie erhebliche Kosten. Damit aber wird die Akquisition jedes neuen Kunden ausgesprochen kostspielig. Diese Kosten sind in einem einzigen Umsatzakt nur ausnahmsweise zu eskomptieren. Vielmehr bedarf es mehrerer, sukzessiver Umsatzakte, also solcher ohne teure Wiedergewinnungs­ aktivitäten, um aus einem gewonnenen Kunden einen rentablen Kunden zu machen. Nichts ist also verhängnisvoller für ein Unternehmen als die aufwändige Akquisition eines Erstkunden, der in der Nachkaufbewertung zu dem Schluss gelangt, die falsche Wahl getroffen zu haben und folglich den Anbieter wechselt. Denn dann bleibt das Unternehmen auf seinen Akquisitionsaufwendungen sitzen, denen nur ein geringer Ertrag gegenübersteht. Einer Erkenntnis der 2000er Jahre entspricht es, dass ein Kunde in aller Regel erst dann ein profitabler Kunde wird, wenn er anbieter- und markentreu über einen längeren Zeitraum immer wieder Käufe tätigt und Umsätze generiert, die dann in der Summe ausreichen, seine Akquisitionskosten zu alimentieren und ihn für einen Anbieter in die Gewinnzone führen. Ob es dazu kommt, hängt aber entscheidend nicht von den Vorkauf- (Pre Sales) und Kaufaktivitäten (At Sales) ab, sondern von den Nachkaufaktivitäten (After Sales). Damit wurde zugleich die Notwendigkeit offensichtlich, Nachfrager nach dem Kauf darin zu bestärken, dass sie ihr gutes Geld gerechtfertigt ausgegeben haben. Denn eine Manipulation ohne Erfolgserlebnis wird von Nachfragern rasch durchschaut und beim nächsten Mal vermieden. Die Bestätigung des richtigen Kaufverhaltens aber kann naturgemäß nur in der Nachkaufphase erfolgen, also dann, wenn der manipulierte Kauf bereits getätigt worden ist. Fehlt diese Bestätigung durch interne oder externe Faktoren, fällt die Nachkaufbewertung negativ aus, mit den bekannten Folgen für den Kundenwert.

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4.

A. Marketing als Denkhaltung

Customized Marketing

Die Kaufwahrscheinlichkeit und damit die Kundentreue sind umso höher, je mehr Nachfragewunsch und Angebotsrealität übereinstimmen. Im Rahmen der Feldtheorie spricht man vom Aufforderungswert. Dieser setzt sich aus Grund- und Zusatzaufforderungswert zusammen. Man geht dabei davon aus, dass jedes Angebot einen gattungstypisch unterschiedlichen Grundaufforderungswert auf Individuen hat. Dieser wird ergänzt durch den Zusatzaufforderungswert, und zwar positiv, wenn spezifische Nutzen wahrgenommen werden, die ein Angebot subjektiv innerhalb der Gattung aufwerten, oder negativ, wenn spezifische „Unnutzen“ wahrgenommen werden, die ein Angebot subjektiv innerhalb der Gattung abwerten. Da die Wahrnehmung der Leistungsmerkmale von Nachfrager zu Nachfrager verschieden ist, wird ein und dasselbe Angebot intersubjektiv immer abweichende Aufforderungswerte haben. Möchte man eine bestimmte Nachfragerpopulation ansprechen, ist das Angebot so zu beeinflussen, dass diese einen positiven Zusatzaufforderungswert erlebt, der höher ist als die Aufforderungswerte aller vergleichbaren anderen Angebote. Ist dies nicht der Fall, kann versucht werden, den Grundaufforderungswert dadurch zu erhöhen, dass die gattungstypische Leistung stärker wahrgenommen wird, oder den Zusatzaufforderungswert zu erhöhen, indem dessen Ausprägung dramatisiert wird. Im übertragenen Sinn wird das Angebot auf die Nachfrager zubewegt. Oder es kann versucht werden, die Präferenzen der Nachfrager derart umzuwerten, dass die gesamte Gattung als attraktiver erlebt (Grundaufforderungswert) oder die spezifische Ausprägung der Leistung verstärkt gewürdigt wird (Zusatzaufforderungswert). Im übertragenen Sinn werden die Nachfrager dabei auf das Angebot zubewegt. Zugleich ist mit diesen Ansätzen immer auch eine Diskriminierung des Wettbewerbs verbunden, denn im Parallelwettbewerb stehen die Angebote als Meinungsobjekte in Konkurrenz zueinander und jede Erhöhung eines Aufforderungswerts ist nur in dem Maße wirksam, wie sie nicht durch den Aufforderungswert konkurrierender Angebote egalisiert wird. Diese Vorgehensweise erfordert einen Abschied vom einheitlichen Marketing, das alle Nachfrager gleich anspricht, denn damit können die Anstrengungen der Mitbewerber um Kunden nicht übertroffen werden. Vielmehr ist es erforderlich, differenziertes Marketing einzusetzen, um den eigenen Aufforderungsgradienten möglichst hoch zu gestalten. Dies beginnt bereits, wenn man die Nachfragerpopulation in zwei Marktsegmente aufteilt und getrennt bearbeitet oder sich auf die Bearbeitung eines der beiden Segmente beschränkt. Eine solche Aufteilung macht offensichtlich dann keinen Sinn, wenn sie zufallsgesteuert erfolgt, denn dann erhöht sich der Aufforderungsgradient nicht, nur der Vermarktungsaufwand steigt oder das Kundenpotenzial sinkt. Vielmehr ist es erforderlich, ein oder mehrere analytische Kriterien anzulegen, nach denen die Nachfragerpopulation systematisch so aufgeteilt werden kann, dass zwei in sich relativ homogene Teilgruppen entstehen, d. h. die Nachfrager jeder Gruppe zu den anderen Nachfragern ihrer Gruppe jeweils möglichst gleichartig und zugleich möglichst verschiedenartig

II. Marketing durch Beziehungsmanagement

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zu den Nachfragern der anderen Gruppe sind. Man spricht dann von Marktsegmentierung (s. u.), das mathematisch-statistische Mittel dazu ist meist die ClusterAnalyse (multivariates Verfahren). Gemäß diesen beiden Gruppen wird dann eine Angebotsdifferenzierung vorgenommen. Auf diese Weise soll eine Angebotsrealität geschaffen werden, die möglichst genau mit den mutmaßlichen Nachfragerwünschen übereinstimmt, so dass der Aufforderungsgradient für die Zielgruppe möglichst hoch ist. Als Vergleich für die relative Angebotsbeurteilung wird dabei zumeist das bislang beste Wettbewerbsangebot genommen. Ein segmentiertes Angebot ist umso erfolgreicher, je mehr/häufiger es dessen Aufforderungsgradienten übertrifft. Oder aber ein hypothetisches Idealangebot, das Nachfrager sich als wünschenswert vorstellen. Ein segmentiertes Angebot ist umso erfolgreicher, je geringer die empfundene Distanz zwischen diesem Ideal- und dem Realangebot ist. Da die Vorstellungen über beste Wettbewerbsangebote bzw. Idealangebote interindividuell abweichen, ist ein Angebot umso erfolgreicher, je differenzierter es vermarktet wird. Dazu aber ist eine immer feinteiligere Segmentierung erforderlich, d. h., die Nachfragerpopulation wird immer enger aufgeteilt. Dieser Vorgang findet erst sein Ende, wenn jeder einzelne Nachfrager sein eigenes Marktsegment repräsentiert und individuell von Anbietern bearbeitet wird. Man spricht dann vom One to One-Marketing (oder Segment of One-Marketing). Denn dann kann auf individuelle Nachfrager punktgenau ein differenziertes Angebot so positioniert werden, dass es jeweils den höchsten Aufforderungsgradienten realisiert. Im übrigen gibt es hier das Phänomen, dass Angebote dennoch abgelehnt werden, weil sie nicht eine individuell definierte Schwelle eines Mindestaufforderungsgrad überschreiten. Dann handelt es sich um eine manifeste Marktnische, denn hier sind offensichtlich Nachfrager gegeben, deren Bedürfnisse durch keines der Angebote angemessen befriedigt werden. Für den Fall, dass das Angebot unverzichtbar ist, kann es sich um eine latente Marktnische handeln, d. h. Käufe werden dennoch getätigt, obgleich keines der Angebote akzeptabel ist, und zwar einfach mangels Alternative. Dies bietet die Möglichkeit für neue Angebote, hier akzeptable Wahlmöglichkeiten zu etablieren.

III. Marktsegmentierung 1. Segmentierungsprinzipien Unter Marktsegmentierung versteht man die Aufteilung eines Gesamtmarkts in hinsichtlich ihrer Marktreaktion intern weitgehend homogene und extern weitgehend heterogene Teilmärkte (Marktsegmentierung i. e. S.) sowie die Bestimmung eines oder mehrerer dieser Teilmärkte und deren Bearbeitung in differenzierter Form (Marktparzellierung). Dies ist einerseits schon gegeben, wenn alle oder einzelne Güter und Dienste des Absatzprogramms einzelnen Teilmärkten angedient werden, sowie andererseits auch, wenn diese Güter und Dienste einzelnen Teilmärkten unter Einsatz eines differenzierten Marketing-Mix angedient werden (Multi-Mix-Ansätze). Kein Anbieter kann es sich leisten, per se mit dem Risiko großer Investitionen, langer Zeiten für Forschung und Entwicklung, immenser Fixkosten durch Anlagen und Personal sowie hoher Fremdkapitalverpflichtungen zu leben. Vielmehr muss eine realistische Aussicht auf annehmbaren Mittelrückfluss in absehbarer Zeit bestehen, um zu aktivem Wettbewerbsverhalten zu motivieren. Dazu ist es wichtig, und entspricht auch der Wettbewerbsorientierung des Marketing seit den 1980er Jahren, strategische Nachfragerpotenziale zu bestimmen. Da in den meisten Fällen die endogene Wachstumsrate der Märkte nicht ausreicht, solche Potenziale in ausreichender Größe einigermaßen gesichert in Aussicht zu stellen, muss der Vermarktungserfolg auf anderem Weg zu erreichen gesucht werden. Kernmittel dazu ist die Marktsegmentierung. Zur Marktidentifizierung können verschiedene Wege eingeschlagen werden. Einstufige Marktsegmentierung bedeutet, dass nur ein Kriterium für die Segmentation zugrunde gelegt wird. Dabei kann es sich um ein objektives oder subjektives Kriterium handeln. Zu ersterem gehören Produkte etwa aus folgenden Bereichen: Monatshygieneprodukte (Frauen), Zahnprothesenreiniger (Träger von herausnehmbarem Zahnersatz) oder Augengläser (Brillenträger). Hier macht es für alle Nachfrager, die nicht diesen objektiven Kriterien unterfallen, keinen Sinn, das Angebot dennoch in Anspruch zu nehmen. Zu letzterem gehören Produkte etwa aus den Bereichen Pflegekosmetik für reife Haut (Frauen ab 40 Jahre), Milchschokolade (Kinder) oder Stärkungsmittel (ältere Menschen). Hier können durchaus auch Nachfrager, die sich nur subjektiv zugehörig fühlen, obgleich sie es nach objektiven Maßstäben nicht sind, das Angebot sinnvoll in Anspruch nehmen (z. B. Atrix, Kinderschokolade, Ginseng-Präparate).

III. Marktsegmentierung

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Mehrstufige, sukzessive Marktsegmentierung bedeutet, dass zwei oder mehr Kriterien zugrunde gelegt werden, wobei die jeweils vorausgehende Stufe die Auswahl der nachfolgenden Stufen bestimmt. Dadurch ist eine weitaus feinteiligere Abgrenzung des zu bearbeitenden Marktsegments möglich. Allerdings verringert sich durch kumulative Eingrenzung auch die Schnittmenge des noch verbleibenden Nachfragepotenzials drastisch. Zudem stellt sich die Frage, in welcher Reihenfolge die Kriterien angelegt werden sollen. Mehrstufige, simultane Marktsegmentierung bedeutet, dass zwei oder mehr dieser Kriterien gleichzeitig zur Abgrenzung des intendierten Marktsegments herangezogen werden, es gilt also jeweils die Schnittmenge. Auch dadurch verringert sich das Potenzial verbleibender Nachfrager drastisch. Allerdings stellt sich die Frage, wie viele Kriterien jeweils zugrunde gelegt werden sollen. Wird ein Markt dabei künstlich in Teilmärkte aufgesplittet, handelt es sich um eine horizontale (deglomerative) Marktsegmentierung, gibt es von vornherein unterschiedlich reagierende Märkte, die differenziert bearbeitet werden, handelt es sich um eine vertikale (agglomerative) Marktsegmentierung. Die größtmögliche Segmentzahl liegt bei der Gesamtzahl aller Nachfrager am Markt, die Untergrenze liegt bei zwei Teilmärkten. Das Optimum liegt zwischen der Mindestzahl von Marktsegmenten, die erforderlich ist, um in jedem Teilmarkt eine möglichst hohe Übereinstimmung von Anforderungs- und Leistungsprofil zu erreichen, sowie der Höchstzahl von Teilmärkten, die eine Realisierung bei vertretbaren Mehrkosten der Segmentierung gerade noch erlaubt. Theoretisch ist dies dort der Fall, wo die Nachfrageelastizität der mit Kosten bewerteten Marketing­ instrumente für jedes Segment gleich groß ist.

2.

Vorteile der Segmentierung

Die Marktsegmentierung erfolgt durch Abgrenzung relevanter und Auffinden vernachlässigter Teilmärkte. Damit wird vermieden, Angebotsanstrengungen dort zu unternehmen, wo wenig Potenzial ist, stattdessen wird dort angesetzt, wo die größte Hebelwirkung vermutet werden kann. Als Vorteile sind dabei vor allem folgende zu nennen. Eine bessere Bedarfs­ befriedigung entsteht, indem Nachfrager differenzierte Bedürfnisse nur dann befriedigen können, wenn es differenzierte Angebote gibt, die ihren Erwartungen entsprechen. Die Erzielung von Wettbewerbsvorteilen wird zumindest in dem jeweils bearbeiteten Marktsegment erreicht. Fraglich ist allerdings, ob nicht die von Konkurrenten bearbeiteten Segmente bessere Erfolgsvoraussetzungen bieten. Außerdem kommt es zur Vermeidung von Kannibalisierungseffekten im Programm, da die Angebote von Mehrproduktunternehmen, welche die Regel der

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A. Marketing als Denkhaltung

Wirtschaftswirklichkeit darstellen, durch Segmentierung emotional „gespreizt“ werden können und sich nicht gegenseitig negativ tangieren. Dadurch entsteht eine Präzisierung von Zielgruppen, denn die Segmentierung bedeutet nichts anderes als die Anspitzung des Angebots auf die mutmaßlichen oder effektiven Bedarfe von mehr oder minder großen Teilen der Zielgruppen­ population. Zudem wird die Prognose von Marktentwicklungen möglich, denn jede Segmentbestimmung erfordert eine Schätzung des aktuellen und zukünftigen Potenzials an Kaufkraft allgemein und an eigen besetzbarer Kaufkraft speziell. Die Ableitung von Marktreaktionsfunktionen zeigt dabei auf, worin sich unterschiedliche Marktsegmente unterscheiden und macht damit auf diese Besonderheiten aus­ gerichtete Aktivitäten möglich. Ein gezielter Marketing-Mix-Einsatz ist darstellbar, denn je feinteiliger ein Gesamtmarkt in homogene Segmente unterteilt werden kann, desto besser können die Marketinginstrumente auf die individuellen Bedarfe ihnen zugehöriger Nachfrager abgestimmt werden. Weiterhin ist eine optimale Allokation des Marketingbudgets erreichbar, denn da es meist unmöglich ist, den gesamten Markt gleichermaßen mit Aktivitäten abzudecken, macht es Sinn, sich bei limitierten Finanzmitteln auf die chancenreichsten Segmente zu konzentrieren. Durch Marktsegmentierung soll es vor allem zur Abschöpfung der Konsumentenrente kommen, indem die unterschiedliche Preisbereitschaft und Leistungs­ erwartung der Nachfrager genutzt wird. Außerdem soll das Potenzial der Marke besser kapitalisiert werden, indem ein Angebot, das aus einem Teilmarkt bekannt und vertraut ist, in einen anderen Teilmarkt transferiert werden kann.

3.

Voraussetzungen der Segmentierung

Für eine erfolgreiche Marktsegmentierung müssen zusätzlich kumulativ ­folgende Voraussetzungen erfüllt sein. Als Basis müssen Abweichungen physikalisch-chemischer, funktional-reaktiver, ästhetisch-symbolischer oder servicegebundener Art des Angebots auf den verschiedenen Teilmärkten vorhanden sein, die objektiv gegeben sind oder subjektiv von Nachfragern so empfunden werden. Der Gesamtmarkt muss sich in mindestens zwei Teilmärkte ohne Arbitrage aufteilen lassen, d. h., es müssen Marktunvollkommenheiten herrschen, damit keine Trittbrettfahrer- oder Austauschgeschäfte möglich sind (Fencing). Das gewählte Segmentierungskriterium muss möglichst trennscharf sein, damit keine Schnitt-

III. Marktsegmentierung

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mengen zwischen bearbeiteten und nicht bearbeiteten (= Streuverlust) bzw. zwischen mehreren bearbeiteten Segmenten (= Kannibalisierung) entstehen. Außerdem muss die Marktspaltung durchsetzbar sein (Trennfähigkeit). Dazu gehören eine unterschiedliche Reaktion der Nachfrager auf marketingpolitische Maßnahmen und eine Konkurrenzsituation, die diese Differenzierung zulässt, d. h. letztlich Marktmacht. Die Differenzierung darf dabei nicht diskriminierend wirken, d. h. nicht zu einer dem Gerechtigkeitsempfinden des Markts widersprechenden Angebotsstruktur führen. Die Differenzierung muss ökonomisch sinnvoll sein, d. h. die Kosten der Aufspaltung des Gesamtmarkts in Segmente dürfen nicht die zusätzlichen Erlöse aus einer damit verbundenen Preisdifferenzierung egalisieren. Ansonsten sind die Segmente nicht tragfähig genug, um eine getrennte Bearbeitung zu rechtfertigen. Die Segmente müssen dazu vor allem beständig sein, da ansonsten die Gefahr besteht, dass eine Segmentierung nicht operational bzw. zu aufwändig wird (zeitliche Stabilität). Die einzelnen Segmente müssen erreichbar sein, damit die Segmentierung am Markt überhaupt greifen kann (Zugänglichkeit). Sind Segmente nicht zugänglich, können sie auch nicht ausgeschöpft werden. Die Segmente müssen eine Indikation zum Instrumentaleinsatz haben, damit sie durch Marketing bewusst ansteuerbar sind und ihnen Erfolgsbedeutung zukommen kann (Kaufrelevanz). Solche Reaktionsunterschiede zwischen Segmenten müssen messbar sein, damit eine gezielte, getrennte Bearbeitung überhaupt möglich wird (Operationalisierbarkeit).

4.

Zentrale Abgrenzungskriterien

Zur Abgrenzung dienen vor allem demographische, aktiographische, psychographische und soziographische Kriterien. 4.1

Demographische Abgrenzung

Bei den demographischen Kriterien (passive Segmentierung) handelt es sich um Ansätze, die sich an nachfragerstrukturellen Kriterien orientieren. Dabei sind vor allem folgende zu nennen. Nach dem Geschlecht wird z. B. bei der Lebensversicherung segmentiert, wobei die bei Frauen höhere Lebenserwartung in der Prämienberechnung berücksichtigt wird (und auch für Männer gilt). Bei Krankenversicherungen ist es gerade um­gekehrt, denn Frauen konsultieren regelmäßig häufiger den Arzt, zahlen daher höhere Beiträge.

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A. Marketing als Denkhaltung

Nach dem Alter wird z. B. bei vielen öffentlichen Einrichtungen segmentiert. Das gilt sowohl für Seniorenangebote als auch für Jugendangebote. Dem liegen vor allem soziale Erwägungen zugrunde, um die bevorzugten Altersklassen zu fördern. Nach dem Familienstand wird z. B. bei Steuertarifen segmentiert. Dort gelten für Verheiratete niedrigere Steuersätze als für Alleinstehende (Splitting-Tarif), wobei wiederum moralische Erwägungen zur Förderung der Ehe als gesellschaftlicher Institution zugrunde liegen. Nach der Kinderzahl/Haushaltsgröße wird z. B. bei Freizeiteinrichtungen segmentiert (Sportclub, Fitness-Center, Kino etc.), um die Attraktivität der Nutzung, meist durch Vorzugsangebote für Kinderreiche, zu steigern. Nach dem (intra-)nationalen Wirtschaftsgebiet wird z. B. bei der Haftpflichtversicherung segmentiert, wo in Ballungsräumen höhere Tarife verlangt werden als außerhalb, weil dort die Unfallneigung aufgrund der höheren Verkehrsdichte größer ist. Nach dem internationalen Wirtschaftsraum wird z. B. von Automobilherstellern segmentiert. Dabei liegen die Verkaufspreise in verschiedenen Ländern je nach Kaufkraft und Wettbewerbssituation unterschiedlich hoch (Dumping ist derjenige Spezialfall, bei dem Waren im Ausland unter ihrem vergleichbaren Inlandspreis angeboten werden). Nach der Wohnortgröße wird z. B. von Energieversorgern segmentiert. Hier liegen die Konditionen in ländlichen Gebieten unter denen der Großstädte, weil dort die Kaufkraft geringer ist, ein lebenswichtiges Gut wie Energie sich aber jeder leisten können muss. Nach der Ausbildung wird z. B. bei der Anschaffung studiennaher Gegenstände segmentiert. Zu denken ist an Vorzugsangebote beim Computerkauf oder beim Zeitschriftenabonnement. Dahinter stehen die Gewöhnung an das Produkt und der wahrscheinliche Wiederholungskauf nach Berufseintritt. Nach dem Einkommen wird z. B. im sozialen Wohnungsbau segmentiert. Dort haben Bezieher niedriger Einkommen Zugriff auf besondere Wohnflächen, die durch staatliche Zuschüsse subventioniert werden. Nach dem Beruf wird z. B. bei Beamten segmentiert. Sie profitieren von günstigeren Tarifen etwa bei der Kfz-Haftpflichtversicherung, weil sie mutmaßlich vorsichtiger fahren und damit weniger Unfälle verursachen. Der Besitzstatus bezieht sich z. B. auf Merkmale wie Immobilien, Automobile, Gärten, Haustiere etc. Daraus folgen jeweils spezifische Bedarfe ab. Personen ohne diese Besitzmerkmale sind dann im Weiteren außen vor. Innerhalb der Merkmale kann wiederum abgestuft werden, z. B. Rasenmäher für Besitzer kleiner Gärten und großer Gärten (siehe Abbildung 9).

III. Marktsegmentierung

demografisch

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aktiographisch

Geschlecht

Preisbedeutung

Alter

Mediennutzung

Familien

Einkaufsstättenwahl

Haushaltsgröße/ Kinderzahl

Einkaufszeitpunkt

intranationales Wirtschaftsgebiet

Produktartenwahl

internationaler Wirtschaftsraum

Produktvolumen

Wohnortgröße

Verwendungsart

Ausbildung Einkommen Beruf Besitzstatus

Abbildung 9: Kriterien zur Marktsegmentierung

4.2

Aktiographische Abgrenzung

Bei den aktiographischen Kriterien (aktive Segmentierung) handelt es sich um Ansätze, die sich an prozessualen Entscheidungskriterien orientieren. Dabei sind vor allem folgende zu nennen. Die Preisbedeutung bezieht sich z. B. auf die Bevorzugung bestimmter Preisklassen beim Kauf. Oder auf den Kauf von Sonderangeboten nach Preis-Leistungs-Verhältnis. Daher können Zweit- und Drittmarken bei sauberer Positionierung parallel zu Erstmarken desselben Herstellers angeboten werden, weil sich die Käuferschaften voneinander abtrennen. Die Mediennutzung bezieht sich z. B. auf die Art und Anzahl der für Produktwerbung nutzbaren Medien sowie auf die Intensität deren Nutzung. Dies ist vor

92

A. Marketing als Denkhaltung

allem wichtig zur werblichen Erreichung von Innovatoren und Opinion L ­ eaders, die den Diffusionsprozess am Markt in Bewegung bringen. Eine bedeutende Rolle spielt dabei die meinungsbildende Presse zur Ansprache der Info-Elite (z. B. Focus). Die Einkaufsstättenwahl bezieht sich z. B. auf die Präferenz der Nachfrager für bestimmte Betriebsformen des Handels oder einzelne Geschäftsstätten. Dem wird durch Maßnahmen der Distributionspolitik Rechnung getragen, indem etwa ein spezifischer Absatzkanal versorgt oder aber Parallelabsatz betrieben wird. Der Einkaufszeitpunkt bezieht sich z. B. auf Lagerräumungsverkäufe als bevorzugte Termine für Modeartikel. Zu denken ist auch an die Wahl der Vorsaison für Urlaubsreisen oder Subskriptionen bei Verlagsprodukten. Diese Form der Segmentierung wird weit verbreitet angewendet. Die Produktartenwahl bezieht sich z. B. auf den Kauf bzw. Nichtkauf bestimmter Produktgruppen. So werden Cabrios naturgemäß von anderen Käufern bevorzugt als Jeeps oder Großraumlimousinen. Vergleichbare Unterschiede ergeben sich zwischen Rauchern von Light- oder Full Flavour-Zigaretten. Dazu müssen differenzierte Produkte angeboten werden. Das Produktvolumen bezieht sich z. B. auf das Kauf- und Verbrauchsvolumen. So werden Großpackungen vorwiegend von Intensivverwendern (Heavy Users) und Großverbrauchern, Kleinpackungen hingegen von Extensivverwendern gekauft. Größere Packungseinheiten suggerieren zumeist eine höhere Preisgünstigkeit, was jedoch bei ausreichender Nachfragerpräferenz nicht zwangsweise sein muss (z. B. Großtafeln der Schokoladenhersteller). Die Verwendungsart bezieht sich z. B. auf den Preisunterschied für Strom zwischen Licht-(Haushalts-) und Kraft-(Industrie-)Strom oder zwischen Dieselkraftstoff und Heizöl (rot eingefärbt) oder zwischen Streu-, Speise- und Viehsalz. Hierbei ist auf eine entsprechende Abschottung der Teilmärkte zu achten. Daneben spielen psychographische und soziographische Abgrenzungskriterien eine mehr oder minder große Rolle, wie sie im Rahmen des Konsumentenverhaltens zugrunde gelegt werden. Ein Beispiel für eine Marktsegmentierung ist die der Mercedes-Benz-C-Klasse für verschiedene Ausstattungsversionen: • Grundausstattung: Männer und Frauen, 45–50 Jahre alt, verheiratet mit Kindern, können als zuverlässig, bedächtig und beharrlich charakterisiert werden, denken und handeln konservativ, bodenständig und rustikal. • Elegance-Ausstattung: Männer und Frauen, ab 50 Jahre Alter, verheiratet, mit erwachsenen Kindern, können als seriös, erfolgsorientiert und willensstark charakterisiert werden, denken und handeln konservativ, klassisch und kultiviert. • Sportline-Ausstattung: Männer, 30–40 Jahre alt, ledig, können als temperament­ voll, selbstsicher und karriereorientiert charakterisiert werden, denken und handeln wettbewerblich, stilsicher und souverän.

III. Marktsegmentierung

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• Esprit-Ausstattung: überwiegend Männer, 25–40 Jahre alt, ledig oder mit Partner zusammenlebend, können als optimistisch, spontan und modisch charakteri­ siert werden, denken und handeln individualistisch, trendgemäß und extravagant. Weitere Ansatzpunkte zur Marktsegmentierung ergeben sich durch psychographische und soziographische Kriterien (s. u.) sowie durch typologische und auch neuroökonomische Aspekte (s. u.). Verbreitet ist auch eine mikrogeografische Segmentierung, z. B. wie folgt: • 16 Bundesländer, 38 Regierungsbezirke, 439 Kreise, 14.631 Gemeinden, 32.400 statistische Bezirke, 75.000 Wohnquartiere, 1,2 Mio. Straßen, 18 Mio. Gebäude, 37 Mio. Haushalte, 81 Mio. Einwohner, 4 Mio. Unternehmen. Dabei kann jede Adresse weiterhin nach Wohnsituation (aus Gebäudecharakteristik, Gartengröße, Gebäudealter, Bauweise, Gestaltung, Zustand des Anwesens, Straßentyp, Ortslage etc.) unterschieden werden. Anreicherungen sind durch Geschlecht (aus Vorname), Altersstruktur (aus Vorname), Kaufkraft/Bonität, KfzStruktur im Gebiet, Kulturkreis (aus Nachname), Gewerbebetrieb etc. möglich. Dabei liegt die sog. Nachbarschaftshypothese zugrunde.

IV. Markenartikel 1. Markenbedeutung Der Markenartikel ist einer der zentralen Begriffe in der Vermarktung. Ohne Markenartikel gibt es kein Marketing, man kann sogar sagen: Marketing heißt, Marken machen. Zentrales Anliegen der Markenstrategie ist es, aus einem mehr oder minder austauschbaren Angebot eine Marke zu formen. Prominente Marken haben Charakterzüge, wie sie sonst allenfalls noch vertrauten Personen des Umfelds zugeschrieben werden. So sind sie kompetent, sympathisch, akzeptiert, vertraut, respektiert, wertvoll etc. Man spricht deshalb nicht zu unrecht und sehr anschaulich auch von Markenpersönlichkeiten. Marken sind somit die Visitenkarten ihrer Nutzer. Die Bedeutung der Marke kann kaum hoch genug eingeschätzt werden. Wir leben in einer zunehmend anonymen Welt. Keiner kennt keinen so ganz richtig, niemand hat wirklich Zeit, die meisten Menschen seines Umfelds näher kennen zu lernen oder Muße, sie kennen lernen zu wollen. Dennoch neigt man dazu, andere subjektiv einzuschätzen. Wenn es aber an der Zeit und Muße zur intensiven Beschäftigung fehlt, ist man zu einer solchen Einordnung zwingend auf Schlüsselsignale (Information Chunks) angewiesen, die vermeintlich eine genauere Beschäftigung ersparen. Umgekehrt hat niemand die Chance, hinreichend vielen Personen seines Umfelds sein Selbstkonzept zu erläutern. Dies ist bereits im Ansatz aus Mangel an Zeit und Geld zum Scheitern verurteilt. Wenn die Beurteilung der eigenen Person durch andere meist nur anhand solcher Schlüsselsignale erfolgt, kann, ja muss man dies bewusst nutzen, selektiv genau diejenigen Signale auszusenden, die geeignet sind, bei einer hinreichend großen Anzahl anderer Personen zu einer Rubrizierung zu führen (Fremdbild), die dem eigenen Ich-Konzept entspricht (Selbstbild). Sender solcher Schlüsselsignale sind vor allem die Produkte, mit denen man sich umgibt. Denn neben der Physiognomie und der Raum-Zeit-Konstellation sind dies die wesentlichen Signalgeber im sozialen Umfeld. Umgibt man sich mit unzweckmäßigen Produkten, besteht die hinlängliche Gefahr, dass diese vom Umfeld in einer Art und Weise interpretiert werden, die nicht dem Selbstbild der eigenen Person entspricht, also zu einer falschen Rubrizierung führt. Für eine Korrektur dieser unzutreffenden Einschätzung besteht meist keine Möglichkeit, und zwar einerseits, weil man sie nicht ohne Weiteres als solche erkennt, denn sie findet in den Köpfen anderer Personen statt, und andererseits, weil es auch an der Gelegenheit dazu fehlt. Will man dieses Risiko vermeiden, ist es unbedingt zweckmäßig, sich nur solcher Produkte zu bedienen, die der eigenen Selbstsicht entsprechen und damit

IV. Markenartikel

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hochwahrscheinlich dazu führen, dass man von anderen gerade so eingeschätzt wird wie man es gerne hätte. Dabei kann es durchaus zu einem Auseinanderfallen zwischen persönlicher Realität und kommunikativem Anschein kommen. Als Produkte, die derartig zuverlässige Schlüsselsignale aussenden, sind aber nicht einfach irgendwelche geeignet, denn bei diesen weiß man nicht so genau, was bei ihnen an Signalwirkung herauskommt, sondern nur solche, die im relevanten Umfeld hinreichend bekannt und vertraut sind. Davon wiederum kann man aber nur bei Marken ausgehen. Das bedeutet, Marken werden vom Publikum derart instrumentalisiert, dass ihr Profil bewusst genutzt wird, um von den Produkten, mit denen man sich umgibt, auf die dahinter stehende Persönlichkeit schließen zu lassen. Man kann auch sagen: Marken machen Leute. Und genau das ist die Chance der Markenartikler, und das schon seit geraumer Zeit. Bei den ältesten Marken in Deutschland handelt es sich um Underberg (1851), Maggi/Nestlé (1887), CocaCola (1893), Aspirin/Bayer (1899), Erdal (1901), Salamander (1904) und Persil/ Henkel (1908). So ist es keineswegs zufällig, dass ein und dieselbe Person, je nachdem mit welchen Markenartikeln sie sich umgibt, von ihrem sozialen Umfeld ganz verschiedenartig eingeschätzt wird. Die Distanz zwischen Montblanc und Bic beim Schreiben, zwischen BMW und Ford beim Autofahren, zwischen 4711 und Chanel No.5 bei Parfüm, zwischen Macbook und Lifebook macht genau diesen feinen Unterschied aus. All das und noch viel mehr dient der gewünschten Profilierung der eigenen Persönlichkeit im sozialen Umfeld. Oder anders: Wenn man von anderen als jung, dynamisch und aktiv angesehen werden möchte, weil man denkt, dass dies der eigenen Persönlichkeit entspricht oder sozial erwünscht ist, so hat man nicht die Chance, allen Personen im Umfeld diese Botschaft im persönlichen Kontakt zu vermitteln. Dazu fehlt diesen anderen auch die Bereitschaft oder Geduld. Sondern man hat nur die Chance, sich bewusst solcher Produkte zu bedienen, von denen man weiß, dass sie im Allgemeinen Personen zugeschrieben werden, die jung, dynamisch und aktiv sind. Und dafür wiederum sind nur Markenartikel geeignet, die über ein entsprechendes Profil verfügen, das im Wesentlichen über Kommunikation zustande gekommen ist. Damit aber wird die Wahl und Nutzung von Produkten nicht mehr durch ihre funktionale Eignung (Evidenzleistung) allein bestimmt, sondern darüber hinaus, hohe Qualität immer vorausgesetzt, durch ihre soziale Wirkung (Surrogatleistung). Diese vollzieht sich ausschließlich im Zusatznutzenbereich. Das bedeutet, ein Angebot wird am Markt als Addition zweier Teilleistungen gesehen, erstens des Grundnutzens der Funktionserfüllung (allgemein als Qualität bezeichnet) und zweitens des Zusatznutzens der persönlichen Sozialprofilierung, die wiederum selbstbelohnend wirkt. Das Marktangebot ist weitgehend austauschbar hinsichtlich des reinen Grundnutzens. Dabei ist ein durchgängig hohes Niveau erreicht und alle minderqualitativen Angebote scheiden früher oder später, meist jedoch früher, ohnehin vom Markt aus. Darin kann also keine Profilierung mehr liegen, wie sie von Anbieter und Nachfrager gleichermaßen angestrebt wird. Dieses bietet vielmehr nur der

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Zusatznutzen. Er addiert sich als immaterieller, allerdings ungleich wichtigerer Faktor hinzu. Anders wäre auch nicht erklärbar, warum Produkte, die gleiche Grundnutzen bieten, aber verschiedene Zusatznutzen, am Markt eine unterschiedliche Preisbereitschaft erzeugen. So erfüllt ein Jinglers-Pullover (C & A) zweifellos die Grundfunktion des Bekleidens und Warmhaltens. Auch ist er durchaus passgenau und von potenziell langer Lebensdauer, und man kann auch sicher sein, dass er beim Waschen weder ausfärbt noch einläuft. Das bedeutet, er erfüllt alle Anforderungen an einen Pullover. Dennoch gibt es mehr als genug Personen, die das Mehrfache des Preises eines Jinglers-Pullovers für einen solchen von Missoni, Marc O’Polo etc. ausgeben. Obgleich dieser nur die gleiche Grundfunktion zu erfüllen vermag. Der horrende Preisunterschied ist also daraus allein nicht erklärbar. Er erklärt sich erst, wenn man die immateriellen Zusatzfunktionen in die Beurteilung mit einbezieht. Denn mit Markenartikeln sendet ihr Besitzer spezifische Signale an die Umwelt, die von ihm intendierte Wirkungen, nämlich die gewünschte Imageeinordnung, wahrscheinlicher machen. Dabei kommt es keineswegs nur eindimensional auf den Preis an, sondern innerhalb einer Preisklasse geben verschiedene Marken durchaus abweichende Signale. Man denke nur an den Unterschied zwischen einer Armbanduhr von Rolex und einer solchen etwa von Hublot. Zugleich wird daran deutlich, wie extrem Markensignale differenzieren können. Doch bei beiden handelt es sich um mechanische Uhren (Chronometer), die hinsichtlich der Ganggenauigkeit billigen Standard-Quarzuhrwerken sogar unterlegen sind. Und das Erfolgsgeheimnis der Swatch-Uhr ist, dass es bei ihr ganz und gar nicht auf die Zeitanzeige ankommt, sondern auf den Lebensstil, den ihr Träger damit zum Ausdruck bringt.

2.

Markeninhalte und Markeneigenschaften

Unter Marke versteht man die formale Kennzeichnung von Waren und Dienstleistungen (Produkten) oder Unternehmen, die Interessenten deren Herkunft anzeigt, um sie bei ihnen zu identifizieren und zu profilieren sowie von Produkten anderer Herkünfte/anderen Unternehmen zu unterscheiden und abzugrenzen. Eine Marke bildet materiell zugleich die Persönlichkeit (das Gesicht) eines Produkts, sie verhält sich komplementär zur Person ihres Verwenders und spiegelt dessen Werthaltungen, die damit im sozialen Umfeld spezifisch ergänzt oder verstärkt erkennbar werden. Produkte, die mit einer Marke versehen werden, sind, sofern ihnen vom Markt eine entsprechende Geltung zugesprochen wird, Marken­artikel. Einem Markenartikel sind besondere Inhalte und Eigenschaften zueigen. Er ist durch folgende Merkmale definiert. Einheitliche Aufmachung, obgleich im Zeitablauf beinahe unmerklich variierend. Dies meint also keinesfalls Starrheit im Auftritt, sondern ganz im Gegenteil kontinuierliche Flexibilität, die sich elegant Zeitströmungen anpasst, ohne ihre Unverwechselbarkeit dabei zu verlieren. Beispiele sind Persil oder Nivea, die Klas-

IV. Markenartikel

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siker der Moderne darstellen. Problematisch hingegen war die gewollte zwischenzeitliche Modernisierung bei Odol, wo zwar neue, vor allem jüngere Käufer gewonnen werden konnten, doch viele ältere verloren gingen, weil sie die Identität ihrer gewohnten Marke nicht mehr wiedererkannten. Gleich bleibende oder verbesserte Qualität, Quantität und Preisstellung meint das Bemühen um eine stetig verbesserte Leistungsfähigkeit, eine nachfragegerechte Dimensionierung und damit ein günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis für ein Angebot. Qualitätszweifel nagen unmittelbar am Vertrauen zur Marke. Dies machte sich bei Klagen über die Verarbeitungsqualität der E-Klasse von Mercedes-Benz bemerkbar, oder in der Kaufzurückhaltung für Birkel-Nudeln (wegen angeblich verdorbenen Eigelbs) oder Perrier Mineralwasser (wegen schädlicher Inhaltsstoffe). Bei der Dimensionierung geht es um eine nachfragegerechte Mengeneinteilung bei Verbrauchsprodukten, die einen bedarfssynchronen Kauf bzw. Verbrauch ermöglichen. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist anfällig bei Leistungsminderung zum gegebenen Preis, wobei die Leistung durchaus in der sozialen Profilierung liegen kann (z. B. Rolex, Montblanc) oder bei Preissteigerung mit gegebener Leistung, wobei diese relativ zum Mitbewerb zu sehen ist (z. B. Apple Computer, VW Golf). Standardisierte Fertigware für den differenzierten Massenbedarf meint, dass es sich um ein prinzipiell gleichartiges Serienprodukt handelt, dessen Profil auf bestimmte Marktsegmente zugeschnitten ist. Dies schließt Roh- und Halbstoffe aus, engt Dienstleistungen ein. Erstere sind selten für einen differenzierten Bedarf geeignet, sondern erhalten diese Eignung erst durch Be- und Verarbeitung, letztere sind wegen ihrer personenbezogenen Erstellung nur schwerlich hinreichend zu standardisieren. Dennoch wird intensiv angestrebt auch diese als Marken zu profilieren. Dies gelingt allerdings nur durch eindeutige Kennzeichnung und Auslobung eines nachvollziehbaren Nutzenangebots. Beispiele für ersteres finden sich etwa in der Landwirtschaft (Obst, Gemüse, Fleisch etc.), Beispiele für letzteres etwa in der Markierung von Angebotsumfeld oder Externem Faktor. Markenzeichen zur durchgängigen Kennzeichnung meint, dass alle Kommunikationsaktivitäten konsequent mit einem eigenständigen Markenzeichen ver­ sehen sind, gleich ob auf der Ausstattung, dem Produkt selbst oder den dazugehörigen Werbemitteln. De facto wird damit die Markenartikelfähigkeit bestimmter Produkte erschwert. Zu denken ist an Autoreifen, die zwar eine Kennzeichnung haben, die jedoch normalerweise nicht identifizierbar ist. So ist es nicht verwunderlich, dass das Markenbewusstsein bei Endabnehmern gering ausgeprägt ist, ja viele Autofahrer nicht einmal wissen, Reifen welcher Marke ihr Fahrzeug aufgezogen hat. Trockenbatterien, die zwar beim Kauf erkennbar markiert sind, deren Identität jedoch mit Verschwinden im Batterieschacht des Elektrogeräts verloren geht und so beim Nachkauf nicht mehr aktivierbar ist. Oder Vakuumkaffee, der aus der Tüte in ein geschlossenes Behältnis umgefüllt wird, damit kein Aroma­ verlust entsteht (Reaktion mit Sauerstoff in der Luft). Die Wiedererkennbarkeit dieser Produkte ist also gering. Letztlich scheitert daran auch die Vermarktung

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A. Marketing als Denkhaltung

von Agrarprodukten, wenn es nicht gelingt, etwa Obst und Gemüse einzeln zu kennzeichnen (z. B. Chiquita, Maroc, Dole, Jaffa). Eigenschaftszusage über systematische Kommunikationsmaßnahmen meint, dass durch substanzielle Werbeaktivitäten konsistente Botschaften über die spezifische Leistungsfähigkeit des Markenangebots verbreitet werden, die aus Publikumssicht als Garantieaussagen zu verstehen sind. Daraus ergibt sich eine Sicherheit hinsichtlich der zu erwartenden Leistungsmerkmale bei einem Kauf, und Produktenttäuschungen werden vermieden. Für die Kommunikation stehen zunehmend viele Ansprachekanäle zur Verfügung, die es zu integrieren gilt, d. h. inhaltlich, gestalterisch und zeit-räumlich abzustimmen. Dichte Distribution bis hin zur Ubiquität im gewählten Verbreitungsgebiet meint die Distribution des Markenartikels innerhalb eines definierten Absatzgebiets und/oder -kanals. Der Grad der Erhältlichkeit kann dabei von Ubiquität (wie bei Zigaretten, Zeitschriften, Softdrinks, Schokoriegeln) bis zur Exklusivität (z. B. bei Formen des Kontraktmarketing) reichen. Dieses Kriterium ist extern nur schwierig zu beurteilen. Denn eine subjektiv als nicht ausreichend erachtete Distribution kann durchaus im Sinne des Herstellers optimal sein, weil er z. B. von vornherein die Anzahl der sein Produkt führenden Absatzmittler limitieren will. Hohe Bekanntheit und Anerkennung im Markt meint einen hinreichenden formalen Bekanntheitsgrad der Marke verbunden mit inhaltlicher Aufladung in Bezug auf Angebotsanspruch, Nutzenversprechen und Imageausstrahlung. Entscheidend ist, dass nicht nur die Marke an sich bekannt ist, sondern diese auch mit den gewünschten Inhalten verbunden wird. Häufig kommt es vor, dass Marke und Inhalte verwechselt werden, wovon normalerweise der Marktführer profitiert, oder erst gar keine lernbaren Botschaften in der Kommunikation vermittelt werden (wie etwa bei Mode oder dekorativen Kosmetika). Die aus diesen Markeninhalten resultierenden Markeneigenschaften lassen sich folgendermaßen ableiten (siehe Abbildung 10). Zunächst zu den anbieterseitigen Aspekten. Es kommt zur Schaffung eines Kommunikationsmittels vom Hersteller zum Zwischen- oder Endabnehmer. Denn das Vorhandensein einer Marke ermöglicht erst den Dialog des Herstellers mit seinen Abnehmern, ohne ein profiliertes Angebot fehlt eine solche gemeinsame Kommunikationsbasis. Eine augenfällige Differenzierung zu Wettbewerbsangeboten wird ermöglicht. Die Prägnanz einer Marke erlaubt die positive Abgrenzung des eigenen Angebots zu denen der Konkurrenz und dessen Hervorhebung durch erkennbare Leistungsausprägungen. Es kommt zur Präferenzbildung zugunsten des eigenen Angebots, damit zugleich zur willkommenen Diskriminierung des Mitbewerbs. Die Marke ermöglicht insofern die Ausbildung von Präferenzen, die das eigene Angebot günstiger darstellen als das des Mitbewerbs und somit zu dessen wünschenswerter Abwertung im fairen Parallelwettbewerb führen.

IV. Markenartikel

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Abbildung 10: Markeneigenschaften

Es kommt zur Erreichung eines Preissetzungsspielraums durch Nutzung der daraus resultierenden, geringeren Preiselastizität der Nachfrage für die Ausschöpfung höherer Erlöse im Markt, ohne dass Kunden gleich zum Mitbewerb­ abwandern. Dies ist Voraussetzung für Absatzsicherung bzw. -ausweitung. Durch die hohe Markenbindung und Marktausschöpfung kann die Absatzbasis nachhaltig gesichert, womöglich sogar ausgeweitet werden. Und man kann davon ausgehen, dass ein hoher Anteil des Publikums das Produkt in regelmäßigen Abständen wiederkauft. Marktplanbarkeit und Planerfüllungswahrscheinlichkeit entstehen daraus. Die hohen Investitionen, die mit der Einführung und Pflege einer Marke verbunden sind, werden vor dem Hintergrund der Planabsicherung durch die Marke überhaupt erst verantwortungsvoll tragbar. Die Möglichkeit des Zielgruppenmarketing ergibt sich für die Marke durch ihr ausgeprägtes Profil zur Segmentierung des Gesamtmarktes über Einsatz eines differenzierten Marketinginstrumentariums. Bei den nachfragerseitigen Aspekten handelt es sich um folgende. Eine Orientierungshilfe in der Angebotsvielfalt entsteht. Durch die Ausbildung einer Rangordnung innerhalb objektiv gleichartiger Angebote wird die Orientierung in der zunehmenden Vielzahl von Angeboten erleichtert. Marken schaffen damit Übersicht am Markt und helfen Verbrauchern bei der Kategorisierung der Wahl­ optionen.

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A. Marketing als Denkhaltung

Diese Übersicht erzeugt Sicherheit beim Kauf hinsichtlich des zu investierenden Geldbetrags in dem Maße, dass bewusst eine Marke anderen wegen ihres im Vorhinein bekannten Leistungsprofils vorgezogen wird. Die Markierung der derart präferierten Angebote ermöglicht sodann die Wiedererkennbarkeit eines bestimmten Angebots und bietet damit überhaupt erst die Chance zum einem bewussten Wiederholungskauf. Daraus resultiert der Aufbau von Markenbindung und Markentreue. Dadurch wiederum wird die bewusste Loyalität zu einem Angebot bei Übereinstimmung zwischen den subjektiven Erwartungen und der Markenleistung ermöglicht. Diese Produktzufriedenheit kann bis zur Exklusivverwendung führen. Daraus folgt individuelle Bedarfsbefriedigung auf der Nachfrageseite mit der Möglichkeit zur gezielten Nutzenwahl, indem unter mehreren, prägnant und kompetent profilierten Marken genau diejenige wählbar wird, die den eigenen Ziel­ vorstellungen am ehesten entspricht. Marken bedürfen jedoch der steten Pflege. Fehlt diese oder wird sie nicht fachgerecht ausgeführt, geht die Marke ein. Beispiele für Fehler, die häufig begangen werden, sind folgende. Im Zuge von Kosteneinsparungen wird eine Minderung der Produktleistung durch Qualitätssenkungen vorgenommen. Der eigene Innovationsetat wird zugunsten der Imitation von Konkurrenzprodukten gekürzt. Dauerhafte Price off-Aktionen des Handels mindern die Qualitätsanmutung im Publikum. Produkte werden de facto durch Anbieten von mehr Inhalt zum gleichen Preis verschenkt. Die Werbeaufwendungen werden zugunsten der Realisierung von Spotgewinnen gekürzt. Dies gilt auch für die vom Handel gern gesehenen und geforderten finanziellen Zuwendungen, sofern dafür keine markenfördernden Aktivitäten am POS vereinbart werden. Übermäßige Extenders und Flankers verwässern die Markenkompetenz und machen die Marke womöglich notleidend. Verkaufspromotions und Gewinnspiele sind immer dann schädlich, wenn sie von der Produktleistung ablenken. Dies gilt auch für Zugaben und Onpacks, die nicht das Konzept des Produkts unterstützen. Eine rasche Anpassung an erfolgreiche Konkurrenzaktivitäten beraubt die Marke der Eigenständigkeit. Ein überzogener Verkaufsdruck durch Angstappelle an Verkäufer führt zu kopflosem Handeln. Unflexibles Festhalten an Budgetzielen, auch wenn diese schon unrealistisch geworden sind, wirkt repressiv auf die Marke. Gefährlich ist der gedankliche Rückzug auf vertraute Zielgruppen, statt neue erobern zu wollen. Auch der hektische Wechsel von Beratern hilft nicht, sondern führt nur zur Know-how-Vernichtung in großem Stil. Aggressive Niedrigpreise senken die Qualitätsanmutung einer Marke im Publikum und damit dessen Kaufbereitschaft. Überzogene Werbung kann durch Präferenzmanipulation der Endabnehmer zu Nachkaufenttäuschungen führen. Eine negative Ausstrahlung vom Image eines Werbeträgers auf die dort ausgelobte Marke kann erfolgen. Gewinnspiele mit Markenartikeln im Rahmen der Verkaufsförderung beuten deren Wertigkeit aus und mindern diese zugleich. Werden diese Fehler vermieden, kann als Ergebnis ein respektabler Markenwert entstehen.

IV. Markenartikel

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3. Markenfunktionen Der Markenverband, die Organisation der Markenartikler aus 40 Branchen, hat die Markenfunktionen wie folgt umschrieben. Der Markenartikel gibt Sicherheit beim Einkauf, das zu erhalten, was man wünscht und eine gerechte Gegenleistung für den aufgewendeten Kaufpreis zu bekommen. Er ist nicht anonym. Der Markenartikel ist langfristig konzipiert, er hat Bestand und ist strategisch ausgerichtet. Er hat ein eigenständiges Produktprofil und Leitfunktion in Bezug auf Qualität, Preis und Service. Durch Leistung und kontinuierlichen Markenauftritt schafft er Vertrauen bei den Verwendern. Der Markenartikel geht mit der Zeit, er ist immer aktuell, modern und auf der Höhe der Entwicklung. Denn Produktion und Forschung haben höchstes Niveau und können veränderte Nachfragerbedürfnisse jederzeit berücksichtigen. Der Markenartikel hat dadurch langfristigen Markterfolg und hohe Bekanntheit. Der Markenartikel wird über ein adäquates Vertriebssystem distribuiert, wobei dies durchaus eine gewollte geringe Erhältlichkeit implizieren kann. Dies garantiert gleich bleibende, überregionale Versorgung, bequemen Einkauf und fachkundigen Service. Der Markenartikel fördert den Wettbewerb durch Segmentierung und Innovationen. Er ist das beste Mittel gegen ein eintöniges Warenangebot. Markenartikel sprechen meist große Verbrauchergruppen an und garantieren durch rationelle Fertigung einen angemessenen Preis. Der Markenartikel verhindert Produktenttäuschungen, weil ihm eine garantieähnliche Qualitätszusage zueigen ist. Dadurch verschafft er dem Käufer positive Erfahrungen und verdient sich seine höchste Wertschätzung. Durch Markenwerbung und Verkaufsförderung informiert der Hersteller Handel und Verbraucher. Der Markenartikel setzt Maßstäbe für technischen und wirtschaftlichen Fortschritt. Innovationskraft und Produktkompetenz der Hersteller prägen in hohem Maße die modernen Konsumgütermärkte (siehe Abbildung 11).

Abbildung 11: Markenfunktionen

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Der Deutsche Marketing-Verband vergibt den Deutschen Marketingpreis für vorbildlich geführte Marken. Preisträger seit 1975 sind: • Pfanni (1975), Falke (1976), Daimler-Benz (1977), Nixdorf (1978), IKEA (1979), Erco (1980), Beiersdorf (1981), Otto (1982), Stihl (1983), Schott (1984), Adidas (1985), Hussel (1986), S-H Musik Festival (1987), BMW (1988), Würth (1989), AEG (1990), Henkel (1991), Wilkhahn (1992), Junghans (1993), Suchard-Tobler (1994), OBI (1995), Grohe (1996), Kärcher (1997), Smith-Kline (1998), Volkswagen (1999), Miele (2000), Red Bull (2001), Loewe (2002), Bild (2003), Porsche (2004), Tchibo (2005), Hugo Boss (2006), Bosch (2007), Lufthansa (2008), Schwarzkopf (2009), Deutsche Telekom (2010), Schüco (2011), Zalando (2012), Lindt (2013), ImmoScout24 (2014), Motel One (2015). Die Funktionen des Markenartikels aus Handelssicht sind vor allem folgende (Bruhn): • Minderung des Absatzrisikos durch Selbstverkäuflichkeit, Renditebringer, verminderte Beanspruchung eigener Marketinginstrumente, Kostenersparnis durch schnellen Warenumschlag, Profilierung gegenüber Herstellern und Solidarisierung im Handelsverbund. Hinzu kommen folgende Funktionen aus Herstellersicht: • Planungs- und Verkaufshilfe, Absatzförderung, Unterstützung im Hinblick auf andere absatzwirtschaftliche Aktivitäten, stabilisierende Wirkung im Rahmen langfristiger Absatzpläne, Profilierung gegenüber der Konkurrenz, Innovation, Instrument zum Imageaufbau, Verhandlungsposition für Hersteller-HandelsBeziehung und Stiftung psychologischen Zusatznutzens. Aus Konsumentensicht ergeben sich vor allem folgende Funktionen: • Orientierungshilfe beim Einkauf, Information und Identifikation, Entlastung im Einkauf durch hohe Erhältlichkeit, Risikominderung für Fehlentscheide, Darstellung individueller Zusatznutzenbedürfnisse und Prestigewert.

4. Markenarchitekturen 4.1

Horizontale Markentypen

Hinsichtlich der Markenarchitektur unterscheidet man die Markenbreite (im Folgenden horizontale Markentypen genannt) und die Markentiefe (im Folgenden vertikale Markentypen genannt). Erstere gibt die Gliederung der verschiedenartigen, komplementären Marken eines Anbieters an, letztere die Gliederung der verschiedenartigen Ausprägungen substitutiver Marken. Damit können jedoch nicht alle Markenstrategien erfasst werden. Daher ist weiterhin eine Gliederung nach dem Markenabsender (im Folgenden absenderbezogene Markentypen genannt) erforderlich.

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IV. Markenartikel

Zur weiteren Gliederung bietet es sich an, das Verhältnis von Marke zu den relevanten Größen bearbeitetes Segment des Marktes, Produktvarietät innerhalb der Marke, Programm des Unternehmens und Firma (Name des Unternehmens) zu untersuchen. Folglich wird im Folgenden eine Unterteilung der Marken in die Dimensionen Segmentierung, Differenzierung, Anzahl und Identität vorgenommen (siehe Abbildung 12).

Anzahl der Marken je Segment Anzahl der Produkte je Marke

Anzahl der Marken im Programm

Übereinstimmung von Firma und Marke

1

Einzelmarke

>1

Mehrmarken

1

Monomarke

>1

Rangemarken

1

Solitärmarke

>1

Multimarken

ja

Dachmarke

nein

Singulärmarke

Abbildung 12: Horizontale Markentypen

4.1.1 Markensegmentierung Bei der Markensegmentierung stellen sich zwei Optionen, die Einzelmarkenstrategie bei einer Marke je Segment (Teilmarkt) und die Mehrmarkenstrategie bei mehreren Marken je Segment. Diese geben so das Verhältnis von Marke und Segment des Marktes wieder. Einzelmarkenstrategie bedeutet, dass je Teilmarkt/Segment von einem Anbieter nur eine Marke geführt wird. Diese wird zu einer eigenständigen Persönlichkeit aufgebaut und repräsentiert das Unternehmen auf dem entsprechenden Markt bzw. Marktausschnitt. Rein pragmatisch gibt es auch zunehmend größere Probleme, geeignete und schutzfähige Markennamen zu finden (z. B. Ford mit Fiesta, Focus, Mondeo etc.). Deren Generierung impliziert für jedes einzelne Produkt immer wieder von Neuem hohen Zeit- und Kostenaufwand. Wesentliche Vorteile Einzelmarkenstrategie sind folgende: • Gezielte Ansprache einzelner Kundensegmente (Zielgruppen), • Markendifferenzierung durch optimale Abstimmung von Bedürfnis- und Problemlösungsprofil,

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A. Marketing als Denkhaltung

• Chance, ein klares, unverwechselbares Produktimage/-profil aufzubauen, • Gefahr negativer Ausstrahlungseffekte (Badwill) bleibt begrenzt, • Koordinationsbedarf zwischen den einzelnen Markenstrategien ist gering, • Marktanteils- und Kostendegressionseffekte können realisiert werden, • gute Darstellungsmöglichkeiten des Innovationscharakters eines neuen ­Produkts. Wesentliche Nachteile sind folgende: • Das hinter der Marke stehende Produkt trägt in allen Lebenszyklusphasen die Marketingkosten allein, • womöglich ungenügende Amortisation der aufgewendeten Kosten bei zunehmend kurzer Lebensdauer der Einzelmarke, • Trend zur Bezeichnung der Produktgattung analog dem Markennamen (damit Verlust der differenzierenden Markenpersönlichkeit), z.B, googeln, kärchern. • Einzelmarke wird nicht durch angrenzende Marken mitgestützt, daher entfallen synergetische Effekte, • eine belastbare Markenpersönlichkeit (Brand Identity) kann nur langsam aufgebaut werden, • tragfähiges Absatzpotenzial ist Voraussetzung für den Erfolg, • bei mehreren Einzelmarken eines Herstellers Fraktionierung des Marketingbudgets. Mehrmarkenstrategie bedeutet, dass je Teilmarkt/Segment mehr als eine Marke parallel geführt wird. Voraussetzungen sind eine genügende Finanzkraft und ein entsprechendes Marketing-Know-how. Dabei wird davon ausgegangen, dass ein Segment mit zwei und mehr Marken besetzt wird, wobei die Abgrenzung zwischen Markt und Segment diskussionsfähig ist. Beispiele sind folgende: • World of TUI (Tourismus) mit TUI, 1,2 Fly, Airtours, Seetours, Dr.Tigges, First, Hapag-Lloyd, L’tur, • Unilever bei Margarinen mit Becel, Dudarfst, Lätta, Rama, Sanella, Bertolli etc., • Henkel mit Persil, Spee, Weißer Riese/Vollwaschmittel bzw. Perwoll, Sil, Vernell, Terra/Spezialwaschmittel, • Ferrero mit Rocher, Giotto, Raffaelo, Ferrero Küßchen, Yogurette, Milchschnitte, Mon Cherie/Süßwaren bzw. Hanuta, Duplo/Schokoriegel, • SEB mit Krups (hochwertige Kaffee- und Kochautomaten), Rowenta (Staubsauger), Tefal (Bügeleisen/Dampfbügelstationen), Moulinex (Küchengeräte), Calor (Budget-Produkte),

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• L’Oréal mit L’Oréal de Paris, Garnier, Maybelline, Nyx (bei Konsumprodukten), Lancome, Giorgio Armani, Yves Saint Laurent, Biotherm, Kiehl’s (bei Luxusprodukten), L’Oréal Professional, Redken, Matrix, Kérastase, Essie (bei Profi-Produkten), Vichy, LaRoche-Posay, Skin Ceuticals, Roger & Gallet (bei Apothekenprodukten). Wesentliche Vorteile der Mehrmarkenstrategie sind folgende: • Gegebener, segmentierter Markt kann insgesamt besser ausgeschöpft werden, indem mehreren oder allen Nachfragersegmenten ein für ihre Bedarfe spezia­ lisiertes Angebot offeriert wird, • Markenwechsler können durch paralleles Angebot beim gleichen Absender gehalten werden, • breitere Regalflächenabdeckung erhöht die Markteintrittsbarrieren für Konkurrenzanbieter im LEH, • Einführung von aggressiven „Kampfpositionierungen“ schützt die übrigen Markenprodukte vor Preiskämpfen. Wesentliche Nachteile sind folgende: • Zusätzliche materielle, finanzielle und personelle Ressourcen müssen bereitgestellt werden, • durch Aufsplittung der Aktivitäten kommt es womöglich zur suboptimalen Verwendung der finanziellen und personellen Unternehmensressourcen, • Gefahr einer Übersegmentierung, • Gefahr der Kannibalisierung der einzelnen eigenen Marken. 4.1.2 Markendifferenzierung Bei der Markendifferenzierung stellen sich zwei Alternativen, die Monomarken­ strategie bei einer Marke mit nur einem repräsentierten Produkt und die Rangemarkenstrategie bei mehreren differenzierten Produkten nebeneinander. Diese geben damit also das Verhältnis von Marke und Produktvarietät wieder. Monomarkenstrategie bedeutet, dass hinter der Marke ein Einzelprodukt steht, das zwar in verschiedenen Ausprägungen (vertikale Programmstruktur/substitutive Beziehung), nicht aber in verschiedenen Versionen (horizontale Programmstruktur/komplementäre Beziehung) vorhanden ist. Wesentliche Vorteile der Monomarkenstrategie sind folgende: • Konzentration aller Aktivitäten auf ein Einzelprodukt ist möglich und verhindert Verzettelung,

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• Möglichkeit zur homogenen Darstellung des Angebots, • spitze Positionierung des Produkts auf einzelne Zielgruppen ist möglich, • klares Profil bei Handelsentscheidern kann erreicht werden. Wesentliche Nachteile sind folgende: • Möglicher Transfer der Markenbekanntheit und -vertrautheit auf andere Produkte ist nicht möglich, • kein Ausgleich von Absatzschwankungen durch Saisons, gezielte Wettbewerbsangriffe etc., • alle Aufwendungen zu Markenaufbau und -unterhalt müssen vom Einzel­produkt dahinter allein getragen werden, • Marke ist vom Lebenszyklus des sie ausmachenden Produkts abhängig. Die Rangemarkenstrategie bedeutet, dass hinter der Marke mehrere differenzierte Produkte stehen, die neben verschiedenen Ausprägungen auch in verschiedenen Versionen offeriert werden. Dies setzt die Sicherstellung von ähnlichen Marketing-Mix-Strategien, konstanter Qualität und Affinität der Produkte voraus. Dabei kann das Programm nur aus einer Range bestehen oder aus zwei oder mehr Ranges nebeneinander, jeweils mit einer oder mehreren weiteren oder auch ohne weitere Monomarken (siehe Multimarken). Unter Range wird regelmäßig nur eine Familie verwandter Produkte verstanden, wobei diese emotionale (konnotative) Gemeinsamkeiten aufweisen, die auf hinkunfts-, herkunfts- oder betriebsbezogenen Elementen aufbauen. Man spricht hier auch von der Treueorientierung des Programms. Meist handelt es sich um unechte Rangemarken, die eine erfolgreiche Monomarke als Ursprung haben und im Laufe der Zeit erst durch Produktdifferenzierung entstanden sind. Als Beispiel kann Melitta gelten, das sein unübersichtlich gewordenes Programm in die Markenfamilien • Melitta (für Kaffee, Filterpapier, Kaffeeautomaten und Kaffeefilter), • Toppits (für Lebensmittelfolien zum Frischhalten, Einfrieren, Backen und Braten), • Swirl (für Staubsaugerbeutel, Müllbeutel und Dunstfilter), • Aclimat (für Luftreiniger und Luftbefeuchter) sowie • Cilia (für Teefilter und Teefilter-Systeme)  aufgeteilt hat. Ein anderes Beispiel ist Aspirin/Bayer: • Aspirin Effect: Granulat zur Einnahme ohne Wasser, • Aspirin Migräne: Brausetablette,

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• Aspirin Tablette: Schlucktablette mit Wasser, • Aspirin Plus C: Brausetablette mit Vitamin C-Zusatz, • Aspirin Direkt: Kautablette, • Aspirin Protect: zur Vorbeugung von Herzinfarkten (verschreibungspflichtig), • Aspirin N: zur Vorbeugung von Schlaganfällen (verschreibungspflichtig), • Aspirin Forte: gegen starke Schmerzen oder Entzündungen. Ein konsequentes Beispiel ist Beiersdorf im Körperpflegebereich mit der Marke Nivea für • Babypflege, Körperreinigung, Deodorants, Gesichtspflege, Haarpflege/-styling, Hautcreme, Sonnenpflege etc. Ein weiteres Beispiel betrifft die Bild-Zeitung mit folgenden Print-Derivaten: • Bild am Sonntag (Einführung 1956), • Bild der Frau mit diversen Auslandsausgaben (1983), • Bildwoche (1983), • Auto-Bild mit diversen Auslandsausgaben (1986), • Sport-Bild (1988), • Computer-Bild mit diversen Auslandsausgaben (1996), • Tier-Bild (2001). Echte Rangemarken sind sogleich als solche am Markt angetreten. Dies ist allerdings selten, vielmehr besteht eine Tendenz zur Ausweitung von Monomarken durch weitere Produkte zu Rangemarken. Diese erhalten nicht selten ihrerseits Sub-Ranges (Flankers) in verschiedenen Märkten (z. B. Odol mit Odol N’Ice, blend-a-med und blend-a-dent), die dann wiederum aus verschiedenen Produkt­ linien (Extenders) bestehen (Odol N’Ice als Kaugummi oder Bonbon) oder die in verschiedenen Versionen angeboten werden (vertikale Produktdifferenzierung, z. B. durch Darreichungsform als Zahnseide, Zahnholz, Zahnbürste). Wesentliche Vorteile der Rangemarkenstrategie sind folgende: • Gegenseitige Unterstützung der Produkte sorgt für deren bessere Durchsetzung bei Handel und Endabnehmern, • Kosten der Markenbildung und -pflege können durch Synergieeffekte geringer gehalten werden, • starke Marken lassen sich durch Imagetransfer auf neue Produkte unter dem­ selben Dach „melken“, • Verjüngung des Image der Basismarke ist durch aktuelle Derivate möglich,

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• Floprisiko für Produktinnovationen wird verringert, • eigenständige Geschäftsfelder können besetzt und organisatorisch verankert werden, • Markenfamilie ermöglicht die Bildung eigenständiger Markenwelten mit spezifischer Profilierung. Wesentliche Nachteile sind folgende: • Spitze Profilierung der Rangemarke gerät mit jedem „Satelliten“ in Gefahr, • Markenkompetenz lässt nur Aufnahme verwandter Produktbereiche in die Familie zu, • außenstehende Monoprodukte sind nur schwer isoliert durchsetzbar, • negative Ausstrahlungseffekte zwischen Produkten der Markenfamilie bei unterschiedlichen Marketingmixes, Qualitätsniveaus, Images bzw. Fehlern in der Strategie sind möglich, • höherer Abstimmungsbedarf zwischen den einzelnen Teilen der Markenfamilie, • Gefahr von Substitutionsbeziehungen, wenn betroffene Teilmärkte nicht klar voneinander getrennt werden können, • Markenkern begrenzt die Innovationsmöglichkeiten ebenso wie die eines Re­ launch, • bei nicht vollständiger Präsenz am Handelsplatz besteht die Gefahr, dass Angebotssysteme mit Nutzenklammern vom Publikum nicht erkannt werden können. 4.1.3 Markenanzahl Bei der Markenanzahl stellen sich zwei Alternativen, die Solitärmarkenstrategie bei einer Marke und die Multimarkenstrategie bei mehreren Marken im Programm. Diese geben damit also das Verhältnis von Marke und Programm des Unter­nehmens wieder. Solitärmarkenstrategie bedeutet, dass im gesamten Unternehmensprogramm nur eine einzige Marke vorhanden ist (z. B. Verpoorten, BASF, Allianz, IBM). Wesentliche Vorteile der Solitärmarkenstrategie sind folgende: • Volle Konzentration aller Aktivitäten auf eine Produktmarke, • klares Profil bei Absatzmittlern, da kein „Bauchladeneffekt“ von Multimarkenanbietern, • die gegenseitige Kannibalisierung differenzierter Produkte im Programm wird vermieden.

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Wesentliche Nachteile sind folgende: • Hohe Abhängigkeit des Unternehmenserfolgs vom Erfolg der Solitärmarke, • Aufbau neuer Marken als Ersatz ist kaum kurzfristig realisierbar, • Basis zum Ausgleich saisonaler oder räumlicher Disparitäten fehlt ebenso wie zu internem preispolitischen Ausgleich, • potenzielle Erpressbarkeit durch Absatzmittler, wenn Alleinstellung erodiert, • eingeschränkte Möglichkeit, unterschiedliche Nachfragersegmente anzusprechen, • keine Synergieeffekte nutzbar, die aus Gemeinsamkeiten zwischen Produktangeboten resultieren. Multimarkenstrategie bedeutet, dass im Unternehmensprogramm nebenein­ ander mehr als eine Marke vorhanden ist Beispiele sind folgende: • Nestlé mit Getränken, Wasser- und Milchprodukten, Fertiggerichten, Gesundheitsnahrung, Heimtiernahrung, Süßwaren etc., • Procter & Gamble mit Kosmetik/Parfüms, Gesundheits-/Hygieneprodukten, Haushaltsprodukten, Wasch-/Reinigungsmitteln etc., • General Motors mit Pontiac, Cadillac, Buick, Chevrolet, Oldsmobile etc., • Volkswagen mit Skoda (Simply clever), Seat (Auto Emocion), Volkswagen (Das Auto), Audi (Vorsprung durch Technik), Porsche (Intelligent Performance), Lamborghini (The ultimate Sportswagon), Bentley (The Gentleman’s Sporting Tourer) etc. Wesentliche Vorteile der Multimarkenstrategie sind folgende: • Gezielte Ansprache einzelner Kundensegmente durch individuelle Profilierung, • größerer Handlungsspielraum durch fehlende Verbundwirkungen der Marken untereinander, • keine Gefahr negativer Ausstrahlungseffekte auf andere Marken des eigenen Unternehmens im Falle eines Flops, • Markenwechsler können durch Produktvarietät innerhalb des Unternehmens vom Wettbewerb ferngehalten werden, • durch Einführung eigener Price off-Marke bleiben die übrigen Marken von einem Preiskampf verschont, • jede Marke kann individuell auf das jeweilige Nachfragersegment positioniert werden, • Möglichkeit zur Abdeckung gegensätzlicher Märkte.

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Wesentliche Nachteile sind folgende: • Gefahr von Kannibalisierungseffekten bei nicht ausreichender Trennung der Angebote zueinander, • Gefahr der Übersegmentierung, wodurch das Marktpotenzial quantitativ zu klein wird, • keine Addition der Markenimages zu einem Dachmarkenimage, • jedes Produkt fordert für sich allein hohe Marketingaufwendungen, • Restriktionen im Regalplatz des Handels drohen, • Marketingaufwand steigt durch die Notwendigkeit zur anderweitig ungestützten Etablierung am Markt, • die Aufsplittung der Aktivitäten auf mehrere Märkte bringt eine geringere Effi­ zienz. 4.1.4 Markenidentität Bei der Markenidentität stellen sich zwei Alternativen, die Dachmarkenstrategie bei einer Marke, die der Firma entspricht, und die Singulärmarkenstrategie bei einer oder mehreren Marken, die der Firma nicht entsprechen. Diese geben damit also das Verhältnis von Marke und Firma wieder. Dachmarkenstrategie bedeutet, dass der Name des Produkts/der Produkte mit dem Namen des Unternehmens (Hersteller/Absender) übereinstimmt (oft werden diese auch als Firmenmarke bezeichnet). Dadurch wird dessen Kompetenzanspruch für alle Produkte der Dachmarke eingehalten. Wesentliche Vorteile der Dachmarkenstrategie sind folgende: • Profilierungsaufwand der Marke wird von allen Produkten gemeinsam getragen, • schnelle Akzeptanz für Neueinführungen beim Handel, • schnelle Akzeptanz bei privaten Endabnehmern, • Ausdehnung des Programms auf weitere Produkte ist möglich, • Markeninvestitionen sind nicht auf den Lebenszyklus einzelner Produkte beschränkt und gehen danach verloren, • einzige Chance für Produkte, deren Marktvolumen gering ist, • Konzept der integrierten Corporate Communications wird darstellbar, • Synergieeffekte zwischen Öffentlichkeitsarbeit für das Unternehmen und Werbung ergeben sich,

IV. Markenartikel

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• Einsparungen von Werbeaufwendungen, • Markennamensfindung erübrigt sich teilweise. Wesentliche Nachteile sind folgende: • Bei hohem Diversifikationsgrad verwässert die Markenkompetenz, • Entscheidungen für ein Produkt betreffen immer auch sämtliche anderen, • Risiko negativer horizontaler Ausstrahlungseffekte (Badwill) innerhalb des bestehenden Programms, • negative Unternehmensnachrichten schlagen auf Produkte durch, • Dde einzelnen Produkte sind eher schwach profiliert, da das Markendach generalisierend wirkt, • Ausrichtung an einzelnen Zielgruppen/Anwendungen ist schwierig, • höherer Koordinationsaufwand innerhalb der Dachmarke, • einzelne Programmteile können kaum in ihren Besonderheiten berücksichtigt werden, • als Positionierung kann nur eine allgemeine, eher unspezifische gewählt werden. Singulärmarkenstrategie bedeutet, dass der Name des Produkts/der Produkte verschieden vom Namen des Unternehmens (Hersteller/Absender) ist (oft werden diese unzulänglich auch als Fantasiemarke bezeichnet, obgleich die Marke durchaus einen konkreten sachlichen Hintergrund haben kann). Dabei sind zwei Ausprägungen beobachtbar. Zum einen handelt es sich um eine deutliche Abkopplung des Produkts vom Hersteller, d. h. beide haben erkennbar nichts miteinander gemein. Ein Beispiel ist Idee Kaffee. Dabei handelt es sich, von wenigen unbedeutenden Ausnahmen abgesehen, um die einzige Marke der Firma Darboven, die sich in einem hoch kompetitiven Markt wie dem für Röstkaffee erfolgreich halten kann. Ein anderes Beispiel ist Jägermeister (Firma: Mast KG). Zum anderen besteht zwischen beiden ein erkennbarer Zusammenhang, etwa derart, dass bei der Markennennung auf den Namen des Herstellers verwiesen wird. Beispiele sind Persil von Henkel oder Aspirin von Bayer (Endorsed Branding/Aaker). Oft handelt es sich in diesem Fall um das bedeutendste oder zumindest um das historisch gesehen erste bedeutende Produkt des Herstellers. Wesentliche Vorteile der Abkopplung sind folgende: • Alle Marketingaktivitäten können auf eine Marke konzentriert werden, • die Separierung von Unternehmen und Produkt vermeidet negative vertikale Übertragungseffekte (z. B. BP Deepwater Horizon-Skandal getrennt von Marke Aral an deutschen Tankstellen).

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A. Marketing als Denkhaltung

Wesentliche Nachteile sind folgende: • Einseitige Abhängigkeit des Unternehmens vom dominanten Erfolg einer einzigen Marke, • Synergiewirkungen zwischen Absender und Marke mit gegenseitiger Stützung bleiben aus. Wesentliche Vorteile des Zusammenhangs sind folgende: • Herstellerkompetenz wird voll in die Marke eingebracht, • Markenlaunch profitiert von Anfang an vom dahinter stehenden Image des Herstellerabsenders. Wesentliche Nachteile sind folgende: • Notwendigkeit der doppelten Namensnennung befrachtet die Kommunikation und kompliziert diese, • Hersteller und Produkt sind auf Gedeih und Verderb aneinander gekoppelt (z. B. Abgasskandal/VW). 4.2

Vertikale Markentypen

Im Folgenden wird eine vertikale Unterteilung der Marken in die Ausprägungen Erst-, Premium-, Luxus-, Zweit- und Drittmarken sowie Gattungsware (wobei diese streng genommen bereits den Gegenpol zur Marke darstellt) vorgenommen (siehe Abbildung 13).

Luxusmarke Markenaufwertung Premiummarke Erstmarke

Zweitmarke Markenabwertung Drittmarke (Gattungsware)

Abbildung 13: Vertikale Markentypen

IV. Markenartikel

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Die Verbindung der vertikalen Markentypen ist asymmetrisch zu sehen. Nach oben, also ausgehend von der Erstmarke in Richtung Premium- bzw. Luxusmarke (Up Scaling), ist der Ausweis des gemeinsamen Herstellers in der Regel hilfreich und sinnvoll. Nach unten, also ausgehend von der Erstmarke in Richtung Zweit- bzw. Drittmarke (Down Scaling), ist dieser Ausweis hingegen zumeist schädlich und daher nicht sinnvoll. Denn die in der Hierarchie darüber liegenden Marken wirken positiv auf das Image der darunter liegenden, sie werden von ihnen aufgewertet, die in der Hierarchie darunter liegenden Marken wirken jedoch negativ auf das Image der darüber liegenden, sie werden von ihnen folglich abgewertet. Die Erstmarke hat die zentrale Position innerhalb der Markenhierarchie. Ein Beispiel ist Henkell Trocken im Programm der Henkell-Sektkellerei. Sie lässt jedoch Raum für Über- und Unterbietungen. Die Erstmarke ist somit allgemein die Marke mit der größten Marktbedeutung innerhalb eines Programms und meist auch die mit der ausgeprägtesten Historie. Sie ist ein Eckpfeiler für den Unternehmenserfolg. Allerdings hat sich im Lauf der Entwicklung herausgestellt, dass diese Erstmarke nicht in der Lage ist, das gesamte Nachfragepotenzial abzudecken. Daher wird sie vertikal nach oben und/oder nach unten ergänzt. Sie ist damit Ausgangspunkt für vertikale Markentypen. 4.2.1 Markenaufwertung In Zusammenhang mit der Markenaufwertung werden die Premiummarke und als weitere Steigerung die Luxusmarke vorgestellt und bewertet. Sie bewegen sich von der Erstmarke als Ausgangsbasis nach oben weg in Richtung der Spitze einer Markenpyramide. Die Premiummarke ist oberhalb der Erstmarke positioniert. Ein Beispiel ist Fürst von Metternich-Sekt im Verhältnis zu Henkell Trocken (Erstmarke) bei der Henkell-Sektkellerei. Damit wird eine Premiummarke an die Spitze der Leistungshierarchie platziert und repräsentiert diese auch im Preis. In dem Maße, wie sich daraus ein hochwertiges Image ableitet, nutzt der Handel dies jedoch zur Profilierung der eigenen Geschäftsstätte, was zumeist über Sonderangebote erfolgt. Dadurch wird das Produkt popularisiert. Da zudem generell ein steigendes Anspruchsniveau im Konsum zu verzeichnen ist, steigt die Nachfrage danach an. In gleichem Maße aber wird das Produkt „herunter gezogen“. An der Spitze der Pyramide wird Platz frei für eine neue Premiummarke eimes anderen Absenders, welche die Stelle der alten einnimmt, bis auch diese eine vorher zwar nicht beabsichtigte, aber wohl unvermeidliche Marktbreite erhält und ihrerseits Platz für eine neue Premiummarke schafft. Diesen Prozess nennt man Cascading. Dies war etwa im Pilsmarkt zu beobach-

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A. Marketing als Denkhaltung

ten. Zunächst war König Pilsener als Premiummarke im Biermarkt unumstritten. In dem Maße wie „Köpi“ jedoch in Getränkeabholmärkten etc. kastenweise im Sonderangebot offeriert wurde, entstand Platz für einen Nachfolger. Hier sind nun nacheinander Krombacher, Veltins, Bitburger und Warsteiner Pils mit Starterfolgen angetreten. Wesentliche Vorteile der Premiummarkenstrategie sind folgende: • die Abschöpfung der höheren Preisbereitschaft sozial exponierter Zielgruppen wird möglich (Konsumentenrente), • sichere Handelsunterstützung durch günstige Spannen, • anspruchsvolle Marken sind häufig Trendsetter mit Diffusionswirkung im Breitenpublikum. Wesentliche Nachteile sind folgende: • Bei Ruchbarwerdung des Zusammenhangs der Premiummarke mit weiter unten in der Hierarchie angesiedelten Produkten besteht die Gefahr der Erosion des Markenimages, • ein hoher Preis bedeutet immer auch kleine Zielgruppe, • die Möglichkeit einer Premiummarke ergibt sich nicht für alle Branchen. Die Luxusmarke ist noch oberhalb der Premiummarke positioniert. Ein Beispiel ist Adam Henkell-Champagner im Verhältnis zu Fürst von Metternich-Sekt (Premiummarke) bei der Henkell-Sektkellerei. Luxusmarken haben vor allem zwei Funktionen. Zum einen sollen sie überdurchschnittliche Deckungsbeiträge in der Spitze der Preisbereitschaft von Kunden abschöpfen, zum anderen haben sie Image Leader-Aufgaben. Diese teilen sich wiederum in zwei Bereiche. Einmal geht es um die Abstrahlung der Luxusmarke auf die in der Markenpyramide darunter liegenden Marken, wodurch diese eine emotionale Aufwertung erfahren. Dann bietet die Luxusmarke aber auch die Aussicht auf eine „Produktkarriere“, d. h. den Aufstieg von der Erst- bzw. Premiummarke auf die höchste Stufe des Leistungsangebots eines Herstellers. Dadurch wird ein Markenwechsel bei steigendem Anspruchsniveau vermieden und ein markentreuer Aufstieg ermöglicht. Luxusmarken sind beinahe krisenunabhängig und daher auch für konjunkturanfällige Automobilhersteller interessant, z. B. Bentley/VW, Rolls Royce/BMW, Maybach/DB, Bugatti/VW, Aston Martin/Ford, Lamborghini/Audi. Beispiele für Luxusmarken sind: • in der Swatchgroup: Breguet, Blancpain, Glashütte Original, Jaques Droz, Léon Hatori, Tiffany & Co, Omega, Longines, Rado, Union Glashütte, Tissot, ck watch & jewelry, Balmain, Certina, Mido, Hamilton.

IV. Markenartikel

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• bei PPR/Kering: McQueen, Balenciaga, Bottega, Veneta, Boucheron, Brioni, Girard-Perregaux, Jean Richard, Sergio Rossi, Stella McCartney, Yves Saint Laurent. • bei Richemont: Vacheron Constantin, Pudey, Baume & Mercier, Jaeger-LeCoultre, Lange & Söhne, Cartier, Officine Panerai, IWC, Piaget, Lancet, Alfred Dunhill, Van Cleef & Arpels, Montblanc, Chloé, Azzedine Alaia, Shanghai Tang, Roger Dubois, net-a-porter-com. Weitere Beispiele aus verschiedenen Produktbereichen sind folgende: • Spirituosen: Dom Perignon, Hennessey, Moet & Chandon, • Pkw: Aston Martin, Bentley, Bugatti, Ferrari, Jaguar, Lamborghini, Maserati, Maybach, Porsche, Rolls-Royce, • Wohnen: Gaggenau, Meissen Staatliche-Porzellan, Rosenthal, Villeroy & Boch, Bulthaupt, Poggenpohl, Siematic, Thonet, Dedon, Cor, Montblanc, Robbe & Berking, Interlübcke, Dornbracht, Occhio, Koch & Bergfeld, Marktex, Tobias Grau, Nymphenburg, • Kosmetik/Parfüm: Biotherm, Cinque, Estee Lauder, Givenchy, Guerlain, Helena Rubinstein, Jean Paul Gaultier, Lancome, Sisley, • Mode: Alexander McQueen, Baldessarini, Balenciaga, Bottega Veneta, Burberry, Calvin Klein, Camp David, Chanel, Christian Dior, Closed, Diesel, Dolce & Gabana, DKNV, Fendi, Fossil, Furla, Giorgio Armani, Gucci, Guess, Hugo Boss, Joop, Lacoste, Liebeskind, Longchamp, Mandarina Duck, Manolo Blahnic, Marc O’Polo, Michael Kors, Michalsky, Missoni Mulberry, Miu Miu, Moschino, New Zealand, Auckland, Picard, Prada, Ralph Lauren, Ray-Ban, Replay, Rimowa, Ferragamo, Sam Edelman, Samsonite, Stefanel, Stella McCartney, Tod’s, Tommy Hilfinger, UGG Australia, Valentino, Versace, Wellendorff, Wempe, Yves Saint Laurent, Jil Sander, Escada, • Schmuck/Uhren: Lange & Söhne, Audemars Piguet, Breitling, Cartier, Chopard, Chronoswiss, Glashütte, Maurice Lacroix, Omega, Pandora, Rolex, Swarowski, Steinway & Sons, TAG Heuer, Thomas Sabo, Tiffany & Co, van Cleef & Arpels, Zenith, Lange & Söhne, Glashütte, Chronoswiss, Wellendorff, Wempe, • Technik: Apple, Bang & Olufsen, Bose, Burmester, T+A. Wesentliche Vorteile der Luxusmarkenstrategie sind folgende: • Abschöpfung ergiebiger Margen bei extrem hoher Preisbereitschaft von Nachfragern, • Nutzung von Modetrends durch exaltierte Produkte ermöglicht mit zeitlichem Nachhall auch positive Absatzeffekte im Breitenpublikum, • sofern die Verbindung zwischen Luxus- und anderen Marken in der Pyramide bekannt ist, kommt es zur Imageabstrahlung von oben nach unten, die bei Nachfragern profilierend wirkt.

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A. Marketing als Denkhaltung

Wesentliche Nachteile sind folgende: • Es bleiben nurmehr außerordentlich kleine Zielgruppen, • es bestehen zwangsläufig sehr hohe Qualitätsansprüche, • daraus folgen hohe Aufwendungen für Produktforschung und -entwicklung sowie -erprobung. 4.2.2 Markenabwertung In Zusammenhang mit der Markenabwertung werden die Zweitmarke und als weitere Senkung die Drittmarke vorgestellt und bewertet. Sie bewegen sich von der Erstmarke nach unten weg in Richtung Basis der Markenpyramide. Die Zweitmarke ist unterhalb der Erstmarke positioniert. Beispiele sind Söhnlein Brillant (der auch schon einmal Söhnlein Trocken hieß) oder Carstens SC im Verhältnis zu Henkell Trocken (Erstmarke) bei der Henkell-Sektkellerei. Die Zweitmarke hat vor allem die Funktion der Absicherung der Erstmarke, um diese gegen einen Wechsel von Käufern zu preisaggressiven Konkurrenten zu immunisieren. Damit bleibt angesichts niedriger Deckungsbeiträge zumindest eine Unternehmensloyalität erhalten. Wesentliche Vorteile der Zweitmarkenstrategie sind folgende: • Bessere Ausschöpfung des Marktpotenzials in Abhängigkeit von der unterschiedlichen Preisbereitschaft der Nachfragersegmente, • Realisierung von Kostenvorteilen durch Rationalisierungs- und Erfahrungskurveneffekte, • die Zweitmarke kann taktisch als Gegenpol zu preisaktiven Wettbewerbs­marken eingesetzt werden. Wesentliche Nachteile sind folgende: • Gefahr des negativen Imagetransfers von der Zweit- auf die Erstmarke, wenn deren Zusammenhang im Publikum ruchbar wird, • latente Verdrängung schwacher Zweitmarken durch starke Marken, die der Handel selbst lanciert, • erheblicher organisatorischer Mehraufwand durch die parallele Führung von Erst- und Zweitmarken in der internen Marketingorganisation. Beispiele von Zweitmarken (im Verhältnis zur jeweiligen Erstmarke) sind: • Sanella (zu Rama), Tudor (zu Rolex), Krusenhof (zu Meica), Unsere Natur (zu Wagner), Alpia (zu Sarotti), Daimon (zu Duracell), Spee (zu Persil), Simyo (zu

IV. Markenartikel

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E-Plus), Narva (zu Philips), Sylvania (zu Osram), Dacia (zu Renault), Skoda (zu Volkswagen), Constructa (zu Bosch-Siemens), Kleber (zu Michelin), Semperit (zu Continental), Skil (zu Bosch). Die Drittmarke ist noch unterhalb der Zweitmarke positioniert. Ein Beispiel ist Rüttgers Club im Verhältnis zu Söhnlein Brillant (Zweitmarke) bei der HenkellSektkellerei. Oft ist die Präsenz einer Drittmarke auch auf bestimmte große Absatzmittler begrenzt, so wird z. B. Schloß Königstein exklusiv über die Edeka-Handelsschiene distribuiert. Ihre Berechtigung leitet sich oftmals aus der Realisierung von Kostendegressionseffekten aus Kuppelproduktion ab, die mit anderen eigenen Marken verbundene Aktivitäten betreffen. Wesentliche Vorteile der Produkteinführung als Drittmarke sind folgende: • Auch die Nachfragersegmente mit geringster Preisbereitschaft können abgeschöpft werden, • es ist ein Schutzwall gegen starke Handelsmarken darstellbar, die somit nicht die Zweit- oder gar die Erstmarke erreichen können, • die durch kontinuierliche Produktaufwertung an der Basis der Markenpyramide freiwerdende Position kann durch die Drittmarke effektiv besetzt werden. Wesentliche Nachteile sind folgende: • Drittmarken geraten in zunehmenden Verdrängungswettbewerb gegenüber Handelsmarken einerseits und Gattungsware andererseits, • preissensitive Verbraucher wählen gleich letztere, weil ihrer Preispräferenz damit am besten entsprochen wird, • Drittmarken erwirtschaften äußerst geringe Deckungsbeiträge. Die Gattungsware gehört streng genommen nicht zu den Markenartikeln, denn ihr Kennzeichen ist gerade der Verzicht auf alle markenartikeltypischen Merkmale. Dadurch erhält sie aber ihrerseits wieder einen typbildenden, markenhaften Charakter. Es handelt sich um abgestrippte Angebote, die meist nur in preisaggressiven Handelsbetriebsformen distribuiert werden. Die Qualität bewegt sich auf Mindest- bzw. Standardniveau, die Verkehrsgeltung ist meist stark begrenzt. Gattungsware wird oft von Markenartiklern auf identischen Anlagen mit nur unwesentlicher Qualitätsabstufung zum Stammprodukt gefertigt. Beispiele für Gattungsware sind Edeka: Gut & Günstig, Kaiser’s Tengelmann: A & P, Real: TIP, Rewe: Ja. Die wesentlichen Kennzeichen von Gattungsware sind die Folgenden: • Einfache Verpackung, die im Wesentlichen nur die Produktbezeichnung trägt und Preisgünstigkeit signalisiert, nach der Einführung nur noch schwache Bewer­bung, um die Marketingkosten niedrig zu halten, gute, gleich bleibende

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A. Marketing als Denkhaltung

Qualität, die für den Verbraucher klar erkennbar und gut einschätzbar ist sowie günstiger Preis, der alle Kostenvorteile aus der Rationalisierung an Endabnehmer weitergibt. Wesentliche Vorteile der Produkteinführung als Gattungsware sind folgende: • Gesteigerte Kostendegression für alle Erzeugnisse eines Auflagenloses durch Produktion in einheitlichen, großen Mengen, die separat distribuiert werden, • Leerkapazitäten können vermieden bzw. großzügig dimensionierte, anderweitig ungenutzte Fertigungskapazitäten besser ausgelastet werden, • durch hohe Umschlaggeschwindigkeit der Gattungsware kommt es zur Ertragsverbesserung, • Gattungsware kann im Handel als Magnetartikel und Frequenzbringer eingesetzt werden. Wesentliche Nachteile sind folgende: • Gefahr der Substitution der Nachfrage für erlösträchtigere eigene Produkte in problemlosen Produktbereichen, • Preisbewusstsein der Nachfrager wird allgemein geschärft, • zusätzlicher Organisationsaufwand für Absatzmittler, • Qualitätsschwankungen bei Gattungswaren fallen auf den Handel als Absender zurück. 4.3

Absenderbezogene Markentypen

Eine weitere Unterteilung ist die nach dem Absender der Marke. Dabei wird das Verhältnis der Marke zu ihrem Markenhalter (Herstellermarke/Handelsmarke), zum Umfang dieser Markenabsender (Individualmarke/Kollektivmarke), zu ihrer Reichweite im Warenweg (Fertigproduktmarke/Subsidiärmarke), zu ihrer Übertragung (Transfermarke/Lizenzmarke) und zu ihrer Nutzung (Systemmarke/ Händlermarke) untersucht. Ein Sonderaspekt befasst sich noch mit der geographischen Reichweite der Marke (Markengebiet) (siehe Abbildung 14)

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IV. Markenartikel

Herstellermarke Markenhalter Handelsmarke Markenumfang

Individualmarke Kollektivmarke Fertigproduktmarke

Markenreichweite Subsidiärmarke Transfermarke Markennutzung Lizenzmarke Systemmarke Markeninhalt Händlermarke Abbildung 14: Absenderbezogene Markentypen

4.3.1 Markenhalter Hinsichtlich des Markenhalters kann es sich um eine Herstellermarke oder um eine Handelsmarke handeln. Bei ersterer ist der Hersteller oder Leistungserbringer bei Diensten der Absender der Marke, bei letzterer ist dies der Handel durch seine Hausmarke (Private Label). Die Herstellermarke ist traditionell die übliche Form des Markenartikels. Über Jahrzehnte hinweg war es selbstverständlich, dass es nicht zu den Aufgaben des Handels gehört, eigene Markenartikel zu lancieren. Erst mit der allgemeinen Erstarkung der Handelsstufe infolge unvermindert anhaltenden Konzentrationstrends und Verschiebung der Führerschaft im Absatzkanal von der Lieferantenauf die Abnehmerseite (Nachfragemacht), entdeckte der Handel die Möglichkeit, selbst als Markenabsender zu fungieren und sich damit vom Warenangebot der Hersteller zu emanzipieren. Außer der Handelsmarke sind alle anderen dargestellten, absenderbezogenen Markentypen Herstellermarken. Bei der Handelsmarke ist die Handelsstufe Absender der Marke. Diese Produkte erwirtschaften durch geschickte Nischenpositionierung hohe Deckungsspannen und erhalten daher vom Handel große Regalflächen eingeräumt, was das „Facing“ von Herstellermarken erschwert, da der Regalplatz mit dem Angebot von Handelsmarken ja keineswegs zunimmt. Mit der Stärkung der Absatzmittler

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A. Marketing als Denkhaltung

im Vermarktungsprozess sind vom Handel neue Konzepte entwickelt worden, als chancenreich erachtete Marktsegmente selbst zu bedienen. Qualitäts- und Preisniveau der Produkte sind zumeist im mittleren Segment konstant fixiert. Die Verkehrsgeltung bleibt begrenzt. Es handelt sich um Me too-Produkte. Die Marktanteile für Handelsmarken liegen in Europa sehr unterschiedlich hoch, niedriger etwa in Portugal, Spanien, Belgien, Frankreich und Schweden, höher etwa in Schweiz, Niederlande und Großbritannien. Nicht selten sind es die Markenhersteller selbst, die zur Auslastung ihrer vorhandenen Kapazitäten und zur Nutzung von Kostendegressionseffekten neben ihrer Herstellermarke auch Produkte für Handelskonzerne produzieren. Da ihnen weitgehend gleiche Fertigungsprozesse zugrunde liegen, ist deren Qualität praktisch identisch. Dies gilt umso mehr, als das allgemeine Qualitätsniveau am Markt einen ausgeglichen hohen Standard erreicht hat und viele Produktbereiche qualitätsindifferent sind (problemlose Produkte). In diesem Fall handelt es sich um unechte Handelsmarken. Bei echten Handelsmarken hingegen übernimmt es die Handelsorganisation selbst, die Entwicklung und Produktion von Produkten im Wege der Rückwärtsintegration durchzuführen. Dabei werden Hersteller eingeschaltet, die anderweitig nicht mit einem eigenen Produkt konkurrierend tätig sind, zunehmend auch auf internationaler Ebene. Handelsmarken haben je nach Warengruppe unterschiedliche Bedeutung. Hoch ist ihr Anteil etwa bei Haushalts-/Hygienepapieren, Milchkonzentraten, Tiefkühlfeinkost, Knabberartikeln, Sauerkonserven, Eis, Spirituosen, Gebäck, Käse, Fischkonserven und Geschirrspülmitteln. Beispiele für Originalproduktehersteller sind folgende: • Aldi: August Storck – Moser Roth Privat Chocolatiers, Frosta – Prima Bio Gemüse, Intersnack Chio – Chips Cracker, • Netto: Bärenmarke – Classic Kondensmilch, Weihenstephan – BioBio Vollmilch, Zott – Capannina Mozzarella, • Norma: Karwendel/Exquisa – Goldglück Frischkäse, Landliebe – Riva Eis, Meßmer/Milfort – Cornwall Tee • Penny: Heinz – Dinner Free Dosensuppen, Rügenwalder – Bauer’s Pommersche Leberwurst, Müller Milch – Elite Milchreis, • Lidl: Kraft/Miracoli – Combino Spaghetti, Humana – Eisstern, Bauer – Edelrahm Joghurt. Zu unterscheiden ist weiterhin hinsichtlich der Sortimentsbreite. Hier gibt es Handelsmarken als • Einzelangebotsmarken für individuelle Produkte (z. B. Tandil, Albrecht von Aldi oder Westbury, Jinglers, Palomino von C & A, Royal von Lekkerland), • Warengruppenmarken für einzelne Categories (z. B. Salto, Today von Rewe, Mibell, Rio Grande von Edeka),

IV. Markenartikel

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• Teilsortimentsmarken für bestimmte Sortimentsbereiche (z. B. Privileg für Elektrogeräte oder Revue für Fotoartikel von Quelle-Karstadt), • umfassende Sortimentsmarken für das gesamte Sortiment (z. B. A & P von Tengelmann, TIP von Metro, Die Sparsamen von Spar). Beispiele von Handelsmarken sind folgende: • Aldi: Tandil, Gartenkrone (Konserven), Amaroy (Kaffee), Crane (Sportartikel), Kür (Körperpflege), Topstar (Softdrinks), Karlskrone (Bier), UNA (Wasch­mittel), King’s Crown (Konserven), Marcus (Kaffee), River (Softdrinks), Karlsquelle/ Maternus (Bier), Gut Drei Eichen (Fleisch-/Wurstwaren), Solo (Papierwaren), • C & A: Clockhouse, Yessica, Canda, Jingler’s, Westbury, Angelo Litrico, • DM Drogeriemarkt: Babylove, Alverde (Naturkosmetik), Balea (Körperpflege), Réell’e (Haarkosmetik), Sanft und Sicher (Hygieneartikel), Denk mit (Reinigungsmittel), • Edeka: Backstube (Brot), Bancetto (Italienspezialitäten), Bio Wertkost (Bioprodukte), Gemüseküche (Konserven), Gutfleisch (Fleisch-/Wurstwaren), King’s Gold (Süßigkeiten), Landgut (Geflügelprodukte), Mibell (Molkereiprodukte), Rio Grande (Säfte/Früchte), Schlemmer Küche (Salate), Domino (Tierprodukte), elkos (Drogerieartikel), • Kaiser’s Tengelmann: Hof (Milchprodukte, Fleisch/Wurst, Konserven), Naturkind (Bioprodukte), Birkenhof (Fleisch), Royal Comfort (Hygieneartikel), • Lidl: Coshida (Tiernahrung), Bioness (Bioprodukte), W 5 (Reinigungsmittel), Gebirgsjäger (Fleisch-/Wurstwaren), Grafenwalder/Bergadler/Perlenbacher (Bier), Freeway (Softdrinks), Little Man (Müsli/Cerealien), • Netto: Bon Appetit (Lebensmittel), Minimum %  – Maximum Natur (Bioprodukte), Kingsway (Säfte), Amora (Kaffee), Yarelle (Körperpflege), Shine (Spülmittel), • Penny: Elite (Joghurt), Bäckerkrönung (Backwaren), Campus (Milcherzeugnisse), Naturgut (Bioartikel), Adelskrone (Bier), • Quelle: Privileg (Weiße Elektrowaren), Universum (Braune Elektrowaren), Revue (Fotoartikel), • Real: Real Quality/Real Selection (Premium), Real Bio (Bioprodukte), Watson (Elektro-/Unterhaltungselektronik), • Rewe/Extra: Erlenhof (Frischeartikel), Salto (Tiefkühlkost), Today (Pflegeprodukte), Füllhorn/Rewe Bio (Bioartikel). Außerdem ist eine Veränderung hinsichtlich eines Up Grading der Handelsmarke erkennbar. Nimmt man einmal die erste Generation der Gattungsware (No Names, Weiße Ware, Generics) aus, so sind die Handelsmarken zunächst als Dis-

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A. Marketing als Denkhaltung

countangebote gegen die Drittmarken der Hersteller gestartet. Im Zeitablauf verbesserten sie sich in der dritten Generation auf das Niveau von Durchschnittsmarken, die durchaus die Zweitmarken der Hersteller erfolgreich angreifen (z. B. Master Product). Neuerdings wird durch Segmentation angestrebt, gegen die Erstmarken der Hersteller anzutreten (z. B. Naturkind, BioBio). Der Ablauf stellt sich wie folgt dar: • 1. Generation: Basislebensmittel mit einfacher Technologie, national distribuiert, • 2. Generation: Großvolumige Einzelartikel, mit einer Produktgeneration Rückstand gegenüber dem Marktführer, national distribuiert, • 3. Generation: Große Produktkategorien, näher am Marktführer, national distribuiert, • 4. Generation: Segmentierte, imagebildende Artikel, innovativ, international distribuiert. Die Vorteile der Handelsmarken liegen aus Handelssicht vor allem in Folgendem: • Mit Handelsmarken gelingt es, den preissensitiven Teil des Publikums mit einer ernstzunehmenden Alternative anzusprechen. Denn der sparsamere Einsatz der Marketingaktivitäten ist eine plausible Erklärung für den Preisvorteil und lässt nicht unbedingt Qualitätsabstriche dahinter vermuten. • Die Verfügbarkeit eigener Marken macht den Handel weitgehend unabhängig von der Angebotsmacht der Hersteller. Diese ist zumindest für alle Hersteller zu unterstellen, die es durch massive Sprungwerbung geschafft haben, ihre Marken im Relevant Set einer hinreichend großen Zahl von Nachfragern fest zu verankern. • Sortimentslücken, die von Herstellern nicht oder nicht adäquat gefüllt werden können, werden durch Handelsmarken ausgeglichen. Dadurch kommt das Denken in Produktkategorien zum Ausdruck, das den Handel gegenüber Herstellern auszeichnet, die geneigt sind, in Einzelprodukten zu denken. • Die handelskettenexklusive Führung von Marken führt zu einer verstärkten Bindung der Kunden an die Geschäftsstätte, da diese Marken anderweitig nicht erhältlich sind. Dies vermögen breit erhältliche Herstellermarken nicht zu leisten, es sei denn, über Sonderangebote oder Zusatzleistungen des Handels. • Die eigene Initiative des Handels erlaubt eine passgenaue Konzipierung gemäß seinen Zielvorstellungen. Ansonsten ist der Handel vom Programm, zumal zunehmend weniger, unabhängiger Hersteller abhängig, das nur begrenzt seinen betriebsindividuellen Anforderungen entsprechen mag. • Durch die Einsparung des Herstellergewinnaufschlags kommt es zu einer angemessenen Ertragssituation selbst auf niedrigem Preisniveau. Dazu wird der niedrigere Einstandspreis nur teilweise an Endabnehmer weitergegeben und zu einem anderen Anteil selbst einbehalten.

IV. Markenartikel

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Dem stehen folgende Nachteile aus Handelssicht gegenüber: • Handelsmarken stehen in direkter Verdrängungskonkurrenz zu werblich stark vorverkauften Herstellermarken und können sich nicht immer gegen diese durchsetzen. Sofern das angestrebt wird, fallen wiederum Marketingkosten an, welche die Rendite verschlechtern oder zu systembedingt nachteiligen Preis­ anhebungen zwingen. • Dem Handel entstehen zusätzliche Kosten bei der Produktion, Logistik und Kontrolle dieser Waren. Denn er übernimmt je nach Anlage die Herstellerauf­ gaben der Wertschöpfung, auf die er in aller Regel nur begrenzt eingestellt ist. Dafür erweitert sich seine Kontrollspanne entsprechend. • Handelsmarken lassen sich in höheren Qualitätssegmenten nur mit Preisnachlass gegenüber der Produktart absetzen. Denn bei gleichem Preislevel wirkt die Magie heftig vorverkaufter Herstellermarke stärker und gibt dem Handelsmarkenprodukt das Nachsehen. • Als „Spielfeld“ bleiben meist nur die Nischen zwischen den Herstellerangeboten. Denn diese haben in aller Regel über intensive und lang laufende Marketingmaßnahmen eine derart hohe Käuferbindung generiert, dass es nur vereinzelt gelingt, Illoyalität zu provozieren. • Zur erfolgreichen Vermarktung ist zusätzlicher Aufwand für Werbung und Absatzförderung erforderlich. Dies bindet Zeit und Geld, wohingegen diese Aufgaben bei Herstellermarken von deren Absendern übernommen oder dem Handel zumindest entgolten werden. Die Vorteile der Handelsmarken liegen aus Sicht der Originalhersteller in folgendem: • Es kommt zu einer gesteigerten Kostendegression für alle Erzeugnisse eines Auflagenloses durch Produktion in einheitlichen, großen Mengen, die separat distribuiert werden. Insofern bewirken Handelsmarken auch eine Kostenermäßigung für andere, im gleichen Fertigungsprozess bzw. auf gleichen Anlagen produzierte Herstellermarken. • Leerkapazitäten können auf diese Weise vermieden bzw. großzügig dimensionierte Fertigungskapazitäten, die anderweitig nicht genutzt werden, ausgelastet werden. Im Einzelfall ist jedoch der mögliche Marktschaden gegen den Betriebsnutzen (Vermeidung von Opportunitätskosten) abzuwägen. Nachteile sind aus Sicht der Originalhersteller in folgenden Punkten zu sehen: • Es besteht die Gefahr der Substitution der Nachfrage für erlösträchtigere eigene Produkte in problemlosen Produktbereichen, wie z. B. Grundnahrungsmittel, Papierwaren. Dort wird die Qualität als unkritisch angesehen, so dass der Kauf im Publikum vorwiegend preisbestimmt erfolgt. • Das Preisbewusstsein der Nachfrager wird allgemein unnötig geschärft. Denn die akquisitorische Wirkung der Handelsmarken liegt eindeutig im Preis, der bei

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A. Marketing als Denkhaltung

Herstellermarken hingegen nur ein Angebotsmerkmal unter mehreren gleichwertigen anderen ist. Handelsmarken haben umso geringere Bedeutung, je höher das mit der betreffenden Produktgruppe verbundene Prestige ist, je länger die Nutzungsdauer ausfällt, je körpernaher die Anwendung stattfindet, je schwieriger die Qualität zu beurteilen ist, je höher das Risiko einer Produktenttäuschung eingeschätzt wird und je mehr das Produkt als Systembestandteil dient. Handelsmarken haben eine umso höhere Bedeutung, je niedriger das Bestandsrisiko ist, je weniger Innovationskraft in der Warengruppe liegt, je besser die Produktqualität vergleichbar ist und je sicherer die Beschaffungsmarktsituation ist. Potenziale ergeben sich vor allem bei Frischwaren, Convenience-Produkten, Bier und alkoholfreien Getränken, freiverkäuflichen Arzneimitteln und Textilien.

4.3.2 Markenumfang Nach dem Markenumfang der Absender lässt sich die Individualmarke unterscheiden, deren Schutzrechte bei einem einzigen Anbieter liegen, und die Kollektivmarke, derer sich mehrere Anbieter parallel legitim bedienen. Erstere ist eindeutig der Regelfall der Markenstrategie, letztere die Ausnahme, die aber dennoch in vielfältigen Formen auftreten kann. Bei der Individualmarke ist das Unternehmen Absender seiner Marke(n) und steht dabei im (positiven oder durchweg negativen) Verbund zu den Marken vergleichbarer anderer Unternehmen. Dies ist der Regelfall des Markenumfangs, Kollektivmarken versuchen hingegen, dabei darüber hinausgehende Effekte zu materialisieren, vor allem erstens eine Teilung der Kosten des Markenauftritts, zweitens Synergieeffekte durch dessen kollektive Handlings und drittens die Stabilisierung von Anbieter- bzw. Lieferanten-Abnehmer-Beziehungen. Bei der Kollektivmarke handelt es sich im Gegensatz zum „Normalfall“ der Einzelmarke um eine solche, derer sich mehrere Absender überbetrieblich zur Vermarktung ihrer Produkte gleichzeitig bedienen. Oft geschieht dies bei ansonsten nicht markenfähigen Urprodukten durch Zusatz eines Gütezeichens, das markenähnliche Funktionen übernimmt. Die Kollektivmarke ist horizontal, also für ihr zugrunde liegende substitutive Produkte, ausgelegt (z. B. Fleurop). Eine Zwischenform zur Systemmarke stellen komplementäre Produkte dar, die zu einem Co-Branding zusammengezogen werden. Beispiele für Co-Branding (Markenallianzen) sind folgende: • Lufthansa/Avis bei fly & drive, Breitling for Bentley, Braun Oral B, Milka Tuc, De Longhi Nespresso.

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Wesentliche Vorteile der Kollektivmarkenstrategie sind folgende: • Möglichkeit zum Markenauftritt auch für Anbieter, die ansonsten allein nicht markenfähig sind, • Privilegierung der Kollektivmarkenverwender gegenüber gleichartigen anderen Anbietern der Branche ohne Kollektivmarkenverwendung, • die gemeinsame Markenführung erlaubt die Aufteilung der Kosten des Markenauftritts auf die Beteiligten. Wesentliche Nachteile sind folgende: • Eher diffuses Markenbild, da alle Aussagen immer für alle zusammengefassten Anbieter gelten müssen, • kein individueller Vorsprung für den einzelnen Anbieter, • eine gemeinsame Markenführung führt immer zum Zwang zu Kompromissen, zumal Fehler eines einzelnen Mitglieds das gesamte Kollektiv in Mitleidenschaft ziehen.

4.3.3 Markenreichweite Nach der Markenreichweite im Warenweg handelt es sich bei der Fertigproduktmarke um eine solche, die Endabnehmern gegenüber als selbstständiger Angebotsbestandteil auftritt. Bei der Subsidiärmarke hingegen handelt es sich um eine solche, die auf dem Weg dorthin insofern untergeht, als sie integrativer Bestandteil einer Fertigproduktmarke wird, jedoch weiterhin einzeln identifizierbar bleibt. Regelmäßig handelt es sich bei der Marke um den Namen eines Fertigprodukts (Fertigproduktmarke). Dabei kommt es aber darauf an, welche Wertschöpfungsstufe man als Ausgangsbasis zugrunde legt, denn auf der Weiterverarbeitungsstufe werden verarbeitete Teile als Fertigprodukte für die Fertigung angesehen, die ihrerseits wiederum Produkte als Subsidiärmarke enthalten können. Dennoch geht aus dem Kontext hervor, dass ursprünglich nur Fertigprodukte auf der (privaten) Endabnehmerstufe als markenfähig galten. Die Subsidiärmarke stellt insofern also eine konzeptionelle Weiterung dar. Bei der Subsidiärmarke (Ingredient Brand/Kotler) handelt es um die Marke eines im Herstellungsprozess als Vorprodukt einbezogenen, unselbstständigen Produkts. Dennoch kann darin von Nachfragern eine Qualitätszusage gesehen werden. Subsidiärmarken bleiben erkennbar im Endprodukt erhalten, wohingegen anonyme Zulieferungen untergehen und im Endprodukt (Host Brand) nicht mehr separierbar sind. Beispiele für Subsidiärmarken sind Nutrasweet (Süßstoff), Intel (Mikroprozessor), IWS (Int’l Woll-Sekretariat), Tetrapak (Verpackung).

126

A. Marketing als Denkhaltung

Wesentliche Vorteile der Subsidiärmarkenstrategie sind folgende: • Möglichkeit, sich gegen die Nachfragemacht großer Abnehmer durchzusestzen, • Pull-Wirkung direkt auf Endabnehmer, dadurch wird Druck auf Weiterverarbeiter ausgeübt, • eintrittsschrankenerhöhende Wirkung auch für ansonsten mehr oder minder frei zugängliche Märkte. Wesentliche Nachteile sind folgende: • Einsichtigkeit einer Marke ist im Vorproduktbereich häufig schwer argumentierbar, • hoher Kommunikationsaufwand und hohe Kostenlast, die ansonsten erspart werden können, • Druck auf Abnehmer führt bei diesen zum Bemühen um Ausweichen oder Gegendruckerzeugung. Eine Abwandlung der Markentechnik auf dem Beschaffungsmarkt für Personal ergibt sich im Rahmen des Employer Branding. Dieses entsteht durch zielorientierte Maßnahmen einer markenführenden Institution zur aktiven Profilierung ihrer Arbeitgebermarke im Personalmarkt als ein Nutzenbündel mit spezifischen Merkmalen, die dafür sorgen, dass in der Wahrnehmung der arbeitgeberrelevanten Zielgruppen, vor allem potenzielle, aktuelle und ehemalige Mitarbeiter, ein fest verankertes, unverwechselbares Vorstellungsbild von einer Institution (Unternehmen, Organisation) als Arbeitgeber entsteht, das sich gegenüber anderen Arbeitgebern positiv differenziert und in Bezug auf die Zielgruppe zu Präferenzen führt. 4.3.4 Markenübertragung Der Markenübertragung liegt die Suche nach der Materialisierung von Synergieeffekten zugrunde. Dies ist innerhalb des Programms eines Anbieters (Transfermarke) oder außerhalb (Lizenzmarke) möglich. Im ersten Fall werden zusätzliche Umsätze erzielt, im zweiten zusätzliche Lizenzeinnahmen (Royalties). Bei der Transfermarke handelt es sich um die interne Übertragung einer Marke aus einem Produktbereich in einen verwandten anderen des gleichen Herstellers. Notwendige Voraussetzung ist allerdings eine starke, tragfähige Stammmarke. Der Transfer zielt auf eine Kapitalisierung des Markenpotenzials ab, denn dieses stellt das wahre Vermögen eines Unternehmens dar. Dies geschieht durch einen horizontalen Markentransfer. Darunter versteht man die Erweiterung eines vorhandenen Basisprodukts um Produktversionen, die unter demselben Markennamen andere Marktsegmente bedienen (Line Extenders, z. B. Light-Produkte bestehender Vollprodukte).

IV. Markenartikel

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Es gibt auch vertikale Markentransfers, d. h. Ausweitungen des ­Gültigkeitsbereichs von Marken über den angestammten Bereich hinaus in (konnotativ) verbundene andere Bereiche (Flankers, z. B. Meister Proper Waschmittel zu Meister Proper Reiniger)). Wesentliche Vorteile der Transfermarkenstrategie sind folgende: • Interessante strategische Geschäftsfelder können zügig angegangen werden, • in neuen Märkten werden bei Erfolg neue Zielgruppen angesprochen, • Markteintrittsbarrieren können leichter überwunden werden, • die Kosten der Markenbildung in neuen Märkten werden erheblich gesenkt, • das Assoziationsumfeld der Stammmarke wird erweitert und aktualisiert, • Werbebeschränkungen können abgeschwächt bzw. antizipiert werden. Wesentliche Nachteile sind folgende: • Zu viele und zu schnell aufeinander folgende Markentransfers führen zur Markenerosion, • es besteht die Gefahr des Verlustes der Markenidentität, wenn unterschiedliche Zielgruppen angesprochen werden, • bei geringer Imageaffinität besteht die Gefahr negativer Ausstrahlungseffekte zwischen Stamm- und Transferprodukt, • der Koordinationsaufwand der Markenführung wächst infolge des Erfordernis zur Abstimmung zwischen Stamm- und Transferprodukt. Bei der Lizenzmarke handelt es sich um den Transfer einer Marke von einem Hersteller in den verwandten Produktbereich eines anderen Herstellers mittels Lizenzvergabe oder -annahme (also unternehmensüberschreitend, im Gegensatz zur Transfermarke innerhalb eines Unternehmens). Wiederum funktioniert dies nur bei Sicherstellung eines starken, imagebezogenen Zusammenhangs zwischen Lizenzgeber und Lizenznehmer. Ein solcher (externer) Imagetransfer kann jedoch nur unter eng begrenzten Voraussetzungen wirksam werden. Ausschlaggebend ist die Stärke der Stammmarke. Zwischen dieser und dem Transferprodukt muss eine kommunizierbare (konnotative) Klammer bestehen. Beispiele für Lizenzmarken sind Joop, Jil Sander oder Porsche mit Lifestyle-Produkten. Wesentliche Vorteile für Lizenzgeber (Licensor): • mehrfache Liquidation eines einmal aufgebauten positiven Markenimages (Abstrahlung), • gegenseitige Aktualisierung der Angebotsinhalte zwischen Stamm- und Lizenzprodukten ist möglich (Rückstrahlung).

128

A. Marketing als Denkhaltung

Wesentliche Nachteile: • bei unzweckmäßiger (nämlich denotativer) Auswahl der Lizenzprodukte entsteht Markenstress für das Stammprodukt, • Gefahr eines Bumerangeffekts auf das Stammprodukt mit Imageminderung. Wesentliche Vorteile für Lizenznehmer (Licensee): • Akquisitionsschub für ansonsten unbekannte oder austauschbare Produkte durch Abstrahlung, • Kosten einer eigenen Markenentwicklung, kreativen Gestaltung und gewerblicher Schutzrechte können eingespart werden. Wesentliche Nachteile: • Abhängigkeit vom Fortüne des Lizenzgebers und dessen Markenwertentwicklung, • zusätzliche Kosten aus der Lizenznahme, die je nach Vereinbarung fix (Lump Sum) oder variabel (Royalty, auch kombiniert) sein können. 4.3.5 Markennutzung Die Markennutzung zielt auf die Schaffung zusätzlicher Markenbasen ab. Dabei ist an Systemmarken als vertikaler Verbund von Hersteller- und Handelsstufe zu denken, aber auch an Händlermarken als dominante Geschäftsstättenprofilierung. Eine Systemmarke liegt vor, wenn die Markenleistung von Hersteller und Händlern gemeinsam durch systematischen Vertikalverbund als Absender manifestiert wird. Typischerweise erfolgt dabei eine Arbeitsteilung derart, dass der Hersteller vornehmlich die Pre Sales-Aktivitäten übernimmt, die Händler vornehmlich die At Sales-Aktivitäten übernehmen und beide gemeinsam die After Sales-Aktivitäten abdecken. Abnehmer erleben diese Leistungen jedoch als System einer gemeinsamen Marke. Beispiele finden sich im Bereich der Vertragshändler(z. B. Autohersteller) und Franchise-Systeme (z. B. McDonald’s) sowie bei Agentur- und Kommissionsgeschäften (z. B. Lufthansa-Reisebüro-Agenturen, TchiboKaffee-Bäckereien). Die externe Systemmarke ist für komplementäre Produkte ausgelegt. Interne Systemmarken finden sich bei Verticals (Hersteller mit Direktabsatz in eigenen Filialen). Wesentliche Vorteile der Systemmarkenstrategie sind folgende: • substanzielle Flankierung der Markenleistung der Herstellerstufe durch die ergänzenden Markenleistungen der Handelsstufe, • Kostenteilung bei der Pflege der Systemmarke und zugleich Erhöhung der gemeinsamen Marktdurchdringung.

IV. Markenartikel

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Wesentliche Nachteile sind folgende: • implizite Divergenzen bei der Führung der Systemmarke durch Interessen­ konflikte zwischen Hersteller und Händlern, • heterogenes Bild der Systemmarke durch reale Streuung der Handelspartner (evtl. ohne Selektionsmöglichkeit). Um eine gewisse Unabhängigkeit von Herstellern zu erreichen, streben Handelsanbieter zunehmend nach einer eigenständigen Profilierung ihrer Geschäftsstätte/ Vertriebsschiene (Retailbrand). Eine solche Händlermarke stellt eine Gruppe von Verkaufsstellen eines Handelsunternehmens dar, die mit einem einheitlichen Markenzeichen versehen sind. Dort werden Handelsmarken angeboten. Dies ist in der Vergangenheit angesichts dominanter Preisargumentation sträflich vernachlässigt worden und hat dazu geführt, dass Deutschland in weiten Teilen des Einzelhandels durch ein unvergleichlich niedriges Preisniveau und schmalste Margen gekennzeichnet ist. Stattdessen wäre es sinnvoller gewesen, andere Angebotsparameter zu betonen, wie Qualität, Auswahl, Service, Lage, Erlebnis etc. Auslöser dieser Entwicklung war zweifelsfrei die Weckung bzw. Steigerung des Preisinteresses der Nachfrager durch den Handel. Dieser hat jahrzehntelang einseitig fast nur Sonderangebote forciert. Kaum ein Anbieter hat sich anders als über Price off zu profilieren verstanden. Dabei hätte es durchaus andere Wege zur Profilierung des Handels, also als Retailbrand, gegeben. Dazu einige Beispiele: • Angebot von Zeitersparnis als geldwerter Vorteil, etwa über längere Ladenöffnungszeiten in intelligenten Modellen (Tankstellen, Kioske, Bahnhofs-/Flughafengeschäfte, Automatenläden etc.), über Bringdienste hochwertiger Versender, über Abholdienste oder Beratung (nicht i. S. v. Angebotsfeatures, sondern von Vorwahl). • Überführung von Low Interest-Produkten in den High Interest-Bereich. Dafür gibt es vielfache erfolgreiche Beispiele wie Haarshampoo, Zahncreme, Zahnbürste etc., die auch für Handelsmarken angewandt werden können. • Vermittlung von Einkaufsemotion durch kaufbegleitende Kundendienste, durch Individualisierung des Angebots oder durch Privilegierung von Nachfragern (z. B. durch Kundenclubs, Kundenkarten, Kundenkontaktprogramme). Solange jedoch einseitig der Preis im Mittelpunkt der Daseinsberechtigung steht, darf es nicht verwundern, dass dieses Dasein zukünftig wohl immer weniger Handelsanbietern vergönnt ist. Der Aufbau einer Geschäftstättenmarke ist als Storebrand möglich. Dabei gibt es eine oder mehrere Standorte einer Handelskette, die mit einem einheitlichen Markenzeichen versehen sind. Dort werden Herstellermarken angeboten. Fortschrittliche Handelsketten, wie Media-Markt, Saturn, Hornbach, OBI, Fielmann, DM etc., bemühen sich zu erreichen, dass im Vordergrund des Kaufentscheids bei

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A. Marketing als Denkhaltung

Nachfragern nicht mehr die Herstellermarke steht, die dann in weitgehend austauschbaren Outlets nach jeweiliger Preisvorteilhaftigkeit erstanden wird, sondern die Geschäftsstättenmarke, die zum Einkauf aufgesucht wird und von der man erwartet, dass sie das individuell passende Sortiment in angemessenem Preis-Leistungs-Verhältnis am Handelsplatz bevorratet. Zu unterscheiden ist die Storebrand von Herstellerfilialisten (Verticals), die keine Absatzmittler sind, sondern Hersteller mit Direktabsatz wie Hennes & Mauritz, Zara, IKEA. Der Übergang ist allerdings fließend und am Anteil der Eigenmarken im Sortiment festzumachen. Herstellerfilialisten führen ausschließlich ihre Eigenmarken, Storebrands haben einen mehr oder minder dominanten Anteil von Herstellermarken im Angebot.

V. Positionierung 1.

Idee der Positionierung

Der Begriff Positionierung wird als Wechselvokabel für zwei verschiedene Tatbestände verwendet. Erstens versteht man unter Positionierung ein grafisches Verfahren (Mapping) durch statistische Datenerhebung und -auswertung, zweitens versteht man darunter das Ergebnis der Konzeptdefinitionen im Marketing (Positioning) mit Angebotsanspruch und Anspruchsbegründung. Als grafisches Verfahren ist Positionierung allgemein die Anordnung von Objekten in einem mehrdimensionalen, möglichst niedrig dimensionierten Positionierungsraum, um darin Koordinaten für Objekte festzulegen. Dabei werden mehrere Objekte derart in einem meist zwei- oder dreidimensionalen Marktraum topologisch abgebildet, dass diese umso näher beieinander liegen, je ähnlicher sie objektiv sind bzw. als je ähnlicher sie wahrgenommen werden. Als Objekte kommen Anbieter, Nachfrager, Absatzmittler, Produkte, Bedürfnisse, Werbeaussagen, Personen, Organisationen etc. in Betracht. Dadurch wird die relative Position eines Objekts im Umfeld konkurrierender Objekte bestimmt. Der Positionierungsraum wird durch Achsen gebildet, die Eigenschaften darstellen. Sind die Eigenschaften objektiv messbar, handelt es sich um einen Eigenschaftsraum. Sind sie subjektiv erlebbar, handelt es sich um einen Wahrnehmungsraum. Da subjektiv erlebte Eigenschaften auf eine oder mehrere objektiv messbare Eigenschaften zurückgehen, ist der Wahrnehmungsraum meist geringer dimensioniert als der Eigenschaftsraum. Eine Übertragung zwischen beiden ist jedoch nicht vom geringer in den höher dimensionierten Raum möglich. Im Positionierungsraum können sowohl nur reale (Ähnlichkeitsraum) als auch nur ideale Objekte (Präferenzraum) oder aber beide gemeinsam abgebildet werden (Joint Space als deskriptiver Wahrnehmungsraum der Zielpersonen mit normativem Bewertungsraum der Idealposition). Basis sind dabei jeweils individuelle Urteile von Auskunftspersonen. Die Darstellung ist rein deskriptiv, normativ wird sie erst, wenn die optimale Positionierung bestimmt werden soll. Man spricht dann von Positionierungsmodellen. Dabei muss über Verfahren sichergestellt werden, dass als Ideal nicht utopische Merkmalskombinationen (z. B. besonders gute Qualität zu gleichzeitig besonders niedrigem Preis) angegeben werden. Außerdem ist die etwaige Gewichtung von Merkmalen zu bedenken.

132

A. Marketing als Denkhaltung

Räumliche Marktmodelle verkörpern allgemein die topologischen Relationen zwischen Objekten und haben ihren Ursprung in der Sozialpsychologie, basierend auf Heiders Balancetheorie und Lewins Feldtheorie. Ursprünglich war die räumliche Darstellung von ferner liegenden und näher stehenden Objekten nur metaphorisch, also im symbolischen Sinn gemeint, später wurden daraus mathematisch-geometrische Modelle zur Abbildung der realen Gegebenheiten. Positionierung ist somit die Anordnung marktrelevanter Meinungsobjekte in einem mehrdimensionalen Positionierungsraum derart, wie sie von Zielpersonen subjektiv wahrgenommen werden oder wie sie objektiv gegeben sind. Die Distanzen zwischen den Objekten im Raum sollen eine möglichst hohe Übereinstimmung mit der Metrik oder Rangordnung (je nach Skalierungsniveau) der Objekte hinsichtlich des zugrunde gelegten ganzheitlichen Vergleichskriteriums haben. Ähnlichkeitsdaten können auch durch Feststellung der Verwechslungsfähigkeit von Objekten ermittelt werden, Präferenzdaten durch individuelle relative Gewichtung von Eigenschaften. Positionierungsmodelle sind meist statisch, berücksichtigen also nicht die Re­ aktion von Konkurrenten oder die Änderung der Vorstellungen der Zielpersonen in Bezug auf ein Angebot. Denn es ist sehr schwierig, dynamische Effekte einzubeziehen. Letztlich wird aber durch die Neueinführung eines Produkts oder dessen Repositionierung auch die Position aller anderen Angebote beeinflusst. Es kann dadurch sogar zu einer Beeinflussung der Idealvorstellungen von Käufern über ein Produkt am Markt kommen. Man kann danach unterscheiden, ob das Modell vorsieht, dass Nachfrager ausschließlich dasjenige Produkt erwerben, das ihrer Idealvorstellung am nächsten kommt (Single Choice-Modelle) oder ob jede Objektpositionierung eine von Null verschiedene Kaufwahrscheinlichkeit hat, die vom Abstand dieses Objekts zur Idealvorstellung relativ zur Summe der Abstände aller Objekte zu dieser Ideal­ vorstellung eines Nachfragers abhängt (Wahlaxiom-Modelle). Die Positionierung kann zwei Ansätze verfolgen: • die Anpassung der angebotenen Leistungen an die Nutzenerwartungen der Kunden (Outside in), dies entspricht der klassischen Marketingsichtweise, • die Anpassung der Nutzenerwartungen der Kunden an die angebotenen Leistungen (Inside out), dabei sind die Kernkompetenzen des Unternehmens Ausgangspunkt. Eine Positionierung erfolgt immer relativ zum Marktangebot, seien es bestehende Angebote, substitutive Angebote oder potenzielle Angebote (real oder ideal). Folglich gibt es auch immer eine Konkurrenz zwischen diesen Positionen. Die Positionen konzentrieren Marktvolumen oder -potenzial auf sich, so dass von einem Marktsegment auszugehen ist (dies gilt nur nicht, wenn ein Monopol gegeben ist oder ein Gesamtmarkt abgedeckt wird, ersteres ist praktisch nicht vorhanden, letzteres eine Frage der zweckmäßigen Marktabgrenzung).

V. Positionierung

133

Die normative Komponente einer optimalen Positionierung wird erst durch Positionierungsmodelle angestrebt. Dabei können zwei Ansätze unterschieden­ werden: • Kompositionelle Modelle streben eine Positionierung durch Erhebung kaufrelevanter Eigenschaften und Verdichtung in einem niedrig dimensionierten Produktmarktraum an (z. B. Faktorenanalyse). Dabei besteht aber die Gefahr, dass Dimensionen, die kaufwichtig sind, unberücksichtigt bleiben bzw. Dimensionen, die kaufunwichtig sind, einbezogen werden. • Dekompositionelle Modelle streben eine Positionierung auf Basis der ganzheitlichen Ähnlichkeit zwischen Objekten an, meist durch Paarvergleiche (dies erfordert allerdings n × ((n-1)2-Vergleiche). Die Achsen werden durch Expertenurteil oder statistische Verfahren bestimmt (z. B. Multidimensionale Skalierung), die Beurteilungsdimensionen bilden dabei meist Vektoren im Koordinatensystem. Allerdings sind dadurch noch keine Präferenzen für den Kauf bestimmbar. Meist werden dekompositionelle Modelle eingesetzt. Problematisch ist dabei allerdings die Interpretation der Dimensionen, die nicht durch die Verfahren vorgegeben werden, sondern von Analysten gefunden werden müssen. Da es sich um eine ganzheitliche Objektbewertung handelt, gibt es auch keine Kriterien, die als Anhaltspunkte dienen können. Denkbar ist die Heranziehung erkennbarer gemeinsamer Eigenschaften solcher Objekte, die sich dicht an einer Achse befinden oder die Projektion von Vektoren in den Raum, die eine sichere Interpretation erlauben. Wichtige Positionierungsmodelle sind etwa Perceptor, Proposas, Horsky & Nelson, Trinodal, Defender, Wisa etc.

2. Positionsentwicklung Im Unterschied zur analytischen (Positionierungsmodelle)  ist auch eine deskriptive, praxeologische Positionsentwicklung möglich. Folgende Arbeitsschritte sind dabei chronologisch zur Entwicklung angebracht (siehe Abbildung 15): • Abgrenzung des Relevanten Markts. Die Hypothese der totalen Konkurrenz, d. h. alles steht mit jedem in Wettbewerb um die Verwendung knapper Finanzmittel, führt zu keiner wünschenswerten Einengung des Marktumfelds. Dabei kommt es weniger auf die objektive Ähnlichkeit von Angeboten an (= Angebotskonkurrenz), als vielmehr auf ihre Eignung, ähnliche Bedarfe zu befriedigen (= Bedarfskonkurrenz). Das ist meist aber alles Andere als eindeutig. So kann etwa der Bedarf Pausensnack durch so verschiedenartige Produkte wie Schokoriegel, Joghurt/Quark, Obst/Gemüse, Gebäck etc. gleichermaßen gedeckt werden. Nachlässigkeiten bei der Marktabgrenzung wirken sich aber schädlich aus. So werden Sachbuchverlage, die ihren Markt als durch die Darbietungsform Buch abgegrenzt definieren, in dem Maße Probleme erleben, wie neue Medienformen (etwa CD/DVD, e-Book) an Boden gewinnen. Zutreffend ist vielmehr

134

A. Marketing als Denkhaltung

Abgrenzung des Relevanten Markts Angebotsdimensionen auf diesem Markt Auswahl der strategischen Mitbewerber Profilierung der wichtigen Mitbewerber Datenauswertung und -darstellung Marktsegmentierung / Schätzung der Segmentpotenziale Entwicklung einer Positionierungsstrategie

Abbildung 15: Stufen der Positionsentwicklung

eine Abgrenzung durch Wissensvermittlung gleich in welcher Form. Die amerikanischen Eisenbahngesellschaften hatten ihren Markt als schienengebundene Transportmittel ebenfalls viel zu eng abgegrenzt und konnten somit nicht rechtzeitig auf die Substitution durch Straßen- und vor allem Lufttransport reagieren, was zum Niedergang vieler Anbieter führte (Marketing Myopia/Levitt). Im Zweifel ist daher eher eine weite Marktabgrenzung zu fassen als von vornherein Marktchancen auszugrenzen. Theoretisch ist dieses Problem ungelöst. Praktisch werden relevante Märkte zumeist aus Erfahrung nach räumlichen, zeitlichen, sachlichen oder persönlichen Kriterien abgegrenzt. • Angebotsdimensionen auf diesem Markt. Dabei geht es nicht nur um eine bloße deskriptive Fleißarbeit, sondern vor allem um die Darlegung der Anbieterqualität. Allerdings sollte die Betrachtung auf aktuelle Anbieter beschränkt bleiben, da ansonsten leicht die Übersicht verloren geht. Dazu steht auch umfangreiches sekundärstatistisches Material zur Verfügung (z. B. Verbandsverzeichnisse, Messekataloge). Oder aber einfach ein Storecheck im Handel, um einen Eindruck von der Präsenz der Anbieter am Ort des Verkaufs (POS) zu gewinnen. Dies hilft bei der Einschätzung deren tatsächlicher Marktbedeutung, die von der reinen Marktanteilsbetrachtung erheblich abweichen kann. In gut organisierten Unternehmen liegt für diese Fälle ein Brand Factbook bereit, das die zur Analyse erforderlichen Informationen vollständig und aktuell enthält, so dass Hektik und Stress beim Zusammentragen der Datengrundlage gänzlich entfallen. Freilich verlangt dieses Hilfsmittel eine kontinuierliche Pflege.

135

V. Positionierung

Aus diesen Daten erwächst die Erkenntnis über die Wahrnehmungs- und Beurteilungsdimensionen, hinsichtlich derer Zielpersonen ein Objekt einschätzen. Nach der Festlegung dieser Dimensionen wird zumeist versucht, die beiden als kaufbestimmend erscheinenden Produktdimensionen festzulegen, um diese grafisch darstellen zu können. Sie bilden dann die Achsen eines Koordinatensystems. Dabei repräsentiert meist eine Dimension Preis bzw. Wert und die andere Leistung bzw. Funktion. So können als für die Beurteilung einer SportcoupéMarke entscheidend die Dimensionen Motorleistung und Überholprestige angesehen werden, für die Beurteilung einer Porzellanmarke Design und Preis, für die Beurteilung einer Seifenmarke Pflege und Duft, für die Beurteilung von Zigaretten Geschmack und Image etc. (siehe Abbildung 16).

Leistung

+ D C

B

E

-

A

F

-

+ Preis

Positionen der Anbieter

Abbildung 16: Positionierungskreuz (Prinzipdarstellung)

Sinnvollerweise werden in einer Vorstudie zunächst alle infrage kommenden Dimensionen bei Zielpersonen erhoben. Diejenigen Dimensionen, die häufiger genannt werden, werden dann bei einer größeren Zahl von Zielpersonen nach ihrer Relevanz abgefragt. • Auswahl der strategischen Mitbewerber. Die einzelnen Angebote am Markt werden dann hinsichtlich ihrer Wahrnehmungs- und Präferenzurteile erhoben. Aus dieser Bewertung ergibt sich die relative Position im Koordinatensystem.

136

A. Marketing als Denkhaltung

Dabei kommt es in der Praxis nicht so sehr auf Feinheiten an, vielmehr werden die Beurteilungen verschiedener Entscheider voneinander abweichen. Solange es dabei gelingt, die wesentlichen Dimensionen und Positionen herauszuarbeiten, ist die Aussage aber durchaus brauchbar. Es sind aber nicht alle Anbieter gleichermaßen interessant, sondern nur wenige ausgewählte von ihnen. Meist handelt es sich um die größten Anbieter oder solche, die Arbitrage-Effekte aus anderen Märkten nutzen können, oder die man für dem eigenen Angebot sehr gefährlich werdend hält („Feind“). Dabei ist im Zuge der Internationalisierung der Märkte auch das ausländische Angebot einzubeziehen. Die weitere Analyse konzentriert sich auf diese relevanten Mitbewerber. Die Positionierung von Realobjektpositionen kann in Clustern (Segmenten) nach Nachfragerpräferenzen derart ausgewiesen werden, dass Positionierungen innerhalb eines Clusters untereinander eine höhere Austauschbarkeit haben als zu Positionierungen anderer Cluster. Dadurch entsteht ein Gruppenwettbewerb. Die Konkurrenz zwischen den Segmenten gibt dabei die Intensität der Wettbewerbsbeziehungen eines Markts aufgrund der Analyse von Überschneidungen der Angebotspräferenzen unter den Segmenten an (Intersegment-Konkurrenz). Die Konkurrenz innerhalb eines Segments gibt die Intensität der Wettbewerbsbeziehungen aufgrund der Analyse von Überschneidungen der Angebotspräferenzen innerhalb eines Segments an (Intrasegment-Konkurrenz). Insofern besteht gleich ein doppelter Gruppenwettbewerb, zum einen zwischen einem Angebot und allen Angeboten im selben Segment, zum anderen zwischen diesem Angebot und Angeboten anderer Segmente. • Positionierung der wichtigen Mitbewerber. Bei der Ausfüllung des Produktmarktraums handelt es sich um das Kernstück der Positionsentwicklung durch Erhebung der als nachfragewirksam angesehenen, voneinander unabhängigen Entscheidungsdimensionen (z. B. durch Ranking). Die Erhebung erfolgt am besten durch Ratingskalen für jede Dimension einzeln, da ansonsten eine Überforderung der Befragten vorliegen kann (Profildarstellung). Zugleich werden diese Zielpersonen dahingehend erhoben, wie sie die Position konkurrierender Angebote relativ zum eigenen einordnen und wie ein aus ihrer Sicht ideales Angebot hinsichtlich der zugrunde gelegten Dimensionen einzuordnen wäre. Es wird unterstellt, dass diese Idealposition die Position der Kunden im Markt wiedergibt. Anders als diese kompositionelle Methode könnte auch dekompositionell (Verbundmessung) versucht werden, aus der subjektiven Mitbewerberwahrnehmung die Eigenschaftsdimensionen und deren Anteile am Gesamteindruck abzuleiten. Allerdings ist auf diese Weise keine Idealposition konstruierbar. • Datenauswertung und -darstellung. Bei der Interpretation der Erhebungsergebnisse wird wie folgt vorgegangen. Die Elemente der Positionierung, also die bestimmenden Eigenschaftsdimensionen, die eigene Realposition des Angebots,

V. Positionierung

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die Realpositionen konkurrierender Angebote und die Idealposition der Kunden, werden in einem möglichst gering dimensionierten Merkmalsraum, meist einem zwei- oder dreidimensionalen Koordinatensystem, gemeinsam so abgetragen, dass ihre Koordinaten den Ausprägungen wesentlicher Merkmale entsprechen. Dazu dienen multivariate statistische Verfahren. Danach wird überprüft, ob die eigene Istposition und die Zielposition bereits hinlänglich übereinstimmen. Eine mögliche Hypothese besagt dazu, dass nur dasjenige Angebot von Kunden gekauft wird, das räumlich am nächsten an deren Idealposition liegt, d. h. jeder Nachfrager akzeptiert nur seine als nutzenmaxi­mal wahrgenommene Leistung (Single Choice). Danach erfolgt die Prüfung der Abstände konkurrierender und eigener Istpositionen relativ zur Idealposition. Eine andere Hypothese besagt hingegen, dass dasjenige Angebot die größte Chance hat, gekauft zu werden, das am nächsten an der Idealposition potenzieller Kunden liegt (Wahlaxiom). Allerdings kann sich mit Einführung eines neuen Angebots die Kaufwahrscheinlichkeit aller vorhandenen Angebote verändern, obgleich die Rangordnung der Wahrscheinlichkeiten erhalten bleibt. Schließlich erfolgt eine Prüfung der Abstände der eigenen Position von denen konkurrierender Angebote (Interdistanzen). Dies kann als Maß für die jeweilige Wettbewerbsintensität am Markt angenommen werden. • Marktsegmentierung. Für gewöhnlich ergeben sich nunmehr Produktmarkträume, die dichter besetzt, und solche, die weniger dicht besetzt sind. Es liegt nahe, sich letzteren zuzuwenden. Vorher aber sollte geprüft werden, ob diese freien Marktnischen/-felder nicht nur deshalb nicht besetzt sind, weil dort kein sinnvolles Angebot zu machen ist. So ergeben sich freie Marktfelder gewöhnlich aus der Kombination aus hohem Preis/Wert bei niedriger Leistung/Funktion und umgekehrt, was offensichtlich wenig Erfolgspotenziale birgt. Andererseits kann es sinnvoll sein, sich in Marktfelder zu positionieren, die von anderen Anbietern bereits vorbereitet worden sind und genügend Potenzial zur parallelen Bearbeitung hergeben. Für die praktische Umsetzung ist entscheidend, die die Marktnischen/-felder repräsentierende Kaufkraft zu bestimmen. Basis ist entweder eine qualifizierte Schätzung der Segmentpotenziale oder deren statistische Erhebung, ökoskopisch, wenn die Umsatzzahlen der in einem Segment versammelten Angebote bekannt sind, demoskopisch, wenn es sich um ein innovatives Angebot handelt. Entscheidendes Kriterium ist dabei weiterhin der Ausschöpfungsgrad dieser Segmente, der freilich schwerlich zu bestimmen ist und dem man sich nur durch Vermutung annähern kann. • Entwicklung der Positionierungsstrategie. Aus den vorangegangenen Fakten und Daten kann nun beurteilt werden, welche Positionierungen in einem Produktmarktraum realistisch in Betracht kommen und welche von diesen wiede-

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A. Marketing als Denkhaltung

rum am erfolgversprechendsten scheint. Doch dabei ist keineswegs nur der Intellekt gefordert, vielmehr kommt es ganz entscheidend auf die Intuition an. Denn selbst perfekt konstruierte Positionierungen haben sich am Markt als Fehlschlag herausgestellt, wenn es am Feeling für die Bedürfnisse der Zielgruppe mangelt. Daher darf im Marketing bei allen Bemühungen um eine feinziselierte Konstruktion von Positionierungsstrategien nicht das Bauchgefühl für die Zielgruppe vergessen werden, das man sich nur begrenzt erarbeiten kann, sondern das einer Veranlagung entspricht, die man hat oder nicht hat.

3. Positionierungsanlässe Für erfolgversprechende Positionierungsstrategien bestehen grundsätzlich vier Ansatzpunkte (siehe Abbildung 17):

Dauer des Angebots Dauer der Position

neu

bestehend

neu

Erstpositionierung (Launch)

Umpositionierung (Relaunch)

bestehend

Positionsaktualisierung (Produktereignis)

Positionsverstärkung (Markenpflege)

Abbildung 17: Positionierungsanlässe

• Bei der Erstpositionierung (Launch) besteht die Möglichkeit, erstmalig und frei von historischen Zwängen eine Positionierung zu bestimmen. Daraus folgt insofern eine hohe Verantwortung, als später erforderlich werdende Änderungen nurmehr mit größerem Aufwand zu bewerkstelligen sind. Die Positionierung neuer Produkte in meist dicht besetzten Märkten ist eine große Herausforderung, denn in aller Regel handelt es sich eben nicht um das reißerische Angebot, auf das jedermann schon immer gewartet hat, sondern viel eher um eine weitere, mehr oder minder austauschbare Variante, der erst aufwändig eine emotionale Alleinstellung zu verschaffen ist. Dabei greifen die dargestellten Positionierungsstrategien. • Bei der Aktualisierung steht das Bemühen im Vordergrund, die einmal gewonnene Position zu nutzen und offensiv auszubauen. Dabei geht es um die Kapi-

V. Positionierung

139

talisierung von Markenbekanntheit und -goodwill. Meist geschieht dies durch Produktdifferenzierung. In horizontaler Richtung wird dabei etwa eine Einzelmarke zur Range ausgebaut, indem neue Präsentationsformen (z. B. Light-Version) oder Konsistenzen (z. B. Geschmacksrichtung) angeboten werden. In vertikaler Richtung folgt daraus die Diversifikation in andere Produktbereiche. Selbst wenn dies durch Lizenzvergabe an Dritte erfolgt, entsteht bei hinreichender konnotativer Verwandtschaft im Rückbezug eine Aktualisierung für die Stammmarke. • Bei der Umpositionierung soll ein bestehendes Angebot neu erlebbar werden, indem die gegebene Positionierung aufgegeben wird. Ein solcher Relaunch wird vor allem in der Saturationsphase eines Marktes erforderlich und wenn ein erster Anlauf im Markt geflopped ist. Ziel ist die Etablierung eines neuen Lebenszyklus, von dessen Dynamik man profitieren kann. Dazu muss das Angebot als hinlänglich neu empfunden werden. Die Variation kann in Richtung Leistungsvorteil gehen (Up Grading, z. B. bei VW Golf oder Passat) oder in Richtung Preisvorteil (Down Grading, z. B. Fairy Ultra plus). Ein Relaunch darf aber nicht zu häufig angestrebt werden, weil es dann zu Abnutzungserscheinungen kommt, die von Nachfragern nicht mehr als Durchstarten erkannt werden. Er muss zudem rechtzeitig eingeleitet werden, um nicht in die Abschwungphase des Lebenszyklusses zu geraten. Nach Jahrzehnten von Up Gradings scheint jetzt angesichts stagnierender Einkommen die Zeit der Down Gradings angebrochen. Man denke nur an die Bemühungen der Automobilhersteller (z. B. Audi A1, 1er-BMW, 160 C-Klasse/M-B). • Bei der Positionsverstärkung steht die defensiv orientierte Absicherung der einmal gewonnenen Position gegen Konkurrenten, die oft genug Erfolgsrezepte nur kopieren, im Vordergrund. Ein Produkt muss ständig gehegt und gepflegt werden, damit seine Profilierung erhalten bleibt. Denn nur dies sichert seinen Erfolg. Dabei geht es letztlich darum, kommunikativ die gleiche Geschichte immer wieder abwechslungsreich zu inszenieren. Dadurch können Angriffe auf die eigene Position wirksam abgewehrt werden (z. B. Me too-Produkte). Dies ist im Übrigen eine wesentliche Aufgabe des Produktmanagements. Denn die großen Aufgaben des Launch oder Relaunch sind eher selten. Dies geschieht meist, mangels großer Neuerungsmöglichkeiten, durch marginale Änderungen am Produkt bei Produktaufwertungen und Facelifts, die aber hinter einer Um­ positionierung zurückbleiben.

4. Positionstypen Für die Festlegung der Position bestehen verschiedene Optionen. Diese lassen sich unter den Gesichtspunkten von Positionsart, Positionsumfang, Positionszustand und Positionsrichtung analysieren (siehe Abbildung 18).

140

A. Marketing als Denkhaltung

Position

Dimension

vorhanden

neuartig

Positionszustand

Dominanz des Mitbewerbs

Kombination an Marktschnittstelle

Positionsrichtung

Partizipation am Mitbewerb

Ausweichen in Marktnische

Positionsart

Nachahmung erfolgreichen Mitbewerbs

subjektiv neues Angebotserlebnis (UCP)

Positionsumfang

Sammlung über Bedarfsabdeckung

prägnante Angebotsfokussierung

Abbildung 18: Positionstypen

Hinsichtlich der Positionsart wird zumeist die Forderung eines USP (Unique Selling Proposition) erhoben. Dies meint, dass eine Positionierung auf Basis faktischer Fundierung alleinstellend sein soll. Der Ursprung dieser zunächst einleuchtend erscheinenden Forderung liegt freilich in den 1950er Jahren begründet, als sich die Märkte noch als so lückenhaft besetzt darstellten, dass es möglich wurde, für ein Angebot eine alleinstellende Positionierung zu finden. Dadurch konnte eine teilmonopolartige Stellung aufgebaut werden, welche die Nachfrage unausweichlich auf ein Angebot zutrieb (= akquisitorisches Potenzial). Dies mag zu Zeiten der Erfindung begründet gewesen sein, als die Märkte noch offen waren. Die Realität sieht heute leider anders aus. Praktisch alle Märkte sind dicht besetzt und damit alle USP’s hinlänglich vergeben. Deshalb gelingt es kaum mehr, eine solche alleinstellende Positionierung durchzusetzen. Die Suche nach USP’s führt heute sogar zu gefährlichen Konsequenzen. Nämlich zur Besetzung von Positionen, die zwar unique sein mögen, die gleichzeitig aber auch so wenig relevant sind, dass ihr Erfolg fraglich wird, weil ihre Marktberechtigung nicht ohne Weiteres einleuchtet. Außerdem impliziert die USP-Denkhaltung, dass man sich von der Konkurrenz vorgeben lässt, in welchen Feldern des Marktes man zu suchen hat und in welchen nicht. Doch das ist ganz und gar nicht einsichtig. Hinzu kommt, dass faktisch fundierte Alleinstellungen von Neuprodukten aufgrund der kurzen Innovationszyklen sehr anfällig gegen Imitation durch Nachfolger sind, die über niedrigeren Preis durch ersparte Investitionskosten die Alleinstellung aushöhlen und damit

V. Positionierung

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zu immer wieder geänderten, weil nur vorübergehend alleinstellenden Auslobungen zwingen (z. B. Klingensystem bei Gillette-Nassrasierern). Davon abgesehen ist es aber empfehlenswerter, auf den UCP (Unique Communications Proposition) zu setzen. Dabei handelt es sich um eine rein kommunikative Technik, die unabhängig davon, ob ein Produkt nun faktisch unique ist oder nicht, und meistens ist es das eben nicht, eine erlebte Alleinstellung in der Meinung der Nachfrager behauptet. Dadurch wird es möglich, eine einmal eingenommene Position gegen alle Anfechtungen des Mitbewerbs zu behaupten, denn ein UCP kann, anders als ein USP, nicht imitiert werden, weil sich dann der Nachahmer als Imitator entlarvt und damit auf der Verliererstraße befindet. Auch ist ein UCP unanfällig gegen technischen Fortschritt und kann somit lange genug durchgehalten werden, um sich im Gedächtnis der Nachfrager zu verankern. Schließlich kann man einen solchen UCP wählen, der interessant genug ist, dass er eine emotionalisierte Umsetzung in der Werbung zulässt (z. B. Blend-a-med Parodontoseschutz). Hinsichtlich des Positionsumfangs beinhaltet jede Positionierung immer einen Kompromiss zwischen möglichst breiter Anlage einerseits, um keine Nachfragerpotenziale vermeidbar von der Wahrnehmung eines Angebots auszuschließen, und möglichst prägnanter Zuspitzung andererseits, um die Profilierung des Angebots zu unterstützen. Eine spitze Profilierung grenzt meist Nachfragerpotenziale aus, eine breite Positionierung führt meist zur Diffusität des Profils. Insofern besteht ein latenter Konflikt. Bei der prägnanten Angebotsfokussierung entschließt man sich zur bewussten Einengung des Geltungsbereichs eines Angebots. Dies bedeutet zunächst den Ausschluss von Nachfragern. Ausnahmen bestätigen wie immer auch hier die Regel. So ist die Marke Volkswagen in ihrem Anspruch extrem breit angelegt und verfügt dennoch über eine hohe Trennschärfe ihres Profils, umgekehrt fühlt sich von der versnobt eng ausgelegten Positionierung der Marken Schweppes und After Eight (beide Cadburry) kein Normalverbraucher ausgeschlossen. Dennoch will der latente Konflikt zwischen Potenzial und Profil wohl abgewogen sein. Überwiegt der Zugewinn an emotionaler Prägnanz einen Verlust an Zielgruppenbreite, ist eine Fokussierung der Position sinnvoll. Da die Positionierung aber immer über den eigentlichen Kern ihres Anspruchs hinaus automatisch angrenzende Segmente mit einsammelt, ist im Zweifel eine prägnante Fokussierung generell vorzuziehen. Durch die damit bewirkte Prägnanz wird im Übrigen im Umfeld der Auslobung eine Vielzahl von Nachfragern ebenso angesprochen. Bei gestreuter Bedarfsabdeckung entschließt man sich, ein Angebot von vornherein so breit angelegt zu positionieren, dass es unterschiedlichste Bedarfe abzudecken vermag. Die Option besteht eigentlich darin, keine spezielle Position zu haben, sondern für alles und jeden omnipotent präsent zu sein. Dieses Konzept ist jedoch in den dicht besetzten Märkten von heute kaum mehr erfolgreich durchsetzbar. Aber es gibt Marken, die ihr Profil zu Zeiten geschaffen haben, als

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A. Marketing als Denkhaltung

die Märkte noch hinreichend große Freiräume boten und dieses durch geschickte Vermarktung in die Gegenwart hinüberretten konnten. Interessant ist, dass diese Marken teilweise als Gattungsbegriffe verwendet werden. Dazu gehören etwa Uhu-Klebstoff ebenso wie Tesa-Film für Klebstreifen oder Tempo für Papiertaschentuch, Brandt für Zwieback und Maggi für Suppenwürze. Wichtig ist dabei, dass das Produkt durch arrondierende Erweiterung um verwandte Derivate stetig aktualisiert wird und keine Patina ansetzt. Diese Position wurde im Einzelhandel von Warenhäusern (Alles unter einem Dach) eingenommen. Allerdings gerieten diese zunehmend in die Gefahr der Verdrängung durch spitz positionierte andere Betriebsformen. Eine Revitalisierung ist nur durch konsequente Angebotspflege erreichbar. Diese ist jedoch über Jahre hinweg vernachlässigt worden, als nur hohe Renditen eingefahren wurden, jedoch kein Re-Investment in das akquisitorische Potenzial erfolgt ist. Hinsichtlich des Positionszustands kann man sich entschließen, ein neues Angebot an die Schnittstelle zweier (oder auch mehr) Segmente zu positionieren. Damit vermeidet man einerseits, in vergleichsweise kleine Marktnischen abgedrängt zu werden, und andererseits, potenten Konkurrenten frontal entgegentreten zu müssen. Denn die neuartige Zusammenführung von Angebotsmerkmalen zweier unterschiedlicher Märkte konstituiert wiederum ein neues Angebot. Beispiele dafür finden sich zunehmend häufiger (z. B. SUV’s, Vans, Knusperriegel, Kombihaarshampoos). Bei der Dominanz bestehenden Angebots entschließt man sich demgegenüber, in einem bereits durch Mitbewerber belegten Segment anzubieten. Dabei spekuliert man darauf, diese durch eine geschicktere Umsetzung der Positionierung in den Marketinginstrumenten, durch quantitativ überlegenen Aktivitäteneinsatz oder schlicht durch eine bessere Angebotsleistung zu übertreffen. Dies setzt freilich Machtmittel voraus oder zumindest überlegenen Budgeteinsatz. Procter &  Gamble hat hier bereits mehrfach Erfolge produziert, so mit Fairy Ultra im besetzten Spülmittelmarkt oder Always im bis dato rückläufigen Bindenmarkt. Hinsichtlich der Positionsrichtung wird häufig angestrebt, eine Marktnische zu besetzen. Dabei kann es sich um eine manifeste Nische handeln, d. h. die dort repräsentierten Nachfrager verweigern mangels geeigneter Kaufobjekte den Kauf, oder um eine latente Nische, d. h., Nachfrager dort weichen widerwillig auf andere Angebote aus, ohne dass diese ihren Anforderungen voll entsprechen. Durch das Nischenangebot hofft man, diese Kaufkraft aktivieren zu können (z. B. CoupéLimousinen von Mercedes-Benz, Audi, BMW). Partizipation am bestehenden Angebot als die andersartige Ausprägung liegt vor, wenn man versucht, an der Sogwirkung erfolgreicher, bestehender Angebote teilzuhaben, indem man ein modifiziertes Angebot der gleichen Gattung positioniert. Dabei geht es nicht um eine Kopie, sondern um die differenzierte Nachahmung. So kann man von der Pionierarbeit des Mitbewerbs profitieren, sich eigene Lernarbeit ebenso wie Investitionsmittel ersparen und die dadurch freiwerdenden

V. Positionierung

143

Geldbeträge in die Markenprofilierung investieren (z. B. billige Staubsauger mit Dyson-System anderer Hersteller).

5. Positionsdefinition Unter Positionsdefinition (Positioning Statement) versteht man die Formulierung von Angebotsanspruch (auch Claim genannt) und Anspruchsbegründung (auch Reason Why genannt). Der Angebotsanspruch formuliert, was ein Angebot behauptet, besser zu können als jedes andere. Die Behauptung ist bereits ausreichend, vorausgesetzt, sie ist plausibel. Außerdem handelt es sich hier nur um eine Konzeptaussage, nicht jedoch um Werbetext, so dass auch eine Alleinstellungsformulierung möglich wird, die später in der werblichen Umsetzung dann so nicht mehr erlaubt ist. Der Angebotsanspruch findet sich oft in Form des Kampagnenabbinders (Slogan) als eine einem bestimmten Absender fest zugeordnete, standardisierte Leistungsaussage wieder, die in jedem Werbemittel, meist in Kombination mit dem Logo vorkommt und auf wenige Worte/einen Satz verknappt ist (z. B. Persil – da weiß man, was man hat). Die Anspruchsbegründung beinhaltet die rein sachliche Argumentation zur Glaubwürdigkeit des Claims. Dies ist erforderlich, weil das Publikum geneigt ist, werblichen Produktaussagen nur begrenzt Glauben zu schenken. Daher hilft die Angabe von Ursachenkomplexen, meist technischer Natur (Input-, Prozess- oder Outputfaktoren), die getroffene Behauptung zu stützen. Dies hat sich gerade für Low Interest-Produkte als bedeutsam erwiesen, die ansonsten kaum in den High Interest-Bereich zu transferieren sind. Beispiele finden sich im TAED-System bei Waschmitteln (Sunil), Dry Weave-Vlies bei Windeln (Pampers), PlantareenExtrakt bei Spülmitteln (Pril) etc. Diese Aussagen eignen sich zwar nicht als Blickfang, bieten jedoch Stoff zur Beschäftigung und rationalisieren ansonsten eher emotional oder unreflektiert getroffene Entscheidungen. Sie sind jedoch keineswegs Kaufgrund, sondern werden nur als Kaufgrund kommuniziert. Genauer muss in diesem Zusammenhang noch zwischen der Istpositionierung, d. h., der aktuellen Wahrnehmung des eigenen Angebots durch Zielpersonen, und der Zielpositionierung, d. h. der gewünschten Wahrnehmung des Angebots, unterschieden werden. Dazu ist modelltheoretisch eine Verschiebung im Positionierungsraum näher hin zum Idealpunkt (bei Unterstellung von Idealpunktmodellen) bzw. weiter entfernt vom Ursprung auf dem Vektor (bei Unterstellung von Idealvektormodellen) notwendig. Dabei handelt es sich um eine Vergrößerung des Aufforderungsgradienten, d. h. eine höhere oder auch die alleinige Kaufchance. Dafür gibt es im Wesentlichen drei Ansatzpunkte: • Man kann versuchen, dafür zu sorgen, dass der Grundaufforderungswert eines Angebots steigt. Dies betrifft die gattungstypischen Leistungen. Davon pro-

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A. Marketing als Denkhaltung

fitieren jedoch gleichermaßen alle Angebote, die ebenfalls diese generischen Leistungen bieten. Das schafft aber keinen individuellen Konkurrenzvorsprung mehr, so dass solche Aktivitäten immer auch den Wettbewerb unterstützen. Das ist nur dann einzusehen, wenn es sich um ein völlig neuartiges Angebot handelt, die Produktgattung also erst noch als solche am Markt etabliert und profiliert werden muss (z. B. Mobiltelefone). • Man kann versuchen, dafür zu sorgen, dass der Zusatzaufforderungswert des Angebots steigt. Dies betrifft die angebotsspezifischen Leistungen. Dabei kommt es allerdings auf die Präferenzen der Zielpersonen an, ob dieser positiv wirkt, also die Kaufchancen verbessernd, oder negativ, also die Kaufchancen verschlechternd. Die Basisleistungen werden dabei immer als gegeben unterstellt. Die Zusatzleistungen werden ein oder mehrere Marktsegmente anziehen und gleichzeitig andere abstoßen. Die Aktivität ist dennoch immer sinnvoll, wenn dieser Saldo positiv ist (z. B. Dieselmotor in Kfz). • Man kann versuchen, den (feldtheoretischen) Standort der Zielpersonen in die Richtung des eigenen Angebots zu verändern. Man spricht dann von einer Präferenzumwertung. Dies ist der anspruchsvollste Versuch, denn die Wertvorstellungen (Einstellungen) der Nachfrager sind zumeist gewachsen und verfestigt und daher schwer zu bewegen. Ziel ist dabei, das Anforderungsprofil der Zielpersonen mit dem Leistungsprofil des Angebots möglichst weitgehend in Übereinstimmung zu bringen (z. B. Social Marketing).

6.

Beurteilung von Positionierungstechniken

Aus dem Einsatz von Positionierungstechniken ergibt sich eine Reihe von Problemen. Im Folgenden sind die wichtigsten davon genannt. Es besteht ein Trend zur Gleichschaltung konkurrierender Angebote, weil alle Anbieter versuchen werden, sich in ihrer Positionierung der Idealposition der Zielpersonen anzunähern. Dadurch kommt es zu einer erhöhten Austauschbarkeit der Angebote, statt, wie gewünscht, zur Alleinstellung. Die Marketingstrategie hechelt auf diese Weise den Nachfragerbedürfnissen hinterher, es liegt also ein rein reaktives Marketingverständnis zugrunde (d. h. Anpassung der angebotenen Leistung an die Nutzenerwartungen der Kunden). Stattdessen muss Marketing aktiv die Märkte so beeinflussen, dass die Nachfragerbedürfnisse sich gerade entgegengesetzt dem eigenen Angebot annähern (d. h. Anpassung der Nutzenerwartungen der Kunden an die gebotene Leistung). Es werden auf diese Weise keine Signale gegeben, spürbare Marktneuerungen zu initiieren. Vielmehr wird mit bestehenden Zielpersonen und bestehenden Konkurrenten im bestehenden Marktsegment agiert, was trotz aller Optimierungsversuche suboptimal enden kann.

V. Positionierung

145

Nachfrage ist nicht kreativ, d. h. Nachfrager können ihre Idealposition immer nur innerhalb des gegebenen Marktumfelds bestimmen, da ihnen die Vorstellungskraft fehlt, welche grundsätzlich anderen Möglichkeiten der Bedarfsbefriedigung darstellbar wären. Die Positionierungen werden regelmäßig punktförmig vorgenommen, ohne dass die Stabilität der zugrunde liegenden Aussagen bekannt ist. Im Gegenteil, im Zeitablauf unterliegen die Präferenzen teilweise erheblichen Änderungen, so dass Unschärfen entstehen. Die Transformation der Positionierung hinsichtlich der Entscheidungsdimensionen in objektive Gestaltungselemente des Angebots (Marketing-Mix) ist schwierig. Dabei können nur dekompositionelle Verfahren hilfreich sein. Die Idealpositionierung kann von der Zielpositionierung des Anbieters abweichen. Dann stellt sich zunächst die Frage, ob man Änderungen vornimmt oder nicht. Diese Zielpositionierung manifestiert sich durch Aussagen über die Kunden (Marktsegmente), die erreicht werden sollen, über deren Bedürfnisse, die befriedigt werden sollen, über die Art und das Ausmaß des angestrebten Konkurrenzvorteils (dauerhaft besser) und über die geplante Gestaltung des Leistungsangebots.

7.

Anforderungen an die Positionierung

Es stellt sich daher eine Reihe von Anforderungen an eine funktionsfähige Positionierung. Ein Mindestpotenzial des anvisierten Markts muss gegeben sein, da ansonsten die Position wirtschaftlich wohl unvertretbar ist. Volumenanbieter sind darauf angewiesen, die breite Mehrheit des Marktes anzusprechen. Denn nur damit kann das erforderliche Absatzniveau geschaffen bzw. gehalten werden. Aber selbst kleinere Anbieter können von Nischen immer weniger leben, da diese zwischenzeitlich meist überbesetzt sind und kaum Erfahrungskurvenvorteile zulassen, sondern müssen ihr Produkt breit anlegen, um verschiedenste in Betracht kommende Käufergruppen zu integrieren und sich für möglichst wenige von ihnen aufgrund deren Selbstverständnis auszuschließen. Die Position muss zum Imagehintergrund der Marke passen, da ihr ansonsten die Glaubwürdigkeit abgeht. Dabei sollten möglichst vorhandene Imagestärken aufgegriffen und nur begrenzt neue Gewichte erforderlich werden. Dies erleichtert eine schnelle und damit kostengünstige Durchsetzung am Markt. Außerdem sind Imageschwächen ausgesprochen remanent, und man sollte besser versuchen, sie durch komparative Stärken zu überstrahlen, als sie revidieren zu wollen. Eine Unterscheidbarkeit des eigenen Angebots von Mitbewerbern muss möglich sein. Keine Marke sollte versuchen, sich in Bereichen anzusiedeln, die historisch bereits von anderen Anbietern kompetent und nachhaltig besetzt sind. Es sei denn, man verfügt über erheblich mehr Marketingkapazität als diese und stellt

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A. Marketing als Denkhaltung

sich zudem auf eine beträchtliche Frist bis zur Marktwirksamwerdung eingeleiteter Maßnahmen ein. Dann artet die Positionierung aber oft in eine Materialschlacht aus. Immer wichtiger wird, dass die Position raumübergreifend und zukünftig tragfähig erscheint, denn die Märkte wachsen näher zusammen, und damit überlappen sich die Kompetenzfelder von Angeboten, die bisher in keinerlei enger Austauschbeziehung zueinander standen. Zukunftssicherheit muss gegeben sein, da es viel Aufwand kostet, eine Positionierung am Markt durchzusetzen und diese auch nicht kurzfristig verändert werden sollte. Die Position muss sich flexibel dem Wandel der Vermarktungsbedingungen anpassen lassen, ohne dabei an Vitalität, Aussagefähigkeit und Attraktivität einzubüßen. Dies scheint schwierig, da Änderungen der Zukunft notwendigerweise im Voraus unbekannt bleiben müssen, kann aber im Wege der kontinuierlichen Markenpflege gelöst werden. Die Nutzenrelevanz für potenzielle Abnehmer muss im Sinne hoher Attraktivi­ tät der Position gegeben sein, d. h. es reicht nicht aus, eine zwar alleinstellende, dafür aber nur marginal interessante Nutzenfacette auszuwählen und zu besetzen. Vielmehr muss es sich um einen zentralen, entscheidungsbedeutsamen Aspekt handeln, der demnach Wirkung hinterlassen kann. Nur wenn der Nutzen größer ist als das Preisopfer, sind Nachfrager bereit zu kaufen. Ansonsten werden ihre Geld­ mittel anderweitig eingesetzt oder gespart. Die Umsetzung der Positionierung erfolgt dann im Marketing-Mix-Instrumentarium

VI. Marketing-Instrumental-Mix 1.

Idee des Marketing-Mix

1.1

Begriff und Einteilung

Das Management des Marketing-Mix ist einerseits durch konzeptionelle Rahmenvorgaben determiniert, anderseits determiniert es seinerseits Art und Niveau der einzelnen Instrumente. Der Begriff „Marketing-Mix“ stammt der überwiegenden Meinung nach von Culliton und Bordon. Der Legende nach soll ihnen der Begriff in Analogie zum Backen in den Sinn gekommen sein. Denn gerade so, wie es beim Backen darauf ankommt, die richtigen Zutaten in der richtigen Menge zur richtigen Zeit in richtiger Qualität und richtiger Reihenfolge zueinander zu mischen, so kommt es im Marketing darauf an, die relevanten Zutaten (hier die Marketing-Instrumente) mit der geeigneten Intensität und mit zweckmäßigem Timing in professioneller Weise im Zeitablauf zu kombinieren. McCarthy belegte die Instrumente bildhaft mit dem Begriff der vier P’s, stellvertretend für Product (Produkt), Price (Preis), Place (Distribution) und Promotion (Kommunikation). Im Grundsatz sind diese vier­ Instrumente seit ihrer „Erfindung“ in den 1960er Jahren, trotz mannigfacher Verfeinerungen, erhalten geblieben. Der Marketing-Mix ist somit die zielorientierte, strategieadäquate Kombination der Marketing-Instrumente in der taktisch-operativen Vermarktung. Die Instrumente sind die konkretisierten Aktionsparameter, mit denen am Markt agiert werden kann. Dazu bedarf es einer Integration aller Mix-Aktivitäten nach ihrem Inhalt/ihrer Aussage, nach ihrer Form/ihrem Auftritt und ihren Zeit- und Raumdimensionen. Hinsichtlich der Einteilung des Marketing-Mix hat sich überwiegend der VierInstrumente-Ansatz (4 P’s) durchgesetzt. Es gibt durchaus aber mit einiger Berechtigung auch Drei- und Fünf-Instrumente-Ansätze (im Dienstleistungsmarketing wird noch der sieben P’s-Ansatz vertreten, mit Prozess-, Präsentations- und Personalpolitik als zusätzliche P’s) (siehe Abbildung 19) Drei-Instrumente-Ansätze kommen im Wesentlichen zustande, indem die Produkt- und die Preisteilinstrumente zusammengefasst werden. Autoren, die diese Auffassung vertreten, argumentieren, dass jegliches Angebot immer nur durch Produkt- und Preisdimensionen gemeinsam darstellbar ist. Allerdings leidet unter dieser Zusammenfassung womöglich die Differenziertheit der Erkenntnisse. Beispiele für Drei-Instrumente-Ansätze sind folgende:

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A. Marketing als Denkhaltung

Drei-Instrumente-Ansätze

Vier-Instrumente-Ansätze

Fünf-Instrumente-Ansätze

Angebot

Produkt

Produkt

Kommunikation

Preis

Preis

Distribution

Kommunikation

Kommunikation

Distribution

Verfügbarkeit

Verkauf

Abbildung 19: Einteilungen des Marketing-Mix

• Stern (Marketing Planning): Produktsubmix, Distributionssubmix, Kommunikationssubmix, • Lazer (Marketing Management): Produkt- und Service-Mix, Distributionsmix, Kommunikationsmix, • Berger (Marketing-Mix): Leistungs- und Angebotspolitik, Vertriebs- und Strukturpolitik, Kommunikationspolitik, • Becker (Marketing-Konzeption): Angebotspolitik, Distributionspolitik, Kommunikationspolitik. Fünf-Instrumente-Ansätze kommen im Wesentlichen zustande, indem die Distributions- und die Verkaufsfunktion bzw. die Preis- und die Konditionenfunktion aufgespalten werden. Beispiele für Fünf-Instrumente-Ansätze sind folgende: • Hill (Marketing): Leistungsprogramm, Absatzmärkte und -wege, Preispolitik, Absatzwerbung, Verkauf/Auftragsabwicklung/Lieferung/Kundenservice, • Kotler/Bliemel (Marketing-Management): Produktentscheidungen, Preisentscheidungen, Absatzwegeentscheidungen und physische Distribution, Marketing-Kommunikationsentscheidungen (Werbung, Verkaufsförderung, Publizität), Verkaufspersonalentscheidungen, • Leitherer (Marktlehre): Produkt- und Sortimentsgestaltung, Werbung, Absatzorganisation, Preisgestaltung, Absatz- und Konsumfinanzierung.

VI. Marketing-Instrumental-Mix

149

Vier-Instrumente-Ansätze stellen jedoch die klassische Einteilung der Marketing-Mix-Instrumente dar. Sie sind am Weitesten verbreitet, obgleich ihre Bezeichnungen je nach Autor recht verschiedenartig sind. Beispiele für Vier-InstrumenteAnsätze sind folgende: • Gutenberg (BWL/Der Absatz): Produktgestaltung, Preispolitik, ­Absatzmethode, Werbung, • Nieschlag/Dichtl/Hörschgen (Marketing): Produkt- und Programmpolitik, Entgeltpolitik, Distributionspolitik, Kommunikationspolitik, • Meffert (Marketing): Produkt- und Programmpolitik, Kontrahierungspolitik, Distributionspolitik, Kommunikationspolitik, • Böcker (Marketing): Produktpolitik, Entgeltpolitik, Distributionspolitik, Kommunikationspolitik, • Bruhn (Marketing): Produktpolitik, Preispolitik, Kommunikationspolitik, Vertriebspolitik, • Weis (Marketing): Produktpolitik, Kontrahierungspolitik, Distributionspolitik, Kommunikationspolitik, • Berndt (Marketing): Produkt-, Sortiments- und Servicepolitik, Kontrahierungspolitik, Kommunikationspolitik, Distributionspolitik, • Bidlingmaier (Marketing): Produktpolitik, Preispolitik, Distributionspolitik, Absatzwerbung, • Poth (Marketing): Produktpolitik, Preispolitik, Distributionspolitik, Kommunikationspolitik. • Homburg (Marketing-Management): Produktpolitik, Preispolitik, Kommunikationspolitik, Vertriebspolitik. 1.2

Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten

Der Marketing-Mix zeichnet sich durch eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten aus. Im Folgenden sollen Kombinationen aus jeweils zwei Teilinstrumenten, drei Teilinstrumenten und vier Teilinstrumenten beispielhaft dargestellt werden. Die konkrete Ausprägung kommt dabei immer erst durch Kombination von zwei oder mehr Mixinstrumenten zustande. Dazu im Folgenden einige Beispiele: • Produkt + Preis Beispiel Versioning: Beim Versioning werden zwei oder mehr Leistungen nur kombiniert zu einem gemeinsamen Preis abgegeben. Dabei kann es sich um zwei oder mehr Sachleistungen handeln, die kombiniert abgegeben werden, oder eine oder mehr Sachleistungen gemeinsam mit einer oder mehr Dienstleistungen

150

A. Marketing als Denkhaltung

oder um zwei oder mehr Dienstleistungen. Dem Leistungsbündel folgt dabei ein Preisbündel, das verschiedenartig ausgestaltet sein kann. Beispiel Differenzierung: Bei der Leistungsdifferenzierung werden zwei oder mehr voneinander abgehobene Versionen eines Basisprodukts oder einer Basisdienstleistung zeitgleich am Markt angeboten. Typischerweise sind auch die Preise dieser differenzierten Angebote verschieden, so dass typischerweise unterschiedliche Marktsegmente mit ihren jeweiligen Preispräferenzen angesprochen werden. Beispiel Preisbaukasten: Im Preisbaukasten besteht der Preis für ein Angebot aus einem fixen und einem variablen Anteil, wobei das Ausmaß dieser Anteile von 0 bis ∞ schwanken kann. Entsprechend kann ein Angebot als ein standardisierter Preisbaukasten oder als mehrere Preismodelle zur Kombination nach freier Auswahl der Nachfrager angeboten werden. • Produkt + Kommunikation Beispiel Packung: Die Packung ist das Ergebnis der dauerhaften Zusammenfassung von Produkt und Packmittel und wird von Nachfragern als Verkaufseinheit angesehen. Der Packung kommen vielfältige Funktionen zu, so die der Rationalisierung oder Verwendungserleichterung. Vor allem bei Konsumgütern ist die Kommunikationsfunktion bedeutsam, weil die Angebote häufig werblich vorverkauft sind und in der Entscheidungssituation diese Anmutung am Handelsplatz „erden“ müssen. Beispiel Design: Design betrifft die geschmackliche Gestaltung der Warenhülle als Verpackung oder des Produkts selbst. Das Design ist vor allem ein wichtiges Kommunikationssignal für Leistungsinhalte, die Käufer im Zweifel anderweitig nicht kennen oder diese positiv in ihrem sozialen Umfeld differenzieren. Design soll typischerweise aber nicht nur kommunikative, sondern vor allem funktionale Pflichten erfüllen (Form follows Function). Beispiel Bedienungsanleitung: Der Bedienungsanleitung kommt eine immer größere Bedeutung zu, u. a. aus Gründen der Kundenverbundenheit durch Gewährleistung von Zufriedenheiten, der Reduktion kognitiver Dissonanzen in der Nachkaufphase und der Eingrenzung der Produkthaftung. Insofern stellt sie eine nahezu unverzichtbare kommunikative Begleitung zum Produkt selbst dar, die über die bloße funktionale Erläuterung hinausgeht. • Produkt + Distribution Beispiel Katalogverkauf: Im Versandhandel werden Produkte zu Preisen, die im Wesentlichen vergleichbar zu denen im stationären Handel sind, im Distanzprinzip angeboten. Der Katalogverkauf ist damit funktional der Vorläufer des e-Commerce, wobei der Katalog in neuerer Zeit verstärkt aus der geprinteten in eine elektronische Form überführt wird.

VI. Marketing-Instrumental-Mix

151

Beispiel Börsen: Börsen sind organisierte Marktveranstaltungen, an denen physisch nicht vorhandene, aber normierte Objekte unter bestimmten Beteiligten und festliegenden Bedingungen gehandelt werden. Der Austausch ist somit nur für einen und mit einem abgegrenzten Personenkreis möglich (meist durch Börsenzulassung), und die Handelsobjekte sind fungibel, d. h., ein Objekt kann stellvertretend für alle Objekte der gleichen Art stehen. Beispiel Kundendienst: Der Kundendienst übernimmt zunehmend wichtigere Funktionen, vor allem im Bereich der Nachkaufzufriedenheit, von der man weiß, dass sie ausschlaggebend für den Wiederkaufentscheid und damit für die Kundentreue und die Realisierung des Kundenlebenszeitwerts ist. Der Kundendienst wird durch den Hersteller, durch Absatzmittler oder Dritte (Service Provider) bereitgestellt. • Preis + Kommunikation Beispiel Sonderverkäufe: Sonderverkäufe sind Verkaufsveranstaltungen im Einzelhandel, die außerhalb des regulären Geschäftsverkehrs stattfinden und einem beschleunigten Warenabsatz dienen, indem sie den Eindruck der Gewährung besonderer Kaufvorteile erwecken (daher sind sie rechtlich eng limitiert). Die Bekanntmachung dieser Sonderverkäufe erfolgt durch Handelswerbung in den Medien. Beispiel Finanzierungsangebot: Die Absatzfinanzierung ist inhärenter Bestandteil der Konditionenpolitik und damit Preisbestandteil. Die aufmerksamkeitsund penetrationsstarke Auslobung von Absatzfinanzierungen, z. B. in Form von Kredit- oder Leasingangeboten, ist in der Lage, die Attraktivität von Angeboten spürbar zu steigern und daher immer wieder Inhalt von Aktionswerbung. Beispiel Kundenkarte: Das Angebot einer Kundenkarte im Rahmen des Networking als spezieller Aktivität der Öffentlichkeitsarbeit gegenüber privaten Endabnehmern ist meist verbunden mit Preisvergünstigungen, die an die kumulierte Abnahmemenge (innerhalb eines Zeitraums), die Transaktionsart (z. B. e-Commerce) oder den Zeitraum der Transaktionsbeziehung (Kundentreue) gebunden sind. • Preis + Distribution Beispiel Drittmarke: Die Drittmarke ist in der Markenhierarchie des Herstellers in Bezug auf Image und Preis noch unterhalb der Zweitmarke angesiedelt und in ihrer Präsenz oft auf bestimmte, meist große Absatzmittler begrenzt. Sie dient dort vor allem zur Abwehr der Handelsmarken konkurrierender Handelsketten. Beim Hersteller wird der niedrige Preis durch Nutzung von Kostendegressionseffekten aus Mengenvorteilen realisierbar. Beispiel Luxusmarke: Die Luxusmarke ist in der Markenhierarchie des Herstellers in Bezug auf Image und Preis noch oberhalb der Premiummarke angesiedelt. Sie soll überdurchschnittliche Deckungsbeiträge in der Spitze der Preisbereitschaft der Kunden abschöpfen und rechtfertigt dies durch herausragende Qualität. Ihre Präsenz ist auf bestimmte, exklusive Absatzmittler begrenzt.

152

A. Marketing als Denkhaltung

Beispiel Haustürverkauf: Dabei werden überwiegend geringwertige Waren mit niedrigem Preis im Wege des Door to Door Selling abgesetzt. Auf diese Weise können Interessenten angesprochen und unmittelbar akquisitorisch kontaktiert werden. Allerdings unterliegen diese Geschäfte strengen rechtlichen Restriktionen, weil die Gefahr einer Überrumpelung der Kunden unterstellt wird. • Kommunikation + Distribution Beispiel Handelsplatzwerbung: Die Mehrzahl der Entscheide des täglichen Bedarfs fällt in Bezug auf die gekaufte Marke erst in der konkreten Kaufentscheidungssituation am Handelsplatz. Vorher gibt es allenfalls einen Produktgruppenentscheid, die konkrete Markenwahl ergibt sich erst im Relevant Set der präferierten Marken. Daher ist ein kommunikationsstarker Auftritt am Handelsplatz für jeden Markenartikler unverzichtbar. Allerdings stoßen diese dabei auf Widerstand der Handelsketten, die ihren eigenen Auftritt durchsetzen wollen. Beispiel Lizenzmarke: Der Halter einer starken Marke kann sein damit verbundenes akquisitorisches Potenzial besser ausschöpfen, wenn er anderen Anbietern gegen Entgeltregelung das Recht einräumt, selektiv unter seiner Marke aufzutreten. Durch deren Zugang zum Absatzkanal erschließt er sich zusätzliche Distributionsmöglichkeiten. Diese Anbieter wiederum profitieren von der Kommunikationswirkung der lizenzierten Marke und können in diesem Zug auf den Aufbau einer eigenen Marke verzichten. Beispiel Persönlicher Verkauf: Der Persönliche Verkauf umfasst sowohl Elemente der Distribution als auch der Kommunikation. Er stellt eine Form des Absatzes dar, bei der Betriebsangehörige oder selbstständige Absatzhelfer Abschlüsse herbeiführen oder auch selbst tätigen. Dies erreichen diese dadurch, dass sie die Mittel der persönlichen (Face to Face-)Kommunikation akquisitorisch einsetzen. Diese sind, bei richtiger Nutzung, weitaus mächtiger als alle Mittel medialer Kommunikation • Produkt + Preis + Kommunikation Beispiel Verkaufsförderungsaktion: Eine Verkaufsförderungsaktion besteht typischerweise aus einem Produkt, das Gegenstand der Promotion ist, aus einem gewährten Nachlass gegenüber dem regulären Preis oder der Gattung und der werblichen Auslobung dieses besonderen Angebots gegenüber Nachfragern der Zielgruppe. Insofern vereint sie Elemente aus den Instrumenten Produkt, Preis und Kommunikation. Beispiel Dienstleistungen: Dienstleistungen sind Produkte wie Sachleistungen auch, denn sie entstehen wie diese durch Kombination der betriebswirtschaftlichen Produktionsfaktoren und sind wie diese Gegenstand von Vermarktungsaktivitäten. Die Dienstleistung wird zu einem bestimmten Preis an den Markt abgegeben und als immaterielles Angebot notwendigerweise intensiv beworben. Infolge des Uno actu-Prinzips fallen Erstellung und Verkauf raum-zeitlich zusammen, so dass distributive Aspekte nur eine untergeordnete Rolle spielen.

VI. Marketing-Instrumental-Mix

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• Produkt + Preis + Distribution Beispiel Handelsmarke: Bei der Handelsmarke ist die Handelsstufe Absender der Marke. Bei unechten Handelsmarken geht die Initiative dazu dennoch von der Herstellerstufe aus. Bei der typischen echten Handelsmarke aber ist es die Handelsorganisation selbst, die Konzeption und Produktion von Produkten durchführt. Diese Produkte werden dann handelsketten-exklusiv distribuiert, wobei auf große werbliche Anstrengungen im Sinne der Kostenvorteilhaftigkeit meist verzichtet wird. Beispiel Anlagengeschäft: Im B-t-B-Marketing kommt der formalen Kommunikation eine eher untergeordnete Bedeutung zu. Im Vordergrund stehen vielmehr eine meist komplexe Sachleistung mit ihren Leistungsmerkmalen selbst, der Preis, der trotz weitgehenden Preiskonservatismus zumeist intensiven Nachverhandlungen unterliegt, sowie der Direktvertrieb vom Hersteller unmittelbar an den Abnehmer ohne zwischengeschaltete Absatzmittler/-helfer. • Preis + Kommunikation + Distribution Beispiel e-Commerce: Digitalisierte Produkte wie Betriebssoftware, Suchmaschinenergebnisse oder Anwendungs-Software (Spiele, Musik etc.) können ausschließlich das Internet als Distributionsweg nutzen. Diese Angebote werden entsprechend ausgelobt und im Regelfall mit einem Entgelt versehen, sofern es sich nicht um Public Domain-Software oder werbefinanzierte Leistungen handelt. Aufgrund des Pull-Charakters des Internet bedarf es erheblicher werblicher Anstrengungen zur Verbreitung des Angebots. Beispiel Discounter: Discounter sind eine Betriebsform des Einzelhandels, dessen Profil im Wesentlichen durch die Elemente Dauerniedrigpreis, aggressive Werbung und kettenspezifische Distribution gekennzeichnet ist. Bei den dort angebotenen Produkten handelt es sich häufig um Generics (Gattungsware), Handelsmarken (Private Labels) oder austauschbare Waren ohne Markenartikelstatus. Die Produktsubstanz ist gering relevant, solange dabei ein akzeptables Mindestqualitätsniveau eingehalten wird. • Produkt + Preis + Kommunikation + Distribution Beispiel Franchising: Das Franchising ist eine Kontraktmarketingform als (Know-how- und Produktions- oder Vertriebs-)Lizenzgeschäft, das sich auf ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Produktgruppe richtet und diese(s) als Systembestandteil zu möglichst gleichmäßigen Preisen am Markt anbieten will. Der Franchisegeber (Zentrale)  organisiert zur Erreichung und zum Erhalt der Marktgeltung Kommunikationsmaßnahmen, wohingegen der Franchisenehmer die eigentliche Marktentnahme durch Zugriff von Nachfragern auf das Angebot gewährleistet. Insofern sind alle vier Marketinginstrumente dabei involviert.

154 1.3

A. Marketing als Denkhaltung

Instrumente im Marketing-Mix

Der Marketing-Mix kann im Einzelnen unter strategischen, taktischen und operativen Aspekten beleuchtet werden: • Strategische Entscheidungen im Marketing-Mix beziehen sich auf die Neuausrichtung von Instrumenten anlässlich der Markteinführung (Launch) sowie die grundlegende Ablösung der Ausrichtung eines bereits auf dem Markt befindlichen Angebots (Relaunch) im Rahmen der Unternehmensmission. Die Betrachtung erfolgt in Bezug auf den gesamten Marketing-Mix als Interinstrumentalabgleich. • Taktische Entscheidungen im Marketing-Mix beziehen sich auf die Justierung von Instrumenten innerhalb eines strategisch vorgegebenen Orientierungsrahmens, um sich aktuellen Änderungen im Vermarktungsumfeld bestmöglich (effektiv) anpassen zu können. Die Betrachtung erfolgt in Bezug auf die einzelnen Marketing-Instrumente als Intrainstrumentalabgleich. • Operative Entscheidungen im Marketing-Mix beziehen sich auf die Einzelausführung von Instrumenten im Rahmen der taktischen Vorgaben, wobei die Effizienz des Einsatzes in einer konkreten Vermarktungssituation im Vordergrund der Betrachtung steht. Die Betrachtung erfolgt in Bezug auf die Teilinstrumente der Instrumental-Submixes bzw. -Elemente. Als Aktionsparameter stehen im Marketing die Marketing-Mix-Instrumente zur Verfügung. Angesichts der Verschiedenartigkeit der Unterteilung in der Literatur soll im Folgenden von den Bezeichnungen „Produkt- und Programmpolitik“, „Preis- und Konditionenpolitik“, „Kommunikations- und Identitätspolitik“ sowie „Distributions- und Verkaufspolitik“ ausgegangen werden. Die Produkt- und Programmpolitik umfasst als Angebotsgestaltung alle Aktivitäten zur Bestimmung des Leistungsprogramms und der einzelnen Produkte/ Dienste eines Unternehmens. Sie unterteilt sich im Einzelnen in den Produktsubmix der Angebotsgestaltung sowie den Programmsubmix der Angebotsgestaltung. Die Preis- und Konditionenpolitik umfasst als Gegenleistungsgestaltung alle Aktivitäten zur Justierung optimaler Brutto- und Netto-Konditionen im Gegenzug für empfangene Leistungen. Sie unterteilt sich im Einzelnen in den Preissubmix der Gegenleistungsgestaltung sowie den Konditionensubmix der Gegenleistungsgestaltung. Die Kommunikations- und Identitätspolitik umfasst als Informationsgestaltung alle Aktivitäten zur zielgerichteten Einwirkung auf Kunden und andere Interessengruppen des Unternehmens. Sie unterteilt sich im Einzelnen in den Kommunikationssubmix der Informationsgestaltung sowie den Identitätssubmix der Informationsgestaltung.

VI. Marketing-Instrumental-Mix

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Die Distributions- und Verkaufspolitik umfasst als Verfügbarkeitsgestaltung alle Aktivitäten zur effektiven Versorgung des Marktes mit Unternehmensleistungen. Sie unterteilt sich im Einzelnen in den Distributionssubmix der Verfügbarkeitsgestaltung sowie den Verkaufssubmix der Verfügbarkeitsgestaltung. Gelegentlich wird eine besondere Bedeutung der Angebotspolitik für den Marketing-Mix postuliert. Solche Gewichtungen sind jedoch wenig ergiebig, da erst alle Instrumente gemeinsam zum Erfolg (oder Misserfolg) am Markt beitragen. Dennoch kommt Produkt- und Programmentscheidungen zweifellos konstitutive Bedeutung im Marketing zu. Dies gilt auch für Ansichten, die etwa im Zuge des e-Commerce, eine besondere Bedeutung der Verfügbarkeitspolitik unterstellen. Dadurch rückt jedoch der Aspekt alternativer Absatzwege verstärkt in den Mittelpunkt der Diskussion (Disintermediation). Oder im Zuge steigender Wettbewerbsintensität und Preisaggressivität eine solche der Gegenleistungspolitik. Obgleich diese zweifelsfrei entscheidend für die Überlebensfähigkeit jedes Unternehmens ist und damit zweifellos einen hohen Stellenwert hat. Eine gewisse Sonderstellung nimmt vielleicht die Informationspolitik ein, weil sie auf der Wahrnehmungsebene ansetzt und dort alle realen Gegebenheiten, freilich mehr oder minder verzerrt, widerspiegelt. In neuerer Zeit hat sich aber heraus kristallisiert, dass die vier Marketing-MixInstrumente zweckmäßigerweise in zwei Gruppen unterteilt werden können, erstens die drei Instrumente der Absatzvorbereitung (Angebots-, Gegenleistungs- und Informationsgestaltung) sowie zweitens das Instrument des eigentliche Absatzvollzugs (Verfügbarkeitsgestaltung). In der Absatzvorbereitung werden, aufbauend auf Erkenntnissen der Marktforschung und des Käuferverhaltens und eingebunden in die Marketingstrategie und -koordination, die Grundlagen für den Markterfolg bestimmt. Daran an schließt sich erst die Phase des konkreten Absatzvollzugs. Im immer wichtiger werdenden Bereich des Dienstleistungsmarketing kann ein fünftes P. als erforderlich angesehen werden, das der Personalpolitik. Darüber hin­ aus gibt es dort noch die zwei weiteren P’s der Prozesspolitik, denn Dienstleistungen sind marktfähige Verrichtungen, also Prozesse, und der Präsentationspolitik, das wegen der Intangibilität von Dienstleistungen von besonderer Bedeutung ist (insofern kommt man dann auf sieben P’s/Magrath).

156

A. Marketing als Denkhaltung

2. Marketing-Mix-Analyse 2.1

Beziehungen der Instrumente untereinander

Die Marketing-Mix-Instrumente stehen in vielfältigen Beziehungen zueinander (siehe Abbildung 20). Die funktionalen Beziehungen der Instrumente stellen auf die Art der Beziehung der Mix-Instrumente untereinander ab. Man unterscheidet dabei im Einzelnen folgende Beziehungen. Eine konkurrierende Beziehung bedeutet, dass Mix-Instrumente einander in ihrer Zielerreichung beeinträchtigen. Beispiel: Ein hoch stehendes Markenimage des Herstellers wird durch eine aggressive Preisgestaltung des Handels beeinträchtigt. Eine antinomische Beziehung bedeutet, dass Mix-Instrumente einander in ihrer Zielerreichung ausschließen. Beispiel: Ein Preisnachlass gegenüber Privaten ist für ein preisgebundenes Produkt de jure ausgeschlossen. Eine harmonische Beziehung bedeutet, dass Mix-Instrumente einander in ihrer Zielerreichung unterstützen. Beispiel: Der parallele Einsatz von klassischer und nicht-klassischer Werbung hilft, Bekanntheits- und Vertrautheitsziele besser zu erreichen. Eine identische Beziehung bedeutet, dass Mix-Instrumente einander in ihrer Zielerreichung bedingen, sie also dasselbe Ziel verfolgen. Beispiel: Ein hoch stehendes Markenimage erfordert sowohl eine heraus­ ragende Leistungsqualität als auch eine attraktive Produktgestaltung. Eine indifferente Beziehung bedeutet, dass Mix-Instrumente einander in ihrer Zielerreichung weder positiv noch negativ tangieren. Beispiel: Die Wahl des Logistiksystems hat keinerlei Auswirkungen auf die Logo­gestaltung und umgekehrt. In der zeitlichen Beziehung kann nach dem Time lag zwischen dem Einsatz und der Wirkung des Mix-Instrumentariums unterschieden werden. Abgestuft ergeben sich dabei folgende Einteilungen. Ein stunden- bzw. tagesbezogener Einsatz bedeutet, dass die Wirkung des Marketing-Instruments praktisch unverzüglich einsetzt (z. B. Preiserhöhung für ein Produkt, für Mineralöl an Tankstellen etwa mehrmals im Tagesablauf), Ein wochen- bzw. monatsbezogener Einsatz bedeutet, dass die Wirkung des Marketing-Instruments mit ganz kurzer Verzögerung einsetzt (z. B. Verkaufs­ förderungsaktion, im Handel auch fallweise eingesetzt),

157

VI. Marketing-Instrumental-Mix

zeitlich

funktional

abfolgend

hierarchisch

intensitätsmäßig

konkurrierend

Stunde/Tag

parallel

dominant

gleichbleibend

antinomisch

Woche/ Monat

sukzessiv

unterstützend

steigend

harmonisch

Quartal/ Halbjahr

intermittierd.

konditional

fallend

identisch

Jahr/Überjahr

ablösend

kompensativ

pulsierend

vorlaufend / nachlaufend

indifferent

sukz. einsetzend / sukz. auslaufend

geozentral

springend regiozentral

Nichtabnehmer

polyzentral

gewerbliche Endabnehmer

ethnozentral

raumverdichtet

mehrere Elemente

fakultativ

Wiederverkäufer

intranational

raumausgedünnt

einzelne Elemente

obligatorisch

private Endabnehmer

räumlich

streuungsorient.

mengenmäßig

notwendig

adressatenorient.

Abbildung 20: Unterschiedliche Marketing-Mix-Beziehungen

158

A. Marketing als Denkhaltung

Ein viertel- bzw. halbjahresbezogener Einsatz bedeutet, dass die Wirkung des Marketing-Instruments erst mit längerer Verzögerung einsetzt (z. B. Einführung eines neuen Produkts über Vorankündigung und sukzessiven D ­ istributionsaufbau). Ein jahresbezogener bzw. überjähriger Einsatz bedeutet, dass die Wirkung des Marketing-Instruments mit großer Verzögerung einsetzt (z. B. Upgrading eines Produkts durch verbesserte Produktleistungsmerkmale). Neuerdings sind auch Realtime-Einsätze darstellbar, etwa beim Programmatic Advertising (dabei werden Einblendungen von Displaywerbung erst bei Aufruf der Online-Seite durch einen Nutzer platziert, und zwar in Abhängigkeit von spezi­ fischen Nutzerdaten und jeweiligen Preisgeboten). Die abfolgebezogenen Beziehungen stellen auf die Einsatzreihenfolge der MixInstrumente untereinander ab. Man unterscheidet dabei im Einzelnen folgende. Ein paralleler Einsatz bedeutet, dass Mix-Instrumente völlig zeitgleich nebeneinander herlaufend eingesetzt werden. Beispiel: Die Gestaltung des Logotype und die Packungsgestaltung eines Produkts werden im Zuge der Produktinnovation parallel entwickelt. Ein sukzessiver Einsatz bedeutet, dass Mix-Instrumente aufeinander folgend eingesetzt werden. Beispiel: Zunächst bedarf es des Aufbaus der Distributionsdichte und der Sicherung der Platzierung im Handel, bevor die Mediawerbung einsetzt. Ein intermittierender Einsatz bedeutet, dass zwei oder mehr Mix-Instrumente einander im Einsatz fortwährend ablösen, ohne sich zu überlappen. Beispiel: Ein Hersteller führt mehrere Aktionsrunden innerhalb eines Geschäftsjahrs durch, um kontinuierliche Leistungsanreize für die Vertriebsmannschaft zu geben. Ein versetzter Einsatz bedeutet, dass die Mix-Instrumente einander überlappend eingesetzt werden. Beispiel: Zunächst wird eine Grundbekanntheit und -vertrautheit in der Zielgruppe durch Mediawerbung aufgebaut. Danach setzt die Dialogwerbung zur Realisierung konkreter Kaufakte ein. Diese läuft auch weiter, nachdem die Mediawerbung ausgelaufen ist. Ein ablösender Einsatz bedeutet, dass ein nachfolgendes Mix-Instrument ein vorherlaufendes vollständig ablöst. Beispiel: Bei einer Produktinnovation setzt die Mediawerbung erst nach Abschluss der Packungsgestaltung ein. Ein vorlaufender bzw. nachlaufender Einsatz bedeutet, dass ein Hauptinstrument des Mix durch ein Nebeninstrument eingeleitet oder abgefolgt wird, ohne dass diese einander überlappen.

VI. Marketing-Instrumental-Mix

159

Beispiel: Bereits vor der Produkteinführung erfolgt eine Ankündigungswerbung (Prä-Marketing) oder auch nach der Produktelimination wird ein Kundendienstangebot vorgehalten. Ein sukzessiv einsetzender bzw. auslaufender Einsatz bedeutet, dass zwei Instrumente gemeinsam starten, bzw. gemeinsam enden, aber zeitlich nur partiell nebeneinander herlaufen. Beispiel: Ein Marktangebot wird durch Printwerbung kontinuierlich unterstützt. Während der Einführungsphase wird zusätzlich Merchandising am Handelsplatz eingesetzt bzw. während der Eliminationsphase zusätzlich das Preisniveau gesenkt. Ein springender Einsatz bedeutet, dass bestimmte Instrumente nur punktuell zur Unterstützung des grundlegenden Marketing-Mix eingesetzt werden. Beispiel: Ein Marktangebot wird während der Saisonzeiten bzw. in den Off­ Season-Zeiten durch besondere Packungsausstattungen attraktiv gehalten. Die hierarchischen Beziehungen stellen auf die Gewichtung der Instrumente untereinander ab. Man unterscheidet dabei im Einzelnen folgende. Ein dominantes Instrument ist ein solches, das für fähig erachtet wird, komparative Konkurrenzvorteile am Markt zu erreichen. Es ist daher für die Zielerreichung unverzichtbar. Beispiel: Zum Aufbau und Erhalt von Markenartikeln ist der Einsatz klassischer Werbung nach wie vor unerlässlich. Ein unterstützendes Instrument ist ein solches, das für Spezialaufgaben innerhalb des Marketing-Mix benötigt wird. Es kommt daher nur ergänzend zum Einsatz. Beispiel: Neben dem Einsatz klassischer Werbung kann die Nutzung von Sponsoring-Maßnahmen sinnvoll sein, um die Kommunikation zu flankieren. Eine konditionale Beziehung der Instrumente liegt vor, wenn der Instrumentaleinsatz sich gegenseitig bedingend angelegt ist. Beispiel: Der Start einer Einführungswerbung ist erst sinnvoll, nachdem die Verfügbarkeit eines Neuprodukts im Markt gesichert ist. Eine kompensative Beziehung der Instrumente liegt vor, wenn der Instrumentaleinsatz gegenseitig ersetzend ausgelegt ist. Beispiel: Ein höherer Marktanteil ist sowohl durch intensivere Werbung als auch durch Verbesserung der Distributionsqualität erreichbar. Die intensitätsmäßigen Beziehungen stellen auf den Umfang des Mix-Einsatzes ab. Man unterscheidet dabei im Einzelnen folgende.

160

A. Marketing als Denkhaltung

Eine gleich bleibende Intensität ist gegeben, wenn der Instrumentaleinsatz über die gesamte Einsatzperiode hinweg auf konstantem Niveau gehalten wird. Beispiel: Zur Pflege und Erweiterung von Markenartikeln ist deren kontinuierliche Unterstützung über klassische Werbung unerlässlich. Eine steigende Intensität ist gegeben, wenn der Instrumentaleinsatz im Zeitablauf der Einsatzperiode stetig gesteigert wird. Beispiel: Die Ankündigungswerbung wird zur Produkteinführung gesteigert und später im Zuge der Produktdifferenzierung bzw. der Produktvariation nochmals intensiviert. Eine fallende Intensität ist gegeben, wenn der Instrumentaleinsatz im Zeitablauf der Einsatzperiode stetig vermindert wird. Beispiel: Bei einem Produkt, das sich nach der Einführungsphase selbst am Markt tragen soll, wird die Werbeunterstützung Stufe für Stufe zurückgefahren. Eine pulsierende Intensität ist gegeben, wenn der Instrumentaleinsatz im Zeitablauf der Einsatzperiode in regelmäßigen oder unregelmäßigen Intervallen hoch bzw. herunter gefahren wird. Beispiel: In Nicht-Saison-Phasen (Off Season Periods) wird das Aktivitäts­ niveau durch dann einsetzende Verkaufsförderungsaktionen zu stimulieren gesucht. Die räumlichen Beziehungen stellen auf das Einsatzgebiet des Marketing-Mix ab. Man unterscheidet dabei im Einzelnen folgende. Eine (intra-)nationale Marktabdeckung bedeutet, dass die Mix-Instrumente nur im lokalen, regionalen oder nationalen Rahmen eingesetzt werden, ohne dass Aktivitäten außerhalb dieser Gebiete vorhanden sind. Beispiel: Viele Unternehmen sind nur im lokalen Umfeld, z. B. Einzelhandel, im regionalen Umfeld, z. B. Mineralbrunnen oder Brauereien, bzw. im nationalen Umfeld, z. B. Duden-Redaktion, tätig. Der Mix bedarf daher auch nur der Abstimmung innerhalb dieses jeweiligen intranationalen Gebiets. Entsprechend werden lokal (z. B. Persönlicher Verkauf), regional (z. B. Tageszeitungswerbung) oder national wirkende Marketinginstrumente (z. B. Preissenkung) eingesetzt. Eine internationale Marktabdeckung bedeutet, dass die Mix-Instrumente länder­ grenzenübergreifend eingesetzt werden. Dafür gibt es verschiedene Konzeptionen. Bei ethnozentralem Einsatz wird der Marketing-Mix für den Inlandsmarkt konzipiert und weithin unverändert auf Auslandsmärkte übertragen. Bei polyzentralem Einsatz wird der Marketing-Mix für jeden Auslandsmarkt getrennt konzipiert und dort auch individuell umgesetzt. Bei regiozentralem Einsatz wird der Marketing-Mix für eine weitgehend homogene Ländergruppe gemeinsam konzipiert und umgesetzt. Bei geozentralem Einsatz wird der Marketing-Mix für alle Länder, die zur Vermarktung anstehen, gemeinsam konzipiert und umgesetzt.

VI. Marketing-Instrumental-Mix

161

Beispiel: Die Marke Marlboro setzt international eine gleich bleibende Werbekampagne ein, welche die Rocky Mountains als wildromantische Szenerie und die Cowboys als abenteuerhafte Akteure vorsieht. Diese Kampagne funktioniert seit Jahrzehnten und über alle Ländergrenzen hinweg, weil sie auf dem Fundament stilisierter Wild-West-Filme aufsetzt und diese anderweitig erreichte Vertrautheit mit der Bekanntheit der Zigarette koppelt. So reicht es bereits aus, ein dachförmiges Dreieck kombiniert mit der Farbe Rot zu zeigen, um wohl eindeutig die Marke Marlboro beim Betrachter zu assoziieren. Die streuungsorientierten Beziehungen stellen auf die Dichte des MarketingMix-Einsatzes ab. Dabei können zwei Alternativen unterschieden werden. Die raumausgedünnte Abdeckung bedeutet, dass bestimmte Marketinginstrumente nicht im gesamten Absatzgebiet eingesetzt werden, statt dessen werden bestimmte Gebiete, meist aus budgetären Gründen, ausgespart. Beispiel: Aus Effizienzgründen ist es üblich, die werbliche Penetration in schwach distribuierten Gebieten zurückzufahren, da die aufwändig damit aufgebaute Bekanntheit und Vertrautheit eines Angebots/Anbieters dort überhaupt nicht hinreichend in Umsätzen liquidiert werden kann. Die raumverdichtete Abdeckung bedeutet, dass bestimmte Marketinginstrumente in bestimmten Absatzgebieten verstärkt gegenüber dem Durchschnitt des gesamten Absatzgebiets eingesetzt werden. Beispiel: Meist werden lokale Verkaufsförderungsaktionen in solchen Gebieten aufgesetzt, die entweder bereits einen hohen Umsatzanteil haben oder in denen eine signifikante Steigerung des Umsatzanteils erreicht werden soll. Andere Gebiete hingegen werden mit diesen Aktionen ausgespart und mit dem „normalen“ Niveau an Marketingaktivitäten bedacht. Die mengenmäßigen Beziehungen stellen auf die Einsatzbandbreite des Marketing-Mix ab. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Aktivierung aller vier Marketing-Mix-Instrumente in einzelnen Elementen obligatorisch ist. Man unterscheidet dabei folgende. Die Auswahl einzelner Elemente bedeutet, dass bei einem Instrument nur ausgewählte Elemente aktiviert werden sollen. Insofern kommt es zur Konzentration der Aktivitäten. Beispiel: Innerhalb der Kommunikationspolitik setzt ein Anbieter ausschließlich auf klassische Werbung in meinungsbildenden Zeitschriften und verzichtet völlig auf den Einsatz anderer Print- und Elektronikwerbeträger. Die Auswahl mehrerer Elemente bedeutet, dass bei einem Instrument verschiedene Elemente zugleich aktiviert werden sollen. Dies erfordert dann eine intrainstrumentelle Abstimmung der Aktivitäten.

162

A. Marketing als Denkhaltung

Beispiel: Innerhalb der Kommunikationspolitik setzt ein Anbieter sowohl die klassische Werbung als auch nicht-klassische Werbemittel in Form von Öffentlichkeitsarbeit, Verkaufsförderung und Dialogwerbung ein. Die relationalen Beziehungen stellen auf die Unverzichtbarkeit von Instrumenten des Marketing-Mix ab. Man unterscheidet dabei im Einzelnen folgende. Obligatorische Instrumente sind solche Instrumente des Marketing-Mix, ohne die eine Vermarktung sinnvollerweise nicht vorgenommen werden kann. Beispiel: Das Angebot eines Packaged Good erfordert die Entwicklung, Gestaltung, Produktion und Verbreitung einer geeigneten Packung. Fakultative Instrumente sind solche Instrumente des Marketing-Mix, die bei der Vermarktung eingesetzt werden können, aber nicht müssen. Beispiel: Auf den Einsatz der Verkaufsförderung kann ohne Weiteres verzichtet werden, ohne dass die Marktfähigkeit eines Angebots entfällt, sie büßt allenfalls ein. Die adressatenorientierten Beziehungen stellen auf die Zielgruppen des Marketing-Mix ab. Man unterscheidet dabei im Einzelnen folgende. Der Marketing-Mix kann sich an private Endabnehmer (Konsumenten) richten, um diese vom Kauf eines Angebots zu überzeugen. Beispiel: Im Business to Consumer-Bereich sind private Endabnehmer Ziel­ personen der Marketing-Mix-Aktivitäten. Im Fall der Werbung bedeutet dies den Einsatz der Publikumswerbung. Der Marketing-Mix kann sich an Wiederverkäufer (Absatzmittler) richten, um diese von der Aufnahme eines Angebots in ihr Sortiment und der anschließenden kontinuierlichen Unterstützung dessen Abverkaufs zu überzeugen. Beispiel: Im Business to Retailer-Bereich sind Wiederverkäufer Zielpersonen der Marketing-Mix-Aktivitäten. Im Fall der Werbung bedeutet dies den Einsatz der Händlerwerbung. Der Marketing-Mix kann sich an gewerbliche Endabnehmer (industrielle Abnehmer) richten, um diese vom Kauf eines Angebots zu überzeugen. Beispiel: Im Business to Business-Bereich sind gewerbliche Endabnehmer Zielpersonen der Marketing-Mix-Aktivitäten. Im Fall der Werbung bedeutet dies den Einsatz der Fachwerbung. Der Marketing-Mix kann sich an indirekte Anspruchsgruppen richten, um diese, immer wichtiger, für das Unternehmen und sein Angebot positiv einzunehmen. Beispiel: Im indirekten Bereich sind Nichtabnehmer Zielpersonen der Marketing-Mix-Aktivitäten. Im Fall der Werbung geschieht dies im Rahmen der Nutzung der Öffentlichkeitsarbeit.

VI. Marketing-Instrumental-Mix

2.2

163

Einteilung der Produktarten

Die nachfolgenden Konzepte gehen davon aus, dass der Marketing-Mix vor allem von der jeweils zugrunde liegenden Produktart abhängig ist. Daher ist es erforderlich, die Vielfalt realer Produkte nach Produktarten zu rubrizieren. Dafür gibt es im Einzelnen mehrere Ansätze: • Knoblich unterscheidet in einfachster Weise in Konsum- und Investitionsgüter. Konsumgüter sind nach seiner Auffassung massengefertigte Verbrauchsgüter des täglichen Bedarfs, die als eher niedrigpreisig und eher problemlos einzu­ stufen sind. Es handelt sich um Dach- oder Einzelmarken. Sie weisen eine geringe Sortenvielfalt auf und sind im Wesentlichen nur über die Packung gestaltbar. Die Akquisition erfolgt dominant im Wege der Publikumswerbung. Der Preis der Produkte ist von geringer Bedeutung. Sie werden auf indirektem Absatzweg bei kompletter Marktabdeckung distribuiert. Investitionsgüter sind danach einzelgefertigte Gebrauchsgüter nur gelegentlicher Anschaffung. Sie sind eher hochpreisig und erklärungsbedürftig. Es handelt sich um Firmenmarken. Das Produkt lässt viele Gestaltungsmöglichkeiten zu und wird in differenzierten Sorten angeboten. Die Akquisition erfolgt dominant über Persönlichen Verkauf. Dem Preis der Produkte kommt erhebliche Bedeutung zu. Sie werden auf direktem Absatzweg bei nur selektiver Markt­ abdeckung distribuiert. Diese Einteilung ist allerdings unbefriedigend. Nicht nur, dass die sehr bedeutsamen Dienstleistungen fehlen, auch die Unterscheidung in Konsum- und Investitionsgüter ist unzureichend, da ein und dasselbe Produkt durchaus im privaten wie im gewerblichen Bereich eingesetzt werden kann. • Aspinwall unterscheidet in rote, orange und gelbe Güter und gibt für diese tendenzielle Empfehlungen hinsichtlich der Wahl des Absatzwegs (Element des Instruments Verfügbarkeitsgestaltung) und der Höhe des Werbeaufwands­ (Element des Instruments Informationsgestaltung). Gelbe Güter sind danach Produkte mit niedriger Umschlaghäufigkeit, hoher Handelsspanne, langer Such- und Konsumzeit, bei denen eine Endanpassung erfolgen muss. Dazu gehören z. B. technische Gebrauchsgüter, die als Mix auf direktem Absatzweg mit wenig Werbeaufwand vermarktbar sind. Die Kriterien Wartezeit, Gesamtspanne, Notwendigkeit der Anpassung, Konsumdauer und Suchzeit sind als groß einzuschätzen. Orange Güter weisen in Bezug auf Umschlaghäufigkeit, Handelsspanne, Suchund Konsumzeit, Anpassung an Kundenbedürfnisse, Absatzwegewahl und Werbeaufwand mittlere Werte auf. Die Kriterien Wartezeit, Gesamtspanne, Notwendigkeit der Anpassung, Konsumdauer und Suchzeit sind als mittel einzuschätzen. Rote Güter sind durch eine hohe Umschlaghäufigkeit, niedrige Handelsspanne und geringe Such- und Konsumzeit gekennzeichnet und erfordern eine geringe

164

A. Marketing als Denkhaltung

gering

mittel

hoch

Rote Güter

Orange Güter

Gelbe Güter

Anpassung an Kundenbedürfnisse. Dazu gehören z. B. Lebensmittel, die als Mix auf indirektem Absatzweg mit viel Werbeaufwand vermarktbar sind. Die Kriterien Wartezeit, Gesamtspanne, Notwendigkeit der Anpassung, Konsumdauer und Suchzeit sind als klein einzuschätzen (siehe Abbildung 21).

Dauer des Warenumschlags Gewinnspanne beim Anbieter/Händler Suchdauer für Nachfrager Gebrauchs-/Verbrauchsdauer bei Nachfragern Notwendigkeit zur individuellen Bedarfsanpassung Anteil direkter Absatzwege Chance zur Einsparung von Vorverkaufswerbung

Abbildung 21: Einteilung von Kaufobjekten nach Aspinwall

Je nach Zugehörigkeit eines Produkts zu einer dieser Arten ergeben sich damit Empfehlungen für den Marketing-Mix-Einsatz zumindest zweier Teilinstrumente. Fraglich sind jedoch die Verbindlichkeit dieser Zuordnung und die Setzung der übrigen Teilinstrumente. • Miracle baut darauf auf und bildet fünf Produktarten, die durch Charakteristika gekennzeichnet sind und eine bestimmte Marketing-Mix-Einordnung empfehlenswert erscheinen lassen. Als Kriterien für Produktmerkmale gelten ihm die Folgenden: –– Preis/Wert des Produkts, –– Bedeutung jedes einzelnen Kaufs für den Abnehmer, –– für den Kauf aufgewendete Zeit und Mühe, –– Ausmaß des technischen/geschmacklichen Fortschritts,

165

VI. Marketing-Instrumental-Mix

–– technische Komplexität, –– Erfordernis von Serviceleistungen, –– Kaufabstände, –– Dauer der Produktnutzung bzw. des Produktverbrauchs, –– Spezifität der Verwendungsmöglichkeiten.

eher gering

eher mittel

eher hoch

sehr hoch

Kaufobjekt der Gruppe 3

Kaufobjekt der Gruppe 4

Kaufobjekt der Gruppe 5

sehr gering

Kaufobjekt der Gruppe 2

Alle Kriterien sind jeweils fünfstufig von „sehr gering“ bis „sehr hoch“ ordinal skaliert (alternativ können 20-Punkte-Gruppen zu max. 100 Punkten zugeordnet werden). Jedes einzelne Produkt wird hinsichtlich dieser Kriterien beurteilt. Für jede Produktart werden Empfehlungen hinsichtlich der Produkt-, Preis-, Kommunikations- und Distributionspolitik gegeben (siehe Abbildung 22).

Bedeutung jedes einzelnen Kaufs für den Abnehmer Für den Kauf aufgewendete Zeit und Energie Ausmaß der technischen/ geschmackliche Änderungen Technische Komplexität des Kaufobjekts Servicebedürftigkeit des Kaufobjekts

Kaufobjekt der Gruppe 1

Wert des Kaufobjekts

Zeitliche Abstände des Kaufs Dauer der Produktnutzung / des Produktverbrauchs Verwendungsspezifität des Kaufobjekts

Abbildung 22: Einteilung von Kaufobjekten nach Miracle

Produkte, für die überwiegend die Ausprägung „sehr gering“/0–20 Pkt. zutrifft, gehören der Produktart I an (z. B. Zigaretten, Schokoriegel, Rasierklingen, Alkoholfreie Getränke/AfG).

166

A. Marketing als Denkhaltung

Für diese Produktart (kurzlebige Verbrauchsgüter) gelten folgende Empfehlungen: geringe Produktdifferenzierung mit wenigen Versionen, indirekter Vertrieb zur umfassenden Marktabdeckung, Sprungwerbung in breit streuenden Publikumsmedien, einheitliche Preispolitik. Die Kriterien Preis, Bedeutung des einzelnen Kaufs, technologische und modische Änderungsempfindlichkeit, Suchzeit, technische Komplexität und Servicebedürftigkeit sind als sehr niedrig einzuschätzen. Die Kriterien Häufigkeit des Kaufs, Geschwindigkeit des Verbrauchs und Zahl der Verwendungsmöglichkeiten als sehr hoch. Produkte, für die überwiegend die Ausprägung „gering“/21–40 Pkt. zutrifft, gehören der Produktart II an (z. B. Lebensmittel, Arzneimittel, Haushaltswaren, Energieträger, Modeschmuck, Kurzwaren). Für diese Produktart gilt entsprechend: wenige Versionen bei begrenzter Programmtiefe, Absatz vorwiegend in indirektem Vertrieb, dominanter Einsatz von Massenmedien zur Werbung, überwiegend einheitliche Preise mit geringer Flexibilität. Die Kriterien Preis, Bedeutung des einzelnen Kaufs, technologische und modische Änderungsempfindlichkeit, Suchzeit, technische Komplexität und Servicebedürftigkeit sind als niedrig einzuschätzen. Die Kriterien Häufigkeit des Kaufs, Geschwindigkeit des Verbrauchs und Zahl der Verwendungsmöglichkeiten als mittel bis hoch. Produkte, für die überwiegend die Ausprägung „mittel“/41–60 Pkt. zutrifft, gehören der Produktart III an (langlebige Gebrauchsgüter, z. B. Rundfunkgeräte, Haushaltsgroßgeräte, Damenoberbekleidung, Autoreifen, Sportausrüstungen). Für diese Produktart gilt analog: mittlerer Produktdifferenzierungsgrad, Parallelzugang über direkte und indirekte Absatzwege, sowohl Einsatz von Massenals auch einzelumwerbenden Medien, Mix aus Fest- und Verhandlungspreisen. Die Kriterien Preis, Bedeutung des einzelnen Kaufs, technologische und modische Änderungsempfindlichkeit, Suchzeit, technische Komplexität und Servicebedürftigkeit sind als mittel bis hoch einzuschätzen. Die Kriterien Häufigkeit des Kaufs und Geschwindigkeit des Verbrauchs als mittel bis niedrig. Die Zahl der Verwendungsmöglichkeiten ist als mittel bis hoch einzuschätzen. Produkte, für die überwiegend die Ausprägung „hoch“/61–80 Pkt. zutrifft, ge­ hören der Produktart IV an (z. B. Spiegelreflexkameras, Landmaschinen, Automobile, Einrichtungsgegenstände, Medikamente, wertvoller Schmuck). Für diese Produktart gilt: eher hoher Grad an Produktdifferenzierung, Marktzugang durch überwiegend direkten Absatzweg, dominanter Einsatz von Direktwerbung, nur vereinzelte Festpreise, im übrigen solche als Verhandlungsbasis. Die Kriterien Preis, Bedeutung des einzelnen Kaufs, technologische und modische Änderungsempfindlichkeit, Suchzeit, technische Komplexität und Service­ bedürftigkeit sind als hoch einzuschätzen. Die Kriterien Häufigkeit des Kaufs und Geschwindigkeit des Verbrauchs als niedrig. Die Zahl der Verwendungsmöglichkeiten ist als mittel bis hoch einzuschätzen. Produkte, für die überwiegend die Ausprägung „sehr hoch“/81–100 Pkt. zutrifft, gehören der Produktart V an (z. B. Personal Computers, Generatoren, Dampf-

VI. Marketing-Instrumental-Mix

167

turbinen, Spezialwerkzeuge, Immobilien, antike Möbel, Maßkleidung, Kunstwerke). Für diese Produktart (Investitionsgüter) lauten die Empfehlungen wie folgt: hohe Produktdifferenzierung mit kundenspezifischen Versionen, direkter Vertrieb über eigene Mitarbeiter, Direktwerbung durch Mailings, Messen und Persönlichen Verkauf, Verhandlungspreisbildung. Die Kriterien Preis, Bedeutung des einzelnen Kaufs, technologische und modische Änderungsempfindlichkeit, Suchzeit, technische Komplexität und Servicebedürftigkeit sind als sehr hoch einzuschätzen. Die Kriterien Häufigkeit des Kaufs, Geschwindigkeit des Verbrauchs und Zahl der Verwendungsmöglichkeiten als sehr niedrig. • Böcker unterschied fünf Produktarten, die für daraus abfolgende Branchen typisch sind. Dazu gibt es jeweils Empfehlungen für den Schwerpunkt des Marketing-Mix-Einsatzes: –– Rohstoffgewinnende Unternehmen: Konzentration auf die Variablen Produkt­ kern, Lieferbereitschaft und physische Distribution, Mediawerbung und Öffentlichkeitsarbeit. Das Aktivitätsniveau kann eher niedrig bleiben, eine Marktsegmentierung ist von geringer Bedeutung. –– Produktionsunternehmen für Fertigerzeugnisse: Konzentration auf die Variablen Produktkern, Angebotsprogramm, Garantie und Kundendienst, Zahlungsbedingungen, Lieferbereitschaft und physische Distribution sowie Direktwerbung. Das Aktivitätsniveau kann zurückhaltend bleiben, die Bedeutung der Marktsegmentierung ist gering. –– Produktionsunternehmen für Markenartikel: Konzentration auf die Variablen Produktkern, Angebotsprogramm, Garantie, Preissetzung, Preisnachlässe, Handelsstandort, Absatzkanalwahl, Lieferbereitschaft und physische Distribution, Mediawerbung, Verkaufsförderung und Öffentlichkeitsarbeit. Das Aktivitätsniveau ist sehr hoch zu halten, eine Marktsegmentierung ist sehr bedeutsam. –– Einzelhandelsunternehmen: Konzentration auf die Variablen Angebotsprogramm, Kundendienst, Preissetzung, Handelsstandort, Lieferbereitschaft und physische Distribution, Mediawerbung sowie Verkaufsförderung. Das Aktivitätsniveau ist sehr hoch zu halten, die Bedeutung der Marktsegmentierung ist hoch. –– (sonstige) Dienstleistungsunternehmen: Konzentration auf die Variablen Angebotsprogramm, Kundendienst, Handelsstandort, Lieferbereitschaft und physische Distribution, Mediawerbung, Verkaufsförderung und Direktwerbung. Das Aktivitätsniveau ist sehr hoch zu halten, die Bedeutung der Marktsegmentierung ist hoch. Diese Einteilung ist allerdings wohl zu pauschalierend, um aussagekräftig zu sein. Insofern kann sie allenfalls grobe Anhaltspunkte für den Marketing-MixEinsatz liefern.

168

A. Marketing als Denkhaltung

• Koppelmann unterscheidet, ohne zugrunde liegende einheitliche Einteilungskriterien, heuristisch folgende Produkte, für welche die Notwendigkeit eines jeweils abweichenden Marketing-Mix-Einsatzes von ihm nahegelegt wird: –– Spitzenprodukt (höchste Leistungsklasse), –– Massenprodukt (niedrigste Preisklasse), –– solides Produkt (zwischen Spitzen- und Massenprodukt angesiedelt, bewährt), –– Pionierprodukt (hohe Neuartigkeit, innovativ), –– Me too-Produkt (Nachahmer des Pionierprodukts), –– Designorientiertes Produkt (spezifischer ästhetischer Reiz), –– Normprodukt (nur im Beschaffungsbereich). Zu jedem dieser Produktklassen gibt es Empfehlungen hinsichtlich der Ausprägungen der einzusetzenden Instrumente. Allerdings bewegt sich die Einteilung (trotz der hier vereinfachten Darstellung) auf verschiedenen Dimensionen, so dass eine überschneidungsfreie Zuordnung unmöglich ist. Daher kann auch hier allenfalls von einem groben Orientierungsrahmen ausgegangen werden. • Kotler u. a. erklärt die Marktwirksamkeit eines ganzheitlichen Produkts (Augmented Product) aus dem Vorhandensein eines –– Kernprodukts (Primärleistung), dies ist das „nackte“ Produkt oder die Standardleistung, die Ausprägungen ergeben sich vor allem aus den materiellen Produkteigenschaften und dem Entgelt dafür, also der Angebots- und der Gegenleistungspolitik, –– Zusatzprodukts (Regelleistung), dies ist das um Ergänzungs- oder Zusatzleistungen erweiterte Kernprodukt, um eine komplette Problemlösung darzustellen, dazu gehören vor allem Kundendienst, Produktqualität, Markenname, Produktdesign etc. –– Wahrgenommenen Produkts, dies umfasst auch die immateriellen Imageleistungen rund um das Produkt, die kaufentscheidend wahrgenommen werden, also vorwiegend die Informationspolitik (siehe Abbildung 23). Dieses Schalenmodell ist zwar sehr anschaulich und auch logisch nachvollziehbar, als Grundlegung für die Ausgestaltung des Marketing-Mix jedoch zu undifferenziert, um daraus zuverlässige Schlussfolgerungen ableiten zu können. Dennoch kann der Produktnutzen daraus gebildet werden. Er ergibt sich wie folgt: Primärer Produktnutzen + Added Values (sekundärer Produktnutzen) + Added Value Services (tertiärer Produktnutzen) = Nutzensumme

169

VI. Marketing-Instrumental-Mix

Wahrgenommenes Produkt

Zusatzprodukt

Wahrgenommenes Produkt

Kernprodukt

Zusatzprodukt

Wahrgenommenes Produkt

Zusatzprodukt

Zusatzprodukt Wahrgenommenes Produkt Abbildung 23: Augmentiertes Produkt nach Kotler

–– Produktpreis (monetär) –– Transaktionskosten (physisch) –– psychosoziale Transaktionskosten –– Opportunitätskosten –– Folgekosten im Lebenszyklus + Wiederverkaufsgewinn = Nettonutzen. • Zeithaml unterteilt in drei Gruppen von Produkten, die entsprechend untereinander einen relativ gleichartigen Marketing-Mix-Einsatz erlauben, zwischen ihnen aber einen relativ verschiedenartigen erfordern. Aktuell kommt eine vierte Gruppe (Erfahrungseigenschaften) hinzu (siehe Abbildung 24). Sie charakterisiert diese wie folgt: –– Sucheigenschaften beruhen auf Inaugenscheinnahme, daher spricht man bei diesen Produkten auch von Inspection Goods. Dies setzt voraus, dass die Leistungsmerkmale dem Abnehmer bereits vor dem Kaufentscheid zugänglich sind, d. h. ihr Vorhandensein oder Fehlen kann vor dem Kauf festgestellt werden. Dies gilt für alle Produkte, deren technische Eigenschaften eindeutig messbar sind. Die Wahrscheinlichkeit negativer Konsequenzen für den Käufer ist gering, da insgesamt gute Beurteilungsmöglichkeiten gegeben sind,

170

A. Marketing als Denkhaltung

Bewertungszeitpunkt des Kaufobjekts

Leimöglich stungsbewertung des Kaufnicht objekts möglich

vor dem Kauf

nach dem Kauf

Sucheigenschaften

Erfahrungseigenschaften

Erlebniseigenschaften

Vertrauenseigenschaften

Abbildung 24: Produkteigenschaften

z. B. durch Prospekt, Datenblatt, Messebesuch, Fachwerbungsanzeige, Betriebsbesichtigung. Sucheigenschaften können also vom Nachfrager durch Inspektion des Leistungsangebots oder durch eine entsprechende Informationssuche schon vor dem Kauf vollständig beurteilt werden. Die Informationssuche wird erst dann abgebrochen, wenn der Nachfrager ein subjektiv als ausreichend wahrgenommenes Informationsniveau erreicht hat oder eine weitere Informationssuche als zu kostspielig erachtet. –– Von Erlebniseigenschaften spricht man, wenn eine Leistungsbeurteilung vor dem Kauf nicht möglich ist. Die Kaufentscheidung beruht hier auf Vertrauens­ elementen. Die Beurteilung ist vielmehr erst während der Leistungserbringung möglich. Dies ist etwa bei Dienstleistungen gegeben. Hier erfolgt zuerst der Verkauf und dann erst die Produktion einer Leistung. Insofern ist vor der Erbringung ein erhebliches Informationsdefizit gegeben. Man kann allenfalls anhand von wahrnehmbaren Indikatoren auf die mutmaßliche Leistungserbringung schließen. Zum Zeitpunkt der Produktion ist erst die Art und Ausführung der Leistung beurteilbar. Da Dienstleistungen zu großen Teilen irreversibel sind (z. B. Frisör), ist es dann aber möglicherweise bereits zu spät für eine Rückgängigmachung. Außerdem kann die eigentliche Leistung aber auch im Erlebnis selbst liegen (z. B. Event), so dass keine darüber hinaus gehende Leistungserfüllung erforderlich ist. –– Erfahrungseigenschaften beruhen auf der Nutzung der in Frage stehenden Produkte nach der Transaktion, daher spricht man bei diesen Produkten auch von Experience Goods. Diese Erfahrung ist zum Zeitpunkt des Kaufentscheids aber noch nicht zugänglich, d. h., ihr Vorhandensein kann zwar nicht vor dem oder beim Kauf, wohl aber danach festgestellt werden. Anstelle eigener Erfahrung können auch Erfahrungsberichte anderer Anwender als

VI. Marketing-Instrumental-Mix

171

Beurteilungshilfen dienen oder z. B. Referenzanlagennachweis, User-Zirkel, Empfehlung durch Berater, Seminarbesuch/Fachkonferenz. Erfahrungseigenschaften sind entweder erst nach dem Kauf beurteilbar oder die Beurteilung wird aufgrund der subjektiven Wahrnehmung eines Nachfragers bewusst erst auf die Erfahrung bei Ge- bzw. Verbrauch eines Produkts verlagert. –– Vertrauenseigenschaften beruhen auf Glaubwürdigkeit, daher spricht man auch von Credence Goods. Diese sind nicht nur nicht zum Zeitpunkt des Kaufs, sondern nicht einmal nach dem Kauf zugänglich. Man muss sich insofern auf die Zusicherung des Anbieters verlassen. Vor allem die Kompetenz des Anbieters dient als Anhaltspunkt für die Qualitätsbeurteilung. Kompetenzen sind Fertigkeiten und Fähigkeiten, die einem Anbieter zugeordnet werden, um Probleme des Kunden zu lösen, und werden z. B. durch Aussagen anderer Verwender oder Kompetenzzentren erhärtet. Vertrauenseigenschaften können also vom Nachfrager weder vor noch nach dem Kauf vollständig beurteilt werden. Dieses Unvermögen ist darauf zurückzuführen, dass der Nachfrager nicht über ein entsprechendes Beurteilungs-Know-how verfügt und dieses auch nicht in einer vertretbaren Zeit aufbauen kann bzw. will oder die Kosten der Beurteilung subjektiv als zu hoch einstuft. Jedes Produkt hat immer Anteile aller drei Eigenschaftsparameter, d. h. sowohl Such- als auch Erfahrungs-, Erlebnis- und Vertrauenseigenschaften, jedoch jeweils in unterschiedlichem Ausmaß. Sachleistungen haben eher Sucheigenschaften, Dienstleistungen mehr Vertrauenseigenschaften. So sind bei einer PC-Software die Programmfunktionen Sucheigenschaft, die Zeitersparnis Erfahrungseigenschaft, die intuitive Benutzerführungen Erlebniseigenschaft und das Updating Vertrauenseigenschaft. Bei einer Hochschule sind Sucheigenschaften z. B. Akkreditierung, Räumlichkeiten, Erfahrungseigenschaften z. B. der Einsatz von Wissen in der Praxis, die Karriereförderung, Erlebniseigenschaften z. B. Vorlesungsinhalte, Prüfungs­ anforderungen, und Vertrauenseigenschaften z. B. berufliche Karriere. • Ein weiterer Ansatz zur Beschreibung (Lehmann/O’Shaughnessy) unterscheidet in folgende Produktarten: –– Produkte vom Typ 1. Das sind solche, die häufig gekauft werden, keine besonderen Analysen erfordern und keine nennenswerten Probleme erwarten lassen. –– Produkte vom Typ 2. Das sind solche, die nach Auffassung der Entscheider für den jeweiligen Zweck klar geeignet sind, für deren Einsatz aber besondere Maßnahmen (z. B. Schulungen) notwendig sind. –– Produkte vom Typ 3. Das sind solche, bei denen erhebliche Zweifel an ihrer funktionalen Eignung und Leistungsfähigkeit für den Einsatzzweck bestehen. –– Produkte vom Typ 4. Das sind solche, die nennenswerte interne Probleme mit sich bringen können (z. B. in Bezug auf Unternehmenskultur und -politik).

172

A. Marketing als Denkhaltung

• Eine dreidimensionale Form zur Typologie der Produkte geht von den folgenden Dimensionen –– Kostengünstigkeit des Angebots, –– Leistungsfähigkeit des Anbieters, –– Sicherheit der Beschaffung, aus. Jede Dimension ist ordinal jeweils in niedrig/hoch unterteilt, so dass sich (2 × 2 × 2 =)8 Felder ergeben, die jeweils durch eine Bezeichnung charakterisiert sind. Dabei handelt es sich aus Anbietersicht um folgende Kombinationen: –– Albtraummarkt, unsicherer Leistungsmarkt, billiger Risikomarkt, preisgünstiger Leistungsmarkt, teurer Sicherheitsmarkt, sicherer Leistungsmarkt, sicherer Billigmarkt und Wunschmarkt. • Eine andere Unterteilung geht vom empfundenen Kaufrisiko und dem Budgetanteil der Produktarten aus. Dabei ergeben sich jeweils in absteigender Folge der beiden Kriterien (siehe Abbildung 25): Kaufhäufigkeit

Markttransparenz

niedrig

hoch

niedrig

Speciality Goods

Preference Goods

hoch

Shopping Goods

Convenience Goods

Abbildung 25: Gütertypologie nach Markttransparenz und Kaufhäufigkeit

–– Speciality Goods, dies sind Produkte, die aufgrund der spezifisch ausgeprägten Anspruchshaltung von Nachfragern von diesen unter Hinnahme erheblichen Aufwands ausgewählt werden. Dabei handelt es sich entweder um emotional wichtige Produkte (für Selbstwert oder Außendarstellung) oder um solche mit absolut hohem Preisniveau und daraus impliziertem Risiko/ Budgetanteil. –– Shopping Goods, dies sind Produkte, bei denen sich der Nachfrager in der Auswahl und im Kauf typischerweise der Mühe von Vergleichen hinsichtlich Eignung, Qualität, Preis und Stil unterzieht. Sie erreichen jedoch weder die emotionale Bedeutung noch den Risikograd/Budgetanteil von Speciality Goods. –– Convenience Goods, dies sind Produkte, die in schneller Folge, kurzerhand mit minimalem Vergleichs- und Einkaufsaufwand beschafft werden. Die emotionale Bedeutung ist ebenso wie der Risikograd/Budgetanteil gering.

VI. Marketing-Instrumental-Mix

173

–– Preference Goods, dies sind Produkte, die mit wenig Aufwand beschafft werden, da sie nur ein mittleres Risiko repräsentieren. • Die Unterscheidung nach der Attraktivität mündet in Hightech Goods und Hightouch Goods. Beide zeichnen sich durch ein hohes Maß an Attraktivität aus. Hightech Goods strahlen produktliche Faszination aus und repräsentieren technischen Fortschritt (z. B. Unterhaltungselektronik), Hightouch Goods dienen der zutreffenden Profilierung des Individuums im sozialen Umfeld (z. B. Mode, Bekleidung, Genussmittel, Möbel). Für beide Bereiche ist daher z. B. mit einer generell hohen Preisbereitschaft zu rechnen. Für beide Produktgruppen wird etwa im internationalen Marketing propagiert, dass sie kulturunabhängig grenzüberschreitend einheitlich vermarktbar sind (Culture Free Products). Insofern wird ihnen besonderes Augenmerk gewidmet. • Eng damit zusammen hängt der Interessegrad nach High Interest Goods, mit einem hohen Maß allgemeiner Involvierung und in ihrer Kaufentscheidung zumeist situationsabhängig, und Low Interest Goods, mit einem geringen Maß allgemeiner Involvierung (Betroffenheit), weil es an „Produkterotik“ fehlt und eher ein „notwendiges Übel“ der Anschaffung gegeben ist. Die Preisbereitschaft ist bei High Interest Goods somit ungleich höher als bei Low Interest Goods. Es ist daher ein wesentliches Ziel im Marketing, die Mehrzahl der an sich „unaufregenden“ Produkte emotional aufzuwerten (z. B. durch Kommunikationsmaßnahmen) und dadurch in den gewünschten Bereich erhöhter Preisbereitschaft zu überführen. Denkbar ist aber auch, die Produkte im Low Interest Goods-Bereich zu belassen und über werbliche Penetration unbewusst durchzusetzen. • Inferiore Güter sind solche, die bei einer Einkommenserhöhung vermindert, superiore solche, die verstärkt nachgefragt werden und bei einem Einkommensrückgang verstärkt bzw. vermindert. Entsprechend dieser Wertigkeit ist die Auseinandersetzungsbereitschaft mit diesen, nämlich im ersten Fall gering, im zweiten hoch. Ein Großteil der Anstrengung im Marketing gilt dem Up G ­ rading an sich als inferior angesehener Güter zu superioren. Teils gelingt dies (z. B. Aufwertung der Zahncreme vom Körperreinigungsmittel zur Medizin), teils gelingt dies nicht (z. B. unvermindert geringe Bedeutung der Filtertüte für den Kaffeegenuss). Eine gegenteilige Entwicklung kann angesichts der Polarisierung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse in der Gesellschaft erwartet werden. • Weiterhin kann hinsichtlich der Komplexität nach erklärungsbedürftigen Produkten und problemlosen Produkten unterschieden werden. Erstere sind tendenziell kompliziert und bedürfen der werblichen Informationsbegleitung, letztere sind auch ohne besondere Erläuterung marktfähig, weil ihre Leistung bekannt, zumindest aber als risikoarm einzuschätzen ist. Insofern haben problemlose Güter eine vergleichsweise höhere Kaufappetenz. Jedoch ist festzustellen, dass ehemals problemlose Güter durch raffinierte Marketingtechniken so verkompliziert werden, dass sie nunmehr erklärungsbedürftig sind (z. B. portionierte Joghurts, Haarsham-

174

A. Marketing als Denkhaltung

poos). Dahinter steckt der Wille zur Differenzierung vom Mitbewerb, zugleich wird damit jedoch zumindest bei einem Teil der Zielgruppe Verun­sicherung erzeugt. Dafür werden ehemals erklärungsbedürftige Produkte problemlos (Commoditisierung). So sind Computer heute für den Kauf über wenige Parameter (Prozessortakt, Speicherplatz, Bildschirmgröße, Schnittstellen) standardisierbar, wohingegen früher IT-Berater dafür zurate gezogen werden mussten. • Schließlich gibt es nach der Lebensdauer langlebige Produkte mit großen Abständen zwischen den Kaufakten und kurzlebige Produkte mit geringen Abständen dazwischen. Erstere haben durch die längere Bindungsdauer ein höheres empfundenes Kaufrisiko, bei letzteren fällt der Entscheid leichter, weil er schneller zu korrigieren ist. Dies hat z. B. Auswirkungen auf den Preiswiderstand, er ist am höchsten bei einem hohem Preis für ein kurzlebiges Produkt und am niedrigsten für einen niedrigen Preis bei einem langlebigen Produkt, in allen anderen Fällen liegt er dazwischen.

3. Marketing-Mix-Planung 3.1 Instrumenteabstimmung 3.1.1

Intrainstrumentelle Abstimmung

Zunächst bedarf es der Abstimmung der verschiedenen Elemente innerhalb ein und desselben Mix-Instruments. Dazu können zunächst die dominanten Elemente angewählt werden. Diese Dominanz ergibt sich aus der vereinbarten Marketing­ strategie. Diese Elemente werden nach Niveau und Intensität in ihren Aus­ prägungen bestimmt. Nach der Grobeinstellung der dominanten Elemente werden die unterstützenden Elemente bestimmt und ebenfalls grob verplant. Danach erfolgt dann eine Feinabstimmung bis hin zur Detailplanung jedes einzelnen Elements. 3.1.2

Interinstrumentelle Abstimmung

Für die interinstrumentelle Abstimmung sind vor allem vielfältige Verbundeffekte zu berücksichtigen. Diese können sachlicher, räumlicher, zeitlicher oder formaler Art sein (siehe Abbildung 26). Sachliche Verbundeffekte (Spill over/Spill in) entstehen, indem ein Instrument ein anderes beeinflusst oder durch dieses beeinflusst wird. • Beispiel: Die Preissetzung eines Produkts hat Einfluss auf die Werbeträgerauswahl. Ein hochpreisiges Produkt sollte daher in fokussierenden Up MarketWerbeträgern beworben werden, ein niedrigpreisiges Produkt in breit streuenden Down Market-Werbeträgern.

VI. Marketing-Instrumental-Mix

175

intrainstrumenteller Abgleich

interinstrumenteller Abgleich

Verbundeffekte

Duale Beziehungen

sachlich

independent

räumlich

substitutiv interdependent

zeitlich

limitational interdependent

formal

beschränkt limitational interdependent

Abbildung 26: Marketing-Mix-Planung

Räumliche Verbundeffekte (Lap over/Lap in) entstehen aus der ­Wechselwirkung aus einem Vermarktungsgebiet in ein anderes. • Beispiel: Im Rahmen des Global Advertising wird ein transnational gleichartiger Kampagneneinsatz postuliert, obgleich landesindividuelle Kampagnen eine größere Effizienz aufweisen würden. Allerdings entsteht daraus, neben Kostensteigerungen, eine mögliche Irritation von Zielpersonen über national abweichende Auslobungsinhalte und -formen. Zeitliche Verbundeffekte (Carry over/Carry in) entstehen durch den Mix-Einsatz in der Vergangenheit in die Gegenwart hinein bzw. durch den Mix-Einsatz der Gegenwart in die Zukunft hinein. • Beispiel: Bei der Penetrationspreissetzung besteht die Gefahr, dass Preissenkungen im Zeitablauf durch Übertragungswirkungen aus der Vergangenheit mit einer Qualitätsminderung assoziiert werden oder zur Kaufzurückhaltung der Nachfrager in Erwartung zukünftiger weiterer Preissenkungen motivieren.

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A. Marketing als Denkhaltung

Formale Verbundeffekte entstehen durch die Notwendigkeit zur wahrnehmungsbezogenen Abstimmung der Marketingmaßnahmen untereinander (Corporate Identity). • Beispiel: Eine moderne Packungsgestaltung für ein Konsumgut erfordert einen modernen Auftritt auch in der Medienwerbung, um eine genügende Wiedererkennungsmöglichkeit des Angebots im Konkurrenzumfeld am Handelsplatz, wo häufig erst die markenbezogene Kaufentscheidung fällt, zu gewährleisten. Verkürzt man die Beziehung der interinstrumentellen Abstimmung der MixInstrumente aus didaktischen Gründen auf nur zwei Instrumente, so ergeben sich prototypisch folgende Beziehungen. Eine independente Beziehung bedeutet, dass die Setzung eines Instruments keinerlei Auswirkungen auf den Erfolg des anderen hat. Diese einfache Beziehung hat in der Praxis kaum eine Bedeutung, da eine enge Verflechtung ökonomischer Bereiche dazu führt, dass praktisch jedes Instrument im Marketing-Mix mit jedem anderen in einer Austauschbeziehung steht und deshalb die Änderung eines Instruments immer auch die mehr oder minder große Änderung anderer Instrumente zur Folge hat. Die Instrumente sind dann interdependent (auch indifferente Beziehung genannt, s. o.). Einer interdependenten Beziehung der Instrumente kann ein substitutiver, limitationaler oder beschränkt limitationaler Zusammenhang zugrunde liegen. Dabei handelt es sich um folgende Zusammenhänge: • Ein substitutiver Zusammenhang bedeutet, dass ein Instrument in seiner Wirkung stufenlos durch ein anderes ersetzt werden kann. Ein bestimmtes Wirkniveau ist also durch jede beliebige Kombination des Marketing-Mix erreichbar. Wird ein Element verstärkt eingesetzt, ohne das andere zurückzunehmen, wird ein höheres Wirkniveau erreicht. Die Relation der Einsatzfaktoren zum Ergebnisausmaß kann dabei proportional (Input und Output verlaufen parallel), überproportional (der Input steigt stärker/fällt langsamer als der Output) oder unterproportional (der Output steigt schneller/fällt langsamer als der Input) sein. • Ein limitationaler Zusammenhang bedeutet, dass ein Instrument zu seiner Wirkung eines genau definierten Einsatzes des anderen bedarf. Deshalb gibt es für jedes Ergebnisausmaß nur eine definierte Kombination der Einsatzfaktoren. Der Überschuss bei einem Instrument führt nicht zur Erreichung eines insgesamt höheren Wirkniveaus, der Mangel eines Instruments aber bereits zur Hinnahme eines, dem anderen Instrument unangemessenen, niedrigeren Wirkniveaus. Daher ist eine Engpassorientierung angezeigt, d. h. ein höheres Wirkniveau kann erst erreicht werden, wenn alle dazu erforderlichen Instrumentaleinsätze dies erlauben. • Ein beschränkt limitationaler Zusammenhang bedeutet, dass ein Instrument auf mehreren verschiedenen Wirkniveaus effizient mit einem anderen kombiniert

VI. Marketing-Instrumental-Mix

177

werden kann. Zwischen diesen Levels bewirkt der Einsatzüberschuss eines Instruments jedoch noch keinen Anstieg des Ergebnisausmaßes. Jedoch führt der Einsatzmangel eines Instruments bereits zum Abfall des Ergebnisausmaßes, es sei denn, dabei wird eine weitere effiziente Kombination der Elemente realisiert.

3.2 Strukturierungstechniken Es lassen sich analytische und heuristische Techniken zur Strukturierung des Marketing-Mix unterscheiden. Analytische Techniken setzen eine deterministische Situation, also vollständige Information und damit Sicherheit, zu ihrer Anwendung voraus. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um marginalanalytische Optimierungen, Break Even-Ansätze, mathematische Programmierungen und Computersimulationen. Heuristiken hingegen sind erforderlich, wenn (subjektiv oder objektiv) stochastische Situationen gegeben sind, also nur unvollständige Informationen über ein Entscheidungsproblem vorliegen und Unsicherheit bleibt.

3.2.1

Marginalanalytische Modelle

Marginalanalytische Modelle stammen aus der Unternehmensforschung (Operations Research). Sie setzen eindeutige Marketingziele und -zusammenhänge voraus, die Bekanntheit aller Kombinationen und aller Verbundeffekte möglicher Instrumental-Mixes, die Bekanntheit der Kosten jeder Marketingaktivität, stetige Marktreaktionsfunktionen, also quantifizierbare, infinitesimal veränderbare und differenzierbare Instrumentalvariable sowie die Bekanntheit aller Reaktionen der Mitbewerber auf eigene Aktivitäten. Nur unter diesen restriktiven Voraussetzungen lässt sich mathematisch die optimale (gewinnmaximale)  Kombination der Mix-Instrumente bestimmen: • Das bekannteste marginalanalytische Modell ist wohl das von Dorfman/Steiner. Es besagt, dass ein Unternehmen dann den gewinnmaximalen Marketing-Mix einsetzt, wenn die Preiselastizität der Nachfrage (relative Nachfrageänderung aufgrund einer relativen Preisänderung) gleich der Werbeelastizität der Nachfrage (relative Nachfrageänderung aufgrund einer relativen Werbebudgetände­rung) dividiert durch den Werbekostenanteil am Umsatz sowie gleich der Qualitätselastizität der Nachfrage (relative Nachfrageänderung aufgrund einer relativen Qualitätsänderung) dividiert durch den Qualitätskostenanteil am Umsatz ist. Ein Unternehmen verfolgt also das Ziel der Gewinnmaximierung. Es handelt sich um ein Einproduktunternehmen. Es gilt die Annahme dreier, voneinander unabhängig wirkender Marketinginstrumente, und zwar Produktqualität als Index, Preis und Werbung, die ohne zeitliche und sachliche Ausstrahlungseffekte

178

A. Marketing als Denkhaltung

aufeinander sind. Alle Informationsbeschaffungsprobleme sind gelöst. Und es bestehen keine Reaktionsverbundenheit mit der Konkurrenz sowie keine Kapazitätsrestriktionen. Der optimale Marketing-Mix ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet. Der absolute Kehrwert der Preiselastizität der Nachfrage ist identisch mit dem Deckungsbeitragssatz (DB in % des Umsatzes) eines Produkts. Der optimale Anteil der Qualitätsausgaben am Umsatz ist gleich der Werbeelastizität der Nachfrage multipliziert mit dem relativen Deckungsbeitragssatz des Produkts. Der Anteil der Qualitätsausgaben am Umsatz ist gleich der Qualitätselastizität der Nachfrage multipliziert mit dem relativen Deckungsbeitragssatz des Produkts. Das Verhältnis der Umsatzanteile von Werbe- und Qualitätsausgaben entspricht dann dem Verhältnis deren Nachfrageelastizitäten. Die Optimierung erfolgt stufenweise, zunächst als Optimierung von Preis und Werbung, dann als Optimierung von Preis und Qualität sowie als Verknüpfung dieser relativen Optima zum absoluten Optimum. Die Anwendbarkeit dieses Modells ist aufgrund der rigiden Prämissen erheblich eingeschränkt. Zwar gibt es zahlreiche Verfahrensvarianten mit erweiterter Anwendung, jedoch auch erhöhter Kompliziertheit. Dennoch ist die Marketingrealität weitaus zu komplex, um dadurch auch nur annähernd abgebildet werden zu können. • Ein weiteres Modell stammt von Gutenberg. Er untersucht den gewinnmaximalen Einsatz der Marketing-Instrumente Preis, Werbung, Produktgestaltung und Absatzwege. Auch dafür gelten rigide Prämissen, vor allem eine lineare Kostenfunktion, eine gegebene Planungsperiode, ein Instrumentaleinsatz ohne Time lag, keine Konkurrenzreaktionen auf eigene Aktionen sowie gegebene Kapa­ zitäten und Belastungsfaktoren. Dadurch bleibt auch die Anwendung dieses Modells eng begrenzt. • Im Modell von Verdoorn wird die Gewinnmaximierung im Einproduktunternehmen unter den Voraussetzungen von vier Variablen untersucht, und zwar Preis, Produktqualität in drei Stufen, Werbung und Absatzweg. Weitere Voraussetzungen sind das Vorliegen diskreter Variabler sowie eine ertragsgesetzliche Beziehung zwischen Absatzmenge und Preis einerseits sowie Qualität andererseits. An diesen Voraussetzungen scheitert allerdings die Übertragbarkeit des Modells auf reale Verhältnisse. • Kotler untersucht in seinem Modell ebenfalls die Gewinnmaximierung im Einproduktunternehmen mit den drei Variablen Preis, Werbung und Persönlicher Verkauf, die jeweils in dichotomen Ausprägungen angenommen werden. Weiterhin wird die Produktqualität als gegeben angesehen, ebenso wie die Höhe der fixen und variablen Kostenbestandteile. Dies führt zwar zur Rechenvereinfachung, die Komplexität der Marktrealität kann dadurch jedoch nicht entfernt abgebildet werden.

VI. Marketing-Instrumental-Mix

179

• Das Modell von Krelle geht unter Zugrundelegung des Gewinnmaximierungsziels von drei Variablen aus, und zwar Absatzmenge, Preis und alle restlichen Instrumente als Sammelgröße, die jeweils in dichotomen Ausprägungen angenommen werden. In das Modell gehen weiterhin vier Verhaltensmöglichkeiten der Umwelt ein. Auch hier ergibt sich eine Rechenvereinfachung, aber um den Preis der verminderten Aussagefähigkeit des Modells für die Realität. • Im Modell von Stern wird die Gewinnmaximierungsmöglichkeit innerhalb der Instrumente Kommunikation (inkl. Persönlicher Verkauf), Produktpolitik (inkl. Preisgestaltung) und technischem Vertrieb (genauer: Logistik) untersucht. Auch dieses Modell ist weitaus zu grob, um Annäherungswerte für Marketing-MixEntscheidungen zur Verfügung stellen zu können. • Das deterministische Modell von Lambin baut auf dem Dorfman/Steiner-Modell auf, unterstellt den Einproduktfall und ist mehrperiodisch angelegt. Zielgröße ist der Absatz, Einflussgrößen bestehen vielfältige, wie das real verfügbare private Einkommen, Wetter/Saisonschwankungen, Goodwill, Besuchshäufigkeit im und Preisänderungen des Handels sowie Störgrößen. Für die Werbewirkung wird ein nicht-linearer Verlauf unterstellt. Dieses komplexe Modell ist dynamisch angelegt und berücksichtigt mehrere Marketing-Mix-Variable mit allerdings schwer quantifizierbaren Wirkzusammenhängen sowie die Werbeaktivitäten der Konkurrenz. • Weitere Modelle stammen von Koyck (mit dem Ziel der Gewinnmaximierung), von Vidale/Wolf (mit dem Ziel der Umsatzerhaltung), von Weinberg (mit dem Ziel der Marktanteilssteigerung) und von Kuehn (mit dem Ziel der Maximierung der abdiskontierten Gewinne der Zukunft). 3.2.2

Mathematische Programmierung

Diese Techniken bestehen vor allem aus der linearen und der nicht-linearen Programmierung. Linear bedeutet dabei die Optimierung einer linearen Zielfunktion unter gleichzeitiger Berücksichtigung von Nebenbedingungen, meist in der Weise, dass der Instrumentaleinsatz innerhalb einer vorgegebenen Budgetgrenze gewinnmaximal ist (z. B. Simplex-Verfahren). Vorausgesetzt wird dabei ausdrücklich oder stillschweigend, dass die Wirkbeiträge den Instrumenten zutreffend zugerechnet werden können und diese voneinander unabhängig sind. Dazu werden in ein Koordinatensystem die Zielfunktion (Gewinn) und die Nebenbedingungen (Restriktionen) als Geraden eingetragen. Daraus ergibt sich eine „Schnittfläche“ aller möglichen Lösungen, die durch die Kanten und Schnittpunkte der Geraden begrenzt wird. Die Gewinnfunktion wird nunmehr vom Koordinatenursprung aus soweit nach „außen“ verschoben, bis der äußerste zulässige Lösungsbereich erreicht ist. Dort liegt das Gewinnmaximum. Bei mehrdimensionalen Variablen ist eine rechnerische Lösung möglich. Am verbreitetsten ist

180

A. Marketing als Denkhaltung

die Anwendung der linearen Programmierung in der grafischen Form der Simplexmethode. Bei der nicht-linearen Programmierung wird die Prämisse der Linearität der Marktreaktionsfunktion aufgegeben, eine Optimierung erfolgt dann meist durch Zerlegung der nicht-linearen Funktion in mehrere lineare Teilabschnitte, unter denen anschließend der gewinnmaximale Teilabschnitt ermittelt wird. Aufgrund verbreiteter Kritik wurden im Laufe der Zeit einige Erweiterungen der Programmierungstechniken geschaffen. Bei der dynamischen Programmierung wird die Optimierung nicht für alle Variablen gleichzeitig (simultan), sondern in mehreren aufeinander abfolgenden Schritten (sukzessiv) vorgenommen. Die geometrische Programmierung erlaubt auch die Berücksichtigung sachlicher Wirkzusammenhänge (Spill over-Effekte)  bei gleichzeitiger Verwendung nichtlinearer Funktionen. Die ganzzahlige Programmierung kann diskrete (nicht-stetige)  Ausprägungen der Marketinginstrumente einbeziehen, wie sie in der Realität häufig gegeben sind. Die parametrische Programmierung rechnet auch mit Koeffizienten, die ihrerseits wiederum Variable, also abhängig von dritten Parametern, sind. In jedem Fall geht es darum, eine Zielfunktion (meist den Gewinn) unter Nebenbedingungen zu maximieren. Die Nebenbedingungen werden dabei mathematisch durch Gleichungen oder Ungleichungen erfasst. Solche Gleichungen beziehen sich etwa auf Marktreaktionsfunktionen, Kostenfunktionen, Kapazitätsbeschränkungen, Mindest- oder Höchstwerte von Parametern etc. Jedoch ist die Anwendung dieser Ansätze praktisch eng begrenzt, denn die Nebenbedingungen sind entweder in ihrer Funktionalität nicht bekannt oder aber so zahlreich, dass sie nicht im Einzelnen berücksichtigt werden können. Vor allem sind die mathematisch am einfachsten zu handhabenden linearen Zusammenhänge praktisch nicht gegeben, die Erkenntnisse aus Techniken mit nicht-linearen Zusammenhängen aber in der Praxis nur schwer vermittelbar.

3.2.3 Computersimulation Computersimulationen gehen experimentell vor und suchen vertretbare Lösungen für die Kombination absatzpolitischer Instrumente zu finden. Basis ist die Sichtweise des Decision Calculus (einfaches, robustes, interaktives, anpassungsfähiges, vollständiges und vermittelbares Vorgehen), also eine pragmatische Sichtweise der Analyse. Zielgröße ist meist der Gesamtdeckungsbeitrag eines Produkts während eines Marktzeitraums. Dazu wird ein Modell geschaffen, das die Vermarktungsbedingungen und ihre Interdependenzen zu Instrumenten hinreichend abbildet. Als Informationsgrundlage dienen dabei Expertenwissen, Marktforschungsergebnisse, logische Hypo-

VI. Marketing-Instrumental-Mix

181

thesen, Erfahrungstatbestände etc. Zentral ist der Zusammenhang zwischen Wirkungsindex und zugehöriger Marketingmaßnahme, der in Submodellen erfasst wird. Bekanntere Programme in Zusammenhang mit dem Marketing-Mix sind folgende: • Brandaid ist ein Marketing-Mix-Modell für Konsumgüter, das die Bausteine Herstellermaßnahmen, Konkurrenten, Verkäufer, Konsumenten und Marketingumfeld berücksichtigt. Entsprechend werden Entscheidungen zum Werbeeinsatz, zur Preisbildung und für die Konkurrenzanalyse simuliert. Dazu dienen als Elemente im Einzelnen heuristische Entscheidungen, historische Daten, Zeit­ reihenanalysen, Feldexperimente und adaptive Steuerungsalgorithmen. • Demon ist ein Modell zur Verknüpfung von Werbewirkung (Werbeausgaben, Werbemittelkontakte, Werbemittelreichweite)  und Erstkaufrate, Produktnutzungsgrad und Nutzungshäufigkeit, konzentriert sich also in seiner Aussage auf den Einsatz des Instruments Kommunikations- und Identitätspolitik. • Mediac, Promotor und Adcad sind gleichfalls Modelle zum Kommunikationsund Identitätsmanagement (z. B. zum medialen Werbeeinsatz, zu Verkaufsförderungsmaßnahmen und zu Werbekampagnen). • Callplan, Costa und Detailer sind Modelle im Distributions- und Verkaufsmanagement (z. B. zur Verkaufsgebietseinteilung, zu Reiserouten und zu Besuchs­ normen). Sie konzentrieren sich in ihrer Aussage folglich auf das Instrument Distributions- und Verkaufspolitik. Durch Sensitivitätsanalysen in Probeläufen lässt sich das Modell der Realität sukzessiv annähern. Dann kann ein geplanter Marketing-Mix als Rechenbasis installiert werden, um Anhaltspunkte für die mutmaßlichen Ergebnisse dieses Einsatzes auf einem vergleichbaren realen Markt zu erhalten. Allerdings ist die Entwicklung, Programmierung und Überprüfung solcher Computersimulationen sehr zeit- und kostenaufwändig, allein schon deshalb, weil die realen Verknüpfungen der Rahmenbedingungen ausufernd zahlreich sind und einem immer währenden Wechsel unterliegen.

3.2.4

Break Even-Ansatz

Break Even-Ansätze dienen der Ermittlung der Profitabilität alternativer MixKombinationen über den Vergleich der zu erwartenden Gewinne aus einer Maßnahme mit den durch sie verursachten Kosten. Der Break Even-Punkt liegt bei derjenigen Ausbringungsmenge, bei welcher der mutmaßliche Gewinn aus einer spezifischen Mix-Kombination zum ersten Mal die durch sie verursachten Kosten egalisiert. Alle Ausbringungsmengen darunter sind verlustbringend, alle dar-

182

A. Marketing als Denkhaltung

über gewinnbringend. Dies gilt allerdings u. a. nur unter der Voraussetzung, dass Kosten und Erlöse allein als vom Beschäftigungsgrad abhängig angesehen werden, Kosten- und Erlösfunktionen bekannt sind und zwischen Kosten und Erlösen keine Abhängigkeiten bestehen. Gerade diese Voraussetzungen lassen die Erkenntnisse der Break Even-Ansätze jedoch eng begrenzt erscheinen. Problematisch ist ein Ergebnis, das den Break Even-Punkt mutmaßlich erst bei einer Ausbringungsmenge zulässt, die jenseits der Kapazitätsgrenze liegt oder auch unmittelbar darunter (mangelnde Anpassungsflexibilität). Dann kann bei den fixen bzw. variablen Kosten angesetzt werden oder beim Preis. Eine Erhöhung des Preises je Einheit innerhalb des Marketing-Mix führt dann, grafisch gesehen, zu einem steileren Verlauf der Erlöskurve und damit zu einem Break EvenPunkt bei niedrigerer Absatzmenge, also innerhalb der Kapazitätsgrenze oder mit weiterem Abstand zu ihr, so dass nicht der stete Zwang zur Vollbeschäftigung besteht. Fraglich ist allerdings, ob eine solche, dann erforderliche Preiserhöhung am Markt durchsetzbar ist. Dazu ist wahrscheinlich die Flankierung durch Nicht­ preis-Instrumente im Marketing-Mix erforderlich.

3.2.5 Heuristiken Unter Heuristiken versteht man allgemein intuitive, wenngleich systematisch aufgebaute Verfahren zur Entscheidungsfindung. Sie streben „gute“, satisfizierende anstelle schwierig darzustellender optimaler Lösungen an. Sie erfordern dadurch einen wesentlich geringeren Lösungsaufwand. Dafür gibt es mehrere Ansätze. Die Cross Impact-Analyse ist ein formalisiertes Verfahren zur Analyse von Richtung und Stärke des Zusammenhangs zwischen Mix-Instrumenten. Dazu wird der Einfluss eines Mix-Instruments auf ein anderes (aktiv) bzw. die Beeinflussung eines Instruments durch ein anderes (passiv) durch Paarvergleiche untersucht und quantifiziert. Für jedes Instrument wird die Aktiv- und die Passivsumme addiert. Mix-Instrumente mit hoher Aktivsumme haben einen hohen Einfluss auf andere, solche mit hoher Passivsumme werden in hohem Maße durch andere beeinflusst. Die höchste Aufmerksamkeit erfordert das „kritische“ Mix-Instrument (sowohl starker Einfluss auf andere als auch durch andere Mix-Instrumente), es wird zuerst gesetzt. Die niedrigste Aufmerksamkeit erfordert das „träge“ MixInstrument (sowohl niedriger Einfluss auf andere als auch durch andere MixInstrumente), es kann zuletzt gesetzt werden. Alle anderen Mix-Instrumente liegen dazwischen. Die Zuordnung der Instrumente ist u. a. von Produkt, Nachfrage, Wettbewerb abhängig. Der Analytic Hierarchy Process (AHP) stellt Beziehungen zwischen Mix-Instrumenten derart dar, dass diese nach ihrem Zielbeitrag (Umsatz, Gewinn, Deckungsbeitrag etc.) hierarchisiert werden. Übergeordnete Mix-Instrumente wirken

VI. Marketing-Instrumental-Mix

183

dabei nicht nur stärker auf den Zielbeitrag ein als untergeordnete, sondern beeinflussen ihrerseits auch untergeordnete Mix-Instrumente. Die Hierarchie ergibt sich aus Paarvergleichen zur Erreichung des Zielbeitrags der Mix-Instrumente untereinander. Daraus kann eine ordinale Rangordnung der Instrumente abgeleitet werden. Damit kann die Bedeutung der Veränderung eines Mix-Instruments unterer Ebene auf die Instrumente höherer Ebenen bzw. die Veränderung eines MixInstruments höherer Ebene auf die Instrumente unterer Ebenen auf den letztlich zu erreichenden Zielbeitrag durchgerechnet werden. Die Zuordnung der Instrumente zu Hierarchieebenen hängt vom Einzelfall ab. Die Nutzwertanalyse ist allgemein eine Methode der entscheidungsorientierten Bewertung von Handlungsalternativen bei mehrfachen Zielsetzungen. Es handelt sich um ein Scoring-Modell, bei dem die für den Fall der Realisierung des jeweiligen Marketing-Mix erwarteten Zielbeiträge hinsichtlich verschiedener Anforderungskriterien beschrieben und in einen Punktwert überführt werden. Dieser wird mit einem Faktor analog der relativen Bedeutung jedes Kriteriums an allen Anforderungen gewichtet. Die Summe aller gewichteten Punktwerte repräsentiert dann den erwarteten Gesamtnutzen (Nutzwert) des jeweiligen MarketingMix. Seine Höhe bestimmt den Rangplatz im Vergleich zu alternativen MarketingMixes. Anhand dieser Rangfolge kann qualifiziert entschieden werden. Möglicherweise wird dabei allerdings eine Scheinobjektivität vorgespiegelt, da die qualitativen Größen zunächst einer subjektiven Quantifizierung bedürfen, bevor sie bewertet werden können. Bei der Faktorisierung wird ein Mix-Problem in überschaubare Einzelbereiche zerlegt, um diese dann einzeln abzuarbeiten. Dadurch kann die Komplexität reduziert und auf ein handhabbares Niveau gesenkt werden. Dazu gibt es im Einzelnen verschiedene Hilfsmittel: • Ein Flussdiagramm zeigt logische Abfolge- und Entwicklungsprozesse mit Verzweigungen und Schleifenbildungen auf. • Der Netzplan stellt den Ablauf von Ereignissen zur Erreichung eines Ziels grafisch dar. Dadurch können Stufenfolgen transparent gemacht und ihre Abhängigkeiten koordiniert werden. • Der Entscheidungsbaum dient der grafischen Abbildung von Handlungsalternativen und ihren jeweiligen Konsequenzen. • Die Rückkopplungsanalyse zeigt grafisch Relationen zwischen Variablen auf. Die Beziehungen werden durch Pfeile dargestellt, die Stärke der Wechselwirkungen kann an diesen vermerkt werden. • Das Affinitätsdiagramm teilt Daten in Gruppen auf, deren Elemente in Bezug auf ihre Bedeutung in einem engen Zusammenhang (Affinität) stehen. • Das Baumdiagramm zerlegt ein Ausgangsproblem sukzessiv in Teilursachen und erhöht somit in mehreren Schritten den Detaillierungsgrad.

184

A. Marketing als Denkhaltung

• Das Matrixdiagramm weist Beziehungen und Wechselwirkungen eines Problems aus und veranschaulicht diese. Eine andere Möglichkeit zur Lösung ist die Heranziehung eines als vergleichbar angesehenen Mix-Problems und dessen erfolgreicher Lösung (Analogie). Die dabei erkannten Erfolgsfaktoren können dann auf den anstehenden MarketingMix übertragen werden. Voraussetzung ist jedoch, dass die herangezogene Analogie wirklich in ihrem Ausgangs- und Rahmenbedingungen mit dem anstehenden Problem weitestgehend identisch ist und Erkenntnisse daher tatsächlich auch übertragbar sind. Daran sind jedoch angesichts der Diversität der Vermarktungssituationen beträchtliche Zweifel berechtigt. Weiterhin ist es möglich, die kognitive Entscheidungsfindung durch affektive „Bauchlösungen“ zu ersetzen (beschränkte Rationalität). Die erforderliche Intuition vorausgesetzt, kommen dabei nicht unbedingt schlechte Ergebnisse heraus. Im Gegenteil, ein hohes Maß an intuitiver Begabung beim Einsatz des Marketing-Mix ist theoretischen Erwägungen allemal überlegen (anschauliche Beispiele sind Bernard Paul mit seinem Roncalli-Zirkus-Konzept oder Jil Sander mit ihrem puristischen Damenmode-Konzept, beiden kann gewiss keine Marketingvorbildung nachgesagt werden, beide präsentieren aber zugleich überzeugende Mix-­ Lösungen). Denkbar ist auch ein Vorgehen derart, dass ein regelmäßig sehr komplexes Marketing-Mix-Problem auf seine wesentlichen Bestandteile konzentriert wird (Reduktion). Innerhalb des Kommunikations-Submix hat etwa in neuerer Zeit eine erhebliche Diversifizierung der Aktionsparameter über die klassische Werbung hinaus in den nicht-klassischen Bereich hinein stattgefunden. Damit konnten zwar völlig neue Potenziale erschlossen werden (z. B. Sponsoring, Direktwerbung, Events), zugleich ist jedoch die Komplexität des Einsatzes enorm gewachsen. Daher stellt sich die Frage, ob der Zugewinn an Wirkung den Mehraufwand wirklich in allen Fällen überkompensiert, oder ob nicht für die Vielzahl der Aufgabenstellungen die gute alte klassische Werbung zumindest die effektivste Form der Umsetzung darstellt. Schließlich ist auch eine Problemlösung durch mehrstufige Vorgehensweise möglich (Sukzessivität), indem das Problem zunächst in überschaubare Einzelbereiche zerlegt und diese dann nicht simultan, sondern aufeinander abfolgend angegangen werden. Allerdings besteht dadurch die Gefahr, dass durch eine frühe, unzutreffend gesetzte Lösungsalternative ein Pfad eingeschlagen wird, der schließlich weit suboptimal endet. Insofern kommt vor allem den zeitlich ersten Entscheidungen große Bedeutung zu, die zugleich die am schwierigsten zu treffenden sind, weil zeitabhängige Erfahrungseffekte noch fehlen.

VI. Marketing-Instrumental-Mix

3.2.6

185

Heuristische Stufenmodelle

Heuristische Stufenmodelle versuchen, den Mangel an Systematik der Heuristiken durch einen Rahmen zur Vorgehensweise zu kompensieren. Sicher bleibt jedoch, dass auch heuristische Stufenmodelle nur zufällig zum Optimum führen, regelmäßig aber suboptimale (allenfalls satisfizierende) Lösungen herbeiführen. Das Kühn-Modell geht durch Zerlegung der Marketing-Mix-Bestimmung in 21 Teilentscheidungen aufeinander abfolgend wie folgt vor: • Stellgröße Markt- und Marktsegmentstrategie (Marktwahlentscheid, Alternativenwahl, Schwerpunktbildung), • Stellgröße Einsatzrichtung des Marketing-Mix (Alternativenwahl, Konkurrenzstrategie, Teilmarktentwicklungsstrategie, Marktentwicklungsstrategie), • Stellgröße Angebotspositionierung (Konkurrenz- und Teilmarktentwicklungsstrategien, Marktentwicklungsstrategien, Grobzielbestimmung), • Stellgröße Marktbearbeitungsstrategie (Absatzkanaldesign, Absatzmittlerstrategie, Multiplikatorenstrategie), • Stellgröße Marketing-Mix-Schwerpunkte (Teilmix Produktverwender, Teilmix Handel, Teilmix Multiplikatoren), • Stellgröße Marketing-Mix-Anpassung (Potenzial- und Führungssystemänderungen), • Stellgröße Marketing-Grobbudgetierung. Durch diese Abfolge soll der Entscheidungsraum sukzessiv eingeengt und die Gesamtheit der zur Lösung möglichen Alternativen an die begrenzte Problemlösungskapazität des Entscheiders angepasst werden. Diese Vorgehensweise ist gewiss eine pragmatische Hilfestellung bei der konkreten Ausarbeitung eines Marketing-Mix, sie ist aber kaum in der Lage, normative Hinweise auf dessen zweckmäßige Ausgestaltung zu geben. Das Becker-Modell geht von einem „Strategie-Chip“ aus, der umfassend die Strategiekombinationen und damit auch den Handlungsrahmen für MarketingMixes beschreibt. Dieser „Chip“ hat vier Ebenen: • Die Ebene der Marktfeldstrategie bestimmt, in Anlehnung an die Gap-Analyse von Ansoff, die Alternativen der (zusätzlichen) Umsatzerzielung als Marktdurchdringung, Marktentwicklung, Produktentwicklung und Diversifikation. • Die Ebene der Marktstimulierungsstrategie bestimmt, in Anlehnung an die Porter-U-Kurve, die Alternativen der Präferenzstrategie und der Preis-MengenStrategie sowie die Vermeidung einer unentschiedenen Zwischenposition. • Die Ebene der Marktparzellierungsstrategie geht von der Art der Marktbearbeitung und dem Ausmaß der Marktabdeckung aus und kommt zu den Alternativen

186

A. Marketing als Denkhaltung

der totalen Massenmarkt-, der partiellen Massenmarkt-, der totalen Teilmarktund der partiellen Teilmarktstrategie sowie der One to One-Segmentierung. • Die Ebene der Marktarealstrategie unterscheidet, in Anlehnung an die Einteilung von Perlmutter, in nationale (bzw. überregionale, regionale, lokale)  und multinationale, internationale und globale Marktareale. Auf jeder Ebene ist eine der Alternativen anzuwählen, daraus ergibt sich (grafisch dargestellt) ein Strategieprofil, das in einer nächsten Ausarbeitungsstufe dann zur adäquaten Instrumentalumsetzung führt. Dieser Ansatz ist zwar weit verbreitet, jedoch kaum mehr aktuell. Die Marktfeld-Alternativen werden treffender im Zuge der Absatzquellenbestimmung (Source of Potential Demand)  erfasst. Bei der Marktstimulierung ist bekannt, dass mindestens vier erfolgreiche Wettbewerbspositionen existieren (umfassende Leistungsführerschaft, umfassende Kostenführerschaft, partielle Leistungsführerschaft, umfassende Leistungsführerschaft), nicht nur zwei. Bei der Markt­ parzellierung werden zwischen fünf (Kotler/Bliemel) und zwölf (Pepels) Optionen genannt, so dass tatsächliche Stellmöglichkeiten bei nur vier bzw. fünf Optionen verloren gehen. Die Marktarealstrategie ist bei näherem Hinsehen eine Marktparzellierungsentscheidung, nämlich unter dem Segmentierungskriterium des Vermarktungsgebiets, damit also keine eigenständige Stellgröße. Insofern wird dieser Ansatz verbreitet erheblich überschätzt, zumal wichtige Aspekte, wie etwa das Markttiming, gänzlich fehlen.

4. Entscheidungsdilemmata Marketing-Mix-Entscheidungen unterliegen, wie dargestellt, zahlreichen Unwägbarkeiten. Die wichtigsten von ihnen werden im Folgenden kurz erläutert und beleuchten die Problematik der Mix-Optimierung (siehe Abbildung 27). Es ergeben sich Abnutzungserscheinungen in der Wirkung einzelner Mix-Instru­ mente. Deren überzogener Einsatz führt zu Wear Out-Effekten bis hin zu kontraproduktiver Reaktanz. Es bestehen vielfältige, zunehmend rigide Restriktionen in der Mikro- und Makro­umwelt, die bei der Mix-Entscheidung zu berücksichtigen sind, vor allem solcher sozialer, ökologischer, politischer und rechtlicher Art. Zusammenhänge im Marketing-Mix sind realiter meist stochastischer Natur, d. h. es liegen keine deterministischen Ursache-Wirkungs-Aussagen vor, sondern nur Hypothesen mit daraus abgeleiteten Übergangswahrscheinlichkeiten für Auslöse-Folge-Mechanismen. Marketing ist dynamisch, weil die Märkte, die deren Gegenstand bilden, äußerst schnelllebig sind. Und das Tempo der Veränderung nimmt eher noch zu, damit

VI. Marketing-Instrumental-Mix

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Abnutzungserscheinungen der Maßnahmen Restriktionen in Mikro- und Makroumwelt Stochastische Zusammenhänge Dynamische Marktprozesse Sachliche Abhängigkeiten Zeitliche Verzögerungswirkungen Selbstständige Entscheidungsträger Beeinflussung durch Wettbewerbsaktivitäten Autonome Verhaltensänderungen der Nachfrager Keine linearen Wirkzusammenhänge Irrationale Handlungsgrundlagen Räumliche Beeinflussungen Mehrdimensionales Zielsystem Wirkschwellen für Maßnahmen Mehrstufige Entscheidungsprozesse Abgrenzung der Instrumente schwierig Abbildung 27: Steuerungsproblematik im Marketing

auch die Notwendigkeit, absatzpolitische Beschlüsse rasch zu fassen und bei Bedarf konsequent zu revidieren. Es bestehen sachliche Zusammenhänge. Zu denken ist an Partizipationseffekte innerhalb der Instrumente eines Marketing-Mix oder auch an Substitutionseffekte. Diese sind nur schwer nachvollziehbar und kaum vorhersehbar. Es bestehen vielfältige zeitliche Verzögerungen, die dazu führen, dass sich in der aktuellen Periode Maßnahmen der mehr oder minder weit zurückliegenden Vergangenheit und der Gegenwart mischen, ebenso wie in zukünftigen Perioden Maßnahmen der Gegenwart und Zukunft aufeinander einwirken. Dies macht insb. Erfolgskontrollen im Marketing nur schwer möglich. Es sind mehrere selbstständige Entscheidungsträger involviert, die jeweils durchaus verschiedenartige egoistische Interessen verfolgen. Deren konstruktive Einbindung bereitet große Probleme. Hier entscheidet letztlich die Marktmacht darüber, ob sich ein sinnvoller Marketing-Mix durchzusetzen vermag. Der Erfolg des eigenen Marketing-Mix wird immer auch durch die Aktivitäten des Mitbewerbs beeinflusst. Insofern ist zumindest auch die Relation zum Kon-

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A. Marketing als Denkhaltung

kurrenzumfeld einzubeziehen, was allerdings eine zielgerichtete Steuerung des Marketing-Mix erschwert. Der Erfolg des eigenen Marketing-Mix ist nur ungenügend gegenüber autonomen Verhaltensänderungen der Nachfrager abzugrenzen. Trends bzw. Paradigmawechsel schlagen hingegen voll durch. Es liegen keine linearen Zusammenhänge zwischen unabhängigen Variablen (Nachfrage, Wettbewerb) und abhängigen Variablen (Marketinginstrumente) vor. Vielmehr bleiben diese Zusammenhänge unstetig und kaum prognostizierbar, weil sie meist qualitativer Natur und deshalb nur schwer nachvollziehbar sind bzw. sich einer Quantifizierung weitgehend entziehen. Marktrelevante Größen sind in vielfältiger Weise irrational verwoben. Denn Marketing hat zu allererst mit Menschen und ihren Bedürfnissen zu tun. Und diese sind, man mag es bedauern oder nicht, nur ausnahmsweise vernünftig begründet. Es gibt räumliche Beeinflussungen durch mobile Marktakteure. So haben Aktivitäten auf einem räumlichen Markt durch Austauschbeziehungen zwischen Märkten kaum kontrollierbare Auswirkungen auf andere, ursprünglich nicht intendierte Märkte. Marketing verfolgt ein mehrdimensionales Zielsystem, so dass sich bei häufigst vorkommenden Zielkonflikten Präferenzprobleme ergeben, die ständig das Er­ fordernis zur Kompromissbildung beinhalten und somit nicht eindimensional gefasst werden können. Es bestehen Wirkschwellen, die dazu führen, dass Aktivitäten unterhalb eines gewissen Niveaus keine Wirkungen zeitigen und bereits vergleichsweise kleine Erhöhungen oder Senkungen des Intensitätsniveaus zu sprunghaften Veränderungen führen, nämlich dann, wenn solche Wirkschwellen über- bzw. unterschritten werden. Im Marketing-Mix handelt es sich um mehrstufige Entscheidungsprozesse, denen schlecht strukturierte Problemstellungen zugrunde liegen. Das Gewicht verlagert sich demnach vom objektiven Kalkül auf subjektive Intuition. Damit aber sind Entscheidungen weniger berechenbar, als vielmehr von Erfahrung und Sensibilität getragen. Es gibt eine unüberschaubare Vielzahl möglicher Kombinationen von Aktivi­ täten im Marketing, die in unterschiedlicher Beziehung zueinander stehen und sich gegenseitig aufschaukelnd oder kompensierend beeinflussen sowie nur schwer gegeneinander abzugrenzen sind. Es ist nur eine begrenzte Erfolgskontrolle möglich. Denn erstens ist eine Abgrenzung interner und externer Einflussfaktoren kaum möglich, und zweitens scheitern Optimierungsversuche immer wieder an der Realität. Stattdessen laufen die Aktivitäten letztlich auf ein in der Sache unbefriedigendes Trial & Error hinaus.

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VI. Marketing-Instrumental-Mix

5. Marketing-Mix-Budgetierung Ein Marketing-Mix-Einsatz ohne Budgetbestimmung ist ebenso sinnlos wie eine Budgetbestimmung ohne Marketing-Mix-Einsatz (siehe Abbildung 28). Daher gehören beide Elemente zwangsweise zusammen, Maßnahmen bedingen die Bereitstellung entsprechender (finanzieller) Ressourcen.

Analytische Budgetierungsverfahren

Nicht-analytische Budgetierungsverfahren

Rechenrichtung und -höhe der Budgetierung

Zeitanpassung und -dauer der Budgetierung

Abbildung 28: Alternative Budgetierungsverfahren

5.1 Bezugsgrößen Die Bemessung des Marketingbudgets erfolgt anhand verschiedener Zielgrößen. Da ist zunächst der Betrag je Verkaufseinheit. Dabei orientiert sich das Marketingbudget an der Absatzmenge derart, dass je verkaufter Einheit ein bestimmter Betrag als angemessen angesehen wird. Damit sind wiederum zwei Fragen verknüpft. Die erste bezieht sich auf die Höhe dieses Betrags. Dafür gibt es jedoch keine allgemein gültigen Richtlinien. Es sind vielmehr völlig verschiedenartige Beträge anzutreffen, die letztlich von der individuellen Kostentragfähigkeit ab­ hängen. Insofern ist diese Ausrichtung allein noch nicht aussagefähig. Die zweite Frage betrifft die Referenz der Absatzmenge. Dabei kann es sich um Vergangenheitswerte handeln, die Ausgangspunkt der Festlegung sind, oder um geplante Zukunftswerte, die demgegenüber sinnvoller erscheinen, schließlich soll das eingesetzte Marketingbudget dazu beitragen, diese Planabsätze zu realisieren. Besonders problematisch ist im ersten Fall, dass bei dieser Vorgehensweise eine Kausalitätsumkehr stattfindet. Das Marketingbudget kann schließlich lediglich helfen, bestimmte Absatzzahlen zu erreichen. Gerade diese abhängige Größe wird hier aber zur Bemessungsgrundlage für das Marketingbudget gemacht. Ebenso kann ein Ergebnisanteil als Bezugsgröße angenommen werden. Dabei liegt keine mengen-, sondern eine wertmäßige Definition vor. Insofern wird ein bestimmter Prozentsatz von Unternehmenserfolgsgrößen für Marketingaktivitäten bereitgestellt. Auch hierbei ist nach der Höhe eines Betrags und der Referenzgröße zu fragen. Die Höhe des Betrags ist allgemeingültig nicht zu beantworten, da sie von vielfältigen Einflüssen abhängt. So u. a. von den Unternehmenszielen (z. B. expansiv oder kontraktiv) und vom Lebenszyklusstadium des Marktes. Mit diesen Größen schwankt gleichfalls die Bezugsbasis. Hinsichtlich der Referenzgröße sind vor allem die Größen Gewinn, Return on Investment (ROI) und

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A. Marketing als Denkhaltung

Cashflow zu nennen. Aber auch diese sind nicht eindeutig. So kann es sich beim Gewinn um den operativen oder den bilanziellen Gewinn, jeweils auf Basis eingetretener oder geplanter Werte, handeln. Ähnliches gilt für die übrigen Größen. Eine Standardisierung wird häufig durch Größen wie EBIT/Earnings before Interest and Taxes, EBITA/Earnings before Interest, Taxes and Amortisation oder EBITDA/Earnings before Interest, Taxes, Depreciation and Amortisation (Goodwill-Abschreibungen) zu erreichen versucht. Eine weitere Problematik liegt im damit festgeschriebenen prozyklischen Verlauf des Marketingbudgets. Denn dadurch fällt es hoch aus, wenn die Ergebnissituation besonders positiv ist, und bleibt niedrig, sofern sich die Ergebnissituation besonders negativ darstellt. Jedoch wird, zumindest in der Theorie, empfohlen, das Marketingbudget im Boom zu reduzieren, da ohnehin bereits eine gute Ertragslage vorliegt und die Kapazitätsgrenzen weitgehend ausgeschöpft sind, und das Budget in der Rezession zu erhöhen, um nachfragebelebend zu wirken und den Ertrag zu stimulieren. Eben dies wird jedoch verhindert, sobald ein hohes Ergebnis im Boom (selbst bei konstantem Anteil) zu hohem Marketingbudget bzw. umgekehrt ein niedriges Ergebnis in der Rezession zu niedrigem Marketing­budget führt. Marketing wirkt dann gerade prozyklisch, also depressiv in der Rezession und forcierend im Boom. Dem entsprechen auch die Beobachtungen der Realität, weil in der Rezession jede in Marketing investierte Mark doppelt weh tut und es im Boom leicht fällt, sich auch einmal spendabel zu zeigen. Von daher bleibt fraglich, wie klug ein solches Vorgehen ist. Einerseits ist wissenschaftlich fundiert, dass nur kontinuierliche Marketingaktivitäten nachhaltige Wirkungen zeitigen und vorübergehende Einsparungen an dieser Stelle später teuer wieder aufgeholt werden müssen. Andererseits besteht gerade dann, wenn Marketingbudgets allgemein verringert werden, für den einzelnen Anbieter die Chance zu individuellem Erfolgszuwachs. Zudem ist natürlich auch hier eine nicht akzeptable Kausalitätsumkehr zwischen Ursache (Marketingbudget) und Wirkung (Ergebnisgrößen) gegeben. Eine weitere Möglichkeit ist die Fortschreibung des Marketingbudgets aus der Vergangenheit. In diesem Fall wird ein wie immer auch zustande gekommenes Budget der Vorperiode im Zeitablauf weitergeführt. Für diese Fortschreibung kommen nur marktbezogene Größen in Betracht, genauer gesagt kundenbezogene. Denkbar ist die Fortschreibung parallel zur Entwicklung der Erlös- bzw. Ertragssituation des Unternehmens. Vor allem eine Orientierung an den Faktorkosten macht Sinn, um konstante Aktivitätslevels zu sichern. Dennoch erweist sich dieses Verfahren als fragwürdig, da es nicht verursachungsgerecht angelegt ist. Außerdem zementiert es einmal fixierte Budgetverhältnisse in ihrer Relation, statt flexibel auf Marktveränderungen zu reagieren. Daher wird Fortschreibung meist aus Bequemlichkeit praktiziert.

VI. Marketing-Instrumental-Mix

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Dagegen geht modernes Controlling entschlossen vor. Zu denken ist an das Zero Base Budgeting (ZBB). Der Trend geht damit genau ins Gegenteil der Fortschreibung, nämlich in die fortwährende Auflösung von Positionen. Allerdings hat sich dieses Unterfangen praktisch als recht kompliziert erwiesen. Die nächste Möglichkeit stellt die Ausrichtung am Ziel-Mittel-Maßstab dar. Das Marketingbudget (= Mittel) wird dabei in Abhängigkeit von den Marketingzielen derart bestimmt, dass jedes Oberziel solange in Teilziele zerlegt wird, bis operationale Unterziele entstehen, die in ein Mengengerüst überführt werden können. Dieses wird sodann, mit Geld bewertet, in ein Wertgerüst transformiert, dessen Summe dem zur Oberzielerreichung erforderlichen Marketingbudget entspricht. Wegen der logischen Ableitung findet sich dieser Maßstab meist als Empfehlung in der Fachliteratur. In der Praxis allerdings scheitert der Ansatz aus mehreren Gründen. So lassen sich die zur Erreichung bestimmter Marketingziele notwendigen Mittel nicht zuverlässig quantifizieren. Dies liegt zum einen daran, dass es sich großenteils um qualitative Zielgrößen handelt, und zum anderen die Erfolgswirkungen von aus dem Budget finanzierten Maßnahmen außerordentlich schwer prognostizierbar sind. Wenn aber Wirkzusammenhänge fehlen, kann auch kein valider Ziel-MittelBezug hergestellt werden. Damit ist ebenfalls das Ideal der Marketingbudgetierung in weite Ferne gerückt. Zudem nimmt dieser Ansatz keine Rücksicht auf die Liquiditätssituation zur Bereitstellung von Finanzmitteln, es sei denn, die Etatformatierung orientiert sich fallweise an eher pragmatischen Dispositionsaspekten. Oder anders ausgedrückt: Die Ziele richten sich nach den zu ihrer Erreichung verfügbaren Mitteln. Damit würde jedoch der Ziel-Mittel-Bezug genau umgekehrt. Als starre Größe wird gelegentlich auch ein Fixbetrag definiert, der unabhängig von allen kausalen Erwägungen für Marketing bereitgestellt wird. Dies geschieht meist durch diskretionäre Reservierung eines bestimmten Budgetanteils für solche Aktivitäten innerhalb eines wie auch immer definierten Gesamtbudgets. Dies ist natürlich wenig sinnreich, da es im Einzelfall zu einer Überdotierung kommen kann und dadurch Geld verschwendet wird, oder aber es entsteht eine Unterdotierung, d. h. unzureichende Geldzuweisung. Beide Fälle sind für den Budgetverantwortlichen recht schwierig. Im ersten Fall ist es misslich, wenn zum Periodenende Budgetmittel unausgeschöpft bleiben, zumal nicht ausgeschöpfte Budgets in der Folgeperiode gern um den übrig gebliebenen Betrag gekürzt werden. Eine Situation, die jeder kennt, der einmal im Öffentlichen Dienst oder, was fast auf dasselbe hinausläuft, in Großunternehmen tätig war. Im zweiten Fall ist es misslich, sofern vorgegebene Ziele nicht erreicht werden, weil daraus leicht Unfähigkeit oder ineffiziente Mittelverwendung unterstellt werden kann. Beides ist hochwahrscheinlich. Ein Fixbetrag trifft eben nur zufällig den erforderlichen Betrag, meist aber verfehlt er ihn. Deshalb entbehrt dieses Vorgehen jeder operationalen Grundlage. Eine weitere Gefahr bei der Budgetierung besteht darin, dass, wird der Be-

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A. Marketing als Denkhaltung

trag nicht rechtzeitig infrage gestellt, er nicht mehr veränderbar ist und eine Eigendynamik der Beharrung erfährt. Ähnlich zweifelhaft zu bewerten ist der Restbetrag als Budgetgröße. Danach wird nach Verplanung aller verfügbaren Finanzmittel ein evtl. noch verbleibender Residualbetrag für Marketingmaßnahmen zur Verfügung gestellt. Dies ist vor allem in Unternehmen anzutreffen, die in der Marketingdenkhaltung noch nicht weit fortgeschritten sind. Zeigt sich doch darin eine gewisse Geringschätzung gegenüber anderen Investitionsprojekten im Unternehmen. Tatsächlich aber ist die Investition in Kundengewinnung und -bindung als die wertvollste überhaupt anzusehen. Erstaunlicherweise leuchtet es jedoch vielen Managern eher ein, dass eine Investition in Anlagevermögen, z. B. zur Produktion von Gütern, gerechtfertigt ist. Dagegen bewerten sie eine solche in Kunden, die erstmals oder wiederholt kaufen, gelegentlich als vermeidbare Verschwendung. Bezeichnenderweise wird auch von Marketingkosten, jedoch von Anlageinvestitionen gesprochen. Aber Marketingbudget ist nichts anderes als Investitionsmittel. Versteht man Investition als einen Geldfluss, an dessen Anfang Ausgaben und an dessen Ende Einnahmen stehen, die möglichst größer sind als erstere, trifft dies genauso auch auf das Marketingbudget zu. An dessen Anfang steht z. B. die Ausgabe zur Schaltung bzw. Streuung von Werbemitteln, an dessen Ende steht der Mittelrückfluss über kumulierte Kaufpreise, die Kunden im Markt für das beworbene Angebot aufwenden. Bei der Orientierung an Makrogrößen werden überbetriebliche Bezüge als Maßstab für die Budgetierung gewählt. Hierbei handelt es sich um gesamtwirtschaftliche Daten wie Branchenentwicklung, Inflationsrate, Bruttoinlandsproduktveränderung, Einkommensentwicklung etc. Diese Größen haben den Vorteil, relativ leicht feststellbar zu sein. Allerdings nur solange, wie man sich mit Vergangenheitsdaten zufrieden gibt. Sobald es um die Prognose dieser Größen geht, entstehen erhebliche Schwierigkeiten. Davon zeugen auch die sehr abweichenden Prognoseergebnisse der Institute zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Lage sowie widersprüchliche Gutachten des Sachverständigenrates der Bundesregierung, der Zentralbank oder privater Beratungsunternehmen. Im Übrigen nehmen diese hoch aggregierten Daten in keiner Weise auf die unternehmensindividuelle Situation Rücksicht. So werden bei überdurchschnittlicher Erfolgsposition leicht Marktchancen für Vorsprünge vergeben und umgekehrt übergeordnete Entwicklungen zu eigenem Nachteil verpasst. Zudem entsteht die Frage, welchem Prognoseindikator man zu folgen bereit ist.

5.2 Dimensionen Nach der Rechenrichtung kann es sich um eine progressive oder retrograde Budgetierung handeln. Bei ersterer wird von einem wie auch immer zustande gekommenen, zur Verfügung stehenden Gesamtbudget ausgegangen, das dann suk-

VI. Marketing-Instrumental-Mix

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zessiv aufgeteilt wird. Problematisch sind dabei die Festlegung dieser Ausgangsgröße und die mangelnde Operationalität in der Zuweisung der Detailbudgets. Es handelt sich um eine gesamtbetriebsbezogene Budgetierung. Bei letzterer wird von jeweils für erforderlich gehaltenen Einzelbudgets ausgegangen, die dann sukzessiv zu einem Gesamtbudget kumuliert werden. Häufig ist auch eine Kombination im Gegenstromverfahren anzutreffen, das allerdings entsprechend langwieriger ist. Dabei werden die Einzelbudgets an die Geschäftsleitung gemeldet und von dort bestätigt oder von der Geschäftsleitung vorgeschlagen, von den Budgethaltern kommentiert und von der Geschäftsleitung wieder bestätigt. Es handelt sich um eine bereichsbezogene Budgetierung. Nach der Rechenhöhe kann zwischen absoluter und marginalistischer Budgetierung unterschieden werden. Erstere bezieht sich auf die einseitige Betrachtung des Budgets als Kosten, denen komplexe Nutzen gegenüberstehen, letztere auf den von Grenzkosten (praktisch diskontinuierlich) gestifteten Grenznutzen. Die Dotierung erfolgt dann solange, wie dieses Differenzial positiv ist, d. h., zusätzlich zugewiesene Budgetmittel einen Ertrag versprechen, der höher liegt als diese. Nach der Zeitanpassung handelt es sich um eine starre oder flexible (rollierende) Budgetierung, nach der Zeitdauer um eine kurzfristige oder langfristige Budgetierung. Die starre Budgetierung wird einmal pro Zeiteinheit (meist Kalenderjahr) festgelegt und ist während dieser Zeit auch nicht mehr veränderbar, gleichgültig ob disruptive Situationen entstehen oder nicht. Die flexible Budgetierung sieht unterjährige Budgetschnitte vor, bei denen einerseits festgestellt wird, ob mit einer ausreichenden Verwendung zu rechnen ist, und andererseits, ob Einflussfaktoren vorliegen, die eine andere als die ursprünglich vorgegebene Budgetierung erfordern. Dabei kann es sich sowohl um Budgetkürzungen handeln, etwa wenn sich die betriebliche Situation verschlechtert hat, als auch um Budgeterhöhungen, etwa wenn es darum geht, Marktchancen kurzfristig auszunutzen. Die kurzfristige Budgetierung bezieht sich meist auf ein Jahr, die langfristige Budgetierung bezieht sich meist auf drei bis fünf Jahre. Dabei kann entweder von Ist- oder von Soll-Größen ausgegangen werden. Bei Soll-Größen wirkt sich jedoch die mit zunehmendem zeitlichen Abstand von der Gegenwart steigende Unsicherheit der Berechnungsbasis negativ aus. Daher kann bei langfristiger Budgetierung meist nur ein Budgetkanal, d. h. Ober- und Untergrenzen von Budgets, vorgegeben werden. Durch die Schwankungsbreite leidet jedoch die Budgetierungsexaktheit. Dies ist vor allem deshalb problematisch, weil weit verbreitet gilt: „A Budget is a Contract.“ Ein weithin unbestimmter Vertrag ist jedoch schwerlich einzuhalten. Dies ist etwa im Rahmen von Zielvereinbarungen relevant.

VII. Rechtsrahmen im Marketing 1.

Gewerbliche Schutzrechte

Gegenstand der Gewerblichen Schutzrechte sind Patente, sie schützen erfinde­ rische Leistungen auf dem Gebiet der Technik, Gebrauchsmuster, sie beziehen sich auf technische Leistungen, Geschmacksmuster, sie schützen ästhetische gewerbliche Leistungen und Marken, sie gewähren Rechtsschutz für Zeichen. Diese Gewerblichen Schutzrechte räumen den jeweiligen Rechtsinhabern die Befugnis der ausschließlichen Nutzung ein. Dritte sind davon ausgeschlossen. An einem Gegenstand können mehrere Leistungsschutzrechte parallel bestehen (z. B. hinsichtlich der Technik als Patent, hinsichtlich der Gestaltung als Geschmacksmuster und hinsichtlich der Markierung als Markenzeichen). Die Schutzrechte müssen beim Patentamt (DPMA) angemeldet werden, wo sie ein mehr oder weniger aufwändiges Prüfungsverfahren durchlaufen, das im Erfolgsfall zur Rechtseinräumung führt. Nur der Rechtsinhaber ist befugt, die geschützten Objekte ungehindert zu nutzen, also davon Gebrauch zu machen oder sie zu verkaufen. Bei Verletzungen der Schutzrechte sind privat- oder strafrechtliche Sanktionen möglich. Privatrechtlich kann der Schutzrechtsinhaber Beseitigung der Beeinträchtigung, Unterlassung und bei Vorsatz oder Fahrlässigkeit Schadensersatz verlangen. Bei importierten Waren können diese an der Staatsgrenze beschlagnahmt werden. Bei Pirateriewaren können diese eingezogen oder selbst vernichtet werden, ebenso wie die Einziehung der zu deren Herstellung benutzten Produktionsanlagen. Zusätzlich bestehen weitreichende Auskunftsansprüche. Gewerbliche Schutzrechte können unbeschränkt oder beschränkt übertragen werden. Die beschränkte Übertragung erfolgt im Rahmen von Lizenzen, bei denen ein Lizenzgeber einem oder mehreren Lizenznehmer(n) das ausschließliche/ nicht ausschließliche Recht zur vereinbarten Verwertung einräumt. Der Übergang findet in der Regel gegen Entgelt statt. Beschränkungen beziehen sich auf Stückzahlen für Produktion oder Vertrieb, auf Absatzgebiete, Vertragsdauer etc. Gewerbliche Schutzrechte gelten zeitlich begrenzt, sie sind durch fällig werdende Gebühren aufrecht zu erhalten. Werden sie innerhalb dieser Fristen nicht genutzt oder werden keine Gebühren mehr entrichtet, verfallen sie. Zu Unrecht eingetragene Schutzrechte erlöschen durch Nichtigkeitsverfahren. Das Patent ist ein technisches Schutzrecht, es wird für neue, gewerblich anwendbare Erfindungen, die auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen, erteilt. Die Erfindung liegt in einer Handlungsanweisung zur kausalen naturwissenschaft-

VII. Rechtsrahmen im Marketing

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lichen Erreichung einer Problemlösung. Nicht zu den Erfindungen gehören alle Entdeckungen, die nicht problemlösend sind (z. B. Spiele, Theorien, Software, Kunstgegenstände). Das Patentrecht erfordert eine absolute Neuheit, d. h. sie darf nicht zum Stand der Technik gehören, welcher der Öffentlichkeit bereits vor dem Anmeldetag zugänglich war. Erfinderische Tätigkeit umfasst alle Erkenntnisse, die sich für eine Fachperson nicht in nahe liegender Weise ergeben. An die Erfindungshöhe werden hohe Anforderungen gestellt. Die gewerbliche Anwendbarkeit bedingt, dass der Erfindungsinhalt betriebswirtschaftlich nutzbar ist. Für Erzeugnis- und Verfahrenserfindungen gelten unterschiedliche Schutzumfänge. Wenn alle materiellen Anforderungen (Erfindung, Neuheit, erfinderische Tätigkeit, gewerbliche Anwendbarkeit) erfüllt sind, werden verschiedene Procederes durchgeführt: eine Offensichtlichkeitsprüfung, die Einsicht in die Offenlegungsschrift, Antrag und Prüfung sowie die verbindliche Patenterteilung, Eintrag in die Patentrolle, Einsatz der Einspruchsfrist und Beschwerdefrist sowie Rechtsbeschwerdeausgang. Die Höchstschutzdauer beträgt 20 Jahre, jedes Jahr ist eine ansteigende Schutzgebühr zu zahlen. Ein Gebrauchsmusterschutz wird erteilt, wenn eine gewerblich anwendbare Erfindung auf einem erfinderischen Schritt beruht. Die Qualitätshöhe ist gegenüber dem Patent verringert, insofern sind Erfindungen, die als Patent abgelehnt werden, womöglich als Gebrauchsmuster dennoch schützbar. Der Schutz wird ohne Verfahrensprüfung erteilt. Daher greift er wesentlich schneller als ein Patent (ca. zwei Jahre), ist jedoch besser angreifbar als dieses. Zur Erteilung ist eine schriftliche Anmeldung mit vorgeschriebenem Mindestinhalt erforderlich. Danach werden nur die formellen Voraussetzungen geprüft, sowie von den materiellen Voraussetzungen nur die Zugänglichkeit als Erfindung (nicht hingegen die Kriterien Neuheit, erfinderische Tätigkeit und gewerbliche Anwendbarkeit). Ergeben sich keine Beanstandungen, erfolgt ca. drei Monate später die Eintragung in die Gebrauchsmusterrolle. Bei späteren Verletzungsprozessen können die anderen materiellen Voraussetzungen geprüft und das Gebrauchsmuster bestätigt oder widerrufen werden. Die Höchstschutzdauer beträgt zehn Jahre. Der Geschmacksmusterschutz bezieht sich auf eine ästhetische Farb- und Formleistung, z. B. auf zweidimensionale Muster oder dreidimensionale Modelle im Produkt-, Grafik- und Kommunikationsdesign, die neu und eigentümlich sind (die Modalitäten Akustik, Olfaktorik und Degustation scheiden damit aus). Neu ist ein Muster oder Modell, wenn es Fachkreisen vordem weder bekannt war noch bekannt sein konnte. Eigentümlich ist ein Muster oder Modell, wenn es eine Leistung darstellt, die über das Landläufige, Alltägliche, Durchschnittliche hinausgeht. Der Schutz entsteht durch eine schriftliche Anmeldung mit vorgeschriebenem Mindestinhalt, danach erfolgt, bei Vorliegen der formellen Voraussetzungen, die Eintragung in das Musterregister, materielle Voraussetzungen, also die ästhetische Leistung, die Neuheit und die Eigentümlichkeit, werden erst im Falle eines späteren Prozesses geprüft. Die Höchstschutzdauer beträgt 25 Jahre.

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A. Marketing als Denkhaltung

Das Markengesetz gibt Kollektiv- und Individualschutz. Kollektiver Kennzeichenschutz bezieht sich auf Kollektivmarken und geografische Herkunftsangaben, diese sind also für mehrere Schutzrechtshalter (z. B. Verbände) geschützt. Individueller Kennzeichenschutz bezieht sich auf Waren- und Dienstleistungsbezeichnungen sowie geschäftliche Bezeichnungen in Form von Unternehmenskennzeichen, Geschäftsabzeichen und Werktiteln. Marken sind alle unterscheidungsfähigen Zeichen (ein einzelnes Wort/Wörter, kurze Sätze, Slogans, Namen, Abbildungen, Zahlen, Hörzeichen, dreidimensionale Gestaltungen/Figuren, Verpackungsform, Farben/Farbzusammenstellungen). Im Wesentlichen handelt es sich jedoch um Wortmarken, Bildmarken oder kombinierte Wort-Bild-Marken. Formen, die für das Wesen der Ware generisch sind, sind nicht schutzfähig. Markenschutz bedeutet ein Ausschließlichkeitsrecht. Ein Markenschutz kann auf drei Arten entstehen. Erstens durch Verkehrsgeltung, d. h. Marken werden benutzt und sind bekannt (was im Einzelfall forensisch erforscht wird), zweitens als notorisch bekannte Marken mit höherem Anspruch an Bekanntheit und weiter gehendem Schutzumfang, drittens durch Eintragung. Als Anmelder kommen nicht nur Gewerbetreibende, sondern auch Private in Betracht. Schützbar sind Marken, die kein Plagiat einer notorisch bekannten Marke und keine absoluten Marken, die ohne Unterscheidungskraft oder zugunsten der Allgemeinheit freizuhalten sind sowie keine relativen Schutzhindernisse verletzen, d. h. Rechtspositionen älterer Schutzrechte. Zur Eintragung werden nur die Markenmerkmale, der Schutz notorisch bekannter Marken und absolute Eintragungshindernisse geprüft. Die relativen Schutzhindernisse sind durch andere Markenhalter außer den Haltern notorisch bekannter Marken selbst durch Widerspruch binnen drei Monaten durch Antrag auf Löschung zu wahren. Gründe sind die Identität der neuen Marke mit einer älteren Marke bei gleichzeitiger Identität der betroffenen Waren/Dienstleistungen, bei Ähnlichkeit beider Marken bzw. Ähnlichkeit der betroffenen Waren/Dienstleistungen, so dass Verwechslungs­ gefahr zwischen ihnen besteht sowie bei Identität oder Ähnlichkeit beider Marken ohne gleichzeitige Ähnlichkeit der betroffenen Waren/Dienstleistungen, so dass eine Beeinträchtigung der älteren Marke entsteht. Der Markenschutz durch Eintragung entsteht durch schriftliche Anmeldung beim Patentamt, Prüfung der formellen Anmeldekriterien und materiellen Rechtsvoraussetzungen, Eintrag in das Markenregister und Veröffentlichung im Markenblatt, evtl. mit Widerspruchsverfahren, Eintragungsbewilligungsklage und Beschwerde bzw. Rechtsbeschwerde. Gegenstand eines Prozesses sind allein die relativen Schutzhindernisse, da alle anderen Voraussetzungen schon geprüft sind und vom Gericht nicht noch einmal geprüft werden dürfen. Absoluten Schutz genießen Marken nur bei identischen Zeichen für identische Waren/Dienstleistungen. Bei ähnlichen Marken in verwandten Branchen besteht Markenschutz nur bei Verwechslungsgefahr. Branchenübergreifend sind notorisch bekannte Marken geschützt. Die Schutzdauer ist unendlich. Fünf Jahre nicht benutzte Marken werden allerdings wegen Verfalls gelöscht (Vorratsmarken).

VII. Rechtsrahmen im Marketing

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Unternehmenskennzeichen dienen der Unterscheidung eines Geschäfts von anderen Geschäften im Markt. Daher sind Gattungsbezeichnungen nicht schutzfähig. Bei Unterscheidungskraft entsteht der Schutz mit Ingebrauchnahme, bei beschreibenden geschäftlichen Bezeichnungen mit Verkehrsgeltung. Geschäftsabzeichen sind Bilder, Figuren, Symbole,, also Logos, Hausfarben und Werbeslogans. Sie sind nur bei Verkehrsgeltung geschützt. Werktitel sind Bezeichnungen von Druckschriften, Filmwerken, Tonwerken oder Vergleichbarem. Bei Unterscheidungsfähigkeit setzt der Titelschutz mit Ingebrauchnahme ein, bei beschreibenden Bezeichnungen mit Verkehrsgeltung. Kollektivmarken bezeichnen Waren/Dienstleistungen nach betrieblicher Herkunft, Art, Qualität als Gütezeichen oder sonstigen Eigenschaften. Es kommt auf die Unterscheidungsfähigkeit an. Geografische Herkunftsangaben beziehen sich auf alle Berechtigten in einem bestimmten Gebiet, dazu gehören Namen von Orten, von Gegenden, von Gebieten, von Ländern oder vergleichbare sonstige. Sie dürfen nicht für solche Waren/Dienstleistungen benutzt werden, die nicht aus den bezeichneten Herkünften stammen, falls damit eine Irreführungsgefahr verbunden ist. Sofern damit besondere Qualitäten verbunden werden, dürfen nur Waren/ Dienstleistungen damit bezeichnet werden, die diesen Qualitätskriterien genügen. Sofern damit ein besonderer Ruf verbunden wird, ist eine anderweitige Verwendung selbst dann ausgeschlossen, wenn keine Irreführungsgefahr besteht (z. B. durch Verwendung für eine andere Art von Waren/Dienstleistungen) oder dabei Abwandlungen und Zusätze verwendet werden. Verstöße bewirken Unterlassung und bei Verschulden Schadenersatz. Nicht schützbar sind hingegen Gattungsbezeichnungen, die zwar geografische Angaben enthalten, die jedoch ihre ursprüngliche geografische Kennzeichnungsfunktion verloren haben und zu Warenarten geworden sind (z. B. „Hamburger“, „Berliner“, „Frankfurter“). Maßgeblich ist dabei die Verkehrsauffassung, weiterhin immer die zeitliche Priorität. Das schutzrechtsverletzende sklavische Nachahmen von Markenartikeln oder Schmarotzen an Markenartikeln mit Marktgeltung ist ein Straftatbestand (Markenpiraterie)  und erlaubt dem Verletzten selbst bzw. nach Anruf von Gerichten diesen weitreichende Eingriffe zur Verteidigung ihrer berechtigter Interessen. Gesetze und Rechtsprechung sind in den letzten Jahren mehrfach entscheidend verschärft worden (Offizialdelikt, strafrechtliche Sanktionen analog Diebstahl oder Betrug, d. h. max. fünf Jahre Freiheitsentzug). Der Schwachpunkt liegt weniger in der Sanktionierung dieser Vergehen als vielmehr in der Feststellung und Dingfestmachung der dafür Verantwortlichen. Das Produktpirateriegesetz erlaubt die Einziehung und Vernichtung gefälschter Waren und ihrer Produktionsmittel, außer wenn eine Vernichtung unverhältnismäßig wäre und die Rechtsverletzung auch auf andere Weise behoben werden kann. Außerdem besteht ein besonderer Auskunftsanspruch über Name und Anschrift der Hersteller, Lieferanten und sonstige Vorbesitzer der Plagiate, Kunden,

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hergestellte bzw. ausgelieferte Mengen etc. Plagiate können durch die zuständige Zollbehörde beschlagnahmt werden. Auf internationaler Ebene greifen zusätzlich weitere Vorkehrungen. Die wohl wichtigsten sind folgende: • Die Anti-Piraterie-Verordnung der EU betrifft das Verbot der Überführung nachgeahmter Waren in den zollrechtlichen freien Warenverkehr innerhalb der EU, es gilt nur für identische Plagiate, nicht Nachahmungen. • Die World Intellectual Property Organization (WIPO), eine Unterorganisation der UN (United Nations), entwickelt Mustervorschriften zum Schutz des geistigen Eigentums für Mitgliedsstaaten. • Das Counterfeiting Intelligence Bureau (CIB) hat die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität zum Ziel, es wurde von der ICC (International Chamber of Commerce) gegründet. • Die Pariser Verbandsübereinkunft (PVÜ) überwacht die internationale Registrierung von Schutzrechten, sie betrifft nur Länder, die beigetreten sind (nicht dazu gehören Hongkong, Taiwan, Singapur etc.). • Das Madrider Markenabkommen (MMA) vereinfacht die internationale Registrierung von Markenrechten, indem in einem Mitgliedsstaat zur Überprüfung und Eintragung angemeldete Markenrechte automatisch an alle Mitgliedsstaaten weitergegeben werden. • Das Haager Musterabkommen (HMA) vereinfacht die internationale Registrierung von Geschmacksmustern. Handelt es sich bei den Objekten um Kunst-, Literatur- oder Wissenschaftswerke, werden an den geistig-ästhetischen Gehalt höhere Anforderungen gestellt, außerdem ist eine gewerbliche Verwendung nicht notwendig, es reichen künstle­ rische, literarische oder wissenschaftliche Zwecke aus. Werden diese erfüllt, ist ein Ur­heberrechtsschutz möglich. Der Schutz entsteht mit dem Vorliegen eines Werks durch persönliche, geistige Schöpfung als Überhöhung (Besonderes, Außerordentliches, Nicht-Alltägliches) in wahrnehmbarer Formgestalt, also Art und Weise der Darstellung. Die Beurteilung erfolgt im Einzelnen durch Richterrechtsprechung. Geschützt ist nur das konkrete Original, eine Nachahmung ist u. U. möglich. Dem Urheber stehen die Veröffentlichungsrechte zur Verwertung und die Anerkennung seiner Urheberehre durch Benennung als Urheber zu, selbst wenn das Eigentum an dem Werk zwischenzeitlich übertragen worden ist. Das Nutzungsrecht wird meist an Kulturvermittler oder Verwertungsgesellschaften gegen Entgelt abgetreten. Bei Verletzung sind Beseitigung, Unterlassung, evtl. Schadenersatz und Vernichtung möglich, sowie Strafverfolgung und Einziehung. Keine Verletzung stellen Kleinzitierungen als Hilfsmittel der eigenen Darstellung und Nutzungen für den privaten Gebrauch (z. B. Vervielfältigung) dar. Keine Verletzung ist auch die Verbreitung mit Zustimmung des Urhebers. Urheberrechte sind unveräußerlich und gelten

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bis 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers. Erfinder und Urheber können juristisch nur natürliche Personen sein. Computerprogramme gehören juristisch zum Urheberrecht. Sie sind bereits geschützt, wenn sie das Ergebnis einer geistigen Schöpfung ihres Urhebers darstellen. Eine geringe Schöpfungshöhe reicht dabei aus. Eine Vervielfältigung ist, auch für den privaten Gebrauch, nicht erlaubt, außer der Anfertigung einer Sicherungskopie. Besondere Leistungsschutzrechte bestehen für ausübende Künstler, Lichtbildner, Sendeunternehmen, wissenschaftliche Verfasser und Herausgeber nachgelassener Werke. Ist ein Arbeitnehmer Urheber einer Software, stehen dem Arbeitgeber die vermögensrechtlichen Befugnisse daran zu, der Arbeitnehmer bleibt jedoch Urheber. Arbeitnehmererfindungen können während der Arbeitszeit und mit Arbeitsmitteln des Arbeitgebers als Diensterfindungen im betrieblichen Zusammenhang oder frei, allein oder als Miterfinder mit erkennbaren Anteilen oder Miturheber gemeinschaftlich mit anderen geschaffen worden sein. Anregende sind keine Miterfinder oder Miturheber, ebenso nicht Gehilfen, die keinen wesentlichen geistigen Anteil am Erfolg haben. Bei Diensterfindungen hat der Arbeitnehmer eine Meldepflicht, die Nutzung der Erfindung fällt gegen Entgeltzahlung nach Wahl unbeschränkt oder beschränkt an den Arbeitgeber. Der Arbeitgeber muss die Erfindung unverzüglich als Patent oder Gebrauchsmuster, nicht als Geschmacksmuster, anmelden. Bei freien Erfindungen hat der Arbeitnehmer eine Meldepflicht und dem Arbeitgeber ein nicht-ausschließliches Nutzungsrecht daran anzubieten. Bei Streitigkeiten wird eine Schiedsstelle angerufen. Urheberrechte stehen immer dem Arbeitnehmer als Urheber zu, meist werden im Arbeitsvertrag jedoch entsprechende Nutzungsrechtsregelungen abbedungen. Andernfalls wird nach der Zweckübertragungstheorie ein Nutzungsrecht nur nach dem Zweck der Wertschöpfung und des Arbeitsvertrags angenommen.

2.

Unlauterer Wettbewerb

Das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) gibt Regelungen darüber vor, wie der Wettbewerb i. S. v. fair durchzuführen ist. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen/GWB soll hingegen erreichen, dass Wettbewerb stattfindet und vor Beschränkungen geschützt ist. Wettbewerb stellen alle Maßnahmen im geschäftlichen Verkehr, also nicht privat, amtlich oder geschäftsintern, zu Zwecken des Wettbewerbs dar. also zur Begünstigung des Absatzes eines Unternehmens zulasten des Absatzes anderer Unternehmen. Das UWG schützt kumulativ die Konkurrenten, damit keiner einen unberechtigten Nachteil erleidet, deren Abnehmer, etwa vor Nötigung, psychologischem/moralischem Zwang, Angst- und Mitleidsgefühlen, und die Allgemeinheit, etwa vor unbilliger Belästigung. Leitbild des UWG ist der Leistungswettbewerb, das sich durch den Schutz der Wahrheit und Klarheit der Maßnahmen manifestiert. Es schützt die Wettbe-

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werbsfairness (Spielregeln). Dazu gehören in abgestufter Form die Abwesenheit von: • Behinderungswettbewerb durch Ungleichbehandlung Gleichartiger ohne sachlich gerechtfertigten Grund, • Verdrängungswettbewerb, d. h. Boykott als Aufruf an Marktpartner, Geschäftsbeziehungen mit Dritten einzustellen, • Vernichtungswettbewerb über ruinöse Konkurrenz, Untereinstandspreisverkäufe und gezielte Preisunterbietungen. Unlautere Verhaltensweisen im Wettbewerb lassen sich in mehrere Fallgruppen unterteilen. Eine unsachliche Beeinflussung der Willensentscheidung von Lieferungen und/oder Abnehmern liegt vor durch: • Irreführung der Kunden, so über die eigenen geschäftlichen Verhältnisse (Warenpreis, -herkunft, -beschaffenheit etc.), über geschäftliche Verhältnisse von Mitbewerbern sowie die Tarnung von Werbemaßnahmen (z. B. Placements), • Ausübung von Zwang, so rechtlichem oder psychologischem Kaufzwang, sowie dem Autoritätsmissbrauch für eigene Zwecke, • Belästigung mittels anreißerischer Praktiken vor allem in der Werbung wie aufdringliches Ansprechen, Telefonwerbung, ungebetene Vertreterbesuche, Zusendung unbestellter Ware etc., • missbräuchliche Ausnutzung menschlicher Vorzüge und Schwächen (z. B. Spielleidenschaft) sowie die Werbung mit Angst, Gesundheitsargumenten, Mitleid, Sex etc., • Bestechung mittels Vergünstigungen, so etwa Geschenke, Kopplungsangebote, Probegaben, Werbefahrten. Denkbar ist auch die Behinderung bestimmter einzelner Mitbewerber durch: • Beeinträchtigung der freien Betätigung der Mitbewerber, z. B. über exzessiven Preiskampf, Abwerbung von Mitarbeitern, Anschwärzung bei Marktpartnern, Betriebs- und Absatzbehinderung, Vereitelung von und Vergleich in der­ Werbung, • Ausbeutung fremder Leistungsergebnisse, z. B. über anlehnende Werbung, Herkunftstäuschung, Schmarotzertum, sklavische Nachahmung. Schließlich ist auch die Behinderung aller Mitbewerber durch Rechtsbruch bei Ausnutzung deren Gesetzes- oder Vertragstreue denkbar durch: • Verletzung außervertraglicher Bindungen als Übertretung gesetzlicher Vorschriften oder Standesbestimmungen, • Verletzung vertraglicher Bindungen.

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Unzulässig ist es, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs über geschäftliche Verhältnisse Angaben zu machen, die irreführend sind. Diese Angaben müssen für die Beurteilung der Adressaten bedeutsam sein. Wissentlich unwahre Angaben sind ggfs. strafbar. Solche Angaben sind nachprüfbare, wahrnehmbare Aussagen über geschäftliche Verhältnisse. Nachprüfbar sind Tatsachenbehauptungen, nicht hingegen subjektive Wertungen, wahrnehmbar sind alle medialen Signale. Zur Irreführung reicht es bereits aus, dass eine Angabe geeignet ist, bei den Adressaten der Maßnahme irrige Vorstellungen hervorzurufen. Irreführend ist alles, was eine Abweichung zwischen Wirklichkeit und subjektiver Vorstellung der Adressaten, also Personen der angesprochenen Verkehrskreise, bedeutet. Objektive Unwahrheit begründet immer Irreführung, da die Adressaten zunächst davon ausgehen, dass eine Maßnahme richtig/wahr ist. Irreführend kann jedoch auch eine missverständliche Angabe sein, d. h. eine Angabe, die zwar objektiv wahr ist, von den Personen der angesprochenen Verkehrskreise jedoch falsch verstanden werden kann (relative Unwahrheit), etwa durch Mehrdeutigkeiten, Selbstverständlichkeiten, Blickfangwerbung, Unklarheiten, Unvollständigkeiten etc. Dann kann eine an sich objektiv wahre Aussage dennoch subjektiv irreführend sein. Es ist vor allem untersagt, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Handlungen vorzunehmen, die gegen die guten Sitten verstoßen. Sittenwidrig handelt, wer gegen das Anstandsgefühl entweder der verständigen und anständigen Durchschnittsgewerbetreibenden oder aller gerecht und billig Denkenden verstößt. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff gibt der Richterrechtsprechung einen großen Ermessensspielraum. Typischerweise ist diese aber gegeben bei Kundenfang, Behinderung, Ausbeutung, Rechtsbruch und Marktstörung. Für die Unlauterkeit sprechen Täuschung, Erschleichung von Vorteilen, Tarnung, Belästigung, Verlockung durch Begünstigungen, Überrumpelung, Ausüben von Druck (Bedrohung, Nötigung, rechtlicher/psychologischer/moralischer Kaufzwang), übertriebenes Anlocken, Ausnutzen von Unerfahrenheit und von Gefühlen und Trieben (Angst, soziales Verantwortungsgefühl, Hilfsbereitschaft, Mildtätigkeit, Spieltrieb), Beeinträchtigung der freien Betätigung der Konkurrenz, Ausbeutung fremder Leistungen, Vorsprung durch Rechtsbruch sowie Maßnahmen, die zu einer Übersteigerung des Wettbewerbs und zu einer Verwilderung der Sitten führen. Unlautere Wettbewerbshandlungen sind unzulässig. Dazu gehören vor allem Irreführung und Sittenwidrigkeit sowie zahlreiche Sondertatbestände, wobei diese im Gesetz nicht erschöpfend ausgeführt sind, sondern durch Richterrechtsprechung im Einzelfall konkretisiert werden. Maßgeblich für die Beurteilung ist nicht die Absicht des Absenders, sondern die Auffassung der Adressaten der Maßnahme. Dabei sind allerdings das breite Publikum als Maßnahmen an die Allgemeinheit und Fachkreise zu unterscheiden. Das breite Publikum urteilt flüchtig, unbefangen, unkritisch, Fachkreise urteilen hingegen sorgfältig, detailliert und

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kritisch. Jeweils kommt es dabei auf die Durchschnittsauffassung hinsichtlich der Maßnahme an, ein nicht unbeachtlicher Teil der Adressaten reicht für Eingriffe bereits aus. Dazu wird die Lebenserfahrung und Sachkenntnis der Richter angelegt, sowie das Fachwissen von Sachverständigen oder Gutachtern. Zunehmend wird jedoch eine „verständige Zielperson“ als Maßstab unterstellt. Verstöße gegen das UWG sind strafrechtlich und privatrechtlich verfolgbar (Unterlassungsanspruch und ggf. Schadenersatz). Klageberechtigt sind unmit­tel­ bar Betroffene sowie Unternehmen, die Leistungen nennenswert gleicher oder verwandter Art vertreiben. Im Einzelfall sind auch rechtsfähige Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen sowie Verbraucherverbände, Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern klagebefugt. Den Abnehmern steht nur ein Rücktrittsrecht zu. Als erste Maßnahme erfolgt die Abmahnung mit strafbewehrter Unterlassungserklärung, wonach sich der mutmaßlich wettbewerbswidrig Handelnde schriftlich verpflichten soll, die Verletzungshandlung zu unterlassen und für den Fall der Zuwiderhandlung eine Vertragsstrafe zu zahlen. Bei Unterzeichnung der Erklärung trägt der Unterzeichner die Kosten und verpflichtet sich zur Unterlassung seiner abgemahnten Handlung. Wird diese Erklärung nicht unterschrieben, erfolgt eine einstweilige Verfügung mit Vorläufigkeitscharakter zur Erwirkung der Unterlassung der Wettbewerbshandlung. In der Abschlusserklärung soll der mutmaßlich wettbewerbswidrig Handelnde die einstweilige Verfügung akzeptieren. Andernfalls folgt ein Klageverfahren. Die vordem durch das weggefallene Rabattgesetz und die ebenfalls ersatzlos weggefallene Zugabeverordnung abgedeckten Tatbestände werden ebenso durch das UWG erfasst.

3. Produkthaftung Durch die Produkthaftung schützt der Staat Verbraucher in der EU gegen Schäden der körperlichen Integrität und des persönlichen Eigentums aus Produkten. Produkt ist dabei jede bewegliche Sache, auch wenn sie Teil  einer anderen beweglichen oder unbeweglichen Sache ist. Unbearbeitete Naturprodukte sind keine Produkte i. S. d. Gesetzes, wohl aber verarbeitete. Einen Fehler hat ein Produkt, wenn es zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insb. seiner Darbietung, des Gebrauchs, mit dem vernünftig (billigerweise) gerechnet werden kann, sowie des Zeitpunkts, in dem es in den Verkehr gebracht wurde, erwartet werden kann. Das Produkt muss nach Konstruktion, Fabrikation und Instruktion dem aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik entsprechen. Ist das Produkt auf dem

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Markt, ist weiterhin eine Produktbeobachtung erforderlich, die zu einer Produktrückrufpflicht führen kann. Ein Produkt hat aber nicht allein deshalb einen Fehler, weil es nicht alle Qualitätsmöglichkeiten ausschöpft, wohl aber, wenn es nicht alle Sicherheitsmöglichkeiten ausschöpft. Ansprüche beziehen sich auf Schäden durch Tötung und an Personen. Schmerzensgeld gehört nicht zu diesen Ansprüchen. Außerdem gibt es eine Haftungshöchstgrenze (80 Mio. €). Bei Schäden an Sachen ist Schadenersatz zu leisten, allerdings nicht für das fehlerhafte Produkt selbst, sondern für andere Sachen, dies nur im Privatbereich und darüber hinaus mit einer Selbstbeteiligungsquote. Die auftretenden Deckungslücken können durch die Produzentenhaftung nach BGB geschlossen werden, die parallel neben das Produkthaftungsrecht tritt. Mehrere Hersteller haften jeweils nebeneinander als Gesamtschuldner, die interne Aufteilung erfolgt nach jeweiligem Schadensverursachungsanteil. Haftender ist immer der Hersteller des Endprodukts, der Teile oder Grundstoffe, dazu gehören auch „Quasi-Hersteller“, die sich aus OEM-Produkten durch Anbringung eines Markenzeichens als solche identifizieren. Bei Importen haften auch Importeure. Nur wenn der Hersteller eines fehlerhaften Produkts nicht festgestellt werden kann, haftet ersatzweise der Händler.

4. Datenschutz Zu den unstreitigen Persönlichkeitsrechten gehört das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das Bundesdatenschutzgesetz hat den Zweck, jede natürliche Person davor zu schützen, dass sie durch den Umgang mit ihren personenbezogenen Daten in ihrem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird, d. h. hinsichtlich der Information, wer Daten über die eigene Person besitzt, welche Daten dies sind, an wen diese weitergegeben werden, ob die Daten zutreffend sind, zulässig und zweckgebunden gespeichert und vor Missbrauch gesichert sind. Die Verarbeitung personenbezogener Daten und deren Nutzung ist grundsätz­ lich unzulässig, es sei denn, der Betroffene hat in die Nutzung eingewilligt. Diese Einwilligung bedarf grundsätzlich der Schriftform, muss also ausdrücklich erfolgen. Ein anderes Gesetz lässt die Datenverarbeitung zu. Dies ergibt sich aus übergeordneten Vorschriften, z. B. Zivil-, Strafrecht, Abgabenordnung. Aus dem Bundesdatenschutzgesetz ergibt sich die Zulässigkeit der Datenspeicherung, -über­ mitt­lung und -nutzung. Bei der Erfüllung des Geschäftszwecks hat das Unternehmen sich an die gesetzlichen Vorschriften zu halten. Dabei ist die Speicherung, Übermittlung und Nutzung von Daten zulässig, wenn zwischen dem datenverarbeitenden Unternehmen und dem Betroffenen ein Vertrag besteht und die Nutzung durch den Vertragszweck unmittelbar sachlich gedeckt ist, wenn die Datenverarbeitung zur Wahrung berechtigter, schutzwürdiger Interessen der speichernden Stelle erforder-

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lich ist, wenn die Daten aus allgemein zugänglichen Quellen entnommen worden sind und schutzwürdige Interessen der Betroffenen nicht überwiegen, sowie wenn die Datenverarbeitung das Interesse der Betroffenen überwiegende wissenschaftlichen Zwecken dient. Die Nutzung ist dennoch ausgeschlossen, wenn der Betroffene ihr widerspricht. Die Datenverarbeitung für Fremde zum Zweck der Übermittlung ist zulässig, wenn kein Grund zu der Annahme besteht, dass der Betroffene ein schutzwürdiges entgegenstehendes Interesse hat oder die Daten aus allgemein zugänglichen Quellen entnommen werden und ein entgegenstehendes Interesse der Betroffenen nicht überwiegt. Die Datenverarbeitung für Fremde zum Zweck der Speicherung ist zulässig, wenn unsensible und sensible Daten zunächst anonymisiert werden, so dass sie später nicht mehr zusammengeführt werden können. Betroffene haben Anspruch darauf, bei der erstmaligen Speicherung personenbezogener Daten benachrichtigt zu werden. Sie haben außerdem Anspruch auf Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten, den Speicherzweck und die Übermittlung zu erhalten. Unter bestimmten Voraussetzungen ist die Sperrung oder Löschung personenbezogener Daten notwendig. Bei Verstoß entsteht ein Schadenersatzanspruch. Unternehmensintern ist ein Datenschutzbeauftragter zur Kontrolle der Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zu installieren. Extern nimmt der Staat (Bundesländer) eine Kontrollfunktion wahr.

5.

Allgemeine Geschäftsbedingungen

Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) sind für eine unbestimmte Anzahl von gleichartigen Geschäftsabschlüssen vorformulierte Vertragsklauseln, die eine Partei der anderen bei Vertragsabschluss auferlegt. Sie umfassen z. B. Bestimmungen über Lieferfrist, Gewährleistung, Gefahrtragung, Eigentumsvorbehalt, Haftungsausschluss, Rücktrittsmöglichkeit oder Erfüllungsort. Die AGB’s werden nur Vertragsbestandteil, wenn der Verwender bei Vertragsabschluss ausdrücklich auf sie verweist und der Kunde nach der Möglichkeit, deren Inhalt in zumutbarer Weise zur Kenntnis zu nehmen, mit deren Geltung einverstanden ist. AGB’s dienen damit der Rationalisierung von Verträgen, indem immer wiederkehrende Einzelheiten des Abschlusses bereits standardisiert sind und nicht jeweils einzeln ausgehandelt werden müssen. Sie treffen vor allem durch das Gesetz nicht anderweitig eindeutig geregelte Vereinbarungen, oft allerdings zum Nachteil des Kunden. Daher sind private Abnehmer durch die Inhalte des Gesetzes zur Regelung des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBG) geschützt. Zum Beispiel sind überraschende Klauseln, mit denen so nicht zu rechnen ist, nicht rechtswirksam. Das gleiche gilt für Bestimmungen, welche die Vertragspartei des Verwenders entgegen Treu und Glauben benachteiligen, indem sie unangemessen und ohne sachlichen Grund nur dessen Interessen berücksichtigen. Dies gilt vor allem, wenn die AGB’s dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, die sie er-

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setzen sollen, zuwiderlaufen oder Rechte und Pflichten aus dem Vertrag einseitig verschieben. So sind etwa die Freizeichnung für grobes Verschulden und die Verkürzung der gesetzlichen Gewährleistungsansprüche gegenüber Privaten immer unwirksam. Weitere Bestimmungen betreffen die Unwirksamkeit von Preiserhöhungsklauseln für die Dauer von vier Monaten nach Vertragsabschluss, die weitgehende Unwirksamkeit von Vertragsstrafen, die Unwirksamkeit des Ausschlusses von Ersatzansprüchen des Kunden bei Schuldnerverzug und Leistungsunvermögen sowie die weitgehende Unwirksamkeit des Eintritts einer dritten Person in den Vertrag anstelle des ursprünglichen Vertragspartners. An deren Stelle treten die entsprechenden gesetzlichen Regelungen. Verweisen beide Vertragsparteien bei Abschluss auf ihre zumindest partiell abweichenden AGB’s, so kommt ein Vertrag dennoch zustande. Es gelten die Bestimmungen, soweit sie übereinstimmen, ansonsten gelten die entsprechenden gesetzlichen Regelungen.

6. Medienrecht Das Medienrecht regelt die Rechtsverhältnisse der Massenmedien. Das Grundgesetz gewährt ein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung, auf Informationsfreihei und auf Freiheit der Berichterstattung in Film, Funk und Presse. Die Meinungsfreiheit wird als gesellschaftliches Gut sehr hoch bewertet. Die Informationsfreiheit ist dazu gleichberechtigt. Die Pressefreiheit schützt vor Zensur, gleiches gilt für die Rundfunkfreiheit und die Filmfreiheit. Einschränkungen sind daher nur unter sehr restriktiven Voraussetzungen möglich, so bei Verletzung von Persönlichkeitsrechten (die Intimsphäre ist sogar unverletzlich), bei Jugend- und Ehrschutz und bei Verfassungsschutz. Im übrigen dürfen Presse, Rundfunk und Film keinen hoheitlichen Zulassungen unterstellt werden. Einschränkungen ergeben sich durch Verstoß gegen andere Gesetze, für die Zulassung privater Rundfunkanstalten und für Filminhalte. Das Medienrecht ist in verschiedenen Gesetzen kodifiziert und findet in erster Linie auf Länderebene statt.

7.

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) will den Bestand des Wettbewerbs gewährleisten, um eine freiheitliche Gestaltung der Beziehungen aller Marktbeteiligter herzustellen. Daher sollen Beschränkungen des freien Wettbewerbs verhindert werden. Dazu wurde es in der Vergangenheit mehrfach novelliert und um Erweiterung oder Verschärfung von Tatbeständen ergänzt wie z. B. Zusammenschlusskontrolle, aufeinander abgestimmtes Verhalten, Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen, Missbrauch von Nachfragemacht etc. Das Gesetz gliedert sich in sechs Teile: Wettbewerbsbeschränkungen, Kartellbehörden, Verfahren, Vergabe öffentlicher Aufträge, Anwendungsbereich, ergänzende Bestimmungen. Relevant ist vor allem der erste Teil, der sich drei Tat-

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bestandsgruppen widmet: Kartellvereinbarungen/Kartellbeschlüsse/abgestimmtes Verhalten/Wettbewerbsregeln, Vertikalvereinbarungen sowie Marktbeherrschung und wettbewerbsbeschränkendes Verhalten. Das Gesetz soll die Freiheit des Wettbewerbs sicherstellen und wirtschaftliche Macht dort beseitigen, wo sie die Wirksamkeit des Wettbewerbs und die ihm innewohnende Tendenz zur Leistungssteigerung beeinträchtigt und eine bestmögliche Marktversorgung in Frage stellt. Daher sind Vereinbarungen zwischen miteinander in Wettbewerb stehenden Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, verboten. Unternehmen sind dabei alle Anbieter an einem Markt, auch Freiberufler und öffentliche Betriebe. Verboten ist bereits der Abschluss solcher Verträge, nicht erst die Ausübung. Eine Wettbewerbsbeschränkung liegt vor, wenn die kompetitive Handlungsfreiheit der Beteiligten eingeschränkt wird. Generell verboten sind Kartellverträge, allerdings gibt es zahlreiche Ausnahmen, so für Konditionenkartelle, Spezialisierungskartelle, Mittelstandskartelle, Rationalisierungskartelle, Strukturkrisenkartelle und sonstige Kartelle, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Außerdem können alle anderen Kartellverträge vom Bundeswirtschaftsminister vom Verbot freigestellt werden. Zur Verhinderung einer Umgehung des Kartellverbots sind auch aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen verboten. Diese sind jenseits aller Nachweisschwierigkeiten gegeben, wenn sich Wettbewerber antizipativ über ihr Marktverhalten verständigen, um daraus Vorteile zu ziehen. Verstöße gegen diese Bestimmungen sind Ordnungswidrigkeiten, sie verpflichten zu Schadenersatz, entsprechende Beschlüsse sind unwirksam. Wirtschafts- und Berufsvereinigungen können Wettbewerbsregeln aufstellen, die einem den Grundsätzen des lauteren oder der Wirksamkeit eines leistungsgerechten Wettbewerbs zuwider laufendes Verhalten entgegenwirken und ein diesen Grundsätzen entsprechendes Verhalten im Wettbewerb anregen. Solche Wettbewerbsregeln sind zulässig, sofern sie von der Kartellbehörde anerkannt werden. Vertikalvereinbarungen beziehen sich auf den gegenseitigen Leistungsaustausch, indem sie mindestens einen Vertragsbeteiligten in seiner Vertragsfreiheit im Abschluss für Waren und Dienstleistungen mit Dritten beschränken. Zuwiderhandeln stellt wiederum eine Ordnungswidrigkeit dar und kann mit Bußgeld belegt werden. Diese Regelungen beziehen sich nicht auf die Vertragsbeziehungen zu selbstständigen Absatz-/Beschaffungshelfern. Zulässig ist auch eine Preisbindung der Zweiten Hand für Verlagserzeugnisse, sofern diese nicht missbräuchlich gehandhabt wird. Sofern die Ware oder Dienstleistung ein Markenartikel ist, kann außerhalb des GWB dafür ersatzweise eine unverbindliche Preisempfehlung ausgesprochen werden. Diese kann unter definierten Voraussetzungen für unzulässig erklärt werden.

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Verträge, die einem Vertragsbeteiligten den Abschluss bestimmter Verträge verbieten (z. B. Ausschließlichkeits-, Verwendungs-, Vertriebs- oder Kopplungsbindungen) sind zunächst rechtsgültig, unterliegen jedoch einer Missbrauchsaufsicht. Dies gilt auch für den Erwerb oder die Nutzung Gewerblicher Schutzrechte. Das GWB schützt die Wettbewerbsfreiheit Dritter, wenn sie durch die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung beeinträchtigt wird. Marktbeherrschend ist ein Unternehmen, das am Markt keinem oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder eine in Relation zu seinen Mitbewerbern überragende Marktstellung hat. Für das Vorliegen einer absoluten Marktbeherrschung gelten besondere Vermutungskriterien, z. B. anhand des Marktanteils oder der Finanzkraft. Marktbeherrschende Unternehmen sind einer Missbrauchsaufsicht unterworfen. Dies ist erforderlich, weil eine anderweitig ausreichende Kontrolle durch den Wettbewerb nicht mehr gegeben ist. Allerdings ist fraglich, wann ein solcher Missbrauch vorliegt. Das Gesetz nennt hier Beispieltatbestände wie Behinderungsmissbrauch als Beeinträchtigung der Wettbewerbsmöglichkeiten anderer Unternehmen, Preismissbrauch durch Fordern überhöhter Preise, Ausbeutungsmissbrauch durch Fordern sonstiger gegenüber einer Wettbewerbssituation unvorteilhafter Konditionen oder Zugangsmissbrauch bei Verweigerung des freien Marktzugangs. Vor allem Preis- und Ausbeutungsmissbrauch sind schwer nachweisbar, wobei das im Gesetz zugrunde gelegte Vergleichsmarktkonzept kaum eine Hilfe darstellt. Ein nachgewiesener Missbrauchsverstoß verpflichtet zu Unterlassung und Schadenersatz. Mehreinnahmen können abgeschöpft werden. Unternehmenszusammenschlüsse sind zu untersagen, wenn zu erwarten ist, dass sie eine marktbeherrschende Stellung begründen oder verstärken. Zusammenschlüsse sind daher bereits vor ihrem Vollzug beim Bundeskartellamt anzuzeigen, wenn die beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr weltweit Umsatzerlöse von mehr als 500 Mio. € erzielt haben oder mindestens eines der beteiligten Unternehmen im Inland Umsatzerlöse von mehr als 25 Mio. € aufweist und keine Ausnahmetatbestände vorliegen. Sie dürfen erst vollzogen werden, wenn ihre wettbewerbliche Unbedenklichkeit festgestellt ist. Bereits das Vorhaben eines Zusammenschlusses ist durch die Beteiligten anmeldepflichtig. Der Zusammenschluss ist untersagbar, wenn innerhalb eines Monats seit Anmeldung ein Prüfungsverfahren eingeleitet worden ist. Bei Vollzug eines nicht freigegebenen Zusammenschlusses sind alle damit zusammen hängenden Rechtsgeschäfte unwirksam, ein untersagter Zusammenschluss ist aufzulösen. Der Bundeswirtschaftsminister kann auf Antrag bei überragendem Interesse der Allgemeinheit dennoch eine Ausnahmeerlaubnis erteilen. Als Zusammenschluss gibt der Erwerb von Vermögen eines oder Anteilen an einem anderen Unternehmen, sofern 25 % oder 50 % des Kapitals oder der Stimmrechte erreicht werden oder mittelbar oder unmittelbar ein erheblicher Einfluss auf ein anderes Unternehmen ausgeübt werden kann. Die Monopolkommission be­

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obachtet die Unternehmenskonzentration an den Märkten durch regelmäßige gutachterliche Stellungnahmen. Marktbeherrschenden Unternehmen, Kartellen und preisbindenden Unternehmen ist es verboten, andere Unternehmen in einem Geschäftsverkehr, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich ist, unmittelbar oder mittelbar unbillig zu behindern (Diskriminierungsverbot). Was unbillig ist und was nicht, bestimmt sich durch Abwägung der Interessen der Beteiligten unter dem Oberziel der Wettbewerbsfreiheit. Dem Diskriminierungsverbot unterliegen auch relativ marktmächtige Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager, von denen andere derart abhängig sind, dass für sie ausreichende und zumutbare Ausweichmög­ lichkeiten nicht bestehen. Der Schutz bezieht sich nicht nur auf Anbieter und Nachfrager des Unternehmens, sondern auch auf dessen kleinere und mittlere Wettbewerber auf derselben Marktstufe. Damit werden die Adressatenunternehmen in ihrer Vertragsfreiheit beschränkt. Allen anderen Unternehmen wird eine freie Gestaltung jederzeit erlaubt, z. B. über selektive Vertriebsbindungen. Absolut und relativ marktbeherrschende Unternehmen dürfen ohne sachlich gerechtfertigten Grund auch keine Vorzugsbedingungen für sich durch Macht durchsetzen. Auch der Boykott, d. h., der Aufruf an Dritte zu Liefer- oder Bezugssperren gegenüber einem Unternehmen, ist verboten. Bei Zuwiderhandeln entstehen Unterlassungs-, Beseitigungs- und Schaden­ ersatzansprüche. Im Falle von Ordnungswidrigkeiten können Geldbußen und Mehrerlösabschöpfungen vorgesehen werden. Dies gilt nicht nur für den ordnungswidrig Handelnden, sondern auch für Dritte, die eine Ordnungswidrigkeit empfehlen (z. B. bei Empfehlung zu gleichförmigem Verhalten im Wettbewerb). Davon ausgenommen sind nur Mittelstandsempfehlungen, die von Vereinigungen kleiner oder mittlerer Unternehmen unter Begrenzung auf den Kreis der Beteiligten ausgesprochen werden und dazu dienen, deren Leistungsfähigkeit gegenüber Großbetrieben zu fördern und die Wettbewerbsbedingungen dadurch zu verbessern, sofern sie ausdrücklich als unverbindlich gekennzeichnet sind und kein Druck zu ihrer Durchsetzung angewendet wird. Die Überwachung obliegt den Kartellbehörden. Als Kartellbehörden gelten das Bundeskartellamt, das Bundeswirtschaftsministerium und die obersten Landesbehörden. Kartellrechtliche Verfahren sind vor den Landgerichten und, bei Berufung, vor dem Kartellsenat der Oberlandesgerichte bzw., bei Revision, dem Kartellsenat des Bundesgerichtshofs zu führen. Zunehmend greifen EU-weite Regelungen im Rahmen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) in den Mitgliedsstaaten. Dort sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen verboten, die den freien Handel zwischen den Mitgliedsstaaten beeinträchtigen (können) und zu einer Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wett­bewerbs

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im Gemeinsamen Markt führen (können). Solche Vereinbarungen müssen nicht Verträge sein, sondern können auch anderweitige Verabredungen darstellen. Ausnahmen davon werden in befristeten Gruppenfreistellungsverordnungen ausdrücklich sanktioniert. Sonderregelungen gelten für Unternehmen, die Kohle und Stahl erzeugen (Montan). Außerdem ist die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung im Gemeinsamen Markt oder wesentlichen Teilen davon verboten, soweit sie den freien Handel zwischen den Mitgliedsstaaten beeinträchtigt. Weiterhin ist eine Fusionskontrolle vorgesehen. Die Ausübung Gewerblicher Schutzrechte sieht vor, dass der Markenrechtsinhaber die Einfuhr identischer oder verwechslungsfähiger andere Waren ins EU-Inland verhindern kann. Das ordnungspolitische Ideal des GWB ist die Auffassung des Wettbewerbs als Parallelkampf. Abweichungen in Richtung verstärkten Miteinanders der Teilnehmer einer Marktseite sollen sanktioniert werden. Es schützt den Wettbewerbsgeist (Antagonismus). Umgekehrt soll Abweichungen in Richtung überzogenen Gegeneinanders der Teilnehmer auf einer Marktseite vornehmlich durch das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) begegnet werden

8.

Vertrag und vertragliche Leistungsstörungen

Der einer vereinbarten Leistung zugrunde liegende Vertrag ist seiner Art im Wesentlichen nach ein: • Kaufvertrag, d. h. der Lieferant ist verpflichtet, dem Abnehmer das Eigentum an einer Sache zu verschaffen und ihm diese zu übergeben, der Abnehmer ist seinerseits verpflichtet, dem Lieferanten den vereinbarten Kaufpreis dafür zu zahlen und die Sache abzunehmen. • Werkvertrag, d. h. der Lieferant verpflichtet sich zur Herstellung eines versprochenen Werks, zu dessen Übergabe und zur Verschaffung des Eigentums daran, der Abnehmer verpflichtet sich zur Entrichtung der dafür vereinbarten Vergütung und zur Abnahme des Werks. • Werklieferungsvertrag, d. h. der Lieferant verpflichtet sich zur Herstellung eines versprochenen Werks aus einem von ihm zu beschaffenden Stoff, zu dessen Übergabe und zur Verschaffung des Eigentums daran, der Abnehmer verpflichtet sich zur Entrichtung der dafür vereinbarten Vergütung und zur Abnahme des Werks. • Miet-/Leasingvertrag, d. h. der Vermieter verpflichtet sich, dem Mieter den Gebrauch der vermieteten Sache während der Mietzeit zu gewähren, der Mieter verpflichtet sich zur pfleglichen Behandlung der Mietsache und zur Entrichtung des vereinbarten Mietzinses.

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• Pacht-/Lizenzvertrag, d. h. der Verpächter verpflichtet sich, dem Pächter den Gebrauch der verpachteten Sache während der Pachtzeit ebenso zu gewähren wie den Genuss der Früchte aus der Pachtsache, der Pächter verpflichtet sich zur pfleglichen Behandlung der Pachtsache und zur Entrichtung des vereinbarten Pachtzinses. • Leih-/Überlassungsvertrag, d. h. der Verleiher einer Sache verpflichtet sich, dem Entleiher dessen Gebrauch unentgeltlich für den Verleihzeitraum zu gestatten, der Leiher verpflichtet sich zur pfleglichen Behandlung der Leihsache. • Tausch-/Bartervertrag, d. h. die Vertragspartner verpflichten sich, gegenseitig Waren oder Dienste entsprechend der im Vertrag festgelegten Bedingungen auszutauschen, wobei Wertdifferenzen zumeist in Geld ausgeglichen werden (diese Form ist im internationalen Handel üblich). • Dienstvertrag, d. h. eine oder mehrere Personen verpflichten sich, eine Dienstleistung zu erbringen, die im Übrigen im Vertrag detailliert beschrieben ist. Die Ausgestaltung betrifft Vertragsformen, die Grundlage für Lieferungsbedingungen sein können, so z. B. der • Rahmenvertrag, in dem bis auf die Menge alle Vertragspunkte festgelegt sind, • Abrufvertrag, in dem bis auf die Bestellzeit alle Vertragspunkte festgelegt sind, • Andienungsvertrag, in dem bis auf die Lieferzeit alle Vertragspunkte festgelegt sind, • Fristvertrag, in dem eine Lieferung innerhalb eines bestimmten Zeitraums vereinbart wird, • Terminvertrag, in dem eine Lieferung zu späterem Zeitpunkt vereinbart wird, • Promptvertrag, in dem eine unverzügliche Lieferung vereinbart wird, • Sukzessivlieferungsvertrag, durch den die Abnahme von Teilmengen vereinbart wird, • Optionsvertrag, der dem Käufer das einseitige Recht gewährt, den Vertrag durch Erklärung zustande zu bringen, • Vormerkvertrag, in dem nur vorläufige Mengen vereinbart werden, die später zu fixieren sind, • Kauf auf/nach/zur Probe-Vertrag, in dem je nachdem ein Rückgaberecht, eine Lieferung gemäß durchschnittlicher Warenprobe oder eine vorläufige Musterlieferung vereinbart werden. Kaufvertragliche Leistungsstörungen betreffen den Verzug bei Zahlung oder Lieferung innerhalb dieser Vertragsarten mit den entsprechenden Rechten. Ein Zahlungsverzug liegt vor, wenn der Käufer seiner Zahlungspflicht nicht oder nicht

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rechtzeitig nachkommt. Voraussetzung für einen Zahlungsverzug ist die Fälligkeit der Zahlung, bei unbestimmtem Zahlungstermin erst nach Zahlungsaufforderung durch den Verkäufer, bei kalendermäßig bestimmtem Zahlungstermin sofort nach Terminüberschreitung. Da der Käufer die Zahlung schuldet, handelt es sich hierbei um einen Schuldnerverzug. Ist die Fälligkeit kalendermäßig bestimmt, kommt der Schuldner mit dem Eintritt der Fälligkeit auch ohne Mahnung in Verzug, ist sie nicht kalendermäßig bestimmt, kommt er erst durch Mahnung in Verzug. Auf Verschulden kommt es bei einer Geldschuld deshalb nicht an, weil Geldschulden Gattungsschulden sind. Eine Nachfristsetzung ist nicht erforderlich, wenn der Käufer die Zahlung verweigert. Rechte des Verkäufers aus dem Zahlungsverzug sind die Klage auf Zahlung und Ersatz des Verzugsschadens, der Rücktritt vom Kaufvertrag nach angemessener Nachfrist zur Zahlung mit Rücktransfer der Ware oder die Ablehnung der Zahlung und Schadenersatz wegen Nichterfüllung nach angemessener Nachfrist zur Zahlung (z. B. bei Gewinnentgang oder anderweitigem Mindererlös). Der Schaden besteht auch in Verzugszinsen (4 % nach BGB, 5 % nach HGB) oder in Kredit­ zinsen bei Inanspruchnahme eines Kredits infolge Zahlungsverzugs. Erfüllt ein Schuldner, auch der Warenschuldner, seine vertraglichen Verpflichtungen nicht, wird er nach kaufmännischer Sitte gemahnt. Dies kann durch außergerichtliche oder gerichtliche Mahnung erfolgen. Die außergerichtliche Mahnung ist die zwar gewerbsrechtlich nicht notwendige, aber dringende Aufforderung des Gläubigers an den Schuldner, die im Kaufvertrag vereinbarte Geld- oder Warenleistung zu erbringen. Die Form ist grundsätzlich frei, de facto aber immer schriftlich. Ein Hinweis auf Verzugsfolgen, Rechtsnachteile und Zahlungsfristen ist darüber hinaus üblich. Zur Durchführung ist eine abgestufte Mahnfolge ratsam, aber juristisch nicht Bedingung. Sinnvoll ist folgende Reihenfolge: • persönliches Erinnerungsschreiben mit höflicher Zahlungserinnerung (Hinweis auf beigefügte Rechnungskopie), Erinnerung durch Zusendung einer Rechnungsabschrift oder eines Kontoauszugs, • ausdrückliche Mahnung mit Zahlungsfristsetzung und vorbereitetem Überweisungs-/Einzahlungsbeleg, Mahnbrief mit Hinweis auf Fälligkeit oder Schuld und Aufforderung zur Zahlung, • Androhung einer Postnachnahme oder des Einzugs durch ein Inkassoinstitut, das gewerbsmäßig Forderungen bei Geldschuldnern eintreibt, mit erneuter Fristsetzung und Hinweis auf dabei entstehende Kosten (Gebühren, Zinsen, Verwaltung etc.), • Klageandrohung durch letzte, scharfe Mahnung verbunden mit endgültig letzter Fristsetzung. Damit wird das gerichtliche Mahnverfahren eingeleitet, sofern es sich um Geldschulden handelt. Dieses erlaubt dem Gläubiger, seine Forderungen schnell und

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kostensparend durchzusetzen. Dazu reicht der Gläubiger einen Bearbeitungsantrag beim zuständigen Amtsgericht ein. Dieses stellt einen Mahnbescheid aus, der dem Schuldner vom Amtsgericht zugestellt wird. Dies erfolgt ohne jegliche Prüfung der Ansprüche. Dabei wird eine Frist von zwei Wochen zur Zahlung oder Einlage von Widerspruch gewährt. Begleicht der Schuldner die Forderung incl. Nebenkosten, ist das Verfahren damit beendet. Erhebt er Widerspruch, informiert das Amtsgericht den Gläubiger, der innerhalb von zwei Wochen seine Forderung in einer Klageschrift begründen muss. Dann kommt es zum mündlichen Prozesstermin vor dem Amts- oder Landgericht (abhängig vom Streitwert), und es ergeht ein Urteil, das eine Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners ermöglicht. Unternimmt der Schuldner nichts, kann der Gläubiger binnen sechs Wochen einen Vollstreckungsbescheid beantragen, der dem Schuldner vom Amtsgericht zugestellt wird. Zahlt der Schuldner nun incl. Nebenkosten, ist das Mahnverfahren wiederum beendet, legt er Einspruch ein, kommt es auf Wunsch des Gläubigers zum Gerichtsverfahren, unternimmt er nichts, kommt es gleich zur Zwangsvollstreckung. Statt Mahnbescheid kann auch eine Klage auf Zahlung erhoben werden. Die Zwangsvollstreckung von Geldforderungen erfolgt in das bewegliche Vermögen, also körperliche Sachen (z. B. Wertgegenstände)  und Forderungen (z. B. Lohn/Gehalt) oder in unbewegliches Vermögen (z. B. Gebäude) des Schuldners. Körperliche Sachen werden dadurch gepfändet, dass sie der Gerichtsvollzieher, der durch das Mahngericht bestellt wird, in Besitz nimmt oder sie zwar im Gewahrsam des Schuldners belässt, aber mit einem Pfandsiegel („Kuckuck“) versieht. Nicht pfändbar sind die für den Lebensunterhalt und die Berufsausübung notwendigen Gegenstände, sofern der Gläubiger dem Schuldner nicht ein ge­ ringerwertiges Ersatzstück im Austausch überlässt. Nach der Pfändung werden die Gegenstände durch den Gerichtsvollzieher öffentlich versteigert. Forderungen, vor allem Lohn, sind nur pfändbar, sofern sie den für die Lebensführung unbedingt notwendigen Unterhalt übersteigen. Unbewegliches Vermögen wird versteigert, dessen Erträge (Miete, Pacht) werden zwangsverwaltet und dem Gläubiger zur Verfügung gestellt. Bleibt auch eine Pfändung erfolglos, hat der Schuldner auf Antrag ein Ver­ mögensverzeichnis anzufertigen und die Richtigkeit dieser Angaben an Eides Statt zu versichern. Bei Verweigerung wird auf Antrag Beugehaft angeordnet. Der Schuldner wird beim Amtsgericht in ein Schuldnerverzeichnis aufgenommen. Unerfüllte Ansprüche bleiben, wie alle anderen Ansprüche, noch 30 Jahre bestehen, beginnend mit der Entstehung des Anspruchs. Ausnahmen bestehen nur bei Verjährungsfristen für Ansprüche von Kaufleuten an Nichtkaufleute, aus Arbeitsverträgen bzw. Forderungen von Freiberuflern, diese verjähren nach zwei Jahren, und Ansprüche von Kaufleuten untereinander, diese verjähren nach vier Jahren, jeweils beginnend mit Ablauf des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Die Verjährung ist gehemmt, wenn sie nach Wegfall des Unterbrechungsgrundes (z. B.

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höhere Gewalt) weiterläuft, die Verjährung ist unterbrochen, wenn die volle Frist nach Unterbrechung neu beginnt (z. B. Stundung, Klageerhebung). Ein Lieferverzug liegt vor, wenn eine Leistung verzögert ist, die jedoch nach­ holbar sein muss. Voraussetzung für den Verzug ist die Fälligkeit der Lieferung nach Vertrag, ein Verschulden des Lieferers (vorsätzlich, schuldhaft, fahrlässig, zufällig, jedoch nicht durch höhere Gewalt oder Streik) sowie die Mahnung, sofern es sich nicht um ein Fixgeschäft handelt, Zweckkauf oder Selbstverzugserklärung vorliegt. Dann kann der Abnehmer die Lieferung verlangen, wenn die Ware anderweitig nicht erhältlich ist. Nach Mahnung mit Nachfristsetzung, kann der Käufer die Lieferung ablehnen und vom Vertrag zurücktreten sowie Schadens­ersatz fordern, sofern ihm durch Ausbleiben der Lieferung ein Schaden entstanden ist. Wird die Ware dringend benötigt, kann er einen Deckungskauf bei einem anderen Lieferanten tätigen und daraus entstehende Preisnachteile weiterberechnen. Wird die Ware zwar geliefert, bestehen jedoch Mängel, ergeben sich folgende Gewährleistungsrechte: • Nacherfüllung, d. h. Mängelbehebung auf Kosten des Warenschuldners, • Umtausch, d. h. Austausch der mangelbehafteten gegen eine mangelfreie Ware mittlerer Güte, • Wandlung, d. h. Rückabwicklung des Waren- und Geldübergangs, • Minderung, d. h. Preisnachlass infolge Mangels, • Schadenersatz, d. h. Geldausgleich für Nachteile (allerdings nur sofern diese tatsächlich entstanden sind), Gleichfalls relevant sind zahlreiche Sonderbestimmungen, die in das BGB integriert wurden. Dazu gehören das AGB-Gesetz, das Haustürwiderrufsgesetz, das Verbraucherkreditgesetz und das Teilzeitwohnrechtegesetz. Gleichzeitig werden verschiedene EU-Richtlinien, insb. die Verbrauchsgüter-Kaufrichtlinie und die e-Commerce-Richtlinie, damit in deutsches Gesetz umgesetzt. Ebenso finden sich einige, bis dato von der Rechtsprechung zwar entwickelte, aber nicht gesetzlich verankerte Rechtsinstitute, so das Kündigungsrecht bei Dauerschuldverhältnissen, bei Wegfall der Geschäftsgrundlage und bei Verschulden bei Vertrags­ abschluss. Werbung und öffentliche Äußerungen von Verkäufern, Herstellern und Gehilfen des Herstellers beeinflussen den Inhalt des Kaufvertrags und gelten als zugesicherte Eigenschaften. Die Garantie ist nicht nur vertraglich, sondern nunmehr gesetzlich geregelt. Es gilt ein käuferfreundliches Kaufrecht, das weitgehend auch bei Verträgen zwischen Unternehmen anzuwenden ist. Die Regressansprüche eines Einzelhändlers gegenüber seinem Vorlieferanten bei Verkauf an Endverbraucher sind erleichtert. Die Frist zur Geltendmachung von Mängeln im Kaufund Werkvertragsrecht beträgt, auch zwischen Unternehmen, 24 Monate. Die Anwendung des Werkvertragsrechts ist zugunsten einer erweiterten Anwendung des Kaufrechts eingeschränkt. Die Mängelhaftung des Vertragspartners läuft bei

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A. Marketing als Denkhaltung

Neuwaren allgemein 24 Monate. Als fehlerhaft gilt eine Sache auch dann, wenn sie nicht den in der Werbung gemachten Versprechungen entspricht. Dies gilt auch für mangelhafte Bedienungsanleitungen („IKEA-Klausel“). Während der ersten sechs Monate nach Übergabe der Ware besteht eine Umkehr der Beweislast für Schadenersatzansprüche, erst danach ist der Käufer beweispflichtig. Es gilt eine dreijährige Verjährungsfrist, beginnend am Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, ausgenommen der Gläubiger hat keine Kenntnis von der Forderung, dann kann diese Forderung nicht verjähren. Die Bestimmungen zu allgemeinen Geschäftsbedingungen gelten auch für Arbeitsverträge. Dabei werden hohe Anforderungen an deren Verständlichkeit gestellt. Körperschäden dürfen nicht ausgenommen werden. Entspricht eine Klausel der AGB nicht dem Recht, ist damit das gesamte Regelwerk ungültig. Für deutsche Online-Anbieter gilt ausschließlich deutsches Recht, für nicht-deutsche, europäische Online-Anbieter gelten die Regeln ihres Heimatlandes, außer bei e-Mails, hier gilt das Recht des Empfängerlandes. Die Nutzung von Online-Daten muss vom Kunden per Mausklick (Checkbox) erlaubt werden.

9. UN-Kaufrecht Im internationalen Geschäftsverkehr ist zu entscheiden, welches Landesrecht einem Vertrag zugrunde gelegt werden soll. Häufig ist dies schwierig, daher wurde das UN-Kaufrecht als Übereinkunft entwickelt, der Länder nach Wahl beitreten können. Das UN-Kaufrecht gilt nicht für Tauschgeschäfte, Anlagengeschäfte mit begleitenden Kundendiensten, Rechte und Immobilien. Voraussetzung ist, dass Verkäufer und Käufer in zwei verschiedenen Vertragsstaaten ansässig sind, dann gilt das UN-Kaufrecht automatisch, oder einer der beteiligten seinen Sitz in einem Vertragsstaat hat, dann gilt es für alle Exporte aus dem und Importe in den Vertragsstaat sowie für Kaufverträge, wenn dies ausdrücklich so vereinbart wurde. Es ergeben sich allerdings wesentliche Abweichungen zum deutschen Recht. Diese betreffen vor allem folgende: • Ein Widerruf des Angebots ist auch nach Eingang der Willenserklärung noch möglich, wenn der Käufer sich noch nicht dazu geäußert hat. • Eine abweichende Annahme des Angebots gilt nur bei wesentlichen Änderungen als neues Angebot. • Eine verspätete Annahme ist kein neuer Antrag, sondern eine zweite Willenserklärung, die einen Vertrag zustande bringt (außer bei verzögerter Zustellung). Ist der Kontrahent nicht einverstanden, muss er widersprechen. • Der Verkäufer hat u. a. die Pflichten zur Lieferung der Ware, zur Übergabe der Warendokumente, zur Übertragung des Eigentums und zur Bereitstellung der Ware. Lieferort und -zeit werden vertraglich festgelegt. Erfüllungsort für die Leistung ist der Sitz des Verkäufers.

VII. Rechtsrahmen im Marketing

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• Der Käufer hat u. a. die Pflichten zur Bezahlung des Kaufpreises und zur Abnahme der Ware. Erfüllungsort für die Bezahlung ist der Ort des Verkäufers (bei deutschem Verkäufer also deutsches Recht). • Eine Vertragsverletzung seitens des Verkäufers liegt nur vor, wenn die Ware nicht die exakten Eigenschaften des Vertrags hat. Der Käufer hat dazu eine kurzfristige Prüf- und Rügepflicht. • Der Käufer kann bei Vertragsverletzung Erfüllung beanspruchen (Ersatzlieferung, Nachbesserung) oder Vertragsaufhebung (trotz Nachfrist) oder aber Kaufpreisherabsetzung (Minderung) oder Schadenersatz. • Eine Vertragsverletzung seitens des Käufers liegt vor, wenn er den Kaufpreis nicht bezahlt oder die vereinbarungsgemäße Ware nicht abnimmt. Rechte sind der Anspruch auf Erfüllung, Vertragsaufhebung, Verzugszinsen oder Schadenersatz. Als Gerichtsstand gilt der Ort des Verkäufers. Häufig werden auch Schiedsgerichtsvereinbarungen vorgesehen. Dabei handelt es sich um private Schlichtungsstellen, die ad hoc, also einzelfallbezogen, oder institutionalisiert (z. B. bei der Internationalen Handelskammer/ICC) eingesetzt werden. Im Ausland werden Schiedsgerichtssprüche problemlos umgesetzt, im Inland nur, wenn das Schiedsgericht nach ZPO (Zivilprozessordnung) auch hierzulande anerkannt ist.

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Literaturhinweise

225

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B. Käuferverhalten im Marketing I. Konsumentenverhalten 1.

Grundlagen des privaten Kaufentscheids

1.1

Entscheidungssituationen beim Kauf

Der Kauf umfasst eine Reihe von Teilentscheidungen, die in Stufen durchlaufen werden (siehe Abbildung 29):

Budgetentscheidung Produktgruppenentscheidung Markenentscheidung Mengenentscheidung Zeitentscheidung Einkaufsstättenentscheidung

Abbildung 29: Stufen des Kaufprozesses

• Die Budgetentscheidung bezieht sich darauf, welcher Teil  der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel für Käufe ausgegeben werden soll. Dabei geht es auch um die Aufteilung zwischen Sparen, Kreditaufnahme und Konsum, sowie um die Aufteilung des dem Konsum gewidmeten Budgets auf einzelne Lebensbereiche (wie Freizeit, Ernährung, Hobby etc.). • Die Produktgruppenentscheidung bezieht sich darauf, für welche Art von Leistung diese finanziellen Mittel verwendet werden sollen. Dabei stehen die Produktgruppen in mehr oder minder enger substitutionaler Beziehung zueinander um die Verwendung der knappen Budgetmittel.

228

B. Käuferverhalten im Marketing

• Die Markenentscheidung bezieht sich darauf, welche Leistung innerhalb der ausgewählten Art konkret gekauft werden soll. Auch die Marken innerhalb einer Produktgruppe stehen in mehr oder minder enger substitutionaler Beziehung zueinander, wobei allenfalls alleinstellende Positionierungen Abhilfe schaffen. • Die Mengenentscheidung bezieht sich darauf, welche Menge des ausgewählten Angebots geordert werden soll. Für kleine Mengen spricht das geringere Risiko, zudem die niedrige Finanzmittelbindung, für große Mengen spricht der meist günstigere Preis je Einheit und die einfachere Einkaufsorganisation. • Die Zeitentscheidung bezieht sich darauf, wann diese Menge der gegebenen Marke in der gegebenen Produktgruppe beschafft werden soll. Dabei kann je nach Produkt nach Jahreszeit, Monatsablauf, Wochentag und Tageszeit differenziert werden. • Die Einkaufsstättenentscheidung bezieht sich darauf, wo die Beschaffung er­ folgen soll. Dabei stehen nicht mehr die Produkte, sondern die Absatzmittler im Mittelpunkt der Wahl, d. h. aus der Interbrand Competition wird eine Intrabrand Competition, der Wettbewerb der Händler also darüber, wo ein präferiertes Angebot konkret eingekauft wird. Hinsichtlich der personalen Konstellation für den Kauf sind mehrere Kriterien von Bedeutung. Zunächst die Beziehungen zwischen Verwender und Käufer nach Personenidentität oder nicht. Dabei können vier Kombinationen unterschieden werden (siehe Abbildung 30):

Käufer

Nicht-Käufer

Nutzer

Käufer = Nutzer

Nicht-Käufer = Nutzer

NichtNutzer

Käufer = Nicht-Nutzer

Nicht-Käufer = Nicht-Nutzer

Abbildung 30: Personenidentität Käufer – Nutzer

• Der Käufer ist zugleich Nutzer. Dies ist etwa in Einpersonen-Haushalten ge­ geben. Dies ist der einfachste Fall, wer einkauft, muss dann auch mit dem leben, was er einkauft.

I. Konsumentenverhalten

229

• Ein Nichtkäufer ist Nutzer. Dies ist z. B. im gewerblichen Bereich der Fall, wo der Einkauf durch Funktionsträger erfolgt. Der Verwender ist dabei von der Wahl des Einkäufers abhängig bzw. muss den Einkäufer in der Richtung konditionieren, dass dieser Produkte einkauft, die für den Verwender optimal ge­ eignet sind. • Der Käufer ist Nichtnutzer. Dies ist etwa bei Auftragskäufen gegeben, welche die haushaltsführende Person für ihre Familie tätigt. Zwar wird immer noch der Großteil der Haushaltseinkäufe von der haushaltsführenden Person selbst bestimmt, jedoch steigt der Anteil der Käufe, bei denen der Verwender vorgibt, welches Produkt für ihn zu beschaffen ist. • Ein Nichtkäufer ist Nichtnutzer. Dies gilt z. B. für externe Berater oder Meinungsbildner. Dabei ist gefährlich einzuschätzen, dass diese Personen nicht unbedingt mit den Konsequenzen ihrer Empfehlung leben müssen. Insofern bedarf es eines hohen Verantwortungsbewusstseins auf deren Seite. Nach den Beziehungen zwischen Entscheidungsträger und Entscheidungsumfeld können folgende Kombinationen unterschieden werden (siehe Abbildung 31):

Privatsphäre

Indivualentscheid

Kollektiventscheid

Individualentscheid in der Privatsphäre

Kollektiventscheid in der Privatsphäre

IndividualKollektivOrganientscheid in der entscheid in der sationssphäre Organisationssphäre Organisationssphäre

Abbildung 31: Entscheidungsträger und -umfeld

• Ein Individualentscheid erfolgt in der Privatsphäre. Dies ist der Fall, wenn ein Konsument allein einkauft. Hier liegt das Schwergewicht der Untersuchungen des Konsumentenverhaltens. • Ein Individualentscheid erfolgt in der Organisationssphäre. Dies ist bei Funktionsträgern des Einkaufs im gewerblichen Bereich (organisationale Beschaffung) der Fall. • Ein Kollektiventscheid erfolgt in der Privatsphäre. Dies ist bei Einkäufen, die der Familienentscheidung unterliegen, der Fall. Hier wirken mehrere Personen mit zum Teil divergierenden Interessen auf den Kaufentscheid ein.

230

B. Käuferverhalten im Marketing

• Ein Kollektiventscheid erfolgt in der Organisationssphäre. Dies ist bei Einkaufsgremien im gewerblichen Bereich gegeben. Darauf liegt ein Schwerpunkt der Untersuchung des organisationalen Beschaffungsverhaltens. 1.2 Kaufentscheidungsarten Es können vier Arten von Kaufentscheidungen unterschieden werden (siehe Abbildung 32). Kommen geringe Bedeutung und geringe Neuartigkeit des Kaufs zusammen, finden habitualisierte Käufe statt. Sie sind typisch für den sich häufig wiederholenden Erwerb von Leistungen des täglichen Bedarfs. Ihnen ist einmal ein echter, komplexer Entscheidungsprozess vorausgegangen, dessen Ergebnis nunmehr unverändert beibehalten wird. Das Ausmaß der damit verbundenen Informationsbeschaffung und -verarbeitung ist sehr gering. Auf die Einbeziehung neuer Alternativen wird verzichtet, die kognitive Steuerung ist wenig ausgeprägt. Häufig wird Markentreue eingehalten, es können aber auch wechselnde Angebote, die sich im Evoked Set qualifiziert haben, gewählt werden. Ursachen dafür sind positive Erfahrungen mit Angeboten, die Vermeidung von Kaufrisiken oder die initiative Übernahme von Verhaltensmustern anderer.

gering

Habitualisierter Kauf

Limitierter Kauf

hoch

Neuartigkeit des Kaufs

Bedeutung des Kaufs gering hoch

Impulsiver Kauf

Extensiver Kauf

Abbildung 32: Kaufentscheidungsarten

Kommen geringe Bedeutung und hohe Neuartigkeit des Kaufs zusammen, finden impulsive Käufe statt. Sie sind durch ein sehr geringes Ausmaß kognitiver Steuerung bei gleichzeitig großem Einfluss von Emotionen als spontanen Ein­ drücken gekennzeichnet. Impulskäufe sind ungeplant und laufen ohne bewusste Informationssuche sehr schnell ab. Sie betreffen eine unmittelbare und situationsbedingte, quasi automatisch ablaufende Reaktion. Sie werden durch die Ausweitung der Kaufkraft der Nachfrager begünstigt. Ausschlaggebend sind Reize vom Produkt selbst oder am Einkaufsort (POS). Meist handelt es sich um Produkte, die nicht unbedingt benötigt werden, aber die Lebensqualität steigern. Man unterscheidet:

I. Konsumentenverhalten

231

• reine Impulskäufe, die produktseitig ausschließlich reizgesteuert sind (Impulskäufe i. e. S.), • impulsive Erinnerungskäufe, die auf spontaner Aktualisierung latenten Bedarfs beruhen, • suggestive Impulskäufe, die aus der Kaufsituation heraus gleich beim ersten Kontakt zum Kaufakt führen, • „geplante“ Impulskäufe, die nur nach der Warengruppe geplant sind und für die ein Rahmenbudget bereitsteht. Kommen hohe Bedeutung und geringe Neuartigkeit des Kaufs zusammen, finden limitierte Käufe statt. Sie zeichnen sich durch bewährte Problemlösungsmuster und Erfahrungen aus früheren, ähnlichen Käufen aus, aus denen bewährte Entscheidungskriterien resultieren, so dass nur wenige Alternativen beurteilt werden. In der konkreten Kaufsituation muss daher gemäß dieser Kriterien nur noch die Auswahl unter den real verfügbaren Alternativen getroffen werden. Da ein gespeichertes Auswahlprogramm vorliegt, findet die Prozedur zwar statt, kann jedoch verkürzt und bei Vorliegen eines den Ansprüchen gerecht werdenden An­ gebots abgebrochen werden. Kommen hohe Bedeutung und hohe Neuartigkeit des Kaufs zusammen, finden extensive Käufe statt. Sie zeichnen sich durch umfassende, zum großen Teil bewusst ablaufende Problemlösungsprozesse mit hoher kognitiver Beteiligung und großem Informationsbedarf aus. Beides führt zu langer Entscheidungsdauer. Die kognitive Beteiligung ist deshalb so stark ausgeprägt, weil sich die generelle Kaufabsicht erst während des Entscheidungsprozesses herausbildet. Dies ist typisch für Käufe, die erstmals getätigt werden, für Bedürfnisse, die neuartig erlebt werden, bei großer persönlicher Bedeutung, bei veränderter Beschaffungssituation, bei unbekanntem Anspruchsniveau etc. Dennoch kommen sie insgesamt selten vor. Die Informationsbeschaffung von Käufern dient dem Erwerb von zum Kauf als notwendig erachtetem Wissen. Dabei kann es sich um eine aktive oder passive Informationsaufnahme handeln und um eine endogene oder exogene Informa­ tionssuche. Die stärkste Ausprägung repräsentiert die aktive, exogene Informationsbeschaffung. Sie ist durch Art und Menge der betrachteten Alternativen, Produkteigenschaften, Informationsquellen, Einzelinformationen und deren Reihenfolge charakterisiert. In Bezug auf diesen letzten Aspekt werden Entscheidungsregeln zugrunde gelegt. 1.3

Entscheidungsregeln beim Kauf

Entscheidungsregeln beim Kauf (Kaufheuristiken) sind vereinfachte Vorgehensweisen von Käufern angesichts begrenzter menschlicher Informationsverarbeitungskapazitäten. Der Kaufentscheid kann nach den Merkmalen Art der

232

B. Käuferverhalten im Marketing

Bewertung von Alternativen, angelegte Wahlkriterien und Reihenfolge der Informationsverarbeitung charakterisiert werden (siehe Abbildung 33). Von kompensatorischen Heuristiken spricht man, wenn die Nachteile einer zur Auswahl stehenden Alternative hinsichtlich einzelner Eigenschaften durch Vorteile bei anderen Eigenschaften ausgeglichen werden können. Man unterscheidet metrische und ordinale, kompensatorische Modelle.

kompensatorische Heuristiken Beurteilungsmodell

nicht kompensatorische Heuristiken Konjunktionsregel

linear-additiv

Disjunktionsregel

nicht-linear

Lexikografieregel

Auswahlmodell

Eliminationsregel

Attributdominanz

sequenziell

Erwartungsregel

aspektweise

Additive Differenzregel

Abbildung 33: Alternative Entscheidungsregeln beim Kauf

Das Beurteilungsmodell führt durch exakte Bewertung und Eigenschaftsgewichtung zur Wahl der absolut besten Alternative. Dabei werden alle zur Auswahl stehenden Alternativen einzeln hinsichtlich aller relevanten Eigenschaften bewertet. Diese Einzelbewertungen werden dann linear-additiv verknüpft. Die Alternative mit dem höchsten Gesamtwert wird präferiert. Stattdessen kann auch eine subjektive Gewichtung jedes Merkmals (nicht-linear) vorgenommen werden. Das Auswahlmodell legt eine Rangfolge der Alternativen zugrunde. Dabei gibt es drei Ausprägungen: • Wird keine Eigenschaftsgewichtung vorgenommen, kommt es zunächst zur Wahl der relativ besten Alternative (Attribut-Dominanzregel). Dabei sind einzelne, im Vorhinein als besonders bedeutsam festgelegte Kriterien für den Kauf ausschlaggebend. Diese werden durch Paarvergleiche bewertet. Es wird also betrachtet, ob die eine oder andere Alternative in Bezug auf die untersuchten Eigenschaften überlegen ist oder nicht. Die Präferenz ergibt sich durch Addition der Überlegenheitsurteile und Wahl der Alternative mit der Mehrheit der Vorzüge. • Werden, bei ansonsten gleichem Vorgehen, die als bedeutsam erachteten Eigenschaften gewichtet, so handelt es sich um die Anwendung der Erwartungsregel.

I. Konsumentenverhalten

233

• Werden Paarvergleiche von Alternativen derart durchgeführt, dass jedes Paar hinsichtlich relevanter Eigenschaften verglichen und dessen Bewertungsdifferenz festgehalten wird, handelt es sich um die additive Differenzregel. Die Differenzen werden dann analog der subjektiven Bedeutung der verschiedenen Eigenschaften gewichtet und addiert. In Abhängigkeit vom Vorzeichen des Ergebnisses wird die jeweils überlegene Alternative präferiert. Sie kann sukzessiv in der nächsten Stufe einer weiteren, noch nicht bewerteten Alternative im Paarvergleich gegenübergestellt werden. Dieser K. O.-Prozess setzt sich solange fort, bis die beste Alternative übrig bleibt. Bei nicht-kompensatorischen Heuristiken können die Nachteile einer zur Auswahl stehenden Alternative hinsichtlich einzelner Eigenschaften bereits zum Ausschluss von der Kaufentscheidung führen. Ein schlechter Eindruck eines Details verdirbt also den Gesamteindruck. Man unterscheidet folgende nicht-kompen­ satorischen Heuristiken. Bei der Wahl einer befriedigenden Alternative wird für jede relevante Eigenschaft ein gerade noch akzeptables Minimal-Niveau bestimmt (Konjunktions­ regel). Alternativen, die bereits eine dieser Mindestanforderungen nicht erfüllen, werden von der Kaufentscheidung ausgeschlossen. Es kann passieren, dass am Ende keine oder mehr als eine Alternative übrig bleiben. Erfüllen mehrere Optionen die gestellten Standards, wird deren Niveau schrittweise solange sukzessiv erhöht, bis nur noch eine übrig Option bleibt, die dann realisiert wird. Die Disjunktionsregel legt weitergehend fest, dass nur solche Alternativen betrachtet werden, die mindestens einem festgelegten Ausschlusskriterium genügen. Dieses ist recht hoch angesetzt. Alternativen, die keines der definierten Akzeptanzniveaus erfüllen, scheiden bei der Kaufentscheidung aus. Es kann wiederum passieren, dass am Ende keine oder mehr als eine Alternative übrig bleiben. Erfüllt keine der Optionen die gestellten Standards, wird deren Niveau schrittweise solange sukzessiv gesenkt, bis sich eine Option ergibt, die realisiert werden kann. Bei der Lexikographieregel werden alle relevanten Eigenschaften nach ihrer Bedeutung gerangreiht. Nur das wichtigste von ihnen wird bezüglich aller Alternativen bewertet. Diejenige Alternative wird ausgewählt, die, unabhängig von den Ausprägungen der anderen, weniger wichtigen Eigenschaften, dabei am besten abschneidet. Gibt es mehrere Angebote, welche die Anforderung gleich gut erfüllen, wird die Beurteilung auf das nächstwichtigste Attribut ausgedehnt. Somit wird die relativ beste Alternative ausgewählt. Alternativen, die das wichtigste Merkmal nicht besitzen, scheiden aus. Nach der Eliminationsregel kommt es zur Wahl einer befriedigenden Alternative. Sie besagt, dass bestimmende Eigenschaften als sequenzielle Ausschlusskriterien (Mindestniveau) definiert werden. Dabei wird sukzessiv derart vorgegangen, dass nacheinander alle relevanten Eigenschaften betrachtet und jeweils die Alternativen ausgeschieden werden, die als nicht leistungsfähig genug angesehen

234

B. Käuferverhalten im Marketing

werden. Wird dabei nach der Bedeutung der Eigenschaften vorgegangen, handelt es sich um eine aspektweise Elimination. 1.4 Markenauswahl Zentral im Käuferverhalten ist bei der Wichtigkeit von Marken das Markenbewusstsein. Der selektiven Markenauswahl liegt der Evoked Set of Brands zugrunde (siehe Abbildung 34). Total Set Available Set

Unavailable Set

Awareness Set

Unawareness Set

Processed Set

Foggy Set Reject Set

Relevant Set

Hold Set

Loyalty Set Abbildung 34: Hierarchie der Markenauswahl

Ausgangspunkt ist der Total Set aller in einem gegebenen Zeitpunkt an einem gegebenen Ort innerhalb einer gegebenen Ausgangsbasis vorhandenen Marken. Dieser teilt sich auf in den Available Set aller verfügbaren Marken. Der Rest der nicht verfügbaren Marken macht den Unavailable Set aus und entfällt im­ Folgenden. Der Available Set teilt sich in einen Unawareness Set auf, zu dem alle Marken gehören, die dem Käufer unbekannt sind. Diese fallen für den Kaufentscheid im Weiteren aus. Und einen Awareness Set, zu dem alle diejenigen Marken gehören, die dem Käufer bekannt sind. Der Awareness Set wiederum unterteilt sich in solche Marken, die dem Käufer nicht näher vertraut und damit für ihn irrelevant sind, den Foggy Set, und solche, die dem Käufer vertraut und wichtig sind, den Processed Set (auch Competing Set). Nur diese Marken kommen im Weiteren für einen Kaufentscheid in Betracht. Der Processed Set seinerseits unterteilt sich in individuell abgelehnte Marken, die den Reject Set (Inept Set) ausmachen, und akzeptierte Marken, die den Poten-

I. Konsumentenverhalten

235

tial Set (auch Consideration Set) darstellen. Aber nicht alle Angebote darin sind gleichermaßen für einen möglichen Kauf akzeptiert. Denn der Potential Set schließlich besteht aus vorläufig zurückgestellten Marken, die den Hold Set (auch Inert Set) ausmachen, und präferierten Marken, die den Relevant Set ausmachen. Nur unter diesen wenigen Marken fällt letztlich die Kaufentscheidung. Das Problem besteht nun darin, dass Käufer aufgrund ihrer begrenzten Datenaufnahme-, -verarbeitungs- und -speicherungskapazitäten erfahrungsgemäß allenfalls einige wenige Marken im Relevant Set präsent haben. Da aber nur unter diesen letztlich der Kaufentscheid fällt, ist es für Anbieter überlebenswichtig, zu diesen wenigen Marken bei einer möglichst großen Anzahl von potenziellen Käufern zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort der Verbreitung zu gehören. Dazu bedarf es intensiver Marketinganstrengungen. Vor allem neue Angebote haben nur dann eine Chance, in den Relevant Set aufgenommen zu werden, wenn es ihnen gelingt, zugleich eine dort präsente Marke zu verdrängen, oder aber einen neuen Markt, und damit einen neuen Evoked Set of Brands, zu etablieren, was allerdings außerordentlich selten gelingt. Dagegen wiederum setzen sich die bestehenden Anbieter zur Wehr. Die größte Absicherung gegen Verdrängung besteht für den Marktführer. Das Käuferverhalten kann im Einzelnen auf vier Ebenen analysiert werden. Erstens auf der Individualebene durch psychologische Modelle des Konsumenten­ verhaltens, zweitens auf der Gruppenebene durch soziologische Modelle des Konsumentenverhaltens, drittens auf organisationaler Ebene durch Modelle des Gewerblichen Beschaffungsverhaltens und viertens auf gesellschaftlicher Ebene (hier nicht betrachtet).

2.

Erklärungsmodelle des Konsumentenverhaltens

2.1 Übersicht Zur Erklärung des Konsumentenverhaltens werden verschiedenste Ansätze herangezogen. Im Wesentlichen handelt es sich dabei im Bereich des Konsumentenverhaltens um Mechanikansätze, Strukturansätze und Simulationsansätze (siehe Abbildung 35). Bei Mechanikansätzen werden zwei Gruppen von Modellen unterschieden: Lernmodelle und Zufallsmodelle. Bei beiden handelt es sich um behavioristische Ansätze. Der Behaviorismus beruht auf einem Paradigmawechsel, weg von Bewusstseinsprozessen und hin zum Verhalten. Er lehnt Aussagen ab, die auf subjektiven Erfahrungen und Erlebnissen beruhen und akzeptiert nur objektive, beobachtbare Reize, also feststellbare und messbare Aktivitäten des lebenden Organismus als Reaktion auf innere oder äußere Reize. Mechanikansätze sind die

236

B. Käuferverhalten im Marketing

Kaufverhalten in Privatsphäre (Konsumentenverhalten) Mechanikansätze

Kaufverhalten in Organisationen (Gewerbl. Beschaffungsverhalten) Partialmodelle

Zufallsmodelle

horizontal

Lernmodelle

vertikal

Strukturansätze Haushaltstheorie

komplex Totalmodelle

Systemansätze Einfache Partialmodelle psychologisch soziologisch kognitive Ansätze Komplexe Partialmodelle Totalmodelle Prozessmodelle Simulationsansätze

Abbildung 35: Ansätze im Käuferverhalten

ältesten Versuche zur Erklärung des Käuferverhaltens. Strukturen im Käuferverhalten sind danach nicht erkennbar und daher auch nicht eindeutig untersuchbar. Das Verhalten wird vielmehr durch Stimuli (z. B. Werbung) und Reaktionen darauf (z. B. Kauf) bestimmt (S-R-Verknüpfung). Die Prozesse, die dazu führen, dass aus der bloßen Wahrnehmung der Werbung ein Kaufakt wird, finden in der Black Box der Psyche des Menschen statt und verschließen sich somit einer Analyse. Sie werden entweder als unbekannt akzeptiert oder aber als irrelevant angesehen und durch Abhängigkeits- oder Stochastikprozesse ersetzt. Ergebnis ist immer eine Aussage dahingehend, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Individuum in einer bestimmten Art und Weise auf Reize reagieren wird. Der Ansatz ist also eigentlich theorielos.

I. Konsumentenverhalten

237

Bei Strukturansätzen hingegen handelt es sich um neo-behavioristische Modelle. Diese sind neuere Versuche zur Erklärung des Käuferverhaltens. Sie stellen neben den direkt beobachtbaren und daher messbaren Variablen auf intervenierende Variable ab, die allenfalls indirekt über Indikatoren gemessen werden können. Dadurch wird versucht, die Black Box des Organismus zu erhellen. Zwischen Stimuli (z. B. Werbung) und Reaktionen darauf (z. B. Kauf) werden hypothetische Konstrukte als Verbindung gesehen (z. B. Einstellung zum Absender), die den Zusammenhang zwischen Stimuli und Reaktionen erklären (S-O-R-Verknüpfung/O = Organism). Diese sollen über Erhebungen (z. B. Befragung) erfasst werden. Da hypothetische Konstrukte zunächst keinen nachweisbaren Wirklichkeitsbezug haben, müssen Korrespondenzregeln für eine operationale Beziehung zugeordnet werden. Dies erfolgt meist über verschiedene Skalierungsverfahren. Innerhalb der Strukturansätze gibt es Systemmodelle, Haushaltsmodelle und Prozessmodelle. Systemmodelle untersuchen die im Individuum ablaufenden Vorgänge auf der aktivierenden, kognitiven und individuellen Ebene. Von diesen wird dann deduktiv auf das Verhalten der Person geschlossen. Die Systemmodelle wiederum lassen sich in Total- und Partialmodelle unterteilen. Totalmodelle des Käuferverhaltens weisen eine umfassende, Partialmodelle nur eine einseitige verhaltenswissenschaftliche Fundierung auf. Diese empirische Fundierung ist bei allen Totalmodellen nur unzureichend gegeben. Die Partialmodelle hingegen sind uneingeschränkt empirisch fundiert. Die Aggregierbarkeit des einzelnen Verhaltens ist unterschiedlich ausgeprägt, die Berücksichtigung eigener und konkurrierender Marketingmaßnahmen ist nur gering, alle Ansätze sind primär nur für kurzlebige Konsumgüter einsetzbar. Außerdem gibt es die klassischen Haushaltsmodelle, die eine mikroökonomische Grundlage zur Beurteilung des Käuferverhaltens liefern. Sie sind jedoch durch zahlreiche unrealistische Prämissen belastet. Prozessmodelle befassen sich mit dem Zustandekommen von Kaufentscheidungen und ihren Voraussetzungen. Sie haben erheblich an Bedeutung gewonnen, vor allem in Form der Konstrukte Kundenzufriedenheit bzw. Kundenunzufriedenheit. Unter Simulationsansätzen sind Techniken zur nummerischen Auswertung quantitativer Modelle zu verstehen. Anwendung finden Simulationen, wenn der Komplexitätsgrad eine analytische Auswertung behindert, das Modellverhalten bei unterschiedlichen Marketingaktivitäten untersucht oder im Zeitablauf in zeitsparender Weise analysiert werden soll („Zeitraffer“). Insofern werden auf experimentelle Weise alternative Systemzustände erzeugt, indem Input-Daten systematisch variiert werden. Die praktische Relevanz dieser Ansätze ist zwar deutlich eingeschränkt, wird jedoch durch Computerstützung zunehmend höher.

238 2.2

B. Käuferverhalten im Marketing

Mechanikansätze zur Erklärung

Mechanikansätze verzichten auf die Modellierung der Variablen im Organismus (= O). Die Zusammenhänge zwischen Reizinput (= S für Stimulus) und Reaktionsoutput (= R für Response) werden vielmehr nicht untersucht und ersatzweise als mechanistisch verknüpft dargestellt. Bei den Stimuli kann es sich um vom Betrieb kontrollierte Variable (z. B. Werbekampagne) oder vom Betrieb nicht-kontrollierte Variable handeln (z. B. Kaufkraft). Hinzu kommen situative Variable (z. B. Zeitdruck). Es entspricht der Ökonomie des Denkens, sich auf die wesentlichen Zusammenhänge zu konzentrieren und konkrete Größen anstelle psychologischer und soziologischer Konstrukte anzunehmen (siehe Abbildung 36). Behavioristischer Ansatz

Stimulus

Black Box

Response

Neo-behavioristischer Ansatz Hypothetische Konstrukte

Stimulus

Intervenierende Variable

Response

Indirekte Messgrößen

Abbildung 36: Modelle im Konsumentenverhalten

Bei Zufallsmodellen werden nur die wesentlichen Zusammenhänge im Modell explizit abgebildet, alle anderen werden vernachlässigt und ersatzweise durch Zufallskomponenten erfasst. Nach dem Ausmaß des Zufalls handelt es sich um quasi-deterministische oder objektiv-stochastische Ansätze. Bei quasi-deterministischen Ansätzen stellen Funktionsgleichungen einen sicheren (ökonometrischen) Zusammenhang zwischen Stimulus und Response her, wobei nicht verfasste Wirkgrößen durch eine Zufallsgröße (Störglied)  erfasst werden. Insofern wird ein im Prinzip deterministisches Modell an die Realität angepasst (siehe Abbildung 37) Bei objektiv-stochastischen Ansätzen wird eine Reaktionswahrscheinlichkeit der Käufer auf Veränderungen im Umfeld (also bei nicht-kontrollierten Variablen)

I. Konsumentenverhalten

239

S = Stimulus (z.B. Coke, Pepsi, Fanta, Sprite, Bluna)

Mathematisch-statistische Form der Verknüpfung von Input und Output

R = Reaktion (z.B. Kauf von Sprite)

Abbildung 37: Mechanik des Zufallmodells (Beispiel)

mittels Zufallssteuerung der Kaufprozesse (vollstochastisch) bestimmt. Es wird also die Kaufentscheidung in ihrer Gesamtheit als Zufallsmechanismus interpretiert. Beiden ist gemein, dass sie aus den Ergebnissen erst im Nachhinein auf Wirkungen schließen. Bei Lernmodellen handelt es sich um subjektiv-stochastische Ansätze. Hier wird eine Beziehung zwischen Reizinput und Reaktionsoutput aufgrund von Erfahrung hergestellt. Dabei wird von der Art des Inputs (Stimulus) auf die Art des Outputs (Reaktion) geschlossen. Es sind also in gewisser Weise Prognosen möglich. Lernen beinhaltet die systematische Änderung des Verhaltens aufgrund erworbener Erfahrungen. Lernen kann zur Generalisierung oder zur Diskriminierung genutzt werden. Beide können sich auf Reize (Stimuli) oder Reaktionen (Response) beziehen. Lerntheorien, die dem S-R-Ansatz folgen, sind die klassische und die instrumentelle Konditionierung. Die klassische Konditionierung entspricht dem Lernen durch zeitliches Zusammenwirken verschiedener Erlebnisinhalte. Wird ein Reiz, der für das Individuum zunächst keine Bedeutung hat und auch keine Reaktion auslöst (= neutraler Reiz), wiederholt kurz vor und während der Darbietung eines Reizes, der aufgrund angeborener Reiz-Reaktions-Verknüpfung eine reflexive Reaktion auslöst (= unbedingter Reiz), dargeboten, so löst schließlich auch der neutrale Reiz diese Reaktion aus. Das Individuum hat gelernt, auf den ursprünglich neutralen Reiz zu reagieren, der Reiz wurde konditioniert. Grundlage dieses Lernprozesses ist die räumliche und zeitliche Nähe (= Kontiguität) der beiden Reize. So findet nach häufiger Wiederholung eine Kopplung zwischen einen originären, unbedingten und einem derivativen, bedingten Reiz zur Reaktion durch Lernen derart statt, dass das gewünschte Resultat nicht mehr nur beim ursprünglichen, sondern ebenso bereits allein beim derivativen Reiz eintritt (siehe Abbildung 38). Im Experiment

240

B. Käuferverhalten im Marketing

Unkonditionierter Stimulus Konditionierter Stimulus Konditionierter Stimulus

Unkonditionierter Response Unkonditionierter Stimulus

Konditionierter Response Konditionierter Response

Abbildung 38: Abfolge der Klassischen Konditionierung

von Pawlow wurde dazu einem Hund zusammen mit seinem Futter immer auch ein Glockenzeichen gegeben (Stimulus). Der Hund zeigte Speichelfluss aus Vorfreude (Response). Nachdem der Zusammenhang zwischen beiden ursprünglich unverbundenen Signalen gelernt war, reagierte der Hund mit Speichelfluss auch nur beim Glockenzeichen, also schon ohne Futter. Sein Reflex war darauf konditioniert. Der Akzent der klassischen Konditionierung liegt also auf der StimulusSeite. Der unkonditionierte Stimulus wird unabhängig vom Verhalten des Organismus vorgegeben und bestimmt dessen Verhalten. Das Zeitintervall zwischen konditionierter Reaktion und unkonditioniertem Stimulus ist fest, Reaktionen laufen reflexartig ab. Alte Reaktionen werden mit neuen Reizen verknüpft. Von einer Konditionierung zweiter oder höherer Ordnung spricht man, wenn zwei oder mehr Reize verknüpft werden. Bei der instrumentellen Konditionierung liegt der Akzent hingegen auf der Response-Seite. Die instrumentelle Konditionierung (auch operante Konditionierung genannt) entspricht dem Lernen nach dem Verstärkerprinzip als Wiederholung erfolgreichen Versuchs- und Irrtumshandeln. Im Experiment von Skinner wurden Ratten als Versuchstiere mit einem Hebelmechanismus konfrontiert, dessen richtige Betätigung dann Futter freigab. Nach Ausprobieren (Tria & Error) fanden sie so auch bald den richtigen Dreh heraus. Diese Belohnung führte zum Lernen des Zusammenhangs und damit bei Wiederholung des Vorgangs gleich zum richtigen, erfolgreichen Handeln. Nicht erfolgreiche Lösungen werden also revidiert, erfolgreiche hingegen perpetuiert. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein bestimmtes Verhalten als Reaktion auf Reize auftritt, ist umso größer, je ähnlicher ein bestimmter Reizkomplex dem Reizkomplex ist, bei dem in der Vergangenheit dasselbe oder ein ähnliches Verhalten belohnt worden ist, je häufiger dieses in einem bestimmten Zeitabschnitt Belohnungen einbringt, die höher als die Aufwendungen sind und je höher der Wert der daraufhin erhaltenen globalen Belohnung ist. Der Wert einer solchen Belohnung ist umso geringer, je häufiger man sie zuvor bereits erhalten hat. Widerstreben Belohnungen dem Grundsatz der gerechten Verteilung, kommt es zur Abwehrreaktion. Treten Verhalten und Belohnung wiederholt in kürzeren Zeitabständen nicht mehr gemeinsam auf, so kommt es zur Extinktion der gelernten Reaktion.

I. Konsumentenverhalten

241

Bei beiden Lernprinzipien ergeben sich Generalisierungs- und Diskriminierungstendenzen sowohl hinsichtlich Reiz als auch Reaktion. Von Stimulusgeneralisierung spricht man, wenn ein Käufer lernt, auf ähnliche Reize gleich zu reagieren. Durch Generalisierung kann der Imitator an der Verwechslungsfähigkeit seines Angebots mit dem des Imitierten partizipieren (z. B. Milka- und AlpiaSchokolade). Umgekehrt muss bei der Individualisierung erst die Grenze der Generalisierung durchbrochen werden, bevor eine Eigenständigkeit erreicht werden kann, auf die Nachfrager anders als in generalisierter Weise reagieren. Von Stimulusdiskriminierung spricht man, wenn ein Käufer lernt, auf ähnliche Reize unterschiedlich zu reagieren. So werden Produkte, die den gleichen Grundnutzen, aber verschiedenartige Zusatznutzen bieten (z. B. Golf Basis und Golf GTI) trotz weit überwiegend gleicher Wahrnehmung erheblich unterschiedlich beurteilt. Dieses Phänomen wird bei der Angebotsdifferenzierung genutzt. Dazu muss allerdings in der Kommunikation ein erhebliches Maß an Lerneinheiten transportiert werden, um subtile Signalunterschiede zuverlässig erkennbar zu machen. Von Responsegeneralisierung spricht man, wenn ein Käufer lernt, auf unterschiedliche Reize ähnlich zu reagieren. Dies wird etwa beim Imagetransfer genutzt, wo die Bekanntheit und Vertrautheit einer Marke genutzt wird, um sie in einem anderen Umfeld, möglichst mit hinreichend engem Zusammenhang, mit Erfolg einzusetzen (z. B. Joop Parfüm, Davidoff-Zigaretten, Mars Eiscreme). Die Lerninhalte werden dazu von Anbietern aus einem Marktbereich in einen anderen mittels Markenerweiterung übertragen. Von Responsediskriminierung spricht man, wenn ein Käufer lernt, auf unterschiedliche Reize auch unterschiedlich zu reagieren. Dies entspricht der verbreitetsten Art des Lernens. Darauf beruht die Marktsegmentierung, nach der sich Käufergruppen deutlich voneinander abtrennen. So sprechen bestimmte Argumente (z. B. Prestige) immer nur bestimmte Zielgruppen an (z. B. Statusorientierte) und lassen andere kalt. Als leistungsfähiger als diese Mechanikansätze zur Erklärung sind jedoch Strukturansätze anzusehen. Diese sind als Total- oder Partialmodelle ausgeprägt. Partialmodelle bilden jeweils nur einen Ausschnitt der Variablen des Käuferverhaltens ab, d. h. sie untersuchen einen Einflussfaktor vertieft und vernachlässigen zugleich die weiteren. Es wird also jeweils nur ein Konstrukt zentral behandelt, weil für dieses ein überragender Erklärungsbeitrag angenommen wird. Das heißt, keine Reaktion ist möglich, ohne dass dieses Hauptkonstrukt nicht einen dominierenden Einfluss darauf gehabt hätte. Zwar sind ihre Aussagen nur bedingt gültig, weil immer mehrere Faktoren auf eine Reaktion einwirken dürften, also neben dem Haupt- auch weitere Nebenkonstrukte, dafür bieten sie aber zahlreiche Ansätze für die Umsetzung in konkrete Marketingmaßnahmen. Bei den Partialmodellen sind wiederum je nach der Art der besonders berücksichtigten Variablen psychologisch orientierte und soziologisch orientierte Ansätze zu unterscheiden

242

B. Käuferverhalten im Marketing

(siehe Abbildung 39). Psychologische Ansätze betreffen vor allem Emotion, Motivation, Einstellung, Involvement, Risikoempfinden, Lebensstil, Wahrnehmung, Lernen und Gedächtnis. Soziologische Ansätze betreffen vor allem Kultur, Gruppenstruktur, Familie, Rollenbeziehungen und Meinungsführerschaft als wichtigste Einflussgrößen (siehe Abbildung 40).

Kaufprozess, Kaufbasis, Entscheidungsart, Entscheidungsregeln, Markenbewusstsein Emotion, Motivation, Einstellung Involvement, Risikoempfinden Werte, Wahrnehmung Lernen, Gedächtnis Normen, Subkultur, Soziale Schicht Gruppenstruktur, Familie, Rolle Macht, Meinungsführerschaft

Abbildung 39: Einflussfaktoren auf das Kaufverhalten

Gruppe Gruppenstruktur

Kultur Normen

Mitgliedschaftsgruppe

Subkultur

Bezugsgruppe

Soziale Schicht

Primärgruppe Familie

Meinungsführerschaft

Kaufentscheidungsanteil

Two Steps Flow-Ansatz

Familienlebenszyklus

Two Cycles-Ansatz

Rolle Macht Soziale Macht Konfliktentwicklung

Abbildung 40: Soziologische Partialmodelle des Konsumentenverhaltens

I. Konsumentenverhalten

2.3

243

Soziologische Erklärungsmodelle

2.3.1 Kultur Unter Kultur wird ein kollektives Wertesystem verstanden, das durch Normen Toleranzgrenzen für konformes Verhalten innerhalb der Gesellschaft festlegt. Es verkörpert ein System von Leitvorstellungen, das sich im Rahmen des menschlichen Zusammenlebens entwickelt hat und Vielen gemeinsam ist. Es umfasst neben Vorstellungen und Verhaltensweisen auch materielle Güter und Geräte (z. B. Einrichtungsgegenstände). Normen sind also Auffassungen darüber, wie das Verhalten der einzelnen Gesellschaftsmitglieder in einzelnen Situationen sein sollte. Damit sind Rechte und Pflichten verbunden. Bei diesen Normen handelt es sich im Einzelnen um Muss-, Soll- oder Kann-Normen: • Muss-Normen sind durch Ge- und Verbote gestützt (z. B. Kfz-Haftpflichtversicherung für Autohalter). Hier greifen Gesetze. • Soll-Normen betreffen gesellschaftlich erwünschtes Verhalten, stellen also Konformität her, z. B. eine bestimmte Business-Ausstattung wie Laptop, Füller, Aktenkoffer. • Kann-Normen vergrößern den individuellen Gestaltungsspielraum durch Optionen, d. h. es gibt mehrere akzeptierte Verhaltensweisen. Zur Konfliktvermeidung werden allgemein Nachahmung und Konformität betrieben. Profilierung ist allenfalls als normierte Abweichung toleriert. Normen unterliegen einem kontinuierlichen gesellschaftlichen Wandel. Ihre Einhaltung wird durch Sanktionen gewährleistet. Sanktionen schaffen damit eine in weiten Maßen berechenbare Umwelt. Dabei handelt es sich um Sanktionen durch: • Bestrafung bzw. Entzug von Belohnung bei Normenverstoß, • Belohnung bzw. Vermeidung von Bestrafung bei Normeneinhaltung. Jedoch ist die Kultur kein homogenes Gebilde. Vielmehr bilden sich Subkulturen als in sich relativ geschlossene Gruppen der Gesellschaft, die sich z. B. nach ethnischen Gesichtspunkten, wie Rasse, Religion, Nationalität etc., nach altersmäßigen Gesichtspunkten, wie Kinder, Jugendliche, Senioren etc., oder nach räumlichen Gesichtspunkten, wie Stadt-, Vorort-, Landbevölkerung etc., bilden. Sie gliedern die Gesellschaft horizontal und werden von spezifischen, von der allgemeinen Wertestruktur teilweise abweichenden Normen geeint. So wie Kultur allgemein ein intergesellschaftlicher Begriff ist, so ist Subkultur ein intragesellschaftlicher. Er ist geprägt durch die Identität der Mitglieder, die Gleichartigkeit ihrer Interessen und die Andersartigkeit von den Interessen anderer. Die Stärke des Einflusses hängt ab von der Besonderheit der Subkultur, ihrer Homogenität und ihrer Abgeschlossenheit. Kultur und Subkultur interagieren im Zeitablauf, d. h., es kommt zu einer Assimilation subkulturellen Verhaltens in die (allgemeine) Kultur und zur

244

B. Käuferverhalten im Marketing

Neuentstehung von Subkulturen. Diese Änderungen dürfen allerdings weder zu schnell erfolgen, dann kommt es zur Anarchie, noch zu langsam, dann kommt es zur Erstarrung in der Gesellschaft. Demgegenüber führt die Sozialschicht zu einer vertikalen Gliederung der Gesellschaft, z. B. in Oberschicht, obere, mittlere und untere Mittelschicht, obere und untere Unterschicht, Sozialverachtete. Eine Sozialschicht ist eine große Zahl von Individuen oder Haushalten, die den gleichen Status aufweist und durch die Gleichartigkeit ihrer Lebensumstände charakterisiert ist. Sie zeichnet sich durch Gleichförmigkeiten in vielfältigen, konsumrelevanten Kriterien aus. Verbreitete Einteilungsmerkmale sind demographische wie Ausbildung, Beruf, Einkommen, Vermögen, Abstammung, Macht, Interaktion, die durch Punktbewertung operationalisiert und auf einem Kontinuum abgetragen werden können. Dort hinein können dann Schichtenschnitte gelegt werden. Konsumenten innerhalb einer bestimmten Sozialschicht orientieren sich häufig am Konsum der in der Sozial­ pyramide über ihnen stehenden Gruppe. Die Konsumenten jeder Sozialschicht werden von soziologisch benachbarten Gruppen beeinflusst, deren Impulse Konsumreaktionen auslösen. Auf Konsumveränderungen anderer wird nur bei Überschreiten einer gewissen Reizschwelle reagiert. In nivellierten Mittelstandsgesellschaften ist der Diagnose- und Prognosewert der Schichtenzugehörigkeit eher gering. Eine denkbare Aussage ist, dass Angehörige unterer Sozialschichten eher in Fachgeschäften einkaufen, wo die persönliche Beratung das Manko fehlender Markttransparenz durch fehlenden Zugang zu Informationsquellen ausgleicht, allerdings mit einem höheren Preis bewehrt (Poor pay more-These). Andererseits vollzieht sich ein Wandel von der Schichten- zu einer Lebens­ stil-Gesellschaft. Zielpersonengruppen eint damit nicht mehr eine ähnliche Demographie, sondern ein gleicher Lebensstil bei heterogener Demographie (z. B. Besucher eines Fitness-Centers). Damit aber wird diese Form der Abgrenzung stumpf. Sie ist sehr indirekt und zeigt lediglich Ausprägungen, nicht aber Beweggründe. 2.3.2 Gruppenstruktur Eine Gruppe ist eine Mehrzahl von Personen, die in wiederholten, nicht nur zufälligen wechselseitigen Beziehungen zueinander stehen. Das heißt, die bloße Ansammlung von Menschen ist noch keine Gruppe, sondern lediglich ein soziales Aggregat. Gruppen sind als soziale Einheiten anzusehen, die durch ähnliche Werte und Ziele geformt werden. Gruppen weisen eine soziale Ordnung auf, die Mitgliedern Positionen zuweist. Eine Gruppe einen gemeinsame Ziele, Motive, Interessen, ein „Wir“-Bewusstsein nach innen und außen, ein Werte- und Normengefüge und eine Rollenstruktur und Statusdifferenzierung. Man unterscheidet im Einzelnen Kleingruppen (Mikroebene), Organisationen (Mesoebene), Gesellschaften (Makroebene) und Ideologien (Metaebene).

I. Konsumentenverhalten

245

Gruppen haben eine Tendenz zur Befangenheit in Bezug auf die Illusion der Unverwundbarkeit, zu kollektiver Rationalisierung, zum Glauben an überlegene Moral, zur Stereotypisierung anderer Gruppen, zum Druck auf Abweichler, zur Selbstzensur, zu vermeintlicher Einmütigkeit und zur Informationsfilterung. Dies führt zu Entscheidungsdefekten (Groupthink-Phänomen, z. B. US-Invasion in der Schweine-Bucht/Kuba-Affäre, Sturz des SDP-Vorsitzenden Scharping durch Lafontaine auf Parteitag). Vor allem ist beobachtet worden, dass Gruppen zu risikoreicheren Entscheidungen neigen als Einzelpersonen (Risiko-Schub-Phänomen), was daraus resultiert, dass die Konsequenzen einer Fehlentscheidung nicht allein zu tragen sind. Außerdem gilt Wagemut in der Gruppe womöglich als profilierend. Tatsächlich wird aber auch das genaue Gegenteil beobachtet, dass Gruppen über (meist faule) Kompromisse zu eher risikoscheuen Entscheiden des kleinsten gemeinsamen Nenners neigen. Typische Entscheidungsdefekte betreffen u. a. folgende: • Meidung unsicherer Situationen (Verlustaversion), • Überschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit (Hindsight Bias), • vermeintliche Kontrolle über die Situation (Illusion of Control), • Überschätzung der eigenen Fähigkeiten (Overconfidence Bias), • Nichtstun statt Handeln als bessere Alternative (Omission Bias), • Bestätigungsverzerrung (Regret Bias), • Ausrichtung an der Mehrheit (Herd Bias), • Vermeidung von Extremen, • dominante Kurzfristorientierung. Man unterscheidet informelle Gruppen, die sich durch ein ausgeprägtes „WirGefühl“ und enge Interaktion auszeichnen, und formelle Gruppen, deren Mitglieder in einem rechtlich begründeten, meist eher distanzierten Verhältnis zuein­ander stehen, sich nicht oder kaum richtig kennen. Weiterhin kann man nach der: • Zahl der Mitglieder unterscheiden in Kleingruppen (Face to Face-Gruppen, deren Mitglieder untereinander personenbekannt sind) und eher anonyme (Groß-) gruppen, • Dauerhaftigkeit der Beziehungen in temporäre und dauerhafte Gruppen, • Intensität der Beziehungen in Primärgruppe mit enger Beziehung und zwar informal, z. B. Familie, Freunde oder formal, z. B. Arbeitskollegen, Kommilitonen, sowie Sekundärgruppen als Zweckzusammenschluss und zwar informal, z. B. Nachbarn oder formal, z. B. Vereins-/Parteimitglieder. Das Ausmaß des Gruppeneinflusses auf Kaufentscheidungen hängt von der Identifikation des Individuums mit der Gruppe zusammen. Der Einfluss ist umso

246

B. Käuferverhalten im Marketing

stärker, je häufiger es zu Gruppeninteraktionen kommt, je größer die Zahl der durch die Gruppe befriedigten Bedürfnisse ist, je höher der Gemeinsamkeitsgrad der verfolgten Ziele ist, je höher das Prestige der Gruppenzugehörigkeit ist und je geringer die Konkurrenzsituation innerhalb der Gruppe ist. Bei den bisher dargestellten Gruppenstrukturen handelt es sich um Mitgliedschaftsgruppen. Diese Mitgliedschaft kann faktisch, also durch bloße Teilnahme am Gruppenleben, oder nominell, also durch Aufnahme und Eingliederung, begründet sein. Im Unterschied dazu können Bezugsgruppen Gruppen sein, in denen (noch) keine Mitgliedschaft besteht (angestrebte Bezugsgruppe), mit denen eine Person sich aber in starkem Maße identifiziert. Sie setzen Normen, die das Verhalten lenken und liefern Informationen für wirkungsvolle Urteile in Situationen, in denen einem Individuum eigene Sachkenntnis fehlt oder ihm objektive Vergleichsmaßstäbe nicht zugänglich sind (siehe Abbildung 41).

Mitgliedschaftsgruppe

Bezugsgruppe

Kleingruppe / Großgruppe

Referenz (Peer Group)

temporäre Gruppe / dauerhafte Gruppe

relative Deprivation

informelle Gruppe / formelle Gruppe

Nachahmung oder Anti-Konformität

faktische / nominelle Mitgliedschaft

Abbildung 41: Einteilung von Gruppen

Anhaltspunkt für das Verhalten sind die Wertungen der komparativen Bezugsgruppe (Peer Group). Diese liegt für gewöhnlich eine halbe Stufe über der eigenen sozialen Klasse. Der Abstand hat jedoch eine Toleranzgrenze. Produkte, die diese Peer Group nutzt oder empfiehlt, haben daher eine besondere Attraktivität, weil sie helfen, konsumtiv Mitglied einer sozial höheren Schicht zu werden (= demonstrativer Konsum). Ebenso kann die Ausrichtung zur Anti-Konformität führen (abgelehnte Mitgliedschaftsgruppe). Referenzgruppen werden häufig zum Vergleich mit der eigenen Lebenssituation herangezogen, wobei der Abstand möglichst gering zu halten ist. Ansonsten kommt es zur Frustration (=  relative Deprivation). Aber nicht alle Referenzgruppen brauchen als Mitglied angestrebt zu werden. Eine gemiedene Referenzgruppe dient vielmehr der Absetzung, meist nach unten. Die Ausrichtung an der Bezugsgruppe kann also zur Konformität oder

247

I. Konsumentenverhalten

auch zur Anti-Konformität führen. Damit hat die Referenzgruppe eine Vergleichsfunktion, aber auch eine Normativfunktion, d. h., sie ist Quelle für Wertvorstellungen und bewirkt eine antizipatorische Sozialisation. 2.3.3 Familie Die wohl am intensivsten erlebte Gruppe ist die Familie. Familien sind multiper­ sonale soziale Systeme, in denen Familienmitglieder aufgrund vielfältiger Interaktionen den Ausgang von Kaufentscheidungen mitbestimmen. Die Kernfamilie umfasst Ehemann, Ehefrau und Kinder, die Großfamilie umfasst weitere Generationen (Großeltern, Enkel) und nicht in gerader Linie Verwandte (Verschwägerung). Diese Primärgruppe kann nach dem Entscheidungsanteil der Familienmitglieder und dem Stadium im Familienlebenszyklus untersucht werden. Nach dem relativen Anteil an der Kaufentscheidung durch Familienmitglieder sind Produkte zu unterteilen, deren Kauf traditionell tendenziell (siehe Abbildung 42): Frau hoch involviert Frau entscheidet autonom oder dominant

gleichgewichtiger gemeinsamer Entscheid

Mann hoch involviert Mann gering involviert keine geschlechtsspezifische Dominanz

Mann entscheidet autonom oder dominant Frau gering involviert

Abbildung 42: Kaufentscheidungsanteile in der Familie

• männlich dominiert ist. Dabei handelt es sich vor allem um komplexe Produkte, häufig auch technischer Natur, z. B. Unterhaltungselektronik, Automobile oder auch Heimwerkergeräte. Der Mann ist vorwiegend auf haushaltsex-

248

B. Käuferverhalten im Marketing

terne Güter spezialisiert, dementsprechend ist er dafür primäre Ansprechperson im ­Marketing. • weiblich dominiert ist. Dies sind meist hauswirtschaftliche Produkte, z. B. Haushaltsgeräte, aber auch kindbezogene Produkte. Die Frau ist eher auf den internen Haushaltsbereich, auf soziale und ästhetische Merkmale spezialisiert und stärker emotional motiviert. Demzufolge ist sie für diese Güter primäre Ansprechperson im Marketing. Infolge der Emanzipation sind jedoch bereits erhebliche Zeichen des Wandels zu beobachten. • partizipativ getätigt wird. Dies gilt vor allem für gemeinsam wahrgenommene Interessen, z. B. Urlaub, Möblierung, Freizeitgestaltung. Der Anteil dieser Produkte steigt erheblich. Daher sind hier beide Partner gleichermaßen anzusprechen. • autonom getätigt wird. Bezogen auf die Frau sind dies immer noch eher schmückende, hedonistische Bereiche, z. B. Kleidung, Kosmetik, bezogen auf den Mann eher handwerkliche, z. B. Hobbys, oder vorsorgliche Domänen, z. B. Geldanlage, Versicherung. Die Zuordnung ist allerdings von der Sozialschicht abhängig. So besteht in der Oberschicht ein größerer autonomer Verantwortungsbereich, der weniger Abstimmung und Rücksichtnahme mit anderen Familienmitgliedern erfordert, vermutlich wegen des höheren monetären Spielraums. In der Unterschicht hingegen ist die Rollenverteilung angesichts engerer finanzieller Ressourcen am ausgeprägtesten. Als weiterer Einflussfaktor kommt die formale Ausbildung in Betracht. Mögliche Konflikte in der Kaufentscheidung können durch Aufschub und weiteres Suchen bis zum Auffinden einer die verschiedenen Vorstellungen gemeinsam erfüllenden Leistung, durch Überreden bzw. Überzeugen des jeweils anderen Partners, durch Gewährung von Zugeständnissen im Gegenzug zur Zustimmung oder durch Koalitionsbildung mit Dritten, etwa Kindern, gelöst werden. Durch die Beteiligung von Kindern ergibt sich eine Rollenveränderung in der familiären Kaufentscheidung. Während zunächst beide, Mann und Frau, relativ gleichberechtigt auf den Kauf Einfluss nehmen, vergrößert sich im Zeitablauf der relative Anteil des Mannes, weil er als Alleinverdiener, bei Kindern im Haushalt, den größten Einfluss geltend macht. Danach steigt der Einfluss der Kinder, nicht nur bei Eigenbedarf, wo er sehr manifest ist, sondern auch bei anspruchsvollen Produkten im Haushalt. Dann treten schnell die geschlechtsspezifischen Differenzierungen auf. Bei kleineren Kindern beschränkt sich die Einflussnahme auf Bereiche, die ihrem eigenen Bedarf dienen, und vollzieht sich durch Kaufanregung geliebter oder auch Konsumverweigerung ungeliebter Produkte. Bei Jugendlichen bezieht sich der Einfluss auf Produkte, die im subjektiven Interesse liegen und nicht durch eigene finanzielle Mittel erworben werden können. Der Einfluss ist umso größer, je mehr der Jugendliche in der Lage ist, seine Eltern mit entscheidungsrelevanten und ihnen bislang unbekannten Informationen zu versorgen.

I. Konsumentenverhalten

249

Im Familienlebenszyklus werden gemeinhin folgende Phasen in Abhängigkeit von Alter, Familienstand, Haushaltsgröße, Berufstätigkeit, Kaufkraft und Besitz unterteilt: • Ledige I sind junge, alleinstehende, nicht mehr im elterlichen Haushalt lebende Personen. Ihre finanziellen Verpflichtungen sind gering, sie sind freizeitorientiert, oft Meinungsführer für Trendprodukte, vor allem Fashion Leaders. Gekauft werden Basismobiliar, Auto, Kleidung, Urlaubsreisen. • Ledige II sind unverheiratete oder geschiedene Personen mittleren Alters, die aufgrund der Single-Tendenzen immer häufiger anzutreffen sind. • Ledige III sind unverheiratete oder geschiedene Personen höheren Alters, die ihr Kaufverhalten bewusst dem Alleinleben angepasst haben. • Unter Lebensabschnittsgemeinschaft versteht man zwei Ledige, die ihre Haushalte vorübergehend zu einem gemeinsamen zusammenlegen. Die finanzielle Lage verbessert sich infolge von Einsparmöglichkeiten bei den Ausgaben bei gleich bleibenden Einnahmen. • Ein Junges Paar sind frisch verheiratete, berufstätige, kinderlose Personen. Sie sind finanziell besser gestellt als je zuvor und danach, haben die höchste Kaufrate, vor allem für langlebige, hochwertige Produkte (z. B. Kücheneinrichtung, Unterhaltungselektronik) oder Urlaubsreisen. • Ein Paar ohne Kinder sind verheiratete Personen mittleren Alters ohne Kinder. Sie werden oft als DINKS (Double Income, no Kids) umschrieben. Ein älteres kinderloses Paar sind verheiratete Personen höheren Alters ohne Kinder. Sie zeichnet ein spezifischer Vorsorge- und Sicherheitsbedarf aus. • Volles Nest I sind Familien mit ein oder mehreren Kindern, wobei das jüngste Kind unter sechs Jahre alt ist. Ihre finanziellen Reserven werden stark strapaziert, denn der Konsum- und Lebensunterhaltsbedarf ist hoch. Die Folge ist Unzufriedenheit mit den Ersparnissen. Gekauft werden technische Geräte im Haushalt, Kinderausstattung und Spielzeug. Die Mutter muss ihre Berufstätigkeit meist zumindest vorübergehend aufgeben. • Einzelner Elternteil I wird das Stadium der Haushalte mit Kind(ern) im Vorschulalter genannt, die aufgrund von Scheidung, Trennung oder unehelicher Geburt mit nur einem Elternteil leben. • Ein Verzögertes volles Nest ist ein Paar, das erst im mittleren Alter eine Familie gründet. Dies resultiert meist aus Karriereaspekten bei der Frau. Entsprechend sind Rücklagen und höheres Einkommen des weiterarbeitenden Partners häufig anzutreffen. • Beim Vollen Nest II handelt es sich um Familien mit Kind(ern), wobei das jüngste bereits älter als sechs Jahre ist. Ihre finanzielle Situation bleibt weiterhin angespannt. Oft wird jedoch die Ehefrau wieder berufstätig, dann verbessert

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B. Käuferverhalten im Marketing

sich die Lage. Gekauft werden Lebensmittel-Großpackungen und Gebrauchsgegenstände, vor allem im Freizeitbereich, außerdem Ersatzbedarfe. Die Kinder entwickeln eigene Konsumstile und steuern Konsumerfahrungen bei. • Einzelner Elternteil II wird eine allein erziehende Person genannt, deren Kind(er) sich im Schulalter befinden. • Volles Nest III ist ein älteres Paar mit im Haushalt lebenden, abhängigen Kindern. Ihre finanzielle Situation entspannt sich durch doppelte Berufstätigkeit, nachlassenden Investitionsbedarf und Kostendeckungsbeitrag der Kinder wieder. Gekauft werden hochwertigere Produkte, wiederum im Freizeitbereich. Diese Situation ist durch die Tendenz zu „Nesthockern“ immer häufiger anzutreffen. • Einzelner Elternteil III ist eine alleinerziehende Person, deren Kind(er) sich im Nachschulalter befinden. • Beim Leeren Nest I ist ein älteres Paar gegeben, dessen Kinder den gemeinsamen Haushalt bereits verlassen haben. Es herrscht die Phase des Nachholkonsums vor. Das Eigenheim ist bezahlt, es werden Reisen unternommen und Geschenke und Spenden gemacht. Der Neuproduktbedarf ist gering, wenn, dann aber auf Premiumniveau angesiedelt. • Beim Leeren Nest II ist der Haushaltungsvorstand aus dem Erwerbsleben ausgeschieden, wodurch das Familienbudget wieder schrumpft. Man bleibt Zuhause, gekauft werden medizinische Produkte und Geräte. Es besteht ein hoher Bedarf nach Vorsorge, Ausruhen und Entspannen. • Ledige IV sind allein stehende Überlebende. Das Einkommen bleibt knapp zufriedenstellend. Der Bedarf an Aufmerksamkeit, Zuneigung und Sicherheit als Folge des Alleinseins nimmt stark zu. Der Erlebniswert von Anschaffungen bleibt jedoch eingeschränkt. Ein Beispiel für die Orientierung an diesen Lebenszyklusphasen bieten die Produkte der Allfinanz-Anbieter: • für Teens/Twens: Bausparen, Kapitallebensversicherung, Berufsunfähigkeitsversicherung, Spareinlagen, Kfz-Versicherung, Rechtsschutzversicherung, Dispositionskredit, • für die junge Familie: Risikolebensversicherung, Rentensparplan, private Haftpflichtversicherung, Unfallversicherung, Ausbildungsversicherung, Bausparvertrag, Baufinanzierung, Restschuldversicherung, Konsumkredit, Hausratversicherung, Rechtschutzversicherung, Liquiditätszuwachskonto, • für die ältere Familie: Sparbrief, Rentensparplan, Wertpapieranlage, Fondsanlage, Kapitalanlage, Verfügungskonto, • für Senioren: Bausparen zugunsten Dritter, Fondsanteile, Freizeitimmobilien, Ansparplan, Seniorenheim.

I. Konsumentenverhalten

251

Das Lebenszyklus-Konzept legitimiert aufgrund der fundamentalen demographischen Verschiebungen auch die Bearbeitung des Senioren-Marktes. Abgesehen davon, dass Senioren zwar eine zunehmend zahlreiche, kaufkräftige und auch konsumbereite Zielgruppe sind, scheitern solche Ansätze allgemein daran, dass die Auslobung eines Produkts als für Senioren geeignet dieses stigmatisiert, denn jüngere Zielgruppen schließen sich dann als Käufer aus und ältere Zielgruppen fühlen sich nicht angesprochen, weil sie sich subjektiv jünger fühlen. Die Bearbeitung des Senioren-Marktes ist daher nur möglich, indem Hersteller Produkte so auslegen, dass sie den Altersveränderungen der Personen entsprechen, ohne sie ausdrücklich für Alte zu positionieren. Die Zielgruppe identifiziert dann die Produkteignung selbst. Für Produktauslegungen gibt es dabei zahlreiche Anhaltspunkte. Denn die für den Bewegungsapparat zuständige Muskelmasse nimmt im Alter ab, die Muskelkraft lässt dementsprechend nach. Eine Altersversteifung der Gelenke führt zu einer weiteren Verringerung der körperlichen Bewegungsfähigkeit. Produkte müssen daher die verminderte Feinmotorik berücksichtigen (Packungshandling etc.), Gebinde dürfen nicht zu schwer sein, im Handel ist die Regalplatzierung zu beachten (nicht ganz unten oder ganz oben im Regal). Das Blickfeld, die Sehschärfe und die Farbwahrnehmung verändern sich im Alter. Daher sollten glänzende und reflektierende Oberflächen von Packungen und Werbemitteln vermieden werden, Schriften müssen groß und klar sein, grün und blau als Farben können nicht mehr eindeutig unterschieden werden. Die Altersschwerhörigkeit betrifft vor allem sehr tiefe und sehr hohe Töne. Dies ist beim Telefonmarketing und bei Anlage von Hörfunkspots zu berücksichtigen. Die geistige Beweglichkeit und Umstellungsfähigkeit, die Geschwindigkeit von Informationsaufnahme und -verarbeitung sowie Abstraktionsvermögen und Kurzzeitgedächtnis lassen nach. Werbung muss daher auf Penetration setzen, in TV-Spots sollen modisch-schnelle Schnitte vermieden werden. Die Akzeptanz von neuen, erklärungsbedürftigen Produkten ist allgemein erschwert. Ältere Menschen brauchen mehr Zeit zum Verstehen einer Botschaft, wobei eine möglichst bildhafte Nutzendarstellung hilfreich ist. Auch Handelsbetriebe können auf diese Besonderheiten reagieren, etwa durch schräge, große Parkbuchten, übersichtliches, gleichbleibendes Ladendesign, niedrige Regale, klare und helle Beschilderung, Schnellkasse, kleine, handliche Einkaufswagen, Halterung für Einkaufszettel, rutschfesten Bodenbelag, Sitzgelegenheiten im Markt, Kleinpackungen, Gesundheitsprodukte, hilfsbereites Personal, Packhilfe an der Kasse, Tragehilfe zum Auto/Bus, Lieferservice nach Hause, TaxiService oder Warteraum für Gäste.

252

B. Käuferverhalten im Marketing

2.3.4 Rollenbeziehungen Rolle bezeichnet ein Bündel von Erwartungen, das andere Gruppenmitglieder an den Rolleninhaber stellen. Rollen sind Verhaltensweisen, die an eine bestimmte soziale Position gebunden sind. Das daraus resultierende spezifische Wertbewusstsein nennt man Status. Rolle und Status sind meist kongruent, können aber im Einzelfall auch auseinander fallen, z. B. bedeutet Understatement, dass der Status in der Rolle unterrepräsentiert ist, oder Angeberei, dass der Status in der Rolle überzogen ist. Die soziale Rolle ergibt sich ohne eigenes Zutun durch angeborene Faktoren (ererbt) oder mit eigenem Zutun durch erworbene Faktoren. Hinsichtlich der Interaktion von Rollen können Positions-, Kommunikations- und Machtbeziehungen unterschieden werden. Positionsbeziehungen treten als Interrollen-Konflikte auf, wenn durch die gleichzeitige Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Gruppen abweichende Erwartungen von außen an eine Person, die dort Mitglied ist oder sein möchte, herangetragen werden (z. B. eine Person ist Manager und Mitglied einer Öko-Initiative). Intrarollen-Konflikte treten auf, wenn eine Person sich von verschiedenen Gruppen mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen an ihr Rollenverhalten konfrontiert sieht (z. B. Arbeitskollegen und Familienmitglieder). Als Lösungsmöglichkeiten bieten sich die Diskussion der Rollenerwartungen und die Prüfung ihrer sachlichen Berechtigung oder Notwendigkeit an oder die Bildung von Rollenhierarchien, d. h. einzelne Rollen werden gegenüber anderen priorisiert. Ausschlaggebend dafür dürfte der Umfang möglicher Sanktionen sein. Weitere Lösungsmöglichkeiten der Konflikte sind etwa Handlungsverzögerung (in der Hoffnung, das die Zeit für eine Lösung arbeitet), Handlungsbeugung gegenüber sozialer Macht, wechselweise Handlung, um mehreren Anspruchsgruppen gerecht zu werden oder legitimitätstreue Handlung („Dienst nach Vorschrift“). Konflikte sind immer Interessengegensätze zwischen Personen und Gruppen, die aus unvereinbaren Vorstellungen über die Zielverwirklichung und unterschiedlichen Wahrnehmungen der Realität folgen. Kommunikationsbeziehungen betreffen den Informationsfluss zwischen Personen. Dabei kann es sich um formale oder informelle Kommunikation handeln. Formale Kommunikation ist zweckbezogen, sie kann aufwärts oder abwärts gerichtet sein, also in der Hierarchie von unten nach oben (Bottom up) oder von oben nach unten (Top down). Informelle Kommunikation ist demgegenüber zweckfrei angelegt. Kommunikation hat immer vier Ebenen, die Sachinhaltsebene der objektiven Sachdarstellung, die Selbstdarstellungsebene der Offenbarung des Botschaftsabsenders, die Fremdeinschätzungsebene der Beziehung zwischen Botschaftsabsender und -empfänger und die Appellationsebene der beabsichtigten Wirkung der Botschaft. Diese Ebenen dürfen einander nicht kreuzen, da es sonst zu Kommunikationsstörungen kommt, die vielfältig sein können. Solche Fehler betreffen die Zielsetzung, Relevanz, Umsetzung, Übermittlung, Kontaktierung, Verarbeitung, Verwertung und Speicherung von Informationen.

I. Konsumentenverhalten

253

Machtbeziehungen basieren auf unterschiedlichen Ausprägungen. Belohnungsmacht hat, wer andere für rollenspezifisches Verhalten gratifizieren kann, Bestrafungsmacht hat, wer andere für nicht rollenadäquates Verhalten pönalisieren kann, Legitimationsmacht hat, wer kraft organisationaler Hierarchie andere anweisen kann, Identifikationsmacht hat, wer von anderen als informelle Autorität geachtet wird, und Expertenmacht hat, wer einen Wissensvorsprung vor anderen hat. Soziale Macht betrifft also die Fähigkeit, andere zu einem Verhalten zu bewegen, das von diesen ursprünglich so nicht beabsichtigt war, jedoch im Interesse des Machtausübenden liegt. Dabei müssen die Machtmittel nicht tatsächlich eingesetzt oder nicht einmal vorhanden sein, es reicht vielmehr die glaubhafte Androhung des Einsatzes. 2.3.5 Meinungsführerschaft Bei Meinungsführern wird davon ausgegangen, dass sich die Kommunikation zwischen Botschaftsabsender und Rezipienten nicht nur direkt und diffus, sondern vor allem auch zweistufig vollzieht. Nämlich vom Botschaftsabsender an bestimmte Meinungsbildner (Opinion Leaders) in der Gesellschaft und von diesen an weitere Personengruppen. Der Botschaftsfluss geht also zunächst einstufig vom Absender an Meinungsführer. Diese nehmen die Botschaft auf und versuchen, etwaige Informationsdefizite durch Kontaktsuche zu Promotoren (professionellen Experten) zu füllen. Gleichzeitig suchen weitere Personengruppen infolge psychischer Inkonsistenz Kontakt zu Meinungsbildnern, die auf sie dann in der zweiten Stufe ihren Einfluss ausüben. Als Meinungsführer werden generell jene Mitglieder einer Gruppe bezeichnet, die im Rahmen des Kommunikationsprozesses einen stärkeren persönlichen Einfluss als andere ausüben und daher die Meinung anderer zu beeinflussen oder ändern imstande sind. Professionelle Experten als Beeinflusser werden meist im Rahmen der Fachwerbung ohnehin getrennt intensiv bearbeitet. Ihr Beeinflussungspotenzial bestimmt sich aus der Relaisfunktion, ihrer Verzerrungs-, Verstärkungs- bzw. Abschwächungswirkung, ihrer Selektionsfunktion für weiterzuleitende Informationen und ihrer Resistenzfunktion zur Abwehr nicht wertkonformer Informationen. Diese Meinungsbildner nehmen eine exponierte Stellung ein, weil sie besser informiert, stärker interessiert und aktiver sind als andere. Dies macht sie aufnahmefähig für Herstellernachrichten mit Niveau und Gehalt, die sie bei Gelegenheit ihrerseits an ihr soziales Umfeld weitergeben. Diese Eigenschaft beruht auf informeller Kompetenz, selten auch auf Macht, und wechselt interpersonell je nach Themenstellung. Die Kommunikation kommt nicht nur durch Medien, sondern auch durch Personen zustande, die über Themen

254

B. Käuferverhalten im Marketing

kommunizieren. Meinungsführer haben daher eine Multiplikatorwirkung in ihrem sozialen Umfeld. Marketing nutzt dies, indem selektierte Informationen zuerst an meinungsbildende Personen gegeben werden, die diese dann weitertragen (Two Steps Flow of Communication). Problematisch ist dabei die Charakterisierung solcher Meinungsführer. Generell ist festzuhalten, dass sie in allen sozialen Schichten anzutreffen sind und nicht, wie früher angenommen, nur in hohen sozialen Schichten, kommunikationsfreudiger als der Durchschnitt sind und sich durch geselliges Verhalten und starke soziale Interaktion auszeichnen, vorwiegend auf ein bestimmtes Thema spezialisiert und dort besser informiert sind als andere, risikofreudiger als der Durchschnitt der Zielgruppe sind, was aus ihrem besseren Informationsstand resultiert, häufig Nutzer von Fachmedien (Special Interest-Titel) sind, die daher für die werbliche Ansprache ausgewählt werden, generell an ein höheres Anspracheniveau gewöhnt und mit hoher informeller Kompetenz ausgestattet sind. Solche Induktoren sind besonders wichtig im Marketing, weil sie einerseits als Heavy Users ein großes Nachfragepotenzial auf sich vereinen und andererseits als Multiplikatoren kostenlose Akquisitionsanstöße geben, die sogar glaubwürdiger und effizienter sind als Werbeaussagen, weil man unterstellt, dass die Person aus ihrer Empfehlung keinen Vorteil zieht. Solche Personengruppen werden etwa bei Produktneueinführungen erklärungsbedürftiger Produkte angesprochen. Zur Identifizierung solcher Personen (Influencer Marketing) sind drei Ansätze gebräuchlich. Der Soziometrie-Ansatz versucht, das Kommunikationsgefüge in gesellschaftlichen Gruppen grafisch sichtbar zu machen. Dazu wird der Informationsfluss zwischen den Mitgliedern untersucht und als Netzwerk mit Knoten für die Mitglieder und Pfaden für den Informationsfluss dargestellt. Dabei ergeben sich Knoten, bei denen mehr und solche, bei denen weniger Pfade zusammenlaufen. Die Kristallisationspunkte im ermittelten Kommunikationsnetz werden als Meinungsführer interpretiert. Der Schlüsselinformanten-Ansatz zielt darauf ab, Personen zu identifizieren, die einen besonders guten Überblick über die Gruppe haben. Diese sollen dann angeben, wer ihrer Meinung nach Meinungsführer ist. Dabei ersetzt man die Unsicherheit über die Person des Meinungsführers allerdings nur durch die Unsicherheit über die Person des Schlüsselinformanten. Der Selbsteinschätzungs-Ansatz geht von einem subjektiven Punktbewertungsverfahren aus, das mutmaßliche Kennzeichen von Meinungsführern umfasst. Jedes Gruppenmitglied bewertet sich dann selbst hinsichtlich dieser Kriterien. Dabei kann es aber zu erheblichen Fehleinschätzungen kommen. Insofern ist die Zuverlässigkeit der Ergebnisse stark anzuzweifeln. In einem weiteren Ansatz, dem Informationsfluss-Konzept (Two Cycles of Communication), wird zwischen Informationsfluss und Meinungsbeeinflussung unterschieden. Der Informationsfluss erfolgt demnach sowohl einstufig vom Ab-

255

I. Konsumentenverhalten

sender (Hersteller/Handel) direkt an Endabnehmer als auch zweistufig. Die Beeinflussung erfolgt aber nur zweistufig, vom Absender an Meinungsbildner und von diesen an Endabnehmer. Man unterscheidet vor allem in Opinion Givers, und zwar Meinungsbildner 2. Grades, die ihrerseits durch Meinungsbildner 1. Grades beeinflusst werden und so fort, Opinion Askers als Informationssucher und aktive Informationsempfänger, Inactives als passive Informationsempfänger und sozial isolierte Konsumenten (siehe Abbildung 43).

Two Steps Flow of Communication

Two Cycles of Communication

Botschaftsabsender

Botschaftsabsender

Informationsfluss

Informationsfluss

Meinungsführer

Meinungsführer

Meinungsbeeinflussung

Meinungsbeeinflussung

weitere Personen (Meinungsfolger)

weitere Personen (Meinungsfolger)

Abbildung 43: Modelle der Meinungsführerschaft

2.4

Psychologische Erklärungsmodelle

Die psychologischen Ansätze im Käuferverhalten versuchen, sich den normalerweise verborgenen Ursachen für den Kaufentscheid (Covert Behavior) zu nähern. Dafür gibt es vielfältige Kriterien. Diese nehmen im Konsumentenverhalten des Marketing einen gewissen Schwerpunkt ein, nachdem die Einbringung verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse (entgegen Schneider u. a.) weithin akzeptiert ist. Aktivierende Determinanten beschreiben innere Erregungszustände, die den Organismus in einen Zustand der Aufmerksamkeitsbereitschaft und Leistungsfähigkeit versetzen. Man unterscheidet das allgemeine Aktivierungsniveau (tonische Aktivierung) und interimsmäßige Aktivierungsschwankungen (phasische Aktivierung). Das Aktivierungsniveau bestimmt die allgemeine Leistungsfähigkeit und die Aktivierungsschwankungen steuern die Aufmerksamkeitsbereitschaft für Reize. Die zunehmende Sensibilisierung für einen Reiz ist zugleich mit der Herabsetzung der Verarbeitung anderer Reize verbunden. Auslöser für Reize sind innere Vorgänge (z. B. Suchtstoffe) oder, hier relevant, äußere Vorgänge (z. B. Wahrnehmungen). Aktivierende Determinanten bestehen aus Emotion, Motivation und Einstellung.

256

B. Käuferverhalten im Marketing

Individuelle Determinanten bestimmen als relativ stabile Denk- und Verhaltensmuster die Persönlichkeit. Als Einflussgrößen darauf ergeben sich Involvement, Risikoempfinden und Werte. Kognitive Determinanten unterstellen, dass kein An- und Ausschalten einer festgelegten Verbindung von Reiz und Reaktion erfolgt. Vielmehr ändert sich die durch einen Reiz geprägte Situation bereits während des Ablaufs der sie beantwortenden Handlung und führt mit jeder Situationsänderung zur Aufnahme neuer Reize. Aus der Verbindung der Reize formt sich ein Orientierungsplan, ausschlaggebend sind also kognitive Strukturen. Danach werden dann keine Handlungen verarbeitet, sondern Sachverhalte. Zum Beispiel kommt es zum verstandesmäßigen Lernen anstelle des Lernens durch Repetition. Dabei wird insbesondere auf Gedächtnisinhalte zurückgegriffen. Man spricht auch von S-I-R-Modellen (I für Information). Dazu gehören im Einzelnen die Konstrukte der Wahrnehmung, des Lernens durch Einsicht, des Lernens am Modell und des Gedächtnisses (siehe Abbildung 44). Aktivierende Determinanten Emotion Motivation Einstellung

Kognitive Determinanten Wahrnehmung Lernen Gedächtnis

Individuelle Determinanten Involvement Gefühltes Risiko Werte

Abbildung 44: Psychologische Partialmodelle im Konsumentenverhalten

I. Konsumentenverhalten

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2.4.1 Emotion Emotion ist jene psychische Erregung, die subjektiv wahrgenommen wird. Sie äußert sich durch Interesse, Freude, Überraschung, Kummer, Zorn, Ehre, Geringschätzung, Furcht, Scham, Schuldgefühl etc. Sie versorgt das Verhalten mit Energie und treibt es an, führt also zu einer physiologischen Aktivierung. Man kann sagen: Emotion = Aktivierung + Interpretation. Emotion wird ausgelöst durch: • affektive Schlüsselreize (z. B. Kindchenschema, Erotik), diese sind biologisch programmiert und wirken daher automatisch und weitgehend unbewusst, auch deren Nachbildung durch Attrappen (z. B. Bilder) wirkt verstärkend, • kognitive Schlüsselreize, welche die Informationsverarbeitung stimulieren (z. B. Widerspruch, Überraschung, Konflikt, Mehrdeutigkeit), • physische Schlüsselreize, im Marketing vor allem Duft, Farbe, Gestaltung, Design etc., die gemeinhin die stärksten Reize auslösen. Die Messung von Emotion erfolgt auf drei Ebenen: • motorisch durch Beobachtung körperlicher Veränderungen wie Gesichtsmuskulatur, Extremitätenhaltung, Körperbewegung, Hautveränderungen etc., • physiologisch durch Indikatoren für die Stärke der inneren Erregung, die durch entsprechende Messeinrichtungen erfassbar gemacht werden müssen, • subjektiv-verbal durch sprachliche Äußerungen zu inneren Vorgängen, die allerdings bereits kognitiv durchdrungen sind. Die Leistung ist bei mittlerer Erregung (Arousal Level) am höchsten. Geringe Erregung führt zur Lethargie (Schlaf, Entspannung), hohe Erregung zur Hektik (Panik, Chaos). Beides ist der Leistung nicht förderlich. Marketing muss daher diesen mittleren Erregungsgrad bei Maßnahmen anpeilen, weder darf eine zu geringe Aktivierung entstehen (z. B. bloße Unterhaltung durch Werbung), da es dann womöglich an der Verhaltensreaktion fehlt, noch darf eine zu hohe Aktivierung entstehen (z. B. Angstappelle in der Werbung), da es dann zu Überreaktionen mit der Folge von Widerständen (Reaktanzen) kommt. Dieser Zusammenhang wird als umgekehrte U-Funktion oder Lambda-Kurve bezeichnet. Die Reaktanzbildung ist abhängig von der Unmittelbarkeit der Botschaft, den Reaktionsmöglichkeiten des Empfängers, der Themenrelevanz für den Empfänger, dem Selbstvertrauen des Empfängers, dem Ausgangsniveau an Angstempfindlichkeit und der Glaubwürdigkeit des Senders. Sowohl im euphorischen Zustand als auch im Panikzustand ist das Individuum in seiner Leistungsfähigkeit reduziert. Die Erregung bestimmt sich nach den Dimensionen: • Art als der Richtung der Aktivierung, bei angenehmer, positiver Art entsteht Appetenz, d. h., ein auf Annäherung an dieses Ziel gerichtetes Verhalten, bei unan-

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B. Käuferverhalten im Marketing

genehmer, negativer Art entsteht Aversion, d. h. ein auf Vermeidung dieses Ziels gerichtetes Verhalten. • Intensität als dem Erlebnis der Aktivierung, dabei unterscheidet man in Abhängigkeit vom auslösenden Aktivierungsgrad starke Emotionen, die einen hohen Grad an Aktivierung auslösen, und schwache Emotionen, die einen niedrigen Grad an Aktivierung auslösen. • Bewusstsein als der Wahrnehmbarkeit der Aktivierung, die bewusst wahrnehmbar und erkennbar oder bewusst wahrnehmbar, aber nicht erkennbar („Schleichwerbung“) oder weder bewusst wahrnehmbar noch erkennbar sein kann (unterschwellig). • Dynamik als dem Level der Aktivierung, der stabil oder schwankend sein kann. Meist ist ein An- und Abwachs mit Hochplateau der Erregung zu verzeichnen. Emotionen begünstigen den Erwerb von Informationen und tragen zur Bildung von Beziehungen zum Absender bei. Sie beschleunigen oder hemmen bestimmte Prozesse und wirken selektiv, indem sie das Auftreten von Assoziationen fördern. Sie sind für die Anregung von Entscheidungs- und Problemlösungsprozessen ­bedeutsam.

2.4.2 Motivation Motivation ist mit Antrieb versehener und auf Behebung gerichteter Bedarf. Je dringlicher dieser Bedarf ist, desto eher soll er befriedigt werden. Mit der Befriedigung eines Bedürfnisses erhält automatisch das nächstfolgende Priorität, und dies setzt sich endlos fort. Man kann sagen: Motivation = Emotion + Ziel­ orientierung. Unter Motivation werden aktuelle Beweggründe des Verhaltens erfasst. Motivation ist also Emotion plus Handlungsorientierung. Als Motiv wird hingegen die Bereitschaft eines Individuums zu einem bestimmten Verhalten bezeichnet. Motive sind Kräfte, die den menschlichen Organismus in eine bestimmte Richtung (Wissenskomponente) zu bestimmten Zwecken (Gefühlskomponente) drängen, um einen Spannungszustand zu beseitigen. Man unterscheidet ihrer Art nach: • primäre Motive, die angeboren sind, wie z. B. Versorgung, Arterhaltung, Nachteilsvermeidung, und mit dem Überleben des Menschen in Verbindung stehen, sowie sekundäre Motive, die erworben sind, wie z. B. Prestige, Macht, Lebensqualität, die erst aus den primären Motiven abgeleitet sind. • intrinsische Motive, die eine Selbstbelohnung bzw. Vermeidung von Bestrafung zum Inhalt haben, sowie extrinsische Motive, die außengeleitet sind, also der Gesellschaft entspringen, wobei der Kauf ein und desselben Produkts für manche Käufer intrinsisch und für andere extrinsisch wirkt.

I. Konsumentenverhalten

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• unbewusste Motive, die unterhalb der persönlichen Wahrnehmungsschwelle angesiedelt sind, und deshalb vom Individuum nicht spezifiziert werden können, sowie bewusste Motive, die sich oberhalb der Wahrnehmungsschwelle befinden, also spezifizierbar sind. Jeder Mensch verfügt über eine Vielzahl von Motiven. Diese werden nur unter bestimmten inneren und äußeren Bedingungen wirksam. Es bestehen interindividuelle Unterschiede in der Motivstärke. Nicht alle Motive sind komplementär oder zumindest ambivalent. Sind Motivantriebe widersprüchlich, entstehen Motivkonflikte (Intrapersonen-Konflikte). Dabei handelt es sich um folgende. Ein Appetenz-Appetenz-Konflikt liegt vor, wenn ein Käufer zwei oder mehr Motive positiv wahrnimmt, sich dann aber für eines von ihnen entscheiden muss („Qual der Wahl“). Dies ist etwa der Fall, wenn zwei verschiedene Produkte ähnlich positiv eingeschätzt werden, aber nur für eines von ihnen Kaufkraft verfügbar ist. So kann ein gegebener Geldbetrag zur Wohnungsrenovierung oder für eine Urlaubsreise ausgegeben werden. Beides ist erstrebenswert, aber nur eines auch finanzierbar. Die höhere Appetenz entscheidet, feldtheoretisch gesehen die geringere Distanz und der größere Vektor des Objekts zum Subjekt. Ein Appetenz-Aversions-Konflikt liegt vor, wenn ein identisches Ziel sowohl positive als auch negative Erregungen auslöst, die gegeneinander abzuwägen sind („Hin- und hergerissen“). So kann der Kauf eines Werkzeugsets sowohl positive Valenzen haben (z. B. Besitzwunsch, Produkterotik) als auch negative (z. B. Kostenaufwand, Nutzlosigkeit). Ein positiver Saldo führt zum Kauf, ein negativer Saldo zum Nichtkauf. Ein Aversions-Aversions-Konflikt liegt vor, wenn ein Käufer sich zwischen zwei oder mehr, von ihm sämtlichst als negativ empfundenen Alternativen entscheiden soll („Das geringere Übel“). Dies spielt im Rahmen der Kundenzufriedenheit bzw. -unzufriedenheit eine Rolle. So kann beim Kauf eines qualitativ unzureichenden Produkts einerseits auf eine Reklamation verzichtet werden, was zwar einfacher ist, aber auch eine Fehlinvestition zur Konsequenz hat, oder andererseits reklamiert werden, was zwar mit einigem Aufwand an Zeit und Geld verbunden ist, dafür aber zur Durchsetzung der Gewährleistungsrechte führt. Die geringere Aversion entscheidet, feldtheoretisch gesehen die größere Distanz und der kleinere Vektor des Objekts zum Subjekt. Allerdings bestehen auch Lösungsmöglichkeiten bei diesen Konflikten. So etwa durch die Extensivierung des Lösungsraums, d. h. die Findung neuer, bisher nicht bekannter oder in Betracht gezogener Lösungen, durch Kompromissbildung, d. h. Wahl der innerhalb bestehender Restriktionen bestmöglichen Lösung, durch Beeinflussung, d. h. Einwirkung auf die Alternativen, oder Koalitionsbildung, d. h. Herbeiführung von Gruppenentscheidungen. Obgleich die Bedürfnisse zwischenmenschlich verschieden sind, gibt es den Versuch einer generalisierenden Klasseneinteilung in der Maslow’schen Bedürfnishierarchie (siehe Abbildung 45). Sie unterscheidet Bedarfe der:

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B. Käuferverhalten im Marketing

Selbstverwirklichungsbedürfnisse Geltungsbedürfnisse Zugehörigkeitsbedürfnisse Sicherheitsbedürfnisse Existenzbedürfnisse Abbildung 45: Maslows Bedürfnishierarchie

• Existenz, also Grundbedarfe wie Nahrung, Kleidung, Wohnung, Schlaf, Sex etc., • Sicherheit, also Konsolidierungsbedarfe wie Beschäftigung, Einkommen, Kranken- und Altersvorsorge etc., • Zugehörigkeit, also Sozialbedarfe wie Liebe, Freundschaft, Gruppenkontakt, Teamgeist etc., • Geltung, also Egobedarfe wie Selbstvertrauen, gesellschaftliches Ansehen, Anerkennung etc., • Selbstverwirklichung, also Kreativbedarfe wie Selbsterfüllung, Hobbys, schöpferische Tätigkeit etc. Maslow behauptet dazu, dass diese Bedürfnisse streng hierarchisch aufgebaut sind, d. h., die jeweils nächste Stufe erst relevant wird, wenn alle vorherigen Stufen zufrieden stellend abgedeckt sind. So ist eine Ansprache als umso motivierender anzusehen, je höher sie innerhalb der Motivhierarchie angesiedelt ist. Die Basisbedürfnisse der Physiologie und Sicherheit gelten in entwickelten Gesellschaften, als von Ausnahmen einmal abgesehen, durchgängig abgedeckt. Eine Ansprache im Markt ist daher meist erst auf den Folgestufen sinnvoll. So werden Personen angesprochen, deren Bedürfnis nach Zugehörigkeit nicht gedeckt ist (z. B. bei Mundgeruch, der durch den Gebrauch einer bestimmten Zahncreme vermieden werden kann) oder deren Geltungsbedürfnis nicht gedeckt ist (z. B. durch einen Küchenreiniger, der nicht nur Schmutz entfernt, sondern auch die Anerkennung der Hausfrau in der Familie verbessert). In letzter Konsequenz geht es um die Selbstverwirklichung, z. B. bei hedonistischen Produkten wie Automobil, Kreditkarte, HiFi, Edelchronometer. Eine Anwendung der Maslow’schen Bedürfnishierarchie in Zusammenhang mit dem Autokauf kann wie folgt erfolgen: • Existenzbedürfnisse: Pannendienst, langer Marktbestand, hohe Qualität, • Sicherheitsbedürfnisse: ABS, Bremsassistent, ESP, Airbags, Kundendienst, dichtes Servicenetz,

I. Konsumentenverhalten

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• Sozialbedürfnisse: Markenimage, Styling, • Profilierungsbedürfnisse: Beschleunigung/Höchstgeschwindigkeit, • Selbstverwirklichungsbedürfnisse: Unabhängigkeit, Mobilität. Damit bieten sich gute Ansatzpunkte für die Umsetzung im Marketing, obgleich das Modell hoch umstritten ist, weil es auf einem streng humanistischen Konzept basiert, unter mangelnder Operationalität leidet und durch Gegenbeispiele (so treiben Künstler oft unter Verzicht auf Grundbedarfsdeckung Selbstverwirklichung) zur Genüge widerlegt wird. Denn die individuelle Komplexität und Instabilität menschlichen Verhaltens wird von nicht fest verankerten Motiven gesteuert, ist formbar und entwicklungsfähig. Auch gibt es keine natürliche Rangordnung einzelner Motive zu einem bestimmten Zeitpunkt. Neben diesem polythematischen Motivansatz werden auch monothematische behauptet. Das zweite verbreitete Motivationsmodell stammt von Freud. Es unterscheidet in drei Motiv-Ebenen, in denen Motive angesiedelt sind, die ständig in Konflikt zueinander stehen, der ein Ventil braucht. Im bimodalen Eltern-Ich (Über-Ich) sind Normen, Gebote, Verbote und Maximen verankert. Es prononciert sich als „Sie dürfen nicht …“, „Grundsätzlich sollte man …“, „Es empfiehlt sich immer …“. Im Erwachsenen-Ich findet die rationale Auseinandersetzung mit der Realität statt. Es prononciert sich als „Wie hoch ist der Preis?“, „Wo kann ich das Produkt kaufen?“. Im multimodalen Kindheits-Ich (Es) schließlich sind die gefühlsmäßigen Reaktionen auf äußere Ereignisse verankert. Die einzelnen Motiv-Ebenen haben folgende Merkmale: • Kritisches Eltern-Ich: ständig kritisierend, ablehnend, anklagend, unterdrückend, intolerant, sucht Fehler bei anderen, ist gegen Änderungen, autoritär, absolut im Anspruch, • Fürsorgliches Eltern-Ich: positiv, voller Verständnis, Geduld, fürsorgliches Empfinden, ausgleichend, motivierend, ermutigend, lobend, mitfühlend. • Erwachsenen-Ich: positiv, hohe Entscheidungsfreude, Sachlichkeit, realitäts­ bezogen, sammelt Informationen, sucht situationsadäquate, konstruktive Lösungen, selbstständig, schätzt Wahrscheinlichkeiten ein, fast gänzlich auf Sachebene ausgerichtet. • Rebellisches Kindheits-Ich: ambivalent, voller kindlichem Trotz, Auflehnung, Verweigerung, mit hoher Kreativität, • Natürliches Kindheits-Ich: positiv, fantasievoll, drückt Gefühle spontan aus, freudig, traurig, Tabuschwellen sind noch nicht ausgeprägt, impulsiv, Genussfreude, Ursprung von Konkurrenzdenken und -fühlen, • Fügsames Kindheits-Ich: negativ, widerspruchslos, nachgebend, unauffällig, hilflos, tut sich leid, wirkt gedrückt, den von Umwelt geforderten Normen angepasst.

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B. Käuferverhalten im Marketing

Darüber hinaus werden unterbewusste, motivationspsychologische Deutungen von Produkten behauptet (z. B. Dichter), über deren Berechtigung man jedoch durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann. Dazu einige Beispiele: • Spargel = Sexualität; Bohnen, Reis = Fruchtbarkeit; Wurst, Speiseeis = Geborgenheit, Sicherheit; Sahne = Reichtum, Überfluss; Ketchup = Unabhängigkeit, Freiheit; Kuchenweckmänner = Kannibalismus; große Frühstücke, Bowling, Modelleisenbahn, Kaffee, rohes Fleisch, schwere Schuhe, Waffen-Spielzeug = Macht, Männlichkeit, Potenz; Süßigkeiten (Lutschen), Handschuhe (Ausziehen) = Erotik; Zigaretten, Alkohol, Eis, Plätzchen = Selbstbelohnung; Kuchen, Puppen, Seide, Tee = Weiblichkeit.

2.4.3 Einstellung Einstellungen sind relativ stabile, organisierte und erlernte innere Bereitschaften (Prädispositionen) eines Käufers, auf bestimmte Stimuli (=  Einstellungsobjekte) konsistent positiv oder negativ zu reagieren. Als Synonym wird oft der Begriff „Image“ verwendet, der eigentlich mehrdimensionale Einstellungen benennt. Einstellungen wohnt eine Verhaltenstendenz inne, sie gehen also über den rein gedanklichen Bereich hinaus. Konsistenz bezieht sich sowohl darauf, dass im Zeitablauf in mehreren gleichartigen Situationen auch gleich reagiert wird oder dass unterschiedliche Reaktionen miteinander verträglich sind. Einstellungen basieren auf Erfahrungen. Sie reduzieren die unendlich vielfältig möglichen Verhaltensweisen eines Individuums auf wenige, erprobte Tendenzen. Man kann sagen: Einstellung = Motivation + Objektbeurteilung. Einstellungen führen zu organisierten Überzeugungen, Vorurteilen, Meinungen etc. Positive Einstellungen erhöhen die Kaufchance, negative vermindern sie. Einstellungen haben damit eine hohe Bedeutung als Orientierungsfunktion bei der Wahrnehmung und Interpretation der Umwelt. Es wird unterstellt, dass der Mensch sich in einer ansonsten chaotischen Umwelt nur zurechtfinden kann, wenn es Vorstellungen gibt, die eine selektive Funktion bei der Bewertung von Objekten und beim Handeln ausüben (z. B. Vorurteile). Einstellung ist also Motivation plus Objektbeurteilung. Die Relevanz von Einstellungen für das Marketing resultiert daraus, dass eine Prognose des Konsumentenverhaltens möglich wird, wenn es einen Zusammenhang zwischen Einstellung und Verhalten gibt. Theoretische Grundlagen zur Erklärung von Einstellungen sind einerseits Kommunikationstheorien zur Akzeptanz- und Reaktionsbildung, andererseits Gleichgewichtstheorien zur Dissonanz und Konsistenz. Zwischen der objektiven Realität und dem „Bild“, das sich eine Person von einem Meinungsgegenstand macht, können erhebliche Abweichungen bestehen.

I. Konsumentenverhalten

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Im Marketing ist wichtig zu beachten, dass nicht die objektive Realität die Realität im Markt ist, sondern die Vorstellungen des Publikums über diese Realität (Metaebene). Einstellungen haben mehrere Dimensionen, so die des: • Objektbezugs, d. h. sie sind auf ein Bezugsobjekt (Sache, Person, Thema) gerichtet, dabei können auch die Einstellungen gegenüber bestimmten Verhaltensweisen ihrerseits wieder Einstellungsobjekt sein, • Erworbenheit, d. h. sie entspringen dem Sozialisierungsprozess, Einstellungen werden also nicht vererbt, sondern anerzogen, wenngleich dabei enge Zusammenhänge zu sehen sind, • Systemcharakters, d. h. sie sind vielfältig untereinander derart verknüpft, dass die Änderung einer Einstellung dazu führen kann, dass auch andere Einstellungen geändert werden. Einstellungen unterteilen sich hierarchisch in eine: • kognitive Komponente, welche die verstandesmäßige Einschätzung betrifft, also das Wissen, das ein Individuum über ein Einstellungsobjekt hat, sie führt zur kategorisierenden Wahrnehmung von Objekten, • affektive Komponente, welche die gefühlsmäßige Einschätzung betrifft, also das Mögen, und primär ist, sie führt zur emotionalen Zu- oder Abneigung und ist von hoher Bedeutung • konative Komponente, welche die Bereitschaft zur Umsetzung in handlungsmäßige Konsequenzen betrifft, sie führt demnach zur Verhaltensabsicht. Aus diesen Einstellungskomponenten folgt erst das Verhalten. Ziel im Marketing ist es, die Veränderung negativer Einstellungen und die Verstärkung positiver Einstellungen zu erreichen, um die Kaufchancen zu verbessern. Uneinigkeit herrscht darüber, ob eine Einstellungsänderung Voraussetzung für ein neues Verhalten ist oder nicht. Ein Ansatz (Involvementtheorie) geht davon aus, dass es ohne Einstellungsänderung zu keiner Verhaltensänderung kommen kann. Er geht von einer Hierarchie der dargestellten Effekte aus, beginnend bei Affektion, über Kognition endend in Konation (E-V-Hypothese). Ein anderer Ansatz (Dissonanztheorie) geht hingegen davon aus, dass es ohne neues Verhalten zu keiner Einstellungsänderung kommen kann. Die Hierarchie wird also genau entgegengesetzt gesehen (V-E-Hypothese). Der Zusammenhang zwischen Einstellung und Verhalten ist aus mindestens vier Gründen eingeschränkt. So können positive Einstellungen zu mehreren Produkten einer Gattung bestehen, von diesen wird aber nur ein Produkt gewählt, die übrigen werden trotz positiver Einstellung verworfen. Situative Einflüsse können Einstellungen überlagern. So kann z. B. trotz hoher positiver Einstellung und geringer empfundener Distanz zum Idealprodukt ein Kauf im Handel dennoch nicht

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B. Käuferverhalten im Marketing

vollzogen werden, wenn Bestandslücken beim Produkt gegeben sind. Fehlende Kaufkraft verhindert, dass sich eine positive Einstellung zu Premiumprodukten in Käufen niederschlägt. Soziale Einflüsse wirken korrigierend auf Kaufakte, die positive Sozialwirkungen trotz negativer Einstellung zu zeitigen versprechen. Positive Einstellungen können sich erst mit großem zeitlichen Abstand in Kaufentscheiden umsetzen, z. B. erst bei Ersatzbedarf. Imagebildende Einstellungen sind also nicht einmal hinreichende Gründe für Verhalten, sie lassen sich lediglich als entscheidungskanalisierende Gründe ansehen. Ob es zu einem Verhalten in Richtung der Einstellung kommt, hängt weiterhin noch von Normen, Gewohnheiten und Verstärkungserwartungen ab. Dennoch kommt dem Image als ganzheitlichem, objektbezogenem Konzept ein großer Stellenwert zu. Es dient dazu, Markterfolge, die nicht auf objektiven Faktoren beruhen können, zu erklären. Dabei werden sowohl produktbezogene (denotative) als auch nicht produktbezogene (konnotative)  Erklärungskomponenten berücksichtigt. Dazu gehören, aus gestaltpsychologischer Sicht, vor allem die: • Prägnanz, d. h. die Bemerkbarkeit, Richtigkeit, Vorteilhaftigkeit und eindeutige Zurechenbarkeit von Eigenschaften zu einem Absender, • Konstanz, d. h. die gleich bleibende, wiederholte Darbietung von Lernanstößen bei Zielpersonen zwischen Wahrnehmungsschwelle und Reaktanzgrenze, • Distanz, d. h. die Abhebung eines Absenders von anderen, vergleichbaren, denn aufgrund der Generalisierung führt die Ähnlichkeit von Erscheinungsbildern meist zur Verwechslung mit Wettbewerbern, • Originalität, d. h. die Abhebung vom Normalen, Üblichen, Alltäglichen, wobei man aber auch nicht zu avantgardistisch werden darf (es gilt: Most advanced yet available). Ein Problem liegt in der Messung von Einstellungen. Denn als hypothetisches Konstrukt können sie nur über beobachtbare Indikatoren erschlossen werden. Dabei gelten die Prämissen der Multiplikativität, Additivität, Linearität und Kompensation von Eigenschaften. 2.4.4 Involvement Involvement ist der Grad wahrgenommener persönlicher Wichtigkeit und/oder persönlichen Interesses, der durch einen oder mehrere Stimuli in einer bestimmten Situation hervorgerufen wird. Es handelt sich um einen inneren Zustand der Aktivierung, welcher die Informationsaufnahme, -speicherung und -verarbeitung beeinflusst (siehe Abbildung 46). High Involvement-Käufe sind durch ein höheres Aktivierungsniveau und eine intensivere Informationssuche gekennzeichnet als Low Involvement-Käufe. Es sind solche, die für den Käufer wichtig sind (Persönlichkeitsbezug) und ein finanzielles, soziales oder psychologisches Risiko bergen:

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I. Konsumentenverhalten

niedrig hoch

Produktähnlichkeit

Involvement niedrig

hoch

Low Involvement-Modell

High InvolvementLernmodell (Kognition Affektion Konation)

(Kognition Konation Affektion) Modifiziertes Low Involvement-Modell (Kognition Konation)

DissonanzAttributionsModell (Konation Affektion Kognition)

Abbildung 46: Modelle des Involvements

• Die Persönlichkeitsdimension ergibt sich durch die Bedeutung des Produkts zur Selbsteinschätzung der Person. • Das finanzielle Risiko ergibt sich aus Größen wie Preishöhe, Bindungsdauer, Gebrauchseignung etc. • Das soziale Risiko ergibt sich aus der Fremdeinschätzung des Produktbesitzers durch seine Bezugsgruppen. • Das psychologische Risiko ergibt sich aus dem Aufkommen von Dissonanzen vor und nach dem Kauf. Daher erfolgen eine sorgfältige Abwägung, der Vergleich vieler Alternativen und die Verwendung umfangreicher Informationen. Diese Informationen werden dazu gezielt gesucht, und die beste Produktalternative ist gerade gut genug. Man spricht hier auch von sozial auffälligen Produkten (Conspicuous Consumption) wie Automobil, Bekleidung, Schmuck, Wohnungseinrichtung, Zigaretten, Spirituosen, Unterhaltungselektronik etc. Hier ist die Qualität der Argumente entscheidend, es ist ein hoher kognitiver Aufwand gegeben, es liegt die zentrale Route der Verarbeitung im Elaboration Likelihood Model/ELM vor. Low Involvement-Käufe sind hingegen weniger wichtig und risikoreich, so dass es nicht sinnvoll ist, sich intensiv mit ihnen auseinander zu setzen. Es erfolgt nur eine oberflächliche Informationsverarbeitung mit Verwendung weniger Informationen, die eher zufällig aufgenommen werden. Die Entscheidung erfolgt zugunsten einer akzeptablen Produktalternative. Hier ist nur eine schwache Einstellungsbildung vorhanden, die Beeinflussung erfolgt über Reize in der peripheren Route des ELM.

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B. Käuferverhalten im Marketing

Ausgangspunkt dieser Unterscheidung war der Widerspruch bei der Messung des Einflusses von Fernsehwerbung, der meist nur schwache Einstellungswirkungen zeigt, während aggregierte Marktdaten eine deutliche Abhängigkeit von der Werbeintensität zeigen. Dies dürfte nicht so sein, wenn die Hypothese stimmt, das Werbebotschaften Lernprozesse auslösen, die ihrerseits zu Emotions- und dann zu Verhaltensänderungen führen. Diese Lernhierarchie setzt allerdings eine aktive, bewusste Auseinandersetzung voraus, also High Involvement. Tatsächlich gibt es aber zahlreiche Werbebotschaften, die Konsumenten momentan nicht interessieren, weil sie sich nicht betroffen fühlen, also Low Involvement vorliegt. Diesen Botschaften wird wenig Abwehr entgegengesetzt. Sie vermögen daher, bei häufiger Wiederholung kognitive Veränderungen zu bewirken. Daraus ergeben sich zwei Pole: • Nach der Lernhierarchie des High Involvement muss nach kognitiven Reaktionen zuerst eine Einstellungsbildung vorgenommen werden, bevor entsprechendes Verhalten erfolgen kann. Dies betrifft alle Angebote, die ohnehin hoch involvierend sind sowie gering involvierende Angebote, die durch entsprechende werbliche Auslobung durch inhaltsreiche Botschaften zu hoch involvierenden werden. • Nach der Penetrationsfolge des Low Involvement folgt auf kognitive Reaktionen zuerst das entsprechende Verhalten und dann erst eine Einstellungsänderung. Einstellungen sind demnach also nicht verhaltensbestimmend, sondern ergeben sich erst durch Erfahrungen mit dem gekauften Produkt. Demnach ist es sinnvoll, darauf zu verzichten, gering involvierende Angebote zu dramatisieren und stattdessen Widerstände zu unterlaufen. Der Grad der Aktivierung ist simultan von verschiedenen Faktoren abhängig: • Die Objektabhängigkeit gilt für das Involvement bei Produktart (z. B. Bedeutung) und Marke (z. B. Loyalität). Das Interesse am Produkt bestimmt somit das Involvement. • Die Personenabhängigkeit gilt für die Persönlichkeitsmerkmale und Wertestrukturen, die inneres Engagement (Ego-Involvement) bewirken (z. B. im Hobbybereich) und damit ein besonderes Informationsinteresse zur Folge haben. Verschiedene Personen sind somit unter ansonsten gleichen Umständen verschieden involviert. • Die Situationsabhängigkeit gilt für die Umfeldfaktoren, die einwirken (z. B. Zeitdruck, Kaufaufgabe). Dies kann etwa der notwendige Kauf zum Ersatzzeitpunkt sein. Unter gleich akzeptierten Angeboten entscheidet dann die bessere Verfügbarkeit als situatives Involvement. • Die Reizabhängigkeit gilt für die Wahrnehmungen und Prädispositionen bei Zielpersonen (z. B. in Bezug auf die Werbeaussage). Eine Botschaft kann damit individuell mehr oder minder involvierend sein.

I. Konsumentenverhalten

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• Die Medienabhängigkeit gilt in Bezug auf den für die jeweilige Aktivierung vorgesehenen Medieneinsatz, also für Werbemittel (z. B. Anzeige) und Werbeträger (z. B. Zeitschrift). 2.4.5 Risikoempfinden Risiko ist ein kognitives Konstrukt, das die Ungewissheit hinsichtlich des Eintretens bestimmter nachteiliger Konsequenzen einer Entscheidung und den Umfang dieser Konsequenzen betrifft. Das empfundene Risiko ist eine Funktion dieser beiden Komponenten. Das Konzept des empfundenen Risikos betrachtet den Konsumenten als ein Subjekt, das sich bei seinen Kaufentscheidungen mit dem Problem konfrontiert sieht, die Konsequenzen einer Wahlhandlung nicht genau antizipieren zu können. Die dadurch verursachten Risiken sollen durch Reduktion abgebaut werden. Der Grad des empfundenen Risikos ist von der individuellen Risikobereitschaft und vom Selbstvertrauen abhängig. Das Risiko teilt sich dabei auf in einen: • finanziellen Aspekt, der die Angemessenheit des Preises und die Tragbarkeit der finanziellen Belastungen betrifft, denn mit jedem Wahlakt verringert sich die Zahl der Freiheitsgrade beim Konsum, da die Kaufkraft absolut begrenzt ist, • funktionalen Aspekt, der die sachliche Funktionstüchtigkeit des zu kaufenden Produkts betrifft, • sozialen Aspekt, der die gesellschaftliche Akzeptanz des Produkts betrifft, • psychologischen Aspekt, der die persönliche Identifikation mit dem Produkt betrifft, • physischen Aspekt, der eine mögliche Gefährdung durch das Produkt betrifft. Diese Unsicherheiten können bereits nach Aufnahme von Informationen, vor dem Kauf (Vorkaufdissonanzen) bzw. nach dem Kauf (Nachkaufdissonanzen) oder erst in der Anwendungsphase auftreten. Dissonanz bedeutet ein empfundenes Ungleichgewicht, das bei Entscheidungen aus den nachteilig empfundenen Folgen eines Kaufs bzw. Nichtkaufs, die nicht vorhersehbar sind, auftritt und das zu reduzieren gesucht wird. Dabei gelten drei Grundannahmen: • Menschen streben nach konsistenten, kognitiven Systemen, eine Inkonsistenz kognitiver Elemente wird als unangenehm empfunden, es wird versucht, das innere Gleichgewicht wieder herzustellen. Kognitionen sind elementare Einheiten wie Meinungen, Ansichten, Erwartungen einer Person über sich selbst oder ihre Umwelt auf Basis der subjektiv wahrgenommenen, nicht unbedingt der objektiv gegebenen Realität.

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B. Käuferverhalten im Marketing

Am bekanntesten sind kognitive Dissonanzen, also solche, die sich aus der Verarbeitung widersprüchlicher Informationen (Kognitionen) ergeben. Zweifel an der Richtigkeit einer zu treffenden/getroffenen Kaufentscheidung entstehen dennoch und sollen, weil dem Menschen das Streben nach Gleichgewicht (= Konsonanz) innewohnt, reduziert werden. Dissonante Kognitionen sind durch nachträgliches Bedauern begründet, wenn die negativen Aspekte einer gewählten Alternative mit den positiven verworfener Alternativen verglichen werden, und durch neue Informationen, die negativ für das gewählte Produkt sind, aber positiv für verworfene Produkte, durch fehlende soziale Würdigung, durch Zugang zu besseren Informationsquellen oder zu über­ legenen Entscheidungsregeln. Je mehr Elemente dem Individuum widersprüchlich erscheinen und je größere Bedeutung diesen Elementen zugemessen wird, desto stärker sind die Spannungsempfindungen und die Antriebskräfte zu deren Abbau. Verhaltenswirksam werden sie dann, wenn ihre Stärke über eine individuell unterschiedliche Toleranzschwelle hinausgeht. Dissonanzen entstehen im Einzelnen durch Qualitätsenttäuschung bei Verwendungserfahrung, durch zusätzliche Information über Konkurrenzprodukte, durch Ausbleiben sozialer Zustimmung und durch Entdeckung besserer Entscheidungsprinzipien. Das Ausmaß der Dissonanzen ist umso stärker, je: • größer die Anzahl der abgelehnten Kaufalternativen ist, • höher die Attraktivität der zurückgewiesenen Alternativen ist bzw. je geringer die Überlegenheit der gewählten Alternative ist, • länger/höher die Bindung nach Dauer und Wert ist, d. h. je wichtiger die Entscheidung ist und je mehr sie den Entscheidungsträger festlegt, • geringer die Abweichung der Alternativen untereinander ist, je ähnlicher sich also Angebote sind, • höher die soziale Bedeutung des Kaufs ist, • freiwilliger die zugrunde gelegte Entscheidung ist, • leichter einschränkende Entscheidungskonsequenzen hätten vorhergesehen werden können, • weniger dringlich die Entscheidung zu treffen war. Die gewünschte Reduktion kognitiver Dissonanzen erfolgt durch (siehe Abbildung 47): • Änderung im Umfang der Kognitionen, also Hinzufügung neuer Kognitionen durch Informationsaufnahme oder Ausschaltung dissonanter Kognitionen. So können Raucher sich Personen vergegenwärtigen, die, obwohl sie rauchen, ein hohes Lebensalter erreicht haben, oder sie fechten die Aussagefähigkeit epidemiologischer Studien zur Schädlichkeit des Rauchens an.

I. Konsumentenverhalten

Änderung im Umfang der Kognitionen Hinzufügung neuer Kognitionen Ausschaltung dissonanter Kognitionen

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Änderung im Inhalt der Kognitionen selektive Wahrnehmung Aufwertung der Wahlalternative Abwertung der Nicht-Wahlalternat. Unterstellung der Gleichartigkeit Rückgängigmachg. der Entscheidung

Abbildung 47: Optionen zur Risikoreduktion

• Änderung von Inhalten der Kognitionen, also selektive Wahrnehmung nur bestätigender Informationen, nachträgliche Aufwertung der gewählten Alternative oder nachträgliche Abwertung der verworfenen Alternativen, Unterstellung der Gleichartigkeit der gewählten zu der/den verworfenen Alternative(n) oder Rückgängigmachung des Entscheids als Ultima ratio. So ist bekannt, dass Raucher die vorgeschriebenen Warnhinweise auf Werbemitteln und Packungen nicht wahrnehmen, wohl aber die dort dargebotenen Lifestyle-Botschaften. Raucher können sich auch einreden, zwar möglicherweise kürzer, dafür aber genussreicher gelebt zu haben als Nichtraucher. Alternative Anlagen für in Rauchen investierte Geldbeträge werden von Rauchern als wenig erstrebenswert dargestellt. Oder das Passivrauchen wird als gleich gefährlich wie das Aktivrauchen angesehen. Und erst dann ist die Aufgabe des Rauchens gegeben, weil damit die Ursache der Dissonanzen neutralisiert wird. Käufer präferieren demnach Leistungen, von denen sie aufgrund ihrer Erwartungen oder aufgrund vorliegender Erfahrungen keine spürbaren Dissonanzen folgern. Eine weitere Risikoreduzierung entsteht durch Kaufzurückhaltung, Kauf von Kleinmengen oder Probierkauf, Aushandeln von Rückgaberecht und Garantieerklärung, Kauf nur bei bekannten Lieferanten/Händlern, Kauf nur bekannter Produkte (Marken-, Anbieter-, Geschäftsstättentreue), Kauf entsprechend gütebezeichneter Produkte (z. B. Handelsklasse, Testergebnis), Kauf der teuersten Alternative oder der billigsten. Ein zentrale Bedeutung zur Risikoreduktion hat das nachfragerseitige Vertrauen. Vertrauen ist die von Nachfragern einem Anbieter oder anderen relevanten Akteuren zugeschriebene Fähigkeit zur Risikoverminderung bei Entscheidungen. Risiken entstehen beim Kaufentscheid, weil Nachfrager zunehmend komplexe

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B. Käuferverhalten im Marketing

Produkte nicht verstehen können oder sich mit dem Verstehen nicht beschäftigen möchten. Oder weil Produkte überwiegend Vertrauenseigenschaften haben, die nicht beurteilbar sind. Vertrauen schafft somit eine Präferenz, weil Nachfrager im Regelfall risikoscheu agieren. Vertrauen baut sich im Zeitablauf langsam durch eine Verkettung vertrauensbildender Maßnahmen auf. Aber Vertrauen ist fragil, d. h. kleine Irritationen führen bereits kurzfristig zu signifikantem Vertrauensverlust, der kaum mehr aufgeholt werden kann. Vertrauen bildet sich durch erwartungstreues Verhalten, daraus folgen Berechenbarkeit und Sicherheit auch in ansonsten schwer durchschaubaren Situationen. Anbieter werden von Nachfragern in Bezug auf das wahrgenommene Vertrauen gesichtet (Screening). Spiegelbildlich dazu verhält sich die anbieterseitige Repuration. Reputation bezeichnet das Ansehen eines Akteurs bei seinen Marktpartnern, insb. bei Anbietern. Es ist Teil  seines Fremdbilds (Corporate Image). Das Reputationsmanagement betrifft den Aufbau, den Erhalt und den Ausbau dieses Ansehens. Daraus entsteht ein akquisitorisches Potenzial. Basis ist die erwiesene Fähigkeit, Probleme besser lösen, früher erkennen und nutzbringender auflösen zu können als vergleichbare andere Anbieter. Reputation baut insofern auf erfolgreichem Handeln der Vergangenheit auf. Sie wird erreicht, indem Anbieter sich Herausforderungen stellen, diese belastbar bewältigen und ihre Fähigkeit dazu bewusst in der Öffentlichkeit herauszustellen. Reputation verschafft einen Angebotsvorsprung vor allem bei austauschbaren Produkten und solchen, die von Nachfragern nicht vollständig beurteilt werden können. Dann wird ersatzweise aus der Reputation des Anbieters auf die Vorziehenswürdigkeit eines Angebots geschlossen. Daher ist ein stetige Aufwertung der Reputation erforderlich (Signaling). Ausnahmsweise kann auch die bewusste Erzeugung von Dissonanzen sinnvoll sein, etwa wenn es um die Veranlassung zum Umstieg auf ein verbessertes Nachfolgeprodukt, den Wechsel von leistungsunterlegenen eigenen Produkten oder den Einstieg von Nichtkonsumenten geht. Anstelle des Strebens nach Konsonanz stellt die Attributionstheorie das Streben nach veridikaler Einsicht in Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge als maßgebliches Prinzip dar. Dabei wird unterstellt, es gebe ein Motiv nach Rückführung beobachteter Ereignisse auf ihnen zugrunde liegende Sachverhalte (Attributionen). Dieses entspringt dem Bedürfnis nach Vorhersagbarkeit und Kontrollierbarkeit der Umwelt und bestimmt die Reaktion auf Reize. Ausgangspunkt ist dabei die Beobachtung eigenen oder fremden Verhaltens bzw. bestimmter Ereignisse, die neuartig oder ungewöhnlich sind. Durch Suche nach Einsicht und Wahrheit wird die Intention der handelnden Personen zu beurteilen versucht. Diese Attributierung führt zur Änderung der Kognition und darüber dann zur Beeinflussung künftigen Handelns.

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2.4.6 Lebensstil 2.4.6.1 Werte Werte sind allgemein Auffassungen von Wünschenswertem, die explizit oder implizit für ein Individuum oder für eine Gruppe kennzeichnend sind und die Auswahl der zugänglichen Weisen, Mittel und Ziele des Handelns beeinflussen. Man unterscheidet: • Globalwerte als überdauernde Überzeugungen, die sich auf gewünschte Existenzialzustände bzw. Verhaltensweisen beziehen. Dabei handelt es sich um wenige Basiswerte und Grundorientierungen (z. B. Beachtung der Ökologie beim Kauf). • Bereichswerte als kaufbezogene Aspekte, die Auskunft über Lebens- und Gesellschaftsbereiche geben (z. B. Bevorzugung von Qualität). Dies sind einige Indikatoren. • Angebotswerte als produktliche Attribute und deren bewertende Überzeugungen. Dies sind viele Kriterien. Werte unterliegen stetiger bis sprunghafter Veränderung (Wertewandel). Solche Wertestrukturen kommen vor allem in Lebensstilen zum Ausdruck. Dafür gibt es mehrere wesentliche Ansätze. Der AIO-(für Activities, Interests, Opinions-)Ansatz untersucht: • beobachtbare Aktivitäten (Activities) wie Arbeit, Hobbys, soziale Ereignisse, Urlaub, Unterhaltung, Vereinsmitgliedschaft, Gemeinschaften, Einkaufen, Sport, • emotionale Interessen (Interests) wie Familie, Zuhause, Beruf, Gemeinschaften, Erholung, Mode, Essen, Medien, Leistungserreichung, • kognitive Meinungen (Opinions) wie Einstellungen zu sich selbst, soziale Belange, Politik, Geschäftswelt, Wirtschaft, Erziehung/Bildung, Produkte, Zukunft, Kultur. Der VALS (für Value and Lifestyles-)-Ansatz hebt zusätzlich zu den Aktivitäten, Interessen und Meinungen auf die Werthaltungen ab (in 35 Elementen), die durch Fragenkataloge erfasst werden. Alle Elemente bilden gemeinsam mit der Soziodemographie (in vier Dimensionen) Lebensstiltypen. So ergeben sich auf Basis erwachsener Amerikaner (ca. 80.000 Umfragen) zwei Gruppen mit je vier Charakterisierungen (eine Adaptierung auf Länder ist möglich, wie Japan, GB etc.). Ausgangspunkt dafür ist einerseits die Konsummotivation. Diese basiert auf Idealen, Erfolg und Selbstdarstellung. vor allem Wissen, Prinzipien, Aktivität, Abwechslung und Risiko. Andererseits die Ressourcenverfügbarkeit. Die Ressourcen ergeben sich aus Energie, Selbstbewusstsein, Intellektualität, Suche nach Neuem, Kreativität, Impulsivität, Führungsanspruch und Eitelkeit.

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Bei hoher Ressourcenverfügbarkeit handelt es sich dann um folgende Konsumen­ tentypen: • Denker (Thinkers) sind reife, zufriedene und reflektierende Menschen, die durch Ideale angetrieben werden und Aspekten wie Ordnung, Wissen und Verantwortung hohen Stellenwert beimessen. Sie suchen bei Produkten nach Langlebigkeit, Funktionalität und Qualität (prinziporientiert). • Innovatoren (Actualizers) sind erfolgreiche, anspruchsvolle, aktive, die Leitung übernehmende Personen mit ausgeprägtem Selbstwertgefühl. Ihre Einkäufe spiegeln oft Vorlieben für nischenorientierte Produkte und Dienstleistungen der oberen Preisklasse wider (statusorientiert). • Arrivierte (Achievers) sind erfolgreiche, zielorientierte Menschen, die sich auf Karriere und Familie konzentrieren. Sie bevorzugen Premiumprodukte, die Gleichrangigen ihren Erfolg verdeutlichen (statusorientiert). • Erfahrungssucher (Experiencers) sind junge, enthusiastische, impulsive Menschen, die nach Abwechslung und Spannung suchen. Sie geben überproportional viel Geld für Kleidung, Unterhaltung und Geselligkeit aus, für sie ist Selbstdarstellung wichtig (aktionsorientiert). Bei geringer Ressourcenverfügbarkeit handelt es sich um folgende Konsumenten­ typen: • Gläubige (Believers) sind konservative, konventionelle und auf Tradition ausgerichtete Menschen mit fest verankerten Werten. Sie bevorzugen bekannte, inländisch produzierte Produkte und halten etablierten Marken die Treue (prinziporientiert). • Aufstrebende (Strivers) sind moderne, spaßorientierte Menschen. Sie bevor­ zugen modische Produkte, die denen derer ähneln, die in größerem materiellen Wohlstand leben als sie und Erfolg demonstrieren (statusorientiert). • Überlebende (Strugglers) sind ältere, passive Menschen, die sich Sorgen um negative Wirkungen von Veränderungen machen und ihre Lieblingsmarken mit Treue belohnen. Sie sind wenig innovativ (statusorientiert). • Macher (Makers) sind praktisch veranlagte, mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehende, autarke Menschen, die gern manuelle Arbeiten verrichten. Sie bevorzugen inländisch produzierte Produkte mit praktischem oder funktionalem Verwendungszweck (aktionsorientiert). Ein weiterer Ansatz hebt auf die ursprünglichen, unverfälschten Werte ab, die jeder Mensch in sich trägt und die seine Einstellung wie sein Verhalten bestimmen, indem zur Messung ausgewählte Wörter verwendet werden (Semiometrie/ Emnid). Dabei werden potenzielle Käufer oder Zuschauer nicht nach Alter, Geschlecht oder Einkommen eingegrenzt, vielmehr wird davon ausgegangen, dass Wörter bestimmte Werte, angenehme oder unangenehme Gefühle vermitteln und

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wecken. Personen mit gleichen Einstellungen, Meinungen und Motiven werden daher auch die einzelnen Wörter ähnlich bewerten. Dem liegt die Hypothese zugrunde, dass sich Werte in der Sprache widerspiegeln und unterschiedliche Werthaltungen durch die Interpretation von Wörtern zum Ausdruck kommen. Emnid verwendet dazu 210, durch Vorstudien reduzierte, ausgewählte Wörter (Substantive, Verben, Adjektive), die im Zeitablauf konstant bleiben. Jedes Wort wird von Probanden auf repräsentativer Basis auf einer siebenstufigen Skala von „sehr angenehm“ bis „sehr unangenehm“ bewertet. Aus den kumulierten Bewertungen ergibt sich durch multivariate Analyse die Position jedes Wortes in einem mehrdimensionalen Raum, zweidimensional reduziert kann es sich z. B. um die Dimensionen „Sozialität“ vs. „Individualität“ und „Lebensfreude“ vs. „Pflicht“ handeln. Für die Gesamtbevölkerung liegt diese Anordnung der Wörter im Raum also repräsentativ vor (durch regelmäßige Erhebung wird der Wertewandel berücksichtigt). Probanden, stellvertretend für dahinter stehende Zielgruppen, bilden nun eine vom Durchschnitt abweichende Anordnung dieser Wörter im Raum ab. So finden sich Wörter, die von Probanden übereinstimmend abweichend vom Durchschnitt über- oder unterbewertet werden. Diese Personen stellen dann im System ein gemeinsames Segment dar. Selektiert man bei den so gefundenen Segmenten Gemeinsamkeiten der Personen, ergibt sich daraus ein wertebezogenes Ziel­gruppenprofil. Eine wesentliche Gemeinsamkeit kann z. B. in der Verwendung einer Marke liegen, sodass sich Zielgruppenprofile verschiedener Marken vergleichen lassen. Mit Hilfe dieses Ansatzes kristallisieren sich somit psychokulturellen Wertmuster von Produktverwendern, Fernsehzuschauern oder auch Zeitschriftenlesern heraus. Jeder dieser Typen kann als eigenes Marktsegment verstanden und durch Aktivitäten kontaktiert werden. Typologien gehen jedoch noch einen Schritt weiter, indem sie vermarktungsrelevante Tatbestände in die Erhebung einbeziehen. 2.4.6.2 Typologien Lebensstiltypologien erfassen Aktivitäten, Interessen und Meinungen gegenüber Freizeit, Arbeit und Konsum einer Person allein oder mehrerer Personen zusammen mit anderen in Bezug auf allgemeines Verhalten oder spezifische Produktklassen. Ziel ist es dabei jeweils, herauszufinden, „how People spend their Time at Work and Leisure (Activities), what is important to them in their immediate Surrounding (Interests) and how they feel about themselves and the larger World (Opinions).“ (Leo Burnett). Die Typologien werden durch multivariate, statistische Reduktionsverfahren gebildet. Zusätzlich werden jeweils auch sozio­ demographische Merkmale erhoben und ausgewertet. Bereits vor 40 Jahren hat Leo Burnett mit der Chicago University den Lebensstilforschungs-Ansatz begründet und zur Lifestyle-Typologie entwickelt. Damit

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wollte er die Schwächen der rein demographischen Zielgruppenbeschreibung durch die Einbeziehung von Lebensstilen überwinden. Die Lifestyle-Typologie erfasste 27 Lebensstilbereiche für 91 Produktfelder und 74 Medien. Hinzu kamen kunden-/produktspezifische Items. Befragt wurden 2.000 Personen ab 14 Jahre mündlich, anhand von Selbstbeschreibung und Soziodemographie, sowie schriftlich, anhand von Haushaltsbuch und Mediennutzung über 250 AIO-Items, 25 demographische Items und 50 Konsumitems nach Produktkategorien getrennt. Abgefragt wurden dabei u. a. folgende Statements: • Freizeit und soziales Leben: Freizeitaktivitäten, Freizeitmotive, Ausübung verschiedener Sportarten, bevorzugte Urlaubs-/Reiseart, soziales Netzwerk, • Interessen: Musikinteressen, Themeninteressen, Gruppenmitgliedschaften, • Stilpräferenzen: bevorzugter Wohnstil (bildgestützt), bevorzugter Kleidungsstil (verbal und optisch präsentiert), • Konsum: Öko-Einstellungen, Einstellung zu Essen und Trinken, Einstellung zu Geld und Konsum, • Outfit: Einstellung zu Kleidung, Body-Image, • Grundorientierung: Lebensphilosophie und Moral, Zukunftsoptimismus, soziale Milieus, • Arbeit: Arbeitszufriedenheit, Arbeitseinstellungen, Berufserwartungen, • Familie: Einstellungen zu Familie, Partnerschaft und Emanzipation, Rollen­ bilder, Wohnsituation, • Politik: Politisches Interesse und Parteiinteresse, Politikwahrnehmung. Als Output der Analyse ergaben sich Personentypen, die mit Namen und Foto versehen waren, um ihre Prägnanz zu erhöhen. Männliche Namen zeigten an, dass dieser Typ überwiegend, wenngleich nicht ausschließlich, bei Männern vertreten war, weibliche Namen analog, Pärchen zeigten an, dass die Ausprägung ungefähr gleichermaßen männlich wie weiblich besetzt war. Der Ansatz wird seit 1991 nicht mehr verfolgt. Der letzte Durchgang ergab folgende Typen: • Traditionelle Lebensstile (37 % der erwachsenen Bevölkerung): Erika – die aufgeschlossene Häusliche, Erwin – der Bodenständige, Wilhelmine – die bescheidene Pflichtbewusste, • Gehobene Lebensstile (20 %): Frank und Franziska – die Arrivierten, Claus und Claudia – die neue Familie, Stefan und Stefanie – die jungen Individualisten, • Moderne Lebensstile (42 %): Michael und Michaela  – die Aufstiegsorientierten, Tim und Tina – die fun-orientierten Jugendlichen, Martin und Martina – die trendbewussten Mitmachet, Monika – die Angepasste, Eddi – der Coole, Ingo und Inge – die Geltungsbedürftigen.

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Der Typologie Sozialer Milieus (Sinus Sociovison) liegt die Hypothese zugrunde, dass der Mensch in seinem Wesen nicht genetisch codiert, sondern Produkt seiner Sozialisation ist. Dies unterstellt, kann der Umkehrschluss gewagt werden, nämlich aus der Umgebung auf den Menschen, der sich darin wohlfühlt, zu schließen. Mit der Lebensweltforschung wird seit 1979 versucht, Veränderungen in Einstellungen und Verhaltensweisen als Abbild des gesellschaftlichen Wertewandels zu beschreiben und zu prognostizieren. Dabei werden alle wichtigen Erlebnis­ bereiche erfasst. Die empirisch ermittelten Wertprioritäten und Lebensstile werden zu einer Basis-Typologie verdichtet. Sie enthält derzeit zehn Gruppen. Die Anteile der einzelnen Milieus an der Bevölkerung werden jährlich aktualisiert. Gleichzeitig wird versucht, dem Wertewandel auf der Spur zu bleiben. Bei Bedarf werden neue Milieus aufgenommen bzw. bestehende verändert oder weggelassen. Durch die hohen Fallzahlen werden auch kleinere Milieugruppen valide erhoben. Soziale Milieus stellen eine Weiterentwicklung der Lifestyle-Forschung dar. Demzufolge sind Lebensstile nur sinnvoll im Kontext von Milieus zu interpretieren. Die milieuspezifische Wertorientierung steuert Lebens- und Konsumstile, die wiederum das ästhetische Erleben und Verhalten sowie den Geschmack prägen. Die Typologie Sozialer Milieus der Sinus Marktforschung erfasst in 4.000 Interviews die verschiedenen, nach Vorstudien als relevant erachteten Bausteine der Lebenswelten mit folgenden Inhalten: • Lebensziel, d. h. Werte, Lebensgüter, Lebensstrategie, Lebensphilosophie, • soziale Lage, d. h. Anteil an der Grundgesamtheit, soziodemographische Struktur der Milieus, • Arbeit/Leistung, d. h. Arbeitsethos, Arbeitszufriedenheit, gesellschaftlicher Aufstieg, Prestige, materielle Sicherheit, • Gesellschaftsbild, d. h. politisches Interesse, Engagement, Systemzufriedenheit, Wahrnehmung und Verarbeitung gesellschaftlicher Probleme, • Familie/Partnerschaft, d. h. Einstellung zu Partnerschaft, Familie, Kindern, Geborgenheit, emotionale Sicherheit, Vorstellung vom privaten Glück, • Freizeit, d. h. Freizeitgestaltung, Freizeitmotive, Kommunikation und soziales Leben, • Wunsch-/Leitbilder, d. h. Wünsche, Tagträume, Fantasien, Sehnsüchte, Leitbilder, Vorbilder, Identifikationsobjekte, • Lebensstil, d. h. ästhetische Grundbedürfnisse (Alltagsästhetik), milieuspezifische Stil- und Wohnwelten. Bei den Sozialen Milieus (Milieugruppen) werden aktuell folgende unterschieden (Sinus Institut, siehe Abbildung 48):

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Abbildung 48: Soziale Milieus (2014)

• Adaptiv-pragmatisches Milieu (C2): Die mobile, zielstrebige junge Mitte der Gesellschaft mit ausgeprägtem Lebenspragmatismus und Nutzenkalkül, erfolgsorientiert und kompromissbereit, starkes Bedürfnis nach Flexibilität bei gleichzeitiger Sicherheit (9 % der erwachsenen Gesamtbevölkerung). • Expeditives Milieu (C 12): Die stark individualistisch geprägte, digitale Avantgarde, unkonventionell, kreativ, mental und geografisch mobil und immer auf der Suche nach neuen Grenzen und Veränderungen (6 %). Untergruppen sind Kreative Avantgarde und Experimentalisten. • Bürgerliche Mitte (B 23): Der leistungs- und anpassungsbereite bürgerliche Mainstream, generelle Bejahung der gesellschaftlichen Ordnung, Streben nach beruflicher und sozialer Etablierung, nach gesicherten und harmonischen Verhältnissen (14 %). Untergruppen sind Statusorientiertes Bürgertum und Moderne Harmoniemilieus. • Hedonistisches Milieu (BC 23): Die spaßorientierte moderne Unterschicht/untere Mittelschicht, Leben im Hier und Jetzt, Verweigerung von Konventionen und Verhaltenserwartungen der Leistungsgesellschaft (15 %). Untergruppen sind bürgerliche Hedonisten und Subkulturelle Hedonisten. • Konservativ-etabliertes Milieu (AB 12): Das klassische Establishment: Verantwortungs- und Erfolgsethik, Exklusivitäts- und Führungsansprüche vs. Tendenz

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zu Rückzug und Abgrenzung (10 %). Untergruppen sind Standesbewusste Repräsentanten und Humanistisch-Bildungsbürgerliche. • Liberal-intellektuelles Milieu (B 1): Die aufgeklärte Bildungselite mit liberaler Grundhaltung, postmateriellen Wurzeln, Wunsch nach selbstbestimmtem Leben und vielfältigen intellektuellen Interessen (7 %). Untergruppen sind Individualistisch-Intellektuelle und Sozial-Ökologische. • Performer-Milieu (C 1): Die multi-optionale, effizienzorientierte Leistungselite mit global-ökonomischem Denken und stilistischem Avantgarde-Anspruch (7 %). Untergruppen sind Liberale Performer und Bürgerliche Performer. • Prekäres Milieu (B 3): Die Teilhabe und Orientierung suchende Unterschicht mit starken Zukunftsängsten und Ressentiments, bemüht, Anschluss zu halten an die Konsumstandards der breiten Mitte als Kompensationsversuch sozialer Benachteiligungen, geringe Aufstiegsperspektiven und delegative/reaktive Grundhaltung, Rückzug ins eigene soziale Umfeld (9 %). Untergruppen sind Robuste Konsum-Materialisten und Defensiv-Prekäre. • Sozial-ökologisches Milieu (B 12): Idealistisches, konsumkritisches/-bewusstes Milieu mit ausgeprägtem ökologischen und sozialen Gewissen, Globalisierungs-Skeptiker, Bannerträger von Political Correctness und Diversity (7 %). • Traditionelles Milieu (AB 23): Die Sicherheit und Ordnung liegende Kriegs-/ Nachkriegsgeneration, in der alten kleinbürgerlichen Welt bzw. in der traditionellen Arbeiterkultur verhaftet (15 %). Untergruppen sind Traditionsverhaftete, Junge Traditionsverhaftete und Zurückgezogene Traditionelle. Die Roper Socio Styles (GfK) streben ein komplexes, dynamisches Portrait von Menschen mit einer Synthese einer Vielzahl von Lebensfacetten in unterschiedlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen an. Dabei werden bei über 40.000 Personen in mehr als 40 europäischen Ländern charakteristische Lebensstile in Bezug auf das tägliche Leben erhoben. Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern spiegeln sich in unterschiedlichen Größen der jeweiligen Lebensstiltypen wider. Jeder Lebensstil ist einheitlich für ganz Europa definiert. Unterschiede resultieren dann in abweichenden prozentualen Anteilen. Dadurch wird eine standardisierte Marktbearbeitung möglich. Gesellschaftliche Trends und Entwicklungen können somit frühzeitig erkannt und deren Einfluss auf den Konsum abgeschätzt werden. Jeder Socio-Style ist in jedem europäischen Land anzutreffen, weil, so die These, die westeuropäischen Gesellschaften in der Neuzeit parallel eine gleichartige soziale Entwicklung vollzogen haben. Insofern können Zielgruppen ländergrenzenübergreifend gleichartig definiert werden. Als Basis dienen 3.500 AIOVariable für jede Befragungsperson. Die Aufnahme auftraggeberspezifischer Items ist möglich. Erfasst werden ansonsten Besitz, Verbrauchs- und Kaufverhalten (mit Motivationsstrukturen: Mein Privatleben, Mein Berufsleben, Mein gesell-

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schaftliches Leben, Mein politisches Leben, Mein kulturelles Leben, Mein Geschäftsleben, Mein Leben als Verbraucher) sowie Mediennutzung. Grafisch erfolgt die Einordnung in eine Matrix mit vier Polen: einerseits Frieden, Sicherheit und Puritanismus (Settlement/Beständigkeit) vs. Leidenschaft, Hedonismus und Vergnügen (Movement/Veränderung), sowie andererseits Haben-Materialismus und Preisorientierung (Valuables/Illusion) vs. Sein-Postmaterialismus und Qualität (Values/Wirklichkeit). Daraus entstehen aktuell folgende Lebensstiltypen (siehe Abbildung 49):

Mein Berufsleben: - Meine Stelle - Meine Firma - Meine ideale Firma / Mein Vorgesetzter - Meine Arbeit / Meine Karriere Mein Privatleben: - Meine Philosophie und Ziele - Meine Werte / Meine Familie - Meine Freizeit / Meine Zeit - Mein Heim Mein Leben als Verbraucher: - Mein Haushalt / Mein Trinken & Rauchen - Mein Automobil - Mein Geld / Mein Aussehen - Mein Verbrauch Mein Geschäftsleben: - Kleine Einkäufe - Meine Werbung - Meine Produkte / Mein Einkaufen Mein kulturelles Leben: - Meine Welt / Mein Europa - Mein Medienideal - Meine Medien / Meine Nachrichten & Informationen - Meine Kunst Mein politisches Leben: - Meine Sicht der Wirtschaft / Mein politisches Programm - Meine Überzeugungen - Meine Wahlen & Führer / Meine Diagonse - Meine Prognose Mein gesellschaftliches Leben: - Meine gesellschaftlichen Aussichten / Meine Umwelt - Meine Helden - Meine Wurzeln und Bande / Meine gesellschaftliche Wahl

Abbildung 49: Bausteine Euro Socio Styles (Mental Map)

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• Die Bodenständigen (Steady World, 14,4 %) sind traditionsorientierte Senioren mit mittlerem Lebensstandard, die ihren Ruhestand voll und ganz ausschöpfen. Sie pflegen einen bewusst einfachen Konsumstil, der auf Familie, Sicherheit und Gesundheit ausgerichtet ist. • Die Häuslichen (Cosy Tech World, 20,8 %) sind aktive moderne Paare mittleren Alters mit meist überdurchschnittlicher Haushaltsausstattung, die auf der Suche nach persönlicher Entfaltung sind. • Die Träumer (Magic World, 10,7 %) sind intuitive, junge und materialistische Leute, die von der Welt der Stars träumen und einem Platz an der Sonne hinterher jagen. Sie wollen Marken mit starkem Image und sind stets auf der Suche nach Schnäppchen. • Die Abenteurer (Crafty World, 12,9 %) sind junge, dynamische Leute einfacher Herkunft auf der Suche nach Erfolg und materieller Unabhängigkeit. Sie pflegen einen demonstrativen, auf Freizeit und Innovation ausgerichteten Konsum und sind Trendsetter. • Die Realisten (Secure World, 7,5 %) sind konformistische, hedonistische Familien aus einfachen Kreisen, die sich abkapseln, vom einfacheren Lesen träumen und sich den traditionellen Rollen verbunden fühlen. • Die Anspruchsvollen (Standing World, 11,7 %) sind kultivierte, pflichtbewusste Bürger mit traditionellem Halt und disziplinierter Persönlichkeit. Sie pflegen einen anspruchsvollen Konsumstil. Sie legen Wert auf Qualität und kaufen in der Regel vernunftbetont. • Die Kritischen (Authentic World, 10,9 %) sind engagierte Familien mit klarem Bekenntnis zu Umwelt und Gesellschaft, ohne dabei die angenehmen Seiten des Lebens (Harmonie, Ausgeglichenheit) zu vernachlässigen. Sie haben einen rationalen, an hoher Qualität und Zukunftsträchtigkeit ausgerichteten Konsumstil. • Die Weltoffenen (New World, 11,0 %) sind hedonistische, tolerante Intellektuelle auf der Suche nach Individualität und persönlicher Harmonie. Ihr gehobener Konsumstil ist auf Lifestyle und Ambiente ausgerichtet. Das Pariser Research Institute on Social Change (RISC) untersucht seit 20 Jahren gesellschaftliche Trends in ganz Europa, um daraus Typologien zu entwickeln (RISC-Typologie). Der entsprechende Fragebogen umfasst 100 soziokulturelle Fragen und Statements, wie „Unsere Kultur und viele Werte unseres Landes sind heute in Gefahr“, die graduell beantwortet werden. Jeder Befragte wird daraufhin auf Basis seiner Antworten dreidimensional positioniert: • Die erste Dimension bewegt sich zwischen Aufbruch und Stabilität (dabei wird die Offenheit für neue Ideen erhoben). • Die zweite Dimension stellt die Antipole „Streben nach Harmonie/höhere Werte“ und „profaner Lustgewinn“ gegenüber (Beispiel: Lehrer, die an einer Waldorfschule unterrichten als Gegenpol zu ausgemachten Techno-Freaks).

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• Die dritte Dimension erfasst die globale vs. lokale Orientierung. Entweder fühlen sich die Interviewten als Teil  einer „Weltgemeinschaft Gleichgesinnter“ oder sind eher ihrer direkten Umgebung verbunden (Beispiel: Globetrotter vs. Kegelclub-Ausflug an die Mosel). Die Position der Befragten wird nicht in Koordinaten umgesetzt, sondern in „Euroscan“, einer dreidimensionalen Abbildung der RISC-Typen. Für jedes dieser Segmente werden spezielle Merkmale abgefragt. Die Antworten für jeden einzelnen Typ werden sodann anhand der Gesamtbevölkerung indiziert. Werte über 100 sprechen für eine überproportionale Ausprägung. Mit der speziellen Software MicroRISC können die Umfragen ausgewertet und im Euroscan dargestellt werden. Lebensstiltypologien haben eine Reihe von Vor- und Nachteilen. Als Vorteile sind vor allem folgende zu nennen: • Es besteht eine hohe Marketingrelevanz, da beobachtbares Verhalten oder zumindest mehrfach abgesicherte Indikatoren für dieses Verhalten die Grundlage der Ergebnisse bilden. • Typologien erleichtern den Beteiligten durch ihre Anschaulichkeit die Arbeit, denn ansonsten abstrakt und wenig greifbar erscheinende Segmentbeschreibungen werden prägnant und transparent. • Die Plastizität der Ergebnisse erleichtert die Ableitung zielgerichteter Marketingaktivitäten, um die identifizierten und anzusteuernden Segmente bearbeiten zu können. • Sach- und Dienstleistungen können hinreichend an das Profil der Lebensstile angepasst werden und erreichen damit eine höhere Akzeptanz am Markt. • Die Aussagen der Typologien erleichtern die Übersetzung in werbliche Botschaften, die zur Auslobung geeignet sind. • Typologien sind recht differenziert in ihren Aussagen, sodass Segmente sehr zielgenau abgegrenzt und angesteuert werden können. • Es handelt sich um Ableitungen aus realen Gegebenheiten, nicht um leicht angreifbare Hypothesen oder theoretische Erwägungen. • Typologien sind, sachgerecht erhoben und ausgewertet, ein exaktes Spiegelbild der tatsächlichen Nachfrageverhältnisse am Markt. Diesen Vorteilen stehen jedoch auch erhebliche Nachteile gegenüber: • Typologien täuschen womöglich eine Scheinexaktheit vor, die so nicht gegeben ist und auch nicht erreichbar scheint. Dies ist vor allem bei einem unreflektierten Umgang mit den Ergebnissen problematisch. • Die Praktikabilität des Erhebungsumfangs verhindert die Berücksichtigung spezieller Inhalte, allerdings gibt es zwischenzeitlich eine inflationierende Vielzahl spezialisierter Typologien.

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• Die Merkmale, die der Typologie zugrunde liegen, sind nicht allgemein klassifizierbar, weil sie als qualitative Daten wenig trennscharf und exakt bleiben. • Da Typologien jeweils individuelle Forschungs-Designs zugrunde liegen, sind ihre Ergebnisse untereinander nicht vergleichbar. Dadurch ist ihre Anwendung erheblich begrenzt. • Die forscherische Fundierung der Typologien ist im Einzelfall eher zweifelhaft, zudem werden die Forschungs-Designs gelegentlich wohl so angelegt, dass sie die Ergebnisse zu liefern vermögen, die ihre Auftraggeber von ihnen erwarten (z. B. Verlagstypologien). • Für die entstehenden Typen ergeben sich Identifikationsschwierigkeiten, da die Ursprungsdaten mathematisch-statistisch reduziert werden und dadurch ihre Rückbeziehbarkeit auf die Ausgangseinheiten unmöglich wird. • Zudem entstehen in Typologien regelmäßig Kunsttypen, die so in der Wirtschaftswirklichkeit überhaupt nicht vorhanden, sondern bloße Artefakte quantitativer Verfahren sind (induktiver Ansatz). • Wegen des hohen Erhebungsaufwands werden Typologien häufig nur in größeren Zeitabständen ermittelt, so dass sie den dazwischen stattfindenden Wertewandel nur unvollkommen wiedergeben können. 2.4.7 Wahrnehmung Wahrnehmung umfasst den Prozess der Aufnahme und Selektion von Informationen sowie deren Organisation und Interpretation durch den Käufer. Dabei sind drei Dimensionen zu berücksichtigen: • Aktivität meint in diesem Zusammenhang, dass Wahrnehmung ein vom Käufer initiativ ausgehender Prozess ist. Unbewusste und unterbewusste Wahrnehmung bleibt daher unberücksichtigt. • Subjektivität meint, dass gleiche Objekte individuell abweichend wahrgenommen werden können, so gibt es generalisierend wirkende Schlüsselreize (z. B. Kindchenschema, Erotik), aber auch nur spezifisch wirksame (z. B. den individuellen Hobbybereich betreffende). • Selektivität meint, dass infolge der Wahrnehmungsbeschränkung einzelne Informationen herausgefiltert werden, so dass nur ein kleiner Ausschnitt aller Umweltinformationen durch die Rezeptoren der Sinnesorgane aufgenommen wird (wovon wiederum nur ein kleiner Ausschnitt verarbeitet wird, wovon wiederum nur ein kleiner Ausschnitt behalten wird, wovon wiederum nur ein kleiner Ausschnitt abgerufen wird, und nur darauf kommt es an). Wahrnehmung bezieht sich auf alles, was dem Subjekt „entgegensteht“. Das Ergebnis sind Empfindungen und Vorstellungen über die Umwelt und die eigene Per-

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son. Bei der Transformation der objektiven Stimuli in subjektive Wahrnehmung treten Verzerrungen auf, die durch meist unbewusste Ergänzungen, Modifikationen oder Weglassungen entstehen. So werden gebrochene Preise knapp unterhalb von Preisschwellen eher der niedrigeren Preisklasse zugeordnet, obwohl sie davon rein rechnerisch viel weiter entfernt sind als von der Preisschwelle selbst. Wahrnehmung setzt Aufnahmeorgane (Rezeptoren) voraus, ebenso Transportleitungen (Nerven) und Speicherkapazitäten (Gehirn). Es herrscht ein immenser Informationsüberfluss (Information Overload). Dabei handelt es sich um die Hypothese, dass möglichst viel Information, wie sie etwa im Rahmen der Verbraucherpolitik gefordert wird, nicht unbedingt eine Verbesserung der Entscheidungsqualität herbeiführt, sondern im Gegenteil zu einer Verringerung durch Überlast führen kann. Der erforderliche Informationsumfang ist abhängig von Art und Menge der bereits im Gedächtnis abgespeicherten Daten, vom wahrgenommenen Kaufrisiko, von der Komplexität der Entscheidung und dem Aufwand zur Informationsbeschaffung. Davon abzugrenzen ist der Tatbestand der Konsumentenverwirrtheit (Consumer Confusion). Darunter versteht man einen emotional belastenden, dysfunktionalen Gemütszustand des Individuums infolge hoher Umweltkomplexität. Vom Information Overload grenzt sich dies ab, weil er rein quantitativ ausgelegt wird. Von der kognitiven Dissonanz unterscheidet sie sich, weil sie auch ohne Entscheidung auftreten kann. Und vom Kaufrisiko grenzt sie sich ab, weil sie keinen Investitionsbetrag voraussetzt. Als Gründe für Konsumentenverwirrtheit werden angenommen: • Stimulusvielfalt als Verschiedenartigkeit der auf ein Individuum einwirkenden Stimuli, z. B. infolge heterogenen Warenangebots, • Stimulusneuartigkeit als Herausforderung der Bewertung wahrgenommener Stimuli, z. B. bei Umfeld- oder Produktänderungen, • Stimuluskomplexität als mangelnde Durchschaubarkeit des Zusammenwirkens, z. B. bei multisensorischen Botschaften, • Stimuluskonflikt als einander widersprechende Wahrnehmungen, z. B. bei Motivationskonflikten, • Stimulusirritation als Vieldeutigkeit wahrgenommener Stimuli, z. B. bei komplexen Produktpositionierungen oder Werbeansprachen, • Stimulusähnlichkeit als schwer voneinander abgrenzbare Stimuli, z. B. bei Produkt-/Markenimitation, • Stimulusunklarheit als mangeldes Verständnis von Stimuli, z. B. bei Out of Category-Positionierungen. Eine wünschenswerte Reduktion einer Konsumentenverwirrtheit kann • anbieterseitig durch eine eindeutige, profilierte Positionierung, Barrierefreiheit im Zugang zu Informationen und Nutzerfreundlichkeit des Angebots erreicht werden.

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• nachfragerseitig durch Gewohnheitsverhalten, Beachtung von Empfehlungen vertrauenswürdiger Quellen und Verlagerung auf Mehrpersonenentscheide erreicht werden. Die Orientierungsreaktion als Wahrnehmung ist angeboren. Sie löst bei neuartigen Stimuli außerhalb des Bewusstseins einen Mechanismus aus, der die Aufmerksamkeit reflexiv auf diese Reize in Abhängigkeit von Intensität, Größe, Farbigkeit oder Bewegung richtet (z. B. durch Kopfwenden). Dabei sind nicht die absoluten Werte ausschlaggebend, sondern deren Kontrast zum Umfeld. Aufgrund der Unvollkommenheit der menschlichen Sinnesorgane und der begrenzten Informationsverarbeitungskapazität kommt es zu Information Chunks. Dies ist die Zusammenfassung einzelner Informationen zu Blöcken. Diese Schlüsselinformationen sorgen für den Transfer des gebündelten Eindrucks auf einzelne Objektmerkmale, von denen keine aussagefähigen Informationen vorliegen. Typische Information Chunks sind Markennamen, Testergebnisse, Produktpreise, Herkunftskennzeichnungen etc. An die Stelle einer umfassenden Verarbeitung aller relevanten Informationen tritt damit die Orientierung an wenigen, als zentral vermuteten Kriterien. Dazu wird eine verlässliche Beziehung zwischen diesen Schlüsselinformationen und der ganzheitlichen Objektbewertung unterstellt. Die Imagery-These vertritt dabei die Auffassung, dass: • Bilder schneller wahrgenommen werden als Texte, • mehr Aktivierung auslösen, • größere Gedächtnisleistung bereitstellen, • höhere Beeinflussungswirkung haben. Dies bedeutet die Ansicht einer generellen Überlegenheit der visuellen gegenüber der verbalen Kommunikation, die sich bereits deutlich in aktuellen Kommunikationsmaßnahmen niedergeschlagen hat. Wahrnehmung ist nur oberhalb einer minimalen Reizschwelle möglich. Reize darunter können nur noch unterschwellig wahrgenommen werden (man sagt subliminal) und führen zur unkontrollierten Steuerung des Individuums. Daher besteht über deren absichtliche Herbeiführung ein starkes moralisches Unwerturteil. Eine relative Reizschwelle ist derjenige Unterschied zwischen zwei Reizen, der gerade noch wahrgenommen werden kann. Hinsichtlich der Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmung bestehen zahlreiche Theorien. Nach der Elementenpsychologie setzt sich die Wahrnehmung aus einzelnen Elementen zusammen. Die einzigen Einflussfaktoren auf die Wahrnehmung sind daher die Reize der äußeren, physikalischen Umwelt. Jedes Element wird getrennt wahrgenommen. Die Wahrnehmung bildet sich aus der Summe aller Empfindungen, die sich aus kleinsten wahrnehmbaren Elementen gleich einem Mosaik zusammensetzt und maximal gleich der Summe ihrer Teile ist. Die

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Empfindungsstärke wächst dabei berechenbar unterproportional mit der Reizstärke. Zum Beispiel verdoppelt sich danach die Wahrnehmung einer Anzeige mit der Vervierfachung ihres Formats. Die einzelnen Elemente sind getrennt optimierbar. Folglich sollen Anzeigen groß, bunt, laut, also reklamig, sein. Tatsächlich aber hängt die Wahrnehmungswirkung nicht nur von den Elementen selbst, sondern auch von deren innerer und äußerer Qualität ab (z. B. Anzeigenlayout, Insertionsumfeld). Nach der Gestaltpsychologie ist das Ganze hingegen mehr als Summe seiner Teile. Ihm kommen Eigenschaften zu, die seinen Teilen abgehen (der Beweis dafür wird oft durch optische Täuschungen angetreten). Man kann also nicht einfach Einzelwahrnehmungen zu einer Gesamtwahrnehmung aufaddieren. Vielmehr handelt es sich bei Wahrnehmungen um eigenständig strukturierte Gestalten. Alle Teile wirken dabei als Einheit. Gestalten sind Wahrnehmungsobjekte, die sich erkennbar unterscheiden. Die Wahrnehmung wird verbessert, wenn die Gestalten bestimmten Gesetzmäßigkeiten folgen. Dazu gehört u. a. die: • Figur-Grund-Differenzierung, d. h., der Vordergrund eines Motivs sollte sich deutlich vom Hintergrund abheben, • Geschlossenheit, d. h., fehlende Elemente werden nach Wahrnehmungserfahrung vom Betrachter ergänzt, • Richtung, d. h., Formen mit fortlaufenden Konturen wirken harmonischer und werden als zueinander gehörig angenommen. Je kontrastierter, geschlossener, regelmäßiger etc. eine Gestalt ist, desto ­besser wird sie als „gute“ Gestalt wahrgenommen. Schlechte Gestalten werden lang­ samer gelernt und schneller vergessen als diese. Nach der Ganzheitspsychologie sprechen Signale immer zunächst die Gefühlsebene an. Gefühle wirken auf alle psychischen Vorgänge. Die Wahrnehmung entsteht aus ersten, gefühlsmäßig gefärbten Anmutungen erst allmählich aus „Vorgestalten“. Man nennt diesen Prozess Aktualgenese. Für die Wahrnehmung sind der Kontext aus spontaner Anmutung und subjektiven Gegebenheiten ausschlaggebend. Spontane Anziehung oder Ablehnung hat darin ihre Ursachen. Der spontane Eindruck ist prägend und durch später einwirkende Eindrücke nur begrenzt reversibel. Wahrnehmung spielt vor allem in der Kommunikation eine bedeutende Rolle. So erfolgt die Wahrnehmung dort selektiv über verschiedene Stufen des Gedächtnisses und nur Informationen, die alle Hürden überstehen, haben einigermaßen Bestand. Es sind solche Reize zu bevorzugen, die von sich aus Aufmerksamkeit bringen, weil sie assoziativ wirken. Es können nur schwer gleichzeitig unterschiedliche Informationen erfasst werden. Die Wirkung ist größer, wenn auf verschiedenen Sinnesorganen identische Informationen eingehen. Je leichter Elemente verarbeitbar sind, desto eher werden sie wahrgenommen. Assoziationen erleichtern dabei die Verarbeitung von Informationen.

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Bei der Wahrnehmung treten verzerrende Wahrnehmungseffekte auf. Zum Beispiel kann es zu einem Transfer des gesamten Objekteindrucks auf die Beurteilung unbekannter, einzelner Eigenschaften dieses Objekts kommen (Halo-Effekt) oder zu einem Transfer von einem Merkmal, das man kennt und beurteilen zu können glaubt, auf andere, unbekannte Merkmale (Irradiation) oder zu einem Transfer der Beurteilung einer bekannten Eigenschaft auf das gesamte, unbekannte Objekt (Attributierung). Einfluss auf die Werbung wird auch durch die Empfängereinstellung zur Botschaft (Audience-Effekt), das Image des Botschaftsabsenders (Source-Effekt) und die Botschaft selbst (Message-Effekt) genommen. Ebenso treten Beeinflussungen verschiedener Wahrnehmungen untereinander in zeitlicher Art (Carry over-/-in-Effekt), sachlicher Art (Spill over-/-in-Effekt) und räumlicher Art auf (Lap over-/-in-Effekt). Auch die Botschaftsabfolge ist relevant, so wirkt nach dem Primacy-Effekt die erste Botschafts-„Dosis“ am besten, nach dem Recency-Effekt hingegen die letzte. Ebenso ist die Glaubwürdigkeit der Präsentation an sich (Communicator-Effekt) relevant, nicht hingegen die der Informationsquelle (Sleeper-Effekt), die im Zeitablauf in den Hintergrund tritt. Die Wirkung unterliegt weiterhin Abnutzungserscheinungen im Zeitablauf (Wear outEffekt) und Ablenkungserscheinungen im zeitgleich einwirkenden Medienumfeld (Rub off-Effekt). Prädispositionen wirken verstärkend bei der Suche nach bestätigenden Informationen (Bolstering-Effekt), unterstützen ihrerseits deren Glaubwürdigkeit (Inertia-Effekt) und wehren gegenteilige Informationen ab (ReaktanzEffekt).

2.4.8 Lernen Lernen betrifft allgemein den Erwerb von Informationen für als relevant erachtete Lebensbereiche. Kognitives Lernen erfolgt durch Einsicht oder am Modell. Das Lernen durch Einsicht, auch Lernen durch Verstehen genannt, geht von der Annahme aus, dass das Verhalten der Menschen durch die geistige Bewältigung vorhandener Situationen, vor allem durch das Erkennen deren jeweiliger Zusammenhänge, also der Ziel-Mittel-Beziehungen, gelenkt wird. Ist diese Einsicht vorhanden, können auch Situationen, die neuartig oder ungewohnt sind, rasch und erfolgreich bewältigt werden. Gewonnene Einsichten sind erfahrungsbedingt und werden im Gedächtnis abgespeichert, so dass sie für ähnliche Situationen abrufbar bleiben. Ist ein Organismus in der Lage, die in einer bestimmten Situation relevanten Kaufalternativen mit seinen Zielvorstellungen zu verknüpfen, kann er also die Konsequenzen seiner Entscheidung antizipieren und so seine Lage bewältigen. Maßstab ist ihm dabei seine Nutzenmaximierung. Es entsteht eine strukturierte Umweltwahrnehmung und Identifikation, die es erlauben, Lösungskonzepte nicht nur auf gleiche, sondern auch auf ähnliche Situationen anzuwenden. Es wird also keine Reiz-Reaktions-Verknüpfung angenommen. Dabei wird vornehmlich auf die aktuelle Problemstruktur abgestellt, gewohnheitsmäßiges Verhalten ist dadurch jedoch kaum erklärbar.

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B. Käuferverhalten im Marketing

Das Lernen am Modell, auch Lernen durch Leitbild genannt, ist eher imitativ fundiert. Dabei geht es um die Nachahmung vorbildlicher Leitfiguren, die aus verschiedensten Bereichen des sozialen Umfelds stammen können, nicht nur Prominente. Vor allem Personen mit geringer Selbstwerteinschätzung und solche, die zwischen dem Vorbild und sich selbst eine Ähnlichkeit zu erkennen glauben, zeigen hohe Nachahmungsbereitschaft. Hier wird ein Lernen durch Beobachtung angenommen. Insofern kommt es zu einer Verknüpfung mit soziologischen Aspekten. Art und Ausmaß des Erlernten sind vom Beobachter, von der beobachteten Situation und von der beobachteten Person abhängig. Der Beobachter steuert die Situation durch den Grad seiner Bereitschaft zur Aufnahme von Informationen. Die beobachtete Situation hat umso mehr Einfluss, je ähnlicher sie solchen ist, die auch für den Beobachter gelten oder gelten können. Von der beobachteten Person kann umso eher Verhalten übernommen werden, je besser dieses beobachtbar ist. Lernen stellt somit einen aktiv gesteuerten Prozess erlebter Erfahrung dar. 2.4.9 Gedächtnis Das Gedächtnis hat die Fähigkeit, Ereignisse zu behalten und mehr oder weniger originalgetreu zu reproduzieren. Von Datenspeichern, die in diesem Sinne auch ein Gedächtnis haben, unterscheidet sich das menschliche Gedächtnis dadurch, dass Ereignisse nicht nur passiv abgespeichert, sondern auch aktiv bearbeitet werden. Denken besteht in Beurteilen, Ordnen, Abstrahieren und Weiterentwickeln. Es bedarf zum Erinnern, Umstrukturieren, Schlussfolgern jedoch nicht des Rückgriffs auf aktuelle Wahrnehmungen, sondern wird aus Gedächtnisinhalten gespeist. Dem Behalten steht allerdings das Vergessen entgegen. Nach der Theorie des autonomen Verfalls löschen sich die zeitlich am weitesten zurück liegenden Informationen aus. Das heißt, die Erinnerung eines Stimulus ist abhängig vom Zeitabstand zwischen Wahrnehmung und Abruf der Information. Demnach ist es bedeutsam, eine hohe Penetration von Botschaften (z. B. durch hohe Kontaktintensität in der Mediawerbung) zu erreichen, wobei die Impactstärke dann sekundär ist. Vergessen ist demnach ein rein passiver Vorgang. Nach der Interferenztheorie geht im Gedächtnis zwar nicht die Information selbst, wohl aber der Zugriff auf deren Speicherplatz durch Überlagerung mit anderen Signalen verloren. Das heißt, die Erinnerung eines Stimulus ist abhängig von der Impactstärke anderer, in unmittelbarer zeitlicher Umgebung befindlicher Stimuli. Dabei kann es zu einer proaktiven Hemmung durch Informationen vorher oder zu einer retroaktiven Hemmung durch Informationen nachher kommen. Demnach ist es bedeutsam, impactstarke Umsetzungen im Marketing zu nutzen, um die Beeindruckungswirkung konkurrierender Reize zu übertreffen (z. B. durch hohe zielgerichtete Kreativität). Vergessen ist hierbei ein aktiver Vorgang.

287

I. Konsumentenverhalten

Ultrakurzzeitspeicher / Sensorischer Informationsspeicher (SIS)

Kurzzeitspeicher (KZS)

Langzeitspeicher (LZS)

Output (Interaktionen)

Reiz (Informationen)

Ausgangspunkt für das Behalten ist eine unübersehbare Flut von Informationen optischer, akustischer, haptischer, olfaktorischer und degustativer Art. Das Mehrspeichermodell, das nicht physiologische Gegebenheiten darstellt, gliedert das Gedächtnis, allerdings nicht ganz überschneidungsfrei, in Langzeit-, Kurzzeitund Ultrakurzzeitgedächtnis (entsprechend den Funktionen Umwandlung, Verdichtung und Speicherung) (siehe Abbildung 50).

Abbildung 50: Gedächtnismodell

Im Ultrakurzzeitgedächtnis (sensorischer Informationsspeicher) werden Eindrücke nur kurzzeitig zwischengespeichert und zu Reizkonstellationen kombiniert (z. B. optische und akustische Signale). Dies erfolgt durch Umwandlung der Reize in bioelektrische Signale und deren Weiterverarbeitung. Dazu bedarf es noch keiner gerichteten Aufmerksamkeit, d. h., es werden beliebige Signale aufgenommen. Die Speicherkapazität ist dort sehr groß und die Zugriffsgeschwindigkeit sehr hoch. Die Speicherzeit liegt unter einer Sekunde, erste kognitive Weiterverarbeitungsprozesse bei als relevant erachteten Reizen werden eingeleitet. Dann erfolgt die Weiterleitung an das Kurzzeitgedächtnis. Dort werden die Reize in Abhängigkeit vom Aktivierungspotenzial ausgewählt und zu gedanklich verarbeiteten Informationen verdichtet. Je nach Bedeutung, die im Wesentlichen im Rückgriff auf Erfahrung beruht, werden mehr oder weniger Informationen gespeichert und miteinander verknüpft. Irrelevante Reize werden hier bereits gelöscht, denn die Kapazität dieses Speichers ist eng begrenzt. Durch Memorieren kann die Verweilzeit von normalerweise einigen Sekunden bewusst verlängert werden, um Reize zu entschlüsseln, mit weiteren Informationen in Beziehung zu setzen und zu größeren Informationseinheiten zu organisieren. Die Verarbeitung umfasst also die Verdichtung der Informationseinheiten, ihre Verknüpfung mit bereits vorhandenen Informationen, den Zugriff auf vorher abgespeicherte Informationen und die Steuerung des beobachtbaren Verhaltens. Im Langzeitgedächtnis werden die verarbeiteten Informationen langfristig gespeichert. Es kommt jedoch zum Absinken (in Abhängigkeit von der Zeit) oder zur Überlagerung (in Abhängigkeit von der Eindrucksstärke) der Daten, so dass

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B. Käuferverhalten im Marketing

diese im Entscheidungszeitpunkt nicht mehr verfügbar sein können, obwohl sie biologisch noch vorhanden sind. Der Langzeitspeicher ist als aktives Netzwerk zu verstehen, das aus Knoten und gerichteten Verbindungslinien besteht. Die Knoten stehen für Objekte und Objekteigenschaften bzw. Ursachen und Ereignisse, die Verbindungslinien geben die Beziehungen zwischen diesen Knoten nach Art, Richtung und Intensität an. Marketing kann dabei zwei Wege einschlagen. Es kann wegen der aufeinander aufbauenden Schichten möglichst ungewöhnliche, kreative Botschaften anbieten, die eher kognitiv wahrgenommen werden als andere, im Kurzzeitgedächtnis als neuartig und relevant qualifiziert und im Langzeitgedächtnis verankert werden. Dieser Weg wird oft von Marktherausforderern eingeschlagen, die nicht über genügend Budgetmittel verfügen, den Marktführer qua Penetration zu überholen, aber ihre, wenngleich geringe Chance darin sehen, durch die spektakulärere Umsetzung mangelnde Masse mehr als wieder auszugleichen. Es kann aber auch auf möglichst häufige Wiederholung setzen, die unvermeidlich irgendwann kognitiv wahrgenommen wird, im Kurzzeitgedächtnis als ähnlich zu bereits unbewusst wahrgenommenen Informationen und relevant qualifiziert und im Langzeitgedächtnis verankert wird. Dieser Weg wird oft von Marktführern eingeschlagen, die über genügend Budgetmittel zur Penetration verfügen und ein höheres Sicherheitsbedürfnis haben, das mit spektakulären Umsetzungen kaum vereinbar ist. Die Theorie der Verarbeitungsebenen geht wegen der Überschneidungen der einzelnen Speicher nicht von diesen, sondern von Verarbeitungsprozessen aus, die verschiedene Tiefen haben können. Tiefe Verarbeitung liegt z. B. vor, wenn ein Objekt intensiv interpretiert und kategorisiert wird, flache Verarbeitung, wenn es nur oberflächlich wahrgenommen wird. Ein weiterer Ansatz ist die Hemisphärentheorie, wonach die beiden Hirnhälften ganz verschiedenartig angelegt sind und die rechte Hirnhälfte eher holistische (ganzheitliche) Informationen verarbeitet, die linke Hirnhälfte dann für rationale (analytische) Denkoperationen zuständig ist (diese Angaben gelten nur für Rechtshänder).

2.4.10 Gehirnstruktur 2.4.10.1 Neuromarketing Neuromarketing liefert als Integration marketingrelevanter Erkenntnisse und Verfahren anderer Disziplinen zur Erforschung des Konsumentenverhaltens wichtige Erkenntnisse. Es sollen Prozesse im menschlichen Gehirn analysiert und interpretiert werden, um die dabei gewonnenen interdisziplinären Erkenntnisse für die Marketingtheorie und -praxis nutzbar zu machen. Bei den anderen wissenschaftlichen Disziplinen handelt es sich um die Physik, die Psychophysik, die Kul-

I. Konsumentenverhalten

289

turwissenschaften, die Entwicklungspsychologie, die Neurowissenschaften und die Radiologie. Neuromarketing ist ein Teilgebiet der Neuroökonomie, welche die Anwendung neurowissenschaftlicher Methoden zur Erklärung des relevanten Verhaltens von Menschen in Abkehr vom Zerrbild des Homo oeconomicus erklärt. Dies bedeutet einen Paradigmawechsel, indem die klassischen Ansätze zur Erforschung des Kaufverhaltens zukunftsorientiert und zielführend weiterentwickelt werden. Dabei steht das Neuromarketing noch am Anfang der Entwicklung, dennoch bietet bereits der derzeitige Forschungsstand zahlreiche Anhaltspunkte, um Marken/ Produkte nachhaltig im Kopf des Konsumenten zu verankern. Grenzen liegen derzeit in der enormen Komplexität der Gehirnanatomie und -physiologie sowie im Mangel entsprechend interdisziplinär ausgebildeter Forscher. Problematisch sind vor allem die mangelnde zeitliche und räumliche Auflösung der Denkvorgänge, die im Millisekundenbereich und dreidimensional ablaufen. Darunter leidet die Eindeutigkeit der Interpretation von Messungen. Neben diese pragmatischen Grenzen treten ethische etwa derart, ob es vertretbar ist, Budget in neuroökonomische Aktivitäten zu investieren, wenn mit diesen Ressourcen stattdessen neurologische Krankheitssymptome erforscht werden könnten. Wesentliche Erkenntnisse, die sich bereits derzeit aus dem Neuromarketing ergeben, sind vor allem folgende. Emotionen kommt eine zentrale Bedeutung bei der Entscheidungsfindung zu, sie nehmen erheblichen Einfluss darauf. Jeder Stimulus wird im Gehirn mit einem emotional geprägten Attribut versehen, in Zusammenhang mit den übrigen Stimuli gesetzt und zu einer Informationseinheit aggregiert. Emotionale Stimuli können im Gehirn effizienter verarbeitet werden und verfügen damit über das Potenzial, im Gedächtnis verankert zu werden. Das Gedächtnis ist stark in Kaufentscheidungen involviert und vereinfacht Wiederholungskäufe. Emotio und Ratio sind damit keine Gegensätze, sondern ergänzen einander. Für die nachhaltige Verankerung von Botschaften ist deren Konsistenz und Konsequenz entscheidend. Für beide ist eine hohe Wiederholungshäufigkeit einer Botschaft hilfreich, um einen Lerneffekt zu erreichen. Dabei werden emotional geprägte Botschaften leichter im Langzeitgedächtnis verankert als rational geprägte. Konsistenz bezieht sich dabei auf eine zentrale Kommunikationsbotschaft, die fokussiert wird, Konsequenz auf die kontinuierliche Kommunikation dieser Botschaft im Zeitablauf. Erste Barriere in der Verarbeitung ist die Aufmerksamkeit, die wahrgenommene Stimuli auf ihre Relevanz oder Irrelevanz hin selektiert. Relevanz wird primär durch die emotionale Aufladung von Stimuli erreicht sowie durch den Neuheitscharakter. Die Aufmerksamkeit ist dabei umso höher, je mehr Sinnes­ modalitäten parallel angesprochen werden. Zur Messung werden vor allem bildgebende Verfahren aus der Neurologie sowie Verfahren aus der Psychophysiologie angewandt. Bildgebende Verfahren be-

290

B. Käuferverhalten im Marketing

ruhen auf struktureller oder funktioneller Bildgebung. Die strukturelle Bildgebung liefert Querschnittsbilder des Gehirns mit Hilfe der Computertomographie und der Kernspintomographie (Magnetresonanztomographie). Beide sind insofern statisch als sie nur hirnanatomische Strukturen darstellen. Die funktionelle Bildgebung beruht auf metabolischen und elektrophysiologischen Verfahren. Beide sind insofern dynamisch als sie eine (begrenzte)  zeitliche und räumliche Auf­ lösung der Gehirnaktivitäten erlauben. Die (metabolische) Stoffwechsel-Aktivität wird u. a. gemessen durch die • Positronen-Emissions-Tomographie (PET), d. h. die nuklearmedizinische Untersuchung von Stoffwechselvorgängen in den Nervenzellen. Dazu werden Probanden radioaktiv markierte Substanzen injiziert, die durch Detektoren messbar sind. Zusätzlich ist die Verfolgung der biochemischen Substanzen im Blutkreislauf möglich, sod ass regionale Durchblutungen verschiedener Gehirnareale erfasst werden können. Nachteilig ist allerdings ist unvermeidbare Strahlenbelastung. Hinzu kommen hohe Kosten und eine geringe zeitliche Auflösung. • Single Photon Emission Computer-Tomographie (SPECT), d. h. die Messung von Gammastrahlen aufgrund der Injizierung geringer Mengen radioaktiv markierter Substanzen, die über Detektoren beim Probanden gemessen werden. • Funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT), d. h. die Messung der Sauerstoffsättigung im Gehirn mittels magnetischer Eigenschaften des Blutes. Dazu macht man sich die Tatsache zunutze, dass Gehirnaktivität Sauerstoffzufuhr bedingt, sauerstoffreiches Blut aber andere magnetische Eigenschaften hat als sauer­stoffarmes. Dabei wird zwar eine hohe zeitliche Auflösung erreicht, aber der Kopf des Probanden muss dazu starr fixiert werden. Die elektrische Aktivität wird u. a. gemessen durch die • Elektroencephalographie (EEG), d. h. die Messung elektrischer Spannungsschwankungen an der Hirnoberfläche. Dazu werden Elektroden auf der Kopfhaut platziert. Das Verfahren bietet eine hohe zeitliche Auflösung, erlaubt also die rasche Messung elektrischer Aktivitäten. • Magnetencephalographie (MEG), d. h. die Erfassung von Veränderungen magnetischer Ströme entlang oberflächennaher Nervenfasern. Dies beruht auf der Erkenntnis, dass aktivierte Neuronen magnetische Aktivität aussenden, die auf der Kopfhaut durch Sensoren messbar ist. Psychophysiologische Verfahren umfassen vor allem die: • Hautwiderstandsmessung, d. h. die Messung von Aktivitätsschwankungen des peripheren Nervensystems über Veränderungen des Hautwiderstands. • Herz- bzw. Pulsfrequenzmessung, d. h. die Messung der Aktivität des HerzKreislauf-Systems mittels Veränderung des Herz- bzw. Pulsschlages.

I. Konsumentenverhalten

291

• Gesichts-Elektromyographie (EMG), d. h. die Messung des mimischen Ausdruckverhaltens durch Zuordnung der Bewegung einzelner Gesichtsmuskelpartien zu Gesichtsausdrücken (FACT). • Blickverlaufsmessung, d. h. die Messung von Veränderungen der Pupillenbewegung als Indikator für die Wahrnehmung von Stimuli. Am Ansatz des Neuromarketing wird nach einem ersten Hype neuerdings vielfältige Kritik geäußert. So können nur Gehirnaktivitäten beobachtet werden, nicht aber Gedanken dahinter, diese sind immer noch der Interpretation zugänglich. Das Zusammenwirken zwischen den einzelnen Gehirnbereichen ist noch weitgehend unklar. Vor allem ergeben sich aber moralische und rechtliche Problematiken. Die Messverfahren leiden unter schlechter zeitlicher und räumlicher Auflösung der Darstellung. Es herrscht eine völlig künstliche Untersuchungssituation vor, und hohe Kosten entstehen. 2.4.10.2 Entwicklungsgeschichte (Anthropologie) Das menschliche Gehirn kann entwicklungsgeschichtlich in drei Primärbereiche unterteilt werden, die zugleich Schlüssel zum Verständnis vielen Marktgeschehens sind. Es handelt sich um folgende (siehe Abbildung 51):

Abbildung 51: Neuromarketing-Gehirnmodell (Quelle: Internet)

• Das Stammhirn besteht aus dem Hirnstamm (verlängertes Rückenmark, Brücke und Mittelhirn) sowie dem Kleinhirn. Es steuert die unbewussten Lebensvorgänge, also „automatische“ Gewohnheiten, Gefühle, Stimmungen, Instinkte etc. Dort ist das motorische System veranlagt, das Bewegungsabläufe wie Stütz-, Blick- und Sprachmotorik kontrolliert und koordiniert. Hier ist das Balancesystem angesiedelt, wichtige Motive sind Sicherheit, Stabilität, Bindung, Fürsorge. Menschen mit dieser Orientierung sind bildhaft Grün-Typen. • Das Zwischenhirn besteht aus dem Thalamus. Ihm entspringen spontanes Reagieren, Antriebskräfte, Betätigungsdrang, Statusbewusstsein, Selbstbehauptung

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B. Käuferverhalten im Marketing

etc. Hier ist das Dominanzsystem angesiedelt, wichtige Motive sind Konkurrenz, Durchsetzung, Raufen, Genuss. Menschen mit dieser Orientierung sind bildhaft Rot-Typen. • Das Großhirn, genauer das limbische System, die Großhirnrinde und die Gehirnlappen, befindet sich unmittelbar unter der Schädeldecke und umschließt das Zwischenhirn. Es ist in zwei Hemisphären aufgeteilt, die analytisch-logisch-rational-sequenziell-deduktive Hälfte (meist links) und die kreativ-lateral-emotional-holistisch-induktive (meist rechts). Es ist zuständig für rationale Logik, planvolle Vorausschau, systematische Ordnung, Abstraktionsvermögen etc. Hier ist das Stimulanzsystem angesiedelt, wichtige Motive sind Entdeckung, Spiel, Abwechslung. Menschen mit dieser Orientierung sind bildhaft Blau-Typen. Unterschiedliche Reaktionen von Personen in gleichen Situationen resultieren u. a. aus der individuell verschiedenen Verteilung dieser drei Primärbereiche. Zwar arbeiten immer alle Gehirnteile zusammen an der Entscheidungsfindung und Verhaltensbestimmung, aber je nach „Gehirntyp“ hat jeweils ein Primärbereich Priorität, also das „grüne“ Balancesystem, das „rote“ Dominanzsystem oder das „blaue“ Stimulanzsystem. Charakteristisch sind dafür die folgenden Kennzeichen. Neuromarketing geht auf Erkenntnisse des Anthropologen MacLean zurück, dessen Inhalte in der Biostruktur-Analyse aufgegriffen wurden (R. W. Schirm). War man dabei bislang auf Hypothesen und Ableitungen angewiesen, ist man nunmehr durch moderne Messanalytik in der Lage, die jeweils angesprochenen Gehirnbereiche mehr oder minder exakt zu identifizieren. Ausgangspunkt sind die gemeinsamen Vorgänger von Menschen und Affen, die Hominiden. Vor der letzten Eiszeit (vor ca. 2,7 Mio. Jahren) trennten sich diese, wahrscheinlich im Nord-Ost-Afrikanischen Graben (heute Äthiopien), einer Wetterscheide. Aufgrund des kontinuierlichen Absinkens der Temperatur ging die bis dahin üppige Vegetation zurück. Ein Teil der Hominiden reagierte darauf, indem sie sich defensiv weiter in den Urwald zurückzogen. Sie lernten, Schutz auf den Bäumen zu suchen. Daraus entstanden die heutigen Menschenaffen (Gorillas, Orang-Utangs, Schimpansen, Bonobos etc.). Ein anderer Teil der Hominiden reagierte darauf, indem sie sich offensiv in die Savanne hinein bewegten. Dort waren sie allerdings relativ schutzlos den Wildtieren ausgesetzt. Daher lernten sie, sich aufzurichten, um die Savanne zu über­ blicken und auf Gefahren rechtzeitig aufmerksam zu werden. Zugleich wurden dabei ihre Hände frei für Waffen, die sie zur Verteidigung einsetzen konnten und später auch, um Werkzeuge zu fertigen. Diejenigen Menschen hatten dabei die größten Überlebenschancen, die am längsten aufrecht stehen oder gehen konnten. Sie konnten sich daher am ehesten fortpflanzen und ihre Fertigkeiten an die nächste Generation weitergeben. Der Rest starb gemäß der Evolution, dem Survival of the Fittest (Darwin) aus.

I. Konsumentenverhalten

293

Während dieser Zeit vergrößerte sich durch die Herausforderungen der Umwelt das Gehirn dieser „Menschen“, es entstand das Stammhirn als Fortsatz des Rückenmarks. Das Leben war damals geprägt durch die Suche nach Schutz, Geborgenheit, Sicherheit und Lebenserhalt. Dies prägt das Stammhirn bis zum ­heutigen Tag. Später ließen sich die vereinzelt umher ziehenden Nomaden in Siedlungen nieder. Es entstand das klassische Rollenbild von Mann und Frau. Der Mann ging als Jäger und Sammler hinaus in die Wildnis und brachte seine Beute zu seiner Hütte zurück, wo seine Frau auf ihn wartete und die wichtigen Aufgaben der Aufzucht des Nachwuchses und des Hütens des Feuers übernahm. Dies entsprach sowohl dem Fortpflanzungstrieb des Mannes als auch dem Nesttrieb der Frau, und das Feuer war entscheidend, um Fleisch auch für Alte und Schwache verzehrbar und für schlechte Zeiten haltbar zu machen. In solchen Siedlungen liefen die üblichen Gruppenprozesse ab, man war nicht nur für sich selbst verantwortlich, sondern auch für die Definition seiner Rolle innerhalb der Gruppe. Es ging um Unter- und Überordnung, Anweisen und Gehorchen, zugleich aber auch um die Behauptung in einer widrigen Umwelt. Während dieser Zeit entstand das Zwischenhirn. Es vergrößerte das Gehirnvolumen weiter. Schließlich kam es zur Arbeitsteilung innerhalb der Gruppen. Junge sorgten für die Alten, Starke für die Schwachen. Es wurden Vorräte für schlechte Zeiten angelegt, die Tauschwirtschaft und mit ihr das Tauschmittel Geld entwickelte sich. Das Leben von der Hand in den Mund wurde durch wenngleich begrenzte Zukunftsplanung abgelöst. Die speziellen Fertigkeiten erforderten eine Koordination von Arbeiten. Das Leben wurde komplexer, zugleich aber auch effizienter Dies erforderte weiteres Gehirnvolumen, wie es durch die Großhirnrinde entstand, erkennbar an der Ausbildung der hohen Stirn. Dort sind bis zum heutigen Tage Analyse, Systematik und Voraussicht verortet.

2.4.10.3 Gehirndominanzen Das Stammhirn steuert über starre Programme Begierden, auch den Arterhaltungstrieb, und fungiert darüber hinaus als Erfahrungsspeicher. Das Balance-System motiviert daher instinktiv zu sozialen Kontakten (Gesellungstendenz), Geborgenheit (menschliche Wärme)  und Sympathie (beliebt sein). Gemäß ihren Erfahrungen orientieren sich diese Menschen an Vertrautem (Vergangenheitssicht), meiden möglichst jedes Risiko und neigen zu konservativem Sicherheitshandeln. Im Zweifel verlassen sie sich auf ihre Intuition, ihren Spürsinn und treffen reinrassige „Bauchentscheidungen“. Stammhirndominanz steht für gesellige Kontakte, lebhaftes Interesse an Menschen und ihren Eigenheiten. Die Kontaktaufnahme fällt leicht, da Andere angezogen durch Ausstrahlung und Sympathie, entgegenkommen und aufnahmebereit sind.

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B. Käuferverhalten im Marketing

Stammhirndominierte suchen beim Kauf Wohlbehagen, Gediegenheit und Beständigkeit. Demotivierend wirkt alles, was Probleme und Schwierigkeiten verheißt, demnach alles Ungewohnte, Unerprobte, Neuartige. Dieser Personenkreis steht Experimenten ablehnend gegenüber. Stattdessen gelten Bequemlichkeit, Gewohnheit, Tradition als vorherrschende Ordnungsmuster. Im Konsum wird Gemeinsamkeit mit anderen gesucht, ein „Wir“-Gefühl. Abweichung von Gruppennormen wird vermieden, Sicherheit in Konformität und Harmonie mit möglichst vielen anderen gesucht. Meinungen, Erfahrungen von Freunden und Bekannten, spielen eine große Rolle bei der Präferenzbildung, ebenso vertrauensvolle Berater und Medien. Das gesprochene Wort rangiert über dem geschriebenen. Ein Kaufanstoß geht meist von den Umständen aus, z. B. bei Ersatzbedarf, oder von der sozialen Umgebung, z. B. durch Empfehlung. Druck erzeugt dabei Kaufwiderstand. Nach dem Kauf ist die Bestätigung der Richtigkeit der getroffenen Entscheidung wichtig. Gewohnheitsdenken und Abneigung gegen neue Entscheidungen führen zur Markentreue, denn Markenartikel bieten implizit mehr Sicherheit, die ihren Mehrpreis Wert ist. Guidelines des Balance-Systems sind demnach: • Vermeide jede Gefahr, vermeide jede Veränderung, baue Gewohnheiten auf und behalte diese so lange wie möglich bei, vermeide jede Störung und Verunsicherung, strebe nach innerer und äußerer Stabilität, optimiere den Energiehaushalt und gehe sparsam damit um. Zu dieser Vorstellungswelt passen daher folgende Auslobungen: • Versicherungen, Standardfinanzprodukte, Altersvorsorge, Medikamente, Qualität, Haltbarkeit, Garantieversprechen, Service, Alarmanlagen, Schließsysteme, Ratgeber in Medien, eigene Wohnung, Traditionsmarken, Liefersicherheit, Konstanz und Berechenbarkeit von Partnerschaften, Vereine, Clubmitgliedschaften, Interesse an privaten Belangen, spontane Hilfe, Kinder, Haustiere, Geschenke, Umwelt- und Naturschutz, Spendenwesen. Das Zwischenhirn bringt Freund-Feind-Schemata hinzu, fordert Distanz und Willensstärke. Das Dominanz-System motiviert daher zu Emotionen und Spontanreaktionen, zum Ausleben von Aggressionen, es ist ehrgeizig, sucht kompromisslos den Wettbewerb und stellt sich der sich daraus ergebenden Hierarchie mit dem Ziel, im Mittelpunkt und selbst ganz oben zu stehen. Die dazu erforderliche Dynamik und Entschlusskraft führt zu pragmatischen Problemlösungen (Gegenwartssicht). Für Zwischenhirndominanz ist der Wunsch charakterisierend, im Mittelpunkt zu stehen und die intellektuellen Kräfte mit anderen zu messen. Verstellung und Diplomatie kommen dabei zu kurz. Führungsstärke und Willensdrang gewähren schnell natürliche Autorität. Allerdings besteht auch die relevante Gefahr von leerer Hektik, Imponiergehabe und Vorurteilen. Zwischenhirndominierte kaufen eigentlich Erfolgserlebnisse. Produkte werden in erster Linie danach bewertet, ob sie geeignet sind, den persönlichen Erfolg

I. Konsumentenverhalten

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zu steigern. Dementsprechend wird alles Alltägliche, Herkömmliche als langweilig disqualifiziert. Argumente also, die Stammhirntypen entgegenkommen, stoßen Zwischenhirntypen geradezu ab. Sie suchen positive Abhebung von anderen, wollen größer, schneller, besser sein als diese. Deshalb sind sie oft Trendsetter und Konsumpioniere. Faszination geht von Produktdemonstration und konkretem Erleben aus. Vergleichsdaten spielen als Benchmarks eine große Rolle. Kaufimpulse resultieren aus der animierenden Atmosphäre des Augenblicks. Langes Abwägen ist verzichtbar. Spontane Begeisterung für ein Angebot wird oft und schnell durch noch größere für ein anderes abgelöst. Daraus folgt wenig Markentreue, oft handelt es sich um Wechselkunden. Guidelines des Dominanz-Systems sind demnach: • Setze dich durch, strebe nach oben, sei besser als die anderen, vergrößere deinen Machtspielraum, verdränge deine Konkurrenten, erweitere dein Territorium, erhalte deine Autonomie, sei aktiv. Zu dieser Vorstellungswelt passen daher folgende Auslobungen: • Statusprodukte wie teure Uhren (Chronometer), Parfüms, Modeartikel, elitäre Clubs, Autos, Maschinen, Werkzeuge, VIP-Status, VIP-Events, Lounges, erlesene Weine, Sportgeräte, Fitness-Präparate, alles, was Effizienz und Stärke/ Schnelligkeit erhöht, Jagdsport, Schnäppchenjagd, Wettkampfsportarten, Kosmetik, Blumen, Schmuck. Das Großhirn ist wiederum ganz anders strukturiert, zwingt zu interpretativer Analytik mit Planung der Zusammenhänge und Prüfung möglicher Alternativen sowie lästigem Perfektionismus. Das Stimulanzsystem motiviert daher zu sozialer Distanz und weist Kritikbewusstsein mit der Absicht fortschreitender Verbesserung von Lösungen aus (Zukunftssicht). Diese Menschen sind sensible Individualisten, die sich und anderen das Leben schwerer machen als es auf den ersten Blick nötig ist. Kennzeichnend für Großhirndominanz ist der zurückhaltende Kontakt zu Fremden, der „Verletzungsgefahren“ birgt, ebenso wie das distanzierte Verhältnis zu sich selbst, das oft Ironie und Sarkasmus verbreitet. Überpünktlichkeit, Vorsorgedenken und abwägende Vorsicht sind weit verbreitet. Großhirndominierte kaufen Perfektion, suchen immer und überall das günstigste Preis-Leistungs-Verhältnis oder gleich die anspruchsvollste Lösung, auch wenn dies zeitraubend und anstrengend ist. Sachfremde Argumente wie Design, Farbe, Marken-Prestige, Sympathie zum Verkäufer, Nähe der Geschäftsstätte etc. sind sekundär. Jene Signale also, für die Zwischenhirntypen besonders offen sind, laufen hier ins Leere. Standardlösungen werden als nicht gut genug deklassiert, Extravaganzen als unvernünftig abgelehnt. Kennziffern und Fakten dienen der Alternativenbewertung. Angebotsvergleiche schaffen Überblick. Werbung wird dabei als nicht objektiv und unkritisch abgewertet. Spontankäufe sind selten. Meist wird systematisch-analytisch durch Aussonderung weniger geeigneter Alternativen und Verfolgung leistungsfähigerer Pfade vorgegangen. Die Bindung an ein

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B. Käuferverhalten im Marketing

Angebot ist durchweg rein rational, der Kauf ist Zweckkauf. Guidelines des Stimulanz-Systems sind demnach: • Suche nach Neuem und Unbekanntem, brich’ aus Gewohnheiten aus, entdecke und erforsche deine Umwelt, suche Abwechslung, vermeide Langeweile, sei anders als die anderen. Zu dieser Vorstellungswelt passen daher folgende Auslobungen: • Erlebnisgastronomie, Reisen, Unterhaltungselektronik, Literatur, Freizeitindus­ trie, innovative Produkte, Erlebniseinkauf, Newsletters, Events, Spielwaren, technische Geräte mit vielen Funktionen und Knöpfen, Spielautomaten, Lotterien, alles zum Anfassen und Ausprobieren. Praktisch hinsichtlich aller verhaltensrelevanten Dimensionen ergeben sich insofern erhebliche Unterschiede im Wirkpotenzial. Das heißt, ein und dasselbe Argument kann durchaus bei verschiedenen Personengruppen zu ganz unterschiedlichen Reaktionen führen. Die Dominanz eines dieser Primärbereiche hat keinerlei qualitative Wertung zum Inhalt, sondern leitet sich allein aus der Evolution des Menschen chronologisch her. Daraus ergeben sich allerdings unmittelbar Kaufcharakterisierungen. Die Kombinationen der Motive Balance und Dominanz ergibt eine Orientierung an Disziplin, Hartnäckigkeit, Fleiß, Funktionalität, Präzision, Logik, Ordnung, Gerechtigkeit, Pflicht, Askese, Moral, Gehorsam, Hygiene, Sauberkeit, Verlässlichkeit, Qualität, Perfektion und Kontrolle. Die Kombination aus Dominanz und Stimulanz ergibt eine Orientierung an Abenteuer, Jagd, Impulsivität, Risikofreude, Spontaneität, Mut, Rebellion und Pioniergeist. Und die Kombination aus Balance und Stimulanz ergibt eine Orientierung an Fantasie, Genuss, Träumen, Sinnlichkeit, Geselligkeit, Vertrauen, Herzlichkeit, Poesie, Offenheit, Flexibilität, Toleranz, Leichtigkeit und Kompromiss. Wie sehr die Gehirndominanz das Image von Marken prägt, kann am Beispiele Automobil verdeutlicht werden: • Balancesystem: Volkswagen: Da weiß man, was man hat. Aussagefähige Argumente: Spricht Sicherheit, Zuverlässigkeit, Werterhalt etc. an. Funktionale Technik, dichtes Servicenetz, hoher Wiederverkaufswert, bewährte deutsche Marke, Marktführer. • Dominanzsystem: BMW: Freude am Fahren. Aussagefähige Argumente: Sportlichkeit, Fahrdynamik, leistungsstarke Motoren, Control-System im Armaturenbrett, Spurtstärke, Höchstgeschwindigkeit, gute Kurvenlage, Überholprestige, Preisniveau sichert Status. • Stimulanzsystem: Audi: Vorsprung durch Technik. Aussagefähige Argumente: Raffinierte technische Lösungen wie Allradantrieb (quattro), Turbodiesel als Kombination aus Verbrauchsgünstigkeit und Leistung, Alukarosserie zur Gewichtsreduktion, braucht niemand wirklich, ist aber elaboriert.

I. Konsumentenverhalten

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Ein anderes Beispiel sind Kosmetikhersteller. Nivea/Beiersdorf spricht das Balance-System an (Pflege), L’Oréal das Dominanzsystem (Weil ich es mir wert bin) und Chanel das Stimulanzsystem (aufregend, exotisch).

2.5

Totalmodelle zur Erklärung

Totalmodelle des Konsumentenverhaltens beabsichtigen, das Kaufverhalten unter simultaner Einbeziehung aller relevanten Variablen in allen möglichen Situationen zu erklären. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass der Organismus in einer bestimmten Weise modelliert ist. Wird er mit einem Reiz konfrontiert, lässt sich der Prozess seiner Verarbeitung, d. h. sein Weg durch die Black Box, daran ablesen, wie sich einzelne intervenierende Variable verändern. Die durch diese vollständige Abbildung bedingten hochkomplexen Aussagen werden jedoch rasch unübersichtlich und sind daher für die praktische Umsetzung im Marketing nur sehr bedingt geeignet. Außerdem ist die Verknüpfung der einzelnen intervenierenden Variablen durchaus strittig. Die bekanntesten Modelle sind folgende: • Engel, Kollat, Blackwell beschreiben die psychischen Vorgänge von Käufern während des Kaufentscheidungsprozesses. Der Informationsinput besteht aus Reizen und Suchverhalten. Die Informationsaufnahme erfolgt durch Exposition, Aufmerksamkeit, Aufnahme, Erfahrung, Zufriedenheit und Dissonanz. Die Entscheidungsphasen sind dann Problemerkenntnis, Informationssuche, Alternativenbewertung, Entscheidung und Ergebnisse. Die Bewertungsvorgänge betreffen dabei Urteilskriterien, Überzeugungen, Einstellungen und Verhaltensabsichten. Die allgemeine Motivierung leitet sich aus Bedürfnissen, Persönlichkeit/ Lebensstil und Normenübereinstimmung ab. Wahrgenommene Umwelteinflüsse betreffen kulturelle Normen/Werte, Bezugsgruppen/Familie, antizipierte und nicht antizipierte Situationen (siehe Abbildung 52). • Das Modell von Howard, Sheth will die Entscheidung für ein Produkt durch die Gesamtheit aller Produkte erklären. Dies führt zu einem extensiven Problem­ lösungsprozess. Inputvariable des Modells sind signifikante Informationen über Qualität, Preis, Eigenart, Service und Erhältlichkeit jedes Produkts, symbolische Informationen über Qualität, Preis, Eigenart, Service und Erhältlichkeit sowie Informationen aus sozialen Quellen wie Familie, Referenzgruppe und sozialer Klasse. Als Wahrnehmungskonstrukte werden Suchverhalten, Stimulus-Mehrdeutigkeit, Aufmerksamkeit und Wahrnehmungsverzerrung zugelassen. Lernkonstrukte sind Sicherheitsgrad, Kaufabsicht, Einstellung, Entscheidungskriterien, Motive, Markenkenntnis und Befriedigung. Als Outputvariable ergeben sich Kauf, Kaufabsicht, Einstellung, Markenkenntnis und Aufmerksamkeit (siehe Abbildung 53). • Nicosia geht von drei Konstrukten aus, Prädispositionen stellen passive, kognitive Strukturen dar, also Wahrnehmungen und Informationen zu Objekten, die

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B. Käuferverhalten im Marketing

InformaEntscheiInformationsinput tionsverarbei- dungsphasen tung Reize

Ausgesetztsein

Problemerkenntnis

Suchverhalten

Aufmerksamkeit

Informationssuche

Aufnahme

Alternativenbewertung

(Arbeitsspeicher) Information und Erfahrung

Entscheidung/Wahl Ergebnisse

Bewertungsvorgänge

Allgemeine Motivierung

Wahrgenommene Umwelteinflüsse

Bewertungskriterien

Motive

Kulturelle Normen/ Werte

Überzeugungen Einstellungen

Persönlichkeit/ Lebenssil

Bezugsgruppen/Familie

Übereinstimmung mit Normen

Antizipierte Situationen

Verhaltensabsichten

Nicht antizipierte Situationen

Zufriedenheit Dissonanz

Abbildung 52: Struktur des Engel/Kollat/Blackwell-Modells

Inputvariable

Wahrnehmungskonstrukte

Lernkonstrukte

Signifikante Informationen (Qualität, Preis, Eigenart, Service, Erhältlichkeit)

Suchverhalten

Kaufabsicht

Stimulusmehrdeutigkeit

Grad der Sicherheit

Outputvariable

Kauf Kaufabsicht Einstellung

Einstellung Symbolische Informationen (Qualität, Preis, Eigenart, Service, Erhältlichkeit) Informationen aus sozialen Quellen (Familie, Referenzgruppe, soziale Klasse)

Aufmerksamkeit Wahrnehmungsverzerrung

Entscheidungskriterien Motive Markenkenntnis Befriedigung

Abbildung 53: Struktur des Howard/Sheth-Modells

Markenkenntnis Aufmerksamkeit

299

I. Konsumentenverhalten

das Individuum nicht zu Aktivitäten veranlassen, dann Einstellungen, die Kräfte bezeichnen, die es aus seinem Ruhezustand herausführen, und schließlich Motivationen als starke Triebkräfte, die es in einen Ungleichgewichtszustand bringen. Bei der Einführung neuer Produkte ist nur eine Prädisposition gegeben. Gelingt es, diese durch Werbung in eine Einstellung zu überführen, kann es infolge der Auseinandersetzung mit der Marke und der Produktkategorie zur Ausbildung einer Motivation kommen, die wiederum Voraussetzung für Kaufakte ist. Diese koppeln ihrerseits auf Prädispositionen, Einstellungen und Folgemotivationen zurück. Allerdings unterliegt dieser (älteste) Ansatz heftiger Kritik (siehe Abbildung 54). Feld I

Feld II

Kontakt des Konsumenten mit der Werbebotschaft eines Unternehmens

(Einstellung gegenüber dem Produkt)

Subfeld Ia: Eigenschaften des Unternehmens, der Werbebotschaft und der Marke

Suche nach einer MittelZweckRelation

(Werbebotschaft)

Feld III (Motivation)

Kaufentscheidung

Bewertung der Alternativen

(Durchführung des Kaufs, Rückkopplung zum Unternehmen)

Feld IV Lagerung bzw. Ge- und Verbrauch des Guts

(Erfahrung mit der gekauften Marke)

Subfeld Ib: Eigenschaften des Konsumenten

Abbildung 54: Struktur des Nicosia-Modells

2.6

Prozessmodelle zur Erklärung

Prozessmodelle gehen in ihrer Betrachtung über Strukturmodelle hinaus, indem sie nicht das Ergebnis eines Wahlaktes analysieren, sondern dessen Zustande­ kommen. Zu den Prozessmodellen gehören als wohl wichtigste Ansätze folgende. Der Entscheidungsnetz-Ansatz geht induktiv vor und setzt bei der Analyse tatsächlicher Entscheidungsprozesse durch Protokolle des latenten Denkens an. Dabei werden bei Testpersonen mit Hilfe von Kaufprotokollen die mit der Kaufentscheidung im Einzelnen verbundenen psychischen Vorgänge registriert (Think aloud Technique). Dazu zeichnet ein Interviewer sämtliche Gedanken auf Tonträger oder Protokoll auf, die ausgewählten Konsumenten während ihres Einkaufs-

300

B. Käuferverhalten im Marketing

prozesses (z. B. im Handel) durch den Kopf gehen. Außerdem registriert er, welche Produkte gekauft und welche Produkte verworfen werden. Aus den Angaben des Käufers und den getätigten bzw. nicht getätigten Käufen werden dann Kaufprotokolle zusammengestellt. Diese individuellen Kaufprotokolle werden in ein Entscheidungsnetz überführt, das ein System miteinander vernetzter Fragen und Antworten ist, die wiedergeben, wie die Testperson im Zeitablauf auf die Konfrontation mit einzelnen Produkten, z. B. im Regal des Geschäfts, reagiert. Da zudem bekannt ist, wie sich jene Personen verhalten haben, liegt die mentale Struktur des Kaufverhaltens offen. Daraus wiederum lässt sich ein Prognosemodell bilden, das Kaufwahrscheinlichkeiten voraussagt. Die Darstellung der Inhalte in Form von Entscheidungsnetzen, aus denen das Käuferverhalten ersichtlich ist, scheitert jedoch meist an geringer Reliabilität und individueller Codierung. Daher werden standardisierte Codier-Schemata angewandt, die jedoch stark vergröbern. Dem Informationsansatz liegt die Untersuchung der folgenden Frage zugrunde: • Wer, d. h. welche Person oder Gruppe, sucht welche Informationen, d. h. die Art der Information, wo, d. h. in welchen Informationsquellen, wann und wie lange, d. h. über welche Phasen des Kaufentscheidungsprozesses, mit wem, d. h. unter Beteiligung welcher Personen, warum, d. h. welche Bestimmungsgründe liegen für die Informationsaufnahme vor, wie, d. h. welcher Ablauf der Informationsaktivitäten erfolgt, über welche Produkte, d. h. was ist Inhalt der Informationssuche? Für das Informationsverhalten sind personenbezogene Merkmale, z. B. soziodemographische und psychologische Kriterien, produktbezogene Merkmale, z. B. Produktlebensdauer, Erklärungsbedürftigkeit, Alternativenzahl und situationsbezogene Merkmale, z. B. Dringlichkeit der Bedarfsdeckung, von Bedeutung. Kongruenz bedeutet, dass Informationsquellen entsprechend der von Konsumenten geäußerten hohen Einschätzung auch tatsächlich genutzt bzw. entsprechend niedriger Einschätzung gemieden werden. Divergenz bedeutet, dass Informationsquellen entgegen der von Konsumenten geäußerten hohen Einschätzung tatsächlich nicht genutzt bzw. entgegen niedriger Einschätzung genutzt werden. Fasst man das Informationsangebot in einer Matrix mit Alternativen (gleich/ verschieden) und Eigenschaften (gleich/verschieden), evtl. noch Informationsquellen, zusammen, ergibt sich eine Informations-Display-Matrix. Jedes Feld enthält die durch Zeile und Spalte festgelegte Information über Art, Menge und Reihenfolge der Informationsaufnahme von Versuchspersonen. Daraus lässt sich ableiten, ob eine attributweise oder alternativenweise Informationsaufnahme erfolgt. Erstere bedeutet, dass nacheinander Einzelinformationen zum Kaufentscheid verwendet werden, die sich jeweils auf die gleiche Produkteigenschaft bei verschiedenen Alternativen beziehen. Danach findet ein Übergang von einer zur

301

I. Konsumentenverhalten

nächsten Eigenschaft statt, hinsichtlich derer wiederum mehrere Alternativen betrachtet werden. Letztere bedeutet, dass zuerst alle Informationen über alle interessierenden Produkteigenschaften hinsichtlich einer Alternativen aufgenommen werden, bevor zur nächsten Alternative übergegangen wird, die dann wiederum nach allen Eigenschaften beurteilt wird.

Neuheitserkennung Neuheitsinteresse Neuheitsbewertung Neuheitsversuch (Probekauf)

Neuheitsablehnung

Informationsaufnahme

Unter Adoption versteht man die stufenweise Übernahme von Neuerungen. Im Adoptionsprozess kommt es kumulativ zu folgenden Stufen (siehe Abbildung 55):

Neuheitsannahme (Wiederholungskauf)

Abbildung 55: Individueller Adoptionsprozess

• Neuheitserkennung durch Aufmerksamkeit. Hier erfährt ein Individuum erstmalig von der Existenz des für ihn neuen Produkts, ohne dass es sich um die Gewinnung dieser Informationen bemüht hat. Es kennt noch keine Einzelheiten des Produkts und ist zunächst auch nicht motiviert, weitere Informationen einzuholen. • Neuheitsinteresse durch Einstellungsbildung. Hier bemüht sich der Konsument um Informationen über die wichtigsten Merkmale des neuen Angebots. Passive sind dabei Personen, die sich für die Innovation nicht interessieren. Sie scheiden damit aus. • Neuheitsbewertung und Entscheidung. Hier erfolgt ein gedankliches Experiment über die Konsequenzen finanzieller, psychologischer und sozialer Art und die mögliche Substitution anderer Produkte. Rejektoren sind Personen, welche die Innovation ablehnen, Adoptoren solche, welche die Innovation annehmen. • Neuheitsversuch mit Implementierung. Die Neuheit muss nunmehr eine Schwelle überwinden und wird bei positiver Einstellung übernommen. Unzufriedene Adopter sind potenzielle Quellen für negative Informationen. Falls möglich, kommt es zuerst zu einer Erprobung auf kleiner Basis (Pilot). • Neuheitsumsetzung und Bestätigung. Imitatoren orientieren sich am Verhalten der Innovatoren und folgen ihnen in der Übernahme der Neuerung. Bei Gebrauchsgütern ist der Kauf die Adoption, bei Verbrauchsgütern die Erschöpfung.

302

B. Käuferverhalten im Marketing

Auf jeder dieser Stufen kann es zur Ablehnung kommen, bei Erfolg entsteht ein Wiederholungskauf, ansonsten nicht. Die Übernahme ist umso erfolgreicher, je: • höher der relative technische und/oder wirtschaftliche Vorteil der Innovation gegenüber der bestehenden Problemlösung ist, • geringer das finanzielle und technische Risiko eingeschätzt wird, das mit der Implementierung verbunden ist, • leichter die Innovation für den Entscheider zu verstehen bzw. anzuwenden ist, was nur bei geringer Komplexität der Fall ist, • stärker die Innovation sich komplementär zum individuellen Werte- und Normensystem verhält, • leichter die Beobachtbarkeit bzw. Mitteilbarkeit der Innovation ist, vor allem bei Zufriedenheit. Allgemein adoptionsfördernd wirken eine hohe Glaubwürdigkeit des Botschaftsabsenders, eine leichte Überprüfbarkeit der behaupteten Werbeaussage, ein gering eingeschätztes endogenes und exogenes Risiko, ein hohes Ego-Involvement bei erfolgter Übernahme, eine Profilierung durch das Produkt im sozialen Umfeld und eine hohe Übereinstimmung mit dem eigenen Anforderungsprofil. Neuerungen unterliegen auch allgemein einem typischen Phasenablauf. Am Anfang herrscht meist offene Negation und Bekämpfung der Neuerung durch strikte Opposition. Dann werden Denkoptionen als Alternativen bewertet und in Visionen einbezogen. Es folgt die pragmatische Formulierung und Implementierung der Neuerung in der Strategie. In einem Pilotprojekt wird versuchsweise die Umsetzung angegangen und optimiert. Die Neuerung findet dabei Akzeptanz und wird nach der Einführung sukzessiv verbreitet. Schließlich erfolgt ihre Popularität durch individuelle Übernahme und Etablierung. Die Diffusion ist das aggregierte Ergebnis der individuellen Übernahmeentscheidung (Adoption) der Mitglieder des sozialen Systems. Ihr liegt die Differenzierung der Population nach dem Grad/der Schnelligkeit der Übernahme bzw. Durchsetzung von neuen Informationen, Ideen und Verhaltensweisen zugrunde. Ein Diffusionsprozess liegt vor, wenn die Adoptoren im sozialen System zeitunterschiedlich auftreten. Neu ist dabei alles, was als neu wahrgenommen wird, unabhängig davon, ob es auch wirklich neu ist. Idealtypisch ergibt sich dabei die Form einer Glockenkurve. Sie repräsentiert die kumulierte oder einfache Zahl der Adopter, die in einem bestimmten Zeitraum die Innovation übernehmen. Eine Diffusion ist umso erfolgreicher, je größer die erreichte Marktverbreitung ist. Die Diffusion erfolgt umso schneller, je besser das Potenzial an Übernehmern ausgeschöpft wird. Unterstellt man eine Normalverteilung innerhalb der Zielgruppe, so ergeben sich im Zeitablauf anteilig folgende idealtypischen Klassen des Diffusionsprozesses:

I. Konsumentenverhalten

303

• Die Innovatoren (2,5 % aller Bedarfsträger) sind die ersten Übernehmer von Neuerungen und durch eine sehr geringe Risikoscheu gekennzeichnet. Es handelt sich entweder um Trendsetter oder soziale Außenseiter, welche die Ausbreitung vorantreiben. Sie werden auch Neophile, Konsumpioniere, Fashion­ Leaders etc. genannt. • Frühe Übernehmer (13,5 %) sind die nächste Gruppe, die nach anfänglichem Abwarten Neuerungen positiv aufnimmt und bereitwillig ausprobiert. Auch hier sind Meinungsbildner enthalten. Daraus resultiert dann auf Herstellerseite die Möglichkeit zu hohen Auflagen und Kostendegression in der Warenbereit­ stellung. • Die Frühe Mehrheit (34 %) wartet ab, bis die Neuerung eine gewisse Marktbreite erreicht hat und folgt dann dem offensichtlichem Trend. Die Marktwachstumsrate sinkt, die Nachfrage erreicht ihr Maximum. • Die Späte Mehrheit (34 %) zögert mit der Übernahme in der Hoffnung auf ein weiter verbessertes Preis-Leistungs-Verhältnis und noch mehr Kaufsicherheit. Die Nachfrage ist insgesamt bereits rückläufig und erschöpft sich. 84 % des Marktes sind bereits erfasst. • Späte Übernehmer (13,5 %) und Nachzügler (2,5 %) sind kaum mehr vom Kauf zu überzeugen und stellen deshalb ein nur schwer realisierbares Nachfragepotenzial dar, es kommt zu einer „Versteinerung“. Zugleich treten neue Angebote in den nächsten Diffusionszyklus ein. Parallel dazu vollzieht sich bereits der Diffusionsprozess dieser anderen Neuerungen. Die Dauer des Diffusionsprozesses hängt in diesem Zusammenhang von einer Reihe von Einflussgrößen ab: • Personenbedingte Einflüsse sind vor allem Risikofreudigkeit, allgemeine Einstellung gegenüber Änderungen, Alter, Ausbildung, Einkommen, sozialer Status, Mobilität, Informationsverhalten und Umweltbeziehungen. • Umfeldbedingte Einflüsse sind Normen des sozialen Systems und Merkmale der jeweiligen Unternehmung, ökonomische, politische, technische Rahmenbedingungen, technischer Fortschritt. • Produktbedingte Einflüsse sind relativer Produktvorteil, Kompatibilität, Komplexität, Teilbarkeit und Mitteilbarkeit der Neuerung, Einsatz des Marketing-Instrumentariums etc. Neben diesen exogenen Einflussgrößen gibt es auch endogene wie Erfahrungsfundus aus steigender Information über die Neuerung und sinkendem Risiko oder Übernahmedruck seitens der Gesellschaft auf die Nicht-Übernehmer.

304

B. Käuferverhalten im Marketing

2.7 Simulationsansätze Simulationsansätze sind keine gleichberechtigte weitere Gruppe zur Analyse des Käuferverhaltens, sie können sich vielmehr sowohl auf Struktur- als auch Mechanikansätze beziehen. Bei den Strukturansätzen werden zumeist Systemmodelle simuliert, bei denen plausible Verknüpfungen als funktionale Beziehungen zwischen Variablen vorgenommen werden, bei den Mechanikansätzen eher Zufallsmodelle, die unmittelbar in computerrechenbare Form umgesetzt werden. Das Modell von Lavington untersucht die Wirkung von Marketingaktivitäten auf gewohnheitsmäßige Kaufentscheidungen von Konsumenten bei häufig gekauften Verbrauchsgütern mit niedrigem Preis unter Berücksichtigung der Kaufneigung vor dem Kauf und der Wirkung der Kaufsituation als Phasen des Kaufentscheidungsprozesses auf der Grundlage der Lerntheorie. Im Mittelpunkt steht die Identifizierung der jeweils besonders geeigneten Marketinginstrumente Distribution, Preis, Verkaufsförderung und Werbung. Die Kaufneigung der Konsumenten ist bei jedem Produkt unterschiedlich ausgeprägt und wird als abhängig von Preis, Verkaufsförderung, Werbung, früherem Gebrauch, gestellten Anforderungen, persönlicher Empfehlung, Auslagengestaltung am POS und Packungssignalisation angesehen. Unterstellt wird dabei, dass ein Kauf erfolgt, wenn eine bestimmte Menge von Reizelementen konditioniert ist. In einem Zeitpunkt ist jedes Reizelement nur auf eine bestimmte Marke konditioniert, im Zeitablauf verändert sich diese Konditionierung aber. Die Kaufwahrscheinlichkeit hängt von der vorhandenen Kaufneigung gegenüber verschiedenen Marken ab und von deren Wechselwirkung mit POS-bezogenen Reizen. Problematisch ist dabei aber die Vernachlässigung soziologischer Faktoren. Das Modell von Klenger/Krautter untersucht die Wirkungen von Marketingaktivitäten auf die gewohnheitsmäßigen Kaufentscheidungen des Konsumenten bei preiswerten Gütern des täglichen Bedarfs, bei Gliederung des Entscheidungsprozesses in Bezug auf die Wahl der Produktart, des Geschäfts und der Marke nach Entstehen des Bedürfnisses, die Suche nach Alternativen, Bewertung dieser Alternativen und Entscheidung mit Realisation, dies auf Basis der kognitivistischen Verhaltenstheorie. Dabei erfolgt sowohl eine Bestimmung der Produktarten als auch der Einkaufsstätten- und Markenwahl. Dafür werden drei Erklärungsgrößen unterstellt. Erstens resultieren Einstellungen zu Marken bzw. Markenimages aus der Gegenüberstellung von Realimages und Idealimage. Dabei wird Gleichgewichtigkeit und Unabhängigkeit der Komponenten unterstellt, was praktisch jedoch zweifelhaft ist. Zweitens betreffen Mediacharakteristika die Wahrscheinlichkeit des Kontakts mit verschiedenen Medien (Werbeträgerkontakt) und Werbemitteln (nur Print). Und drittens beziehen sich Kauf- und Konsumcharakteristika auf die Verbrauchs-, (Mindest-)Vorratsmengen, Geschäftstypen- und Packungsgrößenpräferenzen. Problematisch sind hier die Informationsbeschaffung zur Modellstruktur und der Informationsbedarf zu Management- und Konsumentendaten.

I. Konsumentenverhalten

305

Das Modell von Amstutz untersucht ebenfalls Wirkungen von Marketingaktivitäten auf Kaufentscheidungen des Konsumenten, diesmal aber beim Kauf von langlebigen Ge- und Verbrauchsgütern bei Einteilung des Kaufentscheidungsprozesses in die Phasen Entstehung des Bedürfnisses, Suche nach Produktinformation, Kaufentscheidung mit Ausführung und Reaktion nach dem Kauf, dies auf Basis der kognitivistischen Verhaltenstheorie. Dabei wird die Produktartenentscheidung bereits als gegeben vorausgesetzt. Bei der Entscheidung über den Einkauf geht es darum, ob überhaupt eine der Marken der Produktart gekauft werden soll. Dies ist abhängig von der Intensität des wahrgenommenen Bedürfnisses. Bei der Markenwahl geht es darum, welche der Marken einer Produktgattung gewählt wird. Dies wird im Einzelnen als abhängig von Preis, Verkäuferengagement, Einstellung/Kenntnis und Verfügbarkeit/Präsenz der Marken gesehen. Bei der Reaktion nach der Kaufentscheidung geht es darum, wie die Ausbreitung der Kaufentscheidung erfolgt. Probleme liegen in der Beschaffung der Ausgangsdaten, die unvollständig, wie etwa bei soziologischen Aspekten, teils schwer operationa­ lisierbar, wie etwa beim Verkäuferengagement, bleiben. Simulationen laufen rechentechnisch sehr kompliziert ab, so dass sich der Einsatz computerunterstützter Rechenpakete anbietet. Sprinter ist ein solches Paket zur Prognose neuer, häufig gekaufter Konsumgüter. Seine Ziele sind die frühzeitige Marktanteilsprognose vor Markteinführung, die Analyse der Wirkung der Marketing-Mix-Instrumente auf die das Kaufverhalten beeinflussenden Variablen, die Unterstützung bei der Entscheidung, die Findung der besten Einführungsstrategie, das frühzeitige Erkennen und Diagnostizieren von Problemen sowie die Entwicklung und Bewertung angepasster Alternativstrategien. Dadurch ist eine umfangreiche Erfassung der verhaltensrelevanten Variablen und ihrer Veränderung bei einzelnen Käufen möglich. Steam ist ein Modell zur frühzeitigen, langfristigen Marktanteilsprognose eines häufig gekauften Neuprodukts aus Paneldaten. Die Daten über Erst- und Wiederkauf stammen aus Haushaltspanels oder Markttestexperimenten. Daraus wird die Wahrscheinlichkeit geschätzt, mit der ein Haushalt weitere Käufe dieser oder anderer Marken der betreffenden Produktklasse tätigt. Die Funktion enthält Parameter über die Anzahl bisheriger Käufer, Zeitabgabe des letzten Kaufs und Zeitdauer seit dem letzten Kauf. In beiden Fällen ist die Beschaffung der notwendigen Daten aufwändig, problematisch ist auch die Validierung der im Rechenverfahren zugrunde gelegten funktionalen Zusammenhänge.

II. Organisationales Beschaffungsverhalten 1.

Überblick über Entscheidungssituationen

1.1

Kennzeichen geschäftlicher Transaktionen

Das organisationale Beschaffungsverhalten befasst sich mit dem Käuferverhalten für alle Vermarktungsobjekte (Leistungen), die von Organisationen (Produzenten/Dienstleistern/Händlern, also Nicht-Konsumenten) beschafft werden, um mit ihrem Einsatz (Ge- und/oder Verbrauch) weitere Güter für die Fremdbedarfsdeckung zu erstellen oder, in geringerem Maße, um sie unverändert an andere Organisationen weiter zu veräußern, die diese Leistungserstellung vornehmen. Diese Definition erfolgt nur über die Größen Nachfrager und Verwendungszweck, nicht über stoffliche oder technische Gegebenheiten, also ganz so, wie es der Marketingdenkweise entspricht. Geschäftliche Transaktionen sind allgemein dadurch gekennzeichnet, dass ein Kontakt zwischen mindestens zwei Individuen, auch stellvertretend für Organisationen, in einer zeitlichen Abfolge von Aktionen und Reaktionen bei Interdependenz der Handlungen dieser Partner gegeben ist. Geschäftliche Transaktionen sind somit der Spezialfall von Transaktionen, die auf die Klärung von Sachfragen zur Problemlösung gerichtet sind sowie auf die Konflikthandhabung durch Festlegung von Leistungen und Gegenleistungen. Sie sind überwiegend Kosten-Nutzenorientiert und werden von den Partnern nur fortgesetzt, wenn beide Seiten aus der Erfahrung bereits vollzogener Interaktionen für dieses oder ein ähnliches Verhalten auch belohnt worden sind. Für die organisationale Beschaffung sind folgende grundlegenden Merkmale typisch: • Multitemporalität, d. h. der Kaufentscheid läuft in mehreren Episoden ab, diese sind oft nicht eindeutig voneinander abzugrenzen, sondern gehen fließend ineinander über, werden aber bei Bedarf auch übersprungen oder wiederholt. • Multioperativität, d. h. es ergibt sich zumeist eine längere Transaktionsperiode, die sich (etwa bei Anlagen) durchaus über mehrere Jahre hinziehen kann, und zwar umso länger, je komplexer das jeweils zur Beschaffung anstehende Objekt ist. • Multiorganisationalität, d. h. es sind mehrere Stellen im Unternehmen daran beteiligt, wobei im Einzelnen mehr oder minder unklar bleibt, in welcher Funk­ tion und mit welchem Einfluss diese auf die Entscheidung einwirken.

307

II. Organisationales Beschaffungsverhalten

• Multipersonalität, d. h. es sind auch mehrere Personen im Unternehmen daran beteiligt, die wiederum divergente Ziele verfolgen mögen, die sich in ihrer Stellung zum anstehenden Beschaffungsentscheid ausdrücken. Insofern sind zahlreiche Unwägbarkeiten gegeben. Diese sind als umso größer einzuschätzen, je weniger gemeinsame Entscheidungen im Zweifel entbehrlich sind, je stärker die Zielvorstellungen der Beteiligten voneinander abweichen und je unterschiedlicher deren Wahrnehmungen der Realität sind. Gemeinsame Entscheidungen sind allerdings umso weniger entbehrlich, je stärker die gegenseitige Abhängigkeit von begrenzten Ressourcen und planerischen Aktivitäten der Be­ teiligten ist. Deren Zielvorstellungen sind umso ähnlicher, je schlüssiger die Zielplanung erfolgt. Und die Wahrnehmungen sind umso ähnlicher, je mehr die Unternehmenskulturen der Beteiligten übereinstimmen. 1.2 Kaufsituationen Nach dem Kaufklassenansatz nach Robinson, Faris, Wind ist jede Kaufsituation eindimensional durch drei Merkmale charakterisiert: Erstens den Neuheitsgrad des Problems für die am Kaufprozess beteiligten Personen, zweitens den Informationsbedarf der am Kaufprozess beteiligten Personen und drittens neue Alternativen, denen von den Entscheidungsträgern ernsthaft Aufmerksamkeit geschenkt wird (siehe Abbildung 56).

Erstkauf (New Task)

Modif. Wiederholungskauf (Modified Rebuy)

neuartiger Kaufprozess

Reiner Wiederholungskauf (Straight Rebuy) wiederholter Kaufprozess

individueller Ablauf

normierter Ablauf

extensiver Kaufentscheid eher hoher Auftragswert

habitualisierter Kaufentscheid eher geringer Auftragswert

neue Lieferantenbewertung

eher Nachbestellung

hoch komplexer Bedarf intensive Informationssuche

strukturierter Bedarf geringe Informationssuche

Abbildung 56: Merkmale von Kaufklassen

Aus der ordinalen Abstufung dieser Dimensionen lassen sich drei Klassen von Kaufentscheiden ableiten. Beim Erstkauf (New Task) stehen die Beteiligten vor einer völlig neuen Problemstellung, bei der bisherige Erfahrungen wenig helfen. Erstkäufe lassen sich insofern durch folgende Merkmale kennzeichnen: Es liegen individuelle Kaufprozesse vor, die neuartig sind. Leistungsinhalt und -umfang des Kaufs müssen jeweils neu und einzeln festgelegt werden. Es sind extensive Ent-

308

B. Käuferverhalten im Marketing

scheidungsprozesse gegeben. Es liegt regelmäßig ein vergleichsweise hoher Auftragswert vor. Es erfolgt eine einzelfallabhängige Lieferantenbewertung. Der Bedarf ist oft nur unzureichend strukturiert. Der Anstoß zum Kauf kann von außerhalb des Unternehmens kommen oder auf interne Anregung hin. Es gibt nur geringe oder keine einschlägige Käufererfahrung. Daraus resultieren ein hohes Maß an Informationsbedürfnis und die Notwendigkeit, alternative Problemlösungen und alternative Anbieter zu suchen. Erstkäufe treten unregelmäßig auf, sind aber von großer Bedeutung für nach­gelagerte Entscheide und haben nur eine geringe Wiederholungshäufigkeit in der­selben Auslegung. Der modifizierte Wiederholungskauf (Modified Rebuy) ist seiner Art nach nicht neu, weicht jedoch von bisherigen Erkenntnissen ab. Daher müssen ergänzende Informationen eingeholt werden. Der Kaufentscheid ist nicht innovativ wie beim Erstkauf, aber auch nicht routinisiert, wie beim reinen Wiederholungskauf. Man kann daher von einem adaptiven Verhalten sprechen. Es liegen also bekannte Kaufalternativen vor, die sich aufgrund äußerer Ereignisse oder interner Einflüsse geändert haben, so dass ein zusätzlicher Informationsbedarf erforderlich wird. Der Kaufprozess wird dazu aber nur teilweise wieder aufgerollt. Insofern ist der Informationsbedarf auf die Unterschiede zu den bereits bekannten Produkten reduziert. Beim reinen Wiederholungskauf (Straight Rebuy) handelt es sich um wiederkehrende Problemstellungen bei völlig ausreichender Informationslage. Solche Routinetransaktionen sind durch folgende Merkmale charakterisiert: • habitualisierte Kaufprozesse, die sich vergleichsweise häufig wiederholen, Nachfrage nach denselben normierten und ggf. vorproduzierten Leistungen, vergleichsweise geringe Komplexität des Kaufobjekts, vergleichsweise geringer Auftragswert, weitgehender Verzicht auf Neubewertung von Lieferanten, stattdessen Nachbestellungen, geringe Informationssuche aufgrund von Erfahrungen. Angesichts fortschreitender Technisierung ist heute der automatisierte Wiederholungskauf zu ergänzen. Er liegt bei virtueller Transaktionseinleitung vor. Dabei wird kein individueller Kaufentscheid mehr getroffen, sondern innerhalb vordefinierter Kriterien löst der Computer Käufe aus. Dies erfolgt etwa bei computerisierten Abrufaufträgen innerhalb eines vereinbarten Rahmenvertrags (Kommissionierung). Dies bedeutet, dass aktive Auseinandersetzung kaum mehr stattfindet. Dies gilt etwa für virtuelle Marktplätze bei normierten Produkten geringer Komplexität, bei denen individuelle Präferenzen keine Rolle mehr spielen. Dazu durchsuchen Agentenprogramme auf Anbieter- oder Nachfragerseite automatisch Marktplätze nach Abschlusschancen und setzen diese passiv durch bloße Freigabe vom Entscheider oder auch völlig selbstständig in Abhängigkeit vorgegebener Limits um. Zumindest derzeit noch sind automatisierte Erstkäufe selten. Im Zuge elaborierten Wissensmanagements ist dies jedoch bereits absehbar. Der Lieferant stammt für gewöhnlich aus dem Kreis von Anbietern, zu denen bereits Geschäftsbeziehungen bestehen. Insofern liegt eine geschlossene Listung

II. Organisationales Beschaffungsverhalten

309

möglicher Lieferanten vor, neue Anbieter haben daher kaum eine Chance auf Berücksichtigung. Das Kaufobjekt und seine Parameter können in diesem Rahmen durchaus variieren, und zwar graduell solange, bis sich die Aufgabe so verändert, dass eine neue Lieferquelle in die Überlegungen aufgenommen wird. Inwieweit die Einteilung in Kaufklassen jedoch eine grundlegende Gültigkeit für sich beanspruchen kann, scheint fraglich. So sind wohl zumindest Produktarten, Preisniveaus und situative Faktoren gleichermaßen ausschlaggebend für die Erklärung des organisationalen Beschaffungsverhaltens. Empirische Überprüfungen bieten denn auch ein durchaus uneinheitliches Bild. Der Buygrid-Ansatz ist ein zweidimensionaler Ansatz mit den folgenden Kaufphasen in der einen Dimension: • Problemerkennung, Festlegung der Produkteigenschaften, Beschreibung der Produkteigenschaften, Lieferantensuche, Beurteilung der Lieferanteneigenschaften, Einholung von Angeboten, Bewertung von Angeboten, Auswahl von Lieferanten, Bestell- und Abwicklungstechnik, Ausführungskontrolle/ -beurteilung. Die andere Dimension wird durch die jeweiligen Kaufklassen (analog Robinson, Faris, Wind, also als Erstkauf, modifizierter Wiederholungskauf und reiner Wiederholungskauf) gebildet (siehe Abbildung 57). Kaufklassen Erstkauf

modifizierter Wiederholungskauf

reiner Wiederholungskauf

Problemerkennung Festlegung der Produkteigenschaften Kaufphasen

Beschreibung der Produkteigenschaften Lieferantensuche/-sichtung Beurteilung der Lieferanteneigenschaften Einholung von Angeboten Bewertung von Angeboten Auswahl von Lieferanten Bestell- und Abwicklungstechnik Ausführungskontrolle/-beurteilung Abbildung 57: Matrix des Buygrid-Ansatzes

Im Ergebnis können dann die Funktionsträger im Unternehmen (also Geschäftsführung, Techniker, Einkäufer, Lieferant etc.) gemäß diesen Phasen und

310

B. Käuferverhalten im Marketing

Typen zugeordnet werden. Freilich ändert sich der Durchlauf der Kaufphasen je nach dem gerade anstehenden Kaufentscheid. Daraus entsteht eine 10 × 3-Matrix (30 Felder), die zwar eine strenge Klassifikation zulässt, jedoch zulasten der Übersichtlichkeit geht, ohne dabei wirklich Realitätsnähe zu bewirken. In jedes Feld aus Kaufphase und Kaufklasse wird dabei die jeweilige Zuständigkeit eingetragen. Eine weitergehende Typologisierung (Kirsch/Kutschker) besteht aus drei Dimensionen, nämlich: • Neuartigkeit der Problemdefinition (wiederum analog Robinson, Faris, Wind, also Erstkauf, modifizierter Wiederholungskauf, reiner Wiederholungskauf), • Wert des Kaufobjekts, quantifiziert durch den Kaufbetrag und die bei Nutzung auflaufenden Folgekosten, • Einfluss auf die betrieblichen Abläufe, vor allem des organisationalen Wandels infolge des Entscheids zugunsten des Kaufobjekts. Dabei werden jeweils die ordinalen Ausprägungen gering, mittel und hoch unterschieden, so dass sich ein 3 × 3 × 3 = 27-Möglichkeiten-Würfel ergibt. Daraus bilden sich wiederum vereinfachend drei Typen von Beschaffungsentscheidungen (siehe Abbildung 58):

Wert des Kaufobjekts

C C

A

Neuartigkeit der Problemdefinition

Organisationaler Wandel

Abbildung 58: Dreidimensionale Kauftypologie

II. Organisationales Beschaffungsverhalten

311

• Entscheidungen vom Typ A für sehr einfache Beschaffungsvorgänge. Es handelt sich hier um einen reinen Wiederholungskauf mit geringem Einfluss auf die betrieblichen Abläufe und geringem Wert des Beurteilungsobjekts. • Entscheidungen vom Typ C für außerordentlich komplexe, hoch bedeutsame Beschaffungsvorgänge. Es handelt sich hier um Erstkäufe mit großem Einfluss auf die betrieblichen Abläufe und hohem Wert des Beurteilungsobjekts. • Entscheidungen vom Typ B für alle Zwischenformen von Beschaffungsvorgängen, die jedoch real am häufigsten vorkommen. Eine weitere, vierfache Unterscheidung betrifft Produkte unterschiedlicher Typen, nämlich: • Produkte vom Typ 1, die häufig bestellt werden, keine besonderen Analysen erfordern und keine nennenswerten Probleme erwarten lassen, • Produkte vom Typ 2, die nach Auffassung der Entscheider für den jeweiligen Zweck klar geeignet sind, für deren Einsatz im Unternehmen aber besondere Maßnahmen (z. B. Schulung) notwendig sind, • Produkte vom Typ 3, bei denen Zweifel an ihrer technischen Eignung und Leistungsfähigkeit für den Einsatzzweck bestehen, • Produkte vom Typ 4, die interne Probleme mit sich bringen können (z. B. in Bezug auf Kultur und Politik). Ein induktives Modell der Lieferantenauswahl besteht aus den folgenden Einzelelementen: • Protokollauswertung, d. h. Notieren sämtlicher Gedanken während des Beschaf­ fungsentscheidungsprozesses, wobei eine zusätzliche Systemanalyse durch Interviews mit Entscheidungsträgern über die Vernetzung von Teilentscheiden erreicht wird, • Beobachtungsauswertung, d. h. Registrieren während der Entscheidungsfindung durch das beobachtbare Verhalten der Entscheidungsträger, • Dokumentenauswertung, d. h. Ergänzen dieser Erkenntnisse um eine Durchsicht von Protokollen und Geschäftspapieren.

2.

Vertikale Partialmodelle

Zur Erklärung der organisationalen Beschaffung werden sowohl Partialmodelle eingesetzt, die nur Ausschnitte der Entscheidungsfindung erklären und für diese jeweils eine überragende Bedeutung auf das gesamte Entscheidungsergebnis unterstellen, als auch Totalmodelle, die anstreben, alle Determinanten der Entscheidung simultan zu erklären. Zunächst zur Darstellung der Partialmodelle. Diese

312

B. Käuferverhalten im Marketing

können wiederum vertikal (also nur auf eine Partei in der Interaktion, Anbieteroder Nachfragerseite, bezogen) oder horizontal (also auf beide Parteien, Anbieterund Nachfragerseite, bezogen) ausgelegt sein. Zunächst zu den vertikalen Partialmodellen (siehe Abbildung 59).

Partialmodelle Vertikal-Ansätze Buying Center-Konzept

Totalmodelle Webster / Wind Sheth

Promotorenkonzept Reagiererkonzept Informationskonzept Horizontal-Ansätze

Abbildung 59: Modelle des Organisationalen Beschaffungsverhaltens

2.1

Buying Center-Konzept

Einkaufsentscheidungen einer gewissen Größenordnung werden typischerweise nicht mehr von Einzelpersonen getroffen, sondern von Einkaufsgremien. Solche Buying Centers bestehen aus unterschiedlichen Personen, die verschiedene Funktionen bei der Beschaffung wahrnehmen. Denkbar ist aber auch, dass ein Mitglied mehrere Funktionen gleichzeitig oder nacheinander übernimmt oder mehrere Mitglieder sich eine Funktion teilen. Einzelne Funktionen können dabei durchaus auch von Externen übernommen werden. Bei der Analyse geht es um die Identifikation der Mitglieder des Buying Center, die Untersuchung des Informationsverhaltens dieser Teilnehmer, ihres Entscheidungsfindungsprozesses und des Einflusses der einzelnen Mitglieder auf diesen Entscheid. Dabei geht es auch um Rollenerwartungen, die von anderen Teilnehmern an das einzelne Buying Center-Mitglied gestellt werden, die Ansprechbarkeit der einzelnen Mitglieder und die Informationsinhalte für einen Kontakt. Folgende Typen lassen sich im Buying Center (Webster, Wind) als hybrider Or-

II. Organisationales Beschaffungsverhalten

313

ganisationsform, die nicht eigens aufbauorganisatorisch verankert ist, unterscheiden (siehe Abbildung 60). Verwender

Vorselektierer

Entscheider

Einkäufer

Beeinflusser Abbildung 60: Funktionen im Einkaufsgremium

Der Vorselektierer (Gatekeeper) übernimmt die Informationssammlung, die Identifikation der in Betracht kommenden Kaufalternativen und trifft damit die Entscheidungsvorbereitung. Informationen, die diese Schleuse nicht passieren können, gelangen damit erst gar nicht zur engeren Beurteilung. Daher ist es für Anbieter hoch bedeutsam, sicherzustellen, dass Informationen, die Entscheidungsgrundlage sind, auch tatsächlich im Buying Center ankommen. Die Funktion des Gatekeeper wird häufig von einer Stabsstelle übernommen, dies kann aber auch das Sekretariat sein. Der Entscheider (Decider) übernimmt die Letztauswahl des Kaufobjekts bzw. dessen Lieferanten. Dabei handelt es sich meist um eine Person in leitender Stellung (Positionsmacht), welche die vorgeleistete Gremiumsarbeit durch ihr Votum sanktioniert. Je nach Einmischungsgrad in die operative Ebene übt sie mehr oder minder großen formalen Einfluss auf die Beschaffungsentscheidung aus. Sie erteilt die Kaufgenehmigung, verwaltet einen eigenen Etat und verfügt über ­Budgets, sie kann Mittel freigeben und hat eine Veto-Macht. Der Entscheider konzentriert sich gemeinhin auf die Auswirkungen des Kaufs für das Unternehmen und das Geschäftsergebnis. Der Einkäufer (Buyer) trifft die Vorauswahl der Lieferanten, indem ein Projekt ausgeschrieben und potenzielle Partner zur Angebotsabgabe aufgefordert werden. Er schließt außerdem formal den Kaufvertrag ab, führt die Nachverhandlungen en détail und überwacht die Kaufabwicklung inkl. aller Vor- und Nacharbeiten. Oft hat der Einkäufer bei hoch spezialisierten Kaufobjekten auch nur administrative Funktion. Er gehört organisatorisch im Regelfall der Einkaufsabteilung an und erledigt Routinetransaktionen auch allein.

314

B. Käuferverhalten im Marketing

Der Verwender (User) bringt den Kaufentscheidungsprozess in Gang, indem er einen empfundenen Mangelzustand signalisiert. Er definiert Anforderungsmaßstab und Verfügbarkeitstermin. Außerdem beurteilt er nachher die Eignung der gekauften Betriebsmittel. Denn er ist Erfahrungsträger im Hinblick auf die (Mindest-)Produktqualität, sein Einsatzverhalten ist wichtig für die gesamte Beschaffungsaktion. Er ist persönlich durch die Anschaffung betroffen, sowohl bei Erfolg als auch bei Misserfolg. Folglich konzentriert er sich auf die Funktionserfüllung und will konkrete Nutzen haben. Gelegentlich wird hiervon noch die Funktion des Auslösers (Initiator) unterschieden. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Bedarfsmeldung nicht vom Verwender selbst, sondern von einer anderen Stelle­ ausgeht. Der Beeinflusser (Influencer) nimmt durch Fachkompetenz Einfluss auf die Beurteilung der Kaufobjekte und die Entscheidung zugunsten einer Alternative. Oft handelt es sich dabei um einen externen Berater oder Mitarbeiter einer internen Service-Abteilung, der nicht unmittelbar von den Konsequenzen des Kaufs betroffen ist und deshalb vermeintlich vorurteilsfrei werten kann. Wie komplex das Zusammenspiel der Akteure im Buying Center sein kann, zeigt ein einfaches Beispiel. Der Stabsassistent braucht ein neues Laptop, ein entsprechender Betrag ist dafür im Budget reserviert. Fraglich ist nur, wer die Produkt-/ Markenwahl bestimmt. Denkbar ist, dass er sich an seinen Vorgesetzten (Decider) wendet und dieser die Entscheidung sowohl hinsichtlich der Anschaffung als auch hinsichtlich des Objekts fällt. Denkbar ist aber auch, dass der Vorgesetzte seinem Mitarbeiter (User) die Entscheidung überlässt und er den Beschaffungsantrag nur genehmigt. Denkbar ist weiterhin, dass der Vorgesetzte zwar die Genehmigung gibt, die Produkt-/Markenwahl aber der Fachabteilung (z. B. IT) überlässt (Influencer). Schließlich können auch alle Beschaffungen über den Einkäufer (Buyer) laufen. Wobei fraglich ist, ob dieser nur nach Maßgabe des Entscheiders beschafft oder selbst das Beschaffungsobjekt bestimmen kann. Auch können die Beteiligten gemeinsam eine Willensbildung herbeiführen. Jedenfalls ist durchaus unklar, wer Kaufentscheider im Buying Center ist. Ziel des Anbieters muss es sein, Transparenz über die Entscheidungsstruktur zu erhalten, Ziel des Nachfragers wird es sein, gerade diese Transparenz zu verhindern, da ansonsten die Gefahr besteht, dass Kaufentscheide aus sachfremden Gründen heraus getroffen werden. Diese Intransparenz wird durch Vorenthalten der Information über die Zusammensetzung des Buying Center erreicht, aber auch durch regelmäßige Job Rotations. Dabei wechseln nicht nur die Mitglieder des Buying Center, sondern auch die Machtbalance kann sich verschieben, etwa wenn ein „starkes“ Mitglied gegen ein „schwaches“ ausgetauscht wird oder umgekehrt. Dann ist erneut eine Transparenz zu erreichen. Das Buying Center kann innerhalb eines Unternehmens für verschiedene Beschaffungsobjekte abweichend zusammengesetzt sein. Dies alles unterstreicht die erhebliche praktische Bedeutung des Konzepts.

315

II. Organisationales Beschaffungsverhalten

Der Initiator löst einen Bedarf aus. Er leitet damit den Kaufentscheidungsprozess ein. Dabei muss es sich nicht um einen internen Mitarbeiter handeln, denkbar ist etwa, dass ein Kunde ein Produkt nachfragt, das mit der vorhandenen Produktionsmittelausstattung nicht realisierbar ist. Es muss sich auch nicht zwingend um eine Person handeln. Denkbar ist etwa, dass werbliche Botschaften oder hoheitliche Gesetze den auslösenden Impuls geben. Der Initiator als Person kann im Buying Center weiterführende Funktionen wahrnehmen, etwa als späterer Anwender. Der Coach hält aus dem Buying Center heraus ständigen Kontakt nach außen hin zu Anbietern und tauscht mit diesen die für erforderlich gehaltenen Informationen aus. Durch Informationsfilterung kann er dabei strukturierend oder aber auch verwirrend einwirken. Problematisch ist dabei zumeist, dass die den einzelnen Funktionen zugehörigen Personen nicht vorab identifiziert werden können und deren tatsächlicher Entscheidungsanteil verschwommen bleibt, obgleich diese Informationen gerade von höchster Bedeutung sind. Gemeinhin wird auch eine eher rationale Entscheidungsfindung unterstellt, obgleich dies in der Praxis eventuell anzuzweifeln ist. Um Transparenz in die Struktur des Buying Center zu bringen, ist es erforderlich, die hierarchischen Stufen, die auf einen Kaufprozess Einfluss nehmen, zu identifizieren. Dies kann aus der Bedeutung des Kaufobjekts für das beschaffende Unternehmen abgeleitet werden. Außerdem ist wichtig, die jeweils beteiligten Abteilungen und Personen auf jeder Stufe zu identifizieren. Daraus ergibt sich ein Hinweis auf die Zahl der insgesamt Beteiligten. Weiterhin ist es bedeutsam zu recherchieren, wie intensiv zwischen diesen Beteiligten Informationen ausgetauscht werden. Dies bestimmt die Intensität der Kommunikation in das Buying Center hinein (siehe Abbildung 61).

Decider

Buyer

User

Kriterien Kompetenzdarstellung Erweiterbarkeit Installation Zahlungsbedingungen Ausbildung der Mitarbeiter Softwarelösungen Rentabilitätsargumente Wartungsargumente Abbildung 61: Struktur des Buying Center

Influencer

Gatekeeper

316

B. Käuferverhalten im Marketing

Dies ist freilich tatsächlich nur äußerst schwer zu ermitteln und wird von beschaffenden Unternehmen auch gezielt verborgen gehalten. Quellen können dann Dritte sein, die Erfahrungswerte über das beschaffende Unternehmen haben. Ergänzend kommen Internet- und Pressequellen hinzu. Das größte Potenzial bietet aber ein Besuch vor Ort. Dort kann im Gespräch mit unbeteiligten Personen (Rezeptionist, Pförtner) ein erster Eindruck gewonnen werden. Weitere Anhaltspunkte bieten ausliegende Telefon- oder Verteilerlisten. Ein wichtiger Indikator sind Türschilder. So gibt die Anzahl der Namen Aufschluss über die Stellenbedeutung, Vorzimmer deuten auf wichtige Positionen hin. Vor allem Lage und Ausstattung der Büros sind aufschlussreich. Häufig werden diese Informationen jedoch durch Abholung und Begleitung in ein separiertes Gesprächszimmer vereitelt, denn die Einkaufsseite hat verständlicherweise gerade das gegenteilige Interesse der Transparenz. 2.2 Potenzialkonzept Bei Kaufentscheidungen in Organisationen lassen sich unterschiedliche Rollenauffassungen feststellen. Das Promotoren-Opponenten-Konzept (Witte)  unterscheidet dabei zwischen Personen, die innovative Einkaufsentscheidungen gegen technologische, ökonomische und umfeldbezogene Widerstände unterstützen, und solchen, die sie blockieren wollen, und zwar wegen Willensbarrieren oder aus weltanschaulichen, sachlichen oder persönlichen Gründen. Erstere sind Promotoren, also Personen, die Veränderungen fördern, letztere sind Opponenten, also Personen, die Veränderungen behindern, verzögern oder zumindest fraktionieren. Beide Gruppen stützen sich auf bestimmte Positionen. Promotoren (Champion Power) initiieren den Beschaffungsprozess und fördern ihn aktiv und intensiv bis zum Abschluss (siehe Abbildung 62).

Machtpromotor/-opponent

hohe hierarchische Stelle legitimierte Machtposition Sanktionsmöglichkeit ganzheitliches Denken

Prozesspromotor/-opponent Fachpromotor/-opponent eher Middle Management fachliche Legitimation fehlende Einwirkung spezifisches Sachwissen

Abbildung 62: Dimensionen des Potenzialkonzepts

Machtpromotoren verfügen aufgrund ihrer hierarchischen Stellung in der Organisation über Entscheidungsmacht. Sie sind meist intern legitimiert, Vertragsabschlüsse bindend zu tätigen. Sie können dadurch Vorgänge mittels Anordnung,

II. Organisationales Beschaffungsverhalten

317

Sanktion gegenüber „Bremsern“ und Unterstützung treibender Kräfte in Richtung und Tempo maßgeblich beeinflussen. Sie haben dabei weniger technisch-organisatorische Details im Sinn als vielmehr deren Auswirkungen auf das Unternehmen insgesamt. Fachpromotoren zeichnen sich, unabhängig von ihrer hierarchischen Stellung, durch spezifisches Sachwissen aus. Sie nehmen somit aufgrund fachlicher Legitimation auf die Entscheidung Einfluss. Fachpromotoren sind typischerweise im Middle Management angesiedelt. Promotoren sind somit eher Personen, die Initiative ergreifen, sich engagieren, als solche, die nur mit Umsicht und Gelassenheit ihre Pflicht erfüllen und alle einschlägigen Vorschriften beachten. Selten treten Macht- und Fachpromotoren in Personalunion auf. Häufiger treten sie aber als Tandem auf, was ihnen eine besondere Effektivität verleiht (z. B. Reuter und Niefer bei der, freilich misslungenen Umgestaltung von Daimler vom Automobil- zum Hightech-Konzern). Gelegentlich wird davon noch der Prozesspromotor unterschieden, der für die Durchsetzung von Entscheidungen in der Organisation Sorge trägt. Diese Personen sind mit den Prozessen im Unternehmen bestens vertraut und wirken mittels dieser Kenntnis auf die Durchsetzung der Entscheidung in der Organi­ sation ein. Im Gegensatz dazu stehen die Opponenten (Veto Power). Sie hemmen die Innovation bei der erstmaligen Anschaffung neuer Einkaufsobjekte ebenso wie Promotoren sie fördern. Analog zu diesen unterscheidet man Machtopponenten, also Personen, die Entscheidungen kraft hierarchischer Stellung behindern, Fach­ opponenten, also Personen, die Entscheidungen kraft Spezialistenwissen behindern, sowie Prozessopponenten, also Personen, die Entscheidungen kraft Kenntnis interner organisatorischer Abläufe behindern (siehe Abbildung 63).

Opponenten Fachopponenten

Machtopponenten

Prozessopponenten

Fachpromotoren

Machtpromotoren

Prozesspromotoren

Promotoren

Abbildung 63: Interaktion nach dem Potenzialkonzept

318

B. Käuferverhalten im Marketing

Im Wesentlichen bleibt der Einfluss der einzelnen Beteiligten am Beschaffungsvorgang jedoch verborgen. Wahrscheinlich wechselt er auch von Fall zu Fall. Oft sind sowohl Promotoren als auch Opponenten bemüht, ihre Absicht zu verschleiern, um Gegenpotenziale nicht herauszufordern. Insofern handeln sie, wenn es darauf ankommt, subversiv (d. h. als verdeckte Promotoren, die tatsächlich aber Opponenten sind, und umgekehrt). Im Falle des Vorhandenseins von Machtpromotoren bzw. -opponenten, kann deren Macht auf verschiedenen Machtbasen aufbauen: • Belohnungsmacht hat, wer durch Förderungsmöglichkeit andere Personen stützen kann. • Bestrafungsmacht hat, wer durch negative Sanktionsmöglichkeit Personen stürzen kann. • Legitimationsmacht hat, wer über (hierarchische) Autorität gegenüber anderen Personen verfügt. • Identifikationsmacht hat, wer durch (informelle) Überzeugungskraft auf andere Personen einwirkt. • Expertenmacht hat, wer durch Vorenthalten oder Gewähren von Fachwissen Personen beeinflussen kann. Eine andere Form der Verfeinerung resultiert aus der Unterscheidung in Entscheidungsorientierte, Faktenorientierte und Sicherheitsorientierte (Spiegel-Verlag). Dabei handelt es sich allerdings im Wesentlichen um eine Kombination der Erkenntnisse des Promotorenkonzepts mit den Arten der Informationsver­ arbeitung: • Entscheidungsorientierte sind souverän und zügig in ihrem Vorgehen, sie entscheiden meist allein oder haben zumindest die höchste Entscheidungsbeteiligung. Sie kümmern sich wenig um Details, sondern konzentrieren sich auf die Kernfakten. Vorarbeiten werden delegiert, der Informationsstand ist bei näherem Hinsehen lückenhaft. Images spielen für ihre Entscheidung keine Rolle, Qualitätsaspekte sind hingegen vorrangig. Der Führungsstil ist eher kooperativ, das Informationsverhalten ist vorwiegend persönlich und interaktiv. • Faktenorientierte sind detailbesessen und ausgesprochen umsichtig in ihrem Vorgehen, sie wirken an Entscheidungen meist nur in begrenztem Umfang mit. Sie haben ein breites Wissensspektrum und treiben Entscheidungen durch vorbereitende Aktivitäten voran. Images spielen für ihre Einschätzung der Dinge keine Rolle, der Preis ist vielmehr vorrangig. Das hierarchische Denken ist ausgeprägt, das Informationsverhalten vorwiegend dokumentär, also unpersönlich ausgerichtet. • Sicherheitsorientierte sind risikoscheu und zaudernd in ihrem Verhalten, sie halten sich oft aus Entscheidungen heraus oder haben eine sehr geringe Entschei-

II. Organisationales Beschaffungsverhalten

319

dungsbeteiligung. Sie interessieren sich weniger für Details als vielmehr für das Ganze. Dabei haben Sicherheitsaspekte einen hohen Stellenwert (wie Service, Lifecycle Costs etc.). Images kommt eine hohe absichernde Bedeutung zu, Qualitätsaspekte sind primär. Das Gruppendenken ist wegen der Verteilung der Verantwortung ausgeprägt. Durch intensive Information werden alle in Frage kommenden Quellen gesichtet und genutzt. 2.3 Reagiererkonzept Das Reagiererkonzept (Strothmann) unterscheidet im Spezialfall von Innovationen, wohl aber auch erweiternd generell gültig, zwischen den Prototypen des Faktenreagierers (Clarifier) und des Imagereagierers (Simplifier) in Bezug auf das Informationsverhalten. Dem „faktenzerlegenden“ Clarifier (Cox) ist für die Einkaufsentscheidung an möglichst viel Information gelegen, die er dann für sich sichtet und verarbeitet, um so zu einem fundierten Ergebnis zu gelangen. Er ist an einer möglichst vollständigen, abgerundeten Beurteilung hinsichtlich der angebotenen Produkte für sich selbst interessiert. Dabei werden alle für die Anwendung im Unternehmen relevanten Gesichtspunkte geprüft, um das Entscheidungsrisiko zu senken. Wichtig ist daher in der Akquisition eine detaillierte, aussagefähige schriftliche und/oder mündliche Argumentation. Der „imagesammelnde“ Simplifier ist hingegen gleich an verdichteten Informationen interessiert, die für ihn einfach zu verarbeiten sind. Es kommt ihm also nicht auf die Vollständigkeit seines Informationsstands an, sondern nur auf die Vorlage als wichtig erachteter Schlüsselinformationen (Information Chunks), die einen Gesamteindruck über die angebotenen Alternativen erlauben. Dabei ist in der Akquisition jeweils der Nutzen aus dem Einsatz der anzuschaffenden Produkte zu betonen. Bedeutsam ist, dass dieselben Argumente, die für den Clarifier von höchstem Interesse sind, nämlich detaillierte Angaben zu Leistungsmerkmalen, Konstruktionselementen, Materialien etc., Simplifier langweilen. Und umgekehrt die­ jenigen Argumente, die für Simplifier hoch interessant sind, nämlich Kosten­ ersparnis, Wettbewerbsvorteil, Motivationssteigerung etc., dem Clarifier viel zu allgemein gehalten sind. Daher ist es in der Akquisition wichtig, sich zu verdeutlichen, welchem Reagierertyp der Gesprächspartner auf der Einkaufsseite angehört, um die Argumentation darauf abzustimmen. Hinweise darauf erhält man etwa aus Signalen der Körpersprache oder der Arbeitsplatzausstattung und Arbeitsmaterialien. Als Mischtyp gibt es den Reaktionsneutralen, dem eine ausgewogene Relation aus punktuell vertiefenden Informationen bei gleichzeitiger Wahrung eines gesamthaften Überblicks zuzuschreiben ist.

320

B. Käuferverhalten im Marketing

In Bezug auf die Informationssuche kann eine dreifache Unterteilung vorgenommen werden, erstens in den „literarisch-wissenschaftlichen“ Typ, der schriftliche Informationen bevorzugt und Fachmedien intensiv nutzt. Das verschafft ihm ein erhebliches Vorwissen bereits bei der Angebotseinholung. Zweitens den „objektiv-wertenden“ Typ, der sich erst bei Anstehen eines konkreten Beschaffungsprojekts informiert und sowohl gedruckte wie auch persönliche Medien für seine Entscheidungsfindung nutzt. Sowie drittens den „spontanen, passiven“ Typ, der im Wesentlichen ohne eigene Vorinformation auskommt, sondern sich Informationen von den jeweiligen Anbietern, vor allem im persönlichen Kontakt, einholt. 2.4 Informationskonzept Das Informationskonzept hebt auch auf das Suchverhalten und die Verarbeitung von Informationen ab. Dabei werden drei Typen unterschieden: • Der literarisch-wissenschaftliche Typ ist dadurch gekennzeichnet, dass er sich möglichst umfassend und detailliert über beschaffungsrelevante Aspekte eines Kaufobjekts informiert. Er hat eine Präferenz für schriftliche Quellen wie Fachzeitschriften, Fachbücher, Fachdatenbanken etc. Sein Suchverhalten ist proaktiv, d. h. seine Bestrebungen gehen dahin, ständig aktuell über Wissensentwicklungen informiert zu sein. Bei einem neuen Kaufobjekt ist sein Informationsbedarf daher eher gering, weil er hinreichend vorinformiert ist. Durch regelmäßige Zuführung aussagefähiger Unterlagen kann er daher für einen Anbieter eingenommen werden. • Der objektiv-wertende Typ ist aktiv projektorientiert ausgerichtet. Er informiert sich erst mit Beginn eines Beschaffungsprozesses und versucht, seinen Wissensstand zu verbessern. Dabei greift er auf die üblichen Fachzeitschriften, Prospekte, Suchartikel im Internet etc. zurück und wertet diese aus. Insofern kann durch ein gezieltes Informationsangebot positiv auf ihn eingewirkt werden. Hilfreich sind dabei alle Mittel, die unkompliziert und konzentriert relevante Informationen liefern. • Der spontan-passive Typ sucht hingegen nicht aktiv nach Informationen, sondern lässt von diesen eher zufällig und passiv berieseln. Er zeigt wenig Eigeninitiative und bedient sich meist der Information von Personen, die besser informiert sind als er selbst. Insofern ist er auch nicht an detaillierten, ausführlichen Informationen interessiert, sondern eher an einem kursorischen Überblick.

II. Organisationales Beschaffungsverhalten

3.

Horizontale Partialmodelle

3.1

Selling Center-Konzept

321

Bei den horizontalen Partialmodellen des organisationalen Beschaffungsverhaltens geht es nicht mehr nur um die Betrachtung einer Organisationsseite allein (hier der Beschaffungsseite), sondern um die wechselseitige Beziehung zwischen Anbieter- und Nachfragerseite. So steht dem bereits betrachteten Buying Center auf der Einkaufsseite meist ein Selling Center auf der Verkaufsseite gegenüber. Zum Selling Center gehören für gewöhnlich folgende Teilnehmer: • Maker: Techniker als Äquivalent zum User im Buying Center, • Key Accounter: Schlüsselkundenberater als Äquivalent zum Buyer, • Influencer: Anwendungsberater als Äquivalent zum Influencer, • Vendor/Seller: Außendienstler als Äquivalent zum Gatekeeper, • Decider: Geschäftsführer als Äquivalent zum Decider. Dabei ist von einer konkreten Aufgabenverteilung unter den Teilnehmern des Selling Center auszugehen. Meist werden dabei sechs Grundtypen unterschieden: • Der Antreiber tritt aggressiv fordernd auf. • Der Nachfasser unterstützt den Antreiber und verleiht dessen Forderungen damit Nachdruck. • Der Moderator übernimmt eine beschwichtigende Aufgabe. • Der Krisenmakler zeigt bei verfahrenen Situationen Lösungsmöglichkeiten auf. • Der Faktenkenner liefert die „Munition“ für Gegenargumente. • Der Vertraute zeigt Verständnis für die andere Seite und verführt diese damit womöglich zu unvorsichtigen Äußerungen. Dem stehen auf der Seite des Buying Center ebenfalls taktische Rollenverteilungen gegenüber: • Der Nörgler wertet das Angebot kontinuierlich ab. • Der Unterstützer haut in die gleiche Kerbe wie schon diese Abwertungsäußerungen. • Die übrigen Typen (Moderator, Krisenmakler, Faktenkenner und Vertrauter) treten spiegelbildlich zum Selling Center für gewöhnlich auch im Buying Center auf. Bei der Zusammensetzung des Selling Center ist besonders auf äquivalente Fach-, Sozial- und Methodenkompetenzen zu achten (Schlüsselqualifikationen).

322

B. Käuferverhalten im Marketing

Die Fachkompetenz ist unerlässlich, um eine sachkundige Erfüllung der Informationsansprüche der Einkaufsseite zu gewährleisten. Die Sozialkompetenz hebt auch die stimmige „Chemie“ zwischen Verkaufs- und Einkaufsseite ab. Ob diese in einem konkreten Fall herstellbar ist oder nicht, stellt sich freilich immer erst im Nachhinein heraus. Dies ist vor allem deswegen bedauerlich, weil es sich im Verkauf um „People Business“ handelt, d. h. angesichts objektiv zunehmend austauschbarer Kaufobjekte spielt die interpersonale Adäquanz eine große Rolle. Die Methodenkompetenz kommt vor allem in der Entscheidungsfindung zum Ausdruck. Dies setzt voraus, dass bei den Beteiligten eine entsprechende Entscheidungsfähigkeit (Rangadäquanz) vorhanden ist. Die Ranghöhe der Teilnehmer im Selling Center ist auch ein implizites Zeichen für die Wertschätzung des Abnehmers. Konflikte können dabei nicht nur zwischen Anbieter- und Nachfragerseite auftreten, sondern auch innerhalb der Anbieter- oder innerhalb der Nachfragerpartei. In Bezug auf Anbieter- und Nachfragerseite bestehen dabei als strategische Verhaltensalternativen, je nach relativer Stärke der Seite, folgende Optionen (siehe Abbildung 64):

Nachfragerseite

Anbieterseite (aus Anbietersicht betrachtet)

Dominanzstreben

Dominanzstreben

Subordination

Konflikt (Competing)

Anpassung (Collaborating) Kompromiss (Compromising)

Subordination

Umgehung (Avoiding)

Abstimmung (Accomodating)

Abbildung 64: Verhaltensalternativen auf Anbieter- und Nachfragerseite

• Bei beiderseitigem Dominanzstreben kommt es unweigerlich zum Kampf. Ein solches Competing bedeutet, dass jeder seine eigenen Ziele ohne Rücksicht auf die andere Seite durchsetzen will. • Bei beiderseitiger Subordination kommt es zu einer fairen Interessenabstimmung. Ein solches Accomodating bedeutet, dass die eigenen Ziele zugunsten der Akzeptanz der Ziele des/der anderen zurückgestellt werden. • Bei einseitiger Dominanz bzw. Subordination kommt es zur Anpassung an oder Umgehung des anderen. Ersteres wird auch Collaborating genannt und bedeutet, dass der Versuch der Bündelung möglichst vieler Ziele unternommen wird. Letzteres wird auch Avoiding genannt und bedeutet, dass sowohl die Zielerrei-

323

II. Organisationales Beschaffungsverhalten

chung anderer wie auch die eigene Zielerreichung zugunsten einer möglichen dritten Lösung vermieden werden soll. • Compromising bedeutet, dass der kleinste gemeinsame Nenner als Verhandlungsergebnis akzeptiert wird, sofern erkennbar ist, dass weder eigene noch fremde Ziele vollständig durchsetzbar sind. 3.2

Bonoma, Zaltman, Johnston-Modell

In diesem Modell wird die organisationale Beschaffung als multilateraler Austauschprozess aufgefasst. Dabei wird unterstellt, dass Personen in sozialen Austauschbeziehungen solchen Transaktionen den Vorzug geben, bei denen sie auf kurze oder lange Sicht eine äquivalente Gegenleistung zur eigenen Leistung zu erhalten erwarten. Das Modell unterscheidet vier Austauschbeziehungen (siehe Abbildung 65):

Verkaufendes Unternehmen

Leistung (Güter und Dienste)

Kaufendes Unternehmen

Verkäufer (Selling Center)

Information/Hilfe bei Problemlösung

Einkauf und Problemlösung

Image

Gehalt

Verkaufsanstrengungen

Provision

Bezahlung der Produkte

Einkäufer (Buying Center)

Zurechnung des jeweiligen Abschlusses

Abbildung 65: Struktur des Bonoma/Zaltman/Johnston-Modells

• Die Mitglieder des Buying Center erbringen für ihr Unternehmen die Leistung, den Einkauf zieladäquat durchzuführen und damit zur Lösung des anstehenden Problems beizutragen. Dafür beziehen sie ihr Gehalt. • Die Austauschbeziehung zwischen Verkäufer und dem Unternehmen, für das er tätig ist, besteht darin, dass der Verkäufer im Sinne des Unternehmens Verkaufsanstrengungen unternimmt und dafür entlohnt wird.

324

B. Käuferverhalten im Marketing

• Der Verkäufer bietet den Mitgliedern des Buying Center Information und Beratung an. Wenn es zum Kauf kommt, wird ihm dafür der Abschluss als Erfolg zugerechnet, was für ihn wiederum direkt einkommenswirksam ist. • Zwischen verkaufendem und beschaffendem Unternehmen schließlich findet der Austausch von zu erbringender Leistung und vereinbarter Bezahlung statt. Diese Beziehungen werden noch durch wechselseitig abweichende Vorstellungen beeinflusst. Es handelt sich also um ein kombiniertes vertikales und horizontales Modell. Ziel ist dabei die Erreichung einer Win-Win-Situation, d. h. einer Lösung, bei der alle Beteiligten, Einkäufer- und Verkäuferseite, einkaufendes und verkaufendes Unternehmen, jeweils gemeinsame Vorteile haben. Ein opportunistisches Verhalten kann hingegen keine Win-Win-Situation herbeiführen und führt damit zur Instabilität der Geschäftsbeziehungen.

4.

Totalmodelle zur Erklärung

Totalmodelle der organisationalen Beschaffung streben allgemein eine vollständige Erfassung aller Faktoren an, welche die unternehmerische Kauf­ entscheidung beeinflussen. Dies gelingt freilich nur um den Preis erheblicher Komplexität. Das Modell von Webster, Wind erkennt vier Ebenen als relevant. Zu den umweltbedingten Determinanten im Webster, Wind-Modell zählen z. B. politische Vorgaben und gesetzliche Bestimmungen sowie Veränderungen in der technologischen, ökonomischen und kulturellen Umwelt, die eine Neuorientierung des Unternehmens erforderlich machen. Organisationale Determinanten binden Individuen in bestimmte soziale Gefüge ein. Dazu gehören die organisationale Technologie, die Organisationsstruktur, Ziele und Aufgaben sowie die Mitglieder der Organisation. Interpersonelle Determinanten betreffen die personelle Zusammensetzung des Buying Center, das Informationsverhalten der einzelnen Mitglieder, ihr Entscheidungsverhalten und die Einflussstärke jedes einzelnen Mitglieds auf den Entscheid. Intrapersonelle Determinanten beschreiben Faktoren wie Motivation, kognitive Struktur, Käuferpersönlichkeit, Lernverhalten, Rollenverständnis etc. Dabei gibt es aufgabenbezogene, also von der Organisation vorgegebene, und aufgabenfremde (nicht unbedingt rationale)  Variable. Je unbestimmter eine Aufgabe umschrieben ist, desto wichtiger werden diese Nontask Variables (siehe Abbildung 66). Sheth geht in seinem Modell von der Existenz mehrerer Entscheidungsträger aus, deren Erwartungen durch ihre Erfahrungen und ihr Informationsverhalten beeinflusst werden, letzteres hängt von der aktiven Informationssuche und der Selektivität der Wahrnehmung der Informationen ab. Der Erfahrungshorizont der Entscheidungsträger wird durch ihre Ausbildung, ihr Rollenverhalten und ihren Lebensstil geprägt. Solche kollektiven Entscheidungsprozesse sind typisch bei

II. Organisationales Beschaffungsverhalten

325

Die Umwelt (Umweltbezogene Determinanten des Kaufverhaltens): • Physische, technologische, ökonomische, politische, legale, kulturelle Umwelt • Lieferanten, Kunden, Staat, Gewerkschaften, Handelsverbände, Berufsverbände, andere industrielle Anbieter, andere soziale Institutionen • Informationen über Anbieter (Marketing-Kommunikation), Erhältlichkeit von Gütern und Diensten, allgemeine wirtschaftliche Lage, Werte und Normen Die Organisation (Organisationale Determinanten des Kauferverhaltens): • Physisches, technologisches, ökonomisches und kulturelles Organisationsklima organisationale Technologie (für den Kauf relevante Technologie) Organisationsstruktur (Buying Center und Beschaffungsfunktion) Organisationale Ziele und Aufgaben (Beschaffungsaufgaben) Organisationsmitglieder (Mitglieder des Buying Center) Das Buying Center (Interpersonale Determinanten des Kaufverhaltens): Gruppenprozesse • Technologische Beschränkungen und verfügbare Technologie, Gruppenstruktur, Gruppenaufgaben, Eigenschaften, Ziele und Führungsstil • Aufgaben bezogene Tätigkeiten, Interaktionen und Gefühle • Nicht aufgabenbezogene Tätigkeiten, Interaktionen und Gefühle Die Individuen • Motivation, Lernen, kognitive Struktur, Rollenverhalten, Persönlichkeit • Kaufentscheidungsprozess Individuelle Entscheidungsfreiheit Gruppenbezogene Entscheidungsfreiheit • Kaufentscheidungen Abbildung 66: Struktur des Webster/Wind-Modells

hohem wahrgenommenen Risiko, bei einem Erstkauf, bei Zeitdruck, bei fehlender Dominanz einer Abteilung/Stelle und bei dezentraler Aufbauorganisation. Konfliktlösungen sind dabei im Einzelnen möglich durch Informationssammlung und -verarbeitung, Überreden, Verhandeln oder Austricksen. Hinzu kommen situative Faktoren wie Lieferengpässe, Streiks, technische Produktionsstörungen etc. Als Entscheidungskriterien werden explizite, unmittelbar mit dem Kaufobjekt verbundene Kriterien und implizite, mit der Organisation des Lieferanten bzw. der Persönlichkeit des Verkäufers verbundene Kriterien berücksichtigt (siehe Abbildung 67). Im Modell von Choffray/Lilien werden folgende Phasen unterschieden: Alter­ nativengenerierung und -auswahl, Bildung individueller Präferenzen und Bildung

326

B. Käuferverhalten im Marketing

Persönlicher Background der Beteiligten (Spezielle Ausbildung, Rollenverhalten, Lebensstil) • Informationsquellen: Verkäufer, Messen und Ausstellungen, Direktwerbung, Pressemitteilungen, Zeitschriftenwerbung, Fachkonferenzen und -tagungen, Wirtschaftspresse, Mundzu-Mund-Werbung, andere Quellen Aktive Informationssuche Wahrnehmungsverzerrung Zufriedenheit mit dem Kauf Erwartungen der Einkäufer, Techniker, Verwender andere Einflussgrößen Industrieller Kaufprozess • Produkt spezifische Faktoren wie Zeitdruck, empfundenes Risiko, Kaufklasse • Unternehmensspezifische Faktoren wie Ausrichtung der Organisation, Größe der Organisation, Grad der Dezentralisierung Situative Faktoren Kollektive Entscheidungen Autonome Entscheidungen Konfliktlösung durch Problemverhalten, Überreden, Verhandeln, Machtkampf Lieferantenauswahl und Markenwahl

Abbildung 67: Struktur des Sheth-Modells

organisationaler Präferenzen. Die Anzahl der Alternativen wird durch das Informationsverhalten (aktive Informationssuche)  bestimmt. Weiterhin sind Umweltrestriktionen und Stärken/Schwächen des beschaffenden Unternehmens von Bedeutung. Die Mitglieder des Entscheidungsgremiums werden versuchen, ihre individuellen Präferenzen durchzusetzen, um dadurch die organisationalen Präferenzen zu beeinflussen. Diese Interessendurchsetzung ist abhängig von den Interaktionsstrukturen und den Machtverhältnissen. Zur Operationalisierung der Alternativengenerierung dient das Awareness-Modell für die Berechnung des Evoked Set unter Berücksichtigung der Marketingaktivitäten der Anbieter und des Informationsverhaltens der Entscheidungsträger (Regressionsanalyse). Der Alternativenauswahl dient das Akzeptanz-Modell zur Berechnung von Erfolgswahrscheinlichkeiten einzelner Alternativen unter Berücksichtigung von Produkt-, Umwelt- und Organisationsrestriktionen (Simulation). Der Bildung individuel-

II. Organisationales Beschaffungsverhalten

327

ler Präferenzen dient ein individuelles Bewertungsmodell unter Berücksichtigung von Wahrnehmungsunterschieden (Präferenz-Regressions-Analyse). Und der Bildung organisationaler Präferenzen dient ein Gruppenentscheidungsmodell, das die Interaktionsstrukturen zwischen den Mitgliedern des Entscheidungsgremiums abbildet und eine Wahrscheinlichkeitsprognose über die Entscheidung ermöglicht (gewichtete Wahrscheinlichkeitsanalyse). Die Wahl unter diesen vier Ansätzen bleibt freilich dem Anwender überlassen (siehe Abbildung 68).

In Betracht gezogene Alternativen: • Umweltrestriktionen physischer, technologischer, ökonomischer, sozialer Art • Organisationserfordernisse technischer und finanzieller Art Individuelle Entscheidungsträger im Buying Center: • Informationsquellen • Bewertungskriterien • Interaktionsstrukturen Realisierbare Alternativen: • Bildung individueller Präferenzen • Bildung organisationaler Präferenzen • Organisationale Entscheidung

Abbildung 68: Struktur des Choffray/Lilien-Modells

5. Interaktionsansätze 5.1 Inhalt Dabei wird nicht mehr von einseitigen Aktions-Reaktions-Schemata (S-R, SO-R) ausgegangen, sondern von wechselseitigen Beeinflussungen, wie sie in der Wirtschaftspraxis als regelmäßig gegeben unterstellt werden müssen. Dabei stehen die Interaktionen von Anbieter- und Nachfragerseite im Mittelpunkt der Betrachtung, die simultan vorgehen. Aus der Abfolge dieser Interaktionen entstehen Geschäftsbeziehungen, die von zwei oder mehr Partnern unterhalten werden, die ihre verbalen und non-verbalen Aktivitäten aneinander orientieren, wobei ihre Aktionen und Reaktionen interdependent sind. Deren Analyse kann als Querschnitt-(Momentaufnahme) oder Längsschnittanalyse (Prozesssicht) erfolgen. Zwischen den Beteiligten entsteht so ein zeitlich begrenztes, aufgabenorientiertes Zwischensystem aus Mitgliedern der kaufenden und der verkaufenden Seite als Transaction Center. Untersuchungen beziehen sich auf den Verlauf und das Er-

328

B. Käuferverhalten im Marketing

gebnis dieser Transaktionen durch die Beziehungen zwischen den beteiligten Parteien. Für die Analyse stehen mehrere Ansätze zur Verfügung, die zu Relationenkonzepten verfeinert worden sind (siehe Abbildung 69). Personale Ansätze

Organisationale Ansätze

Struktuelle Ansätze

Prozessuale Ansätze

Monoorganisationale Ansätze

Multiorganisationale Ansätze

Abbildung 69: Analyseansätze der Interaktion

Personale Ansätze analysieren den Einfluss von personellen Eigenschaften von Verkäufern und Käufern (z. B. hinsichtlich der Ähnlichkeit in ökonomischen, sozialen und physischen Merkmalen zwischen Anbieter und Nachfrager oder dem Machtsaldo, der aus Hierarchiestrukturen und Beziehungsmustern folgt). Einzentrige Willensbildung ist entweder nur auf der Nachfrageseite (individuell) oder sowohl auf der Nachfrage- wie der Angebotsseite (dyadisch) vorhanden. Mehrzentrige Willensbildung erfolgt in Gruppen, die entweder nur auf der Nachfrageseite (vertikal) oder sowohl auf der Nachfrage- als auch auf der Angebotsseite (horizontal) vorhanden sind. Organisationale Ansätze sind auf bestimmte Rollenerwartungen der beteiligten Parteien ausgerichtet. Mono-organisationale Ansätze gehen davon aus, dass die Verhandlungsseiten ungebunden, d. h. rechtlich und wirtschaftlich selbstständig, sind. Diese, relativ einfache Konstellation ist jedoch in vielfältig verflochtenen Wirtschaftsstrukturen immer seltener gegeben. Multi-organisationale Ansätze hingegen berücksichtigen die Einbindung mehrerer Organisationen auf beiden Seiten in Gruppen. Die dabei entstehenden Beziehungen werden etwa in Netzwerkansätzen untersucht, die Organisationen als Systeme von Elementen und ihren Beziehungen untereinander und zur sie umgebenden Umwelt auffassen. Diese Ansätze gehören zu den strukturellen, sie stellen Organisationsmerkmale in den Vordergrund und geben Beziehungen zwischen Organisationen und deren Umweltbeziehungen zentrale Bedeutung. Demgegenüber richten prozessuale Ansätze ihr Interesse auf bestimmte Phasen des Transaktionsprozesses. Die zahlreichen Kaufphasenkonzepte unterscheiden sich dabei nur in Details. Alle leiden jedoch an dem Mangel, dass die Kaufphasen weder frei von Überschneidungen und Rückkopplungen noch in dieser Form generalisierbar sind. Jedoch ist die

II. Organisationales Beschaffungsverhalten

329

Chronologie der Abfolge recht anschaulich und für didaktische Zwecke daher gut geeignet.

5.2 Relationenkonzept Bei entsprechenden Studien handelt es sich entweder um episodenbezogene Strukturansätze oder episodenübergreifende Prozessansätze sowie um (ebenfalls episodenübergreifende) Netzwerkansätze. Die beiden ersteren werden als Relationenkonzepte bezeichnet. Werden dabei zwei Partner analysiert, handelt es sich um ein dyadisches Beziehungsmuster, bei mehr als zwei Parteien um ein multilaterales. Sind die Parteien durch Personen verkörpert, handelt es sich um personale Ansätze, sind Organisationen gegeben, um organisationale. Daraus entstehen durch Kombination die folgenden vier Ausprägungen von Relationen. Bei dyadisch-personalen Relationsansätzen als Struktur- und Prozessmodellen wird vor allem die persönliche Kommunikation im Verkauf betrachtet. Dabei stehen Matching-Studien im Vordergrund, d. h. Ähnlichkeiten zwischen Käufer und Verkäufer. Danach besteht die Hypothese, dass derjenige Verkäufer am erfolgreichsten ist, der dem jeweiligen Käufer am ähnlichsten ist. Daraus kann man schließen, sich im Verkaufsgespräch durch kongruentes Rollenverhalten an den Käufer anzupassen (Adaptive Selling) oder Verkäufer organisatorisch Einkäufern nach vermuteter Affinität zuzuordnen (Kundenorganisation). Es können aber auch die Machtbeziehungen in der personalen Dyade untersucht werden. Dabei erfolgt die Beeinflussung durch eine Kombination aus Kompetenz und Sympathie. Nur Kompetenz („Der ekelhafte Könner“) oder nur Sympathie („Der nette Taugenichts“) reichen nicht aus. Vielmehr kommt es auf eine hinlängliche Kombination beider Dimensionen an. Auch ist der Verkaufserfolg vom Involvement der Verhandlungspartner abhängig. Je höher dieses ist, sei es aus Eigenmotivation oder durch äußeren Druck, desto wahrscheinlicher ist ein Erfolg. Allerdings berücksichtigen dyadisch-personale Relationsansätze nicht den Einfluss von Einkaufsgremien bzw. Verkaufsteams. Bei multilateral-personalen Relationsansätzen als Struktur- und Prozessmodellen wird vor allem untersucht, inwieweit Statusprobleme mit der hierarchischen Struktur der Beteiligten auf beiden Seiten entstehen können und inwieweit es zur Bildung von Koalitionen (horizontal) und/oder Absprachen (vertikal) kommt. Wichtig ist demnach die Kompetenz-, Sozial- und Rangadäquanz zwischen den Angehörigen der potenziell kaufenden und verkaufenden Seite. Außerdem sind meist bestimmte Rollen verteilt. Allerdings werden die organisationalen Einflussgrößen, vor allem in Bezug auf Sanktion und Machtausübung, nicht berücksichtigt. Die dyadisch-organisationalen Relationsansätze als Struktur- und Prozessmodelle untersuchen die intra-organisationalen und die inter-organisationalen Bezie-

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B. Käuferverhalten im Marketing

hungen zwischen Käufer und Verkäufer. Danach ist vor allem die Kongruenz von Erwartungen an und Erlebnissen in der Interaktion in Bezug auf Verhandlungsrahmen und -inhalt bedeutsam (Korrespondenzhypothese/Koch). Es geht primär um den Versuch der Herstellung von Informationssymmetrie zwischen Anbieter und Nachfrager. Nach dem Delegationsmodell macht der Anbieter autonom Vorschläge, die der Abnehmer annimmt oder ablehnt, der eine Partner unterlässt es, seinen Informationsnachteil aufzuheben und vertraut stattdessen seinem Partner in der Ausführung. Nach dem Zusammenarbeitsmodell erarbeiten Anbieter und Abnehmer gemeinsam tragfähige Lösungen, ein beidseitiger Lernprozess führt so zur Aufhebung von Informationsasymmetrien bei gegenseitigem Vertrauen (Gemünden). Ersteres ist für den Käufer bei relativ anspruchslosen Problemlösungen mit frühzeitiger Bindung an einen Lieferanten effizient, denn beide betreiben überschaubaren Aufwand. Letzteres ist bei eher anspruchsvollen Problemlösungen mit Verhandlungen bei mehreren Anbietern effizient, was allerdings einen aufwändigen Lernprozess, eine intensive Konfliktbehandlung und adäquate Arbeitspartner erfordert. Die multilateral-organisationalen Relationsansätze als Struktur- und Prozessmodelle betrachten meist chronologisch Episoden als kollektive Planungs-, Entscheidungs- und Verhandlungsprozesse zwischen und innerhalb von Organisationen in Bezug auf die Anbahnung, den Abschluss und die Realisation einer Transaktion. Eine Episode ist dabei eine Phase des Beschaffungsprojekts. Die Abgrenzung der Episoden zueinander ist allerdings nicht unproblematisch. Episodeninformationen sind alle, die in der konkreten Einzeltransaktion zur Gestaltung des Leistungserstellungsprozesses im Hinblick auf die Erzielung von Kundenvorteilen von Bedeutung sind. Dazu gehören so verschiedenartige Elemente wie Lastenheft, Pflichtenkatalog, Buying Center-Analyse, Promotoren oder Wertkettengestaltung. Zeitlich vorgelagerte Episoden schaffen dabei Chancen- und Risiken­potenziale für ihnen nachgelagerte (Kirsch/Kutschker). Eine Transaktions­periode umfasst die Gesamtheit aller Interaktionen, die mit der Anbahnung, Vereinbarung und Realisation der interessierenden Transaktion verbunden sind. Potenziale wie Macht, Wissen, Konsens etc. beeinflussen als zweite Einflussgröße den Ablauf des Transaktionsprozesses. Hersteller, Verwender und Drittparteien legen in Verhandlungen die Entscheidungsgrößen des Einkaufs für das betrachtete Objekt fest. Unabhängig von dieser Transaktion setzen Hersteller und Verwender Marketingmaßnahmen zur Pflege von Potenzialen ein. Andererseits beeinflussen auch die Verhandlungen selbst die Potenziale der Beteiligten bzw. die Potenziale der Beteiligten die Verhandlungen (Interaktion). Weiterhin wirken situative Faktoren (exogene Einflüsse) auf die Potenziale ein. Diese Ansätze sind jedoch eher deskriptiv ausgelegt, ohne konkret praktisch verwertbare Erklärungsansätze zu liefern.

II. Organisationales Beschaffungsverhalten

331

5.3 Netzwerkkonzept Diese stellen eine Erweiterung der Relationenansätze um systemtheoretische, episodenübergreifende Betrachtungen dar und beziehen sich nur auf Organisationen. Dabei werden mehrere Organisationen als soziale Systeme durch ihre Elemente, die Beziehungen zwischen den Elementen und durch die Beziehungen zur Umwelt charakterisiert. Daraus entstehen als Hauptelemente der Interaktions­ prozess selbst, die beteiligten Personen, die Umwelt und die Atmosphäre. Das Verhalten von Personen ist nicht nur durch sie selbst bestimmt, sondern vor allem durch ihre Beziehungen zu anderen Personen geprägt. Diese Beziehungsstrukturen sollen für Zwecke des Anbieters genutzt bzw. Veränderungen zu seinen Gunsten daran bewirkt werden (Hakansson). Dabei können fünf Ebenen unterschieden werden: • die einzelne Person, die mit ihren individuellen Einstellungen und Motiven sowie mit ihrer Art, Informationen nachzusuchen und zu verarbeiten (Reagierer-, Entscheidertypologien) am Beschaffungsprozess teilnimmt, • die Funktion, die eine Person in einem Unternehmen ausübt, • die hierarchische Position, die eine Person in einer Organisation innehat, • die Beziehungsstruktur, innerhalb derer sich die verschiedenen Personen im Rahmen des Beschaffungsprozesses bewegen und die sie für ihre Zwecke zu nutzen versuchen, sowie ihre Veränderungen im Zeitablauf, • die Art der Einflussnahme (Promotoren/Opponenten), die eine Person aufgrund ihrer Netzwerkposition auf den Beschaffungsprozess ausübt. Instrumentelle/formale Netzwerke sind durch Beziehungen gekennzeichnet, die im Rahmen der Arbeit entstehen und den Austausch aufgabenbezogener Ressourcen beinhalten. Expressive/primäre Netzwerke hingegen enthalten Beziehungen privater Art, unabhängig von der formalen Organisation. Am wichtigsten sind bei diesen Netzwerken die Kommunikationsbeziehungen zum Austausch zweckbezogenen Wissens. Dabei können verschiedene Typen von Aktoren unterschieden werden: • Isolierte (Isolated) im Netzwerk sind Personen, die höchstens mit einer einzigen anderen Person kommunizieren, nicht aber mit weiteren Personen des Netzwerks. Sie sind als Ansatzpunkt für Akquisitionsmaßnahmen denkbar unge­ eignet, es sei denn, sie sind zugleich Entscheider. • Verbinder (Liaisons) sind Positionen, die zwei oder mehr Untergruppen (Cliquen) miteinander verbinden, ohne dort selbst Mitglied zu sein. Sie ermöglichen damit den Informationsfluss zwischen Untergruppen (z. B. Abteilungen eines Unternehmens). Entfallen sie, fallen auch die Untergruppen auseinander.

332

B. Käuferverhalten im Marketing

• Brücken (Bridges) sind Personen, die als Mitglied einer Clique Beziehungen zu einem oder mehreren Mitgliedern einer anderen Clique unterhalten. Diesen Personen kommt eine wichtige Funktion im internen Informationsfluss zu. • Überlapper (Linking Pins) sind Personen, die zugleich Mitglied in mehr als einer Clique sind und somit den Informationsfluss zwischen beiden herstellen können. Daraus resultieren aber nicht selten Konflikte hinsichtlich der Identifikation bei einander widerstrebenden Zielen in den Untergruppen. • Grenzgänger (Boundary Role) sind Personen, welche die Verbindung des Unternehmens zur Umwelt herstellen. Sie sind psychologisch, organisational und meist auch physisch von der Gruppe entfernt angesiedelt und für den Informationsfluss zwischen Organisation und Umwelt von hoher Bedeutung. • Zentralen (Stars) sind Personen, die zu vielen anderen Mitgliedern der eigenen Clique durch Information verbunden sind. Sie bieten sich als Ansatzpunkt für Akquisitionsmaßnahmen an, da sie einerseits ein hohes Gespür für Organisationsbedürfnisse haben und andererseits vielfältigen Einfluss nehmen können. • Pförtner (Gatekeeper) sind Personen, die den Informationsfluss von der Umwelt oder einer anderen Clique in die eigene Clique hinein öffnen. Sie sind praktisch die Sensoren der Clique, die Änderungen in den Beschaffungsbedingungen aufnehmen und in die Untergruppe weitergeben. • Meinungsführer (Opinion Leaders) sind Personen, die innerhalb einer Clique den Ton angeben. Dies kann auf hierarchischer Stellung, öfter aber auf informeller Kompetenz beruhen. Meist wechselt die Meinungsführereigenschaft mit dem anstehenden Beschaffungsobjekt. In jedem Fall geht es bei Gruppenentscheidungsprozessen darum, festzustellen, wer genau an einer Kaufentscheidung beteiligt ist (Name, Funktion, Position, Rolle etc.). Weiterhin müssen die Kommunikationsstruktur im Netzwerk, die Art der Kommunikation (einseitig/zweiseitig) und die Position (Isolierte, Liason, Brücke, Zentrale, Randfigur, Gatekeeper, Meinungsführer etc.) identifiziert werden. Dazu sind die Konflikte zwischen Personen und Gruppen im Netzwerk ebenso zu analysieren wie deren Macht und Einfluss (Machtbasen, individuelle Taktik der Einflussnahme etc.). Daraus leitet sich der Versuch einer Prognose der Kaufentscheidung ab, die mit allen Unwägbarkeiten versehen ist. Von der Position einer Person im Netzwerk hängt es ab, inwieweit sie auf Entscheidungen der Gruppe Einfluss nehmen kann. Dabei stehen ihr Ressourcen zur Verfügung, die sie unmittelbar kontrollieren kann wie Fachwissen, Budget etc., diese dienen ihr als Machtbasis, sowie Ressourcen, die sie nur mittelbar kontrollieren kann wie Kontakte zu anderen Personen. Der Einfluss ist umso größer, je vielfältiger die Beziehungen sind, die eine Person zu einer anderen in der eigenen Gruppe und zu fremden Gruppen unterhält. Dies gilt sowohl für aufgabenbezogene als auch informelle Beziehungen. Er ist weiterhin umso größer, je zentraler die Position einer Person im Netzwerk ist.

II. Organisationales Beschaffungsverhalten

333

Die akquisitorische Einflussnahme auf das Netzwerk kann durch verschiedene Vorgehensweisen erfolgen: • Gatekeeping stellt die Beeinflussung des „Pförtners“ im Netzwerk im eigenen Sinne in den Vordergrund. Dies kann sich auf den Informationsfluss von außen in das Netzwerk hinein beziehen oder den Informationsfluss zwischen verschiedenen Bereichen des Netzwerks selbst (Verbinder/Grenzgänger). • Advocacy Behavior zielt auf die Gewinnung eines Meinungsführers für die eigene Idee ab. Dies beruht auf Lobbying, d. h., man befürwortet eine Alternative, sucht andere zur Unterstützung und bildet einen Meinungszirkel. Dessen Durchsetzungsfähigkeit hängt im Wesentlichen vom Anteil der Promotoren darin ab. • Koalitionsbildung beinhaltet vor allem die Herbeiführung internaler Interessengemeinsamkeiten zulasten Externaler. Aktoren, die normalerweise unterschiedliche Ziele verfolgen, diese aber allein nicht erreichen können, schließen sich dabei temporär zu Koalitionen zusammen. Ihr Erfolg ist abhängig von den Ressourcen, über die sie disponieren können. Problematisch ist dabei generell, dass es bislang keine geschlossene Interaktionstheorie gibt, sondern nur Fragmente dazu. Ein beachtlicher Ansatz stammt u. a. von der International Marketing und Purchasing Group (IMP). Er stellt vor allem auf die dauerhaften Geschäftsbeziehungen zwischen Anbieter und Nachfrager ab. Organisationen werden darin als soziale Systeme durch ihre Elemente, die Beziehungen zwischen diesen Elementen und durch die Beziehungen zur Umwelt gekennzeichnet. Bei den Elementen handelt es sich um den Interaktionsprozess, die beteiligten Parteien, die Atmosphäre und die Umwelt. Aus Episoden entwickelt sich im Interaktionsprozess ein Beziehungsgeflecht, das Macht- und Abhängigkeitsbeziehungen enthält und konfliktär oder kooperativ ausgelegt sein kann. Bei den beteiligten Parteien handelt es sich um die Anbieter- und Nachfragerseite, jeweils als Individuen oder für Organisationen. Die Atmosphäre ist der „Kitt“ zwischen den Elementen („weiche“ Faktoren) und kann nicht näher gemessen werden. Zur Umwelt gehören u. a. die Marktstruktur und -dynamik, die soziale Umwelt und die Internationalität. Inwieweit dieser Ansatz tatsächlich praktikabel ist, scheint jedoch fraglich. Er dient wohl vornehmlich der Veranschaulichung von Zusammenhängen.

6.

Segmentierung im B-t-B-Sektor

Die Zielgruppenabgrenzung auf Business-Märkten kann einstufig oder mehrstufig, sukzessiv oder simultan nach mindestens drei Prinzipien erfolgen. Der einstufige Ansatz legt ein einziges Segmentierungskriterium zugrunde, das • objektiv, wie Abnehmerbranche, Unternehmensgröße, Kundenstandort, Anwenderstatus, Technologiestand, Organisationsform etc., oder

334

B. Käuferverhalten im Marketing

• subjektiv, wie Bedarfsdringlichkeit, Machtstruktur, Käufer-Verkäufer-Ähnlichkeit, Kaufkriterien, Lieferantentreue, Risikobereitschaft etc., ausgelegt ist. Beim zweistufigen Ansatz wird in eine • Makrosegmentierung der Beschaffungsorganisation und eine • Mikrosegmentierung der Mitglieder dieser Organisation unterschieden. Der dreistufige Ansatz kennt folgende Ebenen: • 1. Ebene ist die organisationsbezogene Umwelt wie Betriebsform, Zentralisation, Beschaffungsregeln etc., • 2. Ebene ist das Entscheidungskollektiv wie Buying Center-Größe, Buying Center-Zusammensetzung etc., • 3. Ebene ist die Individuumsbeteiligung wie Informationsverhalten, Einstellungen etc. Der fünfstufige Ansatz (Nested Approach) unterscheidet schließlich: • demographische Merkmale der beschaffenden Organisation, • leistungsbezogene Merkmale der beschaffenden Organisation, • Merkmale in der Vorgehensweise der Beschaffung, • Merkmale der Beschaffungssituation, • individuelle Charakteristika der beschaffenden Personen.

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336

B. Käuferverhalten im Marketing

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C. Marketinginformation I. Erhebungsmethoden 1. Grundlagen 1.1 Begriffsabgrenzung Marktforschung ist vom verwechslungsfähigen Begriff Marketingforschung dadurch abgegrenzt, dass Marktforschung sich sowohl auf die externen Absatzals auch die Beschaffungsmärkte, also Größen wie Lieferanten, Beschaffungswege, Lieferfristen, Transportmittel, Einkaufsqualitäten etc., bezieht, Marketingforschung jedoch nur auf die Absatzmärkte ausgerichtet ist (Marktpotenzial, Marktvolumen, Marktanteil, Konkurrenzdaten, Bedarfsstruktur, Marketinginstrumente etc.), zusätzlich aber intern auch auf die innerbetrieblichen Sachverhalte und Marketingaktivitäten des Betriebs, also Absatzsegmentrechnung, Außendienstberichtswesen etc. (siehe Abbildung 70). Marktforschung andere Märkte

Absatzmarkt

= externes Marketing

internes Marketing

Marketingforschung Abbildung 70: Begriffsabgrenzung Marktforschung/Marketingforschung

Im Folgenden wird nur der Bereich der Marktforschung beleuchtet. Ein anderer Begriff dafür ist Absatzforschung. Davon abzugrenzen ist die Absatzbeobachtung (oder auch Markterkundung), die nur ein zufälliges, gelegentliches Abtasten des Marktes darstellt, also nicht systematisch erfolgt und damit keinem wissenschaftlichen Anspruch gerecht wird. Diese ist wiederum nicht zu verwechseln mit der Marktbeobachtung, die laufend erfolgt (Längsschnittanalyse), im Gegensatz zur Marktanalyse, die einmalig erfolgt (Querschnittanalyse). Marktforschung stellt somit die systematische Sammlung, Aufbereitung und Interpretation von Daten zur Erkennung und Ableitung von Informationsgrund­

340

C. Marketinginformation

lagen für marktbezogene Entscheidungen dar. Sie übernimmt eine Vielzahl wichtiger Funktionen im Betrieb: • Sie sorgt dafür, dass Risiken frühzeitig erkannt und abgeschätzt werden können (Frühwarnfunktion). Dies ist vor allem infolge rasch wechselnder Umfeldfaktoren von hoher Bedeutung für die Planung und Steuerung. • Sie trägt dazu bei, dass Chancen und Entwicklungen aufgedeckt und antizipiert werden, bietet also Anregungen (Innovationsfunktion). Denn meist sind nur noch kreative Vorstöße (Disruption) am Markt in der Lage, Konkurrenzvorsprünge zu generieren. • Sie trägt im willensbildenden Prozess zur Unterstützung der Betriebsführung bei (Intelligenzverstärkerfunktion). Mehr Wissen führt tendenziell zu sachgerechteren, besseren Entscheidungen. • Sie schafft bei der Entscheidungsfindung eine Präzisierung und Objektivierung von Sachverhalten (Unsicherheitsreduktionsfunktion). Damit werden die typischerweise schlecht strukturierten Problemstellungen im Marketing besser beherrschbar. • Sie fördert das Verständnis von Zielvorgaben und Lernprozessen im Betrieb (Strukturierungsfunktion). Durch die Transparenz von Daten und darauf basierenden Schlussfolgerungen kommt es zu einer besseren Aktivitätsabstimmung. • Sie wählt aus der Flut umweltbedingter Informationen die relevanten Informationen aus und bereitet diese auf (Selektionsfunktion). Dies gilt freilich nur bei entsprechend geeigneter Anlage der Informationsgewinnung. • Sie hilft, Veränderungen des marketingrelevanten Umfelds abzuschätzen und Auswirkungen auf das eigene Geschäft aufzuzeigen (Prognosefunktion). Dies ist ganz wichtig für die zielgerichtete Steuerung des Unternehmens. 1.2 Einsatzfelder Marktforschung tritt in der Praxis in vielfältigen Einsatzfeldern in Erscheinung. Als zu erforschende Umfelder gelten die Mikro- und die Makroumwelt. Zur Mikroumwelt gehören vor allem Größen wie Nachfrage, Konkurrenz, Interessengruppen etc., zur Makroumwelt gehören Größen wie Technik, Politik, Recht, Ökologie etc. Als Quellen für die Informationsgewinnung kommen betriebsinterne und betriebsexterne in Betracht. In beiden Fällen sind die Voraussetzungen für Informationen bereits gegeben, sie müssen nur aktiviert werden. Die Informationsinhalte sind demoskopischer oder ökoskopischer Natur, d. h. es handelt sich um subjektiv persönliche Daten, z. B. Geschlecht, Alter, Beruf, oder um objektiv sachliche Daten, z. B. Umsatz, Marktanteil, Belegschaft.

I. Erhebungsmethoden

341

Bei den untersuchten Leistungen handelt es sich um Konsumtiv- oder Produktivgüter sowie Dienstleistungen. Entsprechend den Besonderheiten dieser Märkte ist die Forschung jeweils ausgerichtet. Nach den relevanten Marketinginstrumenten beziehen sich Untersuchungen auf die Angebots- und Sortimentsforschung, auf die Entgelt- und Gegenleistungsforschung, auf die Informations- und Präsentationsforschung oder die Verfügbarkeits- und Übergabeforschung. Bei der Art von Informationen kann es sich um betriebswirtschaftliche oder volkswirtschaftliche Daten handeln, also solche, die vorwiegend einzelbetrieblich oder eher überbetrieblich ausgerichtet sind. Nach der räumlichen Erstreckung handelt es sich um Binnen- oder Auslandsmärkte, erstere im Rahmen der lokalen, regionalen oder nationalen Marktforschung, letztere im Rahmen der internationalen Marktforschung. Nach der zeitlichen Dimension handelt es sich um Größen die vergangenheitsbezogen, gegenwartsbezogen oder zukunftsbezogen sind. Die zukunftsbezogene Forschung nennt man auch Marketingprognose. Nach der Häufigkeit unterscheidet man Erhebungen, die einmalig durchgeführt werden und solche, die mehrmalig, meist regelmäßig, durchgeführt werden. Dabei ist noch wichtig, ob es sich um gleiche Auskunftspersonen handelt, wie z. B. bei Panels, oder um verschiedene, wie z. B. bei Wellenerhebungen. Als Träger für Forschungsaktivitäten kommen die eigene Organisation, also die betriebliche Marktforschung oder Externe, also die Instituts-Marktforschung, in Betracht. Häufig findet auch eine Arbeitsteilung zwischen beiden statt. Nach den Subjekten können Gruppen wie Käufer im privaten und gewerblichen Bereich, Absatzmittler als Groß- und Einzelhändler und Absatzhelfer, Hersteller, Konkurrenten, Lieferanten, Anspruchsgruppen etc. unterschieden werden. Nach dem Gegenstand der Marktforschung können Meinungsforschung, Motivforschung, Imageforschung, Verhaltensforschung, Käuferforschung etc. unterschieden werden. 1.3 Arbeitsphasen Wenn man sich gedanklich einem Forschungsprojekt nähert, ist es sinnvoll, sich zunächst die Schritte auf dem Weg von der gegebenen Ausgangssituation zur gewünschten Zielsituation vor Augen zu führen. Die einzelnen Arbeitsphasen betreffen hier bei professioneller Vorgehensweise folgende: • Die Anregungsphase dient der Identifizierung von Informationsbedarfen und der Themenstrukturierung. Die Anregung kann durch Märkte verursacht sein

342

C. Marketinginformation

oder durch betriebsinterne Überlegungen, sie kann aus der Marktforschungs­ abteilung selbst kommen oder aus dem Management. • Die Definitionsphase betrifft die Formulierung des Untersuchungsziels und dessen Umsetzung in ein Forschungsproblem. Auf dieser Basis erst können operationale Erhebungsziele definiert werden. Daraus ergibt sich der Set der erforderlichen Variablen und ob diese in funktionalen Beziehungen zueinander stehen und ausreichend kontrollierbar sind. Häufig machen erkennbare Informationslücken eine Pilotstudie zur Klärung des eigentlichen Informationsbedarfs er­ forderlich. • Bei der Forschungsphase geht es um die Erstellung eines detaillierten Forschungskonzepts, in dem Datengewinnung, -verarbeitung und -auswertung dargelegt sind. Dazu werden Hypothesen gebildet und an der Realität überprüft. Es ergeben sich ein Abriss der Entscheidungsfrage, eine Kurzbeschreibung des Forschungsproblems, eine Kennzeichnung des Informationsstands, die Formulierung von Forschungshypothesen, die Kurzdarstellung der einzusetzenden Methoden, von Dauer und Zeitbedarf des Projekts sowie dessen Finanz­ aufwands. Hierzu gehören im Falle der Feldarbeit auch der Fragebogentext, -aufbau, die Auswahl und Entwicklung der Erhebungsmethode, die abstrakte Bestimmung der Erhebungseinheiten etc. • Die Datenerhebungsphase umfasst die unmittelbare Datengewinnung durch eigene Felderhebung, durch Organisation Externer (Marktforschungs-Institut) oder durch Schreibtischrecherche (Sekundärquellen). • Die Aufbereitungsphase betrifft die Dokumentation der Daten und ihre Kontrolle auf Schlüssigkeit sowie die Datenträgerverschlüsselung. Diese Phase beginnt mit der Paginierung von Unterlagen und deren Überprüfung auf Vollständigkeit und Verwertbarkeit. Es folgt die grobe Überprüfung der Ergebnisse auf logische Konsistenz. Ggf. sind die Daten in maschinenlesbarer Form zu verschlüsseln und auf Datenträger zu übertragen. Codierungsfehler sind zu kontrollieren und zu beseitigen. Bei der Auswertung werden anspruchsvolle rechne­ rische Verfahren eingesetzt. • Die Interpretationsphase stellt die eigentliche Denkleistung durch Analyse und Schlussfolgerung der gewonnenen Daten dar. Dabei kommt es zugleich wieder zu einer Subjektivierung der objektiven Forschung. • Die Kommunikationsphase betrifft die Präsentation von Empfehlungen auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse. Wichtig ist die zielgruppengerechte Darstellung der Resultate, denn von einer wirksamen Kommunikation hängt der Erfolg der Marktforschung in hohem Maße ab.

I. Erhebungsmethoden

343

2. Erhebungsträger 2.1

Institutsforschung als Träger

Marktforschung kann durch Betriebs- oder Institutsforschung erfolgen. Zunächst zur Institutsforschung. In Deutschland gibt es ca. 150 ernstzunehmende Marktforschungs-Institute, die Träger der Fremdforschung sind. Es handelt sich um erwerbswirtschaftliche oder gemeinnützige Organisationen, die in kommerzieller oder wissenschaftlicher Absicht Marktforschung betreiben. Daneben wird Marktforschung aber auch von Unternehmensberatungen, Marketing-Consultants, Werbeagenturen etc. betrieben. Hinzu kommen Informationsbroker, die Datenbanken betreiben. Bei den Marktforschungs-Instituten an sich können reine und gemischte Betriebe (die neben der Forschung auch andere Services anbieten) unterschieden werden, weiterhin Voll-(Full Service) und Spezial-Dienstleister. Letztere offerieren nur Ausschnitte des Leistungsspektrums, z. B. nur Feldorganisation oder nur Erhebungskonzept. Sie sind vor allem im Bereich der Primärforschung tätig, weil dort häufig auf fixkostenintensive Feldorganisationen zurückgegriffen werden muss und spezifisches Know-how für die Durchführung unabdingbar ist. Außerdem werden von ihnen eigene Standarddienste angeboten (wie Werbe­tracking,­ Panels, TV-Zuschauerforschung, Media-Analyse, Konsumklima, Markttests, Omnibusse etc.). Daneben gibt es Feldorganisationen, die ihren Interviewerstab Auf­trag­gebern gegen Rechnung zur Verfügung stellen. Sofern sie auch die Konzipierung und Auswertung von Aktivitäten übernehmen, ist die Grenze zu klassischen Instituten fließend. Häufig werden auch begrenzte Unteraufträge an andere Institute vergeben. Umsatzschwerpunkt sind Ad hoc-Studien bei einmaliger Durchführung und kontinuierliche Forschungsinstrumente wie Trackings. Weit überwiegend wird noch eine mündliche Ergebnispräsentation vorgenommen. Das Telefon­interview hat bei der Erhebung nach dem Zufallsprinzip die größte Bedeutung aller Befragungsarten. Vorteile der Institutsforschung liegen in folgenden Aspekten. Es ist keine Betriebsblindheit der Forscher gegeben. Externe Forscher können unvorbelastet an die Problemlösung herangehen. Sie brauchen weniger Rücksichten auf interne „Politik“ zu nehmen. Sie können im positiven Sinne naiv Altbekanntes und scheinbar Bewährtes in Frage stellen. Es besteht Zugang zu leistungsfähigen Erhebungsinstrumenten, die kostspielig zu installieren und unterhalten sind. Viele, technisch aufwändige Erhebungsinstrumente, wie z. B. Panels, sind nur von Instituten aufrecht zu erhalten, so dass ein Rückgriff auf deren Fremdforschung unverzichtbar ist. Dies gilt auch für den Unterhalt eines ausgebildeten Interviewerstabs im Feld. Die Gefahr interessengefärbter Auskünfte und tendenziöser Meinungen ist gering. Zwar sind externe Auftragnehmer auch in gewisser Weise ökonomisch ab-

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C. Marketinginformation

hängig, aber ihre organisatorische Unabhängigkeit erlaubt es ihnen leichter, Wege einzuschlagen, die intern auf Missfallen stoßen. Höhere Objektivität ergibt sich durch mehr Sachverstand als Herzblut bei der Aufgabe. Ein hohes Maß an Involvement ist nicht immer nützlich bei der neutralen Untersuchung von Sachverhalten. Externe, die weniger emotional und mehr rational an die Sache herangehen, sehen Probleme daher unvoreingenommener und härter. Es besteht die Möglichkeit des Einsatzes von Spezialisten und zur Nutzung von Expertenwissen. Ein Serviceunternehmen kann durch die Vielzahl seiner Auftraggeber und Aufträge Experten beschäftigen, deren Auslastung im Betrieb ansonsten nicht gewährleistet ist. Dadurch wird zusätzliches Wissen aus der Lösung ähnlicher Probleme bereitgestellt. Aktuelle Methodenkenntnis in Beschaffung, Verarbeitung und Auswertung von Informationen ist verfügbar. Und es kann vorausgesetzt werden, dass Spezialisten über fundierteres Wissen um die besten Mittel und Wege zur Lösung komplexer Forschungsfragen verfügen. Ergebnisvergleiche mit Erfahrungen aus anderen Untersuchungen sind realisierbar. Dadurch ist eine Relativierbarkeit des Datenoutputs gegeben. Es können Benchmarks für „gute“ Ergebnisse festgelegt und „Best in Class“-Maßstäbe für exzellente Ergebnisse herausgefiltert werden. Es ist die Möglichkeit von Kosteneinsparungen (Outsourcing) oder zumindest -flexibilisierungen gegeben. Gemessen an einer Vollkostenrechnung ist die externe Auftragsvergabe infolge dort vorherrschender Degressionseffekte meist kostengünstiger als die Eigenleistung. Hinzu kommt, dass Fremdkosten variablen Charakter haben, also nur bei Inanspruchnahme anfallen, Eigenkosten im Overhead-Bereich aber meist fix sind. Oft kommt es auch zur Beschleunigung der Erhebungsdurchführung, was kostendämpfend wirkt. Dagegen stehen allerdings auch relevante Nachteile der Institutsforschung. So besteht eine höhere Liquiditätsbelastung, gemessen an der pagatorischen Kostenrechnung. Denn viele Leistungen sind im Unternehmen ohnehin vorhanden und im Rahmen besserer Auslastung auszuschöpfen, die extern gesondert berechnet werden. Zu denken ist hier vor allem an die administrative Infrastruktur. Briefing und Einarbeitungszeit sind erforderlich. Das Briefing ist zwar auch bei Eigenforschung unerlässlich, kann jedoch wegen des höheren Vorinformationsstands meist kürzer gehalten werden. Hinzu kommt eine Zeitspanne zur Vertrautmachung mit den spezifischen Einflussgrößen auf eine gegebene Problemstellung. Wenn man an unseriös arbeitende Institute gerät, besteht die Gefahr unsolider Auftragserfüllung. Dagegen kann man sich durch Einschaltung von Mitglieds­ instituten einschlägiger Branchenverbände weitgehend schützen. Dennoch ist auch die Marktforschungsbranche von grauen und schwarzen Anbietern durchsetzt.

I. Erhebungsmethoden

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Die Geheimhaltung kann trotz strikter Verpflichtung zur Vertraulichkeit gefährdet sein. Denn in einer Branche, die von der Informationsweitergabe lebt, bleibt ein gewisses Unbehagen hinsichtlich möglicher Indiskretionen über im Rahmen der Beauftragung bekanntgewordene Geschäftsgeheimnisse bestehen. In­ sofern werden Berührungsängste gefördert. Oft sind mangelnde Branchenkenntnisse zu beklagen. Allerdings ist bei Zentralisation der Forschungsfunktion in weit verzweigten Betriebsstrukturen der Überblick in allen Bereichen auch nicht leicht zu behalten. Dennoch dürfte die Vertrautheit mit den zu lösenden Problemen extern geringer sein. Es entstehen Kommunikationsprobleme, die unausweichlich sind, wenn Menschen zusammenarbeiten. Spracheigenheiten sind oft unbewusster und manifester Bestandteil der Unternehmenskultur, stellen jedoch praktisch erhebliche Hindernisse in der Koordination interner und externer Aktivitäten dar. Es kommt zu keiner Wissensakkumulation über Marktforschung im Betrieb. Jede extern ausgeführte Forschung erhöht insofern die Abhängigkeit von externen Zulieferern, wohingegen im anderen Fall ein Potenzial an Erfahrung angesammelt werden kann, das leistungssteigernd und kostenreduzierend wirkt. Es besteht die Gefahr der schematisierten Routinisierung von Projekten, ohne hinreichend auf die spezifischen Belange des Auftraggebers einzugehen. Dies gilt vor allem für den Einsatz von Standarderhebungsinstrumenten und -informationsdiensten. Wenngleich die behaupteten Eigenheiten jeder Branche eher weniger glaubwürdig sind. Hat man sich für die Einschaltung eines Marktforschungs-Instituts entschieden, sind für dessen Auswahl folgende Kriterien bedeutsam: • Erfahrung bzw. Spezialisierung in relevanten Märkten bzw. bei Erhebungstechniken sind vorteilhaft, jedoch nicht immer Bedingung, • Leistungsfähige personelle und sachliche Ausstattung, ausgewiesen durch In­ dikatoren wie z. B. Fluktuationsrate, Unterhalt eines eigenen Interviewerstabs, IT-Infrastruktur, • Mitgliedschaft in einem der Fachverbände (ADM/BVM), da dort Mindestanforderungen für die Aufnahme gestellt werden, • Institutseigene Vorkehrungen zur Wahrung von Vertraulichkeit und Sicherung der Ergebnisqualität. • Konkurrenzausschluss für die Erhebung des Projekts, realistisch nur für den Zeitraum der Projektbearbeitung zu fordern, • Kontrollmöglichkeiten des Auftraggebers bei der Durchführung (Termine/Kosten), dazu ist eine laufende Projektdokumentation hilfreich,

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C. Marketinginformation

• Referenzen anderer Auftraggeber, Beraterkompetenz, evtl. räumliche Nähe, diese und andere Indikatoren helfen, das Risiko zu limitieren, • Erfahrungen aus bisheriger Zusammenarbeit, soweit vorhanden, denn Lieferantentreue zahlt sich vielfältig aus. Je nach Intensität der Zusammenarbeit ist es auch sinnvoll, auf räumliche Nähe, Sympathie mit den Beratern etc. zu achten. Ebenso ist es einzelfallabhängig, ob man wechselweise mit mehreren Instituten, etwa aufgrund individueller Kostenvoranschläge (KVA’s) zusammenarbeitet oder mit einem „Stamminstitut“. Für letzteres sprechen vor allem die zunehmende Problemvertrautheit und die Leistung „kostenloser“ Services. 2.2

Betriebsforschung als Träger

Die betriebliche Marktforschung kann als Linien- oder Stabsstelle verankert sein. Als Linienstelle ist eine Einordnung im Rahmen der Funktions- oder Objektorganisation möglich. Im Rahmen der Funktionsorganisation ist eine Anbindung an Marketing, Absatz, Vertrieb, Verkauf o. Ä. sinnvoll. Im Rahmen der Objektorganisation ist eine Anbindung an Produkt-Management, Gebiets-Management oder Kunden-Management sinnvoll. In diesen Bereichen kann jeweils auch eine Anbindung als Stabsstelle vorgenommen werden. Dabei ist häufig ein MarketingService-Bereich anzutreffen (Shared Service Center). Denkbar ist aber auch eine Anbindung im Bereich Information, Wirtschaftsinformatik o. Ä. Oder sogar im Bereich Beschaffung oder Unternehmensführung, Auditing o. Ä. Vorteile der Betriebsforschung liegen in folgenden Aspekten. Es besteht eine größere Vertrautheit mit dem Forschungsproblem durch Kenntnisse im Vorfeld. Über den Auftrag hinaus ist meist bekannt, zu welchen spezifischen Zwecken die gewonnenen Informationen genutzt werden sollen. Entsprechend kann bereits im Vorfeld das Design gestaltet werden, und eine gesonderte Einarbeitungszeit entfällt damit. Bessere Möglichkeiten der Einflussnahme und Kontrolle während des Forschungsprozesses sind gegeben. Es besteht jederzeitige Transparenz über den Status der Arbeiten, und es kann jederzeit darauf in zielgerichteter Weise Einfluss genommen werden. Oder es besteht zumindest die Illusion dazu. Es kommt zur Gewinnung von Forschungserfahrungen sowie zum Verbleib dieser Erkenntnisse im Betrieb. Durch die Beschäftigung mit der Materie wird Wissen akkumuliert, das Sekundärnutzen in anderen Bereichen zeitigt und das Wissenspotenzial stetig anreichert. Das Risiko von Indiskretionen über Interna ist geringer. Oft werden Externen im Verlaufe der Arbeiten Inhalte bekannt, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Das Risiko der unbefugten Weitergabe solcher vertraulichen Infor-

I. Erhebungsmethoden

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mationen ist jedoch nicht auszuschließen. Dies betrifft auch den Informations- und Datenschutz nach Projektabschluss. Kommunikationsprobleme, wie sie bei der Zusammenarbeit mit Externen immer gegebenen sind, entfallen. Eine komplexe Materie erfordert intensiven Meinungsaustausch zur Nutzung aller Potenziale und zur problemgerechten Bearbeitung. Das kostet im Betrieb Zeit, zumeist die der Entscheider, und damit Geld. Es gibt eine bessere Möglichkeit zur Nutzung spezifischer Kenntnisse der Entscheidungsträger. Da nur ein geringer Teil der Aktivitäten auf objektivierter Grundlage abläuft, kann das Briefing intern um „Bauchgefühl“ ergänzt werden, das Externen nur schwer zugänglich ist. Eine eigene Erhebung ist oft nicht möglich, sofern dazu eine forscherische Infrastruktur erforderlich ist (z. B. Panel, Wellenerhebung, Mehrthemenbefragung). Deren Aufbau und Unterhalt ist zu aufwändig, als dass sie sich selbst für forschungsintensive Unternehmen, wie etwa in der Konsumgüterbranche anzutreffen, lohnen würde. Dagegen stehen allerdings auch relevante Nachteile der Betriebsforschung. Es besteht die Gefahr der Betriebsblindheit, die oft nahe liegende Problemlösungen nicht erkennen lässt. An diesen fundamentalen Gaps sind bereits viele Marketingaktivitäten gescheitert. Die Einschaltung Externer bietet hingegen die Chance, eingefahrene Gleise zu verlassen und neue Einsichten zu gewinnen. Das Phänomen der Self Fulfilling Prophecy ist nicht von der Hand zu weisen, d. h. die Forschung erbringt merkwürdigerweise genau die Ergebnisse, die das Management schon vorher unterstellt hat. Denn interne Mitarbeiter wissen um die möglichen Konsequenzen ihrer Erhebungsergebnisse und sind daher trotz ihres Bemühens um Neutralität zumindest unbewusst geneigt, Aspekte, welche die gewünschte Konsequenz begünstigen, stärker zu berücksichtigen bzw. Aspekte, welche die gewünschte Konsequenz beeinträchtigen, nicht weiter zu verfolgen. Dies führt zu erheblichen Verzerrungen im Output. Es besteht die Gefahr der subjektiven Prägung der Forschung. Denn der Forscher geht meist, und wohl auch unvermeidlich, mit einem eigenen oder von seinem Arbeitgeber geprägten Werturteil an eine Problemstellung heran. Trotz allen Willens zur Objektivität sind dann die Antworten dennoch entsprechend, da unbewusste Lenkungsmechanismen einsetzen. Experten und fachorientierte Mitarbeiter fehlen oft in der Abteilung. Für spezialisierte Aufgaben, die infolge der Professionalisierung der Marktforschung immer breiteren Raum einnehmen, kann intern keine adäquate Manpower vorgehalten werden. Insofern ist methodische Rückständigkeit nicht ausgeschlossen. Die Organisation der Feldarbeit ist normalerweise kaum selbst möglich. Sofern es sich um Primärerhebungen handelt, die flächendeckend durchgeführt werden, ist eine Interviewerorganisation erforderlich, die nur von Instituten unterhal-

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C. Marketinginformation

ten werden kann. Das bedeutet jedoch nicht, dass man auch anderweitig mit diesen zusammenarbeiten muss. Längere Bearbeitungszeiten durch Kostendruck und Kapazitätsengpässe sind wahrscheinlich. Dies ist nicht zuletzt dadurch begründet, dass Unternehmen im Rahmen der Rationalisierung ihren Mitarbeiterstamm auf das unerlässliche Maß zurückgeschraubt haben, so dass für Spitzenbelastungen keine Reserve mehr bleibt. Es entstehen meist höhere Kosten gegenüber Outsourcing. Dies gilt zumindest, wenn die kalkulatorischen Kosten der eigenen Mitarbeiter mit effektiven Stundensätzen und nicht nur deren pagatorische Kosten angesetzt werden. In vielen Fällen ist eine Kombination von Eigen- und Fremdforschung sinnvoll, etwa derart, dass die Grundlagenarbeit außer Haus und die Durchführung in eigener Regie vorgenommen wird oder umgekehrt. Oft wird die Marktforschung auch von Verbänden für die ihnen angeschlossenen Unternehmen übernommen. Dabei sind verschiedene Abstufungen denkbar. Zunächst kann es um die Verarbeitung von Fundstellenverzeichnissen für die wichtigsten, die Branche betreffenden Statistiken gehen. Weitergehend können diese Statistiken verbandsseitig auch ausgewertet und interpretiert werden. Ebenso können eigenständige Forschungsprojekte im Rahmen der Verbandsarbeit durchgeführt werden. Dies kann bis zur Gründung und Führung eines selbstständigen Instituts gehen, das fallweise oder laufend mit der Durchführung von Untersuchungen befasst ist. Dabei ergeben sich jedoch auch enge Grenzen. So können die Ergebnisse immer nur auf die Branche, nicht aber auf einzelne Betriebe bezogen werden, sie bedürfen also der Ergänzung und Verfeinerung. Sie schaffen zudem Informationsgleichstand, also keinen individuellen Wettbewerbsvorsprung. Gerade in hoch kompetitiven Wirtschaften ist Informationsvorsprung jedoch ein unschätzbarer Erfolgsfaktor. Sofern die Abdeckung der Branche durch einen Verband gering ist, sind die Ergebnisse nicht einmal hinreichend. Ebenso ist eine Verbund-Marktforschung denkbar. Sie besteht darin, dass Unternehmen zum Zweck der gemeinsamen Forschung kooperieren. Handelt es sich um substitutiv tätige Unternehmen, gleicht die Situation der Verbandsmarktforschung. Wegen der Besonderheiten jedes Betriebs und des gleichen Informationsstands aller Beteiligter ist im Vergleich dazu die Ergänzung um eigene betriebliche Forschung erforderlich. Handelt es sich um komplementär tätigte Unternehmen, kann die individuelle Forschung dadurch möglicherweise weitgehend ersetzt werden. Bei allen funktionalen und institutionellen Verfahren der Informationsbeschaffung ist jeweils der ESOMAR-Kodex zu beachten, der Verhaltensstandards in der Marktforschung festlegt. Darin wird bestimmt, dass Marktforscher sich ethisch verhalten müssen und nichts tun dürften, was dem Ruf der Marktforschung schaden könnte. Die Teilnahme von Befragten ist freiwillig und muss auf der Grund-

I. Erhebungsmethoden

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lage einer angemessenen und nicht irreführenden Information über den allgemeinen Zweck und die Art des Projekts erfolgen. Die Rechte der Befragten als Privatpersonen müssen von den Marktforschern respektiert werden und sie dürfen nicht als unmittelbare Folge ihrer Teilnahme an einem Marktforschungs­ projekt beschädigt oder benachteiligt werden. Marktforscher dürfen nicht zulassen, dass die erhobenen personenbezogenen Daten für irgendeinen anderen Zweck als zu dem der Marktforschung verwendet werden. Marktforscher müssen die anerkannten Prinzippien des fairen Wettbewerbs einhalten. Marktforschung muss legal, redlich, wahrheitsgemäß und objektiv sein und in Übereinstimmung mit angemessenen wissenschaftlichen Prinzipien durchgeführt werden. Marktforschung darf das Vertrauen der Befragten nicht missbrauchen oder deren Mangel an Erfahrung oder Wissen ausbeuten. Die Teilnahme ist völlig freiwillig. Wenn Teilnehmer um ihre Mitwirkung gebeten werden, dürfen sie nicht irregeführt werden. Marktforscher haben sich gleich zu Beginn auszuweisen und den Forschungszweck eindeutig darzulegen. Den Befragten muss es möglich sein, die Identität ohne Schwierigkeit zu überprüfen. Marktforscher müssen dem Auftraggeber auf Anfrage gestatten, Qualitätsprüfungen der Datenerhebung und der Datenaufbereitung vorzunehmen. Marktforscher müssen weiterhin sicherstellen, dass Marktforschungsprojekte genau, transparent und objektiv konzipiert, ausgeführt, berichtet und dokumentiert werden.

3.

Anforderungen an Informationen

Der Informationsgrad ist ein Maß für den Anteil der tatsächlich verfügbaren Information an den vorhandenen oder notwendigen Informationen, also deren Vollständigkeit. Je höher der Informationsgrad ist, desto besser sind die Voraussetzungen erfolgreicher Marktforschung. Der Informationsgrad ist optimal, wenn die Kosten der zusätzlichen Informationssammlung gleich hoch sind wie der daraus erwartete zusätzliche Nutzen. Messgrößen sind dabei die Vollständigkeit und Relevanz von Informationen. Die Realität der betrieblichen Entscheidung ist meist durch unvollkommene Information gekennzeichnet, d. h., der Informationsgrad ist  2.000 Elemente). Die Güte wird dann nicht mehr von der Relation der Stichprobe zur Grundgesamtheit, sondern nur von ihrem absoluten Umfang bestimmt. Jede Fehlerberechnung bezieht sich immer auf das Gesamtergebnis. Sollen verschiedene Untergruppen analysiert werden, so bestimmen die Anforderungen an die kleinste der zu analysierenden Gruppen den gesamten Stichprobenumfang. Die auswertbare Netto-Stichprobe (= Ausschöpfungsquote in Relation zur Bruttostichprobe) ergibt sich nach Abzug der (unechten) stichprobenneutralen Ausfälle und der echten (nicht-neutralen) Ausfälle von der Bruttostichprobe. Diese Abzüge ergeben gemeinsam die Ausfallquote in Relation zur Bruttostichprobe. Die Ausschöpfung ergibt sich insgesamt wie folgt:

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C. Marketinginformation

• Ausgangspunkt ist das Total der Erhebungsadressen, davon fallen die ungültigen Adressen aus, es bleiben die gültigen Adressen. • Davon fallen die nicht-ansprechbaren Einheiten aus. Gründe für die Nichtansprechbarkeit sind Eigenschaften wie Ausländer (Sprache), Alkoholiker (Sucht), Invalider (Krankheit) etc., es bleiben die ansprechbaren Adressen. • Davon fallen die abwesenden oder nicht-kontaktierbaren Personen aus. Gründe für Nichtanwesenheit sind Dienstreise, Urlaub, auswärtige Tätigkeit, Wehrdienst, Kur etc., für Nichtkontaktierbarkeit Türsicherung, Pförtner, Wachhund, Hemmungen etc., es bleiben die anwesenden, ansprechbaren Adressen. • Davon fallen die Antwortverweigerungen der Auskunftspersonen aus. Nur der verbleibende Rest stellt die Netto-Stichprobe dar. Aussagen können sich immer nur auf diese Anzahl tatsächlich durchgeführter Interviews beziehen. Daher ist bei der Erhebung eine Reserve für mögliche Ausfälle zu berücksichtigen. Die Stichprobengröße verändert sich umgekehrt proportional zum Quadrat der Fehlerspanne, d. h. eine Erhöhung des Sicherheitsgrads oder eine Senkung des Fehlerintervalls erfordert eine weit überproportionale Erhöhung des Stichprobenumfangs. Die notwendige Stichprobengröße ist von der tatsächlichen Verteilung bzw. Streuung der Untersuchungsmerkmale abhängig. Werden mehrere Merkmale zugrunde gelegt, bestimmt das am ungünstigsten verteilte Merkmal die Größe der gesamten Stichprobe. Bei der Hochrechnung unterscheidet man zwischen freier Hochrechnung ohne Heranziehung zusätzlicher Informationen nur mittels der aus der Stichprobe selbst gewonnenen Daten und gebundener Hochrechnung unter Heranziehung zusätzlicher Informationen aus früheren Erhebungen. Erstere geschieht durch Differenzen-, Verhältnis- oder Regressionsschätzung und führt zu einer Punktschätzung ohne Konfidenzintervall, letztere durch Redressement. Dabei ergeben sich zwei Möglichkeiten: • Doppeln und Streichen bedeutet, dass zufällig herausgegriffene, untererfasste Elemente gedoppelt werden, während zufällig herausgegriffene übererfasste Elemente weggestrichen werden. Dabei wird allerdings die Fallzahl um künstliche Fälle verändert. • Faktoriell bedeutet, dass die Werte der über- bzw. untererfassten Elemente durch Multiplikation mit einem Veränderungssatz angepasst werden. Dadurch bleibt die absolute Fallzahl unverändert, aber die Struktur wird der Realität angepasst. Verfahren der systematischen Zufallsauswahl machen aufwändigere Berechnungen erforderlich.

I. Erhebungsmethoden

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5.2.3 Repräsentanzvoraussetzungen Für die Erfüllung der Repräsentanzvoraussetzungen bei einer Zufallsauswahl sind die Erkenntnisse der Wahrscheinlichkeitsrechnung zentral. Ausgangspunkt ist dabei das Zufallsexperiment. Darunter versteht man einen Vorgang, der beliebig oft unter gleichen Versuchsbedingungen wiederholt werden kann, nach bestimmten Regeln durchgeführt wird und dessen Ergebnis im Vorhinein nicht eindeutig bestimmt werden kann, da es zufällig ist. Ein Zufallsereignis ist ein Ereignis, das bei einem unter bestimmten Bedingungen durchgeführten Versuch eintreten kann, aber nicht notwendig auch eintreten muss. Es lassen sich jedoch Erwartungen für das Eintreten bestimmen und quantifizieren. Diese Erwartungen heißen Wahrscheinlichkeiten. Wahrscheinlichkeit ist somit die Anzahl günstiger Fälle in Relation zur Anzahl möglicher Fälle für ein Ereignis. Der axiomatische Wahrscheinlichkeitsbegriff ist durch ein System von Grundsätzen, die keines Beweises bedürfen, gekennzeichnet. Danach ist jedem Zufallsereignis durch eine Funktion eine eindeutig bestimmte, reelle Zahl zugeordnet, die zwischen 0 und 1 liegt. Die Wahrscheinlichkeit eines sicheren Ereignisses ist = 1, die eines unmöglichen Ereignisses = 0, alle Wahrscheinlichkeiten liegen dazwischen. Schließen sich zwei Zufallsereignisse gegenseitig aus, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass entweder das eine oder das andere Ereignis eintritt, gleich der Summe der ihnen zugeordneten Einzelwahrscheinlichkeiten (= Additionssatz). Das heißt, die Wahrscheinlichkeit für ein vereinigtes Ereignis, das im Eintreffen des einen oder des anderen einer Reihe sich gegenseitig ausschließender Ereignisse besteht, ist gleich der Summe der Wahrscheinlichkeiten dieser Einzelereignisse (Oder-Satz). Schließen sich zwei Zufallsereignisse nicht gegenseitig aus, so ist von dieser Summe noch die Schnittmenge überlappender Wahrscheinlichkeiten abzuziehen. Stehen zwei Zufallsereignisse in einem komplementären Verhältnis zueinander und schließen einander aus, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie unabhängig voneinander zugleich eintreten, gleich dem Produkt ihrer Einzelwahrscheinlichkeiten (= Multiplikationssatz). Das heißt, die Wahrscheinlichkeit für ein zusammengesetztes Ereignis, das im Eintreffen zweier oder mehrerer voneinander unabhängiger Ereignisse besteht, ist gleich dem Produkt der Wahrscheinlichkeiten für die einzelnen Ereignisse (Und-Satz). Schließen die Zufallsereignisse einander nicht aus, so besteht das Produkt aus der Einzelwahrscheinlichkeit für das Ereignis A und der bedingten Wahrscheinlichkeit für das Ereignis B unter der Bedingung, dass A bereits eingetreten ist. Der statistische Wahrscheinlichkeitsbegriff geht von einem Zufallsexperiment aus, das aus einer Vielzahl voneinander unabhängiger Versuche besteht und einem Grenzwert (= relative Häufigkeit) zustrebt. Die Wahrscheinlichkeit ist somit nichts anderes als die relative Häufigkeit der Elemente mit bestimmten Eigenschaften innerhalb der Grundgesamtheit. Die Summe der relativen Häufigkeiten ist immer = 1, daher ist auch die Summe aller Wahrscheinlichkeiten = 1.

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C. Marketinginformation

Lassen sich keine objektiven Wahrscheinlichkeiten bestimmen, besteht immer noch die Möglichkeit zu subjektiven Wahrscheinlichkeiten. Sie beziehen sich auf personenbezogene Glaubwürdigkeitsschätzungen für das Eintreten bestimmter Ereignisse. Dabei kann eine Wahrscheinlichkeitsverteilung unterstellt oder ohne diese Vorgabe ermittelt werden. Ist keine Verteilung vorgegeben, erfolgt die Messung durch direkte oder indirekte Methoden. Bei der direkten Messung werden Personen unmittelbar nach Eintrittswahrscheinlichkeiten möglicher, sich gegenseitig ausschließender Ereignisse gefragt. Dabei können Antworthilfsmittel beigegeben werden (z. B. Skalen). Ähnlich können auch Wahrscheinlichkeitsrelationen von Ereignispaaren erfragt werden. Bei der indirekten Messung wird der Befragte vor eine Entscheidungssituation bei mehrwertigen Erwartungen gestellt, aus seinem Entscheidungsverhalten wird auf die zugrunde liegenden Wahrscheinlichkeitsurteile über das Eintreten relevanter Umweltzustände geschlossen. Bei der objektiven Wahrscheinlichkeit unterscheidet man die logische Wahrscheinlichkeit und Grenzwerte der relativen Häufigkeit. Die logische Wahrscheinlichkeit ist mathematisch begründet und beruht auf Elementarereignissen. Dies sind nicht weiter zerlegbare, sich gegenseitig ausschließende Ergebnisse. Entsprechend lässt sich die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses als Verhältnis der Anzahl der darin enthaltenen möglichen zur Gesamtzahl aller möglichen Elementarereignisse ausweisen. Vorausgesetzt ist dabei das gleich mögliche Auf­ treten jedes Elementarereignisses. Dies ist dann nicht mehr gegeben, wenn eine Risikosituation, wie sie für das Marketing typisch ist, vorliegt. Ausgangspunkt für Grenzwerte relativer Häufigkeiten ist ein Zufallsexperiment, das unter identischen Bedingungen häufig wiederholt wird. Dabei werden die relativen Häufigkeiten ermittelt, mit denen einzelne Ereignisse auftreten. Diese konvergieren jeweils auf einen Grenzwert zu. Das heißt, bei genügend großer Fallzahl verteilen sich die Mittelwerte gezogener Stichproben normal. Sind identische Bedingungen nicht gegeben, wie das im Marketing häufig vorkommt, oder sind Situationen sogar einmalig, ist dieser Ansatz jedoch nicht anwendbar. Ist eine Verteilung vorgegeben, wird die Gesamtheit der Wahrscheinlichkeiten für die einzelnen Werte einer Zufallsvariablen auf Basis von Zufallsexperimenten angegeben. Die Menge der Werte, die eine Zufallsvariable annehmen kann, wird als Wertebereich bezeichnet. Man unterscheidet diskrete und stetige Zufallsvariable. Diskret bedeutet, dass der Wertebereich nur endlich viele oder abzählbar unendlich viele Zahlenwerte, nicht aber Zwischenwerte annehmen kann. Stetig bedeutet, dass der Wertebereich jeden beliebigen Zahlenwert eines bestimmten Intervalls annehmen kann. Diskrete Variable lassen sich grafisch durch Linien (Stäbe) darstellen, die einzelnen Werten zugeordnet sind. Bei stetigen Variablen liegen diese Stäbe so dicht beieinander, dass ihr Abstand = 0 ist. Verbindet man ihre oberen Endpunkte durch eine Linie (Kurve), so entsteht eine Wahrscheinlichkeitsverteilung (= Dichtefunktion). Wahrscheinlichkeiten sind dann als Flächen unter der Dichtefunktion interpretierbar. Für die Darstellung einer stetigen Ver-

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I. Erhebungsmethoden

teilung (Gleichverteilung) gilt die Verteilungsfunktion als Summenkurve bzw. die Dichtefunktion als deren erste Ableitung. Den Wert, den die Zufallsvariable durchschnittlich annimmt, nennt man Erwartungswert. Damit ist aber nur eine Dimension, die Lokalisierung, definiert. Die notwendige andere Dimension, die Dispersion, ist die Streuung der Werte einer Zufallsvariablen um diesen Erwartungswert. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung für diskrete Zufallsvariable repräsentiert die Binomialverteilung/Hypergeometrische Verteilung, die für stetige Zufallsvariable die Normalverteilung. 5.3 Zufallsauswahl Der Zufallsauswahl liegt das Prinzip zugrunde, dass jedes Element der Grundgesamtheit eine berechenbare und von Null verschiedene Chance haben soll, in eine Stichprobe einbezogen zu werden. Die Exaktheit der Aussage nimmt zwar mit

Systematische Zufallsauswahl Schlussziffern

Zufallszahlen

Anfangsbuchstaben

Zufallsstart

Geburtsdatum

Sonderformen

mehrphasig mehrstufig

Reine Zufallsauswahl Geschichtete Zufallswahl

proportional dysproportional optimal

Klumpenauswahl

Flächenstichprobe

ungleiche Wahrscheinlichkeiten mit Anordnung

Schneeballeffekt

Abbildung 74: Verfahren der Zufallsauswahl

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C. Marketinginformation

zunehmender Varianz des interessierenden Merkmals in der Grundgesamtheit ab, jedoch mit zunehmender Stichprobengröße wieder zu. Fehler sind bei der strukturgleichen Abbildung der Grundgesamtheit dann berechenbar. Es gibt verschiedene Ausprägungen der Zufallsauswahl (siehe Abbildung 74).

5.3.1

Reine Zufallsauswahl

Die Reine (uneingeschränkte) Zufallsauswahl wird durch das Urnenmodell versinnbildlicht. Die Elemente der Stichprobe werden unmittelbar aus der Grundgesamtheit gezogen. Voraussetzung dafür ist, dass diese Grundgesamtheit zumindest symbolisch, z. B. in Form von Karteikarten, vollständig beim Auswahlprozess vorliegt, d. h. auf jedes Element beliebig zugegriffen werden kann, und dass diese so gut durchmischt ist, dass jedes Element wirklich die gleiche Chance hat, gezogen zu werden. Möglich ist das Auslosen/Auswürfeln nur bei vollständig vorliegender, durchnummerierter Grundgesamtheit (z. B. durch 10-seitigen AWF-Würfel). Dabei kann es sich um verbundene Stichprobenelemente handeln, die ohne Zurücklegen sukzessiv aus der Grundgesamtheit gezogen werden oder um unabhängige Stichprobenelemente, die mit Zurücklegen simultan aus der Grundgesamtheit gezogen werden. In der Praxis scheitert die Durchführbarkeit der Reinen Zufallsauswahl zumeist am hohen Aufwand. Zu denken ist an unzureichendes statistisches Grundlagenmaterial, an die Größe der zu untersuchenden Grundgesamtheit und die Streuung ihrer Merkmale. Auch dürfen ausgewählte, aber nicht erreichte Erhebungseinheiten nicht mehr nachträglich ausgetauscht werden. Darunter leidet die Ausschöpfungsquote. Daher wird auf Verfahren der Systematischen Zufalls­auswahl zurückgegriffen. Das bedeutet, dass die Auswahlchancen jedes Elements der Grundgesamtheit zwar nicht mehr gleich sind, wohl aber berechenbar, d. h. man kann den Grad der Repräsentanz messen.

5.3.2

Systematische Zufallsauswahl

Bei der Systematischen Zufallsauswahl gibt es mehrere Verfahren, denen gemein ist, dass ihnen ein Auswahlsystem zugrunde liegt, das sich nach der Anzahl für erforderlich gehaltener Fälle richtet. Dieses ersetzt das in der Praxis nicht realisierbare Urnenmodell. Vorauszusetzen ist jeweils, dass alle Elemente, die zur Grundgesamtheit gehören, anwählbar sind und alle anwählbaren Elemente zur Grundgesamtheit gehören. Dabei handelt es sich dann um folgende: • Beim Schlussziffern-Verfahren werden alle Elemente der Grundgesamtheit durchnummeriert und jene Elemente als Stichprobe entnommen, die eine bestimmte, ausgewählte Endziffer aufweisen. Dies ist recht effizient.

I. Erhebungsmethoden

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• Beim Zufallszahlen-Verfahren wird die vorliegende Grundgesamtheit ebenfalls durchnummeriert. Die auszuwählenden Nummern werden jedoch durch einen Zufallszahlen-Algorithmus (Zufallszahlentabelle/Zufallszahlengenerator) bestimmt. • Beim Anfangsbuchstaben-Verfahren wird die Stichprobe aus allen Elementen gebildet, deren (Nach-)Namen mit einem bestimmten Anfangsbuchstaben/einer Anfangsbuchstabenkombination beginnen. • Beim Zufallsstart-Verfahren wird innerhalb der katalogisierten Grundgesamtheit zunächst per Zufallsauswahl ein Startpunkt bestimmt und davon ausgehend durch Abzählen jedes x-te Element gezogen. • Beim Geburtsdatum-Verfahren werden aus der Grundgesamtheit all jene Elemente entnommen, die an einem bestimmten Datum (Tag oder Monat, nicht Jahr) geboren wurden oder z. B. im Haushalt als erste im Jahr, am Tag mit der niedrigsten Zahl, als letzte vor bzw. als nächste nach der Erhebung Geburtstag feiern. • Beim Schweden-Schlüssel-Verfahren wird für jedes Interview durch Abzählen vorgegeben, die wie vielte Person zu befragen ist. Dies erfolgt z. B. durch Permutation der Ziffern 1 bis 3. Zur Beurteilung ist folgendes zu sagen. Die Vorteile der Systematischen Zufallsauswahl liegen darin, dass keine Kenntnis der Merkmalsstruktur in der Grundgesamtheit erforderlich ist. Verzerrungen durch unzureichende Auswahl treten daher nicht auf. Vor allem ist eine Fehlerwahrscheinlichkeit berechenbar. Nachteile liegen darin, dass die Grundgesamtheit vollständig vorliegen muss. Diese Voraussetzung lässt sich in der Praxis oft nicht erfüllen. Auch können Stichprobenelemente ohne Auskunft (Verweigerung, Nichterreichbarkeit etc.) nicht durch andere, gleichartige Elemente ersetzt werden, da dann die Berechnung des Zufallsfehlers nicht mehr möglich ist. Daher kommen andere Verfahren zum Einsatz.

5.3.3

Geschichtete Zufallsauswahl

Bei der Geschichteten Zufallsauswahl (Stratified Sampling) wird die Grundgesamtheit in mehrere Teilmassen zerlegt, aus denen jeweils die dann in die Stichprobe eingehenden Elemente unabhängig nach dem Prinzip der Reinen Zufallsauswahl gezogen werden. Es handelt sich also um ein geschichtetes Vorgehen. Dies ist vor allem dann hilfreich, wenn die Grundgesamtheit zwar verschiedenartig (heterogen) ist, sich aber anhand von Untersuchungsmerkmalen aus relativ gleichartigen (homogenen) Teilmassen zusammensetzen lässt. Die Schichtung bewirkt dann eine Reduzierung des Stichprobenfehlers und des Stichprobenumfangs, weil die Streuung (Varianz) zwischen den Schichten entfällt und innerhalb jeder Schicht sinkt. Voraussetzung ist dabei allerdings wiederum, dass die Verteilung der interessierenden Merkmale bekannt ist. Allerdings kommt es umso eher zu einem Schich-

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C. Marketinginformation

tungseffekt, je gleichartiger jede Schicht in sich und je verschiedenartiger sie zugleich zu allen anderen Schichten ist. Mögliche Schichtungskriterien sind etwa Beruf, Einkommen, Ausbildung, Vermögen, Abstammung, Macht, Interaktion etc. Die Schichtenbildung kann unterschiedlich vorgenommen werden: • Proportionale Schichtung bedeutet, dass jede Schicht in der Stichprobe in ihrem Anteil an der Grundgesamtheit vertreten ist. Die jeweiligen Stichprobenwerte können damit linear aufaddiert werden. Dies ist die einfachste Vor­gehensweise, leidet jedoch unter den Problemen der Merkmalsstreuung und der Stichprobengröße. • Dysproportionale Schichtung bedeutet, dass die einzelnen Schichten stärker oder schwächer als es ihrem Anteil an der Grundgesamtheit entspricht, vertreten sind. Dies bietet sich an, wenn kleinen Schichten (z. B. Großbetriebsformen des Handels) eine hohe Bedeutung zukommt. Die Stichprobenwerte müssen dann mit dem umgekehrten Anteil ihrer Schicht gewichtet aufaddiert werden, damit es nachher zu keinen Auswertungsverzerrungen kommt. • Optimale Schichtung bedeutet, dass versucht wird, durch die Schichtung den Zufallsfehler für eine gegebene Stichprobengröße bzw. bei gegebenem Zufallsfehler die Stichprobengröße zu minimieren. Aus homogenen Teilmassen werden dabei kleinere, aus heterogenen größere Stichproben gezogen. Dies setzt jedoch die Kenntnis der Merkmalsverteilung in den Schichten voraus, die aber oft erst erhoben werden soll. Es sei denn, es wird ein anderes als das der Auswahl zugrunde liegende Merkmale erhoben, zu dem eine enge Korrelation zu vermuten ist.

5.3.4 Klumpenauswahl/Flächenauswahl Die Klumpenauswahl (Cluster Sampling) ist ein hybrides Auswahlverfahren, d. h. eine Kombination aus Auswahl und Vollerfassung. Dabei wird die Grundgesamtheit in Teilmassen zerlegt, z. B. Betriebe, Haushalte, Vereine. Von diesen wird dann nach dem Zufallsprinzip eine bestimmte Anzahl zur Auswahl gezogen. Diese Klumpen werden einer Vollerhebung unterzogen, d. h. alle Elemente werden erhoben. Der Vorteil ist dabei, dass weder die Grundgesamtheit vollständig vorliegen, noch deren Struktur im Einzelnen bekannt sein muss. Die Auswahl­ basis ist vergleichsweise einfach zu beschaffen und die klumpenweise Erfassung wenig aufwändig. Ein großer Nachteil liegt allerdings in der Gefahr von Klumpeneffekten. Diese treten immer dann auf, wenn ausgewählte Klumpen in sich zwar gleichartig, gleichzeitig aber verschiedenartig von der Struktur der Grundgesamtheit sind. Außerdem ergeben sich Probleme, wenn ein Element mehreren Klumpen angehört oder Klumpen in sich inhomogen sind. Bei der Flächenstichprobe (Area Sampling), die eigentlich eine Unterform der Klumpenauswahl darstellt, werden die Klumpen geografisch definiert, z. B. als

I. Erhebungsmethoden

371

Nielsengebiete, Bezirke, Kreise, Gemeinden. Aus diesen Teilflächen werden dann die Stichprobenelemente bestimmt, die ihrerseits vollständig erhoben werden. Die relative räumliche Konzentration der Erhebungseinheiten senkt dabei die Kosten erheblich. Selbst wenn nur eine Landkarte oder ein Stadtplan vorhanden sind, kann damit noch eine Stichprobe bestimmt werden. Die Grundgesamtheit wird dabei in Teilflächen (Planquadrate, Häuserblocks etc.) aufgeteilt. Allerdings gelten weiterhin die bei der Klumpenauswahl erwähnten Nachteile (z. B. Auswahl eines Villenviertels als Erhebungscluster). 5.3.5

Sonderformen der Zufallsauswahl

Aufgrund unzureichenden statistischen Materials oder wegen der Größe und Streuung der zu untersuchenden Grundgesamtheit ist es häufig nicht möglich, die Stichprobenelemente unmittelbar mittels Zufallsauswahl zu bestimmen. Dann sind Sonderformen der Zufallsauswahl einzusetzen. Bei der mehrphasigen (sequenziellen) Auswahl werden mehrere Zufallsauswahlverfahren hintereinander geschaltet, die dem gleichen Auswahlprinzip folgen. Damit handelt es sich in der folgenden Phase jeweils um eine Unterstichprobe der vorhergehenden Phase. Entsprechend kann der Erhebungsaufwand in jeder Phase gestaffelt werden. Es muss nicht die Grundgesamtheit im Detail komplett vorliegen, sondern jeweils nur die Unterstichprobe, die zur weiteren Auswahl verwendet wird. Die Stichprobe wird vorher in ihrer Größe nicht definiert, sondern ergibt sich durch parallel anzusetzende Gütekriterien. Bei der mehrstufigen Auswahl (Multistage Sampling) werden mehrere zufällige und bewusste Auswahlverfahren kombiniert eingesetzt. Jeweils wird aus der Grundgesamtheit eine systematisch ausgewählte Primärstichprobe gezogen, aus der dann wiederum Sekundäreinheiten systematisch (rein mehrstufig) oder zufällig (kombiniert mehrstufig) gezogen werden. Die Vorgehensweise ist also vertikal (im Unterschied zur geschichteten Auswahl). Dazu zwei Beispiele: • Beim Random Route-Verfahren sind die Flächenstichprobe zur Bestimmung der Sampling Points, die Systematische Zufallsauswahl zur Bestimmung der Haushalte und darauf folgend der Zielpersonen nacheinander geschaltet. Ausgangspunkt ist eine streng nach Zufall ausgewählte Startadresse, von wo aus Interviewer nach strikt vorgegebenen Regeln bezüglich Gehrichtung, Abständen, Stockwerken, Straßenseiten etc. einen stochastischen Auswahlprozess von Stichprobenelementen simulieren. Vorteile liegen in räumlicher Konzentration der Erhebungsarbeit, guten Kontrollmöglichkeiten und geringen Kosten. Nachteilig ist jedoch, dass kein Stichprobenfehler berechenbar ist und größere Stichprobenumfänge für eine gegebene Validität und Reliabilität erforderlich sind. • Beim ADM-Master Sample (Arbeitsgemeinschaft deutscher Marktforscher) erfolgt in der ersten Stufe die Auswahl von amtlichen Stimmbezirken (Area Sam-

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C. Marketinginformation

pling). Daraus wird eine Stichprobe von 210 solcher „Sampling Points“ gezogen und angeordnet. Die Auswahlchance ist proportional zur Haushaltszahl dort. In der zweiten Stufe erfolgt eine uneingeschränkte Zufallsauswahl der zu erhebenden Haushalte in den gezogenen Sampling Points. In der dritten Stufe schließlich werden die zu befragenden Personen in den gezogenen Haushalten systematisch zufallsausgewählt (etwa alle Haushaltsmitglieder, jede n-te Person im Haushalt, ein Mitglied je Haushalt etc.). Die Musterstichprobe kann dabei im Baukastensystem verschiedenen Forschungsdesigns angepasst werden. Bei der Auswahl nach dem Schneeballverfahren wird von einer Startadresse ausgehend jeweils die nächste Zieladresse nach einem Zufallsmechanismus bestimmt undsofort. Dadurch sollen Leerinterviews vermieden werden, z. B. bei Produkten mit niedrigem Marktanteil oder Erhebung von Bevölkerungsminderheiten, so dass Kostenvorteile entstehen. Es besteht jedoch die große Gefahr, dass der Stichprobenfehler ansteigt, weil Verzerrungen kumulieren. Bei der Auswahl mit ungleichen Wahrscheinlichkeiten haben größere Erhebungseinheiten eine höhere Chance, in die Stichprobe einzugehen als kleinere, z. B. erfolgt die Auswahl nach der Anzahl der im Haushalt lebenden Personen und nicht nach der Anzahl der Haushalte selbst. Bei der Hochrechnung wird diese Verzerrung dann wieder durch reziproke Gewichtung gegengerechnet. Bei der Auswahl mit Anordnung werden die Elemente zunächst in Bezug auf bestimmte Merkmale sortiert und dann systematisch ausgewählt. Die Wirkung ist damit ähnlich einer Schichtung, jedoch ist vorher keine getrennte Gruppenbildung notwendig, wodurch Klumpungseffekte entfallen. Allerdings können auch keine unterschiedlichen Auswahlsätze realisiert werden. 5.4 Bewusstauswahl Bei der bewussten Auswahl handelt es sich um ein bei Teilerhebungen häufig angewendetes Auswahlverfahren, bei dem das Forschungsdesign darüber ent-

Quota-Auswahl Konzentrations-Auswahl Auswahl typischer Fälle Auswahl aufs Geratewohl

Abbildung 75: Verfahren der Bewusstauswahl

I. Erhebungsmethoden

373

scheidet, welche Einheiten der Grundgesamtheit in die Stichprobe gelangen und welche nicht, im Unterschied zur Zufallsauswahl, bei der die Wahrscheinlichkeit zählt. Abzugrenzen ist dabei besonders von der willkürlichen Auswahl (siehe Abbildung 75).

5.4.1 Quota-Verfahren Dem Quota-Verfahren liegt der Gedanke zugrunde, dass, wenn die Verteilung aller Merkmalsausprägungen auf allen Merkmalsdimensionen einer Grund­ gesamtheit bekannt ist, es möglich wird, ein bewusstes, verkleinertes Modell dieser Grundgesamtheit zu erstellen. Das heißt, es kann eine Stichprobe entwickelt werden, die in allen untersuchungsrelevanten Merkmalen für die Grundgesamtheit repräsentativ ist. Die Verteilung dieser Merkmale nennt man Quoten. Diese Quoten können dann exakt auf die Stichprobe übertragen. Dazu ist nicht die Kenntnis aller Merkmale erforderlich, sondern nur der für die Untersuchung sachrelevanten. Beim Quota-Verfahren werden also einige offensichtliche Merkmale, deren Verteilung in der Grundgesamtheit bekannt ist und von denen man weiß oder annehmen kann, dass sie für das Untersuchungsziel relevant sind, als Auswahlkriterien für die Stichprobenbestimmung ausgewählt. Mit diesen Merkmalen wird ein Quotenplan erstellt, der die Quotenanweisung enthält. Innerhalb der vorgegebenen Quotierung ist es unerheblich, welches Element der Grundgesamtheit in die Stichprobe aufgenommen wird, solange es nur in seinen Merkmalen der Quotenanweisung entspricht, und in der Kumulation aller Erhebungseinheiten der vorgegebene Quotenplan eingehalten wird. Das bedeutet aber, Interviewer wählen ihre Auskunftspersonen nach Vorgabe selbst (bewusst) aus. In der Summe entsteht so eine Stichprobe, die zumindest, was die quotierten Merkmale anbelangt, exakt der Grundgesamtheit entspricht. Der Ablauf dieses, in der Praxis am häufigsten eingesetzten Auswahlverfahrens bei der mündlichen Befragung ist folgender: • Festlegung der jeweils erhebungsrelevanten Merkmale wie Alter, Geschlecht, Wohngebiet, Beruf, dabei sind als realistische Begrenzung selten mehr als drei Merkmale zugleich kombinierbar, • Festlegung der möglichen Ausprägungen der einzelnen Merkmale, z. B. beim Alter nach den Altersklassen, also z. B. 16–25 J., 26–35 J., 36–45 J., 46–55 J., 56–65 J., über 65 J, • Ermittlung der relativen Häufigkeiten der verschiedenen Merkmalsausprägungen eines jeden relevanten Merkmals in der Grundgesamtheit, die dazu aus zuverlässigen Unterlagen heraus bekannt sein muss, • Vorgabe dieser objektiven und zugleich spezifischen Quoten für die Stichprobe als exaktes Abbild der Grundgesamtheit,

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C. Marketinginformation

• Auswahl der einzelnen Auskunftspersonen durch jeden einzelnen Interviewer, dem wiederum derart Quoten vorgegeben werden, dass in der Addition aller Interviews die Quotierung repräsentativ ist. Es sind zwei Formen der Quotierung zu unterscheiden: • Bei unkorrelierten Quoten werden Merkmale vorgegeben, bei denen die Relationen einzeln erfüllt werden müssen. Dadurch bleiben dem Interviewer gegen Ende immer geringere Freiheitsgrade bei der Auswahl, weil erfahrungsgemäß zunächst die leicht zu kombinierenden Quotenmerkmale abgearbeitet werden. Darunter leidet die Stichprobenausschöpfung. • Bei korrelierten Quoten werden bestimmte Merkmalskombinationen als fest kombiniert vorgegeben, zu denen Personen in entsprechender Anzahl interviewt werden sollen. Dies erschwert das Auffinden entsprechender Personen für die gesamte Erhebung, macht jedoch, zumindest theoretisch, eine vollständige Stichprobenausschöpfung möglich. Als Vorteile sind vor allem folgende zu nennen. Die Durchführung ist vergleichsweise kostengünstig. Dies ist Resultat der Wegerationalisierung bei der Auswahl. Denn Interviewer wählen ihre Auskunftspersonen im Rahmen der Quoten selbst aus. Der Zeitaufwand zur Durchführung ist vergleichsweise gering, so dass eine schnelle Realisation möglich wird. Dies ist unmittelbare Konsequenz der Wegerationalisierung. Die Übereinstimmung zwischen Stichprobenmerkmalen und Grundgesamtheitsmerkmalen ist vollständig gegeben. Denn die Stichprobe ist als exaktes Abbild aus der Grundgesamtheit entwickelt worden. Das Verfahren ist flexibel zu handhaben. So kann eine nachträgliche Anpassung der Stichprobe an die Grundgesamtheit durch Redressement erfolgen, d. h. die unterschiedliche Gewichtung einzelner Quotenmerkmale. Es kommt zu einer vollständigen Stichprobenausschöpfung, da die Auswahl solange fortgesetzt wird, bis die Stichprobengröße erreicht ist. Die Übereinstimmung zwischen Stichproben- und Grundgesamtheitsmerkmalen ist vollständig gegeben. Der Auswahlmechanismus ist unkompliziert. Insofern sind keine spezialisierten Interviewer erforderlich. Dies erhöht die Effektivität. Den Quoten liegen offensichtliche Merkmale zugrunde. Es sind keine Wiederholungsbesuche von Stichprobenteilnehmern bei Nichtantreffen erforderlich. Vielmehr können andere, quotenkonforme Einheiten erhoben werden. Dadurch wird eine höhere Effektivität erreicht. Die Anonymität der Auskunftsperson kann gewährleistet werden, falls dies gewünscht oder erforderlich ist. Denn sie muss nur hinsichtlich ihrer Quotenmerkmale identifizierbar sein. Als Nachteile haben vor allem folgende zu gelten. Es ist keine mathematisch fundierte Fehlerberechnung möglich, da keine Zufallsauswahl vorliegt. Auch die meisten statistischen Testverfahren sind demnach nicht anwendbar. Dies wird nur zu gern beim Einsatz elaborierter Analyseverfahren übersehen. Viele relevante Merkmale entziehen sich einer Quotierung, vor allem solche qualitativer Natur.

I. Erhebungsmethoden

375

So sind nur offensichtliche Merkmale zur Quotierung geeignet, nicht jedoch Einstellungen, Meinungen, Motive etc. Der zugrunde gelegte Zusammenhang zwischen Untersuchungs- und Quotierungsmerkmalen kann täuschen. Damit ist bereits zu Beginn der Arbeit ein Wissensstand erforderlich, wie er eigentlich erst an dessen Ende bereitstehen kann. Das der Quotenbildung zugrunde liegende Basismaterial kann fehlerhaft, vor allem veraltet, sein. Unzuverlässige Unterlagen führen aber zu unspezifischen Quoten und damit zu weitgehend wertlosen Ergebnissen. Die Kombination quotierbarer Merkmale ist aus Praktikabilitätsgründen begrenzt. Die Grenze wird hier bei max. fünf Merkmalsgruppen gesehen. Allerdings können sich auch ohne Quotierung annähernd repräsentative Verhältnisse einstellen. Das Auffinden von zutreffenden Probanden bei Restquoten wird immer schwieriger, da zuerst leichte Merkmalskombinationen bevorzugt werden. So können gegen Ende Quotierungen „großzügig“ ausgelegt werden. Verzerrungen durch Ausfälle, Verweigerungen etc. bleiben unerkannt, da für diesen Fall quotenkonforme Ersatzelemente einspringen. Dies verursacht systematische Fehler, wenn Stichprobenausfälle nicht nur zufällig von den erhobenen Einheiten abweichen, was hochwahrscheinlich ist. Die willkürliche Bevorzugung bestimmter Auswahlelemente der Quotierung ist nicht ausgeschlossen, z. B. Freundeskreis, Parterrewohnungen, Heimatbezirk. Dies liegt gerade bei Zeit- und Wegeeinsparung nahe. Gleiches gilt für die Mehrfachbefragung gleicher Personen, obgleich dies in den Anweisungen üblicherweise ausgeschlossen wird. Es wird deshalb in der Praxis je Interviewer nur eine beschränkte Anzahl von Interviewaufträgen vergeben. Es können keine hoch spezialisierten Themen erhoben werden, deren zugehörige Quotenmerkmale nicht offensichtlich sind. Damit werden aber wichtige Erkenntnisse des Käuferverhaltens vernachlässigt. Das Interview leicht erreichbarer Personen benachteiligt mobile Bevölkerungsschichten. Umgekehrt werden gut erreichbare Personenkreise überrepräsentiert. Dadurch kommt es zu systematischen Verzerrungen. Es kommt zu einer subjektiven Vorauswahl von Auskunftspersonen, etwa infolge unbewusster Sympathien oder Antipathien auf Interviewerseite. Eine solche Filterung ist nicht erfassbar, nicht kontrollierbar und nicht vermeidbar. Abhilfe der genannten Nachteile wird durch mehrere Maßnahmen geschaffen: • Die Quotenmerkmale werden eng mit dem Untersuchungsgegenstand korreliert und zwingen den Interviewer aus seinem gewohnten Umfeld (Vermeidung von Klumpungseffekten und von Mehrfachinterviews). • Es sollten keine speziellen Themen gegeben sein, die Interviewer dazu verleiten, sich an vermeintliche Experten zu wenden, oder sich selbst zu spezialisieren. Dies erfolgt meist in gutem Glauben an die werthaltigere Information dieser Personen. • Die Anzahl der Erhebungsaufträge je Interviewer wird eng begrenzt (max. zehn). Insofern gleichen sich Verzerrungen und Fälschungen, von denen man getrost ausgehen kann, im Rahmen einer repräsentativen Erhebung gegenseitig aus.

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C. Marketinginformation

In der Praxis haben sich Zufalls- und Quota-Auswahl als gleichwertig hinsichtlich der Qualität ihrer Ergebnisse erwiesen. Diese schwanken eher mit der Professionalität der Untersuchungsanlage, -durchführung und -auswertung als mit dem zugrunde gelegten Auswahlverfahren. Dies wird auch sofort einsichtig, wenn man bedenkt, welche vielfältigen Fehlermöglichkeiten bei einer Erhebung insgesamt gegeben sind, so dass die Fehler, die aus dem Auswahlverfahren resultieren, anteilig im Verhältnis zu anderen eher gering sind. 5.4.2

Sonstige Verfahren der Bewusstauswahl

Beim Konzentrationsverfahren (Cut off) wird eine Vollerhebung für solche Elemente der Grundgesamtheit vorgenommen, denen für den Untersuchungszweck besondere Bedeutung zugemessen wird. Alle anderen werden vernachlässigt. Dies ist nur dann sinnvoll, wenn diese Elemente einen extrem hohen Erklärungsbeitrag für die zu untersuchenden Sachverhalte leisten, also ein starkes Ungleichgewicht der Elemente in der Grundgesamtheit gegeben ist. So kann man sich in der Handelsforschung beim hohen Konzentrationsgrad sowohl auf der Lieferantenstufe als auch auf der Absatzmittlerstufe auf eine Erhebung der großen Markenartikler in der Industrie und der Großbetriebsformen des Handels beschränken und erhält dennoch alle relevanten Informationen, die zur Beurteilung der Situation im Absatzkanal erforderlich sind. Ähnlich werden oft nur Fokusgruppen erhoben. Bei den Typischen Fällen werden nach Ermessen des Interviewers solche Elemente aus der Grundgesamtheit ausgewählt, die als charakteristisch erachtet werden. Es ist jedoch höchst gefährlich, von den derart erzielten Ergebnissen hochzurechnen, denn Fehlerquellen liegen nicht nur in der deutlichen, interindividuellen Abweichung darüber, was subjektiv als typisch anzusehen ist und was nicht, sondern auch in der unzulässigen Verallgemeinerung der Aussagen von diesen auf alle Fälle. In der Marketingpraxis liegt etwa dem Pufra-Test eine solche typische Auswahl zugrunde. Dabei werden im Rahmen von Meetings spontan unbeteiligte Mitarbeiter, meist Sekretärinnen, Assistenten oder Putzfrauen, daher die Abkürzung, zu Entscheidungsobjekten befragt und von deren Aussagen unzulässige Verallgemeinerungen hinsichtlich der Zielgruppe gezogen. Ein völlig unsinniges Procedere, das dennoch immer wieder gerne angewandt wird. Die Auswahl aufs Geratewohl, auch Willkürprinzip genannt, wird unter Laien oft als Verfahren der Zufallsauswahl betrachtet. Dazu werden zu gegebener Zeit in gegebenem Raum aufs Geratewohl, also nach freiem Ermessen, Auskunftseinheiten ausgewählt. Da jedoch dabei nicht sichergestellt ist, dass alle Elemente der Grundgesamtheit eine von Null verschiedene Chance haben, in die Stichprobe einzugehen, handelt es sich gerade nicht um eine zufällige, sondern vielmehr um eine willkürliche Auswahl. Diese lässt allen Freiraum für Verzerrungen. Eine Stichprobenauswahl aufs Geratewohl bürgt somit geradezu für unbrauchbare Ergebnisse. Diese sind aber beim Baggern von Probanden in der Fußgängerzone

377

I. Erhebungsmethoden

vor dem Teststudio gegeben, so dass bereits daran die Aussagefähigkeit der Ergebnisse scheitert. 5.5

Verzerrungen bei der Auswahl

Hinsichtlich der Fehlermöglichkeiten gibt es Stichprobenausfälle und Stichprobenfehler. Bei Stichprobenausfällen sind unechte Ausfälle, die stichprobenneutral sind und daher nicht verzerren, oder echte Ausfälle, die zu Ergebnisverzerrungen führen, zu unterscheiden. Leider ist die Realität durch echte Fehler bei Stichprobenausfällen gekennzeichnet. Bei Stichprobenfehlern sind zufällige und systematische zu unterscheiden, beide ergeben gemeinsam den Gesamtfehler. Zufällige Fehler treten nur bei Teilerhebung mit Zufallsauswahlverfahren auf und haben zumindest den Vorteil, dass Abweichungen der Ergebnisse der Stichprobe gegenüber einer Vollerhebung in der Grundgesamtheit statistisch ausgewiesen werden können. Man unterscheidet dabei genauer in zufallsähnliche Messfehler und Stichprobenfehler i. e. S. Systematische Fehler treten auch bei Vollerhebung und bewusster Auswahl auf und sind nicht wahrscheinlichkeitstheoretisch erfassbar, da sie in Unzulänglichkeiten in der Versuchsanlage begründet sind. Man unterscheidet genauer Auswahlfehler und sonstige, nicht stichprobenbedingte Fehler. Sie haben mehrere Ursachen (siehe Abbildung 76). Systemfehler Untersuchungsträger

Interviewer

Probanden

Planung

Auswahlplan

Non Response

Organisation

Antwort-Bias

Falschbeantwortung

Durchführung

Suggestion

Auswertung

Registrierung Standardabweichung

Zufallsfehler Varianz

Abbildung 76: Quellen für Auswahlfehler

378

C. Marketinginformation

Durch den Träger der Untersuchung hervorgerufene Fehler entstehen im Einzelnen bei der: • Erhebungsplanung, u. a. bei unpräziser Definition des Untersuchungsziels, falscher Formulierung des Untersuchungsgegenstands, unklarer Abgrenzung der Grundgesamtheit, aus der Verwendung unkorrekter, veralteter Unterlagen, aus unzweckmäßiger Auswahl und Kombination der Methodenelemente, mangelhaftem Fragenprogramm, • Erhebungstaktik, u. a. durch falsche Zusammensetzung des Interviewerstabs, unzweckmäßige Fragebogengestaltung, unklare Instruktionen zur Erhebung, unangemessene Operationalisierung der zu erhebenden Sachverhalte, nicht valide und reliable Messinstrumente, • Anwendung ungeeigneter Auswahlverfahren mit Strukturungleichheit von Grundgesamtheit und Auswahlgrundlage, lückenhafte Auswahlbasis, • Verfahrensumsetzung selbst, z. B. durch Rechen- und Rundungsfehler, Auswertungs-, Darstellungs- und Interpretationsfehler, Codierfehler, falsch angewandte Analyseverfahren. Fehler bei der Erhebungsdurchführung entstehen u. a. aus mangelhafter Organisation der Feldarbeit und deren ungenügender Kontrolle, ungünstigen Zeitumständen, verspäteter Ausführung. Durch den Interviewer hervorgerufene Fehler entstehen u. a. infolge Verzerrung des Auswahlplans durch Manipulation und Falschauswahl (Quotenfehler) und Verzerrung der Antworten bei Beeinflussung der Auskunftspersonen durch Erscheinungsbild und soziale Differenz zwischen Befrager und Befragtem (Auftrittsfehler), durch suggestives Vorbringen von Fragen, Betonung, Stimmlage und durch selektive/nachlässige Antwortregistrierung bzw. Falscheintrag (Über­tragungsfehler). Durch Probanden hervorgerufene Fehler entstehen u. a. durch Non ResponseFälle, etwa zu interviewende Person wird nicht angetroffen, Antwort wird verweigert, Person ist antwortunfähig etc., und Falschbeantwortung, z. B. Überforderung, Prestige, Affekt, Erinnerungslücke, Drittbeeinflussung. Hinzu tritt das Problem, dass Teilausfälle infolge nur teilweiser Beantwortung einzelner Fragen gegeben sind (Missing Values). Kommen kumulativ mehrere dieser Fehlerquellen zusammen, also unvollständige Ausgangsdaten oder ungültige Adressen, Verzicht auf Ansprache abwesender Bevölkerung, Verweigerungsquote etc., leidet die Aussagefähigkeit der Forschung extrem. Insofern ist es wichtig zu berücksichtigen, dass Marktforschungsdaten trotz elaborierter Verfahren nur mehr oder minder gute Anhaltspunkte sind, keineswegs jedoch bis auf die Kommastelle genau genommen werden dürfen. Daher ist vor Entscheidungen immer eine Plausibilitätskontrolle wichtig, und wenn „Bauchgefühl“ und Daten einander widersprechen, sollte man dem Bauchgefühl gehorchen oder die Daten noch einmal kritisch hinterfragen.

I. Erhebungsmethoden

6.

379

Primärerhebung durch Befragung

Die Primärerhebung betrifft die Ermittlung originär neuer Daten und kann als Befragung, Beobachtung oder Experiment angelegt sein. Diese Formen sind jeweils wieder in zahlreichen Ausprägungen vertreten. Welches Erhebungsverfahren eingesetzt wird, ist von mehreren Faktoren abhängig, so dem Untersuchungsziel, der Auskunftsquelle, der Häufigkeit etc., die nachfolgend erläutert werden und vom Einzelfall abhängen. Zunächst zur Befragung siehe Abbildung 77).

Erhebung als Befragung Mündliche Befragung Gruppendiskussion Einzelinterview Telefonische Befragung Schriftliche Befragung Computergestützte Befragung Erhebung als Beobachtung Erhebung als Experiment Online-Erhebungen

Abbildung 77: Formen der Primärerhebung

6.1

Mündliche Befragung

Die Befragung ist das am häufigsten angewandte und wichtigste Erhebungsverfahren der Primärforschung. Mehrere Befragungsmethoden lassen sich unterscheiden nach: • dem Standardisierungsgrad in absteigender Abstufung als vollstandardisiert, strukturiert, teilstrukturiert oder frei, • der Kommunikationsform in mündlich, fernmündlich, schriftlich, offline, online, • der Art der Fragestellung in direkt oder indirekt bzw. offen oder geschlossen, • dem Befragungsgegenstand in Einthemen-(Spezial-)befragung und Mehrthemen (Omnibus-)befragung,

380

C. Marketinginformation

• der Befragtenanzahl in Einzelinterview, also nur eine Person gleichzeitig, oder Gruppeninterview, also mehrere Personen zugleich, • dem Befragtenkreis in Verbraucher, Experten, Haushaltsvorstände, Mitarbeiter etc., • der Befragungshäufigkeit in einmalig, wiederholt, regelmäßig. Diese Kriterien lassen sich beinahe beliebig miteinander kombinieren. Demnach gibt es eine nicht zu überblickende Vielzahl von Befragungsformen, von denen nur die wichtigen, für die Praxis relevanten beleuchtet werden. Die im Folgenden dargestellte Gruppendiskussion etwa ist ein strukturiertes, mündliches Gespräch meist zu einem Thema in einer Gruppe unterschiedlicher Zusammensetzung und einmalig angelegt.

6.1.1 Gruppeninterview Ein Gruppeninterview erfolgt als Diskussion oder Exploration. Die Gruppendiskussion ist eine Methode der Befragung und dient oft zu Beginn eines Forschungsprojekts zur Aufklärung. Dazu diskutiert eine Fokusgruppe von meist sechs bis acht Personen der Zielgruppe oder von Experten oder Mitarbeitern unter Führung eines psychologisch geschulten Diskussionsleiters bis zu max. vier Stunden über eine vorgegebene Problemstellung, die einleitend erläutert wird. Die Gruppendiskutanten werden zur Stellungnahme aufgefordert. Dabei ist der Gefahr vorzubeugen, dass einzelne Teilnehmer die gesamte Meinung dominieren oder der Diskussionsleiter die Meinungsbildung beeinflusst. Ersterem kann durch Steuerung der Diskussionsbeiträge entgegengewirkt werden, letzterem durch weitgehende Standardisierung der Moderation anhand eines Diskussionsleitfadens. Die Diskussion soll dabei die Meinungsbildung im alltäglichen, informellen Gespräch verknappt nachempfinden. Eine heterogene Gruppenzusammensetzung hilft, möglichst unterschiedliche Ansichten kennen zu lernen, eine homogene Gruppenzusammensetzung hilft, gegenseitige Beeinflussungen zu erkennen. Durch gruppendynamische Prozesse und mangelnde Repräsentanz der Gruppe können die Gesprächsergebnisse zwar nicht quantifiziert werden. Die Gruppendiskussion liefert jedoch hervorragende Anhaltspunkte für relevante Problemaspekte und brauchbare Hinweise auf marktliche Umsetzungen. Der Diskussionsleiter soll Spontaneität und Aktivität der Gesprächsteilnehmer fördern und erkennbare Verzerrungen ausgleichen. Als Sonderfall kann eine Person in die Gruppe einbezogen werden, welche die übrigen Personen bewusst provoziert, um die Stabilität deren Einstellungen und Meinungen zu testen (= kontradiktorische Gruppendiskussion). Oder eine Person des Auftraggebers, die gezielt auf interessierende Aspekte hinleiten kann. Schließlich sind auch kumulierte Gruppendiskussionen möglich, indem der Erkenntnisstand der vorherigen Gruppe als Vorgabe für die darauf folgende Gruppe gilt.

I. Erhebungsmethoden

381

Je nach der Tiefe der Befragung kann eine Gruppenexploration entstehen, d. h. die gleichzeitige, interaktive Untersuchung von Einstellungen, Wünschen, Motiven etc. bei verschiedenen Personen. Dabei werden tiefere Bewusstseinsebenen und emotionale Zusammenhänge erforscht, die sich ansonsten einer direkten Abfrage entziehen. Angenommen wird, dass Gruppenexplorationen mehr Informationen liefern als Einzelinterviews mit derselben Befragtenzahl, dass sie alltägliche Kommunikationsstrukturen besser nachbilden als Einzelgespräche und dass sie zu tiefer gehenden Erkenntnissen führen als diese. Vorausgesetzt wird allerdings die freie Interaktion der Gruppe ohne soziale Hemmungen und Konformitätsdruck. Dazu ist in jedem Fall ein psychologisch geschulter Moderator erforderlich, ebenso sind adäquate Räumlichkeiten und Atmosphäre zu schaffen. Eine Variante sind Gruppen-Workshops mit stärkerer Interaktion als bei Gruppen­ exploration. Teilweise werden dabei kreative Ideen generiert. Die Gruppe wird vom Forscher zusammengestellt oder besteht bereits als formelle oder informelle Gruppe. Die Aufzeichnung erfolgt durch Video- oder Tonbandmitschnitt, um verbale und non-verbale Äußerungen zu erfassen. So kann sich der Moderator voll auf den Gesprächsverlauf konzentrieren. Die Fragen werden vollständig erfasst, so dass Gedanken- und Assoziationsketten sichtbar werden. Es gehen keine Informationen verloren. Alternativ sind Transcripts denkbar, d. h. vollständige Mitschriften des Gesprächsinhalts durch eine dritte Person. Voraussetzung für den Erfolg sind u. a. eine intensive Auseinandersetzung mit der Aufgabenstellung, Szenarien relevanter Aspekte durch vorherige Hypothesenbildung, aufgabenspezifisch differenzierte Leitfäden, sorgfältige Auswahl der Gesprächsteilnehmer, systematische Auswertung, sorgfältige Interpretation und umfassende Dokumentation. Als Vorteile sind vor allem folgende zu nennen. Die unmittelbare Beobachtbarkeit der spontanen Reaktionen der Beteiligten ist möglich. Diese Reaktionen gehen bei Einzelinterviews meist hohem Standardisierungsgrad für gewöhnlich verloren, sind jedoch unschätzbare Hilfen, um einen Eindruck der Auseinandersetzung von relevanten Gruppen mit dem Meinungsobjekt zu gewinnen. Die entstehende intensive Auseinandersetzung schafft vielfältige Einsichten. Es wird eine weitaus größere Tiefe der Beschäftigung mit dem Meinungsobjekt erreicht, als dies ansonsten bei einer eher passiven Befragung zu erreichen ist. Dadurch wird der Informationstransfer zum Auftraggeber begünstigt. Durch Interaktion in der Gruppe kommt es zu einer großen Vielschichtigkeit der Auseinandersetzung. Durch Rede und Gegenrede, durch gegenseitige Anregung und Präzisierung ist das Ergebnis des Gruppeninterviews zumindest in dieser Hinsicht wertvoller als die Summe einer entsprechenden Zahl von Einzel­ interviews. Die Verfolgung der Adaptation von Argumenten ist möglich. Dadurch wird der andernfalls verborgen bleibende Meinungsbildungsprozess im sozialen Umfeld

382

C. Marketinginformation

nachvollziehbar. Zugleich ergeben sich damit Hinweise auf besonders häufig vorkommende oder wirksame Argumente zur Verunsicherung oder Überzeugung. Ein unmittelbares, ungefiltertes Hören der Zielgruppensprache entsteht geradezu zwangsläufig. Dies ist umso wertvoller, je weiter die betrieblichen Entscheider sich de facto bereits von ihrer Zielgruppe entfernt haben. Authentizität, die später durch Forschersprache verklausuliert verschüttet wird, bleibt auf diese Weise erhalten und sind verwertbar. Hohe Schnelligkeit in der Vorbereitung und Durchführung wirkt begünstigend. Gruppeninterviews brauchen keine langen Vorlaufzeiten. Auch die Organisation ist unkompliziert. Ort und Zeit sind weitgehend flexibel wählbar. Darin liegen allerdings auch Tücken, die zu mangelnder Vorbereitung und nachlässiger Rekrutierung verleiten. Eine beliebige Wiederholbarkeit durch Aufzeichnung ist machbar. Erst im Verlaufe der weiteren Beschäftigung bedeutsam werdende Gesprächspassagen lassen sich in Bild, Ton und/oder Schrift nachvollziehen. Der Informationsverlust durch Übertragung bleibt dadurch gering. Es besteht eine absolute Kostengünstigkeit, denn der finanzielle Aufwand bleibt im 2.000 €-Bereich. Werden allerdings zur besseren Validierung der Ergebnisse mehrere Gesprächsrunden veranstaltet, was in jedem Fall empfehlenswert ist, laufen bald doch hohe Durchführungskosten auf. Das Verfahren schließt die Berücksichtigung gruppendynamischer Aspekte ein. Dadurch können etwa soziale Aspekte des Käuferverhaltens ansatzweise erfasst werden. Die Verzerrung durch Meinungsbildner ist nicht so gravierend wie es scheint, ist doch auch das reale Umfeld durch solche Personen gekennzeichnet. Die Interviewsituation wird in den Hintergrund gedrängt, im Vordergrund steht das gemeinsame Gespräch. Dadurch wird der kognitive Anteil der Meinungsäußerung vermindert, der meist auch in der späteren Marktsituation, selbst im Business-Bereich, nur eine begrenzte Rolle spielt. Das Gespräch kann zu weitergehenden Informationen genutzt werden, z. B. Werbemitteltest. Dies dient einer zusätzlichen Durchführungsrationalisierung. Allerdings darf dabei nicht vergessen werden, dass es zu Ausstrahlungseffekten zwischen den behandelten Themen kommt, von denen ungewiss ist, ob sie real auch so stattfinden. Als Nachteile haben vor allem folgende zu gelten. Die Suggestibilität des Eindrucks kann zu verzerrter Wirklichkeitssicht führen. Das hautnah miterlebte Gespräch hat erfahrungsgemäß eine sehr viel stärkere Beeinflussungswirkung als die eher abstrakte Datenauswertung von nicht präsenten Einzelgesprächen. Doch der prägnante Eindruck des Gruppengesprächs kann gravierend täuschen.

I. Erhebungsmethoden

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Die Ergebnisse sind interpretationsbedürftig. Die Meinungsäußerung unterliegt situationsbedingt sozialer Kontrolle und weist daher immanente Verzerrungen auf. Es bedarf großen Sachverstands, die Gesprächsergebnisse um diese Verzerrungen zu bereinigen und nicht dem spontanen Eindruck zu erliegen. Das Verfahren ist kein Ersatz für eigene Recherche auf breiterer Basis. Denn der Output ist durch den definitionsgemäß limitierten Input eng begrenzt. Gruppeninterviews sind wertvoll als Einstieg in Entscheidungssituationen, sie sind aber keineswegs für diese als Informationsgrundlage ausreichend. Es ergibt sich eine fehlende Repräsentanz und damit Hochrechenbarkeit auf die Zielgruppe. Das Gruppeninterview kann aufgrund seiner Anlage (geringe Fallzahl) keinerlei Anspruch auf Repräsentanz in der Zusammensetzung für eine Grundgesamtheit erheben. Damit ist es auch nicht zulässig, dessen Ergebnisse in irgendeiner Weise hochzurechnen. Die Vergleichbarkeit zwischen mehreren Veranstaltungen ist wegen mangelnder Standardisierung nicht gegeben. Jedes Gruppengespräch hat nur Gültigkeit für sich selbst, weil prinzipbedingt auf die jeweiligen Besonderheiten jeder Gruppe eingegangen wird. Erfahrungswerte sind dabei mit Vorsicht zu behandeln. Die Relevanz von genannten und ungenannten Aspekten ist schwer einschätzbar. Der Gesprächsverlauf ist in gewisser Weise willkürlich, so dass es vorkommen kann, dass wichtige Argumente nicht genannt und unwichtige unverhältnismäßig vertieft werden. Dem kann durch eine Checklist in jedem Fall anzusprechender Aspekte vorgebeugt werden. Meinungsführer können die Ergebnisse erheblich beeinflussen, ohne dass dieser Verzerrungseffekt exakt zu isolieren ist. Durch den Gesprächsleiter ist dieser Einfluss nur begrenzt neutralisierbar. Hier sind vor allem Männer als Gesprächsteilnehmer anfällig für Dominanzstreben. Die Gesprächsteilnahme und -intensität korrelieren meist mit dem Bildungsgrad. Da vor allem auf die sprachliche Ausdrucksfähigkeit abgestellt wird, sind solche Personengruppen überpräsent, die aufgrund ihrer Ausbildung oder Berufstätigkeit damit vertraut sind, ihre Meinung im Kreis meist fremder Anderer zu äußern. Erfasste Verhaltensäußerungen sind nicht immer eindeutig interpretierbar. Dazu ist eine Nachfrage erforderlich, die allerdings im Gesprächskontext wiederum nicht möglich ist. Allerdings hat die Wissenschaft hier Methoden entwickelt (z. B. Facial Action Coding Technique), um Verhalten Meinungen recht sicher zuordnen zu können. Die Anwendung quantitativer Auswertungsmethoden bleibt versagt. Aufgrund des qualitativen Charakters der Erhebung sind alle Datenverdichtungsversuche sinnlos. Gerade diese geben jedoch wichtige Hinweise für die aus der Erhebung notwendig folgenden Entscheidungserfordernisse.

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C. Marketinginformation

Schließlich kommt es meist zu recht oberflächlichen Ergebnissen. Dies hat mit der spezifischen Gesprächssituation und dem eher unreflektierten Behandeln des Untersuchungsthemas zu tun. Dadurch wird hinsichtlich des Erkenntnishintergrunds oft „zu kurz“ gesprungen. 6.1.2 Einzelinterview Das Interview ist die am weitesten verbreitete Methode der Marktforschung. Vorsicht ist jedoch vor seiner unreflektierten Bewertung geboten. Es scheint zwar auf den ersten Blick einfach in der Anwendung, ermöglicht die Erfassung großer, repräsentativer Stichproben und kommt der natürlichen Gesprächssituation recht nahe. Antworten auf Fragen sind jedoch höchstens mehr oder minder gute Indikatoren für Meinungen, Einstellungen, Wünsche etc. und keineswegs identisch mit der Realität. Vor allem führen die Formulierung der Fragen und der Aufbau der Befragung ebenso zu erheblichen Verzerrungsgefahren wie situative Faktoren, die im Interview selbst begründet liegen und externe Faktoren, die im Umfeld des Interviews liegen. Daher gilt auch hier das Gebot einer professionellen Herangehensweise. Es lassen sich mehrere Interviewarten in Bezug auf den Standardisierungsgrad des mündlichen Interviews unterscheiden (siehe Abbildung 78). Beim standar­ disierten Interview liegt ein genauestens ausformulierter Fragebogen vor, der die Reihenfolge der einzelnen Fragen exakt vorgibt, ebenso wie jede erlaubte Erklärung. Es ist vorgegeben, ob diese Erläuterung in jedem Fall gegeben werden muss und ob weiterführende Erläuterungen gegeben werden dürfen. Der Interviewer muss sich jeglichen Kommentars enthalten, darf bei den Antworten weder Überraschung, noch Zustimmung oder Missbilligung zeigen. Er soll jedoch Interesse an der Meinung des Befragten bekunden.

Einzelinterview

Gruppeninterview

standardisiert

Gruppenexploration

strukturiert

Gruppendiskussion

unstrukturiert psychologisch

Abbildung 78: Formen der mündlichen Befragung

I. Erhebungsmethoden

385

Insofern besteht eine Kontrolle über Form und Ablauf des Interviews, die eine Quantifizierung der insgesamt durchgeführten Erhebungen und damit deren Vergleichbarkeit erlaubt. Dies wiederum ist zwingende Voraussetzung für die Generalisierbarkeit gewonnener Informationen und deren datenverdichtende Auswertung. Der Interviewereinfluss wird auf ein Mindestmaß begrenzt, da die Fragen bei sämtlichen Auskunftspersonen den gleichen Wortlaut haben und in derselben Reihenfolge gestellt werden. Allerdings sind nach wie vor alle non-verbalen Beeinflussungsgefahren, etwa durch Auftreten, Aussehen, Umgebungssituation etc, gegeben. An Interviewer werden vergleichsweise geringe Anforderungen gestellt, so dass zugleich eine Interviewerüberlastung vermieden wird. Betriebswirtschaftlich erlaubt dies den Einsatz weitgehend ungeschulter Interviewer. Darunter leidet aber zugleich die Professionalität der Erhebung. Die Auswertung der Fragebögen ist relativ einfach zu bewerkstelligen. Alle Fragen können gleichartig verarbeitet werden. Dies wirkt vor allem bei der Codierung und Dateneingabe rationa­lisierend. Gleichzeitig wird die Fehlerquote durch Übungseffekte bei der Über­tragung verringert. Nachteilig ist jedoch die mangelnde Anpassung an individuelle Situationen. Dies kann nur durch eine Lockerung des strikten Standardisierungsgrades erfolgen. Beim strukturierten Interview liegt ein ausformulierter Fragebogen vor, der die Reihenfolge der Fragen und deren Wortlaut vorgibt. Die Reglementierung ist jedoch nicht so streng wie beim standardisierten Interview, so dass Freiräume für das Eingehen auf Einzelfälle bestehen bleiben. Darunter leidet die Vergleichbarkeit der Befragungsergebnisse untereinander. Jedoch kann dadurch besser auf die Individualität des Befragten eingegangen werden. Dies ist wichtig zur Steigerung dessen Auskunftsfähigkeit und -willigkeit. Von non-direktiver Technik spricht man, wenn sich der Interviewer bei der Befragung stark zurückhält und nur unauffällig lenkt, von semi-direktiver Technik, wenn der Interviewer flexibel und durchaus auch straffer im Sinne des Ergebnisziels führt, und von direktiver Technik, wenn der Interviewer das Gespräch dominiert und sagt, wo es lang geht. Ziel ist in jedem Fall die Ermittlung hypothetischer, unzugänglicher und normativer Sachverhalte. Beim unstrukturierten Interview liegt dem Interviewer nur ein Leitfaden vor, der die wichtigsten Punkte enthält, die im Interview angesprochen werden sollen. Formulierung und Reihenfolge der Fragen sind nicht festgelegt. Der Interviewer kann nach eigenem Ermessen Fragen auslassen und/oder Zusatzfragen stellen, er kann eigene Erklärungen abgeben und auf die verschiedenen Aspekte mehr oder minder vertieft eingehen. Damit wird die natürliche Gesprächssituation simuliert. Im Unterschied zum Gruppeninterview ist jedoch nur eine antwortende Person einbezogen, dafür wirken Schweiger und Meinungsbildner nicht ergebnisverzerrend. Gruppendynamische Prozesse unterbleiben jedoch, da nur eine Einzelperson involviert ist. Dadurch können Prozesse im sozialen Umfeld weniger nachempfun-

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C. Marketinginformation

den werden, wie dies im Gruppeninterview der Fall ist. Es ist kein Vergleich der Ergebnisse mehrerer Befragungen unterschiedlicher Personen möglich. Denn jedes Interview ist individuell auf die Befragungsperson zugeschnitten und läuft anders als das nächste. Der Interviewer hat als alleinige und dominante Bezugsperson einen starken Einfluss auf Gesprächsverlauf und -inhalt. Insofern kommt es bei Interviews verschiedener Befrager zu weiteren Verzerrungen. Eine Auswertung ist nur über Tonbandprotokoll oder Mitschrift durch eine zweite Person möglich, wobei beides Verzerrungsgefahren birgt, im ersten Fall durch mindere Aufmerksamkeit, im zweiten durch Ablenkung der Befragten. Beim freien Tiefeninterview erfolgt eine psychologische, offene Exploration in kleinen Fallzahlen, bei der von der Auskunftsperson neben der Antwort die Lösung und Behandlung vorgegebener Problem- und Aufgabenstellungen erwartet wird. Deshalb steht hier nur das Thema der Befragung fest, der Ablauf des Interviews liegt jedoch vollständig beim geschulten Psychologen. Ein Tiefeninterview ist daher ein besonders intensiv geführtes Gespräch, bei dem aufgrund der freien Form dem Befragten erheblicher Freiraum für die Einbringung von Gedanken und Gefühlen gelassen wird. Ziel ist dabei die Gewinnung von Einblicken in die Motivstruktur der Befragten. Oft wird dieses Verfahren auch als Pilotstudie eingesetzt, wenn nur wenig anwendbar vorhandene Kenntnisse vorliegen und neue Einsichten gewonnen werden sollen. Dies erlaubt die Konkretisierung, Präzisierung und Priorisierung von Tatbeständen, die dann später durch eher standardisierte Verfahren erhoben werden. Dazu sind 20–30 Interviews vollauf ausreichend. Es kann auf die Individualität des Befragten mühelos eingegangen werden. Dadurch entsteht eine gewisse Vertrauensbeziehung zwischen Befrager und Befragtem, die weitergehende Erkenntnisse ermöglicht. Die Reihenfolge der getätigten Äußerungen sowie deren Art und Intensität geben wichtige Erkenntnishinweise. Diese Möglichkeiten bleiben bei stärker vorgegebenen Interviewabläufen verschlossen. Es kommt zu einer gesteigerten Aussagewilligkeit, zu spontanen Äußerungen und vielfältigen Einsichten in die Denk-, Empfindungs- und Handlungsweise der Befragten. Damit entstehen wertvollere Hinweise. Es sind jedoch psychologisch geschulte Fachleute für das Interview erforderlich. Dies bedingt einen höheren Kosteneinsatz für die Erhebung. Amateurpsycho­ logen reichen dafür regelmäßig nicht aus. Die Vergleichbarkeit von Aussagen aus verschiedenen Interviews ist eng begrenzt. Im Grunde handelt es sich um monadische, untereinander nicht bezugsfähige Fallstudien, die wenig valide sind. Die Protokollierung der Aussagen parallel zur Führung des Interviews ist schwierig. Nachträgliche Aufzeichnungen sind unvollständig und verzerrend. Wörtliche Protokolle sind aufwändig. So kommt eigentlich nur der Audiomitschnitt in Betracht. Die Auswertung ist schwierig. Sie impliziert Deutungsspielräume. Vor allem ist das begrenzte Formulierungs- und Ausdrucksvermögen der Testpersonen zu berücksichtigen. Hinzu kommt deren nur mehr oder minder ausgeprägte Kommunikationsfreudigkeit. Das Verfahren ist recht kostenaufwändig (ca. 100 €/Befragtem).

I. Erhebungsmethoden

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Zudem ist ein erheblicher qualitativer Spielraum in Untersuchungsanlage, -abwicklung und -auswertung gegeben, so dass Angebote verschiedener Veranstalter kaum vergleichbar sind. Die Ergebnisse sind statistisch nicht repräsentativ und valide. Als Mindestgröße werden 60 befragte Personen angesehen. Dies reicht dann nicht zur Validierung von Angaben, impliziert aber bereits Kosten von über 6.000 €. Sonderformen des Einzelinterviews sind die Think aloud Technique, bei der Personen in Zusammenhang mit Entscheidungsprozessen (z. B. beim Einkauf) dahingehend befragt werden, die Gedanken, die ihnen gerade durch den Kopf gehen, auszudrücken. Die Aufzeichnung erfolgt dabei durch Mitschrift oder Tonbandaufzeichnung, allerdings sind die Ergebnisse methodisch unsicher. Und die Technik verdeckter Interviews. Diese werden unter einem Vorwand eingeleitet und lassen den Auskunftspersonen nicht bewusst werden, dass es sich um ein Interview handelt, forscherisch ist dies zwar wünschenswert, man spricht von einer biotischen Situation, berufsethisch ist dies jedoch problematisch, weil Auskunftspersonen instrumentalisiert werden. Allen genannten Ausprägungen des mündlichen Interviews sind die nachfolgend dargestellten Vorteile und Nachteile gemein. Zunächst zu den allgemeinen Vorteilen. Die Identität der Befragungsperson lässt sich mühelos feststellen. Dies ist durchaus nicht bei allen Befragungsarten so. Dadurch kann, was entscheidend ist, von den Aussagen auf die dahinterstehende Person rückgeschlossen werden. Durch mehrmaliges Besuchen und durch Erläuterung des Untersuchungszwecks kann die Verweigerungsquote niedrig gehalten werden. Insofern kommt es zu einer guten Stichprobenausschöpfung und zu vergleichsweise geringen, verweigerungsbedingten Verzerrungen. Spontane Reaktionen der Probanden bei der Fragestellung können durch den Interviewer beobachtet und entsprechend vermerkt werden. Dies bietet interessante Aufschlüsse. Die Umfeldeinflüsse sind, wenn schon nicht kontrollierbar, so doch zumindest feststellbar. Insofern handelt es sich um eine, wenngleich nur in Grenzen, kontrollierte Erhebungssituation. Bei Nichtverstehen von Fragen können vom Befragten Rückfragen gestellt werden, bei ungewollten Mehrdeutigkeiten kann der Interviewer aufklärende Erläuterungen zur Zielrichtung von Fragen geben. Visuelle Hilfsmittel wie Vorlagen, Muster, Skalen etc. können problemlos eingesetzt werden. Dies vereinfacht und präzisiert die Befragungsinhalte. Damit ist eine differenzierte Fragestellung möglich. Der Umfang der Befragung kann größer angelegt sein, da dem Befragten notwendigerweise der vorherige Überblick darüber fehlt. Somit sind auch Zusatzfragen einzubeziehen. Dies führt ansonsten leicht zur Antwortverweigerung. Sofern Ermüdungserscheinungen auftreten, sind diese erkennbar und es kann ihnen gezielt durch Motivation entgegengewirkt werden. Dazu ist eine gewisse Flexibilität der Befragung hilfreich. Durch den Aufbau einer Vertrauensbasis können ehrlichere Antworten erreicht werden, selbst zu heiklen Themen. Begünstigt wird dies durch die natürliche

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C. Marketinginformation

Umgebung der Befragungsperson. Dadurch erhöht sich ihre Bereitschaft zur Mitteilung. Interviewer-Einstufungen des Befragten und seines Umfelds sind möglich und liefern wichtige Kontextdaten. Wenngleich dabei Vorsicht geboten ist, weil es meist an einer einheitlichen Bezugsbasis mangelt. Es ist eine genaue Steuerung der Fragenreihenfolge und, in Maßen auch, der Beantwortungszeit möglich. Dies kommt unmittelbar der Vergleichbarkeit von Antworten zugute. Als allgemeine Nachteile sind folgende zu nennen. Es ist eine relativ große Zahl von Interviewern erforderlich. Dadurch gestalten sich die Personalkosten der Erhebung recht hoch. Dies gilt besonders, soll eine ordentliche räumliche Streuung der Erfassung gewährleistet sein. Es ist eine intensive, fachkundige Schulung der Interviewer erforderlich, damit diese sich komplexen Befragungssituationen gewachsen zeigen. In der Praxis werden hier jedoch aus Ersparnisgründen oft ungeschulte, unqualifizierte Interviewer eingesetzt. Oft sind mehrmalige Kontaktaufnahmen erforderlich, ehe eine Auskunftsperson tatsächlich erreicht werden kann. Selbst dann sind Ausschöpfungsquoten von mindestens 70 %, wie wünschenswert, nur mit großem Zeit- und Kostenaufwand realisierbar. Der Anteil schwer erreichbarer Personengruppen steigt, z. B. Singles, berufliche mobile Personen, Doppelverdiener-Haushalte. Damit kommt es aber zu systematischen Verzerrungen bei der Probandenauswahl. Interviewer können leicht einzelne Fragen oder den gesamten Fragebogen fälschen. Eine Interviewerkontrolle stößt an enge Praktikabilitätsgrenzen und ist zudem recht kostenaufwändig. So kommt es allenfalls zu Stichprobenkontrollen. Auch durch den Interviewer selbst können Verzerrungen in den Antworten der Befragten auftreten. Seine Gegenwart stört die Anonymität der Befragung und provoziert evtl. Antworten gemäß sozial erwünschtem Verhalten oder bloße Gefälligkeitsantworten. 6.1.3 Fragestrategie 6.1.3.1 Fragearten Will man eine mündliche Umfrage initiieren, so ist es wichtig, einige Hinweise in Bezug auf Fragenarten und Fragetaktik zu berücksichtigen. Zunächst zu den Fragearten. Hier lassen sich zwei Gruppen unterscheiden (siehe Abbildung 79): • offene Fragen, inkategoriale Fragen, • geschlossene Fragen, kategoriale Fragen. Kategoriale, geschlossene Fragen lassen sich wiederum in solche mit • zwei Antwortalternativen als Alternativfragen, • mehr als zwei Antwortalternativen als Selektivfragen, unterteilen.

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I. Erhebungsmethoden

Geschlossene Fragen

Offene Fragen Alternativfragen Selektivfragen Kategorieneutral / inneutral Sequenzneutral / inneutral ein- / zweiseitig begrenzt fixierte / offene Auswahl

Abbildung 79: Alternative Fragearten

Alternativfragen haben nur ein „Ja“ oder „Nein“ als Antwortmöglichkeit. Eine Kategorie „Weiß nicht“ ist problematisch, weil sie Ausweichbewegungen provoziert und bei der späteren Auswertung Probleme bereitet. Außerdem besteht eine latente Ja-Tendenz bei den Antworten. Selektivfragen bieten eine Mehrfachauswahlmöglichkeit (Multiple Choice). Dabei sind Mehrfachnennungen nur bei einander ausschließenden Alternativen vermeidbar. Kategorialneutral sind solche Fragen, die alle denkbaren Antworten abdecken. Allerdings ist hier zu bezweifeln, dass alle denkbaren Antworten auch wirklich ausgewiesen werden können. Kategorialinneutral sind solche Fragen, die nicht alle denkbaren Antworten abdecken. Darin liegt eine erhebliche Gefahr für Verzerrungen allein daraus, dass nicht alle Antwortmöglichkeiten wählbar sind. Werden die Antwortvorgaben dabei innerhalb der Befragung rotiert, handelt es sich um sequenzneutrale Fragen, erfolgt keine Rotation der Antwortvorgaben, handelt es sich um sequenzinneutrale Fragen. Auch darin liegt eine Verzerrungsgefahr insofern, als es zu Positionseffekten und gegenseitiger Überstrahlung zwischen Fragen kommen kann. So beeinflussen vorhergehende Antwortalternativen die nachfolgenden. Weiterhin kann bei Mehrfachnennungen eine bestimmte Zahl vorgegeben werden. Diese kann: • fixiert sein, d. h. eine bestimmte Anzahl beinhalten. Dabei soll aus einer vor­ gegebenen Liste eine definierte Anzahl von Antwortalternativen ausgewählt werden. • einseitig begrenzt sein, d. h. Mindest- oder Höchstangaben enthalten. Dabei soll aus einer vorgegebenen Liste eine nach unten oder oben begrenzte Anzahl zulässiger Nennungen ausgewählt werden (mindestens/höchstens).

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C. Marketinginformation

• zweiseitig begrenzt sein, d. h. Angaben zwischen Minimum und Maximum enthalten. Dabei soll aus einer vorgegebenen Liste eine Bandbreite zulässiger Nennungen ausgewählt werden (von/bis). Die Erfassung der Antworten kann durch wörtliche Niederschrift (vornehmlich bei offenen Fragen), Feldverschlüsselung durch Markierung der Antworten auf Codierbogen (vornehmlich bei geschlossenen Fragen) oder durch Feldbewertung durch den Interviewer erfolgen. Letzteres wird als Soziale Fremdeinstufung (SFE) bezeichnet und bei Verweigerung der Angaben (z. B. zum Haushaltsnettoeinkommen) angewandt. Eine weitere Unterscheidung betrifft die in direkte oder indirekte Fragearten. Bei direkten Fragen gibt die Auskunftsperson offenkundig und für sie erkennbar ihre eigene Meinung wieder. Die Antworten lassen direkt auf die interessierenden Sachverhalte schließen. Bei heiklen, tabuisierten und normenbeladenen Themen treten dabei allerdings oft Hemmungen auf. Dann werden indirekte Fragen eingesetzt, die sich projektiver Techniken bedienen. Die Auskunftsperson gibt dabei scheinbar nicht Auskunft über sich selbst, sondern über Dritte. Dadurch kann ihre Antwortbereitschaft und -fähigkeit gesteigert werden. Allerdings muss der Zusammenhang zwischen nachgefragtem Indiz und eigentlichem Frageobjekt eindeutig sein. Häufig angewandte Formen sind dabei folgende: • Die interviewte Person wird als Experte befragt („Wie beurteilen Sie als erfahrene Hausfrau denn die Tatsache, dass …“). • Es werden Satzergänzungs- oder Wortassoziationsverfahren angewendet („Welche Begriffe fallen Ihnen spontan zur Marke X ein?“). • Eine dritte (fiktive) Person soll anhand ihrer Einkaufsliste charakterisiert werden. • Bestimmte Personentypen werden bestimmten Produkten zugeordnet. Offene Fragen sind solche, die eine von der Befragungsperson frei formulierte Antwort zulassen (meist W-Fragen, also Was, Wer, Welche, Wann, Wo, Wie). Scheinbar offene Fragen haben Suggestivcharakter und weisen daher eine deutliche Ja-Tendenz auf (z. B. die Frage: „Ist das Fahrzeug wendig im Stadtverkehr?“ bei einem Kleinwagen). Als allgemeine Vorteile sind folgende zu nennen. Die Auskunftsperson wird in ihrer Informationsabgabe und -bereitschaft nicht eingeschränkt und hat daher mehr Entfaltungsmöglichkeiten für aussagefähige Ergebnisse. Dadurch kommt es zu einer genaueren Erfassung von Antworten. Die Auskunftsperson wird nicht durch vorgegebene Antwortkategorien zu einer teilweise unpassenden oder gar falschen Antwort veranlasst. Dies gilt umso mehr, je komplexer und differenzierter ein Befragungsgegenstand ist. Antworten werden nicht durch Vorgaben „programmiert“, d. h. in eine bestimmte Richtung verzerrt. Darin liegt eine große Gefahr, etwa durch Formulierung oder Anzahl vorgegebener Antwortalternativen. Es erfolgt keine Überbetonung durch überschneidende Mehrfachformulierungen

I. Erhebungsmethoden

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einer Antwortart im Antwortkatalog. Denn dadurch steigt automatisch die Wahrscheinlichkeit ihrer Nennung. Der Befragungsgegenstand wird vollständig abgebildet, weil keine Gefahr durch ausgelassene Antwortkategorien besteht. Damit können alle Facetten eines Objekts erfasst werden. Dem stehen folgende Nachteile gegenüber. Der Einfluss des Interviewers macht sich in vielfältiger Weise auf die Art der Antworten bemerkbar. Dies liegt etwa schon in der Betonung der Frageformulierung und seiner physischen Anwesenheit begründet. Die Antworten der Auskunftspersonen hängen stark von deren Ausdrucksvermögen ab. Dies erfordert mehr geistige Anstrengung und führt zu überlegteren Antworten oder auch zur Antwortverweigerung. Die Ausführungen der Auskunftsperson treffen oft nicht den Kern der Frage und schweifen in irrelevante Nebenbereiche ab. Ihre Verwertbarkeit ist dann mehr oder minder stark eingeschränkt. Bei der späteren Klassifizierung von Antworten entstehen Schwierigkeiten hinsichtlich ihrer Zuordnung. Denn die Vielzahl differenzierter Antworten muss zur Auswertung letztlich wieder in passenden Kategorien zusammengefasst werden. Dies induziert Fehlinterpretationen. Der Vergleich von Antworten untereinander gestaltet sich schwierig, wenn die Klassifizierung nicht einwandfrei gelingt. Eine maschinelle Auswertung ist erst nach aufwändiger Codierung möglich. Dazu müssen die Antworten zunächst einmal alle gesichtet und dann nach passenden Gesichtspunkten gruppiert werden. Antworten werden nur unvollständig oder verkürzt aufgezeichnet, wenn es sich um lange, wortreiche Einlassungen der Befragten handelt. Damit geht aber ein Teil der gewünschten Differenzierung wieder verloren. Geschlossene Fragen sind generell nur nach Vorstudien mit offenen Fragen empfehlenswert, da ansonsten entscheidende Antwortaspekte mangels angebotener Kategorie verloren gehen können. Als allgemeine Vorteile sind folgende zu nennen. Die Antwortvorgabe reduziert die erforderliche Denk- und Arbeitsleistung der Auskunftsperson und erleichtert damit die Antwort. Die Ergebnisse sind besser auf dem Punkt als bei offenen Fragen. Es sind keine besonderen Ansprüche an das Ausdrucksvermögen der Auskunftsperson zu stellen. Denn dieses limitiert oft die aussagefähige Verwertung von Antworten und führt zu Fehlinterpretationen. Ebenso sind keine besonderen Anforderungen an die Interviewer im Hinblick auf deren Schreib- und Aufnahmekapazitäten zu stellen. Sie können sich vielmehr voll auf die Gesprächsführung konzentrieren. Eine schnelle Protokollierung der Ergebnisse ist gewährleistet. Das verkürzt Befragungszeiten und führt zu geringerer Abbruchquote bzw. zu mehr bearbeitbaren Inhalten je Interview. Bei der Auswertung ist eine Rationalisierung durch Zeit- und Kostenersparnisse erreichbar. Die Antworten können unmittelbar, evtl. schon im Fragebogen, für die maschinelle Erfassung codiert werden. Die Auswertung kann schnell und unter Einsatz technischer Hilfsmittel erfolgen. So erlaubt bereits ein rascher Blick über die Fragebogen einen ersten Eindruck von der Tendenz der Ergebnisse. Die Antworten verschiedener Auskunftspersonen können

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C. Marketinginformation

problemlos miteinander verglichen werden, da sie alle auf denselben, vorformulierten Antwortkategorien beruhen. Fehlinterpretationen sind weitestgehend ausgeschlossen. Allerdings kann es zu Fehlverständnis der Antwortvorgaben kommen, was dann zu Verzerrungen führt. Dem stehen folgende Nachteile gegenüber. Es besteht die Gefahr, dass einzelne Antwortalternativen unbemerkt weggelassen werden. In diesem Fall ist eine erhebliche Verzerrung gegeben, da Auskunftspersonen ihre Position nicht zutreffend repräsentiert sehen. Die Anzahl der zur Auswahl stehenden Alternativen ist oft nicht ausgewogen. Überwiegen positive oder negative Statements, kommt es zwangsläufig zu einer Verlagerung der Gesamtaussagen in diese Richtung. Die Formulierung der Antwortalternativen ist nicht neutral gehalten. Es fällt leichter, etwas zu bejahen als zu verneinen. Zudem weisen Suggestivfragen eine explizite Ja-Tendenz auf. Die Reihenfolge der Nennung der Antwortalternativen führt zu gegenseitiger Überstrahlung. Dadurch werden Antworten verzerrt. Dennoch spielen geschlossene Fragen die größte Rolle bei mündlichen Erhebun­ gen. Die genannten Nachteile können durch angemessene Beachtung einiger Regeln vermieden werden: • Die Alternativenzahl soll nicht zu klein sein, um dem Antwortenden genügend Entfaltungsspielraum zu belassen. So kann trotz der Vorgaben eine differenzierte Meinungserfassung erfolgen. • Die Antwortkategorien sollen alle realistisch denkbaren Antwortmöglichkeiten abdecken. Vor allem ist es wichtig, dass die Antwortvorgaben aus der Sicht der Befragten tatsächlich zur Frage passen. • Die Antwortalternativen sollen sich möglichst in der gleichen Dimension bewegen. Sollen mehrere Dimensionen abgedeckt werden, sollen diese annähernd ausgewogen oder auf mehrere geschlossene Fragen verteilt sein. • Seltene Antwortkategorien sollen in einer Kategorie „Sonstiges“ zusammengefasst werden. Diese wird dann als offene Kategorie betrachtet und in wörtlichen Formulierungen vermerkt. • Eine offene Antwortalternative soll Raum für Antworten lassen, die durch die Vorgaben nicht abgedeckt sind. Dadurch gehen vom Befragten als wichtig erachtete, jedoch nicht vorgegebene Antworten nicht verloren. • Bei der Reihenfolge der Antwortpositionen sind Verzerrungen durch Rotation der Reihenfolge zu vermeiden. So können Überstrahlungseffekte, wenn schon nicht vermieden, so doch zumindest ausgeglichen werden.

I. Erhebungsmethoden

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6.1.3.2 Fragefunktionen Im Fragebogenablauf nehmen einzelne Fragen bestimmte Funktionen wahr. Die Gruppe der Instrumentalfragen beinhaltet Fragen, die keine unmittelbare Aussage über bestimmte Sachverhalte zulassen, aber für den Erfolg der Erhebung entscheidend sind. Dazu gehören die im Folgenden aufgeführten Fragearten (siehe Abbildung 80).

Ergebnisfragen

Instrumentalfragen

Präzisionsfragen

Analytische Fragen

Maßstabsfragen

Ablaufordnungsfragen

Sonderfragen

Methodische Fragen

Abbildung 80: Alternative Fragefunktionen

Analytische Fragen sind solche, die den Befragungsgegenstand betreffen. Zu unterscheiden ist in: • Korrelationsfragen. Sie bilden die Grundlage für Untergruppen und Kreuz­ tabellierungen. Dies betrifft vor allem die Soziodemographie der Befragten, die in Zusammenhang mit auswertbaren Ergebnisfragen gestellt wird. • Erhebungskontrollfragen. Sie stellen die Sorgfalt der Interviewdurchführung sicher. Meist handelt es sich um Fälscherfragen, die feststellen sollen, ob Ant­ worten an verschiedenen Stellen des Fragebogens einander widersprechen. Dies deutet auf Fälschungen hin. • Auskunftskontrollfragen. Sie stellen Inkonsistenzen in den Antworten der Befragten fest. Die Ergebnisse der betreffenden Personen sind dann kritisch zu durchleuchten. Es steht zu vermuten, dass bei den Antworten nicht immer die Wahrheit angegeben worden ist. Ablaufordnungsfragen sind solche, die den Befragungsvorgang steuern. Zu unterscheiden ist in: • Filterfragen. Sie beenden die Befragung bzw. scheiden Personen aus der weiteren Befragung zu einem Thema aus. Damit werden unsinnige Fragestellungen vermieden. Zum Beispiel richten sich Fragen zu Tierfutter nur an Personen, von

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C. Marketinginformation

denen vorher erhoben wurde, dass sie tatsächlich ein Haustier halten. Alle anderen überspringen diesen Fragenkomplex. • Gabelungsfragen. Sie steuern den Ablauf, indem je nach Antwortkategorie an einer anderen Stelle im Fragebogen weitergearbeitet wird. Somit werden Untergruppen der Befragungsgesamtheit definiert und dann mit jeweils spezifischen Fragefolgen bedient. Zum Beispiel werden gewerbliche und private Nutzer von Hochdruckreinigern getrennt nach ihren jeweiligen Anforderungen an einen Gerätetyp befragt. Methodische Fragen sind solche, die dem Bereich der Fragetaktik zuzurechnen sind. Zu unterscheiden ist in: • Kontaktfragen (auch Eisbrecherfragen genannt). Sie bauen die Scheu des Befragten gegenüber dem Interview ab und schaffen günstige Voraussetzungen für einen konstruktiven Befragungsablauf. Sie dienen der Auflockerung der Atmosphäre und der Überbrückung anfänglicher Befangenheit. Den Ergebnissen kommt jedoch meist „Wegwerf“-Charakter zu. • Unterweisungsfragen. Sie sichern die notwendige Grundeinstellung und sensibilisieren Auskunftspersonen für den betreffenden Gegenstand. Sie werden auch Lern- oder Trainingsfragen genannt. So kann ein angeführtes Beispiel den Befragten helfen, besser zu verstehen, wie eine Frage gemeint ist. • Füllfragen (auch Pufferfragen genannt). Sie grenzen Themenkomplexe innerhalb einer Befragung gegeneinander ab und verhindern so eine gegenseitige Beeinflussung dieser Komplexe durch Haloeffekte, d. h. Überstrahlungen vom vorherigen Thema auf das nachfolgende. • Ablenkungsfragen. Sie sollen den eigentlichen Fragebogeninhalt verdecken. Dadurch soll eine nicht-durchschaubare Fragesituation erreicht werden, in der die Befragungsperson keine Auskunftsverzerrungen einbringen kann, weil ihr verborgen bleibt, was das eigentliche Ziel der Befragung ist. • Ausgleichsfragen. Sie sind für den Teil der Befragten gedacht, die nach einer Filterfrage von einem Fragenkomplex freigestellt sind. Damit soll verhindert werden, dass Befragte lernen, welche Antworten zur eher unliebsamen Verlängerung über weitere Fragen und welche zur willkommenen Verkürzung des Interviews durch Frageauslassung führen. Die Gruppe der Ergebnisfragen beinhaltet Fragen, die unmittelbar auf bestimmte Sachverhalte und funktionelle Verknüpfungen schließen lassen. Präzisionsfragen sind solche, die zu erhebende Tatbestände unmittelbar durch direkte Befragung erfassen oder mittelbar durch • Assoziationsfragen, die auf die mit einem Untersuchungsgegenstand verknüpften Vorstellungen abzielen oder

I. Erhebungsmethoden

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• Projektionsfragen, welche die Auskunftsperson veranlassen sollen, Informatio­ nen abzugeben, die sie bei direkter Befragung nicht offenbaren kann oder will. Maßstabsfragen halten Unterschiede zwischen verschiedenen Befragten fest. Die Gruppe der Sonderfragen beinhaltet mehrere Formen wie folgt: • Vorlagenfragen. Sie verbinden Text-, Bild- oder Originalvorlagen mit der Frageformulierung. Oft dienen diese als zusätzliche Gedächtnisstütze. Dies ist etwa bei der Abfrage in der Markt-Media-Analyse MA durch Vorlage von Setkarten mit den Logos von Werbeträgern bei der Abfrage nach deren Nutzung der Fall. • Vortragsfragen. Sie werden ohne stützende Vorlagen gestellt und führen somit zu „härteren“ Ergebnissen. Damit kann z. B. die aktive Bekanntheit von Produkten/Marken erfragt werden, die spontan in Zusammenhang mit der Frage präsent sind. • Zitatfragen. Sie beinhalten die wörtliche Äußerung einer fiktiven oder realen Person, zu welcher der Befragte Stellung nehmen soll. Häufig handelt es sich um Personen des öffentlichen Lebens, deren Aussagen durch die Medien bereits bekannt sind. • Dialogfragen. Sie geben einen Gesprächsaustausch zweier fiktiver Personen wieder und fordern die Befragungsperson auf, einer von ihnen zuzustimmen. Dies wird vor allem bei komplexen Sachverhalten angewandt, die das Ausdrucksvermögen von Probanden ansonsten überfordern. • Personenfragen. Sie werden für gewöhnlich am Ende des Interviews gestellt und dienen der Erfassung soziodemographischer Daten, die dann mit anderen Ergebnissen korreliert werden können. • Indikatorfragen. Sie dienen der Operationalisierung von theoretischen Konstruk­ ten (z. B. Motive, Wünsche, Bedarfe) und sollen Hinweise auf das Vorhandensein und die Ausprägung dieser Konstrukte geben. • Skalierungsfragen. Sie bedienen sich Skalen, um Einstellungen, Beurteilungen Meinungen oder andere verdeckte Inhalte zu messen. Ihr Ziel ist die Quantifizierung qualitativer Sachverhalte. 6.1.3.3 Fragetaktik Bei der Frageformulierung sind generell die Grundsätze der Einfachheit, Eindeutigkeit und Neutralität zu beachten: • Einfachheit bedeutet, dass der Fragebogen mit einem minimalen Wortschatz auskommen sollte. Die Fragen sollen kurz und einfach gehalten sein. Dabei sollte ein allgemein verständlicher Stil beachtet werden, wobei sich das sprachliche Niveau immer an der Umgangs- bzw. Fachsprache der jeweiligen Befrag-

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C. Marketinginformation

tengruppe ausrichtet. Fragen sollen Wissensstand, Bildungsniveau und Erinnerungsfähigkeit der Befragten nicht überfordern. Fremdwörter, Abkürzungen, Eigennamen etc. sind zu vermeiden oder zu erläutern. • Eindeutigkeit meint, dass eine Frage so gestellt sein sollte, dass sie von mehreren Befragten gleichartig verstanden werden kann. Mehrdeutigkeiten sind zu vermeiden, auch in Bezug auf Orts- und Zeitangaben. Dazu bedarf es einer präzisen, semantisch eindeutigen und logisch klaren Formulierung. Es darf dabei zu keiner Vermischung verschiedener Frageaspekte kommen. • Neutralität bedeutet, dass jede Beeinflussung der Antwort durch die Frage­ stellung ausgeschlossen sein sollte. Suggestionen entstehen bereits bei unterschiedlichen Formulierungslängen von Alternativantworten, durch den Einsatz wertender Wörter, durch Ungleichheit positiver und negativer Ausprägungen der Antworten, durch Betonung in Text oder Vortrag etc. Allgemein gilt, dass die Fragen nicht als lästig empfunden werden dürfen und leicht verständlich sein sollen. Es sollen so wenig Fragen wie möglich gestellt werden und diese müssen klar formuliert sein. Sie sollen so kurz und präzise wie möglich sein und dürfen keinen inquisitorischen Charakter haben. Der Fragenablauf soll eine motivierende Dramaturgie aufweisen und jegliche Monotonie vermissen lassen. Es sind sowohl eine Aufwärmphase (Eisbrecherfragen etc.) als auch zwischenzeitliche Motivationsdosen für den Probanden erforderlich (Themenwechsel etc.). Die Fragetaktik dient vor allem dieser motivierenden Dramaturgie des Frage­ bogens und soll jegliche Monotonie vermeiden. Die Auskunftswilligkeit soll durch thematische Abwechslung und Variation der Fragetechniken gesteigert werden. Auch sollen Störeffekte ausgeschaltet werden, die etwa durch Überstrahlung von Antwortalternativen zustande kommen. Dabei handelt es sich um: • Präsenzeffekte, d. h., vorangegangene Fragen aktualisieren bestimmte Vorstellungen und Denkraster und engen dadurch den Antwortspielraum für nachfolgende Fragen ein, • Konsequenzeffekte, d. h., die Befragungsperson sieht ihre Antworten in Zusammenhang und bemüht sich um interne Widerspruchsfreiheit, obgleich sie ansonsten anders antworten wollte, • Lerneffekte, d. h., vorangegangene Fragen vermitteln Wissen, etwa über den Fragenablauf, und verzerren Antworten durch mangelnde Unvoreingenommenheit. Hilfreich ist auch eine einigermaßen konstante Befragungssituation, um Ungleichheiten in der Erhebung vorzubeugen. Dies ist freilich ausgesprochen schwierig zu gewährleisten. Die Länge des Fragebogens ist abhängig vom Befragungsgegenstand, erwartetem Interesse der Befragten, Interviewergeschick, erwarteter Befragungssituation

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und Honorierung. Letztere ist sehr umstritten, provoziert sie doch womöglich Gefälligkeitsantworten, um das Honorar nicht zu gefährden. Realistisch ist, sofern es sich nicht um professionelle Zielgruppen handelt, eine Dauer von 30–45 Minuten je Interview, das bedeutet ca. 15–25 Fragen und ca. 30–50 € Kosten pro Interview. Fragetaktische Elemente betreffen die: • Themenkomposition bei Mehrthemenbefragungen, d. h. Art und Inhalt der in einer Mehrthemenbefragung eingebrachten Themen. Dadurch kann es zu einer Auflockerung der Befragung kommen. • Fragetypenkomposition im Befragungsablauf, d. h. Art der überhaupt einge­ setzten Fragetypen im Fragebogen. Hier ist eine Abwechslung durch Einsatz unterschiedlicher Fragetypen sinnvoll, um Ermüdungserscheinungen und Lerneffekten vorzubeugen. • Themensequenzen bei Mehrthemenbefragungen, d. h. Abfolge der einzelnen Themen in einem Fragebogen. Bei ungeschickter Zusammenstellung kann es hier zu einer gegenseitigen Überstrahlung der Themen kommen. • Fragetypensequenzen im Befragungsablauf, d. h. Abfolge der einzelnen Fragetypen im Fragebogen. Häufig kommt es zur sozialen Erwünschtheit, d. h. Personen antworten so, wie sie glauben, dass es von ihnen erwartet wird, und Pres­ tigeantworten, d. h. Personen überzeichnen ihren Status im realen Leben. Abhilfe für daraus entstehende Probleme kann gleich mehrfach geschaffen werden. So decken Vorstudien vermeidbare Fehlermöglichkeiten auf. Die Begründung für Antworten kann zur Erläuterung abgefragt werden. So werden Motiv­ zusammenhänge offenkundig. Die Frageformulierung wird mit konkretem Bezug ausgestattet, damit kein pauschaliertes oder sozial erwünschtes Verhalten wiedergegeben wird (also nicht: „Wie gestalten Sie normalerweise so Ihren Feierabend?“, sondern: „Wie haben Sie den gestrigen Abend verbracht?“). Die Antwortvorgaben werden möglichst bestimmt formuliert, um Interpreta­ tionsspielraum zu nehmen (also nicht: „Stricken Sie selten, gelegentlich, häufig, regelmäßig?“, sondern „Stricken Sie mehr als 10 mal, 5–10 mal, weniger als 5 mal im Monat oder überhaupt nicht?“). Es werden eindeutige Frageformulierungen verwendet (also nicht: „Welche Heimwerkergeräte besitzen Sie?“, sondern: „Besitzen Sie eine Oberfräse, eine Stichsäge oder eine Schlagbohrmaschine?“ bzw. „Welche Marken verwenden Sie bevorzugt bei diesen Heimwerkergeräten?“). Bei Tabuthemen werden gezielt suggestive Formulierungen verwendet (also nicht: „Haben Sie jemals aus Geldmangel gebastelt?“, sondern: „Ist es Ihnen auch schon einmal passiert, dass Ihnen ein Fertigteil im Laden zu teuer war und Sie stattdessen auf Do it yourself zurückgegriffen haben?“).

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C. Marketinginformation

Telefonische Befragung

Die Mehrzahl der Befragungen wird via Telefon durchgeführt, zunehmend auch mit Computerunterstützung. Folgende Faktoren begünstigen das Telefon­ interview: • Die Auftraggeber setzen immer knappere Termine und verlangen besonders zeitsparende Erhebungsmethoden. Die Auskunftsbereitschaft des Publikums steigt, man ist eher bereit, am Telefon zu antworten als Face to Face. Die Telekommunikationstechnologie hat erhebliche Komfortfortschritte in der Nutzung gebracht. Als allgemeine Vorteile sind folgende zu nennen. Die telefonische Befragung ist schnell und damit kostengünstig im Nah- wie im Fernbereich durchführbar. Sie eignet sich insofern besonders für Blitzumfragen und zur Nachbefragung bei Unklarheiten mündlicher Umfragen, aber auch zur effektiven Interviewerkontrolle. Es besteht eine höhere Teilnahmebereitschaft durch Wahrung einer gewissen Anonymität seitens der Befragten. Auch ist es wahrscheinlicher, dass der Hörer abgenommen als dass die Tür geöffnet wird. Durch ein neutralisierendes Medium werden offenere und ehrlichere Antworten wahrscheinlich. Die Befragungsperson muss sich weniger offenbaren und hat daher eine höhere Auskunftsbereitschaft. Es entsteht ein geringerer Interviewereinfluss als bei mündlicher Befragung, da z. B. das äußere Erscheinungsbild des Befragers keine Rolle mehr spielt. Allerdings bleiben noch Stimme, Betonung, Dialekt etc. Einflussfaktoren. Das direkte Gespräch ermöglicht beiderseitige Rückfragen, also einen Dialog. Dadurch kann beiderseitigen Missverständnissen vorgebeugt werden und die Aussagefähigkeit des Interviews ist höher. Der Interviewer kann die befragte Person, den Befragungszeitpunkt und die Fragenreihenfolge bestimmen. Bei Nichtzustandekommen einer Verbindung entstehen keine Wegekosten und keine Zeitverluste für Fehlversuche. Auch können mehrere Versuche der Kontaktaufnahme erfolgen, ohne dass die Kosten wesentlich steigen. Damit kommt es zu einer höheren Ausschöpfungsquote der Stichprobe und damit zu weniger systematischen Verzerrungen. Es reichen vergleichsweise weniger Interviewer aus, so dass ein hohes Maß an Wirtschaftlichkeit im Personalbereich erreicht wird. Zudem ist eine weitgehend freie Zeiteinteilung (Nebenberuf) möglich. Oft ist sogar ein Anruf außerhalb der Arbeitszeit wegen der Erreichbarkeit der zu Befragenden sinnvoller. Es wird eine Tonband­ aufzeichnung von Gesprächen darstellbar, die eine intensivere Auswertung und Kontrolle ermöglichen. Dadurch entfällt das Mitschreiben und eine volle Konzentration auf den Gesprächsablauf ist gegeben. Außerdem ist nur auf diese Weise ein nahezu einheitlicher Erhebungsstichtag realisierbar. Dies bedingt dann aber eine größere Anzahl von Interviewern, die parallel eingesetzt werden. Dem stehen folgende Nachteile gegenüber. Die telefonische Befragung ist begrenzt in der Dauer des Interviews und damit in der Anzahl abzufragender Inhalte. Durch die Distanz wird Unmut schneller ausgedrückt, weil die Hemmschwelle

I. Erhebungsmethoden

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sinkt. Das kann zum vorzeitigen Interviewabbruch durch Belästigung oder Überforderung führen. Die Anonymität führt auch zu einer leichteren Antwortverweigerung, vor allem bei tabuisierten Themen. Daher ist die Fragethematik, die fernmündlich abfragbar ist, eingeschränkt. Es sind keine unterstützenden Abbildungen, Skalierungen etc. einsetzbar. Visuelle Hilfsmittel fördern aber entscheidend die Aufklärung von Informationen und dienen der Klarheit und Eindeutigkeit von Themeninhalten. Als Kommunikationsmittel dient nur der Ton, genauer die Stimme, non-verbale Reaktionsindikatoren können nicht registriert werden. Diese belegen jedoch die geäußerte Meinung überzeugender als Sprachsignale. Situative Einflüsse, wie Anwesenheit Dritter, häusliche Verhältnisse etc., sind nicht feststellbar. Damit können auch entsprechende Einwirkungen weder neutralisiert noch überhaupt registriert werden. Ebenso ist es nicht möglich, die Auskunfts­ daten durch Angaben über den persönlichen Eindruck des Befragten und seines Umfelds zu ergänzen. Der Anruf erfolgt womöglich zu unpassender Zeit, so dass die Befragungsperson ihn als Störung empfindet oder abgelenkt ist. Dann ist ein Interview nur schwerlich durchführbar. Ein Wiederholungsanruf wird oft abgeblockt. Eine eindeutige Legitimation des Interviewers ist nicht möglich. Damit bleiben Zweifel an der Seriosität der Untersuchung auf Seiten des Befragten bestehen, zumal Misstrauen gegenüber unbekannten, zudem noch unsichtbaren Anrufern besteht. In Einzelfällen ist die Gesamtheit der Telefonbesitzer nicht repräsentativ für die Grundgesamtheit, etwa nicht bei Studierenden, Einwanderern etc. Dann kommt es zu einer systembedingten Verzerrung der Befragungsergebnisse. Das Auswahlmaterial ist nicht vollständig und aktuell. So fehlen oft die Eintragungen von Neuanschlüssen bzw. die Löschung von Altanschlüssen. Einige Telefonnummern hingegen sind doppelt gelistet (z. B. geschäftlich und privat, Doppelnamen, Erst- und Zweitwohnung), andere gar nicht (Geheimnummer). Die zunehmende Verbreitung von Telefonanrufbeantwortern im privaten Bereich behindert zudem die Kontaktaufnahme. Man dringt erst gar nicht mehr zur Befragungsperson durch. Dies alles zeigt, dass die allseits so beliebten, weil kostengünstigen Telefoninterviews erheblichen methodischen Problemen unterliegen.

6.3

Schriftliche Befragung

6.3.1

Beurteilung der schriftlichen Befragung

Die schriftliche Befragung bedient sich, wie die mündliche, verbaler Statements als Stimuli, um Stellungnahmen zu erzeugen. Als allgemeine Vorteile sind folgende zu nennen. Es entstehen vergleichsweise geringe Kosten, da ein erheblicher Zeitaufwand bei geografisch weit verstreuten Erhebungseinheiten vermieden werden kann. Insofern spielt die räumliche Entfernung keine Rolle (z. B. Auslandsmarktforschung). Allerdings muss die Kosteneinsparung um die weitaus geringere Rücklaufquote relativiert werden. Außerdem

400

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fehlt der Bias durch Interviewereinfluss. Damit entfallen auch Antwortfälschungen. Damit sind zwei wesentliche Verzerrungsquellen neutralisiert. Die Zustellung der Fragebögen erhöht die Erreichbarkeit der Auskunftspersonen. So können auch schwer erreichbare Personen, die ansonsten leicht als Stichprobeneinheiten ausfallen, kontaktiert werden (z. B. Schichtarbeiter, Landwirte, Reisende). Die befragten Personen haben genügend Zeit, die einzelnen Fragen zu beantworten. Die Auskunft wird damit überlegter und präziser, was meist im Sinne des Auftraggebers ist, jedoch auch kognitiv bedingte Verzerrungen impliziert. Bei Zeitmangel kann die Bearbeitung unterbrochen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen werden. Damit wird das Problem der Befragungsunterbrechung vermieden. Die Zusicherung der Anonymität der Auskunftspersonen steigert deren Auskunftsbereitschaft. Wenngleich immer versteckte Kennzeichnungen auf dem Fragebogen vermutet werden. Es sind sehr hohe Fallzahlen mit begrenztem Aufwand erreichbar. Die Abwicklung des Versands der Fragebögen ist weitgehend mechanisierbar, so dass selbst große Aussendungen schnell und kostengünstig handelbar sind. Dem stehen folgende Nachteile gegenüber. Unvollkommenheiten im Fragebogen, die ein Interviewer ausgleichen könnte, bleiben ohne Korrekturmöglichkeit. Der Gegenstand der Befragung beschränkt sich somit auf einfache, klare und leicht verständliche Sachverhalte. Es ist eine gewisse Schreibgewandtheit der Auskunftspersonen vorauszusetzen, was nicht in allen Bevölkerungsschichten ohne Weiteres selbstverständlich ist. Außerdem ist die Lesbarkeit bei Antworten offener Fragen oft zweifelhaft. Fehlinterpretationen durch falsch verstandene Sachverhalte können nicht aufgeklärt werden und führen so zu unkontrollierten Falschantworten oder Ausfällen, welche die Repräsentativität gefährden. Die Reihenfolge der Beantwortung der Fragen ist nicht kontrollierbar. Von daher können auch keine Kontrollfragen gestellt werden. Umgekehrt sind Fragen, deren Beantwortung von anderen Fragen abhängig ist, nur schwerlich einsetzbar. Dadurch ist die Fragebogentaktik stark eingeschränkt. Es fehlt an Stimuli zur Erhöhung der Auskunftsbereitschaft. Dazu ist allenfalls das Fragebogenlayout in begrenztem Maße in der Lage. Insofern kommt es leicht zu Ermüdungserscheinungen. Ebenso fehlt die Beobachtung von Reaktionen der Probanden beim Ausfüllen des Fragebogens (z. B. in Form von Spontanreaktionen) sowie die Registrierung von Umfeldeinflüssen. Dabei ist vor allem die mögliche Anwesenheit Dritter nicht kontrollierbar. Evtl. wird der Fragebogen nicht von der Zielperson, sondern durch diese Dritten, oder zumindest gemeinsam mit diesen, ausgefüllt. Damit ist die Repräsentanz der Antworten nicht mehr gegeben. Es entsteht ein Identitätsproblem. Allgemein werden überlegtere Antworten gegeben, damit ist ein höherer kognitiver Anteil verbunden, der zu Verzerrungen gegenüber der Realität, die eher durch affektive Einschätzungen geprägt ist, führt. Sofern in einer Voranfrage die Bereitschaft zur Teilnahme an einer schriftlichen Befragung abgeklärt wurde, besteht die Gefahr systematischer Fehler, wenn zu vermuten ist, dass reagierende und nicht-reagierende Personen sich in Bezug auf die zu untersuchenden Merkmale systematisch

I. Erhebungsmethoden

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unterscheiden. Der Umfang des Fragebogens ist begrenzt, da eine unmittelbare Konfrontation mit dem gesamten Fragenumfang stattfindet. Je mehr Fragen man dabei gegenwärtig wird, desto wahrscheinlicher ist eine Verweigerung der Bearbeitung. Es können keine verschleiernden Zielsetzungen angestrebt werden, da der gesamte Fragebogen genutzt wird. Das Adressmaterial kann unvollständig sein und allein schon dadurch eine Einschränkung der Grundgesamtheit darstellen. Verzerrungen entstehen durch verzögerte Wohnsitzmeldung, Umzug, Auslandsaufenthalt, Zweitwohnsitz etc. Der Zeitpunkt der Beantwortung eines Fragebogens kann meist weder bestimmt werden noch ist er einheitlich. Dies ist bei stichtagsbezogenen Erhebungen sehr hinderlich. So können kurzfristige Einflüsse auf die Beantwortung einwirken (etwa bei politischen Themen). Komplizierte und aufwändige Nachfassaktionen machen den Kostenvorteil der schriftlichen Befragung ganz oder teilweise wieder zunichte, wenn die erwartete Rücklaufquote nicht erreicht wird. 6.3.2

Hinweise zur Fragebogengestaltung

Selbstverständlich sollte zwischenzeitlich eine optisch ansprechende Frage­ bogengestaltung sein, die angesichts DTP-Ausstattung kein Problem mehr darstellt. Komplizierte Fragebogen-Designs, wie sie für mündliche Befragungen durchaus Interviewern zuzumuten sind, verbieten sich für schriftliche Befragungen. Eine übersichtliche, gut gegliederte Darstellung ist hingegen unverzichtbar. Wo immer möglich sollte mit grafischen Elementen anstelle von textlichen gearbeitet werden (ein Bild sagt mehr als tausend Worte). Auch sollen die gewählten Antwortprinzipien und Skalen durchgängig über alle Fragen beibehalten werden. Die Filter­führung im Fragebogen muss so einfach wie möglich gehalten werden. Auf komplizierte Fragebogenfilter, die ganze Passagen überspringen, sollte ganz verzichtet werden. Es versteht sich, dass Fragebögen so kurz wie möglich gehalten werden sollen. In jedem Fall bedarf auch die schriftliche Befragung eines ausführlichen Tests vorweg, um anderweitig leicht zu übersehenden Durchführungsbarrieren zuvorzukommen. Formal hat sich die Anwendung von weniger, dafür größeren Seiten bewährt (z. B. DIN A 3-Bogen auf DIN A 4 gefalzt). Zumal einzelne Blätter, wenn sie nicht fest verbunden sind, leicht verloren gehen. Dieser Gefahr unterliegt im Übrigen auch der Antwortumschlag. Bei der Schriftgröße liegt die Verlockung nahe, eine kleinere Typo zu verwenden, um mehr Text auf einer gegebenen Fläche unterzubringen. Dabei sollte man jedoch nicht die verbreitete Weitsichtigkeit, schon ab mittlerem Alter, in der Bevölkerung vergessen. Farbiges Papier bzw. farbige Fonds mögen zwar aufmerksamkeitssteigernd wirken, zugleich verschlechtern sie aber auch die Lesbarkeit des Textes. Zudem mag die Farbe nicht gerade als Zeichen erhöhter Seriosität des infrage stehenden Projekts gedeutet werden. Auch die Papierqualität ist ein wichtiges Signal. Aus Porto­

402

C. Marketinginformation

kostengründen wird hier oft leichtes (Florpost-)Papier verwendet, das aber die vorgebliche Bedeutung der Umfrage in den Augen der Zielpersonen konterkarieren dürfte. Die Wahl von Typographie, Farbigkeit und Papierart setzt zudem wichtige, non-verbale Signale in Bezug auf den Initiator der Befragungsaktion und sein Verständnis über die Auskunftspersonen. Daher sind diese Variablen mit Bedacht auszuwählen. Bei der Formulierung der Fragen gelten alle Anforderungen der mündlichen Befragung. Für die Antwortangabe ist das Ankreuzen von Antwortalternativen hilfreich, nicht nur wegen einer evtl. maschinellen Auswertung, sondern auch wegen einer verbreiteten Handschrift- bzw. Ausdrucksfähigkeitsproblematik. Zwar gilt eine Mehrthemenbefragung grundsätzlich als methodisch vorteilhaft, bei schriftlichen Befragungen führt sie jedoch gerade zu längeren, abschreckend wirkenden Fragebögen und ist damit kontraproduktiv.

6.3.3

Ursachen des Rücklaufproblems und dessen Lösung

Trotz dieser sorgfältigen Gestaltung des Fragebogens, einer klaren Struktu­ rierung mit leichten Einstiegsfragen, einfachem Fragenablauf und ansprechender optischer Aufbereitung gilt ein besonderes Augenmerk der Steigerung der Rücklaufquote, die bestenfalls 15–40 % beträgt, regelmäßig aber weit darunter liegt. Die Halbwertzeit des Rücklaufs liegt erfahrungsgemäß bei 10–14 Tage, d. h. bis dahin ist etwa die Hälfte des insgesamt zu erwartenden Rücklaufs erfolgt. Gründe für ein Rücklaufproblem sind, dass: • der Fragebogen abwesende, verreiste, verzogene, verstorbene Adressaten erst gar nicht oder außerhalb des Erhebungszeitraums erreicht, • eine Verwechslung der Erhebungsunterlagen mit unverlangt zugesandten Werbesendungen vorliegt, die ungelesen entsorgt werden, • die Auskunftsperson nur gering involviert ist (Desinteresse, Misstrauen, Bequemlichkeit) und sich in der Sache als nicht-betroffen bzw. nicht-zuständig erachtet, • die Auskunftsperson antwortunfähig ist (geistig behindert, sprachunkundig etc.). • ein weit verbreitetes Misstrauen gegen personenbezogene Informationsabgabe, gerade auch aus Gründen des Datenschutzes, besteht, • in der Befragung Tabubereiche angesprochen werden, zu denen man sich nur ungern äußert, wenn es sich denn vermeiden lässt, • der formale Aufbau des Fragebogens und die Gestaltung der Fragen einen erhöhten Schwierigkeitsgrad vermuten lassen, dem man sich nicht gewachsen glaubt oder aussetzen will,

I. Erhebungsmethoden

403

• Befragungsunterlagen verloren gehen oder verlegt werden, wie das im täglichen Durcheinander leicht passieren kann, • der Ergebniseintrag aufgeschoben und schließlich vergessen bzw. das Abgabedatum überschritten wird, weil Zeitmangel vorliegt oder vorgeschoben wird. Möglichkeiten für Maßnahmen zur Rücklaufverbesserung sind etwa folgende: • Glaubwürdige und neutrale Berichte über das entsprechende Forschungsvorhaben, welche die Seriosität unterstreichen, • handgeschriebene Zusätze, die von Individualität zeugen, so dass nicht unbedingt der Eindruck einer Massenaussendung entsteht, • Zugabe positiv wirkender Fotos über das Projekt, denn Bilder wirken informativ und motivierend, • Versand trotz Kostenvorteil nicht als Drucksache, da damit eine Aussonderungsgefahr bereits im Posteingang besteht, sondern als „normaler“ Brief, • Versand an postschwachen Tagen (montags), nicht zu Stresszeiten (Jahresende) oder in der Ferienzeit, um eine erhöhte Beachtung zu erreichen, • Wahl von Sonderbriefmarken zum Portofreimachen, anstelle von Freistempler oder „normalen“ Briefmarken, • Nachfassaktion über Telefon oder schriftlicher Nachfass als Reminder, auch mehrmalig, wenn es erforderlich scheint, • evtl. nochmaliger Versand des gleichen Fragebogens mit geändertem Anschreiben, um die Bearbeitungschance zu erhöhen, • „Androhung“ eines Interviewerbesuchs, falls eine Beantwortung nicht erfolgt, so dass Probanden das kleinere Übel zu wählen geneigt sind, • Setzung einer relativ knappen Deadline zur Rücksendung (allerdings problematisch bei Überschreiten der Deadline, da die Rücksendung selbst ausgefüllter Fragebögen dann als nicht sinnvoll erachtet wird), • telefonische oder schriftliche Vorankündigung und Angabe einer Kontakttelefon­ nummer zur Rückfrage bei Unklarheiten, um vermeidbare Abbruch- oder Zurückweisungsquellen zu beheben, • Begleitschreiben mit persönlicher Anrede (Zusicherung der Anonymität, Vorausdank, Erklärung des Befragungszwecks), evtl. von einer „Autorität“, die abhängig von der intendierten Auskunftsgruppe ist, verfasst, • optisch ansprechende Fragebogengestaltung, dies ist heute durch DTP-Gestaltung eine Selbstverständlichkeit, • Beifügung eines freigemachten Rückumschlags oder Gebühr-bezahlt-Empfänger-Vermerks, so dass Kosteneinwendungen aufgefangen werden können,

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C. Marketinginformation

• genaue Angabe des Rückempfängers, möglichst durch Eindruck, so dass das Ausfüllen der Adresse erspart bleibt, • Kopplung mit kleinen Geschenken oder Gewinnanreizen (allerdings ist dies umstritten, weil dadurch Gefälligkeitsantworten wahrscheinlich sind und die Anonymität der Befragungsperson verloren geht), • Zusage der Ergebnisberichterstattung als Feedback, damit der Befragte von der gesammelten Information profitiert, • Kombination mit Garantiekartenrücksendung oder Produktbeilage bei Käufern.

6.4

Kombinierte Befragungsformen

Als Sonderformen der schriftlichen Befragung sind vor allem zwei zu nennen. Bei der Klassenzimmerbefragung werden an eine Anzahl in einem Raum versammelter Personen Fragebögen verteilt, die von diesen simultan auszufüllen sind. Dadurch können wesentliche Vorteile der mündlichen und schriftlichen Befragung kombiniert und zugleich deren wesentliche Nachteile vermieden werden. Das Ausfüllen erfolgt unter Anleitung (Inhall-Befragung). Es sind klärende Nachfragen möglich. Der Interviewereinfluss wird minimiert. Die eindeutige zeitliche und personelle Zurechenbarkeit der Ergebnisse ist möglich. Vollständiges Aus­ füllen und hohe Ausschöpfungsquote sind gegeben. Bei der Caravan-Befragung wird der Raum durch ein mobiles Befragungs­ studio ersetzt, in dem mündliche oder schriftliche Interviews durchgeführt werden. Der Vorteil liegt in der räumlichen Variabilität. So können zufällig vorbeikommende Personen unmittelbar nach dem „Baggern“ befragt werden. Außerdem können leicht unterschiedliche Standorte abgedeckt werden. Allerdings stellt sich die Frage der Auswahlsystematik. Die POS-Befragung (Shop Survey) erfolgt durch das Ausfüllen von Frage­ bögen am Einkaufsort selbst durch Kunden/Besucher (also im Laden/am Point of Sale). Dort kann je nach Bedarf bei Käufern oder Nichtkäufern erhoben werden. Dabei ist der Einfluss des Kaufentscheids oder dessen Ablehnung noch besonders frisch, was je nach Lage der Dinge erwünscht sein oder verzerrend wirken kann. Eine weitere Sonderform besteht in der Ergänzung eines längeren Face to FaceInterviews durch einen zweiten Fragebogen, welcher der Zielperson im Anschluss an das persönliche Interview als Selbstausfüller hinterlassen wird. Dieser schriftliche Fragebogen wird entweder durch den Interviewer zu einem späteren Zeitpunkt wieder abgeholt oder durch die Zielperson per Post zurückgesandt. Typische Anwendungsbeispiele für diese Art der Kombinationsmethode liefern groß an­gelegte Markt-Media-Analysen.

I. Erhebungsmethoden

405

Durch die Verbreitung von Telefax-Geräten kann eine Befragung via Fax insb. bei kurzem Fragebogen und eiligem Informationsbedarf eine Überlegung wert sein. Ein Telefax ist schneller und kostengünstiger als ein postalischer Fragebogen und sein Beachtungswert ist oft höher. Damit steigt die Chance der Beantwortung. Vor allem im internationalen Business to Business-Bereich mit nahezu 100 %iger Fax-Abdeckung ist diese Befragungsvariante denkbar. In allen anderen Bereichen ist dies jedoch nicht mehr so sinnvoll. 6.5

Computergestützte Befragung

6.5.1 Bildschirmbefragung Bei der computergestützten Befragung sind mehrere Ausgestaltungsformen zu unterscheiden. Im Wesentlichen handelt es sich um die Bildschirmbefragung als moderne Form der mündlichen Befragung, die Computerbefragung als moderne Form der schriftlichen Befragung und die computergestützte Telefonbefragung als moderne Form der telefonischen Befragung (siehe Abbildung 81). Zunächst zur Bildschirmbefragung. Computer Assisted Personal Interviewing CAPI (Bildschirmbefragung analog zur traditionellen mündlichen Befragung) Computer Assisted Self Interviewing CASI (Computerbefragung analog zur traditionellen schriftlichen Befragung) Computer Assisted Telephone Interviewing CATI (Computer gestützte Telefonbefragung analog zur traditionellen Telefonbefragung)

Abbildung 81: Computergestützte Befragungsformen

Als Bildschirmbefragung (Computer Assisted Personal Interviewing/CAPI) bezeichnet man eine Form, bei welcher der Fragebogen durch ein PC-Display ersetzt wird und der Eintrag durch eine PC-Tastatur. Dabei liest der Interviewer Fragen vom Bildschirm ab und tippt die Antworten der Auskunftsperson über ein alphanummerisches Keyboard ein. Dabei sind zahlreiche Verfeinerungen denkbar. So ist neben der Sprachausgabe der Fragen auch die Spracheingabe der Antworten möglich. Der Interviewer kann auch mehreren Personen im Teststudio eine Frage vortragen, und diese geben ihre Antworten parallel selbst an PC’s ein. Auch können

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C. Marketinginformation

die Antwortalternativen auf eine vorgetragene Frage als Strichcodes auf einem Vordruck ausgewiesen sein, die mit einem Lesestift abgetastet und dadurch eingegeben werden (Scanning). Bei der Bildschirmbefragung werden folgende wichtige Formen unterschieden: • Simultane Mehrpersonenbefragung. In einem Studio werden dazu mehrere Personen durch einen Interviewer befragt. Die Antworten werden von ihnen über eine alphanummerische Eingabetastatur oder optische Datenerfassungsgeräte (z. B. Handscanner mit Strichcodevorgabe für die Antwortalternativen) parallel selbst an ihren Plätzen eingegeben. • Unabhängige Mehrpersonenbefragung. Dabei werden mehrere Personen getrennt voneinander erhoben. Der Interviewer liest die Fragen jeweils vor und gibt die Antworten der Probanden nach Einzelabfrage per Tastatur ein. Denkbar ist auch die zeitgleiche Abgabe von Fragen an alle beteiligten Probanden. • Mobiles Datenerfassungssystem (Bildschirmbefragung i. e. S./MDE). Dabei werden Personen in ihrem gewohnten sozialen Umfeld per Laptop durch Interviewer befragt. Die Antworten werden auf Datenträger gespeichert. Die Datenträger werden danach ausgelesen und zentral ausgewertet. Als allgemeine Vorteile sind folgende zu nennen. Jeweils sind durch leichte Handhabung auch komplexe Befragungsformen möglich, ebenso wie längere Befragungen. Die Befragungsdurchführung kann zudem individuell auf die Auskunftsperson zugeschnitten werden. Splits und Filterführungen werden automatisch vollzogen. Abhängig von der jeweils gegebenen Antwort wählt das Programm die Folgefrage. Dadurch sind auch kompliziertere Abläufe darstellbar. Offene Fragen sind einsetzbar, denn ausführliche Antworten können vollständig aufgenommen werden. Eine Kürzung des Antworttextes aus Platzgründen ist nicht erforderlich und die Eingabe über die PC-Tastatur leicht vorzunehmen. Die Antworten auf offene Fragen können automatisch kategorisiert und codiert werden. Die Codepläne zur Auswertung werden parallel zur Befragung entwickelt und lassen sich sukzessiv vervollständigen. Signifikanzkriterien können laufend beachtet werden. Stichproben sind sequenziell ziehbar und Zwischenauswertungen jederzeit abrufbar. Über Datenstabilitätsprüfungen kann ermittelt werden, ob die vorliegende Fallzahl bereits für ein gesichertes Ergebnis ausreicht, selbst wenn die Stichprobe noch nicht vollständig ausgeschöpft ist. Eine relativ schnelle Datenverarbeitung mit automatischer, integrierter Auswertung der Ergebnisse ist ge­geben. Die Kosten für eine manuelle Übertragung der Daten entfallen. Dabei ist die Datenerfassung zugleich sicherer, da Übertragungsfehler entfallen, wie sie bei der Vercodung durch Nachlässigkeiten leicht vorkommen können. Außerdem werden bei vollstandardisierten Fragen weniger Interviewer benötigt. Eine hohe Aussageeffizienz ist darstellbar. Zudem lässt sich die Interviewdauer verkürzen. Es ist ein mobiler Einsatz machbar. Denn kompakte Laptops sind portabel und ohne großen Aufwand arbeitsfähig. Der Interviewer-Bias wird minimiert. Der Interviewer

I. Erhebungsmethoden

407

wird entlastet und kann sich stärker auf den Interviewpartner konzentrieren, da ihm wesentliche Arbeiten durch den PC abgenommen werden. Es sind ständige Plausibilitätskontrollen (auf Fehler, Inkonsistenzen etc.) möglich. Dies erfolgt durch programmierten Rückgriff auf vorangegangene Antworten. Widersprüchliche Ergebnisse werden so erkannt, ungültige Eingaben zurückgewiesen und Zusatzfragen zur Korrektur erzeugt. Parallel können weitere Testsysteme über Datenbus angeschlossen werden. Es ist eine unmittelbare, integrierte Auswertung der Ergebnisse möglich. Die Datenauswertung wird damit beschleunigt. Die Fragenund Antwortkategorien können randomisiert werden, wodurch Positionseffekte ausgeschaltet werden. Dies erfolgt durch zufallsgesteuerte Rotation von Interview zu Interview. Bildvorlagen können durch Einscannen eingebunden werden. Peripherie wie Kamera, DVD etc. können befragungssynchron gesteuert werden. Allerdings entsteht dabei ein gewisser Handlingaufwand für Inbetriebnahme und Vernetzung. Dem stehen folgende Nachteile gegenüber. Es entstehen relativ hohe Investitions­ kosten. Zwar fallen die Preise kontinuierlich, doch zugleich verkürzt sich auch der Lebenszyklus der Technologien, so dass zügige, dann aber wieder teure Neuanschaffungen erforderlich sind, um up to date zu bleiben. Eine intensive Interviewerschulung ist erforderlich, um eine kompetente, persönliche Betreuung zu ermöglichen. Die Technik muss so sicher beherrscht werden, dass sie möglichst wenig Aufmerksamkeit bindet. Ein hoher Stromverbrauch ist gegeben (mobil entsprechend ein hoher Batterieverbrauch). Dadurch ist der Aktionsradius des Einsatzes begrenzt. Dies gilt vor allem für optische und mechanische Bauteile. Die Geräte sind empfindlich in Transport und Einsatz. Daher sind nicht selten Operator-Kenntnisse beim Interview erforderlich, um Störungen zu beheben. Eine komplexe Datenübertragungskoordination ist erforderlich. Dabei können Datenträger (offline) oder Datenleitungen (online) genutzt werden, in jedem Fall ist perfekte Kompatibilität erforderlich. Bislang ist nur begrenzt viel Software verfügbar (z. B. Rogator). Für jeden Fragebogen entsteht ein hoher Programmieraufwand. Die Programmierung betrifft die Eingabe von Fragen und Antwortkategorien, die Festlegung der Filterführung, die Rotation und Randomisierung, die Planung von Rückgriffsequenzen auf Vorantworten, die Eingabe von Intervieweranweisungen und Hilfsinformationen, die Gestaltung von Bildschirmlayout, Hintergrund und Hervorhebungen. Es sind weitgehend nur standardisierte Fragen anwendbar. Denn offene Fragen erfordern durch ihren nach wie vor hohen Eingabeaufwand Zeit und Aufmerksamkeit, die für die eigentliche Interviewführung fehlen. Die bisher durchgeführten Untersuchungen sind noch nicht in allen Teilbereichen hinreichend validiert. Es steht jedoch zu befürchten, dass die Auskunftsfreudigkeit und -ehrlichkeit durch die Tatsache der Tastatureingabe nicht gerade gesteigert wird. Die Vorlage von Bildern, Skalen etc. ist nur eingeschränkt möglich. Allerdings dürften diese und andere technischen Probleme im Zeitablauf immer geringer werden. Dafür sorgt der technische Fortschritt.

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6.5.2 Computerbefragung Als Computerbefragung (Computer Assisted Self Interviewing/CASI) bezeichnet man eine Form, bei welcher der Interviewer durch einen PC „ersetzt“ wird. Auskunftspersonen lesen Fragen also selbst am PC-Monitor ab und geben ihre Antworten selbst, oder durch Helfer unterstützt, über die Tastatur ein. Auch hier sind zahlreiche Verfeinerungen denkbar. So können Abfrageplätze derart vernetzt sein, dass ein Zentral-Computer die Fragen ausgibt und mehrere Personen dezentral (an einem oder mehreren Orten), aber parallel ihre Antworten eingeben. Die Antworterfassung kann auf Datenträger erfolgen, der dann eingesendet oder überspielt wird (offline) oder über Datenleitung (online). Bei der Computerbefragung werden folgende wichtige Formen unterschieden: • Befragung über Monitor. Dabei werden die Fragen auf einem Videobildschirm angezeigt. Die Probanden geben ihre Antworten dazu an einem getrennten Terminal zeitgebunden ein. • Computerbefragung i. e. S. Dabei werden Fragen über Computermonitor zugespielt und die Antworten über alphanummerische Tastatur, Lichtgriffel, Maus o. Ä. von Probanden direkt eingegeben. Es findet also kein Medienwechsel mehr statt. • CD-ROM by Mail. Dabei wird anstelle eines Fragebogens ein Datenträger übersandt, den der Proband auf seinem Computer öffnet, bearbeitet, speichert und wieder zurücksendet (Prepared Data Entry). Dies erleichtert gegenüber herkömmlichen schriftlichen Befragungen die Auswertung und ist vor allem noch in Ländern mit instabiler oder weitmaschiger Leitungsstruktur hilfreich. Als allgemeine Vorteile sind folgende zu nennen. Jeweils ist eine Kostenersparnis sowohl im Vergleich zur herkömmlichen Befragung als auch zur stationären Bildschirmbefragung gegeben. Dies liegt vor allem in der weitgehenden Ersparnis der Personalkosten für Interviewer begründet. Es entsteht kein Interviewerbias. Der Interviewerstab kann zudem minimiert werden. Der Einfluss von sozialer Erwünschtheit und Prestige bei Antworten wird merklich reduziert, denn der Computer ist ein anonymer Gesprächspartner. Eine schnelle Verarbeitung und Zentralkoordination bzw. Auswertung wird möglich. Dies betrifft die datenverarbeitungstypischen Vorteile. Der Spieltrieb bzw. der Spaß an der Bedienung des elektronischen Geräts wird gefördert. Bei der Beantwortung herrscht dabei durch die eigenständige Bedienung autonome Entscheidungsfreiheit. Fragen können in sämtlichen Sprachen und Schriften dargeboten werden. Damit sind einmal erstellte Programme auch international einsetzbar, sowie in einem Land auch ausländische Bewohner erreichbar. Der Proband kann die Befragungsgeschwindigkeit selbst bestimmen. Insofern spielen unterschiedliche Ausbildungs- und Persönlichkeitsmerkmale, wie Auffassungsgabe der Befragten, keine Rolle mehr. Bei Bedarf können zu einzelnen Fragen erläuternde Informationen aufgerufen oder

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aber Kommentare und Anmerkungen eingegeben werden. Dazu gibt es eine entsprechende Hilfe-Funktion. Reihenfolgeeffekte können durch Randomisierung oder systematische Rotation vermieden werden. Dies gilt sowohl für Themen als auch für Fragen und Antwortkategorien. Es können keine Fragen versehentlich übergangen werden, da der Fragenabruf automatisch gesteuert ist. Dadurch wird eine optimale Standardisierung und damit Vergleichbarkeit des Befragungsablaufs erreicht. Die Quoteneinhaltung kann laufend überwacht werden, indem Quotenstichproben noch während der Erhebung auf ihren Erfüllungsgrad hin überprüft werden. Ein Abbruch bei Ergebnisstabilisierung ist möglich. Die Zulässigkeit von Antworten kann sofort überprüft und ggfs. Fehlermeldung gegeben werden. Zur korrekten Erfassung von objektiven Informationen (Hersteller, Marke etc.) können Hintergrunddateien angelegt werden, die eine automatische Antwortprüfung vornehmen und falsche Antworten zurückweisen. Die Antwortzeit einzelner Fragen lässt sich ermitteln, wodurch Rückschlüsse zur Interpretation der Ergebnisse möglich sind. Dazu misst die interne Uhr den Zeitabstand zwischen Fragenaufruf am Bildschirm und Antworteingabe auf der Tastatur. Das Interview kann jederzeit und beliebig oft unterbrochen und an jeder Stelle wieder aufgenommen werden. Vorausgegangene Antworten können dabei wieder vorgelegt und Falscheingaben korrigiert werden, der Befragungsverlauf wird dann entsprechend angepasst. Die Dokumentation des Befragungstages, des Interviewbeginns und -endes und der Unterbrechungen schließt Fragebogenfälschungen nahezu aus. Die Interviews haben tatsächlich stattgefunden. Dem stehen folgende Nachteile gegenüber. Die Beantwortung erfolgt unter weitgehend unkontrollierten Bedingungen, vor allem kann der Spieltrieb auch überzogen werden. Er führt dann zur Ablenkung von der eigentlichen Thematik und zur Unübersichtlichkeit des Ablaufs. Das Lesen der Fragen zwingt den Befragten zur Konzentration auf die Frageninhalte, was zu gegenstandsbezogeneren Antworten führt. Die ganze Atmosphäre ist sachlicher, rationaler, weniger spontan und emotional. Vor allem besteht ein Identitätsproblem bei der Befragung, da ungewiss ist, welche Person genau die Antworteingaben vorgenommen hat. Die Komplexität der Befragung kann Antwortschwierigkeiten bei weniger versierten Probanden hervorrufen. So geht der Kontext der Fragen leichter verloren und ein einfaches Vor- oder Zurückblättern ist nicht möglich. Es ist eine reduzierte Lesbarkeit der Fragen bei Sehproblemen gegeben. Dies gilt zumal für die relativ kleinen Displays portabler Computer. Hier können die Schriftenwahl und das Seitenlayout Abhilfe schaffen. Die Befragungsdauer ist begrenzt, was bei differenzierten Themen hinderlich ist. Bei Unverständnis oder Zeitproblemen kommt es zum Befragungsabbruch, denn es besteht keine Möglichkeit des Nachfragens bei nicht verstandenen Fragen sowie ein hoher Eingabeaufwand bei offenen Fragen. Es entstehen psychologische Konflikte durch Akzeptanzprobleme. Dies gilt vor allem bei Berührungswiderständen mit Technik allgemein und Elektronik im besonderen. Es sind weitgehend nur standardisierte Fragen möglich, wenn keine Fingerfertigkeit in der Eingabe besteht. Dies wird sich erst mit Verbreitung der Sprach-

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C. Marketinginformation

eingabe oder der Handschrifterkennung ändern. Die Validität dieser Form durch Vergleich mit herkömmlichen Befragungen ist nicht hinreichend gesichert. Noch auf lange Zeit hin besteht eine eingeschränkte Repräsentanz für Massenumfragen aufgrund unvollständiger Verbreitung von Hardware und Datenleitungen. Zudem gibt es Probleme mit Chip-Generationen und Betriebssystemebenen. BewegtbildDarbietung erhöht zudem den Handling- und Kostenaufwand.

6.5.3

Computergestützte Telefonbefragung

Das computergestützte Telefon-Interviewsystem (Computer Assisted Telephone Interviewing/CATI) ist eine Sonderform der telefonischen Befragung. Dabei werden vom Interviewer die vor ihm auf dem Bildschirm erscheinenden Fragen dem Befragten am Telefon vorgelesen und dessen Antworten wieder in den Computer eingegeben. Daraufhin wird vom Programm entsprechend des Fragebogenaufbaus die nächste Frage am Bildschirm generiert. Unzulässige Antworten werden reklamiert. Verzweigungen im Fragenablauf werden in Abhängigkeit von den jewei­ ligen Antworten unmittelbar eingeschlagen. Der Computer übernimmt also den gesamten technischen Ablauf der Befragung von der Anzeige der Telefonnummer bis zur automatischen Anwahl der Zielpersonen. Nicht erreichte Personen werden vermerkt oder neu angezeigt und angewählt. Abgebrochene Interviews können gespeichert und zu einem festgesetzten Zeitpunkt wieder fortgesetzt werden. Da parallel zur Datengewinnung eine Datenanalyse erfolgt, muss der Stichprobenumfang nicht von vornherein festgelegt werden. Die Befragung kann so lange fortgeführt werden, bis sich eine Stabilisierung der Ergebnisse einstellt. Die computergestützte Telefonbefragung erfordert allerdings eine vorherige Programmierung des Fragebogens und der Fragenabläufe. Die Möglichkeiten der Fragestellung sind insofern eingeschränkt, als man sich im Wesentlichen auf standardisierte Fragen beschränkt, ferner können Bilder, Grafiken oder Muster nicht vorgelegt werden. Dennoch hat die Möglichkeit der schnellen und kostengünstigen Durchführung zu einer erheblich wachsenden Bedeutung dieser Befragungsform geführt. Eine Sonderform ist der Voice Computer. Dabei stellt ein Voice Mail-System via Telefon Fragen und identifiziert die Antworten der Zuhörer anhand von Sprache (Voice Recognition) oder über (Tonwahl-)Tastatursignal (Touchstone Data­ Entry). Die Anwahl erfolgt ebenfalls computergesteuert. Zusätzliche Möglichkeiten entstehen durch Bewegtbild-Telefonie (Bildtelefon wie z. B. Skype). Hier kann zusätzlich auch die Mimik, evtl. auch Gestik, des Probanden ausgewertet und aus den wahrgenommenen Körpersignalen auf Befragungsinhalte geschlossen werden. Auch aus der Physiognomie des Probanden

I. Erhebungsmethoden

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können Rückschlüsse gezogen werden. Interviewerseitig können Vorlagen gezeigt oder relevante Aspekte demonstriert werden. Zudem entsteht eine leichtere Vertrauensbasis, wenn man den Gesprächspartner sieht. Es können auch Sachverhalte im Umfeld des Probanden erfasst bzw. gezeigt werden. Der Proband kann seinerseits Vorlagen zeigen. Ebenso sind Mehrpersonen-Interviews möglich. Zudem entstehen alle Vorteile aus Telefon- und CA-Interviews. ­ uflösung, Allerdings ist die technische Übertragungsqualität noch beschränkt. A Blickwinkel, Tonqualität sind, gerade im internationalen Bereich, problematisch. Die Repräsentanz der Grundgesamtheit ist auf absehbare Zeit nicht gegeben. Durch die Bildwiedergabe entsteht möglicherweise eine Befangenheit in der Auskunft. Zudem entstehen alle Nachteile aus Telefon- und CA-Interviews. Als allgemeine Vorteile sind folgende zu nennen. Es ist eine schnelle Durchführung von Befragungen möglich. Das Adressmaterial ist über entsprechende Verzeichnisse leicht zugänglich. Die Stichprobe kann relativ exakt ausgeschöpft werden, indem Personen automatisch angewählt und ihr Anschluss bei Nichterreichung zwischengespeichert wird. Der Untersuchungsleiter kann jederzeit den Befragungsablauf durch Aufschalten auf die Verbindung kontrollieren. Dem stehen folgende Nachteile gegenüber. Für eine effiziente Untersuchung sind relativ hohe Investitionskosten erforderlich. Es besteht nur ein eingeschränkter Anwendungsbereich. Fragethematiken können nur begrenzt bis gar nicht durch Bilder, Karten, Produktmuster etc. unterlegt werden. Mit steigender Interviewdauer besteht eine wachsende Abbruchgefahr, die durch die Anonymität der Befragung noch erhöht wird.

6.6

Sonderform Omnibusbefragung

Die Omnibusbefragung ist eine Mehrthemenbefragung, d. h. in einem einzigen Erhebungszyklus werden mehrere Themen, meist von verschiedenen Auftraggebern, abgefragt. Sie steht damit im Gegensatz zur Spezialbefragung, die nur ein Thema beinhaltet. Es wird zwischen Verbraucher-, Haushalts-, Handels- und Sonder-Omnibussen unterschieden. Oft werden solche Omnibusse turnusmäßig selbstständig von Marktforschungs-Instituten „abgefahren“, wobei die Ergebnisse nachher potenziellen Interessenten zur Verwertung angeboten werden. Die Omnibusthemen können von einem Auftraggeber stammen, kommen aber in der Regel von mehreren Auftraggebern (Multi Client Study). Es kann sich aber auch um individuell zusammengestellte Themenkomplexe handeln (Beteiligungsuntersuchung) oder um ein einheitliches Fragengerüst, das durch auftraggeberspezifische Sonderfragen ergänzt wird (Eingliederungsuntersuchung). Zu diesen wird durch Subskription eingeladen, der Ergebnisbericht ist dann mit wesentlichem Preisnachlass zu beziehen.

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Die Abwicklung wird durch die weitgehende Standardisierung der Befragungsanlage wesentlich beschleunigt und erlaubt eine schnelle und unkomplizierte Durchführung. Dies gilt vor allem für den Fall nicht allzu spezifischer Erhebungsinhalte und nicht zu spezieller Erkenntniserwartungen. Ein Kostenvorteil entsteht, da sich die technischen Kosten auf mehrere Beteiligte verteilen (man kann von einem Faktor 50 gegenüber der Einthemenbefragung ausgehen). Damit steht auch Klein- und Mittelbetrieben die Chance zu einer repräsentativen Massenumfrage offen. Dies gilt vor allem, wenn nur wenige Fragenkomplexe zu behandeln sind, die den Aufwand einer eigenen Erhebung kaum rechtfertigen. Der Untersuchungsablauf kann abwechslungsreicher gestaltet werden. Daraus folgen ein geringerer Ermüdungseffekt und eine erhöhte Auskunftsbereitschaft. Außerdem werden Lerneffekte wie bei Spezialisierung auf ein Thema gemindert. Von daher werden Spezialbefragungen auch ein oder mehrere, weitere Themen zugemischt, so dass diese zu unechten Omnibussen werden. Die Anzahl der Fragen je Themenbereich ist jedoch beschränkt und abhängig von der gesamten Fragebogenlänge und der Anzahl der Teilnehmer an der Befragung. Damit bleibt der Erkenntnisumfang begrenzt. Sollen weitergehende Erkenntnisse erreicht werden, steht nur der Weg zur Spezialbefragung offen. Es dürfen keine Themenbereiche kombiniert werden, die eine gegenseitige Beeinflussung vermuten lassen. Allerdings können verschiedene Fragenkomplexe durch Pufferfragen getrennt werden. Dabei ist schwierig einzuschätzen, welche Themenbereiche einander wie stark beeinflussen und ob die Puffer ausreichend trennen oder nicht. Der Auftraggeber ist im Timing an den Erhebungsturnus des Omnibusses gebunden. Befragungen können nur zu den dort festgesetzten Terminen stattfinden. Allerdings sind die Abstände zwischen den einzelnen Runden häufig so gering, dass daraus keine Probleme entstehen sollten. Zudem sind immer mehrere Anbieter mit zu verschiedenen Zeitpunkten startenden Omnibussen unterwegs.

7.

Primärerhebung durch Beobachtung

Eine weitere Form der Primärerhebung neben der Befragung ist die Beobachtung. Man unterscheidet die naive Beobachtung, die eher unsystematisch, planlos und ohne klar erkennbares Erkenntnisziel bleibt. Sie ist unprofessionell zu nennen. Und die wissenschaftliche Beobachtung, die einen genau umschriebenen Forschungszweck betrifft, ein planmäßiges Vorgehen zeigt und ein bestimmtes Erkenntnisziel verfolgt. Sie wird systematisch aufgezeichnet und auf allgemeinere Urteile bezogen, statt auf Einzelfälle abzustellen. Außerdem wird sie wieder­ holten Prüfungen auf Gültigkeit, Zuverlässigkeit und Genauigkeit unterworfen.

I. Erhebungsmethoden

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Dabei können verschiedene Varianten der Beobachtung eingeteilt werden (siehe Abbildung 82). Standardisierungsgrad

Beobachtungssubjekt

Beobachtungsform

Teilnahmeform

Beobachtungsbewusstsein

Beobachtungsumgebung

Abbildung 82: Parameter der Beobachtung

Hinsichtlich des Standardisierungsgrads lassen sich Beobachtungen unterscheiden, die nur Sachverhalte erfassen, die in angegebene Kategorien fallen, also z. B. Vornahme eines Preisvergleichs am Regal, und solche, die vom Beobachter subjektiv ausgewählte oder zufällige Kategorien erfassen, also z. B. erkennbarer Ablauf einer Kaufentscheidung. Nach dem Beobachtungssubjekt kann zwischen Fremdbeobachtung und Selbstbeobachtung unterschieden werden. Erstere untersucht Vorgänge, die außerhalb der Person des Beobachters liegen, also z. B. Verweildauer vor dem Schaufenster, letztere untersucht Vorgänge, welche die eigene Person betreffen, also z. B. Wahrnehmung und Einfluss von POS-Werbemitteln. Dabei wirken allerdings vielfältige subjektive Wertungen auf das Erhebungsergebnis ein. Nach der Beobachtungsform kann zwischen persönlicher und unpersönlicher (apparativer) Beobachtung unterschieden werden. Erstere erfolgt durch die Person des Beobachters selbst. Letztere bedient sich zur Kategorisierung der Art, Dauer und Intensität von Reaktionen und zur Erfassung seelischer Erregungs­ zustände technischer Hilfsmittel, die intrapersonale oder interpersonale Tatbestände aufzeichnen und speichern. Dabei handelt es sich um Audio-, Video-, FotoAusrüstungen oder spezielle Apparaturen, die allerdings in ihrer Anwendung sehr umstritten sind. Denkbare weitere Geräte sind Lichtschranke, Zählkreuz, Einwegspiegel, Augenkamera, Blickaufzeichnung, Tachistoskop, Schnellgreifbühne, Psychogalvanometer, Stimmfrequenzanalysator, Programmanalysator etc. Zudem gibt es rechtliche Restriktionen, wonach es sowohl unzulässig ist, unbefugt ein Bild von einem anderen anzufertigen, als auch das nicht-öffentlich gesprochene Wort unbefugt aufzunehmen, zu verwenden und weiterzugeben. Nach der Teilnahme des Beobachter unterscheidet man die teilnehmende und die nicht-teilnehmende Beobachtung. Bei der teilnehmenden Beobachtung bewegt sich der Beobachter auf einer Ebene mit den beobachteten Vorgängen. Eine

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aktive Teilnahme liegt vor, wenn der Beobachter auf die am Beobachtungsort zur Beobachtungszeit stattfindenden Abläufe Einfluss nimmt. Damit ist allerdings die Gefahr der Verzerrung durch die Interaktion des Beobachters gegeben. Denkbar sind Scheinberatungen und -käufe durch Mystery Shopper etwa als Außendienstler in der Investgüterbranche oder als Kunden im Konsumgüterhandel. Eine passive Teilnahme liegt vor, wenn der Beobachter zwar am Ort und zur Zeit der stattfindenden Abläufe anwesend ist, auf diese aber keinerlei Einfluss ausübt. Nach dem Bewusstseinsgrad der Beobachtung lassen sich unterscheiden (siehe Abbildung 83):

Beobachtungssituation Beobachtungssituation ist bekannt ist unbekannt Untersuchungszweck ist bekannt Untersuchungszweck ist unbekannt

offene Situation

nicht-durchschaubare Situation

quasi-biotische Situation

biotische Situation

Abbildung 83: Bewusstseinsgrad der Beobachtung

• offene, durchschaubare Situationen, in welcher der Proband sowohl von der Beobachtung als auch vom Untersuchungszweck weiß, • nicht-durchschaubare Situationen, bei denen der Proband zwar vom Untersuchungszweck weiß, nicht jedoch von der Tatsache der aktuellen Beobachtung, • quasi-biotische Situationen, bei denen der Proband zwar von der Beobachtung weiß, nicht jedoch vom Untersuchungszweck, ihm wird also eine falsche Zielsetzung der Beobachtung vorgegeben, • biotische Situationen, bei denen der Proband weder um die Beobachtung noch um den Untersuchungszweck weiß, diese Form zeitigt meist die besten Ergebnisse, ist jedoch am schwierigsten zu realisieren. Je geringer der Bewusstseinsgrad der Beobachtung, desto geringer ist auch ein möglicher Beobachtungseffekt einzuschätzen. Nach der Beobachtungsumgebung unterscheidet man Feld- und Laborbeobachtung. Bei der Feldbeobachtung erfolgt die Aufzeichnung der Vorgänge und Verhal-

I. Erhebungsmethoden

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tensweisen in der gewohnten, natürlichen Umgebung des Probanden, bei der Laborbeobachtung erfolgt die Erfassung in einer künstlich geschaffenen Situation. Daraus resultieren dann mögliche Beobachtungseffekte. Bei der Bestandsaufnahme werden physische Erhebungen durchgeführt, z. B. als Pantry Check oder Basket Check, bei der Spurenanalyse werden Indikatoren für Ge- und Verbrauch erhoben, z. B. weggeworfene Zigarettenpackungen vor der Halle nach einem Pop-Konzert. Bekannte Beobachtungsverfahren betreffen: • Zählverfahren, z. B. bei Passantenströmen für die Standortanalyse im Einzelhandel, Kundenlaufstudien über die Konfrontation von Personen mit angebotenen Waren, Einkaufsverhaltensbeobachtungen im Hinblick auf Kauf- und Nichtkaufentscheidungen sowie Verwendungsbeobachtungen, die Teil- oder Vor- und Nachbereitungshandlungen in Zusammenhang mit der Produktverwendung betreffen, z. B. bei Handhabungstests. Als allgemeine Vorteile der Beobachtung sind folgende zu nennen. Geschehnisse können während ihres spontanen Vollzugs beobachtet und dabei gleichzeitig die spezifischen Umweltsituationen aufgenommen werden. Von daher wird deutlich, in welchem Kontext sich bestimmte Beobachtungen ergeben. Die Beobachtung ist zudem unabhängig von der Auskunftsbereitschaft der Versuchspersonen. Damit lassen sich selbst ohne Zustimmung Auskünfte erheben, weil die beobachtete Person entweder nicht um die Beobachtung weiß oder ihre ablehnende Haltung nicht durch ein völlig anderes Verhalten äußern kann. So treten sogar Sachverhalte zutage, die ihr selbst nicht bewusst sind. Es entsteht (bei verdeckter Beobachtung) kein Erhebungseinfluss auf Ergebnisse. Dadurch entfällt eine große Verzerrungsquelle, die etwa bei Befragungen gegeben ist. Zu denken ist etwa an tabuisierte Sachverhalte. Beobachtungen lassen sich unabhängig vom Ausdrucksvermögen des Beobachters und der beobachteten Person durchführen. Damit können z. B. Sprachbarrieren problemlos überwunden werden, Formulierungen und Wortwahl sind ohne Bedeutung. Beobachtungen können andere Erhebungsmethoden ergänzen oder verifizieren. Damit kommt es zu einer Kontrolle deren Ergebnisse oder zu einer zusätzlichen Datenermittlung. Denkbar ist etwa die Erfassung durch Beobachtung während einer mündlichen Befragung. Bestimmte Sachverhalte sind nur durch Beobachtung feststellbar, z. B. die Blickbewegung. Auch können auf diese Weise non-verbale Äußerungen (Gestik, Mimik etc.) erfasst werden. Diese sind oft sogar aussagefähiger als verbale Äußerungen, da sie ehrlicher sind. Es lassen sich Sachverhalte erheben, die sich auf mehrere Personen beziehen. Gruppenverhalten ist für viele marketingrelevante Vorgänge typisch, etwa bei Buying Centers im gewerblichen oder Familienentscheiden im privaten Bereich.

416

C. Marketinginformation

Dem stehen folgende Nachteile der Beobachtung gegenüber. Es treten Beobachtungseffekte auf, die aus dem Wissen um die Erhebung entstehen. Weitere Verzerrungen ergeben sich bei aktiver Teilnahme, etwa als Mystery Shopper beim Testeinkauf. Die Erfassung subjektiver Sachverhalte wie Einstellungen, Meinungen, Präferenzen, Kaufabsichten und anderer innerer Vorgänge, ist kaum möglich, denn diese sind durch äußere Inaugenscheinnahme nicht feststellbar, dennoch aber ausschlaggebend für Kauf- bzw. Nichtkaufentscheide. Diesen Mangel können auch apparative Hilfsmittel nicht heilen. Es sind nur gegenwartsbezogene Gegebenheiten erfassbar. Vorgeschichten und Konsequenzen bedürfen der zusätzlichen Beobachtung zu den dann gegebenen Zeitpunkten, bleiben verborgen oder bedürfen der Befragung. Die beobachteten Merkmale sind unterschiedlich interpretierbar. So kann ein und dasselbe Verhalten in mehrere Richtungen gedeutet werden und führt damit zu mehrwertigen Ergebnissen. Hilfreich ist daher ein standardisiertes Erfassungssystem (Notationssystem). Es besteht die Gefahr, dass die Vorstellungen des Beobachters in die Interpretation der Ergebnisse mit einfließen. Insofern ist keine Objektivität in der Erhebung gegeben. Dies gilt auch für die Auswertung apparativer Ergebnisse. Die Beobachtungskapazität von Personen ist, vor allem bei komplexen Sach­ verhalten, beschränkt, da nur vergleichsweise wenige Merkmale zugleich erfasst werden können. Daher sind Arbeitsteilung oder Systembeschränkung erforderlich, um alle relevanten Sachverhalte simultan festzuhalten. Die Beobachtungsmerkmale sind in der durch die Beobachtungssituation gegebenen zeitlichen Reihenfolge determiniert und können nicht anders angeordnet werden, auch wenn dies aus Gesichtspunkten des Forschungsdesigns wünschenswert ist. Die Beobachtung muss im Zeitpunkt des Geschehens erfolgen. Dies ist vor allem misslich, wenn es sich um selten eintretende Phänomene handelt, die eine lange Zeit der Inaktivität bedingen. Eine identische Beobachtungssituation ist nicht wiederholbar. Damit sind auch Ergebnisse mehrerer Beobachtungen untereinander nicht ohne Weiteres vergleichbar. Es sei denn, die Einflussfaktoren des Umfelds werden künstlich reduziert. Repräsentanz ist bei der Beobachtung nur schwierig herbeizuführen, da man auf die Personen angewiesen ist, die in der Beobachtungssituation agieren. Insofern ist keine Zufallsauswahl, sondern nur eine systematische, bewusste Auswahl möglich.

I. Erhebungsmethoden

8.

417

Primärerhebung durch Experiment

8.1 Grundformen Ein Experiment liegt vor, wenn in einer vorangegangenen Phase der Tatbestand, über den ermittelt wird, erst herbeigeführt wurde. Es dient der Überprüfung einer Kausalhypothese, wobei eine oder mehrere unabhängige Variable durch den Experimentator bei gleichzeitiger Kontrolle aller anderen Einflussgrößen isoliert variiert werden, um die Wirkung der unabhängigen auf die abhängige Variable messen zu können. Damit sollen Ursache-Wirkungs-Beziehungen aufgedeckt werden. Dabei hat man immer mit Störfaktoren zu kämpfen, die Ergebnisse verzerren, und nach Möglichkeit auszuschalten, sofern dies nicht gelingt, wenigstens aber zu kontrollieren sind. Dies kann etwa durch den Vergleich der Experimentalgruppe mit einer strukturidentischen Kontrollgruppe geschehen, die dem experimentellen Stimulus nicht ausgesetzt ist. Als Störgröße ist dabei dann jedoch die Vergleichbarkeit beider Gruppen anzusehen. Das experimentelle Design ist der Versuchsplan zum Test signifikanter Unterschiede in Bezug auf die abhängige Variable zwischen unterschiedlichen Kategorien eines oder mehrerer Faktoren. Tests im Marketing unterscheiden sich bei puristischer Sicht von, etwa naturwissenschaftlichen, Experimenten dadurch, dass nicht alle Einflussfaktoren kontrolliert werden können. Unter Experiment versteht man eine wiederholbare, unter kontrollierten, vorher festgelegten Umweltbedingungen durchgeführte Versuchsanordnung, die es mit Hilfe der Wirkungsmessung eines oder mehrerer unabhängiger Faktoren auf die jeweilige abhängige Variable gestattet, aufgestellte Kausalhypothesen empirisch zu überprüfen. Bedingungen sind die Identifizierung der Variablen und ihre Isolierung/Kontrolle, ihre Manipulierbarkeit und die Wiederholbarkeit des Experiments. Beim Experiment handelt es sich um kein eigenständiges Erhebungsverfahren, sondern um eine spezifische Ausprägung experimenteller Befragung und experimenteller Beobachtung. Beim Befragungsexperiment wird die Wirkung eines Faktors auf einen anderen mittels Befragung festgestellt, beim Beobachtungsexperiment mittels Beobachtung. Die Variablen jedes Experiments sind folgende (siehe Abbildung 84): • Testelemente, an denen Experimente ausgeführt werden sollen (z. B. Produkte, Läden, Kunden), • unabhängige Variable, deren Einfluss gemessen werden soll (z. B. Marke, Packung, Preis), • abhängige Variable, an denen die Wirkung gemessen werden soll (z. B. Umsatz, Marktanteil, Einstellung), • kontrollierte Variable, die direkt beeinflussbar sind, deren Einfluss aber nicht untersucht wird und die daher konstant gehalten werden müssen (z. B. Werbeaufwand, Platzierung, Qualität),

418

C. Marketinginformation

Testelement

kontrollierte Variable

unabhängige Variable

Störgröße

abhängige Variable Abbildung 84: Experimentalvariable

• Störgrößen, die nicht direkt beeinflussbar sind, aber daneben Einfluss auf die abhängige Variable nehmen (z. B. Konjunktur, Konkurrenz, Kaufkraft). Um Störgrößen zu kontrollieren und damit experimentelle Versuchsanordnungen herzustellen, werden folgende Techniken angewendet: • Konstanthaltung der Störvariablen, dadurch sind allerdings weniger Informa­ tionsgehalt und Generalisierbarkeit der Ergebnisse gegeben, • Einbau in das Design als unabhängige Variable bei gleicher Häufigkeit aller relevanten Merkmale in beiden Gruppen, was zu mehrfaktoriellen Versuchsplänen führt, • Matching, wobei Paare von Untersuchungseinheiten mit gleicher Störvariablenausprägung verschiedenen Bedingungen (Experiment- und Kontrollgruppe) zugewiesen werden, • Randomisierung, wobei die Störvariablen nach dem Zufallsprinzip Untersuchungseinheiten zugewiesen werden. Es können verschiedene Ausprägungen von Experimenten unterschieden werden (siehe Abbildung 85). Nach dem Umfeld gibt es Feldexperimente, die sich in einer natürlichen Umgebung vollziehen, und Laborexperimente, die in künstlicher, speziell für das Experiment geschaffener Umgebung erfolgen. Der Vorteil des Feldexperiments liegt in seiner Realitätsnähe (hohe Validität), sein Nachteil in der beschränkten Reproduzierbarkeit (niedrige Reliabilität) durch den Einfluss von Störgrößen (Ceteris paribus-Bedingung der Konstanthaltung aller außer der untersuchten Variablen). Beim Laborexperiment ist dies genau umgekehrt (hohe Reliabilität, niedrige Validität). Nach dem Zeiteinsatz können projektive Anlagen, bei denen Veränderungen experimentalbegleitend auf ihre Kausalität hin untersucht werden (= Simultanexperimente), und Ex post facto-Anlagen unterschieden werden, bei denen Kausalitäten erst im Nachhinein abgeleitet werden (= Sukzessivexperimente). Projektive

419

I. Erhebungsmethoden

Experimente konfrontieren also Personen mit der durch experimentelle Bedingungen geschaffenen Situation. Ex post facto-Experimente beruhen auf unabhängigen Variablen, die bereits in der Vergangenheit aufgetreten sind, während abhängige Variable erst in der Gegenwart gemessen werden. Dabei ist allerdings die Kausalitätszuweisung problematisch.

Feldexperiment

Laborexperiment

Simultanexperiment

Sukzessivexperiment

Formalexperiment

Informalexperiment

Abbildung 85: Experimentarten

Nach der Durchführung lassen sich informale und formale Experimente unterscheiden. Informalexperimente nehmen eine zeitliche Differenzbetrachtung bei der Experimental- (und evtl. noch Kontroll-)Gruppe vor, indem diese vor dem Experimentaleinsatz und danach gemessen wird (werden). Dementsprechend ergeben sich aus Kombinationen Testdesigns. Dabei wird darauf verzichtet, Zufallseinflüsse durch Anwendung geeigneter statistischer Verfahren zu analysieren, die Wirkung einer unabhängigen Variablen auf eine abhängige Variable wird durch reine Differenzenbildung zwischen zwei Zeitpunkten oder zwei Gruppen ermittelt. Formalexperimente differenzieren die abhängige Variable nach ihren Einflussgrößen verursachungsgerecht. Dazu werden bekannte Störgrößen einbezogen und in der Versuchsanlage (Testdesign) berücksichtigt. Ziel ist die verursachungsgerechte Aufspaltung der Ergebnisstreuung in Einflüsse von Störgrößen, Zufälligkeiten und der eigentlich interessierenden unabhängigen Variablen. Zufallseinflüsse können somit mit Hilfe der Varianzanalyse im Detail analysiert werden. Voraussetzungen für Experimente sind ihre: • Repräsentanz, d. h. die Ergebnisse müssen sich von der Experimentalgruppe auf die Grundgesamtheit übertragen lassen, • Isolierbarkeit von Außeneinflüssen bzw. wo dies nicht möglich ist, die Kontrolle dieser Außeneinflüsse (Störgrößen), • Messbarkeit von Wirkungen durch geeignete Erfassungsinstrumente, die bestimmten Anforderungen zu genügen haben.

420

C. Marketinginformation

Grenzen des Experiments ergeben sich durch die praktische Beschränkung auf die Messung kurzfristiger Wirkungen, durch die schwierige Kontrolle möglicher Störgrößen bei umfangreichen Experimentaldesigns und durch die nur unzureichende Nachempfindbarkeit der Komplexität der Realität der Märkte.

8.2

Informale und formale Experimente

Je nach Anzahl der in der Versuchssituation berücksichtigten unabhängigen Variablen sind Mehrfaktoren- und Einfaktorenexperimente zu unterscheiden. Einfaktorenexperimente werden wiederum differenziert nach der Zahl der ausdrücklich im Designtyp einbezogenen Störvariablen (Effekte). Diese Informalen werden auch Quasi-Experimente genannt. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass keine Kontrolle über den Experimentfaktor besteht oder die Testeinheiten nicht nach dem Zufallsprinzip ausgewählt bzw. auf Gruppen verteilt werden können oder die experimentelle Behandlung nicht per Zufallsprinzip Gruppen zugewiesen werden kann. Es wird unterstellt, dass die Störgrößen voneinander unabhängig sind, ihr Einfluss also additiv ist, und dass alle Testelemente von ihnen mit gleicher Intensität betroffen sind. Sie berücksichtigen im Einzelnen die: • Experimentalgruppe (E), an der ein Experiment ausgeführt wird, • Kontrollgruppe (C), die zur Kontrolle der Ergebnisse im Vergleich mitläuft, • Messung vor Einsatz des Experimentfaktors (B), also im „Nullzustand“, • Messung nach Einsatz des Experimentfaktors (A), also im Messzustand, • evtl. parallele Experimentalgruppe (E’). Hierbei ergeben sich je nach Design die nachfolgenden Kombinationen (siehe Abbildung 86). Beim EBA-Design handelt es sich um ein Sukzessivexperiment mit einer Versuchsgruppe. Diese wird mit Marketingmaßnahmen konfrontiert. Es werden zwei Messungen vorgenommen, von denen eine zeitlich vor Eintritt des Wirkungsfaktors in das Geschehen liegt, die andere zu einem Zeitpunkt, an dem der Wirkungsfaktor seinen Einfluss bereits geltend gemacht hat. Eine Messung der Faktorwirkung erfolgt durch Vergleich der Wirkungsgrößen vor Beginn und nach Beendigung des Tests. Die Vormessung liefert den Bezugswert, die nach der Faktorauswirkung erfolgende Nachmessung den Endwert. Es besteht die Gefahr von störenden Carry over-, Spill over- und Entwicklungseffekten. Außerdem muss die Möglichkeit zur Vormessung gegeben sein. Problematisch ist die Vernachlässigung von Störvariablen, ebenso fehlt die Kontrollgruppe. Insofern handelt es sich eher um eine vorexperimentelle Versuchsanordnung. Beim EA-CB-Design handelt es sich um ein Sukzessivexperiment mit mindestens zwei Gruppen. Die Vormessung findet in einer Kontrollgruppe statt und liefert den Bezugswert, die Nachmessung findet in der Versuchsgruppe statt und liefert

I. Erhebungsmethoden

421

EBA-Design: Messung der Werte der abhängigen Variablen zeitlich vor und nach dem Einsatz der unabhängigen Variablen in einer Testgruppe Ergebnis als Differenz der Testgruppe zwischen diesen beiden Zeitpunkten Probleme: Vernachlässigung der Störvariablen, Kontrollgruppe fehlt, zeitliche Entwicklungseffekte sind nicht ausweisbar EB-CA-Design: Messung der Werte der abhängigen Variablen zeitlich vor Einsatz der unabhängigen Variablen in einer Testgruppe und zeitlich nach deren Einsatz in einer anderen Testgruppe Ergebnis als Differenz zwischen der Kontrollgruppe im Zeitpunkt t1 und der Experimentgruppe im Zeitpunkt t0 Probleme: Vernachlässigung von Störvariablen, zeitliche Entwicklungseffekte sind nicht messbar, keine echte Kontrollgruppe vorhanden EA-CA-Design: Messung der Werte der abhängigen Variablen in beiden Testgruppen jeweils nur nach dem Einsatz der unabhängigen Variablen Ergebnis als Differenz zwischen der Experimental- und der Kontrollgruppe im Zeitpunkt t1 Probleme: Vernachlässigung von Störvariablen, Unterstellung gleicher Ausgangslage in beiden Gruppen EBA-CBA-Design: Messung der Werte der abhängigen Variablen vor und nach dem Einsatz der unabhängigen Variablen in einer Testgruppe und Vor- und Nachmessung in einer anderen Testgruppe, die nicht dem Einfluss der unabhängigen Variablen ausgesetzt wird Ergebnis als Differenz zwischen den gemeinsamen Unterschieden in der Experimental- und der Kontrollgruppe Wirkung der unabhängigen Variablen in der Experimentalgruppe wird bereinigt um Entwicklungseffekte, die sich in der Kontrollgruppe zeigen, allerdings keine Erfassung von Störvariablen

Abbildung 86: Testdesigns für Vergleichsexperimente

den Endwert. Es besteht zwar die Gefahr von störenden Entwicklungs-, nicht aber die von Carry over-Effekten. Auch hier muss die Möglichkeit zur Vormessung gegeben sein. Problematisch ist außerdem die Vernachlässigung von Störvariablen, ebenso ist keine echte Kontrollgruppe gegeben. Eine Anwendung besteht in der Tendenzfrage. Dabei wird eine Frage in gleichem Wortlaut in regelmäßigen Abständen jeweils anderen, aber repräsentativen Personengruppen gestellt, um Trends festzustellen. Beim EB-CA-Design erfolgt die Messung des Untersuchungsmerkmals, die nach Auswirkung des Wirkungsfaktors vorgenommen wird, ebenfalls nicht in der derselben, sondern in einer zweiten repräsentativen Gruppe. Diese fungiert dann als Kontrollgruppe, die erste Gruppe aber als die eigentliche Experimentalgruppe. Dabei ist gleichfalls keine Trennung zwischen den vom Wirkungsfaktor erreichten und nicht erreichten Personen möglich. Beim EA-CA-Design handelt es sich um ein Simultanexperiment mit mindestens zwei Gruppen, ohne dass eine Vormessung stattfindet. Die Experimental- und die Kontrollgruppe werden jeweils nur nach der Durchführung des Tests gemessen. Der Verzicht auf die Anfangsmessung ist meist in Kostengründen zu sehen. Allerdings ist sicherzustellen, dass beide Gruppen gleichen Anfangsbedingungen unterliegen. Die Kontrollgruppe liefert den Bezugswert, die Experimentalgruppe den Endwert. Es besteht keine Gefahr von Entwicklungseffekten. Carry over- und

422

C. Marketinginformation

Spill over-Effekte können zwar auftreten, machen sich jedoch infolge der speziellen Anordnung nicht störend bemerkbar. Problematisch ist die Vernachlässigung von Störvariablen, ebenso die Unterstellung gleicher Ausgangslagen zu Beginn des Experiments in beiden Gruppen. Beim EBA-CBA-Design ist ein simultanes Sukzessivexperiment mit mindestens zwei Gruppen, die drei Bezugswerte und einen Endwert erbringen, gegeben. Hier wird die Experimentalgruppe mit der Marketingmaßnahme konfrontiert und eine Kontrollgruppe gebildet, die diese Konfrontation nicht erfährt. Beide Gruppen werden zu Testbeginn, bei der Experimentalgruppe also vor Konfrontation mit der Marketingmaßnahmen, und am Testende, bei der Experimentalgruppe also nach Konfrontation mit der Marketingmaßnahme, gemessen. Die Faktorwirkung wird durch die Differenz der Wirkungen beider Gruppen errechnet. Dieses bietet sich an, wenn man nicht sicher sein kann, dass die beiden Gruppen vor der Experimentdurchführung hinsichtlich der Ausprägung aller Variabler völlig gleich sind. Carry over- bzw. Spill over- und Entwicklungseffekte können zwar auftreten, infolge der speziellen Anordnung machen sich erstere jedoch nicht störend bemerkbar und letzterer lässt sich berechnen. Allerdings muss die Möglichkeit zur Vormessung gegeben sein. Ebenso werden dabei keinerlei Störvariablen berücksichtigt. Dennoch handelt es sich um ein in der Praxis häufig angewendetes Testdesign (siehe Abbildung 87).

Filialen

Umsatz vor Stimulus

Umsatz nach Stimulus

1 2 3

2.200 1.800 1.600

2.400 1.980 1.850

5.600 (EB)

6.230 (EA)

2.000 1.700 1.650

2.050 1.700 1.700

5.350 (CB)

5.450 (CA)

4 5 6

(EA - EB) - (CA - CB) (6.230 - 5.600) - (5.450 - 5.350) 630 - 100 = 530 (nur absoluter Wert)

Abbildung 87: Testmarktergebnisauswertung (Beispiel)

I. Erhebungsmethoden

423

Die Testanlage im E’A-EBA-CBA-Design entspricht der beim EBA-CBA-Experiment, jedoch mit einer Parallel-Experimentalgruppe, die zur näheren Analyse von Entwicklungseffekten getrennt zum Vergleich erhoben wird. Hier werden also zwei Experimental- und eine Kontrollgruppe gebildet. Bei der zweiten Experimental- und bei der Kontrollgruppe wird eine Messung der Wirkung sowohl vor als auch nach Konfrontation mit der Marketingmaßnahme vorgenommen. Durch Einschaltung einer weiteren Experimentalgruppe, die nur nach Einsatz des Wirkfaktors gemessen wird, soll sichergestellt werden, dass mögliche Lerneffekte ausgeschaltet werden. Außerdem werden evtl. Gruppeneffekte ausgewiesen. Bei den störenden Effekten handelt es sich um folgende: • Carry over-Effekt bedeutet, dass vorgelagerte Maßnahmen und Ereignisse in die Untersuchungsperiode nachwirken können, obgleich sie nicht auf den Einfluss der unabhängigen Variablen zurückzuführen sind, also einen nicht-kontrollierten Störfaktor darstellen. • Entwicklungs-Effekt bedeutet, dass im Verlauf des Experiments Lernwirkungen eintreten können, die nicht allein auf die Wirkung der unabhängigen Variablen zurück zu führen sind. Dadurch ändern sich die Messvoraussetzungen. Dies ist bei Sukzessivexperimenten (before – after) problematisch. • Spill over-Effekt bedeutet, dass parallele Maßnahmen und Ereignisse von anderen als der untersuchten Variablen, also außerhalb der experimentellen Anordnung, auf diese einwirken können. Dadurch kommt es zu Ergebnisverzerrungen. • Gruppen-Effekt bedeutet, dass Experimental- und Kontrollgruppen bereits vor Beginn des Experiments strukturelle Unterschiede bezüglich relevanter Variabler aufgewiesen haben. Dann ist auch die Interpretation der Ergebnisse problematisch. Dies ist bei Simultanexperimenten (Kontroll- und Experimentgruppe) problematisch. Die Differenzbildung informaler Experimente ist jedoch keine Gewähr für eine exakte Messung von Wirkungen. Vielmehr wirkt eine Vielzahl situativer Faktoren ein. Daher werden formale Experimente eingesetzt. Deren Ziel ist es, eine weiter reichende und genauere Differenzierung der gemessenen Veränderung einer abhängigen Variablen nach ihren Einflussgrößen zu erreichen. Dies geschieht durch die Einbeziehung von bekannten Störvariablen und ihre Berücksichtigung in der Versuchsanlage. Gelingt es, die festgestellte Streuung verursachungsgemäß aufzuspalten, lassen sich Einflüsse von Störvariablen, Zufallseinflüsse und Auswirkungen der eingesetzten unabhängigen Variablen messen und gegenüberstellen. Bei Mehrfaktorenexperimenten werden zwei oder mehr (unabhängige) Experimentalvariable zugleich variiert, wobei jede Variable in mehreren Ausprägungen vorliegen kann. Die Bildung von Kontrollgruppen kann dabei entfallen. Die experimentellen Lösungen werden mit Hilfe der Varianzanalyse auf ihre Einfluss-

424

C. Marketinginformation

stärke auf eine abhängige Variable hin untersucht. Dabei werden alle Ausprägungen aller unabhängigen Variablen spezifischen Testeinheiten zugewiesen. Daraus ergibt sich die Schätzung von Haupt- und Interaktionseffekten, die über einen FTest auf ihre Signifikanz hin überprüft werden. Mit zunehmender Merkmals- und Ausprägungszahl wächst jedoch die Menge der Teststimuli erheblich an und überfordert leicht die Urteilsfähigkeit und -willigkeit von Testpersonen. Es besteht die Möglichkeit, alle Kombinationen zu untersuchen (vollständiges, faktorielles Design) oder sich auf diejenigen Kombinationen zu beschränken, die für den Experimentator interessant sind (unvollständiges, fraktionelles Design). Dabei wird die Stimuluszahl reduziert und nicht alle Faktorkombinationen durchgespielt. Allerdings besteht die Gefahr, dass gerade nicht untersuchte Kombinationen wichtige Erkenntnisse für Experimentwirkungen haben. Ebenso können Interaktionseffekte den unabhängigen Variablen nicht berücksichtigt werden. Im vollständigen Design ergeben sich bei drei unabhängigen Variablen mit je vier Ausprägungen auf die abhängige Variable 4 × 4 × 4 = 64 Zellen, im unvollständigen Design wird eine Reduzierung auf immerhin 16 Zellen erreicht. Das Design kann symmetrisch oder asymmetrisch angelegt sein. Ersteres bedeutet, dass jedes Merkmal die gleiche Anzahl von Ausprägungen besitzt, letzteres, dass nicht jedes Merkmal die gleiche Anzahl von Ausprägungen besitzt. Mögliche (symmetrische) Pläne sind: • der vollständige Zufallsplan. Dabei finden Störeinflüsse allenfalls indirekt dadurch Berücksichtigung, dass für die verschiedenen Treatments wiederholte, randomisierte Messungen durchgeführt werden. • der zufällige Blockplan mit zwei Variablen. Dabei werden Störgrößen zu einem einzigen Block zusammengefasst. Voraussetzung ist dabei, dass die Variabilität innerhalb dieser Blöcke geringer ist als zwischen ihnen. • das Lateinische Quadrat mit drei unabhängigen Variablen mit jeweils drei Ausprägungen auf die abhängige Variable. Dabei können zwei Störgrößen berücksichtigt werden. In der Matrix kommt jede Variable nur je einmal in Zeile und Spalte vor (= 16 Zellen). Es erlaubt die Schätzung aller Faktoren-Haupteffekte auf die abhängige Variable. • das Griechisch-lateinische Quadrat mit vier unabhängigen Variablen mit jeweils vier Ausprägungen auf die abhängige Variable (= 25 Zellen). Dabei können drei Störgrößen berücksichtigt werden. Eine weitere Ausdehnung ist das hyperlateinische Quadrat, das als Versuchsanlage aber rasch außerordentlich unübersichtlich und daher kaum angewendet wird. Eine Anwendung dieser Testdesigns ergibt sich etwa bei der ökonomischen Werbeerfolgskontrolle im Rahmen von Gebietsverkaufstests. Bekannte Verfahren sind dabei Netapps und Noreen. Netapps (Akronym für Net Ad Produced Purchases) vergleicht den Absatz zwischen einer beworbenen und einer nicht beworbenen

I. Erhebungsmethoden

425

Periode in einem Gebiet (informales Experiment), Noreen ist ein Verfahren, das durch Rotation von je vier wechselnden Testgebieten, Werbeprogrammen, Jahresund Saisonzeiträumen bei, zumindest theoretischer Eliminierung anderer Faktoren, den Werbeerfolg exakt messen will (formales Experiment).

9. Online-Erhebungen Bei der Online-Primärforschung werden die zur jeweiligen Problemstellung erforderlichen Informationen unmittelbar von den Probanden durch Befragung oder Beobachtung erhoben. Dazu werden Internet-Dienste eingesetzt (Internet als Erhebungsmethode der Marketingforschung). Die Beobachtung erfolgt durch Speicherung und Auswertung des Online-Nutzungsverlaufs (Internet als Gegenstand der Marketingforschung) Die Online-Sekundärforschung beschafft und analysiert Informationen aus zu anderen Problemstellungen bereits vorhandenen Daten. Hier eignet sich die Recherchequalität des Internet hervorragend zum Einsatz. Hinsichtlich der OnlinePrimärforschung ist die Sache problematischer. Es stellt sich zunächst die Frage nach dem geeigneten Auswahlverfahren.

9.1 Online-Auswahlverfahren Hinsichtlich der Online-Auswahlverfahren ergeben sich mehrere Möglichkeiten im WWW und anderen Online-Medien durch: • Intercept-Auswahl (n-th-viz). Der Online-Nutzungsvorgang wird dabei durch Aufforderung zur Teilnahme an einer Erhebung, meist durch Öffnen eines neuen Browserfensters, unterbrochen. Die Aufforderung erscheint bei jedem nten Nutzer, analog zu einer Zufallsauswahl. Damit sind statistische Auswertungen möglich, ebenso der Ausweis der Ausschöpfungsquote. Allerdings sind systematische Abweichungen zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern zu vermuten, ebenso ist die Grundgesamtheit auf die Nutzer der Trägerseite begrenzt, so dass auch nur für diese eine Aussage getroffen werden kann. Zudem blocken Browser häufig das Öffnen neuer Fenster (Pop up-Blocker). Dadurch kann nicht ermittelt werden, ob ein Nutzer wissentlich die Beteiligung verweigert oder erst gar keine Chance hatte, in die Stichprobe einzugehen. • Banner-Auswahl. Innerhalb geeigneter Internet-Sites ist jeweils ein Banner dauerhaft integriert, durch einen Klick darauf gelangt man in die Erhebungsauswahl. Soll nur eine bestimmte Zielgruppe erhoben werden, wird der Banner nur in eine/wenige Site(s) integriert. Hier entscheidet der potenzielle Proband über die Teilnahme, es liegt also keine Zufallsauswahl zugrunde, mathematischstatistische Berechnungen sind auf dieser Basis nicht mehr möglich.

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C. Marketinginformation

• Internetforen-Auswahl. Dabei handelt es sich um Diskussionsplattformen im WWW, die nach Themen gruppiert sind. Auf der Startseite eines themenadäquaten Internetforums kann ein Link zur Startseite der Erhebung integriert werden, ohne den Dienst dazu verlassen zu müssen. Damit ist eine recht zielgenaue Adressierung möglich. Allerdings besteht keine klare Abgrenzung der Grund­ gesamtheit, denn diese wird durch alle Forumsnutzer gebildet. • Newsgroup-Auswahl. Dies ist eine offene Gruppe mit e-Mail-Registrierung der Teilnehmer. Dort kann eine Aufforderung zur Teilnahme an einer Erhebung mittels eines Link platziert (gepostet) werden. Auch hier ist die Abgrenzung der Grundgesamtheit unmöglich und die Teilnehmer selektieren sich selbst. Die breite Streuung von Postings verstößt zudem gegen die Netiquette, der gezielte Versand in themenspezifische Newsgroups kann jedoch durchaus erfolgversprechend sein. • Bulk-e-Mail-Auswahl. Zwar besteht kein zentrales Register der e-Mail-Nutzer, jedoch kann man e-Mail-Adressen von Informationsbrokern kaufen (häufig aus dem Bestand aufgelöster Net-Unternehmen). Zumindest denkbar, wenngleich problematisch, ist auch die zufallsgenerierte Kombination von Buchstaben/ Wörtern und Domains, in der Hoffnung, damit tatsächlich existierende Adressen zu matchen. Dies erfüllt jedoch den Tatbestand des Spamming, das nicht nur gegen die Netiquette, sondern auch gegen Gesetz verstößt. Das Ergebnis ist zudem notleidend, weil keine ausreichende Abgrenzung der Grundgesamtheit möglich ist und die Responsequote sehr gering und verzerrt sein dürfte. • Suchmaschinen-Auswahl. Hierzu erfolgt der Eintrag der Startseite einer Erhebung in möglichst vielen Suchmaschinen. Die Teilnehmer rekrutieren sich dann im Wege der Selbstselektion, denn diese Seiten sind nur relevant für Nutzer, welche die Absicht haben, an einer Erhebung teilzunehmen. Dies bürgt jedoch geradezu für Verzerrungen. Die dadurch entstehenden Stichproblemenprobleme können wie folgt zusammengefasst werden: • Die Definition der Grundgesamtheit ist problematisch, denn es besteht kein Verzeichnis aller e-Mail- oder WWW-Anschlüsse. Eine Coverage-Problematik entsteht, da nicht alle Personen über Internet-Anschlüsse verfügen und personenbezogene Daten gefälscht sein können. Ein Sampling-Fehler entsteht, da die Verteilung der interessierenden Werte in der Grundgesamtheit unbekannt ist und daher nicht mit Bewusstauswahlverfahren gearbeitet werden kann. Durch das Selbstselektionsproblem (passive Auswahl) kann nicht von der Stichprobe auf die Grundgesamtheit geschlossen werden, weil sie atypisch für diese ist oder sein kann (in Bezug auf Motivation, Kontaktchance, Heavy Users, Interessenten etc.). Die Bildung der Grundgesamtheit ist schwer möglich, denkbar ist nur die Gesamtheit aller Personen mit Online-Zugang, selbst diese Gesamtheit ist jedoch unbekannt und nicht verlässlich abgrenzbar. Systematische Ver-

I. Erhebungsmethoden

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zerrungen bleiben unbekannt, da die Ausfallquote nicht ausgewiesen werden kann. Die Mehrfachteilnahme der selben Probanden ist durch dynamische IPAdressen und Blockung von Cookies oder mehrere URL’s möglich, dadurch kommt es zu Verzerrungen (Overcoverage, etwa durch Incentive-Jäger für Software, Geschenke, Geldbeträge, Vorzugsinformationen etc.), auch wird die Ausfallquote verzerrt, wenn ein Proband, der bereits teilgenommen hat, bei weiteren Ansprachen konsequenterweise nicht mehr teilnimmt. Aus Falschangaben, die praktisch nicht überprüft werden können, resultiert letztlich eine unbekannte Teilnehmerschaft (Anonymität des Internet). Es bestehen nicht-kontrollierbare Störeinflüsse wie fehlende Personenidentität von angemeldeter und tatsächlich teilnehmender Person sowie situative Fehlfaktoren bei einer Erhebung. Verzerrungen durch abweichende Nutzungsintensität des Internet (Auswahl mit ungleichen Wahrscheinlichkeiten) sind gegeben, dadurch werden Nerds bevorzugt, die aber durchaus untypisch für die interessierende Grundgesamtheit sein dürften. Es sind verschiedene Ansätze entwickelt worden, um diese Probleme der Online-Auswahlverfahren zu reduzieren. In Bezug auf die bessere Abgrenzung der Grundgesamtheit sind folgende Ansätze denkbar: • Die Prä-Gewichtung der Erhebungsmerkmale durch Quota-Auswahl setzt allerdings bereits eine Kenntnis über die Verteilung interessierender Merkmale in der Grundgesamtheit im Vorhinein voraus, die meist aber gerade nicht ge­ geben, sondern vielmehr Ziel der Erhebung ist. Die Post-Gewichtung nimmt ein Redressement von unter- bzw. übergewichteten Merkmalen der tatsächlichen Stichprobe im Vergleich zu den dafür quotierten Merkmalen vor, die Merkmale werden entsprechend herunter- oder hinaufgerechnet, dadurch kommt es allerdings zu erheblichen Verzerrungsgefahren. Die aktive Teilnehmerrekrutierung vermeidet Probleme, die aus der Selbstselektion entstehen, neben dem administrativen Aufwand sind dann aber auch Auswahlwahrscheinlichkeiten nicht mehr berechenbar. Die Rekrutierung über Offline-Medien im Wege herkömmlicher Auswahlverfahren bedeutet, dass dann nurmehr die Erhebung online stattfindet, nicht aber mehr die Stichprobenziehung. In Bezug auf den Ausschluss der Mehrfachteilnahme an der Erhebung sind folgende Ansätze denkbar: • Die Setzung von Cookies hilft, sofern diese in der Browsereinstellung des Nutzers nicht deaktiviert sind. Die Überprüfung der IP-Adresse ermöglicht zumindest, den angeschlossenen Computer zu identifizieren, nicht jedoch unbedingt den Nutzer dahinter, Probleme entstehen zudem bei dynamischen IP-Adressen oder Firewall-Rechnern. In Bezug auf die Identifizierung der Probanden ist eine Mixed Mode-Auswahl mit zusätzlicher Angabe der Postadresse/Festnetznummer und deren Verifizierung durch Briefpost oder paralleles Telefoninterview denkbar. Dagegen spricht freilich der erhebliche administrative Aufwand.

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C. Marketinginformation

In Bezug auf die Verminderung nicht-kontrollierbarer Störeinflüsse sind eingebaute Plausibilitätskontrollen zur Herausfilterung von Falscheingaben denkbar, ebenso wie die Erhebung der individuellen Nutzungshäufigkeit des Internet zur Korrektur von Intensitätsverzerrungen. Den konsequentesten Weg stellt der Aufbau eines Panels mit Offline-Rekrutierung von Online-Teilnehmern dar. Hierbei werden Teilnehmer durch traditionelle Formen der Marktforschung zur wiederholten Teilnahme zum selben Thema in regelmäßigen Abständen rekrutiert. Dadurch können eine höhere Teilnahmebereitschaft, eine schnellere Durchführung und eine kostengünstigere Erhebung erwartet werden. Unerkannte Mehrfachteilnahmen und Täuschungen über die Soziodemographie sind durch Panelpflege vermeidbar. Allerdings dürften sich Einstellung und Verhalten der Teilnehmer im Zeitablauf verändern. Auch entsteht eine Panel-Ermüdung, der wohl durch Incentives entgegengewirkt werden muss. Insgesamt zeigt sich, dass Online-Auswahlverfahren in ihren Möglichkeiten eng begrenzt bleiben, damit leidet die Aussagefähigkeit der auf diese Weise erhobenen Befragungs-, Beobachtungs- und Experimentinformationen. Ob sich dies in Zukunft verbessert, ähnlich wie dies vorher schon bei Telefoninterviews zu konstatieren war, bleibt indes abzuwarten. 9.2 Online-Befragung Das Computer Assisted Web Interviewing (CAWI) ist die neue Form der Erhebung im Internet als Online-Befragung. Für CAWI sprechen eine Reihe von Vorteilen, so der Zeitvorteil, die erhöhte Datenqualität, weil Interviewereinflüsse fehlen, erweiterte Abfragemöglichkeiten durch Filterführung, die Bild- oder Tonvorgabe und Plausibilitätsprüfung, die zeit- und raumunabhängige Befragungs­ möglichkeit. Dem stehen Nachteile wie die Beschränkung auf bestimmte Zielpersonen, dem Leseverhalten am Bildschirm notwendigerweise angepasste Fragestellung und erhöhter Programmieraufwand gegenüber. Die Online-Befragung erfolgt als WWW-, e-Mail-, Newsgroup- oder IRCBefragung (siehe Abbildung 88). Zur Durchführung von WWW-Befragungen (Online-Befragung i. e. S.) können aufgrund der HTML-Struktur der WWWDokumente Formularfelder (Templates) mit automatischem Versand an eine vorgegebene Adresse (z. B. Rogator) eingeführt werden. Allerdings müssen die vorgesehenen Teilnehmer infolge des Pull-Charakters des WWW selbst auf das Befragungsangebot zugreifen. Daher ist zweierlei zu leisten, erstens der Kontakt zur entsprechenden Website und zweitens die Ausfüllung des Fragebogens. Ersteres wird durch Bekanntmachung der Befragung über verschiedene Internet-Dienste und Werbemittel im WWW erreicht. Hinzu kann die Bekanntmachung auch in klassischen (Offline-)Medien treten. Für Letzteres werden alle Besucher einer Homepage gebeten, den Fragebogen zu bearbeiten. Dies ist meist

I. Erhebungsmethoden

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HTML-, e-mail-, ASCII-Fragebogen

IRC-, Online-Interviews

Befragungsexperiment im WWW

Logfile-, IRC-Beobachtung

Sekundärerhebung im Internet

Abbildung 88: Formen der Online-Marktforschung

verbunden mit einer Registrierung der Besucher, die dazu persönliche Informationen abgeben. Durch Anklicken eines Button gelangt der Besucher dann auf die Fragebogen-Seite. Denkbar ist auch, jeden n-ten Besucher einer Website automatisch auf die Fragebogen-Seite umzuleiten. Damit ist dann zugleich ein auf den Nutzerkreis begrenztes Zufallsauswahlverfahren realisiert. Allerdings ist die Akzeptanz dieses Vorgehens fraglich. Der WWW-Fragebogen selbst ist ein HTML-Formulardokument zum Eintrag von Antworten durch den Befragten. Dabei kann es sich um Texteingaben handeln, um das Anklicken eines von mehreren Auswahlbuttons (z. B. runde Radiobutton) oder mehr als eines von mehreren Auswahlbuttons (z. B. eckige Checkbuttons). In Listenfeldern können Fragekategorien vorgewählt werden. Mit dem Ausführungsbutton wird entweder eine Eingabe gelöscht, die Bearbeitung abgebrochen oder durch Versand an den Veranstalter planmäßig beendet. Mit Skript-Programmen im Hintergrund können zugleich eingegebene Werte auf ihre Plausibilität und Vollständigkeit hin geprüft werden. Wichtig ist, dass der Fragebogen auf allen gängigen Web-Browsern richtig dargestellt und ausgeführt wird. Multimedia-Elemente sollten im Sinne kurzer Ladezeiten am Computer zurückhaltend eingesetzt werden. Die WWW-Befragung erlaubt eine einfache Durchführung und rasche Auswertung der Ergebnisse. Die Darstellungsmöglichkeiten sind durch Einbindung von Grafiken, Audio- und Videosequenzen vorteilhaft. Durch das Medium Internet werden die Kosten des Interviewereinsatzes sowie die Kosten für den Frage­bogendruck erspart. Allerdings müssen die prospektiven Teilnehmer den Fragebogen aus eigener Initiative suchen und finden. Zudem kann jeder Teilneh-

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C. Marketinginformation

mer beliebig häufig an einer Befragung teilnehmen und somit deren Ergebnis verzerren. e-Mail-Befragungen (Electronic Mail Surveys) sind schnell und kostengünstig durchführbar. Sie setzen zur Anlage keine Programmierkenntnisse voraus. Die Erhebung ist zeit- und ortsungebunden möglich. Allerdings sind die Gestaltungsund Formatierungsmöglichkeiten begrenzt. So können mutmaßlich nur einfache Sachverhalte abgefragt werden. Insgesamt ist eine geringe Antwortbereitschaft anzunehmen. Jede e-Mail-Nachricht besteht aus zwei Komponenten, den Header-Anweisungen über den rein technischen Transport der Nachricht (Empfängeradresse, KopieAdressen, Absenderadresse, Betreffzeile etc.) und der eigentlichen, textbasierten Nachricht (Body). Mailing-Listen können realisiert werden, indem Teilnehmer, die sich über ein bestimmtes Thema informiert halten wollen, diese MailingListe abonnieren. Nachrichten an die Mailing-Liste werden automatisch, umgehend, kostengünstig und einfach an alle Abonnenten distribuiert. Im Unterschied zum WWW (über Internet-Provider) ist der e-Mail-Dienst jedem Internet-Nutzer zugänglich. Damit e-Mail-Nachrichten nicht von ungebetenen Dritten gelesen oder verfälscht werden, werden sie meist vor Versand verschlüsselt. Um sich vor ungebetenem e-Mail-Versand (Spamming) zu schützen, filtern viele Postprogramme die eingehenden Nachrichten nach vorgegebenen Kriterien und blenden diese z. B. zum Schutz vor Viren ungelesen aus. Dies betrifft regelmäßig auch Fragebogen. Daher sollten e-Mail-Befragungen immer angekündigt werden, indem mindestens über das Befragungsziele, die Dateigröße und den Veranstalter informiert wird, und durch eine aussagefähige Betreffzeile kenntlich gemacht werden. Wichtig ist, die Nachricht kurz zu halten und die einwandfreie Darstellung auf verschiedenen e-Mail-Client-Programmen zu sichern. Als Adressaten kommen vor allem Kunden und Interessenten in Betracht. Der eigentliche Fragebogen wird meist als Anhang im HTML-Format versandt. Die Beantwortung ist sowohl im Medium, also durch Ausfüllen des Fragebogens und Rücksendung an den Absender oder eine andere vordefinierte Adresse, als auch unter Medienwechsel, also per Post oder Fax möglich. Der Fragebogen ist so kurz wie möglich zu halten. Zwischenräume für Antworten sind zwar unerlässlich, erhöhen aber das Datenvolumen. Newsgroup-Befragungen nutzen Diskussionsforen, in die eingetragene Teilnehmer für alle sichtbar mittels eines Newsreader Nachrichten eingeben, auf die alle anderen Teilnehmer, wiederum für alle sichtbar, oder auch verdeckt, reagieren können (Prinzip des Schwarzen Bretts). Die Newsgroups sind nach Themengebieten und Regionen in Untergruppen aufgeteilt. Die Software ist in aktuellen Browser-Generationen bereits integriert (Newsgroups eignen sich auch gut zur Sekundärforschung). Zweckmäßigerweise registriert man über einen längeren

I. Erhebungsmethoden

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Zeitraum die Umgangsformen und Interessen der Teilnehmer einer bestimmten Newsgroup. Der Fragebogen wird dann mit einem aussagefähigen Titel und der Aufforderung zur Beantwortung versehen an eine oder mehrere Newsgroups versandt. Zu beachten ist, dass die Nachrichten vom News-Server in regelmäßigen kurzen Abständen gelöscht werden, so dass für eine länger laufende Befragung erneute Versendungen erforderlich sind. Auch ist die regionale/nationale Verbreitung der jeweiligen Newsgroup zu beachten. Es dürfen nicht zu viele Newsgroups adressiert werden, da Überwachungs-Software ein unkontrolliertes Crossposting sperrt. Newsgroups ähneln marktforscherisch den traditionellen Gruppendiskussionen. Die Befragung kann statt in der Newsgroup selbst auch durch Einladung zur Befragung auf einem anderen Weg (e-Mail, WWW, Post) erfolgen. Zur Verwendung im Usenet muss der Fragebogen im ASCII-Code (ohne Sonderzeichen) erstellt sein. Auch ist auf die Einhaltung der maximalen Zeilenbreite zu achten (da es sonst zu ungewollten Zeilenumbrüchen kommt). Der Fragebogen sollte wiederum so kurz wie möglich gehalten sein. Durch die Einteilung der Newsgroups lassen sich spezielle Personengruppen zielgenau ansteuern. Zum jeweiligen Thema sind zudem ein hohes Interesse und damit eine hohe Antwortbereitschaft vorauszusetzen. Allerdings arbeitet das Usenet textorientiert. Zudem besteht keine Möglichkeit, Antwortverweigerer zu erfassen. Bei IRC-Befragungen können durch ein Chat-Programm zwei oder mehr Personen meist unter Pseudonym schriftlich von Computer zu Computer über das Befragungsthema kommunizieren. Für die Befragung ist es sinnvoll, die Teilnehmer zu selektieren und über geschlossene Benutzergruppen vor Zugriffen Externer geschützt miteinander kommunizieren zu lassen. Ein Moderator kann die Diskussion stumm verfolgen und sich die Ergebnisse anzeigen oder einzelnen Teil­nehmern gezielte Nachrichten/Fragen zukommen lassen (Flüstern). Der IRC-Chat ähnelt marktforscherisch der Expertenbefragung. Durch die alphanummerische Tastatureingabe sind die Antworten oft überlegter. Außerdem müssen die Teilnehmer während der gesamten Diskussion online bleiben. Allgemein ist für die Anlage des Online-Fragebogens zu berücksichtigen, dass keine Spontanreaktionen erhebbar sind. Auch sprachliche Unklarheiten können nicht geklärt werden. Evtl. ist eine Übersetzung ins Englische (Lingua franca des Internet) erforderlich. Bei langen Fragebögen kann es zu vorzeitigem Teilnahmeabbruch kommen. Eingebundene Audio- und Videodateien motivieren zwar die Teilnehmer, erhöhen aber gleichzeitig das Datentransportvolumen. Unbedingt sind die unterschiedlichen Bildschirmdarstellungen verschiedener Browser/-generationen auszutesten. Benutzerhilfen sollten bei Unklarheiten eingeblendet werden. Bei komplizierten Abläufen ist die automatische Filterführung sehr hilfreich. Individuelle Fragebögen können zwischenzeitlich mit entsprechender Software vom Veranstalter selbst entwickelt werden.

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Eine Sonderform stellt die Befragung über I-TV dar. Dabei wird bei breitbandigem digitalem Kabelfernsehen ein schmalbandiger Rückkanal zur Überspielung der Antworten von Zuschauern eingesetzt, wobei die Fragen über Bildschirm angezeigt werden. Vor allem können in das laufende Programm Abfragen eingebaut oder gesonderte Frageprogramme eingespeist werden. Bei analogem Kabelfernsehen ist dazu allerdings ein Medienwechsel (Telefon) erforderlich. Wird das Telefonkabel zur digitalen Übertragung genutzt, handelt es sich um IP-TV/Web-TV. 9.3 Online-Beobachtung Die Online-Beobachtung kann durch WWW-Logfile-Analyse oder themenorien­ tierte Beobachtung erfolgen. Die WWW-Logfile-Analyse beruht auf zwangsläufig abgespeicherten Aufzeichnungen über Server-Verbindungsdaten. Dazu gehören: • Name des zugreifenden Rechners bzw. dessen IP-Nummer, • Betriebssystem/-generation und Browser-Programm, • bei Zugriff aus UNIX u. U. die Registrierung des Login-Namens, • Provider mit Name und Herkunftsland, • bei WWW-Angeboten mit Einlog-Vorgang der Log-in-Name des jeweiligen Nutzers, • bei e-Mail zusätzlich Empfänger- und Absenderadressen, • Zugriffsdatum im Format TT:MM:JJ:HH:MM:SS sowie Abweichung von GMT, • Anfangs- und Endzeiten sowie Reihenfolge der aufgerufenen Web-Seiten, • Zugriffsmethode (Gut, Put, Post, Head), • genauer Pfad und Name des angeforderten Dokuments, • verwendetes Übertragungsprotokoll (HTTP, POP, SMTP), • Status-Code der Übertragung (z. B. bei Problemen), • Länge des angeforderten Dokuments in Bytes, • Konfiguration des Rechners, z. B. Bildschirmauflösung, Cookie-Akzeptierung. Deren systematische Auswertung liefert Erkenntnisse über die Gewohnheiten von Internet-Nutzern. Logfiles stellen eine Vollerhebung dar, diese erfolgt ohne ausdrückliche Zustimmung des Nutzers. Da diese Daten aus technischen Gründen ohnehin erhoben werden, entstehen für die Marktforschung keine zusätzlichen Kosten. Problematisch ist, dass die IP-Nummer nicht unbedingt einer Nutzerperson zugeordnet werden kann, etwa bei Zugriff über einen Firewall-Server im Intranet oder über Service Providers mit Vorrats-IP-Adressen. Auch sagt der

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rein technische Zugriff nichts über die Aufmerksamkeit des Nutzers und eine evtl. Offline-Nutzung. Häufige Auswertungen der Logfile-Beobachtung betreffen folgende Daten: • Zugriffe nach Art des Browsers, d. h., Anzahl der unterschiedlichen Browser, die auf ein WWW-Angebot zugegriffen haben, • User, d. h., Anzahl der Personen, die sich ein WWW-Angebot angesehen haben, segmentierbar anhand von Kennzeichen, • Identified User, d. h., User, die registriert oder angemeldet sind und daher demografische Zusatzinformationen tragen, • Unique Browser, d. h., Zählung nur des ersten Zugriffs eines Nutzers auf den Server, • Click-through Rate, d. h., prozentualer Anteil der AdClicks eines Users an seinen AdImpressions (wie viele Nutzer klicken ein gesehenes Webangebot tatsächlich an), problematisch sind hier Ad-Blocker. Ein wichtiges Feld der WWW-Beobachtung ist die Werbeeffizienzmessung. Sie bezieht sich auf Größen wie PageImpressions (früher PageViews, Maß für die Nutzung einzelner Seiten einer Site), Visits (Seitenzugriff eines Internet-Browsers von außerhalb auf ein aktuelles Angebot) oder Nutzerminuten (Sichtdauer dynamischer Seiteninhalte). Die WWW-Beobachtung ist durch den Einsatz von Proxy-Servers behindert, denn nur der chronologisch erste Nutzer eines Angebots wird bei der Datenübertragung erfasst, alle weiteren Nutzer werden von einem zwischengeschalteten ProxyServer bedient, der das Datenübertragungsvolumen reduziert (Traffic-Entlastung). Der Zugriff auf diese zwischengespeicherten Seiten wird in der Logfile-Analyse nicht erfasst. Eine weitere Verzerrung stellen Suchmaschinen dar, die durch Robots o. Ä. ständig und selbsttätig Web-Seiten aufrufen, auf die sie über Hyperlinks auf zuvor aufgerufenen Seiten gelangen, um Informationen einzusammeln. Diese automatischen Aufrufe werden im Logfile als normale Besuche erfasst. Außer über WWW können auch Beobachtungen des Nutzungsverhaltens der Teilnehmer an Newsgroups, Mailing-Listen, Chat-Foren oder zugesandten eMails erhoben werden. Dabei können vor allem Experten erhoben werden, die diese Dienste zur Kommunikation und Diskussion über ein bestimmtes professionelles Thema nutzen. Die themenorientierte Beobachtung kann teilnehmend oder nicht-teilnehmend erfolgen und hat zumeist Foren/Communities zum Inhalt. Vorteile der teilnehmenden Online-Beobachtung sind vor allem folgende: • Eine automatische Protokollierung des Online-Verhaltens ist gegeben, die Beobachtung erfolgt in der „normalen“ virtuellen Lebensumwelt, eine einfache

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Teilnahme für den Forscher durch registrierten Zugang ist möglich, die virtuelle Präsenz des Forschers beeinflusst die zu beobachtende Situation weitaus weniger stark als eine reale Präsenz, die Anonymität erlaubt Experimente und das Austesten von Optionen durch Probanden und Forscher. Nachteile der teilnehmenden Online-Beobachtung sind hingegen folgende: • Es bestehen ethische Probleme bei der teilnehmenden Beobachtung, Rückschlüsse vom virtuellen Verhalten auf das reale Verhalten sind nicht möglich, es bestehen Zweifel an der Korrektheit der virtuellen Identität der beobachteten Personen. Vorteile der nicht-teilnehmenden Online-Beobachtung sind vor allem folgende: • Durch vorhandenes Datenmaterial ist die Erhebung effizient handhabbar, es bestehen ein schneller Feedback-Kanal und eine automatisierte Quellen­aufnahme, das teilautomatisierte Suchen, Vercoden, Sammeln und Verknüpfen von Textstellen ist möglich, die Analyse ist intersubjektiv nachprüfbar, ebenso sind Zeitreihenanalysen und kontinuierliche Themen-Scans möglich, das erhobene Material ist authentisch und nicht eigens für Forschungszwecke erhoben, die Anonymität der Beobachteten führt zur Offenheit im Verhalten. Nachteile der nicht-teilnehmenden Online-Beobachtung sind vor allem folgende: • Die Kontextabhängigkeit der Informationen ist teilweise nur schwer erfassbar, vor allem besteht die Gefahr der Nicht-Erfassung von Implizitem und Nicht-Erwähntem, es schreiben nur bestimmte Zielgruppen Beiträge, deren Autoren im übrigen unbekannt bleiben, die Eigenheiten der Sprache im Internet müssen berücksichtigt werden, die Dokumentation der Beiträge hemmt die Spontaneität, die Informationsüberlastung des Forschers erzwingt eine Selektion von Informationen, die Grundgesamtheit der Internetquellen ist ungewiss. Daher ist eine sachverständige Abgrenzung der Grundgesamtheit, über die Aussagen getroffen werden sollen, erforderlich. Daraus wird dann eine gleichbleibende repräsentative Stichprobe gezogen. Die Teilnehmer lassen sich registrieren und erhalten ein Kennwort zur Erhebung, dies kann eine tatsächliche Beobachtung oder die Beobachtung der Veränderung von Erhebungssergebnissen sein. Zur Motivation werden regelmäßige finanzielle und/oder ideelle Anreize geboten (z. B. Sammelpunktsysteme). Auf der Website sind allgemeine Informationen, das Registrierungsformular für Neuanmeldungen und ein password-geschützter Raum für die eigentliche Erhebung aufrufbar. Dazu bedarf es seitens des Veranstalters eines leistungsfähigen Web-Servers mit Datenbankanbindung. Die Teilnehmer werden aufgefordert, neben ihren Eingaben auch regelmäßig ihre Stammdaten zu aktualisieren. Bei nicht beachteten Untersuchungseinladungen (Non Response-Rate)  kann eine OnlineNachfassaktion durchgeführt werden. Denkbar ist auch die Aufnahme von Offline-Kontaktversuchen zum Nachfass oder zur Identitätskontrolle.

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Eine häufige Anwendung themenorientierter, nicht-teilnehmender Beobachtungen sind Panels. Vorteile des Online-Panels sind vor allem folgende: • Relevante Fragestellungen lassen sich schnell und kostengünstig auf Basis relativ hoher Teilnehmerzahlen untersuchen. • Aus einer Panelstichprobe können spezielle Unterstichproben gezogen werden, die dem Untersuchungsgegenstand entsprechen. • Die Responsequote kann exakt bestimmt werden, da der Stichprobenumfang im Unterschied zu Online-Befragungen bekannt ist. • Die Teilnahmebereitschaft der Panelteilnehmer ist zumeist höher als bei Studien mit jeweiliger Neurekrutierung der Probanden. • Online-Panels sind kostengünstiger und schneller durchführbar als traditionelle Panels. Zudem unterliegen sie keinerlei räumlicher Begrenzung. • Geringe Streuverluste durch gezielte Ansprache sind gegeben, ebenso geringe Antwortausfälle und geringe Abbruchraten. Dem stehen jedoch folgende Nachteile gegenüber: • Die erstmalige Einrichtung eines Panels ist sehr kostenaufwändig, unabhängig davon, ob ein Unternehmen sie selbst organisiert oder dies outsourced. • Listen über potenzielle Teilnehmer müssen verfügbar sein, wobei die Input­ qualität schwankt. • Die Repräsentativität des Panels ist fraglich und nimmt im Zeitablauf für gewöhnlich stetig ab. • Konsistenz und Sorgfalt der Probanden bei der jeweiligen Bearbeitung sind fraglich. • Dennoch entstehen absolut hohe Rekrutierungskosten. Eine weitere Quelle sind Weblogs (Blogs). Blogs sind chronologisch aktua­ lisierte Online-Tagebücher eines Autors (s. u.). Vorteile der (nicht-teilnehmenden) Blog-Beobachtung sind vor allem folgende: • Die Erfassung persönlicher Motive und Einstellungen der Autoren und Kommentatoren ist möglich. • Anhand der kontinuierlichen Einträge kann die Entwicklung von Meinungen im Feld detailliert verfolgt werden. • Die Aussagefähigkeit steigt durch Anreicherung mit Bildern, Videos, Audio­ dateien etc. • Über Kommentare kann auf die aktuelle Entwicklung eingewirkt werden. Allerdings entsteht dabei die Gefahr der Manipulation.

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• Die Ergebnisauswertung ist begleitend zur Erhebung möglich (automatisierte Quellenaufnahme). • Ein teilautomatisiertes Suchen und Vercoden, Sammeln und Verknüpfen von Textstellen ist möglich. • Die Ergebnisse sind intersubjektiv nachprüfbar, auch als Zeitreihenanalysen. • Es handelt sich um authentisches Material, nicht um Forschungs-Artefakte. • Die Anonymität führt zu mehr Offenheit in den Stellungnahmen. Dem stehen jedoch folgende Nachteile gegenüber: • Die Selbstdarstellung der Autoren kann Überhand nehmen (Hang zum Nar­ zismus). • Spontaneität und Ausführlichkeit leiden durch die Erhebungsform (Texterfassung, Kognition). • Bei längerer Führung eines Blogs nimmt die Routine Überhand, auch besteht die Gefahr des Abbruchs der Chronologie. • Es besteht Ungewissheit über die Identität der Eintragenden. • Es besteht die Gefahr, dass Implizites und Nicht-Erwähntes in der Erfassung untergeht, denn viele Informationen sind kontextabhängig. • Die Zielgruppen sind eingeschränkt, die Identität des Autors ist nicht über­ prüfbar. • Es kommt zu einer Überflutung mit Informationen, die zumindest manuell nicht adäquat zu verarbeiten sind. • Die Grundgesamtheit der Internetquellen ist ungewiss, damit ist jede Stich­ probenziehung fragwürdig. • Online-Quellen sind flüchtig und müssen daher archiviert werden. Social Media Monitoring erfolgt durch Recherche in Foren/Communities, Weblogs etc. über nutzergenerierte Inhalte. Wichtige Ansatzpunkte sind dabei das „Zuhören“ und das Messen. Beim Zuhören werden geeignete Keywords wie Fachtermini, Produktbezeichnungen Konkurrenznamen etc. verfolgt. Dies bezieht sich etwa auf folgende Elemente: • Produktmonitoring in Bewertungsportalen, Produktforen, Produktblogs, ­Videos, Tweets etc., • Unternehmensmonitoring (allerdings schwierig bei häufiger vorkommenden Firmierungen), • Themen-/Trendmonitoring nach Issues, Hot Topics etc.,

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• Sentiment-Monitoring nach Tonalität von Beiträgen (positiv, neutral, negativ), dazu ist eine semantische Auswertung erforderlich, allerdings entstehen derzeit Probleme bei Ironie, Redewendungen, Abkürzungen, Slang, Rechtschreibfehlern, Negationen, Mehrdeutigkeiten etc. (das soll sich im Web 3.0 ändern), • Meinungsführer-Identifizierung und -Kontaktierung (z. B. renommierte Blogger). Beim Messen werden KPI’s (Key Performance Indicators/Schlüsselerfolgsgrößen) analysiert. Beim größten Social Network Facebook (über Minilytics) sind dies etwa die Facebook-Insights wie Übersicht, Gefällt-mir, d. h. Fans bzw. Freunde von Fans, absolut und prozentual, Reichweite, d. h. Anzahl der Personen, die mit der betreffenden Seite verknüpft sind bzw. Abonnenten, Personen, die darüber sprechen, z. B. innerhalb der letzten sieben Tage etc. Beim größten Microblog Twitter (über Twazzup) sind dies etwa Followers, Followers von Followers, Retweets, @-Erwähnungen, Favorisierungen (Zustimmung), Häufigkeit von Hashtags (#) etc. Marktforschungsbezogene Messungen beziehen sich dann auf folgende Elemente: • Förderung des Dialogs durch Share of Voice, Zielgruppenengagement, Anzahl der Diskussionsteilnehmer etc., • Identifizierung von Befürwortern und ihre Förderung als Markenbotschafter, Anteil der Markenbefürworter etc., • Verbesserung des Kunden-Support durch Anzahl der Kundenanforderungen, Anzahl zufriedener Kunden etc., • Initiierung von Innovation durch Anzahl der Markenerwähnungen, der Trend­ erwähnungen, positiver Erwähnungen etc. Daraus lässt sich mit Hilfe von Tools (z. B. Social Mention, Klout) der Social Media Return on Influence als Aufwands-Nutzen-Relation in der Marktforschung ermitteln 9.4 Online-Experiment Wie jedes Experiment ist auch das WWW-Experiment eine wiederholbare, unter kontrollierten vorher festgelegten Umfeldbedingungen durchgeführte Versuchsanordnung, die als WWW-Experiment oder Newsgroup-Experiment darstellbar ist. Beim WWW-Experiment führt eine Versuchsperson mit dem eigenen Schreibtischcomputer das Experiment über die grafische Nutzeroberfläche des Web-Browsers aus, indem sie Kontakt zum zentralen Labor-Computer aufnimmt und unterhält. Dabei werden alle Mausklicks, Zeigerbewegungen, Audio- und Videosignale, Tastatureingaben oder Dokumentenabfragen vom Web-Server ebenso aufgezeichnet wie Antwortzeiten, Adresse/Standort des Nutzers oder Art des verwendeten Web-Browsers. Als Grundvoraussetzungen für den Erfolg eines WWWExperiments sind die Angabe des Veranstalters, der Forschungszweck und Hin-

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weise auf die zu erwartende Bearbeitungszeit zu nennen. Hinzu kommen das Angebot von Incentives und eine attraktive Gestaltung der Experimentalmaterialien. Um die Ladezeiten zu minimieren, werden zunächst die mächtigen Dateien übersandt und danach die weniger mächtigen, also zuerst die Web-Labor-Seite, dann die allgemeinen Instruktionen, danach die experimentspezifische Instruktion und dann erst die eigentlichen Experimentalmaterialien. Um Teilnehmer zu selektieren, kann ein Abgleich zwischen e-Mail- und IP-Adresse vorgenommen werden. Außerdem können erforderliche Funktionalitäten erst auf Anforderung zur Bearbeitung bereitgestellt werden. Beim Newsgroup-Experiment sind die aktive Variation der Experimentalbedingungen oder die passive Auswertung gegebener Bedingungen möglich. Von Vorteil ist bei beiden der Verzicht auf geografische Eingrenzungen und der kurze Erhebungszeitraum. Zudem erfolgt eine automatische Datenspeicherung. Die Erhebung auch non-reaktiver Daten ist möglich, ebenso wie die Einbindung von Multimedia-Modalitäten. Von Nachteile sind die hohe Verweigerungsquote und die Selbstselektion der Teilnehmer. Dadurch bleibt die Repräsentanz notleidend. Dies ist allein schon dadurch gegeben, dass die Abgrenzung der Grundgesamtheit meist unklar ist. Außerdem können externe Störfaktoren einwirken.

9.5 Beurteilung Um die Datenqualität zu sichern, werden mehrfache Kontrollen vorgesehen. Kontrollen während der Erhebung beziehen sich z. B. auf die Bearbeitungszeit. Fragebögen unter einer festgelegten Mindestbearbeitungszeit werden damit vor Auswertung zusätzlich überprüft. Auch können selbsttätige Fehlerkorrekturen im Programm eingebaut werden, die z. B. Falscheingaben zurückweisen oder unvollständige Angaben nicht akzeptieren. Eine zentrale Kontrollgröße ist aber die Rücklaufquote. Der Server registriert bei jedem Fragebogenaufruf automatisch den aufrufenden Rechner und seine Internet-Adresse. Ebenso wird beim Absenden eines ausgefüllten Fragebogens der Inhalt der Adresse auf dem Server gespeichert. Dadurch können die Fragebogenaufrufe in Relation zu den Fragebogeneinsendungen gestellt werden (daraus ergibt sich die Rücklaufquote). Allerdings werden Wiederholungsaufrufe über den Proxy-Server dabei nicht erkannt. Die Auswertung der Protokolldatei gibt zudem Aufschluss über die regionale Verteilung und den Zeitraum der Erhebung. Die Güte der erhobenen Daten wird meist anhand der Kriterien Objektivität, Reliabilität und Validität beurteilt. Die Durchführungsobjektivität von Internet-Erhebungen ist sehr hoch einzuschätzen, da keine Interviewerbeeinflussung vorliegt. Durch die Standardisierung der Datenerfassung ist auch eine hohe Auswertungsobjektivität gegeben. Die Interpretationsobjektivität bleibt jedoch fraglich.

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Die Reliabilität ist insgesamt hoch einzuschätzen, da die äußeren Einflüsse durch die Erhebung nicht verändert werden. Allerdings können veränderte Einstellungen der Erhebungspersonen durch die Auseinandersetzung mit dem Geschehen sowie Lerneffekte aus der Erhebungssituation entstehen, welche die Reliabilität, je nach Lage der Dinge, verbessern oder aber beeinträchtigen. Auch die interne Validität ist grundsätzlich hoch einzuschätzen, da falsche Protokollierungen oder Codierungen der Ergebnisse ausgeschlossen und zudem Mehrdeutigkeiten in der Erhebungssituation durch vorlaufende Tests minimiert werden können. Die externe Validität ist jedoch sehr fraglich, da eine Verallgemeinerung der durch Internet-Erhebung erfassten Tatbestände nicht möglich ist, und zwar nicht nur nicht aus der Stichprobe auf die Gesamtbevölkerung, sondern auch nicht von der Stichprobe auf alle Internet-Nutzer. Zudem bestehen Verzerrungen durch Selbstselektion als Erhebungsperson durch Aufruf des Fragebogens und mehr­ fache Teilnahmen. Zur Gewährleistung einer fehlerfreien Datenübertragung und der Vermeidung von Datenmissbrauch dienen mehrere Vorkehrungen. Der Zugriff auf schützenswerte Daten kann durch geeignete Passwörter erreicht werden. Die Auswertung schützenswerter Daten kann trotz unberechtigten Zugriffs durch Verschlüsselungsalgorithmen gesichert werden (z. B. PGP). Befragungen, Beobachtungen oder Experimente sind grundsätzlich von der Einwilligung bzw. Erlaubnis der Erhebungsperson abhängig. Allerdings werden vielfältige technische Daten während der Kommunikation erfasst, ohne dass die Erhebungsperson dies unbedingt weiß oder genehmigt. Hinsichtlich des Beurteilungskriteriums Aktualität ist festzustellen, dass die Aufforderungen zur Teilnahme zeitgleich versandt werden können. Teilnehmer, die täglich ihre Mailbox leeren, erhalten daher den Fragebogen zum Stichtag. Der Erhebungszeitraum ist somit exakt kontrollierbar. Allerdings kann nicht fest­ gestellt werden, wann innerhalb dieses Zeitraums ein Fragebogen tatsächlich ausgefüllt worden ist. In Bezug auf das Kriterium Zuverlässigkeit ist diese als hoch einzuschätzen, weil kein Interviewer anwesend und freie Ortswahl und Anonymität der Beantwortung gegeben ist. Tendenzen sozialer Erwünschtheit in den Antworten bleiben vermutlich gering. Jedoch ist eine Beeinflussung durch Dritte bei der Beantwortung möglich und im Weiteren nicht kontrollierbar. Eine Erklärung der Fragen ist zwar nicht möglich, dafür können aber Hilfefenster angeboten werden, welche die Befragungsperson konkret anleiten. Außerdem können Beispiele für Antworten am Anfang des Fragebogens erklärend wirken. Die Antwortzeit für Fragen ist messbar, wird allerdings die Bearbeitung unter­ brochen, ist diese Messung nicht mehr möglich.

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Die Kosten für Interviewereinsatz, Interviewerschulung, Versandporto etc. entfallen. Allerdings fallen ggf. Kosten auf Seiten der Befragten für Telefoniegebühren an (mobile Endgeräte), die durch Incentives o. Ä. ausgeglichen werden sollten. Die Rücklaufquote ist themenabhängig und liegt bei Selbstrekrutierung erfahrungsgemäß unter 2 %, bei aktiver Ansprache potenzieller Teilnehmer zwischen 10 und 50 % (bei Spezialzielgruppen). Der Umfang des Fragebogens sollte 1­ 5–20 Fragen nicht überschreiten, damit keine Interviewabbrüche provoziert werden. Hilfreich ist zudem eine möglichst ansprechende Aufmachung des Frage­bogens.

10.

Spezielle Anwendungen der Marketingforschung

10.1 Markttestverfahren Innerhalb der Experimente können verschiedene Arten unterschieden werden. Bei Kausalexperimenten werden die Auswirkungen einer kontrollierten Veränderung einer oder mehrerer Einflussgrößen auf eine bekannte Ausgangssituation überprüft. Bei Vergleichsexperimenten werden Aussagen über die Unterschiede zwischen den Einflussgrößen angestrebt. Bei Suchexperimenten werden neuartige Lösungen für ein bestimmtes Problem gesucht. Bei Messexperimenten werden Informationen über den Zustand von Merkmalen angestrebt. Die häufigste Form der Durchführung im Marketing bezieht sich auf die Messung der Wirkung der Marketinginstrumente. Dies wird Markttest genannt. Hinsichtlich der Testanlage können verschiedene Markttestverfahren unterschieden werden. Generelle Anforderungen sind dabei Realitätsnähe, Geheimhaltung, Zeitlimitierung, Kosteneffizienz und Verlässlichkeit. Der Markttest soll Prognosen über die Wirkung ausgewählter Marketing-Instrumente oder ganzer Marketing-Konzeptionen ermöglichen. Markttests werden teils als regionale Anwendungsgebiete, teils als großflächige Anwendungen in Testmärkten verstanden. Es handelt sich also um umfassende Feldexperimente, bei denen Produkte bzw. Marketing-Mix-Konzepte, vor allem für Neueinführungen, auf einem realen Teilmarkt probeweise angeboten werden, um Aufschlüsse über die Zweckmäßigkeit einer endgültigen Markteinführung bzw. Marketing-Mix-Modifikation zu erhalten. Dabei sind Vergleiche mit einem Kontrollmarkt sinnvoll. Wichtige Teilziele sind die Ermittlung der Produktakzeptanz und des Absatzpotenzials für ein Neuprodukt, die Durchsetzbarkeit bestimmter Preise, die Ermittlung der Werbewirksamkeit und der Wirkung bestimmter Werbemittel bzw. Verkaufsförderungsaktivitäten sowie die Sammlung von Daten, die den späteren Reinverkauf im Absatzkanal unterstützen. Der Form nach können neben dem traditionellen regionalen Testmarkt auch moderne Testmarktersatzverfahren (Testmarktsimulation, Storetest bzw. Minimarkttest, elektronischer Mikromarkttest) unterschieden werden (siehe Abbildung 89).

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I. Erhebungsmethoden

Marktanlage als Punktmarkt

Marktanlage als Raummarkt

Erfassung nur der Angebotsseite

Testmarktsimulation (Studio)

Storetest

Erfassung der Angebots- und der Nachfrageseite

Mikro-Markttest (z.B. Haßloch)

Mini-Markttest (z.B. ERIM)

Abbildung 89: Testmarktersatzverfahren

10.1.1 Regionaler Testmarkt Der regionale Testmarkt beinhaltet den probeweisen Verkauf auf einem räumlich abgegrenzten Markt mit dem Ziel der Gewinnung von Erkenntnissen über die mutmaßliche Marktgängigkeit eines Produkts bzw. die Wirksamkeit von Marketingmaßnahmen vor deren großflächiger Einführung. Als bevorzugte Gebiete gelten die Großräume Bremen, Saarland, Stuttgart, Hessen, Rheinland-Pfalz und Berlin. Als Voraussetzungen für jegliche Art von Testmarkt sind die Isomorphiebedingungen zum Gesamtmarkt zu beachten. Sie besagen: • identische Nachfragesituation in Bezug auf Soziodemographie und Bedarfsstruktur, • identische Handelssituation in Bezug auf Absatzschienen und Angebotssortiment, • identische Wettbewerbssituation in Bezug auf Art und Größe der Mitbewerber, • identische Medienstruktur in Bezug auf Verfügbarkeit/Nutzung von Werbeträgern, • weitestmögliche Abgrenzbarkeit des Testmarktgebiets gegenüber dem Restmarktgebiet. Die Anzahl geeigneter Testmarktgebiete bleibt deshalb gering. Die relativ große Flächenabdeckung bedingt hohe Kosten für Mediaeinsatz, Produktvorrat und Logistik. Es ist nur eine mangelnde Geheimhaltung gegenüber Mitbewerbern möglich, mit der Gefahr des vorzeitigen Bekanntwerdens von Produktneuerungen und von gezielten Störaktionen. Problematisch ist auch die mangelnde Isolation des Testmarkts, z. B. durch Pendler, Streuwerbung. Zudem gibt es keine Möglichkeit der Einrichtung eines Kontrollmarkts. Testmärkte können bei häufigem Ein-

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satz übertestet werden. Oft bestehen regionale Abweichungen im Konsumverhalten zum späteren Distributionsgebiet. Der Einsatz der Marketingmaßnahmen ist nicht zielgenau zu steuern. Bei Produkten mit langen Kaufintervallen ist ein Testmarkt kaum sinnvoll, da die Gefahr besteht, dass der Wettbewerb „pre-empted“ und ein Entwicklungsvorsprung vergeben wird. Insofern handelt es sich nicht um echte Experimente, sondern um Quasi-Experimente, zumeist in Form von Zeitreihendesigns. Wegen dieser gravierenden Mängel liegt es nahe, an Testmarktersatzverfahren zu denken. Dafür gibt es verschiedene Verfahren.

10.1.2 Testmarktsimulation Die Testmarktsimulation ist die wirklichkeitsgetreue Nachbildung der Marktrealität in Modellform (z. B. durch im Labor nachempfundene Ladensituation) und dessen Durchspielen in realitätsnaher Weise (z. B. mit Einkaufsgutschein für Probanden). Es handelt sich um einen Studiotest, in dem der Prozess der Wahrnehmung und des Kauf- und Wiederkaufverhaltens für ein neues Produkt unter Ausschluss der Öffentlichkeit simuliert wird. Sie wird vor allem im Konsumgüterbereich zum Testen neuer Verbrauchsgüter und zur Diagnose und Verbesserung bestehender Produkte eingesetzt. Innerhalb der Entwicklung neuer Produkte ist die Testmarktsimulation für gewöhnlich die letzte Stufe zur Go/No go-Entscheidung. Nachdem die Elemente des Marketing-Mix durch Partialtests überprüft worden sind, wird dann meist nurmehr das fertige Produkt getestet. Bei On-Entscheidung wird eine Produktmodifikation und ein erneuter Test für erforderlich gehalten. Die Simulation umfasst sowohl die Datenerhebung im Teststudio als auch computergestützte Methoden und Modelle für deren Analyse. Dabei geht es vor allem um die Simulation des Adoptionsprozesses neuer Produkte über Wahrnehmung, Erstkauf, Einstellungsbildung und Wiederkauf bzw. Verweigerung. Bekannte Verfahren sind dabei Assessor, Designer, Bases II, TESI (GfK) und Sensor. Die einzelnen Phasen, Werbesimulation, Kaufsimulation, Home Use-Test und Studio-Test, laufen wie folgt ab: • Befragtenanwerbung, meist anhand des Quota-Verfahrens. Kriterien sind soziologische und psychologische Merkmale, die vorab ermittelt werden. Die Stichprobengröße beträgt ca. 200–400 Personen. Dabei werden Basisdaten wie Markenbekanntheit, Markenverwendung, Kaufverhalten, Präferenz- und Einstellungsdaten für existierende Angebote und soziodemographische Daten erhoben. • Erstinterview (hinsichtlich Konsumgewohnheiten, Markenpräferenzen, Demographie). Ermittelt wird der individuelle Relevant Set von Produkten, die dann im Paarvergleich bewertet werden. Basis ist dabei eine Konstantsummenskala, in der eine Wertsumme (z. B. elf Punkte) auf die beiden Alternativen verteilt werden

I. Erhebungsmethoden

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soll. Damit erhält man eine Präferenzskala. Außerdem werden die demographischen Daten der Probanden festgestellt. Als Teststudio wird meist ein Hotel in der Einkaufszone gewählt, sofern nicht ein stationäres Teststudio zur Verfügung steht. • Konfrontation mit Werbung für das getestete und konkurrierende Angebote (Pene­tration). Die Testwerbung wird in ein realistisches Umfeld „verpackt“. Meist wird per Video ein Werbeblock simuliert, in dem neben Spots für wichtige Konkurrenzprodukte auch der Spot für das Testprodukt einmontiert ist. So erfolgt die erste Wahrnehmung des neuen Angebots. • Kaufsimulation im Testladen (mit Einkaufsgutschein). Die Produkte werden dabei mit Preisen ausgezeichnet, deren Relation den Marktverhältnissen entspricht. Dafür erhalten die Testpersonen Haushaltsgeld bis etwa 25 % des Produktpreises, um Erstkäufe zu stimulieren, den Rest müssen sie selbst bezahlen. Neben dem Testprodukt werden dort auch konkurrierende Produkte angeboten. Dadurch soll primär eine Schätzung der Erstkaufrate ermöglicht werden. • Nachkauf-Interview. Beim Kauf des Testprodukts erhalten die Testpersonen das Konkurrenzprodukt gratis hinzu, bei Nicht-Kauf des Testprodukts erhalten sie es ohne Hinweis ebenfalls gratis hinzu. Erfragt werden Kaufgründe bzw. Nichtkaufgründe. Dies ist vor allem wichtig für Produkte, die keiner existierenden Klasse zuzuordnen sind (Out of Category) sowie für die Ableitung von PreisReaktions-Funktionen. • Anwendung des „gekauften“ und/oder eines konkurrierenden Produkts zuhause (Home Use-Test). Die Länge hängt von der zu veranschlagenden Wiederkaufzeitspanne ab, beträgt aber in jedem Fall mehrere Wochen. Dadurch haben die Testpersonen Gelegenheit, das neue Produkt unter realen Bedingungen kennen zu lernen und eine Einstellung dazu zu entwickeln. • Folge-Interview nach normaler Nutzungsdauer zur Feststellung von Wiederkaufbereitschaft bzw. Produktbeurteilung (telefonisch oder im Studio). Dabei werden die gleichen Themenkomplexe wie im Erstinterview erhoben. Nur dass sich die erhobenen Daten jetzt nicht mehr nur auf die Konkurrenzprodukte, sondern auch auf das Neuprodukt beziehen. Dadurch soll das Wiederkaufverhalten simuliert werden. • Abrundung durch zweite Kaufsimulation und Erfassung von Likes/Dislikes, also der relativen Stärken und Schwächen des Neuprodukts. Dadurch ergeben sich Anregungen für alternative Produktversionen oder Werbekonzeptionen sowie für Produktvariation und Line Extension. • Hochrechnung der Ergebnisse über Pro-Kopf-, Marktanteils-, Umsatzverhältnis-, Kaufkraftindex- oder Wiederkäufer-Umrechnung. Dabei können auch Substitutions- und Kannibalisierungseffekte mit existierenden Angeboten bzw. bei simultaner Einführung mehrerer Produkte berücksichtigt werden.

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Die Laufzeit des Tests ist recht kurz, da kein Distributionsaufbau im Handel erforderlich und damit eine schnelle Datenverfügbarkeit (ca. zehn Wochen) möglich ist. Der Testablauf lässt sich flexibel gestalten, damit kann dieser durchaus auch international eingesetzt werden. Die Kosten des Tests sind vergleichsweise niedrig (ca. 50.000 €). Konkurrenzreaktionen können durch Geheimhaltung der Untersuchung weitestgehend ausgeschlossen werden. Die Kontrollmöglichkeiten sind sehr hoch. Außerdem können Konkurrenzprodukte sofort nach Markteinführung auf ihr Potenzial hin getestet werden. Allerdings sind nicht alle Marketing-Mix-Instrumente testbar wie z. B. Kommunikationswirkung mit 100 % Reichweite, dafür aber nur einmalig, Distribution mit 100 % Ausdeckung. Es besteht nur eine geringe externe Validität, da es sich um eine Laborsituation handelt und Ergebnisse untereinander schwerlich vergleichbar sind. Außerdem sind neue Produktgruppen durch fehlenden Rückgriff auf Erfahrungswerte nur schwierig zu testen. Die Anwendung beschränkt sich praktisch auf Fast Moving Consumer Goods (FMCG). Die Mitwirkung des Handels ist zwar nicht erforderlich, kann aber auch nicht abgetestet werden.

10.1.3 Storetest Beim Storetest handelt es sich um den probeweisen Verkauf von neuen/veränderten Produkten unter Einsatz aller/ausgewählter Marketinginstrumente und weitgehend kontrollierten Bedingungen in einigen/wenigen (realen) Geschäften, die für den Test eigens angeworben und distribuiert werden. Dabei wird nur die Abverkaufsseite des Marktes erfasst. Marktforschungsinstitute bieten Storetests mit Scanning-Unterstützung als Standarderhebung an. Die Anzahl der Geschäfte wird meist zwischen 30 und 50 justiert. Der Erfolg des testweisen Verkaufs von Produkten in ausgewählten Geschäften wird mittels experimenteller Beobachtung kontrolliert. Elemente des Marketing-Mix können variiert und unter weitgehender Konstanthaltung aller anderen Variablen auf ihre Wirkungen hin untersucht werden. Als experimentelles Design kommen alle quasi-experimentellen Versuchsanordnungen in Betracht, wobei die Vergleichbarkeit der Gruppen durch Abgleich von Merkmalen wie Betriebsform, Geschäftsfläche, Organisationsart etc. hergestellt wird. Der Ablauf von Storetests beinhaltet meist die Bevorratung von Geschäften mit dem Test­ produkt, den Einsatz der absatzpolitischen Instrumente, die Ermittlung des Kaufumfangs etc. Häufig wird das Latin Square-Design eingesetzt (z. B. GfK Store-Test). Dabei bestehen zwei Testgruppen von Geschäften, die vergleichbar sind. In beiden wird abwechselnd ein bestehendes Sortiment und ein um das zu testende Neuprodukt ergänztes neues Sortiment während vier Wochen Testzeit angeboten. Durch die Kombination können die Effekte zwischen den beiden Testgruppen von

I. Erhebungsmethoden

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Geschäften und zwischen dem bestehenden und dem neuen Sortiment heraus­ gerechnet und der einzelne Effekt des Neuprodukts isoliert werden. Dies erlaubt die Beantwortung der Fragestellung, welchen Abverkauf das neue Produkt im Vergleich zum bestehenden Sortiment erzielt und ob sich dieser Abverkauf durch Substitution oder zusätzlich zum bisherigen Sortiment ergibt. 10.1.4 Mini-Markttest Eine weiterentwickelte Form sind zweiseitige Storetests, auch Mini-Marktests, die neben den reinen Abverkaufszahlen auch die Reaktionen der Abnehmer durch Einbeziehung von Haushaltspanels realistisch erfassen. Beim Mini-Markttest handelt es sich um einfache (z. B. Rheinpfalz mit 15 Handelsgeschäften) oder komplexe Ansätze. Sie laufen allgemein in fünf Stufen ab: • Handelsbevorratung durch das Marktforschungs-Institut in reservierte Platzierungen hinein, • Verbraucherbeeinflussung durch Reizpräsentation, variiert nach Inhalt und Umfang dabei eingesetzter Medien (z. B. Deckenhänger, Regalnasen, Anzeigenblattanzeigen, Handzettel), • Messung der Handelssituation über ein Handelspanel mit Scanner-Erfassung (Anfangsbestand zzgl. Zugänge abzgl. Endbestand gleich Abgänge/Skontrahierung), • Messung der Einkaufs- und Meinungssituation über ein Käuferpanel, • Ergebnisinterpretation und Erfolgsprognose. Der bekannteste Mini-Markttest ist ERIM von GfK. Er besteht aus einer Anzahl über Deutschland verteilter Handelsoutlets, in deren Einzugsgebiet jeweils ein Haushaltspanel mit deren Stammkunden gebildet wird. Über eine Identifikationskarte können die Einkäufe bei der Bon-Analyse jedem Panel-Haushalt zugeordnet werden. Wichtige Daten betreffen dabei Käuferreichweite, Käuferdemographie, Wiederkaufrate und Einkaufsintensität. Auf Basis von Distributionslevels und Kontaktdichten werden dann Absatzprognosen abgegeben. Ein weiteres Beispiel ist der Mini-Testmarkt von IVE, bei dem von einem Verkaufswagen Lebensmittel an Haushalte verkauft werden, die durch Kennnummern identifizierbar sind, so dass neben den Abverkaufszahlen Artikelart, Menge und Zeit des Kaufs einzelnen Haushalten zurechenbar sind. Es entstehen gegenüber dem Markttest erheblich geringere relative Kosten, so dass sich der Einsatz bereits für mittelständische Anbieter und bei kleineren zu erwartenden Produktmärkten rechnet. Auch ist der Test recht realitätsnah (vollbiotisch), da er am POS stattfindet. Es handelt sich also nicht um eine der wenig zuverlässigen Studiosituationen. Das geringe Ausmaß der Testanlage macht eine

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C. Marketinginformation

Geheimhaltung wahrscheinlicher und verhindert somit kontraproduktive Konkurrenzeinflüsse. Durch zahlreiche Kaufakte wird eine genügend große Fallzahl zur Auswertung erreicht. Von daher ist eine sinnvolle Hochrechnung möglich. Der geringe Zeitbedarf führt zu schnellen Rückschlüssen und Entscheidungen. Dies ist gerade bei immer hektischeren Vermarktungsbedingungen und der Zeit als wichtigem Wettbewerbsparameter von hoher Bedeutung. Es besteht jedoch eine geringere Validität der Ergebnisse als beim Markttest, da die internen und externen Testbedingungen weniger gut kontrolliert und stabilisiert werden können. Die exakte Dauer des Storetests ist von der Umschlaggeschwindigkeit der Produktgruppe abhängig. Es ist meist von zwei Monaten auszugehen, wobei die Testvariable wöchentlich erhoben wird. Eignung besteht praktisch nur für schnelllebige Konsumgüter (FMCG’s). Auf jeden Fall muss gewartet werden, bis sich die Wiederkaufrate stabilisiert hat. Die vorausgesetzte 100 %-Distribution lässt keine Aussagen über die spätere Handelsakzeptanz zu. Die Kosten sind zwar relativ zu anderen Markttests niedrig, absolut jedoch hoch, so ist von 75.000 € auszugehen. Es mangelt an einer adäquaten Reizpräsentation (z. B. TV-Werbung). Neuproduktwerbung ist nur durch Instore-Werbung, Haushaltsverteilung und speziell einmontierte Testanzeigen in HörZu, die in den Testgeschäften kostenlos erhältlich ist, gegeben. Der Storetest kann zwar gesplittet angelegt werden (Matched Samples), wobei eine Gruppe ohne Testmaßnahmen auskommt. Allerdings bestehen keine Informationen über individuelle Kaufentscheide. Die Handelsabdeckung (Käufe außerhalb der erfassten Läden) ist sehr gering, so dass Störeinflüsse durch Käuferwanderungen oder Aktivitäten anderer Händler unkontrollierbar bleiben. Zudem ist der Test anfällig für gezielte Störmaßnahmen der Konkurrenz. Diese Handicaps werden durch den elektronischen Mikromarkttest überwunden. 10.1.5 Elektronischer Mikromarkttest Beim elektronischen (komplexen) Mikromarkttest handelt es sich um eine Kombination von Haushaltspanel zur Erfassung des Konsumverhaltens, Scannerkasse am POS zur Abverkaufskontrolle in Geschäften über GTIN-Strichcode und Identitätskarte, örtlich gesteuertem TV- und Print-Werbeeinsatz sowie unterstützender Proben- und Handzettelverteilung in ausgewählten Orten. Dies ist das derzeit wohl elaborierteste Verfahren der Marktforschung. Die Ergebnisse werden im Managementreport präsentiert. Das Kernstück bei GfK-Behavior Scan in Haßloch ist ein repräsentatives Panel mit 3.400 Haushalten bei etwas über 20.000 Einwohnern und knapp 10.000 Haushalten, die jeweils mit einer Identifikationskarte ausgestattet sind, die beim Einkauf an der Kasse zusammen mit den jeweiligen Einkäufen jedes Testhaushalts eingelesen wird. Parallel besteht ein Handelspanel, so dass die Abverkäufe zugeordnet werden können. Es handelt sich somit um einen Single Source-

I. Erhebungsmethoden

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Ansatz. Dies bedeutet Messung, Integration und Interpretation aller Verkaufs-, Media- und Marketingfaktoren, die das Konsumentenverhalten beeinflussen und die daraus resultierenden Auswirkungen auf den Absatz. Wichtig ist, dass es sich bei diesen Einkäufen nicht um Testergebnisse handelt, sondern um reales Kaufverhalten zur Deckung des Lebensbedarfs. Es ist eine gezielte Ansprache des einzelnen verkabelten Haushalts über TV-Werbung möglich, außerdem sind die örtlichen Tageszeitungen und Anzeigenblätter ebenso einbeziehbar wie Verkaufsförderungsaktionen. Die verkabelten Haushalte können mit nicht-verkabelten (Satellit) in ihrem Konsumverhalten verglichen werden. Das Marktgebiet ist gut eingegrenzt, wirtschaftlich zu bearbeiten und in seiner Bevölkerungsstruktur hinreichend repräsentativ. Die Gründe für die Gebietswahl von Haßloch liegen in den einzigartigen Voraussetzungen dieses Testgebiets: • Durch Einbezug in das seinerzeitige Kabelpilotprojekt EPF, Erstes Privates Fernsehen, im Großraum Ludwigshafen ist eine hohe Kabeldichte vorhanden. • Es ist eine weitgehende Isolation gegenüber dem angrenzenden Wirtschaftsraum gegeben, d. h., der Bedarf wird am Ort gedeckt, es gibt kaum zufließende oder abfließende Kaufkraft. • Die Mitwirkung des Handels, insgesamt sieben Geschäfte, wird durch Kooperationsvereinbarungen sichergestellt. • Die Mitwirkung der Haushalte wird durch Freieinweisungen von Programmund Frauenzeitschrift, durch Erstattung der Kabelgebühr und durch die unregelmäßige Abgabe von kleinen Geld- oder Sachpreisen motiviert. • Die Repräsentanz der Bevölkerungs-, Handels-, Konkurrenz- und Mediastruktur zum Bundesgebiet, zumindest was die alten Bundesländer anbelangt, ist hinlänglich gegeben. Der Kaufkraftindex ist genau 100 (= Durchschnitt ABLDeutschland). • Eine mehrkanalige Ansprache ist möglich. Durch einen speziellen Mediasplit sind Kabelfernsehen (IP Media und Seven One Media) und Zeitschriften (Programm/Aktuelle Illustrierte) steuerbar. Zwar nicht steuerbar, aber einsetzbar sind die Medien Tageszeitung (Rheinpfalz), Programm-Supplement (IWZ), Plakatanschlag, Handzettelverteilung/Haushaltssampling, POS-Werbung/Propagandisten und Anzeigenblätter. • Darüber hinaus ist Online-Werbung über Postleitzahlzonen (Geotargeting) möglich. Die Elemente des Haßloch-Projekts sind im Einzelnen folgende (siehe Abbildung 90): • Testgeschäfte mit einer Coverage von ca. 90 % (Real, 2 × Lidl, 2 × Penny, Nutzkauf, Globus), weitere 14 Geschäfte im nahen Umfeld sind einbezogen,

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Testgeschäfte am Ort mit 90 - 95 % Marktabdeckung, Waren-Distribution und -Platzierung durch GfK, Testrealisation durch GfK

Angebotsseite Erfassung der Verkäufe durch Scanner-Kassen

Erfassung der Einkäufe durch GfK-Korrespondenzkarten

Kontrollierbarer Werbeeinfluss durch TV (haushaltsindividuell) und Print (HörZu) Teilweise Erfassung der TV-Nutzung in Experimentgruppe Zusätzliche Handzettelverteilung in Testhaushalten (Vkf)

Nachfrageseite Testhaushalte in Experiment- und Kontrollgruppen aufteilbar, innerhalb der Experimentgruppe ist auch Split Run möglich

Nicht kontrollierbarer Werbeeinfluss durch Tageszeitung, Supplement, Plakat, Anzeigenblatt sowie alle anderen Medien

Quelle: In Anlehnung an GfK Testmarktforschung

Abbildung 90: Single Source-Mikromarkttest Haßloch

• Scanner-Check out zum Einlesen von GTIN-(Strich-)Codes mit Zuordnung von Artikelnummern und Preisen zu eingekauften Waren, • Zuordnung entsprechender Haushaltsinformationen durch eine Identifikationskarte (GfK-Korrespondenzkarte mit Strichcode), • Anwerbung von 3.400 Testhaushalten, davon 2.400 Haushalte per Kabel (Cut in-Verfahren). Durch strukturgleiches Splitting ist die Möglichkeit zum direkten Vergleich beider Gruppen gegeben (EBA oder EBA-CBA). Diese Aufteilung ist bis zu 50: 50 variierbar. Zur Ermittlung des TV-Werbedrucks sind 200 Haushalte zusätzlich der Teleskopie angeschlossen. Dadurch sind High Spending- und Low Spending-Tests möglich. Haushaltsinformationen umfassen vor allem Käuferreichweite und -struktur, Wiederkaufrate, Einkaufsintensität und -menge.

I. Erhebungsmethoden

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• Handelspanel mit Inventurcharakter, d. h. Saldo aus Warenanfangsbestand und Zugängen an Waren einerseits und Warenendbestand andererseits, aus dem sich die Abgänge an Waren ergeben, also der Periodenverkauf. Handelsinformationen umfassen vor allem Umschlaggeschwindigkeit, Bevorratungsdauer, Verkaufsanteil. Sonderauswertungen betreffen u. a. Regal- und Zweitplatzierung, Angebotsumfeld, Ad+Prom-Aktivitäten, Sonderangebot etc. Typische Fragestellungen im elektronischen Mikromarkttest betreffen folgende: • Wirkung alternativen Werbedrucks für ein neues Produkt, Erfolgsbeitrag der TV-Werbung bei Einführung eines neuen Produkts, Erfolg bei alternativem Werbedruck zum Relaunch einer Marke, Grenzen kontinuierlicher Werbedruckerhöhung für eine bestehende Marke bei paralleler Unterstützung durch Handelspromotions, Ergebnisse aus Packungs-, Preis-, Kampagnen-, Motiv- und Media-Mix-Tests. 10.2 Kohortenanalyse 10.2.1 Wellenerhebung Unter Wellenerhebung versteht man die Erhebung wechselnder (im Unterschied zum Panel) repräsentativer Personen der Zielgruppe in regelmäßigen Abständen (im Unterschied zur Ad hoc-Untersuchung) zum gleichen Thema. Meist handelt es sich um die kontinuierliche Erfassung der Marktentwicklung auf Verbraucher(und Handels-)Ebene mit Rückschluss auf die Durchsetzungsfähigkeit von Werbung. Auf diese Weise können z. B. Werbekampagnen geprüft werden, die Pausen

Kohorte als Wellenerhebung Kohorte als Panel Verbraucherpanel (tradit./mod.) Individualpanel Haushaltspanel Handelspanel (tradition./modern) Einzelhandelspanel Großhandelspanel Abbildung 91: Formen der Kohorte

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C. Marketinginformation

oder unterschiedliche Ausgabelevels vorsehen. Ebenso können Werbekampagnen auf den Einfluss des Wettbewerbs (Overspendings) oder externer Ereignisse (z. B. Krisen) hin geprüft werden. Eine klassische Anwendung ist auch die berühmte „Sonntagsfrage“ (Wahlen) (siehe Abbildung 91). 10.2.2 Panelerhebung 10.2.2.1 Anlage Unter Panelerhebungen versteht man Untersuchungen, die bei einem bestimmten, gleich bleibenden Kreis von Untersuchungseinheiten, z. B. Personen, Haushalten, Handelsgeschäften, Unternehmen, in regelmäßigen zeitlichen Abständen wiederholt zum gleichen Untersuchungsgegenstand vorgenommen werden. Das Panel stellt damit eine Längsschnittanalyse in der Zeit dar. Das Kriterium des gleich bleibenden Personenkreises darf allerdings nicht zu eng ausgelegt werden. Ausfälle und Grundgesamtheitsveränderungen haben kontinuierliche Anpassungen in der Stichprobe zur Folge. Gleiches gilt für das Kriterium des gleichen Erhebungsgegenstands. Denn Veränderungen im Marktangebot führen zwangsläufig auch zu Veränderungen im Zeitablauf, welche die Panelaussagefähigkeit beeinflussen. Je schneller sich die Untersuchungsgegenstände in dynamischen Märkten wandeln, desto notwendiger wird eine laufende Beobachtung der eingetretenen Veränderungen. Da dieses Phänomen typisch für modernes Marketing ist, hat auch die Bedeutung von Panels stetig zugenommen. Aufgrund der meist erheblichen organisatorischen Vorkehrungen und des hohen Kosteneinsatzes werden sie von großen Marktforschungs-Instituten getragen. Und sind für diese laufende Einnahmequelle durch Verkauf der jeweils aktuellen Daten an beliebig viele Auftraggeber. Ein Panel bedarf laufender Kontrolle und Betreuung. Für die Qualität der Daten sind der Grad der Repräsentanz, die Genauigkeit der Erhebung bzw. Bearbeitung und die Schnelligkeit der Auswertung ausschlaggebend. Die Untersuchungsintervalle richten sich nach der Marktdynamik und den Erhebungskosten. Gleiches gilt für die Stichprobengröße. Panels lassen sich nach verschiedenen Kriterien unterscheiden. Nach der zu untersuchenden Warengruppe wird zwischen Gebrauchsgüter- und VerbrauchsgüterPanels differenziert. Gebrauchsgüter (wie Weiße und Braune Elektrogeräte etc.) werden infolge der größeren Anschaffungsintervalle nur in längeren Zeitabschnitten abgefragt. Verbrauchsgüter (wie Lebensmittel etc.) müssen hingegen wegen des begrenzten Erinnerungsvermögens der Abnehmer (Low Involvement) in kurzen Zeitabständen erhoben werden. Nach der Art der Untersuchungseinheiten lassen sich folgende unterscheiden (siehe Abbildung 92):

I. Erhebungsmethoden

Hersteller

Vorverbraucher

Einzelhändler

Großhändler

Haushalt

(HH-)Einzelperson

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Abbildung 92: Mögliche Panelteilnehmer

• Unternehmenspanels sind in der Gesamtwirtschaft und nach Branchen angelegt. Sie erfassen allgemein betriebswirtschaftliche Daten wie Auftragseingang, Umsatzentwicklung, Investitionsvolumen etc. (oft auf gesetzlicher Basis ermittelt). Diese haben im Marketing jedoch meist nur geringe Bedeutung. • Handelspanels erfolgen im Absatzkanal auf Einzelhandels- oder Großhandelsstufe. Sie haben in neuerer Zeit durch den Einsatz von Scanning am POS an Bedeutung gewonnen. • Verbraucherpanels werden aus Endabnehmern gebildet. Sie setzen auf Einzelpersonenebene (Individualpanels) oder auf Haushaltsebene (Haushaltspanels) an. Ersteres bietet sich an, wenn Informationen erhoben werden sollen, die unmittelbar nur das einzelne Haushaltsmitglied betreffen, letzteres, wenn die Beschaffung von haushaltsbezogenen Daten gewünscht ist. • Hinzu kommen Spezialpanels, wie Großverbraucherpanels oder nicht konsumbezogene Panels (z. B. TV-Panels). Diese werden hier nicht betrachtet. 10.2.2.2 Verbraucherpanel Das Verbraucherpanel erhebt quantitative Bedarfe und qualitative Einstellungen individuell und aggregiert, jeweils für Ge- und Verbrauchsgüter. Traditionelle Verbraucherpanels erfolgen über Eintrag in Berichtsbögen (Haushaltsbuchführung). Die Genauigkeit der dabei gewonnenen Informationen hängt von den Eintragungen ab. Da die Erinnerung eine große Rolle spielt, werden die Eintragungen meist wöchentlich abgefragt. Die Auswahl der Teilnehmer gehorcht der Repräsentanzanforderung. Die Meldebögen werden, incl. sonstiger Unterlagen wie Rückumschlag, Gratifikation etc. vor jedem Berichtstermin verteilt. Die Auswertung der Ergebnisse erfolgt durch Übertragung der Daten aus den zurückgesandten Berichtsbögen auf Datenträger. Formale Fehler werden dabei korrigiert, wobei im Zweifel beim Panelhaushalt rückgefragt wird, logische Fehler werden durch Prüfprogramme identifiziert.

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C. Marketinginformation

Die Angaben betreffen im Einzelnen Größen wie Packung, Preis, Einkaufsstätte, Einkaufsort, Einkaufsanlass, Einkaufsperson, Anzahl der Käufe, Menge/ Wert pro Kopf je Produktart und Marke, Erstkäufer/Wiederholungskäufer, Kauffrequenz, Marktanteile nach Menge/Wert für die eigene und konkurrierende Marken, Nichtkäufer, räumliche Abweichungen, Einkaufstage, Einkaufsdatum, Markentreue, Käuferwanderung, Sonderangaben wie Mediennutzung, soziodemographische Daten etc. Diese Angaben werden zu Standardauswertungen und Sonderauswertungen verarbeitet. Moderne Verbraucherpanels erfolgen durch Einscannen über Home Scanner anhand der GTIN-Codes auf eingekauften Produkten. Dazu müssen noch ergänzende Daten über eine 10-er Tastatur manuell eingegeben werden. Dennoch ist der Erfassungsaufwand erheblich niedriger, so dass Verbraucher eher und länger zur Mitarbeit zu motivieren sind. Die Speicherung erfolgt auf Datenträger oder Microchip, die abgeholt oder telekommunikativ per PC-Zusatzgerät an den Panelveranstalter überspielt werden. Die Beherrschung der Technik stellt, neben dem erforderlichen Kostenaufwand, immer noch eine Hürde dar. Allerdings hat das Verbraucherpanel auch mit zahlreichen Problemen zu kämpfen. Dies betrifft zunächst die Panelsterblichkeit. Darunter versteht man das Ausscheiden von Teilnehmern aus dem Panel infolge Fluktuation oder Ermüdung. Fluktuation ist durch Geburt, Todesfall, Heirat, Umzug etc. verursacht. Ermüdung führt zur Verweigerung der weiteren Teilnahme. Dies macht bis zu 50 % Ausfallrate p.a. aus. Es kommt zur Panelroutine, d. h., Einkaufsberichte werden nicht mehr tagesgenau ausgefüllt, nur noch oberflächlich durchdacht und sind damit ungenau und unvollständig. Durch beide Probleme kommt es zu Verzerrungen der Repräsentanz, die über die gesamte Laufzeit des Panels bestehen bleiben. Daher wird jedes Panel mit Reserve gefahren, d. h. es wird zusätzlich ein Perso­ nenkreis, der nach bewusster Auswahl die jeweils ausscheidenden Panelteilnehmer ersetzt, in genau gleicher Weise erhoben, deren Daten Lücken in der aus­ wertungsrelevanten Panelbasismasse, die nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wird, füllt. Das Zufallspanel wird damit jedoch sukzessiv zu einem Quotenmodell umgewandelt. Weitere Probleme entstehen durch das weitgehende Fehlen von Ausländer-Haushalten (mangelnde deutsche Sprach- und Schreibkenntnisse) und Anstaltshaushalten (Kantinen etc.). Weiterhin gibt es den Paneleffekt. Darunter versteht man die Veränderung des Kaufverhaltens unter dem Eindruck der Erfassung, d. h. Änderungen beruhen nicht auf Variation der Bedingungen, sondern auf dem Wissen um Beobachtung (auch Hawthorne-Effekt genannt). Dies führt zu Lern- und Bewusstseinsprozessen, die ein Abweichen vom normalen, unbeobachteten Verhalten bewirken. Allein die Veranlassung zu kontinuierlichen Berichten führt dazu, dass der Einkauf in den Bewusstseinsvordergrund tritt. Lernprozesse entstehen durch die Reflektion über dokumentiertes vergangenes Einkaufsverhalten für die Zukunft. Evtl. kommt dem Berichtsbogen mit der Aufführung verschiedener Warengruppen so-

I. Erhebungsmethoden

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gar ein Aufforderungscharakter für Probierkäufe zu. Vor allem kommt es dabei zu zwei Effekten: • Als Overreporting werden angegebene Käufe bezeichnet, die tatsächlich nicht getätigt worden sind. Ausschlaggebend dafür können die soziale Erwünschtheit solcher Käufe, z. B. Körperpflegeprodukte, oder auch Prestigegründe sein, z. B. demonstrativer Konsum. • Als Underreporting werden nicht angegebene Käufe bezeichnet, die tatsächlich getätigt worden sind. Die Nichtangabe kann auf bewusstem Verschweigen (z. B. Tabuprodukte)  oder einfachem Vergessen beruhen (z. B. Einkäufe auf Reisen oder während der Berufsausübung). Diesen gravierenden Problemen wird versucht, durch drei Ansätze entgegenzuwirken: • Durch Panelrotation erfolgt ein periodischer, gewollter Austausch der Teilnehmer. Pro Jahr werden so ca. 10 % der Panelteilnehmer künstlich ausgetauscht. Dafür wird ein Quotenüberhang an Haushalten vorgehalten. Allerdings führt dies zur Panelerstarrung, d. h. die soziodemographischen Merkmale des Panels entsprechen insgesamt immer weniger der Grundgesamtheit und erfüllen damit nicht mehr die Voraussetzungen statistischer Repräsentanz. • Durch Gratifikation sollen Belohnungen und Anreize zur motivierten Mitarbeit gegeben werden (z. B. Entlohnung je Bericht). Allerdings können dadurch Verhaltensänderungen herbeigeführt werden, etwa durch das Gefühl der Dankbarkeit oder durch vermehrte Kaufkraft. Besser sind daher immaterielle Zuwendungen (z. B. Verlosungsteilnahme) • Durch Vorsehen einer „Anlernphase“ wird gehofft, dass sich die geschilderten verzerrenden Effekte währenddessen legen. Insofern setzt man auf ein Wiedereinkehren des Alltagstrotts nach einer mehr oder minder langen Bewusstseinsphase. Erst danach werden die Ergebnisse dann wirklich verwertet. Schließlich sind nicht alle Verbräuche in Haushaltspanels erfasst, so nicht die von Großverbrauchern, Gastarbeiterhaushalten, für Außer-Haus-Konsum (Arbeitsplatz, unterwegs etc.). Dies hat für zahlreiche Produktgruppen eine durchaus nennenswerte Bedeutung. 10.2.2.3 Händlerpanel Händlerpanels dienen zur Ermittlung der Entwicklung von Warenbewegungen und Lagerbeständen der einbezogenen Handelsgeschäfte. Auch dabei gibt es traditionelle und moderne Panels. Bei traditionellen Handelspanels verpflichten sich die Handelsgeschäfte gegenüber den durchführenden Marktforschungs-Instituten vertraglich zur Mitarbeit,

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was die Zulassung einer periodischen (zweimonatlichen) Bestandszählung am Handelsplatz und den Einblick in Liefereingangspapiere impliziert. Als Gegenleistung werden den zugehörigen Handelsketten der Panelläden Marktinformationen zur Verfügung gestellt und Erhebungsgebühren gezahlt. Die Ermittlung erfolgt durch physische Inventur, d. h. Ermittlung des Warenbestands am Periodenanfang, Ermittlung des Warenbestands am Periodenende (wobei dies zugleich der Anfangsbestand der nachfolgenden Periode ist) und Ermittlung der Einkäufe des Handels während der Periodenlaufzeit. Der Warenbestand wird dabei sehr differenziert bis hin zu jedem Einzelartikel ermittelt. Die Bestände werden durch Zählen der im Geschäft vorrätigen Waren, unterteilt nach Zweit- und/oder Sonder-, Regal-, Lager- und Kassenplatzierungen, erfasst. Die Einkäufe ergeben sich gemäß den vorgelegten Lieferscheinen und Rechnungen. Die Verkaufspreise werden durch Augenschein und IT-Auszug erfasst. Gelistet werden diese Werte für alle Einheiten der untersuchten Warengruppen, also Produkte, Marken, Packungsgrößen, Duftnoten, Farben, Geschmacksrichtungen etc. Darüber hinaus werden Sondererhebungen vorgenommen für verwendetes Displaymaterial, Aktionsteilnahme, Außendienstbesuche der Hersteller, Lagerflächen- und Regalflächenaufteilung, Produktfrischedaten etc. Die Erfassung erfolgt entweder über maschinenlesbare Vordrucke (AktivFormsätze), die alle im betreffenden Geschäft beim letzten Besuch vorgefundenen Produkte enthalten und zur Klarschriftlesung in normierter Schrift ausgefüllt werden, oder über mobile Datenerfassungsgeräte (MDE), die den in Listen den Produkten zugeordneten Strichcode lesen und deren Daten um Menge, Preis und Sonderangaben ergänzt werden. Diese Angaben werden auf Datenträger gespeichert und dann überspielt. Neu ins Sortiment aufgenommene Artikel werden auf den Listen hinzugefügt. Problematisch ist, dass die Erhebung der Stichprobengeschäfte nicht genau im Zweimonatsrhythmus erfolgen kann. Dadurch kommt es zu Verschiebungen in den Erhebungsdaten. Daher werden die Mengen künstlich auf einen mittleren Erhebungsstichtag umgerechnet. Dies geschieht, indem der Idealabstand (61 Tage) durch den tatsächlichen Abstand der Erhebung dividiert wird. Die erhobenen Daten werden dann entsprechend aufgewichtet, wenn der tatsächliche unter dem idealen Zeitabstand liegt und umgekehrt. Darin liegen aber Verzerrungsmöglichkeiten, zumal auch der Preis stichtagsbezogen ist. Die Stichprobe der erhobenen Händler ist geschichtet und dysproportional nach Quotaverfahren zusammengesetzt. Quotierungsmerkmale sind Standort, Betriebstyp, Organisationsform, Verkaufsfläche und Umsatz. Diese Quoten stehen für eine Reihe nicht-quotierbarer Kriterien wie Sortimentsinhalt, Kundenart etc., zu denen ein enger Zusammenhang unterstellt wird. Im übrigen wird durch die Quotierung der hohen Verweigerungsrate zum Mitmachen vorgebeugt. Die Dysproportionalität rührt aus der erheblichen Diskrepanz zwischen Anzahl der Handelsbetriebe (Nummerik) und deren Umsatzbedeutung (Gewichtung) her.

I. Erhebungsmethoden

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Umsatzstarke Handelsoutlets sind überproportional häufig vertreten, ihre Ergebnisse werden bei der Auswertung entsprechend abgewichtet. Handelspanels gibt es für Verbrauchsgüter wie Food/Nonfood im Lebensmitteleinzelhandel, im Fachhandel bei Gesundheits-/Körperpflegeprodukten, Süßwaren, Spirituosen, Tabakwaren, Bastel-/Heimwerkerbedarf, Papier-/Schreibwaren, Gartenartikeln, Arzneimitteln, Reformhauswaren und in der Gastronomie etc. Für Gebrauchsgüter gibt es Handelspanels u. a. für Haushaltsgeräte, Fotoartikel, Elektrokleingeräte, Sportartikel, Spielwaren, Unterhaltungselektronik, Glas/Porzellan/Keramik, Kfz-Zubehör, Büromaschinen, Heimwerkergeräte etc. Beides erfolgt sowohl auf Einzelhandels- wie auch auf Großhandelsebene. Die Berichterstattung bei Auftraggebern erfolgt in schriftlicher und mündlicher Form, außerdem durch Datenträgeraustausch, über Datenfernübertragung und durch Einrichtung einer zentralen Datenbank im Marktforschungs-Institut, wo vom Auftraggeber auf geschützte Datenbestände durch Stand- oder Wähl­leitung zugegriffen werden kann. Alle Daten werden auf Wunsch zusätzlich persönlich präsentiert und in einem Berichtsband dokumentiert. Ein Problem stellt die Marktabdeckung (Coverage) von Panels dar, d. h. die oft mangelnde Repräsentanz der in das Panel einbezogenen Untersuchungseinheiten für die Grundgesamtheit, über die Aussagen getroffen werden sollen. Dies gilt sowohl für nicht erfasste Verkäufe (z. B. Beziehungshandel) als auch für nicht erfasste Geschäfte (z. B. Impulshandel, Aldi, Heimdienste). Auch Wanderungsbewegungen der Käufer zwischen verschiedenen Panelstichproben können kaum erfasst werden. Die Auswertung kostet den Auftraggeber, meist Hersteller, ca. 50.000 € pro Jahr und Warengruppe. Die gewonnenen Daten beziehen sich auf Größen wie • Verkauf nach Menge, Verkauf nach Wert, Zukauf nach Menge, Zukauf nach Wert, Bestand nach Menge insgesamt, Bestand nach Menge am Lager, Bestand nach Menge im Regal, Bestand nach Menge in Displays, • Distribution nummerisch insgesamt, Distribution nach Verkauf nummerisch, Distribution nach Zukauf nummerisch, Distribution nach Bestand nummerisch, Distributionslücken nummerisch, • Preis pro Mengeneinheit, Verkauf nach Menge in führenden Geschäften pro Periode, Verkauf nach Menge in verkaufenden Geschäften pro Periode, Verkauf nach Wert in führenden Geschäften, Verkauf nach Wert in verkaufenden Geschäften pro Periode, • Zukauf nach Menge pro zukaufendem Geschäft und Periode, Zukauf nach Wert pro zukaufendem Geschäft und Periode, Bestand nach Menge pro bevorratetem Geschäft und Periode, Bestand nach Wert pro bevorratetem Geschäft und­ Periode,

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C. Marketinginformation

• Zukaufüberhang nach Menge, Bevorratungsdauer nach Menge in Monaten, Umschlaggeschwindigkeit nach Menge, Lagerproduktivität nach Menge, Lagerdruck nach Menge, Lagerkapitalbindung, Kapitalbindungsdauer, Distributionsqualität, • aktive Verkaufsdistribution, aktive Zukaufsdistribution, normierte Verkäufe nach Menge pro Periode, normierte Verkäufe nach Wert pro Periode, Marktanteil nach Menge in führenden Geschäften, Umsatz in Perioden mit Distributions­ lücke, Artikel pro Geschäft, • Verkauf nach Menge in %, Verkauf nach Wert in %, Zukauf nach Menge in %, Zukauf nach Wert in %, Bestand nach Menge insgesamt in %, Bestand nach Menge im Lager in %, Bestand nach Menge im Regal in %, Bestand nach Menge in Displays in %, Distribution gewichtet insgesamt, Distribution nach Verkauf insgesamt, Distribution nach Zukauf gewichtet, Distribution nach Bestand gewichtet, Distributionslücken gewichtet, • Preisabstand absolut, Preisabstand relativ, Verkauf nach Menge in führenden Geschäften pro Monat, Verkauf nach Menge in verkaufenden Geschäften pro Monat, Verkauf nach Wert in führenden Geschäften pro Monat, Verkauf nach Wert in verkaufenden Geschäften pro Monat, • Zukaufüberhang nach Wert, Bevorratungsdauer nach Menge in Tagen, Distributionspotenzial (bei 100 % Distribution), normierte Verkäufe nach Menge pro Monat, normierte Verkäufe nach Wert pro Monat, Marktanteil nach Wert in führenden Geschäften, Absatzverlust durch Distributionslücke. In Scanner-Panels werden Daten aus Geschäften, deren Check out mit Scanner-Kassen versehen ist, direkt aus dem Waren-Wirtschafts-System abgerufen. Dadurch ist eine kontinuierliche Erhebung möglich, anstelle einer nur fallweisen in Zwei-Monats-Rhythmen. Der Berichtszeitraum kann auf eine Woche verkürzt werden, wobei tagesgenaue Daten verfügbar sind, die darüber hinaus beliebig detailliert werden können. Es werden die tatsächlichen Abverkäufe ausgewiesen, somit ist eine indirekte Ermittlung durch Inventur und Belege nicht mehr notwendig. Zugleich erhält man statistisch geglättete Daten, die zu einer höheren Genauigkeit führen. Die Ergebnisse sind innerhalb von zwei Wochen verfügbar. Es ergeben sich deutlich niedrigere Kosten, da die Paneldaten praktisch als Nebenprodukt beim Kassiervorgang anfallen. Vor allem entfällt die personal- und kostenintensive Detailerhebung in den Stichprobengeschäften. Marketingmaßnahmen können damit unmittelbar auf ihre Wirkung im Markt hin erfasst werden. Derzeit sind drei elektronische Handelspanels im Einsatz: • Marktdatenkommunikationssystem (Madakom), es beruht auf einem Abkommen zwischen 250 Verkaufsstellen im Lebensmitteleinzelhandel aus 30 Handelsorganisationen und der Industrie und liefert Rohabverkaufsdaten über Verkaufsstellen, Zeitraum (Woche/Jahr), Preis und Verkaufsmenge sowie Verkaufsaktion

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(Aktionspreis, Werbung, Sonderplatzierung). Die Daten werden für 700.000 Käufer mit über 36 Mio. Kaufakten wöchentlich bereit gestellt. Untersucht werden Bonuspacks, Preisaktionen, Displays im Eingangs- und Kassenbereich, Displays am Regalende, sonstige Displays, Propagandisten, Außen- und Innenwerbung, Handzettel/Kundenzeitschrift ohne/mit Produktabbildungen, Händleranzeigen etc. • InfoScan/EuroScan (GfK) arbeitet bei 460 Scanner-Outlets (Verbrauchermärkte, Supermärkte, Discounter, Drogeriemärkte) im Single Source-Prinzip mit Haushaltungen, deren Einkäufe am POS mit einer scannerlesbaren Identifikationskarte erfasst werden. Daraus kann zusätzlich festgestellt werden, wer, wann, wo, welchen Artikel zu welchem Preis gekauft hat. Die Daten werden artikel- und wochengenau erfasst, das Ergebnis steht 15 Arbeitstage nach Ende des Feldtests bereit. Außerdem werden die POS-Maßnahmen in jedem beteiligten Geschäft getrennt erfasst (wie Display, Zweitplatzierung, Händlerwerbung, Instore-Werbung, Propagandisten, Sonderangebote etc.). Dadurch ist eine Trennung von Normal- und Verkaufsförderungsgeschäft möglich. • ScanTrack (Nielsen) liefert wöchentliche Verkaufsdaten aus 115 Scanner-Geschäften über Absatz, Preise, Umsatz und Marktanteil. Diese sind verbunden mit Kausaldaten wie Händlerwerbung, Displays, Aktionspreise, Bonuspacks, Doppelpacks, Propagandisten, Plakatwerbung, POS-Radioeinsatz etc. Aus diesen Daten lässt sich ein Simulationsmodell zur Feststellung der Wirkung von absatz Preissenkungen/Verkaufsförderungsaktivitäten gegenüber dem Normal­ speisen. Die drei großen Anbieter von Panels sind A. C. Nielsen Company, GfK (Gesellschaft für Konsumforschung) und G & I (GfK und Infratest). G & I stellt ein Haushaltspanel bereit, Nielsen und GfK sind als reine Handelspanels angelegt, Erstere tendenziell eher für Verbrauchsgüter, letztere tendenziell eher für Gebrauchsgüter. Außerdem bestehen kombinierte Handels- und Haushaltspanels, Single SourcePanels, weil die Daten für Handels- wie Haushaltsaussagen dann aus einer gemeinsamen Quelle parallel erhoben werden und damit eine verzerrende Umrechnung erübrigen (z. B. ERIM von GfK). Nielsen ist noch dadurch bekannt, dass dieses Institut alle Länder, in denen es tätig ist, nach Nielsen-Gebieten aufteilt. Diese dienen im Marketing zur geografischen Kennzeichnung. In Deutschland handelt es sich um folgende Einteilung: • Nielsen I: Schleswig-Holstein, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, • Nielsen II: Nordrhein-Westfalen, • Nielsen IIIa: Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland, • Nielsen IIIb: Baden-Württemberg, • Nielsen IV: Bayern,

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C. Marketinginformation

• Nielsen V a+b: Berlin (West/Ost), • Nielsen VI: Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, • Nielsen VII: Sachsen, Thüringen. Darin werden zusätzlich Ballungsräume mit überdurchschnittlicher Kaufkraft wie folgt unterschieden: • Hamburg, Bremen, Hannover, Rhein-Ruhr, Rhein-Main, Rhein-Neckar, Stuttgart, Nürnberg, München, Berlin, Halle/Leipzig, Chemnitz/Zwickau, Dresden.

II. Datenauswertung 1.

Wahrheitsgehalt von Aussagen

1.1 Reliabilität Der Wahrheitsgehalt statistischer Aussagen bemisst sich nach deren Reliabilität, Validität, Objektivität und Signifikanz. Unter Reliabilität versteht man den Grad der formalen Genauigkeit, mit dem ein bestimmtes Merkmal gemessen wird, unabhängig davon, ob dieses Merkmal auch tatsächlich gemessen werden soll. Ein Messinstrument ist unter der Voraussetzung konstanter Messbedingungen dann reliabel, wenn die Messwerte präzise und stabil, d. h., bei wiederholter Messung reproduzierbar sind. Zum Beispiel kann eine Entfernung durch Augenschein gemessen werden, was wenig reliabel ist, durch Abschreiten, was mäßig reliabel ist, oder durch Maßband, was sehr reliabel ist. Dabei bleibt dann außen vor, was eigentlich genau abgemessen wird, d. h. es erfolgt keinerlei Aussage über die Gültigkeit der Messung. Letztlich bleibt aber immer ein Messfehler, der Standard­ fehler, als Abweichung, der von der Konstanz der Messung abhängig ist. Diese gilt in drei Richtungen: • Bedingungskonstanz bedeutet, dass gleich bleibende äußere Einflüsse bei der Messung gegeben sind, • Merkmalskonstanz bedeutet, dass eine möglichst standardisierte Erhebung vorliegt, die Fehler beim Auskunftsobjekt ausschließt, • Instrumentalkonstanz bedeutet, dass eine gleich bleibende Präzision des Messinstruments gegeben ist. Der Standardfehler setzt sich aus Zufallsfehler, infolge spontaner, unsystematischer Unachtsamkeiten, durch Raten erzielter Antworten, kurzzeitiger Schwankungen der Umfeldbedingungen und ungenauer Angaben zur Messdurchführung bzw. -bewertung, und Systematischem Fehler, infolge Design-, Gewinnungs- und Analysefehlern, zusammen. Die Reliabilität weist nur den Zufallsfehleranteil aus. Die Feststellung erfolgt durch verschiedene Verfahren: • Bei der Parallel-Test-Reliabilität wird eine Vergleichsmessung bei gleicher Ausführung in einer identischen Stichprobe mit einem äquivalenten Messinstrument zum gleichen Zeitpunkt vorgenommen. Hier erhebt man also an einer Stichprobe von Versuchspersonen zwei streng vergleichbare Messinstrumente und berechnet anschließend die Korrelation zwischen ihnen.

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C. Marketinginformation

• Bei der Test-Retest-Reliabilität wird zu verschiedenen Zeitpunkten in der gleichen Stichprobe gemessen, um die Korrelation der Wiederholungsmessung zu bestimmen. Hier erhebt man also die Daten an der gleichen Stichprobe mit dem gleichen Messinstrument zu zwei verschiedenen Zeitpunkten und ermittelt anschließend die Korrelation der Ergebnisreihen. • Bei der Interne-Konsistenz-Reliabilität wird in verschiedenen Anteilen der gleichen Stichprobe gemessen, um die Einheitlichkeit eines geteilten Instruments nachzuweisen. Hier wird vorausgesetzt, dass sich ein Messinstrument in zwei gleichwertige Hälften zerlegen lässt. Die Konsistenz wird dann entweder nach der Split Half- oder der Konsistenz-Analyse ermittelt. Der Reliabilitätskoeffizient ist ein Gütemaß zur Beurteilung der Zuverlässigkeit. Er gibt das Verhältnis der wahren Varianz zur Gesamtvarianz einer Variablen an. Was aber die „wahre“ Varianz ausmacht, ist zweifelhaft, denn die exakte Reproduzierbarkeit der Ergebnisse kommt durch beinahe unendlich viele Randbedingungen zustande, von denen fraglich ist, welche überhaupt relevant sind und demnach konstant gehalten werden müssen. 1.2 Validität Zur Prüfung systematischer Fehler, also der materiellen Genauigkeit, dient die Validität. Unter Validität versteht man die Gültigkeit einer Messung bzw. eines Messinstruments in Bezug auf die charakteristischen Eigenschaften des Messobjekts. Sie gibt damit den Grad der Genauigkeit an, mit dem man dasjenige Merkmal misst, das gemessen werden soll oder angegeben wird, gemessen zu werden. Zum Beispiel ist eine Personenwaage ein sehr valides Instrument zur Ermittlung des Körpergewichts, zur Ermittlung der Körpergröße ist es eher mäßig valide, zur Bestimmung der Haarfarbe ist es nur wenig valide. Dabei bleibt außen vor, wie genau jeweils gemessen wird. Man unterscheidet weitergehend externe und interne Validität. Externe Validität bezieht sich auf die Übertragbarkeit spezifischer Marktforschungsergebnisse auf andere Außenbedingungen. Sie erlaubt eine Hochrechnung von Erhebungsergebnissen auf die sie repräsentierende Grundgesamtheit, andere Bevölkerungsgruppen, veränderte Situationen, andere Zeitpunkte etc. Dies ist etwa bei Feldexperimenten eher der Fall als bei Laborexperimenten. Man unterscheidet nach der Strenge der zu erfüllenden Kriterien mehrere Validitätsarten: • Die Inhaltsvalidität betrifft die logische Eignung der Messung, also ob das zu messende Merkmal inhaltlich repräsentiert ist. Ihr Ausweis erfolgt durch offensichtlichen Augenschein (Face Validity) oder Expertenurteil (Expert Validity). Hierunter fällt der gesamte Arbeitsgang von der adäquaten Planung bis zur Fertigstellung eines kompletten Messinstruments. Zur Überprüfung einer komplexen Fragestellung ist sicher zu stellen, dass alle relevanten Teilaspekte einbezogen werden und sicher ist, dass die ausgewählten Testitems das zu unter-

II. Datenauswertung

461

suchende Phänomen hinreichend repräsentieren. Die Inhaltsvalidität beschäftigt sich also mit der Plausibilität, Vollständigkeit, Angemessenheit und Relevanz eines Messinstruments und betrifft alle Eigenschaften. • Die Konstruktvalidität betrifft die theoretische Fundierung der Messung, also ob das gemessene Konstrukt Bestandteil einer Theorie ist, deren Hypothese getrennt abgefragt wird. Ihr Ausweis erfolgt durch Konvergenz des ausgewählten bzw. Diskriminanz zu anderen Konstrukten. Hier wird also der theoretische Hintergrund der Messungen ergründet. Die zur Erklärung der Messwerte dienenden Konstrukte müssen sprachlich präzise, formal einwandfrei und beobachtbar sein. Zudem sollen sie möglichst eindimensional ausgelegt sein, was durch Faktorenanalyse ermittelt und hinsichtlich Reliabilität geprüft wird. Es handelt sich somit um die umfassendste Verknüpfung zwischen Messebene (Empirie) und Theorieebene. • Die Kriteriumsvalidität betrifft den Zeithorizont der Messung, die zeitspäteren Bezug (Vorhersagevalidität, z. B. für Prognoseaussagen) oder zeitgleichen Bezug (Übereinstimmungsvalidität, z. B. für Konkurrenzaussagen) haben kann. Dabei werden die Ergebnisse eines zu überprüfenden Messinstruments mit den Werten eines Außenkriteriums verglichen oder dieses prognostiziert. Der Grad der Validität wird meist durch die Korrelation bestimmt (= empirische Validität). Entscheidend ist dabei die Wahl des Außenkriteriums, im Hinblick dessen die Kriteriumsvalidität stets interpretiert und objektiv nachgeprüft werden kann. • Die Konvergenzvalidität hat die Voraussage nicht nur des Zusammenhangs zwischen Indikatoren, sondern auch deren Unabhängigkeit zum Ziel, wenn sich die Messwerte auf verschiedene, sich gegenseitig nicht beeinflussende Konstrukte beziehen. Konvergenzvalidität bezeichnet dabei das Ausmaß, in dem zwei oder mehr Messverfahren in ihrem Vorhaben, das gleiche Konstrukt zu messen, übereinstimmen oder nicht. Ersteres ist gegeben, wenn ihre Ergebnisse in hohem Maße miteinander korrelieren. • Die Diskriminanzvalidität bezeichnet das Ausmaß, in dem sich Messungen von verschiedenen Konstrukten voneinander unterscheiden. Messverfahren bzw. Indikatoren, die unterschiedliche Konstrukte erfassen sollen, dürfen demnach allenfalls schwach miteinander korrelieren. Es handelt sich insofern um das Gegenteil der Anforderungen der Konvergenzvalidität. • Die Nomologische Validität basiert auf einem nomologischen Netzwerk aus verschiedenen Konstrukten gemeinsam mit den zur Operationalisierung verwendeten Indikatoren in einer geschlossenen Theorie. Daraus entsteht ein umfassendes, testbares Begriffsgefüge, das sich besonders mit Kausalmodellen gut belegen lässt. • Die Kreuzvalidität weist die zusätzliche Absicherung von Ergebnissen mit Hilfe einer weiteren Stichprobe bzw. durch Aufsplittung und getrennte Analyse einer bestehenden Stichprobe nach. Dies dient vor allem dazu, die Stabilität von Regressionsparametern zu überprüfen, und wird häufig angewendet.

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C. Marketinginformation

• Die Extremgruppen-Validität erfolgt durch Messungen an zwei Gruppen, von denen man weiß oder zumindest annehmen kann, dass sie sich deutlich hinsichtlich der untersuchten Merkmale voneinander unterscheiden. Dann erfolgt der Vergleich der Messergebnisse zueinander. Die Validität ist umso größer, je geringer diese Abweichungen sind. Interne Validität bezieht sich auf die Ausschaltung von Störeinflüssen auf den Untersuchungsplan und die Erhebungssituation. Es geht also um die Eindeutigkeit der Messung im Experiment. Sie wird erzielt, wenn durch den Untersuchungsplan und die Erhebungssituation alle unerwünschten Störeinflüsse ausgeschaltet werden, so dass Veränderungen in der abhängigen Variablen allein auf die Manipulation der unabhängigen Variablen zurückgeführt werden können. Dies trifft z. B. auf Laborexperimente zu, auf Feldexperimente aber nicht. Beide Größen, externe und interne Validität, stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander. Bemühungen um eine möglichst hohe interne Validität führen dazu, dass die Forschungsbedingungen immer künstlicher, also realitätsferner, werden. Bemühungen um eine möglichst hohe externe Validität führen dazu, dass unerwünschte Störeinflüsse kaum mehr Kausalitätsaussagen zulassen. So hat z. B. der Studiotest eine hohe interne Validität, weil er im Labor, also unter kontrollierten Bedingungen stattfindet. Seine externe Validität ist aber gerade deswegen recht gering, da die artifizielle Bedingungslage von der realen im Feld abweicht. Umgekehrt hat der Feldtest eine geringe interne Validität, weil er für alle möglichen unkontrollierbaren Einflussfaktoren anfällig ist. Zugleich ist seine externe Validität aber hoch, da es sich um reale Marktbedingungen handelt und nicht um eine Laborsituation (siehe Abbildung 93).

hohe Reliabilität / geringe Validität

geringe Reliabilität / hoheValidität

hohe Reliabilität/ hohe Validität

geringe Reliabilität/ geringe Validität

Abbildung 93: Zusammenhang von Validität und Reliabilität

II. Datenauswertung

463

1.3 Objektivität Die Objektivität von Daten bedeutet, dass diese frei von subjektiven Einflüssen und damit intersubjektiv nachprüfbar sind. Sie ist Ausdruck dafür, ob Unterschiede in der Realität in den Marktforschungsergebnissen angemessen zum Ausdruck kommen. Anfälligkeiten dafür bestehen bei der Durchführung, Auswertung und Interpretation in der Marktforschung. Sofern Subjektivität offen ausgewiesen ist, z. B. in Form von Empfehlungen des Forschers an den Auftraggeber, ist dagegen auch nichts einzuwenden. Gefährlich aber sind Verzerrungen, die, ohne dass sie als subjektiv ausgewiesen werden, in die Ergebnisse eingehen. Man unterscheidet drei abweichende Objektivitätsarten: • Nach der Durchführungsobjektivität ist ein Messvorgang umso objektiver, je weniger die Auskunftspersonen durch äußeres Erscheinungsbild und Bedürfnis-, Ziel- und Wertestruktur beeinflusst werden. Hier ist die Objektivität der mündlichen Befragung stark in Zweifel zu ziehen. • Nach der Auswertungsobjektivität ist ein Messvorgang umso objektiver, je weniger Werturteile für die Messergebnisse bestehen, also je standardisierter die Erhebung ist. Hier ist etwa die Objektivität des Tiefeninterviews in Zweifel zu ziehen. • Nach der Interpretationsobjektivität ist ein Messvorgang umso objektiver, je weniger Freiheitsgrade bei der Interpretation der Messergebnisse bestehen. Hier ist die Objektivität bei der Analyse qualitativer Daten in Zweifel zu ziehen.

1.4 Signifikanz Die Signifikanz von Informationen bedeutet, dass Ergebnisse sich nicht nur aufgrund von Zufallsmechanismen einstellen, sondern auf überzufällige Zusammenhänge zurück zu führen sind. Dies ist wichtig für die Übertragbarkeit von Aussagen von einer untersuchten Stichprobe auf die Grundgesamtheit. Grundgesamtheit sind dabei alle überhaupt zur Auswahl stehenden Elemente, Stichprobe ist eine kleinere Zahl dieser Elemente, welche die Grundgesamtheit möglichst vollkommen repräsentiert. Die Signifikanz wird durch spezielle Tests überprüft. Dem liegt die Wissenschaftsrichtung des kritischen Rationalismus zugrunde. Danach ist die wissenschaftliche Erkenntnissuche ein fortwährender Prozess des Aufstellens, Überprüfens und Verbesserns von Hypothesen. Eine Hypothese ist eine nur vorläufig geltende Aussage, die Objekten bestimmte Merkmale zuschreibt und so beschaffen ist, dass ihre empirische oder logische Überprüfung möglich ist. Jede Hypothese bleibt nur vorläufig nicht widerlegt, es gibt keine endgültige Verifikation. Deshalb ist Induktion logisch auch nicht möglich. In diesem Sinne sind alle praktizierten Problemlösungen im Grunde Provisorien und damit als revidierbar zu betrachten, auch wenn sie stark verankert scheinen.

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C. Marketinginformation

Die Kriterien der Signifikanz, Objektivität, Reliabilität und Validität sind eng miteinander verknüpft. So ist die Signifikanz Voraussetzung für Objektivität, Objektivität ist Voraussetzung für Reliabilität und Reliabilität ist wiederum Voraussetzung für Validität. Innerhalb der Validität ist interne Validität dann noch Voraussetzung für externe Validität.

2. Skalierungsverfahren 2.1 Skalenarten Daten werden auf Skalen abgetragen. In Bezug auf die dabei genutzten (quantitativen) Skalenarten können verschiedene Messniveaus unterschieden werden. Bei der Nominalskala stellen die Skalenitems einander gegenseitig ausschließende und erschöpfende Merkmalsklassen eines Messkontinuums dar. Sie sind durch Eindeutigkeit charakterisiert. Dabei können gleiche und ungleiche Objekte unterschieden werden. Eine Nominalskala bestimmt also die Zugehörigkeit eines Untersuchungsobjekts zu einer bestimmten Klasse von Objekten anhand eines Merkmals. Die einzelnen Messpunkte sind Teile eines Kontinuums, daher sind nur arithmetische Operationen zulässig, die auf Gleichheits- bzw. Verschiedenheitsbeziehungen beruhen. Bei der Ordinalskala fungieren geordnete Skalenitems als Indikatoren der Klassen. Höhere Skalenwerte indizieren höhere Positionen auf dem Messkontinu­ um. Sie sind durch Eindeutigkeit und Rangfolge gekennzeichnet. Möglich ist die Unterscheidung zwischen der Rangfolge äquivalenter Objekte (z. B. glaubwürdiger – weniger glaubwürdig), nicht aber zwischen der Intensität deren Unterschiede. Eine Ordinalskala hat also keine Maßeinheit, sie kann Untersuchungsobjekte nur in einer bestimmten Richtung ordnen, nicht hingegen Unterschiede messen und vergleichen. Daher sind alle arithmetischen Operationen zulässig, die auf Ordnungsbeziehungen beruhen. Bei der Intervallskala entsprechen gleiche Unterschiede zwischen den Zahlen wirklichen Unterschieden in der Größenordnung zwischen den Äquivalenzklassen, deren Abstände gleich groß sind. Zahlendifferenzen können miteinander verglichen werden. Die Zahlenwerte zeichnen sich durch Eindeutigkeit, Rangfolge und Intervalläquivalenz aus. Es ist ein willkürlicher Nullpunkt gegeben, der folglich nicht das Fehlen einer bestimmten Eigenschaft darstellt. Das Verhältnis zwischen den Messwerten des gleichen Merkmals zweier Untersuchungsobjekte ist nicht unabhängig von der gewählten Maßeinheit. Bei der Ratioskala sind die den Äquivalenzklassen zugeordneten Werte durch Eindeutigkeit, Rangfolge, Intervallübereinstimmung und Existenz eines absoluten, natürlichen Nullpunkts gekennzeichnet. Unterschiede sind empirisch sinnvoll, insofern lassen sich Zahlenverhältnisse miteinander vergleichen. Zulässig

465

II. Datenauswertung

sind alle Ähnlichkeitstransformationen sowie alle statistischen, geometrischen und harmonischen Operationen. Der Wert Null zeigt das Fehlen einer Eigenschaft an und kann nicht unterschritten werden. 2.2

Einstellungsbezogene Messung

Für die (qualitativ-absolute) Messung theoretischer Konstrukte ergeben sich vor allem zwei Messmöglichkeiten: die Einstellungsmessung und die Präferenzmessung. Zur Einstellungsmessung können verschiedene Messverfahren eingesetzt werden (siehe Abbildung 94). Die Rating-Skala ist ein Kontinuum von in gleichen (meist vier bis sieben) Abständen aneinander gefügten Werten, in das eine Auskunftsperson ihre Einstellungen einträgt. Die Abstufung ermöglicht es, die Intensität der Antwort anzugeben. Die Skala kann dabei gleitend oder polar (nur Extremwerte), unipolar oder bipolar (als Gegensatzpaar), ungegliedert oder gegliedert (also mit Abstufungen), verbal oder non-verbal (etwa durch Symbole), nummerisch oder grafisch (etwa durch Piktogramme) ausgelegt sein. Die Rating-Skala ist eine Ordinalskala.

Eindimensionale Skalierung Selbsteinstufungsverfahren Rating-Skala

Mehrdimensionale Skalierung Indexbildung Multi Item-Modelle

Magnitude-Skala

Semantisches Differential

Imagery-Differential

Polaritätenprofil

Objektive Fremdeinstufung

Multiattributivmodelle

Likert-Verfahren

Rosenberg-Modell

Thurstone-Verfahren

Fishbein-Modell

Guttman-Verfahren

Adequacy Import. Model Adequacy Value Model Trommsdorff-Modell

Abbildung 94: Verfahren zur Einstellungsmessung

Die Magnitude-Skala dient zur Messung von emotionalen Wahrnehmungsintensitäten bei Auskunftspersonen in Analogie zur Länge/Dauer von Symbolen,

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C. Marketinginformation

z. B. Linie, Ton, mit deren Hilfe die proportionalen Beziehungen zu deren Wahrnehmung als Reaktion wiedergegeben werden (z. B. äquivalente Tonlänge). Dadurch werden leicht missverständliche, verbale Angaben vermieden. Im Übrigen ist diese Methode der Messung sehr gut computergestützt durchführbar. Bei der Magnitude-Skala sollen Befragte also ihre Empfindungsstärke unmittelbar proportional in ein Antwortkontinuum umsetzen. Empirische Tests weisen dabei eine sehr hohe Reproduktionsgüte aus. Das Imagery-Differenzial erlaubt die Messung innerer Bilder (Mental Images) durch verbale Ratingskalen (sequenziell/linke Hirnhälfte)  und zusätzlich durch mit visuellen Polen versehene Bildskalen (analog/rechte Hirnhälfte). Damit soll der dualen Codierung in verbale und non-verbale Informationen im Gehirn besser Rechnung getragen und eine genauere Reproduktion der tatsächlichen Einstellung erreicht werden. Das Verfahren der summierten Schätzungen (Likert) arbeitet anhand nur der affektiven Einstellungskomponente. Basis ist dabei die Diskriminanz von Statements in Bezug auf ein zu beurteilendes Objekt. In einem Pretest wird zunächst eine Batterie von Statements, die positive und negative Einstellungen zum Ausdruck bringen, einer Testgruppe vorgelegt, die diese anhand einer fünfstufigen Skala mit einheitlicher Richtung der Beurteilung bewertet. Die positiven Statements sind also ebenso fünffach abgestuft wie die negativen. Die 25 % der Testpersonen mit den höchsten Punktwerten für positive wie negative Statements ergeben die obere Extremgruppe, die 25 % der Testpersonen mit den niedrigsten Punktwerten die untere Extremgruppe. Für jedes Statement wird zudem das arithmetische Mittel in der Gruppe der stärksten Befürworter und der stärksten Ablehner ermittelt. In die endgültige Befragung werden nur die Statements mit den größten Mittelwertdifferenzen übernommen, also diejenigen, die am stärksten polarisieren. Denn von diesen kann der größte Auskunftsbeitrag erwartet werden. Das Verfahren der gleich erscheinenden Intervalle (Thurstone) erfolgt ebenfalls anhand nur der affektiven Einstellungskomponente. Es werden zunächst möglichst viele Statements zum Beurteilungsobjekt gesammelt und einer Expertengruppe zur Bewertung anhand einer elfstufigen Skala vorgelegt. Die Experten sollen dabei die Einstellung der intendierten Zielpersonen zum Ausdruck bringen. Für jedes Statement werden der Mittelwert (Median) und die Streuung berechnet. Erstere zeigt an, wo das Statement auf der Skala einzuordnen ist. Ziel ist es, für jede Stufe der Skala mindestens ein Statement zu finden, das diese Stufe am besten repräsentiert. Dies wird durch die geringste Streuung abgesichert, d. h., ein Statement, das zwar die meisten Nennungen in einem Intervall aufweist, aber zugleich die wenigsten in allen anderen Intervallen. Diese Statements werden dann in der eigentlichen Befragung den Zielpersonen in gemischter, aber festgelegter Reihenfolge vorgelegt. Diese wählen diejenigen Statements aus, die Zustimmung in Bezug auf das Erhebungsobjekt am besten ausdrücken, ohne dabei um die im Hintergrund befindliche Skala zu wissen. Für alle Befragten wird das arithmetische

II. Datenauswertung

467

Mittel aus den Skalenwerten der von ihnen angegebenen Statements errechnet. Daraus ergibt sich deren Position auf der Skala. Die Skalogramm-Analyse (Guttman) erfolgt anhand nur der konativen Einstellungskomponente. Dabei können Befragte den vorgelegten Statements zu einem Beurteilungsobjekt nur zustimmen oder aber sie ablehnen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Statements derart graduell abgestuft sind, dass sie eine Hierarchie ergeben. Die Ergebnisse werden in einem Skalogramm wiedergegeben, d. h. für jede Aussage wird bei jeder Person festgehalten, ob sie zugestimmt oder abgelehnt hat. Dabei werden die Personen derart gerangreiht, dass die Person, die den meisten Statements zugestimmt hat, ganz oben im Ranking steht, und die Person, welche die meisten Statements abgelehnt hat, ganz unten. So ergibt sich eine eindimensionale Rangskala, die dann perfekt ist, wenn aus dem Rang der Versuchspersonen ihre Antworten (Reaktionen) unmittelbar rekonstruiert werden können (in der Praxis ergeben sich allerdings Verzerrungen). Aus der ordinalen Skalierung ergibt sich somit eine simultane Rangfolge vieler Statements, die gut auswertbar und computerverarbeitbar ist. Die Indexbildung ist ein Verfahren der subjektiven Fremdeinstufung, das anstrebt, Sachverhalte, die ihrem Wesen nach mehrdimensional sind, in einem Index auszudrücken. Wenn diese getrennt erfasst werden, stellt sich das Problem, ob die Teildimensionen addiert werden dürfen (dies ist nur erlaubt, wenn es sich um Intervall- oder Ratioskalenniveau der Angaben handelt). Zwei oder mehr Einstellungsdimensionen sollen dann durch eine einzige Maßzahl, den Index, ausgedrückt werden. Dazu werden die Zahlenwerte aller denkbaren Merkmalskombinationen in einer Matrix dargestellt und addiert. Die addierten Werte bilden dann die Indexskala. Dabei ist auch eine subjektive Gewichtung der Dimensionen möglich. Das Semantische Differenzial ist eine mehrdimensionale Skalierung zur Messung von Einstellungen und Personen, meist auf je fünf- bis neunpoligen Merkmalskontinua. Die Pole sind dabei mit gegensätzlichen Eigenschaften umschrieben und werden innerhalb eines Differenzials und/oder von Differenzial zu Differenzial gedreht bzw. in der Reihenfolge getauscht. Die Endbegriffe haben nur metaphorischen Charakter, sollen jedoch wesentlich für das Beurteilungsobjekt sein. Errechnet man je Statement den Mittelwert über alle Befragten und verbindet die zugeordneten Skalenwerte auf untereinander stehenden Skalen miteinander, so ergibt sich ein Profil je Objekt. Mehrere Profilverläufe können grafisch miteinander auf Abweichungen oder Übereinstimmungen hin verglichen werden (siehe Abbildung 95). Das Polaritätenprofil arbeitet nach dem gleichen Prinzip, jedoch mit 24 standardisierten Eigenschaftspaaren, unabhängig von dem gerade zu beurteilenden Objekt, die auf Skalen einzustufen sind und den Bedeutungsgehalt von Begriffen und Sachverhalten erhellen sollen. Dadurch ist ein Vergleich zwischen verschiedenen Messungen und Objekten möglich. Allerdings ist der Bezug von Eigenschaften zum jeweiligen Objekt fraglich. Außerdem ist die Auswahl der Items

468

C. Marketinginformation

-3

gesellig disharmonisch

-2

-1

0

+1

+2

+3

ungesellig harmonisch

hell

dunkel

fern

nah

künstlich

natürlich

weich

hart

sauer

süß

jugendlich

reif

rational respektlos fein stark passiv

intuitiv respektvoll grob schwach aktiv

modisch

zeitlos

leicht

schwer

kalt

heiß

lustig

ernst

ruhig

erregend

rechteckig mild

rund scharf

Abbildung 95: Semantisches Differenzial

nicht ohne Willkür, so dass das Verfahren sich im Kontext der Einstellungsmessung weniger eignet. Multiattributivmodelle basieren auf der Annahme, dass sich die Einstellung einer Auskunftsperson gegenüber einem Beurteilungsobjekt aus dem Wissen um dessen Eigenschaften (kognitive Komponente)  und deren Beurteilung (affektive Komponente) zusammensetzt. Zu unterscheiden sind eine Gruppe etwa mit Ansätzen von Rosenberg und Fishbein, das Adequacy Importance Model und das Adequacy Value Model, sowie eine Gruppe der Ansätze mit Idealausprägung, z. B. nach Trommsdorff. Bei der ersten Gruppe liegt die Annahme zugrunde, dass ein Merkmal umso besser bewertet wird, je stärker es ausgeprägt ist. Das muss jedoch nicht so sein, vielmehr haben Nachfrager als Optimum oftmals eine ganz be-

II. Datenauswertung

469

stimmte, nicht notwendigerweise die maximale Ausprägung eines Merkmals im Auge. Bei der zweiten Gruppe wird diese Verzerrung vermieden. Das Rosenberg-Modell geht davon aus, dass ein Objekt danach beurteilt wird, inwieweit es geeignet ist, Motive zu befriedigen. Insofern sind zunächst die mit einem Beurteilungsobjekt verbundenen Bedürfnisse (Values) zu erfassen und in ihrer Bedeutung zu gewichten. Anschließend wird erfragt, wie gut spezifische Anforderungen als erfüllt angesehen werden. Die daraus resultierenden Eignungswerte werden dann mit den jeweiligen Motivgewichten multipliziert und zu einem Globalurteil summiert. Insofern wird also die kognitive Komponente (Eindruckswert einer Person gegenüber einem Beurteilungsobjekt) durch die Einschätzung der subjektiven Wahrscheinlichkeit einer Person über die Eignung des Objekts für das angestrebte Ziel erfasst (Vermutung hinsichtlich des Vorhandenseins einer Eigenschaft), und die affektive Komponente durch die Wichtigkeit dieses Ziels für die Person (Bewertung der jeweiligen Eigenschaft). Beide werden je mit +1 oder -1 bewertet und verdichtet. Danach ergibt sich die Gesamteinstellung einer Person zu einem Objekt aus deren Vorstellungen von dessen Möglichkeiten, eigene Werte zu fördern bzw. zu behindern. Das Fishbein-Modell dient zur getrennten Erfassung der affektiven und der kognitiven Einstellungskomponenten. Basis ist die Einbeziehung nur einiger Eigenschaften und deren subjektive Wahrnehmung bzw. Bewertung bei Vermutung eines funktionalen Zusammenhangs zwischen der Einstellung eines Individuums zu einem bestimmten Objekt und dem Wissen über deren für wichtig erachteten Eigenschaften bzw. ihrer Bewertung. Ersteres wird gemessen, indem gefragt wird, für wie wahrscheinlich das Vorhandensein vorgegebener Merkmale gehalten wird. Letzteres wird gemessen, indem anschließend erhoben wird, wie dieses Merkmal zu bewerten ist. Die kognitive Komponente beruht also auf der subjektiven Einschätzung der Auskunftspersonen über die Wahrscheinlichkeit der Existenz der zu beurteilenden (Qualitäts-)Eigenschaft (indirekte Messung), die affektive Komponente wird über die Bewertung der betreffenden Eigenschaftsausprägung durch die Messung der subjektiven Wertschätzung erfasst (direkte Messung). Aus beiden Werten wird dann der Einstellungswert durch Multiplikation berechnet. Je größer der berechnete Zahlenwert ist, desto positiver ist die Gesamteinstellung zum Beurteilungsobjekt. Dem liegen allerdings vier umstrittene Prämissen zugrunde (im Einzelnen die Multiplikativität, Additivität, Linearität und Kompensation). Auf eine separate Idealvorstellung wird bei der Messung verzichtet. Das Adequacy Importance Model erhebt anstelle schwer ermittelbarer Motive wahrgenommene Objektattribute, denen Wichtigkeitswerte zugeordnet werden. Dabei wird die Einstellung unter Beibehaltung der Mittel-Zweck-Konzeption in Abhängigkeit von subjektiv wahrgenommenen Ausprägungen einzelner Merkmale und deren jeweiliger subjektiver Wichtigkeit für die Zielpersonen gemessen. Daraus ergeben sich Gesamturteile, die als Prädiktoren für die Präferenzordnung gedeutet werden können, Urteile darüber, wie Probanden die einzelnen Objekte

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C. Marketinginformation

wahrnehmen, d. h. welche Position sie diesen in einem aufgespannten Wahrnehmungsraum zuweisen, sowie Urteile darüber, wie wichtig einzelne Attribute für die Bildung des Gesamturteils sind. Das Adequacy Value Model erhebt einen Eindruck von dem Vorhandensein bestimmter Eigenschaften, beurteilt dann jedoch nicht, wie das Adequacy Importance Model, deren empfundene Wichtigkeit, sondern bewertet diese Eigenschaft. Bei den Multiattributivmodellen mit Idealausprägung wird die Einstellung aus der Differenz zwischen den von Befragten wahrgenommenen Merkmalsausprägungen des Objekts und den in der Vorstellung der Befragten idealen Merkmalsausprägungen ermittelt. Meist wird dazu das Trommsdorff-Modell verwandt. Es dient zur Messung von Einstellungen, bei der sowohl die individuell wahrgenommenen, realen Ausprägungen bestimmter Eigenschaften als auch die vom Individuum für ideal erachteten Ausprägungen der jeweiligen Eigenschaften bei der Leistungskategorie erhoben werden (also mit separater Idealvorstellung). Nur die kognitive Beurteilungskomponente wird direkt erhoben, die affektive ergibt sich als Differenz zwischen der Ideal- und der Realeinschätzung eines Objekts. Die kog­nitive Komponente beruht auf der subjektiven Einschätzung der Auskunftspersonen über die wahrgenommene graduelle Ausprägung der betreffenden Eigenschaft (direkte Messung), die affektive Komponente wird über die Bewertung der betreffenden Eigenschaftsausprägung durch die Messung der wahrgenommenen Aus­prägung dieser Eigenschaft beim Idealobjekt und anschließenden Vergleich er­fasst (indirekte Messung). Beide Werte werden zueinander in Beziehung gesetzt. Je kleiner der berechnete Zahlenwert, je geringer also die Differenz zwischen Real- und Idealeindruck, als desto positiver ist die Einstellung gegenüber dem Objekt anzusehen. Dabei können Bedeutungsgewichte eingeführt oder solche unterlassen werden. Dies macht die Präferenzen transparent und ermöglicht eine operationale Schlussfolgerung.

2.3

Präferenzbezogene Messung

Zur (qualitativ-relativen) Präferenzmessung können verschiedene Messverfahren eingesetzt werden (siehe Abbildung 96). Bei der Rangordnung ordnet eine Auskunftsperson eine Menge von Beurteilungsobjekten in aufsteigender oder abfallender Rangordnung analog zur Reihenfolge des Ausmaßes, in dem sie das untersuchte Merkmal ihrer Ansicht nach besitzen. Dies sagt allerdings noch nichts über die wahrgenommenen Abstände der Objekte zueinander und deren Abstand zu einem Referenzwert (z. B. Nullpunkt) aus. Dieses Verfahren führt allerdings leicht zu Überforderungen der Auskunftspersonen, etwa bei vielen, nur gering abweichenden Leistungen, was oft gerade die für eine Messung interessante Konstellation ist. Daher handelt es sich beim Paarvergleich um die Überprüfung von nur zwei Objekten parallel je Durchgang, indem Versuchspersonen diese nach dem vorge-

471

II. Datenauswertung

Einfache Präferenzansätze

Präferenzanalyse

Rangordnung

Unfolding-Technik

Paarvergleich

Conjoint-Analyse

Konstantsumme

Multidimensionale Skalierung

Abbildung 96: Verfahren zur Präferenzmessung

gebenen Kriterium ordnen und insgesamt eine Rangreihe daraus gebildet wird. Der höchste Rang steht für das Objekt, das am häufigsten im Paarvergleich als merkmalsdominant angesehen wird. Allerdings ufert die Anzahl der Paare leicht aus (bei n Objekten sind n × (n-1)halbe Paarvergleiche notwendig). Außerdem führt dies sehr leicht zu Inkonsistenzen (Widersprüchlichkeit) in der Beantwortung. Dann wird die Ergebnisauswertung problematisch, zumal, wenn ein gewichteter Paarvergleich vorgenommen wird. Das Konstantsummenverfahren beinhaltet einen intervall-skalierten Paarvergleich. Eine Intervallskala teilt ein Messkontinuum in einander wechselseitig ausschließende Merkmalsklassen auf und bezeichnet diese mit Zahlenwerten. Eine bestimmte Anzahl von Präferenzen repräsentierenden Einheiten (z. B. Wertpunkte) werden insofern von Auskunftspersonen den einzelnen zu beurteilenden Objekten zugeteilt, und zwar umso mehr, je besser sie von ihnen in Bezug auf das vorgegebene Kriterium im Vergleich zu konkurrierenden Objekten eingestuft werden. Dadurch wird eine realistische Abstufung der Präferenz erzwungen und die Situation der Wahlentscheidung bei knappen Ressourcen nachgebildet. Allerdings explodiert die Anzahl der Paarvergleiche geradezu, wie auch beim ordinalen Paarvergleich, mit steigender Anzahl der Objekte. Daher wird meist nur eine feste Anzahl von zu beurteilenden Objekten vorausgesetzt und dadurch eine Einengung im Relevant Set erreicht, die jedoch zugleich eine erhebliche Aussageeinschränkung beinhaltet. Bei der Unfolding-Technik (Coombs) erfolgt die Messung durch Versuchspersonen auf Basis von Rangordnungen der Objekte, die in eine grafische Abfolge von intervall-skalierten Punkten transformiert werden und bei dem die individuellen Präferenzdaten als Basis für die Erzeugung eines Wahrnehmungsraums (Joint Space) dienen. Das Urteil der Auskunftspersonen wird dabei als Idealpunkt interpretiert. Weiterhin gibt es Objektrangfolgen. Es wird davon ausgegangen, dass die Präferenz einer Versuchsperson zu einem Idealobjekt den Skalenwerten zu dessen Messung (J-Skala) immer nur mehr oder minder nahe kommt. Bei zwei Objekten, die zu beurteilen sind, entspricht die Präferenz damit der im Idealpunkt gefalteten Skala (I-Skala). Insofern werden Wahrnehmungsraum und Präferenzraum, die

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beide unbekannt sind, gemeinsam geschätzt (interne Präferenzanalyse). Andere Verfahren sind die Conjoint-Analyse und die Multidimensionale Skalierung (s. u.).

3.

Statistische Datenanalyse

3.1 Verfahrenseinteilung Eine Einteilung der Verfahren zur Analyse von Daten ist aufgrund deren Komplexität nicht einfach. Eine mögliche Unterscheidung betrifft dabei das Skalen­ niveau (s. o.). Eine andere Unterscheidung betrifft die Zielsetzung. Danach ergeben sich deskriptive und induktive Vorgehensweisen. Die deskriptive Datenanalyse hat die Aufbereitung und Auswertung von Daten zum Ziel, die induktive deren Schlussfolgerung. Eine weitere Unterscheidung ist die nach der Variablenzahl in univariate, bivariate und multivariate Analysen. Bei der einfachen Datenanalyse wird nur eine einzige Variable untersucht, es handelt sich um univariate Verfahren. Bei der zweifachen Datenanalyse werden die Beziehungen zwischen zwei Variablen untersucht, es handelt sich um bivariate Verfahren. Bei der multiplen Datenanalyse werden mehr als zwei Variable untersucht, es handelt sich um multivariate Verfahren. Die Abtrennung der Verfahren in bi- und multivariate ist allerdings nicht eindeutig zu treffen, da es die Mehrzahl der bivariaten Verfahren auch in multivariater Ausprägung gibt. Daher wird im Folgenden nach vorwiegend bivariat eingesetzten und vorwiegend multivariat eingesetzten Verfahren vorgegangen (siehe Abbildung 97). Analyseform

univariate Analyse

bivariate Analyse

multivariate Analyse

nominalskaliert

Modus

Kontingenzanalyse Kreuztabellierung

Clusteranalyse

ordinalskaliert

Median Quartile

Assoziationskoeffiz. Rangkorrelationskoeffizient

Faktorenanalyse Multidimensionale Skalierung

Skalenniveau

intervallskaliert

ratioskaliert

Varianzanalyse arithmetisches Mittel Varianzanalyse Varianz Regressionsanalyse Regressionsanalyse Standardabweichung Diskriminanzanalyse geometrisches Mittel harmonisches Mittel Regressionsanalyse Variationskoeffizient

Regressionsanalyse

Abbildung 97: Statistische Analyseverfahren (Auswahl)

II. Datenauswertung

473

Eine letzte Unterscheidung schließlich ist nach den Beziehungen als Häufigkeit, Abhängigkeit oder Zusammenhang möglich. Bei der Häufigkeitsanalyse wird die Verteilung der Häufigkeiten jeder Ausprägung eines Merkmals untersucht. Sofern man die Häufigkeiten dabei in Relation zur Gesamtzahl aller Ereignisse setzt, handelt es sich um eine relative Häufigkeitsverteilung. Dabei werden Lage- und Streuparameter behandelt, sowie Form- und Konzentrationsparameter. Ihnen liegt jeweils nur eine Variable zugrunde. Bei der Analyse von Abhängigkeiten, der Dependenzanalyse, wird die Variablenmenge (Datenmatrix) in abhängige und unabhängige Variable aufgeteilt, d. h. einer oder mehreren Variablen werden andere gegenübergestellt und deren Einflüsse untersucht. Die dabei vermuteten Abhängigkeiten werden allerdings nur rein formal ermittelt, nicht aber auf ihre Kausalität hin bewertet, die nach wie vor grundständig durch Logik zu prüfen ist. Bei der Analyse von Zusammenhängen, der Interdependenzanalyse, wird die Variablenmenge in der Datenmatrix nicht weiter partitioniert. Vielmehr wird die Wechselwirkung der Variablen untereinander untersucht. Von Dependenz spricht man also, wenn es um Abhängigkeiten geht, von Interdependenz, wenn es um Zusammenhänge geht. Erstere unterstellt einen Kausalzusammenhang derart, dass eine oder mehrere abhängige (oder Kriteriums-)Variable von mehreren unabhängigen (oder Prädiktor-)Variablen beeinflusst werden. Ziel ist es, diesen Einfluss zu analysieren. Letztere unterstellt wechselseitige Beziehungen, ohne dabei in abhängige und unabhängige Variable zu unterteilen. Diese Einteilung wird im Folgenden verfolgt, kombiniert mit der Variablenzahl. So entstehen die univariate Häufigkeitsanalyse, die (vorwiegend) bivariate Dependenz- und Interdependenzanalysen und die (vorwiegend) multivariate Dependenzund Interdependenzanalysen.

3.2

Univariate statistische Analyseverfahren

Bei der univariaten Häufigkeitsanalyse wird aus der Datenmatrix nur eine Spalte herausgegriffen und die Verteilung der einzelnen Ausprägungen untersucht. Man unterscheidet absolute, relative und kumulierte Häufigkeiten. Häufigkeitsverteilungen ergeben sich nach mehreren Stufen. Zunächst liegt eine ungeordnete Beobachtungsreihe der erfassten Merkmalsausprägungen vor. Diese Einzelwerte werden der Größe nach aufgereiht. Ordnet man den möglichen Beobachtungswerten ihre zugehörigen Auftrittshäufigkeiten zu, ist eine Auszählung möglich, absolut als Zahlenwert und/oder relativ als einzelner Zahlenwert in Relation zu allen ermittelten Zahlenwerten. Dann erfolgt die grafische Veranschaulichung der Daten durch Ordinatendiagramm oder Häufigkeitspolygon. Beobachtungswerte können auch zu Klassen zusammengefasst werden. Dabei kommt es allerdings auf die Wahl der Klassenbreite sowie die Wahl des Ausgangs- und Endpunkts

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an. Man unterscheidet vier Momente jeder Verteilung: Erstens das arithmetische Mittel (Lage), zweitens die Standardabweichung (Streuung), drittens die Schiefe (Symmetrie) und viertens den Exzess (Wölbung). Damit wird das statistische Ursprungsmaterial einer eindimensionaler Datenanalyse zugänglich. 3.2.1 Lokalisationsparameter Lokalisationsparameter sind Lagemaße, die diejenige Ausprägung eines Untersuchungsmerkmals kennzeichnen, die für die ermittelte Häufigkeitsverteilung am typischsten ist. Dadurch wird eine Ordnung des Datenmaterials nach absoluten und relativen Häufigkeiten zur Feststellung von Verdichtungen und der Homogenität der Datenmenge vorgenommen. Als Maße kommen durchaus verschiedene Wert in Betracht. Generell ist ihre Berechnung nur bei eingipligen Häufigkeitsverteilungen sinnvoll: • Der Modus wird auch dichtester (häufigster) Wert genannt. Er stellt den Punkt mit der größten Merkmalskonzentration in einer Reihe dar, kommt also in einer Häufigkeitsverteilung am häufigsten vor. Bei symmetrischer Verteilung fallen Zentralwert, dichtester Wert und arithmetisches Mittel zusammen. In allen anderen Fällen liegen die Werte mehr oder minder auseinander. Außerdem wird der Modus nicht durch Extremwerte als Ausreißer aus der Reihe tangiert. Er ist schnell und einfach zu ermitteln. Bei nicht-klassierten Daten ist der Modus direkt ablesbar, bei klassierten Daten über eine Formel leicht zu bestimmen. Er setzt mindestens Nominalskalenniveau voraus. Bei unimodaler Verteilung gibt es einen, bei multimodaler Verteilung mehrere häufigste Werte. Eingipflige Verteilungen sind rasch als solche zu erkennen. Andere Werte außer dem häufigsten, gehen jedoch nicht in das Ergebnis ein, so dass Aussageverzerrungen entstehen können. Der Modus bietet sich bei nominalen Daten an. • Der Median (Zentralwert) halbiert eine Reihe von Merkmalswerten. Voraussetzung ist eine geordnete Zahlenreihe gleichartiger Werte in auf- oder absteigender Folge, die mindestens ordinal-skaliert ist. Er steht bei einer ungeraden Reihe von Zahlen immer in deren Mitte. Bei gerader Anzahl der Ursprungswerte bildet der Median immer das arithmetische Mittel zwischen den beiden mittleren Zahlen. Sind diese bereits zu Klassen verdichtet, ist die Klasse, bei der die 50 %-Grenze gerade übersprungen wird, die Einfallsklasse. Bei Häufigkeitstabellen ergibt sich der Median als Addition der Ursprungswerte multipliziert mit ihrer Häufigkeit, dividiert durch die Anzahl der Ursprungswerte. Er ist unanfällig gegen Extremwerte, welche die Verteilung verzerren, und daher besonders für Reihen weniger Werte geeignet. Allerdings kann er auch ein theoretischer Wert sein, der in den Ursprungsdaten so gar nicht vorkommt. Bei nicht-klassierten Daten ist der Median nach Ordnung der Reihe schnell abzählbar, bei klassierten Daten über eine Formel leicht zu bestimmen. Der Median bietet sich bei ordinalen Daten an.

II. Datenauswertung

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• Das einfache arithmetische Mittel ist der Quotient aus der Summe aller Einzelwerte und deren Anzahl. Es kann nur ermittelt werden, wenn die einzelnen Glieder der Reihe gleichwertig sind. Es teilt eine Reihe in zwei gleiche Hälften ein. Die Summe aller Werte oberhalb dieses Werts ist gleich der Summe aller Werte unterhalb dieses Werts, die Differenz dieser Werte ist gleich Null. Die Summe der Quadrate der Differenzen aller Werte oberhalb und unterhalb des arithmeti­ schen Mittels ist minimal. Die Summe der Differenzen aller Werte von ihrem Mittelwert ist gleich Null. Setzt man an die Stelle jedes Merkmalwerts jeweils das arithmetische Mittel, bleibt die Summe der gesamten Reihe konstant. Addiert man zu jedem Merkmalswert den gleichen Wert x hinzu, ändert sich das arithmetische Mittel um diesen Wert. Dasselbe gilt bei Subtraktion, Multiplikation oder Division. Bei klassierten Daten ist die Berechnung des arithmetischen Mittels mit Hilfe der Klassenmittelwerte leicht möglich. Voraussetzung sind metrisch-skalierte Daten. Nachteilig ist, dass Werte, die im Vergleich zu den übrigen Werten einer Reihe extrem hoch oder niedrig ausfallen, den Mittelwert übermäßig beeinflussen. Außerdem macht er wenig Sinn bei mehrgipfligen und asymmetrischen Verteilungen sowie sehr kleinen Stichproben. Das arithmetische Mittel gilt als 1. Moment der Verteilung. • Das einfache arithmetische Mittel ist in gewisser Weise der Sonderfall des gewogenen arithmetischen Mittels, bei dem alle Merkmalswerte gleich gewichtet sind. Außerdem besteht aber beim gewogenen arithmetischen Mittel die Möglichkeit, die einzelnen Merkmalswerte einer Reihe unterschiedlich zu gewichten. Das gewogene arithmetische Mittel ist der Quotient aus den mit der Häufigkeit jedes Merkmalswerts multiplizierten Einzelwerten und der Summe ihrer Gewichte. Es ist höchstens so groß wie das arithmetische Mittel. Dazu werden alle Einzelwerte zuvor mit ihrem Gewicht multipliziert und dann erst summiert, bevor sie durch die Anzahl der Einzelwerte geteilt werden. Durch Logarithmieren wird es zum arithmetischen Mittel. Die Anfälligkeit gegenüber Extremwerten ist gering, da deren Bedeutung häufig durch ihr geringes Gewicht relativiert wird. Das gewogene arithmetische Mittel ist z. B. dann von Bedeutung, wenn ein durchschnittlicher Preis bei abweichenden Mengenzuordnungen berechnet werden soll. Bei klassierten Werten wird zudem angenommen, dass die Klassenmitte die Klasse repräsentiert, so dass die Multiplikation der Klassenmitte mit ihrer Besetzungszahl oder der Häufigkeit der Klasse den Gesamtwert für die Klasse ergibt. • Beim (einfachen) geometrischen Mittel wird jeder Einzelwert einer Reihe mit dem folgenden Wert multipliziert. Aus dem Produkt aller n-Werte wird dann die n-te Wurzel gezogen. Zur Errechnung des gewogenen geometrischen Mittels wird jeder Einzelwert einer Reihe zuerst mit seinem Gewicht potenziert. Die sich daraus ergebenden Werte werden miteinander multipliziert. Aus dem Produkt wird dann entsprechend der Summe der Gewichte die Wurzel gezogen. Voraussetzung sind ratio-skalierte Daten. Das geometrische Mittel bietet sich an, wenn die Abstände einer Messwertreihe sich untereinander proportional zur

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Größe der Messwerte verhalten (z. B. Wachstumsraten). Es kann nicht berechnet werden, wenn einer der Werte negativ ist, da dann das gesamte Produkt negativ ist, oder einer der Werte = 0 ist, da dann das gesamte Produkt = 0 ist. Außerdem kann die Anfälligkeit gegenüber Extremwerten durch die Art der Berechnung relativiert werden. • Das harmonische Mittel ergibt sich als reziproker Wert des arithmetischen Mittels der reziproken Werte der einzelnen Merkmalsbeträge. Es wird relativ selten verwendet und kann gewogen oder ungewogen ausgewiesen werden. • Zur Berechnung der Quartile ist es zunächst erforderlich, alle Merkmalswerte einer statistischen Gesamtheit der Größe nach zu ordnen. Das 1. Quartil liegt bei demjenigen Punkt einer Messwertskala, unterhalb dessen 25 % aller Messwerte liegen. Das 3.  Quartil liegt bei demjenigen Punkt einer Messwertskala, unterhalb dessen 75 % aller Messwerte liegen. Das 2.  Quartil liegt beim Median (Zentralwert). Zwischen dem 1. und dem 3. Quartil liegen 50 % aller Messwerte. Stattdessen können auch beliebige andere Teilgesamtheiten gebildet werden (z. B. Perzentile bei 100 Merkmalen, Dezile bei 10 Merkmalen, Median bei zwei Merkmalen), doch Quartile sind am häufigsten anzutreffen. • Die Bereichsmitte ist definiert als die Hälfte der Summe der kleinsten und der größten tatsächlich vorhandenen Merkmalsausprägung. Dies ist wichtig, wenn eine Reihe von Modalitäten zwar bei 0 beginnt, die Merkmalsausprägungen aber erst bei Werten > 0 in unterschiedlicher Häufigkeit beginnen. Dann liefert der Median ein verzerrtes Bild.

3.2.2 Dispersionsparameter Dispersionsparameter werden auch Streuungsmaße genannt und beschreiben die Verteilung der Einzelwerte einer Häufigkeitsverteilung um ihren Mittelwert. Sie charakterisieren damit zugleich die Variabilität von Datenmengen, so dass ersichtlich wird, wie repräsentativ der Mittelwert für die Gesamtheit tatsächlich ist. Die Daten müssen mindestens intervall-skaliert, besser metrisch-skaliert sein: • Die Spannweite (Variationsbreite) ist die Differenz zwischen dem größten und dem kleinsten Wert einer Reihe. Innerhalb dieses Streubereichs liegen alle betrachteten Merkmalswerte. Unterschiedliche Datenreihen können gleiche Mittelwerte haben, sich aber dennoch wesentlich voneinander in Bezug auf ihre Spannweite unterscheiden. Problematisch ist die Empfindlichkeit dieses Maßes gegen Ausreißer (Extremwerte). Daher kann die Spannweite nur zum schnellen Überblick über Häufigkeitsverteilungen dienen. • Die durchschnittliche Abweichung (= mittlere Differenz) ist das arithmetische Mittel aller Abweichungen einer Reihe im Verhältnis zu deren Mittelwert. Dazu wird der Durchschnitt aus den einfachen Abweichungen vom Mittelwert berechnet,

II. Datenauswertung

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wobei es sich auch um den Zentralwert handeln kann. Wichtig ist, dass die Abweichung aus den absoluten, nicht aus den quadratischen Abweichungen ermittelt wird, wobei negative Vorzeichen ignoriert werden. Es ist sowohl der gewogene als auch der ungewogene Fall möglich. • Der Quartilsabstand ergibt sich aus der Differenz des 3.  und des 1.  Quartils, dividiert durch das 2. Quartil, also die halbe Differenz dieser Quartile. Durch diese werden die mittleren 50 % aller Elemente einer statistischen Masse begrenzt. Es ist ein Maß für die Streuung mindestens intervall-skalierter Daten, ausnahmsweise auch bei Verteilungen mit gleicher zentraler Tendenz für ordinal-skalierte Daten. • Die Varianz ist die Summe der quadratischen Abweichungen der Einzelwerte von ihrem Durchschnitt (= arithmetisches Mittel). Sie kann nur von quantitativen Daten bestimmt werden. Für die Quadrierung gibt es vor allem zwei Gründe, erstens ergibt die einfache Summation der Abweichungen den Wert 0, weil sich die Abweichungen über und unter dem arithmetischen Mittel genau ausgleichen (das ist gerade der Sinn des arithmetischen Mittels) und zweitens werden durch die Quadrierung weiter entfernt liegende Werte stärker berücksichtigt, größere Abweichungen also strenger ausgewiesen. Die Varianz ist stets ein positiver Wert, außer es liegt überhaupt keine Streuung vor (dann ist sie = 0). Es ist sowohl der gewogene als auch der ungewogene Fall möglich. • Die Standardabweichung (auch mittlere quadratische Abweichung) ist die positive Quadratwurzel aus der Varianz. Die ungewogene Standardabweichung errechnet sich aus den Quadraten der einzelnen Differenzen der Werte zum Mittelwert einer Reihe, die addiert werden. Diese Summe wird durch die Anzahl der Einzelwerte, vermindert um 1, dividiert. Aus dem Ergebnis wird dann die Quadratwurzel gezogen. Diese Berechnung gibt den hohen Abweichungswerten einen stärkeren Einfluss auf das Ergebnis. Dadurch wird eine gute Repräsentanz für die Ursprungswerte erreicht. Die Standardabweichung lässt sich einfacher inhaltlich interpretieren als die Varianz, da sie in derselben Einheit vorliegt wie die Daten und deren Mittelwert. Die Standardabweichung ist das 2. Moment einer Verteilung. • Der Variationskoeffizient (auch mittlere relative Abweichung) ist der Quotient aus Standardabweichung und zugehörigem Mittelwert. Er gibt das prozentuale Verhältnis der absoluten Streuung zu einem Durchschnitt an, von dem die Streuung berechnet wurde, und relativiert diese damit. Dadurch kann die Streuung von Variablen mit unterschiedlicher Niveaulage, also unabhängig von der absoluten Größe, vergleichbar gemacht werden. Der Variationskoeffizient ist dimensionslos, so dass auch Streuungen von Merkmalswerten, die in verschiedenen Dimensionen gemessen werden, vergleichbar sind.

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3.2.3 Formparameter Die Formparameter kennzeichnen die Schiefe (Symmetrie/Asymmetrie) einer Verteilung. Der Exzess ist ein Maß für die Wölbung einer Verteilungskurve: • Das Schiefemaß (nach Pearson) errechnet sich aus der Differenz zwischen dem arithmetischen Mittel und dem Modus, die durch die Standardabweichung dividiert wird. Die Schiefe kennzeichnet die Symmetrie oder Asymmetrie von Häufigkeitsverteilungen. Fallen Modus, Median und arithmetisches Mittel zusammen, ist die Verteilung vollkommen symmetrisch. Kommen Modus, Median und arithmetisches Mittel nacheinander, handelt es sich um eine linksschiefe Verteilung, bei umgekehrter Reihenfolge um eine rechtsschiefe Verteilung. Eine Verteilung ist demnach linksschief (= rechtssteil eingipflig), wenn die Mehrzahl der Ursprungswerte rechts des Mittelwertes liegt. Eine Verteilung ist hingegen rechtsschief (= linkssteil eingipflig), wenn die Mehrzahl der Ursprungswerte links des Mittelwerts liegt. In diesen Fällen spricht man von einer unimodalen Verteilung. Zwei- oder mehrgipflige Verteilungen nennt man bi- oder polymodal. Die durchschnittlichen potenzierten Abweichungen der Merkmalswerte vom Nullpunkt oder dem arithmetischen Mittel, ist ein Maß für die Schiefe der Verteilung. Werte > 0 indizieren eine rechtsschiefe, Werte