Gustav Mahlers Fünfte Symphonie: Quellen und Instrumentationsprozeß
 3876261651

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. SANDER WILKENS

Gustav Mahlers Fünfte Symphonie Quellen und Instrumentationsprozeß

C. F. PETERS . FRANKFURT NEW YORK . LONDON

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Wilkens, Sander: Gustav Mahlers fünfte Symphonie: Quellen und Instrumentationsprozess / Sander Wilkens.Frankfurt (Main) ; New York; London : Peters, 1989 Zugl.: Berlin, Techn. Univ., Diss., 1988 ISBN 3-87626-165-1

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ISBN 3-87626-165-1

© 1989 by C. F. Peters

I

INHALT Einleitung

1

1.

Musikalische Akustik, Musikpsychologie und Instrumentationslehre

5

lI.

Die Quellen - Beschreibung und chronologische Ordnung

1.

Präliminarien

24

2.

Die beiden Handschriften

26

3.

Die Studienpartitur aus dem Besitz Bruno Walters

58

4.

Die gedruckten Erstausgaben der Studien- und Dirigierpartitur und des Klavierauszuges

65

5.

Die Mengelberg-Dirigierpartitur

67

6

Die Dirigierpartitur Bruno Walters

84

7.

Das Orchestermaterial: der erste Stimmensatz

90

8.

Der zweite Stimmensatz, die Neue Ausgabe und die Kritische Gesamtausgabe

109

9.

Mahlers Dirigierpartitur aus Triest

125

IU.

Der Revisionsprozeß

1.

Präliminarien

131

2.

Mahlers »Schnittechnik«

131

3.

1.Satz Trauermarsch

150

4.

2.Satz (Hauptsatz)

162

5.

Scherzo

182

6.

3.AbteilunglAdagietto - Rondo

207

7.

Die Vortragsanweisungen

231

Einleitung

1

Eine der auffälligsten Erscheinungen des Komponisten Gustav Mahler dokumentiert sich in der Quellenlage seiner Werke. Aufgrund Mahlers unablässiger Neigung, sie zu bearbeiten, sind sie in verschiedenen »Varianten« überliefert: Textfassungen, die nahezu ausschließlich in einem Bereich, der Instrumentation, voneinander abweichen und einem bestimmten Aspekt seiner Werkauffassung gelten. Sie rankt um die Kategorie der Deutlichkeit. "Das, worin ich beim Instrumentieren den Komponisten der Gegenwart und Vergangenheit voraus zu sein glaube, könnte man in dem einen Worte Deutlichkeit zusammenfassen. Daß alles durchaus so zum Gehör kommt, wie es meinem inneren Ohr ertönt, ist die Forderung, zu der ich alle zu Gebote stehenden Mittel bis aufs letzte auszunützen suche"l. Mahlers bekanntes, von Natalie Bauer-Lec1mer kolportiertes Credo wird verständlich, wenn die Deutlichkeit und die Steigerung der Mittel zueinander in Beziehung gesetzt werden; denn die Einzigartigkeit seiner Instrumentation folgt aus dem »Großen Orchester« nicht weniger wie aus den Methoden, die seine Beherrschung im 19. Jahrhundert hervorgebracht hat. Im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen knüpft Mahlers Instrumentation nur quantitativ an das Orchester Wagners an, um überwiegend jene symphonische Tradition wiederzubeleben, die Farbe und Kolorit in den Dienst der Struktur stellt. Mahlers Bestreben, die Instrumentation als »Organ« komplexer Werkbeziehungen aufzufassen, ist nicht umstandslos mit der Forderung gleichzusetzen, »orchestral zu erfinden«, die dem Kanon der genetisch orientieren Denkweise des 19. Jahrhunderts einzureihen ist. Mahler befürwortet diesen Grundsatz prinzipie1l2 , obgleich ihn seine Revisionstätigkeit in eine spezifische Spannung versetzt. Sie distanziert sich zunehmend von einer originären Gleichsetzung des Satzes mit seiner Klanggestalt, und beabsich- tigt dennoch, ihn durch seine orchestralen Beziehungen zu vergegenwärtigen. Die Konstellation zwischen einem Ideal, das eher zu einem eingeschränkten Apparat tendiert, und dem »Großen Orchester«, das ihm gleichwohl zu dienen hat, stellt somit die durchaus nicht immer konfliktfreie Grundlage von Mahlers orchestraler Sprache dar. Und es verwundert nicht, daß manche Station, die seine Instrumentation in der Werkgeschichte durchläuft, kaum mehr ermöglicht, an dem Gedanlcen eines "genauen Festlegens einer im inneren Gehör des Komponisten bereits vollkommen klar vernommenen Klangtatsache,,3 festzuhalten, den Egon Wellesz seiner Abhandlung zur Neuen Instrumentation vorangeschickt hat. Eine Reihe von Publikationen, die Retuschen in Werken anderer Komponisten nicht ausnehmen, hat einige grundlegende, auch für die Werkgeschichte der Fünften Symphonie gültige Merkmale offengelegt, die seine Arbeitsweise betreffen und vor allem seine instrumentatorische Auffassung exemplarisch zu verdeutlichen suchen. Die frühen Aufsätze von Erwin Stein4 und Mosco Carner5, die Arno Forchert6 voraussetzt, behandeln die Retuschen in Werken Schumanns,und sie tragen Charakteristika zusammen, die, gerade weil sie Schumann zuweilen unangemessen erscheinen, um so deutlicher auf Mahlers Instrumentationsstil und eine bestimmte orchestrale Vorstellung hinweisen. Sie nimmt durchaus nicht immer Rücksicht auf historische oder personalstilistische Bedingungen, um eine stete und klare Präsenz der musikalischen Substanz in den Vordergrund zu rücken. Versucht man, in Kürze zusammenzufassen, dann vereinigt dieser Stil das Bestreben, den Satz auf seine elementaren Einheiten zu konzentrieren,mit einer höchst ökonomischen Behandlung deren spezifischen Gewichts. Fast zwangsläufig führt dieses Bestreben nach Transparenz zu einer Aufhellung des Satzes, die auch die Randlagen der

2

Einleitung

Hlzbl und Str einbezieht. Daneben motiviert es den melodischen Gebrauch der Bbl (Hrn und Trp). Die Trp stellt den Sachverhalt exemplarisch dar. Im Sinne ihrer historischen V ~r­ wendung als Konstituente der Rhythmusgruppe ist sie häufig von Streichungen betro~&n, die von der doppelten Absicht getragen sind, harmonische Füllstimmen einzuschrällken und die Unterscheidung von Haupt- und Neben- bzw. Begleitstimmen auch auf die Basis farblicher Kontraste zu stellen. Diesen instrumentatorischen Maßnahmen an Werken Schumanns, die das historische Urteil zu pauschal als orchestral unzulänglich geringschätzt, bescheinigt Forchert "Vorsicht und Einfühlungsvermögen,,7, und sie unterscheiden sich instrumentationstechnisch nicht von seinen Retuschen an Symphonien Beethovens und 8 Schuberts . Schon Wellesz untersuchte Mahlers Partitur der Neunten SyI]1J>honie9, Ernst Hilmar ergänzte den Aspekt durch die Beethoven-Interpretation Mahlers 1 . Selbstredend ist er im Gebrauch melodischer Bbl bei Beethoven vorsichtiger als bei Schumann, wobei die Retuschen auch dadurch motiviert sind, die historische quantitative Veränderung der Orchestergruppen auszugleichen. In der Behandlung des Verhältnisses zwischen Stimmführung, Lage und Verdoppelung in den Hlzbl setzt Mahler Wagners Erwägungen voraus, die er auch als Rechtfertigun§ seiner weiterreichenden Retuschen anführt, um dennoch keine "Uminstrumentierung"l zu beabsichtigen. So korreliert die Höherlegung der Hlzbl zur Verstärkung des melodischen Konturs mit der Verwendung der hohen Klar in seinen eigenen Werken, und sie dokumentiert beispielhaft, wie Mahlerversucht, eine gleichbleibende Klangvorstellung mit veränderten historischen Mitteln zu verwirklichen. 12

Die Studien zu Instrumentationsänderungen an eigenen Werken - bislang noch nicht allzu zahlreich - betreffen vor allem die Vierte Symphonie, deren Werkgeschichte eine ähnlich verstreute, offensichtlich aber dennoch weniger verwickelte Quellenlage als die Fünfte Symphonie aufweist. (Die GA der Vierten und Fünften Symphonie teilen die Eigenschaft,die letzten Änderungen Mahlers erstmals in Druckwiederzugeben). Auch hier handelt es sich - der generellen Tendenz nach - um die "Verdünnung", "Auflockerung und Auflichtung,,13 des Klangs als zentrale Bestrebungen, es treten aber auch ähnlich differenzierte Phrasierungs- und Abfärbungserscheinungen auf, die auch die Instrumentation der Fünften bestimmen. Wie die Kopie des Autographs von der Hand Alma Mahlers [AMH] und spätere Quellen bezeugen, sind auch bei ihr Ergänzungen zu den Vortragsanweisungen tendenziell »nachträglich«, also in Zusammenhang mit Probenerfahrungen zu sehen14. Daß die Ausdünnung des Satzes auch zu einer "Redaktion der Hauptstimme nötigt,,15, zeichnet sich - als bedeutsamste Gegenkraft - in einer Gegenüberstellung der Druckfassungen der Vierten ab. Die von Neuwirth erläuterte Grazer Partitur dokumentiert, daß Mahler - von den Mengelberg-Partituren abgesehen, von denen eine bis zur Siebten komplette Reihe mit Korrekturen oder Revisionsanmerkungen Mahlers existiert - Dirigierpartituren korrigiert hat, die Zwischenstadien zu den überlieferten Druckfassungen manifestieren. Im Rahmen der Werkgeschichte der Fünften sind hiervon neben M-Dp zwei Partituren betroffen: Tund W-Dp 16. Sie ergeben gemeinsam mit den beiden untereinander leicht divergierenden Versionen vor der ersten Drucklegung - Autograph [A] und AMH - eine Reihe von Fragen, denen bisher keine Publikation in vollem Umfang nachgegangen ist: die Fragen nach der Kontinuität von Mahlers Vorgehen, nach dem Verhältnis der überlieferten Orchestermaterialien zu den Partiturquellen, die Bewertung von Haupt - und Nebenquellen - im Fall der Fünften ist ein verschollener Archetypus, die Korrekturvorlage für die NA, anzusetzen -, zuletzt die Autographen. Offensichtlich hat Mahler neben den Materialien auch für

Einleitung

3

T- und M-Dp Kopisten herangezogen, so daß der Quellentyp keine eindeutige Entscheidung in bezug auf seine Arbeitsweise zuläßt. Wellesz unterschied bereits zwischen Schreibtisch- und Probenkorrekturen 17, eine Beziehung, die zwar nicht vollends qualitativ differenziert ist, aber dennoch überwiegend mit dem Unterschied Tinte (zumeist rote) und Stift (häufig Blau- oder Bleistift) konform geht. Wenn sie auch keine allgemeine Abhebung der Schichten erlaubt - Tenor diesbezüglicher Untersuchungen -, so sind dennoch für einzelne Kontexte Aussagen über die zeitliche Abfolge möglich. Die Frage nach der Begründung der »Fassung« - realiter eine letzte Textstufe - der Kritischen Gesamtausgabe [GA] ist in den Gesamtkomplex der Gegenüberstellung von insgesamt acht Textstufen involviert, bei dem A und AMH eine gemeinsame Version vor der Drucklegung, W-Stp eine Zwischenstufe zur EA-Dp und die beiden Versionen der NA18 ebenfalls eine gemeinsame repräsentieren. (Die Stimmen laufen parallel, wobei der erste Satz [St-l] zwischen W-Dp und NA endet). Dem philologischen Teil der Arbeit folgt eine Erörterung der instrumentationstechnischen Probleme und Änderungen. Das Kapitel rechtfertigt den methodischen Akzent auf den Werkkontext zunächst durch den Umstand,daß die Analyse von Mahlers Vorgehenvon Quelle zu Quelle - Priorität fordert, um die Kontinuität und den inneren Zusammenhang zu prüfen. Und so wenig ein äußerer historischer - zumeist noch unerforschter Einfluß im Detail auszuklammern ist, so eindeutig schließen sich die Quellen in sich zusammen, da die einzelnen Stufen lückenlos ineinander greifen und durch gemeinsame Merkmale miteinander verkettet sind. Der resultierende Gedanke von Zielgerichtetheit und logischer Stringenz gilt dennoch nur unter der Einschränkung, daß die Bedingungen des Fortschreitens nicht allein vom Anfang abhängen, sondern durch die jeweiligen Stufen mitbestimmt werden. Daß die Fülle der Quellen eine starke Auswahl der Beispiele verlangt, ist nahezu zwangsläufig, und die Analyse möge auch auf die im Einleitungsabschnitt aufgeworfenen Fragen zur Instrumentationslehre, musikalischen Akustik und Musikpsychologie rückbezogen werden. Die Untersuchung wurde durch Gespräche, Auskünfte und die Bereitstellung von Quellen (auf Mikrofilm oder Ablichtung) durch eine Reihe von Institutionen und Persönlichkeiten unterstützt, denen der Autor hiermit sehr herzlich danken möchte: Frau Dr. Wegener, Historisches Archiv zu Köln; Pierpont Morgan Library/Robert O.Lehmann Foundation; New York Public Library (Alma Mahler Handschrift); Frau Elena Clescovich; Frau Dr.M.Michelini, Bibliothek des Conservatorio di Musica "G.Tartini", Triest; Herrn Dr.Otto Biba, Gesellschaft der Musikfreunde in Wien; Herrn Drs. Frits W. Zwart, Haags Gemeentemuseum; Herrn Dr.Otto Brusatti sowie Herrn Johann Ziegler von der Wiener Stadt- und Landesbibliothek; dem Musikverlag C. F. Peters in Frankfurt; Frau Gerda Hanf und Frau Emmy Hauswirth von der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft, sowie

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Frau DI. Herta Blaukopf, die durch hilfreiche Gespräche die Arbeit unterstützt hat; Frau Prof.DI. Helga de la Motte-Haber, die den Verfasser auf Probleme in der MahlerRezeption hinwies; Herrn Prof.Dr. Rudolf Stephan, der dem Verfasser durch wertvolle ;Beratung zur Seite gestanden hat, und Herrn Prof.DI. earl Dahlhaus, dem der Autor' die wichtigsten theoretischen und methodischen Anregungen in seiner Ausbildung verdankt. Es ist zu hoffen, daß das Fehlen ausführlicher Berichte im Rahmen der Gesamtausgabe durch diese Dissertation weitgehend ausgeglichen ist. Frau Dr. Ruth Müller gilt mein letzter und besonderer Dank für die sorgfaltige Lesung des Manuskripts.

Musikalische Akustik, Musikpsychologie und Instrumentationslehre

5

I

Eine Reihe von Gründen, die sich zum Teil bedingen, machen eine einleitende Erörterung des Zusammenhangs der unter dem obigen Titel genannten Bereiche notwendig. Den Hauptgrund bilden einige Briefäußerungen Mahlers, die nicht nur ein ausgeprägtes Raumbewußtsein dokumentieren, sondern auch die akustisch definierte Hörgewohnheit anführen, um seine Bearbeitungspraxis zu erklären. Raumbewußtsein reicht als Komplement aufführungspraktischer Tradition bis in die Zeit frühbarocker Mehrchörigkeit zurück, wobei Besetzungsfragen das auslösende Moment bildeten19 . Für Mahler und seine Zeitgenossen ist es längst in einen Definitionsprozeß eingebettet, an dem historisch gewachsene Gattungsgrenzen und die Kristallisation eines ästhetisch getragenen Werkbegriffs mitwirken. Seine Orchesterübertragung von Beethovens Streichquartett Opus 95, das mit der Großen Fuge eine ähnliche Rezeptionstradition besitzt, oder die Bemühung Felix von Weingartners um Opus 106 sind keine Gegenbeispiele. Die Kritik, die sie auslösten20, und ihre historisch besehen mangelnde Durchsetzung verdeutlichen jene »Inadäquanz«, die dem Versuch innewohnt, das strukturelle Geflecht ästhetischer Kriterien, traditionell verankerter Gattungsgrenzen und aufführungspraktischer Bedingungen durch die Ersetzung eines jener Momente reformieren zu wollen. Die ingeniöse Brahms-Bearbeitung Schönbergs von Opus 25 ist von ihr zwar ebenso betroffen, kann aber im Hinblick auf Pfitzners späteres Opus 46 für sich verbuchen, daß in der Brahms-Tradition die Gattungsgrenzen fließend zu werden beginnen. Auch Verdis Autorisation einer Streichorchesteraufführung seines Quartetts läßt sich dafür beanspruchen, diesen »Zug der Zeit« zu dokumentieren, der zwischen symphonischem und kammermusikalischem Stil vermittelt. Der Konflikt, den das Phänomen auslöst, scheint darin zu bestehen, daß sich zwei Traditionen überschneiden, die das i9.Jahrhundert zugleich auszeichnen: einem Begriff der Werktreue steht mit dem markantesten Vorbild Liszts die Tradition gegenüber, ein Werk durch Bearbeitung wachzuhalten. Mahler war sich bewußt, daß "die Tonfülle, die wir dem Werk geben, von dem Raume abhängt, in dem wir es executieren", und daß durch die Übertragung in den Konzertsaal nicht nur sie, sondern auch die "Intimität" verlorengehe. Die Reorganisation der "Kraft der Stimmen, die sich im großen Raume verlieren,,21, verläuft für sich gesehen konsequent, indem er nach ältestem Instrumentationsverfahren das Mißverhältnis zwischen Intensität und Raumvolumen durch chorische Besetzung einschließlich Kontrabaßverstärkung ausgleicht. Der ästhetisch motivierte quasi symphonische Anspruch, den Mahler offenbar mit der Übertragung von Opus 95 (und op.13i) zu erfüllen gedachte und der in der Übertreibung des Ausspruchs zu suchen ist, sein "Hauptthema könne nicht von vier armseligen Manderln gespielt werden,,22, blieb jedoch historisches Experiment. Ein deutliches Zeugnis für das Bewußtsein fester Korrelationen zwischen symphonischem Instrumentationsstil und seinem Aufführungsort, verbunden mit der Vorstellung "öffentlicher" Musik, enthält der Entwurf zu einer Instrumentationslehre Ferruccio Busonis23, und sein klassisches Beispiel bildet die Neunte Symphonie Beethovens, insbesondere deren Eröffnung. Sie hat aus diesem Grunde auch seit Wagner stete Anpassungen an die veränderten Bedingungen »öffentlicher« Musik herausgefordert und eine Rezeptionskonstante geprägt, in die auch Mahlers Bemühung einzureihen ist. Daß Raum- und Gattungsvorstellungen auch in Mahlers Werkbegriff eng aufeinander bezogen sind, wird

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Musikalische Akustik, Musikpsychologie und Instrumentationslehre

an seiner Ablehnung erkennbar, die "im Kammermusikton gehaltenen Gesänge,,24 [die Kindertoten- und Rückertlieder] in einem großen Saal aufzuführen. Mit Nachdruck, der sich an ästhetisch motivierten Geschmacksgrenzen orientiert, weist er den Vorschlag von Richard Strauss, sie in der Mitte des Abschlußkonzertes zum Grazer Tonkünstler;,Fest zwischen den Idealen Liszts und dem Kaisermarsch zu plazieren, zurück. Die im engeren Sinne durch den Dirigenten geprägten akustischen Koordinaten treten erst hervor, wenn solche »Mißgriffe« ausgeräumt sind,und ihre Umsicht gilt entweder der Saalakustik generell, seinem Nachhallverhalten oder dem damit zusammenhängenden Verhältnis zwischen Direkt- und Reflexionsschall, das sich als 'Tonfülle" äußert. Nach dem Vorbild von Wagner und Strauss läßt sich Tonvolumen auch instrumentieren,und Mahler bietet schon in der Ersten Symphonie himeichende Beispiele für die Beherrschung dieser Kategorie. Seine Sorge um deren akustische Bedingung läßt jedoch auf dem Hintergund der Entwicklung seines Personal stils eine entgegengesetzte Motivationsrichtung erkennen, die sich von ihr abzukehren beginnt. Sehr allgemein 25, aber dennoch 26 ausdrücklich , gilt seine Vorsicht der vermutlich unvorteilhaft beleumundeten Akustik des Kroll-Saales in Berlin, in dem Strauss seine Dritte Symphonie aufzuführen gedenkt. Daß er offenbar eine genaue Vorstellung über das Nachhallverhalten großer Raumvolumen besaß - vielleicht ist hierbei auch an den Freund, den Physiker Arnold Berliner zu denken - bezeugen 2 Briefe an Strauss und Franz Schalk. Die Andeutun:;; eines Münsters löst die Frage nach einer "doch hoffentlich nicht dumpf hallenden Kirche" aus, und Schalk begründet er die von seinem Veranstalter Emil Gutmann 28 erbetene folgerichtige Verstär29 kung der Männerstimmen mit der Äußerung, "die Festhalle" sei "schauderhaft groß. Es verliert sich alles ordentlich darin,,30. (Nach dem Programmzettel31 faßte sie 3200 Sitzplätze Burghauser-Spelda bemerken, daß "neuzeitliche Tendenzen beim Bau von Riesensälen für eine Zuhörerzahlvon rund 3000 und mit Kubatoren über 15000m3 bereits die Grenze erreichen, wo die akustischen Probleme der Deutlichkeit und der farbigen Unverzerrtheit des Klanges unlösbar werden,,32). . Die zitierten Äußerungen Mahlers, die auch die aufführungspraktische Umsicht eines Kapellmeisters seiner Zeit repräsentieren dürften, demonstrieren ein waches Bewußtsein für Probleme, deren wissenschaftliche Grundlegung gleichzeitig in den Jahren 1898-1905 durch die Forschungen von Wallace Clement Sabine stattgefunden hat. Der Komponist hat sich zwangsläufig auch mit ihnen auseinan-dergesetzt, belegt durch die Erklärung seiner Revisionspraxis in seinem letzten Brief an Guido Adler. Der 1909 abgeschlossene Vertrag über die Leitung des reorganisierten N ew York Philharmonic Orchestra löst die Bemerkung aus: "Ich bin froh, dies einmal in meinem Leben zu genießen (abgesehen davon, daß ich dabei wieder manches lerne, denn die Technik der Theater ist eine ganz verschiedene, und ich bin überzeugt, daß eine Menge meiner bisherigen Unzulänglichkeiten im Instrumentieren nur daher rühren, daß ich jewohnt bin, unter dem gänzlich verschiedenen Verhältnis des Theaters zu hören)" 3. Die Annahme, daß ihm erst zu diesem Zeitpunkt die Differenz zwischen der Theater- und Konzertsaalakustik bewußt geworden wäre, geht allerdings fehl. Schon 1902 hatte er an Franz Wüllner in Zusamenhang mit einer geplanten Aufführung der Dritten Symphonie geschrieben:

Musikalische Akustik, Musikpsychologie und Instrumentationslehre

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"Eines muß ich aufrichtig sagen: Ich fühle mich nicht ganz wohl dabei, meine Symphonie der Akustik eines Theaters (noch dazu einer, welche offenbar noch nicht erprobt ist) auszusetzen. Viel sympathischer wäre mir der Gedanke gewesen, wenn Sie, verehrter Meister, mein Werk auf eines der gewöhnlichen Gürzenich-Programme gesetzt hätten,,34. ' Das Bild seines akustisch bestimmten Hörbewußtseins ließe sich noch durch wenige Hinweise auf verdeckungsempfindliche Stellen in seinen Partituren ergänzen, ohne daß dieser zusätzliche Aspekt hilft, die Begründung seiner Revisionstätigkeit zu erhellen. (Bezüglich der vermeintlichen "Unzulänglichkeit" erinnere man sich der von Pierre Boulez schon bei dem 20-jährigen Komponisten des Klagenden Lieds festgestellten Meisterschaft der Instrumentation, eine Beurteilung, die sich in eine kaum eingeschränkte Rezeptionskonstante eimeiht). Nach 1907 verschieben sich die Proportionen seiner Dirigiertätigkeit zugunsten einer überwiegenden Konzertpraxis. So wenig die in dieser Verschiebung gründende Erfahrung geeignet ist, seine Bearbeitungspraxis vollständig zu erklären, so erlaubt sie dennoch, in Verbindung mit seiner gegenüber Adler geäußerten Einschätzung ein halb psychologisches Argument fruchtbar zu machen. Es gründet in der Betonung der Hörgewohnheit und besitzt sodann auch ein nur eingeschränktes Wahrheitsmoment. Mit der Voraussetzung, daß Deutlichkeit unter den Komponenten seines Instrumentationsideals den obersten Rang einnimmt, läßt seine Erklärung einen bestimmten Zusammenhang erkennen. Er behauptet zunächst, daß seine Gewöhnung an die deutlichere (nachhallärmere) Theaterakustik eine prägende Instanz seiner Hörvorstellung geworden ist. Sie hat seine Instrumentation beeinflußt, indem sie sein Ideal unter dem - unbewußten - Einfluß des Orchestergrabens zu verwirklichen sucht. Unter den Bedingungen des zeitgenössischenKonzertsaales, der (nach dem Typus des Wiener Musikvereinssaales, des Amsterdamer Concertgebouw oder der Boston Symphony Hall) den Nachhall begünstigt, ist die Deutlichkeit jedoch beeinträchtigt, so daß Mahlers Revision als Anpassung an diesen Typ notwendig wird. Es braucht kaum erwähnt zu werden, daß die Erklärung eine Vereinfachung darstellt. Und sie drückt schon nach dem Brief an Wüllner ebenfalls nicht den Fehlschluß aus, seine Symphonien nach sporadischer klassischer Praxis im Opernhaus aufzuführen. Eher repräsentiert die Erklärung ein akustisches Paradigma, dem aber nicht einmal durchgängige Geltung attestiert werden kann. Alle Symphonien Mahlers enthalten Instrumentationen, die mit der Kompositionsgeschichte, der sie entstammen, eine klangliche Wirkung nahelegen, die unter zu »trockenen« Bedingungen Einbußen erleidet: die Einleitung und Coda der Ersten, Chorstellen der Zweiten und Achten,Episoden der Dritten, Fünften und Sechsten und auch die Reprisen des Rondothemas der Siebten Symphonie, (die bekanntermaßen an die Meistersinger erinnern). Das letzte Beispiel läßt sich infolgedessen auch als Beleg der prinzipiellen Absicht Mahlers anführen, das ältere klassische Prinzip der Deutlichkeit mit Instrumentationserfolgen des. 19. Jahrhunderts zu verbinden. Die resultierende stilistische Gespanntheit bildet den Keim der These Kurt Blaukopfs35, die moderne anpassungsfähige Schallaufzeichnungstechnik habe Mahlers Symphonien von raumakustischen Problemen emanzipiert. Die ästhetische Differenz zwischen der Aufführung und technischen Reproduktion sind dem Kalkül der These gleichwohl entzogen, und der Lösungsvorschlag Blaukopfs, die

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Musikalische Akustik, Musikpsychologie und Instrumentationslehre

Aufführung im modernen »trockeneren« Konzertsaal (nach dem Modell der Stuttgarter Liederhalle oder der Royal Albert Hall36), ist nach traditionellem Muster auf die ausgleichende Leistung des Dirigenten angewiesen, die zwischen Raum und Werkfaktur vermittelt. Bei der Vereinfachung des - von Mahler angenommenen - Zusammenhangs scHlägt ebenfalls zu Buche, daß sie die Differenz zwischen der Akustik am Pult des Dirigenten und innerhalb des Konzertsaales unberücksichtigt läßt, die sich insbesondere bei mittleren Sälen auswirkt und den Dirigenten stets zur Abschätzung nötigt37. Denn es ist der Dirigent, den die Erklärung zugrundelegt, um durch die Personalunion mit dem Komponisten instrumentationstechnisch manifest zu werden. Sein »formendes« Hören, das nur ihn dadurch auszeichnet, daß er in die Konstituenten des Hörvollzugs ein§reifen kann, ist zwar nicht imstande, eine Raumakustik zu simulieren. Nach Fritz Winckel 8 ist er jedoch fähig, die für den Raumeindruck sehr empfindlichen Ausgleichsvorgänge zu beeinflussen. Die Modifikation seines Organs, der Schlagtechnik, erlaubt ihm infolgedessen, die nicht-stationäre Klangbildung der Ein- und Ausschwingvorgänge auf die Raumbedingungen reagieren zu lassen. Die Bedeutung für Mahlers Musik wird angesichts ihrer Neigung zu großer dynamischer und farblicher S~anug evident, die als wichtiges aufführungspraktisches Kriterium schon Egon Wellesz 9 bemerkt hat. Mahlers Erklärung ist aus zwei Gründen einzuschränken. Zum einen entspricht dem Zeitpunkt, zu dem er sie äußert, die Sachlage nicht. Die letzte Bearbeitung40, auf die sie sich bezieht, hebt sich qualitativ nicht so gravierend von den vorhergehenden Stufen ab,daß nur sie von der Erklärung betroffen würde. Ein vergleichbares Streben nach Deutlichkeit zeigt sich vielmehr schon in Quellen, die zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt anzusetzen sind. Zum zweiten berücksichtigt sie den stilistischen Faktor nicht, dem die bedeutendere Rolle im instrumentalen Veränderungsprozeß zuzuschreiben ist. Der Versuch, nach dem Vorbild Bayreuths für das Musikdrama Wagners einen hinsichtlich seiner akustischen Werte idealen und einzigartigen Konzertsaal für Mahlers Symphonien zu entwerfen, erscheint übertrieben. Der typologische Vergleich, auf den sich Blaukopfbezieht, sucht demgegenüber nur die Annäherung an eine Konfiguration akustischer Werte, und er schließt die Unmöglichkeit ein, in jeder Hinsicht exakt sein zu können. Aus den verstreuten (und insgesamt nicht besonders zahlreichen41) Äußerungen Mahlers spricht vor allem die Sorge um das Nachhallverhalten. Nachhall läßt sich zwar als eine einfache akustische Größe messen, ist jedoch zugleich nach den Untersuchungen von 42 Winckel und Beranek mit einer Reihe von Faktoren verbunden, die die Güte eines Konzertsaales bestimmen. Obwohl neuere Forschungen43 ergeben haben, daß die Nachhallzeit für die Güte eines Konzertsaales nur dann relevant wird, wenn sie nicht innerhalb der Spanne von ca. 1.7 - 2.1 s liegt, wird sie stets als Kerngröße angegeben, um die Beziehung zwischen einem musikalischen Stil und seinem adäquatesten Aufführungsraum auszudrücken. Nach dieser Zuordnung, die auch vom musikalischen Tempo beeinflußt wird44, verlangt die spätromantische Musik eine Nachhallzeit von ca. 2.1 s gegenüber klassischer Musik mit einem Wert von ca. 1.5 s (nach W.Kuhl)45. Die Ergebnisse der Arbeiten von Winckel, Beranek und Meyer zeigen wiederum, daß die Entstehungszeit optimal beurteilter Konzertsäle mit der Musik, für die sie am geeignetesten erscheinen, koinzidiert (bezogen auf die bereits erwähnten Säle sowie nach Meyer die von Esterhaza und - mit Einschränkung - Eisenstadt).

Musikalische Akustik, Musikpsychologie und Instrumentationslehre

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Den akustischen Hauptwiderpart der Nachhallzeit bildet die Deutlichkeit, da sie am meisten von deren Zunahme betroffen ist. Nachhall führt zu einer Verwischung sowohl gleichzeitiger als auch aufeinander folgender Klänge, so daß sie auch für das Verschmelzen von Klängen verantwortlich ist, wobei die (noch kein Echo erzeugende) Verträglichkeitsgrenze durch die (frequenzabhängige) Zeitkonstante von ca. 50 msec gesetzt ist. Umgekehrt erscheint die akustische Definition der Deutlichkeit nicht völlig identisch. Während Winckel46 sich (nach RThiele) auf das Verhältnis der Schallintensitätsanteile der ersten 50 msec zur gesamten abklingenden Intensität stützt, skaliert Beranek47 vertikale Deutlichkeit als eine über diese Ratio hinausreichende komplexe Größe, die durch die Balance der Instrumentalgruppen, den Verschmelzungsgrad innerhalb des Bühnenraums und die relative Saalresonanz bei tiefen, mittleren und hohen Frequenzen zusätzlich beeinflußt werden kann. Obwohl er Ton- bzw. Klangfülle und Deutlichkeit (fulness of tone und clarity or definition) theoretisch als Komplementärbegriffe einer inversen Relation veranschlagt, zieht er den Hintergrundpegel (ca. 40 dB) nur für die Tonfülle in Betracht 48 . Der Schein monierbarer Inkonsistenz dürfte aber täuschen.Nach Kuttruff ist die Auflösung einer Saalakustik in akustische Parameter ein noch nicht völlig geklärtes wissenschaftliches Problem. Unabhängig davon spielen auch ästhetische Kriterien eine Rolle, indem musisikalische Vorstellungen, die teilweise dem Namen nach mit dem akustischen Begriff konkurrieren - Deutlichkeit, Wärme oder Dichte - in die Saalbeurteilung einfließen. Um sie nicht auszuklammern, versuchen die Autoren zumeist, ihre Bedeutung durch die Befragung von Kritikern und Dirigenten in die Bewertung einzubeziehen. Die Lösung dieser Fragen begründet vor allem jenes musikwissenschaftliehe Interesse, das sich Klarheit über die Beziehung zwischen instrumentationstechnischen oder aufführungspraktischen Maßnahmen und raumakustischen Bedingungen zu verschaffen versucht. Es steht keineswegs fest, wie kontinuierliche Instrumentationsänderungen zu klassifizieren sind. Orientiert man sich an Beraneks Kanon, so verweist die häufig zu beobachtende Baßminderung deutlicher auf eine intendierte Ratio zwischen Direktschall und Nachhall als auf eine reduzierte Wärme (warmth), unter der Beranek das Nachhallverhältnis tiefer (67,125 und 250Hz) zu mittleren (500-1000Hz) Frequenzen betrachtet. Wärme ist eine spezifisch saalabhängige Kategorie, die gegenüber jedem musikalischen Stil wünschenswert erscheint49. Diese Eigenschaft kennzeichnet auch die am höchsten veranschlagte Kategorie, die Intimität (intimacy). Die Verzögerung oder Zeitspanne zwischen dem Direktschall und der 1. Reflexion (initial-time-delay-gap) läßt sich instrumentationstechnisch nicht beeinflussen. Die Lateralreflexionen, an die hierbei primär wegen der geringeren Wegstrecke zu denken ist, sind wesentlich für die räumliche Wirkung verantwortlich und prägen durch das Merkmal binauraler Differenz auch eine Hauptkategorie der Konzertsaalgüte50. Ihnen stehen jedoch keine Versuche Mahlers gegenüber, die Richtcharakteristiken der Instrumente in dieser Hinsicht zu beeinflussen. (Die häufige Anweisung zur Schalltrichtererhöhun§ - sie findet sich auch häufig in Mengelbergs Partituren - zielt auf Direktschallanteile ab 1). Von seinem Experiment abgesehen, die Bayreuther Akustik an der Hofoper einzuführen 52, fehlen in diesem Zusammenhang Dokumente, die Aufschluß darüber geben, inwieweit Mahler Orchesteraufstellungsvarianten erprobt hat. Die Wirkung dieser Maßnahmen zu studieren, blieb erst der nachfolgenden Dirigentengeneration und Erkenntnissen jüngeren Datums53 vorbehalten. Offensichtlich zog Mahler Eingriffe in den Notentext vor, um Deutlichkeit und Balance-Beziehungen festzulegen. Und die Kontinui-

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Musikalische Akustik, Musikpsychologie und Instrumentationslehre

tät, mit der er an den bereits eingeführten prinzipiell festhält, spricht dagegen, anzunehmen, er habe sich je nach Gelegenheit spezifischen Raumbedingungen (oder auch solchen des Orchesters) angepaßt, die an einem anderen Ort der Aufführung ihre Geltung ver~ö­ ren. Vielmehr scheint er eine Formulierung zu suchen, die in einer idealen Weise die Auswirkung akustischer Kategorien einzuschließen hat. Auf diesem Hintergrund, und somit eigentlich uneinlösbar,ist die Lizenz zu beurteilen, die Mahler nach der Überlieferung von Wellesz,S4 dem Dirigenten seiner Werke erteilt.Seine Revisionstätigkeit folgt selber dem Postulat der kasuellen Raumanpassung nicht. Nach den Modellkurven BeraneksSS, die das Kontinuum zwischen Deutlichkeit und Tonfülle skalieren, läßt sich dieses Verhältnis für Mahlers Musik annähernd skizzieren. Sie macht generell mindestens akustische Raumbedingungen erforderlich, die durch eine lange4 Nachhallzeit und eine mittlere Ratio zwischen Direktschall und Nachhall charakterisiert sind. Ihr Resultat bei verschiedenen Lautstärkegraden und Tempi, hohe Deutlichkeit bei einiger Tonfülle (high definition and some fulness of tone) disponiert die klangliche Präsenz einer Reihe von Eigenschaften, die sich auch in der Notation widerspiegeln. Die geforderte rhythmische Präzision macht eine hohe Raumansprache (attackS7) notwendig, insbesondere wenn sie das fundierende Moment polyphoner Stimmtrennung darstellt. Mahlers Hinweis auf seine "Orchestertechnik"S8 und äußerst gesteigerte Pausennotation, artikulatorische Oberfläche und Begleitmoment aller Entwicklungsstadien, versteht sich unter diesem Blickwinkel als Symptom, das den Zusammenhang von der Instrumentation her signalisiert. (Daß die Notation infolge der Kürze der realen, häufig an der Grenze der Integrationskonstante liegenden Klangbildung nur eine vage Andeutung derselben gibt - sie täuscht auch im kürzesten vertikalen Schnitt eine stationäre Klangbildung vor -, widerspricht dem Zusammenhang nicht. Vielmehr deutet sich in Mahlers Notation diese Tatsache durch das Vermeiden des gehaltenen Notenbildes ausdrücklich an). Die Transparenz der Klangbildung stellt eine der empfindlichsten Raumanforderungen dar, da sie auch die Durchhörbarkeit der Nebenstimmenkonstitution zu gewährleisten hat. Mahlers Instrumentation neigt zum Verzicht auf hochgradige Verschmelzung, indem sie deren hervorstechendste Errungenschaften im 19. Jahrhunderts, Pedaltechniken und Tremoli (legati), tilgt und die Gruppenüberlappung reduziert. (Dennoch war er sich der Aufgabe bewußt, die verschiedenen Orchesterfarben vermitteln zu müssen, eine Aufgabeg die er auch in dem "Mangel [begründete], der an der Unzulänglichkeit der Instrumente"S haftet). Dem Maße, in dem der innere Kontrast des Klangaufbaus durch Farbminderung und Frequenzlücken zunimmt, hat ein ebenmäßiger Frequenzaufbau des Nachhallspektrums zu entsprechen, indem er möglichst geringe Farbveränderungen evoziert60 . Die Balance, um die sich Mahler hierbei fortwährend bemüht, ist längst durch die Abkehr von der Generaldynamik gekennzeichnet, so daß die Lebendigkeit der Saalakustik keine frequenzabhängigen Einbußen erleiden darf. Die Tendenz zur Baßminderung erscheint als direktester Hinweis auf die von Mahler intendierte Raumakustik, da sich im Nachhall tiefe Frequenzen generell länger erhalten. Umgekehrt, auf höhere Tonlagen bezogen, scheut er sich entgegen aller modernen, von Strauss und Busoni geforderten durchgängig "sinnvollen" Stimmführung61 nicht, für sich gesehen unvollständige Phrasen zu schreiben, die nur der Brillanz und Hervorhebung dienen.(Eine Beurteilung als unzureichende Kunstfertigkeit hätte zu berücksichtigen,daß

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der Leitsatz in der Formulierung bei Strauss, selbst wenn er der Dogmatisierung entgeht, mehr einen ästhetisch verfestigten Glauben als eine Erfahrungsgrundlage darstellt. Basis der Differenz ist eine veränderte Vorstellung vom Verhältnis Einzelstimme - Orchester). Der Tendenz zur Baßstimmenminderung steht bei den Streichern eine kompensierende Technik gegenüber, die eine Stimme in eine simultane pizzicato- und legato-Ausführung aufspaltet. Das Phänomen, das nur die Impulshaftigkeit, jedoch nicht die Dynamik erhöht, scheint zu den halb psychologischen zu 2ehören, die durch eine technische Raffinesse, hier durch die gleichzeitige Konfrontation6 von Klang und Geräusch, die Wahrnehmung auf sich zu ziehen beabsichtigen. Es dürfte gewiß sein, daß die Anforderungen nicht in allen Momenten erfüllt werden 63 können. Dementsprechend erscheinen einige der Faktoren, die Beranek unter der subjektiven Wirkung der Nachhallzeit (liveness) zusammenfaßt, mehr als andere wünschenswert. Mahlers Revisionstätigkeit spiegelt diesen Sachverhalt,wenn sie auf das Motiv zurückgeführt wird, eine Idealvorstellung umsetzen zu wollen. »Empirische« Bedingungen, die nur der Möglichkeit nach aus den Revisionen rekonstruierbar erscheinen, mischen sich daher stets mit einem Übergewicht an Vorstellungen über Stilistik, instrumentale Rollenund Farbverteilung, so daß sie sich analytisch nicht mehr eindeutig trennen lassen.

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In der Begründung eines Entwurfs der Systematischen Musikwissenschaft m;;tfht Carl Dahlhaus deutlich, daß "die Relation zwischen physikalischer und musikalischer Auffassung des Akustischen kein einfaches Fundierungsverhältnis darstellt,,64. Am Beispiel der »reinen« Stimmung zeigt er, daß sie entgegen ihrem immanenten Anspruch auf überzeitliche Geltung "nahezu unentwirrbar mit wahrnehmungspsychologischen, ästhetischen und historischen Momenten verflochten ist". Der Versuch, den Begriff der Verschmelzung in Instrumentationstechniken und deren Klangbildungen zu begründen, läßt analoge Schwie·· rigkeiten gewahr werden. Je nach Bezugspunkt wechseln die Bedeutungen, deren Zusammenhang nur locker gefügt erscheint. GradabstuDie psychologische Definition durch Carl Stumpf, die fünf festgl~ 6 fungen auf der Basis der grundlegenden Intervallproportionen vorsieht , zielte auf das Empfindungsganze ab, in dem sich unterscheidbare Qualitäten vereinigen. "Ich kann eine Intensität nicht ohne Qualität und umgekehrt empfinden, wohl aber einen der gleichzeitigen Töne auch ohne den anderen. Nur wenn sie zugleich empfunden werden, dann ist es unmöglich, sie nicht als Ganzes, nicht im Verschmelzungsverhältnis zu empfinden,,66. Daß Oktaven den höchsten Verschmelzungsgrad besitzen, macht sich jede Instrumentation zunutze, die zu Oktav-Unisoni greift, um Verstärkungs- oder Farbeffekte zu erzielen. werden - von Indem sie seit der lahrhundertwende mit größerer Vorsicht ~ehandbt 67 Busoni implizit und Schönberg mit systematischem Anspruch 8 vertreten -, spiegeln sie weniger ein geschwundenes Vertrauen in ihre Verschmelzungs kraft als ein geändertes Bewußtsein orchestraler Intensität und Farbqualität. In der Regel bezieht sich instrumentationstechnisch verstandene Verschmelzung jedoch nicht auf Intervallbeziehungen. Die Verfahren, auf die der Ausdruck in instrumentatorischer Hinsicht abzielt, gelten der Verteilung des musikalischen Satzes auf die Orchesterfarben, und sie sind in der phänomenologischen Ausrichtung zugleich kompositionsgeschichtlich und ästhetisch begründet. Sowohl das kompositorische Verständnis der Satzkonstituenten als auch deren ästhetische Funktion sind daran beteiligt, einen homogenen Klang durch abgestufe Verdoppelungen und eine ausgewogene Lagendisposition zu erzeugen. Das lückenlos und beständig über das 19. Jahrhundert ergänzte Instrumentarium stellt hierbei zwar eine instrumentationsgeschichtliche Voraussetzung dar, ist jedoch als Moment im Begriff selber nicht enthalten. Von der Lehre Nikolay Rimsky-Korsakovs wäre zu erwarten, daß sie auf die Entwicklung der Orchesterzusammensetzung Bezug nimmt, um sie als Voraussetzung seines Klangideals orchestraler Ausgewogenheit und Klangfülle darzustellen. Er beschränkt sich aber auf eine ausschließlich quantitative Klassifikation der Orchestergrößen. Daß er die Funktion der Randlageninstrumente als gesteigerte Möglichkeit zur Verwirklichung seines Ideals dennoch genau einzuschätzen weiß 69, wird darum erst an einem Beispiel deutlich. Bei 3- und 4-stimmiger Holzbläserharmonie in weiter Lage behauptet er den Vorrang einer "gemischten" Schreibweise, die auf diese Randlageninstrumente zurückgreift, vor einer farblich einfachen oder zweifachen der klassischen Besetzung70 . Die Präferenz wird verständlich, wenn eine bestimmte Voraussetzung gilt. Sie erklärt einen "guten Klangs" oder, genauer in der englischen Ausgabe, eine "befriedigende Resonanz,,71 abhängig von der Beziehung zwischen der Lage der Akkordtöne und der sie ausführenden Orchersterinstru-

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mente. Die Maxime, die beispielsweise fordert, daß eine Baßstimme auch stets einem Baßlageninstrument übergeben wird, kalkuliert ein, daß durch die enge Zuordnung von Lage und Instrument die Farbdivergenz im Ganzen zunehmen muß. Rimsky-Korsakovs Ausdruck einer "befriedigenden Resonanz", die nicht akustische meint, macht die Schwierigkeit der sprachlichen Bezugnahme auf den Höreindruck bewußt. Er enthält mit Dahlhaus ein Substrat, das aus verschiedenen Blickwinkeln eine verschiedene kategoriale Deutung erhält. Helmut Rösing sucht die Kluft zwischen der akustischen Analyse und ihrer Bedeutung für das musikalische Hören durch einen 4-fach abgestuften Beschreibungsapparat72 zu überbrücken,der in sonagraphischen Unte~such­ gen fundiert ist. Stets dessen eingedenk, daß eine Beschreibung als Summe der .EInzelheIten fehlginge, macht er dabei eine Voraussetzung, die auch Stumpfs FundIerung des Verschmelzungsbegriffs motivierte. Die verbale Lösung, die ein klangliches Kontinuum zu gruppieren sucht, um ihre Anwendbarkeit von Bach bis zu elektronischer Musik zu zeigen, hebt die satz- und instrumentationstechnisch verstandene Verschmelzung auf. Trotz der Absicht dieser sprachlichen Beschreibung, den Höreindruck einzuschließen, ist als Kriterium der Unterscheidung die sonagraphische Analyse anzusehen. Sodann erneuert diese Lösung aber auch die Frage nach der Fundierung des Verhältnisses. Es wäre übertrieben, in der akustischen Erklärung der Verschmelzung bereits die Forderung Hans-Peter Reineckes73 erfüllt zu sehen, nach der die historische und psychologisch-funktionale Betrachtung musikalischer Kategorien stets ihrer Rückführung auf akustisch-physiologische Tatsachen vorauszugehen habe. Dennoch korrespondieren die Ergebnisse der spektralen, auf Verschmelzungsgrade abzielenden Analyse Rolf-Dieter Weyers74 auffällig mit jenen, die aus traditioneller instrumentationstechnischer Sicht zu erwarten wären. Im Vergleich zeigt sich, daß die Orientierung an der Hüllkurve der verschmelzenden Elemente offenbar Merkmale einschließt, die auch die Instrumentationstechnik zugrundelegt. Decken sich auf der einen Seite Formanten75 oder hervortretende Partialtöne, so auf der anderen Seite prominente Akkordtöne, denen durch ihre Instrumentation ein bestimmtes Gewicht verliehen wird. Beide Seiten setzen einen Klangaufbau voraus, bei dem nur zu tiefen Frequenzen hin die Intervallgröße zunimmt. Die akustische Erklärung scheint somit imstande, einen Hauptaspekt der verfeinerten Orchestertechnik im 19.Jahrhundert zu begründen, ohne daß beide Seiten ineins zu setzen sind. Die Instrumentationslehre kennt zudem zwei andere Verfahren, die am ausgeprägtesten von Rimsky-Korsakov systematisiert werden, um klangliche Einheit zu erzielen. Deren Homogenität beruht darauf, daß sich bestimmte Orchesterfarben auf der Basis eines gemeinsamen Lagenverhältnisses miteinander verschränken oder eine von der anderen eingeschlossen wird76 . Das für Rimsky-Korsakov sekundäre Modell korreliert mit jener ak;Ustischen Erklärung77, die sich nicht auf eine kontinuierliche und parallele Hüllkurve d~r verschmelzenden Komponenten bezieht, sondern auf deren Gegenteil, die Komplementarität spektraler Komponenten. Im Kontrast der beiden Erklärungen bleibt die Differenz der Bezugsgrößen, Partial- gegenüber Akkordtönen, um so deutlicher bestehen, und sie verhindert die Identifikation von Instrumentierungsweise und akustischer Erklärung, die sich zunächst aufdrängt. (Auch der Grundsatz Rimsky-Korsakovs, nach dem Vorbild der Naturtonreihe78 in der Klangbildung Tonhöhe und Dichte proportional zu behandeln, schließt diesen Unterschied ein).

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Die ästhetischen Prämissen, die in dem Begriff der Verschmelzung wurzeln, treten am deutlichsten in den satztechnisch »systematischeren« Instrumentationslehren zutage. Sie hervorzuheben, dient nicht nur der Aufgabe, die theoretische Verwicklung eines,J3egriffs zu zeigen, sondern auch seine Beziehung zur Instrumentation Mahlers aufklären zu helfen. (Mit aller Vorsicht gegenüber der vereinfachenden Klassifikation läßt sich zumindest behaupten, daß eine entgegengesetzte Systematisierung nach Berlioz' Muster das Wesen der Orchesterinstrumente zu verfolgen sucht, das sich in beispielhaften Ausdruckscharakteren niederschlägt. Die Aspekte schließen sich nicht aus, so daß ihre Durchdringung auch »Mischformen« möglich macht). Johann Christian Lobe, der durch seine Gespräche mit Carl Maria von Weber seine Kenntnis instrumentatorischer Probleme dokumentiert, ist dennoch wie Hugo Riemann kein Theoretiker der Errungenschaften des 19. Jahrhunderts. Die Instrumentation der Wiener Klassiker einschließlich der Webers und Luigi Cherubinis dient ihm zur Begründung eines Ideals, das auf "Wohlklang" ausgerichtet ist. Jener fußt, ohne daß die Differenz zwischen Weber und den Klassikern vollends zum Vorschein käme, auf den "Mitteln, wodurch er überall von wenigen Instrumenten an bis zu allen verbunden hervorzubringen ist,,79. Die zentrale Funktion, die der Verschmelzungsbegriff für alle Instrumentation BO besitzt , begründet seine Möglichkeit, als Ideal ein Teilmoment der klassizistischen Ästhetik Lobes darzustellen. Jede Erwägung der Balance, Farbmischung und Dichteverteilung klanglicher Komponenten muß sich an dem Verschmelzungsgrad orientieren, den ihre Verbindung erzielen soll. Lobe bezeichnet ihn in Erinnerung an Weber als ''Totalklangfarbe", "Klangcharakter" oder ''Totalklang,,8\ und Mozart gilt ihm als der erste Komponist, der durch jene Mittel des Wohlklangs "seinen Gedanken diesen Schmelz einer zauberisch wohllautenden Gesamtstimme einhauchte,,82. Der Versuch, die Mittel in gehäuften Analysen darzustellen, mündet bei einigen Beispielen zugleich darin, sein ästhetisches Fundament freizulegen. Die Beethovens Egmont-Ouverture angeratene ausgewogenere Verteilung der Verdoppelungen83 und die 84 aus der Komponentialzerlegung erklärte Wirkung der Ouverturen der Zauberflöte und des Freischütz manifestieren ein idealisiertes Höchstmaß klangbildender Homogenität. Und indem er auf den generellen Ausdruck, den ''Totalklang'', verzichtet und die konkretere Beschreibung der "harmonischen Fülle" oder der Weber eigentümlichen "kräftigen Kolorierung" wählt, läßt er die subjektiv bezeugte Gewichtung der Proportion aus Lage,Dichte und Farbe erkennen. Das Kriterium jedoch, das er für die Genese des "kräftigen" Klangcharakters Webers anführt und an dessen späterer Verallgemeinerung als 85 Lehrsatz seine Ästhetisierung und vorausgegangene kompositionsgeschichtliche Entwicklung teilhat, macht Distanzen meßbar. So sehr Mahlers Instrumentation Beispiele der Bestätigung anführen läßt, kehrt sie sich dennoch zunehmend von der Maxime ab, 'Jede einzelne Instrumentalpartie so zu setzen, als sollte sie nöthigenfalls allein erklingend eine befriedigende Klang und Akkordfülle hören lassen,,86. (Die Bedeutung der Maxime wechselt im Hinblick auf den für sie in Anspruch genommenen Geltungsbereich. Als Tutti-Generale verstanden, verlagert sich der Akzent der Formulierung Lobes, der sie nicht als Tutti-Spezifikum interpretierte, auf das "Befriedigende" der "Fülle"). Auch die Probe am Gegenbegriff läßt - nahezu zwangsläufig - das ästhetische Fundament hervortreten. Selbst wenn die Darstellung des Kontrasts kaum deskriptive Kategorien übersteigt, zeigt sich, daß er in einer Auffassung gründet, die noch mit rhetorischen

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Vorstellungen verbunden bei den Klassikern geschult wurde. D~e funkti~ale Trennu.ng zwischen dem Thema und seiner Begleitung verlangt - nicht wemger als die von verschiedenen musikalischen Gedanken - eine Klarheit und Deutlichkeit, die nicht durch übermäßige Ein- und Überleitungen verwischt werden darF6a. Der pejorative Einschlag dürfte, selbst wenn er sie nicht anführt, schon aus dem Widerspruch zur Kunst Wagners gewonnen sein, die als geschichtlicher Höhepunkt instrumentationstechnischer Verschmelzung anzusehen ist. Für das ästhetische Moment der Verschmelzung an dieser Stelle noch Rimsky-Korsakovs Lehre anzuführen, begründet sich nicht nur dadurch, daß er das Homogenitätsideal Lobes und den Grundsatz thematischer Abhebung teilt87, sondern weil die Gegenüberstellung auch zeigt, daß die Idealisierung eine Abstraktion enthält, zu~dst ~öglich macht· denn das "musikalische Idiom" Glucks, Haydns und Mozarts erschemt Ihm zu altmodis~h,8 um als Anschauungsmaterial moderner Instrumeai~ dienen zu ~ön1l. Daß Berlioz auf die theoretische Darstellung orchestraler KlangbIldungen verZIchtet , leuchtet angesichts solcher von Rimsky-Korsakov nur verschärften äst~echn V~rent­ scheidungen ein, die nahezu zwangsläufig notwendig werden. AndererseIts 1st auch dIe t.raditionsbildende Konzeption von Berlioz nicht ohne »ästhetische Immanenz«. Seme Vorgabe,daß die Instrumentationslehre vordringlich d.as W ~en der Inst~?-e,§ö Gestalt ihrer "Natur des Klanges", ihres "Charakters" und Ihrer AusdrucksfahIgkeIt ,deren Nuancen ihm besonders naheliegen, zu benennen habe, enthält ästhetische Konsequenzen, die in symphonischem Kontext irritieren können. Rimsky-Korsakovs Modernität fußt auf der Erfahrung des (1.) "Axioms, es gebe im Orchester keine häßliche Tonqualität',91. Es verdeckt einen Teil der ästhetischen Prämissen die dennoch in der Verfeinerung des technischen Apparates erkennbar bleiben. Der (au~h vom Herausgeber ergänzte) Beispielband ist zu d!es~ Zweck als quasi »theoretisches Potential« in die Bilanz einzubeziehen. Der VergleIch mIt Strauss und Mahler erhellt mehr als die Art der Verschmelzungspräferenz Rimsky-Korsakovs. Er dokumentiert auch Züge des gewachsenen historischen Standards. Obwohl er auch durch Debussy mitdefiniert wird kann dieser ausgeklammert werden. »Impressionistische Instrumentation« im Sinne Deb~sy ist Mahler, auf den der Vergleich letzi~h abzie~t, nahezu frem~92, we~?lich sich sonderbarerweise seine spätere mit dem auf OkonomIe bedachten StIl franzosIscher c1arte begegnet. Die Orchestration der Trois Gymnopedies Eric Saties durch Debussy kann als Musterbeispiel instrumentaler Minimalisierung gelten. Der Klang des Orchesters Rimsky-Korsakovs ist in der Regel zugleich gesättigter und koloristischer als der Mahlers93. Die Gründe sind aber weniger in der Tatsache zu suchen, daß jener zunehmend einer polyphonen Schreibweise verpflichtet ist, die von Rimsky-Korsakovs Lehre gar nicht thematisiert wird. Eine direkte Vergleichbarkeit muß ohnehin von Fällen gleicher kategorialer Ordnung - Melodie und Harmonie - ausgehen. Den zentralen Aspekt bildet die Differenzierung des internen Kontrasts der Klangbildung aus (quasi) stationären und nichtstationären Klängen oder - traditionell gesprochen - ~edal­ und Liegestimmen gegenüber figuraler Begleitung. (Gründet nach Adam Carse94 dIe Geburtsstunde moderner Instrumentation in der Einführung der Funktiosel~, die bei den Blechbläsern technisch bedingt war, so ist sie bei Scarlatti, Rameau und Bach9 bereits schemenhaft vorgebildet).

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Obwohl der Gegensatz als akustisch definierter auch für ihn eine virulente Bedeub~i Mahle: kaum solche ~nstrumeaio wie die der Beispiele tung"besitzt, wird m~B6 a~s Pan Voyevoda fmden. SIe enthalten em Grundkonzept der Klangdispo~t Rimsky-Korsakovs ~- und b~zeugn die Vorliebe für das Cello-Hochregister). Es b~ruht darauf, den harmomschen Hmtergrund mehrfach zu figurieren, wobei sich die gleichzeitig an verschiedenen und mitunter auch gekoppelten rhythmischen verbundenen M?de~l Grundwerten onentteren. (4 Takte nach Z.134 repräsentieren die Hörner die Viertel die Harfe Ach~el und Sechzehntel und die Violine und Viola eine Kopplung aus denseiben Wert.en. DIe ~panug zum quasi-stationären Klang wird durch die Baßstimme realisiert. Da die melodIsche Lage bereits stark besetzt ist, verlangt sie eine farbliche Abhebung). . . Das.Resultat der Klangbildung, eine hochgradige, durch simultane lagengegenläufigkeIt forCierte Verschmelzung, macht die Differenz zwischen einer stimmlichen und flächig~,n Konzeption fast zunichte. Die Kunst dieser Klangtechnik der rhythmischen Auffacherung und Aufhebung traditioneller Figurationsverfahren erlaubt aber auch dem 'Yuns~h ~achzukomen, ~ußergwöhnlic Klangfarben 'zu integrieren, und sie e:Weist SIch haufig ~eradzu ,als seme Gegenkraft. Das Ausmaß, in dem sie heterogene farbliche Elemente bmdet, zwmgt dazu, theoretisch eine satz- und lagentechnische von farblicher V~rschmelzung zu tren~, deren Differenz sich bereits im Ansatz bei Lobe zeigte. Nur Rimsky-Korsakov sucht dIesen Gegensatz annäherungsweise systematisch durchzuführen,id~ er ~enso die Wirkung von Klangfarbenverbindungen wie die von lagentechnischen DISpOSItIonen zu beschreiben versucht. Seine Neigung zu diesem Modell des Klange~rfs reflektiert e.r nicht, was sich auch dadurch begründen läßt,daß es in tieferen ~ompsitnche Entsc~eIdg wurzelt, die sich zudem an Kategorien wie der stimmonet~r. ,Er beschr~t ~ich auf den Hinweis differierender Pelichen FO,rtscheIu~ d.alk~ngTex,mren . Das asthettsche Kalkül dIeser Instrumentationstechnik, die den smnlichen ReIZ betont, scheint präzise erwogen. Fälle, in denen neben dem farblichen Kontrast auch, di~ Pol~itä ~schen »Pedal-« und figürlichen - »nicht-stationären« _ Klängen hoc~graI ~vrgIen, SI~? s~lten. Die Mäßigung in der gegenseitigen Abhängigkeit er~chet sinnfälliger und zusatzhch vom Tempo abhängig. So zeigt sich die Verschmelzungsmten.~IO des Verfahrens gerade darin, daß sich mit langsamem Tempo die Auffächerung verstarkt.

Rimsky-Kora~ ist nicht ~er ei~g Komponist, der nach Liszt und Wagner . kultIVIert. Er verdIent hIstorisch auch von seinem akustischen Ursprung dIesen Geg~nsatz her akzentUIert zu werd.en, da er offensichtlich die Bedingungen des Umgangs mit dem ~roßen oder »RoI?anttschen« Orchester (Wellesz) mitbestimmt. Richard Strauss hat dI~sen Gegensatz b~s zum Höchstmaß ge~tir, wobe~ eine technisch bedingte Freizügigkeit den M~stab bIldet. Indem er »MotIV«-Sphtter semer Themen in den Begleitkontext der Haupts~lfien verlegt, gelangt er zu nahezu unbegrenzter Mobilität und Variabilität d~r ~angbI.ldu, weil er zugleich traditionelle Verfahren der Motivverwandlung absorbiert .. In em~ Mißverständnis monierte Carse die mangelnde Transparenz seiner sym:pho~cen Parttturen, das auf der (unausgesprochenen) Prämisse basierte, die scheinbar motIvs~he Fragmente seien auf dem Hintergrund der formalen Genese zu hören99• Sie lassen SIC~ Jed~ch aus de.r Aleingütk~ dieser Verpflichtung lösen, wenn ihnen zuge~tande Wird, e~n funktIOnalen DoppelSInn zu erfüllen, der zwischen einem formalen und mstruenao~ch Phänomen wechselt. (In diesem Fall wäre eventuell unzureichende Balance, aber mcht ,mangelnde Transparenz der Stimmen zu beanstanden). Aus diesem

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Widerspruch zwischen einer thematisch-motivischen Herkunft und sporadischen Geltung als bloße Begleit- oder»Verschmelzungsfigur« erwächst als Kehrseite eine Umwertung der traditionellen Motivtechnik, deren Bürgschaft formalen Zusammenhangs gelockert erscheint. Mahler ist in der Regel einfacher, ohne daß seine Instrumentationstechnik als »nicht auf der Höhe der Zeit« zu beurteilen wäre. Seine instrumentatorisch virtuoseste Partitur, die Siebte Symphonie, kommt in der Art ihres auch an Bruckner erinnernden Einsatzes des punktierten Einleitungsmotivs nahe an den Umschlagspunkt von Farbe in Rhythmus. Die Trennschärfe ist geringer als die koloristisch im Höchstmaß exponierte Trompete der Sheherazade Rimsky-Korsakovs - die Heinz BeckerlOO als historischen Markstein hervorhob, weil Mahler im Gegensatz stets motivisch denkt. Die Verklammerung, die durch die rhythmische, zwischen Vergrößerung und Verkleinerung wechselnde BeziehunglO1 entsteht erfaßt alle formalen Stationen des Satzes, um vor der ersten Episode der Durchführung i02 isoliert in der 1. Trompete hervorzutreten. Mit Vorliebe neigt er in seinen übrigen Partituren dazu, solche Überleitungsfunktionen direkt einem Schlaginstrument anzuvertrauen. Indem deren Gruppe, bunt besetzt, an dem Motiv partizipiert, macht er die sporadische Überwindung der Gruppentrennung evident. In der zweiten der beiden höchst timbrierten und durch die Stimmungsnuance initiierten Nachtmusiken wird der Einsatz der Klarinette Rimsky-Korsakov direkt vergleichbarl03 . Der Streichersatz, der die Arie des Pater ecstaticus begleitet, verlangt nicht anders als die beiden Adagio-Sätze der Neunten und Zehnten Symphonie trotz gewachsener Stimmenanzahl sowie Schärfe und Distinktion des »motivischen« Kontinuums eine größere Wahrnehmungsunterscheidung der polyphonen Struktur als Strauss. Die Forderung nach differenzierter Wahrnehmung leuchtet bei vokaler Führungl04 unmittelbar ein. Dennoch sieht sie sich im zweiten Satz mit Figural- und Pedaltechniken, denen Busonis Instrumentationsentwurf ein eigenes Kapitel zuzuweisen gedachte 105, konfrontiert. Daß sich die p'olyphone Struktur durchsetzt, obwohl sie Wagners Kunst der StimmentlehnunglO6 aufnimmt, läßt die Tendenz zur Abkehr von klanglicher Verschmelzung um so nachhaltiger wirken. War sie bei jenem mit der Aufgabe betraut, das Orchester organisch zusammenwachsen zu lassen, indem sie die Stlmmenvielfalt durch Kombination zweier oder mehrerer in einer potenzierte, so scheint sie bei Mahlervom entgegengesetzten Standpunkt motiviert, der sich auf der Basis von Stimmtrennung um Zusammenhang bemüht. Dennoch kennt auch Mahler den um orchestrales Relief bemühten Typ des Verschmelzungsl07 klangs . Der Verzicht, der im Vergleich in der Schlichtheit des Andanteder Zweiten Symphonie zutage tritt, begründet sich am ehesten stilistisch. Eine Erklärung aufgrund bislang mangelnden Könnens griffe angesichts des symphonischen Niveaus zu kurz. Die oben erläuterte Grundpolarität ist vorhanden, aber sie kommt im Vergleich zu Rimsky-Korsakov weniger differenziert heraus l08. Der flächig entworfene Streichers atz, dessen Notation seine Nähe zum Tremolo verbirgt, entfaltet einen einfachen Kontrast zur klar exponierten Melodiestimme. Klangsinnliche Attitude bleibt bemessen oder ausgespart. In den Kindertotenliedern, deren Reduktion Züge der letzten Werke vorausnimmt, beschränkt sich das zweite auf eine Begleitung, die nahezu ausschließlich Arpeggio und Pedal in rudimentärer Konfrontation bindet l09 . Die Ökonomie des Hinreichenden bewahrt vor der Inflation musikalischer Substanz. In der Coda erwirkt solche Haltung auch eine Spur überschüssiger Bedeutung. Die durch sukzessive Brechung angehaltene Bewegung erweckt die Wiedervereinigung im FinalklangllO.

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Der zweite Aspekt, der den Verschmelzungsbegriff betrifft, beinhaltet die orchestrale Lagendisposition. Rimsky-Korsakov widmet ihr, wie bereits Lobe, größte Aufm~rk­ samkeit. Sie begründet sich zwar durch eine korrekte Fortschreitung der harmonisfhen Stimmen, ohne hierdurch zureichend erklärt zu sein. Seine krude Behauptung, daß "inchts schlechter" sei, "als Akkorde zu schreiben, in denen obere und untere Stimmen durch weite, leere Intervalle getrennt sind"l11, läßt die ästhetische Gesinnung an die Oberfläche treten. Die didaktischer Abstraktion entstammende Klassifikation (nach Anzahl und Lagendisposition der Stimmen) schließt eine Bewertung ein, die als Gegenstand seiner Lehre weniger ein Spektrum umreißt, das unterschiedlichen ästhetischen Positionen eine Auswahl ermöglicht, als daß es eine solche bereits voraussetzt, zumindest nahelegt. Auch bei Mahler scheint die ästhetische Einstellung für die Verletzung dieses Grundsatzes verantwortlich. Seine Klangvorstellung schließt Phänomene ein, zu deren Integration eine Instrumentationslehre kaum fähig scheint. Er kalkuliert mit schwachen Registern, »spröden« Klängen, die den kontinuierlichen Lagenanschluß aufgeben und Frequenzlücken enthalten, und mit gewissermaßen »mehr-fokalen« Gewichtungen, die die sichere, auch physiologisch begründete konzentrisch-mittelachsige Anlage des orchestralen Klangs vorübergehend aufzuheben suchen112. Ein Blick auf den Höhepunkt vor dem Einschub des dem ersten Satz entstammenden "Erdemestes" im zweiten Satz der Achten Symphonie 113 bewahrt vor dem Mißverständnis, Mahler sei nicht mit den konventionellen Methoden vertraut gewesen, ein Tutti für das Große Orchester zu entwerfen. Die tieferen von den höheren Holzbläsern zu separieren, um in den Zwischemaum die thematischen höheren Blechbläser (insbesondere Trompeten) einzufügen, und die Streicher lagenkorrespondent zur Verstärkung heranzuziehen, ist eine auch RimslcY-Korsakov gebräuchliche Disposition. Die aus der Adagio-Einleitung hervorgehende114 "schwankende Waldung,,114 ist demgegenüber ein ins trumentationstektonisches Unikat, dessen wesentliche Eigenschaften in späteren ariosen Partien (der Magna Peccatrix, Mulier Samaritana und Maria Aegyptiaca) noch einmal wiederkehren. Der äußerst gespannte Klang beruht auf einem breitmaschigen Netz von fünf Oktaven mit unterschiedlichem Präsenzgrad. Das verschmelzungsstärkste Intervall realisiert das Rudiment eines klanglichen Zusammenhangs, dessen »Tiefenschärfe« sich mit Frequenzzunahme diskontinuierlich verändert. Er vertauscht die figürlichen Ebenen. Im Baßbereich thematisch-»Vordergründig«, wird er in der Hö chstlage (es 2 - es3) ein äußerst sanfter Liegestimmen-gestützter Tremolo-»Hintergrund«.(Die Verbindung wird zudem durch die motivische Augmentationsbeziehung geknüpft, die das Glied einer weitgespannten Transformationskette bildet116). Das spatiale und funktionale Vermittlungsglied formen die beiden deklamatorischen Choreinsätze. Indem sie das in der äußersten Baßlage nur virtuell gegebene Oktavgerüst real fortsetzen, repräsentieren die Basis, an die sich das Violin-Tremolo mit Verschiebung der Ebenen anschließt. Die Klangbildung resultiert in einer polaren Anlage mit einem melodischen Zentrum in der Baßregion und einem in der äußersten Hochfrequenzlage. Offenbar nicht auf das Verschmelzen ihrer Komponenten ausgerichtet, tritt sie vielmehr als Kennzeichen einer äußerst gespannten und konstruktiv erwirkten Sensibilität in Erscheinung. Weniger in sich ruhend, nimmt das Ausmaß an kontextueller »Begründung«, dessen die Klangbildung bedarf, zu. (Die scheinbare Tautologie der Formulierung läßt sich ent-

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kräften. Auch der ruhende Klang entbehrt nicht des Verlangens, musikalisch begründet zu sein). Der Tutti-Klan ,von dem das Arioso des Pater p:r0fundus seinen or~hestaln ~us­ 11 f gangspunkt nimmt , findet Rimsky-Korsakovs ZustImmung. Schon bel dreI-paangen Holzbläsern attestiert er eine vollkommene Balance im Unisono 118. Mahler respektiert sie offensichtlich, da er die hervorstechenden Oboen nicht an dem Tremolo legato beteiligt. Die unmittelbar anschließende instrumental zerklüftete Ausgestaltung des Allegro appassionato, nahezu bar jeder Möglichkeit, sie auf Rimsky-Korsakovs Grundsätze zu beziehen, scheint demgegenüber allein Ausdruck des Affekts. Das Prinzip der Klangspreizung kumuliert im ersten HÖhepunkt119. Für sich verschmelzen hochgradig Klarinetten (im Tiefregister) und das ablösende Fagott sowie Viola. Sie bilden jedoch nur die Spur einer harmonischen Andeutung. Alle Transparenz, die Satz und Instrumentation fast voneinander unablösbar macht, gilt dem Kanon der sich in Tenorlage zwischen Baß-Hochregister und 1. Posaune kreuzt, und im Höchstregister von Violinen und Flöte auf Brillanz bedachtl20 vorausgenommen wird. Bilden sich zwei kontrastierende Zentren mit dem Übergewicht der Tenorlage, deren Dominanz durch den einzigen harmonischen unterhalb ihrer gelagerten Verschmelzungsklang unterstützt wird, so verschärft sich dieser Eindruck aufgrund der beteiligten Extremregister. Nur der Vokalbaß bleibt ungedeckt. Die Annahme, daß solche klangliche Anlage aus einem Zentrum heraus entwickelt ist - und zu ihm zurückfindet -, erscheint spekulativ. Dennoch existieren Spurlinien klanglicher Art. Die noch geringste ist der Sprungauftakt, der - der Vokalstimme entnommen offensichtlich die Teilung der ersten Violinen motiviert und mit der verstärkenden Flöte sukzessiv Register und Lage vorbreitet. Auch die Glissandi bauen darauf, die Wahrnehmung auf die Hochfrequenzlage vorzubereiten. Stärker erscheint der halb offene, als harmonische Grundierung angelegte Übergang im Unisono von den Klarinetten über die gestopften Hörner zu den Violen121. Ihre Lage zentriert den Frequenzumfang der Klangspreizung, um sie in zwei ambitionierten Verschmelzungsklängen (zwischen tiefen Klari122 netten und Posaunen sowie hohem Fagott und tiefen Violinen) zu sammeln . Es kostet eine gewisse Mühe, um einzusehen, daß der Verschmelzungsbegriff auch innerhalb der Instrumentationslehre weniger einen objektiven Standard darstellt, als eine mit wechselnden Techniken realisierte Klangvorstellung. Sucht man das ihnen gemeinsame Substrat auf, so scheint es zwar mit den akustischen Bedingungen der Instrumente zu rechnen. Sie werden jedoch stets von kompositorischen Entscheidungen »überformt«, die aus dem Wechselspiel zwischen ästhetischen Maximen und historisch gewachsenen Klangbildungen resultieren. Arnold Schering 123 prägte im ersten Drittel dieses Jahrhunderts das Begriffspaar, auf das sich die erörterten Phänomene beziehen lassen. Vom "Verschmelzungsklang" ausgehend, setzte er ihm den "Spaltklang" entgegen, um auf dieser Polarität eine historische These zu begründen. Nach ihr konstituiert die Musikgeschichte eine wechselweise Idealisierung der beiden in der begrifflichen Polarität enthaltenenen Klangvorstellungen, die in kompositorisch differenten Satztypen manifest werden. Die These ist interpretatorisch »offen«. Sie legt sich weder auf eine Periodisierung fest, noch ist das Beschreibungsniveau der fundierenden Typologie definit124. Der Verallgemeinerungsgrad beinhaltet aber umgekehrt die Möglichkeit, die These auf sehr unterschiedliche Klangphänomene vom Organum über barocke Mehrchörigkeit bis zum »romantischen Verschmelzungsklang« zu beziehen. Rösing125 macht ihn evident, indem er den typologischen »Horizont« ethnogra-

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phisch erweitert, um aus der Gegenüberstellung von javanischem Gamelan- und japanischem Palastorchester die abendländische Klangentwicklung bis in die jüngste Zeit einsehbar zu machen. Alfred Lorenzl26 mißversteht andererseits die Absicht Scherings, ind.e'm er den historischen Gehalt seiner Aussage auf einen zyklischen Rhythmus festlegt. Als Ergänzung zu Schering sieht er sich jedoch vor allem veranlaßt, die terminologische Polarität zugleich in die Horizontale, als Gegensatz von "Gruppen-" und "Übergangsprinzip", zu verlegen. Mit diesen beiden Hauptaspekten ist das »Grundraster« gegeben, in das sich alle Instrumentationstypen einordnen. Unterstellt man die Geltung der Polarität, dann vollzieht sich in Mahlers Werk ein Epochenwechsel, der wesentliche Eigenschaften barocker Klangbildung wiederbelebt. Der Gedanke der Wiederkehr eines Epochenrhythmus bleibt jedoch relativ abstrakt, da Mahlers Instrumentation durch sein Ideal der Deutlichkeit zugleich an das klassische Ideal anknüpft, abgesehen davon, daß er Instrumentationserrungenschaften des 19.Jahrhunderts aufbewahrt. Daß sich im Werk Mahlers schon nach dem geltenden historiographischem Standard ein Wandel der Klangvorstellung vollzieht, der nur vereinfacht aus einer Malaise mit dem Organ des Großen Orchesters erklärt werden könnte, ist zumindest unverkennbar. IH Das oben angeführte Beispiel zur Achten Symphonie 127 ließe sich unter musikpsychologischem Gesichtspunkt zweifach interpretieren. Indem es durch den Tonhöhengegensatz die Klanghelligkeit polarisiert, hebt es zugleich von dieser Eigenschaft die l28 Tonigkeit ab. Der konstante, in allen Lagen vertretene Oktavbezug »stützt« gleichsam von »innen« die Differenz der Helligkeit ab. (Nach Albert Wellek ist die Tonigkeit besonders für die Mittellagen relevant, während die Helligkeit die Randlagen dominiert 129). Die Anwendung musikpsychologisch begründeter Merkmale an den Klangerscheinungen gelingt nicht durchwegs so schlüssig. Klänge auch an den übrigen Merkmalen ihrer Dichte, ihres Volumens, Gewichts, ihrer Fülle und ihrer Nähe zu unterscheiden, gelingt nicht, da es unmöglich ist, sie anhand eines definitiven Kriteriums zu quantifizieren 13O• Einzig die Klanghelligkeit wird von Wellek als mittlere Helligkeit der beteiligten Teiltöne erwogen und somit scheinbar meßbar, ohne daß eine solche Komponentialanalyse auch für die anderen Merkmale sinnvoll erscheint. Bei der Klangnähe bleibt fraglich, ob die schon von Stumpf aufgestellte Relation der größeren Nähe tiefer und breiter Töne auch für die Klangfarbe generell gilt. Als zweite Frage stellt sich, ob sie auf das von Wellek angeführte Kriterium der Extremlagen beschränkt ist131. Das Phänomen der Vokalität, als letztes Merkmal, mittels dessen sprachlich aufInstrumentalklänge Bezug genommen werden kann, wird von ihm an Sinustöne gebunden, da es in komplexen Klängen verdecktwird132. Eine konsistente, an Distinktivität gebundenen Merkmaltheorie, wie sie die jüngere Phonologie seit Chomsky/Hall entwickelt hat, hätte den Vorteil, instrumentatorische Veränderungen in ihrem internen Verhältnis auf der Basis dieser Merkmale systematisch aufeinander beziehen zu können. Eine direkte Konfrontation läßt jedoch schon erkennen, daß

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sich die auf künstlerische Überlegung zurückzuführenden instrumentatorischen Veränderungen nicht gewissermaßen auf Achsen bewegen, die sich zwanglos durch die musikpsychologisch begründeten Begriffe definieren lassen. Ohne daß dieser theoretische Entwurf zur Gänze durchgeführt werden kann, dürfte der Rückschluß auf ein differentes funkti~­ nales Verhältnis zwischen Musik und Sprache nicht fehlgehen. Die Bezeichnungsfunktion zwingt die Sprache offenbar zu einer Systematik, der sich musikalisches Denken entzieht. Das folgende Beispiel möge exemplarisch die Schwierigkeiten des sprachlichen Bezugs auf klangliche als instrumentatorische Veränderungen zeigen. In 4 wesentlichen Schritten verändert Mahler den Beginn des Trios aus dem 1. Satz der Fünften Symphonie 133 . In der EA-Dp verstärkt er die Endungen (T.155/159) durch Unisono-Führung der Viola und Oboe, und die 1. durch die 2. Violinen (T.156-158, T.160ff). In der M-Dp treten die gestopften Hörner (T.159) akzentuierend hinzu. Die W -Dp verändert die Dynamik der l34 dreifachen Baßstimme durch ein diminuendo mf (T.156f) und streicht die Hörner (ab T.161). Die NA tilgt die Violen (T.159) und die Verstärkung der 2.Violinen (T.156-159) und führt die Hörner (T.161) gestopft wieder ein, daneben tilgt sie die Tuba (T.155-160). [Die letzte Stufe in der Gesamtausgabe ist unerheblich. Sie streicht die nach der W -Dp eingeführte dynamische Zurücknahme der Violinen die trotz Streichung der zweiten Violinen in den Neudruck geraten ist (dirn mf, T.156f)i 35]. Zusammenfassend bleibt also als 1. Schritt eine Verstärkung der Violin-Hauptstimme neben dem 2., der ihre Endungen hervorhebt. Der 3. Schritt reduziert die harmonische Begleitung und die Baßführung (diminuendo). Die letzte wesentliche Änderung behält die Tendenz der Hauptstimmenbetonung bei, differenziert sie jedoch erneut mit einer leichten Zurücknahme. Wellek nimmt mit Stumpf bei phänomenal gleichzeitiger Präsenz der Merkmale ihre theoretisch unabhängige Variabilität an l36 . Sie differenziert sich durch eine erheblich gesteigerte Unterschiedsempfindlichkeit für Tonhöhe und Helligkeit. Dennoch läßt sich auf dieser Basis nicht entscheiden, in welchem Ausmaß sich mit der zunehmenden Helligkeit (in T.155) auch das Volumen und die Dichte verändern. Wird weiterhin die Präferenz der Grundtöne mit einer resultierenden u-haltigen Vokalqualität (T.159) angenommendie Einführung bei Stumpf bezog sich allerdings auf Teiltöne zur Unterscheiäung der Instrumentalklänge -, so bleibt dennoch fraglich, wie sich die prinzipielle Ersetzung der Viola durch das gestopfte Horn auswirkt, und in welchem Verhältnis die Vokalqualität zur Nasalität steht 137. Die Streichung der Tuba als eine geminderte Nähe, sogar Fülle im Sinne 138 Welleks zu klassifizieren, erschiene abstrakt . Der zweite annähernd terminologische Beschreibungsapparat musikalischer Klangfarbe stützt sich seit Helmholtz auf die festgelegte Korrespondenz zwischen Teiltonspektrum und Wahrnehmungsempfindung. Obwohl er bereits oft angeführt wurde 139, seien die wichtigsten durch ihn geprägten verbalen Kennzeichnungen noch einmal referiert. Er zielt darauf ab, "den in der Sprache als weich, scharf, schmetternd, leer, voll oder reich, dumpf, hell usw.unterschiedenen Arten der Klangfarbe"l40 eine Erklärung durch ihre jeweilige spektrale Disposition zu geben.Voller Ton ist die Folge eines anhaltenden Schwingungs141 vorgangs und einer Zusammensetzung aus den niederen Partialtönen . Einfache Töne 142 klingen weich, in der Höhe zugleich hell, in der Tiefe dumpf . Metallische Klangfarbe 143 entsteht durch gleichmäßigen Fluß verhältnismämäßig hoher, anhaltender Obertöne . Unharmonische Obertöne mit Nähe zum Grundton verursachen einen kesselähnlichen Klang l44. Eine große Anzahl hoher Partialtöne korreliert mit einem scharfen, klimpern-

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den Klang, ihr Überwiegen gegenüber dem Grundton macht ihn leer, und Schärfe tritt ins145 besondere ab dem 6. Oberton hervor . Die Dominanz ungeradzhl~ Obertöne bewirkt l46 hohlen, näselnden Klang . Geräuschanteile bewirken Rauhigkeit1 . Heimholtz behutzt die genannten Merkmale auch kombiniert, (so daß eine weite gedackte Pfeife zugleich hohl, dumpf und unkräftig klingen kann. Die Vorherrschafft des Saitengrundtones macht den Violinklang voll und kräftig, mit Einmschung des 1. Obertones zarter und heller). Die Merkmale gelten auch für Vokalklänge. Die fundamentalen Gegensätze werden in den zul48 sammenfassenden Regeln deutlich. Sie orientieren sich zum einen an der Einfachheit, . zum zweIten an dem Intensitätsanteil der Teiltöne bis und über dem sechsten, zum dritten an dem Verhältnis der Grundton- zur spektralen Intensität und zuletzt an dem Gegensatz zwischen geradzahligen und ungeradzahligen Teiltönen. Der »dogmatische« Gebrauch dieser Kennzeichnungen verfehlt seinen Sinn. Eine Klangbildung, deren hervortretende Komponenten aufgrund ihrer als prominent erfahrenen Grundtonfrequenz in einem geradzahligen Verhältnjs zueinander stehen, darum als hohl oder näselnd zu bezeichen, erscheint fragwürdig. Die Klangcharakteristika beziehen sich stets nur auf den spektralen Aufbau von einzelnen Instrumentaltönen. Die Übertragung auf instrumentale Mehrklänge setzt theoretisch den Bezug auf eine »virtuelle« Teilt?nreihe, die durch die dominanten Komponenten vertreten würde, voraus. Der ursprünglIche Ansatz, der durch den Versuch bestimmt war, die an die Empfindung gebundene ästhetische Erscheinung und Unterscheidung der Instrumentalfarben durch eine physikalische Grundlegung zu definieren, kehrte sich hierdurch um und verliert seine Begründung. Zudem ist die (notierte) Grundtondominanz, die solche Übertragung voraussetzte, keineswegs immer gesichert. Ein anderes Vokabular zur Beschreibung instrumentaler Mehrklänge hat sich bisher nicht herausgebildet, da es im Hinblick auf die Literatur durchaus, wenn auch unter Einschränkung, praktikabel erscheint. Die Behauptung, daß dieselbe orchestral begleitete M.elodie von Es-Klarinette und Oboe im Forte vorgetragen schärfer, weil obertonhaltiger klmgt als von A-Klarinette und Flöte, kann sich zwar nicht unmittelbar auf Heimholtz stützen. Sie kann aber für sich beanspruchen, daß der Klangeindruck diese Dominanz ( als Hervortreten der höheren Teiltöne von Klarinette und Oboe) bemerkbar macht, die sodann für die verbale Charakterisierung verantwortlich ist. Erweisen ließe sie sich dennoch erst durch die sonagraphische Analyse. . Beide Begriffsschemata besitzen zudem einen Mangel. Die Entgegensetzungen, die SIe erkennen lassen, erscheinen zu rudimentär, als daß sie erlaubten, alle Zwischenstufen der Kontraste, die durch instrumentatorische Veränderungen bewirkt sind, schlüssig zu beschreiben. Die von Helmholtz innerhalb der 3. Regel aufgestellte Opposition zwischen dem leeren oder vollen Klang,der auf dem Intensitätsanteil des Grundtones beruht, läßt sich in 149 Anwendung der von der Prager Schule begründeten Oppositionstypen als privativ charakterisieren. (Der auf ein graduierbares Antonymenpaar zurückgreifende sprachliche Ausdruck täuscht über diese Tatsache allerdings hinweg). Gilt es, eine möglichst weitreichende Übereinstimmung zwischen begrifflichem und klanglichem Phänomen zu erreichen, so ist die Problematik dieses Ansatzes leicht einzusehen. Sie beruht auf der Unmöglichkeit, die begriffliche und damit auch sprachliche Differenzierung der künstlerischen vollständig anzupassen. Es ist, um an dem obigen Fall zu

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exemplifizieren, weder möglich, die Aufhellung der Oberstimme (T.155 und 159) von einer solchen mit decrescendierender oder zusätzlich instrumental verminderter Baßstimme zu unterscheiden.Noch legen die instrumentatorischen Varianten nahe, wie sie auf das Moment der Grundtonhaltigkeit zu beziehen sind. Somit erscheint die Zuhilfenahme mehrerer »Parameter« ohnehin notwendig, um der klanglichen Komplexität gerecht zu werden. Und selbst wenn sie gelänge, stünde noch nicht fest, daß die Orientierung an der Notation auch dem realen Klangeindruck entspricht. Das Erfahrungsmoment, das sich in ins trumentatorischen Veränderungen widerspiegelt, verweist nachhaltiger auf den Weg, die sprachlichen Ausdrücke, die auch Heimholtz bereits vorlagen, aufzugreifen, um ihre präzise begriffliche Abstufung der Beschreibung der klanglichen Komplexität zu überlassen. Es wäre eine eigene Studie wert, das Zustandekommen von Register- und Klangbeschreibungen in Instrumentationslehren zu untersuchen. Stumpf macht schon die Unterscheidung zwischen assoziativ erworbenen und solchen, die sich durch (metaphorische) Übertragung einer Gefühlswirkung erklären150. (Daneben zeigt sich eine häufige Vermischung mit dem Sujet, wenn es gilt, Klangbeschreibungen in der Oper durchzuführen). Erst auf dieser - terminologisch unbestimmtesten - Ebene erscheint die Idee der Kontrastierung ausgeführt, deren Überblick bei Stumpf einen Anflug "schierer Verzweiflung,,151 auszulösen vermag. Sie bedeutet jedoch auch eine ästhetische Verschiebung, von der schon eingangs die Rede war. Rimsky-Korsakov macht die ausdrückliche Anmerkung, daß die "Definition der Tonqualität eine schwierige Angelegenheit,,152 sei. Er bezeugt hiermit ein Bewußtsein, daß bei seinen Zeitgenossen Strauss oder Forsyth153 - nach der von Berlioz begründeten Tradition - noch ungebrochen erscheint. Die Gründe, die er anführt, zeigen jedoch, daß sie von ästhetischen Prämissen getragen werden, die verhindern, sie zu einer grundlegenden Charakterisierung instrumentatorischer als klanglicher Phänomene heranzuziehen. Geht es ihm mehr um die "künstlerische Angemessenheit als um materiale Exaktheit,,154, so aus einer handfesten Begründung des instrumentatorischen Praktikers. Daß die Ausdruckskategorie einen unumgänglichen Bestandteil seiner Instrumentationslehre bildet, resultiert aus dem Umstand, Wirkungen kompositorisch fundieren zu können,die auf der Dive1j3enz des Charakters eines Instruments und der Musik,· für die es vorgesehen I ist, beruhen . Mahlers Instrumentation schließt den Aspekt ein, im Anschluß an die von Weber begründete Tradition Instrumente in ungewöhnlichen Klanglagen und Verbindungen heranzuziehen. Ohne eine Beteiligung ästhetischer Motive stets ausschließen zu können, zeigt jedoch schon die eigene Begründung, die sich auf Deutlichkeit stützt 156, daß die alleinige Inanspruchnahme der ästhetischen Kategorie nicht zwingend ist.

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Beschreibung und chronologische Ordnung 1. Präliminarien Eine knappe Vorbemerkung gelte der Eingrenzung des Kapitels. Innerhalb der Mahler-Forschung steht eine graphologische Studie aus, die spezifische Merkmale seiner Notenschrift und seiner Korrekturpraxis zusammenträgt. Der ersten Forderung kann vollständig nur in Wien nachgekommen werden, wo die wichtigsten Quellen autbewahrt werden. Sie ist im Fall der V. Symphonie für drei Quellen relevant. In der Mengelberg- und Triester-Partitur stammt ein Großteil der Eintragungen mit roter Tinte von einem Kopisten. Es wäre hilfreichs diese Beurteilung durch die Identifikation stützen zu können 157. In den Beschreibungen1 8 der Stimmen fehlt die durchgehende Identifikation der autographen Veränderungen. Sie ist für den zweiten Stimmensatz von erheblicher Bedeutung, weil er bislang die einzige Grundlage für die Fassung der Gesamtausgabe darstellt. Die Begründung für die chronologische Einordnung wird einen Großteil der Kriterien und Merkmale zusammentragen, die diese Studie zu enthalten hätte. Sie kann den Kopisten der beiden fraglichen Partituren anband einiger Merkmale, jedoch nicht für jeden Kontext definieren, und nicht alle Änderungen im ersten Stimmensatz nach ihrem Korrekturbild beschreiben und auflisten. Die Bewertung der Quellen erleidet hierdurch keinen Abbruch, da der Erkenntniswert durch die Vollständigkeit nicht gesteigert würde. Die chronologische Einordnung und Erklärung der Beziehung der Quellen zueinander ist durch das Zusammenwirken der deskriptiven Merkmale hinreichend gewährleistet. Die graphologischen, quellenkritischen und bearbeitungstechnischen Merkmale reichen für den zweiten Stimmensatz hin, um seine Geltung fundieren zu können. Was ausbleibt, ist die Identifikation des Kopisten159 - hierzu wäre ein Vergleich mit allen späten MahlerQuellen ab 1907 erforderlich - und die vollständige Beschreibung aller Veränderungen nach ihrem Schrift- und Korrekturbild. Auch hier können beide Gesichtpunkte keine Veränderung der Bewertung ergeben. Die Konsequenzen, die aus der Differenz der Schriftund Korrekturbilder zu ziehen sind, werden zu zeigen versucht. Aufgrund der schon im Falle der Fünften Symphonie erheblich unübersichtlichen und verwickelten Quellenlage muß auf einen stetigen Bezug zur Werkgeschichte der übrigen Symphonien verzichtet werden. Die Möglichkeit, daß sich einige Beurteilungen durch »externen« Quellenbezug erhärten lassen, kannjedoch nur durch längere Archiv-Studien nachgegangen werden. Dies betrifft auch die wichtige Frage nach der chronologischen Entwicklung seiner Instrumentationsprinzipien. Teilweise läßt sie sich aus dem Vergleich mit der bereits vorhandenen Literatur, zum Teil auch durch Gegenüberstellung der Fassungen der GA beantworten. Die Quellen lassen sich in vier Gruppen aufteilen: Handschriften (Reinschrift und l60 Kopie), Drucke, Drucke mit autographen Eintragungen und Orchesterstimmen . Da die folgende Darstellung zunächst die zeitliche Abfolge und die textkritischen Beziehungen der Quellen zueinander aufklären soll, sieht sie von instrumentatorischen Veränderungen ab, soweit sie nicht dieser Aufgabe dienen. Durch die Nachforschungen Eberhardt Klemms im Briefwechsel zwischen Mahler und dem Verlag Peters161 ist einsehbar geworden, wie die Druckchronologie verlaufen ist. Sie wird einschließlich der Korrektur des Revisionsberichtes, die auch durch sie mitbedingt ist, in Zusammenhang mit der Rekonstruktion ihrer Beziehung zu den autographen Quellen referiert. Deren Kurzbeschreibung im Katalog zur Düsseldorfer Ausstellung durch Rudolf Stephan162 orientiert sich offensicht-

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lich am Revisionsbericht, zu einem Zeitpunkt, als die Veröffentlichung des Briefwechsels noch nicht erfolgt war. Der zweiteilige Revisionsbericht zur Gesamtausgabe (Quellen- und gesondrt~­ derungsliste )163 enthält vier Quellen weniger als die im Anhang verzeichnete und im Text behandelte Aufstellung. Die Alma-Mahler-Handschrift ist erst 1985 in den Besitz der New Y ork Public Library übergegangen, und die beiden Partituren aus dem Besitz Bruno Walters waren zu dem Zeitpunkt seiner Abfassung noch nicht aufgefunden worden. Die in Triest l64 autbewahrte Dirigierpartitur ist in der Literatur bisher nicht aufgetaucht. Die Liste der Veränderungen der Gesamt- ~genübr der Neuen Ausgabe wird einschließlich der Korrekturen, die noch verbleiben1 ,im Zusammenhang mit dem zweiten Stimmensatz erörtert. In diesen Konnex fällt auch die Berücksichtigung der Geltung und Einordnung der von Egon Wellesz überlieferten Abschrift.

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Die beiden Handschriften

2. Die heiden Handschriften I

Alma Mahler-Werfel berichtet in ihren Erinnerungenvon ihren Ferien im Sommer 1902 mit Mahler. Sowohl jene Äußerungen, die über ihre Beteiligung an der Herstellung der Stichvorlage informieren, als auch die Differenz der Kontexte, in denen sie stehen, werfen Fragen auf. Die letzteren scheinen psychologischer Natur, und sie können nicht (in der gebotenen Kürze) beantwortet werden. Mahler hatte bereits "2 Sätze [neben Skizzen] vollendet,,166, als sie sich nach der Uraufführung der Dritten Symphonie am 9. Juni 1902 in Krefeld nach Maiernigg begaben. Alma Mahlers Aussage zur Entstehungsgeschichte, eine der wenigen überlieferten, differiert mit der Hauptquelle, dem Zeugnis Natalie Bauer-Lechners. Sie berichtet vom letzten gemeinsamen Sommer mit Mahler, insbesondere von der Arbeit am Scherzo. Ohne die Annahme definitiv vorauszusetzen, erweckt die Art ihrer' Ausführung den Eindruck, daß erste Abteilung bereits in zweisätziger Konzeption vorlag. Der »interpolative« Charakter der Trauermarsch-Einschübe im zweiten Satz spricht zudem dagegen, sie ohne den bereits modellierten 1. Satz zu veranschlagen. Die Konvergenz der beiden Berichte läßt sich demnach nur dann erzielen, wenn Alma Mahlers Aussage die beiden ersten Sätze als einen wertet und ihr Ausdruck "vollendet" analytisch nicht genauer befragt wird. Denn Natalie Bauer-Lechner spricht von dem Scherzo als dem "dritten Satz", der sich außerdem nach Mahlers üblicher Arbeitsweise in einem bereits sehr fortgeschrittenen Stadium befunden haben muß. Und sie bezeugt die Konzeption einer "regelrechten Symphonie in vier Sätzen, deren jeder für sich besteht und abgeschlossen ist und die nur in der verwandten Stimmung verbunden sind,,167. . Mahlers Instrumentation ist sicher kein bloßer Akt der »Einkleidung« eines musikalischen Satzes, aber seine Art von ihr zu sprechen, scheint einzuschließen, daß sie ihm im Falle des Scherzos bereits weitgehend »vor Augen steht«. "Die einzelnen Stimmen sind so schwierig zu spielen, daß sie eigentlich lauter Solisten bedürften. Da sind mir, aus meiner genauesten Orchester- und Instrumenten- kenntnis heraus, die kühnsten Passagen und Bewegungen entschlüpft"l68. Es liegt nahe, daß er für diesen Satz bereits die Stufe des Partiturentwurfs erreicht hat, in einem sehr produktiven Sommer, der auch acht Lieder (sieben von Rückert, darunter drei Kindertotenlieder und aus Des Knaben Wunderhorn den Tamboursg'sell[en]) hervorbrachte 170. Auch seine weiteren Bemerkungen bekräftigen diese Annahme. "Romantisches und Mystisches kommt nicht vor, nur der Ausdruck unerhörter Kraft liegt darin. Es ist der Mensch im vollen Tagesglanz, auf dem höchsten Punkt des Lebens. So ist es auch instrumentiert: keine Harfe, kein Englisch Horn" 171. Für sich gesehen auch als Postulat der Werkidee auffaßbar, nimmt sich die Äußerung mit den übrigen, die kompositorische Probleme behandeln, vielmehr als »Werkbericht« aus, der auf Erfahrung fußt.Immerhin - wenn Natalie Bauer-Lechners Zeugnis exakt zugrunde gelegt werden darf - spricht er Anfang August 1901 über seine kompositorischen Schwierigkeiten noch im Präsens. Sie resultieren aus der "scheinbaren Wirrnis [.. ] der Details", die sich dennoch zu "höchster Ordnung und Harmonie wie bei einem gotischen Dome" fügen soll, und aus der Konsequenz seiner Maxime, "daß sich nichts wiederholen darf', die sich mit der "Einfachheit der nur auf Tonika und Dominante aufbauenden Themen"l72 konfrontiert sieht. Der Grad an Vollendung kann somit nicht genau bestimmt werden. Der Schluß, Alma Mahlers

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Aussage so zu werten, daß sich der Ausdruck "vollendet" zu Beginn des Sommers 1902 auf die spätere 1. und 2. Abteilung bezieht173, liegt näher als der, seine Bezugnahme auf die beiden ersten Sätze 174 zu beschränken. (Jener hätte, nimmt manAlma Mahler auch in mngekehrter Weise wörtlich, zur Folge, daß das Scherzo im Sommer 1902 "erst entworfelJwurde"). Paul Bekker drückt die Vermutung aus 175, daß es sich bei dem Scherzo um jenes in D-Dur handelt, das eine von ihm mitgeteilte Programmskizze zur Vierten Symphonie unter dem Titel "Die Welt ohne Schwere" enthält. Selbst wenn sie zutreffen sollte, wofür sich die von Ida Dehmel mitgeteilte Aussage Gustav Brechers anführen ließe, "das Scherzo sei als Erstes von dieser Symphonie entstanden,,176, so ist es sicher erheblich überarbeitet worden, mit der Konsequenz, daß es "sich [nach Mahler] völlig von allem, was er bisher gemacht [habe], unterscheidet,,177. (Nicht im direkten Niederschlag, wenn auch im »inspiratorischen Umfeld« mögen die Aufführungen der Trauermärsche aus der Götterdämmerung und der Eroica, die Mahler während der Hochzeitsreise in Sankt Petersburg aufführte, gewirkt haben). Für die Entstehungsgeschichte der Symphonie bleibt zu ergänzen, daß die dritte AbteilUI~ - aus dem Adagietto und Rondo-Finale gebildet - in den Sommer 1902 zu datieren ist17 so daß Mahler seiner Frau "die vollendete Fünfte Symphonie im Herbst vorzuspielen,,1'79 vermochte. Sie berichtet weiterhin, daß er nach dem Ende der Ferien - seiner Gepflogenheit gemäß - "den ganzen Winter hindurch an der Reinschrift arbeitete,,180. (Ihre Formulierung ist infolge der Ungenauigkeit etwas irreführend, worauf noch zurückzukommen sein wird). Die Bilanz der Zeugnisse Natalie Bauer-Lechners und Alma Mahlers schließt jedenfalls für die folgenden Überlegungen nicht aus, daß Mahler schon im Sommer 1902 die Reinschrift herstellte. Alma Mahler berichtet an drei Stellen über ihre Mithilfe, die darin bestand, eine Abschrift der Symphonie herzustellen.In ihren letzten Erinnerungen ist sie - bei demselben Inhalt - etwas oberflächlicher. Sie berichtet: "Ich kopiere Tag für Tag die Partitur seiner 5. Symphonie und wir haben einen Wettlauf, wer schneller fertig ist - er mit dem Instrumentieren oder ich mit dem Kopieren, was er mir dadurch erschwert, daß er immer nur eine Stimme ausschreibt und ich selbst die anderen Stimmen in den verschiedenen Schlüsseln auszufüllen habe,,181. 182 Nach den üblichen Phasen der Werkentstehung - Skizzen, Particell, Partiturentwurf, Reinschrift, (fortgesetzt durch Stichvorlage und Bürstenabzug) wäre aufgrund der Beschreibung zu vermuten, daß Alma Mahler die Reinschrift angefertigt hat. (Tatsächlich hat die Alma-Mahler-Handschrift aber als Stichvorlage gedient, die die Reinschrift bereits voraussetzt). Ihre Beschreibung legt nahe, daß Mahler ihr den Partiturentwurf gab, der einzelne Instrumente (zum Teil) nur vor der Akkolade einschließlich Stimmung anzeigte, um das Transponieren und Ausschreiben (von Unisono-Stimmen) ihr zu überlassen. Der Eintrag 183 ließe dann vermuten, daß es eine "Oktober 1903" auf dem Titelblatt des Autographs nachträgliche Abschrift der Alma-Mahler-Handschrift durch Mahler darstellt. Der Vergleich der beiden Handschriften läßt jedoch keinen anderen Schluß zu, als daß sich dieses Verhältnis umkehrt.

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8 4 ·· · weiß· SIe um d'Je Werkentstehungsphasen1, so daß ihre Außerungen grundsätzlich 185 nicht zu bezweifeln sind . Beide Berichte, die sie abgibt, gehen wahrscheinlich auf denselben Tagebucheintrag zurück, so daß die geringfügigen Differenzen des früheren hedeutsam werden. Sie spricht zum einen von "wenigen Tagen", mit denen sich die Fertigstellung ihres "Manuskripts" gegenüber der Mahlers verzögerte - und dieser Bericht erscheint anstatt des "Wettlaufs" selbstredend präziser. Vor allem ist jedoch ihre genauere Erinnerung von Bedeutung, daß er "sich immer mehr daran gewöhnte, die Stimmen nicht auszuschreiben, nur die ersten Takte"l86. Die dritte Beschreibungsvariante desselben Sachverhalts spricht davon, daß sie "die ganze Partitur kopiert hatte, ja mehr als das: Mahler ließ oft ganze Zeilen aus, weil er wußte, daß ich die Stimmen kenne, und verließ sich blind auf mich,,187. Im Resurne, das zugleich das tatsächliche Verhältnis zwischen dem Autograph und ihrer Abschrift zu berücksichtigen sucht, wäre das Verhältnis folgendermaßen zu veranschlagen: Mahler hat einige Unisono-Stimmen, und zWar zunehmend über den Verlauf der Partitur, unausgeschrieben und ohne Pausenzeichen versehen ihr vorgelegt, um das Manuskript im Winter in der überlieferten Form zu vervollständigen. (Rückspuren dieses Verfahrens läßt das Autograph allerdings nicht erkennen, und der Vergleich der beiden Handschriften macht andere Merkmale direkter auf ihre Beschreibungsvarianten beziehbar). Das Datum der Widmung ist vermutlich erst in Zusammenhang mit der Verlagsübernahme, die im Oktober 1903 erfolgte, von ihm angefügt worden189.

Inhaltlich und formal stimmen beide Handschriften bis auf geringfügige Abweihun~c überein, so daß sie auch gestatten, die zeitliche Beziehung festlegen zu können. (Die Ubereinstimmung geht soweit, daß nicht nur die Seiten- und Akkoladeneinteilungen, sondern auch geschweifte Klammern für Systemzusammenfassungen und Instrumentenkennzeichen identisch sind). Das erste geringfügige Unterscheidungs6merkmal, das die zeitliche Beziehung aufzuklären hilft, betrifft Mahlers generelle, auch für seine Partiturund Stimmenkorrektur gültige Praxis, Systemlinien aus der Hand zu verlängern. Wenn im Autograph solche eintaktigen Anhänge (einzelner Zeilen oder der ganzen Akolade~ auftauchen, erscheinen sie in der Alma-Mahler-Handschrift integriert 90. Das zweite Merkmal äußert sich an Vortrags anweisungen. Ein großer Teil erscheint nur in der AlmaMahler-Handschrift von Mahlers Hand in Stift. Daneben läßt die Handschrift bei Abweichungen Rasur erkennen, so daß anzunehmen ist, daß sie mit dem Autograph gleichlauteten. Ergänzend zu dem Komplex der Beziehung der beiden Handschriften, drückt auch die Alma-Mahler-Handschrift noch ein Vorstadium zur Stp-Erstausgabe aus. Es fehlen einzelne Anweisungen, oder einige lauten (zum Teil gemeinsam mit dem Autograph) anders. [Im folgenden bezeichnet EA stets, wenn nicht ausdrücklich EA-Dp angegeben, den Bezug auf die Studienpartitur]. 1. Satz: Bog.1, S.2 N AMH T.11 "nicht schleppen!" statt "(Triole:f1üchtig)"( = EA);

Bog.4, S.l (T.107-116) NAMH ergänzen die Zeile Gr.Tr. durch "Becken (an der Trommel befestigt und von Einem geschlagen)"( = EA); Die Anmerkung der EA "Becken nach militärischer Art an der grossen Trommel befestigt" fehlt in beiden Quellen; Bog.6, S.3 in AMH "viel Bogen" von T.196 ( = A) versetzt nach T.198 ( = EA, Stift, von Mahlers Hand [ = abgekürzt Mhs D, fehlt in A; Bog.7, S.2NAMHT.220f"pocorit.[,] aTempo"nachträglich (=EA, Stiftinbeiden); S.3 "allmählich zu Tempo I zurückkehrend" in NAMH vor Z.ll statt "allmählich

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sich beruhigend" ( = BA, ["unmerklich zu Tempo I zurückkehren" T.242, ''Tempo I" T.254 fehlt]); Bog.8, S.4 1.Trp in NAMH "hervortretend", Z.13; Bog.11, S.3 "Klagend" Z.18, Stift[?] in A, in AMH Tinte (von Alma Mahlers HaI?-d [ = abgekürzt AMhs], "Nicht eilen" fehlt in beiden; S.4 "poco meno mosso" fehlt in NAMH; Bog. 12, S.l "nicht zurückhaltend" statt "Streng im Tempo." ( = EA), T.386.; S.2 "Zurückhaltend" T.396 in beiden nachträglich ( = EA, Stift, Mhs); S.3 T.400 "Langsam" inNAMH statt ''Tempo I" (=BA); 2. Satz: nur in A ist ein Titelblatt vorhanden mit der Aufschrift: "Nro 2 (Hauptsatz)"[in AMH ergänzt der Setzer über der Satzbezeichnung der 1. Seite "2.Hauptsatz", in der EA lautet die Überschrift nur noch "2."]; Bog.2, S.4 "Drängend" T.61 nur in AMH ( = EA, Stift); Bog.4, S.2 1. VI in NAMH "großer Ton" statt "breit gestrichen" ( = EA); S.3 beide "ohne Expression" statt "[ .. ] Ausdruck" (=EA); Bog.5, S.l nur A beim Wiederholungs doppelstrich T.145 ausdrücklich "Da capo", in AMH gestrichen (=EA, Rasur); Bog.6, S.2T.189 in A"Langsam aber 2/2", inAMH"[ .. ] aberimmer[ .. ]" (=EA, Stift); Bog.7, S.l ''Tempo Andante (wie im ITeil)" Z.12 in A, in AMH [.. ] moderato [.. ]" ( = EA, Stift nach Rasur); S.3 "Allmählich zu Tempo I zurückkehrend" T.234 in N AMH statt "von hier an nicht mehr schleppen!" ( = EA); S.4 "poco rit" T.252 nachträglich in AMH ( = EA, Stift); Bog.8, S.l "unmerklich belebend"T.256 nachträglich inAMH (=EA, Stift); "immer noch drängend" T.261 ( = EA) fehlt in A und AMH; S.2 Z.15 in NAMH "Plötzlich wieder bedeutend langsam [.. ]" statt "[ .. ] langsamer [.. ]" (=EA); S.4 "Etwas frischer" T.288 in A, in AMH ersetzt durch "Frisch/Piu mosso (subito)[,]/aber immer noch nicht so schnell wie zu Anfang" (=EA, Stift); Bog.9, S.2 "drängend" in NAMH, Z.17 statt "unmerklich drängend" (=EA); S.3 "Pesante" T.316 in N AMH ohne Zusatz "(plötzlich anhaltend)"; S.4 ''Tempo I" Z.18 in N AMH ohne "subito"; Bog.1O, S.3 "Zurückhaltend .... Etwas langsamer (ohne zu schleppen)" nachträglich in AMH, Z.20 (nicht EA, die "zurückhaltend" nicht übernimmt; Stift); Bog. 12, S.l "Nicht eilen" Z.23 fehlt in N AMH, ebenso S.3 T.414 "Gehalten" ( = EA); S.4 "Nicht eilen!" T.424 fehlt in NAMH, ebenso "wuchtig" ( = BA) T.428; "Es-moll" ( = A) T.428 in AMH rasiert; Bog. 13, S.l "Etwas drängend" Z.25 nachträglich inAMH ( = EA, Stift); S.3 "Unmerklieh drängend" Z.26 ( = EA) fehlt in N AMH; S.4 "(Plötzlich etwas anhaltend)" Z.27 nachträglich in AMH, ( = EA, Stift); Bog.14, S.l "Allmählich fließender" T.469 nachträglich in AMH (=EA, Stift); S.2 "Nicht schleppen [ohne "(Tempo 1)" = EA]" Z.28 nachträglich in AMH ( = EA, Stift); S.3 "Vorwärts (unmerklich!) [ohne "accelerando atempo" = EA]" T.487 nachträglich inAMH (=EA, Stift); S.4 AMH verzeichnet unter "Höhepunkt" T.500 ( = NEA) ''Tempo I!!" (nicht in EA aufgenommen, Tinte, Mhs);

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Die beiden Handschriften

Bog.15, S.2 'Tempo I subito." Z.30 in N AMH ohne Zusatz "Etwas langsamer, als zu Anfang" ( = EA), der in beiden Handschriften auf S.3 nach "Pesante" T.526 folgt; S.4 "Nicht eilen." Z.31 (=EA) fehltinNAMH; Bog.16, S.2 "Nicht eilen!" T.547 nachträglich in AMH ( = EA, Stift); S.3 "Allmählich (aber unmerklich) etwas ruhiger" T.551 (=EA) fehlt in NAMH; 3. Satz: Titelblatt mit der Aufschrift "2.Abtheilungl Nro 3. (Scherzo)" in beiden Handschriften (A: Tinte, AMH: Stift, jeweils von Mahlers Hand); Bog.4, S.2 LVI Z.6 "mit groß~m Ton" in A, in AMH rasiert und zusätzlich "sul g[_ Saite,] sul D[-Saite]" (=EA, Stift); S.2 "zurückkehrend...Tempo 1." T.170 in NAMH, EA nur 'Tempo I" Z.7; Bog.7, S.4 "(zögernd)" T.277 statt "rit... " (=EA) in NAMH; Bog.8, S.3 "Langsam" Z.ll inNAMH statt "Molto moderato" (=EA); Bog.9, S.l "Fliessender, aber immer gemäßigt" in N AMH nachträglich von Mahlers Hand (=EA, Tinte[?]/Stift); Bog.lO, S.l "Nicht eilen" Z.13 ( = EA) fehlt in N AMH; Bog.11, S.l "molto rit...Tempo I. (in den ersten Takten noch etwas gemäßigt)" T.426ff ( = A), in AMH ersetzt durch "[.. ] a Tempo moderato [T.429], allmählich bewegter, [S.2, T.436] ins Tempo I übergehend ...Tempo I [So 3, Z.15 ohne "(nicht eilen)"] ( = EA, Stift); Bog.12, S.3 'Tempo I" Z.17 in N AMH statt "poco rit.[1] a tempo"( = EA) T.492f; Bog.14, S.2 "Frisch" Z.21 nachträglich inAMH [in EA-Stp gestr.[ = gestrichen], und in EA-Dp durch "Nicht schleppen" ersetzt], (Stift, Mhs); Bog.15, S.4 "Das Tempo unmerklich etwas einhaltend" nachträglich T.614 in AMH ( = EA, Stift); . Bog.16, S.l "Wieder zu Tempo I zurückkehrend" Z.24 ( = EA) fehlt in N AMH; S.2 "Kräftig" T.633 in AMH durch "(allmählich wieder zum Tempo I zurückkehrend" ergänzt (Stift); EA ersetzt die Ergänzung durch 'Tempo I"; Bog. 18, S.3 "a Tempo", "rit. .. " T. 731/737 nachträglich in N AMH ( = EA, jeweils Stift [EA-Dp streicht "rit" T.737]); S.4 "rit...Langsam[,] Mäßig" T.740, 743, 745 (=A) ersetzt durch "[.. ] molto rit[,] a Tempo moderato" in AMH ( = EA, Tinte nach Rasur); . Bog.19, S.2 "Piu mosso" T.772 nachträglich in AMH ( = EA, Stift); S.3 "Drängend" T.779 nachträglich in AMH ( = EA, Stift); Bog.20, S.2 "noch rascher" T.799 nachträglich in AMH ( = EA, Stift); 4. Satz: nur in A bei durchgehender Bogenzählung der beiden Sätze befindet sich ?as Titelblatt "3.AbteilunglNro4 (Adagietto)/undNro 5 (Rondo-Finale)", inAMH 1st auf S.l (=A, Bog.1, S.l) "Nro 4" vom Einteiler durchgestrichen und darüber durch "Ill./4.Adagietto" ( = EA) ersetzt; Bog.1, S.3 "Nicht schleppen (etwas flüssiger als zu Anfang)" T.lO nachträglich in AMH (=EA, Stift); . "Die g-Saite auf ges herunterstimmen!" T.12 in AMH gestrichen (=EA, Stift); Bog.2, S.l "rit...wieder äußerst langsam" T.21/23 nachträglich in AMH ( = EA, Stift)· "mit Empfindung" T.23 nachträglich in AMH ( = EA, Stift); , S.2 "etwas drängend ... zurückhaltend" T.28/31f nachträglich in AMH (= EA, Stift ["fließend" = W-Stp/EA-Dp]); S.3 "ges[-Saite] zurück auf g" T.34 in AMH gestr. ( = EA, Stift);

Die beiden Handschriften

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Bog.4, S.4 "viel Ton" wiederholt,"viel Bogen [wechseln]" T.95 nachträglich in AMH ( = EA, Stift); 5. Satz: Bog.5, S.l "folgt ohne Unterbrechung N Q5" nach 1. Akkolade [ = Satzschluß] in AMH durchgestrichen; Satzüberschrift "NQ5" ersetzt durch "5.Rondo-Finale" (=EA, Setzer); S.1f "lustig" statt "allegro" ( = EA) T.3/lO/13 in N AMH; S.2 "Wieder langsamer" (=A) T.16 in AMH ersetzt durch "Etwas [.. ]" (=EA, Stift nach Rasur); S.4 "eventuell vom Contrafagott zu übernehmen, wenn das tiefe A nicht möglich [ist, nur AMH]" in AMH gestr.[Die Anmerkung bezieht sich auf T.80, wobei T.79 in beiden Quellen Viertelpause D-Cis-H1 in Vierteln lautet]; Bog.7, S.3 "Nicht eilen! [nach "Grazioso"]", "leggiero" T.lOO nachträglich in AMH (= EA, Stift); Bog.8, S.2 "lustig" T.127 in NAMH, fehlt in EA; Bog.9, S.l'Ton" T.150 fehlt in NAMH; S.3 "Nicht eilen" Z.7 nachträglich in AMH ( = EA, Stift); S.4 "Grazioso" T.191 nachträglich in AMH (=EA, Stift); Bog.lO, S.4 "poco rit .. ./ aTempo[,]nicht eilen [Bog.11, S.l]" T.228/233 nachträglich inAMH (=EA, Stift); Bog.12, S.4/Bog.13, S.l "Nicht eilen!" T.307 nachträglich in AMH (=EA, Stift [ab M-Dp "immer dasselbe Tempo" bzw. "sempre l'istesso tempo"]); Bog.15, S.l "Grazioso" T.373 nachträglich inAMH (=EA, Stift); S.2 1.Hrn Z.16 in NAMH "lustig" [und "etwas hervortretend" = EA]; Bog.16, S.l "Nicht eilen" T.412 in AMH ersetzt durch "poco rit" und ergänzt durch "a Tempo/Nicht eilen" T. 415 (=EA, Stift); Bog.18, S.2 "Plötzlich wieder wie zu AnfanglTempo ordinario (subito)" Z.21 in NAMH (EA:"[ .. ]Allegro commodo [.. ]); Bog.21, S.l "Unmerklich etwas einhaltend" T.584 nachträglich in AMH (=EA, Stift); S.3 "Grazioso" T.605 nachträglich in AMH (=EA, Stift); Bog.25, S.2 "Pesante. (etwas gehalten)" (=EA), T.731, fehlt in NAMH; Die Auswertung der Auflistung in chronologischer Hinsicht ergibt zweierlei Konsequenzen. (Die inhaltliche Auswertung soll erst später im gesamtüberblick erfolgen). Erstens hat Mahler offensichtlich in den Korrekturbögen Anderungen und vor allem Zusätze vorgenommen, die er nicht im Autograph oder der Alma-M~erHndschift ( = Stichvorlage) festgehalten hat. Zum zweiten hat er aber auch die Anderungen oder Zusätze der Stichvorlage mit wenigen Ausnahmen nicht in das Autograph übertragen. Der einfachste Rückschluß dieses Sachverhalts besagt, daß die Abfolge der Zusätze auch die zeitliche Abfolge ausdrückt, so daß die Alma-Mahler-Handschrift eine Abschrift des Auer im Winter tographs darstellt. (Die gegenteilige Annahme sei zumindest erwogen. W~.n 1902-1903 A nach der Vorlage von AMH erstellt hätte, dann müßten alle Anderungen und Zusätze, die nur in AMH enthalten sind, im darauffolgenden Winter 1903-1904 - der Drucklegung erfolgt sein; denn es ist sehr unwahrscheinlich, daß er gleichzeitig Anderungen in AMH vornimmt, ohne sie in A zu übernehmen. Die resultierende Konsequenz, daß die "Arbeit an der Reinschrift" im Winter 1902-1903, von der Alma Mahler berichtet, eine reine Kopierarbeit darstellte, ist zudem sehr unwahrscheinlich. Näher liegt der Schluß, daß die ersten Veränderungen, die AMH gegenüber A aufweist, in den ersten Winter [1902-1903]

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Die beiden Handschriften

zu datieren sind, wobei A bereits als Vorlage von AMH existierte. Die folgenden Differenzen zwischen EA-Stp und AMH sind dann in Zusammenhang mit der Drucklegung entstanden. Die Tatsache, daß sie nicht in AMH verzeichnet sind, hängt vermutlich P'3.mit zusammen, daß die Handschrift als Stich- vorlage während des Korrekturvorgangs' beim Verlag geblieben ist191).

n Die weiteren Differenzen zwischen den beiden Handschriften sind vor allem hilfreich, die Annahme der chronologischen Beziehung zu verfestigen - und sie veranschaulichen, was Alma Mahler mit ihren Darstellungsvarianten offenbar gemeint hat. Drei Unterschiede sind namhaft zu machen: Abweichungen von der Partiturordnung und instrumentale Zusätze oder Streichungen. Für alle Aspekte gibt es Fälle, die nur im Autograph auftreten, in AMH jedoch bereits behoben sind (neben einer Reihe von Zusätzen, die nur . m AMH von Mahlers Hand erscheinen). Sie sind gemeinsam mit Streichungen von ganzen Zeilen im Autograph, die in AMH nicht mehr vorhanden sind, für ihre Formulierung in ~etrac? zu ziehen daß sie "Partitur lesen lernte"; daß Mahler "ganze Zeilen aus [läßt]", t führt SIe selber aus 92. In allen Fällen erfüllt ihre Abschrift auch die Aufgabe, die normale Partiturordnung zu reorganisieren. Die Bemerkung, daß er "nur die ersten Takte der Stimmen aus [schrieb]", läßt sich vermutlich erklären193. Als Notationsvariante für eine Unisono-Stimme wählt er häufiger die Abbreviatur "col [Spezifikation des Instruments]", um eine Schlängellinie für die Dauer der parallele folgen zu lassen 194. Sie schreibt diese Stimmen aber keineswegs imnmer aus 195• Die instrumentalen Zusätze und Streichungen geben nicht nur Aufschluß über die interne zeitliche Beziehung der Handschriften, sondern sie stellen auch die erste Instanz innerhalb des Veränderungsprozesses dar. Die Tatsache, daß sie in der Alma Mahlers bereits ~eilws integriert auftreten, dokumentiert den bruchlosen Übergang, mit dem der Bearbeitungs- und Veränderungsprozeß einsetzt. Er verweist nicht auf eine vorausgegangene Reflexion, obwohl jene nur in AMH verzeichneten Zusätze offenbar für Mahler die Bedeutung der »ersten Retousche« besitzen.

Die beiden Handschriften

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1. Satz: Bog.3, S.lf 1.Klar/Fag, VIa sind in A T.95f, 103f rasiert und nachgebessert; in AMH fehlen dieselben Eingriffe. Das Beispiel läßt sich repräsentativ für eine Vielzahl anderer heranziehen, die für die chronologische Annahme sprechen, daß A als Vorlage von AMH gedient hat. (Mahler müßte im umgekehrten Fall stets zur ursprünglichen Version zurückgekehrt sein, wenn er sich zu einer vorübergehenden Änderung entschlossen hätte). Bog.5, S.l in A ist die Gr.Tr. T.148-150 teilweise mit Stift eingetragen [T.149f 4/16 statt Triolen], in AMH erscheint sie T.148 rasiert und mit den T.149f ohne Eingriff in der Version des Erstdruck der Stp [hier abgekürzt: = EA]; Bog.7, S.l Trp 1-4 in A unter PosITub und Vertauschungszeichen, in AMH ausgeführt; Bog.9, S.l Trp 3/4 in A T.286 auf gesondertem System unten, in der Hauptzeile und einem Zwischenentwurf letzte Zeile gestr., in AMH ohne Einriff [EA verdoppelt dis 196 statth]; S.3fPkenachträglichinA(Tinte),inAMHintegriertl (=EA, T.303ff; die Idee, die Fanfare in die Pauke zu übertragen, kann nicht verantwortlich gemacht werden. In A, Bog.1O, S.l erscheint ihre Stimme integriert); Bog.11, S.2 Klar nachträglich T.359f, 363f korrigiert in AMH [trem.leg.] ( = EA, Stift nach Rasur) und links daneben Anmerkung für den "Setzer! 2 Zeilen nehmen" (Stift, in EA ausgeführt), Korrektur und Hinweis nicht in A. S.3 1.Trp nachträglich oberste Zeile, 2.VI unter 1. in A, in AMH integriert; Die gesamte Kl.Tr. der EA fehlt in NAMH.

2.Satz: Bog.3, S.2 2.Fag T.77 ( = A) in AMH umgeschrieben für 2.Hrn ( = EA, Stift auf Rasur); Bogo4, S.2-3 Tarn-Tarn nachträglich Z.7 inAMH (=EA, Tinte, Mhs); Bogo4, So4/Bog.5, S.l Tarn-Tarn nachträglich T.133ffin AMH (=EA, Stift, Mhs); Bog.6, So4 1.2.Fag in A gestr. (Stift) [Unisono Hrn T.213], Zeile fehlt 197 in AMH; Bog.8, So4 "Anmerkung für den Setzer[:]N.B.Clarinetten nach A umschreiben bis nach Bogen 10" ( = ~ Stift, Mhs), in AMH ausgeführt bis Bog. 10, S.2 (Tinte, AMhs) ( = EA, T.288-343) 19 ; Bog. 10, S.l führt die Transposition zu einem Versehen Alma Mahlers (T.332f), das Mahler mit dem Verweis "siehe unten[!]oben" und "Clarinetten" (Stift) korrigiert (Tinte, Mhs). [Die Anmerkung spricht dafür, daß Mahler das Autograph des Satzes bereits zu einem Zeitpunkt erstellt hatte, als er noch nicht wußte, daß Alma Mahler in seinem Beisein die Stichvorlage herstellen wird]. Bog.9, S.1204.Hrn T.295 nachträglich inAMH oberste Zeile (=EA, Stift); S.4 Klar T.320-322 c2 nach Rasur in AMH, in A h 1 [Notations irrtum in A]; Bog.16, So4- Bog.17, S.2: Der Satzschluß (EA, Z.33) hat eine Modifikation der 1.Violinen erfahren, indem er mit AMH in Fla~ erklingt. A notiert T.557-60 in der LVI 2 2 ein Tremolo a3, staccato in Triolen c _a -c ,für den Rest der Zeile Wiederholungszeichen [/.], die VIa-Zeile bleibt leer ohne reguläre Pausenzeichen (2.VI = EA). AMH ist in den T.1-4 [ = 557-60] LVI rasiert, dann mit der ganzen Zeile gestr. (Stift); offenbar plante Mahler zunächst eine Korrektur, da auch die Zeile der 2.VI rasiert ist, um zuletzt unten 2 Zeilen für die geteilte LVI zu notieren ( = EA, Tinte, T.559ff "/."), und den Akkord der 2.VI in Stift neben "pizz" (nicht EA, T.557, Stift) nachzutragen; in die mit Pausenzeichen versehene VIa-Zeile notiert er nach Rasur die neue Flageolett-Stimme ( = EA, Tinte, T.557f, dann "/."); unten auf der letzten Leerzeile notiert er gesondert die einzelnen Flageolett-Griffe; Bog.17, S.l A: setzt LVI fort wie auf vorhergehender Bogenseite (T.565ff): (Bei-

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Die beiden Handschriften

spielt)

AMH : LVI (Tutti) gestrichen (Stift) und unten korrigiert (=EA-Stp T.569 2. = 1.Hälfte, erst W-Stp/EA-Dp wieder 2.Hälfte wie zuvor) (Beispiel 2); ,/' In A erscheint die Triangel T.569, 571 als nachträglicher Zusatz ( = EA, Tinte), in AMH integriert; Bog.17, S.2 A: Fortsetzung wie im angegebenen Beispiel (T.572-74, T.575f Pause), in AMH korrigiert Mahler innerhalb der Zeile (LVI) nach Rasur [2.Hälfte ausl drücklich wieder a-d (Flag.) statt cl_fl], und "N.B. für den Setzer: immer in 2 Zeilen untereinander zu schreiben!"; 3. Satz: Bog.l, S.l Pke inAgestr. [Viertel:d-Pause-A,T. 4,10] (Stift), AMH notiert Pke vollstängig mit Pausenzeichen ohne Eingriff (=EA); TA sind die Doppelgriffe in A VIl/2 korrigiert, VIa/Vc gestr. (Stift), AMH gibt ohne Eingriff die korrigierl99 te Version [höhere Lage, pz ] ( = EA); bemerkenswert ist ferner der als zweitaktiger » Vorhang« notierte Anfang der Hornstimme in A vor dem Akkoladendoppelstrich, der infolge von Rasurspuren vermutlich erst' nachträglich erfolgte - fehlt in AMH, die dasselbe Partiturbild der EA aufweist; nur AMH macht unten die "(Anmerkung für den Setzer:/bezüglich der Orchesterstimmen) Corno obligato in die 1.Hornstimme / 1.Horn in die 3[.][... ] / 3[.]Horn in die 5[.]Hornstimme zu legen" (Tinte, AMhs) [die Anmerkung ist offenbar auf eine mündliche Anweisung Mahlers zurückzuführenfOO; der FaglKlar-Auftakt ( = AMH/EA, T.5) ist in A sicher nachträglich und im Fag undeutlich (blassere Tinte über dem Schlüssel-Zeichen, pz gestr.), gilt wahrscheinlich auch für FI TA; Bog.l, S.2fTriang nachträglich T.18,20,29,31 in NAMH (=EA, Tinte/Stift, Mhs), C.O. [= Corno obligato] in A gestr. (=EA, T.12-14 Liegest.) - in AMH Rasur; Ob T.29-32 eine Terz tiefer (A: undeutlich überschrieben, AMH: Rasur und Stift [?], =EA); Hrn "a2" [statt a3] T.27 (=EA, NAMH, Tinte/Stift); SA A: T.37 vollständig gestr. (Tinte[?]), die Korrektur ist in AMH und EA nicht ausgeführt; Triang nachträglich T.35 in AMH (=EA, Stift); Bog.2, S.1f Vc/Kb in A T.39-56 gestr. und nachträglich an 3.Pos/Tub übertragen ( = EA,Stift) - in AMH integriert [eine der wenigen Änderungen, die Mahler später (M-Dp/ W-Dp) zurücknimmt, indem er die Baßführung wieder Vc/Kb übergibt]; Triang T.62 nachträglich (=EA, NAMH Stift[?]!finte); S.3 A: Streicher (außer 1.VI) T.68f rasiert, Doppelgriffe nachträglich ( = EA, Stift), AMH zeigt nur in der 2.VI kleine Rasurspuren; Triang, Beck nachträglich T.64 und 67 in NAMH ( = EA, Tinte, Mhs); A enthält für "3.Trp mit Sordine" als Zusatz ein Unisono mit C.O. T.6772 (Tinte ~ das in AMH ( = EA) fehlt; S.3f Glsp I nachträglich T.72-81 in AMH (=EA, Stift); der KFag-Auft.(72) erscheint in A S.3 unten als Zusatz, SA als Zusatz der Akkoladen-Kennzeichnung der Fag-Zeile (Tinte), in AMH integriert mit je eigener Zeile; Bog.3, S.l T.89 in A doppelt und gestr., fehlt in AMH ( = EA); C.O. [ = 1.Trp, T.8486] in N AMH gestr. ( = EA, Stift), aber l.Trp in AMH [T.84-86] von Mahlers Hand (Tinte, blassere Färbung, Rasur, pz); S.2f A: VIa T.101-105 gestr., neue Stimme ( = EA) unten als Zusatz, in AMH nach Rasur integriert (Tinte) [einer der wenigen Fälle, in denen die Korrektur die Neukomposition einer Stimme bedeuten] (Beispiel 3); S.3 1.3.Hrn in A gestr. (Tinte), in AMH Rasur, Finalfigur Hrn 3 T.103-105 nachträg-

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Beispiel 1, A, 2.Satz, Bog.17, S.l b,5

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Beispiel 3, A, 3.Satz, Bog.3, S.2f ,I

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18Unlg.

Die beiden Handschriften

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lich ( = BA, blasse Tinte, Stift); in A hat sich Mahler im Einsatz der 1.Trp geirrt, die er einen Takt zu früh notiert, was er mit geschweiften Taktstrichen berichtigt - fehlt inAMH; Triang, Beck nachträglich T.11O, 112, 115 inAMH (=EA, Tinte, Mhs); S.3f 2.3.Trp [3.mit Sord.] in NAMH nachträglich T.115-123 (=EA, Tint~ Mhs/AMhs [AMH integriert nicht]); S.4 Pke in AMH T.116/118 gestr. [Viertel d/d-A, AMhs, Zeile in Normalposition] (Stift), fehlt in A ( = EA) [eines der wenigen scheinbaren Gegenbeispiele zur chronologischen Abfolge; dennoch ist nach den Rasuren 2.VI, VIa, die in AMH fehlen, A früher als AMH anzusetzen; möglicherweise ist der Paukeneintrag auf mündliche Anweisung hin entstanden]; Bog.4, S.l Fortsetzung 3.Trp mit Sord. nachträglich T.124-129 oberste Zeile in N AMH ( = EA, Tinte Mhs/AMhs); S.2 C.O. T.132f, 135 gestr. in A (Tinte)/AMH (Rasur) (=EA, [Unisono Hrn 1-4]); 2.3.Trp nachträglich T.131, 133f in NAMH oberste Zeile (=EA, Tinte Mhs/AMhs); S.3 AMH: VIa T.142-145 nachträglich (=EA, Tinte nach Rasur, Mhs [unisono Fag statt 1.VI T.142f]); ebenso 2.VI T.144-147 nachträglich (= EA, Stift nach Rasur [A: Leerzeile mit Pz]), beide Korrekturen fehlen in A; S.4 1.2.VI, VIa in AMH T.148f [A: 2.VI Pause, 4/8-Auftakt unisono Vc], T.149f [A: VIa Doppelgriff g_cis 1_g 1 und a_d 1_f 1], T.150 [A:1.VI Pause] geändert (= EA, Rasur und Stift); Bog.5, S.2 NAMH: Zeile Fag, Pke gestr. [betrifft T.176-178] (=EA, Stift); A: 2.3.Pos nachträglich T.176-178 letzte Zeile (=EA [=ursprünglich Fag, den Rasurspuren nach zu urteilen erwog Mahler auch die Übertragung an V c], Tinte), in AMH integriert; KFag [ = unisono Fag T. 176-178] in A gestr., Zeile fehlt in AMH; NAMH unter Akkoladen-Kennzeichen C.O. "1.Horn" und T.176 "a2" (=EA, Tinte/Stift); S.3 A: "1.u[nd]3." Hrn unter Akz C.O., T.180 "a2", 189 "a3", AMH notiert "1.Horn" unter Akz C.O., "a2" T.180, 3. T.189 nachträglich in oberster Zeile (= EA, Stift); S.4 NAMH: "1.und 3.Horn" unter Akz C.O. und "a3" T.190 (=EA, Tinte/Stift); Bog.6, S.1"3.0b nimmt engLHr" in A ( = EA, Z.8) von der Hand Alma Mahlers der einzige AMhs-Beleg in A, der die zeitliche Nähe der Herstellung der beiden Handschriften bezeugt, denn nach dem Sommer 1902 dürfte sie mit dem Autograph nicht mehr in Berührung gekommen sein]; S.3f C.O. nachträglich oberste Zeile T.229-232 in A ( = EA, Tinte), in AMH integriert; S.4 A: 1.Trp Unisono 2.V1!V1a T.231-236 gestr. [zuerst in regulärer Zeile mit eintaktiger Verspätung notiert, dann korrekt oberste Zeile und beide gestr.] (Tinte), fehlt in AMH ( = EA); Bog.7, S.l A: C.O. T.245f nachträglich oberste Zeile ( = EA, Tinte), in AMH integriert; S.2 Pos Auftakt 258 oberste Zeile [S.3 Normalposition], ( = EA, Tinte), in AMH integriert; 2 S.3 Fag inAMH T.261-265 rasiert und pz (=EA), fehlt in A [Liegest.d ]; S.4 2.VI, VIa T.270f, T.274f nachträglich in AMH ( = BA, Rasur, Tinte [A: T.270f 23 Pz, T.274f d-d1 ,d1-g1,d2-g2,g -d (Vc, VIa, 2.VI, 1.VI)]; Bog.8, S.l KFag nachträglich T.282-285, 290-292 in A unterste Zeile ( = EA, Tinte), in AMH integriert;

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Die beiden Handschriften

Bog.9, S.l geänderte Baßführung T.348 in Al\1H: A auf 2. statt 1.Zählzeit [=A] (nicht EA, gestr., Stift, Rasur [sie enthält weiterhin die oberen Töne der Doppelgriffe T.346f, 349f, 352 sowie VIa T.353, 356]); die folgenden Seiten demonst~.ir mit Evidenz die zeitliche Abfolge der beiden Handschriften, da das Autograph größere Korrekturen enthält, die Mahler zur Neuschrift der Seiten bewogen haben, in Alma Mahlers Abschrift jedoch bereits in der korrigierten Version erscheinen. S.2 A: Klar, Z.12, T.352-359 nachträglich oben (Stift) ohne Spezifikation [Akz]; Klar 1/2 [= unisono 1.2.Fag, Regulärzeile ] T.360-363 gestr. (Stift), und darüber "2Hö[rner]"; 1.VI, T.360 notiert Mahler "4FI[öten]" (Stift); die ursprüngliche VcStimme, T.353-357, ist eingekreist und unten in Terztransposition (= EA) neben pizz, p T.359 nachgetragen (Beispiel 4); S.3 = Neufassung von S.2; die gesamte Akkolade ist eingeklebt; alle Änderungen sind ausgeführt wie auf S.2 angezeigt, bis auf die fehlende Ersetzung der Fag-Parallele [Klar 1/2] durch die "2 Hö[rner]": Fll-4 übernimmt die 1.VI T.360-364, und 1.VI erhält Liegest.[fl] T.360-363 (nicht EA, die T.363f streicht), Vc (T.353-355) und 1.Klar (T.352-359) in der neuen Version; Fag 1/2 in 2 Zeilen; zusätzlich Pke T.360363 neu und die Fag-Parallele durch VIa T.360-363 fehlt [pz] (=EA, alle Ausführungen in Tinte, Mhs ohne Korrektur); es folgt eine Leerseite; SA A: die Seite ist diagonal gestrichen (Stift), da sich Mahler in den Einsätzen geirrt hat; die 1.VI setzt einen Takt zu spät T.367 statt 366 ein [in den beiden ersten Takten rasiert, T.364f noch 1.VI statt Fl], Tub und KFag einen Takt zu früh (T.369 statt 370) [KFag unisono Tub, nicht EA]; Kb fehlt [Leerzeile ohne Pz]; V c T.372-77 fehlt [Leerzeile ohne Pz, Mahler hat die Stimmen vermutlich nicht mehr ausgeschrieben, nachdem er seinen Irrtum erkannte]; VIa Liegest.[b, T.364366]; S.5 = Neufassung SA, einen Takt (377) länger; Einsätze 1.VI! Tub, KFag berichtigt [KFagunisono Tub, nicht EA] FI nachträglich unisono 1.2.FagT.367f ( = EA, Tinte); V c und Kb ausgeschrieben ( = EA), VIa rasiert (364ft) und Pz, danach gemeinsam mit Zeile 2.VI vollständig gestr. (Tinte); Bog.9, S.2 AMH: Leerseite diagonal gestrichen, um mit A gemeinsame Bogen- und Seitenzählung zu erhalten. S.3-4 geben jeweils die korrigierte Version von A wieder [A, S.3 =AMH, S.3/ A, S.5 =AMH, SA] S.3 notiert Alma Mahler irrtümlich Pos statt Pauke als Akz, da Mahler in A AkzPke mit "P." abkürzt [Setzer korrigiert]; SA 1.2.Fag T.367f nachträglich ( = EA, Tinte, pz-Rasur, Mhs) [die entsprechenden Takte sind auch in A stark rasiert, so daß Mahler vermutlich zunächst plante, die Fag-Stimmen an 1.2.FI zu übertragen, um in einem 2. Schritt das Unisono wiedereinzuführen]; KFag nachträglich Unteroktav-Unisono Tub mit modifiziertem T.371 [B = Halbe statt Oktavsprung in Vierteln] (= EA, Tinte nach Rasur); 1.VI wie A Liegest.[g2] T.372-378; Zeilen für 2.VI, VIa fehlen; 1 2 Bog.1O, S.3 Klar 2/3 TA03 [A: h _d = Unteroktav Fl] in AMH gestr. (=EA, Rasur, pz); SA Fag, KFag mehrfach vertauscht in NAMH [vermutlich hat sich Alma Mahler bei der Abschrift geirrt]; 1.A: FagTA15-418 inKFag-Zeile, KFagTA17fumgekehrt [TA19ff=EA]; Akz vorne vertauscht (Tinte, Rasur, mit Stift unterstrichen), TA19 richtiggestellt [wieder 1.2.Fag über KFag]; 2.AMH: führt die Vertauschung für die ganze Zeile aus, so daß Mahler erneut TA19 durch "N.B. Setzer! Fag in CF [ + Doppelpfeil]" sowie "1.2.Fag" [KFag-Zeile und erneutes Vertauschungszeichen], TA22

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Beispiel 4, A, 3.Satz, Bog.9, S.2

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Die beiden Handschriften

"Contrafag" [Fag-Zeile] korrigieren muß ( = BA, Stift [auf der nächsten Seite sind die Stimmen in der Version der EA regulär fortgeführt, so daß die Vermutung, daß sich Alma Mahler geirrt hat, naheliegt]); ,/ Bog.ll, S.3 (repräsentativ für einige andere seltenere Fälle:) Auflösungszeichen statt b nachträglich vor a2 TA55 in NAMH ( = EA, Tinte/Stift); SA Glsp, Beck nachträglich T.462-466 in AMH ( = EA, Stift, Mhs); Bog.12, S.l Glsp/ Holzklapper nachträglich TA68/472-475 in AMH (=EA, Stift, Mhs); VIa [= Unisono 1.2.VI, TA72-475] in A gestr. (Stift), Zeile fehlt in AMH (nicht EA, die die VIa als Baß-Unisono einführt); 1.2.VI in AMH T. 472-475 vermutlich nachträglich (blassere Tinte, Mhs); AMH 3.Pos T.468 nachträglich an Tub ( = EA, Stift, pz); S.2 Beck [mit SchwammschI. ] TA80, TA86-488, Holzkl. TA82-485, Triang TA86-488 nachträglich in AMH ( = EA, Stift); S.3 Triang, Beck T.489, 492 nachträglich in AMH ( = EA, Tinte, Stift [möglicherweise in 2 Schritten: Beck T. 492 neben Triang TA89 zuerst in Tinte]; Bog.13, S.1fGlsp Z.18-T.527 nachträglich in AMH (=EA, Stift); Trp T.518 Überbindung 1/4 statt 1/8 (=A) in AMH (=EA, Tinte, Rasur); S.3 [3.]"nimmt Clar in Es" in AMH (nicht EA [=3. in D], Stift, Mhs); SA Triang in NAMH T.544, 546 nachträglich (=EA, Tinte, Mhs/Amhs). [Akz ist in A nachgezogen, pp durch p überschrieben, Stift; die Art der Korrektur (in beiden als Zusatz, aber in AMH von Alma Mahlers Hand) weckt die Vermutung, daß Mahler auch während des Kopiervorgangs rückwirkend Zusätze an fertiggestellten Seiten vornahm]. Bog.14, S.l Triang, Beck in NAMH T.548, 551 nachträglich (=EA, beide Stift, Mhs); Glsp T.551-556 [Auft.550 fehlt] nachträglich inAMH (=EA, Stift); S.1f AMH: Klar 1 in C umgeschrieben nach 3.in Es (nicht EA [ = 3.Klar in D], Tinte, Mhs, oberste Zeile [S.l nachträglich in Stift, urspr. Zeile gestr.] Auftakt 550f in A f2-f3 [=EA,1.0b] wie FI3/4), 2.3.Klar in A werden 1.2. (=EA, Z.20, Stift, Mhs); NAMH Fag/KFag und Vc/Kb in einer Zeile [ein Erfordernis aus Platzmangel, da das Papier nicht mehr Zeilen enthält, Akz beide "1.2.Fag u.C.F., c.u.B." , Mhs/AMhs]; S.2 Glsp, Triang nachträglich T.557-559/562f in AMH ( = EA, Stift, Mhs); S.3 AMH: 3.Klar in Es [Regulärzeile ] gestr. und "siehe oben" (Stift, Mhs), oben dasselbe umgeschrieben nach Ces-Dur [wie S.lf] statt H-Dur (Stift, Mhs); 2.3.Trp in A T.571 oben nachträglich, jedoch SA integriert (Tinte, Mhs [eine gelegentliche Notationseigentümlichkeit Mahlers, Auftakte am Akkoladenende herauszuziehen]), in AMH integriert; 2. VI T.571 eis-h nachträglich in AMH von 2.[ = A] in 1.0ktave transponiert ( = EA, Stift, Rasur); SA Beck T.578 nachträglich in AMH ( = EA, Stift); Bog. 15, S.l A: 1.2.VI vollständigT.580-591 vertauscht (=EA, Stift vor Akkolade [2. in Zeile für LVI notiert und umgekehrt]), inAMHbereits ausgeführt [ebenfalls eine deutliche Evidenz für die chronologische Abfolge A = Vorlage von AMH; S.2 reguläre Fortsetzung, so daß Mahler vermutlich ein Irrtum unterlief, jedoch keine Instrumentationsänderung beabsichtigte]; S.3 "[3.]nimmt Cl in B" nachträglich T.61O in AMH (= EA, Stift); Bog. 16, S.1f 2.3.Trp in A Z.24 nachträglich oben ( = EA, Tinte), in AMH integriert [obwohl ganze Zeile ohne Akz auf S.l starke Rasurspuren aufweist]; S.2 1.2.Fag, KFag T.633f in AMH gestr., T.635 f[ orte], a2 ( = EA [NA kommt auf die

Die beiden Handschriften

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ursprüngliche Version der 3-fachen Baßführung zurück], Stift, Rasur); S.3f Hrn-Dynamik T.645-654 nachträglich in AMH ( = EA, Stift); Bog.17, S.l TriangT.661, p T.662 [Vc, Kb] nachträglich inAMH (=EA, Stift); S.2 1.2.3.Klar nur Auftakt 681 in A, AMH integriert volle Zeile [Pz, S.2 normal]; S.3f Glsp T.685-696 nachträglich in AMH ( = EA, Stift); Bog.18, S.11.2.Fag nachträglich unterste Zeile in A ( = EA, T.704-708, [wahrscheinlich ein Versehen] Tinte), in AMH integriert; C.O. sempre ffT.701 nachträglich in AMH (=EA, Stift); 1 Bo~.19, S.l Akz Hrn2A. statt 2.3. (=AMH!EA) inA, aberT.759 f-c inAMH statt g-d (= NEA) [in beiden Handschriften unkorrigiert und vermutlich Kopierfehler in AMH; Fag 1/2 T.759 in AMH rasiert]; S.2 Gr.Tr. "mit Schwammschlägel" T.764 in A, fehlt in AMH ( = EA); SA Triang Dynamik T.784ff nachträglich in AMH ( = EA); Akz Hrn 1.3./204. in A statt 1.2./3A.in AMH ( = EA); Bog.20, S.l Kb-Zeile in A nur Pz, Zeile fehlt in AMH; AMH enthält die "Anmerkung für den Setzer: TI.VI, Viola und Celli dieselbe Orthografie wie I. VI" (Stift, Mhs) [LVI zeigt Rasurspuren und Kreuz- statt b-Notation T.795f], in EA ausgeführt; S.2 Trp nachträglich f [statt ff = A] ( = EA, Tinte, Rasur) S.3 C.O. und Hrn 3/4 T.813, 1.3.Hrn T.81lf in AMH nachträglich (=EA-Stp bis auf C.O.T.813 [=EADp],blasse Tinte, Rasur oder gestr.Pz) [in A alle Angaben ohne erkennbaren Eingriff vorhanden; wenn neben dem Setzversehen kein Kopierfehler Alma Mahlers vorliegt, hat Mahler die Ergänzungen nachträglich in die an der Stelle noch ohne Pausenzeichen versehene Seite eingetragen]; SA Setzer [mit großer Wahrscheinlichkeit] fügt rechts unten, letzte Zeile, das Datum 23/10/03 ein (dünner Stift)202.

III Die Fülle der verfügbaren Daten macht eine Auswahl unumgänglich, die einen Kompromiß zwischen der Darstellung der Details und dem Aufwand, der notwendig ist, um das Prinzipielle einsehen zu können, zu suchen hat. Wenn im folgenden der schon bei den Vortragsanweisungen behandelte Aspekt der Differenz der beiden Handschriften zur Studienpartitur-Erstausgabe wiederaufgegriffen wird, so aus zwei Gründen. Zum einen finden sich in den beiden abschließenden Sätzen häufiger geringfügig anderslautende Stimmführungen zur EA, die auch im vorhergehenden stets angeführt wurden. Sie erscheinen zumeist auch in AMH noch in unkorrigierter Version. Zum zweiten treten in allen Sätzen an das Unisono-Prinzip gebundene Instrumentationsvarianten auf. Gemessen an der EA, ist die Parallelführung entweder unvollständig oder, weniger häufig, umfänglicher. Diese Unisono-Varianten spielen sich jedoch immer in einem sehr engen Rahmen ab, der selten mehr als zwei Takte umfaßt. Die wichtigsten Differenzen zur EA eingeschränkt auf diebeiden Schlußsätze und unter Einschluß des dynamischen Aspekts aufzulisten, erfüllt nicht nur die Aufgabe, die Akribie zu verdeutlichen, die Mahler der Überarbeitungseiner Partitur während des Druckvorgans widmet. Sie läßt auch Merkmale seiner Korrekturpraxis erkennen, die weitere Rückschlüsse erlauben. Zum einen ist seine Revisionstätigkeit selbst am kleinsten Detail orientiert. Nichts scheint unerheblich, selbst wenn es auf den ersten Eindruck gar nicht zum Höreindruck beiträgt. Zum zweiten existiert (wie bereits erwähnt) kein »Referenzexemplar«,in

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Die beiden Handschriften

dem er beständig die jeweils letzten Änderungen festhält. Die Differenzen zwischen AMH und A müssen nur im Bürstenabzug oder den Korrekturabzügen der Stimmen fixiert worden sein. Auch der Erstdruck kann nicht so angesehen werden, diese Funktion ~' erfüllen, da Mahler die Studienpartitur ausdrücklich als Provisorium ansah. Durchaus im Gegensatz zum Grad an Genauigkeit, der dem scheinbar Unbedeutendsten Beachtung schenkt, ist das Ergebnis eine von Anbeginn an beständige Bewegung, in der sich die Fixierung der Partitur befindet. 4. Satz; Bog.l, S.3 AMH: "(Anmerkung für den Setzer: Celli in 2 Zeilen[,] 2.Stimme im Baßschlüssel)" (Stift, Mhs) [Setzer schreibt die Stimme unten S.3f aus], fehlt in A·, Bog.2, S.1-3 treten in NAMH dieselben Rasurspuren in der Vc/Kb-Zeile auf; offenbar hat Mahler die 2.Hälfte der Ve-Stimme in die 1.Hälfte Kb übertragen, die wie T.23f (EA) notiert ist [pizz/arco]; T.25-30, Kb, NAMH: (Beispiel 5) Die Rasuren der Kb-Stimme (T.34-40) gelten vermutlich einem liegenden Fis, das die 2.Hälfte V c übernommen hat ( = EA, T.35f nur in A nicht gestr.); Bog.2, S.l VIa/2.VI T.22inNAMHvertauscht; S.1f Hrf T.27 [Fis-es-b], T.28 [E], T.29 ~B-fdes 1] fehlt in N AMH; S.2 VIa T.29 allpunktierte Halbe] g _f1 [Achtel], Vc T.29f eisl übergebunden [1.Viertel statt es -des 1], LVI T.30 4.Achtel ges [statt Pause] in NAMH; S.3 f T.39, sf 2.VI, VIa TAO nachträglich in AMH (= EA, Stift, Rasur [statt p/sf 1.2.VI, VIa/Vc,Kb = A]); SA LVI Vorschlag g TAl nachträglich in AMH, V c TA1f ohne Leersaiten-Baß CisGis, 2. VI sf decresc TAl fehlt inNAMH; poco a poco cresc in allen Streichern TA2ff (=A) in AMH bis auf cresc gestr. (=EA, Rasur), VIa b [vor es1] TA6 fehlt in NAMH; Bog.3, S.1-3 ein exemplarischer Beleg für den Status der Reinschrift: Harfe vollständig in beiden Quellen mit pz in die Akkolade integriert [Setzer streicht sie in AMH aus Platzersparnis]; S.l die rhythmische Artikulation T.54/56, LVI, fehlt noch in N AMH; die dynamischen Angaben sind noch nicht vollständig spezifiziert; BogA, S.l Harfenakzente T.74ff fehlen noch (NAMH); 1.VI3.Viertel T.75 nach1 träglich gl statt b ( = A) in AMH ( = EA, Stift, Rasur); V c T.78 pizz nachträglich in AMH [A:Halbe] (=EA, Rasur, Tinte[?]); S.2 2.VI T.80fnachträglich inAMHgeändert (=EA, Stift[?], Rasur), in Alautet die 2.VI exakt wie T. 7-8 [ein Beleg für seine Maxime, daß "sich nichts wiederholen darf']; Kb T.84 fehlt (NAMH); S.3 Kb T.87-90 nachträglich in AMH korrigiert [pizz statt areo, punktierte Halbe T.88-90] (=EA,Rasur, Stift); LVI T.91 inNAMHnochohne Vorschlag; Kreuz vor cl, HrfT.92 in AMH gestr.( = EA, Rasur); SA Hrf eis2 (=A) T.93 fehlt in AMH (=EA, Rasur, pz); Kb ff (T.95), mf (T.100 LVI, Vc, Kb) fehltinNAMH; 5.Satz:Bog.5, SA A: Kb zwischen 4. und 6. Hrn notiert (Tinte, Akz KbNc mit Kreuz versehen und unterstrichen) und 5.Hrn unter 6., AMH integriert vollständig; Bog.6, S.l Hrn 1.3. "immer a2" TA7 nachträglich in AMH (Stift); Hrn 4 TA5, 47 unisono 6.Hrn in NAMH; rhythmische Artikulation in FI3A., Hrn 1.304.6., aber nicht Fag 2.3., Kb TA7(ff) in NAMH vorhanden [gilt repräsentativ für vergleichbare Fälle, die im folgenden nicht mehr vollständig angegeben werden];

Beispiel 5, A, 4.Satz, Bog.2, S.1f

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Die beiden Handschriften

S.2 Pke Z.2 nachträglich in A ( = EA, Tinte, Mhs), in AMH integriert; S.4 VcT.67 [A:fis, e-dNiertel, Achtel], T.78 [A:e Halbe], KlarT.80 [2.Achtel cl statt e l ] in AMH geändert (=EA, Stift[?]); NAMH Klar T.83 nur staccato [ohne"Pz]; ," Fag (wie erwähnt) T.79 in Vierteln [Pause, D-Cis-HI!in NAMH; Bog.7, S.l FI 3/4 T.86f Unteroktave 1.2. [dis 2-e2-eis _fis 2] in NAMH (nicht EA, gestr., Tinte, Mhs/AMhs); "Anmerkung für den Setzer: I.VI ohne Füllungen[?] ausschreiben!" in AMH (Stift, Mhs) [1.VI ist ab T.84, e3 in NAMH mit 8va-Zeichen notiert, T.88 in AMH rasiert und mit Stift korrigiert]; S.21.VIffT.99inAMHgestr. (EA ::::;p, Rasur), VcinNAMHT.99 fstatt sf( =EA); S.4 Vorschläge Ob, Klar T.1l4 fehlen in NAMH; Bog.8, S.l AMH: Kb T.1l6fnachträglich pizz, T.1l8 arco (=EA, Stift nach Rasur), fehlt in A [übergebundene Ganze a]; Blechbläser p T.1l9 [S.2 T.123] fehlt in

NAMH; S.4 NAMH LVI T.138 [S.3], 140, 146, 148 ohne Doppelgriff; (exemplarisch zur Chronologie: Kb in A T.144-148 stark rasiert, pz [wahrscheinlich ein Unisono mit VIa gestr.] - fehlt in AMH); Bog.9, S.l NAMH: T.150 1.2.VI ffstatt p (=EA), 2.VI a T.152, Vorschlag T.153, cl T.156 fehlt; dynamische Angaben noch unvollständig (p nach cresc oder cresc nach p fehlen) oder irrtümlieh (Vc/Kb T.150 f cresc f, EA=p [.. ]); Vorschläge VIa T.154/156 fehlen; S.2 2.VI NAMH: Doppelgriff T.158 2.VI fehlt, Kb b vor a fehlt (VIa vorhanden); Vc/Kb T.166 [al/al fehlt; S.3 NAMH: Vc/KbT.167fstattmf( =EA); Z.7 sempre f(EA: ff), T.181 mf( =EA) nachträglich inAMH (Stift, Mhs); Fll-4 fehlen inNAMHT.18lf; S.4 Trp T.190 uninoso LVI in N AMH [nur Auftakt, mf decresc p]; 2. VI T.19lf ohne Überbindung in AMH; Bog.lO, S.l VIa T.195-202Iautet inNAMH: (Beispiel 6); Die Achtel der VIa T.202 [ab 2.zählzeit] hat Mahler mit der 2.VI vertauscht [=NAMH, übergebundenes fl=Achtel, -pause]; Vc/Kb T.201 d-H in NAMH statt H-Fis (=EA), T.202 fehlt 1. Viertel H; S.2 Vc/Kb T.204 nur d auf 3.zählzeit, 2.VI T.2lO fisl-fisis l [punktierte HalbeViertel] in NAMH; S.3 NAMH: Vc T.214 ohne cis1 [Ganze gis]; 2.VI T.219f ohne Überbindung [220 1.Viert.Pause]; Kb d l T.220 [Pause], fT.221 fehlep.; VIa 215-221 lautete: (Beispiel 7)

S.4 NAMH: Streicher Z.8 sf statt sfp/p (=EA); in A notiert Mahler nachträglich unten den Vorschlag V c T.223, der in der Zeile infolge Rasur unleserlich ist (Stift, Baßschlüssel, in der Zeile ( = EA) im Tenorschlüssel); FI, Ob, Klar T.230 f, Streicher sf, in AMH nachträglich 1.2.VI ff ( = EA, Stift), p crescs. decresc p [HlzbVStreicher] fehlt; Vorschlag LVI T.230 fehlt; Bog.ll, S.l LVI "4-fach geth[eilt]", ab T.237 Unterstimme in der Zeile für 2.VI notiert (NAMH); S.2 NAMH: Vc T.249 p statt pp, VIa, Vc 253 pp statt ppp (= EA); S.3 stets stacc.- Viertel statt AchteV-pause; S.4 FI in A T.265 ff, AMH f (Mhs/AMhs [Rasur ?]); Bog.12, S.l NAMH: 2.VI T.272 [=Auftakt a]-273, Zählzeit 1f unisono VIa [folgt halbe Pause], T.274 [2.Achtel] Fortsetzung unisono mit VIa bis T.279 [4.Achtel];

47

Beispiel 6, AMH, 5.Satz, Bog.lO, S.l

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48

Beispiel 7, AMH, 5.Satz, Bog.lO S.3

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20 linig.

Die beiden Handschriften

49

S.3 Fag T.292-296 unisono Vc in NAMH; 304.Trp nachträglich T.296 mf in AMH (NEA=ff, Stift); Ob, Klar T.296 "Sch[alltrichter] auf!", einschließlich FI ff statt f ( = EA); S.3f Ob T.296-299 unisono Klar in NAMH; So4 Hrn 1-4 letzte Zeile unten in A [nur Auftakt], AMH integriert (neben nur in A auftretenden Rasuren ein deutlicher Beleg für die chronologische Abfolge auch im Finalsatz bei gleichem Inhalt und gemeinsamer Differenz zur EA); A/AMH: Trp T.299-304 nur 1.; Bog.13, S.l NAMH: LVI T.310 sfstatt f (=EA); S.2 3.Klar in C oberste Zeile in A, AMH integriert ( = EA) [offenbar trotz gewöhnlicher Tinte nachträglich in A, da "3."(Akz) vor der Zeile rasiert ist; S.3 NAMH wie EA, EA-Dp schreibt mit Fußnote um nach D]; So4-Bog.14, S.l Klar 1-3 T.339-340 unisono Fag in NAMH [ohne abschließende Halbe H], Fag T.339 ff (statt f = EA); Trp in AMH nachträglich T.337f p [decresc pp] (=EA, Stift [A:mf]); Vc in NAMH T.339 P statt f (=EA); Bog.14, S.l Pos inA gestr. (=EA, Tinte [T.340 umsono Fag], Zeile fehlt inAMH; NAMH: T.342 LVI g-Saite; Vc T.343 [unisono Kb 5 Achtel + Auftakt] fehlt in

NAMH; S.2NAMH: KlarT.35lf[unisono VIa] fehlt; Kb T.349 ffstattf( =EA);ff( =A) VIa T.350 fehlt in AMH [Kopierversehen]; nur 304.Trp (Akz, statt 1.2./304.); S.2f FI, Klar T.353-364 in N AMH [ein Liegestimmenklang, den die NA in veränderter Farbe (Ob, E.H., Klar) wiederaufgreift] : (BeispielS) S.3 bildet einen weiteren sprechenden Beleg für die Chronologie. In A hat Mahler die Zeilen für VIa, V c und Kb durchgestrichen und unten erneuert (Tinte). Er plante zunächst einen Kanon der LVI durch die VIa, um ihn dem Vc zu übergeben. Die bereits notierten Übergänge (zu Z.14) sind infolgedessen in den beiden Versionen leicht modifiziert [VcIKb-Zeilen sind nach T.350 leer]; die 2.VI ist T.357 -362 rasiert - offenbar hatte Mahler sie ursprünglich unisono zur LVI ausgeschrieben [wieder ab M-Dp]; der Wechsel von 1. zu 2.VI vollzieht sich nicht wie in EA T.360/361 [LAchtei], sondern mit dem 5.Achtel von T.362; in AMH erscheint die korrigierte Version ohne Spuren eines nachträglichen Eingriffs, zusätzlich integriert sie die 3.Pos, die in A oben nachträglich notiert ist (Tinte); So4 1.Trp nachträglich oben in A (Tinte) ab T.372, in AMH integriert; Trp 3/4 Z.15 a3 [ohne 1.Trp], f decresc p (EA: nur f); Bog.15, S.l A: 1.2.Hrn vollst. gestr., T.373-381: (Beispiel 9) In AMH fehlt die Zeile; N AMH realisiert zugleich für Hrn 3/4 ein Vorstadium zur EA: wie im vorhergehenden Beispiel T.373-376 [ = A, 1.2.Hrn] ( die EA übergibt an die VIa und die VIa an 304.Hrn); 2.VI T.379 fehlt in NAMH, ebenso Hzbl sempre p, Streicher pp sub T.381; S.2 Partitur-Anomalie in A: 1.Hrn über 1.2.Fag und Vertauschungs zeichen [überkreuzende Pfeile vor Akkolade], KFag [Akz rasiert], Hrn 3/4 [Akz rasiert, T.383-385 unisono VIa] gestr., Zeilen fehlen in AMH; S.3 VIa in AMH nachträglich T.392 Ganze d 1 (=EA, Stift, Rasur [A: d1_f, jeweils Halbe]); LVI pp T.399 fehlt inNAMH; FagTo401 fis, a2, p [Ganze mitHaltebogen] inNAMH; So4 cresc in A versetzt von To403 nach 405, fehlt in AMH [Mahler wiederholt in AMH die Angabe in den Streichern und zieht die in A undeutlichen Vorschläge nach]; NAMH: Klar To402 fehlt, Kb To403f Ganze (statt pizz);

Beispiel 8, AMH, 5.Satz, Bog.14 S.2f

50

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51

Beispiel 8, AMH, 5.Satz, Bog.14 S.2f

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11 N96

20 11010.

Beispiel 9, AMH, 5.Satz, Bog.15 S.l

Die beiden Handschriften

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2 I Bog.16 S.2 KlarT.422 nachträglich in AMH geändert zu b -fes (= EA, Stift, Rasur [A:des.i -fes2]); Klar T.423-425 unisono Fl. in A/AMH [die EA ersetzt Klar durch 3.4.PI; Akz in AMH nur "1.2.Klar" trotz 3-stirnrnigen Satzes, A "1.2.3.Klar"]; VIa in AMH nachträglich Z.17 rnf (=EA, Stift [A: f]); Vc, Kb [2.Hälfte] in NAMH Z.p p, f statt pp, rnf ( = EA); S.3f Bögen V c T.435ff, 445ff nachträglich in AMH ( = EA,Stift); (AMH: vermutlich irrtümlich T.450 cresc p [ = EA], A lautet decresc p); Bog.17, S.l Bögen 2.VI, VIa T.453f, 458fnachträglich in AMH (=EA, Stift); S.2 A: Fag/KFag vollständig gestr. [Fag unisono V c/Kb, T.465-468], Zeilen fehlen in AMH; Ob T.461-464 unisono Klar in NAMH; PI T.465-468 fehlt in NAMH [ohne PI-Zeile]; 2.VI T,468 Ganze g2 inNAMH (BA: Achtel); S.3 LVI übergebundene Achtel (=EA) T,469 fehlt inNAMH; Pke, 1.2.Pos nachträglich unten in A [ganze Zeilen für T.471, 473], in AMH integriert; S,4 VIa T,480 wie EA-Stp in AMH, A T,480 = 479 [ = EA-Dp, somit Kopierfehler]; Bog.18, S.2 NAMH: 3,4. Trp gis T,496 statt disl ( = EA); KFag T,497-500 fehlt; S.3 NAMH: Streicher nur sempre ff T.502; Fag T.503 Halbe e übergebunden statt Pause (=EA); S.4 A/AMH: FI T.512, 514 fehlt; Streicher ohne dynamische Spezifikation bis auf KbT.51Offfrnf( =EA); KlarT.517 c3-cis3 stattces-c (=EA) [vermutlich Notationsirrtum]); Trp, 2.3.Pos T.517 punktierte Halbe-Viertel statt Halbe-Halbe ( = EA); Bog.19, S.l NAMH: F11-4 T.521 f (statt ff), T.525 (inkl.Auftakt) fehlt; Kb, 1.VI T.522 ohne ff; S.2 Trp 3/4 in NAMH T.528-530 [1.Halbe g] unisono 1.2. Pos; S.3 N AMH: l.2.Pos T.539-541 fehlt, stattdessen in Hrn 1-6 sowie Klar 1-3 unisono; Bog.20, S.l NAMH: 3,4.Trp T.55lfunisono 1.2.Trp fehlt [pz ohne Eingriff]; T.553 1.2.Trp ff (EA ohne Angabe); Tub, Kb T.557 nicht gestr.[übergebundenes GI]; 1.VI T.557 unisono 2.VI [in der EA-Version der 2.VI, wobei das abschließende Achtel in I AMH in 1. und 2.VI c2 lautet, in A in 2.VI jedoch b ]; VIa unisono Vc [desI_cI_desl_esI_desI_as, in demselben Rhythmus wie VI]; Trp 3/4 T.557 fehlt; S.2 Bögen in FI und I.VI T.563-565 nachträglich in AMH (=EA, Stift); S.3 Bögen 2.VI, VIa T.567, 569 dasselbe; sempre ff (= EA) fehlt stets; S.4 N AMH: Klar unisono Ob T.575-578 (in EA gestr.); FI T.579f fehlt; Bindung Ob T.580f fehlt; Bog.21, S.l A: Ob T.582 einschließlich Akz rasiert und gestr. (Tinte), Zeile fehlt in AMH (nicht EA); S.2 A: VIa nachträglich vorletzte Zeile, gestr. (Tinte) [Einsatz 1 Takt (598) zu früh], in neuer Zeile darunter korrigiert ( = EA), in AMH integriert; Rrfe T.596f fehlt in

NAMH;

Bog.22, S.l NAMH: Klar 2/3, Fag Z.28 p statt pp (=EA); Vorschläge 1.VI T.623, 625, sempre pp 2.VI, VIa T.627 fehlen; S.3f NAMH: FaglKFag T.643-649 unisono Vc/Kb; 1.2.Hrn unisono VIa T.643-645 (beide Verdoppelungen in EA gestr., Pause); Ob, Klar, FaglKFag, V c/Kb, T.643 p statt pp ( = EA); S,4 N AMH: FI T.651-653 Liegestimmenklang d I_eI [jeweils Ganze übergebunden], T.654 eI_eI, rnf (nicht BA, gestr.); Ob/Klar T.654 lauten: (Beispiel 10); Bog.23, S.l NAMH: Pag Leg.-Bogen T.658 ra-Al fehlt; dynamische Spezifikation noch unvollst.[ dasselbe S.2];

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Beispiel 10, AMH, 5.Satz, Bog.22 S.4



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Die beiden Handschriften

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S.2 Tub T.666, Hrn T.667f fehlt; S.4 3.statt 5.Hrn, T.684; (die rhythmische Artikulation der EA [Achtel, -pause] ist stets vorhanden); Bog.24, S.l Hrn T.696-697 in NAMH übergebunden; (1.2.V1 T.69lf noch Viert,el auf 4.zählzeit); S.2 und 3 hat Alma Mahler in umgekehrter Reihenfolge kopiert; oben: "2./Seite"[ = A, S.3], "l./Seite"[ = A, S.2] (stets Tinte/Stift, AMhs/Mhs); unten: "Anmerkung für den Setzer: diese beiden / Seiten sind zu vertauschen" (Stift, Mhs, über beide Seiten); Bog.25, S.l p T.726 fehlt bei Blechbläsern in NAMH; A: Z.33 Hzbl non leg[ato] gestr.(Stift) und nachträglich Bögen wie EA (Stift) [die Änderung muß vor der Abschrift erfolgt sein, da in AMH nur die Bögen mit Normaltinte erscheinen]; S.2 Tub cis T.731 (=ENAMH) ist ein Kopierfehler [W-Stp korrigiert], in A steht das d etwas undeutlich; S.3 ritardando beginnt in NAMH T.744 statt T.741 (= EA); Streicher-Triolen Tremolo T.74lf fehlt noch in N AMH; S.4 NAMH Z.34 2.V1 ebenfalls spiccato, p [notiert in Sexten]; erhebliche Rasuren in A [Vc,Kb,Ob,Klar], die in AMH fehlen; Bog 26, S.l Becknachträglich T.760, 764 inAletzte Zeile (=EA, Stift[?]), inAMH integriert; S.2f Beck nachträglich T. 768-779 in A letzte Zeile ( = EA, Stift), in AMH integriert; S.3 FagT.780-783 nur8va, nichtoktaviertinNAMH. S.4rechts unten fügt der Setzer das Datum "24/10/03" (Stift wie letzte Bogenseite Scherzo) ein.]

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Die beiden Handschriften - Resume

IV Die Auflistung der Gemeinsamkeiten und Differenzen der beiden Handschritfen zueinander und zur Erstausgabe der Studienpartitur als Erstdruckfassung spricht für die zeitliche Nähe, über die Alma Mahler berichtet. Die Tatsache, daß einige wenige Zusätze in beiden Handschriften als solche kenntlich bleiben, jedoch von Alma Mahlers bzw. Mahlers Hand (AMH/A) stammen, zeigt, daß sie der Zeit während des Kopiervorgangs entstammen müssen. Ansonsten integriert Alma Mahler die Autograph-Zusätze in die Akkolade - das deutlichste Merkmal für die chronologische Abfolge. Die größte Differenz zum Erstdruck enthalten die beiden Schlußsätze, der beiden Handschriften zueinander das Scherzo. Die letzte Beziehung weckt die Vermutung, die Reinschriftvorlage des autographen Scherzos sei bereits in den Sommer 190 1 (vor allem nach dem Zeugnis N atalie BauerLechners) zu datieren, wonach er sie im Sommer 1902 überarbeitet hat. (Es ist denkbar, wenn auch nicht überprüfbar, daß er einzelne Bögen im Sommer 1902 neu angefertigt hat). Die Abschrift Alma Mahlers lehnt sich auf das engste an das Autograph an, so daß sie bei derselben Bogenzählung trotz Korrekturseiten im Autograph auf denselben Prinzipien beruht: eine Akkolade pro Bogenseite, vollständige Pausenzeichen, spezifizierte Teilungen, Schlüssel nur beim Satzanfang oder Lagenwechsel, Vorzeichen in der R:z1fiel nur beim vollständigen Tonartwechsel, der meistens auch durch einen Doppelstrich eines neuen Abschnitts markiert ist, und eine unsystematische Akkoladenkennzeichnung, die sich im Grenzfall darauf reduziert, nur neu hinzutretende Instrumente zu bezeichnen. Die Einrichtung der Alma-Mahler-Handschrift als Stichvorlage durch den Setzer (bzw. "Einteiler") beruht darauf, die Akkoladen für die Druckseite zu übertragen, die auch zwei Alckoladen enthalten kann. Er zählt stets nach der Partiturordnung die Zeilen am Seitenende der Druckseite, die sich aus der Einrichtung der Akkoladen ergibt. Daneben richtet sich seine Aufmerksamkeit auf Abkürzungen, die Akkoladenkennzeichen - die er prinzipiell nicht ergänzt - oder Notationstechniken betreffen (die Vorschrift "col [Schlängellinie ]", das Taktwiederholungszeichen [I. oder ein Doppelschrägstrich durch den Taktstrich] und das Oktavierungszeichen [Sva, basso/alta, gepunktete Linie D. Mahlers Revisionstätigkeit besitzt während dieser Stufe überwiegend, wenn auch nicht ausschließlich den Charakter der Korrekturlesung. Neben ergänzenden Vortrags anweisungen, Zusätzen zum Schlagwerk, vor allem der kleinen Trommel des Einleitungssatzes, die in bei den Handschriften noch nicht enthalten ist, nimmt er bereits erste Retuschen vor. Er tilgt - in geringem Umfang - Parallelführungen und Liegestimmen, führt aber solche auch erst ein. Hiervon ist sowohl die Differenz der bei den Handschriften zueinander, als auch ihre gemeinsame zur Erstausgabe (der Studienpartitur) betroffen. Die Substanz, läßt man den musikalischen Satz als solche gelten, bleibt zumeist unberührt,ein Prinzip, an dem er bis zuletzt festhält, so daß seine Bearbeitungstätigkeit eine nahezu ausschließlich instrumentatorische darstellt. Die Präzisierung, die Mahler durch sie zu verfolgen scheint, kontrastiert auffällig zu dem Umstand, daß er kein stets endgültiges Exemplar anlegt. Und die Tatsache, daß er die Zusätze der Alma-Mahler-Handschrift nicht in das Autograph nachträgt, ist offensichtlich chronologisch interpretierbar. Sind sie vermutlich im Winter 1902 entstanden, in dem er nach Alma Mahlers Zeugnis "an der Reinschrift" [A] arbeitete, so die Differenzen zur Erstausgabe (zunächst der Studienpartitur) vermutlich ein Jahr später anläßlich der Druckle-

Die beiden Handschriften - Resume

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gung, die er ebenfalls nicht in der Stichvorlage [AMH] oder dem Autograph festhält. Die Präzisierung und Änderung ist der notations technischen Fixierung immer um einen Schritt voraus. »Die« Partitur der Fünften Symphonie existiert infolgedessen nicht. Im strengen Sinn existiert nur ihre durch bestimmte Quellen über verschiedene Zeiträume festgehaltene Darstellung (oder Repräsentation). Sie kann sich nur per Deklaration (zum Beispiel jene, die Mahler zuletzt gegenüber Georg Göhler geäußert hat), als endgültige auszeichnen.

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Die Studienpartitur aus dem Besitz Bruno Walters

3.Die Studienpartitur aus dem Besitz Bruno Walters [W-Stp]

Sie stellt eine bedeutsame Quelle für die Druckgeschichte der Fünften Symp~6cie dar, da sie offensichtlich auch in den Setzvorgang der Erstausgabe der Dirigierpartitur einbezogen wurde. Wie sie in den Besitz Walters geraten ist, bleibt einstweilen wie im Falle der Dirigierpartitur (W-Dp) ungeklärt. Mahler war jedoch daran interessiert, daß ihm nahe stehende Dirigenten den Stand der jeweils letzten Revision aufführten. Hierdurch erklärt sich nicht nur der zweimalige Austausch mit Willem de Mengelberg204, sondern vermutlich auch der Umstand, daß Walter, der ihm ab Herbst 1901 an der Wiener Hofoper unterstand, zwei Partituren besaß, die sehr differente Textstufen repräsentieren. Wie wichtig Mahler die Aufführung seiner revidierten Fassung einschätzte, wird aus dem kurzen Briefwechsel mit Wilhelm Gericke einsichtig, der die Symphonie im Februar 25 1906 in Boston 0 , Philadelphia und New York aufführte. Unter Hinweis auf die "höchste Wichtigkeit" "einiger nachträglicher Retouchen" bittet Mahler ihn, falls er nicht sch?n im Besitze des Materials sei, "daß dasselbe mir zuerst zugesandt würde, damit ich die Anderungen gleich hier vornehmen könnte,,206, andernfalls seine Dirigierpartitur zu schicken. Gericke hat offenbar eine Studienpartitur übermittelt, da Mahler im Folgebrief vom 9.12.1905 die kleine Partitur für unzureichend erklärt, die Retouchen in übersichtlicher Form aufnehmen zu können. "Ich entschließe mich daher lieber, Ihnen mein Exemplar zu senden - mit der Bitte mir dasselbe ehebaldigst zurückzusenden, da ich dasselbe für noch Reilly die Korrekausstehende Aufführung[ en] dringend benöthige,,207. &Da nach E~ard turen durch eine New Yorker Kritik bestätigt wurden 08, hat die Ubersendung auch stattgefunden). Ob Mahler wirklich "sein Exemplar" verschickt hat, ist zumindest zweifelhaft, da zu diesem Zeitpunkt bereits zwei revidierte, von seinem Kopisten eingerichtete Duplikate (M-Dp und T_Dp209) existierten und es somit durchaus denkbar ist, daß er auch für Gericke ein solches Exemplar anlegen ließ. Zudem stand eine Aufführung schon für den 20.12. in Breslau unter seiner Leitung aus, für die er sein Exemplar wieder benötigt hätte. 11 Tage dürften für den Postweg Wien-Boston-Wien einschließlich Partiturkorrektur zu kurz sein. Bedenkt man die (im letzten Kapitel erläut~ späte Einschätzung, so erstaunt, daß er die Änderungen immerhin als "sehr bewährt" 0 beurteilt. Und es besteht kein Anlaß, dies nicht auch als Ausdruck seiner tatsächlichen Einstellung zu bewerten, selbst wenn er sich genötigt sieht, die Umstände zu erklären, die er seinen Kollegen mit der Aufführung seiner Werke bereitet. Die Absicht, einer "sehr complizierten Partitur Deutlichkeit und Klarheit" zu verschaffen, bleibt die ästhetische Maxime, die ein ebenso "anspruchsvolles" wie "wenig gefälliges Tongebilde,,211 auszeichnet. Walter hat offensichtlich auch aus der Studienpartitur dirigiert, wie aus der Tempoangabe der Titelblattinnenseite und einigen dirigiertechnischen Anmerkungen zu schlie212 ßen ist . Die Hervorhebungen, die er vornimmt, betreffen hauptsächlich dynamische Anf.aben, die Markierung der Hauptstimme, besondere Spielweisen213, eine Genralp~­ 2 se 4, und nur einmal eine assoziative Bemerkung, die den Trauermarsch betrifft 21 . Willem de Mengelberg unterscheidet sich in dieser Hinsicht fundamental, und selbst die schlagtechnische Einrichtung von Taktgruppen - hervorstechendes Merkmal der Partituren Hermann Scherchens - unterbleibt. (Nur im 2. Satz scheint ihn der Gedanke der Gliederung zu bewegen)216. Walters Kenntnis der Änderungen, die mit der EA-Dp

Die Studienpartitur aus dem Besitz Bruno Walters

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hinzugetreten sind, hat ihn nicht veranlaßt, die fehlenden nachzutragen. Sie siI~d mit ~inem zwischen 3/4 und 2/3 schwankenden Anteil vertreten und nehmen gegen das Fmale hm auf D? entspr~ch­ nahezu 3/5 ab. Es ist aber nicht auszuschließen, daß sehr wenige der E~den (Bleistift-)Korrekturen möglicherweise auf ihn zurückgehen. Zusatzhch en~halt d~e Partitur einige grundsätzlich abweichende Korrekturen, abgesehen von sehr wemgen, dIe erst auf einer späteren Textstufe wiederkehren. DokuVerfolgt man den Druckvorgang anhand der von Klemm ve~öftlichn mente, so ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß W -Stp emes Jener Vier Exemwui:ßen217. In den folgenden.-r:agen plare darstellt, die Mahle: am 8.9.1904 ü~ersadt probierte er mit seinem Wlener Orchester die StImmen , u~ Druckfehler zu kornreren und die letzten "kleinen Retouchierungen" vorzunehmen, dIe er vor allem auf das etwas 219 überladene Schlagwerk" bezieht . Auch Fritz Steinbach, der die Vorproben der Uraufvor .al~Nods führung leitete, begründet er die Retuschen mit der Bemerkung: "Ic? fan~ Schlagwerk etwas überladen, und nicht überall die gewünschte Deuth~l erzielt . In den Briefen vom 27. und 28. September 1904 bestätigt er dem Verlag dIe Ubersendung. der ~artu, korrigierten Harmonie-, Schlagwerk- und StreicherstiInmen sowie "einer klei~n in welcher sämtliche Änderungen mit rother Dinte eingetragen sind,,22:. WeltrhI~ bI~te er darum die einzige noch nicht in die Orchesterstimmen übertragene Anderung - klem~ Partitur, Seite 183-4 (2.,3., u. 5.Horn),,222 - durch den Korekt~ a~sführen zu l?ssen. J:Ienn Hinrichsen, sein Verl~, berichtet ihm am 3. Oktober, daß sem Korrektor dIe ~aghcn Stellen erledigt hat,,22 und das revidierte Material nach Köln ges~dt wurde. (Fntz Ste.lI~­ bach lagen bislang Stimenabzü~ der 2. Korrekturlesung und em Probe abzug der Dlfl22 gierpartitur nach 3. Lesung vor ). Die besagte Hornstelle gehört teilweise ~.mne Änderungen, die n~lf in W-S.tp en~­ 225 halten sind . Nach den Dokumenten 45 und 46 hat Mahler aus der kleI~n PartItur dIrigiert, die dem bisherigen Korrekturvorgang unterlag. In Dokument 48 sp.ncht Ma~ler,f einem "wol sehr übersichtlich und deutlich corrigierten Exemplar der klemen PartItur , in das er auch die letzte, aus der Aufführung resultierende Revision eingtra~ hat. Offenbar sah Mahler zu diesem Zeitpunkt noch vor, EA-Dp ein "Verzeichniß" d~r Ande~­ gen "beizuheften" (wie im Falle der 7. Symphonie), wäprend er den O:chesterstImmen eme letzte Liste der vom Korrektor noch auszuführenden Anderungen beIlegt. Trotz der erheblichen Differenz zum Erstdruck der OrchesterstiInmen und zur EA-Dp ist aber dennoch anzunehmen, daß W-Stp das erwähnte "corrigirte Exemplar" darstellt. Schon im Juni plante Hinrichsen, das Material und die Dirigierpartitur erst nach d~r Uraufführung drucken zu lassen, da er "vorn eingelegte Blätter" v.ermeiden wo~te28. So~t erschien der Erstdruck der Dirigierpartitur und der OrchesterstImmen nach. emer endgultigen Revision, deren Korrekturlesung Mahler "nicht nöthig" erachtete, 1m N ove~br 229 1904 . Eine Reihe von weiteren Gründen spricht dafür, daß W-Stp trotz der erheblIchen Differenz in den letzten Setzvorgang eingeschlossen war. Sie enthält einige Ein~ragu 230 in Blei- und Blaustift von denen gemäß Mahlers Gepflogenheit anzunehmen 1st, daß SIe aus unmittelbarer Probenerfahrung entstanden sind. (Am Schreibtisch benutzt er in der Regel Tinte, ohne daß hieraus ein grundsätzliches Unterscheidungskriterium abgeleitet ·· t e )231. werd en k onn

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Die Studienpartitur aus dem Besitz Bruno Walters

Bis auf zwei Ausnahmen232 sind alle Blaustifteintragungen auch Bestandteil der EA-Dp. Von den Eintragungen in Bleistift wiederum ist generell anzunehmen, daß sie von Mahler stammen, wenn sie derselben Textstufe entsprechen. (Daß Mahler selber Blei~tf benutzt hat, bezeugen die Anmerkungen "richtig,,233, mit denen er dem Setzer Abweichungen signalisiert. Im Finalsatz erscheint Bleistift über Rasur234, in der in seinem Brief angeführten Änderung unter roter Tinte235). Weiterhin signalisieren die neben der Akkolade angebrachten Kreuze und Zusatzzeichen Änderungen, die dem Setzer das Auffinden erleichtern sollen (ähnlich in AMH). Und einen weiteren Beleg dafür, daß die Partitur (WStp) an der letzten verlagsinternen Revision beteiligt war, bildet die Abweichung im Horn zu Beginn des zweiten Satzes. Sie streicht Horn 5/2 T.54-56 [=Hrn 113, 4/6, RT]. Die Änderung, die keine spätere Partiturdruckfassung übernimmt, erscheint aber in den Orchesterstimmen gedruckt, so daß sie später stets vom Kopisten korrigiert werden muß. Es verbleibt die Frage nach der Erklärung der gravierenden Differenzen zum ErstGründen beteiligt gewesen druck, an dessen Herstellung die Partitur aus den genat~ sein muß. (Die gegenteilige Annahme, daß Mahler eine der bei den anderen ihm verbliebenen Partituren völlig neu eingerichtet hat, wird zusätzlich unwahrscheinlich, bedenkt man, daß auch einzelne Zeichen für den Setzer mit Blaustift auftreten236 . Falls er ein neues Referenzexemplar der kleinen Partitur im Anschluß an die Uraufführung angelegt hätte, dann sinnvollerweise nur in roter Tinte237). Die Ursache dürfte darin zu suchen sein, daß Mahler und offensichtlich auch der Verlag die Korrekturbögen der Orchesterstimmen als entscheidende Quelle für die Druckherstellung ansahen. Schon nach der 2. Korrekturlesung konstatiert Mahler die Divergenz zwischen der kleinen Partitur, die soeben in Druck erschienen war, und den Orchesters timmen238• Der Schlüssel, der diese - endgültige - Abweichungaufzukären hilft, muß in der Liste liegen, die er in dem letzten, den Druckvorgang von seiner Seite abschließenden und Brief an den Verlag anführt. "Zugleich lege ich dem kleinen Exemplar bereits ~rwähnte welches wol sehr übersichtlich und deutlich corrigiert ist, eine Liste derjenider ~artIu, gen Anderungen vor, welche in den Orchesterstimmen nachzutragen sind. Vielleicht wäre es gut, mir von diesem Verzeichnih welches den Partituren beigeheftet werden soll noch eine Correktur zugehen zu laßen" 9. Die Äußerung erweckt den falschen Eindruck, daß die "deutlich korrigierte Partitur" mit den Stimmen übereinstimmt wenn diese die in der ' Liste zwar hilfreich Liste enthaltenen Anderungen einschließen. Außerdem wäre eine jedoch unnötig, wenn die kleine Partitur "sämtliche Änderungen,,240 enthielte, und somit den letzten Stand repräsentierte. Der Verlag wäre imstande, nach ihrer Vorlage zu kollationieren. Die bereits wahrgenommene Differenz motivierte Mahler offenbar, unter prinzipiellem Rückgriff auf ein Verzeichnis die genaue Konvergenz zwischen der Partitur und ~en Orchest~imn de.~ Verlag zu überlassen. Jener muß sich vorrangig nach der beihegenden Liste und den Anderungen in den Abzügen der Stimmen gerichtet haben, um den abschließenden Stich der Platten der Dirigierpartitur und der Stimmen durchzuführen. Die nur in den Stimmen, jedoch nicht in EA-Dp auftretende Streichung von Hrn 5/2 im 2. Satz wäre dann ein Versehen, das Mahler durch ein ausdrückliches Kreuz mit Blaustift ( dem überwiegenden Schreibmaterial der letzten Änderungen) in der kleinen Partitur ausgelöst hat. Die in der Stimme des 5. Horns fehlende - oben erwähnte - Änderung Finalsatz wäre jedoch wie die übrigen Abweichungen mit Ausnahme von wenigen vermut-

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lichen Druckfehlern darauf zurückzuführen, daß sie weder in der Liste noch in den Korrekturbögen der Stimmen auftauchen. Von unvollständigen Änderungen abgesehen, die sich in Richtung der durch EA-Dp repräsentierten Textstufe bewegen, sind von Abweichungen betroffen: S.13,

T.85 Kb l.Hälfte tr;

S.31,

Ob T.243ff a3 Schalltr.auf;

SA3,

T.365 "noch mehr" (bezogen auf SA2 "etwas drängend". [=EA-Dp und in NA gestr.];

SA6,

TAOO Tamtam gestr.;

SA7

"Die Triole schnell" (statt "flüchtig");

S.50,

"NblBecken nicht zu stark!" (aufT.20 bezogen);

S.54,

TA4f Hrn 5/2 "gest." gestr. und p-cresc-ff, TA6 dirn.;

S.55,

T.54-56 Hrn 5/2 gestr.(aber nicht in den Stimmen);

S.57

"accelerando" (statt "sehr drängend"), T.70 Hrn 5/2 sfp [=NA];

S.61,

T.117f BKlar = 2., 2. = l.Klar a2 - eine mit der Hornstelle S.55 gleichsam bedeutsame Änderung, die in den Stimmen gedruckt erscheint, ohne nachträglich zurückgenommen zu werden, (und erst von der GA folgerichtig in die Partitur eingeführt wird. Sie muß jedoch auch in der Druckvorlage der NA gefehlt haben. Da sie in den Stimmen stets unkorrigiert bleibt, ist anzunehmen, daß ihr Fehlen in der EA-Dp einen Druckfehler darstellt);

S.77,

T.270 Vc pp (für diese Stelle gilt dasselbe wie für die Klar, S.61);

S.79,

T.292 Kb cresc sf (in der Stimmme erscheint die Angabe gedruckt; vermutlich Druckfehler wie in den vorhergehenden Fällen, und im 2.Stimmensatz vollständig gestr.);

S.101,

TA64 Trp ff [EA-Dp: f]( entgegen allen bisherigen Änderungen in Bleistift);

S.108,

T.520 Klar wie T.521 (in den Stimmen gedruckt, in M-Dp, W -Dp korrigiert und V inNAgestr.; T.522fin Vla/Vc einliegender D wie Hrn;

S.130,

T.178 l.Trp cresc gestr.[ = M-Dp,W-Dp];

S.133

"ruhig" statt "langsamer", T.241;

S.141,

TAOO Fag f, nur [ = M-Dp];

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Die Studienpartitur aus dem Besitz Bruno Walters

S.142,

T.411 Fag f, T.420 u.422 Klar mit nachdrücklichem Auflösungszeichen; (der Druckfehler der EA-Dp im Kb ist durch Mahlers Handschrift ausgelöst/Er schreibt T.412 unsauber e, T.416 firn Vergleich zur Fag-Parallele); "

S.160,

T.607 Str. cresc;

S.162,

T.632 Trp cresc gestr. [ = M-Dp];

S.170,

T.728 "gewöhnlich";

S.172,

T.751 Hrn Schalltr.auf!;

S.182

"sehr zurückhaltend" versetzt nach T.lOO;

S.184,

T.31-355.Hrn =Fag 1 (s.o.);

S.206,

T.339 Fag a2;

S.220,

T.501 Kfag 1.Viertel gestr.( in der Stimme gedruckt, Druckfehler);

S.226,

T.551 Klar 1.Achtel Pause

S.231,

T.587 Fag a2;

S.234,

Z.29 Str p (Bleistift);

S.244,

T.731 Tub d statt c (Bleistift, GA korrigiert).

Nur sehr wenige dieser Abweichungen kehren in den nächsten Textstufen (T-, Mund W-Dp) wieder, und sie stammen zu einem kleinen Teil wahrscheinlich auch von Walters Hand, der sie zu einem späteren Zeitpunkt hinzufügte. Einige Änderungen, besonders im Finalsatz, erscheinen sehr flüchtig in Bleistift ausgeführt, sind aber in die EA!?p.eingegangen. Da Walter nicht systematisch nachträgt, liegt die Vermutung näher, daß Sl~ 1ID Gefolge der Uraufführung noch von Mahler stammen. Walter dürfte zuzuschreiben sem: S.26, T.202 VIa unis. 1.VI (Walter-Handschrift, [= M- und W-Dp]); S.45, T.377 Tub f decresc; das erwähnte ff der Trp 3/4 S.lOl ist nicht entscheidbar; S.125, T.93 "Cl m[it] 2.VI"; S.148f, T.491 Hrn ohne Überbindung, T.496-498 Pos unis.Kb (Handschrift, [=M- und W-Dp]); S.153, T.543 1.VI sf (Handschrift,[=W-Dp]); S.172, T.767 Str "Hälfte" unentscheidbar (in EA-Dp Pultaufteilung);S.198, T.253 1.Klar mp; S.222, T.518 1/2 VI p-cresc-f (fraglich); S.233, oben p-mf; T.622 1.Trp [ = T.620] flüchtig [EA-Dp]. Insg.esamt macht nur die Erklärung, daß die korrigierten Stimmenabzüge die Basis der abschließnd~ Plattenkorrektur bildeten, die Differenz einleuchtend, die sich aus dem Vergleich der Anderungen in W-Stp mit EA-Dp auf dem Hintergrund der (provisorisch)

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gedruckten 1. Studienpartitur ergibt241 . Es versteht sich dann von selbst, daß diese Differenz nicht chronologisch interpretierbar ist: sie drückt nicht die Abfolge der Änderungen aus. Die Erklärung hat zudem einen Nebeneffekt. Da sie auf die Stimmen als Hauptquelle rekurriert, untermauert sie die Geltung (oder den Quellenwert) der letzten autographen ' Revision im zweiten Stimmensatz, die der Gesamtausgabe zugrunde liegt. Die Rekonstruktion der Entstehung und Funktion dieser Partitur läßt einige weitere Rückschlüsse und Beobachtungen zu. Sie zeigt, daß Mahler nach der Fertigstellung der Reinschrift keineswegs erst durch die Hörerfahrung zu Retouchen veranlaßt wird. Diese Begründung erscheint zwar gegenüber seinem Verleger plausibel242, tatsächlich jedoch ist die Vorstellung - mit Wellesz die Klang-» Vision« - ständig motivierende Begleiterin.Alma Mahler berichtet mit großer Emotion in einem - häufig zitierten - Passus ihrer Memoiren, er habe "im Frühjahr eine Leseprobe mit den Philharmonikern vorgenommen,,243, bei der sie auf der Galerie anwesend war. Erschrocken über die Klangwirkung, die einer "Symphonie für Schlagwerk" glich, habe sie ihn veranlaßt, Streichungen im Schlagwerk vorzunehmen. In der Datierung muß sie sich irren, denn nach dem Briefwechsel hat Mahler im Frühjahr ausschließlich die Korrekturbögen der Partitur revidiert, und wie bereits erwähnt 244 erfolgte die Leseprobe im September . (Der Kontext ihrer Erzählung bezieht sich ebenfalls auf diese Zeit). Die Möglichkeit, daß sie ihn veranlaßt hat, Streichungen im Schlagwerk vorzunehmen, ist nicht auszuschließen, bedeutsamer ist jedoch die Tatsache, daß das Instrumentieren schon innerhalb dieses Zeitraumes einem »Pendel«-Vorgang gleicht. Hatte er im Sommer 1902 eine Reihe von Schlagwerkzusätzen angebracht (informiert war -), so streicht er worüber Alma Mahler aufgrund des Kopiervgan~s?t innnerhalb des Druckvorgangs einige wieder heraus 4 ,um sie zuletzt teilweise wieder ein246 zuführen . Seine ursprüngliche Begründung, den Druck erst nach der Uraufführung vorzunehmen, relativiert sich angesichts des tatsächlichen Geschehens. "Bei aller Erfahrung", wiederholt er am 4.Juni 1904, "die ich im Orchestersatze mir gesammelt habe, zeigt sich doch bei einer Aufführung immer noch die Notwendigkeit kleiner Retouchen, besonders was die dynamischen Zeichen betrifft,,247, und "bei einem so polyphonen Werke läßt sich eben nicht alles bis in das Kleinste vorherbestimmen,,248. Er muß jedoch schon nach der Leseprobe himeichend zufrieden gewesen sein, da er im Anschluß die "definitive Herstellung des gesamten Materials,,249 vorschlägt. Auch die Tatsache, daß er Revisionen an verschiedenen Orten mit unterschiedlichen Orchestern in Wien und Köln - vornimmt, ohne hierauf direkt Bezug zu nehmen250, zeigt, daß der Einfluß der Aufführungserfahrung einschließlich der Reaktion auf die Saalakustik zumindest nicht allzu konkret eingestuft werden kann. (Es bestätigt sich somit indirekt die bereits in der Einleitung dargelegte Beziehung). Mahler kannte den Gürzenich-Bau recht gut durch die Vorproben zur Uraufführung der Irr. Symphonie, und nach Alma Mahlers Bericht, die ihn damals begleitete, besprachen sie "alle Details" der Wirkung251 . In der Erinnerung aufbewahrt, haben sie jedoch offenbar seine erste Revision der 5. Symphonie nicht unmittelbar bestimmt. (Das Gürzenich-Orchesterwar durch Ferdinand Hiller, Franz 252 Wüllner und zuletzt Fritz Steinbach geprägt [1850-84, 1884-1902, 1903-14]. Durch sie, besonders durch den mit Brahms befreundeten Wüllner, galt Köln als "Brahminen-Hochburg,,253. Seit 1888 mit städtischen Anstellungsverträrsen versehen, verfügte es 1904 über die große Anzahl von 42 VI, 18 VIa, 14 Vc und 12 Kb 4).

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Da über den Uraufführungssaal nur in entlegener Literatur und (zumindest seine damalige Akustik betreffend) nur sehr spärliche Auskünfte zu erhalten sind, seien an dieser Stelle die wichtigsten zusammengetragen. Der Gürzenich-Bau ist ein Denkma1"fius dem 15.Jahrhundert, das nach mehren Umbauten in den Jahren 1855-57 durch Julius Raschdorff jene Saalgestalt gefunden hat, die auch während der Uraufführung bestand. Im 2. Weltkrieg stark beschädigt, ist er 1952-55 wiederaufgebaut worden. Akustische Daten sind weder in der Literatur noch im Historischen Archiv zu Köln eruierbar. Nach den Grundrißaußenmaßen vor dem letzten Umbau (54,57 x 23,84) und einer Personengesamtkapazität von ca. 1500 liegt die Größe etwas unter der des Musikvereinssaales. (Nach dem Umbau faßt er 1256 Sitze). Nach Hans J. Zingel "war die Akustik nicht auf allen Plätzen gut" und auch nach dem Umbau hatte man - wie häufig - "mit der Akustik anfangs kein GlÜck,,255. Verständlicherweise dominierten architektonische Gesichtspunkte die Umbauten des Gebäudes, das seit 1821 durch den Niederrheinischen Musikverein eine wachsende Bedeutung erlangte. Die Änderungen des 1. Entwurfs zum Umbau der Jahre 1855-57 von J. Claasens waren jedoch von "der steten Angst der Musjkfreunde betreffs der Akustik begleitet, besonders seit man sich in den Kopf gesetzt, ein so construierter Bau" [mit einer dreischiffigen Deckenkonstruktion] "könne niemals akustisch sein,,256. Wenn sich bereits akustisches Bewußtsein bemerkbar macht, zeigt es dennoch nicht, wonach es sich richtet. Ebensowenig werden unmittelbare Eigenschaften der Raumakustik erkennbar. Die Studienpartitur aus dem Besitz Bruno Walters demonstriert innerhalb der Werkgeschichte der V. Symphonie die wesentlichen (und aus den Werkgeschichten der anderen Symphonien bekannten) Beschreibungscharakteristika der autograph bearbeiteten Partitur-Drucke. Sie enthält überwiegend Eintragungen in roter Tinte, daneben in Blei, Blau- und Rotstift257, sowie an einer Stelle in schwarzer Tinte. Die Eintragungen mit roter Tinte bilden die Grundschicht der Korrekturen Mahlers,die sich in drei Hauptgruppen einteilen lassen: Instrumentationsänderungen, Vortragsanweisungen und dynamische Angaben. Die Vortragsanweisungen differenzieren vorrangig die Tempo-Charakteristik. Walters Eintragungen, zumeist mnemotechnische Vergrößerungen bereits vorhandener gedruckter Angaben, erscheinen stets in Bleistift als letze Schicht. Als zweite Schicht, deren interne zeitliche Abfolge nicht mehr systematisch faßbar ist, finden neuerliche Änderungen statt, die in Blau- und Bleistift notiert sind. Es ist nicht auszuschließen, daß Mahler gleichzeitig noch rote Tinte verwendet. Gewöhnlich treten 258 keine Korrekturen auf, in denen Mahler rote Tinte in zwei Zügen überlagert , er verwen259 det sie jedoch auch für nachträgliche Setzeranmerkungen . (Die Partitur enthält zusätzlich auf der Titelblattinnenseite eine Besetzungsliste Mahlers in roter Tinte. Obwohl sie der Spezifikation der Schlaginstrumente gilt, fehlt die Kleine Trommel260). Die Partitur war am Druckvorgang beteiligt, und sie lag der Uraufführung zugrunde. Dennoch enthält sie Differenzen zur Erstausgabe der Dirigierpartitur, die alle 3 Gruppen betreffen. Aufgrund der Rekonstruktion der Quellenlage sind sie jedoch nicht zeitlich zu bewerten.

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4. Die gedruckten Erstausgaben der Studien- und Dirigierpartitur (EA-Stp/-Dp) und des Klavierauszuges Mahlers Symphonik bezeugt ihre enge Beziehung zum 19.Jahrhundert auch darin, daß sie noch der »Ära des Klavierauszuges« angehört, dessen Bedeutung auf dem Gebiet der Oper nicht im selben Maße geschwunden ist. Mit Selbstverständlichkeit, auf die sich 261 auch noch Arnold Schönberg stützt, selbst wenn er sie auf sein eigenes Oeuvre bezogen zu reflektieren beginnt, vertraut Mahler sowohl darauf, daß ein Klavierauszug himeichend imstande ist, den Inhalt eines symphonischen Werkes darzustellen, als auch darauf, daß er der Verbreitung seines Werkes dient. Mahler gab zeitlebens dieser Tradition den Vorzug, vor allem, wenn er sich mit ihrer zunehmenden Alternative, der analytischen Kommentie262 rung durch ein Programmheft oder den Konzertführer, konfrontiert sah . Geschichtlich setzt der Klavierauszug mit dem Ende des Generalbaßzeitalters an, und seine Bedeutung beginnt sich mit dem Ende des 19.Jahrhunderts zu schmälern. Die Ursachen sind nicht allein einer soziologischen Verschiebung - der Auflösung des »Bildungsbürgertums« - zuzurechnen, sondern auch musikalisch begründet. Neben der mit der Komplizierung der Satztechnik gewachsenen spieltechnischen Anforderung263 macht sich die zunehmende Verzahnung von Satz und Instrumentation bemerkbar, die die Darstellung eines Orchesterwerkes durch den Klavierauszug als mitunter substantiellen Eingriff erscheinen läßt. Reduzierbarkeit, für den symphonischen Satz Haydns noch nahezu selbstverständlich264, erscheint für den Orchesters atz des späten 19.Jahrhunderts problematisch. (Giseiher Schubert265 hält im Anschluß an Schönbergs Verständnis zwar daran fest, daß der Klavierauszug seines op. 5 nicht eine Bearbeitung des Orchestersatzes darstellt, sondern den Satz bearbeitet, der durch instrumentale Realisierung zum Orchesters atz wird. Seine Analyse demonstriert jedoch große Divergenzen in der Funktion und kl~ichen Präsenz der Mittelstimmen sowie der Akkordprogression. Und Klaus Velten macht deutlich, daß Schönbergs Lehrmethode, einen Klavierauszug herzustellen, um ihn im Anschluß nach dem Original zu rekonstruieren, der Aufgabe diente, Instrumentationskunst als Setzkunst begreiflich zu machen, bei der zuletzt die Klangfarbendisposition und formale Struktur in einem engen korrelativen Verhältnis stehen). Mahlers Musik geht entstehungsgeschichtlich gewöhnlich aus einem Particell267 hervor, das mit dem Klavierauszug die Eigenschaft teilt, den Satz in einer reduziertenForm darzustellen. Das Hauptproblern, das sich infolgedessen einem Klavierauszug stellt, wird auf dem Hintergrund dieser Beziehung transparent. Wenn sich das Particell als Vorform, deren Beziehung zur musikalischen Endgestalt Mahler noch mit der Zwischenstufe des Partiturentwurfs überbrückt, auf die Notation der Hauptstimme und der eventuellen Nebenstimme( an) mit einer Andeutung des harmonischen Verlaufs beschränkt, so hat der Klavierauszug diese fundamentalen Beziehungen aus der vollen Partiturgestalt erst wieder aufzudecken. Er erfordert, ohne daß es sich als solches bemerkbar zu machen hat, ein gewissermaßen analytisches Verständnis. Mahler hat die Korrekturbögen des 1. vierhändigen Klavierauszuges Otto Singers offenbar erheblich in der 2. Lesung revidiert. Nach der ersten Lesung (der Sätze 1-3) schreibt er: "Beiliegend die von mir durchgesehenen und theilweise mit Änderungen versehenen Correkturbögen des Singer'schen Clavierauszuges. Ich habe mich nur um das Arrangement gekümmert; auch einige offenbare Druckfehler corrigiert,,268. Die Rücksendung

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der 2. Lesung kommentierte er eindringlich: "Was meine Correkturen betrifft, so bitte ich mir zu glauben, daß dieselben sehr nöthig und wichtig waren. Man hätte sich nach dem Clavierauszug, wie er mir seinerzeit vorgelegen war, gar kein rechtes Bild vom Ganzen m~chen können. Es war oft nur das Unwesentliche hervorgehoben und sehr oft der Gang der eigentlichen Hauptstimme durch Nebenwerthe verdeckt,,269. Die Vermutung, Mahler habe sich zu einer Revision des Klavierauszuges veranlaßt gesehen, um seine innerhalb des Druckvorgangs vollzogenen Änderungen aufzunehmen, trifft nicht zu. Der Klavierauszug scheint die Änderungen der BA-Dp gegenüber der Stp nicht zu berücksichtigen.Die Tatsache spräche dafür, daß ein Großteil der Änderungen erst mit der Orchesterprobe im nach der 2. Korrekturlesung (im Juli), somit in Zusamenh~ 2 September und der Uraufführung Eingang gefunden haben . Die Einschränkung, der diese Beurteilung unterliegt, gilt zwei Hauptaspekten. Zum einen ist ein Klavierauszug darauf angewiesen, orchestrale Lautstärkeverhältnisse proportional auszudrücken, so daß die originalen Werte verändert wiedergegeben werden müssen. Die reale dynamische Differenzierung verlangt zudem meistens Vereinfachung. Zum anderen sind die Instrumentenspezifikationen, die Hinrichsen von Singer nachtragen ließ271 , häufig zu ungenau, oder sie fehlen ganz. Es kann also nicht schlüssig beurteilt werden, ob zum Zeitpunkt der zweiten Revision eine Änderung bereits vorlag. Auffällig ist das Fehlen aller Vortrags anweisungen, die entweder in W-Stp handschriftlich oder erst mit der EA-Dp hinzutreten. Auch die Wiederholungszeichen des 2. Satzes sind noch nicht gestrichen. Wenn Oktavlagenveränderungen nicht im Klavierauszug »originalgetreu« wiederkehren, so ist der chronologische Rückschluß nicht zwingend, da sich die Klavierfassung aus klanglichen Gründen selbständig bewegen kann272. Sie zeigen sich in der grundsätzlich gut spielbar gehaltenen vierhändigen Bearbeitung auch in anderer Hinsicht. Die harmonische Andeutung einer Liegestimme kann erhalten bleiben, wenn sie im Orchestersatz bereits gestric~n ist273. Einige Beziehungen lassen jedoch den eindeutigen Schluß zu, daß die späteren Anderungen in den Quellen des Klavierauszuges - offenbar Stichvorlage ( = AMH) und Korrekturbögen274 - noch nicht vorhanden waren, und Mahler hat sie offensichtlich auch nicht nachgetragen. So stehen noch ursprüngliche Instrumentenspezifikationen oder vollständige Stimmen im Klavierauszug, oder es unterbleibt eine dynamische Staffelung, wo sie durchaus möglich wäre 275 . Selbst ein autorisierter Klavierauszug erscheint als ein zu eigenständiges Gebilde, um als Zeuge von orchstralen Retuschen und Veränderungen auftreten zu können. Er steht zwischen dem, was als Satzgrundlage anzusprechen wäre, und dessen orchestraler Realisation, wobei er in beide Richtungen Annäherungen vollzieht. Der Klavierauszug erschien schon im August 1904 in Druck276 , so daß sich die gute Zusammenarbeit zwischen Autor und Verlag bestätigt. Mahlers Erfahrung, "daß Clavierauszüge für die Vorbereitung eines Werkes in weiteren Kreisenvon ausschlaggebender Be. d,,277, sch· . h anh and d l· . deutung sm emt SIC er·msgesamt 6 Auf agen dieser BearbeItung zu 278 bekräftigen . Auch der sehr viel spätere 2-händige Klavierauszug Singers aus dem Jahre 1921 hatte noch 5 Neuauflagen279, während die 4-händige Bearbeitung für zwei Klaviere von dem Liszt-Schüler August Stradal aus dem Jahre 1926 ohne Neuauflage blieb280 .

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Unter dem Gesichtspunkt, eine weitestgehende Auflistung der Quellen nach ihrer Chronologie darzustellen, verbleibt die Aufgabe, die Druckdaten der beiden ersten Partituren anzugeben. Ihre Entstehung wurde bereits im Rückgriff auf die Briefveröffentlichung Klemms in Zusammenhang mit der Walter-Studieneartitur referiert. Zusammenfassend bleibt hier nachzutragen, daß Mahler auf die genaue Ubereinstimmung der Partiturversionen verzichtete, so daß der Uraufführung die Veröffentlichung der Studienpartitur vorausgehen konnte, er aber vor allem imstande war, die Resultate der ersten Hörerfahrung in die Dirigierpartitur und die Stimmen zu integrieren. Die Erstausgabe der Studienpartitur erschien einen Monat nach der des Klavierauszuges im September 1904 (EP.3087, P1.Nr.9015)281, so daß sie wie erwähnt sowohl in den Korrekturvorgang einbezogen als auch als Dirigierpartitur der Uraufführung zugrunde gelegt werden konnte. Auch Ernst Otto Nodnagel stützte seine "technische Analyse" auf die Studienpartitur, obwohl die von ihm mit der Uraufführung geplante Herausgabe erst im Januar 1905 erfolgte282. Das für Studienpartituren etwas ungewöhnliche Format (Oktav) kam Mahlers Wunsch nach Übersichtlichkeit entgegen283 . Die Dirigierpartitur erschien (unter EP.3082, P1.Nr.8951) sehr bald nach Mahlers Übersndu~ letzten Korrekturen 284 zusammen mit den Stimmen (P1.N r.8952) im N 0vember 1904 5 in einer Auflage von 100 Stück. Trotz seiner unvermindert fortgesetzten Revisionstätigkeit an dieser Symphonie blieb ihre Werk- als Druckgestalt zu seinen Lebzeiten unverändert. 5. Die Mengelberg-Dirigierpartitur [M-Dp] I

Die Dirigierpartitur Mengelbergs dokumentiert, nicht anders als die der Vierten Symphonie, elementare Koordinaten eines Mahler-Verständnisses, die eine Tradition zu begründen vermögen. Unter diesem Blickwinkel interpretiert Klaus Kropfinger 286 das werkgeschichtlich ähnlich gelagerte Pendant, das ihm auf dem Hintergrund der Rezeptitionsgeschichte vor allem fähig scheint, eine Herausforderung darzustellen. Seine Abhandlung kommt zu einem Schluß, der sich einstweilen neben der einzigen ausführlichen Arbeit Peter Andraschkes zur Neunten Symphonie287 isoliert behauptet, wobei sich in der Partitur Mengelbergs der Neunten keine Eintragungen Mahlers befinden. Gestützt auf seine Proben- und Aufführungserfahrung, lehnt sich Mengelberg eng an die Interpretation Mahlers an. Zwangläufig bewahrt er hierdurch Kontraste, die auf thematischen und Tempo-Beziehungen beruhen, und dem Versuch nachgehen, den symphonischen Aufbau plastisch werden zu lassen288 • Mengelbergs Deutung scheint somit geeignet, ein Bild davon zu vermitteln, den symphonischen Gehalt im Sinne Mahlers hervortreten zu lassen, gerade weil er auch abnorme Züge nicht verwischt. Die verbalen Erläuterungen Assoziationen Mengelbergs wertet Kropfinger darum auch nicht als Abweichung von der Auffassung Mahlers, sondern als Konkretisation des musikalischen Gehalts, der durch ein inneres Programm motiviert wird289 .

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Eine vergleichbare Bedeutung läßt sich im Falle der Fünften Symphonie nicht in derselben Weise ermessen, da nur das Adagietto in Mengelbergs Einspielung überliefert ist. Der Mangel wird aber weitgehend durch die zahlreichen Eintragungen kompeJ1Siert, die seine Auffassung hinreichend darlegen284. Sie wird auch im Fall der V. Symphonfe von einem halbwegs programmatischen Entwurf getragen, der sich an den wechselnden musikalischen Charakteren und Stimmungen orientiert. Mengelberg notiert285 : "I[.]Teil292. tiefster Schmerz - Leid - Wehmut[,] Trauer - Tränen - - Tränen!- / ein Gesicht, durch das viele Weinen - entstellt und / aufgerieben293 durch heftigste Ausbrüche von Verzweiflung, Wut, Raserei / bis an Wahnsinn grenzend (lachen:[Trp T.3f]) Schluß: halb wahnsinnig vor Schmerz / gruselig, geisterhaft, / H[.]Teil - forcierte Fröhlichkeit - will darüber hinaus, über das Leid[,] jedoch / es geht noch nicht - es klingt übertrieben294 - trauriger Unterton - / hier und dort sogar ein Totentanz IH[.] Teil295 . Liebe -: eine Liebe kommt in sein Leben! / IV[.] Teil- genesen -überschwengliehe Fröhlichkeit - Beginn in glücklicher Stimmung / und Zufriedenheit je länger um so »ausgelassener«[,] / Schluß verrockt vor / Fröhlichkeit und / Glücksgefühl" . Der letzte Satz ist möglicherweise eine Ergänzung wie die beiden folgenden Zusätze zum "4.Teil". Wie die gesamte Eintragung - die Unters~ichug sind vermutlich nachträglich in Rot- und Bleistift ausgeführt - erscheint zu Beginn der Markierung des "4.Teils" in schwarzer Tinte eingefügt: "Rückkehr zur »Natur«[.] Naturmotiv d-cis-b a 296 - erstes Motiv. Dann Quartenbeginn297 / d.a.a b cis d". An den "4.Teil" schließt Mengelberg (in Blaustift und mit schwarzer Tinte nachgezogen) die Bemerkung an: "Spielfreudigkeit. / unbekümmertes musicieren / »Musikantenmusik«". Es ist nicht sicher, ob Mengelberg mit dem Ausdruck "deel" vollständig von der forEbene abheben möchte. Wie seine dokumentarische Notiz zum Adagietto malen ~Satz-) 2 belegt 8, hat er ein stark biographisch motiviertes Verständnis der Symphonie, das ihn möglicherweise bewegt, diesem Satz auf interpretatorischer Ebene einen eigenen Teil zuzugestehen. Die letzten drei Zusätze, die mit dem primären Schreibmittel seiner dirigiertechnischen Anweisungen, dem Blaustift299, eingetragen sind, entstammen vermutlich der unmittelbaren Hörerfahrung. Als weiterer Zusatz (in Blaustift und mit Tinte nachgezogen) befindet sich auf der Titelblattinnenseite die Bemerkung: "in dieser Fünf[ten] (wie in allen Mahlerschen) auf »Spitzentechnik«/ studiren, sehr wichtig, daß alle Str[eicher] das tun!" Die in dem Exemplar der IV.Symphonie mit wiederholtem Nachdruck vollzogene Beglaubigung der Eintragungen Mahlers durch Mengelberg fällt in diesem Falle einfach (und zweifelhaft) aus. Oben rechts auf derselben Seite befindet sich der Vermerk in schwarzer Tinte :"Die mit rother Tinte eingetragenen Veränderungen sind/zum großen Teil von G[ ustav] Mahlers eigener Hand hier in Amsterdam / angebracht. Ein Teil vor allem im 1[.]

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Satz sind von einem Copisten". Er ist nicht von Mengelberg gezeichnet und stammt wahrscheinlich nicht von seiner Hand. Zur Besetzung ergänzt Mengelberg (mit Blau- und Rotstift) die "kl[eine] Trommel tief'. Die Tinteneintragungen sind in unterschiedlichen Federstärken ausgeführt, die die AImahme erhärten, daß verschiedene Schichten übereinander lagern. ' Der Zusatz "hier in Amsterdam" bezieht sich auf die Aufführung am 8. März 1906 unter Mahlers Leitung, deren Vermerk Mengelberg auf der Titelblattseite macht300 • Darunter befindet sich sein Signe. Links wiederholt er dieseAnmerkung und verzeichnet das Programm: "I. Sinf[onie] V./II[.]Kindertotenlieder." Offenbar war ihm Mahlers Ansichtüber die Tonartbezeichnung der Symphonie unbekannt301 ; denn er schreibt quer (in Bleistift): "G[.]Mahler. Symphonie No. 5 cis-moll". Nach dem Stempeldruck rechts oben war die Partitur ursprünglich im Besitz der Concertgebouw-Gesellschaft. Mengelberg hat die Stampiglie mehrfach durchgestrichen und durch den Vermerk ergänzt: "Neue Partitur an das Concertgebouw anstelle dieser.[ ... ?p02 W[.]Mengelberg". Die letzte Eintragung weist darauf hin, daß er den Partituraustausch erst nach den Eintragungen vorgenommen hat, die durch die Briefe Mahlers an Mengelberg belegt sind. Nach Aufführungen der IH. (am 22. und 23.0ktober 1903), IV. und 11. (am 23.und 27.0ktober 1904) planten beide eine Aufführung der V. Symphonie für die nächste Saison303. In einigen Briefen fordert er bei Mengelberg die Dirigierpartitur an, um "eine Anzahl wichtiger Retouchen, die alle sehr wichtig für die Aufführung sind,,3Q4, vornehmen zu können. Anfang Dezember 1905 sandte er sie mit demselben Kommentar - "eine Unmenge Retouchen, die aber alle äußerst wichtig sind,,305 - zulÜck. Da "die 5. sehr, sehr schwer ist", bittet er um 3 Proben306. Wie bedeutsam Mahler die Probenarbeit einschätzt, wird auch daraus ersichtlich, daß er Mengelberg einlädt, nach Antwerpen zu kommen, um "die Symphonie in meiner Auffassung kennen zu lernen,,307. Mahler geht stets davon aus, daß MenBelberg die Änderungen durch einen Kopisten in die Orchesterstimmen übertragen läßt3 8. Im September desselben Jahres erbittet Mahler erneut neben einigen »eingerichteten« Partituren309 die Dirigierpartitur Mengelbergs mit folgendem Wortlaut: "Ferner möchte ich auch die Retouchen, die ich in meiner V. bei Ihnen gemacht, und die sich vorzüglich bewährt haben, in meinem Exemplar eintragen, und erbitte mir auch diese auf einige Zeit,,310. (Das Begleitschreiben vom 15.10.1906 belegt dieRetour311 ). Aus dem Sachverhalt sind vier Konsequenzen zu ziehen. Zum einen hat er offenbar mit der Aufführung in Amsterdam vom März Instrumentationsänderungen vorgenommen, die zu diesem Zeitpunkt nur in M-Dp verzeichnet waren, zum zweiten hat er dann mit größter Wahrscheinlichkeit auch aus M-Dp dirigiert, drittens sind ihm die Eintragqngen, die Mengelberg in Zusammenhang mit insgesamt 6 Aufführungen im März 1906312 vorgenommen hat, bekannt geworden, und viertens ist zu erwarten, daß die Eintragungen in M-Dp eine gelegentliche Anlage in 2 Schichten erkennen lassen. (Zudem ist nicht auszuschließen, daß er nicht nur in sein Exemplar übertragen hat, sondern bei der Gelegenheit auch neue Änderungen in Mengelbergs Partitur verzeichnet hat). In jedem Fall ist die Anmerkung zur Autorisation der Eintragungen auf der Titelblattseite ungenau und drückt nur eine Vermutung oder nur ein Bruchstück des Sachverhalts aus. Nach dem Zeugnis Rudolf Mengelbergs trifft die Annahme zu, daß Mahler aus M-Dp dirigiert hat313.

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Die Eintragungen in M-Dp lassen sich wie die Quellen W -Stp und W -Dp, denen die Eigenschaft gemeinsam ist, als Aufführungsgrundlage gedient zu haben, in vier Gruppen gliedern: a) Textkorrekturen Mahlers, b) dirigiertechnische Anmerkungen und vor ~lem Hervorhebungen Mengelbergs (möglicherweise auch einiger weniger Mahlers), c) 'kommentierende und d) dokumentarische314 Zusätze Mengelbergs. Die zweite Gruppe bezieht sich ausschließlich auf das Dirigat unter schlagtechnischem, dynamischem und artikulatorischem Gesichtspunkt: Hervorhebungen sind sodann handschriftliche Vergrößerungen oder Eimahmungen von Gedrucktem, Anmerkungen sind schlagtechnische Erinnerungsund Interpretationsnotizen, auch in verbaler Form. (Die Untergruppe wird somit durch Zusätze zum Tempo, zur Schlagzeit, Lautstärke, Metronomangaben, spieltechnische Anweisungen für Einzelinstrumente und -gruppen, Artikulationsangaben und die schlagtechnische Zusammenfassung von Taktgruppen durch Bögen gebildet, die über die gedruckte Textfassung hinausgehen). Hiervon abweichende N otate und Kommentare zu Ausdruck und Gehalt - stets solche, die innerhalb des Textes den musikalischen Stimmungs- oder Gefühlsgehalt in verbaler Form zu kennzeichnen suchen315 - prägen eine eigene Gruppe. In wenigen Grenzfällen geht sie in die vorausgehende über, und sie korrespondiert mit der letzten. Jene wird ausschließlich durch die dokumentarischen Notizen gebildet, die durch Mengelberg als solche ausgewiesen sein müssen. (Sein programmatischer Appendix ist ihr somit nicht zuzurechnen, wenngleich es verfehlt wäre, die Frage nach der dokumentarischen Geltung als Klassifikationsproblem aufzufassen; denn sie kann sich erst als ein Resultat aus der Gesamtbewertung ergeben). Der Einwand, daß alle über den gedruckten Notentext hinausgehenden Notizen Mengelbergs aufgrund seiner Erfahrung der Probenarbeit Mahlers als dokumentierende Notizen aufgefaßt werden können, übersieht die Möglichkeit, daß Mengelberg Zusätze anbringt, die dem eigenen Verständnis entstammen. Sicher läßt sich die Frage nach der Bedeutung, die der Vielzahl der Eintragungen darin zukommt, Mahlers Auffassung zu tradieren, auch unabhängig von ihren Gliederungskriterien behandeln. Wenn jene vor allem helfen sollen, möglichst zwanglos zu ordnen, so ergeben sich dennoch kasuelle Überschneidungen316. Sie machen die Gruppierung darum aber noch nicht vollständig hinfällig. Das Schreibmaterial der Textkorrekturen Mahlers ist - wie in seinen Briefen dokumentiert - rote Tinte. Einige Änderungen, die der später gedruckten Stufe der NA entsprechen oder in seinem Orchestermaterial niedergelegt sind, erscheinen jedoch in Blau- oder Rotstift. Die Frage, ob sie von Mahler - während der Probenarbeit verzeichnet - stammen, muß die gesamte Quellenlage berücksichtigen. Die Situation kompliziert sich zusätzlich durch die Beteiligung eines Kopisten an den Textkorrekturen, auf die die Notiz der Titelblattseite hinweist. Für die Unterscheidung zwischen der Handschrift Mahlers und seines Kopisten317 ist zunächst eine generelle Beschreibung der Korrekturarten vonnöten, (die erst an dieser Stelle aufgrund der Vollständigkeit erfolgt. Sie gilt für alle Partitur-Exemplare und die Orchesterstimmen, die zusätzliche Fälle kennen). Streichungen erscheinen in zwei Haupttypen: Schraffur oder Schlängellinie. Die letzte ist nicht unbedingt die flüchtigere Version. Sie tritt auch dann auf, wenn eine Stimme in eine andere Lage versetzt wird,so daß nur die ursprüngliche gedruckte ohne den Zeilentakt getilgt wird. Es erscheinen auch Fälle, in denen die gedruckte Stimme hierbei durch kürzere Schraffurstriche für

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ungültig erklärt wird. Die seltenere und aufwendigere Form der Annulierung bildet die Rasur. Sie ist für schmale Federstärken verantwortlich, um das Auslaufen der Tinte, das besonders die Orchesterstimmen gefährdet, einzuschränken. Die Notenlinien erscheinen mit Lineal oder aus freier Hand nachgezogen. Streichungen erfordern Pausenzeichen, die in der Regel ihren regulären Platz beibehalten, jedoch auch außerhalb des Systems verzeichnet sind. In Zusammenhang mit größeren Streichungen fehlen sie manchmal. Ersetzungen dynamischer Werte weichen nur bei Platzmangel in den Leeraum oberhalb der Zeile aus. Teilungsveränderungen erfordern je nach Umfang die Markierung vor der Akkolade, die zuweilen fehlt. Zusätze, also Akkoladenerweiterungen, die nicht notwendig ein neues Instrument einführen müssen, treten regulär in den beiden Außemändern auf, und zwischen den Zeilen nur dann, wenn sich die Stimme innerhalb des Systems bewegt. Dessen Linien erSpieltechnische Anweisunscheinen entweder aus freier Hand oder mit Lineal gezo~n. gen wahren die Umgebung der auf sie bezogenen Stimme 18, Die Angabe der Stimmung transponierender Instrumente hält sich an die Drucknorm, ebenso generelle Vortragsanweisungen (in der Regel zum Tempo), die doppelt (oben und über den Streichern) auftreten. Zusätze für den Dirigenten erscheinen mit Stern-Verweis auf der unteren Seite. Nach den Orchesterstimmen sowie W-Stp und W-Dp neigt Mahler zur rechts-gerichteten Schraffur, während M-Dp die umgekehrte neben der häufigeren Form der Schlän~ie bevorzugt. Das Kriterium ist zu vage, um eine Differenzierung tragen zu können 19. Erst die Tatsache, daß Mahler auch über mehrere Takte Linien aus freier Hand zieht, erlaubt eine generelle Trennung der von ihr betroffenen Korrekturen. Bis auf 320 einen sind infolgedessen alle Zusätze dem Kopisten zuzurechnen. Die Annahme, daß die Komplementarität [Zeile/-verlängerung aus freier Hand = Mahler] sich auch auf Rasuren erstreckt, stützt sich auf ihre kontinuierliche Erscheinung in den Orchesterstimmen und W-Dp. Die durch Beteiligung von Rasur gekennzeichneten Korrekturen sind sodann dem Kopisten zuzusprechen, wenn zugleich Linien mit Lineal nachgezogen erschei321 nen . (Die Möglichkeit, daß mehr als ein Kopist verantwortlich war, kann, wenn auch nicht aufgrund der geschilderten chronologischen Quellenlage, so doch vom Schrifbild her ausgeschlossen werden). Die auf dieses Kriterium eingeschränkten Fälle lassen sich erhärten, wenn Buchstaben- oder Zeichen-Exemplare beteiligt sind, durch die sich Mahler aufgrund der benannten Quellen von seinem Kopisten unterscheidet. Die hiervon am deutlichsten betroffenen graphischen Zeichen sind: f, p, das b-Vorzeichen, der Tenor-/Alt-Schlüssel, die Pausenzei321a 322 . Trotz kontextueller Varianten chen für Viertel- und Achtelnote führt Mahler Kopf (wenn vorhanden) und Abstrich des aus einem Strich, mit rund geführtem Kopfbogen.Der Kopist setzt den Kopf in Form eines kleinen Hakens an323. Im Kontext /mf! schreibt der Kopist stets /mfr/. Für /sf! gilt zudem, daß Mahler das immer mit rundem Aufstrich beginnen läßt, während der Kopist in Anlehnung an den Druck-Typ keinen Aufstrich macht, sondern den Anfang des verkleinerten oberen Halbbogens mit dem Aufstrich, manchmal auch mit dem Abstrich des {f}-Zeichens verbindet324. Für gilt, daß Mahler regulär einen Aufstrich macht - zumindest beim singulären - und den Kopf ohne Absetzen aus dem Abstrich herausführt. Der Kopist macht einen kurzen Aufstrich, und er setzt den Kopf, ein vertikaler, nicht geschlossener Bogen, deutlich ab 325. Der abgesetzte Kopf reicht als Unterscheidungskriterium für alle {p }-Kontexte hin.

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326 Mahler teilt in Fällen einer flüchtiger ausgeführten Schrift mit dem Kopisten die Eigenschaft, nicht gefüllte Notenköpfe für rhythmische Werte ab der halben Note durch zwei Halbbögen zusammenzusetzen. Das Merkmal zeichnet den Kopisten auch beilI1:,{b }Vorzeichen aus, indem er den Kopf durch zwei kleine Bogenstriche zusammensetZt. (In ebenfalls flüchtiger Ausführung setzt Mahler die beiden spitzwinkligen Haken des Auflösungszeichen untereinander, statt sie zu verschränken327, ein Merkmal, dem nahezu differenzierende Bedeutung zukommt). Für Pausenzeichen gilt die Neigung des Kopisten, die Achtelpause wie ein einfaches Komma auszuführen, zumindest ohne Knick der linksläufigen, in einem Strich geführten Fahne. Mahler macht die Achtelpause trotz ebenfalls ein328 fachen Strichs stets mit abknickender und nach innen gewölbter Fahne . Die Viertelpause notiert Mahler wie ein breites kleines {n} (Abstrich - spitzwinkliger Aufstrich - leicht gebogener Abstrich), der Kopist macht einen Abstrich und einen doppelten oder auch nur einfachen Aufstrich. Der C-Schlüssel unterscheidet sich sehr sinnfällig. Während der Kopist bei zwei parallelen Abstrichen eine zusammengesetzte geschweifte Klammer anfügt, ist Mahlers Zeichen-Typ aufwendiger. Er setzt sich aus einem stehenden oder leicht nach rechts geneigten (manchmal oben offenen) Rechteck Zusammen, dessen linke Verti329 kale und waagerechte Mitte durch 2 enge Linien dargestellt sind . Eine weitere grundsätzliche Evidenz dafür, daß ein Kopist an der gesamten Partitur beteiligt ist, bilden die kalligraphisch motivierten Vortragsanweisungen330. (Einige neue stammen auch von Mahler). Die Kriterien führen zu der recht häufig begegnenden Konsequenz, daß die durch Mahler oder den Kopisten ausgeführten Korrekturen innerhalb einer zusammenhängenden oder auf einer Seite nebeneinander stehen. Die Annahme, daß Mahler die Grundschicht der Eintragungen durch einen Kopisten - unzweifelhaft nicht nur "vor allem im I. Satz" - vornehmen ließ, ist} obwohl sehr plausibel, nicht zu beweisen, trifft sich aber auch mit der Anlage von T-Dp3 1. Zu dem Zeitpunkt, als sie stattgefunden haben müssen - vor 332 Dezember 1905 - hatte Mahler mitten in der Saison auch das Aufführungsbedürfnis Ge333 rickes zu befriedigen. Das Angebot, dessen Dirigierpartitur einzurichten, traf zu einem Zeitpunkt - November 1905 - ein, als er sich "wieder recht eingekeilt in der dumpfen Athmosphäre des Opernsumpfs,,334 empfand. Für die Einrichtung der Stimmen stand ohnehin fest, daß sie durch seine Kopisten durchgeführt wurden die zu Anfang des Jahres, natürlich nicht nur für ihn, "fortwährend beschäftigt waren,,33 .

s

Ohne Ausnahme erscheinen Überschneidungen zwischen Stifteintragungen und roter Tinte stets als Überlagerung der Tinte. Mengelberg wird also bei seinen Aufführungen des Jahres 1906 noch nicht allzu viele Anmerkungen gemacht haben, wobei er auch später nicht unbedingt die Berührung seiner Eintragungen mit den Textänderungen zu vermeiden sucht. Aus dem Verhältnis der beiden zueinander ergibt sich daher keine Möglichkeit, eine Chronologie der Tinteneintragungen zu begründen. Es können dennoch mehrere Phasen angenommen werden. Die früheste vor der Aufführung, an der der Kopist und vermutlich auch schon Mahler beteiligt waren, eine zweite während des Aufenthaltes in Amsterdam, von der die dokumentarische Notiz berichtet, und die dritte bei der letzten Übersendung nach Wien. Wenn Mahler auch bei dieser Gelegenheit letzte Änderungen an M-Dp vorgenommen haben sollte, so hat er sie dennoch im Hinblick auf die Stimmen und offenbar bereits zurückgenommene Korrekturen nicht vollständig »auf den letzten Stand« gebracht. Die Übersendung sollte vorrangig dazu dienen, die durch die Amsterdamer Aufführung initiierten in sein Exemplar zu übertragen. Daß Anlaß zu einer Übertra-

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gung besteht, leuchtet infolge der verstreuten Stifteintragungen ein, die zugleich in identischer oder wenig veränderter Gestalt in späteren Quellen (W-Dp, NA und den Stimmen) wiederkehren. Sie dürften ein Probenresultat von Mahlers Hand garantieren. (Selbstredend nicht nur das einzige, wenn es zutrifft, daß Eintragungen mit roter Tinte ''[ .. ] hier in Amsterdam" angefertigt wurden ["zum großen Teil" sicherlich nicht]). Mengelbergs'Schreibweise ähnelt der des Kopisten mit einem angesetzten kleinen Bogen für den Kopf. Als Hauptkriterium der folgenden Auflistung für die Zuschreibung Mahlers oder Mengelbergs gilt die Wiederkehr in begleitenden (Mahlers erster Stimmensatz) oder späteren Quellen (W-Dp, NA). S.14

Holzbläser f (=von der Hand Mengelbergs [= Mbhs]);

S.16f

FVOb-2 gestr.( = von Mahlers Hand [ = Mhs], Blaustift, abgekürzt BLS);

S.17

Posmf(=Mhs);

S.18f

Vc mf/f (= Mbhs, Rotstift, abgekürzt RS);

S.19

VIa ff (= Mhs), Trp f (= Mbhs);

S.24

Pos f ( = Mbhs);

S.32f

Kb 1.Hälfte ( = Mbhs) inkl. mf;

S.34

Trp gestr. ( = Mhs, RS vermutlich Mbhs);

S.39f

LVI mp, VIa gliss (= Mbhs);

S.47

Str ( = Mbhs); S.58 Kb mp ( = Mbhs);

S.59

VI-1 mf, mp (=Mbhs)

S.64

Trp gestr. p ( = Mhs, BS);

S.71

Hrn mf ( = Mbhs);

S.73f

Hrn-3/4 gestr. ( = Mhs);

S.75

Str-Bchbl-Hzbl Achtelpause ( = Mhs);

S.79

Vcmf(=Mbhs);

S.86f

VIa flmf ( = Mbhs);

S.88f

Hrn: 1.2. (=Mhs; a3 vermutlich = Mhs);

S.89f

FI-3/4, Fag-l/2 gestr. ( = Mhs, BS);

Mengelbergs Dirigierpartitur

74

S.89

Ob-2 gestr.( = Mhs);

S.96f

Pos decresc gestr. ( = Mbhs);

S.100

Pke mf (=Mbhs);

S.115

Vc "die Hälfte" gestr. (=Mbhs);

S.116

F1 mp ( = Mbhs);

S.121

Klar-1 fff (=Mbhs);

S.124

Trp-3 ff ( = Mbhs);

S.130

Hrn-1 gestr. (= Mhs);

S.138

VI-2 mp ( = Mbhs);

S.14lf

VI-2 mp, FaglKb f (=Mbhs);

S.152

"fag col viola?", vermutlich Mbhs, da trotz Streichung in EA-Dp in Fag-2 gedruckt, in Mahlers Stimme gestr. und als Zwischenstation, die keine Partitur verzeichnet, die Übernahme der Vc-Stimme T.534-537;

S.154

VIa gestr. ( = Mhs, BS über r.Tinte [= Kopist])

S.163

Hrn, Trp Achtelpause ( = Mbhs);

S.166

Trp 2.3. (=Mhs);

S.169

Bbl decresc p ( = Mhs, BS);

S.l71

Fag f ( = Mbhs);

S.175

VIa gestr. ( = Mhs, obwohl RS), Fortsetzung S.174

S.185

Pke ff (= Mbhs);

S.188f

VI-1 mp (=Mbhs);

S.189

Hzbl cresc flff (=Mhs, BS);

S.195

Leg-Bogen "bleibt" ( = Mhs, BS; eine klare Evidenz dafür, daß Mahler aus der Partitur dirigiert hat;

S.199

Trp gestr. ( = Mhs, RS);

Mengelbergs Dirigierpartitur

75

S.200

Trp ff (= Mbhs);

S.202

VIa Auftakt 310 gestr. ( = Mhs, RS, oder Korrektur von Mb gemäß der folgen, den Streichung [RT,Kopist]

S.206

Pos f (= Mbhs);

S.209

Str pp (Mbhs);

S.219

VI-1 cresc f (= Mhs);

S.223

"nicht eilen" (= Mbhs);

S.229

Bchbl fff (Hrn = Mhs)

S.231

Ob gestr. (=Mhs);

S.234

Ob/Klar a2 (=Mbhs);

S.244

Pos T.731 (= Mhs);

Mengelberg ändert nahezu ausschließlich dynamische Werte. Da er grundsätzlich keine späteren Änderungen Mahlers nachträgt, ergibt sich Zweideutigkeit nur in den wenigen Fällen, in denen ein Stiftnachtrag eine Änderung mit roter Tinte begleitet336. Die Mehrschichtigkeit der TinteneintraggIJFen zeigt sich daneben an einigen Rasuren bereits vorausliegender Tinteneintragungen33 . Die Diskontinuität, mit der Rasuren auftreten, ist nicht zwingend zeitlich zu bewerten. Ihr Einsatz ist einerseits maßgeblich durch ein »ökoder Änderungen, aber auch durch die Übersichtlichkeit nomisches« Motiv, den Umfa~ des Stimmeneintrags bestimmt 8. Fast alle Rasuren lassen aufgrund der oben dargelegten Merkmale den Schluß zu, daß sie vom Kopisten stammen. Der Irrtum der dokumentarischen Notiz über die Beteiligung des Kopisten macht auch ihre Behauptung über die Eintragungen Mahlers zweifelhaft. Ohne daß sie zeitlich genauer eingrenzbar sind, verteilen sie sich vermutlich über die drei genannten Phasen. Sie bedeuten - gegenüber den Änderungen der EA-Dp - einen qualitativ gravierenden Einschnitt, da die instrumentatorischen Streichungen und Umverteilungen zunehmen. 11

Mengelbergs Schreibmaterial ist an 1. Stelle Blaustift neben Rot- und Bleistift. Die dokumentarische und programmatische Notiz verzeichnet er in schwarz-blauer Tinte. Eine Abhebung von zeitlichen Schichten ist unmöglich, da er die Gewohnheit besitzt, dieselbe Information mehrfach an einer Stelle zu wiederholen, ohne daß ein systematischer Gebrauch der Farben erkennbar ist. So erscheinen Rot- oder Blei- über Blaustifteinträgen, aber auch umgekehrt sowie iteriert, Einkreisungen ebenso in allen Farben wie metronomische Ziffern oder Notizen zu, Ausdruck und Temp0339. Nur die Häufigkeit läßt eine funktionale Grundierung in der Form erkennen, daß der Blaustift als »Arbeitsstift« und vor

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Mengelbergs Dirigierpartitur

zu gelten hat, so daß Mengelberg mit dem Blaustift allem der Rot- als »Markieungstf~< die erste Hervorhebung vornimmt, und der Rot- oder Bleistift zu weiteren Akzentuierungen dient (Einkreisungen, Unterstreichungen). Es scheint übertrieben und wenig sinnvoll, alle Eintragungen und Notizen MengeIbergs aufzulisten. Die Hauptkoordinaten seiner Interpretation sind die dirigiertechnischen Fundamente des Tempos und der Dynamik. Auffällig ist das gelegentliche Schwanken der Metronomzahlen (um 10 Einheiten), das auf einen temporalen »Einschwingvorgang« hinweist340. Er sucht sich offenbar an Mahlers Angabe zu halten, der ihm gegenüber zweimal die Dauer von 11/4 Stunden angegeben hat341. Am Schluß (Partitur S.251) notiert Mengelberg: "das Ganze 1.15". Walters Notat (69 Min in W-Stp) liegt etwas unterhalb dieser Zeit, wobei die Pausenzeichen zu berücksichtigen sind. Offenbar machte Mengelberg kürzere Pausen zwischen den Abteilungen, kommt aber dennoch auf eine Gesamtzeit von annähernd 80 Minuten, wobei die Aufschlüsselung vermutlich nicht gleichzeitig entstanden ist. 1 Am Ende des 1. Satzes verzeichnet er 12, des 2. 14, des 3. 16, des 4. 9 12 und des Finalsatzes 24 Minuten. Zwischen den Abteilungen notiert er zusätzllch jeweils zweimal 30 und 17 Minuten und macht den Jahresvermerk 1916342, der einzige Beleg für die zeitlich letzte Eintragung von seiner Hand, obwohl er sie auch 1920 beim Mahler-Fest dirigiert hat. Das Pendeln der Metronomzahlen bei Satzanfängen und formalen Einschnitten charakterisiert einen «Einschwingvorgang«, in dem sich die Funktion des Tempos als Interpretationsmittel nach außen kehrt. Stehen die Marsch-Teile des Einleitungssatzes auf dem Fundament des Andante (um 72 bis 80) und das Haupt-Trio im Moderato (104-108), so läßt die Spannweite der Varianten die Funktionen ermessen, denen sie zugedacht sind. Eine strikte, auch für die Folgesätze gültige Zweidimensionalität - zwischen dem Grundwert und seinen Varianten - anzusetzen, scheint angesichts der schon nicht völlig konstanten Grundwerte zu rigide; dennoch drückt sich in der Bewegung jener Werte, die sich an Mahlers Tempo I, wie zu Anfang und etwas gehaltener orientieren, in der Beziehung zu den Zwischenwerten eine spezifische Differenz aus. Sie ruht offensichtlich in der Aufgabe, die Entwicklung der Form zu artikulieren343. "Immer in langsam fließendem Marschtempo". Mit dieser Satzbezeichnung (BLS, rot unterstrichen, eingekreist und teilweise mit Bleistift nachgezogen) eröffnet er den Trauermarsch, dessen 2. Thema (Z.2) Anlaß zu einer Notiz gibt. Er macht unten auf der Seite den Vermerk "Das ll[.] Thema: alle Streicher Spitze", eine Bemerkung, die sich mit einem Zusatz bei dem 2. Auftritt erklärt: "Spitze, da [ich] sonst das Thema nicht fließend genug nehmen [genommen werden] kann". Die Relation der beiden Marsch-Teile zueinander schärft Mengelberg durch Kontraste, die am Extrem, das sich in den kadenzartigen Abschnitten und den beiden Dur-Einschüben manifestiert, am deutlichsten ablesbar werden. Das Ende der durch den "Appell,,344 versammelten Marschaufstellung345, Pesante, pronociert er durch "festhalten" und (auf Halbe = 60) gemindertes Tempo, ebenso die Trio-Steigerung (Z.1O, vom Kontext 100-96 auf 80). Das charakteristische Widerspiel dieser- Gebilde zwischen Funktion und Erscheinungsbild - sie übersetzen die formale Funktion in eine sinnfällige Melodik und nicht konventionalisierte Harmonik - wird forciert. Der »TempoPegel« der ersten Dur-Interpolation schlägt in entgegengesetzte Richtung aus (86, mit Bleistift).Vergleicht man die entsprechenden späteren Werte nach dem Trio, so sind sie gespannter: trotz Mahlers Tempo I ist die Marsch-Reprise (auf 80) gesteigert, das durch die Marsch-Blechbläser fragmentierte »Seitenthema« ebenfalls (- es orientiert sich statt

Mengelbergs Dirigierpartitur

77

72-66346 nunmehr an 80 -), und die zweite Dur-Episode vermittelt zum Tempo des Trios in doppelter Hinsicht (88-92/Z.14), als Ausgleich und halbe Vorausnahme. Die Schwankungen, aus denen Mengelbergs Tempi resultieren - sicherlich mehr als das Nachahmungsprodukt der durch zahlreiche Kritiken belegten ausgeprägten Agogik Mahlers -, demonstrieren sein Bedürfnis, das »richtige« aus dem Gesamtzusammenhang zu erfühlen, statt es als Ergebnis analytischer Reflexion zu verwirklichen. Die Steigerung des Tempos nach dem Trio, für die Mahlers Partiturkeine Hinweise gibt347, scheint die Spannung in sich aufzunehmen, die seiner extremen Affekthaltung zugrunde liegt. (Sie dürfte auch den Zug der Musik Mahlers offenbaren, der sein Bild am nachhaltigsten beeinflußt hat). In einem »Protokoll«, das sich der Problematik verbalisierten musikalischen Ausdrucks weitgehend dadurch entzieht, daß es das Detail nicht zu konkretisieren sucht, begleitet Mengelberg gerade die Gefühlsentwicklung dieses Satzes. Der 'Triumfschrei" der Fanfare (T.12f) bleibt singulär. Die "licht weenende melodie" des »Seitenthemas« verkündet "wehmut,,348 bei "leisem Klang". Ihm antwortet "troost en smart,,349 bei erster Dur-Episode und dem auf das »Seitenthema« zurückgreifenden Ausklang. Den Trio-Eintritt markiert "hefti~r Schmerz", "Verzweiflung", eine Ver35 schärfung des Leidenschaftlich. wild Mahlers . Zwei letzte Notizen halten nur noch "Schmerz,,351 fest und belegen Mahlers abschließendes Klagend. Die verbale Beschränkung, im ästhetischen Umkreis der Sprachanalyse als »metaphorische Denotation« (Goodman) anzusehen, die kaum auf Attribute zurückgreift und den Status des "Wegweisers", den Mahler seinen vorausgegangenen programmatischen Entwürfen beimißt, noch unterschreitet352, sucht offenbar jenen Ort, in dem sich individuelle Charakterisienmg und objektive Verallgemeinerung begegnen.zuweilen ist nicht auszuschließen, daß die Lokalität als Ort der Bezeichnung in der Partitur zum Bedeutungskonnex hinzugehört, indem sie - sprachanalytisch gefaßt - in der Referenz des verbalen Ausdrucks die Individualität der musikalischen Prägung im Verhältnis zuzu ihrem Kontext aufzubewahren sucht. "Schmerz, Wahnsin[ n]scene" notiert Mengelberg zu Beginn des zweiten Satzes. Der Bezug, den er für so bedeutsam hält, daß er ihn ausdrücklich in seine Programm-Notiz aufnimmt, fußt in der veloce-Figur der Trompeten ("heftig lachen, wahnsin"). Sie wird von jener Figur eingerahmt, deren Phänomenologie Mahler selber für den Dirigenten erläutert hat, und die Mengelberg durch "fest, wütend und woest,,353 näher umschreibt. Daß Mengelberg den musikalischen Zusammenhang nahezu figürlich auflöst, dürfte, gemessen an Mahlers Vortragsanweisungen354, die durch Allgemeinheit Distanz halten, eher seinem Temperament und Verständnis zuzuschreiben sein. Als Notiz von Probenbemerkungen Mahlers widersprechen sie seiner proklamierten Verzichtshaltung. Der satzübergreifende Kontext zum Trio und die gestalthafte Komposition selber lassen sie dennoch als hinreichend fundiert erscheinen, da Mahler selber die begleitenden Glissandi des Hauptthemas als Figur anspricht355. Der musikalische Konnex, den die Elemente begründen, entzieht sie auch einem isolierenden Vergleich nicht völlig. Der Zusatz sehr trotzig, mit dem Mahler die Rondo-Burleske der IX. Symphonie überschreibt, die durch dieselbe Baßfigur eingeleitet wird, autorisiert mit genügender Evidenz verwandte Emotionalität. Dennoch ist das musikalische nicht auf das figürliche Verständnis angewiesen, so daß jenes damit rechnen muß, im weiteren Verlauf die Substanz zuverlieren. Mengelbergs Akzent des TrompetenMotivs, wohl von ihm als mimetische Spur sich regender Ohnmacht verstanden, ist nicht

78

Mengelbergs Dirigierpartitur

beständig kompositorisch real356 und mag darum auch schon anfangs in der engen Fixierung bezweifelt werden. ./"

Seine Tempo-Relationen sind zugleich satz- und werkorientiert. Die Forderung, rückwärtige Bezüge wach zu halten, führt - an der Wiederkehr von Gleichem bemessen zum Reglement der Spontaneität. Mengelberg setzt den Hauptsatz des Allegro im Tempo des 1. Trio an (Halbe = 104; 104-108, Z.2)357, dasselbe Tempo, das auch das Allegro giocoso des Finale bestimmt. Die Replik des Trauermarsches begründet ebenfalls Tempo-Gleichheit (80-76, Z.5), mit "vollem Ton" der "traurigen" Violoncell-Melodie 358. Die Exposition bedeutet somit auch Tempo-Konstanz. Interpretation steckt im Extrem, dem auf ein »Plateau« gehobenen Cello-Rezitativ der Durchführung (60), und der deutlichen Annäherung an das Marschtempo in der Reprise (Z.20-22). Das Rezitativ erscheint vom Differenzierungsgrad her als Gegenpol des Beginns: "de Zeel klaagt", ätherisch, in "flageolett[-] 359 artige Klank " (Halbe = 60 und über 80, 4.T.v.Z.12, zu 72, Tempo moderato, gesteigert der stärkste Hinweis auf die enge Beziehung zwischen Ausdrucksbedürfnis und Agogik). Indem er in der Vermischung der Trauermarsch-Elemente mit dem 2. Gedanken des Hauptsatzes (Z.2) das Tempo im Allegro-Kontext nahezu auf das des Marsches drosselt (82 nach regulären 108, Z.19, über 100 "halten[,]dolce", Z.20), macht er seinen Einfluß bewußter, als er Mahler offenbar vorschwebte. Er verlangt nur Etwas langsamer (ohne zu schleppen). Umgekehrt macht sich D~utng in der Art bemerkbar, wie er die Tempi der Coda plaziert. Pe sante (plötzlich etwas anhaltend) realisiert Mengelberg im AllegroMaßstab (104, Z.27), und die Pesante-Beziehung bewerkstelligt er durch ein vorausgegangenes Accelerando (Z.26 von 104, 108 auf 116 vor dem Doppelstrich). Erscheint der Einsatz des Blechbläser-Finales bei Mengelberg somit in Tempo I, das Mahler erst Z.28 fordert, so auch als gewissermaßen von vornherein angelegt. Den halb übergangenen PesanteEffekt verlegt er jedoch auf den »Choral«-Höhepunkt, ohne daß ihn Mahler dort forderte 360• Mengelberg wechselt an dieser Stelle die Zählzeit361, ein Phänomen, das das gesamte Scherzo bestimmt. Er springt zwischen Angaben in Vierteln und ganzen Takten. Sie belegen zum Teil evident, daß er Einleitungstakte in anderen Zeiten nimmt, so daß geringfügig differierende Werte, die (in anderen Sätzen) bei demselben Zählzeitenbezug über- oder nebeneinanderstehen, sich auch hierdurch erklären können. Daß dieses Phänomen im Scherzo mit Reminiszenzen an Ländler und Walzer auftaucht, spricht für sich. Die in Mahlers Gesamtwerk einzigartige polyphone Disposition dieses Satzes - nach einem kontrapunktischen Gesetz verfaßt, das auf der Variationsgrundlage die allseitige Bindungsfähigkeit seiner Themen zu beweisen sucht - sperrt sich formkategorialer Eindeutigkeit. Selbst wenn sich der "Bauplan [nicht] verdunkelt, [.. ] ist die Formanlage vom Kontrapunkt determiniert,,362. Das "Novum des Durchführungsscherzos", das ihm Adorno attestiert, motiviert Vladimir Karbusic.ky363, in der semantisch orientierten Interpretation wohl etwas zu stark die Episoden in das Zentrum rückend. Zur stilistischen Gundlage des Scherzos, wenngleich schwieriger nachzuweisen, dürfte neben der kontrapunktischen auch eine metrische »Poly-Valenz« gehören, als eineVerfügbarkeit der Elemente in verschiedenen Satzpositionen. Hans Heinrich Eggebrecht hat sie auf der neuen Taktgrundlage als Charakteristikum des Mannheimer Stils nachgewiesen364, wobei insbesondere Schubert und Bruckner historisch vermitteln.

Mengelbergs Dirigierpartitur

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Das "wirbelnd bewegte Stück,,365 fragt um so nachhaltiger nach dem Verhältnis des Tempos zur kontrapunktischen Variabilität. Mengelberg orientiert sich anje einem Tempo für Scherzo und Trio (Ganztakt= 69-72 und 48 für Trio 1366, 46 oder Viertel = 120-126/132 für Trio 11367). Die Rückkehr zum Scherzo über Tempo I (Z.15) übergeht Mengelberg. Vom a Tempo moderato ausgehend (Viertel = 104), nimmt er die Verbindung des zweiten Scherzo-Gedankens (Z.2) mit der erneuten von Trio- und Episodenthema zum Anlaß eines groß angelegten Accelerando (Z.15 "flott" in 50-60, Nicht schleppen 60, T.482 "rasend"). Die gesamte »Durchführung« bestimmt das Scherzo-Tempo mit dem Fluchtpunkt des Wiedereintritts des Episodenthemas: Das Tempo merklich etwas einhaltend, eine Anweisung, die auch die unmerkliche Variante kennt, identifiziert Mengelberg als 2. Tempo (132-126). Mit Z.27 ist Tempo I über zwei Varianten (Kräftig und Z.26 = 66) erreicht und bleibt konstant. Die Episodentempi selber bewahrt er in deutlicher Korrelation (100 und 132-144 zu 144-152 gesteigert für die Anweisungen a tempo368). Mengelberg sucht den großen Bogen und entzieht - in Anlehnung an Mahler - das Tempo dem kontrapunktischen "Wirbel". Die Vereinfachung belegt, als rezeptionstheoretischer Befund gelesen, die These, daß Komplexität nicht Eigenschaft aller »Dimensionen« sein kann, sondern Ausgleich braucht. Den Beginn des Scherzos kennzeichnet eine persönliche Note. "Gezwungene - forcirte Fröhlichkeit[,]erwilllustigsein,,369. Daß Mengelberg die Programm-Notiz auf Mahler projiziert, korrespondiert mit dem biographischen Verständnisdes Adagietto. Rudolf Stephan beschreibt Mengelberg als einen "Freund, dem Mahler absolutes Vertrauen entgegenbrachte", das er durch einzigartige "Akribie der Bewahrung des Mahlerschen Erbes,,370 entlohnte. Sein ausgeprägtestes Dokument bilden die Bemerkungen zum 4. Satz, die Stephan bereits veröffentlicht hat371. Mengelberg verzeichnet dort: "N.B. Dieses Adagietto war Gustav Mahlers / Liebeserklärung an Alma! Statt eines / Briefes sandte er ihr dieses im Manuskript, / weiter kein Wort dazu. Sie hat es verstanden / und schrieb ihm: Er solle kommen!!! / (beide haben mir dies erzählt! / W.M. 372. Er ergänzt links zur "vI I: Wie ich dich liebe, / Du meine Sonne, / ich kann mit Worten Dir's nicht sagen[.] Nur meine Sehnsucht / kann ich Dir klagen / [,]Und meine Liebe[,] / meine Wonne!" Über der Violinstimme notiert er dann noch einmal: "Liebe, innige, zarte, aber heiße!!!" Weiterhin bemerkenswert ist sein Kommentar, den er unten auf der Seite niederlegt: "N.B. Wenn Musik eine Sprache ist / so ist sie es hier - - 'er'sagt ihr alles in 'Tönen' / u[nd] 'Klängen'[,] in: Musik". Offenbar zu einem späteren Zeitpunkt notiert er (in Blaustift, nachgezogen und mit Rotstift unterstrichen): "Innig[e] Liebe[,] aber edel[,]/ nobel". Die Grazioso-Transformation373, die das Adagietto mit dem Finalsatz verbindet, macht im Gefolge die temporale Relation zu einem ihrer Träger. Sie löst bei Mengelberg große Tempo-Schwankungen aus, die sich mit Stretta-Wirkungen vereinigen. Mahler beabsichtigte offenbar, daß sie sich - nicht weniger als die gleichzeitge allmähliche Augmentation des Blechbläserfinalthemas - sehr unscheinbar vollzieht. Der Schluß ist nicht allein aus zunehmend formaler als auch kontrapunktischer Durchdringung zu ziehen. Die Streichung der Grazioso-Anweisung in Verbindung mit Auftritten des Adagietto-Themas weist ebenfalls darauf hin374. Dennoch bleibt die Beziehung manifest, indem die letzte Steigerung aus der Kontamination mit dem Grazioso des Rondos hervorgeht375. Den Finalsatz zeichnet ein Höchstmaß an Flexibilität des Grundtempos aus. Mengelberg beginnt das erste Allegro gemäßigt (104-108, stets alla breve), das erste Grazioso im verdoppelten Tempo des Adagietto-Mittelteils (Viertel = 80, 88, nunmehr Halbe), um

80

Mengelbergs Dirigierpartitur

es in Tempo I übergehen zu lassen376. Ebenso konstituiert das transformierte AdagiettoThema Beschleunigung, zum Teil sprunghaft377. Die gegenläufige Verlangsamung des Rondos - Mengelberg notiert zu Beginn trotz 'T[ empo] 1" (Z.lO) abweichende 116 - müydet in ein wörtlich interpretiertes nicht eilen (96, T.337 und Z.14) und Tempo 1(108, Z.15). Wellenbewegung und Sprung prägen die Tempo-Gestaltung Mengelbergs. Sie liest Mahlers nicht schleppen stets als accelerando und nicht eilen umgekehrt. Daß sie nicht reine Willkür ist, sondern sich offenbar an Mahlers Dirigat anlehnt, macht die große Rondo-Reprise ab Z.21 besonders deutlich. Mahler fordert plötzlich wieder wie zu Anfang (Tempo I[)], ohne daß er zuvor eine Beschleunigung angezeigt hat. Trotz des mittleren »Pegels« für Tempo I um 104 verschärft Mengelberg den geforderten Kontrast, indem er bei 96 (nach 126, Z.20) ansetzt. Um vollständig Funktion der Form zu sein, müßte das Tempo nicht nur deren Abschnitte hervorheben, sondern auch die Momente spiegeln, in denen sie sich auflöst. Daß er die Übergänge von Adagietto-Thema und Rondo stets als Fixpunkte großer Accelerandi verwirklicht, deren Ausmaß an Mahlers Anweisungen nicht erkennbar ist, dürfte diese Absicht charakterisieren. Der Schwung des "leggiero", das er häufiger notiert, partizipiert an beiden Formteilen. ' Für die gesamte Symphonie bleiben noch zwei Gesichtspunkte nachzutragen. Mahlers Forderung nach Deutlichkeit erscheint bei Mengelberg auf eine spieltechnische Anweisung bezogen noch gesteigert. Häufiger als vorgesehen verlangt er von den Bläsern den gehobenen Schalltricher durch "hoch/hoog", eine Anweisung, die beim Horn nach Meyer Intonationseinbußen bedingt und bei der Klarinette eine "hellere oder gar schrillere Klangfarbe,,378 zur Folge hat. Die strahlende Wirkung bei Trompeten ist vom räumlichen Verhältnis zwischen Sitzplatz und Hallradius hoher Frequenzen abhängig. Taktg~pen kennzeichnet Mengelberg mit Ausnahme des Scherzos hauptsächlich bei formalen Ubergängen379. Es lassen sich vier Fälle unterscheiden: seltene Hypotaxe, Verschränkung, Irregularität und Reduktion. Hypotaxe resultiert aus dem gleichzeitigen Ausdruck verschiedener Längen, so daß größere die kürzeren Einheiten einschließen. Sie prägt den Satzschluß des Trauermarsches, in der er die 4-Taktgruppe TA06-409 gleichzeitig in zweimal 2 Takte unterteilt: ein Normalfall, der hier nur ausdrücklich wird und die metrische Unterordnung evident macht380. Taktverschränkung konstituieren jene Fälle, in denen Schluß- und Anfangstakte explizit zusammenfallen: T.152 im Trauermarsch bildet die Verschränkung einer Zwei- und Dreitaktgruppe (als '2' und '1'). Im Höhepunkt des Hauptsatzes, Z.29 fällt der Vollauftakt der Hörner in die '4' der Streicher (T.503). (Er zählt 381 für Hörner und Streicher gemeinsam '1' in T.504, wobei er die Hörner ab Z.29 2 +3 ( = 1 + 2) + 2 gruppiert und innerhalb der 3-Takt-Hypotaxe ausdrücklich "1 2" für T.504505 notiert). Taktverschränkung motiviert die Scherzo-Episode, die Mengelberg mit kontinuierlicher 2-Taktgruppierung (ab T.257,VI2Ma) verwirklicht. Mit der Textstufe der NA streicht Mahler die Holzbläser (T.261ff) auszugsweise und setzt neue sf-Akzente ab drängend, so daß sich die metrische Konkurrenz der 2-Taktgruppen der Streicher gegen die der 381 Holzbläser ab Z.9 zuspitzt und zuletzt auflöst .

Abweichungen von normaler gradzahliger Paarigkeit prägen Irregularität, wobei die Ableitbarkeit unerheblich ist und ungeradzahlige Paarigkeit eine Ausnahme darstellt. Die Aufteilung der Hinleitung zum Höhepunkt des Hauptsatzes - als Paradigma - wird bereits durch Mahlers Vortragsanweisungen vorgezeichnet (3 + 1 + 2(4) ab accelerando, TA88)383. Das Scherzo bietet weiterhin reiche Anschauung. Bemerkenswert ist seine Auflösung des

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Nebengedankens im Scherzo (Z.2: 3 + 4, Auf- bzw. Niedertakt [Hzbi, 47] ungezählt, 1 + 1, T. 40-49). Neben dieser komplizierten und feinfühligen Lösung ist auch eine einfache 4Taktgruppierung denkbar. Die Wiederholung (Z.19) demonstriert die metrische Verwicklung, die polyphone Disposition bedingt, da der zusätzliche Eintritt des Trio- (oder Walzer-) Themas die einfache Lösung vereitelt (Mengelberg zählt ab Z.19 4 + 1, TA31, danach 2(5)). Der letzte, Reduktion genannte Fall resultiert aus der schlagtechnischen Vereinfadmng polyphonen Satzes. Ein eldatantes Beispiel bietet die Reprise des Hauptthemas im 2.Satz (Z.19). Mahler versetzt seinen Kanon (Pos, Tub) auf die metrische Gegenposition der 2-Taktgruppen, die '2' (T. 347 : 342, VI-l). Mengelberg gruppiert nach den 2-Taktgruppen, die durch die Hauptstimme der Violinen manifest werden, (so daß innerhalb der Kanon-Beziehung die '1' zur '2' wird). Eine andere Erscheinung von schlagtechnischer Re,duktion demonstriert eine Entwicklung der 1. Scherzo-Episode (Z.ll, T.337ff). Mengelberg schlägt kontinuierlich 2-Taktgruppen gegen die verschobenen Einsätze von Solo-Horn und Fagott, indem er der Phrasierung der Hauptstimme (Klar) folgt. Auch das folgende komplementärrhythmische instrumentale Duett zwischen 1. Violine und SoloHorn reduziert er auf stete 2-Taktgruppen: mit T.352 (Z.12) erreicht er einen Niedertakt, den Mahlers Komma gegen die Phrasierung der Hornstimme indiziert. Die metrische Basis wechselt zur Violine (und zurück), so daß einer 3-Takt-zwei 2-Taktgruppen folgen (T.353355,356-359). Es ist Mahlers Komma, das ihn motiviert, auf die melodisch-kontrapunktische als metrische Verwicklung einzugehen; denn die Tatsache, daß er den Einsatz der Violine (T.344) nicht mit '1' beginnt, sondern die Sequenz der 2-Taktgruppen fortsetzt, zeigt seinen Rekurs auf einen 2-taktigen Gerüstsatz. Er vereinfacht die Unregelmäßigkeit sowohl der Einsätze als auch die der melodischen als metrische Gewichtung. Die genannten Beispiele ließen zum Teil bereits erkennen, daß die »Fälle« metrischer Disposition zusammenwirken können. Das theoretische Modell, das ihnen unterliegt, ist weniger die Distinktivität »reiner Klassen« als das paradigmatischer Konstellation mit der Möglichkeit partieller Annäherung. Die Rekonstruktion der Interpretation Mengelbergs aus seinen Eintragungen belegt, daß er sich nicht nur eng an die Vorstellung Mahlers anzulehnen sucht, insoweit sie die Partitur kodifiziert. Auch das Detail veranlaßt ihn noch, Metrum oder Tempo und ihre Beziehung zur Form zu erwägen. Selbst wenn er abweicht, scheint er motiviert, die kompositions- und zugleich instrumentationstechnische Hauptkategorie Mahlers, die Deutlichkeit, erfüllen zu wollen: indem er durch das Tempo den formalen Kontrast und Zusammenhang, durch die spieltechnische Anweisung das melodische Gewicht und durch die von Phrasierungen abweichende Gruppierung den Hauptstimmenkomplex zu verwirklichen sucht. Schwieriger zu beurteilen ist sein ästhetisches Temperament, das - auch im Hinblick auf seine übrigen Partituren - nach heutigen Vorstellungen zur »Assoziationsfreudigkeit« neigt. Seine enge Beziehung zu Mahler bekundet sich darin, daß er das Subjekt der sich entwickelnden Humanität, als Grundgehalt der Symphonie verstanden, halb verdeckt auf Mahler bezieht. Die ästhetische Distanz wird durch die Art seiner Charakterisierung des Scherzos und Adagiettos, die nach der Programm-Notiz auf sein gesamtes Verständnis zurückwirkt, weitgehend aufgehoben. Die Beurteilung relativiert sich aber durch die Schlußbemerkung zum 4. Satz, die von einer "Sprache in Tönen: in Musik" spricht. Sie läßt seine

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Anschauung, die auch im Falle der Fünften dazu neigt, sich zu einem »inneren Programm« zu verdichten, ein wenig verschwimmen. Eine genauere Abwägung müßte sie unter mehreren Aspekten betrachten, was hier nur angedeutet werden kann. Sie erscheint sod;Ifln durch mehrere Faktoren bestimmt, deren Gewicht differiert. Die Koordinaten seines ästhetischen Bewußtseins bilden zum einen die zeitgenössische Auffassung, soweit sie sich in Kritiken und Reaktionen auf Mahler widerspiegelt. Zu ihr zählt auch Georg Göhlers Programm-Notiz im Katalog des Verlages, die sich an dieselbe Idee ohne autobiographischen Bezug anlehnt384• Die ästhetische Anschauung Mahlers und mit ihr die Rezeption Scho385 penhauers stellt einen zweiten Bezugspunkt dar , dem Mengelberg besonders nahe zu kommen scheint, wenn er sich auf nominale Andeutungen beschränkt. Er legt sie aber auch nahe, indem er den Inhalt des Adagiettos, eine "edle Liebe", zuletzt als durch die Musik ausgedrückt behauptet, die "alles [in Tönen]", und somit mehr als Worte sagt. Seine Bemerkungen sind aber auch zu jenen Notizen in Beziehung zu setzen, die er in Partituren anderer Komponisten vornahm und die verwandte Vorstellungen zum Ausdruck bringen. Als Exempel sei die Eroica Beethovens angeführt, deren Dirigierpartitur partiell ähnliche Charakterisierungen enthält. Zur 1. Überleitung schreibt Mengelberg:"ein liebes schönes Mädchen[,]zärtliche Liebe". Den2. Satz kennzeichnet er durch "feierliche Trauer", (Vll:)"Das Herz klagt tiefen Schmerz"; Maggiore:"im Himmel" sowie "kindliche Lustigkeit"; im Scherzo erscheinen "lyrisches Sentiment" und "Sehnsucht, Seufzer" (zur HornsteIle). Die "zeel[,] dee klaagt", erscheint auch in der (gekürzten) Dirigierpartitur der VIII. Symphonie Bruckners (Finale, H), daneben "sehr exstatisch"; im 1. Satz (bei G):"Seligkeit, Glück, Himmel". Die Kennzeichnungen, zwischen Assoziation und Ausdruck der Stimmung schwankend, sind nicht prinzipiell von jenen geschieden, die in allen Partituren Mahlers in den Mengelberg-Archiven in Den Haag auftreten. Sie sprechen darum auch für eine Genese aus einem generellen Musikverständnis Mengelbergs. Um so dringlicher werfen sie aber die Frage auf, in welchem Verhältnis die aus persönlicher Freundschaft erwachsenen dokumentarischen Notizen zu jenen Epitheta stehen, die die zeitgenössische, zur Verbalisierung neigende Musikauffassung widerspiegeln, der sich Mahler wiederum erst allmählich und aus Erfahrung zu widersetzen beginnt. Das Adagietto als Modellfall genommen, in dem sich die Koordinaten zugleich exemplarisch widerspiegeln, belegt eine Entwicklung des ästhetischen Verständnisses Mengelbergs, bei dem die »Objektivation« als Repräsentation des Allgemeinen nicht den Anfang, sondern das Resultat bildet. Die biographische Notiz gerinnt zum Hintergrund, nicht zum Inhalt der Musik, zu dem sich die ästhetische Auffassung als Bürgschaft einer "Sprache, die alles sagt", zurückwendet. Auffällig stimmen einige der Andeutungen Mengelbergs mit Beurteilungen Adornos zusammen, der sie nicht gekannt hat. Die Konvergenz kann zwar nicht als Beweis einer Mahler-Tradition gelten. Sie läßt aber Komponenten erkennen, die offenbar zu dem Verständnis seiner Werke gehören und deren Grundlegung bereits durch engste Vertraute stattgefunden hat. Der erste Zusammenhang besteht in der Behauptung vom Sprachcharakter der Musik Mahlers, den beide am Adagietto erkennen, und den Adorno 386 am prosodischen Gestus festmacht. (Daneben wäre auch ein Bezug auf morphologische Eigenschaften möglich, die die Sprachwissenschaft flektierend nennt). Die zweite Verbindungslinie besteht darin, daß sich Adornos Charakterisierung eines Typus des Mahlerschen Kontrapunkts wie ein Kommentar der Charakteristika Mengelbergs zum Finale verstehen

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läßt. Der nicht-»repräsentative« Kontrapunkt, den Mengelbergs Ausdruck "»Musikantenmusik«" wohl bezeichnen will, wird von Adorno387 durch einen Versuch zu seiner Herkunft erläutert. Auch Bruno Walter spricht von einem "ursprünglichen Musikantentum" Mahlers, das ewtwas weiter gefaßt, auf die "Vorherrschaft des rein musikalischen Bildens" zurückführt . Mahlers Ton prägt die letzte Korrespondenz. Auch hier erscheint Mengelberg als derjenige, der von Adorno erläutert wird. Ein Kernsatz, den isoliert zu zitieren aufgrund dieser Geltung möglich wird, spricht vom "Trost[,] der bei Mahler der Reflex von Trauer,,389 sei. Mengelberg hat ihn in den Dur-Einschüben des Trauermarsches unmittelbar herausgehört und - in der Freundschaft mit Mahler begründet - wohl auch herausgefühlt. (Adorno wäre allerdings zu fragen, inwiefern die durchaus allgemeinmenschliche Verhaltensweise als Mahler-typisch gelten kann. Erlaubt man eine Entlehnung, so gibt Mengelbergs Partitureintrag zu den Dur-Einschüben im Trauermarsch die Antwort, und zwar nicht, indem er diesen Reflex belegt, sondern - vermutlich auch Adornos Anliegen -als Ausdruck der engen Zusammengehörigkeit für die Musik Mahlers). Abschließend bleibt die Frage zu beantworten, inwieweit Mengelbergs Bemerkungen als dokumentarische gelten können. Nach Walters Zeugnis ist "ihm aus keinem Gespräch mit Mahler bekannt geworden, aus keiner Note ersichtlich, daß außermusikalische Gedanken oder Gefühle auf die Komposition der Fünften eingewirkt haben,,390. Seine Erinnerung ist zwar, worauf im folgenden zurückzukommen sein wird, nicht immer ganz frisch, so daß der Einfluß seines persönlichen Verständnisses nicht auszuschließen ist. Dennoch dürfte der größte Teil der Notizen Mengelbergs, die nicht die Dirigiertechnik betreffen, bis auf die ausdrückliche zum Adagietto seiner Auffassung entwachsen sein. Als quasi sprach analytischer Beleg kann auch die Form gelten, in der er die programmatische Notiz im Scherzo auf die 3. Person [Mahlers] bezieht391. Sie gilt, verglichen mit der expliziten im Adagietto, nicht als dokumentarisch.

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6. Die Dirigierpartitur Bruno Walters (W-Dp )392

Aus Walters Erinnerung läßt sich nicht erschließen, wann diese Partitur in seip.en Besitz übergegangen ist. Sogar im Falle der Neunten Symphonie393 und des Liedes von der Erde ist die Erinnerung aufgrund des Zeitabstandes bereits verblaßt. Es ist denkbar, daß Mahler die Partitur Walter um die Zeit seiner Demission aus folgenden Gründen überlassen hat. Im Verhältnis zu den anderen Quellen des fraglichen Zeitraumes, M-Dp, T-Dp, NA und den Stimmensätzen, füllt sie teilweise die Lücke zwischen M-Dp und NA mit größerer Nähe zur NA-Textstufe. Bis auf wenige abweichende Korrekturen, (die zumeist die Vorstufe von späteren repräsentieren), sind alle im 1. Stimmensatz395 vorhanden, der auch einige weitere enthält, die der NA entsprechen. Alma Mahlers weitgehend zutreffende Beurteilung, daß "die Fünfte fast für jede Aufführung uminstrumentiert wurde,,396, wird durch die Tatsache bestätigt, daß Mahler während der Reise nach Petersburg seine "5. Sympho. h ts anderes b e d . . co11" me atlOmrte ,,397. (D'le Aussage kann mc euten,a als dß er ' die PartItur und Stimmen auf Identität der Änderungen überprüfte, worauf er, wie erwähnt, größten Wert legte). In einigen Stimmheften398 finden sich Aufführungsvermetke von Musikern aus dem Jahr 1907 zu den bei den Konzerten in Rom und Petersburg. Da zwischen dem 1. und 2. Stimmensatz noch eine recht große Differenz besteht, (die mit der NA korrespondiert), legt sich der Schluß nahe, daß der 1. nach der Aufführung in Petersburg am 27.10.1907 nicht mehr benutzt wurde. Auf das Verhältnis zur W-Dp übertragen, bedeutet er, daß die Eintragungen in ihr bis höchstens zu diesem Zeitpunkt stattgefunden haben, wahrscheinlich jedoch noch etwas früher anzusetzen sind. Mahler hat wiederum unzweifelhaft aus dieser Partitur dirigert, die auf dem Titelblatt mit seinem Namen signiert ist (Rotstift, unterstrichen, seine Handschrift). Einige Änderungen tragen deutliche Anzeichen »erster Hand«: in Stift und sehr flüchtig ausgeführt, machen sie nicht den Eindruck, aus einer anderen Quelle kopiert worden zu sein. Die autographe Geltung basiert auf demselben in ähnlichen Fällen bisher angewandten Grundsatz. Nicht nur, daß sie mit Korrekturen einer später anzusetzenden Textstufe übereinstimmen oder als Vorstufe korrespondieren, auch die Tatsache, daß Walter prinzipiell nicht nachträgt, kann als Berufungsgrund angeführt werden. Anders als in M-Dp und T-Dp stammen auch alle Eintragungen mit roter Tinte von Mahler. An der »Einrichtung« der Partitur war kein Kopist beteiligt. Mahler verwendet als weitere Schreibmaterialien Blau/Braunstift (mit leichter Rotfärbung), Walter nur Bleistift. Das Titelblatt trägt einen Stempel der Firma "S. Wolf Musik-Pianos[,] Straßburg". Er ver anlaßt zu der Vermutung398 daß Mahler die Partitur in Straßburg anläßlich der Aufführung beim "1. elsaß-lothringischen Musikfest" erworben hat. Sie fand am 21.5.1905 statt, und Mahler schreibt Mitte Mai an Oskar Fried: "Hier dirigiere ich (am 21.d[es] M[onats]) die V. von mir. Und ob ich Ihnen rathen könnte, dazu her [zu] kommen, weiß ich nicht.muß man die Dinge laufen laßen und in Bausch und Bogen diBei solchen Gelg~nhit rigieren. Leuten "unserer Art" ist es sehr zuwider auf das Ausarbeiten des Einzelnen zu verzichten. Die jetzigen Meister aber nennen das «großen Zug»!,,399. Die Stelle dokumentiert nicht nur seine künstlerische Haltung, die im Detail ihren Prüfstein besitzt und als Motto der gesamten Untersuchung seiner Instrumentation voranstehen könnte. Sie initiiert auch folgende Überlegung, die eine Frage mit einer zugleich halben Antwort darstellt.

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Die Frage betrifft die Tatsache, daß neben der Dirigierpartitur, die er als Haupt»Referenzexemplar« vermutlich bis 1910 benutzt hat, die seinen Kopisten als Vorlage diente und die wahrscheinlich auch der NA zugrunde lag, mindestens 2 weitere Dirigierpartituren mit autographen Eintragungen existieren (T-Dp und W-Dp). Es ist denkbar, daß er für die Aufführung in Straßburg W-Dp als »Arbeitsexemplar« eingerichtet hat, das er zunächst mit Korrekturen (in roter Tinte) nach dem damaligen Stand in seinem»Referenzexemplar« versehen hat. Da er erwartete, keine hinreichende Gelegenheit für sorgfältige Proben zu besitzen, wäre es dazu dienlich gewesen, Änderungswünsche aufzunehmen, über die er sich infolge der Umstände noch nicht im klaren war. Da die Partitur nach dem überlieferten Text erheblich über den von M-Dp hinausreicht, muß er sie auch in der Folgezeit kollationiert haben. Die zweite, unwahrscheinlichere Erklärung besagt, daß er die Partitur nur in Straßburg erworben hat, sie jedoch mit der Aufführung nichts zu tun hat. Das Urteil eines feinsinnigen Hörers, Romain Rolland, bleibt jedenfalls über diese Straßburger Aufführung festzuhalten, der sich durch "die Schönheit des so leichten, abgestuften Orchesters" von Strauss nach der "kompakten Orchestermasse Mahlers, diesem schweren, sitzengebliebenen Brot, geblendet,,400 sah. Das Urteil zumindest als Beleg dafür zu werten, daß Mahlers Instrumentation einem Dirigat unter "Bausch und Bogen" weniger entgegenkommt, dürfte nicht fehlgehen. Die Erklärung, die sich in Rolland's Beurteilung abzeichnet - nach ihr erscheint Mahler im Modus defiziens - und die bereits in der Einleitung angedeutet wurde, korrespondiert mit einer Rezension der Uraufführung, die auch von "massiger Art der Instrumentation,,401 spricht. Versucht man, das Argument analytisch freizulegen, so dürfte es folgendes besagen. Mahlers Streben nach Deutlichkeit führt (zumindest im Frühstadium) zunächst zu verstärkenden Unisoni thematischer Stimmen. Indem er die harmonischen Begleitstimmen proportional anpaßt, riskiert er einen Effekt des »Massigen« oder, wenn er es unterläßt, dann erscheint die Instrumentation leicht »hart«, weil ungenügend abgestuft. Walter, um den rezeptionsgeschichtlichen Aspekt durch sein Zeugnis zu vervollständigen, erkannte zutreffend, daß "die gesteigerte Polyphonie [der Fünften] eine Erneuerung seines Instrumentationsstiles verlangte", der "große Mühe" hatte, mit der "komplizierten Satztechnik Schritt zu halten,,402. (Auch der »mosaikartige« Stil der Vierten Symphonie stellt allerdings schon eigene Bedingungen). Die Uraufführung, die ihm wohl auch aufgrund der durch ihn überlieferten Quellen "deutlich in Erinnerung" geblieben ist und deren Kenntnis, obwohl er sich nicht über sie äußert, seine Beurteilung der Instrumentation Mahlers mitbestimmt haben dürfte, kennzeichnet er bekanntermaßen sehr kritisch. "Es war das erste und, ich glaube, einzige Mal, daß mich die Aufführung eines Mahlerschen Werkes unter seiner Leitung unbefriedigt ließ. Die Instrumentation brachte das komplizierte kontrapunktische Gewebe der Stimmen nicht zur Klarheit, und Mahler klagte mir nachher darüber, daß - selbstverständlich ein Irrtum - ihm in der Orchesterbehandlung keine Meisterschaft vergönnt sei; wirklich hat er später die Instrumentation der gründlichsten Umarbeitung unterzogen, zu der er sich je bewogen fühlte,,403. Es ist die Dirigierpartitur, die diese Beurteilung anschaulich werden läßt und seine Erfahrung zu bestätigen scheint. Sie nur auf einen Defizit zurückzuführen, ist jedoch einseitig; denn die Erklärung übersieht die gegenteilige Möglichkeit, Verdeutlichung durch ökonomische Reduktion zu erzielen, als ein Ideal, dem Mahlers Entwicklung zustrebt. Als Lösung aus Mangel an Transparenz erscheint sie nicht allein als Mittel, sondern als gleichrangige Möglichkeit eigenen Rechts, orchestrale Polyphonie darzustellen. Walter hat sich möglicherweise auch Mahlers Anschauung, der in spätem Stadium die frühe Instrumentation gegenüber Göhler als "schlecht" charakterisierte, zu eigen gemacht.

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Die »Klassifikation« der Eintragungen fällt im Vergleich mit M-Dp erheblich einfacher aus. Schon Kropfinger hatte im Verhältnis zu Mengelberg auf die ästhetische Enthaltsamkeit Walters hingewiesen, die sich in W-Dp deutlich niederschlägt. DokuIIJ.6ntarische Notizen und Bemerkungen zu Ausdruck und Gehalt fehlen. Walters dirigiertechnische Notate sind inhaltlich erheblich eingeschränkter: fast nur »Redundanzen«, die die gedruckt kodifizierte Notation handschriftlich vergrößert wiederholen. Sie gewinnen an Bedeutung, wenn durch sie eine Akzentuierung ausgedrückt wird, die in der Notation eingeschlossen ist. An wenigen Stellen schreibt Walter "führend,,404. Er gewichtet thematische Konkurrenz oder bezeichnet (im letzten Fall) einen thematischen Dialog. Die komplementäre Zeichengebung kann als Pfeil auftreten405. Er dient dann nicht der Profilierung satztechnischen Primats, sondern dem Hinweis auf Nebenstimmen und Begleiterscheinungen. Er gilt aber auch nur dem schlichten Verweis 406• (Theoretisch verallgemeinert, ist er ein kontext-abhängiges deiktisches Organ von dirigiertechnischer Bedeutung). Zur pizzicatoBaßführung im 1. Trio (T.151) notiert er "deutlich", eine Bemerkung, die seine Änderung des dynamischen Baßwertes (mf, T. 145, 161) erklärt. Die Vorbereitung des Episodenthemas (T. 237) markiert er durch zusätzliches "calando", das Mahlers allmählich ruhiger ergänzt. Taktgruppenkennzeichnungen (Bögen oder Ziffern) kommen nicht vor. Die wenigen Abweichungen Walters gelten, wie bei Mengelberg, ausschließlich dynamischen 407 Werten . Von der Bedeutung des »Chorals«, die schon Alma Mahler nicht entgangen war, ist in den Partituren Mengelbergs und Walters nichts zu spüren. Die »Choralverbundenheit« Mahlers war für Walter allerdings eine von Bruckner übernommene Selbstverständlichkeit408 . Der bei weitem größte Anteil der Eintragungen stammt somit von der Hand Mahlers und betrifft, wie in T-Dp und M-Dp, Textkorrekturen als Streichungen, Zusätze, einfache oder gegenseitige Vertauschungen, dynamische Veränderungen und Vortragsanweisungen. Stifteinträge erscheinen immer über roter Tinte, so daß auch Walters Notizen stets die oberste Schicht darstellen. Mit Stifteintragungen Mahlers berühren sie sich allerdings nicht, so daß keine Möglichkeit besteht, aus ihrem Auftrag ein zeitliches Verhältnis zu schließen. Auch die Stifteinträge Mahlers berühren sich nicht, so daß ihr internes Verhältnis nicht als chronologisches rekonstruiert werden kann. (Eine qualitative Differenz liegt selbstredend wie in den übrigen Quellen nicht vor). Die Textstufe, die W-Dp repräsentiert, bildet die letzte durch eine Partitur dokumentierte vor dem Druck der Neuen Ausgabe. Die gesamte Partitur weist keine Rasuren auf, so daß die Korrekturen ausschließlich auf Streichungen basieren, (zumeist die nach rechts gerichtete Schraffur). Einige Korrekturen weichen von der folgenden Druckstufe [ = NA] ab. Sie sind unter dem Gesichtspunkt zu befragen, inwieweit sie als Vorstufe einer später anzusetzenden Änderung gelten können. Jene Fälle, die quellenkritisch besonders geeignet sind, diesen Geltungsaspekt zu exemplifizieren, seien im folgenden erläutert. Abweichungen sind aber zugleich als entscheidende »Indikatoren« einer übergeordneten Fragestellung anzusehen. Sie sucht nach den Faktoren, die Mahlers Eingriffe bestimmen, und sie examiniert die »Dimensionalität« des Veränderungsprozesses: ein Bemessen, inwieweit die Veränderungen innerhalb der Textstufen-Sequenz und auf welchen Ebenen) ineinandergreifen oder zersplittern. Überwiegt die Kontinuität, dann wächst die prinzipielle Kohärenz dieses Prozesses, andernfalls

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fächerte sich die Repräsentation der Symphonie in mehrfache und - im äußersten Fall nahezu komplementär geordnete Quellen auf. Für diesen Fall gilt die weitere Konsequenz, daß der Einfluß aufführungspraktischer Bedingungen (Orchester, bestimmte Konzertsäle ) höher zu bewerten ist. Einfach zu begründen ist die Streichung der Hörner (1.3.5.) im »Seitenthema« des Trauermarsches (T.97-104, Braunstift[ = BRS]). Sie vollzieht wahrscheinlich die sich anschließende in den tiefen Hörnern (2.4.6.,T.105-112, RT) im generellen pp-Kontext nach409 . Selbst wenn sie nicht in NA wiederkehrt, zeigt sie vom gleichbleibenden Kontext her dieselbe prinzipielle Begründung einer dynamischen Zurücknahme. Ähnlich zu beurteilen, wenn auch verwickelter dokumentiert, ist die Horn-Streichung nach Z.7 im Trio des 1. Satzes (T.161-64vollst., 165-71 nur Hrn 1.3.5., BRS, ab T.165 =St-1). Die NA führt diese Streichung erst ab T.165 vollständig (135 +246) bis T.l71 durch, und nivelliert ihren Eintritt duch gestopfte Hörner ab T.161, ff. Zugleich fehlt die Abdeckung der melodischen Binnenkadenz (T.159), die schon T-Dp/M-Dp aufwies. Die Streichung der Tuba (T. 165171) erscheint schon in St-1, nicht erst in NA, jedoch nicht die Streichung der tiefen Hörner (T.165ff). Da der 1.Stimmensatz W-Dp zeitlich begleitet, verstärkt sich der Eindruck, daß W-Dp einen Entwurf darstellt, der im folgenden als stufenweise Reduktion der harmonischen Grundierung und Baßstimmenverdoppelung410 präzisiert wird. Aus dem Kadenzbereich des Hauptthemas im 2. Satz sei ein zweiter Fall aufgegriffen, wobei es himeicht, sich in diesem Rahmen auf die Blechbläser zu beschränken. Die über den Gesamtprozeß höchst verwickelte und mit jeder Stufe veränderte Klangdisposition - sie zentriert um die Akzentuierung von Oktavlagen - wird durch ein Phänomen begleitet, das sich als »Quellen-Dispersion« bekundet: jede differiert im Detail von den übrigen, und dennoch sind sie zugleich durch gemeinsame Eigenschaften miteinander verbunden. T.51 streicht Mahler"die als Unisono der Klarinetten 411 eingeführten Hörner 5/2 (BRS über l)T). Er streicht jedoch deren Einleitung und Ausklang (T.49f/52f, ein Liegeklang e 1g1/e ) nach dem (späteren) Maßstab der NA nicht. Die Hornstimme wird wiederum mit einer Oktavierung durch die 1. und 2. Trompete auch durch M-Dp belegt. M-Dp streicht jedoch bereits einen Ausklangstakt von Hrn 5/2 (T.52) und verlangt für Hrn 4/6 ff statt f. (T-Dp ist von den Änderungen der Blechbläser nicht betroffen, enthält aber vollständig die der Holzbläser und Streicher). Der begleitende 1. Stimmensatz dokumentiert die Einführung der Änderung eindeutig nur in den Trompeten, in Hrn 5/2 tritt Rasur und gemeinsam mit Hrn 4/6 eine Streichung der T.52f auf. Erreicht St-1 somit für T.52f bereits die Textstufe der NA, so wird die Streichung der T.49f erst durch den 2.Stimmensatz belegt, (gemeinsam mit Streichung der T.44-48 für Hrn 5/2,4/6). Jede Quelle dokumentiert somit eine Differenz im Detail, die erforderlich macht, auf den Begriff der Textstufe einzugehen. Die Tatsache, daß nicht in jedem Fall entscheidbar ist, ob das abweichende Detail eine Intention Mahlers oder einen Kollationsirrtum412 darstellt, schlägt auf ihn zurück. In einem »abstrakten« Sinn ist jede dokumentierte Quellendifferenz als Textstufe anzusehen. Die Konsequenz dieser Annahme wäre eine Aufsplitterung insbesondere der Stufen, die durch die Partituren der NA und W-Dp manifestiert werden, da der 1. Stimmensatz die Repräsentation abwechselt. Die Alternanz ist jedoch eine Folge sowohl seiner Funktion als auch seines zeitlichen Verhältnisses zu den Partiturquellen. Da die Stimmen die PartiturEntwicklung prinzipiell reflektieren, hängt ihre Konkordanz mit den Partiturstufen auch vom zeitlichen Verhältnis ihrer Benutzung ab. Der 1. Stimmensatz ist offensichtlich nicht

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bis zur NA gebraucht, vor allem kollationiert worden. Mahler hat sich vermutlich aus Gründen der Übersichtlichkeit entschlossen, einen neuen Satz anzulegen [= St-2]. Der chronologische Faktor ist dann aber dafür verantwortlich zu machen, den 1. Stimmep:§atz von der Aufgabe auszuschließen, eine eigene Textstufe darzustellen. Dieser Ausscll'Iuß als Kriterium verstanden - gilt für das Stimmenmaterial jedoch nicht generell, da der 2. Stimmensatz als einzige Quelle anzusehen ist, die die abschließende Stufe [= GA] darstellt. Die Frage nach dem internen Verhältnis zwischen der Textstufe und dem Quellentyp, der sie verkörpert, kann somit nicht konstant gleich beantwortet werden. Das Kriterium der Quellen-, insbesondere Partituren-Konkordanz ist jedoch für die übergeordnete Fragestellung nach prinzipieller Kohärenz der Veränderungen sehr wichtig ~nd .le~t eine methodische Entscheidung nahe. Das Ausmaß, in dem Veränderungen qualItatIv 1m Kern übereinstimmen, präferiert eine geschichtliche, »diachrone« Beschreibung gegenüber einer »synchronen«, die die Kohärenz der Stufen betont und sie distinktiv voneinander abzuheben sucht. Der Ausdruck »qualitativ« kann hierbei zweierlei und zwar als . . ' Extreme emes KontlI~ums von Gestaltungsmöglichkeiten, besagen. Im äußersten Fall erlaubt der zeitliche Uberblick die Rekonstruktion der instrumentatorisch motivierten yorstellung: die sich ?ur~h den Veränderungsprozeß zunehmend präzisiert. Im geringsten lIegt. aber eme »qualItatIve Konstanz« schon dann vor, wenn sich nur der Umfang einer - verändert. (Bei einer solchen latenten Skalierung ist siStreI:hung - oder V~rdopelung cherllch große VorsIcht geboten, da Veränderungen in der Lagendisposition oder der Stimmengewichtung stets Farbveränderungen evozieren. Ihnen gegenüber wäre dann zu begründen, warum sie sich nicht als die Hauptsache bemerkbar machen; denn es ist die Farbe, die theoretisch auf Eigenständigkeit drängt und den konkurrierenden methodischen Fi~gerz auf die Unabhängigkeit der Stufen legt). Die oben erläuterten Beispiele könne!l mIt der Voraussetzung, daß sie exemplarisch gelten sollen, die Annahme und methodische 413 Vorentscheidung stützen, daß Mahler vor allem darauf abzielt, eine Klangvorstellung umzusetzen. Mag sie sich auch über den Veränderungsprozeß als schwankend erweisen so ist sie immer noch von der gegenteiligen Voraussetzung abgehoben, die das Procedere ~on Aufführungsbedingungen (Orchesterspezifika und Raumakustiken) oder nur wechselnden Vorstellungen abhängig sieht. Ein letztes Beispiel, der Beginn des Scherzos, faßt die genannten Aspekte wie in einem Brennspiegel vereinigt zusammen. Es hebt sich zugleich ab, da es nicht als Vorstufe zu verstehen ist. In Erinnerung des feingliedrigen Instrumentationsstiles der Vierten Symphonie deckt Mahler zunächst die Hörner (T.1-3) durch die Violoncelli ab. Die anschließende Gegenstimme von Klarinetten und Fagott bildet die Grundlage einer durch414 brochenen Auffächerung : T.5 mit Violen (pizz, a2), T.6 und 8 mit Horn 1/2, T.lO mit Violoncelli (arco). T.11 mit Violen (pizz, a2). Die Änderungen erscheinen sämtlich unge. h en m . St- 1415'. D·Ie Korrespondenz weckt dIe . Vermutung, daß sich Mahler bei einer stnc Au~ng zu e~r Ver~äkung veranlaßt fühlte, die er durch ein in der Vierten erprobzu losen gedachte. (Das Plädoyer für die Aufführung fußt auf der Tattes stIlIstIsche.s :rvt;~el sache, daß dIe Anderungen in Stift ausgeführt sind, der in Bezug auf Partituren das »Gelegenheits«-Schreibmittel darstellt). Die Änderung tritt jedoch teilweise 416 auch in T~p und ~-Dp auf, und zwar jeweils in roter Tinte von der Hand des Kopisten, erscheint Jed~ch mc~t m der NA. (Die letzten Korrekturen in St-2 als GA gehen noch weiter und streIchen dIe Akkordschläge der 1. VI T.6 und 8).

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Die partielle Übereinstimmung zwischen W -Dp und T -Dp/M-Dp spricht gegen eine spezifische raumakustische Anpassung. Wenn sie - hypothetisch - ursprünglich durch eine Verstärkung der Begleitstimmen (zum Solo-Horn) motiviert wurde, dokumentiert sie zugleich das Ausmaß, in dem sie stilistisch und ästhetisch »übersetzt« werden kann. Sie läßt sich aber auch kaum als Realisation einer (»diachron« beständigen) Klangvorstellung in'terpretieren, der im Quellengesamtüberblick durch den sporadischen Auftritt widersprochen wird. Von Kontinuität kann keine Rede sein. Die Konsequenz, ein Experiment zu statuieren, bleibt der methodische Ausweg. Aufgrund der Tatsache, daß dieses Experiment T-Dp, M-Dp und W-Dp verbindet, weist es dennoch darauf hin, überwiegend »ideellen« Ursprungs zu sein. Daß Mahler zuletzt wieder zur ersten Form zurückkehrt, dürfte nicht nur die stilistische »Fremdheit« der instrumentatorischen Übergangslösung zu verantworten haben. Sie verwischte auch entscheidend die polyphone Konzeption, nach der die Instrumentation entworfen ist. Ein letzter Schluß, der noch aus dem Beispiel zu ziehen ist,betrifft das Verhältnis zwischen den Partitur quellen und Schreibmaterialien. Das Korrekturbild, ein relativ flüchtiger Eintrag mit Stift, veranlaßt, W-Dp als initiierende vorangehen zu lassen. Da W-Dp, T-Dp und M-Dp sicher neben der Partitur, die als Stichvorlage der NA fungierte, existieren, St-1 wiederum die Veränderung von W-Dp wiedergibt, ist somit anzunehmen, daß die 417 Differenz zwischen W-Dp und T-/M-Dp in der Stichvorlage als Streichung enthalten ist . Die Rekonstruktion erklärt den Umstand, daß die Änderung in den früheren Partituren von dem Kopisten ausgeführt ist. Die Erörterung soll weniger [T-Dp / M-Dp] ~erits belegen, daß die Anderung aus dem Jahr 1905 stammen muß, als vielmehr dokumentieren, daß die grundsätzlich anzunehmende Chronologie der Partituren im Einzelfall durch kreuzt werden kann418, und dies sogar gegen die »Korrekturen«-Regel, daß Stift- gegenüber Tinteneintragungen als prinzipiell nachgeordnete anzusehen sind.

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Der erste Stimmensatz

7. Das Orchestermaterial: der erste Stimmensatz [St-l] I

Die Behauptung, daß die Stimmen in der Funktion, den Notentext zu kodifizieren, gleichrangig neben den Partituren stehen, wurde bereits durch Hinweise auf die Bedeutung belegt, die Mahler ihnen beimißt. Sie äußert sich auch in seinem Bestreben, seine Kollegen, soweit er brieflich oder persönlich mit ihnen in Kontakt steht, stets auf die Anpassung der Stimmen an die revidierten Partituren hinzuweisen. Das beredteste Zeugnis für die Sorgfalt, die er selber obwalten ließ, bildet wohl der knappe Bericht Otto Klemperers zur Uraufführung der Siebten Symphonie in Prag: "Er machte ungefähr 24 Proben. Seine Arbeitsweise war erstaunlich. Jeden Tag nach der Probe nahm er das ganze Orchestermaterial mit nach Hause, verbesserte, feilte, retuschierte. Wir anwesenden jüngeren Musiker, Bruno Walter, Bodansky, von Keußler und ich, wollten ihm gerne helfen. Er duldete es nicht und machte alles allein,,419. Die von Klemperer überlieferte Äußerung Mahlers, "seine Retuschen ,Mn Partituren anderer Komponisten] wären nur für ihn da, er trüge die Verantwortung" 0, berührt sich mit einem Zeugnis Egon Wellesz', das im vorliegenden Kontext widersprüchlich wirkt. Er gibt die Äußerung Mahlers zu einer Streichung im Finale (Z.44, Pos) anläßlich einer Aufführung der Zweiten Symphonie wieder, die er dadurch kommentiert haben soll, daß "solche Änderungen um der Deutlichkeit willen immer gemacht werden dürften,,421. Wellesz folgert nahezu zwangläufig, daß "bei aller Genauigkeit der Vorschreibung [.. ]ein Begriff des Relativen" seine»Klangvision« mitbestimme. Für Klemperer steht Mahlers Äußerung als Stütze seiner eigenen Anschauung. Er hält Retuschen in traditionellen Partituren für überflüssig und möchte durch die Äußerung belegen, daß Mahlers retuschierte Partituren nicht für eine Aufführungstradition in Anspruch genommen werden können, da Mahler selber sie nicht als deren Grundlegung verstanden hat. Mahlers Schumann-Partituren können für ihn somit nur eine zeithistorische Geltung besitzen, womit er auch ein rezeptionsgeschichtliches Faktum zum Ausdruck bringt. Die durch Wellesz überlieferte Äußerung kann aber veranlassen, sie in einem eingeschränkten und zugespitzten Sinn als Fundament einer Auffassung zu beanspruchen, die Retuschen an Mahlers eigenen Werken vornimmt. (Von einer Tradition kann keine Rede sein)422. Sie würde (mit Wellesz) eine Relativierung seiner Revisionspraxis einschließen. Auf der Grundlage verstanden, sporadisch Anpassungserfordernissen zu folgen, erscheint Mahlers Tätigkeit durch einen Faktor mitbestimmt, der in den Anfängen der Instrumentation den vollen Ausschlag gab: die »Gelegenheit« oder »Ortsabhängigkeit« des Aufführungsraumes oder Orchesters. Sogar seine interpretatorische Hauptkategorie, die Deutlichkeit, wäre imstande, ein Werkverständnis, das sich auf diesen Faktor beruft, zu stützen und zu motivieren. Dennoch dürfte es einem Mißverständnis unterliegen, dem schon durch Mahlers Verhalten widersprochen wird. Für eine geplante Aufführung der Zweiten in Berlin durch Oskar Fried bot er an, "einige nicht unwesentliche Retouchen" in dessen "Exemplar [.. ] mit rother Dinte hinein[ zu]zeichnen, so daß ein Copist ohne besondere Mühe dieselben in das Orchestermaterial eintragen kann,,423. Wenn, ohne das genaue Ausmaß zu erwägen, seine Revisionspraxis eine kasuell bestimmte Anpassungsleistung darstellt, dann ist die Sorgfalt, mit der er sich um ihre Verbreitung kümmert, unangemessen.

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Offenbar durchkreuzen sich zwei verschiedene Aspekte innerhalb der Werkauffassung Mahlers, die beide durch den Begriff der Deutlichkeit reguliert werden. Dem werktheoretischen Aspekt, die gültige Textfassung festzulegen, auch wenn sie das Produkt beständiger Revision darstellt, steht ein nicht vollends trennbarer aufführungspraktischer gegenüber, der nach ihrer optimalen Realisation sucht. Die Annahme dieser begrifflichen »Schere« darf als Hypothese dem nächsten Kapitel unterstellt werden, da sie imstande scheint, die Mobilität zu erklären, der Mahler das Werk als instrumentatorisches unterzieht. Seine Bearbeitungspraxis wird unter dem Blickwinkel dieser Mobilität zum Manifest, das die Werk-Alternative zwischen dem »Notations- oder »Aufführungsgegenstand« in Fluß bringt. Wenn "die Auffassung als Text eine Identität des musikalischen Werkes verbürgt, die von Differenzen der Interpretation und Rezeption prinzipiell unabhängig ist,,425, dann fordert Mahlers Praxis, legt man diese Formulierung von Dahlhaus zugrunde, diese Identität geradezu heraus. Und die Frage, inwieweit die Notation als Darstellung des Werkes festzulegen ist, wird offenbar von einer Interpretation selber abhängig, statt ihr vorauszuliegen. Nur dann, wenn sich im Wechsel der instrumentatorischen Gestalten ein »finaler Zug« ergibt, der sie als von innen heraus - aus einer sich zunehmend präzisierenden Vorstellung - begründet, und zumindest als konstant erweist, dann scheint immer noch die Möglichkeit gegeben, von »dem« Werk als Notationsgegenstand zu sprechen. Mahlers Praxis weckt somit nicht an erster Stelle die Frage nach der philologischen Letztautorisation, obwohl dieser Aspekt eingeschlossen ist. Unter dieser Voraussetzung wäre die bloße Berufung auf das singuläre Zeugnis Wellesz', mit der Absicht, sich mit ihm zufrieden zu geben,eine unzulässige Vereinfachung. Mahlers Bearbeitungsverfahren entzieht sich auch der rezeptionsästhetischen Annahme, in ihm den Beleg »poetologischer« Korrespondenz oder Ankündigung des »offenen Kunst424a werks« im Sinne Umberto Ecos zu erblicken. Die verschiedenen Textstufen stellen weder auf den Autor rückzuprojizierende Interpretationsleistungen dar, die die »offene Werkgestalt« ausdrücken, noch sind sie aus den zuvor genannten Gründen umgekehrt umstandslos als solche zu verstehen, die das Werk als geschlossenes einzukreisen suchen. (Einige Briefstellen und die Mentalität in der Bearbeitung fremder Partituren bezeugen zwar in eins interpretationsgeschichtliche und rezeptionsästhetische Momente, sie sind jedoch nicht unmittelbar auf sein Werk übertragbar, da die vergleichbare historische Distanz fehlt. Mahlers Verständnis sucht auch nicht nach der Entdeckung »konnotativer Vielfalt« in der Werksubstanz. Gleichwohl weckt seine Praxis die Frage nach der Art, in der musikalische Bedeutungen von den Veränderungen betroffen sind). Die Erklärung des Phänomens durch das "stets wandelbare, niemals endgültige [.. ] schwache Abbild der inneren Vision,,424b (Wellesz) mag zwar das Bedürfnis nach einer handfesten empirischen Begründung nicht befriedigen. Sie beruft sich aber, indem sie im Gegenbild jene anführt, "die sich mit bloßer Routine an die Aufführung machen", auf eine Maxime, die Mahlers Absichten immer beunruhigt und begleitet hat. Mahlers Retuschierpraxis ist unabhängig von der Beziehung auf eigene oder fremde Werke kein Singulärfall, sondern Zeugnis eines Werkverständnisses, das den Dirigenten seiner Zeit auszeichnet. Es schließt mit Blaukopf25 ein Bewußtsein für soziologische Komponenten ein, die im gewöhnlichsten Fall, der Anpassung an die gewachsenen Orchester, Mahler selber in seinem Kommentar zur Aufführung der Neunten Symphonie Beethovens zum Ausdruck bringt426. Zu seiner Zeit beginnt unter dem Eindruck führender Persönlichkeiten wie Hans von Bülow oder Hans Richter die Epoche des reisenden Dirigenten, der

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»seine« Auffassung eines Werkes einem wechselnden Publikum mitteilt. Gesteht es ihm zum Zweck einer optimalen Aufführung Retuschen427 zu, ein Zu~eständi, das auch konservativere Exponenten wie Ferdinand Hiller oder Franz Wüllner 28 in Anspruch ne:hlJ1en, so sind die Auswüchse der nächsten Generation bereits deutlich bewußt. Felix von Weingartner verurteilt in seiner Schrift "Über das Dirigieren" die ''Temporubato-Dirigenten,,429 und die Neigung zur übertriebenen Nuancierung, um angesichts überfüllter Orchestermaterialien die ihm bei Tourneen begegnen, die Konsequenz zu ziehen, mit "eigenen Kopien,~l3 zu reisen. Nach dem Zeugnis Natalie Bauer-Lechners neigt auch Mahler zu einer »Kritik« der Vortragszeichen, die doppelt begründet ist. Bei seinen Zeitgenossen stellt er fest, "wie sie einem alles übertreiben und entstellen", so daß er sich veranlaßt fühlt, "gar keine Tempi und keine dynamischen Zeichen hinzuschreiben". Dennoch behauptet er,"daß alles, was man an Vortragszeichen macht, zu gewaltsam ist: das forte zu sehr forte, das piano zu sehr piano, die crescendi und diminuendi und accelerandi zu heftig, das largo zu langsam, das presto zu schnell,,431. Daß er nicht auf Vortragszeichen verzichtet, dürfte, stützt man sich auf ihren aufschlußreichen Bericht über die Leseprobe der Vierten mit den Philharmonikern, halbwegs »pragmatisch« begründet sein. Er spricht von der "List", die zugleich einen Ausgleich darstellt, "mit [der] die Musiker behandelt sein wollen,,432. Sie verleitet, ritardando durch nicht eilen und accelerando durch nicht schleppen zu ersetzen, ein Phänomen, das sich auch durchaus belegen läßt. Und der Kontext ihrer Darstellung, in dem sie über die Streichung von Füllstimmen berichtet und sie mit dem Diktum über sein Klangideal verbindet, dürfte nicht konstruiert sein. Daß "die Instrumentation nicht dazu da [sei], Klan:ßeffekte zu erzielen, sondern deutlich zum Ausdruck zu bringen, was man zu sagen hat,,4 , bedeutet einen Grundsatz, mit dem sich Mahler nicht nur von der neudeutschen Richtung, sondern auch vom zeitgenössischen französischen Bestreben von Debussy bis Chabrier und von der russischen Schule um Glinka und Rimsky-Korsakov absetzt. (Der Grundsatz hindert ihn jedoch nicht daran, neue Klangeffekte zu entdecken). Mahlers Stimmensatz ist als Prüfstein anzusehen, der in dem Spektrum zwischen »Gelegenheit« und» Vision« - als innere Klangvorstellung, die nach Verwirklichung sucht - die Gewichte setzt. Wenn, potentiell verstanden, Mahler bei seinem Bestreben nach beständiger Konkordanz von Partitur und Stimmen oft sporadische Anpassungen vorgenommen hat, dann sind die Stimmen der Ort, von dem zu erwarten ist, daß sie sich in ihm dokumentarisch niederschlagen. Der Zeitraum, in dem der erste Stimmensatz vermutlich, wie bereits in Zusammenhang mit W-Dp erwähnt, benutzt wurde, von Ende 1904 bis zum 434 27.10.1907 , umfaßt alle Aufführungen der V. Symphonie unter seiner Leitung. Der Eindruck, den bereits die Kontinuität der Korrekturen in den Partituren . vermitteln, wird auch von den Stimmen bestätigt. Sie bekräftigen den methodischen Ausschlag, nach übergeordneten Prinzipien und Faktoren zu suchen. 435 Die Stimmen erschienen im November 1904 (E.P.3082, Pl.Nr.8952) im Druck, gemeinsam mit der Dirigierpartitur auf dem Stand ihrer letzten, auf der Uraufführung basierenden Überarbeitung. Der Stimmensatz, den Mahler in der Zeit nach Herausgabe benutzt hat und mit dem er offenbar, wenn auch nicht ausschließlich, auf Reisen gegangen ist, wird an drei Stellen in Wien aufbewahrt. Bevor auf deren Verhältnis eingegangen werden kann, müssen noch zwei Dokumente zu den Orchestermaterialien besprochen werden.

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Alma Mahler schreibt zu einer Reise nach Rom im März 1907, daß infolge von Zugpannen, die offenbar einen vorübergehenden Verlust der Koffer bedeuteten:. "?ie Orchestermaterialien für die Konzerte irgendwo stillagen, während Mahler nun zufalhg VorhanBeetdenes dirigieren mußte,,436. (Die beiden Konzerte am 25.3. und 1.4. enthielten Wer~ hovens, Wagners, Webers und Tschaikowsky's, sowie im 2. Konzert nur das Adagletto aus der Fünften Symphonie Mahlers) 437. Am 3.September 1907 schrieb ~inrch?e an M?hler: "Aus St.Petersburg geht mir eine Bestellung auflhre fünfte Symphome zu, rmt der Welsu~g, das Material an Ihre Adresse nach Wien zu senden438". Mahler plante also offenbar bereIts zu diesem Zeitpunkt, ein neues Material anzulegen. "Da in Rom s[ einer] Z[ eit] .nur ein. Satz [das am wenigsten von Revisionen betroffene Adagietto] gemacht wurde, habe Ich zu dIeser Aufführung das Material ausnahmsweise leihweise zur Verfügung gestellt und daher dasselbe zurückerhalten". Seine weitere Ausführung löst nun allerdings gegenüber der zu erwartenden Quellenlage einige Fragen aus: "Nachdem Sie nun im letzten Satz dieses Exemplars ziemlich viele Änderungen eingetragen habe.n, ~ glaube ich, daß es Ih~en vielleicht erwünscht wäre, für das Petersburger Konzert die m Rom benutzte PartItur und Stimmen zu erhalten". Am nächsten Tag telegrafierte Mahler seinen Wunsch nach dem "rö439 .. . . h sen am 5 .Septemb er b es t··t· mischen Material", dessen Ubersendung HlnrlC a 19t . Mahler hat den Eintragungen in den Stimmen zufolge für die Petersburger Aufführung dennoch das alte Material benutzt. Die Kontrabaßstimmen mit Eintragungen zum Petersburger Konzert440 enthalten Rasuren, Überklebungen und gewöhnliche Eintragungen von Mahler und vom Kopisten, so daß sie sich nicht vom Korrekturbild der übrigen Stimmen unterscheiden. Zudem enthält die 1. Stimme eine Eintragung zum Straßburger Konzert aus dem Jahr 1905 (beide auf der letzten Seite). Ebenso entsprechen die Korrekturbilder der 2. Klar und Fag der jeweils ersten Stimme, in denen die Eintragungen zur Aufführung in Rom fehlen441, so daß die beiden fraglichen Stimmen auch nicht nachträglich in seinem Material die ursprünglichen ersetzt haben. Wenn Mahler für das Petersburger Konzert das "römische Material" [Mahlers Formulierung im Telegramm an Hinrichsen] durch seinen Kopisten hätte einrichten lassen, müßten sich die Korrekturen einschichtiger darstellen, als sie sich tatsächlich erweisen. Er hat somit das Material zwar angefordert und erhalten, jedoch vermutlich liegengelassen. Almas Bericht paßt nur schwer in den Zusammenhang. Daß sich im "römischen Material" nach Hinrichsen besonders im "letzten Satz" Eintragungen befunden haben, den Mahler gar nicht aufgeführt hat, ist möglicherweise folgendermaßen erklärbar. We.nn er die Eintragungen nicht während seines Rom-Aufenthalts ausgeführt hat, .müßte er SIe v~r Reiseantritt verzeichnet haben. Den Aufführungsdaten zufolge muß er Jedoch auch sem eigenes mit Stempeldruck versehenes Material mitgenommen haben, das nun allerdings nicht mit Alma Mahler "zufällig vorhanden" gewesen sein kann. Das "römische Material" wird also dem üblichen Verfahren gemäß in Rom bereits vorgelegen haben und ist vermutlich in Zusammenhang mit Proben von Mahler korrigiert worden. Falls er seine Konzertpläne aufgrund der Reiseschwierigkeiten umdisponieren mußte, müssen seine Orchestermaterialien dennoch rechtzeitig eingetroffen sein442. 11

Zunächst ist die Beziehung der überlieferten Aufführungsmaterialien zueinander zu klären. Der erste Stimmensatz, der stets mit dem Stempeldruck "Gustav Mahler Wien"

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auf der Titelblatt- und ersten Notenseite versehen ist, unterscheidet sich von seinem diffizileren Korrekturbild her vom zweiten, der stets ohne Stempeldruck erscheint. Er wird ,an drei Stellen in Wien aufbewahrt. Im Gustav Mahler Archiv der Mahler Gesellschaft Wird 443 ein vollständiges Aufführungsmaterial ohne die 1. Fagottstimme aufbewahrt, vori der nur eine Kopie vorhanden ist. Die Stimme des 1. Fagotts liegt im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde444. Zu diesem Satz gehören auch die mit Stempeldruck versehenen Streicherstimmen im Archiv der Universal Edition in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek445. Bis auf geringfügige Abweichungen stimmen sie in den Korrekturbildern und somit vor allem auch inhaltlich mit dem Stimmensatz im Archiv der Mahler Gesellschaft überein. (Die geringfügigen Abweichungen sind generell anzutreffen, so daß eine identische Korrektur in verschiedenen Stimmen in der Ausführung differieren kann [beispielsweise in der Alternative Stift-Tinte oder seltener Rasur-Überklebung. Die Alternativen sind darauf zurückzuführen, daß der Kopist den Stifteintrag Mahlers noch nicht in Tintenform übertragen hat, wofür ihm drei Wege offenstehen: Überklebung, Rasur oder Nachzeichnung. Eine weitere Abweichungsform in den Korrekturen ist durch den Nachtrag von Pausentakten bei Streichungen bedingt. Wenn Mahler die komplementäre Angabe macht, wählt er häufig den Weg, die Zeile aus der Hand zu verlängern, um die Ziffer für die aus der Streichung resultierenden Pausentakte einzutragen]).

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Bislang wurde häufiger der Ausdruck »Korrekturbild« angewendet, der hier erläutert sei. Er bezeichnet die mehrschichtige Erscheinungsform der Änderungen in den Stimmen (oder Partituren). Zum Teil läßt sich aus ihnen eine interne Chronologie ablesen. Die Beziehungen der Korrekturbilder zueinander folgen jedoch (wie in den Partituren) keinem systematischen Gebrauch der Materialien oder Korrekturarten, der allein auf ihrer Basis eine zeitliche Abhebung ermöglichen würde. (Die chronologische Bewertung ergibt sich somit zuletzt nur aus dem Vergleich mit den Partiturquellen). Generell sind für Mahler und den Kopisten folgende Merkmale in der Stimmenkorrektur (inklusive des 2. Stimmensatzes ) zu benennen, durch die sie sich auch partiell unterscheiden: 1.) Mahler verwendet Blau- oder Bleistift, selten auch Stift in anderen Farben [Rotoder Grünstift], jedoch auch schwarze Tinte, mit Vorliebe in breiteren Federstärken als der Kopist. Rote Tinte ist von der Stimmenkorrektur ausgeschlossen. (Tusche ist an Stellen tiefer Schwarzfärbung nicht auszuschließen, aber dokumentarisch nicht belegbar). 2.) Das bereits für die Handschriften geltend gemachte Merkmal der von Hand gezogenen Notenlinien gilt für Mahler konstant, für den Kopisten nur gelegentlich. 3.) Nur Mahler markiert längere Streichungen durch das Zeichen "vi[ ... ]de", (wobei [... ] eine in der Regel durchgezogene Linie vom Anfangs- bis zum Schlußtakt der Streichung [Schraffur, Schlängellinie oder völlige Überdeckung] signalisiert)446. 4.) Bei kleineren Korrekturen wendet Mahler Rasur an [in St-2 häufiger], gelegentlich ebenfalls der Kopist. 5.) Nur der Kopist überklebt Streichungen (mit angepaßtem Notenpapier, in das die Pausenziffern und/oder die neue Stimme eingetragen werden ). Die Korrekturart ist die zugleich sauberste und aufwendigste. 6.) Gelegentlich überschreibt der Kopist eine Stift-Korrektur Mahlers mit schwarzer Tinte. Er selber kommt für diese Praxis ebenfalls in Frage447 • Die interne zeitliche Abfolge der Merkmale ergibt sich zuerst aus Restspuren von Stifteintragungen unter Überklebungen. Die Annahme, daß stets von Mahler ausgeführte Streichungen oder Änderungen unter den Überklebungen des Kopisten zu suchen sind, geht fehl. Der zweite Stimmensatz ist nach einer Partitur eingerichtet worden, so daß er überwiegend Überklebungen von seiten des Kopisten enthält. Dieselbe Korrekturart - nach einer Partitur statt nach bereits zugrunde liegenden Einzeichnungen Mahlers - trifft auch für einige Überklebungen im ersten Stimmensatz zu. Weitere zeitliche Abfolgen ergeben sich aus der Überzeichnung eines Stifteintrags oder aufgrund von Rasurspuren, die einem nachträglichen Eintrag vorausgehen. Die einfachste Schichtung resultiert aus der Überlagerung verschiedener Schreibmaterialien oder aus der Überschreibung der Papierränder von Überklebungen. Eintragungen mit Tinte oder Überklebungen haben denselben Status. Beiden ist gemeinsam, daß sie (von Mahler oder dem Kopisten) am Schreibtisch ausgeführt werden, und daß sie sowohl verbindlich als auch als »Schönschrift« gelten sollen. Die Eintragungen

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mit Tinte erfüllen die 2. Bedingung allerdings keineswegs immer, und sie erlauben infolWenn Eintragungen Rasuren erforderlich machen, wählt d,er gedessen ~?ckshlüe. Kopist die Uberklebung; denn die Rasur bedingt stets ein Auslaufen der Tinte, das sicl1"fan vielen Stellen beobachten läßt. Offenbar folgt der Kopist Mahlers Vorbild erst, nachdem es sich an einigen Stellen kundtut. Mahlers Vorliebe für breite und weiche Federstärken448, die dieses Erscheinungsbild erheblich begünstigt und das zugleich den dünnen Federstrich des Kopisten erklärt, belegt ein Brief an Emil Freund: "Leider paßt mir keine der Federn. Sie sind so spitz. Ich brauche sie hauptsächlich zum Notenschreiben! Bitte, laß mir sofort und expreß eine gleiche - rote - kommen, aber die Federn mit breiter Spitze. Und so weich als möglich,,449. Für das Ausbleiben von rote(finte in den Stimmen gibt Mahler ebenfalls eine Erklärung. In Zusammenhang mit der Ubernahme der Verlagsrechte der ersten vier Symphonien durch die .pniversal Edition, an die er die Bedingung knüpft, daß der Verlag die Übertragung der Anderungen in die Partitur und Orchesterstimmen übernimmt, macht Mahler an denselben Adresssaten als justitiarischen Ratgeber die Anmerkung: "Daß dies mit schwarzer und nicht mit roter Tinte geschehen soll, bitte ich privatim dem Direktor Hertzka zu sagen, falls ich es vergessen sollte, denn es ist mir bis jetzt beinahe jedesmal passiert, daß der Schafskopf von Kopisten sich bemüßigt sah, auch meinem Beispiele in der Vorlage zu folgen, so, daß die Orchestermusiker am Abend nicht daraus spielen konnten, weil man beim Lampenlicht rote Tinte nicht lesen kann,,450. In den Orchesterstimmen der Fünften Symphonie findet sich zwar keine rote Tinte. Die Briefstelle ist aber dennoch aus zwei Gründen auch für sie von Bedeutung. Nicht nur, daß für Eintragungen mit schwarzer Tinte Mahler generell als Schreiber in Erwägung zu auch als Beleg für den prinzipiellen Korrekturmodus, nach einer Partiziehen ist, s~nder turvorlage Anderungen i~ den Stimmen vorzunehmen. (Die in dem Brief angesprochene Korrekturform macht dIe Grundbedeutung des Ausdrucks »kollationieren« im Sinne Mahlers aus, der ihn gelegentlich gebraucht. Daneben kann sich dieser Ausdruck auch auf den Partitur- oder [selten] Stimmenvergleich beziehen - eine Möglichkeit,auf die noch im Falle des 2. Stimmensatzes zurückzukommen sein wird). . Bisher war von »dem« Kopisten die Rede. Mit Sicherheit ist der Singular für den zweiten Stimmensatz gültig, und derselbe Kopist ist auch mit großer Wahrscheinlichkeitam ersten beteiligt. Darüberhinaus schließt der 1. Stimmensatz wahrscheinlich zwei weitere Kopisten ein. 2 methodische Voraussetzungen helfen zunächst, bestimmte graphische Eigentümlichkeiten als Merkmale von Kopisten (oder Mahlers Handschrift) werten zu können. Die erste Prämisse betrifft die Konstanz der Merkmale. Der Versuch, die Kopisten voneinander abzuheben, setzt im Ansatz voraus, daß sie die Merkmale, durch die sie identifizierbar sind, über den fraglichen Zeitraum, in dem die Stimmen korrigiert wurden, beibehalten. Die zweite Prämisse betrifft die Unabhängigkeit bestimmter Merkmale von in dem sie auftreten. (Von ihr ist der Kopist in M-Dp / T-Dp betroffen, dem ~uelntyp, der SIe erfüllt). Damit bestimmte Merkmale als Kriterium für einen Kopisten gelten können, ist zunächst davon auszugehen, daß er sie im Wechsel von einer Partitur zu den Stimmen (und umgekehrt) beibehält. an den sehr fortgeschrittenen Untersuchungen der Bach-Forschung, können dIese Voraussetzungen sicherlich nur approximativ gelten. Dies ist auch Ausdruck G~mesn

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bislang fehlender Schreiber-Untersuchungen in der Mahler-Forschung deren Literatur bisher glaubte, allein auf der Basis der Schreibmaterialien die Unterscheidung von Mahler zu seinen Kopisten vornehmen zu können. Im Bereich der Partituren überschneiden sich aber sicher rote Tinte, im Bereich der Stimmen schwarze Tinte und für einige wenige Fälle (Vortragsanweisungen von K_3 451) wahrscheinlich auch Stifteinträge. Andererseits sind von diesen Untersuchungen keine in ihrer Tragweite vergleichbaren Ergebnisse zu erwarten. Die Chronologie der Werke Mahlers steht prinzipiell fest, und es ist zu bezweifeln, daß Schreiber-Untersuchungen so präzise Ergebnisse hervorbringen, die erlaubten, genaue zeitliche Zuordnungen von Stimmeneintragungen durchzuführen. Gleichwohl ist diese Möglichkeit unter der Zuhilfenahme subsidiärer Dok'Umente (u.a. der Kassenbücher der Wiener Hofoper) nicht auszuschließen. Mahlers Handschrift ist wiederum schon vom ästhetischen Erscheinungsbild her von einer Unterscheidung getragen, die im 18. Jahrhundert aufgrund der Praxis ungedruckten Aufführungsmaterials historisch begründet war, und die seine Revisionspraxis wiederzubeleben scheint: die Differenz zwischen kalligraphischem und Gebrauchstypus neben der Unterscheidung von Reinschrift und Konzeptschrift (von Dadelsen) [in der Terminologie der Mahler-Literatur Reinschrift und Skizze/Particell]. Die letzte Unterscheidung erscheint nicht imstande, manche Eintragung in Partitur oder Stimme hinreichend zu charakterisieren, die durch den Kontrast zwischen einer Schön- und Gebrauchsschrift zu erfassen ist. Drückt sich in Bachs Schrift ein Moment von Interpretation aus, so läßt sich dies in einem anderen Sinne auch von Mahler behaupten. Ein Quantum der Geltung einer Änderung zum Zeitpunkt ihrer Niederschrift scheint sich in der Form niederzuschlagen, in der sie Mahler festhält. Wenn im folgenden gezeigt werden soll, welche Ergebnisse die oben genannten Voraussetzungen im Vergleich der beiden Stimmensätze mit sich bringen, so ist dennoch im vorhinein eine Einschränkung angebracht. Eine vollständige Differenzierung, wiederum an den Kriterien gemessen, die die Bach-Forschung entwickelt hat, sollte ihren Aufwand lohnen. Um aber über eine Korrektur innerhalb des 1. Stimmensatzes mehr entscheiden zu können, als daß sie von Kopist A oder B stammt, ist ein vollständiger Überblick über alle Quellen notwendig. Sodann wird sich erst klären lassen, ob bestimmte Kopisten innerhalb der Merkmalkomplexe, die sie auszeichnen, in Abhängigkeit von bestimmten Quellen oder -stadien einzelne verändern, oder ob sie über den Zeitraum, in dem sie von Mahler beschäftigt werden, einzelne abwandeln. Erst dieser vollständige »Überblick« bewahrt auch vor Fehlurteilen aufgrund einer zu geringen Anzahl an MerkmalBelegen. Der Nutzen einer solchen gegenseitigen Abgrenzung seiner Kopisten bestünde nicht nur darin, gegebenenfalls zeitliche Rückschlüsse auf Veränderungen machen zu können, für die keine ergänzenden Quellenvorhanden sind. Es ist auch damit zu rechnen, wofür der 1. Stimmensatz bereits Anhaltspunkte bietet, daß Mahler die Kopisten in sehr bedachter Weise einsetzt. Die »Hauptdomäne« des Kopisten, die Überklebung, bildet den primären Untersuchungsgegenstand. Die Unterscheidung ist auf ihrer Basis nur dann zweifelhaft (und auf ergänzende Kriterien angewiesen), wenn Überklebungen die im folgenden nachgewiesenen spezifischen Merkmale vermissen lassen. Überschreibungen von Stifteinträgen Mahlers und Rasur-Korrekturen werden somit einstweilen ausgeklammert, da sie die natürliche Schrift beeinflussen. (Gleichwohl können sie Unterscheidungen in einem zweiten

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Schritt unterstützen). Die folgende Ausführung versteht sich darum zunächst als Entwurf, um die drei Hauptkopisten einzugrenzen, ohne allen sekundären Verzweigungsmöglichkeiten (an Vortragsanweisungen und einzelnen Wort-Typen) nachzugehen. Der Einf 5. Satz VI-I T.518 pp subito in der Stimme (Überklebung), Ratz übernimmt die Fassung der NA, die auch von der EA-Dp [ = P subito] abweicht. 5. Satz, Hrn T.537; in Hrn-4 streicht Mahler die 4-Achtelphrase (Taktpause und "2. [Horn]", obwohl er in Hrn-2 dieslb~ Phrase ebenfalls streicht (Schraffur, Zeilenverlängerung für pz); hier dürfte ihm ein Irrtum unterlaufen sein der die Notwendigkeit der noch ausstehenden "Kollationierung des Stimmenma;erials" bezeugt. 5 .Satz, Ob T.595f gestr.; bereits in St-1 vorhanden und in St-2 eine Überklebung durch den Kopisten; vermutlich liegt ein Versäumnis der NA vor. 5. S~tz Klar vo~ Z.28; entgegen der üblichen Regel [St-2 = NA] ist die 2.Klar T.619622 m. St-2 als Uberklebung gestr. Mahler führt sie wieder ein und modifiziert gemäß GA die Endung (~ctel statt Ganze, T.622); entweder liegt ein Irrtum Forstigs vor (:her ~nwahrsceilI),. oder Mahler hat nach der Herstellung die Stimme wiederemgeführt, so daß nur dIe rhythmische Modifikation der Abschlußnote die letzte Bearbeitung repräsentiert. 5. Satz Pos 1/2 T.730 erscheint bereits in St-1, ebenso Tub T.731, die einen Druckfehl:r der EA-Stp darstellt, der in W-Stp korrigiert wird, um sich dennoch in den PartIturen und der Stimme bis zur GA fortzuschleppen.

~. Sat~

Gr.Tram T.745 gestr. [= St-1 in einem Zusammenhang mit T.746f]; vermuth~ em ~er?hn der NA. F~r die Streichung der Pke T.754-758 gilt dasselbe. Sie tntt bereIts m St-1 auf, fehlt Jedoch in der NA. Eine abschließende Bemerkung zur GA gelte dem von Ratz erstellten Korrektuenv~zichs.r Es ist ~ht ganz vollständig und enthält auch einige Druckfehler. (Daneben modifIZIert Ratz an e1ll1gen wenigen Stellen ausschließlichdynarnische Angaben nach dem K~ntex [z.B. S.~ H~n T.1?f f~estr. nur das 1.ff fehlt auch in der NA-Stp, jedoch nicht Dp]. Wie aus dem BeIspIel erSIchtlIch Wird, dürfte es nicht notwendig sein, sie alle anzuführen). S.53

T.49-51 4.6.Hrn gestr., T.50 2.VI ff statt fff, T.49f Vc sflsf; 3.4.Trp geändert (statt "gestr.")

S.70

T.216-217 1.Fag geändert

S.93

T.413 VIa p[ cresc sf] = Herausgeber

S.96

T.432/434 FaglKfag sf durch Herausgeber ergänzt

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Der zweite Stimmensatz - Beschreibung

S.97

T.444 Klar statt "Kb geändert"

S.148

T.516 Hrn f statt p, T.522 Hrn f

S.150

T.544 Triang statt "Pk gestrichen" .

S.180

T.30 V c statt "Kb hinzugefügt"

S.181

T.44-46 l.Hrn gestr.

S.186

T.103 3.Fag letztes Viertel Auftakt gestr.,Vc T.100-103 pp

S.191

T.188 Fag gestr., T.188-190 VIa/Vc dim-p-(morendo)-pp

S.192

T.2ll VIa geändert [f gestr.] T.216f1218f2.VI (cresc)-p, T.218 Vc Halbe

S.195

T.274/276 Ob,Klar cresc-f, T.277 sempre f

S.202

T.34lfVc flff

S.203

T.352Hrnmf

S.204

T.372 Pos cresc molto gestr.

S.216

T.503-506 Fag geändert, T.507 gestr.

S.218

T.515 VIa geändert

S.221

T.537 VIamf, Vc sf gestr. [= Hg]

S.229

T.619f 3.FI gestr., T.623 ppp (Streicher), Hrn pp

S.230

T.64lf 2. VI pp/f, T.641 VIa sempre pp T.645 l.2.VI sfpp gestr.

Wie erwähnt ist bei dem Verlag eine Neuauflage in Arbeit, für die die Mahler Gesellschaft (Prof.Füssl) ein Druckfehlerverzeichnis erstellt hat. Es handelt sich .hierb~um Modifikationen nach Angaben, die Ratz in den Stimmen übersehen hat, oder dIe als Ruckstände früherer Korrekturen in der Partitur stehen geblieben sind, daneben auch um dynamische Modifikationen durch den Herausgeber. Eine wichtige, in allen autograph

Der zweite Stimmensatz - Beschreibung

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bearbeiteten Partitur-Drucken (auch W-Stp) einschließlich der Stimme auftretende Änderung betrifft die Verlegung S.1l6 Becken T.4 nach T.3, aber auch die mit der Letztausgabe erfolgende Streichung der 2.VI, 5.Satz T.383-386, nach der obigen Liste. Ein Vergleich der bisher behandelten Quellen mit den im Revisionsbericht aufgeführten demonstriert, daß eine Quelle, Wellesz' Abschrift der Stichvorlage der NA516a, für Argumente, die der Rekonstruktion des Revisionsstandes dienen, ausgeklammert wurde. Der Grund liegt darin, daß sie mehr verwirrt als zu einer Klärung verhilft. Zunächst informiert Ratz offenbar unvollständig über den Briefwechsel, den er mit Wellesz bezüglich dieser Partitur führte. Die Karteikarte spricht von "eigenhändigen Korrekturen von Wellesz aufgrund von Retuschen von Hinrichsen", eine Tatsache, die er in seinem Revisionsbericht verschweigt. Wenn diese Aussage zutrifft, dann handelt es sich um eine Tertiärquelle, die vermutlich auf eines der beiden vom Verlag eingerichteten "handschriftlichen Exemplare,,517 zurückgeht. Zweifellos trägt Wellesz Änderungen der NA in eine EA-Stp ein, wodurch die zwischenzeitlich mit der EA-Dp erfolgten Anderungen größtenteils wegfallen. Sie werden nicht ganz vollständig von Ratz (?) in der Kopie ergänzt. Die Kopie hat den Nachteil, daß sie manchmal den Umfang der Streichungen nicht exakt erkennen läßt, da Wellesz' Striche (Schraffur oder Schlängellinie) in der Reproduktion nahezu unsichtbar werden. Ratz' Ergänzungen betreffen jedoch auch Änderungen der NA, die offenbar von Wellesz übersehen wurden, oder die seine Vorlage nicht enthalten hat (was dafür spräche, daß diese Vorlage selber eine Abschrift darstellt [z.B. l.Satz, Ob Z.9, T.195ff gestr.; die Streichung der l.VI T.193 [EA-Stp: unis.Vc] wird auch von Ratz nicht ergänzt). Schon Wellesz wird aufgefallen sein, daß die Druckfassung der Studienpartitur nicht mit der seiner Vorlage übereinstimmt. Er ergänzt die nur in der EA-Dp gedruckte VIa, l.Satz T.159 [=unis. Vl/Ob/Hrn] einschließlich ffvon Hand, um sie dann zu streichen [= NA]. (Dasselbe gilt für T.181-183 2.VI, VIa [EA-Dp:Oktav-Unis. VI-1]). Die - zum größten Teil - ergänzten Vakanzen zur NA sind so zahlreich, daß die Quelle Zweifel erweckt, direkt auf die Stichvorlage der NA zurückzugehen. (Der Ausdruck "sorgfältige Abschrift der Stichvorlage" stellt insofern einen Euphemismus von Ratz [im Rb] dar). Er ergänzt nach der NA-Dp, wie aus der Korrektur der dynamischen Angabe I, T.216 [Trp 3/4 f gestr.] ersichtlich ist. Die fehlenden Änderungen stimmen, wie zu erwarten, auch nicht mit W-Dp überein. Stichprobenartig wären folgende Änderungen der NA zu nennen, die durch Ratz ergä~t werden müssen - (also solche, die nicht bloß aufgrund des fehlenden Rekurses auf die Anderungen der EA-Dp ausbleiben). Sie begründen den Zweifel an ihrem Status als Duplikat der Stichvorlage. I,

T.287-290 Fl3/4 gestr.

TI,

Z.ll Wellesz übernimmt "drängend" aus der EA-Dp, jedoch nicht die StreichungenHrn, TrpT.179f[= W-Stp, EA-Dp], TubT.175f(T.179-181 vorhanden) [= NA, St-1] auch die Streichung VIa T.177f fehlt, aber die Änderung T.175f ist ebenso wie T.179 Fl 1-4, V c/Kb ohne trem vorhanden.

TI,

T.512-515 Pos, T.516-519 Hrfe, Gr.Trom. gestr. fehlt.

124

Der zweite Stimmensatz - Beschreibung

IH,

T.507-512 VIa gestr. fehlt.

IH,

T.571 Änderung Ob, Klar, Hrn fehlt;

v,

T.142 Änderung Vc fehlt.

Die Triester Dirigierpartitur

125

9. Mahlers Dirigierpartitur aus Triest [T_Dp]518 I

Die Partitur gehört als Quelle von ihrer Chronologie her zwar zwischen die Beschreibung der EA-Dp und M-Dp, sie ist jedoch geeignet, die bisher behandelten Quellenbeziehungen und Korrekturformen wie in einem Brennspiegel vereinigt zusammenzufassen. Zugleich gibt sie exemplarisch die Möglichkeit, noch unbekannte oder verschollene Quellen zur 5. Symphonie in den gesteckten Rahmen einzugliedern519. Im vorhinein wäre denkbar, daß die Eintichtung der Symphonie auf eine Aufführung zurückgeht,die mit der unter Mahlers Leitung vom 1. Dezember 1905 im "Politeama Rosetti" durch das Orchester der Philharmonischen Gesellschaft in keinem Zusammenhang steht. Drei Gründe sprechen aber mit Evidenz dafür, daß die Einrichtung auf Mahler zurückgeht: erstens ist der Kopist der Grundschicht derselbe der M-Dp [= K-3], zweitens wäre es einigermaßen unplausibel, wenn ein Dirigent, gesetzt, er hätte sie für eine Aufführung zu einem späteren Zeitpunkt eingerichtet, eine Version konzipiert hätte, die vor der M-Dp anzusetzen wäre. (Die Partiturvorlage dieses hypothetischen - und unzutreffenden Falles - bliebe gänzlich diffus, da die Version T-Dp mit keiner der überlieferten Quellen übereinstimmt). Drittens finden sich unzweifelhafte Eintragungen mit Stift und roter Tinte von der Hand Mahlers, am sinnfälligsten durch "bleibt" in Stift zurückgenommene Korrekturen (in RT). Die Tatsache, daß Mahler T- und W-Dp neben seinem Hauptexemplar eingerichtet hat, erweckt einen bestimmten Gedanken als Erklärung. Anders als M-Dp waren die beiden Partituren zunächst offensichtlich für seinen eigenen Gebrauch bestimmt. Walter wiederum berichtet, daß Mahler mit der Instrumentation bei der Uraufführung nicht zu520 frieden war . Der Stempel der Firma "S.Wolf, Strassburg" auf dem Titelblatt von W-Dp spricht am naheliegendsten für den Erwerb Mahlers für die Aufführung am 21. März 1905. Der Zusammenhang läßt den Schluß zu, daß die beiden Partituren offenbar von Mahler gewissermaßen als »Kompilationsexemplare« konzipiert wurden: von ihm bzw. einem Kopisten vor der Aufführung eingerichtet, dienten sie dazu, spontan in Zusammenhang mit Proben und Aufführung entworfene Änderungen aufzunehmen, um sie danach zu überprüfen und eventuell in sein Hauptexemplar zu übernehmen. (»Kompilatition« hieße unter dieser Bedingung also: eine für sein Hauptexemplar fakultativ konzipierte Änderung). Auf dem Hintergrund von Mahlers Arbeitsweise erscheint der Erklärungsgedanke keineswegs spekulativ. Sogar Mengelbergs Dirigierpartitur kommt diesem Zweck durch die Bedeutung, die Mahler ihr auch ausdrücklich in dem Briefwechsel gab, sehr nahe. Wenn diese Erklärung zutrifft, sind aber noch einmal zwei Folgerungen zu ziehen. Es spricht aus ihr nicht nur der generelle Beleg für die Sorgfalt seiner Arbeitsweise, die sich planvoll ein Mittel verschafft, um Experimente oder noch zu erprobende Korrekturen leicht handhaben zu können. Wichtiger noch erscheint die zweite Konsequenz. Die überwiegende Kontinuität der Korrekturen, die als ein Ineinandergreifen der Änderungen und der sie motivierenden Prinzipien in allen beteiligten Quellen zu verstehen ist, erweckt die Annahme, daß Wellesz' Redeweise von einer (zugrunde liegenden) »Klangvision« zumindest nicht völlig unberechtigt ist. Sie verlangt jedoch eine genaue Bestimmung, um »falscher Metaphysik« zu entgehen.

126

Die Triester Dirigierpartitur

Die (scheinbar) unverfänglichste Lösung bestünde darin, nicht mehr Voraussetzungen zu machen, als die jeweilige auf einen musikalischen Kontext bezogene (und durch eine oder mehrere Quelle[-n] dokumentierte) Änderung für sich fordert. Der Änderugsp~6zeß - die Möglichkeit von Schwankungen inbegriffen - geriete zu einer langsamen Kette, deren Glieder wenig nach »externem« Zusammenhang, also solchem von Station zu Station, fragen. Zumindest wären die in diesem Sinne verstandenen Stationen der Möglichkeit eines durch sie hindurch projizierten Zieles, nicht notwendig jedoch leitenden Prinzipien wie Deutlichkeit und Farbwechsel gegenüber »blind«. Die Lösung hat, abgesehen davon, daß sie einstweilen nur hypothetisch gelten kann und sich analytisch auszuweisen hat, den offensichtlichen Nachteil, daß sie Mahlers Instrumentation entgegen seiner Auffassung - und der seiner Epoche - veräußerlicht. Es fällt schwer, sie noch als einen integralen kompositorischen Bestandteil zu verstehen. Die resultierende Folgerung, die aus der Not die Tugend instrumentatorischer Emanzipation schöpft, stößt sich wiederum an dem Prinzip der Deutlichkeit. Mahler geriete zu einem Apologeten orchestraler Klangfarbe, der er in diesem Ausmaß nicht war und sein wollte. Der Versuch, die sich ablösenden Stationen als ein Ineinandergreifen zu verstehen, ist darum aber keineswegs mit weniger Schwierigkeiten behaftet. Zum einen steht das Modell in Frage, nach dem es faßbar wäre. Im Extremfall- und Gegenpol zum letztgenannten - wäre ein gewissermaßen »unbewußtes« ens realis Ausgangspunkt, das sich stufenweise verwirklicht, und in diesen Stufen auf eine ihnen zugrunde liegende Wurzel zurückweist. Das Hauptproblern des Ansatzes bestünde in der Erklärung instrumentaler Schwankungen. Auch verführt dieser Ansatz zur Teleologie, da sich die quasi »ontologische« Hypothese von der Substanz einer instrumentatorischen Idee in einem begrifflichen Resultat zu bestätigen sucht, das imstande wäre, diese Idee zu verkörpern und das infolgedessen die analytische Erklärung der instrumentalen Erscheinungen in den Bann zieht. Im vorhinein den exakten Standort der anzustrebenden Zwischenlösung zu skizzieren, erscheint überflüssig, da sie »von der Sache« diktiert wird. Hier taucht aber sofort ein neues zweites Problem auf, das eine »naive« Phänomenologie zurückweisen muß. Es wurde in den bisherigen Formulierungen ein Ausdruck gebraucht, dessen Bedeutung als fest umrissen noch eigentlich nicht gelten konnte. Festzustellen, was eine »Station« ist, erfordert einen nicht geringen analytischen Aufwand; denn von dieser Bestimmung gehen offensichtlich Rückwirkungen auf das Verständnis des Ineinandergreifens aus. (Bei einer pragmatischen Lösung - wie sie Norman DeI Mar in seiner "page-by-page-analysis" der beiden Druckfassungen der 6. Symphonie anwendet521 - wird die Erläuterung von »Stationen« zwar hinfällig, sie verzichtet aber im vorhinein auf die Möglichkeit, den deskriptiven Horizont zu überschreiten. Eine »Station« erfüllt sich einerseits weder in dem Umfang einer Streichung von Takt x bis Takt y - es handelt sich vielmehr stets um einen Komplex von Änderungen im Hinblick auf den ganzen Orchestersatz. Andererseits ist - auf der »syntagmatischen« [oder Verlaufs-] Ebene - die Grenze dieser Komplexe keineswegs immer eindeutig, sondern fließend und ineinander übergehend, so daß die Auswahl eine Entscheidung voraussetzt). Der theoretische Exkurs zu den Konsequenzen der Arbeitsweise Mahlers läßt sich zumindest mit der Erwartung beschließen, daß die Bestimmung der »Station« keine rein instrumentatorische Angelegenheit ist. Denn wenn dem Versuch, den Wechsel der instrumentatorischen Gestalten eines bestimmten ausgewählten Kontextes zu erklären, die Mög-

Die Triester Dirigierpartitur

127

lichkeit innewohnt ineinanderzugreifen, dann wird die Konstanz auch mit anderen musikalischen Ebenen, der Form, Thematik, Harmonik und Metrik zusammenhängen. Schon das - zumindest logisch und in seiner praktischen Auswirkung zu ermessende - Postulat der kompositorischen Integration bürgt dafür, daß sich diese Konstanz aus Elementen verschi~­ dener Dimension zusammensetzt. 11

Die Korrekturbilder in T-Dp entsprechen von der Anlage her am engsten M-Dp, da die Partitur in der Grundschicht von demselben Kopisten (K-3) eingerichtet wurde. (Seine autographen Merkmale lassen sich also auch an T-Dp nachweisen). Im Bereich Rote Tinte überschneiden sich somit Mahler und der Kopist, die Stifteintragungen gehen auf 522 Mahler zurück • Anders als in den übrigen Partiturquellen hat Mahler in T-Dp häufiger rasiert, einFaktum, das die quellenabhängige partielle Verschiebung autographer Korrekturmerkmale bezeugt. T-Dp dokumentiert erneut die Regel, daß Stifteintragungen (in Partituren) Initialbedeutung besitzen: die von ihnen betroffenen Änderungen erscheinen in späteren Quellen in Tinte. Andererseits ist der Stift - als der teilweise während der Probe benutzte »Arbeitsstift« - auch das Mittel, um bereits getroffene Korrekturen durch "bleibt" zurück523 zunehmen • Im Verhältnis zu M-Dp (oder den folgenden Stufen) sind jedoch nicht alle Streichungen, die zurückgenommen werden, durch diesen Vermerk ausgezeichnet. Die Hauptform der Tilgung bildet die Schraffur, wobei die Gegenüberstellung Mahler versus Kopist die jeweilige Präferenz für Rechts- versus Links-Schraffur dokumentiert524. Sie tritt auffällig auch in M-Dp auf, ohne als autographes Kriterium unter anderem wegen Übergangsformen - nahezu Steilschraffur - beansprucht werden zu können. Die Grenze instrumentaler Streichungen bildet nicht die musikalische Phrase, sondern der Taktstrich, (so daß in wenigen Fällen im Quellengesamtüberblick der Einschluß von Auftakten schwankt). Wie in allen Partiturquellen betreffen die Korrekturen drei Hauptklassen: Textänderungen (der Instrumentation in Gestalt von Streichungen oder Übertragungen), dynamische Angaben und Vortragsanweisungen. Die musikalische Substanz - repräsentiert durch »den« musikalischen Satz als Summe aus Stimmenverlauf, -lage und -anzahl sowie Harmonik - bleibt stets unberührt. (Die in Zusammenhang mit M-Dp erläuterten dirigiertechnischen Notate fehlen in T-Dp wie in allen übrigen Quellen von Mahlers Hand). Die Version von T-Dp ist - wie erwähnt - nicht deckungsgleich mit M-Dp, sondern liegt ihr voraus. Auch stimmen nicht alle Eintragungen hinsichtlich ihrer autographen Herkunft überein. Eintragungen in M-Dp von K-3 stammen - als Tintenkorrektur - in T -Dp auch von Mahlers Hand. Mahler wird die Partitur somit schon in Wien - offensichtlich unsystematisch - vor dem Konzert eingerichtet und für die ergänzende Abschrift nach seinem Hauptexemplar K-3 übergeben haben, ohne daß T- und M-Dp in der Korrekturengrundschicht als Repräsentatiori von K-3 identische Kopierduplikate darstellen. T-Dp stellt somit die früheste Version nach der Erstausgabe der Dirigierpartitur dar. Es seien im folgenden einige Änderungen, ihr Verhältnis zu späteren Quellen und die Art, in der sie eingeführt erscheinen, anband der 1. Abteilung erläutert. (Zum Teil waren sie bereits Gegenstand früherer Erörterungen, besonders unter St-1, so daß sie in diesem Fall nicht noch einmal wiederholt werden).

Die Triester Dirigierpartitur

128

1.Satz,

T.159 VIa gestr. [RT, nur T-Dp]; da das Hrn-Unisono von K-3 eingetragen ist, dürfte Mahler ursprünglich eine Übertragung konzipiert haben. Qie Stelle bildet eine der wenigen Belege für die Annahme, daß Mahlers Referenzexemplar das Zwischenglied für die Übertragung T -Dp - M -Dp darstellt; Z.9 Holzbläser Liegestimmen-Unisono (Hrn) gestr. und Fag = KFag, FI = VI; die Stimmenkonzentration, die im spätesten Resultat der GA hervortritt, setzt paradigmatisch schon in einem frühen Stadium unter Verzicht auf klangliche Elemente ein [einschließlich korrelativer Streichungen in den Einleitungst. 190ff = M-Dp bis NA]; Z.ll dasselbe Motiv bewegt die Streichung Klar T. 239-242 [NA:244] in Stift [M-Dp = RT/K-3], aber FI T.243 [NA:235/239]-244 gestr. jeweils RT - wenn im Quellenvergleich Stift roter Tinte präzediert, dann stellt er die Initialkorrektur dar [dasselbe Trp T.245]. Z.14 Hrn [=M-Dp bis GA], aber nicht Vc [=M-Dp] gestr.; T.349-352 VIa, Vcunis Hrn, Hrngestr.[ =M-Dp/W-Dp - GA: VIa unis.Fag] und FI unis. Fag ab T.348 [M-Dp: T.351, nicht NA], Ob unis. Trp T.347-350 [nur T-Dp]; auch die folgenden Änderungen (u.a. Trp statt Vc T.353ff) erscheinen bereits vollständig in T-Dp [auch M-Dp stets K-3],die somit die bereits frühzeitig und zusammenhängend erfolgte klangliche Neuformulierung überliefert; exemplarisch erscheinen nur die Vorschläge T. 355 mit Kreuz nach der Zeile - vermutlich von Mahler als ergänzender Hinweis darauf, sie in sein Hauptexemplar zu übernehmen [RT, = M-Dp bis GA]. Z.19 Hrn T.393-400 gestr. [RT], vor der Zeile jeweils "bleibt" [BLS, nur TDp];

2.Satz

T.1-6 FaglKFag dasselbe; der Impuls zur Baßstimmemeduktion ist somit gleichfalls früh belegbar,selbst wenn er Schwankungen ausgesetzt ist; T.41f Ob unis. VI-I [=M-Dp bis GA], jeweils RT, aber Mhs (T-Dp) vs. K-3 (M-Dp); T.67ff die Verdoppelungen (3.0b,Klar-2/3, FI-3/4) entsprechen M-Dp bis GA; die komplementäre Streichung des Liegeklangs Trp/FI liegt bereits voraus [EA-Dp: Trp T.68f] oder folgt erst mit St-1/NA [Fl T.67-69]; 4 T.v.Z.lO Nicht schleppen von Mahlers Hand [nur T-Dp, Stift]; Z.13 F11-4 unis. VI-I [=M-Dp, W-Dp und in St-1 gestr., jeweils K-3, (der dynamische Gegenzug, die Streichung 3.4. Hrn fehlt noch); Z.15 VI: E-/A-Saite in Stift, Mhs [=M-Dp, RT];

Die Triester Dirigierpartitur

129

T.335 Fl, Klar 1/2, Fag gestr. in Stift (Rechts- Schraffur) [= M-Dp, RT, bis GA/NNGA]; Trp, Pos T.330ff, Holzbl. Z.19, T.336-338 bereits in RT gestr.; die Tilgung klanglicher (harmonischer) Elemente macht stets den Anfang und prononciert das Gewicht der Deutlichkeit gegenüber dem zunächst reicheren Klangbild; T.426 1.Pos unis. 2.Trp in Stift [= M-Dp, RT, bis GA], T.425f Bögen Hrn135, Trp-1/2 gestr., Ob hinzu in Stift, in M-Dp RT; wenn, was zumindest theoretisch in Erwägung zu ziehen ist, K-3 den identifizierenden Pos-Eintrag (und die Bögen) nicht bei der 1. Eimichtungvon M-Dp übersehen hat, dann spricht diese Stelle mit Evidenz dafür, daß die Partituren M-und T-Dp nicht zugleich, M-Dp aber noch unmittelbar nach dem Triester Konzert und vor der Rücksendung nach Amsterdam von K-3 eingerichtet wurden; diese Chronologie bestätigt sich auch durch T.444ff Trp-3/4 unis. Pos-1/2, Pos gestr. von der Hand Mahlers [{fp}, {b}] in T-Dp, in einem 2. Schritt Überbindung T.445, 447 gestr. in Stift und Rasur der Bögen, in M-Dp fehlt die Überbindung und die resultierende Halbe T.444/446 ist vollständig durch Rasur getilgt [bleibt bis GA]. Z.26 schreibt Mahler zur Trp-3/4:"immer mit Dämpfer", zur 1.2. aber "ebenfalls mit Dämpfer", beides wörtlich von K-3 in M-Dp übernommen; T.487f 3.4.Trp unis Hrn 135 von K-3 in RT [= M-Dp bis GA]; T.516-19 Hrfe gestr., vor der Akkolade "bleibt" in Stift [Mhs, = M-Dp, St-1 bis GA gestr.]; Z.3O entspricht M-Dp (Zwischenlösung) und muß von K-3 aus Mahlers Referenzexemplar übernommen worden sein; Satzschluß: die Pultangaben Vc (T.572 3 P.) und Kb (T.573 2 P.) erscheinen in der Divergenz Stift/Mhs - RT/K-3 im Vergleich T-Dp - M-Dp und verifizieren die chronologische Beziehung. Die bereits entworfene Beziehung zwischen T- und M-Dp läßt sich durch die angegebenen Belege modal und zeitlich noch etwas präzisieren. Zum einen dürfte aufgrund von fehlenden Streichungen in M-Dp, die in T-Dp ohne den Vermerk "bleibt" erscheinen, Mahlers Referenzexemplar das Vermittlungsglied für die Eintragungen von K-3 in M-Dp darstellen (- er hat, wenn überhaupt, dann nicht direkt aus T-Dp übertragen). Da Stifteintragungen Mahlers in Partituren in der RegelInitialbedeutung besitzen - sie stehen in Zusammenhang mit einer Konzert- oder Probenerfahrung -, ist weiterhin anzunehmen, daß K-3 entsprechende Korrekturen in T-Dp noch vor der 1. Rücksendung nach M-Dp übernommen hat.Hierbei ist ebenfalls Mahlers Hauptexemplar als Vermittlungsglied zu veranschlagen, in dem er die Stiftmodifikationen der Triestiner Version nach dem Konzert kompiliert hat, um T-Dp (vermutlich, da zumindest keine Briefdokumente eine Verschickung belegen,) in Triest zu belassen.

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Die Triester Dirigierpartitur

Obwohl sie den Gegenstand des nächsten Kapitels bilden, lassen sich im vorhinein schon einige Rückschlüsse auf den Instrumentationsverlauf und seine Prinzipien ziehen.. Sie setzen bereits früh, mit der EA-Dp ein, und betreffen zwei (vermutlich komplent~: re) Hauptaspekte. Der Stimmenkonzentration, die durch Deutlichkeit und Ökonomie reguliert wird, steht ein überwiegender Verzicht simultanen Klangreichtums gegenüber, der an der Tilgung von Liege- und Harmoniestimmen abzulesen ist. (Das Attribut simultan ist einschränkend gemeint; denn das Orchester als solches wird nicht beschnitten). Im Gegenzug löst der funktionale Kontrast und seine ständige Bearbeitung aber auch eine Verfeinerung beider Seiten aus: thematisches Gewicht und Führung stellt sich zunehmend »gebrochener« dar, und »Orchesterpedal« und harmonisches Fundament suchen eine doppelte Balance wahrzunehmen. Es gilt nicht nur das ständig bewegte Relief des Orchestersatzes auszumessen, sondern auch der Maxime des in sich bewegten Klangwechsels zu genügen. (Die ein wenig a-personale Formulierung spiegelt den Umstand, daß die stete Rückführung auf eine »bewußte Entscheidung« Mahlers gegenüber den Erscheinungen mitunter abstrakte Züge gewinnen kann. Mahlers Motivation rankt um thematisches Profil, und die Interpretation hat auch das Faktum zu erwägen, daß sich instrumentatorische Maßnahmen als »aus der Sache resultierend« ergeben - womit sich der Kreis zumindest insofern schließt, als erneut scheinbar philosophische Implikationen zum Vorschein kommen). Zur Frage der »Fassung« bleibt abschließend anzumerken, daß ihre Identifikation einen Akt darstellt, in dem sich Philologie und Interpretation notwendig mischen müssen. Gleichwohl ist hier ein »vernünftiger Schnitt« denkbar. Er bestünde darin, primär von realen »Textstufen« zusprechen - ein Ausdruck, der, zumindest für den Verfasser, auf Rudolf Stephan zurückgeht - und den Begriff der Fassung jenen beiden Quellen zuzuweisen, die die beiden chronologischen Eckpunkte darstellen: die EA-Dp und GA. (Die EAStp war ein bewußtes Provisorium). Daß die GA auch nach philologischen Kriterien nahezu das Kriterium der Endgültigkeit erreicht, wurde bereits ausführlich dargestellt.

Der Revisionsprozeß

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1. Präliminarien

Es dürfte schon aus der bisherigen Darstellung einleuchten, daß eine vollständige Auflistung aller Korrekturen je Quelle nicht imstande ist, die im Rahmen des vorangegangenen Kapitels gestellten Fragen zu beantworten. (Der Ausdruck »Korrektur« ist hierbei in einem weiten Sinne a~!zufsen, da er wie der ältere - und von Mahler zumeist gebrauchte - »Ret[ 0 ]usche« auch Anderungen einzuschließen hat). Um sagen zu können, was Mahler in dem langen und, an den ersten Erscheinungen [NAMH, EA-Stp] gemessen, tief einschneidenden Prozeß bewegt, scheint es geboten, einige ausgewählte und prägnante Beispiele zur Gänze über diesen Weg mitzuverfolgen. Denn die Kontinuität des Revisionsvorgangs macht deutlich, daß eine Darstellung, die versuchte, die verschiedenen überlieferten Versionen einander gegenüberzustellen, als Hauptgesichtspunkt nicht angemessen erscheint. Auch eine Systematisierung, die instrumentatorische Kategorien aufstellte, um ihre wechselnde Ausprägung zu untersuchen, muß den Zusammenhang verfehlen, in dem sie als gleichwohl berechtigte Fragestellung aufgehoben ist. Der Vorrang gebührt also der Chronologie, und zwar insbesondere jenen »Stellen«, die in jeder Quelle bearbeitet erscheinen. Es sind jedoch nicht nur jene »Stellen« von Bedeutung, die sich durch eine wechselvolle Geschichte auszeichnen. Jene, die sich gerade umgekehrt dadurch hervorheben, von Eingriffen ausgenommen oder nur wenig betroffen zu sein, können als ihr Prüfstein dienen, wenn Verallgemeinerung dadurch gerechtfertigt erscheint, daß sie die Prinzipien im Kern enthalten, nach denen sich die auch die Stellen mit vielen Korrekturen vollziehen. Der Vergleich zeigt allerdings, daß die hiervon betroffenen Partien - die TrauermarschEinschübe im 2. Satz, das Adagietto und die Grazioso-Episoden des Rondos - vielmehr durch eine Instrumentation ausgezeichnet sind, die entgegen Mahlers generellem Credo vornehmlich auf Ton und Farbe aufgebaut sind. Es böte sich als weiterer methodischer Weg an, auf sehr generelle Begriffe zurückzugreifen, die durch eine möglichst unaufdringliche Systematisierung der Bearbeitungsaspekte eine Vorauswahl schüfen. Das der Instrumentation innewohnende Verhältnis zwischen Struktur und Ausdruck, ihr Verhältnis zur formalen Differenzierung, zu Dynamik und Tempo darzustellen, verstellt aber ebenso wie der Versuch, instrumentatorische Kategorien zu erheben, die unmittelbare Einsicht in den (möglichen) inneren Zusammenhang der Revision von Text- zu Textstufe. Es werden daher satzweise und in Auswahl die chronologisch dargestellt. Für die Auflistungen gilt hierbei die wichtigsten ÄnderuD:~ Voraussetzung, daß Anderungen in früheren Quellen auch für die späteren gelten, so daß nur Abweichungen und neue Korrekturen aufgelistet erscheinen (in der Regel taktweise Str vor Hlzbl vor Bbl vor Sw). 2. Mahlers ~Schnitek

Ein bereits erwähnter Kommentar Stephans zu St-2 gilt dem "charakteristischen Zug der Neudisposition des Gesamtklangs[.Er] führt zum überraschenden Abbrechen von Stimmen (nicht für den Hörer, sondern für den Spieler, da die Stimme von anderen Instrumenten weitergeführt wird)". Das Resultat dieses Verfahrens ist die Aufhebung "eines in

132

Präliminarien

sich und für sich vollständigen musikalischen Zusammenhangs,,525, von dem die Einzelstimme betroffen ist. Dieses Korrekturphänomen Mahlers, das sich als »Schnittechnik« offensichtlich - sinnfällig in den Überklebungen - am Taktstrich, jedoch nicht an d~f musikalischen Phrase orientiert, ließe sich vordergründig durch eine praktische Erwägung begründen. Es erleichtert die Korrektur von Partitur und Stimmen, da sich Strich und Ergänzung nicht um Auftakte und Endungen zu kümmern brauchen. Schon die Tatsache, daß Mahler das Verfahren keineswegs immer anwendet, läßt die Antwort als unzureichend erscheinen. Eine Erklärung, die tiefer greift, müßte das veränderte Verhältnis Orchester-Einzelstimme reflektieren, das sich in der instrumentatorischen Erscheinung niederschlägt und umgekehrt nachhaltig auf den Dirigenten verweist, in dessen Partiturbild die Unvollständigkeit aufgehoben wird. Als satztechnisches Verfahren gilt es auch für Begleitstimmen und setzt somit nicht notwendig voraus, einen in sich vollständigen musikalischen Zusammenhang zu übergehen. Das Exempel Stephans verweist vielmer nur auf die gravierendste Konsequenz. Geht man zuächst von der Bedingung aus, daß das Merkmal als Bestandteil an das wichtige Merkmal orchestraler Satztechnik, das Unisono, gebunden ist, dann zeigt sich, das auch sie nicht hinreicht. Obwohl seine Bestimmung aus identifikatorisehen Gründen an diese Bedingung knüpfbar ist, kann sich das Merkmal verselbständigen und unabhängig vom Unisono ausprägen. Es ergibt sich somit die letzte Konsequenz, das Phänomen auf der Ebene der orchestralen Vorstellung Mahlers anzusetzen. Sie bestätigt sich im Hiblick auf sein Gesamtwerk526 und, auf die Fünfte Symphonie bezogen, durch ihre Entstehungsgeschichte. Das Phänomen tritt bereits in den Handschriften oder ihrer Bezie527 hung zur EA als instrumentatorisches Merkmal auf . Einige Facetten der Erscheinung, die im (technischen) Kern auf der Disposition des »freien Schnitts« beruht, als Möglichkeit, eine musikalische Phrase nahezu beliebig zu beginnen oder zu beenden, sind bereits von Parks Grant in der Abhebung von Bruckner beschrieben worden528. Statt dem systematischen Versuch nachzugehen und seine Erscheinungen fallweise aufzuzählen, in denen es sich ausdrückt, liegt es näher, das Phänomen zunächst von Bereichen abzugrenzen, mit denen es sich als Technik berühren kann. Das Innere dieses »Umfeldes« mag sodann durch Beispiele veranschaulicht werden,die unter der theoretischen Forderung stehen, exemplarisch zu gelten (- die Klassifikation steht somit nicht unter dem Gebot der Vollständigkeit, die sich darauf beruft, aus einer einheitlichen Funktion oder Idee ableitbar zu sein). Schon in Stephans Beschreibung klingt die »durchbrochene Arbeit« an, der instrumentatorische Niederschlag dieses Phänomens berührt sich aber auch mit »analytischer Instrumentation« und der durch Bruckner wiederbelebten (sogenannten) »Register«- oder »Block«-Technik. Sie setzt sich auch von jener Überlappungstechnik Wagners ab, die Klangverwebungen durch Verschränkung von Phrasenendungen herstellt529, (wobei »Phrase« den Doppelsinn Riemanns zwischen melodischer und Taktphrase einschließen kann530). Das von Strauss an Wagner nachgewiesene "Prinzip der Melodieteilung in die feinsten Mischungen,,531, das im Orchester des späten 19.Jahrhunderts noch gesteigert wurde532, bildet den gemeinsamen historischen Hintergrund, dessen Ursprung Riemann nahezu gleichzeitig in der »durchbrochenen Arbeit« bestimmte. Schon Berlioz hatte allerdings (aus spielpraktischen Gründen) die "Zerstückelung,,533 einer Einzelstimme auf 1. und

Mahlers »Schnittechnik«

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2. Violinen erwogen, um von Strauss, der durch die Erfahreung des Wagner-Orchesters »hindurchgegangen« ist, durch den Kommentar eingeschränkt zu werden, daß seine Auffassung den "klassischen Stil der Instrumentation" ausdrücke. Strauss macht ihn an dem "Hauptmerkmal der absoluten Klarheit und Ausführbarkeit jeder Figur durch jedes Instru;ment,,535 fest, um den "Stil der al fresco-Behandlung" im Feuerzauber der Walküre gegenüberzustellen, bei dem es gerade auf das Verwischen (für das Hören) ankommt. In diesem eingeschränkten Sinn ist Mahlers Orchestertechnik »klassisch«, indem sie bei den Figuren, auch wenn sie sie beschneidet, auf Klarheit größten Wert legt. Auffällig widerspricht dieses in Mahlers Technik eingeschlossene Merkmal, bei dem sich das Verhältnis zwischen Phrasierung und Instrumentation umkehrt, indem die musikalische Phrase scheinbar instrumentatorisch definiert wird, ihrem vokalen Ursprung und Vorbild. Es erstaunt um so mehr, als Mahler, den dieses Merkmal nach Grant zum "Pionier"erhebt, bis auf die letzten Jahre, in denen sich dieses Phänomen verstärkt, überwiegend Operndirirgent war. Die ebenfalls an Wagner orientierte Forderung von Strauss nach "sinnvoller Polyphonie" als "melodische Selbständigkeit" der Begleit- und Füllstim536 men erschließt sich vermutlich auf diesem Hintergrund der Vokalvorstellung, die noch die instrumentale Einzelstimme im Orchestersatz reguliert. Riemann führt im 3. Band seiner Kompositionslehre die »durchbrochene Arbeit« zwar nicht mit dem Streichquartett ein, er geht aber umstandslos von symphonischen Beispielen, die die "schönste Blüte der Vergeistigung der thematischen Arbeit,,537 darstellen, zu Beethovens Opus 127 über; die von Strauss ausgesprochene Herkunft wird von Riemann somit zumindest - und wahrscheinlich hinreichend - durch einen engen Zusammenhang belegt. Der historische Bezug der durchbrochenen Arbeit wird wiederum Dahlhaus motivieren, das an Bachs Ricercar angewendete Verfahren Anton Weberns ausdrücklich als »analytische Instrumentation« anzusprechen538, obwohl sich in beiden Fällen ein Phänomen musikalischer Fragmentarisierung niederschlägt, dessen Substanz Motivzusammenhänge bilden. Es sind mindestens 2 Gründe, die Dahlhaus veranlassen können, die begriffliche Unterscheidung auch ausdrücklich zu machen. Zum einen nimmt das Motiv im musikalischen Denken der Klassik eine zentralere Stellung als bei Bach ein, so daß die "Verdeutlichung von Motivstrukturen" im Resultat bei Bach dazu führen muß, die Geschlossenheit der Einzelstimme aufzulösen539. Umgekehrt zeigt sich die Divergenz der Satzfolien, durch die sich das Phänomen hervorbringt, aber auch in der von Riemann artikulierten Idee der »durchbrochenen Arbeit«. "Den Gegensatz von Melodie und Begleitung [.. ] durch Beteiligung aller Stimmen an der Melodieführung selbst aufzuheben,,540, setzt im klassischen Satz im Grunde keine analytische Reflexion voraus, um ein mit Weberns BachInterpretation vergleichbares Resultat, das Motivzusammenhänge zwischen den Stimmen instrumentatorisch entfaltet, hervortreten zu lassen; denn der homophone Satz ist unter der Vorgabe dieser Idee schon aus der elementaren Substanz des Motivs heraus entworfen. Folgt man dem Orgel-Paradigma Riemanns für die Konstitutution des mehrchöri54 gen Vokal- und frühen Orchestersatzes 1, dann wäre sein (gelegentliches) »Durchscheinen« bei Mahler die Wiederkehr einer historischen Substanz, die durch Bruckner, weniger durch Reger, vermittelt wird. Mit den beiden Komponisten korreliert eine spezifische Differenz von Erscheinungen des Orchestersatzes, die als »Registerinstrumentation« angesprochen werden. Schon Fritz Volbach verweist auf das Orgelvorbild, das Bach dazu

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Mahlers »Schnittechnik«

verleitet, bestimmte Instrumentalkombinationen wie ein zu Beginn des Satzes eingestelltes »Register« einzusetzen542. Hier knüpft jene Ausdrucksweise an, die das »Register«-, Modell zitiert, um die an bestimmte Instrumentalfarben gebundene stimmliche AuflöSUI~g des Orchestersatzes Regers zu erklären543. Bei Bruckner ist der Vergleich in der begrifflichen Umsetzung seines mitunter blockartigen, "kompakten,,544 Orchestersatzes begründet, der nach dem barocken Chorprinzip wie das Einschalten von Registern wirken kann. Der Eindruck verstärkt sich um so mehr, wenn diese »Einschaltungen« über den Satzverlauf konstant bleiben, wobei es unerheblich ist, ob sie als in der Regel ungemischte Farbkonstituente als eigene Stimme oder als Verdoppelung auftreten. Für Mahler erscheint eine begriffliche Zuordnung möglich, wenn sie an einem Erscheinungsbild festgemacht wird, das Kontrast- und »Block«-Bildung verbindet. Der Hinweis auf die Orgelintuition als Erklärung einer forcierten instrumentatorischen Gruppenbildung bei Bruckner kann sich historisch auch darauf berufen, daß er hierdurch die mit dem klassischen und Wagner-Orchester äußerst geschmeidig gewordene Entwicklung der orchestralen Gruppenbildung, in die ein syntaktisches Moment stets eingeschlossen ist, zurücknimmt. Da Mahler kein Organist war, andererseits aber die orchestrale, durch Instrumentation niedergelegte Syntax im Hinblick auf das Gesamtwerk noch verfeinert, liegt es nahe, vor allem solche Erscheinungen seines Orchesters, die Kompaktheit mit einer »registrierenden« Kontrast-Technik verbinden, Bruckners Einfluß zuzuschreiben. Die doppelte Distanz hält die Möglichkeit der begrifflichen Zuordnung zugleich in der Schwebe. Zwar läßt sich im Hinblick auf die Z.15f und, weniger ausgeprägt, Z.21 545 und 23f des Scherzos der 5. Symphonie eine verstärkte Gruppenbildung konstatieren, sie ist jedoch auch mit der formalen Finalwirkung begründbar. Im Zuge einer gegen Ende noch gesteigerten TuttiWirkung (Z.25, 32), die dem Niederschlag des Phänomens entgegenwirkt, demonstrieren diese Partien die Verbindung der thematischen und zuvor in kontrapunktischer Verflechtung entfalteten Elemente in der zusammenfassenden Gruppe. Um die Elemente zugleich noch präsent zu halten, muß Mahler auf farbliche Kontraste zurückgreifen546. 11

Mahlers Vorliebe für den abrupten Klangwechsel ist kein reines Instrumentationsphänomen, obwohl sie sich als solches verselbständigen kann. Diese Vorliebe auch in seinen Korrekturarten wiederzuerkennen, hat zur Folge, daß sie sich bis zur Grenze der Unmerklichkeit vermindern kann, die nicht mehr darauf abzielt, die Zäsur zu betonen. Sie gewinnt ein anderes Gesicht, das als Regulativ der Einzelstimme ihr Ein- und Austreten im instrumentalen Verbund bestimmt. Der Zusammenhang ist selbstredend gedanklich. Er spiegelt aber noch Mahlers auf Deutlichkeit ausgerichtete Auffassung von der Aufgabe der Instrumentation. Dieselben Merkmale, die sich in seiner Art niederschlagen, instrumentale Veränderungen durchzuführen, sind schon auf der Ebene des frühen Klangentwurfs [NAMH und noch EA] anzutreffen, ohne Resultat einer Korrektur zu sein. Und verfolgt man chronologisch die Veränderung der Instrumentation, dann ergeben sich durchaus Kontexte, die das Phänomen in einer wechselnden Abstufung erkennen lassen. Diese Abstufung kann zumindest als Symptom und Vorbedingung eines Zusammenhangs vom abrupten Klangwechsel bis zur nuancierten Farbschattierung, die aus dem plötzlichen Auf- und Abtreten ihrer farblichen Kontituenten resultiert, veranschlagt werden. Im Gegensatz zu dem Ideal Wagners

Mahlers »Schnittechnik«

135

wäre der Begriff dieses Zusammenhangs die Übergangslosigkeit, die als unromantisches Vorbild im Rahmen der Idee des Werkorganismus dennoch nicht »durchschlägt«. Der _ tendenzielle - Verzicht auf die klangliche Komposition des Übergangs ist vielmehr einem Bewußtsein zuzuschreiben, das Beziehung nicht aus Vermittlung hervorgehen lassen möchte. ' Der Nachweis des Zusammenhangs einer Erscheinung, die sich sowohl am Gesamtklang wie an der Einzelstimme artikulieren kann, betrifft indirekt auch die Bedeutung des Instrumentationsbegriffes. Denn er tendiert aufgrund von Mahlers unablässiger Revisionspraxis dazu, den in ihm enthaltenen Vorgang, den er547 nie verkannt hat, hervorzuheben. Ad hoc drängt sich die Funktion der Verdeutlichung auf, die zu erklären imstande scheint, warum auch nachträgliche instrumentale Veränderungen noch »den« musikalischen Gedanken ausdrücken, statt ihm - im wachsenden Maße - »äußerlich« gegenüberzutreten. Kritisch wird die Verdeutlichung jedoch in dem Augenblick, wenn wie im Fall der 5. Symphonie nac~ Mahlers. eigener Eins~?ätzug eine "faktische Um-Instrumentierung" zwing~nd war. .SIe ~aht dIe Gefahr der Uberforderung kenntlich. Als Folge eines Zirkels ginge die DeutlIchkeIt In den modus ponens über, so daß der musikalische Gedanke, der durch sie schärfer wahrnehmbar werden soll, überhaupt erst entstünde. Es ist daher auch damit zu rechnen, daß sich durch den wechselnden instrumentalen Ausdruck der Gedanke selber verändert. Im ~inale, wenige Takte nach Z.lO, schlägt sich nachhaltig das Prinzip des Klangwechsels meder. Nach formaler Analogie ist der Bereich noch als 2. Episode anzusehen, w.obei die durchführungs artige ~!Weitrung in der wahrscheinlich schwierigsten Aufgabe dIeses Satzes begründet ist, der Uberführung des heiteren Holzbläserkontrapunkts in das Blechbläser-getragene »Choral«-Thema548. Typisch für Mahlers Instrumentation ist die ursprüngliche »Klangfächerung« der Streicher [NAMH,EA]: die durch die VIa repräsentierte Hauptstimme wird differenziert verstärkt, wobei der tief-hoch-Effekt der motivischen »Quartspirale« betont wird. (Beispiel 11). Offenbar sind Auftakte und Endungen (1.VlNc) sowie die Stimmenkontinuität (2.VI) unerheblich, und die Baßstimme läßt (mit T.282) die Zweideutigkeit offen, als Endung zu fungieren. Schon aus dem unmittelbaren Kontext wird diese Möglichkeit bestätigt. Das Horn-Motiv, Abgesang des späteren »Choral«-Themas (T.74lff) »fällt« mit seiner Endung (T.282) in den Niedertakt, um das durch wechselnde Einheiten begründete Taktgerüst zu verbinden. Wenn Phrasenbildungen eine Taktstruktur ebenso inhärieren kann wie ihrer Melodie eine Harmonik, dann zählt es offenbar zum (kontrapunktisch fundier~ ten) Vorsatz Mahlers, mit der Taktstruktur - im Dienste thematischer Transformation _ Vorbereitungen zu treffen: im unmittelbaren Anschluß vergrößert er die 2- zur 4-Taktphrase und verknüpft die Taktgruppen durch eine vorrückende kanonische Halbtaktverschiebung (T.280 in T.289), die erneut dem Zweck der Verzahnung dient. Der Hörer ist allerdings schon auf das Wechselspiel zwischen Auftakt und Endung - Kehrseite der kontrapunktisch erwirkten Gruppenverbindung - aufmerksam geworden. Wenn auch durch den quasi-idiomatischen Ursprung der melodischen Gebilde gebrochen, bildet das am »Kadenzmotiv« (Hrn T.282) im Geiste einer Hommage an klassischen Esprit vollzogene Wechselspiel das Telos der Einleitung.

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Mahlers »Schnittechnik«

141

Die klanglichen Überhänge, die Mahler sukzessive reduziert (Z.ll; BlechbL: ab W·· Stp/EA-Dp, FI: St-1, aber T.179 mit St-2/NA ergänzt, Schlagwerk: komplementär mit GA, 1.VI: unis. 2.Vl [c3 bis T.181] mit GAllichten den Klang im Dienst seiner Hauptkonstituenten auf, und die Verstärkung des 112-Takt-Kanons in der Viola [St-2, NA] bezweckt si.. cherlich, den orchestralen Ambitus zu stützen (T.172ff, explizit rnit der Verstärkung der Trp T.l71). Als gelte es, eine bislang im Medium des Verschwiegenen vollzogene Beziehung ausdrücklich zu machen, stellt Z.13 - im Modus zeitlicher Koinzidenz und wieder in verhaltener pp-subito-Zurücknahme - die Identifikation her, eine Bedeutung, die sie nur aufgrund der vorausgegangenen Geschichte gewinnen kann. Vorübergehend sah sich Mahler veranlaßt, die für die pp-subito-Figur prägnante Klangbildung zu mildern, indem er die Flöten unisono mit den Violinen führte [T-IM -/W-Dp], um zuletzt [St-1: gestr.] doch wieder zu jenem Klang zurückzukehren, der sich in der Gesta1t des plötzlichen Abbmchs seines Tutti-Auftakts zu einer nahezu eigenständigen Größe innerhalb des Satzes verdichtet. Auch der Reprisenauftritt im Seitensatz (Z.21)s der trotz Auftaktabbmch anfänglich etwas fülliger erschien, wird noch weiter ausgedünnt 56. Erst die abschließende Präsentation als Kontrapunkt (Z.25), der die Figur in einen melodischen Verlauf einbindet, der ihr bislang fremd war, läßt ihre bezeichnende klangliche Gestalt verschwinden, zudem (nach Z.13) in einer Variante, die den virtuellen Quartvorhalt aufhebt. Mahler hält somit an einem Kontrast fest, dem offenbar auch die Aufgabe zukommen soll, in Verhaltenheit eine formale Bedeutung zu signalisieren. Die nach dem Intervallmuster der Dehnungsfigur gebildeten Varianten des Durchfiihrungsthemas stehen zweimal (T.l71ff, Z.14) vor Entwicklungen, die in Einblendungen des Trauermarsches zurückfallen. Die dritte (Z.17) mündet in das Pesante als »protentionalen« Durchführungshöhepunkt. Er entwirft zukünftigen Horizont. Umgekehrt, und zwar gegenläufig, macht es ihnen die Dehnungsfigur zuletzt gleich (T.372), indem sie nahezu ein Zitat einleitet (T.392ff, 1.Trio): Ausdruck der gemeinsamen Beziehung und formalen Zirkularit~, die dur~h den U~stand gestiftet wird, daß die von der Dehnungsfigur geprägten Klangblldungen m ExpositIOn und Durchführung ursplünglich den Trauermarschteilen selber entstammen. Der Zusammenfall mit dem »Durchführungsthema« (Z.13) erscheint dann als Wendepunkt, mit dem sich die melodische Figur, ausgelöst durch die Identifikation ihrer Her~nft, von i~re formalen Repräsentation (des Trauermarschtypus ) zu lösen beginnt. Erst m der Repnse vor dem letzten Anlauf zum »Choral« (Z.25) erscheint diese Isolation durch die Variante vollzogen. Der vorhergehende, klanglich noch originäre Auftritt (TA08f) ist zum ersten Mal nicht mehr Ausgangspunkt einer offenkundigen Replik und erinnert nur durch Rückspuren, als deutlichste die tonale zur Trauermarsch-Reminiszenz der Durchführung (Z.12), an seine Herkunft. Im Einzelnen, in seinem Rückzug von bereits verankerter formaler Geltung, zuletzt sogar im augenscheinlichen Verschwinden kristallisiert sich . ' sormt ?as G~nze, soweit es durch die beiden Grundcharaktere vertreten angesehen wird. Gememsam 1st den gedehnten Klangfiguren damit aber auch, daß sie nicht nur als Komplemente einer motivischen Beziehung eine formale Funlction tragen, sondern mit ihr auch Ausdruck der Entwicklung selber annehmen: direkte Mimesis, die einem Atem-Holen am nächsten kommt, und in der motivischen Beziehung mit den Trauermarsch-Einschüben,

142

Mahlers »Schnittechnik«

die den alternierenden Instanzen folgen, auch Anzeichen des gleichsam noch nicht »Überholten«. .'

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Der Versuch, Mahlers Phrasierungs- oder »Schnitt«-verfahren mit seiner Durchführungstechnik in Korrelation zu setzen, drängt sich auf, weil aus ihrem Blickwinkel die Möglichkeit, ein motivisches Element in einen neuen melodischen Kontext zu versetzen, ebenso »natürlich« und konsequent wie der gebräuchlichere konträre Fall erscheint. Die »Ab spaltung« und Reihung (T.246ff, 295, 306ff) nimmt eine Möglichkeit wahr, die vorgezeichnet erscheint und (nach Z.21, Trp) der Klangbildung selber schon innewohnen kann. Der theoretische Bezug zur analytischen Instrumentation legt sich in diesem Beispiel am nächsten, da Mahlers Verfahren hier Motivbezüge freizulegen sucht, die an den Stimmverläufen selber nicht unmittelbar erkennbar sind. Und es scheint, als käme es ihm darauf an, in spezifischer Weise musikalischen Raum zu schaffen, jedoch in gänzlich anderem Sinn als der durch Architektur bewirkte bei Bruckner557 : indem er sich auf eine scheinbar entlegene Motivbeziehung einläßt, um sie allmählich in das Zentrum des Geschehens zu überführen. Nicht weniger spiegelt sich diese Absicht in der Möglichkeit, Nebenfiguren des orchestralen Gefüges (die Nonenfigur) plötzlich thematisch hervortreten zu lassen, um sie wieder die Ebene wechseln zu lassen. Die Einleitung der Episode im Scherzo läßt sich unter einem anderen Gesichtspunkt, der Auswirkung auf Rhythmus und Metrum, betrachten. Vom Hornton getragen, bildet sie eine der Bedingungen, in der sich die zwischen formaler und instrumentatorischer Anlage schwankende Aufgabe des konzertanten Solo-Horns behauptet. Es ist der Kontrast der periodischen Episode - ein Merkmal, das Monika Tibbe auch für ihren Liedcharakter in Anspruch genommen hat558 - zu der vorhergehenden, in der Revision verstärkten rhythmisch-metrischen Verwicklung, der die Analyse motiviert. (Der Entwicklungscharakter, der dem allmählichen Aufbau des Episodenthemas gilt und eine klare Zuordnung schon als 2.Trio verhindert559, obwohl die thematischen Elemente dort exponiert sind, erweckt mit dem Anknüpfen an das Einleitungsmotiv des Scherzo-Themas (T.l/Z.9) den Anschein, als gelte es, in das Scherzo rückzuleiten. Auch die beiden Taktgruppen T.257ff entstammen dem Scherzo (T.48f). Mahlers »freie Versatztechnik« macht die Rückleitung zwar nicht manifest, sie stellt jedoch in den Motivvarianten des einleitenden Hornrufes die Elemente bereit, in denen sich die metrische Verwicklung zuletzt am deutlichsten niederschlägt). Erst allmählich stellt sich eine Konkurrenz der Taktgruppen her, die mit Übernahme des Episodenthemas durch die Holzbläser (Z.9) offenkundig wird. Vorausgegangen war ein Wechselspiel zwischen dem ursprünglichen Trompetenruf (T.222f)560 und dem »abgestossenen« Themenkopf, die Mahler zunächst ganz ihrer einfachen Konstitution gemäß in 2-taktiger Ablösung (T.222ff, 228 »überzählig«) oder Reihung (T.229ff) präsentiert. Mit W-Dp tilgt Mahler das Unisono VIa (T.218-223 [= NA]), mit St-l erweitert er das Unisono 2.VI (um T.226 [NAMH: T.224f fehlt]) und streicht die 1. VI (T.224-226). Bestätigen die Streicherfiguren, die mit der schlichten quantitativen Taktgröße verfügbar sind, einschließlich der ab EA-Dp eingeführten dynamischen Staffelung (T.218) zunächst eine einfache 2Taktgruppierung, so durchkreuzt ihre den Änderungen entstammende Durchbrechung zuletzt dieselbe Konstitution mit den Haupt[bläser]-stimmen. Die LVI unterstützt die verlängerte Endung (T.227f), statt sich dem Ruf (Trp ab T.226) anzupassen, der in seiner

Mahlers »Schnittechnik«

143

Endung einer Stimmführungsfusion selber unterliegt. Das Unisono mit EHrn läßt seinen Kopf wie interpoliert erscheinen. Die vorübergehende Reorganisation [2 + 2 + 3], für die die Holzbläser-Übertragung des Rufes verantwortlich zeichnet (T.229-235), führt zu einer direkten Konfrontation (die '1' des Themenkopfes »fällt« jeweils in die '2' des Rufes [T.237, 239]), wobei der Ruf auch in die bislang grundierenden Streicher (LVI) übergreift. Mahlers Bearbeitung läßt sich zum einen auf die Absicht zurückführen, durch Vereinfachung die farbliche Distinktion der 561 Stimmen so groß wie möglich zu halten (nur vorübergehend [M-/W-Dp, St-l] Fag unis Vc, Kb T.229-235;2.VI T.229-235 [=unis VIa] gestr.; F12-4 T.237-240 [=unis EHrn, Klar, LVI] gestr.). Dieser generell zu beobachtende Aspekt Fag] gestr.; 2.Trp T.236-240 [=uni~ verbindet sich aber auch mit der Ubertragung der kontrastierenden Gruppierung in die Streicher, die hiervon ursprünglich nicht in dem Maße berührt waren. Das plötzlich aussetzende V c (T.236-240 unis. VIa gestr. [St-l]) wird für die Übernahme der unmittelbaren Einleitung des Episodenthemas frei (Pos T.238-240 gestr. [St-l]; der traditionelle Überhang Ob, Klar T.236 [=unis. FI], in nuce ein Exempel des »Schnitt«-Verfahren Mahlers, erscheint in St-2 [GA] gestr.). Schon in der EA-Version kontrastierte Mahler die Gruppierung der Holzbläsergrundierung mit der konstitutiven Hauptstimme des erstmalig erklingenden Hornthemas [4 + 2 + 4].Die Bearbeitung strafft, ohne das Verhältnis aufzuheben. (Beispiel 13). Mit dem Eintritt des Episodenthemas verändert sich schlagartig die Klangbildung. Es entsteht ein reiner Bläsersatz, da die Holzbläser mit dem Taktstrich die aussetzenden Streicherfiguren übernehmen. Der Ruf wird mit einfacher Reduktion (statt komplizierter Farbbildung durch hohes Fag, EHrn und Hrn)562 durch die Trp verkörpert, und er bereitet die anschließende Transposition des Episodenthemas vor. Der eigentümliche eintaktige Einsatz EHrn (T.248, ab T -Dp gestr.) diente Mahler offensichtlich nur dazu, die zum Episodenthema konträre und in den Phrasierungsbögen auch angezeigte Gruppierung zu markieren: in der »Begleitung« vollzieht sich eine Rückwendung zum thematischen Ursprung (Z.2/8), der mit der plötzlich (hier nur für einen Tak~ solistisch auftretenden LVI über die stete Ver4 kürzung der Einheiten [4 + 3 + 3 + 2 + 1( 563] erreicht ist. Die metrische Kontraktion spiegelt eine »im innern« vollzogene Rückbesinnung, die auch im Hrn ausdrücklich wird: es ruft - in steten Varianten, die offenbar nicht zum Ziel gelangen - den Scherzo-Beginn (T.l) herbei. Als scheinbarer Reflex auf den Vorgang, mit dem sich die »Begleitung« zugleich metrisch und thematisch verdichtete, reduziert sich aber auch die Adaption des Episodenthemas durch die Holzbläser auf seine Endung [4 + 2 + 1(3), Z.9]. Seine Gruppierung wird von der durchbrochen 2-taktig eingeblendeten 2. VI, VIa - sie tilgen den Auftakt ihrer Herkunft T.48f - »überschnitten«. Daß Mahler (im Zeichen seiner Stimmführungsdisposition) das Fag zunächst gegen seine Phrasierung (T.256f) streicht (T.252-256 [T-Dp]), ist wohl vor un~stige Lage zuzuschreiben [abSt-l T.257-260 gestr.], um aber meinallem ~einr sam nnt der StreIchung der FI auch auf die dynamische Balancierung hinzuweisen5 . Nicht nur der ein wenig aufgeregte, von den halbtaktigen Streicherfiguren unterstützte565 »Dialog« von Hrn und Pos erweckt den Eindruck, daß die Musik gleichsam »aus dem Tritt gerät«, indem die motiv-immanente Betonung (ab T.260) durchlaufend jede Zählzeit ausprobiert. Das metrische Schwanken, das offenbar dem Versuch gilt, den verlorenen Takt-

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Mahlers »Schnittechnik«

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rhythmus zu wiederherzustellen, spie~lt sich vor allem in Mahlers Bearbeitung, die den Vorgang in den Holzbläsern verstärkt 66. In bewußtem Verzicht darauf, den Sekundkopf des Episodenthemas anzuspielen, der schlicht einschließlich Überhang - nun allerdings musikalisch konstitutiv - per Taktstrich herausgenommen wird [St-2], übersetzt Mahler den alternierenden Taktrhythmus »ins Große«, als Zählzeitensprung des sf-Hauptakzents. Offensichtlich richtet er sich zunächst nach der Pos, die das Modell repräsentiert, um beim zweiten Durchlauf (T.266ff) mit ausdrücklich auf 2. Zählzeit verschobenem Akzent auch diese Koinzidenz fallen zu lassen. In einem anderen - nicht akustischen - Sinn ist die Hornsequenz (Z.lO) direkter »Nachhall« (oder Reflex) dieses Prozesses,indem seine Einsätze den vorausgegangenen Betonungswechsel der Zählzeiten rückläufig wiedergeben567. III

Das Ausmaß, in dem sich allgemeines Prinzip und besondere Anwendung in Mahlers Phrasierungsverfahren verschränken, macht es kaum möglich, den gemeinsamen Nenner zu formulieren. "Das plötzliche und unvermittelte Abnehmen des melodischen Verlaufs zwischen den einzelnen Instrumenten,,568 ist zwar das der Erscheinung nach Durchgängige, aber seine Bedingungen wechseln. Und so wenig es offensichtlich ein reines Korrekturphänomen darstellt, um vielmehr auf Mahlers orchestrale Vorstellung hinzuweisen, so nachhaltig läßt es sich umgekehrt auf sein Deutlichkeitsideal zurückführen569. Mit diesem Ideal können sich sehr unterschiedliche Aufgaben verbinden, die keineswegs nur um das von ihm erhobene Postulat des »reines Satzes«570 ranken, das selber als Voraussetzung des eigentlichen Zieles, einer an das vokale Vorbild angelehnten Kantabilität dient. Immer in engstem Kontakt zum formalen Aufbau stellt das instrumentatorische Verfahren Beziehungen zwischen der Motivbildung und Harmonik (Rondo) oder einer noch strukturell gebundenen expressiven Koloristik (2. Satz) her, und zuletzt zwischen Metrik und Instrumentation, die gemeinsam die Episode fundieren und formaler Konzentration entgegegenwirken (Scherzo). Mahler zeigt sich in dieser Technik, offenbar gegen seinen Willen, auch als ein Neuerer. Die Frage, ob die instrumentale Phrasierung im Orchestersatz zum Jahrhundertende, und sei es auch mittelbar - durch das Festhalten an Endungen, Auftakten und die Rücksichtnahme auf Metrum und Taktordnung - noch dem vokalen Vorbild folgt, wenn sie nicht bloße Füllfunktionen übernimmt, muß nicht endgültig entschieden sien. (Eine Beantwortung hätte vor allem unabhängig zu klären, ab welcher Grenze instrumentaler For mulierung eine »Füllfunktion« vorliegt, die von der Notwendigkeit der Phrasierung nach vokalem Muster - im Extrem sicher bei instrumentaler Figuration - entbände. Sie hätte aber auch zu klären, nach welchem paradigmatischen Klangideal seine Erfüllung stattfindet Wagners Technik des »Überhangs« wird in der Regel nicht unter dem Aspekt einer "selbständigen" und für sich sinnvoll "melodischen,,571 Phrasierung wahrgenommen, sondern unter dem Gesichtspunkt höchstmöglicher Klangfülle und -verschmelzung).

Mahlers »Schnittechnik«

148

Die Formulierung der Frage ist ohnehin schon erheblich weiter gefaßt als Mahlers eigenes Postulat der "Kantabilität in allen Stimmen", so daß "auch das Fagott, die Baßtuba, ja selbst die Pauke gesanglich [zu] sein [hat]", erst recht, da die "[technischen] Unvollkopimenheiten der Naturinstrumente,,572 überwunden sind. In diesem Punkt im Kern tnit Strauss übereinstimmend, verschiebt sich das Phänomen nach seiner eigenständigen oder defizienten Beurteilung. Mit Blick auf Wagner und die Vorgeschichte des Orchestersatzes urteilt Mahler selber retrospektiv, um - wenn auch nicht immer - entgegengesetzt zu komponieren. Indem von seiner instrumentalen Formulierung abgesehen wird, mag der Satz tatsächlich »rein« vorhanden sein, in Bezug auf die real erklingende Einzelstimme kann aber von Kantabilität - bei einem unterbrochenen Unisono, einer Auftaktabfärbung oder einer »verschluckten« Endung - nicht mehr die Rede sein. Die für sie konstitutiven Merkmale scheinen verletzt. Soll Mahlers Ausspruch trotzdem gelten, so ist er als Prinzip zu bewerten, das nicht beständig gleichermaßen präsent sein muß, um dennoch nicht aufgehoben zu sein. Er drückt vielmehr eine Disposition aus573. Umgekehrt bleibt die Technik als ein Organ der Deutlichkeit und als ein Phänomen, das kantable Merkmale verneint, eingeschränkt, solange sie ihre Anwendung nicht merklich zum Vorschein kommen läßt. In der Regel »verschwindet« das Phänomen, da es schon seiner Konstitution nach am Satz partizipiert. Stimmführungen wie die der Klarinette im Scherzo (Z.ll) der 4. Symphonie, deren melodische Elemente durch farblichen Wechsel in der letzten Bearbeitung [GA] aufgefächert und hervorgehoben werden574, widersprechen einer solchen Behandlung von sich aus nicht. Dies gilt sogar auch für dieselbe Behandlung einer Instrumentalstimme, die auf eine vorgebildete vokale Stimme zurückgeht. Die durch die Holzbläser vollzogene Aufsplitterung - es fällt schwer von einer motivischen Zerlegung zu sprechen - der l.Violine im l.Kindertotenlied (Z.8) 75 erscheint vielmehr als eine extreme Polarität, die, ohne die stimmliche Einheit zu gefährden, die Melodie bis nahezu an die Grenze ihrer intervallischen Konstituenten zerlegt.

s

Das reflexive Moment, das in diesem Verfahren steckt und das als ein im Kern analytisches die Einheit durchaus nicht immer unversehrt läßt, verweist auf die Synthesis des Orchesters selber. Im klassischen Orchester erscheint sie - im idealen Sinne - als Voraussetzung und Resultat zugleich. In der Strecke zwischen Eröffnungs- und Schlußtutti hat sich die Einheit des »Organs« im Vollzug zu behaupten, um eine Erfahrung zu gewährleisten, die anfangs nur »gesetzt« und finaliter bestätigt erscheint. Der Grad, mit dem sich Mahler der Deutlichkeit zuwendet, akzentuiert die Synthesis als eine im höheren Maß kritische. Mitunter resultierende klangliche Härten lassen sich für die Evidenz dieses Übergewichts beanspruchen, das selber auf den »Erfahrungshorizont« des Kapellmeisters verweist. Für ihn ist orchestrale Einheit vorwiegend ein Produkt der Erziehung, das nicht sich selbst überlassen bleiben kann. Er muß die Einheit voraussetzen. Ihre Erfüllung als Idee beinhaltete aber, obgleich nicht analytisch quantifizierbar, eine freie Entfaltung, die diese Einheit als nicht immer schon gegeben erscheinen läßt. Das gemeinsame Prinzip der Deutlichkeit begründet somit einen Blickpunkt, der das klassische Orchester in seiner spezifischen Differenz zu Mahler erkennbar macht. Indem er dieses Prinzip verschärft, verstärkt er auch den »intentionalen Charakter« der orchestralen »Synthesis«. Die Einheit ist dem Orchestersatz nicht bereits immanent, sondern weist über sich hinaus, als ein Resultat, das erst durch die Wahrnehmung zu leisten ist, und, in Gegenrichtung, in der Vorstellung des Autors dem Anschein nach vorausliegt. Und so scheint es, daß in Mahlers Vorstellung des Orchester-

Mahlers »Schnittechnik«

149

satzes, dessen »Schnitt«-Technik sich einer "Klangfarbenphrasierung,,576 nähert, der Dirigent und Komponist miteinander im Wettstreit liegen können, und erst der Revisionsprozeß sie im nachhinein in Einklang zu bringen versucht. Ergänzend sei angemerkt, daß sich Mahlers Orchesterauffassun-r,in diesem Punkt am deutlichsten von der Wagners unterscheidet. Folgt man Egon Voss5 ,so rechnet zwar auch Wagner mit einem "Verein bestimmter Individualitäten", die I nstrumentation zielt aber dahin, die Tatsache des komplex zusammengesetzten Orchesters generell nicht ins Bewußtsein zu erheben. Indem er seine "Kunst des Übergangs" entfaltet und die Konstitution der Klangfarben verschleiert sowie die Klangbildung durch Verschränkung und tendenzielllückenlosen harmonischen Aufbau innerlich verklammert, sucht er die Erinnerung an diesen "Verein" vergessen zu machen. Der "Verein" des Orchesters Wagners ist - in scheinbar diametraler Entgegensetzung zu Mahler - auch das Produkt gesteigerter Technologie, in der der Soziologe Adorno das aufkeimende Zeitalter wiedererkannte. Seine Einheit als Wahrnehmungs instanz ist jedoch keine über das technische Moment in Spannung versetzte, sondern umgekehrt dadurch gesicherte, die sich bis zur Suggestion verdichtet.

Der Trauermarsch

150

3. l.Satz - Trauermarsch Im Trauermarsch dokumentiert sich eine Spannung, die die Instrumeaio~g­ schichte ebenso wie ihre Lehrbücher bestimmt: die Orientierung am instrumentalen Ausdrucks charakter oder der Struktur der Klangbildung. Die Polarität bildet einen Kontrast, keine Disjunktion. Das zuletzt erwähnte Zitat Mahlers, das die Gültigkeit einer gesanglichen Stimmführung (um des »reinen Satzes« willen) hervorhebt, läßt sich auf ein historisches Moment zurückführen, dessen Selbstverständlichkeit auch für sein Verschweigen verantwortlich sein dürfte. Ausdrücklich erwähnt er während der Komposition des Scherzos gegenüber Natalie Bauer-Lechner, "die einzelnen Stimmen [seien] so schwierig zu spielen, daß sie eigentlich lauter Solisten bedürften,,578. Die Ursache bildet das in diesem Satz auf die Spitze getriebene Prinzip, jede thematische Gestalt auch von nahezu jedem Orchesterinstrument zu verlangen. Obwohl auch Strauss dieses Prinzip teilt, hat es bei Mahler eine andere Konsequenz, eine "Entstofflichung" oder lILoslösung von materieller Gebundenheit,,579, unter der Schäfers die vor allem aus der Opernpraxis herrührenden instrumentalen Ausdruckscharaktere versteht. In dieser orchestralen Variabilität, die auch Mahlers Korrekturpraxis einschließt, schlägt sich zugleich seine Distanzierung von der 580 Farbe als Ausdrucksträger nieder, die er stattdessen als »Strukturwert« bevorzugt . 581 Dennoch »ragen« in sein Werk - einen Gedanken Eggebrechts verfolgend - »idiomatische« Gestalten hinein, die durch Tradition verfestigte Assoziationen mit sich führen. Mahlers in der EA-Dp eingeführte Fußnote582 zur einleitenden Trompetenfanfare spiegelt den Sachverhalt in doppelter Hinsicht. Obwohl sich ihr Bedeutungsgehalt nicht in der Benennung erfüllt, macht sie die Assoziation durch die Bezeichnung ihrer Herkunft definitiv. Die Note spiegelt aber auch die artifizielle »Brechung«, mit der das präexistente Element in den symphonischen Kontext aufgenommen wird, da sie sich ausdrücklich nur auf die "Auftakt-Triolen" bezieht. In der österreichisch-ungarischen Armee waren zu Mahlers Zeit offensichtlich noch keine Moll-Fanfaren in Gebrauch, obwohl die Militärmusiken längst die Ventilinstrumente aufgenommen hatten583. Schon daß Mahler zwischen 'Thema" und "[Art der Militär]Fanfare" unterscheidet, evoziert eine Differenz, die generelle Geltung besitzt, obgleich sie in diesem Satz weniger zum Tragen kommt. Die Konstanz, mit der sich das Finalthema der 5. Symphonie in ihrer Rezeptionsgeschichte als »Choral« behauptet, haftet zum nicht geringen Teil an seiner instrumentalen Blechbläserpräsenz, die sich ihrer satzimmanenten Herkunft aus einem Holzbläserkontrapunkt scheinbar entledigt, und die dennoch der Instrumentation des Satzes auch die Aufgabe stellt, diese Distanz zu vermitteln. Die thematische Transformation ist somit nicht nur im Kontrapunkt, sondern auch den Weg der Klangverwandlungen zu verfolgen, in den sie verwoben ist. Gleichwohl ist diese Geltung ästhetisch zu modifizieren; denn die Transformation bewegt sich - im Zeichen einer Spannung zwischen innerer Anlage und äußerer Erscheinung - zunächst an der Grenze der Unmerklichkeit584, um diese sukzessiv zu vergrößern. Eine Stelle, in der sich Ausdruck und Struktur nahezu gleichwertig begegnen, und die auch als erste von kontinuierlichen Veränderungen betroffen ist, bedeutet der schon erwähnte Beginn des Trios, Z.7. (Der Hang des Satzes zur charakterisierenden Instrumentation, den schon die Schlagwerkbesetzung widerspiegelt, zeigt sich in den Varianten der überwiegend dunklen und häufig gedeckten Farben, denen die Dur-Interpolationen der Holzbläser-Unisoni das konträre Kolorit beisteuern; exemplarisch Detail im Ausklang des 1.Marschteils585).

Der Trauermarsch

151

EA-Dp:

Ob, VIa T.154funis. PI, VI [p-ff, ab T-D~ cresc586, NA sf-cresc-ff (VIa, Ob ohne cresc und FI bleibt p-cresc [ = G.~t 7)]; 2. VI T.156-158, 160-162 unis. 1. [=NAMH, imBürstenabzuggestr.]5 ,sempre ff, decresc LVI T.159 gestr.; VIa, Ob T.159 unis. VI, ff [Ob=NAMH]; Pos T.155 sempre gestr., T.156f decresc-mf, T.16lff jeweils ff-decresc;

T-/M-Dp:

Hrn 135 T.159 gest. unis. VI, T.161 offen [nur T-Dp VIa T.159 gestr.];

W-Dp:

Hrn T.159 fehlt (vermutlich Kollationsirrtum); Fag, KFag!Vc, Kb T.155ff decresc-ff, T.161 ff[/sf]; 1.VI trem T.159 gestr.; Trp T.161 a2 gestr. [nur I. wie zuvor]; Tub T.161 f; Hrn 135 T.161-171, 246 T.161-164 gestr.;

NA

2.VI T.156-160 1.Viertel gestr.;1.VI T.156f decresc mf, T.159 AchtelpausenArtikulation; Tub T.155-160 gestr., T.165-171 gestr. (stets unis.Kb), T.163f dim-p; Hrn 1-6 T.161 ff, gest., T.165 2.Viertel - T.l71 gestr.; Klar T.163f decresc-p, T.l64 Viertel statt Ganze; 2. VI T.165-170 unis. 1. gestr., T.164 dirn; V c, Kb T.165 ff; Pos T.165/169 um angebundene Viertel verlängert; die übrigen vorausgegangenen Änderungen bleiben bestehen (insbesondere VIa T.159 gestr.);

GA

1.VI T.156f decresc-mf, T.159 ff gestr. [= St-2].

Die Instrumentation belegt ebenso eine Tendenz zum »Spaltklang« (Schering) wie zum Ausdruck (als Mimesis), repräsentiert in den beiden Hauptstimmen. Die schon von 589 hervorgehobene Rückwendung Mahlers zum barocken Solo-Gebrauch der Schäfers Blechbläser, vermehrt der Trompete, steht im Zeichen scharfer Abhebung. Die übrige Klangbildung ist jedoch überwiegend in Färbung (»Hintergrund«) und vor allem dem instrumentalgebundenen Affekt der Geigen dem Marsch-Idiom zuzuschreiben. Ihr Lamento bleibt - auch für die kurze Wiederkehr im 2. Satz - unübertragbar, wenngleich es sich von seiner chromatischen Konstitution her in sehr viel reflektierterer Gestalt auch in den Beziehungen der Ecktöne und Endungen der kontrastierenden Trompete wiederspiegelt. Den Hohn des Kunstgenusses, den seine Zeitgenossen offenbar empfanden und den ihm ein Kritiker im Ton der "Biergarten-Trompete,,590 bescheinigen zu müssen glaubte, drückt auch eine Spur mangelnder Distanzierung selber aus, die einer dem klassichen Kunstwerk entlehnten Ästhetik entstammt. Mahlers Überarbeitung gilt - im Zeichen einer Distanzierung durch Gestaltung ernüchternder Transparenz. Er verstärkt wie ursprünglich vorgesehen [NAMH] die 1.VI durch das Unisono, um es mit der sukzessiven dynamischen Zurücknahme der Baßstimme und Harmonie für den Beginn wieder zu streichen. Die Hervorhebung der Binnenendung war zu stark, und er beläßt sie bei einer gemilderten Umfärbung. Das Verhältnis zwischen Hrn und VI (T.161ff NA) belegt, daß ihre parallele Handhabung überwiegend dynamisch begründet ist. (Ebenso bleibt die 2.VI T.174-177 [= EA-Dp D. Das beibehaltene Unisono kontrastiert zum harmonischen Grund im gestopften Hrn, dessen Liegeklang - in charakder gesamten Symphonie - mit der Vereinfachung (LVI teristischer W.eise für die Revi~.on T.165ff) gestnchen wird. Die Anderung unterstützt aber auch die dominant eintretenden

152

Der Trauermarsch

Hlzbl. Die Orientierung am Taktstrich, die als Korrektur-»Schnitt« für die 2. VI jegliche Metaphorik ablegt, ist an deren Figur schon konstitutionell beteiligt. Auch die Ökonomie des zweiten Anlaufs (Z.9), die das Partiturbild der GA gibt, ist eine Folge mehrerer Eingriffe und Streichungen. EA-Dp:

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Hrn T.190 precipitato, cresc; Pos T.189f p-[cresc]-mf, T.194 decresc; 591 VIa/FVOb/Klar T.194 cresc ;

T-Dp/M-Dp: Ob T.190-192 gestr., 189 Halbe; LVI T.193 gestr.,2.VI T.194 1.-3.Viertel gestr.;Vc T.194 cresc gestr.; Fl, Ob, Klar T.193f sempre ff, Sch.auf; 2.4.Trp T.193 gestr.; Pos 1-2T.193fdimmf(M-DpAkzente T.194), Pos-3, Tub T.193f f-dim-p; ab M-Dp: Pesante / a Tempo W-Dp:

Klar T.190-192 gestr., T.189 Halbe (BRS); Hrn 246 T.189-194 gestr. (BLS), vorher Hrn 1-6 T.194 p; kein Sch.a. Hlzbl T.194;

NA

Streicher T.189ff Stricharten, "Bogen wechseln"; LVI T.194 unis. Fag, Vc; 2.VI T.194 unis.FI-Klar, Via; Via T.194 cresc gestr.; Pos, Tub T.194 cresc;

T-Dp/M-Dp: FI T.195-200 unis. LVI, T.20lf d 1 [= GA], p-cresc-ff; Ob/Klar T.195-202 . gestr.; Fag T.195-202 unis.KFag, FVOb/Klar T.209f gestr.; Via T.202 unis. 1.VI (6 Achtel), T.203ffbleibt; Hrn 135 T.209 2. Viertel-21O gestr. und an Hrn 246 (M-Dp: unis. ohne Streichung [=NAMH]); W-Dp:

V c/Kb T.195f dim-p, T.198 cresc, T.200 sempre ff gestr., T.201 cresc; Hrn 135 T.196, 2.Achtel-201 gestr., T.202 l.Solo; LVI T.202 cresc gestr. und dim; FI T.203, 2.Viertel-21O gestr.; Ob/Klar T.203 p subito, T.204f cresc-ff; die übrigen Änderungen wie T-/M-Dp (Hrn T.209f=T-Dp);

NA

2.VI T.196 2.Viertel-200 gestr. [NAMH : 2.VI unis 1. auch T.20lf, EA-Stp gestr.],1.VI T.196 p gestr. Ob/Klar T.202fp-cresc-f; Hrn 13 a2 T.202, VI 1-2 T.206f dim statt molto cresc-ff, T.208 cresc; V c T.206f dim-ff, cresc T.207 gestr.; Ob/Klar T.208 gestr.; Via T.209 gestr.; Kb T.2lO unis. Vc (Auftakt); Hrn 246 T.2lO letzten 3 Achtel (Auftakt) gestr.; Pos T.21O Überbindung 1.Viertel, ab 3. unis. Vc (Auftakt);

GA

2.VI T.195 2.Achtel-196 gestr. (Anpassung an Via); 1.VIfT.198 gestr., Vc/Kb T.198 viel Bogen gestr; Fag/KFag T.195 2.Achtel-202 gestr.; Hrn 246 T.199 sempre ff gestr.; Kb T.21O P arco (ergänzt); Pos T.21O gestr. (Auftakt);

Die durch den Übergang motivierte doppelte Auflistung gibt einen Vorgang wieder, in dem auch historische Momente wiederzuerkennen sind. Die Änderungen zeigen deutliche Konsequenz, so daß eine Schrittfolge in einfacher oder verwickelterer Form hervortritt, wobei die Lautstärkeverhältnisse als Regulativ erscheinen. (Die verwickelte Form erscheint hierbei durch Voraussetzungen geschaffen, die erst mit Änderungen im Zuge des Revisionsprozesses eintreten). Mahlers Sensibilität für die formale Grenze dokumentieren die Änderungen vor Z.9. Dem Crescendo im Hrn [EA-Dp] folgt eine schrittweise ein-

Der Trauermarsch

. 153

geführte Reduktion des Hlzbl-Unisonos (T.190ff[T-/M-Dp, W-Dp]) und eine Markierung der Stricharten (Str [NA]). Unmittelbar vor dem Neuansatz (Z.9) begleitet eine dynamische Senkung der tiefen Bbl die Streichung der eintaktigen ausnahmsweise selbständigen Trp und der durchbrochenen VI. (Mahler respektiert hier die Phrasierung der 2.VI T.194f mit ungestr. a). Erst das neu eingeführte Crescendo (Posffub [St-1/NA] T.194) korreliert mit der wiedereingeführten verschränkten VI. Ohne dies logisch zu erzwingen, führt Deutlichkeit zu Vereinfachung. Die folgenden Änderungen scheinen mittel- oder unmittelbar auf die Tilgung der an den frühen Verdi erinnernden nachschlagenden Hlzbl/Hrn-Begleitung rückführbar592. Im Resultat erzeugen sie ein ökonomisches Klangbild, das in seiner Klarheit programmatisch wirkt: einfach dargestellte Zwei stimmigkeit auf einfacher Harmonie (Hrn) und Baßstimme. Ihre Balancierung motiviert die Schrittfolge, in der sich nachhaltig die Erfahrungsinstanz niederschlägt. Sie hat auszuloten, wie stark die Harmonie und Baßstimme bei dem FI-Unisono bleiben muß. Erst die 2. Reduktion der Harmonie (1.Hrn-Hälfte, T.196ff [WDp]) und die Streichung des VI-Unisono [NA] ziehen die Tilgung der vorübergehenden Baßverdoppelung [Fag, T-Dp bis NA] nach sich. Die Baß-Behauptung ist hier aber in stärkerem Maße - als Hauptbürge des Marsches - satzbedingt. Mahlers Liebe zum Detail markieren die Übergänge: die angesetzten Auftakte in der VIa(T.202) und in Fag und Kb (T.210), dessen Durchhörbarkeit die eintaktige Streichung des Via-Tremolos bedingt, und der mit den Pos - abgesehen vom kritischen Ansatz - zu stark war. Der Gegensatz von Fag und Via (T.203ff) - Liegestimme und Tremolo - demonstriert, daß Mahler diesen alten im Tutti besonders wirksamen Kontrast sehr wohl noch respektiert, ihn aber keineswegs wie seine Zeitgenossen zu verfeinern sucht. Das letzte Detail, an dem sich seine Art zeigt, der Notwendigkeit der Klangverbindung nachzukommen, bildet das durch nachträgliche Streichung (T.203ff [W-Dp]) isolierte FI-Sprungintervall. Es markiert die durch die Trp dominierte Taktgruppe und verklammert das Ob/Klar-Unisono. Rudimentäre Überlappung soll sich dennoch (auf der dynamischen Differenz [FVcetera]593) deiktisch behaupten. Im 2. Trio tilgt Mahler die synkopierte Harmonie vollständig, aber nicht auf derselben chronologischen Stufe (Z.16f, überwiegend ab St-1; Klar/Fag T.337-344, Z.17 T. 357364 inklusive einschalteter Tremoli). Er verzichtet somit zwar darauf, mit dem Zitat des harmonischen Elements einen doppelten formalen Bezug - zum 1. Trio und zur internen Wiederholung (Z.16/17) wachzuhalten, seine Entscheidung ist aber dennoch wohlbegründet. Die Grobheit der harmonischen Akkordfüllung wirkt im Kontext der im 2. Trio (Z.15) eingeführten Figur, die wie die Solo-Pauke dem Fanfarenrhythmus entstammt und harmonischen Zweck erfüllt, amorph und - nicht im akustischen Sinne - verdeckend. Zudem ist die Hlzbl-Farbe nicht der alleinige Repräsentant, so daß die Akkordkette rudimentär in der Letztgestalt erhalten bleibt (VIa/Vc T.359f,363f). Mahlers Interesse gilt jedoch zunächst nicht der Tilgung dieser harmonischen Führung, sondern - in einer Übergangslösung - der Verstärkung der Hauptstimmen. (Beispiel 14) Die abgebildeteten Partiturseiten [T-IM-Dp]594 belegen, daß Mahler zuerst das mit Harmonie und Baßstimmenverstärkung betraute Hrn streicht und in die Via und V c legt, so daß die thematische Stimme des V c (T.353-357) für seine Auffassung in charakteristischer Weise die Trp übernimmt [bleibt bis GA, T-/M-/W-Dp T.355ff fp-cresc-ff; in T-/MDp Unisono-Verdoppelung statt Übergabe]. Die Hrn-Farbe wird frei für die thematische Führung in 1.3.Hrn [EA-Dp: ffT. 349], die er zusätzlich nur in T-Dp in die Ob legt [M-Dp:

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154

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Der Hauptsatz

EA-Dp:

Tamtam T.428ff stets p; Posffub T.434 cresc-sf-de-cresc; Beck T.449, 453 tr, sf gestr., p;

T-Dp:

1.2.Trp T.436-443; 1.3.Hrn T.442f Halbe statt Ganze cresc gestr.; Pos 1/2 T.444-453 gestr., unis. Trp 3/4 T.444-447, erneut korrigiert: nur Halbe LegT.444/446 [Rasur, Stift über Tinte], immer mit Dpf (Z.26) VIa T.~56 Bogen gestr.; LVI T.460/462 nur Auftakt leg.; V c, Kb T.46lfHalbe Uberbindung gestr./statt Ganze; Fl T.456~, 460-463 u:Fs: 1. s.tatt 2.':1 [in NAMH lautet die Fl T.462f wie 460f mIt hegendem d , mcht Jedoch 1ll 2.VI, so daß ein vermutlich im Bürstenabzug korrigierter Schreibfehler Mahlers vorliegt];

M-Dp:

Posffub T.428-434 alle decresc gestr.; Trp 3/4 T.439, T.444/446 [Halbe unis.Pos =T-Dp] gestr.; Hrn 2-6 T.444/446 gest, T.450-463 1.2.S010; Pke T.450/454 mf; (Vc/Kb T.46lffehlt), Klar T.456-463 unis. Ob;

W-Dp:

(Pos/Tub ohne Veränderung der Dynamik); 3.4.Trp T.436-443 gestr. [2.Schritt, BLS], (T.444/446 ohne Eingriff); Hrn 1- T.444-447 gestr., (gest Hrn2-6 fehlt); F1 T.448-454 gestr., T.455 Auftakt es a4 hinzu [BRS]; (Vc/Kb T.46lf =T-Dp);

NA:

[St-l~; VIa Fag T.428-434 partiell unis.KFag [St-2]; Gr.Tr. T.428-443 ge~tr. T.434 sempre ff ergänzt, T.436-440, l.Halbe, T.444-447, LVlertel ums. VI. [St-1]; 1.2.VI T.445 Halbe (statt punkt.), T.444 decresc, 446 sf decresc, 447f fff-decresc-p [St-1]; Ob T.436ff jeweils ff-decresc; Klar T.436ff dasselbe, T.440funis.FVOb [St-1]; Hrn 1/3 T.436-443 gestr., T.444/446 unis6tg 6 [Halbe b-des-f =NAMHbis W-Dp ohne doppeltes des =M-Dp][St-1] ,Hrn 2/4 T.436-443 unis. Trp, Trp gestr., T.440 offen, T.444 ff, 4~1 (=Hrn 1-5); Trp/Pos vollst. gestr. Z.25-26 [St-1: Trp 1/2 gilt T.436-443 , ~.26 .Trp 1-4 ohne Eingriff; Pos 1/2 gestr. ab T.444; St-2: Trp 1/2 T.436-443 gIlt mIt rhythViertelpause); mischer Modifikation (Halbe statt Acht