Gustav Mahler und die Wiener Oper [1 ed.]
 9783205216957, 9783205216933

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Gustav Mahler und die Wiener Oper Überarbeitete und erweiterte Neuausgabe

GUSTAV MAHLER UND DIE WIENER OPER

Franz Willnauer

WIENER VERÖFFENTLICHUNGEN ZUR MUSIKGESCHICHTE 17 Herausgegeben von Markus Grassl und Reinhard Kapp

FRANZ WILLNAUER

Gustav Mahler und die Wiener Oper Überarbeitete und erweiterte Neuausgabe

Verlag und Autor danken dem Mahler-Enthusiasten und Autographensammler Prof. Dr. Dr. Torsten Haferlach für seine Unterstützung, die Ausstattung und Bildteil des Buches ermöglicht hat.

2. Auflage 1993 © Franz Willnauer Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; ­detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung  : Gustav Mahler. Schattenriss von Benno Mahler (Atelier H. Ephron Wien)  ; (Privatarchiv Torsten Haferlach, München) Frontispiz  : Porträtfoto Gustav Mahler 1907 (Fotograf Moriz Nähr); (Privatarchiv Torsten Haferlach, ­München) © 2023 Böhlau, Zeltgasse 1, A-1080 Wien, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande  ; Brill USA Inc., Boston MA, USA  ; Brill Asia Pte Ltd, Singapore  ; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland  ; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Korrektorat  : Constanze Lehmann, Berlin Einbandgestaltung  : Michael Haderer, Wien Satz  : Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-205-21695-7

INHALT Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   7 Vorwort der Ausgabe 1993.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   9 Die Wiener Oper vor Mahler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  13 Die Geschichte, wie man Direktor wird. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ein Manager betritt die Bühne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Der Operndirektor und sein Spielplan.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  38 Die drei Perioden der Ära Mahler. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  48 „Handwerk mit Genie“.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  72 Das Ensemble und sein Direktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  80 Mahler als Mozart-Interpret.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  89 Einsatz für die Zeitgenossen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Vom Regietheater zur Opernreform. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Neue Szene  : Alfred Roller. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Das Kapitel Wiener Philharmoniker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Der Künstler und die Bürokratie.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Der Hilferuf an den Fürsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Zwischen „Präliminare“ und „Gebarungsabschluß“. . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

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Inhalt

Kampf mit der Zensur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 In den Mühlen der Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Eine Demission und ihre Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Dokumente. . . . . . . . . . . . . . . . . . Gustav Mahlers Kapellmeister-Vertrag.. Gustav Mahlers Ernennungsdekret.. . . Gustav Mahlers Dienstes-Instruktion . . Gustav Mahlers Enthebungsdekret.. . .

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Statistiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Premieren der Ära Mahler . . . . . . . . . . . . Gustav Mahlers Dirigate an der Wiener Hofoper . . Das Ensemble der Ära Mahler . . . . . . . . . . . . Die Finanzen der Wiener Hofoper 1903 bis 1908. .

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Siglenverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288

VORWORT Der Generosität eines mir freundschaftlich verbundenen Mahler-Enthusiasten verdanke ich die Neuausgabe dieses Buches, das zunächst 1979 in einer noch unvollkommenen Fassung erschien – mit damals noch unvermeidbaren biographischen Lücken und unerschlossenen Dokumenten, auch ohne die damals als unnötig erachteten Quellennachweise – und 1993 durch eine in mancher Hinsicht verbesserte und überarbeitete Neuauflage ersetzt wurde. Die schon in der ersten Fassung des Buches erstmals veröffentlichten Statistiken und Dokumente zu Mahlers – jenseits seiner künstlerischen Opernleitung erbrachten – Leistungen als „Manager“ eines riesigen Theaterbetriebs machten das Buch von Anfang an, ungeachtet seiner Schwächen, zu einem vielzitierten Quellenwerk der Mahlerforschung. Seit der Neuauflage 1993 sind nun wiederum dreißig Jahre verstrichen, in denen Leben und Werk Gustav Mahlers fast unübersehbar zahlreiche Darstellungen sowohl wissenschaftlicher als auch populärer Natur erfahren haben – nicht zu vergessen die oft vorzüglichen Beiträge in den Programmheften des internationalen Konzertbetriebs –, sodass das Allgemeinwissen über den Musiker Mahler enorm zugenommen hat. Nicht zuletzt haben die Arbeiten von Jens Malte Fischer, Knud Martner, Zoltan Roman und vor allem Henry-Louis de La Grange, dessen vierbändiges Kompendium Mahlers Leben in einzigartiger Weise bis ins letzte Detail dokumentiert, einen neuen Standard der biographischen Mahler-Forschung geschaffen, den es heute zu respektieren gilt. Es schien mir deshalb angebracht, meine mehr als vierzig Jahre alte Darstellung von Mahlers Wirken an der Wiener Hofoper im Hinblick auf viele neu gewonnene Erkenntnisse hin zu überprüfen und, wo nötig, zu aktualisieren oder zu ergänzen. Deshalb sind in diese „überarbeitete und erweiterte“ Neuausgabe fünf neue Kapitel aufgenommen worden, die sich mit speziellen Aspekten seiner Direktionstätigkeit befassen. Es lag mir daran, der vielbeschworenen und kaum je analysierten, von Mahler und Alfred Roller gemeinsam ins Werk gesetzten „Opernreform“ auf den Grund zu gehen, den für seine Wagner-Aufführungen bewunderten Dirigenten als Mozart-Interpreten ins Licht zu rücken, Mahlers vielschichtige, oft auch kritisierte Beziehung zum Sängerensemble seines Hauses zu erörtern und endlich auch seinen mühsamen Kampf gegen die feindselige (nicht nur antisemitische) Wiener Presse ausführlich darzustellen – und so das Bild des „Gesamtkünstlers“ Mahler als Dirigent, Regisseur und Manager zu komplettieren. Dabei konnten auch einige Fehler der früheren Ausgaben beseitigt und einige Lücken geschlossen werden, konnte anderseits auf den Abdruck von – inzwischen allgemein bekannten – historischen Pressestimmen zu Mahlers Regietaten und zu seinem Abgang von der Hofoper verzichtet werden. So soll mit »Gustav Mahler und die Wiener Oper«

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Vorwort

als Band 17 der »Wiener Veröffentlichungen zur Musikgeschichte« dem Leser, sei er nun Mahlerfreund oder Opernfan, wieder ein umfangreiches und dem aktuellen Wissensstand entsprechendes Buch über die „Ära Mahler“, eine Glanzzeit des Wiener Opernhauses, zur Verfügung stehen. Es gilt, den Herausgebern der „Wiener Veröffentlichungen zur Musikgeschichte“, Herrn Professor Reinhard Kapp und Herrn Professor Markus Grassl, Dank zu sagen für ihre spontane Bereitschaft, die Neuausgabe dieses Buches in ihre Publikationsreihe aufzunehmen, ebenso dem Leiter der Programmplanung des Böhlau Verlags Mag. Martin Zellhofer und der Teamleiterin Projektmanagement Frau Julia Beenken für die engagierte und verständnisvolle Begleitung des Produktionsprozesses. Zu danken habe ich für Recherchen, Hinweise und Informationen Frau Mag. Wilma Buchinger (Österreichische Nationalbibliothek, Informationsservice), Frau Dr. Christiane Mühlegger-Henhapel und Herrn Dr. Kurt Ifkovits (Österreichisches Theatermuseum, Handschriften und Nachlässe), Frau Dr. Renate Stark-Voit und Herrn Hans-Peter Neumayr (Internationale Gustav Mahler Gesellschaft), Frau Dr. Sabine Greger-Amanshauser (Mozart-Archiv, Internationale Stiftung Mozarteum) und dem Mahlerforscher Herrn Prof. Clemens Höslinger. Ohne den „virtuellen Zeitungslesesaal“ der Österreichischen Nationalbibliothek »ANNO«, der – dank deren Digitalisierung – die Recherche in zahlreichen historischen Zeitungen und Zeitschriften ermöglicht, hätte auch die Neuausgabe dieses Buches nicht erfolgen können. Wie immer habe ich schließlich meiner Frau Margret zu danken, deren kritisches Auge jede Seite des Manuskripts geprüft hat. Ihr und meinem großherzigen Freund und Förderer dieser Neuausgabe sei das Buch daher gewidmet. F. W.

VORWORT DER AUSGABE 1993 Als dieses Buch 1979 zum ersten Mal erschien, war es die erste Publikation, die sich ausschließlich mit dem Wirken und der Leistung Gustav Mahlers als Wiener Hofoperndirektor beschäftigte. Die mehr theaterwissenschaftlich als musikhistorisch geprägte, an dem Begriff des „kulturellen Managements“ orientierte Arbeit resümierte nicht nur die künstlerischen Resultate der zehnjährigen Wiener Direktionszeit Mahlers, sondern untersuchte erstmals auch die organisatorischen und finanziellen Bedingungen, unter denen diese Leistungen zustande kamen. „Aktuell“ wurde das Buch nicht zuletzt durch die Darstellung des zehnjährigen Kampfes Gustav Mahlers mit seiner „vorgesetzten Behörde“, dem Generalintendanten der Hoftheater und dem Obersthofmeisteramt, um künstlerische Freiheit und Autonomie. Wurde damals, nach dem schier unfassbaren weltweiten Siegeszug des Komponisten Mahler in den sechziger und siebziger Jahren, der Blick erstmals frei auf die schöpferisch-nachschöpferische Doppelexistenz des großen Musikers, so ist heute, nachdem sein Werk „eingemeindet“ ist in das symphonische Repertoire der klassischen Moderne, vielleicht der Zeitpunkt gekommen, auch das theater- und musikhistorische Artefakt seines dreifachen Wirkens als Dirigent, Regisseur und Direktor im Koordinatensystem eines ganzen Jahrhunderts zu orten und zu objektivieren. Das mag das Wiedererscheinen dieser Publikation hinlänglich rechtfertigen. Die „Ära Mahler“ in ihren Höhepunkten und in ihrem Scheitern differenziert zu betrachten heißt, die Innovationen des Genies aus den hemmenden Bedingnissen der „Zeitgenossenschaft“ herauszulösen und in einer veränderten Kunstszene die Frage  : Modell oder Utopie  ? zu stellen. Es schien mir nicht Aufgabe des Autors, dem Leser die Beantwortung dieser Frage abzunehmen oder gar die Antwort zu suggerieren. Vielmehr war ich bemüht, für die zehnjährige Tätigkeit des Hofoperndirektors Mahler das Maximum an verfügbaren und überprüfbaren Daten und Fakten zusammenzutragen, soweit sie für sein künstlerisches Wirken und dessen Wirksamkeit bis in die Gegenwart relevant sind. Eingedenk der These Schönbergs in seiner Prager Mahler-Rede, dass „bei einem großen Menschen nichts Nebensache“ sei, fiel es schon bei der Erstausgabe dieses Buches nicht leicht, die Faktenfülle auf ein Maß einzudämmen, das zwischen zwei Buch­ deckel passt. Zwei wichtige Kapitel – „Vom Singen und von den Sängern“ und „Mahlers Opern-Dramaturgie“ − blieben damals (und bis heute) ungeschrieben, die stilkritische Würdigung unter Hermann Bahrs Stichwort „Handwerk mit Genie“ notgedrungen fragmentarisch. In den vergangenen 15 Jahren ist eine Fülle biographischer und wirkungsgeschichtlicher Details zu Gustav Mahler bekannt geworden, die der ersten Ausgabe dieses Bu-

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Vorwort der Ausgabe 1993

ches noch nicht zur Verfügung standen. Archive sind geöffnet und erforscht worden, die Mahlerforschung bekam endlich Einblick in die von Alma Mahler sorgsam verborgenen „Beziehungen“ Mahlers zu den Frauen der Vor-Alma-Zeit wie Anna von Mildenburg und Selma Kurz, Sensationsjournalismus und streng wissenschaftliche Forschung hoben gleicherweise viele unbekannte Einzelheiten ans Licht. Herta Blaukopf kommt das nicht hoch genug einzuschätzende Verdienst zu, die von Alma Mahler besorgte Ausgabe der Briefe Mahlers von 1924 in einer revidierten, annotierten und erweiterten Neuausgabe verfügbar gemacht zu haben. Ebenso ist ihr eine Ausgabe unbekannter Mahler-Briefe und die Erstveröffentlichung des Briefwechsels Mahler – Richard Strauss zu danken. Das Wissen um Mahlers Leben, Schaffen und Wirken hat sich binnen weniger Jahre vervielfacht. Wenigstens die wichtigsten neu gefundenen Fakten und neu gewonnenen Erkenntnisse in diese Neuausgabe einzuarbeiten, war eine Selbstverständlichkeit. Dem vom aktuellen Komponieren wie von zeitgemäßer musikalischer Exegese her gleichermaßen neu formulierten Bild des Komponisten Mahler muss eine aktualisierte Sicht auf Mahlers nachschöpferische Leistung entsprechen. Speziell die Würdigung des Opernregisseurs Mahler profitiert von der Erschließung der künstlerischen Hinterlassenschaft Alfred Rollers, seines wohl wichtigsten Partners für das Jahrhundertwerk ihrer gemeinsamen szenischen Opernreform. Die Präsentation und Dokumentation der Modelle, Bühnenbild- und Kostümentwürfe Rollers für das letzte Jahrfünft von Mahlers Wiener Wirken durch das zu neuem Leben erwachte Österreichische Theatermuseum ist die theatergeschichtlich bedeutsamste Quelle, aus der die Neuausgabe dieses Buches schöpfen konnte. Herta Blaukopfs Publikation der früher verloren geglaubten Briefe von Strauss an Mahler, anhand deren sich die Chronologie des »Salome«-Kapitels neu und nunmehr richtig schreiben ließ, ist hier jedoch ebenso zu nennen wie Clemens Hellsbergs, des Archivars der Wiener Philharmoniker, Veröffentlichung der Dokumente über die schwierige und spannungsvolle Beziehung zwischen Mahler und seinem bedeutendsten Orchester. Lücken zu schließen, Irrtümer zu korrigieren, Vermutungen durch Fakten und Vorurteile durch Erkenntnisse zu ersetzen, stellte sich als die wesentlichste Aufgabe dieser Neuausgabe eines dem Genauigkeitsfanatiker Gustav Mahler gewidmeten Buches. Daß ich die Gelegenheit dazu bekommen habe, dafür ist dem Löcker Verlag Dank zu sagen. F. W.

„Mahler besaß als Operndirigent ein höchstes Maß an Stilgefühl  ; er trieb, im innigsten Zusammenhang mit der Szene, überhaupt Ausdruckskunst und Ausdruckskultur  ; war in einer Person Regisseur und Kapellmeister  ; Erklärer der Musik durch die Szene, Erklärer der Szene durch die Musik  ; Vorbild des Kapellmeisters, der den letzten, feinsten Zusammenklang zwischen Szene und Orchester, zwischen orchestralem Ausdruck und gesungenem Wort, zwischen Melos und Gebärde endgültig formt. War spiritus rector, Kraftquelle und Mittelpunkt, war das denkende Gehirn jeder Aufführung.“ Ferdinand Pfohl in der Festschrift zur Jahrhundertfeier des Hamburger Stadttheaters 1927

DIE WIENER OPER VOR MAHLER Als Gustav Mahler nach Wien berufen wurde, war der Riesenbau der Hofoper noch keine dreißig Jahre alt. Am 25. Mai 1869 hatte – mit einer „neu in Szene gesetzten“ Aufführung von Mozarts »Don Juan« (den Originaltitel des Werkes führte Mahler erst 1905 ein) – die feierliche Eröffnung des von Eduard van der Nüll und August Siccard von Siccardsburg errichteten neuen Opernhauses stattgefunden  ; ein Jahr später war das vorher als Hofoper fungierende Kärntnertortheater endgültig geschlossen worden. Operndirektor der Übergangszeit war Franz von Dingelstedt, der, von seinen Neigungen her dem Sprechtheater zugetan und als Initiator der Münchner „Musteraufführungen“ bisher ausschließlich mit Schauspiel-Erfahrungen ausgestattet, gleichwohl großes Geschick für die Führung der Wiener Opernbühne entwickelte und mit dem Einzug ins neue Haus den künstlerischen Betrieb entscheidend reformierte. Es galt für Dingelstedt, gleichzeitig mit dem künstlerischen auch den technischen Apparat der Hofoper in den Griff zu bekommen – eine Bühnenmaschinerie, wie sie in diesen Dimensionen und mit diesem Ausmaß neuer technischer Möglichkeiten ein absolutes Novum für das europäische Operntheater war. Um von Größe (und Anspruch) dieser Einrichtungen eine Vorstellung zu geben, sei einiges aus der detailgenauen Beschreibung zitiert, die Alois Przistaupinski – Mahlers getreuer Sekretär, von ihm liebevoll „Bschiss“ genannt – in seiner Chronik »50 Jahre Wiener Operntheater« 1919 gegeben hat  : „Die Bühne ist 29,08 m breit, 24,65 m lang, vom Podium nach abwärts 11,96 m tief und nach aufwärts bis an die horizontale, feuersichere Decke 27,86 m hoch. Sie gestattet daher, daß man die Dekorationen von unten oder von oben kommen lasse. Sie ist in acht Teile, sogenannte Gassen, eingeteilt, denen entsprechend auch acht Versenkungen vorhanden sind. In den zwei ersten, vorderen Gassen befinden sich je drei Versenkungen, bestimmt für einzelne Personen oder kleinere Gegenstände, in jeder der fünf rückwärtigen Gassen können die Versenkungen in einer Breite von 11,38 m aufgehen. Die Versenkungen sind mit Hand- und mit Maschinenbetrieb eingerichtet. Die Unterbühne hat vier Etagen, der Schnürboden, inklusive dem Rollboden, fünf Etagen. Die Proszeniumsöffnung, vermittelst welcher die Bühne mit dem Zuschauerraum kommuniziert, hat eine Breite von 14 m und eine Höhe von 11,80 m. Sie ist zu schließen mit einer eisernen Kurtine, welche früher aus einem Drahtnetz bestand. Im Jahre 1913 wurde sie durch eine aus eisernen Trägern konstruierte, gegen die Bühne mit Wellblech und Asbest, gegen den Zuschauerraum mit glattem Blech und dekorativ bemalter Leinwand bekleidete Kurtine ersetzt, welche von dem neben der Bühne befindlichen Gange elektromotorisch oder auch mit Handkraft bewegt wird. Bei Feuersgefahr kann sie aus

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zwei Hydranten mit Wasser berieselt werden. Einschließlich ihrer Gegengewichte wiegt sie 20.000 Kilogramm. An die Bühne schließt sich rückwärts die Hinterbühne von 13,12 m Breite, 11,38 m Höhe und 23,34 m Länge an, sodaß die ganze Länge der Bühne auf 48 m ausgedehnt werden kann. Die Hinterbühne dient hauptsächlich als Manipulationsraum, ist von außen für größere Gegenstände, Pferde etc. durch ein großes Tor über eine schiefe Ebene, die Rampe, zugänglich, und ihr zur Seite liegen rechts und links große Dekorationsmagazine, unter denselben im Souterrain zwei gleich große, von welch letzteren die Dekorationen vermittelst großer elektrischer Aufzüge auf das Bühnenniveau befördert werden … Das Orchester wurde im Jahre 1902 gegen die Bühne zu erweitert, sodaß darin derzeit zirka 120 Musiker Platz finden.“1 Kein Zweifel, dass von einem solchen Bühnenraum auch starke optische und dekorative Wirkungen ausgehen mussten. So hatte Dingelstedt auch dafür zu sorgen, dass ein ausreichender Dekorationsfundus angelegt wurde, der die Übernahme der wichtigsten Werke des Opernrepertoires in das neue Haus ermöglichte. Dingelstedt war selbst als Regisseur tätig und feierte mit aufwendigen Inszenierungen im plüschigen, überladenen Stil der Makart-Zeit Triumphe, u. a. bei Gounods »Romeo und Julie«, »Mignon« von Thomas, Aubers »Stumme von Portici«. Als Dirigent berief er den jungen Johann Herbeck und setzte dessen Ernennung zum Hofkapellmeister durch  ; Herbeck dankte es ihm mit vielen künstlerischen Glanzleistungen, so z. B. mit der gegen zahlreiche Widerstände zum Erfolg geführten Erstaufführung von Wagners »Meistersingern«. Nach Dingelstedts Übernahme der Burgtheater-Direktion wurde Herbeck Ende 1870 für fünf ertrag- und erfolgreiche Jahre selbst Direktor der Hofoper. In der Person Herbecks verkörpert sich geradezu prototypisch der musiksoziologische Wandlungsprozess, der sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts, vehement und unausweichlich, vollzieht. Dabei entwickelte sich eine von alters her – durch das Genie ihrer schöpferischen Kräfte, durch die musische Neigung ihrer Bewohner und durch den Kunstwillen der regierenden Höfe – zur Musikausübung prädestinierte Metropole wie Wien zur „modernen“ Musikstadt, in der das Musikleben institutionalisiert und von der Bürgerschaft, vom Bürgertum getragen wurde. Herbeck, den Hanslick den „lodernden Feuergeist des Wiener Musiklebens“2 nannte, darf als der erste moderne Wiener Dirigent gelten. 1858 ernannte die Gesellschaft der Musikfreunde den damals 27-Jährigen zum Dirigenten ihres neu gebildeten Singvereins, schon ein Jahr später übernahm er von Joseph Hellmesberger sen. auch das Amt des „Konzertdirektors“ und somit die Leitung der Gesellschaftskonzerte. „Wenn man die nun folgenden zehn Jahre“, heißt es in der zur Jahrhundertfeier 1912 herausgegebenen Schrift über die »Geschichte der k. k. Gesellschaft der Musikfreunde in Wien«, „mit Recht als die goldene Epoche der Gesellschaftskonzerte bezeichnet, erklärt

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sich das aus einem Zusammentreffen besonders günstiger Umstände.“3 Herbecks persönliche Erscheinung und künstlerische Befähigung sind die eine Ursache  : „Die gewinnende äußere Erscheinung des jungen Dirigenten, sein edelgeformtes, von dunklem Haar umflattertes Antlitz, dem ein leuchtendes Augenpaar besonderen Ausdruck verlieh, trugen nicht wenig dazu bei, die Sympathie zu erhöhen, die er sich durch sein zielbewußtes Vorgehen, seinen Feuereifer und seinen künstlerischen Ernst erwarb.“4 Den anderen Grund bezeichnet die Festschrift mit der „ansehnlichen Zahl neuer, wertvoller Werke, deren Erstaufführungen schon an und für sich Interesse erregten und die Abfassung abwechslungsreicher, stets fesselnder Programme ermöglichten“.5 Schließlich gab die Qualität der von Herbeck gewonnenen Interpreten dem Wiener Musikleben ein bisher unbekanntes Niveau  : „Glänzende Erscheinungen auf dem Gebiet des höheren Virtuosentums tauchten auf und gaben durch ihre Vorträge den Gesellschaftskonzerten vermehrte Anziehungskraft.“6 Herbecks eigentliche Leistung liegt aber wohl in der Perfektionierung der musikalischen Ausführung der gespielten Werke. Er erreichte sie, indem er die musizierenden Amateure seines Orchesters zunehmend durch versierte Berufsmusiker ersetzte. Waren im alten „Orchesterverein“ professionelle Musiker und „Dilettanten“ einträchtig nebeneinander gesessen, so zwang die Einrichtung der „Philharmonischen Konzerte“ durch Otto Nicolai (1842), die von den Musikern des Hofopernorchesters ausgeführt wurden, dazu, den instrumentalen Perfektionsstandard der Gesellschaftskonzerte dem der von den „Philharmonikern“ bestrittenen anzugleichen  : „Das Gesellschaftsorchester wurde nun derartig organisiert, daß bei allen Blasinstrumenten, bei den Kontrabässen und bei der weitaus größeren Zahl der Violinen, Bratschen und Violoncelle ausschließlich Musiker von Fach tätig waren und daß nur noch die notwendigen weiteren Verstärkungen des Streicherkörpers von Dilettanten besorgt wurden.“7 Kein Wunder, dass sich Dingelstedt den ebenso beliebten wie erfolgreichen Konzertdirigenten Herbeck bei der Eröffnung des neuen Hauses am Ring für die Hofoper sicherte. Auch dort tat seine künstlerische Ausstrahlung die erwartete Wirkung  : Herbeck war „der erste, der mit den magischen Kräften seiner Persönlichkeit das Publikum, die Spieler und die Sänger in seinen Bann schlug“8, schreibt Heinrich Kralik in seinem Buch über die Wiener Oper. Und Heinz Kindermann ergänzt das Persönlichkeitsbild dieses wohl bedeutendsten Opernmannes vor Gustav Mahler  : „Herbeck war aber auch der erste Wiener Operndirigent, der zugleich Opernleiter wurde. Dazu freilich gehören Organisationsgabe und Mut zur Opposition gegenüber den vorgesetzten Hofbehörden. Beides besaß Herbeck nicht  ; und an diesem Manko scheiterte er schon nach sechsjähriger Tätigkeit, wiewohl es unter seiner Leitung eine Fülle der denkwürdigen Premieren gab.“9 Der Spielplan dieses Jahrfünfts hatte zwei Schwerpunkte  : Mozart und Wagner. Der „Meister“ selbst kam zweimal nach Wien, um Konzerte für seinen Bayreuth-Fonds zu

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dirigieren, und fand die Wiedergabe seiner Werke über alles Lob erhaben. Herbeck betreute in einer Vielzahl von Neuinszenierungen darüber hinaus das damals gängige Repertoire, von Glucks beiden »Iphigenien« bis zu den Opern Webers, Lortzings und Verdis. An Erstaufführungen gab es Wagners »Rienzi«, die »Hamlet«-Oper von Ambroise Thomas, die »Genoveva« von Robert Schumann und, letzter und stärkster Aktivposten der Ära Herbeck, Verdis »Aida«. An die Stelle des idealistischen Schwärmers Herbeck berief das Obersthofmeisteramt 1875 einen gewiegten Theaterfachmann und geschäftstüchtigen Pragmatiker  : Franz von Jauner. Auch Jauners entscheidende Tat bestand in der Verpflichtung eines hervorragenden Dirigenten  : der 32-jährige, aus Raab in Ungarn gebürtige, seit 1871 erfolgreich am Nationaltheater in Pest wirkende Hans Richter wurde 1875 zum Hofopernkapellmeister berufen und schuf hier in Wien, mit dem ganzen Gewicht seiner mit den höchsten Bayreuth-Weihen versehenen Persönlichkeit, „eine unverrückbare Tradition des WagnerDirigierens“10 (Franz Farga). 1876 hatte ihn Richard Wagner bekanntlich als musikalischen Leiter der Uraufführung der »Ring«-Tetralogie nach Bayreuth verpflichtet. Als Konzertdirigent blieb Richter den Wiener Philharmonikern 24 Jahre lang verbunden – bis das Orchester seinem neuen Operndirektor Gustav Mahler auch die Leitung der Philharmonischen Konzerte übertrug. Während Jauners Wirksamkeit an der Hofoper war eine Reihe neuer, vorzüglicher Sänger verpflichtet worden und in der Gunst des Wiener Publikums zu Ansehen und Beliebtheit gekommen  ; einige von ihnen, so Emil Scaria oder Amalia Materna, sind bis zum heutigen Tag als Vorbilder für musikdramatischen Bühnengesang lebendig geblieben. Aus der Fülle von Erstaufführungen zeitgenössischer Opern, die längst dem Vergessen anheimgefallen sind, ragt die Erstaufführung von Bizets »Carmen« aus dem Spielplan der Direktion Jauner heraus – übertroffen freilich von der Wiener Erstaufführung der »Ring«-Tetralogie Richard Wagners in kurzem zeitlichen Abstand nach der Bayreuther Premiere 1876  ; die »Walküre« machte im März 1877 den Anfang, »Rheingold« und »Siegfried« folgten im Februar bzw. November 1878, die »Götterdämmerung« schließlich kam im Februar 1879 heraus. Zweifellos hat der junge Gustav Mahler schon hier (und nicht erst bei der ihn überwältigenden »Parsifal«-Aufführung der Bayreuther Festspiele 1883) jenen unauslöschlichen Eindruck von Wagners Musikdramen erhalten, der ihn als Dirigent zum lebenslangen „Jünger“ des Bayreuther Meisters machen sollte. Großen Aufschwung nahm in Jauners Direktionszeit das Ballett. Leo Delibes’ Ballette »Coppelia« und »Sylvia« wurden zu wahren Publikumsschlagern, und selbst für künstlerisch so anfechtbare Ballettpiecen wie »Die Puppenfee«, »Excelsior«, »Sonne und Erde« oder »Der Spielmann« begeisterten sich die Wiener, dank der Tanzkünste einiger populärer Ballerinen, viele Jahre lang. Gegen den Brauch, eine Opernaufführung mit einem Handlungsballett oder Divertissement abzurunden, hatte selbst Gustav Mahler in seinen ersten Direktionsjahren noch anzukämpfen – so verzeichnet der Spielplan etwa

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am 25. Mai 1898 eine Aufführung von Verdis »Maskenball«, gefolgt von dem Erfolgsballett Joseph Hellmesbergers jr. »Harlekin als Elektriker«. Auf Franz von Jauner, der 1880 demissionierte, folgte im Amt des Hofoperndirektors Wilhelm Jahn. Er lenkte die Geschicke der Wiener Oper, gemeinsam mit Hans Richter, siebzehn Jahre lang, bis ihn ein akutes Augenleiden zwang, seinen Abschied zu nehmen, und er den Direktionssessel dem tatendurstigen Gustav Mahler überlassen musste  ; die Geschichtsschreiber sind sich einig, dass diese siebzehn Jahre zu den gedeihlichsten, wenn auch künstlerisch wenig erregenden Perioden der Wiener Oper gehören. Jahns Stärke lag auf einem Gebiet, das von heutigen Theaterintendanten wenig gepflegt, ja kaum als Aufgabe wahrgenommen wird  : Er spürte junge Talente auf, bildete sie als Sänger und Darsteller aus, arbeitete mit ihnen an ihren Rollen und gab ihnen durch kontinuierliche Kontrolle und sorgsam gewählte neue Aufgaben die Möglichkeit zu unforcierter stimmlicher Entwicklung und künstlerischer Reife. Die drei wichtigsten Opernereignisse unter Jahns Direktion waren die Erstaufführung von Wagners »Tristan und Isolde« mit Hans Richter am Pult am 4. Oktober 1883, die Premiere von Verdis »Othello« unter Jahns Leitung am 14. März 1888 und die Eroberung der Wiener durch Smetanas »Verkaufte Braut« am 4. Oktober 1896. Ansonsten aber zeichnete sich die Ära Jahn weniger durch spektakuläre Aufführungen aus als durch die Heranbildung einer Sängerelite, die sich ungeachtet aller Individualitäten zu einem echten Ensemble zusammenfügte. „Dieses Ensemble war von einer Vollendung, wie es die Hofoper bis dahin nicht gekannt hatte. Für jedes Fach gab es mehrere gleichwertige Künstler. Unter den Tenören waren Hermann Winkelmann, Andreas Dippel, Ernest van Dyck und Fritz Schrödter durch ihre scharf ausgeprägte Individualität unvergleichbar. Das Baritonfach enthielt so glänzende Namen wie Theodor Reichmann, Josef Ritter, Karl Sommer und Franz Neidl. Unter den Bassisten ragten wahre Riesen auf  : Franz von Reichenberg, Emil Scaria und Karl Grengg, später auch der unerreichte Willi Hesch. Zu den herrlichen Sopranistinnen Amalia Materna und Marie Wilt waren andere gekommen, so Toni Schläger, Louise Ehrenstein, Sophie Sedlmair, Marie Renard, Paula Mark, Ellen Forster. Unter den Altistinnen glänzten Rosa Papier, Edyth Walker, Luise Kaulich und Emma Telecky“11 (Franz Farga). Als sich im Sommer 1882 auf dem Grünen Hügel in Bayreuth der Vorhang zum ersten Mal über Wagners »Parsifal« hob, waren es ausnahmslos Wiener Sänger und Sängerinnen, die den Hauptrollen des Werkes Gestalt verliehen  : Materna, Winkelmann, Reichmann, Scaria. Wilhelm Jahn „hatte den Sinn seiner Zeit wie selten ein Theatermann erfüllt. Sein Opernspiel war organisch mit der Glücks- und Wohlfahrtsexpansion der achtziger Jahre verbunden, die ihre Prosperitätswellen bis ins folgende Jahrzehnt schlugen“12 (Kralik). Diese Wellen, so muss man ergänzen, umspülten noch die große Musik- und Theater-

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ausstellung des Jahres 1892, die den Wienern die Entdeckung von Smetana, Dvořák, Mascagni und Leoncavallo – die Nationalitäten-Oper und den Verismo also – bescherte. „Nunmehr aber wuchs eine Generation heran, die an der geistigen Saturiertheit, in die sie sich gestellt sah, kein Gefallen und keine Befriedigung mehr fand. Kein Wunder, daß man skeptisch, ungläubig, unruhig und nervös wurde. Mit dem Jahrhundert ging ein großes geistesgeschichtliches Kapitel zu Ende. So zogen auch in der Hofoper Unlust und Zweifel ein. Auch bei Jahn selbst zeigten sich Zeichen der Ermüdung, der Abspannung … Nach dem genießerischen Schwelgen, dem behaglichen Gewährenlassen der abgelaufenen Periode zog mit Mahler der Geist ins Haus. Und mit dem neuen Geist die Entschlossenheit, ihn durchzusetzen. Der neue Geist brachte auch ein neues Ideal, eine neue Art des Musizierens und Dirigierens mit sich. Jahns brillantes und musikantisches Opernspiel galt nicht mehr  ; ja selbst die unangefochtene Hohepriester-Autorität Hans Richters schien nicht mehr so unanfechtbar“13 (Heinrich Kralik). Mahlers unbedingter Kunstanspruch, verbunden mit seinem fanatischen Arbeitswillen und der faszinierenden Ausstrahlung seiner Dirigierkunst, belebte nicht nur die in Selbstgenügsamkeit und Repräsentation erstarrten Formen damaliger Operndarbietung, sondern schuf für die Opernkunst schlechthin einen neuen, vorher nicht gekannten und später kaum mehr erreichten Interpretationsstandard. Getragen von einem großartig ausgestatteten und weitblickend erneuerten Sängerensemble, unterstützt von einem Assistenten wie Bruno Walter, verstanden und kongenial ergänzt von dem Bühnenbildner Alfred Roller, entwickelte Mahler in den zehn Jahren seiner Wiener Direktionstätigkeit das noch bis heute gültige Ideal des „Musiktheaters“, das von musikalischer Genauigkeit genauso legitimiert wird wie von szenischer Wahrhaftigkeit.

DIE GESCHICHTE, WIE MAN DIREKTOR WIRD Kurt Blaukopf hat in seiner verdienstvollen Mahler-Biographie deutlich gemacht, dass in Mahlers Persönlichkeit zwei bestimmende Faktoren beschlossen waren  : die Gabe des Tagträumers, der sich eine künstlich-künstlerische Welt im Innern zu schaffen vermochte, und die Gabe des klug operierenden Taktikers, der die Realitäten genau einzuschätzen wusste. In Hamburg erhielt der Taktiker in Mahler Gelegenheit, sich zu entfalten, galt es doch, alle Minen springen zu lassen, um das höchste Amt, das die musikalische Welt zu vergeben hatte, zu erobern. Gelegt hatte Mahler die Minen, um im Bild zu bleiben, wohl schon lange zuvor. Noch in Kassel, als junger Kapellmeister, hatte er die Sängerin Rosa Papier kennengelernt  ; sie war die Solistin in einer Aufführung von Mendelssohns »Paulus«, die der 25-jährige Mahler bei einem Kasseler Musikfest leitete. Rosa Papier war von 1881 bis 1892 erfolgreich als Altistin an der Wiener Hofoper tätig, bis ihr eine Krankheit plötzlich im Alter von erst 34 Jahren die Stimme raubte. So wurde sie Gesangslehrerin, und ihre begabteste und später berühmteste Schülerin war jenes Fräulein Anna von Mildenburg, das, noch blutjung, sein erstes Engagement bei Kapellmeister Mahler am Hamburger Stadttheater antrat. Kein Wunder, dass Rosa Papier als ehemaliges Mitglied der Hofoper wie als Frau des einflussreichen Musikkritikers Dr. Hans Paumgartner – sie war die Mutter des späteren Mozartforschers und Salzburger Festspielpräsidenten Bernhard Paumgartner – ihre Beziehungen spielen ließ, um den am Hamburger Opernhimmel kometenhaft aufsteigenden Dirigenten Gustav Mahler nach Wien zu holen. Und ihre Beziehungen reichten direkt in die Generalintendanz der k. und k. Hoftheater, wo der ihr mehr als freundschaftlich verbundene Hofrat Dr. Eduard Wlassack Kanzleidirektor war. Aber Gustav Mahler verstand es auch meisterhaft, seine anderen Freunde und Gönner zu mobilisieren. Der Jugendfreund Siegfried Lipiner, Dichter und Nietzsche-Jünger, musste als Erster im November 1896 ein Empfehlungsschreiben an die Generalintendanz schicken  ; der bekannte ungarische Politiker Albert Graf Apponyi wurde – über einflussreiche Freunde aus den Tagen der Budapester Operndirektion Mahlers – veranlasst, ein Gleiches zu tun  ; und selbst Johannes Brahms wurde eingespannt, der seit einer in Budapest gehörten »Don Juan«-Aufführung Mahlers nicht aufhörte, dessen Dirigentengenie zu bewundern. (Mahler wiederum hatte nicht versäumt, während seiner Sommeraufenthalte am Attersee 1893 bis 1896 alljährlich seinen Besuch bei Brahms in Bad Ischl zu machen.) Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, meint Kurt Blaukopf,

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„Dutzende von fördernden Gönnern hätten ihm den Weg gebahnt. Wir werden daraus erst klug, wenn wir erkennen, daß Mahler selbst diese Verwirrung gestiftet hat. Sobald sich die Hoffnung auf eine Wiener Position auch nur undeutlich abzeichnete, setzte Mahler alle und alles in Bewegung, um sein Ziel zu erreichen. Er bemühte Künstler und Politiker, Einheimische und Ausländer, Bürger und Aristokraten, Freunde und Fremde. Jeder, den Mahler emphatisch um Unterstützung anging, mußte zuletzt meinen, er und nur er habe das für Mahler Entscheidende getan. Im Grunde aber waren alle, die an der Komödie mitwirkten, von Mahler dirigiert.“1 Nun darf man freilich auch nicht unterschätzen, mit welcher Gegnerschaft Mahler zu rechnen hatte. Da waren zunächst all jene, die sich für den Fall der Demission Jahns selbst Chancen ausrechneten, Hofoperndirektor zu werden. Dann waren da die hauptund nebenberuflichen Drahtzieher und Intriganten der Wiener Gesellschaft, die einen der prominenten Dirigenten, Ernst von Schuch oder Felix Mottl oder, an erster Stelle wohl, den Hofopernkapellmeister Hans Richter an der Spitze der Wiener Oper sehen wollten. Aber es gab auch genug Sänger, Impresarios, Dirigentenkollegen und Kritiker, die mit Mahler schon früher, an einer seiner Theaterstationen zwischen Prag, Leipzig, Budapest und Hamburg Bekanntschaft gemacht und seine Unerbittlichkeit, auch seine Unberechenbarkeit kennen und fürchten gelernt hatten. Vor allem aber gab es eine starke antisemitische Strömung, die den Einzug Mahlers in das höchste musikalische Amt des Kaiserreichs mit allen Mitteln zu verhindern suchte. Schon lange vor den konkreten Verhandlungen mit Wien, zur Jahreswende 1894/95, hatte Mahler seinem Freund Fritz Löhr geklagt  : „Mein Judentum verwehrt mir, wie die Sachen jetzt in der Welt stehen, den Eintritt in jedes Hoftheater. Nicht Wien, nicht Berlin, nicht Dresden, nicht München steht mir offen.“2 Wir wissen, dass Cosima Wagner, die Herrin von Bayreuth, ihren ganzen Einfluss geltend machte, um die „drohende“ Berufung Mahlers an die Wiener Hofoper abzuwenden – und das, obwohl Mahler 1894 und 1896 Gast im Hause Wahnfried gewesen war, obwohl er dem Hamburger Sänger Wilhelm Birrenkoven auf Wunsch der „Hohen Frau“ die Partie des Parsifal einstudiert und ihr die junge Anna von Mildenburg für die Rolle der Kundry empfohlen hatte. Ein Jude in einem exponierten Amt am katholischen Wiener Kaiserhof – das war undenkbar. Mahler beseitigte den Hinderungsgrund, der ihm den Zutritt zur Wiener Hofoper verwehrte  : Er ließ sich am 23. Februar 1897 in der Kleinen Michaeliskirche zu Hamburg taufen. Sicherlich ein opportunistischer Schritt, der in der Mahler-Literatur seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert wird, zugleich aber auch eine von innerer Überzeugung diktierte Neuorientierung. Mahler trat „zum katholischen Bekenntnis über, zu jener Kirche, deren Lehre und Kultus ihm, dem Sohn eines vom Katholizismus geprägten Landes, längst vertraut waren und deren Heilslehre der Liebe er unorthodox zu seiner Überzeugung gemacht hatte“3 (Karl Schumann).

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Für die antisemitische Presse Wiens blieb Mahler jedoch Jude. So „begrüßt“ ihn die »Reichspost« wenige Tage nach Bekanntwerden seines Engagements an die Hofoper  : „In unserer Nummer vom 10. April brachten wir eine Notiz über die Person des neuengagirten Opernkapellmeisters Mahler. Wir hatten damals schon eine kleine Ahnung von dem Ursprung dieses Gefeierten, und deshalb hüteten wir uns, mehr als die nackten Thatsachen über diesen unverfälschten – Juden zu bringen. Daß er in – Budapest von den Blättern gefeiert wurde, bestätigt ja unsere Ahnung. Wir enthalten uns vollständig jedes voreiligen Urtheiles. Die Judenpresse mag zusehen, ob die Lobhudeleien, mit denen sie jetzt ihren Götzen überkleistert, nicht vom Regen der Wirklichkeit weggeschwemmt werden, sobald der Herr Mahler am Dirigentenpult mauschelt.“4 Ungeachtet dieser Anfeindungen stand den Verhandlungen, die von der Generalintendanz hinter dem Rücken der Operndirektion geführt wurden, nun kein Hindernis mehr im Wege. An den Einfluss des „allmächtigen“5 Kanzleidirektors Wlassack appellierte Mahler, als seine Sache noch unentschieden stand, da er sich der Entscheidung des Hofoperndirektors nicht sicher war. Wlassack war es auch, der schließlich den Einsatz für die Überrumpelungsaktion Jahns zu Mahlers endgültiger Berufung gab. In einem Brief an Rosa Papier nennt Mahler sie den „eigentlichen Regisseur dieser Komödie“, Wlassack den „Kapellmeister, der den Takt geschlagen, und glücklicherweise im rechten Moment ein stringendo und Allegro energico dirigirt hat“6. Im Hintergrund des Stückes agierte freilich der Generalintendant selber  : Dr. Josef Freiherr von Bezecny, auch er dem hochgepriesenen „neuen Mann“ offensichtlich wohlgesonnen. Bezecny, von Beruf Finanzfachmann, war von 1878 bis zu seinem Tod 1904 Gouverneur der Wiener Bodencreditanstalt und von 1885 bis 1898 zusätzlich Generalintendant der Hoftheater. Ohne Zweifel hat Bezecny Mahlers Berufung beim Obersthofmeisteramt durchgesetzt und auch für die rascheste Ablösung des krank und müde gewordenen Wilhelm Jahn gesorgt. Wie umsichtig er dabei vorging, wird daran deutlich, dass er sich der Zustimmung auch des mächtigen Kritikers Eduard Hanslick versicherte, obwohl schon so gewichtige Befürwortungen Mahlers wie die von Brahms, Graf Ap­po­ nyi und dem ehemaligen Intendanten der Budapester Oper Ferenc von Beniczky vorlagen. Die Aussicht auf die gedeihliche Zusammenarbeit mit Bezecny hatte Mahlers Hoffnungen, in Wien mehr als nur Opernkapellmeister zu werden, während der langen, geheim geführten Verhandlungen gestärkt. Sicherlich im Hinblick auf solche konkrete Chancen und zweifellos in Absprache mit Bezecny hatte Mahler am 4. April bei der Generalintendanz eine Art Vorvertrag unterschrieben, ehe er, von Pollini dringend zurückgerufen, nach Hamburg zurückreiste  : „Ich erkläre, ein Engagement als Kapellmeister am Wiener Hofoperntheater auf ein Jahr ab 1. VI. mit einem Jahresbezug von 5000 fl. (fünftausend Gulden) anzunehmen und bleibe mit dieser Erklärung bis 15. April a. c. im Worte.“7

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Die Engagementsbestätigung durch Kanzleidirektor Wlassack muss ihn wenige Tage später erreicht haben, denn schon am 9. April dankt er Wlassack überschwänglich für dessen Unterstützung und entwickelt zugleich schon einen „Feldzugsplan für die nächste Saison“8, nämlich „sowohl Neuinszenierungen wie Novitäten so anzusetzen, daß durch vorteilhafte Disposition und volle Ausnützung des Personals und der Zeit je eine Neuinszenierung und eine Novität zusammen herausgebracht werden könnte. Wir könnten so schon im Laufe der nächsten Saison aus dieser Repertoire-Misere herauskommen.“9 Tags zuvor, am 8. April, war in Wien die Bombe geplatzt, das Versteckspiel war zu Ende und die Geheimhaltung überflüssig geworden. Die »Wiener Abendpost«, das Abendblatt des offiziellen Presseorgans des Kaiserhauses, der »Wiener Zeitung«, bringt eine unscheinbare Notiz von zwei Zeilen  : „Für das k. k. Hofoperntheater wurde Herr Gustav Mahler als Kapellmeister engagiert.“10 Man kann sich deshalb Mahlers Bestürzung vorstellen, als er, gerade als die Bestätigung des Engagements bei ihm eingetroffen war, von den Rücktrittsabsichten Bezecnys erfuhr. Entsetzt schreibt er an die beiden Vertrauten seiner Wiener Opern-Eroberung. „Donnerwetter  !“, heißt es in seinem Brief vom 11. April 1897 an Ludwig Karpath, „eben erfahre ich von der Demission Bezecnys. Das kommt zu früh  !“11 Und in dem gleichzeitigen Brief an Rosa Papier erörtert er die möglichen Folgen der Demission  : „Werden meine Gegner sie nicht so auszulegen versuchen, als ob mein Engagement den Anlaß zu dieser Krise gegeben hat  ? Und ferner – was geschieht nun  ? Wer wird der neue Intendant  ? Wird derselbe nicht vielleicht einen Anderen als Director candidiren  ?“12 In welch hektischer Eile die Anstellung Mahlers in diesen ersten Apriltagen 1897 betrieben wurde, davon geben die im Haus-, Hof- und Staatsarchiv am Wiener Minoritenplatz aufbewahrten Dokumente ein anschauliches Bild. Briefe werden gewechselt und von Depeschen überholt, Operndirektor Jahn, von Bezecny sichtlich vor vollendete Tatsachen gestellt, wird veranlasst, den Kapellmeistervertrag an Mahler zur Unterschrift nach Hamburg zu senden, gleichzeitig ist die Vorverlegung seines Stellenantritts vom 1. Juni auf den 1. Mai schon eine beschlossene Sache, die Mahler, unter Umgehung der Operndirektion, von Bezecny direkt und telegrafisch mitgeteilt wird, und der von Mahler unterzeichnete Vertrag wird – ein in seiner unösterreichischen Eile nahezu unfassbarer Verwaltungsakt – von der Generalintendanz noch am Tag seines Eintreffens ratifiziert. Der einzige Ahnungslose in dem wohl abgekarteten Spiel muss Wilhelm Jahn gewesen sein. Gerade noch hatte er, der sich zur Behandlung seines Augenleidens in Karlsbad befand, ein Telegramm Mahlers nachgesandt erhalten, in dem ihm dieser „meinen tiefgefühlten Dank für Ihre große Güte und die erneuerte Versicherung meiner unbedingten Ergebenheit“13 übermittelte, da traf auch schon ein Brief aus Hamburg ein, der die für Jahn überraschenden und beunruhigenden Sätze enthielt  : „Es wurde mir mitgetheilt, daß Sie mein baldigstes Eintreffen, falls dieß zu ermöglichen ist, wünschen. – Ich werde

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also noch in diesen Tagen um meine sofortige Entlaßung bei H. Pollini ansuchen, und werde mir erlauben, Ihnen das Ergebnis dieses Gesuches telegrafisch mitzutheilen.“14 Verständlich, dass Jahn seinem „geehrten Herrn Sekretär“ aus Karlsbad schreibt  : „Bitte beifolgenden Brief resp. seinen Inhalt zur Kenntniß Sr. Exzellenz zu bringen, da mir von der Abmachung wegen eines früheren Eintreffens des Hrn. Capellmeisters Mahler nichts bekannt ist.“15 Als dieser Brief in der Hofoper eintraf, war Gustav Mahler schon auf dem Weg nach Wien. Der Taktiker Mahler hatte gesiegt, auf der ganzen Linie. Die Planmäßigkeit seines Vorgehens, die raffinierte Ausnutzung jedweden Mittels hat bei den Mahler-Biographen auch Unbehagen hervorgerufen, ist von seinen Feinden vor allem aus antisemitischem Ressentiment heraus scharf kritisiert worden. Gewiss, Mahler hat jeden erdenklichen Vorstoß unternommen, hat seine einflussreichen Verbindungen genutzt, hat die Presse bearbeitet, ist zum katholischen Glauben übergetreten. Aber er hat nicht zuletzt, vielmehr zuvörderst, Freunde und Förderer, Kollegen und Kritiker, Voreingenommene und Widerstrebende, die Verfechter der Kunst und die Vertreter der Behörden durch so hervorragende künstlerische Leistungen beeindruckt, dass ihm der Sprung nach Wien gelingen musste. Mahlers Einzug in die Wiener Hofoper gleicht einem Triumph. Seine Antrittsvorstellung – Wagners »Lohengrin« am 11. Mai 1897 – beginnt in einer Atmosphäre allgemeiner Neugier und Spannung und endet mit der rückhaltlosen und begeisterten Zustimmung des Publikums und der Presse zu dem neuen Mann. Die unvergleichliche Gabe der Neubelebung einer vertraut geglaubten Partitur und die magische Kraft Mahlers, Bühne und Orchester zu einer musikdramatischen Einheit zu verschmelzen, werden in den Zeitungsbesprechungen der ersten Wiener Dirigate Mahlers immer wieder gewürdigt, Karl Kraus äußert in einem „Wiener Brief“ in der »Breslauer Zeitung« vom 16. Mai 1897 folgende Prophezeiung  : „Mit Siegfriedsallüren ist in das Opernhaus dieser Tage ein neuer Dirigent eingezogen, dem man es vom Gesicht ablesen kann, daß er mit der alten Mißwirtschaft aufräumen wird. Herr Mahler dirigierte zum ersten Male »Lohengrin« und hatte einen von allen Blättern einstimmig anerkannten Erfolg. Es geht ein Gerücht, daß man ihn bald auf den Direktionsstuhl setzen wird. Dann wird das Repertoire unserer Hofoper wohl nicht mehr ausschließlich aus »Cavalleria rusticana« bestehen, heimische Komponisten werden ihre Manuskripte nicht mehr ungelesen zurückbekommen (sondern gelesen), und verdiente Sängerinnen nicht mehr grundlos vor die Thüre gesetzt werden. Der neue Dirigent soll bereits so effektive Proben seiner Tatkraft abgelegt haben, daß schon fleißig gegen ihn intriguirt wird.“16 Mahlers eigene Einstellung zu den Wiener Ereignissen wechselt zwischen einem kämpferisch bestimmten Zweckpessimismus und einem gesunden Optimismus, der sich auf das Glück der Stunde versteht. Knapp vor seiner Abreise nach Wien schreibt er an den Freund Arnold Berliner  :

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„Meine Berufung nach Wien hat zunächst nur eine unerhörte Unruhe und Kampf­ erwartung in mein Leben gebracht. Ob es die mir gemäße Stellung ist, muß ich erst abwarten. In allen Fällen muß ich mich auf ein Jahr der erbittertsten Gegnerschaft aller Elemente, die nicht wollen oder können (was gewöhnlich zusammenfällt), gefaßt machen.“17 An Anna von Mildenburg, die in Hamburg zurückgeblieben war, berichtet er dagegen in mehreren Briefen voll Stolz und im Hochgefühl seiner ersten Erfolge  : „Wahrscheinlich werde ich im Herbst Direktor sein … Ganz Wien hat mich geradezu mit Enthusiasmus begrüßt  ! … Es ist kaum mehr daran zu zweifeln, daß ich in absehbarer Zeit Direktor werde … Es geht famos  ! Das ganze Personal ist sehr für mich eingenommen, und meine Position ist eine exceptionelle, glänzende.“18 Mahler war am Ziel angekommen. Die Rückkehr nach Wien bedeutete ihm nicht nur die Erfüllung des kühnsten Künstlertraums, sondern auch die Wiedergewinnung der Heimat, wie er gleich in zwei Briefen aus dem Frühjahr 1897 versichert. „Es ist mein höchstes Glück“, schreibt er an eine Freundin, „nicht eine äußerlich glänzende Stellung errungen zu haben, sondern mir nunmehr eine Heimat, meine Heimat gewonnen zu haben.“19 Und in dem oben zitierten Brief an Berliner heißt es  : „Ein neues Kapitel beginnt wieder. Aber ich ziehe in die Heimat ein, und ich werde alles daransetzen, um meine Wanderschaft für dieses Leben zu beendigen.“20 Das Schicksal hatte es Gustav Mahler anders bestimmt.

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Abb. 1  : Gustav Mahler auf dem Weg zur Wiener Hofoper (Fotograf unbekannt) (Privatarchiv Torsten Haferlach, München)

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Abb. 2  : Mahlers Kapellmeistervertrag mit der Wiener Hofoper, erste Seite (AT-OeStA/HHStA HA Oper SR 52-20)

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Abb. 3  : Theaterzettel der Antrittsvorstellung Mahlers am 11. Mai 1897 (KHM-Museumsverband, Theatermuseum Wien; PA_Rara G554)

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Abb. 4  : Porträtfoto Gustav Mahler 1. Januar 1898 (Fotograf unbekannt) (Privatarchiv Torsten Haferlach, München)

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Abb. 5  : Porträtfoto des Obersthofmeisters Alfred Fürst Montenuovo (ÖNB/Wien/Burger (Pf 9.173   : D [3])

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Abb.6  : Porträtfoto des Kanzleidirektors der Hofoper Dr. Eduard Wlassack (ÖNB/Wien (Pf 14748   : C [1 E])

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Abb. 7  : Porträtfoto des General-Intendanten der Hoftheater August Freiherr Plappart von Leenheer (ÖNB/Wien (Pf 10453   : C [1])

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Abb. 8  : Porträtfoto von Mahlers Sekretär Alois Przistaupinski (ÖNB/Wien [NB 612897-B])

EIN MANAGER BETRITT DIE BÜHNE Das Thema „Gustav Mahler und die Oper“ hat unendlich viele Facetten, die noch ihrer systematischen Bearbeitung und theaterwissenschaftlichen Erforschung harren. Die Darstellung der Leistungen Mahlers als Wiener Hofoperndirektor kann nur einen kleinen, wenn auch zentralen Teil dieses Aufgabenfeldes abdecken. Das Besondere der Wirksamkeit Mahlers, der so organisch wirkende, dabei so kunstvoll verschränkte Zusammenhang und Zusammenhalt seines Reformwerks, lässt sich freilich nicht schöner umschreiben als in dem poetischen Bild, das Hugo von Hofmannsthal dafür gefunden hat  : „Ein chaotisches, wahrhaft heterogenes Ganze gliedert sich rhythmisch, und wäre es auch unter Zuckungen  ; die feindseligen oder stumpfen Teile treten zueinander in Verhältnis und Gegenwirkung, die kaum zu ahnen war, und der Freund der Künste wird mit Entzücken, der Philister mit staunendem Widerwillen gewahr, dass aus vielen toten Elementen ein lebendiges zu werden vermöge, aber freilich nur durch das Wunder eines schöpferischen Geistes. Ein solches Schauspiel war die Direktionsführung Gustav Mahler an der Wiener Oper.“1 Seit und dank Gustav Mahler wissen wir, dass die Leitung eines Theaters, speziell die eines Opernhauses, zu den gleicherweise administrative wie produzierende Bereiche umfassenden Management-Aufgaben gehört, nicht anders als die Führung eines Industrie- oder Wirtschaftsunternehmens. Indes ist der Beruf des Theaterdirektors wohl noch heikler und schwieriger, da er nicht nur ökonomischen Nutzen anzustreben und an Profitinteressen sich zu orientieren – und somit die Gesetze des „Marktes“ zu respektieren – hat, sondern darüber hinaus eines der kostbarsten Güter des Menschen, die künstlerische Leistung, zur Handelsware machen muss. Künstlerisches Management ist, um einer inzwischen geläufigen Definition zu folgen, „planvolles, öffentliches, ökonomisch orientiertes Handeln, das sich auf künstlerische Inhalte oder kulturelle Ziele bezieht, auf die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft gerichtet ist und seine Ergebnisse in den Dienst der Allgemeinheit stellt.“2 Damit ist das dialektische Grundsatzverhältnis zwischen Ökonomie und Kunst angesprochen, das jeglichem Handeln im künstlerischen Management zugrunde liegt und zweifellos auch, in seiner exemplarischen Bedeutung wohl erstmalig, Leistung und Wirkung des Hofoperndirektors Gustav Mahler geprägt hat. Wir haben uns angewöhnt, diese Leistung vor allem in Mahlers Wirken als Dirigent, als kompromissloser Sachwalter kompositorischer Ansprüche und als Erneuerer der Szene, als Genie der Umsetzung musikalischer Ideen in gesanglichen Ausdruck und bühnenwirksame Darstellung zu sehen. Dabei ist sehr oft die Manager-Rolle des

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Operndirektors im Hintergrund geblieben, obwohl der Manager dem Musiker und dem Regisseur in seiner Brust ein gleichbedeutender und gleichberechtigter Partner war. Es war jedoch gerade die unauflösbare Verschränkung von künstlerischem Gewissen und ökonomischer Verantwortung, die Mahlers Wirken als Hofoperndirektor zutiefst bestimmt hat. Keines seiner künstlerischen Vorhaben, das nicht auch auf dessen Auswirkungen auf den „Betrieb“ und die Theaterkasse bedacht und verantwortet wurde  ; keine seiner organisatorischen oder administrativen Maßnahmen, die nicht im Hinblick auf die Verwirklichung eines künstlerischen Zieles hin getroffen wurde. Was Karl Kraus hellsichtig schon nach Mahlers Antrittsvorstellung in der Hofoper am 11. Mai 1897 den Lesern der »Breslauer Zeitung« prophezeite – dass der „neue Dirigent mit der alten Mißwirtschaft aufräumen wird“3 –, das bestätigte dieser selbst schon wenig später, nachdem er Wilhelm Jahn auf dem Direktionsstuhl nachgefolgt war. Zu den wichtigsten Maßnahmen, die Mahler als in Operndingen erfahrener „Manager“ veranlasst hat, gehören die völlige Abdunkelung des Zuschauerraums, der seit 1887 in elektrischem Licht dalag  ; die Anordnung, Zuspätkommenden erst in der Pause den Zutritt zum Saal zu gewähren; die Abschaffung der öffentlichen Generalproben und – Jahre später und heftig umstritten – die Tieferlegung des Orchestergrabens, um eine bessere, Bayreuth-ähnliche Klangbalance zwischen Bühne und Orchester zu erzielen, sowie (nach Münchner Vorbild entworfen, doch erst 1900 realisiert) die Anschaffung und der Einbau einer Drehbühne, um die Möglichkeit rascher szenischer Verwandlungen zu schaffen, wie sie ihm für eine zeitgemäße Inszenierung von Mozart-Opern vorschwebte. Wie ernst es ihm mit seinen organisatorischen und administrativen Maßnahmen war, bezeugt die Anweisung, nach Beginn der Musik niemandem mehr Einlass in den Zuschauerraum – mit Ausnahme der Logen und des Stehplatzes – zu gewähren. Kein Wunder, dass Mahlers Strenge auch zum Gegenstand der Satire wurde. So veröffentlichte der Musikkritiker und Pädagoge Robert Hirschfeld, einer der Intimfeinde Mahlers, unter seinem Pseudonym L. A.Terne schon im November 1897 in der Wiener »Sonn- und Montagszeitung« ein „Regulativ für die Besucher der Hofoper“, in dem er Mahlers Anordnungen lächerlich machte. Die ersten 3 Paragraphen der „Vollzugsvorschriften zu dem Erlasse wider das Zuspätkommen“ lauten  : § 1. „Es wird täglich um 5 Uhr im k. k. Arsenal durch einen Kanonenschuß den Besuchern der Hofoper das Zeichen gegeben, daß sie daheim in Bereitschaft zu treten haben. An den Tagen, für welche der Beginn der Vorstellungen auf halb 7 Uhr angesetzt wurde, erfolgt der Signalschuß schon um halb 5 Uhr.“ § 2. „Um 6 Uhr, beziehungsweise halb 6 Uhr, mahnt ein zweiter Kanonenschuß, daß die Opernbesucher aus den entfernteren Bezirken ihre Reise zur Hofoper antreten sollten. Es wurde mit den Wiener Hausbesitzern vereinbart, daß die Hausmeister denjenigen Parteien, welche an dem betreffenden Tage die Oper besuchen wollen, die erfolgte Abfeuerung des 6 Uhr-, beziehungsweise halb 6 Uhr-Schusses melden und sie zum Verlassen des Hauses drän-

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gen müssen. Zu diesem Behufe haben die Wohnparteien, welche am Abende die Oper besuchen, schon am Morgen des betreffenden Tages sich in ein bei den Hausbesorgern aufliegendes Frequentationsbuch einzutragen.“ § 3. „Da Tramway und Omnibus, zumal während der gegenwärtigen Röhrenverlegung, am ehesten unter Verkehrsstockungen zu leiden haben und somit leicht ein massenweises Verspäten der Opernbesucher verschulden können, verpflichtet sich jeder Opernabonnent und Abnehmer einer Opernkarte ehrenwörtlich, nach dem zweiten Signalschusse niemals eines der obgenannten Vehikel für die Fahrt zur Hofoper zu benutzen.“ Doch auch im Opernhaus selbst soll das „Regulativ“ für ein zügiges Einnehmen der Sitzplätze sorgen. So wird „das Verweilen und Plaudern in den Garderoben vor Beginn der Vorstellung“ untersagt, und um das „zeitraubende Ablegen der Moderöcke in den Garderoben“ zu verhindern, sollen „den Abonnenten der Hofoper weite Opernmäntel, welche mit einem einzigen Griffe abgeworfen werden können, zum Selbstkostenpreise ausgefolgt“ werden. Dann richtet die „L. A.Terne“ ihren satirischen Strahl direkt in den Zuschauerraum  : „Schlag 7 Uhr, beziehungsweise halb 7 Uhr, gibt eine Dampfpfeife im Opernhause das Anfangszeichen. Wer bis dahin seinen Platz noch nicht erreichte, hat alle Folgen zu tragen, welche in dem Directionserlasse vom 2. November a. c. angedroht sind.“ Und: „Nach Heben des Vorhanges hat das Publicum strenge darauf zu achten, daß ihm die Illusion nicht verloren geht. Behufs Einhaltung der Illusion im Zuschauerraume wird wie folgt verfügt“, nämlich mit neun kuriosen „Ausführungsbestimmungen“, die von der Pflicht, dass sich eintretende Paare „durch Vorzeigen eines Trauscheines als Ehepaar legitimieren“ (da Brautleute durch „lebhaften Meinungsaustausch“ von den Vorgängen auf der Bühne ablenken könnten), über das Verbot für Abonnenten, das Opernglas oder gar einen Stock fallen zu lassen, bis zu der Anordnung reichen, dass Bonbons während der Vorstellung nur in der Weise genossen werden dürfen, „daß das Zuckerwerk, ohne daß die Zähne mithelfen, zwischen die Zunge und den Gaumen gelegt“ wird, um endlich „unhörbar in den Schlund“ befördert zu werden. – Ob Gustav Mahler diese Schmähungen zur Kenntnis gekommen sind, sie ihm vielleicht sogar ein Schmunzeln abgenötigt haben, wissen wir nicht. Die radikalste Reformtat setzte Mahler schon zwei Tage nach seiner Ernennung zum „artistischen Director des Hofoperntheaters“ durch Kaiser Franz Joseph am 8. Oktober 1897. Die »Neue Freie Presse« berichtet darüber am 11. Oktober  : „Gestern Vormittags erschienen die Solisten und Solistinnen, sowie Deputationen der Orchester- und Chormitglieder bei Director Gustav Mahler, um dem neuernannten Chef des Instituts, da von einer officiellen Vorstellung durch den Leiter der GeneralIntendanz, Baron Bezecny, diesmal Umgang genommen wird, ihre Glückwünsche abzustatten. Director Mahler empfing die Gratulanten in der Pause zwischen einer Decorations- und einer Orchesterprobe zur »Zauberflöte«. Zu der Reform, welche der neue

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Director der Hofoper plant, gehört auch die Abschaffung der Claque. Damit wird er sich gewiß den Beifall zahlreicher Opernfreunde erwerben, denen das aufdringliche Treiben der bezahlten Klatscher so oft schon den musikalischen Genuß vergällt hat. Director Mahler hat an die Mitglieder des Hofoperntheaters folgendes Schreiben geschickt  : ‚Sehr geehrte Mitglieder des k. k. Hofoperntheaters  ! Um dem widerwärtigen Treiben der Claque zu begegnen, wurden von Seite der Theaterleitung bereits wiederholt Schritte unternommen, und es wäre auch beinahe gelungen, diesem Unfuge ein Ziel zu setzen, wenn nicht in unwürdiger und vermeintlicher Wahrung ihrer persönlichen Interessen heimlicherweise einige der Mitglieder die erlassenen Verordnungen umgangen hätten. Da ich nun im mündlichen Verkehre mit Ihnen zu meiner Freude ersehen habe, daß Sie mit mir darin völlig übereinstimmen, es müsse die Claque gänzlich beseitigt werden, indem dieselbe nicht nur die Erreichung unseres künstlerischen Zieles unmöglich macht, sondern uns auch nach außen hin discreditirt, so erlaube ich mir, an Sie, meine Geehrten, die Aufforderung zu richten, sich mit Ihrem Ehrenworte zu verpflichten, jede wie immer geartete Verbindung mit der Claque aufzugeben, daher sowol die Abgabe von Freibilletten wie auch die Bezahlung einzustellen, und hoffe, daß wir auf diese Weise diesem mit der Würde des Institutes unvereinbaren Mißbrauche ein Ende bereiten werden. Ich meinerseits versichere Sie, daß ich Sie nicht nur in diesem Vorhaben auf das eifrigste unterstützen, sondern auch durch alle mir zu Gebote stehenden Mittel in unserer Aller Interesse eine Controle darüber, daß Ihre gegenseitige Vereinbarung nicht übertreten wird, aufrechterhalten werde. Mit den herzlichsten Grüßen Ihr hochachtungsvoll ergebener Gustav Mahler Die meisten Mitglieder haben ihre Unterschrift bereits unter die folgende Erklärung gesetzt  : Ich verpflichte mich mit meinem Ehrenworte, jede wie immer geartete Verbindung mit der Claque aufzugeben.‘ Es gibt Chefs der Claque, welche sich ein stattliches Vermögen durch ihr Kunsthandwerk erworben haben  ; oft und oft schon hat man – nicht blos in Wien – versucht, diesem scandalösen Treiben ein Ziel zu setzen, aber die energischesten Maßregeln scheiterten an der fortwährend wachsenden Eitelkeit und Nervosität der Künstler. Ob der jetzige rühmliche Feldzug gegen ein so tiefsitzendes Uebel Erfolge erzielen wird, wird die Zukunft lehren.“4 Dass Mahler auf diesem Feld seiner Reformbestrebungen nur ein halber Erfolg beschieden war, obwohl er auf der Galerie „Detektive“ platziert hatte, die ihm „Zuwiderhandelnde“ melden mussten, beweist seine aktenkundig gewordene Kontroverse mit Ernest von Dyck, dem rundgesichtigen und dicklichen Heldentenor, der gleichwohl ein Liebling des Wiener Publikums war und auf ein Applausgewitter der von ihm bezahlten Claqueure nicht verzichten konnte. Doch beschränkte sich Mahlers Eifer, die Wiener Oper zu einem makellosen und vorbildlichen Kunstinstitut nach seinen Maßstäben

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zu formen, keineswegs auf derlei administrative Maßnahmen – die hohen Ansprüche und neuen Ziele, die er dem gesamten „Apparat“ auferlegte, beweisen vielmehr, dass ein künstlerisches Ideal – die Verwandlung des Genres „Oper“ in lebendiges „Musiktheater“ – die eigentliche Intention seines Tuns war. Die Öffnung der „Striche“ in den Musikdramen Richard Wagners, die damit zum ersten Mal ungekürzt in Wien erklangen, ist dafür nur ein wenn auch zentraler Beleg. Richard Wagner – genauer gesagt  : der Wunderbau seines Bayreuther Festspielhauses – war auch Vorbild und Anlass für eine der folgenreichsten Maßnahmen des Operndirektors Mahler. Um den legendären Mischklang, der aus dem „mystischen Abgrund“ vor der Bayreuther Festspielhaus-Bühne in den Zuschauerraum dringt, auch in der Wiener Hof­oper herzustellen, veranlasste Mahler im Sommer 1903 eine Tieferlegung des Orchesterbodens um zunächst 60 Zentimeter, wobei der Orchesterraum „mittelst hydraulischer Kraft durch eine Kurbel tiefer und höher versenkbar“ werden sollte, „je nachdem es das aufzuführende Werk erfordert.“5 Da Mahler das Ergebnis nicht voll befriedigte, wurden schon im Jänner 1904 weitere bauliche Veränderungen am Orchestergraben vorgenommen, die bis zum März 1905 fortgesetzt wurden, bis die von Mahler gewünschte endgültige Tiefe von 1,5 Metern erreicht war. Der Wiener Presse gegenüber, die nur zu gern den im Publikum ausgebrochenen „Rummel mit der schlechten Akustik“6 befeuerte, verteidigte Mahler seine Maßnahme vehement, wie wir in einem Interview lesen können, das er dem »FremdenBlatt« gegeben hat  : „Ich weiß nicht, … was die Leute an dem Orchester auszusetzen haben, seitdem es während der Ferien etwas tiefer gelegt worden ist. Der Eine findet es zu schwach, der Andere zu stark, jeder sogenannte Sachverständige hat andere überaus ‚feinfühlige‘ Sondereindrücke.Wenn ich da alle ‚Sachverständigen‘ fragen wollte  ! Ich aber urtheile nach meinen eigenen Eindrücken und sage Ihnen, daß es jetzt mit dem Orchester ganz vortrefflich bestellt ist, daß das Verhältniß der Instrumente zu einander durch die Neugestaltung gegen früher außerordentlich gewonnen hat.“7 Auch dieses Detail aus der Baugeschichte des Wiener Opernhauses zeigt Mahlers intuitive Begabung als „Opernmanager“ – seine Fähigkeit, den unendlich vielfältigen, in künstlerische, technische und Verwaltungsbereiche gegliederten Organismus des damals größten europäischen Operntheaters zu überblicken, im Griff zu halten und den selbstgesetzten hohen, ja höchsten Zielen entsprechend zu motivieren und zu formen.

DER OPERNDIREKTOR UND SEIN SPIELPLAN Es wird überliefert, dass elektrisierende Spannung das Auditorium in Atem hielt, bis sich die schmale Tür im Orchestergraben der Wiener Hofoper öffnete und der Dirigent erkennbar wurde. War es Gustav Mahler, brandete ihm begeisterter Jubel entgegen, noch ehe er an das Dirigentenpult getreten war. Nur die Sängerbesetzungen wurden damals in Wien üblicherweise in den Zeitungen angekündigt. Den Dirigenten einer Repertoireaufführung im Voraus in Erfahrung zu bringen, war daher dem „normalen“ Opernbesucher damals so gut wie unmöglich. Allein die Fachleute im Publikum sollen an der Art, wie das Orchester seine Instrumente stimmte, erkannt haben, dass Mahler die Vorstellung leiten würde. In der Tat nennen die Programmplakate und -zettel der Wiener Hofoper bis 1907 nicht ein einziges Mal den Namen des Dirigenten Mahler, denn sie geben über Regisseur und Dirigent der jeweiligen Aufführung keine Auskunft. Mit wie vielen Traditionen und Gepflogenheiten der „Revolutionär“ Mahler auch gebrochen hat  : Diese hat er akzeptiert. Erst in der Direktionszeit Hans Gregors (1911– 1918) wurden auch in Wien neben der Sängerbesetzung die Namen der künstlerischen Leiter einer Aufführung dem Publikum bekannt gegeben. (Zweifellos hängt diese Zurückhaltung mit der untergeordneten Stellung zusammen, die der musikalische Leiter einer Opernaufführung in den Augen der Öffentlichkeit bis weit über die Zeiten Carl Maria von Webers – des ersten „Dirigenten“ im modernen Sinn – hinaus hatte.) Verlässlicher Aufschluss über die von Mahler geleiteten Vorstellungen ist nur aus den sogenannten „Regie-Protokollen“ zu gewinnen, den vom Betriebsbüro geführten Besetzungsbüchern, in denen die in der allwöchentlichen „Regiesitzung“ festgelegten Sänger- und Dirigentenbesetzungen für die kommenden Vorstellungen sowie – zumindest bis zur Spielzeit 1902/03 – auch die dafür als nötig erachteten Proben festgehalten wurden. Kurzfristige Absagen, auch Änderungen während einer Vorstellung sind mit roter Tinte eingetragen. Diesen „Regie-Protokollen“ zufolge hat Gustav Mahler in den zehneinhalb Jahren zwischen Mai 1897 und Oktober 1907 an 641 Abenden 650 Opernaufführungen an der Wiener Hofoper dirigiert. (Zum Vergleich  : Herbert von Karajan hat in den fünfeinhalb Jahren seiner Wiener Direktionszeit vom 1. September 1956 bis 7. Februar 1962 168 Vorstellungen geleitet.) Diese geradezu unglaubliche Zahl von Dirigaten Mahlers wird erst dann richtig fassbar, wenn man die Verteilung über die einzelnen Spielzeiten betrachtet (vgl. auch  : Gustav Mahlers Dirigate an der Wiener Hofoper, S. 257ff.). Nicht minder erstaunlich die enorme Repertoirekenntnis Mahlers, der in seinen zehn Wiener Jahren nicht weniger als 63 verschiedene Opern dirigiert hat. Freilich war, dies sei angesichts dieser schier unglaublichen Zahlen nicht unterschlagen, Mahler keineswegs uneingeschränkt und dauerhaft glücklich mit der Aufgabe, ein

Der Operndirektor und sein Spielplan

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Repertoiretheater von der Größe und Bedeutung der Wiener Hofoper führen zu müssen. Den Erinnerungen Natalie Bauer-Lechners zufolge „sagte er oft in Verzweiflung  : ‚Du wirst sehen, ich halte diesen greulichen Zustand nicht einmal so lange aus, daß ich die Pension anständigerweise annehmen kann. Am liebsten möchte ich gleich auf und davon gehen. Ja, wenn das ein Absehen hätte  ; wenn ich in der Art von Bayreuth eine Anzahl (meinetwegen eine zehnfach größere) von Werken tadellos einstudieren und als wahre Festspiele hinstellen könnte, wie freudig würde ich das leisten  ! Aber bei der Einrichtung unseres Theaters, wo täglich gespielt werden muß, wo ich der ärgsten Verlotterung und tief eingewurzelten Fehlern auf Schritt und Tritt bei dem ganzen Körper, mit dem ich’s zu tun habe, begegne, und oft erst im Momente der Aufführung und im ärgsten Kampfe alles umstürzen und neu aufbauen muß  ; wo ich ein Repertoire habe, welches das Gemeine neben dem Höchsten enthält  ; wo die Stumpfheit und Beschränktheit der Ausführenden und Aufnehmenden meist wie eine Wand entgegensteht  : da ist es eine Sisyphusarbeit, die ich leisten soll, die meine besten Kräfte, ja mein Leben aufzehren, aber zu keinem Ziel und Gelingen führen kann  !‘“1 Um so eindrucksvoller liest sich die Leistungsschau des Hofoperndirektors Mahler als Dirigent. Hier die Übersicht  : Spielzeit 1896/97  3 Werke Spielzeit 1897/98 23 Werke Spielzeit 1898/99 22 Werke Spielzeit 1899/1900 28 Werke Spielzeit 1900/01 19 Werke Spielzeit 1901/02 11 Werke Spielzeit 1902/03 12 Werke Spielzeit 1903/04 11 Werke Spielzeit 1904/05 10 Werke Spielzeit 1905/06 10 Werke Spielzeit 1906/07 11 Werke Spielzeit 1907/08  6 Werke

in   4 Vorstellungen* in 112 Vorstellungen in 104 Vorstellungen (an 99 Abenden) in   97 Vorstellungen in   54 Vorstellungen in   36 Vorstellungen in   53 Vorstellungen in   39 Vorstellungen in   44 Vorstellungen (an 41 Abenden) in   58 Vorstellungen in   44 Vorstellungen in   6 Vorstellungen**

insgesamt

in 651 Vorstellungen

63 Werke

* Vertragsbeginn 1.5.1897/Antrittsvorstellung 11.5.1897/Spielzeitende 12.6.1897 ** Spielzeitbeginn 18.8.1907/Abschiedsvorstellung 15.10.1907/Vertragsende 31.12.1907

Auf den ersten Blick fällt der Knick in der „Leistungskurve“ Mahlers nach seiner dritten vollen Saison auf  ; hatte sich die Vorstellungszahl bis zum Ende der Spielzeit 1899/1900 rund um die Hundertermarke bewegt, so fiel sie jetzt auf nahezu die Hälfte ab, erreichte

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Der Operndirektor und sein Spielplan

in der darauffolgenden Spielzeit mit 36 Vorstellungen den absoluten Tiefstand und erhob sich danach nur zweimal noch über die Zahl 50 hinaus. Eine Erklärung für den Rückgang liegt auf der Hand  : In der Nacht vom 24. auf den 25. Februar 1901 hatte Mahler – nachdem er zu Mittag des 24. ein philharmonisches Konzert mit Bruckners Fünfter und am Abend eine Aufführung der »Zauberflöte« in der Hofoper geleitet hatte – einen Blutsturz erlitten, der eine sofortige Hämorrhoiden-Operation nötig machte und ihn, mit dem anschließenden Erholungsaufenthalt in Abbazia (heute  : Opatija), bis zum 12. April vom Pult der Hofoper fernhielt. Nur eine oberflächliche Betrachtung jedoch vermag in der Rücksichtnahme auf Mahlers geschwächte Gesundheit den hauptsächlichen Grund für den Rückgang seiner Diri­ gentenauftritte zu sehen. Auch die Annahme, dass Mahler nach seiner Verehelichung mit Alma Schindler im März 1902 der beruflichen Inanspruchnahme einen größeren Freiraum für sein Privatleben abgewinnen musste, kann die anhaltende Verringerung der Zahl der Dirigate und der von Mahler selbst betreuten Premieren nicht hinreichend erklären. Nicht einmal die Tatsache, dass Mahler nach der Jahrhundertwende immer mehr Ansehen als Komponist gewann und immer öfter den Wunsch – und den Anlass – hatte, den Aufführungen seiner Symphonien beizuwohnen, sie in den meisten Fällen selbst zu dirigieren, darf uns von der Erkenntnis ablenken, dass diese Zahlen signifikante Bedeutung für einen tieferen Vorgang haben  : für die sich wandelnde Auffassung Mahlers von den Prinzipien seiner Direktionsführung. Krankheit und Krise, Einkehr ins Private und Öffnung für den Erfolg als Komponist sind lediglich Begleiterscheinungen, vielleicht auch Symptome für eine veränderte Zielsetzung seiner künstlerischen Arbeit, die Mahlers zehnjährige Direktionszeit in drei unterschiedliche Perioden einzuteilen zwingt. Auch wenn es – sieht man von einigen Presseerklärungen aus dem Jahr seiner Demission ab – so gut wie keine Interviews, Verlautbarungen oder Selbstinterpretationen Mahlers gibt, die diesen Wandel seiner KunstIntentionen expressis verbis bestätigen, so sprechen die hier vorgelegten Zahlen doch eine eindeutige Sprache. Die erste Periode, die man – verlegen um eine zutreffende Definition für das restlose Eindringen eines Künstlers in den „Apparat“ eines Opernhauses – nur im Bild, etwa mit „Durchknetung des Spielplans“, umschreiben kann, dauert von 1897 bis 1900. Nachdem Mahler in diesen ersten drei Spielzeiten mehrmals in einer Woche dirigiert (in einzelnen Wochen, wie die „Regie-Protokolle“ beweisen, sogar nahezu täglich  !) und so vom Pult aus dem ganzen Organismus der Wiener Hofoper seinen Geist aufgezwungen hat, verlegt er sich in den nächsten vier Jahren immer mehr darauf, vom Schreibtisch aus für eine weitblickende Repertoire- und Ensemblebildung zu sorgen. Als auf diesem Gebiet, bis etwa 1904, das Mögliche erreicht – und oftmals auch nicht erreicht – ist, tut Mahler in den verbleibenden drei Jahren seiner Direktionszeit den letzten Schritt  : zu

Der Operndirektor und sein Spielplan

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Musteraufführungen, die Festspielcharakter haben, und zu Interpretationszyklen, die in großer historischer Zusammenschau die Oper an sich zum Gegenstand des ästhetischen Interesses machen. Nicht nur an der Häufigkeit der Operndirigate, auch an der Verteilung der von Mahler musikalisch und szenisch geleiteten Premieren über den Zeitraum seiner Operndirektion lässt sich dieser Wandel ablesen. Zunächst bestechen freilich auch hier die absoluten Zahlen  : 64 von den insgesamt 106 Opernpremieren zwischen Herbst 1897 und Jahresende 1907 – fast zwei Drittel also – hat Mahler selbst einstudiert und geleitet. Nimmt man die 20 Ballettpremieren dazu, die im gleichen Zeitraum stattfanden (Mahler hat nicht eine davon dirigiert), so kommt man auf die respektable Zahl von 126 Premieren in zehn Jahren – eine für ein Kunstinstitut von der Größe der Wiener Hofoper immense Zahl, die von der Arbeitsbesessenheit Mahlers wie von der Leistungswilligkeit seiner Mitarbeiter beredtes Zeugnis gibt. Die hier für die Direktionszeit Gustav Mahlers genannte Zahl von 126 Premieren übersteigt die bisher in der Mahler-Literatur genannten Zahlen um ein Beträchtliches. Die Abweichung lässt sich leicht erklären  : In der Premierenliste, die der Regierungsrat im Büro der General-Intendanz Albert J. Weltner für die bereits 1913 erschienene Mahler-Biographie Richard Spechts zusammengestellt hat und die von dort in viele spätere Arbeiten übernommen worden ist, sind nur die „Opern-Novitäten unter Mahler“ (also die Ur- und Erstaufführungen) und die „Neu-Einstudierungen unter Mahler“ verzeichnet. Macht diese Aufstellung schon keinen Unterschied zwischen „Neuinszenierung“ (Inszenierung einer bereits früher gegebenen Oper in neuem Bühnenbild und mit neuer Besetzung) und „Neueinstudierung“ (Einstudierung einer Oper im bereits früher verwendeten Bühnenbild, jedoch mit neuer Besetzung), so verzichtet sie vollends auf die Angabe der sogenannten „Wiederaufnahmen“ (Einstudierung einer Oper, die längere Zeit nicht auf dem Spielplan stand, im gleichen Bühnenbild und mit überwiegend gleicher Besetzung). Es war Mahlers feste, oft bekundete Überzeugung, dass die Oper nur dann eine Daseinsberechtigung hat, wenn jede einzelne Vorstellung, fern dem üblichen Theateralltag, Festspielcharakter trägt. „In jeder Aufführung muß das Werk neu geboren werden“2, forderte er immer wieder von seinen Mitarbeitern. Probenarbeit, unermüdliche, immer wieder neu angeordnete und selbst unternommene Probenarbeit ist daher das Kernstück von Mahlers direktorialem Wirken, dem auf der künstlerischen Seite das stete Ringen um musikdramatische Vollkommenheit genau entspricht. Die Vielzahl der Neuinszenierungen ist im Gegensatz zu der geringen Zahl von sieben Wiederaufnahmen, die ohne größere Probenarbeit ein Werk dem Spielplan wieder einverleibten, deshalb für Mahlers Arbeitsweise ebenso charakteristisch, wie sie für den oftmals desolaten szenisch-musikalischen Zustand des von Mahler vorgefundenen Repertoires bezeichnend ist.

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Der Operndirektor und sein Spielplan

Von daher bezieht die vorliegende Darstellung ihre Berechtigung, erst aus der Zusammenschau der Wiederaufnahmen und Neueinstudierungen mit den echten Neuinszenierungen und den Ur- und Erstaufführungen die nach Inhalt und Umfang imponierende Leistung Gustav Mahlers zu erschließen, sowohl hinsichtlich seines eigenen Arbeitspensums wie hinsichtlich der „Produktivität“ der von ihm geführten Bühne. Denn auch über den Anteil von Mahlers eigener nachschöpferischer Tätigkeit an dieser Leistung lässt uns die Premierenliste Weltners im Unklaren. Der bei Novitäten wie Neueinstudierungen von ihm verwendete Zusatz „unter Mahler“ ist zwar zweifelsfrei als „in der Direktionszeit Mahlers“ gemeint, wurde jedoch von vielen Biographen so missverstanden, als ob Mahler all die genannten Werke selbst dirigiert hätte. Deshalb gilt es richtigzustellen, dass nicht Mahler, sondern Bruno Walter der Dirigent jener erfolglosen Erstaufführung von Mozarts »Zaide« im Oktober 1902 war, die dem Operndirektor die Feindschaft des Bearbeiters (und Kritikers) Robert Hirschfeld einbrachte  ; dass nicht Mahler, sondern Francesco Spetrino die Erstaufführung von Puccinis »Bohème« 1903 und die Neuinszenierung von Rossinis »Wilhelm Tell« 1905 geleitet hat  ; dass nicht Mahler, sondern Franz Schalk die »Fedora« von Giordano (1900), den »Lobetanz« von Ludwig Thuille (1901) und den Einakter »Flauto solo« von Eugen d’Albert (1906) aus der Taufe gehoben hat. Um das von Mahler selbst dirigierte und einstudierte Repertoire von den übrigen Premieren, die von ihm „nur“ künstlerisch verantwortet wurden, zu unterscheiden, werden im Anhang zwei verschiedene Statistiken angeführt  : einmal eine Liste aller von Mahler vom Pult aus geleiteten Opernaufführungen mit allen Aufführungsdaten der in den zehneinhalb Spielzeiten dirigierten Vorstellungen  ; zum anderen eine Zusammenstellung sämtlicher Premieren, die von der Spielzeit 1897/98 an bis zu Mahlers Vertragsende am 31. Dezember 1907 stattgefunden haben. Die beigefügten Hinweise auf die vorausgegangene Wiener Aufführungsgeschichte der einzelnen Werke und auf die Aufführungszahlen auch der nicht von Mahler dirigierten Werke sollen dem Leser Kenntnis geben von Erfolg und Misserfolg der Bemühungen Mahlers, aber auch von der Buntheit und Lebendigkeit des Wiener Opernspielplans um 1900. Eine Zusammenfassung gibt die nachstehende Premieren-Statistik, in der zwischen den von Mahler und den von übrigen Kapellmeistern geleiteten Premieren unterschieden wird  ; sie ist nach Wiederaufnahmen, Neueinstudierungen, Neuinszenierungen und Ur-/Erstaufführungen gegliedert. Die 106 Opern- und 20 Ballettpremieren zusammengerechnet, ergibt sich die schon genannte Zahl von 126 Premierenabenden in den zehn Spielzeiten von 1897 bis 1907.

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Der Operndirektor und sein Spielplan Spielzeit

Die Premieren GMs WA

NE

NI

EA

Übrige Opernpremieren

Ges. WA

NE

NI

EA

Ballettpremieren

Ges. WA

NE

NI

EA

Ges.

Gesamt

1897/98



3

1

4

8

1

5





6







3

3

17

1898/99



2

1

5

8

1

4





5

1

3



2

6

19

1899/1900



7

3

10



2



1

3







2

2

15

1



1900/01



3

1

5

1

2



1

4







0

9

1901/02

1



1

3

5



2





2

1





1

2

9

1902/03





4

2

6



1



1

2







1

1

9

1903/04



2

1

2

5

1

1904/05



1

2

3

6



1905/06



1

5

1

7



1906/07





4

1907/08*









0

Gesamt

1

18

21

24

64

1

3

2



1

1

5

1





1

2

12

2

1

3







1

1

10

2





2







0

9

1

3



3

7







3

14

1

1



1

3









0

3

6

24

3

9

42

3

3

0

14

20

126



– 3

WA = Wiederaufnahme/NE = Neueinstudierung/NI = Neuinszenierung/EA = Ur- oder Erstaufführung * bis Mahlers Vertragsende am 31. Dezember 1907

Überblickt man die vorstehende Tabelle, so springt einem auch hier, wie bei der Zahl der von Mahler dirigierten Vorstellungen, ein deutlicher Rückgang nach den ersten drei Spielzeiten ins Auge  : den 26 zwischen 1897 und 1900 von Mahler geleiteten Premieren stehen in den darauffolgenden vier Spielzeiten nur mehr 21 Premieren gegenüber, und in den letzten drei Spielzeiten sind es gar „nur“ noch 17. Immerhin hat sich Mahler mit diesen 64 Premieren ein um gut 50 Prozent größeres Arbeitspensum zugemutet als das allen übrigen Kapellmeistern der Wiener Hofoper zusammen zugewiesene, die sich mit 42 Opernpremieren in zehn Jahren begnügen müssen. Und immerhin gelten diese 64 Premieren 57 verschiedenen Werken  ; nur »Zauberflöte«, »Così fan tutte«, »Figaro«, »Aida«, »Euryanthe«, »Die weiße Dame« und »Feuersnot« hat Mahler zweimal in zehn Jahren einstudiert. Mahlers Repertoire ist damit mindestens doppelt so groß wie das, mit dem die Opernkapellmeister unserer Tage ihr Auslangen finden. Selbstverständlich gibt es Schwerpunkte. Wagner und Mozart sind die Zentralgestirne, um die Mahlers Interpretationsbemühungen die ganze Wiener Zeit hindurch kreisen. Von Wagner bringt er, mit Ausnahme der Jugendopern »Die Feen« und »Das Liebesverbot« sowie des »Parsifal«, der erst nach 1913 für Aufführungen außerhalb Bayreuths freigegeben wurde, das gesamte musikdramatische Werk zur Darbietung, zum Teil erstmals für Wien in ungekürzten Aufführungen. Noch bevor er mit Alfred Rollers Hilfe das Wagner’sche Gesamtwerk mit den bildnerischen Mitteln von Secession und

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Der Operndirektor und sein Spielplan

Jugendstil neu interpretiert, hat Mahler schon im Musikalischen einen neuen WagnerStil geschaffen. Dabei nimmt er sich auch eines Werks wie des »Rienzi« mit uneingeschränkter Leidenschaft an. Die Neuinszenierung der »Ring«-Tetralogie, gedacht als Modell und Krönung seiner Idee vom festspielhaften Operntheater, muss Mahler freilich, nach »Rheingold« (1905) und »Walküre« (1907), unvollendet lassen, nachdem er die überhandnehmenden Querelen mit der Bürokratie und die Attacken der Presse mit seiner Demission beantwortet hatte. Auch die zyklische „Gesammt-Aufführung der Bühnenwerke Richard Wagner’s“, die zwischen 27. April und 18. Mai 1902 stattfindet und alle künstlerischen Energien der Hofoper zu einer glorreichen Demonstration zusammenfasst, sieht nicht Mahler am Dirigentenpult (sondern seine Kapellmeister) – anders als in den ersten Wochen „seiner“ ersten Spielzeit, da Mahler, allein schon als demonstrative Geste gegenüber dem Bayreuther Gralshüter Hans Richter, zwischen 25. und 29. August 1897 die Tetralogie dirigiert hatte. Ja selbst die Neuinszenierung des »Lohengrin« 1906 überlässt der Direktor seinem Kapellmeister Franz Schalk, nachdem er den ersten Akt übereilt für eine Festvorstellung anlässlich des Besuches von König Alfons XIII. von Spanien in neuen Bühnenbildern von Alfred Roller auf die Bühne bringen musste. »Tristan und Isolde« dagegen gibt Mahler, nachdem er die Oper am 24. Oktober 1897 von Hans Richter übernommen hat, nicht mehr aus der Hand  : von den 22 Aufführungen bis zur Neuinszenierung 1903, der ersten gemeinsamen Arbeit mit Alfred Roller, dirigiert er 16, von 27 Aufführungen dieser Neuinszenierung bis zu seiner Demission nicht weniger als 21. Mit diesen 37 Vorstellungen steht Wagners »Tristan« an der dritthöchsten Stelle in Mahlers Wiener Dirigierstatistik. Die ersten zwei Ränge nehmen zwei Mozart-Opern ein  : »Die Hochzeit des Figaro« (49 Vorstellungen) und »Die Zauberflöte« (38 Vorstellungen). Es sind auch die einzigen Werke, die Mahler in jeder der zehn Spielzeiten aufgeführt hat. Lorenzo da Pontes drittes Meisterwerk »Così fan tutte« hat er sich zweimal vorgenommen  : zunächst in der Spielzeit 1900/01 mit einer Neuinszenierung, die sich erstmals der neu in die Hofopernbühne eingebauten Drehscheibe bedient, dann in einer Neueinstudierung zum Auftakt des Mozart-Zyklus (Premiere  : 24. November 1905), den Mahler anlässlich Mozarts 150. Geburtstag in der Spielzeit 1905/06 aufs Programm gesetzt hat. Schon einen Monat später, am 21. Dezember 1905, folgt die Neuinszenierung der „Oper aller Opern“, die, nach einer hundertjährigen Aufführungspraxis unter dem Titel »Don Juan«, nun durch Mahler – allerdings erst nach der Hauptprobe und ungeachtet des auf Deutsch gesungenen Textes – wieder ihren Originaltitel »Don Giovanni« erhält. „Für diese zweite Premiere des Mozart-Zyklus der Saison 1905/06 dachte sich der Ausstattungschef des Hofoperntheaters die nach ihm benannten ‚Rollerschen Türme‘ aus, die seitlich die Bühne begrenzten und als feststehender Teil der Dekoration blitzschnellen Szenenwechsel ermöglichten“3 (Herta Blaukopf ).

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Auch die ersten Monate 1906 hindurch steht Mozart im Zentrum des Wiener Opernspielplans. Am 29. Jänner kommt »Die Entführung aus dem Serail« heraus, am 9. Februar »Die Zauberflöte«, am 30. März schließlich »Die Hochzeit des Figaro«, alle von Mahler selbst dirigiert und alle in den Bühnenbildern von Alfred Roller, der auch die Kostüme geschaffen hat. So verwirklichte Mahler seine Intention, zum Jubiläum alle fünf großen Mozart-Opern in Modellaufführungen zu präsentieren  ; in der Tat hat er damit das Wiener Opernhaus zum Zentrum einer Mozart-Renaissance gemacht, von der das ganze Mozart-Bild des 20. Jahrhunderts seinen Ausgang genommen hat. Herzenssache war Mahler auch die Pflege der Opern Carl Maria von Webers. Vor allem dem »Freischütz« galt sein ganzer Enthusiasmus. „Wissen denn die Leute, was es heißt, »Freischütz« aufführen  ! Wissen sie nicht, daß das bedeutet, eine ganze Musik- und Kulturepoche lebendig und anschaulich zu machen  ?“4 So schreibt er noch aus New York seinem früheren Studienleiter Ernst Jokl. Mit einer Neuinszenierung gleich zu Beginn seiner zweiten Spielzeit hatte er den Wienern seine revolutionäre Vorstellung vom »Freischütz« vermittelt. Dass Mahler darin auch das Lebensgefühl des 20.  Jahrhunderts zum Ausdruck brachte, hat der Mahler-Biograph Paul Stefan schon 1910 klarsichtig erkannt, als er Mahlers Kühnheit rühmte, „schon damals, zu einer Zeit, da niemand an eine vergeistigte Kunst der Bühne dachte, im »Freischütz« statt des Kasperltheaters der Wolfsschlucht gespenstische Beleuchtungen, in der »Götterdämmerung«, deren Nornenszene endlich gegeben werden konnte, statt der Praterbelustigung des Schiffstau-Schleuderns ein bloß andeutendes ‚Seilwerfen ohne Seil‘ [zu] riskieren“.5 Auch Webers »Euryanthe« versuchte Mahler dem Spielplan wiederzugewinnen  ; er schuf dafür sogar eine umfangreiche textliche Bearbeitung für eine Neueinstudierung 1904, als seine Neuinszenierung des dramaturgisch unglücklichen Stücks ein Jahr zuvor ohne Erfolg geblieben war. Die von Mahler gleichfalls hergestellte Bühneneinrichtung von Webers »Oberon« hingegen wurde erst posthum 1913 von Gustav Brecher am Kölner Opernhaus erstaufgeführt, der eine Spielzeit lang (1901/02) an Mahlers Wiener Opernhaus gewirkt hatte. Neben Lieblingsopern Mahlers aus dem Genre der deutschen Spieloper wie Lortzings »Zar und Zimmermann« oder dem »Waffenschmied« und Nicolais »Lustigen Weibern von Windsor« nimmt die vielfarbige ausländische Opernliteratur des 19. Jahrhunderts einen Hauptanteil an Mahlers Wiener Repertoire ein  : Smetanas tschechische Nationalopern »Die verkaufte Braut« und »Dalibor«, Tschaikowskys lyrische Szenen »Eugen Onegin« und »Pique Dame«, die Gattung der Opéra comique mit Bizets »Carmen«, Aubers »Fra Diavolo«, Donizettis »Regimentstochter« und Rossinis »Barbier von Sevilla«, aber auch dessen heroisch-pathetischer »Wilhelm Tell«, Donizettis »Lucia di Lammermoor« und Bizets Einakter »Djamileh« finden sich, vielfach von Mahler selbst dirigiert, immer wieder auf dem Spielplan.

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Die „Grand Opéra“ französischer Herkunft dagegen ist relativ schwach vertreten. Berlioz fehlt völlig. Meyerbeer behauptet sich lediglich mit den »Hugenotten« und mit »Robert der Teufel« im Spielplan  ; die »Afrikanerin« und den »Propheten« dirigiert Mahler jeweils nur ein einziges Mal. Die »Jüdin« von Halévy nimmt Mahler erst 1903, Aubers »Stumme von Portici« sogar erst 1907 wieder ins Repertoire. Dagegen dominieren französische Spieloper und Opéra lyrique mit der »Weißen Dame« von Boieldieu, »Mignon« von Ambroise Thomas, Gounods »Margarethe« und, einer der größten Erfolge der Ära Mahler, »Hoffmanns Erzählungen« von Jacques Offenbach. Auf diesem Werk lastete seit dem furchtbaren Brand des Wiener Ringtheaters vom 8. Dezember 1881, der mehr als 400 Menschen das Leben gekostet hatte, ein schlimmes Odium. Das Schreckensereignis, bei dem unmittelbar vor Beginn des zweiten Abends der Wiener Erstaufführung das vollbesetzte Theater in Brand geraten war, erfüllte Jahre hindurch alle Bühnen mit abergläubischer Angst vor Offenbachs Spätwerk. Erst Gustav Mahler durchbrach den Bann, als er »Hoffmanns Erzählungen« genau zwanzig Jahre danach auf den Spielplan der Hofoper setzte und dem Werk mit einer glänzenden Aufführung zum Durchbruch verhalf. Obwohl der „Verismo“ noch im heftigen Widerstreit der Meinungen war, öffnete Mahler die Hofoper auch dem Schaffen Puccinis. Die »Bohème« von Leoncavallo (1897 noch von Jahn angenommen, 1898 von Mahler zähneknirschend erstaufgeführt) wird im Spielplan abgelöst von der »Bohème« von Puccini  ; Mahler ließ sich als Dirigent diese erste Puccini-Premiere der Wiener Hofoper jedoch ebenso entgehen wie als Direktor die Erstaufführung der »Tosca«. Mahlers Einstellung zu Giuseppe Verdi ist nicht ganz einfach zu bestimmen. Wohl fehlt ihm, dem von Richard Wagner seit Jugendjahren zutiefst Geprägten, die spontane Begeisterung für den Italiener. Aber sein musikalischer Qualitätsbegriff und sein musikdramatischer Impetus lassen ihn doch immer wieder zu den Partituren Verdis greifen. Den »Troubadour« freilich rührt er in den zehn Jahren nur einmal an und überlässt ihn dann, ebenso wie den »Rigoletto«, seinen Kapellmeistern Schalk und Fuchs zur Neueinstudierung. »Hernani« wird die erste Premierenaufgabe für den neuengagierten Kapellmeister Bruno Walter, dagegen wird die Neueinstudierung des »Othello« die Bewährungsprobe für den nur kurze Zeit als Kapellmeister an der Hofoper tätigen Komponisten Alexander von Zemlinsky. Nur der »Aida« und des »Falstaff« hat sich Gustav Mahler selbst angenommen  : Das Prunk-Stück hat er schon am Ende seiner ersten Spielzeit in einer Neueinstudierung herausgebracht und dann noch zwei Spielzeiten lang durchs Repertoire begleitet  ; die witz- und geistvolle Alterskomödie dagegen hat eigentlich erst Mahler, mit der deutschsprachigen Erstaufführung 1904, den Opernspielplänen unseres Jahrhunderts einverleibt. Überblickt man das Repertoire der mehr als 60 verschiedenen Opern, die in den zehn Jahren der „Ära Mahler“ an der Wiener Hofoper gespielt wurden, so will uns heute

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scheinen, dass Mahler auch in diesem Belang mit der gleichen Sensibilität und Prophetie, die ihn als Komponisten auszeichnen, die Aufgaben und Chancen der Zeit wahrgenommen – und erfüllt hat. Über seinen „Einsatz für die Zeitgenossen“ wird in einem eigenen Kapitel zu sprechen sein. Es wäre jedoch wenig sinnvoll, die Titel aneinanderzureihen und aus der Häufung wie aus dem Fehlen bestimmter Namen tiefgründige Schlüsse zu ziehen. Das Kontinuum der Opernliteratur von Gluck über Mozart und Beethoven, Weber und Wagner bis zu den – damals – neuesten Partituren von Strauss und Pfitzner, Puccini und Wolf-Ferrari, Tschaikowsky und Zemlinsky steht vielmehr ein für die ästhetische wie ethische Unabhängigkeit, die ein Künstler wie Gustav Mahler gegenüber dem Publikum und seinen Wünschen einerseits, dem Opernbetrieb und dessen „Erfordernissen“ andererseits behauptet hat. Und es wäre ebenso wirklichkeitsfremd wie ungerecht, wollte man Mahlers Spielplangestaltung auf ein quasi „abstraktes“ Prinzip zurückführen, also unterstellen, sie sei ohne Rücksichtnahme auf das vorhandene Ensemble und ohne die Einbeziehung der künstlerischen Mitarbeiter zustande gekommen. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist undenkbar, dass Mahler z. B. »Hoffmanns Erzählungen« angesetzt hätte, wenn er nicht in der Person Marie Gutheil-Schoders die ideale Interpretin für die drei weiblichen Hauptrollen gehabt hätte  ; und es ist ausgeschlossen, dass Mahler die Erneuerung der Opernbühne aus dem Geiste des Jugendstils hätte unternehmen können, wenn ihm nicht in der Person Alfred Rollers ein kongenialer Partner und Fachmann aus dem Bereich der bildenden Kunst zur Seite gestanden wäre. Der Gewinnung, Erprobung und Durchsetzung eines „neuen“, Mahlers „eigenem“ Opernensemble ist ein späteres Kapitel dieses Buches gewidmet.

DIE DREI PERIODEN DER ÄRA MAHLER „Durchknetung des Spielplans“ – Repertoirebildung – Musteraufführungen  : Unter diesen Stichworten wurden im vorigen Kapitel die drei unterschiedlichen Perioden von Mahlers künstlerischem Wirken an der Wiener Hofoper festgemacht. Folgt man der dort aufgestellten These von dem ihnen zugrunde liegenden Wandel der Kunst-Intentionen Mahlers, dann müssen sich diese drei Perioden seiner Direktionszeit auch an ihren unterschiedlichen künstlerischen Resultaten beschreiben lassen. Spielplangestaltung, Ensemblebildung und Inszenierungsform werden so zu wesentlichen Faktoren des Erscheinungsbildes des Opernhauses, an denen die jeweils gültige Konzeption des Hofoperndirektors abgelesen werden kann. In den ersten drei Spielzeiten (1897–1900), in denen der neue Operndirektor nicht als Schreibtisch-Intendant die Zügel in die Hand nimmt, sondern vom Dirigentenpult aus zum alles durchdringenden neuen Geist der Wiener Hofoper wird, dirigiert Mahler nicht weniger als 37 verschiedene Werke, zum Teil nach ausgiebiger musikalischer und szenischer Vorbereitung, zum Teil ohne eine einzige Bühnenprobe. Mit einer Neuinszenierung von Lortzings »Zar und Zimmermann« eröffnet Mahler den Premierenreigen seiner ersten Saison. Bis Weihnachten folgen nicht weniger als fünf Premieren, darunter die Erstaufführungen von Smetanas »Dalibor« und Tschaikowskys »Eugen Onegin«. Beide Opern hat Mahler schon in Hamburg mit besonderem Erfolg herausgebracht, den »Onegin« sogar als deutschsprachige Erstaufführung, deren Premiere die Anwesenheit des Komponisten besonderen Glanz verlieh. Daneben nimmt sich Mahler zweier Opernwerke an, die ihm besonders ans Herz gewachsen sind und deren szenisch-musikalischer Zustand nach rund dreißigjährigem Repertoire-Dasein besonders überholungsbedürftig ist  : Mozarts »Zauberflöte« und Wagners »Fliegender Holländer«. Die zweite Spielzeithälfte bringt dann zwei weitere Novitäten für Wien  : Bizets »Djamileh« und Leoncavallos (nicht Puccinis) »Bohème«. Der Rest sind Ballettpremi­ eren – »Struwwelpeter«, »Die roten Dominos«, »Künstlerlist« – und zwei Repertoirefüller, »Robert der Teufel« und »Das Heimchen am Herd«. Ende April folgt mit der Wiederaufnahme von Verdis »Aida« wieder eines jener Werke, denen Mahler seine ganze künstlerische Sorgfalt angedeihen lässt. Daneben „dirigiert sich“ Mahler durch das Repertoire  : »Lohengrin« erlebt 11 Aufführungen, »Die Hochzeit des Figaro« sieben, »Aida« drei, »Tannhäuser« drei, »Tristan und Isolde« fünf. Eine ganze Reihe von Opern – »Margarethe«, »Die Afrikanerin«, »Die verkaufte Braut«, »Der Prophet«, »Der Freischütz«, »Don Giovanni« (damals noch unter dem Titel »Don Juan« gespielt) – übernimmt Mahler für jeweils eine einzige Vorstellung, gleichsam um sich vom Zustand der Inszenierung zu überzeugen und danach seine

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Erneuerungsentscheidung zu treffen. Am 31. Oktober dirigiert Mahler zum ersten und einzigen Mal in Wien »Die Fledermaus«, die einzige Operette im Spielplan der Hofoper, in Gegenwart des Komponisten Johann Strauß. Den »Ring des Nibelungen« hatte ihm Direktor Jahn im Juli 1897 auferlegt, als Mahler noch Kapellmeister und nicht für die Spielplangestaltung selbst verantwortlich war. Mahler bringt die Tetralogie bereits in der letzten Augustwoche 1897 heraus, »Rheingold« und »Walküre« mit ausgiebigen Proben, »Siegfried« und »Götterdämmerung« ohne jede Orchester- oder Bühnenprobe. Mahler dirigiert die vier Werke in seiner ersten Spielzeit unterschiedlich oft  : »Rheingold« zweimal, »Die Walküre« und »Siegfried« je fünfmal, »Götterdämmerung« nur das eine Mal, am 29. August 1897. Ein ähnliches Bild von Mahlers unbändiger Wirksamkeit ergibt sich für die nächsten zwei Spielzeiten. Mahler behält das umfangreiche Repertoire, verzichtet nur auf wenige der im Vorjahr dirigierten Werke (Leoncavallos »Bohème« zum Beispiel ist endgültig vom Spielplan verschwunden) und stürzt sich auf ein immenses Premieren-Pensum. So resümiert schon 1902 der Kritiker Max Graf die Leistung der zweiten Spielzeit Gustav Mahlers  : „In der folgenden Saison 1898/99 wurde die Arbeit fortgesetzt. Die großen Opern Richard Wagners wurden nach der Weisung Wagners strichlos gegeben  ; und hatte seit einer Reihe von Jahren der Komponist der »Puppenfee«, Josef Bayer, jeweils die höchste Anzahl von Aufführungen erreicht, so stand in diesem Jahr Richard Wagner mit 57 Aufführungen an der Spitze der Komponisten. In besonders dankenswerter Weise nahm sich Gustav Mahler des Weberschen »Freischütz« an  ; der französischen Spieloper wurde mit einer reizenden Aufführung der »Weißen Dame«, der italienischen Oper mit einer zündenden Reprise des »Rigoletto« gehuldigt.“1 Mahlers Bemühen gilt jedoch vor allem der Präsentation von Novitäten, wobei er seine Überzeugung von deren künstlerischer Bedeutung über die Rücksichtnahme auf ihren Kassenerfolg stellt. So bringt er in diesen zwei Spielzeiten 1898/99 und 1899/1900 die Erstaufführungen der »Donna Diana« von Reznicek, der »Kriegsgefangenen« von Goldmark, des »Bärenhäuter« von Siegfried Wagner, des »Dämon« von Rubinstein, der Märchenoper »Es war einmal« von Zemlinsky und der »Jolanthe« von Tschaikowsky heraus. Kapellmeister Franz Schalk steuert die Erstaufführung der »Fedora« von Umberto Giordano bei. Das übrige künstlerische Geschehen dieser zwei Jahre wird bestimmt von dem Bemühen, die zentralen Opern des herkömmlichen Spielplans so rasch wie möglich wieder dem Repertoire einzuverleiben – freilich szenisch und musikalisch erneuert und einem Sängerensemble anvertraut, dem Mahler ständig junge, seinem Ideal des „Singschauspielers“ verpflichtete Kräfte zuführt. So kommt es zu Neueinstudierungen der »Götterdämmerung« und der »Meistersinger« – die beide damit erstmals in Wien ungekürzt aufgeführt werden –, der »Carmen« mit der Neuentdeckung Marie Gutheil-Schoder in der Titelrolle, der »Verkauften Braut«, der »Regimentstochter«, der »Weißen Dame« und

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vor allem des »Freischütz«, um nur die wichtigsten Mahler-Premieren zwischen 1898 und 1900 zu nennen. Beim Durchlesen der „Regie-Protokolle“ spürt man geradezu Mahlers Lust, sich auf immer neue Aufgaben zu stürzen, die Neugier, immer andere Inszenierungen, immer wechselnde Sängerkombinationen „seines“ Hauses vom Pult aus kennenzulernen, man spürt den Ehrgeiz, das Leistungspotential des ihm anvertrauten Kunstinstituts so rasch wie möglich zu testen und sich selbst – nach innen, bis in die letzte Verästelung des künstlerischen Betriebs, der Verwaltung und des technischen Ablaufs hinein, wie nach außen, gegenüber Publikum und Presse – als das alles durchwaltende künstlerische Prinzip zu entfalten. In diesen ersten Jahren kommt kaum ein anderer Kapellmeister des Hauses, weder der ehrwürdige Hans Richter noch der beflissene Johann Nepomuk Fuchs, zu PremierenEhren, und es kann nicht Wunder nehmen, dass Richter daraufhin bald einem Ruf ins Ausland folgt und Fuchs sich auf die Lehrtätigkeit im Konservatorium zurückzieht. Joseph Hellmesberger jr., seit 1886 als Ballett- und Spielopern-Dirigent und Konzertmeister, seit 1890 als Hofkapellmeister an der Hofoper tätig, wird von Mahler endgültig in das Ballettrepertoire abgedrängt  ; die Wiener Philharmoniker freilich machen ihn 1901, nach Mahlers Rücktritt von dieser Position, zum Leiter ihrer Philharmonischen Konzerte. Der einzige Bereich, dem Mahler von Anfang an seine leidenschaftliche Zuwendung versagt, ist das Ballett. Auch wenn er ihm weiterhin großen Platz im Spielplan einräumt – die Premierenübersicht weist zwischen 1897 und 1907 immerhin 20 Ballettpremieren, darunter 14 Ur- und Erstaufführungen aus –, so drängt er es doch an den Rand des künstlerischen Erscheinungsbildes der Hofoper. In ihren „Erinnerungen an Gustav Mahler“ berichtet Natalie Bauer-Lechner von einer Diskussion des Hofoperndirektors mit Siegfried Lipiner, bei der Mahler seiner Überzeugung von der künstlerischen Wertlosigkeit des zeitgenössischen Balletts drastischen Ausdruck verleiht  : „Lipiner fragte Mahler, ob er nicht ein Ballett in regenerierter Form  : mit tieferem Inhalt, mehr pantomimisch-plastisch als ballarisch [sic], edler und bedeutsamer in der Musik, bringen und dieser schmählich degenerierten Kunst dadurch etwas aufhelfen könnte  ? ‚Der ist nicht zu helfen‘, erwiderte Mahler, ‚wie sie nun einmal in der Ballettform besteht  ; jede Mühe wäre da vergebens.‘“2 Sicherlich war Mahler nicht genug Augenmensch, um die Schönheit einer Kunstform zu erfassen, die sich der „Komposition von Körpern im Raum“ widmet. Wir wissen ja auch, dass er erst durch die Verbindung mit Alma Maria Schindler, der Stieftochter des Malers Carl Moll, den Zugang zu den Augenkünsten fand, wo er die Bekanntschaft mit der Kunstbewegung der „Wiener Secession“ und ihren führenden Vertretern machte, darunter seinem späteren Mitarbeiter Alfred Roller. Außerdem aber stand das musikalische Niveau der Ballettkomposition im Wien der Jahrhundertwende – fraglos der einzige Aspekt, der den Komponisten Mahler wahrhaft am Ballett interessieren mochte – nicht auf jener Höhe, die ihm eine Beschäftigung

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mit dieser Kunstgattung als lohnend hätte erscheinen lassen. Namen wie Raoul Mader, Franz Doppler, Josef Forster, Franz Skofitz und Josef Bayer belegen diese These. Ein Sonderfall ist das vom Weimarer Hofkapellmeister Eduard Lassen komponierte abendfüllende Ballett »Die Göttin Diana«, dessen Aufnahme in das Hofopernrepertoire Mahler fest plante und über Jahre hinweg dem Komponisten auch zusagte, ohne die Aufführung jedoch durchsetzen zu können. Wie Ingeborg Birkin-Feichtinger in akribischer Recherche aus den Akten des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs ermittelt hat3, war zunächst eine Kontroverse Mahlers mit seinem Ballettmeister Haßreiter, die im Herbst 1901 beinahe zur Kündigung Haßreiters geführt hätte, danach die Nötigung, das von zwei „lokalen Künstlern“, der Primaballerina Irene Sironi und Mahlers Kapellmeister Joseph Hellmesberger entworfene und vertonte Ballett »Die Perle von Iberien«, von Bruno Walter dirigiert, im April 1902 aufzuführen, und schließlich die gewichtige Premierenfolge der Spielzeit 1902/03 – Tschaikowskys »Pique Dame«, Wagners »Tristan und Isolde«, Charpentiers »Louise« – Anlass und Grund für die definitive Absage an den zutiefst enttäuschten Eduard Lassen. Geschmackliche Anfechtbarkeit, ästhetische Verlogenheit und plumpe Anbiederung an den Publikumsgeschmack, die sich in zahllosen „Ballettpantomimen“, sentimentalen oder komischen Handlungsballetten und stumpfsinnigen „Divertissements“ niederschlugen, und die fragwürdigen choreographischen Künste des langjährigen „Ballettregisseurs“ Josef Haßreiter waren weitere gewichtige Gründe für die distanzierte Einstellung Mahlers zum Ballett. Eine Gegebenheit musste darüber hinaus gerade den Opernpraktiker Mahler stören  : Die Aufführungsdauer der meisten dieser Ballettpiecen – sie waren nicht abendfüllend – zwang zur Kombination mit Opernwerken. Um darauf Rücksicht zu nehmen, war er mehrfach genötigt, Operneinakter in seinen Spielplan aufzunehmen. Bizets »Djamileh«, Mozarts »Zaide«, Reiters »Bundschuh« verdanken diesem Umstand ihren Platz in der Premierenliste  ; vor allem auch der (zugleich aus Sparsamkeitsgründen angesetzte) Einakterabend mit Haydns »Apotheker« und Lortzings »Opernprobe«, der durch eine konzertante Aufführung von Haydns letzter Symphonie (Nr. 104 D-Dur) und das Ballett »Ein Tanzmärchen« von Josef Bayer komplettiert wurde. Dass Mahler dennoch eine Erneuerung der Ballettkunst ins Auge gefasst hat, wissen wir aus einem Bericht, den der Kritiker Ludwig Karpath 1904 in der Berliner Zeitschrift »Bühne und Welt« veröffentlicht hat. Die zwei hauptsächlichen Ballettformen, das phantastische und das Genre-Ballett, hatten sich – so Karpath – nach Mahlers Meinung überlebt. Er sehnte darum „einen neuen Mann herbei, der Neues bringt. Da aber dieser ungeduldig erwartete Messias nicht auftauchen wollte, so griff er in den letzten Jahren einfach wieder nach dem Alten. Er tat es, weil er spät aber doch zu der Erkenntnis gelangte, daß man in einem großen Operntheater, dessen Publikum zuweilen einen ganz internationalen Charakter annimmt, auch die minderwertige Kunstgattung nicht

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missen will. Der Künstler Mahler hat also eingesehen, daß er mit dem Direktor Mahler kompromittieren müsse … Daß er die Schablone begnadigte, nur weil er sein hohes Ziel nicht erreichen konnte, glauben ihm nur die wenigen, die die wirkliche Triebfeder seiner Handlungsweise kennen.“4 Wie sich Mahler den neuen „Messias“ der Ballettkunst vorstellte, illustriert sein Briefwechsel mit Richard Strauss, der damals Hofkapellmeister an der königlichen Oper in Berlin war  ; im April 1900 schreibt Strauss an Mahler  : „Lieber Freund  ! Haben Sie in Ihrem Archiv eine gut instrumentierte österreichische Kaiserhymne  ? Natürlich  ! Dann bitte ich Sie, mir die Partitur sofort copiren zu lassen (auf Kosten der hiesigen Generalintendanz) u. mir sie sobald als möglich zu schicken  : wir brauchen sie zum 5. Mai. Unsere Kaiserhymne (aus einem gedruckten Büchelchen von H. Oertel) klingt miserabel  ! Im voraus schönsten Dank  ! Bei der Gelegenheit eine Frage, die ich mit kurzem Ja oder Nein zu beantworten bitte und ganz sans gene, bitte, denn im Empfangen von Refus von Seite der Theaterdirektoren habe ich Routine. Ich bin daran, ein ein- oder zweiaktiges burleskes Ballet zu schreiben  : Kometentanz, eine astrale Pantomime – natürlich etwas vom landläufigen Gehüpfe total abweichendes – von Paul Scheerbart. Wollen Sie das Ballet für die Wiener Oper annehmen, die allererste Aufführung haben u. eine schöne Ausstattung dran wenden  ? Auf mein gutes Gesicht hin  ? Ich möchte, wenn ich irgend wo anderes [sic] Chancen hätte, nicht hier in Berlin die erste Aufführung veranstalten. Es wird circa im Herbst 1901 aufführungsreif sein. – Bitte nochmals um ein kurzes Ja oder Nein  : im letzteren Falle ohne die mir selbst bekannten üblichen Sprüche und Entschuldigungen  ! – … Stets Ihr Richard Strauss Charlottenbg, 22. April 1900 Knesebeckstr. 30“5 Mahler beantwortet das Ballett-Angebot umgehend  : „e i l i g s t   ! Lieber Freund  ! Ihr Ballet ist im Voraus angenommen  ! Wenn ich eine Bedingung daran knüpfe, so ist dieß nur scheinbar eine Einschränkung meiner unbedingten Zusage  : Aber ich muß einen Einblick in das Textbuch [tun] hauptsächlich wegen der Kosten der Ausstattung. Können Sie mir einen Einblick in das Buch gestatten, und zugleich erlauben, daß unsere

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hiesigen Decorateure, Costumiers etc. einen ganz aproximativen Überschlag machen  ? In wenigen Tagen erhalten Sie meine Antwort, welche Sie dann als bindende Erklärung annehmen können. […] Wegen der Kaiserhymne werde ich sofort alles nöthige veranlaßen. Also, vor allem, schicken Sie gleich das Ballet  ! Ich sehe es als eine Ehrensache für die Wiener Hofoper an, die Premiere zu haben. – Daß Sie mit der Aufführung zufrieden sein werden, dafür verbürge ich mich. Herzlichst Ihr Mahler“6 Das Aufführungsangebot an Mahler war freilich verfrüht – Richard Strauss hat die Kom­position des Balletts »Kometentanz« nicht ausgeführt. Damit war der spektakulärste Versuch Mahlers, die Kunstform des Balletts durch einen Impuls vom Musikalischen her zu erneuern, gescheitert. Mahlers Reformversuche in der gleichen Richtung blieben danach, wie die Premie­ renfolge der Hofoper auf dem Ballettsektor zeigt, auf sporadische Bemühungen beschränkt. 1903 nahm Mahler das am Prager Nationaltheater uraufgeführte Ballett »Der faule Hans« von Oskar Nedbal ins Repertoire  ; seinen Namen kennen höchstens noch die Operettenfans von seinem größten Erfolg, der Operette »Polenblut«, obwohl der Kompositionsschüler Dvořáks und rundum als Instrumentalist und Dirigent ausgebildete Musiker selbst in der »Musik in Geschichte und Gegenwart« als „Schöpfer einer modernen Ballettmusik slawischen Gepräges“ Eingang gefunden hat. Zwei weitere Versuche zur Qualitätsverbesserung des Balletts unternahm Mahler, indem er Werke bedeutender Komponisten als Ballettmusiken bearbeiten ließ. So kam es 1905 und 1907 zu zwei „Uraufführungen“  : Auf das Ballett »Chopins Tänze«, das der auch mit der musikalischen Leitung betraute Hugo Riesenfeld aus Chopin-Werken zusammengestellt hatte, folgte das Ballett »Rübezahl«, dessen Idee und Libretto von A ­ lfred Roller stammte, während der Solokorrepetitor Julius Lehnert, der den Abend auch dirigierte, vorhandene Ballettmusiken von Leo Delibes und Ludwig Minkus zu einem Potpourri zusammengefügt hatte. Über den misslungenen Versuch Alexander vom Zemlinskys, Mahler sein Ballett »Das gläserne Herz« (auf Hofmannsthals Libretto »Triumph der Zeit« basierend) anzudienen, wird an anderer Stelle noch zu sprechen sein. Mahler verweigerte auch in diesem Fall seine Bühne einem Werk, das seinen kompromisslosen Ansprüchen an musikalische „Gestaltung“ nicht Genüge tat – auch wenn man nicht gleich der Aussage der Mahlerfreundin Bertha Zuckerkandl Glauben schenken will, Mahler hätte das Zemlinsky-Ballett Alma Schindler gegenüber in der ersten Stunde ihrer Bekanntschaft als „Schmarren“7 bezeichnet. Insgesamt muss man feststellen, dass Mahler mit dem Genre des Balletts kein Glück – und keine glückliche Hand dafür hatte. So ist man geneigt, wohl oder übel dem Musik-

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wissenschaftler und Kritiker Richard Wallaschek recht zu geben, der in einem Rückblick auf „Zehn Jahre Mahler“ Anfang 1907, also noch vor dessen Demission, in der Tageszeitung »Die Zeit« Mahlers Versäumnisse auflistet  : „Wer da der eigentliche Direktor ist, wissen wir nicht. Gewiß ist nur, daß ein künstlerischer Plan in der Ausbildung des Balletts nicht besteht, daß die einzigen in Betracht kommenden Werke, die Ballette Tschaikowskys (»Dornröschen« und »Nußknacker«), deren Darstellung vom musikalischen wie vom choreographischen Standpunkt ein Ereignis wäre, nicht aufgeführt werden, und daß große Persönlichkeiten fehlen.“8 Zurück zu Mahlers eigentlicher Domäne, der Oper. Mit Beginn der Spielzeit 1900/01 ändert sich das Bild  : Mahler verlegt das Gewicht seiner Arbeit vom Operndirigenten auf den Operndirektor. Die zweite Periode seiner Amtszeit beginnt, die der Repertoire- und Ensemblebildung. Mahler kennt das künstlerische Potential, beherrscht den Apparat, weiß um die Stärken und Schwächen seiner Sänger, Dirigenten, Bühnenausstatter, Zuschauer und Kritiker und kann sich jetzt unterfangen, aus der Hofoper ein Musiktheater nach seinen Vorstellungen und Ansprüchen zu formen. In den vier Spielzeiten bis zum Sommer 1904 wird ihm das Erreichbare gelungen sein  : Ablösung einer überalterten Sänger-Equipe durch junge Kräfte, die seinem Ideal des singenden Darstellers nahekommen  ; Gewinnung von Kapellmeistern  – Franz Schalk und Bruno Walter –, die seine Intentionen verstehen und sie den Sängern in den Proben auch übermitteln können  ; Befreiung der Opernszene aus den Konventionen der Meiningerei und des Hoftheaterpomps durch einen der maßgeblichen Künstler des secessionistischen Wien, Alfred Roller, den Mahler instinktsicher zum Partner gewinnt und gegen alle Anfeindungen durchsetzt. Und schließlich Bildung von RepertoireSchwerpunkten, die, nach Auswahl, Aufwand, Besetzung, Probenintensität, als Leistungsnachweis der Bühne zu gelten haben. Das zwischen 1900 und 1904 erarbeitete Programm ist symptomatisch für die neuen Ziele, die sich der „Intendant“ Mahler steckt  : nicht mehr muss jede einzelne Vorstellung, jeder einzelne Abend für das Ganze und Höchste seiner eigenen Idee vom Musiktheater einstehen  ; der Spielplan selbst, in weitgesteckter Abfolge und Zusammenschau, soll als programmatisch verstanden werden  ; das Ensemble soll zu einem Kollektiv von Individualitäten umgeformt werden und sich als ein organisches Ganzes präsentieren, dessen einzelne Teile gleichwertig (und austauschbar) sind  ; die „stehenden“ Aufführungen sollen nicht mehr durch künstlerische Kraftakte sondergleichen zu einem Eintags-Leben gebracht werden, sondern lieber in der Versenkung verschwinden, bis Zeit, Kraft und Geld vorhanden sind, sie musikalisch ausgefeilt und wenn möglich szenisch erneuert dem Publikum wieder als „Kunstwerke“ vor Augen und Ohren zu führen. Das sind die Jahre, in denen Mahlers Erscheinen am Pult seltener wird, in denen die Repertoirestücke bei nahezu jeder Vorstellung in einer anderen Besetzung gegeben werden, in denen die Zahl der Sängergastspiele ins Unüberschaubare wächst. Das von

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der Wiener Kritik vielfach geäußerte Unbehagen an dieser Entwicklung präzisiert am knappsten Ludwig Karpath schon 1904 in einem grundlegenden Aufsatz für die Zeitschrift »Bühne und Welt«  : „Eine der unglücklichsten Errungenschaften des Mahlerschen Regimes bildet das in Permanenz erklärte Gastspiel auswärtiger Sänger. Wilhelm Jahn war siebzehn Jahre Direktor der Wiener Hofoper, also um zehn Jahre länger, als es jetzt schon Mahler ist. Man darf getrost behaupten, daß in der ganzen Zeit, die Jahn an der Spitze unseres kaiserlichen Kunstinstitutes stand, nicht so viel Leute ein- und ausgingen, als in dem Intervall Mahlerscher Direktionsführung. Dasselbe gilt von Neubesetzungen, die rast- und kritiklos durchgeführt werden.“9 Es sind freilich auch die Jahre, in denen Mahler das k. k. Hofoperntheater vom tönenden Museum, in dem der gesamte Kunstbestand in historischen Fixierungen, also in erstarrten Inszenierungen und überladenen oder verstaubten Ausstattungen, ständig präsent war, zum Repertoiretheater verwandelt. Dieser Leistung verdankt das mitteleuropäische Operntheater zwischen Stockholm und Sofia sein heute noch weithin verbindliches Repertoiresystem  ; speziell die Spielpläne und das Abonnementwesen der Staatsopern und Städtischen Bühnen des deutschsprachigen Theaters waren bisher ohne sie nicht denkbar. Gleichwohl war es diese Leistung, die Gustav Mahlers Publikum und seine Kritiker am meisten irritiert und aufgebracht hat. Die Zeitgenossen sahen nicht den Sinn der Konzentration, die Notwendigkeit des Experimentierens, den künstlerischen Vorteil der Beschränkung und die Tragfähigkeit der neuen Ensemble- und Spielplan-Konzeption  ; sie merkten nur die Reibungsverluste bei der Ablösung der beiden Systeme, sie spürten den Rückzug Mahlers aus der künstlerischen Allgegenwart auf einzelne, allzu vereinzelte Schwerpunkte, und sie reagierten mit Enttäuschung und Protest. Seine Enttäuschung aber äußert der Wiener als Nörgelei, und Protest geht in Wien am wirkungsvollsten den Weg der Intrige. In den Zeitungskommentaren, die Mahlers Demission vorbereitet und begleitet haben, kann man darüber nachlesen. Und die in Wiens „besseren Kreisen“ verbreitete Enttäuschung über ihren bisher umschwärmten Pultstar gibt den Satirikern Gelegenheit, in der Presse genüsslich über den Hofoperndirektor herzufallen. Hatte Mahler in seinen ersten zwei Spielzeiten 1897/98 und 1898/99 noch über 20 verschiedene Opern dirigiert, in der dritten sogar 28, so sinken auch diese Zahlen in den folgenden Jahren auf die Hälfte  : 1900/01 waren es noch 19, im Jahr darauf elf, 1902/03 12 und 1903/04 wieder elf. Da die Zahl der von ihm dirigierten Premieren in diesen vier Spielzeiten mit jeweils fünf konstant blieb (nur 1902/03 waren es sechs), ist es verständlich, dass sein „dirigierender“ Einfluss auf das Repertoire des Hauses immer geringer wurde. Ludwig Karpath, vom intimen Freund inzwischen zum distanzierten Kritiker geworden, schreibt dazu in »Bühne und Welt«  :

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„Im höchsten Grade bedauerlich ist die Dürftigkeit des Spielplanes. Zwar wird auf die Neueinstudierung älterer Werke die größte Sorgfalt verwendet, und es ist zweifellos, daß solche Reprisen alle Merkmale der Mustergültigkeit aufweisen, aber es ist sehr häufig das Werk selbst nicht wert, neuerlich in das helle Tageslicht gerückt zu werden, oder es hätte gar niemals aus dem Repertoire verschwinden dürfen, oder es wird, und das ist das Allerschlimmste, bald nachdem es seine Schuldigkeit getan, indem es die Kassen frisch belebte, wieder in der ärgsten Weise ‚verschlampt‘.“10 Von Mahlers schwerer Krankheit überschattet ist die Spielzeit 1900/01. Sie beginnt mit der Neuinszenierung von »Così fan tutte«, der ersten „echten“ Mozart-Premiere der Ära Mahler, die sich auch dadurch auszeichnet, dass Mahler die bisher gespielte Bearbeitung von Eduard Devrient gegen das Original, übersetzt von Hermann Levi, austauscht. Es folgen eine »Troubadour«-Neueinstudierung, die Erstaufführung des Operneinakters »Der Bundschuh« des oberösterreichischen Komponisten Josef Reiter und die Neueinstudierung von Wagners »Rienzi«. Nach der großen Krankheitspause leitet Mahler die Neuinszenierung von Goldmarks »Königin von Saba« und eine Neueinstudierung von Wagners »Tannhäuser« in der Dresdner Fassung. Dazwischen bringen, am 18. März 1901, Franz Schalk die Erstaufführung des »Lobetanz« von Ludwig Thuille und, am 4. Mai 1901, der daraufhin für die Spielzeit 1901/02 verpflichtete Gustav Brecher die Neueinstudierung der »Martha“ von Flotow heraus. Doch betreibt Mahler die Repertoire-Erweiterung auch in der Spielzeit 1901/02 weiter mit großer Konsequenz. Nicolais »Lustige Weiber von Windsor« bedürfen dringend einer Auffrischung  ; »Hoffmanns Erzählungen«, Offenbachs Meisterwerk, zwanzig Jahre nach dem Ringtheater-Brand 1881 dem Opernrepertoire wiederzugewinnen, wird zur Ruhmes­ tat  ; für Aufregung sorgt Mahler schließlich mit der Annahme der gerade erst in Dresden uraufgeführten »Feuersnot« des umstrittenen Richard Strauss. Doch Mahler ist tief enttäuscht von der lauen Reaktion der Wiener. Am 18. Februar 1902 schreibt er an Strauss  : „Lieber Freund  ! Ich bin so angeekelt von der Wiener Presse und vor allem, daß [sich] das Publikum so ganz in’s Schlepptau nehmen ließ, daß ich gar nicht darüber wegkomme. Wie schön wäre es, den Leuten den ganzen Krempel vor die Füße schmeißen zu können  ! – Hier das Ergebniß der Aufführungen  : I. 3100 fl.   II. 1600 fl.  III. 1300 fl. IV. am Faschingsmontag – einem der besten Abende des Jahres – 900  ! (wurde übrigens in letzter Stunde abgesagt  !) Leider, leider, muß ich vorderhand das Werk absetzen. Aber, ich gebe den Kampf noch nicht auf  ! – Am 4. April kommt ein neues Ballet – dazu gebe ich die Feuersnoth, da müssen wieder alle dabei sein und – vederemo  ! Vielleicht finden wir da eine unbefangenere Versammlung. …

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Dieß ist leider Alles, was ich Ihnen, lieber Freund, zunächst über das Schicksal Ihres Kindes (meines Schmerzenskindes) sagen kann. – Hoffentlich habe ich im April Froheres zu verkünden. In aller Eile Ihr treu ergebener Mahler“11 Mit Strauss verband Mahler schon seit den Hamburger Tagen eine mehr als nur kollegiale Beziehung. Richard Specht nennt ihr Verhältnis zueinander „ein ganz merkwürdiges  : eine Art bewundernder Gegnerschaft, eine mit Abneigung gemischte Hilfsbereitschaft, eine hochachtungsvolle Divergenz“12. Doch so verschieden die Charaktere der beiden Komponisten waren und so unterschiedlich auch ihre Kunstleistung als Beitrag zur Musikentwicklung des 20. Jahrhunderts heute beurteilt wird, so sehr fühlten sich doch Strauss und Mahler in ihrem Kampf um die Durchsetzung der „Moderne“ als Verbündete und waren von daher einander freundschaftlich zugetan. Die Berliner Uraufführung von drei Sätzen aus Mahlers Zweiter Symphonie (1895) durch Strauss, andererseits die schier fanatische Bemühung Mahlers um die Aufführung der »Salome« von Strauss an der Hofoper (1905) sind dafür starke Belege. In die nächste Spielzeit, 1902/03, fällt die Bekanntschaft und Verbindung Mahlers mit Alfred Roller und damit das erste sichtbare Resultat von Mahlers Bemühungen um die szenische Erneuerung der Opernbühne  : die zum 20. Todestag Richard Wagners geplante, dann wegen Probenschwierigkeiten um wenige Tage verschobene Neuinszenierung von »Tristan und Isolde«. Das Premierendatum 21. Februar 1903 ist als eines der denkwürdigen Ereignisse in die Wiener Operngeschichte eingegangen. „Man glaubte bei einer Sensations-Premiere zu sein. Alle Räume des Hauses waren dicht besetzt  ; die Damen in eleganten Kleidern, die Herren in Soiréetoilette. Seit Wochen bildeten in der Welt, in der man sich für Theatervorgänge interessirt, die Neuausstattung und Neuscenierung von Wagner’s »Tristan und lsolde« den Gesprächsstoff“, berichtet das »Illustrirte Wiener Extrablatt« tags darauf, und weiter  : „Das Publicum würdigte gestern die Verdienste Mahler’s um die Aufführung und bereitete dem Director zu Beginn des dritten Aufzuges eine langanhaltende stürmische Ovation … Einige Minuten vor Mitternacht war die Vorstellung zu Ende. Um die Geisterstunde hauchten Tristan und Isolde ihre letzten Seufzer aus.“13 Nach Herta Blaukopf „gelang es Roller, der zuvor nicht fürs Theater gearbeitet hatte, die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Kein Bühnenbild mehr im herkömmlichen Sinn, sondern Räume, die das Licht in bisher nicht erschauter Helligkeit oder tiefem Dunkel mitgestaltete. Schon wenige Monate nach dieser denkwürdigen Premiere löste Roller den bisherigen Ausstattungschef des Operntheaters ab und eignete sich in verblüffend kurzer Zeit die bühnentechnischen Kenntnisse an, die er zur Realisierung seiner Konzepte brauchte.“14

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Zu Spielzeitbeginn hatte es den Versuch der Wiederbelebung von Mozarts frühem Singspiel »Zaide«, einem Vorläufer der »Entführung aus dem Serail«, gegeben. Das Werk hatte Mahler seinem neu verpflichteten Kapellmeister Bruno Walter überlassen  ; er selbst steuerte am Premierenabend Bizets »Djamileh« bei, den Abschluss machte Hellmesbergers Ballett »Harlekin als Elektriker«. Mahler musste die »Zaide« wegen ihres Misserfolgs beim Publikum nach wenigen Vorstellungen wieder absetzen. Das veranlasste den Kritiker Robert Hirschfeld, der Mozarts Singspiel für Mahler bearbeitet hatte, publizistisch gegen den Operndirektor Stimmung zu machen  ; auch dem Komponisten Mahler versagte Hirschfeld in seinem Blatt, der einflussreichen »Wiener Abendpost«, daraufhin das Verständnis. Von den fünf Mahler-Premieren der Spielzeit 1903/04 sind zwei besonders bemerkenswert  : die Erstaufführung von Hugo Wolfs »Corregidor« und die Erstaufführung von Verdis »Falstaff« in deutscher Sprache (das Werk war 1893 bei einem Gastspiel der Mailänder Scala zweimal auf Italienisch gegeben worden). Mit der Aufführung des »Corregidor« genau ein Jahr nach dem Tod des Komponisten erfüllte Mahler mehr als nur eine Ehrenpflicht an seinem Jugendfreund und Studienkollegen. Dies festzustellen ist umso nötiger, als aus der Mahler-Literatur heute noch der Vorwurf herauszulesen ist, dass Mahler durch die Ablehnung der Oper für die Hofoper den Ausbruch der Geisteskrankheit bewirkt habe, die zu Hugo Wolfs tragischem Ende in der Umnachtung führte. In Wahrheit hatte sich Mahler schon im Herbst 1895, als Wolf noch an der Partitur arbeitete, für das Werk interessiert und eine Aufführung in Hamburg ins Auge gefasst. Unmittelbar nach seiner Berufung nach Wien suchte Mahler den Studienfreund auf und bemühte sich erneut um die Oper. Aus Briefen Hugo Wolfs wissen wir, dass ihm Mahler eine Aufführung an der Hofoper für Jänner oder Februar 1898 in Aussicht gestellt haben muss  ; vermutlich aber hat Mahler angesichts der dramaturgischen Problematik des Werks Vorbehalte gehabt und die geplante Aufführung zurückgestellt. Als Grund wurden Besetzungsschwierigkeiten genannt  ; ob sie tatsächlich bestanden haben oder dies nur ein Vorwand war, lässt sich nicht sagen. Dieser Vorgang ist für Mahlers Verhältnis zu den Menschen ebenso bezeichnend wie für seine Einstellung zur Kunst. Von Jugend an mit Wolf befreundet, hält er doch von dessen dämonischer, sich selbst verbrennender Geniegestalt auffallend Abstand. Das aus eigener Erfahrung gespeiste Verständnis für Wolfs schöpferische Krisen, selbst das Mitgefühl für Wolfs tragisches Verlöschen vermögen in Mahler nicht die Zweifel an der gelungenen Werkgestalt des »Corregidor« zu bannen. Erst nachdem durch Mahlers eigenhändige Bearbeitung und dank einer hervorragenden Besetzung der Hauptrollen dem Werk die optimale künstlerische Wirkung gesichert scheint, bringt er das Werk an der Hofoper heraus, ohne es jedoch zum Erfolg führen zu können. Als die Presse neben dem Mangel an Dramatik und Humor auch Mahlers dramaturgische Einrichtung kri-

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tisiert, macht Mahler – vor der fünften Aufführung der Oper am 10. März 1904 – die vorgenommenen Kürzungen rückgängig, revidiert seine Eingriffe in die Werkgestalt und lässt in den drei verbleibenden Aufführungen die strichlose „Urfassung“ spielen. Auch mit diesem Vorgehen freilich bekommt Mahler Widerspruch von seinen Kritikern  : „Direktor Mahler ist ein geistreicher Mann, der sich angesichts seines fest begründeten Rufes, der eigenwilligste und unzugänglichste aller Theaterleiter zu sein, auch einmal den Luxus einer scheinbaren Nachgiebigkeit gestatten kann. Man hatte ihm vorgeworfen, die Wirkung von Hugo Wolfs »Corregidor« durch dramaturgische und musikalische Änderungen beeinträchtigt zu haben. Flugs stellte er für die gestrige Aufführung die Originalpartitur her, beseitigte die verschobene Akteinteilung und die Kürzungen am Schluss – offenbar um zu beweisen, dass dadurch eine wesentliche Verstärkung des Gesamteindrucks nicht bewirkt werden könne. Und das erwies sich auch als vollkommen richtig …“15 (Gustav Schönaich in der »Wiener Allgemeinen Zeitung«). Neben dem deutschen Repertoire gab es erstmals in der Spielzeit 1903/04 mit dem eigens für das italienische Repertoire engagierten Dirigenten Francesco Spetrino eine italienische Stagione. Die italienischsprachigen Aufführungen begannen mit der Wiederaufnahme von Donizettis »Lucia di Lammermoor« am 31. Oktober 1903 und erreichten ihren Höhepunkt mit der Premiere von Puccinis »La Bohème« am 25. November 1903. Damit hielt Puccinis Meisterwerk, sechs Jahre nach seiner ersten Wiener Aufführung im (privaten) Theater an der Wien, seinen Einzug in die Hofoper und wurde – anders als die fünf Jahre zuvor aufgeführte Vertonung des gleichen Stoffes durch Leoncavallo – zum Kassenschlager. Überblickt man die Premieren der vier Spielzeiten von 1900 bis 1904, so fällt das Missverhältnis zwischen künstlerischer Anstrengung und Publikumserfolg ins Auge. Immer neue Versuche unternimmt Mahler, das Standard-Repertoire auszuweiten, slawische und französische Opernfarben in die Spielplanpalette zu bringen und sein Wiener Publikum mit dem zeitgenössischen Schaffen bekannt zu machen  ; immer aufs Neue zwingen ihn die Kassenreporte, die Novitäten vom Spielplan rasch wieder abzusetzen. Deshalb müssen uns die Vorwürfe, die Ludwig Karpath in dem schon zitierten Aufsatz von 1904 gegen Mahlers allzu „kassenfreundliche“ Spielplangestaltung vorbringt, geradezu grotesk anmuten  : „Ein Künstler, der unaufhörlich das Wort von den ‚Kunstidealen‘ im Munde führt, ist seit Jahren fast nurmehr darauf bedacht, die Zufriedenheit seiner vorgesetzten Behörden zu erringen. Das ist nämlich die Ursache, daß Mahler keine Uraufführung einer deutschen Oper wagt. Eine prachtvoll neu ausgestattete »Aida« bietet selbstverständlich tausendmal größere Gewähr, das Haus zu füllen, als etwa der deutsche Michel, möge dieser nun Siegfried Wagner (»Der Kobold«), Schillings (»Der Pfeifertag«) oder Pfitzner heißen. Aber Mahler braucht Geld und immer wieder Geld, um sich in seiner Stellung behaupten zu können. Solange der Kassierer kein Veto gegen ihn erhebt, mögen alle

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seine Widersacher ihn jährlich ein dutzendmal stürzen wollen, es nützt ihnen nichts, denn im Obersthofmeisteramte gilt nur ein einziges Gesetz  : Geldmachen.“16 Wird hier die konsequente Pflege des Repertoires als mangelnder Wagemut missdeutet, so wird Mahler von anderer Seite die allzu häufige Konfrontation der Wiener mit Opernnovitäten, das allzu unbedenkliche Experimentieren mit Unerprobtem und Vergänglichem vorgeworfen. So schreibt Richard Wallaschek in seinem schon erwähnten Feuilleton „Zehn Jahre Mahler“ knapp vor Mahlers Demission  : „Am schlechtesten steht es mit den Novitäten. Nicht ein Werk, das von Wien aus sich über die Theater Deutschlands verbreitet. Eine Oper nach der anderen kommt erst zu uns, nachdem sie anderswo unmöglich geworden ist, und erleidet dasselbe Schicksal wie bei ihrem ersten Schritt auf die Bühne. Allerdings kann eine Theaterdirektion gute neue Opern nicht selbst machen, aber sie kann in ihrer Auswahl vorsichtiger sein und dabei künstlerische Prinzipien zur Anwendung bringen, an die bei Annahme der »Neugierigen Frauen«, des »Polnischen Juden«, von »Flauto solo« wohl kaum gedacht worden ist.“17 Der Repertoire-Reformer Mahler konnte es sich also aussuchen, wofür er die PresseSchelte erhalten wollte  : für die sorgfältige Instandsetzung und Instandhaltung des reichhaltigen Fundus an populären und erfolgssicheren Standardwerken oder für die unverdrossene Konfrontation des Publikums mit Neuheiten und Außenseitern des Opernspielplans. Mag sein, dass Misserfolg und Unverständnis, auf die Mahler bei seinen RepertoireBemühungen traf, dazu beigetragen haben, ihn zu den neuen Einsichten und Absichten zu bringen, die er in den letzten drei Spielzeiten seiner Direktionsführung verwirklichen sollte. Zugleich war es sicher auch der Sisyphus-Kampf gegen Opernalltag und Kunstschlendrian, der ihm den Theaterbetrieb immer mehr verleidete. Eine Äußerung Mahlers zu dem Musikschriftsteller Dr. Edgar lstel bestätigt diese Vermutung  : „Wenn ich mir die allergrößte Mühe gegeben hatte, eine vollendete Vorstellung zu erzielen, mußte ich schon bei der Wiederholung mitansehen, wie allmählich das Beste abbröckelte  ; die dritte, vierte und fünfte Aufführung verschlechterte sich zusehends, und es war mir keine Möglichkeit gegeben, innerhalb des Repertoirebetriebs so viele Proben zu halten, als zur Aufrechterhaltung des Niveaus, das ich für entsprechend hielt, notwendig gewesen wären.“18 Und einem Redakteur des »Neuen Wiener Tagblatts«, vermutlich Ludwig Karpath gegenüber formuliert es Mahler noch prägnanter  : „Kein Theater der Welt ist auf einer solchen Höhe zu erhalten, daß eine Vorstellung der anderen gleiche. Das ist es aber, was mich vom Theater abstößt. Denn ich wünschte natürlich, alle Vorstellungen auf gleicher Höhe zu sehen, also ein Ideal zu erreichen, welches eben nicht zu erreichen ist. Das hat vor mir niemand können, es wird es nach mir niemand fertig bringen.“19

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Das, was Mahler „vom Theater abstößt“, war es zugleich, so darf man fortsetzen, was ihm den Wunsch nach Modellaufführungen und deren Zusammenfassung zu festlichen Zyklen nahelegte. Die Idee theatralischer Modellaufführungen war nichts Neues, ist vielmehr Gedankengut schon des frühen 19. Jahrhunderts, der Romantik. Immermann wollte als Erster solche Mustervorstellungen in Düsseldorf durchsetzen, Dingelstedt wusste sie später in München zu verwirklichen, Richard Wagner schuf aus der Idee schließlich die Institution  : die Bayreuther Festspiele. Gustav Mahler hatte Idee und Wirklichkeit der Bayreuther Festspiele schon früh, erstmals im Sommer 1883, kennengelernt. Nun, da er sich ein Ensemble von Sing-Schauspielern geschaffen, in Alfred Roller den kongenialen Partner für die szenische Ausdeutung seiner musikalischen Intentionen gewonnen hatte, griff er den Gedanken der Modellaufführungen auf und machte ihn zum Arbeitsprinzip für die weiteren Jahre seiner Operndirektion von 1904 bis 1907. Unter dem Gesichtspunkt der Zyklusbildung kann man diese drei Spielzeiten zur dritten, letzten Periode seines Wiener Opernwirkens zusammenfassen. In dieser Spätphase geht Mahler an die szenische Erneuerung des Operntheaters aus dem Geiste der Vereinfachung der Mittel, jenes Verzichts auf bloß äußere Wirkungen, wie er von den stilisierten und auf das Symbolhafte reduzierten Bühnenbildern Alfred Rollers herausgefordert und zugleich versinnbildlicht wird. (Hermann Bahr hat dafür das schöne Wort „Beseelung, Verseelung der Dekoration“20 gefunden.) Zum einen versuchen sich Mahler und Roller an neuen szenischen Deutungen für den Begriff des Tragischen, wie er sich in den größten deutschen Opernschöpfungen von Gluck (»Iphigenie in Aulis«) über Beethoven (»Fidelio«) bis Wagner (»Tristan und Isolde«) manifestiert. Zum anderen gibt ihnen die Feier des 150. Geburtstags von Wolfgang Amadeus Mozart Gelegenheit, die Summe ihres Künstlertums in die zyklische Wiedergabe der fünf großen Mozart-Opern zu legen. Mahlers Demission zerstört alle darüber hinausgehenden Pläne, lässt selbst von den begonnenen Vorhaben manche, wie die Neuinszenierung des »Rings«, unvollendet bleiben. Als Gipfelleistungen eines „neuen Musiktheaters“ vom modern eingestellten Teil des Publikums und der Presse enthusiastisch begrüßt, vom konservativ gesonnenen dagegen als Willkürakt und Experiment verurteilt, entfachen die ersten zwei Neuinszenierungen der Spielzeit 1904/05 – Beethovens »Fidelio« und Wagners »Rheingold« –, mit denen Mahler und Roller ihre Zusammenarbeit fortsetzen, eine Auseinandersetzung, an der sich ganz Wien beteiligt. Mehr noch als die Kompromisslosigkeit der szenischen Konzeption wird die musikalische Kühnheit – mit der Verlegung der Dritten LeonorenOuvertüre vor das Schlussbild des »Fidelio« – diskutiert. Mit vier Erstaufführungen – Leo Blechs »Das war ich« an einem Abend mit Eugen d’Alberts »Die Abreise«, Hans Pfitzners »Rose vom Liebesgarten« und, Bruno Walter als Dirigenten anvertraut, »Lakme« von Leo Delibes – war der Anteil an Novitäten auch in

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dieser Saison außerordentlich hoch. Bedenkt man, dass sich in dieser Zeit die Vorwürfe gegen Mahlers aufwendige Theaterführung und seine mangelnden Kassenerfolge häufen, so hat dieses beinahe halsstarrige Festhalten an seinem „modernen“ Spielplan etwas von dem sehr wienerischen „Jetzt erst recht“-Standpunkt. Allerdings bringt ihm sein Eintreten für die Moderne auch internationales Renommee ein  : Der »Allgemeine Deutsche Musikverein«, die von Richard Strauss präsidierte mächtige Vereinigung deutscher Musiker, hielt sein „Tonkünstlerfest“ im Juni 1905 in Graz ab. Auf Gustav Mahlers Einladung hin hält sich die Versammlung anschließend drei Tage lang in Wien auf. Nur für eine einzige Festaufführung anlässlich der Anwesenheit dieser illustren Gesellschaft studiert Mahler die »Feuersnot« von Richard Strauss wieder ein  ; an den beiden folgenden Abenden steuert die Hofoper Pfitzners »Rose vom Liebesgarten« mit Bruno Walter am Pult und »Die heilige Elisabeth« von Liszt unter der Leitung von Franz Schalk zum Festprogramm bei. Fünf der sieben Premieren der Spielzeit 1905/06 gelten Mozart-Opern im Hinblick auf den Mozart-Zyklus zum 150. Geburtstag des Komponisten. Heute wissen wir, dass allein dieses großangelegte und konsequente Unternehmen Mahlers die Wiederentdeckung des Musikdramatikers Mozart bewerkstelligt hat. Ohne Mahler würde Mozarts Opernschaffen schwerlich für das Theater des 20. Jahrhunderts seine zentrale Bedeutung erlangt haben. Zunächst erregen Rollers Bühnenraumgestaltungen, vorab die Einheitsdekoration für den »Don Giovanni« mit ihren feststehenden Bühnentürmen und verschiebbaren Szenenelementen, heftiges Für und Wider – zumal Roller dieses Prinzip auch bei der bald darauf folgenden Inszenierung der »Entführung aus dem Serail« wiederverwendet. Vor Mahlers durchgeistigten Mozart-Interpretationen freilich verstummt jeder Widerspruch. Dem Mozart-Dirigenten Mahler ist ein eigenes Kapitel dieses Buches gewidmet. Am 17. August 1906 enden die Theaterferien der Wiener Hofoper, am 18. und am 20. August steht Gustav Mahler bereits wieder am Pult – nicht jedoch in Wien, sondern in Salzburg, wo man zum Jubiläumsjahr ein Mozart-Fest (ein früher Vorläufer der Salzburger Festspiele) veranstaltet, zu dem die Wiener Hofoper zwei Aufführungen der »Hochzeit des Figaro« in prominenter Besetzung beisteuert. Von den elf Opernpremieren der Spielzeit 1906/07, die von drei Ballett-Erstaufführungen ergänzt werden, hat Mahler nur noch vier selbst übernommen. In Zusammenarbeit mit Roller entstehen Neuinszenierungen von Hermann Goetz’ Shakespeare-Oper »Der Widerspenstigen Zähmung«, von Wagners »Walküre« und Glucks »Iphigenie in Aulis«. Von der auf antike Einfachheit zurückgeführten »Iphigenie« meint Mahler selbst  : „Ich glaube, daß sie das Beste ist, was Roller und ich bisher geleistet haben.“21 Am ersten Weihnachtsfeiertag 1906 bringt Mahler eine Neueinstudierung von Rossinis »Barbier von Sevilla« heraus. Daneben gibt es in dieser Spielzeit Neueinstudierungen

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von Aubers »Die Stumme von Portici« (Dirigent Bruno Walter), Verdis »Othello« (Ale­ xander von Zemlinsky) und Ignaz Brülls »Das goldene Kreuz« (Franz Schalk). Ein letztes Mal setzt sich Mahler, wenn auch nicht vom Dirigentenpult aus, für Novitäten ein  : Wien sieht die Erstaufführung von Camille Erlangers »Der polnische Jude« (Dirigent Bruno Walter), Eugen d’Alberts »Flauto solo« (Franz Schalk) und Camille Saint-Saëns’ »Samson und Dalila« (Bruno Walter). Mahlers unvermindertes Interesse an den Zeitgenossen dokumentiert sich über seinen Abgang von der Wiener Hofoper hin­ aus  : In der Spielzeit 1907/08 erscheinen, noch von Mahler zur Aufführung angenommen, Puccinis »Madame Butterfly«, Karl Goldmarks »Ein Wintermärchen«, »Tiefland« von Eugen d’Albert und »Die rote Gred« von Julius Bittner auf dem Spielplan. Auch im Ballettrepertoire dominieren in Mahlers letzter Spielzeit die Novitäten. Auf die Pantomime »Marionettentreue« von Rudolf Holzer (Libretto) und Rudolf Braun (Musik) folgt das pantomimische Divertissement »Atelier Brüder Japonet« von Franz Skofitz  ; den Abschluss macht das Ballett »Rübezahl«, dessen Libretto, wie erwähnt, von Alfred Roller stammte, für das Julius Lehnert die Musik aus Kompositionen von Leo Delibes und Ludwig Minkus zusammenstellte. Mahlers eigenes Wirken hatte in diesen letzten Wiener Jahren zunehmend dem Gedanken der Musteraufführungen und deren zyklischer Zusammenfassung gegolten. Einem Mann wie Mahler, der sich dem „höchsten Kunstideale“ verschrieben hatte und zugleich zu den gewiegtesten Praktikern des Opernbetriebs gehörte, konnte es jedoch nicht verborgen bleiben, dass die Idee der Musteraufführungen mit den Erfordernissen eben dieses Opernbetriebs letztlich nicht in Einklang zu bringen war. Weder war der „Apparat“ in der Lage, jedem Abend festspielhaftes Niveau zu liefern, noch waren Publikum und Presse gewillt, für die seltenen Glücksstunden, in denen Mahlers Kunstwille Musik und Szene zur vollkommenen, modellhaften Einheit zwang, wochenlangen Opernalltag in Kauf zu nehmen. Kein Zweifel, dass die sinkenden Kasseneinnahmen das Obersthofmeisteramt nicht minder irritiert haben als die immer vehementer werdenden Presseattacken gegen den allzu selten am Pult erscheinenden Mahler. Mahler ist auch in dieser Phase seiner Operndirektion konsequent geblieben und hat sich auf keinen Kompromiss eingelassen. Er hat, resignierend vor der Gehässigkeit der Wiener Presse, vor der mangelnden Bereitschaft des Publikums, ihm zu folgen, vor der Schwerfälligkeit des Apparats und vor dem Mangel an Einsicht und Vertrauen bei der vorgesetzten Behörde, seinen Posten zur Verfügung gestellt und gleichzeitig an der als richtig erkannten Idee von der Oper als Festspiel festgehalten. Was von den Wienern als Utopie belächelt wurde, hoffte er, spekulierend auf die phantastischen Möglichkeiten der „Neuen Welt“, in seiner Bindung an die Metropolitan Opera in New York zu verwirklichen. Allzu rasch sollte er erkennen müssen, dass diese Hoffnung Illusion war.

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Abb. 9  : Regie-Protokoll der Wiener Hofoper für die Woche vom 5. bis 11. Februar 1899 (AT-OeStA/HHStA HA Oper Band 119)

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Abb. 10  : „Eine Tell-Aufführung in der Hofoper (Zukunftsbild)“. Karikatur, Der Floh, XXXI. Jahrgang, Nr. 46, 1899 (ÖNB /ANNO/Der Floh, 12. November 1899, Seite 1)

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Abb. 11  : Rollenfoto Sophie Sedlmair als Isolde in „Tristan und Isolde“ 1902 (Fotograf unbekannt) (Privatarchiv Torsten Haferlach, München)

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Abb. 12  : Rollenfoto Wilhelm Hesch als Mephisto in „Faust“ ca. 1900 (Fotograf unbekannt) (Privatarchiv Torsten Haferlach, München)

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Abb. 13  : Brief Gustav Mahlers an Pauline Fürstin von Metternich-Sándor, o. O., o. D. (Wien, Frühjahr 1902?). (Internationale Gustav Mahler Gesellschaft Wien, Archiv 51_1637)

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Abb. 14  : Brief Gustav Mahlers an Willy Birrenkoven, o. O., o. D. (Wien, 27. Dezember 1897) (Privatarchiv Torsten Haferlach, München)

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Abb. 15  : Verteidigungsschrift zu Mahlers Retuschen an Beethovens Neunter Symphonie, Februar 1900 (Privatarchiv Torsten Haferlach, München)

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Abb. 16  : Theaterzettel der Neuinszenierung von Wagners „Tristan und Isolde“, 21. Februar 1903. KHM-Museumsverband, Theatermuseum Wien; PA_Rara G 233

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„HANDWERK MIT GENIE“ „Im Blickfeld der Gegenwart wird Mahler als Dirigent und Operndirektor völlig vom Schöpfer jener großen, gewaltigen, mysterienhaften Symphonien überschattet, die, immer noch umstritten, zusehends an Verständnis und Boden gewinnen. Wer aber von der Mahler-Zeit in Beziehung auf die Wiener Oper spricht, denkt an den neuen Darstellungsstil, den er geschaffen hat und den er, wohl aus Wagners Lehre geschöpft, nicht nur in Wagners Werken, sondern in der Oper überhaupt durchzusetzen unternahm.“1 Diese Sätze, 1962 von Heinrich Kralik niedergeschrieben, bedürfen heute einer Korrektur – weniger deswegen, weil sich die Symphonien Mahlers in den letzten fünfzig Jahren im Konzertsaal und auf dem Plattenmarkt in einer damals unvorstellbaren Weise „durchgesetzt“ haben, als vielmehr im Hinblick auf den „neuen Darstellungsstil“ des Mahler’schen Operntheaters, dessen historische (und das heißt  : für die Nachwelt verbindliche) Leistung immer noch unterbewertet wird. Nach wie vor verbindet sich mit der Glorifizierung der „Ära Mahler“ vorwiegend die Bewunderung für den musikalischen Interpretationsstandard, hinter der die Erkenntnis der bahnbrechenden Erneuerung der Opernregie durch Mahler im Bewusstsein der Öffentlichkeit weit zurücktritt. In auffälliger Übereinstimmung damit steht die Tatsache, dass die Prinzipien des Mahler’schen Inszenierungsstils von der Theaterwissenschaft noch weitgehend unerforscht sind. So ist die Mahler-Rezeption auf diesem Sektor – sieht man von vereinzelten wissenschaftlichen Arbeiten ab – auch heute noch auf die Erinnerungsberichte der Sänger und Bühnenkünstler angewiesen, die mit Mahler zusammengearbeitet haben. So muss es zunächst bloße Behauptung bleiben, dass in Wahrheit das Zusammentreffen dreier unterschiedlicher, doch gleichwertiger Befähigungen in der Person Gustav Mahlers den außerordentlichen Rang jeder einzelnen seiner Opernaufführungen und damit insgesamt der von ihm geleiteten Bühne konstituiert hat  : neben die geniale Fähig­ keit des Dirigenten zur Ausdeutung der Partitur trat die Begabung des Regisseurs, den dramatischen Vorgang nach Sinn und Gesetz der Musik auf die Szene und die in ihr handelnden Personen zu übertragen  ; und beiden Fähigkeiten verband sich das Talent des Theaterdirektors, der durch Umsicht und Dispositionsgabe, mit Wagemut und der Verfügungsgewalt seines Amtes die optimalen Bedingungen herzustellen wusste, um das innerlich erschaute Ideal des Kunstwerks mit den ihm anvertrauten Künstlern in Realität umzusetzen. Das Besondere der Leistung Mahlers ist dabei, dass er nicht nur die im 19. Jahrhundert erstarrten Aufführungskonventionen zerschlagen und neue Kriterien für die Wahrhaftigkeit eines Bühnenwerks geschaffen hat, sondern dass es ein Musiker gewesen ist,

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der diese szenische Erneuerung gewollt und erzielt hat. Alle szenischen Bestandteile des Opernwerks wurden erstmals als „Funktionen“, als Ausdrucks- und Sinnträger des musikalischen Dramas verstanden und sinnfällig gemacht. Dass dieses Verfahren eben dort seine Grenzen findet, wo die musikalische Substanz der solchermaßen realisierten Partitur die ihren hat, versteht sich von selbst  ; Mahlers Interpretationen gelangten also vorwiegend dann zu gültigen Lösungen, wenn es sich um Opern des höchsten musikalischen Ranges, um Gluck, Mozart, Beethoven, Lortzing, Weber, Wagner und Verdi handelte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Mahler die Akzente seiner Bemühungen um dieses Musiktheater im Lauf seines zehnjährigen Wirkens verschieden gesetzt hat. Wie sich – entsprechend den im vorangegangenen Kapitel geschilderten Perioden seiner Di­ rek­tions­führung – seine Kunstabsichten änderten, so wandelte sich auch die Kunstausübung  : vom dirigierenden Regisseur über den regieführenden Inszenator zum geistigen Kraftzentrum der ihm anvertrauten Aufführungen. Das meint Bruno Walter, wenn er über Mahlers Wiener Wirken schreibt  : „Aus dem Operndirigenten, dessen musikalische Macht Wien in Atem hielt, entwickelte sich im Lauf der Jahre der Begründer eines höheren, reineren Stils der Opernwiedergabe, einer Harmonisierung von Musik und Szene, die damals durch ihre Neuheit Publikum und Presse in Anhänger und Gegner spaltete und in ihrem Suchen und Experimentieren das Gesetz von heut und morgen vorbereitete.“2 Zunächst bestimmte Mahler vom Pult aus Qualität und Intensität der musikalischen Interpretation  ; demgemäß führte er vom Klavier aus auf Solo-, Ensemble- und Bühnenklavierproben mit den Sängern – gleichzeitig mit der musikalischen Einstudierung – „Personenregie“, dabei die vorhandenen Inszenierungen und Dekorationen als mehr oder weniger unabänderlich respektierend. Gleichwohl erreichte er auf diese Weise ein Maß an Glaubwürdigkeit der Psychologie und Lebendigkeit des Spiels, das den bisher geduldeten Regieschlendrian und die bisher übliche Sängerroutine den ausführenden Künstlern wie dem Publikum wohl überdeutlich (und unerträglich) machte. Wie ungewöhnlich die Tätigkeit des regieführenden Dirigenten – heutzutage zum vertrauten Bild geworden und selbst von Musikern praktiziert, denen jede Legitimation dazu fehlt – auf die Zeitgenossen gewirkt haben muss, können wir aus einem Bericht schließen, den der Kritiker Izor Béldi über Mahlers Budapester Opernarbeit mehr als dreißig Jahre danach veröffentlicht hat  : „Mahler war in seinem Element, er lief immer wieder vom Orchester über die Verbindungstreppe auf die Bühne, spielte den Sängern vor, setzte sodann das Dirigieren fort. Es war dies eine Abendprobe. Vorher hatte er vom frühen Morgen an Klavierproben gehalten.“3 In der zweiten Periode, als die Repertoirebildung Hauptziel des Operndirektors Mahler wurde, trat die Sorge um die Inszenierung als geschlossene Bühnenwirkung vor die

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eigentliche Regieaufgabe – erst Wieland Wagner hat die Teilung in „Regie“ und „Inszenierung“ wieder zum Arbeitsprinzip erhoben  ; in dieser Zeit wandte sich Mahlers Interesse von der einzelnen Repertoirevorstellung ab und den wichtigen Neuinszenierungen der Saison zu, bei denen er sich für das künstlerische Total – Ausstattung, Inszenierungsform und -stil, Regie und musikalische Leitung – verantwortlich fühlte. Erst durch das Hinzutreten Alfred Rollers im letzten Jahrfünft seiner Direktionszeit konnte Mahler die Verantwortlichkeit für die Realisierung seiner Konzeptionen an einen gleichgesinnten, kongenialen und überdies metierkundigen Partner weitergeben. In der Zusammenarbeit zwischen Mahler und Roller sind jene „Modellaufführungen“ entstanden, die als unvergängliche Wiener Theaterleistungen vom Beginn des 20. Jahrhunderts an die europäische Bühnenkunst bis in die Gegenwart hinein beeinflusst haben. Will man die Leistung des Dirigenten, Regisseurs und Theaterleiters Mahler charakterisieren, so bieten sich zwei Begriffe an, die als geradezu fanatisch erfüllte Maximen die Arbeit Mahlers und ihre Resultate bestimmen  : Genauigkeit und Deutlichkeit. „Ich rechne es mir als mein größtes Verdienst an, daß ich die Musiker dazu zwinge, genau das zu spielen, was in den Noten steht.“4 Dieser Ausspruch, von Arnold Schönberg in seiner Prager Mahler-Rede zitiert, belegt den Genauigkeitsanspruch des Dirigenten, das von Roller überlieferte Lieblingswort „Steht alles in der Partitur“5 den des Regisseurs Mahler. Mahlers Arbeitsweise, mit Sängern wie mit Orchestern, ist von vielen Augenzeugen in eindrucksvollen Berichten überliefert worden. Zu den weniger bekannten Dokumenten gehört ein Bericht „Meine ersten Proben mit Gustav Mahler“, den Anna von Mildenburg 1912, damals schon die Gattin Hermann Bahrs, in der »Neuen Freien Presse« veröffentlicht und 1921 in ihr Erinnerungsbuch aufgenommen hat. Aus ihm wird deutlich, in welchem Ausmaß die große Sängerin und Darstellerin, die als Wagner-Heroine Inbegriff des Mahler-Stils und Vorbild für ein ganzes Menschenalter war, die Grundsätze ihrer Rolleninterpretationen Gustav Mahler verdankt  : „‚Korrektheit ist die Seele einer Kunstleistung‘, sagte Mahler damals in der ersten Probe mit mir, und heute weiß ich, daß es ein Segensspruch für mein ganzes Leben war.“6 Dass nicht etwa Einfühlung, Selbstentfaltung oder Ausdruck von Empfindungen, sondern Korrektheit, peinliche genaue Befolgung des Noten„textes“ für Mahler die Seele einer Kunstleistung war, mag nur den verwundern, der sich durch die – von Freunden wie von Feinden errichteten – Klischeebilder vom „dämonischen“ Mahler, vom reizbaren, sprunghaften, wirklichkeitsfernen Nervenkünstler über die wahren Prinzipien Mahler’scher Interpretationskunst täuschen lässt. Was es mit Mahlers Subjektivismen tatsächlich auf sich hat, findet in Anna Bahr-Mildenburgs Erinnerungsbericht ebenfalls seine Erklärung  : „Bei Mahler hatte man stets das Gefühl, daß er selbst noch Suchender und Entdeckender sei, daß es für ihn nie und nirgends ein Aufhören gebe. Daraus entstand dann oft der Vorwurf, daß er inkonsequent sei, daß er seine Meinung über Vortrag, Tempo

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und Darstellung so leicht ändere. Natürlich war er Menschen, die unausgesetzt an sich und in sich weiterarbeiten, gerade dadurch verständlich und in seinen Widersprüchen selbstverständlich. Aber diejenigen, die hinter ihren Zielen und Errungenschaften nicht wieder neue Welten sich auftun sehen, beunruhigte er und störte ihnen ihre ruhevolle Behäbigkeit und Genügsamkeit durch unverhofftes ‚Gestalten und Umgestalten‘ seiner bisherigen Anschauungen und Feststellungen.“7 Hermann Bahr, eine der bestimmenden Gestalten des österreichischen Geisteslebens jener Zeit und nicht zuletzt durch die Kunst der Mildenburg zu einem fanatischen Verfechter Mahlers geworden, ergänzte dieses Porträt wenige Jahre später in seinem Beitrag für das Mahler-Sonderheft der „Musikblätter des Anbruch“  : „Aus dem üblichen Schlendrian des verlotterten deutschen Theaterbetriebs ragen zuweilen Vorstellungen ereignisvoll hervor, entweder als sauberes Handwerk, anständig vorbereitet und genau durchgeführt, oder als Improvisationen einer glücklichen, von der Gunst des Augenblicks noch erregt gesteigerten Eingebung. Des einzigen Mahler Geheimnis war  : Handwerk mit Genie. Dies ergab, daß Vorstellungen von technischer Vollkommenheit, von einer Präzision ohnegleichen, bereit, mit der Zuverlässigkeit eines Uhrwerks abzulaufen, unter der berauschenden, entflammenden, verzückenden Gewalt seines trunken-verklärten Blicks, seiner bald grimmig aufscheuchenden, bald zärtlich beschwichtigenden, immer unwiderstehlichen Hand in Improvisationen von atemloser Seligkeit verwandelt wurden.“8 Was Hermann Bahr zur Charakterisierung des Operndirigenten auf die Kurzformel „Handwerk mit Genie“ brachte, das gilt insgesamt für den Künstler Gustav Mahler in all seinen Wirkungsbereichen  : die einzigartige Verbindung von Rationalität und In­ spiration. Man geht kaum fehl, in dieser „Legierung“ eine Eigenschaft österreichischen Wesens zu sehen. Die Mischung des Pedantischen mit dem Phantastischen, des „Tüftlerischen“ mit dem Hemmungslosen – zeichnet sie nicht ebenso die großen Erfinder und Philosophen dieses Landes aus, die Maler, Dichter und Musiker, Freud und Wittgenstein, Grillparzer und Musil, Schönberg und Webern  ? Mahlers Persönlichkeit, geschärft freilich durch sein jüdisches Erbe ebenso wie durch die Nervenreize der Jahrhundertwende, in die er gestellt war, steht da in einer kontinuierlichen Reihe. Eine Besonderheit österreichischen Schöpfertums war immer dessen ambivalentes Verhältnis zur Tradition. Der leidenschaftliche Versuch, Neues durchzusetzen und zugleich das Überkommene zu bewahren, kennzeichnet die auf österreichischem, speziell auf Wiener Boden entstandene Kunst seit den Tagen des Barock und der Klassik. Begreiflich, dass gerade diese „dialektische“ Form des Fortschritts missverständlicher sein und schmerzlicher wirken musste als jede radikale Absage an die Vergangenheit. Was in Wahrheit Reflexion und Anverwandlung des historisch Vorgegebenen war, erschien den Zeitgenossen zu allen Zeiten als willkürlicher Verzicht auf gesicherte Positionen oder Verirrung in subjektivistische Experimente. Umgekehrt aber verstanden

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sich die angeblich „revolutionären Neuerer“ stets als Wahrer des geschichtlichen Kontinuums. In Wien, wo die Berufung darauf, dass etwas „immer schon so gewesen“ sei, als Zauberformel gegen jede unbequeme und daher unerwünschte Veränderung gilt, ist jeglicher Fortschritt suspekt  ; umso mehr, wenn er sich auf die Wiederherstellung echter Traditionen beruft. Gustav Mahler eilte offensichtlich der Ruf des „Reformers“ nach Wien voraus – am Tage des Vertragsabschlusses schreibt er an Ludwig Karpath  : „Ein Ausschnitt der »Allgemeinen Zeitung«, der mir soeben zugegangen, erzählt von ‚Äusserungen‘, die ich gemacht haben soll  : ‚Reorganisation – Pensionierungen – Neuengagements  !‘ Das kann mir nicht nützen – sondern nur die Mitglieder auf den Hals hetzen. Himmel – in welch ein Wespennest habe ich da hineingestochen  !“9 Mahler hatte, als Operndirektor wie als Dirigent und Regisseur, einen Zweifrontenkrieg zu führen  : gegen die Verfechter jener konservativen Gesinnung, die aus Angst und Unsicherheit alles Neue ablehnt, und gegen die Hüter einer vermeintlichen Tradition, hinter der sich träges Beharrungsvermögen und gedankenlose Routine verbergen. Das erklärt die sonderbare Tatsache, dass sich an alle Taten Mahlers, die echt reformerischen ebenso wie die strikt restaurativen, Kritik und Ablehnung heftete. Ob er die Striche in Wagners Musikdramen aufmachte und so, Wagners Kompositionsplan restituierend, die Grundlage für ein authentisches Wagnerbild schuf, ob er an den Symphonien Beethovens und Schumanns Instrumentationsretuschen vornahm und so für die Verdeutlichung des musikalischen Gedankens sorgte  : Immer hatte Mahler die „Traditionalisten“ gegen sich. (Kurt Blaukopf hat die historische Logik seines Vorgehens schlüssig bewiesen und das Problem der falschen „Werktreue“ eingehend erörtert.) Es ist unausbleiblich, dass an dieser Stelle Mahlers Äußerung über Tradition und Schlamperei zitiert wird, die immer noch und immer wieder falsch kolportiert wird. Nicht „Tradition ist Schlamperei“, hat Mahler gesagt, sondern, wie Alfred Roller als Zeuge der Szene glaubhaft überliefert hat  : „Was ihr Theaterleute eure Tradition nennt, das ist eure Bequemlichkeit und Schlamperei.“10 Mahler tat den Ausspruch bei einer Probe zum »Fidelio«, als der Opernchor darauf bestand, im Kerkerhof, wie es „Tradition“ war, in geschlossener Formation aufzutreten, während Mahler, um der dramatischen Wahrhaftigkeit der Szene willen, die Gefangenen nach und nach, einzeln und in kleinen Gruppen aus einem Verlies ans Tageslicht gelangen lassen wollte. Es ist barer Unsinn, Mahler, der vor den überlieferten Kunstwerken und Kunstleistungen, sofern sie lebendig und echt waren, den größten Respekt hatte, der Traditionsfeindlichkeit zeihen zu wollen. Er wandte sich vielmehr „gegen Tradition als Synonym für Gedankenlosigkeit, als Ersatz für künstlerischen Impuls“11 (Wolfgang Schreiber). Und Alfred Roller schreibt in seinem schon zitierten Aufsatz über „Mahler und die Inszenierung“  : „Er verspottete das bequeme Schema und verabscheute den Ariadnefaden der Routine“. Dort heißt es auch  : „Dabei war dieser angebliche Verächter der Tradition tief

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durchdrungen“ – und schließlich, so müssen wir ergänzen, zutiefst abgestoßen – „von der historischen Bedingtheit unseres ganzen Opernwesens, und weil er seinem Publikum in musikalischer Beziehung so viel Ungewohntes zumuten mußte, schonte er es gerne in bezug auf alle Elemente der Aufführung, die sich an das Auge wenden“.12 Handwerk mit Genie  : Die minutiöse Beachtung jeder kleinsten Einzelheit eines Kunstgebildes war für Mahler die Grundlage des interpretatorischen Anspruchs. Genauigkeit im Detail bedeutete dabei keineswegs sklavische Befolgung des Buchstabens einer Partitur oder eines Textbuches, sondern restlose Erfüllung des Sinns der Noten, Worte oder Szenenanweisungen. Diesem Ziel galt auch das Bemühen des „Dramaturgen“ Mahler, der sich zu dessen Erreichung unterschiedlicher, oft gegensätzlicher Maßnahmen bediente. So machte er Striche in der Partitur von Rubinsteins »Dämon«, als er den Erfolg seiner Erstaufführung durch die Breite der dramatischen Anlage gefährdet sah  ; umgekehrt öffnete er die Striche wieder, die er bei den Proben zu Hugo Wolfs »Corregidor« angebracht hatte, und kehrte nach der Premiere, wie erwähnt, zur ungekürzten Urfassung zurück. Auch von der Textneufassung, die er der geliebten »Euryanthe« Webers ein Jahr nach seiner ersten Inszenierung zuteilwerden ließ, war schon die Rede. Bei allem Streben nach szenischer Wahrhaftigkeit kann Mahler nur bedingt als „realistischer“ Regisseur bezeichnet werden. Will man das künstlerische Resultat seiner Inszenierungen für die Wiener Hofoper auf eine Formel bringen, so müsste sie etwa lauten  : Schaffung eines neuzeitlichen Interpretationsstils, der Text, Handlung, Musik und Darstellung als Einheit ansieht und die Oper nicht zum Konzert im Kostüm degradiert, sondern ihre musikdramatische Konzeption zum Ausdruck bringt. So gesehen, könnte man Mahler als den „Erfinder“ (und ersten Vollender) eines bis heute verbindlichen „Musiktheaters“ bezeichnen. So ist es zwar begreiflich, wenn Theaterhistoriker wie Stephan Stompor diese Leis­ tung Mahlers in einen direkten Zusammenhang mit dem realistisch geprägten „Mu­ sik­theater“-Begriff Walter Felsensteins13 rücken. Die Erinnerungen der Sänger, die mit Mahler gearbeitet haben, ebenso wie die oft detailgenau beschreibenden Aufführungskritiken lassen jedoch den Schluss zu, dass die – wie wir heute sagen würden – „stilisierenden“ Tendenzen in Mahlers Operninszenierungen nicht weniger stark waren als die realistischen. Die Erklärung für diese Ambivalenz, die Mahlers Standortbestimmung in der Geschichte des modernen Regietheaters relativ schwierig macht, ist in einer Erkenntnis zu suchen, die Alfred Roller in den Satz gefasst hat  : „Jedes Kunstwerk trägt das Gesetz seiner Inszenierungen in sich.“14 Ein wichtiger Beleg für diese unterschiedlichen, bald realistischen, bald stilisierenden Inszenierungstendenzen, die Mahler je nach dem Charakter des darzustellenden Werks in Anwendung brachte, ist ein Text, den Marie Gutheil-Schoder – nicht nur eine der Stützen von Mahlers Ensemble, sondern als „denkende Sängerin“ eine der großen

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Künstlerinnen der Wiener Oper überhaupt – unter dem Titel „Mahler bei der Arbeit“ 1912 veröffentlicht hat. An der gegensätzlichen Ausstattung, Inszenierung und Sängerführung bei den beiden Mozart-Opern »Don Giovanni« und »Figaros Hochzeit« (die Gutheil-Schoder war Elvira in der einen, Susanna in der anderen Aufführung) erläutert sie Mahlers Arbeitsweise und untermauert damit ihre Erkenntnis  : „Gustav Mahlers Stellungnahme zur realistischen Bühnenkunst war keine unbedingte. Die Art und der Geist seiner Bühnengestaltung entsprangen immer aus der Art und dem Geist des betreffenden Kunstwerkes, das er zu inszenieren beabsichtigte … Eines stand für Mahler aber fest  : Obgleich er seine Intentionen aus dem Kunstwerke entnahm und fürsorglich darüber wachte, daß kein Teil desselben vernachlässigt wurde – die Musik ging allem voran  ; in ihr lag für ihn alles andere vorausbestimmt und aus ihr wurde jede szenische Einzelheit geholt.“15 Dirigent, Regisseur und Intendant  : Erst im Zusammenwirken aller drei Begabungen und Betätigungen findet Mahlers nachschöpferisches Genie seine Erfüllung. Dass durch die Einheit von Dirigent und Regisseur Mahlers Einstudierungen „eine Verschmelzung und gegenseitige Durchdringung des Musikalischen mit dem Szenischen“ erfuhren, „die in ihrer Zeit ohne Beispiel war und als neue Qualität der Wiedergabe so unmittelbar und beispielhaft wirkte“16 (Stompor), ist noch nicht die ganze Wahrheit. Dem Dirigenten-Regisseur trat der Inszenator an die Seite, der mit den Individualitäten singender Darsteller die dem Stil des jeweiligen Werks spezifische szenische Gestalt herstellte und – damit auch noch selbst Bühnenbildner – den realen Raum der Bühnenhandlung mit dem geistigen des Kunstwerks zur Deckung brachte. All diese Arbeitsteilungen aber fasste der Operndirektor zusammen, der die künstlerischen Visionen mit den technischen, dispositionellen und finanziellen Gegebenheiten in Einklang zu bringen hatte und dafür sorgte, dass der Dirigent – so schließt sich der Kreis – allabendlich vom Pult aus das erarbeitete Kunstwerk mit dem Wunder seiner Inspiration beleben konnte. Richard Wagner hat das Gesamtkunstwerk geschaffen  ; für Gustav Mahler ist einzig der Ausdruck Gesamtkünstler angemessen. Gustav Mahlers Wirken als Hofoperndirektor ist deshalb keineswegs erschöpfend beschrieben, indem man Faszination und Leistung des Dirigenten Mahler darstellt, seine Tätigkeit und sein Konzept als Regisseur untersucht und seine Spielplangestaltung analysiert. Nur wenn man Mahlers umfassendes Wirken in allen Bereichen der Theaterführung, sein forderndes und formendes Eindringen noch in die letzte Verästelung des „Betriebs“ erkennt, wird man der einzigartigen Leistung dieses Mannes gerecht. Mahlers Genie als Operndirektor  : Das ist die Fähigkeit, den unendlich vielfältigen, in künstlerische, technische und Verwaltungsbereiche gegliederten Organismus des damals größten europäischen Theaters zu überblicken, im Griff zu halten und den selbstgesetzten hohen, ja höchsten Zielen entsprechend zu motivieren und zu formen. Diese Fähigkeit drückt sich in der Probenarbeit ebenso aus wie in der Disposition der Vorstellungen,

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in der Spielplangestaltung ebenso wie in der Zusammensetzung des Ensembles, sie ist für die künstlerische Entwicklung der Sänger ebenso verantwortlich wie für die Überwachung der Werkstätten, für die Sorge um die technische Leistungsfähigkeit der Bühne ebenso wie für die Verwaltung der ihm im Opernbudget anvertrauten Gelder, für eine zeitgemäße Opern-Dramaturgie ebenso wie für das, was man heute die „Öffentlichkeitsarbeit“ eines Theaters nennt. So verstanden, ist Gustav Mahler der erste „Intendant“ im modernen Sinn gewesen.

DAS ENSEMBLE UND SEIN DIREKTOR In der heute gängigen Verklärung der „Ära Mahler“ ist die Tatsache aus dem Blick der Öffentlichkeit geraten, dass bereits das Vierteljahrhundert vor Mahlers Amtsantritt zu den Glanzzeiten der Wiener Oper gehört hat. Bei vorurteilsfreier Bewertung muss man die siebzehn Jahre der Direktionszeit Wilhelm Jahns, des direkten Vorgängers von Mahler, ebenso gut als „Ära Jahn“ bezeichnen – freilich immer unter Berücksichtigung des großen Anteils, den Hans Richter, Hofkapellmeister ab 1875, dazu beigetragen hat. Unter den Wiener Opernhistorikern genießt Jahns Wirken ohnehin seit je hohen Respekt, und zwar gerade für jene Leistung, die durch Mahlers spektakuläre Reformen unverdient in den Hintergrund getreten ist  : für die Gewinnung künstlerischer Spitzenkräfte in allen Gesangsfächern, für die Schaffung und Pflege eines homogenen Ensembles starker Individualitäten. So heißt es bei dem Jahn-Biographen Clemens Höslinger  : „In der langen Periode der Direktion Wilhelm Jahns an der Wiener Hofoper (1881– 1897) wurde ein Sängerensemble herangebildet, dessen Homogenität und Leistungsfähigkeit in der gesamten musikalischen Welt höchste Bewunderung erntete. Jahn, der auch als hervorragender Operndirigent wirkte, hat das Institut mit Ruhe und Würde geleitet, er galt als ‚Vater der Künstler‘, namentlich der Sänger, für die er als eminenter Stimmen-Experte eine besondere Zuneigung hegte. Allerdings war in den letzten Jahren seiner Direktion eine spürbare Erschlaffung im Opernbetrieb eingetreten, ein Nachlassen von Energie und Koordination, sodass seine Ablösung unumgänglich wurde.“1 Der bedeutende Wiener Musikschriftsteller und -kritiker Heinrich Kralik rühmte Jahns Fähigkeit, „Talente zu finden, zu entdecken, zu entwickeln. Er holte sich seine Künstler von überall her. Sie kamen nicht nur von anderen Opernbühnen, sondern auch von der Operette, aus der Provinz, vom Land, aus der Fabrik. Und oft genug war es erst sein Einfluss, seine Bildnerarbeit, die aus ihnen Künstler, Persönlichkeiten und Götterlieblinge machte. Sein Wagner-Ensemble vereinigte die überhaupt besten Kräfte, und als im Sommer 1882 auf dem Bayreuther Festspielhügel zum erstenmal »Parsifal« gegeben wurde, durfte man mit Stolz vermerken, dass lauter Wiener Sänger und Sängerinnen die Aufführung trugen  : Materna, Winkelmann, Reichmann, Scaria. Nicht weniger bedeutend waren Jahns Akquisitionen für das italienische Fach, für die Spieloper und zumal für die Opernlyrik aus Frankreich  : Bianca Bianchi, Lola Beeth, Antonie Schläger und als das berühmteste und beliebteste Opern-Liebespaar  : Marie Renard und Ernest van Dyck.“2 Franz Farga schließlich urteilt in seinem Buch »Die Wiener Oper von ihren Anfängen bis 1938« über die Ära Jahn-Richter  :

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„Dieses Ensemble war von einer Vollendung, wie es die Hofoper bis dahin nicht gekannt hatte. Für jedes Fach gab es mehrere gleichwertige Künstler. Sogenannte zweite und dritte Besetzungen waren zumindest ebenso gut wie die erste und erzielten oft größere Triumphe.“3 Am 8. April 1897 hatte Mahler seinen Vertrag als Kapellmeister der Wiener Hofoper unterschrieben, am 1. Mai trat er sein Engagement an, am 11. Mai dirigierte er seine erste Vorstellung im Opernhaus am Ring. Noch war nicht einmal die Ernennung zum stellvertretenden Direktor, geschweige denn die zum Direktor der Hauses erfolgt, schon ging Mahler an die Umgestaltung des Repertoires, die zwangsläufig mit einer weitreichenden Veränderung des Ensembles verbunden war. Aus den Ferien schrieb er an den Kanzleidirektor der Wiener Hoftheater-Intendanz, den ihm gewogenen Hofrat Eduard Wlassack, am 3. Juli 1897 einen langen Brief, in dem er detailliert seine Zukunftspläne entwickelte. „Wir müssen für nothwendigen Ersatz in manchen Fächern vorsorgen“, heißt es da, „da ist höchste Eile nothwendig und jeder Moment kostbar – jetzt, wo Berlin und München ungeheuer schlagfertig für Jahre hinaus Vorkehrungen treffen … Wir müssen eine ganze Menge Opern, die ganz oder theilweise falsch besetzt sind, umbesetzen, um sie wieder möglich zu machen. Wir könnten »Joseph in Aegypten« in wundervoller Besetzung (Winkelmann, Reichmann, Walker) herausbringen – so könnte ich Ihnen Seiten über Seiten vollschreiben und fände kein Ende.“4 Mahler war über den „Markt“ von Dirigenten, Sängern und Orchestermusikern hervorragend unterrichtet. Dabei hat er sich zweifellos nicht nur auf Agenten verlassen, die ihre Künstler geschäftsmäßig allen großen Opernhäusern anboten  ; er hatte sich überdies zu diesem Zweck (abgesehen von seiner dafür bestimmten täglichen Zeitungslektüre) ein richtiges Netzwerk von Informanten geschaffen, darunter sicher auch die prominenten Sänger und Dirigenten seines Ensembles, die bei ihren Gastspielen immer wieder neue Künstler kennenlernten. Anders ist es kaum zu erklären, dass er über die Personalveränderungen an den Theatern der Monarchie und des Deutschen Reiches praktisch lückenlos Bescheid wusste. Kaum zum Direktor ernannt, setzte er seine Veränderungspläne umgehend in die Tat um. Dabei kamen ihm auch die zahllosen Verbindungen und Kenntnisse, die er durch seine Tätigkeiten in Prag, Leipzig, Budapest und Hamburg besaß, zugute. Zur „Lösung der Baritonfrage“, worunter wir fraglos einen Ersatz für seinen langsam den Glanz einbüßenden Heldenbariton Theodor Reichmann verstehen dürfen, verpflichtete er ein von ihm hochgeschätztes Mitglied des Hamburger Stadt-Theaters, den 36-jährigen Leopold Demuth. Für das Fach des Heldentenors, in dem Hermann Winkelmann seine besten Tage hinter sich hatte, bemühte er sich um einen anderen Star des Hamburger Ensembles, Willi Birrenkoven, der sich jedoch nicht zum Wechsel nach Wien bewegen ließ. Daraufhin schickte Mahler seinen einstigen Hamburger Ka-

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pellmeister Bruno Walter zu dem gerade von der New Yorker »Opera Company« nach Berlin zurückgekehrten Heldentenor Ernst Kraus und reagierte enttäuscht, als auch dieser, Mahlers „Angebot von 36.000 fl steuerfrei [und] 4 Wochen Winterurlaub zurückweisend, sich endgültig für Berlin entschieden“5 hatte, wie er seinem „verehrten Herrn Regierungsrath“ mitteilt. Im selben Brief an Eduard Wlassack bricht sich dann Mahlers ganzer Frust über die vorgefundene Ensemble-Situation Bahn  : „Ich bedarf geradezu Ihres Trostes  ! Wir sind durch unverzeihliche Lässigkeit Jahns, welche ich geradezu Gewissenlosigkeit nennen muß, vorderhand vom 1. Juni nächsten Jahres ohne Tenoristen. Van Dyck geht nach Amerika, Dippel hat auch soeben ein Angebot von Grau mit horrenten [sic] Bedingungen bekommen, und Winkelmann hat unter diesen Umständen die Vorderhand, und kann uns diktiren  ! Außerdem, wie lange können wir auf ihn noch zählen  ? – Dieß sind Sorgen, die mir geradezu den Schlaf rauben.“6 Erst als er den 30-jährigen dänischen Hünen Erik Schmedes, der erst zwei Jahre zuvor vom Bariton zum Tenor umgeschult worden war, aus Dresden nach Wien gelockt hatte, war die Tenorfrage für Mahler zufriedenstellend gelöst. Mehr Glück hatte der neue Operndirektor bei seinem Start mit den Sängerinnen. Noch von Wilhelm Jahn als Soubrette verpflichtet, trat die 22-jährige Margarete Michalek ihr Engagement zu Beginn von Mahlers erster Spielzeit an, sprang kurzfristig in der Premiere von »Dalibor« ein und bekam daraufhin umgehend größere Partien zugewiesen  ; Mahler schätzte sie so sehr, dass er ihr bei der Münchner Ur- und der Wiener Erstaufführung seiner Vierten Symphonie das Sopransolo übertrug. Im Dezember 1897 absolvierte die gerade 25 Jahre alte Anna von Mildenburg, mit der ihn in den zwei letzten Hamburger Jahren ein Liebesverhältnis verbunden hatte, drei so erfolgreiche Gastspiele an der Wiener Hofoper, dass Mahler sie bereits ab Juni 1898 für das Fach der Hochdramatischen an sein Haus band. Eine der größten Sängerkarrieren des beginnenden 20. Jahrhunderts nahm damit ihren Anfang  ; die persönliche Beziehung hatte Mahler schon im vorangegangenen Sommer gelöst.7 Die Engagements der erst 23-jährigen Selma Kurz zu Beginn der Spielzeit 1899/1900 sowie von Laura Hilgermann (geboren 1867) und Marie Gutheil-Schoder (geboren 1874) ein Jahr später, dazu die Wiederverpflichtung von Lola Beeth, die bereits sieben Jahre dem Ensemble Jahns angehört hatte, komplettierten das weibliche Solopersonal der Hofoper in günstigster Weise. Damit war Mahler eine Verjüngung des Ensembles gelungen, ohne dass er die bewährten und beliebten Altstars des Hauses ausgebootet hätte. Ohne Zweifel war dies auf Anhieb eine „Blutauffrischung“ auf höchstem Niveau  : Alle neu verpflichteten Sänger und Sängerinnen zeichneten sich durch perfekte technische Beherrschung ihrer Mittel, Schönheit der Stimme und – unverbrauchte Jugend aus.

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„Mit Schmedes für das schwere Heldenfach und Slezak für die jugendlich-heldischen Tenorrollen hatte Mahler zwei Interpreten, wie es sie an kaum einer anderen Bühne gab“, schreibt Jens Malte Fischer in seiner großen Mahler-Biographie, und weiter  : „Nehmen wir noch Leopold Demuth hinzu, den Vertreter des Belcanto in den italie­ nischen Rollen, aber auch als Fliegender Holländer, Berta Foerster-Lauterer, die Frau des alten Hamburger Freundes Josef Foerster, für das jugendlich-dramatische Fach, Bertha Kiurina, Lucie Weidt, Gertrude Förstel, den Buffotenor Hans Breuer, ein hervorragender Mime, und den Spieltenor Georg Maikl, dann haben wir das Panorama jener Sänger, die mit Mahler durch dick und dünn gingen.“8 „Aber es ist nicht richtig“, gibt Clemens Höslinger zu bedenken, „in Mahler nur jenen fanatischen Reformator zu sehen, der gleichsam mit der Streitaxt alles zertrümmerte, was unter seinem Vorgänger entstanden und aufgebaut worden war. Eine ganze Reihe von Künstlern aus Wilhelm Jahns Ära verblieben unter Mahlers Direktion und wurden mit großen künstlerischen Aufgaben betraut. Dazu zählen Wilhelm Hesch, Fritz Schrödter, Josef Ritter, anfangs auch Edyth Walker und andere. Zwei Künstler des Wiener Opernensembles waren tatsächlich mit einem besonderen Nimbus ausgestattet  : Hermann Winkelmann und Theodor Reichmann … Da das Werk Wagners in der Opernperiode Wilhelm Jahns und des Ersten Kapellmeisters Hans Richter zu seiner bis dahin höchsten künstlerischen Geltung in Wien aufgestiegen war, wurden die beiden Künstler, die mit den Bayreuther Weihen ausgezeichnet waren, als die wahren ‚Gralsritter‘ des Wagnergesangs angesehen.“9 Mit diesen zwei Sängern hat auch Mahler die großen Wagner-Abende seiner ersten Wiener Jahre gestaltet, freilich auch – vor allem mit Reichmann – manchen Strauß in Besetzungs- und Urlaubsfragen ausgefochten. Auch wenn Mahler, wie Jens Malte Fischer in seiner Biographie konstatiert, „kein wirklicher Kenner der Sängerstimme und ihrer Probleme“ war, hatte er doch „ein Ohr für stimmliche Potentiale und ein Auge für dramatische Begabung“10. Mehr noch  : Für einen Musiker, der selbst nie eine Gesangsausbildung durchlaufen hat, waren Mahlers Kenntnisse von den technischen Gegebenheiten der menschlichen Stimme, seine stimm­erzieherische Begabung und sein Einfühlungsvermögen in die Psyche seiner Sänger höchst erstaunlich. Bei allem Eingehen auf die individuellen Fähigkeiten des Einzelnen in der Probenarbeit verlor er dennoch das Entscheidende jeglicher musikalischinszenatorischer Betätigung nicht aus den Augen  : die Entstehung eines aus Wort, Klang und Gebärde sich zusammenfügenden musikdramatischen Kunstgebildes. Hand in Hand mit der Engagementspolitik ging daher der Erziehungsprozess, den er mit seinem Ensemble unternahm  : In ständiger Probenarbeit verwandelte Mahler seine Künstler von kostümierten Schönsängern zu singenden Rollengestaltern. In zahlreichen Veröffentlichungen haben einige der bedeutendsten Sängerinnen und Sänger seines Ensembles in ihren Erinnerungen Arbeitsweise und Wirkung des zugleich

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dirigierenden und Regie führenden Direktors festgehalten, darunter Selma Kurz, die ihn in ihrem Beitrag11 sogar ihren „Entdecker“ nennt, und Marie Gutheil-Schoder, die sich in ihren Memoiren12 ausführlich mit Mahler beschäftigt und darüber hinaus in einem Nachtrag zu ihrem aufschlussreichen Aufsatz über Mahlers Opernregie13 Mahlers „Rezept“ für seine Arbeit verrät, eine Haltung, die im Zeitalter des heutigen „Regietheaters“ geradezu vorsintflutlich anmuten muss  : „Werk und Künstler wurden nicht durch eine dominierende ‚Auffassung‘ von vornherein vergewaltigt, er verschloß keine Möglichkeit individueller Entfaltung durch eigenes Vorurteil“14. Lucie Weidt dagegen sieht Mahlers Leistung kritischer, wenn sie schreibt  : „Er forderte von den Sängerinnen und Sängern das Höchste und spornte ihre Kräfte ganz außerordentlich an. Weil er eine einheitliche Natur war, war ihm das Ganze die Hauptsache, und deshalb übersah er die individuellen Begabungen … Vielleicht lag darin eine Erklärung, warum er selten zu bewegen war, den einzelnen Künstler zu fördern.“15 Mahlers Ziel war ein grundlegender Stilwandel des Bühnengesangs. Ihm galt die aus der Musik abgeleitete dramatische Gestaltung der Rolle mehr als die pure Schönheit des Singens, und so forderte er von seinen Sängern – nicht alle folgten ihm dabei willig und mit ihrem ganzen Können – „ein aktives Musizieren, das Singen aus der dramatischen Situation oder aus dem komödiantischen Impuls heraus. Über den Stimmklang stellte er die Verkörperung der Gestalt, die Ausstrahlung der Persönlichkeit. Oper war für ihn vor allem musikalisches Drama. Wenn es sein mußte, gab er einer weniger ‚schönen‘ Stimme zugunsten einer wahrhaftigen, überzeugenden und werkgerechten Darstellung den Vorzug.“16 In Anna von Mildenburg, die sich seine Forderungen schon in Hamburg zu eigen gemacht hatte, und Marie Gutheil-Schoder, die er gegen den massiven Widerstand seiner „Fachkollegen“ aus Weimar an die Hofoper geholt hatte, erwuchsen ihm dabei zwei Künstlerinnen, die sein Ideal des „singenden Darstellers“ schon bald vollendet erfüllten. Freilich stießen Mahlers Bemühungen um die Erneuerung dieses Ensembles zunächst vielfach auf Unverständnis und Ablehnung. Die Sänger selbst, zumal die noch aus der Ära Jahn stammenden älteren Mitglieder der Hofoper, litten unter Mahlers unerbittlichem Stildiktat, begehrten dagegen auf oder schütteten vor nur allzu bereitwilligen Ohren (meistens der Wiener Klatschpresse) ihr gedemütigtes Herz aus. Felix Salten17 berichtet von wahren Entrüstungsstürmen, die in Theodor Reichmanns Tagebuch (das leider bis heute unauffindbar geblieben ist) Eingang gefunden haben.: „Wutausbrüche verrast er auf dem Papier, Vorsätze schreibt er nieder, diesem dreisten kleinen jüdischen Direktor, der ihn, den Kammersänger, wie einen Anfänger drillt, nächstens an die Gurgel zu springen. Am Abend nach der Vorstellung aber  : Halleluja  ! Dann folgen im Tagebuch gestammelte Dankgebete an Gott und an – Mahler. Nie habe er so gesungen, nie einen solchen Triumph erlebt, nie es für möglich gehalten, aus dieser

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Partie solche Wirkung schöpfen zu können. Und – knien müßte man vor Mahler“ (Clemens Höslinger).18 Die Einmischung der General-Intendanz in zwei Personalvorgänge, deren Regelung ausschließlich im Ermessen des Direktors gestanden hätte, nötigte Mahler zu einer umfangreichen „Eingabe“ an den obersten Hoftheaterbeamten, den Obersthofmeister Fürst Liechtenstein. Mit geradezu peinigender juristischer Genauigkeit weist er darin die Eingriffe in seine Entscheidungskompetenz nach und nutzt die beiden Anlässe – eine von ihm nicht genehmigte Übersiedlungsbeihilfe für den als unbrauchbar erkannten Regisseur Albert Stritt und eine Abänderung der Urlaubsgenehmigung für die Sopranistin Francès Saville – zu einer grundsätzlichen Abrechnung mit der Uneinsichtigkeit, Einflussnahme, ja Feindseligkeit der „vorgesetzten Behörde“, hinter der die Person des Hoftheater-Intendanten August Freiherr Plappart von Leenheer stand. Dabei spricht Mahler auch die Maxime aus, unter die er grundsätzlich seinen Umgang mit dem ihm anvertrauten „Kunstpersonal“ gestellt hat  : Anerkennung seiner Autorität und strikte Pflichterfüllung. Mahlers „Hilferuf an den Fürsten“ wird uns noch eingehend beschäftigen  ; ihm ist ein eigenes Kapitel dieses Buches gewidmet. Mag sein, dass Misserfolg und Unverständnis, auf die Mahler mit den Veränderungen dieser Jahre bei Publikum und Presse traf, dazu beigetragen haben, ihn zu den neuen Ein- und Absichten zu bringen, die im Mittelpunkt der letzten drei Spielzeiten seiner Direktionszeit (1904–1907) standen. Es war ein Durchbruch in neue stilistische Welten, in denen sich die „Moderne“ des 20. Jahrhunderts ankündigte, ein grundlegender Wandel der Bühnenästhetik, für den die Nachwelt den Begriff „Opernreform“ geprägt hat. Zugleich war es sicher auch eine Reaktion auf den Sisyphus-Kampf gegen Theateralltag und Opernschlendrian, der Mahler zu der resignierten Einsicht kommen ließ  : „Kein Theater der Welt ist auf einer solchen Höhe zu erhalten, daß eine Vorstellung der anderen gleiche. Das ist es aber, was mich vom Theater abstößt.“19 Es bedurfte eines Ensembles souveräner Interpreten, um diese neue Bühnenästhetik in die Realität des einzelnen Opernabends umzusetzen  ; und nur die besten unter ihnen konnten den Anforderungen, die ein solcher Abstraktionsprozess vom Sänger verlangt, wirklich gerecht werden – Anna von Mildenburg allen voran, die in diesen Jahren zu einer Rollengestaltung von antiker Größe wuchs  : „Unsere Zeit hat keine größere tragische Künstlerin gesehen als sie“, schreibt Richard Specht in seiner schon 1913 erschienenen Mahler-Biographie20. Aber auch Erik Schmedes, Leo Slezak, Friedrich Weidemann und Marie Gutheil-Schoder formten unter Mahlers Anleitung Bühnengestalten von exemplarischer, bis heute gültiger Modellhaftigkeit. Demgegenüber stellten die neu engagierten Sänger der Jahre 1904 bis 1907 „interessante“ Individualitäten dar, die Mahler im Hinblick auf vakant werdende Fächer (so die Jugendlich-Dramatische Elsa Bland, die Altistin Bella Paalen und den Tenor Georg Maikl) oder für spezielle Rollen

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(Mme. Charles Cahier für die Dalila in der Erstaufführung von Saint-Saëns’ »Samson und Dalila«) verpflichtete. Als Mahler die Wiener Hofoper 1907 verließ, war es nicht mehr das gleiche Opernhaus, das Wilhelm Jahn ihm hinterlassen hatte. Vieles, fast alles hatte Mahler in den zehn Jahren seiner Tätigkeit verändert, weiterentwickelt, revolutioniert – weniges freilich so sehr tauglich für die Herausforderungen des 20. Jahrhunderts gemacht wie die Kunst, mit den Mitteln des Gesangs Menschenschicksale auf der Bühne darzustellen. Mahlers Umgang mit den Sängerinnen und Sängern seines Hauses mag geschwankt haben zwischen den Extremen Zuneigung und Schroffheit, Einfühlung und Probendrill, zwischen radikaler Forderung nach musikalischer Genauigkeit und tiefer Beglückung durch szenische Wahrhaftigkeit. Die unvergleichlichen Resultate seiner Arbeit aber, auch wenn sie schon im Moment des Erklingens Vergangenheit waren, hat die Musikgeschichte in ihre kostbarsten, unveräußerlichen Besitztümer aufgenommen. Es wäre freilich ebenso welt- wie theaterfremd, wollte man annehmen, dass die Beziehung zwischen dem Direktor und seinem Ensemble sich ausschließlich im künstlerisch-beruflichen, quasi „objektiven“ Bereich abgespielt hätte und nur von sachlichen Erwägungen geleitet gewesen wäre. In einem Beruf, der in so hohem Maße in der Öffentlichkeit ausgeübt wird, gibt es immer Reizpunkte und Krisenherde, die den Dienst an der gemeinsamen Sache für beide Seiten nicht gerade harmonisch und konfliktfrei machen. Sänger sind nicht nur große Künstler, sondern auch empfindsame Seelen, ehrgeizig, eifersüchtig, ichbetont, beeinflussbar in ihren Meinungen und sprunghaft in ihren Entscheidungen. Mit einem Direktor von der Autorität, Subjektivität und Energie Mahlers sind die Konflikte darum vorprogrammiert. Es genügt, die Stichworte zu nennen  : Rollenforderungen, Urlaubswünsche, Konkurrenzneid, Absagen, Kündigungen. Gewiss war auch Mahler nicht fehlerfrei und unanfechtbar. Es gab vertragliche Zusagen, die die vorgesetzte Hoftheater-Intendanz nicht genehmigte, Urlaubsversprechen, die angesichts der Spielplanerfordernisse nicht einzuhalten waren, Rollenzusagen, an die sich der Direktor nicht mehr erinnern konnte. Es gab Sänger, denen Mahlers uneingeschränkte Sympathie galt, wie Wilhelm Hesch oder Berta Foerster-Lauterer, die beide wie Mahler aus Böhmen stammten und schon mit ihm in Hamburg engagiert gewesen waren. Mit Hesch verband ihn ein echt freundschaftliches Verhältnis, das sich nicht nur im privaten Verkehr ausdrückte (Mahler war – zusammen mit Theodor Reichmann  ! – Trauzeuge bei dessen Tochter), sondern auch in fürsorglicher Zuwendung bei den zahlreichen schweren Erkrankungen, die Hesch oft lange Wochen von der Bühne fernhielten (1902 musste ihm eine Niere entfernt werden). Auch der Tenor Fritz Schrödter gehörte, wie Ludwig Karpath in seinen Erinnerungen schreibt, zu den von Mahler „geradezu gehätschelten“ Künstlern. Als Schrödter einmal erkrankte und, so Karpath, „obendrein in finanziellen Nöten war, sagte mir Mahler  : ‚Ich bin bereit, ihm einige tausend Gulden aus

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meiner Tasche zu geben, wenn er etwa Sanatorien oder Kurorte aufzusuchen hätte und dann gesund würde.‘“21 Es gab aber auch Sänger, denen es nicht gelang, Mahlers Wohlwollen zu erwerben, ja auch nur eine „neutrale“, unangespannte Beziehung zu ihm aufzubauen. Der Bassbariton Franz Neidl scheint so ein Fall gewesen zu sein. Durch einen Bühnenunfall (er wurde von einem herabfallenden Zwischenvorhang am Kopf getroffen) nur noch bedingt einsetzbar, verlor er die – zusätzlich zur regulären Gage – für Bühnenauftritte gezahlten „Funktionszulagen“ und kämpfte, ohne Mahlers Unterstützung zu erhalten, schließlich vor Gericht (erfolglos) um verbesserte Pensionsansprüche. „Sine ira et studio“ – das gibt es am Theater nicht, und das gab es bei Mahler schon gar nicht. Ein Beitrag über Mahler und seine Sänger wäre unvollständig, käme nicht auch die subjektive Seite des Verhältnisses zur Sprache. „Mahler brach wie eine Elementarkatastrophe über das Wiener Operntheater herein. Ein Erdbeben von unerhörter Intensität und Dauer durchrüttelte den ganzen Bau von den Grundpfeilern bis zum Giebel. Was da nicht sehr stark und lebensfähig war, mußte abfallen und untergehen. In kurzer Zeit flog der größte Teil der Sänger (van Dyck, Re­nard, Reichmann, Winkelmann), Dirigenten (Hans Richter  !), zwei Drittel des Orchesters hinaus“, schreibt der Komponist Franz Schmidt, der damals Mitglied des Hofopernorchesters war, in seiner »Autobiographischen Skizze«22. Auch wenn man Schmidts drastischen Aussagen nicht unbedingt Glauben schenken mag (Theodor Reichmann z. B. war Mitglied der Hofoper bis 1903), so kann man doch ermessen, welchen Aufruhr viele von Mahlers Personalentscheidungen hervorgerufen haben müssen. Wiens Tageszeitungen, allen voran die »Deutsche Zeitung«, das antisemitisch-nationalistische Hetzblatt der Jahrhundertwende, wurden nicht müde, sich zum Sprachrohr gekränkter oder beleidigter Sänger zu machen und Mahler zu diffamieren. „Es ist bei Herrn Mahler, dem Director der Hofoper“, heißt es dort schon 1899, „nichts Neues, daß er das Personal dieses Institutes oft genug in der boshaftesten und verletzendsten Weise kränkt und beleidigt. Künstlerinnen im Range einer Renard oder Forster, Sänger wie Winkelmann und Musiker wie Hellmesberger – alle werden in der gröbsten Weise von dem Großmächtigen vor den Kopf gestoßen. Die Fälle, die wir hier heranzuziehen hätten, sind ebenso zahlreich wie das Personal des Hofoperntheaters  ; es gibt in diesem ganzen Institut Niemanden, der die brutale Tyrannei nicht ganz unverschuldetermaßen am Leibe verspürt hätte“23. In der amtlichen »Wiener Zeitung« und ihrer Abendausgabe, der »Wiener Abendpost«, publizierte Robert Hirschfeld seine oft feindseligen Urteile über Mahler. Und selbst die seriöse, Mahler gewogene »Neue Freie Presse« konnte nicht umhin, ihren Lesern immer wieder von den Auftritten zu berichten, die erboste oder enttäuschte Künstler dem Hofoperndirektor in seinem Büro machten, und Ausbruch, Verlauf und (meist gütliches) Ende einer solchen Sänger„krise“ sorgfältig zu protokollieren.

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Als Erklärung, Pendant und Korrektiv zu diesen oft sensationslüsternen Zeitungsberichten stehen der Mahlerforschung heute die zahlreichen Dokumente zur Verfügung, die das Haus-, Hof- und Staatsarchiv in seinen Opernakten verwahrt  : Beschwerdebriefe an Mahler, Entwürfe seiner Antwortschreiben, Eingaben an die nächsthöhere Instanz, die General-Intendanz der Hoftheater, und in einigen Fällen sogar Beschwerden beim obersten Hoftheaterbeamten, dem Obersthofmeister Fürst Montenuovo. Aus all dem entsteht ein farbiges Bild der Persönlichkeit Mahlers, ein Bild von inzwischen kulturhistorischem Reiz. Mahler kommt uns „menschlich“ nahe  : als strenger Hüter der Grundsätze künstlerischer „Betriebsführung“, als aufrichtiger Bewunderer und kollegialer, fast väterlicher Freund seiner Sänger, als Verfechter pedantischer Pflichterfüllung wie als gegen weibliche Reize nicht unempfänglicher Vorgesetzter. Gekündigt haben aus Zorn und Empörung fast alle „Stars“ der Ära Mahler – doch die meisten sind dann doch geblieben  : Slezak, Reichmann, Selma Kurz, die Mildenburg, Fritz Schrödter, Wilhelm Hesch, Erik Schmedes. Nur wenige waren konsequent und verließen die Hofoper. So Irene Abendroth, die nach „Unstimmigkeiten“ mit Direktor Mahler 1899 von der Wiener Oper abging und in Dresden groß herauskam  ; so der Tenor Johannes Sembach, der später in New York den Parsifal sang  ; so Edyth Walker, die junge Amerikanerin, die schon seit 1895 im Wiener Ensemble gewesen war. Auch bei ihr gab es Zerwürfnisse mit Mahler gleich nach dessen Amtsantritt  ; sie fühlte sich (zu Recht) zurückgesetzt, auch ihr verweigerte er die erbetenen Gastierurlaube, auch sie hat viele Beschwerdebriefe an Mahler geschrieben. Der eigentliche Grund ihres Weggangs aber war ein Angebot der Metropolitan Opera, wo sie große Erfolge im Mezzofach erzielte. Ihr Verlust war es, der Mahler zu einer geradezu krampfhaften Suche nach einer Altistin nötigte, als er »Samson und Dalila« aufführen wollte  ; die zahllosen Gastspiele und Vorsingtermine nahmen erst ein Ende, als Mme. Charles (eigentlich  : Sara) Cahier gefunden war. In dem Abschiedsschreiben, das Gustav Mahler zwei Tage vor Antritt seiner ersten Amerikareise an die „geehrten Mitglieder der Hofoper“ gerichtet hat, heißt es  : „Im Gedränge des Kampfes, in der Hitze des Augenblicks blieben Ihnen und mir nicht Wunden, nicht Irrungen erspart. Aber war ein Werk gelungen, eine Aufgabe gelöst, so vergaßen wir alle Not und Mühe, fühlten uns alle reichlich belohnt – auch ohne äußere Zeichen des Erfolges. Wir sind alle weiter gekommen, und mit uns das Institut, dem unsere Bestrebungen galten.“24

MAHLER ALS MOZART-INTERPRET „Mahler war Wagnerianer.“1 Dieser lapidaren Feststellung der Mahler-Expertin Herta Blaukopf wird niemand widersprechen wollen. „Als ich, keines Wortes fähig, aus dem Festspielhause hinaustrat“, schreibt Mahler seinem Freund Fritz Löhr nach dem Besuch des Bayreuther »Parsifal« im Jahr nach Wagners Tod 1883, „da wußte ich, daß mir das Größte, Schmerzlichste aufgegangen war, und daß ich es unentweiht mit mir durch mein Leben tragen werde.“2 Das hat Gustav Mahler getan, und die Durchsetzung der (inzwischen selbstverständlich gewordenen) „strichlosen“, d. h. ungekürzten Aufführung von Wagners Musikdramen ist die vielleicht bekannteste, aber keineswegs die einzige seiner bleibenden Wagner-Taten. Aber Mahler war auch Mozartianer reinsten Wassers. Dass er Mozart zu den drei „vollkommenen“3 deutschen Opernkomponisten rechnete (Wagner und Lortzing waren für ihn die beiden anderen), versteht sich von selbst, auch wenn er sich nur selten über Mozarts Vollkommenheit geäußert hat. Er nennt ihn einen „Geist allererster Ordnung“, einen „Erneuerer der Musik und der Oper höchsten Stils“ und rühmt seinen „Erfindungsreichtum“, der „mit der herrlichsten Formenschönheit und einer wahren Erfüllung und Vertiefung dieser Formen gepaart“4 ist. Aber mehr als seine Aussagen über Mozart hat Mahlers Wirken für Mozart die Musikgeschichte beeinflusst. Die vor allem von den Salzburger Festspielen nach 1945 ausgegangene Mozart-Renaissance des 20. Jahrhunderts, die uns die Werke des Musikdramatikers neu und vielleicht sogar erstmals in ihrer vollen Größe erschlossen hat, muss in Gustav Mahler ihren – zwar nicht einzigen, wohl aber maßgeblichen – Urheber sehen. Selbstverständlich steht der Mozart-Zyklus, den Mahler für den 150. Geburtstag des Komponisten 1906 als Direktor der Wiener Hofoper geplant und organisiert und zusammen mit Alfred Roller szenisch und musikalisch realisiert hat, im Mittelpunkt seiner dreißigjährigen schöpferischen Auseinandersetzung mit Mozart. Aber die künstlerischen Höchstleistungen vor allem in der Interpretation des »Don Giovanni« und des »Figaro« müssen vor dem Hintergrund von Mahlers lebenslanger intensiver Beschäftigung mit Mozart gesehen werden. Seine erste Mozart-Oper, die »Zauberflöte«, hat der 21-jährige Mahler am Landschaftlichen Theater in Laibach dirigiert, seine letzte, den »Figaro«, als weltberühmter Maestro zwei Jahre vor seinem Tod, 1909, in einem Gastspiel der New Yorker Metropolitan Opera in dem damals gerade erst eingemeindeten Brooklyn im Südosten des Stadtstaates New York. Insgesamt hat Mahler in seinem Leben, wie der dänische Mozartforscher Knud Martner errechnet hat, 252 Mozart-Aufführungen dirigiert, also jede achte der insgesamt 2025 Opernvorstellungen seiner Laufbahn. In den zehn Jahren seiner Wiener Hof-

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operntätigkeit waren es immerhin 130, also mehr als die Hälfte davon. Die musikalische Prägung, die von Mahlers Wiener Mozart-Interpretationen ausgegangen ist – als geschmacksbildender Impuls auf das Publikum, als stilbildende Norm auf das Orchester –, ist bis zum heutigen Tag wirksam. Die Wiener Philharmoniker, die sein Erbe ihren Musikern im Orchestergraben von Generation zu Generation weitergeben, sind der Garant dafür, Dirigenten wie Joseph Krips, Karl Böhm, Sándor Végh, Riccardo Muti seine Erbwalter. Was uns heute selbstverständlich ist, war vor hundert Jahren revolutionär. Bruno Walter hat es auf die Formel gebracht  : „Er befreite Mozart von der Lüge der Zierlichkeit wie von der Langeweile akademischer Trockenheit, gab ihm seinen dramatischen Ernst, seine Wahrhaftigkeit und seine Lebendigkeit. Er verwandelte durch seine Tat den bisher leblosen Respekt des Publikums vor den Mozart’schen Opern in eine Begeisterung, die das Haus mit ihren Demonstrationen erschütterte und sogar das Herz des Theaterkassierers zu nie gekannten Wonnen mitriß.“5 Mozart, das sollte man sich nach mehr als einem Jahrhundert nach Mahler bewusst machen, war zu Mahlers Zeiten nicht „in“. Das Repertoire der Wiener Hofoper verzeichnet bei der »Zauberflöte« in der Zeit zwischen 1891, dem Jahr des hundertsten Todestages von Mozart (und hundertsten „Geburtstages“ der Oper), und 1897, dem Amtsantritt Mahlers in Wien, gerade einmal zwei oder drei Aufführungen pro Spielzeit. »Figaro« wurde im gleichen Zeitraum insgesamt nur zwölfmal gespielt. Und »Don Juan« – so hieß der grundsätzlich auf Deutsch gesungene »Don Giovanni« das ganze 19. Jahrhundert hindurch auf den Bühnen der k. u. k. Monarchie wie des deutschen Reiches –, dieses Paradestück des romantischen Zeitalters und Lieblingswerk des Wagner-Dirigenten Hans Richter, erklang in Wien in den zehn Jahren zwischen 1887 (Neuinszenierung anlässlich des Hundertjahr-Jubiläums der Uraufführung) und 1897 höchstens drei-, viermal pro Spielzeit. Mozart war, wie gesagt, nicht „in“. Von den sieben Werken, die wir heute zum Kanon von Mozarts Schaffen für die Opernbühne zählen, waren überhaupt nur die drei genannten populär. Aber auch diese Mozart-Favoriten des 19. Jahrhunderts waren nicht unbeschädigt geblieben. Der »Figaro«, 1786 im italienischen Original in Wien uraufgeführt, wurde schon zu Mozarts Lebzeiten in deutscher Übersetzung als „Singspiel“ aufgeführt und auch gedruckt. Die Rezitative wurden vom Beginn des 19. Jahrhunderts an durch gesprochene Dialoge ersetzt – ein Brauch, der sich bis in Mahlers Zeiten erhalten hatte. Nicht besser, eher schlechter erging es dem »Don Juan«, dessen sich das 19. Jahrhundert bemächtigte, unbedenklich und durch kein Urheberrecht gehindert – in oberflächlichen Übersetzungen, mit eigenmächtigen Kürzungen, mit Umstellungen von einzelnen Arien oder ganzen Szenen und vor allem durch Austausch der originalen Rezitative gegen gesprochene, mit komischen Extempores ausgeschmückte Dialoge.

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Noch weniger machte die um Autorenwillen und Urheberrechte unbekümmerte Theaterpraxis des 19. Jahrhunderts vor der »Zauberflöte« halt. Die Oper war zwar eiserner Bestand des Opernrepertoires und hielt sich oft jahrzehntelang auf dem Spielplan einer Bühne, ohne dass die Notwendigkeit einer Neuinszenierung des unverwüstlichen Kassenstücks empfunden wurde, sie wurde aber vielerorts durch publikumswirksame Späße „aktualisiert“, durch Sängereitelkeiten verunstaltet, durch lokale Aufführungstraditionen korrumpiert. Deshalb verstanden die Wiener Opernhabitués das Ereignis, dass Mahler die »Zauberflöte« als erstes Werk seiner Direktionszeit (schon zehn Tage nach seiner Ernennung zum Direktor) in einer Neueinstudierung herausbrachte, durchaus als Botschaft einer „Erneuerung“, die Mahler nun dem ganzen Repertoire verordnen würde. Und vollends die Tatsache, dass er dafür zehn (!) Proben angesetzt hatte, wurde als Sensation gewertet. Wenig später, gleich zu Beginn seiner ersten „richtigen“ Spielzeit 1897/98, folgte eine Neueinstudierung des »Figaro«. Diese beiden Opern hat Mahler in jeder der zehn Spielzeiten seiner Wiener Tätigkeit dirigiert  ; insgesamt leitete er 49 Vorstellungen der »Hochzeit des Figaro« und 38 der »Zauberflöte«. Relativ unbekannt ist geblieben, dass Mahler schon zum Jahrhundertbeginn einen Mozart-Zyklus an der Wiener Hofoper plante. Das »Neue Wiener Tagblatt«, das in Max Kalbeck und Ludwig Karpath gleich zwei mit Mahler befreundete und deshalb wohl auch gut informierte Mitarbeiter hatte, bringt am 29. August 1900 folgenden Bericht  : „Director Mahler denkt schon seit längerer Zeit daran, eine „Mozart-Bühne“ zu schaffen  ; das heißt, für die Aufführung von Mozart’schen Opern den Bühnenraum zu verengen, die Scene intim zu gestalten. Er hat bereits mehrere Projecte, die zu diesem Zweck ausgearbeitet wurden, geprüft, und schließlich einer Erfindung des neuen Maschinmeisters des Hofoperntheaters Herrn Bennier (welcher bis vor Kurzem am Prager Deutschen Landestheater thätig war) den Vorzug gegeben. Die Neuerung, welche auch einen möglichst raschen Decorationswechsel ermöglichen soll, wird bereits am 4. October bei der Aufführung von »Così fan tutte« eingeführt werden. Nebst den Mozart’schen Opern sollen auch andere Werke von intimem Charakter auf der kleinen Bühne zur Darstellung gelangen. Director Mahler beabsichtigt ferner, im Laufe der Saison sämmtliche dem Spielplan angehörende Opern Mozart’s neu einzustudiren und deren Vorführung derart umzugestalten, daß Alles in jenem Rococo sich abspielt, in dem diese Opern gedacht sind. Wenn diese Arbeit durchgeführt sein wird, dann soll – wahrscheinlich im Monat Mai – ein Mozart-Cyklus veranstaltet werden.“6 Diese Pläne haben sich offensichtlich zerschlagen  ; es gab keinen Mozart-Zyklus im Mai 1901. Geblieben war lediglich die Neuinszenierung der seit 1891 nicht mehr gespielten »Così fan tutte«, die am 4. Oktober – dem Namenstag des Kaisers und damit traditionellen Premierentag der Hofoper – des Jahres 1900 Premiere hatte. Die „MozartBühne“ des Maschinmeisters Richard Bennier (heute würde ihm der Titel Technischer Direktor zukommen) war eine Weiterentwicklung der Drehbühne, die der königlich-

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bayerische Maschineriedirektor Carl Lautenschläger für das Münchner Cuvilliés-Theater (das damals Residenztheater genannt wurde) entwickelt hatte. Diese Drehbühne fand für einen Münchner Mozart-Zyklus Verwendung, den Intendant Ernst von Possart und Hofkapellmeister Hermann Levi durch mustergültige, dank Levis Übersetzungen der da Ponte-Libretti nochmals aufgewertete Neuinszenierungen von 1896 an zu einer europaweit beachteten Attraktion gemacht hatten.. Mahler hatte eigens eine »Così«-Vorstellung in München besucht, um das fest eingebaute Drehbühnen-System kennenzulernen, hatte sich dann aber für eine weniger kostspielige und flexiblere Lösung entschieden. Bennier entwarf eine zerlegbare Drehbühne aus 30 Holzteilen, die auf der normalen Bühne ohne Änderung des Bühnenbodens aufgebaut werden konnte. Der Durchmesser betrug 15 Meter, für den Auf- und Abbau benötigte man jeweils eine Stunde. Vor allem aber erlaubte diese Vorrichtung es, wie von Mahler gewünscht, den „Bühnenraum zu verengen“ und die „Szene intim zu gestalten“  ; darüber hinaus ermöglichte sie rasche Verwandlungen, wie sie Mozarts Opern insgesamt von ihrer Dramaturgie her verlangten. Nach dieser ersten echten Mozart-Neuinszenierung der Ära Mahler im Oktober 1900 fehlt der Name Mozart in der Premierenfolge der folgenden Spielzeiten bis 1905 – mit einer einzigen Ausnahme  : Mozarts unvollendet hinterlassene Jugendoper »Zaide« erschien in einer Bearbeitung des Musikkritikers Robert Hirschfeld auf dem Spielplan, dirigiert von dem frisch verpflichteten Kapellmeister Bruno Walter  ; sie blieb ohne Erfolg und wurde nach drei Vorstellungen wieder abgesetzt. Erst das bevorstehende Mozartjahr 1906 war Anlass für eine eingehende Befassung der Wiener Hofoper mit dem Komponisten. Inzwischen hatte Mahler in Alfred Roller einen Ausstattungsleiter gewonnen, der mehr war als Bühnenbildner, nämlich geistesverwandter und kongenialer Partner, ein bildender Künstler mit szenischen Visionen aus dem Geist von Secession und Jugendstil. Der von Mahler und Roller gemeinsam ins Werk gesetzte Mozart-Zyklus der Spielzeit 1905/06 ist in die Operngeschichte eingegangen. Bezeichnenderweise vermittelt der historische Rückblick auf die Interpretation der fünf Hauptwerke Mozarts durch das Team Mahler/Roller kein einheitliches Bild. Rollers Überzeugung, dass „jedes Kunstwerk das Gesetz seiner Inszenierung in sich“7 trage, mag der Grund dafür sein, dass er und Mahler für jede Oper einen unterschiedlichen und ganz eigenen Interpretationsansatz fanden  : für die Geschichte eines zum Mythos gewordenen Libertins und Frevlers namens Don Giovanni eine streng architektonische Lösung mit den Symbolfarben Schwarz und Rot, für die böse Komödie vom Aufbegehren des dritten Standes gegen den Adel und die erotischen Verwirrungen rund um das Dienerpaar Figaro und Susanne einen realistischen, „lebenswahren“ Rahmen voller Zeitkolorit. Doch Mahler tat noch mehr, um die von Mozart geschaffene Individualität jedes einzelnen Werks hörbar und sichtbar zu machen. Er stellte die Originalfassungen der Parti-

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turen wieder her, verbannte die gesprochenen Zwischentexte zugunsten der ursprünglichen Secco-Rezitative, ersetzte die altmodischen und schlampigen Übersetzungen durch neue, an den originalen Textbüchern orientierte – und ergänzte sogar selbst, wo es ihm zur Verdeutlichung unerlässlich erschien, Mozarts Musik durch hinzukomponierte Rezitative oder, wie im Fall des »Figaro«, durch eine ganze Szene. Dieses Vorgehen, eine Mischung aus geradezu fanatischer Werktreue und einer dem Ideal der „Wahrhaftigkeit“ nacheifernden Selbstherrlichkeit, ist schon von den Zeitgenossen Mahlers nicht nur bewundert, sondern auch kritisiert worden. Die kontroversen Premierenkritiken geben uns ebenso ein anschauliches Bild von der Lebendigkeit der Auseinandersetzung wie die Erinnerungsberichte der Sänger und Sängerinnen, die mit Mahler gearbeitet haben, eines von der Ernsthaftigkeit seiner Arbeit. So schreibt Marie Gutheil Schoder über „Mahlers Opernregie“  : „Das Interessante an Mahlers Regie war mir seine Detailarbeit, die geistige Gliederung seiner Szene. Ruhe und Pausen liebte er ungemein. Sie waren ihm wichtiger als alles. Denn aus ihnen schuf er das innere Leben, den geistigen Gehalt des Momentes, das Temperament, den Humor. Für die Ausarbeitung komischer Elemente wurde viel Zeit verwendet“8, und erinnert sich an anderer Stelle  : „Es wurde natürlich entsprechend viel geprobt. Mahler hatte dazu immer Zeit. Er hat einzelne Szenen oft zwanzigmal, oft noch bei den letzten Orchesterproben umgestellt. Daß etwas ‚stand‘, hindert ihn auch nach der Aufführung nicht, Änderungen vorzunehmen. Dadurch waren die Proben eben so interessant, und jede Aufführung führte eine Stufe hinauf, während es sonst gewöhnlich abwärts geht.“9 Theaterpraktisch betrachtet, war der legendär gewordene Mozart-Zyklus die über die ganze Spielzeit 1905/06 verteilte Premierenfolge der fünf Mozart’schen Hauptwerke gewesen  : beginnend mit einer Neueinstudierung der fünf Jahre alten Produktion von »Così fan tutte« in neuer, glanzvoller Besetzung im November 1905, gefolgt von der Premiere des nun endlich mit dem Originaltitel aufgeführten »Don Giovanni« in Alfred Rollers revolutionärer Ausstattung mit den skandalträchtigen „Bühnentürmen“ am 21. Dezember und einer Neuinszenierung – der ersten seit 1872  ! – der »Entführung aus dem Serail« Ende Jänner 1906. Am 9. Februar folgte eine Neuinszenierung der »Zauberflöte«, die durch Mahlers Regie und einige Bühnenbilder Rollers jedoch nur unzureichend „rundum erneuert“ worden war. So wurde die Neuinszenierung der »Hochzeit des Figaro« in originaler Werkgestalt mit den Secco-Rezitativen Mozarts und einer neuen deutschen Übersetzung von Max Kalbeck am 30. März 1906 zum vielfach gepriesenen Höhepunkt des Zyklus. Die »Zauberflöten«-Premiere ist offensichtlich das Stiefkind des Mahler’schen Mozart-Zyklus gewesen. Für eine echte Erneuerung der Inszenierung aus dem Geist des Jugendstils fehlten wohl nicht nur Zeit und Geld, sondern auch die Einsicht in deren

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Notwendigkeit. Denn selbst Mahler hatte all die zehn Jahre seiner Direktionszeit hindurch, in denen er das Werk kontinuierlich ansetzte und immer wieder dirigierte, an dessen szenischer Erscheinungsform ständig partielle Verbesserungen und Erneuerungen vorgenommen. Als unverwüstlich hatten sich dagegen die Dekorationen erwiesen, die der damals berühmte Maler Josef Hoffmann (nicht zu verwechseln mit dem Architekten und Jugendstil-Designer gleichen Namens) für die Eröffnungsvorstellung des Opernhauses am Ring 1869 geschaffen hatte  ; sie waren von Antonio Brioschi um 1890 lediglich um einige Dekorationsteile ergänzt worden. Auch Mahler und Roller wagten es 35 Jahre später nicht, die Bühnenbilder Hoffmanns, der immerhin Richard Wagners ersten »Nibelungenring« in Bayreuth 1876 ausgestattet hatte, gänzlich zu verbannen. Roller hat einige von ihnen aufgefrischt oder übermalt und nur wenige neu geschaffen. Deren Entwürfe weisen allerdings eine gegenüber »Don Giovanni« und »Figaro« weiterentwickelte, fast abstrakte Handschrift auf. Gewiss ist die von Mahler angestrebte Musterhaftigkeit seiner Aufführungen getrübt, ja widerlegt worden durch die historische Bedingtheit der Mittel, mit denen er sie zu erreichen versuchte. Werktreue und Deutungsfreiheit sind in ihnen eine Verbindung eingegangen, die uns heute nur schwer verständlich, oft kaum akzeptierbar erscheint. Dessen ungeachtet aber haben die gemeinsamen Arbeiten von Mahler und Roller am Werk des Musikdramatikers Mozart ganze Generationen von Mozart-Interpreten geprägt. Nie wieder konnte Mozart nach Mahler so gespielt, gesungen, inszeniert werden, wie es vor Mahler der Fall war. Von der einzigartigen Künstlergemeinschaft Mahler/Roller gehen Wirkungsströme zu Max Reinhardt ebenso wie zu Bertolt Brecht, zu Walter Felsenstein ebenso wie zu Wieland Wagner. Das Theater des 20. Jahrhunderts ist durch Mahlers Mozart reicher geworden. Auch die Opernbühne des 21. Jahrhunderts sollte ihm Respekt erweisen.

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Abb. 17  : Porträtfoto Alfred Roller, 1. Februar 1909. Atelier D’Ora-Benda Wien. (ÖNB/Wien [203.461-D])

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Abb. 18  : Rollenfoto Marie Gutheil-Schoder als Gutrune in Richard Wagners „Götterdämmerung“ (Fotograf unbekannt) (Privatarchiv Torsten Haferlach, München)

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Abb. 19  : Rollenfoto Hermann Winkelmann als Johann von Leyden in Giacomo Meyerbeers „Der Prophet“ 15. August 1897 (Fotograf unbekannt) (KHM-Museumsverband, Theatermuseum Wien; FS_PK 259203 alt)

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Abb. 20  : Rollenfoto Erik Schmedes als Lohengrin (Fotograf unbeklannt) (Privatarchiv Torsten Haferlach, München)

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Abb. 21  : Rollenfoto Rita Michalek als Adele in „Die Fledermaus“ (1903?) (Fotograf unbekannt) (KHM-Museumsverband, Theatermuseum Wien; FS_PK 17.041 alt)

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Abb. 22  : Porträtfoto Selma Kurz (Fotograf S. Wasservogel Olmütz-Bielitz) (Privatarchiv Torsten Haferlach, München)

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Abb. 23  : Porträtfoto Leo Slezak (Privatarchiv Torsten Haferlach, München)

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Abb. 24  : Theaterzettel „Die Hochzeit des Figaro“, Gastspiel der Wiener Hofoper im Landestheater Salzburg, 18. August 1906, anlässlich des Salzburger Musikfestes zum 150. Geburtstag von Wolfgang Amadeus Mozart (Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg Archiv)

EINSATZ F ÜR DIE ZEITGENOSSEN Die Zeiten, in denen der Spielplan die Visitenkarte eines Theaters war, sind lange vorbei. Heute bezieht eine Bühne, und das gilt nicht nur für große Opern- und Schauspielhäuser, sondern auch für mittlere und Kleinstadtbühnen, ihren Ruf von sogenannten „inter­ essanten“ Inszenierungen  ; die Interessantheit besteht dabei zumeist in einer szenisch ungewöhnlichen, überlieferte Aufführungstraditionen negierenden oder konventionelle Seh- und Hörgewohnheiten provozierenden Wiedergabe von Werken vor allem des bekannten Repertoires. Manchmal verbindet sich mit der provokanten Bühnendarstellung auch noch die Wahl einer „ausgefallenen“ Stück- oder Romanvorlage – diese Kombination reicht heutzutage in der Regel aus, um über die Durststrecken einer belanglosen Repertoirepflege auf den Bühnen hinwegzutäuschen und ihren Intendanten eine erfolgreiche „Spielplanpolitik“ zu bescheinigen. Auch Gustav Mahlers Musiktheater hat sich den Vorwurf des Interessanten, Ausgefallenen und Provokanten gefallen lassen müssen. Doch so „revolutionär“ auch seine Produktionen empfunden wurden  : Für den Musiker Mahler stand die Erfüllung des Komponistenwillens als oberste Maxime über allen seinen Aktivitäten als Direktor, Dirigent und Regisseur. Und auch seine Spielplangestaltung entsprang nicht dem Streben, durch spektakuläre Extravaganzen aufzufallen, sondern der Verantwortung vor dem schöpferischen Geist, den er in den verehrten „Meistern“ ebenso fand wie in den komponierenden Kollegen. Das Besondere an Mahlers Musiktheater war, dass nicht nur der Ansatz für die Interpretation der Werke neu war, sondern dass diese Werke selbst zum überwiegenden Teil dem zeitgenössischen Schaffen angehörten. Beim Kampf um die Durchsetzung der „Modeme“1, um Hermann Bahrs Signalwort zu zitieren, gab es für den Operndirektor Mahler kein edleres Ziel als den Einsatz für seine Zeitgenossen. In welchem Ausmaß Mahler auch als Operndirektor „progressiv“ und dem Neuen zugetan war, wird zuallererst aus der Vielzahl der Erstaufführungen sichtbar, mit denen er den Spielplan der Wiener Hofoper den Komponisten seiner Zeit öffnete. Nicht weniger als 24 von seinen 64 Premieren gelten Ur- und Erstaufführungen, für die Mahler mit dem ganzen Gewicht seiner Persönlichkeit kämpfte. Einmal, in der Spielzeit 1904/05, bestritt er sogar den nahezu gesamten Premierenreigen eines Opernjahres mit Novitäten. Mahlers Tragik war, dass seine zehnjährige Wiener Direktionszeit, von heute aus gesehen, mit einem Tiefstand der zeitgenössischen Opernproduktion zusammenfiel. Diese global sicherlich zutreffende Feststellung muss bei einer genaueren Betrachtung der musikhistorischen Fakten gleichwohl differenziert werden. Zunächst einmal ist der Begriff „zeitgenössisch“ für die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert grundlegend anders

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zu fassen als für uns heute. Im Selbstverständnis eines Jahrhunderts, das den Fortschritt auf seine Fahnen geheftet hatte, war das Kontinuum auch der künstlerischen Entwicklung sozusagen vorprogrammiert, gab es – vor und abgesehen von dem „Revolutionär“ Richard Wagner, an dem sich die Geister schieden – die Trennung in zeitgenössische und historische Kunst nicht. Vor allem das Repertoire der Opernhäuser schöpfte aus der Fülle einer zu jedem Zeitpunkt als gegenwärtig verstandenen Opernproduktion, die auch das Repertoire der ersten Jahrhunderthälfte – z. B. die „Grand Opéra“ – einbezog. Zudem waren Wagner und Verdi, die zwei heute unverrückbaren Säulen des Musiktheaters des 19. Jahrhunderts, für Mahler auch noch reale Zeitgenossen. Wagner war 14 Jahre vor Mahlers Amtsantritt in Wien gestorben  ; so muss es als Verdienst um „zeitgenössisches“ Opernschaffen gewertet werden, wenn Mahler das nahezu komplette musikdramatische Werk Wagners in Wien zur Aufführung brachte. Und ebenso war zumindest Verdis »Falstaff« für die Mahler-Zeit das Werk eines Zeitgenossen – vergleichbar den späten Opern von Richard Strauss, die ebenfalls wie Fremdkörper in der Musiklandschaft der 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts stehen. Als „zeitgenössisch“ wurde damals auch eine Reihe von slawischen und russischen Opern empfunden, die wir heute zum festen Bestand des 19. Jahrhunderts rechnen. Smetanas »Dalibor« etwa, die erste Opernpremiere Mahlers an der Hofoper im Herbst 1897, war damals zwar schon 29 Jahre alt, doch wurde sie – nicht zuletzt wegen der politischen Implikationen angesichts des Nationalitätenkonflikts in der damaligen Monarchie – als Novität angesehen (und bekämpft). Wie vorurteilslos Mahler seine „Informationspflicht“ als Opernleiter auffasste, zeigt sein Verhältnis zu den brandneuen Strömungen des Realismus und Naturalismus. So öffnete er, wie wir gesehen haben, dem Versimo und den Hauptwerken Puccinis bereitwillig die Bühne der Hofoper, auch wenn er sich selbst skeptisch zum „RealismusRummel“ jenes Jahrzehnts geäußert hat. Noch fortschrittlicher im Sinne der Kunsttheorie-Debatte der Jahrhundertwende war ein Werk wie Charpentiers »Louise«, dessen aufsehenerregender Realismus und dessen provokante liberal-soziale Anschauungen ihm bei der Pariser Uraufführung 1900 einen Sensationserfolg verschafft hatten, den Mahler 1903 in Wien zu wiederholen trachtete. Mahlers Verhältnis zur Musik seiner Zeit  : Das ist – bei aller Abgrenzung seiner eigenen Position als schöpferischer Musiker – für den Operndirektor Mahler ein Bekenntnis zu Vielfalt, Vorurteilslosigkeit und Lebendigkeit. Mahler kennt keine doktrinäre Einstellung zu dem Schaffen der „Kollegen“ und „Konkurrenten“, er favorisiert nicht bestimmte Richtungen und Schulen, er verweigert umgekehrt auch nicht sein Opernhaus bestimmten Komponisten, nur weil sie einer solchen Schule angehören würden, er geht bei seinen Bemühungen um das zeitgenössische Schaffen überhaupt nicht „systematisch“ vor. Er unterscheidet sich damit sehr charakteristisch von seinen zwei wichtigsten Nachfolgern  : sowohl von dem noch heute zu Unrecht als rein auf kommerziellen

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Erfolg festgelegten Hans Gregor, der in seiner Direktionszeit zwischen 1911 und 1918 immerhin 23 Ur- und Erstaufführungen auf die Bühne brachte, dabei freilich das Glück hatte, an überwiegend erfolgsträchtige, gleichzeitig den Kunstanspruch und die Kasse zufriedenstellende Novitäten wie »Der Rosenkavalier«, »Ariadne auf Naxos«, »Salome«, Debussys »Pelleas«, Massenets »Der Gaukler unserer lieben Frau«, Wagners »Parsifal« (der nun endlich auch außerhalb Bayreuths aufgeführt werden durfte), Puccinis »Mädchen aus dem goldenen Westen« und »Jenufa« von Leoš Janáček zu geraten  ; als auch vom „Operndirektor“ Richard Strauss, der das nach einem verlorenen Krieg und dem Ende der Monarchie inzwischen in „Staatsoper“ umbenannte Wiener Opernhaus in einer Doppeldirektion mit Franz Schalk zwischen 1919 und 1924 leitete. Strauss war sich selbst der wichtigste „Zeitgenosse“  ; begreiflicherweise dominieren im Spielplan dieser sechs Jahre die Aufführungen seiner eigenen Erfolgs-Trias »Salome«, »Elektra« und »Rosenkavalier«, vermehrt um die Uraufführungen der »Frau ohne Schatten« (10. Oktober 1919), der Ballette »Josephslegende« (18. März 1922) und »Schlagobers« (9. Mai 1924) sowie der »Ruinen von Athen«-Bearbeitung (20. September 1924) und um die Erstaufführung der dreiaktigen Bühnenmusik »Der Bürger als Edelmann« (1. Oktober 1924). Dass er daneben eine Reihe von – vorwiegend spätromantisch gefärbten – Opern seiner Komponisten-Kollegen vor allem in den ersten Jahren seiner Direktionszeit aufs Programm setzte, soll nicht verschwiegen werden  : Pfitzners »Palestrina«, Schrekers »Die Gezeichneten« und »Der Schatzgräber«, Korngolds »Tote Stadt« und Franz Schmidts »Fredegundis« erlebten so ihre Wiener Premiere. „Freilich ist innerhalb der ersten beiden Direktionsjahre bei Strauss insofern eine Wandlung eingetreten, als auch ihn die Erfahrungen, die er beim Wiener Publikum mit dem Novitätenprogramm machen mußte, zu einer gewissen Vorsicht mahnten, denn gut besucht waren weder Schreker noch Weingartner  ; auch Puccinis »Trittico« oder die »Frau ohne Schatten« waren damals keine Publikumserfolge“2, schreibt Franz Grasberger in seiner Studie »Richard Strauss und die Wiener Oper«, und weiter  : „Strauss hat daher bei sich selbst die Novitäten-Einstellung revidiert, den Spielplan-Akzent mehr auf die Neustudierung des festen Bestandes der Opernliteratur verlegt und wäre schließlich am liebsten allen Experimenten aus dem Weg gegangen.“3 In einem großen Aufsatz unter dem Titel »Novitäten und Stars« veröffentlichte Strauss am 22. Juni 1922 im »Neuen Wiener Journal« (Franz Grasberger zufolge, der bei dieser Quellenangabe freilich irrte) seine „Spielplanerwägungen eines modernen Operndirektors“, die man – verglichen mit dem freilich nicht proklamierten, wohl aber praktizierten Novitätenkonzept Gustav Mahlers – füglich als reaktionär bezeichnen darf. „Meine Ansicht ist, daß Städte wie Berlin und Wien überhaupt nicht dafür geeignet sind, über unausgeprobte Novitäten das entscheidende Urteil zu geben“4, heißt es da, und  :

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„Die Wiener Staatsoper kann … und soll nach meiner Überzeugung kein Experimentierinstitut sein, sondern sagen wir eine Art hohe Akademie, in welcher ein ausgewähltes Repertoire in möglichst vorbildlicher Weise zur Darstellung kommt.“5 Was hätte wohl Gustav Mahler zu dieser Auffassung seines Freundes und einstigen Mitstreiters für die „Modeme“ gesagt  ? Kurt Blaukopf hat seiner in vieler Hinsicht wegweisenden Mahler-Monographie den Untertitel »Der Zeitgenosse der Zukunft« gegeben. Nirgendwo lässt sich diese Zeitgenossenschaft des Zukünftigen eindrucksvoller belegen als in Mahlers Bemühungen um jene Komponisten, die – der gleichen Generation angehörig wie er selbst oder noch jünger – von ihm als geistesverwandt angesehen und als Hoffnungsträger des musikalischen Fortschritts gefördert wurden. Wir wissen von Mahlers Eintreten für Arnold Schönberg, wir besitzen die Belege für seine aus Überzeugung und Courage gespeisten Bemühungen um das Werk von Richard Strauss, und wir haben Kenntnis von seinem Interesse am Schaffen Claude Debussys. Für die Operngeschichte des 20. Jahrhunderts haben diese Beziehungen Mahlers zu seinen bedeutendsten schöpferischen Zeitgenossen gleichwohl nichts eingebracht. Schönberg wandte sich erst nach Mahlers Abgang von der Hofoper dem Musiktheater zu (»Erwartung« entstand 1909, »Die glückliche Hand« zwischen 1908 und 1912). Die »Salome« von Richard Strauss, das einzige wirklich bedeutende damals schon existierende Opernwerk des Komponisten, wurde von Mahler wohl in ihrer Genialität erkannt  ; das Scheitern des Hofoperndirektors an der Zensur bei dem Bemühen um die Durchsetzung des Werkes wird uns noch ausführlich beschäftigen. Und für Debussys »Pelléas et Mélisande« hatte sich Mahler zwar schon 1906, fünf Jahre nach der Pariser Premiere, die Erstaufführung gesichert, zustande kam diese jedoch erst weitere fünf Jahre später, im Mai 1911 unter der Operndirektion von Hans Gregor, mit Gregor selbst als Regisseur und Bruno Walter als Dirigent. Die wahren Meisterwerke der Operngeschichte des beginnenden 20. Jahrhunderts, »Elektra«, »Der Rosenkavalier«, »Herzog Blaubarts Burg«, »Der ferne Klang«, »Doktor Faust«, »Palestrina« und »Wozzeck«, waren zur Zeit der Hofoperndirektion Mahlers noch nicht geschrieben. Wollte Mahler sein Opernhaus dem zeitgenössischen Schaffen öffnen, so war er auf die Stücke aus dem Reservoir der neudeutschen Schule angewiesen, auf die Wagner- und Liszt-Epigonen, wie etwa auf Wilhelm Kienzl, dessen »Evangelimann« allerdings schon seit 1896 auf dem Spielplan der Hofoper stand, auf die unverwüstliche Pseudomärchenoper »Hänsel und Gretel« von Engelbert Humperdinck, auf Ludwig Thuille (»Lobetanz«) und Siegfried Wagner, dessen Oper »Der Bärenhäuter« Mahler kurz nach ihrer Münchener Uraufführung 1899 dank hingebungsvoller Inszenierungsarbeit und glänzender musikalischer Leitung auch in Wien zum Erfolg führte. Parallel zu diesem unumgänglichen Schwerpunkt durch die Vertreter der „neudeutschen Schule“ lässt sich in Mahlers Spielplan die Bemühung um ein österreichisches

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Opernrepertoire ausmachen. Zwei Richtungen lassen sich dabei unterscheiden  : einmal die von der „Grand Opéra“ à la Meyerbeer, Rossini, auch Verdi einerseits, von der deutschen romantischen Oper andererseits herkommenden Werke  ; zum anderen die Vertreter der sogenannten „österreichischen Volksoper“. Eine säuberliche Trennung der beiden Richtungen ist freilich kaum möglich. Hauptvertreter der ersten Richtung ist Karl Goldmark (1830–1915), der als Modekomponist der Jahrhundertwende durchaus den Spielplan der Wiener Hofoper beherrscht hat, dessen Werk jedoch aus dem Repertoire unserer Opernhäuser inzwischen fast gänzlich verschwunden ist. Von einer immensen Beherrschung des Handwerks getragen, wusste Goldmark die unterschiedlichsten Elemente – farbenreichen Impressionismus, das Gepränge der großen historisch-romantischen Oper, eine veristische Handlungsdramaturgie und nicht zuletzt mondäne Laszivität – effektvoll zu kombinieren, und traf damit den Nerv des „Fin de Siècle“. Gleich drei seiner Opern – »Die Kriegsgefangene« (1899), »Das Heimchen am Herd« (1896, nach Dickens) und »Die Königin von Saba« (1875) – standen auf Mahlers Dirigierliste, wobei vor allem die letztgenannte für volle Kassen sorgte. Will man die Ingredienzien bestimmen, die zur Spezialität einer „österreichischen Volksoper“ geführt haben, so muss man weit eher inhaltliche Bestandteile als musikstilistische Kriterien anführen. Die hier zu nennenden Komponisten haben zwar bewusst historische wie mythologische Stoffe gemieden und sich auf Komödien-Vorlagen, folkloristische Sujets oder Sagen- und Märchenstoffe konzentriert  ; sie sind trotzdem den stilistischen Einflüssen des Wagner’schen Musikdramas nur zu oft erlegen. Als Inbegriff der österreichischen Volksoper darf Wilhelm Kienzl mit seinen zwei Opern »Der Evangelimann« und »Der Kuhreigen« gelten. Mit dem 1894 in Bad Aussee entstandenen »Evangelimann« schuf Kienzl eines der erfolgreichsten Bühnenwerke der Operngeschichte. Allein in den ersten 40 Jahren nach seiner Uraufführung (Berlin, 4. Mai 1895) erlebte das Werk 5300 Vorstellungen. Auch die Wiener Erstaufführung unter Hofoperndirektor Jahn am 11. Jänner 1896 war ein großer Erfolg, und kaum weniger erfolgreich fiel, dank der Gestaltungskunst Maria Jeritzas, die Uraufführung des »Kuhreigen« am Kaiser-Jubiläums-Stadttheater, der heutigen Volksoper, unter der Direktion von Rainer Simons am 23. November 1911 aus. Damit war, musikhistorisch gesehen, die österreichische Volksoper zu einer ernstzunehmenden Gattung aufgerückt. Neben Ignaz Brüll, dessen Oper »Das goldene Kreuz« ein Dauerbrenner des Wiener Opernspielplans auch in der Ära Mahler war, müssen hier drei weitere Namen genannt werden  : Julius Bittner, Josef Reiter und Josef Forster. Die Oper »Die rote Gred« des mit Schönberg gleichaltrigen Bittner hatte Mahler schon 1906 für die Hofoper angenommen, ihre Erstaufführung fand jedoch erst 1908 unter Bruno Walter statt, der den Komponisten sehr schätzte und später in München und Berlin drei weitere Opern von

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ihm zur Aufführung brachte. Josef Reiter war ein in Braunau geborener Komponist, dessen Einakter »Der Bundschuh« Mahler schon in der Spielzeit 1900/01 auf den Spielplan gesetzt hatte. Seine weiteren Opern – »Klopstock in Zürich«, »Totentanz«, »Der Tell« – kennt nur das Lexikon  ; seine »Große Auferstehungsmesse« zur feierlichen Inthronisation des Nationalsozialismus bei den Salzburger Festspielen 1938 ist dagegen in unrühmlicher Erinnerung geblieben. Von dem steirischen Komponisten Josef Forster, dessen veristische Oper »Die Rose von Pontevedra« 1893 immerhin den ersten Preis bei der Gothaer Opernkonferenz erhalten hatte, spielte Mahler »Der dot mon« (»Der tote Mann«), einen Einakter auf ein Fastnachtsspiel des Hans Sachs, den er, gekoppelt mit Forsters Ballett »Der Spielmann«, 1902 dem Wiener Opernpublikum vorstellte. Alexander von Zemlinskys Märchenoper »Es war einmal« und Hugo Wolfs komische Oper »Der Corregidor«, die an anderer Stelle schon erwähnt wurden, kann man nur sehr bedingt der Linie der „österreichischen Volksoper“ zurechnen. Wer aus den Etiketten „neudeutsche Schule“ oder „österreichische Volksoper“ auf ein strenges Konzept beim Einsatz Mahlers für die zeitgenössische Oper schließen wollte, der irrt freilich. Mahlers Spielplan war keineswegs von einer wirklichkeitsfremden Operndramaturgie bestimmt oder auf das doktrinäre Durchsetzen ihm zusagender Komponisten oder gar „artverwandter“ Musikrichtungen ausgerichtet. Mahler war viel zu sehr Theaterpraktiker, um sich nicht jedem Genre, jedem musikalischen Stil, jeder Novität zu öffnen, wenn sie nur eine Bühnenpräsenz und damit die gebotene Attraktivität für das Publikum versprach. „Rein musikalische Erfolge sind auf dem Theater gar keine Erfolge“6, dieses Wort aus Mahlers großem Beschwerdeschreiben an den Obersthofmeister (vgl. das Kapitel „Der Hilferuf an den Fürsten“) steht wie ein Motto über seiner Wiener Direktionszeit. Freilich war es das höchste Glück des Opernleiters und Komponisten Mahler, wenn sich mit der bühnenwirksamen Handlung und der dramatischen Wahrhaftigkeit auch musikalische Qualität verband. In seinem Ideal Richard Wagner sah Mahler diese Elemente auf höchstem Niveau vereint  ; er ließ nicht nach in dem Bemühen, Gleichwertiges unter den Produktionen seiner komponierenden Kollegen und Zeitgenossen zu finden. Wo er sich zusätzlich zu solcher Qualität das Verständnis und die Partnerschaft mit einem Gleichgesinnten erhoffen durfte, dort entwickelte sich etwas für Mahler ganz und gar Außergewöhnliches  : Freundschaft. Unter diesem Stichwort könnten die Bemühungen Mahlers um das Opernschaffen von Richard Strauss, Hans Pfitzner und Hugo Wolf ihren gemeinsamen Nenner finden. Das Verhältnis von Mahler zu Strauss kann freilich, wie an anderer Stelle bereits dargetan, keinesfalls als einfache Freundschaft gesehen werden. Tatsache ist, dessen ungeachtet, dass sich Strauss als einer der Ersten und mit besonderer Energie für das symphonische Schaffen Mahlers eingesetzt hat. Und Tatsache ist auch, dass Mahler von den

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frühen Tondichtungen und den ersten Opern des Kollegen und Rivalen fasziniert war und alles in seinen Kräften Stehende tat, um sie an seinen jeweiligen Wirkungsstätten zur Aufführung zu bringen. Schon in Hamburg hatte Mahler den Strauss’schen Opern­ erstling »Guntram« beim Direktor des Stadt-Theaters Bernhard Pollini durchzusetzen versucht – vergeblich. In Wien scheiterte Mahler dann auch mit dem Vorhaben, die »Salome« an der Hofoper aufzuführen. Fünf Jahre zuvor freilich, 1902, stand Mahler im Zenit seiner Wiener Erfolgsbahn und verfügte über die Macht und die Mittel, um der »Feuersnot«, dem provokant-ungebärdigen „Singgedicht“ des jungen Richard Strauss, die Bühne der Wiener Hofoper zu öffnen – wenn auch gleichfalls nur nach vorangegangenen Schwierigkeiten mit dem Zensor. Mahler setzte eine glanzvolle Aufführung ins Werk und hielt an der Novität auch dann fest, als die Oper von der Wiener Kritik einhellig abgelehnt wurde und das Publikum den Aufführungen fernblieb. Dies war gewiss weniger eine Freundschaftstat als ein Ausdruck von Mahlers Überzeugung, dass Richard Straussens »Feuersnot« die bedeutendste, avancierteste und insgesamt lohnendste Partitur war, die er seinem Publikum bis dahin präsentiert hatte. Die Bekanntschaft Hans Pfitzners hatte Mahler schon im Juni 1902 anlässlich der Uraufführung seiner Dritten Symphonie beim Krefelder Musikfest des »Allgemeinen Deutschen Musikvereins« gemacht. Während zwischen Pfitzner und der von ihm angeschwärmten Ehefrau Mahlers sogleich eine innige Freundschaft entstand, wurde Mahlers Beziehung zu ihm erst anlässlich der Proben zu dessen Oper »Die Rose vom Liebesgarten«, die er im April 1905 an der Hofoper herausbrachte, etwas enger. Zu verschieden waren die beiden Künstlernaturen, als dass das kollegiale Verhältnis, das sich zwischen ihnen im Verlauf der Zusammenarbeit entwickelt hatte, Freundschaft genannt werden dürfte. Pfitzner sprach zwar – und das noch Jahrzehnte später, in seiner Schrift »Werk und Wiedergabe« – voll Bewunderung vom Dirigenten Mahler, doch der Komponist blieb ihm fremd. Gleichwohl räumt auch er ein, dass Mahlers „beste Eigenschaft als Wiedergebender … doch vielleicht die war, daß er auch ein Schaffender gewesen ist … er wußte, wie es tut, seine Geisteskinder mißhandelt zu sehen.“7 Alma Mahler schreibt in ihren Erinnerungen  : „Pfitzner klagte mir oft, er könne nicht die geringste Beziehung zu Mahlers Musik finden. Er halte das überhaupt nicht für Musik. Mahler kannte seine Ansicht, trotzdem hat er sich bei den Proben zur »Rose vom Liebesgarten« halb tot ‚gerackert‘, sie herrlich dirigiert und sich derart in dieses Werk verbissen, daß er bei der Premiere nach dem ersten Akt ausrief  : ‚Seit der Walküre, erster Akt, ist etwas ähnliches Großartiges nicht geschrieben worden  !‘ Er war glücklich über Meisterschaft und Erfolg des anderen  !“8 Mahlers Urteil möchten wir heute nicht mehr unterschreiben, auch wenn sich unter den Fachleuten zunehmend die Meinung durchsetzt, dass die »Rose vom Liebesgarten« zu Unrecht aus unseren Spielplänen völlig verschwunden ist.

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Mahlers Pflege der zeitgenössischen Oper beschränkte sich indes nicht auf erhoffte Zugstücke und selbstlose Freundschaftstaten. Unverdrossen konfrontierte er Jahr für Jahr das Publikum mit Neuheiten und Außenseitern des Opernspielplans. Zu diesen manchmal lohnenden, manchmal erfolglosen, manchmal sogar erfolgreichen, in allen Fällen jedoch für die Musikgeschichte folgenlosen Versuchen mit der zeitgenössischen Tagesproduktion gehören drei Wiener Erstaufführungen  : »Das war ich«, der als „Dorfidylle“ bezeichnete Einakter von Leo Blech, »Der polnische Jude« von Camille Erlanger, einem Pariser Komponisten im Schatten von Leo Delibes und Gustave Charpentier, und »Der Dämon« von Anton Rubinstein, dem Gründer und Leiter des Kaiserlichen Konservatoriums zu St. Petersburg. Von allen drei Werken findet allenfalls Rubinsteins »Dämon« auch heute noch das Interesse der Opernkenner. Mahler jedenfalls dürfte die Weltschmerz-Poesie der Dichtung von Lermontow, die dieser Oper zugrunde liegt und der er sich seelenverwandt fühlen durfte, stärker in Bann gezogen haben als die doch stark konventionelle Musiksprache Rubinsteins, die er den Wienern zwei Monate vor Anbruch des neuen Jahrhunderts präsentierte. Immer wieder versuchte Mahler es auch mit dem Genre der komischen Oper, von der er sich größere Publikumswirksamkeit versprach. So kam es zu den Erstaufführungen der »Donna Diana« von Emil Nikolaus von Reznicek und der »Neugierigen Frauen« von Ermanno Wolf-Ferrari, so kam es auch zur Neuinszenierung der Shakespeare-Oper »Der Widerspenstigen Zähmung« von Hermann Goetz, die Mahler von Alfred Roller ausstatten ließ und mit viel Vergnügen dirigierte. Zieht man die Bilanz dieser unermüdlichen Bemühungen Mahlers um das zeitgenössische Opernschaffen, so bleibt uns Heutigen ein Gefühl des Bedauerns und der Bitternis nicht erspart. Nicht ein einziges Jahrhundertwerk verdankt Mahlers schöpferischer Neugier, seinem musikdramatischen Enthusiasmus und seiner unvergleichlichen Interpretationskunst das Leben. Operndirektor „in dürftiger Zeit“, hat er seinen stärksten Einsatz und seine besten Kräfte auf eine Handelsware verwendet, die im besten Fall gerade aus Halbedelsteinen bestand – und oft genug auch aus Talmi. Bitter ist vor allem die Erkenntnis, dass die drei großen Frauengestalten, die wie Karyatiden über dem Eingang zum Musiktheater des 20. Jahrhunderts stehen, zu Gustav Mahlers Zeiten die Bühne der Wiener Hofoper nicht betreten haben  : Die »Salome« von Richard Strauss hat ihm die Zensur verwehrt, die »Tosca« Giacomo Puccinis überließ er der Konkurrenz, dem Jubiläums-Stadttheater – in einem Brief an Alma nennt er die Oper ein „großes Meistermachwerk“9, und Marcel Prawy berichtet in seiner Wiener Opernchronik sogar, Mahler habe »Tosca« „ganz besonders gehaßt“10 –, und der im nahen Brünn zur Welt gekommenen »Jenufa« von Leoš Janáček hat er keine Beachtung geschenkt. Wie die von Clemens Höslinger veröffentlichten Dokumente zur späten Wiener »Jenufa«-Premiere (1918) offenlegen, hat Janáček sowohl selbst wie durch einen Mittels-

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mann, den damaligen tschechischen „Landmannminister“ im österreichischen Kabinett, Dr. Otakar Baron Pražák, versucht, Mahler zum Besuch der Brünner Aufführung zu veranlassen – leider vergeblich. Mahler lehnte höflich ab  ; seinem Wunsch, ihm einen „Clavierauszug mit deutschem Texte“ zu schicken, „da ich der böhmischen Sprache nicht mächtig bin“11, konnte wiederum Janáček nicht entsprechen, da noch keine deutsche Übersetzung vorlag, ja die Oper, die später Janáčeks Ruhm begründen sollte, noch nicht einmal von einem Verlag unter Vertrag genommen war. So blieb das Meisterwerk ein Dutzend Jahre unentdeckt. Wenn von Mahlers Versäumnissen als Operndirektor gesprochen wird, muss die Sprache auch auf den »Moloch« von Max von Schillings und auf die Erstlingsoper »Notre Dame« von Franz Schmidt kommen  ; Ludwig Karpaths Vorwurf, Mahler hätte mit der Ablehnung von Goldmarks »Götz von Berlichingen« einen unverzeihlichen Fehler begangen, können wir dagegen getrost unberücksichtigt lassen. Ob es sich beim Scheitern des Planes, Schillings’ »Moloch« auf der Hofopernbühne uraufzuführen, um einen vorsätzlichen Entscheid Mahlers gehandelt hat, ist freilich ungewiss und eher unwahrscheinlich  ; dies stünde in allzu krassem Widerspruch zu Mahlers Charakter und Künstlertum. Die Unterstellung stammt denn auch aus der denkbar übelsten Quelle, aus einer Schillings-Biographie von Wilhelm Raupp aus dem Jahr 1935, die – zwei Jahre nach Schillings’ Tod – eine Glorifizierung des „deutschen Tonsetzers“ mit Hilfe wüster antisemitischer Hetzattacken auf die „internationale Verschwörung“12 jüdischer Künstler und Kritiker zu unternehmen versucht. Aus den Akten des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs wissen wir, dass Mahler 1905 eine andere Oper von Schillings, den »Pfeifertag«, für eine Aufführung im folgenden Jahr in Aussicht genommen hatte, diesen Plan aus Kostengründen jedoch wieder aufgeben musste. Belegbare Tatsache ist weiterhin, dass Mahler Ende 1905 auf eine entsprechende vorsichtige Anfrage des Komponisten hin Schillings die Wiener Hofoper als Uraufführungsort für die – ihm damals noch völlig unbekannte – Veroperung des Hebbel-Fragments anbot und Anfang 1906, nach Lektüre des Librettos zum »Moloch«, das Werk fest zur Uraufführung annahm. Danach scheinen sich Besetzungsschwierigkeiten eingestellt zu haben  ; die Probleme, die Mahlers Direktionsführung gerade im Jahr 1906 – durch die Einnahmeeinbußen infolge des radikal „modernen“ Spielplans, durch die Kontroverse mit der vorgesetzten Behörde in Sachen »Salome«, nicht zuletzt durch die in der Wiener Presse eröffnete Anti-Mahler-Hetze – zu bestehen hatte, dürften die Chancen für die Aufführung dieser Schillings-Oper weiter verringert haben. Mahler gab daher die Uraufführung frei für die Dresdner Hofoper, wo Ernst von Schuch das Werk im Dezember 1906 herausbrachte. Aber selbst von dem Plan, wenigstens die Wiener Erstaufführung aufrechtzuerhalten und sie im Frühjahr 1907 ins Werk zu setzen, musste Mahler Abstand nehmen  ; zunächst machte die vernichtende Kritik von Oskar Bie aus Dresden, die in der Wiener »Neuen Freien Presse« erschien, mächtig

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Stimmung gegen die Oper, und schon bald danach verdichteten sich Mahlers Schwierigkeiten bis zur Rücktrittsabsicht, die das Vorhaben (wie manche andere) endgültig zum Scheitern brachte. Ob dadurch einer bedeutenden Oper Unrecht geschehen ist, vermag niemand zu sagen – Schillings’ Schaffen ist, mit Ausnahme vielleicht des »Hexenlieds« und der Oper »Mona Lisa«, nach 1945 dem Vergessen anheimgefallen. Gleichwohl muss angemerkt werden, dass das »Moloch«-Kapitel das bisher am schlechtesten dokumentierte Detail der Operndirektion Mahler ist. Mahlers Briefe an Schillings, die sich im Besitz einer mit Schillings verwandten Familie auf Schloss Soltau in Pommern befanden, sind in den Wirren des Zweiten Weltkriegs verloren gegangen. Und der Spurensuche in den einschlägigen Wiener Archiven hat sich noch kein Wissenschaftler unterzogen. Franz Schmidt gehört mit Julius Bittner und Arnold Schönberg (alle drei Jahrgang 1874), Franz Schreker (1878) und Alexander von Zemlinsky (1872) zu der gegenüber Mahler um rund 15 Jahre jüngeren österreichischen Komponistengeneration, die zur Jahrhundertwende alt (und selbstbewusst) genug gewesen wäre, um ihre Erstlingsopern dem bewunderten und verehrten Operndirektor und Vorkämpfer für die Modeme einzureichen. Von Schreker und Schönberg gab es, wie gesagt, damals noch keine Werke für die Opernbühne  ; für Julius Bittner hat sich Mahler, wie erwähnt, intensiv eingesetzt. Es bleibt Alexander von Zemlinsky, der spätere Kompositionslehrer und Schwager Schönbergs, dem Mahler als Gegenmittel gegen musiktheoretische und kompositorische Versponnenheit die Theaterpraxis verschrieb  : Er machte ihn zum Korrepetitor an der Hofoper und schickte ihn wenig später als Kapellmeister an das Deutsche Theater in Prag. Und es bleibt Franz Schmidt, der ein Jahr vor Mahlers Amtsantritt, erst 22-jährig, Cellist im Hofopernorchester geworden war. Er hat die 17 Jahre seiner Tätigkeit unter Mahler und Weingartner bis zu seinem freiwilligen Ausscheiden aus dem Orchester später in seiner autobiographischen Skizze als „Galeerenjahre“ bezeichnet. Mahler hat Schmidts Opernerstling »Notre Dame«, die zwischen 1902 und vermutlich 1904 entstandene Veroperung des Victor-Hugo-Romans, abgelehnt  ; das Faktum und die Umstände sind aus den Veröffentlichungen von und über Franz Schmidt hinlänglich bekannt. Die von Schmidts Freund Alexander Wunderer so bedrückend geschilderte Szene des Vorspielens – und es gibt keine andere, mehr authentische Quelle – mag sich vielleicht so ähnlich abgespielt haben, auch wenn man angesichts der Subjektivität anderer „dokumentarischer“ Zeugnisse aus dem biographischen Umkreis von Franz Schmidt, aber auch nach den Lücken in Schmidts eigener »Autobiographischer Skizze« einige Zweifel an Schmidts historisch getreuem Erinnerungsvermögen und seiner vorurteilslosen Erinnerungsbereitschaft haben darf. An der nach Schmidts Darstellung alles entscheidenden Äußerung Mahlers, dem Diktum „Sehr schön, aber ich vermisse in Ihrer Musik die großen Ideen“, ist wohl kein Zweifel  ; eher schon darf Zweifel an der unverbrämten, schonungslosen und unbegrün-

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deten Übermittlung derselben geäußert werden. Dem Kenner der Mahler-Biographie fällt dazu der Briefwechsel Mahlers mit dem Komponisten und Musikschriftsteller Max Marschalk ein, über dessen Oper »Phanor und Phanette«, ursprünglich »In Flammen« betitelt, Mahler ein ganz ähnliches Verdikt gefällt hatte, dieses freilich in einem ausführlichen Schreiben begründend  : „Sie gehen vorderhand noch sehr auf ‚Ton und Farbe‘ aus“, schreibt Mahler, und meint, das wäre die Gefahr aller begabten Anfänger  : „Stimmungsmusik ist ein gefährlicher Boden.“ Und dann wird Mahler prinzipiell und ausführlich  : „Glauben Sie mir, es bleibt vorderhand beim Alten  : Themen – klar und plastisch, daß man sie in jeder Umgestaltung und Weiterentwicklung doch wieder deutlich erkennt – und dann eine wechselvolle und vor allem [eine] durch logische Entwicklung der inneren Idee, andernteils [eine durch] echte Gegensätzlichkeit der gegenübergestellten Motive fesselnde Ausführung.“13 Kann es sein, dass der zutiefst enttäuschte Schmidt nur noch das „Nein“ gehört hat, nicht mehr aber die von Mahler vermutlich sehr wohl begründete Beurteilung der Komposition durch den „Kollegen“  ? Liegt es nicht nahe, dass Schmidt die Ablehnung seines Werkes als Affront gegen seine Person empfunden hat  ? Und wäre es nicht denkbar, dass die von ihm dafür herangezogene Erklärung – der Operndirektor hätte die Chance wahrgenommen, den von ihm als Komponistenkollegen gefürchteten Konkurrenten zu demütigen – nichts anderes war als ein nicht gerade überzeugender Rationalisierungsversuch, um mit der „Niederlage“ als Komponist fertigzuwerden  ? Angeblich waren die Schikanen des Konzertmeisters Arnold Rosé, Mahlers Schwager, gegen den Cellisten des Hofopernorchesters ja gleichfalls ferngesteuerte Invektiven Mahlers gegen den als Rivale „gefährlichen“ Komponisten Schmidt. Wenn wir in der autobiographischen Skizze lesen  : „Ich hatte gerade damals (1901) meinen ersten Erfolg als Symphoniker errungen und Mahler bemühte sich zur selben Zeit, mit seinen Symphonieen in Wien Fuß zu fassen. Da ich nun von einem Teil der Wiener Kritik taktloser Weise gegen Mahler ausgespielt wurde, war es ein leichtes, Mahler zu suggerieren, daß ich mit Presseleuten gegen ihn conspiriere“14, so ist der Eindruck eines höchst naiven, zugleich aber in seinen Absichten durchsichtigen Manövers unabweisbar. Wie auch immer  : Mahler hat nicht Franz Schmidts »Notre Dame« zur Uraufführung angenommen, wohl aber Alexander von Zemlinskys »Es war einmal«. Es wäre unfair, wollte man die Stärken und Schwächen von Franz Schmidts veristischer Gruseloper gegen den »Meistersinger«-nahen Komödienton Zemlinskys ausspielen und davon Mahlers eigene Position zwischen den zeitgenössischen Strömungen ableiten. Vielleicht war es der Anklang an das eigene Jugendwerk, an die unvollendet gebliebene, heute verschollene Oper »Rübezahl« oder an die Chor-Kantate »Das klagende Lied«, der Mahler zu Zemlinskys Oper greifen ließ. Vielleicht war es die Ahnung einer „neuen Klassizität“ in dieser Partitur, wie sie Ferruccio Busoni später in ein theoretisches System bringen sollte,

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was ihn, den „Zeitgenossen der Zukunft“, überzeugte. Aber vielleicht war es auch „nur“ – und das wäre nicht die schlechteste Motivation – wieder einmal der Theaterinstinkt Mahlers gewesen, der hier eine volkstümlich-märchenhafte Handlung, eine stimmige Dramaturgie und eine publikumswirksame Musiksprache fand. Wie sehr die erhoffte Theaterwirksamkeit für Mahler ein Kriterium bei seinen Bemühungen um Spielplannovitäten war, beweist der – relativ unbekannt gebliebene – Fall der Ablehnung eines anderen Zemlinsky-Projekts, das Mahler knapp zwei Jahre nach der (freilich erst nach Eingriffen in die Werkgestalt) zum Erfolg geführten Premiere von »Es war einmal«am 22. Jänner 1900 beschäftigte. Anders als bei dem nach einem Märchen von Hans Christian Andersen selbstverfassten Libretto konnte Zemlinsky diesmal einen jungen, kometenhaft aufgestiegenen Wiener Literaten als Librettisten vorweisen  : Hugo von Hofmannsthal – und dennoch blieb Mahler seiner Devise vom Zusammenwirken von Text, Szene und Musik als Voraussetzung für einen Theatererfolg treu. Allerdings handelte es sich diesmal nicht um einen Opernplan, den Mahler damit zum Scheitern brachte, sondern um eine Ballettpantomime. Hofmannsthal hatte sein Libretto mit dem Titel »Triumph der Zeit« zunächst Richard Strauss angeboten, ehe er den gerade 30-jährigen, durch die Opernuraufführung an der Hofoper „prominent“ gewordenen Zemlinsky dafür zu gewinnen trachtete. Dessen Verbindung zu Mahler schien Hofmannsthal gute Chancen für eine Realisierung seiner Ballettpantomime zu bieten, nachdem schon Richard Strauss die Vertonung abgelehnt und damit, in seiner Eigenschaft als Berliner Hofkapellmeister, eine Uraufführung an diesem prominenten Platz zunichtegemacht hatte. Umso mehr musste es Hofmannsthal treffen, als er bei einem Zusammentreffen mit Mahler dessen grundsätzlich negative, mit vielen konkreten Argumenten begründete Einstellung zu seinem Libretto erfuhr. Am 18. September 1901 schreibt er aus Rodaun einen beleidigten (und auch ein wenig beleidigenden) Brief an Zemlinsky über Mahlers Ablehnung  : „Und zwar richtet sich seine Kritik leider gar nicht gegen irgendwelche Einzelnheiten oder Theile  ; denn da hätte ich mich im Interesse unserer gemeinsamen Arbeit sehr nachgiebig erwiesen  : sondern, um es richtig zu sagen, es hat ihm an dem Ganzen offenbar nichts gefallen, weder die pantomimischen noch die mehr decorativen Theile. Ich fürchte, daß ihm gerade das fehlt, worauf es hier ankommt  : nämlich Phantasie des Auges. Er denkt von der ganzen Kunstgattung schlecht und sagte mir rundweg  : wie etwas aussähe, was man mit Beleuchtungen etc. anfinge, ‚das wäre alles nichts‘. Das ist aber eine dumme Art Kritik, jemanden bei einem einzelnen Werk die Mängel oder Beschränktheiten der Form, in der er eben arbeitet, vorzuwerfen. Auch kritisierte er das Verhältnis meiner Dichtung zur Musik, sagte einmal, ich hätte zu ‚subtiles‘ dargestellt, gleich darauf in einem Athem, ich hätte nichts gestaltet, sondern mich mit Allgemeinheiten begnügt, was doch gerade das Gegenteil vom früheren ist. Auf diesem nichts gestaltet haben, was

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soviel zu heißen scheint wie nicht individualisiert haben, ritt er herum und ich konnte ihm nicht begreiflich machen, daß dieser Begriff der Gestalt – der aus der Wagner’schen Kunsttheorie her offenbar sein ganzes theoretisierendes Denken beherrscht – eben hier nichts zu thun habe, besonders weil man unseren Musikern nichts über das Typische hinaus zumuten könnte.“15 Man muss dem Zemlinsky-Experten Antony Beaumont, der sich mit dem „Problemkind“ in einem aufschlussreichen Essay16 eingehend beschäftigt hat, Recht geben  : Der Brief ist wahrlich ein aufschlussreiches Dokument, sowohl für den angehenden Librettisten Hofmannsthal, der sich schon wenige Jahre später seine Mahler-Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Richard Strauss zunutze machen sollte, als auch für Gustav Mahler, der sich der Oper wie dem Ballett zunächst als Dramaturg näherte und die Theaterwirksamkeit einer Partitur über deren rein musikalische Qualitäten stellte. Wie anders wäre es sonst zu erklären, dass Mahler auch Eugen d’Albert die Bühne der Hofoper öffnete  ? Von ihm kennt der heutige Opernbesucher nur noch den geschickt aus Wagner’scher Leitmotivik, Verismo und Impressionismus gemixten Reißer »Tiefland«. Mahler schätzte vermutlich den am Rande der Operette lavierenden Lustspielkomponisten d’Albert höher ein und spielte seine beiden heiteren Operneinakter »Flauto solo« und »Die Abreise«  ; letzterer ist neuerdings sogar mehrfach zu Schallplattenehren gekommen. Was insgesamt für die Hinterlassenschaft des Operndirektors Mahler gilt, den zehnjährigen Spielplan der Hofoper von 1897 bis 1907 als „res facta“ sozusagen, das gilt im Besonderen für seine Bemühungen um das zeitgenössische Opernschaffen  : Es ist kein System herauszufiltern. Auch aus dem Abstand von mehr als einem Jahrhundert kommt der Historiker bei der Bewertung der Leistung Mahlers um die Begriffe Zufall, Willkür, Toleranz nicht herum, lässt sich keine Objektivität Mahlers konstatieren. Viel eher muss man das „Schauspiel seiner Direktionsführung“, wie Hofmannsthal es genannt hat, in all seinen Stationen, Wegbiegungen und Verschlingungen nachverfolgen. Jede Gliederung, die man über diesen organischen Wuchs legt, ist somit eine willkürliche, lediglich vom Standpunkt des jeweiligen Betrachters aus zutreffende und stimmige. Wenn Gustav Mahler bei seinem Bemühen um das zeitgenössische Opernschaffen einem „Prinzip“ gefolgt ist, dann dem seiner schöpferischen Neugier.

VOM REGIETHEATER ZUR OPERNREFORM „In Herrn Mahler scheinen endlich glücklich die Eigenschaften vereinigt zu sein, die Wagner gerne für einen Operndirigenten wünschte, nämlich die eines guten Musikers, Dramatikers und Regisseurs. Mit ihm zieht in Wien, wo das Getriebe der Kunst bis nun so schwerfällig und isoliert gewesen, die erste junge Kraft ein, die neue Ziele hat. Er wird, der erste in Wien, die Reihe der »Capellmeister-Regisseure«, so möchten wir sie nennen, eröffnen, deren Zeit eben gekommen ist.“1 Diese prophetischen Zeilen schrieb Heinrich Schenker, der später bedeutende Wiener Musiktheoretiker und Begründer der „Reduktionsanalyse“ für klassische Musik, noch nicht dreißigjährig für die Wochenzeitung »Neue Revue«, in der sich Schriftsteller wie Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal oder Rudyard Kipling mit den „immer offensichtlicheren Verbindungen zwischen Kunst, Wissenschaft und sozialem Leben“2 beschäftigten. Demgegenüber verharrte die Wiener Musikkritik jener Jahre im Gefolge der musikästhetischen Anschauungen Eduard Hanslicks in einem engstirnigen Konservativismus, der sich in zahllosen Attacken auf die Regie- und Bühnenbild-Lösungen Mahlers (und später Alfred Rollers) äußerte. Im Abstand von mehr als einem Jahrhundert haben sich die Leistungen und Verdienste Gustav Mahlers um das Musiktheater seiner Zeit dagegen nicht nur verklärt, sondern auch auf zwei Fixpunkte reduziert. Der eine ist Mahlers „modernes“, heute wie damals Publikum, Orchester und Kollegen gleichermaßen faszinierendes Miteinander von Wirken und Wirkung des Dirigenten. Der andere ist die von Mahler gemeinsam mit Alfred Roller ins Werk gesetzte, von den Zeitgenossen ebenso bewunderte wie bekämpfte, damals als revolutionär empfundene, inzwischen legendär gewordene „Opernreform“. Doch diese theatergeschichtliche Großtat ist nicht erst aus dem Zusammenwirken der beiden Männer entstanden, sondern war durch Mahlers eigenes, in Leipzig, Budapest und Hamburg entwickeltes und ex negativo künstlerisch geschultes Sensorium längst vorbereitet  ; an diesen Bühnen hatte er oft genug ein in Routine erstarrtes, als „Drama“ sinnlos gewordenes Bühnengepränge vom Pult aus erleben müssen. Mahler war in der Tat einer der ersten „Capellmeister-Regisseure“ des 20. Jahrhunderts, die jedem Bühnenwerk im Moment seiner Aufführung „Wahrheit“ verleihen wollten. Das Ergebnis dieses Bemühens, ebenfalls in unzähligen Wiener Kritiken nachzulesen, rechtfertigt es, für Mahlers Bühnenarbeiten den viel später erfundenen (und inzwischen schon wieder entwerteten) Begriff „Regietheater“ zu verwenden. Es war also nicht so, dass Mahler als musikalischer Leiter der Operneinstudierung die szenische Ausarbeitung des dramatischen Geschehens auf der Bühne anderen überlassen hätte  ; den von ihm zu seiner Entlastung engagierten und rasch als unfähig erkannten

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Regisseur Albert Stritt – zuvor ein prominenter Heldentenor, der sogar an New Yorks Metropolitan Opera gesungen hatte – entließ er, zum Verdruss der Hoftheater-Intendanz, sogar schon nach einigen Monaten wieder. „Zu den Besonderheiten der Künstlerpersönlichkeit Mahlers“, schreibt Stephan Stompor schon 1968 in seinem schon zitierten rezeptionsgeschichtlichen Essay, „gehört die Einheit Dirigent-Regisseur  ; dadurch zeigten seine Einstudierungen eine Verschmelzung und gegenseitige Durchdringung des Musikalischen mit dem Szenischen, die in ihrer Zeit ohne Beispiel war.“3 In einem seiner raren Interviews definiert Mahler selbst die Maximen seiner Theaterarbeit. Im »Illustrirten Wiener Extrablatt« vom 19. März 1904 heißt es  : „Herr Director Mahler, welcher eine förmliche Revolution im Hofoperntheater hervorgerufen hat, entwickelt in Kürze folgendes Programm  : »Was man im Schauspiel in den letzten Jahren erstrebt und zum Theil verwirklicht hat, das will ich auch in der Oper versuchen. Alles Persönliche soll in den Hintergrund treten, zuerst muß das Werk zur Geltung gelangen  ; Effectopern, in denen der Eine oder der Andere in einer Paraderolle brilliren könnte, will ich in Folge dessen nach Möglichkeit vermeiden. Die Wiener Hofoper verfügt über ein vortreffliches Künstlerpersonal, aber dieses soll nicht für seine persönlichen Erfolge, sondern für das Werk, für das Ganze, für die Kunst schaffen. Und so wie alle ausübenden Factoren nur dem Dienste der Kunst geweiht sein sollen, so will ich – auch wenn ich die bisherigen Wege verlassen muß – einen gewissen Theil des Publicums daran gewöhnen, die Oper nicht als Unterhaltungsmittel, sondern als Kunst zu würdigen … Um eine Einheitlichkeit im Opernbetriebe und in den Aufführungen zu ermöglichen, halte ich es für nothwendig, daß der Director eines großen Operninstitutes zugleich der erste und maßgebende Kapellmeister ist, dessen Stimme und Anschauungen auch in der Inscenierung den Ausschlag geben.«“4 Mahler machte vom ersten Tag seines Wirkens an der Wiener Hofoper an klar, dass er Glaubwürdigkeit und „Wahrheit“ des Bühnengeschehens noch über die Schönheit oder dramatische Wirkung der Musik stellen würde  ; „rein musikalische Erfolge“, schreibt er, wie erwähnt, einmal an den obersten Gebieter über die Wiener Hoftheater, „sind ja leider im Theater gar keine Erfolge.“5 Seine Neueinstudierung der »Zauberflöte«, schon sechs Wochen nach seiner Amtsübernahme auf den Spielplan gesetzt, in zehn Bühnenproben von eingefahrener Routine und überflüssigem Klamauk befreit, von Publikum und Presse einhellig bejubelt, ist – wie Natalie Bauer-Lechner in ihrem Erinnerungsbuch an Mahler festhält – eine der ersten von ihm selbst anerkannten „Regietheater“-Taten  ; es folgen dramaturgisch und konzeptionell sorgsamst vorbereitete Neubelebungen von Werken des Standardrepertoires wie »Der fliegende Holländer«, »Aida«, »Freischütz«, »Mignon« oder »Hoffmanns Erzählungen«, aber auch nur in schwierigen Auseinandersetzungen mit den Komponisten zu Wirkung und Erfolg gebrachte Novitäten wie »Die Bohème« von Leoncavallo, »Donna Diana« von Reznicek, »Der Bärenhäuter« von Siegfried Wagner. Immer ist es die einzigartige Kunst des „Capellmeister-Regisseurs“ Mahler, die aus

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„Konzerten im Kostüm“ bewegende Theater-, Musiktheater-Abende macht. Von Mahlers „Regietheater“ zu Mahler/Rollers „Opernreform“ ist nur ein Schritt. Für den heutigen Betrachter ergibt sich eine höchst kontroverse Situation  : Die populäre, von den Medien verbreitete „öffentliche Meinung“ hat Mahlers Opernreform zu einer ubiquitären, von ihrer Geschichtsmächtigkeit abgekoppelten „Marke“ gemacht. In den einschlägigen Opernlexika dagegen wird man das Stichwort vergeblich suchen. Auch das zu Mahlers 150. Geburtstag 2010 erschienene Mahler-Handbuch6 liefert keine Definition, sondern lediglich eine wortreiche Beschreibung in Jens Malte Fischers Biographie-Kapitel. Selbst der Katalog der Jubiläums-Ausstellung des Wiener Staatsopernmuseums mit dem Titel »Mahlers Opernreform und die Wiener Moderne« verweigert jegliche Aussage zu seinem Titelbegriff. Die Prozesshaftigkeit des über rund fünf Jahre sich erstreckenden gemeinsamen Wirkens von Mahler und Roller macht es zweifellos schwierig, dessen ästhetisches Resultat verbindlich zu definieren. Statt eine wohlfeile Definition ihrer „Opernreform“ zu liefern, ist es darum redlicher, deren zentrale Bestandteile zu beschreiben  : Einvernehmliche Konzeption der theatralischen Verlebendigung, entwickelt aus den geistigen und geschichtlichen Wurzeln des Bühnenwerks  ; aufeinander bezogene Ausführung von Inszenierung, Regie und Bühnengestaltung, kompromissloser Verzicht auf die Dekoration aus dem Thea­ terfundus zugunsten einer neuen, aus den künstlerischen Zeitströmungen gewonnenen Bühnenästhetik, schließlich deren im ständigen Miteinander vollzogene Umsetzung durch einen neuen Typus des „Singschauspielers“ in ein lebendiges, der „Wahrhaftigkeit“ verpflichtetes Bühnengeschehen – so lassen sich deren wesentliche Elemente wohl benennen. Die theatergeschichtliche Leistung dieser Reform wäre nicht ohne ästhetische Anregungen denkbar gewesen. Da waren zum einen die Ideen, die Richard Wagner in seinen dramentheoretischen Schriften zur Einheit von Musik, Gesang, Bewegung und Raum entwickelt hatte, zum anderen die Visionen, denen Edward Gordon Craig, vor allem aber der Westschweizer Adolphe Appia (mehr in theoretischen Schriften als in konkreten Bühnen-Realisierungen) Ausdruck verliehen hat. Wagners Theorie vom musikalischen Drama war Mahlers ästhetisches Credo, und Appias in seinen Büchern erhobene Forderung, „das unbelebte Bild in seiner fiktiven Gestaltung der wirklichen Gestalt des Darstellers anzupassen“7, bestätigte vollends Mahlers eigene Anschauungen. Wie stark der Einfluss der abstrakten, jede Realität radikal von der Bühne verbannenden Bildkompositionen Appias auf Roller gewesen ist, wird am Vergleich zwischen Appias »Tristan«Entwurf von 1896 und dem gleichen Motiv von Roller 1903 oder zwischen Appias »Rheingold« von 1892 und Rollers »Rheingold« von 1905 überdeutlich. Rein faktisch besteht die Wiener Opernreform aus den zwanzig Inszenierungen, die Gustav Mahler und Alfred Roller, beginnend mit »Tristan und Isolde« im Februar 1903, endend mit Glucks »Iphigenie in Aulis« im März 1907, in viereinhalb Spielzeiten an der

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Wiener Hofoper gemeinsam herausgebracht haben. In einem Fall, nämlich bei »Euryanthe« 1903, hat Roller nur die Kostüme entworfen, in einigen anderen, bei Hugo Wolfs »Corregidor« 1904, Wolf-Ferraris »Neugierigen Frauen« 1905 und der »Entführung aus dem Serail« 1906, nur die Bühnenbild-Entwürfe geliefert, die dann im sogenannten „Atelier Brioschi“, den von der Familiendynastie der Brioschi geleiteten Dekorationswerkstätten, in gebaute Bühnenelemente und gemalte Vorhänge, Prospekte und Soffitten umgesetzt wurden. Mahler war zutiefst überzeugt vom ganzheitlichen Charakter des Opernwerks, das nur in der nicht zu trennenden Einheit aus musikalischer Wiedergabe und szenischer Darstellung angemessen auf der Bühne realisiert werden kann. In dieser Auffassung fand er in Roller den idealen Partner für eine Erneuerung der in Konventionen erstarrten Operntradition des 19. Jahrhunderts aus dem Geist der Zeit, und das heißt  : aus dem Geist des Jugendstils. Mahler ging (unter Rollers Einfluss) zögernd, aber konsequent den Weg über das streng realistische, psychologisch determinierte Theater hinaus  ; seine Inszenierung von Glucks »Iphigenie« steht als Beweis dafür in den Annalen der Wiener Theatergeschichte. Roller dagegen gelang es unter dem Einfluss der zeitgenössischen Kunstströmungen, das Bühnenbild vom Hoftheaterpomp des 19. zur Stilbühne des 20. Jahrhunderts zu entwickeln. Wie in der musikalischen, so waren für Mahler auch in der szenischen Interpretation Genauigkeit, Deutlichkeit und Glaubwürdigkeit die höchsten Ziele seines Handelns. Er war diesen Prinzipien als Dramaturg und Regisseur verpflichtet und unterwarf in seinen Inszenierungen die Opernhandlung und ihre Darstellung durch die Sänger einem psychologisch fundierten Realismus, dem er nur in der letzten Phase seiner Wiener Tätigkeit vorsichtig stilisierende Elemente hinzufügte. Sein Reformbeitrag war, in heutiger Terminologie, die Emanzipation der Szene und ihre Befreiung aus der Vorherrschaft der Musik  ; dass es ein Musiker war, der das Gleichgewicht, die „Interdependenz“ zwischen Szene und Musik hergestellt hat, ist das eigentlich Sensationelle dieser Leistung. Gustav Mahler und Alfred Roller in Wien – die Reform der Opernbühne aus dem Geist des Jugendstils – was ist davon geblieben  ? Wir müssen ehrlich sein  : Das „glanzvolle Schauspiel“ (Hofmannsthal) des Zusammenwirkens zweier genialer Theaterkünstler am Beginn der Moderne, realisiert in mehr als einem Dutzend stilbildender Inszenierungen, ist – dem unerbittlichen transitorischen Gesetz des Theaters folgend – dahin, vergangen, hinabgeweht in den Orkus der Geschichte, und doch als eine Gipfelleistung menschlichen Geistes für alle Zeiten unverlierbar aufbewahrt im Gedächtnis der Menschheit.

NEUE SZENE  : ALFRED ROLLER Am 11. Mai 1897 hatte Gustav Mahler seine erste Vorstellung an der Wiener Hofoper dirigiert, Wagners »Lohengrin«. Genau vierzehn Tage später, am 25. Mai 1897, war eine Gruppe von 19 Malern, Architekten und Bildhauern aus der „Gesellschaft bildender Künstler Österreichs – Künstlerhaus-Genossenschaft“ ausgetreten. Zum Bruch mit der traditionsverhafteten Vereinigung, in der seit 1861 die „Erfolgreichen, die Schöpfer der Ringstraße versammelt waren und ruhend auf ihrem Ruhm auch ihre Geschäfte machten“ (Robert Waissenberger1), war es gekommen, weil in zwei eklatanten Fällen die künstlerischen Tendenzen und Interessen der Jungen auf den heftigen Widerstand der älteren Kollegen gestoßen waren. Hermann Bahr, stets allem Neuen zugetan, begrüßte „Unsere Secession“, wie der Auszug bald genannt wurde, mit einem aufmunternden Aufsatz in der von ihm herausgegebenen Wochenschrift »Die Zeit«2 und erkannte als Erster die Parallelität ihrer Bestrebungen mit denen ausländischer Künstlergruppen, wie sie einige Jahre früher, doch unter gleichen Umständen in Paris und München entstanden waren. Auch Ludwig Hevesi, der Kunstkritiker und spätere Historiograph der Bewegung, lenkte mit seinen Aufsätzen im Wiener »Fremden-Blatt« und im »Pester Lloyd« den Blick gleich über die Wiener Lokalszene hinaus  : „Das junge Ausland jubelt ihnen seinen Gruß zu. Neu-München, Neu-Berlin stehen wie ein Mann zu Neu-Wien“3  ; er formulierte auch die zentrale Forderung der neuen Künstlervereinigung, die Wien acht Jahre lang mit den Tendenzen des beginnenden 20. Jahrhunderts bekannt machen sollte  : „Der Herd des neu entzündeten Feuers muß selbstverständlich, wie in München, ein eigenes Ausstellungsgebäude sein. Ein neues, freies Künstlerhaus. Von da aus ist vielleicht selbst die Akademie zu erobern, wiederum wie in München, und von da aus kann sich endlich eine moderne Kunstgalerie, ein Wiener »Luxembourg« zusammenfinden“.4 Joseph Maria Olbrich baute der neuen Künstlergruppe ihr Haus, das für alle Zeiten den Namen des Ereignisses bewahrt, dem sie ihre Entstehung verdankt  : „Secession“. Am 25. März 1898 wurde, noch im Gebäude der Gartenbaugesellschaft, die erste Ausstellung der Secessionisten eröffnet, doch schon am 12. November 1898 konnten sie das Gebäude der Secession in Besitz nehmen. Über dem Eingang trug es (und trägt es heute wieder) die von Ludwig Hevesi verfasste Inschrift  : „Der Zeit ihre Kunst – der Kunst ihre Freiheit“. Wortführer und erster Präsident der Wiener „Secession“ war Gustav Klimt, den Ehrenvorsitz übernahm der 85-jährige Rudolf von Alt, der sich aus künstlerischer Sympathie zu den Jungen gesellt hatte. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten, neben den Architekten Josef Hoffmann und Joseph Maria Olbrich, die Maler Carl Moll, Josef Engelhart und Wilhelm Bernatzik. Später stießen Koloman Moser

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und Max Kurzweil, Wilhelm List und Emil Orlik, Adolf Hoelzel und Alfred Roller hinzu. Alfred Roller, 1864 (also vier Jahre nach Mahler) in Brünn als Sohn eines Mittelschullehrers geboren, stammt aus einer Familie, in der künstlerische Neigungen nicht selten waren. Auf Wunsch des Vaters, der ihm eine Beamtenlaufbahn bestimmt hatte, musste Roller jedoch die Wiener Universität besuchen, wo er sich an der juridischen Fakultät inskribierte. Nach drei Semestern wechselte er an die Wiener Kunstakademie, wo er zunächst einen Kurs für Aktzeichnen belegte, später Christian Griepenkerls Klasse für Monumentalmalerei besuchte und schließlich in der „Landschaftsklasse“ des berühmten Landschaftsmalers Eduard Peithner von Lichtenfels landete, ohne freilich schon zu seiner eigentlichen künstlerischen Bestimmung zu finden. Erst als Roller, 34-jährig, zu der Künstlergruppe um Klimt und Moll stieß und aus dem Kreis gleichgesinnter, ebenso „modern“ empfindender Kollegen-Freunde Anregung und Bestätigung erfuhr, klärte sich auch der berufliche Weg, der ihn zu den „angewandten Künsten“ führen sollte. Roller war von Beginn an Hauptredakteur der Zeitschrift »Ver Sacrum«, des „Officiellen Organs der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs“, und steuerte zu den zahlreichen Ausstellungen und Veröffentlichungen der Secession Plakate und Buchschmuck bei. 1900 wurde er von Felician von Myrbach, dem neuen, fortschrittlichen Direktor der Wiener Kunstgewerbeschule, als Lehrer an diese Anstalt berufen, deren Leitung er später, nach seinem Abgang von der Wiener Hofoper 1909, übernehmen sollte. Roller war Präsident der Secession, als eine besonders denkwürdige Ausstellung im Frühjahr 1902 den Anlass für die Begegnung von Mahler und Roller schuf, aus der jene höchst ungewöhnliche schöpferische Zusammenarbeit erwuchs, die Theatergeschichte schreiben sollte. Es handelte sich um die erste öffentliche Präsentation der knapp zuvor fertiggestellten monumentalen Beethoven-Skulptur, die der Leipziger Bildhauer Max Klinger in jahrelanger Arbeit und unter Verwendung edelster Materialien geschaffen hatte. Klinger war für die Secessionisten eine verehrungswürdige Figur, und so war es Gegenstand einer – in vielen Briefen dokumentierten – leidenschaftlichen Bemühung Rollers gewesen, Klingers „Beethoven“ gerade in Wien erstmals zu zeigen. Alle Mitglieder waren aufgerufen, das Innere des Secessionsgebäudes auf dieses beinahe kultisch präsentierte Werk hin zu schmücken und zu gestalten. Im linken Seitensaal des Gebäudes, den der Besucher als erstes betrat, fand sich, gleichsam als Einstimmung in das Thema, ein monumentaler Wandzyklus von Gustav Klimt, der sogenannte Beethovenfries. Er war, wie alle Beigaben der Secessionisten, lediglich als temporärer Schmuck gedacht, ist durch glückliche und schier unglaubhafte Umstände erhalten geblieben und wird heute – an nahezu der gleichen Stelle wieder angebracht – als eigenständiges Kunstwerk angesehen, ja er gilt als einer der Höhepunkte des Wiener Jugendstils überhaupt. Gleichzeitig ist er durch ein Bildelement mit

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der Figur Gustav Mahlers verknüpft. Das Thema des Frieses bezieht sich auf Richard Wagners ästhetisch-philosophische Interpretation der Neunten Symphonie von Ludwig van Beethoven. Der „wohlgerüstete Starke“ auf der linken Seitenwand – von Hevesi als „kraftvoll hingepflanzte Gestalt eines Ritters in goldener Rüstung, der, auf sein blankes Schwert gestützt, das Hilfeflehen notbedrängter, abgezehrter Menschen anhört“5, beschrieben – trägt unverkennbar die Züge Gustav Mahlers. Der Hofoperndirektor, den die künstlerische Jugend Wiens geradezu vergötterte, war in der Bildkomposition Klimts, die Wagners Beethoven-Interpretation auf etwas dubiose Weise zu einem mystischen Menschheitsgleichnis verlängerte und steigerte, wohl die einzige Symbolfigur, die geeignet erschien, „das Ringen nach dem Glück“6 aufzunehmen. Da war es nur naheliegend, dass Gustav Mahler auch ganz leibhaftig an der KlingerEhrung der Secessionisten teilnahm. Höchstwahrscheinlich hat Alma Mahler, Stieftochter des Malers und Secessionsmitgliedes Carl Moll, damals seit knapp einem Monat Mahlers Ehefrau, die Verbindung zu Roller hergestellt. Sie, die als knapp 20-Jährige eine „Beinahe-Affäre“ mit dem 12 Jahre älteren Gustav Klimt hatte, verkehrte nach wie vor in den Kreisen der Wiener Bohème, und es liegt bei ihrer Mehrfachbegabung und ihren enormen gesellschaftlichen Ambitionen auf der Hand, dass sie es war, die Mahler die Idee eingegeben hat, durch ein Beethoven-Pasticcio der Ausstellungseröffnung von Klingers Monumentalplastik die würdige musikalische Umrahmung zu geben. Max Mell in seiner kleinen Roller-Monographie von 1922  : „Nach einer Ansprache des Präsidenten bliesen sechs Posaunen, die im ersten Stockwerk des Hauses aufgestellt waren, die Weise aus dem »Lied an die Freude«  : ‚Ahnest du den Schöpfer, Welt  ? Such ihn überm Sternenzelt, Über Sternen muß er wohnen.‘ Dirigent dieser Bläser war Gustav Mahler, der Direktor der Hofoper, mit dem Alfred Roller an diesem Tage das erstemal zusammenkam“7 Wo, wann und wie auch immer der erste Kontakt zwischen Mahler und Roller stattgefunden hat  : Tatsache ist, dass Roller Ende 1902 als Gast für die Hofoper tätig wurde und zunächst für Mahlers Neuinszenierung von Webers »Euryanthe«, die am 19. Jänner 1903 Premiere hatte, die Kostüme schuf. Erst danach trat er als Bühnenbildner für die Neuinszenierung von Wagners »Tristan und Isolde« am 21. Februar 1903 in Erscheinung, mit der Mahler eine neue Ära des Musiktheaters einläuten sollte. Vom 1. Juni 1903 an ist Roller schließlich – gleichzeitig beurlaubt von seiner Lehrtätigkeit an der Kunstgewerbeschule – als „Vorstand des Ausstattungswesens“ fest an die Wiener Hofoper verpflichtet. Durch die Forschungen von Wolfgang Greisenegger, dem der Erwerb des RollerNachlasses durch die Theatersammlung der Österreichischen Nationalbibliothek und dessen Präsentation im neuen Österreichischen Theatermuseum in Wien zu danken

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ist, wissen wir Genaueres über Motivation und Hintergründe der Berufung Rollers  ; er schreibt  : „Mahler fand in seinem Institut ein Ausstattungsteam vor, das von sich behaupten konnte, einen Standard erreicht zu haben, der es verdiente, für die Bühnen Europas als Vorbild zu gelten. Das jüngste Mitglied der Bühnenbildnerdynastie Brioschi, Anton, leitete die Dekorationswerkstätten (das Atelier Brioschi hatte wenige Jahre davor nicht nur Mitteleuropa mit seinen Ausstattungen beliefert). Franz Gaul, der bedeutende Graphiker und Kostümfachmann, war für das gesamte Ausstattungswesen verantwortlich. Erst nach dem Tod Gauls8 unternahm Mahler einen ersten entscheidenden Schritt zur Reform des Szenischen. Er bestand darauf, daß nicht der logische Nachfolger Gauls, Brioschi, die Leitung des Ausstattungswesens übertragen erhielt, sondern ein bildender Künstler, der Maler und Graphiker Heinrich Lefler, ein Vertreter des gemäßigten Wiener Jugendstils. Die von der Kritik in hohem Maß gewürdigte Mitarbeit Leflers war aber nur von kurzer Dauer. Nach weniger als dreijähriger Tätigkeit verließ er die Oper, um als Nachfolger von Peithner (Spezialklasse für Landschaftsmalerei) eine Meisterklasse an der Wiener Akademie der bildenden Künste zu übernehmen, eine Professur, die für Klimt bestimmt gewesen zu sein schien. Offenbar konnte Lefler Mahlers Ansprüchen an eine grundlegende Reform des Musiktheaters nicht genügen. Mahler blieb auf der Suche nach geeigneten Mitstreitern. Nur so ist das Engagement Rollers zu verstehen.“9 Man kann davon ausgehen, dass Mahler schon bei den Besprechungen über den Ablauf der Festlichkeit Roller ausführlicher gesprochen, wenn nicht überhaupt erstmals getroffen und dabei kennengelernt hat. Jedenfalls war Wagners »Tristan« Gesprächsthema der beiden von der ersten Begegnung an, und wurde schließlich zum bis heute bewunderten Gegenstand ihrer ersten Zusammenarbeit – und zu einer würdigen Feier von Wagners zwanzigstem Todestag (Premiere  : 21. Februar 1903). Es folgten in den nächsten drei Spielzeiten Neuinszenierungen etlicher Werke, die jedes Opernhaus als zentrale Repertoirestützen und künstlerischen Leistungsnachweis präsentieren muss – Verdis »Falstaff«, Wagners »Lohengrin«, Beethovens »Fidelio« –, aber auch die Raritäten des Spielplans wie Hugo Wolfs »Corregidor«, Wolf-Ferraris »Neugierige Frauen«, »Der Widerspenstigen Zähmung« von Hermann Goetz und Glucks »Iphigenie in Aulis«. Höhepunkt und theatergeschichtliches Vermächtnis des Zusammenwirkens von Gustav Mahler und Alfred Roller sind freilich die fünf „großen“ Mozart-Opern, mit denen die Wiener Hofoper des 150. Geburtstages Mozarts gedachte, und Wagners »Ring des Nibelungen«, von dem Mahler nur »Das Rheingold« und »Die Walküre« realisieren konnte, ehe er seine Demission einreichte. Liest man die Reflexions-, Erinnerungs- und Erfahrungstexte genau, die Roller10 (leider nicht auch Mahler) zu ihrem gemeinsamen Werk veröffentlicht hat, wird sehr schnell deutlich, dass Operndirektor und Ausstattungsleiter bei der Erneuerung des Bühnengeschehens der Wiener Hofoper nicht nur individuelle Ansätze, sondern auch

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unterschiedliche Funktionen hatten. Es gab kein am Schreibtisch entwickeltes Konzept mit gemeinsamer theoretischer Grundierung, keinen „Masterplan“ mit klar vorgegebenen Prozess-Schritten, keine Fünfjahresplanung mit vorher festgelegten Operntiteln zur Beweisführung für ausgedachte Reformideen. Rollers entscheidende Leistung war die Überwindung des realistischen Bühnenbilds durch die Schaffung stilisierender, ja symbolhafter Bühnenräume. Mahler dagegen hatte sich weiter reichende Ziele gesetzt  : Seine Tätigkeit zielte auf eine grundlegende Erneuerung aller Elemente des Theaters – Bühne, Orchester, Sänger, Technik, Spielplan, Dramaturgie – mit dem Ziel der „Wahrhaftigkeit“ jedes einzelnen Opernwerks in jeder einzelnen Aufführung. Mahler wünschte, seine als Dirigent verfochtenen Interpretations-Maximen von Deutlichkeit, Genauigkeit und Glaubwürdigkeit mit Rollers Hilfe auch auf der Bühne verwirklicht zu sehen. Roller schickte sich an, zusammen mit den Theaterkonventionen des 19. Jahrhunderts auch den Realismus hinter sich zu lassen und eine Bühne zu konzipieren, auf der „alles bloß bedeuten, nichts sein soll“11. Roller nennt seine Arbeiten deshalb auch immer wieder „Experimente“, deren Ausführung er dem zögerlichen Mahler abringen musste. Seine Bühne für den »Don Giovanni« vom Dezember 1905 war wohl so etwas wie eine Grenzerfahrung für Mahlers Fortschrittlichkeit. „Nachdem er den theatralischen Sinn der (uralten) Neuerung“ – gemeint sind die von ihm eingeführten fahr- und drehbaren Proszeniums-„Türme“ – „erkannt hatte“, schreibt Roller, „wankte er in ihrer Verteidigung auch dann nicht, als sie hierorts wenigstens einer geräuschvollen Ablehnung begegnet war. Bloß weitere Versuche in dieser Richtung wollte er nicht zulassen. Die Aufmerksamkeit des Publikums solle auf die Musik gerichtet bleiben und nicht durch den Streit um die Szenengestaltung abgelenkt werden, und ich konnte lediglich durch den Hinweis auf wertvolle praktische Vorteile, nämlich auf starke Kostenverminderung, erreichen, daß er mir bei der kurz auf den »Don Giovanni« folgenden Neuinszenierung der »Iphigenie in Aulis« von Gluck einen noch viel radikaleren Versuch zur Vereinfachung der Szene gestattete.“12 Mit der Neuinszenierung der »Iphigenie in Aulis« betrat Roller theatergeschichtlich gesehen Neuland. Das Bühnenbild bestand nur aus glatten hellen Vorhängen. Fraglos hat eine nach den Orthogonalen ausgerichtete, Raum im Hintereinander von flächigen Elementen konstruierende Bühnengestaltung der Regie Mahlers allerhand Mühe bereitet. Die gewollte Einfachheit, die kein Pathos duldete, erforderte eine strenge, choreographisch sensible Bewegungsregie. Nach dem Eindruck, den sie auf den Kritiker der »Neuen Freien Presse« Julius Korngold machte, war sie geglückt  : „Szene  : das bedeutet hier zuallerletzt die Dekoration, vor allem vielmehr Haltung und Bewegung der handelnden Personen, Gruppierungen, Aufzüge, Tänze, Kostüme. Man glaubt lebendig gewordene Figuren antiker Reliefs zu sehen  ; es wird oft wie von unsichtbaren Piedestalen herab gesungen  ; Klytemnästra und Iphigenie bilden … gleichsam

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immer eine Marmorgruppe ‚Mutter und Tochter‘. Der Tanz wird durch den antiken Reigen bestritten  ; ein Schreiten und Schweben in gemessenen Kadenzen … Über all dem waltet ein wohltuendes Maß, nirgends eine Übertreibung, nirgends der falsche Ton eines gesuchten Effekts.“13 Der leicht kunstgewerbliche, folkloristisch-griechentümelnde Ausführungsstil dieser Szenenlösung und Regieführung mag uns heute befremden, und so wie bei Klingers »Beethoven«, der den Anfang und Ausgangspunkt der Zusammenarbeit von Mahler und Roller darstellt, mag auch bei Glucks »Iphigenie«, die an deren Ende steht, ein falsches historisches Bewusstsein am Werk gewesen sein, um zeitlich fernes Heroentum in den Stil-Kanon einer zeitgemäßen „modernen“ Ästhetik von 1900 zu verwandeln. Wichtiger aber als die „Richtigkeit“ der Roller’schen Stilbühne ist ihre theatergeschichtliche Wirkung. Schließlich hat Mahler mit der Berufung des Nicht-Bühnenfachmanns Roller den Weg bereitet für die Einbeziehung der bildenden Kunst in das Metier des Theaters – ein Weg, dem Roller bis heute unzählige bedeutende Künstler gefolgt sind, von Munch und Slevogt, Schlemmer und Moholy-Nagy über Picasso, Braque und Léger bis Kokoschka und Wotruba, David Hockney und Günter Uecker, Georg Baselitz und Neo Rauch. Die entscheidende Leistung, die Alfred Roller an der Seite Gustav Mahlers vollbrachte, ist die Überwindung des realistischen Bühnenbilds durch die stilisierende Verwendung der Elemente Raum, Licht und Farbe. Unleugbar wird in diesem Vorgang der Einfluss Adolph Appias (1862–1928) deutlich, dessen zwei theoretische Schriften »La mise en scène du drame Wagnerien« (1895 in Paris erschienen) und »Die Musik und die Inszenierung« (München 1899) im Kreis der Secessionisten diskutiert wurden und vermutlich auch dem kunsttheoretisch interessierten und in ästhetischen Fragen fortschrittlichen Operndirektor Mahler bekannt waren, während die wahrhaft revolutionären Bühnenbildentwürfe Appias – zu Teilen von Wagners »Ring« (1891/92), zu »Tristan« und »Parsifal« (1896) – unrealisiert und damit der Öffentlichkeit unbekannt blieben. Noch vor Edward Gordon Craig, dem in London und Florenz wirkenden Bühnenreformator an der Schwelle des 20. Jahrhunderts, hatte der Westschweizer Appia eine Theaterkunst visionär erträumt und theoretisch gefordert, deren symbolische Kraft die Wirklichkeit transzendiert. „Acteur – espace – lumière“, „der darstellende Mensch – der Raum – das Licht“  : In diese drei Begriffe fasst Appia das Wesen seiner neuen, antinaturalistischen, versinnbildlichenden und damit abstrahierenden Bühnenkunst, zu deren Verwirklichung die Einheit von Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner postuliert wird. Aus Licht und Bewegung, Linie und Farbe schafft Appia – wie etwa gleichzeitig, doch ohne Kenntnis der gleichgesinnten Bestrebungen, Gordon Craig – eine theatralische „Atmosphäre“, die gleichzeitig Essenz und Symbol des dargestellten Werkes ist  ; dafür eliminieren beide alles auf der Bühne, was keine strenge Funktion im Stück hat, und reduzieren die Ausdrucksmittel des Theaters auf dessen ursprüngliche Elemente  : Mimus, Bewegung und Tanz. Während Craig die Bedeutung der darstellenden Bewegung sogar

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höher veranschlagt als das dichterische Wort, bleibt Appias Reform „von einer höheren Macht beherrscht und gelenkt  : der Musik“.14 Genährt von den Ideen Appias, geprägt von der secessionistischen Kunstanschauung und -gestaltung, unternimmt Alfred Roller den Versuch, das realistisch-illusionistische Bühnenbild der Vergangenheit durch eine neuartige Bühnenraum-Gestaltung zu ersetzen, die den singenden, darstellenden Menschen, statt ihn mit naturalistischen „Dekorationen“ einzuengen, in einen imaginären, aus Licht und Farbe bestehenden szenischen Raum stellt. Wie eine Bestätigung dieses Vorhabens muss ihm und Mahler der Aufruf erschienen sein, den der Kulturphilosoph Hermann Graf Keyserling 1903 an die deutschen Theaterleiter richtet, nachdem er Appias Bühnenreform bei einer Privataufführung in Paris kennengelernt hat  ; am Schluss dieses Aufrufs heißt es  : „Mögen die, welche es ernst meinen mit dem deutschen Theater, nicht zögern, die eben aufgekommene Saat nach Deutschland zu verpflanzen.“15 Es ehrt die Wiener Oper für alle Zeiten, dieser Forderung nachgekommen zu sein und, noch vor Köln, Freiburg, Leipzig und Basel, als erste Bühne auf dem Gebiet der szenischen Darstellung den Schritt ins 20. Jahrhundert getan zu haben. Roller selbst war sich der exemplarischen Bedeutung seiner Theaterarbeiten, mit denen er das realistische Bühnenbild des 19. Jahrhunderts überwand, voll bewusst. Er bekennt  : „Die Dekoration darf nie und nimmer Selbstzweck sein. Sie darf nicht den Eindruck einer für sich bestehenden, neben oder gar über der Dichtung existierenden Realität erwecken. Sie ist dazu da, zugleich mit dem Aufgehen des Vorhanges einen Auftakt der Stimmung zu geben, die der Dichter oder Musiker seinem Publikum zu vermitteln wünscht. Das Szenische spielt also unbedingt eine zweite Rolle  ; der Maler ist nur ein untergeordneter Diener des Werkes. Er ‚dekoriert‘ nicht, er ist kein Illustrator der Bühnenvorgänge, sondern er schafft in äußerster Selbstlosigkeit den Rahmen, dessen das Kunstwerk bedarf.“16 Und an anderer Stelle  : „Um das Theater neu zu gestalten, will man beim Ausstattungswesen anfangen. Aber ist das nicht ganz verkehrt  ? Die Inszenierung ist doch durchaus eine Rahmenkunst, niemals Selbstzweck, eine durchaus sekundäre Sache, die ihre Gesetze und Regeln immer nur dem Werke entnehmen kann, um das es sich gerade handelt, und die kein anderes Gesetz haben kann, als die ganz besonderen, oft ganz einzig dastehenden Forderungen dieses Werkes zu erfüllen. Was für einen Sinn hat es dann also, eine neue Inszenierungsmethode zu suchen  ? ‚Sind Sie für die stilisierte oder für die Illusionsbühne  ?‘ wird man alle Augenblicke gefragt, ‚für plastische Dekorationen oder Vorhänge  ?‘ – etwa so, wie man bei Tisch gefragt wird  : ‚Nehmen Sie Weißwein oder Rotwein  ?‘ In allen diesen Fragen gibt es ja keine Wahl, sie sind in dem zu inszenierenden Werk beantwortet. Man muß die Antwort nur herauszulesen oder herauszuhören verstehen  ! Jedes Kunstwerk trägt das Gesetz seiner Inszenierungen in sich.“17

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Rollers historische Leistung besteht nicht nur in der Schöpfung von neuartigen Bühnenraum- und Kostüm-Entwürfen, in denen sich seine Ideen manifestieren, sondern mehr noch in der Verwirklichung dieser Konzepte und Entwürfe auf dem lebendigen Theater. So wird die überlegte Wahl der Materialien und Stoffe, aus denen die Dekorationen und Kostüme gefertigt sind, ebenso zu einer wesentlichen Voraussetzung für die beabsichtigte Bühnenwirkung wie die Abhaltung und Leitung der Dekorations- und Beleuchtungsproben, in denen die Möglichkeiten der Lichtregie ausgekundschaftet und die imaginären Handlungsräume für die singenden Darsteller „komponiert“ werden. (Dass Mahler als Regisseur und Künstler dieses ständige Experimentieren mit höchster aktiver Anteilnahme verfolgte, als Theaterdirektor aber dadurch gleichzeitig in große Schwierigkeiten mit der vorgesetzten Behörde geriet – er muss sich wegen „überlanger Nachtproben“ verteidigen, muss sich überflüssige Ausgaben für falsch konzipierte und später abgeänderte Dekorationsteile vorwerfen lassen –, sei nur am Rande erwähnt.) Mit Roller, schreibt Lisa Kitzwegerer in ihrer Arbeit »Alfred Roller als Bühnenbildner«, „setzte sich der Impressionismus auf der Bühne durch Roller überwand als einer der ersten die alte Guckkastenbühne und stellte ihr ein Szenenbild gegenüber, das, einfach und klar in seiner Linie, schon rein optisch den dramatischen Gehalt des Bühnenwerkes zum Ausdruck brachte.“18 Vor allem kannte Roller „das Geheimnis des Lichtes  : Er wußte, wie das Licht die Formen verändert, wie es sie erhöht, auflöst und auch ins Märchenhafte verzaubert.“19 Dabei arbeitete er nur wenig mit dem Mittel der Projektion, weil, wie er später in einem Interview feststellte, „dieses Verfahren noch nicht genügend ausgearbeitet ist  ; der Gegensatz zwischen durchfallendem und auffallendem Licht ist noch nicht vollendet“20. „Für Wort und Gebärde von Dichter und Darsteller den willig mitschwingenden Luftraum herzustellen“, nicht bloß Dekorationen und Figurinen zu schaffen, sondern „die bauliche Umwelt des dramatischen Spiels“21  : So definiert Roller selbst seine Aufgabe als Bühnenbildner. Manche der von ihm gefundenen szenischen Lösungen – die Bespielung des Proszeniums, die Benützung fester Türme für rasche szenische Verwandlungen – sind längst Theatergesetz, andere haben als Modell und Anregung auf die bedeutendsten Regisseure und Bühnenbildner der Folgezeit starken Einfluss ausgeübt. Wieland Wagners „Neubayreuth“ wäre ohne das Vorbild der Wagner-Inszenierungen Alfred Rollers nicht denkbar. Bald nach Mahlers Demission resignierte auch Roller. Am 31. Mai 1909 endete sein Vertrag als „Vorstand des Ausstattungswesens“. Das Opernhaus am Ring, mit dem Ende der Monarchie von der Hofoper zur Staatsoper geworden, konnte die Dienste des großen Künstlers jedoch nicht entbehren  : Er kehrte am 1. November 1918 in diese Position zurück und bekleidete sie, unter den wechselnden Direktionen Gregor, Schalk, Strauss, Krauss und Weingartner, bis zu seinem Tod am 21. Juni 1935. Dazwischen und daneben arbeitete Roller für das Schauspiel. Hier sind, neben dem Shakespeare-Zyklus für

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Neue Szene  : Alfred Roller

das Wiener Burgtheater, vor allem seine Ausstattungen für den großen Inszenator Max Reinhardt – Goethes »Faust« und Hofmannsthals »Jedermann«, »Die Orestie« des Aischylos und »König Ödipus« von Sophokles – von theatergeschichtlicher Bedeutung. Das Glück der Erfüllung schöpferischen Zusammenwirkens wie mit Mahler erlebte Roller freilich nur noch ein einziges Mal nach dem Abgang Mahlers aus Wien  : beim »Rosenkavalier« von Hofmannsthal und Strauss, den er gemeinsam mit Reinhardt am 26. Jänner 1911 in Dresden zur Uraufführung brachte.

DAS KAPITEL WIENER PHILHARMONIKER Richard Wagner, der das musikalische Gesicht des 19. Jahrhunderts so grundlegend veränderte, hat auch die vorher selbstverständliche Einheit von Komponist und Dirigent zerbrochen. Der Vorgang lässt sich genau datieren  ; er geschah, als Wagner für die Uraufführungen des »Tristan« und der »Meistersinger« Hans von Bülow berief, um sich selbst um so intensiver der Regie widmen zu können, und als er aus den gleichen Gründen Hans Richter die musikalische Leitung der »Ring«-Tetralogie zur Eröffnung des Bayreuther Festspielhauses übertrug. Weit entfernt noch von jeder schulgerechten Ausbildung zum Dirigenten (erst 1909 wurde dem Wiener Konservatorium, der Ausbildungsstätte Gustav Mahlers, eine „Kapellmeisterschule“ angegliedert), erwuchsen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Bülow, Richter, Felix Mottl, Hermann Levi, Ernst von Schuch und Arthur Nikisch auf deutschem Boden die ersten professionellen Dirigenten, deren Ruhm sich an die Durchsetzung der jeweils „modernen“ und umstrittenen Musik – Wagner, Bruckner, Brahms, Strauss – heftete. Mit Hans von Bülow in Meiningen und später an der Spitze der Berliner Philharmoniker, mit Hans Richter in München, in Pest und – mehr als zwei Jahrzehnte lang – in Wien, schließlich mit Hermann Levi in Karlsruhe und München sind im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts drei Orchestererzieher am Werk, denen gleichzeitig mit der Ausbildung von hochqualifizierten Instrumentalkörpern auch die Schaffung eines neuen Interpretationsstils gelingt, auch für die „klassische“ Musik zurück von Beethoven bis Bach. Die neuen Errungenschaften der verbesserten Instrumentaltechniken, der umfangreicher und differenzierter gewordenen Orchesterbesetzungen und des kompositorischen Fortschritts im Gefolge der Romantiker finden in diesem neuen Interpretationsstil der Dirigenten nach 1875 wie selbstverständlich ihren Niederschlag. An diesen erreichten Standard anknüpfend, bestimmen Dirigenten wie Arthur Nikisch, der bis heute unvergessene Leiter der Leipziger Gewandhaus-Konzerte, der als bedeutendster Konzertdirigent seiner Zeit galt, wie Ferdinand Löwe, Felix Weingartner, Franz Schalk, Leo Blech und vor allem Richard Strauss von Deutschland und Wien aus das Niveau europäischer Dirigentenkunst um die Jahrhundertwende. Höhepunkt und vorläufiges Ende dieser Entwicklung ist Gustav Mahler, der das Ausdrucksmusizieren in einer für seine Zeit singulären Radikalität und Perfektion zum Interpretationsprinzip macht  ; gleichzeitig wird er, in einer von Richard Wagner über Richard Strauss bis zu Pierre Boulez weder vorher noch nachher je erreichten, künstlerisch wie ethisch legitimierten Kompromisslosigkeit, zum Missionar des eigenen Werks.

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Die Wesensverschiedenheit von Hans Richter und Gustav Mahler ist oft beschrieben und analysiert worden. Max Graf, Zeitgenosse der beiden und hochgebildeter Musikkritiker, hat den Unterschied auf die vielleicht schlagendste Formel gebracht  : „Wo die Grenzen Richters enden, fängt die Begabung Mahlers erst an.“1 Erst aus dem zeitlichen Abstand heraus vermögen wir heute zu erkennen, dass der Wechsel von Richter zu Mahler nicht nur die Abfolge zweier gegensätzlicher Persönlichkeiten in den beiden höchsten Wiener Dirigentenämtern bedeutet hat, sondern die Ablösung eines wohl verdienstvollen, doch ausgedienten Kunstsystems durch ein revolutionär sich Durchbruch verschaffendes modernes System. Mahler gilt uns heute als erster „Ausdrucksdirigent“ moderner Prägung und hat in den Augen seiner Zeit sicher nicht nur als Komponist, sondern auch als ausübender Musiker den „modernsten“ Stand der Entwicklung bezeichnet – für das große Publikum ein Objekt der Schaulust, für die Kritik ein bald bewunderter, bald attackierter Nervenkünstler, für viele „Kollegen“ – eingestandener- oder uneingestandenermaßen – ein nachgeahmtes Vorbild. Ohne eigentlich eine „Schule“ zu bilden, ist Mahler zum Ahnherrn und Inbegriff eines bis heute verbindlichen Dirigententyps geworden, weniger dank der äußerlichen Momente von Dirigierstil und Dirigiertechnik (die sich mit zunehmendem Alter veränderten), als vielmehr durch die musikalisch-geistige Ernsthaftigkeit der Hingabe an den Willen der Partitur. Dafür hat Arnold Schönberg in der Prager Rede von 1912 beredte Beweise und, im Hinweis auf die eigene schöpferische Produktivität Mahlers, eine einleuchtende Erklärung gefunden. Es erscheine ihm „fast kleinlich, neben dem Komponisten Mahler nun auch vom Dirigenten“ zu reden, findet Schönberg und begründet dies so ausführlich wie überzeugend  : „Der Produktive erzeugt in seinem Innern ein genaues Bild von dem, was er wiedergeben wird  ; hinter dem darf die Aufführung ebensowenig zurückbleiben wie alles, was er aus sich hervorbringt. In wenigem nur unterscheidet sich solches Reproduzieren vom Produzieren  ; fast ist nur der Weg ein anderer. Erst wenn man sich das klargemacht hat, begreift man, wieviel mit den anspruchslosen Worten gesagt ist, mit denen Mahler selbst sein höchstes Ziel als Dirigent bezeichnete  : ‚Ich rechne es mir als mein größtes Verdienst an, daß ich die Musiker dazu zwinge, genau das zu spielen, was in den Noten steht.‘“2 Auch der Dirigent und Musikwissenschaftler Peter Gülke, der dem Thema „Mahler als Interpret“ zwei eingehende Studien3 gewidmet hat, sieht in Mahlers Professionalität als Komponist die Begründung für seine Professionalität als Dirigent. Er schreibt  : „Wo hört der Komponist auf, wo fängt der Interpret an  ? – wer so fragt, setzt eine Arbeitsteilung voraus, welche der Totalität, dem Anspruch und Ethos von Mahlers Wirksamkeit fremd ist. Der Komponist, angefangen bei der einzelnen Note, lässt sich ohne den Interpreten nicht verstehen, der Interpret, angefangen bei irgendeiner kleinen Tempomodifikation, nicht ohne den Komponisten.“4

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Mahlers Wiener Wirken als Konzertdirigent ist untrennbar mit dem Klangkörper der Wiener Philharmoniker verbunden. Mahler hatte die Leitung der Philharmonischen Konzerte drei Spielzeiten lang inne – 1898/99, 1899/1900 und 1900/01 – und dirigierte das Orchester außerdem in einer Reihe von Einzelkonzerten, die fast ausnahmslos der Aufführung moderner Werke, zum größten Teil eigener Kompositionen, gewidmet waren. Um das Missverhältnis zwischen Mahlers zehnjährigem Wirken an der Spitze des Hofopernorchesters im Opernhaus und seiner lediglich dreijährigen Tätigkeit als Leiter der Abonnementkonzerte der Wiener Philharmoniker zu erklären, bedarf es einer Bemerkung über die „Struktur“ dieses Orchesters. Der rechtliche Status der Wiener Philharmoniker ist nämlich ein Unikum im europäischen Musikleben. Sie stellen dank ihrer Statuten von 1886 die als Verein organisierte „Konzertvereinigung“ des Opernorchesters (früher  : Hofopern-, heute  : Staatsopernorchesters) dar. Da für den täglichen Proben- und Aufführungsbetrieb des Opernhauses mehr Musiker vonnöten sind als für die vergleichsweise wenigen Philharmonischen Konzerte, gab und gibt es mehr Mitglieder des Opernorchesters als des Vereins »Wiener Philharmoniker«  ; und da die Einkünfte aus ihrer Konzert- (und heute  : Medien-, Reise- und Fernseh-)Tätigkeit den Musikern zusätzlich zu ihren Gehältern im Opernhaus zufließen, ist die Philharmoniker-Zugehörigkeit begreiflicherweise auch eine begehrte Aufwertung von Salär und Status. (Gerade über die Anerkennung von Musikern des Hofopernorchesters als „Philharmoniker“ sollte es denn auch mit Gustav Mahler zu einem Streit kommen.) Für das krisenhafte Verhältnis zwischen dem Orchester und Gustav Mahler, das trotz aller gemeinsamen künstlerischen Großtaten bis zum heutigen Tage ein Signum ihrer Zusammenarbeit geblieben ist, ist der rechtliche Doppelstatus der Orchestermusiker also konstitutiv. Als Mitglieder des Hofopernorchesters waren sie Angestellte der kaiserlichen Hoftheater und somit dem jeweiligen Hofoperndirektor unterstellt, als „Philharmoniker“ sind sie ausübende Mitglieder einer autonomen Vereinigung, die sogar ihren künstlerischen Leiter selbst bestellen kann. „Die psychologisch schwierige Situation, als philharmonischer Dirigent vom demokratischen Willen derselben Musiker abhängig zu sein, die in der Oper seine Untergebenen waren“, schreibt Clemens Hellsberg im Kapitel „Freiheitskampf“ seines Philharmoniker-Buches »Demokratie der Könige«, veranlasste ihn [Mahler] im Jahre 1901 zum Rücktritt von den Abonnementkonzerten.“5 Zunächst freilich lag nichts näher, als dass sich die Wiener Philharmoniker, die Mahler in der Oper nicht nur als ihre oberste musikalische Instanz zu akzeptieren hatten, sondern von ihm dort auch zu außergewöhnlichen Leistungen und Erfolgen beflügelt wurden, seiner Fähigkeiten auch als Konzertdirigent versichern würden. Man darf deshalb an der Behauptung in einer Tagebuchaufzeichnung von Mahlers Freundin Natalie Bauer-Lechner, dass am 26. September 1898 eine Abordnung der Wiener Philharmoniker „zu Mahlers größter Überraschung“ gekommen sei, „ihn zu bitten, er möge die

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Leitung der philharmonischen Konzerte übernehmen“6, seine gelinden Zweifel haben. In der Tat haben erst die Öffnung der Archivbestände der Wiener Philharmoniker und die Veröffentlichung der dort liegenden Protokolle philharmonischer „Hauptversammlungen“ und „Komiteesitzungen“ die wahren Umstände der Berufung Mahlers zum Dirigenten der Wiener Philharmoniker und die Hintergründe seiner zahlreichen Kontroversen mit dem Orchester zu Tage gefördert. Aus diesen Dokumenten geht auch hervor, dass Mahler die Eroberung des „Goldenen Saals“ im Wiener Musikvereinsgebäude, des traditionsreichen (und damals noch einzigen) großen Konzertsaals der Kaiserstadt, in dem auch die Wiener Philharmoniker ihre Konzerte veranstalteten, nicht weniger geschickt eingefädelt und planmäßig betrieben hat als knapp zwei Jahre zuvor sein Engagement an die Hofoper. Die vom Biographen und Archivar der Wiener Philharmoniker Clemens Hellsberg 1985 erstmals veröffentlichten Dokumente werfen ein ausgiebiges Licht auf den Hergang der Berufung Mahlers an die Spitze des Orchesters und beleuchten auch die nach Hellsberg „beschämenden Vorgänge um die Ablösung Hans Richters als Abonnementdirigent“7. Treibende Kraft des Wechsels von Richter zu Mahler war, wie sich aus diesen Dokumenten ergibt, zweifellos das philharmonische „Comité“. Es ist dies (bis zum heutigen Tag) ein etwa zwölfköpfiger Leitungsausschuss, der von den Vereinsmitgliedern in ihrer „Hauptversammlung“ gewählt wird und die Konzertplanung und somit das künstlerische Geschehen zu verantworten hat. An der Spitze des Komitees steht der Vorstand, der heute gleichfalls ein aktives Philharmoniker-Mitglied sein muss  ; damals war der von der Hauptversammlung gewählte Abonnementdirigent des jeweiligen Jahres gleichzeitig automatisch auch Philharmoniker-Vorstand. Der Vorstand führt bei Sitzungen und Versammlungen den Vorsitz. Mit nur einjähriger Unterbrechung hatte Hans Richter die philharmonischen Abonnementkonzerte von 1875 bis 1898 geleitet. Während dieser Zeit „war er unbestritten der bedeutendste ausübende Musiker Wiens. Das Auftreten Mahlers war erstmals eine ernsthafte Konkurrenz für ihn“8 (Hellsberg). Ludwig Karpath schreibt in einem Kapitel seines Buches „Begegnung mit dem Genius“ sogar, dass „für zwei so markante Individualitäten nicht Raum genug war in einer Hütte. Die innere Verschiedenheit ihrer Temperamente, die polare Gegensätzlichkeit ihrer Anschauungen mußten früher oder später dazu führen, daß der eine oder der andere weiche. Richter war keine Kampfnatur … Zunächst überließ er Mahler in der Hofoper sein ganzes Arbeitsfeld. Dann entledigte sich Richter der philharmonischen Konzerte. Er hatte Armschmerzen vorgeschützt, in Wahrheit bereitete er sich darauf vor, die österreichische Hauptstadt für immer zu verlassen.“9 Die Ergänzung und Korrektur dieser Aussagen ergibt sich aus der von Hellsberg veröffentlichten Chronologie der Philharmoniker-Protokolle, der sich die folgende Darstellung anschließt.

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Am 8. Oktober 1897 unterzeichnete der Kaiser das Ernennungsdekret Mahlers als Hofoperndirektor. Am 10. Mai 1898 fand die Hauptversammlung der Philharmoniker statt, auf deren Tagesordnung die „Dirigenten- und Komiteewahl für die Saison 1898/99“ stand. (Ein Abonnement bestand damals aus acht von ein und demselben Dirigenten geleiteten Konzerten, zu denen noch das sogenannte Nicolai-Konzert kam. Dieses ist ein außerordentliches, ebenfalls jährlich regelmäßiges Konzert zu Ehren des Orchestergründers Otto Nicolai  ; der Ertrag kommt bis zum heutigen Tage dem Pensionsfonds des Orchesters zugute.) 85 Stimmzettel wurden an jenem 10. Mai 1898 abgegeben, alle lauteten auf Hans Richter. Das nächste Dokument ist das Protokoll einer Komiteesitzung vom 28. August 1898. „Der Vorsitzende hätte natürlich Hans Richter sein müssen. Aber es war ganz anders  : »Vorsitzender  : Director Gustav Mahler.« (Es folgen die Namen der anwesenden Komiteemitglieder.) ‚Herr Director Mahler theilte dem Comité mit – daß er das Programm für die 8 philharm  : Concerte später vorlegen wird – da er einige Werke, die in Wien noch nicht aufgeführt wurden, aufzuführen beabsichtigt – u. sich dießbezüglich an ausländische Musikalienhandlungen betreffs Einreichung solcher Werke zur Ansicht eventuell Annahme gewendet hat. – Wird zur Kenntniß genommen.‘“10 Das Datum dieses Protokolls wurde von Hellsberg nach mehreren Seiten auf seine Richtigkeit geprüft, sogar anhand der für diese Saison gewählten Komiteemitglieder. Er kommt zu dem Schluss  : „Es ist fraglos richtig – und dennoch unglaublich  : Hinter dem Rücken des wenige Monate zuvor einstimmig gewählten Abonnementdirigenten und Vorstandes verhandelte Mahler mit dem Komitee über die nächste Saison, war sein Engagement bereits beschlossene Sache.“11 Die nächste Komiteesitzung fand am 22. September 1898 statt. Der Vorsitzende war – zum letzten Mal – Hans Richter. „Nach Eröffnung der Sitzung erklärte Herr Hofkapellmeister Hans Richter, daß es ihm in dieser Concert-Saison in Folge einer Muskelzerrung am rechten Arme unmöglich ist die Philharm  : Concerte zu leiten … Diese Mittheilung wurde vom Comité mit dem tiefsten Bedauern zur Kenntniß genommen. Hierauf hat Herr Hofkapellm  : Hans Richter zu seinem Nachfolger Herrn Hofopern=Director Gustav Mahler, eventuell den Herrn Hofopernkapellmeister Ferdinand Löwe empfohlen. –“ Dann der letzte Satz  : „Das Comité hat beschlossen – den Herrn Director Gustav Mahler zu ersuchen – die Leitung der Philharmonischen Concerte zu übernehmen. –“12 Am nächsten Tag legte Richter sein Vorstandsamt schriftlich nieder. Dieser Brief wurde in einer für den 24. September 1898 einberufenen Hauptversammlung verlesen, und die Mitteilung wurde vom wohl ehrlich überraschten Plenum „mit dem tiefsten Bedauern zur Kenntniß genommen“. Weiter heißt es  : „Nachdem sich Herr HofopernDirector Gustav Mahler bereit erklärt hat – die Leitung der Philharm  : Concerte zu

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übernehmen – so wurde Herr Director Mahler mit Acclamation zum Dirigenten der Philharmonischen Concerte gewählt.“13 „Sehr bemerkenswert ist die Tatsache“, schreibt Hellsberg, „daß das gesamte Komitee Mahlers Verpflichtung und Richters Ausschaltung scheinbar widerspruchslos zur Kenntnis nahm. Wie sich in der Folge zeigte, waren keineswegs alle Komiteemitglieder so überzeugte Anhänger des Direktors, daß sie ihn ihrem langjährigen Leiter vorgezogen hätten und dabei auch noch das Vertrauen der Hauptversammlung mißbrauchten. Was sie zu einer solchen Vorgangsweise bewog, konnte bisher nicht geklärt werden. Jedenfalls steht fest, daß Richters Armschmerzen nicht der Grund für seinen Rücktritt waren. In Kenntnis dieser Protokolle ist vielmehr anzunehmen, daß er von diesen Vorgängen wußte und ohne den Kampf zu suchen oder Skandale zu entfesseln die ihm einzig möglich scheinende Konsequenz zog  : seinen unwiderruflichen Abschied von den Philharmonikern und von Wien.“14 Damit war Mahler am Ziel seiner Wünsche angelangt  : Er war Herr über das gesamte musikalische Geschehen der Kaiserstadt. In Kenntnis der Dokumente aus dem Philharmoniker-Archiv nimmt es sich rückblickend wie eine Selbstverständlichkeit aus, dass sich der „Taktiker“ Mahler auch dieses Amt mit der ihm eigenen Zielstrebigkeit und unter Einsatz aller ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten verschafft hat. Nur Naivität konnte die bisherige Mahler-Forschung verleiten anzunehmen, Mahler hätte es dem Zufall und dem ihm wohlwollenden Teil des Hofopernorchesters überlassen, ihn auf den philharmonischen Gipfel zu tragen. Es gibt freilich keinen Zweifel, dass auch in diesem Fall die Aussicht auf die künstlerischen Wirkungsmöglichkeiten im Vordergrund von Mahlers Bemühung um die leitende Position bei den Wiener Philharmonikern stand. Nicht nur musste es sein Ehrgeiz sein, mit dem besten Orchester Europas sich auch auf dem Feld der symphonischen Musik zu erproben und zu bewähren  ; auch die konkrete Chance, dem Wiener Publikum den Wandel von der ehrwürdig-soliden Musizierweise Hans Richters zur modernen „Nervenkunst“ nun auch im Konzertsaal vorzuführen, muss Mahler gereizt haben. Man darf auch nicht vergessen, dass die zwei letzten Hamburger Jahre Mahlers zunehmend im Zeichen seiner Konzerterfolge gestanden waren. Nach der ungewöhnlichen Bevorzugung, die der Hamburger Konzertdirektor Hans von Bülow dem „Pygmalion der Hamburger Oper“15 erwiesen hatte, war es beinahe selbstverständlich, dass Mahler nach Bülows Tod am 12. Februar 1894 nicht nur das Gedächtniskonzert, sondern auch die acht Subskriptionskonzerte der Saison 1894/95 übernahm. Damit war Mahler, nach den bisher recht sporadischen Auftritten im Konzertsaal, endlich auch als Konzertdirigent etabliert. Dass die Hamburger Kritiker den Nachfolger als bloßen Nachahmer Bülows abtaten, dessen „effektsüchtige Dirigierweise“ nicht durch eine gleich außerordentliche Persön-

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lichkeit legitimiert sei  ; dass die Berliner Konzertagentur Wolff, die die Hamburger Konzerte veranstaltete, den Vertrag mit Mahler über das eine Jahr hinaus nicht verlängerte, weil seine Konzertprogramme zu „modern“ waren und das Publikum wegblieb  : Das verschlug wenig angesichts Mahlers Überzeugung, mit der Eroberung des Konzertpodiums erst die volle „Verfügungsgewalt“ über das Musikleben der Stadt erlangt und – vor allem – sich für die Darbietung und Durchsetzung der eigenen Kompositionen die unumgängliche Voraussetzung geschaffen zu haben. Gerade dieser letzte Punkt mag auch bei Mahlers Übernahme der Leitung der Wiener Philharmonischen Konzerte eine gewisse Rolle gespielt haben. Wie sporadisch er dann allerdings seine eigenen Symphonien und Orchesterlieder auf die Programme der Philharmonischen Abonnementkonzerte gesetzt hat, legt nicht nur von der klugen Zurückhaltung Mahlers zur Vermeidung jedes Anscheins von Missbrauch seiner exponierten Stellung Zeugnis ab, sondern lässt uns auch die Vehemenz der Ablehnung erahnen, die Mahler als Komponist gerade in der Wiener Presse erfuhr. Für das Wiener Musikpublikum war es eine Selbstverständlichkeit, dass Mahler Richters Nachfolger wurde. Mahler war, nach der außerordentlich erfolgreichen ersten Saison als Hofoperndirektor, der Mann der Stunde. Er hatte mit seiner magischen Ausstrahlung aus dem Orchestergraben heraus das Publikum fasziniert. Nun wollte man seine dämonische Kraft über Musiker wie Zuhörer auch im vollen Licht des Konzertsaales bestaunen. Vielleicht war man auch des „biederen Hans“ überdrüssig geworden und sehnte sich nach den Wonnen und Schauern der Mahler’schen Pult-Exzesse, die den Wienern freilich auf ganz andere Weise zuteil werden sollten. Denn nur Mahlers Arbeitsfanatismus und Interpretationsgenauigkeit waren exzessiv, die „Skandale“ wurden von der Boulevardpresse fabriziert, die sich bereitwilligst auf die aus den „Musikerkreisen“ hinausdringenden Klagen und Beschwerden über Mahlers Anforderungen (und vor allem über den „Ton“, in dem er sie stellte) stürzte. Es ist deshalb durchaus gerechtfertigt, dass Hellsberg aus heutiger Sicht die damaligen Philharmoniker-Kollegen in Schutz nimmt – eine differenzierte Betrachtungsweise, der sich die Mahlerforschung längst angeschlossen hat  : „Gewiß waren im Orchester Antisemiten, und gewiß konnten sich einige Philharmoniker nicht mit Mahlers musikalischen Vorstellungen identifizieren und lehnten ihn daher als Dirigenten ab  ; aber andererseits gab es sehr viele gute, kooperative Musiker, unter ihnen auch mehrere jüdische Mitglieder.“16 Der Beginn der Konzerttätigkeit Mahlers mit den Wiener Philharmonikern steht jedenfalls noch ganz im Zeichen bereitwilliger Zusammenarbeit zwischen dem Orchester und seinem künstlerischen Leiter, und ist ebenso Ausdruck ungetrübter Übereinstimmung zwischen dem neuen Dirigenten und dem Wiener Publikum. So berichtet Eduard Hanslick über Mahlers erstes Philharmonisches Konzert vom 6. November 1898 in der »Neuen Freien Presse«  :

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„‚In all und jeder Zeit – Verknüpft sich Lust und Leid.‘ Dieser alte Vers, das Motto auf Schumann’s Davidsbündler-Tänzen, klang in uns nach, als wir gestern den Musikvereinssaal betraten, wo Mahler das erste Philharmonische Concert dirigiren sollte. Das ‚Leid‘ galt dem Verluste Hans Richter’s, der nach vieljähriger ruhmvoller Leitung dieser Concerte nun mit überraschender Plötzlichkeit dieses Amt niedergelegt hat. Was ihn dazu bewog  ? ‚Officiell‘ eine anhaltende Schwäche seines rechten Armes – ein Leiden, das ihn trotzdem nicht hindert, jetzt eine Reihe von Concerten in London zu dirigiren, dann weitere in Budapest und am Rhein. Also doch wol das weitaus höhere finanzielle Erträgniß dieser auswärtigen Gastspiele  ? Solche Erwägung war ja ganz begreiflich. Aber die Verlegenheit und Betrübniß seines Orchesters war es nicht minder. Da fand dieses den Retter in der Noth in Gustav Mahler, der trotz seiner Ueberbürdung als Director des Hofoperntheaters sofort einwilligte, den von Richter verlassenen Posten zu beziehen. Das ist nun die ‚Lust‘ nach dem ‚Leid‘. Einen anerkannteren, besseren Führer konnten unsere Philharmoniker sich nicht wünschen – eine Ueberzeugung, die auch augenblicklich Macht gewann über das Publicum. Sobald die erste vorläufige Anzeige Mahler als den neuen Dirigenten der Philharmonie-Concerte verkündete, waren auch sämmtliche Sitze für den ganzen Cyklus vergriffen. Dieser eminenten Vertrauenskundgebung hat, wie wir selbst nicht erst zu versichern brauchen, Director Mahler gestern vollauf entsprochen. Es wurden die Coriolan-Ouvertüre und die Eroica von Beethoven gegeben. Dazwischen Mozart’s G-moll-Symphonie – Stücke, welche unserm trefflichen Orchester seit Jahren so fest in Kopf und Fingern nisten, daß es sie leidlich im Schlaf spielen könnte. Demungeachtet ließ Mahler diese Tondichtungen in drei langen, peinlich genauen Proben neu studiren. Er wollte eben, daß sie ‚wachend‘ gespielt wurden, mit ganzer Hingebung und lebendigem Geist. Sie haben in der gestrigen Aufführung thatsächlich wie ein neues Erlebniß gewirkt. Es ist hier nicht die Stelle, noch der Raum, auf alle die neuen musikalischen Details einzugehen, welche diamantengleich hervorblitzten, ohne irgendwo die einheitliche Form und Stimmung zu sprengen. Mahler’s oberstes Bestreben, jedes Musikstück auf einen herrschenden Grundton zu stimmen, in seinem eigensten Styl zu bewahren, zeigte sich am deutlichsten in der Mozart’schen G-moll-Symphonie, wo Manche vielleicht energischere Accente, glühendere Farben gewünscht hätten. Aber nur so und nicht anders dachte Mahler dieser lichten, fleckenlosen Grazie zwischen den zwei Beethoven’schen Vulcanen ihre Individualität zu wahren. Die Wirkung der Coriolan-Ouvertüre und vollends der heroischen Symphonie läßt sich nicht schildern. So klar und anschaulich in ihrem feinsten Gewebe, dabei so überwältigend groß und machtvoll im Totaleindruck haben wir diese Tondichtungen kaum jemals gehört. Das Publicum der Philharmonie-Concerte – es ist an das Beste gewöhnt – ließ nach jedem Stück, ja nach jedem Satz der ‚Eroica‘, seiner Begeisterung freien Lauf und wurde nicht müde, den neugewonnenen Feldherrn unserer altbewährten Elitetruppe immer und immer wieder hervorzurufen. Anfang gut, Alles gut.“17

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Mahlers dreijähriges Wirken an der Spitze der Wiener Philharmoniker – er dirigierte 1898/99 und 1899/1900 jeweils alle acht Abonnementkonzerte, in seiner letzten Konzertsaison 1900/01 die ersten sechs, und in allen drei Spielzeiten das Nicolai-Konzert – gilt ebenso als ein Höhepunkt der Wiener Musikgeschichte wie seine zehnjährige Direktionstätigkeit an der Hofoper. Insgesamt freilich war es voll von Querelen, an denen nicht zuletzt Mahler selbst Schuld trug, da er „seine persönlichen Kontakte mit dem Orchester auf den Umgang mit einigen Vertrauensleuten beschränkte, die ihm auch als Informanten dienten – eine Taktik, die er wiederholt und auch bei anderen Orchestern anwendete und die Opposition geradezu herausforderte“18 (Hellsberg). Dazu kam als weiterer Stein des Anstoßes, neben der anspruchsvollen Programmgestaltung, sein unnachgiebiger Probenfanatismus und sein durch keine Verbindlichkeit im Umgang mit den Musikern gemilderter Genauigkeitsanspruch. Doch es gibt auch einen besonderen Fall, der zudem den einzigen Konflikt zwischen der kaiserlichen Hofoper und den kommunalen Behörden Wiens zum Gegenstand hat, bei dem das Eintreten der Wiener Philharmoniker für ihren Dirigenten aktenkundig geworden  ; er ist dementsprechend oft in der Mahler-Literatur als positives Beispiel für ihre Beziehung zitiert worden – und hat sich doch etwas anders abgespielt, wie auch Natalie Bauer-Lechners Bericht über das fünfte Konzert der Saison 1898/99 vom 15. Jänner 1899 belegt  : „Den Anfang machte eine Demonstration für Mahler, hervorgerufen durch den Widerspruch von ein paar Zischern gegen den Applaus, mit dem Mahler diesmal empfangen worden war. Der innere Grund zur Demonstration aber war ein antisemitischer Rummel, der sich neuestens gegen Mahler entladen hatte, weil Bürgermeister Lueger das Konzert, welches die Philharmoniker jährlich für die Armen Wiens gaben, nicht von dem ‚Juden‘ Mahler hatte dirigiert wissen wollen und die Philharmoniker sich natürlich geweigert hatten, unter einem anderen als dem von ihnen erwählten Dirigenten zu spielen. Dafür mußte sich Mahler, der in der ganzen Sache den Mund nicht aufgetan und sich nicht darum gekümmert hatte, die schlimmsten Angriffe und Insulten in den antisemitischen Bälttern gefallen lassen, wogegen andere Blätter seine Partei ergriffen. – Nach diesem politischen Eingang nahm das Konzert als ‚artistische‘ Streitfrage seinen Fortgang.“19 In der offensichtlich gut informierten »Neuen Freien Presse« konnte man den Vorfall schon vier Tage vor dem Konzert ausführlicher und – etwas anders dargestellt lesen  : „Die letzte Sitzung des Wiener Stadtrathes gab dieser Körperschaft wiederum Anlaß, ihren Kunstsinn von ihrem ganz speciellen Standpunkte aus zu documentiren. Es war seitens der Commune projectirt worden, an Stelle des in diesem Jahre entfallenden Festballes ein Concert zu Gunsten der Armen Wiens zu veranstalten. Die Philharmoniker wurden ersucht, in diesem Concerte mitzuwirken, und erklärten sich auch selbstverständlich im Principe hiezu bereit. Aber den Herren vom Gemeinderathe machte

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es Pein, daß Director Mahler dabei dirigiren solle. Die Anziehungskraft der Philharmoniker wäre zwar dadurch nur verstärkt worden, allein – „naheliegende Gründe“, so wurde den Mitgliedern des Hofopern-Orchesters mitgetheilt, ließen dies unmöglich erscheinen. Ein Festconcert im Rathause mit Mahler wäre eine officielle Anerkennung der Commune gewesen, daß dieser Dirigent ein hervorragender Künstler sei, und das war der gegenwärtigen Majorität des Gemeinderathes unmöglich. Warum  ? Aus den selben Gründen, aus welchen der jetzige Stadtrath auch Mendelssohn, Meyerbeer oder Rubinstein für unmögliche Leute erklärt hätte. Hof-Capellmeister Richter würde den maßgebenden Persönlichkeiten – ebenfalls aus ‚naheliegenden Gründen‘ – eher gepaßt haben, allein er lehnte ab. Nun wendete man sich an Felix Mottl in Karlsruhe mit der Bitte, den Dirigentenstab bei dem Concerte zu übernehmen, und wirklich, der Gemeinderath erzielte auf diesem Felde einen Erfolg. Herr Mottl sagte zu, Herr Dr. Lueger beeilte sich, dies den Philharmonikern mitzutheilen. Diese entsendeten eine Deputation zu Herrn Director Mahler, welche ihm den Brief des Bürgermeisters zeigte und ihn um seinen Rath bat, was sie wol thun solle  ? Herr Director Mahler lehnte es ab, diesen Rath zu ertheilen  ; die Künstler mögen antworten, sagte er, was sie für gut hielten, und sollten die richtige Antwort wol auch zu geben wissen, ohne seine Meinung gehört zu haben. Darauf traten die Musiker zusammen und waren nun sehr bald in dem Beschlusse einig, folgende Zuschrift an den Bürgermeister ergehen zu lassen  : Euer Hochwohlgeboren  ! In Erledigung Ihres sehr geschätzten Schreibens vom 31. Dezember 1898 beehrt sich das ergebenst gefertigte Comité, Euer Hochwohlgeboren mitzutheilen, daß die Philharmoniker sehr gerne bereit sind, bei dem für den 1. Februar l. J. im Festsaale des Rathhauses beabsichtigten Wohlthätigkeits-Concerte mitzuwirken, jedoch unter der Leitung ihres für Concerte selbstgewählten Dirigenten, Herrn Hofopern-Directors Gustav Mahler. Mit dem Ausdrucke vorzüglicher Hochachtung für das Comité  : Ladislaus Kohut Der Stadtrath, in dessen heutiger Sitzung diese Zuschrift zur Verlesung kam, beschloß einstimmig, das Anerbieten der Philharmoniker abzulehnen und das Concert nicht abzuhalten. Herr Mahler wurde also nicht für würdig befunden, durch seine Kunst mit seinen Künstlern einen reichen Ertrag den Armen Wiens zufließen zu lassen. Die letzteren sollen eher eine empfindliche Einbuße erleiden, als daß der Künstler, der in der Hofoper die Aufführung der auserlesensten Schöpfungen mit glänzendem Erfolge leitet, in einem von der Commune gegebenen Concerte wirke. Im Inlande sind wir an Absurditäten dieser Art schon einigermaßen gewöhnt, man geht mit einem Achselzucken daran vorüber  ; im Auslande wird diese Concertabsage einen großen Heiterkeitserfolg erzielen, der allerdings eines spöttischen Beigeschmacks für die altberühmte Kunststadt Wien nicht entbehren wird.“20

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Ungeachtet der Solidarität mit ihrem „selbstgewählten Dirigenten“, welche die Musiker in diesem Fall bewiesen, muss man davon ausgehen, dass es von Anfang an Unstimmigkeiten zwischen Mahler und dem Orchester gab, auch wenn diese zunächst nicht an die Öffentlichkeit drangen oder aktenkundig wurden. Selbst Natalie Bauer-Lechner deutet dies in ihren Freundschafts-Erinnerungen an, wenn sie etwa über die Aufführung von Schumanns Erster Symphonie berichtet, Mahler hätte bei den Proben „einen großen Widerstand im Orchester zu besiegen und viel Mühe und Ärger dabei gehabt“21, oder ihn selbst zitiert  : „Heute hab’ ich dem Orchester beim letzten Satz von Beethovens Zweiter eine Generalpauke gehalten, die sie begriffen zu haben scheinen.“22 Dazu Hellsberg  : „Der Umstand, daß während der Dauer der Konzerte der Saison 1898/99 kein einziges Protokoll Stellungnahmen zu Mahler, den Programmen oder der Probenarbeit enthält, beweist, daß es zunächst keine Schwierigkeiten gab – zumindest offiziell. Tatsächlich aber hatte sich eine starke Opposition gebildet, und die Diskussionen zwischen den Anhängern und Gegnern des Direktors wurden nicht nur mit größter Härte, sondern teilweise sogar öffentlich geführt  : ungeniert, aber selbstverständlich anonym (,Name und Adresse sind der Redaction bekannt‘) gaben Vertreter beider Parteien Stellungnahmen in Wiener Zeitungen ab und trugen damit zu einer weiteren Verschärfung des Konflikts bei.“23 Die unterschwelligen Animositäten des Orchesters gegen Mahler kamen in der Hauptversammlung vom 30. Mai 1899, schon nach der ersten gemeinsamen, rundum erfolgreichen Konzertsaison also, erstmals zum vollen Ausbruch. Die „Opposition“ gegen Mahler stellte den Antrag, die Dirigentenwahl zu verschieben und zunächst Hans Richter zu fragen, ob er wieder die Leitung der Konzerte übernehmen wolle, und setzte sich schließlich, nach turbulentem Sitzungsverlauf, mit diesem Vorschlag durch. Damit war die Brüskierung Mahlers, der zweifellos umgehend von diesen Vorgängen erfuhr, perfekt. Den weiteren Verlauf der Krise schildert Clemens Hellsberg so  : „Dieser Sieg der Opposition wurde aber durch eigenes Verschulden zu einer schweren Niederlage  : die Wortführer hatten unglaublicherweise versäumt, zuvor bei Richter anzufragen, ob er denn überhaupt zu einer Rückkehr bereit sei  ; wahrscheinlich nahmen sie an, daß dies ohnehin selbstverständlich sei. Am 1. August kam aus Bayreuth die Antwort des Dirigenten, welche die schwere Verstimmung über die Ereignisse des Vorjahres widerspiegelt und eine weitere Bestätigung dafür ist, daß die Vorgänge um seine Ablöse alles andere als korrekt waren. Kurz angebunden teilte er mit  : ,Sehr geehrte Herren  ! Auf Ihre freundliche und für mich sehr ehrenvolle Anfrage habe ich Folgendes zu erwidern  : Es ist mir unmöglich, die Leitung der philharmonischen Concerte in der Saison 1899–1900 zu übernehmen, weil ich während 2mal sechs Wochen … von Wien abwesend sein werde …‘

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Diese Absage traf die Philharmoniker völlig unerwartet und vor allem zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt  : waren doch Ferien und daher das Komitee nicht beschluß­ fähig. Erst am 24. August konnte die Hauptversammlung zusammentreten und über die neue Situation beraten. In der Diskussion setzten sich nun die Befürworter Mahlers klar durch – verständlicherweise, stand doch als einzige Alternative nur der zwar beliebte, als Dirigent aber nicht vergleichbare Joseph Hellmesberger zur Verfügung. Dementsprechend fiel auch die Abstimmung aus  : von 84 Stimmen erhielt Mahler 61, also 75 % und somit eine klare Mehrheit, 19 Stimmen lauteten auf Hellmesberger, eine auf Felix Mottl  ; drei Stimmzettel waren leer. Sogleich wurde eine aus drei Mitgliedern bestehende Delegation beauftragt, ‚Herrn Director Mahler von dem Wahlergebnis Mittheilung zu machen und ihn um die Annahme der auf ihn gefallenen Wahl zu ersuchen. Director Mahler empfing die Deputation in liebenswürdigster Weise, lehnte jedoch die Annahme der Wahl ab.‘ Nun setzten hektische Aktivitäten ein. Die Naivität, mit der man zuerst die Dirigentenwahl verschoben hatte, ohne Richters Zusage einzuholen, rächte sich bitter  : Mahler war zutiefst beleidigt und gab dies dem Orchester deutlich zu verstehen. Am 28. August, 4., 5., 9., 10. und 16. September fanden Komiteesitzungen in dieser Angelegenheit statt, drei weiteren Delegationen wurden Absagen erteilt. Erst als eine fünfte Abordnung Mahler fragte, ob er besondere Bedingungen habe, erklärte er, dass er ‚geneigt wäre, die Wahl anzunehmen unter der Bedingung, daß in Hinkunft keinerlei Agitation gegen seine Person unternommen wird‘. Am 16. September 1899 fand die entscheidende Hauptversammlung statt  : Die Mitglieder verpflichteten sich ‚per acclamation … jede der von Director Mahler aufs schärfste verurtheilten, alle künstlerische Entfaltung hemmenden Agitationen Einzelner gegen den Dirigenten in Hinkunft nach Möglichkeit hintanzuhalten und mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu bekämpfen.‘ Daraufhin gab Mahler der nunmehr sechsten an ihn gerichteten Delegation seine Zusage, die Abonnementkonzerte der Saison 1899/1900 zu dirigieren.“24 Man kann sich gut vorstellen, mit welchen Gefühlen die an ihrer eigenen „Revolution“ gescheiterten Musiker in ihre zweite Konzertsaison mit Gustav Mahler gingen. (Es war übrigens gerade jene ihnen abgetrotzte Bedingung der totalen Unterwerfung, die noch vier Jahre später Mahlers Rückkehr an die Spitze des Orchesters endgültig verhinderte  : Als nämlich bei der Dirigentenwahl für die Saison 1903/04, zwei Jahre nach Mahlers Abgang, seine Anhänger nochmals versuchten, ihn als Nachfolger des zurückgetretenen Hellmesberger zu inthronisieren, heißt es im Protokoll der Philharmoniker-Hauptversammlung, „zuviel“ sei „bereits vorgefallen, als daß die vom Direktor geforderte Einstimmigkeit jemals wieder zu erreichen wäre.“25) Die äußeren Erfolge freilich verrieten nichts vom inneren Zustand des Verhältnisses zwischen dem Orchester und seinem Dirigenten. Gleich das erste Konzert der Saison

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1899/1900, Mahlers zweiter Philharmoniker-Saison, mit Webers »Euryanthe«-Ouvertüre, Mozarts »Jupitersymphonie« und Beethovens Fünfter wurde ein solcher Erfolg, dass es drei Tage später wiederholt werden musste. Auch die nächsten fünf Abonnementkonzerte – u. a. mit den Erstaufführungen der Tondichtungen »Aus Italien« von Richard Strauss und »Die Waldtaube« von Antonín Dvořák sowie von fünf MahlerLiedern mit Selma Kurz als Solistin – fanden ohne größere Schwierigkeiten mit dem Orchester oder übermäßige Anfeindungen durch die Presse statt. Um so heftiger fiel die Kontroverse zwischen Mahler und dem offiziellen „Musik-Wien“ aus, die sich an der Aufführung von Beethovens Neunter Symphonie im Nicolai-Konzert vom 18. Februar 1900 entzündete. Anlass dafür waren die Instrumentationsretuschen, die Mahler in Beethovens Partitur vorgenommen hatte. War er schon anlässlich der Aufführung von Beethovens f-MollStreichquartett op. 95 in einer chorischen Streichorchesterfassung von den Kritikern der respektlosen Willkür im Umgang mit den Klassikern geziehen worden, so erhob sich diesmal ein richtiger Sturm der Entrüstung in den Wiener Feuilleton-Redaktionen. Kaum eine besonnene Stimme fand sich, die das bescheidene Ausmaß der instrumentalen Veränderungen feststellte – sie gingen kaum über die von Richard Wagner an diesem Werk praktizierten Retuschen hinaus – und ihren tieferen Sinn einsah  : Verlebendigung der Musik nicht nach dem toten Buchstaben der Partitur, sondern nach den Intentionen des Komponisten, das aber heißt  : mit den Mitteln, die von den technisch vervollkommneten Musikinstrumenten ermöglicht, von den vergrößerten Konzertsälen gefordert und von den durch die spätromantische Musikentwicklung verfeinerten Hörgewohnheiten erwartet wurden. Wegen des großen Interesses wurde vier Tage später überraschend eine Wiederholungsaufführung des Konzerts angesetzt. Dabei wurde im Publikum eine Stellungnahme (s. S. 70) verteilt, in der Mahler sein Vorgehen erklärte und verteidigte, damit freilich nur noch mehr Empörung und Hohn bei seinen Widersachern hervorrufend. Mahler verwahrt sich in diesem Text – dessen Entwurf von Mahlers Freund Siegfried Lipiner noch stilistisch verfeinert worden war – gegen den (in der Tat unbegründeten) Vorwurf, er habe „willkürliche Umgestaltungen in irgend welchen Einzelnheiten vorgenommen“26, und begründet seine bescheidenen Retuschen mit der Absicht, mit ihnen die wahren Intentionen Beethovens zu verwirklichen – ein Vorhaben, das die inzwischen verbesserte Bauweise und weiterentwickelte Spieltechnik der modernen Instrumente erlauben würde, das die in den neuen, größeren Konzertsälen des späten 19. Jahrhunderts gegebenen akustischen Verhältnisse geradezu notwendig machen würden. Die zwei wesentlichen Absätze von Mahlers Verteidigungsschrift lauten  : „Beethoven hatte durch sein in völlige Taubheit ausgeartetes Gehörleiden den unerlässlichen innigen Contakt mit der Realität, mit der physisch tönenden Welt gerade in jener Epoche seines Schaffens verloren, in welcher ihn die gewaltigste Steigerung seiner

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Conceptionen zur Auffindung neuer Ausdrucksmittel und zu einer bis dahin ungeahnten Drastik in der Behandlung des Orchesters hindrängte. Ebenso bekannt wie diese Thatsache ist die andere, daß die Beschaffenheit der damaligen Blechinstrumente gewisse zur Bildung der Melodie nöthige Tonfolgen schlechterdings ausschloß. Gerade dieser Mangel hat mit der Zeit eine Vervollkommnung jener Instrumente herbeigeführt, welche nunmehr nicht zu möglichst vollendeter Ausführung der Werke Beethoven’s auszunützen, geradezu als Frevel erschiene …“ Und  : „Von einer Uminstrumentierung, Aenderung, oder gar ‚Verbesserung‘ des Beet­ hoven’schen Werkes kann natürlich absolut nicht die Rede sein. Die längst geübte Vervielfachung der Streichinstrumente hat – und zwar ebenfalls schon seit Langem – auch eine Vermehrung der Bläser zur Folge gehabt, die ausschließlich der Klangverstärkung dienen sollen, keineswegs aber eine neue orchestrale Rolle zugetheilt erhielten. In diesem, wie in jedem Punkte, der die Interpretation des Werkes im Ganzen wie im Einzelnen betrifft, kann an der Hand der Partitur (und zwar je mehr in’s Detail eingehend, desto zwingender) der Nachweis geführt werden, daß es dem Dirigenten überall nur darum zu thun war, fern von Willkür und Absichtlichkeit, aber auch von keiner ‚Tradition‘ beirrt, den Willen Beethoven’s bis in’s scheinbar Geringfügigste nachzufühlen und in der Ausführung auch nicht das Kleinste von dem, was der Meister gewollt hat, zu opfern, oder in einem verwirrenden Tongewühle untergehen zu lassen.“ 27 Dass Mahlers Beethoven-Retuschen in der Interpretationsgeschichte des 20. Jahrhunderts eine zentrale und wirkungsmächtige Position einnehmen, hat Kurt Blaukopf eindrucksvoll und überzeugend formuliert, auch wenn inzwischen die von Nikolaus Harnoncourt initiierte Bewegung der „historisch informierten Aufführungspraxis“ den konträren Weg gegangen ist. Blaukopf schreibt  : „Mahlers Instrumentationskorrekturen mögen im einzelnen wohl kritisierbar sein, insgesamt liegt ihnen eine ebenso neuartige wie notwendige Auffassung von den Aufgaben des interpretierenden Künstlers zugrunde. Die Bewahrung des originalen Notentextes bei gleichzeitiger Veränderung nahezu aller Faktoren, die die klangliche Realisierung und die Wahrnehmung durch das Publikum bestimmen, kann nicht sinnvoll sein … Nur Musikphilologen, die gebannt auf das Notenbild der Autographen starren, weil ihnen die Fähigkeit abgeht, dem realen Klang zu lauschen, können sich mit der bloßen Bewahrung des ‚Urtextes‘ zufriedengeben. Mahler war kein Schriftgelehrter. Er war Musiker und konnte hören, daß man Beethoven im Lauf der Jahrzehnte – ohne es zu wollen und zu merken – in den neuen Sälen verunstaltet hatte. Also machte er sich an die Rekon­ struktion der Klangbalance, deren Grundsätze er aus Beethovens Partituren herleitete. Das Ergebnis mußte seine Zeitgenossen schockieren. Sie beriefen sich auf eine Tradition, die sie für ‚echt‘ hielten, während Mahler im Gegenteil den verzerrenden Effekt dieser Tradition entdeckte. Sie pochten auf das Recht, Beethovens Symphonien in romantisie-

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rendem, halligem Mischklang zu erleben, während Mahler das ‚verwirrende Tongewühl‘ bekämpfte, in dem die klassische Klarheit Beethovenscher Stimmführung zu einem Klangbrei verschwimmen mußte … Die Musikwissenschaft, aus der Musikphilologie hervorgegangen, ringt sich erst im zwanzigsten Jahrhundert zu einer Betrachtung der tönenden Realität durch. Der Komponist Mahler ist der Wissenschaft vorangegangen. Das Flugblatt vom Februar 1900 gilt uns als das erste Manifest einer Auffassung, die sich zur Analyse der klingenden Realität bekennt im Gegensatz zu bloßer Notengelehrsamkeit.“28 In die Zeit zwischen dem letzten Abonnementkonzert der Saison 1899/1900 und dem ersten der folgenden Saison 1900/01 fallen zwei Ereignisse, die zugleich die extre­ men Pole im Verhältnis des Wiener Philharmonischen Orchesters zu Gustav Mahler markieren  : zunächst die Reise zur Pariser Weltausstellung, an deren Ende ein einzigartiges Ereignis stand – „die Philharmoniker luden Mahler unter Hochrufen ein, den letzten Abend in Paris mit ihnen zu verbringen. Tatsächlich feierte man gemeinsam in einem Restaurant den glücklichen Ausgang des Unternehmens, und zum ersten Mal herrschte herzliches Einvernehmen zwischen Dirigent und Orchester“29 (Hellsberg) –, und wenige Monate später ein schroffes „Circulare“ des Direktors zur strikten Beachtung der bestehenden „Ordnungs-Vorschriften“  : „Keinem Mitgliede ist gestattet … bei öffentlichen Aufführungen …, für welche von den Besuchern … Geldbeträge eingehoben werden, ohne schriftliche Bewilligung der Direction mitzuwirken.“30 Kein Wunder, dass Mahler mit diesem Schreiben – mit dem er sich rein formal durchaus im Recht befand – größte Aufregung im Orchester verursachte, „fielen doch unter diese Bestimmung auch die Philharmonischen Konzerte, deren Abhaltung bisher lediglich an die jeweils zu Saisonbeginn erfolgte Bekanntgabe der Konzerttermine, keinesfalls jedoch an eine schriftliche Bewilligung gebunden war“31. Auch als sich Mahler herbeiließ, an der Komiteesitzung der Philharmoniker am 25. September 1900 teilzunehmen und die aufgebrachten Gemüter zu beschwichtigen, blieb auf beiden Seiten eine Verstimmung zurück. Die daraus resultierende „Atmosphäre latenter Gereiztheit“32 bietet, nach Hellsberg, eine hinlängliche Erklärung für die kommenden Ereignisse der Saison 1900/01, die zum Rücktritt Mahlers als Dirigent der Wiener Philharmoniker führen sollten. Zunächst freilich stand wieder das künstlerische Geschehen im Vordergrund. Mahler dirigierte, wie immer in rascher 14-tägiger Abfolge zwischen Anfang November und Mitte Dezember, die ersten vier Abonnementkonzerte der neuen Saison, mit viel Beethoven, aber auch mit Wagners »Faust«-Ouvertüre im ersten und der Wiener Erstaufführung seiner eigenen Ersten Symphonie im zweiten Abonnementkonzert. Das neue Kalenderjahr 1901 beginnt Mahler im Konzertsaal mit Aufführungen von Tschaikowskys »Manfred«-Symphonie, Beethovens Neunter im Nicolai-Konzert, die wieder, wie im Jahr zuvor, heftiges Für und Wider auslöst, und schließlich mit der Uraufführung seiner Jugendkomposition »Das klagende Lied« in einem außerordentlichen Konzert der Wie-

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ner Singakademie, an dem die Wiener Philharmoniker, hier freilich als „k. k. Hof­opernOrchester“ firmierend, mitwirken. Hatte Mahler in diesem Auftritt keine Schädigung der Interessen des Hofoperntheaters gesehen, so verbot er dem Orchester dagegen die Mitwirkung bei zwei vom Männergesangverein »Schubertbund« bestrittenen Konzerten. Während die Anti-Mahler-Stimmung im Orchester daraufhin stieg und sich zu dem verwegenen Plan eines direkten Gesuchs an die Generalintendanz (unter Umgehung des Dienstweges, der über Mahlers Schreibtisch hätte führen müssen) hochschaukelte, ereignete sich jener Vorfall, der das Ende der Tätigkeit Mahlers als Dirigent der philharmonischen Konzerte herbeiführen sollte  : In der Nacht des 24. Februar 1901, an dem er am Vormittag eine Aufführung von Bruckners Fünfter Symphonie im Philharmonischen Abonnementkonzert und am Abend die Jubiläumsvorstellung der 100. Aufführung von Mozarts »Zauberflöte« an der Hofoper geleitet hatte, erlitt Mahler – der zeitlebens an Hämorrhoiden litt – einen Blutsturz, der ihn beinahe das Leben gekostet hätte. Nach der sich anschließenden Operation trat Mahler einen längeren Erholungsurlaub an. In seiner Abwesenheit arbeiteten seine Gegner an seiner Ablösung als Leiter der Philharmonischen Konzerte, und die antisemitische Presse schürte, wohlinformiert, die Anti-Mahler-Stimmung. So steht in der »Reichswehr« vom 2. April 1901 zu lesen  : „In den Kreisen der Philharmoniker gewinnt die Strömung gegen Direktor Mahler immer mehr Oberhand. Das allzu nervöse Wesen des Dirigenten, dessen Übereifer in der Anordnung von Vorproben, ganz besonders aber seine Schwäche, sich Einflüsterungen seiner ‚Vertrauensmänner‘ zugänglich zu zeigen, rauben ihm die Sympathien vieler, die bisher aus Überzeugung oder aus Opportunitätsgründen zu seiner Partei zählten. Es wird eifrig daran gearbeitet, einen neuen Kandidaten für diesen Ehrenposten aufzustellen. Die ganze Angelegenheit wird streng geheim behandelt, um alle Kollisionen zu vermeiden. Die Neuwahl findet bekanntlich im September statt. Vielleicht gelingt es Direktor Mahler, der nun von dem gegen ihn geplanten Kriegszuge in Kenntnis gelangt, die erregten Gemüter bis dahin wieder mit neuen Versprechungen zu beruhigen.“33 Ludwig Karpath, der diese beunruhigenden Nachrichten an Mahler weiterleitet, erhält von dessen Schwester Justine aus Abbazia als Erster die Nachricht, dass Mahlers Rücktritt von der Leitung der Philharmoniker-Konzerte beschlossene Sache ist. Justine nennt auch gleich den Grund für Mahlers Entscheidung  : „Ich danke Ihnen sehr für Ihren Brief und die Zeitungsausschnitte. Meinem Bruder habe ich selbstverständlich keine Silbe davon gesagt, er liest hier gar keine Zeitung, und so wird er von der ganzen Sache gar nichts erfahren, es ist auch ganz egal, was die Reichswehr schreibt, das Wichtigste ist, daß mein Bruder die philharmonischen Konzerte bestimmt nicht mehr dirigiert, weil er den Anstrengungen einfach nicht gewachsen ist. Er wird in dieser Saison gewiß keinen Wagner mehr dirigieren, er dirigiert das erste

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Mal im Théâtre paré den I. Akt der Königin von Saba, aber keinem Menschen was davon sagen  !  ! Auf diese Art entgeht er jeder aufregenden Ovation, und dann hat er schon lange vor, den Wienern einmal die Königin v[on] S[aba] zu bringen …“34 Unmittelbar nach seiner Rückkehr vollzieht Mahler dann offiziell diesen Schritt  ; die Wiener Philharmoniker, müde der Kunstanstrengung durch den despotischen Mahler, wählen Joseph Hellmesberger jr., allgemein nur „der fesche Pepi“ genannt, zum neuen künstlerischen Leiter für die Saison 1901/02, und dann noch einmal für das Konzertjahr 1902/03. „In den folgenden fünf Jahren, 1903 bis 1908, legten sie dann die Leitung ihrer Konzertzyklen nicht mehr in die Hand bloß eines Künstlers, sondern sie beriefen der Reihe nach fast alle Künstler, die Rang und Namen hatten.“35 So beschreibt der Wiener Musikkritiker und -schriftsteller Heinrich Kralik das veränderte Prinzip der Dirigentenwahl der Wiener Philharmoniker, dem sich das Orchester – nach einer Unterbrechung zwischen 1908 und 1933, in der sie Felix Weingartner, Wilhelm Furtwängler und Clemens Krauss zu künstlerischen Leitern machten – bis heute verpflichtet fühlt. Den Grund für diese grundlegende Änderung kann man auch aus Kraliks Charakteristik des neuen Philharmoniker-Dirigenten Joseph Hellmesberger herauslesen  : „Daß ihn nun die Philharmoniker auf einen so exponierten Posten stellten, mag ihn selbst am meisten überrascht haben. Es ist auch gewiß nicht nach seinem Geschmack gewesen, daß ihm übereifrige Freunde beim ersten Konzert einen Lorbeerkranz zu Füßen legten, dessen Schleife in herausfordernden, weithin sichtbaren Lettern die Inschrift trug  : ‚Preise dich glücklich, Musikstadt Wien.‘ Jedenfalls stand die polemische Fanfare keineswegs im Einklang mit seinem liebenswürdigen und verbindlichen Musikantennaturell. Und ein großer Dirigent war er eben nicht. Das wurde ihm auch mit offenem Mißvergnügen gesagt  : er führe Beethovens c moll-Symphonie aus dem Buche auf  ; genau wie sie darin geschrieben steht, vorschriftsmäßig, prompt nach dem Reglement. Das trockene Wort traf wohl das Richtige. Hellmesberger hatte den Philharmonikern Routine und ansehnliche Erfahrung zu schenken, aber das erhoffte Wunder, daß der höhere Aufgabenkreis etwa verborgene und schlummernde Hans-Richter-Potenzen wecken würde, dieses Wunder blieb aus.“36 Hellmesbergers Philharmoniker-Regime währte zwei Jahre und endete abrupt, wie seine Tätigkeit als Hofopernkapellmeister, durch eine Affäre mit einer minderjährigen Ballettelevin, deren Vater – laut Polizeibericht – „wenige Schritte von der Hof-Oper entfernt über Herrn Hof-Opernkapellmeister Joseph Hellmesberger jun. herfiel und ihn verprügelte, bis sein Stock in Trümmer ging“37. Aufschlussreich ist es festzustellen, mit welchen Solisten Mahler seine Philharmonischen Konzerte bestritten hat. Es sind – sieht man von den Sängern ab, die zumeist dem Ensemble der Hofoper angehörten – überhaupt nur drei Instrumentalsolisten, die Mahler nach Wien verpflichtet hat  : alle drei noch jünger als er selbst, alle drei durch ihre

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Ausbildung aufs beste empfohlen, durch internationale Erfolge höchster „philharmonischer Ehren“ würdig. Da war Marie Soldat-Roeger, eine emanzipierte Künstlerin, Jahrgang 1863, JoachimSchülerin. Schon als 24-Jährige in Berlin und später in Wien bildete sie ein eigenes Streichquartett, das beide Male nur aus Frauen bestand. (Mahlers Freundin Natalie Bauer-Lechner spielte darin die Bratsche.) Sie galt als eine der besten Geigerinnen ihrer Zeit und als eine der frühesten Interpretinnen des Violinkonzerts von Brahms  ; mit diesem Werk hat Mahler sie denn auch dem Wiener Publikum vorgestellt. Da war der damals 33-jährige Ferruccio Busoni, Sohn italienisch-deutscher Musiker, als Pianisten-Wunderkind schon mit acht Jahren öffentlich aufgetreten und durch europäische Konzertreisen als „eminenter Pianist“ und Lehrer schon in jungen Jahren eine Berühmtheit – lange bevor er sich als Komponist durchzusetzen begann. Busoni wurde von Mahler gleich zweimal verpflichtet  : für Beethovens Es-Dur-Konzert und für Carl Maria von Webers Konzertstück f-Moll. Der zweite Pianist, den Mahler engagierte, war der erst 28-jährige Carl Friedberg, Schüler u. a. von Clara Schumann, als Solist wie als Kammermusiker gleich gefragt. Friedberg spielte unter Mahlers Leitung Bachs d-Moll-Konzert und machte die Wiener mit César Francks »Symphonischen Variationen« bekannt. In den 28 regulären Abonnement- und Nicolai-Konzerten (die Wiederholungskonzerte und Voraufführungen eingerechnet) hat Mahler mit den Wiener Philharmonikern in den drei Jahren 79 Werke aufgeführt. Mit 26 Aufführungen steht Beethoven dabei weit an der Spitze, gefolgt von Weber, Mendelssohn-Bartholdy und Brahms. Unzweifelhaft drückt sich in dieser Programmgestaltung ein musikalisches Bekenntnis Mahlers aus, doch wirklich nur eines  : das zu Beethoven, dem – neben Wagner – zweiten Zen­ tralgestirn seiner Tätigkeit als Interpret, dem Vorbild seines eigenen Schaffens. Es wäre deshalb falsch, die übrigen Aufführungszahlen überzubewerten und aus der Häufigkeit stichhaltige Rückschlüsse zu ziehen. Mahler wollte sich in der ihm ureigenen Sphäre des groß und bleibend erachteten „Symphonischen“ produzieren und daneben die Wiener Musikfreunde, wie in der Hof­ oper, mit der zeitgenössischen Produktion bekannt machen. Deshalb setzte er Erstaufführungen wie Dvořáks »Heldenlied« (das er noch aus dem Manuskript dirigierte), Tschaikowskys Ouvertüre »1812« oder César Francks »Symphonische Variationen« auf das Programm, ohne freilich dafür den Dank des Publikums oder der Presse zu ernten. Die Aufnahme der noch wenige Jahre zuvor von den Wienern abgelehnten Symphonien Anton Bruckners in die „geheiligten“ Philharmonischen Konzerte, die Aufführungen der Dritten Symphonie von Brahms, der »Manfred«-Symphonie von Tschaikowsky, der Tondichtungen »Roma« von Georges Bizet und »Aus Italien« von Richard Strauss markieren freilich kaum weniger wagemutige Ausbrüche Mahlers aus dem konservativen Wiener Musikleben, die sogar heftige Opposition hervorriefen – wie die Uraufführung

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der Sechsten Symphonie Anton Bruckners. (Nur ihre Mittelsätze waren 1883 einmal von Wilhelm Jahn öffentlich aufgeführt worden.) Außerordentliche Konzerte mit den Wiener Philharmonikern – die freilich in diesem Rahmen nur als „k. k. Hofopern-Orchester“ in Erscheinung treten konnten – gab Mahler während seiner Tätigkeit nur vier  : Am 19. Februar 1899 wirkte Mahler in einem „Autorenkonzert“ mit. Auf dem Programm, jeweils vom Komponisten dirigiert  : die Ouvertüre zur Oper »Der Bärenhäuter« von Siegfried Wagner, die »Maurische Rhapsodie« von Engelbert von Humperdinck, die Zwischenspiele aus der Oper »Don Quixote« von Wilhelm Kienzl und die Vorspiele zum 1. und 2. Akt der Oper »Guntram« von Richard Strauss. Da Strauss seine Mitwirkung in letzter Minute absagen musste, übernahm Mahler diesen Teil. Am 13. und 14. März 1899 dirigierte er über Betreiben einiger einflussreicher katholischer Mitglieder des kaiserlichen Hofes, darunter vor allem der Erzherzogin Maria Josepha, das Oratorium »Die Auferstehung des Lazarus«, ein belangloses Dutzendwerk des – damals freilich als „neuer Palestrina“ begrüßten – Musikdirektors der Sixtinischen Kapelle Don Lorenzo Perosi. Der dreihundert Sänger starke Chor für diese beiden Aufführungen wurde aus verschiedenen Wiener Chorvereinigungen gebildet  ; den Hauptanteil daran hatte die seit 1858 in Konkurrenz zum »Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde« bestehende »Wiener Singakademie«. Am 17. Februar 1901 schließlich führte Mahler als „außerordentliches Konzert der Wiener Singakademie“ zum ersten Mal sein Jugendwerk, die Chorkantate »Das klagende Lied«, auf, wobei das Hofopernorchester durch einen Bläserchor verstärkt wurde. Als Einleitung stand Wagners »Faust«-Ouvertüre auf dem Programm. Mahlers dreiteilige Komposition, die er schon in Hamburg mehreren Revisionen unterzogen hatte, erklang in der Uraufführung, unter Weglassung des »Waldmärchen« betitelten ersten Teils, in einer zweiteiligen Fassung, die sich im Konzertbetrieb durchsetzte, bis das Werk 1997 erstmals in seiner Urfassung erklang. Nachdem eine für den 15. März geplante Wiederholungsaufführung des Werks wegen Mahlers Erkrankung nicht zustande gekommen war, setzte es die Wiener Singakademie ein Jahr später, am 20. Jänner 1902, erneut auf das Programm eines „außerordentlichen Konzerts“. Zu Mahlers Verdiensten gehört auch, die Wiener Philharmoniker auf ihre erste große Auslandsreise geführt zu haben – übrigens sehr zu seinem Missvergnügen, da die Reise in die Zeit der Theaterferien in der Hofoper fiel und so seine sommerliche Arbeitsperiode fürs Komponieren reduzierte. Anlass war die Teilnahme des Orchesters an der gigantischen Pariser Weltausstellung, die von April bis November 1901 abgehalten wurde und unter dem Motto „Bilanz des Jahrhunderts“ nahezu 50 Millionen Besucher anzog. Die Reise begann am Abend des 15. Juni 1900 und endete für Mahler am 23. Juni mit seiner Rückkehr nach Maiernigg. Bei der Weltausstellung gaben die Philharmoniker drei Orchesterkonzerte (zwei im Théâtre Châtelet, eines in der für Konzerte völlig unge-

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eigneten Halle des Trocadéro) und wirkten überdies bei zwei Konzerten des gleichfalls angereisten Wiener Männergesangvereins mit. Mahler beginnt sein erstes Programm in Paris mit Wagners »Meistersinger«-Ouvertüre und beendet sein letztes mit dessen »Tannhäuser«-Ouvertüre  ; dazwischen bietet er einen Querschnitt des von ihm mit den Philharmonikern erarbeiteten „klassischen“ symphonischen Repertoires  : u. a. Mozarts g-Moll-Symphonie, Beethovens Symphonien Nr. 3 und 5, Schuberts »Unvollendete«, die »Oberon«- und die »Freischütz«-Ouvertüre Webers, das Scherzo aus Bruckners Vierter Symphonie. Dazwischen gibt es, als Huldigung an das Gastgeberland, eine Aufführung der »Symphonie fantastique« von Berlioz. Die Konzerte gehen im Trubel der Weltausstellungs-Ereignisse ziemlich unter. „Wohl wuchs von Mal zu Mal die Teilnahme der Pariser Öffentlichkeit, aber wesentlich rapider stieg das Defizit“38 (Heinrich Kralik) – schließlich musste Mahler mit „höchst eigenhändig“ dem Bankier Rothschild abgebettelten 20.000 Franc dem Orchester die Heimreise „freikaufen“. Die Pariser Kritiken freilich sind in der Mehrzahl überschwänglich, wenn sie auch die „nationalen“ Unterschiede zum französischen Musizierstil übereinstimmend hervorheben. So schreibt der Musikkritiker Pierre Lalo  : „M. Mahler hat wie die meisten deutschen Dirigenten seiner Generation Fehler, die das genaue Gegenteil der Fehler unserer französischen Dirigenten darstellen. Bei uns denkt man über die Partituren der Meister überhaupt nicht nach, bei unseren Nachbarn denkt man zu viel. Man entdeckt in jeder Note eine Absicht  ; man hebt alles hervor  ; und man gelangt zu einer übermäßigen Komplizierung der Struktur, man zerstört den Aufbau des Stückes … Bedauerlicherweise hat M. Mahler, der einer der bemerkenswertesten Symphoniker deutscher Schule ist, sich nicht entschlossen, bei dieser Gelegenheit eins seiner Werke aufzuführen, und hat uns auch nur ein Fragment einer Bruckner-Symphonie hören lassen  : die ganze Symphonie wäre wertvoller gewesen.“39 Auch in Wien selbst hat Mahler von seinen eigenen Kompositionen nur die Zweite Symphonie im Nicolai-Konzert am 9. April 1899 und, wie erwähnt, in den Abonnementkonzerten am 18. November 1900 die Erste Symphonie sowie schon zuvor am 14. Jänner 1900 einige Orchesterlieder aufgeführt, obwohl damals auch schon die Dritte und Vierte Symphonie aufführungsreif vorlagen. Deren Uraufführung, wie die aller später vollendeten Werke bis auf die »Kindertotenlieder«, vergab er lieber an deutsche Musikstädte, als dass er sie der bornierten Feindseligkeit der Wiener Presse ausgesetzt hätte – und sich selbst dem Vorwurf, er nütze seine Machtposition für seine privaten künstlerischen Vorhaben aus. Im Gegenteil  : Mahler war, nach seinem Rücktritt von der künstlerischen Leitung der Wiener Philharmoniker, der „normale“ Weg, das beste und bedeutendste Orchester seines musikalischen Imperiums für seine eigenen Kompositionen einzusetzen, fortan verwehrt. Wohl hatte ihm Joseph Hellmesberger, als eine seiner ersten Amtshandlungen, die Erstaufführung der Vierten Symphonie in den Abonnementkonzerten 1901/02 an-

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geboten (Mahler dirigierte sie, knapp sechs Wochen nach der Münchner Uraufführung, am 12. Jänner 1902)  ; doch danach blieb die philharmonische Tür für drei lange Jahre verschlossen. Grund dafür waren mehrere Konflikte, die der Hofoperndirektor mit seinem Orchester 1902 und 1903 in der Öffentlichkeit austrug. Im Zentrum standen dabei zwei Vorgänge, durch die sich Mahler den Unmut der Musiker zugezogen hatte  : zum einen die Verhinderung einer Aufführung von Beethovens Neunter zur Eröffnung der „Secession“, die ihnen eine Zusatzeinnahme gebracht hätte, zum anderen die zahlreichen Entlassungen und Neuverpflichtungen von Orchestermitgliedern, mit denen Mahler eine Verjüngung der seit Eröffnung der Hofoper 1869 tätigen, inzwischen pensionsreifen Garde vornahm, was ihm den Vorwurf von Willkür und Gewaltherrschaft einbrachte. Beide Vorkommnisse haben sich unweigerlich auch auf sein Verhältnis zu dem in seiner Konzerttätigkeit autonomen Orchester ausgewirkt und so wohl den „absoluten Tiefpunkt in der Beziehung zwischen Gustav Mahler und den Wiener Philharmonikern“40 herbeigeführt. Deshalb musste Mahler seine Hauptwerke in den sogenannten „Gesellschaftskonzerten“ der Gesellschaft der Musikfreunde, in denen die Philharmoniker als „angemietetes“ k. k. Hofopern-Orchester auftraten, und in außerordentlichen Konzerten der beiden großen Wiener Chorvereinigungen – Singverein und Singakademie – den Wienern zu Gehör bringen  : die Vierte Symphonie gleich noch einmal am 20. Jänner 1902 in einem Konzert der Wiener Singakademie, in dem zuvor nochmals das (von ihr ein Jahr zuvor uraufgeführte) »Klagende Lied« zur Aufführung kam  ; die Dritte Symphonie am 14. Dezember 1904 in einem Konzert des Singvereins (am 22. Dezember fand, nunmehr unter Franz Schalks Leitung, eine Wiederholungsaufführung statt)  ; die Fünfte Symphonie schließlich in einem „außerordentlichen Gesellschaftskonzert“ am 7. Dezember 1905. Mit einer Aufführung der Zweiten Symphonie, mit jenem Werk also, das die Wiener im Nicolai-Konzert 1899 als erste Komposition Mahlers kennengelernt hatten, verabschiedete sich Mahler am 24. November 1907 unter „stürmischen Kundgebungen“41 des Publikums am Ende des Konzerts von der Stadt seiner größten Triumphe und bittersten Niederlagen. Dass Wien der Uraufführungsort der »Kindertotenlieder« wurde, war Arnold Schönberg zu verdanken. Mahler hatte Schönberg im Winter 1903/04, nach dessen Rückkehr vom ersten Berlin-Aufenthalt, kennengelernt, als sein Schwager Arnold Rosé, Konzertmeister des Hofopernorchesters und Primarius des Rosé-Quartetts, die Proben zu Schönbergs Streichsextett »Verklärte Nacht« in einem Raum der Hofoper abhielt. (Rosé hatte das Werk im März 1902 uraufgeführt.) Wenig später nahm Mahler die Einladung Schönbergs an, Ehrenpräsident der von ihm und Zemlinsky ins Leben gerufenen »Vereinigung schaffender Tonkünstler« zu werden, der allerdings nur eine einzige Konzertsaison beschieden war  ; erst Schönbergs zweitem Versuch einer Vereinsgründung zur

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Durchsetzung zeitgenössischer Musik in Wien, dem »Verein für musikalische Privataufführungen«, war 1918 mehr Erfolg beschieden. Verständlich, dass Mahlers Herz einer solchen Initiative gehörte  ; war doch sein ganzes Leben ein Kampf um die Durchsetzung der eigenen Kompositionen gewesen. Hier war die Chance, ideell für alle Bestrebungen einzutreten, die – gleich denen Mahlers – an Unverstand und Konservativismus, an der Bequemlichkeit des breiten Publikums und der Böswilligkeit der Kritik zu scheitern drohten  ; und hier war zweifellos auch eine Chance, den Wienern die eigenen Werke näherzubringen, ohne dafür das Amt des Operndirektors einsetzen zu müssen. Für den avantgardistischen Kreis um Schönberg wiederum war der Name Mahler ein unschätzbares Pfand im Ansehen der Öffentlichkeit und beim Bemühen um Förderung oder Mitwirkung seitens der Wiener Musikinstitutionen, der Orchester, der Verlage. Auch aus einem anderen Grund dürfte Mahler dem Wunsch der neuen Vereinigung gern entsprochen haben  : Gab sie ihm doch Gelegenheit, nach mehr als zweijähriger Pause wieder als Konzertdirigent vor das Wiener Publikum zu treten. Am 23. November 1904 leitete Mahler im 1. Orchesterkonzert der »Vereinigung schaffender Tonkünstler« die Wiener Erstaufführung der »Sinfonia domestica« von Richard Strauss  ; die Genehmigung dafür hatte Mahler zuvor von der k. und k. Hoftheater-Generalintendanz einholen müssen. Der Komponist dankte Mahler in einem Brief aus Berlin schon vier Tage später  : „… Ihnen ganz speciellen Dank für die wundervolle Aufführung, die Sie dem Werk bereitet haben. So undankbar eine solche Aufgabe für das Strohfeuer einer ‚Wiener Begeisterung‘ ist, so wenig soll Ihnen doch, was Sie gaben, von mir selbst vergessen sein.“42 Am 29. Jänner 1905 dirigierte Mahler wieder für die »Vereinigung«, diesmal in einem „Liederabend mit Orchester“. Mit den Wiener Philharmonikern und Sängern wie Weidemann, Moser und Schrödter führte er einige Lieder aus »Des Knaben Wunderhorn« und, zum ersten Mal, die »Kindertotenlieder« auf. Der Erfolg war so groß, dass das Konzert zweimal wiederholt werden musste  ; sehr zum Unterschied vom 2. Orchesterkonzert der »Vereinigung« vier Tage vorher, in dem Schönberg seine symphonische Dichtung »Pelleas und Melisande« zur Uraufführung gebracht hatte  : „Viele Hörer lachten, die meisten ergriffen verwirrt oder ärgerlich die Flucht, nur die überzeugten Anhänger applaudierten unentwegt“, berichtet die »Neue musikalische Presse«43. Die Aufführung der »Kindertotenlieder« war zusammen mit der vier Jahre früher erfolgten Aufführung des »Klagenden Liedes« (20 Jahre nach dessen Entstehung  !) die einzige Mahler-Uraufführung in Wien zu Lebzeiten des Komponisten. Selbst nach seinem Abgang aus Wien versöhnte sich der schöpferische Musiker nicht mehr mit den Institutionen des offiziellen Wiener Musiklebens. Die Uraufführung der Achten Symphonie, unbestrittener Höhepunkt der Laufbahn des Komponisten und Dirigenten Mahler, fand am 12. September 1910 unter fast hektischer Anteilnahme der Musikwelt nicht in Wien (wenn auch unter Mitwirkung des Singvereins der Gesellschaft der Musikfreunde),

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sondern in München statt. „Eine Sternfahrt der Mahlerianer setzte ein. Daß fast alles gekommen war, was geistig Rang, Namen oder Zukunft hatte, nahm der Veranstaltung in der Saal-Arena den fatalen Show-Charakter  ; es war der letzte europäische Konzertabend, bevor sich Europa in Krieg und Haß entzweite“44 (Karl Schumann). Auch Mahler selbst nahm an diesem Ereignis nur noch als Gast aus der Neuen Welt teil. Auch wenn dieses Kapitel ausdrücklich der Beziehung Mahlers zu den Wiener Philharmonikern gewidmet ist, darf die Darstellung seiner Beziehung zum Hofopernorchester nicht völlig in den Hintergrund treten. Herta Blaukopf kommt das Verdienst zu, das Augenmerk der Mahlerforschung auf die vielfältigen personellen, administrativen und künstlerischen Maßnahmen gelenkt zu haben, mit denen Mahler den „orchestralen“ Teil seiner Opernreform bewerkstelligt hat  : „Mahler hat mit den Musikern gearbeitet und gerungen, hat Musiker pensioniert und entlassen, hat neue engagiert, hat gegen sie gewütet und hat sie geliebt, wie auch die Orchestermitglieder ihm Bewunderung und Haß zugleich entgegenbrachten.“45 Alexander Wunderer, 37 Jahre lang Oboist des Wiener Opernorchesters und einer der bekanntesten Musiker Wiens, war als enger Freund und Vertrauter des von Mahler abgelehnten Franz Schmidt, aber auch aufgrund einer Kränkung, die Mahler dessen gleichfalls im Opernorchester tätigen Vater angetan hatte, keineswegs ein Freund Mahlers. Dennoch kommt er in seinen Erinnerungen zu einer höchst positiven, für einen Orchestermusiker erstaunlich objektiven Bewertung des Orchesterleiters und -erziehers Mahler. Er gesteht nicht nur, dass er und seine Kollegen erst unter Mahler gelernt hätten, „mit wirklichem Piano“ zu musizieren, sondern resümiert sogar  : „Das Verblüffende war, daß so musiziert wurde, wie es in der Partitur stand, und daß uns dies als etwas ganz Neues erschien. Man muß den Theaterbetrieb kennen, um zu wissen, wieviel Anteil die Routine, die Schlamperei und die Nachlässigkeit daran haben …“46 Die Ursachen für die „tragische Situation“, wie Herta Blaukopf es nennt, dass dieser Dirigent und dieses Orchester „ihre gemeinsamen Höchstleistungen nicht im Einverständnis, sondern in erbittertem Kampf‘47 erzielten, sind komplex und daher nur schwer zu definieren. Clemens Hellsberg nimmt Mahler sogar in Schutz  : „Von jenem Terror, den Mahlers Feinde geltend machen wollten, konnte keine Rede sein – das überalterte Orchester bedurfte dringend einer Auffrischung. Die Analysen aus historischer Sicht können aber weder über die tragischen Einzelschicksale der Betroffenen noch über Verbitterung und Ängste hinwegtäuschen, welche die Entlassungen im Orchester hervorriefen.“48 Kurt Blaukopf dagegen benennt die Ursachen  : „Bestimmt spielte der Antisemitismus im Orchester eine gewisse Rolle. Ebenso gewiß aber trug Mahlers Temperament zu Spannungen bei … Da Mahler sich im Moment des Nachschaffens als Schöpfer fühlte, ahndete er jeden Verstoß gegen das Werk mit Ungeduld und Schärfe … Diesem Despotismus im Namen der Kunst saß eine Masse ge-

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genüber, die sich wie jede Masse in erster Linie durch Trägheit auszeichnete. Die Wiener Hofopernmusiker wollten im Grunde einen Dirigenten wie Hans Richter, der wenige Proben abhielt, aber imstande war, sie im Augenblick der Aufführung zu hohen und höchsten Leistungen hinzureißen  ; der sich nicht in Details verbiß, sondern nur auf die große Linie achtete.“49 Mahler dagegen hielt viele Proben ab. Der von Anna von Mildenburg zitierte Ausspruch „Korrektheit ist die Seele einer Kunstleistung“50 wurde von Mahler in der tagtäglichen kompromisslosen und unermüdlichen Arbeit am Notentext beglaubigt. Die Arbeit am instrumentalen Detail – Stricharten der Streicher, Atemtechnik der Bläser, Pianospiel, Fragen der Phrasierung und Artikulation – stand zweifellos im Zentrum der Erziehungsarbeit, die Mahler in seinen Proben mit dem Orchester leistete. Sie wurde aber flankiert von allen erdenklichen Maßnahmen der Qualitätsverbesserung, die einem versierten Orchesterchef zu Gebote stehen  : Einflussnahme auf die Besetzung der „ersten Pulte“, Verzicht auf den Einsatz von Substituten, Verjüngung und Aufstockung des Orchesters, Gewinnung exzellenter Nachwuchsmusiker und (für diese Eigenmächtigkeit wurde Mahler besonders gescholten) Verpflichtung ausländischer Spitzenkräfte, die sich nicht den „Konkursen“, den obligaten Probespielen, stellen mussten. Schließlich sei noch die durch die Vergrößerung des Orchesters erforderlich gewordene bauliche Erweiterung des Orchestergrabens der Hofoper erwähnt, die Mahler zu Experimenten mit der Orchesteraufstellung nutzte – auch dies ein Ausdruck des alles umfassenden Kunstwillens, mit dem Mahler sein Ideal eines neuen Musiktheaters zu verwirklichen trachtete. „Solche Virtuosität, wie sie das Wiener Orchester unter Mahler erwarb“, schreibt Herta Blaukopf, „wurde erst einige Jahrzehnte später, als das musikalische Ereignis durch die Tonaufnahme wiederholbar wurde, allgemein und selbstverständlich. Der Ruhm des Wiener Orchesters in späteren Jahren stammte u. a. auch daher, daß seine Musiker durch Klangqualität und Präzision mit dieser Entwicklung Schritt halten konnten. Mahlers Orchester gehörte wie Mahler selbst der Zukunft an.“51 Das „Kapitel Wiener Philharmoniker“ darf nicht geschlossen werden, ohne zu erwähnen, daß die Beziehung zwischen dem Orchester und Gustav Mahler zuletzt doch noch einen versöhnlichen Aspekt bekommen hat. Gewiss war der Weg zurück in die Position des ständigen Konzertdirigenten Mahler für immer verwehrt. Aber für den Komponisten Mahler hatten die Wiener Philharmoniker dann doch ein offenes Ohr, wie den von Clemens Hellsberg veröffentlichten Sitzungsprotokollen zu entnehmen ist. So verschloss sich die Hauptversammlung des Orchesters am 16. September 1904 nicht dem Ansuchen des Konzertmeisters (und Mahler-Schwagers) Arnold Rosé, „Hrn. Direktor Mahler 2 Proben für seine V. Symphonie zu bewilligen, welche demnächst in Druck erscheint und Mitte Oktober in Cöln zur Aufführung gelangt und Hr

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Direktor Mahler das Werk aus diesen Gründen gerne vorher hören wollte. Selbstverständlich würden diese Dienste honoriert werden. …“52 Wir geben dem Archivar der Wiener Philharmoniker noch einmal das Wort  : „Als Mahler im April 1906 das Orchester ersuchte, ihm seine 6. Symphonie in drei Proben vorzuspielen, erklärte sich dieses wiederum einstimmig und ohne jede Diskussion dazu bereit. Von diesem neuerlichen großzügigen Entgegenkommen war der Direktor so sehr beeindruckt, daß er an die Musiker ein Schreiben richtete, das zu den schönsten Dankesbriefen gehört, welche die Philharmoniker je erhalten haben.“53 Es lautet  : „Es ist mir ein Bedürfniß, den geehrten Herren des Hofopernorchesters, die mir die Freude gemacht, mein neues Werk in so vollendeter Weise vorzuführen, meinen innigsten Dank zu sagen. Jedem Einzelnen von Ihnen – und Ihnen insgesammt – fühle ich mich verpflichtet und bitte Sie, die Versicherung entgegenzunehmen, daß es mich mit Stolz erfüllt, Ihnen nicht nur durch die Pflichten des Amtes sondern auch durch das Band der Kunst anzugehören, welches ja alle Berufenen ohne Ansehen der Person oder der Richtung vereinigt. Gustav Mahler“54

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Abb. 25  : Rollenfoto Anna von Mildenburg als Klytemnästra in Christoph Willibald Glucks Oper „Iphigenie in Aulis“ 1907 (Fotograf unbekannt) (ÖNB/Wien 499.076 – B)

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Abb. 26  : Rollenfoto Lucie Weidt als Leonore in Beethovens „Fidelio“ 1904 (KHM-Museumsverband, Theatermuseum Wien; FS_PG 260.303 alt)

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Abb. 27  : Briefkarte Gustav Mahlers an den Komponisten Carl Goldmark, ô. O., o. D. (Wien, 2. Dezember 1903) (Privatarchiv Torsten Haferlach, München)

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Abb. 28  : Briefkarte Gustav Mahlers an den Komponisten Richard Strauss, o. O., o. D. (Wien, nach dem 9. Dezember 1905) (Richard Strauss Archiv Garmisch-Partenkirchen, M 53)

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Abb. 29  : „Melodram Nr. 3“, eigenhändiges Musik-Manuskript Gustav Mahlers zu Carl Maria von Webers „Oberon“ (Privatarchiv Torsten Haferlach, München)

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Abb. 30  : Theaterzettel der Abschiedsvorstellung Gustav Mahlers am 15. Oktober 1907 (KHM-Museumsverband, Theatermuseum Wien; PA Rara S 543)

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Abb. 31  : Gustav Mahlers Enthebungsdekret mit Unterschrift des Kaisers, letzte Seite (AT-OeStA, HHStA HA, OMeA 1750 19 A 42)

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Abb. 32  : Gustav Mahlers Abschiedsschreiben an die Mitglieder der Wiener Hofoper, 7. Dezember 1907 (Privatarchiv Torsten Haferlach, München)

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DER KÜNSTLER UND DIE BÜROKRATIE „Die Stellung eines Direktors der Wiener Hofoper war damals vollkommen totalitär. Der Direktor unterstand nur dem Kaiser und dessen erstem Beamten, zur Zeit dem Obersthofmeister Fürsten Montenuovo. Beide hatten den größten Respekt vor Gustav Mahlers Charakter und Ernst und ließen ihn schalten und walten.“1 Auch dieser Eintrag in Alma Mahlers Autobiographie »Mein Leben« ist leider höchstens halb wahr und hat deshalb zu folgenreichen Fehleinschätzungen von Mahlers Befugnissen und seinem Verhältnis zu seiner „vorgesetzten Behörde“ geführt. Selbst ein so gewissenhafter Biograph wie Kurt Blaukopf behauptet im Vertrauen auf diese und andere von Mahler-Zeitgenossen kolportierten Halbwahrheiten, der Intendant – gemeint ist Mahlers unmittelbarer Vorgesetzter, der „k. und k. General-Intendant der k. k. Hoftheater“ – „griff in die Führung der Operngeschäfte kaum ein, denn Mahler hatte sich längst den direkten Zutritt zum Herrn über alle Hoftheaterangelegenheiten verschafft  : zum Obersthofmeister Fürst Montenuovo, dem auch die Intendanz unterstellt war“2. Die Dokumente, die das Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv verwahrt, sprechen eine andere Sprache. Unbestritten ist, dass der Kaiser und sein oberster Theaterbeamter „den größten Respekt vor Gustav Mahlers Charakter und Ernst“ hatten, aber auch, dass sie Mahler die längste Zeit vor den nicht ungefährlichen Angriffen abschirmten, die sein strenges und unerbittliches Regiment auslöste – bevorzugt in Kreisen, deren Stellung und Einfluss sich entweder aus nobilitierter Herkunft oder aus adeliger Protektion ableiteten. Von der freundlich geneigten Einstellung Kaiser Franz Josephs zu seinem so umkämpften wie erfolgreichen Operndirektor geben die Mahler verliehenen Orden und Auszeichnungen ebenso Kunde wie viele Anekdoten, von denen die meisten durchaus glaubwürdig sind. Kein Zweifel aber auch, dass sich hinter der Fassade der Selbständigkeit, die Mahler kraft seines Amts und durch das Wohlwollen der höchsten Stellen beanspruchen durfte, ein nervenaufreibender Kleinkrieg abspielte, ein unablässiger Kampf um grundlegende Rechte künstlerischer Entscheidungsfreiheit und Handlungsvollmacht. Es ist tief kennzeichnend für das diskret-anonyme System der österreichischen Bürokratie, dass der Hauptgegner Gustav Mahlers diesen Kampf aus dem Verborgenen führen konnte und selbst heute noch in der Mahler-Literatur ein nahezu Unbekannter ist  : Generalintendant August Freiherr Plappart von Leenheer. Auf halbem Weg zwischen der Hofburg, wo das Obersthofmeisteramt residierte, und der Hofoper, wo Mahlers Büroräume waren, lag das Dienstgebäude der Generalintendanz in der Bräunerstraße. Auch der Instanzenweg zwischen Mahler und seinem obers-

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ten Dienstherrn führte nur über die Generalintendanz. Die Unterstellung einer künstlerischen Position wie die Mahlers unter eine mehrfache Administration mag uns heute als ungebührliche und überflüssige Bürokratisierung des Theaterwesens erscheinen  ; doch die Einordnung auch dieses Bereichs in die hierarchisch gegliederte und zentralistisch geführte Administration der österreichischen Monarchie hatte, aus ihrer historischen Entwicklung heraus, durchaus ihre Berechtigung. War doch gerade im österreichischen Beamtentum mehr als hundertfünfzig Jahre lang die Garantie für den Zusammenhalt eines Reiches gegeben gewesen, dessen Größe und Bestand nicht zuletzt durch seine administrative, sprachliche, musische, kurz  : seine kulturelle Einheit gesichert wurde. Robert Musil hat diese Leistung in seinem »Mann ohne Eigenschaften«“ liebevoll-ironisch reflektiert  : „Verwaltet wurde dieses Land in einer aufgeklärten, wenig fühlbaren, alle Spitzen vorsichtig beschneidenden Weise von der besten Bürokratie Europas, der man nur einen Fehler nachsagen konnte  : sie empfand Genie und geniale Unternehmungssucht an Privatpersonen, die nicht durch hohe Geburt oder einen Staatsauftrag dazu privilegiert waren, als vorlautes Benehmen und Anmaßung. Aber wer ließe sich gerne von Unbefugten dreinreden  ! Und in Kakanien wurde überdies immer nur ein Genie für einen Lümmel gehalten, aber niemals, wie es anderswo vorkam, schon der Lümmel für ein Genie.“3 Hinter Eingaben und Vorlagen versteckt, mit „Exoffo“, „Intimat“ und „Rescript“ lavierend, konnten fähige wie unfähige, aufgeschlossene wie kleinkarierte Beamte künstlerische Initiative fördern oder lähmen. Als Gustav Mahler seine Kapellmeisterstelle in Wien anstrebte, fand er eine günstige personelle Konstellation in der HoftheaterIntendanz vor  : Generalintendant war der kunstsinnige Dr. Josef Freiherr von Bezecny, ausgebildeter Jurist und, nach einer Karriere im Finanzministerium, hauptberuflich „Gouverneur“ der Bodenkreditanstalt  ; Kanzleidirektor war der Mahler wohlgesonnene Dr. Eduard Wlassack, auch er Jurist und zunächst „Hofsekretär“ im Obersthofmeisteramt, zu dessen Agenden auch die Hoftheater zählten. Doch als Bankdirektor konnte Bezecny den Hoftheatern nicht seine volle Arbeitskraft widmen. Mahlers Bestürzung, als knapp vor seinem Dienstantritt die Absicht Bezecnys zu demissionieren bekannt wurde, sollte nur allzu berechtigt sein. Doch Bezecny blieb Mahler noch wenige Monate erhalten und konnte so noch für dessen Bestellung zunächst zum Stellvertreter Wilhelm Jahns, dann zum neuen Hofoperndirektor sorgen. In ihrer Morgenausgabe vom 15. Februar 1898 veröffentlichte die »Neue Freie Presse« unter der Rubrik »Theater- und Kunstnachrichten« die längst befürchtete Meldung  : „Wie bereits gemeldet, ist der Rücktritt des General-Intendanten der Hoftheater, Freiherr v. Bezecny, nunmehr als vollzogene Thatsache anzusehen. Alsbald nach der Enthebung des General-Intendanten soll auch die General-Intendanz selbst aufgelöst werden. Diese letztere Version wird von verschiedenen Seiten mit dem Hinzufügen bestätigt, daß die Auflösung dieser Hofstelle unmittelbar nach der Entscheidung des Kaisers

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über das Demissions-Gesuch des Baron Bezecny erfolgen wird. In diesem Falle würde die bisherige General-Intendanz in ein vorwiegend administratives Departement des Obersthofmeister-Amtes umgewandelt werden  ; an die Spitze desselben soll der frühere Sections-Chef im Ministerium des Innern, Freiherr v. Plappart, der schon im verflossenen Sommer in der Oeffentlichkeit wiederholt als Nachfolger des Baron Bezecny genannt wurde, gestellt werden. Auch Regierungsrath Wlassack soll, unter gleichzeitiger Beförderung zum Hofrathe, in die Leitung dieses neugeschaffenen Departements berufen werden. Der kürzlich neuernannte zweite Obersthofmeister Fürst Montenuovo hätte als Chef dieses Departements zu fungiren. Die Entscheidung über diese Veränderungen im Hoftheaterwesen soll in kürzester Zeit erfolgen.“4 So geschah es auch. Für Gustav Mahler bedeutete weniger die organisatorische Neuordnung als vielmehr die personelle Besetzung der Generalintendanz eine große und, wie sich zeigen sollte, dauerhafte Belastung. August Freiherr Plappart von Leenheer kam aus der Hofverwaltung und blieb ein korrekt-trockener Beamter, auch als er an die administrative Spitze der Hoftheater – neben der Hofoper gehörten das Burgtheater, das Pensions-Institut der Hoftheater und der Hoftheater-Fundus zu seinem Aufgabenbereich – berufen wurde. Welche Folgen dessen unmusisch-pedantische Einstellung für die künstlerische Selbständigkeit der Plappart unterstellten Theaterdirektoren hatte, sollte Mahler nur allzu schnell zu spüren bekommen. Ob der frisch ernannte Hofrat Wlassack wirklich, wie auch in einer früheren Ausgabe dieses Buches behauptet, „der gute Geist der Generalintendanz“ war, ist neueren Forschungen zufolge zumindest fraglich. Unbestritten sind Wlassacks Verdienste um die Berufung Mahlers als Nachfolger Wilhelm Jahns an die Wiener Hofoper, auch wenn inzwischen zu vermuten steht, dass er, der fast zwanzig Jahre Ältere, sich durch sein Eintreten für den jungen Hamburger Kapellmeister einen erheblichen Einfluss auf das künstlerische Profil der Hofoper erhofft haben dürfte. Aber ob Mahler zum Kanzleidirektor der Hoftheater-Intendanz tatsächlich bis zu dessen Ausscheiden am 31. Mai 1903 geradezu freundschaftliche Beziehungen unterhalten hat, muss stark bezweifelt werden. Henry-Louis de La Grange konstatiert jedenfalls im zweiten, 1995 erschienenen Band seiner großen Mahler-Monographie, dass Wlassack bei kleineren Kontroversen mit dem Hofoperndirektor in der Regel nachgeben musste  : „aber der Kampf war lang und bitter, und Wlassack wurde danach zum gefährlichen Gegner.“5 Die wichtige Rolle, die Eduard Wlassack für Mahlers Inthronisation zum „Gott der südlichen Zonen“6 gespielt hat, ist im zweiten Kapitel dieses Buches ausführlich dargestellt. Mahlers Verhältnis ist in den Anfangsjahren dementsprechend stark von Dankbarkeit und „Beratungsbedarf“ geprägt. Ein eindrucksvoller Beleg dafür ist eine Briefkarte Wlassacks an Mahler vom 18. Dezember 1898. Mahler hatte den von ihm selbst verfassten Entwurf für seine „Dienstes-Instruction“ an Wlassack zur Begutachtung geschickt, und der Plappart unmittelbar unterstellte Beamte versah sie Mahler zuliebe mit Kor-

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rekturvorschlägen, deren Befolgung er „zur Vermeidung von Conflicten für unbedingt nöthig“7 erachtete. Diese Dienstes-Instruktion regelte die Pflichten und Rechte des Hofoperndirektors und stellte somit die Ausführungsbestimmungen für den im Anstellungsdekret umrissenen Wirkungskreis Mahlers dar. Schon in der „Vorlage“, mit der der Erste Obersthofmeister die Pensionierung Jahns und die Berufung Mahlers beim Kaiser beantragt hatte, wird für den neuen Operndirektor die Einschränkung gemacht, „daß derselbe nur mit der artistischen Leitung betraut, ihm sohin das Vorschlagsrecht in allen artistischen und artistisch-ökonomischen Dingen, sowie die Exekutive in Ansehung der genehmigten Vorschläge übertragen werden soll, während die rein administrativen Angelegenheiten der General-Intendanz zuzufallen hätten“8. Die Entscheidungsbefugnis lediglich „in Ansehung der genehmigten Vorschläge“ ist dann auch das Kernstück des Anstellungsdekretes  : „In Ihrem Wirkungskreise als artistischer Direktor wird Ihnen in allen artistischen Angelegenheiten des k. k. Hofoperntheaters die Leitung, beziehungsweise das Vorschlagsrecht und die Exekutive in Ansehung der genehmigten Vorschläge zustehen.“9 Mahler wusste um die Wichtigkeit jedes einzelnen Paragraphen dieser Dienstes-In­ struktion und kämpfte dementsprechend geradezu verbissen um seine Handlungsfreiheit in allen Belangen. Nicht weniger als drei Entwürfe bewahrt das Wiener Archiv auf, alle drei in Einzelheiten voneinander abweichend und immer wieder, zum Teil von Mahlers eigener Hand, mit Korrekturen versehen. Die gültige Reinschrift schließlich trägt das Datum vom 10. Februar 1899 – nahezu ein Jahr war nötig, ehe sich Plappart und Mahler über den Text geeinigt hatten. „Zu wiederholten Malen habe ich Sie gebeten, mir Ihre Wünsche bezüglich Ihrer Dienstes-Instruction bekannt zu geben, ohne daß Sie bisher diesem Ersuchen entsprochen hätten. Ich muß Sie nun dringend bitten, binnen acht Tagen mir einen diesfälligen Bericht vorzulegen, oder doch an der Hand der Ihnen zur Einsicht zugekommenen Dienstes-Instruction des Burgtheater-Directors Ihre etwaigen Bemerkungen zum Ausdruck zu bringen. Sollten Sie innerhalb der angegebenen Frist nicht gesonnen sein dies zu thun, so wird Ihnen eine hieramts ohne Ihr vorheriges Einvernehmen ausgearbeitete Dienstes-Instruction zugehen, auf deren stricte Einhaltung dann selbstverständlich der größte Nachdruck gelegt werden wird.“10 Erst auf dieses Ultimatum Plapparts hin, mit Datum vom 6. Dezember 1898, bequemt sich Mahler dazu, analog zu den Verfügungen für den Burgtheaterdirektor, seinen Freund Max Burckhard, einen Entwurf aufzusetzen und ihn, nochmals abgeändert, an Kanzleidirektor Wlassack zu senden. Wlassack macht die Kürzungen, die Mahler, um sich die Handlungsfreiheit nicht zu blockieren, in den Paragraphen 10 (Gastspiele von Sängern) und 11 (Urlaube von Mitgliedern) vorgenommen hatte, wieder rückgängig, richtet aber nichts aus, als er Mahler die Streichung eines Absatzes im Paragraphen 14

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(Finanzgebarung) nahelegt, in dem sich Mahler die Verfügungsgewalt über die sogenannten „Tageskosten“ (rasch zu tätigende Ausgaben des täglichen Betriebs) sichern will. Gerade dieser Passus ist dann Anlass zu einer der Korrekturen, welche die Generalintendanz in Mahlers endlich vorgelegtem Entwurf vornimmt und für die sie sich seiner Zustimmung versichern will  : „Der von der k. und k. Direction vorgelegte Entwurf einer Dienstes-Instruction folgt mit den hieramts vorgenommenen, roth eingezeichneten Correcturen im Anschluße zurück und ist mit einem, die Kenntnisnahme von diesen Correcturen bestätigenden Visum des Directors versehen, wieder vorzulegen“11, heißt es in einem Schreiben Plapparts an Mahler vom 24. Dezember 1898. Diese drohende Beschneidung seiner direktorialen Befugnisse ruft Mahler erneut zum Protest auf. Mit einem Schreiben vom 4. Jänner 1899 „erlaubt“ er sich, „gegen diese Correcturen ganz ergebenst folgende Einwendungen zu erheben“  : nämlich praktisch die Wiederherstellung seines Textes in allen fünf von der Generalintendanz beanstandeten Paragraphen zu verlangen. Sehr geschickt stellt Mahler seine Formulierungen als „neue Stylisierungen“ von Tatbeständen hin, über die ohnedies Einverständnis bestehe. Und erreicht damit nur in einigen Nebensächlichkeiten, dass seinen Einwänden nachgegeben wird. Es ist ein Kampf um jeden Paragraphen, ja um jede Formulierung  : Die Frage etwa, ob der Direktor „mit Genehmigung der Generalintendanz“ oder diese „auf Vorschlag des Directors“ eine Verfügung treffen dürfe, wird zum Prinzipienstreit. Die Zähigkeit dieses Kampfes kann nur verstehen, wer Mahlers profunde Kenntnis des Opernbetriebs ebenso in Rechnung stellt wie den Totalitätsanspruch seines Künstlertums. So muss es den Widerspruch des professionellen Theaterleiters hervorrufen, wenn man ihm, nur um eine Handhabe zum rechtzeitigen Einspruch gegen seine künstlerischen Pläne zu haben, zum Ende einer Saison ein „Arbeitsprogramm“ für die jeweils nächste abverlangen will, „welches die bereits in Aussicht genommenen Novitäten oder Reprisen zu enthalten hat, bezüglich deren Reihenfolge“ – wie großzügig  ! – „dem Director die Bestimmung überlassen bleibt“. In seinem Protestschreiben beteuert Mahler, ein solches Arbeitsprogramm könne „unmöglich gewissenhaft durchgeführt“ werden, und begründet dies  : „Die betreffenden Dispositionen lassen sich im Allgemeinen erst einige Zeit nach Beginn der Saison festsetzen, sobald ein halbwegs klares Bild über die um diese Zeit thatsächlich zur Verfügung stehenden Mitglieder vorliegt. Selbstverständlich müssen diese Dispositionen durch eintretende Erkrankung eines oder des anderen Mitglieds und sonstige nicht vorher zu sehende Umstände immer wieder geändert werden. Die Ausarbeitung eines bestimmten Novitäten-Programms würde eine Arbeit von 2 – 3 Wochen erfordern und es wäre die hierfür verwendete große Mühe ganz umsonst, da ja eine Garantie für die Durchführung des Programms absolut nicht gegeben werden könnte.

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Ich kann die Versicherung aussprechen, daß auch an keinem großen Theater ein derartiger Usus besteht. Dem Director muß eben in dieser Hinsicht völlig freie Hand gelassen werden, damit er je nach den obwaltenden Verhältnissen seine Entscheidung treffen kann.“12 Die erbetene Streichung des Passus wurde Mahler nicht gewährt  ; der einzige Erfolg, den er erzielte, bestand in einer Terminverschiebung  : Wie man in der Dienstes-Instruktion nachlesen kann, hatte Mahler das Arbeitsprogramm „alljährlich und zwar längstens ein Monat nach Beginn der Saison … für die laufende Saison“ vorzulegen. Auch in den übrigen Punkten – Genehmigungspflicht von Verfügungen in Personalangelegenheiten und von Gastspielen fremder Sänger, Entscheidungsbefugnis in Dringlichkeitsfällen – hat sich zuletzt die Generalintendanz durchgesetzt. Im Falle einer Meinungsverschiedenheit über Mahlers Rechte – und dieser Fall sollte nur allzu bald eintreten – blieb nur der Weg ins Obersthofmeisteramt. Wie verständnislos und (durch die Richtlinien der Dienstes-Instruktion gedeckt) feindselig der Bürokrat Plappart dem Künstler Mahler gegenüberstand, zeigt ein aktenkundig gewordener Zwischenfall von Ende 1898. Mahler wünscht die Einleitung einer Disziplinaruntersuchung  : „In letzterer Zeit sind in mehreren Journalen Aufsätze erschienen, in welchen verschiedene von mir getroffene dienstliche Anordnungen einer äußerst abfälligen Kritik unterzogen wurden. Abgesehen hiervon gelangten an die Presse auch wiederholt Mit­ theilungen injuriösen Inhaltes meine Person betreffend. Verschiedene Anhaltspunkte ließen darauf schließen, daß der Verfasser dieser anonymen Einsendungen ein Orchestermitglied sein müsse. Es konnte selbstverständlich nicht ruhig hingenommen werden, daß ein am Institute engagiertes Mitglied in solcher Weise gegen seinen Director conspiriert, und als durch Zufall eine derartige Correspondenz in meine Hände gelangte, habe ich durch einen Sachverständigen im Schreibfache eine Prüfung vornehmen lassen, durch deren Resultat meine Annahmen bestätigt wurden.“ Für die 40 Gulden, die das Schriftgutachten kostet, bittet Mahler „um nachträgliche hochgeneigte Genehmigung“.13 Plappart verlangte zunächst Auskunft darüber, in welchen Blättern die Angriffe gegen Mahler erschienen seien und „in welcher Art die Correspondenz in die Hände des Directors gelangte“. In dem Intimat, mit dem er Mahler die Rückerstattung des Geldes zusagt, unterlässt er es nicht, „der Direction“ vorzuhalten, „daß dieselbe ohne Zustimmung der General-Intendanz zur Ertheilung des betreffenden Auftrags, bzw. zu dieser mit einer Geldauslage verbundenen Amtshandlung nicht berechtigt war“14. Mahler steckt zurück. In seiner Antwort nennt er die »Deutsche Zeitung« als Erscheinungsort der anonymen Angriffe auf seine Person und gibt die ihm zugekommene Information weiter, dass „die gleichen Correspondenzkarten an alle Wiener Journale verschickt worden sind“  ; eine Abschrift legt er bei. Gleichzeitig verzichtet er jedoch auf die Durchführung der Disziplinaruntersuchung, da es ihm „vor Allem nur darum zu thun“

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Der Künstler und die Bürokratie

war, „den Autor zu eruiren und da dießbezüglich die Angelegenheit bereits aufgeklärt ist“.15 Noch einmal sechs Tage später ist Plapparts Sieg vollkommen  : Mahler zieht auch sein Ansuchen um Rückerstattung des Gutachter-Honorars zurück. Er bittet, „die mit einer Rüge verbundene Hohe Genehmigung wieder rückgängig zu machen und wird derselbe den Betrag von fl. 40,- persönlich begleichen.“16 Die Schriftstücke und Akten, die das Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv über den Schriftwechsel zwischen Operndirektor und Generalintendanz verwahrt, lesen sich wie spannende, freilich auch deprimierende Frontberichte von einem Kriegsschauplatz, auf dem – verborgen vor der Öffentlichkeit – die eigentliche Schlacht um das künstlerische Ansehen der Wiener Hofoper geschlagen wurde. Die Auseinandersetzungen betreffen organisatorische, finanzielle, vertragsrechtliche Fragen, Einzelheiten der Engagementsbedingungen und Urlaubsregelungen der von Mahler verpflichteten Sänger, Genehmigungen seiner eigenen Dienstreisen und seiner Urlaube zu Aufführungen seiner Symphonien, und immer wieder Ermahnungen zur Einhaltung des Mahler vorgegebenen Budgets – lauter Sachverhalte also, die direkt oder indirekt das künstlerische Geschehen an der Hofoper maßgeblich beeinflussen. Kein Wunder, dass Mahler um jedes Detail mit fanatischer Insistenz, oft mit dem Mut der Verzweiflung ringt. Kein Wunder auch, dass Mahler in vielen Fällen die Hilfe der obersten Theaterinstanz der Monarchie, des Obersthofmeisteramtes, in Anspruch nimmt, um seine künstlerischen Ziele gegen seinen eigenen Intendanten durchzusetzen. Man darf Ludwig Karpath aber auch Glauben schenken, wenn er in seiner Schrift »Begegnung mit dem Genius« behauptet, „daß Mahler im Laufe der Jahre mehrere Male um seine Entlassung gebeten hatte, diese aber vom Fürsten nie bewilligt wurde“17. Der Sinn der unablässigen Einflussnahme der Generalintendanz in Form von Einschränkung, Verweigerung, Abänderung des von Mahler Vorgeschlagenen oder Gewünschten ist schwer einzusehen. Mag sein, dass sich der trockene Pedant Plappart von seinem prinzipiellen Einspruch und Widerspruch gegen jegliche Maßnahme Mahlers eine Disziplinierung des „unseriösen“ Künstlers versprach. Oft scheint es aber auch, als hätte purer Hass auf das Musische die Entscheidungen der k. k. Hoftheater-Bürokratie bestimmt. Die Erschließung des Quellenmaterials, das in den Akten des Wiener Staatsarchivs ruht, wird zweifellos noch weitere Details des Kampfes zwischen Künstler und Bürokratie ans Licht bringen und vielleicht auch eine Begründung dafür liefern. Hier steht der theaterwissenschaftlichen Forschung noch ein weites Feld offen.

DER HILFERUF AN DEN F ÜRSTEN Erster Obersthofmeister war von 1896 bis 1908 Rudolf Fürst von und zu Liechtenstein  ; Zweiter Obersthofmeister war Alfred Fürst Montenuovo, der erst am 5. Jänner 1909 in Liechtensteins Stelle nachrückte, gleichwohl schon davor der eigentliche Herr über alle Wiener Theaterangelegenheiten war. Die Dokumente aus dem Obersthofmeisteramt tragen, bis auf die Vorlage an den Kaiser wegen der Amtsenthebung Mahlers im Jahre 1907, ausschließlich die Unterschrift Liechtensteins. Man geht aber nicht fehl, wenn man hinter den mit Liechtensteins Unterschrift in Kraft gesetzten Schriftstücken den Willen und die Entscheidungen Montenuovos vermutet. Bruno Walter hat in seinen Erinnerungen Montenuovo als „kalt und selbstsicher, etwas trocken-beamtenhaft, aber vollkommen zuverlässig und unerschütterlich in seinen Überzeugungen“ beschrieben. „Es muß ihm als hohes Verdienst angerechnet werden, daß er allen Intrigen und Feindseligkeiten gegen Mahler, für die einflußreiche Frauen und Männer der Gesellschaft bis in den Kreis der Erzherzöge sein Ohr und seine Macht zu gewinnen suchten, zehn Jahre hindurch festen Widerstand geleistet hat.“1 Zweifellos hat Montenuovo auch für die Bereinigung all der Konflikte gesorgt, die sich aus der bürokratenhaft-engstirnigen, ja feindseligen Einstellung Plapparts zu Mahler ergaben. Daß die Rechtslage, auf Grund der Mahler abgenötigten DienstesInstruktion, zumeist den Operndirektor ins Unrecht setzte oder zumindest keine offene Missbilligung der Maßnahmen Plapparts zuließ, hat ihm seine Mittlerrolle sicherlich nicht leichter gemacht. Zudem trat bei einem Eingreifen der obersten Theaterbehörde nach außen hin ja nur der Erste Obersthofmeister Fürst Liechtenstein in Erscheinung. So auch bei der Kontroverse, die wenige Monate nach dem Inkrafttreten der DienstesInstruktion ausbrach und rasch die Formen eines offenen Krieges zwischen Mahler und Plappart annahm. Zwei an sich geringfügige Anlässe hatten eine Beschwerde über den seine Befugnisse angeblich überschreitenden Mahler ins Rollen gebracht, die dem Operndirektor eine allerhöchste Rüge eintrug. Wohl musste auch Plappart den Wink zum Einlenken hinnehmen, mit der Bestätigung seines Weisungsrechts gegenüber Mahler siegte aber der Verwaltungsapparat über den künstlerischen Autonomieanspruch, und Montenuovo musste zweifellos seinen ganzen Einfluss aufbieten, um Mahler von einer Demission schon in seinem zweiten Amtsjahr abzuhalten. In einer umfangreichen Eingabe, einem Dokument von hohem zeitgeschichtlichem Wert und zugleich erschütternder Eindringlichkeit, rechnet freilich Mahler mit seinem Vorgesetzten ab. Dies die Vorgeschichte  : Mahler hatte bald nach seiner Amtsübernahme zwei Künstler engagiert, von denen er sich, als sie seinen künstlerischen Erwartungen nicht genügten,

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wieder zu trennen suchte  : die Sängerin Francés Saville und den Regisseur Albert Stritt, dem er, zur Entlastung seiner eigenen Inszenierungstätigkeit, den Posten des – so würde man heute sagen – Oberspielleiters zugedacht hatte. Mahler tat, was jeder Theaterdirektor tut, wenn er sich bei seinen Engagements geirrt hat  : Er entzog den beiden die Aufgaben, für die sie vorgesehen waren. Albert Stritt, der als Albert Friedrich Louis Stritzel in Königsberg geboren wurde, hatte zunächst eine Schauspieler-Karriere durchwandert, die ihn bis ins Wiener Burgtheater führte, ehe er auf Anraten von Hans Richter eine Gesangsausbildung machte und Heldentenor wurde. Die Karriere als Sänger führte ihn über Karlsruhe, Frankfurt und Hamburg bis an die Metropolitan Opera in New York, wo er 1886 den Stolzing in der Erstaufführung von Wagners »Meistersingern« sang. Schon 1882 hatte er an der Wiener Hofoper gastiert, nach 1893 trat er nur noch als Gast auf. Gustav Mahler wusste also sehr wohl, welches „Kaliber“ er für die neue und ungewohnte Tätigkeit des Regieführens er an sein Haus verpflichtet hatte. Doch Stritt blieb schon bald nach Engagementantritt unbeschäftigt und war somit genötigt, sich nach einer anderen Position umzusehen. Bei der Sängerin Saville kam Mahler der Umstand zugute, dass sie über den ihr vertraglich zustehenden Urlaub hinaus einen zusätzlichen unbezahlten Gastierurlaub in Anspruch nahm, sodass Mahler sie über längere Zeit in der Hofoper selbst nicht beschäftigen musste. Beide Künstler jedoch fühlten sich ungerecht behandelt, und beide fanden bei Mahlers Vorgesetztem ein geneigtes Ohr. Plappart beanstandete die Nichtbeschäftigung Stritts und bewilligte ihm schließlich, als sein Weggang nach Straßburg feststand, eine als Übersiedlungsbeihilfe deklarierte Abfindung, die wiederum Mahler als ungerechtfertigt empfand. Außerdem verlegte Plappart den vertraglichen Urlaub von Francés Saville auf die Zeit ihrer außerkontraktlichen Abwesenheit, um Mahler so zu zwingen, die Sängerin nach ihrer Rückkehr wieder uneingeschränkt in den ihr zugewiesenen Rollen einzusetzen. Mahler protestierte gegen die Entscheidungen Plapparts, monierte die ihm unvertretbar erscheinende finanzielle Zuwendung an Stritt und wies seinem Intendanten eine gleich dreifache Rechtsverletzung nach. Begreiflich, dass Plappart sich vor dem Obersthofmeister zu rechtfertigen suchte, indem er nun seinerseits Mahler attackierte und ihm Insubordination und Überschreitung seiner Befugnisse vorwarf. Die Antwort an Plappart aus dem Obersthofmeisteramt, die Liechtensteins Unterschrift trägt, ist ein Erlass vom 6. April 1899, der ein bezeichnendes Licht auf das Verhältnis von Künstler und Bürokratie aus sozusagen allerhöchster Sicht wirft. Das „streng vertrauliche“ Schreiben, von dem Plappart gleichwohl „dem Director des Hofoperntheaters in Erledigung seines Berichtes eine Abschrift zukommen“ lassen muss, rekapituliert zunächst den Vorwurf Mahlers wegen der Einmischung im Fall Saville und seine Beschwerde wegen Gewährung der „Übersiedlungsbeihilfe“ an Stritt. Mit einem –

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beinahe selbstverständlichen – Hinweis auf den Paragraphen 1 der Dienstes-Instruktion wird Mahler dann vom Obersthofmeisteramt frontal angegriffen  : „Werden diese Bestimmungen den vorgedachten Berichten entgegengehalten, so unterliegt es keinem Zweifel, daß sowohl Inhalt, als Ton und Absicht dieser Schreiben mit dem Verhältnisse der Unterordnung und der durch dieselbe bedingten Disciplin nicht im Einklange steht. Angesichts dieser Thatsache und da das Recht der k. und k. General-Intendanz, über die Anträge des Directors zu entscheiden, es keineswegs ausschließt, daß solche Entscheidungen in einem von diesen Anträgen abweichenden Sinne erfließen, tritt die Frage, ob die Entscheidung bezüglich des Urlaubs der Frau Saville nicht besser nach dem Antrage des Directors zu treffen gewesen wäre, ganz in den Hintergrund, während anderseits die Anschauung des Directors, daß die k. und k. General-Intendanz dem Regisseur Stritt keine Abfindung zugestehen hätte sollen, wiewohl der Director auf die weitere Wirksamkeit des Regisseurs Stritt ausdrücklich verzichtet hatte, die Beschwerde in einem eigenthümlichen Lichte erscheinen läßt. Der Director versucht sein vermeintliches Recht in dem einen Falle durch den Hinweis auf die Schädigung des Institutes, welche er in der Entscheidung der k. und k. General-Intendanz erblickt, in dem anderen trotz der Schädigung, die dem Institute bei Berücksichtigung seiner Anschauung erwachsen wäre, zu vertreten. Bei diesem Sachverhalte ist nicht zu verkennen, daß der Director in seiner Wirksamkeit der, nicht lediglich in seiner Instruction, sondern schon in der Natur seiner Stellung begründeten Unterordnung gegenüber der k. und k. General-Intendanz nicht die gebührende Beachtung zutheil werden läßt. Da ich das künstlerische Streben des Directors und den Erfolg, den derselbe auf musikalischem Gebiete aufzuweisen hat, nicht verkenne, muß ich Werth darauf legen, daß der Director auch den Pflichten der Disciplin die nöthige Rücksicht zolle, wie dies ja schon im Hinblicke auf den großen Körper, der seiner Leitung untersteht, geboten erscheint, zumal die Aufgabe zu befehlen von Jenen in geeigneterer Weise geübt wird, die auch zu gehorchen verstehen.“2 Zugleich mit diesem Schriftstück erhält Plappart noch ein weiteres Schreiben des Obersthofmeisters, das für ihn allein bestimmt war. Es enthielt eine sanfte Zurechtweisung und eine nicht zu überhörende Drohung. Liechtenstein (in Wahrheit wohl  : Montenuovo) bezweifelt, dass Mahler hinsichtlich seiner Kritik am Vorgehen der Generalintendanz zumindest im Fall Saville im Unrecht gewesen sei, und meint, dass bei einer unvoreingenommenen Behandlung der Angelegenheit „eine Dissonanz von der Tragweite der gegenwärtigen voraussichtlich unschwer zu vermeiden gewesen“ wäre. Der Brief schließt recht massiv. „Ich kann daher der k. und k. General-Intendanz nur empfehlen, künftighin durch Übung einer solchen Voraussicht Complicationen zu begegnen, deren Lösung unter Umständen zu unliebsamen Consequenzen führen kann.“3

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Mahler muss von der Äußerung des Obersthofmeisters, dass „die Aufgabe zu befehlen von Jenen in geeigneterer Weise geübt wird, die auch zu gehorchen verstehen“, schwer gekränkt worden sein. Die Erbitterung über den offensichtlichen Sieg seines Widersachers ist so groß, dass er eine umfangreiche Eingabe an den Obersthofmeister richtet, in der er die ihm unzumutbar erscheinende Einflussnahme, ja Gängelung durch die Intendanz offen anprangert und seinem allerhöchsten Vorgesetzten einen Begriff zu geben versucht von den Schwierigkeiten, Europas führendes Opernhaus zu leiten. In ihrer geradezu rechthaberisch auf formaljuristischen Fragen insistierenden Korrektheit ebenso wie in der Anschaulichkeit, mit der Aufgaben und Probleme eines Operndirektors geschildert werden, wie schließlich in der diplomatischen Vornehmheit, mit der Kritik und Empörung, auf das vertretbare – und wirksame – Maß reduziert, vorgetragen werden, ist diese Beschwerdeschrift (die Mahler zweifellos mit der stilistischen Hilfe seines Freundes Siegfried Lipiner verfasst hat) ein document humain, das zu den persönlichsten und wichtigsten Äußerungen Gustav Mahlers gezählt zu werden verdient. Mahlers „Eingabe“ vom 24. April 1899, aus der hier nur die Abschnitte von prinzipieller Bedeutung zitiert werden können, ist nicht nur Verteidigung gegen die sinistren Vorwürfe, nicht nur Attacke auf die uneinsichtig-„formalistische“ Administration und die unverblümte Einflussnahme der vorgesetzten Behörde, nicht nur Abrechnung mit der Amtsführung des Vorgängers Wilhelm Jahn. Sie enthält zugleich auch Mahlers Theater-Credo. „Durchlauchtiger Fürst  ! Die große Scheu, Euer Durchlaucht mit einer umfangreichen Eingabe zu behelligen, muß ich schon mit Rücksicht darauf überwinden, daß in einem der Punkte, welche in dem mir abschriftlich zugemittelten hohen Erlasse vom 6. d. M. berührt werden, geradezu meine persönliche Ehre engagirt ist.“ Mahler verwahrt sich gegen den Vorwurf, das Beharren auf seiner Entscheidungsbefugnis im Fall Stritt hätte dem von ihm geführten „Institut“ einen Schaden zugefügt, und weist akribisch genau nach, dass ihm von der Absicht der Generalintendanz, Stritt „behufs Lösung seines Vertrages“ eine „Abfertigung“ zu gewähren, nicht das Geringste bekannt war, hingegen die Entscheidung, ob dem Regisseur „aus Anlaß“ der Vertragslösung eine „Übersiedlungsbeihilfe“ zu gewähren sei, nach Paragraph 8 der DienstesInstruktion allein ihm als Direktor zugestanden wäre. Nachdem sich Mahler im Detail mit den finanziellen Konsequenzen der zur Debatte stehenden Fälle des Regisseurs Stritt und der Sängerin Saville auseinandergesetzt und die von ihm eingenommene Position ausführlich begründet hat, kommt er auf allgemeinere Fragen, die das Verhältnis von Generalintendanz und Operndirektion beleuchten sollen  : „Der Fall Saville selbst scheint leider auch in der Sache am wenigsten geeignet, ein Hinweggehen über die Direction zu empfehlen. Ich möchte (da es sich ja hier um die

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einzelne Persönlichkeit nicht handelt) daran nur die allgemeine Bemerkung knüpfen, daß die Mitglieder nicht gefügiger werden, wenn in ihnen auch nur der Wahn erweckt wird, daß sie ihren Willen gegen den des Directors durchsetzen können. Ich habe mich bemüht, die Schäden, die sich so leicht in einem Theater einnisten, zu beseitigen  : das Leichtnehmen der Pflicht, die Unbotmäßigkeit, die Willkür, die naive Gewohnheit, seine Eitelkeit und Schlimmeres über das Interesse der Oper zu stellen, – das Vertrauen auf Gunst, deren wirkliche oder vermeintliche Zuwendung die einen übermüthig macht, die Andern reizt und der Disciplin, wie dem Frieden gleich abträglich ist. Ich habe all diesen Übeln mit den verschiedenartigsten Mitteln beizukommen gesucht, und ebenso mit Güte wie mit Strenge. (Gesprochen wird nur von dieser, mit Übertreibungen, Entstellungen, bis zur nackten Unwahrheit  ; und auch wo das Erzählte an sich wahr ist – ohne Kenntnis der Verhältnisse, der Antecedentien, der Absichten.) Vieles ist erreicht, lange nicht Alles. Möchte ich im Bestreben, das Erreichte zu erhalten und zu erhöhen, von der h. General-Intendanz unterstützt werden. An diesen Wunsch anknüpfend, sei es mir gestattet, auch nach anderer Richtung die allgemeine Sachlage zu beleuchten, im Hinblick auf welche auch das im Abs. 4 des hohen Erlasses Erwähnte im wahren Licht gesehen werden dürfte. Wenn in dieser Darstellung eins in’s andere und oft in’s scheinbar Entlegene sich verwebt, so entspricht das eben dem so complicierten und so einheitlichen Mechanismus des Theaters und der Theaterleitung, der in Wahrheit ein Organismus, ein auf der Wechselwirkung seiner Theile beruhendes Ganzes ist. Darin liegt, daß ein Eingriff in eines der Theilgebiete alle anderen in Mitleidenschaft zieht  ; daß es hier nichts Gleichgiltiges gibt und der Maßstab dafür, was mehr oder minder wichtig, mehr oder minder folgenreich sei, nur auf dem Thätigkeitsfeld selbst, in ununterbrochenem Operieren an und mit dieser Maschine gewonnen und festgehalten werden kann. Und darin – eben in der Compliciertheit und Einheitlichkeit der Maschine – liegt es zugleich, daß all dies zwar nicht theoretisch (wiewol man manchmal von der glücklichen ‚Unbefangenheit‘ des Abseitsstehenden sprechen hört), wol aber praktisch so oft verkannt wird. Dazu kommen die unwägbaren psychologischen Ursachen und Wirkungen. Die Mitglieder sind lebendige Menschen  ; aus lebendigen Menschen besteht das Publicum, auf das gewirkt werden soll. Ganz zuletzt darf wol erwähnt werden, daß auch der Director ein lebendiger Mensch ist. Detailbetrachtung und concrete Beispiele mögen meine Worte, mögen meine ‚Absicht‘ (von einer solchen spricht auch der hohe Erlaß) illustrieren. Ich hoffe, Glauben zu finden, wenn ich sage, daß ich in Allem – auch da, wo ich mein Recht geltend mache – nur die eine Absicht habe  : das meiner Leitung anvertraute Institut vor Schaden zu bewahren und zu möglichst hoher Blüthe zu bringen. Ich habe eingeführt, daß die Bestimmung  : Wer absagt, bekommt kein Spielhonorar, (entgegen der früheren Praxis) absolut durchgeführt werde. Sonst mehren sich die

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Abhaltungs,gründe‘, die ‚Krankheiten‘ in’s Unendliche. Folge  : unberechenbarer finanzieller Schaden, und nebenbei – da Jeder einer ‚ausnahmsweisen‘ Gnade ebenso würdig zu sein glaubt – Neid, Unfriede, Glaube an ‚Protection‘, Gefühl erlittenen ‚Unrechts‘, Gereiztheit gegen den Director, Trotz – dadurch wieder neue Absagen  : Kurz, die Demoralisation. Hier also ist nichtabsolute Strenge gar keine Strenge. (Bei unzweifelhafter Krankheit, Unfällen u. dgl. suche ich die sogenannte ‚Strafe‘ durch öfteres Auftretenlassen zu compensieren.) – nun klagt eine in Folge zweier Absagen um ihr Spielhonorar gekommene Sängerin Sr. Excellenz gelegentlich ihr ‚Leid‘. Sie erhält die Antwort  : ‚Schrei­ ben Sie mir nur ein Briefchen.‘ So ihre Erzählung – denn sie kam zu mir  ; sie scheute sich, jenen Worten Folge zu geben. Nicht von der Regung der Güte als solcher erlaube ich mir zu sprechen  ; ich denke jetzt auch nicht an die Disciplin. Worauf es mir ankommt ist nur dies  : Konnte Se. Excellenz in jenem Moment daran denken, daß Ein solcher Fall heillose Folgen haben, ja schon am nächsten Tage durch eine Verkettung der Umstände eine neue Absage einer nicht so gnädig behandelten Sängerin bewirken und (wenn etwa das Haus ausverkauft gewesen) das Theater um eine sehr bedeutende Einnahme bringen kann  ? Das ist der Theater-Mechanismus. Der Gegenstand hat so viele Seiten, und nicht jede (das liegt wieder in seiner Natur) läßt sich, ohne unmäßig lange Auseinandersetzung, so deutlich darlegen, – weder hier, noch vor Se. Excellenz. Auf die Ankündigung, Weber’s ‚Oberon‘ aufführen zu wollen, erhalte ich die Antwort  : ‚Dafür wäre ich nicht.‘ Eine ähnliche Äußerung in einem anderen Falle, in Betreff des ‚Rienzi‘ (eines Werks, das, gehörig erneuert, einen bedeutenden Cassenerfolg haben könnte). Dergleichen kann mich aus dem Munde des Vorgesetzten nicht wie ein gesellschaftlich gesprochenes Wort berühren, sondern ich frage mich  : Hätte ich hier – zwar nicht eine Ablehnung, aber immerhin, in Folge einer gewissen Abneigung gegen die Sache, Schwierigkeiten zu erwarten  ? und wie soll ich sie überwinden  ? Es könnte leicht so kommen, daß ich hinsichtlich des Ganzen eines Werks, wie hinsichtlich der Details der Inscenierung, um die Genehmigung eines finanziellen Begehrens zu erlangen, bestimmten Anschauungen in Sachen der Kunst und der künstlerischen Praxis die meinen entgegensetzen und die letzteren ausführlich und überzeugend darlegen müßte  : was doch aus jedem Gesichtspunkt mißlich, überdies selbst für geschicktere Darsteller schwierig und mir in meiner Situation ganz unmöglich ist. Es ist eben für die eigenthümliche Stellung eines Directors charakteristisch, daß es hier in der Hauptsache eigentliche amtliche ‚Referate‘ nicht geben kann, – was innig mit dem Umstand zusammenhängt, daß er das Wesentliche seiner Aufgabe nicht als Organ eines Verwaltungskörpers zu erfüllen berufen ist, sondern als Individualität, – mit all ihrem Fühlen und Denken, von dem aber eben darum auch alle Überzeugung im Großen, wie alle Empfindung im Einzelnen unabtrennbar ist. Dem entspricht es, daß unter allen Umständen er die Verantwortlichkeit für die Leistungen des Instituts trägt und daß ihm demgemäß nicht blos kraft der Instruction,

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sondern schon vermöge seines Decrets ein gewisses Maß von Rechten zugestanden ist. Aus all dem ergeben sich gewisse Consequenzen, die bis in ihre letzten Ausläufer, in die concreten Fälle, zu ziehen nicht immer leicht fällt. Wenn der Director in einem bestimmten Fall die Überzeugung und recht eigentlich die Anschauung hat, daß hier mit gemalten Möbeln nicht auszukommen sei, daß sie die Wirkung des Bühnenbildes entschieden beeinträchtigen, und wenn das so motivierte Begehren abgelehnt wird, was sollte er da thun, um von der Richtigkeit seiner Empfindung zu überzeugen  ? Wenn die h. General-Intendanz die Anschauung der Direction ‚nicht theilt und auch keineswegs zugeben kann, daß unsere Decorationen, die Jahre lang vollkommen entsprochen haben, nun plötzlich für unbrauchbar erklärt werden‘, so sieht sich der Director, über die momentane Behinderung hinaus, vor eine dauernde Schwierigkeit gestellt. Es handelt sich um Meinungen in künstlerischen Dingen. Mit dem Argument, daß etwas bisher gut genug war, also auch jetzt gut genug sei, läßt sich jede Verbesserung verwehren. Und verbesserungsbedürftig war und ist Vieles, was gut genug erschien, – in szenischer Hinsicht nicht weniger als in musikalischer. Rein musikalische Erfolge sind ja leider im Theater gar keine Erfolge. Und wenn der Reiz (ja, oft schon die bloße Neuheit) einer Decoration, – irgend ein Detail, das zur Klarheit, Lebendigkeit, Harmonie des Bühnenbilds oder zum undefinierbar wirkenden Zusammenstimmen zwischen Bühne und Musik gehört, auch nur das bewirkt, daß das Haus einige Male stärker besucht ist, so sind die dafür angesprochenen, oft ganz geringfügigen Beträge durch die Einnahmen weit überwogen. Eine Versagung bedeutet dann scheinbar eine kleine Ersparnis, in Wahrheit oft einen bedeutenden, aber leider nicht berechenbaren Schaden. Sind es doch zahllose erkennbare und nicht erkennbare Ursachen, auf denen die Wirkung eines Bühnenwerks beruht. Das goldene Gitter in ‚Djamileh‘, durch das ein intimer Raum hergestellt ist, – der Teppich, der plötzlich vor der Tänzerin hingebreitet wird, – die Barriere, die, in der fast allzu pathetischen Oper ‚Dalibor‘, den Chor hindert, die Bühne unruhig zu überschwemmen und den Hauptvorgang undeutlich zu machen, – die mannigfaltigsten Einzelheiten solcher und anderer Art können für den Erfolg wichtig werden und sind es geworden. Man gerät auf dergleichen häufig erst bei der letzten Probe, im Anschaun des ganzen Bildes und Vorgangs. Aber auch die Brauchbarkeit eines bereits vorhandenen Decorationsstücks, eines Costümes kann oft erst dann endgiltig abgeschätzt werden. Da ist es denn an sich kein Leichtes, mitten unter den verschiedenartigsten Arbeiten und Geschäften die Nothwendigkeit einer Anschaffung in einem Ansuchen darzulegen –, geradezu lähmend aber wirkt es, sich dann, durch eine Ablehnung von der Verwirklichung wolerwogener Absichten behindert, zu neuem Einschreiten, neuem eindringlicheren Motivieren genöthigt zu sehen. Agathe und Ännchen im ‚Freischütz‘ brauchen neue Costüme. Ein mündliches Gesuch wird ablehnend beantwortet. Ich versuche es, ohne das Gewünschte auszukommen  ; es geht nicht. Das verschossene Kleid der Einen, das Edeldamenmäßige

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der Andern (Ännchens  !)  : es ist unmöglich. Ich muß mich entschließen, die Costüme anfertigen zu lassen, ohne die Antwort auf das gleichzeitig abgesendete rechtfertigende Gesuch abzuwarten  : am nächsten Tag sollte die Aufführung stattfinden. Ich hatte mir nicht vorgestellt, daß es Se. Excellenz den Herrn Leiter der k. u. k. General-Intendanz in Unwillen versetzen werde, wenn der Director einer dringenden Nothwendigkeit nachgegeben hat, um nicht etwas geradezu Geschmackwidriges auf die Bühne zu stellen, – insbesondere wenn er zugleich diese Nothwendigkeit dargelegt hat. Der Preis für beide Costüme zusammen betrug 45 fl.; auf diese Summe hatte ich den Voranschlag von 130 fl. reduciert, da ich wie immer überflüssigen Aufwand vermeiden wollte.“ Immer nachdrücklicher schildert Mahler in dieser „Eingabe“ die Problematik der Einflussnahme auf seine Direktionsführung und deutet damit die penible Sorgfalt an, mit der er das ihm anvertraute Budget verwaltet  : „Möge der Zweck dieser Ausführungen nicht mißkannt werden. Ich will darthun, daß es im Interesse des Theaters liegt, den Director, wenn ihm das Vertrauen im Ganzen geschenkt wird, auch im Einzelnen unbehindert gewähren zu lassen, – sodann, daß das Theaterwesen eine rein formale Behandlung ohne Schaden durchaus nicht verträgt und daß, von welcher Seite immer der Gegenstand betrachtet wird, eine freiere Anschauung und Praxis im Allgemeinen sich empfehlen würde. Eine längere, unmittelbare Beobachtung des Verlaufs der Dinge würde geradezu die Überzeugung aufdrängen, daß dem nicht blos kein principielles Bedenken entgegensteht (von Folgen ähnlicher Art, wie die in den ersten Theilen dieser Darstellung besprochenen, kann ja hier keine Rede sein), daß vielmehr ein streng formalistisches Verfahren auch seitens der Direction auf die eigentlich fruchtbare Thätigkeit hemmend wirken müßte. Ich wüßte manches Amt im engsten Sinne des Wortes zu nennen, in welchem mit Wissen und Willen des Chefs kleinere Auslagen gegen nachträgliche Genehmigung von einem höheren Beamten bestritten werden. Im Theater aber – wie sollte da der nach so vielen Seiten nicht blos äußerlich in Anspruch genommene, sondern innerlich beschäftigte, oft übermüdete Director, selbst wenn er die rein physische Zeit zur Noth noch erübrigt, jedesmal die nöthige Elasticität finden, um sich in seiner Arbeit zu unterbrechen und wegen eines geringfügigen Betrages eine actenmäßige oder mündliche Auseinandersetzung zu geben, – wie sollte es nicht verstanden werden, wenn er oft gar nicht dazu gelangt, daran rechtzeitig zu denken  ? – Wollte man Alles zusammenrechnen, was sich als Mehrausgabe ergeben hätte, wenn dem Director nie und nirgends eine Schwierigkeit gemacht worden wäre, so würde als Schlußsumme ein verhältnismäßig geringfügiger Betrag erscheinen, und von diesem entfiele ein großer Theil auf Gegenstände, die eine dauernde Bereicherung des vielfach devastierten, in mancher Beziehung geradezu dürftigen Inventars bilden würden (denn ich vermeide, wie eine gute Wirtschaft es erfordert, nach Möglichkeit Anschaffungen von ephemerem Werth)  ; bezüglich des Rests aber wäre es der Natur der Sache nach mit

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Sicherheit nie auszumachen, ob nicht auch diese Ausgaben entsprechend der Überzeugung der Direction dem Theater unmittelbar oder mittelbar zu Gute gekommen wären. Was dann die h. General-Intendanz bei eingehender Verfolgung der betreffenden Sache noch immer als unnöthig stattgefundene Ausgabe betrachten würde, wäre ein Betrag, der in traurigem Mißverhältnisse stünde zu dem abgenöthigten Aufwand an Zeit, an Mühe, ja auch nur an der persönlichen Spannkraft des Directors, die doch auch für das Theater werthvoll ist und gleichsam einen Theil des ‚Betriebscapitales‘ bildet. Ich darf, da ich die Belege nicht zur Hand habe, auf die ökonomisch-administrative Seite meiner Directionsführung in Budapest nicht hinweisen, um zu erhärten, daß die gemeiniglich herrschende Anschauung vom Künstlerwesen in dieser Beziehung auf mich nicht paßt. Es dürfte schon aus mancher gelegentlich erwähnten Einzelheit hervorgehen, daß ich weit davon entfernt bin, leichtfertig unnöthige Ausgaben zu veranlassen. Am Allerwenigsten ist dies der Fall, wenn ich z. B. für eine kleine Entschädigung des technischen Hilfspersonals eintrete. Wie sollte hier die Besorgnis, ein Präcedens zu schaffen, begründet sein, da doch eben die außergewöhnliche, selten vorkommende Inanspruchnahme zur Rechtfertigung dieses Zugeständnisses dienen sollte  ? Der ‚Apotheker‘ und die ‚Opernprobe‘ haben an Ausstattung so gut wie gar nichts gekostet, die dazu aufgeführte Symphonie natürlich auch nicht. Dagegen mußte die Arbeiterschaft bei den Proben ungewöhnlich lange aushalten. In solchem Falle kommen wol 60 fl. kaum in Betracht. Vollends zur Aufführung des Nibelungenrings (deren Gelingen gleichzeitig mit der erfolgten Ablehnung meines Ansuchens von der h. General-Intendanz so gütig anerkannt wurde) mußte die Thätigkeit der Arbeiterschaft in einem Maße herangezogen werden, welches eben dem einzigartigen Charakter und Umfang des Werks entsprach. Es gibt nur eine Tetralogie, und wenn in diesem Falle – er ging zeitlich voran – darauf hingewiesen wurde, daß dergleichen nie vorgekommen, so konnte ich dem gegenüber daran erinnern, daß anläßlich des ‚Tanzmärchen‘ 400 fl. an Mittagsgeldern verausgabt wurden. Sollten für den Nibelungenring, der dem Theater schon so große Einnahmen gebracht, nicht 94 fl. billig sein, wenn für das ‚Tanzmärchen‘ 400 fl. recht waren  ? Und nicht nur Billigkeits-, auch Zweckmäßigkeitsgründe kommen hier in Betracht  ; von allgemeinen Bestrebungen, denen man vielleicht entgegenzukommen fürchtet, die man aber auf die Dauer durch solche Praxis nur fördert, will ich nicht reden. Aber von diesen Leuten, von ihrer Frische, Genauigkeit, Verläßlichkeit, – von ihrer unverdrossenen Arbeitsfreudigkeit hängt, nach ihrem Theil, das Gelingen der Vorstellungen, ja die physische Sicherheit der Mitglieder ab. Wenn diese Vielgeplagten einmal den ganzen Tag über zurückgehalten werden müssen, so ist es schwer, ihnen zuzumuthen, daß sie sich das Mittagsmahl zahlen, daß also jeder von ihnen dem Institut gleichsam ein kleines Geldopfer bringe. Die Stimmung, die dadurch erzeugt wird, ist nicht danach angethan, die Arbeiter anspruchsloser zu machen, und dem Interesse des Hofoperntheaters scheint damit wenig gedient zu sein. Wenn ich in

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beiden Fällen dafür gesorgt habe, daß die Arbeiter das Geld doch erhalten, so geschah es eben in der Überzeugung, daß eine Nothwendigkeit vorliege. Es sei mir erlaubt, zur Beleuchtung des ökonomischen Punkts auch auf den Inhalt des beiliegenden h. Intimats vom 12. April einzugehen. Zunächst Einiges über die Ausstattungsfrage. Allem leeren Decorationspomp von Herzen feind, muß ich doch auf das künstlerisch Nothwendige, aber auch, wenigstens theilweise, auf die heutigen, nun einmal gesteigerten Anforderungen des Publicums, insofern sie auch künstlerisch nicht unberechtigt sind, Bedacht nehmen. Nimmt sich nun die begehrte Summe von 10.000 fl. für ‚André Chenier‘, eine den Abend füllende Oper, hoch aus, so ist andererseits zu bedenken, daß das Werk eine der wirkungsvollsten neueren Opern ist und nach menschlichem Ermessen (verbürgen läßt sich dergleichen nie) den dafür gemachten Aufwand überreich lohnen wird. Das Werk erfordert etwas mehr an Ausstattung, verdankt aber auch dieser einen großen Theil seiner Anziehungskraft. (Es handelt sich übrigens nicht um Prunk, sondern um die Wirkung lebendiger historischer Bilder u. dgl.) Eine eventuelle Ersparnis bedeutet vielleicht eine gewisse Beeinträchtigung des dauernden Erfolgs, also einen unverhältnismäßig großen Verlust. Wägen und messen lassen sich diese Dinge nicht. Selbst im ungünstigsten Falle wird ‚André Chenier‘ mehr einbringen als mehrere Werke wie ‚Chevalier d’Harmental‘ zusammengenommen, welche Oper im Jahre 1896 7552 fl. an Ausstattungskosten verschlungen hat (womit sich eine Angabe im h. Imitat berichtigt). – Es sind in der Winter- und Frühlingssaison 1899 gebraucht worden für  : Kriegsgefangene 736 fl. Apotheker    58 fl. Opernprobe     – fl. Bärenhäuter 3727 fl. Summa 4521 fl. Stehen somit von 24.000 fl noch fast 20.000 für die Herbstsaison zur Verfügung (das Ballet, dessen Aufführung mir nahegelegt wird, kommt ja noch nicht in Frage), so rechtfertigt sich wol der, selbstverständlich nur auf einem approximativen Voranschlag beruhende, Antrag zur Genüge. Hinsichtlich des auf Ausstattung Verwendeten einen Vergleich mit anderen großen Bühnen zu ziehen, muß ich mir versagen. Dies eine aber möchte ich aus diesem Anlaß auszusprechen so frei sein, daß es sich dringend empfehlen würde, beim Entwerfen des Präliminares, welches ja nur auf Grund der thatsächlichen Bedürfnisse und Verhältnisse richtig aufgestellt werden kann, den Director zuzuziehen. In den ersten Zeilen des h. Intimats wird bemerkt, daß der Preis von 700 fl. für das Musikmateriale zu ‚André Chenier‘ zu hoch gegriffen sei. Für dasselbe könnten höchstens 500 fl. bewilligt werden. Die Direction hat aber nicht, wie etwa gewisse Kaufleute, vorgeboten, in der Erwartung, daß ein Angebot folgen werde. Es fragt sich, nach wel-

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chem Maßstab der Preis zu bestimmen ist. Das italienische Musikmateriale ist theuer und gut, das deutsche in der Regel billig und schlecht  ; den Preis für das – italienische – Materiale zu ‚Chenier‘ hatte ich schon vorher in längeren Unterhandlungen herabgedrückt, so daß es nicht theurer kommt als jenes für die ‚Bohème‘  : eine Oper, von deren Annahme ich noch vor meiner Ernennung zum Director als Experte abgerathen hatte und welche aufgeführt zu sehen Herr Leoncavallo sich ganz außerordentlich bemühte, weshalb er den Preis der Materialien ungewöhnlich niedrig gestellt hat (1500 francs). Das war also ein Ausnahmefall. Die Sache wird vollends in helles Licht gesetzt, wenn die folgende Statistik beachtet wird. Das Musikmateriale hat gekostet für  : Pagliacci   1000 Gulden Hänsel und Gretel   2000 Mark Geheimnis (von Smetana)   1800 Gulden Kuß   1800 Gulden Medici   2000 Gulden Navarraise (1 Act)   2000 Gulden Werther   8000 francs Rantzau 15000 francs“ Nachdem er sich mit solcher Gründlichkeit gegen die Unterstellung eigenmächtiger Verwendung oder gar Verschwendung seines Budgets zur Wehr gesetzt hat, kommt Mahler abschließend nochmals auf den „Fall Stritt“ zu sprechen und verteidigt die seiner Meinung nach gerechtfertigte Verweigerung der „Übersiedlungsbeihilfe“. Aber auch hier geht es ihm weniger um sein Recht als um die Einsicht und solidarische Haltung der ihm vorgesetzten Behörde, der Generalintendanz  : „Es war dies einer jener Fälle, in denen ich mich fragte, ob nicht die h. General-Intendanz selbst, im Bewußtsein, dadurch dem Theater einen großen Dienst zu leisten, sich bemühen würde, mir, selbst um den Preis einer zweifelhaften Mehrausgabe, jedes noch so klein erscheinende Hemmnis aus dem Wege zu räumen, wenn Se. Excellenz einmal, nur eine Woche lang, nicht gerade mir, sondern irgendeinem ernsten, von seiner Aufgabe erfüllten Director, zumal eines so großen Theaters, in allen Einzelheiten seines Berufslebens folgen würde  ? Ein Wust verschiedenartigster abspannender Thätigkeit, künstlerischer, administrativer, ja pädagogischer  ; eine Menge von Sorgen, von aufregenden Unberechenbarkeiten, von kleinen widrigen Kämpfen und Schwierigkeiten aller Art, hervorgerufen bald durch den Charakter, bald durch den Intellect so vieler eigenartiger Menschen, durch des Einen Selbstsucht und des Andern Trägheit, durch ihre Heiserkeiten und ihre Eitelkeiten usw. Nach rein geschäftlichen Dingen – Correspondenzen, Unterhandlungen u. dgl. – die ganz heterogene Thätigkeit stundenlanger Proben, Bearbeitung der Werke, Inscenierungsstudien, Novitätensuche  ; – als Zwischenfall etwa der

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Kampf mit einer Sängerin, die den Anspruch macht, durchaus nur in neuen, eigens für sie gefertigten Costümen zu singen, oder die psychologische Behandlung eines Sängers, welcher in Folge eines unbedeutenden Wörtchens eines Recensenten ‚am Rande des Wahnsinns‘ zu stehen erklärt, – oder eines andern Mitgliedes, welches entlassen werden will, weil ihm nicht alle Hauptrollen seines Rivalen zugetheilt werden, – inzwischen eine Absage, welche das Haus um eine große Einnahme bringt und vielleicht das ganze Repertoire zu ändern, eine Reihe von Anordnungen zu annullieren nöthigt, – dann wieder peinliche Schwierigkeiten seitens eines Mitglieds, welches darüber erbittert ist, daß es einen Urlaub, der ihm einige hundert Gulden eingetragen hätte, nicht gewährt erhielt, weil sonst das Theater um viele Tausende gebracht worden wäre, – und überhaupt der Kampf eines Directors, der nur das Interesse des Ganzen vertreten darf, mit den Einzelnen, die (auch in künstlerischer Hinsicht) nur allzu häufig nichts als sich, ihren Glanz und ihr Interesse im Auge haben  ; – all dies verschärft durch so manches Andere, was aufzuzählen so lang wie peinlich wäre. Und mitten in dieser Sphäre gilt es planmäßige, wolbedachte Arbeit, und zwar rasche, zuweilen sogar hastige, wie sie z. B. gerade in der hier in Betracht kommenden Zeit nothwendig war, um dem ‚Bärenhäuter‘ den großen Erfolg zu erringen, der später in diesem Maße vielleicht nicht hätte erreicht werden können  ; – diese Thätigkeit wieder etwa durch eine außer dem Hause unterbrochen, durch das Einstudieren und Dirigieren des Perosi’schen Werks usw. Und nach einem Tage voll Mühen oft noch bis tief in die Nacht hinein das ebenso viel Elan wie ruhigsten Blick nach allen Seiten hin erfordernde Dirigieren. Das Bild ist nicht vollständig, aber es dürfte genügen, um dasjenige anschaulich zu machen, was beinahe allem bisher Erörterten erst sein Relief verleiht und auch die im h. Erlaß citierte Stelle nach ihrem wahren Sinn zu deuten ermöglicht. Es ist der ernste Ausdruck eines geradezu schmerzlich empfundenen Sachverhalts im Allgemeinen, nicht etwa blos mit Bezug auf den Fall Stritt. Daß auch dies rein fachlich gemeint und daß ich bemüht war, einen dem Verhältnis der Unterordnung entsprechenden Ton zu finden, bezeugen die unmittelbar folgenden Worte … in die ich den auch oben ausgesprochenen Gedanken kleide, daß dasjenige, was ich als Hemmnis empfinden muß, gewiß beseitigt würde, wenn Se. Excellenz die geschilderte, im Wesentlichen immer gleiche Situation des Directors durch eigene Beobachtung kennenlernte und sie zu würdigen geneigt wäre. Ich bitte Eure Durchlaucht, den Ausdruck der Ehrfurcht und tiefsten Ergebenheit entgegenzunehmen, mit welchem ich bin

Wien, den 24. April 1899“4

Eurer Durchlaucht ganz gehorsamster Gustav Mahler

ZWISCHEN „PRÄLIMINARE“ UND „GEBARUNGSABSCHLUSS“ Über die Generalintendanz der Hoftheater war die Oberste Hoftheaterdirektion gesetzt, die unmittelbar dem Kaiser unterstand. Es ist also keine bloße Redensart, dass Theaterangelegenheiten im alten Österreich „Staatsaffären“ waren  ; vielmehr konnte der „Allerhöchste Wille“ auf diese Weise direkt auf die personellen und künstlerischen Geschicke der beiden Hofbühnen Einfluss nehmen. Überdies oblag der Hoftheaterdirektion in letzter Instanz deren Finanzverwaltung, da beide, Hofoper wie Hofburgtheater, aus der „Privatschatulle“ des Kaisers finanziert wurden und somit zum „Ärarium“, dem Staatsvermögen, gehörten. Der Finanzhaushalt für Oper und Burgtheater wurde von der k.  k. Generalintendanz aufgestellt und kontrolliert1. Wie wir aus Mahlers Eingabe an den Obersthofmeister wissen, war es nicht einmal üblich, die beiden Direktoren „beim Entwerfen des Präliminares“, also bei der Aufstellung des Haushalts, beizuziehen. Die Generalintendanz gab abstrakte Zahlen vor, deren Einhaltung sie streng überwachte. Auch der Wiener Hoftheaterdirektion war die Erkenntnis nicht erspart geblieben, dass Theater ein Zuschussgeschäft ist. Das jährliche Defizit der beiden Bühnen wurde aus dem „Ärarium“ gedeckt. Zum Unterschied von der heutigen Bühnenpraxis demokratischer Staaten aber war zu Kaisers Zeiten auch die Höhe des tolerierten Defizits vorgeschrieben. Die Schwierigkeiten der beiden Theaterdirektoren begannen also, sobald sie dieses vorab genehmigte Defizit überschritten – und das taten sie beinahe in jeder Spielzeit. Der Finanzhaushalt der Hofoper (ebenso des Hofburgtheaters) bestand aus dem „Präliminare“, dem Voranschlag, der jeweils im Herbst vor dem Rechnungsjahr erstellt wurde, und aus dem „Gebarungsabschluß“, der – nach den allmonatlichen Kassenabschlüssen – erst in der Mitte des dem Rechnungsjahr folgenden Jahres ausgefertigt war. Das Rechnungsjahr war identisch mit dem Kalenderjahr, nahm also keine Rücksicht auf die zeitliche Lage der Spielzeit (die bis 1899 vom 1. August bis 15. Juni, seit 1902 vom 18. August bis 22. Juni dauerte). Die Ausgabenseite für „Präliminare“ und „Gebarungsabschluß“ gliedert sich in den Personal- und den „Real“-(Sach-)Etat. Zum Personal-Etat gehören nicht nur – Punkt 1 – die „Gehälter, Quartiergelder, Personal- und sonstige Zulagen“ für Direktion, Ärzte, Regie- und artistisches Hilfspersonal, die künstlerischen Solisten (Sänger und Tänzer), Chor, Ballett, Statisterie, Orchester, technisches Personal – insgesamt 20 Posi-

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tionen –, sondern auch die „Diurnen“ (Tagesspesen), die „Monats-, Wochen- und Taglöhne“ der Bühnenarbeiter, die Tantiemen und Honorare an Autoren und für literarischartistische Hilfsleistungen sowie, besonders kritischer Punkt der Finanzgebarung jeder Operndirektion seit Mahler, die Gastspielhonorare. Der Sach-Etat setzt sich ebenfalls aus 20 Positionen zusammen. An der Spitze stehen begreiflicherweise „Bühnenerfordernisse und Ausstattungswesen“, gegliedert in „Erhaltung des Fundus“ (dieser Punkt wieder aufgeteilt nach Garderobe, Dekorationen und Requisiten), „Neuausstattungen und Neuanschaffungen“ und „Besondere Bühnen- und sonstige Erfordernisse“ (worunter im Jahr 1905 z. B. die für die Neuinszenierung des »Ring des Nibelungen« beantragte Vergrößerung der Drehbühne verbucht – und gestrichen wurde). Weitere Positionen des Sach-Etats der Hofoper sind  : Musikanschaffungen, Beleuchtung (ein seit der Umstellung auf elektrischen Strom immens kostspieliger Faktor), Beheizung sowie die Kosten für Kanzlei-Erfordernisse, Theaterzettel, Textbücher, Drucksachen, Dienstreisen und Telefongebühren. Im „Präliminare“ war aber nicht nur das Limit der zu tätigenden Ausgaben vorgeschrieben, sondern auch die Höhe der zu erwirtschaftenden Einnahmen. Die Einnahmen setzten sich hauptsächlich aus dem Ertrag der Abonnements und den sogenannten „Tageseingängen“, den Einnahmen aus dem freien Kartenverkauf, zusammen. Dazu kamen die Einnahmen aus Matineen, „Garnisons“- und „Studenten-Entrees“, aus dem Verkauf von Theaterzetteln und Textbüchern, dem Erlös der Publikums-Garderobe und dem Pachtzins der „Conditorei“. Jede einzelne Position hatte im Präliminare ihr vorgegebenes Einnahmesoll, wobei die Beträge für die Abonnement-Einkünfte und die „Tageseingänge“ verständlicherweise aus langjähriger Erfahrung festgesetzt wurden. Es zeigt sich jedoch an den im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv aufbewahrten Rechnungsbüchern, dass Mahlers künstlerisch erfolgreiche Tätigkeit seine vorgesetzte Behörde dazu veranlasste, das Einnahmesoll umgehend anzuheben und von Jahr zu Jahr weiter zu steigern. Gleichzeitig wurde von der Generalintendanz jedoch versucht, den Ausgabenrahmen so weit wie möglich stabil zu halten und so das Defizit schon im Präliminare, im Ansatz also, möglichst zu senken. Damit war Operndirektor Mahler als Verwalter der Finanzen seines Hauses ständig unter einem doppelten Druck  : Zum einen musste er den Spielplan so attraktiv wie möglich gestalten, um das immer höher angesetzte Einnahme-Soll zu erreichen, zum anderen musste er – mit Ausstattungen, Gästen, Anschaffungen usw. – so sparsam wirtschaften, dass er den vorgegebenen Ausgabenrahmen nicht überschritt. Ein Mehr an Einnahmen gegenüber dem Soll, wie es Mahler z. B. im Kalenderjahr 1904 erzielte, kam also nicht der Ausgabenseite zugute, sondern verringerte nur das „präliminierte“ Defizit – auf dem Papier.

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Diese Betrachtungen sind erforderlich, wenn man den vor allem in der zweiten Hälfte von Mahlers Direktionszeit erhobenen Vorwurf auf seine Stichhaltigkeit überprüfen will, Mahler habe bei sinkenden Einnahmen durch ständig steigende Ausgaben die Hofoper in eine wirtschaftliche Krise gesteuert. Eines ist sicher  : Der wirtschaftliche Erfolg des Hauses war direkt abhängig von einem zugkräftigen Spielplan und publikumswirksamen Sängern. Und wenn Mahler selbst ans Pult trat und die Hofoper bis hinauf in den vierten Rang ausverkauft war, stimmte auch die Kasse. Umgekehrt  : „Man darf nicht vergessen, daß es für einen Opernleiter ein großes Wagnis darstellte, Werke zu begünstigen, die einen finanziellen Mißerfolg bedeuteten, denn er riskierte dadurch seine Stellung“2 (Franz Farga). Ein Vergleich der Finanzgebarung der Wiener Hofoper zwischen 1897, dem Jahr von Mahlers Amtsantritt, und 1907, dem Jahr seiner Demission, ist nicht ganz einfach. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass zu Beginn von Mahlers Tätigkeit noch mit beiden damals gültigen österreichischen Währungen, dem Gulden und der Krone, operiert wurde. Bei der Währungsreform von 1892, bei der eine Goldwährung mit der Krone als Rechnungseinheit an die Stelle der bisherigen Währung getreten war, wurde ein Gulden österreichischer Währung zwei Kronen gleichgesetzt. Doch erst nach der Jahrhundertwende setzte sich in allen Geld- und Zahlungsangelegenheiten die Krone endgültig durch. Auch muss, wenn man den Anstieg des Budgetvolumens der Hofoper untersucht, die allgemeine Teuerung berücksichtigt werden. Gewiss waren die Jahre vor und nach der Jahrhundertwende wirtschaftlich gesehen relativ stabile Jahre. Das Wiener Statistische Zentralamt hat für den Zeitraum von 1901 bis 1911 einen durchschnittlichen Anstieg der Preisrate um 2,3 Prozent jährlich ermittelt  ; man kann also davon ausgehen, dass die Teuerung in dem Jahrzehnt zwischen 1897 und 1907 rund 20 Prozent betragen hat. Unter diesen Voraussetzungen müssen die Vergleichszahlen des Hofopern-Haushalts der Ära Mahler gelesen werden. Den Einnahmen 1897 von 1.239.077,41 Gulden (= 2.478.154,82 Kronen) stehen im Jahr 1904, das finanziell Mahlers erfolgreichstes Jahr war, Einnahmen von 2.891.571,65 Kronen und, nach der zum 1. Oktober 1906 erfolgten Erhöhung der Eintrittspreise, 1907 Einnahmen von 3.020.437,54 Kronen gegenüber. Mahler hat also bis 1904 eine Steigerung der Einnahmen gegenüber seinem ersten Amtsjahr von 17 Prozent, bis 1907 sogar (allerdings durch die Erhöhung der Eintrittspreise begünstigt) von fast 23 Prozent erzielt. Dementsprechend hoch wurde freilich das Einnahme-Soll angesetzt und von Jahr zu Jahr weiter nach oben korrigiert. 50 Kronen kostete für einen Opernabend eine Loge im Parterre oder ersten Rang, 12 Kronen ein einzelner Logensitz, zwischen 14 und 9 Kronen ein Parkettsitz, 7 bzw. 6 Kronen die Sitze in den vier Parterre-Reihen, die Galerieplätze schließlich staffelten sich von 5,50 Kronen bis zu 2 Kronen für den schlechtesten und billigsten Sitz auf der 4. Galerie, 4. bis 6. Reihe Seite. Genauso viel war für den „Eintritt in das Parterre“, also den Stehplatz, zu bezahlen, der übrigens „nur Herren gestattet“ war. Die übrigen Steh-

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plätze kosteten 1,60 Kronen (für den „Eintritt in die 3. Galerie“) und 1,20 Kronen (für den „Eintritt in die 4. Galerie“). Abonnements waren gegenüber diesen Tageskassenpreisen vergleichsweise billig, wenn man bedenkt, dass ein Abonnement damals nicht, wie heute üblich, für eine bestimmte Anzahl von Vorstellungen, über die ganze Spielzeit verteilt, aufgelegt wurde, sondern die Verfügung über einen bestimmten Sitzplatz an allen oder an bestimmten Abenden der Spielzeit bedeutete. So kostete das Abonnement für einen Parkettsitz in der 2. Reihe „für die geraden Tage“ oder „für die ungeraden Tage“ des Jahres 1800 Kronen, das Abonnement für eine Parterreloge „für das 1. Viertel des Jahres“ 2200 Kronen. Hält man diesen Zahlen entgegen, dass ein Arbeiter damals einen Monatslohn von rund 100 Kronen hatte, dass ein höherer Angestellter etwa 500 Kronen monatlich verdiente und dass für eine bescheidene Vorstadtwohnung – „ein Zimmer, eine Kammer, eine Küche“ – 1903 ein Mietzins von rund 100 Kronen vierteljährlich zu entrichten war, dann wird deutlich, dass der von Mahler bereitete Kunstgenuss vom Publikum teuer zu bezahlen war. Ein Opernbesuch war keine Angelegenheit für den „kleinen Mann“, ihn konnten sich nur das begüterte Bürgertum und die wohlhabenden Schichten des Adels, der Wirtschaft und der Industrie leisten. Die Enthusiasten mit dem bescheidenen Geldbeutel waren auf die Stehplätze verwiesen. Aus solchen gesellschaftlichen Gegebenheiten hat die Oper zu allen Zeiten und an allen Orten ihre Legitimation als Einrichtung höfischer oder bürgerlicher Repräsentanz bezogen. Es spricht für das musische Klima Wiens, dass die Oper dessen ungeachtet stets Herzensangelegenheit des ganzen Volkes gewesen ist und speziell in der Ära Mahler, durch Pro und Kontra, jedermann beschäftigt hat. Solche – wenn auch auf die Ebene der „Affären“, des Klatsches und der Nörgelei abgesunkene – Verbundenheit mit „seiner“ Oper zeichnet den Wiener noch heute aus  : „Die gesamte Bevölkerung nimmt wirklich leidenschaftlich, wenn auch verzerrt durch Personalisierung, an der Wiener Oper und ihren Schicksalen teil“3, schrieb der Frankfurter Philosoph Theodor W. Adorno einmal. Wenden wir uns nun der Ausgabenpolitik des Operndirektors Mahler zu, so nähern wir uns gleichzeitig den eigentlich kritischen Punkten seiner Geschäftsführung. Es liegt auf der Hand, dass die zu künstlerischen Zwecken getätigten Ausgaben Qualität und Leistung der Hofoper direkt beeinflussten und somit ein in Zahlen fassbarer Index für den Erfolg oder Misserfolg von Mahlers Direktionstätigkeit sind. In den Augen der Generalintendanz freilich zählte als Erfolg vor allem die Einhaltung und, wenn möglich, Unterschreitung des im Präliminare für jedes Jahr neu (und kaum höher) angesetzten Ausgaben-Solls. So steht einem Präliminare für das Defizit des Jahres 1897 von 90.000 Gulden, das sind 180.000 Kronen, ein solches für 1907 in Höhe von 203.400 Kronen gegenüber – nachdem es zwischendurch, für das Jahr 1905, sogar unter den Betrag für 1897, nämlich auf 170.100 Kronen reduziert worden war. Anders sieht es natürlich mit den Ausgaben

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selbst aus  : Diese steigen von 1.331.066,91 Gulden (= 2.662.133,82 Kronen) im Jahr 1897 auf 4.471.171,16 Kronen im Jahr 1907. Dementsprechend ändert sich auch das tatsächlich erzielte Defizit gewaltig  : Die Überschreitung des präliminierten Defizits steigt in diesen zehn Jahren von 1989,50 Gulden (= 3979 Kronen) auf 247.333,62 Kronen. Eine Betrachtung der Ausgaben Mahlers aus der Distanz von mehr als einem Jahrhundert zeigt vor allem eines  : den klaren Zusammenhang des Ausgabenvolumens mit den unterschiedlichen künstlerischen Prioritäten, wie sie im Kapitel über die drei Perioden seiner Direktionszeit dargestellt sind  : In den ersten drei Jahren, in denen Mahler vom Pult aus den szenisch und musikalisch überarbeiteten, hinsichtlich der Dekorationen jedoch unveränderten Opern des Repertoires neues Leben verleiht, halten sich die Ausgaben im Großen und Ganzen an die vorgegebenen Richtwerte, und damit hält sich auch das Defizit in Grenzen. Immerhin stehen in den drei Spielzeiten bis 1900 23 Neueinstudierungen und zwei Wiederaufnahmen nur zwei Neuinszenierungen gegenüber  ; die Aufwendungen werden also fast ausschließlich in die 14 Opern- und sieben Ballett-Erstaufführungen gesteckt, die Mahler in seinen ersten drei Jahren riskiert. Mit welchen Beschränkungen Mahler dabei fertig werden muss, wie er gegen unsinnige Ausgabenverweigerungen der Generalintendanz ankämpft und welche Spielplanmaßnahmen er selbst ergreift, um die Ausgaben zu reduzieren (so z. B. die Ansetzung des Einakter-Abends mit den ausstattungsarmen Opern »Der Apotheker« von Haydn und »Die Opernprobe« von Lortzing, kombiniert mit einer konzertant gespielten Haydn-Symphonie) – davon gibt die Eingabe Mahlers an den Obersthofmeister vom 24. April 1899 (s. S. 169ff.) einen anschaulichen Eindruck. Dass Mahler dessen ungeachtet nicht nur für eine angemessene Honorierung der künstlerischen Kräfte seines Ensembles, sondern, wie wir ebenfalls aus seiner Eingabe an Fürst Liechtenstein wissen, auch für eine gerechte Entlohnung der körperlichen Arbeit des technischen Personals gesorgt hat, verdient besondere Erwähnung. Drückt sich doch in einer solchen Maßnahme Mahlers vorurteilsloses, von Standesdünkel ebenso wie von Künstlerhochmut freies Menschenbild aus. (Aber Mahler wusste auch, dass auch künstlerische Leistung ihren Preis hat  : Leo Slezak, Anna von Mildenburg und Marie Gutheil-Schoder, die „Top-Stars“ des Mahler-Ensembles, bezogen 1905 eine Jahresgage von 36.000 Kronen – genauso viel wie Mahler selbst, bei dem sich der Betrag allerdings aus einem Gehalt von 14.000 Kronen, einer „Funktionszulage“ von 10.000 Kronen und einer Zulage als Solo-Korrepetitor von 12.000 Kronen zusammensetzte.) Verlagerung des Spielplan-Schwerpunkts auf die frisch erarbeiteten Inszenierungen, Bildung eines Repertoires, das sich durch sorgfältige musikalische Vorbereitung und stilistisch geschlossene szenische Darbietung auszeichnet, kurz  : Spitzenleistungen, die nicht dem glücklichen Zufall, sondern genauester Disposition und strengster künstlerischer Arbeit zu verdanken sind  : Das ist das Motto für die nächste Periode der Ära Mahler, für die vier Spielzeiten zwischen 1900 und 1904.

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Mahler selbst dirigiert in dieser Zeit neun Neuinszenierungen und acht Erstaufführungen  ; der Hauptanteil des restlichen Premieren-Pensums fällt auf sieben Opern-Neueinstudierungen und drei Wiederaufnahmen sowie fünf Ballett-Premieren und wird anderen Kapellmeistern – hauptsächlich dem neuverpflichteten Ersten Kapellmeister (und damit Hans-Richter-Nachfolger) Franz Schalk und Bruno Walter – überlassen. Die Hinwendung zur Neuerarbeitung des Repertoires in Neuinszenierungen hat das vermehrte Erfordernis neuer Dekorationen zur Folge. Mahlers Konzeptionswandel drückt sich auch im Personellen aus  : seit 1. August 1900 ist der Wiener Maler Heinrich Lefler als Chef des Ausstattungswesens an die Hofoper engagiert (allerdings enttäuscht er Mahler, sodass dieser ihn am 31. Mai 1903 wieder ziehen lässt, als er Alfred Roller gefunden hat). Kein Wunder, dass die Ausgaben der Hofoper nun rapide steigen. 1903 erreichen sie mit 3.126.725,43 Kronen einen Höhepunkt, gleichzeitig steigt das tatsächliche Defizit auf 264.750,82 Kronen. Die Schwierigkeiten, die Mahler damit heraufbeschwört, sind abzusehen  ; die antisemitische Presse, wie immer bestens informiert über die Interna des Opernhauses, läuft Sturm gegen den Direktor. Noch während des laufenden Rechnungsjahres tritt die Kontrollinstanz in Aktion. Der Notenwechsel wirft ein bezeichnendes Licht auf die Verflechtung der künstlerischen und der ökonomischen Belange. Am 30. September 1903 schreibt das Obersthofmeisteramt an die Generalintendanz  : „Nach der für die Zeit vom 1. Jänner bis Ende August l. J. anher vorgelegten Übersicht der Kassagebarung des k. k. Hofoperntheaters haben sich im Vergleiche zum Präliminare insbesondere für Tageskosten, Beleuchtung, Bühnenanschaffungen und Extraordinaria bedeutende Mehrauslagen ergeben und erscheinen die präliminierten Gesamtkosten hiernach mit Ende August l. J. um 161.389,20 Kronen überschritten. Die k. und k. GeneralIntendanz wird aufgefordert, die Überschreitung der einzelnen Präliminar-Posten des Näheren zu motivieren.“ Am 9. Oktober gibt Plappart diese Mitteilung an die Direktion zur Stellungnahme weiter. In der Antwort, die Mahler mit Datum vom 17. Oktober an die Generalintendanz schickt, weist er zunächst nach, dass für die Neuausstattungen von »Euryanthe«, »Tristan«, »Louise«, »Aida« II. Akt (anlässlich der Festvorstellung für den König Georg von Sachsen), sowie für den I. und III. Akt von »Aida« und für das erste und zweite Bild des Balletts »Der falsche Hans« 213.505,70 Kronen bewilligt, tatsächlich jedoch nur 210.438,77 Kronen aufgewendet wurden. Die hauptsächliche Überschreitung, so Mahler, wurde durch die Festvorstellung der »Aida« verursacht  : Obwohl beim »Théâtre paré« für den König von Sachsen nur der zweite Akt aufgeführt (und neu ausgestattet) wurde, mussten auch die Dekorationen der anderen Akte erneuert werden, „um einen Kontrast in den szenischen Bildern zu vermeiden“. Dann heißt es weiter  :

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„Die Erhöhung der Tageskosten findet ihre Begründung in der wegen der häufigen Proben notwendigen Aufnahme von Hilfsarbeitern, Gewährung von Mittagsgeldern und der Verwendung einer großen Zahl von Statisten“ (bei »Aida« waren es 250). Weiter führt Mahler an, dass das bühnentechnische Personal – infolge „großartiger Inszenierungen“, höherer Ansprüche an die Ausstattung und kurzer Probenzeiten „sehr stark in Anspruch genommen“ – an manchen Tagen 13, ja sogar 17 Stunden habe Dienst machen müssen. Daher sei der Krankenstand sehr hoch, was einerseits zu einer erhöhten Zahl von Aushilfsarbeitern, andererseits zu einer vermehrten Zahlung von „Mittagsgeldern“ geführt habe  : Allein diese letzte Position mache in der Zeit vom 1. Jänner bis 31. August 6000 Kronen aus. Schließlich erfordere auch der Dekorationstransport zwischen Hofoper und dem Depot in der Rotunde im Prater zusätzliche Arbeiter, „die in den präliminierten Tageskosten von K 210 nicht enthalten sind“. Schließlich kommt Mahler auf den Beleuchtungsaufwand zu sprechen und nennt als Gründe für die Mehrausgaben  : den höheren Stromverbrauch bei Beleuchtungs- und Dekorationsproben sowie bei den Nachtarbeiten für »Tristan und Isolde« (die Felsendekoration des dritten Aktes war zu groß ausgefallen) und »Louise« (der Komponist hatte knapp vor der Generalprobe Änderungswünsche ausgesprochen)  ; die Anschaffungskosten der Beleuchtungskörper für die Effektbeleuchtung bei »Tristan«, »Louise«, »Fauler Hans«  ; schließlich die Kosten für die Auswechslung der 16 Jahre alten Beleuchtungsanlage der Hofoper „aus Sicherheitsgründen“. Aus dem Abstand eines Jahrhunderts wird deutlich, wie sehr der technische Fortschritt des beginnenden Industriezeitalters den traditionellen Theaterbetrieb vor neue (und teure) Herausforderungen gestellt hat. Diesen Bericht Mahlers gibt die Generalintendanz weiter an das Obersthofmeisteramt mit dem Bemerken, „daß diese Überschreitungen zum großen Teile durch die kostspieligen, in der abgelaufenen Saison vorgekommenen Neuausstattungen, insbesondere durch das am 28. April l. J. stattgehabte Théâtre paré verursacht wurden. Mit den Kosten für das Materiale einer Aufführung ist eben noch nicht der ganze durch dieselbe bedingte Aufwand erschöpft. So z. B. ist die Notwendigkeit zur Abhaltung vieler und längerer Proben, insbesondere der Nachtproben auch für den ziffernmäßigen Erfolg der Rubriken ‚Tageskosten‘ und ‚Beleuchtung‘ von ganz bedeutendem Belange. Die Überschreitung der Tageskosten auch im allgemeinen Betriebe ist ebenfalls auf die zur Regel gewordene Abhaltung langdauernder Bühnenproben … zurückzuführen.“ Daraufhin nimmt das Obersthofmeisteramt die sich für 1903 anbahnende Überschreitung der Ausgaben und damit des genehmigten Defizits zur Kenntnis, nicht jedoch ohne, in einem Bericht vom 30. November 1903, der Generalintendanz Auflagen für die Disziplinierung Mahlers zu erteilen  : „Da es zweifellos erscheint, daß ein nicht unwesentlicher Teil der Auslagen, namentlich bei den Bühnenanschaffungen, durch rechtzeitige Bestellung der erforderlichen

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Kostüme und Dekorationen, sowie durch zweckmäßigere Einteilung der übrigen Arbeiten zu ersparen gewesen wäre, wird die k. und k. General-Intendanz aufgefordert, der Direktion zu empfehlen, künftig in dieser Beziehung eine größere Ökonomie walten zu lassen, die detaillierten Kosten-Voranschläge bei Neuausstattungen oder Neuinszenierungen rechtzeitig vorzulegen und bei ihren Vorschlägen darauf Bedacht zu nehmen, daß nach erfolgter Bewilligung der Voranschläge die ausgeworfenen Beträge strikte eingehalten werden. Die Inanspruchnahme der Arbeiter über die übliche Arbeitszeit ist, dringendste Fälle ausgenommen, zu vermeiden, um die dadurch erwachsenden Kosten für Mittagsgelder und Überstunden sowie die Mehrkosten für Beleuchtung tunlichst zu ersparen.“ Die Entscheidung des Obersthofmeisteramts, straffere bürokratische Zügel an das künstlerische Geschehen in der Hofoper anzulegen, hat sichtlich ihre Wirkung nicht verfehlt. Das Rechnungsjahr 1904 ist in allem das Gegenteil des Jahres 1903  : Die Einnahmen der Hofoper steigen um rund 30.000 Kronen, die Ausgaben sinken um rund 85.000 Kronen, und so liegt das tatsächliche Defizit von 1904 (K 149.456,45) um 115.000 Kronen unter dem von 1903 (K 264.750,82) und unterschreitet selbst das für 1904 präliminierte Defizit von K 186.400 um fast 37.000 Kronen. Erfolgreicher in finanzieller Hinsicht hat Gustav Mahler nie wieder gewirtschaftet. Dennoch wird ihm bei der Weiterleitung der vom Obersthofmeisteramt prompt gekürzten (!) Präliminar-Ansätze für 1905 (das „genehmigte“ Defizit schrumpft von den schon genannten 186.400 Kronen für 1904 auf 170.100 Kronen für 1905) von der Generalintendanz „nahegelegt, durch das rigoroseste Vorgehen bei Verwendung der Aushilfsarbeiter den Etat der ‚Monats-, Wochen- und Taglöhne‘ möglichst herabzumindern, sowie insbesondere bei den Rubriken ‚Gastspielhonorare‘ und ‚Besondere Personalauslagen‘ sich innerhalb der durch die Präliminarsätze gestellten Grenzen zu halten …“. Die letzte Periode der Ära Mahler, die im Zeichen von Musteraufführungen und Interpretationszyklen steht, umfasst die drei Spielzeiten von 1904/05 bis 1906/07. Die Finanzgebarung der Rechnungsjahre 1905, 1906 und 1907 spiegelt die erneut gewandelte Zielsetzung der künstlerischen Arbeit nicht so deutlich wider wie beim Wandel von der ersten zur zweiten Arbeitsperiode Mahlers. Drei unterschiedliche „Gebarungsergebnisse“ wollen interpretiert sein  : das schlechteste Ergebnis, das Mahler je erzielte, im Jahr 1905, ein fast ausgeglichenes für 1906 und ein beinahe ebenso schlechtes wie für 1905 im Jahre 1907. Bewertet man die künstlerischen Leistungen der drei Jahre (wenn man das Jahr 1907, das ja bis zum 31. Dezember unter Mahlers – zumindest nomineller – Leitung stand, voll rechnet), so lässt sich eine Erklärung für dieses unterschiedliche finanzielle Abschneiden nicht finden. Die Art dieser Leistungen dagegen macht sich sehr deutlich bemerkbar. Neueinstudierungen und Wiederaufnahmen sind völlig in den Hintergrund getreten, im Vordergrund stehen Neuinszenierungen und Erstaufführungen, die sich

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hinsichtlich der Ausstattungskosten kaum, hinsichtlich der Einspielergebnisse dagegen sehr wesentlich unterscheiden. Werden die Mahler-Premieren der letzten Periode nach Kalenderjahren zusammengefasst, so fällt auf, dass unter den zehn Opernpremieren im Jahr 1905 vier Erstaufführungen und drei Neuinszenierungen (wenn man von dem neuinszenierten ersten Akt des »Lohengrin« absieht) waren, unter seinen fünf Premieren im Jahre 1906 dagegen vier Neuinszenierungen und keine Erstaufführung. Diese Verteilung ergibt sich zwangsläufig aus der Spielplankonzeption und -disposition  : 1905/06 veranstaltet Mahler seinen Mozart-Zyklus, von dem die Mehrzahl der Premieren in das Kalenderjahr 1906 fällt. Im Kalenderjahr 1905 dagegen hatten mit »Das war ich« (Leo Blech), »Die Abreise« (d’Albert), »Die Rose vom Liebesgarten« (Pfitzner), mit »Feuersnot« (Richard Strauss), neu einstudiert für die Anwesenheit der Mitglieder des »Allgemeinen Deutschen Musikvereins« in Wien, und »Die neugierigen Frauen« (Wolf-Ferrari) die zeitgenössischen Komponisten den Wiener Opernspielplan in einem Ausmaß beherrscht, das vom konservativen Publikum sicherlich nicht goutiert und von Mahlers Präsenz am Opernpult nicht wettgemacht wurde. Dieses künstlerisch motivierte Vorgehen hat aber direkte Rückwirkungen auf die Einspielergebnisse der Hofoper  : während die Einnahmen des Jahres 1905 mit K 2.857.493,88 um 34.000 Kronen unter den Einnahmen von 1904 und sogar um fast 54.000 Kronen unter dem (allerdings unrealistisch hoch angesetzten) Einnahme-Präliminare für 1905 liegen, erreichen sie 1906 den bisherigen Höchststand von K 2.991.496,04, überschreiten somit das (nochmals erhöhte) Präliminare um sensationelle 62.700 Kronen und drücken damit die Überschreitung des Defizits auf 9.234,71 Kronen, einen im Vergleich zur Defizit-Überschreitung von 1905 geradezu verschwindenden Betrag. Die vollen Häuser eines Mozart-Jahres rissen eben schon damals, wie Bruno Walter schreibt, „das Herz des Theaterkassierers zu nie gekannten Wonnen“4 hin. Das Defizit des Jahres 1905 muss uns etwas ausführlicher beschäftigen, scheint es doch der einzig greifbare Beweis für das Mahler nachgesagte wirtschaftliche Debakel seiner Direktionszeit zu sein. Unbestreitbar ist es das schlechteste Geschäftsergebnis der Ära Mahler. Um seine Auswirkung auf Mahlers Verhältnis zum Obersthofmeisteramt, der höchsten Finanzbehörde der Hoftheater, ermessen zu können, muss man es freilich auch im Zusammenhang mit dem vorangegangenen Jahresergebnis sehen. 1904, in Mahlers bisher erfolgreichstem Jahr, war es möglich gewesen, das präliminierte Defizit um fast 37.000 Kronen zu unterschreiten. Verständlich, dass das Obersthofmeisteramt in der Hoffnung auf ein ähnlich günstiges Ergebnis für 1905 die Präliminaransätze selbst so verändert hatte, dass daraufhin das „genehmigte“ Defizit für 1905 nur mehr 170.100 Kronen (gegenüber 186.400 Kronen für 1904) betrug. Die Rechnung ging freilich nicht auf. Dem Rückgang der Einnahmen gegenüber dem Präliminare von, wie oben angegeben, rund 54.000  Kronen steht eine Über-

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schreitung des Präliminares auf der Ausgabenseite von mehr als 200.000 Kronen gegenüber  ; exakt haben sich die Ausgaben von 3.041.028,10 Kronen im Jahr 1904 auf 3.286.024,72 Kronen im Jahr 1905 erhöht. Damit erreicht Mahlers Haushalt eine Überschreitung des präliminierten Defizits um mehr als 150 Prozent auf den Rekordbetrag von 428.530,84 Kronen. Die Wirkung dieses Geschäftsergebnisses kann man, da entsprechende Unterlagen im Haus-, Hof- und Staatsarchiv fehlen, nur ahnen. Die Generalintendanz gibt den Rechnungsabschluss kommentarlos an das Obersthofmeisteramt weiter  ; ein im Konzept des begleitenden „Berichts“ noch enthaltener Seitenhieb auf Mahler durch die lobende Erwähnung der Burgtheater-Geschäftsführung – „in diesen Ziffern ist der Beweis gelegen für die anerkennenswerte und verständnisvolle Mitwirkung, welche seitens der bewährten künstlerischen Organe der Direction des Hofburgtheaters im Interesse der Erzielung eines auch wirtschaftlich günstigen Erfolges geübt wird“ – unterbleibt in der Reinschrift. Zweifellos ist Mahler wegen dieses außergewöhnlich hohen Defizits zur Rede gestellt worden, wahrscheinlich sogar in einem persönlichen Gespräch mit dem Obersthofmeister. Ob Montenuovo bei dieser Gelegenheit den Entschluss gefasst hat, Mahler trotz aller künstlerischen Erfolge durch einen in der Finanzgebarung solideren Direktor zu ersetzen, ist eine Überlegung, die in das Gebiet der reinen Spekulation gehört. Tatsache ist, dass eine Maßnahme umgehend ergriffen wurde, um den Opernhaushalt wieder einigermaßen ausgeglichen zu gestalten  : Mit Wirkung vom 1. Oktober 1906 werden die Eintrittspreise erhöht. Gleichzeitig werden strenge Restriktionen für das Geschäftsjahr 1906 erteilt. Mit „Erlaß“ vom 20. Februar 1906 verlangt das Obersthofmeisteramt von der Generalintendanz, die „Voranschläge für 1906“, also das Präliminare des Defizits der Hofoper, von den ursprünglich beantragten 234.600 Kronen auf 200.000 Kronen zu kürzen, „worauf die Genehmigung des Präliminare pro 1906 erfolgen wird“. In der Antwort der Generalintendanz vom 2. März 1906 heißt es  : „Die General-Intendanz war bemüht, diesem Auftrage Folge zu leisten, sah sich jedoch genötigt, zur Erreichung des gesteckten Zieles auch eine teilweise Erhöhung der ursprünglichen Präliminar-Ansätze bei der Rubrik ‚Tages-Eingänge‘, u. zw. über ausdrückliches Ansuchen und im vollen Einvernehmen mit der Direction des Hofoperntheaters, platzgreifen zu lassen. Abgesehen von der“ (im Konzept gestrichen  : „beinahe ausgesprochenen Unmöglichkeit“) „großen Schwierigkeit, von den Ausgabe-Rubriken allein den ganzen Betrag in Abzug zu bringen, ist dieser Vorgang durch den bisherigen Erfolg der Tages-Einnahmen des Hofoperntheaters gewissermaßen gerechtfertigt. Das Plus dieser Einnahmen gegen die ursprünglichen Präliminaransätze pro Jänner und Februar betrug mit 28. Februar l.  J. rund K 29.400.“ Dann spezifiziert der „Bericht“ die Verteilung von 14.600 Kronen, um die das Einnahmen-Präliminare aus den Tages-Eingängen erhöht werden soll, auf die einzelnen

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Monate des Kalenderjahres. Weiter werden Abstriche von 20.000 Kronen bei den Rubriken „Erhaltung des Fundus“, „Neuanschaffungen“ und „Besondere Bühnen- und sonstige Erfordernisse“ sowie „Musikanschaffungen“, „Dienstreisen“ und „Tageskosten“ angeboten. Das solcherart auf die vorgeschriebenen 200.000 Kronen reduzierte „präliminierte“ Defizit für 1906 wird am 19. März vom Obersthofmeisteramt genehmigt. Die Genehmigung wird eine Woche später von der Generalintendanz an die Hofoperndirektion weitergeleitet „unter Hinweis auf die, mit den h. ä. Intimaten Z. 1727 vom 29. Mai 1904 und Z. 199 vom 25. Jänner 1905 getroffenen Verfügungen, bei aller Rücksicht auf den künstlerischen Erfolg die Ausgaben innerhalb der Grenzen des genehmigten Präliminares zu halten“ (im Konzept gestrichen  : „Ihrer Verpflichtung eingedenk, mit allem Nachdruck bestrebt zu sein, den wirtschaftlichen Erfolg des Ihrer Leitung anvertrauten Institutes in Einklang zu bringen mit jenen künstlerischen Erfolgen, deren Erzielung – weil in beiden Hoftheatern traditionell – wohl mit allem Rechte erwartet werden kann und muß  !“). Gustav Mahler hat sich diese Mahnung, ohne sie je gelesen zu haben, zu Herzen genommen. Die ausgezeichneten Einnahmeergebnisse, resultierend aus den auf dem Spielplan dominierenden Festaufführungen Mozart’scher Opern auf der einen Seite, dem Verzicht auf eine Opernnovität wie »Der Pfeifertag« von Max von Schillings auf der anderen – das Werk war auf der Premieren-Wunschliste Mahlers gestanden und im „RealEtat“ berücksichtigt, kam jedoch nicht zur Aufführung –, ermöglichen einen ausgeglichenen „Gebarungsabschluß“ für 1906. Die schon genannten Mehreinnahmen von rund 62.700 Kronen verringern die Ausgaben-Überschreitung von rund 72.000 Kronen auf einen Mehrbetrag von 9.234,71 Kronen gegenüber dem präliminierten Defizit – Mahler hatte auch das wirtschaftliche Geschehen der Hofoper wieder fest im Griff. Dessen ungeachtet werden Mahler vom Obersthofmeisteramt anlässlich der Genehmigung des Präliminares für 1907 wieder einmal die allerhöchsten Spar-Appelle – im Amtsdeutsch  : „die Intimate Z. 1727 vom 29. Mai 1904, Z. 199 vom 25. Jänner 1905 und Z. 1122 vom 7. April 1906“ – „zur striktesten Darnachachtung neuerdings und eindringlichst in Erinnerung gebracht“. Das letzte Jahr von Mahlers Direktionstätigkeit, 1907, bringt die Hofoper wieder in eine stark defizitäre Situation. Die Einnahmen bleiben um 72.500 Kronen unter dem Präliminare, die Ausgaben überschreiten sogar um rund 175.000 Kronen die gesetzten Grenzen, insgesamt erreicht das Defizit einen Betrag von 450.733,62 Kronen und übersteigt damit das – mit 203.400 Kronen allerdings gegenüber 1906 kaum gestiegene – Präliminare um 247.333,62 Kronen, also um nur rund 10.000 Kronen weniger als in Mahlers Unglücksjahr 1905. Es wäre falsch, Mahler allein die Schuld an dieser Entwicklung zu geben. Sicher, er selbst hat im Kalenderjahr 1907 nur noch zwei Neuinszenierungen, Wagners »Walküre«

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und die sicherlich nicht sehr zugkräftige »Iphigenie« Glucks, zum Spielplan beigetragen und das restliche Premieren-Pensum – zwei Wiederaufnahmen, vier Neueinstudierungen, zwei Erstaufführungen und eine Ballett-Uraufführung – seinen Mitarbeitern überlassen. Aber die Kosten, die der künstlerische Betrieb des Opernhauses an sich erfordert, sind so gestiegen, dass eine Eindämmung der Ausgabenseite, von welcher Seite und mit welchen Mitteln auch immer sie versucht wurde, ein vergebliches Unterfangen war. So hat man den Eindruck, dass Mahler den Dingen in diesem Geschäftsjahr ihren Lauf gelassen hat. Die Gewissheit seines Rücktritts vor Augen, nimmt er das sich abzeichnende Finanzergebnis in Kauf, ohne durch besondere Maßnahmen, etwa mit Beginn der Spielzeit 1907/08, dem drohenden Defizit gegenzusteuern. Bei der Vorlage des Rechnungsabschlusses für 1907 beim Obersthofmeisteramt findet die Generalintendanz trotzdem erstaunlich gemäßigte, durch keine Invektiven auf den „Sündenbock“ Mahler verschärfte Töne für die Darstellung der insgesamt unerfreulichen Situation. Sie schreibt Anfang März 1908  : „Auch bei der Gebarung des Hofoperntheaters hat sich gegenüber dem Vorjahre ein Mehraufwand von rund 173.000 Kronen ergeben“ (in Wahrheit lag er sogar, wie später korrigiert wird, bei 247.000 Kronen), „und zwar im Personal-Etat durch Engagements …, Aufbesserung der Bezüge beim Ballett und Orchester, dann bei der Rubrik ‚Löhne‘ durch Ersatz einer größeren Anzahl von in Abgang gekommenen definitiven Arbeitern …  ; ferner zeigen die Rubriken ‚Gastspielhonorare‘ und ‚Besondere PersonalAuslagen‘ infolge des dem Kammersänger Caruso erfolgten Honorars von K 48.000 bzw. der dem Direktor Mahler zugekommenen Abfertigung von K 20.000 ungünstigere Ergebnisse, und endlich ist das Defizit des Pensions-Instituts des Hofoperntheaters um rund K 15.000 gestiegen … Der verhältnismäßig geringe Mehraufwand im Realetat des Hofoperntheaters“ (im Konzept gestrichen  : „von rund K 13.600“) „ist einerseits darauf zurückzuführen, daß sich im Jahre 1906 die Vorlage der Rechnungen über Neuausstattungen verzögerte, andererseits die Tageskosten im Jahre 1907 durch Aufbesserung der Ankleiderlöhne und häufigere Anfügung von Balletten an kleinere, bisher meistens allein zur Aufführung gebrachte Opern [sich] erhöhten. Zur Neuausstattung gelangten im Jahre 1907 ‚Rübezahl‘ (K  44.000), ‚Walküre‘ (K 9.000), ‚Iphigenie in Aulis‘ (K 22.000), ‚Samson und Dalila‘ (K 2.500) und ‚Stumme von Portici‘ (K 3000). Die gegenüber dem Jahr 1906 günstigeren Einnahmen … im Hofoperntheater von rund K 37.700 sind im allgemeinen auf die Erhöhung der Eintrittspreise im Hofoperntheater, aber besonders auf das Erträgnis des Caruso-Gastspiels zurückzuführen, denn tatsächlich zeigt sich im abgelaufenen Jahre eine nicht unwesentliche Abnahme des Theaterbesuches, welche auch in dem geringeren Erträgnisse der Publikumsgarderobe zum Ausdruck kommt, doch haben nicht minder die ungünstigen Repertoire-Verhältnisse,

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die häufigen Absagen erster Kräfte und der geringere Zuzug von Fremden infolge der Blattern-Epidemie dieses Ergebnis nachteilig beeinflußt. Die erfreuliche Tatsache aber, daß (im Konzept gestrichen  : „hauptsächlich infolge des besseren Repertoires“) „die Einnahmen in den beiden ersten Monaten des Jahres 1908 höher sind als jene im Vorjahre, läßt den Schluß zu, daß sich das Publikum an die Erhöhung der Eintrittspreise bereits gewöhnt hat und ein günstigeres Jahr zu gewärtigen ist.“ Seit dem 1. Jänner 1908 ist Felix Weingartner Direktor der Wiener Hofoper. Ob es ihm gelingen wird, das künstlerische Niveau der Ära Mahler zu halten, steht bei der Abfassung dieses „Gebarungsabschlusses“ noch in den Sternen  ; dass sich, acht Wochen nach seinem Amtsantritt, Generalintendanz und Obersthofmeisteramt hinsichtlich der wirtschaftlichen Führung der Hofoper eine Konsolidierung von Weingartner versprechen, liegt auf der Hand. Zwar gibt man dem neuen Hofoperndirektor – ohne das Einnahme-Soll noch weiter anzuheben – ein um 25.000 Kronen erhöhtes Präliminare für die Ausgaben, verschließt damit jedoch erneut die Augen vor der Tatsache, dass die Personal- und Sachausgaben des Opernhauses, unabhängig von den künstlerischen Zielen des jeweiligen Leiters, zwangsläufig eine Größenordnung erreicht haben, die einer grundsätzlichen Neufestsetzung der Zuschüsse bedarf. So kommt auch Weingartner schon in seinem ersten Jahr gewaltig in die roten Zahlen  : Trotz einer Überschreitung des Einnahmen-Präliminares um rund 30.000 Kronen überzieht er den Ausgabenrahmen so sehr, dass das genehmigte Defizit um nahezu 137.000 Kronen überschritten wird. Der Kampf, den Gustav Mahler, zwischen Präliminare und Gebarungsabschluss lavierend, zehn Jahre lang um die angemessene Dotierung der selbstgesetzten künstlerischen Vorhaben gekämpft hat, geht weiter.

KAMPF MIT DER ZENSUR Von allen Kontroversen, die Gustav Mahler während seiner Direktionszeit mit der vorgesetzten Behörde ausfocht, hat keine mehr Popularität und geradezu traurige Berühmtheit erlangt als der Kampf um die Aufführungserlaubnis für die »Salome« von Richard Strauss. In der letzten Runde siegte auch hier die Bürokratie, die sich hinter der moralischen Verurteilung des Operntextes durch die Zensur verschanzen konnte, um so das revolutionäre, schwierige und wegen seiner Modernität missliebige Werk von Wien fernzuhalten. Mahler hatte die Musik zur »Salome« im Mai 1905 kennengelernt, als er mit Strauss beim Ersten Straßburger Musikfest zusammengetroffen war  ; diese außergewöhnlich frühe Festspielgründung, 15 Jahre vor den Salzburger Festspielen, war das Ergebnis einer klaren Bekundung der kaiserlichen Verwaltung im fernen Berlin, die Hauptstadt des nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1871 errichteten „Reichslands Elsaß-Lothringen“ auch auf musikalischem Gebiet zu einem Schaufenster deutscher Kultur in Richtung Frankreich zu machen  ; dementsprechend hochkarätig war die Auswahl der Mitwirkenden. Alma Mahler erzählt, dass Strauss dem Wiener Operndirektor aus der noch unvollendeten Partitur in einer Straßburger Klavierhandlung, von den Passanten vor dem Geschäft angestaunt, vorspielte und vorsang. „Mahler war hingerissen“1, was um so mehr bedeuten will, als es „da vorher eine kleine Geschichte gegeben“ hatte, wie Alma Mahler berichtet  : „Als Strauss Mahler erzählt hatte, daß er die ‚Salome‘ von Wilde komponieren wollte, opponierte Mahler heftig. Er hatte tausend Gründe dagegen, zuerst ethischer Natur, nicht zuletzt die wahrscheinliche Unaufführbarkeit in katholischen Ländern. Strauss stritt, war aber doch irritiert, wenn auch nicht für lange.“2 Trotz dieser Bedenken setzt Mahler, von der genialen Musik überwältigt, alles daran, um die Oper, deren Uraufführung nach Dresden vergeben war, gleichzeitig oder zumindest so bald wie möglich danach an der Hofoper herauszubringen. Es bleiben ihm, will er mit dem Uraufführungs-Termin mithalten, dazu nur wenige Wochen Zeit – das Werk muss ja von den Sängern auch noch einstudiert werden  ! Um die Hürden zu nehmen, versucht er es mit seiner Autorität und nutzt seine Beziehungen, taktiert mit List und betreibt Geheimdiplomatie gegenüber der Presse, bearbeitet den Zensor und spricht beim Obersthofmeister vor, schiebt den Premieren-Wunschtermin immer weiter hinaus und bietet dem Komponisten sogar Scheinverhandlungen mit der „Konkurrenz“ an – und doch bleibt sein engagierter Einsatz zuletzt ohne Erfolg. Das Auf und Ab des Erfolges von Mahlers Bemühungen spiegeln die Briefe getreu wider, die Mahler in jener Zeit an Richard Strauss richtet. Sie bezeichnen nicht nur den

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objektiven Stand der Angelegenheit, sondern geben mehr noch das Hoch und Tief der Stimmungen Mahlers und seine wechselnde Einschätzung der Lage wieder. Dank der vorzüglich kommentierten Veröffentlichung des Briefwechsels Mahler-Strauss3 durch Herta Blaukopf sind wir in der Lage, das geradezu dramatisch sich steigernde Verwirrspiel um die – zuletzt doch verweigerte – Aufführungsgenehmigung nahezu lückenlos nachvollziehen zu können. Den frühesten Brief in Sachen »Salome« schreibt Mahler noch in Maiernigg, seinem Sommerdomizil am Wörthersee, am 19. August 1905, als Antwort auf eine von Richard Strauss tags zuvor aus dessen Urlaubsort Marquartstein in Oberbayern an ihn gerichtete Anfrage, was es wohl mit der von der Presse kolportierten Nachricht auf sich habe, dass Mahler plane, die von Ernst von Schuch für Dresden zur Uraufführung angenommene Oper auch an der Wiener Hofoper aufzuführen. Strauss schreibt  : „Lieber Freund  ! Haben Sie wirklich die in beiliegender Notiz des ‚Tag‘ gemeldete Absicht  ? Dann möchte ich Ihnen wenigstens mitteilen, daß von der Verlagsfirma Fürstner bis 1. September Klavierauszüge und Correcturbogen fertig gestellt werden, aus denen mit dem Studium der Hauptpartien begonnen werden kann. Schuch fängt bereits am 1. September an und gedenkt das Werk so etwa Ende November herauszubringen. Das Orchestermaterial wird menschlicher Berechnung nach bis 1. Nov. fertig sein. Wenn Sie also umgehend mit Fürstner (der Ihnen sonst kein Material liefert) Vertrag machen, können Sie nach Gutdünken auch Anfang September mit dem Studium der Hauptpartien, das wohl 2, bis 3 Wochen in Anspruch nehmen dürfte, beginnen. Für Herodes, Herodias u, Jochanaan sind wohl Schmedes, Mildenburg u. Weidemann gegeben. Narraboth – Slezak. Wie stehts nun mit Salome  ? Für Dresden habe ich mich doch schließlich für Frau Wittich (des Styls u. der Wucht der Stimme wegen) entschlossen. Meinen Sie nicht, daß für Wien Frl. Kurz geeignet wäre  ? Es wird mir von vielen Seiten berichtet, daß sie Ihre schönste Stimme sei. Hübsch ist sie ja. Hat sie Darstellungstalent  ? […] Ihr treu ergebener Dr. Richard Strauss Bitte, bei Bestellung der Dekoration darauf zu achten, daß dieselbe möglichst kurz und der Akustik günstig ist. Massen brauchen nicht entfaltet zu werden, die über den Boden herausragende Cisterne Jochanaans ist so einzurichten, daß der Sänger durch ein mit Gaze cachiertes Loch, für das Publikum unsichtbar, direct heraussingen und den Dirigenten sehen kann.“4 Mahlers Antwort lautet  : „Lieber Freund  ! Die Notiz ist offenbar nur so aus den Fingern gezuzelt. – Der Termin der Première kann noch unmöglich bestimmt werden. – So viel ist nur sicher daß, wenn ich Ihre Oper nicht am 4. Oktober herausbringen [kann], sie wahrscheinlich erst im Jänner gegeben

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werden kann. (Der Dezember ist ausgeschlossen, weil für eine so wichtige Novität zu unvortheilhaft und im November muß Don Juan (und Figaro im Dezember) neu heraus wegen des Mozart-Jubiläums.[)] So wie ich nach Wien komme, schreibe ich an Fürstner. – Wegen der Censur spukt’s schon wieder. Ich bitte jedenfalls um baldmöglichste Einsendung des Textes (resp. der endgültigen Fassung des Wildeschen Stückes) damit ich es bei Zeiten der Censur unterbreiten und eventuell noch rechtzeitig zu raufen anfangen kann. Auch würde die Intendanz vor Passirung der Censur keinen Kreuzer bewilligen. Mit dem Studium möchte ich unbedingt sofort anfangen  ; denn ich habe vor[,] die Salome von 3 Sängerinnen studiren zu lassen, um eine Auswal und eventuell einen Ersatz zu haben. – Die Kurz ist unmöglich. Eine wunderbare Stimme, aber darstellerisch selbst für die Lucia unmöglich. – Dagegen baue ich sehr auf eine junge schlanke Sängerin von colossaler Schlagkraft und nie versagender Höhe, mit der ich sofort zu studiren [an]fange (Frl. Bland.) Die andere Besetzung stimmt sehr gut mit meinen Plänen. Schmedes, Mildenburg und Weidemann (vielleicht Demuth). Narraboth muß ich mir noch überlegen – keineswegs aber Slezak, der sich keine Mühe giebt, sehr schlampig unrhythmisch singt, und bei der 3. Vorstellung bereits umschmeißt. Der muß auch bei Troubadour und Arnold bleiben. […] Ich reise eben nach Wien  : O weh  ! Ihr freundschaftlichst ergebener Gustav Mahler“5 Die nächsten Ereignisse sollten erweisen, wie begründet Mahlers ahnungsvoller Wehruf war. Am 31. August hatte Mahler das Textbuch dem Hofzensor Dr. Emil Jettel von Ettenach eingereicht, am 15. September ergeht dessen Entscheidung an die Generalintendanz  ; darin heißt es  : „Abgesehen davon, daß die Darstellung von Vorgängen aus dem Neuen Testament, insbesondere auf einer Hofbühne, grundsätzliche Bedenken erregt, wirkt die Vorführung einer perversen Sinnlichkeit, wie sie in der Figur der Salome verkörpert ist, sittlich verletzend. Ich möchte mich deshalb aus religiösen und sittlichen Gründen gegen die Zulassung des vorliegenden Operntextes aussprechen.“6 Die Ablehnung des Werkes durch den Zensor erreicht Mahler wenige Tage später durch ein „Intimat“ aus der Generalintendanz  : „In Erledigung des Berichtes vom 31. August 1. J. Z. 927 wird der k. und k. Direktion eröffnet, daß die Zensurbehörde aus religiösen und sittlichen Gründen sich gegen die Zulassung des Textbuches der Oper ‚Salome‘ Musik von Richard Strauss ausgesprochen hat und die General-Intendanz sohin nicht in der Lage ist, die Zustimmung zur Auffüh-

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rung dieses Bühnenwerkes am Hofoperntheater zu erteilen. Das Textbuch folgt in der Anlage zurück. Wien, am 20. September 1905“7 Diese klare Verweigerung der Aufführungsgenehmigung nötigt Mahler, einen offiziellen Absagebrief an Strauss verfassen zu lassen und mit seiner Unterschrift zu versehen  : „K. K. HOF-OPERNTHEATER

„Hochwohlgeboren Herrn Dr. Richard Strauss Berlin

Euer Hochwohlgeboren  ! Nach einer an die Direktion des k. k. Hofoperntheaters gelangten Verständigung hat sich die hierortige Censurbehörde aus ‚religiösen und sittlichen Gründen‘ gegen die Zulassung des Textbuches der Oper ‚Salome‘ ausgesprochen und ‚es ist sohin die GeneralIntendanz der k. k. Hoftheater nicht in der Lage, die Zustimmung zur Aufführung dieses Bühnenwerkes zu erteilen‘. Ich erlaube mir, Sie von dieser Entscheidung in Kenntnis zu setzen, indem ich mein lebhaftes Bedauern ausspreche, bei dieser Sachlage von einer Aufführung Ihres Werkes leider absehen zu müssen. Mit dem Ausdrucke meiner vorzüglichen Hochachtung bin ich Ihr sehr ergebener Mahler Wien, am 22. September 1905“8 Ohne jeden Zweifel ist dieser Brief jedoch nie an Richard Strauss nach Berlin abgegangen  : Das Original befindet sich in den Hoftheater-Akten des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs. Stattdessen erhält Strauss an jenem 22. September ein Telegramm aus der Wiener Hofoper mit folgendem Wortlaut  : „Bitte möglichst bald 2 oder 3 Clavierauszüge von Salome senden zu lassen, damit die Hauptpartien mit dem Studium beginnen können. In welchem Verlage erscheint das Werk  ? Grüße Mahler“9. Es ist müßig zu rätseln, was Mahler veranlasst haben mag, den schon geschriebenen Absagebrief an den Komponisten ad acta zu legen und ihm noch am gleichen Tag die Aufführung konkret in Aussicht zu stellen. Eines dürfen wir jedenfalls annehmen  : dass Mahler den Komponisten zu diesem Zeitpunkt mit Absicht nicht von der Ablehnung durch die Zensurbehörde informiert hat. Möglicherweise wollte er, der nur zu gut wusste, wie rasch solche Nachrichten den Weg aus den Intendanzbüros in die Presse finden, mit dieser telegrafischen „Absichtserklärung“ die Zuversicht von Strauss aufrechterhalten und möglichen Absagemeldungen in den Wiener Zeitungen zuvorkommen.

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Vielleicht auch hat Mahler gewichtige Gründe für die eigene Zuversicht gehabt, das Werk am Wiener Hofoperntheater doch noch durchsetzen zu können – und wenn diese Gründe „nur“ in seiner eigenen künstlerischen Überzeugung und in dem leidenschaftlichen Willen, im Kampf mit der Bürokratie zu siegen, zu suchen sind. Ein wesentliches Motiv dürfte die Sorge gewesen sein, die mögliche Aufführung nicht durch Termindruck beim Studium der Partien zu gefährden, wenn ihm ein Umstimmen des Zensors doch noch gelingen sollte. Am 11. Oktober 1905 richtet Mahler einen weiteren Brief an Strauss, der die Bereitschaft des Komponisten, das Werk der Wiener Hofoper zu überlassen, einmal mehr sicherstellen soll. Inzwischen nämlich hatte Richard Strauss eine Anfrage des Direktors des Kaiser-Jubiläums-Stadttheaters (der späteren Wiener Volksoper), Rainer Simons, erhalten und an Mahler weitergeleitet. Simons wollte sich die Novität für sein ehrgeiziges Privatunternehmen sichern, nachdem er erst im Jahr zuvor die bisher als Schauspielhaus geführte Bühne dem Musiktheater geöffnet hatte. Die Ablehnung der »Salome« durch die Zensur war also publik geworden – übrigens eine Zensur, der keineswegs die österreichischen Bühnen insgesamt, sondern nur die Hoftheater unterworfen waren  : „Die vom Kaiser unterhaltenen Bühnen sollten keine Werke aufführen, die umstürzlerische oder laszive Gedanken verbreiteten, vor allem aber durften keinerlei Worte fallen, die das religiöse Gefühl der Zuschauer beleidigten“10 (Herta Blaukopf ). Die übliche Polemik gegen Jettels Entscheidung übersieht also, dass dieser gerade im Fall »Salome« sein Amt sehr gewissenhaft ausgeübt hat, die – gerade in religiösen Fragen – starren Vorschriften jedoch nicht umgehen konnte. Am 8. Oktober schrieb Rainer Simons an Richard Strauss nach Berlin  : „Hochverehrter Herr Hofkapellmeister  ! Wie ich soeben erfahre, wird Ihr Werk ‚Salome‘ die Hofopern-Censur nicht passiren. Würden Sie die Güte haben, mir mitzutheilen, ob Sie mir das Werk jetzt überlassen wollen. Mit vorzüglicher Hochachtung ganz ergebener Simons“11 Strauss schrieb darunter die Zeilen „Lieber Freund  ! Ist dies richtig  ? Bitte diesen Brief zurück. Die Dresdner Premiere, woselbst das Werk keinerlei Censurschwierigkeiten zu überstehen hat, ist Ende November  ! Herzliche Grüße Ihr Rich. Strauss

Berlin, 10. Oktober 1905“12

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und schickte das Ganze an Mahler. Dessen Antwort an Strauss auf diesen Vorstoß der „Konkurrenz“ ist gleichzeitig ein einzigartiges Dokument freundschaftlich-begeisterter Anerkennung eines genialen Komponisten durch einen ebenbürtigen „Kollegen“  : „Wien, 11. Oktober 1905 Lieber Freund  ! Es ist leider traurige Wahrheit. Ja, noch mehr  : die Censur hat es bereits refusirt. Bis jetzt weiß es noch Niemand  ; denn ich setze Himmel und Hölle in Bewegung, um diese Bêtise rückgängig zu machen. Bis jetzt habe ich noch nicht eruiren können, auf welchen Einfluß dieses Verbot zurückzuführen [ist]. Dieser Brief kommt mir sehr gelegen  ! Salome ist zwar am Jubiläumstheater ganz unmöglich  ! – Aber mein Plan ist jetzt, diese Aufführung als möglich darzustellen. – Sie müssen mich gegebenenfalls darin unterstützen und sogar Scheinunterhandlungen führen. – Ich denke, mit dieser Pistole an der Brust, wird auch die hochweise Censur mit sich sprechen laßen. – Sie glauben gar nicht – welche Unannehmlichkeiten ich da schon habe durchmachen müssen – schon bei meiner Rückkunft aus Strassburg, wo ich mit Begeisterung von meinem Vorhaben sprach. Nur deshalb habe ich die Salome für Jänner – eventuell Feber in Aussicht genommen. Ich wollte Ihnen diese Besorgniße ersparen, um Ihnen nicht die Freude an der Première zu verderben. Außerdem habe ich gehofft, und hoffe noch immer immer, daß eben der Umstand, daß ein so katholischer Hof, wie der Dresdner die Aufführung geschehen läßt, auch hier in’s Gewicht fallen wird. – Also bitte – noch einige Zeit lang schweigen  ; dem Simon[s] schreiben, daß wenn Hofoper ablehnt die Aufführung am Jubiläumstheater in’s Auge gefaßt werden wird. Den Brief bitte ich mir für einige Tage noch zu laßen. Ich hoffe, daß er mir eine (ganz unverhoffte) Waffe im ungleichen Kampf sein wird. Und nun, lieber Strauss, – ich kann nicht umhin Ihnen von dem hinreißenden Eindruck zu sprechen, den mir Ihr Werk bei der neuerlichen Lesung macht  ! Das ist Ihr Höhepunkt bis jetzt  ! Ja, ich behaupte, daß sich nichts damit vergleichen [lässt], was sogar Sie bis jetzt gemacht haben. – Sie wissen – ich mache keine Redensarten. Ihnen gegenüber noch weniger, als gegen Andere. – Aber dießmal habe ich das Bedürfniß, Ihnen das zu sagen. Da sitzt jede Note  ! Was ich schon lange gewußt habe  : Sie sind der berufene Dramatiker  ! Ich gestehe, daß Sie mir durch Ihre Musik das ‚Wilde’sche Werk erst verständlich gemacht haben. Ich hoffe bei der Première in Dresden dabei sein [zu] können. – Laßen Sie mich ein Wort wissen, ob Sie mit meinem Feldzugsplan einverstanden sind. Mein Wort darauf, daß ich kein Mittel unversucht laßen und nie erlahmen werde, mich für dieses unvergleichliche, durchaus originale Meisterwerk einzusetzen.

In aller Eile und herzlichst Ihr Gustav Mahler“13

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Mahlers Rechnung scheint zunächst aufzugehen, wie die hektischen Nachrichten der nächsten acht Tage verraten  : „Lieber Freund  ! Nur in aller Eile  ! Ich bin jetzt etwas hoffnungsvoller. Dieser Brief hat mir sehr gute Dienste geleistet. Ich hoffe Ihnen, in den allernächsten Tagen Bestimmtes mittheilen zu können. – Verzeihen Sie den desolaten Zustand des beigelegten Schreibens. Ich habe denselben [sic] aus Versehen zerrissen, und mußte mir die Stücke erst aus dem Papierkorb zusammenlesen. Herzlichst und in Treue Ihr Mahler“14 „Eiligst  ! Liebster Freund  ! Also endlich kann ich Ihnen Erfreuliches berichten  ! Die Schwierigkeiten sind behoben  ! Ihre Salome ist gestattet  ! Ich komme eben vom Censor. Er wird mir binnen 8 Tagen das Textbuch zurückstellen, in dem er alle jene Stellen anstreichen wird, die er im Ausdruck ein wenig modifizirt wünscht. Ich habe sein Versprechen, daß im Wesentlichen nichts geändert werden muß. – Der Name Jochanaan ist leider beanständet. Er verlangt eine Änderung des Namens. Ich habe Bal Hanaan vorgeschlagen. Jedoch wünschen Sie es anders, bitte ich mir es umgehend anzuzeigen. – Wenn seine Bemerkungen in meinen Händen sind, so sende ich sie Ihnen (eventuell mit meinen Vorschlägen) ein, und dann geht es sofort an’s Studium. Die Salome besetze ich 4fach (da ich kein Frauenzimmer habe, die [sic] sich mir vollständig mit der Vorstellung deckt, die ich von der Rolle habe) und Sie wählen dann diejenige, die Ihnen am meisten entspricht. Ich lege ein Hauptgewicht darauf, daß die Darstellerin stimmlich und gesanglich Ihren Ansprüchen genügt, und kann in Folge dessen die Schoder nicht vorschlagen. Was meinen Sie  ? Die andere Besetzung ist, wie wir bereits verabredet. Herzlichst grüßend und aufathmend Ihr Mahler“15 Doch kaum hat Strauss Mahlers optimistische Nachricht in Händen und seine – was Mahlers größte Sorge, die Notwendigkeit von Änderungen in Text und Libretto nämlich, anlangt, sogar eher amüsierte – Antwort abgeschickt, kündigt sich die Katastrophe an. Strauss schreibt am 24. Oktober 1905 aus Berlin  : „Lieber Freund  ! Haben Sie herzlichen Dank für die freudige Nachricht von gestern und vor Allem für Ihre aufopfernden Bemühungen, wie nicht minder für Ihren (und auch Ihrer lieben Frau) Trostesbrief von neulich. Die Anerkennung, die Sie meinem Werke zollen, Worte, wie man sie gerade von Collegen so selten zu hören bekommt und gerade eigentlich so nötig hätte, hat mich fast noch mehr beglückt als die Nachricht von der Zurücknahme

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der Aberkennung Ihrer hochweisen Censur. Ich bin natürlich mit allen Änderungen, die Sie wünschen, einverstanden  : Die Namensänderung für Johannes, dessen halsbrecherische Geschichte jeder Schuljunge kennt, ist einfach himmlisch  ! In Dresden muß die Erstaufführung, da sich die hohe Primadonna Wittich zu spät herabgelassen hat, sich mit ihrer Partitur auseinanderzusetzen, auf December verschoben werden. Ich habe Schuch gestern als letzten Termin, für den ich ihm die Uraufführung garantiere, den 9. December bestimmt. Wenn er bis dahin das Werk nicht herausbringen kann, mag ihm zuvorkommen, wer schneller fertig wird  : Sie haben also freies Feld. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich am 13. December abends nach Warschau, Moskau, Petersburg fahre, von wo ich erst Anfang Jänner zurückkomme. Nun können Sie sich’s nach Belieben einrichten. Wollen Sie Ihre Aufführung gleich auf die Dresdner folgen lassen, etwa am 12. December  ? Oder auf Januar verschieben  ? Partitur ist fertig gestochen  ; die Orchesterstimmen sind bis etwa 10. November fix und fertig. Celesta haben Sie ja  ; müssen Sie sich nur noch ein Heckelphon anschaffen  ! Haben Sie (und Ihre liebe Frau) nochmals viel herzlichen Dank und empfangen Sie die wärmsten Grüße (auch von meiner Frau) Ihres aufrichtig ergebenen Dr. Richard Strauss“16 Doch Mahler hatte zu früh aufgeatmet. Sein Vorstoß beim Zensor war entweder wirkungslos geblieben – oder er ist von anderer Seite torpediert worden. Jedenfalls kolportieren gerade jetzt die Wiener Zeitungen die „Sensation“, dass die Aufführung von der Zensur endgültig verboten worden sei. Besorgt fragt Ernst von Schuch, der künstlerische Leiter der Dresdner Hofoper, bei seinem Kollegen aus Kasseler Tagen an, ob es mit dieser Nachricht seine Richtigkeit habe  ; ein Zensurverbot in Wien, wie es „in fast allen deutschen Blättern“ gemeldet wird, konnte auch für ihn, der bereits in den Proben für die Uraufführung steckte, gefährlich werden  : „Dresden, den 24. Oktober 1905 Hochverehrter Freund. Da sich mein Chef sehr dafür interessiert, ob beiliegende Notiz, die sich in fast allen deutschen Blättern befindet, auf Wahrheit beruht, so würde S[ein]e Exzellenz und ich Dir sehr verbunden sein für eine kurze Mitteilung, wie sich die Sache verhält. Eiligst in bekannter Bewunderung und Verehrung bin ich Dein E. Schuch“17 Mahler antwortet Schuch schon zwei Tage später  :

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„26. Oktober 1905

Hochverehrter Freund  ! Die erwähnte Nachricht ist allerdings richtig, doch wird es meinerseits an den äußersten Bemühungen nicht fehlen, eine Änderung dieser Entscheidung zu erwirken. Ob meine Bemühungen von Erfolg begleitet sein werden, läßt sich allerdings noch nicht bestimmen …“ und fügt als Nachschrift hinzu  : „Ich bin von Tag zu Tag entzückter von diesem Meisterwerk  ! Meiner Ansicht nach der Höhepunkt des Strauss’schen Schaffens.“18 Ebenfalls am 26. Oktober schreibt Mahler an seinen Generalintendanten, um die mündliche Vorsprache beim Zensor nach den Spielregeln der Bürokratie sanktionieren zu lassen  : „Hohe k u. k. General-Intendanz der k. k. Hoftheater  ! Mit hohem Rescripte, ddo. 20. September d. J. Z. 3486 wurde der ergebenst gefertigten Direktion eröffnet, daß die Zensurbehörde sich gegen die Zulassung des Textbuches der Oper ‚Salome‘ ausgesprochen hat und die hohe General-Intendanz daher nicht in der Lage ist, die Zustimmung zur Aufführung dieses Bühnenwerkes am Hofoperntheater zu ertheilen. Die in dieser hohen Entscheidung angeführten Gründe sind ganz im Allgemeinen gehalten. Die ergebenst gefertigte Direktion erbittet sich nun von der Zensurbehörde die Bezeichnung jener Stellen, welche Bedenken erregen und als anstößig befunden worden sind, da es vielleicht doch möglich sein dürfte, eine Umänderung dieser Stellen in der Weise vorzunehmen, daß die erhobenen Bedenken in Wegfall kommen und eine Annahme des Werkes erfolgen kann. Hochachtungsvoll ergebenst k. u. k. Direktion des k. k. Hofoperntheaters Mahler“19 Fünf Tage später hat Mahler das niederschmetternde Resultat seiner Bemühungen in Händen  : die ausführliche, umfassend begründete und definitive Ablehnung des Werkes durch den Hofzensor  : „Wien, am 31. Oktober 1905 Sehr geehrter Herr Direktor  ! Ich habe endlich Zeit gefunden, mich in das Buch der ‚Salome‘ zu vertiefen und mit mir darüber zu Rate zu gehen, ob es möglich wäre, die dagegen obwaltenden Bedenken durch Streichungen und Änderungen im Texte zu beheben. Der erste Anstand ergibt sich, wie ich bereits neulich bei unserer Unterredung hervorhob, aus der wiederholten ausdrücklichen oder andeutungsweisen Erwähnung Christi im Texte, so Seite 2  : ‚nach mir wird einer kommen, der stärker ist als ich‘, Seite 4  : ‚der Herr ist gekommen, des Menschen Sohn ist nahe‘, Seite 8  : ‚die Worte dessen, der dem Herrn

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die Wege bereitet‘, Seite 10  : ‚Suche des Menschen Sohn‘, Seite 12  : ‚Es lebt nur einer, der dich retten kann. Er ist auf einem Nachen auf dem See von Galilaea und redet zu seinen Jüngern‘, Seite 18  : ‚ich höre die Schritte dessen, der der Erlöser der Welt sein wird‘, und die folgenden Reden, die sich auf die von Christus vollbrachten Wunder beziehen. Alle diese Stellen müßten entfallen oder wesentlich geändert werden. Eine fernere Schwierigkeit liegt darin, daß Johannes der Täufer auf die Bühne gebracht wird. Der Dichter legt ihm zwar den hebräischen Namen Jochanaan bei, allein so wenig diese Namensänderung die Täuschung hervorbringen kann, als handelte es sich nicht um die als Vorläufer Christi verehrte Person, so wenig dürfte die Wahl eines beliebigen anderen Namens dies bewirken. Aber auch abgesehen von diesen mehr textuellen Bedenken kann ich über das Abstoßende des ganzen Sujets nicht hinaus und kann nur wiederholen  : die Darstellung von Vorgängen, die in das Gebiet der Sexualpathologie gehören, eignet sich nicht für unsere Hofbühne. Es tut mir leid, daß ein Werk von so großer musikalischer Kraft, wie Sie mir sagen, an dem zu Grunde gelegten Texte scheitert, allein von meinem Standpunkte als Zensor kann ich zu keiner anderen Ansicht gelangen. Ich möchte Ihnen, sehr geehrter Herr Direktor, schließlich anheimgeben, ob es sich nicht im Interesse aller Beteiligten empfehlen würde, der Presse gegenüber die Frage, ob das Verbot der ‚Salome‘ ein definitives sei, als eine noch offene zu bezeichnen. Es haben sich übereifrige Korrespondenten ohnehin schon zu viel mit der Sache beschäftigt. Ich setze seine Exzellenz den Herrn General-Intendanten Freiherrn von Plappart gleichzeitig von unserer neulichen Unterredung und dem Inhalte meines gegenwärtigen Schreibens in Kenntnis. Das Textbuch folgt mit. Empfangen Sie die Versicherung meiner vorzüglichen Hochachtung. Ihr Emil Jettel von Ettenach“20 Es leuchtet ein, dass mit der strikten Ablehnung des Textbuchs durch die Zensur das Schicksal der Hofopernaufführung der »Salome« durch Gustav Mahler besiegelt war. Mahler kann gar nicht anders, als diese deprimierende Entscheidung – wenn auch in abgeschwächter Form – an Strauss weiterzugeben. Noch am gleichen Tag schreibt er an ihn  : „Der Director des k. k. Hof-Operntheaters Lieber Freund  ! Mein Bulletin lautet heute leider wieder etwas grauer. Diese verfluchten Zeitungsschmierer (Gott weiß von wem sie die Sache erfahren haben – ich habe Nie-

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mandem etwas gesagt) haben die Geschichte wieder total verdorben. Der Censor, der mir bereits die Aufführung sicher zugesagt – bloß textliche Änderungen gefordert hat, die er mir binnen 8 Tagen angeben wollte – muß unterdessen wieder von irgend einer Seite bearbeitet worden sein  ; denn soeben schickt er mir den Text mit einer langen Sauce zurück (Ich bringe Ihnen den Brief nach Berlin mit, wo ich mich den 7. u. 8. [November] befinden werde) und spricht wieder ‚von Darstellung von Vorgängen, die in das Gebiet der Sexualpathologie gehören, und sich nicht für unsere Hofbühne eignen‘. – Also wieder der verdammte Ausflug in’s Al/gemeine, gegen das es keine Waffen giebt  ! Ich bitte, lieber Strauss – lassen Sie von nun Alles unter uns bleiben, sonst verfahren wir den Karren. Dienstag gehe ich wieder persönlich hin, und nehme den Stier bei den Hörnern. Ich lasse nicht locker  ! und betrachte Ihre Salome als meine eigene persönliche Angelegenheit. Am meisten schadet mir hier jetzt die vermaledeite Verschiebung in Dresden, welche hier an ‚maßgebender Stelle‘ als Censurschwierigkeit dort gedeutet wird. Weiß der Teufel, woher jetzt auf einmal wieder der Wind weht. – Bitte, laßen Sie mich wissen, wo und wann ich Sie in Berlin in den bezeichneten Tagen eingehend sprechen kann. (am 7. Nachmittag – oder Abend ist die Generalprobe – am 8. Abend das Concert  ; sonst stehe ich durchaus zur Verfügung  !). Die herzlichsten Grüße von Ihrem ergebenen Mahler“21 Vom 6. bis 9. November 1905 reist Mahler nach Berlin, um der Aufführung seiner Zweiten Symphonie durch das Berliner Philharmonische Orchester unter Oscar Fried beizuwohnen – jenes Werkes, das er selbst fast genau zehn Jahre vorher am gleichen Ort uraufgeführt hatte. In seinem Urlaubsgesuch an die Generalintendanz hatte er angegeben, dass er bei dieser Gelegenheit „auch mit Herrn Richard Strauss persönliche Rücksprache betreffs seines Werkes Salome pflegen werde“22. Die Antwort Plapparts lässt nicht auf sich warten  : „Der Bericht vom 4. d[ieses] M[onats] Z. 1208 betreffend den Urlaub des Directors Mahler für den 7. und 8. d. M. zwecks einer Reise nach Berlin wurde genehmigend mit dem Beifügen zur Kenntnis genommen, daß eine Verhandlung mit Richard Strauss zwecklos wäre, da eine Aufführung dieses Werkes an der Hofoper ganz aussichtslos ist.“23 Mahler traf natürlich trotzdem, wie wir aus den Briefen an seine Ehefrau Alma wissen, zweimal mit Strauss in Berlin zusammen. Es scheint aber, dass das Vorliegen der Stellungnahme der Zensur und die anhaltende Ungewissheit über das Wiener Schicksal der »Salome« die Beziehung getrübt hat  : „Bei Strauss war es gestern ganz nett  ; aber eine gewisse Kühle und Blasirtheit wird man nicht los bei ihm.“24 Die Dresdner Hofoper musste die Uraufführung der »Salome« „aus dem einfachen Grunde, weil die Stimmen noch nicht fertig sind und nicht vor Mitte November nach Dresden abgeliefert werden können“25, endgültig verschieben. Am 9. Dezember 1905

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fand schließlich, von der ganzen europäischen Musikwelt mit Spannung erwartet, die Uraufführung statt – und wurde ein sensationeller Erfolg. „An die vierzigmal oder mehr“ wurde Strauss zusammen mit dem „so verdienstvollen“26 Schuch vor den Vorhang gerufen, und schon drei Wochen später war die »Salome« von zehn Opernbühnen angenommen. Was aber war mit Mahler und der Wiener Hofoper  ? Strauss schreibt am 15. Dezember  : „Lieber Freund  ! Wo waren Sie am 9.? Ich habe Sie sehr vermißt. Sie haben eine großartige Aufführung versäumt  : Schuch und Burrian haben wirklich ganz Außerordentliches geleistet. Sie sollten sich die Dresdner Aufführung wirklich ansehen  : Sie hätten Freude daran. Die 3 ersten Aufführungen waren total ausverkauft  : das Orchester unbeschreiblich schön. Wie geht’s nun in Wien  ? Ich erwarte mit Ungeduld günstigen Bescheid von Ihnen. Wer soll denn das scheußlich schwere Werk aufführen, wenn die Bühnen versagen, die’s wirklich spielen können. Mit herzlichsten Grüßen von Haus zu Haus Ihr Dr. Richard Strauss“27 Mahler antwortet mit einem nicht genau datierbaren Brief  : „Lieber Freund  ! Ihr Brief kommt mir sehr gelegen  ! Ihre Sache steht gut  ! (Bitte ganz unter uns, sonst stehe ich für nichts.) Trotzdem brauche ich noch immer Succurs. – Der Censor ist bereits umgestimmt, und bereitet nicht das geringste Hinderniß. Aber höher hinauf ist noch eine Barriere zu nehmen. Komischerweise habe ich gerade gestern wieder gebohrt. Ihr Brief ist mir sehr lieb für meinen Zweck. Bitte, unterhandeln Sie ganz beiläufig noch weiter mit Simons. Aber ich versichere Sie, im Herbst haben wir die Salome  ! (Am Jubiläumstheater ist es übrigens ganz unmöglich.). – Immer will ich nach Dresden zu einer Aufführung, und immer kommt mir was dazwischen. Im Frühjahr werde ich sicher einer Aufführung beiwohnen – es wäre sehr hübsch, wenn Sie auch dort wären. Ich benachrichtige Sie jedenfalls rechtzeitig. Ihr herzlichst ergebener Mahler.“28 Gustav Mahler hat es nicht geschafft, die Barriere, die „höher hinauf“ zu nehmen war, zu nehmen. Es wird überliefert (und wird von der Mahlerforschung übernommen), dass

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es eine Erzherzogin war, die die Aufführung der »Salome« an der Wiener Hofoper verhindert hat. In der Tat erlebte das Werk seine erste Aufführung an der Wiener Oper erst nach dem Ende der Monarchie  : am 14. Oktober 1918, drei Tage nachdem Richard Strauss seinen Vertrag als „Künstlerischer Oberleiter“ des Instituts – in einer Doppeldirektion mit Franz Schalk – unterzeichnet hatte. Schon am 23. Dezember 1910 war das Werk im Kaiser-Jubiläums-Stadttheater herausgekommen  ; trotz Mahlers Einwand gegen diese Bühne war es Rainer Simons zuletzt also doch gelungen, Strauss umzustimmen. Die erste Begegnung der Wiener mit dem Werk hatte jedoch ein Gastspiel der „Vereinigten Theater“ aus Breslau im Deutschen Volkstheater vermittelt, das zwischen 25. Mai und 20. Juni 1907 stattfand. Noch früher allerdings, am 16. Mai 1906, lernte Graz das verpönte Werk kennen  : Unter der musikalischen Leitung des Komponisten und in Anwesenheit von Mahler, Puccini, Schönberg und Alban Berg fand die erfolgreiche öster­reichische Erstaufführung statt  : „Der Beifallssturm am Schlusse war ein geradezu enthusiastischer“29, meldete die »Neue Freie Presse« am nächsten Morgen. Auf das Breslauer Gastspiel, das ursprünglich schon für das Frühjahr 1906 geplant war, bezieht sich der weitere Briefwechsel zwischen Strauss und Mahler, den die beiden Freunde und Kollegen nach mehrwöchiger Pause etwa Mitte März 1906 fortsetzten. Sichtlich war Strauss daran gelegen, Wien wenigstens über diese Gastspiel-Aufführung mit seinem neuen Werk bekannt zu machen  ; andererseits durfte und wollte er Mahlers unverminderte Bemühungen um eine Aufführung an der Hofoper nicht torpedieren. Auf einen entsprechenden Vorstoß von Strauss (der uns nicht erhalten ist) antwortet Mahler  : „Lieber Freund  ! Das Breslauer Unternehmen darf ich und möchte es nicht verhindern. Unter Umständen wäre dieß vielleicht das beste Mittel[,] meine Widersacher in dieser Angelegenheit zur Raison zu bringen. – Sie glauben gar nicht, welchen Ärger ich bereits in dieser Sache gehabt habe und (unter uns gesagt) welche Consequenzen unter Umständen für mich daraus entstehen werden. Denn – darauf gebe ich Ihnen mein Wort – ich lasse nicht locker, und wenn daraus auch eine ‚Cabinetsfrage‘ entstehen sollte. Wenn die Breslauer also den Muth haben, dann in Gottes Namen  ! Für diesen Fall stelle ich mich Hr. Löwe ganz zur Verfügung – wenn er unsere Musiker oder sonst etwas braucht, und ebenso würde Roller für die Inscenirung mit Rath und That ihm zur Seite stehen. Mit herzlichsten Grüßen Ihr Mahler Eben habe ich in Amsterdam eine prachtvolle Aufführung Ihres ‚Taillefer‘ gehört, den ich ganz besonders unter Ihren Werken liebe.“30 Straussens Antwort vom 15. März 1906 ist ein Meisterstück der Diplomatie, mündet zuletzt aber doch in eine aufrichtige Huldigung an Mahler  :

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„Lieber Freund  ! Da Sie selbst so freundlich zugestimmt haben und eine Aufführung durch die Breslauer in Wien Ihnen für Erreichung unserer Wünsche förderlich erscheint, habe ich heute Herrn Dr. Löwe mein Einverständniß mitgeteilt und ihm Kenntniß gegeben, daß Sie selbst, wofür er außerordentlich dankbar ist, sein Unternehmen in so echt künstlerischer Großmut unterstützen wollen. Hoffentlich schlägt die Sache nun nicht ins Gegenteil aus, indem es, statt der Salome die Wege in die Hofoper zu ebnen, ihr den Weg noch mehr verschließt. Das Orchester will Löwe ja vollzählig von Breslau mitbringen, die Beihilfe des genialen Roller für Dekorationen und Costüme nimmt er dankend an. Ich habe ungern und zögernd zugestimmt, da es mir wirklich hart ist, Ihnen die Wiener Erstaufführung vorwegzunehmen, schließlich, bei den enormen Schwierigkeiten, mit denen Sie zu kämpfen haben, scheint mir ein großer Erfolg der Salome durch die Breslauer in Wien die einzige Möglichkeit fast, daß sich die maßgebenden Hofkreise dem Einzug der Salome in die Hofoper nicht mehr verschließen können. Hoffentlich sind Sie mir nun innerlich nicht doch darüber verstimmt  ; wenn dies der Fall wäre, würde ich heute meine Erlaubnis noch widerrufen  ; stellen Sie auch um Gotteswillen der Salome wegen keine Cabinettfrage  ! Wir brauchen einen Künstler von Ihrer Tatkraft, Ihrem Genie und Ihrer Gesinnung zu notwendig an solcher Stelle, als daß Sie der Salome wegen irgend etwas auf ’s Spiel setzen dürften. Es wird schließlich auch so gehen  ! Haben Sie nochmals herzlichst Dank für Alles und seien Sie mit Ihrer lieben Frau schönstens gegrüßt von Ihrem stets ergebenen Richard Strauss“31 Um die nächsten beiden »Salome«-Briefe zu verstehen, muss man wissen, dass Musikverlage – ihr Amt, den Komponisten zu „schützen“, damals viel strenger wahrnehmend als heutzutage – die Partitur eines neuen Werkes erst dann auslieferten, wenn das Theater sich durch einen Vertragsabschluss zur Aufführung verpflichtet hatte. Da dies für die »Salome« an der Wiener Hofoper nicht der Fall war, kannte Mahler das Werk bisher nur aus dem Klavierauszug und jener schon erwähnten Aufführung in Graz am 16. Mai 1906. Sichtlich unter dem Eindruck dieser Aufführung bittet er Strauss, sich bei dessen Verleger für die Überlassung einer Partitur zu verwenden. Strauss antwortet am 7. Juni 1906  : „Lieber Freund  ! Fürstner ist bereit, Ihnen eine Salomepartitur für Ihre Privatbibliothek zu widmen, wenn Sie bereit sind, einen Revers zu unterzeichnen, der Ihre Erben verpflichtet, die Partitur nach Ihrem Ableben an mich zurückzugeben. Wenn Sie dazu bereit sind, erfolgt sofortige Absendung der Partitur an Sie. […]

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Können Sie mir schon bald eine frohe Nachricht über Salome in Wien schicken  ? Herzliche Grüße von Haus zu Haus Ihr getreuer Richard Strauss“32 Umgehend beeilt sich Mahler zu versichern  : „Lieber Freund  ! Natürlich bin ich zu dem Revers bereit. Er soll mir die Partitur nur gleich schicken, denn mich verlangt schon sehr darnach[,] mich in die geheimnißvollen Labyrinthe zu verlieren. – Wegen Salome habe ich an maßgebender Stelle gleich nach meiner Rückkehr gesprochen  ; wenn ich auch noch nicht eine Zusage erlangen konnte, so kann ich doch schon das verheißungsvolle ‚Schwanken‘ constatieren. (Ich habe es ja zunächst noch nicht anders erwartet). Ich habe auch von Ihrer Bereitwilligkeit erzählt, mir bis zum 1. November eine Wartezeit zu geben, was mit bedeutungsvoller Bereitwilligkeit acceptirt wurde. – Alles in Allem glaube ich darauf mit Sicherheit zählen zu können, daß wir im nächsten Jahre die Salome geben werden. – Im Herbst eine definitive Antwort, wenn es Ihnen so recht ist. – Ich fange an[,] mich aus meinem Katzenjammer ein bischen aufzurappeln. Das muß ja Alles wol so sein. Herzlichst Ihr Mahler“33 Doch auch im Herbst 1906, fast ein Jahr nach der Dresdner Uraufführung also, ist Mahler nicht in der Lage, die Hürden der Bürokratie zu überwinden. Sein nächster (und letzter) Brief an Strauss in Sachen »Salome« ist nicht eindeutig zu datieren  ; er dürfte, seinem Inhalt nach zu schließen, Ende September 1906 geschrieben sein  : Mahler kündigt offensichtlich seine Reise zur Berliner Erstaufführung seiner Sechsten Symphonie am 8. Oktober 1906 an, auch wenn die Erwähnung des 8. November (ein bei Mahler nicht unüblicher Datumsfehler) das Jahr 1905 nahelegt. „Lieber Freund  ! Es will sehr ungern heraus – aber ich muß es Ihnen so zeitig als möglich sagen  : also – es wird noch immer nicht erlaubt  ! Mein Einwurf, daß ich mich am 1. November entscheiden müsse, mit Achselzucken beantwortet. – Jetzt ist es mir am willkommensten, daß Löwe so bald als möglich mit einer Aufführung hier herausrückt. Dieß wird dann Bresche schießen. Es ist zu dumm  ! Dieß nur schnell zu Ihrer Darnachrichtung. Am 8. November sehe ich Sie hoffentlich in Berlin  !

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Auf Wiedersehen   ! Ihr herzlichst ergebener Mahler“34 Damit enden die Belege für Mahlers Kampf um die Durchsetzung der ihm wohl wichtigsten Opernpartitur seiner Wiener Jahre – wenn auch dieser Kampf selbst sicherlich erst mit Mahlers Entschluss zur Demission zu Ende ging. Gewiss, die „Kabinettsfrage“ hat Mahler nicht gestellt, seinen Verbleib an der Hofoper hat er nicht von der Genehmigung der »Salome« abhängig gemacht. Es kann aber keinen Zweifel geben, dass die »Salome«-Niederlage Mahlers Absicht, die Leitung der Hofoper niederzulegen, bestärkt hat. Richard Specht, wie erwähnt einer der frühesten Mahler-Biographen, trifft wohl den Kern dieses tragischen Scheiterns, wenn er konstatiert, Mahlers Rücktritt sei eine „beschlossene Sache“ gewesen, „seit er der ‚Salome‘ nicht den Einzug in die Hofoper erobern konnte  ; er fühlte sich fehl am Ort, wenn seine Macht und seine Befugnis es ihm nicht möglich machen konnten, das faszinierendste Werk seiner Zeit in dem von ihm geführten Institut zu Gehör zu bringen“35. Ein Wiener Kritiker hat, Kurt Blaukopf zufolge, beim Scheiden Mahlers von Wien konstatiert, Mahler hätte den Augenblick eines ruhmvollen Rücktritts versäumt  : „Nach der Ablehnung der ‚Salome‘ hätte er beim Obersthofmeister seine Entlassung erbitten sollen. Ein solcher, rein künstlerisch motivierter Schritt hätte ihm die Aura des Märtyrers verschafft.“36 Dagegen erhob Richard Wallaschek in seinem Feuilleton »Zehn Jahre Mahler« den Vorwurf, Mahler habe sich den Misserfolg in Sachen »Salome« selbst zuzuschreiben, nämlich seiner – durch sein Startum als Reisedirigent, durch seine häufigen Urlaube zur Betreuung der eigenen Kompositionen – geschwächten Position als Operndirektor  : „Wer so oft genötigt ist, die oberste Behörde um Nachsichten und Gefälligkeiten zu bitten, setzt ihr gegenüber seinen Willen nicht mehr durch und ist genötigt, den gehorsamen Diener zu spielen, wo er der allein maßgebende Vertreter künstlerischer Interessen sein sollte … Wem aber um das Portefeuille oder Amt um jeden Preis zu tun ist, und wer sich erst durch Nachgiebigkeit nach oben beliebt machen muß, dem fehlt in der entscheidenden Stunde jede Handhabe zur Erreichung eines aus kleinlichen Gründen verweigerten Vorschlags. In dieser Situation befand sich die Direktion bei der Entscheidung über die ‚Salome‘.“37 Dass Mahler mit Wallascheks Vorwurf des Verlustes „an Autorität nach unten ebensosehr, wie an Ansehen nach oben“38 Unrecht geschehen ist, ist längst erhärtet. Die sozusagen konstitutionelle Überlegenheit der Generalintendanz über den Operndirektor konnte nur deswegen zu so spektakulären Niederlagen Mahlers führen, weil er einem

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starren, selbstzufriedenen und konservativen Apparat ein Äußerstes an Kunstleistung abzuverlangen trachtete. Von dieser Diskrepanz ist die ganze zehnjährige Auseinandersetzung Mahlers mit der Wiener Bürokratie geprägt gewesen.

IN DEN MÜHLEN DER PRESSE „Überhaupt war die Kritik so ungerecht wie nur möglich gegen ihn. Alle wandten sich ihm im Anfang zu, alle wollten seine Ratgeber sein. Doch als sie bemerkten, daß Mahler einen unbeugsamen eigenen Willen hatte, zogen sie sich zurück, erst passiv, dann mehr und mehr aggressiv, und die letzten Jahre war er von einer Meute von Feinden umgeben. Wir machten schon mit Angst jeden Morgen die Zeitung auf. Groß stand  : ‚Wieder eine Affaire in der Hofoper  !‘ und ‚irgendein‘ Fräulein hatte sich beklagt und ein williges Ohr bei ‚irgendeinem‘ Reporter gefunden. Mahler machte eine kleine Reise, um irgendwo eine seiner Symphonien zu dirigieren. Sofort hieß es, er vernachlässige seine Pflichten in der Oper. Es war unerträglich.“1 Wie fast alles, was Alma Mahler ihren »Erinnerungen« an die Jahre des Zusammenlebens mit Gustav Mahler anvertraut hat, muss auch diese Aussage über seine Beziehung zur Wiener Presse (besser  : die der Wiener Presse zu Gustav Mahler) aus Almas Blickwinkel in die Welt der Fakten gerückt werden. Tatsache ist, dass Mahlers Wirken an der Wiener Hofoper, mehr noch als seine Erfolge und Misserfolge als Komponist, vom ersten Tag an unter der Beobachtung der – durch die Presse repräsentierten – Öffentlichkeit stand. Doch standen sich auch, wie im Publikum so unter den Kritikern, zehn Wiener Jahre lang enragierte Befürworter seiner Tätigkeit und eifernde Gegner gegenüber. „Mit seiner kühnen Begründung einer höheren Methode der Opernproduktion … hatte er zwar seine große und treue Gemeinde fester und begeisterter als je um sich geschart“, schreibt Bruno Walter in seinem Erinnerungsbuch »Thema und Variationen«, „gleichzeitig jedoch den Gegnern reichliches Material zu philiströs entrüstetem oder höhnisch verspottendem Angriff gegeben. ‚Was sagen die Herren Vorgesetzten  ?‘ pflegte Mahler am Morgen nach einer Premiere mit Bezug auf die Kritiker zu fragen, und sie sagten häufig Böses.“2 Die Beurteilung seines Wirkens hing jedoch, zusätzlich zu der individuellen Position jedes einzelnen Musikkritikers, von der Position des jeweiligen Blattes ab, die sich aus der politischen „Richtung“ der zahlreichen Wiener Presseorgane ergab. Zu Recht legte daher Elisabeth Desirée Schuschitz, die schon 1978 das Thema »Die Wiener Musikkritik in der Ära Mahler«3 im Rahmen einer Dissertation behandelt hat, ihrer Untersuchung eine differenzierte Betrachtung von fünf höchst unterschiedlichen Teilen des gesamten Wiener Pressespektrums zugrunde, die sich an der Einteilung der politischen Tagespresse Wiens in Kurt Paupiés »Handbuch der österreichischen Pressegeschichte 1848–1959«4 von 1960 orientiert, aber auch heute noch der theaterhistorischen Forschung standhält.

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Unberücksichtigt bleiben dabei die zahlreichen Wochen- und Monatszeitschriften, die sich mit dem Wiener Kulturleben ausführlich und oft in satirischer Form auseinandersetzten, und die deutschsprachigen Prager und Budapester Zeitungen, die in jedem Wiener Kaffeehaus ein Heimatrecht hatten. Auch die linksliberale »Wiener Allgemeine Zeitung«, 1880 von Theodor Hertzka gegründet und 1934 eingestellt, darf vernachlässigt werden, da ihr Feuilleton nach allgemeinem Urteil schwach war und von so unterschiedlichen Kritikern wie Robert Hirschfeld, Max Kalbeck und Richard Specht nur „nebenbei“ bedient wurde. Und das »Fremden-Blatt«, das schon vor der Revolution von 1848 gegründet und nach dem Ende der Monarchie 1919 eingestellt wurde, nimmt eine Sonderstellung ein, da es zunächst der Regierung nahestehend, zuletzt deutschnational orientiert war  ; Kritiken der Wiener Kunstinstitute fanden dort keinen Platz. Schuschitz unterscheidet folgende nach ihrer politischen Ausrichtung unterschiedene Sektoren der Wiener Presselandschaft  : die allein von der »Wiener Zeitung« und ihrer Abendausgabe »Wiener Abendpost« repräsentierte offizielle Presse als dem Sprachrohr des Kaiserhauses, die den fachlich kompetenten, Mahler aber feindselig gesonnenen Robert Hirschfeld als Musikkritiker besaß  ; die christlichsoziale Presse mit der »Reichspost«, einer „Tageszeitung für das christliche Volk Österreich-Ungarns“, und den Mahler-Hassern Gaigg von Bergheim und Maximilian Muntz als Rezensenten  ; die deutschnationale Presse, die durch das »Deutsche Volksblatt« und die »Deutsche Zeitung« vertreten wurde – zwei Blätter, die ihren ungehemmten, oft ehrenrührigen Attacken auf den „Juden“ Mahler großen Platz einräumten, wobei der Kritiker des »Deutschen Volksblatts« Hans Puchstein clever zwischen Schmähung des Operndirektors und Anerkennung seiner Leistungen als Dirigent und Regisseur zu differenzieren verstand, während der Bruckner-Verehrer Theodor Helm standhaft versuchte, in seinen Kritiken dem antisemitischen Kurs der »Deutschen Zeitung« die Objektivität seiner Urteile entgegenzusetzen  ; die sozialdemokratische Presse mit der »Arbeiter-Zeitung« als einzigem Organ, die zunächst in Josef Scheu einen Mahler-Gegner, ab 1904 in Dr. David Josef Bach einen der klügsten Bewunderer Mahlers besaß  ; und schließlich die umfangreiche bürgerliche Großpresse, zu der sich neben der prominenten »Neuen Freien Presse« auch das »Neue Wiener Tagblatt« und das »Neue Wiener Journal« rechnen durften. Mit seiner Klatschspalte »Hinter den Coulissen« bediente das letztgenannte Blatt das zutiefst wienerische Bedürfnis nach Tratsch, Häme und Missgunst – und wurde so zu einer ernsthaften Bedrohung der Amtsführung Mahlers in seinem letzten Direktionsjahr. Die Namensliste der Musikkritiker dieser Zeitungen der „bürgerlichen“ Presse liest sich – selbst wenn man die nur gelegentlich zur Musik sich äußernden Literaten Hermann Bahr, Felix Salten, Alfred Polgar beiseitelässt – wie ein Kompendium des besten österreichischen Feuilletonismus am Beginn des 20. Jahrhunderts  ; einige seien deshalb wenigstens in Umrissen porträtiert. Über allen thront natürlich Eduard Hanslick, der Inhaber des ersten Lehrstuhls für Musikgeschichte an der Universität Wien, dessen Aus-

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einandersetzung mit dem „Zukunftsmusiker“ Richard Wagner zur Legende geworden ist  ; er sorgte noch als Siebzigjähriger mit einem Empfehlungsschreiben für Mahlers Berufung an die Hofoper und begleitete dessen Wirken, unterstützt von dem auch als Komponist und Pädagoge erfolgreichen Richard Heuberger, mit verständnisvollen Kritiken bis zu seinem Tod 1904. Nachfolger Hanslicks wurde der mit Mahler gleichaltrige Julius Korngold, den mit dem Hofoperndirektor sogar eine Freundschaft verband, die über Mahlers Abgang hinaus Bestand hatte. Damit war die »Neue Freie Presse« der wichtigste Beistand in Mahlers Kampf mit der öffentlichen Meinung geworden. Gleich zwei Mahler-Vertraute arbeiteten als Musikkritiker für das »Neue Wiener Tagblatt«, die von Moriz Szeps, dem Vater Bertha Zuckerkandls, 1867 gegründete auflagenstärkste Tageszeitung Wiens. Der eine war Max Kalbeck, der 35 Jahre lang das Wiener Musikleben für sein Blatt verfolgte und als enger Freund von Johannes Brahms gegen die „Neudeutschen“ polemisierte, Mahlers Werk mit großer Sachkenntnis, sein Wirken als Operndirektor jedoch mit abnehmender Sympathie kommentierte, für Mahlers Mozart-Zyklus 1905/06 aber sogar die Libretti von »Don Giovanni« und »Le nozze di Figaro« neu ins Deutsche übersetzte  ; der andere war Ludwig Karpath, den Mahler schon aus seinen Budapester Tagen kannte und der seine Erinnerungen an Mahler in dem Buch »Begegnung mit dem Genius« der Nachwelt überliefert hat. Ihre gescheiten Premierenkritiken lassen sich heute noch mit Gewinn lesen. Für das »Neue Wiener Journal«, ein erst seit 1893 erscheinendes »unparteiisches Tagblatt« ohne klare politische Linie, standen nicht Politik und Wirtschaft im Zentrum der Berichterstattung, es verstand sich vielmehr als modernes Konversationsblatt und widmete sich demgemäß dem gesellschaftlichen Leben, der Unterhaltung, der Mode und – der Kunst, die einen breiten Raum einnahm. Von dem erst 28-jährigen jüdischen Theaterkritiker Jakob Lippowitz gegründet, zeichnete sich das Blatt durch seine liberale und vorurteilsfreie Haltung aus  ; dementsprechend waren auch alle drei Musikkritiker, die in der Ära Mahler über die Hofoper berichteten, Juden, so der Bruckner-Schüler Heinrich Reinhardt, der seine Attacken auf Mahler auch nicht einstellte, als es ihm der Erfolg seiner Operette »Das süße Mädel« 1901 ermöglichte, als freischaffender Komponist zu leben  ; ihm scheint es, wenn man die Pressekampagne des Jahres 1907 analysiert, gelungen zu sein, Gustav Mahler mit zwei Artikeln zur Demission genötigt zu haben. Jude war auch Reinhardts kurzfristiger Nachfolger Max Graf, der auch noch nach seiner Rückkehr aus der Emigration 1947 als Kritiker und Musikschriftsteller einen festen Platz im Wiener Musikleben einnahm (er widmete Mahler in seinem Standardwerk »Die Wiener Oper« gleich vier Kapitel)  ; Jüdin war schließlich auch Elsa Bienenfeld, die erste promovierte Musikwissenschaftlerin Österreichs, die 1906 das Kritikeramt im »Neuen Wiener Journal« übernahm und so Zeugin und Chronistin der letzten Lebensjahre Mahlers wurde. Ihr Hauptverdienst ist die journalistische Begleitung und Unterstützung des Schaffens von Arnold Schönberg, der in ihr eine aufgeschlossene, ja

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begeisterte Sympathisantin fand, und so ist sie, die von den Nationalsozialisten 1942 im Vernichtungslager Maly Trostinec bei Minsk ermordet wurde, als Vorkämpferin der „Moderne“ in die Musikgeschichte eingegangen. Eine Sonderstellung in der Wiener Presselandschaft nimmt »Die Zeit« ein, die, von Heinrich Kanner, Isidor Singer und Hermann Bahr 1894 als Wochenzeitschrift gegründet, parallel dazu von 1902 bis 1919 als Morgen- und Abendblatt, also in Form einer Tageszeitung, erschien. Zu ihren Mitarbeitern zählten so prominente Persönlichkeiten wie Bertha von Suttner und Theodor Herzl und die Schriftsteller Bahr, Hofmannsthal, Felix Salten und Anton Wildgans – allein diese Namen signalisieren schon das hohe Niveau ihres Feuilletons. Musikkritiker der »Zeit« war Dr. Richard Wallaschek, der nach einem Jus- und Philosophie-Studium in Wien, Heidelberg und Bern sich in den Fächern Psychologie und Ästhetik der Tonkunst habilitierte und ab 1897 als Dozent, ab 1908 dann als a.o. Professor zum ersten Vertreter der vergleichenden Musikwissenschaft in Wien wurde. Wallascheks fachlich kompetentes Urteil hatte für den Hofoperndirektor also zweifellos Gewicht, und so dürfte sein am 13. Jänner 1907 erschienenes Feuilleton »Zehn Jahre Mahler« wohl Mahlers schon länger gehegte Absicht, die Leitung des Opernhauses niederzulegen, massiv bestärkt haben  : „Nicht über Nacht ist uns die Erkenntnis gekommen, daß der Zustand unserer Hofoper einer Reform bedürfe. Wir glaubten mit Andeutungen die Uebelstände beseitigen zu können und haben einigemale gezögert, das offen auszusprechen, was in Abonnentenkreisen längst kein Geheimnis mehr war. Der Verlauf der Saison hat leider keine Hoffnung gegeben, daß gerade die dringendsten Wünsche befriedigt werden würden. So mußten wir denn die undankbare Aufgabe auf uns nehmen, das erste Wort zu sprechen und den Pfeil zu einem Ziele abzudrücken, für das jetzt schon längst viele andere den Bogen gespannt haben. Aber nicht dahin geht die Tendenz unserer Beschwerden, daß wir Mahler die Fähigkeit zum Direktor absprechen, sondern daß wir einen Direktor besitzen, der zwar Mahler heißt, aber das nicht mehr ist, was er einst gehalten und versprochen hat.“5 Zuletzt sei wenigstens noch Gustav Schönaich genannt, der wohl kein scharfzüngiger Kritiker war, dafür aber eine Mahler wohlgesonnene, „in musikalischen Kreisen ungemein populäre Persönlichkeit“6 und dank seiner innigen Verbindung zu Richard und Cosima Wagner ein wichtiger Helfer bei Mahlers Verhandlungen über die Mitwirkung seiner Sänger bei den Bayreuther Festspielen. Schönaich, der im Nachruf des »Neuen Wiener Tagblatts« als „ein Mann von Geist und Herz, ein Causeur und Charmeur zugleich“7 beschrieben wird, war journalistisch ungemein produktiv. Nach musikkritischer Tätigkeit für die »Oesterreichische Constitutionelle Zeitung«, die »Debatte« und die »Oesterreichische Revue« in seinen jungen Jahren schrieb er von der Mitte der 1890er Jahre an für das »Neue Wiener Tagblatt«, die »Extrapost« und die »Neue musikalische Presse«, aber auch für die »Reichswehr«, die »Wiener Rundschau« und die »Wiener

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Allgemeine Zeitung«. Bedeutende kritische Auseinandersetzungen mit der Tätigkeit des Wiener Hofoperndirektors sind nicht darunter. Vielzahl und politische Vielfalt der Wiener Presse an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert – angeblich existierten um 1900 rund 130 Tages- und Wochenzeitungen – sind Ausdruck des enormen gesellschaftlichen Aufbruchs, der ganz Europa erfasst hatte. Wien, um 1900 die viertgrößte Stadt Europas (nur London, Paris und Berlin waren größer), übte schon seit Jahrzehnten eine enorme Anziehungskraft auf Zuwanderer aus allen Ländern der Monarchie aus. Fast 25 Prozent der Bevölkerung stammten aus Böhmen und Mähren, knapp neun Prozent (in Zahlen  : 130.000) waren Juden, weniger als die Hälfte der „Wiener“ war in Wien auf die Welt gekommen.8 Deren Befürchtung, der starke Zuzug aus den Ländern des Kaiserreiches könnte zu einer „Überfremdung“ führen, wurde von dem 1897 zum Wiener Bürgermeister gewählten Gründer der christlichsozialen Partei Karl Lueger so geschickt wie konsequent instrumentalisiert und mit antisemitischem Gedankengut angereichert. „Wirkungsvoll etablierte er“, konstatiert die Historikerin Judith Fritz, „einen antiliberalen Bürgerblock mit klerikalem, antisemitischem und antisozialistischem Wertgefüge und sprach damit vor allem die orientierungslos gewordenen Kleinbürger und Mittelschichten an.“9 Und der Historiker Franz Herre ergänzt  : „Seine Schilderhebung verdankt Karl Lueger nicht allein seinen kommunalpolitischen Leistungen, sondern auch und nicht zuletzt der Aufputschung kleiner Leute gegen »Die da oben«, die Großkopferten und Großverdiener, und als solche gelten in Wien primär die Juden. Der christlichsoziale Parteiführer appelliert an Handwerker und Krämer, an Kleinbürger, die sich von der vom Kapitalismus vorangetriebenen Wirtschaftsentwicklung an den Rand gedrängt und in ihrer Existenz gefährdet sehen.“10 Im Widerspruch zu Luegers verbal radikalem Antisemitismus stand sein pragmatischer Umgang mit den dem Großbürgertum zugehörigen jüdischen Unternehmern und Kapitalgebern, mit deren Hilfe er die Verwandlung Wiens in eine hinsichtlich Technik und Infrastruktur leistungsfähige Großstadt bewerkstelligen konnte. So wird sein zynischer Ausspruch „Wer ein Jud ist, das bestimme ich“ verständlich. Doch infizierte er, seine unerhörte Popularität ausnutzend, die Bevölkerung Wiens mit seiner subtilen Judenfeindlichkeit so nachhaltig, dass die beschämenden antijüdischen Exzesse beim „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 erklärlich werden. So warnte Lueger auf einer „massenhaft besuchten Versammlung des christlichen Wählervereins »Donaustadt«“ die jüdische Gemeinde Wiens  : „Wir in Wien sind Antisemiten, aber zu Mord und Totschlag sind wir gewiß nicht geschaffen. Wenn aber die Juden unser Vaterland bedrohen sollten, dann werden auch wir keine Gnade kennen. Vor diesen traurigen Folgen will ich gewarnt haben.“11 Auch wenn die Parallelität der Karrierestarts auffällig ist – am 8. April 1897 unterschrieb Gustav Mahler seinen Kapellmeistervertrag mit der Wiener Hofoper, am 16. April 1897 unterzeichnete Kaiser Franz Joseph das Ernennungsdekret Karl Lue-

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gers zum Wiener Bürgermeister –, so sind doch die „Karrieren“ der beiden populärsten Persönlichkeiten des Jahrhundertwende-Wiens unvergleichbar. Auch berufliche oder gar private Kontakte zwischen den beiden hat es nicht gegeben, wenn man von dem Konflikt über das Philharmoniker-Konzert „für die Armen Wiens“ einmal absieht. Und von einem „Kampf um Wien – Mahler gegen Lueger“12, wie ihn Christian Glanz in einem ausführlichen Beitrag für die »Nachrichten zur Mahler-Forschung« postuliert hat, kann nicht die Rede sein. Dennoch stehen der jüdische Künstler und der antisemitische Politiker geradezu paradigmatisch für das enorme Konfliktpotential, das die einzigartige Gemengelage des Wien um 1900 bereithielt. Denn aus der Nationalitätenfrage war längst eine Rassenfrage geworden, und Gustav Mahler als einer von „Denen da oben“ zur Zielscheibe einer aus Judenhass, Missgunst, Neid, Fremdenfeindlichkeit und kulturellem Desinteresse zusammengebrauten, von Teilen der Presse geschickt instrumentalisierten Dauerattacke. Nicht unerwähnt darf freilich bleiben, dass ein Großteil der kunstbegeisterten jungen Generation unverbrüchlich zum Operndirektor hielt und ihm mit – von den Zeitungen ironisch verunglimpften oder gleich massiv verurteilten – Ovationen in Orkanstärke von der vierten Galerie herab seine Solidarität bekundete. Es war wohl eine Illusion zu glauben, dass der Übertritt zum katholischen Glauben, auch wenn er die unerlässliche Voraussetzung für eine exponierte Position am österreichischen Kaiserhof war, Gustav Mahler die Ranküne der antisemitisch eingestellten Wiener Presse – und der durch sie repräsentierten Wiener politischen und gesellschaftlichen Kreise – ersparen würde. Für sie war und blieb Mahler Jude, und sie ließ keine Gelegenheit aus, ihm dies durch ihre Ressentiments und die Abwertung seiner künstlerischen Leistungen, zuletzt durch die Feindseligkeiten gegen seine Person deutlich zu machen. Die grundsätzlich negative, oft hämische Beurteilung seiner Auftritte als Dirigent im Opernhaus wie die seiner Symphonien im Konzertsaal durch die Rezensenten der »Deutschen Zeitung« und der »Deutschen Volkszeitung« begleitet Mahler von seinem Debüt am 11. Mai 1897 bis zu seiner letzten Vorstellung am 15. Oktober 1907. Doch galten dem Direktor und seiner Amtsführung die heftigsten antisemitischen Attacken  ; so empörte sich die »Deutsche Zeitung« vom 4. November 1898 gleich auf ihrer Titelseite über „Die Judenherrschaft in der Wiener Hofoper“. Beide Blätter kämpften für eine „deutsche“ Kultur im Vielvölkerstaat und subsumierten alles Jüdische unter die zu verhindernden „ausländischen“ Einflüsse. So heißt es in einem »Deutsche Kunst im deutschen Wien  !« betitelten Aufsatz im »Deutschen Volksblatt« vom 5. Oktober 1897, am Tag nach der »Dalibor«-Premiere an der Hofoper und drei Tage vor Unterzeichnung des Ernennungsdekrets Mahlers durch den Kaiser  : „Wir haben an dieser Stelle in den letzten Wochen zu wiederholten Malen auf die drohende Slavisirung, Verwälschung und Verjudung unserer Oper und die damit verbundene Zurücksetzung deutscher Autoren hinweisen müssen. Leider hat dieser Appell

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bisher keine Wirkung gemacht. Im Gegentheil, wenn man den Spielplan der laufenden Woche betrachtet, muß man zu dem Schlusse kommen, daß auf diesem Wege eher ein Fortschreiten als ein Stillstand sich bemerkbar macht … Es bedarf wohl keines weiteren Beweises, wie Recht wir hatten, als wir über die Zurückstellung der deutschen Componisten an unserer Oper Klage führten und auf das fast ausschließlich von slavischen, jüdischen, italienischen und französischen Musikern bestrittene Novitätenprogramm des Herrn Mahler aufmerksam machten.“13 „Was sagen die Herren Vorgesetzten  ?“ pflegte Mahler laut Bruno Walter am Morgen nach einer Premiere mit Bezug auf die Kritiker zu fragen – sie sagten zu Beginn von Mahlers Wiener Tätigkeit fast ausnahmslos nur Gutes, waren voll des Lobes über die „Sorgfalt“ der Einstudierung neuer Werke, „die sich auf das kleinste Detail erstreckt und die bald sprichwörtlich sein wird“14 ( Josef Scheu in der »Arbeiter-Zeitung« über die Erstaufführung von Bizets »Djamileh«) und zeigten sich begeistert von dem „löblichen Princip, das Herr Mahler bei dem Studium classischer Musikwerke anwendet  : er sucht ihrer Seele beizukommen, indem er ihren Körper wieder aufbaut. Auf diesem Wege bringt er alle die ursprünglichen, mit der Zeit verwischten und vergessenen Schönheiten zum Vorschein, und der Zuhörer lauscht betroffen und entzückt auf die lebendig gewordenen Stimmen der Partitur, die ihm wie aus Träumen der fernen Jugend entgegenklingen“15 (Max Kalbeck im »Neuen Wiener Journal« über die Neueinstudierung der »Zauberflöte«). Mahlers damals revolutionär anmutende Tat, Richard Wagners Musikdramen „strichlos“, d. h. ungekürzt aufzuführen, wird von der versammelten Wiener Musikkritik ausnahmslos begrüßt. Die erste ungekürzte Aufführung einer Wagner-Oper, »Siegfried« am 18. Oktober 1897, wird zwar nur von zwei Kritikern wahrgenommen, und auch ihnen ist die Sänger wie Publikum herausfordernde Neuerung nur eine Erwähnung am Rande wert  ; „auf Wert oder Unwert der ungekürzten Fassung geht weder Bergheim in der »Reichspost« noch Schönaich in der »Wiener Allgemeinen Zeitung« ein.“16 Ein knappes Jahr später, vom 20. bis 25. September 1898, bringt Mahler dann erstmals den gesamten »Ring«-Zyklus in strichlosen Aufführungen auf die Bühne, dank seiner Regiearbeit auch szenisch aufgefrischt und mit etlichen seiner sängerischen Neuerwerbungen glänzend besetzt. Wiens Kritiker zeigen sich einhellig begeistert, man versichert, dass man „Mustervorstellungen im genauesten Wortverstande“17 gehört habe, man jubelt, dass jede Aufführung „festspielmäßigen Charakter“18 besitzen würde. Zwar wird „die Belastung des Publikums durch die lange Dauer der Vorstellungen allgemein konstatiert, doch habe man eine gespannte Aufmerksamkeit im Zuschauerraum selbst bei der »Götterdämmerung« beobachten können“19 – ein Verdienst Mahlers, „der den Beweis geliefert, daß das Publikum erzogen werden kann, wenn es den rechten Meister findet“20. Doch das gute Verhältnis zwischen Presse und Operndirektor hält nicht lange vor. Konflikte mit den Publikumslieblingen, vorwiegend wegen verweigerter Urlaube oder

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vorenthaltener Paraderollen, ziehen sich durch die gesamte Direktionszeit Mahlers, enttäuschte und empörte Sänger(innen) fanden nicht nur das Ohr des Mahler nicht wohlgesonnenen Generalintendanten August Freiherr Plappart von Leenheer, sondern auch den Weg in die Klatschspalten der Wiener Tages- und Wochenzeitungen. So schreibt die »Deutsche Zeitung« schon zu Beginn des Jahres 1899  : „Es ist bei Herrn Mahler, dem Director der Hofoper, nichts Neues, daß er das Personal dieses Institutes oft genug in der boshaftesten und verletzendsten Weise kränkt und beleidigt. Künstlerinnen im Range einer Renard oder Forster, Sänger wie Winkelmann und Musiker wie Hellmesberger – alle werden in der gröbsten Weise von dem Großmächtigen vor den Kopf gestoßen. Die Fälle, die wir hier heranzuziehen hätten, sind ebenso zahlreich wie das Personal des Hofoperntheaters  ; es gibt in diesem ganzen Institut Niemanden, der die brutale Tyrannei nicht ganz unverschuldetermaßen am Leibe verspürt hätte.“21 Die Liste der Beschwerdeführer über Mahlers Besetzungspolitik ist lang, sie beginnt mit dem erfolgsverwöhnten Tenor Ernst van Dyck und dem Publikumsliebling Marie Renard und schließt nicht einmal die Stars seines Ensembles Sophie Sedlmair oder Selma Kurz aus. Die neu verpflichteten Nachwuchskräfte pochten auf das Recht der Jugend zur Bewährung an großen Aufgaben und erwarteten den raschen Einstieg ins erste Rollenfach. Die altgedienten, aber auch hochverdienten Mitglieder des Stammensembles protestierten gegen jede Neubesetzung, die ihren Besitzstand mindern und die Gunst des Publikums auf neue, junge Kollegen umlenken konnte. Nicht jeder Sänger freilich begehrte so heftig dagegen auf wie Theodor Reichmann, der wohl bedeutendste Wagnersänger des Hauses. Reichmann, schreibt der Wiener Theaterhistoriker Clemerns Höslinger, „war allerdings ein schwieriger Mensch, eine hypernervöse Künstlernatur, stets eifersüchtig auf andere, überall Missachtung und unverdiente Zurücksetzung wähnend, im Grunde ein krankhafter Charakter, bei dem vieles auf die Erlebnisse einer bitteren und entbehrungsreichen Jugend zurückzuführen war“22. Die Opernakten des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs verwahren eine Fülle von Briefen Reichmanns voller Vorwürfe, Anklagen und Beschwerden, die nahezu bei jeder Besetzungsentscheidung von Mahler, bei jeder neuen Rolle „fällig“ wurden. Die späte Premiere von Puccinis »Bohème« im November 1903 – das privat geführte Theater an der Wien hatte die Oper bereits im Frühjahr 1898 gezeigt, während Mahler die noch von seinem Vorgänger Wilhelm Jahn unter Vertrag genommene »Bohème« von Ruggiero Leoncavallo zur Erstaufführung bringen musste – wurde dann Anlass für erste Vorwürfe an Mahler auch hinsichtlich der Repertoiregestaltung. So schreibt Max Graf im »Neuen Wiener Journal«  : „Gustav Mahler, der in den ersten Jahren in seinem eigenen Feuer zu verbrennen schien, seine Energie wie Raketen wegprasseln ließ und das Publikum, die Welt und den lieben Gott verachtete, ist ein Zauderer geworden. Er geht sichere Wege. Liebt die Pu-

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blicumserfolge. Gibt am liebsten Ausstattungs- und Trilleropern. Mozart, Weber, Lortzing dürfen für sich selber sorgen  ; er sorgt für Meyerbeer, Halévy, Verdi. Wer aber sorgt für die neuere Production  ?“23 Gerade dieser Vorwurf aber erweist sich aus einem Jahrhundertabstand als haltlos  ; und auch die meisten Wiener Kritiker beanstandeten damals im Gegenteil das Überwiegen der zeitgenössischen Opernproduktion im Spielplan der Hofoper. In den Jahren zwischen 1902 und 1905 kamen nicht nur »Feuersnot« von Richard Strauss, »Pique Dame« von Tschaikowsky, Charpentiers »Louise« und Hugo Wolfs »Corregidor« zur Erstaufführung, sondern auch Einakter von Leo Blech (»Das war ich«) und Eugen d’Albert (»Die Abreise«) sowie Hans Pfitzners symbolbefrachtete Märchenoper »Die Rose vom Liebesgarten«. Ob Gustav Mahler nun das klassische Repertoire durch szenisch erneuerte und musikalisch ausgefeilte Neuinszenierungen belebte oder das Publikum mit markanten Beispielen des zeitgenössischen Opernschaffens bekannt machte – die Wiener Musikkritiker erteilten dem Operndirektor nahezu für jede seiner Maßnahmen eine Rüge. Seine Berufung des „theaterfremden“ Alfred Roller, eines Exponenten der aktuellen bildenden Kunst um 1900, zum Ausstattungsleiter der Hofoper, mehr aber noch die gemeinsam mit Roller erarbeiteten, einer neuen Ästhetik verpflichteten Produktionen von »Tristan und Isolde«, »Fidelio«, »Rheingold« und »Walküre« spalteten die versammelte Wiener Musikkritik endgültig in zwei Lager. Die Kontroversen zwischen Mahler-Bewunderern und Mahler-Gegnern, die inzwischen zu Feinden geworden waren, wurden über Jahre hinweg in den Wiener Zeitungen öffentlich ausgetragen und trieben so auch einen Keil in die für Kunst und Kultur empfänglichen, eher traditionell ausgerichteten Gesellschaftsschichten der „Haupt- und Residenzstadt“. Allerdings lieferten die unterschiedlichen Gruppen des umfangreichen Personals der Hofoper selbst den Feuilletons der Wiener Blätter genügend Stoff für ständig neue Berichte über Kontroversen mit dem Direktor, die von diesen genüsslich ausgebreitet und oft genug zu „Skandalen“ hochgestuft wurden. So führte der von Mahler für die Mitglieder des Hofopernorchesters eingeführte „Frackzwang“ zur Absage eines Festkonzerts mit Beethovens Neunter zur Eröffnung der „Secession“ im April 1902 durch die gleichen Mitglieder als „Philharmoniker“. So musste er im Dezember 1903 die zunächst abgelehnten Forderungen des bühnentechnischen Personals nach Erleichterung ihrer Arbeitsbedingungen und Erhöhung ihrer Bezüge letztendlich doch genehmigen, und so war er auch machtlos gegen den Protest des Solistenensembles gegen die Anordnung, erkrankten Sängern die „Funktionszulagen“ zu streichen. Die Details dieser Ereignisse und Maßnahmen füllten tagelang die Spalten der Wiener Zeitungen. Vor allem aber wurden Mahlers Abwesenheiten von Wien, in denen er sich der Durchsetzung seines kompositorischen Werks im Ausland widmete, von der Presse zunehmend kritisch beurteilt.

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„Nie zuvor“, schreiben Henry-Louis de La Grange und Günther Weiß über Mahlers Bemühen, durch seine auswärtigen Dirigate eine Tradition für die Interpretation seines symphonischen Schaffens zu begründen, „war er so häufig unterwegs gewesen wie in der zweiten Hälfte des Jahres 1906. Obersthofmeister Fürst Montenuovo ermahnte Mahler um die Jahreswende und erinnerte ihn an seine Amtspflichten als Operndirektor. Mahler antwortete wie üblich mit dem Hinweis, dass er bisher alle seine Pflichten als Administrator, Dirigent und Regisseur erfüllt habe. Außerdem käme es dem Ansehen der Hofoper zugute, wenn der Direktor mit seinen Werken internationalen Erfolg hätte.“24 Und so hatte Mahler Anfang Jänner 1907 eine vierzehntägige Konzertreise angetreten, die ihn nach Berlin, Frankfurt und Linz an der Donau führte. Seine Abwesenheit nahm die Wiener Presse zum Anlass, um Mahler vom Thron des Hofoperndirektors zu stürzen. Den Anfang der Attacken, die sich bald zu einer Hetzjagd nahezu der gesamten Wiener Journaille steigern sollten, machte das »Deutsche Volksblatt«, das pünktlich zum Jahresbeginn in seiner Morgenausgabe vom 1. Jänner 1907 mit einem über drei Druckseiten „unter dem Strich“ sich hinziehenden Beitrag Hans Puchsteins »Unsere Oper im Jahre 1906« eine Generalabrechnung mit Mahlers Wirken als Operndirektor vornimmt. In möglichst sachlichem, leicht besorgtem Ton listet er die Versäumnisse, Fehlentscheidungen und Willkürmaßnahmen auf, die Mahlers Direktionsführung das gesamte vergangene Jahr hindurch gekennzeichnet hätten – beginnend mit einem Bedauern der „Einseitigkeit des Spielplans“ durch Vernachlässigung „deutscher“ Komponisten wie Lortzing, Marschner und Weber ebenso wie „großer Komponisten des Auslandes“, von denen er Donizetti, Berlioz und Smetana namentlich erwähnt  ; sich steigernd mit der Kritik an dem „Mangel passender Kräfte“, den er durch Beispiele von Mahlers verfehlter Ensemblepolitik und die Notwendigkeit „ewiger zweckloser Gastspiele“ begründet sieht  ; gipfelnd schließlich in der Frage an die „obersten Hoftheaterbehörden“, ob sie „die Mahler-Wirtschaft auf die Dauer mit den Interessen unserer Oper für vereinbarlich halten.“ … „Worauf wartet man eigentlich noch  ? Wir glauben, die Verhältnisse in unserer Oper sind reif für einen Wechsel.“25 Schon wenige Tage später setzte das »Neue Wiener Journal«, nach heutigen Maßstäben ein sensationslüsternes Boulevardblatt, den Generalangriff auf den Hofoperndirektor, der gerade in Berlin seine Dritte Symphonie zur Aufführung brachte, fort. In vier kurz hintereinander veröffentlichten Meldungen und Kommentaren wurde zunächst das „Schreckgespenst eines Riesendefizits“26 an die Wand gemalt, zwei Tage später die (Falsch-)Meldung publiziert, dass Mahler „die Absicht habe, in nächster Zeit um seine Entlassung anzusuchen“27, tags darauf ein großer, ebenfalls anonymer Beitrag mit dem Titel »Demissionsabsichten des Hofoperndirektors Mahler  ?« veröffentlicht, der als Anlass für die diesbezüglichen Gerüchte erneut „das Schreckgespenst eines Riesendefizits … von weit über 200.000 Kronen“ anführt und daraus folgert  : „Die Sache ist entschieden

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sehr fatal, denn in Geldsachen hört auch bei der Hofbehörde die Gemütlichkeit auf. Wird man das Defizit schließlich Herrn Mahler entgelten lassen  ? In acht Wochen werden es volle zehn Jahre, daß er Direktor geworden ist, und es gibt noch immer Leute, die glauben, daß dieses Jubiläum für ihn ein hübscher Anlaß wäre, um seine Pensionierung einzukommen.“28 Noch einmal fünf Tage später, am 20. Jänner 1907, kommt der Verfasser Heinrich Reinhardt endlich aus der Deckung und beendet sein Bombardement auf den abwesenden Hofoperndirektor mit einem großen, »Mahleriana. Eine künstlerische Bilanz« überschriebenen Artikel. Es ist wieder eine Abrechnung mit allen Versäumnissen, Fehlgriffen und Unterlassungssünden, die man Mahler – ohne ihre Berechtigung nachweisen zu müssen – vorwerfen konnte. „Es sei mir erlassen“, schreibt Reinhardt, „die Namen derjenigen zu nennen, die Direktor Mahler für erste Rollen und Partien engagiert hat, ohne daß sie die Eignung für eine Provinzbühne anständigen zweiten Ranges aufzuweisen gehabt hätten“, und weiter  : „Dann kamen zahlreiche ‚Kaltstellungen‘, viele Entlassungen und unzählige Falschbesetzungen, die Aufsehen und beträchtliches Aergernis erregten. Dazwischen fiel dem neuen Direktor fast jede Novität durch. Eine reiche Anzahl hochinteressanter Werke, die an vielen Bühnen mit großem Erfolge aufgeführt worden waren, fand die Pforten der Wiener Hofoper verschlossen.“ Operntitel nennt er freilich keine, auch nicht bei seinem nächsten Vorwurf  : „Die schmerzlichste Folge der unergänzten Abgänge im künstlerischen Personalstande ist, daß eine lange Reihe beliebter, wertvoller und zugkräftiger Opern nicht mehr aufgeführt werden kann, weil die Möglichkeit einer entsprechenden Besetzung vollständig mangelt.“ Schließlich fährt Reinhardt das schwerste Geschütz auf  : „Nur schweren Herzens und mit tiefem Bedauern soll und muß endlich die nicht mehr länger verschweigbare Tatsache festgestellt werden, daß das Orchester der Wiener Hofoper, um dessen Besitz Wien von der ganzen musikalischen Welt beneidet wurde, nicht mehr ganz auf seiner einstigen Höhe steht“, und dann nennt er endlich das eigentliche Ziel seiner Invektiven  : „Vielleicht wäre Direktor Mahler der rechte Mann, wenn ihm sein scheinbarer Hauptberuf – das Komponieren und Dirigieren seiner Symphonien – nicht zu viel Zeit rauben würde, um sich mehr den künstlerischen Agenden des Hofoperndirektors widmen zu können.“ „»Nehmt alles nur in allem«“, resümiert Reinhardt seine „Bilanz“  : „Das Konto Gustav Mahler schließt nach zehn Jahren mit einem sehr beträchtlichen Passivsaldo.“29 Erst spät, gegen Ende der Italienreise Mahlers in der Osterwoche, schaltet sich auch die »Deutsche Zeitung« in das Kesseltreiben gegen Mahler ein, zunächst mit einer Attacke am 3. April 1907  :

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„Zur Mißwirtschaft, die gegenwärtig an der Wiener Hofoper herrscht, haben die letzten Tage wieder einige treffende Illustrationen gebracht. Direktor Mahler, der sich ein Rieseneinkommen sichergestellt hat, das in Anbetracht seiner schädlichen Tätigkeit geradezu als exorbitant bezeichnet werden muß, »reist in Symphonien« eigener Marke, und in der Hofoper geht einstweilen alles drunter und drüber … Herr Mahler wandert, Lorbeeren und noch mehr Geld einheimsend, in Italien herum – wir werden gelegentlich zusammenstellen, wie viele Monate Urlaub er heuer schon für seine Privatgeschäfte in Anspruch nahm – und schert sich nicht im geringsten, wie sein Stellvertreter in Wien einstweilen mit der Hofoper fertig wird30. Wenig später folgen weitere Schmähungen in nach wie vor anonymen Artikeln vom 22. und 26. Mai und 2. Juni, die in der Feststellung gipfeln  : „Ob Mahler gehen w i l l oder n i c h t , davon ist heute keine Rede mehr, er m u ß gehen.“31 Das von der dubiosen »Montagsrevue« als erster Zeitung in die Welt gesetzte Gerücht von Mahlers Rücktrittsabsichten wird auch im »Neuen Wiener Tagblatt« und selbst in der »Neuen Freien Presse« nachgedruckt  ; Reinhardts Invektiven auf Mahler finden in den übrigen Wiener Blättern rasch Resonanz. Richard Wallaschek nimmt „Zehn Jahre Mahler“ zum Anlass, ihm den Rücktritt nahezulegen. Nur David Josef Bach in der »Arbeiter-Zeitung« sieht sich, ohne Namen zu nennen, zu einem scharfen Angriff auf den Sensations-Journalismus seiner Kollegen veranlasst  : „Unter den Wiener Klatschblättern ist ein edler Zwist ausgebrochen  : wer zuerst die Nachricht von den Demissionsabsichten Mahlers erfunden habe. Denn vorläufig wenigstens ist’s noch eine Erfindung, und man wüßte für solch eine Demission höchstens den Grund anzugeben, daß es jeden wahren Künstler anekeln muß, in einer Stadt zu wirken, wo alles nach dem Gesichtspunkt des Klatsches, der aufgebauschten Sensation, auch der persönlichen Eitelkeit und des Reklamebedürfnisses beurteilt wird… Direktor Mahler hat uns schon oft durch seine Nervosität geärgert und durch seine Fahrigkeit peinliche Ueberraschungen bereitet, aber daß er so dumm sein sollte, den Herrschaften die ganze Herrlichkeit vor die Füße zu werfen, können wir wahrhaftig nicht glauben.“32 Doch Heinrich Reinhardt gibt nicht auf. Zwar hat die schon kurze Zeit später, am 4. Februar 1907, erfolgte Neuinszenierung von Wagners »Walküre« durch Mahler und Roller das Thema „Rücktritt Mahlers“ kurzzeitig in den Hintergrund treten lassen angesichts der vehementen Diskussion von Pro und Contra des neuartigen, „secessionistischen“ Stils von Inszenierung und Ausstattung des Wagner’schen Musikdramas, die in den kontroversen Positionen von Robert Hirschfeld in der »Abendpost«33 und Bertha Zuckerkandl in der »Wiener Allgemeinen Zeitung«34 ihren Höhepunkt findet. Schon am 28. April – inzwischen hatte auch noch ein Mahler zugerechneter „Skandal“ wegen eines Streits zwischen Roller und dem Hofballettmeister Joseph Haßreiter über die Beschäftigung einer Balletttänzerin die Presse beschäftigt – veröffentlichte Reinhardt unter

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dem Titel »Mahleriana« eine neuerliche Attacke, in der nun unmissverständlich Mahlers Rücktritt gefordert wird. „Angesichts der geradezu unglaublichen Mißstände, die Mahlers Art, die Direktion der Wiener Hofoper zu führen, gezeitigt hat, läßt sich der dringende Wunsch nach einem möglichst raschen Regimewechsel nicht länger unterdrücken“, beginnt das Pamphlet, um gleich zur Sache zu kommen  : „Wir lassen uns … das Recht nicht verkümmern, die schleunige Pensionierung des jetzigen Direktors der Hofoper als das einzige und letzte Mittel zu fordern, um dieses Kunstinstitut vor der restlosen Einbuße seines Renommees zu bewahren.“ In einem Rundumschlag ohnegleichen zielt Reinhardt gleich auch auf Mahlers Vorgesetzten  : „Neben der Kardinalforderung, Mahler zu pensionieren, erhebt sich aber der unabweisliche Wunsch nach einem in jeder Beziehung vollkommen unabhängigen, sachverständigen General-Intendanten“. Das Wichtigste jedoch  : „Die Wiener Hofoper braucht einen neuen Direktor. An dieser eisernen Notwendigkeit läßt sich nicht mehr rütteln, von dieser Forderung läßt sich nichts abhandeln … Die Affären  : Reichmann, Walker, Naval, Winkelmann, Schrödter, Schmedes, Slezak, Weidt, Ellenson etc. etc. sprechen eine so beredte Sprache, daß es des Hinweises auf die endlose Reihe von eklatanten Mißerfolgen, die Mahlers Novitätenwahl und seine Art der Repertoirebildung zu bedeuten hatte, und der Rücksicht auf die fast von Tag zu Tag sinkende Frequenz der Hofoper kaum bedarf, um die Unhaltbarkeit des jetzigen Kurses zu dokumentieren.“35 Was Heinrich Reinhardt nicht wissen konnte  : Gustav Mahler hatte schon im März mit seinem obersten Dienstherrn, dem Zweiten Obersthofmeister Alfred Fürst Montenuovo, eine Vereinbarung über seinen Rücktritt getroffen. Als er von einer österlichen Konzertreise aus Rom zurückkehrte – in der Karwoche blieben die Wiener Hoftheater geschlossen –, wehte ihm ein Sturm der Entrüstung und Ablehnung aus der versammelten Wiener Presse entgegen, der ihn in der Richtigkeit seines Entschlusses bestätigte. Spät, erst am 4. Juni 1907, erhebt sein journalistischer Gefolgsmann Julius Korngold in der »Neuen Freien Presse« seine Stimme  : „Wird es Wahrheit, verlieren wir Mahler  ?“36 Mahlers Antwort steht in seinem Brief an den Freund Arnold Berliner  : „Ich gehe, weil ich das Gesindel nicht mehr aushalten kann.“37

EINE DEMISSION UND IHRE GRÜNDE Mahlers Amtsmüdigkeit hat im Scheitern der »Salome«-Aufführung keineswegs ihre alleinige Ursache, sondern höchstens ein weiteres Motiv. Die eigentlichen Gründe lagen tiefer und sind zweifellos vor allem in Mahlers gewandelter Einstellung zum Repertoiretheater zu suchen. Dass er darüber hinaus als vielgefragter Dirigent häufiger, als dies der Wiener Situation zuträglich war, Urlaube in Anspruch nehmen musste und die Bettelei um diese Freizeit leid war – jeder Kapellmeister hat heute mehr Gastierurlaub, als Gustav Mahler auf dem Höhepunkt seines Ruhms zu beanspruchen wagte –, hat ihm sicherlich den Entschluss zum Rücktritt leichter gemacht. Davon abgesehen, war Mahler, wie wir wissen, mehr als einmal im Verlauf seiner zehnjährigen Direktionszeit geneigt, „den Leuten den ganzen Krempel vor die Füße zu schmeißen“1. Wir wissen von der ernsten Krise des Jahres 1899, als Mahler im Kampf um seine künstlerische Autonomie seinen obersten Dienstherrn, Fürst Liechtenstein, um Beistand anrief  ; wir kennen die unmissverständlichen Weisungen der Generalintendanz zur striktesten Einhaltung der Budgetansätze aus den Jahren 1903, 1904 und 1905 und können uns die Auseinandersetzungen mit der vorgesetzten Behörde nach der DefizitÜberschreitung 1905 um mehr als das Doppelte des genehmigten Limits gut vorstellen. Vor allem aber können wir die heftigen Attacken und bis zur persönlichen Beleidigung gehenden Invektiven der Wiener Presse nachlesen, die sich in zunehmendem Maße an die Opernpremieren und Konzertauftritte Mahlers, selbst die vom Publikum triumphal aufgenommenen, anschlossen. Diese wachsende Feindschaft gegen Mahler hatte nur zum geringsten Teil ihre Ursachen in aufrichtigen künstlerischen Meinungsverschiedenheiten und sachlichen Differenzen. Gewiss gab es Gegner von Mahlers Ausdrucksmusizieren, und selbst Richard Strauss bezeichnet Mahler in seinen Tagebüchern als einen ausgezeichneten Dirigenten, „aber stark analysierend und secierend und in seinen Phrasierungen und großen Bögen zerpflückend sehr eigenwillig, was ihm stets Gegnerschaft der Zünftler zugezogen und seine großen Verdienste und seinen großen Ernst in der Ausübung der fanatisch celebrierten Kunst verdunkelt hat“2. Bei den meisten Gegnern Mahlers aber verbarg sich nur zu oft die Ablehnung seiner unbequemen, weil „fanatisch celebrierten“ Kunstgesinnung und Kunstausübung hinter einer vorgeblich pietätvollen Sorge um die Bewahrung der „Tradition“, und oft wurde die Beschwörung dieser Tradition zum rücksichtslosen Kampf gegen eine vermeintliche jüdische „Bedrohung“ der deutschen Kultur missbraucht. „Die Presse nörgelte, dem ‚Zerstörer des Ensembles‘ wurde Machtpolitik vorgeworfen, der Antisemitismus der ‚Alldeutschen Bewegung‘ um Schönerer tat ein übriges. Mahler resignierte nach zehn Amtsjahren“3 (Karl Schumann).

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Es wäre verfehlt, nicht auch den privaten Umständen einen gewissen Anteil an Mahlers Entschluss zum Rücktritt beizumessen. Der Wunsch, das symphonische Schaffen in ungestörter Kontinuität fortsetzen und sich der Aufführung der eigenen Werke intensiv hingeben zu können, wurde zweifellos immer stärker. Sechs Symphonien lagen gedruckt vor, in Deutschland, Russland, Frankreich und vor allem in Holland bildeten sich allmählich richtige Mahler-Gemeinden. Der Tod der älteren Tochter Maria Anna im Alter von knapp fünf Jahren und die Kenntnis von seiner lebensbedrohenden Herzerkrankung mochten Mahler überdies eine Veränderung der privaten Lebensumstände als dringend wünschenswert erscheinen lassen. Allerdings folgten diese Schicksalsschläge des Sommers 1907 zeitlich der schon im Frühjahr bekundeten Demissionsabsicht. Im März 1907 war es zu einer Aussprache zwischen Mahler und dem Obersthofmeister Montenuovo gekommen. Mahler, auf seine Dirigenten- und Komponiertätigkeit angesprochen, erklärte, „in der von ihm jetzt betriebenen Kunstsphäre seine eigentliche Lebensaufgabe zu erblicken und auf die häufigen und längeren Urlaube nicht verzichten zu können, zumal nach seiner Ansicht das Institut darunter nicht leide“4. Montenuovo teilte zwar Mahlers Ansicht nicht, nahm aber seinen Rücktritt erst nach längerem Zögern Mitte August 1907 an, nachdem feststand, dass die Nachfolgefrage gelöst und Mahler seinerseits mit Heinrich Conried, dem Manager der Metropolitan Opera, über sein Engagement nach New York einig geworden war. Der Obersthofmeister berichtet den Fall dem Kaiser in einem „Vortrag, betreffend die Veränderung in der Leitung des Hofoperntheaters“. In schöner Offenheit gesteht Montenuovo, dass er sich schon vorher „die allerhöchste Genehmigung für den Rücktritt Mahlers“5 erbeten hatte und auf die Suche nach einem geeigneten Nachfolger gegangen war, der schließlich in dem in Berlin und München wirkenden preußischen HofmusikDirektor Felix von Weingartner gefunden wurde. Zwischen der Aussprache Montenuovos mit Mahler und seiner Eingabe an den Kaiser wegen Mahlers Enthebung vom 2. Oktober 1907 liegen sechs Monate, in denen die Klatschspalten der Boulevardpresse und die Feuilletons der Tageszeitungen voll sind von Gerüchten und Vermutungen, von unverhohlener Freude und aufrichtiger Niedergeschlagenheit über Mahlers Abgang, von Spekulationen über die Person des Nachfolgers und über den Zeitpunkt seines Amtsantritts. Eine sachliche Diskussion der Ursachen findet kaum statt  ; unter den seriösen Auseinandersetzungen mit Mahlers Leistung und Mahlers Scheitern sticht neben der »Arbeiter-Zeitung«, in der David Josef Bach Mahlers Sache vertritt, das objektive Feuilleton der »Neuen Freien Presse« hervor. Dort würdigt Julius Korngold, durchaus nicht unkritisch, Anfang Juni 1907 die vom Operndirektor Mahler in zehn Jahren erreichte Erneuerung der Wiener Opernästhetik und verweist das Gerede von der „Mahler-Krise“ in den Bereich des gehässigen Rufmords. Knapp vierzehn Tage später erscheint an gleicher

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Stelle ein nichtgezeichneter kulturpolitischer Artikel, der das Desinteresse des kaiserlichen Hofes und die Indolenz der Wiener Bürokratie scharf attackiert. Verfasser dieser »Unmusikalischen Bemerkungen über den Fall Mahler« ist wahrscheinlich der Chef­ redakteur des Blattes, Moritz Benedikt, den Mahler kurz zuvor aufgesucht hatte, wie wir aus den Erinnerungen des Musikkritikers Max Graf wissen. In einem Interview, das die »Neue Freie Presse« am 27. August 1907 veröffentlichte, hat Mahler selbst über die Gründe seiner Demission Auskunft gegeben. Aufschlussreicher noch sind die Gedanken, die er schon ein Jahr zuvor, 1906, in einem Gespräch mit dem jungen Journalisten Bernard Scharlitt geäußert hat  ; hier wird die konkrete Utopie von Opernfestspielen entworfen. Für Wien hatte Mahler sie bestimmt, in Salzburg wurden sie Wirklichkeit. Mahler hat dieser Quelle zufolge ganz pragmatisch entschieden  : „Ich scheide im nächsten Jahre von der Hofoper, denn ich bin im Laufe der Zeit zur Überzeugung gelangt, daß die ‚ständige Opernbühne‘ eine unseren modernen Kunstprinzipien geradezu widersprechende Einrichtung bedeutet. Das ist nur zu begreiflich. Rührt sie doch aus einer Zeit her, deren Kunstbegriffe ganz andere waren als die unsrigen. Für die Epoche des ‚alten Opernschlendrians‘ war es eine leichte Sache, einige hundert Aufführungen im Jahre zustande zu bringen, weil sie alle auf dem gleichen künstlerischen, richtiger gesprochen unkünstlerischen Niveau standen. Ein moderner Operndirektor, und wäre er ein Genie wie Wagner, vermag jedoch unmöglich eine solche Riesenzahl zu bewältigen, wenn er unseren heutigen Begriffen von künstlerischer Vollendung gerecht werden will. Die ‚Musteraufführungen‘ haben aber den berechtigten Vorwurf zur Folge, daß alle übrigen Aufführungen viel zu wünschen übrig lassen. An eine Trennung der künstlerischen von der administrativen Leitung ist auch nicht zu denken. Denn eine solche ‚Arbeitsteilung‘ ist überall möglich, nur nicht bei einer Opernbühne. Hier muß, um ein Beispiel aus dem Alltagsleben zu nehmen, der ‚Koch‘ nicht nur die ‚Speisen zubereiten‘, sondern auch die ‚Einkäufe selber besorgen‘. Etwas anderes wäre eine moderne Musikbühne in Wien – Wagner- und Mozarttheater nebeneinander – etwa auf dem Kahlenberg erbaut, mit kurzer Spielzeit während der Sommermonate, mithin also kein ‚Konkurrenzunternehmen‘ der Hofoper gegenüber. – Doch das ist für Wien auf lange Zeit hinaus noch ‚Zukunftsmusik‘. Übrigens, alles überlebt sich mit der Zeit, so auch ich und meine Leistungen als Operndirektor. Ich bin für Wien nichts ‚Neues‘ mehr. So will ich denn zu einem Zeitpunkt scheiden, wo ich erwarten darf, daß die Wiener das, was ich geleistet, noch in späteren Tagen zu schätzen wissen werden.“6 Schon am 5. Oktober 1907 entspricht der Kaiser, auf Montenuovos Eingabe hin, der Bitte Gustav Mahlers um Enthebung von seinem Amt  :

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„Ich bewillige dem Direktor des Hofoperntheaters Gustav Mahler anläßlich der von ihm erbetenen Enthebung von diesem Posten in Anerkennung seiner ausgezeichneten Dienstleistung eine Pension von 14.000 Kronen, unter der Bedingung, daß Mahler insolange er im Genusse dieser Pension steht, weder die Leitung eines Theaters in Wien, noch ein Engagement als Dirigent an einem solchen annehmen dürfe  ; weiters eine einmalige Abfertigung von 20.000 Kronen und schließlich seiner Gattin im Falle seines Ablebens eine Witwenpension von 2000 Kronen nach Maßgabe der Bestimmungen des dermaligen Hofpensionsnormales. Gleichzeitig genehmige Ich, daß der Dirigent der Symphonie-Konzerte der königlichen Hofkapelle zu Berlin, Felix Weingartner Edler von Münzberg zum Direktor des Hofoperntheaters unter den beantragten Modalitäten ernannt werde. Franz Joseph Wien, am 5. Oktober 1907“7 Gustav Mahlers Ära war zu Ende. Geblieben ist die Erinnerung an eine nie wieder erreichte Glanzzeit der österreichischen, der europäischen Theatergeschichte  ; vergessen ist die zehnjährige Auseinandersetzung mit finanziellen, organisatorischen oder bloß stur bürokratischen Vorschriften und Beschränkungen. Dennoch gehört die ständige Folge von Siegen und Niederlagen im Kleinkrieg zwischen Individuum und Reglement, zwischen totalem Kunstanspruch und „normalem“ Kunstbetrieb ebenso in Gustav Mahlers Biographie, wie sie ein Kapitel österreichischer Geistesgeschichte ist. Die Beziehung zwischen Gustav Mahler und Wien erscheint uns heute als ein einzigartiges Wechselverhältnis von idealer Befruchtung, leidenschaftlicher Herausforderung und radikaler Entfremdung. Sie findet ihr Ende in der Resignation, im Bruch mit den scheinbar unveränderlichen Gegebenheiten von Konvention, Tradition, Ignoranz und Feindseligkeit. Ob Mahlers Wirken an der Wiener Hofoper deswegen fragmentarisch, ohne letzte Erfüllung genannt werden muss  ? Sein Abschiedsgruß „An die geehrten Mitglieder der Hofoper“ vom 7. Dezember 1907 enthält immerhin den Satz  : „Statt eines Ganzen, Abgeschlossenen, wie ich geträumt, hinterlasse ich Stückwerk, Unvollendetes  : wie es dem Menschen bestimmt ist.“8 Dennoch will uns in der Rückschau die „Ära Mahler“ von der Kunstanstrengung wie von der Kunstleistung her als ein in sich stimmiges Ganzes von höchster Überzeugungskraft, als ein schwer überbietbarer Gipfel menschlicher Schöpferkraft erscheinen. Die Konsequenz des Geschaffenen, die Logik der in Etappen sich vollziehenden Wandlung von Gustav Mahlers „Kunstideal“ trägt jedenfalls die Züge der Vollendung an sich.

DOKUMENTE Gustav Mahlers Kapellmeister-Vertrag Gustav Mahlers Ernennungsdekret Gustav Mahlers Dienstes-Instruktion Gustav Mahlers Enthebungsdekret Gustav Mahlers Kapellmeister-Vertrag Vertrag welcher vorbehaltlich der Ratification durch die k. und k. General-Intendanz der k. k. Hoftheater zwischen der k. und k. Direction des k. k. Hofoperntheaters einerseits und Herrn Gustav Mahler anderseits abgeschlossen worden ist. §1 Herr Gustav Mahler wird als Kapellmeister an dem k. k. Hofoperntheater engagirt u. z. auf die Dauer eines Jahres, welches am 1. Juni 1897 /  : ersten Juni neunzigsieben   :/ beginnt und am 31. Mai 1898 /  : einunddreissigsten Mai neunzigacht   :/ endigt. §2 Herr Gustav Mahler erklärt, daß er keine frühere gegen wen immer eingegangene Verpflichtung zu erfüllen hat, welche mit den im gegenwärtigen Vertrage übernommenen Verbindlichkeiten nicht vereinbar wäre. §3 Herr Gustav Mahler verpflichtet sich zu allen Functionen eines Kapellmeisters am k. k. Hofoperntheater und bei allen Unternehmungen, welche unter der Leitung der k. und k. Hofoperntheater-Direction stehen, u. z. a) zum Einstudieren und Dirigiren aller Gattungen von Opern, von Concerten oder sonstigen Musik-Aufführungen. b) zu den beim Einstudieren nöthig erachteten Correcturen oder Abänderungen der Par­ thien für die Individualität der Sänger. c) zu Kürzungen oder Amplificationen in den Partituren.

Gustav Mahlers Kapellmeister-Vertrag

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d) zu den von der Direction nöthig befundenen Instrumentirungen oder neuen Compositionen, wenn dieselben nicht in großen Musikstücken bestehen, welche extra honorirt werden, und e) zur Abhaltung der mit einzelnen Solomitgliedern nöthigen Clavierproben.

§4 Herr Gustav Mahler verpflichtet sich, überall die vorschriftsmäßige exacte Geschäftsordnung strenge zu handhaben und so zum Besten des Kunstinstitutes und der Wohlfahrt des Ganzen zu wirken, wie es dem Range und der Würde des k. k. Hofoperntheaters entspricht. §5 Herr Gustav Mahler hat auf Verlangen der Direction über Annahme oder Ablehnung einer zur Aufführung angebotenen Opern-Novität sein gewissenhaftes, schriftliches Gutachten abzugeben. §6 Die von Herrn Gustav Mahler neu einzustudierenden Opern, sowie die von ihm zu dirigirenden älteren, stehenden Repertoire-Opern werden von der Direction bestimmt. – Herr Gustav Mahler ist jedoch verpflichtet, auch jede andere Oper zu dirigiren, wenn ein anderer Kapellmeister verhindert ist, seinen Dienstleistungen nachzukommen, sowie die Direction berechtigt ist, jede Oper, welche dem Herrn Gustav Mahler zum Dirigiren zugetheilt ist, auch von einem anderen Kapellmeister dirigiren zu lassen, wenn Herr Gustav Mahler durch ein von der Direction anerkanntes Hindernis außer Stande sein würde, seinen Verpflichtungen zu entsprechen. §7 Für die genaue Einhaltung der übernommenen Verpflichtungen wird Herrn Gustav Mahler ein Gesammt-Jahresbezug von 5000 fl. /  : fünftausend Gulden Ö. W.   :/ zugesichert, eingetheilt in eine Gage von 3000 fl. /  : dreitausend Gulden Ö. W.   :/ und in eine onerose, steuerfreie Functionszulage von 2000 fl. /  : zweitausend Gulden Ö. W.   :/, zahlbar in zwölf monatlichen Anticipativ-Raten. §8 Herr Gustav Mahler hat außer den gewöhnlichen Theaterferien auf keinen Urlaub Anspruch.

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§9 Herrn Gustav Mahler ist es nicht gestattet, sich bei irgend einer, nicht von der k. und k. Direction des k. k. Hofoperntheaters in Wien oder Umgebung veranstalteten öffentlichen Production in Ausübung seiner Kunst und in Eigenschaft eines Kapellmeisters mitwirkend zu betheiligen, ohne von der k. und k. Direction des k. k. Hofoperntheaters die Genehmigung hiezu vorher angesucht und erhalten zu haben. § 10 Sollte Herr Gustav Mahler durch ein in politischer oder anderer Beziehung anstößiges Benehmen, sei es nun während seines Aufenthaltes in der k. und k. Monarchie, oder während einer innerhalb der Contraktsdauer unternommenen Reise in das Ausland sich das Mißfallen des Allerhöchsten Hofes oder der Staatsverwaltung in einer Weise zuziehen, daß seine fernere Thätigkeit bei dem k. k. Hofoperntheater nicht mehr mit der Würde eines kaiserlichen Kunst-Institutes vereinbar erachtet würde, so steht es der k. und k. Direction des k. k. Hofoperntheaters frei, Herrn Gustav Mahler mit gänzlicher Aufhebung der beiderseitigen vertragsmäßigen Verbindlichkeiten ohne Weiteres zu entlassen und ist Herr Gustav Mahler in einem solchen Fall überdies verpflichtet, die mit 5000 fl. /  : fünftausend Gulden Ö. W.   :/ festgesetzte Conventionalstrafe zu bezahlen. § 11 Dasselbe Recht sofortiger Entlassung steht der k. und k. Direction des k. k. Hofoperntheaters zu, wenn a) eine regelmäßig /  : d. i. nach dem allgemeinen Disciplinargesetze, oder auf Grund eines besonderen Hoftheater-Disciplinar-Statuts   :/ abgeführte Disciplinar-Verhandlung, bei welcher sich der Beschuldigte sowohl persönlich als durch eine von ihm gewählte andere Person vertheidigen kann, constatiert hat, daß er sich in einer die Disciplin und die Würde des Institutes gröblich verletzenden Weise gegen die Behörden, Vorstände oder ein Mitglied vergangen habe  ; b) wenn er eines Verbrechens oder eines entehrenden Delictes schuldig erkannt werden sollte  ; c) wenn er in Concurs verfiele  ; d) wenn er seine Thätigkeit am k. k. Hofoperntheater nicht rechtzeitig antreten, sich derselben eigenmächtig entziehen, einen Urlaub überschreiten, einer contraktlichen Verbindlichkeit, ungeachtet einer schriftlich ergangenen Ermahnung, nicht nachkommen sollte  ; e) wenn sich herausstellen sollte, daß Herr Gustav Mahler entgegen der Bestimmung des § 2 eine collidirende Verpflichtung eingegangen habe. In den letzteren Fällen /  : sub d und e   :/ verfällt er überdies in die Conventionalstrafe.

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§ 12 Sollte während der Dauer des gegenwärtigen Vertrages das k. k. Hofoperntheater als solches zu bestehen aufhören, so ist die k. und k. Direction berechtigt, mittelst einer einmonatlichen Kündigung an Herrn Gustav Mahler diesen Vertrag in allen seinen Stipulationen aufzulösen. § 13 Beide Contrahenten unterwerfen sich in allen in Bezug auf den Contrakt oder die aus demselben etwa entstehenden Streitfragen dem Ausspruche des in den Satzungen des deutschen Bühnen-Vereines bezeichneten Schiedsgerichtes unbedingt unter Verzicht auf jede Berufung und auf die Betretung des Rechtsweges. Das Schiedsgericht des Vereines muß in allen Fällen in erster Reihe von den Contrahenten angegangen werden. Nur wenn dasselbe die Entscheidung des Falles ablehnt, steht den Contrahenten frei, den ordentlichen Rechtsweg zu betreten. Die Competenz des Vereins-Schiedsgerichtes beschränkt sich lediglich auf die eigentliche Rechtssprechung in allen bezüglich des Contraktes oder aus demselben entstehenden Streitfragen  ; handelt es sich um Administrativ- oder Sicherheits-Maßregeln, z. B. Concurs-Anmeldungen, Erwirkung von Moratorien, Executions-Maßregeln zur Sicherung der Zahlung von Conventionalstrafen u. dgl., so muß der ordentliche Richter angegangen werden. Für den ordentlichen Rechtsweg, insoweit derselbe nach den obigen Bestimmungen überhaupt zu betreten wäre, wird festgesetzt, daß zur Entscheidung aller aus diesem Vertrage entstehenden Streitigkeiten, sowie zur Erwirkung der nicht der Real-Instanz vorbehaltenen Sicherstellungs- und Executions-Mittel. die in Wien befindlichen Gerichte erster Instanz ausschließend berufen sein sollen. § 14 Herr Gustav Mahler verpflichtet sich, dem Pensions-Institute des k. k. Hofoperntheaters als Theilnehmer beizutreten und sich den Statuten desselben unbedingt zu unterwerfen. § 15 Die Vertragsgebühr ist von Herrn Gustav Mahler allein zu tragen und in der Art zu entrichten, daß die Quittungen über alle an denselben auf Grund des Vertrages zur Zahlung gelangenden Bezüge außer mit dem Quittungsstempel nach Scala II noch einmal mit den nach derselben Scala für den quittirten Betrag entfallenden Stempelmarken zu versehen sind. Dieser Vertrag ist in duplo ausgefertiget, genehmiget und unterzeichnet worden. Urkund dessen die nachstehenden eigenhändigen Unterschriften.

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Wien, am 15. April 1897 Die k. und k. Direction des k. k. Hofoperntheaters. Wilhelm Jahn

Gustav Mahler

Ratificirt Von der k. und k. General-Intendanz der k. k. Hoftheater ad Nro. 566 Wien, den 15. April 1897 Bezecny Gustav Mahlers Ernennungsdekret Allerunterthänigster VORTRAG des treugehorsamsten Ersten Obersthofmeisters Feldmarschall-Lieutenants Rudolf Prinzen von und zu Liechtenstein, die Pensionierung des Directors des Hofoperntheaters Wilhelm Jahn und die Ernennung des Kapellmeisters Gustav Mahler zum Director dieses Theaters betreffend. Wien, am 3. October 1897. Allergnädigster Herr  ! Mit dem gehorsamst angeschlossenen Berichte beantragt der General-Intendant der Hoftheater, Freiherr von Bezecny, die Pensionierung des Directors des Hofoperntheaters, Wilhelm Jahn, und die Ernennung des Kapellmeisters Gustav Mahler zum Director dieses Kunstinstitutes. Jahn leidet an einem schweren Augenübel, welches seit geraumer Zeit seine Leistungsfähigkeit nicht unwesentlich beeinträchtigt und ihn nunmehr zu der Erklärung veranlaßt hat, daß er sich nicht mehr für fähig erachte, seiner Aufgabe mit der erforderlichen Thatkraft gerecht zu werden. Er ist im October 1880 zum Director des Hofoperntheaters ernannt worden und hat dasselbe durch nahezu 17 Jahre geleitet. Der General-Intendant gedenkt in seinem Berichte der verdienstlichen Thätigkeit, welche Jahn während dieser langen Zeit an den Tag gelegt hat, indem er bedeutende Künstler und zugkräftige Werke zu erwerben, das Interesse des Publikums für das von ihm geleitete Institut zu erwecken und langehin zu erhalten verstanden hat. Euere Majestät haben die hervorragenden Leistungen Jahns auch zu wiederholten Malen allergnädigst anzuerkennen geruht, und zwar  : im Jahre 1888 durch die Verlei-

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hung des Ordens der eisernen Krone 3. Classe, im Jahre 1891 durch die Erhöhung seines Pensionsanspruches von 4000 fl. auf 6000 fl. und mit der Allerhöchsten Entschließung vom 2. Juni 1894 durch den Ausdruck der Allerhöchsten Zufriedenheit. Freiherr Bezecny glaubt den Genannten auch nun bei seinem Scheiden der Huld und Gnade Euerer Majestät empfehlen zu sollen und erbittet für ihn die Verleihung des Titels eines Hofrathes, die Belassung seiner Activitätsbezüge bis Ende dieses Jahres, beziehungsweise die Zuerkennung des sich ergebenden Mehrbetrages über die ihm zukommende Pension als Schlußgratification. Diesem Antrage des General-Intendanten kann ich, insoferne er die Regelung der Bezüge Jahns bezweckt, nur beitreten, glaube jedoch, anstatt des Hofrathtitels die Verleihung einer anderen Auszeichnung, und zwar des Comthurkreuzes des Franz JosephOrdens allerunterthänigst empfehlen zu sollen. Zum Nachfolger Jahns in der Direction des Hofoperntheaters empfiehlt der GeneralIntendant den Kapellmeister Gustav Mahler, jedoch mit der Beschränkung, daß derselbe nur mit der artistischen Leitung betraut, ihm sohin das Vorschlagsrecht in allen artistischen und artistisch-ökonomischen Dingen, sowie die Exekutive in Ansehung der genehmigten Vorschläge übertragen werden soll, während die rein administrativen Angelegenheiten der General-Intendanz zuzufallen hätten. Mahler ist Österreicher, 37 Jahre alt und hat in seinen bisherigen Verwendungen als Director der Oper in Budapest in den Jahren 1888 bis 1891 und als erster Theater-Kapellmeister in Hamburg, sowie in der kurzen Zeit seiner Thätigkeit als Kapellmeister an der Wiener Hofoper derartige Proben seiner Begabung, gleichwie seiner Tüchtigkeit als Musiker und Bühnenfachmann abgelegt, daß Freiherr von Bezecny ihn mit aller Beruhigung und mit der Hoffnung auf besten Erfolg für den Director-Posten in Vorschlag bringen zu können erachtet. Als Director soll Mahler einen Gehalt jährlicher 6000 fl., ferner eine Kapellmeisterzulage, ein Wagengeld und ein Quartiergeld von je 2000 fl., sohin im Ganzen jährlich 12.000 fl. beziehen. Als eventuelle Reise-Diäten hätten die der VI. Rangsclasse für ihn zu gelten. Ferner soll ihm eine Pension von 3000 fl. zugesichert werden, welche sich nach zehnjähriger Dienstzeit auf 4000 fl., nach fünfzehnjähriger auf 5000 fl. und nach zwanzigjähriger auf die volle Höhe des Gehaltes von 6000 fl. erhöhen würde. Diese Pension wird jedoch, wie dies auch bei Director Jahn bestimmt war, nach den für Ruhegenüsse bestehenden Normen bei eintretender Dienstunfähigkeit, bei Enthebung Mahlers von amtswegen, oder über dessen vom Obersthofmeisteramte als gerechtfertigt anerkannte Bitte, zu erfolgen sein. Demgemäß erlaube ich mir ehrfurchtsvollst die allerunterthänigste Bitte zu stellen  : Euere Majestät geruhen dem Director des Hofoperntheaters Wilhelm Jahn anläßlich der von ihm erbetenen Versetzung in den Ruhestand in Anerkennung seiner ausgezeich-

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neten Dienstleistung das Comthurkreuz des Franz Joseph-Ordens taxfrei zu verleihen, ferner allergnädigst zu genehmigen, daß demselben die erwähnte Gratification erfolgt und der Kapellmeister Gustav Mahler zum artistischen Director des Hofoperntheaters unter den beantragten Modalitäten ernannt werde. Liechtenstein Ich verleihe dem Director des Hofoperntheates Wilhelm Jahn anläßlich der von ihm erbetenen Versetzung in den Ruhestand das Comthurkreuz Meines Franz Joseph-Ordens und gestatte, daß demselben die beantragte Gratification erfolgt werde. Gleichzeitig genehmige Ich die Ernennung des Kapellmeisters Gustav Mahler zum artistischen Director des Hofoperntheaters unter den beantragten Modalitäten. Mürzsteg, 8. October 1897

Franz Joseph

Gustav Mahlers Dienstes-Instruktion Dienstes-Instruction für den artistischen Director des k. k. Hofoperntheaters, Herrn Gustav Mahler. §1 Der artistische Director des k. k. Hofoperntheaters untersteht in seiner Wirksamkeit der k. und k. General-Intendanz der k. k. Hoftheater und hat die von letzterer im Sinne dieser lnstruction ausgehenden dienstlichen Anordnungen zu befolgen. Ihm ist das gesammte künstlerische Personale des k. k. Hofoperntheaters sammt den Hilfsorganen, sowie das technische und Bühnendienst-Personale mit den Abtheilungsvorständen und allen unterstehenden Organen untergeordnet. §2 Die Wirksamkeit des Directors besteht in der künstlerischen Leitung des Hofoperntheaters und umfaßt insbesondere folgende Agenden  : 1. Die Bildung des Repertoires, 2. Die Besetzung der Rollen, 3. Die Auswahl der Novitäten und Reprisen, 4. Die Bestimmung und Leitung der Proben, 5. Die gesammte Inscenierung der Werke.

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§3 Das Wochenrepertoire ist sofort nach seiner Feststellung der General-Intendanz vorzulegen, welche sich jedoch nur beim Vorhandensein zwingender Gründe vorbehält, eine sich als nothwendig darstellende Abänderung des Repertoires zu fordern. Bei Bildung des Repertoires ist auf die möglichste Reichhaltigkeit der Vorstellungen, daneben aber auch auf die Abonnements, sowie auf die Kassen-Erträgnisse der Werke angemessene Rücksicht zu nehmen. §4 Die Besetzung der Rollen, d. i. sowohl die Übertragung einer Rolle aus dem laufenden Repertoire von einem Mitgliede an ein anderes, als auch die Rollenvertheilung bei Novitäten und Reprisen ist dem alleinigen Ermessen des Directors überlassen. §5 Die Auswahl von Novitäten und Reprisen, sowie die Verhandlungen mit den Autoren oder deren Vertretern betreffs Erwerbung des Aufführungsrechtes der Werke und der Lieferung des nothwendigen Materiales steht dem Director zu. Das Resultat dieser Verhandlungen ist an die General-Intendanz zu berichten und sobald die Genehmigung der vereinbarten Bedingungen erfolgt ist, mit dem Autor oder dessen Vertreter ein Vertrag abzuschließen, welcher nach Ratification durch die General-Intendanz perfect wird. Bei Vorlage des Berichtes ist gleichzeitig behufs Vornahme der Censur ein Textbuch vorzulegen und ein von dem berufenen Rechnungs-Controlsorgane mitzufertigender, approximativer Voranschlag des Ausstattungs-Erfordernisses anzuschließen. Derselbe Vorgang ist auch einzuhalten, wenn es sich um die Wiederaufnahme älterer Werke handelt und für selbe bedeutendere Neu-Anschaffungen erforderlich sind oder die Wiederholung der Censur räthlich erscheint. §6 Der Kostenvoranschlag für eine Novität oder Reprise ist möglichst genau abzufassen. Sobald die General-Intendanz die veranschlagte Summe genehmigt hat, ist mit der Ausführungsarbeit zu beginnen und sind die Bedarfscheine über alle zu der betreffenden Ausstattung gehörenden Detail-Anschaffungen der General-Intendanz zur Genehmigung vorzulegen. Bezüglich aller Anschaffungen für den laufenden Bühnendienst u. dgl. sind die Bedarfscheine oder sonstigen das Erfordernis bezeichnenden Eingaben rechtzeitig an die General-Intendanz zu leiten.

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§7 Alljährlich und zwar längstens ein Monat nach Beginn der Saison hat der Director, soweit es thunlich ist, ein Arbeitsprogramm für die laufende Saison der General-Intendanz vorzulegen, welches die bereits in Aussicht genommenen Novitäten oder Reprisen zu enthalten hat, bezüglich deren Reihenfolge dem Director die Bestimmung überlassen bleibt. Alljährlich vor Eintritt der Ferien sind die im Laufe der nächsten Saison ablaufenden oder beginnenden Engagementverträge, beziehungsweise eintretenden Kündigungstermine u. a. m., eventuell auch die nach § 10 vereinbarten Gastspiele anzuzeigen. Überdies wird der Director behufs Evidentführung des Künstlerpersonal-Status alljährlich und zwar in der ersten Hälfte Dezember über die im Laufe des nächsten Jahres im Stande des Solopersonales vorauszusehenden Veränderungen, welche sich durch Lösung oder Verlängerung bestehender Verträge oder durch den Eintritt neuer Kräfte ergeben, sogenannte „Veränderungsausweise“ der General-Intendanz vorzulegen haben. §8 In allen die artistischen Mitglieder, das Personale der Direktionskanzlei, den technischen und Bühnendienst betreffenden Personal-Angelegenheiten, als da sind  : die Engagements, die Erneuerung oder Auflösung von Verträgen, Pensionierungen, Entlassungen, Gage-Erhöhungen oder Reducierungen, Disciplinarbehandlungen, Straf- und RollenAbzüge, Extrahonorare, Remunerationen, Aushilfen, Vorschüsse, Urlaube auf mehr als drei Tage (bis zu welchem Ausmaße der Director eine Beurlaubung selbständig bewilligen kann), Mitwirkungen der Mitglieder bei Vorstellungen in Privattheatern und bei anderen Unternehmungen in Wien hat der Director die Anträge zu stellen und nach Maßgabe der von der General-Intendanz getroffenen Entscheidungen die erforderlichen Verfügungen zu treffen. §9 Die Einleitung von Verhandlungen wegen neuen, oder Verlängerung bestehender Engagements steht dem Director zu, doch bedarf derselbe zum Übergange in concrete Vertragsverhandlungen, d. i. zur Vereinbarung der wesentlichen Vertragsbestimmungen der Zustimmung des Leiters der General-Intendanz, welchem überdies in dem ihm von Seiner Durchlaucht dem Ersten Obersthofmeister übertragenen Wirkungskreise die Ratificierung der Vertragsurkunden vorbehalten ist. Bei solchen Verträgen, in denen ein Probegastspiel oder eine Kündigung zu einem bestimmten Termine, oder ein Optionsrecht vorgesehen ist, hat der Director einen Antrag zu stellen, ob der unterlegte Vertrag in Kraft treten, beziehungsweise ob von dem Kündigungsrechte, oder aber von dem Optionsrechte der Direction Gebrauch gemacht werden soll oder nicht.

Gustav Mahlers Dienstes-Instruktion

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§ 10 Gastspiele sollen in der Regel, nur wenn sie auf Engagement abzielen, stattfinden und sind, wie die unterlegten Engagementverträge, von der Genehmigung der General-Intendanz abhängig. Zu anderen Gastspielen ist die specielle Genehmigung einzuholen, außer wenn das betreffende Gastspiel die Anzahl von drei Rollen, oder das Gastspielhonorar den Betrag von fl. 150 pro Rolle nicht überschreiten sollte. In solchen Fällen ist bloß die Anzeige an die General-Intendanz zu erstatten. § 11 Urlaube an Mitglieder oder vielmehr Absentierungsbewilligungen bis zu drei Tagen kann der Director selbständig ertheilen. Längere Urlaube sind bei der General-Intendanz zu beantragen, doch wird es Aufgabe des Directors sein, die sogenannten Winterurlaube, d. h. Beurlaubungen des Personals während der Saison, möglichst einzuschränken, beziehungsweise bei Vertragserneuerungen deren Eliminierung anzustreben. § 12 Der Director ist der Chef der Directionskanzlei und unterzeichnet alle amtlichen Ausfertigungen derselben. Bei dem allfälligen Verkehr mit anderen Behörden hat er die Vermittlung der General-Intendanz anzusuchen. Er führt selbständig die gesammte artistische Correspondenz mit Autoren, auswärtigen Bühnenkünstlern u. A. m. § 13 Die Bibliothek und das Archiv des Hofoperntheaters ist der Obhut und Benützung des Directors übergeben und ist ihm das Recht eingeräumt, für dieselbe Anschaffungen an Werken bis zum Maximalbetrage von 300 fl. jährlich zu effectuieren. Zur Anschaffung eines einzelnen, mehr als 100 fl. kostenden Werkes oder zur Erwerbung von Bühnenwerken, falls obige Summe von 300 fl. in einem Jahr bereits überschritten wäre, ist die specielle Bewilligung der General-Intendanz einzuholen. Die von dem Director gefertigten Rechnungen sind behufs Kassaanweisung der General-Intendanz vorzulegen. Der Director ist berechtigt, die nach seinem Ermessen für das Theaterwesen wichtigsten Zeitschriften zu abonnieren und sind die geschlossenen Abonnements im Wege der General-Intendanz zur Anweisung zu bringen. § 14 Die Geldgebarung und die wirtschaftliche Verwaltung des Hofoperntheaters wird von der General-Intendanz der k. k. Hoftheater im eigenen Wirkungskreise geführt, so daß

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auch von dieser allein alle Geldanweisungen oder andere, mit dem Kassewesen zusammenhängenden Verfügungen ausgehen. Der Director nimmt auf diese Zweige, soferne sie mit der künstlerischen Leitung zusammenhängen, nur als Antragsteller einen Einfluß  ; ist aber verpflichtet, soweit es mit seinem Wirkungskreise zusammenhängt, zu einer sparsamen Verwaltung nach allen Kräften beizutragen, insbesondere alle übertriebenen Anforderungen des ihm unterstehenden Personales in Bezug auf Costüme, Decorationen, Requisiten usw. mit aller Entschiedenheit zurückzuweisen. Die Bestimmung der ihrem Wesen und der bestehenden Übung nach in den sogenannten „Tageskosten“ zur Verrechnung gelangenden Honorare und kleinen Auslagen für die Vorstellung steht dem Director zu  ; jedoch wird demselben, namentlich auch in dieser Rubrik die äußerste Sparsamkeit zur Pflicht gemacht. Der Director ist berechtigt und verpflichtet, sich über die Ergebnisse der Administration, den thatsächlichen Erfolg gegenüber den Präliminarien, den jeweiligen Kassestand u. dgl. in fortwährender Kenntnis zu erhalten, zu welchem Behufe ihm auch von der General-Intendanz die jeweiligen Bilanzen, Gebarungsausweise, Präliminarien, KassaRapporte u. dgl. m. zur Einsicht zukommen werden. § 15 In Fällen ganz besonderer Dringlichkeit, wenn eine selbst nur mündliche Zustimmung der General-Intendanz nicht mehr rechtzeitig einzuholen wäre, veranlaßt der Director ausnahmsweise die nothwendigen Vorkehrungen, hat aber sofort unter genauer Darlegung der zwingenden Motive die nachträgliche Genehmigung der General-Intendanz einzuholen. § 16 Im Falle einer längeren Verhinderung des Directors, sei es eine Erkrankung, Beurlaubung, u. dgl. trifft die General-Intendanz auf Vorschlag des Directors die Verfügung bezüglich seiner Stellvertretung. Wien, am 10. Februar 1899.

August Freiherr von Plappart Leiter der General-Intendanz der k. k. Hoftheater

Diese Diensteslnstruction wurde von Seiner Durchlaucht dem Ersten Obersthofmeister mit Erlaß vom 5. Februar 1899, Z. 381 genehmigt. Von der k. und k. General-Intendanz der k. k. Hoftheater. Wien, am 10. Februar 1899.

Wlassack m. p.

Gustav Mahlers Enthebungsdekret

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Gustav Mahlers Enthebungsdekret Allerunterthänigster VORTRAG des treugehorsamsten Zweiten Obersthofmeisters Alfred Fürsten Montenuovo, betreffend die Veränderung in der Leitung des Hofoperntheaters. Wien, am 2. Oktober 1907 Allergnädigster Herr  ! Wie ich Euerer Majestät bereits mündlich alleruntertänigst vorzutragen die Ehre hatte, ergibt sich die Notwendigkeit, in der artistischen Leitung des Hofoperntheaters eine Änderung eintreten zu lassen. Gustav Mahler, welchen Euere Majestät mit Allerhöchster Entschließung vom 8. Oktober 1897 zum Direktor dieses Kunstinstitutes allergnädigst zu ernennen geruht haben, und der in den zehn Jahren seines Wirkens viel des Vortrefflichen geleistet, insbesondere das in der letzten Zeit der Direktionsführung Wilhelm Jahns stark erschlaffte Interesse des Publikums für dieses Hoftheater wieder wach zu rufen verstanden hat, widmet sich seit einigen Jahren mehr der Komposition und dem Dirigieren symphonischer Tonwerke und kam aus Anlaß der Aufführung seiner Kompositionen im Auslande häufig in die Lage Urlaub in Anspruch zu nehmen. Gelegentlich einer Aussprache, die ich im Monate April über die Verhältnisse des Hof­operntheaters und die für dasselbe mit solchen Urlauben verbundenen Nachteile mit ihm hatte, erklärte er in der von ihm jetzt betriebenen Kunstsphäre seine eigentliche Lebensaufgabe zu erblicken und auf die häufigen und längeren Urlaube nicht verzichten zu können, zumal nach seiner Ansicht das Institut darunter nicht leide. Ich konnte nach meiner Erfahrung diese Ansicht nicht teilen und so sah sich Mahler bestimmt, der Geneigtheit Ausdruck zu geben, die Direktionsführung des Hofoperntheaters niederzulegen. Da es mir auch vorher schon ferne lag, dem künstlerischen Entwicklungsgange Mahlers hindernd in den Weg zu treten und ich anderseits nicht verkannte, daß die Leitung des Kunstinstitutes eines Mannes bedarf, der sich ihr ungeteilt widmet, so habe ich mir schon seinerzeit erlaubt, Euerer Majestät über diese Sachlage alleruntertänigst mündlich Bericht zu erstatten und mir die allergnädigste Genehmigung für den Rücktritt Mahlers zu erbitten. Gustav Mahler vollendet mit 8. Oktober laufenden Jahres sein zehntes Dienstjahr als Direktor des Hofoperntheaters. Mit Allerhöchster Entschließung vom 22. Februar 1901 haben Euere Majestät einer Erhöhung seiner Bezüge und einer Neuregulierung seines Pensionsanspruches allergnädigst zuzustimmen geruht. Hiernach hätte Mahler nach Ablauf von sechs Jahren eine Pension von 6000 Kronen zu erhalten, welche sich für jedes folgende begonnene Jahr um je 1000 Kronen erhöhen und bei Beginn des 14. Dienstjahres den Maximalbetrag von 14.000 Kronen – die Höhe seines Grundgehaltes – erreichen würde.

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Da Gustav Mahler die Direktion bis zum Dienstantritte seines Nachfolgers, nämlich bis 1. Jänner 1908, führen wird, so würde sich sein Pensionsanspruch auf 11.000 Kronen belaufen. Die unleugbaren Verdienste, die sich Mahler während seiner Amtstätigkeit als Direktor erworben und die Euere Majestät durch die mit Allerhöchster Entschließung vom 13. Oktober 1903 erfolgte allergnädigste Verleihung des Ordens der Eisernen Krone III. Klasse huldreichst anzuerkennen geruhten, sowie sein rastloses Streben, dem Institute neues Leben zuzuführen, veranlassen mich, für diesen ausgezeichneten Künstler, den ein nicht geringer Teil des Publikums und der Presse ungern ziehen sieht, anläßlich seines Scheidens aus dem Verbande des Hofoperntheaters von Euerer Majestät eine Begünstigung nach dreifacher Richtung ehrfurchtsvollst zu erbitten, und zwar die allergnädigste Gewährung der Pension nach dem für die vierzehnjährige Dienstleistung stipulierten Höchstausmaße von 14.000 Kronen, die jedoch an die Bedingung geknüpft werden soll, daß Mahler, insolange er im Genusse dieser Pension steht, weder die Leitung eines Theaters in Wien noch ein Engagement als Dirigent an einem solchen annehmen dürfe  ; weiters das allergnädigste Zugeständnis einer Witwenpension im Ausmaße von 2000 Kronen nach den Bestimmungen des Hofpensionsnormales für seine Frau, endlich die Allerhöchste Bewilligung einer einmaligen Abfertigung von 20.000 Kronen an ihn. Die Frage für eine so ausgesprochene künstlerische Individualität, wie Gustav Mahler sie ist, einen würdigen Nachfolger in der Leitung des Hofoperntheaters zu finden, war von vorne herein schwierig zu lösen, da für diesen Posten doch nur ein hervorragender Künstler, ein Dirigent von europäischem Ruf in Betracht zu ziehen war, die Auswahl an solchen Persönlichkeiten eine sehr geringe ist und die meisten derselben sich in festen Stellungen befinden. Als die Absicht Mahlers, von der Direktion zurückzutreten, bekannt wurde, bewarb sich zunächst der königlich bayerische General-Musik-Direktor in München, Felix Mottl, einen geborenen [sic] Wiener, um diesen Posten. Die Verhandlungen, welche ich mit ihm führte, wurden jedoch gegenstandslos, da es sich schließlich herausstellte, daß Mottl über die Art seiner Münchner Verpflichtungen irrtümliche Angaben gemacht hatte und in einer Weise dort gebunden war, welche ihm die Annahme der Direktion der Wiener Hofoper nicht ermöglichte, zumal nachdem ihm dort eine Erhöhung seiner Bezüge, sowie eine Auszeichnung zuteil wurde. Ich wandte mich nun an den in München lebenden königlich preußischen HofmusikDirektor Felix von Weingartner, der mir gleichfalls als ein vollgiltiger Musiker bekannt war. Felix Weingartner Edler von Münzberg, geboren in Zara am 2. Juni 1863, zählt heute neben Mahler, Schuch, Mottl, Nikisch und Muck zu den bedeutendsten Dirigenten Österreichs und Deutschlands.

Gustav Mahlers Enthebungsdekret

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Er studierte 1881 in Graz Kompositionslehre, ging dann nach Leipzig um Philosophie zu studieren, besuchte dort auch das Konservatorium und wandte sich schließlich völlig der Musik zu. 1883 kam er nach Weimar, wo Liszt die Aufführung von Weingartners erster Oper „Sakuntala“ veranlaßte. Er wirkte dann in mehreren großen deutschen Städten als Opern-Kapellmeister, 1889 bis 1891 als Hofkapellmeister in Mannheim und wurde 1891 als Hofkapellmeister und Dirigent der Symphonie-Konzerte der königlichen Kapelle nach Berlin berufen. Im Jahre 1898 gab er seine Stellung an der königlichen Oper in Berlin auf, behielt jedoch die Direktion der dortigen Symphonie-Konzerte bei und übersiedelte nach München. Weingartner hat sich vielfach auch als Komponist betätigt und eine Anzahl Opern, symphonische Dichtungen, Symphonien, Klavier- und Gesangsstücke vertont und außerdem sich auch als Musikschriftsteller einen Namen gemacht. Die Verhandlung mit Weingartner ergab, daß er die Symphonie-Konzerte der königlichen Hofkapelle in Berlin bis zum Jahre 1921 zu dirigieren verpflichtet und vertragsmäßig gehalten ist, seinen Wohnsitz in Deutschland zu nehmen. Mit allergnädigstem Vorwissen Euerer Majestät habe ich es unternommen, Weingartner von seiner Berliner Verpflichtung loszulösen, da die Führung der Direktion des Hof­ operntheaters die ungeteilte Arbeitskraft eines Mannes verlangt und es auf die Dauer nicht angängig wäre, daß Weingartner nebenbei die Leitung jener Symphonie-Konzerte inne habe. Durch die Vermittlung des Ministers des Äußeren Freiherrn von Aehrenthal, beziehungsweise des österreichisch ungarischen Botschafters von Szögyeny, ist es gelungen, die Zustimmung Seiner Majestät des Kaisers und Königs Wilhelm II. für Weingartners Berufung nach Wien, beziehungsweise für seine Entlassung aus dem Verbande der königlichen Intendantur in Berlin unter dem Vorbehalte zu erreichen, daß Weingartner bis zur Ernennung eines anderen Dirigenten für die Symphonie-Konzerte und spätestens bis zum Schlusse der Konzertsaison 1907/8 diese Konzerte noch dirigiere. Ich habe diesfalls mit dem General-Intendanten der königlichen Schauspiele in Berlin Abmachungen getroffen, welche den Interessen des Wiener Hofoperntheaters volle Rechnung tragen und nachträglich die Genehmigung Seiner Majestät des deutschen Kaisers gefunden haben. Die mit Weingartner vereinbarten Bedingungen, unter welchen er die Direktion des Hofoperntheaters zu übernehmen hätte, wären folgende  : 1. Dienstantritt 1. Jänner 1908 2. Dienstbezüge jährlicher 36.000 K. eingeteilt in einen Gehalt von jährlicher 15.000 K.

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eine Funktionszulage jährlicher 13.000 K. eine fixe, wie die übrigen Bezüge in Monatsraten auszuzahlende Remuneration von jährlicher 8.000 K. zusammen obige 36.000 K. weiters die Beistellung eines Dienstwagens. Als eventuelle Reisediäten hätten für Weingartner die der VI. Rangklasse zu gelten. 3. Der Hofverwaltung und dem Direktor bleibt das Recht vorbehalten, den Vertrag nach vorhergegangener einjähriger Kündigung mit Ablauf eines jeden Wirkungsjahres zu lösen. 4. Der Anspruch auf eine Pension von 1000 Kronen für jedes vollendete Dienstjahr bis zum Höchstbetrag von 15.000 Kronen und tritt dieser Anspruch nach zehnjähriger Dienstleistung unbedingt und vorher dann in Kraft, wenn die Hofverwaltung dem Direktor kündigt, oder wenn von hofärztlicher Seite festgestellte Gesundheitsrücksichten, oder von der Hofverwaltung als zwingend anerkannte Gründe ihn zur Kündigung nötigen. Die Auszahlung der Pension beginnt jedoch in allen Fällen erst mit dem Zeitpunkt, da Weingartner eine berufsmäßige Ausübung der Dirigententätigkeit nicht mehr möglich sein wird, wobei eine gelegentliche Leitung eigener Kompositionen den Bezug der Pension nicht hindern soll. 5. Ein jährlicher Urlaub vom Schlusse der Sommersaison bis zum 1. September. 6. Über seinen jeweiligen Wunsch einen entsprechenden Urlaub zur Aufführung eigener Kompositionen, in der Annahme, daß von diesem Zugeständnisse nur beschränkter Gebrauch gemacht wird. 7. Eine noch zu vereinbarende Summe zur Deckung seiner Übersiedlungsauslagen von München nach Wien. Im Großen und Ganzen entsprechen diese Vereinbarungen so ziemlich jenen, welche auch für Mahler galten und glaube ich dieselben Euerer Majestät zur Allerhöchsten Genehmigung ehrerbietigst empfehlen zu dürfen. Demgemäß erlaube ich mir in tiefster Ehrfurcht die alleruntertänigste Bitte zu stellen  : Euere Majestät geruhen dem Direktor des Hofoperntheaters Gustav Mahler anläßlich der von ihm erbetenen Enthebung von diesem Posten, in Anerkennung seiner ausgezeichneten Dienstleistung, eine Pension von 14.000 Kronen unter der Bedingung, daß Mahler insolange er im Genusse dieser Pension steht, weder die Leitung eines Theaters in Wien noch ein Engagement als Dirigent an einem solchen annehmen dürfe  ; weiters eine einmalige Abfertigung von 20.000 Kronen und schließlich seiner Gattin, im Falle seines Ablebens, eine Witwen-Pension von 2000 Kronen, nach Maßgabe der Bestimmungen des dermaligen Hofpensionsnormales huldvollst zu gewähren und allergnädigst zu bewilligen, daß der Dirigent der Symphonie-Konzerte der königlichen Hofkapelle

Gustav Mahlers Enthebungsdekret

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zu Berlin Felix Weingartner Edler von Münzberg zum Direktor des Hofoperntheaters unter den beantragten Modalitäten ernannt werde. Montenuovo Ich bewillige dem Direktor des Hofoperntheaters Gustav Mahler anläßlich der von ihm erbetenen Enthebung von diesem Posten in Anerkennung seiner ausgezeichneten Dienstleistung eine Pension von 14.000 Kronen, unter der Bedingung, daß Mahler insolange er im Genusse dieser Pension steht, weder die Leitung eines Theaters in Wien, noch ein Engagement als Dirigent an einem solchen annehmen dürfe  ; weiters eine einmalige Abfertigung von 20.000 Kronen und schließlich seiner Gattin im Falle seines Ablebens eine Witwenpension von 2000 Kronen nach Maßgabe der Bestimmungen des dermaligen Hofpensionsnormales. Gleichzeitig genehmige Ich, daß der Dirigent der Symphonie-Konzerte der königlichen Hofkapelle zu Berlin, Felix Weingartner Edler von Münzberg zum Direktor des Hofoperntheaters unter den beantragten Modalitäten ernannt werde. Wien, am 5. Oktober 1907

Franz Joseph

STATISTIKEN Die Premieren der Ära Mahler Gustav Mahlers Dirigate an der Wiener Hofoper Das Ensemble der Ära Mahler Die Finanzen der Wiener Hofoper 1903 bis 1908 Die Premieren der Ära Mahler EA = Erstaufführung NE = Neueinstudierung NI = Neuinszenierung UA = Uraufführung WA = Wiederaufnahme ML = Musikalische Leitung davon GM = von Gustav Mahler dirigiert (Gustav Mahlers Direktionszeit dauert vom 1. August 1897 bis zum 31. Dezember 1907.) Spielzeit 1897/98 11.09.1897

NI

Zar und Zimmermann (Lortzing) (EA 1842, NE 1878) ML  : Gustav Mahler bis 19051  : 28 Vorstellungen, davon GM  : 15

04.10.1897

EA

Dalibor (Smetana) ML  : Gustav Mahler bis 1904  : 23, davon GM  : 22

16.10.1897

NE

Die Zauberflöte (Mozart) (NI 1812, NI 1818, NI 1842, NI 1852, NI 1869) ML  : Gustav Mahler bis zur NI 1906  : 32, davon GM  : 27

19.11.1897

EA

Eugen Onegin (Tschaikowsky) ML  : Gustav Mahler bis 1900  : 21, davon GM  : 20

21.11.1897

NE

Romeo und Julie (Gounod) (EA 1868, NI 1869) ML  : Joseph Hellmesberger jr. bis 1901  : 14

04.12.1897

NE

Der fliegende Holländer (Wagner) (EA 1860, NI 1871) ML  : Gustav Mahler bis 1907  : 71, davon GM  : 7

Die Premieren der Ära Mahler

245

08.01.1898

EA

Struwwelpeter (Ballettpantomime, Heuberger) ML  : Joseph Hellmesberger jr. bis 1898  : 13 nicht abendfüllend

22.01.1898

EA

Djamileh (Bizet) ML  : Gustav Mahler bis 1902  : 19, davon GM  : 19 Die Aufführungen des nicht abendfüllenden Werks wurden gekoppelt mit Aufführungen u. a. der Ballette Struwwelpeter, Rund um Wien, Die goldene Märchenwelt, Die roten Dominos, Sylvia, Rouge et noir, Die roten Schuhe, Das Vergißmeinnicht, Harlekin als Elektriker sowie der Opern Zaide (04. und 07.10.1902, ML  : Bruno Walter), Cavalleria rusticana u. a.

24.01.1898

NE

Norma (Bellini) (EA 1833, NE 1835, NI 1870) ML  : Hans Richter bis 1903  : 11

14.02.1898

EA

Die roten Dominos (Ballettszene, Klein) ML  : Josef Klein bis 1898  : 1 nicht abendfüllend

23.02.1898

EA

Die Bohème (Leoncavallo) ML  : Gustav Mahler bis 1898  : 6, davon GM  : 6

05.03.1898

NE

Ein Maskenball (Verdi) (EA 1864, NE 1866 deutsch, NI 1870) ML  : Johann Nepomuk Fuchs bis 1907  : 29

17.03.1898

EA

Künstlerlist (Ballett, Skofitz) ML  : Joseph Hellmesberger jr. bis 1907  : 47 nicht abendfüllend

20.03.1898

NE

Robert der Teufel (Meyerbeer) (EA 1833, NI 1854, NI 1870) ML  : Johann Nepomuk Fuchs bis 1903  : 13

25.04.1898

WA

29.04.1898

NE

Das Heimchen am Herd (Goldmark) (UA 1896) ML  : Joseph Hellmesberger jr. bis 1905  : 17 Aida (Verdi) (EA 1874) ML  : Gustav Mahler bis zur NI 1903  : 35, davon GM  : 12

246 06.06.1898

Statistiken NE

Das Nachtlager in Granada (Kreutzer) (EA 1837, NI 1880, NI 1887) ML  : Johann Nepomuk Fuchs bis 1902  : 6

Spielzeit 1898/99 18.08.1898

EA

Die roten Schuhe (Tanzlegende, Mader) ML  : Raoul Mader bis 1907  : 54 nicht abendfüllend

18.08.1898

WA

Am Wörthersee (Kärntnerisches Liederspiel, Koschat) (EA 1880, NI 1888) ML  : Joseph Hellmesberger jr. bis 1898  : 6 nicht abendfüllend

04.09.1898

NI

Götterdämmerung (Wagner) (EA 1879) ML  : Gustav Mahler bis 1907  : 43, davon GM  : 9 erste ungekürzte Aufführung in Wien

04.10.1898

NE

Die weiße Dame (Boieldieu) (EA 1826, NI 1853, NI 1876, NE 1883) ML  : Gustav Mahler bis zur WA 1902  : 10, davon GM  : 9

21.10.1898

NE

Der Freischütz (Weber) (EA 1821, NE 1829, NI 1859, NI 1870, NI 1884) ML  : Gustav Mahler bis 1907  : 43, davon GM  : 13 (bis 1900)

28.10.1898

NE

Hänsel und Gretel (Humperdinck) (EA 1894) ML  : Ferdinand Löwe bis 1907  : 49, davon Nachmittagsvorstellungen  : 28

09.12.1898

EA

Donna Diana (Reznicek) ML  : Gustav Mahler bis 1899  : 7, davon GM  : 7

20.12.1898

NE

Der Spielmann (Ballett, Forster) (EA 1881) ML  : Joseph Hellmesberger jr. bis zur WA 1902  : 3 nicht abendfüllend

17.01.1899

UA

Die Kriegsgefangene (Goldmark) ML  : Gustav Mahler bis 1899  : 6, davon GM  : 4

Die Premieren der Ära Mahler

247

Die Aufführungen des nicht abendfüllenden Werks wurden gekoppelt mit Aufführungen der Ballette Melusine, Coppelia, Die roten Schuhe. 17.01.1899

WA

10.02.1899

Melusine (Ballett, Doppler) (EA 1882) ML  : Joseph Hellmesberger jr. bis 1899  : 4 Symphonie von Haydn (D-Dur Hob. I/104) (konzertante Aufführung) ML  : Gustav Mahler bis 1899  : 7, davon GM  : 7

10.02.1899

UA

Der Apotheker (Haydn, bearbeitet von Robert Hirschfeld) ML  : Gustav Mahler bis 1902  : 7, davon GM  : 6

10.02.1899

EA

Die Opernprobe (Lortzing) ML  : Gustav Mahler bis 1904  : 25, davon GM  : 8

10.02.1899

NE

Ein Tanzmärchen (Ballett, Bayer) (EA 1890) ML  : Josef Bayer bis 1899  : 3 Die einzelnen nicht-abendfüllenden Werke dieses Programms wurden in unterschiedlichen Kombinationen aufgeführt  ; die am häufigsten gespielte Opernprobe u. a. mit den Balletten Künstlerlist, Harlekin als Elektriker, Pan, Rund um Wien.

10.03.1899

EA

Pan (Mythologisches Divertissement, Skofitz) ML  : Joseph Hellmesberger jr. bis 1906  : 29 nicht abendfüllend

27.03.1899

EA

Der Bärenhäuter (Siegfried Wagner) ML  : Gustav Mahler bis 1900  : 20, davon GM  : 14 ML der Aufführung am 11.12.1899  : Siegfried Wagner

21.04.1899

NE

Das Glöckchen des Eremiten (Maillart) (EA 1861, NE 1880, NE 1885, NE 1889) ML  : Johann Nepomuk Fuchs bis 1906  : 13

24.04.1899

NE

Die Nürnberger Puppe (Adam) (EA 1881) ML  : Johann Nepomuk Fuchs bis 1899  : 1 nicht abendfüllend

16.05.1899

NE

Margot (Ballett, Doppler) (EA 1880) ML  : Joseph Hellmesberger jr.

248

Statistiken bis 1899  : 2 nicht abendfüllend

20.05.1899

NE

Rigoletto (Verdi) (EA 1852, NE 1860, NI 1872, NE 1880) ML  : Johann Nepomuk Fuchs bis 1907  : 36

03.09.1899

NE

Mignon (Thomas) (EA 1868, NI 1870, EA in italienischer Sprache 1876) ML  : Gustav Mahler bis 1907  : 73, davon GM  : 5

06.09.1899

NE

Die Regimentstocher (Donizetti) (EA 1876) ML  : Gustav Mahler bis 1904  : 4, davon GM  : 2 Die Aufführungen des Werks wurden gekoppelt mit Aufführungen der Ballette (u. a.) Harlekin als Elektriker, Vergißmeinnicht

20.09.1899

NE

Die verkaufte Braut (Smetana) (EA 1896) ML  : Gustav Mahler bis 1907  : 38, davon GM  : 10

29.09.1899

NE

Fra Diavolo (Auber) (EA 1830, NI 1860, NE 1864, NE 1869, NI 1882) ML  : Gustav Mahler bis 1903  : 14, davon GM  : 8

04.10.1899

EA

Vergißmeinnicht (Tanzmärchen, Goldberger) ML  : Joseph Hellmesberger jr. bis 1907  : 48 nicht abendfüllend

09.10.1899

NE

Lucia von Lammermoor (Donizetti) (EA 1837, NE 1843, NI 1870) ML  : Karl Luze bis zur WA 1903  : 6

23.10.1899

EA

Der Dämon (Rubinstein) ML  : Gustav Mahler bis 1899  : 5, davon GM  : 5 vor der 4. Aufführung wurden in einer „Strichprobe“ Kürzungen vorgenommen.

26.11.1899

NE

Die Meistersinger von Nürnberg (Wagner) (EA 1870, NE 1880) ML  : Gustav Mahler bis 1907  : 72, davon GM  : 9 (bis 1900) erste ungekürzte Aufführung in Wien

Spielzeit 1899/1900

Die Premieren der Ära Mahler

249

22.01.1900

UA

Es war einmal (Zemlinsky) ML  : Gustav Mahler bis 1901  : 12, davon GM  : 11

27.01.1900

NE

Der Wildschütz (Lortzing) (EA 1860, NE 1888) ML  : Karl Luze bis 1903  : 5

14.02.1900

EA

Das Buckelhaus am Bergl (Komische Ballett-Pantomime, Bayer) ML  : Josef Bayer bis 1900  : 8 nicht abendfüllend

22.03.1900

EA

Jolanthe (Tschaikowsky) ML  : Gustav Mahler bis 1901  : 9, davon GM  : 8 Die Aufführungen des nicht abendfüllenden Werks wurden gekoppelt mit Aufführungen der Ballette Sylvia, Die roten Schuhe, Vergißmeinnicht.

23.04.1900

NE

Die Hochzeit des Figaro (Mozart) (NI 1814, NI 1818, NI 1829, NI 1870, NI 1875) ML  : Gustav Mahler bis zur NI 1906  : 29, davon GM  : 22

16.05.1900

EA

Fedora (Giordano) ML  : Franz Schalk bis 1900  : 3 in italienischer Sprache

26.05.1900

NE

Carmen (Bizet) (EA 1875) ML  : Gustav Mahler bis 1907  : 85, davon GM  : 6 (bis 1901) erstmals mit den vollständigen Rezitativen von E. Guiraud Spielzeit 1900/01

04.10.1900

NI

Così fan tutte (Mozart) (NI 1819, NI 1840, NI 1858, NI 1863, NI 1872, NI 1880, in der Bearbeitung von ­Eduard Devrient) ML  : Gustav Mahler bis zur NE 1905  : 8, davon GM  : 7 erstmals in der Übersetzung von Hermann Levi  ; erstmalige Verwendung der neuen Drehbühne

26.10.1900

NE

Der Troubadour (Verdi) (EA 1854, NE 1860, NI 1869) ML  : Franz Schalk bis zur WA 1907  : 48, davon GM  : 1

250

Statistiken

13.11.1900

EA

Der Bundschuh ( Josef Reiter) ML  : Gustav Mahler bis 1900  : 5, davon GM  : 4 Die Aufführungen des nicht abendfüllenden Werks wurden gekoppelt mit Aufführungen der Ballette Coppelia, Sylvia, Die roten Schuhe, Harlekin als Elektriker und der Oper Der Bajazzo (ML  : Franz Schalk)

27.12.1900

WA

Lohengrin (Wagner) (EA 1858, NI 1870, NI 1875) ML  : Franz Schalk bis zur NI 1906  : 62

21.01.1901

NI

Rienzi (Wagner) (EA 1871, NE 1883) ML  : Gustav Mahler bis 1907  : 27, davon GM  : 2 (bis 1901)

18.03.1901

EA

Lobetanz (Thuille) ML  : Franz Schalk bis 1901  : 6

29.04.19012

NI

Die Königin von Saba (Goldmark) (EA 1875) ML  : Gustav Mahler bis 1907  : 44, davon GM  : 3 (bis 1901)

04.05.1901

NE

Martha (Flotow) (EA 1847, NI 1869) ML  : Gustav Brecher bis 1907  : 7

11.05.1901

NE

Tannhäuser (Wagner) (EA 1859, NI 1870, NI 1875 Pariser Fassung) ML  : Gustav Mahler bis 1907  : 69, davon GM  : 4 (bis 1901) Neueinstudierung der Dresdner Fassung Spielzeit 1901/02

04.10.1901

NI

Die lustigen Weiber von Windsor (Nicolai) (EA 1852, NI 1872) ML  : Gustav Mahler bis 1907  : 26, davon GM  : 10 (bis 1903)

11.11.1901

EA

Hoffmanns Erzählungen (Offenbach) ML  : Gustav Mahler bis 1907  : 111, davon GM  : 8 (bis 1902)

29.01.1902

EA

Feuersnot (Strauss) ML  : Gustav Mahler bis zur NE 1905  : 11, davon GM  : 4 Die Aufführungen des nicht abendfüllenden Werks wurden gekoppelt mit Aufführungen der Ballette Rouge et noir, Coppélia, Rund um Wien, Die Perle von Iberien

Die Premieren der Ära Mahler

15.02.1902

WA

Die weiße Dame (Boieldieu) (s. 04.10.1898) ML  : Gustav Mahler bis 1907  : 13, davon GM  : 3 (bis 1903)

28.02.1902

UA

Der dot mon ( Josef Forster) ML  : Gustav Mahler bis 1903  : 11, davon GM  : 3 nicht abendfüllend

28.02.1902

WA

Der Spielmann (Ballett, Forster) (s. 20.12.1898) ML  : Josef Bayer bis 1902  : 3 nicht abendfüllend

07.04.1902

EA

Die Perle von Iberien (Ballett, Hellmesberger) ML  : Joseph Hellmesberger jr. bis 1907  : 78 nicht abendfüllend

10.04.1902

NE

Gute Nacht, Herr Pantalon (Komische Oper, Grisar) (EA 1855, NE 1868, NI 1882) ML  : Bruno Walter bis 1902  : 2 nicht abendfüllend

06.06.1902

NE

Das goldene Kreuz (Brüll) (EA 1876) ML  : Franz Schalk bis zur WA 1907  : 4

251

Spielzeit 1902/03 02.10.1902

NE

Hernani (Verdi) (EA 1844, NE 1849, NI 1876, NE 1890) ML  : Bruno Walter bis zur WA 1907  : 6

04.10.1902

UA

Zaide (Mozart, bearbeitet von Robert Hirschfeld) ML  : Bruno Walter bis 1902  : 3 Die Aufführungen des nicht abendfüllenden Werks wurden gekoppelt mit Aufführungen der Opern Djamileh (ML  : Gustav Mahler), Der Bajazzo u. a. und der Ballette Harlekin als Elektriker, Pan u. a.

29.10.1902

NI

Die Hugenotten (Meyerbeer) (EA 1839, NI 1848, NE 1869, NI 1876) ML  : Gustav Mahler bis 1907  : 40, davon GM  : 8

252

Statistiken

09.12.1902

EA

Pique Dame (Tschaikowsky) ML  : Gustav Mahler bis 1906  : 30, davon GM  : 14 (bis 1903)

19.01.1903

NI

Euryanthe (Weber) (EA 1823, NI 1855, NI 1871, NE 1886) ML  : Gustav Mahler, Kostüme  : Alfred Roller bis zur NE 1904  : 5, davon GM  : 4

21.02.1903

NI

Tristan und Isolde (Wagner) (EA 1883) ML  : Gustav Mahler, Bühnenbild-Entwürfe und Kostüme  : Alfred Roller bis 1907  : 27, davon GM  : 21

24.03.1903

EA

Louise (Charpentier) ML  : Gustav Mahler bis 1904  : 24, davon GM  : 8

11.05.1903

NI

Aida (Verdi) (s. 29.04.1898) ML  : Gustav Mahler bis 1907  : 49, davon GM  : 2 (bis 1903) Spielzeit 1903/04

03.10.1903

EA3

Der faule Hans (Ballett-Pantomime, Nedbal) ML  : Bruno Walter bis 1907  : 34 nicht abendfüllend, bei der Premiere jedoch allein aufgeführt

13.10.1903

NI

Die Jüdin (Halévy) (EA 1836, NI 1840, NI 1855, NE 1868, NI 1870) ML  : Gustav Mahler bis 1907  : 19, davon GM  : 2 (bis 1903)

18.10.1903

NE

Das Versprechen hinterm Herd (Singspiel, Alexander Baumann/Carl Stein) (EA 1868) ML  : Karl Luze bis 1903  : 2 nicht abendfüllend

31.10.1903

WA

Lucia di Lammermoor (Donizetti) (s. 09.10.1899) ML  : Francesco Spetrino bis 1907  : 15 in italienischer Sprache

25.11.1903

EA

La Bohème (Puccini) ML  : Francesco Spetrino bis 1907  : 61 in italienischer Sprache

Die Premieren der Ära Mahler

253

04.01.1904

NE

Der Waffenschmied (Lortzing) (EA 1865, NE 1872, NE 1887) ML  : Gustav Mahler bis 1904  : 7, davon GM  : 4

19.01.1904

NE

Euryanthe (Weber) (s. 19.01.1903) ML  : Gustav Mahler bis 1904  : 5, davon GM  : 5 mit neuem Text von Gustav Mahler

20.01.1904

EA

Die kleine Welt (Pantomimisches Divertissement, Bayer) ML  : Josef Bayer bis 1906  : 39 nicht abendfüllend

04.02.1904

NE

Der Postillon von Lonjumeau (Adam) (EA 1837, NI 1860, NI 1868, NI 1871, NI 1879) ML  : Franz Schalk bis 1907  : 5

18.02.1904

EA

Der Corregidor (Hugo Wolf ) ML  : Gustav Mahler, Bühnenbild-Entwürfe  : Alfred Roller bis 1904  : 7, davon GM  : 5 Vor der 5. Aufführung am 10.03.1904 wurden die zunächst vorgenommenen Kürzungen rückgängig gemacht und ab dann die ungekürzte „Urfassung“ gespielt.

01.05.1904

NI

Norma (Bellini) (EA 1833/1835, NI 1870) ML  : Francesco Spetrino bis 1907  : 9

03.05.1904

EA

Falstaff (Verdi) ML  : Gustav Mahler, Bühnenbild-Entwürfe und Kostüme  : Alfred Roller bis 1906  : 13, davon GM  : 6 Erstaufführung in deutscher Sprache  ; die Erstaufführung in italienischer Sprache hatte bei einem Gastspiel der Mailänder Scala am 21. und 22.05.1893 stattgefunden. Spielzeit 1904/05

07.10.1904

NI

Fidelio (Beethoven) (EA 1814, NI 1869, NI 1876) ML  : Gustav Mahler  ; Bühnenbild-Entwürfe und Kostüme  : Alfred Roller bis 1907  : 25, davon GM  : 19

14.11.1904

EA

Lakmé (Delibes) ML  : Bruno Walter  ; Kostüme  : Alfred Roller bis 1907  : 26

23.01.1905

NI

Das Rheingold (Wagner) ML  : Gustav Mahler  ; Bühnenbild-Entwürfe und Kostüme  : Alfred Roller

254

Statistiken bis 1907  : 23, davon GM  : 9

28.02.1905

EA

Das war ich (Leo Blech) ML  : Gustav Mahler bis 1905  : 5, davon GM  : 3 nicht abendfüllend

28.02.1905

EA

Die Abreise (d’Albert) ML  : Gustav Mahler bis 1906  : 8, davon GM  : 5 nicht abendfüllend Die Aufführungen der beiden Einakter wurden gekoppelt mit Aufführungen der Opern Lakmé, Cavalleria rusticana, Der Bajazzo und des Balletts Die roten Schuhe.

06.04.1905

EA

Die Rose vom Liebesgarten (Pfitzner) ML  : Gustav Mahler, Bühnenbild- und Kostüm-Entwürfe  : Alfred Roller bis 1907  : 18, davon GM  : 7 ML der Aufführung am 17.05.1905  : Hans Pfitzner

16.04.1905

UA

Chopins Tänze (Chopin/Riesenfeld) ML  : Hugo Riesenfeld, Bühnenbild und Kostüme  : Alfred Roller bis 1907  : 19 nicht abendfüllend

11.05.1905

NI

Wilhelm Tell (Rossini) (EA 1830, NI 1837, NI 1848, NE 1853, NI 1869) ML  : Francesco Spetrino bis 1907  : 8

26.05.1905

NE

Manon (Massenet) (EA 1890) ML  : Franz Schalk bis 1907  : 17

05.06.1905

NE

Feuersnot (Richard Strauss) (s. 29.01.1902) ML  : Gustav Mahler bis 1905  : 1, davon GM  : 1 nicht abendfüllend Neueinstudierung für die „Anwesenheit des Allgemeinen Deutschen Musikvereins“ in Wien. Die Aufführung wurde gekoppelt mit dem Ballett Der faule Hans (ML  : Oskar Nedbal).

04.10.1905

EA

Die neugierigen Frauen (Wolf-Ferrari) ML  : Gustav Mahler, Bühnenbild-Entwürfe  : Alfred Roller bis 1905  : 12, davon GM  : 10 Ab der 6. Vorstellung am 16.10.1905 wurden die Aufführungen gekoppelt mit Aufführungen der Ballette Künstlerlist, Die roten Schuhe u. a.

Spielzeit 1905/06

Die Premieren der Ära Mahler

255

14.11.1905

NI

Lohengrin (Wagner) 1. Akt (s. 27.12.1900) ML  : Gustav Mahler, Bühnenbild-Entwurf  : Alfred Roller Die Neuinszenierung erfolgte für die Festvorstellung anlässlich des Besuches von König Alfons XIII. von Spanien und war gekoppelt mit einer Aufführung des 1. und 2. Aktes von Lakmé (ML  : Gustav Mahler) und des 1. Aktes des Balletts Excelsior (ML  : Josef Bayer). Die Neunszenierung des 2. und 3. Aktes von Lohengrin s. 27.02.1906

24.11.1905

NE

Così fan tutte (Mozart) (s. 04.10.1900) ML  : Gustav Mahler, Bühnenbild- und Kostüm-Entwürfe  : Alfred Roller bis 1907  : 7, davon GM  : 6

21.12.1905

NI

Don Giovanni (Mozart) erstmals in Wien mit dem italienischen Originaltitel (Don Juan  : NI 1817, NE 1856, NI 1869, NI 1887) ML  : Gustav Mahler, Bühnenbild- und Kostüm-Entwürfe  : Alfred Roller „für die deutsche Bühne neu bearbeitet von Max Kalbeck“ bis 1907  : 16, davon GM  : 14

29.01.1906

NI

Die Entführung aus dem Serail (Mozart) (NI 1811, NI 1839, NI 1856, NI 1872) ML  : Gustav Mahler, Bühnenbild-Entwürfe  : Alfred Roller bis 1907  : 18, davon GM  : 16

09.02.1906

NI

Die Zauberflöte (Mozart) (s. 16.10.1897) ML  : Gustav Mahler, Bühnenbild- und Kostüm-Entürfe  : Alfred Roller bis 1907  : 14, davon GM  : 10

27.02.1906

NI

Lohengrin (Wagner) 2. und 3. Akt (s. 14.11.1905) ML  : Franz Schalk, Regie, Bühnenbild-Entwürfe und Kostüme  : Alfred Roller bis 1907  : 28

30.03.1906

NI

Die Hochzeit des Figaro (Mozart) (s. 23.04.1900)) ML  : Gustav Mahler, Bühnenbild-Entwürfe und Kostüme  : Alfred Roller „Bearbeitung des Wiener Hofoperntheaters. Ins Deutsche übertragen von Max ­Kalbeck.“ bis 1907  : 16, davon GM  : 13

12.05.1906

NE

Werther (Massenet) (EA 1892) ML  : Franz Schalk bis 1906  : 3

256 19.05.1906

Statistiken NE

Ein Maskenball (Verdi) (s. 05.03.1898) ML  : Bruno Walter bis 1907  : 21 Spielzeit 1906/07

04.10.1906

EA

Der polnische Jude (Erlanger) ML  : Bruno Walter bis 1906  : 3

17.10.1906

EA

Marionettentreue (Pantomime, Braun) ML  : Julius Lehnert bis 1907  : 9 nicht abendfüllend

03.11.1906

NI

Der Widerspenstigen Zähmung (Goetz) (EA 1875, NE 1882) ML  : Gustav Mahler, Bühnenbild-Entwürfe und Kostüme  : Alfred Roller bis 1907  : 9, davon GM  : 8

28.11.1906

EA

Flauto solo (d’Albert) ML  : Franz Schalk, Bühnenbild und Kostüme  : Alfred Roller bis 1906  : 4 nicht abendfüllend

28.11.1906

EA

Atelier Brüder Japonet (Pantomimisches Divertissement, Skofitz) ML  : Josef Bayer bis 1907  : 32 nicht abendfüllend

25.12.1906

NE

Der Barbier von Sevilla (Rossini) (EA 1890, NE 1897) ML  : Gustav Mahler bis 1907  : 12, davon GM  : 2

04.02.1907

NI

Die Walküre (Wagner) (EA 1877) ML  : Gustav Mahler, Bühnenbild- und Kostüm-Entwürfe  : Alfred Roller bis 1907  : 14, davon GM  : 5

27.02.1907

NE

Die Stumme von Portici (Auber) (EA 1830, NI 1855, NI 1869, NE 1884) ML  : Bruno Walter, Kostüme  : Alfred Roller bis 1907  : 5

05.03.1907

NE

Der Prophet (Meyerbeer) (EA 1850, NI 1869, NI 1891) ML  : Bruno Walter bis 1907  : 6

Die Premieren der Ära Mahler

18.03.1907

NI

Iphigenie in Aulis (Gluck) (NI 1867, NE 1874, NE 1894) ML  : Gustav Mahler, Bühnenbild-Entwürfe und Kostüme  : Alfred Roller bis 1907  : 6, davon GM  : 5

03.05.1907

NE

Othello (Verdi) (EA 1888) ML  : Alexander von Zemlinsky bis 1907  : 5

11.05.1907

EA

Samson und Dalila (Saint-Saëns) ML  : Bruno Walter, Kostüme  : Alfred Roller bis 1907  : 7

01.06.1907

UA

Rübezahl (Ballett, Delibes/Minkus) ML  : Julius Lehnert, Bühnenbild- und Kostüm-Entwürfe  : Alfred Roller bis 1907  : 11 nicht abendfüllend

04.06.1907

WA

Das goldene Kreuz (Brüll) (s. 06.06.1902) ML  : Franz Schalk bis 1907  : 5

31.10.1907

EA

Madame Butterfly (Puccini) ML  : Francesco Spetrino, Bühnenbild-Entwürfe  : Alfred Roller bis 1907  : 14

13.11.1907

WA

Der Troubadour (Verdi) (s. 26.10.1900) ML  : Bruno Walter bis 1907  : 1

Spielzeit 1907/084

28.11.1907

NE

Hernani (Verdi) (s. 02.10.1902) ML  : Bruno Walter bis 1907  : 2

257

258

Statistiken

Gustav Mahlers Dirigate an der Wiener Hofoper Verzeichnis der Aufführungen zwischen Mai 1897 und Oktober 1907. Die Abfolge der Werke ist chronologisch nach dem Datum des ersten Dirigats geordnet Oper/Komponist

Lohengrin/Wagner

Zahl Vorstellungstermine 20

2 11

Die Zauberflöte/Mozart

Der fliegende Holländer/Wagner

Margarethe (Faust)/Gounod

Die Afrikanerin/Meyerbeer

1896/97  : 11.5., 6.6. 1897/98  : 1.8., 8.9., 5.10., 8.11., 14.12., 1.1., 2.2., 27.2., 16.3., 10.4., 15.5.

3

1898/99  : 15.8., 8.9., 5.2.

3

1899/1900  : 3.8., 20.8., 1.10.

1

1905/06  : 14.11. (NI, 1. Akt) /27.6. 2.+3. Akt, Schalk

38 1

1896/97  : 29.5.

7

1897/98  : 16.10. (NE), 27.10., 9.11., 2.12., 9.12., 17.4., 8.5.

3

1898/99  : 28.8., 6.11., 15.1.

2

1899/1900  : 27.8., 20.5.

3

1900/01  : 16.9., 1.1., 24.2.

4

1901/02  : 9.11., 8.12., 19.1., 4.5.

2

1902/03  : 21.9., 7.1.

2

1903/04  : 13.12., 13.4.

3

1904/05  : 2.11., 18.3., 3.5.

5

1905/06  : 15.10., 9.2. (NI), 18.3., 1.6., 6.6.

5

1906/07  : 18.10., 29.11., 26.2., 27.4., 12.5.

1

1907/08  : 2.10.

11 1

1896/97  : 5.6.

7

1897/98  : 7.8., 31.8., 23.9., 4.12. (NE), 19.12., 4.1., 15.4.

1

1898/99  : 3.2.

2

1899/1900  : 15.5., 5.6.

4 1

1897/98  : 3.8.

3

1899/1900  : 30.9., 18.10., 20.11.

1 1

1897/98  : 4.8.

Gustav Mahlers Dirigate an der Wiener Hofoper

Oper/Komponist

Die verkaufte Braut/Smetana

Die Hochzeit des Figaro/Mozart

Der Prophet/Meyerbeer

Zahl Vorstellungstermine 11 1

1897/98  : 11.8.

9

1899/1900  : 20.9. (NE), 9.11., 15.11., 15.12., 28.12., 13.1., 4.2., 23.2., 16.4.

1

1900/01  : 11.1.

49 7

1897/98  : 14.8., 1.9., 27.9., 12.10., 12.1., 31.3., 3.6.

6

1898/99  : 17.11., 14.12., 10.1., 11.3., 27.4., 24.5.

3

1899/1900  : 9.1., 23.4. (NE), 30.5.

4

1900/01  : 12.12., 9.1., 26.4., 23.5.

4

1901/02  : 12.9., 6.2., 1.3., 21.5.

5

1902/03  : 7.10., 3.12., 14.1., 17.2., 9.5.

5

1903/04  : 6.11., 26.12., 28.2., 19.3., 21.5.

2

1904/05  : 3.1., 1.3.

9

1905/06  : 30.3. (NI), 2.4., 5.4., 16.4., 19.4., 25.4., 4.5., 17.5., 8.6.

3

1906/07  : 12.10., 21.11., 8.5.

1

1907/08  : 22.9.

1 1

Der Freischütz/Weber

10

Das Rheingold/Wagner

1897/98  : 15.8.

14 1

Don Juan/Mozart

259

1897/98  : 17.8. 1898/99  : 21.10. (NE), 24.10., 31.10., 20.11., 1.12., 10.12., 13.1., 4.2., 26.2., 15.3.

2

1899/1900  : 8.9., 21.1.

1

1900/01  : 26.9.

2 1

1897/98  : 22.8.

1

1898/99  : 4.11.

20 2

1897/98  : 25.8., 8.2.

3

1898/99  : 20.9., 5.10., 27.12.

2

1899/1900  : 20.3., 5.5.

4

1900/01  : 5.9., 8.10., 17.12., 6.2.

9

1904/05  : 23.1. (NI), 25.1., 28.1., 4.2., 11.2., 17.2., 26.2., 26.3., 10.4.

260 Oper/Komponist

Die Walküre/Wagner

Siegfried/Wagner

Götterdämmerung/Wagner

Tannhäuser/Wagner

Zar und Zimmermann/Smetana

Statistiken Zahl Vorstellungstermine 16

5

1897/98  : 26.8., 22.9., 13.3., 6.5., 12.5.

2

1898/99  : 22.9., 7.10.

2

1899/1900  : 21.3., 6.5.

2

1900/01  : 9.10., 18.12.

4

1906/07  : 4.2. (NI), 11.2., 18.2., 10.3.

1

1907/08  : 15.9.

12 5

1897/98  : 28.8., 18.10., 11.2., 26.3., 1.6.

2

1898/99  : 23.9., 10.10.

2

1899/1900  : 23.3., 8.5.

3

1900/01  : 8.9., 11.10., 20.12.

10 1

1897/98  : 29.8.

4

1898/99  : 4.9. (NI), 25.9., 12.10., 1.1.

2

1899/1900  : 26.3., 11.5.

3

1900/01  : 11.9., 14.10., 23.12.

8 3

1897/98  : 5.9., 28.10., 15.11.

1

1899/1900  : 13.8.

2

1900/01  : 11.5. (NE), 2.6.

2

1901/02  : 5.9., 25.12.

15 10

Dalibor/Smetana

1897/98  : 11.9. (NI), 14.9., 21.9., 2.10., 9.10., 23.10., 12.11., 29.11., 18.2., 12.3.

2

1898/99  : 13.4., 8.5.

3

1899/1900  : 31.8., 7.12., 9.2.

22 13

1897/98  : 4.10. (EA), 7.10., 10.10., 13.10., 20.10., 4.11., 7.11.,11.11., 17.11., 1.12., 2.1., 6.2., 15.3.

2

1898/99  : 7.11. (WA), 16.3.

2

1899/1900  : 10.3., 6.4.

1

1900/01  : 28.11.

1

1901/02  : 5.11.

1

1902/03  : 29.9.

Gustav Mahlers Dirigate an der Wiener Hofoper

Oper/Komponist Tristan und Isolde/Wagner

Die Fledermaus/Strauß

Zahl Vorstellungstermine 2

5

1897/98  : 24.10., 1.11., 16.1., 29.3., 22.5.

3

1898/99  : 29.10., 7.1., 4.5.

2

1899/1900  : 13.2., 15.3.

3

1900/01  : 24.10., 5.1., 15.5.

2

1901/02  : 19.9., 13.2.

5

1902/03  : 16.12., 21.2. (NI), 3.3., 28.3., 29.5.

6

1903/04  : 14.9., 9.12., 13.2., 11.3., 8.4., 7.6.

3

1904/05  : 6.9., 23.12., 6.5.

4

1905/06  : 5.9., 29.12., 13.2., 8.5.

4

1906/07  : 5.9., 19.10., 21.4., 19.5.

1

Die Bohème/Leoncavallo

Die Meistersinger von Nürnberg/ Wagner

1897/98  : 19.11. (EA), 22.11., 25.11., 28.11., 3.12., 6.12., 13.12., 28.12., 3.1., 12.2., 21.3., 28.4.

6

1898/99  : 13.10., 2.11., 23.11., 2.1., 6.2., 19.4.

2

1899/1900  : 16.10., 15.1.

19 8

1897/98  : 22.1. (EA), 25.1., 28.1., 31.1., 14.2., 1.4., 14.4., 7.5.

6

1898/99  : 8.10., 27.10., 28.11., 9.1., 22.2., 29.4.

3

1899/1900  : 11.10., 13.11., 2.1.

2

1902/03  : 4.10., 10.10.

6 6

Aida/Verdi

1897/98  : 31.10.

20 12

Djamileh/Bizet

1903/04  : 30.10., 21.11.

37

1 Eugen Onegin/Tschaikowsky

261

1897/98  : 23.2. (EA), 26.2., 1.3., 4.3., 7.3., 20.4.

14 3

1897/98  : 29.4. (NE), 4.5., 14.5.

4

1898/99  : 17.8., 30.8., 21.11., 3.1.

5

1899/1900  : 10.8., 1.9., 30.11., 26.4., 2.6.

2

1902/03  : 11.5. (NI), 18.5.

10 1

1898/99  : 26.8.

5

1899/1900  : 26.11. (NE), 25.12., 2.2., 4.3., 29.4.

4

1900/01  : 2.9., 23.9., 11.11., 7.12.

262 Oper/Komponist

Die weiße Dame/Boieldieu

Statistiken Zahl Vorstellungstermine 13 8

1898/99  : 4.10. (NE), 9.10., 14.10., 19.10., 26.10., 9.11., 30.11., 7.2.

1

1899/1900  : 6.2.

1

1901/02  : 15.2. (WA)

1

1902/03  : 4.2.

2

1903/04  : 18.9., 8.5.

Donna Diana/Reznicek

7

Die Kriegsgefangene/Goldmark

4

7 4 Symphonie von Haydn (konzertant)

2

Der Dämon/Rubinstein

1899/1900  : 3.9. (NE), 18.9., 15.10., 29.11., 10.12. 1899/1900  : 6.9. (NE), 10.10.

8 7

1899/1900  : 29.9. (NE), 6.10., 20.10., 31.10., 4.1., 11.2., 1.3.

1

1900/01  : 15.12.

5 5

Es war einmal/Zemlinsky

1899/1900  : 16.9., 27.9.

2 2

Fra Diavolo/Auber

1898/99  : 27.3. (EA), 3.4., 8.4., 11.4., 14.4., 20.4., 25.4., 30.4., 5.5., 12.5.,17.5., 8.6.

5 5

Die Regimentstochter/Donizetti

1898/99  : 10.2. (EA), 11.2., 16.2., 21.2., 24.2., 10.3., 17.3., 21.5.

14 12

Mignon/Thomas

1898/99  : 10.2. (UA), 11.2., 21.2., 24.2., 10.3., 17.3.

8 8

Der Bärenhäuter/Siegfried Wagner

1898/99  : 10.2., 11.2., 16.2., 21.2., 24.2., 10.3., 17.3.

6 6

Die Opernprobe/Lortzing

1898/99  : 17.1. (UA), 27.1., 8.2., 18.2.

7 7

Der Apotheker/Haydn bearb. Hirschfeld

1898/99  : 9.12. (EA), 12.12., 15.12., 18.12., 29.12., 14.1., 25.1.

1899/1900  : 23.10. (EA), 26.10., 29.10., 2.11., 14.11.

11 11

1899/1900  : 22.1. (UA), 25.1., 28.1., 31.1., 5.2., 12.2., 15.2., 27.2., 6.3., 28.3., 17.4.

Gustav Mahlers Dirigate an der Wiener Hofoper

Oper/Komponist

Jolanthe/Tschaikowsky

Zahl Vorstellungstermine 8 8

Carmen/Bizet

Così fan tutte/Mozart

1

1899/1900  : 26.5. (NE)

4

1900/01  : 4.9., 19.9., 3.12., 3.6.

1

1901/02  : 3.9.

13 7

1900/01  : 4.10. (NI), 7.10., 10.10., 13.10., 3.11., 29.11., 12.4.

5

1905/06  : 24.11. (NE), 27.11., 8.12., 5.1., 27.4.

1

1906/07  : 26.11.

1

Der Bundschuh/Reiter

4

1 4

Hoffmanns Erzählungen/Offenbach

Der dot mon/Forster

1900/01  : 14.4. (NI 1. Akt), 29.4. (NI 2.–4. Akt), 8.5., 19.5.

7

1901/02  : 4.10. (NI), 7.10., 9.10., 18.10., 25.10., 31.10., 29.12.

3

1902/03  : 5.1., 6.2., 24.2.

8 1901/02  : 11.11. (EA), 12.11., 14.11., 17.11., 27.11., 4.12., 6.1., 3.2.

4 3

1901/02  : 29.1. (EA), 4.2., 7.2.

1

1904/05  : 5.6. (NE)

3 3

Die Hugenotten/Meyerbeer

1900/01  : 21.1. (NI), 24.1.

10

8 Feuersnot/Strauss

1900/01  : 13.11. (EA), 16.11., 19.11., 22.11.

4 4

Die lustigen Weiber von Windsor/ Nicolai

1900/01  : 9.11.

2 2

Die Königin von Saba/Goldmark

1899/1900  : 22.3. (EA), 31.3., 2.4., 5.4., 25.4., 2.5., 12.5., 31.5.

6

Der Troubadour/Verdi

Rienzi/Wagner

263

1901/02  : 28.2. (UA), 3.3., 6.3.

8 8

1902/03  : 29.10. (NI), 3.11., 6.11., 12.11., 16.11., 23.11., 26.11., 22.12.

264 Oper/Komponist

Pique Dame/Tschaikowsky

Statistiken Zahl Vorstellungstermine 13

12 1 Euryanthe/Weber

Louise/Charpentier

4

1902/03  : 19.1. (NI), 25.1., 8.2., 26.2.

4

1903/04  : 19.1. (NE), 24.1., 5.2., 20.2.

1

1904/05  : 29.12.

8

Die Jüdin/Halévy

2

Der Waffenschmied/Lortzing

4

2 4

Die Rose vom Liebesgarten/Pfitzner

1903/04  : 3.5. (EA deutsch), 9.5., 12.5., 19.5., 26.5., 18.6. 1904/05  : 7.10. (NI), 10.10., 1.11., 9.11., 15.11., 18.12., 8.1., 22.1., 19.2.,16.3., 25.3. 1905/06  : 26.9., 20.11., 17.1, 23.4.

3

1906/07  : 9.10., 25.1., 13.5.

1

1907/08  : 15.10.

3 1904/05  : 28.2. (EA), 3.3., 6.3.

5 4

1904/05  : 28.2. (EA), 3.3., 6.3., 20.3.

1

1905/06  : 22.11.

7 7

Die neugierigen Frauen/WolfFerrari

1903/04  : 18.2. (EA), 21.2., 27.2., 4.3., 18.3.

4

3 Die Abreise/d’Albert

1903/04  : 4.1. (NE), 7.1., 14.1., 21.1.

19 11

Das war ich/Blech

1903/04  : 13.10. (NI), 16.10.

6 6

Fidelio/Beethoven

1902/03  : 24.3. (EA), 26.3., 29.3., 5.4., 14.4., 23.4., 30.4., 15.5.

5 5

Falstaff/Verdi

1903/04  : 26.11.

9

8

Der Corregidor/Wolf

1902/03  : 9.12. (EA), 10.12., 12.12., 15.12., 20.12., 25.12., 28.12., 1.1., 6.1., 13.1., 31.1., 11.2.

1904/05  : 6.4. (EA), 9.4., 12.4., 15.4., 25.4., 1.5., 10.5.

10 10

1905/06  : 4.10. (EA), 5.10., 7.10., 10.10., 13.10., 16.10., 19.10., 25.10., 4.11., 18.11.

Gustav Mahlers Dirigate an der Wiener Hofoper

Oper/Komponist

Zahl Vorstellungstermine

Don Giovanni/Mozart

14

Die Entführung aus dem Serail/ Mozart

8

1905/06  : 21.12. (NI), 25.12., 13.1., 20.1., 27.1., 24.2., 24.3., 29.4.

5

1906/07  : 1.10., 23.11., 7.2., 4.3., 10.5.

1

1907/08  : 12.9.

16 11 5

Der Widerspenstigen Zähmung/ Goetz Der Barbier von Sevilla/Rossini

1905/06  : 29.1. (NI), 2.2., 7.2., 14.2., 20.2., 28.2., 14.3., 23.3., 1.4., 21.4., 5.5. 1906/07  : 21.9., 14.10., 20.11., 28.1., 7.5.

8 8

1906/07  : 3.11. (NI), 9.11., 12.11., 17.11., 30.11., 26.12., 1.1., 28.2.

2 2

Iphigenie in Aulis/Gluck

1906/07  : 25.12. (NE), 28.12.

5 4

1906/07  : 18.3. (NI), 13.4., 18.4., 5.5.

1

1907/08  : 30.9.

Insgesamt  : 63 Opern, davon 57 als Premieren, in 651 Aufführungen, davon  : Spielzeit

265

Opern

Aufführungen

1896/97

3

4 (Vertragsbeginn 1.5.1897)

1897/98

23

112

1898/99

22

104 (dazu eine Symphonie in 7 Aufführungen)

1899/1900

28

97

1900/01

19

54

1901/02

11

36

1902/03

12

53

1903/04

11

39

1904/05

10

44

1905/06

10

58

1906/07

11

44

1907/08

6

6 (Vertragsende 31.12.1907)

266

Statistiken

Das Ensemble der Ära Mahler Kapellmeister

Vertragsdauer

Hans Richter Johann Nepomuk Fuchs Joseph Hellmesberger jr. Gustav Mahler Ferdinand Löwe Franz Schalk Bruno Walter Gustav Brecher Francesco Spetrino Julius Lehnert (Ballettdirigent) Alexander von Zemlinsky

01.05.1875 16.08.1879 01.04.1886 01.05.1897 01.10.1898 01.9.1900 01.7.1901 01.6.1901 01.11.1903 01.06.1903 01.05.1907

– – – – – – – – – – –

15.04.1900 05.10.1899 31.10.1903 31.12.1907 30.09.1899 31.08.1929 31.12.1912 31.05.1902 30.09.1908 30.04.1913 15.02.1908

Korrepetitoren Siegmund Grünfeld Eugen Edler von Fröhlichsthal Karl Luze Ferdinand Foll (Studienleiter) Paul Adler Prof. Viktor Boschetti Gustav Brecher Julius Lehnert Artur Bodanzky Dr. Karl Weigl Prof. Paul Redl (Bühnenmusikdirigent)

01.05.1885 01.11.1892 01.01.1896 16.12.1897 01.11.1899 01.01.1900 15.02.1901 01.06.1903 15.11.1903 01.05.1904 01.11.1905

– – – – – – – – – – –

01.09.1899 31.10.1899 31.03.1909 10.07.1929 15.09.1903 30.04.1903 31.05.1902 30.04.1913 30.06.1904 30.04.1906 31.12.1938

Regisseure August Stoll (Opernregisseur) Josef Haßreiter (Ballettregisseur) Albert Stritt (Opernregisseur) Hans Breuer (Opernregisseur) Marie Gutheil-Schoder

20.10.1884 01.01.1891 01.09.1898 11.08.1900 01.07.1900

– – – – –

12.07.1918 01.01.1920 31.03.1899 31.08.1929 30.04.1927

Ausstattungsleiter Franz Gaul Heinrich Lefler Alfred Roller

12.01.1867 – 01.08.1900 – 01.06.1903 –

30.09.1900 31.05.1903 31.05.1909

Sängerinnen Irene Abendroth Anna Baier Ida Baier-Liebhardt Lola Beeth

01.09.1894 14.04.1884 01.04.1880 01.06.1898

31.08.1899 13.09.1898 31.03.1906 31.07.1901

– – – –

267

Gustav Mahlers Dirigate an der Wiener Hofoper

Elsa Bland Hermine Bosetti Mme. Charles Cahier (geb. Sarah J. Walker) Melanie Domenego Frau Theo Drill-Oridge Louise von Ehrenstein Elise Elizza Ottilie Fellwock Frieda Felser Irene von Fladung Gertrude Förstel Berta Förster-Lauterer Grete Forst Ellen Forster-Brandt Berta Grimm Marie Gutheil-Schoder Anna Hauser Laura Hilgermann Anita Karin Luise Kaulich-Lazarich Franziska Kessler Hermine Kittel Berta Kiurina-Leuer Jenny Korb Selma Kurz Karoline Kusmitsch Margarete Michalek Anna von Mildenburg Fanny Mora Ilona Naday Bella Paalen Josie Petru Jenny Pohlner Stephanie Preissmann Leonore Rellt e Marie Renard Francès Saville Betty Schubert Sophie Sedlmair Charlotte Seeböck Sophie Urban Edyth Walker Lucie Weidt

01.06.1905 01.09.1900 01.04.1907 01.09.1899 01.02.1906 01.09.1889 01.10.1895 11.08.1898 01.09.1905 01.09.1906 01.09.1906 01.10.1901 01.09.1903 01.05.1887 01.05.1907 01.06.1900 01.02.1880 01.03.1900 01.10.1900 01.02.1878 01.09.1902 01.08.1901 01.09.1905 01.01.1900 01.08.1899 01.06.1898 01.09.1897 01.06.1898 01.08.1895 01.09.1901 01.09.1907 01.09.1902 01.08.1897 01.10.1905 01.08.1899 01.10.1888 08.12.1897 01.09.1902 01.01.1897 01.08.1905 01.08.1902 01.08.1895 01.09.1902

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

31.05.1908 31.03.1901 15.09.1911 31.08.1900 01.02.1916 30.11.1899 30.08.1918 31.07.1899 17.08.1906 31.03.1907 31.01.1912 30.09.1913 15.09.1911 30.04.1906 30.06.1908 30.04.1927 31.01.1899 30.06.1920 30.09.1901 31.01.1906 31.08.1903 31.08.1931 30.06.1921 31.01.1901 31.01.1927 30.04.1902 31.08.1910 30.04.1916 31.07.1898 31.01.1902 01.09.1937 31.08.1907 31.07.1918 30.09.1906 31.07.1900 31.01.1900 28.02.1903 16.08.1905 01.01.1907 31.08.1907 31.07.1904 22.09.1903 31.08.1927

268 Sänger Theodor Bertram Alfred Boruttau Hans Breuer Philipp Brozel Franz Bucar Leopold Demuth Andreas Dippel Ludwig Drapal Ernest van Dyck Hans Ellensohn Benedikt Felix Moritz Frauscher Hans Frei Max Garrison Hans Giessen-Buff Karl Grengg Alexander Haydter Siegmund Hecker Wilhelm Hesch Willibald Horwitz Fritz Keim Hermann Kittel Karl Kurz-Stolzenberg Hubert Leuer Georg Maikl Ludwig Mantler Otto Marak Ferdinand Marian Richard Mayr Hans Melms Anton Moser Franz Naval Franz Neidl Franz Pacal Arthur Preuß Karl Reich Franz von Reichenberg Theodor Reichmann Josef Ritter Anton Schittenhelm Erik Schmedes Viktor Schmitt Fritz Schrödter

Statistiken

01.09.1901 01.09.1905 11.08.1900 01.09.1907 01.09.1900 01.06.1898 01.08.1893 16.07.1897 01.10.1888 10.04.1907 16.02.1883 01.08.1899 01.08.1885 01.11.1896 01.09.1897 01.08.1889 01.09.1905 01.06.1902 01.08.1896 01.04.1880 01.09.1905 01.09.1902 01.09.1906 01.09.1904 01.09.1904 01.09.1902 01.09.1902 01.04.1896 01.09.1902 01.10.1892 01.09.1903 01.08.1898 20.07.1890 15.08.1898 15.02.1899 01.09.1905 01.06.1884 01.09.1893 01.08.1891 15.08.1875 01.06.1898 15.08.1875 01.05.1885

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

19.09.1901 21.08.1906 31.08.1929 31.08.1908 31.08.1901 04.03.1910 31.07.1898 15.07.1899 15.03.1898 31.08.1907 31.01.1912 31.07.1904 31.07.1899 31.10.1898 31.08.1898 28.02.1903 11.02.1919 31.05.1903 04.01.1908 31.03.1909 30.04.1906 16.08.1912 31.08.1908 31.08.1920 31.08.1941 31.08.1903 28.02.1903 30.06.1921 31.08.1935 10.03.1904 29.11.1909 30.04.1902 31.07.1904 14.08.1905 15.02.1915 31.08.1911 30.04.1904 22.05.1903 31.07.1906 15.08.1903 31.08.1924 24.02.1900 31.05.1915

269

Gustav Mahlers Dirigate an der Wiener Hofoper

Theodor Schütz Johannes Sembach Leo Slezak Julius Spielmann Gerhard Stehmann August Stoll Friedrich Weidemann Hermann Winkelmann Wilhelm Wissiak Dr. Konrad von Zawilowski

15.08.1907 01.10.1904 15.09.1901 01.08.1898 16.09.1899 20.10.1884 01.09.1903 01.06.1883 01.01.1905 01.05.1904

– – – – – – – – – –

14.08.1908 31.07.1907 31.08.1912 28.02.1899 06.07.1926 12.07.1918 30.01.1919 31.05.1906 15.02.1908 30.04.1907

Die Finanzen der Wiener Hofoper 1903 bis 1908 Jahr 1903

Präliminare Abschluß

1904

Präliminare Abschluß

1905

Präliminare Abschluß

1906

Präliminare Abschluß

1907

Präliminare Abschluß

1908

Präliminare Abschluß

Genehm. Defizit.

Einnahmen

Ausgaben

2.758.000,–

2.970.000,–

212.000,–

2.861.974,61

3.126.725,43

264.750,82

2.830.100,–

3.016.500,–

186.400,–

2.891.571,65

3.041.028,10

149.456,45

2.911.200,–

3.081.300,–

170.100,–

2.857.493,88

3.286.024,72

428.530,84

2.928.800,–

3.128.800,–

200.000,–

2.991.496,04

3.200.730,75

209.234,71

3.092.900,–

3.296.300,–

203.400,–

3.020.437,54

3.471.171,16

450.733,62

3.093.300,–

3.321.700,–

228.400,–

3.112.406,36

3.477.475,06

365.068,70

Über-/Unterschreitung +52.750,82 – 36.943,55 +258.430,84 + 9.234,71 +247.333,62 +136.668,70

SIGLENVERZEICHNIS AME

Alma Mahler, Erinnerungen an Gustav Mahler. S. Fischer Verlag, Fischer Taschenbuch Verlag Bd. 1680, Frankfurt am Main 1991 AMML Alma Mahler-Werfel, Mein Leben. S. Fischer Verlag, Fischer Taschenbuch Verlag Bd. 545, Frankfurt am Main 1963 BWTV Bruno Walter, Thema und Variationen. Erinnerungen und Gedanken. New York 1947, zitiert nach  : Ausgabe Frankfurt 1960 GMAM Henry-Louis de La Grange und Günther Weiß (Hg.), „Ein Glück ohne Ruh“. Die Briefe Gustav Mahlers an Alma. Siedler Verlag, Berlin 1995 GMAvM Franz Willnauer (Hg.), Gustav Mahler „Mein lieber Trotzkopf, meine süße Mohnblume  !“ Briefe an Anna von Mildenburg, Paul Zsolnay Verlag, Wien 2006 GMB Herta Blaukopf (Hg.), Gustav Mahler Briefe. Paul Zsolnay Verlag, Wien 1996 GMKB Franz Willnauer (Hg.), Gustav Mahler „Verehrter Herr College  !“ Briefe an Komponisten, Dirigenten, Intendanten, Paul Zsolnay Verlag, Wien 2010 GMNUB Franz Willnauer (Hg.), „In Eile – wie immer  !“ Neue Unbekannte Briefe, Paul Zsolnay Verlag, Wien 2016 GMRP Andreas Michalek (Hg.), „schreiben Sie Mahler keine dummen Briefe“. Gustav Mahler und Rosa Papier. Bibliothek der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft. Universal Edition, Wien o. J. [2014] GMRS Herta Blaukopf (Hg.), Gustav Mahler/Richard Strauss, Briefwechsel 1888–1911. Erweiterte Neuausgabe. Piper Verlag, München/Zürich 1988 HHStA Haus-, Hof- und Staatsarchiv (jetzt  : Staatsarchiv) Wien HKBGM Herta und Kurt Blaukopf (Hg.), Gustav Mahler. Leben und Werk in Zeugnissen der Zeit. Verlag Gerd Hatje, Stuttgart 1994 HLG 1/2/3/4 Henry-Louis de La Grange, Mahler, vol. 1, Doubleday, Garden City New York 1973  ; dass., vol. 2, Oxford University Press, Oxford New York 1995 ibid.; dass., vol. 3, 1999 ibid.; dass., vol. 4, 2008 KBGM Kurt Blaukopf, Gustav Mahler oder Der Zeitgenosse der Zukunft. Wien/München/Zürich 1969 KBMD Kurt Blaukopf, Mahler – Sein Leben, sein Werk und seine Welt in zeitgenössischen Bildern und Texten, Wien 1976 LKBG Ludwig Karpath, Begegnung mit dem Genius. Wien 1934

Siglenverzeichnis

NBL ÖNB MS

271

Herbert Killian (Hg.), Gustav Mahler in den Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner. Verlag der Musikalienhandlung Karl Dieter Wagner, Hamburg 1984 Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung

ANMERKUNGEN Die Wiener Oper vor Mahler 1 Alois Przistaupinski (Hg.), 50 Jahre Wiener Operntheater, Wien 1919, S. 42 f. 2 Zitiert nach  : Heinrich Kralik, Die Wiener Oper, Wien 1962, S. 51. 3 Richard Perger, Geschichte der k. k. Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, 1. Abteilung  : 1812–1870. Wien 1912, S. 96. 4 a. a. O., S. 90. 5 a. a. O., S. 96. 6 Ebda. 7 a. a. O., S. 100. 8 wie Anm. 2. 9 Heinz Kindermann, Theatergeschichte Europas, VIII. Band, 1. Teil, Salzburg 1968, S. 247 f. 10 Franz Farga, Die Wiener Oper von ihren Anfängen bis 1938, Wien 1947, S. 247. 11 a. a. O., S. 265. 12 wie Anm. 2, S. 64. 13 Ebda., S. 66. Die Geschichte, wie man Direktor wird 1 KBGM, S. 151f. 2 Brief an Fritz Löhr, Hamburg, Ende 1894 oder Jänner 1895, GMB, Brief 135. 3 Karl Schumann, Das kleine Gustav-Mahler-Buch, Salzburg 1972, S. 59. 4 Reichspost, 14. April 1897, S. 7. 5 LKBG, S. 29. 6 GMRP, Brief 8. 7 HHStA, Hofoper, Akten General-Intendanz, Z. 211/1897. 8 GMB, Brief 229. 9 Ebda. 10 Wiener Abendpost, 8. April 1897, S. 6. 11 LKBG, S. 154 f. 12 Wie Anm. 6, Brief 6. 13 Wie Anm. 7. 14 Ebda. 15 Ebda. 16 Breslauer Zeitung, „Wiener Brief“, 16. Mai 1897, S. 7. 17 GMB, Brief 236. 18 GMAvM, Briefe 146, 149 und 150. 19 Brief an Camilla von Stefanovic-Vilovsky, Hamburg, 25. April 1897, GMB, Brief 238. 20 Wie Anm. 17.

Anmerkungen

273

Ein Manager betritt die Bühne 1 Hugo v. Hofmannsthal, Gustav Mahler, in  : Prosa II, Frankfurt/Main 1951, S. 416. 2 Franz Willnauer, Musikmanagement, in  : Kulturmanagement. Theorie und Praxis einer professionellen Kunst, hg. von Hermann Rauhe und Christine Demmer. Berlin/New York 1994, S. 223. 3 Karl Kraus, „Wiener Brief“, in  : Breslauer Zeitung, 16. Mai 1897, S. 7 4 Wiener Sonn- und Montagszeitung, 8. November 1897, S. 2f. 5 Illustrirtes Wiener Extrablatt, 9. September 1903, S. 6. 6 GMAM, Brief 40. 7 Fremden-Blatt, 6. September 1903, S. 7. Der Operndirektor und sein Spielplan 1 NBL, S. 101 f. 2 Zitiert nach  : LKBG, S. 37. 3 Herta Blaukopf, Die Neuinszenierung von „Don Giovanni“, in  : Traum und Wirklichkeit – Wien 1870–1930. Ausstellungskatalog, Wien 1985, S. 184. 4 Zitiert nach  : Ernst Jokl, Gustav Mahler in Amerika, in  : Gustav Mahler Sonderheft der »Musikblätter des Anbruch«, 2. Jg., Nr. 7–8, Wien, 1. und 2. April-Heft 1920, S. 289. 5 Paul Stefan, Gustav Mahler. Eine Studie über Persönlichkeit und Werk. München 1910, S. 60. Die drei Perioden der Ära Mahler 1 Max Graf, Hofoperntheater. Sonderdruck aus  : Deutsche Thalia, Wien und Leipzig 1902, S. 5 f. 2 NBL, S. 181. 3 Ingeborg Birkin-Feichtinger, Gustav Mahler und das Ballett »Die Göttin Diana« von Eduard Lassen, in  : Nachrichten zur Mahler-Forschung, Heft 69, Oktober 2015, S. 35 ff. 4 Ludwig Karpath, Mahler und das Ballett, in  : Bühne und Welt, Berlin, 1. Februar 1904. 5 GMRS, Brief St 4. 6 GMRS, Brief M 28. 7 Bertha Zuckerkandl, Österreich intim. Erinnerungen 1892–1942, hg. von Reinhard Federmann. Wien 1970, S. 42 f. 8 Richard Wallaschek, Zehn Jahre Mahler, in  : Die Zeit. Wien, 13. Jänner 1907, S. 3. 9 Ludwig Karpath, Gustav Mahler und die Wiener Hofoper, in  : Bühne und Welt, Nr. 17. Berlin, 1. Juni 1904, S. 708 f. 10 Ebda. 11 GMRS, Brief M 40. 12 Richard Specht, Gustav Mahler. Berlin und Leipzig 1913, S. 45. 13 Illustrirtes Wiener Extrablatt, 22. Februar 1903, S. 5. 14 Herta Blaukopf, Gustav Mahler, Komponist und Operndirektor, in  : Traum und Wirklichkeit – Wien 1870– 1930. Ausstellungskatalog, Wien 1985, S. 165. 15 Wiener Allgemeine Zeitung, 12. März 1904, S. 3. 16 Wie Anm. 9, S. 710. 17 Wie Anm. 8, S. 1.

274

Anmerkungen

18 Edgar Istel, Erinnerungen an Gustav Mahler, in  : Neue Musik-Zeitung, 38. Jg., Nr. 6, Stuttgart 1917, S. 68 f. 19 Neues Wiener Tagblatt, 5. Juni 1907, S. 10. 20 Hermann Bahr, Alfred Rollers Dekorationen, in  : Buch der Jugend, Wien 1908, S. 19. 21 Brief an Julius v. Weis-Ostborn, GMB, Brief 370. „Handwerk mit Genie“ 1 Heinrich Kralik, Die Wiener Oper, Wien 1962, S. 68. 2 BWTV, S. 187. 3 Izor Béldi, Operaházi reminiszcenciák (Erinnerungen an das Opernhaus), in  : Pesti Hírlap, Budapest, 22. Juli 1921. 4 Zitiert nach  : Arnold Schönberg, Mahler. Rede am 21. März 1912 in Prag, hg. von Sabine Groenewold. Hamburg 1993, S. 37. 5 Alfred Roller, Mahler und die Inszenierung, in  : Gustav Mahler Sonderheftt der »Musikblätter des Anbruch«, 2. Jg., Heft 7/8, Wien, 1. und 2. April-Heft 1920, S. 274 6 Anna von Mildenburg, Meine ersten Proben mit Gustav Mahler, in  : Erinnerungen, Wien/Berlin 1921, S. 11. 7 a. a. O., S. 14. 8 Hermann Bahr, Mahler als Direktor, in  : wie Anm. 5, S. 275. 9 GMB, Brief 231. 10 Wie Anm. 5, S. 273. 11 Wolfgang Schreiber, Gustav Mahler in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1971, S. 91. 12 Wie Anm. 5, S. 275. 13 Vgl. Stephan Stompor, Gustav Mahler als Dirigent und Regisseur, in  : Jahrbuch der Komischen Oper VIII, Spielzeit 1967/68, Berlin 1968. 14 Zitiert nach  : wie Anm. 5, S. 274. 15 Marie Gutheil-Schoder, Mahler bei der Arbeit, in  : Der Merker, Wien 1912, S. 165. 16 Wie Anm. 13, S. 111. Das Ensemble und sein Direktor 1 Clemens Höslinger, „Spannen Sie den Bogen nicht zu straff  !“ Gustav Mahlers Korrespondenz mit Theodor Reichmann, in  : Michael Jahn (Hg.), Svanholm war wieder himmlisch (Schriften zur Wiener Opern­ geschichte 5), Wien 2008, S. 65 f. 2 Heinrich Kralik, Die Wiener Oper, Wien 1960, S. 63. 3 Franz Farga, Die Wiener Oper von ihren Anfängen bis 1938, Wien 1947, S. 265. 4 Brief an Eduard Wlassack, 3. Juli 1897, ÖNB MS, Sign.: Mus. Hs. 41.422/1  ; veröffentlicht in  : GMKB, Brief 110. 5 Brief an Eduard Wlassack, ca. 20. September 1897, ÖNB MS, Sign.: Mus. Hs. 41.422/3  ; veröffentlicht in  : GMKB, Brief 114. 6 Ebda. 7 Vgl. dazu  : Franz Willnauer (Hg.), „Mein lieber Trotzkopf, meine süße Mohnblume“, Gustav Mahler, Briefe an Anna von Mildenburg. Wien 2006, Nachwort, S. 419 ff. 8 Jens Malte Fischer, Gustav Mahler. Der fremde Vertraute. Wien 2003, S. 377. 9 Wie Anm. 1, S. 66. 10 Wie Anm. 8, S. 571.

Anmerkungen

275

11 Selma Kurz, Mein Entdecker, in  : Moderne Welt, 3. Jg., H. 7, 1921, S. 15. 12 Marie Gutheil-Schoder, Erlebtes und Erstrebtes, Wien/Leipzig 1937. 13 Dies., Mahlers Opernregie, in  : Paul Stefan (Hg.), Gustav Mahler. Ein Bild seiner Persönlichkeit in Widmungen, München 1910. 14 Dies., Mahleriana, in  : Moderne Welt, 3. Jg, H. 7, 1921, S. 14 f. 15 Lucie Weidt, Mein Direktor, in  : Illustrirtes Wiener Extrablatt, Abend-Ausgabe, 19. Mai 1911, S. 3. 16 Stephan Stompor, Gustav Mahler als Dirigent und Regisseur, a. a. O., S. 126. 17 Felix Salten, Geister der Zeit. Erlebnisse, Berlin/Wien/Leipzig 1924, S. 69 f. 18 Wie Anm. 1, S. 68. 19 Eine Unterredung mit Gustav Mahler, in  : Neues Wiener Tagblatt, 5. Juni 1907, S. 10. 20 Richard Specht, Gustav Mahler, Berlin 1913, S. 103. 21 LKBG, S. 93. 22 Zitiert nach  : Otto Brusatti, Die Autobiographische Skizze Franz Schmidts, in  : Otto Brusatti (Hg.), Studien zu Franz Schmidt, Bd. I, Wien 1976, S. 26. 23 Deutsche Zeitung, 17. Jänner 1899, S. 10. 24 Österreichisches Theatermuseum, Archiv, Inv..Nr. HS_AM47460Ro  ; veröffentlicht in  : GMKB, Brief 203. Mahler als Mozart-Interpret 1 2 3 4 5 6 7 8

Quelle nicht ermittelt. GMB, Brief 20. NBL, S. 200. NBL, S. 146. BWTV, S. 187 f. Neues Wiener Tagblatt, 29. August 1900, S. 6. Zitiert nach: Alfred Roller, Mahler und die Inszenierung, a. a. O., S. 274. Marie Gutheil-Schoder in einem Vortrag „Rolle und Gestaltung“ Wien 1935, zitiert nach  : Stephan Stompor, a. a. O., S. 128. 9 Dies., Mahlers Opernregie, in  : Gustav Mahler – Ein Bild seiner Persönlichkeit in Widmungen. München 1934, S. 34 f. Einsatz für die Zeitgenossen

1 Hermann Bahr, Zur Kritik der Moderne. Zürich 1890. 2 Franz Grasberger, Richard Strauss und die Wiener Oper. Tutzing 1969, S. 170. 3 Ebda. 4 Zitiert nach  : Ebda., S. 176. 5 Zitiert nach  : Ebda., S. 178. 6 Eingabe an den „Obersthofmeister“, HHStA, Hofoper, Akten General-Intendanz, Z. 568/III/1899. 7 Hans Pfitzner, Werk und Wiedergabe, Augsburg 1929, S. 239 f. 8 AME, S. 110. 9 GMAM, Brief 30. 10 Marcel Prawy, Die Wiener Oper. Wien/Zürich/München 1969, zitiert nach der Taschenbuch-Ausgabe München 1980, S. 184. 11 GMKB, Brief 187.

276

Anmerkungen

12 Wilhelm Raupp, Max von Schillings. Der Kampf eines deutschen Künstlers. Hamburg 1935, S. 104 ff. 13 GMB, Brief 169. 14 Otto Brusatti, Die Autobiographische Skizze Franz Schmidts, in  : Studien zu Franz Schmidt I. Wien 1976, S. 24 ff. 15 Brief Hugo von Hofmannsthals an Alexander Zemlinsky, Rodaun, 18. September 1904. Freies Deutsches Hochstift, Frankfurt, Handschriftenabteilung, Nachlass Hofmannsthal  ; veröffentlicht in  : Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. Februar 1974, Beilage „Bilder und Zeiten“, S. 2. 16 Antony Beaumont, Alexander Zemlinsky  : Der Triumph der Zeit – Drei Ballettstücke – Ein Tanzpoem, in  : Stefan G. Harpner und Birgit Gotzes (Hg.), Über Musiktheater. Eine Festschrift. München 1992, S. 13ff. Vom Regietheater zur Opernreform 1 2 3 4

Heinrich Schenker, Capellmeister-Regisseure, in  : Neue Revue, 8. Jahrgang, Band 1, 28. Mai 1897, S. 672. Neue Revue, Heft 1/1893, Wien Januar-Heft 1893, S. 7. Stephan Stompor, Gustav Mahler als Dirigent und Regisseur, a. a. O., S. 113. Die in der Mahler-Literatur angegebene Quelle für dieses Zitat ist nicht richtig, Das »Illustrirte Wiener Extrablatt« vom 19. März 1904 enthält kein Mahler-Interview. Tatsächliche Quelle nicht ermittelt. 5 Eingabe an den „Obersthofmeister“, HHStA, Hofoper, Akten General-Intendanz, Z. 568 III/1899. 6 Mahler Handbuch, hg. von Bernd Sponheuer und Wolfram Steinbeck, Verlag J. B. Metzler, Stuttgart/Weimar 2010. 7 Die Musik und die Inscenierung, München 1899, S. 21. Neue Szene  : Alfred Roller

1 Robert Waissenberger, Die „heroischen Jahre“ der Secession, in  : Traum und Wirklichkeit – Wien 1870–1930, Katalog der 93. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, 1985, S. 464. 2 In  : Die Zeit, 29. Mai 1897, S. 139. 3 Ludwig Hevesi, Die Wiener „Sezession“, in  : Fremden-Blatt, 27. März 1897  ; später in Buchform veröffentlicht  : Ludwig Hevesi, Acht Jahre Secession. Kritik – Polemik – Chronik. Wien 1906, S. 2. 4 Ebda., S. 3. 5 Ders., Sezession. Beethoven-Ausstellung, in  : Fremden-Blatt, 18. April 1902  ; zitiert nach  : Wie Anm. 3, S. 392. 6 Ebda. 7 Max Mell, Alfred Roller, Wien/Leipzig 1922, S. 19. 8 Hier irrt G.: Franz Gaul, 37 Jahre lang Leiter des Ausstattungswesens der Wiener Hofoper, wurde im April 1900 auf Mahlers Betreiben „sehr gegen seinen Willen“ in den Ruhestand versetzt..Er starb am 3. Juli 1906. 9 Wolfgang Greisenegger, Alfred Roller  : Neubedeutung des szenischen Raumes, in  : Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae 31, Budapest 1989, S. 271 ff. 10 Alfred Roller, Bühnenreform  ?, in  : Der Merker 1. Jg., Heft 5, 10.12.1909, S. 193–197  ; ders., Mahler und die Opern-Inszenierung, in  : Gustav Mahler. Ein Bild seiner Persönlichkeit in Widmungen. München 1910  ; ders.: Mahler und die Inszenierung, in  : Der Anbruch, Sonderheft Gustav Mahler, 2. Jg., Nr. 7–8, 1. und 2. April-Heft 1920  ; dass. In  : Moderne Welt, Gustav Mahler-Heft, III. Jahrgang 1921/22, Heft 7. 11 Alfred Roller, Mahler und die Inszenierung, in  : Moderne Welt, wie Anm. 10, S. 5. 12 Ebda.

Anmerkungen

277

13 Neue Freie Presse, 20. März 1907, S. 2. 14 Adolphe Appia, Darsteller – Raum – Licht. Katalog der Ausstellung des Österreichischen Theatermuseums, hg. von Pro Helvetia, Zürich 1979. 15 Zitiert nach  : Heinz Kindermann, Theatergeschichte Europas, VIII. Bd., 1. Teil, Salzburg 1968, S. 249. 16 Alfred Roller, Von den Ritterstiebeln zum zeitlosen Kostüm. Interview zum 70. Geburtstag, in  : Der Wiener Tag, 3. Oktober 1934, S. 6. 17 Alfred Roller, Bühnenreform  ? In  : Der Merker, 1. Jg., Heft 5, 10.12.1909, S. 195. 18 Lisa Kitzwegerer, Alfred Roller als Bühnenbildner, phil. Diss., Wien 1959, S. 43. 19 Ebda., S. 24. 20 Wie Anm. 16. 21 Wie Anm. 17. Das Kapitel Wiener Philharmoniker 1 Max Graf, Erlebnisse mit Gustav Mahler, in  : Die Wiener Oper, Wien/Frankfurt am Main 1955, S. 90. 2 Arnold Schönberg, Mahler. Rede am 25. März 1912 in Prag, hg. von Sabine Groenewold, Hamburg 1993, S. 37. 3 »Wo Musik ist, muss ein Dämon sein« – Mahler als Interpret  ; und  : Dazwischen nur einer  : Mahler und Beethoven, in  : Peter Gülke, Dirigenten. Hildesheim/Zürich/New York 2017. 4 Ebda., S. 37. 5 Clemens Hellsberg, Demokratie der Könige. Die Geschichte der Wiener Philharmoniker. Mainz/Zürich/ Wien 1992, S. 295. 6 NBL, S. 124. 7 Clemens Hellsberg, Mahler und die Wiener Philharmoniker, in  : Musikblätter der Wiener Philharmoniker, 40. Jg., Teil II, Folge 9 vom 10./13. Mai 1986, S. 217. 8 Wie Anm. 7, Teil I, Folge 8 vom 1./2. März 1986, S. 199. 9 LKBG, S. 69. 10 Wie Anm. 8. 11 Ebda., S. 199 f. 12 Ebda., S. 200. 13 Ebda. 14 Ebda. 15 Zitiert nach  : Wolfgang Schreiber, Gustav Mahler. Rororo Monographien Band 181. Rowohlts Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1971, S. 52. 16 Wie Anm. 7, S. 218 f. 17 Neue Freie Presse, 7. November 1898, S. 2. 18 Wie Anm. 7, Teil II, S. 217. 19 NBL, S. 128. 20 Neue Freie Presse, 11. Januar 1899, S. 7. 21 NBL, S. 129. 22 NBL, S. 144. 23 Wie Anm. 7, S. 218. 24 Ebda., S. 219 f. 25 Wie Anm. 7, Teil IV, Folge 11 vom 21./22. Juni 1986, S. 277. 26 Zitiert nach  : Knud Martner, Mahler’s Concerts. Kaplan Foundation. The Overlook Press, o. J. (2009), S. 148. 27 Ebda.

278

Anmerkungen

28 KBGM, S. 180 f. 29 Wie Anm. 5, S. 308. 30 Zitiert nach  : wie Anm. 7, Teil III, Folge 10 vom 7./8. Juni 1986, S. 247. 31 Ebda. 32 Ebda., S. 248. 33 Die Reichswehr, 2. April 1901, S. 7. 34 Zitiert nach. HKBGM, S. 148. 35 Heinrich Kralik, Das große Orchester. Die Wiener Philharmoniker und ihre Dirigenten. Wien 1952, S. 165. 36 Ebda., S. 163. 37 Jodok Freyenfels, Mahler und der „fesche Pepi“ – Eine Konfrontation und ihre Elemente, in  : Neue Zeitschrift für Musik, 132. Jg., Heft 4, April 1971, S. 181 f. 38 Wie Anm. 35, S. 161. 39 Zitiert nach  : HKBGM, S. 141. 40 Wie Anm. 25. 41 Neue Freie Presse, 25. November 1907, S. 10. 42 GMRS, Brief St 14, S. 88. 43 Neue musikalische Presse, Wien 1905, Nr. 3, S. 42. 44 Karl Schumann, Das kleine Gustav Mahler-Buch, Reinbek bei Hamburg 1982, S. 88. 45 Herta Blaukopf, Mahler und das Hofopernorchester, in  : Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae 31, Budapest 1989, S. 245 ff. 46 Zitiert nach  : Alexander Wunderer, Franz Schmidt, handschr. Manuskript, 1941 mit späteren Zusätzen. Franz Schmidt-Gesellschaft Wien, unveröffentlicht. 47 Wie Anm. 45. 48 Wie Anm. 5, S. 317. 49 Quelle nicht ermittelt. 50 Anna von Mildenburg, Meine ersten Proben mit Gustav Mahler, in  : Erinnerungen, Wien/Berlin 1921, S. 20. 51 Wie Anm. 45. 52 Wie Anm. 25, S. 278. 53 Ebda., S. 280. 54 Historisches Archiv der Wiener Philharmoniker, Br-M-03–009  ; zitiert nach  : wie Anm. 5, S. 319. Der Künstler und die Bürokratie 1 AMML, S. 40. 2 KBGM, S. 211. 3 Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, Hamburg 1952, zitiert nach  : Sonderausgabe, Hamburg 1970, S. 33. 4 Neue Freie Presse, 15. Februar 1898, S. 9. 5 HLG 2, S. 19  ; Übersetzung vom Autor. 6 Zitiert nach  : BWTV, S. 121. 7 Mahlers „Dienstes-Instruction“ ist dem Schriftwechsel der General-Intendanz angeschlossen, der unter HHStA, Hofoper, Akten General-Intendanz), Z. 1873/1898 und Z. 241/1899 registriert ist. 8 Wie Anm. 7. 9 Ebda. 10 Ebda. 11 Ebda.

Anmerkungen

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12 Ebda. 13 Der Schriftwechsel zur Disziplinar-Untersuchung eines Orchestermitglieds findet sich unter HHStA, Hofoper, Akten General-Intendanz, Z. 1868/1898 und Z. 679/1899. 14 Wie Anm. 13. 15 Ebda. 16 Ebda. 17 LKBG, S. 178. Der Hilferuf an den Fürsten 1 BWTV, S. 184. 2 Die „Eingabe“ Mahlers an den Ersten Obersthofmeister vom 24. April 1899 ist unter HHStA, Hofoper, Akten General-Intendanz, Z. 568 III/1899 registriert, der vorangegangene Notenwechsel zwischen Hofoperndirektor und Generalintendanz zur Kontroverse mit Albert Stritt und Francés Saville trägt die Ziffern Akten General-Intendanz Z. 1758/1898, Z. 248/1899 und Z. 568/1899. 3 Wie Anm. 2. 4 Wie Anm. 2. Zwischen „Präliminare“ und „Gebarungsabschluss“ 1 Der Notenwechsel zwischen Operndirektor, Generalintendant und Obersthofmeister über die Entwicklung des „Wirtschaftskörpers“ Wiener Hofoper ist in umfangreichen Akten der General-Indentanz (GI) und des Obersthofmeisteramtes (OMeA) dokumentiert, die das Haus-, Hof- und Staatsarchiv unter folgenden Registriernummern verwahrt (P = Präliminare, G = Gebarungsbericht, in späteren Jahren auch Rechnungsabschluss genannt)  : HHStA, Hofoper, Akten General-Intendanz bzw. Akten Obersthofmeisteramt P 1897  : GI Z. 92/1897, G 1897  : GI Z. 549/1897/98  ; P 1898  : OMeA 19A11/1898 und OMeA 19A17/1898, G 1898  : GI Z. 628/1898/99  ; P 1899  : GI Z. 1801/1898, G 1899  : GI Z. 795/1899/1900  ; P 1900  : GI Z. 49/1900, G 1900  : GI Z. 909/1901  ; P 1901  : GI Z. 40/1901, G 1901  : GI Z. 1136/1902  ; P 1902  : fehlt, G 1902  : GI Z. 1127/1903  ; P 1903  : GI Z. 2285/1902, G 1903  : GI Z. 1281/1904  ; P 1904  : fehlt, G 1904  : GI Z. 1901/1905 und GI Z. 1128/1905  ; P 1905  : GI Z. 4225/1904 und GI Z. 199/1905, G 1905  : GI Z. 346/1906  ; P 1906  : GI Z. 3130/1905 und GI Z. 755/1906, G 1906  : GI Z. 471/1907 und GI Z. 2081/1907  ; P 1907  : GI Z. 2835/1906 und GI Z. 746/1907, G 1907  : GI Z. 1176/1908 und GI Z. 3640/1908  ; P 1908  : GI Z. 3090/1907. 2 Franz Farga, Die Wiener Oper von ihren Anfängen bis 1938, Wien 1947, S. 287. 3 Theodor W. Adorno, Konzeption eines Wiener Operntheaters, in  : Studien zur Wertungsforschung, Heft 2, hg. von Harald Kaufmann, Graz 1969, S. 12. 4 BWTV, S. 188. Kampf mit der Zensur 1 AME, S. 111. 2 Ebda., S. 110 f. 3 Die in diesem Kapitel wiedergegebenen Briefe der beiden Komponisten sind zitiert nach  : Gustav Mahler/ Richard Strauss, Briefwechsel 1888–1911, hg. von Herta Blaukopf, München/Zürich 1980, S. 99 ff.

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Anmerkungen

4 Wie Anm. 3, Brief St 18, S. 99 f. 5 Ebda., Brief M 49, S. 101 f. 6 HHStA, Hofoper, Akten Oper, Z. 3286/1905. 7 HHStA, Hofoper, Akten Oper, Z. 3486/1905. 8 Wie Anm. 3, Brief M 50, S. 103. 9 Wie Anm. 3, S. 103f.. 10 Ebda., S. 186. 11 Ebda., S. 104. 12 Ebda., Brief St 19, S. 104. 13 Ebda., Brief M 51, S. 105 f. 14 Ebda., Brief M 52, S. 107. 15 Ebda., Brief M 53, S. 107 f. 16 Ebda., Brief St 20, S. 109 f. 17 GMNUB, S. 268. 18 GMNUB, Briefe an Schuch, Brief 13, S. 269 19 Wie Anm. 6. 20 Ebda. 21 Wie Anm. 3, Brief M 54, S. 110 f. 22 HHStA, Hofoper, Akten Oper, Z. 1208/1905. 23 Ebda. 24 GMAM, Brief 155. 25 Wie Anm. 3, Brief St 21, S. 111 f. 26 KBMD, S. 246. 27 Wie Anm. 3, Brief St 22, S. 112 f. 28 Ebda., Brief M 55, S. 113 f. 29 NFP, 17. Mai 1906, S. 11. 30 Wie Anm. 3, Brief M 57, S. 116. 31 Ebda., Brief St 24, S. 117 f. 32 Ebda., Brief St 25, S. 118 f. 33 Ebda., Brief M 58, S. 119 f. 34 Ebda., Brief M 59, S. 120 f. 35 Richard Specht, Gustav Mahler, Berlin/Leipzig 1913, S. 152. 36 Zitiert nach  : KBGM, S. 232. 37 Die Zeit, 13. Januar 1907, S. 2. 38 Ebda. In den Mühlen der Presse 1 AME, S. 67. 2 BWTV, S. 188 f. 3 Elisabeth Desirée Schuschitz, Die Wiener Musikkritik in der Ära Gustav Mahler. Eine historisch-kritische Standortbestimmung. Dissertation, Universität Wien 1978. 4 Kurt Paupié, Handbuch der österreichischen Pressegeschichte 1848–1959, Band I. Braumüller-Verlag, Wien/ Stuttgart 1960, S. 26. 5 Die Zeit, 13. Jänner 1897, S. 3. 6 Neues Wiener Tagblatt, 9. April 1906, S. 9 (Nachruf ).

Anmerkungen

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7 a. a. O. 8 Vgl. Michael John, Vielfalt und Heterogenität. Zur Migration nach Wien um 1900, in  : Elisabeth Röhrlich (Hg.), Migration und Innovation  : Neue Perspektiven auf die Wiener Jahrhundertwende. Wien 2016, S. 23 ff. 9 Judith Fritz, Der christlichsoziale Antisemitismus Karl Luegers. https://ww1.habsburger.net/de/kapitel/wereinjudistdasbestimmeich (letzter Zugriff  : 19.12.2022). 10 Franz Herre, Jahrhundertwende 1900. Untergangsstimmung und Fortschrittsglauben. Stuttgart 1998, S. 204. 11 Deutsches Volksblatt, 6. Dezember 1905, S. 6, zitiert nach  : John W. Boyer, Karl Lueger (1844–1910). Christlichsoziale Politik als Beruf. Wien/Köln/Weimar 2010, S. 270. 12 In  : Nachrichten zur Mahler-Forschung, Heft 74, Dezember 2020, S. 50 ff. 13 Deutsches Volksblatt, 5. Oktober 1897, S. 7. 14 Arbeiter-Zeitung, 25. Jänner 1898, S. 6. 15 Neues Wiener Journal, 17. Oktober 1897, S. 9. 16 Wie Anm. 3, S. 58. 17 Neues Wiener Tagblatt, 23. September 1898, S. 7. 18 Neues Wiener Journal, 23. September 1898, S. 6. 19 Wiener Allgemeine Zeitung, 28. September 1898, S. 4. 20 Arbeiter-Zeitung, 27. September 1898, S. 6. 21 Deutsche Zeitung, 17. Jänner 1899, S. 10. 22 Clemens Höslinger, „Spannen Sie den Bogen nicht zu straff  !“ Gustav Mahlers Korrespondenz mit Theodor Reichmann, in  : „Svanholm war wieder himmlisch“. Schriften zur Wiener Operngeschichte 5, Wien 2008, S. 66. 23 Neues Wiener Journal, 26. November 1903, S. 8. 24 GMAM, S. 301. 25 Deutsches Volksblatt, 1. Januar 1907, S. 1–3. 26 Neues Wiener Journal, 12. Jänner 1907, S. 9. 27 Neues Wiener Journal, 14. Jänner 1907, S. 5. 28 Neues Wiener Journal, 15. Jänner 1907, S. 9. 29 Alle Zitate  : Neues Wiener Journal, 20. Jänner 1907, S. 11. 30 Deutsche Zeitung, 3. April 1907, S. 7. 31 Deutsche Zeitung, 2. Juni 1907, S. 8. 32 Arbeiter-Zeitung, 18. Jänner 1907, S. 9. 33 Wiener Abendpost, 6. Februar 1907, S. 1 f. 34 Wiener Allgemeine Zeitung, 5. Februar 1907, S. 2 f. 35 Alle Zitate  : Neues Wiener Journal, 28. April 1907, S. 14. 36 Neue Freie Presse, 4. Juni 1907, S. 1. 37 GMB, Brief 371. Eine Demission und ihre Gründe 1 GMRS, Brief M 40, S. 78. 2 Richard Strauss, Späte Aufzeichnungen, hg. von Marion Beyer, Jürgen May und Walter Werbeck. Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft, Band 21. Mainz 2016, Heft G5.1, S. 331. 3 Karl Schumann, Das kleine Gustav Mahler Buch, Wien 1972, S. 77. 4 HHStA, Hofoper, Akten General-Intendanz, Z. 19A42/1907. 5 Ebda.

282

Anmerkungen

6 Bernard Scharlitt, Gespräch mit Mahler, in  : Gustav Mahler, Sonderheft des „Anbruch“, Heft 7–8, 1920, S. 309 f. 7 Wie Anm. 4. 8 Zitiert nach  : GMKB, Brief 203. Statistiken 1 Die Jahreszahl gibt an, wie lange das Werk in der Ära Mahler auf dem Spielplan stand. 2 Bereits am 14.04.1901 wurde in einem „Théâtre paré“ anlässlich der Anwesenheit des deutschen Kronprinzen der 1. Akt als NI herausgebracht, gekoppelt mit dem Ballett »Die Braut von Korea« und einem BallettDivertissement. Die komplette Neuinszenierung erfolgte am 29.04.1901. 3 Bereits am 28.04.1903 wurde bei einem „Théâtre paré“ das 1. und 2. Bild des Balletts erstmals aufgeführt (ergänzt von der Ouvertüre zur Oper »Die lustigen Weiber von Windsor« und dem 2. Akt aus »Aida« (ML  : Gustav Mahler). 4 Die ersten drei Premieren der Spielzeit 1907/08 fielen zwar in die Zeit nach Mahlers Abschied von der Wiener Hofoper (die letzte von ihm dirigierte Vorstellung  : »Fidelio« am 15. Oktober 1907), standen jedoch fraglos unter Mahlers künstlerischer Verantwortung. In dem vom Kaiser am 5. Oktober 1907 genehmigten Enthebungsdekret ist geregelt, dass Mahler die Direktionsgeschäfte bis zum Amtsantritt seines Nachfolgers Felix von Weingartner am 1. Jänner 1908 führt. Am 7. Dezember schrieb er seinen Abschiedsbrief an die Mitglieder der Hofoper, am 9. Dezember verließ Mahler Wien endgültig.

PERSONENREGISTER Abendroth, Irene 88 Adorno, Theodor W. 184 Aischylos 128 d’Albert, Eugen 42, 61, 63, 115, 189, 219 Alfons XIII. von Spanien, König 44 Alt, Rudolf von 120 Andersen, Hans Christian 114 Appia, Adolphe 118, 125f. Apponyi, Albert Graf 19, 21 Auber, Daniel François Esprit 14, 45, 46, 63 Bach, David Josef 212, 222, 225 Bach, Johann Sebastian Bahr, Hermann 61, 75, 103, 116, 120, 212, 214 Bahr-Mildenburg, Anna, s. Mildenburg, Anna von Baselitz, Georg 125 Bauer-Lechner, Natalie 39, 50, 117, 131, 137, 139, 146 Bayer, Josef 49, 51 Beaumont, Antony 115 Beeth, Lola 80, 82 Beethoven, Ludwig van 47, 61, 73, 76, 121f., 123, 125, 129, 136, 139, 141ff., 145, 146, 148, 149, 219 Béldi, Izor 73 Benedikt, Moritz 226 Beniczky, Ferenc von 21 Bennier, Richard 91f. Berg, Alban 206 Bergheim, Gaigg von 212, 217 Berliner, Arnold 23f., 223 Berlioz, Hector 46, 148, 220 Bernatzik, Wilhelm 120 Bezecny, Josef von 21f., 35, 163f. Bianchi, Bianca 80 Bie, Oskar 111 Bienenfeld, Elsa 213 Birkin-Feichtinger, Ingeborg 51 Birrenkoven, Wilhelm 20, 81 Bittner, Julius 63, 107, 112 Bizet, Georges 16, 45, 48, 51, 58, 146, 217 Bland, Elsa 85, 196 Blaukopf, Herta 44, 57, 89, 151f., 195f. Blaukopf, Kurt 19, 76, 106, 141, 151, 162, 209

Blech, Leo 61, 110, 129, 189, 219 Böhm, Karl 90 Boieldieu, François Adrien 46 Boulez, Pierre 129 Brahms, Johannes 19, 21, 129, 146, 213 Braque, Georges 125 Braun, Rudolf 63 Brecher, Gustav 45, 56 Brecht, Bertolt 94 Breuer, Hans 83 Brioschi, Antonio 94, 119, 123 Bruckner, Anton 40, 129, 144, 146f., 148, 213 Brüll, Ignaz 63, 107 Bülow, Hans von 129, 134 Burckhard, Max 165 Burrian, Carl (= Burian, Karel) 205 Busoni, Ferruccio 113, 146 Cahier, Mme. (Sara) Charles 86, 88 Caruso, Enrico 192 Charpentier, Gustave 51, 104, 110, 219 Chopin, Frederic 53 Conried, Heinrich 225 Craig, Edward Gordon 118, 125f. Debussy, Claude 105f. Delibes, Leo 16, 53, 61, 63, 110 Demuth, Leopold 81, 83, 196 Devrient, Eduard 56 Dickens, Charles 107 Dingelstedt, Franz von 13ff., 61 Dippel, Andreas 17, 82 Donizetti, Gaetano 45, 59, 220 Doppler, Franz 51 Dvořák, Antonfn 18, 53, 141, 146 Dyck, Ernest van 17, 36, 80, 82, 87, 218 Ehrenstein, Louise von 17 Ellenson, Hans 223 Engelhart, Josef 120 Erlanger, Camille 63, 110 Farga, Franz 16, 17, 80, 183

284

Personenregister

Felsenstein, Walter 78, 94 Fischer, Jens Malte 83, 118 Flotow, Friedrich von 56 Förstel, Gertrude 83 Foerster, Josef 83 Foerster-Lauterer, Berta (Bertha) 83, 86 Forster, Ellen 17, 87, 218 Forster, Josef 51, 107f. Franck, César 146 Franz Joseph I., Kaiser von Österreich 35, 133, 162f., 165, 181, 198, 215f., 225f., 227 Freud, Sigmund 75 Fried, Oscar 204 Friedberg, Carl 146 Fritz, Judith 215 Fuchs, Johann Nepomuk 46, 50 Fürstner, Adolph 195f., 207 Furtwängler, Wilhelm 145 Gaul, Franz 123 Georg von Sachsen, König 186 Giordano, Umberto 42, 49 Glanz, Christian 216 Gluck, Christoph Willibald 16, 47, 61f., 73, 118, 119, 123, 124f., 191 Goethe, Johann Wolfgang von 128 Goetz, Hermann 62, 110, 123 Goldmark, Karl 49, 56, 63, 107, 111 Gounod, Charles 14, 46 Graf, Max 49, 130, 213, 218, 226 Grasberger, Franz 105 Grau, Maurice 82 Gregor, Hans 38, 105f., 127 Greisenegger, Wolfgang 122 Grengg, Karl 17 Griepenkerl, Christian 121 Grillparzer, Franz 75 Gülke, Peter 130 Gutheil-Schoder, Marie 47, 49, 78, 82, 84f., 93, 185, 200 Hanslick, Eduard 14, 21, 116, 135, 212f. Halévy, Jacques 46, 219 Harnoncourt, Nikolaus 142 Haßreiter, Josef 51, 219 Haydn, Joseph 51, 185

Hebbel, Friedrich 111 Hellmesberger jr., Joseph 17, 50, 51, 58, 87, 140, 145, 148, 218 Hellmesberger sen., Joseph 14 Hellsberg, Clemens 131–135, 137, 139, 143, 151f. Helm, Theodor 212 Herbeck, Johann 14ff. Herre, Franz 215 Hertzka, Theodor 212 Herzl, Theodor 214 Hesch, Wilhelm (= Heš, Vilém) 17, 83, 86, 88 Heuberger, Richard 213 Hevesi, Ludwig 120, 122 Hilgermann, Laura 82 Hirschfeld, Robert 34, 42, 58, 87, 92, 212, 222 Hockney, David 125 Hoelzel, Adolf 121 Höslinger, Clemens 80, 83, 85, 110, 218 Hoffmann, Josef 94, 120 Hofmannsthal, Hugo von 33, 53, 114f., 116, 119, 128, 214 Holzer, Rudolf 63 Hugo, Victor 112 Humperdinck, Engelbert 106, 147 Immermann, Karl Leberecht 61 Istel, Edgar 60 Jahn, Wilhelm 17f., 20ff., 34, 46, 55, 80, 82f., 84, 86, 107, 147, 164f., 172, 218 Janáček, Leoš 105, 110f. Jauner, Franz von 16 Jeritza, Maria 107 Jettel von Ettenach, Emil 196, 198, 203 Joachim, Joseph 146 Jokl, Ernst 45 Kalbeck, Max 91, 93, 212f.,217 Kanner, Heinrich 214 Karajan, Herbert von 38 Karpath, Ludwig 22, 34, 51, 55, 59, 60, 76, 86, 91, 111, 132, 144, 168 Kaulich, Luise 17 Keyserling, Hermann Graf 126 Kienzl, Wilhelm 106f., 147 Kindermann, Heinz 15 Kipling, Rudyard 116

Personenregister Kitzwegerer, Lisa 127 Kiurina, Bertha 83 Klimt, Gustav 120ff., 123 Klinger, Max 121f., 125 Kohut, Ladislaus 138 Kokoschka, Oskar 125 Korngold, Julius 105, 124, 213, 223, 225 Kralik, Heinrich 15, 17f., 72, 80, 145, 148 Kraus, Ernst 82 Kraus, Karl 23, 34 Krauss, Clemens 127, 145 Krips, Josef 90 Kurz, Selma 82, 84, 88, 141, 195f., 218 Kurzweil, Max 121 de La Grange, Henry-Louis 164, 220 Lalo, Pierre 148 Lassen, Eduard 51 Lautenschläger, Carl 92 Lefler, Heinrich 123, 186 Léger, Fernand 125 Lehnert, Julius 53, 63 Leoncavallo, Ruggiero 18, 46, 48, 49, 59, 117, 179, 218 Lermontow, Michail Jurjewitsch 110 Levi, Hermann 56, 92, 129 Liechtenstein, Rudolf Fürst von und zu 85, 167, 171, 185, 224 Lipiner, Siegfried 19, 50, 141, 172 Lippowitz, Jakob 213 List, Wilhelm 121 Liszt, Franz 62, 106 Löhr, Fritz 20, 89 Löwe, Ferdinand 129, 133 Löwe, Theodor 206ff. Lortzing, Albert 16, 45, 48, 51, 73, 89, 185, 219, 220 Lueger, Karl 137, 215f. Mader, Raoul 51 Mahler, Alma 40, 50, 53, 109, 110, 122, 162, 194, 204, 211 Mahler, Justine 144 Mahler, Maria Anna 225 Maikl, Georg 83, 85 Makart, Hans 14 Maria Josepha, Erzherzogin 147 Mark, Paula 17

285

Marschalk, Max 113 Marschner, Heinrich 220 Martner, Knud 89 Mascagni, Pietro 18 Massenet, Jules 105 Materna, Amalia 16, 17, 80 Mell, Max 122 Mendelssohn Bartholdy, Felix 19, 138, 146 Meyerbeer, Giacomo 46, 107, 138, 219 Michalek, Margarete (Rita) 82 Mildenburg, Anna von 20, 24, 74, 75, 82, 84f., 88, 152, 185, 195f. Minkus, Ludwig 53, 63 Moholy-Nagy, László 125 Moll, Carl 50, 120ff. Montenuovo, Alfred Fürst 88, 162, 164, 167, 171, 190, 220, 223, 225f. Moser, Anton 150 Moser, Koloman 120 Mottl, Felix 20, 129, 138, 140 Mozart, Wolfgang Amadeus 13, 15, 34, 42ff., 47, 48, 51, 56, 58, 61, 62, 73, 78, 89–94, 123, 136, 141, 144, 148, 189ff., 213, 219, 226 Munch, Edvard 125 Muntz, Maximilian 212 Musil, Robert 75, 163 Muti, Riccardo 70 Myrbach, Felician von 121 Naval, Franz 223 Nedbal, Oskar 53 Neidl, Franz 17, 87 Nicolai, Otto 15, 45, 56, 133, 137, 141, 143, 146, 148, 149 Nikisch, Arthur 129 Nüll, Eduard van der 13 Oertel, Johannes 52 Offenbach, Jacques 46, 56 Olbrich, Joseph Maria 120 Orlik, Emil 121 Paalen, Bella 85 Papier, Rosa 17, 19ff. Paumgartner, Bernhard 19 Paumgartner, Hans 19 Paupié, Kurt 211

286

Personenregister

Peithner von Lichtenfels, Eduard 121, 123 Perosi, Lorenzo 147, 180 Pfitzner, Hans 47, 59, 62, 105, 108f., 189, 219 Picasso, Pablo 125 Plappart von Leenheer, August Freiherr 85, 162– 168, 169ff., 186, 203f., 218 Polgar, Alfred 212 Pollini, Bernhard 21, 23, 109 da Ponte, Lorenzo 44, 92 Possart, Ernst von 92 Prawy, Marcel 110 Pražák, Ottokar Baron 111 Przistaupinski, Alois 13 Puccini, Giacomo 42, 46f., 48, 59, 63, 104f., 110, 206, 218 Puchstein, Hans 212, 220 Rauch, Neo 125 Raupp, Wilhelm 111 Reichenberg, Franz von 17 Reichmann, Theodor 17, 80, 81, 83f., 86f., 88, 218, 223 Reinhardt, Heinrich 213, 221ff. Reinhardt, Max 94, 128 Reiter, Josef 51, 56, 107f. Renard, Marie 17, 80, 87, 218 Reznicek, Emil Nikolaus von 49, 110, 117 Richter, Hans 16ff., 20, 44, 50, 80, 83, 87, 90, 129f., 133ff., 138, 139f., 145, 152, 170, 186 Riesenfeld, Hugo 53 Ritter, Josef 83 Roller, Alfred 18, 43ff., 47, 50, 53, 54, 57, 61f., 63, 74, 76, 78, 89, 92ff., 110, 116, 118f., 120–128, 186, 206f., 219, 222 Rosé, Arnold 113, 149, 152 Rossini, Gioacchino 42,45, 62, 107 Rothschild, Albert Baron 148 Rubinstein, Anton 49, 77, 110, 138 Sachs, Hans 108 Saint-Saëns, Camille 63, 86 Salten, Felix 84, 212, 214 Saville, Francès 85, 170ff. Scaria, Emil 16, 17, 80 Schalk, Franz 42, 44, 46, 49, 54, 56, 62, 63, 105, 127, 129, 149, 186, 206 Scharlitt, Bernard 226

Scheerbart, Paul 52 Schenker, Heinrich 116 Scheu, Josef 212, 217 Schillings, Max von 59, 111f., 191 Schindler, Alma Maria, s. Mahler, Alma Schläger, Toni 17, 80 Schlemmer, Oskar 125 Schlesinger, Bruno Walter, s. Walter, Bruno Schmedes, Erik 82, 85, 88, 195f., 223 Schmidt, Franz 87, 105, 111ff., 151 Schoder, Marie, s. Gutheil-Schoder, Marie Schönaich, Gustav 59, 214, 217 Schönberg, Arnold 74, 75, 106f., 112, 130, 149f., 206, 213 Schönerer, Georg Ritter von 224 Schreiber, Wolfgang 76 Schreker, Franz 105, 112 Schrödter, Fritz 17, 83, 86, 88, 150, 223 Schubert, Franz 148 Schuch, Ernst von 20, 111, 129, 195, 201, 205 Schumann, Clara 146 Schumann, Karl 20, 151, 224 Schumann, Robert 16, 76, 136, 139 Schuschitz, Elisabeth Desirée 211f. Sedlmair, Sophie 17, 218 Sembach, Johannes 88 Shakespeare, William 62, 110, 128 Siccardsburg, August Siccard von 13 Simons, Rainer 107, 198f., 205f. Singer, Isidor 214 Sironi, Irene 51 Skofitz, Franz 51, 63 Slevogt, Max 125 Slezak, Leo 85, 88, 185, 195, 223 Smetana, Bedřich (Friedrich) 17f., 45, 48, 104, 179, 220 Soldat-Roeger, Marie 146 Sommer, Karl 17 Sophokles 128 Specht, Richard 41, 57, 85, 209, 212 Spetrino, Francesco 42, 59 Stefan, Paul 45 Stompor, Stephan 78, 117 Strauss, Richard 47, 52f., 56f., 62, 104ff., 108ff., 114f., 127f., 129, 141, 146f., 150, 189, 194–208, 219, 224 Strauß, Johann 49

Personenregister

Stritt, Albert 85, 117, 170ff., 179f. Stritzel, Albert Friedrich Louis 170 Szeps, Moriz 213 Telecky, Emma 17 Thomas, Ambroise 14, 16, 46 Thuille, Ludwig 42, 56, 106 Tschaikowsky, Peter Iljitsch 45, 47, 48, 49, 51, 54, 143, 146, 219 Uecker, Günter 125 Végh, Sándor 90 Verdi, Giuseppe 16, 17, 46, 48, 58, 73,104, 107, 123, 219 Wagner, Cosima 20, 214 Wagner, Richard 14ff., 23, 26, 37, 43f., 46–49, 51, 56, 57, 61f., 72, 73f., 76, 79, 80, 83, 89, 94, 104, 106ff., 115, 116, 118, 120, 122, 123, 125, 127, 129, 141, 143, 144, 146ff., 170, 191, 213f., 217f., 222, 226 Wagner, Siegfried 49, 59, 106, 117, 147 Wagner, Wieland 74, 94, 127 Walker, Edyth 17, 81, 83, 88, 223 Wallaschek, Richard 54, 60, 209, 214, 222 Walter, Bruno 18, 42, 46, 51, 54, 58, 61f., 63, 73, 82, 90, 92, 106f., 169, 186, 189, 211, 217

287

Weber, Carl Maria von 16, 38, 45, 47, 49, 73, 77, 122, 141, 146, 148, 174, 219, 220 Webern, Anton von 75 Weidemann, Friedrich 85, 150, 195f. Weidt, Lucie 83, 223 Weingartner, Felix von 105, 127, 129, 145, 193, 225, 227 Weiß, Günther 220 Weltner, Albert J. 41f. Wilde, Oscar 194, 196 Wildgans, Anton 214 Wilt, Marie 17 Winkelmann, Hermann 17, 80, 81ff., 87, 218, 223 Wittgenstein, Ludwig 75 Wittich, Marie 195, 201 Wlassack, Eduard 19, 21f., 81f., 164ff. Wolf, Hugo 58f., 77, 108, 119, 123, 219 Wolf-Ferrari, Ermanno 47, 110, 119, 123, 189 Wolff, Hermann 135 Wotruba, Fritz 125 Wunderer, Alexander 112, 151 Zemlinsky, Alexander von 46, 47, 49, 53, 63, 108, 112ff., 149 Zuckerkandl, Bertha 53, 213, 222

BILDNACHWEIS Internationale Gustav Mahler Gesellschaft Wien Archiv: Abb. 13 Internationale Stiftung Mozarteum: Abb. 24 KHM-Museumsverband, Theatermuseum Wien: Abb. Nr. 3, 16, 19, 21, 26, 30 Österreichische Nationalbibliothek Medien/ANNO: Abb. 10 Österreichische Nationalbibliothek/Bildarchiv Austria: Abb. Nr. 5, 6, 7, 8, 17, 25: Österreichisches Staatsarchiv: Abb. Nr. 2, 9, 31 Privatarchiv Torsten Haferlach, München: Cover, Frontispiz, Abb. Nr. 1, 4, 11, 12, 14, 15, 18, 20, 22, 23, 27, 29, 32 Richard Strauss Archiv Garmisch-Partenkirchen: Abb. 28

WIENER VERÖFFENTLICHUNGEN ZUR MUSIKGESCHICHTE Band 1: Vergriffen

Band 6: Vergriffen

Die internationalen Ferienkurse für Neue Musik in Wien 1996. 440 S., zahlr. s/w-Abb., Br. ISBN 978-3-205-98488-7

Eine Wiener Schule der Musiktheorie und ihre internationale Verbreitung / A Viennese School of Music Theory and Its International Dissemination 2006. 262 S., 16 s/w-Abb., 1 CD-Rom, Br. ISBN 978-3-205-77494-5

Markus Grassl | Reinhard Kapp (Hg.) Darmstadt-Gespräche

Band 2: Vergriffen

Christoph Becher Die Variantentechnik am Beispiel Alexander Zemlinskys 1999. 465 S., 184 Notenbsp., Br. ISBN 978-3-205-98931-8

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Markus Grassl | Reinhard Kapp (Hg.) Die Lehre von der musikalischen Aufführung in der Wiener Schule Verhandlungen des Internationalen Colloquiums Wien 1995 2002. 823 S., XXXVII, 39 Notenbsp. u. Abb., Gb. mit SU ISBN 978-3-205-98891-5 Band 4:

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Beatrix Borchard Stimme und Geige

Amalie und Joseph Joachim Biographie und Interpretationsgeschichte 2007. 2. Aufl., 670 S., 73 s/w-Abb., 1 CD-Rom, Gb. ISBN 978-3-205-77629-1

Martin Eybl | Evelyn Fink-Mennel (Hg.) Schenker-Traditionen

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Markus Grassl | Reinhard Kapp | Eike Rathgeber (Hg.) Österreichs Neue Musik nach 1945: Karl Schiske 2008. 609 S., 50 Notenbsp., Gb. ISBN 978-3-205-99491-6

Band 8:

Dominik Schweiger | Nikolaus Urbanek (Hg.) webern_21 2009. 392 S., 43 s/w-Abb., Gb. ISBN 978-3-205-77165-4

Band 9:

Federico Celestini | Gregor Kokorz | Julian Johnson (Hg.) Musik in der Moderne Music and Modernism

2011. 382 S., 37 s/w-Abb. und Notenbsp., Br. ISBN 978-3-205-77438-9

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Marie-Agnes Dittrich | Martin Eybl | Reinhard Kapp (Hg.) Zyklus und Prozess

Joseph Haydn und die Zeit 2012. 338 S., 109 s/w-Abb. und Notenbsp., Br. ISBN 978-3-205-78514-9

WIENER VERÖFFENTLICHUNGEN ZUR MUSIKGESCHICHTE Band 11:

Band 14

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Band 15

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Markus Grassl | Reinhard Kapp (Hg.) Manfred Angerer – Gesammelte Schriften und Vorträge