Gun-Jumping: Verstöße gegen Art. 7 FKVO und Art. 101 AEUV durch den vorzeitigen Vollzug anmeldepflichtiger Zusammenschlüsse [1 ed.] 9783428548460, 9783428148462

Die Studie untersucht die kartellrechtlichen Vorgaben, welche die an einem Unternehmenszusammenschluss beteiligten Unter

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Gun-Jumping: Verstöße gegen Art. 7 FKVO und Art. 101 AEUV durch den vorzeitigen Vollzug anmeldepflichtiger Zusammenschlüsse [1 ed.]
 9783428548460, 9783428148462

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Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Band 63

Gun-Jumping Verstöße gegen Art. 7 FKVO und Art. 101 AEUV durch den vorzeitigen Vollzug anmeldepflichtiger Zusammenschlüsse

Von

Jan-Christoph Rudowicz

Duncker & Humblot · Berlin

JAN-CHRISTOPH RUDOWICZ

Gun-Jumping

Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Begründet von Professor Dr. Wolfgang Blomeyer † und Professor Dr. Karl Albrecht Schachtschneider

Band 63

Gun-Jumping Verstöße gegen Art. 7 FKVO und Art. 101 AEUV durch den vorzeitigen Vollzug anmeldepflichtiger Zusammenschlüsse

Von

Jan-Christoph Rudowicz

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2014 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0947-2452 ISBN 978-3-428-14846-2 (Print) ISBN 978-3-428-54846-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-84846-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2015 von der Juristischen Fakultät der Universität Hamburg als Dissertation angenommen. Im Oktober 2015 wurde die Untersuchung mit dem Jacques Lassier-Preis der International League of Competition Law („LIDC“) ausgezeichnet. Für die Veröffentlichung wurden die Verweise auf die kartellrechtliche Kommentarliteratur im Juni 2015 aktualisiert. Zudem wurde ein Abschnitt zu dem jüngsten Einschreiten des Bundeskartellamts wegen eines Gun-Jumpings im Rahmen des Zusammenschlussvorhabens Edeka/Kaisers Tengelmann eingefügt. Mein vornehmster Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Reinhard Ellger, LL.M. (Univ. of Pennsylvania). Er hat mich bei der Erstellung der Arbeit hervorragend betreut und stand jederzeit zur Diskussion fachlicher Probleme zur Verfügung. Als besonders bereichernd empfand ich zudem die Möglichkeiten, die er mir abseits des Promotionsvorhabens eröffnete, beispielsweise für ihn am Max Planck Institut für ausländisches und internationales Privatrecht zu arbeiten. Herrn Prof. Dr. Armin Hatje danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Mein besonderer Dank richtet sich zudem an Herrn Dr. Marc Schweda, Rechtsanwalt und Partner bei Hogan Lovells International LLP in Hamburg, in dessen Team ich promotionsbegleitend als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war. Er hat nicht nur diese Untersuchung angeregt, sondern auch meine kartellrechtliche Entwicklung maßgeblich geprägt. Für die wertvollen Einblicke in die kartellrechtliche Beratungspraxis möchte ich mich auch ganz herzlich bei Herrn Jan Eggers, LL.M. (Univ. of Exeter), Rechtsanwalt und Counsel bei Hogan Lovells International LLP, bedanken. Herrn Peter de Luyck, Case Handler bei der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission, bin ich für das Gespräch über die Sichtweise der Kommission auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen zu Dank verpflichtet. Herrn Dr. Börries Ahrens, Rechtsanwalt und Partner bei White & Case LLP in Hamburg, danke ich für die Möglichkeit, die im Rahmen meines Promotionsvorhabens erworbenen Kenntnise in einem äußerst interessanten Gun-Jumping-Fall praktisch anzuwenden. Mein größter Dank gilt schließlich jedoch meiner Familie. Meine Mutter und mein Vater haben mich während meiner gesamten Ausbildung ideell und finanziell unterstützt. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich mich stets auf sie verlassen konnte. Auch meinen Großeltern danke ich für ihre wertvolle Hilfe. Hamburg, im Oktober 2015

Jan-Christoph Rudowicz

Inhaltsübersicht A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Einführung in den Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 II. Der Begriff Gun-Jumping . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 B. Ökonomischer Zielkonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 I. Die Auswirkungen staatlicher Markteingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 II. Mögliche negative Auswirkungen von Gun-Jumping-Verhaltensweisen . . . . . . . 39 III. Drohende Behinderung von unbedenklichen Zusammenschlussvorhaben . . . . . . 43 IV. Schlussfolgerungen für die Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen . . . 56 C. Gun-Jumping im US-Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 I. Rechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 II. Rechtsprechung und Verfahren der Kartellbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 III. Auswertung der Entscheidungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 IV. Entwicklung der Gun-Jumping-Verfolgung in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 I. Das Vollzugsverbot im Kontext des Fusionskontrollverfahrens . . . . . . . . . . . . . . 135 II. Die Reichweite des Vollzugsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 III. Kontrollwechsel durch Gun-Jumping-Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

8

Inhaltsübersicht V. Exkurs: Reichweite von § 41 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 I. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 II. Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 III. Rechtsprechung zu Minderheitsbeteiligungen als Orientierungspunkt . . . . . . . . . 254 IV. Beurteilung des Informationsaustauschs zwischen den Zusammenschlussparteien 261 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 VI. Exkurs: Anwendung von Art. 101 AEUV durch Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . 321 F. Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 I. Einflussnahme des Erwerbers auf das Verhalten des Zielunternehmens . . . . . . . 322 II. Personelle Verflechtungen und Mitarbeiteransprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 III. Informationsaustausch und Vorbereitung der Integration des Zielunternehmens . 336 IV. Zusammenarbeit vor dem Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 V. Übertragung des Risikos einer fusionskontrollrechtlichen Untersagung auf den Erwerber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 VI. Besondere Zusammenschlussformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 VII. Gun-Jumping-Verhaltensweisen außerhalb der Europäischen Union . . . . . . . . . . 347 G. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 I. Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 II. Schlussbemerkung zur Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen . . . . . . 352 III. Schlussbemerkung zur Gun-Jumping-Verfolgung durch die Kommission . . . . . . 353

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Einführung in den Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 II. Der Begriff Gun-Jumping . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 B. Ökonomischer Zielkonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 I. Die Auswirkungen staatlicher Markteingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Die Steuerungswirkung des Kartellrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2. Das Prinzip der Selbstveranlagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 3. Die Gefahr von Fehlerkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 4. Die Berücksichtigung von Transaktionskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 5. Die Auswirkungen von Rechtsunsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 6. Schlussfolgerungen für die Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 II. Mögliche negative Auswirkungen von Gun-Jumping-Verhaltensweisen . . . . . 39 1. Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2. Vorzeitiger Eintritt von Marktstrukturveränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 a) Eintritt von bedenklichen Marktstrukturveränderungen . . . . . . . . . . . . . 41 b) Schwierigkeiten bei der Entflechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 III. Drohende Behinderung von unbedenklichen Zusammenschlussvorhaben . . . . 43 1. Überwiegende Zahl der Zusammenschlüsse ist wettbewerblich unbedenklich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2. Effiziente Ausgestaltung von Unternehmenstransaktionen . . . . . . . . . . . . . 45 a) Informationsasymmetrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 b) Moral hazard-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 c) Transaktionskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 d) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3. Auswirkungen auf die Erfolgsaussichten von Zusammenschlüssen . . . . . . . 47 a) Geringe Erfolgsquote von Unternehmenszusammenschlüssen . . . . . . . . 48 b) Verbesserung der Erfolgsaussichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 aa) Erfolgsfaktor Integrationsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 (1) Kunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 (2) Produkte, Produktion und Einkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

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Inhaltsverzeichnis (3) Technische Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 (4) Mitarbeiter und Unternehmenskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 (5) Weitere Themenfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 (6) Spannungsverhältnis zum Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 bb) Erfolgsfaktor Informationsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 (1) Informationsaustausch zur Bewertung des Zielunternehmens . . 52 (2) Informationsaustausch nach Vertragsschluss zur Integrationsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 (3) Spannungsverhältnis zum Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 cc) Erfolgsfaktor Geschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 (1) Verunsicherung von Kunden, Zulieferern und Mitarbeitern . . . . 54 (2) Aufrechterhaltung der Agilität der beteiligten Unternehmen . . . 55 (3) Schnelle Realisierung von Synergien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 (4) Spannungsverhältnis zum Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 IV. Schlussfolgerungen für die Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen . 56

C. Gun-Jumping im US-Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 I. Rechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 1. Vollzugsverbot, Section 7 A Clayton Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 a) Das präventive Fusionskontrollverfahren nach Section 7 A Clayton Act

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b) Das Vollzugsverbot des Section 7 A Clayton Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 aa) Reichweite des Vollzugsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 bb) Auswirkungen auf den Wettbewerb nicht erforderlich . . . . . . . . . . . 64 cc) Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen Section 7 A Clayton Act . . . . . 64 c) Anwendung auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2. Kartellverbot, Section 1 Sherman Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 a) Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 aa) Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 bb) Beschränkung des Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 cc) Bundesstaats- oder staatsübergreifende Auswirkungen . . . . . . . . . . 67 dd) Keine Möglichkeit zur Freistellung vom Kartellverbot . . . . . . . . . . 68 b) Rechtsfolgen eines Verstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 c) Anwendung auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3. Verbot unlauterer Wettbewerbspraktiken, Section 5 FTC Act . . . . . . . . . . . 69 a) Erfasste Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 b) Rechtsfolgen eines Verstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 c) Anwendung auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

Inhaltsverzeichnis

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II. Rechtsprechung und Verfahren der Kartellbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 1. Rechtsprechung zur Anwendung von Section 1 Sherman Act auf Interaktionen vor dem Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 a) Kirihara v. Bendix Corporation: Zielunternehmen wechselt Vertriebspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 bb) Bewertung durch das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 cc) Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 b) U.S. v. R. J. Reynolds Tobacco Co.: Übertragung des Risikos des Scheiterns des Zusammenschlusses auf den Erwerber . . . . . . . . . . . . . . 73 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 bb) Bewertung durch das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 cc) Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 c) International Travel Arrangers v. NWA Inc.: Keine Anwendbarkeit des Kartellverbots auf Zusammenschlussparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 bb) Bewertung durch das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 cc) Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 d) Omnicare v. United Health Group: Informationsaustausch vor dem Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 bb) Bewertung durch das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 cc) Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 2. Gun-Jumping-Verfahren des DOJ und der FTC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 a) United States v. Atlantic Richfield Co. (ARCO I): Übergang der Chancen und Risiken des Betriebs der übertragenen Vermögenswerte . . . . . . 80 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 bb) Bewertung durch das DOJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 cc) Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 b) United States v. Atlantic Richfield Co. (ARCO II): Übertragung von Stimmrechtsaktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 bb) Bewertung durch das DOJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 cc) Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 c) In re Torrington: Übertragung von Kundenbeziehungen . . . . . . . . . . . . . 83 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 bb) Bewertung durch die FTC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 cc) Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 d) United States v. Titan Wheel International, Inc.: Inbesitznahme von Vermögenswerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

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Inhaltsverzeichnis aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 bb) Bewertung durch das DOJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 cc) Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 e) In re Insilco Corp.: Informationsaustausch vor dem Vollzug . . . . . . . . . 86 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 bb) Bewertung durch die FTC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 cc) Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 f) In re Commonwealth Land Title Insurance Co.: Angleichung der Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 bb) Bewertung durch die FTC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 cc) Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 g) United States v. Input/Output, Inc.: Faktische Integration des Zielunternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 bb) Bewertung durch das DOJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 cc) Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 h) United States v. Computer Associates International, Inc.: Beschränkung des Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 (1) Conduct of business-Beschränkungen in der Zusammenschlussvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 (2) Kontrolle von unternehmerischen Entscheidungen . . . . . . . . . . . 93 (3) Zugriff auf wettbewerbsrelevante Informationen durch Computer Associates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 bb) Bewertung durch das DOJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 cc) Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 (1) Anwendung von Section 1 Sherman Act auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 (2) Beurteilung von conduct of business-Beschränkungen . . . . . . . . 95 (3) Beurteilung von Informationsaustauschvorgängen . . . . . . . . . . . 96 (4) Arm’s length-Transaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 i) United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc.: Beschränkungen des Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (1) Die slow roll-Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (2) Markt- und Kundenaufteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (3) Preis- und Konditionenabsprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 bb) Bewertung durch das DOJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 cc) Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 (1) Section 1 Sherman Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

Inhaltsverzeichnis

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(2) Section 7 A Clayton Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 (3) Zulässige Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 j) United States v. Qualcomm Incorporated: conduct of business-Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 bb) Bewertung durch das DOJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 cc) Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 k) United States v. Smithfield Foods, Inc.: Vertragsgenehmigung durch Erwerber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 bb) Bewertung durch das DOJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 cc) Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 l) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3. Rechtsprechung zu Section 7 Clayton Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 a) United States v. Columbia Pictures Corp.: Weite Auslegung des Zusammenschlussbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Nelson v. Pacific Southwest Airlines: Kontrollerwerb über Entscheidungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 c) McTamney v. Stolt Tankers & Terminals (Holdings): Übergang der wirtschaftlichen Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 III. Auswertung der Entscheidungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 1. Vollzugsverbot: Section 7 A Clayton Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Entwicklung des Merkmals der operational control . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) Sinn und Zweck von Section 7 A Clayton Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 c) Rechtsprechung zu Section 7 Clayton Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Kartellverbot: Section 1 Sherman Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) Anwendbarkeit von Section 1 Sherman Act auf Verhaltensweisen vor dem Closing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 aa) Unanwendbarkeit nach International Travel Arrangers überzeugt nicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 bb) Anwendung auf Verhaltensweisen vor dem Closing in der Fallpraxis 116 cc) International Travel Arrangers und der stare decisis-Grundsatz . . . . 116 b) Verhältnis zu Section 7 A Clayton Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 c) Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 aa) Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 bb) Wettbewerbsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 d) Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 aa) Preis- und Konditionenabsprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 bb) Markt- und Kundenaufteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

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Inhaltsverzeichnis cc) Aussetzen von Wettbewerbshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 dd) Kontrollwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 ee) Conduct of business-Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 ff) Informationsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 gg) Zusammenarbeit der Zusammenschlussparteien . . . . . . . . . . . . . . . . 126 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 3. Verbot unlauterer Wettbewerbspraktiken: Section 5 FTC Act . . . . . . . . . . . 127 IV. Entwicklung der Gun-Jumping-Verfolgung in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 1. Kartellbehörden kündigen Verfolgung von Gun-Jumping-Verstößen an . . . 128 2. Rechtsunsicherheit im Hinblick auf die kartellrechtlichen Vorgaben . . . . . 130 3. Erhöhung der Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 4. Schlussfolgerungen für das europäische Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 I. Das Vollzugsverbot im Kontext des Fusionskontrollverfahrens . . . . . . . . . . . . 135 1. Das Fusionskontrollverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 a) Anwendung nur auf Zusammenschlüsse mit gemeinschaftsweiter Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 b) Anmeldepflicht und Vollzugsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 c) Informelles Pränotifikationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 d) Phase I: Freigabe von offensichtlich unbedenklichen Zusammenschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 e) Phase II: Ausführliche Prüfung von problematischen Vorhaben . . . . . . . 139 f) Vereinfachtes Verfahren für unproblematische Zusammenschlüsse . . . . 140 g) Vollzug des Zusammenschlusses und Überwachungsphase . . . . . . . . . . . 141 2. Das Vollzugsverbot des Art. 7 FKVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 a) Entstehungsgeschichte des Vollzugsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Zweck des Vollzugsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 aa) Vermeidung von praktischen Schwierigkeiten bei der Entflechtung . 143 bb) Verhinderung des Eintritts von irreversiblen Marktstrukturveränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 cc) Schutz des Wettbewerbs während der fusionskontrollrechtlichen Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 dd) Gewährleistung der Hoheit der Kommission über das Fusionskontrollverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 ee) Zentrale Regelung im System zum Schutz des Wettbewerbs . . . . . . 145 c) Funktion der präventiven Ausgestaltung aus ökonomischer Perspektive . 146 d) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 aa) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 bb) Personeller Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

Inhaltsverzeichnis

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cc) Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 e) Freistellung vom Vollzugsverbot nach Art. 7 Abs. 3 FKVO . . . . . . . . . . 150 f) Ausnahmetatbestand des Art. 7 Abs. 2 FKVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 g) Rechtsfolgen eines Verstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 aa) Bußgelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 bb) Zivilrechtliche Unwirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 cc) Einstweilige Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 dd) Entflechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 h) Verjährung von Verstößen gegen das Vollzugsverbot . . . . . . . . . . . . . . . 154 3. Das Fusionskontrollverfahren im Spannungsfeld von effektivem Wettbewerbsschutz und der Vermeidung unnötiger Belastungen . . . . . . . . . . . . . . 154 a) Vorkehrungen zur Vermeidung unnötiger Belastungen . . . . . . . . . . . . . . 156 aa) Zwei Prüfphasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 bb) Knappe Entscheidungsfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 cc) Beschleunigungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 dd) Vereinfachtes Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 ee) Befreiung vom Vollzugsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 ff) Praktische Wirksamkeit dieser Vorkehrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 gg) Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Das Prinzip der Belastungsvermeidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 c) Reformmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 aa) Reformvorschlag zur Beschränkung des Anwendungsbereichs des Vollzugsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 bb) Vereinfachung des Anmeldeverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 II. Die Reichweite des Vollzugsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 1. Die Entscheidungspraxis der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 a) Gun-Jumping-Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 aa) Bertelsmann/Kirch/Premiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (1) Das Vorgehen der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (2) Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 bb) Ineos/Kerling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 cc) Volkswagen/MAN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (1) Das Vorgehen der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (2) Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 b) Bußgeldentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 aa) Samsung/AST . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 bb) A. P. Møller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

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Inhaltsverzeichnis cc) Electrabel/Compagnie Nationale du Rhône . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (1) Die Entscheidung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (2) Das Urteil des EuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 c) Entflechtungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 d) Befreiungen vom Vollzugsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 2. Der Fall Aer Lingus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 a) Übernahme von Aer Lingus durch Ryanair wird untersagt . . . . . . . . . . . 174 b) Kommission: kein Vorgehen gegen Minderheitsbeteiligung . . . . . . . . . . 175 c) EuG: kein einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 d) EuG: kein Erfolg in der Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 aa) Negative Auswirkungen der Minderheitsbeteiligung auf den Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 bb) Auslegung von Art. 8 Abs. 4 FKVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 cc) Würdigung durch das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (1) Zuständigkeit der Kommission nur für Zusammenschlüsse im Sinne des Art. 3 FKVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (2) Wettbewerbsbeeinträchtigungen unterhalb der Schwelle des Kontrollwechsels irrelevant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (3) Keine abweichende Beurteilung aufgrund der Berücksichtigung von Art. 7 Abs. 1 FKVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 e) Schlussfolgerungen für die Reichweite des Vollzugsverbots . . . . . . . . . . 183 aa) Auslegungsergebnis zu Art. 8 Abs. 4 FKVO ist auf Art. 7 Abs. 1 FKVO zu übertragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 bb) Literatur folgert aus Aer Lingus weite Auslegung des Vollzugsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 cc) Ausführungen in Aer Lingus zum Vollzugsverbot bestätigen enge Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 3. Literaturmeinungen zur Reichweite des Vollzugsverbots . . . . . . . . . . . . . . . 189 a) Weite Auslegung: Kontrollwechsel nicht erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . 189 aa) Kontrollerwerb, faktische Vorwegnahme des Zusammenschlusses und Einschränkungen des Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 bb) Handlungen zur Durchführung eines Zusammenschlusses . . . . . . . . 190 cc) Aufgabe der eigenständigen Festlegung des Marktverhaltens . . . . . 191 dd) Verwirklichung des Zusammenschlusses in Teilbereichen . . . . . . . . 191 ee) Teilweise Vollzugshandlungen und Maßnahmen rein tatsächlicher Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 ff) Weitere Literaturstimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192

Inhaltsverzeichnis

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b) Enge Auslegung: Kontrollwechsel erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 aa) Bestimmung der Reichweite des Vollzugsverbots unter Rückgriff auf Art. 3 FKVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 bb) Bezugnahme auf die Marktstruktur und das strategisches Marktverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 4. Auslegung des Vollzugsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 b) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 aa) Begrenzter Anwendungsbereich der Fusionskontrollverordnung . . . 198 bb) Mögliche Argumentation für ein Eingreifen unterhalb der Kontrollschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 cc) Abgrenzung zwischen Marktstruktur- und Verhaltenskontrolle . . . . 199 (1) Verhaltenskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 (2) Markstrukturkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 (3) Klare Abgrenzung zwischen Marktstruktur- und Verhaltenskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 (4) Nebenabreden zu Zusammenschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 dd) Enge Auslegung des Vollzugsverbots erforderlich . . . . . . . . . . . . . . 204 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 c) Sinn und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 aa) Keine Schutzlücken bei enger Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 (1) Verhinderung des Eintritts von irreversiblen Marktstrukturveränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 (2) Vermeidung von Schwierigkeiten bei der Entflechtung . . . . . . . 208 (3) Verhinderung des Eintritts von Wettbewerbsbeschränkungen vor der Untersagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (a) Das Kartellverbot als komplementäres Kontrollinstrument . 209 (b) Sachliche Reichweite: Schutzlücken allenfalls im Hinblick auf einseitige Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 (c) Schutzlücke im Hinblick auf einseitige Verhaltensweisen ist hinzunehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 (d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (4) Ergebnis der Untersuchung des Schutzlückenarguments . . . . . . 213 bb) Prinzip der Belastungsvermeidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 (1) Verringerung von Behinderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 (2) Berücksichtigung im Rahmen des Prinzips der Belastungsvermeidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 cc) Erfahrungen der US-Kartellbehörden mit Gun-Jumping-Fällen . . . . 214 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

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Inhaltsverzeichnis III. Kontrollwechsel durch Gun-Jumping-Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 1. Der Zusammenschlusstatbestand der Fusionskontrollverordnung . . . . . . . . 217 2. Die Funktion des Kontrollkriteriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 3. Voraussetzungen für die Annahme eines Kontrollwechsels durch GunJumping . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 a) Strategischer und geschäftspolitischer Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 aa) Entscheidungen über das Budget . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 bb) Entscheidungen über die Besetzung der Unternehmensleitung . . . . 221 cc) Entscheidungen über den Geschäftsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 dd) Entscheidungen über größere Investitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 ee) Entscheidungen über marktspezifische Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 ff) Einflussnahme auf das Tagesgeschäft nicht erforderlich . . . . . . . . . 223 gg) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 b) Intensität der Einflussmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 aa) Faktischer Kontrollerwerb ist ausreichend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 bb) Dauerhaftigkeit der Kontrollausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 cc) Erwerb der Kontrolle über einen Teilbereich des Unternehmens ist ausreichend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 dd) Positive und negative Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 ee) Alleinige oder gemeinsame Kontrollausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 ff) Möglichkeit zur Ausübung bestimmenden Einflusses ist ausreichend 227 4. Maßgeblichkeit einer Einzelfallbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 V. Exkurs: Reichweite von § 41 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 1. BGH und OLG Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2. Bundeskartellamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 a) Zusammenschlussvorhaben Mars/Nutro Products . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 b) Zusammenschlussvorhaben Edeka/Kaisers Tengelmann . . . . . . . . . . . . . 233 3. Kein einheitliches Meinungsbild in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 4. Übertragung der engen Auslegung auf § 41 Abs. 1 GWB . . . . . . . . . . . . . . 234

E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 I. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 1. Anwendbarkeit bis das Konzernprivileg eingreift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 2. Anwendbarkeit über die fusionskontrollrechtliche Freigabeentscheidung hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 3. Keine Anwendung auf Zusammenschlüsse und Nebenabreden . . . . . . . . . . 239 a) Keine Anwendung auf Zusammenschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 b) Keine Anwendung auf Nebenabreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 4. Das Verhältnis zwischen dem Kartell- und Vollzugsverbot . . . . . . . . . . . . . 240 a) Grundsätzlich keine Doppelkontrolle von Marktstrukturveränderungen . 241

Inhaltsverzeichnis

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b) Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen vor dem Kontrollwechsel . 241 c) Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen nach einem Kontrollwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 aa) Kontrollwechsel rechtfertigt nicht immer die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 bb) Eingreifen des Konzernprivilegs nach einem Verstoß gegen das Vollzugsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 II. Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 1. Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 b) Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2. Bezweckte oder bewirkte Wettbewerbsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 b) Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 3. Spürbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 b) Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 4. Ausnahme vom Kartellverbot, Art. 101 Abs. 3 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . 252 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 b) Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 III. Rechtsprechung zu Minderheitsbeteiligungen als Orientierungspunkt . . . . . . . 254 1. Rechtsprechung zu Minderheitsbeteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 2. Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensabstimmungen im Vorfeld eines Kontrollwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 a) Einfluss auf das geschäftliche Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 b) Ermöglichung eines kollusiven Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 c) Unilaterale Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 IV. Beurteilung des Informationsaustauschs zwischen den Zusammenschlussparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Ökonomische Beurteilung von Informationsaustauschvorgängen . . . . . . . . 262 a) Positive Effekte von Informationsaustausch und erhöhter Markttransparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 aa) Horizontale Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 (1) Steigerung der allokativen Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 (2) Benchmarking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 (3) Erleichterung von Marktzutritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 (4) Verringerung von Informationsasymmetrien . . . . . . . . . . . . . . . . 265 (5) Horizontale Kooperationen, Standardisierung und Schnittstelleninformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 bb) Vertikale Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

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Inhaltsverzeichnis b) Negative Effekte von Informationsaustausch und erhöhter Markttransparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 aa) Ermöglichung von Kollusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 (1) Erleichterung der Einigung auf ein Kollusionsergebnis . . . . . . . 269 (2) Überwachung von Abweichungen: Gewährleistung interner Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 (3) Entdeckung von Marktzutritten: Gewährleistung externer Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 bb) Marktabschottung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 cc) Beeinträchtigung des Marktergebnisses ohne Kollusion und Marktabschottung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 c) Schlussfolgerung für die kartellrechtliche Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 2. Kartellrechtliche Beurteilung von Informationsaustauschvorgängen . . . . . . 273 a) Das Selbstständigkeitspostulat als übergeordneter Maßstab . . . . . . . . . . 274 b) Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 aa) Bezugspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 bb) Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 cc) Einseitige Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 c) Wettbewerbsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 aa) Bezweckte Wettbewerbsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 (1) Künftiges Preisverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 (2) Künftiges Mengenverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 (3) Informationsaustausch im Rahmen von weitergehenden Absprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 bb) Bewirkte Wettbewerbsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 (1) Eigenschaften des betroffenen Markts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 (a) Markttransparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 (b) Oligopolistische Prägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (c) Komplexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (d) Stabilität der Angebots- und Nachfragebedingungen . . . . . . 283 (e) Symmetrische Marktstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 (f) Bedeutung kurzfristiger Gewinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 (g) Möglichkeit von Vergeltungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . 284 (h) Marktabdeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 (i) Macht der Marktgegenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 (2) Eigenschaften der ausgetauschten Informationen . . . . . . . . . . . . 286 (a) Strategische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (b) Aggregation der Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 (c) Aktualität der Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 (d) Häufigkeit des Informationsaustauschs . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 (e) Öffentlichkeit der Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288

Inhaltsverzeichnis

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(f) Öffentlichkeit des Informationsaustauschs . . . . . . . . . . . . . . 289 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 cc) Nichthorizontale Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 d) Freistellung gemäß Art. 101 Abs. 3 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 aa) Effizienzgewinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 bb) Unerlässlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 cc) Angemessene Beteiligung der Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 dd) Keine Ausschaltung des Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 3. Anwendung auf Informationsaustauschvorgänge im Vorfeld von Unternehmenszusammenschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 a) Umfang des Informationsaustauschs im Vorfeld von Unternehmenszusammenschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 aa) Informationsaustausch im Rahmen der Due Diligence . . . . . . . . . . . 293 (1) Financial Due Diligence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 (2) Strategic Due Diligence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 bb) Informationsaustausch außerhalb der Due Diligence . . . . . . . . . . . . 298 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 b) Auswirkungen des Informationsaustauschs der Zusammenschlussparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 aa) Positive Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 (1) Effizienz des Markts für Unternehmenskontrolle . . . . . . . . . . . . 299 (2) Ermöglichung von Effizienzgewinnen durch Zusammenschlüsse 299 bb) Negative Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 (1) Breite und Tiefe des Informationsaustauschs können Einigung auf Kollusionsergebnis erleichtern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 (2) Gefahr einer langfristigen kollusiven Praxis, wenn das Zusammenschlussvorhaben nicht vollzogen wird . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 (3) Gefahr zwischenzeitlicher Wettbewerbsbeschränkungen . . . . . . 301 (4) Vorgetäuschte Zusammenschlussverhandlungen . . . . . . . . . . . . . 301 (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 cc) Umstände, die wettbewerbliche Bedenken mildern . . . . . . . . . . . . . 302 (1) Bestehen eines berechtigten Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 (2) Einmaligkeit des Informationsaustauschs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 (3) Einseitigkeit der Informationsübermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 (4) Autonomes unternehmerisches Interesse am Schutz von Geschäftsgeheimnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 (5) Art des Zusammenschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 c) Einzelfallbeurteilung des Informationsaustauschs im Vorfeld von horizontalen Zusammenschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 aa) Abschichtung problematischer Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308

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Inhaltsverzeichnis bb) Vorkehrungen zur Verhinderung des Eintritts von Wettbewerbsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 (1) Vertraulichkeitsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 (2) Einschalten von independent agents . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 (3) Bildung von clean teams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 (4) Überwachung des Informationsaustauschs durch externe Berater 313 (5) Aggregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 (6) Historische Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 (7) Abgestufte Informationspreisgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 (8) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 cc) Herstellung praktischer Konkordanz zwischen den Erfordernissen des Wettbewerbsschutzes und legitimen Informationsbedürfnissen . 315 dd) Rückgriff auf die ancillary restraints-Doktrin und Legalausnahme nicht erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 (1) Ancillary restraints-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 (2) Legalausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 ee) Vergleich mit der Beurteilung unter dem US-Kartellrecht . . . . . . . . 317 d) Besondere Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 aa) Gründung von Gemeinschaftsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 bb) Bietwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 cc) Fusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 dd) Vertikale und konglomerate Zusammenschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . 319 4. Ergebnis zur Beurteilung des Informationsaustauschs der Zusammenschlussparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 VI. Exkurs: Anwendung von Art. 101 AEUV durch Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . 321

F.

Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 I. Einflussnahme des Erwerbers auf das Verhalten des Zielunternehmens . . . . . 322 1. Einflussmöglichkeiten des Erwerbers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 a) Verstoß gegen das Vollzugsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 b) Verstoß gegen das Kartellverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 c) Beispiele aus der US-Behördenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 2. Vertragliche Beschränkungen der Handlungsfreiheit des Zielunternehmens 324 a) Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 b) Mögliche Auswirkungen von conduct of business-Beschränkungen . . . . 326 aa) Risikoverteilung und Lösung des moral hazard-Problems . . . . . . . . 326 bb) Wettbewerbsbeschränkende Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 c) Kartellrechtliche Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 aa) Praxis des DOJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328

Inhaltsverzeichnis

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bb) Beurteilung unter Art. 101 AEUV und Art. 7 Abs. 1 FKVO . . . . . . 329 (1) Verstoß gegen das Kartellverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 (2) Verstoß gegen das Vollzugsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 3. Abgrenzung von einseitiger Verhaltensanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 II. Personelle Verflechtungen und Mitarbeiteransprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 1. Unzulässige personelle Verflechtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 a) Erlangung der Mehrheit in Leitungsgremien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 b) Neubesetzung von Leitungspositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 c) Beratung oder Überwachung der Geschäftsführung des Zielunternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 d) Personelle Verflechtungen und Kartellverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 2. Ansprache von Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 III. Informationsaustausch und Vorbereitung der Integration des Zielunternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 1. Informationsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 2. Integrationsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 a) Grundsätzliche Zulässigkeit der Integrationsplanung . . . . . . . . . . . . . . . 337 b) Kartellrechtswidrige spillover-Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 c) Vorkehrungen zur Verhinderung eines Kartellverstoßes . . . . . . . . . . . . . 338 d) Beurteilung im US-Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 3. Integrationsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 4. Kunden- und Zuliefererkontakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 IV. Zusammenarbeit vor dem Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 1. Kartellverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 2. Vollzugsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 3. Der Fall Bertelsmann/Kirch/Premiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 V. Übertragung des Risikos einer fusionskontrollrechtlichen Untersagung auf den Erwerber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 VI. Besondere Zusammenschlussformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 1. Gemeinschaftsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 2. Sukzessiver Anteilserwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 3. Öffentliche Übernahmeangebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 4. Zusammenschlüsse unterhalb der Schwellenwerte der FKVO . . . . . . . . . . . 347 VII. Gun-Jumping-Verhaltensweisen außerhalb der Europäischen Union . . . . . . . . 347 1. Vollzugsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 2. Kartellverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 G. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 I. Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350

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Inhaltsverzeichnis II. Schlussbemerkung zur Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen . . . . 352 III. Schlussbemerkung zur Gun-Jumping-Verfolgung durch die Kommission . . . . 353

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370

Abkürzungsverzeichnis ABA ABl. AEUV AktG Antitrust L. J. BGH Bus. Law. C.F.R. CMLR DOJ DStR ECJ E. C. L. Rev. EGV E. L. Rev. EuG EuGH EuR EUV EuZW Fed. Reg. FK FKVO FS F. Supp. FTC F.T.C. F.2d F.3d Geo. L. J. GRUR GRUR Int GWB J. L. Econ. & Org. J. Polit. Econ. Komm. KSzW MAC M.G.L. NJW NYU L. Rev.

American Bar Association Amtsblatt Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Aktiengesetz Antitrust Law Journal Bundesgerichtshof The Business Lawyer Code of Federal Regulations Common Market Law Review Department of Justice Deutsches Steuerrecht European Competition Journal European Competition Law Review Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft European Law Review Gericht der Europäischen Union Europäischer Gerichtshof Europarecht Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Federal Register Frankfurter Kommentar Fusionskontrollverordnung Festschrift Federal Supplement Federal Trade Commission Federal Trade Commission Decisions Federal Reporter, 2nd Series Federal Reporter, 3rd Series Georgetown Law Journal Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Internationaler Teil Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Journal of Law, Economics, & Organization Journal of Political Economy Entscheidung der Europäischen Kommission Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht Material Adverse Change Massachusetts General Laws Neue Juristische Wochenschrift New York University Law Review

26 NZG O. J. L. S. OLG Prac. Law. Q. J. Econ. Rdnr. Slg. St. John’s L. Rev. U. Pa. L. Rev. U.S. U.S.C. Va. J. Int’l L. Vertikal-GVO WpÜG WuW ZWeR

Abkürzungsverzeichnis Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Oxford Journal of Legal Studies Oberlandesgericht The Practical Lawyer Quarterly Journal of Economics Randnummer Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts der Europäischen Union St. John’s Law Review University of Pennsylvania Law Review U.S. Reports United States Code Virginia Journal of International Law Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Wirtschaft und Wettbewerb Zeitschrift für Wettbewerbsrecht

A. Einleitung I. Einführung in den Untersuchungsgegenstand Um einen möglichst wirksamen Wettbewerbsschutz zu gewährleisten, sieht das europäische Kartellrecht nicht nur eine Kontrolle des Unternehmensverhaltens auf der Grundlage des Kartell- und des Missbrauchsverbots vor. Vielmehr soll bereits auf der Marktstrukturebene verhindert werden, dass durch externes Unternehmenswachstum überhaupt Marktkonstellationen entstehen können, bei denen es wahrscheinlich ist, dass der Markt als dezentraler Allokationsmechanismus versagt. Zu diesem Zweck bestimmt die Fusionskontrollverordnung1, dass Unternehmenszusammenschlüsse ab dem Erreichen bestimmter Umsatzschwellen2 bei der Europäischen Kommission („Kommission“) angemeldet werden müssen. Die Kommission prüft daraufhin die wettbewerblichen Auswirkungen der jeweiligen Vorhaben und gibt sie frei, sofern diesbezüglich keine entscheidenden Bedenken bestehen. Die Marktstrukturkontrolle auf Grundlage der Fusionskontrollverordnung ist präventiv ausgestaltet. Art. 7 Abs. 1 FKVO enthält ein Vollzugsverbot, nach dem die der Verordnung unterfallenden Vorhaben erst dann umgesetzt werden dürfen, wenn die Kommission ihre Prüfung abgeschlossen und den Zusammenschluss mit dem Gemeinsamen Markt für vereinbar erklärt hat. Die präventive Ausgestaltung der Zusammenschlusskontrolle soll die leichte Durchsetzbarkeit von Untersagungsentscheidungen und eine möglichst hohe Wirksamkeit der Marktstrukturkontrolle gewährleisten. Das Vollzugsverbot ist vor diesem Hintergrund als eine zentrale Vorschrift des europäischen Wettbewerbsrechts einzuordnen. Seine Bedeutung geht weit über die einer reinen Verfahrensvorschrift hinaus. Dies wird dadurch unterstrichen, dass Verstöße gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO genauso wie Verstöße gegen das Kartell- oder das Missbrauchsverbot mit Bußgeldern in Höhe von bis zu 10 Prozent des Umsatzes der beteiligten Unternehmen belegt werden können. Der hohe Bußgeldrahmen ist dem Umstand geschuldet, dass das Vollzugsverbot unmittelbare Relevanz für die Wirksamkeit des Wettbewerbsschutzes hat. Trotz der großen Bedeutung und hohen praktischen Relevanz des Vollzugsverbots sind seine genauen Konturen bislang kaum untersucht worden. Unzweifelhaft ist zwar, dass ein Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO vorliegt, wenn die Zusammenschlussparteien ihr Vorhaben vor der Freigabeerteilung im Rahmen des sogenannten 1 Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 u¨ ber die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („FKVO“), ABl. EU 2004 Nr. L 24/1. 2 Art. 1 Abs. 2 und Abs. 3 FKVO.

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A. Einleitung

Closings3 vollständig in die Tat umsetzen, indem sie den vereinbarten Anteils- oder Vermögenserwerb ausführen. Der Schutzzweck des Art. 7 Abs. 1 FKVO kann jedoch auch durch Handlungen unterhalb der Schwelle eines solchen formalen „Vollvollzugs“ vereitelt werden. Zu denken ist insoweit vor allem an Situationen, in denen die Trennung zwischen Erwerber und Zielunternehmen vorzeitig auf faktischer Ebene aufgehoben wird, beispielsweise indem es zu personellen Verflechtungen kommt, operative Ressourcen vermengt werden oder dem Erwerber Einfluss auf das Marktverhalten des Zielunternehmens eingeräumt wird. Kommt es durch solche oder ähnliche Maßnahmen zu einem atypischen Verstoß gegen das Vollzugsverbot, spricht man von einem kartellrechtswidrigen Frühstart, einem Gun-Jumping. Dabei ist allerdings bislang weitgehend ungeklärt, unter welchen Voraussetzungen anzunehmen ist, dass Gun-Jumping-Verhaltensweisen gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO verstoßen. Neben dem Vollzugsverbot können zu weitgehende Interaktionen vor der Freigabe und dem Closing auch unter dem Kartellverbot problematisch sein. Stellen der Erwerber und das Zielunternehmen vorzeitig die autonome Festlegung ihres Marktverhaltens ein, kann ein Verstoß gegen Art. 101 AEUV vorliegen. Dabei bergen insbesondere der Informationsaustausch im Rahmen der Due Diligence4 und die Kontakte zur Integrationsplanung das Risiko der Ermöglichung einer wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensabstimmung. Auch insoweit ist bislang jedoch kaum untersucht worden, welche Anforderungen aus kartellrechtlicher Perspektive an das Verhalten der Zusammenschlussparteien vor dem Closing zu stellen sind. Im Rahmen dieser Arbeit soll bestimmt werden, welche Vorgaben aus dem Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO und dem Kartellverbot des Art. 101 AEUV für das Verhalten der Zusammenschlussparteien vor der Freigabe und dem Vollzug ihres Vorhabens folgen.

II. Der Begriff Gun-Jumping Prägend für die Auseinandersetzung mit den kartellrechtlichen Schranken für die Interaktionen der Zusammenschlussparteien vor dem Closing ist der aus der Praxis der US-Kartellbehörden stammende Begriff des Gun-Jumpings.5 Der Ausdruck lässt 3 Als Closing wird der formale Vollzug eines Unternehmenszusammenschlusses bezeichnet, der zuvor im Rahmen des Signings vereinbart wurde. In der Regel werden im Rahmen des Closings die schuldrechtlichen Verpflichtungen aus dem Signing dinglich erfüllt. Vgl. Mutter, in: Gummert, Münchener Anwaltshandbuch Personengesellschaftsrecht, § 6, Rdnr. 379. 4 Als Due Diligence bezeichnet man die mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführende Prüfung des Zielunternehmens durch den Erwerber, um das Zielunternehmen zu bewerten und Risiken der Transaktion aufzudecken, vgl. Klöpper, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 28, Rdnr. 14 ff. 5 Aufgekommen ist die Redewendung „to jump the gun“ im Rahmen einer Debatte in den Jahren 1989 bis 1991, die sich der Frage widmete, ob durch den Informationsaustausch im

II. Der Begriff Gun-Jumping

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sich mit „Frühstart“ übersetzen und beschreibt im eigentlichen Wortsinn anschaulich die Situation, in der ein Läufer in einem Wettkampf noch vor dem Startschuss die Startlinie übertritt. Im Hinblick auf Unternehmenszusammenschlüsse wird der Begriff verwendet, um Situationen zu beschreiben, in denen sich die Zusammenschlussparteien über die kartellrechtliche Vorgaben hinwegsetzen und ihr Vorhaben vorschnell implementieren.6 Bei genauerer Betrachtung wird allerdings deutlich, dass der Begriff des GunJumpings in der rechtswissenschaftlichen Debatte uneinheitlich gebraucht wird. Teilweise wird der Ausdruck als Synonym für Verstöße gegen das Vollzugsverbot verwendet.7 Ein Gun-Jumping läge demnach immer dann vor, wenn ein Zusammenschluss unter Missachtung von Art. 7 Abs. 1 FKVO umgesetzt wird, bevor die Kommission eine Freigabe erteilt hat. Ein solches Begriffsverständnis ist angesichts des eigentlichen Wortsinns durchaus nachvollziehbar, da hierbei Fälle erfasst werden, in denen es vor dem Startschuss der Freigabeerteilung zur Umsetzung eines Vorhabens kommt. Andere Stimmen fassen unter den Begriff des Gun-Jumpings hingegen Verstöße gegen das Vollzugs- oder das Kartellverbot8 durch faktische Vollzugsmaßnahmen und wettbewerbswidrige Interaktionen vor der Freigabe und dem formalen Vollzug

Rahmen von Due-Diligence-Prüfungen das Kartellverbot verletzt werden kann. Ein Überblick über diese Debatte findet sich in Blumenthal, 63 Antitrust L. J. 1, 4 ff. Soweit ersichtlich hat Steptoe den Begriff erstmals verwendet: „[…] where information about future business plans, obtained during pre-merger talks, allows companies to ,jump the gun‘ and cease acting as competitors before they have consummated the deal“. Steptoe, Deputy Director, Bureau of Competition, Federal Trade Commission, Remarks before the National Health Lawyers Association, 14. 02. 1991, zitiert nach Blumenthal, 63 Antitrust L. J. 1, 9. 6 Vgl. Bosch/Marquier, EWS 2010, 113; Gottschalk, RIW 2005, 905; F. Immenga, BB 2009, 57; Linsmeier/Balssen, BB 2008, 741, 742; Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 603. 7 Bosch/Marquier, EWS 2010, 113; F. Immenga/Immenga, BB 2009, 7, 10; Linsmeier/ Balssen, BB 2008, 741, 742. Vgl. auch Modrall/Ciullo, ECLR 2003, 424 und folgend Gottschalk, RIW 2005, 905, die insoweit von Gun-Jumping im engeren Sinne sprechen. In der anwaltlichen Praxis kommt ein solches Begriffsverständnis beispielsweise in Kanzleimeldungen zum Fall Electrabel (siehe S. 169 ff.) zum Ausdruck, der nach dem hier vertretenen Begriffsverständnis jedoch kein Fall eines Gun-Jumpings, sondern eines einfachen Verstoßes gegen das Vollzugsverbot ist. Statt vieler siehe McDermott, Will & Emery, European Commission Fines Electrabel EUR 20 Million for ,Gun Jumping‘ in its Acquisition of Compagnie Nationale du Rhône, abrufbar unter http://www.mwe.com/publications/uniEntity.aspx?xpST= PublicationDetail&pub=4567; Norton Rose Fulbright, The cost of „gun jumping“: The risks of implementing a deal without competition clearance, abrufbar unter http://www.nortonrosefulb right.com/knowledge/publications/22215/the-cost-of-gun-jumping-the-risks-of-implementinga-deal-without-competition-clearance. 8 Die Bezeichnung eines Verhaltens als Gun-Jumping impliziert dessen Rechtswidrigkeit. Vgl. hierzu Blumenthal, 63 Antitrust L. J. 1, 27: „The characterization of the arrangement as ,jumping the gun‘ should represent a conclusion after appropriate analysis rather than the starting point of an investigation.“

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A. Einleitung

eines Zusammenschlusses.9 Kein Gun-Jumping liegt nach diesem Begriffsverständnis dann vor, wenn es zu einem klassischen Verstoß gegen das Vollzugsverbot kommt, indem ein Zusammenschluss im Rahmen des Closings vollständig und formal vollzogen wird, bevor die Kommission eine Freigabe erteilt hat.10 Das letztere Begriffsverständnis, das atypische Verstoßformen in den Mittelpunkt stellt, ist vorzugwürdig und wird der weiteren Untersuchung zugrunde gelegt. Es entspricht der Verwendung des Begriffs durch die US-Kartellbehörden, in deren Entscheidungspraxis das Thema des Gun-Jumpings erstmals aufgekommen ist und die den Begriff geprägt haben. Die Antitrust Division des Department of Justice („DOJ“) und die Federal Trade Commission („FTC“) haben unter den Ausdruck Gun-Jumping faktische Vollzugshandlungen und wettbewerbswidrige Koordinierungen in der Zeit zwischen dem Signing11 und Closing gefasst, durch die es zu Verstößen gegen das Vollzugsverbot aus Section 7 A Clayton Act, das Kartellverbot aus Section 1 Sherman Act oder das Verbot unlauterer Wettbewerbspraktiken aus Section 5 FTC Act kommt.12 Ein Begriffsverständnis, das sich auf faktische Vollzugshandlungen und wettbewerbswidrige Interaktionen konzentriert, ist zudem vorzugswürdig, da es – anders als die synonyme Verwendung für Verstöße gegen das Vollzugsverbot – die Abgrenzung einer eigenständigen Fallgruppe mit hoher praktischer Relevanz ermöglicht. Unter den Begriff Gun-Jumping fallen demnach beispielsweise Wettbewerbsbeschränkungen, welche die beteiligten Unternehmen in Erwartung ihres Zusammenschlusses vereinbaren, um dem formalen Vollzug vorzugreifen. Zu denken ist insoweit an Fälle, in denen die Parteien noch vor der Freigabe durch die Kommission Kunden aufteilen, Preise und Konditionen absprechen oder ihr Produktangebot einschränken. Ein Gun-Jumping liegt ferner vor, wenn die beteiligten Unternehmen in einem unzulässigen Umfang Informationen austauschen und hierdurch der Wettbewerb zwischen ihnen beeinträchtigt wird. Von einem Gun-Jumping ist au9 Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 603. Vgl. auch Modrall/Ciullo, ECLR 2003, 424; Gottschalk, RIW 2005, 905, die jedoch auch den vollständigen Vollzug als Gun-Jumping bezeichnen. 10 Die Bußgelder in Samsung/AST, A. P. Møller und Electrabel (eingehend zu diesen Fällen siehe S. 168 ff.) betrafen demnach keine Gun-Jumping-Konstellationen. 11 Als Signing wird die schuldrechtliche Vereinbarung eines Unternehmenszusammenschlusses vereinbart, die mit dem Closing dinglich umgesetzt wird. Vgl. Mutter, in: Gummert, Münchener Anwaltshandbuch Personengesellschaftsrecht, § 6, Rdnr. 379. 12 Siehe unten S. 58 ff. Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 2. Vgl. Liebeskind, Gun Jumping: Antitrust Issues Before Closing the Merger, S. 1. Mitunter wird insoweit auch von premerger coordination gesprochen. Aufgrund der Begriffsverwendung in den USA – insbesondere durch das DOJ und die FTC – vermag der Vorschlag von Holzwarth nicht zu überzeugen, zwischen Verstößen gegen das Vollzugsverbot als Gun-Jumping und Verstößen gegen das Kartellverbot als premerger coordination zu unterscheiden (Holzwarth, Das Vollzugsverbot als Bestandteil eines effizienten Fusionskontrollverfahrens, S. 127 f.). In den USA werden die Begriffe vielmehr weitestgehend synonym verwandt. Vgl. insoweit allein den Titel von Vigdors Monografie zum Thema: „Premerger Coordination: The Emerging Law of Gun Jumping and Information Exchange“.

III. Gang der Untersuchung

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ßerdem dann zu sprechen, wenn dem Erwerber schon vor dem Closing faktisch die Möglichkeit eingeräumt wird, das Verhalten des Zielunternehmens zu steuern. Dies kann beispielsweise dann anzunehmen sein, wenn es vorzeitig zu personellen Verflechtungen zwischen beiden Unternehmen kommt. Daneben können sich GunJumping-Verstöße aus vertraglichen Regelungen ergeben, die den Unternehmenskaufvertrag flankieren und durch welche die wettbewerbliche Handlungsfreiheit des Zielunternehmens bereits vor der Freigabe und dem formalen Vollzug eingeschränkt wird.

III. Gang der Untersuchung Das Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, herauszustellen, welche Vorgaben aus dem Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO und dem Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV für die Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen folgen. Zu diesem Zweck werden fünf Untersuchungsschritte unternommen: 1. Im Anschluss an diese Einleitung erfolgt in Abschnitt B. zunächst eine ökonomische Annäherung an die Thematik. Es wird untersucht, welche Anforderungen aus ökonomischer Perspektive an die kartellrechtliche Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen zu stellen sind. Unter anderem wird herausgearbeitet, dass der kartellrechtlichen Beurteilung der Interaktionen vor dem Closing ein ökonomischer Zielkonflikt zugrunde liegt. So muss nicht nur berücksichtigt werden, dass von den Interaktionen der Zusammenschlussparteien negative Auswirkungen auf den Wettbewerbsprozess und das Marktergebnis ausgehen können. Vielmehr ist auch zu bedenken, dass Unternehmenszusammenschlüsse ein wichtiger Bestandteil eines dynamischen Wettbewerbsprozesses sind und die Zusammenschlussparteien bei ihrer Durchführung nicht unnötig behindert werden dürfen. 2. In Abschnitt C. wird die Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen im US-Kartellrecht untersucht. Die Antitrust Division des DOJ und die FTC haben sich seit 1991 in mittlerweile elf Verfahren mit Verstößen gegen das Kartellrecht durch zu weitgehende Interaktionen vor dem Closing auseinandergesetzt. Zudem haben die US-Kartellbehörden bewusst Maßnahmen ergriffen, um die Rechtssicherheit im Bereich der premerger coordination zu erhöhen. Die Fallpraxis in den USA kann als ein erster Orientierungspunkt bei der Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen unter europäischem Kartellrecht herangezogen werden. Vor dem Hintergrund der Erkenntnisse, die aus der ökonomischen Betrachtung und der Untersuchung der US-Rechtslage gewonnen wurden, wird in den Abschnitten D., E. und F. die Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen im europäischen Kartellrecht untersucht. 3. In Abschnitt D. wird die Reichweite des Vollzugsverbots herausgearbeitet. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, ob ein Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO nur in dem Fall anzunehmen ist, dass der Zusammenschlusstatbestand der Fusionskontrollverordnung verwirklicht wird.

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A. Einleitung

4. In Abschnitt E. wird untersucht, welche Vorgaben aus dem Kartellverbot des Art. 101 AEUV für die Interaktionen von Erwerber und Zielunternehmen vor dem Closing folgen. Einen besonderen Schwerpunkt bildet dabei die Frage, welche Grenzen das Kartellverbot dem Informationsaustausch der Zusammenschlussparteien setzt. 5. In Abschnitt F. werden das Vollzugs- und das Kartellverbot auf verschiedene Fallgruppen mit hoher praktischer Relevanz angewandt. Die Untersuchung schließt in Abschnitt G. mit einer Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse und Schlussbemerkungen zur Beurteilung von GunJumping-Verhaltensweisen unter dem europäischen Kartellrecht und der Intensität der Gun-Jumping-Verfolgung durch die Kommission.

B. Ökonomischer Zielkonflikt Im Rahmen einer ökonomischen Annäherung an den Untersuchungsgegenstand wird nachfolgend herausgestellt, welche Anforderungen die kartellrechtlichen Vorgaben für das Verhalten der Zusammenschlussparteien vor dem Closing erfüllen müssen, um das Marktergebnis zu optimieren. Dabei wird deutlich, dass bei der Anwendung des Kartellrechts auf die Interaktionen der Zusammenschlussparteien ein Zielkonflikt besteht: Die relevanten Normen müssen einerseits einen wirksamen Wettbewerbsschutz und eine effektive Marktstrukturkontrolle gewährleisten. Andererseits können durch eine überbordende Anwendung der kartellrechtlichen Vorgaben unbedenkliche Unternehmenszusammenschlüsse, die ein wichtiger Bestandteil eines dynamischen Wettbewerbsprozesses sind, unnötig behindert werden. Wie bei anderen staatlichen Eingriffen in den Wettbewerbsprozess besteht demnach auch im Hinblick auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen die Gefahr, dass durch den Markteingriff mehr Schaden angerichtet als verhindert wird (I.). Bei der Auslegung und Anwendung der kartellrechtlichen Vorschriften auf die Zusammenschlussparteien ist daher nicht nur zu berücksichtigen, welche negativen Auswirkungen GunJumping-Verhaltensweisen haben können (II.), sondern auch, inwieweit unbedenkliche Zusammenschlussvorhaben unnötig behindert werden (III.). Zur Optimierung des Marktergebnisses sollte die Reichweite des Vollzugs- und Kartellverbots im Hinblick auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen auf das unbedingt notwendige Maß begrenzt und zu große Rechtsunsicherheit vermieden werden (IV.).

I. Die Auswirkungen staatlicher Markteingriffe Markteingriffe durch abstrakte kartellrechtliche Verhaltensvorgaben verfügen über eine gewisse Unschärfe, die vielfach zur Folge hat, dass durch sie nicht nur ineffiziente, sondern auch effiziente Verhaltensweisen unterbunden werden.1 Im ungünstigsten Fall werden die positiven Auswirkungen der Gewährleistung eines wirksamen Wettbewerbsschutzes durch negative Auswirkungen in Form der Verhinderung effizienter Verhaltensweisen überwogen. Die Unschärfe der kartellrechtlichen Verhaltensvorgaben ist naturgemäß eine Kehrseite des Verhaltenssteuerungskonzepts, das dem Kartellrecht zugrunde liegt.

1 Vgl. zur Effizienzsteigerung als Ziel des Kartellrechts Basedow, WuW 2007, 712 ff.; Eilmansberger, ZWeR 2009, 437 ff. Zur Berücksichtigung von Effizienzen in der Fusionskontrolle vgl. Böge/Jakobi, BB 2005, 113 ff.

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B. Ökonomischer Zielkonflikt

1. Die Steuerungswirkung des Kartellrechts Kartellrechtliche Normen entfalten ihre Wirkung nicht nur in den Fällen, in denen eine Kartellbehörde gegen ein bestimmtes wettbewerbswidriges Verhalten vorgeht oder Dritte Unterlassungs- bzw. Schadensersatzansprüche geltend machen. Vielmehr liegt der Schwerpunkt der Steuerungswirkung des Kartellrechts darin, dass Unternehmen davor abgeschreckt werden, Kartellverstöße überhaupt zu begehen (sog. deterrence).2 Diese Ex-ante-Verhaltenssteuerung wird mittels einer Manipulation der Anreizsituation der Normadressaten durch die Androhung kartellrechtlicher Sanktionen erreicht.3 Im Ausgangspunkt – ohne das Bestehen eines kartellrechtlichen Sanktionsrisikos – lohnen sich für Marktakteure wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen, zum Beispiel das kollusive Zusammenwirken mit einem Wettbewerber, da sie hierdurch ihren Gewinn zulasten ihrer Abnehmer steigern können.4 Auf das Marktergebnis wirken sich solche Verhaltensweisen jedoch insgesamt negativ aus, da die sozialen Kosten, die eine Folge der wettbewerbswidrigen Praxis sind, den Nutzen der Verhaltensweise übersteigen.5 Man spricht insoweit von einem Fall des Marktversagens, da die freien Marktkräfte und das am Ziel der Nutzenmaximierung ausgerichtete Verhalten der Marktakteure ausnahmsweise keine effiziente Ressourcenallokation gewährleisten.6 Das Kartellrecht setzt den Anreizen zu ineffizientem Verhalten, die mitunter für Unternehmen bestehen, ein erhebliches Sanktionsrisiko entgegen, das die Normadressaten bei der Festlegung ihres Verhaltens in die individuelle Nutzenkalkulation einbeziehen müssen. Überwiegt dabei das Produkt aus Sanktionshöhe und Sanktionswahrscheinlichkeit den Gewinn, den ein Unternehmen aus einem wettbewerbsbeschränkenden Verhalten ziehen kann, bestehen für die Normadressaten keine Anreize mehr zur Durchführung einer ineffizienten Verhaltensweise. Sie werden sie folglich unterlassen.7 Indem die Normadressaten gezwungen werden, die sozialen Kosten von wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen als private Kosten in Form von drohenden Sanktionen zu berücksichtigen, werden externe Effekte internalisiert und der Eintritt eines Marktversagens wird verhindert.8 In dieser Ab2

Joskow, 18 J. L. Econ. & Org. 95, 98. Vgl. im Hinblick auf Gun-Jumping-Verstöße Hu, Pre-merger Coordination with Uncertain Detection, S. 2. 4 Es liegt somit letztlich eine Form externer Effekte vor. 5 Vgl. hierzu Ellger, Kartellschaden und Verletzergewinn, in: Bechtold/Jickeli/Rohe, FS Möschel, S. 194 ff.; Hohmann/Suchanek, Ökonomik, S. 186 f., 260; MünchKommEuWettbRKerber/Schwalbe, Einl., Rdnr. 131 – 222, 284 ff. 6 Vgl. Geradin/Layne-Farrar/Petit, EU Competition Law and Economics, Rdnr. 1.24; Samuelson/Nordhaus, Economics, S. 161. 7 Buccirossi/Ciari/Duso/Spagnolo/Vitale, Deterrence in Competition Law, S. 4 f. 8 Vgl. Buccirossi/Ciari/Duso/Spagnolo/Vitale, Deterrence in Competition Law, S. 4 f.; Hu, Pre-merger Coordination with Uncertain Detection, S. 2; Joskow, 18 J. L. Econ. & Org. 95, 99. 3

I. Die Auswirkungen staatlicher Markteingriffe

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schreckung (deterrence) vor ineffizienten Verhaltensweisen liegt aus ökonomischer Perspektive die zentrale Steuerungswirkung des Kartellrechts.9 2. Das Prinzip der Selbstveranlagung Ein wichtiges Charakteristikum dieses auf dem Prinzip der Abschreckung beruhenden Steuerungskonzepts ist das Prinzip der Selbstveranlagung. Unternehmen müssen demnach weitestgehend auf sich selbst gestellt beurteilen, ob ihr Verhalten mit dem Kartellrecht vereinbar ist oder ob ein Sanktionsrisiko besteht.10 In der Anpassung des Unternehmensverhaltens infolge der Selbstveranlagung kommt die Ex-ante-Verhaltenssteuerung durch das Kartellrecht zum Ausdruck. Neben sie tritt das Ex-post-Einschreiten der Kartellbehörden gegen wettbewerbswidrige Praktiken, das erforderlich ist, um eine ausreichende Abschreckung zu gewährleisten. Auch im Hinblick auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen müssen die Normadressaten ihr Verhalten selbst veranlagen. Im Bereich des Kartellverbots gilt das Prinzip der Selbstveranlagung sowohl im Hinblick auf den Tatbestand des Art. 101 Abs. 1 AEUV als auch – seit dem Inkrafttreten der VO 1/2003 – im Hinblick auf die Legalausnahme des Art. 101 Abs. 3 AEUV.11 Im Bereich der Fusionskontrolle erfolgt zwar an sich keine Selbstveranlagung. Vielmehr werden Unternehmenszusammenschlüsse im Vorhinein von der Kommission auf ihre Zulässigkeit hin überprüft. Im Hinblick auf das Vollzugsverbot gilt jedoch wiederum uneingeschränkt das Prinzip der Selbstveranlagung. Lediglich im Rahmen einer Befreiung vom Vollzugsverbot gemäß Art. 7 Abs. 3 FKVO besteht die Möglichkeit, eine Entscheidung der Kommission herbeizuführen.12 3. Die Gefahr von Fehlerkosten Für das Funktionieren eines auf den Prinzipien der Abschreckung und Selbstveranlagung basierenden Steuerungssystems ist es wichtig, dass die Normadressaten klare Signale dazu erhalten, welches Verhalten unzulässig ist.13 Angesichts des sehr allgemeinen Charakters der kartellrechtlichen Normen14 kommt es dabei insbesondere darauf an, wie diese von der Kommission, dem EuG und dem EuGH ausgelegt werden und welche Prüfkonzepte im Einzelnen entwickelt werden. Trotz der 9 Buccirossi/Ciari/Duso/Spagnolo/Vitale, Deterrence in Competition Law, S. 5 f.; Joskow, 18 J. L. Econ. & Org. 95, 98 f. 10 Vgl. hierzu Immenga/Mestmäcker-Ellger, Art. 101 Abs. 3 AEUV, Rdnr. 106 ff. 11 Immenga/Mestmäcker-Ellger, Art. 101 Abs. 3 AEUV, Rdnr. 21 ff.; Mestmäcker/ Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 8, Rdnr. 31. 12 Vgl. hierzu Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 28 ff. 13 Joskow, 18 J. L. Econ. & Org. 95, 99. 14 Vgl. zu diesem Aspekt im US-Kartellrecht Devlin/Jacobs, 52 Wm. & Mary L. Rev., 75, 87 ff.

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B. Ökonomischer Zielkonflikt

hierdurch erfolgenden Konkretisierung der kartellrechtlichen Verhaltensvorgaben ist einem auf Abschreckung und Selbstveranlagung setzenden Steuerungskonzept notwendigerweise der Nachteil einer gewissen Unschärfe immanent. So lässt es sich angesichts der Vielschichtigkeit der zu beurteilenden Sachverhalte und der Komplexität der maßgeblichen ökonomischen Analysekonzepte nicht vermeiden, dass die Signale über die Unzulässigkeit bestimmter Verhaltensweisen, die von dem Gesetzgeber, den Wettbewerbsbehörden und den Gerichten ausgesandt werden, in Einzelfällen zu einer Verhaltenssteuerung führen, die nach ökonomischen Maßstäben nicht optimal ist.15 Fehler sind dabei in zwei Richtungen denkbar. Zum einen können kartellrechtliche Regeln zu weit reichen und auch effiziente Verhaltensweisen untersagen (false positives oder Typ-I-Fehler).16 Andererseits können sie zu kurz greifen und ineffiziente Verhaltensweisen zulassen, die eigentlich untersagt werden sollten (false negatives oder Typ-II-Fehler).17 Gemein ist beiden Fehlertypen, dass sie sich negativ auf das Marktergebnis auswirken. Aus ökonomischer Perspektive bestehen insofern keine qualitativen Unterschiede zwischen den sozialen Kosten einer zu kurz greifenden und denen einer zu weitreichenden Abschreckung. Bei der Auslegung und Anwendung des Kartellrechts ist daher nicht nur darauf zu achten, schädliches Verhalten möglichst effektiv zu unterbinden. Vielmehr muss die Verbotsanordnung auch auf das tatsächlich notwendige Maß begrenzt werden.18 Vor allem Anhänger der Chicago School of Antitrust19 bewerteten dabei die von Typ-I-Fehlern ausgehende Gefahr als besonders gravierend und traten dafür ein, bei der Kartellrechtsanwendung den Fokus auf die Vermeidung von zu weitgehenden Eingriffen in den Markt zu richten.20 Die irrtümliche Unterbindung effizienter Verhaltensweisen im Rahmen von Typ-I-Fehlern sei für das Marktergebnis gefährlicher als das fehlerhafte Zulassen ineffizienter Verhaltensweisen im Rahmen von Typ-II-Fehlern, da letztere von den Marktkräften korrigiert werden könnten, erstere hingegen dauerhafter Natur seien.21 Zwar lässt sich im Anwendungsbereich des EU-Kartellrechts keine grundsätzliche Präferenz für die Vermeidung von Typ-I-Fehlern ausmachen.22 Nichtsdestoweniger sollte bei 15

Vgl. Devlin/Jacobs, 52 Wm. & Mary L. Rev. 75, 82 f. Vgl. hierzu auch Bierschbach/Stein, 93 Geo. L. J. 1743 ff. 17 Vgl. Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 3; Buccirossi/Ciari/Duso/Spagnolo/ Vitale, Deterrence in Competition Law, S. 6; Devlin/Jacobs, 52 Wm. & Mary L. Rev. 75 ff.; Holzwarth, Das Vollzugsverbot als Bestandteil eines effizienten Fusionskontrollverfahrens, S. 177. Mitunter wird die Bezeichnung Typ-I- und Typ-II-Fehler auch umgekehrt verwendet, vgl. Joskow, 18 J. L. Econ. & Org. 95, 99. 18 Joskow, 18 J. L. Econ. & Org. 95, 99 f. 19 Siehe hierzu Posner, 127 U. Pa. L. Rev. 925. Vgl. auch MünchKommEuWettbR-Kerber/ Schwalbe, Einl. H., Ökonomische Grundlagen des Wettbewerbsrechts, Rdnr. 89 ff. 20 Devlin/Jacobs, 52 Wm. & Mary L. Rev. 75, 84 m.w.N. 21 Devlin/Jacobs, 52 Wm. & Mary L. Rev. 75, 83 f., 86, 96; Easterbrook, 63 Tex. L. Rev. 1, 2 f.; Manne/Wright, 34 Harvard Journal of Law & Public Policy 171, 179. 22 Devlin/Jacobs, 52 Wm. & Mary L. Rev. 75, 97. 16

I. Die Auswirkungen staatlicher Markteingriffe

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der Auslegung und Anwendung des europäischen Kartellrechts darauf hingewirkt werden, in beide Richtungen Fehlerkosten so weit wie möglich zu vermeiden.23 4. Die Berücksichtigung von Transaktionskosten Neben Typ-I- und Typ-II-Fehlern sind die durch Normen verursachten Transaktionskosten in die ökonomische Beurteilung kartellrechtlicher Verhaltensvorgaben einzustellen. Zu berücksichtigen sind dabei sowohl die Transaktionskosten, die bei den Normadressaten im Rahmen der Rechtsbefolgung anfallen, als auch die Kosten, die auf öffentlicher Seite bei der Rechtsdurchsetzung verursacht werden. Bezieht man diese Kosten in die Untersuchung ein, wird deutlich, dass keine Patentlösung zur Vermeidung von Typ-I- und Typ-II-Fehlern darin besteht, anstelle des Rückgriffs auf abstrakte Prüfkriterien eine vollumfängliche Einzelfallprüfung für maßgeblich zu erklären. Es wäre mit prohibitiv hohen Transaktionskosten verbunden, das Verhalten von Unternehmen in jedem Einzelfall auf dessen Wohlfahrtseffekte hin zu überprüfen.24 Auch und gerade für die Beurteilung der Kartellrechtsanwendung im Rahmen des more economic approach kommt der Berücksichtigung von Transaktionskosten eine zentrale Bedeutung zu. So erfolgt im Rahmen des more economic approach verstärkt eine auswirkungsbezogene Beurteilung von kartellrechtlich relevanten Sachverhalten unter Berücksichtigung ökonomischer Erfahrungssätze (effects based approach). Im Vergleich zu der vormals stärker pauschalisierenden Kartellrechtsanwendung unter Rückgriff auf formale Prüfkriterien (form based approach) steigt hierdurch sowohl für Unternehmen als auch Behörden und Gerichte der Aufwand bei der kartellrechtlichen Beurteilung von Sachverhalten. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass auch im Rahmen des more economic approach keine vollumfängliche Einzelfallbeurteilung vorzunehmen ist. Vielmehr werden nach wie vor abstrakte Prüfkriterien herangezogen, die sich jedoch stärker an ökonomischen Erfahrungssätzen und den Auswirkungen der zu beurteilenden Verhaltensweise im Einzelfall orientieren. Exemplarisch kann insoweit das Abstellen auf Marktanteile als Indikator für das Vorhandensein von Marktmacht25 oder der as efficient competitor-Test26 zur 23

Vgl. Joskow, 18 J. L. Econ. & Org. 95, 98. Vgl. Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 4; Holzwarth, Das Vollzugsverbot als Bestandteil eines effizienten Fusionskontrollverfahrens, S. 174 f. 25 Beispielsweise im Rahmen der Horizontalleitlinien der Kommission, siehe Kommission, Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit („Horizontalleitlinien“), ABl. EU 2011 Nr. C 11/1, Ziff. 39 ff. Darüber hinaus hängt die Möglichkeit einer Gruppenfreistellung z. B. nach der Vertikal-GVO von den Marktanteilen der beteiligten Unternehmen ab, siehe Art. 3 Abs. 1 Vertikal-GVO. Grundlegend zur Bedeutung von Marktmacht für die Auswirkungen wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen siehe MünchKommEuWettbRKerber/Schwalbe, Einl., Rdnr. 228. 26 Siehe hierzu statt vieler Immenga/Mestmäcker-Fuchs/Möschel, Art. 102 AEUV, Rdnr. 207 ff. 24

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B. Ökonomischer Zielkonflikt

Beurteilung der marktabschottenden Wirkung des Verhaltens eines marktbeherrschenden Unternehmens angeführt werden. Der auswirkungsbezogene Ansatz des more economic approach kann daher grundsätzlich noch als ausgewogener Kompromiss zwischen einer sehr genauen, aber transaktionskostenintensiven Einzelfallbeurteilung und pauschalen, aber einfach zu handhabenden abstrakten Regeln bewertet werden. 5. Die Auswirkungen von Rechtsunsicherheit Zu berücksichtigen sind bei der ökonomischen Beurteilung von kartellrechtlichen Verhaltensvorgaben zudem die Auswirkungen, die Rechtsunsicherheit über ihre Reichweite auf das Marktergebnis haben kann. Rechtsunsicherheit darf dabei nicht mit der notwendigen Pauschalisierung verwechselt werden, die einem auf Selbstveranlagung setzenden Steuerungskonzept notwendigerweise immanent ist. Auch liegt kein Fall der Rechtsunsicherheit vor, wenn die Selbstveranlagung für die Normadressaten zwar mit erheblichem Aufwand verbunden ist (wie im Rahmen eines effects based approach), nicht aber unmöglich ist. In diesem Fall verursachen die Normen lediglich hohe Transaktionskosten. Vielmehr ist Rechtsunsicherheit nur anzunehmen, sofern den Normadressaten die Selbstveranlagung im Hinblick auf bestimmte Verhaltensweisen tatsächlich unmöglich ist, da sie von der Legislative, Judikative oder Exekutive uneindeutige Signale über die Normreichweite erhalten.27 Bereits die Intuition legt nahe, dass sich Rechtsunsicherheit insgesamt negativ auf die Wohlfahrt auswirkt, da sie dazu führen kann, dass im unsicheren Graubereich effiziente Verhaltensweisen unterbleiben und wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen (dennoch) vorgenommen werden.28 Ökonomische Untersuchungen bestätigen diese Vermutung und zeigen, dass sich Rechtsunsicherheit bis zu einem gewissen Grad zwar auch positiv auf die Wohlfahrt auswirken kann,29 bei großer Rechtsunsicherheit in der Summe jedoch die negativen Wohlfahrtseffekte überwiegen.30 Rechtsunsicherheit sollte bei den kartellrechtlichen Verhaltensvorgaben für die Zusammenschlussparteien daher vermieden werden.31

27 Siehe hierzu Katsoulacos/Ulph, The Welfare Effects of Legal Uncertainty and its Implications for Competition Policy Enforcement Procedures, S. 2 ff. 28 Vgl. Buccirossi/Ciari/Duso/Spagnolo/Vitale, Deterrence in Competition Law, S. 7 f. 29 Lang, Legal Uncertainty – an Effective Deterrent in Competition Law, S. 1 f. 30 Katsoulacos/Ulph, The Welfare Effects of Legal Uncertainty and its Implications for Competition Policy Enforcement Procedures, S. 7; Lang, Legal Uncertainty – an Effective Deterrent in Competition Law, S. 16. 31 Vgl. Fisher/Lande, 71 Cal. L. Rev. 1580, 1586 und speziell zur Gun-Jumping-Problematik Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 4.

II. Mögliche negative Auswirkungen von Gun-Jumping-Verhaltensweisen

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6. Schlussfolgerungen für die Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen Aus den vorausgehenden Ausführungen wird deutlich, welche Anforderungen aus ökonomischer Perspektive an die kartellrechtliche Beurteilung von Gun-JumpingVerhaltensweisen zu stellen sind. So müssen die aus dem Vollzugs- und dem Kartellverbot abgeleiteten Verhaltensvorgaben nicht nur gewährleisten, dass wettbewerblich bedenkliche Verhaltensweisen und die Vorwegnahme problematischer Marktstrukturveränderungen möglichst wirksam unterbunden werden. Vielmehr ist darauf zu achten, die Fehlerkosten insgesamt zu minimieren:32 Sowohl Typ-I- als auch Typ-II-Fehler sollten so weit wie möglich vermieden werden. Die Abschreckung vor bedenklichen Verhaltensweisen darf weder zu weit gehen (overdeterrence) noch zu kurz greifen (underdeterrence). Um das jeweilige Fehlerrisiko einschätzen zu können, werden in den nachfolgenden Abschnitten die möglichen negativen Auswirkungen von Gun-Jumping-Verhaltensweisen (II.) und die mögliche Behinderungswirkung der kartellrechtlichen Vorgaben (III.) untersucht. Im Übrigen ist auf die Handhabbarkeit und Klarheit der kartellrechtlichen Verhaltensmaßgaben zu achten, um die verursachten Transaktionskosten gering zu halten und Rechtsunsicherheit zu vermeiden.33

II. Mögliche negative Auswirkungen von Gun-Jumping-Verhaltensweisen Die Anwendung des Vollzugs- und Kartellverbots auf das Verhalten der Zusammenschlussparteien vor dem Closing sollte negative Auswirkungen auf den Wettbewerbsprozess und das Marktergebnis wirksam verhindern. Die Interaktionen der Zusammenschlussparteien vor dem Closing können insoweit in zweierlei Hinsicht bedenklich sein: Zum einen kann durch sie der Wettbewerb zwischen Erwerber und Zielunternehmen beschränkt werden (1.). Zum anderen kann es zum vorzeitigen Eintritt von negativ zu bewertenden Marktstrukturveränderungen kommen (2.). 1. Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen Im Rahmen der Interaktionen der Zusammenschlussparteien, die vor dem Vollzug eines Zusammenschlusses notwendigerweise erfolgen, bietet sich für Erwerber und Zielunternehmen eine Gelegenheit zur Koordinierung ihres Marktverhaltens. Zum Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen kann es dabei aus verschiedenen Gründen kommen. Beispielsweise können die beteiligten Unternehmen ganz bewusst ver32

Joskow, 18 J. L. Econ. & Org. 95, 99 f. Vgl. Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 4; Holzwarth, Das Vollugsverbot als Bestandteil eines effizienten Fusionskontrollverfahrens, S. 173 ff.; Podszun, WuW 2010, 1128, 1131 f. 33

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B. Ökonomischer Zielkonflikt

suchen, die Vorteile des bevorstehenden Zusammenschlusses schon vorzeitig zu realisieren, indem sie ihre Zusammenarbeit intensivieren und die Grenzen des Kartellrechts34 überschreiten. Dieses Risiko besteht insbesondere dann, wenn ein Zusammenschluss einvernehmlich durchgeführt wird, um einen strategischen Vorteil zu erlangen. Denkbar ist aber auch, dass Wettbewerbsbeschränkungen unbeabsichtigt als Nebenprodukt zu an sich legitimen Interaktionen zur Vorbereitung eines Zusammenschlusses verursacht werden. So können Wettbewerbsbeschränkungen als spillover-Effekt eintreten, wenn es im Rahmen des Informationsaustauschs und der Integrationsplanung zu einer Erörterung von Themen mit hoher strategischer Relevanz kommt. Ferner kann es dann zu einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs kommen, wenn dem Erwerber vorzeitig die Möglichkeit eingeräumt wird, das Verhalten des Zielunternehmens im operativen Geschäft zu beeinflussen, sofern hierdurch die Möglichkeit des Zielunternehmens eingeschränkt wird, Wettbewerbsdruck auf den Erwerber auszuüben. Wettbewerbliche Probleme können sowohl bei horizontalen als auch vertikalen Zusammenschlüssen auftreten.35 Wie schwerwiegend die Auswirkungen einer Beschränkung des Wettbewerbs zwischen Erwerber und Zielunternehmen sind, hängt maßgeblich davon ab, ob der Zusammenschluss letztlich vollzogen wird oder die Umsetzung unterbleibt. Die Auswirkungen auf den Markt sind besonders gravierend, wenn ein Zusammenschlussvorhaben scheitert. In diesem Fall kann die im Rahmen eines Gun-Jumpings ermöglichte Wettbewerbsbeschränkung eine lang anhaltende wettbewerbswidrige Praxis der eigenständig bleibenden Unternehmen nach sich ziehen. So ist es denkbar, dass die umfassenden Kontakte zur Vorbereitung der Transaktion die Einigung auf ein Kollusionsergebnis ermöglichen, die häufig eine entscheidende Hürde bei der Durchführung einer wettbewerbswidrigen Praxis darstellt.36 Ein einmal erzieltes Kollusionsergebnis muss nach dem Scheitern des Zusammenschlussvorhabens lediglich aufrechterhalten werden. Gerade dann, wenn ein Zusammenschluss an einer Untersagung durch die Kommission scheitert, sind dabei gravierende negative Auswirkungen auf den Markt zu befürchten, da die Untersagung auf eine signifikante kombinierte Marktmacht der Zusammenschlussparteien und eine ohnehin angespannte Wettbewerbssituation hindeutet.37 Wird der Zusammenschluss hingegen letztlich vollzogen, sind die Auswirkungen auf den Markt zeitlich begrenzt. Negative Auswirkungen können in diesem Fall lediglich in der Zeit bis zum Vollzug eintreten, beispielsweise dann, wenn der Erwerber und das Zielunternehmen vorzeitig ihre Nachfragemacht bündeln. Dabei 34

Zu diesen Grenzen eingehend unten S. 135 ff. und S. 236 ff. Bei horizontalen Zusammenschlüssen kann es beispielsweise zu einer Angleichung der Konditionen kommen. Bei vertikalen Zusammenschlüssen sind beispielsweise Marktverschließungseffekte denkbar, wenn das Zielunternehmen ein Zulieferer des Erwerbers ist und schon vor dem Vollzug dazu veranlasst wird, Wettbewerber des Erwerbers nicht mehr zu beliefern. 36 Vgl. Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 65 f. 37 Vgl. Art. 2 Abs. 3 FKVO. 35

II. Mögliche negative Auswirkungen von Gun-Jumping-Verhaltensweisen

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deutet der Umstand, dass der Zusammenschluss letztlich von der Kommission freigegeben wird, darauf hin, dass die zwischenzeitlichen Auswirkungen auf den Markt in der Regel nicht allzu gravierend sein dürften, da selbst die vollständige Kombination von Erwerber und Zielunternehmen den Wettbewerb auf dem betroffenen Markt nicht erheblich behindert, vgl. Art. 2 Abs. 2 FKVO.38 Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass sich aus der zeitlichen Limitierung, welche die negativen Auswirkungen in diesem Fall haben, kein Differenzierungskriterium für die Beurteilung unter dem Kartellverbot ableiten lässt, da sich ex ante nicht mit Sicherheit sagen lässt, ob es letztlich zum Vollzug eines Zusammenschlusses kommt oder das Vorhaben scheitert. Insbesondere ist zu bedenken, dass Zusammenschlüsse nicht nur an einer Untersagung durch die Kommission, sondern auch an vielfältigen anderen Gründen bis kurz vor dem geplanten Vollzug noch scheitern können. 2. Vorzeitiger Eintritt von Marktstrukturveränderungen Neben dem Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen kann es im Rahmen eines Gun-Jumpings zum vorzeitigen Eintritt von negativ zu beurteilenden Marktstrukturveränderungen kommen (a)). Besonders kritisch ist dies zu beurteilen, wenn eine nachträgliche Entflechtung nicht ohne Weiteres möglich ist (b)). a) Eintritt von bedenklichen Marktstrukturveränderungen Die europäische Fusionskontrollverordnung wurde präventiv ausgestaltet, um zu verhindern, dass die negativen Marktstrukturveränderungen eines zu untersagenden Zusammenschlusses eintreten, bevor die Kommission die Gelegenheit hatte, die Prüfung des Zusammenschlusses abzuschließen und das Vorhaben zu untersagen.39 Ein zentrales Bedenken gegen Gun-Jumping-Verhaltensweisen besteht darin, dass sie zum vorzeitigen Eintritt von bedenklichen Marktstrukturveränderungen führen können.40 38

An dem Umstand, dass das Kartellverbot auch Vereinbarungen von Unternehmen erfasst, die sich nach der Wertung der Fusionskontrollverordnung zusammenschließen dürfen, zeigt sich ein abgestufter Beurteilungsmaßstab des europäischen Kartellrechts: Auch wenn eine Marktstrukturveränderung mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist, da der Zusammenschluss den Wettbewerb nicht wesentlich beeinträchtigt, ist Erwerber und Zielunternehmen bis zum Vollzug die prima facie weniger intensive Kooperationsform der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung nicht gestattet. Dieser scheinbare Wertungswiderspruch lässt sich damit begründen, dass im Falle eines Zusammenschlusses auch Effizienzgewinne erzielt werden können, während sich eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung ausschließlich negativ auf das Marktergebnis auswirkt, sofern nicht ausnahmsweise ein Fall des Art. 101 Abs. 3 AEUV vorliegt. 39 Zur präventiven Ausgestaltung der Fusionskontrollverordnung siehe eingehend die Ausführungen zum Zweck des Vollzugsverbots, S. 142 ff. 40 Von der Fusionskontrollverordnung werden dabei allerdings nicht sämtliche Veränderungen der Marktstruktur erfasst, sondern nur solche, die durch externes Unternehmens-

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B. Ökonomischer Zielkonflikt

In ihren Leitlinien zur Beurteilung horizontaler41 und nichthorizontaler42 Zusammenschlüsse führt die Kommission an, welche wettbewerblichen Bedenken gegen Marktstrukturveränderungen durch externes Unternehmenswachstum sprechen können.43 Bei horizontalen Zusammenschlüssen befürchtet sie zum einen nicht koordinierte Wirkungen in Form der Beseitigung von Wettbewerbsdruck und der Erhöhung von Marktmacht.44 Daneben prüft die Kommission das Eintreten koordinierter Wirkungen, die darin bestehen können, dass der Markt durch den Zusammenschluss eine Struktur erhält, die eine Koordinierung des Verhaltens der Marktteilnehmer erleichtert.45 Bei vertikalen und konglomeraten Zusammenschlüssen befürchtet die Kommission koordinierte Effekte in Form einer Marktabschottung.46 Zudem hat die Kommission Bedenken, dass es zum Austausch von Informationen über die vorgelagerten oder nachgeordneten Aktivitäten von Wettbewerbern kommen könnte.47 Durch Gun-Jumping-Verhaltensweisen kann es zur vorzeitigen Verwirklichung von Marktstrukturveränderungen kommen, sodass sich die angeführten wettbewerblichen Bedenken verwirklichen können. Erhält der Erwerber vorzeitig die Möglichkeit, das Verhalten des Zielunternehmens zu bestimmen, kann es in horizontalen Konstellationen beispielsweise noch vor dem Abschluss der fusionskontrollrechtlichen Prüfung durch die Kommission zu einer Bündelung der Marktmacht gegenüber den Abnehmern oder Zulieferern kommen. In vertikalen Konstellationen kann es zu Marktabschottungseffekten kommen, wenn der Erwerber beispielsweise die Möglichkeit des Zielunternehmens einschränkt, mit Wettbewerbern des Erwerbers Geschäftsbeziehungen zu unterhalten. Den Eintritt derartiger negativer Auswirkungen vor dem Abschluss der Prüfung durch die Kommission zu verhindern, ist Sinn und Zweck der präventiven Ausgestaltung der Fusionskontrollverordnung.48

wachstum in der Form eines dauerhaften Wechsels der Kontrolle über ein Unternehmen bewirkt werden, Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 FKVO. Siehe hierzu unten S. 216 ff. 41 Kommission, Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, ABl. EU 2004 Nr. C 31/5. 42 Kommission, Leitlinien zur Bewertung nichthorizontaler Zusammenschlüsse, ABl. EU 2008 Nr. C 265/6. 43 Zu den Auswirkungen von Marktstrukturveränderungen eingehend Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, S. 219 ff. 44 Kommission, Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Ziff. 24. 45 Kommission, Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Ziff. 39. 46 Kommission, Leitlinien zur Bewertung nichthorizontaler Zusammenschlüsse, Ziff. 29 ff., 93 ff. 47 Kommission, Leitlinien zur Bewertung nichthorizontaler Zusammenschlüsse, Ziff. 78. 48 Siehe unten S. 142 ff.

III. Drohende Behinderung von unbedenklichen Zusammenschlussvorhaben

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b) Schwierigkeiten bei der Entflechtung Besondere Bedenken bestehen gegen vorzeitige Vollzugshandlungen, wenn sie Marktstrukturveränderungen herbeiführen, die sich nach einer Untersagung nur unter großem Aufwand oder nicht vollständig rückgängig machen lassen.49 Dies ist insbesondere in Situationen zu befürchten, in denen der Erwerber vorzeitig die unternehmerische Dispositionsbefugnis über das Zielunternehmen erlangt und es zu dessen wirtschaftlicher Eingliederung kommt.50 Im Falle einer solchen sogenannten scrambled eggs-Situation können die im Rahmen von Gun-Jumping-Verstößen herbeigeführten Marktstrukturveränderungen auch über den Erlass einer Untersagungsentscheidung hinaus eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs zur Folge haben.51 3. Ergebnis Die Interaktionen der Zusammenschlussparteien vor dem Closing wirken sich negativ auf das Marktergebnis aus, sofern sie zum Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen führen oder die vorzeitige Verwirklichung von negativ zu bewertenden Marktstrukturveränderungen nach sich ziehen. Die negativen Auswirkungen sind dabei in den Fällen besonders gravierend, in denen das Zusammenschlussvorhaben letztlich aus kartellrechtlichen Gründen untersagt wird. Die Anwendung der kartellrechtlichen Vorgaben auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen sollte gewährleisten, dass entsprechende negative Auswirkungen wirksam unterbunden werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich ex ante keine sichere Aussage darüber treffen lässt, ob ein Vorhaben letztlich untersagt oder freigegeben wird. Bei der Anwendung des Kartellrechts auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen lässt sich demnach nicht zwischen wettbewerblich bedenklichen und unbedenklichen Vorhaben differenzieren.

III. Drohende Behinderung von unbedenklichen Zusammenschlussvorhaben Neben den möglichen negativen Auswirkungen von Gun-Jumping-Verhaltensweisen ist bei der Entwicklung des kartellrechtlichen Maßstabs für die Beurteilung von Interaktionen vor dem Vollzug zu berücksichtigen, dass durch strenge Vorgaben die Durchführung von wettbewerblich unbedenklichen Zusammenschlussvorhaben behindert werden kann. Die weit überwiegende Zahl der Zusammenschlüsse, die der Fusionskontrollverordnung unterfallen, bietet keinen Anlass zu kartellrechtlichen Bedenken und ist ganz im Gegenteil sogar ein wichtiger Bestandteil eines dyna49 50 51

Siehe unten S. 143. Mestmäcker, Die Prävention in der Fusionskontrolle, in: Horn, FS Coing, Bd. 2, S. 381 f. Mestmäcker, Die Prävention in der Fusionskontrolle, in: Horn, FS Coing, Bd. 2, S. 382.

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B. Ökonomischer Zielkonflikt

mischen Wettbewerbsprozesses (1.). Strenge kartellrechtliche Verhaltensvorgaben können die effiziente Ausgestaltung dieser Unternehmenstransaktionen behindern (2.) und ihre betriebswirtschaftlichen Erfolgsaussichten beeinträchtigen (3.). 1. Überwiegende Zahl der Zusammenschlüsse ist wettbewerblich unbedenklich Der Großteil der Zusammenschlüsse, die von der Fusionskontrollverordnung erfasst werden, ist wettbewerblich unbedenklich. Von 5.623 Zusammenschlüssen, die bei der Kommission seit dem Inkrafttreten der Fusionskontrollverordnung im Jahr 1990 bis Ende August 2014 notifiziert wurden, sind lediglich 24 Zusammenschlüsse untersagt worden. Demnach hätten weniger als 0,5 Prozent der erfassten Vorhaben die Marktstruktur derart beeinträchtigt, dass eine Untersagung geboten war. In weiteren 105 Fällen erging eine Freigabe nur unter Bedingungen. In der Summe gaben demnach weniger als 2,5 Prozent der notifizierten Zusammenschlüsse Anlass zu Bedenken.52 Das Gros der Zusammenschlüsse, die keine bedenklichen Marktstrukturveränderungen53 herbeiführen, stellt einen wichtigen Bestandteil eines lebhaften Wettbewerbsprozesses dar. Externes Unternehmenswachstum ist für die Marktakteure ein wichtiges Instrument zur strategischen Fortentwicklung, die notwendig ist, um im Wettbewerb zu bestehen. Zusammenschlüsse erleichtern ihnen beispielsweise das Erreichen einer optimalen Unternehmensgröße, ermöglichen Marktzutritte und erlauben eine stärkere vertikale Integration. Unternehmenstransaktionen können daher für den Wettbewerbsprozess förderlich sein.54 Dies entspricht auch der Auffassung der Kommission, die in Erwägungsgrund 4 FKVO ausführt, dass Marktstrukturveränderungen durch externes Unternehmenswachstum zu begrüßen sind, soweit sie den Erfordernissen eines dynamischen Wettbewerbs entsprechen und geeignet sind, zu einer Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie, zu einer Verbesserung der Wachstumsbedingungen sowie zur Anhebung des Lebensstandards in der Gemeinschaft zu führen.

52 Fallstatistik Zusammenschlusskontrolle der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission, 21. 09. 1990 – 31. 08. 2014, abrufbar unter http://ec.europa.eu/competition/ mergers/statistics.pdf. 53 Zu bedenklichen Marktstrukturveränderungen eingehend Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, S. 219 ff., siehe oben S. 41 f. 54 Vgl. zu möglichen Effizienzgewinnen durch Zusammenschlüsse Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, S. 420 ff.; Röller/Stennek/Verboven, Efficiency gains from mergers, S. 4 ff.; Rosenthal/Thomas, European Merger Control, Abschnitt A., Rdnr. 3. Transaktionskostenökonomisch lassen sich mit Coase zudem die Einsparungen von Transaktionskosten anführen, die durch Unternehmenszusammenschlüsse erzielt werden können, Coase, Economica, Vol. 4, No. 16, 386, 390 ff. Vgl. Mittendorf/Plöger, Einbettung von Merger und Akquisition in wirtschaftstheoretische Erklärungsansätze, S. 14.

III. Drohende Behinderung von unbedenklichen Zusammenschlussvorhaben

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2. Effiziente Ausgestaltung von Unternehmenstransaktionen Die Anwendung der kartellrechtlichen Vorgaben auf das Verhalten der Zusammenschlussparteien vor dem Closing kann die effiziente Ausgestaltung von Unternehmenstransaktionen behindern. Der optimalen Gestaltung einer Unternehmenstransaktion stehen insbesondere Informationsasymmetrien (a)), das moral hazardProblem (b)) und Transaktionskosten (c)) entgegen. Die kartellrechtlichen Verhaltensvorgaben können die Möglichkeiten der beteiligten Unternehmen zur Überwindung dieser Probleme einschränken. a) Informationsasymmetrien Zwischen dem Erwerber und dem Zielunternehmen bzw. dem Veräußerer bestehen erhebliche Informationsasymmetrien im Hinblick auf die Eigenschaften des Kaufobjekts. Hierdurch wird die Bewertung des Zielunternehmens durch den Kaufinteressenten massiv erschwert und das Zustandekommen der Transaktion zu für beide Seiten vorteilhaften Konditionen behindert.55 So muss der Erwerber bei einer unvollständigen Informationslage über den Wert des Zielunternehmens bei der Kaufpreisbemessung die Möglichkeit einpreisen, dass der Wert des Zielunternehmens tatsächlich geringer ist als erwartet. Informationsasymmetrien haben daher häufig zur Folge, dass sich für die Veräußerung von überdurchschnittlich werthaltigen Zielunternehmen nur ein Kaufpreis unter dem tatsächlichen Wert erzielen lässt. Im äußersten Fall kann dies zur Folge haben, dass ein Zusammenschlussvorhaben aufgrund einer zu geringen Zahlungsbereitschaft des Interessenten scheitert und die Möglichkeit zur Erzielung von Synergieeffekten ungenutzt verstreicht.56 Daneben treten negative Auswirkungen auch in dem Fall ein, dass der Wert des Zielunternehmens geringer ist als erwartet. In diesem Fall lohnt sich der Zusammenschluss für den Erwerber nicht und sein Unternehmenserfolg kann durch die überhöhte Kaufpreiszahlung nachhaltig gefährdet werden.57 Daneben sind insgesamt schädliche Auswirkungen auf den Übernahmemarkt zu befürchten, da sich potenzielle Käufer zukünftig bei der Kaufpreisbemessung stärker zurückhalten werden, um eine Überschätzung des Zielunternehmens zu vermeiden. Hierdurch wird insbesondere der Verkauf von überdurchschnittlich werthaltigen Unternehmen unattraktiver.58 Letztlich liegt es daher sowohl im Interesse des Veräußerers als auch des Erwerbers, Informationsasymmetrien in Bezug auf den Wert des Zielunternehmens 55 Vgl. Cheng/Li/Tong, Information Asymmetry in the Takeover Market, S. 3. Letztlich wird das Generieren von Kooperationsgewinnen behindert. Letztere sind die Gewinne, die sowohl der Erwerber als auch der Veräußerer aus der Unternehmenstransaktion ziehen können („gains from trade“). Vgl. Hohmann/Suchanek, Ökonomik, S. 7. 56 Cheng/Li/Tong, Information Asymmetry in the Takeover Market, S. 3. 57 Cheng/Li/Tong, Information Asymmetry in the Takeover Market, S. 3. 58 Im schlimmsten Fall droht die Verwirklichung des Akerlof‘schen market for lemonsSzenarios, vgl. Akerlof, 84 Q. J. Econ. 488 ff.

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B. Ökonomischer Zielkonflikt

abzubauen. Zudem ist der Abbau von Informationsasymmetrien für die Funktionsfähigkeit des Übernahmemarkts insgesamt von Bedeutung. Insbesondere das Kartellverbot kann jedoch dem zum Abbau von Informationsasymmetrien notwendigen Informationsaustausch entgegenstehen. b) Moral hazard-Problem Zwischen der Vereinbarung eines Unternehmenszusammenschlusses (Signing) und dessen Vollzug (Closing) liegt häufig eine erhebliche Zeitspanne, die insbesondere durch das Erfordernis der Durchführung eines kartellbehördlichen Prüfverfahrens verursacht werden kann.59 In dieser Schwebephase, die mitunter mehrere Monate dauert, kann sich das moral hazard-Problem verwirklichen. Das moral hazard-Problem wurde zunächst im Versicherungsbereich beobachtet und beschreibt den Umstand, dass Personen (Versicherungsnehmer) größere Risiken eingehen, sofern sie den hierdurch drohenden Schaden nicht selbst tragen müssen.60 Auch über die Versicherungsbranche hinaus lässt sich beobachten, dass das Auseinanderfallen eines Schadens und der Möglichkeit, den Schadenseintritt zu verhindern, zu Wohlfahrtsverlusten führt, da keine ausreichenden Anreize zur Schadensvermeidung bestehen und sich daher vermeidbare Risiken realisieren.61 Entsprechenden Wohlfahrtsverlusten lässt sich entgegenwirken, indem institutionelle Vorkehrungen getroffen werden, die sicherstellen, dass die Möglichkeit und die Anreize zur Schadensvermeidung in einer Person zusammenfallen. Im Rahmen von Unternehmenszusammenschlüssen kommt es in der Zeit zwischen Signing und Closing zu einem Auseinanderfallen der Möglichkeit und des Anreizes zur Schadensvermeidung, sofern eine Verschlechterung des Zielunternehmens in dieser Phase zulasten des Erwerbers geht, da die Lenkung des Zielunternehmens und damit die Möglichkeit zur Abwendung von Schäden bis zum Closing weiterhin dem Veräußerer bzw. dem Zielunternhemn selbst obliegt.62 Das moral hazard-Problem lässt sich allerdings lösen, indem dem Veräußerer das Risiko der Verschlechterung durch sogenannte material adverse change-Klauseln auferlegt oder die Handlungsfreiheit des Zielunternehmens durch ordinary course of businessKlauseln eingeschränkt wird.63 Derartige Klauseln stehen allerdings in einem Spannungsverhältnis zum Vollzugs- und Kartellverbot, da sie dem Erwerber zu 59

Gilson, Law and Economics in the Law Firm: The Case of MACs, in: Nobel/Gets, New Frontiers of Law and Economics, S. 174; Gilson/Schwartz, 21 J. L. Econ. & Org. 330, 334. 60 Vgl. Mankiw/Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, S. 574, 715. 61 Vgl. Gilson, Law and Economics in the Law Firm: The Case of MACs, in: Nobel/Gets, New Frontiers of Law and Economics, S. 177. 62 Das Ausmaß des moral hazard-Problems hängt maßgeblich von den Gefahrtragungsvorschriften der anwendbaren Rechtsordnung ab. Es verwirklicht sich insbesondere in käuferunfreundlichen Rechtsordnungen wie der US-amerikanischen mit dem caveat emptorGrundsatz, vgl. Rittmeister, NZG 2004, 1032. 63 Siehe hierzu ausführlich unten S. 324 ff.

III. Drohende Behinderung von unbedenklichen Zusammenschlussvorhaben

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einem gewissen Grad Einfluss auf das Verhalten des Zielunternehmens einräumen und die Eigenständigkeit des Zielunternehmens bereits vor dem Abschluss des Fusionskontrollverfahrens einschränken. c) Transaktionskosten Unternehmenszusammenschlüsse sind mit erheblichen Transaktionskosten verbunden. Die Durchführung einer Due Diligence, die Vertragsgestaltung sowie die Integrationsplanung sind äußerst zeit- und kostenintensiv. Hohe kartellrechtliche Hürden in Bezug auf das Verhalten von Erwerber und Zielunternehmen in der Zeit vor dem Closing können zu einer weiteren Erhöhung der Transaktionskosten beitragen. Zu denken ist insoweit beispielsweise an das Erfordernis, Teile der Due Diligence von independent agents durchführen zu lassen oder zur Integrationsplanung clean teams zu bilden, die vom operativen Geschäft entkoppelt werden, um Kartellverstöße zu vermeiden.64 Auch die Steigerung des Bedarfs an kartellrechtlicher Beratung führt zu einer Erhöhung der Transaktionskosten. d) Schlussfolgerung Die kartellrechtlichen Anforderungen können die an einem Zusammenschlussvorhaben beteiligten Unternehmen bei der möglichst effizienten Gestaltung der geplanten Transaktion behindern, indem der Abbau von Informationsasymmetrien sowie die Lösung des moral hazard-Problems erschwert und Transaktionskosten erhöht werden. Diese Auswirkungen müssen aus ökonomischer Perspektive bei der Ausgestaltung der kartellrechtlichen Anforderungen an die Zusammenschlussparteien berücksichtigt werden. 3. Auswirkungen auf die Erfolgsaussichten von Zusammenschlüssen Die Anwendung des Vollzugs- und Kartellverbots auf die Interaktionen von Erwerber und Zielunternehmen kann sich zudem negativ auf die Erfolgsaussichten von Zusammenschlüssen auswirken. Aus der Perspektive der beteiligten Unternehmen stellt die Durchführung eines Zusammenschlussvorhabens eine große Herausforderung dar. Überraschend wenige Unternehmenstransaktionen verlaufen erfolgreich (a)). Wichtige Erfolgsfaktoren für Unternehmenszusammenschlüsse stehen in einem Spannungsverhältnis zu den kartellrechtlichen Verhaltensvorgaben und können durch einen zu strengen kartellrechtlichen Maßstab beeinträchtigt werden (b)).

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Siehe unten S. 311 ff.

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B. Ökonomischer Zielkonflikt

a) Geringe Erfolgsquote von Unternehmenszusammenschlüssen Unternehmen streben Zusammenschlüsse vor allem an, um Kosten zu senken, Erträge zu maximieren und den Wert des eigenen Unternehmens zu steigern.65 Diese Ziele sollen beispielsweise durch größere Skalenerträge (economies of scale), die Ausnutzung von Verbundvorteilen (economies of scope) oder eine stärkere vertikale Integration erreicht werden. Daneben können Unternehmensakquisitionen zur Erhöhung des Marktanteils, zur besseren Auslastung von Kapazitäten oder zur strategischen Transformation eines Unternehmens durch die Erschließung neuer Märkte oder Kundengruppen beitragen.66 Obwohl Unternehmenstransaktionen in der Regel aus betriebswirtschaftlich nachvollziehbaren Gründen angestrebt werden, scheitern sie häufig. Prominente Beispiele sind insoweit die „Hochzeit im Himmel“ von Daimler und Chrysler im Jahr 199867 oder die Übernahme von AOL durch Time Warner im Jahr 2001.68 Die Erfolgsquote von Unternehmenstransaktionen wird auf der Grundlage verschiedener Studien insgesamt auf lediglich 30 bis 40 Prozent geschätzt, wobei die genaue Zahl stark vom gewählten Benchmark abhängt.69 Andere Studien zeigen, dass 65 bis 85 Prozent der Zusammenschlüsse zu keinem Mehrwert führen, sondern vielmehr in über der Hälfte der Fälle sogar Werte vernichten70 bzw. in 33 Prozent der Fälle die direkten Kosten der Unternehmenstransaktion nicht erwirtschaftet werden.71 Zudem zeigen Untersuchungen, dass viele Unternehmen innerhalb der ersten drei bis fünf Jahre nach einer Akquisition einen nicht unerheblichen Teil des zuvor hinzuerlangten Marktanteils verlieren.72 Zwar gibt es durchaus Studien, die ein nicht ganz so pessimistisches Bild der Erfolgs-

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Vgl. Austmann, ZGR 2009, 277. Mitunter erfolgen Zusammenschlüsse auch, um Synergien im Bereich Forschung und Entwicklung zu erzielen oder das Know-how des Zielunternehmens in das eigene Unternehmen zu integrieren. Siehe zu den Motiven Höveler, M&A Review 2011, 160; Pautler, FTC Merger Roundtable, S. 7. Eine gut gegliederte Übersicht über die Motive für Unternehmensakquisitionen findet sich bei Jansen, Mergers & Acquisitions, S. 259. 67 Vgl. Peitsmeier, Daimler verkauft Chrysler, Der Mercedes Stern steht wieder im Mittelpunkt, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 14. 05. 2007, abrufbar unter http://www.faz.net/ak tuell/wirtschaft/unternehmen/daimler-verkauft-chrysler-der-mercedes-stern-steht-wieder-immittelpunkt-1434136.html. 68 Vgl. Lindner, Ende einer gescheiterten Fusion, Time Warner spaltet AOL ab, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 28. 05. 2009, abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unter nehmen/ende-einer-gescheiterten-fusion-time-warner-spaltet-aol-ab-1797292.html. 69 Austmann, ZGR 2009, 277, 278. Pautler, The Effects of Mergers and Post-Merger Integration, S. 14, 18 f. Mitunter wird die Erfolgsquote auch auf 30 bis 50 Prozent geschätzt Lucks, M&A 2005, 159 m.w.N. Eine Übersicht über die Ergebnisse verschiedener Studien zum Erfolg von Unternehmensakquisitionen findet sich bei Jansen, Mergers & Acquisitions, S. 340 f. 70 Courth/Marschmann/Kaemper/Moscho, M&A Review 2008, 8 m.w.N. 71 Dier/Eckert, M&A Review 2008, 78, 79. 72 Dier/Eckert, M&A Review 2008, 78, 79. 66

III. Drohende Behinderung von unbedenklichen Zusammenschlussvorhaben

49

aussichten von Unternehmenszusammenschlüssen zeichnen.73 In der Gesamtschau muss jedoch geschlussfolgert werden, dass mehr als die Hälfte der Unternehmenszusammenschlüsse die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen. Dies ist nicht nur aus Sicht der Anteilseigner problematisch, sondern vor allem auch aus gesamtwirtschaftlichen Gründen bedenklich, da Potenziale zur Erzielung von Synergieeffekten und Effizienzgewinne nicht realisiert und erhebliche Transaktionskosten vergebens aufgewandt werden. b) Verbesserung der Erfolgsaussichten Angesichts der überraschend schlechten Erfolgsbilanz von Unternehmenszusammenschlüssen hat sowohl in der Betriebswirtschaftslehre als auch im Management- und Unternehmensberatungsbereich eine ausführliche Auseinandersetzung mit Mergers-and-Acquisitions-Prozessen stattgefunden. Es wurde nach den Gründen für das Scheitern so vieler Transaktionen gefragt und untersucht, wie sich die Erfolgsaussichten von Zusammenschlüssen erhöhen lassen.74 Viele Untersuchungen kamen dabei übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass häufig nicht strategische Fehlentscheidungen bei der Auswahl des Transaktionsobjekts, sondern vielmehr Schwierigkeiten bei der Integration des Zielunternehmens die Ursache des Scheiterns sind.75 Dem lässt sich durch eine frühzeitige und umfassende Integrationsplanung entgegenwirken (aa)). Zudem wurde erkannt, dass eine hohe Umsetzungsgeschwindigkeit (bb)) und ein umfassender Informationsaustausch (cc)) die Erfolgsaussichten von Zusammenschlussvorhaben steigern können. Diese Erfolgsfaktoren konfligieren jedoch jeweils mit kartellrechtlichen Erfordernissen. aa) Erfolgsfaktor Integrationsplanung Die Integration des Zielunternehmens ist eine Voraussetzung dafür, um durch einen Zusammenschluss eine Wertschöpfung erzielen zu können.76 Probleme bei der 73

Vgl. die Übersicht über Studien verschiedener Unternehmensberatungen bei Pautler, The Effects of Mergers and Post-Merger Integration, S. 6 ff. Einzelnen Studien zufolge betrachten bis zu 82 Prozent der befragten Führungskräfte die untersuchten Zusammenschlüsse als erfolgreich (KPMG Studie 2001). Derart positive Ergebnisse sind jedoch eindeutig die Ausnahme. Andere Unternehmensberatungen kommen in ihren Studien beispielsweise zu dem Ergebnis, dass lediglich 53 Prozent der Transaktionen die Erwartungen erfüllen (Booz-Allen & Hamilton Studie 2001) und 65 bis 70 Prozent der Zusammenschlüsse den Shareholder-Value nicht erhöhen (McKinsey Studien 2000, 2001). 74 Vgl. z. B. Beitel/Mußhoff, M&A Review 2010, 409; Hamon/Hagedorn, M&A Review 2010, 294; Hopfmüller/Schimmer, in: Müller-Stewens/Kunisch/Binder, Mergers & Acquisitions, S. 171 ff.; Jansen, Mergers & Acquisitions, S. V. Lucks, M&A 2005, 159; Munkert, DStR 2008, 2501; Pautler, The Effects of Mergers and Post-Merger Integration, S. 1 ff. 75 Vgl. Austmann, ZGR 2009, 277, 278 m.w.N.; Pautler, The Effects of Mergers and PostMerger Integration, S. 24. 76 Austmann, ZGR 2009, 277, 307; Beitel/Mußhoff, M&A Review 2010, 409 f.; Berens/ Mertes/Strauch, Unternehmensakquisitionen, in: Berens/Brauner/Strauch, Due Diligence bei

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B. Ökonomischer Zielkonflikt

Unternehmensintegration führen zu erheblichen Reibungsverlusten und binden Ressourcen, die an anderer Stelle benötigt werden. Sie verzögern die Realisierung von Synergieeffekten und können den Verlust von wichtigen Kunden und Mitarbeitern zur Folge haben.77 Eine umfassende und frühzeitige Integrationsplanung ist aus diesen Gründen für den Erfolg eines Unternehmenszusammenschlusses von zentraler Bedeutung.78 Die Integrationsplanung sollte sich thematisch auf die nachfolgend dargestellten Aspekte erstrecken: (1) Kunden Ein zentrales Thema der Integrationsplanung sollte der Umgang mit den Kunden von Erwerber und Zielunternehmen sein. Unternehmenszusammenschlüsse führen vielfach zu einer Verunsicherung und im schlimmsten Fall sogar der Abwanderung von Abnehmern. Gerade bei Kunden des Zielunternehmens besteht häufig die Befürchtung, dass die Geschäftsbeziehung nicht in der gewohnten Weise und zu den gleichen Konditionen fortgeführt wird. Das Risiko einer Abwerbung durch Konkurrenten ist daher akut.79 Die Verhinderung des Verlusts von Kunden ist für den Erfolg eines Zusammenschlusses allerdings von größter Bedeutung.80 Aus diesem Grund sollte möglichst frühzeitig geplant werden, wie Kunden angesprochen und über das Zusammenschlussvorhaben informiert werden. Zudem besteht ein großes Interesse daran, Kunden frühzeitig eine möglichst konkrete Auskunft darüber zu erteilen, zu welchen Konditionen sie nach dem Vollzug weiterbeliefert werden. Schließlich wird auch empfohlen, unmittelbar ab dem Vollzug über ein einheitliches Erscheinungsbild und einen harmonisierten order to cash-Prozess81 zu verfügen.82 (2) Produkte, Produktion und Einkauf Eine intensive Planung der Integration ist auch im Hinblick auf die angebotenen Produkte, die Produktion und den Einkauf erforderlich. Die Produktportfolios der beteiligten Unternehmen müssen analysiert und ihre Zusammenlegung geplant werden. Insbesondere ist zu entscheiden, wie mit Überschneidungen im Angebot von Erwerber und Zielunternehmen umgegangen wird. Im Hinblick auf die Produktion Unternehmensakquisitionen, S. 60; Courth/Marschmann/Kaemper/Moscho, M&A Review 2008, 8. 77 Vgl. Munkert, DStR 2008, 2501, 2508; Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602. 78 Einer Studie zufolge kann die Konzentration auf die Integrationsplanung die Erfolgschancen eines Zusammenschlusses um 13 Prozent erhöhen. Hingegen reduziert sich die Erfolgswahrscheinlichkeit um 15 Prozent, wenn man sich vorrangig auf finanzielle oder rechtliche Aspekte konzentriert, Kelly/Cook, Synergies: A Business Guide, S. 2 ff., zitiert nach Pautler, The Effects of Mergers and Post-Merger Integration, S. 22. 79 Vgl. Pautler, FTC Merger Roundtable, S. 9. 80 Pautler, The Effects of Mergers and Post-Merger Integration, S. 9. 81 Als order to cash-Prozess werden die Unternehmensabläufe vom Bestellungs- bis zum Zahlungseingang bezeichnet. 82 Courth/Marschmann/Kaemper/Moscho, M&A Review 2008, 8, 12.

III. Drohende Behinderung von unbedenklichen Zusammenschlussvorhaben

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und den Einkauf gilt es, Synergieeffekte auszumachen, die beispielsweise durch die Zusammenlegung von Produktionsstandorten oder einen gebündelten Einkauf realisiert werden können.83 (3) Technische Integration Auch technische Fragen können ein wichtiger Aspekt der Integrationsplanung sein. So wird es bei vielen Unternehmen darauf ankommen, dass die IT-Infrastruktur (Hard- und Software) ab dem ersten Tag des Zusammenschlusses aufeinander abgestimmt ist und reibungslos funktioniert.84 Beispielsweise müssen einheitliche SAP-Systeme geschaffen und Datenbanken zusammengelegt werden. In diesem Zusammenhang kann ein Interesse des Erwerbers daran bestehen, bereits vor dem Vollzugsstichtag auf Datenbanken des Zielunternehmens zuzugreifen, beispielsweise um Kompatibilitätsfragen zu klären. (4) Mitarbeiter und Unternehmenskultur Besondere Relevanz hat die Integrationsplanung ferner im Hinblick auf die Mitarbeiter der beteiligten Unternehmen sowie die Zusammenführung der verschiedenen Unternehmenskulturen.85 Neben der Planung einer einheitlichen Hierarchie-, Organisations- und Entlohnungsstruktur ist es wichtig, dass die Schlüsselmitarbeiter des Zielunternehmens identifiziert werden und ihr Verbleib im Unternehmen gesichert wird.86 Dies gilt insbesondere für Branchen, in denen Know-how eine hohe Bedeutung zukommt.87 Ein typisches Mittel, um Mitarbeiter zu binden, sind sogenannte retention-Pakete, die Schlüsselmitarbeitern als Anreiz für ihren Verbleib eine Kombination aus finanziellen Anreizen, Aufstiegschancen und Arbeitsplatzsicherheit bieten.88 Ein entscheidender Aspekt der Integrationsplanung, dessen Bedeutung lange Zeit unterschätzt wurde, ist der Umgang mit der unterschiedlichen Unternehmenskultur der beteiligten Unternehmen. Dies gilt insbesondere für Zusammenschlüsse, in deren Rahmen Mitarbeiter verschiedener Nationalitäten in einem Unternehmen vereint werden.89 Reibungsverlusten durch kulturelle Unterschiede sollte durch eine aktive Planung der Integration vorgebeugt werden. 83

Bartels/Cosack, Integrationsmanagement, in: Picot, Handbuch Mergers & Acquisitions, S. 534, 539 f.; Höveler, M&A Review 2011, 160 ff. 84 Vgl. Courth/Marschmann/Kaemper/Moscho, M&A Review 2008, 8, 12. 85 Eingehend hierzu Picot, Personelle und kulturelle Integration, in: Picot, Handbuch Mergers & Acquisitions, S. 586 ff. 86 Bartels/Cosack, Integrationsmanagement, in: Picot, Handbuch Mergers & Acquisitions, S. 534, 546; Austmann, ZGR 2009, 277, 279; Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602. 87 Pautler, The Effects of Mergers and Post-Merger Integration, S. 9. 88 Hamon/Hagedorn, M&A Review 2010, 294, Abschnitt 3.4. 89 Bartels/Cosack, Integrationsmanagement, in: Picot, Handbuch Mergers & Acquisitions, S. 534, 545; Dier/Eckert, M&A Review 2008, 78, 80 ff.; Farhadi/Tovstiga, M&A Review 2008, 186.

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B. Ökonomischer Zielkonflikt

(5) Weitere Themenfelder Im Einzelfall wird sich die Integrationsplanung über die genannten Themen hinaus auf alle weiteren Aspekte beziehen müssen, die für den Erfolg des Zusammenschlusses von Bedeutung sind. Der Umfang der Integrationsplanung hängt dabei maßgeblich von der jeweiligen Branche und der Größe der beteiligten Unternehmen ab.90 (6) Spannungsverhältnis zum Kartellrecht Gerade insoweit im Rahmen der Integrationsplanung Kunden- und Zulieferbeziehungen thematisiert werden, steht diese in einem Spannungsverhältnis zum Kartellverbot, da es leicht zu einer vorzeitigen Absprache von Konditionen und Geschäftsbeziehungen kommen kann, wodurch die Unsicherheit über das künftige Marktgeschehen verringert wird. bb) Erfolgsfaktor Informationsaustausch Als ein weiterer Erfolgsfaktor für Unternehmenszusammenschlüsse wird ein umfassender Informationsaustausch zwischen Erwerber und Zielunternehmen angeführt. Ein solcher Informationsaustausch ist sowohl vor dem Abschluss des Unternehmenskaufvertrags zur Bewertung des Zielunternehmens (1) als auch nach dem Vertragsschluss zur Integrationsplanung (2) erforderlich. Das Kartellrecht setzt dem Informationsaustausch der Zusammenschlussparteien jedoch Schranken (3). (1) Informationsaustausch zur Bewertung des Zielunternehmens Zur Bewertung des Zielunternehmens benötigt der Erwerber umfassende interne Informationen über das Zielunternehmen. Ohne diese Informationen kann er kaum entscheiden, ob und zu welchen Konditionen er am Erwerb des Zielunternehmens interessiert ist.91 Die benötigten Informationen werden Kaufinteressenten üblicherweise im Rahmen einer Due-Diligence-Prüfung zur Verfügung gestellt.92 Der Informationsaustausch im Rahmen der Due Diligence ist dabei letztlich Ausdruck der Bemühungen der Zusammenschlussparteien, die Informationsasymmetrien über den Wert des Zielunternehmens abzubauen.93 Ein weitgehender Einblick in das Zielunternehmen vor dem Abschluss des Kaufvertrags hat insofern Einfluss auf die Erfolgsaussichten eines Zusammenschlussvorhabens, als er dem Erwerber ermöglicht, zu beurteilen, ob das Zielunternehmen zu seinem eigenen Unternehmen und seinen strategischen Plänen passt. Zudem bietet die Due Diligence die erste Gele90

Courth/Marschmann/Kaemper/Moscho, M&A Review 2008, 8, 11. Liekefett, Due Diligence bei M&A-Transaktionen, S. 39 f. 92 Zum Informationsaustausch im Rahmen der Due Diligence noch eingehender siehe unten S. 293 ff. Vgl. Liekefett, Due Diligence bei M&A-Transaktionen, S. 29 m.w.N. 93 Siehe oben S. 45 f. 91

III. Drohende Behinderung von unbedenklichen Zusammenschlussvorhaben

53

genheit zur Abschätzung der Synergieeffekte, die durch einen Zusammenschluss realisiert werden können.94 Studien belegen, dass eine Konzentration auf die Durchführung der Due Diligence die Erfolgsaussichten eines Zusammenschlusses erhöht.95 (2) Informationsaustausch nach Vertragsschluss zur Integrationsplanung Auch über den Abschluss des Unternehmenskaufvertrags hinaus ist der Austausch von Informationen für den Erfolg eines Zusammenschlussvorhabens von Bedeutung, da er die Grundlage für eine erfolgreiche Integrationsplanung schafft.96 Der Austausch detaillierter Informationen ist beispielsweise erforderlich, um Synergiepotenziale, die im Rahmen der Due Diligence ausgemacht wurden, im Detail zu analysieren und deren Realisierung vorzubereiten. Zudem benötigt der Erwerber möglichst detaillierte Informationen über das Zielunternehmen, um die Zusammenführung der verschiedenen Teilbereiche der Unternehmen zu planen.97 Bedenkt man, dass sich die Integrationsplanung auf sämtliche Funktionsbereiche der vormals eigenständigen Unternehmen beziehen muss, wird deutlich, wie breit dieser Informationsaustausch angelegt sein muss. Zudem wird es regelmäßig erforderlich sein, zur Integrationsplanung mehr Mitarbeiter einzubinden, als dies für eine Due-Diligence-Prüfung erforderlich ist. So wird es in der Regel notwendig sein, neben Mitarbeitern aus oberen auch solche aus mittleren Hierarchiestufen einzubeziehen.98 (3) Spannungsverhältnis zum Kartellrecht Die Intransparenz des Zielunternehmenss stellt insbesondere für den Erwerber ein ernsthaftes Problem dar. Ein umfassender Informationsaustausch ist für die erfolgreiche Durchführung von Zusammenschlüssen wichtig.99 Das Kartellverbot setzt dem Informationsaustausch der Zusammenschlussparteien jedoch Grenzen, da er die Unsicherheit über das künftige Marktgeschehen verringern und kollusive Praktiken ermöglichen kann.100

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Pautler, FTC Merger Roundtable, S. 10. Demnach kann die Konzentration auf die Due Diligence die Erfolgsaussichten eines Zusammenschlusses um bis zu 6 Prozent erhöhen, Kelly/Cook, Synergies, S. 2 ff., zitiert nach Pautler, The Effects of Mergers and Post-Merger Integration, S. 22. 96 Austmann, ZGR 2009, 277, 283; Hamon/Hagedorn, M&A Review 2010, 294, Abschnitt 3.3; Pautler, FTC Merger Roundtable, S. 15. 97 Hamon/Hagedorn, M&A Review 2010, 294, Abschnitt 3.3. 98 Austmann, ZGR 2009, 277, 283; Hamon/Hagedorn, M&A Review 2010, 294, Abschnitt 3.3; Pautler, FTC Merger Roundtable, S. 15. 99 Austmann, ZGR 2009, 277, 283; Hamon/Hagedorn, M&A Review 2010, 294, Abschnitt 3.3; Pautler, FTC Merger Roundtable, S. 15. 100 Eingehend hierzu siehe unten S. 261 ff. 95

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B. Ökonomischer Zielkonflikt

cc) Erfolgsfaktor Geschwindigkeit Daneben ist die Geschwindigkeit der Umsetzung von großer Bedeutung für den Erfolg eines Zusammenschlusses. Untersuchungen ergeben, dass Zusammenschlüsse, die besonders schnell implementiert werden, in der Regel erfolgreicher sind als Zusammenschlüsse, deren Umsetzung langsamer erfolgt.101 Damit ein Zusammenschluss zügig umgesetzt werden kann, wird empfohlen, dass die Integration schon vor dem Vollzugstermin ausführlich geplant und vorangetrieben wird.102 Mitunter wird sogar dazu geraten, dass der Erwerber noch vor dem Abschluss des Unternehmenskaufvertrags mit der Planung der Integration beginnt.103 Die Erhöhung der Erfolgsaussichten von Zusammenschlüssen durch deren schnelle Umsetzung wird darauf zurückgeführt, dass dadurch die Verunsicherung von Kunden, Zulieferern und Mitarbeitern verringert wird (1), die Agilität der beteiligten Unternehmen aufrechterhalten wird (2) und Synergien schneller gehoben werden (3). Auch der Erfolgsfaktor der Umsetzungsgeschwindigkeit steht jedoch in einem Spannungsverhältnis zu den kartellrechtlichen Verhaltensanforderungen (4). (1) Verunsicherung von Kunden, Zulieferern und Mitarbeitern Ein zentrales Problem bei der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen ist die Verunsicherung von Kunden, Zulieferern und Mitarbeitern. Sie kann zur Folge haben, dass Geschäftsbeziehungen beendet werden oder Schlüsselmitarbeiter mit wichtigem Know-how das Unternehmen verlassen. Ein einmal eingetretener Verlust von Kunden, Zulieferern oder Mitarbeitern gefährdet die Erfolgsbilanz eines Zusammenschlusses erheblich, da er sich nur schwer durch die Realisierung von Synergien aufwiegen lässt.104 Gerade im Hinblick auf den Schutz von Kundenbeziehungen dürfte einer hohen Umsetzungsgeschwindigkeit eine besonders große Bedeutung zukommen. So sind die beteiligten Unternehmen ab dem Bekanntwerden eines Zusammenschlussvorhabens sehr anfällig für Vorstöße von Wettbewerbern, die bewusst versuchen, die Verunsicherung der Kunden dieser zu ihrem eigenen Vorteil auszunutzen.105 Um die negativen Auswirkungen möglichst 101 Courth/Marschmann/Kaemper/Moscho, M&A Review 2008, 13; Gerds/Schewe, Post Merger Integration, S. 167; Pautler, The Effects of Mergers and Post-Merger Integration, S. 24; Studie von PwC, siehe hierzu Pautler, The Effects of Mergers and Post-Merger Integration, S. 27. Zu den Ergebnissen einer Befragung aus dem Jahr 2010 siehe Hamon/Hagedorn, M&A Review 2010, 294, Abschnitt 3.1. 102 Munkert, DStR 2008, 2501, 2508. 103 Hamon/Hagedorn, M&A Review 2010, 294, Abschnitt 3.1. 104 Pautler, FTC Merger Roundtable, S. 17. 105 Als Beispiel für solche Praktiken wird die Übernahme von Compaq durch HewlettPackard im Jahr 2002 angeführt. Kunden der beiden Unternehmen wurden bis zu fünfmal wöchentlich von Wettbewerbern angerufen, die aktiv versuchten, bei diesen Angst davor zu schüren, dass gewisse Produktlinien von Hewlett-Packard oder Compaq nach der Transaktion nicht mehr weitergeführt werden. Gilson, in: Gets/Nobel, New Frontiers of Law and Economics, S. 176, Fn. 11.

III. Drohende Behinderung von unbedenklichen Zusammenschlussvorhaben

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gering zu halten, sollte die von Unsicherheit geprägte Integrationsphase daher möglichst kurz gehalten und der Zusammenschluss so schnell wie möglich vollzogen werden.106 (2) Aufrechterhaltung der Agilität der beteiligten Unternehmen Eine hohe Integrationsgeschwindigkeit ist zudem wichtig, um die Agilität der beteiligten Unternehmen aufrechtzuerhalten. Kommt das operative Geschäft eines Unternehmens erst einmal zum Erliegen, gehen Tatkraft und Motivation schnell verloren. Zudem ist in aller Regel der Aufwand, um ein einmal zum Erliegen gekommenes Geschäft wieder zum Laufen zu bringen, deutlich größer als der Aufwand, das Geschäft durchgängig am Laufen zu halten.107 Durch eine schnelle Implementierung des Zusammenschlusses sollte verhindert werden, dass die beteiligten Unternehmen an Schwung verlieren. (3) Schnelle Realisierung von Synergien Zudem können durch eine schnelle Umsetzung eines Zusammenschlusses auch die erzielbaren Synergieeffekte schnell realisiert werden. Die angestrebten Einsparungen und Effizienzgewinne sollten möglichst schnell erzielt werden, um die Kosten der Integration aufzuwiegen und möglichst frühzeitig von den häufig knapp kalkulierten Vorteilen eines Zusammenschlusses zu profitieren.108 (4) Spannungsverhältnis zum Kartellrecht Auch der Erfolgsfaktor Geschwindigkeit steht in einem klaren Spannungsfeld zu den kartellrechtlichen Vorgaben.109 Das Vollzugsverbot verbietet die Umsetzung eines Zusammenschlussvorhabens, bevor die Kommission ihre Prüfung abgeschlossen und eine Freigabe erteilt hat. Das Kartellverbot verbietet zu weitgehende Interaktionen vor dem Vollzug und schränkt mitunter die Möglichkeit der Zusammenschlussparteien ein, Maßnahmen zu ergreifen, die eine Voraussetzung für die schnelle Umsetzung eines Vorhabens sind. 4. Zusammenfassung Die kartellrechtlichen Verhaltensvorgaben können in verschiedener Hinsicht (unbedenkliche) Zusammenschlussvorhaben behindern. Die Zusammenschlussparteien können einerseits in ihrer Möglichkeit beschränkt werden, die Transaktion möglichst effizient zu gestalten. Andererseits können zu strenge kartellrechtliche Verhaltensvorgaben die beteiligten Unternehmen bei der schwierigen Aufgabe be106 107 108 109

Hamon/Hagedorn, M&A Review 2010, 294, Abschnitt 3.5. Pautler, FTC Merger Roundtable, S. 9 f. Pautler, The Effects of Mergers and Post-Merger Integration, S. 9. Pautler, The Effects of Mergers and Post-Merger Integration, S. 29.

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B. Ökonomischer Zielkonflikt

hindern, einen Zusammenschluss erfolgreich durchzuführen, indem sie im Hinblick auf die Integrationsplanung, den Informationsaustausch und die Umsetzungsgeschwindigkeit eingeschränkt werden. Alle drei Aspekte erfordern in einem hohen Maße ein Zusammenwirken von Erwerber und Zielunternehmen, das in einem Spannungsverhältnis zum Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO und dem Kartellverbot des Art. 101 AEUV steht. Angesichts des Umstands, dass gegen die weit überwiegende Anzahl der notifizierten Zusammenschlüsse keine wettbewerblichen Bedenken bestehen, ist die Gefahr besonders konkret, dass die Behinderungswirkung, die von einem strengen kartellrechtlichen Maßstab für Gun-Jumping-Verhaltensweisen ausgeht, die positiven Effekte eines wirksamen Wettbewerbsschutzes übersteigt (Typ-I-Fehler).110

IV. Schlussfolgerungen für die Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen Aus ökonomischer Perspektive besteht bei der Anwendung der kartellrechtlichen Vorgaben auf die an einem Zusammenschlussvorhaben beteiligten Unternehmen ein Zielkonflikt.111 Auf der einen Seite gilt es, zu verhindern, dass der Wettbewerb zwischen Erwerber und Zielunternehmen vorzeitig beeinträchtigt wird oder gar endgültige Marktstrukturveränderungen eintreten, bevor die Kommission die Gelegenheit zur Prüfung des Vorhabens hatte. Auf der anderen Seite können die kartellrechtlichen Vorgaben die Zusammenschlussparteien bei der erfolgreichen Gestaltung ihres Vorhabens behindern. Dabei droht gerade angesichts des Umstands, dass die weit überwiegende Zahl der von der Fusionskontrollverordnung erfassten Zusammenschlüsse wettbewerblich unbedenklich ist, die Verwirklichung eines TypI-Fehlers. Diese Einschätzung wird, wie die weitere Untersuchung zeigt, von den Erfahrungen der US-Kartellbehörden gestützt, die durch eine zunächst zu strenge Herangehensweise an Gun-Jumping-Verhaltensweisen zeitweilig eine overdeterrence verursacht haben.112 Eine wirksame Methode zur Begrenzung von Typ-I-Fehlerkosten wäre es, bei der Anwendung der kartellrechtlichen Vorgaben auf die Interaktionen der Zusammenschlussparteien danach zu differenzieren, ob ein Vorhaben im Sinne von Art. 2 FKVO wettbewerblich bedenklich ist oder nicht. Auch wenn sich über die Vereinbarkeit eines Vorhabens mit dem Gemeinsamen Markt bis zum Abschluss des Fusionskontrollverfahrens keine abschließende Aussage treffen lässt, ließe sich eine entsprechende Differenzierung realisieren, indem Kriterien aufgestellt werden, mittels derer sich zumindest diejenigen Vorhaben identifizieren lassen, bei denen es nach aller Erfahrung vollkommen ausgeschlossen ist, dass es aufgrund wettbe110 111 112

Siehe oben S. 35 f. Vgl. Pautler, FTC Merger Roundtable, S. 2. Siehe unten S. 128 ff. Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 3 f.

IV. Schlussfolgerungen

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werblicher Bedenken zu einer Untersagung kommt.113 Ähnlich den Voraussetzungen für das Eingreifen des vereinfachten Anmeldeverfahrens114 könnte zu diesem Zweck auf die Marktanteile der beteiligten Unternehmen abgestellt werden. Da de lege lata eine solche Differenzierung jedoch nicht möglich ist, verbleibt zur Reduzierung von Fehlerkosten allein die Möglichkeit, die Reichweite des Vollzugs- und Kartellverbots im Hinblick auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen auf das Maß zu begrenzen, das tatsächlich erforderlich ist, um einen wirksamen Wettbewerbsschutz und eine effiziente Marktstrukturkontrolle zu gewährleisten. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass in der Literatur das Bestehen von Rechtsunsicherheit über die Reichweite des europäischen Vollzugs- und Kartellverbots im Hinblick auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen angenommen wird.115 Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Kommission in der Vergangenheit zwar deutlich gemacht hat, gegen Gun-Jumping-Verstöße einschreiten zu wollen.116 Welchen Maßstab sie insoweit anzulegen gedenkt, blieb jedoch weitgehend unklar. Gerade auch angesichts des sehr hohen Sanktionsrahmens für Gun-Jumping-Verstöße117 könnte vor diesem Hintergrund eine overdeterrence im Hinblick auf die Interaktionen der Zusammenschlussparteien vor dem Closing drohen. Im Rahmen der Untersuchung der Reichweite der anwendbaren Vorschriften118 muss demgemäß auch der Aspekt der Gewährleistung von Rechtssicherheit berücksichtiget werden.

113

Zu einem Reformvorschlag der Kommission zum Vollzugsverbot, der in diese Richtung zielte, siehe unten S. 159 f. 114 Siehe hierzu unten S. 140. 115 Vgl. Depoortere/Lelart, World Competition 2010, 103, 105. Zur GWB-Fusionskontrolle vgl. F. Immenga, BB 2009, 57. 116 Die Kommission hat durch ihr Einschreiten in den Fällen Bertelsmann/Kirch/Premiere und Volkswagen/MAN sowie die Durchführung von dawn raids im Fall Ineos/Kerling gezeigt, dass sie gewillt ist, Gun-Jumping-Verstöße zu verfolgen, siehe unten S. 162 ff. Zudem zeigt der Fall Electrabel, dass die Kommission bereit ist, Verstöße gegen das Vollzugsverbot streng zu ahnden, siehe unten S. 168 ff. 117 Sowohl nach Art. 14 Abs. 2 lit. b FKVO (für Verstöße gegen das Vollzugsverbot) als auch Art. 23 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchfu¨ hrung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln („VO 1/2003“), ABl. EG 2003 Nr. L 1/1 (für Verstöße gegen das Kartellverbot) kann die Kommission Bußgelder in Höhe von bis zu 10 Prozent des Unternehmensumsatzes verhängen. 118 Art. 7 Abs. 1 FKVO und Art. 101 AEUV.

C. Gun-Jumping im US-Kartellrecht In den USA sind die kartellrechtlichen Verhaltensanforderungen an sich zusammenschließende Unternehmen bereits deutlich ausführlicher als in der Europäischen Union thematisiert worden. Die Antitrust Division des Department of Justice (DOJ) und die Federal Trade Commission (FTC) sind seit 1991 in elf Verfahren gegen Gun-Jumping-Verhaltensweisen vorgegangen.1 Daneben sind Behördenvertreter in mehreren Reden auf das Thema der premerger coordination eingegangen.2 Einige Gerichtsentscheidungen beschäftigen sich mit der Anwendung des Kartellverbots auf Unternehmen, die einen Zusammenschluss beabsichtigen.3 Die kartellrechtliche Behandlung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen wird zudem in einigen Aufsätzen4 und einer Monografie5 thematisiert. Die Auseinandersetzung mit der Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen in den USA ist für die Untersuchung der Rechtslage in der EU in zweifacher Hinsicht aufschlussreich: Zum einen kann die US-amerikanische Fallpraxis einen konkreten Eindruck von den Sachverhaltskonstellationen vermitteln, in denen es durch faktische Vollzugsmaßnahmen und zu weitgehende Interaktionen von Erwerber und Zielunternehmen zu einem Verstoß gegen das Vollzugs- oder Kartellverbot kommen kann. Zum anderen kann die Beurteilung von bestimmten Verhaltensweisen unter dem US-Kartellrecht als erster Orientierungspunkt für die Beurteilung im EU-Kartellrecht herangezogen werden, da sich die diesseits und jenseits des Atlantiks auf die Zusammenschlussparteien anwendbaren Normen weitgehend ähneln.6 1

Siehe unten S. 79 ff. Arquit, Remarks Before the ABA Antitrust Section Spring Meeting 1989, zitiert nach Kling/Nugent, Negotiated Acquisitions of Companies, Subsidiaries and Divisions, § 9.03, Fn. 1; Steptoe, Prepared Remarks Before the ABA Section of Antitrust Law Spring Meeting 1994; Baer, Prepared Remarks Before the ABA Antitrust Section Spring Meeting 1998; Krauss, New Developments in the Premerger Notification Program; Baer, Prepared Remarks Before the ABA Antitrust Section Spring Meeting 1999; Bruno, Hart-Scott-Rodino at 25; James, Recent Developments and Future Challenges at the Antitrust Division; Majoras, Merger Enforcement at the Antitrust Division; Pate, Antitrust Enforcement at the DOJ – Issues in Merger Investigations and Litigation. 3 Siehe unten S. 71 ff. 4 Blumenthal, 63 Antitrust L. J. 1; Knable Gotts/Miller, 6 Prac. Law. 23; Morse, 57 Bus. Law. 1463; Naughton, 20 Antitrust 66 ff. 5 Vigdor, Premerger Coordination. 6 Auch die US-Fusionskontrolle ist präventiv ausgestaltet, vgl. Section 7 A Clayton Act. Zudem werden Gun-Jumping-Verhaltensweisen auch in den USA am allgemeinen Kartellverbot aus Section 1 Sherman Act gemessen. Lediglich Section 5 FTC Act, auf den die FTC ihr 2

I. Rechtlicher Rahmen

59

Im Rahmen der nachfolgenden Untersuchung der Rechtslage in den USA erfolgt zunächst eine überblicksartige Darstellung der anwendbaren Normen (I.). Anschließend werden die Rechtsprechung und Behördenpraxis mit Relevanz für die Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen dargestellt (II.) und ausgewertet (III.). Sodann wird beleuchtet, wie sich die Verfolgung der premerger coordination in den USA mit der Zeit fortentwickelt hat und, dass die Kartellbehörden bewusst Maßnahmen ergriffen haben, um einer overdeterrence entgegenzuwirken (IV.). Der Abschnitt schließt mit einem Zwischenergebnis (V.).

I. Rechtlicher Rahmen Das Verhalten der Zusammenschlussparteien vor dem Closing wird im USKartellrecht an drei Normen gemessen: dem fusionskontrollrechtlichen Vollzugsverbot aus Section 7 A Clayton Act (1.), dem Kartellverbot aus Section 1 Sherman Act (2.) und der Generalklausel des Section 5 FTC Act, die der FTC ein Einschreiten gegen unlauteres Verhalten im Wettbewerb7 erlaubt (3.). 1. Vollzugsverbot, Section 7 A Clayton Act Im US-Kartellrecht schafft Section 7 Clayton Act die Möglichkeit, gegen Unternehmenszusammenschlüsse mit bedenklichen Auswirkungen auf den Wettbewerb8 vorzugehen.9 Während eine Ex-post-Untersagung auf Grundlage dieses materiellen Fusionskontrollregimes für alle Zusammenschlüsse in Betracht kommt, ist das in Section 7 A Clayton Act statuierte präventive Fusionskontrollverfahren mit Anmeldepflicht und Vollzugsverbot („waiting period“) erst ab bestimmten Schwellenwerten anwendbar.

Vorgehen gegen Gun-Jumping-Verhaltensweisen stützte, findet keine Entsprechung im europäischen Kartellrecht. 7 „Unfair methods of competition.“ 8 Maßgeblich ist insoweit, ob es zu einer wesentlichen Schwächung des Wettbewerbs (substantial lessening of competition, SLC) kommt. Vgl. Bundeskartellamt, Das Untersagungskriterium in der Fusionskontrolle, S. 6 ff.; Immenga/Mestmäcker-Körber, Einl. FKVO, Rdnr. 168. 9 Dabei können die Kartellbehörden Zusammenschlüsse anders als die Europäische Kommission nicht selbst für unzulässig erklären, sondern nur deren Untersagung durch den zuständigen Federal District Court beantragen. Vgl. Immenga/Mestmäcker-Körber, Einl. FKVO, Rdnr. 168. Siehe zum US-Fusionskontrollverfahren auch Holzwarth, Das Vollzugsverbot als Bestandteil eines effizienten Fusionskontrollverfahrens, S. 114 ff.

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C. Gun-Jumping im US-Kartellrecht

a) Das präventive Fusionskontrollverfahren nach Section 7 A Clayton Act Bereits mit dem 1914 in Kraft getretenen Section 7 Clayton Act wurde die Möglichkeit geschaffen, gegen Unternehmenszusammenschlüsse einzuschreiten, die den Wettbewerb beeinträchtigen.10 Während ursprünglich ausschließlich eine nachträgliche gerichtliche Überprüfung von bereits vollzogenen Zusammenschlüssen möglich war,11 wurde der Clayton Act mit dem Hart-Scott-Rodino Antitrust Improvements Act (HSR-Act) im Jahr 1976 um ein präventives Fusionskontrollverfahren ergänzt. Section 7 A Clayton Act sieht nun für bestimmte Zusammenschlüsse eine Notifizierungspflicht und ein Vollzugsverbot vor:12 „[…] no person shall acquire, directly or indirectly, any voting securities or assets of any other person, unless both persons (or in the case of a tender offer, the acquiring person) file notification […] and the waiting period […] has expired […].“13

Das präventive Fusionskontrollverfahren greift ab dem Erreichen bestimmter Schwellenwerte ein. Einerseits besteht eine Anmeldepflicht, wenn der Erwerber nach dem Abschluss der Transaktion Anteile oder Vermögenswerte des Zielunternehmens im Wert von mindestens 200.000.000 USD hält.14 Andererseits ist ein Zusammenschluss auch dann zu notifizieren, wenn der Erwerber nach der Transaktion Anteile oder Vermögenswerte im Wert von mindestens 50.000.000 USD hält, sofern zusätzliche Schwellenwerte erfüllt sind, beispielweise ein Zielunternehmen, das in der Güterproduktion aktiv ist, Umsätze oder eine Bilanzsumme in Höhe von mindestens 10.000.000 USD und der Erwerber Umsätze oder eine Bilanzsumme in Höhe von mindestens 100.000.000 USD erreicht.15 Sofern ein Zusammenschlussvorhaben diese Schwellenwerte erreicht, muss es sowohl bei der FTC als auch dem DOJ angemeldet werden. Mit dem Eingang der Anmeldungen beginnt die waiting period zu laufen, während der die Behörden den Zusammenschluss prüfen und ein Vollzug unzulässig ist.16 Vergleichbar mit dem europäischen Fusionskontrollverfahren gliedert sich die kartellbehördliche Prüfung in zwei Phasen. Die initiale Prüfphase beträgt im Regelfall 30 Tage.17 Lässt sich innerhalb dieser Zeit die wettbewerbliche Unbedenklichkeit des Zusammenschlusses nicht feststellen, können die FTC und das DOJ zusätzliche Informationen von den 10 „No person […] shall acquire, directly or indirectly, the whole or any part of the stock or other share capital […], where in any line of commerce or in any activity affecting commerce in any section of the country, the effect of such acquisition may be substantially to lessen competition, or to tend to create a monopoly.“ 15 U.S.C. § 18. 11 Vigdor, Premerger Coordination, S. 12. 12 Vigdor, Premerger Coordination, S. 12. 13 15 U.S.C. § 18a(a). Vgl. Morse, FTC Merger Roundtable Speech, S. 295; Vigdor, Premerger Coordination, S. 11 f. 14 15 U.S.C. § 18 a(a)(2)(A). 15 15 U.S.C. § 18 a(e)(1)(B). 16 15 U.S.C. § 18 a(b)(1)(A). 17 15 U.S.C. § 18 a(b)(1)(B).

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Beteiligten anfordern.18 Mit diesem second request verlängert sich die waiting period um 30 Tage, wobei diese Frist erst dann zu laufen beginnt, wenn die Behörden sämtliche angeforderten Informationen erhalten haben.19 Aufgrund der mitunter sehr hohen Komplexität der Informationsersuchen können Zusammenschlussvorhaben durch den second request um mehrere Monate verzögert werden.20 Sofern keine wettbewerblichen Bedenken bestehen, können DOJ und FTC den Parteien den Vollzug des Zusammenschlusses vor Ablauf der Wartefrist erlauben.21 b) Das Vollzugsverbot des Section 7 A Clayton Act Bis zum Ablauf der waiting period besteht ein Vollzugsverbot. Unternehmen ist es bis dahin untersagt, sich Anteile oder Vermögenswerte des Zielunternehmens anzueignen: „[…] no person shall acquire, directly or indirectly, any voting securities or assets of any other person […].“22

Mit der Einführung des Vollzugsverbots wollte der Kongress verhindern, dass die negativen Auswirkungen von zu untersagenden Zusammenschlüssen auf den Wettbewerb überhaupt erst eintreten können. Zudem sollten Schwierigkeiten bei der Entflechtung von bereits vollzogenen Zusammenschlüssen vermieden werden.23 Bis zur Einführung der präventiven Fusionskontrolle erfuhren die Kartellbehörden häufig erst lange nach dem Vollzug von bedenklichen Unternehmenstransaktionen. Gerichtsverfahren zur Untersagung vollzogener Zusammenschlüsse zogen sich mitunter über Jahre hin. Zudem bestand für Unternehmen ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit, da die Anordnung der Entflechtung auch noch Jahre nach dem Vollzug eines Zusammenschlusses zu befürchten war.24 Diesen Problemen sollte durch die Einführung des präventiven Fusionskontrollverfahrens vorgebeugt werden. aa) Reichweite des Vollzugsverbots Nach dem Wortlaut von Section 7 A Clayton Act ist es dem Erwerber verboten, vor Ablauf der waiting period Anteile oder Vermögenswerte des Zielunternehmens zu erwerben. Für die Bestimmung der Reichweite des Vollzugsverbots ist demnach der Begriff „to acquire“ in Section 7 A Clayton Act maßgeblich. Um zu bestimmen, 18

15 U.S.C. § 18 a(e)(1)(A). 15 U.S.C. § 18 a(e)(2). 20 Morse, 57 Bus. Law. 1463, 1465. 21 15 U.S.C. § 18 a(b)(2). 22 15 U.S.C. § 18 a(a). 23 FTC, Premerger Notification, Reporting and Waiting Period Requirements, 63 Fed. Reg. 34592. Morse, 57 Bus. Law. 1463, 1465; Vigdor, Premerger Coordination, S. 12. 24 Baer, 65 Antitrust L. J. 825, 827 ff.; Vigdor, Premerger Coordination, S. 12. 19

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ob durch eine „acquisition“ gegen das Vollzugsverbot verstoßen wurde, wird geprüft, ob die beneficial ownership an Anteilen oder Vermögenswerten auf den Erwerber übergegangen ist. Die beneficial ownership bezeichnet die „tatsächliche Rechtsinhaberschaft“25 und kommt in einem Bündel von Rechten zum Ausdruck, das ursprünglich beim Veräußerer liegt. Im Zuge eines Zusammenschlusses werden diese Rechte Stück für Stück auf den Erwerber übertragen. Ab einem bestimmten Punkt sind so viele Rechte auf den Erwerber übergegangen, dass er die beneficial ownership an den Anteilen oder Vermögenswerten erworben hat.26 Geht die beneficial ownership vor dem Ablauf der waiting period über, liegt ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot vor. Um die Reichweite des Vollzugsverbots in Zweifelsfällen genau bestimmen zu können, ist es erforderlich, den Begriff der beneficial ownership zu präzisieren. Zwar enthält der HSR-Act selbst insoweit keine hilfreichen Erläuterungen. Aufschlussreich ist allerdings das Statement of Basis and Purpose zum HSR-Act, in dem die FTC ankündigt, wie sie das Fusionskontrollverfahren aus Section 7 A Clayton Act praktisch anwenden wird.27 In diesem Zusammenhang führt sie aus, welche Elemente im Rahmen der maßgeblichen Einzelfallprüfung für die Annahme einer beneficial ownership sprechen können: „[…] the existence of beneficial ownership is to be determined in the context of particular cases with reference to the person or persons that enjoy the indicia of beneficial ownership, which include the right to obtain the benefit of any increase in value or dividends, the risk of loss of value, the right to vote the stock or to determine who may vote the stock, the investment discretion (including the power to dispose of the stock).“28

Die formale Eigentümerstellung sei hingegen nicht maßgeblich: „Record ownership by itself is of no relevance in determining whether a person ,holds‘ stock or assets under the rules.29 […]. Under the final rule it makes no difference who the record owner is. The person or persons that have the benefits and risks of ownership of securities or assets ,hold‘ those securities or assets, and persons that acquire beneficial ownership must report their ,acquisition‘ if the criteria of the act are satisfied.“30

Für die Annahme einer beneficial ownership ist es demnach unerheblich, wer der formelle Eigentümer eines Unternehmens ist. Vielmehr ist im Rahmen einer umfassenden Einzelfallprüfung das Vorliegen verschiedener Indizien, der indicia of

25

Vgl. Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 674. Vigdor, Premerger Coordination, S. 11. 27 FTC, Statement of Basis and Purpose Implementing Title II of the Hart-Scott-Rodino Antitrust Improvements Act of 1976, 43 Fed. Reg. 33449. 28 FTC, Statement of Basis and Purpose Implementing Title II of the Hart-Scott-Rodino Antitrust Improvements Act of 1976, 43 Fed. Reg. 33449, 33458. 29 FTC, Statement of Basis and Purpose Implementing Title II of the Hart-Scott-Rodino Antitrust Improvements Act of 1976, 43 Fed. Reg. 33449, 33458. 30 FTC, Statement of Basis and Purpose Implementing Title II of the Hart-Scott-Rodino Antitrust Improvements Act of 1976, 43 Fed. Reg. 33449, 33459. 26

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beneficial ownership, zu prüfen. Folgende Aspekte sprechen dabei für die Annahme der Inhaberschaft von beneficial ownership: – das Recht, von Wertsteigerung oder Dividenden zu profitieren; – das Tragen des Risikos, dass sich der Wert der Anteile oder Vermögenswerte vermindert; – das Recht der Stimmrechtsausübung oder das Recht, festzulegen, wer Stimmrechte ausübt; – die Möglichkeit, über die Anteile oder Assets zu verfügen (investment discretion) inklusive des Rechts, die Anteile oder Assets zu veräußern.31 Es muss davon ausgegangen werden, dass es sich dabei um keine erschöpfende Auflistung der Anzeichen von beneficial ownership handelt, sondern vielmehr auch auf andere Indizien abgestellt werden kann.32 So lässt sich der Formulierung „[…] indicia of beneficial ownership, which include […]“33 entnehmen, dass der von der FTC angeführte Katalog wohl nicht abschließender Natur sein soll. Zudem legt bereits der Begriff „indicia“ nahe, dass die Berücksichtigung weiterer Gesichtspunkte möglich sein muss. Bestätigt wird diese Annahme durch die Praxis des DOJ, das in mehreren Fällen auf das im Katalog nicht angeführte Kriterium der „operational control“ abstellte.34 In der Literatur wird die Frage aufgeworfen, ob die von der FTC angeführten Kriterien kumulativ vorliegen müssen, um einen Übergang der beneficial ownership annehmen zu können.35 Aus der Formulierung „indicia“ und der Maßgeblichkeit der Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ist insoweit abzuleiten, dass es ausreichen kann, wenn nur einige oder im Extremfall sogar nur eines der genannten Kriterien verwirklicht sind.36 Im Ergebnis tragen die Ausführungen der FTC im Statement of Basis and Purpose zur Konkretisierung des Begriffs der beneficial ownership bei. Aufgrund der notwendigen Einzelfallbetrachtung verbleibt für die Zusammenschlussbeteiligten jedoch ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit. Die Fallpraxis von FTC und DOJ

31 FTC, Statement of Basis and Purpose Implementing Title II of the Hart-Scott-Rodino Antitrust Improvements Act of 1976, 43 Fed. Reg. 33449, 33458. Vgl. hierzu auch Blumenthal, 63 Antitrust L. J. 1, 37 ff. 32 Vigdor hält die Frage, ob der Katalog abschließend ist, hingegen für ungeklärt. Vigdor, Premerger Coordination, S. 16. 33 FTC, Statement of Basis and Purpose Implementing Title II of the Hart-Scott-Rodino Antitrust Improvements Act of 1976, 43 Fed. Reg. 33449, 33458. 34 Siehe unten S. 109 ff. 35 Vigdor, Premerger Coordination, S. 17. 36 Aussagen über eine Gewichtung der Kriterien lassen sich weder dem Statement of Basis and Purpose noch der Entscheidungspraxis von FTC und DOJ entnehmen. Vgl. Blumenthal, 63 Antitrust L. J. 1, 43. Vigdor, Premerger Coordination, S. 16 f.

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zu Section 7 A Clayton Act37 bietet insoweit jedoch ein gewisses Maß an Orientierung. bb) Auswirkungen auf den Wettbewerb nicht erforderlich Section 7 A Clayton Act ist eine Verfahrensvorschrift. Sie knüpft anders als das Kartellverbot nicht daran an, ob es durch Vollzugsmaßnahmen tatsächlich zu einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs kommt. Aus diesem Grund verstößt auch der vorschnelle Vollzug von Zusammenschlüssen, die den Wettbewerb nicht beeinträchtigen, gegen Section 7 A Clayton Act.38 cc) Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen Section 7 A Clayton Act Verstöße gegen das Vollzugsverbot können laut Section 7 A Clayton Act mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu 10.000 USD pro Tag, an dem gegen das Vollzugsverbot verstoßen wird, sanktioniert werden.39 Dieser Wert wurde im Februar 2009 auf Grundlage des Federal Civil Penalties Inflation Adjustment Act of 1990, geändert durch den Debt Collection Improvement Act of 1996, auf 16.000 USD erhöht.40 Ein Bußgeld in dieser Höhe kann gegen jedes der an einem Verstoß beteiligten Unternehmen verhängt werden, sodass sich das Gesamtbußgeld pro Tag auf 32.000 USD beläuft. Daneben können gegen die beteiligten Unternehmen Unterlassungsansprüche geltend gemacht werden.41 c) Anwendung auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen Das Vollzugsverbot des Section 7 A Clayton Act verbietet nicht nur den Vollzug eines Zusammenschlusses im formell-juristischen Sinne durch eine Übertragung von Unternehmensanteilen oder Vermögenswerten. Erfasst werden vielmehr auch faktische Vollzugsmaßnahmen, sofern sie zu einem Übergang der beneficial ownership führen. Um zu prüfen, ob eine bestimmte Maßnahme gegen das Vollzugsverbot verstößt, ist im Rahmen einer umfassenden Einzelfallwürdigung zu untersuchen, welche indicia of beneficial ownership auf den Erwerber übergegangen sind,42 wobei das DOJ in seiner Fallpraxis auch den Sinn und Zweck des präventiven Fusionskontrollverfahrens maßgeblich berücksichtigt.43 Dieser besteht darin, den Behörden 37

Siehe unten S. 79 ff. Blumenthal, 63 Antitrust L. J. 1, 35; Morse, 57 Bus. Law. 1463, 1475; Vigdor, Premerger Coordination, S. 50. 39 15 U.S.C. § 18a(g)(1). 40 16 C.F.R. 1.98. 41 Vigdor, Premerger Coordination, S. 115. 42 Vigdor, Premerger Coordination, S. 15, 18. 43 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01 – 02062, Ziff. 35; United States v. Gemstar-TV 38

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die Möglichkeit offenzuhalten, effektiv gegen Zusammenschlüsse vorzugehen, die dem Wettbewerb schaden würden. Dadurch soll zum einen verhindert werden, dass Wettbewerbsbeschränkungen eintreten. Zum anderen soll Schwierigkeiten bei der Entflechtung vorgebeugt werden.44 Ein deutliches Indiz für ein unzulässiges GunJumping liegt demnach dann vor, wenn faktische Vollzugsmaßnahmen den Wettbewerb auf einem Markt beeinträchtigen oder sich im Untersagungsfall nicht rückgängig machen ließen. 2. Kartellverbot, Section 1 Sherman Act Section 1 Sherman Act, der wiederholt vom DOJ auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen angewandt wurde,45 enthält ein allgemeines Kartellverbot, das wettbewerbsbeschränkende Verhaltensabstimmungen verbietet: „Every contract, combination in the form of trust or otherwise, or conspiracy, in restraint of trade or commerce among the several States, or with foreign nations, is declared to be illegal.“46

a) Tatbestandsmerkmale Section 1 Sherman Act erfasst wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, die sich bundesstaatsübergreifend auswirken. Ein mit Art. 101 Abs. 3 AEUV vergleichbarer Ausnahmetatbestand existiert nicht. aa) Vereinbarung Für einen Verstoß gegen Section 1 Sherman Act muss genau wie für einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV eine Vereinbarung47 vorliegen. Der U.S. Supreme Court fordert insoweit eine Willensübereinstimmung: „Circumstances must reveal […] a unity of purpose or a common design and understanding, or a meeting of minds in an unlawful arrangement […].“48

Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 02. 06. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 78 f.; United States v. Qualcomm Incorporated, Complaint for Civil Penalties, 13. 04. 2006, Case No. 06-0672, Ziff. 1; United States v. Smithfield Foods, Inc., Complaint for Civil Penalties, 21. 01. 2010, Case No. 10-0120, Ziff. 11. Vgl. Vigdor, Premerger Coordination, S. 18, Fn. 29. 44 Vigdor, Premerger Coordination, S. 2, 13. 45 Siehe unten S. 91 ff. 46 Section 1 Sherman Act, 15 U.S.C. § 1. 47 „[…] contract, combination in the form of trust or otherwise, or conspiracy […]“. 48 American Tobacco Co. v. United States, United States Supreme Court, 328 U.S. 781, 810 (1946).

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Erforderlich sei, so der Supreme Court in einer späteren Entscheidung aus dem Jahr 1984, eine bewusste Verpflichtung zu einem abgestimmten Verhalten, um ein verbotenes Ziel zu erreichen: „[…] there must be direct or circumstantial evidence that reasonably tends to prove that the manufacturer and others had a conscious commitment to a common scheme designed to achieve an unlawful objective.“49

Neben ausdrücklichen Vereinbarungen fallen hierunter stillschweigende Vereinbarungen, sofern schlüssig und nachvollziehbar dargelegt werden kann, dass kein unabhängiges, sondern ein kollusives Verhalten vorliegt.50 Eine stillschweigende Vereinbarung kann nicht angenommen werden, sofern kein rationelles wirtschaftliches Motiv für eine Abrede besteht und sich das Verhalten auch anders als durch Kollusion erklären lässt.51 bb) Beschränkung des Wettbewerbs Die Vereinbarung muss den Wettbewerb beschränken („in restraint of trade or commerce“). Eine Beschränkung des Wettbewerbs wird entweder dann angenommen, wenn eine Verhaltensweise schon ihrem Wesen nach wettbewerbsbeschränkend ist und einem Per-se-Verbot unterfällt oder wenn im Rahmen einer ausführlichen Einzelfallprüfung, der sogenannten rule of reason-Analyse, wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen festgestellt werden können.52 Vom Per-se-Verbot sind bestimmte Verhaltensweisen erfasst, die sich als besonders wettbewerbsschädlich erwiesen haben, zum Beispiel horizontale Preisabsprachen,53 Marktaufteilungen,54 Mengenbeschränkungen,55 Boykotte56 und Sub49 Monsanto Co. v. Spray-Rite Service Corp., United States Supreme Court, 465 U.S. 752, 768 (1984). 50 „Thus, respondents here must show that the inference of a conspiracy is reasonable in light of the competing inferences of independent action or collusive action that could not have harmed respondents.“ Matsushita Electric Industrial v. Zenith Radio Corp., United States Supreme Court, 475 U.S. 574, 575 und 588 (1986). 51 „[…] the absence of any plausible motive to engage in the conduct charged is highly relevant to whether a ,genuine issue for trial‘ exists within the meaning of Rule 56(e). Lack of motive bears on the range of permissible conclusions that might be drawn from ambiguous evidence: if petitioners had no rational economic motive to conspire, and if their conduct is consistent with other, equally plausible explanations, the conduct does not give rise to an inference of conspiracy.“ Matsushita Electric Industrial v. Zenith Radio Corp., United States Supreme Court, 475 U.S. 574, 596 f. (1986). Vgl. Vigdor, Premerger Coordination, S. 65. 52 Posner, Antitrust Law, S. 39. Vgl. auch Elhauge/Geradin, Global Antitrust Law and Economics, S. 74 ff. 53 United States v. Socony-Vacuum Oil Co., United States Supreme Court, 310 U.S. 150, 224 ff. (1940). Posner, Antitrust Law, S. 39. 54 United States v. Topco Associates, United States Supreme Court, 405 U.S. 596, 608 (1972).

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missionsabsprachen.57. Diese Verhaltensweisen werden per se ohne eine umfassende Analyse der jeweiligen Marktcharakteristika und der konkreten Auswirkungen auf den Wettbewerb untersagt.58 Eine ausführliche Einzelfallbeurteilung wird im Hinblick auf Verhaltensweisen, die einer Per-se-Regel unterfallen, als unnötige Verschwendung knapper Ressourcen bewertet, da die Erfahrung zeigt, dass sich diese Verhaltensweisen in aller Regel wettbewerbsbeschränkend auswirken und nicht zu rechtfertigen sind.59 Verhaltensweisen, die nicht unter die Per-se-Regel fallen, werden nur dann als unzulässig betrachtet, wenn eine umfassende rule of reason-Prüfung zu dem Ergebnis kommt, dass sie den Wettbewerb unverhältnismäßig beeinträchtigen.60 Unreasonable restraints of trade im Sinne von Section 1 Sherman Act werden dabei dann angenommen, wenn die Gesamtwürdigung einer Vereinbarung ergibt, dass ihre wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen die eintretenden wettbewerbsfördernden Effekte überwiegen.61 Anders als im Rahmen von Per-se-Regeln können dementsprechend auch die positiven Auswirkungen einer Vereinbarung auf den Wettbewerb berücksichtigt werden.62 Insgesamt ist die rule of reason-Analyse deutlich am Ziel der gesamtwirtschaftlichen Effizienz ausgerichtet. Im Rahmen der Einzelfallprüfung werden insbesondere auch die Marktstellung und -macht der an einer Vereinbarung beteiligten Unternehmen berücksichtigt.63 cc) Bundesstaats- oder staatsübergreifende Auswirkungen Drittens muss sich die Wettbewerbsbeschränkung bundesstaats- oder staatsübergreifend auswirken („among the several States, or with foreign nations“). Durch dieses Tatbestandsmerkmal werden Verhaltensweisen aus dem Anwendungsbereich

55

National Collegiate Athletic Organization v. Board of Regents of the University of Oklahoma, United States Supreme Court, 468 U.S. 85, 99 ff. (1984). Vgl. Elhauge/Geradin, Global Antitrust Law and Economics, S. 74. 56 FTC v. Superior Court Trial Lawyers Association, United States Supreme Court, 493 U.S. 411 (1990). Elhauge/Geradin, Global Antitrust Law and Economics, S. 74 f., Fn. 7 m.w.N. 57 United States v. Misle Bus & Equipment Company, United States Court of Appeals, Eighth Circuit, 967 F.2d 1227, 1235 (1992). Vgl. Vigdor, Premerger Coordination, S. 73. 58 Insbesondere wird im Rahmen der Per-se-Analyse nicht berücksichtigt, ob etwaige wettbewerbsfördernde Auswirkungen einer Verhaltensweise deren negative Auswirkungen auf den Wettbewerb überwiegen. Elhauge/Geradin, Global Antitrust Law and Economics, S. 74. 59 White Motor Co. v. United States, United States Supreme Court, 372 U.S. 253, 263 (1963). Vgl. Vigdor, Premerger Coordination, S. 72 f. 60 Posner, Antitrust Law, S. 39. Vgl. Vigdor, Premerger Coordination, S. 74. 61 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 8, Rdnr. 49. 62 Vigdor, Premerger Coordination, S. 75. 63 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 8, Rdnr. 52.

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von Section 1 Sherman Act ausgeschlossen, die sich nur innerhalb eines Bundesstaats64 oder nicht auf die USA65 auswirken. dd) Keine Möglichkeit zur Freistellung vom Kartellverbot Section 1 Sherman Act sieht keine mit Art. 101 Abs. 3 AEUV vergleichbare Freistellungsmöglichkeit vor. Im Rahmen der rule of reason ist jedoch eine Berücksichtigung der positiven Auswirkungen einer Vereinbarung auf den Wettbewerb möglich.66 b) Rechtsfolgen eines Verstoßes Verstöße gegen Section 1 Sherman Act können mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu 100 Millionen USD sanktioniert werden. Alternativ kann ein Bußgeld in der zweifachen Höhe des Kartellgewinns oder des verursachten Schadens verhängt werden.67 Gegen natürliche Personen kann ein Bußgeld in Höhe von bis zu 1 Million USD und eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren verhängt werden.68 Darüber hinaus kann das DOJ Unterlassungsansprüche durchsetzen.69

64 Die Gesetzgebungskompetenz des Kongresses erstreckt sich nicht auf Verhaltensweisen, die sich nur auf den Wettbewerb innerhalb eines Bundesstaats auswirken. Die Bundesstaaten haben eigene Kartellgesetze erlassen. Vgl. z. B. für Massachusetts M.G.L. ch. 93 § 6: „It shall be unlawful for any person engaged in trade or commerce, in the course thereof, to lease or make a sale or contract for sale of goods, wares, merchandise, machinery, supplies or other commodities, patented or unpatented, for use, consumption or resale in the commonwealth, or fix a price charged therefore, or discount from, or rebate upon, such price on the condition, agreement or understanding that the lessee or purchaser thereof shall not use or deal in the goods, wares, merchandise, machinery, supplies or other commodities of a competitor or competitors of the lessor or seller, where the effect of such lease, sale or contract for sale or such condition, agreement or understanding may be to lessen substantially competition or tend to create a monopoly in any line of trade or commerce in the commonwealth.“ 65 Vgl. Siegmund, 51 Va. J. Int’l L. 1047, 1053. 66 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 8, Rdnr. 42. 67 18 U.S.C. § 3571(d): „If any person derives pecuniary gain from the offense, or if the offense results in pecuniary loss to a person other than the defendant, the defendant may be fined not more than the greater of twice the gross gain or twice the gross loss, unless imposition of a fine under this subsection would unduly complicate or prolong the sentencing process.“ 68 15 U.S.C. § 1 S. 2: „Every person who shall make any contract or engage in any combination or conspiracy hereby declared to be illegal shall be deemed guilty of a felony, and, on conviction thereof, shall be punished by fine not exceeding $ 100,000,000 if a corporation, or, if any other person, $ 1,000,000, or by imprisonment not exceeding 10 years, or by both said punishments, in the discretion of the court.“ 69 Vigdor, Premerger Coordination, S. 115 ff.

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c) Anwendung auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen Bei dem Erwerber und dem Zielunternehmen handelt es sich bis zum Closing um zwei eigenständige Unternehmen, die an Section 1 Sherman Act gebunden sind. Kommt es durch zu weitreichende Interaktionen vor der Freigabe und dem Vollzug eines Zusammenschlusses zu einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs, kann ein Verstoß gegen das Kartellverbot vorliegen. Das DOJ hat in seiner Entscheidungspraxis neben dem Vollzugsverbot wiederholt das Kartellverbot auf Gun-JumpingVerhaltensweisen angewandt.70 3. Verbot unlauterer Wettbewerbspraktiken, Section 5 FTC Act Section 5 FTC Act ermächtigt die FTC generalklauselartig zum Einschreiten gegen unlauteres Verhalten im Wettbewerb: „Unfair methods of competition in or affecting commerce, and unfair or deceptive acts or practices in or affecting commerce, are hereby declared unlawful.“71

Der Verabschiedung des FTC Act im Jahr 1914 gingen mehrere Entscheidungen des Supreme Court voraus, welche die Reichweite der kartellrechtlichen Vorgaben des Sherman Act einschränkten. Unter dem Eindruck dieser Entscheidungen wollte der Kongress ein zusätzliches Instrument zur Durchsetzung des Kartellrechts schaffen. Dementsprechend zeichnet sich Section 5 FTC Act durch einen äußerst weit gefassten Tatbestand aus.72 Auf der Rechtsfolgenseite ist die Norm hingegen eng gefasst. a) Erfasste Verhaltensweisen Section 5 FTC Act statuiert ein Verbot von unlauteren Wettbewerbspraktiken („unfair methods of competition“). Aus der Intention heraus, die zuvor durch die Rechtsprechung erfolgten Einschränkungen des Sherman Act zu kompensieren,73 hat der Kongress bewusst nicht definiert, welche Verhaltensweisen als unfair methods of competition zu qualifizieren sind. Stattdessen sollte es der FTC überlassen bleiben, im Rahmen ihrer Fallpraxis zu bestimmen, welche Verhaltensweisen sie als unzulässig betrachtet. Hierdurch sollte ihr die Möglichkeit verschafft werden, auf aktuelle Entwicklungen im Wirtschaftsleben flexibel zu reagieren und auch Umgehungsversuche erfassen zu können. Die FTC kann daher jedes Verhalten, das potenziell schädlich für den Wettbewerb ist, auf Grundlage von Section 5 FTC Act untersagen.74 Die FTC prüft auf der Grundlage von Section 5 FTC Act einerseits klassische 70 71 72 73 74

Siehe unten S. 91 ff. und S. 96 ff. 15 U.S.C. § 45(a)(1). Marshak, 86 NYU L. Rev. 1121, 1127; Vigdor, Premerger Coordination, S. 94. Marshak, 86 NYU L. Rev. 1121, 1127; Vigdor, Premerger Coordination, S. 94. Marshak, 86 NYU L. Rev. 1121, 1129 f.; Vigdor, Premerger Coordination, S. 95.

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C. Gun-Jumping im US-Kartellrecht

Verstöße gegen die Antitrust-Gesetze (Sherman Act und Clayton Act)75 und kann beispielsweise gegen wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen im Sinne von Section 1 Sherman Act vorgehen.76 Andererseits schreitet die FTC auf Grundlage von Section 5 FTC Act gegen Verhaltensweisen ein, die zwar nicht gegen den Sherman Act oder den Clayton Act verstoßen, jedoch den Zielsetzungen und Grundgedanken dieser Gesetze zuwiderlaufen. So bezeichnete der Court of Appeals for the Fourth Circuit Section 5 FTC Act als eine Penumbra77 um die Antitrust-Gesetze.78 Insgesamt stehen der FTC somit sehr weitreichende Befugnisse zur Untersagung von Verhaltensweisen, die den Wettbewerb beeinträchtigen, zu. Der Supreme Court hat die weite und offene Gestaltung von Section 5 FTC Act akzeptiert. Er berücksichtigt bei der Auslegung der Generalklausel die gesetzgeberische Intention79 und gesteht der FTC breit angelegte Befugnisse zur Untersagung von Verhaltensweisen zu, welche den Wettbewerb beeinträchtigen.80 b) Rechtsfolgen eines Verstoßes Kommt die FTC zu der Überzeugung, dass ein Verstoß gegen Section 5 FTC Act vorliegt, legt sie Beschwerde bei einem Verwaltungsgericht ein. Bestätigt dieses den Verstoß, ergeht eine Unterlassungsanordnung (cease and desist order). In vielen Fällen erfolgt zuvor jedoch eine Einigung zwischen der FTC sowie dem jeweiligen Unternehmen und es ergeht eine consent order.81 Das Unternehmen verpflichtet sich in diesem Fall dazu, das streitige Verhalten zukünftig zu unterlassen, gibt dabei jedoch kein Fehlverhalten zu.82 Ein Bußgeld kann die FTC nur dann verhängen, wenn gegen eine cease and desist order oder eine consent order verstoßen wird.83 Verstöße gegen Section 5 FTC Act werden somit deutlich milder sanktioniert als beispiels75

Vigdor, Premerger Coordination, S. 95. Dabei wendet die FTC unter dem FTC Act die gleichen Prüfmethoden an, die unter dem Sherman Act maßgeblich sind, Marshak, 86 NYU L. Rev. 1121, 1131. 77 Als Penumbra bezeichnet man das nicht ganz dunkle Randgebiet eines Sonnenflecks, vgl. Schlagwort „Penumbra“ auf Duden Online, abrufbar unter http://www.duden.de/rechtschrei bung/Penumbra. 78 Chuck’s Feed & Speed Co. v. Ralston Purina Co., United States Court of Appeals, Fourth Circuit, 810 F.2d 1289, 1292 f. (1987). 79 Vgl. z. B. FTC v. Sperry & Hutchinson Co., United States Supreme Court, 405 U.S. 233, 239 f. (1972); FTC v. R. R. Keppel & Brother, Inc., United States Supreme Court, 291 U.S. 304, 310 (1934). 80 Vgl. FTC v. Sperry & Hutchinson, United States Supreme Court, 405 U.S., 233, 244, 249 f. (1972). Neben der Verfolgung von Verstößen gegen den Sherman Act oder den Clayton Act akzeptiert der United States Supreme Court das Vorgehen der FTC gegen Verhaltensweisen, die dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen, FTC v. Indiana Federation of Dentists, United States Supreme Court, 476 U.S. 447, 454 (1986). Vgl. Marshak, 86 NYU L. Rev. 1121, 1129 f. 81 Marshak, 86 NYU L. Rev. 1121, 1128, Fn. 30. 82 Marshak, 86 NYU L. Rev. 1121, 1128, Fn. 30. 83 Marshak, 86 NYU L. Rev. 1121, 1128. 76

II. Rechtsprechung und Verfahren der Kartellbehörden

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weise Verstöße gegen Section 1 Sherman Act.84 Aufgrund der eingeschränkten Sanktionsmöglichkeiten verweist die FTC schwerwiegende Verstöße zur weiteren Verfolgung an das DOJ.85 c) Anwendung auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen Die FTC ist auf Grundlage von Section 5 FTC Act wiederholt gegen Gun-Jumping-Verstöße vorgegangen.86 Dabei kann die FTC unter Section 5 FTC Act gegen alle Verhaltensweisen vorgehen, die unter Section 1 Sherman Act verboten sind,87 sodass ein Einschreiten gegen eine wettbewerbsbeschränkende Zusammenarbeit von Erwerber und Zielunternehmen vor dem Closing möglich ist.88 Die FTC ist außerdem grundsätzlich dazu ermächtigt, Verstöße gegen Section 7 A Clayton Act zu verfolgen.89

II. Rechtsprechung und Verfahren der Kartellbehörden Nachfolgend erfolgt eine Auswertung der Anwendung von Section 1 Sherman Act, Section 7 A Clayton Act und Section 5 FTC Act auf Gun-Jumping-Sachverhaltskonstellationen durch Gerichte und die Kartellbehörden. Zunächst werden Gerichtsentscheidungen untersucht, in denen Section 1 Sherman Act auf das Verhalten von Zusammenschlussparteien angewandt wurde (1.). Im Anschluss daran erfolgt eine Auswertung der Gun-Jumping-Verfahren von DOJ und FTC (2.). Als Orientierungspunkt für die Bestimmung der Reichweite des Vollzugsverbots kann zudem die Rechtsprechung zum Zusammenschlussbegriff der materiellen Fusionskontrolle aus Section 7 Clayton Act herangezogen werden (3.). 1. Rechtsprechung zur Anwendung von Section 1 Sherman Act auf Interaktionen vor dem Vollzug Soweit ersichtlich beschäftigen sich bislang vier Urteile mit der Anwendung von Section 1 Sherman Act auf die Interaktionen von Erwerber und Zielunternehmen. Diese Urteile lassen in unterschiedlichem Umfang Schlussfolgerungen auf die kartellrechtlichen Verhaltensanforderungen zu. 84

Siehe oben S. 68. Steptoe, Prepared Remarks Before the ABA Section of Antitrust Law Spring Meeting 1994, Fn. 8. 86 Siehe unten S. 83 ff., S. 86 f. und S. 87 ff. 87 Vgl. FTC v. Indiana Federation of Dentists, United States Supreme Court, 476 U.S. 447, 454 f. (1986). Vigdor, Premerger Coordination, S. 93, 96. 88 Vigdor, Premerger Coordination, S. 102. 89 Marshak, 86 NYU L. Rev. 1121, 1125. 85

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a) Kirihara v. Bendix Corporation: Zielunternehmen wechselt Vertriebspartner Im Jahr 1969 setzte sich der United States District Court for the District of Hawaii in Kirihara v. Bendix Corporation90 mit der Anwendung von Section 1 Sherman Act auf das Verhalten des Zielunternehmens vor dem Vollzug eines Zusammenschlusses auseinander. Der Kläger Paul Kirihara (Kirihara) warf den beklagten Unternehmen Fram Corporation (Fram) und Bendix Corporation (Bendix) im Vorfeld des Vollzugs des Erwerbs von Fram durch Bendix vor, durch die Vereinbarung eines Boykotts gegen das Kartellverbot verstoßen zu haben. aa) Sachverhalt Der Kläger Kirihara hatte ursprünglich von Fram hergestellte Ölfilter exklusiv auf Hawaii vertrieben. Nachdem der Erwerb von Fram durch Bendix vereinbart worden war, hat Fram die exklusive Vertriebsvereinbarung mit Kirihara gekündigt. Unmittelbar nach dem Vollzug des Zusammenschlusses ging Fram stattdessen mit der Charles W. Carter Co., Inc. (Carter) einen exklusiven Vertriebsvertrag ein, wobei Carter ursprünglich schon ein Vertriebspartner des Erwerbers Bendix war. Die Belieferung des Klägers Kirihara stellte Fram vollständig ein.91 bb) Bewertung durch das Gericht Der Kläger argumentierte, dass der Wechsel des Vertriebspartners und die in diesem Zusammenhang abgeschlossenen Vereinbarungen als Verstoß gegen Section 1 Sherman Act zu bewerten seien, da sie eine erhebliche Einschränkung des Wettbewerbs zur Folge gehabt und ihn vom Markt ausgeschlossen hätten.92 Der District Court lehnte die Annahme eines Verstoßes gegen das Kartellverbot ab. Die Neuvergabe des Rechts zum exklusiven Vertrieb durch einen Hersteller sei grundsätzlich mit dem Kartellverbot vereinbar. Hieran würde auch der Umstand nichts ändern, dass der Kläger durch die Beendigung der Belieferung sein gesamtes Geschäft auf dem sachlich relevanten Markt verloren hätte, da dies die natürliche und gewöhnliche Folge der Beendigung einer exklusiven Vertriebsbeziehung sei.93 Insbesondere liege auch kein kartellrechtswidriger Boykott vor. Es sei kein wettbewerbsbeschränkendes Motiv für die Kündigung des Exklusivertrags zu erkennen,94 der Zusammenschluss 90

Kirihara v. Bendix F. Supp. 72 (1996). 91 Kirihara v. Bendix F. Supp. 72, 75 (1996). 92 Kirihara v. Bendix F. Supp. 72, 75 f. (1996). 93 Kirihara v. Bendix F. Supp. 72, 77 f. (1996). 94 Kirihara v. Bendix F. Supp. 72, 79 (1996).

Corporation, United States District Court, District of Hawaii, 306 Corporation, United States District Court, District of Hawaii, 306 Corporation, United States District Court, District of Hawaii, 306 Corporation, United States District Court, District of Hawaii, 306 Corporation, United States District Court, District of Hawaii, 306

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von Bendix und Fram sei nicht erfolgt, um die Klägerin auszuschließen95, und schließlich stehe es der Klägerin auch frei, vergleichbare Produkte anderer Hersteller zu vertreiben.96 Ein Verstoß gegen Section 1 Sherman Act wurde daher abgelehnt.97 cc) Auswertung Angesichts des Umstands, dass das Urteil in Kirihara v. Bendix Corporation vor mittlerweile über 40 Jahren ergangen ist und zu diesem Zeitpunkt noch kein präventives Fusionskontrollverfahren bestand, kann ihm für die Beurteilung von GunJumping-Verhaltensweisen nur eine geringe Bedeutung beigemessen werden. In der Literatur wird das Urteil dahingehend interpretiert, dass an Zusammenschlussparteien unter Section 1 Sherman Act kein strengerer Maßstab angelegt wird als an andere Unternehmen.98 b) U.S. v. R. J. Reynolds Tobacco Co.: Übertragung des Risikos des Scheiterns des Zusammenschlusses auf den Erwerber In der Entscheidung U.S. v. R. J. Reynolds Tobacco Co.99 beschäftigte sich der District Court for the District of New Jersey im Jahr 1976 mit der kartellrechtlichen Zulässigkeit einer Vereinbarung, die dem Veräußerer eines Unternehmens den vereinbarten Kaufpreis für das Zielunternehmen auch für den Fall garantierte, dass der Zusammenschluss scheiterte.100 aa) Sachverhalt Der Veräußerer Walter Kidde & Company (Kidde) vereinbarte mit dem Erwerber R. J. Reynolds Tobacco Company (Reynolds) den Verkauf des Zielunternehmens United States Lines, Inc. (U.S. Lines). Eine Zusatzvereinbarung zu dem Kaufvertrag sah vor, dass das Zielunternehmen im Falle des Scheiterns des Zusammenschlussvorhabens an ein drittes Unternehmen verkauft werden sollte. Dabei sollte Kidde unabhängig von dem bei dem Verkauf an den Dritten erzielten Kaufpreis den ursprünglich vereinbarten Kaufpreis zuzüglich Zinsen erhalten. Sollte durch den 95

Kirihara v. Bendix Corporation, United States District Court, District of Hawaii, 306 F. Supp. 72, 78 (1996). 96 Kirihara v. Bendix Corporation, United States District Court, District of Hawaii, 306 F. Supp. 72, 78 (1996). 97 Kirihara v. Bendix Corporation, United States District Court, District of Hawaii, 306 F. Supp. 72, 79 (1996). 98 Vigdor, Premerger Coordination, S. 88. 99 United States v. R. J. Reynolds Tobacco Co., United States District Court, District of New Jersey, 416 F. Supp. 316 (1976). 100 United States v. R. J. Reynolds Tobacco Co., United States District Court, District of New Jersey, 416 F. Supp. 316, 317 (1976).

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Verkauf an den Dritten ein höherer Preis erzielt werden, sollte der Mehrerlös Reynolds zustehen.101 bb) Bewertung durch das Gericht Das DOJ klagte gegen diese Vertragsgestaltung, da sie per se gegen Section 1 Sherman Act verstoße. Hilfsweise argumentierte das DOJ, dass die Vereinbarung unter der rule of reason unzulässig sei, da die negativen Auswirkungen der Zusatzvereinbarung etwaige positive Auswirkungen überwiegen würden.102 Der District Court folgte der Argumentation des DOJ jedoch nicht. Das Gericht attestierte Kidde ein legitimes Interesse daran, U. S. Lines zu veräußern. In keiner Weise sei ersichtlich, wie die Zusatzvereinbarung zum Kaufvertrag den Wettbewerb beeinträchtigen könnte.103 Der Zweck der Zusatzvereinbarung bestehe allein darin, sicherzustellen, dass Kidde den vereinbarten Kaufpreis erhält. Einen Verstoß gegen Section 1 Sherman Act lehnte das Gericht daher ab.104 cc) Auswertung Aus der Entscheidung lässt sich schlussfolgern, dass es nach Ansicht des District Court grundsätzlich zulässig ist, das Risiko des Scheiterns einer Unternehmenstransaktion auf den Erwerber abzuwälzen. c) International Travel Arrangers v. NWA Inc.: Keine Anwendbarkeit des Kartellverbots auf Zusammenschlussparteien In International Travel Arrangers v. NWA Inc.105 lehnte der United States Court of Appeals for the Eighth Circuit im Jahr 1993 die Anwendbarkeit des Kartellverbots auf die an einem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen ab. aa) Sachverhalt Die drei Fluggesellschaften Northwest Airlines, Republic Airlines und Mainland Travel vereinbarten einen Zusammenschluss. Die Klägerin International Travel 101

United States v. R. J. Reynolds Tobacco Co., United States District Court, District of New Jersey, 416 F. Supp. 316, 319 (1976). Vgl. Vigdor, Premerger Coordination, S. 73 f. 102 United States v. R. J. Reynolds Tobacco Co., United States District Court, District of New Jersey, 416 F. Supp. 316, 326 (1976). 103 United States v. R. J. Reynolds Tobacco Co., United States District Court, District of New Jersey, 416 F. Supp. 316, 326 (1976). 104 United States v. R. J. Reynolds Tobacco Co., United States District Court, District of New Jersey, 416 F. Supp. 316, 327 (1976). 105 International Travel Arrangers v. NWA Inc., United States Court of Appeals, Eighth Circuit, 991 F.2d 1389 (1993).

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Arrangers argumentierte, dass die Zusammenschlussparteien gegen Section 1 Sherman Act verstoßen hätten, indem sie sich auf den Zusammenschluss geeinigt und darüber hinaus verabredet hätten, das Geschäft der Klägerin zu unterminieren.106 Der vorinstanzliche District Court überließ es der Jury, zu entscheiden, ob die Zusammenschlussparteien in dem Zeitraum zwischen der Vereinbarung und dem Vollzug eines Zusammenschlusses noch als voneinander unabhängige Unternehmen zu betrachten sind oder ob sie aufgrund des Fehlens eines unabhängigen unternehmerischen Bewusstseins („independent economic consciousness“) ihren Status als eigenständige Unternehmen verloren haben. Die Jury entschied, dass sich zusammenschließende Unternehmen ihre Unabhängigkeit eingebüßt hätten und nicht in der Lage seien, durch kollusives Verhalten gegen das Kartellverbot zu verstoßen.107 bb) Bewertung durch das Gericht Der Court of Appeals hielt die Entscheidung der Jury aufrecht. Er führte aus, dass Unternehmen eigentlich divergierende Interessen hätten, sich diese Situation allerdings änderte, wenn sie sich auf einen Zusammenschluss geeinigt haben. Aufgrund des Gleichlaufs ihrer Interessen könnten Unternehmen ab diesem Zeitpunkt nicht mehr kartellieren, da sie ihr unabhängiges unternehmerisches Bewusstsein verloren hätten. Section 1 Sherman Act sei daher zwischen dem Signing und Closing nicht mehr auf die Zusammenschlussparteien anwendbar.108 cc) Auswertung Der Court of Appeals verneint die Anwendbarkeit von Section 1 Sherman Act auf die an einem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen im Ergebnis mit der Begründung, dass die intraenterprise conspiracy doctrine bereits ab dem Abschluss eines Unternehmenskaufvertrags eingreife. Die intraenterprise conspiracy doctrine, die 1984 vom U.S. Supreme Court aufgestellt wurde, besagt, vergleichbar mit dem Konzernprivileg im europäischen Kartellrecht,109 dass das Kartellverbot auf Vereinbarungen zwischen einer Konzernmutter und ihren Tochtergesellschaften nicht anwendbar ist.110 Da die Konzernmutter volle Kontrolle über ihre Tochterunter106

International Travel Arrangers v. NWA Inc., United States Court of Appeals, Eighth Circuit, 991 F.2d 1389, 1392 f. (1993). 107 International Travel Arrangers v. NWA Inc., United States Court of Appeals, Eighth Circuit, 991 F.2d 1389, 1398 (1993); Vigdor, Premerger Coordination, S. 70. 108 International Travel Arrangers v. NWA Inc., United States Court of Appeals, Eighth Circuit, 991 F.2d 1389, 1398 (1993). Vgl. auch Vigdor, Premerger Coordination, S. 69 ff. 109 Im europäischen Kartellrecht ist das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht anwendbar, wenn die an einer Vereinbarung beteiligten Unternehmen eine wirtschaftliche Einheit bilden. Siehe hierzu eingehend unten S. 236 f. 110 Copperweld Corp. v. Independence Tube Corp., United States Supreme Court, 467 U.S. 752, 777 (1984). Während die intraenterprise conspiracy doctrine ursprünglich nur auf 100 %ige Tochtergesellschaften Anwendung fand, wurde ihr Anwendungsbereich mittlerweile

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nehmen ausüben kann, wird eine Interesseneinheit zwischen den Unternehmen angenommen,111 sodass sie im Ergebnis als ein einziges Unternehmen zu betrachten sind.112 Es vermag jedoch nicht zu überzeugen, die intraenterprise conspiracy doctrine auf die Zusammenschlussparteien ab dem Signing anzuwenden.113 Das Urteil wurde von den Kartellbehörden ignoriert.114 d) Omnicare v. United Health Group: Informationsaustausch vor dem Vollzug In Omnicare v. United Health Group115 untersuchte der United States Court of Appeals for the Seventh Circuit, ob die United Health Group, Inc. (United) und PacifiCare Health Systems, Inc. (PacifiCare) im Rahmen der Vorbereitung ihres Zusammenschlusses ein Einkaufskartell zulasten der Klägerin Omnicare, Inc. (Omnicare) gebildet haben. In diesem Zusammenhang äußerte sich der Court of Appeals auch zur kartellrechtlichen Beurteilung des Informationsaustauschs zwischen Erwerber und Zielunternehmen vor dem Closing.116 aa) Sachverhalt Die Klägerin Omnicare beliefert in den USA als Großhändlerin institutionelle Abnehmer mit Pharmazeutika und bietet zudem ergänzende Dienstleistungen an. United ist eine große Krankenversicherung, die in den ganzen USA aktiv ist. Im Dezember 2005 übernahm United den kleineren Wettbewerber PacifiCare.117 Während United und PacifiCare ihren Zusammenschluss vorbereiteten und die Due Diligence durchführten, verhandelten die beiden Unternehmen getrennt voneinander mit Omnicare über den Bezug bestimmter verschreibungspflichtiger Medikamente, die im Rahmen des sogenannten medicare part d program subventioniert an Verauch auf Tochterunternehmen ausgeweitet, die sich nicht zu 100 Prozent in der Hand der Konzernmutter befinden. Menz, Wirtschaftliche Einheit und Kartellverbot, S. 296 ff.; Vigdor, Premerger Coordination, S. 69. 111 Copperweld Corp. v. Independence Tube Corp., United States Supreme Court, 467 U.S. 752, 771 f. (1984). 112 Copperweld Corp. v. Independence Tube Corp., United States Supreme Court, 467 U.S. 752, 771 (1984). 113 Siehe unten S. 114 ff. 114 So hat das DOJ sowohl in Computer Associates (siehe unten S. 91 ff.) als auch Gemstar (siehe unten S. 96 ff.) Interaktionen nach dem Signing an Section 1 Sherman Act gemessen. 115 Omnicare v. United Health Group, United States Court of Appeals, Seventh Circuit, 629 F.3d 697 (2011). Vgl. auch Holzwarth, Das Vollzugsverbot als Bestandteil eines effizienten Fusionskontrollverfahrens, S. 141 ff. 116 Omnicare v. United Health Group, United States Court of Appeals, Seventh Circuit, 629 F.3d 697, 699 (2011). 117 Omnicare v. United Health Group, United States Court of Appeals, Seventh Circuit, 629 F.3d 697, 699 (2011).

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sicherte abgegeben werden sollten.118 Omnicare und United einigten sich bereits Mitte 2005 und schlossen einen entsprechenden Bezugsvertrag. Mit PacifiCare erfolgte eine Einigung hingegen erst im Dezember 2005, zwei Wochen vor dem Closing des Zusammenschusses. PacifiCare hatte dabei mit einer unnachgiebigen Verhandlungsstrategie deutlich günstigere Konditionen erzielt als United. Zudem enthielt die Vereinbarung von PacifiCare eine Klausel, nach der PacifiCare dem Bezugsvertrag einseitig weitere Abnehmer hinzufügen konnte. Für die nachträglich hinzugefügten Abnehmer sollten die gleichen günstigen Konditionen gelten, wie sie PacifiCare für sich ausgehandelt hatte.119 Auf der Grundlage dieser Klausel trat United nach dem Vollzug des Zusammenschlusses dem Bezugsvertrag von PacifiCare bei und konnte so von den deutlich günstigeren Konditionen dieser Vereinbarung profitieren. Die Klägerin Omnicare argumentierte daraufhin, dass diese für sie unvorteilhafte Situation das Ergebnis einer kartellrechtswidrig abgesprochenen Verhandlungsstrategie sei. United und PacifiCare hätten im Rahmen der Due Diligence vereinbart, dass United frühzeitig eine Vereinbarung mit Omnicare abschließt, während PacifiCare hart und unnachgiebig verhandelt, um möglichst günstige Konditionen zu erzielen. Danach sollte United dem Vertrag von PacifiCare beitreten, um von dessen günstigeren Konditionen zu profitieren. Das vermeintliche Einkaufskartell verstoße per se gegen Section 1 Sherman Act.120 bb) Bewertung durch das Gericht Der Court of Appeals lehnte die Annahme eines Verstoßes gegen Section 1 Sherman Act ab. Weder die einzelnen von Omnicare vorgetragenen Umstände noch eine Gesamtbetrachtung rechtfertigten die Annahme einer Vereinbarung im Sinne von Section 1 Sherman Act.121 Das Gericht setzte sich dabei dezidiert mit der kartellrechtlichen Beurteilung des Informationsaustauschs im Vorfeld des Vollzugs des Zusammenschlusses auseinander. Die Klägerin hatte in diesem Zusammenhang argumentiert, dass United und PacifiCare im Hinblick auf die Verhandlungen mit Omnicare Preisinformationen ausgetauscht hätten, und dies als Beleg für die Koordinierung der Verhandlungsstrategien von United und PacifiCare angeführt.122

118

Omnicare v. United Health Group, United States Court of Appeals, Seventh Circuit, 629 F.3d 697, 699 f. (2011). 119 Omnicare v. United Health Group, United States Court of Appeals, Seventh Circuit, 629 F.3d 697, 703 (2011). 120 Omnicare v. United Health Group, United States Court of Appeals, Seventh Circuit, 629 F.3d 697, 704 (2011). 121 Omnicare v. United Health Group, United States Court of Appeals, Seventh Circuit, 629 F.3d 697, 721 (2011). 122 Omnicare v. United Health Group, United States Court of Appeals, Seventh Circuit, 629 F.3d 697, 709 (2011).

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Der Court of Appeals bezeichnet die kartellrechtliche Beurteilung des Informationsaustauschs im Vorfeld eines Zusammenschlusses als schmalen Grat.123 Auf der einen Seite könne ein Kartellverstoß nicht bereits dann angenommen werden, wenn die Zusammenschlussparteien über ihr operatives Geschäft sprechen. Eine derart weite Interpretation des Kartellverbots würde die beteiligten Unternehmen zu weitgehend in ihren berechtigten Interessen einschränken. Auf der anderen Seite könne ein bevorstehender Zusammenschluss aber auch keinen grenzenlosen Austausch von wettbewerbsrelevanten Informationen rechtfertigen, da hierdurch eine Verhaltensabstimmung vor dem Closing ermöglicht werden könnte.124 Zudem würde ein Anreiz zu vorgetäuschten Zusammenschlussverhandlungen (sham negotiations) geschaffen, die durchgeführt werden, um unter ihrem Deckmantel wettbewerbsrelevante Informationen auszutauschen.125 Den zwischen United und PacifiCare erfolgten Informationsaustausch beurteilte der Court of Appeals als unproblematisch. Er sei im Rahmen einer gewöhnlichen Due-Diligence-Prüfung erfolgt. Das Gericht betonte dabei, dass sich United und PacifiCare aktiv darum bemüht haben, Kartellverstöße zu vermeiden. So habe PacifiCare auf Fragen, die das medicare program betrafen, lediglich in allgemeiner Weise geantwortet und bestimmte Informationsersuchen auf Anraten seiner Anwälte nicht beantwortet. Der Due-Diligence-Bericht sei auf Beispiele und Schätzungen beschränkt geblieben. Preisbezogene Informationen seien lediglich in einer zwischen United und PacifiCare vergleichenden Weise durch allgemeine Angaben wie „höher“, „niedriger“ oder „ungefähr“ übermittelt worden.126 Ein Treffen der Geschäftsführungen von United und PacifiCare, in dem die Auswirkungen des Angebots von PacifiCare an Omnicare auf den Wert des Zielunternehmens thematisiert wurden, sei kartellrechtlich nicht zu beanstanden. Im Rahmen der Vorbereitung eines Zusammenschlusses komme der Bewertung des Zielunternehmens eine große Bedeutung zu. Zudem seien Preisinformationen nur einer kleinen Zahl von Mitgliedern der Geschäftsführung kurz vor dem Signing offenbart worden. Es gebe keinen Hinweis darauf, dass die Informationen an Mitarbeiter von United weitergegeben wurden, die für die Verträge des streitgegenständlichen medicare part d program zuständig waren. Auch seien die Informationen zunächst durch die Anwälte von PacifiCare und sodann die Anwälte von United um wettbewerbssensible Details bereinigt worden.127 123 So schon der vorinstanzliche District Court, Omnicare v. United Health Group, United States District Court, Northern District of Illinois, 594 F.Supp.2d 945, 968 (2009). 124 Omnicare v. United Health Group, United States Court of Appeals, Seventh Circuit, 629 F.3d 697, 709 f. (2011). 125 Vgl. hierzu Blumenthal, 63 Antitrust L. J. 1, 32 ff. 126 Omnicare v. United Health Group, United States Court of Appeals, Seventh Circuit, 629 F.3d 697, 710 (2011). 127 Omnicare v. United Health Group, United States Court of Appeals, Seventh Circuit, 629 F.3d 697, 710 (2011).

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Maßgeblich gegen die Annahme einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung sprach zudem nach Ansicht des Gerichts, dass United den Vertrag zwischen PacifiCare und Omnicare zunächst negativ bewertet hat und daher PacifiCare ursprünglich in den eigenen Vertrag überführen wollte. Eigentlich sei folglich das entgegengesetzte Verhalten zur angeblichen Kartellabsprache beabsichtigt worden.128 cc) Auswertung Der Court of Appeals erkennt einerseits das legitime Bedürfnis der Zusammenschlussparteien nach einem umfassenden Informationsaustausch an, sieht aber andererseits Gefahren für den Wettbewerb, die von diesem ausgehen können. Er sieht den Informationsaustausch daher weder als grundsätzlich unzulässig an noch betrachtet er ihn uneingeschränkt für zulässig. Maßgeblich scheint das Gericht vielmehr darauf abzustellen, ob durch den Informationsaustausch tatsächlich eine Koordinierung des Marktverhaltens ermöglicht wird. Große Bedeutung hat das Gericht im Rahmen der Einzelfallprüfung den Vorkehrungen geschenkt, welche die vermeintlichen Kartellanten getroffen haben, um einem Verstoß gegen Section 1 Sherman Act vorzubeugen. Aufgrund dieser Vorkehrung sah das Gericht in dem konkreten Fall sogar den Austausch von Preisinformationen nicht als bedenklich an. e) Ergebnis Die ausgewerteten Urteile erlauben gewisse Rückschlüsse auf die Anwendung des Kartellverbots auf Erwerber und Zielunternehmen. Für die Beurteilung von GunJumping-Verhaltensweisen sind insbesondere die Ausführungen in Omnicare v. United Health zur Beurteilung des Informationsaustauschs zwischen Erwerber und Zielunternehmen von hoher Relevanz. Bemerkenswert, aber im Ergebnis nicht überzeugend129 ist die Anwendung der intraenterprise conspiracy doctrine auf Erwerber und Zielunternehmen in International Travel Arrangers v. NWA. 2. Gun-Jumping-Verfahren des DOJ und der FTC Das DOJ und die FTC sind seit 1991 in elf Verfahren gegen Gun-Jumping-Verhaltensweisen vorgegangen. Obwohl dem kartellbehördlichen Vorgehen an sich weniger Autorität zukommt als Gerichtsentscheidungen, werden diese Verfahren in den USA als primäre Erkenntnisquelle zur Beurteilung der Interaktionen von Erwerber und Zielunternehmen vor dem Vollzug herangezogen.130 Dabei ist zu be128 Omnicare v. United Health Group, United States Court of Appeals, Seventh Circuit, 629 F.3d 697, 710 (2011). 129 Siehe unten S. 114 ff. 130 Siehe nur die ausführliche Untersuchung Vigdor, Premerger Coordination.

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rücksichtigen, dass das DOJ und die FTC anders als Gerichte nicht an den stare decisis-Grundsatz131 gebunden sind.132 Zudem mündeten sämtliche Gun-JumpingVerfahren in einer Einigung der jeweiligen Kartellbehörde mit dem beschuldigten Unternehmen. Die Unternehmen verpflichteten sich zwar in einer sogenannten consent order dazu, die angegriffene Verhaltensweise zukünftig zu unterlassen und mitunter auch ein Bußgeld zu zahlen. Ein Rechtsverstoß wurde aber weder zugegeben noch festgestellt. Trotz dieser Einschränkungen stellen die Verfahren von DOJ und FTC den wichtigsten Orientierungspunkt für die Beurteilung von Gun-JumpingFällen dar und werden sowohl in der Literatur133 als auch der Rechtsberatungspraxis134 uneingeschränkt als Beurteilungsmaßstab herangezogen. a) United States v. Atlantic Richfield Co. (ARCO I): Übergang der Chancen und Risiken des Betriebs der übertragenen Vermögenswerte Im ARCO-I-Verfahren bewertete das DOJ den vor der Freigabeerteilung erfolgenden Übergang der wirtschaftlichen Chancen und Risiken des Betriebs der übertragenen Vermögenswerte auf den Erwerber als Verstoß gegen das Vollzugsverbot.

131 Der Grundsatz stare decisis besagt, dass Gerichte an zuvor getroffene Entscheidungen gebunden sind und von diesen nur abweichen dürfen, sofern sich der zu beurteilende Sachverhalt wesentlich von dem des Präzedenzfalls unterscheidet. Der Court of Appeals, Ninth Circuit hat insoweit zusammenfassend Folgendes ausgeführt: „Stare decisis is the policy of the court to stand by precedent; the term is but an abbreviation of stare decisis et non quieta movere – ,to stand by and adhere to decisions and not disturb what is settled.‘ Consider the word ,decisis.‘ The word means, literally and legally, the decision. Nor is the doctrine stare dictis; it is not ,to stand by or keep to what was said.‘ Nor is the doctrine stare rationibus decidendi – ,to keep to the rationes decidendi of past cases.‘ Rather, under the doctrine of stare decisis a case is important only for what it decides – for the ,what,‘ not for the ,why,‘ and not for the ,how.‘ Insofar as precedent is concerned, stare decisis is important only for the decision, for the detailed legal consequence following a detailed set of facts.“ United States Internal Revenue Service v. Osborne, United States Court of Appeals, Ninth Circuit, 76 F.3d 306, 309 (1996). 132 Die Behörden können daher die Bewertung bestimmter Sachverhaltskonstellationen mit der Zeit ändern, beispielweise aufgrund einer Änderung der Wettbewerbspolitik infolge eines Regierungswechsels, vgl. Steuer, 63 Antitrust L. J. 823. 133 Vgl. Balto/Sher, The M&A Lawyer 2006, No. 8, S. 19 ff.; Blumenthal, 63 Antitrust L. J. 1 ff.; Morse, 57 Bus. Law. 1463 ff.; Naughton, 20 Antitrust 66 ff.; Vigdor, Premerger Coordination, S. 11 ff. 134 Vgl. z. B. Freshfields Bruckhaus Derringer, US companies fined for ,gun jumping‘ before expiration of the HSR Act waiting period, abrufbar unter http://www.freshfields.com /uploadedFiles/SiteWide/Knowledge/US%20companies%20fined%20for%20‘gun%20 jumping’%20before%20expiration%20of%20the%20HSR%20Act%20waiting%20period. pdf; Jones Day, Antitrust Alert: DOJ Imposes Civil Penalties for Premerger „Gun Jumping“, abrufbar unter http://www.jonesday.com/antitrust-alert-doj-imposes-civil-penalties-for-premer ger-gun-jumping-01-22-2010/; Paul Hastings, $900,000 DOJ Antitrust Settlement Highlights „Gun-Jumping“ Risk, abrufbar unter http://www.paulhastings.com/assets/publications/1495. pdf.

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aa) Sachverhalt Die Atlantic Richfield Co. (ARCO) vereinbarte mit der Union Carbide Corp. (Union Carbide) den Erwerb von Assets, die zur Herstellung bestimmter chemischer Verbindungen benötigt wurden.135 Die Zahlung des Kaufpreises an Union Carbide erfolgte noch vor der Notifizierung des Zusammenschlusses, wobei der Kaufpreis in keinem Fall, auch nicht nach einer fusionskontrollrechtlichen Untersagung des Vorhabens, erstattet werden sollte.136 Stattdessen sollte im Falle des Scheiterns des Vorhabens ein Treuhänder die Assets an ein drittes Unternehmen veräußern und dem ursprünglich vorgesehenen Erwerber ARCO die Einnahmen zukommen lassen.137 Bis zum Vollzug der Transaktion sollte Union Carbide das Geschäft auf übliche Weise nach den Maßgaben des bestehenden Geschäftsplans weiterführen.138 Ab dem Kaufvertragsschluss sollte ARCO jedoch sämtliche Verbindlichkeiten und Verpflichtungen, die der fortlaufende Betrieb der Assets durch den Verkäufer begründete, tragen. Beispielsweise sollte die Umwelthaftung auf ARCO übergehen.139 Zudem sah der Kaufvertrag einen Mechanismus zur Kaufpreisanpassung vor, nach dem der Kaufpreis nachträglich steigen sollte, sofern Union Carbide mit dem fortlaufenden Betrieb der Assets bis zum Vollzug der Transaktion einen negativen Cashflow erzielt. Hingegen sollte eine nachträgliche Reduzierung des Kaufpreises erfolgen, sofern in der Phase zwischen dem Signing und Closing mit den Assets ein positiver Cashflow erzielt wurde.140 bb) Bewertung durch das DOJ Das DOJ, das den Fall von der FTC übernommen hatte,141 nahm an, dass es mit dem Vertragsschluss zu einem Übergang der beneficial ownership142 und somit einem Verstoß gegen Section 7 A Clayton Act gekommen sei.143 So seien aufgrund der besonderen Vertragsgestaltung mit dem Abschluss des Kaufvertrags die wirt135 United States v. Atlantic Richfield Company (ARCO I), Complaint for Civil Penalties, 31. 01. 1991, Case No. 91-0205, Ziff. 11. 136 United States v. Atlantic Richfield Company (ARCO I), Complaint for Civil Penalties, 31. 01. 1991, Case No. 91-0205, Ziff. 12. 137 United States v. Atlantic Richfield Company (ARCO I), Complaint for Civil Penalties, 31. 01. 1991, Case No. 91-0205, Ziff. 15. 138 United States v. Atlantic Richfield Company (ARCO I), Complaint for Civil Penalties, 31. 01. 1991, Case No. 91-0205, Ziff. 13. 139 United States v. Atlantic Richfield Company (ARCO I), Complaint for Civil Penalties, 31. 01. 1991, Case No. 91-0205, Ziff. 14. 140 United States v. Atlantic Richfield Company (ARCO I), Complaint for Civil Penalties, 31. 01. 1991, Case No. 91-0205, Ziff. 16. 141 Vigdor, Premerger Coordination, S. 124. 142 Siehe oben S. 61 ff. 143 United States v. Atlantic Richfield Company (ARCO I), Complaint for Civil Penalties, 31. 01. 1991, Case No. 91-0205, Ziff. 18 f.

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schaftlichen Chancen und Risiken aus dem Betrieb der Assets auf ARCO übergegangen. ARCO und Union Carbide akzeptierten einen Einigungsvorschlag des DOJ und verpflichteten sich im Rahmen einer consent order jeweils zu der Zahlung eines Bußgelds in Höhe von 1 Million USD.144 cc) Auswertung Das DOJ wendete die Indizien für beneficial ownership auf den Fall an und kam zu dem Ergebnis, dass der Erwerber ab dem Vertragsschluss bei wirtschaftlicher Betrachtung als tatsächlicher Eigentümer der Assets zu betrachten war. Eine unmittelbare Einflussmöglichkeit auf das Marktverhalten bzw. eine Möglichkeit zur Steuerung der Assets hat das DOJ dabei nicht als Voraussetzung für die Feststellung eines Verstoßes gegen das Vollzugsverbot betrachtet. Die Kaufvertragsgestaltung in ARCO I ähnelt der in U.S. v. R. J. Reynolds Tobacco Co.145, geht aber noch weiter, da dem Erwerber ab dem Kaufvertragsschluss eindeutig die wirtschaftlichen Chancen und Risiken aus dem Betrieb der Assets zugeschrieben wurden. b) United States v. Atlantic Richfield Co. (ARCO II): Übertragung von Stimmrechtsaktien Im ARCO-II-Verfahren war ARCO in der Rolle des Veräußerers an einem Verstoß gegen Section 7 A Clayton Act durch die vorzeitige Übertragung von Stimmrechtsaktien beteiligt. aa) Sachverhalt Im Rahmen des Verkaufs des ARCO-Tochterunternehmens ARCO Seed an U.F. Genetics Inc. wurden 49 Prozent der ARCO-Seed-Aktien mit dem Vertragsschluss auf den Erwerber übertragen.146 Die übrigen 51 Prozent der Aktien wurden zunächst auf einen Treuhänder übertragen und sollten erst nach Ablauf der waiting period auf den Erwerber übergehen.147 Allerdings wurde das Recht zur unverzüglichen und dauerhaften Ausübung der Stimmrechte bereits mit dem Vertragsschluss auf den

144 United States v. Atlantic Richfield Company (ARCO I), Final Judgment, Case No. 910205. Vgl. zum ARCO-I-Verfahren auch Blumenthal, 63 Antitrust L. J. 1, 39 ff. und Morse, 57 Bus. Law. 1463, 1469 f. 145 Siehe oben S. 73 f. 146 United States v. Atlantic Richfield Company (ARCO II), Complaint for Civil Penalties, 20. 12. 1991, Case No. 91-3267, Ziff. 18. 147 United States v. Atlantic Richfield Company (ARCO II), Complaint for Civil Penalties, 20. 12. 1991, Case No. 91-3267, Ziff. 21.

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Erwerber übertragen.148 Zudem sollten sämtliche Erträge der treuhänderisch gehaltenen Aktien dem Erwerber zukommen.149 bb) Bewertung durch das DOJ Nach Ansicht des DOJ150 ging die beneficial ownership für 100 Prozent der Aktien mit dem Vertragsschluss auf den Erwerber über, sodass es zu einem Verstoß gegen das Vollzugsverbot kam.151 ARCO verpflichtete sich im Rahmen einer consent order dazu, ein Bußgeld in Höhe von 290.000 USD zu zahlen. Der Erwerber U.F. Genetics verpflichtete sich zur Zahlung eines Bußgelds in Höhe von 150.000 USD.152 cc) Auswertung Da in ARCO II dem Erwerber neben dem Recht auf die Erträge das Recht zustand, die Stimmrechte der treuhänderisch gehaltenen Aktien auszuüben, lag ein recht eindeutiger Fall des vorzeitigen Übergangs der beneficial ownership vor. c) In re Torrington: Übertragung von Kundenbeziehungen Im Rahmen des Erwerbs von Universal Bearings, Inc. (Universal) durch The Torrington Company (Torrington) nahm die FTC einen Verstoß gegen Section 5 FTC Act an, da das Zielunternehmen versuchte, Kundenbeziehungen vorzeitig auf den Erwerber zu übertragen. aa) Sachverhalt Torrington plante den Erwerb von Universal und meldete das Vorhaben bei den Kartellbehörden an. Nach dem Abschluss der Transaktion wollte Torrington die Achswellenproduktion von Universal in die eigene Produktion integrieren. Das Zielunternehmen Universal erlangte von diesen Plänen Kenntnis und entschied sich 148 United States v. Atlantic Richfield Company (ARCO II), Complaint for Civil Penalties, 20. 12. 1991, Case No. 91-3267, Ziff. 19. 149 United States v. Atlantic Richfield Company (ARCO II), Complaint for Civil Penalties, 20. 12. 1991, Case No. 91-3267, Ziff. 21. 150 Das Verfahren wurde von der FTC an das DOJ verwiesen, vgl. Vigdor, Premerger Coordination, S. 125. 151 Zudem kam es zu einem Verstoß gegen die Anmeldepflicht, da die Anmeldung des Zusammenschlusses erst nach dem Abschluss des Kaufvertrags erfolgte. United States v. Atlantic Richfield Company (ARCO II), Complaint for Civil Penalties, 20. 12. 1991, Case No. 913267, Ziff. 24. 152 United States v. Atlantic Richfield Co., Final Judgment, Case No. 91-3267; United States v. U.F. Genetics, Final Judgment, Case No. 91-3267. Vgl. zum ARCO-II-Verfahren auch Blumenthal, 63 Antitrust L. J. 1, 41 f. und Morse, 57 Bus. Law. 1463, 1469.

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daraufhin, noch während der waiting period den Markt für Achswellen zu verlassen. Angesichts des dringenden Lieferbedarfs eines Kunden von Universal erörterten die Zusammenschlussparteien, ob dieser Kunde nicht bereits vor dem Vollzug des Zusammenschlusses von dem Erwerber Torrington beliefert werden könnte. Daraufhin schlug Universal dem Kunden vor, seinen Bedarf an Achswellen künftig bei Torrington zu decken.153 Der Firmenchef von Universal glaubte, dass durch die vorzeitige Überführung der Kunden an den Erwerber die Zusammenlegung der beiden Unternehmen beschleunigt werden würde und die Kunden letztlich gehalten werden könnten („keep the business in the family“).154 Der Kunde bestand jedoch weiterhin auf einer Belieferung durch Universal, was Universal letztlich auch akzeptierte.155 Als sich der Kunde später mit einer Bitte um ein Preisangebot für andere Achswellen ein weiteres Mal an Universal wandte, wurde diesem Ersuchen nicht entsprochen, sondern stattdessen nur darauf hingewiesen, dass Universal den Markt für Achswellen schnellstmöglich verlassen möchte.156 bb) Bewertung durch die FTC Die FTC bewertete den Marktaustritt von Universal und das Verhalten gegenüber dem Kunden während der fusionskontrollrechtlichen Wartephase als Verstoß gegen Section 5 FTC Act, da Preise stabilisiert oder abgesprochen worden sein könnten. Zudem könnte auch ganz allgemein der Wettbewerb zwischen Torrington und Universal beschränkt worden sein. Torrington und Universal verpflichteten sich in einer consent order, im Rahmen zukünftiger Unternehmenstransaktionen vor dem Closing alle Maßnahmen zur Zusammenführung von angekauften Unternehmensteilen mit den eigenen zu unterlassen.157 cc) Auswertung Am Torrington-Verfahren ist zum einen auffällig, dass die FTC nicht auf den tatsächlichen Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen abstellt, sondern stattdessen die Möglichkeit einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs ausreichen lässt. Zum anderen scheinen die beanstandeten Verhaltensweisen vom Zielunternehmen weitgehend autonom beschlossen worden zu sein. Der genaue Beitrag des Erwerbers bleibt jedenfalls unklar. Die FTC scheint somit auch gewillt zu sein, auf der Grundlage von Section 5 FTC Act gegen einseitige Maßnahmen einzuschreiten. In den beiden aufgeführten Umständen kommt letztlich der äußerst weite Tatbestand 153

FTC Complaint, in re Torrington Co., 10. 05. 1991, 114 F.T.C. 283, 284. FTC Complaint, in re Torrington Co., 10. 05. 1991, 114 F.T.C. 283, 284. 155 FTC Complaint, in re Torrington Co., 10. 05. 1991, 114 F.T.C. 283, 284. 156 FTC Complaint, in re Torrington Co., 10. 05. 1991, 114 F.T.C. 283, 285. Siehe zum Verfahren auch Steptoe, Prepared Remarks Before the ABA Section of Antitrust Law Spring Meeting 1994, S. 3. 157 FTC Decision and Order, in re Torrington Co., 10. 05. 1991, 114 F.T.C. 283, 286 f. 154

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von Section 5 FTC Act zum Ausdruck, der es der FTC nicht nur erlaubt, gegen Wettbewerbsbeschränkung, sondern auch gegen dieser vorgelagerte Verhaltensweisen einzuschreiten.158 d) United States v. Titan Wheel International, Inc.: Inbesitznahme von Vermögenswerten In Titan Wheels kam es durch die vorzeitige Übertragung von Assets zu einem Verstoß gegen das Vollzugsverbot. aa) Sachverhalt Titan Wheel International, Inc. (Titan) erwarb von der Pirelli Armstrong Tire Corporation (Pirelli) eine Fabrik zur Herstellung von Reifen für Agrarmaschinen.159 Der Kaufvertrag erstreckte sich auf sämtliche zur Reifenherstellung benötigten Vermögenswerte (Maschinen, Inventar sowie Kunden- und Zuliefererverzeichnisse).160 Titan nahm noch vor Abschluss des Fusionskontrollverfahrens auf der Grundlage einer Klausel im Kaufvertrag die Assets in Besitz und begann, über sie die unternehmerische Kontrolle (operational control) auszuüben.161 Nachdem Titan zwischenzeitlich sogar schon die Produktion in der Anlage aufgenommen hatte, erkannten die Parteien ihren Verstoß gegen das Vollzugsverbot und änderten den Kaufvertrag dahingehend, dass es vor dem Ablauf der waiting period nicht zu einem vorzeitigen Übergang der beneficial ownership an den Assets kommen dürfe. Zudem erfolgte eine Rückübertragung der Assets auf den Veräußerer.162 bb) Bewertung durch das DOJ Durch die zwischenzeitlich erfolgte Übertragung der Kontrolle über die Assets auf Titan ist es zu einem Übergang der beneficial ownership und somit zu einem Verstoß gegen Section 7 A Clayton Act gekommen.163 Das Beschwerdeverfahren des

158 Siehe oben S. 69 ff. Vgl. zu den Möglichkeiten der FTC, gegen noch nicht wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen einzuschreiten, Marshak, 86 NYU L. Rev. 1121, 1131. 159 United States v. Titan Wheel International, Inc., Complaint for Civil Penalties, 07. 05. 1996, Case No. 96-1040, Ziff. 13. 160 United States v. Titan Wheel International, Inc., Complaint for Civil Penalties, 07. 05. 1996, Case No. 96-1040, Ziff. 15. 161 United States v. Titan Wheel International, Inc., Complaint for Civil Penalties, 07. 05. 1996, Case No. 96-1040, Ziff. 17. 162 United States v. Titan Wheel International, Inc., Complaint for Civil Penalties, 07. 05. 1996, Case No. 96-1040, Ziff. 19. 163 United States v. Titan Wheel International, Inc., Complaint for Civil Penalties, 07. 05. 1996, Case No. 96-1040, Ziff. 21 ff.

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DOJ endete mit einem Vergleich, in dessen Rahmen sich Titan verpflichtete, ein Bußgeld in Höhe von 130.000 USD zu zahlen.164 cc) Auswertung Im Titan-Wheels-Verfahren ging das DOJ gegen einen sehr klaren Gun-JumpingVerstoß gegen das Vollzugsverbot vor. Bemerkenswert ist insbesondere, dass das DOJ unter Section 7 A Clayton Act erstmals auf das Kriterium der operational control abstellte, das von ihm fortan in Gun-Jumping-Fällen als zentrales Beurteilungskriterium herangezogen wird. e) In re Insilco Corp.: Informationsaustausch vor dem Vollzug In Insilco nahm die FTC aufgrund eines zu weitgehenden Informationsaustauschs einen Verstoß gegen Section 5 FTC Act an. aa) Sachverhalt Die Insilco Corporation (Insilco) erwarb Vermögenswerte, Anteile und Optionen im Hinblick auf verschiedene Tochterunternehmen der Helmut Lingemann GmbH (Lingemann).165 Vor dem Closing fragte Insilco bei Lingemann spezifische, nicht aggregierte Kundeninformationen ab. Lingemann ließ Insilco daraufhin Informationen über Vertragsverhandlungen mit Kunden, detaillierte und nach Kunden aufgeschlüsselte Angaben zu Preisangeboten sowie Informationen über die künftige Preispolitik zukommen.166 bb) Bewertung durch die FTC Die FTC nahm einen Verstoß gegen Section 5 FTC Act aufgrund eines zu weitgehenden Informationsaustauschs an. Die FTC stellte dabei auf die negativen Auswirkungen ab, die ein zu weitreichender Informationsaustausch nach sich ziehen kann, wenn ein Zusammenschluss letztlich nicht vollzogen wird.167 Genau dieses Szenario verwirklichte sich schlussendlich auch, da die FTC den Zusammenschluss für unvereinbar mit Section 7 Clayton Act erachtete.168 In einer consent order verpflichtete sich Insilco dazu, zukünftig vor dem Vollzug von Zusammenschlüssen die

164 United States v. Titan Wheel International, Final Judgment, Case No. 96-1040, 10. 05. 1996, Abschnitt II. 165 FTC Complaint, in re Insilco Corporation, 27. 01. 1998, 125 F.T.C. 293, 294. 166 FTC Complaint, in re Insilco Corporation, 27. 01. 1998, 125 F.T.C. 293, 294 f. 167 FTC Complaint, in re Insilco Corporation, 27. 01. 1998, 125 F.T.C. 293, 296. 168 FTC Complaint, in re Insilco Corporation, 27. 01. 1998, 125 F.T.C. 293, 296.

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Bereitstellung oder das Abfragen von folgenden Informationen zu unterlassen, sofern sie nicht öffentlich zugänglich sind: – aktuelle oder zukünftige nicht aggregierte, kundenspezifische Informationen; – gegenwärtige oder künftige Preise; – gegenwärtige oder künftige Wettbewerbsstrategien; – Analysen oder Rechenmodelle, die genutzt werden können, um Kosten oder Preise zu berechnen.169 cc) Auswertung In Insilco wurde erstmals die Zulässigkeit des Informationsaustauschs vor dem Closing thematisiert. Das Einschreiten der FTC ist dabei gut nachvollziehbar. Der Austausch von gegenwärtigen oder künftigen kundenspezifischen Preisinformationen wäre auch unter Section 1 Sherman Act problematisch. Zudem verdeutlicht das Verfahren, dass die zentralen wettbewerblichen Bedenken gegen einen zu weitgehenden Informationsaustausch darin bestehen, dass es im Falle des Scheiterns des Zusammenschlussvorhabens zu einem koordinierten Marktverhalten kommen kann. f) In re Commonwealth Land Title Insurance Co.: Angleichung der Geschäftsbedingungen Im Commonwealth-Verfahren schritt die FTC gegen eine vorzeitige Angleichung der Geschäftsbedingungen von Erwerber und Zielunternehmen ein. aa) Sachverhalt Die Commonwealth Land Title Insurance Co. (Commonwealth) und die First American Title Insurance Company (First American) vereinbarten, zu fusionieren. Beide Unternehmen waren Anbieter von Rechtstitelversicherungen170 und dazugehörigen Registerdienstleistungen. Noch vor dem Vollzug des geplanten Zusammenschlusses begann Commonwealth damit, Kunden zu kündigen und ihnen den Abschluss von Übergangsverträgen für die Zeit bis zum Vollzug anzubieten. Diese 169 Diese Beschränkung sollte 20 Jahre für Zusammenschlüsse mit Wettbewerbern auf dem verfahrensgegenständlichen Markt und zehn Jahre für Zusammenschlüsse mit sonstigen Unternehmen gelten, FTC Decision and Order, in re Insilco Corporation, 27. 01. 1998, 125 F.T.C. 293, 306 f. 170 In den USA gibt es in den meisten Bundesstaaten keine öffentlichen Grundstücksregister. Stattdessen wird lediglich die Übertragung von Grundstücken dokumentiert. Um die daraus resultierende Rechtsunsicherheit über die Eigentümerstellung zu kompensieren, existieren sog. title insurances. Siehe Washington State Office of the Insurance Commissioner, Consumer’s Guide to Title Insurance and Escrow Services, abrufbar unter http://www.dfi.wa. gov/consumers/pdf/consumers_guide_title_escrow.pdf.

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Übergangsverträge mussten die Kunden annehmen, sofern sie nach der Umsetzung des Zusammenschlusses das kombinierte Register der beiden Unternehmen nutzen wollten. Die Konditionen, die Commonwealth seinen Kunden in den Übergangsverträgen anbot, entsprachen dabei denen von First American. Für die meisten Kunden bedeutete der Wechsel zu den Übergangsverträgen eine Verschlechterung der Konditionen. Letztere sahen höhere Preise und ein geringeres Leistungsspektrum vor.171 bb) Bewertung durch die FTC Die FTC nahm einen Verstoß gegen Section 5 FTC Act an, da Commonwealth und First American im Vorfeld des Vollzugs Preise und Geschäftsbedingungen abgesprochen hätten. Dies habe zu einer Erhöhung der Preise und einer Einschränkung des Angebots auf dem relevanten Markt geführt. Daneben lagen auch die Voraussetzungen für die Untersagung des Zusammenschlusses vor.172 Commonwealth verpflichtete sich in einer consent order dazu, alle Übergangsverträge zu kündigen und den Kunden für mindestens ein Jahr wieder die Konditionen einzuräumen, die vor der Fusion galten. Zudem musste Commonwealth Kunden, die aufgrund der Übergangsverträge einen höheren Preis gezahlt hatten, die Differenz zum ursprünglichen Preis erstatten.173 Darüber hinaus verpflichtete sich Commonwealth für 20 Jahre, Vereinbarungen zu unterlassen, die auf eine Festsetzung von Preisen oder Geschäftsbedingungen für Registerdienstleistungen abzielen.174 cc) Auswertung Eine Besonderheit indes Commonwealth-Falles besteht darin, dass der dem Verfahren zugrunde liegende Zusammenschluss nicht dem präventiven Fusionskontrollverfahren aus Section 7 A Clayton Act unterfiel.175 Dass die FTC nicht nur auf der Grundlage von Section 7 Clayton Act den Zusammenschluss untersagt hat, sondern darüber hinaus das Verhalten vor dem Vollzug angegriffen hat, unterstreicht, dass auch außerhalb des präventiven Fusionskontrollverfahrens die Zusammenschlussparteien bis zum Vollzug als eigenständige Unternehmen an die kartell-

171

FTC Complaint, in re Commonwealth Land Title Insurance Corporation, 10. 11. 1998, 126 F.T.C. 680, 683. Vgl. zu dem Verfahren auch Krauss, New Developments in the Premerger Notification Program, S. 5. 172 FTC Complaint, in re Commonwealth Land Title Insurance Corporation, 10. 11. 1998, 126 F.T.C. 680, 684. 173 FTC Decision and Order, in re Commonwealth Land Title Insurance Corporation, 10. 11. 1998, 126 F.T.C. 680, 687 f. 174 FTC Decision and Order, in re Commonwealth Land Title Insurance Corporation, 10. 11. 1998, 126 F.T.C. 680, 693. 175 Krauss, New Developments in the Premerger Notification Program, S. 5.

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rechtlichen Beschränkungen gebunden sind und weiterhin als Wettbewerber agieren müssen. g) United States v. Input/Output, Inc.: Faktische Integration des Zielunternehmens Gegenstand des Input/Output-Verfahrens des DOJ war die faktische Integration des Zielunternehmens vor dem Ablauf der waiting period. aa) Sachverhalt Input/Output, Inc. (Input/Output), ein Hersteller von seismischen Datenerfassungssystemen,176 erwarb von The Laitram Corporation (Laitram) dessen Tochterunternehmen DigiCOURSE, das Komponenten für seismische Datenerfassungssysteme herstellte.177 Schon vor der Anmeldung des Zusammenschlusses wurden sämtliche DigiCOURSE-Stimmrechtsaktien auf Input/Output übertragen. Als Gegenleistung wurde Laitram eine 11,5-prozentige Beteiligung an Input/Output eingeräumt.178 Diese Vorgänge bewertete das DOJ jedoch noch nicht als Verstoß gegen das Vollzugsverbot. Zwar seien mit dem Verlustrisiko, dem Recht auf Gewinne und der Möglichkeit, das Unternehmen zu veräußern, einige indicia of beneficial ownership auf den Erwerber übergegangen. Dies sei jedoch noch nicht ausreichend, um einen Übergang der beneficial ownership und somit einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot anzunehmen.179 Hinzu kam allerdings, dass Input/Output schon vor der Anmeldung des Zusammenschlusses damit begonnen hatte, die unternehmerische Kontrolle (operational control) über DigiCOURSE auszuüben. Der Übergang der unternehmerischen Kontrolle zeigte sich an folgenden Umständen: – Unter dem Dach der Input/Output-Tochter Input/Output Marine wurde das Zielunternehmen DigiCOURSE mit dem marinen Geschäft von Input/Output vereint und einer einheitlichen Leitung unterstellt. Die Leitung bestand aus drei ehemaligen DigiCOURSE-Managern, die Büros bei Input/Output bezogen. Der ehemalige Geschäftsführer von DigiCOURSE wurde Geschäftsführer von Input/ Output Marine.180 176

United States v. Input/Output, No. 99-0912, Ziff. 4. 177 United States v. Input/Output, No. 99-0912, Ziff. 5 f. 178 United States v. Input/Output, No. 99-0912, Ziff. 13. 179 United States v. Input/Output, No. 99-0912, Ziff. 15. 180 United States v. Input/Output, No. 99-0912, Ziff. 15 lit. a.

Inc., Complaint for Civil Penalties, 12. 04. 1999, Case Inc., Complaint for Civil Penalties, 12. 04. 1999, Case Inc., Complaint for Civil Penalties, 12. 04. 1999, Case Inc., Complaint for Civil Penalties, 12. 04. 1999, Case Inc., Complaint for Civil Penalties, 12. 04. 1999, Case

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– Drei DigiCOURSE-Mitarbeiter aus dem Vertriebsbereich bezogen Büros bei Input/Output, erhielten Input/Output-E-Mail-Adressen und Zugang zum internen Report- und E-Mail-System.181 Außerdem erhielten sie Visitenkarten von Input/ Output, die unter anderem an Kunden von DigiCOURSE ausgegeben wurden.182 – Anrufe in Büros von DigiCOURSE wurden unter Nennung der Firmenbezeichnung Input/Output angenommen.183 – Der Geschäftsführer von DigiCOURSE reiste nach Großbritannien, um eine Auseinandersetzung zwischen Input/Output und einem Kunden zu lösen. Er handelte einen Vergleich aus, den er für Input/Output unterzeichnete.184 – Der Geschäftsführer von DigiCOURSE wurde von führenden Mitarbeitern von Input/Output zu weiteren möglichen Unternehmensakquisitionen im marinen Bereich konsultiert.185 Im Ergebnis wurde das Zielunternehmen DigiCOURSE somit noch während der waiting period weitgehend in Input/Output integriert. bb) Bewertung durch das DOJ Die Übertragung der Anteile am Zielunternehmen bewertete das DOJ an sich noch nicht als Verstoß gegen das Vollzugsverbot. Mit dem Übergang der unternehmerischen Kontrolle über das Zielunternehmen sei jedoch auch die beneficial ownership auf den Erwerber übertragen worden. Da die fraglichen Handlungen vor dem Abschluss der waiting period erfolgt waren, nahm das DOJ einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot aus Section 7 A Clayton Act an.186 Input/Output und der Veräußerer Laitram verpflichteten sich in einer consent order dazu, jeweils ein Bußgeld in Höhe von 225.000 USD zu zahlen.187

181 United States v. Input/Output, No. 99-0912, Ziff. 15 lit. b. 182 United States v. Input/Output, No. 99-0912, Ziff. 15 lit. c. 183 United States v. Input/Output, No. 99-0912, Ziff. 15 lit. d. 184 United States v. Input/Output, No. 99-0912, Ziff. 15 lit. e. 185 United States v. Input/Output, No. 99-0912, Ziff. 15 lit. f. 186 United States v. Input/Output, No. 99-0912, Ziff. 16. 187 United States v. Input/Output,

Inc., Complaint for Civil Penalties, 12. 04. 1999, Case Inc., Complaint for Civil Penalties, 12. 04. 1999, Case Inc., Complaint for Civil Penalties, 12. 04. 1999, Case Inc., Complaint for Civil Penalties, 12. 04. 1999, Case Inc., Complaint for Civil Penalties, 12. 04. 1999, Case Inc., Complaint for Civil Penalties, 12. 04. 1999, Case Inc., Final Judgment, Case No. 99-0912, Abschnitt II.

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cc) Auswertung Das Input/Output-Verfahren markiert eine wichtige Trendwende bei der Anwendung von Section 7 A Clayton Act. Mit ihm wird das Merkmal der operational control, das erstmals im Titan-Wheels-Verfahren angeklungen ist, zum maßgeblichen Beurteilungskriterium für die Feststellung eines Verstoßes gegen das Vollzugsverbot. Bemerkenswert ist, dass das DOJ die Anteilsübertragung nicht für einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot hat ausreichen lassen. Dies überrascht insbesondere vor dem Hintergrund der beiden ARCO-Verfahren.188 Letztlich erfolgt hierdurch eine erhebliche Relativierung der indicia of beneficial ownership aus dem Statement of Basis and Purpose zum HSR-Act.189 h) United States v. Computer Associates International, Inc.: Beschränkung des Wettbewerbs Das Computer-Associates-Verfahren hat von allen Gun-Jumping-Verfahren der US-Kartellbehörden bislang wohl am meisten Aufmerksamkeit erfahren.190 In Computer Associates nahm das DOJ aufgrund vorzeitiger Beschränkungen des Wettbewerbs zwischen Erwerber und Zielunternehmen nicht nur einen Verstoß gegen das Vollzugs-, sondern auch das Kartellverbot an. aa) Sachverhalt Computer Associates International, Inc. (Computer Associates), ein Anbieter von Computersoftware, vereinbarte mit seinem Wettbewerber Platinum Technology International, Inc. (Platinum) dessen Übernahme.191 Der Zusammenschluss sollte durch ein öffentliches Übernahmeangebot umgesetzt werden. Unmittelbar nach der Vereinbarung des Zusammenschlusses erfolgte die Notifizierung des Vorhabens bei DOJ und FTC. 192 Da Computer Associates und Platinum auf einigen Teilmärkten die einzigen Wettbewerber waren, hatte das DOJ erhebliche Bedenken gegen den Zusammenschluss. Um diese auszuräumen, sicherten die Zusammenschlussparteien die

188

Siehe oben S. 80 ff. Siehe oben S. 61 ff. 190 Dies wird schon an den unzähligen Meldungen und Newsletterbeiträgen deutlich, die Kanzleien über das Computer-Associates-Verfahren veröffentlicht haben und sich über eine entsprechende Websuche (Suchworte: Computer Associates Gun Jumping) auffinden lassen. 191 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 9 f. Siehe zum Verfahren auch Bruno, Hart-Scott-Rodino at 25, S. 2. 192 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 12. 189

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Veräußerung von sechs Produktbereichen des Zielunternehmens zu.193 Nach Erfüllung dieser Auflagen wurde der Zusammenschluss vollzogen.194 Der vom DOJ nach dem Vollzug erhobene Gun-Jumping-Vorwurf stützte sich auf bestimmte Klauseln in der Zusammenschlussvereinbarung (1), den Übergang der Möglichkeit, unternehmerische Entscheidungen zu treffen (2), und den Zugriff auf wettbewerbsrelevante Informationen durch den Erwerber (3). (1) Conduct of business-Beschränkungen in der Zusammenschlussvereinbarung Die Zusammenschlussvereinbarung enthielt verschiedene Bestimmungen, welche die Handlungsfreiheit des Zielunternehmens in der Zeit zwischen dem Signing und Closing einschränkten. Zum einen enthielt die Vereinbarung gewöhnliche conduct of business-Klauseln, wie sie in vielen Unternehmenskaufverträgen zu finden sind und die verhindern sollen, dass der Wert des Zielunternehmens bis zum Closing sinkt. Im Rahmen dieser Klauseln wurde Platinum untersagt, Darlehen aufzunehmen, neue Aktien auszugeben oder Assets zu verkaufen. Diese Beschränkungen wurden vom DOJ nicht beanstandet.195 Darüber hinaus enthielt die Zusammenschlussvereinbarung jedoch auch Beschränkungen, die über das gewöhnliche Maß hinausgingen. So wurde dem Zielunternehmen untersagt, ohne die vorherige schriftliche Zustimmung des Erwerbers Verträge abzuschließen, mit denen es sich zur Erbringung von Dienstleistungen für einen Zeitraum von mehr als 30 Tagen zu einem festen oder nach oben begrenzten Preis verpflichtet oder deren Konditionen von denen abweichen, die Platinum normalerweise einräumt. Darüber hinaus durfte das Zielunternehmen ohne vorherige Zustimmung des Erwerbers seinen Kunden keine Rabatte von mehr als 20 Prozent einräumen oder Verträge abschließen, die Dienstleistungen zur Lösung des „Y2K“Problems196 zum Gegenstand hatten.197 Um die Durchsetzung dieser Beschränkungen zu gewährleisten, schloss der Erwerber Computer Associates mit dem CEO, COO und CFO von Platinum Beratungsverträge ab, die eine persönliche Haftung

193 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 13. 194 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 14. 195 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 15. 196 Als Y2K-Problem bezeichnet man die befürchteten Probleme von Computersystemen und Software durch die Jahrtausendwende zum Jahr 2000. Viele Computerprogramme beinhalteten in der Datumsangabe lediglich zweistellige Jahresangaben, weswegen befürchtet wurde, dass es durch die Jahrtausendwende zu schwerwiegenden Funktionsstörungen kommen könnte. 197 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 17.

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vorsahen, falls das Zielunternehmen die genannten Beschränkungen nicht einhalten sollte.198 (2) Kontrolle von unternehmerischen Entscheidungen Der Erwerber Computer Associates nahm darüber hinaus vor dem Vollzug des Zusammenschlusses Einfluss auf wettbewerbsrelevante Entscheidungen des Zielunternehmens Platinum. Vor dem Abschluss der Zusammenschlussvereinbarung war es für Platinum üblich, Kunden Rabatte von deutlich über 20 Prozent einzuräumen. Mitunter wurden Rabatte von bis zu 80 Prozent eingeräumt. Diese Rabattpraxis konnte aufgrund der Beschränkungen in der Zusammenschlussvereinbarung nicht fortgesetzt werden. Um Verstöße gegen die Vereinbarung zu vermeiden, modifizierte Platinum sein internes Vertragsgenehmigungsverfahren. Bevor ein Vertrag mit einem Kunden abgeschlossen werden durfte, mussten die Vertriebsmitarbeiter interne Genehmigungsformulare ausfüllen, auf denen sie Angaben zum Kunden, den angebotenen Waren oder Dienstleistungen, Listenpreisen und etwaigen Rabatten vornehmen mussten. Zudem enthielten die Formulare ein Feld für die Genehmigung durch Computer Associates.199 Sofern ein zu genehmigender Vertrag nicht den Vorgaben der Zusammenschlussvereinbarung entsprach, wurden die Formulare zur Genehmigung an ein Team aus zwei Mitarbeitern von Platinum und einem division vice president von Computer Associates übermittelt. Der division vice president von Computer Associates konnte die Verträge dann genehmigen, untersagen oder zusätzliche Informationen anfordern. Mitunter beriet er sich mit anderen Mitgliedern der Geschäftsführung von Computer Associates, bevor er über die Genehmigung entschied.200 Um den Rabattbeschränkungen Wirksamkeit zu verleihen, kündigte die Geschäftsführung von Platinum in internen E-Mails an, dass Verträge nicht erfüllt werden würden, die den Beschränkungen in der Zusammenschlussvereinbarung nicht entsprachen. Ferner würde den für den Abschluss verantwortlichen Mitarbeitern keine Provision gezahlt und unverzüglich gekündigt.201 Diese Maßnahmen führten im Ergebnis zu erheblichen Änderungen in der Vertriebspraxis des Zielunternehmens und hatten zur Folge, dass den Kunden von Platinum insgesamt deutlich geringere Rabatte eingeräumt wurden.202 198

United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 18. 199 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 20. 200 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 21. 201 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 22. 202 Vgl. United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 23 ff.

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(3) Zugriff auf wettbewerbsrelevante Informationen durch Computer Associates Im Rahmen des Vertragsgenehmigungsverfahrens hatte der Erwerber die Möglichkeit, noch während der fusionskontrollrechtlichen waiting period auf wettbewerbsrelevante Informationen des Zielunternehmens zuzugreifen. So erlangte Computer Associates Kenntnis von den Angeboten, die Platinum seinen Kunden unterbreitete. Zu den übermittelten Informationen gehörten die Namen der Kunden, die angebotenen Waren und Dienstleistungen, Listenpreise, Rabatte sowie die Begründung für den Rabatt. Der Zugriff auf diese Informationen war auch in Fällen möglich, in denen sich Computer Associates und Platinum im Hinblick auf einen Kunden in einer unmittelbaren Wettbewerbssituation befanden. Dabei hatten auch diejenigen Mitarbeiter von Computer Associates Zugriff auf die Informationen, die für die Erstellung der konkurrierenden Angebote verantwortlich waren.203 bb) Bewertung durch das DOJ Das DOJ bewertete die geschilderten Verhaltensweisen vor dem Vollzug des Zusammenschlusses als Verstoß gegen Section 1 Sherman Act und Section 7 A Clayton Act. Einen Verstoß gegen das Kartellverbot aus Section 1 Sherman Act nahm das DOJ an, da es vor dem Vollzug zu einer Beeinträchtigung des Preiswettbewerbs zwischen Erwerber und Zielunternehmen gekommen sei. In diesem Zusammenhang stellte das DOJ insbesondere auf die Einschränkung der Möglichkeit zur Rabattgewährung, die Platzierung des division vice president bei Platinum und die Übermittlung von wettbewerbsrelevanten Informationen ab.204 Daneben nahm das DOJ einen Verstoß gegen Section 7 A Clayton Act an, da Computer Associates unzulässigerweise vorzeitig die Kontrolle (operational control) über Platinum übernommen habe. Dies begründete das DOJ mit den Praktiken zur Vertragsgenehmigung, der Einschränkung der Möglichkeit zur Rabattgewährung, den sonstigen Eingriffen in die Handlungsfreiheit des Zielunternehmens und dem Zugriff auf wettbewerbsrelevante Informationen.205 Im Rahmen einer consent order verpflichteten sich Computer Associates und Platinum aufgrund des Verstoßes gegen Section 7 A Clayton Act zur Zahlung eines Bußgelds in Höhe von 638.000 USD.206 Im Hinblick auf den Verstoß gegen Section 1 Sherman Act verpflichtete sich Computer Associates, es im Rahmen zukünftiger 203 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 25 f. 204 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 31 ff. 205 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 37. 206 United States v. Computer Associates International, Inc., Final Judgment, Case No. 0102062 (GK), Abschnitt VIII.

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Unternehmenstransaktionen zu unterlassen, durch Vertragsgenehmigungsverfahren in die Rabattgestaltung einzugreifen oder Informationen über Vertragsangebote auszutauschen.207 cc) Auswertung Computer Associates bietet in mehrerlei Hinsicht Orientierung bei der Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen. (1) Anwendung von Section 1 Sherman Act auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen Relevant an Computer Associates ist zum einen, dass das DOJ erstmals das Kartellverbot auf Verhaltensweisen der Zusammenschlussparteien zwischen dem Signing und Closing angewendet hat. Dies ist angesichts der eingetretenen Beschränkung des Preiswettbewerbs zwischen Erwerber und Zielunternehmens gut nachzuvollziehen. Die Anwendung des Kartellverbots zeigt zudem, dass das DOJ die International-Travel-Arrangers-Entscheidung208, nach der die intraenterprise conspiracy doctrine auf Verhaltensweisen zwischen dem Signing und Closing anwendbar ist, nicht akzeptiert. Bemerkenswert ist zudem, dass das DOJ bei der Feststellung eines Verstoßes gegen Section 1 Sherman Act auch auf den Übergang der operational control, die zuvor nur im Rahmen des Vollzugsverbot herangezogen wurde, abstellt.209 (2) Beurteilung von conduct of business-Beschränkungen Darüber hinaus ist das Computer-Associates-Verfahren aufschlussreich, da es erstmals die in der Transaktionspraxis äußerst relevante Frage aufgreift, inwieweit conduct of business-Beschränkungen zulässig sind. Wichtig ist dabei zunächst die Feststellung, dass das DOJ herkömmliche conduct of business-Klauseln nicht beanstandet hat. Zulässig ist es demnach, dem Zielunternehmen zu untersagen, Darlehen aufzunehmen, Aktien auszugeben oder Unternehmensteile zu verkaufen. Zudem führt das DOJ in der consent order aus, dass es zulässig sei, die Transaktion von der Bedingung abhängig zu machen, dass das Zielunternehmen kein Verhalten an den Tag legt, das nicht dem gewöhnlichen Geschäftsgang (ordinary course of business) entspricht. Zudem darf der Erwerber dem Zielunternehmen untersagen, seinen Vertragspartnern für den Fall eines Eigentümerwechsels besondere Kondi-

207

United States v. Computer Associates International, Inc., Final Judgment, Case No. 0102062 (GK), Abschnitt IV. 208 Siehe oben S. 74 ff. 209 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 30.

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tionen wie Rücktrittsrechte einzuräumen.210 Einen Verstoß gegen Section 7 A Clayton Act nimmt das DOJ hingegen an, wenn in das gewöhnliche operative Geschäft des Zielunternehmens eingegriffen wird. (3) Beurteilung von Informationsaustauschvorgängen Die consent order in Computer Associates enthält einen Abschnitt, in dem das DOJ erläutert, inwieweit der Austausch von Informationen vor dem Closing zulässig ist. Demnach bestehen gegenüber der Durchführung einer angemessenen, sich im üblichen Rahmen bewegenden Due-Diligence-Prüfung keine prinzipiellen Bedenken. Informationen zu aktuellen Vertragsangeboten an Kunden dürfen jedoch nur dann übermittelt werden, wenn diese Informationen von grundlegender Bedeutung für die Bewertung der zukünftigen Ertragsaussichten des Zielunternehmens sind und sofern dieser Informationsaustausch von einer Vertraulichkeitsvereinbarung (nondisclosure agreement) abgesichert wird, welche die Weitergabe der Informationen an Mitarbeiter verbietet, die direkt in das Marketing, die Preisgestaltung oder den Vertrieb eingebunden sind.211 Die Beurteilung durch das DOJ deckt sich insoweit im Wesentlichen mit den Vorgaben aus Omnicare v. United Health Group.212 (4) Arm’s length-Transaktionen Zudem führt das DOJ in der consent order aus, dass sogenannte arm‘s lengthTransaktionen zulässig sind, d. h. Vereinbarungen, die auch zwei voneinander unabhängigen Unternehmen gestattet wären. Beispielsweise dürfen Erwerber und Zielunternehmen Kunden gemeinsame Angebote unterbreiten, sofern dies auch außerhalb des Kontexts eines Zusammenschlusses zulässig wäre. Gleiches gilt für Transaktionen, in denen sich Erwerber und Zielunternehmen in einem KäuferVerkäufer-Verhältnis gegenüberstehen.213 i) United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc.: Beschränkungen des Wettbewerbs In Gemstar ging das DOJ gegen Beschränkungen des Wettbewerbs zwischen Erwerber und Zielunternehmen vor dem Vollzug eines Zusammenschlusses vor und nahm einen Verstoß gegen Section 1 Sherman Act und Section 7 A Clayton Act an.

210 United States v. Computer Associates International, Inc., Final Judgment, Case No. 0102062 (GK), Abschnitt V. 211 United States v. Computer Associates International, Inc., Final Judgment, Case No. 0102062 (GK), Abschnitt V. 212 Siehe oben S. 76 ff. 213 United States v. Computer Associates International, Inc., Final Judgment, Case No. 0102062 (GK), Abschnitt V.

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aa) Sachverhalt Die Gemstar International Group, Ltd. (Gemstar) und TV Guide, Inc. (TV Guide) schlossen sich im Jahr 2000 zusammen.214 Beide Unternehmen boten im Wettbewerb zueinander215 interaktive Programmführer („IPG“216) für TV-Serviceprovider an.217 Um einen Patentstreit zu beenden, versuchten die Unternehmen zunächst, ein Joint Venture zu gründen.218 Als dieser Plan scheiterte, entschieden sich beide Unternehmen, zu fusionieren.219 Mehrere Verhaltensweisen vor dem Vollzug des Zusammenschlusses wurden vom DOJ beanstandet. (1) Die slow roll-Vereinbarung Im Rahmen der zunächst auf die Gründung eines Joint Ventures gerichteten Gespräche einigten sich Gemstar und TV Guide auf die Verzögerung der Verhandlungen mit zwei Kunden, um die sie konkurrierten.220 Dies führte dazu, dass Vertragsangebote zurückgezogen und weitere Verhandlungen eingestellt wurden. Erst nachdem sich Gemstar und TV Guide auf Vertragsbedingungen geeinigt hatten, unterbreiteten sie den Kunden Vertragsangebote zu den vereinbarten Konditionen.221 (2) Markt- und Kundenaufteilungen Zudem kam es durch Markt- und Kundenaufteilungen zwischen Gemstar und TV Guide zu einer Einschränkung des Wettbewerbs. Einerseits teilten die beiden Unternehmen den Markt auf, indem sie vereinbarten, dass sich Gemstar auf den Verkauf und die Lizenzierung von IPGs an Unterhaltungselektronikhersteller konzentrieren sollte, während TV Guide schwerpunktmäßig Verträge mit Serviceprovidern abschließen sollte.222 Zudem nahmen beide Unternehmen kurz nach der Vereinbarung des Zusammenschlusses eine Kundenaufteilung vor, indem sie vereinbarten, welches 214

United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 11. 215 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 28. 216 Für interactive program guide. 217 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 13. 218 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 29 f. 219 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 31 f. 220 Vgl. hierzu United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 37 f. 221 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 41 ff. 222 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 44.

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Unternehmen in der Phase vor dem Vollzug des Zusammenschlusses bestimmte Serviceprovider ansprechen sollte. TV Guide sollte entsprechend der allgemeinen Marktaufteilung die Mehrzahl der Serviceprovider übernehmen. Gemstar wurden lediglich einige kleinere Serviceprovider zugeordnet, die aufgrund technischer Besonderheiten nicht ohne Weiteres von TV Guide beliefert werden konnten.223 (3) Preis- und Konditionenabsprachen Zudem haben Gemstar und TV Guide in der Zeit bis zum Vollzug Absprachen über ihre Preise und Geschäftsbedingungen getroffen. So einigten sich die Zusammenschlussparteien auf die Konditionen, zu denen TV Guide Serviceprovidern Angebote unterbreiten sollte.224 Um die Wirksamkeit ihrer Vereinbarung zu sichern, tauschten die Unternehmen detaillierte Informationen über Angebote an und Gegenangebote von Serviceprovidern aus. Zu diesem Zweck wurden beispielsweise E-Mail-Korrespondenzen weitergeleitet.225 Daneben übermittelte TV Guide seine rate card mit den üblichen Preisen und Geschäftsbedingungen an Gemstar. Außerdem legte TV Guide Gemstar in mindestens zwei Fällen Vertragsentwürfe vor, bevor diese potenziellen Abnehmern zugesendet wurden. Zu den Vertragsentwürfen bezogen Mitglieder der Geschäftsleitung von Gemstar Stellung. Ihre Anmerkungen wurden von TV Guide letztlich auch berücksichtigt. Beispielsweise wurden von TV Guide die bei Gemstar für Zahlungsverzug üblichen Vertragsstrafen übernommen.226 bb) Bewertung durch das DOJ Das DOJ nahm aufgrund der geschilderten Verhaltensweisen einen Verstoß gegen Section 7 A Clayton Act und Section 1 Sherman Act an. Das DOJ bewertete die slow roll-Abrede, die Markt- und Kundenaufteilung sowie die Preis- und Konditionenabsprachen als Verstoß gegen Section 1 Sherman Act.227 Die Verhaltensweisen vor dem Closing ließen sich nicht rechtfertigen, da für sie kein legitimes unternehmerisches Bedürfnis bestand.228 Zudem nahm das DOJ einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot aus Section 7 A Clayton Act an. Gemstar und TV Guide hätten ihre Entscheidungsprozesse im Hinblick auf die Kundenverträge bereits vor dem Ablauf 223 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 45 ff. 224 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 48 f. 225 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 50. 226 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 50. 227 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 64 – 75. 228 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 67, 71, 75.

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der waiting period faktisch zusammengeführt und so unternehmerische Kontrolle (operational control) über wichtige Assets des jeweils anderen Unternehmens erworben.229 Neben den schon für den Verstoß gegen Section 1 Sherman Act maßgeblichen Verhaltensweisen begründet das DOJ dies mit einigen weiteren Umständen. So sei TV Guide in Vertragsverhandlungen mit Kunden als Vertreter von Gemstar aufgetreten.230 Außerdem habe ein Mitarbeiter von TV Guide noch vor dem Vollzug für Gemstar einen Vergleich mit einem Abnehmer ausgehandelt. Der ausgehandelte Kompromiss war dabei zum Nachteil von TV Guide, da er es dem Unternehmen erschwerte, mit dem Abnehmer ins Geschäft zu kommen.231 Zudem kooperierten Gemstar und TV Guide schon vor dem Vollzug im Hinblick auf den Verkauf von Werbemöglichkeiten in ihrem Programmführer. Sie tauschten vertrauliche Informationen zu Preisen aus und trafen sich gemeinsam mit Unternehmensberatern, um Preis- und Marketingstrategien zu entwickeln.232 Das DOJ nahm aus den geschilderten Gründen einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot an.233 In einer consent order verpflichtete sich das aus der Fusion von Gemstar und TV Guide hervorgegangene Unternehmen, ein Bußgeld in Höhe von knapp 5,7 Millionen USD zu zahlen.234 Zudem sicherte das Unternehmen zu, denjenigen Kunden die vorzeitige Kündigung zu gestatten, die von den Kartellabsprachen betroffen waren.235 cc) Auswertung Aus Gemstar lassen sich Rückschlüsse auf die Reichweite von Section 1 Sherman Act und Section 7 A Clayton Act ziehen. Zudem nahm das DOJ Ausführungen zu kartellrechtlich unbedenklichen Verhaltensweisen vor. (1) Section 1 Sherman Act Die Annahme eines Kartellverstoßes in Gemstar ist ohne Weiteres nachvollziehbar, da die beteiligten Unternehmen noch während der waiting period den 229 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 56. 230 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 58. 231 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 59. 232 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 60. 233 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 76 – 84. 234 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Final Judgment, 11. 07. 2003, Case No. 03-0198, Abschnitt VIII. 235 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Final Judgment, 11. 07. 2003, Case No. 03-0198, Abschnitt IV. C.

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Wettbewerb vollständig eingestellt haben. Das Gemstar-Verfahren verdeutlicht, dass die Zusammenschlussparteien bis zum Vollzug eines Zusammenschlusses den Wettbewerb aufrechterhalten müssen und es dabei auch nicht zulässig ist, Verhandlungen mit Kunden auf die Zeit nach dem Vollzug zu vertagen. (2) Section 7 A Clayton Act Im Hinblick auf das Vollzugsverbot bestätigt Gemstar die in Computer Associates erfolgte Abkehr von den indicia of beneficial ownership. Sie werden in der Beschwerde des DOJ nicht erwähnt. Stattdessen wird allein auf die Erlangung von operational control abgestellt.236 Im Rahmen der Prüfung von Section 7 A Clayton Act stellt das DOJ maßgeblich auf den Sinn und Zweck des Vollzugsverbots ab, der darin liege, den Kartellbehörden die Prüfung des Zusammenschlusses vor dem Vollzug zu ermöglichen.237 Vor diesem Hintergrund sei der De-facto-Erwerb bzw. der unrechtmäßige Erwerb von Kontrolle an Assets als Verstoß gegen Section 7 A Clayton Act zu bewerten.238 (3) Zulässige Verhaltensweisen Wie schon in Computer Associates enthält auch in Gemstar die consent order einen Abschnitt zu Verhaltensweisen vor dem Closing, die mit dem Kartell- und Vollzugsverbot vereinbar sind. Zulässig sind demnach ordinary course of businessund material adverse change-Klauseln, die den Wert des Zielunternehmens bis zum Vollzug schützen sollen. Auch die Durchführung einer gewöhnlichen („reasonable and customary“) Due-Diligence-Prüfung sei kartellrechtlich nicht unzulässig. Preisinformationen dürften jedoch nur ausgetauscht werden, sofern sie zur Bewertung des Zielunternehmens erforderlich sind, eine Vertraulichkeitsvereinbarung abgeschlossen wird und die Weitergabe der Informationen an diejenigen Mitarbeiter ausgeschlossen wird, die mit der Preissetzung, dem Marketing oder dem Vertrieb von Produkten betraut sind, die mit den Produkten des Zielunternehmens im Wettbewerb stehen. Darüber hinaus sei es zulässig, dass sich die Zusammenschlussparteien gegenseitig geistiges Eigentum lizenzieren oder wenn Geschäftsgeheimnisse im Rahmen von Gerichtsverfahren preisgegeben werden, sofern dies erforderlich ist und durch eine protective order die vertrauliche Behandlung durch das Gericht gewährleistet wird.239

236 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 76 ff. 237 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 79. 238 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 81 ff. 239 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Final Judgment, 11. 07. 2003, Case No. 03-0198, Abschnitt V.

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j) United States v. Qualcomm Incorporated: conduct of business-Beschränkungen In Qualcomm nahm das DOJ wegen zu weitgehender conduct of business-Beschränkungen einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot aus Section 7 A Clayton Act an. aa) Sachverhalt Gegenstand des Qualcomm-Verfahrens war die Übernahme von Flarion Technologies, Inc. (Flarion) durch Qualcomm Incorporated (Qualcomm). Die Zusammenschlussvereinbarung sah verschiedene Beschränkungen der Handlungsfreiheit von Flarion in der Zeit zwischen dem Signing und Closing vor.240 Neben einer herkömmlichen ordinary course of business-Klausel, die Flarion dazu verpflichtete, sein Geschäft bis zum Closing in üblicher Weise fortzuführen, enthielt die Zusammenschlussvereinbarung einen Katalog mit einundzwanzig weiteren Verhaltensweisen, die Flarion nur nach vorheriger schriftliche Zustimmung durch Qualcomm gestattet waren.241 Durch die Beschränkungen wollte der Erwerber Verhaltensweisen unterbinden, die mit seinen Plänen für das Zielunternehmen unvereinbar waren.242 Folgende Beschränkungen waren dabei wettbewerblich besonders bedenklich: – Flarion war es untersagt, Dritten Lizenzen an seinem geistigen Eigentum einzuräumen. – Flarion durfte verschiedene Vertragstypen nicht ohne Zustimmung von Qualcomm eingehen: *

*

*

Verträge, die Verbindlichkeiten oder Ansprüche in Höhe von mehr als 75.000 USD pro Jahr oder insgesamt 200.000 USD verursachen. Nachträglich erfolgte eine Korrektur der Beschränkung dahingehend, dass lediglich das Begründen von Verbindlichkeiten erfasst wurde. Zudem wurden die Schwellenwerte auf 250.000 USD pro Jahr oder insgesamt 1 Million USD angehoben. Verträge, die sich auf die Veräußerung oder den Erwerb von geistigen Eigentumsrechten richten mit Ausnahme von sog. shrink wrap-Lizenzen243 für Produkte mit einem Kaufpreis von unter 10.000 USD. Wichtige Verträge („material contracts“).

240 United States v. Qualcomm Incorporated, Complaint for Civil Penalties, 13. 04. 2006, Case No. 06-0672, Ziff. 15 f. 241 United States v. Qualcomm Incorporated, Complaint for Civil Penalties, 13. 04. 2006, Case No. 06-0672, Ziff. 17. 242 United States v. Qualcomm Incorporated, Complaint for Civil Penalties, 13. 04. 2006, Case No. 06-0672, Ziff. 23. 243 Bei shrink wrap-Lizenzen sehen die Lizenzbestimmungen vor, dass man bereits mit dem Öffnen der Verpackung eines Produkts die Lizenzbedingungen annimmt, obwohl man die Lizenzbestimmungen erst nach dem Öffnen der Verpackung einsehen kann. Vgl. Hoeren, in: Graf von Westphalen/Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, IT-Verträge, Rdnr. 207.

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– Flarion wurde es untersagt, neue Mitarbeiter einzustellen, sofern dies nicht dem üblichen Geschäftsablauf und der best practice entspricht. – Flarion durfte aktuellen oder potenziellen Kunden keine Angebote mehr unterbreiten. Diese Beschränkung wurde nachträglich dahingehend gelockert, dass Angebote, die dem üblichen Geschäftsablauf und der best practice entsprechen, auch ohne vorherige schriftliche Zustimmung zulässig sind. – Schließlich beschränkte die Zusammenschlussvereinbarung auch den Umfang, in dem Flarion seine Produkte auf der Grundlage bestehender Vertragsbeziehungen an original equipment manufacturer verkaufen durfte.244 Die Beschränkungen hatten zur Folge, dass Flarion den Erwerber Qualcomm um eine Überprüfung und Genehmigung verschiedener Aktivitäten gebeten hat. Beispielsweise wurden Qualcomm Entwürfe von Vertragsangeboten mit der Bitte übermittelt, Preisvorschläge und Rabatte zu genehmigen. Die Einflussnahme von Qualcomm hatte zur Folge, dass Flarion kleinere Kunden vernachlässigte, da diese für Qualcomm weniger interessant waren. So verhinderte Qualcomm beispielsweise mehrere Geschäftsabschlüsse, da diese nicht die angestrebten Margen versprachen.245 In einem weiteren Fall wandte sich Qualcomm nach einem Ersuchen um Vertragsgenehmigung durch Flarion selbst an den potenziellen Kunden und versuchte, diesen für sich zu gewinnen.246 bb) Bewertung durch das DOJ Das DOJ wertete das Verhalten von Qualcomm und Flarion als Verstoß gegen das Vollzugsverbot aus Section 7 A Clayton Act. Indem sich Qualcomm vor dem Closing die operational control über Flarion angeeignet hat, ist die beneficial ownership an den Assets des Zielunternehmens vorschnell auf den Erwerber übergegangen.247 Einen Verstoß gegen Section 1 Sherman Act machte das DOJ trotz des Bezugs zu Kundenbeziehungen und Konditionen nicht geltend. In einer consent order verpflichteten sich Qualcomm und Flarion gemeinsam zur Zahlung eines Bußgelds in Höhe von 1,8 Millionen USD.248

244

United States v. Qualcomm Incorporated, Complaint for Civil Penalties, 13. 04. 2006, Case No. 06-0672, Ziff. 18 ff. 245 United States v. Qualcomm Incorporated, Complaint for Civil Penalties, 13. 04. 2006, Case No. 06-0672, Ziff. 24 ff. 246 United States v. Qualcomm Incorporated, Complaint for Civil Penalties, 13. 04. 2006, Case No. 06-0672, Ziff. 28. 247 United States v. Qualcomm Incorporated, Complaint for Civil Penalties, 13. 04. 2006, Case No. 06-0672, Ziff. 30 ff. 248 United States v. Qualcomm Incorporated, Final Judgment, 19. 04. 2006, Case No. 060672, Abschnitt II.

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cc) Auswertung Im Qualcomm-Verfahren hat sich das DOJ – wie schon im Computer-AssociatesVerfahren – mit zu weitgehenden conduct of business-Beschränkungen auseinandergesetzt. Obwohl Qualcomm ähnlich wie Computer Associates Vertragsangebote und Rabatte zur Genehmigung übermittelt wurden, stützte das DOJ sein Vorgehen nicht auf Section 1 Sherman Act. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass es in Qualcomm nicht so eindeutig wie in Computer Associates zu einer tatsächlichen Beeinträchtigung des Preiswettbewerbs kam. k) United States v. Smithfield Foods, Inc.: Vertragsgenehmigung durch Erwerber In Smithfield Foods ging das DOJ auf Grundlage von Section 7 A Clayton Act dagegen vor, dass das Zielunternehmen zwischen dem Signing und Closing vor Vertragsabschlüssen die Genehmigung des Erwerbers einholte. aa) Sachverhalt Der Schweinefleischproduzent Smithfield Foods, Inc. (Smithfield) übernahm seinen Wettbewerber Premium Standard Farms, LLC (Premium Standard).249 Die Zusammenschlussvereinbarung enthielt gewöhnliche ordinary course of businessBeschränkungen, die vom DOJ nicht beanstandet wurden.250 Ab dem Signing begann jedoch das Zielunternehmen Premium Standard auch vor Vertragsabschlüssen, die dem üblichen Geschäftsgang entsprachen, die Zustimmung des Erwerbers einzuholen. Premium Standard kaufte regelmäßig in großen Mengen Schweine von Zuchtbetrieben an, um sie zu schlachten und weiterzuverarbeiten. Zwischen dem Signing und Closing übermittelte Premium Standard drei Verträge, die den Ankauf von Schweinen betrafen, zur Genehmigung an Smithfield. Insgesamt sahen die Verträge die Abnahme von jährlich 400.000 bis 475.000 Schweinen zu einem Preis von 57 bis 67 Millionen USD vor. Ungeachtet des enormen Umfangs dieser Verbindlichkeiten entsprach der Ankauf von Schweinen in dieser Größenordnung dem üblichen Geschäftsgang von Premium Standard und war für die Aufrechterhaltung des Geschäfts zwingend erforderlich.251

249 United States v. Smithfield Foods, Inc., Complaint for Civil Penalties, 21. 01. 2010, Case No. 10-0120, Ziff. 15. 250 Sie überstiegen nicht das übliche Ausmaß und dienten dem legitimen Ziel, den Wert des Zielunternehmens bis zum Closing zu schützen. United States v. Smithfield Foods, Inc., Complaint for Civil Penalties, 21. 01. 2010, Case No. 10-0120, Ziff. 16. 251 United States v. Smithfield Foods, Inc., Complaint for Civil Penalties, 21. 01. 2010, Case No. 10-0120, Ziff. 19.

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bb) Bewertung durch das DOJ Nach Ansicht des DOJ hat der Erwerber Smithfield aufgrund der Möglichkeit zur Vertragsgenehmigung die operational control über einen wesentlichen Teil des Geschäfts von Premium Standard erlangt. Hierdurch habe Smithfield noch während der waiting period die beneficial ownership an Premium Standard erlangt und hierdurch gegen Section 7 A Clayton Act verstoßen.252 Smithfield und Premium Standard verpflichteten sich in einer consent order zur Zahlung eines Bußgelds in Höhe von 900.000 USD.253 cc) Auswertung Nach Computer Associates und Qualcomm macht das Smithfield-Foods-Verfahren erneut deutlich, dass das DOJ die Genehmigung von Vertragsabschlüssen des Zielunternehmens durch den Erwerber vor dem Closing sehr kritisch beurteilt. Das DOJ lässt dabei die dreimalige Genehmigung von Verträgen für die Annahme des Übergangs der operational control über wesentliche Teile des Zielunternehmens ausreichen.254 Erneut wird dabei nicht auf die tradierten indicia of beneficial ownership eingegangen.255 Zudem muss man aus der complaint des DOJ schlussfolgern, dass Premium Standard die Verträge Smithfield freiwillig zur Genehmigung vorgelegt hat. Aus der complaint geht nicht hervor, dass Smithfield um die Vorlage dieser ersucht hat. Das DOJ erachtet es demnach für die Annahme eines Verstoßes gegen das Vollzugsverbot für ausreichend, wenn dem Erwerber vom Zielunternehmen freiwillig eine Einflussmöglichkeit eingeräumt wird. l) Ergebnis Die mittlerweile elf Gun-Jumping-Verfahren der US-Kartellbehörden zeigen, dass das DOJ und die FTC entschieden gegen vorschnelle Vollzugshandlungen und Beschränkungen des Wettbewerbs zwischen Erwerber und Zielunternehmen vorgehen. Im Rahmen der Anwendung des Vollzugsverbots hat sich in der Praxis des DOJ das Kriterium der operational control herausgebildet. Die klassischen indicia of beneficial ownership haben für die Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen keine Bedeutung mehr. Bei der Anwendung des Kartellverbots auf Gun-JumpingVerhaltensweisen wird derselbe Maßstab zugrunde gelegt, an dem außerhalb des

252 United States v. Smithfield Foods, Inc., Complaint for Civil Penalties, 21. 01. 2010, Case No. 10-0120, Ziff. 20. 253 United States v. Smithfield Foods, Inc., Final Judgment, 21. 01. 2010, Case No. 10-0120, Abschnitt II. 254 Vgl. United States v. Smithfield Foods, Inc., Complaint for Civil Penalties, 21. 01. 2010, Case No. 10-0120, Ziff. 20. 255 Siehe oben S. 61 ff.

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Kontexts von Zusammenschlüssen wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen gemessen werden. 3. Rechtsprechung zu Section 7 Clayton Act Zur Auslegung des Vollzugsverbots kann zudem die Rechtsprechung zum Zusammenschlussbegriff der materiellen Fusionskontrolle als Orientierungspunkt herangezogen werden. Section 7 Clayton Act verbietet Zusammenschlüsse, durch die der Wettbewerb auf einem betroffenen Markt erheblich verringert würde.256 In mehreren Verfahren haben sich Gerichte mit der Frage beschäftigt, ob auch andere Verhaltensweisen als der formelle Vollzug eines Zusammenschlusses unter Section 7 Clayton Act fallen können. Maßgeblich hierfür ist die Auslegung des Begriffs „acquire“ in Section 7 Clayton Act. Nur wenn ein entsprechender „Erwerb“ vorliegt, greift die materielle Fusionskontrolle ein. Zwar handelt es sich bei Section 7 Clayton Act um eine materiellrechtliche Norm, während Section 7 A Clayton Act das präventive Fusionskontrollverfahren regelt. Aus diesem Grund wird in der Literatur angeführt, dass die Auslegung des Begriffs „acquire“ in Section 7 Clayton Act nicht zwangsläufig der Auslegung des Begriffs in Section 7 A Clayton Act entsprechen muss.257 Doch ist zu bedenken, dass das präventive Fusionskontrollverfahren nach Section 7 A Clayton Act dem Zweck dient, die Wirksamkeit der materiellen Fusionskontrolle zu sichern.258 Zudem stellen beide Vorschriften maßgeblich auf den Erwerb von Anteilen oder Vermögenswerten ab. Dies spricht dafür, grundsätzlich von einer gleichlaufenden Auslegung des Begriffs in Section 7 und Section 7 A Clayton Act auszugehen. Der Zusammenschlussbegriff in Section 7 Clayton Act wurde durch Gerichte weit ausgelegt. Die Grundlage hierfür wurde durch United States v. Columbia Pictures Corp. gelegt (a)). In Anwendung dieser Entscheidung behandeln die Urteile Nelson v. 256 „No person […] shall acquire, directly or indirectly, the whole or any part of the stock or other share capital and no person […] shall acquire the whole or any part of the assets of another person […], where in any line of commerce or in any activity affecting commerce in any section of the country, the effect of such acquisition may be substantially to lessen competition, or to tend to create a monopoly.“ 15 U.S.C. § 18. 257 Vigdor, Premerger Coordination, S. 51: „These terms [u. a. ,acquire‘ i.S.v. Section 7 Clayton Act, d. Verf.] are not likely to be defined coextensively with beneficial ownership under the HSR Act.“ Vgl. United States v. Archer-Daniels-Midland Co., United States District Court, Southern District of Iowa, 584 F. Supp. 1134, 1139 (1984); bestätigt durch United States v. Archer-Daniels-Midland Co., United States Court of Appeals, Eighth Circuit, 785 F.2d 206 (1986); Revision nicht zugelassen durch United States v. Archer-Daniels-Midland Co., United States Supreme Court, 481 U.S. 1028 (1987). Gottschalk, Gun Jumping, RIW 2005, 905, 906. Vgl. zu den Unterschieden zwischen Verfahrensrecht und materiellem Recht auch United States v. Columbia Pictures Corp., United States District Court, Southern District of New York, 189 F. Supp. 153, 183 (1960). 258 Vgl. United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 79.

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Pacific Southwest Airlines (b)) und McTamney v. Stolt Tankers & Terminals (Holdings) (c)) Verhaltensweisen, die dem formalen Vollzug eines Zusammenschlusses zeitlich vorgelagert waren. a) United States v. Columbia Pictures Corp.: Weite Auslegung des Zusammenschlussbegriffs In der für die weite Auslegung des Begriffs „acquire“ richtungweisenden Entscheidung United States v. Columbia Pictures Corp.259 setzte sich der District Court mit der Frage auseinander, ob auch andere Verhaltensweisen als Unternehmenszusammenschlüsse im engeren Sinne260 unter die materielle Fusionskontrolle des Section 7 Clayton Act fallen. Der District Court hatte unter anderem zu beurteilen, ob die Erteilung einer exklusiven Lizenz für den Vertrieb von 600 Filmen als Zusammenschluss261 im Sinne von Section 7 Clayton Act zu qualifizieren ist. Hiergegen argumentierte die Beklagte, dass die Formulierung „acquiring the whole or any part of the assets of another corporation“ in Section 7 Clayton Act nur Zusammenschlüsse im engeren Sinne erfasse.262 Der District Court ging hingegen davon aus, dass Section 7 Clayton Act nicht nur auf Zusammenschlüsse im formellen Sinne anwendbar sei. Dies begründete das Gericht damit, dass die Begriffe „acquire“ und „assets“ keine technischen Rechtsbegriffe, sondern vielmehr unpräzise und untechnisch verwendete Begriffe263 seien, die ein breites Spektrum von Transaktionen erfassen. Die weite Auslegung von Section 7 Clayton Act wird maßgeblich am offenen Wortlaut der Norm verankert, der die Übertragung von „any part of the assets“ ausreichen lässt: „Nothing could be more unqualified than the words ,any part‘.“264 Auch der Begriff „assets“ sei unbestimmt und nicht legal definiert.265 Derart weite und flexible Formulierungen seien typisch für das Kartellrecht. Es stehe in der Verantwortung der Rechtsprechung, ein in sich geschlossenes System von Verhaltensmaßregeln zu schaffen.266

259 United States v. Columbia Pictures Corp., United States District Court, Southern District of New York, 189 F. Supp. 153 ff. (1960). 260 I.S.d. Erwerbs eines Unternehmens bzw. einer Fusion mittels einer Anteils- oder Vermögensübertragung. 261 Section 7 Clayton Act spricht insofern von „acquire“. 262 United States v. Columbia Pictures Corp., United States District Court, Southern District of New York, 189 F. Supp. 153, 181 (1960). 263 Nach Ansicht des Gerichts handelt es sich folglich um unbestimmte Rechtsbegriffe. 264 United States v. Columbia Pictures Corp., United States District Court, Southern District of New York, 189 F. Supp. 153, 181 f. (1960). 265 United States v. Columbia Pictures Corp., United States District Court, Southern District of New York, 189 F. Supp. 153, 181 f. (1960). 266 United States v. Columbia Pictures Corp., United States District Court, Southern District of New York, 189 F. Supp. 153, 182 f. (1960).

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Vor diesem Hintergrund ergebe es keinen Unterschied, ob eine Transaktion durch Erwerb, Abtretung, Vermietung, Lizenzierung oder auf andere Weise umgesetzt wird, da nicht formalistisch, sondern pragmatisch geprüft werden müsse, ob ein Zusammenschluss im Sinne der Vorschrift vorliegt. Es komme dabei darauf an, ob im Ergebnis in einem Umfang Rechte und Privilegien vom Veräußerer auf den Erwerber übergehen, dass bei wirtschaftlicher Betrachtung zu befürchten ist, dass die negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb eintreten können, die Section 7 Clayton Act gerade verhindern soll.267 Um Section 7 Clayton Act zur vollen Wirksamkeit zu verhelfen, sei eine weite Auslegung angebracht, sodass auch der in dem Verfahren fragliche Lizenzvertrag erfasst sei.268 b) Nelson v. Pacific Southwest Airlines: Kontrollerwerb über Entscheidungsprozesse In Nelson v. Pacific Southwest Airlines269 hatte der District Court zu beurteilen, ob Verhaltensweisen, die dem formalen Vollzug eines Zusammenschlusses vorgelagert waren, unter Section 7 Clayton Act fallen. Im Vorfeld des geplanten Zusammenschlusses, der letztlich jedoch nicht vollzogen wurde,270 leaste der Erwerber zwei Passagierflugzeuge vom Zielunternehmen. Zudem verschob der Erwerber in Erwartung des Zusammenschlusses die geplante Erneuerung von Ticketschaltern und Arbeiten an Flugzeugen. Darüber hinaus hielt es das Gericht für möglich, dass die geplante Errichtung einer neuen Firmenzentrale aufgrund des erwarteten Zusammenschlusses eingestellt wurde.271 Das Gericht hatte zu beurteilen, ob es durch diese Maßnahmen zur Verwirklichung eines Zusammenschlusses im Sinne von Section 7 Clayton Act gekommen war. Der beklagte Erwerber argumentierte, dass ein Verstoß gegen Section 7 Clayton Act einen formellen Vollzug voraussetze. Das Gericht akzeptierte dies jedoch nicht und entschied, dass ein rechtswidriger Zusammenschluss auch durch informelle Gestaltungen vollzogen werden könne, sofern ein Kontrollerwerb über Entscheidungsprozesse des Zielunternehmens erfolgt.272 Dies begründete der District Court in Anlehnung an das Urteil in United States v. Co-

267 United States v. Columbia Pictures Corp., United States District Court, Southern District of New York, 189 F. Supp. 153, 181 f. (1960). 268 United States v. Columbia Pictures Corp., United States District Court, Southern District of New York, 189 F. Supp. 153, 182 f. (1960). 269 Nelson v. Pacific Southwest Airlines, United States District Court, Southern District of California, 399 F. Supp. 1025 ff. (1975). 270 Nelson v. Pacific Southwest Airlines, United States District Court, Southern District of California, 399 F. Supp. 1025, 1027 (1975). 271 Nelson v. Pacific Southwest Airlines, United States District Court, Southern District of California, 399 F. Supp. 1025, 1029 (1975). Vgl. zu der Entscheidung auch Vigdor, Premerger Coordination, S. 52 f. 272 Nelson v. Pacific Southwest Airlines, United States District Court, Southern District of California, 399 F. Supp. 1025, 1028 (1975).

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lumbia Pictures Corp.273 mit teleologischen Erwägungen. Section 7 Clayton Act solle schädliche Auswirkungen auf den Wettbewerb durch die Konzentration von Marktmacht verhindern. Zu negativen Beeinträchtigungen des Wettbewerbs könne es nicht nur durch formelle Vollzugshandlungen, sondern auch andere Gestaltungen kommen.274 c) McTamney v. Stolt Tankers & Terminals (Holdings): Übergang der wirtschaftlichen Kontrolle In McTamney v. Stolt Tankers & Terminals (Holdings)275 warf die Klägerin dem Erwerber vor, noch während der Vorbereitung des Erwerbs des Zielunternehmens die Kontrolle über dessen Geschäfte übernommen zu haben. Insbesondere habe der Erwerber bereits vor dem formalen Vollzug Zahlungen an Gläubiger veranlassen können.276 Unter Verweis auf Nelson v. Pacific Southwest Airlines277 und United States v. Columbia Pictures Corp.278 legte der District Court Section 7 Clayton Act weit aus.279 Das Gericht nahm an, dass der Übergang der wirtschaftlichen Kontrolle über das Zielunternehmen auf den Erwerber für einen Verstoß gegen Section 7 Clayton Act ausreicht. Der District Court spricht insoweit von einer „economic control analysis“.280 Auch im zu beurteilenden Einzelfall erachtete das Gericht das Ausmaß der Kontrollausübung für ausreichend, um einen Zusammenschluss im Sinne von Section 7 Clayton Act anzunehmen.281 d) Ergebnis Auch der Zusammenschlussbegriff des Section 7 Clayton Act wird weit und vorrangig teleologisch ausgelegt. Ähnlich zum vom DOJ unter Section 7 A Clayton Act entwickelten Kriterium der operational control wird unter Section 7 Clayton Act

273

Siehe oben S. 106 f. Nelson v. Pacific Southwest Airlines, United States District Court, Southern District of California, 399 F. Supp. 1025, 1028 (1975). 275 McTamney v. Stolt Tankers & Terminals (Holdings), United States District Court, Eastern District of Pennsylvania, 678 F. Supp. 118 ff. (1987). 276 McTamney v. Stolt Tankers & Terminals (Holdings), United States District Court, Eastern District of Pennsylvania, 678 F. Supp. 118, 119 f. (1987). 277 Siehe oben S. 107 f. 278 Siehe oben S. 106 f. 279 McTamney v. Stolt Tankers & Terminals (Holdings), United States District Court, Eastern District of Pennsylvania, 678 F. Supp. 118, 120 f. (1987). 280 McTamney v. Stolt Tankers & Terminals (Holdings), United States District Court, Eastern District of Pennsylvania, 678 F. Supp. 118, 121 (1987). 281 McTamney v. Stolt Tankers & Terminals (Holdings), United States District Court, Eastern District of Pennsylvania, 678 F. Supp. 118, 120 (1987). 274

III. Auswertung der Entscheidungspraxis

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im Rahmen einer economic control analysis darauf abgestellt, ob es faktisch zu einem Kontrollwechsel kommt.

III. Auswertung der Entscheidungspraxis Aus den angeführten Gerichtsentscheidungen, vor allem aber der Fallpraxis des DOJ und der FTC lassen sich Rückschlüsse auf die Reichweite von Section 7 A Clayton Act (1.), Section 1 Sherman Act (2.) und Section 5 FTC Act (3.) im Hinblick auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen ziehen. 1. Vollzugsverbot: Section 7 A Clayton Act Im Rahmen der Anwendung des Vollzugsverbots aus Section 7 A Clayton Act hat das DOJ mit der Zeit das Prüfkriterium der operational control herausgebildet (a)). Die Heranziehung dieses Kriteriums entspricht dem Sinn und Zweck des präventiven Fusionskontrollverfahrens (b)) und der Rechtsprechung zum Zusammenschlussbegriff in Section 7 Clayton Act (c)). a) Entwicklung des Merkmals der operational control Das DOJ hat sich in seinen Gun-Jumping-Verfahren zunehmend von den vier indicia of beneficial ownership gelöst, die im Statement of Basis and Purpose zum HSR Act als Prüfkriterien genannt werden.282 Nur in den Verfahren ARCO I und ARCO II stellte das DOJ maßgeblich auf die vier tradierten Indizien ab.283 In den darauf folgenden Entscheidungen hat das DOJ den Vorwurf eines Verstoßes gegen das Vollzugsverbot hingegen allein auf den Übergang der operational control über wesentliche Assets des Zielunternehmens gestützt.284 Ein Übergang der unternehmerischen Kontrolle wurde aufgrund folgender Umstände angenommen:285 282

FTC, Statement of Basis and Purpose Implementing Title II of the Hart-Scott-Rodino Antitrust Improvements Act of 1976, 43 Fed. Reg. 33449, 33458. Siehe oben S. 61 ff. 283 Siehe oben S. 80 ff. In ARCO I gingen die Gewinnchancen und das Verlustrisiko vor der Freigabe auf den Erwerber über. United States v. Atlantic Richfield Company (ARCO I), Complaint for Civil Penalties, 31. 01. 1991, Case No. 91-0205, Ziff. 12 ff. In ARCO II ging das Recht zur Stimmrechtsausübung sowie das Recht auf die Erträge der verkauften Anteile vor der Freigabe auf den Erwerber über. United States v. Atlantic Richfield Company (ARCO II), Complaint for Civil Penalties, 20. 12. 1991, Case No. 91-3267, Ziff. 19 ff. 284 United States v. Titan Wheel International, Inc., Complaint for Civil Penalties, 05. 07. 1996, Case No. 96-1040, Ziff. 18; United States v. Input/Output, Inc., Complaint for Civil Penalties, 04. 12. 1999, Case No. 99-0912, Ziff. 15 f.; United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 15 ff., 30; United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 02. 06. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 56 ff.; United States v. Qualcomm Incorporated, Complaint for Civil Penalties, 13. 04. 2006, Case

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– Inbesitznahme von wichtigen Assets und Aufnahme der Produktion mit ihnen;286 – Übernahme der Geschäftsführung, Vereinheitlichung des Auftretens nach außen und Verflechtungen auf Mitarbeiter- und Managementebene zwischen Erwerber und Zielunternehmen;287 – Beschränkung der Handlungsfreiheit des Zielunternehmens, Einflussnahme auf wettbewerbsrelevante Entscheidungen und Zugriff auf sensible Informationen;288 – Übermittlung von Vertragsentwürfen zur Stellungnahme an den Erwerber, Preisund Konditionenabsprachen, Markt- und Kundenaufteilungen sowie Verzögerung von Vertragsabschlüssen mit Kunden durch den Erwerber und das Zielunternehmen;289 – überschießende conduct of business-Beschränkungen;290 – Ersuchen des Zielunternehmens um Genehmigung von Zuliefererverträgen durch den Erwerber.291 Die Verschiebung des Fokus des DOJ auf das Merkmal der operational control stellt eine bedeutende Entwicklung bei der Anwendung des Vollzugsverbots dar, da durch dieses Kriterium die Reichweite des Vollzugsverbots erheblich ausgedehnt wird. Blumenthal, General Counsel der FTC, hat bereits 1994, noch bevor das DOJ in Titan Wheels erstmals auf das Merkmal der operational control abgestellt hat, weitsichtig analysiert, dass die Reichweite des Vollzugsverbots maßgeblich davon abhängt, ob ein kontrollbezogenes Kriterium herangezogen wird: „Whether the attributes of HSR ,beneficial ownership‘ include such a concept of practical operational or managerial control has great significance in assessing premerger coordination. If control is not a pertinent attribute, extensive operational coordination, even if it were to run afoul of Section 1 [Sherman Act], would not violate Section 7 A [Clayton Act] in the absence of a shift of the financially oriented attributes that are the focus of the HSR Federal

No. 06-0672, Ziff. 31; United States v. Smithfield Foods, Inc., Complaint for Civil Penalties, 21. 01. 2010, Case No. 10-0120, Ziff. 20; Morse, FTC Merger Roundtable Speech, S. 295 f. 285 Vgl. hierzu auch Morse, 57 Bus. Law. 1463, 1471 ff. 286 United States v. Titan Wheel International, Inc., Complaint for Civil Penalties, 07. 05. 1996, Case No. 96-1040, Ziff. 17. 287 United States v. Input/Output, Inc., Complaint for Civil Penalties, 12. 04. 1999, Case No. 99-0912, Ziff. 15 ff. 288 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 17 ff. 289 Vgl. hierzu United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 37 ff. 290 United States v. Qualcomm Incorporated, Complaint for Civil Penalties, 13. 04. 2006, Case No. 06-0672, Ziff. 18 ff. 291 United States v. Smithfield Foods, Inc., Complaint for Civil Penalties, 21. 01. 2010, Case No. 10-0120, Ziff. 19.

III. Auswertung der Entscheidungspraxis

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Register notice. If control is pertinent, operational coordination obviously would increase Section 7 A [Clayton Act] exposure.“292

Die Heranziehung eines neuen Prüfkriteriums wurde erforderlich, da die vier tradierten Kriterien zur Bestimmung der beneficial ownership293 nicht auf faktische Vollzugshandlungen, sondern nur auf klassische Fälle der Übertragung von Unternehmensanteilen oder Assets ausgerichtet sind. Auf Gun-Jumping-Fälle sind die Kriterien nur schwer anzuwenden und würden viele Verhaltensweisen nicht erfassen, die dem Zweck des Vollzugsverbots eindeutig zuwiderlaufen.294 Nachdem im TitanWheels-Verfahren das Merkmal der operational control erstmals angeklungen ist, hat das Prüfkriterium ab dem Input/Output-Verfahren die vier indicia of beneficial ownership vollständig abgelöst. Das DOJ setzt sich mit dieser Modifikation des Prüffokus in seinem Competitive Impact Statement295 zu Gemstar auseinander. Zunächst führt es darin wie folgt aus: „[Once] parties have entered into an executory agreement subject to Section 7 A’s [Clayton Act] requirements, they may not effectuate the acquisition by, for example, merging their operations or otherwise transferring significant operational, management or decision-making control over the to-be-acquired assets.“296

In einer Fußnote hierzu erläutert das DOJ das Verhältnis des neuen Merkmals der operational control zu den Ausführungen zur beneficial ownership im Statement of Basis and Purpose zum HSR Act. Das DOJ rechtfertigt die Heranziehung des neuen Merkmals damit, dass der Übergang der beneficial ownership laut dem Statement of Basis and Purpose im Rahmen einer Einzelfallprüfung bestimmt werden müsse. Die Erlangung von signifikantem Einfluss über wesentliche Assets des Zielunternehmens reiche im Rahmen einer Einzelfallprüfung aus, um einen Übergang der beneficial ownership anzunehmen: „This conclusion accords with the FTC regulations, which define an ,acquiring person‘ as one who will ,hold‘ voting securities or assets directly or indirectly through third parties. […]. ,Hold‘ is further defined to mean ,beneficial ownership,‘ […]. In its ,Statement of Basis and Purpose‘ […] the FTC stated that the existence of ,beneficial ownership‘ was to be determined ,in the context of particular cases‘ with respect to the person enjoying the ,indicia of beneficial ownership.‘ […]. The execution of a reportable agreement, combined with the assumption of significant influence over the to-be-acquired securities or assets, transfers

292

Blumenthal, 63 Antitrust L.J. 1, 47. Siehe oben S. 61 ff. 294 Vgl. auch Baer, Prepared Remarks Before the ABA Antitrust Section Spring Meeting 1999, Abschnitt IV. A. a.E. 295 In Competitive Impact Statements erläutert das DOJ sein Vorgehen in Beschwerdeverfahren und begründet das jeweils vorgeschlagene Urteil bzw. die angestrebte consent order. 296 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Competitive Impact Statement, 19. 03. 2003, Abschnitt II.E.2. 293

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sufficient ,indicia of beneficial ownership‘ to amount to ,holding‘ the securities or assets under the regulations.“297

Dieses Ergebnis wird mit einer Äußerung von FTC-Director Baer untermauert, nach der ein Kontrollübergang als Verstoß gegen Section 7 A Clayton Act zu bewerten ist: „In the jargon of [Section 7 A], signing the contract transfers some indicia of beneficial ownership. By itself, that transfer is entirely lawful. But the transfer of additional indicia of ownership during the waiting period – such as assuming control through management contracts, integrating operations, joint decision making, or transferring confidential business information for purposes other than due diligence inquiries – are inconsistent with the purposes of [Section 7 A] and will constitute a violation.“298

Ganz in diesem Sinne äußert sich das DOJ auch in dem kurze Zeit später veröffentlichen Competitive Impact-Statement im Computer-Associates-Verfahren: „Consistent with the purpose of the SBP [Statement of Basis and Purpose], the transfer of operational or management control is a significant attribute of beneficial ownership that may support the conclusion that the to-be-acquired firm has effectively exited the business prior to the HSR review being completed.“299

Die Ausführungen des DOJ zeigen, dass dieses bei der Prüfung von Verstößen gegen das Vollzugsverbot nunmehr maßgeblich darauf abstellt, ob der Erwerber vorzeitig die Kontrolle über wesentliche Teile des Zielunternehmens übernimmt.300 Angesichts des offenen und beispielhaften Charakters des Katalogs der indicia of beneficial ownership ist dieser Ansatz durchaus mit den Ausführungen im Statement of Basis and Purpose zum HSR Act vereinbar.301 b) Sinn und Zweck von Section 7 A Clayton Act Die Hinwendung zum Merkmal der operational control ist vor dem Hintergrund der wettbewerbspolitischen Zielsetzung des Vollzugsverbots302 gut nachvollziehbar. Das Vollzugsverbot soll einerseits verhindern, dass die negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb, die von problematischen Zusammenschlüssen ausgehen, überhaupt erst eintreten. Andererseits sollen durch das präventive Fusionskontrollverfahren

297 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Competitive Impact Statement, 19. 03. 2003, Fn. 4. 298 Baer, Prepared Remarks Before the ABA Antitrust Section Spring Meeting 1999, Abschnitt IV. A. a.E.; vgl. United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Competitive Impact Statement, 19. 03. 2003, Fn. 4. 299 United States v. Computer Associates International, Inc., Competitive Impact Statement, 23. 04. 2003, Fn. 3. 300 Vgl. Morse, 57 Bus. Law. 1463, 1472. 301 Vgl. S. 61 ff. 302 Vgl. hierzu oben S. 61.

III. Auswertung der Entscheidungspraxis

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Schwierigkeiten bei der Entflechtung (scrambled eggs-Situation) verhindert werden.303 Kommt es zu einem vorzeitigen Übergang der operational control über das Zielunternehmen, führt dies gerade dazu, dass sich Erwerber und Zielunternehmen nicht mehr als Wettbewerber gegenüberstehen. Vielmehr werden die unternehmerischen Ressourcen und letztlich auch die Marktmacht von Erwerber und Zielunternehmen gebündelt, sodass im Ergebnis gerade die Marktstrukturänderung eintritt, die durch das präventive Fusionskontrollverfahren verhindert werden soll. Daneben werden die Umstände, die zum Übergang der operational control führen, sowie die daraus resultierenden Auswirkungen auf den Wettbewerb häufig nicht vollständig oder nur unter großem Aufwand rückgängig gemacht werden können. Zu denken ist insoweit beispielsweise an Beeinträchtigungen des Wettbewerbsprozesses durch personelle Verflechtungen, den Austausch von wettbewerbsrelevanten Informationen und die Übertragung von Kundenbeziehungen. Das Merkmal der operational control ist demnach gut geeignet, um den Sinn und Zweck des Vollzugsverbots zu verwirklichen. Der enge Bezug des Merkmals der operational control zum Telos des Vollzugsverbots wird auch daran deutlich, dass das DOJ seit ARCO II in jedem GunJumping-Verfahren auf den Zweck des Vollzugsverbots abgestellt hat.304 Die Entwicklung des Merkmals der operational control kann vor diesem Hintergrund als Ergebnis einer teleologischen Auslegung des Vollzugsverbots begriffen werden. c) Rechtsprechung zu Section 7 Clayton Act Die Heranziehung des Merkmals der operational control entspricht auch der Auslegung des Zusammenschlussbegriffs der materiellen Fusionskontrolle gemäß Section 7 Clayton Act durch die Rechtsprechung.305 Auch im Rahmen von Section 7 Clayton Act hat die Rechtsprechung eine teleologische Auslegung des Zusammenschlussbegriffes vorgenommen306 und mit der economic control analysis ein 303 FTC, Premerger Notification, Reporting and Waiting Period Requirements, 63 Fed. Reg. 34592. Morse, 57 Bus. Law. 1463, 1465; Vigdor, Premerger Coordination, S. 12. 304 United States v. Atlantic Richfield Company (ARCO II), Complaint for Civil Penalties, 20. 12. 1991, Case No. 91-3267, Ziff. 9; United States v. Titan Wheel International, Inc., Complaint for Civil Penalties, 07. 05. 1996, Case No. 96-1040, Ziff. 6; United States v. Input/ Output, Inc., Complaint for Civil Penalties, 12. 04. 1999, Case No. 99-0912, Ziff. 8; United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 35; United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 030198, Ziff. 79; United States v. Qualcomm Incorporated, Complaint for Civil Penalties, 13. 04. 2006, Case No. 06-0672, Ziff. 1; United States v. Smithfield Foods, Inc., Complaint for Civil Penalties, 21. 01. 2010, Case No. 10-0120, Ziff. 11. 305 Siehe oben S. 105 ff. 306 Nelson v. Pacific Southwest Airlines, United States District Court, Southern District of California, 399 F. Supp. 1025, 1028 (1975).

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kontrollbezogenes Kriterium herangezogen, um zu bestimmen, ob Maßnahmen, die dem eigentlichen Closing vorgelagert waren, der Fusionskontrolle unterfallen.307 Da das Ziel des präventiven Fusionskontrollverfahrens darin besteht, der materiellen Fusionskontrolle volle Wirksamkeit zu verschaffen, spricht dies dafür, auch im Rahmen von Section 7 A Clayton Act ein kontrollbezogenes Kriterium heranzuziehen. d) Ergebnis Die beneficial ownership-Prüfung wurde seit Titan Wheels im Jahr 1996 durch die Einführung des Merkmals der operational control deutlich geöffnet. Es ermöglicht dem DOJ eine große Flexibilität bei der Prüfung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen und erleichtert hierdurch die Verwirklichung des Sinn und Zwecks des präventiven Fusionskontrollverfahrens. Die Kehrseite der gesteigerten Flexibilität liegt in einer erhöhten Rechtsunsicherheit und der Gefahr einer ausufernden Anwendung durch das DOJ. So nimmt das DOJ bereits ab einer auffällig niedrigen Schwelle einen Übergang der operational control an.308 2. Kartellverbot: Section 1 Sherman Act Aus der Fallpraxis lassen sich Rückschlüsse auf die Anwendbarkeit des Kartellverbots auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen (a)), dessen Verhältnis zum Vollzugsverbot (b)), die Reichweite der Tatbestandsmerkmale (c)) und die Beurteilung praxisrelevanter Fallgruppen (d)) ziehen. a) Anwendbarkeit von Section 1 Sherman Act auf Verhaltensweisen vor dem Closing Die Anwendung der intraenterprise conspiracy doctrine auf die Zusammenschlussparteien in der International-Travel-Arrangers-Entscheidung309 vermag nicht zu überzeugen (aa)). Die Entscheidung ist folgenlos geblieben. Weder das DOJ noch andere Gerichte haben sich an ihr orientiert (bb)). Trotz des stare decisis-Grundsatzes dürfte die Entscheidung folgenlos bleiben (cc)).

307 McTamney v. Stolt Tankers & Terminals (Holdings), United States District Court, Eastern District of Pennsylvania, 678 F. Supp. 118, 121 (1987). 308 Beispielsweise hat in Smithfield Foods das dreimalige Ersuchen um eine Vertragsgenehmigung durch das Zielunternehmen, das – soweit ersichtlich – freiwillig erfolgt ist, für die Annahme eines Übergangs der operational control ausgereicht. Siehe oben S. 103 ff. 309 International Travel Arrangers v. NWA Inc., United States Court of Appeals, Eighth Circuit, 991 F.2d 1389 (1993).

III. Auswertung der Entscheidungspraxis

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aa) Unanwendbarkeit nach International Travel Arrangers überzeugt nicht Der Court of Appeals for the Eighth Circuit hat in International Travel Arrangers die Anwendbarkeit von Section 1 Sherman Act auf Verhaltensweisen der Zusammenschlussparteien zwischen dem Signing und Closing abgelehnt, da die Zusammenschlussparteien ähnlich der Situation bei Mutter- und Tochterunternehmen nicht mehr über ein eigenständiges unternehmerisches Bewusstsein (independent economic consciousness) verfügten. Sie seien daher nicht mehr als zwei eigenständige Unternehmen zu betrachten. Im Ergebnis wird somit die intraenterprise conspiracy doctrine auf die Zusammenschlussparteien angewandt.310 In der Literatur ist die Entscheidung auf Ablehnung gestoßen.311 Besonders ausführlich begründet Blumenthal seine Ablehnung, indem er argumentiert, dass das Kriteriums des independent economic consciousness einer destabilisierenden Logik folge: Das Kriterium hätte zur Folge, dass sich ein Kartellverstoß dadurch vermeiden ließe, dass die Koordinierung vor dem Vollzug eines Zusammenschlusses ausgeweitet wird. Hierdurch erhöht sich zwar eigentlich das Risiko des Eintritts von Wettbewerbsbeschränkungen. Wenn die Koordinierung jedoch so weit ausgedehnt wird, dass die Unternehmen sogar das Bewusstsein ihrer Unabhängigkeit verlieren, würde die Anwendbarkeit des Kartellverbots ganz entfallen. Indem die Unternehmen somit einen Zustand herbeiführen, den die Norm eigentlich verhindern will, könnten sie die Unanwendbarkeit der Norm auslösen.312 Zudem führt Blumenthal an, dass der Erwerber bis zum Closing keine vollständige Kontrolle über das Zielunternehmen erwirbt und sich die Situation somit von der von Muttergesellschaften und ihren 100 %igen Töchtern unterscheidet, für die nach der Copperweld-Entscheidung313 die intraenterprise conspiracy doctrine gilt. Außerdem bestehe in der Regel kein vollständiger Interessengleichlauf von Erwerber und Zielunternehmen.314 Die Bedenken in der Literatur gegen die Übertragung der intraenterprise conspiracy doctrine überzeugen aus wettbewerblicher Sicht. Dem offensichtlich subjektiven Kriterium des independent economic consciousness fehlt jeder Bezug zu den Auswirkungen einer Vereinbarung auf den Wettbewerb. Im Hinblick auf diese Auswirkungen drängt sich vielmehr die Frage auf, ob Erwerber und Zielunternehmen vor dem Vollzug eines Zusammenschlusses schon ihre Selbstständigkeit aufgeben dürfen. Diese Frage ist zu verneinen, da ein Zusammenschluss nach dem Signing noch an verschiedenen Umständen, nicht zuletzt einer fusionskontrollrechtlichen Untersagung, scheitern kann. 310

Siehe oben S. 74 ff. Blumenthal, 63 Antitrust L. J. 1, 15; Morse, 57 Bus. Law. 1463. Auch Naughton, 20 Antitrust 66 ff. und Vigdor, Premerger Coordination, S. 63 ff. gehen von der Anwendbarkeit des Kartellverbots auf Erwerber und Zielunternehmen aus. 312 Blumenthal, 63 Antitrust L. J. 1, 15. 313 Copperweld Corp. v. Independence Tube Corp., United States Supreme Court, 467 U.S. 752, 771 f. (1984). 314 Blumenthal, 63 Antitrust L. J. 1, 15. So auch Morse, 57 Bus. Law. 1463. 311

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C. Gun-Jumping im US-Kartellrecht

bb) Anwendung auf Verhaltensweisen vor dem Closing in der Fallpraxis Die International-Travel-Arrangers-Entscheidung ist in der Praxis folgenlos geblieben. In Omnicare v. United Health Group bezweifelte der Court of Appeals for the Seventh Circuit die Anwendbarkeit des Kartellverbots in der Zeit zwischen dem Signing und Closing nicht.315 Auch die U.S.-Kartellbehörden haben die International-Travel-Arrangers-Entscheidung kritisch bewertet. Vertreter der FTC kündigten an, diese nicht zu akzeptieren: „I am confident that the Bureau staff and I would reject a Travel Arrangers argument, and we would do our best to persuade the Commission to hold that at all times prior to consummation merging companies will be held fully accountable to the requirements of the antitrust laws.“316

Auch das DOJ stellt nach International Travel Arrangers noch auf Section 1 Sherman Act ab.317 In seinem Competitive Impact-Statement in Computer Associates führte es ausdrücklich aus: „The pendency of a proposed merger does not excuse the merging parties of their obligations to compete independently. Thus, pending consummation, activities by one party to control or affect decisions of another with regard to price, output or other competitively significant matter may violate Section 1 [Sherman Act].“318

cc) International Travel Arrangers und der stare decisis-Grundsatz Im Ergebnis kann davon ausgegangen werden, dass Section 1 Sherman Act bis zum Closing auf die Zusammenschlussparteien anwendbar ist.319 Dies wirft die Frage auf, inwieweit von International Travel Arrangers aufgrund des stare decisisGrundsatzes320 eine Bindungswirkung ausgeht. Insofern muss zwischen binding stare decisis und persuasive stare decisis unterschieden werden: Eine echte Bindung an die Entscheidung folgt aus der stare decisis-Doktrin lediglich für Gerichte, die demselben Gerichtszweig angehören wie der urteilende Court of Appeals for the Eighth Circuit, das heißt für die vorinstanzlichen District Courts des Eighth Circuit

315

Siehe oben S. 76 ff. Steptoe, Prepared Remarks Before the ABA Section of Antitrust Law Spring Meeting 1994, S. 2. 317 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 27 ff.; United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 02. 06. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 64 ff. 318 United States v. Computer Associates International, Inc., Competitive Impact Statement, Case No. 01-02062 (GK), Abschnitt II. B. 319 Vgl. Vigdor, Premerger Coordination, S. 71. 320 Zur stare decisis-Doktrin siehe oben S. 79 f. mit Fn. 131. 316

III. Auswertung der Entscheidungspraxis

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und den Court of Appeals selbst (binding stare decisis).321 Für alle anderen Gerichte hat die Entscheidung lediglich Indizwirkung (persuasive stare decisis),322 sodass sie grundsätzlich außer Acht gelassen werden kann. Selbst im Rahmen der binding stare decisis sind in einem engen Rahmen jedoch Abweichungen von ergangenen Entscheidungen möglich, sofern diese eindeutig fehlerhaft sind („demonstrable error“).323 Zudem können Gerichte den Sachverhalt, den sie zu beurteilen haben, von dem des Präzedenzfalls abgrenzen, um so die Unanwendbarkeit des Letzteren zu begründen. Auf diese Weise ließe sich International Travel Arrangers aushöhlen, ohne dass der Fall verworfen werden müsste.324 b) Verhältnis zu Section 7 A Clayton Act Section 1 Sherman Act findet bis zum Vollzug eines Zusammenschlusses Anwendung und stellt Verhaltensanforderungen an die Zusammenschlussparteien, die eigenständig neben den vom Vollzugsverbot ausgehenden Vorgaben stehen. Die Anwendbarkeit von Section 1 Sherman Act endet nicht mit der fusionskontrollrechtlichen Freigabe und dem damit einhergehenden Entfallen der Bindung an das Vollzugsverbot.325 Section 1 Sherman Act ist von den Zusammenschlussparteien unabhängig davon zu beachten, ob ihr Vorhaben die Schwellenwerte des präventiven Fusionskontrollverfahrens erreicht oder nicht.326 c) Tatbestandsmerkmale Aus der Fallpraxis lassen sich Rückschlüsse auf die Reichweite von Section 1 Sherman Act im Hinblick auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen ziehen. aa) Vereinbarung Eine Wettbewerbsbeschränkung verstößt nur gegen Section 1 Sherman Act, sofern sie sich auf eine Vereinbarung zurückführen lässt.327 Für die Annahme einer Vereinbarung kann im Rahmen der Beurteilung von Gun-Jumping-Maßnahmen 321

Für höherinstanzliche Gerichte desselben Gerichtszweigs folgt aus dem stare decisisGrundsatz selbstverständlich keine Bindungswirkung. 322 Vgl. zur persuasive stare decisis-Doktrin und zur binding stare decisis-Doktrin Burnham, Introduction to the Law and Legal System of the United States, S. 65. 323 Vgl. ausführlich zum Konzept des „demonstrable error“ Nelson, 87 Va. L. Rev. 1 ff. Siehe auch Hompluem, 113 Yale L.J. 493 ff., insbes. 530 f. 324 Vgl. Hay, US-Amerikanisches Recht, Rdnr. 23. Siehe auch Hompluem, 113 Yale L.J. 493, 517 ff. 325 Morse, 57 Bus. Law. 1463, 1475 f. 326 Morse, 57 Bus. Law. 1463, 1475; Vigdor, Premerger Coordination, S. 63. 327 Laut Vigdor stellt die Prüfung des Vorliegens einer Vereinbarung mitunter einen zentralen Aspekt von Gun-Jumping-Verfahren dar. Vigdor, Premerger Coordination, S. 65.

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C. Gun-Jumping im US-Kartellrecht

nicht pauschal auf die Zusammenschlussvereinbarung abgestellt werden.328 Vielmehr ist diesbezüglich wie folgt zu differenzieren: Ergibt sich die Wettbewerbsbeschränkung aus Bestimmungen des Unternehmenskaufvertrags, beispielsweise überschießenden conduct of business-Beschränkungen, folgt die Wettbewerbsbeschränkung unmittelbar aus der Zusammenschlussvereinbarung. Beispiele hierfür lassen sich in Computer Associates329 und Qualcomm330 finden. Ergibt sich die Wettbewerbsbeschränkung hingegen aus einer Vereinbarung, die lediglich im Zusammenhang mit dem Unternehmenskaufvertrag getroffen wurde, liegt die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung in ebendieser zusätzlichen Vereinbarung.331 So war beispielsweise der Gemstar-Fall gelagert, in dem die Parteien neben dem Kaufvertrag eine Marktaufteilung vereinbarten und Preise absprachen.332 Gerade in Fällen, in denen sich die Wettbewerbsbeschränkung nicht ausdrücklich aus der Zusammenschlussvereinbarung ergibt, kann sich der Nachweis eines Verstoßes gegen Section 1 Sherman Act als schwierig erweisen. So stehen die Zusammenschlussparteien im Vorfeld eines Zusammenschlusses üblicherweise in einem intensiven Austausch. Werden im Rahmen dieser grundsätzlich legitimen Kontakte auch Wettbewerbsbeschränkungen verabredet, lässt sich dies mitunter nur schwer nachweisen.333 Blumenthal weist zudem auf die oft schwierige Abgrenzung von einseitigen Verhaltensweisen hin.334 Zwar unterfallen unilaterale Verhaltensweisen grundsätzlich nicht Section 1 Sherman Act; Blumenthal gibt allerdings zu bedenken, dass einseitige Verhaltensanpassungen mitunter in Erwartung des Zusammenschlusses vorgenommen werden.335 Inwieweit dies eine Abweichung von den allgemeinen Maßstäben von Section 1 Sherman Act erlaubt, sei allerdings eine offene Frage,336 die im Ergebnis wohl zu verneinen ist. In dieser Hinsicht ist indes auch das Vollzugsverbot im Auge zu behalten. So hat das DOJ in Smithfield Foods einen Übergang der operational control angenommen, weil das Zielunternehmen offenbar freiwillig und einseitig einen Teil seiner Eigenständigkeit aufgegeben hat.337

328 Vigdor, Premerger Coordination, S. 65 f. Einem Zusammenschluss liegt in der Regel entweder ein Share-Purchase- oder ein Asset-Purchase-Agreement zugrunde. 329 Siehe oben S. 91 ff. 330 Siehe oben S. 101 ff. 331 Vigdor, Premerger Coordination, S. 66. 332 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 02. 06. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 4. 333 Zu denken ist insoweit gerade auch an das Omnicare-Verfahren, siehe oben S. 76 ff. 334 Blumenthal, 61 Antitrust L. J. 1, 18 ff. 335 Denkbar ist beispielsweise, dass das Zielunternehmen aus Rücksicht auf die Interessen des Erwerbers einseitig auf bestimmte Wettbewerbshandlungen verzichtet, zum Beispiel das Abwerben von Kunden. 336 Blumenthal, 61 Antitrust L. J. 1, 19 f. 337 Siehe oben S. 103 ff.

III. Auswertung der Entscheidungspraxis

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bb) Wettbewerbsbeschränkung Section 1 Sherman Act verbietet den Zusammenschlussparteien, vor dem Closing Wettbewerbsbeschränkungen („unreasonable restraints of trade“) zu vereinbaren. Die Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Wettbewerbsbeschränkung hängt im Allgemeinen maßgeblich davon ab, ob das jeweielige Verhalten von einer Per-seRegel erfasst wird oder eine rule of reason-Prüfung vorzunehmen ist.338 Im Hinblick auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen ist allerdings fraglich, ob die Per-se-Regel überhaupt Anwendung findet oder ob nicht vielmehr grundsätzlich eine rule of reason-Prüfung vorzunehmen ist. Der ausnahmslose Rückgriff auf die rule of reason könnte erforderlich sein, um die besondere Interessenlage im Vorfeld des Closings einer Transaktion berücksichtigen zu können.339 Auf dieses Ergebnis deutet es jedenfalls hin, dass das DOJ sowohl in Computer Associates als auch Gemstar Wettbewerbsbeschränkungen, die eigentlich die Annahme eines Per-se-Verstoßes rechtfertigen würden, abwägend geprüft und Rechtfertigungen erwogen hat.340 Ohne dass das DOJ hierzu ausdrücklich Stellung bezogen hätte, legt dies die Annahme nahe, dass das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung durch Gun-JumpingVerhaltensweisen im Rahmen einer rule of reason-Prüfung zu bestimmen ist.341 In diesem Sinne äußerte sich auch der General Counsel der FTC Blumenthal. Zwar führt er zunächst aus, dass die Per-se-Regeln grundsätzlich auch im Vorfeld von Unternehmenszusammenschlüssen Anwendung finden. Dieses würde jedoch nicht gänzlich ausschließen, dass Parteien im Einzelfall legitime Interessen zur Rechtfertigung ihres Verhaltens vortragen können.342 Im Ergebnis wird man daher wohl davon ausgehen müssen, dass die Per-se-Regeln zwar eine starke Indizwirkung haben, für Verhaltensweisen im Vorfeld des Closings aber keine unwiderlegliche Vermutung der Rechtswidrigkeit etablieren.

338

Siehe hierzu ausführlich oben S. 66 f. Vgl. Vigdor, Premerger Coordination, S. 72 ff. 340 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 33; United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 51. Vgl. Vigdor, Premerger Coordination, S. 74. 341 Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass das DOJ in United States v. R.J. Reynolds Tobacco Co. mit dem Vorliegen eines Per-se-Verstoßes argumentiert hat. Das Gericht lehnte jedoch insgesamt das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung ab. Die damalige Argumentation des DOJ erlaubt keinen Rückschluss auf dessen heutige Praxis, da das Verfahren mehr als 35 Jahre zurückliegt. United States v. R. J. Reynolds Tobacco Co., United States District Court, District of New Jersey, 416 F. Supp. 316, 326 (1976). Siehe oben S. 73 f. 342 Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 8. Vgl. zur Anwendung der rule of reason auch Blumenthal, 63 Antitrust L. J. 1, 24. 339

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C. Gun-Jumping im US-Kartellrecht

d) Fallgruppen Aus der Entscheidungspraxis des DOJ und der Rechtsprechung, insbesondere dem Urteil in Omnicare v. United Health Group, lassen sich Rückschlüsse auf die Beurteilung von verschiedenen Gun-Jumping-Fallgruppen unter Section 1 Sherman Act ziehen. aa) Preis- und Konditionenabsprachen Preis- und Konditionenabsprachen sind eine der eindeutigsten Formen von wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen und unterfallen grundsätzlich einem Per-se-Verbot.343 Auch im Vorfeld von Unternehmenszusammenschlüssen darf die Autonomie der beteiligten Unternehmen bei der Preissetzung nicht eingeschränkt werden. Dies wird am Vorgehen des DOJ in Computer Associates deutlich. In diesem Fall hatte der Erwerber die Möglichkeit des Zielunternehmens beschränkt, seinen Kunden Rabatte zu gewähren.344 Ein sehr deutlicher Kartellverstoß durch Preisabsprachen lag auch im Fall Gemstar vor, in dem Erwerber und Zielunternehmen ihre Konditionen angeglichen und eine gemeinsame Strategie für Preisverhandlungen mit Abnehmern entwickelt haben.345 Die Autonomie bei der Preissetzung kann nicht nur durch ausdrückliche Preisvorgaben, sondern auch auf indirektem Wege wie durch Vertragsgenehmigungsverfahren oder den Austausch von Preisinformationen beeinträchtigt werden.346 Obwohl Preisabsprachen grundsätzlich per se gegen Section 1 Sherman Act verstoßen,347 hat das DOJ in Gun-Jumping-Fällen erwogen, ob legitime Interessen für den Eingriff in die Preissetzungsautonomie bestanden.348 So führte es beispielsweise in Gemstar wie folgt aus: „The extensive coordination on prices and terms set forth above was not necessary to protect any legitimate interests that Gemstar may have had in preserving the TV Guide assets to be 343

United States v. Socony-Vacuum Oil Co., United States Supreme Court, 310 U.S., 150, 224 ff. (1940). Posner, Antitrust Law, S. 39. 344 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 16, 19. 345 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 48 ff. 346 Vgl. United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 50; United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 30 f. 347 Vgl. nur Posner, Antitrust Law, S. 39. 348 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 33; United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 51. Siehe zur Frage, ob im Vorfeld von Zusammenschlüssen grundsätzlich eine rule of reason-Prüfung vorzunehmen ist, S. 119.

III. Auswertung der Entscheidungspraxis

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acquired, or in preventing any material adverse change in TV Guides conduct that might affect the value of the to-be-acquired business.“349

Vor diesem Hintergrund scheidet es zumindest nicht von vornherein aus, davon auszugehen, dass Eingriffe in die Preissetzungsautonomie des Zielunternehmens in besonders gelagerten Einzelfällen und in engen Grenzen zulässig sein können, sofern sie zur Erreichung eines legitimen Zwecks, beispielsweise des Erhalts des Werts des Zielunternehmens, zwingend erforderlich sind. bb) Markt- und Kundenaufteilungen Auch Markt- und Kundenaufteilungen fallen in die Kategorie der sehr schwerwiegenden Wettbewerbsbeschränkungen, die normalerweise einen Per-se-Verstoß begründen.350 Dementsprechend dürfen die Zusammenschlussparteien vor dem Vollzug keine Aufteilung von Märkten oder Kundengruppen vornehmen. Dies verdeutlicht das Gemstar-Verfahren anschaulich, in dem das DOJ gegen eine Aufteilung von Kundengruppen durch den Erwerber und das Zielunternehmen vorgegangen ist.351 Erneut stellte das DOJ darauf ab, dass keine legitimen unternehmerischen Bedürfnisse zur Rechtfertigung der Wettbewerbsbeschränkung in Betracht kamen.352 cc) Aussetzen von Wettbewerbshandlungen Für den Erwerber und das Zielunternehmen kann ein erheblicher Anreiz bestehen, nach der Vereinbarung der Transaktion den Wettbewerb gegeneinander einzustellen. So wird es den an einem Zusammenschlussvorhaben beteiligten Unternehmen als widersinnig erscheinen, noch gegeneinander in einen Bietwettstreit um einen Kunden einzutreten, da das Ergebnis eines solchen Wettstreits zulasten der bald kombinierten unternehmerischen Einheit geht. Das Kartellverbot gebietet es hingegen, bis zum Vollzug als Wettbewerber zu agieren.353

349 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 51. 350 United States v. Topco Associates, Inc., United States Supreme Court, 405 U.S. 596, 608 (1972). 351 Siehe oben S. 96 ff. United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 44 ff. 352 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 71. 353 Vgl. United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 37 ff., 64 ff. Ein gewisser Spielraum verbleibt für den Erwerber und das Zielunternehmen jedoch insofern, als vollkommen unilaterale Handlungen nicht vom Kartellverbot erfasst werden. Siehe hierzu oben S. 117 f.

122

C. Gun-Jumping im US-Kartellrecht

dd) Kontrollwechsel Die Beschwerde in Computer Associates deutet darauf hin, dass eine vorzeitige Erlangung der operational control nicht nur unter dem Vollzugs-, sondern auch dem Kartellverbot problematisch ist: „[…] [Computer Associates] and Platinum engaged in a contract, combination or conspiracy that was unlawful under Section 1 of the Sherman Act […]. Pursuant to their unlawful agreement, […] [Computer Associates] assumed operational control over important aspects of Platinum’s competitive activities.“354

Andererseits ist zu berücksichtigen, dass das DOJ in vielen Fällen, in denen es aufgrund eines Übergangs der operational control einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot angenommen hat, keinen Verstoß gegen das Kartellverbot angenommen hat.355 Ein Übergang der operational control begründet demgemäß nicht automatisch einen Verstoß gegen Section 1 Sherman Act. Vielmehr ist lediglich davon auszugehen, dass die Umstände, welche die Annahme eines Übergangs der Kontrolle rechtfertigen, auch einen Verstoß gegen das Kartellverbot begründen können.356 Anders als unter dem Vollzugsverbot357 kann ein Kartellverstoß dabei nur dann angenommen werden, wenn es tatsächlich zu einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs gekommen ist. ee) Conduct of business-Beschränkungen Im Rahmen von Unternehmenszusammenschlüssen hat der Erwerber ein legitimes Interesse daran, Vorkehrungen zu treffen, um zu verhindern, dass der Wert des Zielunternehmens zwischen dem Signing und Closing beeinträchtigt wird. Dies erkennt auch das DOJ an, indem es gewöhnliche conduct of business-Beschränkungen nicht beanstandet358 und zudem in Computer Associates und Gemstar einige Verhaltensweisen besonders herausstellt, die es als zulässig erachtet.359 Zulässig sind demnach zum einen herkömmliche ordinary course of businessKlauseln: Das Zielunternehmen darf dazu verpflichtet werden, die Geschäfte nur in 354 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 29 f. 355 Dies trifft auf die Fälle Titan Wheel (S. 85 f.), Input/Output (S. 89 ff.), Qualcomm (S. 101 ff.) und Smithfield Foods (S. 103 f.) zu. 356 So auch Vigdor, Premerger Coordination, S. 88. 357 Vgl. oben S. 64. 358 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 15. 359 United States v. Computer Associates International, Inc., Competitive Impact Statement, 23. 04. 2003, Abschnitt II. C. 2; United States v. Computer Associates International, Inc., Final Judgment, Case No. 01-02062 (GK), Abschnitt V. A. – C.; United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Final Judgment, 11. 07. 2003, Case No. 03-0198, Abschnitt V. A. und B. Vgl. hierzu auch Vigdor, Premerger Coordination, S. 84.

III. Auswertung der Entscheidungspraxis

123

der gewohnten Art weiterzuführen und nicht vom üblichen Geschäftsgang abzuweichen.360 Darüber hinaus sind material adverse change-Klauseln im Allgemeinen nicht zu beanstanden: Der Erwerber kann dem Zielunternehmen bzw. dem Veräußerer untersagen, vor dem Closing wesentliche Änderungen am Zielunternehmen vorzunehmen, die zu einer Minderung des Wertes des Kaufobjekts führen würden.361 Der Zusammenschluss kann in diesem Zusammenhang auch von der Bedingung abhängig gemacht werden, dass keine derartigen Veränderungen erfolgen.362 Zudem nennt das DOJ eine Reihe von spezifischen Verboten, die dem Zielunternehmen bzw. dem Veräußerer auferlegt werden dürfen: *

*

Verbot, Kunden oder Zulieferern in Verträgen besondere Rechte für den Fall einzuräumen, dass die Kontrolle über das Zielunternehmen auf ein anderes Unternehmen übergeht;363 Verbot, Dividenden auszuschütten, Aktien auszugeben, zu verkaufen oder zu belasten;364

*

Verbot, den Gesellschaftsvertrag oder die Satzung zu ändern;365

*

Verbot, andere Unternehmen zu erwerben;366

*

Verbot, größere Investitionen zu tätigen oder sich hierzu zu verpflichten;367

*

*

Verbot, geistiges Eigentum außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsgangs zu belasten;368 Verbot, gegenüber den Steuerbehörden Zugeständnisse zu machen;369

360

United States v. Computer Associates International, Inc., Final Judgment, Case No. 0102062 (GK), Abschnitt V. A.; United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Final Judgment, 11. 07. 2003, Case No. 03-0198, Abschnitt V. A. 361 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Final Judgment, 11. 07. 2003, Case No. 03-0198, Abschnitt V. B. 362 United States v. Computer Associates International, Inc., Final Judgment, Case No. 0102062 (GK), Abschnitt V. B. 363 United States v. Computer Associates International, Inc., Final Judgment, Case No. 0102062 (GK), Abschnitt V. C. 364 United States v. Computer Associates International, Inc., Competitive Impact Statement, 23. 04. 2003, Abschnitt II. C. 2. 365 United States v. Computer Associates International, Inc., Competitive Impact Statement, 23. 04. 2003, Abschnitt II. C. 2. 366 United States v. Computer Associates International, Inc., Competitive Impact Statement, 23. 04. 2003, Abschnitt II. C. 2. 367 United States v. Computer Associates International, Inc., Competitive Impact Statement, 23. 04. 2003, Abschnitt II. C. 2. 368 United States v. Computer Associates International, Inc., Competitive Impact Statement, 23. 04. 2003, Abschnitt II. C. 2. 369 United States v. Computer Associates International, Inc., Competitive Impact Statement, 23. 04. 2003, Abschnitt II. C. 2.

124 *

*

C. Gun-Jumping im US-Kartellrecht

Verbot, Forderungen außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsgangs zu befriedigen;370 Verbot, Gerichtsverfahren einzuleiten, ausgenommen routinemäßige Inkassoaktivitäten.371

Demnach darf die Handlungsfreiheit des Zielunternehmens außerhalb des Bereichs des alltäglichen operativen Geschäfts weitreichend beschränkt werden. Möglich sind dabei anstelle eines Komplettverbots auch Genehmigungsvorbehalte. Eingriffe in das operative Geschäft und den ordinary course of business sind hingegen nicht zulässig.372 Blumenthal373 und Vigdor374 werfen in diesem Zusammenhang die Frage auf, inwiefern Eingriffe in die Preissetzung zulässig sind, sofern dabei nicht in den ordinary course of business eingegriffen wird. Zu denken ist insoweit vor allem an das Verbot, Waren oder Dienstleistungen außergewöhnlich günstig (unter Einstandspreis) abzugeben. Blumenthal bezweifelt allerdings, dass derartige Beschränkungen je dazu erforderlich sind, um die Durchführung einer Transaktion zu ermöglichen. Nur wenn dies in besonders gelagerten Einzelfällen doch der Fall sein sollte, könnten entsprechende Beschränkungen zulässig sein.375 Letztlich kommt es insofern folglich auf die Umstände des Einzelfalls an. Vieles spricht dafür, dass es dem Erwerber zulässig sein muss, zu verhindern, dass das Zielunternehmen zwischen dem Signing und Closing Lagerbestände weit unter Wert „verscherbelt“. ff) Informationsaustausch Der Austausch von Informationen zwischen den Zusammenschlussparteien ist eine zwingende Voraussetzung für die erfolgreiche Durchführung eines Zusammenschlussvorhabens. Ohne ihn wäre einerseits weder eine Bewertung des Zielunternehmens noch eine Planung der Unternehmensintegration möglich. Andererseits kann der Inforationsaustausch auch Beschränkungen des Wettbewerbs ermöglichen. Die Zulässigkeit eines Informationsaustauschvorgangs unter Section 1 Sherman Act wird grundsätzlich im Rahmen einer rule of reason-Prüfung be370 United States v. Computer Associates International, Inc., Competitive Impact Statement, 23. 04. 2003, Abschnitt II. C. 2. 371 United States v. Computer Associates International, Inc., Competitive Impact Statement, 23. 04. 2003, Abschnitt II. C. 2. 372 Dies wird beispielsweise am Computer-Associates-Verfahren deutlich, in dem das DOJ einen Verstoß gegen Section 1 Sherman Act angenommen hat, da das Zielunternehmen im operativen Geschäft in seiner Preissetzung eingeschränkt wurde. United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 27 ff. 373 Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 8. 374 Vigdor, Premerger Coordination, S. 86. 375 Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 8.

III. Auswertung der Entscheidungspraxis

125

stimmt.376 In deren Rahmen berücksichtigen die Kartellbehörden einerseits die Auswirkungen eines Informationsaustauschs auf den Wettbewerb und andererseits dessen Notwendigkeit für die Umsetzung des Zusammenschlussvorhabens.377 So haben sowohl der Court of Appeals for the Seventh Circuit in Omnicare v. United Health Group378 als auch das DOJ in Computer Associates379 und Gemstar380 grundsätzlich anerkannt, dass die Zusammenschlussparteien ein legitimes Interesse am Austausch von Informationen haben und die Durchführung einer gewöhnlichen Due-Diligence-Prüfung nicht zu beanstanden ist. Unzulässig ist hingegen der Austausch von Informationen, sofern er den Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen vor dem Vollzug oder aber nach einer eventuellen Untersagung des Zusammenschlusses zur Folge hat.381 In diese Kategorie fällt insbesondere der Austausch von Informationen über gegenwärtige oder zukünftige Preise, Rabatte oder Konditionen.382 Darüber hinaus kann der Austausch von Marketingplänen, detaillierten Kundenlisten, strategischen Plänen, Kostenstrukturen und Gewinnspannen für einzelne Produkte wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen nach sich ziehen.383 Auch wenn der Austausch von Informationen dieser Art im Allgemeinen problematisch ist, kann ein Zugriff auf diese unter bestimmten Voraussetzungen dennoch in Betracht gezogen werden. So kann nach Ansicht des DOJ der Austausch von wettbewerbssensiblen Informationen zulässig sein, sofern diese Informationen erstens zwingend erforderlich sind, um das Zielunternehmen zu bewerten, und zweitens eine Vertraulichkeitsvereinbarung sicherstellt, dass die Informationen nur für die Due-Diligence-Prüfung verwendet werden und Mitarbeiter des Erwerbers, die Einfluss auf das operative Geschäft384 haben, nicht auf diese zugreifen können.385 Die 376

United States v. Container Corporation of America, United States Supreme Court, 393 U.S. 333 (1969). Vigdor, Premerger Coordination, S. 79. 377 Vgl. Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 7. 378 Siehe oben S. 76 ff. 379 United States v. Computer Associates International, Inc., Final Judgment, Case No. 0102062 (GK), Abschnitt V. D. Vgl. United States v. Computer Associates International, Inc., Competitive Impact Statement, 23. 04. 2003, Abschnitt III. A. 2. 380 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Final Judgment, 11. 07. 2003, Case No. 03-0198, Abschnitt V. D. Vgl. United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Competitive Impact Statement, 19. 03. 2003, Abschnitt III. B. 381 Vgl. United States v. Computer Associates International, Inc., Competitive Impact Statement, 23. 04. 2003, Abschnitt III. A. 2.; United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Competitive Impact Statement, 19. 03. 2003, Abschnitt III. B. 382 United States v. Computer Associates International, Inc., Final Judgment, Case No. 0102062 (GK), Abschnitt V. D.; United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Final Judgment, 11. 07. 2003, Case No. 03-0198, Abschnitt V. D. Vgl. United States v. Computer Associates International, Inc., Competitive Impact Statement, 23. 04. 2003, Abschnitt III. A. 2.; United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Competitive Impact Statement, 19. 03. 2003, Abschnitt III. B. 383 Knable Gotts/Miller, 45 Prac. Law. 23, 28. 384 Insbesondere Marketing, Vertrieb und Preisgestaltung im Hinblick auf Produkte, die im Wettbewerb zu Produkten des Zielunternehmens stehen.

126

C. Gun-Jumping im US-Kartellrecht

Bedeutung dieser Vorkehrungen wird in Omnicare v. United Health Group386 deutlich. Der Court of Appeals nahm in diesem Fall die Unbedenklichkeit des Informationsaustauschs vor allem deswegen an, weil der Erwerber geeignete Maßnahmen ergriffen hatte, um den Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen zu verhindern. So wurden die preisbezogenen Informationen nur einem kleinen Kreis von Mitgliedern der Geschäftsführung zugänglich gemacht und nicht an Mitarbeiter aus dem operativen Geschäft weitergegeben. Zudem wurden die Informationen vor ihrem Austausch jeweils von den Anwälten der Zusammenschlussparteien geprüft und um bedenkliche Details bereinigt.387 Weitere Maßnahmen, durch die der Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen verhindert werden kann, sind die Aggregation und Verallgemeinerung von Informationen sowie der Rückgriff auf historische Informationen.388 gg) Zusammenarbeit der Zusammenschlussparteien Erwerber und Zielunternehmen dürfen vor dem Vollzug insoweit kooperieren, als eine Zusammenarbeit auch zwei voneinander unabhängigen Unternehmen, die keinen Zusammenschluss planen, unter dem Kartellverbot gestattet wäre.389 In Computer Associates führte das DOJ aus, dass die Zusammenschlussparteien Kunden ein gemeinsames Angebot unterbreiten dürfen, sofern ein solches gemeinsames Angebot auch ohne den geplanten Zusammenschluss zulässig wäre.390 Nicht zu beanstanden seien ferner Kollegenlieferungen, sofern diese außerhalb des Kontexts des Zusammenschlusses zulässig wären.391 In Gemstar ergänzte das DOJ zudem, dass die Zusammenschlussparteien auch Lizenzvereinbarungen über geistiges Eigentum treffen dürfen.392

385 United States v. Computer Associates International, Inc., Final Judgment, Case No. 0102062 (GK), Abschnitt V. D. United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Final Judgment, 11. 07. 2003, Case No. 03-0198, Abschnitt V. D. Vgl. United States v. Computer Associates International, Inc., Competitive Impact Statement, 23. 04. 2003, Abschnitt III. A. 2.; United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Competitive Impact Statement, 19. 03. 2003, Abschnitt III. B. Vgl. hierzu auch Knable Gotts/Miller, 45 Prac. Law. 23, 28. 386 Siehe oben S. 76 ff. 387 Omnicare v. United Health Group, United States Court of Appeals, Seventh Circuit, 629 F.3d 697, 710 (2011). 388 Vgl. hierzu auch Knable Gotts/Miller, 45 Prac. Law. 23, 30 f. 389 Vigdor, Premerger Coordination, S. 88. 390 United States v. Computer Associates International, Inc., Final Judgment, Case No. 0102062 (GK), Abschnitt V. E. 391 United States v. Computer Associates International, Inc., Final Judgment, Case No. 0102062 (GK), Abschnitt V. F. 392 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Final Judgment, 11. 07. 2003, Case No. 03-0198, Abschnitt V. C.

III. Auswertung der Entscheidungspraxis

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e) Zwischenergebnis Die Fallpraxis zur Anwendung von Section 1 Sherman Act auf das Verhalten der Zusammenschlussparteien vor dem Closing erlaubt recht detaillierte Rückschlüsse auf die Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen unter Section 1 Sherman Act. Insgesamt ist dabei festzustellen, dass die legitimen Interessen der Zusammenschlussparteien im Rahmen der rule of reason weitreichend Berücksichtigung finden, sodass ein angemessener Ausgleich zwischen den Erfordernissen des Wettbewerbsschutzes und den Bedürfnissen von Unternehmen zur erfolgreichen Gestaltung von Unternehmenszusammenschlüssen hergestellt wird. 3. Verbot unlauterer Wettbewerbspraktiken: Section 5 FTC Act Die FTC hat in den Verfahren Torrington, Insilco und Commonwealth einen Verstoß gegen Section 5 FTC Act angenommen. In Torrington bemühte sich das Zielunternehmen um eine vorzeitige Überführung seiner Kunden an den Erwerber.393 In Commonwealth kam es zu einer vorzeitigen Angleichung der Vertragskonditionen.394 In beiden Fällen war offenbar unklar, ob dieses Verhalten auf eine Vereinbarung zwischen den Unternehmen zurückzuführen war. In Insilco ging die FTC gegen den Austausch von Preisinformationen vor dem Vollzug vor. Die FTC befürchtete wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Falle des Scheiterns des Zusammenschlussvorhabens.395 Allerdings erkannte auch die FTC die Zulässigkeit des Informationsaustauschs zur Vorbereitung von Zusammenschlussvorhaben grundsätzlich an, sofern geeignete Vorkehrungen getroffen werden, um den Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen zu verhindern.396 Die Verfahren verdeutlichen den weiten Charakter von Section 5 FTC Act. So kann die FTC auf Grundlage dieser Norm auch gegen Verhaltensweisen einschreiten, die den Tatbestand von Section 1 Sherman Act oder Section 7 A Clayton Act nicht erfüllen. Die FTC scheint für die Annahme eines Verstoßes gegen Section 5 FTC Act allerdings zumindest vorauszusetzen, dass die Zusammenschlussparteien in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander stehen.397 Vermutlich aufgrund des äußerst eingeschränkten Sanktionspotenzials unter Section 5 FTC Act verweist die FTC schwerwiegende Verstöße gegen das Kartell- oder Vollzugsverbot an das DOJ, das

393

Siehe oben S. 83 ff. Siehe oben S. 87 ff. 395 Siehe oben S. 86 f. 396 Vigdor, Premerger Coordination, S. 102. Vgl. FTC, Proposed Consent Order, in re Sigma Corporation, 04. 01. 2012, S. 2 ff. 397 Vigdor, Premerger Coordination, S. 112. Insofern ist die Norm enger als das Vollzugsverbot aus Section 7 A Clayton Act, das auch auf nichthorizontale Zusammenschlüsse Anwendung findet. 394

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C. Gun-Jumping im US-Kartellrecht

über Möglichkeiten zur schärferen Sanktionierung verfügt.398 Für die an einem Zusammenschlussvorhaben beteiligten Unternehmen folgt aus der tatbestandlichen Konturlosigkeit von Section 5 FTC Act ein nicht unerhebliches Maß an Rechtsunsicherheit. Angesichts der sehr eingeschränkten Sanktionsmöglichkeiten399 dürfte die Gefahr einer overdeterrence dabei allerdings eher gering sein.

IV. Entwicklung der Gun-Jumping-Verfolgung in den USA In den vorausgehenden Abschnitten wurde der Maßstab herausgearbeitet, an dem Gun-Jumping-Verhaltensweisen gemäß dem US-Kartellrecht zu messen sind. Aus der Gerichts- und Behördenpraxis ergibt sich ein relativ kohärentes Gesamtbild, an dem sich die an einer Unternehmenstransaktion beteiligten Unternehmen orientieren können. Der nunmehr erreichte Zustand relativer Rechtssicherheit ist das Ergebnis eines Prozesses, zu dessen Beginn weitgehend unklar war, welche Verhaltensweisen von den Kartellbehörden als unzulässiges Gun-Jumping bewertetet würden. So haben Vertreter der Kartellbehörden zunächst lediglich in allgemeiner Weise angekündigt, das Verhalten der Zusammenschlussparteien vor dem Vollzug kritisch zu prüfen (1.).400 Diese Ankündigungen haben in Verbindung mit den in zunehmender Häufigkeit eingeleiteten Gun-Jumping-Verfahren in der Unternehmenspraxis zu einer erheblichen Verunsicherung geführt (2.). Das Ausmaß der bestehenden Rechtsunsicherheit wurde von den Kartellbehörden registriert, die daraufhin gezielt Maßnahmen ergriffen haben, um den anwendbaren kartellrechtlichen Maßstab zu konkretisieren (3.). Dieser Prozess der Feinjustierung des kartellrechtlichen Maßstabs ist gerade auch aus europäischer Perspektive interessant (4.). 1. Kartellbehörden kündigen Verfolgung von Gun-Jumping-Verstößen an Das Thema der für die Zeit vor dem Closing geltenden kartellrechtlichen Verhaltensvorgaben wurde, soweit ersichtlich, erstmals im Jahr 1989 vom damaligen 398 Dies ist in den Fällen ARCO I (siehe S. 80 f.) und ARCO II (siehe S. 82 f.) erfolgt. Steptoe, Prepared Remarks Before the ABA Section of Antitrust Law Spring Meeting 1994, Fn. 8. 399 Siehe oben S. 70 f. 400 Vgl. Arquit, Remarks Before the ABA Antitrust Section Spring Meeting 1989, zitiert nach Kling/Nugent, Negotiated Acquisitions of Companies, Subsidiaries and Divisions, § 9.03, Fn. 1; Steptoe, Prepared Remarks Before the ABA Section of Antitrust Law Spring Meeting 1994; Baer, Prepared Remarks Before the ABA Antitrust Section Spring Meeting 1998; Krauss, New Developments in the Premerger Notification Program; Baer, Prepared Remarks Before the ABA Antitrust Section Spring Meeting 1999; Bruno, Hart-Scott-Rodino at 25; James, Recent Developments and Future Challenges at the Antitrust Division; Majoras, Merger Enforcement at the Antitrust Division; Pate, Antitrust Enforcement at the DOJ – Issues in Merger Investigations and Litigation.

IV. Entwicklung der Gun-Jumping-Verfolgung in den USA

129

General Counsel der FTC Arquit aufgegriffen. Dieser äußerte Bedenken gegenüber dem Austausch von sensiblen Informationen durch Wettbewerber im Rahmen der Due Diligence.401 Nachdem zwischenzeitlich das DOJ in den beiden ARCO-Verfahren402 gegen eindeutig gelagerte Verstöße gegen das Vollzugsverbot vorgegangen war und die FTC in Torrington403 einen Verstoß gegen Section 5 FTC Act angenommen hatte, griff Steptoe, Director of the Bureau of Competition der FTC, das Thema im Jahr 1994 erneut auf. Steptoe betonte, dass die FTC ein wachsames Auge auf die Aktivitäten sich zusammenschließender Unternehmen vor dem Closing habe.404 Grundsätzlich sei dabei der Austausch von Informationen im Rahmen der Due Diligence zwar zulässig, dürfe aber nicht über das unbedingt erforderliche Maß hinausgehen.405 Kritisch äußerte sich Steptoe zum Informationsaustausch zum Zwecke der Planung der Integration. Die Integrationsplanung könne nicht im gleichen Maße wie die Due Diligence den Austausch sensibler Informationen rechtfertigen. Vielmehr sei ein Informationsaustausch zur Integrationsplanung nur zulässig, sofern er für Planungsmaßnahmen erforderlich ist, die nicht erst nach dem Vollzug der Transaktion erfolgen können.406 Im Jahr 1998 knüpfte Baer als Director of the Bureau of Competition der FTC hieran an und erläuterte, dass Unternehmen gegenüber den Kartellbehörden zwar dahingehend argumentiert hätten, dass zwischen einer zulässigen Planung der Unternehmensintegration und der unzulässigen Umsetzung dieser Planung unterschieden werden müsse, eine derartige Unterscheidung nach Ansicht der FTC jedoch nicht den Vorgaben des HSR Act entspreche. Wenn Unternehmen über das zur Durchführung der Due Diligence erforderliche Maß hinaus Informationen übermitteln, läge ein unzulässiges Gun-Jumping vor.407

401 Arquit, Remarks Before the ABA Antitrust Section Spring Meeting 1989, zitiert nach Kling/Nugent, Negotiated Acquisitions of Companies, Subsidiaries and Divisions, § 9.03, Fn. 1. 402 Siehe oben S. 80 ff. 403 Siehe oben S. 83 ff. 404 Steptoe, Prepared Remarks Before the ABA Section of Antitrust Law Spring Meeting 1994, S. 1. 405 Steptoe, Prepared Remarks Before the ABA Section of Antitrust Law Spring Meeting 1994, S. 7. 406 Steptoe, Prepared Remarks Before the ABA Section of Antitrust Law Spring Meeting 1994, S. 7. 407 Baer, Prepared Remarks Before the ABA Antitrust Section Spring Meeting 1998, S. 5. In einer zweiten Rede aus dem Jahr 1999 weist Baer zudem auf das Input/Output-Verfahren hin und erläutert, dass durch verschiedene Verhaltensweisen die beneficial ownership vor dem Closing auf den Erwerber übergehen kann. Baer, Prepared Remarks Before the ABA Antitrust Section Spring Meeting 1998, S. 8, Abschnitt IV. A. a.E.

130

C. Gun-Jumping im US-Kartellrecht

2. Rechtsunsicherheit im Hinblick auf die kartellrechtlichen Vorgaben Die Äußerungen von Vertretern der FTC führten gemeinsam mit den Gun-Jumping-Verfahren, die in steigender Häufigkeit vom DOJ und der FTC eingeleitet wurden, zu einer zunehmenden Verunsicherung der an Unternehmenstransaktionen beteiligten Unternehmen.408 Diese Rechtsunsicherheit spiegelte sich dabei auch in einer zunehmend konservativen Rechtsberatung durch Anwälte, die Unternehmenstransaktionen begleiteten, im Hinblick auf das Verhalten der Zusammenschlussparteien vor dem Vollzug wider.409 Insbesondere die Rede von Baer aus dem Jahr 1998 wurde als Ausdruck eines überaus strengen Maßstabs der Kartellbehörden im Hinblick auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen interpretiert. So führen Knable Gotts/Miller aus, dass die Rede von Baer eine „extremely aggressive position“ im Hinblick auf den Informationsaustausch vor dem Closing offenbare. Es kämen sogar Zweifel daran auf, ob die Zusammenschlussparteien überhaupt ein Recht dazu hätten, vor dem Closing Informationen auszutauschen.410 Die zunehmende Verunsicherung blieb auch den Kartellbehörden nicht verborgen. Die DOJ-Vertreter James, Majoras und Pate führten in ihren Reden im Jahr 2002 jeweils aus, dass das DOJ erkannt habe, dass eine große Unsicherheit in Bezug auf das zulässige Maß des Informationsaustauschs und der Koordinierung im Vorfeld des Closings bestehe und dass den Unternehmen mit einer konkretisierenden Klarstellung sehr geholfen wäre.411 Aus diesem Grund hätten das DOJ und die FTC gemeinsam begonnen, ihre Beurteilung von Gun-Jumping-Maßnahmen zu überprüfen. Zudem beabsichtigten beide Behörden, Unternehmen Hilfestellung für die Beurteilung ihres Verhaltens vor dem Vollzug zu geben.412 Pate betonte dabei jedoch zugleich, dass der Verfolgung von Gun-Jumping-Verstößen weiterhin oberste Priorität beigemessen würde und mit verstärkten Aktivitäten in diesem Bereich zu rechnen sei.413

408

Vgl. Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 3. Dunlop, Interview with William Blumenthal, S. 10. 410 Knable Gotts/Miller, 45 Prac. Law. 23, 24 f. 411 James, Recent Developments and Future Challenges at the Antitrust Division, S. 21 f.; Majoras, Merger Enforcement at the Antitrust Division, S. 11, vgl. auch S. 4; Pate, Antitrust Enforcement at the DOJ – Issues in Merger Investigations and Litigation, S. 5. 412 James, Recent Developments and Future Challenges at the Antitrust Division, S. 21 f.; Majoras, Merger Enforcement at the Antitrust Division, S. 11, vgl. auch S. 4; Pate, Antitrust Enforcement at the DOJ – Issues in Merger Investigations and Litigation, S. 5. 413 Pate, Antitrust Enforcement at the DOJ – Issues in Merger Investigations and Litigation, S. 5. 409

IV. Entwicklung der Gun-Jumping-Verfolgung in den USA

131

3. Erhöhung der Rechtssicherheit Ganz im Sinne der Ankündigungen von James, Majoras und Pate414 lassen sich ab dem Jahr 2002 eindeutige Bestrebungen feststellen, die Rechtssicherheit für sich zusammenschließende bzw. dies planende Unternehmen zu erhöhen. So enthielten die consent orders in Computer Associates und Gemstar nicht nur eine differenzierte Würdigung der Verstöße gegen Section 1 Sherman Act und Section 7 A Clayton Act, sondern darüber hinaus Angaben zu Verhaltensweisen, die kartellrechtlich nicht zu beanstanden sind.415 Ferner führte die FTC Ende 2002 eine Diskussionsveranstaltung durch, auf der sich Wissenschaftler, Praktiker und Behördenvertreter mit dem Prozess der Planung und Umsetzung von Unternehmenszusammenschlüssen beschäftigten.416 Kernthemen waren vor allem die Erfolgsfaktoren sowie die allgemeine Erfolgsbilanz von Unternehmenszusammenschlüssen. Ein Panel widmete sich jedoch auch den kartellrechtlichen Schranken in der Zeit vor dem Closing, wobei auch und gerade Praktiker zu Wort kamen.417 Einen weiteren bedeutenden Beitrag zur Erhöhung der Rechtssicherheit und Nachjustierung des kartellrechtlichen Maßstabs leistete im Jahr 2005 der General Counsel der FTC Blumenthal. In einer vielbeachteten Rede erläuterte Blumenthal ausführlich die Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen, um einem zu restriktiven Verständnis des kartellrechtlichen Maßstabs entgegenzuwirken. Ein Nachjustieren war nach Ansicht von Blumenthal erforderlich geworden, da Fehlinterpretationen dazu geführt hätten, dass eigentlich unbedenkliche Verhaltensweisen als verboten betrachtet würden, was zu Ineffizienzen geführt hätte.418 Blumenthal erkennt in seiner Rede an, dass viele Formen der Koordinierung vor dem Closing verhältnismäßig und mitunter sogar notwendig sind. Auch dürften Unternehmen bei der Umsetzung von Unternehmenszusammenschlüssen und der Realisierung von Effizienzgewinnen nicht unnötig behindert werden.419 Ganz in diesem Sinne kündigt er an, dass zukünftig bei der kartellrechtlichen Beurteilung von GunJumping-Verhaltensweisen berücksichtigt werden würde, dass die Planung der 414 James, Recent Developments and Future Challenges at the Antitrust Division, S. 21 f.; Majoras, Merger Enforcement at the Antitrust Division, S. 11, vgl. auch S. 4; Pate, Antitrust Enforcement at the DOJ – Issues in Merger Investigations and Litigation, S. 5. 415 United States v. Computer Associates International, Inc., Final Judgment, Case No. 0102062 (GK), Abschnitt V.; United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Final Judgment, 11. 07. 2003, Case No. 03-0198, Abschnitt V. Vgl. hierzu auch Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 7. 416 FTC, Bureau of Economics, Understanding Mergers: Strategy & Planning, Implementation and Outcomes, Überblick auf http://www.ftc.gov/be/rt/mergerroundtable.shtm. 417 Panel 5 – Pre-Consummation Information Exchange and Integration Planning, Transcript abrufbar unter http://www.ftc.gov/be/rt/xscriptpanel5.pdf. 418 Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 3. Vgl. Dunlop, Interview with William Blumenthal, S. 10. 419 Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 3.

132

C. Gun-Jumping im US-Kartellrecht

Transaktionsphase und eine schnelle Umsetzung für den Erfolg eines Unternehmenszusammenschlusses entscheidend sind.420 Insofern knüpft er an die Ergebnisse der Diskussionsveranstaltung der FTC aus dem Jahr 2002 an. Auch in seinen Detailanalysen zu einzelnen Problemfeldern lässt Blumenthal insgesamt die Bereitschaft zu einer pragmatischen und differenzierenden Beurteilung von Gun-JumpingVerhaltensweisen erkennen.421 Die Rede von Blumenthal hat die Wahrnehmung des Gun-Jumping-Themenkomplexes maßgeblich beeinflusst und einem übermäßig restriktiven Verständnis der kartellrechtlichen Vorgaben entgegengewirkt.422 Zusammen mit den Stellungnahmen des DOJ in Computer Associates und Gemstar ist somit eine signifikante Nachjustierung des anwendbaren Maßstabs erfolgt und eine bessere Handhabbarkeit der kartellrechtlichen Vorgaben ermöglicht worden. 4. Schlussfolgerungen für das europäische Kartellrecht Die Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen durch die FTC und das DOJ war Gegenstand eines Entwicklungsprozesses. Nachdem die Kartellbehörden zunächst das Ziel verfolgt hatten, Unternehmen für die Bedeutung der Beachtung der kartellrechtlichen Verhaltensvorgaben in der Phase vor dem Closing zu sensibilisieren, erkannten Erstere etwa im Jahr 2002, dass sie bei der Abschreckung problematischer Gun-Jumping-Verhaltensweisen zu erfolgreich gewesen waren und dadurch eine overdeterrence verursacht hatten.423 Um Effizienzverlusten durch TypI-Fehler424 entgegenzuwirken, erfolgte eine Nachjustierung des kartellrechtlichen Maßstabs.425 Die Betrachtung des dargestellten Entwicklungsprozesses ist gerade aus europäischer Perspektive aufschlussreich. Auch wenn die Europäische Kommission – anders als zunächst die FTC – bislang keine aggressive Verfolgung von Gun-Jumping-Verstößen angekündigt hat, hat sie durch ihr Vorgehen in Bertelsmann/Kirch/ Premiere426 und Ineos/Kerling427 dennoch verdeutlicht, gewillt zu sein, entschieden gegen bedenkliche Verhaltensweisen im Vorfeld des Closings vorzugehen. Zudem hat sie durch die Verhängung eines Bußgelds in Höhe von 20 Millionen EUR gegen Electrabel428 deutlich gemacht, dass bei Verstößen gegen das Vollzugsverbot mit harten Sanktionen – härteren als bei Verstößen gegen Section 7 A Clayton Act in den 420 421 422 423 424 425 426 427 428

Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 4. Vgl. Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 14. Dunlop, Interview with William Blumenthal, S. 10 f. Siehe oben S. 34 ff. Siehe oben S. 35 ff. Vgl. Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 3 f. Siehe hierzu unten S. 162 ff. Siehe hierzu unten S. 165 f. Siehe hierzu unten S. 169 ff.

V. Ergebnis

133

USA – gerechnet werden muss. Unklar ist dabei allerdings bislang die exakte Reichweite der anwendbaren Vorschriften. Rechtsunsicherheit besteht insbesondere im Hinblick auf die Auslegung des Vollzugsverbots aus Art. 7 Abs. 1 FKVO. Die Erfahrungen der US-Kartellbehörden zeigen, dass aus einer solchen Situation eine overdeterrence resultieren kann. Sofern künftig durch die Kommission gegen GunJumping-Verhaltensweisen vorgegangen wird, sollte vor diesem Hintergrund nicht nur auf eine möglichst wirksame Durchsetzung des Kartellrechts geachtet werden, sondern es sollten vielmehr auch Maßnahmen429 ergriffen werden, um das notwendige Maß an Rechtssicherheit für die Zusammenschlussparteien zu gewährleisten.

V. Ergebnis In den USA haben sich das DOJ und die FTC seit 1989 intensiv mit der kartellrechtlichen Beurteilung der Interaktionen von Zusammenschlussparteien vor dem Closing auseinandergesetzt. Die Entscheidungspraxis erlaubt recht detaillierte Rückschlüsse darauf, welche Verhaltensweisen als unzulässiges Gun-Jumping bewertet werden. Im Rahmen der weiteren Untersuchung kann die US-Fallpraxis als Orientierungspunkt bei der Beurteilung verschiedener Fallgruppen430 unter dem europäischen Kartellrecht herangezogen werden. Darüber hinaus ist es aus rechtsvergleichender Perspektive aufschlussreich, wie in den USA grundsätzliche Probleme bei der Anwendung des Vollzugs- und Kartellverbots auf Interaktionen der Zusammenschlussparteien gelöst wurden. Ähnliche Problemstellungen können bei der Anwendung des EU-Kartellrechts auftreten. Drei Aspekte sind insofern besonders relevant: Erstens war die Reichweite das Vollzugsverbot aus Section 7 A Clayton Act im Hinblick auf faktische Vollzugshandlungen zunächst unklar. Das DOJ hat dieses Problem gelöst, indem es die indicia of beneficial ownership, die allein auf formale Vollzugshandlungen zugeschnitten waren, um das Merkmal der operational control ergänzt hat. Dieses kontrollbezogene Kriterium hat sich in der Praxis bewährt und dem DOJ ermöglicht, flexibel gegen faktische Vollzugsmaßnahmen vorzugehen, die dem Zweck des präventiven Fusionskontrollverfahrens zuwiderlaufen. Zweitens verdeutlicht die US-Fallpraxis, dass es möglich ist, bei der kartellrechtlichen Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen einen praktischen Ausgleich zwischen den zwingenden Erfordernissen des Wettbewerbsschutzes und den wirtschaftlichen Bedürfnissen der beteiligten Unternehmen herzustellen. Zur 429

Zu denken ist insoweit beispielsweise an eine Mitteilung der Kommission oder ausführliche Entscheidungsbegründungen, die Unternehmen bei der Selbstveranlagung als Hilfestellung heranziehen können. 430 Siehe unten S. 322 ff.

134

C. Gun-Jumping im US-Kartellrecht

Durchführung eines Zusammenschlusses sind vor dem Closing weitgehende Interaktionen von Erwerber, Zielunternehmen und Veräußerer erforderlich. Die Rechtmäßigkeit dieser Interaktionen wurde von den US-Kartellbehörden nicht in Zweifel gezogen. Das DOJ und die FTC sind vielmehr nur gegen wettbewerblich bedenkliche Auswüchse vorgegangen, die insbesondere dann angenommen wurden, wenn es zu einer Beeinträchtigung des Marktverhaltens gekommen ist oder die Wirksamkeit der präventiven Fusionskontrolle gefährdet war. Drittens ist die US-Fallpraxis für die Beurteilung von zusammenschlussbezogenen Informationsaustauschvorgängen aufschlussreich, bei denen typischerweise die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Zusammenschlussparteien mit den Erfordernissen des Wettbewerbsschutzes kollidieren. Zur Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen ist es zwingend erforderlich, dass der Erwerber umfassende Informationen über das Zielunternehmen erhält. Die US-Gerichte431 und Kartellbehörden erkennen dieses Bedürfnis an und bezweifeln die grundsätzliche Kartellrechtskonformität des Austauschs von zusammenschlussbezogenen Informationen nicht. Ein Gun-Jumping-Verstoß wird allerdings dann angenommen, wenn Informationen mit unmittelbarer Wettbewerbsrelevanz ausgetauscht werden, allen voran Informationen über zukünftige Preise, Rabatte oder Konditionen. Sofern diese Informationen zur Bewertung des Zielunternehmens zwingend erforderlich sind, kann ein solcher Austausch ausnahmsweise dennoch zulässig sein, wenn sich durch geeignete Vorkehrungen die Möglichkeit des Eintritts von Wettbewerbsbeschränkungen ausschließen lässt.

431 Namentlich der United States Court of Appeals for the Seventh Circuit in Omnicare v. United Health Group, siehe oben S. 76 ff.

D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO ist eine zentrale Vorschrift der europäischen Fusionskontrollverordnung. In der Norm kommt die präventive Ausgestaltung des Fusionskontrollverfahrens zum Ausdruck. Um einen möglichst wirksamen Wettbewerbsschutz zu gewährleisten, müssen Unternehmenszusammenschlüsse bei der Europäischen Kommission im Vorhinein angemeldet werden und dürfen erst dann vollzogen werden, wenn sie nach eingehender Prüfung für vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklärt wurden. Durch die präventive Ausgestaltung soll verhindert werden, dass die Zusammenschlussparteien durch den Vollzug ihres Vorhabens vollendete Tatsachen schaffen können, bevor die Kommission eine Gelegenheit hatte, die potenziellen Auswirkungen der Transaktion auf den Wettbewerb zu prüfen. Dieser Zweck kann nicht nur durch den formalen Vollzug von Zusammenschlüssen im Rahmen des Closings vereitelt werden, sondern auch durch diesem vorgelagerte Gun-Jumping-Verhaltensweisen. Ab welcher Schwelle das Vollzugsverbot insoweit eingreift, ist bislang jedoch noch nicht geklärt worden. Die Bestimmung der Reichweite von Art. 7 Abs. 1 FKVO steht daher im Zentrum der nachfolgenden Untersuchung. Besondere Bedeutung kommt dabei der Frage zu, ob ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot nur dann vorliegt, wenn der Zusammenschlusstatbestand des Art. 3 Abs. 1 FKVO verwirklicht wird. Als Grundlage für die Untersuchung der Anwendung von Art. 7 Abs. 1 FKVO auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen erfolgt zunächst eine Darstellung des Vollzugsverbots im Kontext des Fusionskontrollverfahrens (I.). Anschließend wird die Reichweite des Vollzugsverbots bestimmt (II.) und auf der Grundlage des erzielten Ergebnisses erläutert, wann Maßnahmen, die dem formalen Vollzug vorgelagert sind, gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO verstoßen (III.). Nach einer Zusammenfassung des Ergebnisses (IV.) wird in einem Exkurs auf die Reichweite von § 41 GWB, dem Vollzugsverbot der GWB-Fusionskontrolle, eingegangen (V.).

I. Das Vollzugsverbot im Kontext des Fusionskontrollverfahrens Um den Rahmen für die Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen in der Europäischen Union aufzuspannen, wird nachfolgend zunächst das Vollzugsverbot im Kontext des Fusionskontrollverfahrens dargestellt. Die Fusionskontrollverordnung sieht ein mehrstufiges Verfahren zur Überprüfung von Unternehmenszusammenschlüssen vor (1.). Ein wichtiges Charakteristikum dieses Verfahrens ist dessen präventive Ausgestaltung durch das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO (2.). Das

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

Fusionskontrollverfahren ist insgesamt von einem Zielkonflikt zwischen der Gewährleistung eines effektiven Wettbewerbsschutzes und der Vermeidung einer unnötigen Behinderung unbedenklicher Zusammenschlussvorhaben geprägt (3.). 1. Das Fusionskontrollverfahren Zur Verhinderung von wettbewerblich bedenklichen Marktstrukturveränderungen durch externes Unternehmenswachstum etabliert die Fusionskontrollverordnung für bestimmte Unternehmenszusammenschlüsse ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt: Ab dem Erreichen bestimmter Umsatzschwellen müssen Zusammenschlussvorhaben bei der Kommission angemeldet werden. Anschließend prüft diese in einem mehrstufigen Prüfverfahren die potenziellen Auswirkungen des jeweiligen Zusammenschlusses und gibt diesen frei, sofern keine Beeinträchtigung des Wettbewerbs zu befürchten ist. Andernfalls ergeht entweder eine Untersagungsentscheidung oder der Zusammenschluss wird nur unter Auflagen1 freigegeben. a) Anwendung nur auf Zusammenschlüsse mit gemeinschaftsweiter Bedeutung Die Fusionskontrollverordnung ist gemäß Art. 1 Abs. 1 FKVO nur auf Unternehmenszusammenschlüsse mit gemeinschaftsweiter Bedeutung anwendbar. Gemäß Art. 3 Abs. 1, Abs. 2 FKVO liegt ein Zusammenschluss im Sinne der Fusionskontrollverordnung insbesondere dann vor, wenn ein Unternehmen die Kontrolle über ein anderes Unternehmen erwirbt.2 In Art. 1 Abs. 2, Abs. 3 FKVO sind Schwellenwerte festgelegt, ab denen ein Zusammenschluss über gemeinschaftsweite Bedeutung verfügt und somit der Fusionskontrollverordnung unterfällt. Hierzu wird auf die Umsätze der einzelnen Unternehmen bzw. der Zusammenschlussbeteiligten insgesamt abgestellt. Ausschlaggebend sind die welt- sowie gemeinschaftsweiten Umsätze und unter Umständen auch die Umsätze in bestimmten Mitgliedstaaten.3

1

In Betracht kommt zum Beispiel die Bedingung, einen bestimmten Geschäftsbereich abzustoßen. 2 Darüber hinaus erfüllen gem. Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO Fusionen den Zusammenschlusstatbestand. Art. 3 Abs. 4 FKVO stellt klar, dass die Gründung eines VollfunktionsGemeinschaftsunternehmens einen Kontrollerwerb i.S.v. Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO darstellt. Eingehend zum Zusammenschlussbegriff Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, ABl. EU 2009 Nr. C 43/09, Ziff. 7 ff.; Rosenthal/Thomas, European Merger Control, Abschnitt B., Rdnr. 5 ff. 3 Eingehend hierzu Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 124 ff.; Rosen-thal/Thomas, European Merger Control, Abschnitt B., Rdnr. 121 ff.

I. Das Vollzugsverbot im Kontext des Fusionskontrollverfahrens

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b) Anmeldepflicht und Vollzugsverbot Ist ein Zusammenschluss mit gemeinschaftsweiter Bedeutung geplant, muss dieser gemäß Art. 4 Abs. 1 FKVO vor dessen Vollzug bei der Kommission angemeldet werden.4 Für das Verfassen der Anmeldung stellt die Kommission ein Formblatt (sog. Form CO) zur Verfügung, das von den beteiligten Unternehmen umfassende Angaben zu der Transaktion, den beteiligten Unternehmen und den betroffenen Märkten verlangt.5 Die verlangten Informationen sollen es der Kommission erleichtern, die Auswirkungen des Zusammenschlusses auf den Wettbewerb zu beurteilen. Die Erstellung einer Zusammenschlussanmeldung auf Grundlage der Form CO erfordert einen erheblichen Aufwand und kann eine zeitliche Verzögerung des Zusammenschlussvorhabens verursachen. Im Vergleich zu der Anmeldung eines Zusammenschlusses beim Bundeskartellamt ist eine Anmeldung bei der Kommission mit einem deutlich größeren Aufwand verbunden.6 Der Vollzug eines Zusammenschlusses ist gemäß Art. 7 Abs. 1 FKVO unzulässig, bis er von der Kommission freigegeben wurde oder die Freigabefiktion des Art. 10 Abs. 6 FKVO eingreift, da die Kommission ihre Prüffrist überschritten hat. Verstoßen die beteiligten Unternehmen gegen das Vollzugsverbot, kann gegen sie eine Geldbuße in einer Höhe von bis zu 10 Prozent des jeweiligen Unternehmensumsatzes verhängt werden, Art. 14 Abs. 2 lit. b FKVO.7 Zudem droht die Unwirksamkeit der unter Missachtung des Vollzugsverbots abgeschlossenen Rechtsgeschäfte gemäß Art. 7 Abs. 4 FKVO.8 c) Informelles Pränotifikationsverfahren In der Praxis hat sich ein informelles Pränotifikationsverfahren etabliert, das der formalen Anmeldung eines Zusammenschlusses vorausgeht.9 Das Pränotifikationsverfahren wird eingeleitet, indem die Kommission in einer ersten vertraulichen Kontaktaufnahme über den geplanten Zusammenschluss in Kenntnis gesetzt und um die Zuteilung eines Fallteams gebeten wird (case team allocation request). Im Rahmen des Pränotifikationsverfahrens ist es möglich, eine erste unverbindliche 4 Eingehend zur Notifizierungspflicht Rosenthal/Thomas, European Merger Control, Abschnitt E., Rdnr. 9 ff. 5 Formblatt CO zur Anmeldung eines Zusammenschlusses gemäß Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates, Anhang I zur VO (EG) Nr. 802/2004 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. EU 2004 Nr. L 133/1. 6 § 39 Abs. 3 GWB verlangt von den Zusammenschlussparteien deutlich weniger Angaben als das Form CO. 7 Ein Bußgeld in gleicher Höhe droht, wenn ein Zusammenschluss nicht angemeldet wird, Art. 14 Abs. 2 lit. a FKVO. 8 Zum Vollzugsverbot eingehend unten S. 141 ff. 9 Vgl. hierzu instruktiv MünchKommEuWettbR-Koch, Einl. A FKVO, Rdnr 149 ff., Immenga/Mestmäcker-Körber, Einl. FKVO, Rdnr. 85 ff.

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

Einschätzung des Zusammenschlussvorhabens von der Kommission zu erhalten und Bereiche zu identifizieren, in denen die Kommission wettbewerbliche Probleme annehmen könnte. Zudem wird der Kommission im Laufe des Pränotifikationsverfahrens üblicherweise ein Entwurf der Anmeldung übermittelt. Die Kommission nimmt zu diesem Entwurf Stellung und signalisiert, an welchen Stellen die Anmeldung nach ihrer Auffassung ergänzt werden muss. Hierdurch kann verhindert werden, dass die Kommission die Anmeldung nach der Einreichung als unvollständig bewertet, wodurch der Ablauf der Prüffrist gemäß Art. 10 Abs. 1 FKVO gehemmt würde.10 Das Pränotifikationsverfahren ist in der Fusionskontrollverordnung nicht ausdrücklich vorgesehen, wird von der Kommission in ihren Best Practices jedoch ausdrücklich empfohlen.11 Die Pränotifikation sollte auch in einfach gelagerten Fällen mindestens zwei Wochen vor der eigentlichen Anmeldung eingeleitet werden. In komplizierteren Fällen empfiehlt die Kommission jedoch, mehr Zeit einzuplanen und die Kommission so früh wie möglich zu kontaktieren.12 d) Phase I: Freigabe von offensichtlich unbedenklichen Zusammenschlüssen Nach der fakultativen Durchführung des Pränotifikationsverfahrens melden die beteiligten Unternehmen den Zusammenschluss bei der Kommission an. Nach dem Eingang der Anmeldung prüft diese in einem knappen Zeitrahmen von maximal 25 Arbeitstagen,13 ob der Zusammenschluss Anlass zu ernsthaften Bedenken hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt gibt. Durch diesen ersten Prüfschritt, der als Phase I bezeichnet wird, sollen die Belastungen für das Gros der Zusammenschlüsse, die keinerlei Bedenken aufwerfen, möglichst gering gehalten und die zeitliche Verzögerung des Vorhabens durch die Fusionskontrollprüfung begrenzt werden. Nur sofern die Kommission ernsthafte wettbewerbliche Bedenken hat, leitet sie gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. c FKVO die Phase II ein, in der die Auswirkungen des Zusammenschlusses auf den Wettbewerb ausführlich geprüft werden.

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Kommission, Best Practices on the conduct of EC merger control proceedings, 20. 01. 2004, Ziff. 5 ff., abrufbar unter http://ec.europa.eu/competition/mergers/legislation/proceedings. pdf. Vgl. MünchKommEuWettbR-Koch, Einl. A FKVO, Rdnr. 150. Zu weiteren Vorteilen des Pränotifikationsverfahrens siehe Bellamy/Child, European Community Law of Competition, Rdnr. 8.110. 11 Kommission, Best Practices on the conduct of EC merger control proceedings, Ziff. 5. 12 Kommission, Best Practices on the conduct of EC merger control proceedings, Ziff. 10. Kritisch zur Pränotifikation Bauer, WuW 2013, 567. 13 Siehe Art. 10 Abs. 1 FKVO. Die Frist von 25 Arbeitstagen verlängert sich um zehn Arbeitstage, wenn ein Mitgliedstaat einen Verweisungsantrag gem. Art. 9 Abs. 2 FKVO stellt oder die beteiligten Unternehmen Verpflichtungszusagen gem. Art. 6 Abs. 2 FKVO anbieten.

I. Das Vollzugsverbot im Kontext des Fusionskontrollverfahrens

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Andernfalls gibt sie den Zusammenschluss gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. b FKVO frei. Eine Untersagungsentscheidung kann im Rahmen der Phase I nicht ergehen.14 e) Phase II: Ausführliche Prüfung von problematischen Vorhaben Bestehen ernsthafte wettbewerbliche Bedenken (vgl. Art. 6 Abs. 1 lit. c FKVO), untersucht die Kommission in Phase II in einem großzügigeren Zeitrahmen die Auswirkungen des Zusammenschlusses auf den Wettbewerb. Für die Prüfung in der Phase II stehen der Kommission gemäß Art. 10 Abs. 3 FKVO maximal 90 Arbeitstage zur Verfügung. Diese Frist verlängert sich auf 105 Arbeitstage, wenn die beteiligten Unternehmen in der Endphase der Prüfung Verpflichtungszusagen anbieten. In besonders komplexen Fällen kommt zudem gemäß Art. 10 Abs. 3 UnterAbs. 2 FKVO eine weitere Verlängerung um maximal 20 Arbeitstage in Betracht, sofern der Anmelder zustimmt. Insgesamt beträgt die Höchstdauer der Phase II somit 125 Arbeitstage. Die Kommission soll jedoch nach dem in Art. 10 Abs. 2 FKVO verankerten Beschleunigungsgrundsatz15 die Entscheidung über die Vereinbarkeit des Zusammenschlussvorhabens mit dem Gemeinsamen Markt treffen, sobald offenkundig ist, dass keine Bedenken bestehen. Überschreitet die Kommission in einer der beiden Prüfphasen die Entscheidungsfrist, gilt der Zusammenschluss nach der Freigabefiktion des Art. 10 Abs. 6 FKVO als für vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklärt.16 Durch die großzügigeren Prüffristen der Phase II kann es zu einer nicht unerheblichen Verzögerung von Zusammenschlussvorhaben kommen. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass bislang in weniger als 4 Prozent der seit dem Inkrafttreten der Fusionskontrollverordnung im Jahr 1990 notifizierten Fälle das Hauptprüfverfahren eröffnet wurde.17 Ergibt die Phase-II-Prüfung, dass ein Zusammenschluss zu einer erheblichen Behinderung des wirksamen Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt führen würde, was insbesondere durch die Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung der Fall sein kann, Art. 2 Abs. 3 FKVO, untersagt die Kommission den Zusammenschluss gemäß Art. 8 Abs. 3 FKVO. Bestehen hingegen keine wettbewerblichen Bedenken, erklärt die Kommission den Zusammenschluss gemäß Art. 8 Abs. 1 FKVO für zulässig. Die beteiligten Unternehmen können zudem gemäß Art. 8 Abs. 2 UnterAbs. 2 FKVO Verpflichtungszusagen anbieten, um den 14 Vgl. zur Phase I Immenga/Mestmäcker-Körber, Einl. FKVO, Rdnr. 96 ff.; MünchKommEuWettbR-Koch, Einl. A FKVO, Rdnr. 152 ff.; MünchKommEuWettbR-v. Koppenfels, Art. 6 FKVO, Rdnr. 6 ff.; MünchKommEuWettbR-Ohlhoff, Art. 10 FKVO, Rdnr. 7 f. 15 Vgl. MünchKommEuWettbR-Ohlhoff, Art. 10 FKVO, Rdnr. 6. 16 Vgl. zur Phase II Immenga/Mestmäcker-Körber, Einl. FKVO, Rdnr. 103 ff.; MünchKommEuWettbR-Koch, Einl. A FKVO, Rdnr. 156 ff.; MünchKommEuWettbR-v. Koppenfels, Art. 8 FKVO, Rdnr. 16 ff.; MünchKommEuWettbR-Ohlhoff, Art. 10 FKVO, Rdnr. 9 ff. 17 Fallstatistik Zusammenschlusskontrolle der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission, 21. 09. 1990 – 31. 08. 2014, abrufbar unter http://ec.europa.eu/competition/ mergers/statistics.pdf.

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

Zusammenschluss in einer Weise zu gestalten, die mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist. f) Vereinfachtes Verfahren für unproblematische Zusammenschlüsse Die Kommission hat im Jahr 2000 ein vereinfachtes Fusionskontrollverfahren eingeführt, mit dem die Anmeldung von Zusammenschlüssen, die erfahrungsgemäß keine wettbewerblichen Bedenken aufwerfen, erleichtert werden soll.18 Die Anwendung dieses vereinfachten Fusionskontrollverfahrens kommt in folgenden Fällen in Betracht: wenn ein Gemeinschaftsunternehmen mit keiner oder nur geringfügiger Tätigkeit im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gegründet wird, bei konglomeraten Zusammenschlüssen ohne horizontale oder vertikale Beziehungen der Beteiligten, bei einem gemeinsamen Marktanteil der Beteiligten von unter 15 Prozent auf dem betroffenen Markt, sofern keine der Zusammenschlussparteien auf einem vor- oder nachgelagerten Markt einen Marktanteil von 25 Prozent erreicht, oder bei Fällen des Erwerbs der alleinigen Kontrolle über ein vom Erwerber bereits mitkontrolliertes Unternehmen.19 Auch in unproblematisch erscheinenden Fällen rät die Kommission allerdings dazu, vor der Anmeldung ein informelles Vorgespräch mit ihr zu führen, in dem geklärt werden kann, ob auch die Kommission das vereinfachte Verfahren für anwendbar hält.20 Die Anmelder haben keinen Anspruch auf die Durchführung des vereinfachten Verfahrens.21 Kommt das vereinfachte Verfahren zur Anwendung, können die Beteiligten zur Anmeldung des Zusammenschlusses ein vereinfachtes Formblatt (Short Form CO) verwenden, das deutlich weniger Angaben von den Beteiligten verlangt als das Formblatt CO.22 Die Anmeldung wird für die Zusammenschlussparteien dadurch spürbar vereinfacht. Zudem erfolgt eine beschleunigte Bearbeitung des Zusammenschlusses durch die Kommission, die lediglich in Kurzform entscheidet.23 Die Entscheidung wird mit dem Hinweis veröffentlicht, dass der Zusammenschluss für vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklärt wurde, ist jedoch lediglich mit einer formalisierten Kurzbegründung versehen.24 18 Kommission, Bekanntmachung vereinfachtes Verfahren, ABl. EU 2005 Nr. C 56/32. Erste Fassung ABl. EU 2000 Nr. C 217/32. 19 Kommission, Bekanntmachung vereinfachtes Verfahren, Ziff. 5. 20 Kommission, Bekanntmachung vereinfachtes Verfahren, Ziff. 15. 21 Zeise, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Rdnr. 1909. 22 Vereinfachtes Formblatt zur Anmeldung eines Zusammenschlusses gemäß Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates, Anhang II zur VO (EG) Nr. 802/2004 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. EU 2004 Nr. L 133/1. 23 Kommission, Bekanntmachung vereinfachtes Verfahren, Ziff. 17. 24 Kommission, Bekanntmachung vereinfachtes Verfahren, Ziff. 18. Vgl. zum vereinfachten Verfahren Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 6 FKVO, Rdnr. 18 ff.; MünchKommEuWettbR-Koch, Einl. A FKVO, Rdnr. 165.

I. Das Vollzugsverbot im Kontext des Fusionskontrollverfahrens

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g) Vollzug des Zusammenschlusses und Überwachungsphase Nach der Freigabe können die Beteiligten den Zusammenschluss vollziehen. Sofern dieser unter Auflagen und Bedingungen freigegeben wurde, überwacht die Kommission deren Einhaltung.25 2. Das Vollzugsverbot des Art. 7 FKVO Gemäß Art. 7 Abs. 1 FKVO dürfen Zusammenschlüsse nicht vollzogen werden, bis sie für vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklärt worden sind. Wie aus den vorausgehenden Ausführungen deutlich wird, nimmt das Vollzugsverbot im Fusionskontrollverfahren eine zentrale Stellung ein. Es ermöglicht der Kommission, Zusammenschlüsse ex ante gründlich zu prüfen. a) Entstehungsgeschichte des Vollzugsverbots Im Entstehungsprozess der Fusionskontrollverordnung war die Ausgestaltung als präventives Kontrollregime mit Vollzugsverbot unter den Mitgliedstaaten umstritten.26 Die Bundesrepublik Deutschland bestand jedoch auf einem präventiven Fusionskontrollverfahren und machte hiervon ihre Zustimmung zu der Verordnung abhängig. Sie konnte sich mit dieser Forderung letztlich durchsetzen, sodass in die Fusionskontrollverordnung 4064/8927 ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt für Zusammenschlüsse im Anwendungsbereich der Verordnung aufgenommen wurde.28 Die Alternative hierzu wäre eine Ex-post-Zusammenschlusskontrolle gewesen, in der Unternehmenstransaktionen weder angemeldet werden müssen noch ein Vollzugsverbot gilt, die Kartellbehörden Zusammenschlüsse aber nachträglich untersagen können. Eine Ex-post-Fusionskontrolle fand beispielsweise in den USA vor dem Inkrafttreten des HSR Act Anwendung29 und wird auch heute noch im Vereinigten Königreich praktiziert.30 25

MünchKommEuWettbR-Koch, Einl. A FKVO, Rdnr. 164. Cook/Kerse, EC Merger Control, S. 165; Immenga/Mestmäcker-Körber, Einl. FKVO, Rdnr. 35 und Art. 7 FKVO, Rdnr. 2; Janicki, WuW 1990, 195, 201. 27 Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. EG 1989 Nr. L 395/1 („FKVO 4064/89“). 28 Art. 7 Abs. 1 FKVO 4064/89. Cook/Kerse, EC Merger Control, S. 165; Immenga/ Mestmäcker-Körber, Einl. FKVO, Rdnr. 35 und Art. 7 FKVO, Rdnr. 2; Janicki, WuW 1990, 195, 201. 29 Siehe oben S. 59 ff. Unterhalb der Schwellenwerte des Section 7 A Clayton Act besteht in den USA auch heute noch eine Ex-post-Zusammenschlusskontrolle. 30 Im Vereinigten Königreich besteht lediglich eine freiwilliges Notifizierungsverfahren, von dem Zusammenschlussparteien häufig Gebrauch machen, um das Risiko einer nachträglichen Untersagung auszuschließen, vgl. Immenga/Mestmäcker-Körber, Einl. FKVO, Rdnr. 159. Eingehend hierzu Holzwarth, Das Vollzugsverbot als Bestandteil eines effizienten Fusionskontrollverfahrens, S. 154 ff. 26

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

Das Vollzugsverbot galt nach der ursprünglichen Fassung von Art. 7 Abs. 1 FKVO 4064/89 zunächst nur für drei Wochen ab der Anmeldung eines Vorhabens, wodurch das Vollzugsverbot bereits eine Woche vor dem Ablauf der Phase I auslaufen konnte.31 Die Regelung war ein politischer Kompromiss, der auf den anhaltenden französischen Widerstand gegen die Erstreckung des Vollzugsverbots auf die gesamte erste Prüfphase zurückzuführen war.32 Sie erwies sich jedoch als praxisfern und wurde deshalb im Rahmen der Revision der Fusionskontrollverordnung im Jahr 1998 abgeschafft. Stattdessen wurde der zeitliche Anwendungsbereich des Vollzugsverbots bis zur Erteilung einer Freigabe nach Art. 6 Abs. 1 lit. b oder Art. 8 Abs. 1 oder Abs. 2 bzw. deren Fiktion nach Art. 10 Abs. 6 FKVO ausgedehnt. Im Gegenzug wurden allerdings die Voraussetzungen gelockert, unter denen von der Kommission eine Befreiung vom Vollzugsverbot erteilt werden kann.33 Nach der ursprünglichen Fassung der Verordnung kam eine Freistellung nur dann in Betracht, wenn einem beteiligten Unternehmen ein schwerer Schaden drohte. Diese hohe Hürde wurde im Rahmen der Revision durch eine Interessenabwägung zwischen den Auswirkungen des Aufschubs des Vollzugs auf die beteiligten Unternehmen oder Dritte einerseits und der Gefährdung des Wettbewerbs durch den Zusammenschluss andererseits ersetzt.34 Im Rahmen der Reform der Fusionskontrollverordnung im Jahr 2004 durch die Einführung der FKVO 139/2004 wurde keine wesentliche Änderung am Vollzugsverbot vorgenommen. Es erfolgte lediglich eine Ausweitung des Ausnahmetatbestands des Art. 7 Abs. 2 FKVO für öffentliche Übernahmeangebote. Dieser erfasst nunmehr auch Börsengeschäfte mit Wertpapieren, die nicht auf einem öffentlichen Übernahmeangebot beruhen, und gilt somit nun für sämtliche Erwerbsvorgänge, die unter Beteiligung einer Vielzahl von Veräußerern über die Börse erfolgen.35 b) Zweck des Vollzugsverbots Das Vollzugsverbot wurde in die Fusionskontrollverordnung aufgenommen, um der Kommission zu ermöglichen, Zusammenschlüsse zu prüfen, bevor sie in die Tat umgesetzt wurden und dadurch eine Situation „vollendeter Tatsachen“ geschaffen wurde.36 Im Detail lassen sich verschiedene Schutzrichtungen des Vollzugsverbots ausmachen, deren Berücksichtigung die Auslegung der Norm erleichtern kann: Das Vollzugsverbot soll Schwierigkeiten bei der Entflechtung vermeiden (aa)), den 31

Vgl. Art. 10 Abs. 1 FKVO 4064/89. Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 2. 33 Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 2; MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 10. Vgl. Kommission, Grünbuch 1996, Ziff. 145. 34 Erwägungsgrund 34 FKVO. Vgl. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Ablasser-Neuhuber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 8. 35 Siehe unten S. 151. Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 3. 36 Vgl. zu einer ökonomischen Betrachtung der präventiven Ausgestaltung der Fusionskontrolle Wils, E.L.Rev. 1999, 139, 143 ff. 32

I. Das Vollzugsverbot im Kontext des Fusionskontrollverfahrens

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Eintritt irreversibler Veränderungen der Marktstruktur verhindern (bb)) und bereits während der fusionskontrollrechtlichen Prüfung einen wirksamen Wettbewerbsschutz garantieren (cc)). In der Praxis sichert das Vollzugsverbot zudem die Hoheit der Kommission über das Fusionskontrollverfahren (dd)). Das Vollzugsverbot ist somit weit mehr als eine bloße Verfahrensvorschrift, nämlich vielmehr eine zentrale Regelung im System zum Schutz des Wettbewerbs (ee)). aa) Vermeidung von praktischen Schwierigkeiten bei der Entflechtung Die präventive Ausgestaltung der Fusionskontrollverordnung verhindert die praktischen Schwierigkeiten, die eine nachträgliche Entflechtung bereits vollzogener Zusammenschlüsse mit sich bringt. So stellt das Vollzugsverbot sicher, dass die beteiligten Unternehmen als selbstständige unternehmerische Einheiten erhalten bleiben, bis die Kommission über die Zulässigkeit eines Zusammenschlusses entschieden hat. Dies ist für die Gewährleistung der einfachen Durchsetzbarkeit von Untersagungsentscheidungen wichtig, da der Zweck vieler Unternehmenszusammenschlüsse gerade die Integration der operativen Ressourcen des Zielunternehmens in den Erwerber ist. Hierbei geht in vielen Fällen das Zielunternehmen als eigenständige unternehmerische Einheit unter, wodurch eine nachträgliche Entflechtung massiv erschwert wird. Dies wird durch die präventive Ausgestaltung der Fusionskontrollverordnung verhindert.37 bb) Verhinderung des Eintritts von irreversiblen Marktstrukturveränderungen Die Bewahrung der Selbstständigkeit der beteiligten Unternehmen durch das Vollzugsverbot erfolgt jedoch nicht nur, um die praktischen Schwierigkeiten einer nachträglichen Entflechtung zu vermeiden, sondern vor allem auch, um eine dauerhafte und irreversible Beeinträchtigung der Marktstruktur und des Wettbewerbs durch die Umsetzung des Zusammenschlussvorhabens zu verhindern.38 Durch den Vollzug eines Zusammenschlusses und die damit einhergehende Zusammenlegung der unternehmerischen Ressourcen von Erwerber und Zielunternehmen kann es zum endgültigen Eintritt derjenigen Marktstrukturveränderungen kommen, die durch die Fusionskontrollverordnung verhindert werden sollen. Dies kann eine dauerhafte Beeinträchtigung des Wettbewerbs nach sich ziehen, die sich auch durch eine nachträgliche Untersagung nicht vollständig oder zumindest nur schwer rückgängig machen lässt.39 Die präventive Ausgestaltung der Fusionskontrolle durch das Vollzugsverbot verhindert den Eintritt einer wettbewerblichen scrambled eggs-Situation 37

Mestmäcker, Die Prävention in der Fusionskontrolle, in: Horn, FS Coing, Bd. 2, S. 381. EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 235 – Electrabel/ Kommission. 39 FK-Hellmann, Art. 7 FKVO, Rdnr. 7. Vgl. EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 232, 235, 242, 245 f. – Electrabel/Kommission. 38

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

und sichert so die volle Wirksamkeit der Untersagungsentscheidungen der Kommission.40 cc) Schutz des Wettbewerbs während der fusionskontrollrechtlichen Prüfung Zudem verhindert das Vollzugsverbot, dass es vor dem Erlass einer Untersagungsentscheidung zu einer zwischenzeitlichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs kommen kann. Im Gegensatz zu der Situation unter der präventiven Fusionskontrollverordnung wird es in Ex-post-Fusionskontrollregimen zunächst in Kauf genommen, dass es durch den Vollzug von problematischen Zusammenschlüssen zu einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs kommt. Gegen problematische Zusammenschlüsse kann nur nachträglich eingeschritten werden, wobei selbst in Fällen, in denen eine Entflechtung problemlos möglich ist, nicht verhindert werden kann, dass der Wettbewerb in der Zeit bis zur Untersagung und Entflechtung beeinträchtigt wird. Zu bedenken ist in dieser Hinsicht auch, dass in Ex-post-Kontrollregimen eine erhebliche Zeitspanne zwischen dem Vollzug und der Entflechtung eines Zusammenschlusses liegen kann, sofern die Kartellbehörde erst spät auf den Zusammenschluss aufmerksam wird oder es zu einem Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit von Entflechtungsentscheidungen kommt. Durch die präventive Ausgestaltung der Fusionskontrollverordnung wird der Eintritt zwischenzeitlicher Wettbewerbsbeeinträchtigungen verhindert.41 dd) Gewährleistung der Hoheit der Kommission über das Fusionskontrollverfahren Darüber hinaus sichert das Vollzugsverbot die Hoheit der Kommission über das Fusionskontrollverfahren. In der Praxis der Zusammenschlussanmeldung schlägt es sich spürbar nieder, dass die Zusammenschlussparteien die Rolle von Antragstellern einnehmen und sie eine „Bringschuld“ trifft, die Voraussetzungen für eine Freigabeerteilung zu schaffen. Durch das Vollzugsverbot werden die Zusammenschlussparteien in hohem Maße dazu incentiviert, mit der Kommission zu kooperieren und alle Informationen bereitzustellen, die von dieser zur Beurteilung des Zusammen-

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EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 246 – Electrabel/ Kommission. Vgl. Komm., 18. 02. 1998, IV/M.920, ABl. EG 1999 Nr. L 225/12, Ziff. 15 – Samsung/AST. Komm., 10. 02. 1999, IV/M.969, ABl. EG 1999 Nr. L 183, 29, Ziff. 12 – A. P. Møller. Siehe FK-Hellmann, Art. 7 FKVO, Rdnr. 6 f.; Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 1; Langen/Bunte-Maass, Art. 7 FKVO, Rdnr. 1; Mestmäcker, Die Prävention in der Fusionskontrolle, in: Horn, FS Coing, Bd. 2, S. 382; MünchKommEuWettbRWessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 4. 41 MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 3. Vgl. zu § 41 GWB auch FKKuhn, § 41 GWB, Rdnr. 1; Langen/Bunte-Kallfaß, § 41 GWB, Rdnr. 1.

I. Das Vollzugsverbot im Kontext des Fusionskontrollverfahrens

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schlusses benötigt werden.42 Dürften die Parteien ihr Vorhaben hingegen schon vor der Freigabe vollziehen, bestünde weniger Anreize zur Kooperation mit der Kommission. ee) Zentrale Regelung im System zum Schutz des Wettbewerbs Obwohl das Vollzugsverbot auf den ersten Blick eine rein verfahrensrechtliche Vorschrift ist, dient es doch unmittelbar einem materiellrechtlichen Zweck, indem es einen wirksamen Wettbewerbsschutz durch die Fusionskontrollverordnung gewährleistet. Die besondere Bedeutung des Vollzugsverbots betonen auch die Kommission und das EuG. Die Kommission führte in ihrer Electrabel-Bußgeldentscheidung43 aus, dass ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot nicht allein das Unterlassen der Anmeldung, sondern vielmehr eine Vorgehensweise betreffe, aus der sich eine strukturelle Veränderung der Wettbewerbsbedingungen ergibt. Zuwiderhandlungen gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO seien daher wesentlicher und nicht allein verfahrensrechtlicher Natur.44 Das EuG bestätigte die Kommissionsentscheidung und betonte die fundamentale Bedeutung des Vollzugsverbots für die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen.45 Zutreffend sei die Kommission davon ausgegangen, dass Verstöße gegen das Vollzugsverbot nicht nur verfahrensrechtlicher Natur seien, da sie zu einer substanziellen Veränderung der Wettbewerbsbedingungen führen können.46 Die Einordnung des Vollzugsverbots als nicht rein verfahrensrechtliche Vorschrift hat zur Folge, dass Verstöße gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO nicht der dreijährigen Verjährungsfrist für Verfahrensverstöße, sondern der fünfjährigen Verjährungsfrist des Art. 1 Abs. 1 lit. b) VO 2988/7447 für alle sonstigen Verstöße unterfallen.48 Diese Frist deckt sich mit der Verfolgungsverjährung für Verstöße gegen die Art. 101 und 102 AEUV gemäß Art. 25 Abs. 1 VO 1/2003. 42

Im Hinblick auf den Aspekt der Beibringung von Informationen durch die Anmelder vgl. auch Holzwarth, Das Vollzugsverbot als Bestandteil eines effizienten Fusionskontrollverfahrens, S. 183. 43 Komm., 10. 06. 2009, COMP/M.4994, Ziff. 40 – Electrabel/Compagnie Nationale du Rhône. 44 Komm., 10. 06. 2009, COMP/M.4994, Ziff. 182 – Electrabel/Compagnie Nationale du Rhône. 45 EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 246 – Electrabel/ Kommission. 46 EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 206 – Electrabel/ Kommission. 47 Verordnung (EWG) Nr. 2988/74 des Rates u¨ ber die Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung im Verkehrs- und Wettbewerbsrecht der Europa¨ ischen Wirtschaftsgemeinschaft, ABl. EG 1974 Nr. L 319/1. 48 Komm., 10. 06. 2009, COMP/M.4994, Ziff. 182 – Electrabel/Compagnie Nationale du Rhône. EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 206 – Electrabel/ Kommission.

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

Die große Bedeutung des Vollzugsverbots wird zudem daran deutlich, dass Verstöße gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO gemäß Art. 14 Abs. 2 lit. b FKVO mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu 10 Prozent des Gesamtumsatzes eines Unternehmens belegt werden können.49 Die maximale Bußgeldhöhe entspricht demnach der des Art. 23 Abs. 2 VO 1/2003 für Verstöße gegen die Art. 101 und 102 AEUV. Die hohe maximale Bußgeldhöhe unterstreicht die grundlegende Bedeutung, die dem Vollzugsverbot nach der gesetzgeberischen Intention für den Wettbewerbsschutz zukommt.50 c) Funktion der präventiven Ausgestaltung aus ökonomischer Perspektive Nähert man sich dem Vollzugsverbot aus ökonomischer Perspektive, so stellt sich die Frage, warum der Gemeinschaftsgesetzgeber für den Bereich der Zusammenschlusskontrolle ein präventives Prüfverfahren gewählt hat, während er es im Bereich der Verhaltenskontrolle als ausreichend erachtet, dass ex-post Verstoßfälle aufgegriffen und mit einem Bußgeld beleget werden.51 Diese Frage drängt sich umso mehr auf, als einem präventiven Prüfverfahren im Vergleich zu einem Ex-post-Kontrollsystem nicht unerhebliche Nachteile immanent sind. So muss bei der Ex-ante-Anwendung der materiellen Kriterien der Fusionskontrollverordnung eine unsichere Prognoseentscheidung über die wettbewerblichen Auswirkungen des zu beurteilenden Vorhabens getroffen werden.52 Bei einer Ex-post-Prüfung lässt sich hingegen darauf abstellen, ob tatsächlich negative Auswirkungen auf den Wettbewerb eingetreten sind. Zudem verursacht die präventive Ausgestaltung bei Unternehmen und Kartellbehörden hohe Transaktionskosten53 und verzögert Zusammenschlussvorhaben, wodurch deren Profitabilität beeinträchtigt werden kann.54 Nach Wils werden diese Nachteile jedoch durch die Vorteile überwogen, die eine präventive Überprüfung von Unternehmenszusammenschlüssen gegenüber einer Ex49 Vgl. EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 234 – Electrabel/Kommission. Durch die Verhängung eines Bußgelds in Höhe von 20 Mio. EUR gegen Electrabel hat auch die Kommission gezeigt, dass sie Verstöße gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO als ernsthafte Gefahr für den Wettbewerb bewertet und mit empfindlichen Bußgeldern belegt. Komm., 10. 06. 2009, COMP/M.4994, Ziff. 227 – Electrabel/Compagnie Nationale du Rhône. Bestätigt durch EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 217 – 304 – Electrabel/Kommission. 50 EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 246 – Electrabel/ Kommission. 51 Zwar darf diese Frage nicht darüber hinwegtäuschen, dass die präventive Ausgestaltung der europäischen Zusammenschlusskontrolle das Ergebnis eines politischen Prozesses und weniger auf ökonomische Erkenntnisse oder gar Modellrechnungen zurückzuführen ist. Nichtsdestoweniger stellt sich die Frage, ob das präventive Prüfverfahren für die Zusammenschlusskontrolle besser geeignet ist. 52 Wils, E. L. Rev. 1999, 139, 146. 53 Wils, E. L. Rev. 1999, 139, 146. 54 Wils, E. L. Rev. 1999, 139, 147.

I. Das Vollzugsverbot im Kontext des Fusionskontrollverfahrens

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post-Kontrolle hat.55 Ausschlaggebend sei insoweit vor allem, dass sich in einem Expost-Kontrollsystem keine ausreichende Abschreckung (deterrence) vor wettbewerblich bedenklichen Zusammenschlussvorhaben gewährleisten ließe.56 So seien Unternehmenstransaktionen – vor allem dann, wenn sie wettbewerblich bedenklich sind – für die beteiligten Unternehmen äußerst lohnend. Um in einem Ex-postKontrollsystem eine effektive Abschreckung vor unzulässigen Vorhaben zu gewährleisten, müssten den großen Anreizen für wettbewerblich problematische Zusammenschlüsse massive Sanktionsrisiken entgegengesetzt werden. In die Sanktionen müsste zudem eingepreist werden, dass nur eine eingeschränkte Sanktionswahrscheinlichkeit besteht, da sich nicht alle materiell unzulässigen Unternehmenstransaktionen von den Kartellbehörden aufdecken ließen. Die für ein angemessenes Abschreckungsniveau erforderlichen Sanktionen wären nach Auffassung von Wils jedoch aus politischen und kulturellen Gründen nicht durchsetzbar.57 Das Problem einer zu geringen Abschreckung aufgrund von unzureichenden Sanktionen wird umgangen, indem sämtliche Unternehmenszusammenschlüsse58 einer präventiven Überprüfung unterzogen werden. Auch der häufig als Zweck der präventiven Ausgestaltung der Fusionskontrolle angeführte Aspekt, dass eine nachträgliche Entflechtung bereits vollzogener Zusammenschlüsse in vielen Fällen nicht möglich oder zumindest mit erheblichen praktischen Schwierigkeiten verbunden sei,59 ist nach Wils lediglich Ausdruck der Befürchtung, dass sich im Rahmen eines Ex-post-Kontrollsystems kein ausreichendes Abschreckungsniveau gewährleisten lässt.60 Sofern eine wirksame Abschreckung erfolgt, ist eine nachträgliche Entflechtung nämlich überhaupt nicht erforderlich. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass auch die Befolgung der Ex-ante-Zusammenschlusskontrolle ex post durchgesetzt werden muss.61 Zu diesem Zweck ist das Vollzugsverbot scharf sanktionsbewährt. Die nachträgliche Durchsetzung der Vorgaben des präventiven Kontrollverfahrens gestaltet sich aufgrund der leichten 55 Vgl. Wils, E. L. Rev. 1999, 139, 152. Siehe zu den jeweiligen Vor- und Nachteilen eines Ex-ante- bzw. Ex-post-Kontrollsystems auch Gonzalez/Benitez, Optimal Pre-Merger Notification Mechanisms, S. 1 ff.; Holzwarth, Das Vollzugsverbot als Bestandteil eines effizienten Fusionskontrollverfahrens, S. 182 ff. 56 Als weiteres Argument führt Wils an, dass sich ein Ex-post-Kontrollsystem negativ auswirken könne, sofern die Entscheidungsträger bereit sind, übermäßige Risiken einzugehen. Insoweit ist wiederum zu berücksichtigen, dass Zusammenschlüsse einerseits äußerst profitabel sein können, andererseits enorme Sanktionsrisiken drohen. Sofern bei der Selbstveranlagung Rechtsunsicherheit besteht, ist zu befürchten, dass die Entscheidungsträger in den Unternehmen mit den verbleibenden Risiken nicht optimal umgehen. Diese Gefahr wird durch ein präventives Kontrollverfahren umgangen. Wils, E. L. Rev. 1999, 139, 152. 57 Wils, E. L. Rev. 1999, 139, 151. 58 Ab dem Erreichen bestimmter Umsatzschwellen, vgl. Art. 1 Abs. 2, Abs. 3 FKVO. 59 Siehe oben S. 143. 60 Wils, E. L. Rev. 1999, 139, 151. 61 Wils, E. L. Rev. 1999, 139, 147.

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

Feststellbarkeit von Verstößen gegen die Anmeldepflicht und das Vollzugsverbot jedoch deutlich einfacher als die Ex-post-Durchsetzung der komplexen materiellen Regeln der Zusammenschlusskontrolle.62 d) Anwendungsbereich Der Fusionskontrollverordnung lassen sich Angaben zum sachlichen, personellen und zeitlichen Anwendungsbereich des Vollzugsverbots entnehmen. aa) Sachlicher Anwendungsbereich Das Vollzugsverbot gilt für alle Zusammenschlüsse mit gemeinschaftsweiter Bedeutung im Sinne von Art. 1 und Art. 3 FKVO. Wird ein Zusammenschluss ohne gemeinschaftsweite Bedeutung nach Art. 22 Abs. 1 FKVO von einer mitgliedstaatlichen Kartellbehörde an die Kommission verwiesen, findet nach Art. 22 Abs. 4 S. 2 FKVO das Vollzugsverbot nur Anwendung, sofern der Zusammenschluss zu dem Zeitpunkt noch nicht vollzogen ist, zu dem die Kommission den Unternehmen mitteilt, dass ein Verweisungsantrag bei ihr eingegangen ist. Die Bedeutung dieser Regelung ist jedoch gering, da die überwiegende Zahl der Mitgliedstaaten ebenfalls über präventiv ausgestaltete Fusionskontrollsysteme verfügt, sodass das Zusammenschlussvorhaben auch vor der Mitteilung durch die Kommission dem Suspensiveffekt eines Vollzugsverbots unterliegt.63 Wird ein Zusammenschluss ohne gemeinschaftsweite Bedeutung nach Art. 4 Abs. 5 FKVO auf Antrag der beteiligten Unternehmen an die Kommission verwiesen, gilt das Vollzugsverbot ohne Einschränkung.64 Für Zusammenschlüsse, die nach Art. 4 Abs. 4 FKVO auf Antrag der beteiligten Unternehmen von der Kommission an eine nationale Kartellbehörde verwiesen werden, gilt das Vollzugsverbot, bis der Zusammenschluss vollständig dem jeweiligen Mitgliedstaat übertragen worden ist.65 bb) Personeller Anwendungsbereich Art. 7 FKVO statuiert nicht ausdrücklich, an wen sich das Vollzugsverbot richtet. Art. 14 Abs. 2 FKVO lässt sich jedoch entnehmen, gegen welche Unternehmen die Kommission ein Bußgeld verhängen kann, sofern ein Verstoß gegen das Vollzugs-

62 63 64 65

Wils, E. L. Rev. 1999, 139, 147. Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 5. Siehe hierzu ausführlich MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 14 ff. MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 19.

I. Das Vollzugsverbot im Kontext des Fusionskontrollverfahrens

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verbot vorliegt. Dies sind zum einen die beteiligten Unternehmen und zum anderen die natürlichen Personen, die in Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO genannt sind. Welche Unternehmen in den verschiedenen Zusammenschlusskonstellationen „beteiligte Unternehmen“ sind, erläutert die Kommission in ihrer Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen.66 Zwar beziehen sich die Erläuterungen ausdrücklich nur auf die Art. 1 und 5 FKVO, es ist aber kein Grund ersichtlich, aus dem der Begriff in Art. 14 Abs. 2 FKVO eine andere Bedeutung haben könnte.67 Bei einer Fusion sind demnach die fusionierenden Unternehmen die beteiligten Unternehmen.68 Im Falle eines Kontrollerwerbs sind die kontrollerwerbenden Unternehmen und die Zielunternehmen beteiligte Unternehmen, nicht aber der Veräußerer.69 Der Verweis auf die in Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO genannten Personen dient der Einbeziehung natürlicher Personen in den Adressatenkreis der Norm, sofern diese bereits mindestens ein Unternehmen kontrollieren. Auch unter die in Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO genannten Personen fällt der Veräußerer nicht.70 Aus dem Umstand, dass dem Veräußerer im Falle eines Verstoßes gegen das Vollzugsverbot kein Bußgeld auferlegt werden kann, da er kein „beteiligtes Unternehmen“ ist, folgert Wessely, dass der Veräußerer auch nicht Adressat von Art. 7 FKVO ist.71 Maass nimmt hingegen an, dass das Vollzugsverbot auch für den Veräußerer gilt. Auch wenn er kein beteiligtes Unternehmen sei, dürfe er sich nicht an einem Verstoß des Erwerbers beteiligen oder einen solchen unterstützen. Im deutschen Recht bringe dies § 41 Abs. 1 S. 1 GWB zum Ausdruck.72 Dem ist im Ergebnis zuzustimmen. Der Veräußerer kann durch seine Handlungen Verstöße gegen das Vollzugsverbot unterstützen oder sogar erst ermöglichen, sodass es der effektiven Wirksamkeit der präventiven Fusionskontrolle zuwiderliefe, ihn vom Anwendungsbereich des Art. 7 Abs. 1 FKVO auszunehmen. Zwar kann der Veräußerer eindeutig nicht Adressat einer Bußgeldentscheidung werden. Andere Rechtsfolgen können ihn jedoch betreffen, beispielsweise einstweilige Maßnahmen nach Art. 8 Abs. 5 FKVO, die schwebende Unwirksamkeit von Rechtsgeschäften nach Art. 7 Abs. 4 FKVO oder die Anordnung der Rückgängigmachung des Zusammenschlusses nach Art. 8 Abs. 4 FKVO. Auch der Veräußerer ist daher an das Vollzugsverbot gebunden. 66 Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, ABl. EU Nr. C 43/10, Ziff. 129 ff. 67 MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 28. Zudem deutet die englische Sprachfassung von Art. 14 Abs. 2 FKVO darauf hin, dass der Begriff der „beteiligten Unternehmen“ dem in Art. 5 FKVO entsprechen soll: „[…] of the undertaking concerned within the meaning of Article 5“. 68 Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 132. 69 Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 133 ff. 70 MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 28. 71 MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 29. 72 Langen/Bunte-Maass, Art. 7 FKVO, Rdnr. 5.

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

cc) Zeitlicher Anwendungsbereich Das Vollzugsverbot ist ab Vorliegen eines Zusammenschlussvorhabens anwendbar.73 Es gilt, bis der Zusammenschluss aufgrund einer Entscheidung nach Art. 6 Abs. 1 lit. b FKVO, Art. 8 Abs. 1, Abs. 2 FKVO oder der Fiktion des Art. 10 Abs. 6 FKVO für vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklärt worden ist.74 e) Freistellung vom Vollzugsverbot nach Art. 7 Abs. 3 FKVO Gemäß Art. 7 Abs. 3 FKVO kann die Kommission auf Antrag eines vom Verbot betroffenen Unternehmens eine Freistellung vom Vollzugsverbot erteilen.75 Nach der ursprünglichen Fassung der Vorschrift kam eine Freistellung nur in Betracht, um einen schweren Schaden von den an dem Vorhaben beteiligten Unternehmen abzuwenden.76 Mit der Revision der Verordnung im Jahr 1998 wurden die Voraussetzungen jedoch gelockert, sodass die Kommission nun im Rahmen einer pflichtgemäßen Ermessensausübung die Auswirkungen des Aufschubs des Vollzugs auf die beteiligten Unternehmen und die Gefährdung des Wettbewerbs durch den Zusammenschluss gegeneinander abwägt.77 Gründe für die Erteilung einer Befreiung vom Vollzugsverbot waren in der Vergangenheit beispielsweise finanzielle Schwierigkeiten der Unternehmen,78 ernsthafte finanzielle Risiken,79 schwere steuerliche Nachteile bei einer Verzögerung des Vollzugs80 oder der drohende Ausschluss der Unternehmen von einer Auktion und bedeutender Schaden für die Aktionäre.81 Ein Antrag auf Freistellung vom Vollzugsverbot wird in aller Regel nur dann positiv beschieden, wenn die Kommission von einer späteren Freigabe des Zusammenschlusses ausgeht.82 Allerdings sind Freistellungen mitunter schon in Fällen erteilt worden, in denen die Kommission aufgrund wettbewerblicher Bedenken das

73

Vgl. hierzu Erwägungsgrund 34 FKVO. Vgl. MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 31. 74 Vgl. MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 33. 75 Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 38. 76 Art. 7 Abs. 4 FKVO 4064/89. Vgl. Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 29. 77 Siehe oben S. 141 f. Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 31; Navarro/ Font/Folguera/Briones, Merger Control in the EU, Rdnr. 13.17; Rosenthal/Thomas, European Merger Control, Abschnitt E, Rdnr. 60 ff. 78 Komm., 20. 08. 1991, IV/M.116, Ziff. 7 – Kelt/American Express; Komm., 26. 05. 2003, COMP/M.3156, Ziff. 7 – EADS/Astrium(II). Siehe Kommission, XXII. Wettbewerbsbericht 1992, S. 160. Vgl. Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 36. 79 Komm., 18. 12. 2002, COMP/M.3007 – E.ON/TXV Europe. 80 Komm., 30. 04. 2003, COMP/M.2903 – Daimler/Deutsche Telekom/JV. 81 Komm., 17. 05. 1999, IV/M.1397 – Sanofi/Synthélabo. 82 Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 32.

I. Das Vollzugsverbot im Kontext des Fusionskontrollverfahrens

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Hauptprüfverfahren eingeleitet hat.83 Befreiungsentscheidungen können von der Kommission mit Bedingungen und Auflagen verbunden werden.84 Die Befreiung vom Vollzugsverbot kann bereits vor der Anmeldung beantragt werden.85 Die Kommission hat seit dem Inkrafttreten der Fusionskontrollverordnung im September 1990 bis August 2014 lediglich in 113 Fällen Freistellungen vom Vollzugsverbot erteilt.86 Berücksichtigt man, dass im genannten Zeitraum über 5.000 Zusammenschlüsse bei der Kommission notifiziert worden sind, wird der Ausnahmecharakter einer Freistellung vom Vollzugsverbot deutlich. f) Ausnahmetatbestand des Art. 7 Abs. 2 FKVO Art. 7 Abs. 2 FKVO sieht eine Ausnahme vom Vollzugsverbot für Fälle vor, in denen der Erwerber von mehreren Veräußerern mittels eines öffentlichen Übernahmeangebots oder einer Reihe von Wertpapiergeschäften, insbesondere über die Börse, die Kontrolle über das Zielunternehmen erwirbt. Müsste ein Erwerber in solchen Fällen sein Vorhaben vor dem Vollzug anmelden und die Kommissionsentscheidung abwarten, wäre aufgrund der damit verbundenen Publizität eine für den Erwerber nachteilige Veränderung des Börsenkurses zu erwarten. Hierdurch würde das Vorhaben in der Regel erheblich erschwert oder sogar vollständig vereitelt werden. Aus diesem Grund sieht Art. 7 Abs. 2 FKVO eine Privilegierung solcher Zusammenschlussvorhaben unter dem Vollzugsverbot vor.87 So stellt ein Kontrollerwerb in den Fällen des Art. 7 Abs. 2 FKVO keinen Verstoß gegen das Vollzugsverbot dar, sofern der Zusammenschluss unverzüglich bei der Kommission angemeldet wird und der Erwerber die mit den Anteilen verbundenen Stimmrechte nicht ausübt. Die Verwirklichung des Zwecks des Vollzugsverbots wird durch den Ausnahmetatbestand des Art. 7 Abs. 2 FKVO nicht tangiert: Zum einen wird durch die Suspendierung der Stimmrechte sichergestellt, dass sich der Kontrollerwerb nicht negativ auf den Wettbewerb auswirken kann. Zum anderen sind in den erfassten Fällen keine größeren Probleme bei der Entflechtung zu erwarten, da diese unkompliziert über den Verkauf von Anteilen über die Börse abgewickelt werden kann.

83

Komm., 16. 01. 1996, M.623 – Kimberly Clark/Scott Paper; Komm., 15. 10. 1999, M.1696 – Onex/Air Canada/Canadian Airlines; Komm., 08. 01. 2001, COMP/M.2521 – SBM/ Moulinex. 84 Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 31. 85 Komm., 11. 04. 1995, IV/M.573 – ING/Barings; Loewenheim/Meessen/RiesenkampffAblasser-Neuhuber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 10. 86 Fallstatistik Zusammenschlusskontrolle der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission, 21. 09. 1990 – 31. 08. 2014, abrufbar unter http://ec.europa.eu/competition/ mergers/statistics.pdf. 87 Zeise, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Rdnr. 1830.

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

g) Rechtsfolgen eines Verstoßes Die Fusionskontrollverordnung sieht verschiedene Rechtsfolgen für Verstöße gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO vor. aa) Bußgelder Verstöße gegen das Vollzugsverbot können gemäß Art. 14 Abs. 2 lit. b FKVO von der Kommission mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu 10 Prozent des Gesamtumsatzes des betroffenen Unternehmens belegt werden.88 Bei dem Vollzug von Unternehmenszusammenschlüssen vor der Freigabe durch die Kommission handelt es sich um einen schwerwiegenden Verstoß gegen das europäische Wettbewerbsrecht, durch den es unmittelbar zu einer Veränderung der Marktstruktur und einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs kommen kann.89 Aus diesem Grund muss bei einem Verstoß gegen das Vollzugsverbot mit der Verhängung einer empfindlichen Geldbuße durch die Kommission gerechnet werden. Auch wenn die Kommission den maximalen Bußgeldrahmen des Art. 14 Abs. 2 lit. b FKVO seit dem Inkrafftreten der Fusionskontrollverordnung in keinem Fall auch nur annähernd ausgeschöpft hat, verdeutlicht insbesondere das Bußgeld in Höhe von 20 Millionen EUR gegen Electrabel,90 dass die Kommission gewillt ist, Verstöße gegen das Vollzugsverbot hart zu bestrafen. Bei der Bemessung der Bußgeldhöhe ist die Kommission nicht an die Leitlinien fu¨ r das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen91 gebunden, da sich deren Anwendungsbereich nur auf die Sanktionierung von Verstößen gegen die Art. 101 und 102 AEUV nach Art. 23 Abs. 2 lit. a) VO 1/2003 erstreckt.92 Für die Verhängung von Bußgeldern auf Grundlage der Fusionskontrollverordnung bestimmt jedoch Art. 14 Abs. 3 FKVO, dass bei der Bemessung ihrer Höhe die Art, Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen sind.93 Die Kommission darf dabei in die Bußgeldbemessung auch einfließen lassen, dass von der Sanktion eine Abschreckungswirkung für andere Unternehmen ausgehen soll.94 88

Vgl. hierzu Dittert, WuW 2004, 148, 156 f. Vgl. EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 201 – Electrabel/Kommission. 90 Komm., 10. 06. 2009, COMP/M.4994 – Electrabel/Compagnie Nationale du Rhône. Bestätigt durch EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 304 – Electrabel/Kommission. Vgl. hierzu auch Bischke/Brack, NZG 2009, 902. 91 Kommission, Leitlinien fu¨ r das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003, ABl. EU 2006 Nr. C 210/2. 92 EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 227 – Electrabel/ Kommission. 93 Zur Bußgeldbemessung eingehend EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 217 ff. – Electrabel/Kommission. 94 EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 224, 282, 295 – Electrabel/Kommission. 89

I. Das Vollzugsverbot im Kontext des Fusionskontrollverfahrens

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Wie das EuG in seinem Electrabel-Urteil klarstellt, darf die Kommission auch dann von einem schwerwiegenden Verstoß ausgehen und ein empfindliches Bußgeld verhängen, wenn der Zusammenschluss letztlich freigegeben wird und somit nicht angenommen werden kann, dass es durch den vorschnellen Vollzug zu einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs gekommen ist. Zwar bestehe das Ziel des Fusionskontrollregimes im Schutz des Wettbewerbs. Zur Erreichung dieses Ziels sei es jedoch von grundlegender Bedeutung, die Wirksamkeit des präventiven Fusionskontrollsystems zu schützen. Zu welchem Ergebnis die Ex-post-Prüfung eines Zusammenschlussvorhabens kommt, könne kein entscheidender Gesichtspunkt bei der Beurteilung der Frage sein, ob ein Verstoß gegen das Ex-ante-Kontrollsystem vorliegt.95 bb) Zivilrechtliche Unwirksamkeit Gemäß Art. 7 Abs. 4 FKVO sind Geschäfte, die unter Missachtung des Vollzugsverbots abgeschlossen werden, schwebend unwirksam. Sofern nachträglich eine Genehmigung des Vorhabens erfolgt, werden sie rückwirkend (ex tunc) wirksam. Im Falle der Untersagung des Zusammenschlusses sind sie als von Anfang an unwirksam zu betrachten.96 cc) Einstweilige Maßnahmen Gemäß Art. 8 Abs. 5 lit. a FKVO kann die Kommission im Falle eines Verstoßes gegen das Vollzugsverbot noch vor Erlass der Untersagungsentscheidung einstweilige Maßnahmen anordnen, um einen wirksamen Wettbewerb wiederherzustellen oder aufrechtzuerhalten.97 dd) Entflechtung Sofern ein Zusammenschluss unter Verletzung des Vollzugsverbots vollzogen wurde und dessen Unvereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt durch eine Untersagungsentscheidung festgestellt wurde, kann die Kommission gemäß Art. 8 Abs. 4 FKVO dessen Entflechtung anordnen.98

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EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 242 – 246 – Electrabel/Kommission. 96 Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 47; MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 104. 97 Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 51 und Art. 8 FKVO, Rdnr. 210 ff. 98 Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 51 und Art. 8 FKVO, Rdnr. 196 ff.

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

h) Verjährung von Verstößen gegen das Vollzugsverbot Nach Ansicht der Kommission und der Rechtsprechung des EuG stellen Verstöße gegen das Vollzugsverbot nicht nur eine verfahrensrechtliche Verfehlung, sondern einen schwerwiegenden Verstoß gegen das europäische Wettbewerbsrecht dar.99 Aus diesem Grund unterfallen Verstöße gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO nicht lediglich der dreijährigen Verjährungsfrist des Art. 1 Abs. 1 lit. a) VO 2988/74 für Verfahrensverstöße, sondern der fünfjährigen Verjährungsfrist des Art. 1 Abs. 1 lit. b) VO 2988/ 74 für alle sonstigen Verstöße.100 Die Verjährung beginnt gemäß Art. 1 Abs. 2 S. 2 VO 2988/74 ab dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem die Zuwiderhandlung gegen das Vollzugsverbot beendet ist. In Electrabel stellt das EuG klar, dass die Zuwiderhandlung erst zu dem Zeitpunkt beendet ist, zu dem der rechtswidrige Kontrollzustand aufgehoben wird, indem entweder der Zusammenschluss von der Kommission freigegeben oder die Kontrolle aufgegeben wird.101 Die Verjährungsfrist beginnt somit nicht bereits ab dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem die Kontrolle unter Verstoß gegen das Vollzugsverbot erlangt wird.102 3. Das Fusionskontrollverfahren im Spannungsfeld von effektivem Wettbewerbsschutz und der Vermeidung unnötiger Belastungen Die Fusionskontrollverordnung wurde von der Legislative als präventives Kontrollsystem mit Anmeldepflicht und Vollzugsverbot ausgestaltet, um einen möglichst wirksamen Schutz des Wettbewerbs vor problematischen Marktstrukturveränderungen zu gewährleisten.103 Insoweit konnte sich die Bundesrepublik Deutschland im Entstehungsprozess der FKVO 4064/89 gegen den Widerstand derjenigen Staaten durchsetzen, die für ein Ex-post-Kontrollsystem eintraten.104 Der Preis der präven99

Siehe oben S. 145 f. Komm., 10. 06. 2009, COMP/M.4994, Ziff. 182 – Electrabel/Compagnie Nationale du Rhône. EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 206 – Electrabel/ Kommission. 101 EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 212 – Electrabel/ Kommission. 102 Einen anderen Eindruck erweckt auf den ersten Blick die Bußgeldentscheidung der Kommission gegen Electrabel, da in dieser ausführlich die Anwendbarkeit der längeren fünfjährigen Verjährungsfrist thematisiert wird, obwohl es hierauf in dem konkreten Fall gar nicht ankam, da auch nach der dreijährigen Verjährungsfrist keine Verjährung vorgelegen hätte, sofern man von einem Verjährungsbeginn ab dem Zeitpunkt der Beendigung der rechtswidrigen Kontrollerlangung ausgeht. Vgl. Komm., 10. 06. 2009, COMP/M.4994, Ziff. 178 ff. – Electrabel/Compagnie Nationale du Rhône. 103 Vgl. EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 232, 235, 242, 245 f. – Electrabel/Kommission. 104 MünchKommEuWettbR-Koch, Einl. A FKVO, Rdnr. 92. Siehe oben S. 141 f. 100

I. Das Vollzugsverbot im Kontext des Fusionskontrollverfahrens

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tiven Ausgestaltung ist allerdings, dass nicht nur Zusammenschlüsse unterbunden werden, die den Wettbewerb beeinträchtigen würden, sondern auch vollkommen unbedenkliche Vorhaben behindert werden. In der legislativen Interessenabwägung sind jedoch augenscheinlich die Nachteile eines Ex-post-Kontrollsystems als gravierender bewertet worden als die Beeinträchtigung von unbedenklichen Zusammenschlussvorhaben durch ein Ex-ante-Kontrollsystem. Nach der gesetzgeberischen Wertung ist es demnach das oberste Ziel des Fusionskontrollverfahrens, einen möglichst effektiven Wettbewerbsschutz zu gewährleisten, indem die volle Wirksamkeit von Untersagungsentscheidungen geschützt und hierdurch der Eintritt endgültiger Marktstrukturveränderungen verhindert wird.105 Es ist hinzunehmen, dass es bei der weit überwiegenden Zahl der unbedenklichen Zusammenschlussvorhaben – in der Fusionskontrollpraxis der Kommission geben über 97,5 Prozent der angemeldeten Zusammenschlüsse keinen Anlass zu Bedenken106 – durch das Vollzugsverbot zu erheblichen Behinderungen kommt.107 Hierin liegen zwar ein nicht unerheblicher Eingriff in das durch Art. 17 EU-Grundrechtecharta108 geschützte Recht zum Erwerb und zur Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen109 sowie eine erhebliche praktische Erschwerung der Durchführung von Zusammenschlussvorhaben.110 Dieser Eingriff ist jedoch noch nicht unverhältnismäßig, da er zum effektiven Schutz des Wettbewerbs vor bedenklichen Marktstrukturveränderungen durch Unternehmenszusammenschlüsse erforderlich ist.111 Die Behinderung von unbedenklichen Zusammenschlussvorhaben muss allerdings auf das Maß begrenzt bleiben, das zur Ermöglichung einer wirksamen Zusammenschlusskontrolle unbedingt erforderlich ist. Diesem Zweck dienen mehrere verfahrensrechtliche Vorkehrungen der Fusionskontrollverordnung (a)). In diesen Vorkehrungen kommt das Prinzip der Belastungsvermeidung zum Ausdruck, das bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften des Fusionskontrollver105 EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 246, vgl. auch Ziff. 232, 235, 242, 245 – Electrabel/Kommission. 106 Fallstatistik Zusammenschlusskontrolle der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission, 21. 09. 1990 – 31. 08. 2014, abrufbar unter http://ec.europa.eu/competiti on/mergers/statistics.pdf. Siehe hierzu oben S. 44. 107 Vgl. MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 5 ff. 108 Charta der Grundrechte der Europäischen Union („EU-Grundrechtecharta“), ABl. EU 2010 Nr. C 83/389. Die EU-Grundrechtecharta hat mittlerweile über Art. 6 EUV bindende Wirkung. Sie bindet die Organe der Europäischen Union, Art. 51 EU-Grundrechtecharta. 109 Im Anwendungsbereich des GWB sind Art. 14 GG und Art. 2 Abs. 1 GG einschlägig. Vgl. FK-Kuhn, § 41 GWB, Rdnr. 11, der auch Art. 9 GG anführt. 110 Zudem kommt eine Beeinträchtigung der durch Art. 16 EU-Grundrechtecharta geschützten unternehmerischen Freiheit in Betracht. Zum Ganzen Emmerich, Kartellrecht, § 18, Rdnr. 5. Vgl. auch MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 5. 111 Vgl. EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 246 – Electrabel/Kommission: „[…] an approach which is justified in so far as the implementation of a concentration affects the structure of the market and may render more difficult the decisions whereby the Commission seeks, where necessary, to restore effective competition.“

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

fahrens Beachtung finden muss (b)). Durch eine Reform der europäischen Zusammenschlusskontrolle ließe sich das Prinzip der Belastungsvermeidung noch weitreichender verwirklichen (c)). a) Vorkehrungen zur Vermeidung unnötiger Belastungen Die Fusionskontrollverordnung enthält mehrere verfahrensrechtliche Vorkehrungen, die gewährleisten sollen, dass unbedenkliche Zusammenschlussvorhaben nicht stärker als unbedingt erforderlich behindert werden.112 aa) Zwei Prüfphasen Die Unterteilung des Fusionskontrollverfahrens in zwei Prüfphasen dient dem Zweck, unbedenkliche Vorhaben möglichst schnell freizugeben. Einfach gelagerte Zusammenschlussvorhaben, die erkennbar keine bedenklichen Auswirkungen auf den Wettbewerb haben, müssen bereits nach der ersten Prüfphase freigegeben werden. Nur bei Zusammenschlüssen, die ernsthafte wettbewerbliche Bedenken aufwerfen, darf die zweite Prüfphase eröffnet werden. So wird die unnötige Behinderung von offensichtlich unbedenklichen Zusammenschlussvorhaben auf ein Mindestmaß begrenzt.113 bb) Knappe Entscheidungsfristen Die Fusionskontrollverordnung sieht knapp bemessene Entscheidungsfristen für die Beurteilung von Zusammenschlüssen durch die Kommission vor. So stehen für die Prüfung in Phase I lediglich 25 Arbeitstage114 und in Phase II nur 90 Arbeitstage115 zur Verfügung. Innerhalb dieses knappen Zeitrahmens muss die Kommission mitunter äußerst komplexe Sachverhalte ermitteln und diese ökonomisch sowie rechtlich bewerten. Angesichts dieser anspruchsvollen Aufgabe sind die knappen Fristen als ein erhebliches Zugeständnis an das Interesse der Zusammenschlussparteien an einer möglichst geringen Behinderung ihres Vorhabens zu bewerten. Die Wirksamkeit des strengen Fristenregimes wird durch die Genehmigungsfiktion des Art. 10 Abs. 6 FKVO gesichert.

112

Vgl. Kommission, Grünbuch 1996, Ziff. 28. Siehe zu den Prüfphasen oben S. 138 ff. 114 Art. 10 Abs. 1 FKVO. 115 Art. 10 Abs. 3 FKVO. Unter gewissen Umständen kann sich die Frist jedoch auf maximal 125 Arbeitstage verlängern, siehe oben S. 139. 113

I. Das Vollzugsverbot im Kontext des Fusionskontrollverfahrens

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cc) Beschleunigungsgrundsatz Zusätzlich zum strengen Fristenregime hat die Kommission den Beschleunigungsgrundsatz zu beachten, der in Art. 10 Abs. 2116 und Abs. 3 UnterAbs. 1 S. 1117 FKVO normative Anknüpfungspunkte findet.118 Aus dem Beschleunigungsgrundsatz folgt, dass die Kommission die ihr zur Verfügung stehenden Prüffristen nicht voll ausschöpfen darf, wenn ein Fall vorher entscheidungsreif ist.119 Der Beschleunigungsgrundsatz grenzt in Verbindung mit den knappen Entscheidungsfristen die Behinderungswirkung des Vollzugsverbots zeitlich ein.120 dd) Vereinfachtes Verfahren In Fällen, in denen erfahrungsgemäß keine wettbewerblichen Probleme zu erwarten sind, kann ein vereinfachtes Anmeldeverfahren durchgeführt werden. Hierdurch kann der mit der Anmeldung eines Zusammenschlusses verbundene Aufwand erheblich vermindert werden. Zudem bemüht sich die Kommission um die beschleunigte Bearbeitung von Zusammenschlüssen, die im vereinfachten Verfahren angemeldet werden.121 ee) Befreiung vom Vollzugsverbot Auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 3 FKVO können die an einem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen bei der Kommission eine Befreiung vom Vollzugsverbot beantragen.122 Sofern sich das präventive Fusionskontrollverfahren tatsächlich spürbar negativ auf die beteiligten Unternehmen auswirken würde, sieht die Fusionskontrollverordnung somit ein Abhilfeinstrument vor.123 ff) Praktische Wirksamkeit dieser Vorkehrungen Durch die aufgeführten verfahrensrechtlichen Instrumente wird die Behinderung von Zusammenschlussvorhaben erheblich eingeschränkt. Die praktische Wirksam116 Entscheidungen nach Art. 8 Abs. 1 oder 2 FKVO sind zu erlassen, „sobald“ offenkundig ist, dass ernsthafte Bedenken ausgeräumt sind. 117 Die Entscheidung muss in Phase II innerhalb einer Frist von „höchstens“ 90 Arbeitstagen nach der Einleitung des Verfahrens erlassen werden. 118 Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Ablasser-Neuhuber, Art. 10 FKVO, Rdnr. 1; MünchKommEuWettbR-Koch, Einl. A FKVO, Rdnr. 102 ff.; MünchKommEuWettbR-Ohlhoff, Art. 10 FKVO, Rdnr. 6. 119 MünchKommEuWettbR-Ohlhoff, Art. 10 FKVO, Rdnr. 9. 120 Vgl. Emmerich, Kartellrecht, § 18, Rdnr. 5. 121 Siehe oben S. 140. 122 Siehe oben S. 150 f. 123 MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 5 f.

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

keit dieser Vorkehrungen wird an der Fallstatistik der Kommission deutlich.124 Über 90 Prozent der im Zeitraum von September 1990 bis Juli 2013 notifizierten Zusammenschlüsse wurden in Phase I freigegeben. Bei weniger als 4 Prozent der Zusammenschlüsse wurde die Phase II eröffnet.125 Von den Zusammenschlüssen, für welche die Phase II eröffnet wurde, wurden nur rund 25 Prozent vorbehaltlos freigegeben. Bei der überwiegenden Zahl der in Phase II geprüften Zusammenschlüsse bestanden somit tatsächlich wettbewerbliche Bedenken, sodass eine Untersagung erfolgte oder eine Freigabe nur unter Auflagen erteilt wurde. Die Selektion von bedenklichen und unbedenklichen Zusammenschlussvorhaben im gestaffelten Prüfverfahren erfolgt somit relativ treffsicher. Von der langen Prüffrist der Phase II sind wettbewerblich unbedenkliche Zusammenschlüsse daher nur selten betroffen. Aus der Fallstatistik geht zudem hervor, dass die Kommission seit der Einführung des vereinfachten Verfahrens im Jahr 2000 in der Mehrzahl der angemeldeten Zusammenschlüsse das vereinfachte Anmeldeverfahren angewandt hat.126 Befreiungen vom Vollzugsverbot wurden allerdings nur für etwa 2 Prozent der notifizierten Zusammenschlüsse erteilt. Art. 7 Abs. 3 FKVO kommt in der Kommissionspraxis somit eine untergeordnete Bedeutung zu. gg) Beurteilung Durch verfahrensrechtliche Vorkehrungen wird die Behinderung von unbedenklichen Zusammenschlussvorhaben durch das präventive Fusionskontrollverfahren auf das notwendige Mindestmaß begrenzt. Der Gesetzgeber hat mit diesen Vorkehrungen das Ziel verfolgt, einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen dem Erfordernis eines wirksamen Wettbewerbsschutzes und den Interessen der Zusammenschlussparteien herzustellen.127 Allerdings können auch die verfahrensrechtlichen Vorkehrungen nicht verhindern, dass durch die präventive Ausgestaltung des Fusionskontrollverfahrens unbedenkliche Zusammenschlussvorhaben erheblich behindert werden. So darf nicht übersehen werden, dass der Suspensiveffekt des Vollzugsverbots bereits einsetzt, bevor die Fristen der Fusionskontrollverordnung zu 124

Fallstatistik Zusammenschlusskontrolle der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission, 21. 09. 1990 – 31. 08. 2014, abrufbar unter http://ec.europa.eu/competiti on/mergers/statistics.pdf. 125 Neben die in den Phasen I und II geprüften Zusammenschlüsse treten Verfahrenseinstellungen und Verweisungsentscheidungen. Diese erklären die Differenz zwischen der Summe der Entscheidungen einerseits und der Gesamtzahl der notifizierten Zusammenschlüsse andererseits. 126 Insgesamt wurde das vereinfachte Verfahren zwar in weniger als der Hälfte der notifizierten Fälle angewandt, dies liegt jedoch daran, dass das vereinfachte Verfahren erst seit dem Jahr 2000 Anwendung findet. 127 Zu bedenken ist zudem, dass die Fusionskontrollverordnung durch das sog. „one-stopshop“-Prinzip, das heißt die ausschließliche Kommissionszuständigkeit bei Zusammenschlüssen mit gemeinschaftsweiter Bedeutung, erhebliche Vorteile für Zusammenschlussparteien mit sich bringt, da aufwendige Mehrfachanmeldungen überflüssig werden.

I. Das Vollzugsverbot im Kontext des Fusionskontrollverfahrens

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laufen beginnen. Bedenkt man, dass die Erstellung der Anmeldung auch in wettbewerblich unproblematischen Fällen mitunter mehrere Wochen beanspruchen kann und für die Durchführung des Pränotifikationsverfahrens mindestens zwei Wochen eingeplant werden müssen, wird deutlich, dass selbst evident unbedenkliche Zusammenschlüsse weit über die 25-Arbeitstage-Frist der Phase I hinaus verzögert werden können.128 b) Das Prinzip der Belastungsvermeidung Das Fusionskontrollverfahren steht ganz eindeutig unter dem Primat des Wettbewerbsschutzes. An verschiedenen Charakteristika der Fusionskontrollverordnung werden jedoch die legislativen Bemühungen deutlich, die wirtschaftlichen Interessen der Zusammenschlussparteien so wenig wie möglich zu beeinträchtigen. Diese Bestrebungen lassen sich als „Prinzip der Belastungsvermeidung“ zusammenfassen: Die Beeinträchtigung von unbedenklichen Zusammenschlussvorhaben soll so weit wie möglich unterbleiben, sofern hierdurch die Wirksamkeit der Zusammenschlusskontrolle nicht gefährdet wird. Das Prinzip der Belastungsvermeidung ist Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der Grundrechtsbindung der Organe der Gemeinschaft. Es findet in den Erwägungsgründen 6129 und 36 FKVO130 Anknüpfungspunkte und muss bei Ermessensentscheidungen der Kommission131 und der Auslegung der Fusionskontrollverordnung132 Beachtung finden. c) Reformmöglichkeiten Das Prinzip der Belastungsvermeidung ließe sich durch eine Reform des Fusionskontrollverfahrens weitreichender verwirklichen. Beispiele hierfür sind ein gescheiterter Reformvorschlag der Kommission zum Vollzugsverbot (aa)) sowie das laufende Konsultationsverfahren der Kommission zur Vereinfachung des Anmeldeverfahrens (bb)). aa) Reformvorschlag zur Beschränkung des Anwendungsbereichs des Vollzugsverbots Im Vorfeld der Revision der Fusionskontrollverordnung im Jahr 2004 hat die Kommission einen Vorschlag zur Einschränkung des Anwendungsbereichs des Vollzugsverbots unterbreitet. In ihrem Entwurf für eine neue Fusionskontrollver128

Kritisch zum Pränotifikationsverfahren auch Bauer, WuW 2013, 567. Im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. 130 Im Hinblick auf die Grundrechtsbindung. 131 Z. B. bei Entscheidungen über die Erteilung einer Befreiung vom Vollzugsverbot gem. Art. 7 Abs. 3 FKVO. 132 Insbesondere auch bei der Bestimmung der Reichweite von Art. 7 Abs. 1 FKVO. 129

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

ordnung aus dem Jahr 2002 sah sie eine automatische Ausnahme vom Vollzugsverbot für Zusammenschlüsse vor, die der Erfahrung nach keine wettbewerblichen Bedenken hervorrufen. Grund für diesen Vorschlag war, dass die Kommission festgestellt hatte, dass das Vollzugsverbot bei dieser Art von Zusammenschlüssen nicht erforderlich sei, um die Wirksamkeit der Fusionskontrolle zu gewährleisten, und zudem anerkannte, dass bei einigen Zusammenschlüssen ein erhöhter Zeitdruck besteht.133 Zur Umsetzung der Ausnahme vom Vollzugsverbot schlug die Kommission vor, sie im neu zu schaffenden Art. 7 Abs. 4 FKVO zu ermächtigen, für bestimmte Arten von Zusammenschlüssen, die im Allgemeinen nicht zu einer wettbewerbsrechtlich bedenklichen Kombination von Marktpositionen führen, das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO aufzuheben. Der neue Absatz 4 sollte wie folgt lauten: „Die Kommission kann im Wege einer Verordnung Gruppen von Zusammenschlüssen definieren, für die eine Freistellung im Sinne von Absatz 3 von den in den Absätzen 1 und 2 bezeichneten Pflichten als erteilt gilt, sofern diese Zusammenschlüsse angemeldet worden sind und sie die anderen in einer solchen Verordnung genannten Voraussetzungen erfüllen. Mit diesen Gruppen können nur Zusammenschlüsse erfasst werden, die im Allgemeinen nicht zu einer wettbewerbsrechtlich bedenklichen Kombination von Marktpositionen führen.“134

Dabei sollte die Gruppe der durch die Verordnung vom Vollzugsverbot ausgenommenen Zusammenschlüsse weitestgehend derjenigen gleichen, auf die das vereinfachte Verfahren anwendbar ist.135 Der Vorschlag der Kommission zur Schaffung einer Gruppenfreistellung vom Vollzugsverbot konnte sich aufgrund des Widerstands einiger Mitgliedstaaten jedoch nicht durchsetzen.136 bb) Vereinfachung des Anmeldeverfahrens Eine weitere Möglichkeit zur umfassenderen Verwirklichung des Prinzips der Belastungsvermeidung ist eine Vereinfachung des Anmeldeverfahrens. Die Kommission hat hierzu im März 2013 einen Reformvorschlag unterbreitet und ein Konsultationsverfahren eingeleitet.137 Unter anderem schlägt die Kommission eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des vereinfachten Verfahrens vor. Zudem sollen sowohl beim vereinfachten als auch beim normalen Anmeldeverfahren we133

Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. EG 2003 Nr. C 20/4, 13, Ziff. 67. Siehe auch Erwägungsgrund 28 der vorgeschlagenen Verordnung, ABl. EG 2003 Nr. C 20/4, 24. 134 Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. EG 2003 Nr. C 20/4, 36. 135 Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. EG 2003 Nr. C 20/4, 13, Ziff. 68. 136 Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 32. 137 Für weitere Informationen zum Konsultationsverfahren siehe http://ec.europa.eu/compe tition/consultations/2013_merger_regulation/index_en.html.

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

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niger Angaben verlangt werden. Der Vorschlag zielt darauf ab, den Aufwand für Unternehmen zu senken und Einsparungen bei den Anwaltskosten zu ermöglichen. Die Kommission bezeichnet ihre Initiative ausdrücklich als Bestandteil ihrer umfassenden Bemühungen, den Verwaltungsaufwand der Unternehmen zu reduzieren und dadurch das Wachstum anzukurbeln sowie die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu steigern.138 cc) Zwischenergebnis Die Reformvorschläge verdeutlichen, dass die Kommission erkannt hat, dass vom präventiven Fusionskontrollverfahren für die Parteien eines Zusammenschlussvorhabens erhebliche Belastungen ausgehen. Die Reformbestrebungen sind begrüßenswert. Angesichts des Umstands, dass die weit überwiegende Zahl der angemeldeten Zusammenschlüsse wettbewerblich unbedenklich ist (im Zeitraum von September 1990 bis Juli 2013 gaben weniger als 2,5 Prozent Anlass zu Bedenken), wäre es wünschenswert, dass der Vorschlag der Kommission zur Eingrenzung des Anwendungsbereichs des Vollzugsverbots wieder aufgegriffen werden würde.

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots Die vorausgehende Untersuchung des präventiven Fusionskontrollverfahrens hat gezeigt, dass ein Spannungsverhältnis zwischen dem effektiven Schutz des Wettbewerbs und der Vermeidung unnötiger Behinderungen von Zusammenschlussvorhaben besteht. Dieses Spannungsverhältnis wird auch bei der Bestimmung der Reichweite des Vollzugsverbots akut. Denn je weiter das Vollzugsverbot ausgelegt wird und umso mehr Verhaltensweisen in seinen Anwendungsbereich einbezogen werden, die dem eigentlichen Closing vorgelagert sind, desto stärker schränkt das Vollzugsverbot die Zusammenschlussparteien bei der Durchführung ihres Vorhabens ein. Dabei ist bislang jedoch weitgehend ungeklärt, welche Reichweite das Vollzugsverbot hat. Im Ausgangspunkt steht lediglich fest, dass Art. 7 Abs. 1 FKVO dem formalen Vollzug einer Transaktion, dem sog. Closing, entgegensteht, bis die Kommission ihre Freigabe erteilt hat. Um eine wirksame präventive Zusammenschlusskontrolle zu gewährleisten, muss das Vollzugsverbot darüber hinaus Verhaltensweisen erfassen, die zwar dem formalen Vollzug vorgelagert sind, die tatsächlichen Wirkungen eines Zusammenschlusses jedoch vorwegnehmen. Nicht erforderlich ist es hingegen, bloße Vorbereitungshandlungen ohne Wettbewerbsrelevanz zu untersagen. Wo genau jedoch die Grenze zwischen zulässigen Vorbereitungshandlungen und einer unzulässigen faktischen Vorwegnahme eines Zusam-

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Kommission, Pressemitteilung vom 27. 03. 2013, IP/13/288.

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

menschlusses zu ziehen ist, ist bislang nicht abschließend geklärt worden und soll im Rahmen des folgenden Abschnitts herausgearbeitet werden. Von grundsätzlicher Bedeutung ist dabei vor allem die Frage, ob Art. 7 Abs. 1 FKVO lediglich Verhaltensweisen erfasst, durch die der Zusammenschlusstatbestand des Art. 3 Abs. 1 FKVO verwirklicht wird, oder ob auch Maßnahmen unterhalb dieser Schwelle dem Vollzugsverbot unterfallen. Es geht dabei letztlich um die Frage, ob von einem verbotswidrigen Vollzug nur dann ausgegangen werden kann, wenn als Ergebnis der fraglichen Handlungen ein Zusammenschluss im Sinne der Fusionskontrollverordnung verwirklicht wurde. Um die Reichweite des Vollzugsverbots zu bestimmen, erfolgt zunächst eine Untersuchung der Entscheidungspraxis der Kommission und des EuG (1.). Ausführlich wird auf den Fall Aer Lingus eingegangen, der von besonderer Bedeutung für die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 FKVO ist (2.). Sodann werden die Stellungnahmen zur Reichweite des Vollzugsverbots in der Literatur ausgewertet (3.). Auf Grundlage der dadurch gewonnenen Erkenntnisse wird schließlich durch Auslegung von Art. 7 Abs. 1 FKVO die Reichweite des Vollzugsverbots bestimmt (4.). 1. Die Entscheidungspraxis der Kommission Nachfolgend wird die Fallpraxis der Kommission und des EuG mit Bezug zum Vollzugsverbot daraufhin untersucht, ob sie Rückschlüsse darauf zulässt, welche Reichweite Art. 7 Abs. 1 FKVO zukommt. Zunächst erfolgt eine Betrachtung der Fälle, in denen sich die Kommission unmittelbar mit Gun-Jumping-Verstößen auseinandergesetzt hat (a)). Anschließend werden Entscheidungen zu klassischen Verstößen gegen das Vollzugsverbot (b)), Entflechtungsentscheidungen (c)) und Befreiungsentscheidungen (d)) ausgewertet. a) Gun-Jumping-Fälle Soweit ersichtlich ist die Kommission bislang in drei Fällen aufgrund des Verdachts eines unzulässigen Gun-Jumpings tätig geworden. aa) Bertelsmann/Kirch/Premiere Der bislang einzige Fall, in dem die Kommission tatsächlich einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO aufgrund eines Gun-Jumpings angenommen hat, ist der Fall Bertelsmann/Kirch/Premiere.139 Bertelsmann und Kirch beabsichtigten, Premiere als 139

Siehe hierzu: Kommission, Pressemitteilung vom 05. 11. 1997, IP/97/953; Kommission, Pressemitteilung vom 01. 12. 1997, IP/97/1062; Kommission, Pressemitteilung vom 15. 12. 1997, IP/97/1119. Vgl. auch Gottschalk, RIW 2005, 905, 910; Holzwarth, Das Vollzugsverbot als Bestandteil eines effizienten Fusionskontrollverfahrens, S. 90 f.; Linsmeier/Balssen, BB 2008, 741, 744; Mielke/Welling, BB 2007, 277, 278 f.; Modrall/Ciullo, ECLR 2003, 424, 425 f.;

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

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Gemeinschaftsunternehmen zu einer gemeinsamen digitalen TV-Plattform auszubauen.140 Das Zusammenschlussvorhaben fiel unter die Fusionskontrollverordnung und wurde letztendlich von der Kommission untersagt.141 (1) Das Vorgehen der Kommission Der von der Kommission angenommene Verstoß gegen das Vollzugsverbot bezog sich auf die vorzeitige Verwendung der d-box-Decodertechnologie durch Premiere. Diese Technologie wurde vor dem Zusammenschlussvorhaben bereits von Kirchs Pay-TV-Sender DF1 genutzt. Im Zuge des Zusammenschlusses sowie in Absprache mit ARD und Deutscher Telekom sollte die d-box-Technologie zum Standard für digitale Fernsehübertragung in Deutschland werden. Premiere begann, diesen neuen Standard bereits vor der Anmeldung des Zusammenschlusses bei der Kommission zu verwenden.142 So wurde Premiere Digital auf Grundlage der d-box-Technologie in das Kabelnetz eingespeist. Zudem wurden Premiere-Digital-Abonnements für den Kabel- und Satellitenbereich zusammen mit der d-box vertrieben.143 Die Kommission wertete dies als Verstoß gegen das Vollzugsverbot und drohte mit einem Bußgeld. Die Verwendung und Vermarktung der d-box von Kirch durch Premiere sei ein verbotener Teilvollzug des geplanten Zusammenschlusses.144 Wettbewerbskommissar van Miert wies zwar darauf hin, dass die Festlegung auf einen Decoder an sich kein Wettbewerbsproblem sei. Die Kommission müsse jedoch prüfen, ob ein offener und diskriminierungsfreier Zugang von anderen Marktteilnehmern zu der Decodertechnologie gewährleistet sei. Die teilweise Vorwegnahme eines kontrollpflichtigen Zusammenschlusses, der die Wettbewerbsbedingungen entscheidend gestalten würde, könne nicht akzeptiert werden.145 Die Verwendung und Vermarktung der d-box durch Premiere stand nach Ansicht der Kommission in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem Zusammenschlussvorhaben. So ergab sich aus den Unterlagen, die der Kommission vorlagen, dass die Entscheidung von Premiere für die d-box ein unmittelbares Ergebnis der Einigung von Bertelsmann und Kirch auf die Zusammenlegung ihrer digitalen Aktivitäten war. Zudem sei die Schaffung einer Decoder-Infrastruktur auf der Grundlage der d-box eine der wesentlichen wettbewerblichen Auswirkungen des Vorhabens. Die vorzeitige Verwendung der d-box durch Premiere drohte nach Ansicht der Kommission in dieser Hinsicht in ganz erheblichem Maße, vollendete Tatsachen zu schaffen: Würde die Vermarktung der d-box durch Premiere während Reinert, Gun Jumping und Zusammenschlusskontrolle, in: Vogt/Stupp/Dubs, FS Watter, S. 372 f.; Zeise, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Rdnr. 1839. 140 Kommission, Pressemitteilung vom 15. 12. 1997, IP/97/1119. 141 Komm., 27. 05. 1998, IV/M.993, Ziff. 156 – Bertelsmann/Kirch/Premiere. 142 Kommission, Pressemitteilung vom 05. 11. 1997, IP/97/953. 143 Kommission, Pressemitteilung vom 15. 12. 1997, IP/97/1119. 144 Kommission, Pressemitteilung vom 01. 12. 1997, IP/97/1062. 145 Kommission, Pressemitteilung vom 01. 12. 1997, IP/97/1062.

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

des Fusionskontrollverfahrens fortgesetzt, könnte dies aufgrund der Dauer des Fusionskontrollverfahrens dazu führen, dass sich die d-box als digitaler Standard auf dem deutschen Markt durchsetzt. Dies könnte nur schwer rückgängig gemacht werden.146 Bertelsmann und Kirch wurden von der Kommission aufgefordert, ihr rechtswidriges Verhalten einzustellen und den durch ihre Werbung bei den Verbrauchern erweckten Eindruck zu korrigieren, dass die d-box der definitive digitale Standard für den deutschen Markt sei.147 Die Unternehmen erklärten daraufhin verbindlich, dass Premiere sämtliche Marketing-Maßnahmen für Premiere Digital, den Absatz der d-box und deren Auslieferung an den Handel einstellen würde. Zudem wurde der Direktvertrieb durch Premiere eingestellt, Abonnement-Anträge wurden nicht mehr bearbeitet und der Vertrieb an DF1-d-box-Inhaber eingestellt. Auch wurden alle Werbemaßnahmen für Premiere Digital gestoppt.148 Die Kommission beurteilte die ergriffenen Maßnahmen als ausreichend, um den Verstoß gegen das Vollzugsverbot zu beenden, da sie gewährleisteten, dass sich die d-box vor Abschluss des Fusionskontrollverfahrens nicht als faktischer Standard für digitales Fernsehen durchsetzen konnte.149 Auf die Verhängung eines Bußgelds verzichtete die Kommission. (2) Auswertung Das Vorgehen der Kommission im Fall Bertelsmann/Kirch/Premiere offenbart eine weite Auslegung des Vollzugsverbots durch die Kommission. Sie lässt einen „Teilvollzug“ bzw. die „teilweise Vorwegnahme“ des Zusammenschlusses für einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO ausreichen.150 Bei der Feststellung des Verstoßes rekurrierte die Kommission darauf, dass vollendete Tatsachen geschaffen werden, die sich schwer rückgängig machen ließen. Zudem führte sie an, dass durch die beanstandeten Maßnahmen eine der wesentlichen wettbewerblichen Auswirkungen des Zusammenschlusses eintrete.151 Die Kommission orientierte sich bei der Auslegung des Vollzugsverbots somit vorrangig am Zweck des Vollzugsverbots152 und dem Ziel eines möglichst wirksamen Wettbewerbsschutzes. Die Erfüllung des Zusammenschlusstatbestands des Art. 3 FKVO betrachtet die Kommission offenbar nicht als Voraussetzung für einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot. Ob ein Kontrollwechsel erfolgt ist, thematisiert die Kommission im Fall Bertelsmann/Kirch/Premiere nicht. Zudem ließ sie ausdrücklich einen „Teilvollzug“

146 147 148 149 150 151 152

Kommission, Pressemitteilung vom 01. 12. 1997, IP/97/1062. Kommission, Pressemitteilung vom 01. 12. 1997, IP/97/1062. Kommission, Pressemitteilung vom 15. 12. 1997, IP/97/1119. Kommission, Pressemitteilung vom 15. 12. 1997, IP/97/1119. Kommission, Pressemitteilung vom 01. 12. 1997, IP/97/1062. Kommission, Pressemitteilung vom 01. 12. 1997, IP/97/1062. Vgl. zum Normzweck oben S. 142 ff. und zur teleologischen Auslegung unten S. 206 ff.

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

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für die Annahme eines Verstoßes ausreichen.153 Hätte die Kommission die Erfüllung des Zusammenschlusstatbestands als Voraussetzung für einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO angesehen, so hätte sie im vorliegenden Fall wohl einen Verstoß ablehnen müssen, da durch die Vermarktung der d-box kein Kontrollwechsel erfolgt ist.154 Im Ergebnis deutet das Vorgehen der Kommission im Fall Bertelsmann/Kirch/ Premiere demnach darauf hin, dass die Kommission die Verwirklichung des Zusammenschlusstatbestands nicht als Voraussetzung für einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot betrachtet. Weder hat sie in ihrer rechtlichen Analyse den Eintritt eines Kontrollwechsels geprüft noch bestanden für einen solchen genügend tatsächliche Anhaltspunkte.155 Stattdessen nimmt die Kommission eine am Normzweck orientierte weite Auslegung von Art. 7 Abs. 1 FKVO vor.156 bb) Ineos/Kerling Im Fall Ineos/Kerling157 hat die Kommission aufgrund eines letztlich unbegründeten Gun-Jumping-Verdachts Ermittlungen vorgenommen und am 12. und 13. Dezember 2007 gestützt auf Art. 13 FKVO unangekündigt Durchsuchungen in den Geschäftsräumen von Ineos und Kerling in Großbritannien durchgeführt (sog. dawn raids). Sie begründete die Maßnahmen damit, dass sie Grund zu der Annahme habe, dass die Unternehmen gegen das Vollzugsverbot verstoßen haben. Zudem könnte es durch einen zu weitgehenden Informationsaustausch zu einem Verstoß gegen das Kartellverbot gekommen sein.158 Ursache für das Einschreiten der Kommission war womöglich auch, dass Norsk Hydro ASA bei der Bekanntgabe des Zusammenschlussvorhabens am 21. Mai 2007 angekündigt hatte, dass der Zusammenschluss voraussichtlich im dritten Quartal 2007 vollzogen würde.159 Die Kommission könnte befürchtet haben, dass an diesem Termin trotz der Eröffnung des Hauptprüfverfahrens festgehalten worden ist.160 Der Verdacht der Kommission be153

Kommission, Pressemitteilung vom 01. 12. 1997, IP/97/1062. Bosch/Marquier, EWS 2010, 113, 116; MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 35; Zeise, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Rdnr. 1839. 155 Bosch/Marquier, EWS 2010, 113, 116; MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 35; Zeise, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Rdnr. 1839. 156 Bemerkenswert ist, dass die Kommission nicht auf das Kartellverbot abgestellt hat. 157 Letztlich freigegeben durch Komm., 30. 01. 2008, COMP/M.4734 – Ineos/Kerling. Vgl. hierzu Holzwarth, Das Vollzugsverbot als Bestandteil eines effizienten Fusionskontrollverfahrens, S. 93 f.; Linsmeier/Balssen, BB 2008, 741, 742; Bosch/Marquier, EWS 2010, 11. 158 Komm., Mitteilung vom 13. 12. 2007, MEMO/07/573. 159 Finanzen.net, 21. 05. 2007, Norsk Hydro verkauft Polymer-Geschäft für 5,5 Mrd. NOK an INEOS, abrufbar unter http://www.finanzen.net/nachricht/aktien/Norsk-Hydro-verkauft-Poly mer-Geschaeft-fuer-5-5-Mrd-NOK-an-INEOS-173386; Linsmeier/Balssen, BB 2008, 741, 742. 160 Komm., Pressemitteilung vom 07. 09. 2007, IP/07/1290. Linsmeier/Balssen, BB 2008, 741, 742. 154

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

stätigte sich letztlich jedoch nicht. Am 30. Januar 2008 gab die Kommission den Zusammenschluss frei.161 Zudem erklärte sie, dass das Verfahren wegen des GunJumping-Verdachts eingestellt wurde.162 Der Fall Ineos/Kerling zeigt zwar, dass die Kommission gewillt ist, gegen GunJumping-Verstöße vorzugehen. Rückschlüsse auf die Auslegung des Vollzugsverbots lassen sich aus ihm jedoch nicht ziehen, da die Kommission keine Details zu dem vermuteten Verstoß öffentlich gemacht hat. cc) Volkswagen/MAN Im Vorfeld der Übernahme von MAN durch Volkswagen hat die Kommission im Jahr 2011 durch ihr Einschreiten einen Gun-Jumping-Verstoß gegen das Vollzugsverbot verhindert. Bereits bevor Volkswagen sein öffentliches Übernahmeangebot abgab, hielt der Konzern eine Minderheitsbeteiligung an MAN. Zudem kooperierten die Volkswagen-Tochter Scania und MAN eng, wobei das Ausmaß der Zusammenarbeit durch das Kartellverbot begrenzt wurde. Gerade auch um diese Limitierungen zu überwinden, entschied sich Volkswagen zum Erwerb von MAN durch ein öffentliches Übernahmeangebot.163 (1) Das Vorgehen der Kommission Anlass für das Einschreiten der Kommission auf Grundlage des Vollzugsverbots war, dass Volkswagen noch vor der Erteilung der fusionskontrollrechtlichen Freigabe drei zusätzliche MAN-Aufsichtsratsposten mit Managern aus dem VolkswagenKonzern besetzen wollte. Kurz vor der Hauptversammlung, in deren Rahmen die Wahl der Aufsichtsräte erfolgen sollte, forderte die Kommission Volkswagen dazu auf, die Umbesetzung zu unterlassen, da sie gegen das Vollzugsverbot verstoßen würde.164

161

Komm., 30. 01. 2008, COMP/M.4734 – Ineos/Kerling. Linsmeier/Balssen, BB 2008, 741, 742 mit Verweis auf eine MLex-Meldung vom 30. 01. 2008 mit dem Titel „EC closes ,early implementation probe‘ as Ineos’ Kerling purchase cleared“. 163 Handelsblatt, 04. 07. 2011, Volkswagen ist bei MAN-Übernahme am Ziel, abrufbar unter http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/lastwagenhersteller-volkswagen-ist-beiman-uebernahme-am-ziel/4354286.html. Freigabe durch Komm., 26. 09. 2011, COMP/M.6267 – Volkswagen/MAN. 164 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. 07. 2011, Brüssel stoppt Piëch, abrufbar unter http://www.faz.net/frankfurter-allgemeine-zeitung/wirtschaft/nachgefragt-bruessel-stopptpiech-13286.html; Handelsblatt, 04. 07. 2011, Volkswagen ist bei MAN-Übernahme am Ziel, abrufbar unter http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/lastwagenhersteller-volks wagen-ist-bei-man-uebernahme-am-ziel/4354286.html. 162

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

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(2) Auswertung Zwar hat die Kommission ihr Einschreiten im Fall Volkswagen/MAN öffentlich nicht näher erläutert. Anhand des in Grundzügen bekannten Sachverhalts lässt sich jedoch untersuchen, ob dem Einschreiten ein vorzeitiger Kontrollwechsel zugrunde lag. So lässt sich zunächst feststellen, dass ein Kontrollwechsel nicht schon dadurch eingetreten wäre, dass Volkswagen nach der Wahl seiner drei zusätzlichen Vertreter in den Aufsichtsrat insgesamt fünf der acht Aufsichtsratsposten der Anteilseigner gestellt hätte. Zwar kann nach der Zuständigkeitsbekanntmachung der Kommission ein Kontrollerwerb auch dadurch erfolgen, dass ein Gesellschafter die Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder bestellt.165 Der Aufsichtsrat der MAN SE umfasst neben den acht Vertretern der Anteilseigner jedoch auch acht Vertreter der Arbeitnehmer.166 Volkswagen hätte folglich auch nach der Übernahme der drei zusätzlichen Aufsichtsratsposten nicht über eine Mehrheit im Aufsichtsrat von MAN verfügt, in dem Entscheidungen mit einfacher Mehrheit getroffen werden.167 Durch die Wahl der drei Aufsichtsräte hätte Volkswagen somit keine Kontrolle über MAN erlangt. Ein Kontrollwechsel ist hingegen wohl dadurch erfolgt, dass Volkswagen die Stimmrechtsmehrheit in der Hauptversammlung von MAN erlangt hat. Durch sukzessive Anteilskäufe hat die Beteiligung von Volkswagen an MAN im Mai 2011 die 30-Prozent-Schwelle überschritten, weshalb Volkswagen aktienrechtlich verpflichtet war, ein öffentliches Übernahmeangebot für MAN abzugeben.168 Mit Ablauf des Pflichtangebots am 29. Juni 2011 hatte Volkswagen 55,9 Prozent der MANStimmrechte erworben.169 Zwar sieht Art. 7 Abs. 2 FKVO für öffentliche Übernahmeangebote eine Ausnahme vom Vollzugsverbot vor und gestattet einen Kontrollerwerb vor der Freigabe durch die Kommission. Diese Ausnahme gilt nach Art. 7 Abs. 2 lit. b FKVO jedoch nur, sofern der Erwerber die mit den Anteilen verbundenen Stimmrechte nicht ausübt. Hätte Volkswagen in der Hauptversammlung am 27. Juni 2011, das heißt kurz vor dem Ablauf des Übernahmeangebots und noch vor der Freigabe durch die Kommission, seine zwischenzeitlich erlangte Mehrheit in der Hauptversammlung zur Aufsichtsratswahl ausgeübt, hätte Volkswagen aufgrund von Art. 7 Abs. 2 lit. b FKVO die Grenzen der Privilegierung öffentlicher Übernahmeangebote überschritten und gegen das Vollzugsverbot verstoßen. Dem Vorgehen der Kommission im Fall Volkswagen/MAN lag somit wohl ein Kontrollwechsel zugrunde.

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Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 57. Vgl. MünchKommEuWettbR-Wessely/Wegner, Art. 3 FKVO, Rdnr. 103. 166 § 7 Satzung MAN SE, Stand April 2010, abrufbar unter http://www.man.eu/MAN/de/In vestor_Relations/Corporate_Governance/Satzung/. 167 § 10 Abs. 4 Satzung MAN SE. 168 Vgl. hierzu MünchKommAktG-Schlitt/Ries, § 35 WpÜG, Rdnr. 35 ff. 169 Komm., 26. 09. 2011, COMP/M.6267, Ziff. 4 – Volkswagen/MAN.

168

D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

dd) Zwischenergebnis Im Fall Bertelsmann/Kirch/Premiere hat die Kommission einen Kontrollwechsel für die Annahme eines Verstoßes gegen das Vollzugsverbot offenbar nicht für erforderlich gehalten und eine weite Auslegung des Vollzugsverbots vorgenommen. Im Fall Volkswagen/MAN kann hingegen davon ausgegangen werden, dass die Ursache des Einschreitens der Kommission eine bevorstehende Kontrollausübung war, sodass der Fall keinen zusätzlichen Anhaltspunkt für eine weite Auslegung des Vollzugsverbots bietet. b) Bußgeldentscheidungen Die Kommission hat in den Fällen Samsung/AST, A. P. Møller und Electrabel/ Compagnie Nationale du Rhône Bußgelder aufgrund klassischer Verstöße170 gegen das Vollzugsverbot verhängt. aa) Samsung/AST Im Fall Samsung/AST verhängte die Kommission ein Bußgeld in Höhe von 5.000 ECU171 wegen eines Verstoßes gegen die Anmeldepflicht aus Art. 4 FKVO und ein Bußgeld in Höhe von 28.000 ECU wegen eines Verstoßes gegen das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO.172 Samsung hatte noch vor der Anmeldung des Zusammenschlussvorhabens die Kontrolle über AST erworben, indem es die Mehrheit der Mitglieder im Board of Directors von AST stellte. Hierdurch erlangte Samsung die Möglichkeit, die strategische Geschäftstätigkeit von AST zu bestimmen.173 Verschiedene andere Umstände, die der Mehrheitserlangung im Board of Directors vorgelagert waren, erachtete die Kommission nicht als ausreichend, um zu belegen, dass ein Kontrollerwerb durch Samsung erfolgt ist. Hierzu zählten möglicherweise bestehende Einflussmöglichkeiten, die finanzielle Unterstützung von AST durch Samsung, die Übernahme einer Bürgschaft und die Entsendung von einigen Vertretern von Samsung in das Board of Directors von AST, durch die jedoch keine Mehrheitserlangung erfolgt war. Im Hinblick auf diese Umstände nahm die Kommission keinen Verstoß gegen das Vollzugsverbot an.174 In Samsung/AST hat die Kommission im Rahmen des Vollzugsverbots somit maßgeblich auf die Verwirklichung des Zusammenschlusstatbestands durch einen Kontrollwechsel abgestellt.

170

Es handelt sich nach dem hier vertretenen Begriffsverständnis (siehe oben S. 28 ff.) nicht um Gun-Jumping-Verstöße. 171 European Currency Unit, Vorläufer des Euro, Umrechnungsverhältnis von 1:1 zum Euro, vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim-Magiera, Art. 320 AEUV, Rdnr. 12. 172 Komm., 18. 02. 1998, IV/M.920 – Samsung/AST. 173 Komm., 18. 02. 1998, IV/M.920, Ziff. 7 lit. c – Samsung/AST. 174 Komm., 18. 02. 1998, IV/M.920, Ziff. 7 lit. a, b – Samsung/AST.

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

169

bb) A. P. Møller Die Kommission verhängte gegen A. P. Møller ein Bußgeld in Höhe von insgesamt 219.000 EUR wegen eines dreifachen Verstoßes gegen die Anmeldepflicht und das Vollzugsverbot.175 Im Rahmen eines ordnungsgemäß angemeldeten Zusammenschlussvorhabens stellte sich heraus, dass A. P. Møller in der Vergangenheit bei der Berechnung des eigenen Umsatzes Fehler unterlaufen waren und aus diesem Grund drei bereits vollzogene Zusammenschlüsse irrtümlicherweise nicht angemeldet worden waren.176 Die Entscheidung lässt keine Rückschlüsse auf die Auslegung des Vollzugsverbots durch die Kommission zu. cc) Electrabel/Compagnie Nationale du Rhône Das bislang höchste Bußgeld aufgrund eines Verstoßes gegen das Vollzugsverbot verhängte die Kommission im Zusammenhang mit dem Zusammenschlussvorhaben Electrabel/Compagnie Nationale du Rhône. Sie bebußte Electrabel mit 20 Millionen EUR wegen des Erwerbs der Kontrolle über Compagnie Nationale du Rhône (CNR) ohne vorherige Freigabe durch die Kommission.177 Die ausführlich begründete Kommissionsentscheidung wurde vom EuG überprüft und vollumfänglich bestätigt.178 (1) Die Entscheidung der Kommission Im Jahr 2008 meldete Electrabel bei der Kommission das Vorhaben an, CNR zu erwerben. Zwar wurde der Zusammenschluss letztlich freigegeben,179 doch stellte sich im Rahmen des Pränotifikationsverfahrens heraus, dass Electrabel bereits im Jahr 2003 die Kontrolle über CNR erworben hatte.180 Mit ihrer Entscheidung vom 10. Juni 2009 stellte die Kommission daher einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot fest und verhängte ein Bußgeld gegen Electrabel.181 Die Kommission nahm aufgrund faktischer und rechtlicher Gegebenheiten an, dass Electrabel bereits seit dem 23. Dezember 2003 die alleinige Kontrolle über CNR

175

Komm., 10. 02. 1999, IV.M.969 – A. P. Møller. Komm., 10. 02. 1999, IV.M.969, Ziff. 3 f. – A. P. Møller. 177 Komm., 10. 06. 2009, COMP/M.4994 – Electrabel/Compagnie Nationale du Rhône. Vgl. hierzu auch Bischke/Brack, NZG 2009, 902. 178 EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht – Electrabel/Kommission. 179 Komm., 29. 04. 2008, COMP/M.4994 – Electrabel/Compagnie Nationale du Rhône. 180 Komm., 29. 04. 2008, COMP/M.4994, Ziff. 3 – Electrabel/Compagnie Nationale du Rhône. 181 Komm., 10. 06. 2009, COMP/M.4994, Ziff. 40 ff. – Electrabel/Compagnie Nationale du Rhône. 176

170

D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

ausgeübt hatte.182 Durch eine andauernde Veränderung der Kontrollverhältnisse sei der Zusammenschlusstatbestand verwirklicht worden.183 So hielt Electrabel seit einem Beteiligungserwerb am 23. Dezember 2003 insgesamt 49,95 Prozent des Kapitals und 47,92 Prozent der Stimmrechte an CNR. Der restliche Aktienbesitz war stark gestreut und die Hauptversammlungspräsenz in den vorangegangenen Jahren gering, sodass sich Electrabel sicher sein konnte, über die Mehrheit in der Hauptversammlung von CNR zu verfügen.184 Die Kommission nahm aus diesem Grund den faktischen Erwerb der alleinigen Kontrolle durch einen Minderheitsgesellschafter an,185 wie er auch in der Mitteilung der Kommission zu Zuständigkeitsfragen angeführt wird.186 Seit Mitte 2003 verfügte Electrabel zudem über die absolute Mehrheit im Vorstand von CNR und die Möglichkeit, diese aufrechtzuerhalten. So konnte Electrabel gemeinsam mit der Caisse des Dépôts et Consignations, mit der Electrabel über eine Aktionsvereinbarung verbunden war,187 die Zusammensetzung des Vorstands mittels einer Sperrminorität bestimmen.188 Im Ergebnis hat die Kommission im Fall Electrabel/Compagnie Nationale du Rhône maßgeblich auf die Verwirklichung des Zusammenschlusstatbestands189 und das Kriterium des Kontrollwechsels190 abgestellt, um einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot zu begründen. (2) Das Urteil des EuG Mit Urteil vom 12. Dezember 2012 bestätigt das EuG die Bußgeldentscheidung der Kommission vollständig.191 In den Ausführungen des Gerichts tritt dabei noch deutlicher als in der Kommissionsentscheidung hervor, dass im Rahmen der Prüfung des Vollzugsverbots maßgeblich darauf abzustellen ist, ob der Zusammenschluss182 Komm., 10. 06. 2009, COMP/M.4994, Ziff. 40 – Electrabel/Compagnie Nationale du Rhône. 183 Komm., 10. 06. 2009, COMP/M.4994, Ziff. 40 – Electrabel/Compagnie Nationale du Rhône. 184 Komm., 10. 06. 2009, COMP/M.4994, Ziff. 41 – 45 – Electrabel/Compagnie Nationale du Rhône. 185 Komm., 10. 06. 2009, COMP/M.4994, Ziff. 42 – Electrabel/Compagnie Nationale du Rhône. 186 Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 59. 187 Komm., 10. 06. 2009, COMP/M.4994, Ziff. 31 ff. – Electrabel/Compagnie Nationale du Rhône. 188 Komm., 10. 06. 2009, COMP/M.4994, Ziff. 78 – Electrabel/Compagnie Nationale du Rhône. 189 Vgl. Komm., 10. 06. 2009, COMP/M.4994, Ziff. 40 – Electrabel/Compagnie Nationale du Rhône. 190 Vgl. Komm., 10. 06. 2009, COMP/M.4994, Ziff. 3, 21, 80, 101, 109, 165 – Electrabel/ Compagnie Nationale du Rhône. 191 EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht – Electrabel/Kommission.

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

171

tatbestand verwirklicht wird. So setzt das EuG die Verwirklichung eines Zusammenschlusses im Sinne der Fusionskontrollverordnung mit einem Verstoß gegen das Vollzugsverbot gleich,192 bezeichnet das Vorliegen eines Zusammenschlusses als Voraussetzung für die Zuständigkeit der Kommission unter der Fusionskontrollverordnung193 und zieht zur Beurteilung des Verhaltens von Electrabel unter dem Vollzugsverbot die Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses194 heran.195 dd) Zwischenergebnis In ihren Bußgeldentscheidungen hat die Kommission unter dem Vollzugsverbot maßgeblich auf das Kriterium des Kontrollwechsels abgestellt. Auch die Äußerungen des EuG deuten darauf hin, dass ein Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO nur dann anzunehmen ist, wenn der Zusammenschlusstatbestand verwirklicht wird. Eine eindeutige Distanzierung von einer weiten Auslegung des Vollzugsverbots, wie sie von der Kommission in Bertelsmann/Kirch/Premiere vorgenommen wurde, ist allerdings nicht erfolgt. Die Entscheidungen erlauben daher nicht mit letzter Sicherheit den Rückschluss, dass die Kommission nunmehr in allen Fällen – auch in atypisch gelagerten Gun-Jumping-Fällen – einen Kontrollwechsel als Voraussetzung für einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot betrachtet. c) Entflechtungsentscheidungen Die Kommission hat in bislang vier Fällen auf Grundlage von Art. 8 Abs. 4 FKVO eine Entflechtung angeordnet.196 Sämtliche Entscheidungen setzen an Vorgängen an,

192 EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 50 – Electrabel/ Kommission: „[…] the applicant correctly maintains that there was no concentration and therefore no infringement of Article 7(1) of Regulation No 4064/89 […]“. 193 „Indeed, the concept of concentration provides the basis for the Commission’s powers under Regulation No. 4064/89“. EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 42 – Electrabel/Kommission. Insoweit bezieht sich das EuG auf sein Aer-LingusUrteil, siehe hierzu ausführlich unten S. 173 ff. und insbes. S. 180 f. 194 Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. EG 1998 Nr. C 66/5. Die Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses wurde mittlerweile von der Zuständigkeitsmitteilung der Kommission abgelöst. Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. EU 2009 Nr. C 43/10. 195 EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 40 ff. – Electrabel/Kommission. 196 Komm., 19. 02. 1997, IV/M.784 – Kesko/Tuko. Komm., 26. 06. 1997, IV/M.890 – Blokker/Toys„R“Us. Komm., 30. 01. 2002, COMP/M.2283 – Schneider/Legrand; vgl. Kommission, Pressemitteilung vom 30. 01. 2002, IP/02/173. Komm., 30. 01. 2002, COMP/M.2416 – Tetra Laval/Sidel; vgl. Kommission, Pressemitteilung vom 30. 01. 2002, IP/02/174.

172

D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

die den Zusammenschlusstatbestand des Art. 3 FKVO erfüllt haben.197 Die Entscheidungen lassen jedoch keine zwingenden Rückschlüsse darauf zu, ob die Kommission eine weite oder enge Auslegung des Vollzugsverbots vertritt. d) Befreiungen vom Vollzugsverbot Aufschluss über die Auslegung des Vollzugsverbots durch die Kommission könnten die Verhaltensweisen der Zusammenschlussparteien geben, für welche die Kommission Befreiungen vom Vollzugsverbot erteilt hat. Im Zeitraum von September 1990 bis Juli 2013 hat die Kommission in 113 Fällen auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 3 FKVO einem Antrag auf Befreiung vom Vollzugsverbot zugestimmt.198 Soweit Freistellungsentscheidungen der Kommission öffentlich geworden sind, bezogen sie sich auf Verhaltensweisen, die einen Kontrollwechsel herbeigeführt hätten: Im Fall Mobil/JV Dissolution wurde im Zusammenhang mit der Auflösung eines Gemeinschaftsunternehmens eine Freistellung vom Vollzugsverbot erteilt, um eine Übertragung der Kontrolle auf BP Amoco zu ermöglichen.199 Im Fall BBL/BT/ ISP Belgium wurde der vorzeitige Vollzug der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens gestattet.200 Im Fall Strabag/Dywidag wurde eine Freistellung vom Vollzugsverbot erteilt, die es Strabag erlaubte, sich an der Geschäftsführung von Dywidag zu beteiligen und Einfluss auf das operative Geschäft zu nehmen.201 Im Hinblick auf das Zusammenschlussvorhaben Orica/Dyno erteilte die Kommission eine Freistellung vom Vollzugsverbot, um die vorzeitige Übertragung von be-

197

Im Fall Kesko/Tuko war das Zusammenschlussvorhaben bereits vollzogen worden, bevor die finnische Wettbewerbsbehörde einen Verweisungsantrag gemäß Art. 22 VO 4064/89 gestellt hatte, Komm., 19. 02. 1997, IV/M.784, Ziff. 8 – Kesko/Tuko. Im Fall Blokker/Toys„R“Us ist ein Kontrollwechsel über die niederländische Sparte von Toys„R“Us erfolgt, Komm., 26. 06. 1997, IV/M.890, Ziff. 14, 16, 118 – Blokker/Toys„R“Us. Im Fall Schneider/Legrand hatte Schneider mittels eines öffentlichen Tauschangebots 98 Prozent der Aktien von Legrand erworben, Komm., 30. 01. 2002, COMP/M.2283 – Schneider/Legrand. Vgl. Kommission, Pressemitteilung vom 30. 01. 2002, IP/02/173. Im Fall Tetra Laval/Sidel ging es um die Entflechtung eines Zusammenschlusses, der mittels eines nicht vom Vollzugsverbot erfassten öffentlichen Übernahmeangebots vollzogen worden war, Komm., 30. 01. 2002, COMP/M.2416 – Tetra Laval/Sidel. Vgl. Kommission, Pressemitteilung vom 30. 01. 2002, IP/02/174. 198 Fallstatistik Zusammenschlusskontrolle der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission, 21. 09. 1990 – 31. 08. 2014, abrufbar unter http://ec.europa.eu/competiti on/mergers/statistics.pdf. 199 Kommission, Competition Policy Newsletter, 2000, Nr. 1 (Februar), S. 26 f. Vgl. Komm., 02. 02. 2000, IV/M.1820 – Mobil/JV Dissolution. 200 Kommission, Competition Policy Newsletter, 2000, Nr. 1 (Februar), S. 27. Vgl. Komm., 17. 11. 1999, IV/M.1667 – BBL/BT/ISP Belgium. 201 Komm., 23. 6. 2005, COMP/M.3754, Ziff. 10 – Strabag/Dywidag. Handelsblatt, 16. 03. 2005, Strabag kann in Walter-Bau-Geschäftsführung mitwirken, abrufbar unter http://www.han delsblatt.com/unternehmen/industrie/uebernahme-strabag-kann-in-walter-bau-geschaeftsfueh rung-mitwirken/2484838.html.

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

173

stimmten Betrieben und Verträgen der Zielunternehmen auf den Erwerber zu ermöglichen.202 Im Gegensatz zu diesen öffentlich gewordenen Befreiungsentscheidungen stehen die Ausführungen von Wessely, wonach sich aus einer Vielzahl nicht veröffentlichter Entscheidungen zur Freistellung vom Vollzugsverbot ergebe, dass die Kommission Einzelmaßnahmen weit unterhalb der Schwelle der Übertragung der vollständigen Kontrolle als vom Vollzugsverbot erfasst betrachtet.203 Auch wenn dies zutrifft, kann hieraus jedoch nicht zwingend geschlussfolgert werden, dass die Kommission eine weite Auslegung des Vollzugsverbots vertritt. So ist es gut möglich, dass die Kommission auf eine exakte Subsumtion unter das Vollzugsverbot verzichtet, wenn es darauf im Ergebnis nicht ankommt, da sie ohnehin die Erteilung einer Freistellung beabsichtigt. Ein solches Vorgehen ist ressourcenschonend und wird auch in anderen Bereichen von der Kommission praktiziert, beispielsweise bei der Marktabgrenzung im Rahmen der materiellen Fusionskontrolle. Im Ergebnis lassen sich daher auch aus der Freistellungspraxis keine zwingenden Rückschlüsse auf die Auslegung des Vollzugsverbots durch die Kommission ziehen. e) Ergebnis In dem älteren Fall Bertelsmann/Kirch/Premiere hat die Kommission eine weite Auslegung des Vollzugsverbots vertreten und Maßnahmen unterhalb der Kontrollschwelle als Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO bewertet. In späteren Verfahren hat die Kommission diesen weiten Ansatz jedoch nicht wieder aufgegriffen. Vielmehr deuten insbesondere ihre Bußgeldentscheidungen eher darauf hin, dass die Kommission einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot nur dann annimmt, wenn der Zusammenschlusstatbestand verwirklicht wird. Eine eindeutige Abkehr von der weiten Auslegung in Bertelsmann/Kirch/Premiere ist jedoch nicht erfolgt. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die Kommission in atypisch gelagerten Fällen („Gun-Jumping“) auch unterhalb der Schwelle des Kontrollwechsels einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot annehmen würde. 2. Der Fall Aer Lingus Der Fall Aer Lingus ist von besonderer Bedeutung für die Auslegung des Vollzugsverbots. In ihm haben sich sowohl die Kommission als auch das EuG mit der Frage auseinandergesetzt, ob Vollzugsmaßnahmen, durch die keine Kontrolle vermittelt wird, die Annahme eines vollzogenen Zusammenschlusses rechtfertigen, sodass die Kommission eine Entflechtung gemäß Art. 8 Abs. 4 FKVO anordnen kann. Die Kommission lehnte dies in ihrer Entscheidung vom 11. Oktober 2007 ab.204 202 203 204

Komm., 23. 05. 2006, M.4151, Ziff. 3 – Orica/Dyno. MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 35. Komm., 11. 10. 2007, COMP/M.4439 – Ryanair/Aer Lingus.

174

D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

Das EuG bestätigte die Entscheidung der Kommission in seinem Urteil vom 6. Juli 2010.205 Der Rechtsstreit um die Reichweite von Art. 8 Abs. 4 FKVO entwickelte sich im Nachgang zu dem Versuch von Ryanair im Jahr 2006, Aer Lingus zu übernehmen. Nachdem der Übernahmeversuch von der Kommission untersagt worden war, bemühte sich Aer Lingus darum, gegen Ryanair eine Entflechtungsentscheidung auf Grundlage von Art. 8 Abs. 4 FKVO zu erwirken, um Ryanair zu zwingen, bereits erworbene Aer-Lingus-Anteile wieder abzustoßen. Sowohl aus der Kommissionsentscheidung als auch dem Urteil des EuG lassen sich wichtige Rückschlüsse auf die Auslegung des Vollzugsverbots ziehen. Dabei wird in der Literatur aus den Ausführungen des EuG einhellig geschlussfolgert, dass das Vollzugsverbot auch Maßnahmen unterhalb der Kontrollschwelle erfasst und die Erfüllung des Zusammenschlusstatbestands keine Voraussetzung für einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot ist.206 Die genauere Untersuchung des Falls zeigt jedoch, dass aus dem Urteil die gegenteilige Schlussfolgerung zu ziehen ist und es für eine enge Auslegung des Vollzugsverbots spricht. Hintergrund der Kommissionsentscheidung war das von der Kommission untersagte Vorhaben von Ryanair, Aer Lingus zu übernehmen. (a)). Aer Lingus versuchte daraufhin erfolglos, die Kommission zur Einleitung eines Entflechtungsverfahrens im Hinblick auf die von Ryanair zwischenzeitlich erlangte Minderheitsbeteiligung zu veranlassen. (b)). Um eine Entflechtung zu erzwingen, wandte sich Aer Lingus daraufhin an das EuG, hatte jedoch weder im einstweiligen Rechtsschutz (c)) noch im Hauptsacheverfahren (d)) Erfolg. Aus dem Fall Aer Lingus lassen sich wichtige Rückschlüsse auf die Auslegung des Vollzugsverbots ziehen (e)). a) Übernahme von Aer Lingus durch Ryanair wird untersagt Ryanair beabsichtigte, die irische Fluggesellschaft Aer Lingus zu übernehmen, und gab zu diesem Zweck am 5. Oktober 2006 ein öffentliches Übernahmeangebot ab. Aufgrund sukzessiver Aktienkäufe über die Börse hielt Ryanair zu diesem Zeitpunkt bereits 19,16 Prozent des Aktienkapitals von Aer Lingus. Am 23. Oktober 2006 verschickte Ryanair die Angebotsunterlagen an die Aktieninhaber von Aer Lingus. Das Übernahmeangebot sollte ursprünglich bis zum 13. November 2006 gelten, wurde letztlich jedoch bis zum 22. Dezember 2006 verlängert. Während des Angebotszeitraums erwarb Ryanair weiterhin sukzessive Aer Lingus-Anteile über

205

EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691 – Aer Lingus/Kommission. Depoortere, The Aer Lingus Judgment – When non-implementation is implementation, or not; Depoortere/Lelart, World Competition 2010, 103, 113; Hennig, ZWeR 2011, 443, 468; Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 11, 26; Rosenthal/Thomas, European Merger Control, Abschnitt E, Rdnr. 49. Siehe unten S. 184 f. 206

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

175

die Börse und hielt am 28. November 2006 bereits 25,17 Prozent des Aktienkapitals von Aer Lingus.207 Ryanair meldete sein Zusammenschlussvorhaben am 30. Oktober 2006, sieben Tage nach dem Versenden der Angebotsunterlagen, bei der Kommission an.208 Ryanair bestätigte der Kommission, dass sämtliche Anteilskäufe, auch diejenigen, die vor der Abgabe des Übernahmeangebots erfolgt sind, Teil des Gesamtplans waren, die Kontrolle über Aer Lingus zu erlangen.209 Da zwischen den einzelnen Erwerbsvorgängen auch ein enger zeitlicher Zusammenhang bestand, betrachtete die Kommission das öffentliche Übernahmeangebot und den sukzessiven Anteilserwerb vor und während des Übernahmeangebots als einen einzigen Zusammenschluss210 im Sinne von Art. 3 FKVO.211 Die Kommission kam bei der Prüfung des Vorhabens zu dem Ergebnis, dass der Zusammenschluss auf mehreren Märkten zur Begründung einer marktbeherrschenden Stellung geführt hätte. Sie untersagte das Vorhaben daher am 27. Juni 2007 gemäß Art. 8 Abs. 3 FKVO.212 Ryanair erhob gegen die Untersagungsentscheidung Klage beim EuG. Das EuG bestätigte jedoch mit Urteil vom 6. Juli 2010 die Entscheidung der Kommission.213 Auch nach der Untersagungsentscheidung erwarb Ryanair über die Börse weitere Aer-Lingus-Aktien, wodurch die Beteiligung an Aer Lingus auf 29,3 Prozent des Aktienkapitals stieg.214 b) Kommission: kein Vorgehen gegen Minderheitsbeteiligung Auch wenn der Übernahmeversuch an der Untersagung durch die Kommission gescheitert war, hatte Ryanair somit durch den zwischenzeitlich erfolgten sukzessiven Anteilserwerb eine signifikante Minderheitsbeteiligung an Aer Lingus erworben. Nachdem die Untersagungsentscheidung ergangen war, ersuchte Aer Lingus die Kommission darum, gegen diese Minderheitsbeteiligung ein Entflechtungsverfahren nach Art. 8 Abs. 4 FKVO einzuleiten und Ryanair einstweilig nach Art. 8 Abs. 5 FKVO die Ausübung der Stimmrechte zu untersagen.215 Aer Lingus 207

Komm., 27. 06. 2007, COMP/M.4439, Ziff. 10 f. – Ryanair/Aer Lingus. Komm., 27. 06. 2007, COMP/M.4439, Ziff. 1 – Ryanair/Aer Lingus. 209 Komm., 27. 06. 2007, COMP/M.4439, Ziff. 11 – Ryanair/Aer Lingus. 210 Vgl. Erwägungsgrund 20 FKVO. 211 Komm., 27. 06. 2007, COMP/M.4439, Ziff. 12 – Ryanair/Aer Lingus. 212 Komm., 27. 06. 2007, COMP/M.4439, Ziff. 1240 – Ryanair/Aer Lingus. Vgl. auch Andresen, GWR 2010, 408. 213 EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-342/07, Slg. 2010 II-3457, Ziff. 526 – Ryanair/Kommission. 214 EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 8 – Aer Lingus/Kommission. 215 Komm., 11. 10. 2007, COMP/M.4439, Ziff. 1 – Ryanair/Aer Lingus. Bereits während des Fusionskontrollverfahrens hat sich Aer Lingus wiederholt an die Kommission gewandt und diese gebeten, Ryanair im Falle einer Untersagung aufzugeben, die Minderheitsbeteiligung abzustoßen. Komm., 11. 10. 2007, COMP/M.4439, Ziff. 5 – Ryanair/Aer Lingus. Zudem ersuchte Aer Lingus die Kommission um eine Stellungnahme zur Auslegung von Art. 21 FKVO. 208

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

argumentierte, dass der Erwerb der Minderheitsbeteiligung ein Teilvollzug des untersagten Zusammenschlusses sei. Der Wortlaut von Art. 8 Abs. 4 FKVO sei dahingehend auszulegen, dass die Norm Zusammenschlüsse erfasse, die „ganz oder zum Teil“ vollzogen worden sind. Die Entflechtung der Minderheitsbeteiligung sei notwendig, um zwischen den Unternehmen wieder einen effektiven Wettbewerb herzustellen.216 Nach Ansicht der Kommission waren die Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 4 FKVO jedoch nicht erfüllt. So lehnte die Kommission das Vorliegen eines vollzogenen Zusammenschlusses im Sinne des Art. 8 Abs. 4 FKVO ab, da Ryanair keine Kontrolle über Aer Lingus erworben habe und die Untersagungsentscheidung auch einen zukünftigen Kontrollerwerb ausschließe. Die erworbene Minderheitsbeteiligung verleihe Ryanair weder de jure noch de facto Kontrolle über Aer Lingus. Die Rechte, die Ryanair aus seiner Beteiligung zustanden, dienten lediglich dem legitimen Zweck des Schutzes von Minderheitsaktionären und erlaubten in keiner Weise eine Kontrollausübung.217 Ausdrücklich lehnte die Kommission eine weite Auslegung von Art. 8 Abs. 4 FKVO ab, nach der auch ein bloßer Teilvollzug erfasst wird. Eine solche Auslegung sei mit dem Wortlaut der Norm nicht vereinbar, der eindeutig einen vollzogenen Zusammenschluss voraussetzt. Nach der Fusionskontrollverordnung sei das entscheidende Element eines Zusammenschlusses der Kontrollerwerb. Fehle dieses zentrale Element, könne nach Ansicht der Kommission nicht von einem vollzogenen Zusammenschluss ausgegangen werden, sodass die Parteien nicht nach Art. 8 Abs. 4 FKVO zur Dekonzentration verpflichtet werden könnten. Die Zuständigkeit der Kommission sei vielmehr auf Situationen begrenzt, in denen der Erwerber Kontrolle über das Zielunternehmen erlangt hat.218 Auch der Zweck von Art. 8 Abs. 4 FKVO erfordere keine weitere Auslegung der Norm. Die Vorschrift soll nach Auffassung der Kommission die Möglichkeit schaffen, Beeinträchtigungen des Wettbewerbs rückgängig zu machen, die durch den Vollzug eines Zusammenschlusses im Sinne von Art. 3 FKVO eintreten. Durch die Minderheitsbeteiligung von Ryanair an Aer Lingus seien derartige negative Auswirkungen nicht zu erwarten, da es nicht zu einem Kontrollerwerb gekommen ist und somit kein Zusammenschluss im Sinne von Art. 3 FKVO vorlag.219 Im Ergebnis lehnte es die Kommission aus diesen Gründen ab, gegen Ryanair eine Entflechtungsentscheidung zu erlassen220 oder einstweilige Maßnahmen anzuordnen.221

Dieser Aspekt ist jedoch für die Auslegung des Vollzugsverbots nicht relevant und wird daher nicht näher ausgeführt. 216 Komm., 11. 10. 2007, COMP/M.4439, Ziff. 7 – Ryanair/Aer Lingus. 217 Komm., 11. 10. 2007, COMP/M.4439, Ziff. 10 f. – Ryanair/Aer Lingus. 218 Komm., 11. 10. 2007, COMP/M.4439, Ziff. 12 – Ryanair/Aer Lingus. 219 Komm., 11. 10. 2007, COMP/M.4439, Ziff. 12 – Ryanair/Aer Lingus. 220 Komm., 11. 10. 2007, COMP/M.4439, Ziff. 14 – Ryanair/Aer Lingus. 221 Komm., 11. 10. 2007, COMP/M.4439, Ziff. 15 – 17 – Ryanair/Aer Lingus.

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

177

c) EuG: kein einstweiliger Rechtsschutz Gegen die Entscheidung der Kommission vom 11. Oktober 2007 beantragte Aer Lingus beim Präsidenten des EuG einstweiligen Rechtsschutz gemäß den Art. 242 und 243 i. V. m. 225 Abs. 1 EGV.222 Der Kommission sollte aufgetragen werden, von Ryanair zu verlangen, bis zur Entscheidung in der Hauptsache seine Stimmrechte und alle sonstigen Rechte aus der Minderheitsbeteiligung nicht auszuüben, die Anteile an einen Treuhänder zu übertragen und die Beteiligung nicht zu erweitern.223 Aer Lingus führte als Begründung hierfür an, dass das enge Verständnis der Kommission von Art. 8 Abs. 4 und Abs. 5 FKVO fehlerhaft sei. Die Kommission habe die Norm allein nach dem Wortlaut ausgelegt. Der Sinn und Zweck der Fusionskontrollverordnung würde jedoch dafür sprechen, die Norm weiter auszulegen, sodass sie auch einen Teilvollzug erfasst.224 Zudem argumentierte Aer Lingus mit dem Vollzugsverbot. Art. 7 Abs. 1 FKVO verbiete es Ryanair, die Stimmrechte aus der Minderheitsbeteiligung auszuüben, solange die Kommission hiervon keine Freistellung gemäß Art. 7 Abs. 3 FKVO erteilt.225 Den Präsidenten des EuG überzeugte diese Argumentation nicht. Er kam in seiner vorläufigen Prüfung („auf den ersten Blick“) zu dem Ergebnis, dass die Auslegung der Norm durch die Kommission zutreffend war. Aus diesem Grund lehnte der Präsident des EuG das Vorliegen von fumus boni iuris226 ab: Mangels einer hinreichenden Aussicht für Aer Lingus, im Hauptsacheverfahren zu obsiegen, mangelte es an der Notwendigkeit einer einstweiligen Anordnung,227 sodass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen war.228 d) EuG: kein Erfolg in der Hauptsache Auch in der Hauptsache unterlag Aer Lingus mit seinem Ansinnen, die Kommission zur Entflechtung der Minderheitsbeteiligung zu verpflichten.229 Um den Vorwurf einer fehlerhaften Auslegung von Art. 8 Abs. 4 und Abs. 5 FKVO durch die Kommission zu begründen,230 führte Aer Lingus aus, dass die Minderheitsbeteili222

Nun Art. 278, 279 i. V. m. 256 Abs. 1 AEUV. EuG, 18. 03. 2008, Rs. T-411/07 R, Slg. 2008 II-411, Ziff. 29 – Aer Lingus/Kommission. 224 EuG, 18. 03. 2008, Rs. T-411/07 R, Slg. 2008 II-411, Ziff. 67, 73 – Aer Lingus/Kommission. 225 EuG, 18. 03. 2008, Rs. T-411/07 R, Slg. 2008 II-411, Ziff. 75 f. – Aer Lingus/Kommission. 226 Siehe hierzu Lehr, Einstweiliger Rechtsschutz und Europäische Union, S. 84 ff. 227 EuG, 18. 03. 2008, Rs. T-411/07 R, Slg. 2008 II-411, Ziff. 93 ff. – Aer Lingus/Kommission. 228 EuG, 18. 03. 2008, Rs. T-411/07 R, Slg. 2008 II-411, Ziff. 135 – Aer Lingus/Kommission. 229 EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 44 – Aer Lingus/Kommission. 230 EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 57 – Aer Lingus/Kommission. 223

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

gung negative Auswirkungen auf den Wettbewerb zwischen Aer Lingus und Ryanair habe (aa)). Zudem sei die von der Kommission vertretene Auffassung dazu, wann ein Zusammenschluss als vollzogen zu betrachten ist, fehlerhaft (bb)). Das EuG überzeugten diese Argumente jedoch nicht, sodass es mit Urteil vom 6. Juli 2010 die Entscheidung der Kommission bestätigte (cc)). aa) Negative Auswirkungen der Minderheitsbeteiligung auf den Wettbewerb Um die Notwendigkeit einer Entflechtung zu begründen, argumentierte Aer Lingus vor dem EuG, dass die Minderheitsbeteiligung erhebliche negative Auswirkungen auf den Wettbewerb zwischen Ryanair und Aer Lingus habe. Die Kommission sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass es aufgrund des Umstands, dass die Beteiligung keine Kontrolle vermittelt, nicht zu einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs kommen könne.231 Als Beleg für negative Auswirkungen auf den Wettbewerb führte Aer Lingus an, dass Ryanair die Minderheitsbeteiligung für einen Versuch genutzt habe, Zugriff auf den vertraulichen strategischen Plan und andere Geschäftsgeheimnisse von Aer Lingus zu erhalten. Weiterhin habe Ryanair einen Sonderbeschluss über eine Kapitalerhöhung blockiert und die Einberufung von zwei außerordentlichen Hauptversammlungen gefordert, um bereits getroffene strategische Entscheidungen rückgängig zu machen. Ryanair habe weiterhin seine Stellung als Aktionär für eine Kampagne gegen die Geschäftsführung von Aer Lingus genutzt und daneben auch den Mitgliedern des Verwaltungsrats mit rechtlichen Schritten wegen der Verletzung ihrer Pflichten gegenüber dem Minderheitsgesellschafter Ryanair gedroht. Durch diese Einwirkungen von Ryanair werde Aer Lingus in seiner Effektivität als Wettbewerber von Ryanair geschwächt.232 Zudem argumentierte Aer Lingus, dass Ryanair durch die Minderheitsbeteiligung weniger Anreiz zum Wettbewerb mit Aer Lingus hätte, da Ryanair als Anteilseigner auch von den Gewinnen von Aer Lingus profitierte. Dies sei wettbewerblich insbesondere deswegen bedenklich, weil sich die beiden Unternehmen in der Situation eines Duopols befänden und sich daher der wettbewerbliche Erfolg des einen Unternehmens unmittelbar und automatisch zum Nachteil des anderen Unternehmens auswirke. Die Minderheitsbeteiligung ändere die Interessen der Beteiligten und begünstige ein stillschweigendes Zusammenwirken sowie Preiserhöhungen. Durch die Minderheitsbeteiligung würde daher der Wettbewerb verfälscht.233

231

sion. 232 233

EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 45 ff. – Aer Lingus/KommisEuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 46 – Aer Lingus/Kommission. EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 47 – Aer Lingus/Kommission.

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

179

bb) Auslegung von Art. 8 Abs. 4 FKVO Im Hinblick auf die Auslegung von Art. 8 Abs. 4 FKVO argumentierte Aer Lingus, dass die Norm auch die von Ryanair erworbene Minderheitsbeteiligung erfassen müsse.234 Die Fusionskontrollverordnung sei teleologisch auszulegen. Der EuGH und das EuG hätten in früheren Verfahren ausgeführt, dass eine restriktive Auslegung der Fusionskontrollverordnung dieser die praktische Wirksamkeit nehme, während eine weite Auslegung im Einklang mit dem Wortlaut der Verordnung stehe. Die von der Kommission vorgenommene Auslegung widerspreche hingegen dem Ziel der Fusionskontrollverordnung, entsprechend Art. 3 Abs. 1 lit. g EGV235 ein System unverfälschten Wettbewerbs zu gewährleisten.236 Die Kommission habe eine rein grammatikalische Auslegung von Art. 8 Abs. 4 FKVO vorgenommen und sei so zu dem falschen Ergebnis gekommen, dass der Begriff „vollzogen“ in Art. 8 Abs. 4 FKVO mit „Kontrolle begründet“ im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der FKVO gleichzusetzen sei. Die Feststellung der Kommission, dass der Begriff des „teilweise vollzogenen“ Zusammenschlusses im Wortlaut von Art. 8 Abs. 4 FKVO keine Grundlage finde, sei zwar zutreffend, aber wenig sachdienlich, da der Wortlaut ebenso wenig verlange, dass ein vollständiger Vollzug im Sinne eines Kontrollwechsels erfolgt. Vielmehr sei maßgeblich, dass Art. 8 Abs. 4 FKVO auf die Notwendigkeit abstellt, den früheren Zustand durch eine Rückabwicklung der Transaktion wiederherzustellen. Ob ein Kontrollwechsel stattgefunden hat, sei nicht maßgeblich.237 Zudem führte Aer Lingus aus, dass bei der Auslegung des Vollzugsbegriffs auch Art. 7 Abs. 1 FKVO berücksichtigt werden müsse. Diese Vorschrift würde es nach Ansicht der Kommission erlauben, auch einen teilweisen Vollzug zu verhindern. Um dies zu belegen, wies Aer Lingus darauf hin, dass die Kommission im Zusammenhang mit dem Übernahmeversuch von Ryanair auf Grundlage des Vollzugsverbots gegen eine Verhaltensweise unterhalb der Kontrollschwelle eingeschritten sei. So habe die Kommission von Ryanair verlangt, während der Dauer des Fusionskontrollverfahrens die Stimmrechte der bereits erworbenen Aktien nicht auszuüben. Da diese Stimmrechte keine Kontrolle vermittelt hätten, würde diese Aufforderung belegen, dass die Kommission auch einen teilweisen Vollzug als vom Vollzugsverbot erfasst betrachtet. Wenn Maßnahmen unterhalb der Kontrollschwelle vom Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO erfasst sind, müsse dies bei einer kohärenten Auslegung des Begriffs „Vollzug“ auch für die Entflechtungsmöglichkeit nach Art. 8 Abs. 4 FKVO gelten.238 234

EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 50 – Aer Lingus/Kommission. Der Schutz des Wettbewerbs wurde nicht als selbstständiges Ziel der Union in Art. 3 AEUV übernommen. Das Ziel des Wettbewerbsschutzes findet sich jedoch im rechtsverbindlichen Protokoll Nr. 27 zum EUV und AEUV, ABl. EU 2008 Nr. C 115/309. 236 EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 51 – Aer Lingus/Kommission. 237 EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 52 – Aer Lingus/Kommission. 238 EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 53 – Aer Lingus/Kommission. 235

180

D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

cc) Würdigung durch das Gericht Die Argumentation von Aer Lingus überzeugte das Gericht nicht. Eine Zuständigkeit der Kommission unter der Fusionskontrollverordnung bestehe erst ab der Schwelle des Kontrollwechsels. Da Ryanair Aer Lingus weder de jure noch de facto kontrollierte, lagen die Voraussetzungen für ein Einschreiten auf der Grundlage von Art. 8 Abs. 4 FKVO demnach nicht vor (1).239 Weder die von Aer Lingus angeführten wettbewerblichen Auswirkungen (2) noch die Argumentation mit dem Vollzugsverbot (3) rechtfertigten eine abweichende Beurteilung.240 (1) Zuständigkeit der Kommission nur für Zusammenschlüsse im Sinne des Art. 3 FKVO Das EuG führt in seinem Urteil aus, dass die Zuständigkeit der Kommission unter der Fusionskontrollverordnung durch den Begriff des Zusammenschlusses begründet und begrenzt wird. So findet die Fusionskontrollverordnung gemäß Art. 1 Abs. 1 FKVO nur auf Zusammenschlüsse mit gemeinschaftsweiter Bedeutung Anwendung. Der Begriff des Zusammenschlusses wird in Art. 3 FKVO definiert, wobei das maßgebliche Kriterium das Vorliegen einer dauerhaften Veränderung der Kontrolle sei.241 Ein im Sinne der Fusionskontrollverordnung vollzogener Zusammenschluss könne daher nur vorliegen, wenn eine Transaktion eine dauerhafte Veränderung der Kontrolle bewirkt, indem sie die Möglichkeit gewährt, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit des betroffenen Unternehmens auszuüben.242 Die Kommission müsse bei der Beurteilung von Vollzugsmaßnahmen jeweils ermitteln, ob diese zur Folge haben, dass eines der beteiligten Unternehmen eine Kontrollbefugnis über das andere gewinnt, die vorher nicht bestand.243 Das Bestehen einer Kontrollmöglichkeit sei das maßgebliche Kriterium, da es darum gehe, Situationen zu erfassen, in denen es vor einer Transaktion zwei Unternehmen für eine bestimmte wirtschaftliche Tätigkeit gab, nach der Transaktion hingegen nur noch ein Unternehmen.244 Die Fusionskontrollverordnung übertrage der Kommission keine Befugnis zum Einschreiten gegen Vollzugshandlungen unterhalb der Kontrollschwelle. Das EuG führt insoweit unmissverständlich Folgendes aus: „Wenn die Kontrolle nicht erworben wurde, ist die Kommission nicht befugt, den entsprechenden Zusammenschluss rückgängig zu machen.“245 Dabei war unbestritten, dass Ryanair durch die 239

EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 61 – Aer Lingus/Kommission. EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 68, 79 ff. – Aer Lingus/Kommission. 241 EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 62 – Aer Lingus/Kommission. 242 EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 63 – Aer Lingus/Kommission. 243 EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 63 – Aer Lingus/Kommission. 244 EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 63 – Aer Lingus/Kommission. 245 EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 66 – Aer Lingus/Kommission. 240

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

181

Minderheitsbeteiligung keine Kontrolle über Aer Lingus erworben hat.246 Der Gesetzgeber hätte nach Meinung des EuG eine weiter gefasste Vorschrift vorgesehen, wenn er beabsichtigt hätte, der Kommission auch unterhalb der Schwelle des Kontrollwechsels eine Zuständigkeit zu verleihen.247 (2) Wettbewerbsbeeinträchtigungen unterhalb der Schwelle des Kontrollwechsels irrelevant Auch die von Aer Lingus angeführten negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb haben das EuG nicht zu einer abweichenden Beurteilung veranlasst, da sie nicht zu einem Übergang der Kontrolle führten. Das Gericht hebt insoweit hervor, dass die Fusionskontrollverordnung nicht darauf abzielt, Unternehmen vor geschäftsbezogenen Meinungsverschiedenheiten mit ihren Anteilseignern zu bewahren oder Unsicherheit im Hinblick auf die Billigung wichtiger Entscheidungen durch ihre Aktionäre aufzuheben.248 Insgesamt seien die von Aer Lingus angeführten Umstände nicht geeignet, um nachzuweisen, dass Ryanair die Möglichkeit erworben hat, bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit von Aer Lingus auszuüben. Dies wäre jedoch erforderlich, um ein Einschreiten der Kommission auf Grundlage von Art. 8 Abs. 4 FKVO zu erlauben.249 So führte das EuG beispielsweise im Hinblick auf die außerordentlichen Hauptversammlungen, die Ryanair einberufen hatte, um von Aer Lingus getroffene strategische Entscheidungen rückgängig zu machen, an, dass der Verwaltungsrat die beiden fraglichen Anträge zurückgewiesen hat. Ryanair war somit gerade nicht dazu in der Lage, Aer Lingus seinen Willen aufzuzwingen.250 Auch der Umstand, dass Ryanair als Minderheitsaktionär eine Gewinnbeteiligung erhält und dadurch womöglich der Anreiz sinkt, Wettbewerbsdruck auf Aer Lingus auszuüben, ist nach Ansicht des EuG nicht zu berücksichtigen. Ein solch theoretisches Vorbringen sei nicht geeignet, um zu zeigen, dass Ryanair Kontrolle über Aer Lingus ausüben kann.251 Unbeachtlich war nach Ansicht des Gerichts auch der Vorwurf, dass Ryanair versucht habe, seine Beteiligung zu nutzen, um Zugang zum strategischen Plan und anderen Geschäftsgeheimnissen von Aer Lingus zu erhalten. Ein solcher Informationsaustausch sei keine direkte Folge der Minderheitsbeteiligung, sondern vielmehr auf ein eigenständiges Verhalten der beiden Unternehmen zurückzuführen, das an Art. 101 AEUV zu messen ist.252

246 247 248 249 250 251 252

EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 67 – Aer Lingus/Kommission. EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 66 – Aer Lingus/Kommission. EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 68 – Aer Lingus/Kommission. EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 69 – Aer Lingus/Kommission. EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 72 – Aer Lingus/Kommission. EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 74 – Aer Lingus/Kommission. EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 70 – Aer Lingus/Kommission.

182

D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

Die von Aer Lingus angeführten wettbewerblichen Umstände veranlassen das EuG daher nicht zu der Annahme eines vollzogenen Zusammenschlusses, da sie die Kontrollschwelle nicht erreichen und somit unter Art. 8 Abs. 4 FKVO irrelevant sind.253 (3) Keine abweichende Beurteilung aufgrund der Berücksichtigung von Art. 7 Abs. 1 FKVO Diese Beurteilung wird nach Ansicht des Gerichts auch nicht durch das Vorbringen von Aer Lingus zum Vollzugsverbot in Frage gestellt. Aer Lingus argumentierte, dass die Kommission das Vollzugsverbot auch auf Verhaltensweisen unterhalb der Kontrollschwelle anwende und eine entsprechend weite Auslegung daher auch unter Art. 8 Abs. 4 FKVO maßgeblich sei. Als Beleg hierfür führte Aer Lingus an, dass die Kommission Ryanair aufgefordert habe, die Stimmrechte aus den bereits sukzessive erworbenen Anteilen während der fusionskontrollrechtlichen Prüfung nicht auszuüben.254 Doch auch diese Argumentation überzeugte das EuG nicht. Es führt vielmehr – recht schwer verständlich – aus, dass es der Kommission während des Prüfverfahrens nicht darum gehe, in dem Fall, dass sie den Zusammenschluss untersagt, den Zustand vor dem Vollzug des Zusammenschlusses wiederherzustellen. Vielmehr würde die Kommission während des Prüfverfahrens darauf achten, nicht in Situationen zu geraten, in denen der Zusammenschluss vollzogen wurde, obwohl er noch untersagt werden kann.255 Im Zusammenhang mit einem öffentlichen Übernahmeangebot, für das eine automatische Ausnahme vom Vollzugsverbot gemäß Art. 7 Abs. 2 FKVO gilt, könne der Erwerb einer Beteiligung, die als solche nicht die Kontrolle im Sinne von Art. 3 FKVO verleiht, in den Anwendungsbereich von Art. 7 FKVO fallen. Die Kommission verwende den Begriff des „einzigen Zusammenschlusses“, um die Gefahr zu begrenzen, in eine Situation zu geraten, in der eine Unvereinbarkeitsentscheidung durch eine Entflechtungsentscheidung mit dem Zweck ergänzt werden müsste, den vor der Stellungnahme der Kommission eingetretenen Kontrollerwerb zu beenden. Zu diesem Zweck hätte die Kommission Ryanair aufgefordert, die Stimmrechte aus den bereits erworbenen Anteilen nicht auszuüben.256 Ein Widerspruch bezüglich des Verhaltens der Kommission im Hinblick auf das Vollzugsverbot zur Auslegung von Art. 8 Abs. 4 FKVO besteht nach Auffassung des EuG somit nicht.

253

Vgl. EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 78 – Aer Lingus/Kommission. 254 EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 53 – Aer Lingus/Kommission. Vgl. Depoortere/Lelart, World Competition 2010, 103, 112 f. 255 EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 79 f. – Aer Lingus/Kommission. 256 EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 82 f. – Aer Lingus/Kommission.

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

183

dd) Ergebnis Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass die Weigerung der Kommission rechtmäßig war, auf Grundlage von Art. 8 Abs. 4 FKVO ein Entflechtungsverfahren gegen die Minderheitsbeteiligung von Ryanair einzuleiten. In der erworbenen Minderheitsbeteiligung liege kein vollzogener Zusammenschluss, auch wenn der Erwerbsvorgang im Zusammenhang mit einem untersagten Zusammenschlussvorhaben erfolgt ist.257 Auch habe die Kommission ihre Entscheidung, keine Maßnahmen nach Art. 8 Abs. 4 FKVO zu erlassen, in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht ausreichend begründet.258 e) Schlussfolgerungen für die Reichweite des Vollzugsverbots Aus dem Aer-Lingus-Verfahren lassen sich wichtige Rückschlüsse auf die Bestimmung der Reichweite des Vollzugsverbots ziehen. Die Ausführungen der Kommission und des EuG zu der Frage, wann ein vollzogener Zusammenschluss im Sinne des Art. 8 Abs. 4 FKVO vorliegt, können auf das Vollzugsverbot übertragen werden und sprechen eindeutig für eine enge Auslegung (aa)). Fraglich ist allerdings, wie die Ausführungen des EuG zum Vollzugsverbot zu verstehen sind. In der Literatur wird aus ihnen einhellig geschlussfolgert, dass das Vollzugsverbot weit auszulegen ist, sodass es auch Verhaltensweisen unterhalb der Kontrollschwelle erfasst (bb)). Eine genauere Untersuchung der fraglichen Urteilspassage ergibt jedoch, dass dieses Verständnis unzutreffend ist. Vielmehr bestätigen die Ausführungen des EuG, dass eine enge Auslegung des Vollzugsverbots vorzunehmen ist (cc)). aa) Auslegungsergebnis zu Art. 8 Abs. 4 FKVO ist auf Art. 7 Abs. 1 FKVO zu übertragen Sowohl die Kommission als auch das EuG kommen in ihrer Prüfung von Art. 8 Abs. 4 FKVO zu dem Ergebnis, dass ein vollzogener Zusammenschluss, der eine Voraussetzung für Entflechtungsmaßnahmen auf Grundlage von Art. 8 Abs. 4 FKVO ist, erst dann vorliegt, wenn der Zusammenschlusstatbestand des Art. 3 FKVO durch einen Kontrollwechsel verwirklicht wurde. Dieses Auslegungsergebnis ist auf das Vollzugsverbot zu übertragen. Hierfür sprechen sowohl der Wortlaut beider Normen als auch teleologische und systematische Gründe. Art. 7 Abs. 1 FKVO spricht von „vollzogen werden“, Art. 8 Abs. 4 FKVO von „vollzogen wurde“. Der einzige Unterschied im Wortlaut besteht in den unter257

EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 85 – Aer Lingus/Kommission. EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 87 – Aer Lingus/Kommission. Dies gelte auch für Art. 8 Abs. 5 FKVO, auf den die zu Art. 8 Abs. 4 FKVO erfolgte Argumentation übertragen werden kann, EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 88 – Aer Lingus/Kommission. 258

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

schiedlichen Tempora, was allein darauf zurückzuführen ist, dass Art. 7 Abs. 1 FKVO ex ante den Vollzug verbietet, während Art. 8 Abs. 4 FKVO ex post das Vorgehen gegen rechtswidrige Vollzugsmaßnahmen ermöglicht. Die fast identischen Formulierungen sprechen für eine gleichlaufende Auslegung beider Normen. Eine parallele Auslegung ist auch aus teleologischen Gründen geboten. So sind beide Vorschriften ineinander greifende Instrumente des präventiven Fusionskontrollverfahrens. Das Vollzugsverbot soll verhindern, dass ein Zusammenschluss vor dem Abschluss der fusionskontrollrechtlichen Prüfung umgesetzt wird und hierdurch die Effektivität der Fusionskontrolle gefährdet wird. Wird ein Vorhaben dennoch umgesetzt und ergeht eine Untersagungsentscheidung, so ermächtigt Art. 8 Abs. 4 FKVO zur Entflechtung des vollzogenen Zusammenschlusses. Da der Zweck von Art. 8 Abs. 4 FKVO darin besteht, im Falle eines Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO effektive Abhilfemaßnahmen zu ermöglichen, ist eine gleichlaufende Auslegung beider Normen geboten. Zuletzt ist auch aus systematischen Gründen anzunehmen, dass die enge Auslegung des Vollzugsbegriffs auf Art. 7 Abs. 1 FKVO zu übertragen ist. So hat das Gericht die enge Auslegung von Art. 8 Abs. 4 FKVO mit dem grundsätzlichen Argument begründet, dass sich die Zuständigkeit der Kommission unter der Fusionskontrollverordnung nicht auf Vorgänge unterhalb der Kontrollschwelle bezieht.259 Diese Zuständigkeitserwägung beansprucht gleichermaßen für Art. 7 Abs. 1 FKVO Geltung, was jüngst auch durch das Electrabel-Urteil des EuG bestätigt wurde.260 Die in Aer Lingus vorgenommenen enge Auslegung von Art. 8 Abs. 4 FKVO ist somit auf Art. 7 Abs. 1 FKVO zu übertragen. In diesem Sinne äußerte sich auch der Präsident des EuG im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes: Die Auslegung des Begriffs Vollzug in Art. 8 Abs. 4 FKVO müsse „mutatis mutandis“ für Art. 7 Abs. 1 FKVO gelten.261 Ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot kann demnach nur angenommen werden, wenn durch die fragliche Maßnahme ein Kontrollwechsel herbeigeführt und hierdurch der Zusammenschlusstatbestand verwirklicht wird. bb) Literatur folgert aus Aer Lingus weite Auslegung des Vollzugsverbots In der Literatur wird das Aer-Lingus-Urteil jedoch genau entgegengesetzt interpretiert. Depoortere262, Depoortere/Lelart263, Hennig264, Körber265, und Rosenthal/ 259

EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 62 – Aer Lingus/Kommission. EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 42 – Electrabel/ Kommission. 261 EuG, 18. 03. 2008, Rs. T-411/07 R, Slg. 2008 II-411, Ziff. 98 – Aer Lingus/Kommission. 262 Depoortere, The Aer Lingus Judgment – When non-implementation is implementation, or not. 260

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

185

Thomas266 folgern aus dem Urteil, dass auch ein Anteilserwerb, der nicht zum Kontrollwechsel führt, unter das Vollzugsverbot fällt, wenn er im Rahmen eines Vorhabens erfolgt, das auf einen Kontrollerwerb abzielt. Diese Schlussfolgerung hätte bedeutende Folgen für die Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen, da auch dem Kontrollerwerb vorgelagerte Maßnahmen sehr weitreichend vom Vollzugsverbot erfasst werden könnten, sofern sie nur im Rahmen eines Vorhabens erfolgen, das auf einen Kontrollerwerb abzielt. Auslöser für die Schlussfolgerungen der Literatur, die nach der Argumentation des Gerichts zu Art. 8 Abs. 4 FKVO sehr überraschen, sind die Ausführungen des Gerichts zu Art. 7 Abs. 1 FKVO in den Ziff. 79 bis 83 des Aer-Lingus-Urteils. Allem voran ist der folgende Satz die Ursache dafür, dass in der Literatur angenommen wird, dass das Urteil für eine weite Auslegung des Vollzugsverbots spricht: „In diesem Zusammenhang kann der Erwerb einer Beteiligung, die als solche nicht die Kontrolle im Sinne von Art. 3 der Fusionskontrollverordnung verleiht, in den Anwendungsbereich von Art. 7 dieser Verordnung fallen [Hervorh. d. Verf.].“267

Aus dieser Formulierung wird die Schlussfolgerung gezogen, dass nach Ansicht des EuG ein Kontrollwechsel für einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot nicht erforderlich ist. Die Diskrepanz, die durch eine solche Auslegung des Vollzugsverbots zur Auslegung von Art. 8 Abs. 4 FKVO entsteht, erklärt Hennig mit der Untersagungsentscheidung, die eine Voraussetzung für ein Vorgehen nach Art. 8 Abs. 4 FKVO, nicht aber für das Verbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO ist. Bevor eine Untersagungsentscheidung ergangen ist, das heißt zu der Zeit, zu der Art. 7 Abs. 1 FKVO eingreift, stelle sich der Erwerb der Minderheitsbeteiligung als Teil eines Stufenerwerbs dar, der auf einen Kontrollerwerb abzielt und somit nicht vollzogen werden dürfe. Die Entflechtungsregelung des Art. 8 Abs. 4 FKVO setze hingegen eine Untersagungsentscheidung voraus. Sobald die Untersagung erfolgt ist, sei der Eintritt eines Kontrollerwerbs nicht mehr möglich. Aus diesem Grund sei im Rahmen von Art. 8 Abs. 4 FKVO im Gegensatz zu Art. 7 Abs. 1 FKVO der Anteilserwerb isoliert zu betrachten.268

263 Depoortere/Lelart, World Competition 2010, 103, 113. Der Artikel erschien zwar, bevor das EuG-Urteil in Aer Lingus ergangen ist, setzt sich jedoch mit dem Sitzungsbericht auseinander und kommt im Wesentlichen zu dem gleichen Ergebnis wie die anderen angeführten Literaturstimmen. 264 Hennig, ZWeR 2011, 443, 468. 265 Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 11, 26. 266 Rosenthal/Thomas, European Merger Control, Abschnitt E, Rdnr. 49. 267 EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 83 – Aer Lingus/Kommission. 268 Hennig, ZWeR 2011, 443, 468.

186

D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

cc) Ausführungen in Aer Lingus zum Vollzugsverbot bestätigen enge Auslegung Der Erklärungsansatz von Hennig ist zwar durchaus plausibel. Dennoch wäre es aus den oben269 genannten Gründen äußerst widersprüchlich, wenn das Gericht eine von Art. 8 Abs. 4 FKVO abweichende Auslegung von Art. 7 Abs. 1 FKVO vertreten würde, zumal der Präsident des EuG im einstweiligen Rechtsschutz noch Gegenteiliges verlautbart hat.270 Tatsächlich ergibt eine genauere Untersuchung der schwer verständlichen Passage des Urteils, dass sich das EuG keineswegs für eine weite Auslegung des Vollzugsverbots ausspricht, sondern vielmehr sogar das Erfordernis eines Kontrollwechsels in seinen Ausführungen zu Art. 7 Abs. 1 FKVO bestätigt. Um die Äußerungen des Gerichts zu verstehen, muss man sich zunächst vergegenwärtigen, auf welche Situation sie sich beziehen: Aer Lingus hatte als Argument für eine weite Auslegung des Vollzugsbegriffs angeführt, dass die Kommission dem Erwerber Ryanair vor der Untersagung des Zusammenschlussvorhabens verboten hatte, seine Stimmrechte aus der sukzessive erworbenen Minderheitsbeteiligung auszuüben. Die Ausführungen des Gerichts zum Vollzugsverbot sollen begründen, warum dieses Vorgehen der Kommission kein Argument für eine weite Auslegung des Vollzugsbegriffs des Art. 8 Abs. 4 FKVO ist, sondern vielmehr im Einklang mit der engen Auslegung steht. Zu diesem Zweck stellt das Gericht fest, dass im Rahmen der Kombination des Erwerbs einer Minderheitsbeteiligung und eines öffentlichen Übernahmeangebots der Erwerb einer Beteiligung, „die als solche nicht die Kontrolle […] verleiht“, in den Anwendungsbereich der Fusionskontrolle fallen kann.271 Dies bedeutet nicht, dass das Gericht das Vorliegen eines Kontrollwechsels für entbehrlich hält, wie am nachfolgenden Satz des Urteils deutlich wird, in dem das EuG von einem „eingetretenen Kontrollerwerb“ spricht, den die Kommission verhindern wolle.272 Das Gericht geht demnach davon aus, dass eine Beteiligung, die als solche keine Kontrolle vermittelt, in der besonderen Konstellation, in der eine Minderheitsbeteiligung und ein öffentliches Übernahmeangebot aufeinandertreffen, ausnahmsweise zu einem Kontrollerwerb führen kann. Welche Situation das EuG dabei vor Augen hatte, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, welche Folgen der Erfolg des Übernahmeversuchs von Ryanair gehabt hätte: Ryanair verfolgte mit dem öffentlichen Übernahmeangebot das Ziel, möglichst alle Aer-Lingus-Anteile zu erwerben.273 Für den Anteilserwerb mittels 269

Siehe S. 183 f. EuG, 18. 03. 2008, Rs. T-411/07 R, Slg. 2008 II-411, Ziff. 98 – Aer Lingus/Kommission. 271 EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 83 – Aer Lingus/Kommission. 272 EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 83 – Aer Lingus/Kommission. 273 Siehe hierzu Spiegel Online, Aer-Lingus-Übernahme, Ryanair schielt auf Transatlantikroute, 05. 10. 2006, abrufbar unter http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,440926,00.html. 270

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

187

eines öffentlichen Übernahmeangebots greift dabei gemäß Art. 7 Abs. 2 FKVO eine Ausnahme vom Vollzugsverbot ein, wobei der Erwerber jedoch gemäß Art. 7 Abs. 2 lit. b FKVO die Stimmrechte der erworbenen Aktien nicht ausüben darf. Die Suspendierung der erworbenen Stimmrechte hat zur Folge, dass sich die effektiven Stimmverhältnisse in der Hauptversammlung verschieben. Hätte Ryanair beispielsweise mittels des öffentlichen Übernahmeangebots zusätzliche 50 Prozent des Aktienkapitals von Aer Lingus erworben, so hätte dies die Suspendierung der Hälfte der Stimmrechte zur Folge gehabt. Hierdurch hätten sich die effektiven Stimmverhältnisse in der Hauptversammlung geändert, sodass Ryanair mit den 25,17 Prozent des Aktienkapitals, die Ryanair bis zum 28. November 2006 sukzessive erworben hatte,274 die effektive Mehrheit der Stimmrechte gehabt hätte. Ryanair hätte folglich durch die Minderheitsbeteiligung, die als solche noch keine Kontrolle vermittelt, die Kontrolle über Aer Lingus erworben.275 Um zu verhindern, dass es durch einen solchen vorzeitigen Kontrollerwerb zu einem Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO kommt, hat die Kommission Ryanair aufgefordert, auch die Stimmrechte aus der bereits erworbenen Minderheitsbeteiligung nicht auszuüben. Dies erklärt die auf den ersten Blick widersprüchliche Äußerung des Gerichts zu Art. 7 Abs. 1 FKVO und zeigt, dass das Gericht den Begriff „Vollzug“ in Art. 7 Abs. 1 FKVO nicht weiter auslegt als in Art. 8 Abs. 4 FKVO. Vielmehr ist davon auszugehen, dass gleichlaufend zu dem Auslegungsergebnis zu Art. 8 Abs. 4 FKVO ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot nur dann vorliegt, wenn es zu einem Kontrollwechsel kommt. dd) Ergebnis Aus der Kommissionsentscheidung und dem EuG-Urteil in Aer Lingus folgt, dass ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot nur dann angenommen werden kann, wenn der Zusammenschlusstatbestand durch einen Kontrollwechsel verwirklicht wird. Gegenstand der Auseinandersetzung in Aer Lingus war zwar nur die Beurteilung der Fallgruppe der Minderheitsbeteiligung unter Art. 8 Abs. 4 FKVO. Die Argumente der Kommission und des EuG für eine enge Auslegung des Vollzugsbegriffs in Art. 8 Abs. 4 FKVO sind jedoch so grundsätzlicher Natur, dass das Auslegungsergebnis auch auf die Beurteilung von Gun-Jumping-Verstößen unter Art. 7 Abs. 1 FKVO zu beziehen ist. Bestätigt wird dieses Ergebnis durch das aktuelle Electrabel-Urteil, in dem das EuG auf das Aer-Lingus-Urteil Bezug nimmt276 und auch unter dem Vollzugsverbot maßgeblich auf das Kriterium des Kontrollwechsels abstellt.277 274

Komm., 27. 06. 2007, COMP/M.4439, Ziff. 10 f. – Ryanair/Aer Lingus. Vgl. zu Stimmrechten aus Altanteilen auch Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 27; Langen/Bunte-Maass, Art. 7 FKVO, Rdnr. 8 f.; Schröter/Jakob/Klotz/Mederer-König, Art. 7 FKVO, Rdnr. 5, Fn. 4 m.w.N. 276 EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 42 – Electrabel/ Kommission. 277 EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 50 – Electrabel/ Kommission. 275

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

Die bisherige Entscheidungspraxis der Kommission unter dem Vollzugsverbot entspricht weitgehend diesem engen Verständnis des Vollzugsverbots. Lediglich das Vorgehen im älteren Fall Bertelsmann/Kirch/Premiere278 wäre mit der engen Auslegung des Vollzugsverbots nicht vereinbar. Ob die Kommission insoweit nun ihre Rechtsauffassung geändert hat, lässt sich nicht abschließend feststellen. Zwar hat die Kommission in Aer Lingus im Hinblick auf Art. 8 Abs. 4 FKVO ihre Zuständigkeit für Sachverhalte unter der Kontrollschwelle bestritten. Zweifel daran, dass es sich hierbei um einen bewussten Richtungswechsel auch im Hinblick auf das Vollzugsverbot handelte, kommen jedoch auf, wenn man die mündlichen Äußerungen der Kommission im Rahmen der Anhörung vor dem EuG in der Sache Aer Lingus berücksichtigt. Aer Lingus hatte argumentiert, dass die Praxis der Kommission unter Art. 7 Abs. 1 FKVO dafür spreche, Art. 8 Abs. 4 FKVO auch unterhalb der Kontrollschwelle eingreifen zu lassen.279 Zur Verteidigung gegen dieses Argument führte die Kommission in der Anhörung aus, dass beide Normen unterschiedliche Situationen erfassen280 und es noch nicht entschieden sei, ob die Beschränkung der Ausübung von Stimmrechten auch vor dem Erfolgen eines Kontrollwechsels zulässig sei, sofern das Vorhaben insgesamt auf einen Kontrollwechsel abzielt.281 Dies legt die Annahme nahe, dass es die Kommission nicht für zwingend hält, die enge Auslegung von Art. 8 Abs. 4 FKVO auf Art. 7 Abs. 1 FKVO zu übertragen.282 Diese Sichtweise der Kommission dürfte mit dem Aer-Lingus-Urteil jedoch hinfällig geworden sein. So war nicht nur die Argumentation des EuG zu Art. 8 Abs. 4 FKVO so grundsätzlicher Natur, dass sie ohne Weiteres auch auf Art. 7 Abs. 1 FKVO zu übertragen ist.283 Vielmehr hat das EuG im Hinblick auf das Vollzugsverbot ausdrücklich nicht angenommen, dass im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 FKVO ein anderer Maßstab anzuwenden ist als unter Art. 8 Abs. 4 FKVO, sondern sogar klargestellt, dass das auf Art. 7 Abs. 1 FKVO gestützte Vorgehen der Kommission im Zusammenschlussvorhaben Ryanair/Aer Lingus mit dem zu Art. 8 Abs. 4 FKVO entwickelten engen Maßstab zu vereinbaren ist.284 Im Ergebnis dürften gerade auch vor 278

Siehe oben S. 162 ff. Siehe hierzu ausführlich oben S. 179 und S. 182. 280 „Article 7 applies in the context of the acquisition […] of a controlling shareholding in a target company pending the Commission’s investigation, while Article 8(4) relates to cases in which such a shareholding has been acquired but where the concentration is declared incompatible with the common market.“ EuG, Report of the Hearing v. 11. 10. 2007, Rs. T-411/07, Ziff. 70 – Aer Lingus/Kommission. 281 „Given that a public bid by definition involves the gradual acquisition of control during a limited period of time, it would not be manifestly unreasonable to interpret Article 7 of the merger regulation as preventing, for the duration of the procedure, the exercise of any voting rights acquired in the course of the public bid. Whether this should also apply to the rights associated with a minority shareholding acquired prior to the launch of the bid is an open question which has never been addressed in a Commission decision.“ EuG, Report of the Hearing v. 11. 10. 2007, Rs. T-411/07, Ziff. 70 – Aer Lingus/Kommission. 282 Vgl. Depoortere/Lelart, World Competition 2010, 103, 112. 283 Siehe oben S. 183 f. 284 Siehe oben S. 182 und S. 186 f. 279

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

189

dem Hintergrund der Bezugnahme auf Aer Lingus im Electrabel-Urteil285 keine Zweifel mehr daran bestehen, dass eine enge Auslegung des Vollzugsverbots vorzunehmen ist. 3. Literaturmeinungen zur Reichweite des Vollzugsverbots In der Literatur werden verschiedene Ansichten zu der Frage vertreten, welche Reichweite das Vollzugsverbot hat.286 Das Für und Wider verschiedener Auslegungsmöglichkeiten wird dabei allerdings kaum diskutiert. Weit überwiegend wird in der Literatur eine weite Auslegung des Vollzugsverbots vertreten (a)). Nur wenige Autoren sprechen sich für eine enge Auslegung aus, nach der ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot nur dann vorliegt, wenn es zu einem Kontrollwechsel kommt (b)). a) Weite Auslegung: Kontrollwechsel nicht erforderlich Mehrere Autoren befürworten eine weite Auslegung des Vollzugsverbots dahingehend, dass die Erfüllung des Zusammenschlusstatbestands keine Voraussetzung für einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO ist. aa) Kontrollerwerb, faktische Vorwegnahme des Zusammenschlusses und Einschränkungen des Wettbewerbs Maass setzt bei der Auslegung des Vollzugsverbots zunächst beim Kontrollerwerb an. Durch Art. 7 Abs. 1 FKVO seien in jedem Fall alle Handlungen verboten, die rechtlich oder tatsächlich auf den Erwerb der Kontrolle abzielen oder darauf hinwirken. Darunter fielen Maßnahmen, welche die Marktstruktur verändern oder das strategische Geschäftsverhalten der neuen Einheit bestimmen, sowie andere effektive Veränderungen der Kontrollsituation.287 Darüber hinaus gelte das Vollzugsverbot jedoch auch für Maßnahmen, die für sich genommen noch keinen Kontrollerwerb begründen, mit denen allerdings der Erwerber allein oder im Zusammenwirken mit dem Zielunternehmen den Zusammenschluss faktisch vorwegnehmen würde.288 Maass sieht das Vollzugsverbot auch dann als verletzt an, wenn der Wettbewerb zwischen den Zusammenschlussparteien im Vorgriff auf den Zusammenschluss eingeschränkt wird. Dies sei der Fall, wenn die Unternehmen gemeinsam am Markt auftreten oder ihr Verhalten am Markt, beispielsweise mittels eines Informations285 EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 42 – Electrabel/ Kommission. 286 Eine Auseinandersetzung mit den in der Literatur vertretenen Ansichten zur Reichweite von Art. 7 Abs. 1 FKVO erfolgt auch bei Holzwarth, Das Vollzugsverbot als Bestandteil eines effizienten Fusionskontrollverfahrens, S. 97 ff. 287 Langen/Bunte-Maass, Art. 7 FKVO, Rdnr. 10. 288 Langen/Bunte-Maass, Art. 7 FKVO, Rdnr. 11.

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

austauschs, abstimmen.289 Maass fasst somit auch Maßnahmen unter das Vollzugsverbot, die typischerweise vom Kartellverbot erfasst werden.290 bb) Handlungen zur Durchführung eines Zusammenschlusses Nach Körber sind alle Handlungen, die der Durchführung eines Zusammenschlusses dienen, Vollzugshandlungen im Sinne des Art. 7 Abs. 1 FKVO.291 Erfasst würden vom Vollzugsverbot insbesondre Handlungen, die sich auf die Markstruktur oder das Wettbewerbsverhalten der neuen unternehmerischen Einheit auswirken. Als Vollzug zu betrachten wären daher die Wahrnehmung gesellschaftsrechtlicher Kontrollrechte, organisatorische Maßnahmen zur Abstimmung der Geschäftspolitik, Management-Vereinbarungen zur Durchführung des Zusammenschlusses, personelle Veränderungen im Hinblick auf die entstehende wirtschaftliche Verbindung oder wettbewerbsbeschränkende Absprachen im Vorgriff auf den Zusammenschluss, wozu auch der verbotene Informationsaustausch gehöre.292 Bloße Vorbereitungshandlungen sollen hingegen nicht vom Vollzugsverbot erfasst sein. Die Vereinbarung von Berichtspflichten oder die Verpflichtung der Geschäftsführung des Zielunternehmens dazu, den Geschäftsbetrieb im bisherigen Rahmen ohne wesentliche Änderungen fortzuführen, seien daher nicht als Vollzug zu werten.293 Für die Annahme eines Verstoßes gegen das Vollzugsverbot hält Körber es nicht für erforderlich, dass die zu beurteilende Einzelmaßnahme für sich einen Kontrollerwerb begründet,294 was wohl auch auf eine nach der hier vertretenen Auffassung295 unzutreffende Interpretation des Aer-Lingus-Urteils zurückzuführen ist.296 In einem Spannungsverhältnis zu der weiten Auslegung des Vollzugsverbots stehen allerdings Äußerungen Körbers an anderer Stelle: Im Hinblick auf die Konstellation schleichender Übernahmen erachtet Körber das Abstellen auf den Kontrollwechsel für systematisch stimmiger, um zu bestimmen, wann eine solche gegen das Vollzugsverbot verstößt.297 Im Rahmen von Art. 21 Abs. 1 FKVO führt er zudem an, dass die Fusionskontrollverordnung erst ab der Schwelle des Kontrollwechsels eingreift und Verhaltensweisen unter dieser Schwelle, beispielsweise der Informationsaustausch vor dem Vollzug, nur am Maßstab des Kartellverbots zu

289 290 291 292 293 294 295 296 297

Langen/Bunte-Maass, Art. 7 FKVO, Rdnr. 11. So auch in Schulte/Just-Maass, Art. 7 FKVO, Rdnr. 5. Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 7. Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 8. Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 9. Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 7. Siehe oben S. 186 ff. Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 11. Siehe hierzu oben S. 184 ff. Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 26.

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

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messen seien.298 Insofern liegt ein Widerspruch zu den Äußerungen zu Art. 7 FKVO vor.299 cc) Aufgabe der eigenständigen Festlegung des Marktverhaltens Nach Rosenthal/Thomas lässt sich die Reichweite von Art. 7 Abs. 1 FKVO nicht abstrakt bestimmen. Vielmehr sei eine Einzelfallbetrachtung erforderlich, bei der maßgeblich sein müsse, dass das Vollzugsverbot im Kern darauf abzielt, dass sich die Parteien des Zusammenschlusses bis zur Freigabe auf dem Markt unabhängig und eigenständig verhalten sollen und keine Informationen von der jeweils anderen Partei erhalten dürfen, die ihr Wettbewerbsverhalten beeinflussen könnten.300 Ein klarer Verstoß gegen das Vollzugsverbot liege vor, wenn es zu einem Kontrollerwerb kommt.301 Aufgrund einer unzutreffenden302 Interpretation des Aer-Lingus-Urteils nehmen Rosenthal/Thomas jedoch an, dass ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot auch durch Verhaltensweisen erfolgen kann, die den Zusammenschlusstatbestand nicht erfüllen.303 dd) Verwirklichung des Zusammenschlusses in Teilbereichen Auch Schütz hält eine Einzelfallbetrachtung für erforderlich, um zu bestimmen, welche Handlungen unter das Vollzugsverbot fallen. Die Formulierung allgemeiner Grundsätze, die über Leerformeln hinausgehen, sei schwer.304 Sowohl Rechtsgeschäfte als auch tatsächliche Handlungen könnten Vollzugsmaßnahmen sein. Dabei sei all das als Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO zu bewerten, was den konkreten Zusammenschluss auch nur in einem Teilbereich oder unter bestimmen Aspekten verwirklicht.305 Zudem führt Schütz aus, dass es bei dem Vollzugsverbot um die Aufrechterhaltung des Status quo gehe. Das Vollzugsverbot verfolge den Zweck, für den Fall des Scheiterns eines Zusammenschlusses zu verhindern, dass der potenzielle Erwerber bereits vor der kartellbehördlichen Entscheidung über den Zusammenschluss einen wettbewerblich erheblichen Einfluss auf das Erwerbsobjekt ausgeübt hat.306 Schütz lehnt sich mit diese Formulierung an den Zusammenschlusstatbestand des § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB an, der keine Entsprechung in der Fusionskontrollver-

298 299 300 301 302 303 304 305 306

Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 21 FKVO, Rdnr. 10. Vgl. Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 8. Rosenthal/Thomas, European Merger Control, Abschnitt E, Rdnr. 45. Rosenthal/Thomas, European Merger Control, Abschnitt E, Rdnr. 46. Siehe oben S. 184 ff. Rosenthal/Thomas, European Merger Control, Abschnitt E, Rdnr. 47 ff. GK-Schütz, Art. 7 FKVO, Rdnr. 4. GK-Schütz, Art. 7 FKVO, Rdnr. 5. GK-Schütz, Art. 7 FKVO, Rdnr. 5.

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

ordnung findet und noch keinen Kontrollwechsel im Sinne von Art. 3 FKVO begründet. ee) Teilweise Vollzugshandlungen und Maßnahmen rein tatsächlicher Natur Wesselys Ausgangspunkt bei der Bestimmung der Reichweite des Vollzugsverbots ist der Kontrollerwerb im Sinne von Art. 3 FKVO. Es sei naheliegend, den Vollzug in der Veränderung der ursprünglich bestehenden Kontrollverhältnisse zu sehen.307 Aus dem Vorgehen der Kommission im Fall Bertelsmann/Kirch/Premiere folgert Wessely allerdings, dass die Kommission von einem weiteren Anwendungsbereich des Vollzugsverbots ausgeht, sodass von Art. 7 Abs. 1 FKVO auch Maßnahmen erfasst würden, die keinen Kontrollwechsel herbeiführen. Eine solch weite Auslegung des Vollzugsverbots hält Wessely im Hinblick auf das Telos des Vollzugsverbots für zutreffend. Daher würden auch teilweise Vollzugshandlungen sowie Maßnahmen rein tatsächlicher Natur unter das Vollzugsverbot fallen, da auch diese den Wettbewerb gefährden und unumstößliche Fakten herbeiführen können.308 ff) Weitere Literaturstimmen Ferner gehen Kellerbauer309, Linsmeier/Balssen310 und Mäger311 explizit sowie daneben Mielke/Welling312 und König313 implizit davon aus, dass ein Kontrollwechsel keine Voraussetzung für einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot sei. Zur Bestimmung der Reichweite des Vollzugsverbots werden stattdessen verschiedene andere Kriterien angeführt, zum Beispiel die Aufrechterhaltung des Status quo,314 die Erfassung aller wettbewerblich relevanten Handlungen,315 die Verhinderung der Beeinflussung des Wettbewerbsverhaltens316 oder das Verbot aller tatsächlichen

307

MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 35. MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 36. 309 Berg/Mäsch-Kellerbauer, Art. 7 FKVO, Rdnr. 6. 310 Linsmeier/Balssen, BB 2008, 741, 743. 311 Mäger, in: Mäger, Europäisches Kartellrecht, 8. Kapitel, Rdnr. 322, Fn. 649. Mäger stellt in der Fußnote die Auffassung von Bosch/Marquier, die einen Kontrollwechsel fordern, in Frage. Hieraus ist zu schließen, dass Mäger diese Einschränkung nicht voraussetzt. 312 Mielke/Welling, BB 2007, 277, 279. 313 Schröter/Jakob/Klotz/Mederer-König, Art. 7 FKVO, Rdnr. 4. 314 Mielke/Welling, BB 2007, 277, 279; Schröter/Jakob/Klotz/Mederer-König, Art. 7 FKVO, Rdnr. 4. 315 Schröter/Jakob/Klotz/Mederer-König, Art. 7 FKVO, Rdnr. 4. 316 Schulte/Just-Maass, Art. 7 FKVO, Rdnr. 5. 308

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

193

Handlungen, welche die wirtschaftlichen Wirkungen des Zusammenschlusses vorwegnehmen.317 b) Enge Auslegung: Kontrollwechsel erforderlich Andere Autoren legen das Vollzugsverbot hingegen enger aus und nehmen einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO nur dann an, wenn es durch einen Kontrollwechsel zur Verwirklichung des Zusammenschlusstatbestands kommt.318 aa) Bestimmung der Reichweite des Vollzugsverbots unter Rückgriff auf Art. 3 FKVO Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Vollzugsbegriff des Art. 7 Abs. 1 FKVO erfolgt durch Bosch/Marquier. Sie führen an, dass die Voraussetzungen für einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot hinreichend bestimmt sein müssen, da der Verstoß sanktionsbewehrt ist.319 Vage Kriterien, beispielsweise das der wirtschaftlichen Vorwegnahme eines Zusammenschlusses, genügten dem Bestimmtheitsgebot nicht. Zudem sei der Rückgriff auf derart unbestimmte Kriterien gar nicht erforderlich, da sich der Umfang des Vollzugsverbots eindeutig durch das Abstellen auf den Zusammenschlussbegriff in Art. 3 FKVO bestimmen lasse. Der Vollzug eines Zusammenschlusses gemäß Art. 7 Abs. 1 FKVO kann nach Bosch/Marquier nur dann angenommen werden, wenn der Zusammenschlusstatbestand des Art. 3 FKVO verwirklicht wird. Nur Vorgänge, die den Zusammenschlusstatbestand erfüllen, seien genehmigungspflichtig, das Vollzugsverbot könne keine größere Reichweite haben. Ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot liege daher nur dann vor, wenn vor der Freigabe durch die Kommission ein Kontrollerwerb erfolgt.320 Dabei weisen Bosch/ Marquier darauf hin, dass der Zusammenschlusstatbestand auch durch einen faktischen Kontrollerwerb verwirklicht werden kann321 und viele der Fälle, die in der Literatur als wirtschaftliche Vorwegnahme eines Zusammenschlusses unter das Vollzugsverbot gefasst werden, nichts anderes als ein faktischer Kontrollerwerb sind.322 Das Vorgehen der Kommission im Fall Bertelsmann/Kirch/Premiere kritisieren Bosch/Marquier, da Bertelsmann und Kirch durch die gemeinsame Ver317

Mäger, in: Mäger, Europäisches Kartellrecht, 8. Kapitel, Rdnr. 322; Mielke/Welling, BB 2007, 277, 279. 318 Vgl. zur österreichischen Zusammenschlusskontrolle auch Kofler-Senoner, RdW 2006, 619, 623, der eine enge Auslegung des Vollzugsverbots der österreichischen Zusammenschlusskontrolle fordert. 319 Bosch/Marquier, EWS 2010, 113, 115. So auch Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht, Art. 7 FKVO, Rdnr. 2 ff. 320 Bosch/Marquier, EWS 2010, 113, 115. 321 Bosch/Marquier, EWS 2010, 113, 115; Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 16, 55, 59 ff., 63. 322 Bosch/Marquier, EWS 2010, 113, 116.

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

marktung nicht die Kontrolle über Premiere erlangt und daher keinen Verstoß gegen das Vollzugsverbot begangen hätten.323 Gegen die Unternehmen hätte vielmehr auf der Grundlage von Art. 101 AEUV vorgegangen werden müssen, da durch die Einigung auf den d-box-Standard andere Marktteilnehmer vom Markt verdrängt worden wären.324 bb) Bezugnahme auf die Marktstruktur und das strategisches Marktverhalten Von einer engen Auslegung des Vollzugsverbots gehen wohl auch AblasserNeuhuber325, Hellmann326 und Reysen/Jaspers327 aus, welche die Reichweite von Art. 7 Abs. 1 FKVO unter Bezugnahme auf die Kriterien der Marktstruktur und des strategische Marktverhaltens bestimmen. Ablasser-Neuhuber führt an, dass aufgrund einer teleologischen Auslegung sämtliche Durchführungshandlungen unter das Vollzugsverbot fallen, die in irgendeiner Weise die Marktstruktur oder das strategische Wirtschaftsverhalten der neuen Einheit betreffen. Als Beispiele hierfür werden die Umsetzung gemeinsamer Geschäftspläne, die Wahrnehmung von Kontrollrechten, organisatorische Maßnahmen und personelle Veränderungen angeführt.328 Hellmann ist der Auffassung, dass nur im Einzelfall und unter Berücksichtigung des Zusammenschlusstatbestands beurteilt werden könne, wann ein Vollzug im Sinne von Art. 7 Abs. 1 FKVO anzunehmen ist. Das Vollzugsverbot gelte für alle Rechtsgeschäfte und Handlungen, die den konkreten Zusammenschluss verwirklichen.329 Erfasst würden insbesondere Handlungen, welche die Marktstruktur oder das Wettbewerbsverhalten der neuen Einheit betreffen.330 Reysen/Jaspers sehen sowohl rechtliche als auch tatsächliche Vollzugshandlungen als vom Vollzugsverbot erfasst an. Neben den für die privatrechtliche Erfüllung des Zusammenschlusstatbestands konstitutiven Rechtshandlungen seien alle tatsächlichen Handlungen vom Vollzugsverbot erfasst, welche die wirtschaftlichen Wirkungen des Zusammenschlusses vorwegnehmen. Dies seien Handlungen, welche die Markstruktur oder das strategische Wirtschaftsverhalten der neuen Einheit betreffen.331 Die Merkmale der Marktstruktur und des strategischen Marktverhaltens sind von unmittelbarer Relevanz für den Zusammenschlusstatbestand. So wird in Erwä323 324 325 326 327 328 329 330 331

Bosch/Marquier, EWS 2010, 113, 116. Bosch/Marquier, EWS 2010, 113, 117. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Ablasser-Neuhuber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 3. FK-Hellmann, Art. 7 FKVO, Rdnr. 10. Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 605. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Ablasser-Neuhuber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 3. FK-Hellmann, Art. 7 FKVO, Rdnr. 9. FK-Hellmann, Art. 7 FKVO, Rdnr. 10. Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 605.

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

195

gungsgrund 20 FKVO ausgeführt, dass der Begriff des Zusammenschlusses so zu definieren ist, dass er dauerhafte Veränderungen der Kontrolle an den beteiligten Unternehmen und damit der Marktstruktur erfasst. Die Möglichkeit der Einflussnahme auf das strategische Wirtschaftsverhalten ist laut der Mitteilung der Kommission zu Zuständigkeitsfragen als Anzeichen für einen Kontrollerwerb zu werten.332 Dies legt nahe, dass die Autoren, die auf die Marktstruktur und das strategische Wirtschaftsverhalten abstellen, letztlich den Zusammenschlusstatbestand umschreiben, um faktische Vollzugshandlungen erfassen zu können. Wahrscheinlich gehen die angeführten Autoren somit von einer engen Auslegung von Art. 7 Abs. 1 FKVO aus. c) Ergebnis In der Literatur wird das Vollzugsverbot überwiegend weit ausgelegt. Auch Teilvollzugshandlungen und Wettbewerbsbeschränkungen zwischen den Zusammenschlussparteien werden unter das Vollzugsverbot gefasst. Begründet wird dies unter anderem mit dem Sinn und Zweck des Vollzugsverbots, dem Aer-Lingus-Urteil und dem Fall Bertelsmann/Kirch/Premiere. Die Auswirkungen einer weiten Auslegung des Vollzugsverbots werden allerdings nur unzureichend untersucht. So wird weder die Gefahr von Rechtsunsicherheit noch die einer unnötigen Behinderung unbedenklicher Zusammenschlussvorhaben ausreichend berücksichtigt. Nur wenige Literaturstimmen333 gehen von einer engen Auslegung des Vollzugsverbots aus. Dabei setzen sich nur Bosch/Marquier argumentativ dafür ein, das Vollzugsverbot erst ab der Kontrollschwelle eingreifen zu lassen.334 4. Auslegung des Vollzugsverbots Die weite Auslegung des Vollzugsverbots, die in der Literatur ganz überwiegend vertreten wird, steht im Widerspruch zu dem Ergebnis, dass das EuG in Aer Lingus im Rahmen der Auslegung von Art. 8 Abs. 4 FKVO erzielt hat335 und das grundsätzlich auf Art. 7 Abs. 1 FKVO übertragbar ist.336 Im nachfolgenden Abschnitt wird untersucht, ob die enge Auslegung des Vollzugsverbots nach Aer Lingus zu überzeugen vermag oder ob nicht vielmehr eine weitere Auslegung des Vollzugsverbots vorzugswürdig ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich das EuG in Aer Lingus nur mit der Fallgruppe der Minderheitsbeteiligungen auseinandergesetzt hat. Es wäre 332

Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 62, 65, 67, 116. Bosch/Marquier, EWS 2010, 113, 115; FK-Hellmann, Art. 7 FKVO, Rdnr. 10; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Ablasser-Neuhuber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 3; Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 605. 334 Zudem nimmt Kofler-Senoner, RdW 2006, 619, 623 eine enge Auslegung von § 17 KartG, dem Vollzugsverbot der österreichischen Zusammenschlusskontrolle, an. 335 Siehe oben S. 177 ff. 336 Siehe oben S. 183 f. 333

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

denkbar, dass im Hinblick auf die Fallgruppe der faktischen Vollzugsmaßnahmen eine weitere Auslegung des Vollzugsverbots erforderlich ist. Eine genauere Untersuchung des Wortlauts von Art. 7 Abs. 1 FKVO (a)), der Systematik der Fusionskontrollverordnung (c)) sowie des Sinns und Zwecks des Vollzugsverbots (c)) zeigt jedoch, dass die enge Auslegung des Vollzugsverbots uneingeschränkt zu überzeugen vermag. a) Wortlaut Der Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 FKVO legt nahe, einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot nur anzunehmen, sofern der Zusammenschlusstatbestand des Art. 3 FKVO verwirklicht wird. Laut Art. 7 Abs. 1 FKVO darf ein Zusammenschluss vor der Freigabe nicht „vollzogen werden“. Vollziehen bedeutet „verwirklichen“, „in die Tat umsetzen“ oder „ausführen“.337 Dies spricht dafür, einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot nur dann anzunehmen, wenn nach der Vornahme der zu beurteilenden Handlung ein Zusammenschluss im Sinne von Art. 3 FKVO vorliegt, da andernfalls noch kein Zusammenschluss im Sinne der Fusionskontrollverordnung verwirklicht wurde.338 Dass ein Teilvollzug oder Vorbereitungshandlungen erfasst sein sollen, sieht der Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 FKVO gerade nicht vor. Das Ergebnis der Wortlautsauslegung wird auch von anderen Sprachfassungen der Fusionskontrollverordnung gestützt. In der englischen Fassung heißt es „shall not be implemented“,339 in der französischen Fassung „ne peut eˆtre re´alise´e“340 und in der spanischen Fassung „no podra´ ejecutarse“.341 Demnach wird jeweils eine Verwirklichung, Durchführung bzw. Umsetzung des Zusammenschlusses vorausgesetzt.342 Eine größere Reichweite der Norm ließe sich lediglich dann annehmen, wenn der Wortlaut so zu verstehen wäre, dass bereits der Vorgang des Vollzugs verboten ist. In diesem Fall würde schon der Beginn des Vollzugs und nicht erst dessen Vollendung vom Vollzugsverbot erfasst. Ein solches Wortlautverständnis erscheint jedoch eher fernliegend und konstruiert. Zudem spricht der Wortlaut von Art. 8 Abs. 4 FKVO 337 Vgl. Schlagwort „vollziehen“ in Duden, Das Große Wörterbuch der deutschen Sprache in 10 Bänden, Mannheim 2009 oder den entsprechenden Eintrag auf Duden Online, abrufbar unter http://www.duden.de/suchen/dudenonline/vollziehen. 338 Vgl. zum Vollzugsbegriff in Art. 8 Abs. 4 FKVO EuG, 18. 03. 2008, Rs. T-411/07 R, Slg. 2008 II-411, Ziff. 90 – Aer Lingus/Kommission. 339 Article 7(1) Council Regulation (EC) No 139/2004 of 20 January 2004 on the control of concentrations between undertakings, OJ EU No L 24/1. 340 Article 7(1) Règlement (CE) No 139/2004 du Conseil du 20 janvier 2004 relatif au contrôle des concentrations entre entreprises, JE UE No L 24/1. 341 Artículo 7(1) Reglamento (CE) No 139/2004 del Consejo de 20 de enero de 2004 sobre el control de las concentraciones entre empresas, DO UE No L 24/1. 342 Vgl. zu einer möglichen abweichenden Wortlautauslegung des englischen Begriffs implementation allerdings EuG, 18. 03. 2008, Rs. T-411/07 R, Slg. 2008 II-411, Ziff. 89 – Aer Lingus/Kommission.

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

197

gegen diese weite Interpretation: Art. 8 Abs. 4 FKVO setzt voraus, „dass ein Zusammenschluss bereits vollzogen wurde“. In dieser Formulierung kommt klar zum Ausdruck, dass der Vollzug abgeschlossen sein muss. Da von einer gleichlaufenden Auslegung von Art. 7 Abs. 1 FKVO und Art. 8 Abs. 4 FKVO auszugehen ist,343 ist ein Wortlautverständnis, das auf den Vollzugsvorgang bezogen ist, abzulehnen. Ein weiterer Hinweis auf die Maßgeblichkeit der Verwirklichung des Zusammenschlusstatbestands ist der Wortlaut von Art. 7 Abs. 2 FKVO, der ausdrücklich auf Art. 3 FKVO Bezug nimmt: „Absatz 1 steht der Verwirklichung von Vorgängen nicht entgegen, bei denen die Kontrolle im Sinne von Artikel 3 von mehreren Veräußerern im Wege eines öffentlichen Übernahmeangebots oder im Wege einer Reihe von Rechtsgeschäften mit Wertpapieren […] erworben wird […] [Hervorh. d. Verf.].“

Der Verordnungsgeber scheint mit der Bezugnahme auf den Kontrollerwerb Verstöße gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO umschreiben zu wollen, schließlich soll durch Absatz 2 eine Ausnahme von der Regel des Absatzes 1 geschaffen werden. Dies deutet darauf hin, dass nach dem Willen des Verordnungsgebers nur Fälle vom Vollzugsverbot erfasst sein sollen, in denen der Zusammenschlusstatbestand verwirklicht wird. Die Wortlautauslegung spricht demnach dafür, einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot nur anzunehmen, sofern der Zusammenschlusstatbestand verwirklicht wird.344 b) Systematik Ein sehr grundsätzliches Argument für die enge Auslegung des Vollzugsverbots ergibt sich aus der systematischen Stellung der Fusionskontrollverordnung im europäischen System des Wettbewerbsschutzes. Für die Maßgeblichkeit der Verwirklichung des Zusammenschlusstatbestands spricht insofern bereits, dass sich die Zuständigkeit der Kommission unter der Fusionskontrollverordnung nur auf Vorgänge oberhalb der Kontrollschwelle erstreckt (aa)). Zwar ist es dennoch nicht gänzlich ausgeschlossen, zu argumentieren, dass das Vollzugsverbot auch Vorgänge unterhalb der Kontrollschwelle erfasst (bb)). Eine genauere Betrachtung zeigt jedoch, dass die Begrenzung des Anwendungsbereichs der Fusionskontrollverordnung durch das Merkmal des Kontrollwechsels Ausdruck der Abgrenzung von Marktstruktur- und Verhaltenskontrolle ist, die missachtet würde, wenn Verhaltensweisen unterhalb der Kontrollschwelle vom Vollzugsverbot erfasst würden (cc)). Interak343

Hierzu siehe oben S. 183 f. Vgl. EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 42 – Electrabel/Kommission. 344 Die Auslegung des Wortlauts von Art. 8 Abs. 4 FKVO durch die Kommission und das EuG in Aer Lingus ist somit auf Art. 7 Abs. 1 FKVO zu übertragen. Kommission, 11. 10. 2007, COMP/M.4439, Ziff. 12 – Ryanair/Aer Lingus; EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II3691, Ziff. 27, 52, 61 ff. – Aer Lingus/Kommission.

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

tionen der Zusammenschlussparteien, durch die kein Kontrollwechsel herbeigeführt wird, unterfallen vielmehr allein dem Regime der Verhaltenskontrolle (dd)). aa) Begrenzter Anwendungsbereich der Fusionskontrollverordnung Der Anwendungsbereich der Fusionskontrollverordnung erstreckt sich nur auf Marktstrukturveränderungen, die durch einen dauerhaften Wechsel der Kontrolle über eine unternehmerische Einheit bewirkt werden.345 Dies folgt aus Art. 1 Abs. 1 FKVO, nach dem die Fusionskontrollverordnung nur auf Zusammenschlüsse mit gemeinschaftsweiter Bedeutung Anwendung findet.346 Art. 3 Abs. 1 FKVO definiert, dass ein Zusammenschluss durch die dauerhafte Erlangung der Kontrolle über ein anderes Unternehmen bewirkt wird. Verhaltensweisen unterhalb der Kontrollschwelle können nicht vom Vollzugsverbot erfasst werden, da sie nach der Anordnung des Verordnungsgebers nicht der Zusammenschlusskontrolle durch die VO 139/2004 unterfallen. Besonders deutlich wird dies an der Fallgruppe der Minderheitsbeteiligungen, die Gegenstand des Aer-Lingus-Verfahrens war. Der Erwerber Ryanair hatte im Rahmen seines Gesamtplans, die Kontrolle über Aer Lingus zu erwerben, zunächst eine Minderheitsbeteiligung erlangt. Da der Erwerb einer Minderheitsbeteiligung aber insgesamt nicht der Kontrolle durch die Fusionskontrollverordnung unterfällt, entschied das EuG, dass durch ihn auch nicht gegen das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO verstoßen bzw. die korrespondierende Entflechtungsermächtigung des Art. 8 Abs. 4 FKVO ausgelöst werden kann.347 Die Reichweite der Fusionskontrollverordnung wurde vom Verordnungsgeber bewusst limitiert. Dies ist nicht nur für die Beurteilung von Minderheitsbeteiligungen von Bedeutung, sondern auch bei allen sonstigen Teilvollzugshandlungen zu beachten. Sofern es nicht zu einem Kontrollwechsel kommt, führt die fragliche Maßnahme keinen Zustand herbei, der mit der Fusionskontrollverordnung unvereinbar sein könnte. Dies wird dann besonders deutlich, wenn man als Kontrollüberlegung das Szenario durchspielt, dass das jeweilige Zusammenschlussvorhaben letztlich doch nicht vollzogen wird. In diesem Fall haben die vor dem Abbruch des Vorhabens erfolgten Teilvollzugshandlungen unterhalb der Kontrollschwelle keine Marktstrukturveränderung herbeigeführt, die der Zusammenschlusskontrolle unterfallen würde, da die Fusionskontrollverordnung nur Situationen erfassen soll, in denen die unternehmerischen Ressourcen von zwei Unternehmen gebündelt werden, indem ein Unternehmen die Kontrolle über die strategischen Entscheidungen eines

345 EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 62 ff. – Aer Lingus/Kommission; EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 42 – Electrabel/ Kommission. 346 Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 1 FKVO, Rdnr. 1; MünchKommEuWettbR-Koch, Art. 1 FKVO, Rdnr. 3. 347 EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 62 ff. – Aer Lingus/Kommission. Siehe hierzu oben S. 180 f.

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

199

anderen Unternehmens erlangt.348 Teilvollzugshandlungen unterhalb der Kontrollschwelle können demnach aufgrund der Begrenzung der Reichweite der Fusionskontrollverordnung durch Art. 1 Abs. 1 FKVO in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 FKVO nicht vom Vollzugsverbot erfasst werden. bb) Mögliche Argumentation für ein Eingreifen unterhalb der Kontrollschwelle Entgegen diesen Zuständigkeitserwägungen wäre es wohl dennoch nicht gänzlich ausgeschlossen, zu argumentieren, dass das Vollzugsverbot bereits unterhalb der Kontrollschwelle eingreift. So ließe sich anführen, dass es einem präventiven Fusionskontrollregime eigen ist, dass es die Handlungsfreiheit der Zusammenschlussparteien im Interesse eines möglichst effektiven Wettbewerbsschutzes bereits vor dem Eintritt eines Kontrollwechsels beschränkt, indem das Zusammenschlussvorhaben suspendiert wird und die Parteien verpflichtet werden, ihr Vorhaben bei einer Kartellbehörde anzumelden. In diesem Sinne ließe sich weiterhin anführen, dass aus dem Umstand, dass die materielle Fusionskontrolle lediglich Fälle des Kontrollwechsels erfasst, nicht zwangsläufig geschlussfolgert werden muss, dass auch die Vorschriften des Fusionskontrollverfahrens erst ab der Kontrollschwelle eingreifen. Diese Sichtweise vermag im Ergebnis jedoch nicht zu überzeugen. Zum einen vermag sie nicht das Argument zu entkräften, dass durch Teilvollzugshandlungen unterhalb der Kontrollschwelle kein Zustand herbeigeführt werden kann, der mit der Fusionskontrollverordnung unvereinbar ist. Zum anderen ist die Begrenzung der Reichweite der Fusionskontrollverordnung Ausdruck der grundlegenden Abgrenzung zwischen Marktstruktur- und Verhaltenskontrolle. Wie nachfolgend herausgearbeitet wird, würde diese Abgrenzung unterlaufen, wenn auch Maßnahmen unterhalb der Kontrollschwelle vom Vollzugsverbot erfasst würden. cc) Abgrenzung zwischen Marktstruktur- und Verhaltenskontrolle Das europäische System zum Schutz des Wettbewerbs verfügt über zwei Säulen, die sich konzeptionell deutlich unterscheiden und klar voneinander abgegrenzt werden: Auf der einen Seite steht die Verhaltenskontrolle durch das Kartell- und Missbrauchsverbot, auf der anderen Seite die Marktstrukturkontrolle durch die Fusionskontrollverordnung.349

348

EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 63 – Aer Lingus/Kommission. Zudem bestehen mit dem Beihilfe- und Vergaberecht weitere Instrumente zum Schutz des Wettbewerbs, die sich jedoch vorrangig an die Mitgliedstaaten richten. 349

200

D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

(1) Verhaltenskontrolle Mit den Mitteln der Verhaltenskontrolle350 sollen Situationen des akuten Marktversagens verhindert werden. Durch scharfe Sanktionen erfolgt eine Modifikation der Anreizsituation von Unternehmen, sodass sich diese in Fällen, in denen ausnahmsweise der Wettbewerb als Garant einer effizienten Ressourcenallokation versagt (Kollusion, Bestehen von Marktmacht), dennoch in einer Weise verhalten, die dem Ziel der gesamtwirtschaftlichen Effizienz dient. Im Bereich der Verhaltenskontrolle findet das Prinzip der Selbstveranlagung Anwendung: Die Normadressaten müssen eigenständig die Kartellrechtskonformität ihres Verhaltens beurteilen. Um eine effektive Abschreckung vor Kartellverstößen zu gewährleisten (deterrence), schreiten die Kommission und nationale Kartellbehörden ex post gegen verbotene Verhaltensweisen ein und sanktionieren diese scharf.351 (2) Markstrukturkontrolle Die Marktstrukturkontrolle durch die Fusionskontrollverordnung ist konzeptionell hingegen auf einer vorgelagerten Ebene angesiedelt und soll verhindern, dass durch externes Unternehmenswachstum Marktstrukturen entstehen, in denen es wahrscheinlicher wird, dass der Wettbewerb seine Ordnungsfunktion nicht mehr optimal erfüllen kann und es zu einer Situation des akuten Marktversagens kommt.352 Zu diesem Zweck etabliert die Fusionskontrollverordnung für Zusammenschlüsse mit gemeinschaftsweiter Bedeutung ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Im Rahmen des Fusionskontrollverfahrens erfolgt durch die Kommission eine Exante-Überprüfung der Auswirkungen von Zusammenschlüssen. Eine Freigabe wird nur erteilt, sofern keine entscheidenden wettbewerblichen Bedenken bestehen. (3) Klare Abgrenzung zwischen Marktstruktur- und Verhaltenskontrolle Die Unterscheidung zwischen Marktstruktur- und Verhaltenskontrolle kann letztlich als Ausdruck des industrieökonomischen structure-conduct-performanceKonzepts verstanden werden, dem die Annahme kausaler Beziehungen zwischen der Marktstruktur und dem Marktverhalten sowie dem Marktverhalten und dem Marktergebnis zugrunde liegt.353 Die Fusionskontrollverordnung betrifft die Ebene 350 Die Instrumente der Verhaltenskontrolle sind das Kartellverbot des Art. 101 AEUV und das Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV. 351 Eingehend hierzu oben S. 34 ff. 352 Im Rahmen der gemeinhin besonders problematischen horizontalen Zusammenschlüsse wird insofern zwischen nicht koordinierten Effekten durch die Erhöhung der Marktmacht und koordinierten Effekten durch die Schaffung von Marktstrukturen, die eine Kollusion begünstigen, unterschieden, vgl. Kommission, Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Ziff. 22 ff. Zu den Effekten vertikaler und konglomerater Zusammenschlüsse siehe Kommission, Leitlinien zur Bewertung nichthorizontaler Zusammenschlüsse, Ziff. 28 ff., 91 ff. Vgl. Körber, WuW 2008, 522. 353 Vgl. Bühler/Jaeger, Einführung in die Industrieökonomik, S. 1, 4; Mestmäcker/ Schweitzer, § 16, Rdnr. 36.

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

201

der Marktstruktur, während das Kartell- und Missbrauchsverbot auf der Ebene des Marktverhaltens ansetzen, um darauf hinzuwirken, dass auf der Ebene des Marktergebnisses das Ziel allokativer Effizienz erreicht wird. Die Instrumente der Verhaltens- und Marktstrukturkontrolle ergänzen sich somit auf verschiedenen Ebenen, um einen wirksamen Schutz des Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt zu gewährleisten. Sie unterscheiden sich dabei in ihrem Ansatzpunkt jedoch grundsätzlich: Während die Marktstrukturkontrolle letztlich an einem Gefährdungstatbestand anknüpft,354 erfasst die Verhaltenskontrolle Unternehmenspraktiken mit unmittelbar negativen Auswirkungen. Trotz der verschiedenen Ansatzpunkte der Struktur- und Verhaltenskontrolle kann es in der Rechtsanwendung in Einzelfällen schwer zu bestimmen sein, ob eine bestimmte Unternehmensaktivität als Marktstrukturveränderung oder als Marktverhalten zu beurteilen ist. Um in solchen Grenzsituationen Wertungswidersprüche zu vermeiden, werden die Instrumente der Marktstruktur- und Verhaltenskontrolle trennscharf voneinander abgegrenzt: Die Fusionskontrollverordnung ist gemäß Art. 1 Abs. 1 FKVO nur auf Vorgänge anwendbar, die als Zusammenschluss im Sinne des Art. 3 Abs. 1 FKVO zu qualifizieren sind.355 Verhaltensweisen, die den Zusammenschlusstatbestand nicht erfüllen, sind der präventiven Marktstrukturkontrolle entzogen. Andererseits soll gemäß Art. 21 Abs. 1 FKVO auf Zusammenschlüsse allein die Fusionskontrollverordnung Anwendung finden. Die VO 1/ 2003, welche die Durchsetzung der Art. 101, 102 AEUV regelt, ist auf Vorgänge, die als Zusammenschluss im Sinne des Art. 3 Abs. 1 FKVO zu qualifizieren sind, ausdrücklich nicht anwendbar.356 Zwar kann die sekundärrechtliche Fusionskontrollverordnung die Geltung des primärrechtlichen Kartellverbots nicht einschränken,357 sodass eine Anwendung des Kartellverbots auf Zusammenschlüsse grundsätzlich noch über die Art. 104 und 105 AEUV in Betracht zu ziehen sein könnte. Jedoch hat die Kommission mitgeteilt, dass sie normalerweise nicht beabsichtige, Art. 101 AEUV auf Zusammenschlüsse im Sinne von Art. 3 FKVO anders als im Wege der Fusionskontrollverordnung358 anzuwenden,359 sodass im Ergebnis eine klare Abgrenzung zwischen der Markt-

354

Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24, Rdnr. 26. Kiliç, Nebenabreden nach der europäischen Fusionskontrollverordnung Nr. 139/2004, S. 138. 356 Art. 21 Abs. 1 FKVO. Vgl. hierzu auch Erwägungsgrund 6 FKVO. Immenga/Mestmäcker-Körber, Einl. FKVO, Rdnr. 48 und Art. 21 FKVO, Rdnr. 4 ff.; Langen/Bunte-Käseberg, Art. 21 FKVO, Rdnr. 2; MünchKommEuWettbR-Schild, Art. 21 FKVO, Rdnr. 1. 357 Vgl. Basedow, EuZW 2003, 44, 46. 358 Also über die Sonderregelung des Art. 2 Abs. 4, 5 FKVO für Gemeinschaftsunternehmen. 359 Kommission, Erklärung für das Ratsprotokoll vom 19. 12. 1989, Ziff. 11, abgedruckt in WuW 1990, 240 ff. Vgl. MünchKommEuWettbR-Pohlmann, Art. 101 AEUV, Rdnr. 331. 355

202

D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

struktur- und Verhaltenskontrolle vorgenommen wird.360 Diese entspricht den konzeptionellen Unterschieden zwischen beiden Instrumenten361 und vermeidet eine Doppelkontrolle, die zu Wertungswidersprüchen und Rechtsunsicherheit führen würde.362 Im Ergebnis ist somit eine parallele Anwendung der Marktstruktur- und Verhaltenskontrolle ausgeschlossen.363 Die Grenzlinie zwischen Marktstruktur- und Verhaltenskontrolle verläuft letztlich genau durch das Vollzugsverbot: Art. 7 Abs. 1 FKVO stellt ein präventives Verbot von Marktstrukturveränderungen durch den Wechsel der Kontrolle über ein Unternehmen auf, um zu verhindern, dass ohne vorherige Überprüfung durch die Kommission aus zwei voneinander unabhängigen Marktakteuren eine einzige wettbewerbliche Einheit wird. Solange das Vollzugsverbot beachtet wird, liegen zwei eigenständige Unternehmen vor, sodass das Kartellverbot364 auf deren Interaktionen Anwendung findet. Folglich bewegt sich die Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen unmittelbar im Grenzbereich zwischen der Marktstruktur- und Verhaltenskontrolle. Kommt es im Rahmen eines Gun-Jumpings zu einem Kontrollwechsel, liegt ein Sachverhalt vor, welcher der Fusionskontrollverordnung als Instrument der Marktstrukturkontrolle unterfällt und gegen das Vollzugsverbot verstößt. Kommt es hingegen durch die Interaktionen von noch selbstständigen Unternehmen zu Wettbewerbsbeschränkungen, ist der Anwendungsbereich der Verhaltenskontrolle eröffnet. (4) Nebenabreden zu Zusammenschlüssen Dass eine derart scharfe Abgrenzung zwischen der Marktstruktur- und Verhaltenskontrolle vorzunehmen ist, wird auch an der Fallgruppe der Nebenabreden zu Zusammenschlüssen deutlich, die ebenfalls die Schnittstelle zwischen der Marktstruktur- und Verhaltenskontrolle betreffen. Die Kommission nimmt in ihrer Bekanntmachung zu Nebenabreden365 ausführlich zur Beurteilung dieser Fallgruppe Stellung. Nebenabreden sind Vereinbarungen, die unmittelbar mit einem Zusammenschluss verbunden und für dessen Durchführung notwendig sind.366 Darunter können 360

Immenga/Mestmäcker-Körber, Einl. FKVO, Rdnr. 45 ff. und Art. 21 FKVO, Rdnr. 4; Langen/Bunte-Käseberg, Art. 21 FKVO, Rdnr. 2. 361 Vgl. K. Schmidt, BB 1990, 719, 720. 362 Vgl. Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 21 FKVO, Rdnr. 4. 363 Basedow, EuZW 2003, 44, 45 f.; von der Groeben/Schwarze-Rating, Art. 81 EGV Anhang, Rdnr. 16; Immenga/Mestmäcker-Körber, Einl. FKVO, Rdnr. 47 ff.; Pohlmann, WuW 2003, 473 ff. Siehe unten S. 241. 364 Ggf. auch das Missbrauchsverbot. 365 Kommission, Bekanntmachung über Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind („Bekanntmachung zu Nebenabreden“), ABl. EU 2005 Nr. C 56/24. 366 Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 10 ff.

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

203

zum Beispiel Wettbewerbsverbote, Lizenzvereinbarungen oder Bezugs- und Lieferpflichten fallen, die von den beteiligten Unternehmen flankierend zu einem Zusammenschlussvorhaben vereinbart werden.367 Im Gegensatz zu Gun-JumpingVerhaltensweisen betreffen Nebenabreden typischerweise nicht den Wettbewerb zwischen Erwerber und Zielunternehmen in der Zeit vor dem Closing, sondern den Wettbewerb zwischen Erwerber und Veräußerer nach dem Closing. In der Bekanntmachung zu Nebenabreden wird ausgeführt, dass die Kommissionsentscheidung, mit der ein Zusammenschluss für vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklärt wird, automatisch auch Nebenabreden zu diesem für zulässig erklärt.368 Nichtsdestoweniger bestätigen die Ausführungen der Kommission in der Bekanntmachung, dass eine klare Abgrenzung zwischen der Marktstruktur- und Verhaltenskontrolle erfolgt, um Wertungswidersprüche, die bei einer Überlappung beider Kontrollinstrumente auftreten können, zu vermeiden. Auf Grundlage der Bekanntmachung lassen sich drei Kategorien von Vereinbarungen unterscheiden, die im Zusammenhang mit einem Zusammenschlussvorhaben von den beteiligten Unternehmen getroffen werden können: *

*

*

Erstens werden Vereinbarungen genannt, die erforderlich sind, um den Zusammenschluss zu verwirklichen. In diese Kategorie fallen Vereinbarungen über den Verkauf von Unternehmensanteilen oder Vermögenswerten. Diese Vereinbarungen sind integraler Bestandteil des Unternehmenszusammenschlusses,369 sodass sich ihre Zulässigkeit allein nach der Fusionskontrollverordnung richtet.370 Zweitens nennt die Mitteilung Nebenabreden, das heißt Vereinbarungen, die zwar nicht integraler Bestandteil des Zusammenschlusses sind, jedoch mit diesem unmittelbar verbunden und für dessen Durchführung notwendig sind. Wird ein Zusammenschluss von der Kommission freigegeben, so werden damit auch automatisch die Nebenabreden zu diesem für zulässig erklärt.371 Aufgrund ihrer engen Verbundenheit mit dem Zusammenschluss ist nach Art. 21 Abs. 1 FKVO allein die Fusionskontrollverordnung, nicht hingegen die VO 1/2003 auf sie anwendbar.372 Drittens werden Vereinbarungen genannt, die lediglich bei Gelegenheit des Zusammenschlusses getroffen werden. Sie stehen zwar in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Zusammenschluss, sind zu dessen Durch-

367 Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 18 ff., 27 ff., 32 ff. Bei den erfassten Fallgruppen handelt es sich somit größtenteils um Abreden, die erforderlich sind, um den Zusammenschluss zu ermöglichen, indem ökonomische Dilemmastrukturen behoben werden. Dilemmastrukturen sind Situationen, in denen Interessenkonflikte die Realisierung eines gemeinsamen Interesses verhindern, Hohmann/Suchanek, Ökonomik, S. 31 f. 368 Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 10. 369 Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 10. 370 Vgl. Art. 21 Abs. 1 FKVO. 371 Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 10. 372 Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 7.

204

D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

führung jedoch nicht notwendig. Ihre Zulässigkeit richtet sich allein nach den Art. 101 und 102 AEUV sowie gegebenenfalls dem nationalen Kartellrecht.373 Die Ausführungen der Kommission verdeutlichen, dass auch im unmittelbaren Grenzfeld der Marktstruktur- und Verhaltenskontrolle die klare Abgrenzung beider Instrumente aufrechterhalten wird und der Vermeidung von Wertungswidersprüchen eine große Bedeutung beigemessen wird. So sind wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen, die lediglich bei Gelegenheit eines Zusammenschlusses getroffen werden, ausschließlich an den Vorschriften der Verhaltenskontrolle zu messen. Vereinbarungen, die Bestandteil des Zusammenschlusses sind, sind hingegen allein an der Fusionskontrollverordnung zu messen. Auch die besondere Behandlung von Nebenabreden durchbricht die klare Abgrenzung zwischen Verhaltens- und Strukturkontrolle nicht. Zwar sieht die Bekanntmachung eine gewisse Privilegierung von Nebenabreden unter dem Kartellverbot vor.374 So ordnet die Kommissionsbekanntmachung an, dass über deren Zulässigkeit im Rahmen der Freigabeentscheidung der Kommission automatisch mit entschieden wird. Dies führt materiellrechtlich jedoch nicht dazu, dass eine Verhaltenskontrolle mit Instrumenten der Marktstrukturkontrolle vorgenommen wird.375 Nebenabreden werden lediglich im Interesse der Rechtssicherheit und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen im Fusionskontrollverfahren automatisch mitgeprüft und im Falle der Freigabe für ebenfalls zulässig erklärt. In materieller Hinsicht werden die Nebenabreden nicht der Fusionskontrolle unterworfen.376 dd) Enge Auslegung des Vollzugsverbots erforderlich Die klare Abgrenzung zwischen der Markstruktur- und Verhaltenskontrolle spricht dafür, das Vollzugsverbot eng auszulegen und einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO nur anzunehmen, sofern es zu einem Kontrollwechsel kommt und der Zusammenschlusstatbestand verwirklicht wird. So hätte eine weitere Auslegung des Vollzugsverbots nicht nur zur Folge, dass auch Marktstrukturveränderungen unterhalb der Kontrollschwelle erfasst würden (z. B. Minderheitsbeteiligungen).377 Vielmehr könnten auch Verhaltensweisen der Zusammenschlussparteien, die ausschließlich dem Regime der Verhaltenskontrolle unterfallen, von dem präventiven Verbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO erfasst werden. Exemplarisch wird dies daran 373

Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 7. Die Privilegierung ist dogmatisch wohl mit einer teleologischen Reduktion des Kartellverbots zu begründen. Grabbe, Nebenabreden in der Europäischen Fusionskontrolle, S. 238. 375 Grabbe, Nebenabreden in der Europäischen Fusionskontrolle, S. 37. 376 Grabbe, Nebenabreden in der Europäischen Fusionskontrolle, S. 37. 377 Gegen eine Erstreckung des Vollzugsverbots auf Marktstrukturveränderungen unterhalb der Kontrollschwelle ist – wie bereits angeführt (siehe oben S. 198 f.) – einzuwenden, dass diese keinen Zustand herbeiführen, der mit der Fusionskontrollverordnung unvereinbar ist. Zum Schutz der Wirksamkeit der Zusammenschlusskontrolle ist es nicht erforderlich, das Vollzugsverbot auf solche Vorgänge auszudehnen. 374

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

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deutlich, dass die Literaturstimmen, die eine weite Auslegung des Vollzugsverbots befürworten, mitunter auch wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung der Zusammenschlussparteien unter das Vollzugsverbot fassen.378 Eine Erstreckung des präventiven Verbots auf Vorgänge, die nach der Intention der Legislative den Instrumenten der Verhaltenskontrolle unterfallen, ist abzulehnen, da solche Verhaltensweisen nur unzulässig sein sollen, sofern sie sich durch den Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen tatsächlich negativ auf das Marktergebnis auswirken. Es wäre nach der Konzeption des europäischen Wettbewerbsrechts widersprüchlich und systemfremd, an Unternehmen, die einen Zusammenschluss beabsichtigen, im Hinblick auf Verhaltensweisen, die nicht die Marktstrukturkontrolle betreffen, sondern der Verhaltenskontrolle unterfallen, strengere Maßstäbe anzulegen als an Unternehmen, die keinen Zusammenschluss beabsichtigen.379 Zudem würde es erhebliche praktische Schwierigkeiten nach sich ziehen, wenn wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen neben dem Kartellverbot auch am Vollzugsverbot zu messen wären. So würde sich beispielsweise die Frage stellen, inwieweit die Legalausnahme des Art. 101 Abs. 3 AEUV auch im Rahmen des Art. 7 Abs. 1 FKVO Berücksichtigung finden kann und inwieweit die Gruppenfreistellungsverordnungen Anwendung finden. Es vermag daher nicht zu überzeugen, wenn in der Literatur angeführt wird, dass die vorzeitige Vereinbarung von Wettbewerbsbeschränkungen und ein zu weitgehender Informationsaustausch durch die Zusammenschlussparteien gegen das Vollzugsverbot verstoßen.380 Derartige Verhaltensweisen sind nur unzulässig, sofern sie mit dem Kartell- oder Missbrauchsverbot unvereinbar sind. Aus dem Vollzugsverbot, das ein Instrument der Marktstrukturkontrolle ist, folgen keine gesonderten Anforderungen an das Marktverhalten der Zusammenschlussparteien.

378 Langen/Bunte-Maass, Art. 7 FKVO, Rdnr. 11; Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 8. 379 Vgl. Bosch/Marquier, EWS 2010, 113, 116. Man könnte vielmehr erwägen, an sich zusammenschließende Unternehmen unter dem Kartellverbot einen milderen Maßstab anzulegen als an zwei Unternehmen, die keinen Zusammenschluss beabsichtigen. Sich zusammenschließende Unternehmen haben ein legitimes Interesse daran, den Zusammenschluss zu planen und die Integration vorzubereiten. Eine Privilegierung ließe sich etwa auf den ancillary restraints-Gedanken stützen, der Verhaltensweisen privilegiert, die unmittelbar mit einem Zusammenschluss verbunden und für diesen notwendig sind, vgl. Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 7, 10; Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 8 FKVO, Rdnr. 19. Unabhängig von der Frage, ob und auf welcher dogmatischen Grundlage eine Privilegierung von sich zusammenschließenden Unternehmen unter dem Kartellverbot erfolgen kann (siehe hierzu noch unten S. 316 f.), ist es jedenfalls nicht überzeugend, an das Verhalten von Unternehmen, die sich zusammenschließen möchten, mithilfe des Vollzugsverbots einen strengeren Maßstab anzulegen als an sonstige Unternehmen. 380 So jedoch Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 8; Langen/Bunte-Maass, Art. 7 FKVO, Rdnr. 11.

206

D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

ee) Zwischenergebnis Aus systematischen Gründen sollte das Vollzugsverbot lediglich Verhaltensweisen erfassen, die einen Kontrollwechsel herbeiführen und dadurch den Zusammenschlusstatbestand des Art. 3 Abs. 1, Abs. 2 FKVO verwirklichen. Marktstrukturveränderungen und Verhaltensweisen unterhalb der Schwelle eines Kontrollerwerbs werden von der Fusionskontrollverordnung nicht erfasst. Wettbewerbsbeschränkende Interaktionen unterhalb der Kontrollschwelle können von den Vorschriften der Verhaltenskontrolle erfasst sein, die insoweit eine abschließende Aussage über die Rechtmäßigkeit treffen.381 c) Sinn und Zweck Die vorausgehende Untersuchung der Reichweite des Vollzugsverbots aus systematischer Perspektive hat gezeigt, dass das Vollzugsverbot erst ab der Schwelle des Kontrollwechsels eingreifen sollte. Fraglich ist allerdings, ob eine solch enge Auslegung von Art. 7 Abs. 1 FKVO dem Sinn und Zweck des Vollzugsverbots gerecht wird. Es könnte zu befürchten sein, dass eine enge Auslegung von Art. 7 Abs. 1 FKVO die Wirksamkeit der präventiven Fusionskontrolle gefährdet und Lücken im System des Wettbewerbsschutzes nach sich zieht. Die genauere Untersuchung zeigt indes, dass es zur Gewährleistung einer wirksamen Marktstrukturkontrolle nicht erforderlich ist, dass das Vollzugsverbot Verhaltensweisen unterhalb der Kontrollschwelle erfasst (aa)). Zudem sprechen das Prinzip der Belastungsvermeidung382 (bb)) und die Erfahrungen der US-Kartellbehörden mit Gun-Jumping-Fällen (cc)) für eine enge Auslegung des Vollzugsverbots. aa) Keine Schutzlücken bei enger Auslegung Die Legislative hat sich für eine präventive Ausgestaltung des Fusionskontrollverfahrens entschieden, um die volle Wirksamkeit der Zusammenschlusskontrolle zu gewährleisten. Dem Interesse an einem möglichst effektiven Wettbewerbsschutz wurde dabei bewusst Vorrang gegenüber dem Ziel eingeräumt, unbedenkliche Unternehmenszusammenschlüsse so wenig wie möglich zu behindern.383 Es wäre daher ein gewichtiges Argument für eine weite Auslegung von Art. 7 Abs. 1 FKVO, wenn das Abstellen auf die Kontrollschwelle zu Lücken im System des Wettbewerbsschutzes führen würde. Nachfolgend wird daher untersucht, ob eine enge Auslegung des Vollzugsverbots zur Folge hätte, dass der Zweck des Vollzugsverbots nicht vollständig verwirklicht wird. Maßgeblich zu berücksichtigen sind insoweit die

381 Vgl. Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 21 FKVO, Rdnr. 10; Kiliç, Nebenabreden nach der europäischen Fusionskontrollverordnung Nr. 139/2004, S. 138. 382 Siehe hierzu oben S. 159. 383 Siehe oben S. 154 ff. Vgl. MünchKommEuWettbR-Koch, Einl. A FKVO, Rdnr. 24.

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

207

verschiedenen Schutzrichtungen384 des Vollzugsverbots: Das Vollzugsverbot soll erstens den Eintritt von irreversiblen Marktstrukturveränderungen verhindern. Zweitens soll es die Wirksamkeit und leichte Durchsetzbarkeit von Untersagungsentscheidungen sichern, indem schwierige nachträgliche Entflechtungen vermieden werden. Drittens soll das Vollzugsverbot verhindern, dass es noch vor der Untersagung eines Zusammenschlusses zu einer zwischenzeitlichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs kommt.385 (1) Verhinderung des Eintritts von irreversiblen Marktstrukturveränderungen Das Vollzugsverbot soll verhindern, dass es durch die Umsetzung von Zusammenschlussvorhaben zum Eintritt von endgültigen Marktstrukturveränderungen kommt, die sich nach einer Untersagung nicht rückgängig machen lassen.386 Im Hinblick auf diese Zielrichtung von Art. 7 Abs. 1 FKVO sind durch die enge Auslegung des Vollzugsverbots keine Schutzlücken zu befürchten. Die Fusionskontrollverordnung soll nach dem Willen der Legislative nicht alle denkbaren Marktstrukturveränderungen erfassen, sondern nur Situationen, in denen das Wettbewerbspotenzial und die Marktmacht von zwei Unternehmen zusammengelegt werden, indem es zu einem dauerhaften Wechsel der Kontrolle über ein Unternehmen kommt.387 Um die Wirksamkeit der Marktstrukturkontrolle zu gewährleisten, ist es aus diesem Grund nicht erforderlich, dass das Vollzugsverbot Verhaltensweisen unterhalb der Kontrollschwelle einem präventiven Verbot unterwirft. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass durch faktisch gelagerte Gun-Jumping-Verhaltensweisen eine Vereitelung des Schutzzwecks des Vollzugsverbots auf tatsächlicher Ebene droht. Denn ein Kontrollwechsel kann nicht nur durch den formalen Vollzug eines Unternehmenszusammenschlusses herbeigeführt werden, sondern auch durch faktische Maßnahmen.388 Der Zusammenschlussbegriff der Fusionskontrollverordnung ist materieller Natur, sodass es nicht auf die formelle Gestaltung, sondern nur auf das erzielte Ergebnis ankommt.389 Viele der Verhaltensweisen, die als Gun-Jumping diskutiert werden, rechtfertigen die Annahme eines

384

Siehe oben S. 142 ff. FK-Hellmann, Art. 7 FKVO, Rdnr. 6 f.; Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 1; Langen/Bunte-Maass, Art. 7 FKVO, Rdnr. 1; MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 3 f. Vgl. Komm., 18. 02. 1998, IV/M.920, ABl. EG 1999 Nr. L 225/12, Ziff. 15 – Samsung/AST; Komm., 10. 02. 1999, IV/M.969, ABl. EG 1999 Nr. L 183, 29, Ziff. 12 – A. P. Møller. Vgl. zu § 41 GWB auch FK-Kuhn, § 41 GWB, Rdnr. 1.; Langen/Bunte-Kallfaß, § 41 GWB, Rdnr. 1. 386 Siehe oben S. 143. 387 EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 63 – Aer Lingus/Kommission. 388 Vgl. Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 16, 20, 55, 59, 60, 63. 389 Siehe unten S. 217 ff. 385

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

De-facto-Kontrollwechsels und würden daher auch bei einer engen Auslegung des Vollzugsverbots von diesem erfasst.390 (2) Vermeidung von Schwierigkeiten bei der Entflechtung Das Vollzugsverbot soll die praktischen Schwierigkeiten bei der Entflechtung von einmal vollzogenen Zusammenschlüssen verhindern und so die leichte Durchsetzbarkeit von Untersagungsentscheidungen sicherstellen.391 Auch diese Schutzrichtung von Art. 7 Abs. 1 FKVO erfordert jedoch keine weite Auslegung des Vollzugsverbots. Denn die Fusionskontrollverordnung soll nur solche negativen Marktstrukturveränderungen verhindern, die durch einen dauerhaften Wechsel der Kontrolle über ein anderes Unternehmen bewirkt werden. Unterhalb dieser Schwelle sind Entflechtungsmaßnahmen weder erforderlich noch zulässig.392 (3) Verhinderung des Eintritts von Wettbewerbsbeschränkungen vor der Untersagung Schließlich zielt das Vollzugsverbot auch darauf ab, den Wettbewerb bereits während der Dauer der fusionskontrollrechtlichen Prüfung zu schützen. In Ex-postKontrollsystemen wird hingegen in Kauf genommen, dass die Zusammenschlussparteien ihre Eigenständigkeit zunächst verlieren und der Wettbewerb durch den Eintritt von Marktstrukturveränderungen beeinträchtigt werden kann, bis eine Entflechtung angeordnet wird.393 Eine weite Auslegung des Vollzugsverbots könnte erforderlich sein, um den Wettbewerb zwischen Erwerber und Zielunternehmen während der fusionskontrollrechtlichen Prüfung wirksam zu schützen. Unzweifelhaft kann der Wettbewerb zwischen den beteiligten Unternehmen auch durch Maßnahmen unterhalb der Kontrollschwelle beeinträchtigt werden. Zu denken ist insoweit nur an den Austausch von sensiblen Informationen394 oder die Einschränkung des Wettbewerbs um Kunden.395 Eine Erstreckung des Vollzugsverbots auf Maßnahmen unterhalb der Kontrollschwelle ist dennoch nicht erforderlich, da der Wettbewerb zwischen Erwerber und Zielunternehmen ausreichend durch das komplementäre Kontrollinstrument des Kartellverbots geschützt wird (a). Untersucht man die Reichweite des Kartellverbots, ist festzustellen, dass lediglich im Hinblick auf einseitige Verhal390 391 392

sion. 393

Bosch/Marquier, EWS 2010, 113, 115 f. Siehe oben S. 143. EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 63 ff. – Aer Lingus/Kommis-

Siehe oben S. 144. Vgl. Besen/Gronemeyer, CCZ 2009, 67 ff.; EuWettbR-Paschke, Art. 101 AEUV, Rdnr. 67 f. Siehe hierzu auch den Computer-Associates-Fall des DOJ, siehe oben S. 91 ff. 395 Diese Fallgruppe hat nach den Erfahrungen der US-Kartellbehörden eine hohe praktische Relevanz, vgl. nur den Gemstar-Fall, siehe oben S. 96 ff. 394

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

209

tensweisen gewisse Schutzlücken verbleiben (b). Letztere sind jedoch in der Konzeption des europäischen Kartellrechts angelegt und hinzunehmen (c). (a) Das Kartellverbot als komplementäres Kontrollinstrument Nach der systematischen Grundkonzeption des europäischen Kartellrechts unterfallen wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen von Unternehmen, die nicht die Intensität des Zusammenschlusstatbestands des Art. 3 FKVO erreichen, der Verhaltenskontrolle insbesondere durch das Kartellverbot.396 Mit dem Kartellverbot besteht ein zweites Schutzinstrument, das komplementär zum Vollzugsverbot den Wettbewerb zwischen Erwerber und Zielunternehmen schützt.397 Während das Vollzugsverbot verhindert, dass das Marktpotenzial von Erwerber und Zielunternehmen durch einen Kontrollübergang vollständig gebündelt wird, greift das Kartellverbot ein, sofern es unterhalb dieser Schwelle zur Einschränkung des Wettbewerbs zwischen den noch grundsätzlich eigenständigen Zusammenschlussparteien kommt. An der Anwendbarkeit des Kartellverbots auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen besteht kein Zweifel. Die Parteien eines Unternehmenszusammenschlusses sind an das Kartellverbot gebunden, bis aufgrund eines Kontrollerwerbs nur noch eine einzige wettbewerbliche Einheit im Sinne des Unternehmensbegriffs des Art. 101 Abs. 1 AEUV vorliegt.398 Zwar erklärt Art. 21 Abs. 1 FKVO allein die Fusionskontrollverordnung auf Zusammenschlüsse anwendbar und suspendiert zudem die Anwendbarkeit der VO 1/2003.399 Betroffen sind hiervon jedoch nur Vereinbarungen, die integraler Bestandteil des Zusammenschlusses sind.400 Vereinbarungen, die lediglich bei Gelegenheit eines Zusammenschlusses getroffen werden, sind weiterhin am Kartellverbot zu messen.401 Die Sanktionen, die der Kommission unter dem Kartellverbot zur Verfügung stehen, entsprechen denen, die bei einem Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO verhängt werden können. Gemäß Art. 23 Abs. 2 VO 1/2003 kann die Kommission Verstöße gegen das Kartellverbot mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu 10 Prozent des Unternehmensumsatzes belegen. Art. 101 Abs. 2 AEUV ordnet die Nichtigkeit von Vereinbarungen an, die gegen das Kartellverbot verstoßen. Zudem wird die Kommission in Art. 7 Abs. 1 VO 1/2003 dazu ermächtigt, die betreffenden Unter396

Das Kartellverbot findet jedoch keine Anwendung auf Marktstrukturveränderungen unterhalb der Kontrollschwelle (insbes. durch Minderheitsbeteiligungen), sondern lediglich auf Wettbewerbsbeschränkungen, die in ihrem Zusammenhang vereinbart werden, siehe unten S. 254 ff. 397 Vgl. die Ausführungen oben S. 200 ff. 398 Eingehend hierzu unten S. 236 f. Whish, Competition Law, S. 91 ff. Siehe zum Unternehmensbegriff allgemein MünchKommEuWettbR-Herrmann, Einl. Rdnr. 945 ff. 399 Siehe oben S. 200 f. 400 Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 10. Siehe oben S. 202 ff. 401 Eingehend hierzu unten S. 239 f.; Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 7.

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

nehmen dazu zu verpflichten, ihre Zuwiderhandlungen abzustellen und dafür alle erforderlichen Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter oder struktureller Art anzuordnen. Angesichts des gleichwertigen Sanktionsrahmens ist das Kartellverbot somit grundsätzlich dazu geeignet, vermeintliche Schutzlücken durch eine enge Auslegung des Vollzugsverbots zu schließen. (b) Sachliche Reichweite: Schutzlücken allenfalls im Hinblick auf einseitige Verhaltensweisen Zu untersuchen ist weiterhin, ob die sachliche Reichweite des Kartellverbots ausreicht, um den Wettbewerb der Zusammenschlussparteien vor dem Kontrollwechsel zu schützen, sodass das Kartellverbot als komplementäres Schutzinstrument dazu geeignet ist, das Argument zu entkräften, dass es bei einer engen Auslegung von Art. 7 Abs. 1 FKVO zu Schutzlücken kommt. Maßgeblich sind insoweit die beiden zentralen tatbestandlichen Limitierungen des Kartellverbots: Es muss zum einen eine bezweckte oder bewirkte Wettbewerbsbeschränkung vorliegen und zum anderen muss diese auf eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise zurückzuführen sein. Die Beschränkung der Reichweite des Kartellverbots durch die Voraussetzung der bezweckten oder bewirkten Wettbewerbsbeschränkung stellt für die Entkräftung des Schutzlückenarguments keine Hürde dar: Sofern eine Verhaltensweise den Wettbewerb nicht beschränkt, besteht nach geltenden kartellrechtlichen Maßstäben kein Grund, sie zu untersagen. Wenn weder das Selbstständigkeitspostulat402 tangiert noch die Handlungsfreiheit Dritter beschränkt wird,403 liegt kein Fall eines kartellrechtlich relevanten Marktversagens vor. Letztlich muss man daher nicht nur zu dem Ergebnis kommen, dass das Merkmal der Wettbewerbsbeschränkung keine Hürde für die Entkräftung des Schutzlückenarguments darstellt, sondern vielmehr sogar feststellen, dass es das am besten geeignete Kriterium ist, um unterhalb der Schwelle von Marktstrukturveränderungen durch einen Kontrollwechsel zwischen zulässigen und unzulässigen Verhaltensweisen der Zusammenschlussparteien in der Zeit zwischen dem Signing und Closing zu unterscheiden. Es ist zudem praktisch besser handhabbar als die von der Literatur mehrheitlich vorgeschlagene und im Ergebnis sehr unbestimmte weite Auslegung des Vollzugsverbots.404

402

Siehe hierzu EuGH, 16. 12. 1975, Rs. C-40/73, Slg. 1975, 1663 – Suiker Unie. Vgl. Immenga/Mestmäcker-Emmerich, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rdnr. 107. 404 Dies lässt sich zum Beispiel an der Fallgruppe des Informationsaustauschs verdeutlichen: Die Ausführungen der Kommission in den Horizontalleitlinien zu Art. 101 AEUV über die Beurteilung des wettbewerbsbeschränkenden Charakters eines Informationsaustauschs bieten ein geeignetes Analysekonzept, um zwischen zulässigem und unzulässigem Verhalten zu differenzieren, siehe hierzu eingehend unten S. 261 ff. Sofern sich der Austausch von Informationen zwischen Erwerber und Zielunternehmen nicht wettbewerbsbeschränkend auswirkt, besteht kein Grund dafür, ihn zu untersagen, selbst wenn das Zusammenschlussvorhaben eindeutig unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt ist. 403

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

211

Weiterhin setzt Art. 101 Abs. 1 AEUV voraus, dass eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise vorliegt. Diese zweite Voraussetzung des Kartellverbots erweist sich für die Entkräftung des Schutzlückenarguments als problematischer, da demnach einseitige Verhaltensweisen nicht vom Kartellverbot erfasst werden. Sie können lediglich gegen das Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV verstoßen. Einschränkungen des Wettbewerbs zwischen Erwerber und Zielunternehmen, die nicht auf eine Verhaltensabstimmung zurückzuführen sind und die keinen Kontrollwechsel herbeiführen, würden demnach nicht sanktioniert werden. So wäre es beispielsweise hinzunehmen, wenn das Zielunternehmen in Erwartung des bevorstehenden Zusammenschlusses von sich aus einen Marktaustritt vornimmt oder den Wettbewerb um bestimmte Kunden einstellt.405 Würde man das Vollzugsverbot hingegen weit auslegen und auch Verhaltensweisen unterhalb der Kontrollschwelle erfassen, ließen sich – je nachdem, wie weit man das Vollzugsverbot auslegen würde – auch einseitige Verhaltensweisen erfassen, sofern sie als Teilvollzug des Zusammenschlusses betrachtet werden könnten. (c) Schutzlücke im Hinblick auf einseitige Verhaltensweisen ist hinzunehmen Die vermeintliche Schutzlücke im Hinblick auf einseitige Verhaltensweisen ist allerdings hinzunehmen, da sie planmäßiger Natur ist: Die normative Ausgestaltung des EU-Kartellrechts fußt auf der ordnungspolitischen Grundsatzentscheidung, auf die Entscheidungsfreiheit der einzelnen Marktakteure zu vertrauen und diese zu schützen. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass es mit Ausnahme von bestimmten Sektoren, die von natürlichen Monopolen geprägt sind, nicht zielführend ist, das Marktverhalten von Unternehmen staatlich zu steuern.406 Stattdessen fußt das Kartellrecht auf der Annahme, dass die Summe von dezentralen Entscheidungen, die jeweils zur Maximierung des individuellen Nutzens getroffen werden, ein besseres Marktergebnis erzielt, als dies durch eine zentrale Steuerung von Wirtschaftsprozessen möglich wäre.407 Selbstständiges, einseitiges Verhalten, mit dem Chancen wahrgenommen und Risiken eingegangen werden, ist somit grundsätzlich erwünscht.408 Sofern kein Missbrauch von Marktmacht vorliegt, steht es Unternehmen daher frei, einseitig über ihr Marktverhalten zu entscheiden, auch wenn sich dies im Einzelfall negativ auf den Wettbewerbsprozess und das Marktergebnis auswirkt, beispielsweise weil ein Unternehmen ein zurückhaltendes Wettbewerbsverhalten an den Tag legt, aus einem Markt austritt oder sich dagegen entscheidet, in einen neuen 405

Vgl. hierzu das Torrington-Verfahren der FTC, siehe oben S. 83 ff. Vgl. Trimarchi, GRUR Int 1970, 311, 314; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Meessen, Einführung in das deutsche und europäische Kartellrecht, Rdnr. 20. 407 Ein Umstand, der mittlerweile auch als historisch erwiesen betrachtet werden kann. Hohmann/Suchanek, Ökonomik, S. 206 ff. Vgl. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Meessen, Einführung in das deutsche und europäische Kartellrecht, Rdnr. 6. 408 Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Meessen, Einführung in das deutsche und europäische Kartellrecht, Rdnr. 26. 406

212

D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

Markt einzutreten.409 Aus diesem Grund ist selbst ein bewusstes Parallelverhalten de lege lata kartellrechtlich hinzunehmen.410 Gleichermaßen sind einseitige Verhaltensweisen im Vorfeld des Zusammenschlussvorhabens nicht zu beanstanden, auch wenn sie im Einzelfall möglicherweise den Wettbewerb beeinträchtigen. Man wird auch nicht davon ausgehen können, dass zwischen dem Signing und Closing die dezentralen Entscheidungen der einzelnen Akteure und der Marktmechanismus als Garant einer effizienten Ressourcenallokation grundsätzlich versagen, sodass ein staatlicher Eingriff in den Bereich der einseitigen Verhaltensweisen erforderlich wäre. Zwar ließe sich erwägen, ob die Zusammenschlussparteien ab dem Signing ihre Entscheidungen nicht mehr allein zur Maximierung ihres individuellen Nutzens treffen (Eigennutztheorem und Rationalitätsannahme)411, sondern vielmehr im Interesse der bald kombinierten unternehmerischen Einheit, sodass der Anreiz sinkt, aufeinander Wettbewerbsdruck auszuüben.412 Doch werden Unternehmen in der Zeit zwischen dem Signing und Closing in ihrer individuelle Nutzenkalkulation immer berücksichtigen müssen, dass bis zum endgültigen Vollzug noch die Möglichkeit besteht, dass das Zusammenschlussvorhaben von der Kommission untersagt wird oder aus anderen Gründen scheitert. Sie werden daher in der Regel vor Verhaltensweisen zurückschrecken, die ihre eigene Wettbewerbsposition im Falle eines Scheiterns der Transaktion nachhaltig schwächen würden. Eine Schutzlücke im Hinblick auf einseitige Verhaltensweisen ist daher nicht anzunehmen.413 (d) Zwischenergebnis Mit dem Kartellverbot steht ein komplementäres Schutzinstrument zur Verfügung, das den Wettbewerb der Zusammenschlussparteien auch während der Dauer der fusionskontrollrechtlichen Prüfung schützt. Auch im Hinblick auf die Zielrichtung des Vollzugsverbots, den Wettbewerb während der Fusionskontrollprüfung

409

Trimarchi, GRUR Int 1970, 311. Vgl. Jungermann, Kollektive Marktbeherrschung durch interdependentes Parallelverhalten und deren Missbrauch, S. 32 ff.; Trimarchi, GRUR Int 1970, 311, 313 ff. Vgl. zum Selbstständigkeitspostulat EuGH, 16. 12. 1975, Rs. C-40/73, Slg. 1975, 1663, Ziff. 173/174 – Suiker Unie; EuGH, 14. 07. 1981, Rs. C-172/80, Slg. 1981, 2021, Ziff. 14 – Züchner; EuGH, 28. 05. 1998, Rs. C-7/95 P, Slg. 1998 I-3111, Ziff. 87. – John Deere; EuGH, 02. 10. 2003, Rs. C194/99 P, Slg. 2003 I-10821, Ziff. 83 – Thyssen Stahl; EuGH, 04. 06. 2009, Rs. C-8/08, Slg. 2009 I-4529, Ziff. 33 – T-Mobile Netherlands. 411 Es handelt sich um die Maxime des homo oeconomicus. Vgl. Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, S. 27. 412 So könnten die Zusammenschlussparteien beispielsweise davor zurückschrecken, in einen Konditionenwettbewerb um einen Kunden einzutreten, da dieser zur Folge hätte, dass der Kunde nach dem Zusammenschluss von der nun kombinierten Einheit zu günstigeren Konditionen beliefert werden müsste, als wenn die Unternehmen darauf verzichtet hätten, Wettbewerbsdruck aufeinander auszuüben. Auch ist es denkbar, dass Unternehmen Investitionsentscheidungen vertagen, wenn die Entstehung von Überkapazitäten nach dem Vollzug droht. 413 Vgl. auch Trimarchi, GRUR Int 1970, 311, 314. 410

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

213

zu schützen, kommt es durch eine enge Auslegung des Vollzugsverbots demnach nicht zu einer Schutzlücke. (4) Ergebnis der Untersuchung des Schutzlückenarguments Würdigt man die verschiedenen Schutzrichtungen des Vollzugsverbots, lässt sich feststellen, dass die Verwirklichung des Zwecks des Vollzugsverbots nicht gefährdet wird, wenn man die Reichweite des Vollzugsverbots unter Bezugnahme auf den Zusammenschlusstatbestand bestimmt. Durch eine enge Auslegung des Vollzugsverbots drohen keine Lücken im europäischen System zum Schutz des Wettbewerbs. bb) Prinzip der Belastungsvermeidung Für eine enge Auslegung des Vollzugsverbots spricht ferner, dass diese dazu beiträgt, die unnötige Behinderung von unbedenklichen Zusammenschlussvorhaben durch das Fusionskontrollverfahren zu verringern (1). Dieser Aspekt ist als Ausprägung des Prinzips der Belastungsvermeidung bei der teleologischen Auslegung des Vollzugsverbots zu berücksichtigen (2). (1) Verringerung von Behinderungen Im Rahmen des Abschnittes B. wurde herausgestellt, dass aus ökonomischer Perspektive ein Zielkonflikt zwischen der Gewährleistung eines effektiven Wettbewerbsschutzes durch die Fusionskontrollverordnung und der Vermeidung von Behinderungen von unbedenklichen Zusammenschlussvorhaben besteht. Gerade angesichts des Umstands, dass die weit überwiegende Zahl der angemeldeten Zusammenschlüsse wettbewerblich nicht zu beanstanden ist, besteht die Gefahr, dass die präventive Ausgestaltung der Fusionskontrolle durch deren Behinderungswirkung mehr Schaden anrichtet, als sie durch den Schutz der Wirksamkeit der Zusammenschlusskontrolle positive Wohlfahrtseffekte nach sich zieht.414 Eine auf den Zusammenschlusstatbestand rekurrierende enge Auslegung des Vollzugsverbots trägt dazu bei, die Behinderung von unbedenklichen Zusammenschlussvorhaben auf das notwendige Mindestmaß zu begrenzen: Einerseits wird die Verbotsanordnung der Norm auf das Maß reduziert, das zur Suspendierung derjenigen Marktstrukturveränderung erforderlich ist, die der (alleinige) Gegenstand der Zusammenschlusskontrolle sind. Die für den Erfolg von Zusammenschlussvorhaben so bedeutsamen Vorbereitungshandlungen werden hingegen nur dann sanktioniert, wenn sie sich tatsächlich wettbewerbsbeschränkend auswirken und vom Kartellverbot erfasst werden. Andererseits schafft eine enge Auslegung des Vollzugsverbots für die Zusammenschlussparteien einen handhabbaren Maßstab für die Selbstveranlagung. Durch das Abstellen auf die Kontrollschwelle erhält das Vollzugsverbot relativ scharfe 414

Siehe oben S. 33 ff.

214

D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

Konturen. So bietet zum einen die Zuständigkeitsmitteilung415 und zum anderen die umfassende Entscheidungspraxis der Kommission zum Zusammenschlussbegriff416 Orientierung bei der Frage, durch welche Maßnahmen ein Kontrollwechsel herbeigeführt wird. Eine weite Auslegung des Vollzugsverbots, wie sie mehrheitlich von der Literatur vorgeschlagen wird,417 würde hingegen in einem hohen Maße Rechtsunsicherheit nach sich ziehen, da die vorgeschlagenen Prüfkriterien, beispielsweise die wirtschaftliche Vorwegnahme des Zusammenschlusses418 oder das Abweichen vom Status quo419, keine trennscharfe Abgrenzung von zulässigen und unzulässigen Verhaltensweisen ermöglichen.420 Der Verzicht auf das Kontrollkriterium würde daher in Verbindung mit dem sehr weiten Sanktionsrahmen des Art. 14 Abs. 2 lit. b FKVO die Gefahr in sich bergen, dass es zu einer overdeterrence kommt. (2) Berücksichtigung im Rahmen des Prinzips der Belastungsvermeidung Dieser Gesichtspunkt ist im Rahmen der teleologischen Auslegung des Vollzugsverbots als Ausprägung des Prinzips zu Belastungsvermeidung zu berücksichtigen. Zwar erfolgte die präventive Ausgestaltung des Fusionskontrollverfahrens bewusst, um ein möglichst hohes Schutzniveau zu gewährleisten (Primat des Wettbewerbsschutzes).421 Jedoch muss nach dem Prinzip der Belastungsvermeidung422 die Behinderung von unbedenklichen Zusammenschlussvorhaben so weit wie möglich begrenzt werden, sofern hierdurch nicht die Wirksamkeit der Fusionskontrolle beeinträchtigt wird. Da durch eine enge Auslegung eine solche Beeinträchtigung wie gesehen423 nicht zu befürchten ist, ist nach dem Prinzip der Belastungsvermeidung die enge Auslegung unter Bezugnahme auf den Zusammenschlusstatbestand vorzugswürdig. cc) Erfahrungen der US-Kartellbehörden mit Gun-Jumping-Fällen Auch die Erfahrungen, die das DOJ und die FTC bei der Beurteilung von GunJumping-Verhaltensweisen seit 1991 gesammelt haben, sprechen dafür, einen Ver415

Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen. Siehe hierzu eingehend Karl, Der Zusammenschlußbegriff in der Europäischen Fusionskontrollverordnung, S. 118 ff., 168 ff.; Staudenmayer, Der Zusammenschlussbegriff in Artikel 3 der EG-FusionskontrollVO, S. 57 ff. 417 Siehe oben S. 189 ff. 418 Mäger, in: Mäger, Europäisches Kartellrecht, 8. Kapitel, Rdnr. 322. 419 Mielke/Welling, BB 2007, 277, 279. 420 Dies gilt insbesondere auch angesichts des Umstands, dass es bis dato kaum Fallpraxis der Kommission zur Reichweite des Vollzugsverbots im Hinblick auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen gibt. 421 Vgl. Erwägungsgründe 2, 5 FKVO. 422 Siehe oben S. 154 ff. Vgl. FK-Kuhn, § 41 GWB, Rdnr. 11 mit einem ähnlichen Gedanken im Hinblick auf die GWB-Fusionskontrolle. 423 Siehe oben S. 206 ff. 416

II. Die Reichweite des Vollzugsverbots

215

stoß gegen das Vollzugsverbot nur anzunehmen, sofern der Zusammenschlusstatbestand durch einen Kontrollwechsel verwirklicht wird. So zieht auch das DOJ seit 1996 ein kontrollbezogenes Kriterium heran, um zu prüfen, ob ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot erfolgt ist: Geht die operational control durch Gun-Jumping-Maßnahmen vorzeitig auf den Erwerber über, nimmt das DOJ einen Verstoß gegen Section 7 A Clayton Act an.424 Dabei war der Rückgriff auf ein kontrollbezogenes Kriterium anders als unter der Fusionskontrollverordnung keineswegs vorgezeichnet. Vielmehr hätte das DOJ unter dem flexiblen und offenen Maßstab der beneficial ownership425 auch ganz andere Kriterien entwickeln können. Dass das DOJ dennoch das Merkmal der operational control entwickelt hat, um Gun-Jumping-Konstellationen zu beurteilen, spricht dafür, auch unter der Fusionskontrollverordnung, in der dies aufgrund von Art. 3 FKVO ohnehin naheliegend ist, auf den Übergang der Kontrolle auf den Erwerber abzustellen. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass das Kriterium der operational control eigens für das Vollzugsverbot entwickelt wurde und vom DOJ mit großer Flexibilität auf Gun-Jumping-Fälle angewandt wird. Das Merkmal des Kontrollwechsels aus Art. 3 Abs. 1 FKVO verfügt hingegen bereits über eine eigenständige Bedeutung und wurde durch die Kommission in ihrer Zuständigkeitsbekanntmachung weitgehend konkretisiert. Die stärkeren Konturen des Kontrollbegriffs der Fusionskontrollverordnung schränken womöglich in Einzelfällen die Flexibilität der Kommission bei der Beurteilung von Gun-Jumping-Fällen ein. Insgesamt zeigen jedoch die Erfahrungen der US-Kartellbehörden, dass eine zu flexible Behandlung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen schnell eine overdeterrence (Typ-I-Fehler) nach sich ziehen kann,426 sodass selbst die US-Kartellbehörden davon sprachen, bei der Verfolgung von Gun-Jumping-Verstößen „zu erfolgreich“ gewesen zu sein.427 Die größere Bestimmtheit des Kontrollbegriffs der Fusionskontrollverordnung ist insofern als Vorteil gegenüber dem recht offenen Maßstab der operational control zu bewerten. dd) Zwischenergebnis Auch in teleologischer Hinsicht ist eine enge Auslegung des Vollzugsverbots unter Bezugnahme auf den Zusammenschlusstatbestand zu befürworten. Zwar würde eine weitere Auslegung von Art. 7 Abs. 1 FKVO der Kommission unbestritten mehr Flexibilität bei der Beurteilung von Teilvollzugsmaßnahmen einräumen. Lücken im System des Wettbewerbsschutzes sind durch eine enge Auslegung des Vollzugsverbots jedoch nicht zu befürchten, da das Kartellverbot als komplemen424 425 426

128 ff. 427

Siehe oben S. 109 ff. Siehe oben S. 61 ff. Siehe hierzu Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 3 f. Siehe oben S. 35 ff., Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 3.

216

D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

täres Kontrollinstrument eingreift. Für eine enge Auslegung des Vollzugsverbots sprechen zudem das Prinzip der Belastungsvermeidung und die Erfahrungen der USKartellbehörden bei der Beurteilung von Gun-Jumping-Fällen. 5. Ergebnis Die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 FKVO ergibt, dass ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot nur anzunehmen ist, sofern vor der Freigabe durch die Kommission der Zusammenschlusstatbestand verwirklicht wird, indem es zu einem Kontrollwechsel kommt. Eine weitere Auslegung des Vollzugsverbots wäre nur schwer mit dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 FKVO zu vereinbaren und würde die Zuständigkeit der Kommission unter der Fusionskontrollverordnung überschreiten. Zudem ist eine weitere Auslegung aus teleologischen Gründen nicht erforderlich. Nicht abschließend klären lässt sich, welche Auffassung die Kommission zur Reichweite des Vollzugsverbots vertritt. Gespräche mit der Kommission428 deuten darauf hin, dass sich die europäischen Wettbewerbshüter diesbezüglich noch keine abschließende Meinung gebildet haben. Eine ausdrückliche Abkehr von der weiten Auslegung in Bertelsmann/Kirch/Premiere ist jedenfalls nicht erfolgt. Allerdings ist diese ältere Entscheidung auch nicht wieder aufgegriffen worden. Vor dem Hintergrund der engen Auslegung von Art. 8 Abs. 4 FKVO durch das EuG in Aer Lingus und dem Umstand, dass dieses Auslegungsergebnis durch das EuG in Electrabel auf das Vollzugsverbot übertragen wurde,429 ist jedoch von der Maßgeblichkeit des hier erzielten engen Auslegungsergebnisses auszugehen.

III. Kontrollwechsel durch Gun-Jumping-Verhaltensweisen Ob ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot vorliegt, richtet sich gemäß der hier vertretenen und von der EuG-Rechtsprechung gestützten Auffassung danach, ob vor der Freigabe eines Vorhabens430 der Zusammenschlusstatbestand des Art. 3 Abs. 1 FKVO verwirklicht wird. Dabei ist es im Ausgangspunkt unstreitig, dass ein Kontrollwechsel nicht nur durch den formalen Vollzug im Rahmen des Closings herbeigeführt werden kann, sondern auch bereits durch vorgelagerte faktische Maßnahmen. Grundsätzlich können somit auch typische Gun-Jumping-Verstöße vom Vollzugsverbot erfasst sein. Im Einzelnen können sich allerdings schwierige Abgrenzungsfragen stellen. Um die Schwelle möglichst konkret herauszuarbeiten, ab der es durch einen Kontrollwechsel zu einem Verstoß gegen das Vollzugsverbot kommt, wird im nachfolgenden Abschnitt zunächst ein Überblick über den Zu428 Im Rahmen der Anfertigung dieser Untersuchung hat der Autor mit einem Vertreter der Generaldirektion Wettbewerb ein Gespräch über die Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen geführt. 429 EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 42 – Electrabel/ Kommission. 430 Oder vor dem Eintritt der Freigabefiktion des Art. 10 Abs. 6 FKVO.

III. Kontrollwechsel durch Gun-Jumping-Verhaltensweisen

217

sammenschlusstatbestand der Fusionskontrollverordnung gegeben (1.) und die Funktion des Kontrollkriteriums erläutert (2.). Anschließend wird unter Rückgriff auf die Zuständigkeitsmitteilung der Kommission herausgearbeitet, unter welchen Voraussetzungen Gun-Jumping-Verhaltensweisen einen Kontrollwechsel herbeiführen (3.). Letztlich hängt die Beurteilung eines Sachverhalts unter Art. 7 Abs. 1 FKVO jedoch immer von einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls ab (4.). 1. Der Zusammenschlusstatbestand der Fusionskontrollverordnung In Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 FKVO wird definiert, wann ein Zusammenschluss im Sinne der Fusionskontrollverordnung vorliegt. Gemäß Art. 3 Abs. 1 FKVO wird ein Zusammenschluss durch eine dauerhafte Veränderung der Kontrolle über ein Unternehmen bewirkt.431 Die Veränderung der Kontrollsituation kann dabei grundsätzlich in zwei Formen erfolgen: gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO durch eine Fusion oder gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO durch den Erwerb der Kontrolle über ein anderes Unternehmen. Die Fusion ist dabei der Sonderfall eines Zusammenschlusses auf Ebene der Gleichordnung, bei dem eines der beteiligten Unternehmen seine Rechtspersönlichkeit verliert.432 Da der Zusammenschlusstatbestand der Fusion über eine deutlich geringere praktische Relevanz verfügt als der des Kontrollerwerbs,433 konzentriert sich die nachfolgende Untersuchung auf die Alternative des Kontrollerwerbs, wobei die Ausführungen sinngemäß auf die Fusion übertragen werden können.434 Die in der Praxis bedeutendere Zusammenschlussform des Kontrollerwerbs erfasst Situationen der Über- und Unterordnung, in denen ein Unternehmen die Kontrolle über ein anderes erlangt.435 Ein Kontrollerwerb kann durch den Erwerb von Anteils- oder Vermögensrechten, einen Vertrag oder in sonstiger Weise umgesetzt werden.436 Dabei garantiert der Kontrollerwerb in sonstiger Weise als Auffangtat431

Siehe eingehend zum Zusammenschlusstatbestand die monografischen Abhandlungen von Karl, Der Zusammenschlußbegriff in der Europäischen Fusionskontrollverordnung und Staudenmayer, Der Zusammenschlussbegriff in Artikel 3 der EG-FusionskontrollVO. 432 Eine Fusion kann beispielsweise durch die Verschmelzung des Vermögens eines Unternehmens auf das eines anderen Unternehmens erfolgen. Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 3 FKVO, Rdnr. 14 ff.; MünchKommEuWettbR-Wessely/Wegner, Art. 3 FKVO, Rdnr. 16. 433 Vgl. Henschen, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Rdnr. 947; Karl, Der Zusammenschlußbegriff in der Europäischen Fusionskontrollverordnung, S. 94, 108; Mäger, in: Mäger, Europäisches Kartellrecht, 8. Kapitel, Rdnr. 15. 434 Bei der Fusion stellt sich in gleicher Weise wie beim Kontrollerwerb die Frage, ab welcher Schwelle ein Übergang von Entscheidungsbefugnissen in dem Maße erfolgt ist, dass von einer dauerhaften Veränderung der Kontrolle i.S.d. Art. 3 Abs. 1 FKVO ausgegangen werden kann. 435 Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 3 FKVO, Rdnr. 25; MünchKommEuWettbRWessely/Wegner, Art. 3 FKVO, Rdnr. 22. 436 Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 17.

218

D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

bestand die Lückenlosigkeit des Zusammenschlussbegriffs.437 Im Ergebnis wird somit jede denkbare Art der Begründung von Kontrolle über ein anderes Unternehmen vom Zusammenschlusstatbestand erfasst. In Art. 3 Abs. 2 FKVO erfolgt eine Präzisierung des Kontrollbegriffs. Demnach wird Kontrolle durch Rechte, Verträge oder andere Mittel begründet, welche die Möglichkeit gewähren, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit eines anderen Unternehmens auszuüben. Mit der Variante der Kontrollbegründung durch andere Mittel besteht wiederum ein Auffangtatbestand, der gewährleistet, dass sämtliche Formen der Kontrolländerung erfasst werden.438 2. Die Funktion des Kontrollkriteriums Das zentrale Element des Zusammenschlusstatbestands ist das Merkmal des Kontrollwechsels. Um das Kontrollkriterium zutreffend auf Grenzfälle anwenden zu können, ist es erforderlich, sich die Funktion dieses Merkmals zu vergegenwärtigen. Diese besteht darin, wettbewerbsrelevante Veränderungen der Marktstruktur439 durch externes Unternehmenswachstum der präventiven Kontrolle durch die Kommission zu unterwerfen.440 Das zentrale wettbewerbliche Bedenken gegen derartige Marktstrukturveränderungen besteht darin, dass die Bündelung der Marktmacht von vormals eigenständigen Unternehmen den Wettbewerb auf den betroffenen Märkten durch nicht koordinierte oder koordinierte Effekte nachhaltig beeinträchtigen kann.441 Mit dem Merkmal des Kontrollwechsels werden Situationen erfasst, in denen Unternehmen mit vormals autonomer Verhaltenssteuerung ihr Wettbewerbsverhalten nicht mehr eigenständig bestimmen können, sondern es vielmehr vom Erwerber festgelegt wird. In derartigen Situationen können sich die angeführten wettbewerblichen Bedenken durch die Bündelung der Marktmacht von Erwerber und Zielunternehmen verwirklichen.442 437

Siehe nur Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 3 FKVO, Rdnr. 55. Vgl. Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 3 FKVO, Rdnr. 55, Fn. 154. 439 Siehe Erwägungsgrund 20 FKVO. Demnach ist der Begriff des Zusammenschlusses so zu definieren, dass er Vorga¨ nge erfasst, die zu einer dauerhaften Veränderung der Kontrolle an den beteiligten Unternehmen und damit an der Marktstruktur führen. 440 Vgl. Staudenmayer, Der Zusammenschlussbegriff in Artikel 3 der EG-FusionskontrollVO, S. 7 f. 441 Vgl. Kommission, Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Ziff. 22 ff. Im Hinblick auf nichthorizontale Zusammenschlüsse siehe Kommission, Leitlinien zur Bewertung nichthorizontaler Zusammenschlüsse, Ziff. 28 ff., 91 ff. 442 Vgl. Staudenmayer, Der Zusammenschlussbegriff in Artikel 3 der EG-FusionskontrollVO, S. 62 f. Ganz in diesem Sinne führt das EuG in Aer Lingus im Hinblick auf das Kontrollkriterium Folgendes aus: „Das gemeinsame Merkmal dieser Zusammenschlüsse [bei denen eine dauerhafte Veränderung der Kontrolle bewirkt wird, d. Verf.] ist folgendes: Dort, wo es vor der Transaktion zwei verschiedene Unternehmen für eine bestimmte wirtschaftliche Tätigkeit gab, gibt es nach der Transaktion nur noch ein Unternehmen. […]. Diese Kontrollbefugnis besteht in der Möglichkeit, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit eines 438

III. Kontrollwechsel durch Gun-Jumping-Verhaltensweisen

219

Andererseits schließt das Kontrollkriterium bestimmte Sachverhalte aus, die nicht der präventiven Kontrolle durch die Kommission unterfallen sollen. Hierzu zählen das interne Unternehmenswachstum, konzerninterne Umstrukturierungen und Unternehmenstransaktionen, die keine Bündelung des Wettbewerbspotenzials zur Folge haben (Erwerb von Minderheitsbeteiligungen). Zudem werden Interaktionen von unabhängigen Unternehmen, die nicht die Schwelle einer dauerhaften Marktstrukturveränderung erreichen, dem Anwendungsbereich der präventiven Kontrolle entzogen. Sie unterfallen vielmehr den Instrumenten der Verhaltenskontrolle. Mit dem Abstellen auf eine Veränderung der Kontrollsituation hat sich der Gesetzgeber bewusst für ein materielles Aufgreifkriterium entschieden, das im Vergleich zu den formalen Kriterien, die von vielen anderen Fusionskontrollregimen zugrunde gelegt werden, über eine größere Flexibilität verfügt.443 Das generalklauselartige Kontrollkriterium ermöglicht es, Marktstrukturveränderungen unabhängig vom anwendbaren nationalen Recht, der Gesellschaftsform oder der formalen Gestaltung einer Transaktion zu erfassen.444 Vielmehr sind die Auswirkungen im Einzelfall entscheidend. Gerade aufgrund des offenen, materiellen Charakters des Aufgreifkriteriums können sich in Einzelfällen jedoch schwierige Abgrenzungsfragen stellen, bei deren Lösung die Funktion des Merkmals im System zum Schutz des Wettbewerbs maßgeblich zu berücksichtigen ist.445 Dies gilt insbesondere auch für die Anwendung des Kontrollkriteriums auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen, die sich häufig im Grenzbereich zwischen der Verhaltens- und Marktstrukturkontrolle bewegen. 3. Voraussetzungen für die Annahme eines Kontrollwechsels durch Gun-Jumping Für die Anwendung des Zusammenschlussbegriffs auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen ist zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen Maßnahmen vor dem eigentlichen Closing den Zusammenschlusstatbestand verwirklichen. Im Ausgangspunkt geht es dabei um die Frage, ob die Interaktionen der Zusammenschlussparteien vor dem eigentlichen Vollzug bereits eine solche Intensität erreichen, Unternehmens auszuüben, insbesondere dann, wenn das Unternehmen, das diese Befugnis innehat, dem entsprechenden Unternehmen Vorgaben in Bezug auf seine strategische Entscheidungen machen kann.“ EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 63 – Aer Lingus/Kommission. 443 Ein formales Kriterium ist z. B. das Abstellen auf den Erwerb einer Unternehmensbeteiligung in einer gewissen prozentualen Höhe, wie es in § 37 Abs. 1 Nr. 3 GWB erfolgt. Langen/Bunte-Käseberg, Art. 3 FKVO, Rdnr. 32; MünchKommEuWettbR-Wessely/Wegner, Art. 3 FKVO, Rdnr. 3, 23. 444 Staudenmayer, Der Zusammenschlussbegriff in Artikel 3 der EG-FusionskontrollVO, S. 2. 445 Staudenmayer, Der Zusammenschlussbegriff in Artikel 3 der EG-FusionskontrollVO, S. 3.

220

D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

dass es zu einer dauerhaften Bündelung des Wettbewerbspotenzials von Erwerber und Zielunternehmen kommt. Die Konsolidierte Mitteilung der Kommission zu Zuständigkeitsfragen446 liefert dabei im Detail wichtige Hinweise darauf, ab welcher Schwelle davon auszugehen ist, dass der Erwerber die Möglichkeit erlangt hat, bestimmenden Einfluss im Sinne des Art. 3 Abs. 2 FKVO auszuüben. Vollzugsmaßnahmen, die dem Closing vorgelagert sind, erfüllen demnach den Zusammenschlusstatbestand, wenn der Erwerber im strategischen und geschäftspolitischen Bereich (a)) eine Einflussmöglichkeit hinreichender Intensität (b)) erlangt. a) Strategischer und geschäftspolitischer Bereich In einem ersten Schritt muss geprüft werden, ob dem Erwerber eine Einflussmöglichkeit im Bereich der strategischen und geschäftspolitischen Entscheidungen des Zielunternehmens vermittelt wird.447 Nur in dem Fall, dass der Erwerber die Verwendung unternehmerischer Ressourcen und das Auftreten des Zielunternehmens am Markt beeinflussen kann, kommt die Annahme einer dauerhaften Veränderung der Marktstruktur in Betracht, die der präventiven Kontrolle durch die Kommission unter der Fusionskontrollverordnung unterfällt.448 Eine erste Eingrenzung des Bereichs der strategischen Entscheidungen lässt sich vornehmen, indem man im Rahmen einer negativen Begriffsbestimmung herausarbeitet, welche Einflussmöglichkeiten eindeutig nicht in diesen Bereich fallen.449 Das sind insbesondere die Rechte, die üblicherweise auch Minderheitsgesellschaftern zum Schutz ihrer Investitionen zuerkannt werden.450 Hierzu zählen Zustimmungsvorbehalte im Hinblick auf Änderungen der Unternehmenssatzung, Kapitalerhöhungen oder -herabsetzungen, die Liquidation der Gesellschaft, Änderungen des Gesellschaftszwecks, Akquisitionen oder Veräußerungen, den Verkauf wesentlicher Vermögensteile oder die Fusion mit anderen Unternehmen.451 Zwar ist nicht 446

09. 447

Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, ABl. EU 2009 Nr. C 43/

Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 56 ff., 62, 66 ff. In diesem Sinne nehmen auch Wessely/Wegner bestimmenden Einfluss an, „wenn ein Unternehmen die Möglichkeit hat, die Geschäftspolitik und die strategischen Entscheidungen eines anderen Unternehmens bestimmen zu können.“ MünchKommEuWettbR-Wessely/Wegner, Art. 3 FKVO, Rdnr. 25. Immenga/Körber führen etwas umfassender aus, dass für die Frage, ob bestimmender Einfluss vorliegt, maßgeblich ist, ob die erworbenen Rechte oder anderen Mittel „dem Erwerber die Möglichkeit verschaffen, die Geschäftsstrategie des Zielunternehmens zu bestimmen und seine Interessen durchzusetzen, so dass die Willensbildung des kontrollierten Unternehmens nicht mehr autonom erfolgt.“ Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 3 FKVO, Rdnr. 28 m.w.N. 448 Siehe oben S. 218 f. Vgl. Henschen, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Rdnr. 963. 449 Vgl. Henschen, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Rdnr. 967, 981 ff. 450 Vgl. EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 26 – Aer Lingus/Kommission. 451 Vgl. MünchKommEuWettbR-Wessely/Wegner, Art. 3 FKVO, Rdnr. 37.

III. Kontrollwechsel durch Gun-Jumping-Verhaltensweisen

221

abzustreiten, dass auch diese Rechte Auswirkungen auf das Wirtschaftsverhalten eines Unternehmens haben können. Sie ermöglichen jedoch keine ausreichend intensive Einwirkung auf das Verhalten eines Unternehmens am Markt und vermitteln daher keinen bestimmenden Einfluss.452 Sofern zusätzlich zu diesen Rechten weitere Einflussmöglichkeiten bestehen, können sie im Rahmen einer Gesamtbeurteilung allerdings dafür sprechen, dass Kontrolle vermittelt wird.453 Für die positive Bestimmung des Bereichs der strategischen Entscheidungen enthält die Zuständigkeitsmitteilung wichtige Anhaltspunkte. Die Kommission erläutert in ihr im Hinblick auf die Konstellation der gemeinsamen Kontrolle detailliert, was zu den strategischen, geschäftspolitischen Entscheidungen zählt.454 Die Ausführungen können ohne Weiteres auf die alleinige Kontrolle übertragen werden.455 Die folgenden Einflussmöglichkeiten fallen demnach in den strategischen und geschäftspolitischen Bereich: aa) Entscheidungen über das Budget Die Finanzplanung eines Unternehmens entscheidet maßgeblich über den Umfang seiner Tätigkeit auf dem Markt. Zudem hängt die Investitionstätigkeit eines Unternehmens davon ab. Nach Ansicht der Kommission führt daher der Übergang der Entscheidungsbefugnis über das Budget in der Regel zu einem bestimmenden Einfluss auf die Geschäftspolitik eines Unternehmens.456 bb) Entscheidungen über die Besetzung der Unternehmensleitung Das Recht, die Zusammensetzung der Unternehmensleitung mitzubestimmen, sichert dessen Inhaber normalerweise einen bestimmenden Einfluss auf die Geschäftspolitik des Unternehmens,457 da sich hierdurch die Leitung eines Unternehmens in die Hand von Personen legen lässt, die diese nach den eigenen Vorstellungen ausführen. Wie weit der maßgebliche Kreis der Unternehmensleitung zu ziehen ist, hängt stark vom Einzelfall und den jeweiligen Entscheidungsbefugnissen der kon-

452

Cook/Kerse, EC Merger Control, Rdnr. 2-013. Henschen, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Rdnr. 981 f. 454 Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 66 ff. 455 MünchKommEuWettbR-Wessely/Wegner, Art. 3 FKVO, Rdnr. 25. Vgl. auch Henschen, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Rdnr. 971 ff.; Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 3 FKVO, Rdnr. 34. Die Ausführungen der Kommission zu den strategischen Entscheidungen beziehen sich auf die negative gemeinsame Kontrolle. Wenn die Möglichkeit, Entscheidungen zu blockieren, die Annahme von Kontrolle i.S.v. Art. 3 FKVO rechtfertigt, muss dies erst recht für die Möglichkeit gelten, solche Entscheidungen positiv herbeizuführen. 456 Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 69. 457 Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 69. 453

222

D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

kreten Leitungsposition ab. Vorrangig ist zu prüfen, ob mit der Position Kompetenzen zur Bestimmung des künftigen Marktverhaltens einhergehen.458 cc) Entscheidungen über den Geschäftsplan Auch die Befugnis, über den Geschäftsplan eines Unternehmens zu entscheiden, wird dem Bereich der strategischen Entscheidungen zugerechnet und kann die Annahme eines Kontrollwechsels rechtfertigen. In einem Geschäftsplan werden die kommerziellen Ziele eines Unternehmens und die Strategien zu deren Erreichung festgelegt, sodass er den Rahmen für das Marktverhalten eines Unternehmens setzt.459 Inwiefern bereits eine Einflussmöglichkeit auf den Geschäftsplan für die Annahme eines Kontrollübergangs ausreicht oder ob im Einzelfall weitere Faktoren hinzutreten müssen, hängt vom Detailgrad des Geschäftsplans ab. Gibt er sehr konkret die Ziele eines Unternehmens vor und erläutert sehr genau, mit welchen Mitteln sie verwirklicht werden sollen, kann nach Ansicht der Kommission eine alleinige Einflussmöglichkeit auf den Geschäftsplan ausreichen, um einen Kontrollwechsel herbeizuführen. Enthält der Geschäftsplan hingegen nur allgemeine Grundsatzerklärungen, müssen weitere Indizien hinzukommen, um einen Kontrollwechsel annehmen zu können.460 dd) Entscheidungen über größere Investitionen Die Befugnis, über die Investitionen eines Unternehmens zu entscheiden, gehört grundsätzlich zu den strategischen Entscheidungen, da Investitionen von großer Bedeutung für die künftige Geschäftspolitik eines Unternehmens sein können. Es hängt dabei jedoch von den Umständen des Einzelfalls ab, ob eine Einflussmöglichkeit auf Investitionsentscheidungen allein zu einem Kontrollübergang führt. Dies kann anzunehmen sein, wenn Investitionen auf dem Markt, auf dem das Unternehmen tätig ist, für das Marktverhalten von großer Bedeutung sind. Sofern sich ein Mitbestimmungsrecht nur auf äußerst große Investitionen bezieht, kann es jedoch auch dem Schutz von Minderheitsgesellschaftern dienen. In diesem Fall rechtfertigt es nicht ohne Weiteres die Annahme eines Kontrollübergangs.461 ee) Entscheidungen über marktspezifische Rechte In der Zuständigkeitsmitteilung führt die Kommission zudem an, dass die Möglichkeit, Entscheidungen über marktspezifische Rechte zu treffen, in den strategischen Bereich fällt und die Annahme eines Kontrollwechsels rechtfertigen kann. 458 459 460 461

Navarro/Font/Folguera/Briones, Merger Control in the EU, Rdnr. 2.42. Navarro/Font/Folguera/Briones, Merger Control in the EU, Rdnr. 2.39. Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 70. Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 71.

III. Kontrollwechsel durch Gun-Jumping-Verhaltensweisen

223

Unter den Begriff der marktspezifischen Rechte fasst die Kommission Entscheidungen, die für den Markt, auf dem ein Unternehmen tätig ist, wichtig sind.462 Die Bestimmung der genauen Reichweite dieses sehr unbestimmten Begriffs gestaltet sich schwer, da er eine Eigenschöpfung der Kommission ist und ausschließlich in der Zuständigkeitsmitteilung verwendet wird. Eine gewisse Orientierung bieten jedoch die Beispiele, welche die Kommission anführt: Ein marktspezifisches Recht sei zum einen die Entscheidung darüber, mit welcher Technologie ein Unternehmen arbeitet, sofern der Technologie in dem jeweiligen Markt eine Schlüsselrolle zukommt. Zum anderen führt die Kommission die Entscheidung über die Entwicklung neuer Produkte an, die ein marktspezifisches Recht sein könne, sofern der betreffende Markt durch ein hohes Maß an Produktdifferenzierung und Innovation gekennzeichnet ist.463 Die Beispiele machen deutlich, dass es der Kommission darauf ankommt, Einflussmöglichkeiten auf Entscheidungen zu erfassen, die für das Auftreten des Unternehmens am Markt und dessen Verhalten im Wettbewerb maßgeblich sind. Der Bereich der marktspezifischen Rechte stellt insofern einen Auffangtatbestand dar, unter den entsprechend dem Zweck des Kontrollkriteriums signifikante Einflussmöglichkeiten auf das Marktverhalten des Zielunternehmens gefasst werden können. ff) Einflussnahme auf das Tagesgeschäft nicht erforderlich Nicht erforderlich ist es, dass sich die Einflussnahme des Erwerbers auch auf das Tagesgeschäft des Zielunternehmens erstreckt.464 Andererseits kann es jedoch ein bedeutendes Indiz für die Annahme eines Kontrollwechsels sein, wenn der Erwerber sogar auf das Tagesgeschäft einwirken kann. gg) Zwischenergebnis In den Ausführungen der Kommission zur Reichweite des strategischen, geschäftspolitischen Bereichs spiegelt sich unmittelbar die Funktion des Zusammenschlusstatbestands wider, Marktstrukturveränderungen durch die Zusammenlegung des wettbewerblichen Potenzials zweier vormals unabhängiger Unternehmen zu erfassen. Bei der Prüfung von Interaktionen der Zusammenschlussparteien vor dem Closing ist in einem ersten Schritt zu untersuchen, ob der Erwerber in diesem Bereich vorzeitig eine Einflussmöglichkeit auf das Zielunternehmen erlangt hat.

462

Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 72. Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 72. 464 Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 67. Vgl. Henschen, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Rdnr. 983; MünchKommEuWettbR-Wessely/ Wegner, Art. 3 FKVO, Rdnr. 27. 463

224

D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

b) Intensität der Einflussmöglichkeit In einem zweiten Analyseschritt ist zu prüfen, ob die Einflussmöglichkeit des Erwerbers im strategischen Bereich eine Intensität erreicht, welche die Annahme eines Kontrollwechsels rechtfertigt. Die Zuständigkeitsmitteilung der Kommission enthält hierzu wichtige Angaben, die zwar nicht unmittelbar Gun-Jumping-Konstellationen betreffen, aber Rückschlüsse auf deren Beurteilung zulassen. aa) Faktischer Kontrollerwerb ist ausreichend Für die Annahme eines Kontrollwechsels ist es nicht erforderlich, dass die Möglichkeit zur Ausübung bestimmenden Einflusses rechtsgeschäftlich auf den Erwerber übergeht oder in sonst einer Form auf eine gesicherte Rechtsposition zurückzuführen ist (De-jure-Kontrollerwerb).465 Vielmehr ist es ausreichend, wenn der Erwerber faktisch die Kontrolle über das Zielunternehmen erlangt (De-facto-Kontrollerwerb). Dies folgt aus dem offenen materiellen Zusammenschlussbegriff des Art. 3 Abs. 1, Abs. 2 FKVO.466 Die Form des Kontrollerwerbs ist für die Annahme eines Zusammenschlusses nicht maßgeblich. Ein typisches Beispiel für einen faktischen Kontrollerwerb liegt dann vor, wenn ein Anteilseigner weniger als 50 Prozent der Stimmrechte an einem Unternehmen hält, aber aufgrund der geringen Präsenz der anderen Anteilseigner in der Hauptversammlung erfahrungsgemäß die Mehrheit hat.467 Zu einem faktischen Kontrollerwerb kann es aber auch durch rein wirtschaftliche Beziehungen kommen, zum Beispiel in Situationen wirtschaftlicher Abhängigkeit. So können langfristige großvolumige Lieferverträge oder Kredite von Lieferanten bzw. Kunden zusammen mit strukturellen Verflechtungen einen bestimmenden Einfluss gewähren.468 Im Rahmen der Beurteilung der Interaktionen der Zusammenschlussparteien vor dem Closing kommt es somit nicht darauf an, dass die Möglichkeit zur Ausübung eines bestimmenden Einflusses auf einer erworbenen Rechtsstellung beruht. Für die Annahme eines Kontrollwechsels sind vielmehr alle faktischen Tatbestände aus465

Ein De-jure-Kontrollerwerb ist dann anzunehmen, wenn der Erwerber eine Rechtsstellung erwirbt, die es ihm ermöglicht, bestimmenden Einfluss auf das Zielunternehmen auszuüben. Dies kann insbesondere durch den Erwerb von Anteilsrechten oder Vermögenswerten erfolgen. Vgl. Henschen, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Rdnr. 998 f. Zu einem Kontrollerwerb kann es aber auch durch Verträge kommen, sofern sie in einem ähnlichen Umfang Kontrolle über das Zielunternehmen vermitteln, wie dies bei einem Anteils- oder Vermögenserwerb der Fall wäre. Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 18. 466 Gem. Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO kann der Kontrollerwerb nicht nur durch den Erwerb von Anteilsrechten, Vermögenswerten oder einen Vertrag, sondern auch in sonstiger Weise erfolgen. Zudem kann gem. Art. 3 Abs. 2 FKVO Kontrolle nicht nur durch Rechte oder Verträge, sondern auch andere Mittel begründet werde. 467 Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 59. 468 Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 20.

III. Kontrollwechsel durch Gun-Jumping-Verhaltensweisen

225

reichend, durch die dem Erwerber die Möglichkeit zur Ausübung eines bestimmenden Einflusses vermittelt wird.469 Aufgrund ihrer informellen Natur werden Gun-Jumping-Verstöße in der Regel in Form eines De-facto-Kontrollerwerbs erfolgen. bb) Dauerhaftigkeit der Kontrollausübung Gemäß Art. 3 Abs. 1 FKVO wird der Zusammenschlusstatbestand nur erfüllt, sofern eine dauerhafte Veränderung der Kontrolle erfolgt.470 Die Voraussetzung der Dauerhaftigkeit trägt dem Umstand Rechnung, dass die Fusionskontrollverordnung ein Instrument zur Marktstrukturkontrolle ist. Nur anhaltende, strukturelle Veränderungen der Marktbedingungen sollen der Zusammenschlusskontrolle unterworfen werden.471 Dementsprechend findet die Fusionskontrollverordnung nicht auf Vorgänge Anwendung, die lediglich zu einer vorübergehenden Veränderung der Kontrollsituation führen.472 Dies hat beispielsweise für mehrstufige Transaktionen praktische Relevanz, bei denen Zwischenschritte von der Kommission unter gewissen Voraussetzungen nicht als eigener Zusammenschluss betrachtet werden.473 Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass aus der Voraussetzung der Dauerhaftigkeit eine prinzipielle Einschränkung der Reichweite des Zusammenschlusstatbestands im Hinblick auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen folgt. Denn typischerweise erstrecken sich solche Verhaltensweisen nur auf das schmale Zeitfenster zwischen dem Signing und Closing. Letztlich wird durch ein Gun-Jumping jedoch der Kontrollwechsel, der eigentlich erst mit dem Closing erfolgen sollte und an dessen Dauerhaftigkeit in aller Regel keine Zweifel bestehen, vorweggenommen. In dieser Hinsicht bestehen somit keine Zweifel an der Dauerhaftigkeit des Kontrollwechsels. Allerdings kommt durch das Merkmal der Dauerhaftigkeit auch zum Ausdruck, dass nur anhaltende Marktstrukturveränderungen von der Fusionskontrolle erfasst werden sollen. Von einem Kontrollwechsel kann daher nur ausgegangen werden, wenn der Erwerber im Rahmen des Gun-Jumpings eine verfestigte Einflussmöglichkeit auf das Zielunternehmen erhält, die über das für eine Verhaltenskoordinierung im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV typische Maß an gegenseitigem Einverständnis und wechselseitiger Rücksichtnahme hinausgeht.

469

Vgl. Henschen, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Rdnr. 1059. Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 28 ff. 471 Vgl. Erwägungsgründe 5 und 20 FKVO. Henschen, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Rdnr. 984; Rosenthal/Thomas, European Merger Control, B. Jurisdiction, Rdnr. 17. 472 Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 28. Rosenthal/ Thomas, European Merger Control, B. Jurisdiction, Rdnr. 20 ff. 473 Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 73 ff. 470

226

D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

cc) Erwerb der Kontrolle über einen Teilbereich des Unternehmens ist ausreichend Für die Annahme einer vorzeitigen Verwirklichung des Zusammenschlusstatbestands ist es nicht erforderlich, dass sich der Kontrollwechsel auf das gesamte Zielunternehmen erstreckt. Vielmehr ist die Kontrollerlangung über einen Teil des Zielunternehmens ausreichend, sofern dieser Teil über eine eigene Marktpräsenz verfügt und diesem eindeutig ein Umsatz zugerechnet werden kann.474 So kann der Zusammenschlusstatbestand beispielsweise auch dadurch verwirklicht werden, dass ein Kundenstamm oder geistige Eigentumsrechte auf den Erwerber übertragen werden.475 Demnach ist es für die Verletzung des Vollzugsverbots durch Gun-JumpingVerhaltensweisen ausreichend, wenn diese dazu führen, dass die Kontrolle nur im Hinblick auf einen Teil des Zielunternehmens auf den Erwerber übergeht und es somit zu einem Teilerwerb kommt. Gerade im Hinblick auf faktisch gelagerte Verstoßkonstellationen dürfte der Variante des Teilerwerbs eine hohe praktische Relevanz zukommen, da diese mitunter nur bestimmte Aspekte der Tätigkeit des Zielunternehmens betreffen, zum Beispiel lediglich diejenigen Produktlinien, die unmittelbar mit denen des Erwerbers im Wettbewerb stehen. Sofern dem betroffenen Teilbereich eine eigene Marktpräsenz und ein eigener Umsatz zugerechnet werden können, kommt ohne Weiteres ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot in Betracht. dd) Positive und negative Kontrolle Um bestimmenden Einfluss des Erwerbers auf strategische Entscheidungen des Zielunternehmens annehmen zu können, ist es nicht erforderlich, dass der Erwerber dem Zielunternehmen positive Vorgaben über dessen künftiges Verhalten machen kann (positive Kontrolle). Vielmehr ist es ausreichend, dass der Erwerber Entscheidungen im strategischen Bereich durch sein Veto blockieren kann (negative Kontrolle).476 Demgemäß kommt ein Gun-Jumping-Verstoß gegen das Vollzugsverbot nicht nur dann in Betracht, wenn der Erwerber dem Zielunternehmen vor der Freigabe strategische Entscheidungen aufzwingen kann, sondern bereits dann, wenn das Zielunternehmen entsprechende Entscheidungen nicht mehr ohne Zustimmung des Erwerbers treffen kann.

474

Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 24. Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 24. Rosenthal/ Thomas, European Merger Control, B. Jurisdiction, Rdnr. 27. 476 Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 54. 475

III. Kontrollwechsel durch Gun-Jumping-Verhaltensweisen

227

ee) Alleinige oder gemeinsame Kontrollausübung Der Zusammenschlusstatbestand kann nicht nur dadurch verwirklicht werden, dass ein Unternehmen die alleinige Kontrolle über ein anderes Unternehmen erlangt, sondern auch dadurch, dass zwei oder mehr Unternehmen gemeinsame Kontrolle über ein anderes Unternehmen erwerben. Gemeinsame Kontrolle ist insbesondere in Pattsituationen anzunehmen, in denen die Mütter eines Gemeinschaftsunternehmens jeweils die Möglichkeit haben, strategische Entscheidungen zu blockieren, und daher darauf angewiesen sind, die Geschäftspolitik des Gemeinschaftsunternehmens einvernehmlich festzulegen.477 Im Hinblick auf die Beurteilung von Gun-JumpingVerhaltensweisen hat die Konstellation der gemeinsamen Kontrolle in zweierlei Hinsicht Relevanz: Zum einen kann es auch im Zusammenhang mit Gemeinschaftsunternehmen („GU“) zu Gun-Jumping-Verstößen kommen, beispielsweise beim Austausch einer GU-Mutter. Zum anderen ist es nicht erforderlich, dass der Erwerber vor der Freigabe die vollständige Kontrolle über das Zielunternehmen erlangt, sondern es ist vielmehr ausreichend, dass er aufgrund einer Vetoposition (negative Kontrolle) vor der Erteilung der Freigabe zusammen mit dem Veräußerer die Geschicke des Zielunternehmens lenkt. ff) Möglichkeit zur Ausübung bestimmenden Einflusses ist ausreichend Für die Annahme eines Kontrollerwerbs ist es im Allgemeinen nicht erforderlich, dass der Erwerber den bestimmenden Einfluss tatsächlich ausübt. Vielmehr ist bereits die Möglichkeit zur Ausübung ausreichend.478 Für die Annahme eines GunJumping-Verstoßes würde es demnach grundsätzlich ausreichen, wenn Entscheidungsbefugnisse vor dem Vollzug übergehen, ohne dass diese tatsächlich ausgeübt werden. Aufgrund der typischerweise eher faktischen Natur von Gun-JumpingVerstößen dürften Fälle, in denen Entscheidungsbefugnisse übergehen, aber nicht ausgeübt werden, praktisch jedoch äußerst schwer nachzuweisen sein. 4. Maßgeblichkeit einer Einzelfallbetrachtung Ob durch die Interaktionen der Zusammenschlussparteien vor dem Closing der Zusammenschlusstatbestand verwirklicht wird und es zu einem Gun-JumpingVerstoß gegen das Vollzugsverbot kommt, lässt sich nur im Rahmen einer umfas477

Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 62. Denkbar ist auch eine positive gemeinsame Kontrolle, die dann anzunehmen ist, wenn mehrere Minderheitsgesellschafter zusammen eine Stimmmehrheit haben und bei der Ausübung der Stimmrechte gemeinsam handeln. Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 74 ff. 478 EuG, 12. 12. 2012, Rs. T-332/09, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 189 – Electrabel/ Commission. Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 16. Henschen, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Rdnr. 964; MünchKommEuWettbR-Wessely/ Wegner, Art. 3 FKVO, Rdnr. 24.

228

D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

senden Einzelfallprüfung bestimmen.479 Dabei kommt es aufgrund des materiellen Zusammenschlussbegriffs nicht auf die formelle Ausgestaltung einer Maßnahme an,480 sondern allein auf die tatsächlichen Auswirkungen. Ausgehend vom Zweck des Zusammenschlusstatbestands ist darauf abzustellen, ob es zu einer Vorwegnahme der Kombination des Wettbewerbspotenzials von Erwerber und Zielunternehmen kommt, indem der Erwerber eine strukturell verfestigte Möglichkeit erhält, das Marktverhalten des Zielunternehmens zu steuern. Zunächst ist im Rahmen der Einzelfallprüfung zu untersuchen, ob ein hinreichender Bezug der Interaktionen zum Marktverhalten besteht, das heißt, ob der strategische, geschäftspolitische Bereich des Zielunternehmens betroffen ist. Dabei hängt es immer von den konkreten Umständen des zu prüfenden Falles, insbesondere der Breite und Tiefe der Einflussmöglichkeiten ab, ob es bereits ausreicht, dass ein einzelner der aufgezählten481 strategischen Teilbereiche betroffen ist, oder ob es erforderlich ist, dass mehrere Bereiche betroffen sind.482 Anschließend ist zu prüfen, ob die Einflussmöglichkeit des Erwerbers auf den strategischen Bereich eine solche Intensität erreicht, dass davon gesprochen werden kann, dass er die Möglichkeit zur Ausübung von bestimmendem Einfluss erlangt hat. Dabei ist zu fordern, dass die Einflussmöglichkeit eine gewisse strukturelle Verfestigung erreicht: Nur wenn sie über eine hinreichende Dauerhaftigkeit und Signifikanz verfügt, kann vom Vorliegen einer Marktstrukturveränderung gesprochen werden. Für die Annahme eines Kontrollwechsels kann es hingegen nicht ausreichen, wenn die wettbewerbliche Handlungsfreiheit des Zielunternehmens nur in dem Maße beeinträchtigt wird, wie es für wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen typisch ist. Ein einfacher Kartellverstoß kann daher noch nicht die Annahme eines Kontrollwechsels rechtfertigen. Vielmehr kann es gegen das Vorliegen eines Kontrollwechsels sprechen, wenn die zu beurteilenden Interaktionen auch außerhalb des Kontexts eines Zusammenschlussvorhabens im Rahmen einer Kartellabsprache denkbar wären. Im Rahmen der Einzelfallbetrachtung muss man sich vergegen479

Vgl. Henschen, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Rdnr. 963; Immenga/ Mestmäcker-Körber, Art. 3 FKVO, Rdnr. 27. 480 Komm., 15. 11. 1993, M.342, Ziff. 12 – Fortis/CGER. Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 3 FKVO, Rdnr. 27; MünchKommEuWettbR-Wessely/Wegner, Art. 3 FKVO, Rdnr. 3, 23. 481 Siehe oben S. 220 ff. 482 Dem Budget- sowie Geschäftsplan und der Besetzung der Unternehmensleitung kommt jeweils eine so große Bedeutung zu, dass bei einem Übergang von Entscheidungsbefugnissen in einem dieser Bereiche in der Regel von einem Kontrollwechsel auszugehen ist. Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 69 f. Vgl. MünchKommEuWettbRWessely/Wegner, Art. 3 FKVO, Rdnr. 39. Andererseits nimmt die Kommission an, dass Vetorechte, die sich weder auf die Geschäftspolitik, die Geschäftsstrategie, die Besetzung der Unternehmensleitung, die Finanzplanung noch den Geschäftsplan beziehen, in der Regel keine Kontrolle vermitteln. Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 73. Vgl. Komm., 19. 03. 1993, IV/M.295, Ziff. 10 – SITA-RPC/SCORI. Ein bestimmender Einfluss kann nicht angenommen werden, wenn lediglich Beratungs- oder Überwachungsbefugnisse bestehen. MünchKommEuWettbR-Wessely/Wegner, Art. 3 FKVO, Rdnr. 27.

IV. Ergebnis

229

wärtigen, dass die Fusionskontrollverordnung Fälle des externen Unternehmenswachstums erfassen soll. In der Regel kann daher nicht allein deshalb von einem Kontrollwechsel ausgegangen werden, weil es zu einer einmaligen Beeinflussung des Marktverhaltens des Zielunternehmens gekommen ist.483 Bei der rechtlichen Würdigung eines Gun-Jumping-Sachverhalts ist der Fokus zunächst darauf zu richten, ob durch die fraglichen Maßnahmen die Kontrolle auf den Erwerber übergeht. Dies wäre beispielsweise dann anzunehmen, wenn der Erwerber die Geschäftsleitung des Zielunternehmens vor der Freigabe mit eigenen Vertretern neu besetzt. Die Prüfung kann jedoch nicht bei dieser Betrachtungsweise stehen bleiben. Vielmehr ist auch zu untersuchen, ob eine Verhaltensweise, die an sich keinen Kontrollwechsel begründet, darauf zurückzuführen ist, dass der Erwerber bereits die Steuerung des Marktverhaltens des Zielunternehmens übernommen hat. Zu denken ist beispielsweise an Wettbewerbsverhandlungen, die eigentlich dem Zielunternehmen schaden, aber im Interesse des Erwerbers sind und auf dessen Anweisung erfolgen. Der Unterschied zwischen beiden Betrachtungsweisen lässt sich am Fall Volkswagen/MAN484 verdeutlichen: Volkswagen hätte durch die Bestellung seiner Vertreter in den Aufsichtsrat von MAN zwar noch nicht die Kontrolle über MAN erlangt. Es wäre Volkswagen jedoch nur aufgrund eines vorzeitigen Kontrollwechsels möglich gewesen, die eigenen Manager in den Aufsichtsrat von MAN zu berufen.485

IV. Ergebnis Ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot liegt vor, sofern es vor der Freigabe eines Zusammenschlusses durch die Kommission zu einem Kontrollwechsel kommt und der Zusammenschlusstatbestand des Art. 3 Abs. 1, Abs. 2 FKVO verwirklicht wird. Dieses Ergebnis folgt nicht nur aus der Auslegung von Art. 7 Abs. 1 FKVO nach Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck, sondern wird auch durch die EuGUrteile Aer Lingus486 und Electrabel487 gestützt. Art. 3 Abs. 1, Abs. 2 FKVO und die Zuständigkeitsmitteilung der Kommission bieten wertvolle Anhaltspunkte zur Bestimmung der Schwelle, ab der davon auszugehen ist, dass es durch Gun-Jumping-Maßnahmen zu einem Kontrollwechsel kommt. Demnach muss eine Möglichkeit des Einflusses auf den strategischen, geschäftspolitischen Bereich des Zielunternehmens mit hinreichender Intensität vorliegen. 483 Vgl. Buntscheck, Das „Konzernprivileg“ im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag, S. 130. 484 Siehe oben S. 166 f. 485 Siehe oben S. 166 f. 486 Siehe oben S. 173 ff. 487 Siehe oben S. 169 ff.

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D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

Es ist davon auszugehen, dass die enge Auslegung des Vollzugsverbots das Spannungsfeld zwischen der Gewährleistung eines effektiven Wettbewerbsschutzes und der Vermeidung von unnötigen Behinderungen von Unternehmenszusammenschlüssen am besten auflöst. Problematische Marktstrukturveränderungen werden dadurch effektiv verhindert. Andererseits erfolgt keine unnötige Beeinträchtigung von wettbewerblich irrelevanten Vorbereitungshandlungen. Die Bezugnahme auf den Zusammenschlusstatbestand bei der Auslegung von Art. 7 Abs. 1 FKVO erhöht die Bestimmtheit des Vollzugsverbots. Nichtsdestoweniger kommt es im Rahmen der Prüfung eines konkreten Sachverhalts auf eine wertende Betrachtung aller maßgeblichen Einzelfallumstände unter Beachtung der Zielsetzungen der präventiven Fusionskontrolle an. Im Rahmen der Einzelfallbewertung verbleibt der Kommission ausreichend Flexibilität, um einen wirksamen Wettbewerbsschutz zu gewährleisten. Jüngere Reformbestrebungen der Kommission, die darauf abzielen, auch Minderheitsbeteiligungen einer Kontrolle zu unterwerfen, könnten zu einer Ausweitung des Zusammenschlusstatbestands und damit auch der Reichweite des Vollzugsverbots führen. In einer Rede führte Wettbewerbskommissar Almunia488 an, dass sich die „enforcement gap“489 im Hinblick auf Minderheitsbeteiligungen auf zweierlei Weise schließen ließe: Zum einen könnte die Kommission ermächtigt werden, selektiv bestimmte Fälle aufzugreifen, in denen Minderheitsbeteiligungen wettbewerblich bedenkliche Auswirkungen haben könnten (Ex-post-Kontrolle). Zum anderen könnten auch Minderheitsbeteiligungen einer Notifikationspflicht unterworfen werden (Ex-ante-Kontrolle). Würde der zweite Lösungsweg über eine Erweiterung des Zusammenschlusstatbestands des Art. 3 FKVO umgesetzt, hätte dies auch eine Ausweitung der Reichweite des Vollzugsverbots zur Folge. Insgesamt erscheint die Alternative des Ex-post-Kontrollsystems jedoch vorzugswürdig, was auch der derzeitigen Auffassung von Almunia entspricht.490 So gestaltet sich die Entflechtung von Minderheitsbeteiligungen deutlich einfacher als die nach einem Kontrollerwerb, sodass es nicht erforderlich ist, sie einer präventiven Kontrolle zu unterwerfen.

488

Almunia, 02. 11. 2012, Merger review: Past evolution and future prospects, abrufbar unter http://europa.eu/rapid/press-release_SPEECH-12-773_en.htm. 489 Bislang unterliegt der Erwerb von Minderheitsbeteiligungen, die keine Kontrolle vermitteln, keiner Kontrolle. Vom Erwerber der Minderheitsbeteiligung und dem Zielunternehmen sind lediglich die Schranken des Kartellverbots zu beachten. Siehe hierzu unten S. 254 ff. Slobodenjuk, BB 2012, 705 spekuliert, dass für die Reformbemühungen gerade auch die Erfahrungen aus dem Zusammenschlussvorhaben Ryanair/Aer Lingus ausschlaggebend waren, in dem die Kommission nicht die Entflechtung einer bereits erworbenen Minderheitsbeteiligung anordnen konnte. Vgl. zum Thema bereits Kommission, Grünbuch 2001, Rdnr. 106 ff. 490 Almunia, Merger review: Past evolution and future prospects, S. 5.

V. Exkurs: Reichweite von § 41 GWB

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V. Exkurs: Reichweite von § 41 GWB Das Fusionskontrollregime der §§ 35 ff. GWB ist wie die Fusionskontrollverordnung präventiv ausgestaltet. Gemäß § 41 Abs. 1 GWB dürfen Unternehmen Zusammenschlüsse vor der Freigabe durch das Bundeskartellamt nicht vollziehen oder an deren Vollzug mitwirken. Auch im Geltungsbereich der GWB-Fusionskontrolle stellt sich die Frage, ab welcher Schwelle in Gun-Jumping-Fällen von einem Verstoß gegen das Vollzugsverbot ausgegangen werden muss. Dabei kann nicht bereits daraus, dass § 41 Abs. 1 GWB schon die Mitwirkung am Vollzug verbietet, abgeleitet werden, dass § 41 Abs. 1 GWB weiter auszulegen ist als Art. 7 Abs. 1 FKVO. Durch das Verbot der Mitwirkung am Vollzug soll das Vollzugsverbot lediglich auf Unternehmen erstreckt werden, die nicht am Zusammenschluss beteiligt sind (Veräußerer).491 Fraglich ist, ob auch unter § 41 GWB ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot nur angenommen werden kann, sofern der Zusammenschlusstatbestand verwirklicht wird. Der BGH hat diese Frage – anders als noch das vorinstanzliche OLG Düsseldorf – in einem Beschluss aus dem Jahr 2008 offengelassen (1.). Das Bundeskartellamt hält hingegen für einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot die Verwirklichung des Zusammenschlusstatbestands nicht für erforderlich (2.). Das Stimmungsbild in der Literatur ist uneinheitlich (3.). Es empfiehlt sich, die hier vertretene enge Auslegung von Art. 7 Abs. 1 FKVO auf § 41 Abs. 1 FKVO zu übertragen (4.). 1. BGH und OLG Düsseldorf Der BGH hat in einem Beschluss aus dem Jahr 2008 die Frage offengelassen, ob ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot nur angenommen werden kann, wenn der Zusammenschlusstatbestand des § 37 GWB verwirklicht wurde.492 Das Bundeskartellamt hatte gegen den Betroffenen, der ein Vorstandsmitglied der Erwerberin war, auf Grundlage von § 81 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 i. V. m. § 41 Abs. 1 GWB ein Bußgeld wegen eines Verstoßes gegen das Vollzugsverbot verhängt. Der BGH ließ in seiner Rechtsmittelentscheidung die Frage offen, ob die erfolgte Neubesetzung des Beirats des Zielunternehmens gegen das Vollzugsverbot verstoßen hat, da der Betroffene die Bußgeldnorm weder täterschaftlich verletzt hat noch seinen Aufsichtspflichten schuldhaft nicht nachgekommen ist.493 Auf die Auslegung des Vollzugsverbots kam es somit nicht an. Ausdrücklich hat der BGH die Frage offengelassen, ob auch Maßnahmen unterhalb der Schwelle des Zusammenschlusstatbestands des § 37 GWB vom Vollzugsverbot erfasst werden.494 Das vorinstanzliche OLG Düsseldorf hatte hingegen noch ausdrücklich das Vorliegen eines Ver491 492 493 494

FK-Kuhn, § 41 GWB, Rdnr. 11, Fn. 19 f. BGH, 11. 11. 2008, KRB 47/08, WuW/E DE-R 2579, Ziff. 10. BGH, 11. 11. 2008, KRB 47/08, WuW/E DE-R 2579, Ziff. 10, 12 ff. BGH, 11. 11. 2008, KRB 47/08, WuW/E DE-R 2579, Ziff. 9 f.

232

D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

stoßes gegen das Vollzugsverbot verneint, da es nicht zu einem Kontrollwechsel gekommen sei.495 Es ging somit von einer engen Auslegung des Vollzugsverbots aus, nach der die Erfüllung des Zusammenschlusstatbestands Voraussetzung für einen Verstoß ist. 2. Bundeskartellamt Aus der Fallpraxis des Bundeskartellamts ließ sich lange Zeit nicht sicher ableiten, welche Auslegung des Vollzugsverbots es für zutreffend erachtet. Insbesondere ließ der Fall Mars/Nutro Products keine Rückschlüsse über die tatbestandliche Reichweite des Vollzugsverbots zu (a)). Im Fall Edeka/Kaisers Tengelmann setzte sich das Bundeskartellamt allerdings nunmehr ausdrücklich mit der Reichweite des Vollzugsverbots auseinander und nahm eine weite Auslegung von § 41 Abs. 1 GWB vor (b)). a) Zusammenschlussvorhaben Mars/Nutro Products Im Dezember 2008 hat das Bundeskartellamt ein Bußgeld in Höhe von 4,5 Millionen EUR gegen das US-amerikanische Unternehmen Mars Inc. wegen eines Verstoßes gegen das Vollzugsverbot beim Erwerb des US-amerikanischen Tierfutterherstellers Nutro Products Inc. verhängt.496 Mars hatte den Anteilserwerb an Nutro Products zwar erst nach der Freigabe durch die US-Behörden, aber noch vor der Freigabe durch das Bundeskartellamt vollzogen und sich nach Ansicht des Bundeskartellamts somit bewusst über die Bestimmungen des deutschen Kartellrechts hinweggesetzt. Durch den Anteilserwerb gelangte Mars in den Besitz der Markenrechte sowie Produktionsanlagen von Nutro Products und hatte dadurch Zugriff auf alle Vermögenswerte, die für den Erfolg im Wettbewerb maßgeblich waren. Diese Vermögenswerte seien auch ein wesentlicher Bestandteil des hinter dem inländischen Marktanteil von Nutro stehenden Wettbewerbspotenzials gewesen. Dass die Vertriebsrechte für Nutro-Produkte in Deutschland und Österreich zuvor auf eine dem Veräußerer gehörende Gesellschaft übertragen worden waren (sog. carve out), reichte nach Ansicht des Bundeskartellamts nicht aus, um einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot zu verhindern.497 Genauere Rückschlüsse auf die Auslegung des Vollzugsverbots lassen sich aus dem Vorgehen des Bundeskartellamts nicht ziehen, da im Fall Mars/Nutro Products ein Kontrollwechsel erfolgt ist und somit auch nach der engsten Auffassung ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot vorlag. 495

OLG Düsseldorf, 11. 10. 2007, VI-2 Kart 10/05 OWi, Ziff. 40, 48. Bundeskartellamt, Pressemeldung vom 15. 12. 2008, Bußgeld gegen Mars wegen Verstoßes gegen das Vollzugsverbot, abrufbar unter http://www.bundeskartellamt.de/wDeutsch/ar chiv/PressemeldArchiv/2008/ 2008_12_15.php. 497 Bundeskartellamt, Pressemeldung vom 15. 12. 2008, Bußgeld gegen Mars wegen Verstoßes gegen das Vollzugsverbot. Vgl. Bischke/Brack, NZG 2009, 298. 496

V. Exkurs: Reichweite von § 41 GWB

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b) Zusammenschlussvorhaben Edeka/Kaisers Tengelmann Im Rahmen der beabsichtigten Übernahme von Kaisers Tengelmann durch EDEKA richtete das Bundeskartellamt im Dezember 2014 eine einstweilige Anordnung an die Zusammenschlussparteien, um einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot zu verhindern. Darin beanstandete das Bundeskartellamt, dass EDEKA und Kaisers Tengelmann bereits im Vorfeld der Anmeldung des Zusammenschlussvorhabens Vereinbarungen zur gemeinsamen Warenbeschaffung und Warenverrechnung getroffen hätten. Zudem hätten die Zusammenschlussparteien voreilig Veränderungen bei Teilen des Filialnetzes, Lagern und Fleischwerken beschlossen.498 Das Bundeskartellamt setzt sich in der einstweiligen Anordnung, die es nicht veröffentlicht hat, dezidiert mit der Auslegung des Vollzugsverbots auseinander. Es vertritt die Rechtsansicht, dass ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot nicht voraussetzt, dass der Zusammenschlusstatbestand verwirklicht wird. Für die Annahme eines Verstoßes sei es vielmehr ausreichend, wenn im Rahmen eines Zusammenschlussvorhabens Einzelakte vorgenommen werden, die vom Rational der Verwirklichung des wirtschaftlichen Gesamtplans in Form der Umsetzung des Zusammenschlussvorhabens getragen werden. Der Zweck der präventiven Zusammenschlusskontrolle gebiete es, das Vollzugsverbot weit und tätigkeitsbezogen auszulegen. Dem ließe sich auch nicht entgegenhalten, dass das bußgeldbewährte Vollzugsverbot durch eine solch weite Auslegung zu unbestimmt würde. Etwaigen Unsicherheiten sei im Ordnungswidrigkeitenverfahren auf andere Weise, beispielsweise im Rahmen der Bestimmung des Vorsatzes, Rechnung zu tragen. Weiterhin stellt sich das Bundeskartellamt auf den Standpunkt, dass ein Streitentscheid über die Auslegung des Vollzugsverbotes dahinstehen könne. Denn selbst nach der Auffassung, die eine enge Auslegung des Vollzugsverbots befürwortet, würden Teilvollzugshandlungen jedenfalls stets vom Kartellverbot erfasst. Unter Zugrundelegung dieses rechtlichen Maßstabs nahm das Bundeskartellamt im Fall Edeka/ Kaisers Tengelmann einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot im Hinblick auf die eingangs erwähnten Verhaltensweisen an. 3. Kein einheitliches Meinungsbild in der Literatur In der Literatur ist das Meinungsbild im Hinblick auf die Auslegung von § 41 Abs. 1 GWB uneinheitlich. Auf der einen Seite gibt es Stimmen, die eine weite Auslegung des Vollzugsverbots vornehmen und davon ausgehen, dass auch Maß-

498 Bundeskartellamt, Pressemeldung vom 04. 12. 2014, Fusionsverfahren EDEKA/Tengelmann, Bundeskartellamt unterbindet Vorab-Maßnahmen der Beteiligten, abrufbar unter http://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Meldung/DE/Pressemitteilungen/2014/04_12_2 014_Edeka-Tengelmann.html.

234

D. Das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO

nahmen unterhalb der Kontrollschwelle unzulässig sein können.499 Die mittlerweile wohl herrschende Auffassung legt das Vollzugsverbot hingegen eng aus und nimmt einen Verstoß erst dann an, wenn der Zusammenschlusstatbestand verwirklicht wird.500 Dabei setzt sich insbesondere Kuhn501 argumentativ mit der Auslegung des Vollzugsverbots auseinander und führt an, dass der Vollzug ein punktuelles Ereignis sei. Entweder werde der Zusammenschlusstatbestand verwirklicht oder eben nicht. Vorbereitungshandlungen, die für sich genommen nicht den Zusammenschlusstatbestand erfüllen, verstießen nicht gegen das Vollzugsverbot. Für eine enge Auslegung des Vollzugsverbots spräche zudem, dass diese unternehmensfreundlich sei. Aus der aus den Art. 2, 9 und 14 GG herzuleitenden „Freiheit zum Zusammenschluss“ und dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip folge, dass die Fusionskontrolle für die Unternehmen möglichst schonend auf zum Schutz des Wettbewerbs notwendige Maßnahmen zu begrenzen sei. Letztlich führt Kuhn folglich das für die europäische Zusammenschlusskontrolle herausgearbeitete Prinzip der Belastungsvermeidung an.502 Kuhn schlussfolgert, dass es nach dem Sinn und Zweck des Vollzugsverbots nicht gerechtfertigt sei, Maßnahmen zu untersagen, die noch keine irreversiblen Wirkungen haben, was unterhalb der Schwelle des Zusammenschlusstatbestands regelmäßig noch nicht der Fall sei.503 Zudem verweist Kuhn zur Unterstützung seiner Ansicht auf das Aer-Lingus-Urteil des EuG und die zugrunde liegende Kommissionsentscheidung.504 4. Übertragung der engen Auslegung auf § 41 Abs. 1 GWB Die hier entwickelten Argumente für eine enge Auslegung von Art. 7 Abs. 1 FKVO beanspruchen weitestgehend auch für § 41 Abs. 1 FKVO Geltung, sodass ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot auch in der GWB-Fusionskontrolle nur angenommen werden sollte, wenn der Zusammenschlusstatbestand verwirklicht wird. Insbesondere ist eine auf den Zusammenschlusstatbestand rekurrierende Auslegung des Vollzugsverbots ausreichend, um einen effektiven Schutz des Wettbewerbs zu gewährleisten. Die enge Auslegung des Vollzugsverbots hat zudem den Vorteil einer größeren Bestimmtheit und der Vermeidung einer unnötigen Behinderung von un499 Berg/Mäsch-v. Merveldt, § 41 GWB, Rdnr. 2, 4; Holzwarth, Das Vollzugsverbot als Bestandteil eines effizienten Fusionskontrollverfahrens, S. 209 f.; Langen/Bunte-Kallfaß, § 41 GWB, Rdnr. 1 ff. 500 Bechtold-Bechtold, § 41 GWB, Rdnr. 4 f.; Bunte, Kartellrecht, S. 382; FK-Kuhn, § 41 GWB, Rdnr. 11; GK-Bosch, § 41 GWB, Rdnr. 2; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Riesenkampff/Lehr, § 41 GWB, Rdnr. 3; Schult/Just-Schulte, § 41 GWB, Rdnr. 4. Für eine enge Auslegung sprechen sich nunmehr auch in der 5. Auflage Immenga/Mestmäcker-Thomas, § 41 GWB, Rdnr. 29 ff. und in der 2. Auflage MünchKommGWB-Mäger, § 41 GWB, Rdnr. 10 aus. 501 FK-Kuhn, § 41 GWB, Rdnr. 11. 502 Siehe oben S. 154 ff. 503 FK-Kuhn, § 41 GWB, Rdnr. 11. 504 FK-Kuhn, § 41 GWB, Rdnr. 11, Fn. 7.

V. Exkurs: Reichweite von § 41 GWB

235

bedenklichen Zusammenschlussvorhaben. Schließlich empfiehlt sich eine gleichlaufende Auslegung von § 41 Abs. 1 GWB und Art. 7 Abs. 1 FKVO auch aufgrund der zunehmenden Angleichung der GWB-Fusionskontrolle an die EU-Fusionskontrolle. Bei der Anwendung von § 41 Abs. 1 GWB muss allerdings berücksichtigt werden, dass der Zusammenschlusstatbestand des GWB weiter ist als jener der Fusionskontrollverordnung. Insbesondere liegt gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB ein Zusammenschluss bereits dann vor, wenn der Erwerber einen wettbewerblich erheblichen Einfluss auf das Zielunternehmen erlangt. Wird vor der Freigabe durch das Bundeskartellamt die Schwelle zum wettbewerblich erheblichen Einfluss überschritten, liegt ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot vor.505 Im Hinblick auf die Ausführungen des Bundeskartellamts im Fall Edeka/Kaisers Tengelmann ist anzuführen, dass die vom Bundeskartellamt angeführten Argumente nicht ausreichen, um die Bedenken gegen eine weite Auslegung des Vollzugsverbots zu beseitigen. Insbesondere werden die negativen Auswirkungen eines konturlosen Vollzugsverbots nicht dadurch beseitigt, dass diesen gegebenenfalls im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenverfahrens Rechnung getragen werden kann. Insoweit ist anzuführen, dass das Unrechtsbewusstsein im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenrechts genauso wenig wie im Strafrecht Bestandteil des Vorsatzes ist. Vielmehr stellt sich die Frage, ob die beteiligten Unternehmen einem unvermeidbaren Verbotsirrtum im Sinne des § 11 Abs. 2 OWiG unterlagen. Eine Unvermeidbarkeit wird dabei allerdings nur unter strengen Voraussetzungen angenommen.506 Die Möglichkeit der Annahme eines Verbotsirrtums kann die Gefahr einer overdeterrence mithin nicht wirksam beseitigt. Gleiches gilt im Hinblick auf eine etwaige Milde bei der Bußgeldbemessung. Hinsichtlich der Ausführungen des Bundeskartellamts zum Kartellverbot ist darauf hinzuweisen, dass Teilvollzugshandlungen, durch die der Zusammenschlusstatbestand nicht verwirklicht wird, nicht stets gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoßen, sondern nur dann, wenn sie eine tatbestandliche Wettbewerbsbeschränkung darstellen und keine Freistellung eingreift. Dies muss in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der in kartellbehördlichen Verfahren anwendbaren Beweislastregeln geprüft werden.

505 506

Vgl. Bosch/Marquier, EWS 2010, 113, 115 f. Bohnert, OWiG, § 11, Rdnr. 33.

E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV Neben dem Vollzugsverbot sind Gun-Jumping-Verhaltensweisen an dem Kartellverbot des Art. 101 AEUV zu messen. Während das Vollzugsverbot als Instrument der Marktstrukturkontrolle nur Maßnahmen verbietet, durch die der Zusammenschlusstatbestand verwirklicht wird, erfasst das Kartellverbot als Instrument der Verhaltenskontrolle wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen unter der Kontrollschwelle. Nachfolgend wird untersucht, welche Verhaltensregeln für die Zusammenschlussparteien aus dem Kartellverbot abzuleiten sind. Hierzu wird zunächst erläutert, inwieweit das Kartellverbot auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen anwendbar ist (I.). Anschließend erfolgt eine Untersuchung der Reichweite des Kartellverbots im Hinblick auf Interaktionen der Zusammenschlussparteien vor dem Vollzug (II.). Als Orientierungspunkt bei der Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen kann auch die Rechtsprechung des EuGH zu Minderheitsbeteiligungen herangezogen werden (III.). Über eine besonders hohe praktische Relevanz verfügt die Beurteilung des Informationsaustauschs der Zusammenschlussparteien unter dem Kartellverbot, die aus diesem Grund gesondert untersucht wird (III.). Nach einer Zusammenfassung des Ergebnisses (IV.) wird abschließend in einem Exkurs auf die Anwendung des Kartellverbots durch mitgliedstaatliche Kartellbehörden und Gerichte eingegangen (IV.).

I. Anwendungsbereich Die Zusammenschlussparteien sind an Art. 101 AEUV gebunden, bis sie ihr Vorhaben vollzogen haben und das Konzernprivileg eingreift (1.). Die Bindung an das Kartellverbot entfällt nicht bereits mit der fusionskontrollrechtlichen Freigabe (2.). Das Kartellverbot findet keine Anwendung auf den Zusammenschluss an sich oder auf Nebenabreden zu ihm (3.). Fraglich ist allerdings, in welchem Verhältnis das Kartell- und Vollzugsverbot zueinander stehen (4.). 1. Anwendbarkeit bis das Konzernprivileg eingreift Die Interaktionen von Erwerber und Zielunternehmen sind am Kartellverbot zu messen, solange es sich bei ihnen um zwei unabhängige Unternehmen im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV handelt. Die Bindung an das Kartellverbot entfällt erst dann,

I. Anwendungsbereich

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wenn der Zusammenschluss vollzogen wurde und die Zusammenschlussparteien in den Genuss des Konzernprivilegs kommen.1 Das Konzernprivileg ist Ausdruck des Konzepts der wirtschaftlichen Einheit, nach dem eine Muttergesellschaft und die von ihr kontrollierten Tochtergesellschaften als ein Unternehmen im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV betrachtet werden. Eine wirtschaftliche Einheit in diesem Sinne liegt nach der Rechtsprechung des EuGH vor, wenn ein Unternehmen die Möglichkeit hat, bestimmenden Einfluss auf das Marktverhalten eines anderen Unternehmens ausüben und von dieser Möglichkeit tatsächlich Gebrauch macht.2 Dabei spricht eine widerlegliche Vermutung dafür, dass der bestimmende Einfluss tatsächlich ausgeübt wurde, sofern eine Muttergesellschaft eine 100 %ige Beteiligung an einer Tochtergesellschaft hält.3 Bilden mehrere Gesellschaften eine wirtschaftliche Einheit, hat dies zum einen zur Folge, dass Binnenvereinbarungen der Gesellschaften nicht am Kartellverbot gemessen werden. Zum anderen erfolgt eine Zurechnung von Kartellverstößen, sodass die Konzernmutter und die von ihr kontrollierten Töchter eine Haftungseinheit bilden.4 Die Interaktionen von Erwerber und Zielunternehmen sind so lange am Kartellverbot zu messen, bis der Erwerber die Möglichkeit erhält, bestimmenden Einfluss auf das Zielunternehmen auszuüben, und von dieser Möglichkeit Gebrauch macht. Die Bindung an das Kartellverbot entfällt demnach dann, wenn der Erwerber das Marktverhalten des Zielunternehmens maßgeblich bestimmt.5 Vor diesem Hintergrund besteht kein Zweifel daran, dass Gun-Jumping-Interaktionen, die noch keinen Kontrollwechsel herbeiführen, am Kartellverbot zu messen sind.6 1 Vgl. hierzu Buntscheck, Das „Konzernprivileg“ im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 EGVertrag; Holzwarth, Das Vollzugsverbot als Bestandteil eines effizienten Fusionskontrollverfahrens, S. 215 ff.; Immenga/Mestmäcker-Emmerich, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rdnr. 49 ff.; Kling, ZWeR 2011, 169, 171 ff.; Kokott/Dittert, WuW 2012, 670, 672 f.; Menz, Wirtschaftliche Einheit und Kartellverbot, S. 1 ff. 2 EuGH, 24. 10. 1996, Rs. C-73/95 P, Slg. 1996 I-5457, Ziff. 50 ff. – Viho; EuGH, 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, Slg. 2009 I-8237, Ziff. 54 ff., 72 ff. – Akzo Nobel/Kommission; EuGH, 16. 11. 2000, Rs. C-286/98 P, Slg. 2000 I-9925, Ziff. 28 ff. – Stora Koppabergs Bergslags. Vgl. Schlussanträge GA Kokott, 23. 04. 2009, Rs. C-97/08 P, Ziff. 47 – Akzo Nobel/Kommission. 3 EuGH, 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, Slg. 2009 I-8237, Ziff. 60 f. – Akzo Nobel/Kommission. Auch Beteiligungen knapp unter der 100-Prozent-Schwelle werden ausreichen können, um die Vermutungsregel auszulösen. Allerdings muss die Muttergesellschaft deutlich mehr Anteile halten, als dies für die einfache Kontrollausübung (50 Prozent plus eins) erforderlich ist. Nur in diesem Fall kann man von einem Gleichlauf der Interessen von Mutter- und Tochtergesellschaft ausgehen. Kokott/Dittert, WuW 2012, 670, 674 f. 4 Immenga/Mestmäcker-Emmerich, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rdnr. 43 ff.; Kokott/Dittert, WuW 2012, 670, 672; Wils, E. C. L. Rev. 2000, 99 ff. 5 EuGH, 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, Slg. 2009 I-8237, Ziff. 58 – Akzo Nobel/Kommission. Vgl. Kokott/Dittert, WuW 2012, 670, 672 f. 6 Bosch/Marquier, EWS 2010, 113, 116; Mielke/Welling, BB 2007, 277, 282; MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 42; Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 476.

238

E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

2. Anwendbarkeit über die fusionskontrollrechtliche Freigabeentscheidung hinaus Die Anwendbarkeit des Kartellverbots endet nicht mit der Entscheidung der Kommission, mit der ein Zusammenschluss für vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklärt wird. Die Zusammenschlussparteien bleiben vielmehr auch über die Freigabeerteilung hinaus an das Kartellverbot gebunden, solange noch zwei eigenständige wirtschaftliche Einheiten vorliegen und das Konzernprivileg daher nicht eingreift.7 Auch wenn angesichts der allgemeinen Prinzipien und in Ermangelung anderslautender Rechtsprechung an diesem Ergebnis keine Zweifel bestehen, stellt sich doch die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, im Binnenverhältnis von Erwerber und Zielunternehmen die Bindung an Art. 101 Abs. 1 AEUV mit der Freigabeerteilung entfallen zu lassen. Eine entsprechende teleologische Reduktion des Kartellverbots könnte erforderlich sein, um die Kohärenz von Zusammenschlusskontrolle und Kartellverbot zu wahren. So könnte es als Wertungswiderspruch zu bewerten sein, wenn zwei Unternehmen sogar ein Zusammenschluss gestattet wird, die weniger intensive Kooperationsform der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung hingegen unzulässig bleibt. Die genauere Betrachtung zeigt jedoch, dass eine Begrenzung der Reichweite des Kartellverbots nicht erforderlich ist. Soweit Vereinbarungen tatsächlich notwendig sind, um den Zusammenschluss umzusetzen, werden diese ohnehin als Nebenabreden von der Freigabeentscheidung der Kommission umfasst.8 Darüber hinaus besteht kein schutzwürdiges Interesse an einer Einschränkung der Reichweite des Kartellverbots.9 Ganz im Gegenteil ist der Wettbewerb zwischen den Zusammenschlussparteien auch über die Freigabeentscheidung hinaus noch schutzwürdig, da das Vorhaben bis zum endgültigen Vollzug noch aus unterschiedlichsten Gründen scheitern kann.10

7 Bosch/Marquier, EWS 2010, 113, 116; Linsmeier/Balssen, BB 2008, 741, 743; Reysen/ Jaspers, WuW 2006, 602, 608. A.A. zumindest für das Schweizer Recht Reinert, Gun Jumping und Zusammenschlusskontrolle, in: Vogt/Stupp/Dubs, FS Watter, S. 380. 8 Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 10. 9 In ökonomischer Hinsicht löst sich der scheinbare Wertungswiderspruch zwischen Zusammenschlusskontrolle und Kartellverbot auf, wenn man berücksichtigt, dass Zusammenschlüsse aufgrund der Ermöglichung von Synergieeffekten grundsätzlich positiv bewertet werden (vgl. Erwägungsgrund 4 FKVO), wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen hingegen grundsätzlich negativ, da sie sich ausschließlich negativ auf die Wohlfahrt auswirken, sofern kein Fall des Art. 101 Abs. 3 AEUV vorliegt. Vgl. Immenga/Fuchs, NJW 1988, 3052, 3056; Milanesi/Winterstein, Minderheitsbeteiligungen und personelle Verflechtungen zwischen Wettbewerbern – Zur Anwendung von Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, S. 3 f. Da erst mit dem Vollzug Synergieeffekte eintreten können, ist es sinnvoll, die Bindung an das Kartellverbot bis zu diesem Zeitpunkt aufrechtzuerhalten. 10 Ein Beispiel hierfür ist der Versuch der Übernahme von Guidant durch Johnson & Johnson. Nach der Freigabe durch die Kommission setzte sich letztlich doch ein konkurrierendes Übernahmeangebot von Boston Scientific durch. Kommission, 25. 08. 2005, COMP/

I. Anwendungsbereich

239

3. Keine Anwendung auf Zusammenschlüsse und Nebenabreden Das Kartellverbot ist weder unmittelbar auf Zusammenschlüsse noch auf Nebenabreden zu diesen anwendbar. a) Keine Anwendung auf Zusammenschlüsse Das Kartellverbot findet keine Anwendung auf Zusammenschlüsse im Sinne des Art. 3 FKVO, auf die gemäß Art. 21 Abs. 1 FKVO einerseits allein die Fusionskontrollverordnung Anwendung finden soll und andererseits die VO 1/2003 für unanwendbar erklärt wird.11 Zwar wäre eine Anwendung des Kartellverbots auf Zusammenschlüsse grundsätzlich noch über Art. 104, 105 AEUV denkbar, doch hat die Kommission mitgeteilt, dass sie normalerweise nicht beabsichtigt, Art. 101 AEUV auf Zusammenschlüsse im Sinne des Art. 3 FKVO anders als im Wege der Fusionskontrollverordnung12 anzuwenden.13 Weder der Zusammenschluss noch Vereinbarungen, die integraler Bestandteil des Zusammenschlusses sind,14 unterfallen daher einer Kontrolle durch das Kartellverbot. b) Keine Anwendung auf Nebenabreden Nebenabreden zu Zusammenschlüssen sind alle beschränkenden Vereinbarungen, die mit der Durchführung eines Zusammenschlusses unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind.15 Zu ihnen zählt die Kommission insbesondere Wettbewerbsverbote, Lizenzvereinbarungen sowie Bezugs- und Lieferpflichten.16 Auch Nebenabreden unterfallen keiner eigenständigen Kontrolle am Maßstab des Kartellverbots.17 Vielmehr sind sie von der Freigabeentscheidung der Kommission M.3687 – Johnson & Johnson/Guidant; Kommission, 11. 04. 2006, COMP/M.4076 – Boston Scientific/Guidant. Vgl. Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 610 f. 11 Vgl. hierzu auch Erwägungsgrund 6 FKVO. Gräfer, Die Erfassung von Minderheitsbeteiligungen durch das Europäische Wettbewerbsrecht, S. 115; Kirchhof, BB 1990, Beilage 14, S. 12; Kurz, Das Verhältnis der EG-Fusionskontrollverordnung zu Artikel 85 und 86 des EWG-Vertrages, S. 179; Langen/Bunte-Käseberg, Art. 21 FKVO, Rdnr. 2. 12 Also im Rahmen des Art. 2 Abs. 4 FKVO zur Beurteilung der koordinierten Effekte der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens. 13 Kommission, Erklärung für das Ratsprotokoll vom 19. 12. 1989, Ziff. 11, abgedruckt in WuW 1990, 240 ff. Vgl. Karl, Der Zusammenschlußbegriff in der europäischen Fusionskontrollverordnung, S. 50 f.; MünchKommEuWettbR-Pohlmann, Art. 101 AEUV, Rdnr. 331. 14 Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 10. 15 Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 7. Monografisch hierzu Grabbe, Nebenabreden in der Europäischen Fusionskontrolle. Allgemein Eilmansberger, ZWeR 2009, 437, 447 f. 16 Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 17 ff. 17 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 25, Rdnr. 53 f.

240

E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

umfasst.18 Die Normadressaten müssen selbst veranlagen, ob eine Vereinbarung als Nebenabrede zu qualifizieren ist und damit der Freigabewirkung der Kommissionsentscheidung über den Zusammenschluss unterfällt oder ob sie gesondert am Kartellverbot zu messen ist. Treten neue oder ungelöste Fragen auf, kann die Kommission allerdings konsultiert werden.19 Vereinbarungen, die sich auf Vorgänge vor dem Zeitpunkt des Kontrollwechsels beziehen, können in der Regel nicht als Nebenabreden qualifiziert werden.20 Vielmehr beziehen sich Vereinbarungen, die zur Umsetzung des Zusammenschlusses erforderlich sind, typischerweise auf die Zeit nach dem Kontrollwechsel, zum Beispiel Wettbewerbsverbote, die den Erwerber nach dem Vollzug vor Konkurrenz durch den Veräußerer schützen sollen. Die Beschränkung auf Vorgänge nach dem Kontrollwechsel entspricht der notwendigen Anknüpfung der Nebenabrede an eine unbedenkliche Hauptabrede, die im Zusammenschluss liegt. Vereinbarungen, die eingreifen, bevor die Hauptvereinbarung in Kraft getreten ist, können regelmäßig nicht als Nebenabrede vom Kartellverbot ausgenommen sein. Zudem erfolgt die Legitimation von Nebenabreden erst mit der Freigabeentscheidung der Kommission.21 Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, die vor diesem Zeitpunkt eingreifen, können daher nicht als Nebenabrede qualifiziert werden. Von diesem Grundsatz macht die Kommission jedoch bei zwei Arten von Vereinbarungen eine Ausnahme: zum einen Vereinbarungen darüber, bis zur Vollendung des Zusammenschlusses keine wesentlichen Änderungen am Zielunternehmen vorzunehmen, zum anderen Vereinbarungen, in denen Unternehmen, welche die gemeinsame Kontrolle über ein anderes Unternehmen erlangen wollen, den Verzicht auf die Abgabe konkurrierender Angebote erklären.22 4. Das Verhältnis zwischen dem Kartell- und Vollzugsverbot Im Rahmen der Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen kann sich die Frage stellen, in welchem Verhältnis das Kartell- und Vollzugsverbot zueinander stehen. Grundsätzlich unterliegen Marktstrukturveränderungen keiner Doppelkontrolle durch die Fusionskontrollverordnung und das Kartellverbot, sodass die rechtswidrige Herbeiführung eines Kontrollwechsels nicht auch gegen das Kartellverbot verstößt (a)). In der Zeit vor dem Kontrollwechsel sind wettbewerbsbe18

Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 10. Immenga/MestmäckerKörber, Art. 8 FKVO, Rdnr. 37; Henschen, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Rdnr. 1799; Rosenthal, EuZW 2004, 327, 331. 19 Erwägungsgrund 21 FKVO. Rosenthal/Thomas, European Merger Control, Abschnitt C., Rdnr. 557. 20 Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 14. Vgl. Henschen, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Rdnr. 1808; Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 8 FKVO, Rdnr. 45. MünchKommEuWettbR-v. Koppenfels, Art. 8 FKVO, Rdnr. 128. 21 Art. 6 Abs. 1 lit. b UnterAbs. 2 sowie Art. 8 Abs. 1 UnterAbs. 2 FKVO. 22 Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 14.

I. Anwendungsbereich

241

schränkende Vereinbarungen allerdings am Kartellverbot zu messen (b)). Fraglich ist, ob dies auch für wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen in der Zeit nach einem verbotswidrig erfolgten Kontrollwechsel gilt (c)). a) Grundsätzlich keine Doppelkontrolle von Marktstrukturveränderungen Die Herbeiführung eines Kontrollwechsels unter Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO ist nicht auch am Kartellverbot zu messen. Auf Marktstrukturveränderungen durch Zusammenschlüsse im Sinne des Art. 3 FKVO wird von der Kommission allein die Fusionskontrollverordnung angewandt.23 Eine Doppelkontrolle von Marktstrukturveränderungen findet nicht statt.24 Die vorzeitige Herbeiführung eines Kontrollwechsels ist daher lediglich als Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO zu bewerten. b) Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen vor dem Kontrollwechsel Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen von Erwerber und Zielunternehmen, die der Herbeiführung eines Kontrollwechsels zeitlich vorgelagert sind, sind unzweifelhaft am Kartellverbot zu messen. Gun-Jumping-Verhaltensweisen, die qualitativ noch nicht die Schwelle einer Marktstrukturveränderung in Form eines Kontrollwechsels erreichen, können daher ohne Weiteres gegen Art. 101 AEUV verstoßen. c) Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen nach einem Kontrollwechsel Fraglich ist allerdings, ob auch Beschränkungen des Wettbewerbs zwischen Erwerber und Zielunternehmen, die nach dem Vollzug eines Zusammenschlusses vereinbart werden, am Kartellverbot zu messen sind. Im Allgemeinen ist dies nicht der Fall, da nach dem Vollzug eines Zusammenschlusses in der Regel das Konzernprivileg eingreift. Zu beachten ist allerdings, dass ein Kontrollwechsel im Sinne des Art. 3 Abs. 1 FKVO nicht zwangsweise zum Eingreifen des Konzernprivilegs führt (aa)). Zu untersuchen ist hingegen, ob die Zusammenschlussparteien auch in dem Fall, dass sie ihren Zusammenschluss unter Missachtung von Art. 7 Abs. 1

23

Siehe oben S. 200 ff. Basedow, EuZW 2003, 44, 45 f.; Immenga/Mestmäcker-Körber, Einl. FKVO, Rdnr. 47 ff.; von der Groe-ben/Schwarze-Rating, Art. 81 EGVAnhang, Rdnr. 16; Kirchhoff, BB 1990, Beilage 14, S. 12. Eine Doppelkontrolle ist in eingeschränktem Umfang lediglich im Rahmen der Beurteilung von kooperativen Gemeinschaftsunternehmen möglich, Henschen, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Rdnr. 1669; Pohlmann, WuW 2003, 473 ff. 24

242

E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

FKVO vollziehen, in den Genuss des Konzernprivilegs kommen können, sodass in ihrem Binnenverhältnis die Bindung an Art. 101 AEUV entfällt. (bb)). aa) Kontrollwechsel rechtfertigt nicht immer die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit Die Voraussetzungen, unter denen eine wirtschaftliche Einheit im Sinne des Unternehmensbegriffs des Art. 101 Abs. 1 AEUVanzunehmen ist, sind enger als die Voraussetzungen, unter denen der Zusammenschlusstatbestand des Art. 3 Abs. 1, Abs. 2 FKVO verwirklicht wird. Aus diesem Grund folgt aus der Erfüllung des Zusammenschlusstatbestands nicht zwangsläufig, dass auch die Voraussetzungen für die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit vorliegen und daher das Konzernprivileg eingreift. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind zwei Unternehmen als wirtschaftliche Einheit zu betrachten, sofern eines dieser Unternehmen die Möglichkeit hat, bestimmenden Einfluss auf das andere auszuüben und von dieser Möglichkeit tatsächlich Gebrauch macht.25 Dies ist anzunehmen, wenn eine Muttergesellschaft das Marktverhalten ihrer Tochter im Allgemeinen maßgeblich bestimmt.26 Nach der Akzo-Nobel-Rechtsprechung des EuGH spricht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass von der Möglichkeit zur Ausübung bestimmenden Einflusses tatsächlich Gebrauch gemacht wurde, sofern eine Muttergesellschaft eine 100 %ige Beteiligung an ihrer Tochter hält.27 Sonderprobleme stellen sich im Zusammenhang mit Konstellationen der gemeinsamen Kontrolle. Bei diesen ist für die Bestimmung des Vorliegens einer wirtschaftlichen Einheit darauf abzustellen, ob das Gemeinschaftsunternehmen Freiraum zur autonomen Festlegung seines Marktverhaltens hat oder ob dieses vielmehr von den Müttern oder unter Umständen von nur einer Mutter vorgegeben wird.28 Der Zusammenschlusstatbestand des Art. 3 FKVO wird hingegen bereits dann verwirklicht, wenn ein Unternehmen die Möglichkeit hat, auf ein anderes Unter25

EuGH, 24. 10. 1996, Rs. C-73/95 P, Slg. 1996 I-5457, Ziff. 50 ff. – Viho; EuGH, 16. 11. 2000, Rs. C-286/98 P, Slg. 2000 I-9925, Ziff. 28 ff. – Stora Koppabergs Bergslags; EuGH, 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, Slg. 2009 I-8237, Ziff. 54 ff., 72 ff. – Akzo Nobel/Kommission. Vgl. Schlussanträge GA Kokott, 23. 04. 2009, Rs. C-97/08 P, Ziff. 47 – Akzo Nobel/Kommission. 26 EuGH, 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, Slg. 2009 I-8237, Ziff. 58 – Akzo Nobel/Kommission. Kokott/Dittert, WuW 2012, 670, 672 f. 27 EuGH, 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, Slg. 2009 I-8237, Ziff. 60 f. – Akzo Nobel/Kommission. Auch Beteiligungen knapp unter der 100-Prozent-Schwelle werden ausreichen können, um die Vermutungsregel auszulösen. Allerdings muss die Muttergesellschaft deutlich mehr Anteile halten, als dies für die einfache Kontrollausübung erforderlich ist (50 Prozent plus eins). Nur in diesem Fall kann man von einem Gleichlauf der Interessen von Mutter- und Tochtergesellschaft ausgehen. Kokott/Dittert, WuW 2012, 670, 674 f. 28 Hierzu eingehend Buntscheck, Das „Konzernprivileg“ im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag, S. 131 ff.; Kling, ZWeR 2011, 169 ff.; Kokott/Dittert, WuW 2012, 670, 680 ff.

I. Anwendungsbereich

243

nehmen einen bestimmenden Einfluss auszuüben.29 Eine tatsächliche Ausübung des bestimmenden Einflusses ist hingegen nicht erforderlich.30 Folglich kann es Situationen geben, in denen der Wettbewerb zwischen zwei Unternehmen noch durch das Kartellverbot geschützt wird, obwohl es bereits zu einem Kontrollerwerb im Sinne des Art. 3 Abs. 2 FKVO gekommen ist.31 Auch wenn an diesem Ergebnis nach dem Akzo-Nobel-Urteil des Gerichtshofs keine Zweifel mehr bestehen, wäre aus systematischen Gründen die Annahme eines Gleichlaufs zwischen dem Konzept der wirtschaftlichen Einheit und dem Zusammenschlusstatbestand vorzugswürdig.32 Zudem vermag es im Ergebnis nicht zu überzeugen, eine tatsächliche Ausübung des bestimmenden Einflusses für die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit vorauszusetzen.33 Im Ergebnis greift demnach das Konzernprivileg trotz eines vollzogenen Zusammenschlusses dann nicht ein, wenn es nicht zu einer tatsächlichen Ausübung bestimmenden Einflusses durch den Erwerber kommt und das Zielunternehmen sein Marktverhalten weiterhin autonom festlegt. Wahren folglich Erwerber und Zielunternehmen trotz des Kontrollerwerbs dauerhaft eine erhebliche Distanz im Hinblick auf strategische Entscheidungen und das Wettbewerbsverhalten,34 kann auch über den Kontrollerwerb hinaus das Kartellverbot Anwendung finden. Diesem Umstand 29

Siehe Art. 3 Abs. 2 FKVO. Siehe oben S. 227. 31 Vgl. Menz, Wirtschaftliche Einheit und Kartellverbot, S. 98, 335 ff. 32 Wils weist zutreffend darauf hin, dass es zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen Art. 101 AEUV, Art. 102 AEUV und der Fusionskontrollverordnung erforderlich ist, einen einheitlichen Unternehmensbegriff zugrunde zu legen. Die Zusammenschlusskontrolle hat im Verhältnis zu Art. 102 AEUV eine präventive Funktion. Die unternehmerischen Einheiten, die aus Zusammenschlüssen hervorgehen, die der Fusionskontrollverordnung unterfallen, sollten daher dieselben Einheiten sein, die auch dem Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV unterfallen. Andererseits sollte der Unternehmensbegriff von Art. 102 AEUV und Art. 101 AEUV deckungsgleich sein: Sofern mehrere Konzernunternehmen als ein Unternehmen im Sinne des Art. 102 AEUV betrachtet werden und ihr Verhalten daher insgesamt am Missbrauchsverbot gemessen wird, wäre es widersprüchlich, sie im Rahmen des Art. 101 AEUV als verschiedene Unternehmen zu behandeln. Im Ergebnis sollte daher die Verwirklichung des Zusammenschlusstatbestands auch immer dazu führen, dass eine wirtschaftliche Einheit i.S.d. Unternehmensbegriffs des Art. 101 Abs. 1 AEUV entsteht. Wils, E.L.Rev. 2000, 99, 106. 33 Bereits die Möglichkeit zur Ausübung bestimmenden Einflusses reicht aus, um das Geschäftsverhalten eines Tochterunternehmens zu beeinflussen, da dieses immer im Bewusstsein der Möglichkeit der Einflussnahme agieren wird. Sofern die Möglichkeit besteht, dass die Mutter die Kontrolle über das Tochterunternehmen zurückerlangt, stellt sich die überlassene Freiheit des Tochterunternehmens nur als Freiheit „von Gnaden“ der Muttergesellschaft dar, die diese jedoch jederzeit wieder an sich reißen kann, sofern die Entscheidungen, welche die Tochter trifft, nicht mehr dem Interesse Ersterer entsprechen. Der Tochter ein gewisses Maß an Entscheidungsfreiheit zu überlassen, ist somit letztlich nur eine bestimmte Form der Ausübung des beherrschenden Einflusses des Mutterunternehmens. Buntscheck, Das „Konzernprivileg“ im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag, S. 136 m.w.N.; Wils, E.L.Rev. 2000, 99, 103. 34 Kokott/Dittert, WuW 2012, 670, 678. 30

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E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

dürfte im Hinblick auf Gun-Jumping-Verstöße jedoch eine geringe praktische Relevanz zukommen, da diese häufig durch eine direkte Einflussnahme auf das Marktverhalten des Zielunternehmens gekennzeichnet sein werden, sodass eine tatsächliche Ausübung des bestimmenden Einflusses vorliegt. bb) Eingreifen des Konzernprivilegs nach einem Verstoß gegen das Vollzugsverbot Fraglich ist, ob zwei Unternehmen auch dann in den Genuss des Konzernprivilegs kommen können, sofern sie ihren Zusammenschluss unter Missachtung von Art. 7 Abs. 1 FKVO vollzogen haben. Dies anzunehmen wäre jedenfalls nicht vollkommen fernliegend, da ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot voraussetzt, dass der Zusammenschlusstatbestand verwirklicht wird, indem dem Erwerber die Möglichkeit eingeräumt wird, bestimmenden Einfluss auf das Zielunternehmen auszuüben.35 In ähnlicher Weise stellt der Gerichtshof auch bei der Bestimmung des Vorliegens einer wirtschaftlichen Einheit darauf ab, ob ein Unternehmen auf ein anderes bestimmenden Einfluss ausübt.36 Mit der Frage, in welchem Verhältnis das Vollzugsverbot und das Konzernprivileg zueinander stehen, haben sich bislang weder Gerichte noch die Kommission oder die Literatur auseinandergesetzt. Auf der einen Seite ließe sich argumentieren, dass eine Kontrollerlangung unter Missachtung von Art. 7 Abs. 1 FKVO nicht zur Folge haben kann, dass Erwerber und Zielunternehmen in den Genuss des Konzernprivilegs kommen. So würde es eindeutig den Wertungen der Fusionskontrollverordnung widersprechen, wenn den Zusammenschlussparteien aus dem rechtswidrigen Vollzug ein Vorteil bei der Beurteilung ihres Verhaltens unter Art. 101 Abs. 1 AEUV erwachsen würde und sie im Binnenverhältnis uneingeschränkt Wettbewerbsbeschränkungen vereinbaren könnten. Der Zweck des Vollzugsverbots besteht gerade darin, den Wettbewerb zwischen den Zusammenschlussparteien bis zum Abschluss der fusionskontrollrechtlichen Prüfung durch die Kommission aufrechtzuerhalten.37 Zudem ordnet Art. 7 Abs. 4 FKVO die schwebende Unwirksamkeit von Rechtsgeschäften an, die unter Missachtung von Art. 7 Abs. 1 FKVO geschlossen werden. Hierin kommt der Wille des Verordnungsgebers zum Ausdruck, dass Maßnahmen, die mit dem Vollzugsverbot unvereinbar sind, nicht von der Rechtsordnung anerkannt werden sollen. Würde ein rechtswidriger Vollzug das Eingreifen des Konzernprivilegs auslösen, würde diese Wertung des Verordnungsgebers ignoriert. Auf der anderen Seite könnte man den Standpunkt vertreten, dass es für das Eingreifen des Konzernprivilegs nicht maßgeblich sein kann, ob die Ausübung bestimmenden Einflusses unter Missachtung von Art. 7 Abs. 1 FKVO erfolgt. Hierfür spricht, dass im Rahmen des Konzepts der wirtschaftlichen Einheit eine rein 35 36 37

Siehe oben S. 216 ff. Siehe oben S. 236 f. Siehe oben S. 142 ff.

I. Anwendungsbereich

245

tatsächliche Betrachtung maßgeblich sein muss, in deren Rahmen allein darauf abzustellen ist, ob ein Unternehmen sein Marktverhalten autonom festlegt. Sofern dies nicht mehr der Fall ist und stattdessen der Erwerber für das Zielunternehmen die strategischen Entscheidungen trifft, bleibt nach dieser Lesart schlicht kein Raum für die Anwendung des Kartellverbots, das tatbestandlich eine Verhaltensabstimmung von zwei autonomen wirtschaftlichen Einheiten voraussetzt. Auch war es bis zur Einführung der Fusionskontrollverordnung unzweifelhaft, dass die Bindung an das Kartellverbot entfällt, sofern durch den Vollzug eines Zusammenschlussvorhabens die Voraussetzungen für das Konzernprivileg geschaffen werden. Da durch die sekundärrechtliche Fusionskontrollverordnung keine Ausdehnung der Reichweite des primärrechtlichen Kartellverbots erfolgte, sondern lediglich ein zusätzliches Kontrollinstrument geschaffen wurde, kann nach Einführung der Fusionskontrollverordnung nichts anderes gelten.38 Im Ergebnis muss zwar anerkannt werden, dass es sich wettbewerblich ebenso bedenklich wie eine Kartellabsprache auswirken kann, wenn das Wettbewerbsverhalten des Zielunternehmens vorzeitig vom Erwerber festgelegt wird. Ansatzpunkt der wettbewerblichen Bedenken ist in diesem Fall jedoch die Bündelung des Wettbewerbspotenzials von Erwerber und Zielunternehmen durch den Kontrollwechsel. Diesen Bedenken wird durch die weitgehenden Sanktionsmöglichkeiten unter dem Vollzugsverbot jedoch hinreichend Rechnung getragen, sodass es nicht erforderlich ist, das Kartellverbot auf einen verbotswidrig vollzogenen Zusammenschluss weiter anzuwenden. Zudem verbleibt für die Anwendung des Kartellverbots tatbestandlich schlicht kein Raum, wenn das Zielunternehmen seine Autonomie vollständig verliert, was beispielsweise dann anzunehmen ist, wenn die Ressourcen des Zielunternehmens vollständig in das Unternehmen des Erwerbers integriert werden. Lediglich in dem Fall, dass das Zielunternehmen trotz des verbotswidrigen Vollzugs ein hohes Maß an Eigenständigkeit bewahrt, kommt tatbestandlich eine Fortgeltung des Kartellverbots in Betracht, die aufgrund des hohen Sanktionspotenzials des Vollzugsverbots jedoch nicht erforderlich und aus systematischen Gründen abzulehnen ist.

38

Die Berücksichtigung der Wertungen der Fusionskontrollverordnung scheitert jedoch nicht zwangsläufig an der Normenhierarchie. Zwar bestehen berechtigte Bedenken gegen die Zulässigkeit einer sekundärrechtskonformen Auslegung des Primärrechts, Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. II, Rdnr. 559. Doch sind die Konturen des Konzernprivilegs allein durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur wirtschaftlichen Einheit geprägt. Dabei hat sich der Gerichtshof bislang noch nicht mit Konstellationen mit Bezug zu Art. 7 Abs. 1 FKVO beschäftigt, wobei es nicht ausgeschlossen wäre, dass der Gerichtshof die Wertungen der Fusionskontrollverordnung bei der autonomen Auslegung des Kartellverbots berücksichtigt. Siehe Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. II, Rdnr. 548 ff., 560. Vgl. Nettesheim, EuR 2006, 737, 753 ff.

246

E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

II. Tatbestandsvoraussetzungen Im soeben herausgearbeiteten Anwendungsbereich sind Gun-Jumping-Verhaltensweisen am Kartellverbot zu messen. Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV ist zu bejahen, wenn eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise (1.) eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt oder bewirkt (2.) und die Spürbarkeitsschwelle überschritten wird (3.). Ein Kartellverstoß liegt ausnahmsweise nicht vor, wenn die Voraussetzungen der Legalausnahme des Art. 101 Abs. 3 AEUV vorliegen (4.). 1. Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise Beschränkungen des Wettbewerbs zwischen Erwerber und Zielunternehmen verstoßen nur dann gegen das Kartellverbot, wenn sie auf eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise zurückzuführen sind.39 a) Allgemeines Eine Vereinbarung im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV liegt dann vor, wenn Unternehmen den gemeinsamen Willen zum Ausdruck bringen, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten.40 Eine abgestimmte Verhaltensweise wird angenommen, wenn zwischen Unternehmen eine Form der Koordinierung vorliegt, die zwar noch nicht bis zum Abschluss eines Vertrags im eigentlichen Sinne gediehen ist, jedoch bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt.41 Die Tatbestandsvoraussetzung der Verhaltensabstimmung ist Ausdruck des Grundgedankens der Wettbewerbsvorschriften der Europäischen Union, dass jedes Unternehmen sein Verhalten auf dem Markt eigenständig bestimmen soll (Selbstständigkeitspostulat),42 wodurch der Wettbewerb als dezentraler Mechanismus zur effizienten Ressourcenallokation geschützt werden soll.43

39 Siehe zum Tatbestandsmerkmal der Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise statt vieler Immenga/Mestmäcker-Emmerich, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rdnr. 54; Mäger, in: Mäger, Europäisches Kartellrecht, 1. Kapitel, Rdnr. 80 ff. 40 EuG, 08. 07. 2008, Rs. T-99/04, Slg. 2008 II-1501, Ziff. 118 – AC Treuhand/Kommission. Immenga/Mestmäcker-Emmerich, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rdnr. 55; Mäger, in: Mäger, Europäisches Kartellrecht, 1. Kapitel, Rdnr. 80. 41 EuGH, 16. 12. 1975, Rs. C-40/73, Slg. 1975, 1663, Ziff. 26/28 – Suiker Unie. 42 EuGH, 16. 12. 1975, Rs. C-40/73, Slg. 1975, 1663, Ziff. 173/174 – Suiker Unie. 43 Sofern die Unternehmen ihre Entscheidungen unabhängig treffen und jeweils am Ziel der Nutzenmaximierung ausrichten, ermöglicht die Summe individueller Entscheidungen im Ergebnis eine effiziente Ressourcenallokation. Die Funktionsfähigkeit dieses Mechanismus zu schützen, ist die Aufgabe des Kartellverbots. Vgl. Immenga/Mestmäcker-Emmerich, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rdnr. 110.

II. Tatbestandsvoraussetzungen

247

b) Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen Vorzeitige Beschränkungen des Wettbewerbs zwischen Erwerber und Zielunternehmen verstoßen gegen das Kartellverbot, sofern sie auf eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise zurückzuführen sind. Demnach ist zu prüfen, ob der Erwerber und das Zielunternehmen vor der Freigabe und dem Vollzug des Zusammenschlusses ihr Auftreten auf dem Gemeinsamen Markt nicht mehr autonom festlegen, sondern stattdessen auf eine Koordinierung ihres Marktverhaltens setzen.44 Die für die Feststellung eines Kartellverstoßes notwendige Verhaltensabstimmung liegt dabei nicht schon in der Vereinbarung eines Zusammenschlusses, sondern muss sich vielmehr auf die konkrete Wettbewerbsbeschränkung beziehen. Sie kann sich einerseits aus einer vertraglichen Regelung ergeben, die den Unternehmenskaufvertrag flankiert.45 Andererseits ist denkbar, dass Wettbewerbsbeschränkungen informell im Rahmen der Vorbereitung des Zusammenschlusses vereinbart werden, beispielsweise um schon vor dem Abschluss der fusionskontrollrechtlichen Prüfung die Früchte der künftigen Zusammenarbeit ernten zu können.46 2. Bezweckte oder bewirkte Wettbewerbsbeschränkung Ferner setzt die Annahme eines Gun-Jumping-Verstoßes gegen das Kartellverbot voraus, dass eine bezweckte oder bewirkte Wettbewerbsbeschränkung vorliegt. a) Allgemeines Das Merkmal der Wettbewerbsbeschränkung ist der Zentralbegriff des Art. 101 Abs. 1 AEUV und bestimmt maßgeblich die Reichweite der Verbotsanordnung. Dabei ist der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung nur äußerst schwer zu fassen.47 Es existiert keine klar subsumierbare Definition des Begriffs, die in allen Fällen eine einfache und rechtssichere Abgrenzung zwischen bedenklichen und unbedenklichen Fällen ermöglichen würde. Ansätze, um das Merkmal mithilfe des Selbstständigkeitspostulats oder des Schutzes der Handlungsfreiheit der Markt-

44 Hiervon zu unterscheiden sind wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen Erwerber und Veräußerer, die zwar im Zusammenhang mit der Vereinbarung des Wechsels der Kontrolle über das Zielunternehmen vereinbart werden, allerdings darauf abzielen, den Wettbewerb zwischen Erwerber und Veräußerer auch über den Vollzug des Zusammenschlusses hinaus zu beschränken. 45 Eine eigenständige Prüfung am Maßstab an Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dabei allerdings nicht geboten, wenn es sich um eine Nebenabrede handelt, siehe oben S. 239 f. 46 In derartigen Fällen wird sich der direkte Nachweis einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung als schwierig erweisen. Häufig wird ein Indizienbeweis erforderlich sein. Vgl. Immenga/Mestmäcker-Emmerich, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rdnr. 98 ff. 47 Emmerich, Kartellrecht, § 4, Rdnr. 32; Immenga/Mestmäcker-Emmerich, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rdnr. 107.

248

E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

teilnehmer zu konkretisieren,48 erlauben eine sinnvolle erste Annäherung, werden der Funktion des Merkmals jedoch nicht in allen Fällen gerecht. Stattdessen ist es erforderlich, im Einzelfall mittels einer ökonomischen Analyse die Auswirkungen einer Verhaltensabstimmung auf den Wettbewerb und das Marktergebnis zu untersuchen.49 Die Erfahrung hat allerdings gezeigt, dass es einige Vereinbarungen gibt, die sich schon ihrem Wesen nach und unabhängig von den Umständen des Einzelfalls besonders schädlich auf den Wettbewerb auswirken.50 Liegt eine solche Vereinbarung vor, so ist eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung anzunehmen. Eine Untersuchung der Auswirkungen im Einzelfall ist in diesen Fällen entbehrlich, da die Vereinbarung bereits grundsätzlich wettbewerbsbeschränkend veranlagt ist. In die Kategorie der bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen fallen beispielsweise horizontale Preisabsprachen51 oder Marktaufteilungen.52 Die Einordnung bestimmter Verhaltensweisen als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung und der damit einhergehende Verzicht auf eine tiefgreifende Einzelfallprüfung erhöht die Rechtssicherheit und schont die Ressourcen von Kartellbehörden, Gerichten sowie Unternehmen.53 Sofern eine Vereinbarung keine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt, ist zu prüfen, ob zumindest eine bewirkte Wettbewerbsbeschränkung vorliegt. Hierzu müssen die Auswirkungen der Vereinbarung auf den Wettbewerb unter Berücksichtigung des rechtlichen und wirtschaftlichen Kontexts im Einzelfall beurteilt werden. Eine bewirkte Wettbewerbsbeschränkung ist dann anzunehmen, wenn sich die Vereinbarung tatsächlich oder wahrscheinlich spürbar negativ auf mindestens einen Wettbewerbsparameter des betroffenen Markts auswirkt.54 Zu den relevanten Wettbewerbsparametern zählen vor allem der Preis, die Produktionsmenge, die Produktqualität sowie -vielfalt und Innovationen.55 Im Rahmen der Beurteilung muss die tatsächliche Situation, wie sie aufgrund der Vereinbarung besteht, mit dem 48

Immenga/Mestmäcker-Emmerich, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rdnr. 107, 109Art. . Kommission, Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EGV, ABl. EU 2004 Nr. C 101/97, Ziff. 15. Vgl. EuGH, 16. 12. 1975, Rs. C-40/73, Slg. 1975, 1663 – Suiker Unie; EuGH, 14. 07. 1981, Rs. C-172/80, Slg. 1981, 2021 – Züchner; EuGH, 28. 04. 1998, Rs. C-306/96, Slg. 1998 I1997, Ziff. 13 – Javico. 49 Whish, Competition Law, S. 115. 50 EuGH, 20. 11. 2008, Rs. C-209/07, Slg. 2008 I-8637, Ziff. 17 – BIDS; Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 24. 51 Siehe nur EuGH, 26. 11. 1975, Rs. C-73/74, Slg. 1975, 1491, Ziff. 21 – Papiers Peints/ Kommission. 52 Siehe nur EuGH, 15. 07. 1970, Rs. C-41/69, Slg. 1970, 661 – ACF Chemiefarma/Kommission. Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 11, Rdnr. 35; Whish, Competition Law, S. 119 ff. 53 Schlussanträge GA Kokott, 19. 02. 2009, Rs. C-8/08, Ziff. 43 – T-Mobile Netherlands. 54 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 27. 55 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 27.

II. Tatbestandsvoraussetzungen

249

kontrafaktischen Szenario ohne die Vereinbarung (sog. „counterfactual“) verglichen werden.56 Wettbewerbsbeschränkungen können einerseits zwischen Wettbewerbern vereinbart werden (horizontale Wettbewerbsbeschränkungen).57 Andererseits sind Wettbewerbsbeschränkungen im Verhältnis von Unternehmen auf vor- und nachgelagerten Handelsstufen möglich (vertikale Wettbewerbsbeschränkungen).58 b) Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen Der Wettbewerb zwischen Erwerber und Zielunternehmen darf nicht beschränkt werden, bis der Zusammenschluss vollzogen wurde und das Konzernprivileg eingreift. Im Hinblick auf das Merkmal der bezweckten oder bewirkten Wettbewerbsbeschränkung ist an die Zusammenschlussparteien im Allgemeinen derselbe Maßstab anzulegen wie an Unternehmen, die keinen Zusammenschluss beabsichtigen.59 Für die Beurteilung von Beschränkungen des Wettbewerbs zwischen den Zusammenschlussparteien kann demnach auf die allgemeine Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts sowie die Entscheidungspraxis der Kommission zu wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen zurückgegriffen werden.60 Lediglich in Fällen, in denen eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung zwingend erforderlich ist, um einen Zusammenschluss durchzuführen, ist eine Privilegierung in Betracht zu ziehen, für die der ancillary restraints-Grundsatz61 ein Ansatzpunkt sein kann.62 Die Anwendung dieses Grundsatzes auf Vereinbarungen, die im Zusammenhang mit Unternehmenszusammenschlüssen stehen, wird durch die Nebenabredenbekanntmachung der Kommission konkretisiert. Demnach kommt eine Privilegierung für Beschränkungen in Betracht, die mit der Durchführung eines Zusammenschlusses unmittelbar verbunden und dafür notwendig sind.63 Nach der Bekanntmachung beziehen sich derartige Vereinbarungen jedoch in der Regel auf die Zeit nach dem Kontrollwechsel und werden von dem Erwerber sowie dem Veräußerer getroffen. Ein Eingriff in den Wettbewerb von Erwerber und Zielunternehmen, der sich bereits auf die Zeit vor dem Kontrollwechsel bezieht, ist die Beschränkung, bis zur Vollendung des Zusammenschlusses keine wesentlichen Änderungen am 56

Whish, Competition Law, S. 124. Vgl. Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 29 und 75. Vgl. MünchKommEuWettbR-Wollmann/Herzog, Art. 101 AEUV, Rdnr. 168 ff. 58 Vgl. MünchKommEuWettbR-Wollmann/Herzog, Art. 101 AEUV, Rdnr. 249 ff.; Whish, Competition Law, S. 115. 59 Bosch/Marquier, EWS 2010, 113, 116. 60 Vgl. Gottschalk, RIW 2005, 905, 910; Modrall/Ciullo, ECLR 2003, 424, 426. 61 Siehe hierzu Jebelli, EU Ancillary Restraints: a reasoned approach to Article 101(1), S. 1 ff.; Whish, Competition Law, S. 124 ff. 62 Vgl. Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 609. 63 Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 10. 57

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E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

Geschäft des Zielunternehmens vorzunehmen.64 Eine entsprechende Vereinbarung wird trotz etwaiger wettbewerbsbeschränkender Auswirkungen als zulässige Nebenabrede qualifiziert, da der Schutz des Werts des Zielunternehmens bis zum Vollzug essenziell für die Ermöglichung des Zusammenschlusses sein kann.65 Zwar lässt sich auch über diese Fallgruppe hinaus eine Anwendung des allgemeinen ancillary restraints-Grundsatzes erwägen, sofern sich ein Zusammenschluss ohne eine Vereinbarung nicht realisieren lässt.66 Auch führt die Kommission in der Nebenabredenbekanntmachung an, dass in außergewöhnlichen Fallkonstellationen Abweichungen von den Grundsätzen der Bekanntmachung möglich sind.67 Aus den oben genannten Gründen68 dürfte eine Ausweitung der Doktrin in aller Regel jedoch abzulehnen sein. In jedem Fall dürfte es ratsam sein, die Kommission im Vorhinein zu konsultieren, die gemäß Erwägungsgrund 21 FKVO auf Antrag prüft, ob die Vereinbarung als Nebenabrede zum Zusammenschluss zu qualifizieren ist, sofern ein Fall neue oder ungelöste Fragen aufwirft.69 Der Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen ist sowohl bei horizontalen als auch vertikalen Zusammenschlüssen möglich, wenn die beteiligten Unternehmen eine Koordinierung des marktstrategischen Verhaltens an die Stelle der Risiken des Wettbewerbs setzen.70 Einen Orientierungspunkt für die Beurteilung von Wettbewerbsbeschränkungen, die im Zusammenhang mit Veränderungen der Marktstruktur stehen, bietet die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Anwendung des Kartellverbots auf Beschränkungen des Wettbewerbs im Rahmen von Minderheitsbeteiligungen.71 Anschauliche Beispiele für vorzeitige Beschränkungen des Wettbewerbs zwischen Erwerber und Zielunternehmen liefert die Fallpraxis des DOJ und der FTC in den USA. Die Beispiele reichen von Marktaufteilungen72 über den Austausch sen64

Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 14. Siehe hierzu eingehend unten S. 324 ff. 66 Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 609 bejahen eine Anwendung des ancillary restraintsGrundsatzes auf den Informationsaustausch im Rahmen der Due Diligence. Es ist allerdings fraglich, ob dies erforderlich ist, da sich durch Vorsichtsmaßnahmen im Hinblick auf besonders sensible Informationen bereits der Eintritt einer Wettbewerbsbeschränkung verhindern lässt. Siehe unten S. 315 f. 67 Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 5. 68 Siehe oben S. 239 f. 69 Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 6. 70 Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 607. 71 Siehe hierzu eingehend unten S. 254 ff. 72 Eine Markt- und Kundenaufteilung lag beispielsweise dem Vorgehen des DOJ in Gemstar zugrunde, United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 41 ff. Vgl. auch das TorringtonVerfahren, in dem die FTC einen Verstoß gegen Section 5 FTC Act u. a. annahm, da das Zielunternehmen Kunden Vertragsangebote verweigerte, da diese zum Erwerber wechseln sollten, FTC Complaint, in re Torrington Company, 10. 05. 1991, 114 F.T.C. 283, 284 f. 65

II. Tatbestandsvoraussetzungen

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sibler Informationen73 bis hin zu Preisabsprachen74. Gerade die Fälle Computer Associates und Gemstar verdeutlichen die negativen Auswirkungen, die eine Einflussnahme des Erwerbers auf das Zielunternehmen vor dem Vollzug haben kann: In Computer Associates hat der Erwerber Computer Associates das Zielunternehmen Platinum unter anderem in dessen Freiheit beschränkt, Rabatte zu gewähren,75 wodurch der Preiswettbewerb eingeschränkt wurde.76 In Gemstar haben Erwerber und Zielunternehmen unter anderem Kunden untereinander aufgeteilt und den Konditionenwettbewerb eingeschränkt.77 3. Spürbarkeit Ein Verstoß gegen das Kartellverbot ist ferner nur anzunehmen, wenn die Wettbewerbsbeschränkung spürbar ist. a) Allgemeines Die Kommission erläutert in ihrer De-minimis-Bekanntmachung, wann Wettbewerbsbeschränkungen die Spürbarkeitsschwelle nicht überschreiten.78 Die Kommission verneint die Spürbarkeit, wenn die beteiligten Unternehmen bei horizontalen Wettbewerbsbeschränkungen auf keinem der betroffenen Märkte zusammen 73

Dem DOJ-Verfahren in Computer Associates lag u. a. der Zugriff auf individualisierte Preisinformationen des Zielunternehmens zugrunde, United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 25 f. Das Vorgehen der FTC in Insilco beruhte auf der Übermittlung von nicht aggregierten kundenspezifischen Preisinformationen an den Erwerber, FTC Complaint, in re Insilco Corporation, 27. 01. 1998, 125 F.T.C. 293, 294 f. 74 In Computer Associates ging das DOJ dagegen vor, dass das Zielunternehmen durch den Erwerber in seiner Möglichkeit zur Rabattgewährung beschränkt wurde, United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 32 f. Auch dem Gemstar-Verfahren lagen Preis- und Konditionenabsprachen zugrunde, United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 48 f. Anlass für das Vorgehen der FTC im Commonwealth-Fall war u. a., dass die Kunden des Zielunternehmens noch vor dem Vollzug die Konditionen des Erwerbers akzeptieren mussten, FTC Complaint, in re Commonwealth Land Title Insurance Corporation, 10. 11. 1998, 126 F.T.C. 680, 683. 75 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 16, 19. 76 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 32. 77 United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 06. 02. 2003, Case No. 03-0198, Ziff. 45 ff. 78 Kommission, Bekanntmachung u¨ ber Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Artikel 81 Absatz 1 des Vertrags zur Gru¨ ndung der Europa¨ ischen Gemeinschaft nicht spu¨ rbar beschra¨ nken („De minimis-Bekanntmachung“), ABl. EU 2001 Nr. C 368/13.

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E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

10 Prozent Marktanteil halten. Bei vertikalen Vereinbarungen dürfen die Unternehmen auf keinem der betroffenen Märkte einen Marktanteil von 15 Prozent überschreiten.79 Diese Schwellenwerte gelten allerdings nicht, sofern eine Kernbeschränkung vorliegt, beispielsweise Preis-, Kunden- oder Gebietsabsprachen.80 Der Gerichtshof bestimmt die Spürbarkeit nach einer Gesamtbetrachtung der Marktverhältnisse, auf deren Grundlage bestimmt wird, ob die Wettbewerbsbeschränkung für das Binnenmarktprojekt von Relevanz ist.81 Dabei berücksichtigt auch der Gerichtshof die Marktanteile der beteiligten Unternehmen auf dem betroffenen Markt. Die Spürbarkeit einer Wettbewerbsbeschränkung wird in der Regel bei einem Marktanteil ab 5 Prozent angenommen.82 Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine starre Grenze, sodass Abweichungen nach oben und unten möglich sind.83 In Expedia hat der Gerichtshof jüngst geurteilt, dass bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen stets spürbar sind.84 Die Kommission hat angekündigt, die Deminimis-Bekanntmachung entsprechend den Vorgaben aus dem Expedia-Urteil zu überarbeiten.85 b) Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen Haben Erwerber und Zielunternehmen nur sehr geringe Marktanteile und liegt keine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung vor, kann die Spürbarkeit einer von ihnen vereinbarten Wettbewerbsbeschränkung zu verneinen sein. Gerade in Fällen, in denen der Zusammenschluss letztlich von der Kommission freigegeben wird, da aufgrund der geringen Marktmacht der beteiligten Unternehmen keinerlei wettbewerbliche Bedenken bestehen, kann die Spürbarkeit der zuvor vereinbarten Wettbewerbsbeschränkung zu verneinen sein. 4. Ausnahme vom Kartellverbot, Art. 101 Abs. 3 AEUV Ein Verstoß gegen das Kartellverbot liegt trotz der Erfüllung des Tatbestands des Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht vor, sofern die Voraussetzungen der Legalausnahme des Art. 101 Abs. 3 AEUV vorliegen.

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Kommission, De minimis-Bekanntmachung, Ziff. 7. Kommission, De minimis-Bekanntmachung, Ziff. 11. 81 Immenga/Mestmäcker-Emmerich, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rdnr. 145. 82 EuGH, 01. 02. 1978, Rs. C-19/77, Slg. 1978, 131, Ziff. 8, 15 – Miller International; EuGH, 25. 10. 1983, Rs. C-107/82, Slg. 1983, 3151, Ziff. 58 – AEG; EuGH, 21. 02. 1984, Rs. C86/82, Slg. 1984, 883, Ziff. 19 – Hasselblad. 83 Immenga/Mestmäcker-Emmerich, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rdnr. 146. 84 EuGH, 13. 12. 2012, Rs. C-226/11, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 37 – Expedia. 85 Kommission, Pressemitteilung vom 11. 07. 2013, IP/13/685. 80

II. Tatbestandsvoraussetzungen

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a) Allgemeines Unter den Voraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV sind wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen vom Kartellverbot freigestellt. Die Legalausnahme greift ein, sofern durch eine Vereinbarung Effizienzgewinne erzielt werden, Verbraucher von diesen Effizienzgewinnen unmittelbar profitieren, die Beschränkung nicht über das erforderliche Maß hinausgeht und es nicht zu einer Ausschaltung des Wettbewerbs für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren kommt.86 Für die betroffenen Unternehmen ist es allerdings mit erheblichen praktischen Schwierigkeiten verbunden, das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV im Einzelfall nachzuweisen. Zudem erschwert Rechtsunsicherheit die Selbstveranlagung unter Art. 101 Abs. 3 AEUV.87 Leichter zu handhaben sind die Gruppenfreistellungsverordnungen88, die in generalisierender Weise festlegen, wann die Voraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 AEUVerfüllt sind.89 Zudem erleichtern die Leitlinien der Kommission zu horizontalen90 und vertikalen91 Vereinbarungen maßgeblich die Beurteilung von Verhaltensweisen unter Art. 101 Abs. 3 AEUV.

86 Hierzu eingehend statt vieler Immenga/Mestmäcker-Ellger, Art. 101 Abs. 3 EUV, Rdnr. 128 ff. 87 Immenga/Mestmäcker-Ellger, Art. 101 Abs. 3 AEUV, Rdnr. 106. 88 Kommission, Verordnung (EU) Nr. 330/2010 vom 20. April 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen, ABl. EU 2010 Nr. L 102/1; Kommission, Verordnung (EU) Nr. 461/2010 vom 27. Mai 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor, ABl. EU 2010 Nr. L 129/52; Kommission, Verordnung (EU) Nr. 267/2010 vom 24. März 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und abgestimmten Verhaltensweisen im Versicherungssektor, ABl. EU 2010 Nr. L 83/1; Kommission, Verordnung (EU) Nr. 1217/2010 vom 14. Dezember 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung, ABl. EU 2010 Nr. L 335/36; Kommission, Verordnung (EU) Nr. 1218/2010 vom 14. Dezember 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen, ABl. EU 2010 Nr. L 335/43; Kommission, Verordnung (EG) Nr. 772/2004 vom 27. April 2004 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen, ABl. EU 2004 Nr. L 123/11. 89 Hierzu eingehend Immenga/Mestmäcker-Ellger, Art. 101 Abs. 3 AEUV, Rdnr. 106, 322 ff. 90 Kommission, Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. EU 2011 Nr. C 11/1. 91 Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. EU 2010 Nr. C 130/1.

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E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

b) Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen Sofern eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung zwischen Erwerber und Zielunternehmen Effizienzgewinne ermöglicht, kann eine Rechtfertigung durch die Legalausnahme des Art. 101 Abs. 3 AEUV in Betracht kommen. Es ist dabei auch möglich, sich zur Rechtfertigung auf die Skalen- oder Verbundvorteile zu berufen, die durch den Zusammenschluss erzielt werden, sofern die Vereinbarung zwingend erforderlich ist, um das Vorhaben zu ermöglichen. In diesem Fall sind die erforderliche Mitursächlichkeit und Unmittelbarkeit der Vereinbarung für die Effizienzgewinne gegeben.92 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass Wettbewerbsbeschränkungen, die zur Umsetzung des Vorhabens erforderlich sind, bereits als Nebenabreden qualifiziert werden.93 Bei darüber hinausgehenden Wettbewerbsbeschränkungen wird es in aller Regel an der Unerlässlichkeit im Sinne des Art. 101 Abs. 3 lit. a AEUV für die Erzielung der Effizienzgewinne fehlen. Dies schließt jedoch nicht aus, dass im Rahmen der Rechtfertigung auf Effizienzgewinne abgestellt wird, die nicht erst durch den Zusammenschluss, sondern bereits durch die Vereinbarung an sich erzielt werden. Insoweit können die Zusammenschlussparteien bei der Selbstveranlagung insbesondere auf die Gruppenfreistellungsverordnungen und die Leitlinien der Kommission abstellen.

III. Rechtsprechung zu Minderheitsbeteiligungen als Orientierungspunkt Bei der Anwendung des Kartellverbots auf das Verhalten der Zusammenschlussparteien vor dem Closing kann die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Wettbewerbsbeschränkungen im Zusammenhang mit Minderheitsbeteiligungen Orientierung bieten (1.). Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung lassen sich Aussagen über die Beurteilung der Interaktionen von Erwerber und Zielunternehmen unter dem Kartellverbot treffen (2.). 1. Rechtsprechung zu Minderheitsbeteiligungen Die Rechtsprechung zu Wettbewerbsbeschränkungen im Zusammenhang mit Minderheitsbeteiligungen, die keine Kontrolle vermitteln, kann Orientierung bei der Beurteilung des Verhaltens der Zusammenschlussparteien vor dem Kontrollwechsel geben. Ähnlich wie ein bevorstehender Zusammenschluss können Minderheitsbeteiligungen die Interessen von zwei Unternehmen verklammern und eine Koordinierung ihres Marktverhaltens erleichtern.94 Die Fallgruppe der Minderheitsbetei92 Siehe zur Mitursächlichkeit und Unmittelbarkeit Immenga/Mestmäcker-Ellger, Art. 101 Abs. 3 AEUV, Rdnr. 136, 140. 93 Siehe oben S. 249 f. 94 Vgl. EuGH, 17. 11. 1987, Rs. 142/84 und 156/84, Slg. 1987, 4487 – Philip Morris.

III. Rechtsprechung zu Minderheitsbeteiligungen als Orientierungspunkt

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ligungen ist mit der Situation im Vorfeld eines Kontrollwechsels vergleichbar, da in beiden Situationen eine Veränderung der Marktstruktur Auswirkungen auf das Marktverhalten von selbstständigen Unternehmen haben kann. Dabei sind in beiden Fällen die Auswirkungen am Kartellverbot zu messen, da ein Kontrollwechsel, der zum Entfallen der Selbstständigkeit eines Unternehmens führt, im einen Fall überhaupt nicht erfolgt und im anderen noch nicht erfolgt ist.95 Die Leitentscheidung zur Beurteilung von Minderheitsbeteiligungen unter Art. 101 Abs. 1 AEUV ist das Philip-Morris-Urteil des EuGH.96 Philip Morris hatte indirekt eine Minderheitsbeteiligung an seinem Wettbewerber Rothmans International erworben, die keine Kontrolle vermittelte.97 Der EuGH entschied zwar, dass der Erwerb der Minderheitsbeteiligung an sich kein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten darstelle.98 Grundsätzlich könne der Erwerb einer Minderheitsbeteiligung jedoch als Mittel dazu dienen, das geschäftliche Verhalten des betreffenden Unternehmens zu beeinflussen und den Wettbewerb zu beschränken. Im konkreten Fall lehnte der EuGH zwar die Annahme einer Wettbewerbsbeschränkung ab,99 erläuterte in diesem Zusammenhang jedoch, unter welchen Umständen eine solche anzunehmen wäre. Nach den Ausführungen des EuGH ist im Kontext von Minderheitsbeteiligungen ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV dann anzunehmen, wenn der Erwerber mit dem Erlangen der Beteiligung die Möglichkeit erhält, Kontrolle über das geschäftliche Verhalten des Wettbewerbers auszuüben, eine geschäftliche Zusammenarbeit der Unternehmen ermöglicht wird oder Strukturen geschaffen werden, die eine solche Zusammenarbeit fördern.100 Dabei irritiert es zunächst, dass der EuGH von der Möglichkeit zur Ausübung von Kontrolle spricht. Denn sofern ein Minderheitsgesellschafter aufgrund seiner Beteiligung Kontrolle über das Zielunternehmen ausüben kann, liegt ein Konzentrationsvorgang vor, der im Allgemeinen die

95

Das Kartellverbot findet weder auf konzerninterne Wettbewerbsbeschränkungen noch Zusammenschlüsse i.S.d. Art. 3 FKVO Anwendung. Vgl. Immenga/Mestmäcker-Emmerich, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rdnr. 47 f.; Whish, Competition Law, S. 91 ff. Zur Unanwendbarkeit auf Zusammenschlüsse siehe Art. 21 Abs. 1 FKVO. Zum Konzernprivileg siehe oben S. 236 f. 96 EuGH, 17. 11. 1987, Rs. 142/84 und 156/84, Slg. 1987, 4487 – Philip Morris. Vgl. hierzu Weitbrecht/Karenfort, Europäisches Wettbewerbsrecht in Fällen, S. 242. Hinzuweisen ist darauf, dass die Fusionskontrollverordnung zum maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht in Kraft getreten war. Auch unter der FKVO wäre die Minderheitsbeteiligung wohl jedoch nicht zu beanstanden gewesen, da sie keine Kontrolle vermittelte, vgl. EuGH, 17. 11. 1987, Rs. 142/84 und 156/84, Slg. 1987, 4487, Ziff. 31 – Philip Morris. 97 EuGH, 17. 11. 1987, Rs. 142/84 und 156/84, Slg. 1987, 4487, Ziff. 3 – Philip Morris. 98 Gabrielsen/Hjelmeng/Sørgard, 36 E. L. Rev. 837, 848; von der Groeben/SchwarzeRating, Art. 81 EGV, Anhang, Rdnr. 7 f. 99 EuGH, 17. 11. 1987, Rs. 142/84 und 156/84, Slg. 1987, 4487, Ziff. 37 ff., 64 – Philip Morris. Vgl. Immenga, NJW 1988, 3052, 3053 f. 100 EuGH, 17. 11. 1987, Rs. 142/84 und 156/84, Slg. 1987, 4487, Ziff. 38 – Philip Morris.

256

E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

Anwendbarkeit des Kartellverbots entfallen lässt.101 Ganz in diesem Sinne betonte der EuGH in Philip Morris ausdrücklich, dass Philip Morris und Rothmans International trotz der Beteiligung selbstständige Unternehmen blieben, um die Anwendbarkeit des Kartellverbots zu begründen.102 Da die Minderheitsbeteiligung keine „echte“ Kontrolle vermittelte, lag somit gerade kein Konzentrationsvorgang vor, welcher eine Unanwendbarkeit des Kartellverbots hätte nach sich ziehen können.103 Demnach wäre es folglich widersprüchlich gewesen, wenn der EuGH die Möglichkeit eines Kartellverstoßes angenommen hätte, wenn der Minderheitsgesellschafter die Möglichkeit zur Kontrollausübung erhält, da die Möglichkeit zur Kontrollausübung die Anwendbarkeit des Kartellverbots gerade hätte entfallen lassen. Der scheinbare Widerspruch ist damit aufzulösen, dass der EuGH mit der Möglichkeit, Kontrolle über das geschäftliche Verhalten des Erwerbers auszuüben, keine Kontrolle im eigentlichen Sinne104 meinte, sondern stattdessen eine unter dieser Schwelle liegende Möglichkeit zur Beeinflussung des wettbewerblichen Verhaltens des betroffenen Unternehmens.105 Nach dem Philip-Morris-Urteil darf im Zusammenhang mit Marktstrukturveränderungen unterhalb der Schwelle des Kontrollwechsels somit keine Möglichkeit zur Beeinflussung des geschäftlichen Verhaltens des Zielunternehmens oder zur geschäftlichen Zusammenarbeit geschaffen werden. Als problematisch kann es sich in diesem Zusammenhang insbesondere dann erweisen, wenn es zu personellen Verflechtungen zwischen den beiden Unternehmen oder zu einem zu weitreichenden Informationsaustausch kommt.106 Daneben streift der EuGH in Philip Morris die Frage, inwieweit die Auswirkungen, die eine Minderheitsbeteiligung auf die Wettbewerbsanreize der beteiligten Unternehmen haben kann, unter dem Kartellverbot problematisch sind. So sinkt für den Erwerber einer Minderheitsbeteiligung grundsätzlich der Anreiz zu Wettbewerbsvorstößen zulasten des Unternehmens, an dem er eine Minderheitsbeteiligung

101

Unter der Bedingung, dass alle Voraussetzungen für das Eingreifen des Konzernprivilegs geschaffen werden, siehe hierzu oben S. 236 f. 102 EuGH, 17. 11. 1987, Rs. 142/84 und 156/84, Slg. 1987, 4487, Ziff. 31 – Philip Morris. 103 Vgl. Gräfer, Die Erfassung von Minderheitsbeteiligungen durch das Europäische Wettbewerbsrecht, S. 138 f.; von der Groeben/Schwarze-Rating, Art. 81 EGV, Anhang, Rdnr. 7 f.; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 24, Rdnr. 10. 104 Gemeint ist demnach Kontrolle i.S.d. heutigen Fusionskontrollverordnung, die zum damaligen Zeitpunkt jedoch noch nicht in Kraft war. Dieser Kontrollbegriff war jedoch bereits zum damaligen Zeitpunkt von Bedeutung, da er im Wesentlichen dafür ausschlaggebend war, ob nur ein Unternehmen oder zwei selbstständige Unternehmen i.S.d. Art. 101 As. 1 AEUV vorlagen. 105 Immenga, NJW 1988, 3052, 3055 und 3059. Vgl. Gräfer, Die Erfassung von Minderheitsbeteiligungen durch das Europäische Wettbewerbsrecht, S. 140. 106 EuGH, 17. 11. 1987, Rs. 142/84 und 156/84, Slg. 1987, 4487, Ziff. 46, 47 – Philip Morris. Vgl. Gabrielsen/Hjelmeng/Sørgard, 36 E. L. Rev. 837, 849; Gräfer, Die Erfassung von Minderheitsbeteiligungen durch das Europäische Wettbewerbsrecht, S. 143 ff.

III. Rechtsprechung zu Minderheitsbeteiligungen als Orientierungspunkt

257

hält, da er selbst am Gewinn und Verlust dieses Unternehmens beteiligt ist.107 Im Hinblick auf diesen wettbewerbsdämpfenden Effekt prüft der EuGH in Philip Morris, ob die beteiligten Unternehmen durch den Erwerb der Minderheitsbeteiligung zwangsläufig dazu veranlasst werden, bei der Festlegung ihrer Geschäftspolitik den Interessen der jeweils anderen Partei Rechnung zu tragen.108 Einen Verstoß gegen das Kartellverbot lehnt der EuGH jedoch im Ergebnis ab, da es trotz der Minderheitsbeteiligung das oberste Bestreben des Erwerbers bleibe, den eigenen Marktanteil und Umsatz zu vergrößern.109 Zudem bestünde kein Grund zu der Annahme, dass aufgrund der Minderheitsbeteiligung die Geschäftsführung und das Personal des Zielunternehmens nicht mehr daran interessiert seien, das eigene Unternehmen so rentabel wie möglich zu führen.110 Aus diesem Grund lehnte der EuGH eine unter dem Kartellverbot bedenkliche Veränderung der Wettbewerbsverhältnisse ab.111 Nach Aussage des Gerichtshofs wäre die Beurteilung allerdings anders ausgefallen, wenn sich die Parteien aufgrund gegenseitiger Rücksichtnahme auf unterschiedliche Marktsegmente konzentriert und so eine Marktaufteilung praktiziert hätten.112 Der vom EuGH in Philip Morris entwickelte Maßstab wurde von der Kommission wiederholt angewandt. Die Kommission prüfte in verschiedenen Fällen, ob im Zusammenhang mit der jeweiligen Minderheitsbeteiligung eine Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens der beteiligten Unternehmen ermöglicht wurde.113 2. Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensabstimmungen im Vorfeld eines Kontrollwechsels Vergleichbar mit der Lage bei Minderheitsbeteiligungen verfügt die Situation im Vorfeld eines Kontrollwechsels über eine gewisse Prädisposition für wettbewerbsbeschränkende Verhaltensabstimmungen. Dies ist im Wesentlichen auf zwei Umstände zurückzuführen: Zum einen können die notwendigen Interaktionen zur Vorbereitung eines Zusammenschlusses genauso wie die unternehmerischen Ver107

571 ff.

Vgl. hierzu Ezrachi/Gilo, 26 O. J. L. S. 327, 330 f.; Salop/O’Brien, 67 Antitrust L.J. 559,

108 EuGH, 17. 11. 1987, Rs. 142/84 und 156/84, Slg. 1987, 4487, Ziff. 48 – Philip Morris. Vgl. Gräfer, Die Erfassung von Minderheitsbeteiligungen durch das Europäische Wettbewerbsrecht, S. 149 f. 109 EuGH, 17. 11. 1987, Rs. 142/84 und 156/84, Slg. 1987, 4487, Ziff. 50 – Philip Morris. 110 EuGH, 17. 11. 1987, Rs. 142/84 und 156/84, Slg. 1987, 4487, Ziff. 49 – Philip Morris. 111 EuGH, 17. 11. 1987, Rs. 142/84 und 156/84, Slg. 1987, 4487, Ziff. 50 – Philip Morris. 112 EuGH, 17. 11. 1987, Rs. 142/84 und 156/84, Slg. 1987, 4487, Ziff. 51 – Philip Morris. 113 Komm., 10. 11. 1992, 93/252/EWG, ABl. 1993 EG Nr. L 116/21, Ziff. 33 ff. – Warner Lambert/Gillette; Komm., 27. 07. 1994, 96/547/EWG, ABl. EG 1994 Nr. L 223/36, Ziff. 44 ff. – BT/MCI; Komm., 11. 11. 1994, 94/771/EWG, ABl. EG 1994 Nr. L 309/24, Ziff. 19 ff. – Olivetti/ Digital; Komm., 17. 07. 1996, 96/547/EWG, ABl. EG 1996 Nr. L 239/57, Ziff. 45 ff. – Phoenix/ Global One. Vgl. Gabrielsen/Hjelmeng/Sørgard, 36 E. L. Rev. 837, 849 f.; Reynolds/Anderson, Acquisitions of minority interests in competitors, S. 9.

258

E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

flechtungen durch Minderheitsbeteiligungen ein Forum für die Vereinbarung von Wettbewerbsbeschränkungen bieten, beispielsweise indem in ihrem Rahmen dem Erwerber vorzeitig Einfluss114 auf das Marktverhalten des Zielunternehmens eingeräumt wird oder es zu einem bedenklichen Informationsaustausch kommt. Zum anderen kann es auchdurch einen bevorstehenden Kontrollwechsel zu einer Verklammerung der Interessen von Erwerber und Zielunternehmen kommen, da für die Zusammenschlussparteien der Anreiz sinkt, aufeinander Wettbewerbsdruck auszuüben, sofern sich dies zum Nachteil der in naher Zukunft kombinierten wirtschaftlichen Einheit auswirken würde. Selbst wenn diese beiden Faktoren in Einzelfällen das Zustandekommen von Wettbewerbsbeschränkungen begünstigen mögen, rechtfertigen sie in keiner Weise eine allgemeine Vermutung, dass es im Vorfeld eines Kontrollwechsels bereits zu Kartellverstößen kommt. Vielmehr kommt es darauf an, ob im jeweiligen Einzelfall eine konkrete Wettbewerbsbeschränkung nachgewiesen werden kann.115 Das PhilipMorris-Urteil erlaubt dabei Rückschlüsse darauf, unter welchen Voraussetzungen im Zusammenhang mit Marktstrukturveränderungen ein Kartellverstoß anzunehmen ist. Demnach ist es vor allem bedenklich, wenn der Erwerber eine Einflussmöglichkeit auf das geschäftliche Verhalten des Zielunternehmens erlangt (a)). Daneben ist es problematisch, wenn Strukturen geschaffen werden, die ein kollusives Verhalten ermöglichen (b)). Nicht vom Kartellverbot erfasst werden mögliche unilaterale Effekte eines bevorstehenden Kontrollwechsels (c)). a) Einfluss auf das geschäftliche Verhalten Von Bedeutung für die Beurteilung der Interaktionen von Erwerber und Zielunternehmen vor dem Closing sind insbesondere die Äußerungen des Gerichtshofs zur Ausübung von Einfluss auf das Zielunternehmen unterhalb der (fusionskontrollrechtlichen) Kontrollschwelle.116 Überträgt man diese auf Gun-Jumping-Konstellationen, ist eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV dann anzunehmen, wenn der Erwerber vor dem Vollzug die Möglichkeit erhält, auf das Marktverhalten des Zielunternehmens Einfluss zu nehmen.117 Der Maßstab der Philip-Morris-Entscheidung vermag zu gewährleisten, dass bis zum eigentlichen Vollzug den Anforderungen des Selbstständigkeitspostulats entsprochen wird und ein lückenloser Wettbewerbsschutz gewährleistet ist.118 Das Kartellverbot ergänzt 114 Gemeint ist eine Einflussmöglichkeit unterhalb der Kontrollschwelle des Art. 3 Abs. 1, Abs. 2 FKVO. 115 Vgl. Art. 2 VO 1/2003. 116 EuGH, 17. 11. 1987, Rs. 142/84 und 156/84, Slg. 1987, 4487, Ziff. 38 – Philip Morris. 117 Vgl. EuGH, 17. 11. 1987, Rs. 142/84 und 156/84, Slg. 1987, 4487, Ziff. 38 – Philip Morris. 118 Die bedenklichen wettbewerblichen Auswirkungen einer Einflussnahme auf das Marktverhalten im Vorfeld des Kontrollwechsels werden an den Erfahrungen des DOJ und der

III. Rechtsprechung zu Minderheitsbeteiligungen als Orientierungspunkt

259

insoweit auf der Ebene der Verhaltenskontrolle das Vollzugsverbot, das auf der Marktstrukturebene dauerhafte Veränderungen der Kontrollsituation der präventiven Kontrolle unterwirft. In der Praxis kann sich die Abgrenzung einer Einflussnahme im Sinne der Philip-Morris-Rechtsprechung von einem Kontrollwechsel im Sinne des Art. 3 FKVO als schwierig erweisen. In Grenzfällen ist maßgeblich darauf abzustellen, ob die Einflussnahmemöglichkeit umfassend genug und hinreichend verfestigt ist, um als Veränderung der Marktstruktur bewertet zu werden.119 Von einem Eingreifen des Kartellverbots und keinem Verstoß gegen das Vollzugsverbot ist dabei dann auszugehen, wenn es nur zu einer vereinzelten Beeinflussung des Marktverhaltens kommt, die noch nicht die Annahme eines strukturellen Übergangs von Entscheidungsbefugnissen rechtfertigt.120 b) Ermöglichung eines kollusiven Verhaltens Ferner kommt nach Philip Morris die Annahme einer Wettbewerbsbeschränkung dann in Betracht, wenn der Erwerber und das Zielunternehmen eine geschäftliche Zusammenarbeit aufnehmen oder Strukturen geschaffen werden, die eine solche Zusammenarbeit fördern.121 Entsprechende Strukturen können in personellen Verflechtungen oder der Ermöglichung eines Zugriffs auf sensible Informationen bestehen.122 Die zentralen wettbewerblichen Bedenken, die hinter diesen Ausführungen des EuGH stehen, dürften sich nicht primär gegen jegliche Form der Zusammenarbeit richten, sondern vielmehr in der Gefahr liegen, dass durch die verstärkten Interaktionen von Erwerber und Zielunternehmen ein kollusives Marktverhalten ermöglicht wird. In der Zeit vor einem Kontrollwechsel sind kartellrechtliche Bedenken daher immer dann angezeigt, wenn Rahmenbedingungen geschaffen werden, welche die Erzielung eines Kollusionsergebnisses im Hinblick auf das Marktverhalten von Erwerber und Zielunternehmen erleichtern. Gerade vorzeitige personelle Verflechtungen123 oder der ungeschützte Austausch von wettbewerbsrelevanten Informationen124 können in dieser Hinsicht bedenklich sein. Gegen eine Zusammenarbeit von Erwerber und Zielunternehmen bestehen keine kartellrechtlichen Bedenken, sofern sie auch zwei voneinander unabhängigen Un-

FTC deutlich (siehe oben S. 79 ff.), beispielsweise an der Einschränkung des Preiswettbewerbs im Fall Computer Associates (siehe oben S. 91 ff.). 119 Siehe hierzu oben S. 224 ff. 120 Buntscheck, Das „Konzernprivileg“ im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag, S. 130 f. 121 Vgl. EuGH, 17. 11. 1987, Rs. 142/84 und 156/84, Slg. 1987, 4487, Ziff. 38 – Philip Morris. 122 Vgl. EuGH, 17. 11. 1987, Rs. 142/84 und 156/84, Slg. 1987, 4487, Ziff. 9, 46 f. – Philip Morris. 123 Siehe unten S. 333 ff. 124 Siehe unten S. 261 ff.

260

E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

ternehmen gestattet wäre,125 beispielsweise weil eine Gruppenfreistellung eingreift oder die Vorgaben der Horizontal- bzw. Vertikalleitlinien beachtet werden. c) Unilaterale Effekte Neben der Gefahr einer wettbewerbsbeschränkenden Koordinierung von Erwerber und Zielunternehmen ist im Vorfeld des Kontrollwechsels zu befürchten, dass die Unternehmen einseitig ihr Wettbewerbsverhalten anpassen. Spätestens ab der Unterzeichnung des Unternehmenskaufvertrags besteht die Möglichkeit, dass Erwerber und Zielunternehmen Entscheidungen über ihr Marktverhalten nicht mehr allein nach ihrer Wirkung auf das eigene Unternehmen beurteilen, sondern zugleich die Auswirkungen auf den Transaktionspartner berücksichtigen, da die Unternehmen mit dem Vollzug zu einer wirtschaftlichen Einheit werden.126 Genauso wie bei Minderheitsbeteiligungen127 können demnach die Anreize zu Wettbewerbsvorstößen, die zu Lasten des anderen Unternehmens gehen würden, sinken, sodass es im äußersten Fall zu einem Nichtangriffsdenken von Erwerber und Zielunternehmen kommen kann.128 Eine derartige Dämpfung des Wettbewerbs ist kartellrechtlich bedenklich, wenn sie Erwerber und Zielunternehmen dazu veranlasst, auf eine kollusive Praxis einzuschwenken, beispielsweise mit dem Ergebnis, dass sich die Unternehmen schon vor dem Vollzug auf unterschiedliche Marktsegmente konzentrieren, um sich nicht gegenseitig Konkurrenz zu machen.129 Solange die Unternehmen ihre Entscheidungen über das Marktverhalten jedoch unabhängig voneinander treffen und es nicht zu einer Verhaltensabstimmung kommt, wird das Selbstständigkeitspostulat beachtet und es liegt kein Verstoß gegen das Kartellverbot vor.130 Zwar kann es auch durch unilaterale Effekte zu negativen Auswirkungen auf

125

Bosch/Marquier, EWS 2010, 113, 116. Vgl. Immenga, NJW 1988, 3052, 3057. 127 Vgl. DotEcon Ltd, Minority interest in competitors, S. 40 f.; Ezrachi/Gilo, 26 O. J. L. S. 327, 330 f.; Gräfer, Die Erfassung von Minderheitsbeteiligungen durch das Europäische Wettbewerbsrecht, S. 130 ff.; Immenga, NJW 1988, 3052, 3057; Milanesi/Winterstein, Minderheitsbeteiligungen und personelle Verflechtungen zwischen Wettbewerbern – Zur Anwendung von Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, S. 6, 19. Im Hinblick auf unilaterale Gun-Jumping-Praktiken im US-Recht siehe Blumenthal, 63 Antitrust L. J. 1, 19 f. 128 Vgl. Milanesi/Winterstein, Minderheitsbeteiligungen und personelle Verflechtungen zwischen Wettbewerbern – Zur Anwendung von Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, S. 6, 19. 129 EuGH, 17. 11. 1987, Rs. 142/84 und 156/84, Slg. 1987, 4487, Ziff. 51 – Philip Morris. 130 Vgl. Ezrachi/Gilo, 26 O. J. L. S. 327, 341 f.; Gräfer, Die Erfassung von Minderheitsbeteiligungen durch das Europäische Wettbewerbsrecht, S. 130 ff. Siehe zum US-Recht Blumenthal, 63 Antitrust L. J. 1, 19 f., der es als offen bezeichnet, ob die unilaterale Verhaltensanpassung in Erwartung des Zusammenschlusses von Section 1 Sherman Act erfasst wird. Er sieht die Beurteilung der unilateralen Effekte auch deswegen als ungeklärt an, da das Merkmal der Vereinbarung durch die Zusammenschlussvereinbarung erfüllt werden könnte. Dies ist – zumindest für das europäische Recht – abzulehnen. 126

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

261

das Marktergebnis kommen; nicht jede Beeinträchtigung des Marktergebnisses ist jedoch ein Verstoß gegen das Kartellverbot.131 3. Ergebnis Die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Minderheitsbeteiligungen lässt sich weitgehend auf die Situation vor einem Kontrollwechsel übertragen. Im Übrigen bestätigt die Philip-Morris-Entscheidung die klare Trennung von Markstruktur und Verhaltenskontrolle, obwohl sie noch vor Erlass der Fusionskontrollverordnung ergangen ist. So wird weder die Erlangung einer Minderheitsbeteiligung noch die Erlangung von Kontrolle im Sinne des heutigen Art. 3 Abs. 2 FKVO am Kartellverbot gemessen. Der Gerichtshof hat vielmehr nur geprüft, ob es im Zusammenhang mit der Minderheitsbeteiligung („bei Gelegenheit“) zum Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen gekommen ist.

IV. Beurteilung des Informationsaustauschs zwischen den Zusammenschlussparteien Über eine besonders große Bedeutung verfügt das Kartellverbot für die Beurteilung des Austauschs von Informationen durch die an einem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen. Die künstliche Erhöhung der Markttransparenz durch den Austausch von Informationen ist unter bestimmten Voraussetzungen dazu geeignet, Beschränkungen des Wettbewerbs zu verursachen, und kann daher gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoßen. Die kartellrechtliche Beurteilung des Informationsaustauschs der Zusammenschlussparteien ist durch ein Spannungsverhältnis gekennzeichnet: Auf der einen Seite haben der Erwerber, das Zielunternehmen und der Veräußerer ein berechtigtes Interesse daran, vor dem Kontrollwechsel umfassend Informationen auszutauschen. So ist es zur Durchführung von Unternehmenstransaktionen erforderlich, dass der Erwerber umfassende Informationen über das Zielunternehmen erhält, damit er entscheiden kann, ob dieses ein zu ihm passendes Akquisitionsobjekt ist, um es zu bewerten und um seine Integration zu planen.132 Auf der anderen Seite können von einem zu weitgehenden Informationsaustausch erhebliche Gefahren für den Wettbewerb ausgehen. Werden im Vorfeld eines Zusammenschlusses durch Wettbewerber133 sensible strategische Informationen aus131

Siehe hierzu bereits oben S. 211 f. Siehe unten S. 303. 133 Die kartellrechtlichen Bedenken gegen einen zu weitgehenden Informationsaustausch beziehen sich hauptsächlich auf horizontale Zusammenschlüsse. In bestimmten Fällen können jedoch auch in Bezug auf vertikale Konstellationen kartellrechtliche Bedenken aufkommen. Siehe unten S. 305 f. 132

262

E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

getauscht, kann dies die Unsicherheit über das zukünftige Marktverhalten der beteiligten Unternehmen vermindern. Besonders bedenklich kann sich dies auswirken, wenn der Zusammenschluss letztlich nicht vollzogen wird. In diesem Fall kann eine langfristige kollusive Praxis der beteiligten Unternehmen ermöglicht werden. Diese Gefahr ist in denjenigen Fällen besonders konkret, in denen der Zusammenschluss aufgrund einer hohen Marktmacht der Zusammenschlussparteien und einer ohnehin angespannten Wettbewerbssituation auf dem betroffenen Markt untersagt wird. Die kartellrechtliche Beurteilung des Informationsaustauschs der Zusammenschlussparteien bewegt sich im Spannungsverhältnis dieser widerstreitenden Interessen. Bislang wurde jedoch nicht vertieft untersucht, wie dieses Spannungsverhältnis aufzulösen ist.134 Nachfolgend wird daher der kartellrechtliche Maßstab herausgearbeitet, an dem der Informationsaustausch der Zusammenschlussparteien zu messen ist. Grundlage dieses Maßstabs muss ein ökonomisches Verständnis davon sein, wie sich die künstliche Vergrößerung der Markttransparenz durch den Austausch von Informationen auf den Wettbewerbsprozess und das Marktergebnis auswirkt (1.). Anschließend wird untersucht, wie im Allgemeinen der Austausch von Informationen zwischen Wettbewerbern kartellrechtlich zu beurteilen ist (2.). Vor diesem Hintergrund wird herausgearbeitet, welche kartellrechtlichen Maßgaben für den Austausch von Informationen durch die Parteien eines Zusammenschlusses gelten (3.). 1. Ökonomische Beurteilung von Informationsaustauschvorgängen Zur kartellrechtlichen Beurteilung von Informationsaustauschvorgängen ist es erforderlich, sich zu vergegenwärtigen, wie sich die künstliche Vergrößerung der Markttransparenz auf den Wettbewerbsprozess und das Marktergebnis auswirkt. Nur mit einem ausreichenden ökonomischen Vorverständnis lässt sich eine sinnvolle Einzelfallbetrachtung vornehmen, die nach der EuGH-Rechtsprechung und den Horizontalleitlinien der Kommission im Einklang mit dem more economic approach erforderlich ist. Aus ökonomischer Perspektive ist die künstliche Vergrößerung der Markttransparenz nicht grundsätzlich negativ zu bewerten. Vielmehr ist die Markttransparenz sogar von großer Bedeutung für einen lebendigen und dynamischen Wettbewerbsprozess (a)). In bestimmten Konstellationen kann sich eine Erhöhung der Markttransparenz durch Informationsaustauschvorgänge jedoch auch negativ auf den Wettbewerbsprozess auswirken (b)). Aufgrund dieser Ambivalenz ist aus ökonomischer Sicht eine differenzierte kartellrechtliche Bewertung von Infor-

134 Eine kürzere Auseinandersetzung mit dem Thema erfolgt durch Besen/Gronemeyer, CCZ 2009, 67 sowie durch Holzwarth, Das Vollzugsverbot als Bestandteil eines effizienten Fusionskontrollverfahrens, S. 217 ff. Auch Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 475 ff. streift die Problematik. Kurz angerissen wird die Fragestellung mitunter auch in den allgemeinen Auseinandersetzungen mit dem Thema Gun-Jumping, siehe z. B. Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 608.

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

263

mationsaustauschvorgängen erforderlich, die allen Umständen des Einzelfalls Rechnung trägt (c)). a) Positive Effekte von Informationsaustausch und erhöhter Markttransparenz Informationen sind von zentraler Bedeutung für einen lebendigen Wettbewerbsprozess. Sie versetzen die einzelnen Marktakteure dazu in die Lage, Entscheidungen über den Einsatz ihrer Mittel so zu treffen, dass sie dem Ziel der Maximierung ihres individuellen Nutzens dienen. Informationen über die Wettbewerbsparameter sind daher eine Voraussetzung für die effiziente Allokation der Güter durch den Wettbewerbsprozess. So setzt auch das idealtypische Modell des vollkommenen Wettbewerbs die vollständige Information sämtlicher Marktteilnehmer als sogenannten Marktvollkommenheitsfaktor voraus.135 Unvollständige Informationen können den Wettbewerbsprozess stören und die Effizienz der Ressourcenallokation beeinträchtigen. Besonders negativ können sich unvollständige Informationen dann auswirken, wenn andere Marktteilnehmer über umfassendere Informationen verfügen. So sind Informationsasymmetrien als mögliche Ursache für ein Marktversagen anerkannt.136 Informationsaustauschvorgänge, die einzelnen Akteuren umfassendere Informationen verschaffen und die Markttransparenz erhöhen, wirken sich daher in vielen Fällen positiv auf den Wettbewerbsprozess und die Wohlfahrt aus.137 Beispiele für solche positiven Auswirkungen lassen sich sowohl in horizontalen (aa)) als auch vertikalen Konstellationen (bb)) finden.

135 Aberle, Ökonomische Bewertung von Transparenz oder Geheimhaltung der Marktdaten als Wettbewerbsparameter, in: FIW, Bewertung und Zulässigkeit von Marktinformationsverfahren, S. 1 f.; Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 133; Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 325; Capobianco, CMLR 2004, 1247, 1257. Vgl. Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 49 f. Wagner-von Papp weist zutreffend darauf hin, dass aus dem Umstand, dass vollständige Markttransparenz beim Modell der vollständigen Konkurrenz ein Marktvollkommenheitsfaktor ist, nicht geschlussfolgert werden kann, dass Informationen und ihr Austausch nicht auch negativ bewertet werden können. Denn ist ein Markt aus anderen Gründen bereits unvollkommen, so kann sich eine künstliche Verstärkung der Markttransparenz zusätzlich wohlfahrtsmindernd auswirken. Nichtsdestoweniger verdeutlicht der Umstand, dass Informationen ein Marktvollkommenheitsfaktor sind, dass sich Informationen positiv auf den Wettbewerbsprozess auswirken können. 136 Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 315. Zu denken ist hier an das Akerlof‘sche market for lemons-Beispiel, Akerlof, 84 Q. J. Econ. 488, 489 f. 137 Siehe hierzu Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 314 ff.; Capobianco, CMLR 2004, 1247, 1257; Nitsche/von Hinten-Reed, Competitive Impacts of Information Exchange, S. 10 ff.; Wagner-von Papp, Information Exchange Agreements, S. 3 ff.; Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 49 ff.

264

E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

aa) Horizontale Transparenz Die Erhöhung der Transparenz zwischen Wettbewerbern auf einer Marktstufe (horizontale Transparenz) kann sich in verschiedener Hinsicht effizienzsteigernd auswirken. (1) Steigerung der allokativen Effizienz Der Austausch von Informationen zwischen Wettbewerbern kann dazu beitragen, die allokative Effizienz zu steigern. Einzelne Anbieter verfügen in der Regel über unvollständige Informationen über den Markt, auf dem sie ihre Waren und Dienstleistungen anbieten. So besitzen sie beispielsweise nur unvollständige Informationen über die Zahlungsbereitschaft der Abnehmer sowie die insgesamt am Markt angebotenen und nachgefragten Mengen. In der Praxis stehen Unternehmen zur Festlegung ihres Marktverhaltens grundlegende ökonomische Konzepte wie die Bestimmung des Marktpreises durch den Schnittpunkt der Angebots- und der Nachfragefunktion sowie die Festlegung der unternehmensspezifischen Produktionsmenge durch die Gleichsetzung von Grenzkosten und Grenzerlös daher nicht zur Verfügung.138 Sie müssen stattdessen auf einen trial and error-Prozess ausweichen und mit den angebotenen Mengen und verlangten Preisen experimentieren. Dieser trial and error-Prozess zieht allokative Ineffizienz nach sich. Bietet beispielsweise ein Unternehmen ein Produkt zu günstig an, wird die Nachfrage nicht vollständig befriedigt werden können. In diesem Fall ist es möglich, dass Nachfrager, für die das Produkt einen höheren Nutzen hat als für andere Nachfrager und die aus diesem Grund eine höhere Zahlungsbereitschaft aufweisen, das Produkt nicht erhalten, da der Markt geräumt ist, bevor ihre Nachfrage befriedigt wurde. Wird die Ware hingegen zu einem zu hohen Preis angeboten, so wird der Markt nicht geräumt.139 Derartigen Ineffizienzen kann entgegengewirkt werden, indem sich die Anbieter über den Markt austauschen, wodurch die Transparenz über die Angebots- und Nachfragebedingungen erhöht wird.140 (2) Benchmarking Tauschen sich Anbieter über ihre Produktions-, Vertriebs- oder Organisationsmethoden aus, kann dies einzelnen Marktakteuren Optimierungsmöglichkeiten in ihrem Unternehmen aufzeigen. Wird ein solcher Unternehmensvergleich in einem institutionalisierten Rahmen durchgeführt, spricht man von einem Benchmarking.141 138

Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 263. Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 264. 140 Wagner-von Papp, Information Exchange Agreements, S. 3; Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 263 ff.; Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 318. Vgl. Capobianco, CMLR 2004, 1247, 1257; Karenfort, WuW 2008, 1154, 1155. 141 Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 318; Wagner-von Papp, Information Exchange Agreements, S. 3; Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 274 f. Siehe zum Benchmarking allgemein van Vormizeele, WuW 2009, 143. 139

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

265

Die Behebung etwaiger Defizite in den Betriebsabläufen und die Realisierung von Kostensenkungspotenzialen steigern die Effizienz der beteiligten Akteure, begünstigen Innovationen und können den Wettbewerb auf dem betroffenen Markt fördern.142 (3) Erleichterung von Marktzutritten Die Erhöhung der Markttransparenz kann sich wettbewerbsfördernd auswirken, wenn hierdurch Unternehmen der Marktzutritt erleichtert wird. Unvollständige Informationen über die Angebots- und Nachfragebedingungen auf einem Markt können sich hingegen als schwerwiegende Marktzutrittsschranke erweisen. Markttransparenz kann es neu auf einen Markt eintretenden Unternehmen hingegen ermöglichen, ihren Marktzutritt erfolgreicher zu gestalten und in einen intensiveren Wettbewerb zu den etablierten Anbietern zu treten.143 (4) Verringerung von Informationsasymmetrien Der Austausch von Informationen zwischen Wettbewerbern kann dazu beitragen, die Informationsasymmetrien zu verringern und so die Funktionsfähigkeit eines Markts zu schützen. Welche gravierenden negativen Auswirkungen von ungleich verteilten Informationen ausgehen können, wurde grundlegend von Akerlof mit seinem market for lemons-Beispiel herausgearbeitet, für das er den Wirtschaftsnobelpreis erhielt.144 Akerlof illustrierte am Gebrauchtwagenmarkt, dass Informationsasymmetrien in Bezug auf die Qualität der gehandelten Ware zur Folge haben können, dass Anbieter von Produkten mit hoher Qualität aus dem Markt gedrängt werden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Abnehmer aufgrund der zu ihren Lasten bestehenden Informationsasymmetrien über die Qualität der angebotenen Gebrauchtwagen bei der Bemessung ihrer Zahlungsbereitschaft einkalkulieren müssen, dass der jeweilige Gebrauchtwagen verdeckte Mängel aufweisen kann (und somit eine sogenannte lemon ist). Hierdurch sinkt die durchschnittliche Zahlungsbereitschaft der Käufer im Vergleich zu einem Markt, auf dem die Ware keine verdeckten Mängel haben kann. Die geringere Zahlungsbereitschaft macht es für potenzielle Verkäufer mit Gebrauchtwagen hoher Qualität unattraktiv, ihre Wagen anzubieten, da der Marktpreis deren überdurchschnittlich hohe Qualität nicht abbildet. Verkäufer mit Waren hoher Qualität werden den Markt daher verlassen. Dies führt wiederum dazu, dass für Käufer die Wahrscheinlichkeit steigt, einen Wagen schlechter Qualität zu erwerben, wodurch die durchschnittliche Zahlungsbereitschaft weiter sinkt.145 Das market for lemons-Beispiel verdeutlicht somit die problematischen Auswirkungen von Informationsasymmetrien, die sich auf verschiedenen Märkten reali142 Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 318; Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 274 f. 143 Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 318 f.; Capobianco, CMLR 2004, 1247, 1257. 144 Akerlof, 84 Q. J. Econ. 488 ff. 145 Akerlof, 84 Q. J. Econ. 488, 489 f.

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E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

sieren können. Durch den Austausch von Informationen zwischen Wettbewerbern können Informationsasymmetrien abgebaut und die Funktionsfähigkeit eines Markts geschützt werden. Dabei kann der Austausch von Informationen zwischen Wettbewerbern insbesondere dazu beitragen, die Auswirkungen der Probleme der adverse selection146 und der moral hazard147 zu vermindern. 146 Das Problem der adverse selection ist auf Informationsasymmetrien zurückzuführen, die bis zum Vertragsschluss zwischen einem Anbieter und einem Abnehmer bestehen, und realisiert sich insbesondere in der Versicherungsbranche. Der Abschluss einer Versicherung ist für Personen besonders lohnend, bei denen der Eintritt eines Versicherungsfalls besonders wahrscheinlich ist. Der Anbieter einer Police kann jedoch vor dem Vertragsschluss nicht/kaum erkennen, wie wahrscheinlich der Schadenseintritt bei einem potenziellen Neukunden ist. Aus diesem Grund geht er auch mit Kunden, bei denen der Eintritt eines Versicherungsfalls sehr wahrscheinlich ist, eine Vertragsbeziehung ein und berücksichtigt das hohe Schadensrisiko nicht gesondert bei der Festlegung der Versicherungskonditionen. Dies führt dazu, dass die durchschnittliche Schadensquote (der sog. Durchschnittserwartungswert) steigt, was letztlich höhere Prämien für alle Versicherten nach sich zieht. Für Versicherte, bei denen das Risiko eines Versicherungsfalls besonders gering ist, wird hierdurch der Abschluss einer Versicherung unattraktiver, sodass solche Versicherten aus der Versicherung austreten oder gar nicht erst eine Police abschließen. Dies trägt wiederum zu einem weiteren Anstieg des Durchschnittserwartungswerts bei und zieht eine weitere Erhöhung der Prämien nach sich. Auf diese Weise wird ein Teufelskreis in Gang gesetzt, der zu einem Marktversagen führen kann. Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 318; Tugendreich, Die kartellrechtliche Zulässigkeit von Marktinformationsverfahren, S. 126 f.; Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 283 f. Der Austausch individueller Kundendaten durch Wettbewerber kann dazu beitragen, das Problem der adverse selection zu verringern. So können sich Versicherer darüber informieren, ob ein potenzieller neuer Versicherungsnehmer bereits vorher bei anderen Versicherungen durch ein hohes Schadensrisiko aufgefallen ist. Die erlangten Informationen können die Versicherer bei der Entscheidung über einen Vertragsschluss und bei der Bemessung der jeweiligen Versicherungsprämie berücksichtigen. Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 318; Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 283 f.; Kühn/Vives, Information Exchanges Among Firms and their Impact on Competition, S. 57 f. Ein praktisches Beispiel für die Eignung eines Informationsaustauschs zur Bekämpfung des Problems der adverse selection ist die Asnef-EquifaxEntscheidung des EuGH. Darin ging es um die Beurteilung eines Informationsaustauschs von Kreditinstituten über die Zahlungsfähigkeit von Kunden. Der EuGH erkannte an, dass der Informationsaustausch darauf abzielte, die Informationsasymmetrien zwischen Kreditinstituten und potenziellen Kreditnehmern zu verringern, wodurch die Ausfallquote der Kreditnehmer insgesamt verringert und der Wirkungsgrad des Kreditangebots erhöht werden konnte, EuGH, 23. 11. 2006, Rs. C-238/05, Slg. 2006 I-11125, Ziff. 47 – Asnef-Equifax. So ermöglicht die vorherige Selektion von nicht kreditwürdigen Schuldnern den Kreditinstituten aufgrund des selteneren Eintritts von Zahlungsausfällen, den kreditwürdigen Gläubigern günstigere Konditionen einzuräumen, und gewährleistet ein insgesamt effizienteres Marktergebnis. Bennett/ Collins, ECJ 2010, 311, 319. 147 Das moral hazard-Problem verwirklicht sich im Gegensatz zum Problem der adverse selection in der Zeit nach dem Vertragsschluss. Es bezeichnet das Phänomen, dass sich Personen, die gegen eine Gefahr vollständig versichert sind, anders verhalten als Kunden, die das Risiko eines Schadenseintritts selbst tragen. Versicherungsunternehmen benötigen aufgrund des moral hazard-Problems umfassende statistische Informationen, um das Risiko eines Schadensfalls möglichst genau voraussehen und bei der Prämienbemessung berücksichtigen zu können. Nach dem Gesetz der großen Zahlen sind statistische Prognosen umso genauer, je mehr Daten zur Verfügung stehen. Tauschen Versicherungsunternehmen ihre statistischen Daten aus, versetzt sie dies in die Lage, präzisere Aussagen über die Wahrscheinlichkeit eines Scha-

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

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(5) Horizontale Kooperationen, Standardisierung und Schnittstelleninformationen Weiterhin kann ein Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern erforderlich sein, um wettbewerbsfördernde horizontale Kooperationen, beispielsweise FuEVereinbarungen, zu ermöglichen.148 Auch im Rahmen der Standardisierung149 und Offenlegung von Schnittstelleninformationen kann sich ein Informationsaustausch effizienzsteigernd auswirken.150 bb) Vertikale Transparenz Die Herstellung vertikaler Transparenz zugunsten von Abnehmern kann sich insbesondere durch eine Verringerung der Suchkosten effizienzsteigernd auswirken. Abnehmer brauchen Zugang zu möglichst detaillierten Informationen über die angebotenen Waren und Dienstleistungen, um zu bestimmen, welches Angebot am besten zu ihren individuellen Bedürfnissen passt.151 Durch eine Erhöhung der Transparenz über das Angebot am Markt sinken die Kosten, die einem Abnehmer durch die Suche nach dem für ihn nutzenbringendsten Angebot entstehen. Durch die Verringerung der Suchkosten wird die Elastizität der Nachfrage erhöht, was der Marktmacht der Anbieter entgegenwirkt und einen lebendigeren Wettbewerbsprozess ermöglicht.152

denseintritts zu treffen. Sie sind insoweit weniger auf die Anwendung der ineffizienteren trial and error-Methode angewiesen. Capobianco, CMLR 2004, 1247, 1270 f.; Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 281 ff.; Kühn/Vives, Information Exchanges Among Firms and their Impact on Competition, S. 57 f. Weiterhin können durch einen Informationsaustausch Marktzutritte erleichtert werden, da es ohne den Zugriff auf statistische Erfahrungswerte neuen Marktakteuren kaum möglich sein dürfte, nachhaltige Prämien und Versicherungskonditionen zu entwickeln. Vgl. Capobianco, CMLR 2004, 1247, 1270. 148 Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 319 f. 149 Vgl. Aberle, Ökonomische Bewertung von Transparenz oder Geheimhaltung der Marktdaten als Wettbewerbsparameter, in: FIW, Bewertung und Zulässigkeit von Marktinformationsverfahren, S. 7. 150 Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 275 f. Vgl. Capobianco, CMLR 2004, 1247, 1274 f. 151 Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 315; Karenfort, WuW 2008, 1154, 1156. 152 Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 314 ff.; Kühn/Vives, Information Exchanges Among Firms and their Impact on Competition, S. 92; Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 262. Vgl. Aberle, Ökonomische Bewertung von Transparenz oder Geheimhaltung der Marktdaten als Wettbewerbsparameter, in: FIW, Bewertung und Zulässigkeit von Marktinformationsverfahren, S. 7.

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E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

b) Negative Effekte von Informationsaustausch und erhöhter Markttransparenz Auch wenn sich der Austausch von Informationen in verschiedener Hinsicht positiv auf den Wettbewerbsprozess und das Marktergebnis auswirken kann, ist es nicht ausgeschlossen, dass sich die künstliche Erhöhung der Markttransparenz in bestimmten Fällen nachteilig auswirkt. Negative Wohlfahrtseffekte treten insbesondere dann ein, wenn ein Informationsaustausch Unternehmen erlaubt, auf eine kollusive Praxis einzuschwenken, oder eine solche zumindest wesentlich erleichtert wird.153 Zunächst verwundert es zwar, dass eine künstliche Erhöhung der Markttransparenz negative Wohlfahrtseffekte nach sich ziehen kann, wenn man bedenkt, dass vollständige Markttransparenz eine der Voraussetzungen für das idealtypische Modell des vollkommenen Wettbewerbs ist. Dieser scheinbare Widerspruch kann jedoch damit erklärt werden, dass reale Märkte in aller Regel mehrere der Voraussetzungen des vollkommenen Wettbewerbs nicht erfüllen. So besteht beispielsweise häufig keine atomistische Angebotsstruktur, die angebotenen Güter sind nicht vollkommen homogen und es existieren Marktzutrittsschranken. Ist ein Markt schon aus anderen Gründen nicht vollkommen, so kann sich die künstliche Erhöhung der Markttransparenz in zusätzlichem Maße negativ auf die Wettbewerbssituation auswirken.154 Die künstliche Erhöhung der Markttransparenz kann sich durch die Ermöglichung von kollusiven Praktiken (aa)), Marktabschottungseffekte (bb)) und unter Umständen auch eine bloße Aufweichung des Wettbewerbs (cc)) negativ auf das Marktergebnis auswirken. aa) Ermöglichung von Kollusion Der Austausch von Informationen durch Wettbewerber wirkt sich negativ auf den Wettbewerb aus, wenn er ein kollusives Verhalten der beteiligten Unternehmen nach sich zieht. Aus kartellrechtlicher Perspektive steht dabei die Ermöglichung einer impliziten Kollusion im Vordergrund: Einigen sich Wettbewerber ausdrücklich auf ein kollusives Verhalten, ist offensichtlich, dass eine Kartellabsprache vorliegt. Im Rahmen der Fallgruppe des Informationsaustauschs stellt sich hingegen die Frage, inwiefern der Austausch von Informationen eine implizite Koordinierung des Marktverhaltens ermöglicht.

153

Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 314; Wagner-von Papp, Information Exchange Agreements, S. 4. 154 Aberle, Ökonomische Bewertung von Transparenz oder Geheimhaltung der Marktdaten als Wettbewerbsparameter, in: FIW, Bewertung und Zulässigkeit von Marktinformationsverfahren, S. 2 f.; Tugendreich, Die kartellrechtliche Zulässigkeit von Marktinformationsverfahren, S. 148; Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 49 f.

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

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Aus der Perspektive von Unternehmen bestehen mehrere Hürden für die Organisation einer kollusiven Praxis: Zunächst müssen sich diese auf ein Kollusionsergebnis einigen, das sich für alle Beteiligten als gleichermaßen vorteilhaft erweist. Zudem wird sich die kollusive Praxis nur dann als stabil erweisen, wenn Ausbrüche aus ihr entdeckt und sanktioniert werden.155 Die Stabilität der Kollusion wird daneben durch Unternehmen gefährdet, die dem Markt neu zutreten und den Kollusionspreis156 unterbieten.157 Der Austausch von Informationen zwischen Wettbewerbern begünstigt kollusive Praktiken, da er die Einigung auf ein Kollusionsergebnis (1), die Überwachung von dessen Einhaltung (2) und die Entdeckung von Marktzutritten (3) erheblich erleichtern kann. (1) Erleichterung der Einigung auf ein Kollusionsergebnis Voraussetzung für eine kollusive Praxis ist, dass sich mehrere Wettbewerber auf ein Kollusionsergebnis einigen. Dabei wird sich eine solche Einigung nur dann als stabil erweisen, wenn sie für alle beteiligten Unternehmen gleichermaßen vorteilhaft ist.158 Die implizite Herbeiführung einer Einigung, von der alle Beteiligten gleichermaßen profitieren, wird in erheblichem Maße dadurch erschwert, dass die jeweiligen Unternehmen in aller Regel über heterogene Produkte, unterschiedliche Kostenstrukturen und voneinander abweichende Abnehmerkreise verfügen.159 Der Austausch von Informationen zwischen Wettbewerbern kann es erheblich erleichtern, ohne eine explizite Vereinbarung ein stabiles kollusives Gleichgewicht zu finden, indem die Informationsasymmetrien in Bezug darauf reduziert werden, wie vorteilhaft ein bestimmtes Kollusionsergebnis für die jeweiligen Unternehmen ist.160 Zu diesem Zweck sind Informationen über künftige Preise von größter Bedeutung, da diese Wettbewerber unmittelbar darüber informieren, welcher Preis für ein Unternehmen wünschenswert wäre. Andere Informationen, zum Beispiel Kosten- oder Mengeninformationen,161 erlauben zwar keine derart unmittelbaren Rückschlüsse, 155

Wagner-von Papp, Information Exchange Agreements, S. 6. Vgl. auch Kühn/Vives, Information Exchanges Among Firms and their Impact on Competition, S. 43 ff. 156 Oder sonstige Wettbewerbsparameter, auf die sich Unternehmen im Rahmen der Kollusion geeinigt haben. 157 Vgl. Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 323; Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 66. 158 Kühn/Vives, Information Exchange Among Firms and their Impact on Competition, S. 45. 159 Kühn/Vives, Information Exchange Among Firms and their Impact on Competition, S. 47. 160 Aberle, Ökonomische Bewertung von Transparenz oder Geheimhaltung der Marktdaten als Wettbewerbsparameter, in: FIW, Bewertung und Zulässigkeit von Marktinformationsverfahren, S. 7; Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 320 f.; Capobianco, CMLR 2004, 1247, 1257; Kühn/Vives, Information Exchange Among Firms and their Impact on Competition, S. 47; Wagner-von Papp, Information Exchange Agreements, S. 7. Vgl. Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 66. 161 Vgl. Kühn/Vives, Information Exchange Among Firms and their Impact on Competition, S. 47.

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E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

können die Herbeiführung eines Kollusionsergebnisses aber nichtsdestoweniger erleichtern.162 (2) Überwachung von Abweichungen: Gewährleistung interner Stabilität Ein Kollusionsergebnis wird sich zudem nur dann als stabil erweisen, wenn die beteiligten Unternehmen damit rechnen müssen, dass ein Ausbruch aus der kollusiven Praxis entdeckt und von Wettbewerbern sanktioniert wird. Für die an einer kollusiven Praxis beteiligten Unternehmen bestehen grundsätzlich erhebliche Anreize, aus dieser auszubrechen, indem sie den Kollusionspreis unterbieten. Zwar nimmt das Unternehmen mit dem Wettbewerbsvorstoß eine Reduzierung des Stückgewinns in Kauf. Es kann jedoch mit einer erhebliche Erhöhung der abgesetzten Menge und damit in der Regel auch des Gesamtgewinns rechnen. Die Erhöhung der abgesetzten Menge kommt dabei einerseits durch den Wechsel von Abnehmern zustande, die ihre Nachfrage bislang zum überhöhten Kollusionspreis bei Konkurrenten gedeckt haben. Andererseits werden durch den niedrigeren Preis auch Nachfrager erschlossen, die zum vormals überhöhten Preis noch nicht zum Kauf bereit waren.163 Dieser Anreiz zum Defektieren kann jedoch durch den Umstand aufgehoben werden, dass ein Unternehmen damit rechnen muss, dass seine Mitbewerber den Wettbewerbsvorstoß entdecken und sanktionieren werden. Die Sanktionsmaßnahme wird in der Regel in der Senkung des eigenen Preises seitens der Wettbewerber bestehen. Kommt es zu einer entsprechenden Preissenkung, erlangen die Mitbewerber Marktanteile zurück und das defektierende Unternehmen verliert die durch den Ausbruch erlangten zusätzlichen Marktanteile wieder. Der einzig bleibende positive Effekt des Wettbewerbsvorstoßes ist somit die Erschließung der Kundengruppe, die zum überhöhten Preis noch keine Kaufbereitschaft aufgewiesen hat. Der Preis des Wettbewerbsvorstoßes sind hingegen ein geringerer Stückgewinn und häufig auch ein geringerer Gesamtgewinn. Inwieweit sich ein Wettbewerbsvorstoß lohnt, hängt daher stark davon ab, ob bzw. wie schnell die Wettbewerber den Vorstoß entdecken und auf ihn reagieren können (sog. detection lag), wie lange das defektierende Unternehmen folglich in den Genuss der Nachfragesteigerung kommt.164 Nur wenn nicht mit einer schnellen Entdeckung des Vorstoßes zu rechnen ist, bestehen Anreize, den Kollusionspreis zu unterbieten, um eine Steigerung der Nachfrage und des Gesamtgewinns herbeizuführen.165 Ist hingegen mit einer unmittelbaren Entdeckung zu rechnen, bestehen kaum Anreize, da die Wettbewerber auf den eigenen Preisvorstoß wahrscheinlich ebenfalls mit einer (drastischen) Preissenkung 162

Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 321 f. Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 44 f. 164 Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 44 f. Vgl. auch Aberle, Ökonomische Bewertung von Transparenz oder Geheimhaltung der Marktdaten als Wettbewerbsparameter, in: FIW, Bewertung und Zulässigkeit von Marktinformationsverfahren, S. 5, 7. 165 Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 322 f. 163

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

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reagieren werden.166 Ein Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, der die Markttransparenz erhöht, kann die Entdeckung von Abweichungen erheblich erleichtern und so zur Stabilität von Kollusionsergebnissen beitragen.167 (3) Entdeckung von Marktzutritten: Gewährleistung externer Stabilität Eine Destabilisierung von kollusiven Praktiken droht auch durch den Eintritt neuer Unternehmen in den Markt. Dabei führt das durch die Kollusion überhöhte Preisniveau dazu, dass der Eintritt in den betroffenen Markt besonders attraktiv ist, da der dort herrschende unnötig hohe Preis von neu eintretenden Unternehmen häufig leicht unterboten werden kann. Eine hohe Markttransparenz erleichtert es den an der Verhaltensabstimmung beteiligten Unternehmen, Marktzutritte zu entdecken und geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen.168 Vor allem der Austausch von Umsatzund Absatzdaten ist hierfür in der Regel von großer Bedeutung. Lässt sich ein Absatzrückgang feststellen, der sich nicht in einer Steigerung der Nachfrage bei anderen Kollusionspartnern niederschlägt, ist dies ein Indikator für den Marktzutritt eines neuen Wettbewerbers. bb) Marktabschottung Sofern an einem Informationsaustausch nur ein Teil der Wettbewerber eines Markts beteiligt ist, kann Ersterer eine marktabschottende Wirkung zulasten nicht beteiligter Unternehmen entfalten. Dies ist dann der Fall, wenn sich der fehlende Zugang zu den jeweiligen Informationen als Wettbewerbsnachteil erweist. Hierfür ist es erforderlich, dass die Informationen von großer strategischer Bedeutung sind und einen beträchtlichen Teil des relevanten Markts betreffen.169 cc) Beeinträchtigung des Marktergebnisses ohne Kollusion und Marktabschottung Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwieweit sich die künstliche Verringerung der Markttransparenz auch dann negativ auf den Wettbewerb auswirken kann, wenn sie weder ein kollusives Verhalten noch eine Marktabschottung ermöglicht.170 Ökonomen führen an, dass auch jenseits der Ermöglichung von Kollusion eine künstliche Erhöhung der Markttransparenz den Wettbewerb auf einem Markt 166

S. 46.

Kühn/Vives, Information Exchange Among Firms and their Impact on Competition,

167 Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 322 f.; Capobianco, CMLR 2004, 1247, 1257; Wagnervon Papp, Information Exchange Agreements, S. 7. Dabei kann sich eine relevante Erhöhung der Markttransparenz sowohl aus dem Austausch aktueller als auch historischer Daten ergeben. Vgl. Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 67. 168 Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 323. Vgl. Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 68. 169 Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 324; Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 69 f. 170 Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 324.

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E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

„aufweichen“ kann (non-coordinated theories of harm171).172 Ob derartige Auswirkungen eintreten können, ist jedoch stark von den Umständen des Einzelfalls abhängig173 und lässt sich nur mittels einer anspruchsvollen ökonomische Analyse belegen.174 Eine grundsätzliche Skepsis, die gegenüber der Verringerung der Unsicherheit über das Marktgeschehen in einigen Entscheidungen und mitunter auch der Literatur anklingt, ist angesichts dieses Umstands zwar durchaus nachvollziehbar, darf aber keinesfalls pauschal unterstellt werden.175 Vielmehr muss sich der Rechtsanwender vergegenwärtigen, dass Informationen und Markttransparenz aus ökonomischer Perspektive nicht per se negativ zu bewerten sind, sondern sich sogar äußerst positiv auf den Wettbewerb auswirken können.176 c) Schlussfolgerung für die kartellrechtliche Analyse Die kartellrechtliche Beurteilung von Informationsaustauschvorgängen sollte sich maßgeblich an den geschilderten ökonomischen Erfahrungssätzen orientieren. Dementsprechend sollte die kartellrechtliche Analyse auf dem Grundverständnis aufbauen, dass sich die künstliche Erhöhung der Markttransparenz nicht per se negativ auswirkt, sondern vielmehr sogar positive Wohlfahrtseffekte nach sich ziehen kann. Dass ein Informationsaustauschvorgang gegen das Kartellverbot verstößt, sollte daher nur dann angenommen werden, wenn sich plausibel wettbewerbsbeschränkende Effekte nachweisen lassen. Zu diesem Zweck ist es erforderlich, im jeweiligen Einzelfall eine überzeugende theory of harm177 zu entwickeln, mit der ein Wirkungszusammenhang zwischen dem Informationsaustausch und einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs dargelegt werden kann. Die Horizontalleitlinien der Kommission tragen den ökonomischen Erkenntnissen Rechnung, indem sie die Herbeiführung eines Kollusionsergebnisses und die wettbewerbswidrige Marktverschließung als die grundlegenden kartellrechtlichen

171 Der Ausdruck theory of harm lässt sich am ehesten mit „Schädigungsszenario“ übersetzen. Im Rahmen einer theory of harm wird ein kausaler Zusammenhang zwischen der zu beurteilenden Verhaltensweise sowie einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs und des Marktergebnisses dargelegt. Zur Bedeutung der theory of harm in der Kartellrechtsanwendung siehe Zenger/Walker, Theories of Harm in European Competition Law: A Progress Report, in: Bourgeois/Waelbroeck, Ten years of effects–based approach in EU competition law, S. 185 ff. 172 Vives, Information Sharing and Antitrust, in: Konkurrensverket, The Pros and Cons of Information Sharing, S. 85 ff.; Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 325. 173 Vives, Information Sharing and Antitrust, in: Konkurrensverket, The Pros and Cons of Information Sharing, S. 88; Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 325. 174 Vives, Information Sharing and Antitrust, in: Konkurrensverket, The Pros and Cons of Information Sharing, S. 88; Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 325. 175 Siehe hierzu Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 325. 176 Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 133; Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 325; Capobianco, CMLR 2004, 1247, 1257. 177 Zur Begriffsbedeutung siehe oben Fn. 171.

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

273

Bedenken anführen, die gegen einen Informationsaustausch sprechen können.178 Allerdings weist die Kommission in einer Fußnote ausdrücklich darauf hin, dass diese Aufzählung der wettbewerblichen Bedenken weder abschließend noch erschöpfend ist.179 Welche weiteren theories of harm die Kommission in Betracht zieht, wird nicht deutlich. Denkbar ist, dass sie sich einen Rückgriff auf eine non-coordinated theory of harm offenhalten möchte. In diesem Fall wäre aus ökonomischer Sicht zu fordern, dass sich nachweisen lässt, dass sich der Informationsaustausch trotz der Abwesenheit von Kollusion und Marktverschließung negativ auf das Marktergebnis auswirkt.180 In rechtlicher Hinsicht ist im Einzelfall kritisch zu prüfen, ob tatsächlich eine abgestimmte Verhaltensweise und ein Verstoß gegen das Selbstständigkeitspostulat vorliegt, da die Grundlage einer non-coordinated theory of harm eben gerade kein kollusives Verhalten ist.181 Insgesamt gewährleistet die Zugrundelegung einer theory of harm eine Konzentration auf Fälle, in denen ein Informationsaustausch tatsächlich negative Auswirkungen hat. Die Berücksichtigung ökonomischer Erkenntnisse bei der Beurteilung von Informationsaustauschvorgängen ermöglicht die Vermeidung von Typ-Iund Typ-II-Fehlern182 und entspricht dem more economic approach. Allerdings kann ein auswirkungsbezogener Ansatz Rechtsunsicherheit und erhebliche Transaktionskosten verursachen.183 2. Kartellrechtliche Beurteilung von Informationsaustauschvorgängen Die kartellrechtliche Beurteilung von Informationsaustauschvorgängen ist im Allgemeinen kompliziert und in starkem Maße einzelfallabhängig. Orientierung bieten einerseits die EuGH-Rechtsprechung, insbesondere das jüngere Urteil T-Mobile Netherlands184, und andererseits die Horizontalleitlinien der Kommission.185 Der übergeordnete Maßstab, an dem der EuGH Informationsaustauschvorgänge misst, ist das Selbstständigkeitspostulat (a)). Im Einzelnen kann ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV durch einen Informationsaustausch nur dann angenommen werden, wenn eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise vorliegt (b)), die eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt oder bewirkt (c)). Kein

178

Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 64 ff. Kommission, Horizontalleitlinien, Überschrift Ziff. 64, Fn. 1. 180 Vgl. hierzu Vives, Information Sharing and Antitrust, in: Konkurrensverket, The Pros and Cons of Information Sharing, S. 85 ff. 181 EuGH, 28. 05. 1998, Rs. C-7/95 P, Slg. 1998 I-3111, Ziff. 87. – John Deere. 182 Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 313. 183 Vgl. Bechtold, GRUR 2012, 107, 111; Fine, Antitrust Report 2010, Issue 3, S. 3, 12. 184 EuGH, 04. 06. 2009, Rs. C-8/08, Slg. 2009 I-4529 – T-Mobile Netherlands. 185 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 55 ff. 179

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E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

Verstoß gegen das Kartellverbot liegt in Fällen vor, in denen die Legalausnahme des Art. 101 Abs. 3 AEUV eingreift (d)). a) Das Selbstständigkeitspostulat als übergeordneter Maßstab Zur Beurteilung von Informationsaustauschvorgängen unter dem Kartellverbot stellt der EuGH auf das erstmals in Suiker Unie186 formulierte Selbstständigkeitspostulat ab, nach dem jedes Unternehmen selbstständig zu bestimmen hat, welche Politik es auf dem Gemeinsamen Markt verfolgt.187 Dem Selbstständigkeitspostulat liegt die Überzeugung zugrunde, dass die Autonomie der Marktteilnehmer bei der Festlegung ihres Verhaltens eine Grundvoraussetzung für einen funktionierenden Wettbewerbsprozess ist.188 In Suiker Unie führte der EuGH Folgendes aus: „Die Kriterien der Koordinierung und der Zusammenarbeit […] verlangen nicht die Ausarbeitung eines eigentlichen ,Plans‘; sie sind vielmehr im Sinne des Grundgedankens der Wettbewerbsvorschriften des Vertrages zu verstehen, wonach jeder Unternehmer selbständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem Gemeinsamen Markt zu betreiben gedenkt […]. Es ist zwar richtig, daß dieses Selbsta¨ ndigkeitspostulat nicht das Recht der Unternehmen beseitigt, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Mitbewerber mit wachem Sinn anzupassen; es steht jedoch streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fu¨ hlungnahme zwischen Unternehmen entgegen, die bezweckt oder bewirkt, entweder das Marktverhalten eines gegenwa¨ rtigen oder potentiellen Mitbewerbers zu beeinflussen oder einen solchen Mitbewerber u¨ ber das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwa¨ gung zieht.“189

In John Deere wendete der EuGH das Selbstständigkeitspostulat erstmals auf die Fallgruppe des Informationsaustauschs an und stellte dabei maßgeblich darauf ab, ob anormale Marktbedingungen entstehen.190 Jüngstes Beispiel für die Anwendung des Selbstständigkeitspostulats auf Informationsaustauschvorgänge ist das Urteil T-Mobile Netherlands, in dem der EuGH kumulativ auf die Beeinflussung oder Offenlegung des Marktverhaltens (entsprechend Suiker Unie) und das Entstehen anormaler Marktbedingungen (entsprechend John Deere) abstellt: „Was […] den Austausch von Informationen zwischen Wettbewerbern betrifft, sind die Kriterien der Koordinierung und der Zusammenarbeit, die Voraussetzungen für aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen sind, im Sinne des Grundgedankens der Wettbewerbsvor186

EuGH, 16. 12. 1975, Rs. C-40/73, Slg. 1975, 1663, Ziff. 173/174 – Suiker Unie EuGH, 04. 06. 2009, Rs. C-8/08, Slg. 2009 I-4529 – T-Mobile Netherlands. 188 Schlussanträge GA Kokott, 19. 02. 2009, Rs. C-8/08, Ziff. 52 – T-Mobile Netherlands. 189 EuGH, 16. 12. 1975, Rs. C-40/73, Slg. 1975, 1663, Ziff. 173/174 – Suiker Unie. 190 „[…] [Das Selbstständigkeitspostulat] steht jedoch streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen entgegen, die bezweckt oder bewirkt, daß Wettbewerbsbedingungen entstehen, die im Hinblick auf die Art der Waren oder erbrachten Dienstleistungen, die Bedeutung und Zahl der beteiligten Unternehmen sowie den Umfang des in Betracht kommenden Marktes nicht den normalen Bedingungen dieses Marktes entsprechen.“ EuGH, 27. 10. 1994, Rs. C-7/95 P, Ziff. 87 – John Deere. 187

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

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schriften des EG-Vertrags zu verstehen, wonach jeder Unternehmer selbständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem Gemeinsamen Markt betreiben will […]. Zwar nimmt dieses Selbständigkeitspostulat den Unternehmen nicht das Recht, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Mitbewerber mit wachem Sinn anzupassen; es steht jedoch streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen entgegen, die geeignet ist, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potenziellen Mitbewerbers zu beeinflussen oder einen solchen Mitbewerber über das Verhalten ins Bild zu setzen, das man selbst auf dem betreffenden Markt an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwägung zieht, wenn diese Kontakte bezwecken oder bewirken, dass Wettbewerbsbedingungen entstehen, die im Hinblick auf die Art der Waren oder erbrachten Dienstleistungen, die Bedeutung und Zahl der beteiligten Unternehmen sowie den Umfang des in Betracht kommenden Marktes nicht den normalen Bedingungen dieses Marktes entsprechen.“191

Die Kommission stellt in den Horizontalleitlinien ebenfalls auf das Selbstständigkeitspostulat ab, betrachtet aber die Beeinflussung oder Offenlegung eines Marktverhaltens und die Entstehung anormaler Marktbedingungen nicht als kumulative, sondern alternative Voraussetzungen.192 Aufgrund des programmatischen Charakters des Selbstständigkeitspostulats ist jedoch zu bezweifeln, dass die diesbezügliche Diskrepanz zwischen T-Mobile Netherlands und den Horizontalleitlinien in der Praxis zu abweichenden Ergebnissen führt. Die Kommission schlussfolgert, dass der Informationsaustausch eine abgestimmte Verhaltensweise darstellen kann, wenn er die strategische Ungewissheit auf dem Markt verringert und dadurch die Kollusion erleichtert. Der Austausch strategischer Daten komme einer Abstimmung gleich, weil er die Unabhängigkeit des Verhaltens der Wettbewerber auf dem Markt verringert und Wettbewerbsanreize mindert.193 b) Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise Ein Informationsaustausch verstößt nur dann gegen das Kartellverbot, wenn er eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise begründet oder Teil von ihr ist.194 aa) Bezugspunkt Zunächst stellt sich die Frage, welchen Bezugspunkt das Tatbestandsmerkmal der Verhaltensabstimmung bei einem Informationsaustausch hat. Besonders einfach ließe sich das Kartellverbot auf Informationsaustauschvorgänge anwenden, wenn es 191 EuGH, 04. 06. 2009, Rs. C-8/08, Slg. 2009 I-4529, Ziff. 32 f. – T-Mobile Netherlands. Vgl. EuGH, 16. 12. 1975, Rs. C-40/73, Slg. 1975, 1663, Ziff. 174 – Suiker Unie; EuGH, 14. 07. 1981, Rs. C-172/80, Slg. 1981, 2021, Ziff. 14 – Züchner; EuGH, 28. 05. 1998, Rs. C-7/95 P, Slg. 1998 I-3111, Ziff. 87 – John Deere. 192 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 60 a.E. und 61. 193 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 61. 194 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 60.

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E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

allein darauf ankäme, ob der Informationsaustausch selbst auf eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise zurückzuführen ist. Dies kann unter dem Kartellverbot jedoch nicht maßgeblich sein, da sich eine Verhaltensabstimmung im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf ein Marktverhalten beziehen muss.195 In dem Informationsaustausch ist daher nicht der Gegenstand der Verhaltensabstimmung zu sehen. Er kann vielmehr lediglich ein Mittel sein, um ein Marktverhalten abzustimmen.196 Bei der kartellrechtlichen Beurteilung von Informationsaustauschvorgängen ist daher maßgeblich, ob der Austausch von Informationen eine Abstimmung des Marktverhaltens ermöglicht. bb) Maßstab Im Rahmen der Prüfung, ob der Informationsaustausch eine abgestimmte Verhaltensweise auf dem Markt begründet oder Teil von ihr ist,197 ist vornehmlich zu untersuchen, ob der Informationsaustausch eine implizite Koordinierung der Marktteilnehmer ermöglicht.198 Als Maßstab ist das Selbstständigkeitspostulat zugrunde zu legen und zu fragen, ob die beteiligten Unternehmen ihr Wettbewerbsverhalten aufgrund des Informationsaustauschs nicht mehr autonom festlegen.199 Dabei kommt der Austausch strategischer Daten zwischen Wettbewerbern nach den Horizontalleitlinien einer Abstimmung gleich, sofern er die Unabhängigkeit des Verhaltens auf dem Markt reduziert und Wettbewerbsanreize vermindert.200 Um zu beurteilen, ob derartige Effekte eintreten können, kommt es maßgeblich auf die Eigenschaften der Informationen und deren Auswirkungen auf den Wettbewerbs195 EuGH, 04. 06. 2009, Rs. C-8/08, Slg. 2009 I-4529, Ziff. 51 – T-Mobile Netherlands; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Gippini-Fournier/Mojzesowicz, Art. 81 Abs. 1 EGV, Rdnr. 78; Schroeder, WuW 2009, 718 mit Verweis auf EuGH, 15. 07. 1970, Rs. 45/69, Slg. 1970, 769, Ziff. 28 – Boehringer Mannheim. Vgl. Immenga/Mestmäcker-Emmerich, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rdnr. 55. Unzutreffend insoweit daher Holzwarth, Das Vollzugsverbot als Bestandteil eines effizienten Fusionskontrollverfahrens, S. 218, der auf die Vereinbarung eines Informationsaustauschs abstellt. 196 Dreher/Hoffmann, WuW 2011, 1181, 1184; FK-Rahlmeyer, Fallgruppen Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV, II. 6. Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, Rdnr. 5; Schroeder, WuW 2009, 718. Emmerich bezeichnet den Informationsaustausch sogar als das nach bisheriger Erfahrung wichtigste Mittel der Verhaltensabstimmung. Immenga/Mestmäcker-Emmerich, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rdnr. 89. 197 Vgl. Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 60. 198 Das Vorliegen einer ausdrücklichen Vereinbarung über das Marktverhalten wird man bei Informationsaustauschvorgängen in der Regel nicht annehmen können. Vielmehr wird es meist darauf ankommen, ob eine abgestimmte Verhaltensweise vorliegt, vgl. FK-Rahlmeyer, Fallgruppen Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV, II. 6. Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, Rdnr. 7. 199 EuGH, 16. 12. 1975, Rs. C-40/73, Slg. 1975, 1663, Ziff. 173/174 – Suiker Unie; EuGH, 28. 05. 1998, Rs. C-7/95 P, Slg. 1998 I-3111, Ziff. 87 – John Deere. Siehe hierzu oben S. 274 ff. Vgl. Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 61. 200 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 61.

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

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prozess an.201 Im Rahmen der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzung der Verhaltensabstimmung ist somit bereits eine Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des Informationsaustauschs erforderlich, obwohl derartige Auswirkungen üblicherweise erst im Rahmen des Tatbestandsmerkmals der Wettbewerbsbeschränkung untersucht werden. Lediglich in Fällen, in denen eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt wird, das heißt insbesondere dann, wenn ein Austausch über das künftige Preis- oder Mengenverhalten erfolgt,202 kann schon die Vereinbarung des Informationsaustauschs ausreichen, um anzunehmen, dass eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise vorliegt. Dies ist einerseits damit zu begründen, dass es im Rahmen von bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen nicht auf die Auswirkungen einer Verhaltensweise im Einzelfall ankommt. Eine detaillierte Würdigung der Auswirkungen auf den Wettbewerbsprozess ist daher gerade nicht erforderlich.203 Andererseits liegt bei der Vereinbarung eines Informationsaustauschs mit der Qualität einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung bereits ein hinreichender Bezug zum Marktverhalten vor, da ein solcher Informationsaustausch in aller Regel eindeutig darauf ausgerichtet ist, ein Kollusionsergebnis herbeizuführen.204 cc) Einseitige Verhaltensweisen Einseitige Verhaltensweisen erfüllen den Tatbestand des Kartellverbots nicht. Von einer Einseitigkeit kann jedoch nicht schon dann ausgegangen werden, wenn Informationen lediglich in eine Richtung übermittelt werden. Die Kommission führt in den Horizontalleitlinien vielmehr zutreffend aus, dass eine abgestimmte Verhaltensweise auch in dem Fall anzunehmen sein kann, dass ein Unternehmen strategische Informationen offenlegt und ein anderes diese akzeptiert.205 Es erscheint zwar auf den ersten Blick fragwürdig, dies für einen Kartellverstoß ausreichen zu lassen. Der Standpunkt der Kommission wird jedoch nachvollziehbar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass nicht der Informationsaustausch, sondern vielmehr ein nachgelagertes Marktverhalten Gegenstand der Verhaltensabstimmung ist. Auch 201 So führt die Kommission in den Horizontalleitlinien wie folgt aus: „Der Informationsaustausch kann somit eine abgestimmte Verhaltensweise darstellen, wenn er die strategische Ungewissheit auf dem Markt verringert und – wenn die ausgetauschten Daten strategisch relevant sind – damit die Kollusion erleichtert.“ Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 61. 202 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 73. 203 Vielmehr wird die Vereinbarung eines solchen Informationsaustauschs schon wegen seiner wettbewerbswidrigen Natur als unzulässig betrachtet. EuGH, 04. 06. 2009, Rs. C-8/08, Slg. 2009 I-4529, Ziff. 29, 30 – T-Mobile Netherlands; Schlussanträge GA Kokott, 19. 02. 2009, Rs. C-8/08, Ziff. 42 – 49 – T-Mobile Netherlands. 204 Vgl. Schlussanträge GA Kokott, 19. 02. 2009, Rs. C-8/08, Ziff. 46 – T-Mobile Netherlands. 205 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 62. FK-Rahlmeyer, Fallgruppen Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV, II. 6. Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, Rdnr. 8; Lorenz, WM 2012, 1113, 1115 f. Kritisch Dreher/Hoffmann, WuW 2011, 1181, 1185 f.

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E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

durch die einseitige Offenlegung von strategischen Informationen kann sich die Ungewissheit über das künftige Marktgeschehen verringern, sodass der Wettbewerb aufgeweicht und kollusives Verhalten ermöglicht wird.206 Ein solches Ergebnis ist jedenfalls dann möglich, wenn Informationen mit besonders hoher strategischer Relevanz übermittelt werden. Ganz in diesem Sinne bezieht sich die Kommission in ihren Ausführungen zur einseitigen Offenlegung von Informationen auch allein auf Informationen über das „beabsichtigte Marktverhalten“ bzw. die „künftige Geschäftspolitik“.207 Nicht vom Kartellverbot erfasst wird die einseitige Offenlegung von Informationen hingegen in dem Fall, dass der Empfänger ausdrücklich erklärt, dass er die Daten nicht erhalten möchte,208 oder wenn die Offenlegung tatsächlich öffentlich erfolgt.209 c) Wettbewerbsbeschränkung Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV setzt weiterhin voraus, dass eine Beschränkung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt wird. Bei der Beurteilung eines Informationsaustauschs zwischen Wettbewerbern ist zunächst zu prüfen, ob eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt wird (aa)). Ist dies zu verneinen, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob zumindest eine bewirkte Wettbewerbsbeschränkung vorliegt (bb)). Der Austausch von Informationen in nichthorizontalen Konstellationen bietet im Allgemeinen weniger Anlass zu Bedenken (cc)). aa) Bezweckte Wettbewerbsbeschränkung Eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung ist dann anzunehmen, wenn ein Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern aufgrund seines Inhalts und Zwecks sowie unter Berücksichtigung des rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs seinem Wesen nach geeignet ist, zu einer Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Markts zu führen.210 Die Kommission nimmt eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung an, wenn ein Informationsaustausch eine Wettbewerbsbeschränkung zum Ziel hat.211 Die Funktion der Tatbestandsalternative der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung arbeitet Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen in T-Mobile Netherlands anschaulich heraus: 206 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 62. Vgl. Dreher/Hoffmann, WuW 2011, 1181, 1185 ff.; Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 255 f. 207 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 62. 208 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 62 a.E. 209 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 63. Siehe hierzu Dreher/Hoffmann, WuW 2011, 1181, 1187. 210 EuGH, 04. 06. 2009, Rs. C-8/08, Slg. 2009 I-4529, Ziff. 43 – T-Mobile Netherlands. Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 24 f., 72 ff. Vgl. Dreher/Hoffmann, WuW 2011, 1181, 1189 f. 211 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 72.

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

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Das Verbot von Verhaltensweisen allein wegen ihres wettbewerbswidrigen Zwecks und ohne die Prüfung der jeweiligen Auswirkungen sei dadurch gerechtfertigt, dass bestimmte Formen von Kollusion zwischen Unternehmen schon ihrer Natur nach als schädlich für das Funktionieren des Wettbewerbs angesehen werden können. Die Per-se-Untersagung solcher Verhaltensweisen schafft Rechtssicherheit, ermöglicht es Marktteilnehmern, ihr Verhalten entsprechend auszurichten, und schont die Ressourcen von Wettbewerbsbehörden und Gerichten.212 Entsprechend kann die Annahme einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung durch Informationsaustauschvorgänge nur dann in Betracht kommen, wenn besonders wettbewerbsrelevante Informationen ausgetauscht werden, die den Wettbewerbsprozess zweifelsohne beeinträchtigen. (1) Künftiges Preisverhalten Ein wettbewerbsbeschränkender Zweck ist zum einen in Fällen anzunehmen, in denen unternehmensspezifische Daten über das künftige Preisverhalten ausgetauscht werden. Aufgrund der besonderen Bedeutung des Wettbewerbsparameters „Preis“ besteht beim Austausch von Informationen über das künftige Preisverhalten ein besonders hohes Risiko, dass ein kollusives Verhalten ermöglicht wird. Entsprechend nimmt die Kommission laut den Horizontalleitlinien bei einem Informationsaustausch über das künftige Preisverhalten eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung an.213 (2) Künftiges Mengenverhalten Daneben wird von der Kommission ein Informationsaustausch über das künftige Mengenverhalten als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung bewertet. Die Kommission fasst unter das künftige Mengenverhalten beispielsweise Informationen zu Verkaufs- und Marktanteilszielen, künftigen Geschäftsgebieten oder Verkäufen an bestimmte Kundenkreise.214 In der Literatur werden unter die Fallgruppe des künftigen Mengenverhaltens ferner Entscheidungen über Investitionsvorhaben, Kapazitätserweiterungen sowie die Absicht, sich an einer Ausschreibung zu beteiligen, gefasst.215 All diese Informationen zeichnen sich durch eine hohe Relevanz für die Ermöglichung einer Kollusion aus.

212

Schlussanträge GA Kokott, 19. 02. 2009, Rs. C-8/08, Ziff. 43 – T-Mobile Netherlands. Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 73, 74. Dreher/Hoffmann, WuW 2011, 1181, 1190; FK-Rahlmeyer, Fallgruppen Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV, II. 6. Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, Rdnr. 24. 214 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 73, Fn. 3. Vgl. Dreher/Hoffmann, WuW 2011, 1181, 1190. 215 FK-Rahlmeyer, Fallgruppen Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV, II. 6. Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, Rdnr. 25. 213

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E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

(3) Informationsaustausch im Rahmen von weitergehenden Absprachen Ferner kann ein Informationsaustausch in die Kategorie der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung fallen, wenn er Teil einer weitergehenden Absprache ist. Dies ist bei einem Informationsaustausch der Fall, der zur Überwachung einer ausdrücklichen Kartellabsprache dient. Der Informationsaustausch muss dann im Kontext der weitergehenden Absprache beurteilt werden. Bezweckt diese eine Wettbewerbsbeschränkung, so bezweckt auch der Informationsaustausch als integraler Bestandteil dieser Absprache eine Wettbewerbsbeschränkung.216 bb) Bewirkte Wettbewerbsbeschränkung Anders als bei der Tatbestandsalternative des Bezweckens erfolgt im Rahmen der Prüfung der bewirkten Wettbewerbsbeschränkung keine typisierende Betrachtung des wettbewerbsbeschränkenden Potenzials eines Informationsaustauschs. Vielmehr ist eine differenzierte Einzelfallbetrachtung vorzunehmen, in deren Rahmen zu prüfen ist, welche Auswirkungen der Informationsaustausch durch Wettbewerber auf den Wettbewerbsprozess und das Marktergebnis voraussichtlich hat. Dabei ist die Wettbewerbssituation nach dem Informationsaustausch der Wettbewerbssituation gegenüberzustellen, die ohne den Informationsaustausch bestanden hätte (counterfactual).217 Wenn dieser Vergleich ergibt, dass der untersuchte Austausch von Informationen spürbare negative Auswirkungen auf einen Wettbewerbsparameter wie Preis, Produktionsmenge, Produktqualität, Produktvielfalt oder Innovation hat, kann eine bewirkte Wettbewerbsbeschränkung angenommen werden.218 Für die Annahme einer bewirkten Wettbewerbsbeschränkung muss dementsprechend eine tragfähige theory of harm entwickelt werden, die aufbauend auf ökonomischen Erkenntnissen darlegt, dass sich der Informationsaustausch negativ auf das Marktergebnis auswirkt. Der Ansatzpunkt der theory of harm wird dabei in aller Regel der sein, dass der Informationsaustausch ein kollusives Verhalten auf dem Markt ermöglicht. Bei der Analyse der voraussichtlichen Auswirkungen eines Informationsaustauschs stellen sowohl der EuGH219 als auch die Kommission220 auf verschiedene Umstände ab, die für die Auswirkungen eines Informationsaustauschs auf den 216

Kommission, 07. 06. 2000, 2001/418/EG, ABl. EG 2001 Nr. L 152/24, Ziff. 229 – Aminosäuren. FK-Rahlmeyer, Fallgruppen Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV, II. 6. Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, Rdnr. 23; Gehring, in: Mäger, Europäisches Kartellrecht, 3. Kapitel, Rdnr. 21; Langen/Bunte-Braun, Art. 101 AEUV Fallgruppen, Ziff. 126. Vgl. Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 73. 217 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 75. 218 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 75. Vgl. Dreher/Hoffmann, WuW 2011, 1181, 1190 f. 219 EuGH, 28. 05. 1998, Rs. C-7/95 P, Slg. 1998 I-3111, Ziff. 88 f. – John Deere; EuGH, 02. 10. 2003, C-194/99 P, Slg. 2003 I-10821, Ziff. 84 ff. – Thyssen Stahl; EuGH, 23. 11. 2006, Rs. C-238/05, Slg. 2006 I-11125, Ziff. 57 ff. – Asnef-Equifax. 220 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 76 ff.

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

281

Wettbewerb von Bedeutung sind. Mittels dieser sogenannten Faktorenanalyse221 lässt sich feststellen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Informationsaustausch ein kollusives Verhalten ermöglicht. Das Vorliegen einzelner Faktoren führt dabei genauso wenig zur zwingenden Annahme der Unzulässigkeit eines Informationsaustauschs, wie das Fehlen einzelner Faktoren zu seiner Zulässigkeit führt. Maßgeblich ist vielmehr eine wertende Gesamtbetrachtung aller Faktoren.222 Die zur Beurteilung eines Informationsaustauschs herangezogenen Faktoren betreffen zum einen die Eigenschaften des betroffenen Markts (1) und zum anderen die Eigenschaften der ausgetauschten Informationen (2). (1) Eigenschaften des betroffenen Markts Die Eigenschaften und die Struktur des Markts, der vom Informationsaustausch betroffen ist, haben großen Einfluss darauf, ob Letzterer eine Einschränkung des Wettbewerbs nach sich ziehen kann. Während der Austausch von bestimmten Informationen auf einem Markt keine wettbewerblichen Probleme verursacht, kann der Austausch derselben Informationen auf einem anderen Markt gravierende Einschränkungen des Wettbewerbs nach sich ziehen. Die Beurteilung eines Informationsaustauschs erfordert daher, die Charakteristika des betroffenen Markts zu berücksichtigen. Die Kommission nennt in den Horizontalleitlinien die Markttransparenz, die oligopolistische Prägung eines Markts, die Komplexität eines Markts, die Stabilität von Angebots- und Nachfragebedingungen, die Symmetrie der Marktstrukturen, die Bedeutung von kurzfristigen Gewinnen, die Wettbewerbern zur Verfügung stehenden Vergeltungsmaßnahmen und die Marktabdeckung der beteiligten Unternehmen als Faktoren, die bei der Beurteilung eines Informationsaustauschs berücksichtigt werden müssen.223 Darüber hinaus ist die Macht der Marktgegenseite in die Analyse einzubeziehen. (a) Markttransparenz Ist ein Markt ohnehin schon sehr transparent, kann dies die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass durch den Informationsaustausch die Einigung auf ein Kollusionsergebnis ermöglicht wird. Zudem kann eine ohnehin hohe Markttransparenz die innere und äußere Stabilität eines Kollusionsergebnisses erhöhen. Im Rahmen der Beurteilung muss einerseits berücksichtigt werden, welcher Transparenzgrad auf dem Markt vor dem Informationsaustausch herrscht, und andererseits, welcher Transparenzgrad durch den Informationsaustausch herbeigeführt wird. Dabei ist darauf abzustellen, inwieweit aus den verfügbaren Informationen Rückschlüsse auf die Handlungen von Wettbewerbern gezogen werden können.224

221 222 223 224

Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 182 ff. Vgl. Wagner-von Papp, Information Exchange Agreements, S. 21 f. Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 77 ff. Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 78. Vgl. Capobianco, CMLR 2004, 1247, 1268.

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E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

(b) Oligopolistische Prägung Ist der vom Informationsaustausch betroffene Markt oligopolistisch geprägt, erhöht dies die kartellrechtlichen Bedenken gegen einen Informationsaustausch erheblich.225 Auf oligopolistischen Märkten besteht auch ohne den Austausch von Informationen bereits eine Tendenz zur Reaktionsverbundenheit.226 Ein Informationsaustausch kann die Wahrscheinlichkeit eines kollusiven Verhaltens noch erheblich steigern. Die Wahrscheinlichkeit von wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen steigt, je enger ein Oligopol ist, und sinkt, je fragmentierter ein Markt ist. Je weniger Unternehmen auf einem Markt aktiv sind, desto leichter können sie sich auf die Modalitäten einer Kollusion einigen und Abweichungen überwachen. Zudem kann auf oligopolistischen Märkten aus Abweichungen ein geringerer Nutzen gezogen werden als auf Märkten mit mehr Unternehmen, sodass sich kollusive Praktiken als stabiler erweisen. Auch ist der Nutzen einer Kollusion höher, da der Anteil am Ertrag des Kollusionsergebnisses größer ist. Daher wirkt sich ein Informationsaustausch nach Auffassung der Kommission in engen Oligopolen stärker wettbewerbsbeschränkend aus als in weniger engen Oligopolen und erst recht als in fragmentierten Märkten.227 Liegt ein stark fragmentierter Markt vor, müssen die Kartellbehörden hingegen überzeugend darlegen, warum der Informationsaustausch trotz der geringen Marktkonzentration kollusives Verhalten ermöglichen kann, um ihrer Beweispflicht gerecht zu werden.228 (c) Komplexität Auf Märkten mit einem hohen Komplexitätsgrad ist es unwahrscheinlicher, dass ein Informationsaustausch ein Kollusionsergebnis herbeiführt, als auf Märkten mit einem geringen Komplexitätsgrad. Die Komplexität eines Markts wird maßgeblich von den Produkten bestimmt, die auf diesem gehandelt werden.229 Eine geringe Komplexität besteht auf Märkten, auf denen sehr homogene Güter gehandelt werden (z. B. Rohöl). Eine hohe Komplexität liegt hingegen vor, wenn sehr heterogene Güter (z. B. Kraftfahrzeuge) gehandelt werden. Daneben hängt die Komplexität von den Abnehmer- und Zuliefererstrukturen eines Markts ab. Ein Markt mit lediglich einer Abnehmergruppe ist deutlich weniger komplex als Märkte mit vielen verschiedenen 225 EuGH, 28. 05. 1998, Rs. C-7/95 P, Slg. 1998 I-3111, Ziff. 88 f. – John Deere; EuGH, 02. 10. 2003, C-194/99 P, Slg. 2003 I-10821, Ziff. 84, 86 – Thyssen Stahl. Vgl. EuGH, 04. 06. 2009, Rs. C-8/08, Slg. 2009 I-4529, Ziff. 34 – T-Mobile Netherlands. Vgl. Aberle, Ökonomische Bewertung von Transparenz oder Geheimhaltung der Marktdaten als Wettbewerbsparameter, in: FIW, Bewertung und Zulässigkeit von Marktinformationsverfahren, S. 7 f. 226 Vgl. Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 2 FKVO, Rdnr. 440. 227 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 79. Capobianco, CMLR 2004, 1247, 1265 ff.; Karenfort, WuW 2008, 1154, 1161 f. 228 Capobianco, CMLR 2004, 1247, 1267. 229 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 80. Vgl. Capobianco, CMLR 2004, 1247, 1267 f.; Karenfort, WuW 2008, 1154, 1162 f.; Vollmer, Die kartellrechtliche Bewertung von Marktinformationsverfahren, in: Geiss/Gerstenmaier/Winkler/Mailänder, FS Mailänder, S. 219 ff.; Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 213 f.

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

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Abnehmergruppen. Märkte, in denen die Akteure nur auf die Zulieferung eines Rohstoffs angewiesen sind, sind weniger komplex als Märkte, in denen die Akteure auf die Zulieferung verschiedener Rohstoffe oder Vorprodukte angewiesen sind. Da das Marktverhalten auf weniger komplexen Märkten von weniger Variablen abhängt als auf komplexeren Märkten, ist die Gefahr auf Ersteren größer, dass ein Informationsaustausch die Einigung auf ein Kollusionsergebnis ermöglicht. Die Kommission weist jedoch darauf hin, dass Informationen auf komplexen Märkten gerade zu dem Zweck ausgetauscht werden können, sich trotz der Komplexität auf ein Kollusionsergebnis einigen zu können.230 (d) Stabilität der Angebots- und Nachfragebedingungen Die Kommission führt ferner die Stabilität der Angebots- und Nachfragebedingungen als Faktor an, der zur Beurteilung der Auswirkungen eines Informationsaustauschs von Bedeutung sein kann.231 Auf instabilen Märkten ist es für Unternehmen schwerer, herauszufinden, ob ein Absatzrückgang auf den kollusionswidrigen Vorstoß eines Wettbewerbers oder lediglich auf eine insgesamt rückläufige Nachfrage zurückzuführen ist. Dementsprechend ist es auf instabilen Märkten schwieriger, die Stabilität einer kollusiven Praxis zu gewährleisten. Faktoren, welche die Stabilität der Angebots- und Nachfragebedingungen auf einem Markt beeinflussen, sind eine stark schwankende Nachfrage, ein starkes inneres Wachstum der Marktteilnehmer, häufige Marktzutritte und eine große Bedeutung von Innovationen. Marktzutrittsschranken beeinträchtigen die Stabilität eines Markts signifikant. Bestehen hohe Marktzutrittsschranken, müssen die beteiligten Unternehmen nicht damit rechnen, dass ihr Kollusionsergebnis durch neu in den Markt eintretende Unternehmen angegriffen wird. Ein Kollusionsergebnis wird sich daher als stabiler erweisen (sog. externe Stabilität). Sind die Kosten eines Marktzutritts hingegen gering, übt dies eine disziplinierende Wirkung auf die am Informationsaustausch beteiligten Unternehmen aus.232 (e) Symmetrische Marktstrukturen Symmetrische Marktstrukturen liegen dann vor, wenn sich die auf dem Markt tätigen Unternehmen insbesondere im Hinblick auf Kosten, Nachfrage, Marktanteile, Kapazitäten und die angebotene Produktpalette ähnlich sind. Symmetrische Marktstrukturen machen es wahrscheinlicher, dass sich ein Informationsaustausch wettbewerbsbeschränkend auswirkt, da sich die Marktakteure bei hoher Symmetrie in einer vergleichbaren Situation befinden und gleichlaufende Anreize für die Festlegung ihres künftigen Verhaltens haben, wodurch die Wahrscheinlichkeit steigt,

230

Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 80. Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 81. 232 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 81. Capobianco, CMLR 2004, 1247, 1268; Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 204 ff. Siehe oben S. 271. 231

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E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

dass es zu einer kollusiven Praxis kommt.233 Allerdings betont die Kommission zugleich, dass ein Informationsaustausch auch in asymmetrischen Märkten ein Kollusionsergebnis ermöglichen kann, indem er den Unternehmen verdeutlicht, welche Unterschiede bestehen und wie trotz dieser ein kollusives Verhalten aufgenommen werden kann.234 (f) Bedeutung kurzfristiger Gewinne Es ist unwahrscheinlicher, dass ein Informationsaustausch eine kollusive Praxis ermöglicht, wenn die betroffenen Unternehmen kurzfristigen Gewinnen, die durch Preisunterbietungen erzielt werden können, eine größere Bedeutung zumessen als künftigen Gewinnen, die durch ein kollusives Verhalten erzielt werden können. So wird es durch eine große Bedeutung kurzfristiger Gewinne einerseits unwahrscheinlicher, dass sich die Unternehmen überhaupt auf ein Kollusionsergebnis einigen können.235 Andererseits wird die interne Stabilität der Kollusionsergebnisse geringer sein, da Wettbewerbsvorstößen eine große Bedeutung zukommt.236 Die Kommission weist ferner darauf hin, dass ein Informationsaustausch mit höherer Wahrscheinlichkeit ein Kollusionsergebnis nach sich zieht, wenn mehrere Unternehmen langfristig auf demselben Markt tätig sind. Andernfalls wird kurzfristigen Gewinnen eine größere Bedeutung zugemessen, da sich die Unternehmen nicht langfristig gegenüberstehen.237 (g) Möglichkeit von Vergeltungsmaßnahmen Die Wahrscheinlichkeit, mit der sich ein Informationsaustausch wettbewerbsbeschränkend auswirkt, hängt ferner davon ab, ob ausreichend abschreckende Sanktionsmechanismen für den Fall zur Verfügung stehen, dass ein Unternehmen vom Kollusionsergebnis abweicht. Bestehen auf einem Markt kaum abschreckende Vergeltungsmöglichkeiten, so ist es von vornherein unwahrscheinlicher, dass es überhaupt zu einer Kollusion kommt beziehungsweise dass eine solche Bestand hat. Vergeltungsmaßnahmen stehen auf Märkten, die von Großaufträgen geprägt sind, nur eingeschränkt zur Verfügung, da auf solchen Märkten der Nutzen einer Abweichung von der Kollusion typischerweise sehr groß ist, wohingegen die durch Vergeltungsmaßnahmen der Wettbewerber drohenden Nachteile ungewiss und gering sind.238

233

Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 82. Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 82. Vgl. Capobianco, CMLR 2004, 1247, 1268; Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 206 ff. 235 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 83. 236 Vgl. oben S. 270 f. 237 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 84. 238 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 85. Siehe zum Aspekt der internen Stabilität einer kollusiven Praxis oben S. 270 f. 234

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

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(h) Marktabdeckung Als Marktabdeckung wird der kombinierte Marktanteil der an einem Informationsaustausch beteiligten Unternehmen bezeichnet. Sofern die beteiligten Unternehmen nur über eine geringe Marktabdeckung verfügen, ist es unwahrscheinlich, dass der Informationsaustausch wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen nach sich zieht, da die nicht an dem Informationsaustausch beteiligten Unternehmen eine disziplinierende Wirkung auf die beteiligten Unternehmen ausüben. Es wäre fernliegend, anzunehmen, dass Unternehmen mit einer geringen Marktabdeckung ein Kollusionsergebnis durchsetzen können, wenn ein Großteil des Markts nicht an dieser Kollusion beteiligt ist und daher die Waren zu günstigeren Bedingungen anbietet.239 Ab welchem Grad der Marktabdeckung es wahrscheinlich ist, dass sich ein Informationsaustausch wettbewerbsbeschränkend auswirkt, lässt sich nach Ansicht der Kommission nicht abstrakt festlegen. Vielmehr komme es auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Sofern der Informationsaustausch jedoch im Zusammenhang mit einer anderen horizontalen Vereinbarung erfolgt und dieser nicht über das zur Umsetzung der Vereinbarung erforderliche Maß hinausgeht, kann jedoch auf die Marktanteilsschwellen abgestellt werden, welche die Horizontalleitlinien, die entsprechende Gruppenfreistellungsverordnung oder die De-minimis-Bekanntmachung für die jeweilige Kategorie von Vereinbarungen vorsieht. Die nach den genannten Quellen maßgeblichen Marktanteilsschwellen bewegen sich zwischen 10 Prozent240 und 25 Prozent241. Werden die einschlägigen Marktanteilsschwellen von den beteiligten Unternehmen insgesamt nicht überschritten, hat der Informationsaustausch in der Regel keine wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen.242 (i) Macht der Marktgegenseite Ein weiterer Faktor, der die wettbewerblichen Auswirkungen eines Informationsaustauschs beeinflussen kann, der allerdings von der Kommission in den Horizontalleitlinien nicht angeführt wird, ist die Macht der Marktgegenseite.243 Verfügen die jeweiligen Abnehmer oder Lieferanten über eine starke Verhandlungsposition, so kann von diesen Unternehmen eine disziplinierende Wirkung ausgehen, die es unwahrscheinlicher macht, dass ein Informationsaustausch ein kollusives Verhalten ermöglicht. Eine starke Verhandlungsposition der Marktgegenseite besteht insbe239

Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 87. Kommission, De minimis-Bekanntmachung, Ziff. 7 lit. a. 241 Artikel 4 der Verordnung Nr. 1217/2010 der Kommission über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung ABl. EU 2010 Nr. L 335/36. 242 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 88. Vgl. FK-Rahlmeyer, Fallgruppen Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV, II. 6. Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, Rdnr. 46 f. Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 186 ff., 197 f. 243 Vgl. Capobianco, CMLR 2004, 1247, 1268. 240

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E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

sondere dann, wenn der jeweilige vor- oder nachgelagerte Markt stark konzentriert ist und die Verhandlungspartner über große Marktanteile verfügen.244 Auch eine hohe Transparenz der am Informationsaustausch beteiligten Unternehmen kann eine starke Verhandlungsposition der Marktgegenseite nach sich ziehen, da diese erkennen kann, ob für eine Preiserhöhung sachliche Gründe (Kostensteigerungen) bestehen oder ob die Preiserhöhung allein darauf abzielt, den Gewinn zu steigern. Das Bestehen von Transparenz kann insofern disziplinierend wirken, als eine etwaige Kollusion schnell von der Marktgegenseite aufgedeckt werden kann. (2) Eigenschaften der ausgetauschten Informationen Die Auswirkungen eines Informationsaustauschs hängen neben den Charakteristika des betroffenen Markts maßgeblich von den Eigenschaften der ausgetauschten Informationen ab. Zu berücksichtigen sind die strategische Bedeutung, der Aggregationsgrad und die Aktualität der ausgetauschten Informationen, die Häufigkeit des Informationsaustauschs sowie der Grad der Öffentlichkeit der ausgetauschten Informationen und die Öffentlichkeit des Informationsaustauschvorgangs. (a) Strategische Bedeutung Inwieweit sich ein Informationsaustausch wettbewerbsbeschränkend auswirken kann, hängt in allererster Linie davon ab, wie hoch die Relevanz der ausgetauschten Informationen für den Wettbewerbsprozess ist. Je stärker die ausgetauschten Informationen die strategische Ungewissheit auf dem Markt verringern, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Informationsaustausch die Wettbewerbssituation beeinträchtigt. Die Weitergabe strategischer Daten kann nach den Horizontalleitlinien wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben, da sie die Entscheidungsfreiheit der Parteien einschränkt, indem sie deren Wettbewerbsanreize reduziert.245 Als Beispiele für Informationen, die über strategische Bedeutung verfügen können, nennt die Kommission Preise, Kundenlisten, Produktionskosten, Mengen, Umsätze, Verkaufszahlen, Kapazitäten, Qualität, Marketingpläne, Risiken, Investitionen, Technologien, FuE-Programme und Forschungsergebnisse. Ob bestimmten Informationen eine strategische Relevanz zukommt, muss jeweils im Einzelfall festgestellt werden. Von besonders hoher strategischer Relevanz sind im Allgemeinen Preis- und Mengeninformationen, daneben aber auch Daten über Kosten und die Nachfrage.246

244

Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 210 f. Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 86. Vgl. Capobianco, CMLR 2004, 1247, 1264; FK-Rahlmeyer, Fallgruppen Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV, II. 6. Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, Rdnr. 27 ff.; Karenfort, WuW 2008, 1154, 1163; Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 219 ff. 246 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 86. 245

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

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(b) Aggregation der Daten Darüber hinaus ist der Aggregationsgrad der ausgetauschten Daten für die Beurteilung eines Informationsaustauschs von Bedeutung. Sofern nur aggregierte Daten ausgetauscht werden, sind negative Auswirkungen unwahrscheinlicher, als wenn individuelle unternehmensspezifische Daten ausgetauscht werden. Der Austausch von individuellen Informationen ist kritischer zu bewerten, da diese einerseits eine Verständigung auf dem Markt und andererseits eine Identifikation von abweichenden Unternehmen sowie neuen Marktteilnehmern ermöglichen können. Der Austausch von aggregierten Daten ist hingegen im Allgemeinen unproblematischer, sofern aus den aggregierten Informationen keine Rückschlüsse auf individuelle Daten gezogen werden können. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz macht die Kommission jedoch für den Informationsaustausch in engen Oligopolen, da es in diesen für die Oligopolisten schon ausreichend sein kann, zu wissen, ob ein Unternehmen gegen das Kollusionsergebnis verstößt, ohne dass es darauf ankommt, zu wissen, welches Unternehmen genau den Wettbewerbsvorstoß vornimmt.247 (c) Aktualität der Daten Das Alter der ausgetauschten Daten spielt für die Beurteilung eines Informationsaustauschs eine wichtige Rolle. Aus historischen Daten lassen sich in der Regel keine Rückschlüsse auf das zukünftige Marktverhalten eines Unternehmens ziehen, sodass ein Austausch dieser Daten keine Wettbewerbsprobleme verursacht. Der Austausch von zukunftsbezogenen Daten ist hingegen wettbewerblich problematisch, da er die Unsicherheit über das künftige Marktverhalten eines Unternehmens verringert. Grundsätzlich ist ein Informationsaustausch umso weniger problematisch, je älter die ausgetauschten Daten sind. Fraglich ist jedoch, ab welchem Alter Daten als historisch zu bewerten sind und ihr Austausch daher gänzlich unbedenklich ist. Hierfür lässt sich nach Ansicht der Kommission keine feste Schwelle festlegen. Stattdessen sei den individuellen Marktbedingungen Rechnung zu tragen. Insbesondere sei zu berücksichtigen, wie häufig in der Branche Vertragskonditionen neu verhandelt werden.248 Sofern die ausgetauschten Daten um ein Mehrfaches älter sind als die durchschnittliche Laufzeit eines Vertrags, könnten sie als historisch bewertet werden. Daneben hängt die Einstufung von Daten als historisch von dem Datentyp, der Aggregation, der Häufigkeit des Datenaustauschs und den sonstigen Merkmalen

247

Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 89. Vgl. Capobianco, CMLR 2004, 1247, 1264; FK-Rahlmeyer, Fallgruppen Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV, II. 6. Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, Rdnr. 33 ff.; Karenfort, WuW 2008, 1154, 1165; Wagner-von Papp, Information Exchange Agreements, S. 30 f.; Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 237 ff. 248 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 90.

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E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

des betroffenen Markts ab.249 In ihrer früheren Entscheidungspraxis, die der Veröffentlichung der Horizontalleitlinien vorausging, hat die Kommission Daten, die älter als ein Jahr sind, als historisch bewertet und deren Austausch daher als nicht wettbewerbsbeschränkend beurteilt.250 (d) Häufigkeit des Informationsaustauschs Ein Informationsaustausch bewirkt mit einer umso höheren Wahrscheinlichkeit eine Wettbewerbsbeschränkung, je häufiger und regelmäßiger er erfolgt. Ein einmaliger Informationsaustausch ist wesentlich weniger bedenklich als ein mehrmaliger Informationsaustausch, da Ersterer keine Überwachung der Einhaltung eines Kollusionsergebnisses ermöglicht. Welchen Einfluss die Häufigkeit des Austauschs auf die Beurteilung hat, hängt ganz maßgeblich von den sonstigen Bedingungen des Markts ab. Wenn beispielsweise ein Markt von kurzen Vertragslaufzeiten geprägt ist, wird ein Informationsaustausch, der in verhältnismäßig großen Intervallen erfolgt, nicht zur Ermöglichung eines kollusiven Verhaltens ausreichen.251 (e) Öffentlichkeit der Informationen Sofern es sich bei den ausgetauschten Informationen um öffentliche Informationen handelt, scheidet ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV aus. Es ist allerdings jeweils kritisch zu prüfen, ob die Informationen tatsächlich öffentlich sind. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass theoretisch sowohl alle Marktteilnehmer als auch Dritte auf die Informationen zugreifen können. Vielmehr müssen auch die Kosten eines Zugriffs auf die Informationen berücksichtigt werden. Ist es für Unternehmen zu teuer und aufwändig, sich die Informationen selbst zu beschaffen, sind Informationen nicht als öffentlich zu bewerten, obwohl ein Zugriff auf die Informationen möglich wäre.252 Aufgrund der Berücksichtigung der Kosten der Informationsbeschaffung verstößt beispielsweise der telefonische Austausch aktueller Benzinpreise durch Tankstellen gegen das Kartellverbot, obwohl die Preise für jedermann an den Preistafeln der Tankstellen ablesbar sind. Die Beschaffung der Preisinformationen auf andere Weise als durch einen aktiven Austausch wäre mit einem so hohen Aufwand und so hohen Kosten verbunden, dass die Informationen als nicht echt öffentlich einzuordnen sind.253

249

Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 90. Vgl. Capobianco, CMLR 2004, 1247, 1265; FK-Rahlmeyer, Fallgruppen Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV, II. 6. Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, Rdnr. 44 f.; Karenfort, WuW 2008, 1154, 1164. 250 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 90, Fn. 2 m.w.N. 251 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 91. Vgl. Capobianco, CMLR 2004, 1247, 1266; Karenfort, WuW 2008, 1154, 1164 f. 252 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 92. Vgl. FK-Rahlmeyer, Fallgruppen Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV, II. 6. Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, Rdnr. 41 f.; Karenfort, WuW 2008, 1154, 1165; Wagner-von Papp, Information Exchange Agreements, S. 29 f. 253 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 109.

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

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(f) Öffentlichkeit des Informationsaustauschs Ferner berücksichtigt die Kommission, ob ein Informationsaustausch öffentlich erfolgt. Ein Informationsaustausch erfolgt dann öffentlich, wenn die ausgetauschten Daten (auch im Hinblick auf die Kosten des Informationszugangs) allen Wettbewerbern und Abnehmern gleichermaßen zugänglich gemacht werden. Der Umstand, dass auch andere Wettbewerber und Abnehmer auf die Informationen zugreifen können, ist nach Ansicht der Kommission geeignet, um die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen eines Informationsaustauschs in Grenzen zu halten.254 (3) Zwischenergebnis Sofern ein Informationsaustausch nicht schon eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt, muss nach den Horizontalleitlinien im Rahmen einer umfassenden Faktorenanalyse geprüft werden, ob wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen zu erwarten sind. Im Rahmen der Faktorenanalyse ist umfassend auf die maßgeblichen Charakteristika des betroffenen Markts und die Eigenschaften der ausgetauschten Informationen einzugehen. In dem Analyseschema, das die Kommission in den Horizontalleitlinien zugrunde legt, kommt eine starke Orientierung an den ökonomischen Erkenntnissen zu den Auswirkungen von Informationsaustauschvorgängen auf den Wettbewerbsprozess und das Marktergebnis zum Ausdruck.255 Die zentrale theory of harm, welche die Kommission in Übereinstimmung mit ökonomischen Erkenntnissen zugrunde legt, ist die Ermöglichung einer kollusiven Praxis durch den Austausch von Informationen. Insgesamt vermag das Konzept der Faktorenanalyse zu überzeugen. Es bietet den notwendigen Spielraum, um die Auswirkungen von Informationsaustauschvorgängen im Einzelfall sachgerecht zu erfassen. Dabei kommt es wohl noch etwas stärker als in anderen Teilbereichen des Kartellrechts darauf an, wie das abstrakte Analysekonzept im Einzelfall von der Kommission angewandt wird. Eine besondere Herausforderung besteht dabei nicht nur darin, die einzelnen Faktoren zutreffend zu bewerten, sondern vor allem auch, sie sachgerecht zu gewichten. Die Kehrseite der starken Ausrichtung auf die Auswirkungen im Einzelfall bilden die Erhöhung der Transaktionskosten und die Verursachung von Rechtsunsicherheit. Unternehmen müssen die Zulässigkeit von Informationsaustauschvorgängen im Rahmen der Selbstveranlagung selbst beurteilen und tragen angesichts der breiten Grauzone im Bereich der bewirkten Wettbewerbsbeschränkung das Risiko, bei der Faktorenanalyse zu unzutreffenden Ergebnissen zu kommen. Dies kann eine zu weitreichende Abschreckung nach sich ziehen, die zum Unterbleiben von wettbewerbsfördernden Informationsaustauschvorgängen führt (overdeterrence).256 254 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 94. Vgl. FK-Rahlmeyer, Fallgruppen Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV, II. 6. Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, Rdnr. 43. 255 Siehe hierzu oben S. 262 ff. 256 Vgl. Bechtold, GRUR 2012, 107, 111 f.

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E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

cc) Nichthorizontale Konstellationen Der Austausch von Informationen bietet vor allem in horizontalen Situationen (zwischen Wettbewerbern) Anlass zu Bedenken. In nichthorizontalen Situationen sind Informationsaustauschvorgänge im Allgemeinen deutlich weniger kritisch zu beurteilen. Es ist allerdings nicht vollkommen ausgeschlossen, dass durch einen Informationsaustausch zwischen Nicht-Wettbewerbern der Wettbewerb beeinträchtigt wird. So kann der Austausch von Informationen durch Unternehmen auf vor- und nachgelagerten Handelsstufen der Durchsetzung von vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen dienen, beispielsweise indem die Einhaltung einer vermeintlich „unverbindlichen“ Preisempfehlung überwacht wird.257 Zudem kann mittels vertikaler Informationsaustauschvorgänge in hub and spoke-Konstellationen eine horizontale Wettbewerbsbeschränkung organisiert werden.258 In konglomeraten Konstellationen kann in aller Regel ausgeschlossen werden, dass der Austausch von Informationen den Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen ermöglicht. d) Freistellung gemäß Art. 101 Abs. 3 AEUV Ein Informationsaustausch, der von Art. 101 Abs. 1 AEUV erfasst wird, ist dennoch zulässig, sofern die Voraussetzungen der Legalausnahme des Art. 101 Abs. 3 AEUV vorliegen. Hierfür ist es erforderlich, dass durch den Informationsaustausch Effizienzgewinne erzielt werden (aa)), diese an die Verbraucher weitergegeben werden (bb)), der Informationsaustausch für die Erzielung der Effizienzgewinne unerlässlich ist (cc)) und dass der Wettbewerb auf dem Markt nicht ausgeschaltet wird (dd)). aa) Effizienzgewinne Die Kommission nennt in den Horizontalleitlinien mehrere Beispiele für Effizienzen, die durch den Austausch von Informationen erzielt werden können.259 Sie führt unter anderem an, dass der Austausch von Informationen über deren Kosten im Rahmen eines sogenannten Benchmarkings Unternehmen ermöglichen kann, effi257 Vgl. Art. 4 lit. a VO 330/2010. Die 11. Beschlussabteilung des Bundeskartellamts nennt in ihrer Handreichung zur Preisbindung im Lebensmitteleinzelhandel vom 13. 04. 2010 die Übermittlung von Informationen wie von Preisbonsammlungen oder Preisspiegeln an die Marktgegenseite (S. 8 der Handreichung) sowie Maßnahmen zur Preisüberwachung wie die Übermittlung von produktbezogenen Mengen- oder Umsatzdaten (S. 7 der Handreichung) als problematische Verhaltensweisen. Die Handreichung ist abgedruckt in WuW 2010, 786 ff. Vgl. zum Informationsaustausch im Vertikalverhältnis auch Lettl, WRP 2013, 1272 ff.; Wiemer, WuW 2009, 750 ff. 258 Siehe hierzu Hainz/Benditz, EuZW 2012, 686; Liesegang, WuW 2012, 1036 ff.; Röhling/ Haus, KSzW 2011, 37; Stöcker, WuW 2012, 935 ff. 259 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 95 ff. Vgl. Dreher/Hoffmann, WuW 2011, 1181, 1194 f.

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

291

zienter zu arbeiten.260 Ferner kann der Austausch von Nachfrageinformationen dazu beitragen, unnötige Lagerbestände abzubauen.261 Auch die Probleme der adverse selection und der moral hazard können reduziert werden.262 Darüber hinaus sind in Übereinstimmung mit der ökonomischen Bewertung der künstlichen Erhöhung von Markttransparenz263 vielfältige Konstellationen denkbar, in denen ein Informationsaustausch Effizienzgewinne ermöglicht. Um sich auf die Legalausnahme des Art. 101 Abs. 3 AEUV berufen zu können, müssen die Effizienzgewinne substantiiert dargelegt werden.264 bb) Unerlässlichkeit Die ausgetauschten Informationen müssen für die Erzielung der Effizienzgewinne unerlässlich sein. Es dürfen nicht mehr Informationen ausgetauscht werden, als für die Erzielung der Effizienzen erforderlich. Die ausgetauschten Daten müssen aggregiert und anonymisiert werden, sofern dies für die Erzielung der Effizienzen ausreichend ist.265 Darüber hinaus ist der Austausch möglichst auf historische Daten zu begrenzen und sollte so selten wie möglich erfolgen.266 cc) Angemessene Beteiligung der Verbraucher Die erzielbaren Effizienzgewinne müssen an die Verbraucher weitergegeben werden und die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen überwiegen.267 Dies kann beispielsweise zu bejahen sein, wenn der Informationsaustausch öffentlich erfolgt und die Suchkosten der Verbraucher senkt sowie deren Entscheidungsfindung erleichtert.268 dd) Keine Ausschaltung des Wettbewerbs Eine Freistellung kommt nicht in Betracht, wenn durch den Informationsaustausch der Wettbewerb für einen beträchtlichen Teil der betroffenen Produkte aus260

Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 95. Siehe oben S. 264 f. Vgl. Capobianco, CMLR 2004, 1247, 1270. 261 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 96. Siehe oben S. 264. 262 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 97. Siehe oben S. 265 ff. 263 Siehe oben S. 263 ff. 264 Schroeder, WuW 2009, 718, 725. 265 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 101. 266 Dreher/Hoffmann, WuW 2011, 1181, 1196; FK-Rahlmeyer, Fallgruppen Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV, II. 6. Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, Rdnr. 55. 267 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 103. 268 FK-Rahlmeyer, Fallgruppen Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV, II. 6. Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, Rdnr. 54.

292

E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

geschaltet wird.269 Ist der Wettbewerbsdruck auf einem Markt groß genug, um zu gewährleisten, dass erzielte Effizienzgewinne an die Verbraucher weitergegeben werden, wird häufig auch keine Ausschaltung des Wettbewerbs anzunehmen sein.270 Ein wichtiger Anhaltspunkt, um zu beurteilen, ob es zu einer Ausschaltung des Wettbewerbs kommt, ist der Marktanteil der am Informationsaustausch beteiligten Unternehmen.271 3. Anwendung auf Informationsaustauschvorgänge im Vorfeld von Unternehmenszusammenschlüssen Im Vorfeld von Unternehmenstransaktionen erfolgt üblicherweise ein sehr weitgehender Informationsaustausch, der in aller Regel Informationen mit strategischer Relevanz umfasst. Zur kartellrechtlichen Bewertung solcher Informationsaustauschvorgänge können die Beurteilungsmaßgaben aus den Horizontalleitlinien der Kommission herangezogen werden, die in zentralen Aspekten die Vorgaben des Gerichtshofs aufgreifen und konkretisieren.272 Zwar geht die Kommission in den Horizontalleitlinien nicht gesondert darauf ein, welcher Maßstab an den Informationsaustausch der Zusammenschlussparteien anzulegen ist. Nichtsdestoweniger kann das in ihnen zusammengefasste Prüfkonzept sinngemäß auf Vorgänge im Vorfeld von Unternehmenstransaktionen angewandt werden. Maßgeblich ist demnach zu berücksichtigen, welche Auswirkungen im Einzelfall auf den Wettbewerbsprozess und das Marktergebnis zu erwarten sind.273 Nicht möglich ist hingegen eine pauschalisierende Schwarz-Weiß-Betrachtung, nach der die Offenlegung (bestimmter) strategischer Informationen kategorisch unzulässig ist. Für die Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise ergeben sich im Zusammenhang mit Unternehmenstransaktionen keine Besonderheiten.274 269

Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 104. FK-Rahlmeyer, Fallgruppen Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV, II. 6. Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, Rdnr. 56. 271 Dreher/Hoffmann, WuW 2011, 1181, 1195. Bei geringen Marktanteilen kann davon ausgegangen werden, dass durch die nicht am Informationsaustausch beteiligten Unternehmen ein ausreichender Wettbewerbsdruck ausgeht. 272 Dies wird insbesondere dann deutlich, wenn man den Verweisen auf die Rechtsprechung in den Fußnoten der Horizontalleitlinien folgt. 273 Diese auswirkungsbezogene Anwendung des Kartellverbots ist eine Ausprägung des more economic approach, der die Horizontalleitlinien prägt. Bechtold, GRUR 2012, 107, 111; Immenga/Mestmäcker-Fuchs, VO 1218/2010, Einl., Rdnr. 25; Flohr/Schulz, in: Liebscher/ Flohr/Petsche, Handbuch der EU-Gruppenfreistellungsverordnungen, § 15, Rdnr. 50 ff. 274 Der Informationsfluss im Vorfeld eines Zusammenschlusses erfolgt grundsätzlich im gegenseitigen Einvernehmen und unter aktiver Mitwirkung von Erwerber, Zielunternehmen und Veräußerer. Vgl. Dreher/Hoffmann, WuW 2011, 1181, 1184. Es ist somit eine von Interaktion und Gegenseitigkeit geprägte Situation gegeben, die es nahelegt, eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise i.S.d. Art. 101 Abs. 1 AEUV anzunehmen, selbst wenn die In270

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

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Zur Beurteilung der wettbewerblichen Auswirkungen des Informationsaustauschs im Rahmen von Unternehmenstransaktionen ist es zunächst erforderlich, sich zu vergegenwärtigen, welche Informationen üblicherweise im Vorfeld von Zusammenschlüssen ausgetauscht werden (a)). Anschließend sind die potenziellen Auswirkungen von zusammenschlussbezogenen Informationsaustauschvorgängen zu untersuchen, da diese die Grundlage der kartellrechtlichen Bewertung bilden (b)). Sodann werden die Parameter für die maßgebliche Einzelfallbeurteilung herausgearbeitet (c)), bevor abschließend auf Fragen eingegangen wird, die sich in besonderen Zusammenschlusskonstellationen stellen können (d)). a) Umfang des Informationsaustauschs im Vorfeld von Unternehmenszusammenschlüssen Im Vorfeld des Vollzugs eines Zusammenschlusses tauschen Unternehmen in einem Umfang Informationen aus, der ohne Beispiel im sonstigen Wirtschaftsleben sein dürfte. Um beurteilen zu können, ob das Zielunternehmen ein interessantes Akquisitionsobjekt ist, den Kaufpreis zu bemessen und die Integration zu planen, hat insbesondere der Erwerber ein großes Interesse daran, einen möglichst genauen Eindruck vom Zielunternehmen zu erhalten. Um sein Informationsbedürfnis zu stillen, wird dem Erwerber üblicherweise im Rahmen einer Due-Diligence-Prüfung ein umfassender Einblick in das Zielunternehmen gewährt (aa)). Daneben sind außerhalb der Due Diligence Informationsaustauschvorgänge denkbar (bb)). aa) Informationsaustausch im Rahmen der Due Diligence Im Rahmen der Due Diligence erhält der Erwerber in einem institutionalisierten Rahmen Gelegenheit, sich einen Eindruck vom Zielunternehmen zu verschaffen. Je nach thematischem Schwerpunkt unterscheidet man verschiedene Arten der Due Diligence, beispielsweise die Financial, Legal, Management, Strategic, Human Resources und Environmental Due Diligence.275 In der Praxis hat sich für die Durchführung von Due-Diligence-Prüfungen die Einrichtung von Datenräumen durchgesetzt. In diesen werden die Informationen, die der Käufer benötigt, zentral bereitgestellt. Entweder handelt es sich bei diesen Datenräumen um einen physischen Raum, üblicherweise an einem neutralen Ort, an dem sämtliche Dokumente zentral gelagert werden, oder es wird ein virtueller Datenraum eingerichtet, in dem formationsübermittlung nur in eine Richtung erfolgt. Es gilt allerdings, zu berücksichtigen, dass jenseits von Fällen bezweckter Wettbewerbsbeschränkungen nicht allein darauf abzustellen ist, ob der Informationsaustausch auf eine Vereinbarung zurückgeht, sondern ob der Informationsaustausch eine abgestimmte Verhaltensweise auf dem Markt ermöglicht. Siehe oben S. 275 ff. Um dies beurteilen zu können, ist es notwendig, die strategische Relevanz der Informationen und die Eigenschaften des betroffenen Markts zu berücksichtigen. Dies erfolgt zweckmäßigerweise im Rahmen des Tatbestandsmerkmals der Wettbewerbsbeschränkung. 275 Berens/Strauch, Herkunft und Inhalt des Begriffs Due Diligence, in: Berens/Brauner/ Strauch, Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen, S. 14.

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E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

die Dokumente in digitalisierter Form über das Internet abgerufen werden können.276 Zu den bereitgestellten Informationen gehören unter anderem Daten aus den Bereichen des internen und externen Rechnungswesens, des Personalwesens, der Rechtsabteilung sowie des Ein- und Verkaufs. Dokumente, die typischerweise bereitgestellt werden, sind Handelsregisterauszüge, Gesellschaftsverträge, Jahresabschlüsse, Steuererklärungen, Produktergebnisrechnungen, Lohn-, Gehalts- und Sozialleistungsinformationen, öffentlich-rechtliche Genehmigungen und Auflagen, Umweltberichte, Verträge mit Kunden und Lieferanten, Kredit-, Arbeits-, Lizenz-, Miet- und Leasingverträge sowie Patente.277 Zudem werden im Rahmen der Due Diligence häufig Maßnahmen wie Betriebsbesichtigungen, Managementpräsentationen, Gespräche mit Führungskräften, sonstigen Mitarbeitern oder Unternehmensexternen, zum Beispiel Kunden, Lieferanten oder Branchenkennern, durchgeführt.278 Im Rahmen der Due Diligence wird dem Erwerber in einem großen Umfang Zugriff auf strategische Informationen des Zielunternehmens gestattet. Dies wird insbesondere an den beiden zentralen Due-Diligence-Stufen der Financial und Strategic Due Diligence deutlich. (1) Financial Due Diligence Im Rahmen der Financial Due Diligence wird die wirtschaftliche Situation des Zielunternehmens aufgeklärt, um die kommerziellen Chancen und Risiken einer Transaktion sowie die erzielbaren Synergien aufzudecken.279 Zu diesem Zweck werden dem Erwerber Informationen über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage mitgeteilt. Zudem werden die Planungsrechnungen des Zielunternehmens offengelegt.280 Zur Identifizierung der wesentlichen Werttreiber des Zielunternehmens wird auf Produktergebnisrechnungen, Aufschlüsselungen der wesentlichen Aufwendungen und Erträge sowie Preis- und Mengengerüste zugegriffen. Daneben werden Protokolle von Sitzungen der Gesellschaftsorgane sowie Jahresabschlüsse, Lohn-, Gehalts-, Sozialleistungs-, Lieferanten- und Kundeninformationen heran-

276 Vgl. zu virtuellen data rooms Andreas, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 8 Rdnr. 29 ff. 277 Berens/Hoffjan/Strauch, Planung und Durchführung der Due Diligence, in: Berens/ Brauner/Strauch, Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen, S. 124 f. 278 Berens/Hoffjan/Strauch, Planung und Durchführung der Due Diligence, in: Berens/ Brauner/Strauch, Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen, S. 124 m.w.N. 279 Brebeck/Bredy, Financial Due Diligence I: Vermögen, Ertrag und Cashflow, in: Berens/ Brauner/Strauch, Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen, S. 374. Seibt, in: Seibt, Beck’sches Formularhandbuch Mergers & Acquisitions, S. 91 f.; Störk/Hummitzsch, in: Beisel/ Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 33, Rdnr. 1 ff. 280 Brebeck/Bredy, Financial Due Diligence I: Vermögen, Ertrag und Cashflow, in: Berens/ Brauner/Strauch, Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen, S. 376; Störk/Hummitzsch, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 35, Rdnr. 2 ff.

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

295

gezogen.281 Wie weit der Austausch strategischer Informationen reichen kann, wird deutlich, wenn man die Empfehlungen in M&A-Praxishandbüchern zu den im Rahmen der Financial Due Diligence abzufragenden Informationen betrachtet. Genannt werden dabei beispielsweise die folgenden Informationen: *

Marktanteile aufgeschlüsselt nach einzelnen Produkten;282

*

Umsätze und Mengen aufgeschlüsselt nach Produkten und Regionen;283

*

Preise der einzelnen Produkte;284

*

Pläne für neue Produkte;285

*

gegenwärtige und künftige Produktionskapazitäten;286

*

gegenwärtige und künftige Auslastung der Produktionskapazitäten;287

*

*

Auflistung der wichtigsten Kunden, Beschreibung der Preispolitik, Umsätze, Volumina, Lieferbedingungen und Nachlässe im Hinblick auf diese Kunden;288 Auflistung der Lieferanten und Einkaufsverpflichtungen, Nennung der Auftragsvolumina;289

*

Margenanalyse nach Produkten und Hauptkunden;290

*

Zusammensetzung der Herstellungskosten nach Kunden;291

281 Störk/Hummitzsch, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 34, Rdnr. 9. 282 Störk/Hummitzsch, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 37, Rdnr. 5, Ziff. 1.5.02. 283 Seibt, in: Seibt, Beck’sches Formularhandbuch Mergers & Acquisitions, S. 93; Störk/ Hummitzsch, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 37, Rdnr. 5, Ziff. 2.3.01-04. 284 Störk/Hummitzsch, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 37, Rdnr. 5, Ziff. 1.5.09. Vgl. Picot, in: Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, Teil I, Rdnr. 47, Ziff. 12. 285 Störk/Hummitzsch, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 37, Rdnr. 5, Ziff. 1.5.11. 286 Störk/Hummitzsch, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 37, Rdnr. 5, Ziff. 1.5.16. 287 Störk/Hummitzsch, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 37, Rdnr. 5, Ziff. 1.5.18. 288 Störk/Hummitzsch, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 37, Rdnr. 5, Ziff. 1.6.06; Picot, in: Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, Teil I, Rdnr. 47, Ziff. 11, 12. 289 Störk/Hummitzsch, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 37, Rdnr. 5, Ziff. 1.7.02 und 03. 290 Störk/Hummitzsch, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 37, Rdnr. 5, Ziff. 2.4.01. 291 Störk/Hummitzsch, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 37, Rdnr. 5, Ziff. 2.4.03.

296 *

E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

Nennung der allgemeinen Geschäftsbedingungen inklusive der Preispolitik, Zahlungs- und Lieferbedingungen, Rückgaberechte, Preisnachlässe, Gewährleistungen;292

*

Cashflow-Rechnungen;293

*

Prognosen für das laufende Geschäftsjahr;294

*

Planungsrechnungen für die nächsten Jahre;295

*

*

Aufstellung der Planungsdaten nach Produktgruppen, Regionen und Kunden im Hinblick auf Umsatz, Produktmix, Mengen- und Preisänderungen, Herstellungskosten, Material- und Fertigungsgemeinkosten, Verwaltungs- und Vertriebsgemeinkosten;296 geplante künftige Entwicklung der durchschnittlichen Verkaufspreise nach Produkten für die kommenden Jahre.297

Demnach wird dazu geraten, in einem weitreichenden Umfang Informationen abzufragen, die nach den Horizontalleitlinien298 über eine hohe strategische Relevanz verfügen. Die Informationen weisen vielfach einen unmittelbaren Bezug zum künftigen Marktverhalten auf, sodass eine deutliche Nähe zu Fällen besteht, in denen die Kommission eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung annehmen würde.299

292

Störk/Hummitzsch, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 37, Rdnr. 5, Ziff. 3.4.01. 293 Brebeck/Bredy, Financial Due Diligence I: Vermögen, Ertrag und Cashflow, in: Berens/ Brauner/Strauch, Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen, S. 392 f.; Seibt, in: Seibt, Beck’sches Formularhandbuch Mergers & Acquisitions, S. 93; Störk/Hummitzsch, in: Beisel/ Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 37, Rdnr. 5, Ziff. 4.1.01. Vgl. Brauner/Lescher, Financial Due Diligence II: Liquidität und Finanzierung, in: Berens/Brauner/ Strauch, Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen, S. 401 ff. 294 Störk/Hummitzsch, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 37, Rdnr. 5, Ziff. 5.2. 295 Brebeck/Bredy, Financial Due Diligence I: Vermögen, Ertrag und Cashflow, in: Berens/ Brauner/Strauch, Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen, S. 374; Seibt, in: Seibt, Beck’sches Formularhandbuch Mergers & Acquisitions, S. 93; Störk/Hummitzsch, in: Beisel/ Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 37, Rdnr. 5, Ziff. 6.1. Picot, in: Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, Teil I, Rdnr. 47, Ziff. 17. 296 Störk/Hummitzsch, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 37, Rdnr. 5, Ziff. 6.1.11. 297 Störk/Hummitzsch, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 37, Rdnr. 5, Ziff. 6.1.15. 298 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 86. 299 Vgl. Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 72 ff.

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

297

(2) Strategic Due Diligence Die Strategic Due Diligence300 ist ebenfalls darauf ausgerichtet, aus betriebswirtschaftlicher Perspektive die Chancen und Risiken einer Transaktion zu erfassen.301 Im Gegensatz zur Financial Due Diligence erfolgt in ihrem Rahmen jedoch keine interne Analyse des Zielunternehmens. Sie konzentriert sich vielmehr auf die zukünftige Wettbewerbsposition und das sozioökonomische Umfeld des Zielunternehmens.302 Zu diesem Zweck werden die Geschäftsfelder des Zielunternehmens strategisch analysiert. Im Rahmen der hierzu notwendigen Untersuchung des Produktportfolios erfolgt in der Regel auch eine nach Produkten aufgeschlüsselte Analyse des jeweiligen Beitrags zum Umsatz und zum Deckungsbeitrag.303 Im Rahmen der Strategic Due Diligence ist ferner die Preiskalkulation für einzelne Produkte von großem Interesse.304 Daneben werden das Branchen- und Wettbewerbsumfeld,305 Marketing und Vertrieb,306 die Produktionsprozesse,307 die Beschaffungsseite,308 Forschung und Entwicklung,309 Personal, Management, Organisation und Unternehmenskultur,310 Informationssysteme311 sowie die Unternehmensplanung312 analysiert. Auch im Rahmen der Strategic Due Diligence werden somit mitunter Informationen mit hoher strategischer Relevanz preisgegeben.

300

Mitunter wird auch von der Commercial and Strategic Due Diligence gesprochen. Römer/Groh, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 38, Rdnr. 2. Vgl. auch Brauner/Grillo, Strategic Due Diligence, in: Berens/Brauner/Strauch, Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen, S. 350 ff. 302 Römer/Groh, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 38, Rdnr. 3. 303 Römer/Groh, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 40, Rdnr. 2. 304 Römer/Groh, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 40, Rdnr. 2. 305 Römer/Groh, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 40, Rdnr. 4 f. 306 Römer/Groh, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 40, Rdnr. 6 ff. 307 Römer/Groh, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 40, Rdnr. 10 ff. 308 Römer/Groh, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 40, Rdnr. 15 f. 309 Römer/Groh, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 40, Rdnr. 17 f. 310 Römer/Groh, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 40, Rdnr. 19 ff. 311 Römer/Groh, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 40, Rdnr. 23 ff. 312 Römer/Groh, in: Beisel/Andreas, Beck’sches Mandats Handbuch Due Diligence, § 40, Rdnr. 27 f. 301

298

E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

bb) Informationsaustausch außerhalb der Due Diligence Ferner kann es außerhalb des institutionalisierten Rahmens der Due Diligence zu einem Informationsaustausch der Zusammenschlussparteien kommen. Zu denken ist insoweit vor allem an die Übermittlung von Informationen in der Zeit nach der Vereinbarung des Zusammenschlusses zur Planung der Integration des Zielunternehmens. Zudem kann es zum Austausch sensibler Daten kommen, wenn Mitarbeiter aus dem operativen Geschäft von Erwerber und Zielunternehmen Kontakt zueinander aufnehmen. Schließlich ist auch zur Erstellung der Anmeldung des Zusammenschlusses bei den Kartellbehörden der Austausch von Informationen erforderlich. Dieser kann jedoch über die beteiligten Anwälte abgewickelt werden, die als independent agents313 dafür Sorge tragen können, dass wettbewerbssensible Informationen nicht an die andere Partei weitergegeben werden.314 cc) Zwischenergebnis Im Vorfeld des Vollzugs von Unternehmenszusammenschlüssen werden häufig Informationen mit hoher strategischer Relevanz ausgetauscht. Gerade solche Informationen geben Auskunft über die künftigen Ertragsaussichten des Zielunternehmens und sind daher für dessen Bewertung von essenzieller Bedeutung. Aus kartellrechtlicher Perspektive bestehen gegen einen so weitgehenden Informationsaustausch allerdings zumindest in horizontalen Konstellationen erhebliche Bedenken. b) Auswirkungen des Informationsaustauschs der Zusammenschlussparteien Die sach- und zeitgemäße315 Anwendung des Kartellverbots auf den Informationsaustausch der Zusammenschlussparteien setzt ein Verständnis der möglichen Auswirkungen auf den Wettbewerbsprozess und das Marktergebnis voraus. Zu berücksichtigen sind insoweit die denkbaren positiven (aa)) und negativen (bb)) Effekte. Der Informationsaustausch der Zusammenschlussparteien ist zudem typischerweise durch mehrere Umstände geprägt, welche die wettbewerblichen Bedenken gegen diesen mildern (cc)).

313

Siehe hierzu unten S. 311 f. Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 612. Vgl. Kolasky, FTC Merger Roundtable Speech, S. 333. 315 Zeitgemäß i.S.d. more economic approach, der auch in den Horizontalleitlinien Berücksichtigung findet. 314

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

299

aa) Positive Auswirkungen Der Austausch von Informationen im Vorfeld von Unternehmenszusammenschlüssen wirkt sich durch den Abbau von Informationsasymmetrien positiv auf die Effizienz des Markts für Unternehmenskontrolle aus und trägt zur Ermöglichung von Synergieeffekten bei. (1) Effizienz des Markts für Unternehmenskontrolle Auf dem Markt für Unternehmenskontrolle316 treten einerseits Veräußerer von Unternehmensbeteiligungen als Anbieter und andererseits Erwerber von Unternehmensbeteiligungen als Nachfrager auf. Der Markt ist durch große Informationsasymmetrien im Hinblick auf die Kontrollobjekte geprägt. Die Unsicherheit über den tatsächlichen Wert eines potenziellen Zielunternehmens zwingt den Erwerber dazu, bei der Kaufpreisbemessung einen Sicherheitsabschlag einzupreisen, der dem Grad der Unsicherheit über den tatsächlichen Wert des Zielunternehmens entspricht. Dieser Sicherheitsabschlag macht es für den Veräußerer jedoch unattraktiver, seine Beteiligung zu verkaufen.317 Der Abbau der Informationsasymmetrien durch einen umfassenden Datenaustausch zwischen Anbietern und Abnehmern steigert die Effizienz des Markts für Unternehmenskontrolle und trägt zur optimalen Allokation von Kontrollrechten bei.318 (2) Ermöglichung von Effizienzgewinnen durch Zusammenschlüsse Der Austausch von Informationen zwischen den an einem Zusammenschlussvorhaben beteiligten Unternehmen trägt zur Ermöglichung der durch einen Zusammenschluss erzielbaren Synergieeffekte bei. So ist der Austausch von Informationen eine Grundvoraussetzung dafür, dass ein Zusammenschluss überhaupt durchgeführt werden kann.319 Effizienzgewinne, vor allem in Form von Skalenerträgen und Verbundvorteilen,320 können daher oft nur dann erzielt werden, wenn Informationen ausgetauscht werden.321 Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass ein umfassender Informationsaustausch im Vorfeld des Vollzugs dazu beitragen kann, die Erfolgsaussichten eines Zusammenschlusses zu erhöhen, und sich insofern effizienzsteigernd auswirkt, als weniger Zusammenschlüsse kostspielig scheitern.322 316

Grundlegend hierzu Manne, 73 J. Polit. Econ. 110, 112 ff. Es besteht die Gefahr, dass durch das Phänomen der adverse selection ein market for lemons entsteht. Akerlof, 84 Q. J. Econ. 488 ff. hat herausgearbeitet, dass dieses Problem durch Informationsasymmetrien verursacht wird, wofür er den Wirtschaftsnobelpreis erhielt. 318 Siehe oben S. 45 f. Zu Informationsasymmetrien siehe oben S. 265 f.; Liekefett, Due Diligence bei M&A-Transaktionen, S. 58 f.; Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 481. 319 Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 287. 320 Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, S. 423 f. 321 Vgl. Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 287. 322 Siehe oben S. 52 f. 317

300

E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

bb) Negative Auswirkungen Andererseits kann sich der Informationsaustausch zwischen Erwerber und Zielunternehmen (bzw. Veräußerer) auch negativ auf den Wettbewerbsprozess und das Marktergebnis auswirken. Die wettbewerblichen Bedenken gegen den Informationsaustausch der Zusammenschlussparteien entsprechen dabei im Grunde denen, die der kartellrechtlichen Beurteilung von Informationsaustauschvorgängen allgemein zugrunde liegen.323 Die primäre Gefahr für den Wettbewerb besteht demnach darin, dass durch den Informationsaustausch ein kollusives Verhalten ermöglicht wird. Bei der Entwicklung einer theory of harm, die dem kartellrechtlichen Einschreiten gegen einen Informationsaustausch von Zusammenschlussparteien zugrunde liegen muss, sind die nachfolgend genannten Besonderheiten zu berücksichtigen. (1) Breite und Tiefe des Informationsaustauschs können Einigung auf Kollusionsergebnis erleichtern Kennzeichnend für den Informationsaustausch im Vorfeld von Unternehmenszusammenschlüssen ist vor allem dessen großer Umfang. Er umfasst nicht nur ein sehr breites Spektrum an Themen, sondern geht darüber hinaus in den einzelnen Bereichen stark in die Tiefe.324 Obwohl der Informationsaustausch nicht regelmäßig erfolgt, sondern einmaliger Natur ist,325 kann er daher das Zustandekommen einer kollusiven Praxis begünstigen. Er erlaubt zwar nicht die kontinuierliche Überwachung der Einhaltung eines Kollusionsergebnisses, kann aber durchaus die initiale Einigung auf ein stabiles Kollusionsergebnis, von dem alle beteiligten Unternehmen gleichermaßen profitieren, erleichtern. Dies kommt vor allem dann in Betracht, wenn das Zielunternehmen Informationen über sein künftiges Marktverhalten übermittelt, da der Erwerber in diesem Fall sein weiteres Verhalten entsprechend anpassen kann. Aber auch durch die Übermittlung von Informationen, die weniger sensibel sind, kann in Einzelfällen die Einigung auf ein Kollusionsergebnis erleichtert werden.326 (2) Gefahr einer langfristigen kollusiven Praxis, wenn das Zusammenschlussvorhaben nicht vollzogen wird Die Ermöglichung eines Kollusionsergebnisses ist vor allem dann problematisch, wenn ein Zusammenschluss letztlich nicht vollzogen wird. In diesem Fall kann der Informationsaustausch auf dem betroffenen Markt die Grundlage für eine langfristige kollusive Praxis schaffen. Aus welchem Grund der Vollzug des Zusammenschlusses unterbleibt, ist hierfür nicht entscheidend. Allerdings ist das Einschwenken auf eine kollusive Praxis in den Fällen besonders wahrscheinlich, in denen der Zusammenschluss an einer Untersagung durch die Kommission oder eine andere 323 324 325 326

Siehe oben S. 268 ff. Siehe oben S. 293 ff. Siehe unten S. 303 f. Siehe oben S. 269 f.

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

301

Kartellbehörde scheitert, da er zur Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung geführt hätte. Verfügen Erwerber und Zielunternehmen gemeinsam über eine erhebliche Marktmacht und gibt es kaum disziplinierenden Außenwettbewerb, ist das Risiko besonders groß, dass sich ein Kollusionsergebnis am Markt durchsetzen lässt. Ob ein Zusammenschluss letztlich vollzogen wird oder nicht, lässt sich ex ante nicht mit Sicherheit vorhersagen. Auch im finalen Stadium einer Unternehmenstransaktion kann ein Vorhaben noch scheitern. Um einen effektiven Schutz des Wettbewerbs zu gewährleisten, sollte bei der Beurteilung des Informationsaustauschs daher die Hypothese zugrunde gelegt werden, dass der Zusammenschluss noch scheitern kann und die beteiligten Unternehmen langfristig voneinander unabhängige Marktakteure bleiben. Besondere Vorsicht ist dann angezeigt, wenn ein Zusammenschlussvorhaben über eine große Untersagungsnähe verfügt. (3) Gefahr zwischenzeitlicher Wettbewerbsbeschränkungen Vorrangig sind demnach die kartellrechtlichen Bedenken gegen zusammenschlussbezogene Informationsaustauschvorgänge darauf stützen, dass sich ex ante nicht ausschließen lässt, dass der fragliche Zusammenschluss letztlich nicht vollzogen wird und es zu einer langfristigen Beeinträchtigung des Wettbewerbs auf dem betroffenen Markt kommt. Daneben ließe sich die Annahme eines Kartellverstoßes jedoch grundsätzlich bereits damit begründen, dass der Wettbewerb in der Zeit zwischen dem Informationsaustausch und dem Vollzug beschränkt wird. Sofern nicht schon eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung vorliegt,327 ist allerdings fraglich, wie wahrscheinlich der Eintritt zwischenzeitlicher wettbewerbsbeschränkender Auswirkungen ist. Neben der engen zeitlichen Limitierung ist insoweit auch zu berücksichtigen, dass ein Zusammenschluss nur dann vollzogen werden kann, wenn er von der Kommission freigegeben wurde. Die Freigabeerteilung impliziert, dass der Zusammenschluss aufgrund der Marktstellung der betroffenen Unternehmen und der Marktstruktur den Wettbewerb nicht wesentlich beeinträchtigt. Es dürfte daher vielfach einen disziplinierenden Außenwettbewerb geben, der es unwahrscheinlicher macht, dass sich eine kollusive Praxis etablieren kann. Jenseits von klaren Fällen bezweckter Wettbewerbsbeschränkungen dürfte das Szenario der zwischenzeitlichen Wettbewerbsbeschränkung daher häufig weniger geeignet sein, um den Vorwurf eines Kartellverstoßes zu tragen. Die vorrangige theory of harm ist vielmehr, dass im Falle eines Unterbleibens des Zusammenschlusses eine langfristige kollusive Praxis auf dem betroffenen Markt ermöglicht werden kann. (4) Vorgetäuschte Zusammenschlussverhandlungen In den USA wurde wiederholt die Befürchtung geäußert, dass Zusammenschlussverhandlungen lediglich vorgetäuscht werden könnten, um unter deren 327

Siehe oben S. 278 ff. Vgl. Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 72 ff.

302

E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

Deckmantel einen kartellrechtswidrigen Informationsaustausch vorzunehmen.328 Solche „sham negotiations“ könnten zweifelsohne schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkungen ermöglichen. Es ist jedoch zu bezweifeln, dass es sich hierbei um ein realistisches Szenario handelt: Unternehmenstransaktionen erwecken bei den Kartellbehörden in hohem Maße Aufmerksamkeit. Die Vortäuschung eines Zusammenschlussvorhabens wäre daher kein besonders geschickter Weg, um einen kartellrechtswidrigen Informationsaustausch zu verbergen. Eine besondere Spielart der sham negotiations wäre das vom Erwerber lediglich vorgetäuschte Interesse an einem Zusammenschluss, um auf Geschäftsgeheimnisse des tatsächlich an einem Zusammenschluss interessierten Zielunternehmens zuzugreifen. Auch der Eintritt dieses Szenarios ist jedoch wenig wahrscheinlich, da das Zielunternehmen bzw. der Veräußerer bereits aus kommerziellen Gründen geeignete Maßnahmen ergreifen wird, um eine Aushorchung durch Wettbewerber zu verhindern. (5) Zwischenergebnis Aufgrund seiner besonders großen Breite und Tiefe kann der Informationsaustausch im Vorfeld eines Unternehmenszusammenschlusses die Einigung auf ein Kollusionsergebnis erleichtern und hierdurch im Falle des Scheiterns des Vorhabens die Grundlage für eine langfristige kollusive Praxis schaffen. In dieser Befürchtung liegt die zentrale theory of harm, die der Beurteilung von zusammenschlussbezogenen Informationsaustauschvorgängen zugrunde zu legen ist. Besonders bedenklich kann sich ein Informationsaustausch dann auswirken, wenn ein Zusammenschlussvorhaben über eine große Untersagungsnähe verfügt. In diesem Fall ist es zum einen wahrscheinlicher, dass der Zusammenschluss letztlich unterbleibt und die Unternehmen selbstständige Marktakteure bleiben. Zum anderen vergrößern die Faktoren, die zu einer Untersagung führen können,329 das Risiko, dass sich ein Informationsaustausch wettbewerbsbeschränkend auswirkt.330 cc) Umstände, die wettbewerbliche Bedenken mildern Auch wenn sich demnach der Austausch von strategischen Informationen durch die Zusammenschlussparteien negativ auswirken kann, müssen bei der Beurteilung von zusammenschlussbezogenen Informationsaustauschvorgängen auch einige 328 Arquit, Remarks Before the ABA Antitrust Section Spring Meeting 1989, zitiert nach Kling/Nugent, Negotiated Acquisitions of Companies, Subsidiaries and Divisions, § 9.03, Fn. 1. Vigdor, Premerger Coordination, S. 90 f.; Blumenthal, 63 Antitrust L. J. 1, 32 ff. 329 Insbesondere die Marktstellung der Unternehmen und die Marktstruktur. 330 Insofern bestehen Berührungspunkte zwischen den Kriterien, welche die Kommission zur Beurteilung von Informationsaustauschvorgängen heranzieht (Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 75 ff.) und denen, die im Rahmen der Beurteilung von Zusammenschlussvorhaben eine Rolle spielen (siehe hierzu eingehend MünchKommEuWettbR-Montag/v. Bonin, Art. 2 FKVO, Rdnr. 54 ff., 132 ff.).

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

303

Faktoren berücksichtigt werden, welche die wettbewerblichen Bedenken erheblich mildern. (1) Bestehen eines berechtigten Interesses Der Erwerber, der Veräußerer und das Zielunternehmen haben ein berechtigtes Interesse daran, Informationen mit strategischer Relevanz auszutauschen. So ist es für die Durchführung von Unternehmenstransaktionen aus drei Gründen erforderlich, dass der Erwerber einen umfassenden Einblick in das Zielunternehmen erhält: Erstens benötigt der Erwerber möglichst detaillierte Informationen über das Zielunternehmen, um beurteilen zu können, ob dieses für ihn ein interessantes Akquisitionsobjekt ist. So muss der Erwerber ein Urteil darüber fällen, ob die Akquisition des Zielunternehmen dazu geeignet ist, seine strategischen Ziele voranzubringen, indem zum Beispiel Synergieeffekte erzielt werden können oder der Zugriff auf wertvolles Know-how ermöglicht wird. Zweitens ist ein weitreichender Informationsaustausch notwendig, um das Zielunternehmen bewerten und den Kaufpreis bemessen zu können. Nur wenn der Erwerber Zugriff auf strategisch relevante Informationen erhält, wird er eine realistische Abschätzung des tatsächlichen Werts des Zielunternehmens vornehmen können. Drittens ist der Erwerber auf Informationen über das Zielunternehmen angewiesen, um dessen Integration in das eigene Unternehmen zu planen. Eine schnelle und gut geplante Integration ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für Unternehmenstransaktionen und setzt einen frühzeitigen Einblick in die Abläufe des Zielunternehmens voraus. Aufgrund des berechtigten Interesses an einem umfangreichen Informationsaustausch ist der Umstand, dass im Vorfeld eines Zusammenschlusses in großem Umfang strategische Informationen offengelegt werden, noch nicht kartellrechtlich verdächtig.331 Nichtsdestoweniger kann auch ein Informationsaustausch, der ohne wettbewerbsbeschränkende Intention erfolgt, Wettbewerbsbeschränkungen ermöglichen. (2) Einmaligkeit des Informationsaustauschs Der Informationsaustausch der Zusammenschlussparteien erfolgt bloß einmalig. Zwar können sich sowohl die Due Diligence als auch die Integrationsplanung über einen längeren Zeitraum erstrecken. Es erfolgt aber kein regelmäßiger Informationsaustausch, wie er beispielsweise für Marktinformationsverfahren typisch ist.332

331

Vgl. zur Berücksichtigung von alternativen Erklärungen für ein Verhalten und die daraus folgende Ablehnung einer abgestimmten Verhaltensweise EuGH, 31. 03. 1993, Rs. C-89/85, Slg. 1993 I-1307, Ziff. 126 f. – Ahlström/Kommission. 332 Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 608.

304

E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

Die wettbewerblichen Bedenken gegen einen einmaligen Informationsaustausch sind deutlich geringer als die gegen einen regelmäßigen Informationsaustausch.333 So ist ein einmaliger Informationsaustausch grundsätzlich nicht dazu geeignet, die Einhaltung eines Kollusionsergebnisses zu überwachen. Von ihm geht keine disziplinierende Wirkung aus, da er keine Aufdeckung von Wettbewerbsvorstößen ermöglicht. Aufgrund höherer Anreize zum Abweichen (cheat) werden sich Kollusionsergebnisse daher insgesamt als instabiler erweisen.334 Die zu erwartende geringere Stabilität macht es dabei von vornherein unwahrscheinlicher, dass es überhaupt zu einer abgestimmten Verhaltensweise kommt. Ein einmaliger Informationsaustausch eignet sich lediglich dazu, die initiale Einigung auf ein Kollusionsergebnis zu erleichtern. Dabei kann den beteiligten Unternehmen insbesondere der Austausch von Informationen über das künftige Preis- oder Mengenverhalten erleichtern, sich auf die Parameter eines Kollusionsergebnisses (sog. focal point335) zu einigen.336 Insgesamt mildert die Einmaligkeit des Informationsaustauschs die wettbewerblichen Bedenken gegen zusammenschlussbezogene Informationsaustauschvorgänge deutlich.337 Im Einzelfall ist allerdings zu prüfen, inwieweit bereits ein einmaliger Informationsaustausch eine wettbewerbsbeschränkende Angleichung der Parameter ermöglicht. Dies kann insbesondere beim Austausch sensibler zukunftsbezogener Informationen oder bei besonders kollusionsanfälligen Marktstrukturen zu bejahen sein. (3) Einseitigkeit der Informationsübermittlung Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Informationsübermittlung zumeist einseitig vom Zielunternehmen zum Erwerber erfolgt, um die Informationsasymmetrien im Hinblick auf den Wert des Zielunternehmens abzubauen. Lediglich bei besonderen Konstellationen, beispielsweise Fusionen oder der Gründung von Gemeinschaftsunternehmen, erfolgt ein echter Informationsaustausch.338 Die Gefahr, dass eine einseitige Informationsoffenlegung ein kollusives Verhalten ermöglicht, ist deutlich geringer als bei einem wechselseitigen Informationsaustausch. In der Regel 333 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 91. Siehe oben S. 288. Vgl. Besen/Gronemeyer, CCZ 2009, 67, 68 f.; Capobianco, CMLR 2004, 1247, 1266; Dreher/Hoffmann, WuW 2011, 1181, 1194; Karenfort, WuW 2008, 1154, 1164; Schroeder, WuW 2009, 718, 724. 334 Karenfort, WuW 2008, 1154, 1164; Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 254. Vgl. auch Capobianco, CMLR 2004, 1247, 1266. 335 Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 320 f. 336 Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 254. 337 Vgl. Besen/Gronemeyer, CCZ 2009, 67, 68. 338 Zudem erfolgt in Einzelfällen auch im Rahmen einer „Gegen-Due Diligence“ eine Überprüfung von Kaufinteressenten. Gegenstand einer solchen Due Diligence sind jedoch in aller Regel keine strategischen Informationen mit Relevanz für das Marktverhalten, sondern nur Informationen mit Bezug zur Fähigkeit des Kaufinteressenten, den Kaufpreis für das Zielunternehmen zu finanzieren, vgl. Angersbach, Due Diligence beim Unternehmenskauf, S. 69.

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

305

kann sich eine einseitige Informationsoffenlegung nur dann problematisch auswirken, wenn sie das künftige Marktverhalten zum Gegenstand hat.339 So könnte beispielsweise eine bevorstehende Preissteigerung signalisiert werden, um das andere Unternehmen zum Mitziehen zu bewegen.340 Auch durch die Einseitigkeit der Informationsübermittlung werden die kartellrechtlichen Bedenken gegen zusammenschlussbezogene Informationsaustauschvorgänge im Ergebnis erheblich reduziert. In aller Regel wird allein die einseitige Offenlegung von Informationen über das künftige Marktverhalten ernsten Anlass zu kartellrechtlichen Bedenken bieten. Aufgrund der großen Breite und Tiefe des Informationsaustauschs im Vorfeld von Unternehmenstransaktionen sind Ausnahmen von diesem Grundsatz zwar insbesondere dann möglich, wenn die jeweilige Marktstruktur kollusive Praktiken stark begünstigt. Die Annahme eines solchen Ausnahmefalls wäre jedoch begründungsbedürftig. Größere Vorsicht müssen die beteiligten Unternehmen walten lassen, sofern ein wechselseitiger Informationsaustausch erfolgt. (4) Autonomes unternehmerisches Interesse am Schutz von Geschäftsgeheimnissen In der Regel bestehen nicht nur aus wettbewerblicher Perspektive Bedenken gegen einen zu weitgehenden Informationsaustausch der Zusammenschlussparteien. Vielmehr sprechen bereits unternehmerische Interessen des Zielunternehmens bzw. des Veräußerers gegen eine zu weitgehende Offenlegung von strategischen Informationen und Geschäftsgeheimnissen, da aus deren Übermittlung erhebliche Wettbewerbsnachteile erwachsen können, sollte das Vorhaben scheitern. Bereits aus kommerziellen Gründen werden daher besonders sensible Informationen häufig gar nicht oder nur unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen offengelegt.341 Sofern derartige Eigenschutzmechanismen intakt sind, vermindert dies die kartellrechtlichen Bedenken gegen den Informationsaustausch deutlich. So wird durch intakte Eigenschutzmechanismen zum einen der Umfang der offengelegten sensiblen Informationen begrenzt. Zum anderen zeigen die Unternehmen dadurch, dass sie sich weiterhin als autonome Wettbewerber begreifen. (5) Art des Zusammenschlusses Welche Auswirkungen ein Informationsaustausch auf den Wettbewerb haben kann, hängt auch maßgeblich davon ab, ob er im Rahmen eines horizontalen, vertikalen oder konglomeraten Zusammenschlusses erfolgt. Bedenklich kann sich der Austausch von Informationen vor allem in horizontalen Konstellationen auswirken, 339

Siehe oben S. 277 f. Vgl. Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 62. Vgl. Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 255 f. 341 Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass die Geschäftsleitung des Zielunternehmens bei der Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen auch gesellschaftsrechtliche Grenzen zu beachten hat. Körber, NZG 2002, 263; Müller, NJW 2000, 3452. 340

306

E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

da hierbei die Gefahr besteht, dass der Informationsaustausch ein kollusives Verhalten ermöglicht.342 Bei nichthorizontalen Zusammenschlüssen sind negative Auswirkungen auf den Wettbewerbsprozess hingegen deutlich unwahrscheinlicher. Bei vertikalen Zusammenschlüssen sind Erwerber und Zielunternehmen nicht auf demselben Markt, sondern auf vor- bzw. nachgelagerten Marktstufen tätig. Die Ermöglichung einer kollusiven Praxis ist daher nicht zu befürchten, sodass weniger kartellrechtliche Bedenken bestehen.343 Nichtsdestoweniger kann in besonderen Fällen der Eintritt von vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen möglich sein.344 Auch kann es zu Wettbewerbsbeeinträchtigungen kommen, wenn der Erwerber vom Zielunternehmen Informationen über seine Wettbewerber erlangt, mit denen das Zielunternehmen Geschäftsbeziehungen unterhält. Hierdurch kann es zu einer Einschränkung des Wettbewerbs zwischen dem Erwerber und seinen Wettbewerbern kommen.345 Keine kartellrechtlichen Bedenken bestehen im Allgemeinen gegen den Austausch von Informationen im Vorfeld von konglomeraten Zusammenschlüssen.346 dd) Ergebnis Die Zusammenschlussparteien haben ein berechtigtes und nachvollziehbares Interesse am Austausch von Informationen mit strategischer Relevanz. Dieses Interesse ist auch aus ökonomischer Perspektive anerkennenswert, da der Abbau von Informationsasymmetrien über das Zielunternehmen die Effizienz des Markts für Unternehmenskontrolle erhöht, eine Voraussetzung für die Ermöglichung von Effizienzgewinnen durch Zusammenschlüsse ist und darüber hinaus die Erfolgsaussichten von Unternehmenstransaktionen erhöht. Aufgrund ihrer großen Breite und Tiefe können zusammenschlussbezogene Informationsaustauschvorgänge jedoch in Einzelfällen die Einigung auf ein Kollusionsergebnis erleichtern, was sich insbesondere dann als problematisch erweist, wenn ein Zusammenschluss aufgrund einer Untersagung nicht vollzogen wird. Die genauere Untersuchung hat allerdings ge342

Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 65 ff. Bennett/Collins, ECJ 2010, 311, 320 ff. In besonderen Konstellationen sind auch Fälle einer wettbewerbswidrigen Marktverschließung denkbar, sofern nicht am Informationsaustausch beteiligte Wettbewerber durch den Informationsaustausch auf dem Markt schlechtergestellt werden als die Unternehmen, welche die Informationen ausgetauscht haben. Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 69 ff. Bennett/ Collins, ECJ 2010, 311, 324 ff. 343 Vgl. Besen/Gronemeyer, CCZ 2009, 67, 68; FK-Rahlmeyer, Fallgruppen Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV, II. 6. Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, Rdnr. 50; Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff-Nordemann, § 1 GWB, Rdnr. 89. 344 Siehe oben S. 290. 345 Kommission, Leitlinien zur Bewertung nichthorizontaler Zusammenschlüsse, Ziff. 78. 346 Vgl. Besen/Gronemeyer, CCZ 2009, 67, 68; Loewenheim/Meessen/RiesenkampffNordemann, § 1 GWB, Rdnr. 89. Vgl. auch FK-Rahlmeyer, Fallgruppen Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV, II. 6. Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, Rdnr. 50. Die Ausführungen müssen erst recht für den Informationsaustausch in konglomeraten Konstellationen gelten.

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

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zeigt, dass verschiedene Eigenarten des zusammenschlussbezogenen Informationsaustauschs die Gefahr mildern, dass eine kollusive Praxis ermöglicht wird. Wettbewerbliche Bedenken bestehen demnach vor allem dann, wenn in horizontalen Konstellationen zukunftsbezogene strategische Informationen347 mit besonders hoher Wettbewerbsrelevanz ausgetauscht werden. c) Einzelfallbeurteilung des Informationsaustauschs im Vorfeld von horizontalen Zusammenschlüssen Bei der Anwendung des Kartellverbots auf den Informationsaustausch im Vorfeld des Vollzugs von horizontalen Unternehmenszusammenschlüssen348 sind die Auswirkungen auf das Marktergebnis und den Wettbewerbsprozess maßgeblich zu berücksichtigen. Die Anwendung des Kartellverbots auf die Zusammenschlussparteien sollte demnach einerseits gewährleisten, dass der Austausch von Informationen in Fällen unterbunden wird, in denen tatsächlich mit einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs zu rechnen ist.349 Andererseits sollte die Verbotsanordnung nicht über das unbedingt erforderliche Maß hinausgehen, um das grundsätzlich positiv zu bewertende Streben der Zusammenschlussparteien nach der Beseitigung von Informationsasymmetrien nicht unnötig zu behindern.350 Um dies zu gewährleisten, ist im Einzelfall unter Berücksichtigung von Verhältnismäßigkeitserwägungen351 praktische Konkordanz zwischen den legitimen Informationsbedürfnissen und den zwingenden Erfordernissen des Wettbewerbsschutzes herzustellen. Man wird dabei nicht in Frage stellen können, dass es den beteiligten Unternehmen grundsätzlich gestattet sein muss, Informationen mit strategischer Relevanz352 auszutauschen. Gerade solche Informationen sind es, die Rückschlüsse auf die zukünftigen Ertragsaussichten und den Wert des Zielunternehmens erlauben.353 Ohne die Offenlegung von strategischen Informationen wird sich ein Unternehmenszusammenschluss daher in aller Regel nicht durchführen lassen. Zudem hat die vorausgehende Untersuchung der Auswirkungen des zusammenschlussbezogenen Informationsaustauschs gezeigt, dass verschiedene Umstände die kartellrechtlichen Bedenken gegen den Austausch strategischer Informationen durch die Zusammen-

347 Im Wesentlichen wird es sich dabei um Informationen über das künftige Marktverhalten handeln. 348 Da wettbewerbliche Bedenken vor allem in horizontalen Zusammenschlusskonstellationen aufkommen, konzentriert sich die Untersuchung nachfolgend auf den Austausch von Informationen durch Wettbewerber. 349 Dies ist insbesondere dann zu befürchten, wenn das Einschwenken auf eine kollusive Praxis ermöglicht wird. 350 Vgl. Besen/Gronemeyer, CCZ 2009, 67, 69. 351 Vgl. Rosenthal/Thomas, European Merger Control, Abschnitt E., Rdnr. 55. 352 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 86. 353 Dies entspricht auch der Praxis des DOJ, siehe oben S. 124 f.

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E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

schlussparteien entscheidend mildern und es daher nicht angezeigt ist, solche Vorgänge unter einen kartellrechtlichen Generalverdacht zu stellen. Bei der Anwendung des Kartellverbots auf Informationsaustauschvorgänge der Zusammenschlussparteien geht es vielmehr darum, Vorgänge zu verhindern, durch die tatsächlich eine spürbare Beeinträchtigung mindestens eines Wettbewerbsparameters des betroffenen Markts eintritt.354 Dies ist dann zu befürchten, wenn besonders wettbewerbssensible Informationen offengelegt werden, die trotz der Einseitigkeit und Einmaligkeit des Informationsaustauschs sowie des Bestehens eines berechtigten und nachvollziehbaren Interesses an einem Einblick in das Zielunternehmen unweigerlich eine Beschränkung des Wettbewerbs nach sich ziehen, indem sie die Unsicherheit über das künftige Marktgeschehen erheblich reduzieren und somit eine autonome Festlegung des künftigen Marktverhaltens unmöglich machen (aa)). Sofern der Austausch derartiger Informationen für die Durchführung eines Zusammenschlusses dennoch zwingend erforderlich ist, sind Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, die den Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen verhindern (bb)). Auf diese Weise ist unter Berücksichtigung von Verhältnismäßigkeitserwägungen355 ein praktischer Ausgleich zwischen den Erfordernissen des Wettbewerbsschutzes und den legitimen Informationsbedürfnissen des Erwerbers herzustellen (cc)). Ein Rückgriff auf die ancillary restraints-Doktrin oder die Legalausnahme wird in der Regel nicht erforderlich sein, um den Informationsaustausch der Zusammenschlussparteien zu rechtfertigen (dd)). Der herausgearbeitete Maßstab entspricht im Wesentlichen den von den US-Kartellbehörden entwickelten Vorgaben für zusammenschlussbezogene Informationsaustauschvorgänge (ee)). aa) Abschichtung problematischer Informationen In einem ersten Schritt ist abzuschichten, welche Informationen zum Kernbereich derjenigen strategischen Informationen gehören, deren Kenntnis durch den Erwerber eine weiterhin autonome Festlegung des Marktverhaltens unwahrscheinlich macht, sondern stattdessen vielmehr das Einschwenken auf eine kollusive Praxis und eine Angleichung der Wettbewerbsparameter erwarten lässt. Welche Informationen diesem Kernbereich zuzuordnen sind, hängt stark von den Umständen des Einzelfalls ab. Insbesondere die Eigenarten des betroffenen Markts und die Stellung der beteiligten Unternehmen auf diesem sind insoweit von Bedeutung.356 Im Allgemeinen werden vor allem Informationen über das künftige Marktverhalten in den Kernbereich der Informationen fallen, die vom Zielunternehmen nicht übermittelt werden dürfen. Auch wenn das Zielunternehmen nur einseitig offenlegt, welches Marktverhalten es plant, kann das Einschwenken auf eine kollusive Praxis ermöglicht werden, indem die Unsicherheit des Erwerbers über das künftige 354 355 356

Vgl. Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 75. Vgl. Rosenthal/Thomas, European Merger Control, Abschnitt E., Rdnr. 55. Siehe oben S. 281 ff.

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

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Marktgeschehen entscheidend verringert wird.357 Der Erwerber wird das über das Verhalten des Zielunternehmens erlangte Wissen bei der Festlegung seines Wettbewerbsverhaltens berücksichtigen, wodurch die Anreize zu Wettbewerbsvorstößen sinken können. Dies wirkt sich insbesondere dann problematisch aus, wenn das Zusammenschlussvorhaben letztendlich scheitert. Vor allem die Offenlegung von Informationen über geplante Wettbewerbshandlungen, konkret ausgearbeiteten Geschäftsplänen und genauen Marktstrategien ist daher unter dem Kartellverbot problematisch. Besonders groß sind die kartellrechtlichen Bedenken, wenn künftige Preise und Geschäftsbedingungen oder das geplante Mengenverhalten offengelegt werden.358 In Ausnahmefällen kann darüber hinaus anderen strategischen Informationen359 eine derart hohe Wettbewerbsrelevanz zukommen, dass deren einseitige und einmalige Offenlegung durch das Zielunternehmen die Ermöglichung von Wettbewerbsbeschränkungen zur Folge haben kann. Bedenken können insbesondere bei der Offenlegung von aktuellen Preis- und Kundenlisten aufkommen. Auch die Übermittlung von detaillierten Kostenaufschlüsselungen kann kritisch zu bewerten sein, sofern hierdurch Rückschlüsse auf Preise gezogen werden können.360 Weniger bedenklich ist in aller Regel der Austausch über aktuelle Mengen, Umsätze und Marktanteile. Letztlich ist im Hinblick auf diese Informationen eine Einzelfallbeurteilung unumgänglich, welche die Besonderheiten des betroffenen Markts würdigt und untersucht, ob ausnahmsweise bereits die einmalige und einseitige Offenlegung dieser Informationen Wettbewerbsprobleme verursacht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht schon allgemeine Bedenken gegen eine Erhöhung der Markttransparenz ausreichen, um einen Kartellverstoß zu begründen, sondern vielmehr mittels einer tragfähigen theory of harm dargelegt werden muss, dass eine negative Beeinträchtigung zumindest eines Wettbewerbsparameters wahrscheinlich ist. Letztlich besteht somit neben der eindeutig problematischen Offenlegung des künftigen Marktverhaltens ein recht breiter Graubereich, in dem Wettbewerbsprobleme auftreten können. In diesem Graubereich obliegt es der Kommission oder der jeweiligen nationalen Kartellbehörde, darzulegen, dass im Einzelfall mit dem Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen zu rechnen ist. Für die Zusammenschlussparteien 357

Vgl. Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 62. Vgl. Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 73. 359 Die Kommission führt in den Horizontalleitlinien Preise, Kundenlisten, Produktionskosten, Mengen, Umsätze, Verkaufszahlen, Kapazitäten, Qualität, Marketingpläne, Risiken, Investitionen, Technologien sowie FuE-Programm und Ergebnisse als Beispiele für strategische Informationen an, Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 86. 360 Zu denken ist insoweit beispielsweise an detaillierte Kosteninformationen für ein bestimmtes Produkt, wenn diese Rückschlüsse auf konkurrierende Angebote des Zielunternehmens in bevorstehenden Wettbewerbssituationen ermöglichen. Der Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen ist dabei insbesondere in Branchen denkbar, die durch wenige, aber großvolumige Vertragsabschlüsse gekennzeichnet sind und in denen Erwerber und Zielunternehmen immer wieder als Wettbewerber aufeinandertreffen. Beispielhaft angeführt werden können insoweit Rüstungsunternehmen sowie Flugzeug- oder Zughersteller. 358

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E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

kommt es darauf an, abzuschichten, welche Informationen eine derart hohe Bedeutung für ihre Markttätigkeit und bevorstehende Wettbewerbssituationen haben, dass deren Austausch unterbleiben sollte. bb) Vorkehrungen zur Verhinderung des Eintritts von Wettbewerbsbeschränkungen Es sind Situationen denkbar, in denen bestimmte Informationen zur Bewertung des Zielunternehmens zwar zwingend erforderlich sind, es aber wahrscheinlich ist, dass sich ihr Austausch wettbewerbsbeschränkend auswirken würde.361 Der in diesen Fällen bestehende Widerspruch zwischen legitimem Informationsbedürfnis und dem zwingendem Erfordernis des Wettbewerbsschutzes kann aufgelöst werden, indem Vorkehrungen ergriffen werden, durch die der Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen verhindert wird. Entsprechende Vorsichtsmaßnahmen können zudem auch aus kommerziellen Gründen empfehlenswert sein, um Geschäftsgeheimnisse zu schützen. Die nachfolgend erläuterten Maßnahmen können je nach den Umständen des Einzelfalls allein oder in Kombination den Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen verhindern. (1) Vertraulichkeitsvereinbarungen Durch Vertraulichkeitsvereinbarungen können dem Informationsempfänger Restriktionen im Hinblick auf den Umgang mit den erlangten Daten auferlegt werden.362 Sie werden häufig nicht primär aus kartellrechtlichen Gründen geschlossen, sondern um die Geschäftsgeheimnisse des Zielunternehmens zu schützen.363 Vertraulichkeitsvereinbarungen können allerdings auch dem wettbewerbsbeschränkenden Potenzial eines Informationsaustauschs entgegenwirken, wenn sie vorsehen, dass die offengelegten Informationen nur für die Zwecke der Due Diligence oder der Integrationsplanung verwendet und nicht an Mitarbeiter aus dem operativen Geschäft (insbes. Preissetzung, Vertrieb, Marketing) weitergeben werden dürfen.364 Als 361

Gerade die Offenlegung von Informationen über das geplante Marktverhalten und künftige Geschäftspläne kann erforderlich sein, um die Ertragsaussichten des Zielunternehmens bewerten zu können. 362 Gottschalk, RIW 2005, 905, 911; Modrall/Ciullo, ECLR 2003, 424, 429; Reinert, Gun Jumping und Zusammenschlusskontrolle, in: Vogt/Stupp/Dubs, FS Watter, S. 376. 363 Siehe hierzu Götze, ZGR 1999, 202, 218; Schiffer/Bruß, BB 2010, 847 ff.; Stoffels, ZHR 165, 362, 378; Timmerbeil/Mansdörfer, BB 2011, 323, 325; von Werder/Kost, BB 2010, 2903 ff. 364 Reinert, Gun Jumping und Zusammenschlusskontrolle, in: Vogt/Stupp/Dubs, FS Watter, S. 376. Vgl. Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 10; von Werder/Kost, BB 2010, 2903, 2906 f. Der Abschluss von Vertraulichkeitsvereinbarungen wurde auch vom DOJ in den Verfahren Gemstar und Computer Associates als Voraussetzung dafür bezeichnet, dass besonders sensible Informationen ausgetauscht werden dürfen. United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Final Judgment, 11. 07. 2003, Case No. 03-0198, Abschnitt IV. B. 4. und V. D.; United States v. Computer Associates International, Inc., Final Judgment, Case

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

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besonders wirksam werden sich Vertraulichkeitsvereinbarungen dann erweisen, wenn sie abschließend festlegen, welche Mitarbeiter Zugriff auf welche Informationen haben dürfen. Zudem sollten feste Regelungen darüber enthalten, wie mit den erlangten Informationen im Falle des Scheiterns des Vorhabens zu verfahren ist.365 Den Vorgaben der Vertraulichkeitsvereinbarung sollte Nachdruck verliehen werden, indem für den Fall ihrer Missachtung eine angemessene Vertragsstrafe vereinbart wird.366 Enthalten Vertraulichkeitsvereinbarungen die beschriebenen Regelungen, können sie die wettbewerblichen Bedenken gegen einen Informationsaustausch abmildern. Sie sollten jedoch mit weiteren Instrumenten367 kombiniert werden, um den Eintritt einer Wettbewerbsbeschränkung sicher ausschließen zu können.368 (2) Einschalten von independent agents Auch das Einschalten von unabhängigen Dritten, sogenannten independent agents, kann dem Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen durch den Austausch sensibler Informationen entgegenwirken.369 Als independent agents können beispielsweise Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwälte agieren, die anstelle des Erwerbers auf sensible Daten zugreifen, diese auswerten und ihre Schlussfolgerungen dem Erwerber in Form eines Berichts übermitteln. Sofern dieser Bericht ausreichend von den eigentlichen Daten abstrahiert, kann die Einschaltung von independent agents den Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen wirksam verhindern. Sofern die unabhängigen Dritten ihre Mittlerrolle nicht gewissenhaft ausüben und hierdurch ein Kartellverstoß ermöglicht wird, kann nach den Ausführungen des EuG in AC Treuhand zur Verantwortlichkeit von Beratungsunternehmen eine Zurechnung des Kartellverstoßes zum independent agent in Betracht kommen.370 Ein großer Vorteil des Einschaltens von independent agents besteht darin, dass über sie der Zugriff auf Informationen mit allerhöchster strategischer Relevanz möglich wird, ohne dass der Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen droht. Der Nachteil dieser Methode ist jedoch, dass unabhängige Dritte in der Regel nicht über dieselbe Branchenexpertise verfügen wie der Erwerber, wodurch die Qualität der No. 01-02062 (GK), Abschnitt V. D. Vgl. auch das Vorgehen der FTC in Insilco, FTC Decision and Order, Insilco Corporation, 27. 01. 1998, 125 F.T.C. 293, 306 f. 365 Vgl. Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 612; Stoffels, ZHR 165, 362, 378. 366 Stoffels, ZHR 165, 362, 378. 367 Beispielsweise der Bildung eines clean teams. Siehe hierzu unten S. 312 f. 368 Besen/Gronemeyer sind sogar der Auffassung, dass der Abschluss einer Vertraulichkeitsvereinbarung höchstwahrscheinlich nicht ausreicht, um wettbewerbliche Bedenken auszuräumen, Besen/Gronemeyer, CCZ 2009, 67, 70. 369 Siehe hierzu Besen/Gronemeyer, CCZ 2009, 67, 70; Reinert, Gun Jumping und Zusammenschlusskontrolle, in: Vogt/Stupp/Dubs, FS Watter, S. 376; Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 482 f. Zur gesellschaftsrechtlichen Perspektive siehe Götze, ZGR 1999, 202, 216 f.; Körber, NZG 2002, 263, 271; Stoffels, ZHR 165, 362, 377. 370 EuG, 08. 07. 2008, Rs. T-99/04, Slg. 2008 II-1501, Ziff. 152 ff. – AC Treuhand. Vgl. hierzu auch allgemein Fine, Antitrust Report 2010, Issue 3, S. 3 ff.

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E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

Informationsauswertung beeinträchtigt werden kann. Zudem ist das Wissen von unabhängigen Dritten über den Erwerber in der Regel begrenzt, sodass diese Synergieeffekte schlechter bewerten können als der Erwerber selbst.371 Zu berücksichtigen ist außerdem, dass die Einschaltung von independent agents erhebliche Kosten verursachen kann.372 (3) Bildung von clean teams Viele der Nachteile von independent agents können durch die Bildung eines clean team vermieden werden, das mit der Auswertung der offengelegten strategischen Informationen betraut wird. Ein clean team besteht zwar aus Mitarbeitern des Erwerbers, diese werden jedoch von sämtlichen Tätigkeiten mit Bezug zum operativen Geschäft entbunden und streng von ihm getrennt.373 Auf diese Weise kann die Bewertung von wettbewerblich sensiblen Informationen durch fachkundige Mitarbeiter aus dem eigenen Unternehmen erfolgen, ohne dass die Ermöglichung von Wettbewerbsbeschränkungen droht. Damit ein clean team als Schutzmechanismus funktioniert, muss eine vollkommene Abschottung der jeweiligen Mitglieder vom operativen Geschäft sichergestellt sein. Weder dürfen Berichtslinien bestehen noch darf es möglich sein, dass auf informellen Wegen Informationen an das operative Geschäft durchsickern. Aus diesem Grund sollten die betroffenen Mitarbeiter auch räumlich vom operativen Geschäft getrennt und die Gründung des clean team von Vertraulichkeitsvereinbarungen flankiert werden.374 Scheitert das Zusammenschlussvorhaben letztlich, dürfen die im clean team eingesetzten Mitarbeiter erst dann wieder im operativen Geschäft tätig werden, wenn die ihnen gegenüber offengelegten Informationen über keine strategische Relevanz mehr verfügen375 und als historisch zu bewerten sind.376 Wird der Zusammenschluss freigegeben und vollzogen, können die Mitarbeiter unmittelbar nach dem Vollzug wieder im operativen Geschäft eingesetzt werden. Clean teams ermöglichen die Auswertung von wettbewerbssensiblen Informationen durch branchenkundige Mitarbeiter des Erwerbers. Hierfür muss der Erwerber den Abzug von qualifizierten Mitarbeitern aus dem operativen Geschäft in Kauf nehmen. Die Bildung von clean teams ist aus diesem Grund vorrangig für größere 371

Vgl. Besen/Gronemeyer, CCZ 2009, 67, 70; Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 483. 372 Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 27. 373 Besen/Gronemeyer, CCZ 2009, 67, 70; Gottschalk, RIW 2005, 905, 911; Immenga/ Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 15; Modrall/Ciullo, ECLR 2003, 424, 429; Reinert, Gun Jumping und Zusammenschlusskontrolle, in: Vogt/Stupp/Dubs, FS Watter, S. 376; Reysen/ Jaspers, WuW 2006, 602, 610; Rosenthal/Thomas, European Merger Control, Abschnitt E., Rdnr. 49. 374 Siehe hierzu von Werder/Kost, BB 2010, 2903, 2906 f. 375 Besen/Gronemeyer, CCZ 2009, 67, 70; Gottschalk, RIW 2005, 905, 911. 376 Siehe oben S. 287 f.

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

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Unternehmen eine Option.377 Die von großen Konzernen häufig unterhaltenen M&AAbteilungen können als clean team agieren, sofern eine klare Trennung vom operativen Geschäft gewährleistet ist. (4) Überwachung des Informationsaustauschs durch externe Berater Unabhängige Dritte können nicht nur als independent agents mit der Bewertung sensibler Daten beauftragt werden, sondern auch allgemein zur Überwachung der Kartellrechtskonformität des Informationsaustauschs eingeschaltet werden.378 Anders als independent agents würden die externen Berater die offengelegten Informationen in diesem Fall nicht selbst auswerten, sondern lediglich den Informationsaustausch und die Vorkehrungen zur Verhinderung des Eintritts von Wettbewerbsbeschränkungen überwachen. Zudem können die externen Berater in Zweifelsfragen von Erwerber und Zielunternehmen als Ansprechpartner herangezogen werden. Das Einschalten von externen Beratern als Überwachungsinstanz kann ein ergänzendes Schutzinstrument sein, um die Kartellrechtskonformität des Informationsaustauschs der Zusammenschlussparteien zu gewährleisten. Auf diese Weise lässt sich unterstreichen, dass sich die Zusammenschlussparteien weiterhin als eigenständige Marktakteure begreifen und bemüht sind, die kartellrechtlichen Vorgaben einzuhalten. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass nach der aktuellen Rechtsprechung des Gerichtshofs in Schenker unzutreffender externer Rechtsrat nicht ohne Weiteres die subjektive Vorwerfbarkeit eines Kartellverstoßes und damit gemäß Art. 23 Abs. 2 UnterAbs. 1 VO 1/2003 das Bußgeldrisiko entfallen lässt.379 Das Urteil des Gerichtshofs betraf allerdings eine sehr eindeutig zu beurteilende Preisabsprache. In weniger klaren Fällen dürfte ein schuldausschließender Verbotsirrtum hingegen nicht prinzipiell ausscheiden. Hierfür sprechen auch die Ausführungen von Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen.380 In diesen hatte die Generalanwältin sieben Voraussetzungen herausgearbeitet, unter denen ein fehlerhafter Rechtsrat einen schuldausschließenden Verbotsirrtum begründen kann.381 Auch wenn der EuGH auf diese Voraussetzungen nicht zurückgegriffen hat, ermöglichen sie in Fällen weniger eindeutiger Kartellverstöße – wie solchen des Informationsaustauschs – überzeugende Ergebnisse.

377

Besen/Gronemeyer, CCZ 2009, 67, 70. Vgl. Reinert, Gun Jumping und Zusammenschlusskontrolle, in: Vogt/Stupp/Dubs, FS Watter, S. 376. 378 Vgl. Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 612. 379 EuGH, 18. 06. 2013, Rs. C-681/11, noch nicht in Slg. veröffentlicht, Ziff. 38 f. – Schenker. Siehe hierzu Kersting, WuW 2013, 845 ff. 380 Schlussanträge GA Kokott, 28. 02. 2013, Rs. C-681/11, Ziff. 62 ff. – Schenker. 381 Schlussanträge GA Kokott, 28. 02. 2013, Rs. C-681/11, Ziff. 62 ff. – Schenker.

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E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

(5) Aggregation Auch die Aggregation von Informationen stellt eine Möglichkeit dar, um einen ansonsten bedenklichen Zugriff auf Informationen zu ermöglichen.382 Beispielsweise können anstelle von nach Kunden oder Produkten aufgeschlüsselten Daten lediglich Durchschnittswerte genannt werden. Eine andere Möglichkeit ist es, ausschließlich Angaben dazu zu machen, wie sich die Situation im Zielunternehmen im Vergleich zum Branchendurchschnitt darstellt (besser, gleich oder schlechter). In jedem Einzelfall ist zu gewährleisten, dass die Aggregation in ausreichendem Maße erfolgt, sodass Rückschlüsse auf wettbewerbsrelevante individuelle Daten unmöglich sind. (6) Historische Informationen Neben der Aggregation von Daten stellt der Rückgriff auf historische Daten, die über keine strategische Relevanz mehr verfügen, eine Option dar, um den Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen zu verhindern.383 Denkbar ist auch eine Kombination beider Mechanismen, beispielsweise in Form einer Offenlegung von detaillierten historischen Daten sowie von aggregierten aktuellen Daten, um dem Erwerber eine Bewertung des Zielunternehmens zu ermöglichen. (7) Abgestufte Informationspreisgabe Um die kartellrechtlichen Bedenken gegen den Informationsaustausch der Zusammenschlussparteien zu reduzieren, bietet es sich außerdem an, die Informationspreisgabe abgestuft vorzunehmen. In der Anfangsphase der Transaktionsanbahnung, in der noch relativ offen ist, ob der Zusammenschluss durchgeführt werden kann, sollten nur allgemeine, öffentlich zugängliche und wettbewerblich irrelevante Informationen offengelegt werden. Erst wenn sich das Zusammenschlussvorhaben weiter konkretisiert und ein Scheitern unwahrscheinlich wird, sollten sensiblere Informationen preisgegeben werden.384 Ein abgestuftes Vorgehen empfiehlt sich insbesondere dann, wenn zunächst mehrere Unternehmen am Erwerb des Zielunternehmens interessiert sind,385 da in diesem Fall klar ist, dass letztlich nur eines der interessierten Unternehmen das Zielunternehmen übernehmen wird. Eine abgestufte Informationspreisgabe ist zur Vermeidung von Wettbewerbsbeeinträchtigungen sinnvoll, da mit dem Fortschreiten der Zusammenschlussverhandlungen die Wahrscheinlichkeit steigt, dass der Zusammenschluss tatsächlich 382

Vgl. Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 89. Siehe oben S. 287. Vgl. Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 90. Siehe oben S. 287 f. 384 Vgl. Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 610 f.; Vigdor, Premerger Coordination, S. 188; Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren, S. 482; MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 62. Zur gesellschaftsrechtlichen Perspektive siehe Stoffels, ZHR 165, 362, 376 f. 385 Vgl. Stoffels, ZHR 165, 362, 376. 383

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

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vollzogen wird.386 Nichtsdestoweniger ist zu bedenken, dass eine Transaktion auch noch kurz vor dem Vollzug scheitern kann. In der Vergangenheit sind Zusammenschlussvorhaben selbst nach der fusionskontrollrechtlichen Freigabe noch aufgegeben worden.387 Für Informationen mit hoher strategischer Relevanz müssen daher neben der Abstufung der Informationspreisgabe flankierende Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden. (8) Zwischenergebnis Unternehmen, die einen Zusammenschluss beabsichtigen, stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung, um den wettbewerblichen Bedenken zu begegnen, die gegen die Offenlegung von strategischen Daten mit Wettbewerbsrelevanz sprechen. Je nach den Umständen des Einzelfalls sind mehrere Instrumente zu kombinieren, um zu verhindern, dass es durch die Offenlegung der Informationen zu einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs kommt. Sollte es für die Durchführung eines Zusammenschlusses erforderlich werden, dass Informationen mit höchster Wettbewerbsrelevanz ausgetauscht werden, empfiehlt sich die Einschaltung von independent agents. Sie stellen eine sehr wirksames Mittel dar, um den Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen zu verhindern. Die jeweiligen Vorkehrungen müssen sich nicht auf den gesamten Informationsaustausch beziehen. Es genügt vielmehr, wenn die Maßnahmen im Hinblick auf die wettbewerbsrelevanten Teilbereiche der Datenübermittlung ergriffen werden. cc) Herstellung praktischer Konkordanz zwischen den Erfordernissen des Wettbewerbsschutzes und legitimen Informationsbedürfnissen Die Zusammenschlussparteien müssen demnach zunächst abschichten, welche Informationen im jeweiligen Einzelfall und trotz der regelmäßig gegebenen Einmaligkeit und Einseitigkeit der Informationsübermittlung dazu geeignet sind, eine Wettbewerbsbeschränkung zu ermöglichen. Der Austausch dieser Informationen muss unterbleiben. Ist eine Übermittlung der entsprechenden Informationen allerdings für die Durchführung des Zusammenschlusses zwingend erforderlich, ist ein Austausch ausnahmsweise zulässig, wenn sich durch geeignete Vorkehrungen gewährleisten lässt, dass keine Wettbewerbsbeschränkungen ermöglicht werden. Diese Herangehensweise an zusammenschlussbezogene Informationsaustauschvorgänge erlaubt im Allgemeinen die Herstellung eines praktischen Ausgleichs zwischen den 386

Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 610 f. Ein Beispiel hierfür ist der Versuch der Übernahme von Guidant durch Johnson & Johnson. Nach der Freigabe dieses Zusammenschlusses setzte sich letztlich doch ein konkurrierendes Übernahmeangebot von Boston Scientific durch, obwohl die Übernahme durch Johnson & Johnson ursprünglich vom Zielunternehmen Guidant begrüßt worden war. Vgl. Kommission, 25. 08. 2005, COMP/M.3687 – Johnson & Johnson/Guidant; Kommission, 11. 04. 2006, COMP/M.4076 – Boston Scientific/Guidant. Vgl. Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 610 f. 387

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E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

zwingenden Erfordernissen des Wettbewerbsschutzes und den legitimen Informationsbedürfnissen der Zusammenschlussparteien. Anstatt den Austausch strategischer Daten unter einen kartellrechtlichen Generalverdacht zu stellen, ist jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung ökonomischer Erfahrungssätze zu prüfen, ob hierdurch eine Beeinträchtigung des Wettbewerbsprozesses droht. Dabei lässt sich mitunter ex ante nur schwer beurteilen, ob der Austausch von Informationen tatsächlich eine wettbewerbsbeschränkende Verhaltensabstimmung ermöglicht. In der unzweifelhaft bestehenden Grauzone ist es erforderlich, unter Berücksichtigung von Verhältnismäßigkeitserwägungen eine Risikoprognose vorzunehmen und zu entscheiden, ob und unter welchen Bedingungen die Offenlegung der Informationen erfolgen kann. dd) Rückgriff auf die ancillary restraints-Doktrin und Legalausnahme nicht erforderlich Ein Rückgriff auf die ancillary restraints-Doktrin und die Legalausnahme ist in der Regel nicht erforderlich, um den notwendigen Informationsaustausch der Zusammenschlussparteien kartellrechtlich zu rechtfertigen. (1) Ancillary restraints-Doktrin In der Literatur wird mitunter angeführt, dass die ancillary restraints-Doktrin388 auf den Informationsaustausch im Vorfeld von Unternehmenszusammenschlüssen anzuwenden ist.389 Ein Unternehmenskauf sei ohne eine Prüfung des Zielunternehmens nicht zu realisieren. Aus diesem Grund müsse der Informationsaustausch im Rahmen einer Due Diligence als Nebenabrede zulässig sein, sofern er in angemessenem Umfang erfolgt.390 Es ist jedoch zu bezweifeln, dass die Anwendung der ancillary restraints-Doktrin auf den zusammenschlussbezogenen Informationsaustausch überhaupt erforderlich ist. Mittels der ancillary restraints-Doktrin lässt sich argumentieren, dass eine Einschränkung der wirtschaftlichen Freiheit eines Marktakteurs, die eigentlich den Tatbestand des Kartellverbots erfüllt, ausnahmsweise keine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellt, da sie eine Nebenabrede ist, die zur Durchführung einer positiv zu bewertenden Hauptvereinbarung notwendig ist und nicht über das erforderliche Ausmaß hin-

388 Siehe hierzu Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Diaz, Art. 81 Abs. 1 EGV, Rdnr. 140 ff. 389 Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 609; Rosenthal/Thomas, European Merger Control, Abschnitt E., Rdnr. 55; MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 61 f. Vgl. Wagner-von Papp, Information Exchange Agreements, S. 14 f. 390 Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 609. Vgl. Wagner-von Papp, Information Exchange Agreements, S. 14 f.

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

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ausgeht.391 Die genauere Untersuchung der kartellrechtlichen Beurteilung zusammenschlussbezogener Informationsaustauschvorgänge hat jedoch gezeigt, dass diese nicht grundsätzlich im Konflikt mit dem Kartellverbot stehen, sondern nur der Austausch von Informationen mit hoher Wettbewerbsrelevanz problematisch sein kann. Im Hinblick auf diese Informationen ist der Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen zu verhindern, indem entweder die Informationsübermittlung unterbleibt oder geeignete Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden, die eine Abstimmung des Marktverhaltens verhindern. Freilich würde die Anwendung der ancillary restraints-Doktrin angesichts der maßgeblichen Verhältnismäßigkeits- und Erforderlichkeitserwägungen im Ergebnis zu vergleichbaren Ergebnissen führen wie die hier vorgeschlagene Herangehensweise. Ungeachtet dessen ist ein Rückgriff auf die Doktrin nicht angezeigt, da bereits auf tatsächlicher Ebene der Eintritt von tatbestandlichen Wettbewerbsbeschränkungen zu verhindern ist. Hinzuweisen ist zudem darauf, dass die Kommission in ihrer Bekanntmachung zu Nebenabreden zu Zusammenschlüssen die Fallgruppe des Informationsaustauschs nicht als ancillary restraint nennt.392 (2) Legalausnahme Auch ein Rückgriff auf die Legalausnahme des Art. 101 Abs. 3 AEUV ist aus den angeführten Gründen in der Regel nicht erforderlich, um den Austausch von Informationen durch die Zusammenschlussparteien zu rechtfertigen. Zwar mag in Einzelfällen die Heranziehung von Art. 101 Abs. 3 AEUV dennoch in Betracht kommen, um einen eigentlich wettbewerbsbeschränkenden Informationsaustausch zu rechtfertigen. Es wird allerdings zumeist mit erheblichen praktischen Schwierigkeiten verbunden sein, nachzuweisen, dass Effizienzgewinne erzielt werden, die an die Verbraucher weitergegeben werden. ee) Vergleich mit der Beurteilung unter dem US-Kartellrecht Die in diesem Abschnitt vorgeschlagene Herangehensweise an zusammenschlussbezogene Informationsaustauschvorgänge, die sich an den möglichen Auswirkungen auf den Wettbewerbsprozess und das Marktergebnis orientiert, deckt sich im Ergebnis weitgehend mit der Herangehensweise des DOJ an den Informationsaustausch der Zusammenschlussparteien. Das DOJ hatte in den Verfahren Gemstar und Computer Associates ausgeführt, dass der Informationsaustausch im Rahmen einer üblichen Due Diligence zulässig sei, wobei Informationen über gegenwärtige oder künftige Preise und Informationen über aktuelle Vertragsangebote nur dann 391

Vgl. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Diaz, Art. 81 Abs. 1 EGV, Rdnr. 140 ff. Zu einer ausführlichen Auswertung der Rechtsprechung zur ancillary restraints-Doktrin siehe Jebelli, EU Ancillary Restraints: a reasoned approach to Article 101(1), S. 4 ff. 392 Zudem führt die Kommission in der Bekanntmachung an, dass vor allem Beschränkungen, die sich nach einem Kontrollwechsel auswirken, als Nebenabreden qualifiziert werden können. Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 14.

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E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

ausgetauscht werden dürften, wenn ein berechtigtes Interesse besteht und geeignete Sicherheitsmaßnahmen zur Verhinderung von Wettbewerbsbeschränkungen ergriffen werden.393 Auch das DOJ stellt demnach die Zulässigkeit des Informationsaustauschs der Zusammenschlussparteien grundsätzlich nicht in Frage, sondern hat vielmehr lediglich Bedenken gegen den Austausch von besonders wettbewerbssensiblen strategischen Informationen.394 Daneben urteilte auch der Court of Appeals for the Seventh Circuit in Omnicare v. United Health Group, dass der Informationsaustausch der Zusammenschlussparteien unbedenklich ist, sofern die Zusammenschlussparteien Maßnahmen ergreifen, um den Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen zu verhindern.395 In Abweichung vom DOJ empfiehlt es sich, die Kategorie der Informationen, deren Austausch unterbleiben sollte bzw. abgesichert werden muss, nicht kategorisch auf Informationen über künftige Preise und aktuelle Vertragsangebote zu beschränken. Auch andere Informationen mit Bezug zum künftigen Marktverhalten können kollusive Praktiken ermöglichen. Insoweit muss eine Einzelfallbetrachtung maßgeblich sein, welche die Besonderheiten der betroffenen Branche würdigt. d) Besondere Konstellationen Jenseits von klassischen Fällen des Erwerbs der Kontrolle über ein Zielunternehmen durch einen Anteils- oder Vermögenserwerb sind Zusammenschlusskonstellationen denkbar, in denen bei der Beurteilung des Informationsaustauschs Besonderheiten zu beachten sein können. aa) Gründung von Gemeinschaftsunternehmen Bei der Gründung von Gemeinschaftsunternehmen erfolgt im Rahmen der Due Diligence mitunter eine wechselseitige Überprüfung der Geschäftsbereiche, die in das Gemeinschaftsunternehmen eingebracht werden sollen.396 Da ein wechselseitiger Austausch von Informationen erfolgt, ist in diesen Konstellationen das Risiko höher, dass eine wettbewerbsbeschränkende Verhaltensabstimmung ermöglicht wird.397 Zudem kann die kooperative Atmosphäre bei der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens das Zustandekommen von abgestimmten Verhaltensweisen begünstigen. Die kartellrechtlichen Grenzen für den Informationsaustausch sollten daher bei der Gründung von Gemeinschaftsunternehmen sehr genau beachtet 393

United States v. Gemstar-TV Guide International, Inc., Final Judgment, 11. 07. 2003, Case No. 03-0198, Abschnitt IV. B. 4. und V. D.; United States v. Computer Associates International, Inc., Final Judgment, Case No. 01 – 02062 (GK), Abschnitt V. D. 394 Siehe oben S. 124 ff. 395 Siehe oben S. 76 ff. 396 Liekefett, Due Diligence bei M&A-Transaktionen, S. 35. 397 Mordall/Ciullo, ECLR 2003, 424, 429.

IV. Informationsaustausch zwischen den Zusammenschlussparteien

319

werden. Insbesondere darf der Informationsaustausch keine Koordinierung auf Märkten ermöglichen, die nicht in das Gemeinschaftsunternehmen eingebracht werden (spillover-Effekte).398 bb) Bietwettbewerb Besondere Vorsicht ist aus kartellrechtlicher Perspektive bei Bietwettbewerben geboten, da die Informationen über das Zielunternehmen gegenüber einer Vielzahl von Bietern offengelegt werden, von denen notwendigerweise nur einer den Zuschlag erhalten kann. Problematisch ist diese Konstellation insbesondere dann, wenn viele oder gar alle der Unternehmen, die auf dem relevanten Markt tätig sind, Zugriff auf diese Informationen erhalten. In diesem Fall ist die Marktabdeckung der am Informationsaustausch beteiligten Unternehmen besonders hoch, was die Entstehung kollusiver Praktiken begünstigt.399 Die Preisgabe von Informationen über das Zielunternehmen sollte daher unbedingt abgestuft erfolgen.400 cc) Fusion Auch im Falle von Fusionen kommt es zu einem wechselseitigen Austausch von Informationen. Um dem gesteigerten Risiko einer Ermöglichung kollusiver Praktiken zu begegnen, ist in besonderem Maße darauf zu achten, durch geeignete Vorkehrungen401 den Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen zu verhindern.402 dd) Vertikale und konglomerate Zusammenschlüsse Wie bereits ausgeführt wurde, bestehen in vertikalen oder konglomeraten Zusammenschlusskonstellationen nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen kartellrechtliche Bedenken gegen den Austausch strategischer Informationen.403 4. Ergebnis zur Beurteilung des Informationsaustauschs der Zusammenschlussparteien Trotz der großen Breite und Tiefe, die der Informationsaustausch der Zusammenschlussparteien gewöhnlich hat, bestehen gegen ihn keine prinzipiellen kartellrechtlichen Bedenken. So eignet sich eine einmalige und einseitige Informationsübermittlung nur bedingt, um kollusive Praktiken zu ermöglichen. Es besteht 398 399 400 401 402 403

Vgl. Immenga/Mestmäcker-Zimmer, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rdnr. 313 ff. Siehe oben S. 285. Siehe oben S. 314 f. Siehe oben S. 310 ff. Vgl. Mordall/Ciullo, ECLR 2003, 424, 429. Siehe oben S. 305 f.

320

E. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV

insofern ein qualitativer Unterschied zu der regelmäßigen und wechselseitigen Offenlegung von Informationen, wie sie insbesondere im Rahmen von Marktinformationsverfahren praktiziert wird. Demnach ist nicht schon allein deshalb ein Kartellverstoß anzunehmen, weil dem Erwerber in großem Umfang strategische Informationen über das Zielunternehmen übermittelt werden. Nichtsdestoweniger muss die Anwendung des Kartellverbots auf zusammenschlussbezogene Informationsaustauschvorgänge gewährleisten, dass die Offenlegung von solchen Informationen unterbleibt, deren Kenntnis durch den Erwerber mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Beeinträchtigung eines Wettbewerbsparameters erwarten lässt. Dies ist insbesondere bei der Übermittlung von Informationen über das künftige Marktverhalten des Zielunternehmens zu befürchten. In Ausnahmefällen kann sich das Risiko der Ermöglichung einer abgestimmten Verhaltensweise aber auch bei der Offenlegung anderer strategischer Informationen realisieren. Insoweit kommt es darauf an, unter Berücksichtigung der Marktstruktur und der Besonderheiten der betroffenen Branche die Auswirkungen im Einzelfall zu beurteilen. Besteht die Gefahr, dass es durch die Offenlegung bestimmter Informationen zu Wettbewerbsbeschränkungen kommt, dürfen diese Informationen nicht übermittelt werden. Sofern die jeweiligen Informationen für die Durchführung eines Zusammenschlusses unerlässlich sind, kommt ein Austausch ausnahmsweise in Betracht, sofern durch geeignete Vorkehrungen sichergestellt werden kann, dass keine Wettbewerbsbeschränkungen eintreten.

V. Ergebnis Bis das Konzernprivileg eingreift, sind Erwerber und Zielunternehmen an das Kartellverbot gebunden. Der Wettbewerb zwischen den Zusammenschlussparteien wird grundsätzlich in dem gleichen Umfang geschützt wie der zwischen Unternehmen, die keinen Zusammenschluss beabsichtigen. Dabei kann die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Minderheitsbeteiligungen bei der Beurteilung der Interaktionen im Vorfeld eines Kontrollwechsels Orientierung bieten. Insbesondere ist demnach eine Einflussnahme auf das Marktverhalten des Zielunternehmens, die noch nicht die Kontrollschwelle erreicht, unter Art. 101 AEUV problematisch. Das Kartellverbot ergänzt insofern auf der Ebene der Verhaltenskontrolle das auf der Ebene der Marktstrukturkontrolle angesiedelte Vollzugsverbot als komplementäres Schutzinstrument. Besondere praktische Relevanz hat das Kartellverbot für die Beurteilung zusammenschlussbezogener Informationsaustauschvorgänge, bei deren Beurteilung die zu erwartenden Auswirkungen auf den Wettbewerbsprozess und das Marktergebnis maßgeblich berücksichtigt werden müssen.

VI. Exkurs: Anwendung von Art. 101 AEUV durch Mitgliedstaaten

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VI. Exkurs: Anwendung von Art. 101 AEUV durch Mitgliedstaaten Sofern es nicht ausnahmsweise an der Eignung zur Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten mangelt, haben die Mitgliedstaaten das Kartellverbot des Art. 101 AEUV gemäß Art. 3 Abs. 1 VO 1/2003 auf wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen von sich zusammenschließenden Unternehmen anzuwenden. Zudem darf gemäß Art. 3 Abs. 2 VO 1/2003 die Anwendung des mitgliedstaatlichen Wettbewerbsrechts nicht zu einer von Art. 101 AEUV abweichenden Beurteilung wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen oder abgestimmter Verhaltensweisen führen. Insoweit beanspruchen die in diesem Abschnitt herausgearbeiteten Beurteilungsmaßgaben auch für die Anwendung des Kartellverbots durch mitgliedstaatliche Kartellbehörden und Gerichte Geltung. Keine Bindung entfalten dabei allerdings die Leitlinien der Kommission. Insbesondere bei der Beurteilung von Informationsaustauschvorgängen sind daher Abweichungen von der in den Horizontalleitlinien festgehaltenen Herangehensweise an Informationsaustauschvorgänge denkbar. So zeigt beispielsweise die Erfahrung, dass das Bundeskartellamt auch in aktuellen Entscheidungen bei der Beurteilung von Informationsaustauschvorgängen nicht auf die Horizontalleitlinien der Kommission rekurriert, sondern vielmehr dazu tendiert, unter Verweis auf den Schutz des Geheimwettbewerbs den Austausch strategischer Informationen recht pauschal negativ zu bewerten. Mitunter entsteht dabei der Eindruck, dass das Bundeskartellamt der Entwicklung einer konkreten theory of harm eine geringere Bedeutung zumisst, als dies die Kommission in den Horizontalleitlinien tut. Zu beachten ist allerdings, dass die Horizontalleitlinien in zentralen Aspekten lediglich die EuGH-Rechtsprechung zum Informationsaustausch wiedergeben bzw. konkretisieren. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Faktorenanalyse zur Bestimmung der wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen.404 An die Rechtsprechung des Gerichtshofs sind selbstverständlich auch die Mitgliedstaaten bei der Auslegung und Anwendung des Kartellverbots gebunden.

404 Kommission, Horizontalleitlinien, Ziff. 75 ff. mit Verweisen auf die Rechtsprechung des EuGH in den Fußnoten.

F. Fallgruppen In den vorausgehenden Abschnitten der Untersuchung wurde der kartellrechtliche Maßstab herausgearbeitet, an dem Gun-Jumping-Verhaltensweisen zu messen sind. Demnach verbietet das Vollzugsverbot Maßnahmen, die vor der Freigabe eines Zusammenschlusses zu einem Kontrollwechsel führen. Das Kartellverbot erfasst hingegen wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen, die einem Kontrollwechsel vorgelagert sind. Nachfolgend werden beide Vorschriften auf verschiedene Fallgruppen angewandt. Soweit vorhanden wird dabei auch auf die Entscheidungspraxis der Kommission sowie der US-Kartellbehörden eingegangen. Grundsätzlich kommt es bei der kartellrechtlichen Beurteilung der Interaktionen der Zusammenschlussparteien vor dem Closing stark auf die Umstände des Einzelfalls an. Zu berücksichtigen sind insbesondere das Marktumfeld, die Stellung der beteiligten Unternehmen und die Besonderheiten der jeweiligen Transaktion. Die nachfolgende abstrakte Erläuterung von einzelnen Fallgruppen kann insoweit zwar Orientierung bieten, eine erschöpfende Einzelfallwürdigung aber nicht ersetzen. Die Kommission betont ausdrücklich, in Zweifelsfällen zu Gesprächen über die Zulässigkeit bestimmter Maßnahmen bereit zu sein.

I. Einflussnahme des Erwerbers auf das Verhalten des Zielunternehmens Aus kartellrechtlicher Perspektive ist es äußerst kritisch zu bewerten, wenn der Erwerber bereits vor der Freigabeerteilung Einfluss auf das Zielunternehmen ausübt. Hierdurch kann es zu Verstößen gegen das Vollzugs- oder Kartellverbot kommen (1.). Eine typische Form der Einflussnahme auf das Verhalten des Zielunternehmens sind Regelungen in Unternehmenskaufverträgen, durch welche die Handlungsfreiheit des Zielunternehmens in der Zeit zwischen dem Signing und Closing eingeschränkt wird (2.). Kartellrechtlich unbedenklich sind hingegen einseitige Verhaltensanpassungen, welche die beteiligten Unternehmen in Erwartung des Zusammenschlusses vornehmen (3.). 1. Einflussmöglichkeiten des Erwerbers Dem Erwerber darf vor der Freigabe eines Zusammenschlusses keine Möglichkeit eingeräumt werden, Einfluss auf das Zielunternehmen auszuüben. Eine Einflussnahme kann gegen das Vollzugsverbot (a)) oder das Kartellverbot verstoßen

I. Einflussnahme des Erwerbers auf das Verhalten des Zielunternehmens

323

(b)). Beispiele für eine unzulässige Einflussnahme lassen sich in der Praxis des DOJ finden (c)). a) Verstoß gegen das Vollzugsverbot Eine vorzeitige Einflussnahme des Erwerbers auf das Zielunternehmen verstößt gegen das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO, wenn sie die Schwelle eines Kontrollerwerbs erreicht. Ein Kontrollerwerb liegt gemäß Art. 3 Abs. 2 FKVO dann vor, wenn der Erwerber die Möglichkeit erhält, bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit des Zielunternehmens auszuüben.1 Hiervon ist auszugehen, wenn keine autonome Willensbildung des Zielunternehmens mehr erfolgt, sondern vielmehr der Erwerber dessen strategisches Verhalten bestimmen und seine Interessen durchsetzen kann.2 Hierfür ist es nicht erforderlich, dass die Einflussmöglichkeit des Erwerbers vertraglich festgeschrieben ist. Es genügt vielmehr, wenn in rein tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit besteht, für das Zielunternehmen strategische Entscheidungen zu treffen.3 Ferner setzt die Annahme eines Kontrollwechsels nicht voraus, dass sämtliche strategischen Entscheidungen nur noch vom Erwerber getroffen werden. Abhängig von den Umständen des Einzelfalls genügt es vielmehr, dass der Erwerber das Verhalten des Zielunternehmens in einzelnen strategischen Bereichen bestimmen kann. Die Einflussmöglichkeit muss dabei gleichwohl eine solche Erheblichkeit und Verfestigung aufweisen, dass vom Vorliegen einer von der Fusionskontrollverordnung erfassten Marktstrukturveränderung ausgegangen werden kann.4 Ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot muss vor diesem Hintergrund angenommen werden, wenn der Erwerber für das Zielunternehmen zentrale strategische Entscheidungen treffen kann oder er eine diesbezügliche Vetoposition erhält.5 Beispiele für eine unzulässige Kontrollausübung sind die Anordnung der Schließung einer Produktionsstätte, die systematische Einflussnahme auf Vertragsverhandlungen oder die Anordnung der Rücknahme eines Produkts vom Markt.6 b) Verstoß gegen das Kartellverbot Einflussmöglichkeiten des Erwerbers können auch dann problematisch sein, wenn sie nicht die Schwelle eines Kontrollerwerbs erreichen. So hat der EuGH in Philip Morris im Hinblick auf Minderheitsbeteiligungen ausgeführt, dass ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV anzunehmen sei, sofern der Erwerber die Möglichkeit 1

Vgl. Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 16. Siehe oben S. 217 ff. 3 Vgl. Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 55. 4 Siehe oben S. 219 ff. 5 Vgl. FK-Hellmann, Art. 7 FKVO, Rdnr. 13; Gottschalk, RIW 2005, 905, 909; Immenga/ Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 8; Mordall/Ciullo, ECLR 2003, 424, 429. 6 MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 51. 2

324

F. Fallgruppen

erhält, unterhalb der Kontrollschwelle Einfluss auf das Zielunternehmen auszuüben.7 Gleichermaßen ist im Vorfeld des Vollzugs eines Zusammenschlusses ein Verstoß gegen das Kartellverbot anzunehmen, sofern der Erwerber vorgelagert zum fusionskontrollrechtlichen Kontrollerwerb eine Einflussmöglichkeit auf das Zielunternehmen erhält und hierdurch der Wettbewerb beschränkt wird. Ob eine solche Einflussnahme lediglich als Kartellverstoß oder schon als Kontrollausübung im Sinne des Art. 3 Abs. 2 FKVO zu bewerten ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Liegt qualitativ eher eine Wettbewerbsbeschränkung durch ein einvernehmliches Zusammenwirken von Erwerber und Zielunternehmen vor, ist ein Kartellverstoß anzunehmen. Löst der Erwerber hingegen in strategischen Bereichen die autonome Willensbildung des Zielunternehmens ab, ist ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot anzunehmen.8 c) Beispiele aus der US-Behördenpraxis In der Praxis des US-amerikanischen DOJ lassen sich Beispiele für eine unzulässige vorzeitige Einflussnahme des Erwerbers finden. Im Fall Computer Associates beeinflusste der Erwerber vorzeitig die Konditionengestaltung des Zielunternehmens. Das DOJ nahm einen Übergang der unternehmerischen Kontrolle und daher einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot an.9 Auch in den Fällen Gemstar10, Qualcomm11 und Smithfield Foods12 nahm das DOJ Verstöße gegen das Vollzugsverbot an, da es zu einer Einflussnahme auf das operative Geschäft des Zielunternehmens gekommen ist. 2. Vertragliche Beschränkungen der Handlungsfreiheit des Zielunternehmens Eine besonders praxisrelevante Form der Einflussnahme auf das Verhalten des Zielunternehmens sind Bestimmungen in Unternehmenskaufverträgen, mittels derer die Handlungsfreiheit des Zielunternehmens in der Zeit zwischen dem Signing und Closing eingeschränkt wird. Das Ziel solcher conduct of business-Beschränkungen ist in der Regel, zu gewährleisten, dass der Wert des Zielunternehmens in der Zeit

7 EuGH, 17. 11. 1987, Rs. 142/84 und 156/84, Slg. 1987, 4487, Ziff. 38 – Philip Morris. Siehe oben S. 254 ff. 8 Siehe hierzu Buntscheck, Das „Konzernprivileg“ im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 EGVertrag, S. 130 f. 9 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 37. Siehe oben S. 91 ff. 10 Siehe oben S. 96 ff. 11 Siehe oben S. 101 ff. 12 Siehe oben S. 103 f.

I. Einflussnahme des Erwerbers auf das Verhalten des Zielunternehmens

325

zwischen Vertragsschluss und Vollzug nicht beeinträchtigt wird.13 Durch eine überschießende Ausgestaltung solcher Klauseln kann jedoch auch das Marktverhalten des Zielunternehmens in kartellrechtlich bedenklicher Weise beeinflusst werden. Nachfolgend wird herausgearbeitet, welchen Vorgaben conduct of businessBestimmungen entsprechen müssen, um kartellrechtlich unbedenklich zu sein. a) Erscheinungsformen Vertragliche Beschränkungen der Handlungsfreiheit des Zielunternehmens erfolgen in der Praxis in verschiedener Form. Eine verbreitete Gestaltung sind ordinary course of business-Klauseln, durch die das Zielunternehmen dazu verpflichtet wird, seine Geschäfte bis zum Closing in üblicher Weise weiterzuführen und Maßnahmen zu unterlassen, die über das gewöhnliche operative Geschäft hinausgehen. Durch solche Klauseln werden häufig Ausschüttungen, Verkäufe von Unternehmensteilen, größere Investitionen und die Einleitung von außergewöhnlichen gerichtlichen Auseinandersetzungen untersagt.14 Die Beschränkungen können dem Zielunternehmen sowohl in der Form eines absoluten Verbots als auch eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt auferlegt werden.15 Denkbar sind auch Konsultations- und Weisungsklauseln.16 Die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen eine ordinary course of business-Klausel kann ein Rücktrittsrecht beziehungsweise ein Unterlassungs-, Kaufpreisanpassungs- oder Schadensersatzanspruch des Erwerbers sein. Eine andere Form der Beschränkung des Zielunternehmens sind material adverse change-Klauseln17, die dem Käufer für den Fall einer wesentlichen Verschlechterung des Zielunternehmens ein Rücktrittsrecht einräumen.18 Material adverse changeKlauseln regeln die Verteilung des Risikos einer Verschlechterung des Zielunternehmens in der Zeit zwischen dem Signing und Closing zwischen Erwerber und Veräußerer. Sie können sich je nach Ausgestaltung sowohl auf exogen (durch äußere Umstände, zum Beispiel die allgemeine Wirtschaftsentwicklung) als auch auf endogen (durch das Zielunternehmen bzw. den Veräußerer, zum Beispiel Geschäfts13 Conduct of business-Klauseln sind daher in der Regel dann in Unternehmenskaufverträgen vorzufinden, wenn das Signing und Closing zeitlich auseinanderfallen, vgl. Gilson/ Schwartz, Understanding MACs: Moral Hazard in Acquisitions, S. 6 f. 14 Vigdor, Premerger Coordination, S. 37 ff. Vgl. Mielke/Welling, BB 2007, 277. 15 Vgl. Proger, Gun Jumping – Real Hazard or Just Hype?, The M&A Lawyer 2007, Ausgabe 8, S. 10. 16 Vgl. Mielke/Welling, BB 2007, 277. 17 Häufig wird von „MAC“-Klauseln gesprochen. Nach der CMS European M&A Study 2012 werden solche Klauseln in 16 Prozent der untersuchten europäischen Zusammenschlüsse verwendet. In den USA werden bei 93 Prozent der Zusammenschlüsse MAC-Klauseln vereinbArt. Meyding/Grau, M&A unter den aktuellen Marktbedingungen, in: Schalast, Aktuelle Aspekte des M&A-Geschäftes, Jahrbuch 2012, S. 15 f. 18 Gilson, Law and Economics in the Law Firm: The Case of MACs, in: Nobel/Gets, New Frontiers of Law and Economics, S. 174; Kuntz, DStR 2009, 377; Vigdor, Premerger Coordination, S. 37.

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F. Fallgruppen

führungsmaßnahmen) verursachte Verschlechterungen beziehen.19 Sofern material adverse change-Klauseln auch endogen verursachte Verschlechterungen erfassen, geht von ihnen potenziell eine Beschränkung der Handlungsfreiheit des Zielunternehmens aus. Neben typischen ordinary course of business- und material adverse changeKlauseln sind weitere individuell vereinbarte Vertragsbestimmungen denkbar, durch welche die Handlungsfreiheit des Zielunternehmens in der Zeit vor dem Closing beeinträchtigt werden kann. b) Mögliche Auswirkungen von conduct of business-Beschränkungen Grundsätzlich sind conduct of business-Beschränkungen Ausdruck des legitimen Interesses der Zusammenschlussparteien daran, die Risikoverteilung zwischen ihnen vertraglich zu regeln und das moral hazard-Problem zu lösen (aa)). Allerdings können von ihnen auch wettbewerbsbeschränkende Wirkungen ausgehen (bb)). aa) Risikoverteilung und Lösung des moral hazard-Problems Ordinary course of business- und material adverse change-Klauseln dienen dem legitimen Zweck, den Erwerber in der Zeit zwischen dem Vertragsschluss und Vollzug vor einer Verschlechterung des Zielunternehmens zu schützen, auf die nicht er, wohl aber das Zielunternehmen oder der Veräußerer Einfluss haben. Aus ökonomischer Perspektive sind entsprechende vertragliche Vorkehrungen sinnvoll, da sie das Risiko der Verschlechterung demjenigen aufbürden, der die Realisierung dieses Risikos verhindern kann, wodurch ineffizientem Verhalten entgegengewirkt wird.20 Ohne entsprechende vertragliche Vorkehrungen bestünden für das Zielunternehmen und den Veräußerer keine ausreichenden Anreize, um den Wert des Zielunternehmens bis zum Vollzug vor Beeinträchtigungen zu schützen, sodass sie hierzu keine ausreichenden Anstrengungen unternehmen würden. Man spricht insoweit auch vom moral hazard-Problem.21 Zur effizienten Gestaltung einer Transaktion haben die Zusammenschlussparteien ein berechtigtes Interesse daran, Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, um den Eintritt des moral hazard-Problems

19

Henssler, Material Adverse Change-Klauseln in deutschen Unternehmenskaufverträgen – (r)eine Modeerscheinung?, in: Baums/Lutter/Schmidt/Wertenbruch, FS Huber, S. 740; MünchKommHGB-Thiessen, Anhang § 25, Rdnr. 37. 20 Es handelt sich letztlich um die Internalisierung externer Kosten. Gilson, Law and Economics in the Law Firm: The Case of MACs, in: Nobel/Gets, New Frontiers of Law and Economics, S. 174. Vgl. MünchKommBGB-Wagner, Vorbemerkungen § 823 – § 853 BGB, Rdnr. 46. 21 Vgl. Gilson, Law and Economics in the Law Firm: The Case of MACs, in: Nobel/Gets, New Frontiers of Law and Economics, S. 177. Siehe zum moral hazard-Problem oben S. 46 f. und 265 f.

I. Einflussnahme des Erwerbers auf das Verhalten des Zielunternehmens

327

zu verhindern.22 Dürften die Zusammenschlussparteien keine entsprechenden Vorkehrungen ergreifen, müsste der Erwerber die Möglichkeit der Verschlechterung des Zielunternehmens einpreisen, wodurch die Transaktion für den Veräußerer unattraktiver würde. Die Notwendigkeit vertraglicher Vorkehrungen zur Verhinderung des moral hazard-Problems ist dann besonders groß, wenn der Unternehmenskaufvertrag einer Rechtsordnung unterfällt, die eine Risikoverteilung vorsieht, die für den Käufer ungünstiger ist als die Risikoverteilung durch die §§ 446 S. 1, 447 Abs. 1 BGB.23 Dies trifft beispielsweise auf die US-amerikanische Rechtsordnung mit dem caveat emptor-Grundsatz zu, der das Risiko einer zwischenzeitlichen Verschlechterung des Zielunternehmens weitgehend dem Käufer zuweist.24 bb) Wettbewerbsbeschränkende Wirkungen Conduct of business-Klauseln können sich durch die Beschränkung der Handlungsfreiheit des Zielunternehmens negativ auf den Wettbewerb auswirken. Dies ist insbesondere dann zu befürchten, wenn die Entscheidungsfreiheit des Zielunternehmens im Hinblick auf das eigene Marktverhalten eingeengt wird. Kartellrechtliche Bedenken sind dabei insbesondere dann angezeigt, wenn das Zielunternehmen in seiner Möglichkeit eingeschränkt wird, Wettbewerbsdruck auf den Erwerber auszuüben. Die wettbewerblichen Bedenken sind umso größer, je detaillierter und weitgehender die Vorgaben sind, die dem Zielunternehmen gemacht werden. In Einzelfällen kann dabei auch die Beschränkung der Möglichkeit, außergewöhnliche Entscheidungen zu treffen, beispielsweise Investitionen zu tätigen, zu einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs führen.25 c) Kartellrechtliche Schranken Im Rahmen der kartellrechtlichen Bewertung von conduct of business-Beschränkungen muss ein praktischer Ausgleich zwischen dem berechtigten Interesse an einer Risikovorsorge und möglichen Beeinträchtigungen des Wettbewerbs durch eine Einschränkung der Handlungsfreiheit des Zielunternehmens gefunden werden. Orientierung kann die Fallpraxis des US-amerikanischen DOJ bieten (aa)). Anschließend wird die Beurteilung von conduct of business-Beschränkungen unter Art. 101 Abs. 1 AEUV und Art. 7 Abs. 1 FKVO erläutert (bb)).

22

Vgl. Gilson, Law and Economics in the Law Firm: The Case of MACs, in: Nobel/Gets, New Frontiers of Law and Economics, S. 178; Mielke/Welling, BB 2007, 277. 23 Vgl. Kuntz, DStR 2009, 377, 380. 24 Vgl. Rittmeister, NZG 2004, 1032. 25 Vgl. United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 32. Vigdor, S. 37 ff.

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F. Fallgruppen

aa) Praxis des DOJ Das DOJ hat sich wiederholt mit conduct of business-Beschränkungen auseinandergesetzt.26 In Computer Associates ist es gegen eine weitgehende Beschränkung der Handlungsfreiheit des Zielunternehmens vorgegangen.27 Der Erwerber hatte dem Zielunternehmen unter anderem verboten, ohne vorherige Zustimmung Kunden bestimmte Vertragskonditionen wie hohe Rabatte einzuräumen, wobei die Einräumung derartiger Konditionen durchaus dem normalen Geschäftsgang des Zielunternehmens entsprochen hätte.28 Das DOJ nahm sowohl eine Verletzung des Kartellals auch Vollzugsverbots an, da es zu einer Einschränkung des Preiswettbewerbs zwischen Erwerber und Zielunternehmen29 sowie zu einem Kontrollwechsel gekommen sei.30 Übliche ordinary course of business- und material adverse changeKlauseln wurden hingegen für zulässig erklärt.31 Das DOJ führte aus, dass Beschränkungen nicht gegen das Kartell- oder Vollzugsverbot verstoßen, die dem Zielunternehmen untersagen, ohne vorherige Zustimmung des Erwerbers Dividenden anzukündigen oder auszuschütten, Aktien auszugeben oder zu verkaufen, den Gesellschaftsvertrag zu ändern, Unternehmensakquisitionen oder große Investitionen zu tätigen, Verbindlichkeiten außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsablaufs zu erfüllen oder außergewöhnliche32 Gerichtsverfahren einzuleiten.33 Weitere Beispiele für problematische conduct of business-Beschränkungen liefern das Qualcomm-34 und das Smithfield-Foods-Verfahren35. In beiden Fällen holte das Zielunternehmen zwischen dem Signing und Closing die Zustimmung des Erwerbers ein, bevor es größere Verträge abschloss, obwohl der Abschluss solcher Verträge nicht außergewöhnlich war.36 Das DOJ nahm in beiden Fällen einen Verstoß

26 Vgl. hierzu Reinert, Gun Jumping und Zusammenschlusskontrolle, in: Vogt/Stupp/Dubs, FS Watter, S. 367 f.; Vigdor, Premerger Coordination, S. 37 ff. 27 Siehe hierzu oben S. 91 ff. 28 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 15 ff. Vgl. Vigdor, Premerger Coordination, S. 38 f. 29 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 32. 30 Siehe oben S. 94 f. 31 United States v. Computer Associates International, Inc., Final Judgment, Case No. 0102062 (GK), Abschnitt V. 32 Darunter fällt beispielsweise nicht die gewöhnliche Inkassotätigkeit. 33 United States v. Computer Associates International, Inc., Competitive Impact Statement, 23. 04. 2002, Abschnitt II. C. 2. Vgl. Vigdor, Premerger Coordination, S. 38. 34 Siehe hierzu ausführlich oben S. 101 ff. 35 Siehe hierzu ausführlich oben S. 103 f. 36 United States v. Qualcomm Incorporated, Complaint for Civil Penalties, 13. 04. 2006, Case No. 06-0672, Ziff. 18 ff.; United States v. Smithfield Foods, Inc., Complaint for Civil Penalties, 21. 01. 2010, Case No. 10-0120, Ziff. 19.

I. Einflussnahme des Erwerbers auf das Verhalten des Zielunternehmens

329

gegen das Vollzugsverbot an.37 Qualcomm und Smithfield Foods verdeutlichen, dass das DOJ maßgeblich darauf abstellt, ob in das operative Geschäft des Zielunternehmens eingegriffen wird. Auch wenn im Rahmen des operativen Geschäfts sehr weitreichende Entscheidungen zu treffen sind – in Smithfield Foods ging es um Aufträge mit einem Volumen von bis zu 67 Millionen USD –, muss das Zielunternehmen diese bis zum Vollzug eigenständig treffen. Beschränkungen sind nur außerhalb des operativen Geschäfts zulässig. bb) Beurteilung unter Art. 101 AEUV und Art. 7 Abs. 1 FKVO Auch im Anwendungsbereich des europäischen Kartellrechts sind conduct of business-Beschränkungen nicht zu beanstanden, sofern sie nicht überschießend ausgestaltet werden. Die Kommission hat Beschränkungen der Handlungsfreiheit des Zielunternehmens in Entscheidungen wiederholt als Nebenabreden eingeordnet, soweit sie darauf abzielten, den Wert des Zielunternehmens bis zum Vollzug zu erhalten.38 Die Kommission hat dabei sowohl das Verbot, wesentliche Änderungen am Zielunternehmen vorzunehmen,39 als auch das Verbot, Handlungen außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsablaufs vorzunehmen, als zulässig erachtet.40 Daneben wurden Konsultationspflichten als Nebenabrede bewertet, soweit sie dazu erforderlich waren, den Wert des Zielunternehmens bis zum Vollzug zu schützen.41 Unter Verweis auf ihre Entscheidungspraxis ordnet die Kommission in ihrer Nebenabredenbekanntmachung die Vereinbarung, keine wesentlichen Veränderungen am Zielunternehmen vorzunehmen, als Nebenabrede ein.42 An der grundsätzlichen Zulässigkeit von ordinary course of business- und material adverse effect-Klauseln bestehen somit keine Zweifel.43 Gehen die Beschränkungen jedoch über das zum Erhalt des Werts des Zielunternehmens erforderliche Maß hinaus, kann ein Verstoß gegen das Kartellverbot (1)) oder das Vollzugsverbot (2)) vorliegen. 37

United States v. Qualcomm Incorporated, Complaint for Civil Penalties, 13. 04. 2006, Case No. 06-0672, Ziff. 30 ff. United States v. Smithfield Foods, Inc., Complaint for Civil Penalties, 21. 01. 2010, Case No. 10-0120, Ziff. 20. 38 Kommission, 27. 07. 1998, IV/M.1226, Ziff. 22 – GEC/GPTH; Kommission, 02. 10. 1997, IV/M.984, Ziff. 55 – Dupont/ICI; Kommission, 19. 12. 1997, IV/M.1057, Ziff. 16 – Terra Industries/ICI. Vgl. Reinert, Gun Jumping und Zusammenschlusskontrolle, in: Vogt/Stupp/ Dubs, FS Watter, S. 378 f. 39 Kommission, 02. 10. 1997, IV/M.984, Ziff. 55 – Dupont/ICI; Kommission, 19. 12. 1997, IV/M.1057, Ziff. 16 – Terra Industries/ICI. 40 Kommission, 02. 10. 1997, IV/M.984, Ziff. 55 – Dupont/ICI; Kommission, 18. 12. 1996, IV/M.861, Ziff. 19, 22 – Textron/Kautex; Kommission, 07. 08. 1996, IV/M.727, Ziff. 50 – BP/ Mobil. 41 Kommission, 18. 12. 1996, IV/M.861, Ziff. 19, 22 – Textron/Kautex. 42 Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 14. 43 Vgl. FK-Hellmann, Art. 7 FKVO, Rdnr. 11; Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 16; Linsmeier/Balssen, BB 2008, 741, 747; Mordall/Ciullo, ECLR 2003, 424, 429; Rosenthal/Thomas, European Merger Control, Abschnitt E., Rdnr. 56.

330

F. Fallgruppen

(1) Verstoß gegen das Kartellverbot Eine vertragliche Einschränkung der Handlungsfreiheit des Zielunternehmens stellt nur insoweit eine Nebenabrede zu einem Zusammenschluss dar, als sie für die Durchführung des Zusammenschlusses notwendig ist.44 Die Notwendigkeit ist dabei wiederum nur insoweit gegeben, als die Beschränkung zum Erhalt des Werts des Zielunternehmens bis zum Closing45 und somit letztlich zur Lösung des moral hazard-Problems erforderlich ist. Geht die Einschränkung über dieses Maß hinaus, ist sie am Kartellverbot zu messen. Das DOJ zieht dabei die Trennlinie zwischen außergewöhnlichen Entscheidungen, die eingeschränkt werden dürfen, und dem gewöhnlichen operativen Geschäft, in das nicht eingegriffen werden darf. Trotz leichter Unschärfen46 bringt diese Grenzziehung die widerstreitenden Interessen im Allgemeinen zu einem sinnvollen Ausgleich. So wird gewährleistet, dass das Zielunternehmen in seinem Wettbewerbsverhalten kaum eingeschränkt wird. Andererseits wird ein weitgehender Schutz des Erwerbers vor endogen verursachten Verschlechterungen des Zielunternehmens erreicht. Überschießende Klauseln sind am Kartellverbot zu messen. Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dabei anzunehmen, sofern eine Wettbewerbsbeschränkung zumindest bewirkt wird.47 Dies kann bei horizontalen Zusammenschlüssen beispielsweise zu bejahen sein, wenn das Zielunternehmen in seiner Preis- und Konditionengestaltung eingeschränkt wird.48 Bei vertikalen Zusammenschlüssen wäre eine Wettbewerbsbeschränkung etwa anzunehmen, wenn die Beschränkungen letztlich eine Preisbindung der zweiten Hand bewirken.49 Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV kommt nicht nur bei ausdrücklichen vertraglichen Vorgaben in Betracht, sondern auch dann, wenn das Zielunternehmen den Erwerber hinsichtlich seines Verhaltens im operativen Geschäft um Weisungen bittet und es in der Folge zu einer Koordinierung des Marktverhaltens kommt, die dem Selbstständigkeitspostulat zuwiderläuft.50 44

Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 7. Vgl. Kommission, 27. 07. 1998, IV/M.1226, Ziff. 22 – GEC/GPTH; Kommission, 02. 10. 1997, IV/M.984, Ziff. 55 – Dupont/ICI; Kommission, 19. 12. 1997, IV/M.1057, Ziff. 16 – Terra Industries/ICI. 46 Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch im Bereich des operativen Geschäfts eine Schädigung des Zielunternehmens in der Zeit zwischen dem Signing und Closing erfolgen kann. Andererseits können auch außergewöhnliche Entscheidungen und Maßnahmen in Einzelfällen eine hohe Wettbewerbsrelevanz aufweisen. 47 Vgl. Bellamy/Child, European Community Law of Competition, Rdnr. 8.127. 48 Mielke/Welling, BB 2007, 277, 282. 49 Mielke/Welling, BB 2007, 277, 282. 50 Vgl. United States v. Qualcomm Incorporated, Complaint for Civil Penalties, 13. 04. 2006, Case No. 06-0672, Ziff. 18 ff.; United States v. Smithfield Foods, Inc., Complaint for Civil Penalties, 21. 01. 2010, Case No. 10-0120, Ziff. 19. Konsultationsregelungen, die sich nicht auf das alltägliche Geschäft beziehen und dem Erhalt des Werts des Zielunternehmens dienen, sind als zulässige Nebenabreden zu bewerten, siehe Kommission, 18. 12. 1996, IV/ 45

I. Einflussnahme des Erwerbers auf das Verhalten des Zielunternehmens

331

(2) Verstoß gegen das Vollzugsverbot Sehr weitreichende conduct of business-Beschränkungen können die Annahme eines vorzeitigen Kontrollwechsels und eines damit einhergehenden Verstoßes gegen das Vollzugsverbot rechtfertigen.51 Ein vorzeitiger Kontrollwechsel ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Erwerber aufgrund der vertraglichen Vorgaben in signifikantem Umfang das operative und marktstrategische Verhalten des Zielunternehmen steuern kann, wozu es beispielsweise durch eine sehr weitreichende Weisungsklausel im Unternehmenskaufvertrag kommen kann.52 Gewöhnliche conduct of business-Beschränkungen, die nicht in das operative Geschäft des Zielunternehmens eingreifen, sind hingegen unter dem Vollzugsverbot unproblematisch, was nicht zuletzt aus dem Umstand zu schlussfolgern ist, dass die Kommission diese als Nebenabreden einordnet.53 Ob überschießende Klauseln nur zu einer kartellrechtswidrigen Koordinierung oder sogar zu einem gegen das Vollzugsverbot verstoßenden Kontrollwechsel führen, hängt von der Qualität und dem Umfang der Einflussmöglichkeiten des Erwerbers ab. In der Literatur ist umstritten, ob conduct of business-Beschränkungen, die Zustimmungsvorbehalte enthalten, nach denen das Zielunternehmen vor bestimmten Handlungen eine Genehmigung vom Erwerber einholen muss, gegen das Vollzugsverbot verstoßen. Ein Verstoß ist unumstritten dann anzunehmen, wenn sich ein Zustimmungsvorbehalt nicht nur auf außergewöhnliche Maßnahmen, sondern auch das alltägliche operative Geschäft bezieht. Offen ist allerdings, ob ein Verstoß auch dann anzunehmen ist, wenn sich ein Zustimmungsvorbehalt nur auf außergewöhnliche Maßnahmen bezieht. Zeise54 und Körber55 nehmen dies an. Eine Verletzung von Art. 7 Abs. 1 FKVO liege immer dann vor, wenn sich Zustimmungsvorbehalte auf wesentliche Geschäftsentscheidungen des Zielunternehmens oder Entscheidungen, die unmittelbaren Einfluss auf den Wert des Zielunternehmens haben, beziehen.56 Auch Zustimmungsvorbehalte, die sich zum Zwecke der Werterhaltung auf außergewöhnliche Entscheidungen des Zielunternehmens erstrecken, verstießen demnach gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO. M.861, Ziff. 19, 22 – Textron/Kautex. Vgl. Proger, Gun Jumping – Real Hazard or Just Hype?, The M&A Lawyer 2007, Ausgabe 8, S. 10. 51 Vgl. Mielke/Welling, BB 2007, 277, 279. 52 Mielke/Welling, BB 2007, 277, 280. Vgl. Rosenthal/Thomas, European Merger Control, Abschnitt E., Rdnr. 56. 53 Kommission, Bekanntmachung zu Nebenabreden, Ziff. 14. Zwar bezieht sich die Einordnung als Nebenabrede ausdrücklich nur auf die Beurteilung unter Art. 101 AEUV. Der Umstand, dass die Kommission gewöhnliche conduct of business-Beschränkungen für die Durchführung eines Zusammenschlusses als notwendig erachtet, deutet jedoch in starkem Maße darauf hin, dass sie diese wohl auch unter dem Vollzugsverbot nicht beanstanden würde. 54 Zeise, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Ziff. 1840. 55 Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 13. 56 Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 13; Zeise, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Ziff. 1840.

332

F. Fallgruppen

Andere Stimmen in der Literatur halten Zustimmungsvorbehalte, die sich nur auf außergewöhnliche Maßnahmen beziehen, hingegen für zulässig.57 Für diese Ansicht spricht, dass sich Zustimmungsvorbehalte für das Zielunternehmen im Vergleich zu reinen Verboten lediglich freiheitserweiternd auswirken.58 Zudem kann seitens der beteiligten Unternehmen ein legitimes wirtschaftliches Interesse an Zustimmungsvorbehalten bestehen, da von strikten Verboten eine Blockadewirkung ausgehen kann, die wiederum den Wert des Zielunternehmens gefährden kann. Den beteiligten Unternehmen muss es in solchen Fällen möglich sein, Ausnahmen von conduct of business-Beschränkungen zu erteilen. Zustimmungsvorbehalte sind in solchen Situationen nicht als Kontrollausübung, sondern als Wiederherstellung der Handlungsfreiheit des Zielunternehmens zu betrachten. Auch die Kommission hat in ihrer Entscheidungspraxis nicht nur reine Verbote, sondern auch darüber hinausgehende Regelungen (im Fall Textron/Kautex Konsultationsregelungen59) für zulässig erachtet, sofern sie dem Ziel dienten, den Wert des Zielunternehmens zu erhalten. Im Ergebnis verstoßen Zustimmungsvorbehalte demnach nicht gegen das Vollzugsverbot, sofern sie sich nur auf außergewöhnliche Maßnahmen beziehen und dem Ziel des Werterhalts dienen. d) Ergebnis Vertragliche Beschränkungen der Handlungsfreiheit des Zielunternehmens sind ein wichtiges Instrument, um zu gewährleisten, dass der Wert des Zielunternehmens bis zum Vollzug erhalten bleibt. An der grundsätzlichen Zulässigkeit solcher Klauseln besteht kein Zweifel. Um kartellrechtliche Bedenken zu vermeiden, muss jedoch gewährleistet sein, dass sich die Beschränkungen nicht auf das gewöhnliche operative Geschäft des Zielunternehmens auswirken. Es ist empfehlenswert, einen klarstellenden Hinweis in entsprechende Klauseln aufzunehmen. 3. Abgrenzung von einseitiger Verhaltensanpassung Die wettbewerblich bedenkliche Einflussnahme des Erwerbers auf das Zielunternehmen ist von unilateralen Verhaltensanpassungen abzugrenzen, die kartellrechtlich nicht zu beanstanden sind, selbst wenn sie in Erwartung des Zusammenschlusses vorgenommen werden. Einseitige Verhaltensanpassungen werden in Ermangelung einer Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise nicht vom Kartellverbot erfasst. Auch unter dem Vollzugsverbot sind sie nicht problematisch,

57

Langen/Bunte-Maass, Art. 7 FKVO, Rdnr. 15; Linsmeier/Balssen, BB 2008, 741, 747. Vgl. Proger, Gun Jumping – Real Hazard or Just Hype?, The M&A Lawyer 2007, Ausgabe 8, S. 10. 59 Kommission, 18. 12. 1996, IV/M.861, Ziff. 19, 22 – Textron/Kautex. 58

II. Personelle Verflechtungen und Mitarbeiteransprache

333

da sie nicht geeignet sind, um einen Kontrollwechsel zu begründen.60 Demnach ist es beispielsweise kartellrechtlich nicht zu beanstanden, wenn ein Zielunternehmen in Erwartung einer Übernahme autonom weitreichende Investitionsentscheidung vertagt.61 Die Grenzen einer zulässigen unilateralen Verhaltensanpassung sind allerdings dann überschritten, wenn das Zielunternehmen vor einer Entscheidung (freiwillig) den Erwerber konsultiert und daraufhin sein eigenes Verhalten unter Berücksichtigung des Willens des Erwerbers festlegt.62

II. Personelle Verflechtungen und Mitarbeiteransprache Personelle Verflechtungen zwischen Erwerber und Zielunternehmen vor der Freigab eines Zusammenschlusses können kartellrechtlich bedenklich sein (1.). Es ist hingegen zulässig, dass der Erwerber Schlüsselmitarbeiter des Zielunternehmens vor dem Vollzug anspricht, um sie zum Verbleib im Unternehmen zu motivieren (2.). 1. Unzulässige personelle Verflechtungen Personelle Verflechtungen zwischen Erwerber und Zielunternehmen, die vor der Freigabe und dem Vollzug eines Zusammenschlusses erfolgen, können ein Mittel zur Einflussnahme auf das Zielunternehmen sein. Unter dem Vollzugsverbot ist es bedenklich, wenn der Erwerber vorzeitig die Mehrheit in Leitungsgremien des Zielunternehmens erlangt (a)), die Möglichkeit hat, Leitungspositionen im Zielunternehmen neu zu besetzen (b)), oder Mitarbeiter zur Überwachung in das Zielunternehmen entsendet (c)). Personelle Verflechtungen können auch unter dem Kartellverbot problematisch sein (d)). a) Erlangung der Mehrheit in Leitungsgremien Ein klarer Verstoß gegen das Vollzugsverbot liegt vor, wenn der Erwerber vor der Freigabeerteilung die Mehrheit in Leitungsgremien des Zielunternehmens (zum Beispiel Geschäftsführung, Vorstand oder Aufsichtsrat) erlangt. Durch die Mehrheitserlangung kommt es zu einem De-jure-Kontrollwechsel, da der Erwerber hierdurch die Möglichkeit erhält, das strategische Verhalten des Zielunternehmens zu steuern.63 60 Einseitige Verhaltensweisen sind allerdings an Art. 102 AEUV zu messen. Aus Art. 102 AEUV erfolgt jedoch keine zusammenschlussspezifische Begrenzung der Handlungsfreiheit von Erwerber und Zielunternehmen. 61 Blumenthal bezeichnet es als offen, ob in den USA unilaterales Verhalten im Vorfeld des Vollzugs verboten ist, Blumenthal, 63 Antitrust L. J. 1, 19 f. 62 In Grenzfällen ist maßgeblich darauf abzustellen, ob das Selbstständigkeitspostulat verletzt wird. Vgl. oben S. 274 f. 63 Vgl. Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 57.

334

F. Fallgruppen

b) Neubesetzung von Leitungspositionen Unter dem Vollzugsverbot ist es zudem problematisch, wenn der Erwerber vor der Freigabe Leitungspositionen im Zielunternehmen neu besetzt. Ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot kann dabei auch dann vorliegen, wenn der Erwerber durch die Neubesetzung noch nicht die Mehrheit in dem jeweiligen Leitungsgremium erlangt. Denn bereits der Umstand, dass der Erwerber überhaupt dazu in der Lage ist, eigene Kandidaten in Leitungsgremien des Zielunternehmens zu positionieren, deutet darauf hin, dass ein Kontrollwechsel erfolgt ist.64 Ein praktisches Beispiel hierfür ist die Warnung, welche die Kommission im Zusammenhang mit dem Zusammenschlussvorhaben Volkswagen/MAN ausgesprochen hat, um einen bevorstehenden Verstoß gegen das Vollzugsverbot abzuwenden.65 Volkswagen wollte vor der Freigabe des Zusammenschlusses drei zusätzliche eigene Vertreter in den Aufsichtsrat von MAN entsenden.66 Zwar hätte Volkswagen hierdurch nicht die Mehrheit im Aufsichtsrat erlangt. Zur Wahl der Kandidaten hätte Volkswagen jedoch seine Mehrheit in der Hauptversammlung ausüben müssen, die es durch ein öffentliches Übernahmeangebot zwischenzeitlich erlangt hatte. Die Mehrheitserlangung hat zwar aufgrund der Privilegierung durch Art. 7 Abs. 2 FKVO nicht gegen das Vollzugsverbot verstoßen. Hätte Volkswagen jedoch seine neu erlangte Mehrheit in der Hauptversammlung ausgeübt, hätte es gemäß Art. 7 Abs. 2 lit. b FKVO die Grenzen der Privilegierung überschritten und durch die Kontrollausübung gegen das Vollzugsverbot verstoßen. Der Fall Volkswagen/MAN veranschaulicht somit, wie durch die Entsendung eigener Vertreter in Leitungsorgane des Zielunternehmens gegen das Vollzugsverbot verstoßen werden kann, selbst wenn in dem jeweiligen Organ keine Mehrheit erlangt wird. Eine Einflussnahme des Erwerbers auf die Besetzung von Leitungspositionen muss auch dann unterbleiben, wenn die Neubesetzung eines Postens aufgrund des freiwilligen Ausscheidens eines Mitglieds der Unternehmensleitung in der Zeit zwischen dem Signing und Closing notwendig wird.67 Zwar hat der Erwerber ein nachvollziehbares Interesse daran, zu verhindern, dass gegen seinen Willen langfristige und mitunter kostspielige Personalentscheidungen getroffen werden. Die Interessen des Erwerbers lassen sich jedoch ausreichend schützen, indem in ordinary course of business-Klauseln aufgenommen wird, dass das Zielunternehmen in einem

64

Vgl. Gottschalk, RIW 2005, 905, 909; Linsmeier/Balssen, BB 2008, 741, 748; MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 38, 49; Reinert, Gun Jumping und Zusammenschlusskontrolle, in: Vogt/Stupp/Dubs, FS Watter, S. 367. 65 Siehe hierzu ausführlich S. 166 f. 66 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. 07. 2011, Brüssel stoppt Piëch; Handelsblatt, 04. 07. 2011, Volkswagen ist bei MAN-Übernahme am Ziel, abrufbar unter http://www.handelsblatt. com/unternehmen/industrie/lastwagenhersteller-volkswagen-ist-bei-man-uebernahme-amziel/4354286.html. 67 A.A. MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 49.

II. Personelle Verflechtungen und Mitarbeiteransprache

335

solchen Fall nur Übergangslösungen ergreifen und keine langfristige Bindungen eingehen darf. c) Beratung oder Überwachung der Geschäftsführung des Zielunternehmens Unter dem Vollzugsverbot ist es ebenfalls bedenklich, wenn der Erwerber vor der Freigabe eigene Vertreter zur Beratung oder Überwachung der Geschäftsführung in das Zielunternehmen entsendet. Die entsendeten Mitarbeiter können ein Mittel sein, um bestimmenden Einfluss auf das Zielunternehmen auszuüben. Entsprechende Maßnahmen sollten aus diesem Grund unterbleiben.68 Ein praktisches Beispiel für die möglichen negativen Auswirkungen der Entsendung von Vertretern des Erwerbers in das Zielunternehmen ist das ComputerAssociates-Verfahren des DOJ. Der Erwerber stellte in diesem Fall einen division vice president zum Zielunternehmen ab, um Kundenverträge zu überprüfen und zu genehmigen.69 Das DOJ nahm einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot an.70 d) Personelle Verflechtungen und Kartellverbot Personelle Verflechtungen sind auch unter dem Kartellverbot problematisch, da sie ein potenzielles Mittel zur Ermöglichung einer Koordinierung des strategischen Verhaltens von Erwerber und Zielunternehmen sind.71 Selbst wenn personelle Verflechtungen im Einzelfall noch nicht die Annahme eines Kontrollwechsels rechtfertigen, können sie demnach zu beanstanden sein, sofern sie eine Koordinierung des Marktverhaltens ermöglichen. Zu denken ist insoweit beispielsweise an den Austausch von Mitarbeitern auf der mittleren Hierarchieebene mit Bezug zum operativen Geschäft im Rahmen der Integrationsplanung. 2. Ansprache von Arbeitnehmern Keine durchgreifenden kartellrechtlichen Bedenken bestehen gegen die Ansprache von Mitarbeitern des Zielunternehmens durch den Erwerber, wenn diese allein zu dem Zweck erfolgt, wichtiges Personal zum Verbleib im Unternehmen zu 68

Linsmeier/Balssen, BB 2008, 741, 747. United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 21. Siehe oben S. 93 f. 70 United States v. Computer Associates International, Inc., Complaint for Equitable Relief and Civil Penalties, 28. 09. 2001, Case No. 01-02062, Ziff. 37. Siehe oben S. 94. 71 Vgl. hierzu auch die Philip-Morris-Entscheidung, nach der die Schaffung von Strukturen, die für eine geschäftliche Zusammenarbeit förderlich sind, unter dem Kartellverbot bedenklich sein kann, EuGH, 17. 11. 1987, Rs. 142/84 und 156/84, Slg. 1987, 4487, Ziff. 38 – Philip Morris. Vgl. auch Gräfer, Die Erfassung von Minderheitsbeteiligungen durch das Europäische Wettbewerbsrecht, S. 144 ff. 69

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F. Fallgruppen

motivieren. Für den Erfolg eines Zusammenschlusses ist es von großer Bedeutung, dass es nicht zu einer Abwanderung von Schlüsselmitarbeitern mit wichtigem Knowhow kommt.72 Für den Erwerber besteht daher ein großes Interesse daran, schon vor dem Vollzug wichtige Mitarbeiter des Zielunternehmens anzusprechen, um Verunsicherung vorzubeugen und ihnen eine Perspektive im Unternehmen aufzuzeigen. Aus kartellrechtlicher Sicht bestehen hiergegen keine entscheidenden Bedenken, solange das operative Geschäft nicht thematisiert wird.73 Aus unternehmerischer Sicht kann es für das Zielunternehmen allerdings ratsam sein, vertragliche Vorkehrungen zu treffen, um zu verhindern, dass der Erwerber im Falle des Scheiterns des Zusammenschlussvorhabens die gewonnenen Informationen dazu nutzt, gezielt Schlüsselmitarbeiter des Zielunternehmens abzuwerben.

III. Informationsaustausch und Vorbereitung der Integration des Zielunternehmens Die kartellrechtlichen Vorgaben limitieren das zulässige Ausmaß des Informationsaustauschs (1.) und der Integrationsplanung (2.) vor dem Closing. Unzulässig ist die vorzeitige Umsetzung von Integrationsschritten (3.). Die gemeinsame Ansprache von Kunden und Zulieferern ist zulässig, sofern sie sich darauf beschränkt, diese auf die Transaktion vorzubereiten (4.). 1. Informationsaustausch Der Austausch von Informationen zwischen Erwerber und Zielunternehmen kann in horizontalen und in Einzelfällen auch in vertikalen Konstellationen74 gegen das Kartellverbot verstoßen, wenn der Zugriff auf unmittelbar wettbewerbsrelevante Informationen ermöglicht wird und keine geeigneten Vorkehrungen ergriffen werden, um den Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen zu verhindern. Der alleinige Umstand, dass strategische Informationen zur Vorbereitung eines Zusammenschlusses ausgetauscht werden, rechtfertigt allerdings noch nicht die Annahme eines Kartellverstoßes. Bedenken bestehen vielmehr nur dann, wenn Informationen mit höchster strategischer Relevanz ausgetauscht werden und tatsächlich eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs zu erwarten ist.75

72

Siehe oben S. 51, 54 f. Vgl. FK-Hellmann, Art. 7 FKVO, Rdnr. 11; Linsmeier/Balssen, BB 2008, 741, 748; Morse, 57 Bus. Law. 1463, 1486. 74 Siehe hierzu S. 305 f. 75 Siehe hierzu eingehend oben S. 261 ff. 73

III. Informationsaustausch und Integrationsplanung

337

Unter dem Vollzugsverbot hat ein zu weitgehender Informationsaustausch keine unmittelbare Relevanz.76 Allerdings kann in Einzelfällen eine ausufernde Offenlegung sensibler Informationen, die jeder unternehmerischen Vernunft widerspricht und den kommerziellen Interessen des Zielunternehmens offensichtlich zuwiderläuft, im Rahmen einer Gesamtbetrachtung als Indiz für einen erfolgten Kontrollwechsel herangezogen werden. 2. Integrationsplanung Die Planung der Integration des Zielunternehmens ist kartellrechtlich nicht zu beanstanden (a)). In Einzelfällen kann es jedoch zu bedenklichen spillover-Effekten kommen (b)). Durch geeignete Vorkehrungen lassen sich jedoch auch in sensiblen Bereichen der Integrationsplanung kartellrechtliche Bedenken von vornherein ausräumen (c)). Auch die US-Kartellbehörden gehen grundsätzlich von der Zulässigkeit der Integrationsplanung aus (d)). a) Grundsätzliche Zulässigkeit der Integrationsplanung Der Erfolg eines Zusammenschlussvorhabens hängt zu einem großen Teil davon ab, wie schnell und reibungslos die Integration des Zielunternehmens erfolgt.77 Aus diesem Grund hat insbesondere der Erwerber ein nachvollziehbares Interesse daran, die Integration des Zielunternehmens möglichst frühzeitig und weitgehend zu planen.78 Zwar ist die vorzeitige Umsetzung von Integrationsmaßnahmen unzulässig, da sie in aller Regel für die Annahme eines Kontrollwechsels sprechen und einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot begründen wird.79 Solange es bei reinen Planungsmaßnahmen bleibt, bietet sich jedoch kein Anlass zu kartellrechtlichen Bedenken.80 Weder führt die Integrationsplanung zu einem Kontrollerwerb81 noch wird durch sie zwangsweise der Wettbewerb beeinträchtigt. Erst recht bestehen keinerlei kartellrechtliche Bedenken, wenn die Integrationsplanung unilateral durch den Erwerber und nicht im Zusammenwirken mit dem Zielunternehmen erfolgt.82

76

A.A. MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 55; Reinert, Gun Jumping und Zusammenschlusskontrolle, in: Vogt/Stupp/Dubs, FS Watter, S. 374 (für das Recht der Schweiz). 77 Siehe oben S. 49 ff. 78 Vgl. Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 10. 79 Siehe unten S. 339 f. 80 Mordall/Ciullo, ECLR 2003, 424, 429; MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 70; Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 605. 81 Vgl. Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 605. 82 Vgl. Morse, 57 Bus. Law. 1463, 1482 f.

338

F. Fallgruppen

b) Kartellrechtswidrige spillover-Effekte Im Rahmen der an sich zulässigen Integrationsplanung kann es jedoch zu kartellrechtswidrigen spillover-Effekten kommen. Gegenstand der Integrationsplanung ist unter anderem die Zusammenführung des operativen Geschäfts von Erwerber und Zielunternehmen. Um auszumachen, wie durch den Zusammenschluss strategische Vorteile und Synergieeffekte erzielt werden können, beispielsweise indem Produktionsstätten zusammengelegt werden, Produkte neu positioniert werden oder der Rohstoffbezug neu organisiert wird,83 ist es in aller Regel erforderlich, dass Mitarbeiter aus dem operativen Geschäft beider Unternehmen zusammenkommen und strategische Fragen erläutern.84 Dies schafft eine Gelegenheit zur Koordinierung des Marktverhaltens. Zudem kann auch im Rahmen der Integrationsplanung der Austausch strategischer Informationen notwendig sein,85 wodurch es zur Ermöglichung eines kollusiven Verhaltens kommen kann. c) Vorkehrungen zur Verhinderung eines Kartellverstoßes Um kartellrechtswidrige spillover-Effekte zu verhindern, sollten die Zusammenschlussparteien bei der Integrationsplanung organisatorische Vorkehrungen treffen, die geeignet sind, um den Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen zu verhindern. Die in Betracht kommenden Vorkehrungen entsprechen weitestgehend denen, durch die der Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen durch den Austausch von Informationen verhindert werden kann.86 Sie sollten immer dann zum Einsatz kommen, wenn die Gefahr besteht, dass es durch die Interaktionen im Rahmen der Integrationsplanung zu einer Abstimmung des Wettbewerbsverhaltens kommt. Es reicht aus, wenn sich die Vorkehrungen allein auf den Teil der Integrationsplanung beziehen, der Anlass zu wettbewerblichen Bedenken gibt. Zur Verhinderung des Eintritts von Wettbewerbsbeschränkungen ist es empfehlenswert, zur Integrationsplanung feste Teams zu bilden. Offene Strukturen und wechselnde Besetzungen sind aus kartellrechtlicher Perspektive unvorteilhaft. Das zur Integrationsplanung gegründete Team sollte als clean team87 organisiert werden.88 Hierzu müssen alle Mitglieder von Aufgaben mit Bezug zum operativen Geschäft entbunden werden. Zudem dürfen keine strategischen Informationen aus dem Integrationsteam an das operative Geschäft durchdringen. Zu diesem Zweck sollten die beteiligten Unternehmen und die einzelnen Mitarbeiter Vertraulich83

Morse, 57 Bus. Law. 1463, 1482 f. Vigdor, Premerger Coordination, S. 36. 85 Vgl. Modrall/Ciullo, ECLR 2003, 424, 428. 86 Siehe oben S. 310 ff. 87 Siehe hierzu S. 312 f. 88 Vgl. MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 70; Reinert, Gun Jumping und Zusammenschlusskontrolle, in: Vogt/Stupp/Dubs, FS Watter, S. 377; Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 603. 84

III. Informationsaustausch und Integrationsplanung

339

keitsvereinbarungen unterzeichnen, die den Umgang mit den erlangten Informationen regeln.89 Die Wiedereingliederung des Integrationsteams in das operative Geschäft darf unmittelbar nach der Freigabe und dem Vollzug des Zusammenschlusses erfolgen. Scheitert das Zusammenschlussvorhaben, dürfen die Mitglieder erst dann wieder im operativen Geschäft tätig werden, wenn die erlangten Informationen über keine strategische Relevanz mehr verfügen. Die Mitglieder des Integrationsteams sollten klar instruiert werden, dass ihre Aufgabe allein darin besteht, die Integration zu planen und es vor dem Vollzug weder zu einer Kontrollausübung noch zu einer Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens kommen darf.90 Werden im Hinblick auf die wettbewerbsrelevanten Teilbereiche der Integrationsplanung die aufgezeigten Vorkehrungen ergriffen, ist es unwahrscheinlich, dass es bei der Integrationsplanung zu kartellrechtswidrigen spillover-Effekten kommt. d) Beurteilung im US-Kartellrecht Auch von den US-Kartellbehörden wird die grundsätzliche Zulässigkeit der gemeinsamen Integrationsplanung nicht in Zweifel gezogen. Auch wenn Äußerungen von Vertretern des DOJ und der FTC zunächst auf eine kritische Beurteilung der Integrationsplanung hindeuteten,91 hat Blumenthal als General Counsel der FTC ausdrücklich klargestellt, dass die Integrationsplanung nicht als unzulässig betrachtet wird,92 sofern von dem Erwerber und dem Zielunternehmen Vorkehrungen getroffen werden, um den Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen zu verhindern.93 3. Integrationsmaßnahmen Im Gegensatz zur Planung der Integration ist die Umsetzung von einzelnen Integrationsschritten kartellrechtlich bedenklich. Sie wird in der Regel zur Annahme eines Verstoßes gegen das Vollzugsverbot führen. Insoweit ist zu bedenken, dass schon die teilweise Implementierung eines Zusammenschlusses darauf hindeutet, dass der Erwerber bereits die Möglichkeit erhalten hat, die Kontrolle über das Zielunternehmen auszuüben. Zudem sollten vor der Freigabe und dem Vollzug auf keinen Fall Visitenkarten, Briefköpfe oder Internetauftritte vereinheitlicht werden, da dies den Eindruck einer vorzeitigen Implementierung erwecken würde.94 Als Beispiel für vorzeitige Integrationsmaßnahmen kann das Input/Output-Verfahren des DOJ angeführt werden. Noch vor der Freigabe des Zusammenschlusses wurde das 89

Siehe hierzu S. 310. Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 612 f. Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 612. 91 Siehe oben S. 128 f. 92 Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 10. Vgl. Morse, 57 Bus. Law. 1463, 1484; Vigdor, Premerger Coordination, S. 258. 93 Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 10 ff.; Morse, 57 Bus. Law. 1463, 1482 ff. 94 Linsmeier/Balssen, BB 2008, 741, 748. Vgl. den DOJ-Fall Input/Output, United States v. Input/Output, Inc., Complaint for Civil Penalties, 12. 04. 1999, Case No. 99-0912, Ziff. 15 lit. c. 90

340

F. Fallgruppen

Zielunternehmen mit einem Geschäftsbereich des Erwerbers zusammengelegt. Die neu geschaffene Einheit wurde drei Managern unterstellt, die ursprünglich für das Zielunternehmen gearbeitet hatten. Noch vor der Freigabe des Zusammenschlusses wurden diese Manager in das Unternehmen des Erwerbers integriert und bezogen dort Büros.95 4. Kunden- und Zuliefererkontakte Besondere kartellrechtliche Brisanz hat es, wenn der Erwerber und das Zielunternehmen vor der Freigabe und dem Vollzug eines Zusammenschlusses gemeinsam mit Kunden oder Zulieferern Kontakt aufnehmen. Die Zusammenschlussparteien haben zwar häufig ein legitimes Interesse daran, Kunden und Zulieferer anzusprechen, um sie auf den Zusammenschluss vorzubereiten und einer Verunsicherung vorzubeugen.96 Hiergegen bestehen keine durchgreifenden Bedenken.97 Allerdings besteht das Risiko, dass im Rahmen solcher Gespräche Preise und Geschäftsbedingungen thematisiert werden oder der Erwerber und das Zielunternehmen gemeinsam Vertragsverhandlungen mit dem Gegenüber führen.98 Nicht zu unterschätzen ist auch die Gefahr, dass zulässige Gespräche auf Initiative des jeweiligen Kunden oder Zulieferers in gemeinsame Vertragsverhandlungen umschlagen. Es ist daher ratsam, die Mitarbeiter, die entsprechende Gespräche führen, mit den kartellrechtlichen Vorgaben vertraut zu machen.99 Auf einen Kontrollwechsel würde es hinweisen, wenn das Zielunternehmen dem Erwerber bereits vor dem Vollzug Kunden überträgt.100

IV. Zusammenarbeit vor dem Vollzug Der Erwerber und das Zielunternehmen können aus kommerziellen Gründen ein Interesse daran haben, bereits vor dem Vollzug ihres Vorhabens eine Zusammenarbeit aufzunehmen oder eine bestehende Zusammenarbeit fortzusetzen. Zu denken 95 United States v. Input/Output, Inc., Complaint for Civil Penalties, 12. 04. 1999, Case No. 99-0912, Ziff. 15 lit. a. 96 Siehe oben S. 50, 54 f. 97 Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 613. Vgl. Blumenthal, Antitrust L. J., 1, 57; Morse, 57 Bus. Law. 1463, 1486. A.A. Wessely, der gemeinsame Kundenbesuche, gemeinsame Telefonate oder Korrespondenz pauschal als Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO bewertet, MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 53. 98 Blumenthal, The Rhetoric of Gun-Jumping, S. 13; Morse, 57 Bus. Law. 1463, 1486; MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 53; Reysen/Jaspers, WuW 2006, 602, 613. 99 Linsmeier/Balssen empfehlen aus diesem Grund sogar, gemeinsame Kundenbesuche gänzlich zu unterlassen, Linsmeier/Balssen, BB 2008, 741, 748. 100 Gottschalk, RIW 2005, 905, 909.

IV. Zusammenarbeit vor dem Vollzug

341

ist insoweit beispielsweise an Kollegenlieferungen, gemeinsame FuE-Projekte oder Einkaufskooperationen. Grenzen für eine Kooperation vor dem Vollzug ergeben sich vor allem aus dem Kartellverbot (1.), unter Umständen aber auch aus dem Vollzugsverbot (2.). Ein praktisches Beispiel für eine unzulässige Kooperation im Vorfeld der Freigabeerteilung ist der Fall Bertelsmann/Kirch/Premiere (3.). 1. Kartellverbot Das Kartellverbot begrenzt die Zusammenarbeit von Erwerber und Zielunternehmen im Vorfeld des Vollzugs im gleichen Umfang, wie es ansonsten die Zusammenarbeit von Unternehmen limitiert. Die Zusammenschlussparteien unterfallen insoweit keiner milderen oder strengeren Beurteilung. Sogenannte arm’s lengthtransactions101 sind zwischen Erwerber und Zielunternehmen demnach zulässig, sofern sie auch außerhalb des Kontexts einer Unternehmenstransaktion zulässig wären.102 Maßgeblich ist zu prüfen, ob durch die Kooperation eine Wettbewerbsbeschränkung bewirkt wird103 und ob eine Freistellung eingreift. Bei der Beurteilung von Kooperationen von Erwerber und Zielunternehmen bieten die Gruppenfreistellungsverordnungen sowie die Horizontal- und Vertikalleitlinien der Kommission Orientierung. 2. Vollzugsverbot Es ist im Allgemeinen eher fernliegend, dass es durch eine Kooperation vor dem Vollzug zu einem Kontrollwechsel und dadurch zu einem Verstoß gegen das Vollzugsverbot kommt.104 In besonders gelagerten Konstellationen ist jedoch nicht auszuschließen, dass eine sehr weitgehende Zusammenarbeit vor dem Vollzug ein Indiz für einen bereits erfolgten Kontrollwechsel ist. 3. Der Fall Bertelsmann/Kirch/Premiere Im Fall Bertelsmann/Kirch/Premiere hat sich die Kommission mit der Beurteilung einer Zusammenarbeit durch die Zusammenschlussparteien auseinandergesetzt, die eine Angleichung der von den Unternehmen verwendeten TV-Übertra101

Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 9; Rosenthal/Thomas, European Merger Control, Abschnitt E., Rdnr. 53. 102 Vgl. Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 9; Rosenthal/Thomas, European Merger Control, Abschnitt E., Rdnr. 53. 103 Vgl. Mordall/Ciullo, ECLR 2003, 424, 429; Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 8; FK-Hellmann, Art. 7 FKVO, Rdnr. 12. 104 Vgl. hingegen Körber, der annimmt, dass Maßnahmen zur Abstimmung der Geschäftspolitik gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO verstoßen können, Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 8.

342

F. Fallgruppen

gungsstandards noch vor der Freigabe des Vorhabens zur Folge hatte.105 Die Kommission nahm einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot an.106 Wie bereits ausgeführt, wäre es jedoch überzeugender gewesen, auf das Kartellverbot abzustellen.107 4. Ergebnis Den Zusammenschlussparteien ist bei der Zusammenarbeit in der Zeit zwischen dem Signing und Closing ein besonderes Maß an Vorsicht anzuraten. Es sollte in jedem Fall der Eindruck einer kartellrechtswidrigen Koordinierung oder einer vorzeitigen Integration vermieden werden.108 Körber rät sogar dazu, in Zweifelsfällen bei der Kommission eine Befreiung vom Vollzugsverbot gemäß Art. 7 Abs. 3 FKVO zu beantragen.109 Auch wenn eine Kooperation vorrangig unter dem Kartellverbot und nicht unter dem Vollzugsverbot problematisch ist, kann diese Option in Grenzfällen in Betracht gezogen werden, um Rechtssicherheit zu erlangen.110

V. Übertragung des Risikos einer fusionskontrollrechtlichen Untersagung auf den Erwerber In Anlehnung an das ARCO-I-Verfahren des DOJ111 stellt sich die Frage, inwieweit der Veräußerer das Risiko einer fusionskontrollrechtlichen Untersagung auf den Erwerber abwälzen kann oder ob entsprechende Vertragsgestaltungen gegen das Vollzugsverbot verstoßen. Es geht dabei um Konstellationen, in denen der Erwerber unabhängig vom Ausgang der fusionskontrollrechtlichen Prüfung dazu verpflichtet ist, den Kaufpreis an den Veräußerer zu zahlen. Scheitert das Zusammenschlussvorhaben, muss der designierte Erwerber auf eigenes Risiko einen neuen Käufer für das Zielunternehmen finden. Bis ein neuer Käufer gefunden ist, wird das Zielunternehmen von einem Treuhänder geleitet. Das DOJ hat im ARCO-I-Verfahren eine solche Transaktionsgestaltung als Verstoß gegen das Vollzugsverbot bewertet, da die beneficial ownership vorzeitig auf den Erwerber übergegangen sei. Der Erwerber habe bereits ab dem Kaufvertragsschluss die wirtschaftlichen Chancen und Risiken aus dem Betrieb der veräußerten Assets getragen.112 Unter der Fusionskontrollver105

Vgl. Rosenthal/Thomas, European Merger Control, Abschnitt E., Rdnr. 51. Siehe hierzu ausführlich S. 162 ff. Vgl. Rosenthal/Thomas, European Merger Control, Abschnitt E., Rdnr. 51. 107 Vgl. S. 164 f. 108 Rosenthal/Thomas, European Merger Control, Abschnitt E., Rdnr. 54. 109 Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 9. 110 Siehe zu Art. 7 Abs. 3 FKVO oben S. 150 f. 111 Siehe oben S. 80 ff. 112 United States v. Atlantic Richfield Company (ARCO I), Complaint for Civil Penalties, 31. 01. 1991, Case No. 91 – 0205, Ziff. 17. 106

VI. Besondere Zusammenschlussformen

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ordnung ist hingegen darauf abzustellen, ob es verfrüht zu einem Kontrollwechsel kommt.113 Im Rahmen der Beurteilung kommt es demnach maßgeblich darauf an, wie das Treuhandverhältnis ausgestaltet wird, das im Falle der Untersagung des Zusammenschlusses eingreift. Agiert der Treuhänder als verlängerter Arm des ursprünglich vorgesehenen Erwerbers und beeinflusst das strategische Verhalten des Zielunternehmens in seinem Interesse, kann ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot vorliegen. Keine Bedenken bestehen hingegen, wenn der Treuhänder dazu verpflichtet wird, das Zielunternehmen nach dessen autonomen Interessen weiterzuführen, und eine Ausübung von bestimmendem Einfluss durch den ursprünglich anvisierten Erwerber ausgeschlossen ist.114

VI. Besondere Zusammenschlussformen Sonderprobleme bei der Anwendung von Art. 7 Abs. 1 FKVO und Art. 101 Abs. 1 AEUV können sich in speziellen Zusammenschlusskonstellationen stellen. 1. Gemeinschaftsunternehmen Bei der Gründung von Vollfunktions-Gemeinschaftsunternehmen im Sinne des Art. 3 Abs. 4 FKVO sind die Schranken des Vollzugs- und Kartellverbots zu beachten. Uneinheitlich wird in der Literatur dabei allerdings die Frage beantwortet, ob Maßnahmen zur Gründung und Ausstattung eines Gemeinschaftsunternehmens bereits als Vollzug zu bewerten sind oder ob ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot erst dann anzunehmen ist, wenn das Gemeinschaftsunternehmen seine wirtschaftliche Tätigkeit aufnimmt.115 Wessely tritt für eine restriktive Anwendung des Vollzugsverbots auf Gemeinschaftsunternehmen ein. Er führt aus, dass Vorbereitungshandlungen wie der Gründungsakt, die Übernahme von Geschäftsanteilen, die Anmietung von Räumlichkeiten und der Abschluss von Verträgen über IT-Dienstleistungen rein formale Akte seien. Wegen ihrer Marktferne seien sie unter dem Vollzugsverbot eher unbedenklich.116 Körber geht hingegen wohl von einer größeren Reichweite des Vollzugsverbots aus und nimmt an, dass die Umsetzung von Personal und die

113 Dieser Maßstab weicht erheblich von dem der beneficial ownership ab. Vgl. auch Karl, Der Zusammenschlußbegriff in der Europäischen Fusionskontrollverordnung, S. 147 f. 114 MünchKommEuWettbR-Wessely, Rdnr. 58. 115 Enge Anwendung des Vollzugsverbots: MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 38. Weite Anwendung: Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 17. Unentschieden: Zeise, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Rdnr. 1842. 116 MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 38. Vgl. Zeise, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Rdnr. 1842.

344

F. Fallgruppen

Übertragung von Vermögenswerten auf ein noch nicht operativ tätiges Gemeinschaftsunternehmen als Vollzugshandlungen anzusehen sind.117 Einen normativen Ansatzpunkt zur Begründung einer restriktiven Anwendung des Vollzugsverbots auf die Gründung von Gemeinschaftsunternehmen bietet das Merkmal der Vollfunktionsfähigkeit aus Art. 3 Abs. 4 FKVO. Da ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot nur dann anzunehmen ist, wenn der Zusammenschlusstatbestand der Fusionskontrollverordnung verwirklicht wird, kommt es für die Reichweite des Vollzugsverbots maßgeblich darauf an, ab welcher Schwelle bei der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens der Zusammenschlusstatbestand erfüllt ist. Insoweit kommt es auf Art. 3 Abs. 4 FKVO an, der einen besonderen Zusammenschlusstatbestand für Gemeinschaftsunternehmen enthält. Die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens unterfällt demnach nur dann der Fusionskontrollverordnung, wenn es auf Dauer alle Funktionen einer selbststa¨ ndigen wirtschaftlichen Einheit erfüllt.118 Liegt keine solche Vollfunktionsfähigkeit vor, ist die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens allein am Kartellverbot des Art. 101 AEUV zu messen.119 Eine Voraussetzung für die Annahme der Vollfunktionsfähigkeit ist ein hinreichender Marktbezug: Das Gemeinschaftsunternehmen muss auf einem Markt tätig sein und die Funktionen ausüben, die auch von anderen Unternehmen auf diesem Markt ausgeübt werden.120 Mithilfe des Merkmals der Vollfunktionsfähigkeit lässt sich begründen, dass marktferne Vorbereitungshandlungen noch keinen Verstoß gegen das Vollzugsverbot darstellen, da ein Gemeinschaftsunternehmen ohne hinreichenden Marktbezug den Zusammenschluss–tatbestand nicht erfüllt. Einen Anhaltspunkt dafür, dass auch die Kommission nicht annimmt, dass marktferne Vorbereitungshandlungen gegen das Vollzugsverbot verstoßen, liefert das Zusammenschlussvorhaben Shell España/CEPSA/SIS JV.121 Shell und CEPSA gründeten das 50:50-Gemeinschaftsunternehmen SIS, um Flugzeugbetankungsdienstleistungen anzubieten.122 Die Errichtung des Gemeinschaftsunternehmens wurde bei der Kommission angemeldet. Noch vor dem Abschluss der fusionskontrollrechtlichen Prüfung wurde das Gemeinschaftsunternehmen gegründet.123 Zudem nahm das Gemeinschaftsunternehmen erfolgreich an einer Ausschreibung teil und gewann Konzessionen zur Durchführung von Flugzeugbetankungen an den Flug117

Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 17. Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 92. 119 Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 3 FKVO, Rdnr. 171. Zudem müssen die einschlägigen nationalen Fusionskontrollregime berücksichtigt werden, die auch die Gründung von Teilfunktions-Gemeinschaftsunternehmen erfassen können. 120 Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, ABl. EU Nr. C 43/10, Ziff. 94. 121 Letztlich verwiesen an die spanische Kartellbehörde, Komm., 23. 11. 2004, COMP/ M.3275 – Shell España/CEPSA/SIS JV. 122 Komm., 14. 09. 2004, COMP/M.3275, Ziff. 5 – Shell España/CEPSA/SIS JV. 123 Komm., 14. 09. 2004, COMP/M.3275, Ziff. 4 – Shell España/CEPSA/SIS JV. 118

VI. Besondere Zusammenschlussformen

345

häfen in Málaga, Sevilla und Alicante.124 Die Mütter befürchteten allerdings, dass die Unterzeichnung des Verwaltungsvertrags zur Durchführung der Betankungsdienstleistungen einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot darstellen könnte, und beantragten aus diesem Grund eine Befreiung vom Vollzugsverbot,125 die von der Kommission letztlich auch erteilt wurde.126 Dabei beanstandete die Kommission nicht, dass das Gemeinschaftsunternehmen bereits vor dem Abschluss der fusionskontrollrechtlichen Prüfung errichtet wurde und sogar schon an einer Ausschreibung teilgenommen hatte. Dies deutet darauf hin, dass auch die Kommission marktferne Vorbereitungshandlungen nicht unter das Vollzugsverbot fasst. In Zweifelsfällen ist es jedoch ratsam, schon vor der Gründung und Ausstattung eines Gemeinschaftsunternehmens Kontakt zu der Kommission aufzunehmen.127 Zu berücksichtigen ist zudem, dass das Kartellverbot eingreift, sofern es im Rahmen der Vorbereitung der Errichtung eines Gemeinschaftsunternehmens zu Wettbewerbsbeschränkungen kommt. 2. Sukzessiver Anteilserwerb Unternehmenszusammenschlüsse werden mitunter durch einen sukzessiven Anteilserwerb umgesetzt, typischerweise in Form eines schrittweisen Kontrollerwerbs über die Börse. In Fallkonstellationen des sukzessiven Anteilserwerbs stellt sich die Frage, ab welcher Schwelle von einem Verstoß gegen das Vollzugsverbot auszugehen ist. Bei einem klassischen Anteilserwerb ist ein Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO anzunehmen, wenn der Erwerber durch den Anteilskauf vor der Freigabe des Zusammenschlusses die (faktische) Mehrheit der Stimmrechte und hierdurch die Kontrolle über das Zielunternehmen erlangt.128 Schwieriger zu beurteilen ist die Situation, wenn der Erwerber die Anteile nicht auf einmal, sondern sukzessive erwirbt. In Erwägungsgrund 20 FKVO führt die Kommission aus, dass Erwerbsvorga¨ nge, die eng miteinander verknu¨ pft sind, weil sie in Form einer Reihe von innerhalb eines kurzen Zeitraums getätigter Rechtsgescha¨ fte mit Wertpapieren stattfinden, als ein einziger Zusammenschluss behandelt werden.129 Aufgrund dieser Verklammerung von sukzessiven Erwerbsschritten durch das Konstrukt des „einzigen“ Zusammenschlusses könnte anzunehmen sein, dass bereits die ersten Teilschritte des Gesamtvorgangs gegen das Vollzugsverbot verstoßen. Durch sie wird zwar zunächst nur eine Minderheitsbeteiligung erworben. Sie zielen aber letztlich 124

Komm., 14. 09. 2004, COMP/M.3275, Ziff. 9 – Shell España/CEPSA/SIS JV. Komm., 14. 09. 2004, COMP/M.3275, Ziff. 11 – Shell España/CEPSA/SIS JV. 126 Komm., 14. 09. 2004, COMP/M.3275, Ziff. 23 – Shell España/CEPSA/SIS JV. 127 Auch Wessely empfiehlt eine Abstimmung mit der Kommission, MünchKommEuWettbR-Wessely, Art. 7 FKVO, Rdnr. 38. 128 Vgl. Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, ABl. EU Nr. C 43/ 10, Ziff. 56. 129 Vgl. Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, ABl. EU Nr. C 43/ 10, Ziff. 48. 125

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F. Fallgruppen

auf einen Kontrollwechsel ab.130 Ganz in diesem Sinne wird in der Literatur das AerLingus-Urteil interpretiert.131 Wie bereits herausgearbeitet,132 handelt es sich hierbei jedoch um eine Fehlinterpretation. Das EuG nahm in Aer Lingus im Hinblick auf die ersten Schritte eines sukzessiven Anteilserwerbs gerade keinen Verstoß gegen das Vollzugsverbot an.133 Es betonte vielmehr, dass ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot erst dann vorliegen kann, wenn die Schwelle des Kontrollerwerbs erreicht ist.134 Demnach kommt es im Rahmen eines sukzessiven Anteilserwerbs erst mit dem Erwerbsschritt zu einem Verstoß gegen das Vollzugsverbot, mit dem die Kontrollschwelle überschritten wird. In diesem Zusammenhang ist allerdings zu bedenken, dass insbesondere aufgrund einer geringen Hauptversammlungspräsenz faktische Kontrolle auch bereits mit deutlich weniger als 50 Prozent der Stimmrechte erlangt werden kann.135 3. Öffentliche Übernahmeangebote Öffentliche Übernahmeangebote sind gemäß Art. 7 Abs. 2 FKVO unter dem Vollzugsverbot privilegiert. Sie verstoßen nicht gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO, sofern sie unverzüglich bei der Kommission angemeldet werden und die mit den Anteilen erworbenen Stimmrechte bis zur Freigabeerteilung nicht ausgeübt werden.136 Zu einem Verstoß gegen das Vollzugsverbot kann es bei öffentlichen Übernahmeangeboten nicht nur durch die Ausübung der in ihrem Rahmen erworbenen Stimmrechte kommen. Vielmehr kann auch die Ausübung von Stimmrechten aus Anteilen, die der Erwerber bereits vor dem Übernahmeangebot hielt, gegen das Vollzugsverbot verstoßen. So kommt es durch die Suspendierung der vom Übernahmeangebot betroffenen Stimmrechte durch Art. 7 Abs. 2 lit. b FKVO zu einer Verschiebung der Stimmrechtsverhältnisse in der Hauptversammlung. Hierdurch kann der Erwerber in bestimmten Konstellationen durch seine Altanteile eine kontrollbegründende Mehrheit erlangen. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn er vor dem öffentlichen Übernahmeangebot bereits 30 Prozent der Anteile des Zielunternehmens hält und im Zuge des öffentlichen Übernahmeangebots weitere 50 Prozent erwirbt. Die Stimmrechte dieser zusätzlichen 50 Prozent sind gemäß Art. 7 Abs. 2 lit. b FKVO suspendiert. Dies hat zur Folge, dass der Erwerber mit seinen 30 Prozent Altanteilen die Mehrheit über die bei anderen Anteilseignern verbleibenden 20 Prozent erlangt. Eine Ausübung dieser Mehrheit ist mit dem Vollzugsverbot 130

So MünchKommEuWettbR-Wessely/Wegner, Art. 3 FKVO, Rdnr. 67. Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 26; Rosenthal/Thomas, European Merger Control, Abschnitt E., Rdnr. 50. 132 Siehe oben S. 183 ff. 133 EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 78 – Aer Lingus/Kommission. 134 EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 66 – Aer Lingus/Kommission. 135 Vgl. Kommission, Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, Ziff. 59. 136 Siehe oben S. 151. 131

VII. Gun-Jumping-Verhaltensweisen außerhalb der Europäischen Union

347

unvereinbar. Auf diese Konstellation bezieht sich das EuG in der oft missverstandenen137 Passage des Aer-Lingus-Urteils, die sich mit der Reichweite des Vollzugsverbots auseinandersetzt.138 Ein weiteres praktisches Beispiel zur Anwendung des Vollzugsverbots auf öffentliche Übernahmeangebote ist das Einschreiten der Kommission im Fall Volkswagen/MAN zur Verhinderung eines Verstoßes gegen das Vollzugsverbot durch die Wahl von Aufsichtsräten durch den Erwerber Volkswagen.139 4. Zusammenschlüsse unterhalb der Schwellenwerte der FKVO Werden die Umsatzschwellen des Art. 1 Abs. 2, Abs. 3 FKVO von einem Zusammenschlussvorhaben nicht erreicht, greift das Vollzugsverbot nicht ein. Zu beachten ist, dass auch die meisten mitgliedstaatlichen Fusionskontrollregime präventiv ausgestaltet sind und über ein Vollzugsverbot verfügen. In jedem Fall sind die Zusammenschlussparteien an das Kartellverbot gebunden, bis der Zusammenschluss vollzogen wurde und das Konzernprivileg eingreift.

VII. Gun-Jumping-Verhaltensweisen außerhalb der Europäischen Union Besondere Probleme können sich bei der Anwendung von Art. 7 FKVO und Art. 101 AEUV auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen außerhalb der Europäischen Union ergeben. Insofern ist zwischen dem Vollzugsverbot (1.) und dem Kartellverbot (2.) zu differenzieren. 1. Vollzugsverbot Fraglich ist, inwieweit das Vollzugsverbot auch durch Vollzugshandlungen außerhalb der Europäischen Union verletzt werden kann. Da das Vollzugsverbot die Wirksamkeit der Fusionskontrollentscheidung schützen soll, ist davon auszugehen, dass alle Vollzugshandlungen, auch solche im außereuropäischen Ausland, vom Vollzugsverbot erfasst werden, sofern nur der jeweilige Zusammenschluss der Fusionskontrollverordnung unterfällt.140 Dies ist dann der Fall, wenn der Zusammenschluss die Umsatzschwellen des Art. 1 Abs. 2, Abs. 3 FKVO überschreitet. Dabei kann angenommen werden, dass das Umsatzschwellenkriterium letztlich für die Fusionskontrollverordnung das kollisionsrechtliche Auswirkungsprinzip formali137 138 139 140

Siehe oben S. 184 f. EuG, 06. 07. 2010, Rs. T-411/07, Slg. 2010 II-3691, Ziff. 83 – Aer Lingus/Kommission. Siehe hierzu ausführlich oben S. 166 ff. Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 7.

348

F. Fallgruppen

siert.141 Sind die Schwellenwerte erfüllt, kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein hinreichender Bezug zur Europäischen Union besteht.142 Sofern in besonders gelagerten Ausnahmefällen trotz des Erreichens der Umsatzschwellen des Art. 1 Abs. 2, Abs. 3 FKVO durch einen Zusammenschluss nachweisbar keine Auswirkungen auf den Gemeinsamen Markt zu befürchten sind, wird erwogen, eine Ausnahme von der rein formalen Umsatzschwellenbetrachtung zu machen. Der völkerrechtliche Grundsatz der Courtoisie könnte es in solchen Fällen gebieten, die Fusionskontrollverordnung nicht anzuwenden.143 In diese Richtung deutet auch die Gencor-Entscheidung des EuG.144 Für die Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen ist von der Grundregel auszugehen, dass das Vollzugsverbot auch auf Vollzugshandlungen im außereuropäischen Ausland Anwendung findet, sofern die Schwellenwerte des Art. 1 Abs. 2, Abs. 3 FKVO erfüllt sind.145 Sofern die Zusammenschlussparteien der Meinung sind, dass ihr Vorhaben außergewöhnlich gelagert ist und Auswirkungen auf den Gemeinsamen Markt ausgeschlossen sind, sollte vor dem Vollzug eine Abstimmung mit der Kommission erfolgen.146 2. Kartellverbot Extraterritoriale wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen der Zusammenschlussparteien unterfallen nur dann dem Kartellverbot, sofern sie sich auf den Gemeinsamen Markt auswirken. Der Gerichtshof hat bislang allerdings noch nicht eindeutig dazu Stellung genommen, ob sich die extraterritoriale Anwendung des Kartellverbots allein nach dem Auswirkungsprinzip richtet oder ob zusätzlich eine Durchführung der Vereinbarung im Gemeinsamen Markt erforderlich ist.147 Das

141

Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 1 FKVO, Rdnr. 59. Siehe zur uneinheitlichen Rechtsprechung und Kommissionspraxis zum Anwendungsbereich des europäischen Kartellrechts Immenga/Mestmäcker-Rehbinder, IntWbR, Rdnr. 6 ff. 142 Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 1 FKVO, Rdnr. 58. 143 Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 1 FKVO, Rdnr. 60 ff. 144 In Gencor lagen jedoch letztlich Auswirkungen auf den Gemeinsamen Markt vor. EuG, 25. 03. 1999, Rs. T-102/96, Slg. 1999 II-753, Ziff. 78 ff., 89 ff. – Gencor. Vgl. Zeise, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Rdnr. 937 f. 145 Immenga/Mestmäcker-Körber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 7. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Ablasser-Heuhuber, Art. 7 FKVO, Rdnr. 5 erwägt hingegen die Anwendung des Auswirkungsprinzips auf Vollzugshandlungen. Maass scheint davon auszugehen, dass extraterritoriale Vollzugshandlungen nicht gegen das Vollzugsverbot verstoßen, Langen/BunteMaass, Art. 7 FKVO, Rdnr. 12. 146 Zeise, in: Schulte, Handbuch Fusionskontrolle, Rdnr. 938. 147 Siehe hierzu nur EuGH, 27. 09. 1988, Rs. 89/85, Slg. 1988, 5193, Ziff. 12 ff. – Zellstoff. Whish, Competition Law, S. 480; Immenga/Mestmäcker-Rehbinder, IntWbR, Rdnr. 7 ff. m.w.N.

VII. Gun-Jumping-Verhaltensweisen außerhalb der Europäischen Union

349

EuG148 und die Kommission149 wenden hingegen allein das Auswirkungsprinzip an. Dies entspricht auch der herrschenden Meinung in der Literatur.150 Im Ergebnis werden demnach jedenfalls solche extraterritorialen Gun-Jumping-Verhaltensweisen nicht vom Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUVerfasst, die sich nicht auf den Gemeinsamen Markt auswirken.

148

EuG, 25. 03. 1999, Rs. T-102/96, Slg. 1999 II-753, Ziff. 78 ff. – Gencor. Komm., 08. 12. 2010, COMP/39.309, Ziff. 238 – LCD. Immenga/Mestmäcker-Rehbinder, IntWbR, Rdnr. 11 m.w.N. 150 Immenga/Mestmäcker-Rehbinder, IntWbR, Rdnr. 12 m.w.N.; Langen/Bunte-Bunte, Einführung zum EU-Kartellrecht, Rdnr. 57 ff. 149

G. Fazit Die Untersuchung schließt mit einer Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse (I.), Anmerkungen zu der kartellrechtlichen Beurteilung von Unternehmensinteraktionen im Vorfeld des Closings (II.) sowie einer Stellungnahme zu der Gun-Jumping-Verfolgung durch die Kommission (III.).

I. Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse Die Untersuchung hat folgende Ergebnisse zutage gefördert: *

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Die Anwendung des Vollzugs- und Kartellverbots auf Unternehmensinteraktionen vor dem Closing muss einerseits gewährleisten, dass vorzeitige Veränderungen der Marktstruktur und der Eintritt von Wettbewerbsbeschränkungen wirksam verhindert werden. Andererseits dürfen wettbewerblich unbedenkliche Zusammenschlussvorhaben nicht unnötig behindert werden. Die US-Kartellbehörden haben sich im Gegensatz zur Europäischen Kommission bereits seit 1991 intensiv mit Gun-Jumping-Verhaltensweisen auseinandergesetzt. In Anbetracht des Umstands, dass sich die in den USA und der Europäischen Union anwendbaren Normen stark ähneln, kann die Fallpraxis des DOJ und der FTC bei der Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen unter EU-Kartellrecht als Orientierungspunkt herangezogen werden. Ein zentrales Problem bei der Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen ist die Frage, inwieweit das Vollzugsverbot auch faktische Vollzugshandlungen erfasst. Das DOJ hat auf dieses Problem mit der Entwicklung des kontrollbezogenen Prüfkriteriums der operational control reagiert. Eine zunächst eher strenge Herangehensweise der US-Kartellbehörden an GunJumping-Verhaltensweisen hat eine overdeterrence in der Transaktionspraxis nach sich gezogen. Um Ineffizienzen durch eine zu weitgehende Abschreckung entgegenzuwirken, haben das DOJ und die FTC die kartellrechtlichen Vorgaben für Gun-Jumping-Verhaltensweisen seit dem Jahr 2002 konkretisiert und eingegrenzt. Im europäischen Kartellrecht sind Gun-Jumping-Verhaltensweisen am Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO und dem allgemeinen Kartellverbot des Art. 101 AEUV zu messen. Es besteht bislang keine Einigkeit darüber, welche Reichweite Art. 7 Abs. 1 FKVO im Hinblick auf Gun-Jumping-Verhaltensweisen hat. Es stellt sich vor allem die Frage, ob ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot voraussetzt, dass der Zusam-

I. Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse

351

menschlusstatbestand durch einen Kontrollwechsel verwirklicht wird oder ob auch Teilvollzugsmaßnahmen unterhalb dieser Schwelle von Art. 3 Abs. 1, Abs. 2 FKVO erfasst werden. *

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Im Fall Bertelsmann/Kirch/Premiere hat die Kommission einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot angenommen, obwohl kein Kontrollwechsel erfolgt ist. In Samsung/AST und Elecrtrabel hat die Kommission unter dem Vollzugsverbot hingegen maßgeblich auf das Kriterium des Kontrollwechsels abgestellt. Eine ausdrückliche Auseinandersetzung mit der Frage, ob ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot auch unterhalb der Kontrollschwelle anzunehmen sein kann, ist dabei jedoch nicht erfolgt. Aus der Rechtsprechung des EuG in dem Fall Aer Lingus lässt sich ableiten, dass das Vollzugsverbot eng auszulegen ist. Ein Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO kann demnach nur angenommen werden, wenn vor der Freigabeerteilung der Zusammenschlusstatbestand des Art. 3 Abs. 1, Abs. 2 FKVO verwirklicht wird. Zwar bezieht sich die Aer-Lingus-Entscheidung vorrangig auf die Entflechtungskompetenz aus Art. 8 Abs. 4 FKVO. Die Entflechtungskompetenz und das Vollzugsverbot sind allerdings gleichlaufend auszulegen. Zudem setzt sich das EuG auch mit dem Vollzugsverbot auseinander und bestätigt in diesem Zusammenhang, dass auch Art. 7 Abs. 1 FKVO eng auszulegen ist. In Electrabel nimmt das EuG zur Bestimmung der Reichweite des Vollzugsverbots auf das Aer-Lingus-Urteil Bezug und stellt maßgeblich auf das Kriterium des Kontrollwechsels ab. Nach der Rechtsprechung des EuG ist das Vollzugsverbot somit unter Bezugnahme auf den Zusammenschlusstatbestand des Art. 3 Abs. 1, Abs. 2 FKVO eng auszulegen. Auch die Auslegung des Vollzugsverbots nach Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck führt zu dem Ergebnis, dass ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot nur angenommen werden sollte, wenn der Zusammenschlusstatbestand verwirklicht wird. Teilvollzugsmaßnahmen unterhalb der Kontrollschwelle reichen für die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO somit nicht aus, können aber mit dem Kartellverbot unvereinbar sein. Die enge Auslegung des Vollzugsverbots unter Bezugnahme auf den Zusammenschlusstatbestand ist demnach den weiten Auslegungsansätzen vorzuziehen, die in der Literatur ganz überwiegend vertreten werden. Im Rahmen der Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen ist auf Grundlage dieses Auslegungsergebnisses unter Art. 7 Abs. 1 FKVO zu prüfen, ob der Zusammenschlusstatbestand des Art. 3 Abs. 1, Abs. 2 FKVO durch einen Kontrollwechsel verwirklicht wird. Im Einzelfall gilt es, zu beurteilen, ob dem Erwerber vorzeitig Einflussmöglichkeiten eingeräumt wurden, die für die Annahme eines bestimmenden Einflusses ausreichen. In Grenzfällen ist auf die Funktion des Zusammenschlusstatbestands als Abgrenzungskriterium der Marktstrukturkontrolle abzustellen.

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G. Fazit

Neben dem Vollzugsverbot sind die Interaktionen von Erwerber und Zielunternehmen im Vorfeld des Closings auch an Art. 101 AEUV zu messen. Das Vollzugs- und Kartellverbot sind komplementäre Kontrollinstrumente. Anders als das Vollzugsverbot setzt das Kartellverbot nicht an der Verwirklichung von potenziell den Wettbewerb beeinträchtigenden Marktstrukturveränderungen an, sondern an tatsächlich wettbewerbsbeschränkenden Unternehmensinteraktionen. Bei der Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen unter Art. 101 AEUV kann die Rechtsprechung des EuGH zu Wettbewerbsbeschränkungen, die im Zusammenhang mit Minderheitsbeteiligungen erfolgen, Orientierung bieten. Nach dieser Rechtsprechung kann eine Einflussnahme des Erwerbers auf das Zielunternehmens, die noch nicht die Schwelle eines Kontrollwechsels erreicht, vom Kartellverbot erfasst werden. Das Kartellverbot begrenzt das zulässige Ausmaß des Informationsaustauschs vor der Freigabe und dem Vollzug eines Zusammenschlussvorhabens. Zwar bestehen weder aus ökonomischer noch aus kartellrechtlicher Sicht prinzipielle Bedenken gegen den zur Durchführung von Unternehmenstransaktionen notwendigen Informationsaustausch. In horizontalen Konstellationen kann der Austausch von besonders sensiblen strategischen Informationen jedoch Wettbewerbsbeschränkungen ermöglichen. Dies ist insbesondere bei der Offenlegung von Informationen über das künftige Marktverhalten des Zielunternehmens zu befürchten. Informationen mit unmittelbarer Wettbewerbsrelevanz dürfen aus diesem Grund nur offengelegt werden, wenn dies für die Durchführung des Vorhabens zwingend erforderlich ist und sich die Möglichkeit des Eintritts von Wettbewerbsbeschränkungen durch geeignete Vorkehrungen wie die Einschaltung von independent agents oder die Bildung von clean teams ausschließen lässt. Die Vorgaben für die Interaktionen der Zusammenschlussparteien, die sich aus dem Vollzugs- und Kartellverbot ergeben, können in verschiedenen Fallgruppen relevant werden. Im Rahmen der jeweils vorzunehmenden Einzelfallbetrachtung ist einerseits zu berücksichtigen, dass die Wirksamkeit der präventiven Marktstrukturkontrolle und die Effektivität des Wettbewerbsschutzes gewährleistet werden müssen. Andererseits ist den legitimen Interessen der Zusammenschlussparteien Rechnung zu tragen, um wettbewerblich unbedenkliche Unternehmenstransaktionen nicht unnötig zu behindern.

II. Schlussbemerkung zur Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen Im Rahmen dieser Arbeit wurde untersucht, wie die Interaktionen der Zusammenschlussparteien vor dem Closing unter Art. 7 Abs. 1 FKVO und Art. 101 AEUV zu beurteilen sind. Obwohl sich gezeigt hat, dass insoweit nur wenig Fallpraxis existiert, ließen sich die Konturen der anwendbaren Vorschriften recht genau her-

III. Schlussbemerkung

353

ausarbeiten. Dabei wurde deutlich, dass die kartellrechtliche Beurteilung von GunJumping-Verhaltensweisen von zwei Spannungsfeldern geprägt ist: Auf der einen Seite kommt ein rechtliches Spannungsverhältnis zwischen den Instrumenten der Marktstruktur- und Verhaltenskontrolle zum Tragen. Die Beurteilung von Gun-Jumping-Verhaltensweisen bewegt sich unmittelbar im Grenzbereich zwischen der Marktstrukturkontrolle durch die Fusionskontrollverordnung und der Verhaltenskontrolle durch das Kartellverbot. Überschneidungen beider Instrumente sind nicht vorgesehen, sodass sich bei der Beurteilung von Einzelfällen schwierige Abgrenzungsfragen stellen können. In Zweifelsfällen ist maßgeblich auf die Funktion des jeweiligen Regelungsinstruments im System des Wettbewerbsschutzes abzustellen. Auf der anderen Seite besteht ein ökonomisches Spannungsverhältnis zwischen dem Ziel eines möglichst wirksamen Wettbewerbsschutzes und der Vermeidung unnötiger Behinderungen unbedenklicher Zusammenschlussvorhaben. Um diesen Zielkonflikt bestmöglich aufzulösen, darf die Verbotsanordnung im Einzelfall nicht über das tatsächlich zum Schutz des Wettbewerbs erforderliche Maß hinausgehen. Art. 7 Abs. 1 FKVO und Art. 101 AEUV etablieren für die Normadressaten insgesamt einen gut handhabbaren Maßstab. Zwar wird in der Literatur teilweise ein zu hohes Maß an Rechtsunsicherheit im Bereich des Gun-Jumpings beklagt.1 Gerade auch angesichts der Konkretisierung von Art. 7 Abs. 1 FKVO durch das Aer-LingusUrteil ist jedoch davon auszugehen, dass die kartellrechtlichen Vorgaben hinreichend bestimmt sind. Zusätzliche Hilfestellungen für die Selbstveranlagung, beispielsweise in Form einer Kommissionsmitteilung, sind nicht zwingend erforderlich.2 Dies gilt umso mehr, als die Kommission betont, zu Gesprächen bereit zu sein, sofern sich die Selbstveranlagung als schwierig erweist.

III. Schlussbemerkung zur Gun-Jumping-Verfolgung durch die Kommission Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Fallpraxis der Europäischen Kommission zu Gun-Jumping-Verhaltensweisen deutlich weniger stark ausgeprägt ist als die der US-Kartellbehörden.3 Dies wirft die Frage auf, ob aus ordnungspolitischer Perspektive zu fordern ist, dass die Kommission die Überwachung des Unterneh-

1 Von Rechtsunsicherheit gehen Depoortere/Lelart, World Competition 2010, 103, 105 aus. Zur Rechtsunsicherheit im Bereich der GWB-Fusionskontrolle siehe F. Immenga, BB 2009, 57. 2 Im Übrigen beabsichtigt die Kommission derzeit nicht, solche Hilfestellungen zu veröffentlichen, wie ein Vertreter der Generaldirektion Wettbewerb dem Verfasser in einem Gespräch mitteilte. 3 Die Kommission hat bislang lediglich im Fall Bertelsmann/Kirch/Premiere einen GunJumping-Verstoß gegen das Vollzugsverbot angenommen, siehe oben S. 162 ff.

354

G. Fazit

mensverhaltens im Vorfeld von Zusammenschlüssen intensiviert oder ob ihr derzeitiges Aktivitätsniveau ausreichend bzw. sogar zu hoch ist. Für die höhere Zahl von Gun-Jumping-Fällen in den USA kommen verschiedene Ursachen in Betracht. Eine große Bedeutung dürfte den niedrigeren Schwellenwerten für das Eingreifen der präventiven Fusionskontrolle nach Section 7 A Clayton Act zukommen. Diese haben zur Folge, dass bei den US-Kartellbehörden deutlich mehr Zusammenschlüsse notifiziert werden als bei der Europäischen Kommission.4 Zudem ist bei kleineren Transaktionen die Wahrscheinlichkeit höher, dass die kartellrechtlichen Verhaltensvorgaben missachtet werden, da die beteiligten Unternehmen in der Regel über weniger Erfahrung im Umgang mit den kartellrechtlichen Bestimmungen verfügen und die Zusammenschlüsse häufig weniger intensiv anwaltlich begleitet werden.5 Weiterhin können die höheren Fallzahlen bei den USKartellbehörden darauf zurückgeführt werden, dass das DOJ und die FTC GunJumping-Verhaltensweisen phasenweise als einen Verfolgungsschwerpunkt betrachtet haben.6 Hingegen bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Intensität der GunJumping-Verfolgung durch die Europäische Kommission unzureichend ist. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass es in der Unternehmenspraxis übermäßig häufig zu kartellrechtswidrigen Interaktionen vor dem Vollzug kommt und hierdurch die Wirksamkeit der präventiven Fusionskontrolle beeinträchtigt wird. Ganz im Gegenteil zeigt die Erfahrung vielmehr, dass im Allgemeinen ein sehr hohes Niveau der compliance7 mit den Vorgaben des präventiven Fusionskontrollverfahrens herrscht. Eine Ursache hierfür mag sein, dass die Kommission Unternehmen schon im Rahmen des Pränotifikationsverfahrens die Möglichkeit zum Dialog bietet und sich im Gespräch mit ihr Unklarheiten ausräumen lassen. Hierdurch können versehentliche Übertretung der kartellrechtlichen Vorgaben vermieden werden. Viel entscheidender dürfte letztlich jedoch sein, dass Bußgelder in Höhe von bis zu 10 Prozent des Unternehmensumsatzes drohen, wenn die Kommission einen Gun-Jumping-Verstoß feststellt. Die Abschreckungswirkung dieses Sanktionsrahmens dürfte jüngst noch erheblich verstärkt worden sein, als die Kommission Electrabel mit einem Bußgeld in Höhe von 20 Millionen EUR belegt hat und hierdurch verdeutlichte, bereit zu sein, Verstöße gegen Art. 7 Abs. 1 FKVO scharf zu sanktionieren.8 Nach alledem besteht insgesamt kein Anlass, eine Intensivierung der Durchsetzungsbemühungen der Kommission zu fordern.

4

Gottschalk, RIW 2005, 905, 911; Kauper, 74 St. John’s L. Rev. 305, 316. So auch Gottschalk, RIW 2005, 905, 911. 6 Vgl. zu den unterschiedlich hohen Fallzahlen in der EU und den USA auch Reysen/ Jaspers, WuW 2006, 602, 607. 7 Vgl. zur kartellrechtlichen compliance bei Unternehmenstransaktionen Lotze, in: Saenger/Aderhold/Lenkaitis/Speckmann, Handels- und Gesellschaftsrecht, § 12, Rdnr. 266. 8 Wobei das EuG das Bußgeld auch seiner Höhe nach bestätigt hat. Siehe oben S. 169 ff. 5

III. Schlussbemerkung

355

Andererseits besteht auch kein Grund zu der Annahme, dass im Hinblick auf die Interaktionen vor dem Closing eine zu weitgehende Abschreckung (overdeterrence) erfolgt. Zwar wird die Durchführung von Unternehmenstransaktionen durch die Vorgaben des präventiven Fusionskontrollverfahrens zweifelsohne beeinträchtigt. Anders als in den USA, in denen die Kartellbehörden bis zum Jahr 2002 einen sehr strengen Ton angeschlagen und viele Fälle aufgegriffen haben, zeigt die Kommission bislang jedoch weder übermäßigen Ehrgeiz noch unverhältnismäßige Härte bei der Gun-Jumping-Verfolgung. Auch verhindert die enge Auslegung des Vollzugsverbots nach Aer Lingus dessen ausufernde Anwendung. Insgesamt ist daher von einem angemessenen Abschreckungsniveau auszugehen. Sucht man dennoch ordnungspolitischen Optimierungsbedarf, lässt sich auf den erfolglosen Vorschlag der Kommission aus dem Jahr 2002 verweisen, die Reichweite des Vollzugsverbots im Hinblick auf evident unbedenkliche Unternehmenszusammenschlüsse einzuschränken.9 Durch eine entsprechende Reform der Fusionskontrollverordnung ließe sich die Behinderung von wettbewerblich unbedenklichen Unternehmenszusammenschlüssen weiter reduzieren, ohne dass eine Beeinträchtigung der Wirksamkeit des Wettbewerbsschutzes zu erwarten wäre.

9

Siehe oben S. 159 f.

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Vorschlag

für

eine

neue

EG-Fusionskontrollverordnung,

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Stichwortverzeichnis Abschreckung siehe Deterrence Aer Lingus 173 – 189, 195, 198, 216 Aktien 82, 89, 92, 123, 328 Ancillary restraints-Doktrin 249, 316 Anmeldepflicht 137, 148 Anmeldeverfahren 160 Ansprache von Arbeitnehmern 51, 335 Anwendungsbereich Fusionskontrollverordnung 198 Arm’s length-Transaktionen 96, 341 Assets 80, 85, 342 Aufsichtsrat 166, 333 f. Beneficial ownership 61 – 64, 81, 89, 109 Bertelsmann/Kirch/Premiere 162 – 165, 192, 341, 351 Bietwettbewerb 319 Budget 221 Bußgeld 152, 168 – 171 Clean teams 47, 312, 338 Conduct of business-Beschränkungen 95, 122 – 124, 324 – 332

92,

Deterrence 34, 147, 200 – Overdeterrence 39, 56, 132, 214, 235, 289, 350, 355 – Underdeterrence 39, 354 Doppelkontrolle 202, 241 Due Diligence 52 f., 129, 293 – 298, 303, 310, 316 – 318 Edeka/Kaisers Tengelmann 233, 235 Effizienzgewinne 49, 55, 131, 253, 290, 299, 317 Einflussnahme des Erwerbers 322 – 333 Einkaufskooperation 233 Einseitige Verhaltensweisen 210 – 212, 332 Entflechtung 143, 153, 171, 175 – Schwierigkeiten bei der 43, 61, 208 Externe Berater 313

Externes Unternehmenswachstum 200, 218

27, 42,

Faktische Integration 89 Fehlerkosten 35 – 37, 56 Fusionen 319 Fusionskontrollverfahren 136 – 141 Gemeinschaftsunternehmen 162, 227, 242, 304, 318, 343 Geschäftsbedingungen 87, 98, 296, 309, 340 Geschäftsführung 93, 257, 325, 333, 335 Geschäftsplan 222 Gun-Jumping – Begriff 28 – 31 – Negative Auswirkungen 39 – 43 Hauptversammlung 346

166 f., 178, 181, 224,

Independent agents 47, 298, 311 Ineos/Kerling 165 f. Informationsasymmetrien 45, 47, 52, 263, 269, 299 Informationsaustausch 52 f., 261 – 320, 336 – Abgestufte Informationspreisgabe 314 – Abschichtung problematischer Informationen 308 – 310 – Aggregation von Daten 314 – Auswirkungen des Informationsaustauschs der Zusammenschlussparteien 298 – 307 – Bei horizontalen Zusammenschlüssen 305 – Bei nichthorizontalen Zusammenschlüssen 306 – Berechtigtes Interesse 303 – Einmaligkeit 303 – Einseitigkeit 304 – Einzelfallbeurteilung 307 – 319

Stichwortverzeichnis – – – –

Negative Effekte 268 Ökonomische Beurteilung 262 – 273 Positive Effekte 263 US-Praxis 76 – 79, 86 f., 94, 96, 124 – 126 – Vorkehrungen zur Verhinderung des Eintritts von Wettbewerbsbeschränkungen 310 – 315 Integrationsmaßnahmen 339 Integrationsplanung 49 – 53, 129, 337 – 339 Investitionen 123, 222, 286, 325

Kartellverbot 209, 236 – 321 – Anwendung durch Mitgliedstaaten 321 – Anwendungsbereich 236 – 245 – Freistellung vom ~ 252 – 254, 290 – 292, 317 – Section 1 Sherman Act 65 – 69 Kollegenlieferung 126, 341 Kollusives Verhalten 40, 300 Kontrollerwerb 216 – 229 – Dauerhaftigkeit 225 – Faktischer 224 – Gemeinsame Kontrolle 227 – Negative Kontrolle 226 – Positive Kontrolle 226 Konzernprivileg 75, 114 – 117, 237, 244 Kunden 97, 294 Kunden- und Zuliefererkontakte 83, 340 Kundenaufteilung 97, 121 Markt für Unternehmenskontrolle 299 Marktaufteilung 97, 121, 250, 257 Marktergebnis 33 f., 36, 38 f., 200, 205, 211 Marktspezifische Rechte 222 Marktstrukturkontrolle 200, 353 Marktstrukturveränderungen 41 f., 44, 143, 189, 197 – 207, 218, 228, 241 Marktverhalten 191 Marktversagen 34, 200, 210, 263 Mars/Nutro Products 232 Material adverse change-Klauseln 46, 100, 123, 325 Mehrheitserlangung in Leitungsgremien 333 Mengenverhalten 279 Minderheitsbeteiligungen 166, 175, 254 – 261

371

Mitarbeiter siehe Ansprache von Arbeitnehmern Moral hazard-Problem 46, 326 More economic approach 37 Nebenabreden 202, 238 f., 249, 254, 317 Neubesetzung von Leitungspositionen 334 Öffentliche Übernahmeangebote 166, 174, 346 Operational control 63, 86, 91, 95, 99 f., 102, 104, 108 – 112, 122, 215 Ordinary course of business-Beschränkungen 46, 95, 101 – 103, 122, 325, 334 Overdeterrence siehe Deterrence Personelle Verflechtungen 113, 259, 333 – 336 Pränotifikationsverfahren 137 Preis- und Konditionenabsprachen 98, 120, 313 Preisverhalten 279 Prinzip der Belastungsvermeidung 154 – 161, 213 f. Rechtsunsicherheit 38 f., 61, 114, 130, 133, 202, 214, 353 Reformmöglichkeiten 159 – 161, 355 Sanktionsrisiko 34 f. Selbständigkeitspostulat 274 f. Selbstveranlagung 35 – 39, 213, 289, 353 Spürbarkeit 251 Standard 163 Strategische Entscheidungen 178, 220, 226, 243 Sukzessiver Anteilserwerb 167, 174, 345 Tagesgeschäft 223 Teilvollzug 164, 176, 191 Transaktionskosten 37, 47, 49, 146, 273 Übertragung des Risikos der Untersagung 342 Übertragung des Risikos des Scheiterns 73 Unbedenkliche Zusammenschlussverfahren 43 f. Underdeterrence siehe Deterrence

372 Unilaterale Effekte 260 Untersagungsentscheidung

Stichwortverzeichnis

40, 143, 155

Vereinfachtes Verfahren 140 Verhaltenskontrolle 146, 199 – 202, 219, 258, 353 Verjährung 154 Vertragliche Beschränkungen des Zielunternehmens siehe Conduct of business-Beschränkungen Vertragsgenehmigung 93, 102 – 104, 120 Vertraulichkeitsvereinbarungen 96, 100, 125, 310 Vertrieb 72 Volkswagen/MAN 166 f. Vollzugsverbot – Anwendungsbereich 148 – 150, 159 – Bestimmtheit 193, 235 – Entstehungsgeschichte 141 f. – Freistellung vom ~ 150, 172 – GWB-Fusionskontrolle 231 – 235 – Kontrollwechsel 180, 198 – Ökonomische Funktion 146 – 148 – Rechtsfolgen Verstoß 152 f. – Reichweite 161 – 216

– Section 7 A Clayton Act 59 – 65 – Sinn und Zweck 112 f., 142 – 146, 176, 179, 206 – 216 – Systematik 197 – 206 – Wortlaut 179, 196 f. Vorgetäuschte Zusammenschlussverhandlungen 78, 301 Vorstand 168, 170, 231, 333 Wettbewerbsbeschränkung 301 Wettbewerbsrelevante Entscheidungen 93, 110 Wettbewerbsschutz 144, 178 Wettbewerbsverhalten 190 f., 211, 218, 309, 330, 338 Zivilrechtliche Unwirksamkeit 153 Zusammenarbeit vor dem Vollzug 126, 340 – 342 Zusammenschlussbegriff 193, 216 – 229 – Section 7 Clayton Act 105 – 109 Zusammenschlusstatbestand siehe Zusammenschlussbegriff Zuständigkeit der Kommission 176, 180