>Sprechen Sie nach dem Piep<: Kommunikation über Anrufbeantworter. Eine gesprächsanalytische Untersuchung 9783110918311, 9783484312609

This study inquires into the difficulties besetting communication via answering machines and ways of dealing with those

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>Sprechen Sie nach dem Piep<: Kommunikation über Anrufbeantworter. Eine gesprächsanalytische Untersuchung
 9783110918311, 9783484312609

Table of contents :
Vorwort
Verzeichnis der Abkürzungen
Verzeichnis der Abbildungen
A Einleitung
B Grundlagen
1. Entwicklung der AB-Technik
1.1 Geschichte des Telefons
1.2Geschichte des Anrufbeantworters
2. Technische Voraussetzungen
3. Konstitutive Merkmale von AB-Kommunikation
3.1 Kommunikative Merkmale - Alltags- und Problemaspekte
3.2 Textuelle Merkmale
3.3 AB-Kommunikation und Mediengespräche
4. Kommunikationsprobleme
4.1 Zum Regelbegriff
4.2 Probleme gelingender Kommunikation beim Telefon
4.3 Regelfolgen und Problemlösen im Telefongespräch
4.4 Telefonetikette
4.5 Zusammenfassung und Diskussion
C Untersuchungen
1. Befragung zu Akzeptanz und Nutzungsverhalten
1.1 Methode
1.2 Ergebnisse
1.3 Zusammenfassung der Umfrageergebnisse
2. Analyse von Problemen in der AB-Kommunikation
2.1 Zusammenfassung und Fragestellungen
2.2 Korpusbildung und Transkriptionsverfahren
D Ergebnisse und Diskussion
1. Mündlichkeit und Schriftlichkeit
1.1 Spontaneität und Planung
1.2 Dialogprobleme
1.3 Zusammenfassung und Diskussion
2. Probleme durch Nutzungsgewohnheiten
2.1 Soziale Probleme
2.2 Bewertungsprobleme
2.3 Zusammenfassung und Diskussion
3. Probleme der Mehrfachadressierung
3.1 Anrufertexte
3.2 Ansagetexte
3.3 Zusammenfassung und Diskussion
4. Technische Probleme
4.1 Aufnahmequalität
4.2 Der „Shuttle“-Effekt
4.3 Technischer Gesprächsabbruch
4.4 Technisches Gesprächsende
4.5 Datierung
4.6 Zusammenfassung und Diskussion
5. Problemlösungsstrategien
5.1 Dialogische Strategien
5.2 Zusammenfassung und Diskussion
6. Vermeidungsstrategien
6.1 Passive Vermeidungsstrategien
6.2 Aktive Vermeidungsstrategien
6.3 Zusammenfassung und Diskussion
7. Regelprobleme
7.1 Regelprobleme beim Angerufenen
7.2 Regelprobleme beim Arufer
8. Resümee und Diskussion
9. Ausblick
Anhang: Korpus mit Verzeichnis der verwendeten
Transkriptionszeichen
Literaturverzeichnis

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Reihe Germanistische Linguistik

260

Herausgegeben von Armin Burkhardt, Angelika Linke und Sigurd Wichter

Rainer Knirsch

>Sprechen Sie nach dem Piep< Kommunikation über Anrufbeantworter. Eine gesprächsanalytische Untersuchung

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2005

Reihe Germanistische Linguistik Begründet und fortgeführt von Helmut Henne, H o r s t Sitta und Herbert Ernst Wiegand

Für Siegfried & Marlies

D7 Göttinger Philosophische Dissertation Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-31260-2

ISSN 0344-6778

© Max Niemeyer Verlag G m b H , Tübingen 2005 http://www. niemeyer. de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Laupp & Göbel G m b H , Nehren Buchbinder: Nädele Verlags- und Industriebuchbinderei, Nehren

Inhaltsverzeichnis

Vorwort Verzeichnis der Abkürzungen Verzeichnis der Abbildungen

IX XI XII

Α

Einleitung

Β 1. 1.1 1.2

Grundlagen Entwicklung der AB-Technik Geschichte des Telefons Geschichte des Anrufbeantworters

9 9 12

2.

Technische Voraussetzungen

15

3. 3.1

Konstitutive Merkmale von AB-Kommunikation Kommunikative Merkmale - Alltags- und Problemaspekte Textuelle Merkmale Textbegriff und AB-Textsorten Anrufertexte Ansagetexte Standardansagetexte Abweichende Ansagetexte Strukturelle Merkmale von Ansagetexten Technische Produktionsbedingungen AB-Texte als mehrfachadressierte Texttypen AB-Kommunikation und Mediengespräche Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der AB-. Kommunikation Konzepte mündlichen und schriftlichen Sprachgebrauchs. AB-Kommunikation und Kommunikative Grundhaltung AB-Kommunikation und Sprachform AB-Kommunikation und Materialisierungsform Kommunikation als Gegenstand der Gesprächsanalyse

21

3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.3.1 3.2.3.2 3.2.3.3 3.2.3.4 3.2.4 3.3 3.3.1 3.3.1.1 3.3.1.2 3.3.1.3 3.3.1.4 3.3.2

1

21 26 26 28 36 40 42 44 47 48 55 59 60 70 77 80 82

VI 4. 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5

Kommunikationsprobleme Zum Regelbegriff. Probleme gelingender Kommunikation beim Telefon Regelfolgen und Problemlösen im Telefongespräch Telefonetikette Zusammenfassung und Diskussion

87 88 93 101 108 112

C 1. 1.1 1.2 1.3

Untersuchungen Befragung zu Akzeptanz und Nutzungsverhalten Methode Ergebnisse Zusammenfassung der Umfrageergebnisse

117 117 120 124

2. 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2

Analyse von Problemen in der AB-Kommunikation , Zusammenfassung und Fragestellungen Korpusbildung und Transkriptionsverfahren Methodische Probleme Beschreibung und Begründung des Transkriptionsverfahrens

131

D 1. 1.1 1.1.1 1.1.1.1 1.1.1.2 1.1.2 1.1.2.1 1.1.2.2 1.1.3 1.2 1.3

Ergebnisse und Diskussion Mündlichkeit und Schriftlichkeit Spontaneität und Planung Planungsaktivitäten Pausen Wiederholungen Kontrollaktivitäten Beschreibungsprobleme Bewertungsprobleme Sprechangst Dialogprobleme Zusammenfassung und Diskussion

135 136 140 140 149 153 161 164 171 180 188

2. 2.1 2.2 2.3

Probleme durch Nutzungsgewohnheiten Soziale Probleme Bewertungsprobleme Zusammenfassung und Diskussion

195 196 204 207

125 125 127 129

VII 3. 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.3.1 3.2.3.2 3.2.3.3 3.2.3.4 3.2.3.5 3.3

Probleme der Mehrfachadressierung Anrufertexte Ansagetexte Förmlicher Ansagetext Kontaktbetonter Ansagetext Abweichende Ansagetexte Textfunktion Unterhaltung und Animation Probleme der Textfunktion Anruferanimation Probleme der Verschlüsselung von Textfunktionen Probleme der Imageproduktion Probleme durch Textlänge und Telefongebühren Zusammenfassung und Diskussion

209 209 212 212 220 224 225 228 234 237 239 242

4. 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6

Technische Probleme Aufnahmequalität Der „Shuttle"-Effekt Technischer Gesprächsabbruch Technisches Gesprächsende Datierung Zusammenfassung und Diskussion

251 251 253 256 258 265 268

5. 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5 5.2

Problemlösungsstrategien Dialogische Strategien Aufforderungs-und Fragestrategien Personalisierungsstrategien Pseudosprecherwechsel Adaptationen aus Gesprächstypen Adaptation schriftsprachlicher Muster Zusammenfassung und Diskussion

273 274 275 279 286 291 297 302

6. 6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.3

Vermeidungsstrategien Passive Vermeidungsstrategien Aktive Vermeidungsstrategien Lachaktivitäten Humoraktivitäten Ironieaktivitäten Zusammenfassung und Diskussion

309 309 311 315 318 325 328

7. 7.1 7.2

Regelprobleme Regelprobleme beim Angerufenen Regelprobleme beim Arufer

333 334 343

VIII 8.

Resümee und Diskussion

351

9.

Ausblick

367

Anhang: Korpus mit Verzeichnis der verwendeten Transkriptionszeichen

373

Literaturverzeichnis

537

Vorwort

Die nachfolgende Arbeit hat die Philosophische Fakultät der Georg-AugustUniversität Göttingen 2001 als Doktorarbeit angenommen. Für die Veröffentlichung habe ich die Fassung geringfügig gekürzt und etwas redigiert. Wer das fertige Buch heute in der Hand hält und dabei vor allem im Korpusband die Nachrichten liest, die Anrufer auf Band hinterlassen haben, weiß, dass meine Untersuchung ohne die vielen Teilnehmer nicht durchführbar gewesen wäre. Akribisch haben sie für mich Aufnahmen von ihren Anrufern gesammelt. Beim Hören der mehr als 2000 Nachrichten von Menschen in alltäglichen, glücklichen und auch weniger glücklichen Lebenslagen wurde mir bewusst, dass mir die Teilnehmer einen tiefen und manchmal sehr bewegenden Einblick in ihr Leben gewährt haben. Für dieses große Vertrauen werde ich immer dankbar sein. Mehr als in Dankbarkeit bin ich Herrn Professor Dr. Dieter Cherubim verbunden. Mit sprachwissenschaftlichem Rat war er stets für mich da. Über das Linguistische hinaus kann ich mich zudem glücklich schätzen, einen richtigen Doktorvater gehabt zu haben. Herzlich bedanken möchte ich mich an dieser Stelle auch bei Herrn Professor Dr. Sigurd Wichter für die Erstellung des zweiten Gutachtens und seine Überlegungen zum Forschungsgegenstand „Gespräch". Dies waren wichtige Impulse für meine Arbeit. Danken möchte ich darüber hinaus allen Freunden, die mich während der Promotionszeit auf unterschiedlichste Weise unterstützt haben - sei es durch ein offenes Ohr und die nötige Geduld beim Zuhören, sei es durch willkommene Ablenkung. Herausheben möchte ich diejenigen, die ich an bestimmten .Schlüsseltagen' etwas intensiver in das Projekt einbinden durfte: Andrea Nitschke, Linus Staeffler, Erin Lee Kearney, Dr. Eilika Fobbe und nicht zuletzt Dr. Stefan Goes - als Mentor und als Freund. Rügen, im September 2004

Rainer Knirsch

Verzeichnis der Abkürzungen

Abb. Abk. Anh. Anm. bes. bzgl. bzw. ca. engl. et al. etc. ex. f. ff. ggf· i.S. k.A. Kap.

Abbildung Abkürzung Anhang Anmerkung besonders bezüglich beziehungsweise circa englisch et alia et cetera exemplarisch folgende Seite folgende Seiten gegebenenfalls im Sinne keine Angabe Kapitel

m.E. n. Nr. o.g. o.T. o.V. S. Sek. sog. u. u.a. u.U. vgl. vs. Wh. z.B. zit. z.T.

meines Erachtens nach Nummer oben genannt ohne Titel ohne Verfasser Seite Sekunden sogenannt und unter anderem unter Umständen vergleiche versus Wiederholung zum Beispiel zitiert zum Teil

Verzeichnis der Abbildungen

Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb.

1 2 3 4 5 6 7 8

Fächerkontext im Forschungsraum .Sprache und Telefon'. Mehrfachadressierte Sprachhandlungen Typen von Mehrfachadressierungen Sprache der Nähe - Sprache der Distanz Dreidimensionales Modell des Sprachverhaltens Medium, Kanal, Materialisierungsform Varietät, Register, Sprachform Kommunikative Grundhaltung

6 48 49 60 61 62 63 65

Α Einleitung

Was ist das eigentlich, Verantwortung? Gehen wir einmal allein vom Wort Verantwortung aus. Ist in diesem Verantwortung nicht bereits das Wesentliche enthalten? Ist das Entscheidende nicht bereits damit gesagt, dass mit der Verantwortung ein Antwortgeben und ein Antworterwarten und -annehmen verbunden ist? Antworterwarten und -annehmen und seinerseits Antwortgeben ist aber nichts anderes als gegenseitig zu kommunizieren. Können wir vielleicht sagen, dass die elementarste Voraussetzung, Verantwortung zu übernehmen, darin besteht, mit jemand anderem oder etwas anderem kommunizieren zu können? 1 „Das Gespräch als Kommunikationsform beflügelt die Phantasie" 2 der Menschen. Das Gespräch, ja Kommunikation insgesamt, hat auch stets Erfindergeist geweckt - besonders, wenn Schwierigkeiten dabei auftraten. Optische Telegrafietechniken und später der elektrische Telegraf sind Beispiele für derartige Erfindungen. Ende des 19. Jahrhunderts kam das Telefon und damit das erste Kommunikationsmedium für gesprochene Sprache hinzu. 3 Der Fernsprecher hat das Gespräch aus der Einheit des Ortes gerückt und seine Erfinder Philipp Reis und Alexander Graham Bell berühmt gemacht. Wenige Jahrzehnte später kam ein nicht minder berühmter Schriftsteller bereits auf den Gedanken, das nun ferngesprochene Wort noch aus der Einheit der Zeit zu lösen. Franz Kafka lebte 1913 in Prag und liebte damals Feiice Bauer - eine Stenotypistin bei der Carl Lindström A G - Hersteller von Telefonen, Grammophonen und den ersten Diktiergeräten. Zwischen 1912 und 1917 hat Kafka Feiice Bauer über 5 0 0 Briefe und Postkarten geschrieben. In der Nacht vom 22. zum 2 3 . 1 . 1 9 1 3 schreibt er ihr: „Es wird eine Verbindung zwischen dem Telephon und dem Parlographen erfunden, was doch wirklich nicht so schwer sein kann. Gewiß meldest Du mir schon übermorgen, daß es gelungen ist. Das hätte natürlich ungeheure Bedeutung für die Redaktionen, Korrespondenzbüros usw.. Schwerer, aber wohl auch möglich, wäre eine Verbindung zwischen Grammophon und Telephon. Schwerer deshalb, weil man ja das Grammophon überhaupt nicht versteht, und ein Parlograph nicht um

1 2 3

Pestalozzi (1979: 181f.). Wichter (1999: 261). Vgl. Jakob (2000), Reuter (1990); Kienecker (1984: 144) definiert „Kommunikationsmedien" als „aufgrund bestimmter Technologien entwickelte Instrumente, die als solche - zunächst wertfrei - verschiedene Arten (zwischen-) menschlicher Kommunikation befördern können"; zum Medienbegriff vgl. Kübler (2000: 5ff.).

2 deutliche Aussprache bitten kann. Eine Verbindung zwischen Grammoph. und Telephon hätte ja auch keine so große allgemeine Bedeutung, nur für Leute, die, wie ich, vor dem Telephon Angst haben, wäre es eine Erleichterung. Allerdings haben Leute wie ich auch vor dem Grammophon Angst, und es ist Ihnen überhaupt nicht zu helfen. Übrigens ist die Vorstellung ganz hübsch, daß in Berlin ein Parlograph zum Telefon geht und in Prag ein Grammophon, und diese eine kleine Unterhaltung miteinander führen. Aber Liebste, die Verbindung zwischen Parlograph und Telephon muss unbedingt erfunden werden." 4 Telefon, Grammophon und Parlograph zusammen - ein Fernsprecher, ein Abspiel- und ein Aufnahmegerät - wegen seiner Idee, diese drei miteinander zu verbinden, bezeichnet Rickeis Kafka als Erfinder des Anrufbeantworters. 5 Treffender müsste man allerdings sagen, dass Kafka den Anrufbeantworter (folgend kurz „AB") lediglich erdacht hat. Zwar hat Lindström die von Kafka beschriebene Maschine ein Jahr später gebaut, doch musste diese Apparatur noch von Menschenhand betätigt werden. Erfinder des automatischen AB ist 1942 der Elektrotechniker Willy Müller. 6 Bekannt wird das Gerät vielen aber erst in unserer Gegenwart. Zu dem Zeitpunkt ist das Telefon schon mehr als hundert Jahre alt. Gegenstand der Kommunikationswissenschaften wird es aber erst in der jüngeren Vergangenheit. Lange Zeit gilt es als das vernachlässigte, übersehene oder ignorierte Medium. 7 Nach Jahrzehnten ohne Auseinandersetzung liegt inzwischen aber eine umfangreiche kommunikationswissenschaftliche Telefonliteratur vor. 8 In den Sprachwissenschaften beschäftigen sich die Arbeiten der Ethnomethodologischen Konversationsanalyse in den Sechziger- und Siebzigerjahren besonders mit dem Telefon. 9 Für den Anrufbeantworter interessieren sich Sprachwissenschaftler erst seit wenigen Jahren. Eine „tiefergehende wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas" 1 0 setzt gerade erst ein. Auch Naumann betont: „Telephongespräche sind schon vielfach untersucht worden, hier sind die Gesprächsmodalitäten relativ gut erforscht. Die Analyse der Kommunikation über Anrufbeantworter steht dagegen erst am Anfang.""

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Kafka (1967: 266). Vgl. Rickeis (1989: 220). Vgl. Hessenland (1996). Vgl. Aronson (1986), Beck (1989: 45), Dordick (1989), Fielding/Hartley (1987: 1989), Fischer (1992a: 259), Höflich/Wiest (1990: 62f.). Vgl. Forschungsgruppe Telefonkommunikation (Hg. 1989, 1990a, 1990b). Vgl. Brinker/Sager (1996: 14ff.), Höflich (1989: 205); wegbereitend Sacks/Schegloff/Jefferson (1974), Schegloff (1968) und (1979), Schegloff/Sacks (1973); zur Methode vgl. auch Bergmann (1981). Nickl/Seutter (1995: 258). Naumann (1994: 442).

3 Erste Schritte in diese Richtung wurden in den U S A unternommen. Grundlegend sind hier das Essay von Dubin und die Aufsätze von Gold und W o j cik. 1 2 Weitere Arbeiten haben sich mit den kommunikativen Merkmalen, Mündlichkeit und Schriftlichkeit oder Mustern in der Kommunikation mittels A B beschäftigt. 1 3 Ein vornehmlich US-amerikanischer Forschungsgegenstand ist der A B aber nicht mehr. Dies belegen der Aufsatz von Liddicoat aus Australien oder die Arbeiten der Schweizerin Dingwall zu Fragen der Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Dexis und zu dialogischen und monologischen Merkmalen. 1 4 Jüngere Aufsätze, zuletzt von der Italienerin Veronesi und der Französin Hammer, belegen ebenfalls die besondere Aktualität des Themas auch außerhalb der Vereinigten Staaten. 1 5 Frühe sprachwissenschaftliche Überlegungen zur AB-Kommunikation finden sich in Deutschland z . B . bei Schmale und Hess-Lüttich. 1 6 Weitere Artikel behandeln textuelle, dialogtypologische, kommunikationstheoretische Aspekte der AB-Kommunikation. 1 7 Schellenberg hat die Ansagen auf A B in textlinguistischer und stilistischer Hinsicht untersucht und fordert, Untersuchungen zu kommunikationshemmenden Faktoren anzuschließen. 1 8 Die vorliegende Arbeit setzt dort genau an. Meine Untersuchung fragt nach den Problemen in der Kommunikation mittels A B , die Hintergrund für Hemmungen in der Kommunikation sein können. Diese Hemmungen sind „Legende" 1 9 .Viele Anrufer erwecken den Eindruck, dass ihnen beim Sprechen auf einen A B die Übung fehlt. 2 0 Dies kann sich auch in extremer Form äußern: „Wie gelähmt lassen Ungeübte oft den Piepton verstreichen; selbst Vielredner verhaspeln sich plötzlich und brechen entnervt ab." 2 1 .

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Vgl. Dubin (1987), Gold (1991), Wojcik (1987). Vgl. Boldog (1993), Sullivan (1994); zum Begriff des „Musters" vgl. Günthner/Knoblauch (1994). Vgl. Dingwall (1992), (1995a), (1995b). Liddicoat (1994). Vgl. Alvarez-Caccamo/Knoblauch (1992), Knoblauch (1995: 187ff.); Miller-Spelman (1992), zuletzt Hammer (2000), (2001), Veronesi (2000). Vgl. Hess-Lüttich (1990), Schmale (1988); in einer Staatsarbeit hatte Veeck (1988) die Ansagen von Ärzten untersucht; mit Johanson (1997) und Lange (1999) liegen weitere Examensarbeiten vor; Dingwall (1995b) verweist noch auf Seminararbeiten von Altorfer (1994), Derungs (1993) und Roos (1994). Vgl. Nagel (1999), Naumann (1994), Nickl/Seutter (1995). Vgl. Schellenberg (1997: 239). Lange (1989a: 38). Vgl. Sullivan (1994: 153); vgl. auch Fielding/Hartley (1987:1989: 131). Der Spiegel (1989: 61); ähnliche Beobachtungen haben Dingwall (1992:82) und Stampa (1985: 14) sowie Raz/Shapira (1994:412) in ihren Heimatländern Schweiz und Israel gemacht.

4 Andere Anrufer legen bei einem AB sofort auf. Sie sprechen dann - wenn Uberhaupt - erst nach einer Pause auf das Gerät. 22 Trotz seines praktischen Nutzens - man ist trotz Abwesenheit telefonisch erreichbar - ist die Nutzung eines AB also offenbar mit Problemen verbunden. Die Volkskundler Gutwinski-Jeggle/Jeggle sprechen beim AB daher m.E. treffend vom „Behagen und Unbehagen im Umgang mit einer kulturellen Errungenschaft" 23 . Beim Unbehagen ist es aber nicht geblieben: Kritiker bezeichneten den AB bereits als „Pest der Neuzeit" 24 oder als „Blechtrottel am anderen Ende der Leitung" 25 . Auch der Vergleich, „Anrufbeantworter sind wie Beichtstühle: eine einsame Zumutung" 26 , zeugt von Ablehnung und Problemen im Umgang mit dem neuen Medium. Derartige Vorbehalte haben Tradition. Piaton warnt in den Phaidros-Dialogen vor der Schrift. 27 Man könnte dies als Beleg einer frühen Medienakzeptanzkrise auffassen. Im vorvergangenen und vergangenen Jahrhundert hatten die Menschen Probleme mit dem Telefon. Sie brachten es sogar mit Geistern und Zauber in Verbindung. 28 Die frühen Telefonprobleme lassen sich aber nur schwer rekonstruieren: „Zum Leidwesen des Telefonforschers lässt sich diese Magie des Anfangs samt leidvoller Ersterfahrungen nur noch auf Umwegen emeut beschwören. Telefonate in Literatur oder Film haben allenfalls ,spracharchäologischen' Wert. Fossilgeworden sind sie Echo anfänglicher Telefonschmerzen und wertvolle Zeitzeugen eines sich entwickelnden ,Mediolekts'."29 Heutige Analysen müssen keine Umwege gehen. Seit es Tonbänder mit Rücklauftaste gibt, verfügen wir über eine geeignete Aufnahmetechnik für Untersuchungen gesprochener Sprache. 30 Da der AB selbst Aufnahmegerät ist, sind die Bedingungen für Analysen sogar noch besser: Sie kann auf das authentische Tonmaterial zurückgreifen, das das zu untersuchende Medium selbst speichert. Damit ist es bei dem noch relativ jungen Medium AB möglich, ausschnittweise den Prozess seiner sprachlichen Aneignung samt der damit einhergehenden Probleme zu dokumentieren. Die Telefongeschichte belegt, dass die Menschen Probleme im sprachlichen Umgang mit neuen Medien zunächst mit alten Mitteln oder nach bewährten Modellen begegnet sind, bis sie wirklich neue und eigenständige Lösungen entwickelt hatten. 31 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31

Vgl. Stampa (1985: 14), Nickl/Seutter (1995: 265). Gutwinski-Jeggle/Jeggle (1990: 18). Heidenreich (1987: 7). Nickl/Seutter (1995: 259). Friedrich (1991: 23). Vgl. Giese/Januschek (1990: 58); vgl. dazu Piaton (1966), Szlezäk (1985). Vgl. Becker (1994: 359). Knirsch (2001: 377); vgl. dazu Schwitalla (1996), Schmidli (1997: 329). Vgl. Schwitalla (1997: 14). Vgl. Schwitalla (1996).

5 Aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist gerade diese Phase im Übergangsbereich zwischen alten und neuen Ansätzen bei der Aneignung eines neuen Mediums besonders fruchtbar. Dies macht den AB samt der den Aneignungsprozess begleitenden Phänomene und Probleme zu einem überaus reizvollen Forschungsgegenstand. In der vorliegenden Literatur werden Probleme bei der Kommunikation mittels AB vereinzelt angesprochen. Die bisherigen Arbeiten stützen sich aber auf kleinere oder sehr kleine Korpora. Obwohl die Forderung nach Untersuchungen mit breiter Datenbasis zur Untersuchung weiterer Probleme in der AB-Kommunikation bereits gestellt wurde, 32 steht eine derartige Arbeit bis jetzt noch aus. Dies hat sich zu Beginn meiner Untersuchung bemerkbar gemacht. Da allgemein noch wenig über die via AB übertragene Kommunikation bekannt war, habe ich mir zunächst einen Überblick über das Forschungsfeld verschafft. Ausgangspunkt der Untersuchung ist daher eine nichtrepräsentative heuristische Erhebung. Die Umfrageergebnisse, die ich in Abschnitt C der Arbeit und im zweiten Anhangband vorstelle, sollen erste Anhaltspunkte zu Nutzungsgewohnheiten und möglichen Problemen in der AB-Kommunikation geben und der Vorbereitung einer Feldstudie dienen. In Abschnitt D dokumentiert und empirischer Kern meiner Arbeit ist die genannte Studie. Zwischen 1996 und 1999 habe ich in Südniedersachsen an 16 privaten AB und meinem eigenen Gerät Ansagen und Mitteilungen von Anrufern aufgenommen. Diese und unabhängig von der Studie von Privatleuten zur Verfügung gestellten Aufnahmen sind die Materialgrundlage der Untersuchung. Die später verschrifteten Aufzeichnungen bilden das Korpus der Arbeit. Es handelt sich hierbei um 435 Mitteilungen von Anrufern und die dazugehörigen Ansagen. Schwerpunkt meiner Arbeit ist die Untersuchung der Mitteilungen und Ansagen im (analytischen) D-Teil der Arbeit, für den ich im Abschnitt Β die theoretische und terminologische Basis schaffe. Hierbei geht es nicht allein um Sprachwissenschaftliches. Abschnitt Β stellt auch den nötigen technischen und geschichtlichen Rahmen her, um den Forschungsgegenstand in den telefonhistorischen Kontext einzubetten und Erkenntnisse aus anderen Fächern für die Untersuchung nutzbar zu machen. Das folgende Schaubild verdeutlicht den Wert eines interdisziplinären Ansatzes:

32

Vgl. Gold (1991: 254), Nickl/Seutter (1995: 272).

6

Das Schema zeigt, dass zahlreiche Disziplinen den Gegenstand „Telefon und Sprache" behandeln. Ebenso wie eine linguistische Untersuchung zum Sprachverhalten am Telefon, kann auch eine Untersuchung über ABKommunikation gewinnen, wenn sie sich für Ansätze anderer Fächer öffnet. Nicht zuletzt, da die sprachwissenschaftliche Literatur über AB noch überschaubar ist, sind in meine Untersuchung auch Erkenntnisse anderer Bereiche eingeflossen. Ich nenne hier z.B. Arbeiten aus Psychologie, VolkskundeSprechwissenschaft, Soziologie, Sozialpsychologie und Kommunikationswissenschaften. 34 Ich berücksichtige zudem technisch orientierte Quellen. Dadurch sind Analysen zum möglichen Einfluss verschiedener AB-Typen auf die Kommunikation möglich, wie von Schellenberg bereits vorgeschlagen. 35 Es mag der vereinzelt unterstellten Technikfeindlichkeit der pragmatischen Linguistik 36 geschuldet sein, dass diese Aspekte bislang kaum berücksichtigt wurden.

33 34

35

36

von Hahn (1990: 279). Vgl. Gumpen (1993), Herrmann/Grabowski (1994: 457ff.), Wallbott (1995), Janik (1994), Mertesacker (1994) und Mißler (1991) Gutwinski-Jeggle/Jeggle (1990), Leitner (1995), Gutenberg (1987), Raz/Shapira (1994), Rosen (1987), Christensen et al. (1998), Buzzanell et al. (1996), Pütz (1993). Schellenberg (1997: 239) bezieht „AB-Typen" auf technische Zusatzfunktionen wie Femabfrage, Kodierungs-, Diktat- oder VIP-Funktion; meine Typologie basiert dagegen auf allgemeineren und durch die Bauart bedingten Unterscheidungsmerkmalen; vgl dazu Abschnitt B. Vgl. Fiehler/Weingarten (1988: 5), Hess-Lüttich (1990: 256).

7 Trotz interdisziplinärer Ausrichtung konzentriert sich meine Arbeit vor allem auf die sprachwissenschaftliche Analyse dessen, was Anrufer und Angerufener auf AB sprechen. Bisherige Untersuchungen haben sich vornehmlich entweder mit den Ansagen oder mit den Mitteilungen von Anrufern beschäftigt, wobei sich auch nur wenige Arbeiten eingehend mit der Anruferseite der Kommunikation beschäftigen. 37 Wegen der großen Zahl von Mitteilungen, aus denen das Korpus besteht, bietet meine Untersuchung erstens die Gelegenheit, Analysen in diesem Bereich zu vertiefen. Da mein Korpus neben den Mitteilungen auch die dazugehörigen Ansagen umfasst, kann sich die vorliegende Arbeit zweitens auf den gesamten aus beiden Teilen bestehenden Kommunikationsprozess erstrecken und damit auch mögliche Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen Ansagen und Mitteilungen erfassen. Dies öffnet den Blick für die dialogischen Aspekte der AB-Kommunikation. Daher verfolgt die Untersuchung einen gesprächsanalytischen Ansatz. 38 Ausgangspunkt der linguistischen Gesprächsanalyse ist in Deutschland in den Sechzigerjahren die Untersuchung der gesprochenen Sprache, die sogenannte ,GS-Forschung'. Deren Entwicklung wird später zunehmend durch die Rezeption der im Rahmen der ethnomethodologischen Soziologie entstandenen amerikanischen „conversational analysis" und der angelsächsischen Sprechakttheorie bestimmt. Mitte der Siebzigerjahre rücken zunehmend dialogische Aspekte in den Mittelpunkt der GS-Forschung. Die germanistische Linguistik vollzieht damit den Übergang von der GS-Forschung zur Gesprächsanalyse. In den Siebziger und Achtziger Jahren erscheinen dann auch allgemeine Einführungen in die Methode. Die Gesprächsanalyse zielt darauf ab, dialogisches Handeln „systematisch zu beschreiben und zu erklären" 39 . Allgemein behandelt die Methode Fragen der Dialogorganisation, Sprecherwechselregelung, Handlungspläne oder Ablaufmuster. Themen sind auch unterschiedliche Gesprächstypen oder -bereiche. Klassischer Gegenstand der Gesprächsanalyse ist das sogenannte ,Face-to-face'-Gespräch. 40 Hess-Lüttich weist darauf hin, dass das Interesse am Face-to-face-Gespräch aus methodischen Gründen zunächst den Umweg über das technische Medium Telefon nahm, da dieses nonverbale Codes der Kommunikation ausschloss. Er fügt hinzu, dass dies auch die Aufmerksam37 38

39 40

Vgl. Lange (1999). Vgl. den forschungsgeschichtlichen Überblick zur Gesprächsanalyse in Brinker/Sager (1996: 14ff.), Naumann (1994: 431 f.) und Henne/Rehbock (1995: 7ff.) bes. zu den unterschiedlichen amerikanischen und europäischen Ansätzen; zur Terminologie der Disziplinen vgl. auch Linke/Nussbaumer/Portmann (1991: 259f.) sowie die umfassende Darstellung in Fritz/Hundsnurscher (Hgg. 1994). Brinker/Sager (1996: 7); vgl. auch den Aufsatz von Dittmann (1979). Vgl. Schank/Schwitalla (1980: 318ff.).

8 keit auf andere Formen technisch vermittelter Kommunikation gelenkt habe. 41 Meine Untersuchung steht in diesem gesprächsanalytischen Forschungszusammenhang. Da die Arbeit AB-Kommunikation zudem aus der Problemperspektive betrachtet und auch den Hemmungen in dieser Form der Kommunikation nachgeht, nimmt sie zudem Ansätze und Erkenntnisse aus der kognitiven Linguistik und der Psycholinguistik auf. 42 Die Untersuchung beschreibt damit nicht nur Probleme in der AB-Kommunikation. Sie berührt ein Stück weit und außerhalb des methodologischen Rahmens der Gesprächsanalyse auch Fragen nach den Ursachen für die Hemmungen. Ängste vor der Kommunikation mittels AB, wie Kafka sie vor dem Telefon eingesteht, kann meine Analyse freilich nicht erfassen. Warum aber jene Maschine aus Kafkas Fantasie die Bereitschaft von Menschen zur Kommunikation nicht immer beflügelt - auf diese Frage möchte ich mit meiner Untersuchung Antworten geben. Es ist ein wichtiger Aspekt des Strukturwandels moderner Gesellschaften, dass Technik immer mehr in Privathaushalte einzieht und Einfluss auf das Alltagshandeln nimmt. 43 Im Zuge dieser Technisierung bestimmen auch zunehmend neue Telekommunikations-Technologien über unser sprachliches Handeln. Von Hahn stellt fest, dass die Integration von Kommunikationsmedien zur Zeit noch unabsehbare Folgen auf die Ausprägung der Sprache hat und dass daher Transformationsstudien notwendig sind. 44 Auch hierzu soll die vorliegende Untersuchung einen Beitrag leisten.

41 42

43 44

Vgl. Hess-Lüttich (1990: 245). Heinemann/Viehweger (1991: 17), Ivänyi (1998: 71ff. u. 97ff.) hatten dieses bereits für die Text- und Gesprächsanalyse gefordert; vgl. auch den konversationsanalytischen Beitrag zur Textproduktionsforschung von Gülich (1994); zur Psycholinguistik vgl. Aitchison (1982) und Wiese (1989). Vgl. Garhammer (1993: 177). Vgl. Von Hahn (1990: 280).

Β Grundlagen

1 Entwicklung der AB-Technik

Auf Tag und Stunde war das Telefon mein Zwillingsbruder. Ich durfte erleben, wie es die Erniedrigungen seiner Erstlingsjahre im Rücken ließ.'

Der AB ist ein Zusatzgerät des Telefons. Als solches teilt er mit dem Fernsprecher die Anschlussdose und ist so an demselben Kommunikationskanal angeschlossen. Die Kommunikation mittels AB hat daher alle Restriktionen, denen auch Telefonkommunikation im Vergleich zur Face-to-faceKommunikation unterliegt. Daher ist es für eine Arbeit über ABKommunikation wichtig darzustellen, welche Merkmale Telefonkommunikation trägt. Eine Gegenüberstellung des AB mit dem Telefon, dessen entwicklungstechnischer Vita, kommunikativer Aneignung sowie Bedeutung als gewohntes Kommunikationsmedium in unserem Alltag, verrät bereits viel über AB-Kommunikation.

1.1 Telefongeschichte Nachdem Philipp Reis am 26. Oktober 1861 den ersten öffentlich mit Hilfe des elektrischen Stroms über Metalldrähte zwischen zwei technischen Geräten übertragenen Satz „Das Pferd frißt keinen Gurkensalat" 2 gesprochen hatte, ist das Telefon für mehr als ein Jahrzehnt kaum mehr als ,»Demonstrationsobjekt und Spielzeug für physikalische Laboratorien und Kabinette" 3 . In den Folgejahren wird das Telefon vorwiegend geschäftlich und administrativ verwendet. Es dient meist als einseitiges - ähnlich der Telegrafie genutztes Nachrichtenmittel: zwischen Firmenchef und Mitarbeiter, in Privathaushalten als Klingelersatz für Hauspersonal und Dienstboten. Darüber hinaus werden per Telefon rundfunkähnlich Konzerte, Theaterstücke oder Dichterlesungen übertragen. 4 Bis sich das Telefon aber als „nützliche Alltagsmaschine zur Kommunikation" 5 und als privates Gesprächsmedium gesamtgesellschaftlich vollkommen etabliert hat, vergehen mehr als hundert Jahre. Durch einen Bericht der Zeitschrift „Scientific American vom 6. Oktober 1877 wird der Generalpostmeister Heinrich von Stephan Mitte Oktober 1877 auf das 1 2 3

4 5

Benjamin (1987: 18). Vgl. Maschke (1989: 97); vgl. auch Heiden (1963:11), Trey (1996: 9). Rammert (1989: 79); sowie den Überblick zur technischen Entwicklung des Telefons: 91ff.); zu den Vor- und Frühformen der Telekommunikation vgl. Schmidli (1997: 41ff.). Vgl. Rammert (1989:80). Rammert (1989: 80).

10 Bell'sche Telefon aufmerksam. Stephan schreibt daraufhin nach Amerika, bittet um weitere Informationen und um einen Satz Telefone. Noch bevor eine Antwort eintrifft, erhält der Generalpostmeister am 24. Oktober zwei Geräte von seinem Kollegen Henry C. Fischer, Leiter des Londoner Telegrafenamtes, der diese bei einem Besuch mitbringt. Noch am selben Tag beginnt Stephan, die beiden Apparate auszuprobieren. 6 Als Geburtstag des Fernsprechens in Deutschland gilt - auf den Tag genau 16 Jahre nach Reis' Vortrag in Frankfurt - der 26. Oktober 1877. Mit Erfolg hatte von Stephan zuvor in Berlin eine Telefonverbindung zwischen Generalpostamt und Generaltelegraphenamt herstellen lassen. 7 Noch im selben Jahr stellen Siemens & Halske Kopien des Bell 'sehen Telefons her. Auch wenn Werner Siemens 1878 angesichts wachsender Nachfrage der Geräte in Briefen von ,Telephontrubel' oder ,Telephonfieber' 8 spricht, verbreitet sich das Telefon ausgesprochen langsam. 9 Sozial spielt das Telefon in den ersten Dekaden seiner Existenz keine große Rolle. Anfangs ist es auch mehr Nah- denn Fernmedium. Becker schließt aus den Erzählungen älterer Menschen, dass die soziale Aneignung des Telefons durch das Bürgertum sehr viel mit der kommunikativen Verstärkung im Nahbereich zu tun hatte. Über Nebenstellenanlagen dürfte es zahlreiche Telefonate zwischen Geschäfts- und Familienhaus, zwischen der „Herrschaft" und dem Dienstpersonal, den Familienmitgliedern untereinander und mit Freunden der Familie gegeben haben.

Ein weiterer Grund für die langsame gesellschaftliche Diffusion des Mediums waren die Gebühren, wie das Beispiel der Stadt Osnabrück belegt. Dort fielen jährlich Telefonkosten von 150 Mark an. Von den 40.000 Einwohnern der Stadt verdienten damals aber 77% weniger als 900 DM im Jahr." Das Telefon ist in dieser Zeit ein „prestigeträchtiges Symbol für Luxus und Modernität" 12 und „eindeutig eine Verkehrseinrichtung für Wohlhabende" 13 die Gartenlaube hatte diese Entwicklung 1877 bereits vorausgesehen und prognostiziert, dass künftig jedes „wohlsituierte" 14 Haus sein mit der nächsten Station verbundenes Telefon haben werde.

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Vgl. Heiden (1963: 19). Vgl. Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen (1952: 7). Matschoß (1916: 535 und 539); Brief an seinen Bruder Karl v o m 30.10.1877 sowie an den Generaldirektor der russischen Staatstelegraphie, Alexander Nikolajewitsch Graf Lüders v o m 15.11.1877. Vgl. Becker (1989b: 68f.). Becker (1989b: 71f.). Vgl. Fernmeldeamt Osnabrück (1987: 15f.). Rammert (1989b: 85). Femmeldeamt Osnabrück (1987:15). Die Gartenlaube (1877c: 796).

11 Neben der öffentlichen Hand gehören Industrieunternehmen, Handels- und Gewerbebetriebe zu den ersten Telefonabonnenten wie das Beispiel Osnabrück belegt. Banken, Fabriken, Hotels oder Kanzleien gehörten dort zu den früh Angeschlossenen. 15 In Berlin hat die Börse die Telefonnummer l . ' 6 Die weitere Entwicklung des Telefonnetzes verläuft in Deutschland langsam. Das erste öffentliche Fernsprechamt eröffnet am 1. April 1881 in Berlin mit bescheidenen 48 Anschlüssen. Im Juli des Jahres erscheint das erste Teilnehmerverzeichnis, das auf wenigen Seiten nur 187 Anschlüsse aufführt. Ende des Jahres 1881 sind es 458, 1884 über 2000 Teilnehmer. 17 Der internationale Vergleich zeigt, dass das Deutsche Reich auch viele Jahre später beim Verbreitungsgrad dieser neuen Kommunikationstechnik nicht zur Avantgarde gehört. 1906 liegt die Telefondichte in Deutschland hinter Norwegen (2%) und der Schweiz (1,8%) bei 1,1 %. 18 Innerhalb von 14 Jahren - von 1899 bis 1913 - steigt die Anzahl der in Deutschland vermittelten Telefonate lediglich von 621.000.000 auf 2.518.000.000 an. 19 Becker vermutet, dass die Zunahme der Telefonanschlüsse über viele Jahre hinweg durch das Bevölkerungswachstum der Städte kompensiert worden sein dürfte und spricht in diesem Zusammenhang von einem Nullwachstum. 20 Im Ersten Weltkrieg schließlich gelingt dem Telefon der Durchbruch - als Fernmelde- und Führungsmedium. Da im Krieg militärischem Fernsprechverkehr gegenüber Privatgesprächen der Vorzug gegeben wird, beginnt diese Entwicklung im zivilen Bereich erst langsam in den Zwanziger Jahren. 21 Andere Nationen sind auch in dieser Zeit noch schneller. Die Deutsche Reichspost ermittelt auf dem Stand vom 1. Januar 1926 die Sprechstellendichte in den einzelnen Ländern und kommt zu folgendem Ergebnis: Danach stehen die Vereinigten Staaten mit 14,8 Sprechstellen für 100 Einwohner weit voran. Deutschland nimmt mit 4,1 Sprechstellen erst die neunte Stelle ein und wird in Europa von Dänemark mit 9,2, von Schweden mit 7,2, von Norwegen mit 6,3 und von der Schweiz mit 5,0 Sprechstellen auf 100 Einwohner zum Teil erheblich übertroffen, steht aber vor England und Frankreich. 22

In den USA verbreitet sich das Telefon früh und vor allem schnell: 1877 ist das Telefon dort zu einem „Gegenstande der allgemeinsten Aufmerksam-

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Vgl. Femmeldeamt Osnabrück (1987, Titelblatt). Vgl. Becker (1989b: 71); vgl. auch Rammert (1989b: 80). Vgl. Heiden (1963: 26). Vgl. Holcombe ( 1 9 1 1 : 4 2 6 und 431). Vgl. Das deutsche Telegraphen-, Fernsprech- und Funkwesen (1925: 7). Vgl. Becker (1989b: 68). Vgl. Becker (1989b: 69f.); vgl. auch Hörning (1990: 256f.). Feyerabend (1927: 202).

12 keit" 23 geworden. 1878 sind dort bereits 10.000 Geräte im Gebrauch. Ungefähr jeder vierte US-Haushalt hat 1909 ein Telefon. 1941 sind es ca. 40%. Um 1950 besitzen schon mehr Amerikaner ein Telefon als ein Auto, 1960 hat das Telefon 78% aller US-Haushalte erreicht. 90% sind es 1970, 93% 1980.24 1987 hat die USA 118 Millionen Hauptanschlüsse - dies entspricht einer Anschlussdichte von 50 Telefonen für 100 Einwohner. 25 Etwa zu Beginn der Neunzigerjahre sind bis auf einen geringen Anteil fast alle amerikanischen Familien mit einem Telefon ausgestattet. 26 In Deutschland steigt die Zahl der Hauptanschlüsse - unterbrochen nur durch Wirtschaftskrise und Zweiten Weltkrieg - kontinuierlich an. 27 Einen Telefonboom wie in den USA gibt es hier aber nicht. 28 In den Fünfziger- und Sechzigerjahren ist in der Bundesrepublik weit vor dem Telefon das Auto das beliebteste Kaufobjekt. 29 Ende 1950 gibt es nur 1,5 Millionen Hauptanschlüsse, 1960 werden es 3,3 Millionen. 30 1962 haben erst 14% aller bundesdeutschen Privathaushalte ein Telefon. 34% hingegen besitzen bereits einen Fernseher. 31 Einen Verbreitungsgrad von 88% erreicht das Telefon 198332, 2000 konnten hier 96,4% aller Haushalte im Festnetz telefonieren. 33

1.2 Geschichte des Anrufbeantworters Als Urahn des AB gilt die automatische Zeitansage. Die Post führt diese 1936 als telefonischen Sonderdienst in Berlin und anderen Großstädten ein. 34 Lange beherrschten die unidirektionalen ,Nur-Anrufbeantworter'-Geräte ohne Sprechmöglichkeit für den Anrufer den Markt 35 und wurden u.a. nach dem Zweiten Weltkrieg bei den Ansagediensten der Bundespost verwendet. 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34

35

Gartenlaube (1877b: 466). Vgl. C. S. Fischer (1992: 36, 255ff.). Vgl. Zeitschrift für das Post- und Femmeldewesen (1987: 16). Vgl. Becker (1989a: 7). Vgl. Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen (1952: 145). Gründe nennen Becker (1994: 411) und Rammert (1989b: 83ff.). Vgl. Statistisches Bundesamt (1969: 536). Vgl. Zeitschrift für das Post- und Fernmeldewesen (1983: 8). Vgl. Statistisches Bundesamt (1985: 112). Vgl. Statistisches Bundesamt (1995: 543). Vgl. Statistisches Bundesamt (2002: 131). Der Beginn des Sonderdienstes „Zeitansage" wird unterschiedlich datiert. Becker (1989: 23) nennt das Jahr 1935; Genth/Hoppe (1986: 141) geben 1936, von Weiher/Wagner (1991: 158) sogar 1930 an. Leitner (1995: 43) vermutet, dass als Einführungsjahr 1936 am wahrscheinlichsten sei. Vgl. Schmidhäusler (1989: 64f.); zu den Begriffen Einwegkommunikation und Zweiwegkommunikation vgl. Schmidli (1997: 37f.).

13 Nachdem man zuerst Tonbänder oder Diktiergeräte an ,NurAnrufbeantworter' angeschlossen hatte 36 , wurden auch zunehmend Systeme mit Sprechmöglichkeit für Anrufer hergestellt. „Die „Geschichte der Hindernisse" 37 für den bidirektionalen Typ beginnt 1935. Der Elektrotechniker Willy Müller entwickelte damals als weltersten Anrufbeantworter den „Telephonographen", der stolze drei Zentner wog. 38 Am 30. September 1942 erhält Müller die Erlaubnis, das Gerät in München ans öffentliche Netz anzuschließen. Nach dem Krieg benennt Müller den „Telephonographen" in „Ipsophon" um und vertreibt den ersten automatischen AB (sprachgesteuert und mit Fernabfrage) von der Schweiz aus.. 39 Die Alliierten stoppen die Produktion aber und beschlagnahmen die Patentrechte. Daraufhin baut und vertreibt Müller einen neuen AB mit der Bezeichnung „Notaphon". 40 Erste Käufer von AB sind in dieser Zeit Ämter, Organisationen, und Unternehmen. Es folgen Ärzte, Anwälte oder Vertreter. 41 Gewerbetreibende z.B. konnten ihren Kunden so Flexibilitätsvorteile bieten. Telefonische Bestellungen waren nun auch nach Dienstschluss möglich. 42 Dem Telefon vergleichbar zeigt sich also auch beim AB eine in den Anfangsjahren des Gerätes vorwiegend von geschäftlichen Interessen bestimmte Nutzungsweise. Von Privatleuten wird insbesondere der Typ mit Aufsprechmöglichkeit wegen der anfangs extrem hohen Anschaffungskosten vergleichsweise selten gekauft. So liegt noch 1980 der Preis für solche Geräte zwischen 1400 und 2000 DM. Dies ohne Fernabfrage. ABs, die man von unterwegs aus mittels Zusatzgerät abhören konnte, lagen bei bis zu 3000 DM. 43 Bis 1988 kostet ein gutes Modell noch über 700 DM. 44 Mit der Liberalisierung des Endgerätemarktes am 1. Juli 199045 sinken die Anschaffungs-

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Vgl. Schmidhäusler (1989: 65). Schmidhäusler (1989: 64). Vgl. Friedrich (1991: 24). Vgl. Schmidhäusler (1989: 65) und von Weiher/Wagner (1991: 158). Da sich damals kaum jemand einen aufnahmefähigen AB leisten konnte, entwickelte Müller einen preiswerteren Nur-Anrufbeantworter namens „Alibiphon"; vgl. Schmidhäusler (1989: 64), Hessenland (1996: 4). Vgl. Hess-Lüttich (1990: 252); Höflich (1993: 326), Naumann (1994: 432f.); Gutenberg (1987: 15f.), Gutwinski-Jeggle/Jeggle (1990: 24), Stiftung Warentest (1980: 35) Veeck (1989) und die Umfragedaten in Mißler (1991: 8). Vgl. Heiden (1963: 96). Vgl. Heiden (1963: 111); vgl. auch Fuß (1984: 344). Vgl. Der Spiegel 1989:61). Zuvor war der Betrieb nicht zugelassener AB nach § 15 FAG strafbar; vgl. Zeitschrift für das Post- und Femmeldewesen (1991:41), Fangmann (1997). Geräte ohne Zulassung wurden beschlagnahmt; diese wurden von einem Postbeamten in Anwesenheit eines Zeugen mit einem Vorschlaghammer zerstört; vgl. dazu Der Spiegel (1989: 61) und (1992: 156).

14 kosten für einen AB auf ungefähr 400 DM, 1993 auf rund 100 DM 46 . Inzwischen bietet der Markt preiswerte AB für weit weniger als 50 Euro. Entsprechend der Preisentwicklung verlief auch die Verbreitung des AB. Die Deutsche Bundespost registriert 1986 „'offiziell' an nur drei Prozent aller Sprechstellen Telefonanrufbeantworter" 47 . Die Berliner Telefonstudie ermittelt 1989 in nur 4% der Haushalte AB. 48 Eine Erhebung von 1991 und 1992 ergibt, dass 61% der befragten Bundesbürger zu Hause gelegentlich einen Videorecorder, nur 8% aber einen AB benutzen. 49 Im Vergleich dazu besitzt in den USA 1985 jeder zehnte Haushalt mit Telefonanschluss einen AB 50 , 1988 sind 28% aller US-Haushalte mit einem AB ausgestattet 51 . Schätzungen nach erreicht der AB in den USA 1994 einen Verbreitungsgrad von 60 bis 70%. 52 Einer Studie der Universität Purdue nach besaßen 1996 bereits 93% aller Studenten einen AB. 53 In den USA wächst in den Neunzigern bereits eine „Answering Machine Generation" 54 heran. In Deutschland steigt der Absatz von AB dagegen erst mit dem wachsenden Endgerätewettbewerb nach 1990 stetig an. 1991 werden ungefähr 50.000 Telefone mit integriertem AB 55 und eine halbe Million Einzelgeräte verkauft. 56 Seit Mitte der Neunzigerjahre gehört der AB aber auch in Privathaushalten „zum guten Ton" 57 - 1996 verkauft der Handel 1,7 Millionen Geräte. 58 Das Bundesamt für Statistik beziffert den Verbreitungsgrad von Anrufbeantwortern 1998 mit 35, 1999 mit, bzw. 39,3%. Im Jahr 2000 waren 41,4% bundesdeutscher Haushalte mit einem AB ausgestattet. 59 Seit seiner Erfindung wurde der AB fortlaufend technisch verbessert, zudem wurden unterschiedliche Typen von AB entwickelt, die ich im nächsten Abschnitt kurz vorstelle.

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Vgl. Stiftung Warentest (1990: 32) sowie (1993: 23). U. Lange (1989a: 38). Vgl. Schabedoth (et al.) (1989: 102). Vgl. Garhammer (1993: 184). Vgl. Hartmann (1986: 282); nach Crabb (1999: 659) gelangte der AB in in den frühen Siebzigerjahren als Massenprodukt auf den US-Markt. Vgl. Fischer (1992a: 371). Vgl. Funkschau (1994b: 22). Vgl. http://palette.ecn.purdue.edu/-ie486/Darce/ansmain.html. Oldendick/Link (1994: 264). Sog. „TAMTels" (telephone answering machine and telephone); vgl. Funkschau (1994b: 22). Vgl. Funkschau (1994b:22); vgl. auch Johnstone (1992: 82). Stiftung Warentest (1996a: 55). Vgl. Sieverdingbeck (1997: 82). Vgl. Bundesamt für Statistik (2000: 131).

2 Technische Voraussetzungen

AB sind nach technischer Definition: private Zusatzeinrichtungen für Sprechstellen des Fernsprechnetzes. Sie sollen bei Abwesenheit des Teilnehmers dem Anrufer eine Mitteilung durchgeben und - falls dafür vorgesehen - eine Nachricht aufnehmen. 1 Diese Funktion - Anrufer informieren und deren Mitteilungen aufzeichnen, erfüllen technisch verschiedene Gerätetypen. Analoge AB speichern Sprache als Audiosignal und geben sie auch als solches wieder. Digitalgeräte speichern Sprache als Datenpaket und verwandeln dieses bei Bedarf wieder in Sprache zurück. 2 Darüber hinaus verfügen manche Geräte Uber nur ein Speichermedium, anderen haben zwei. Insgesamt gibt es folgende AB-Typen: analoge Geräte (Typ A), dazu gehören analagoge Ein-Kassettensysteme (Typ A l ) und analoge Zwei-Kassetten-Systeme (Typ A2); halbdigitale Geräte (Typ B) und volldigitale AB (Typ C). Die Unterscheidung ist notwendig, da der Gerätetyp über zwei Faktoren bestimmt, die mit anderen den technischen Rahmen von AB-Kommunikation bilden: Gemeint sind die Aufnahmekapazität sowie die A u f n a h m e - und Wiedergabequalität des Speichermediums. 3 AB sind zudem meist mit einem Lautsprecher ausgestattet. Dieser erlaubt es den Nutzern, eingehende Anrufe mitzuhören, ohne den Telefonhörer abnehmen zu müssen - eine Praxis, die in den U S A als „Screening" 4 bekannt ist. Die vorliegende Literatur zur AB-Kommunikation AB hat die Typenvielfalt bislang nicht berücksichtigt. Ich gehe aber davon aus, dass unterschiedliche AB-Typen und -Technik auf die Form der Kommunikation Einfluss nehmen. Daher stelle ich folgend verschiedene AB-Typen kurz dar. 5

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Fellbaum (1983: 14); vgl. auch Nickl/Seutter (1995: 258). Stiftung Warentest (1993: 23); Dieses Verfahren wird auch „Plus Code Modulation" (PCM) genannt; vgl. dazu Gautherot (1993: 63); Zaborosch (1994: 100). Vgl. Reinicke (1990). Hopper (1992: 215); vgl. auch Rosen (1987: 288), Gumpert (1989: 248); andere englischsprachige Autoren nennen dies „Monitoring"; vgl. Dubin (1987: 29), Fielding/Hartley (1987: 117). Im Deutschen wird dies „Filtern" oder „Mithören", in der Presse auch „Schwiegermutter-Test" genannt; vgl. Lange (1989b: 173), Der Spiegel (1989: 61). Da „Filtern" und „Mithören" sehr negativ konnotiert sind, verwende ich „Screening", sofern nicht anders zitiert; „Screening" ist auch durch Stummschaltung des Telefonmikrofons möglich (Arnold 1991: 25). Vgl. auch die Tabelle am Ende dieses Abschnitts.

16 Analoge Anrufbeantworter Analoge AB 6 (Typ A) verwenden als Speichermedium für Ansage- und Anrufertext Musikkompaktkassetten oder wie Diktiergeräte auch Mikrokassetten. Analoggeräte lassen sich in zwei Untertypen differenzieren: Al nimmt Ansage und - quasi Huckepack - den Anruf auf nur einer Kassette auf und wird daher vielfach auch als „Shuttle" 7 bezeichnet. Die Ansage wird zu Beginn des Magnetbandes, ein Anruf direkt dahinter aufgenommen. Al spult das Band, nachdem er einen Anruf aufgezeichnet hat, immer wieder zum Beginn der Ansage zurück. Hat Al nach einem Anruf die Ansage ausgegeben, muss er das Band bis zum Ende aller zuvor aufgenommenen und vom Besitzer noch nicht abgehörten Anrufertexte vorspulen, um diese weitere Nachricht anfügen zu können. Die Zeit, die nach der Ansage während des Spul vorgangs vergeht, signalisieren Geräte des Typs Al dem Anrufer auf unterschiedliche Weise, anhand der sich Al-Geräte weiter subkategorisieren lassen: • • •



Durch eine Folge kurzer Töne, deren Zahl nach Dauer des Spulvorgangs variiert und denen als Sprechaufforderung ein längerer Signalton folgt; (Al-1); Durch einen einzigen langgezogenen Ton, dessen Länge je nach Dauer des Spulvorganges variiert und dessen Ende zum Sprechen auffordert; (Al-2); Durch eine aus Pieptönen bestehende Melodie, die Länge je nach Dauer des Spulvorganges variiert und der ein finaler Signalton als Aufforderung zum Sprechen folgt; (Al-3); Durch eine signallose Pause nach Beendigung der Ansage, deren Länge nach Dauer des Spulvorganges variiert und der ein finaler Signalton als Aufforderung zum Sprechen folgt. (Al-4).

Problem von A1-4: Er lässt die Pause, bis der Anrufer nach dem Ansagetext sprechen kann, signaltonlos still verstreichen. Der Nachteil des Systems liegt in der langen Pause zwischen Ansagetext und Aufnahmebereitschaft, wenn bereits Nachrichten aufgezeichnet sind. Die Laufwerke spulen etwa viermal so schnell vorwärts, wie sie wiedergeben. Nachrichten von acht Minuten Länge sorgen so für rund zwei Minuten Pause auf der Leitung.8

Shuttles sind wegen ihrer vergleichbar einfachen Technik eher preisgünstige Geräte. Allerdings klingen diese oft nicht gut, so dass man „beim Abhören Mühe hat, selbst bekannte Stimmen zu identifizieren" 9 . Daher sorgte der A l Typ in der Fachpresse für „schlechte Nachrichten aus der Billigklasse" 10 . 6

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Eine Auflistung älterer Analoggeräte und ihrer Leistungsmerkmale findet sich bei Stampa (1987). Vgl. Telesys Kommunikations GmbH: o.T.; http://www.telesys.de Stiftung Warentest, (1993: 23); vgl. auch Stiftung Warentest (1994a: 52). Stiftung Warentest (1996a: 57). Stiftung Warentest (1996a: 55).

17 Typ A2 hat zwei Kassettenlaufwerke: eins für die Ansage, eins für die Aufnahme von Anrufen. A2 spult das Ansageband jeweils wieder zurück und fügt auf der zweiten Kassette aufgezeichnete Anrufe aneinander. Die Aufforderung zum Sprechen durch einen Signalton kommt bei A2 mit geringer Verzögerung nach Ende der Ansage. Der bei A l nötige zweite Spul Vorgang entfällt bei A2. Halbdigitale Anrufbeantworter Halbdigitale AB (Typ B) nutzen für die Aufnahme von Ansage- und Anrufertext ähnlich wie A2 zwei getrennte Speichermedien, jedoch ist eins davon digital. Typ Β verwendet in der Regel eine Anzahl Speicherchips", um die Ansage aufzunehmen und abzuspielen. Anrufe nimmt Β analog auf Kassette entgegen. 12 Der Signalton folgt der Ansage ebenfalls annähernd unmittelbar. Volldigitale Anrufbeantworter Volldigitale AB (Typ C) haben für Ansage und Anruf ein einziges digitales Speichermedium. Der Signalton kommt hier meist kurz nach Ende des Ansagetextes. Gegenüber analogen und halbdigitalen AB hat C den Vorteil, dass man aufgenommene Anrufertexte selektiv abrufen kann. Ähnlich wie Titel bei einem CD-Player lassen sich bei volldigitalen Geräten Anrufe einzeln anwählen und abhören. Dadurch entfällt die bei Analoggeräten zeitaufwändige Suche nach wichtigen Mitteilungen durch Vor- und Zurückspulen des Bandes. Der für AB-Besitzer mittels Digitaltechnik geschaffene Bedienungskomfort kann aber vor allem bei älteren C-Geräten (gilt auch für B) mit einer gegenüber Analoggeräten verminderten Tonqualität verbunden sein. 13 Der Klang bei der Wiedergabe von Ansage oder aufgenommenem Anruf hängt von der „Qualität der Umwandlung analog-digital-analog" 1 4 ab. Folge einer unzureichenden Konvertierung ist der „verschnarrte beziehungsweise schrille, verzerrte Klang." 1 5 Bei digitalen AB neuerer Bauart gilt dies Problem allgemein als behoben. 1 6 In der mittleren Preisklasse von 100 bis 150 D M hatten die Geräte zum Zeitpunkt der Untersuchung aber noch die für Speicherchips typischen Verzerrungen im oberen Frequenzbereich. Daher klangen AB, die Nachrichten auf Kassette aufzeichneten, erheblich besser als ihre digitalen Wettbewerber. Obwohl zu der Zeit das digitale klangqualitative Mittelmaß überwog, war im Einzelfall - wenn auch zu einem hohen Anschaf-

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Auch DSP (digital signal processor) genannt; vgl. dazu Johnstone (1992). Vgl. Funkschau (1994a: 99). Vgl. Funkschau (1994a: 99). Stiftung Warentest, (1993: 23). Stiftung Warentest, (1993: 26); vgl. auch Michalk (1996: 30). Vgl. dazu Stiftung Warentest (1996a: 57).

18 fungspreis - aber eine gute Sprachwiedergabe bei AB mit digitaler Speichertechnik möglich. 17 Wer seine Ansage gemäß Anleitung technisch korrekt bespricht, hört oft kaum einen Qualitätsunterschied zwischen Analog- und Digitaltechnik. Der Ton verschlechtert sich aber sehr, wenn man das Mikrofon des AB vor einem Lautsprecher platziert, um die Ansage beispielsweise mit einem Musikstück zu bespielen. 18 Dieses gilt besonders für ältere AB der Typen Β und C. Bei der Unterscheidung zwischen analog und digital ist bei AB der Faktor Aufnahmekapazität wichtig. Diese entscheidet über Anzahl und Länge von Nachrichten, die das Gerät aufzeichnen kann. Im Untersuchungszeitraum reichten die in privaten Digitalgeräten verwendeten Chips noch nicht an die maximale Aufnahmekapazität von Kassetten heran. Die Aufnahme auf Kassette war „die zuverlässigste Art, große Speicherkapazitäten zu erreichen." 19 Die Aufnahmekapazität des Speichermediums entscheidet darüber, ob der Nutzer des Geräts die Aufnahmezeit von Ansage und Anruf begrenzen muss. Ist wenig Speicher vorhanden, sind Geräte oft bereits werkseitig auf eine stark limitierte Sprechzeit eingestellt. 20 Je kapazitätsärmer das Speichermedium, umso notwendiger ist es, auch die Zeit für Anrufer zu begrenzen, damit möglichst viele eine Nachricht hinterlassen können. Bei manchen Geräten fixieren die Hersteller die Aufnahmezeit für Anrufer auf ein bestimmtes Zeitmaß. Andere bieten dem Nutzer flexible Aufnahmezeiten zwischen 30 Sekunden bis zu mehreren Minuten. Bei AB mit hoher Aufnahmekapazität lässt sich in der Regel optional eine unbegrenzte Aufnahmezeit einstellen. In der Praxis hat sich eine limitierte Sprechzeit von einer bis zwei Minuten durchgesetzt. Aber auch dies empfindet mancher Anrufer noch als zu kurz. 21 Kombinationsgeräte Am Rande erwähne ich noch Kombinationsgeräte. Diese vereinigen meist in einem Gehäuse Telefon, AB, Faxgerät und Drucker. 22 Eine technische Weiche unterscheidet bei diesem Typ zwischen Telefon- und Faxanruf 2 3 und leitet einen Anruf automatisch an das entsprechende Empfangsgerät - Fax, Telefon oder an den AB - weiter.

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Vgl. Connect: 40 Jahre Anrufbeantworter: Immer noch wenig Grund zum Feiern, http://www.newsaktuell.de sowie Connect: Aktuelle Anrufbeantworter-Modelle bringen nur selten Spitzenleistungen, http://www.newsaktuell.de. Stiftung Warentest (1993: 27). Funkschau (1994a: 100). Vgl. Stiftung Warentest (1996a: 56); zu Problemen geringer Speicherkapazität bei Ansagetexten vgl. Arnold (1991: 24). Vgl. Stiftung Warentest (1996a: 56). Vgl. Stiftung Warentest (1994b: 38 ff.), Stiftung Warentest (1996b: 50ff.). Vgl. Funkschau (1993: 65).

19 AufnahmeKapazität

Zeit f. Ansage in Sek.

Zeit f. Anrufer in Sek.

Klingeltöne vor Ansage

Abbruch n. Pause von

Schneider SAM 1

n. Kassette

60

60

k.A.

7 Sek.

Schneider SAM 3

n. Kassette

150

150

k.A.

10 Sek.

Welco Tampone

n. Kassette

30

120

4

k.A.

Panasonic KX T1457BS*

n. Kassette

60

240

2 oder 4

k.A.

Philips TD 9336*

n. Kassette

24

180

k.A.

8 Sek.

Stabo A 110*

n. Kassette

12

120

2 oder 4

k.A.

TAF 301 F*

n. Kassette

16**

60

10

7 Sek.

Audioline 865G*

n. Kassette

120 Sek.

170**

2 oder 4

k.A.

Code-a-phone*

n. Kassette

10

uniimitiert

5

k.A.

Panasonic KX T80007G

23 Min.

150

1 Min, optional unlimitiert

1 bis 5

8 Sek.

Schneider SAM 4

13 Min.

60

60

1 bis 9

k.A.

Sanyo DAS 400 G

16 Min.

60

in 30 Sek.Schritten bis 180

2 bis 5

6 Sek.

Deutsche Telekom AF 303*

7 Min

30

30, 60, 120, optional unlimitiert

Obis 10

k.A.

Hersteller/ Modell/ Typ

AB-Typen und Technik 24 (*) in der Untersuchung verwendet; (**) abzgl. der Zeit für die Ansage

24

Angaben aus Betriebsanleitungen sowie Werbeprospekten der Hersteller.

3

Konstitutive Merkmale von AB-Kommunikation

3.1

Kommunikative Merkmale - Alltags- und Problemaspekte

„Kommunikation ist zur Zeit sicherlich eines der beliebtesten Modewörter" 1 Der Begriff „Kommunikation" reicht weit in den alltäglichen Sprachgebrauch hinein. Er ist zudem in vielen Disziplinen zu Hause und muss daher erläutert werden. Ehlich versteht Kommunikation als eine spezifische Form sozialer Interaktion, die wiederum eine wesentliche Erscheinungsweise menschlicher Handlungen ist. 2 Ich verstehe in der vorliegenden Arbeit Kommunikation als die „zwischenmenschliche Verständigung mittels sprachlicher und nichtsprachlicher Mittel wie Gestik, Mimik, Stimme u.a." 3 . Gegenstand meiner Untersuchung ist die zwischenmenschliche Verständigung, die mittels AB übertragen wird, hier „AB-Kommunikation" genannt. Die Analyse konzentriert sich hierbei auf bestimmte Alltagsaspekte in der AB-Kommunikation 4 . Kommunikation, die ihren Ursprung in häuslichen Verwendungszusammenhängen von Technik und spezifisch außerbetrieblichen Formen der Technikverwendung 5 hat, die also über Privatgeräte geführt wird. Diese sind nach Liddicoat dazu da, in Privathaushalten für deren Mitglieder alltägliche Telefonate anzunehmen. 6 Claisse zählt zu den alltäglichen Telefonaten auch Anrufe, die beruflichen Anlass haben. Nach seiner Analyse beziehen sich 49% der in Privathaushalten anfallenden Telefonate auf das Privat-, 33% auf das gesellschaftliche, 18% auf das Berufsleben. 7 Gegenstand der hier untersuchten alltäglichen AB-Kommunikation ist damit auch die an Privatgeräten geführte Kommunikation, die über das Private hinaus auch beruflichen Hintergrund haben kann. Abweichend von dem o.g. Kommunikationsbegriff zählt Bußmann im weiten Sinne ebenfalls zur Kommunikation: jede Form von wechselseitiger Übermittlung von Information durch Zeichen/Symbole zwischen Lebewesen (Menschen, Tieren) oder zwischen Menschen und datenverarbeitenden Maschinen.8

1 2

3 4 5 6 7 8

Schmidli (1997: 15). Vgl. Ehlich (1991: 128); zu „Interaktion" vgl. Merkens/Seiler (1978: 1 Iff.), Schmidt (1973: 49). Bußmann (1990: 392). Zum Alltagsbegriff vgl. Betten (1978: 31). Joerges (1987: 3f.); zur Soziologie des Alltags vgl. auch Hammerich (1978). Liddicoat (1994: 285). Vgl. Claisse (1989: 260). Bußmann (1990: 392).

22 AB-Kommunikation trägt ebenfalls Merkmale dieses Kommunikationsbegriffes im weiten Sinne. Zu diesen gehören bestimmte technische Zusatzfunktionen, die AB mit Fernabfrage bieten. 9 Diese Funktionen berücksichtigt die Untersuchung aber nicht. Dennoch schließe ich technische Aspekte der Kommunikation nicht von der Untersuchung aus, denn AB-Kommunikation ist eine technisierte Form der Kommunikation. Technisiert ist Kommunikation, „wenn (irgend-) eine Komponente des Kommunikationsprozesses technisch affiziert ist" 10 . „Technisiert" im Sinne von ,νοη Technik affiziert' kann nach Zoeppritz jede Art von Kommunikation genannt werden, bei der Technik eine wesentliche Rolle spielt; hierbei genügt es bereits, dass eins der Elemente des Kommunikationsprozesses ein technisches ist. Als Beispiel für technisierte Kommunikation nennt Zoeppritz z.B. das Telefonieren, bei dem Menschen in einem technischen Medium über einen technischen Kanal kommunizieren. 11 Wie Telefonkommunikation ist auch AB-Kommunikation technisierte Kommunikation. Sie findet mittels eines technischen Gerätes statt, zu dessen Merkmalen teilnehmerunabhängige Nonverbalia wie Signaltöne, das Klingeln, Bandgeräusche und Signalzeichen von Leuchtdioden gehören. 12 Mit der Telefonleitung läuft die Kommunikation zudem über einen technischen Kanal ab. Aus informationstechnischer Perspektive ließe sich AB-Kommunikation daher als Transport von Information über einen technischen Kanal beschreiben. Diese Vorstellung spiegelt sich im Wandel der Semantik von „Kommunikation" wider. Seit dem 18. Jahrhundert bedeutete der Begriff Mitteilung oder Unterredung. Unter dem Einfluss des englischen communication verschob sich diese im 20. Jahrhundert zu Verständigung und Informationsaustauschi.13 Eine ähnliche Auffassung von Kommunikation kommt auch in einschlägigen linguistischen Nachschlagewerken zum Ausdruck. So definiert Abraham Kommunikation als Informationsaustausch zwischen Einheiten, die in der Lage sind, Informationen aufzunehmen und/oder abzugeben. Die Richtung des Informationstransportes bestimmt, welche dieser Seiten Sender oder Empfänger ist.' 4

9

10 11 12 13 14

Funktionen wie Raumüberwachung, Steuern von Rolläden, Garagentoren oder Heizung; vgl. dazu Küffner (1990: 12). Fiehler/Weingarten (1988: 5). Vgl. Zoeppritz (1988: 110); zum Medienbegriff vgl. Kubier (2000: 5ff.). Vgl. Nickl/Seutter (1995: 263). Vgl. Drosdowski et al. (Hgg. 1989: 367). Abraham (1988: 365).

23 Conrad beschreibt Kommunikation als Verbindung, Verständigung durch Sprache in mündlicher oder schriftlicher Form oder mittels anderer Kommunikationssysteme. Der Kommunikationsprozeß zerfällt in drei Abschnitte: Senden (Kodieren), Vermitteln (Übertragung durch einen Kanal), Empfangen ( D e k o d i e r e n ) / 5

Beide Definitionen orientieren sich an Sender-Empfänger-Modellen wie dem von Shannon/Weaver. Deren Modell beschreibt den Weg einer Information vom Sender zum Hörer über einen Kommunikationskanal und berücksichtigt dabei auch störende Einflüsse für die Kommunikation. 16 Die Begründer der mathematischen Informations- und Kommunikationstheorie beschäftigte vor allem die Frage, wie man verhindern kann, dass ein Signal auf dem Übertragungswege nicht durch Rauschen gestört wird. Ihr Erkenntnisinteresse war dabei weniger am Menschen, sondern mehr an Technik - z.B. der Steuerung von Flugortungssystemen - orientiert. 17 Nicht minder bekannt als das Modell von Shannon ist Bühlers „Organonmodell", mit dem der Wiener Sprachpsychologe den Werkzeugcharakter von Sprache beschreibt. Danach wird mittels Sprache eine Nachricht über etwas durch einen Sender an einen Empfänger übermittelt. Als Instrument hat Sprache in Bühlers Modell die Funktionen: 1. Ausdruck innerer Zustände, 2. Appell an den Hörer, 3. Darstellung von Sachverhalten. 18 Goes diskutiert eine Anzahl Modellvorstellungen von Kommunikation und hebt hervor, dass sich das Modell von Shannon, da informations- und technisch orientiert, nur wenig auf linguistische Phänomene anwenden lässt. 19 Brinker/Sager stellen in ihrer Kritik an Sender-Empfänger-Modellen fest, dass der Kommunikationsprozess nicht mit dem Verschicken eines Pakets verglichen werden kann, da die Kommunikation dabei auf einen Prozess bloßer Aktion und Reaktion, von Vollzug und Nachvollzug, von Produktion und Reproduktion reduziert werde. 20 Hundsnurscher bemängelt an Kommunikationsmodellen insbesondere, dass sie für einen dialogischen Ansatz ungeeignet seien. Die Implikationen dessen, dass der Hörer/Empfänger im nächsten Zug die Sprecher/SenderRolle übernimmt, seien aus dem Modell nicht ableitbar. Zudem fehlte im

15 16 17

18 19

20

Conrad (1985: 119f.). Vgl. Sannon/Weaver (1949). Vgl. überblickend zu Shannon/Weaver Auer (1999: 7ff.); Herrlitz (1973: 38ff.) behandelt das Modell im Funkkolleg Sprache. Vgl. Bühler (1934); zur Revision des Organonmodells vgl. Blüdorn (1993: 13ff.). Vgl. Goes (2001: 3Iff.); vgl. auch Reichert (1999: 10ff.), der Veränderungen an bisherigen Modellvorstellungen aus dem Konstruktivismus und der Pragmatik heraus begründet. Vgl. Brinker/Sager (1996: 126f.).

24 Kommunikationsmodell der Handlungsbezug. Sowohl der Sprecher als Sender der Nachricht wie der Hörer als Empfänger der Nachricht würden als durch die Faktoren der Kommunikationssituation determiniert, nicht aber als selbständig handelnd dargestellt. 21 Obwohl die technischen Bedingungen der AB-Kommunikation die Vorstellung eines Transportes von Information begünstigen, lässt sich AB-Kommunikation auf diese Weise also nicht beschreiben, denn ein K.sbegriff [Kommunikationsbegriff; Zusatz R.K.], der „physikalische, chemische, biologische u.a. Prozesse einschließt und in informationstheoretischer oder behavioristischer Weise bestimmt wird, d.h. der nicht zuläßt, daß jemand etwas will, glaubt und versteht, kann die Merkmale menschlicher K. [Kommunikation, Zusatz. R.K.] nicht erfassen.22

Befriedigend lässt sich AB-Kommunikation nur beschreiben, wenn wir sie als „Sprachhandlung" 23 auffassen. Der Begriff des sprachlichen Handelns ist zentral für die pragmatisch orientierte Linguistik. 24 In den Siebzigerjahren begann in den Sprachwissenschaften eine Entwicklung, der sich nach Henne/Rehbock als fortschreitende Pragmatisierung sprachwissenschaftlicher Probleme begreifen lässt. 25 Diesen Prozess haben im Wesentlichen Austins Buch „'How to do things with words" und die folgenden Arbeiten zur „Sprechaktheorie" 26 angestoßen. Im Zentrum der linguistischen Pragmatik steht der Mensch als sprechendes Wesen, der mit Sprache handelt. Reichert stellt fest, dass Menschen den Mund nicht ohne zureichenden Grund öffnen und dass sie damit meist etwas wollen. Dieses gilt auch für beide Teilnehmer in der AB-Kommunikation - der Angerufene könnte z.B. auf den AB sprechen, um den Anrufer zum Sprechen aufzufordern. Der Anrufer wiederum könnte etwas erfragen wollen. In beiden Fällen ließe sich hier angelehnt an Reichert sagen, dass die Sprecher die Welt, die der jeweilige Hörer in sich aufgebaut hat, verändern wollen. 27 Denn beide Hörer sollen hier etwas tun - der Anrufer soll eine Mitteilung auf dem AB hinterlassen, der Angerufene vielleicht zurückrufen und eine Frage beantworten.

21 22 23

24 23 26 27

Vgl. Hundsnurscher (1984: 78). Lewandowski (1985: 533). Zur Diskussion des Handlungsbegriffes vgl. Ehlich (1994: 18), Holly et al. (1987) und Ossner (1985); zur Vertiefung vgl. Schneider (1994: 17ff.). Vgl. Kühn (1995: 54). Vgl. Henne/Rehbock (1995: 15). Vgl. Searle (1971) und Searle (1983). Vgl. Reichert (1999: 11,18).

25 Diesen Handlungsaspekt der Kommunikation decken informationstechnische Sender-Empfänger-Modelle nicht ab, denn interpersonale Kommunikation ist über den der Verständigung dienenden Informationstransport hinaus auch „absichtsgelenktes und zielgerichtetes, auf das Bewußtsein von Partnern einwirkendes und eigenes Bewußtsein veränderndes Handeln" 2 8 . Eine Sprachhandlung ist nach Kühn kontrollierbar, prinzipiell verantwortbar, sinnvoll und gerichtet 2 9 - sprachliches Handeln ist eine zielgerichtete Tätigkeit, die in Abhängigkeit von den Annahmen, die ein Sprecher bezüglich des Wissens, der Einstellung, Wünsche u.a. des Hörers macht, sowie in Abhängigkeit von den konkreten Bedingungen, unter denen sprachliches Handeln stattfindet, realisiert wird. Kommunikative Handlungsziele sind gedankliche Antizipationen zukünftiger Zustände durch den Sender, die durch bestimmte Tätigkeiten vom Sender und/oder Empfänger verwirklicht werden sollen, es sind somit Zustände, die, ohne daß jemand tätig wird, nicht eintreten würden. 30 Damit das Handlungsziel erreicht werden kann, müssen Kommunikationspartner eine Anzahl von Problemen lösen. Allgemein eröffnet sich in j e d e r Interaktion ein Problemfeld. Zu diesem gehören grundsätzliche K o m p o n e n ten (die Konzeptualisierung und Materialisierung dessen, was mitgeteilt werden soll), die gelöst werden müssen, wenn Kommunikation erfolgreich sein soll. Kommunikative Aufgaben und Lösungen sind auch abhängig von den Interaktionspartnern und den Raum-Zeit-Koordinaten, in denen sich die Individuen befinden, sowie vom Medium. 3 1 Der AB ist ein technisches M e d i u m . Cathcart/Gumpert bezeichnen die mittels AB übertragene Kommunikation als „interpersonal mediated communication" und erklären den Begriff wie folgt: Interpersonal mediated communication refers to any person-to-person interaction where a medium has been interposed to transcend the limitations of time and 32 space. Besonderes Merkmal des Mediums ist es also, dass es das Raum- und das Zeit-Verhältnis der Kommunikation verändert. Darin besteht in der ABKommunikation die grundsätzliche Aufgabe: Eine Sprachhandlung soll die Grenzen der Zeit und des Ortes überwinden und trotzdem gelingen. ABKommunikation ist daher mit einer Anzahl Problemen verbunden.

28 29 30 31 32

Lewandowski (1985: 539). Kühn (1995: 55ff.). Brandt et al. (1983: 107). Vgl. Sucharowski (1993: 147). Cathcart/Gumpert (1986: 30).

26 Ein Problem besteht darin, dass Sprecher und Hörer räumlich getrennt sind. 33 Die Kommunikation beschränkt sich so auf den akustischen Kanal - im Wesentlichen auf den verbalen und paraverbalen (eingeschränkt auf den phonetischen) Bereich. Dadurch fehlen ihr visuelle sowie riech-, schmeck- und tastbare Anteile (Mimik und Gestik). Ein weiteres Problem: AB-Kommunikation verläuft über ein Speichermedium und erlaubt wie bei Briefen oder Videound Audiocassetten eine zeitversetzte Kommunikation: • • • •

Der Angerufene spricht seine Mitteilung. Das Gerät nimmt diese auf. Der Anrufer hört die Mitteilung des Angerufenen. Das Gerät gibt diese wieder. Der Anrufer spricht seine Mitteilung. Das Gerät nimmt diese auf. Der Angerufene hört die Mitteilung des Arufers. Das Gerät gibt diese wieder.

Anrufer und Angerufener haben damit keine gemeinsame Kommunikationssituation. AB-Kommunikation besteht aus einer Folge räum- und zeitversetzter Hör- und Sprechaktivitäten. 3 5 In den beiden folgenden Abschnitten möchte ich diskutieren, in welchem Verhältnis insbesondere die beiden Sprechaktivitäten zueinander stehen und die Kommunikation dazu zunächst auf textuelle Merkmale und später auf Gesprächsmerkmale hin untersuchen.

3.2

Textuelle Merkmale

3.2.1

Textbegriff und AB-Textsorten

In der Textlinguistik wird der Textbegriff konträr diskutiert. Brinker stellt in seiner Einführung in die Textanalyse fest, dass bisher keine allgemein akzeptierte Definition dafür vorliegt. 36 So hat sich die Forschung z.B. noch nicht darüber verständigt, ob auch Mündliches als Text gelten kann.

33

34 35 36

AB, die mit einer Memo-Funktion ausgestattet sind, können auch zur wohnungsintemen und somit räumlich nicht versetzten Kommunikation verwendet werden. Diese Art der Kommunikation habe ich allerdings nicht untersucht. Ein AB-Memo ist eine Mitteilung, die z.B. ein Mitglied eines Haushalts direkt am Gerät - ohne über die Telefonleitung übertragen zu werden - für ein anders Mitglied desselben Haushalts aufzeichnet. Als Mittel hausintemer Kommunikation ließe sich das Memo als das akustische Gegenstück der Haftnotiz umschreiben; vgl. Lange (1998: 127). Vgl. dazu die schematische Darstellung in Dingwall (1995a: 116f.). Vgl. Gutenberg (1987: 16), Nickl/Seutter (1995: 271). Vgl. Brinker (1997: 12).

27 Schwitalla weist darauf hin, dass die Frage, ob es den gesprochensprachlichen Text gibt, umstritten ist. 37 Heinemann/Viehweger sehen in der Textlinguistik zwar Tendenzen von einem Aufeinanderzugehen von Untersuchungen zur gesprochenen und zur geschriebenen Sprache, stellen aber zugleich fest, dass zweifelhaft ist, ob z.B. das Telefonat ein Text ist. 38 Ludwig betont dagegen, dass es „schriftliche, aber auch mündliche Texte" 39 gibt. Nach Gutenberg beschreibt die Linguistik sogar Reden mit dem Textbegriff. 40 Nussbaumer plädiert wiederum für einen engen Textbegriff und schränkt diesen prototypisch auf „monologische schriftliche Texte" 41 ein. Ein Telefonat wäre demnach zunächst einmal kein Text, weil es mündlich ist. Dieses gilt auch für die ebenfalls mündlichen Mitteilungen auf dem AB. Dennoch verwenden Nickl/Seutter für diese den Textbegriff. Sie fassen „Text" mit Heinemann/Viehweger als Oberbegriff für mündliche und schriftliche Texte auf. 42 Diese Sichtweise setzt .Texte hervorbringen' mit ,sich sprachlich äußern' gleich. 43 Hundsnurscher hebt hervor, dass ein solcher pragmatisch fundierter Textbegriff in einem Spannungsverhältnis zu dem traditionellen philologischen Textbegriff steht. 44 Schwitalla betont ebenfalls, dass in der Wissenschaft und auch im Alltag mit Texten oft schriftliche und monologisch verfasste Texte gemeint sind. 45 Die Diskussion zeigt: Es ist problematisch, den Textbegriff auf AB-Kommunikation anzuwenden. Dieses Zwischenergebnis soll an dieser Stelle genügen, obwohl ich die Frage nach der Monolog- bzw. Dialoghaftigkeit von Texten vorerst offen lasse. Ich komme später wieder darauf zurück. Vorläufig fasse ich aber mit Nickl/Seutter „Text" als Oberbegriff für Mündliches und Schriftliches auf und verwende den Begriff daher auch für Mitteilungen auf dem AB. Ich betrachte daher die Äußerungen von Anrufer und Angerufenem zunächst als mündliche Texte, zumal sich im alltäglichen Sprachgebrauch und in der einschlägigen Sachbuchliteratur der Begriff „Ansagtext" für die Äußerung des Angerufenen bereits etabliert hat.

37 38 39 40 41 42

43 44 45

Vgl. Schwitalla (1997: 134f.), Koch/Oesterreicher (1986:21f.). Vgl. Heinemann/Viehweger (1991: 13f„ 84). Ludwig (1983c: 10). Vgl. Gutenberg (1989: 106). Nussbaumer (1993: 64); vgl. auch Schwitalla (1984: 120). Vgl. Nickl/Seutter (1995: 258) und Heinemann/Viehweger (1991: 84); vgl. auch Hundsnurscher (1984: 87ff.). Vgl. Coseriu (1980: 28). Vgl. Hundsnurscher (1984a: 75). Vgl. Schwitalla (1984: 120).

28 Zu den Gestaltungsmerkmalen von Ansagetexten gehören häufig Geräusche, Töne, Musik etc., wie die im Anhang aufgeführten Ansagetexte belegen. Heinemann/Viehweger begrenzen den Textbegriff aber auf die Produktion und Rezeption von sprachlichen kommunikativen Signalen. 46 Um derart gestaltete Texte nicht von der Untersuchung auszuschließen, soll sich der hier verwendete Textbegriff auch auf nichtsprachliche Signale erstrecken. Für die Texte von Anrufer und Angerufenem gibt es in der Forschungsliteratur verschiedene Begriffe. Für die Mitteilung des Angerufenen finden sich „announcement" in Boldog (1993), „out-going message (OGM)" in Sullivan (1994), „answering machine greetings" in (Wojcik (1987). Für die Mitteilung des Anrufers finden sich die Begriffe „Nachricht" in I. Lange (1998), „Botschaft" in Knoblauch (1995), „incoming message (ICM)" in Sullivan (1994), „answering machine message (AMM)" in Gold (1991), „telephone answering machine message (TAMM)" in Dingwall (1992). Die vorliegende Untersuchung verwendet die von Nickl/Seutter eingeführten Begriffe „Ansagetext" und „Absagetext" für die Mitteilungen des Angerufenen. Die Mitteilung des Anrufers nennen Nickl/Seutter „Sprechtext" 47 . Da beide Teilnehmer ihre Mitteilungen sprechen, ist der Begriff aber missverständlich. Daher schlage ich für die Anrufermitteilung den Begriff „Anrufertext" vor. Zum Anrufertext gehören alle sprachlichen und nichtsprachlichen Zeichen, die der AB nach dem Signalton speichert. Alle sprachlichen und nichtsprachlichen Zeichen, die der AB zwischen Anruf und Signalton reproduziert, nenne ich „Ansagetext". „Absagetext" bezeichnet alle sprachlichen und nichtsprachlichen Zeichen, die der AB nach Beendigung des Anrufertextes reproduziert. Da der Absagetext in meiner Untersuchung keine große Rolle spielt, gehe ich auf diesen nicht weiter ein und beschränke mich folgend darauf, Anrufer- und Ansagetext näher zu beschreiben.

3.2.2 Anrufertexte Anrufertexte sind eine - dem ersten Blick auf das Korpus nach - sehr inhomogene und variantenreiche „Textsorte" 48 , die sich einem strukturanalytischen Forschungsinteresse nur widerwillig zu beugen verspricht. Inzwischen liegen hier aber eine Anzahl Arbeiten und erste Ergebnisse vor. Liddicoat hat ein Korpus von 110 Anrufertexten untersucht und gliedert diese in „opening phase", „message phase", „terminating phase". 49 Gold, deren Sammlung acht Texte umfasst, unterteilt ähnlich in „greeting sections", „body", „closings", 46 47 48

49

Vgl. Heinemann/Viehweger (1991: 16). Vgl. Nickl/Seutter (1995:258f.) und Heinemann/Viehweger (1991: 84). Zum Begriff der „Textsorte" vgl. Gülich (1986: 18), Isenberg (1983), Zimmermann (1978). Vgl. Liddicoat (1994).

29 „postscripts". 50 Liddicoats Vorschlag lehnt sich an die Phasenstruktur von Telefonkommunikation an. Gold wiederum verweist anhand der Postscripts auch auf Gliederungsmöglichkeiten, die sich an schriftlichen Texten orientieren. 51 Beide strukturieren Anrufertexte zudem relativ streng nach einer festen Abfolge von Sequenzen. Auch Lange hat in ihrer Untersuchung eine immer wiederkehrende Folge von Sequenzen beobachtet. Danach gliedern sich Anrufertexte in „Eröffnung", ,3otschaft", „Delegierung" und „Beendigung". 52 Die Analyse von Lange stützt sich auf eine Datenbasis von 120 Anrufertexten. 56,7% der Texte in Langes Korpus zeigen die o.g. Stuktur, nach der alle vier Sequenzschritte in der beschriebenen Reihenfolge realisiert werden; in 20,8% der Texte wird die Delegierung (z.B. eine Aufforderungshandlung oder eine Bitte), in 9,2% die Botschaft, in 5% der Texte werden Eröffnung und Delegierung ausgelassen. 8,3% der Texte zeigen gänzlich andere Strukturen, wie Lange anhand einiger Sonderfälle belegt. Bestimmte Texte lassen sich nach Lange weiterhin nur schwer einordnen, weil sie Merkmale wie Zeitangaben oder Kommentare tragen, die sich sequenziell nicht eindeutig verorten lassen. 53 Angesichts dieser Ergebnisse und eigener erster Beobachtungen zur Struktur von Anrufertexten 54 , möchte ich die sequenzielle Gliederung von Anrufertexten und die vorliegenden Vorschläge zu deren Struktur diskutieren und dazu bei der Selbstidentifikation von Anrufern beginnen. Der folgende Text belegt zunächst einmal, dass sich Anrufer beim Sprechen auf einen AB identifizieren müssen: (1)

+ ia das is ja was nEUes. + öfta mal was nEUes. + is ia pUt. + guter einfall dass muss ich ja sagn, ++ naja is ja egal, + wir warn ja jetzt heute nur nicht da= +++ und ich wollte eig-ntlich nur mal so anruf-n ne' +++ bis dann ne' + tschüüss, 55

Die Anruferin gibt sich hier weder durch ihren Namen, noch mittels Telefonnummer zu erkennen. Da es sich bei dem Anruf nach Einschätzung des Untersuchungsteilnehmers um eine Fehlverbindung handelt und der Angerufene die Anruferin nicht kennt, kann er sie auch nicht anhand ihrer Stimme identifizieren. Der Teilnehmer konnte daher nicht zurückrufen. Hier zeigt es sich, dass eine wie auch immer geartete Form der Anruferidentifikation nötig ist, damit die Kommunikation gelingen kann.

50 51 52 53 54 55

Vgl. Gold (1991). Zum Begriff „Gesprächsphase" vgl. Henne/Rehbock (1995: 186f.). Vgl. I. Lange (1998). Vgl. I. Lange (1998: 17f„ 121f„ 125f.). Vgl. Knirsch (1998: 2). Die eingeklammerte Zahl gibt die Nummer des Transkripts im Korpus an.

30 Auch beim Telefonieren ist es wichtig, dass sich die Teilnehmer gegenseitig erkennen: Whatever a telephone conversation is going to be occupied with, however bureaucratic or intimate, routine or unusual, earthshaking or trivial, it and its parties will have to pass through the identification/recognition sieve as the first thing they do. 56

Liddicoat hat beobachtet, dass sich Anrufer scheinbar auch beim Sprechen auf einen AB notwendigerweise bereits zu Beginn selbst identifizieren. 57 Dies deckt sich mit den Ergebnissen Golds, deren Anrufer sich ebenfalls meist in der „Greeting section" zu erkennen geben. 58 Die folgenden Texte aus meinem Korpus weichen auf den ersten Blick aber davon ab: (2)

+ hallo BEN' ++ ich hOffe ich hab die richtige nUmma gewÄhlt= +ja: melde mich mal bei mir irgendwie weils da so um ne sache geht irgendwie, + um den grill: und= + und so weita, ++++++ bis: dann irgendwann, ++ der AUST,+ tschau' 59

(3)

+ hei für= + a:m BEN, + montach um: elf uhr= + ich wollt nur wiss-n: s:m ob du mit mir essen gehen willst heute, + ARNE war das, + tschau,

(4)

+ ja hei ne richtig formAle Anrufbeantworteransage, ++ gar nicht schlEcht, ++ na ja ich weiß jetzt natürlich wieda nich ob formal oda formell is, + aber du wirst mir das schon noch mal erklär-n, + 8:m ja ich

wollt mich mal meld-n= ++ ich bin übrigens ARNE falls dus noch

nicht gehört hast 60 In (2) und (3) nennen die Anrufer ihren Namen inmitten der Beendigung, in (4) erst, nachdem sie den Ansagetext thematisert haben. Da die drei Anrufer ein jeweils befreundetes oder vertrautes Verhältnis zu ihren Adressaten haben, gehe ich davon aus - der Anrufer in (4) macht es explizit - dass sie sich mit Beginn ihres Sprechens identifiziert haben. Hess-Lüttich weist darauf hin, dass sich Freunde und Bekannte auch am Telefon nicht notwendigerweise explizit mit Namen identifizieren müssen. Sie können sich auch anhand der individuellen Stimmqualität erkennen und zuordnen, was in Zweifelsfällen zusätzliche Züge zur Identitätssicherung erfordern kann. 61

56 57 58 59 60 61

Schegloff (1979: 71). Vgl. Liddicoat (1994: 297). Vgl. Gold (1991: 246). Die Zahl am Ende des Transkripts nennt die Transkriptnummer im Anhang. Vgl. auch 49. Hess-Lüttich (1990: 246); vgl. auch Miller-Spelman (1992:271); Hopper (1992:59), Alvarez-Caccamo/Knoblauch (1992: 480f.).

31 Obwohl sich die Anrufer in den genannten drei Texten also erst später explizit mit Namen identifizieren, kann man davon ausgehen, dass die Angerufenen sie mit Beginn des Sprechens erkennen können. Selbst wenn es sich hierbei nur um eine implizite Selbstidentifikation handelt. Anders ist dies im folgenden Beispiel: (5)

+ beziehe mich auf ihre anzeige im tageblatt= + θ: ruf-n sie doch einmal an unter neun neun neun neun neun,,

Der Anrufer möchte auf eine Anzeige hin eine Wohnung anbieten. Der Angerufene kennt den Anrufer aber nicht. Er kann ihn also nicht anhand der Stimme, sondern nur anhand der Telefonnummer identifizieren. 62 Der Anrufer eröffnet also ein Thema und identifiziert sich erst danach. (5) ist damit eine Ausnahme, die belegt, dass sich Anrufer zwar identifizieren müssen, dass Selbstidentifikation in Anrufertexten im Gegensatz zum Telefonat aber kein verpflichtender Teil der Eröffnung ist. Offenbar ist die Position der Selbstidentifikation variabel. Dieses gilt auch für das Thema. Lange nennt diesen Teil des Textes „Botschaft" und bezeichnet das Forschungsinteresse an diesem Teil von Anrufertexten wegen seiner „Komplexität und oft auch Uneindeutigkeit" 6 3 als zurückhaltend. Mit Miller-Spelman, Gold und Liddicoat liegen aber erste Ansätze zu deren Form und Funktion vor. 64 Am weitesten geht hier der Typologisierungsversuch von Liddicoat, der zwischen den drei Basistypen „Simple message", „Informational message" und „Social message" unterscheidet. Nach Liddicoat repräsentieren „Informational" und „Social message" unterschiedliche Kommunikationstypen die „Informational message" steht für transaktionale, die „Social message" für interaktionale Kommunikation. Besonderheit der „Simple message" ist, dass sie eine Selbstidentifikation und eine Rückrufbitte aber kein Thema enthält. Die „Simple message" indiziert lediglich, dass der Anrufer die Absicht hat, ein Gesprächsthema mit dem Angerufenen abzuhandeln. 6 5 Der folgende Text gibt hierfür ein Beispiel: (6)

+ ja hallo= + hier is AUch BELLA, + ruf mich doch mal an wenn de wieda zurück bist, ++ tschü:ss' 66

Die Anruferin beginnt kein Thema und fordert B E L L A lediglich auf, zurückzurufen. 67 Obwohl der Anrufer vielleicht schon ein Thema im Sinn hat, kann 62 63 64 65 66 67

Vgl. Alvarez-Caccamo/Knoblauch (1992: 489). I. Lange (1998: 85). Vgl. Gold (1991: 248f.) und Miller-Spelman (1992: 269f.). Vgl. Liddicoat (1994: 299f.). Vgl. auch Nr. 160. Α gehört damit zu den 15% Anrufern, die die Option, eine „Botschaft" zu hinterlassen, nicht wahrnehmen; vgl. dazu I. Lange (1998: 86).

32 man hier nicht von einem Thema sprechen, denn „'Thema' einer Interaktion ist [...] das, was in einer Interaktion von den Teilnehmern explizit zur Sprache gebracht wird." 68 Daraus lässt sich schließen, dass z.B. ein Kommentar zum Ansagetext wie in (1) oder (4) - obwohl sicherlich nicht das eigentlich intendierte Thema Thema des Anrufertextes ist, da er ja in einer Interaktion expliziert - thematisiert - wird. Entgegen der Auffassung von Knoblauch, der in Anrufertexten zwischen Kommentar und Bericht trennt 69 , schlage ich vor, beide Elemente jeweils als „Thema" zu bezeichnen und auch so zu behandeln. Ich möchte dies mit einem fiktiven Beispiel begründen: Eine Begegnung zweier Freunde in der Fußgängerzone könnte z.B. vor oder an Stelle eines Grußwortes mit einer überraschten Bemerkung zur äußeren (kurzfristig veränderten) Erscheinung des einen (Kleidung, Haarfarbe oder -schnitt, Verletzung u.ä.) in etwa wie Hey wie siehst Du denn aus? beginnen und damit - ob partnerseitig ratifiziert oder nicht - ein Thema eröffnen. Mein Korpus belegt mehrere Spontankontakte mit überraschend veränderten Ansagetexten, die mit einem erstaunten Kommentar zum Ansagetext beginnen 70 und damit ein Thema initiieren, das den Ansagetext behandelt wenngleich das Thema hier nicht ratifiziert werden kann. Ausgehend davon, dass in Anrufertexten neben dem - unterstellten - eigentlichen Thema auch der Kommentar Themenstatus hat, stellt sich nun die Frage nach dem Verhältnis der Themen zueinander. Es fällt hier schwer, diese hierarchisch als „Groß"- bzw. „Sub-thema" 71 zu beschreiben, da beide nicht unbedingt miteinander verknüpft sein müssen und sich eine Verknüpfung zudem nicht belegen lässt, wenn ein Anrufer außer eines Kommentars zum Ansagetext kein weiteres Thema initiiert. Wenn der Anrufer in seinem Text lediglich den Ansagetext thematisiert, lässt sich ohne Kenntnis seines ursprünglichen Handlungszieles z.B. auch nicht von Haupt- und Nebenthema sprechen, da ein vielleicht sozial orientiertes Anliegen - wie meist beim „Small Talk" 72 - gar kein Hauptthema zum Gegenstand haben sollte. Da sich unterschiedliche Themen in Anrufertexten m.E. nur auf Grund von Vermutungen hierarchisieren lassen, schlage ich vor, hier nicht zu differenzieren und vereinfachend von „Themen" zu sprechen. Ein Anrufertext, der mit einem Kommentar beginnt und die übrigen bei Lange angeführten Sequenzschritte nicht ausspart, lässt sich demnach als Variation der o.g. Struktur wie folgt beschreiben: Thema 1 Eröffnung -> Thema2 Delegierung Beendigung. 68 69 70 71 72

Schänk (1981: 22); vgl. auch Schänk (1977). Vgl. Knoblauch (1995: 209). Nr. 75; vgl. auch 53, 78, 80. Vgl. Schänk (1976: 47). Vgl. Schänk (1976: 47).

33

Durch die Themen lässt sich hier erneut belegen, dass bestimmte Teile in Anrufertexten unterschiedliche Stellen besetzen können. Darüber hinaus können in Anrufertexten Teile aber auch gänzlich fehlen. Text (5) beginnt und endet z.B. ohne Gruß. Es kann auch beim Telefonieren vorkommen, dass ein Anrufer grußlos zu sprechen beginnt und auch auflegt, ohne zu grüßen. Im Telefonat würde dies als grob empfunden werden. Anrufertexte unterliegen diesbezüglich aber scheinbar weniger Restriktionen: In answering machine talk callers may close at one of a number of points not all of which would be appropriate as closings in everyday telephone conversations. 73

Neben den Grüßen gibt es noch andere Teile, die Anrufer beim Sprechen auf einen AB auslassen können. Nach Lange ist zumindest ein Sequenzschritt in den Texten immer vorhanden, keiner davon sei aber obligatorisch. 74 Da die Kommunikation, wie mit (1) belegt, aber ohne Selbstidentifikation abzubrechen droht, bin ich dagegen der Auffassung, dass dieser Teil nicht optional sein kann. Dieses geht auch aus der folgenden Übersicht Knoblauchs hervor: Eröffnungsteil

Typische Elemente

Oberflächenelement [Kommentar]

[Begrüßung]

,Hi'

[Summons]

Personal name

[Frames]

,this is'

Selbst-Identification

Selbst-Referenz; Stimmprobbe

[Anderer-Identification]

Identifikationsprobe [Zeit des Anrufs]

Der Kern der Botschaft 'Um-zu-Projektion und/ oder, Weil'-Projektion

,Also'-Schablone , Weil'-Schablone

[Postkarte; Wunsch] [Bericht]

Schlussteil [Bitte um Bestätigung]

,Okay?7'Thank you'

[Eigene Bestätigung]

,Okay.'

[Verabschiedung]

, Goodbye'

Handlungsabschluss

Hangingup; 'Goodbye' [Telefonnummer]75

73 74 75

Liddicoat (1994: 301). Vgl. I. Lange (1998: 120). Knoblauch (1995: 209).

34 Im Gegensatz zu Knoblauch bin ich aber der Auffassung, dass das Thema, bei Knoblauch in Gestalt von ,Um-zu-, und ,Weil-Projektionen' feststehendes Element - nur optional ist. Hierauf hat Text (6) hingewiesen. Die Diskussion zeigt, dass sich die Struktur von Anrufertexten nur schwer beschreiben lässt, da beinahe alle Teile optional sind und zudem in sehr unterschiedlicher Reihenfolge gesprochen werden können. Aus diesem Grund ist eine Vielzahl von Varianten möglich, die von den z.B. bei Gold und Liddicoat vorgeschlagenen Strukturen abweichen. Gold nennt den ersten Teil von Anrufertexten „Greeting Section", Liddicoat, der den Begriff „Greeting" bei Gold kritisiert, schlägt dagegen den Begriff „Opening phase" 76 , vor. Der o.g. Text (5) aus meinem Korpus lässt sich in beide Vorschläge nicht einpassen. Er beginnt mit dem Thema, lässt den Gruß aus, und die Selbstidentifikation, nach Liddicoat Teil der Eröffnung, beendet dort den Text. Offenbar folgen Anrufertexte nicht immer einer festen Phasenstruktur, wie Liddicoat sie vorschlägt. Im Zusammenhang von Anrufertexten erscheint mir der Begriff „Phase" daher als unpassend. Denn eine Phase bezeichnet den „Abschnitt einer [stetigen] Entwicklung" 77 und impliziert so eine feste zeitliche Reihenfolge. In der Telefonkommunikation ist der Begriff adäquat, denn hat in einem Telefonat z.B. der Angerufene das Themenangebot des Anrufers akzeptiert, ist die Eröffnung beendet. Die Mitte des Telefonats hat begonnen, und die Eröffnung kann daher nicht wiederholt werden. 78 Daraus folgt die lineare Abfolge von Eröffnung und Mitte. Diese Linearität ist in den bei Gold oder Liddicoat als prototypisch beschriebenen Anrufertexten, m.E. aber nicht in allen Anrufertexten, gegeben. Es ist daher problematisch, Anrufertexte grundsätzlich anhand von Begriffen zu beschreiben, die eine Linearität postulieren und von dieser abweichende Texte als Sonderfälle behandeln. Hier deutet sich bereits an, dass eine an der Analyse von Telefonkommunikation orientierte Sichtweise Anrufertexte nicht in voller Variationsbreite erfassen kann, denn sie „vernachlässigt notgedrungen spezifische' Merkmale" wie z.B. deren „sequenzielle Flexibilität" 79 . Nach den bisherigen Ergebnissen sprechen Anrufer zwar oft Texte auf den AB, die eine vorhersagbare Sequenz zeigen. Diese entspricht in etwa der folgenden Tabelle. Nach ersten Beobachtungen gehe ich aber davon aus, dass Anrufer offenbar sehr viel mehr strukturell unterschiedliche Varianten bilden, als bisher angenommen wurde. Hier ist allerdings weitere Forschung nötig. Die folgende Liste steht daher nicht für die prototypischen Struktur von Anrufertexten, sondern lediglich als Sammlung der von mir und anderen beobachteten Elemente, aus denen Anrufertexte bestehen können: 76 77 78 79

Liddicoat (1994: 297). Drosdowski et al. (Hgg. 1990: 587). Vgl. Henne/Rehbock (1995: 21 f.). I. Lange (1998: 123.).

35 Gruß

hallo, hi, guten Tag etc. 8 0

Adressat

durch Vor-, Nach-, Kosename etc.

Selbstidentifikation

Name oder Stimmerkennung; optional mit Rahmen

ΘΊ

Gegenidentifikation • als Identifikationsprobe: • „Screening"-Probe:

ich weiß nich wer da Is 82 kanns noch ma rangehn'++++ hallo" 8 3

Thema/Thematisierungen • Zweck des Anrufs: • Kommunikatonssituation: • Ansagetext:

weg-n der= ++ Übersetzung 84 ich hAsse quAtschmaschinen 8 5 ganz schön formell euer ansagetext 86

Informationen • Zeitpunkt des Anrufs: • weitere Verfügbarkeit

sonntAg= + den siebtn= + etwa geg-n 8: vierzehn uhr 87 nAchmittags= + ab sEchzehn uhr 88

Aufforderung zum Rückruf

vielleicht kannst du ja mal zurückruf-n, + 89

Rückrufversprechen

ich ruf dich wohl irgendwie nachher noch mal an 90

Bitte um Bestätigung

z.B. ne, ja, okay (mit steigender Kadenz)

Resümee/Selbstbestätigung

z.B. okay, alles klar

Verweis

bis dann, bis später, bis nachher, bis morgen etc.

Dank

danke, bedanke mich, vielen Dank etc.

Wünsch

machs gut, viel Spaß, alles Gute etc. 95

Abschiedsgruß

tschüss, tschau, auf Wiederhörn, auf Wiederse-

92

hen etc. 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96

91

Vgl. 7, 9, 11, 13, 16, 17, 18, 19, 22, 26, 50, 142, 189, 353, 425. Vgl. 1, 34, 36, 89, 91, 207, 297, 352, 364. 86; vgl. auch 54, 8 7 , 9 1 , 9 2 , 9 8 . 131; vgl. auch 136, 140,409. 94; vgl. auch 60, 61, 110, 190, 339, 414. 1; vgl. auch 6, 118, 154, 180. 3 7 vgl. auch 38, 39, 61, 68, 219, 223, 236, 316. 29. vgl. auch 8, 25, 42, 69, 81, 109, 141, 194, 206, 208, 219, 400. 87; vgl. auch 12, 17, 25, 134, 206, 209, 216, 376. 33 vgl. auch 21, 47, 80, 180, 308, 403, 408, 429, 432. 422 vgl. auch 27, 29, 44, 75, 76, 125, 170, 185, 332, 354. Vgl. 66, 80, 110, 134, 139, 170, 194, 211, 323, 387, 426. Vgl. 1, 11, 44, 66, 73, 83, 254, 333, 398, 406. Vgl. 68, 137, 230, 246, 298, 371, 376, 398. Vgl. 22, 26, 54, 211, 220, 279, 336, 403. Vgl. 52, 69, 84, 131, 147, 163, 254, 313, 363, 429, 432, 435. Vgl. 1,4, 11, 110, 1 6 7 , 2 1 7 , 3 3 3 , 4 0 3 .

94

36 3.2.3 Ansagetexte Ebenso wie Anrufertexte sind auch Ansagetexte eine variantenreiche Textsorte. 97 Die Variation ist noch nicht sehr lange erlaubt. Erst seit ungefähr 20 Jahren können AB-Besitzer ihre Ansagetexte frei gestalten. Nach Hessenland sorgte bis Anfang der Achtzigerjahre die Post dafür, daß die Anrufbeantworteransagen praktisch einheitlich gestaltet werden mußten. Seit Ende der 50er Jahre galt eine postalische Vorschrift, die den Inhalt der Ansagetexte im Großen und Ganzen festlegte. Darin hieß es: „Die Bundespost verlangt, beim Aufsprechen des Durchsagetextes folgendes mitanzugeben. Beispiel: Hier automatischer Anrufbeantworter München 558743. Dieser Text ist einmal zu wie98 derholen. Bedienungsanleitungen früher AB enthielten entsprechende Gestaltungsvorschriften. So die Anleitung des ,Nur-Anrufbeantworters' „Alibiphon" (um 1961). Ein Formblatt legte dort den Rahmen des textlich Verbindlichen fest. Diese Vorgaben wurden später wiederholt abgeändert und technischen Neuerungen angepasst. Das Handwörterbuch des elektrischen Fernmeldewesens von 1970 enthielt neben Vorschriften für , Nur-Anrufbeantworter' auch Vorgaben für die besseren Geräte mit Sprachaufzeichnung: Der Ansagewortlaut der A. [Anrufbeantworter; Zusatz von mir] ist festgelegt, z.B. für A. ohne Sprachaufzeichnungseinrichtung mit der Meldung: ,Hier automatischer A. - Name des Teilnehmers (kann entfallen) - Ortsnetz und Rufnummer', anschließend Wortlaut der Mitteilung an den Anrufer, dann Schlußansage: ,Ende der Mitteilung'. Die Wiederholung des Meldewortlautes kann entfallen, wenn z.B. der überwiegende Teil der Anrufer auf die Möglichkeit eines angeschalteten A. vorbereitet ist. Statt des Ausdrucks „Automatischer Anrufbeantworter" kann auch ein Wortbegriff verwendet werden, der auf den Inhalt der Meldung besser abgestimmt ist und gleichfalls verständlich macht, daß ein automatisches Beantwortungsgerät eingeschaltet ist. Der Hinweis auf ,Ein automatisches Gerät' muß eingefugt werden, wenn das Wort .automatisch' nicht eingangs im Meldewortlaut bereits enthalten ist, z.B. ,Hier telefonischer Bestelldienst der Firma X über ein automatisches Gerät'. Für A. mit Sprachaufzeichnung gibt es entsprechende Redewendungen, wie die Aufforderung zur Übermittlung einer Nachricht mit Angabe der Mitteilungszeit bzw. mit der Aufforderung, keine längere Gesprächspause als 8 sec zu machen und die Schlußansage mit , Danke für Ihren Anruf, das Gerät hat abgeschaltet'. 99 Der Vergleich beider Quellen zeigt, dass die weiterentwickelte Technik neue Anpassungen an das sprachliche Handeln erforderte. Die Bundespost formulierte daraus die Vorschrift, keine längeren Sprechpausen zu machen. Der

97 98 99

Vgl. Korpus in I. Lange (1998) bzw. Sachbücher Kunz (1995), Schwarze (1993). Hessenland (1996). Handwörterbuch des elektrischen Femmeldewesens (1970: 44).

37 lierte daraus die Vorschrift, keine längeren Sprechpausen zu machen. Der Vergleich belegt zudem, dass bestimmte Textteile wie die Selbstidentifikation durch Ortsnetz und Telefonnummer weiterhin verbindlich waren. Andere Teile des Textes wurden aber optional oder durften variiert werden. Diese Tendenz lässt sich anhand des „Alibinota" (um 1970) weiter belegen, dessen Betriebsanleitung ähnliche Bestimmungen enthält: Für den Meldetext schreibt die Bundespost verschiedene Teile vor. Sie sind im folgenden Beispiel kursiv gedruckt: ,Hier automatischer Anrufbeantworter der Firma Χ , Υ , Z, z.B. München 4 4 77 2 2 . Leider rufen Sie außerhalb unserer Geschäftszeit an. Sie können jedoch eine Nachricht beliebig langer Dauer (oder Angabe der am Gerät eingestellten Dauer [...] hinterlassen; sie wird von unserem A L I B I N O T A aufgenommen! Vermeiden Sie jedoch Sprechpausen von mehr als 8 Sekunden, weil das Gerät sonst automatisch abschaltet. Nennen Sie uns bitte laut und deutlich Ihren Namen, Ihre Anschrift und Rufnummer. Sprechen Sie bitte jetzt nach dem Pfeifton. 1 0 0

Genaue Vorgaben gelten auch hier für die Selbstidentifikation und für Sprechpausen. Hinzu kommt, dass der Ansagetext beliebig lang sein darf, diesbezüglich also zumindest keinen institutionellen Beschränkungen unterliegt. Es ist nach Hessenland nicht bekannt, inwieweit die Post Verstöße gegen die Bestimmungen für Ansagetexte tatsächlich verfolgen und ahnden ließ. 101 Es lässt sich aber belegen, dass diese Vorschriften gegen Ende der Siebzigerjahre weniger streng gehandhabt wurden. S o liegt der Betriebsanleitung des „Alibiphon 2 0 0 0 " (um 1977) lediglich ein Schema bei, das folgenden Ansagetext enthält: Hier ist der automatische Anrufbeantworter des Compur-Werkes München, Steinerstraße 15, Telefonnummer 0 8 9 / 7 2 3 2 0 8 1 . Sie haben die Möglichkeit, eine Nachricht von 1 Minute zu hinterlassen. Pausen kürzer als 8 Sekunden. Nennen Sie 102 Namen, Telefonnummer und sprechen Sie jetzt.

Nach einer Selbstidentifikation durch Namen, Telefonnummer und Adresse bietet dieser Text die Kommunikation mit dem Gerät an. Er steuert die Handlungen des Anrufers im Hinblick auf die vorhandene AB-Technik (Sprechdauer, -pausen und Aufnahmebeginn) und fordert den Anrufer dazu auf, sich ausreichend zu identifizieren. Im Wesentlichen unterscheidet sich dieser Ansagetext somit kaum von den vorherigen postalisch vorgegebenen. Allerdings findet sich in der Anleitung des „Alibiphon 2 0 0 0 " kein Hinweis darauf, dass der Text oder Teile desselben von der Bundespost vorgeschrieben werden. In der Betriebsanleitung heißt es lediglich: „Der Ansagetext soll möglichst dem Schema wie auf beiliegendem Blatt: Schema zur Aufsprache des 100 101 102

Vgl. Zettler, Bedienungsanleitung Modell „Alibinota". Hessenland ( 1 9 9 6 ) . Vgl. Compur, Bedienungsanleitung Modell „Alibiphon 2 0 0 0 " .

38 Ansage- und Codetextes [...] angepasst sein." 103 In dem empfehlenden Charakter des Herstellerhinweises deutet sich bereits ein Trend zur Lockerung der Vorschriften an, der sich zu Beginn der Achtzigerjahre fortsetzt. So merkt die Fachzeitschrift Bürotechnik" 1981 an, dass die Bundespost bei den Bestimmungen für Ansagetexte „beweglicher" 104 geworden sei und berichtet weiter: Für den Einsatz eines Anrufbeantworters hat die Deutsche Bundespost Vorschriften erlassen, die bestimmen, welchen Inhalt der Ansagetext haben muß. Allerdings werden der genau vorgeschriebene Meldetext („Hier automatischer Anrufbeantworter...") und die Reihenfolge der weiteren Angaben nicht mehr verlangt. [...]. Heute darf man Texte nach eigener Vorstellung programmieren, man kann diese sogar witzig fassen. Verlangt werden nur bestimmte Inhaltsangaben, die an beliebiger Stelle des Ansagetextes stehen können. Diese sind: Hinweis darauf, daß der Anrufbeantworter (Tonband, automatisches Aufnahmegerät) eingeschaltet ist, Nennung des Namens des Teilnehmers, des Ortsnetzes und der Rufnummer. 105

Zehn Jahre später gelten auch die bereits gelockerten Vorschriften nicht mehr: Die Deutsche Telekom stellt es Kunden frei, den Ansagetext nach eigener Maßgabe zu gestalten. In der Bedienungsanleitung des TelekomGerätes „Rispondo3" (um 1991) findet sich weder eine Vorschrift noch eine Empfehlung. Der Hersteller bietet Käufern noch folgenden Beispieltext an: Guten Tag, hier ist der Anschluß 34567 der Firma Meier. Unser Büro ist zur Zeit nicht besetzt, wir rufen Sie aber gerne so schnell wie möglich zurück. Bitte hinterlassen Sie uns nach dem Signalton Ihren Namen, Ihre Rufnummer und den Grund Ihres Anrufs. 106

Dieses Beispiel belegt den Wandel hin zu einem hörerfreundlicheren Ansagetext. Der Text beginnt mit einem Gruß und einer Selbstidentifikation durch Namen und Telefonnummer. Noch 1970 war eine Selbstidentifikation mit Angabe des Ortsnetzes vorgeschrieben. Die Nennung des Namens des Angerufenen war dagegen nur eine Option. Weiterhin verspricht der Ansagetext einen Rückruf. Er bittet den Anrufer zudem, eine Nachricht zu hinterlassen und fordert ihn nicht mehr schroff wie z.B. beim „Alibiphon 2000" zum Sprechen auf. Auch fehlt dem Text der Hinweis auf den AB bzw. auf ein Tonband oder automatisches Aufnahmegerät. Der Text teilt lediglich mit, dass niemand für ein Telefongespräch verfügbar ist. Er setzt also bereits ein Verständnis des Anrufers für die Kommunikationssituation voraus. Er muss also nicht erklären, dass der Anrufer mit einem automatischen Antwortgeber und Aufnahmegerät verbunden ist. 103 104 105 106

Vgl. Compur, Bedienungsanleitung „Alibiphon 2000". Bürotechnik (1981: 562). Bürotechnik (1981: 562). Vgl. Zettler, Bedienungsanleitung „Rispondo3".

39 Trotz einiger Veränderungen trägt der Text allerdings noch Merkmale, die zuvor für Ansagetexte verbindlich waren. Erhalten geblieben ist z.B. verbunden mit dem Rahmen hier ist die Selbstidentifikation durch die Telefonnummer. Insgesamt sind sich der z.T. vorgeschriebene Text des „Alibibinota" und der Beispieltext beim „Rispondo3" ähnlich. Es scheint, als folgte der neuere Text noch den zuvor verpflichtenden Vorgaben. Offenbar war man sich zu Beginn der Neunzigerjahre noch unsicher, ob bei der Gestaltung eines Ansagetextes weiterhin Vorschriften beachtet werden mussten, wie der folgende Auszug aus einem Ratgeber von 1992 belegt: In gewissen Kreisen hält sich das Gerücht, es gäbe postalische Bestimmungen: Erstens, man müsse den (Firmen-) Namen sagen; zweitens, man müsse zusätzlich und unbedingt seine eigene Telefonnummer angeben [...]; drittens, man müsse angeben, daß es sich um einen Anrufbeantworter handelt und viertens, Ihre Ansage müsse mindestens 30 Sekunden lang sein. Wir haben uns bei der Post erkundigt. Es ist nicht wahr. 107

Es lässt sich bezweifeln, dass AB-Besitzer heute noch vergleichbaren Aufklärungsbedarf haben. Die von mir beobachtete Vielfalt von Ansagetexten zeugt eher davon, dass sie z.T. einen spielerischen Umgang mit der Textsorte pflegen. Die große Zahl von Varianten bringt aber Klassifikationsprobleme mit sich, auf die z.B. Boldog in seiner Analyse hinweist. 108 Hundsnurscher, auf den ich mich folgend vorwiegend beziehe 109 , nennt eine Anzahl typischer Möglichkeiten, wie sich Texte klassifizieren lassen. Naheliegend sei es, globale Textfunktionen oder Textformen zu postulieren, aus denen sich ein deduktives Schema entwickeln lässt, in das sich am Ende Textgruppen unter einem als konstitutiv geltenden Aspekt einordnen lassen. Als Globalschema nennt Hundsnurscher z.B. Bühlers Organon-Modell. 110 Hundsnurscher bezeichnet dieses Vorgehen als unbefriedigend, da sich so klar profilierte Texte nicht eindeutig zuordnen lassen. Alternativ dazu kann man Textsorten aber auch aus der Kombinatorik einer Anzahl vorher festgelegter grundlegender Textfunktionen ermitteln. Obwohl Hundsnurscher diese Möglichkeit als mechanisch und ad hoc kritisiert, orientiere ich mich folgend an dem Verfahren. Denn der Feinheitsgrad einer Klassifikation ist - wie Hundsnurscher selbst betont - durch die angestrebten Ziele bedingt. Aufgabe dieser Arbeit ist keine Typologie von AB-Texten. Daher klassifiziere ich Ansagetexte wie Naumann auf der Basis der bei Blühdorn genannten fünf Grundfunktionen von Texten. Danach können Texte eingesetzt werden, 107 108 109 110

Flemming (1992: 48). Vgl. Boldog (1993: 16). Vgl. Hundsnurscher (1984a: 86f.); vgl. auch Hundsnurscher (1984b). Auch das Sprachfunktionen-Modell von Jakobson (1964) bietet sich hier an; beide Modelle behandelt von Polenz (1974: lOOff.).

40 (1) (2) (3) (4) (5)

um um um um um

Kontakt zu einem Kommunikationspartner aufzubauen, Handlungen eines Kommunikationspartners zu steuern, zu informieren, subjektive Einstellungen zu vermitteln und ästhetische Werte vermitteln. 111

Anhand dieser fünf Grundfunktionen unterscheidet Naumann zwischen sachlich formulierten Ansagetexten, die die Funktionen (1), (2) und eingeschränkt die Funktion (3) erfüllen, und individuellen Varianten mit allen fünf Funktionen." 2 Ähnlich unterscheidet Sullivan bei Ansagetexten zwischen „standard O G M s " („Standardansagetexten") und „deviant O G M s " („abweichenden Ansagetexten"). 1 1 3 Beide Makrokategorien möchte ich folgend diskutieren.

3.2.3.1 Standardansagetexte Sullivan definiert den Standardansagetext wie folgt: A standard OGM speaks directly to the caller by adressing him/her, acknowledges the identity of the callee in some way, explains that the callee can't answer the call, tells the caller what to do, involves a commitment to return the call (usually ASAP), and includes a closing. An OGM that combines most or all of these elements has come to be viewed as a standard OGM. 114 Texte dieser Art nennen Nickl/Seutter die „stark ritualisierte Neutralform" 115 , Naumann bezeichnet sie als die „Norm der Gattung" 116 . Ich fasse sie hier unter dem Begriff „förmlicher Standardansagetext" zusammen. Solche Texte finden sich in Bedienungsanleitungen. 1 1 7 Oft sind sie dabei auf die Bedürfnisse von Firmen zugeschnitten: Hier ist der Anrufbeantworter der Firma Müller. Unser Büro ist zur Zeit nicht besetzt. Bitte hinterlassen Sie nach dem Signalton Ihren Namen, Telefonnummer. Wir werden Sie dann zurückrufen.' 118

111

112 113

1,4 115 116 117 118

Vgl. Blühdom (1993: 22); Texttypikalität ist geformt aus mehreren Dimensionen - Funktions-, Situations-, Verfahrens-, Strukturierungs- und (prototypischem) Formulierungstyp; vgl. Heinemann/Viehweger (1991: 148ff.); vgl. auch de Beaugrande/Dressler (1981) und Michel (1986). Vgl. Naumann (1994: 436). Vgl. Sullivan (1994: 145f.); vgl. auch Nickl/Seutter (1995: 265); Ansätze zu einer Typologie haben auch Nagel (1999), Schellenberg (1997) und zuletzt Hammer (2000) vorgelegt. Sullivan (1994: 145); ASAP bedeutet „as soon as possible". Nickl/Seutter (1995: 265). Naumann (1994: 436). Vgl. Wojcik (1989: 84f.). Vgl. Deutsche Telekom, Bedienungsanleitung Modell „AF 303".

41 Hier ist der automatische Anrufbeantworter von/der Firma....Dieser Anschluß ist zur Zeit leider nicht besetzt. Sie können eine Nachricht sowie Ihren Namen und Ihre Telefonnummer auf Band sprechen. Bitte sprechen Sie nach dem Pfeifton. Wir rufen so bald wie möglich zurück. 119

Dass sich diese sachlichen Vorlagen weiterhin in den Anleitungen finden, mag damit zusammenhängen, dass das neue Medium wie beim Telefon zuerst von Firmen und Institutionen angeschafft wurde und sich die Hersteller in den Anleitungen noch nicht genug auf private Käufer von AB eingestellt haben. Dieses ist insofern bedeutsam, als dass Privatleute, die der Bedienungsanleitung folgen, diese Texte als verbindliche Vorlage verstehen, sie kopieren oder sich zumindest daran orientieren können. So lässt sich vielleicht erklären, dass nach Naumanns Beobachtung „Texte von Privatanschlüssen nach dem Muster von Firmentexten programmiert" 120 wurden. Die o.g. Vorlagen belegen einen förmlichen Ansagetext, der sich mit Schellenberg auch als „geschäftlicher Ansagetext" bezeichnen lässt. Zu diesem können Sachinformationen zur Geschäftszeit, Service-Hinweise oder Werbepassagen gehören. 121 Sparen diese Texte Geschäftliches aus, können sie nach Schellenberg „sachliche private Ansagetexte" genannt werden und folgende prototypische Form haben: Guten Tag! hier ist der Anschluß von XY. Ich bin im Moment nicht zu Hause. Sie können aber nach dem Pfeifton eine Nachricht hinterlassen. Vielen Dank. Auf Wiederhöm! 1 2 2

Texte dieser Art werden nach Naumann „von Leuten bevorzugt, die im Berufsleben stehen, die also auch mit geschäftlichen Anrufen zu rechnen haben" 123 . Ein Text dieser Art erfüllt nach Naumann von den bei Blühdorn genannten Funktionen nur die ersten drei: Er baut den Kontakt auf, er steuert Handlungen und informiert in begrenztem Maße. 124 Zu den Standardansagetexten zähle ich neben dem sachlichen privaten Ansagetext auch den kontaktbetonenden privaten Ansagetext, der nach Schellenberg verstärkt den Kontakt zum Anrufer aufzubauen sucht. 125 Nagel rechnet diesen bereits zu den abweichenden individuellen Varianten. 126 Ich dagegen zähle diese Variante noch zu den Standardansagetexten, sofern sie die Bedingungen Sullivans erfüllt. Daher unterscheide ich bei den Standardansagetexten in der Untersuchung fol119 120 121 122 123 124 125 126

V g l . Philips, Bedienungsanleitung Modell „TD 9336". Naumann (1994: 435). Vgl. Schellenberg (1997: 236). Nickl/Seutter (1995: 265); vgl. auch Liddicoat (1994: 295). Naumann (1994: 436). Vgl. Naumann (1994: 436). Vgl. Schellenberg (1997: 237). Vgl. Nagel (1999: 233ff.).

42 gend zwischen förmlichen Standardansagetexten und kontakt-betonten Standardansagetexten. Ich gehe hierbei davon aus, dass die Übergänge zwischen beiden fließend sind und verstehe bestimmte Zuordnungen daher als Tendenzen und nicht als starre Typisierungen. Dieses gilt für die Standardansagetexte untereinander wie auch für die Unterscheidung von Standardansagetexten und abweichenden Ansagetexten. 3.2.3.2 Abweichende Ansagetexte In der alltäglichen Praxis der AB-Kommunikation existiert ein .buntes' und breites Spektrum von Ansagetexten, die unterschiedlich stark von prototypischen Varianten abweichen. Sullivan definiert diese ex negativo aus den Standard texten heraus: ...a standard OGM mimics one side of a conversation and also reflects the interaction's status as being machine-negotiated. Information in an OGM which does not adhere to this model of a monologic conversation and which is not related to the TAM-mediated status of the interaction is irrelevant information. OGMs which in127 elude such information I have termed deviant OGMs.

Diese von Sullivan - m.E. vorschnell - als irrelevant etikettierten Textteile sind nach Herstellermeinung wichtig. Sie empfehlen „eine .persönliche Färbung' der Ansagen, um den „paralysierenden Roboter-Effekt zu beseitigen" 128 , der abgelesenen Standardansagetexten anhaften kann. Vor allem Jüngere, denen die Texte aus Bedienungsanleitungen nicht originell genug sind, besprechen AB mit Einfallsreichtum. Kreative Texte sind nach Naumann auch eine Frage der Mentalität. Naumann hat zudem beobachtet, dass die Besitzer der Geräte miteinander um Originalität wetteifern und Nummern austauschen, nur um zu hören, wie andere ihren Text gestaltet haben. Dabei begnügten sich viele längst nicht mehr mit Worten. Sie unterlegten den Text auch mit Musik oder Geräuschen. 129 Schellenberg gibt an, dass sich originell gestaltete Ansagetexte auch auf eine literarische Zeile oder einen Filmtitel beziehen können. 130 Die Zahl individueller Varianten, die breits für die vorliegende Untersuchung produziert wurden ist groß. Das Korpus enthält Texte mit Musik, Parodien auf Fernsehund Kinofilme, ein Gesangsduett, ein Gedicht aus einem Ratgeberbuch oder eine Anzahl kreativer Texte, deren Form sich wohl noch am ehesten als .artistisch' beschreiben lässt. 127 128 129

130

Sullivan (1994: 145). Der Spiegel (1989: 61). Vgl. Naumann (1994: 436f.) und Dingwall (1995b:131); vgl. Korpus-Beispiele Nr. 2, 13, 20 (Musik) und 14, 54, 56 (Geräusche). Vgl. Schellenberg (1997: 237).

43 Nicht jeder AB-Besitzer ist dazu aber einfallsreich genug oder auch nur willens, einen derartigen Aufwand zu betreiben. 131 Für diejenigen, denen Sachbuchliteratur als Anregung für die Gestaltung des Ansagetextes nicht genügt, haben sich in Großstädten Dienstleistungsunternehmen angesiedelt, die Kunden mit Mangel an Fantasie witzige Ansagen liefern. 132 Das Angebot ist hier groß. Seit einigen Jahren führen die Anbieter z.B. Imitationen von Prominentenstimmen im Programm. 133 Diese waren anfangs noch relativ teuer: 1988 lag der Preis eines von einem Stimmenimitator gesprochenen Ansagetextes von 30 Sekunden noch bei 289 DM 134 , immerhin noch 149 DM kostete eine Prominentenansage im Jahr darauf. 135 Inzwischen sind die Texte als beliebte Mitbringsel zu geringeren Preisen in Kaufhäusern erhältlich. Auf Kassette oder CD kosten mehrere Ansagetexte nunmehr ungefähr 30 DM. 136 Gemessen an der Art der Produktion lassen sich bei den abweichenden Varianten also zwei Grobkategorien identifizieren. Es handelt sich hierbei erstens um vom AB-Besitzer selbst gestaltete Texte, die ich in der Untersuchung als „kreative Ansagetexte" bezeichnen möchte. Zweitens gibt es noch die vorgefertigten und käuflichen Ansagetexte, die AB-Besitzer ohne sprachliche Eigenleistung einspeisen können. 137 Diese Texte nenne ich „käufliche Spaß-Ansagetexte". Individuelle Varianten haben nach Naumann das Merkmal, dass ihnen die Vermittlung subjektiver Einstellungen und ästhetischer Werte mindestens so wichtig ist, wie Kontaktaufnahme, Handlungssteuerung und Information. Diese Texte erfüllen damit jene Funktionen (4) und (5), die Standardansagetexten nach Naumann fehlen. 138 Hier ließe sich einwenden, dass auch ein Standardtext von einer Haltung - z.B. gegen (unnötige) kreative Anteile zeugen kann. Auch ist ein sachlicher Text als ästhetisch interpretierbar. Offenbar ergeben sich aus den Begriffen „Einstellungen" und „Ästhetik" Beschreibungsprobleme. Daher ersetze ich die Termini zusammen durch den Begriff „Senderspezifika" 139 . Nagel versteht darunter die Teile von Ansagetexten, die ihn individuell gestalten und durch die der Angerufene Aussagen 131 132

133 134 135 136

137

138 139

Vgl. Hessenland (1996: 16). Vgl. Der Spiegel (1989: 61); vgl. auch Hessenland (1996: 16f.) und Küffner (1990). Vgl. Gumpert (1989: 249); Naumann (1994: 437f.). Der Spiegel (1988: 266). Vgl. Der Spiegel (1989: 61). Vgl. Hessenland (1996: 17); danach waren 1996 bereits 30 Prominentenansagen auf vier CDs im Angebot, jede wurde in einem Jahr 25.000-mal verkauft. Vgl. Nagel (1999: 1); Sullivan vermutet, dass die über das Fernsehen verkauften Kassetten mit lustigen Stimmen von berühmten Figuren wie Donald Duck, Ursprung der abweichenden Ansagetexte sind; vgl. Sullivan (1994: 145). Vgl. Naumann (1994: 436). Vgl. Nagel (1999).

44 über sich selbst treffen und damit ein Bild von sich beim Anrufer prägen kann. Nagel geht hier von einer bewussten Handlung aus. Damit lassen sich Senderspezifika im Sinne der Sprachfunktionen Bühlers auch als absichtsvoll und damit als Zeichen auffassen. Im Gegensatz zu Standardtexten vermitteln abweichende Texte demnach auch einen Symbol- oder Signalwert. Hier könnte man erneut einwenden, dass auch Standardansagetexte etwas symbolisieren und signalisieren können. Gerade bei den Standardtexten dürften dies aber Aussagen sein, die der Sprecher ohne Absicht über sich macht. Zimmermann unterscheidet daher zwischen intentionalen (zielgerichteten) und nicht intentionalen (funktionalen) Handlungen. 140 Ein Standardansagetext - kann demnach die Funktion haben, ohne Absicht ein Bild seines Sprechers zu erzeugen. Der Sprecher ist dann nur unwilkürlicher Träger des Zeichens. Bühler nennt dieses die „symptomatische Sprachfunktion". 141 Ansagetexte haben also auch noch einen Symptomwert. Was in den Texten aber Intention ist, lässt sich nicht vollkommen sicher sagen, sonderrn nur auf analytisch-intuitivem Wege ermitteln. 3.2.3.3 Strukturelle Merkmale von Ansagetexten Nach Liddicoat haben Ansagetexte folgende Phasenstruktur: Opening Phase

Message Phase

-

Summons-Answer and Self-identification Acknowledegments Summons-Answer and the Third Turn Warrant Instruction Undertaking

Transition Phase 142

Liddicoat zählt hier die Rechtfertigung des Angerufenen dafür, dass er nicht telefonieren kann oder will (Warrant), zur Message phase. 143 Wojcik hingegen nennt dies als eine von vier Möglichkeiten, einen Ansagetext zu beginnen. 144 Wie bei Anrufertexten gibt es also auch bei Ansagetexten das Problem, Textteile einem bestimmen Segment des Gesamttextes zuzuordnen. Wojcik beobachtet, dass der Beginn eines Ansagetextes eine Vielzahl einleitender verbaler und nonverbaler Elemente (Formulierungen, Laute, Hintergrundgeräusche etc.) beinhalten kann und stellt m.E. richtig fest:

140 141 142

143 144

Vgl. Zimmermann (1984: 137). Vgl. Bühler (1934.); vgl. dazu von Polenz (1974). Vgl. Liddicoat (1994: 285ff.); zum Begriff „turn" vgl. Sacks/Schegloff/Jefferson (1974). Vgl. Liddicoat (1994: 290f.). Vgl. Wojcik (1987: 86 und 88); für die folgende Diskussion vgl. 84-88).

45 It would be an oversimplification to consider the initial and final verbalizations as the opening and closing respectively, based solely upon the sequence in which they are uttered.145 Wojcik schlägt eine Struktur für Ansagetexte vor und betont, dass die folgend genannten Teile keine absoluten Kategorien seien, sondern arbiträre Konstruktionen zur Organisation und Klassifikation seiner Daten, aufgeführt in der Folge, die er in den meisten Texten seines Korpus beobachtet habe: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

preface traditional salutation identification explanation or apology for the inability to answer the phone verbalized request for the caller to leave a message specific information concerning the call desired by the owner information that an electronic „beep" will notify the caller when to leave a message promise to respond to the caller's message statement designating when the call would be returned closing expression.

Wojcik verweist auch darauf, dass nicht jedes dieser Elemente in den Ansagetexten seines Korpus zu finden ist und dass diese auch nicht immer in derselben Reihenfolge erscheinen, sondern an eine Vielzahl von Stellen umgesetzt werden können. In dieser Hinsicht sind Ansagetexte Anrufertexten ähnlich. Sie bestehen aus Teilen, die mal eine vorhersagbare Struktur eines Prototyps bilden, mal aber auch in abweichender Zusammenstellung und F o l g e erscheinen. Dies belegen die folgenden Texte: (7) Struktur: (8)

Struktur: (9)

Struktur:

145 146 147 148

Anchovis sind gerade aus, ansonsten geht die Pizza in Ordnung. Tschüß. 146 Unterhaltung -> Verabschiedung Hallo, hier ist der Anschluß 01234/1234. Leider ist im Moment niemand zu erreichen, um Ihren Anruf entgegenzunehmen. Sie haben aber eine Möglichkeit, nach den Signaltönen eine Nachricht zu hinterlassen. Wir rufen dann gerne zurück.147 Gruß Selbstidentifikation Information Handlungssteuerung -> Antwortversprechen Danke schön, daß Sie hier anrufen. Und dankeschön ebenfalls, daß Sie auch gleich wieder auflegen. Damit nutzt sich das Aufnahmeband nicht so schnell ab. 148 Danksagung Unterhaltung

Wojcik (1987: 85). Vgl. Nagel (1999). Vgl. Welco, Bedienungsanleitung Modell „Tam-Phone". Vgl. Pfeiffer, O.: Lustige Texte für den Anrufbeantworter; http://www.datacomm.ch.

46 Anhand dieser wenigen Beispiele lässt sich erahnen, wie groß die strukturelle Vielfalt von Ansagetexten ist. Ähnlich w i e bei Anrufertexten gehe ich daher auch hier davon aus, dass die Position der Textteile in Anrufertexten prinzipiell variabel ist, dass Ansagetexte aber oft nach einer vorhersagbaren Struktur produziert werden. Schwerer zu entscheiden ist die Frage, welche Textteile in Ansagetexten optional sind. Nach meinen Beobachtungen lässt sich die Praxis mit Ansagetexten - insbesondere mit den kreativen Formen - auf die Formel ,nichts ist unmöglich' bringen, was bedeutet, dass prinzipiell jeder Textteil optional ist. D i e einzige Bedingung für Ansagetexte ist offenbar: Ein Teil muss realisiert werden, damit der Text überhaupt vorhanden ist. Auf der Basis meines Ansagetext-Korpus und der Forschungsliteratur nenne ich folgende Komponenten, die Bestandteil eines Ansagetextes sein können: Gruß

Hallo, Hi, Guten Tag

Adressat (meist unspezifiziert)

Hallo Fans!, Lieber Anrufer!, Hallo Leute

Rahmen

Hier ist

Selbstidentifikation

Stimme, Namen, Telefonnummer (z.T. mit Ortsangabe)

AB-Hinweis

der automatische Anrufbeantworter

Information

Leider rufen Sie uns außerhalb der Geschäftszeiten an; Hallo bin nicht da, bin beim Golfen.

Handlungssteuerung

• Sprechaufforderung: Tischreservierungen und Vorbestellungen können Sie uns anschließend auf dem Anrufbeantworter eine kurze Nachricht hinterlassen. • Aufforderungssignal: Bitte sprechen Sie jetzt nach dem Signalton. • Sprechzeit: Nach dem Signalton stehen Ihnen zwei Minuten für Ihre Nachricht auf dem Band zur Verfügung. • Inhalt: ...sagen Sie uns bitte Name, Telefonnummer und die Zeit, in der wir Sie am besten erreichen.

Antwortversprechen

Unser Empfang wird sich morgen im Laufe des Tages mit Ihnen in Verbindung setzen.

Danksagung

Danke, Dankeschön, Vielen Dank

Verabschiedung

Tschüß, Auf Wiederhören, Ciao

Unterhaltung

Musik, Geräusche, lustige Sprüche' 49

149

Vgl. die Beispiele in Nagel (1999) oder Kunz (1995).

47 3.2.3.4 Technische Produktionsbedingungen Wenn ein technisches Gerät für einen Haushalt angeschafft wird, weiß der Käufer oft nicht, wie er es bedienen soll. Der Umgang mit einem unbekannten technischen Gegenstand muss meist erst mittels Bedienungsanleitung erlernt werden. Bei AB gibt diese zum Beispiel darüber Auskunft, was beim Sprechen eines Ansagetextes beachtet werden muss, wie die A u f n a h m e eines Ansagetextes technisch vorgehen soll. Meist ist dieses mit einer Anzahl komplexer Handlungen verbunden: Knöpfe müssen oft in unterschiedlicher Reihenfolge gedrückt, gehalten und wieder gelöst werden: Drücken Sie die REC und START/STOPtaste, bis Sie einen Signalton hören. Danach beide Tasten loslassen. Sprechen Sie laut und deutlich aus ca. 20 cm Entfernung in das Mikrofon Aufnahmezeiten Kassette KX-C030: Min. 12 Sekunden, Max. 21 Sekunden. Kassette KX-C060: Min. 12 Sekunden, Max. 45 Sekunden. Drücken Sie die Taste OGM START/STOP, um die Aufzeichnung zu beenden. 150 Dabei sind Signaldioden, die mal schneller und mal langsamer blinken, L C D Displays oder Signaltöne und der richtige Abstand zum Mikrofon zu beachten. Dies verlangt dem Sprecher eine große Konzentrationsleistung ab: Kaufen - Anschließen - und fertig? So einfach geht's natürlich nicht. Wer die erste Hürde, [...] genommen hat, steht vor dem Problem, die Ansagetexte auf Kassette zu sprechen. Das geht nicht ohne Übung; denn diese Nachricht (Meldetext und Endansage) darf weder zu lang noch zu kurz sein [...]. Wer an seinem Gerät keinen Sekundenzähler hat, kann sich mit einer Stoppuhr behelfen. 151 Meist darf der Ansagetext beim Sprechen nicht unterbrochen werden, da das Gerät sonst die A u f n a h m e abbricht: Bei den drei Panasonic-Geräten muß man zudem sofort nach dem Signalton mit dem Aufsprechen beginnen, sonst melden sie einen Fehler. 152 Wie auf Kommando muß der Ansagetext gesprochen werden, eine Denkpause kann man sich nicht leisten. Dann stoppt nämlich die Aufnahmeprozedur sofort, und man muß von neuem beginnen. 153 Die Aufnahmezeit für einen Ansagetext beschränkt das Speichermedium. Besonders einfache halbdigitale Geräte aber auch ältere Analoggeräte bieten oft wenig Speicherplatz. 1 5 4 Manchmal beansprucht noch ein Absagetext Teile

150 151 152

153 154

Vgl. Fischer (1992b: 8). Stiftung Warentest (1990: 33). Stiftung Warentest (1990: 33); eine Sprechpause darf z.T. nicht länger als zwei Sekunden dauern; vgl. Philips, Bedienunghsanleitung, Modell „TD 9336". Stiftung Warentest (1993: 28). Vgl. Amold (1991).

48 der ohnehin knapp bemessenen Speicherressourcen. 155 Dann ist für den Ansagetext nur wenig Zeit verfügbar. Dies kann das Sprechen eines Ansagetextes sehr behindern, wenn ein längerer Text auf dem Speichermedium keinen Platz findet.136 Auch setzt das enge Zeitlimit der kreativen Gestaltung eines Ansagetextes Grenzen. Zudem ist die Vermutung naheliegend, dass es ABBesitzern unter diesen Umständen schwer fallen kann, ohne Hast einen natürlich klingenden Ansagetext zu sprechen. 157 Die Stiftung Warentest stellte bei der Bewertung verschiedener AB fest: Die meisten Schwierigkeiten bereitete unseren Priifpersonen das Aufsprechen eines Meldetextes bei Anrufbeantwortern mit festgelegter Meldezeit. Diese Texte müssen gut vorbereitet, lange geübt und dann auf die Sekunde genau aufgesprochen werden. Der Zeitaufwand ist erheblich größer als bei Modellen mit variabler Ansagezeit.

158

Um zu vermeiden, dass ein als sprachlich unschön empfundener oder unvollständiger Ansagetext tatsächlich verwendet wird, ist bei vielen Geräten eine Kontrolle vorgesehen. Automatisch oder optional wird der gesprochene Ansagetext noch einmal abgespielt und kann, sofern er keinen Gefallen beim Sprecher findet, beliebig oft neu aufgenommen werden. 159 3.2.4 AB-Texte als mehrfachadressierte Texttypen Eine Anzahl Arbeiten haben sich bereits mit dem Thema , Mehrfachadressierung' beschäftigt. 160 Ich beziehe mich in der vorliegenden Arbeit vorwiegend auf den jüngeren Ansatz Peter Kühns, der Mehrfachadressierung als eine Sonderform komplexen Sprachhandelns betrachtet. 161 Kühn koppelt den Adressatenbegriff mit Dieckmann an die sprachliche Handlung, weil „die Äußerungsprodukte für die verschiedenen Adressaten verschiedene sprachliche Handlungen sind" 162 . Kühn verfolgt einen sprachhandlungstheoretisch orientierten Ansatz mehrfachadressierten Sprechens und Schreibens. Dabei kritisiert Kühn den engen und am alltagssprachlichen Gebrauch orientierten Adressatenbegriff, der verschiedenen Arbeiten zugrunde liegt, und plädiert dafür, ihn weiter zu fassen. Kühns Adressatenbegriff umfasst daher sowohl 155

156 157 158 159 160

161 162

V g l . Deutsche Telekom, Bedienungsanleitung Modell „TAF 301"; die Gesamtzeit für beide Ansagen beträgt beim „TAF 301" 16 Sekunden. Vgl. Arnold (1991: Iii.). Vgl. Gumpen (1989: 249). Stiftung Warentest (1980: 113). Deutsche Telekom, Bedienungsanleitung Modell „TAF 301". Vgl. Clark/Carlson (1982), Dieckmann (1981), Hoffmann (1984), Presch (1985a), Presch (1985b), erstmals Wunderlich (1972: 37). Vgl. Kühn (1995: bes. 47ff.). Dieckmann (1981: 266).

49 gemeinte und absichtliche als auch nichtgemeinte, unbeabsichtigte oder ungewollte Adressaten. Kühn stellt zudem fest, dass sich Mehrfachadressierungen bei Zeitstruktur, Qualität und spezifischer Konstellation und nach dem Grad der Konventionalisierung unterschiedlich aufassen lassen, wie er anhand folgenden Schemas zeigt: MEHRFACHADRESSIERTE SPRACHHANDLUNGEN

sukzessive

simultane

monovalente

polyvalente

offene

verdeckte

kodierte

inszenierte

Abb. 2: Mehrfachadressierte Sprachhandlungen163

Bei einer sukzessiven Mehrfachadressierung richtet sich ein Sprecher/Schreiber mit verschiedenen Textpassagen nach und nach an verschiedene Adressaten. Eine Mehrfachadressierung verläuft simultan, wenn sich Sprecher/Schreiber mit ein und derselben Textpassage gleichzeitig an verschiedene Adressaten wenden. Messen Adressaten ein und derselben Nachricht die gleiche Bedeutung zu, handelt es sich nach Kühn um eine monovalente Mehrfachadressierung. Eine Nachricht, der Adressaten mehrere Bedeutungen geben, bezeichnet Kühn als eine polyvalente Mehrfachadressierung. Kühn unterscheidet bei den verdeckten Mehrfachadressierungen noch zwischen offenen oder verdeckten. Bei verdeckten Mehrfachadressierungen trennt Kühn zwischen kodierten oder inszenierten. Kühn unterscheidet darüber hinaus hinsichtlich der Beschreibung des Adressaten und der Adressierung noch zwischen Adressierungsform, die direkt, indirekt und implizit sein kann, und der Adressierungsart. Die Adressierungsart bemisst sich an den Kriterien Absicht, Wille und Bewusstheit. Sind Adressierungsform und Adressierungsart kongruent, spricht Kühn von einer offenen Mehrfachadressierung. Ergeben sich Inkongruenzen oder Verschiebungen, handelt es sich um eine verdeckte Mehrfachadressierung, die wie in einem Arbeitszeugnis verschlüsselt oder in einem Politiker-Interview insze163

Vgl. Kühn (1996).

50 niert sein kann. Insgesamt schlägt Kühn folgende Typologie von Mehrfachadressierungen vor: MEHRFACHADRESSIERUNGEN

absichtliche

willentliche

bewußte

In Kauf genommene

unfreiwillige

unabsichtliche

fahrlässige/ versehentliche

unverschuldete

unbewußte/ routinierte

Abb. 3: Mehrfachadressierungen 164

Kühn räumt ein, dass diese Differenzierungen keinen definitorischen Zwecken dienen können, da eine Mehrfachadressierung im Einzelfall nicht als absichtlich, willentlich oder bewusst klassifiziertert werden könne. Dies sei allein deshalb nicht sinnvoll, weil es sich hier um mentale Komponenten handele und die Handlungsbeteiligten selbst oft nicht entscheiden könnten, ob im Einzelfall Absicht, Wille oder Bewusstheit vorlag und es keine objektiven Verfahren zu ihrer Evaluierung gebe. 165 Obwohl es sich hierbei also um idealtypische Unterscheidungen handelt, bieten diese eine Basis, um ABTexte als mehrfachadressierte Sprachhandlungen zu diskutieren. Die Frage nach der Mehrfachadressierung von Anrufertexten lässt sich aber nicht pauschal, sondern nur fallweise beantworten. Wenn ein Anrufer auf einen bestimmten AB spricht, ist der Anrufertext zumindest auf die gewählte Telefonnummer bezogen einfach adressiert. Anschlussnutzer können aber auch mehrere Personen sein. Welche Art Mehrfachadressierung in einer konkreten Kommunikationssituation vorliegt, hängt von der Zahl der unter einer Telefonnummer erreichbaren Personenzahl und dem Wissen des Anrufers über die Größe dieses Adressatenkreises ab: Hat der Sprecher keine Kenntnis über die Anzahl der über eine Telefonnummer erreichbaren Personen, kann er nicht davon ausgehen, dass sein Text einfach adressiert ist. Er muss so berücksichtigen, dass sein Text mehrfach adressiert sein könnte. Selbst bei Anrufertexten, die auf einen AB gesprochen werden, den nach Kenntnis des Sprechers ausschließlich eine Einzelperson nutzt, muss man von einer in Kauf genommenen Mehrfachadressierung sprechen. Der Anrufer 164 165

Kühn (1995). V g l . Kühn (1995: 62).

51 adressiert in diesem Fall prinzipiell zwar einen Einzelnen, hat aber keine Kontrolle, wie viele Personen möglicherweise zuhören oder den Text später zu hören bekommen. 166 Weiß der Sprecher, dass mehrere Personen den AB nutzen, kann es sich um eine absichtliche und willentliche Mehrfachadressierung handeln. Der Text kann bewusst an die Gesamtheit der Gerätenutzer gerichtet sein. 167 Ruft jemand auf einem Anschluss an, den mehrere Personen nutzen, ist dies eine in Kauf genommene Mehrfachadressierung - auch wenn sich der Sprecher nicht an die Gesamtheit der unter der gewählten Telefonnummer erreichbaren Teilnehmer, sondern an eine Einzelperson wendet. Denn der Anrufer hat keine Gewähr, dass nicht jemand anders die Nachricht abhört. Ist das mehrfachadressierte Sprechen Gewohnheit geworden und unbewusst, ließe sich die Mehrfachadressierung als routiniert bezeichnen. Anders als Anrufertexte sind Ansagetexte prinzipiell mehrfachadressiert. Die Mehrfachadressierung liegt in der Kommunikationssituation bzw. in der Aufgabe der Textsorte begründet. AB dienen dem Gerätenutzer dazu - obwohl abwesend oder anderweitig verhindert - telefonisch erreichbar zu sein. Bei Abwesenheit kann der Nutzer zudem nicht bestimmen, wie viele Anrufer den Text hören sollen. Ich gehe daher zunächst davon aus, dass es sich bei Ansagetexten auch um eine absichtliche und willentliche Form der Mehrfachadressierung handelt, zu der sowohl mono- als auch polyvalente Mehrfachadressierungen gehören. Dass jemand einen Ansagetext persönlich adressiert, ist trotzdem nicht ausgeschlossen. Wer z.B. einen wichtigen Anruf erwartet, kann seinen Ansagetext ausschließlich nach den Bedürfnissen dieses Anrufers zu sprechen. Inhalt könnten spezifische Informationen wie ,Ich bin erst in einer Viertelstunde am Bahnhof, bitte warte dort' sein. 168 Obwohl sich aber der gesamte Ansagetext oder Teile an eine Einzelperson richten lassen, handelt es sich dabei dennoch um eine zumindest in Kauf genommene Mehrfachadressierung, denn der Besitzer eines AB kann sich nicht sicher sein, dass der für eine Einzelperson gedachte Text oder Textteil auch nur von dieser gehört wird.

166

Es ist erlaubt, Dritte über Lautsprecher mithören zu lassen (BGH, 2. Strafsenat v. 10.8.1993), Az. 2StR 400/93); vgl. Bundesgerichtshof (1993: 335ff.). 167 Merkmal absichtlicher Mehrfachadressierungen ist, dass eine Äußerung in Bezug auf die verschiedenen Adressaten unterschiedlichen Handlungsmustern zugeordnet werden muss. Im Hinblick auf Anrufertexte ist die Polyvalenz einer mehrfachadressierten Sprachhandlung nicht auszuschließen. Ich gehe aber trotzdem von der Möglichkeit aus, dass verschiedene Adressaten einen Anrufertext demselben Handlungsmuster zuordnen können. Ich erweitere die Kategorie der absichtlichen Mehrfachadressierungen um monovalente Äußerungen; vgl. Kühn (1995: 63). 168 Ein Ansagetext kann als Zusatz auch Informationen für einen spezifischen Adressaten enthalten; vgl. Boldog (1993: 3).

52 Selbst wenn der AB-Besitzer einen Anruf zu einem ganz bestimmten und vereinbarten Zeitpunkt erwartet und den Ansagetext kurz zuvor spricht, weil er zum verabredeten Zeitpunkt nicht telefonieren kann oder möchte, ist unsicher, dass nicht doch noch jemand anders vorher den Text abhört. Dies wird umso wahrscheinlicher, je länger sich ein AB-Besitzer außerhalb der Hörweite des Gerätes befindet. Es lässt sich dann nicht entscheiden, ob es sich in diesem Fall noch um eine in Kauf genommene Mehrfachadressierung handelt. Bei längerer Abwesenheit kann man davon ausgehen, dass ein Ansagetext von mehreren Anrufern gehört, die Mehrfachadressierung demnach auch realisert wird. Genaugenommen ist in diesem Fall auch ein von der Intention her einfachadressierter Text unfreiwillig mehrfachadressiert. Aus den Bedingungen der Mehrfachadressierung ergeben sich für die Produzenten eines Anrufer- und eines Ansagetextes eine Anzahl von Überlegungen, bei denen eine Vielzahl grundlegender Faktoren (Adressat, Inhalt, situativer Rahmen etc.) zu berücksichtigen sind. Mit den Erfahrungen darüber, „welche Verfahren in Verbindung mit bestimmten globalen Mustern sich in bestimmten Situationen als erfolgreich erwiesen haben" 169 , stehen Interagierenden aber strategische Konzepte zur Verfügung, um erfolgreich kommunizieren zu können. Heinemann/Vieh weger nennen hier „die Musteradaptation, die Adressatenorientierung und die Prädikationslinearisierung" 170 . Schellenberg stellt auf der Basis der genannten Konzepte verschiedene Herstellungsverfahren für Ansagetexte vor. 171 Neben dem medialen Rahmen der Kommunikationssituation, den es zu bewältigen gilt, stellt der AB seinen Nutzer vor eine weitere anspruchsvolle Aufgabe: Er muss korrekt einschätzen, ob der anzunehmende Adressatenkreis homogen oder heterogen ist, und dann den Text dem Adressatenkreis anpassen. Besteht der angenommene Adressatenkreis aus einer homogenen Gruppe, dessen Sprach- und Wissensvoraussetzungen sich gut einschätzen lassen, erleichtert dies den Anpassungsprozess. Je weniger aber der Textproduzent über die Adressatengruppe weiß, j e abstrakter und je inhomogener diese Gruppe möglicherweise ist, desto eher kommt der Textproduzent nach Hoffmann in das Verständlichkeitsdilemma: „Wer allen etwas sagen will, kann nur wenigen Spezifisches sagen. Wer Spezifisches sagt, schließt viele aus." 172 Von einem homogenen Adressatenkreis kann man bei Ansagetexten nur ausgehen, wenn der AB an einem Telefonanschluss betrieben wird, dessen Nummer nur wenige kennen. Durch eine Art Geheimnummer können ABNutzer unter potenziellen Anrufern selektieren. Auf diese Weise lässt sich ein 169 170

171 172

Heinemann/Viehweger (1991: 158). Heinemann/Viehweger (1991: 159); die Autoren beziehen sich auf die strategischen Grundkozepte von Enkvist (1987: 19ff.). Vgl. Schellenberg (1997: 234). Hoffmann (1984: 75); vgl. auch Groeben (1982) und Groeben/Christmann (1989).

53 homogener Adressatenkreis herstellen. Die Telefonnummern meiner Untersuchungsteilnehmer waren aber öffentlich. Eine allgemein zugängliche Telefonnummer lässt auch Anrufe von Unbekannten zu. Daher kann ich bei den Teilnehmern von einem inhomogenen Adressatenkreis ausgehen Hoffmann nennt drei Wege, sich auf einen inhomogenen Adressatenkreis einzustellen: • • •

Sprecher/Schreiber orientieren sich am anspruchsvollsten Teil der Adressaten und knüpfen an dessen Erwartungen, Wissen und sprachliche Fähigkeiten an. Sprecher/Schreiber orientieren sich an den Vorausetzungen des größten Teils der Adressaten. Sprecher/Schreiber orientieren sich an den Adressaten mit den geringsten Voraussetzungen. 173

Auf Ansagetexte übertragen bedeutet dies, dass sich der Textproduzent bei inhomogenem Adressatenkreis lediglich an einer mehr oder minder großen Teilmenge potenzieller Anrufer orientieren und die Belange und Bedürfnisse eines variabel großen Teils des Adressatenkreises weniger berücksichtigt. Anrufern fällt die Adressatenorientierung leichter, weil diese durch die Wahl einer Telefonnummer selektieren. Anrufer haben die Gelegenheit, ihren Text entsprechend dem Bekanntheitsgrad des Adressaten auszurichten. Mit steigendem Bekanntheitsgrad wachsen Adressatenwissen und Kenntnisse über eine mögliche (wenn auch ohne Gewähr) Einzeladressierung oder im Fall einer Mehrfachadressierung über Homogenität/Heterogenität des Adressatenkreises. Das Adressatenwissen spielt auch bei der Entscheidung über die qualitativen und quantitativen Textmerkmale eine große Rolle. Bei der Gestaltung eines Ansagetextes muss der Sprecher auch im Hinblick auf Textfunktionen und Textmenge Verfahrensentscheidungen treffen, dabei seine eigenen Ziele berücksichtigen und die potenzieller Adressaten antizipieren. 174 Er muss sich fragen, welche Funktionen der Text in welchem Umfang für welche Adressaten erfüllen soll. Schellenberg nennt Textherstellungsverfahren, mit deren Hilfe sich ein Ansagetext konzipieren lässt. Zu diesen Verfahren gehören: Entscheidungen über Textentfaltungsprozesse: z.B. über die Informationsmenge zum Thema/zur Grundintention (Selbstdarstellung: nur Namens- oder NummerAngabe oder beides, nur Angaben zur Abwesenheit oder auch zur Rückkehrzeit [...]; Entscheidungen über strategische Verfahrensschritte, also darüber, wie der ATA [=Ansagetext; Anm. von mir] informieren bzw. steuern soll: ob z.B. verdichtet oder aufgelockert informiert werden soll; ob zur Abwesenheit nur knappe Informationen oder auch Gründe angegeben werden sollen; ob der Anrufer sachlichdistanzierend oder emotional-aufmunternd zur Äußerung zu bewegen ist 175 .

173 174 175

Hoffmann (1984: 75f.); den Begriff „Erwartung" erklärt Falkner (1997: 87). Zur Antizipation von Rezipientenreaktionen vgl. Zimmermann (1984: 138f.). Schellenberg (1997: 234).

54 Die genannten Verfahren lassen sich auch bei der Gestaltung von Ansagetexten anwenden. Dabei unterliegt die Textentfaltung dem vom Adressaten oder technisch vorgegebenen Zeitrahmen. Die strategischen Verfahrensschritte die Entscheidungen z.B. über eine sachlich-distanzierte vs. emotionalaufmunternde Aufforderung zum Sprechen - sind dagegen eher eine Sache der Adressatenorientierung. Neben den beiden bereits angeführten gibt Schellenberg noch einen dritten Aspekt an, der bei der Produktion eines Textes berücksichtigt werden kann. Er nennt hier Entscheidungen über taktisch-spezifizierende Einzelverfahren: z.B. rituelle Kontaktverfahren (Begrüßung, Dank) oder Verfahren zur emotionalen Verstärkung (z.B. Humor-Mittel) oder Verfahren zur Auflockerung der Gesprächssituation (Einsatz von Repliken der Alltagskommunikation). 176

Anrufer und Ansagetextproduzenten können demnach zunächst prüfen, ob es bereits Muster gibt, mit deren Hilfe sie eine bestimmte kommunikative Aufgabe bewältigen können. Erlaubt die Situation verschiedene Lösungswege, können sie möglicherweise zwischen verschiedenen Mustern wählen. Ist eine Wahl getroffen, müssen sie weiterhin entscheiden, ob der Text gegenüber dem jeweiligen Muster Konformität oder Abweichung anstreben soll.177 Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Frage, wie weit die gewählte Variante von vorliegenden taktisch-spezifizierenden Einzelverfahren abweichen soll. Auch hierbei müssen AB-Besitzer den jeweiligen Adressatenkreis berücksichtigen. Es zeigt sich, dass mehrfachadressierte Anrufer- und Ansagetexte eine komplexe kommunikative Aufgabe sind. Die bei Schellenberg genannten Verfahren der Textherstellung zeigen aber, welche Lösungswege es gibt. Hierbei wird deutlich, dass die Produktion von AB-Texten eine große Zahl Entscheidungsknoten durchlaufen muss. Der fertige Text soll ein gelungenes Produkt dieses schwierigen Evaluationsprozesses sein. Jeder Entscheidungsknoten impliziert aber die Möglichkeit, die falsche Wahl zu treffen und damit negative Effekte für die Kommunikation zu schaffen. 178 Ansagetexte werden anruferreaktiv abgehört. Soweit die Telefonnummer des Angerufenen öffentlich ist, kann sich dieser seine Anrufer nicht aussuchen. So können Disharmonien zwischen Anrufer und einem spezifischen Ansagetext auftreten.Es wäre für die AB-Kommunikation ideal, wenn man herausbekommen könnte, welche Art Ansagetext den Anrufer zu einem eigenen Text animiert und welche ihn abstößt, „so dass er lieber wieder auflegt, ohne selbst etwas zu sprechen" 179 . Auch Hess-Lüttich fragt danach,

176 177 178 179

Schellenberg (1997: 234); vgl. dazu Heinemann/Viehweger (1991: 159). Vgl. Enjvist(1987:27). Vgl. Hoffmann (1984: 75ff.). Naumann (1994: 440).

55 welches zum einen die optimalen Vertextungsstrategien, Prosodien und Codekombinationen sind, den jeweiligen Anrufer Uberhaupt zur Antwort zu veranlassen, ohne die Allgemeingültigkeit der Aussage für eine disperse Menge potenzieller Anrufer einzuschränken und zum anderen, inwieweit eine Interdependenz zwischen der 180 Form des Ansagetextes und der des Antworttextes [...] besteht.

Dass es sich hierbei in der Tat um eine - wie Hess-Lüttich feststellt - „interessante dialoglinguistische Aufgabe" 181 handelt, wird deutlich, wenn man Uber die Konsequenzen sprachlichen Handelns bei der Produktion eines Ansagetextes nachdenkt: In jedem Fall wird der Anrufer an der Vielzahl von Verfahrensentscheidungen - welche auch immer getroffen werden - beteiligt. Er ist der Hörer des Resultats, mit dem der Angerufene sprachlich handelt. Der Anrufer ist in dieser Situation der sprachlich .Behandelte'.

3.3 AB-Kommunikation und Mediengespräche Gegenstand der vorangegangenen Kapitel waren die kommunikativen und textuellen Merkmale der AB-Kommunikation. Die linguistische Forschungsliteratur erklärt AB-Kommunikation z.T. aber auch durch andere Begriffe. Nickl/Seutter verwenden dazu den Begriff „Gespräch" 182 , bei Naumann findet sich der Terminus „Dialog" 183 . Auch in der Alltagssprache finden wir neben Gespräch noch zusätzlich Ausdrücke wie Dialog und Konversation. Brinker/Sager unterscheiden diese voneinander und stützen sich dabei auf den Duden. Danach bedeute der Ausdruck Konversation mehr die konventionelle, oberflächliche und unverbindliche Unterhaltung. Dialog meine dagegen das ernsthafte Gespräch über ein bedeutungsvolles Thema. 184 Brinker/Sager erläutern allerdings nicht, was ein ernsthaftes Gespräch oder ein bedeutungsvolles Thema ist. Offenbar liegen besonders die Ausdrücke Dialog und Gespräch so dicht beieinander, dass man sie nur schwer unterscheiden kann. Das Duden-Bedeutungswörterbuch belegt beide Ausdrücke als sinnverwandt und erklärt Dialog als Gespräch zwischen zwei oder mehr Personen. 185 Analog zu den Unterscheidungsschwierigkeiten in der Alltagssprache hat die Sprachwissenschaft Probleme, zwischen den entsprechenden Begriffen zu trennen. Techtmeier stellt fest, dass vor allem die unterschiedliche Provenienz der Impulse für die Forschungen im Bereich der Gesprächsanalyse 180 181 182 183 184 185

Hess-Lüttich (1990: 253). Hess-Lüttich (1990: 253). Nickl/Seutter (1995). Naumann (1994). Brinker/Sager (1996: 9); vgl. auch Drosdowski et al. (Hgg. 1985: 391). Vgl. Drosdowski et al. (Hgg. 1985: 178 und 298).

56 dazu geführt hat, dass auf diesem Gebiet eine relativ große Begriffsunklarheit und damit verbunden terminologische Verwirrung herrscht. 186 Die linguistische Fachliteratur belegt, wie schwer sich „Gespräch" und ,.Dialog" voneinander abgrenzen lassen: So verweisen Fritz und Hundsnurscher im Sachregister unter dem Eintrag für „Dialoge" auf das Stichwort „Gespräch" und unter „Gesprächstypen" auf „Dialogtypen". 187 Henne ergänzt die Begriffe „natürliches Gespräch" und „fiktionales Gespräch" mit den Klammerausdrücken „Alltagsdialog" bzw. „literarischer Dialog". 188 Henne/Rehbock diskutieren den Unterschied zwischen den Begriffen „Dialog", Gespräch" und „Unterredung" anhand der „Deutschen Synonymik" von Eberhard. 189 Im Gegensatz zu „Unterredung" und „Gespräch" gehört nach Eberhard zum Dialog „ein Thema von allgemeiner menschlicher Wichtigkeit" 190 . Weigand schlägt vor, zwischen zwischen „Dialog" und „Gespräch" anhand der Anzahl der beteiligten Personen zu trennen und „Dialog" für Zweipersonengespräche zu reservieren. 191 Hess-Lüttich spricht sich aber gegen eine terminologische Verengung des Dialogbegriffs aus. Er argumentiert mit dem Alltagssprachgebrauch und hält „Dialog" gegenüber „Gespräch" für das umfassendere Konzept. Hess-Lüttich stützt seinen Einwand mit Belegen wie dem „Dialog der Supermächte, Kirchen oder Kulturen" sowie dem „Dialog zwischen Regierung und Bürger" oder dem zwischen ,.Mensch und Maschi„o"

192

ne . Verschieden sind auch „Dialog" und „Konversation". Hirzel unterscheidet den Dialog von der Konversation, d a , jener sich erörternd in die Gegenstände versenkt und deshalb nicht wie ein Schmetterling von einem zum anderen flattern kann" 193 . Hess-Lüttich unterscheidet ähnlich. Er sieht „Konversation" im Deutschen, anders als beim englischen „conversation", „vom ritualisierten Geplauder in zwanglos-natürlicher Atmosphäre nicht weit entfernt." 194 Schank/Schwitalla ergänzen „Dialog" neben „Gespräch" noch durch „Diskurs". 193 In der Sprachwissenschft gibt es auch über diesen Begriff verschiedene Auffassungen. Ehlich verweist auf unterschiedliche Konzeptionen wie den Habermasschen Diskursbegriff, den französischen Begriff des „discours" 186 187 188 189 190 191 192 193 194 195

Vgl. Techtmeier (1984: 10). Vgl. Fritz/Hundsnurscher (Hgg. 1994: 566 und 569). Vgl. Henne (1984: 3). Vgl. Henne/Rehbock (1995: 9). Eberhard (1853: 436). Vgl. Weigand (1986: 123). Vgl. Hess-Lüttich (1989: 178) Hirzel (1895: 5). Hess-Lüttich (1989: 178). Schank/Schwitalle (1980).

57 sowie auf die amerikanische Verwendungsweise und den Gebrauch von „discourse" in der englischen „discourse analysis". 196 Ein ebenfalls voneinander abweichendes Verständnis von „Diskurs" kommt bei Brünner/Graefen und Hess-Lüttich zum Ausdruck. Hess-Lüttich reserviert „Diskurs" für die (sprach-) philopsophische, kommunikationssoziologische oder texttheoretische Reflexion dialogförmiger Interaktionsmodalitäten (z.B. in der Rede über narrative, argumentative, metakommunikative etc. Diskurstypen) 197 .

Nach Brünner/Graefen sind unter Diskurs Einheiten und Formen der Rede, der Interaktion, zu verstehen, die Teil des alltäglichen sprachlichen Handelns sein können, die aber ebenso in einem institutionellen Bereich auftreten können. Mündlichkeit ist zwar keine alle Formen diskursiven Handelns kennzeichnende Eigenschaft, ist aber sehr wohl der charakteristische Fall. [...] Zugleich läßt sich auch die Gesamtheit der Interaktionen zwischen Angehörigen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen (z.B. Arzt - Patient, Wissenschaftler, Politiker - Bürger) oder innerhalb eines ausgewiesenen gesellschaftlichen Bereiches (z.B. der Lehr-Lern-Diskurs in Schulen und anderen Ausbildungsinstitutionen) zusammenfassend als Diskurs bezeichnen. 198

Hier wird deutlich, dass es neben einer engen Auffassung von „Diskurs", wie Hess-Lüttich sie vertritt, auch einen weiter gefassten Diskursbegriff gibt, der Gemeinsamkeiten mit dem Gesprächsbegriff hat. „Gespräch" und „Diskurs" können beide Teil des sprachlichen Handelns im Alltag und institutionellem Bereich sein. Beide lassen sich auch als Form der Rede verstehen - der Diskurs kann mündlich sein, ist es oft auch. Der Gesprächsbegriff setzt aber voraus, dass die Kommunikation mündlich ist. Zudem umfasst „Gespräch" nicht eine Gesamtheit von Interaktionen. Wichter nimmt an, dass über dem Gespräch als mittlerer Kommunikationsform weitere Ebenen großer Kommunuikationsformen existieren, Kommunikationsformen, in denen das Gespräch [...] Element und Idee zugleich ist. 199 Ein Gespräch kann daher in einen Diskurs eingebettet und z.B. als ein Gespräch von vielen Teil eines Diskurses sein, der wiederum z.B. als gesellschaftlicher Diskurs über ein umfassendes Thema wie .Genforschung', ,Umwelt' oder ,Terrorismus' neben Gesprächen auf der Straße, am Stammtisch oder im Fernsehen auch schriftliche Texte wie Briefe oder Zeitungsberichte umfassen kann. Für die Zwecke meiner Untersuchung ist die Konzeption von „Diskurs" daher im Vergleich zu „Gespräch" zu weit.

196 197

198 199

Vgl. Ehlich (1991: 134). Hess-Lüttich (1989: 178); zur „Metakommunikation" vgl. Watzlawick et al. (1990), Schwitalla (1976: 90f.) und Schwitalla (1979). Brünner/Graefen (1994: 7f.). Vgl. Wichter (1999: 263).

58 „Konversation" und „Unterredung" sind dagegen zu spezifisch. Eine Konversation ist in Richtung Plauderei mehr unverbindlich und zwanglos. Sie wird in etwa wie ein Small-Talk oft nur um der Unterhaltung willen geführt. 200 „Konversation" kann m.E. zudem etwas .Gestelztes' an sich tragen. Eine Unterredung wiederum bezeichnet das Duden-Bedeutungswörterbuch als „wichtiges, meist formelles Gespräch, bei dem bestimmte Fragen besprochen, verhandelt werden" 201 . Weniger trennscharf sind dagegen m.E. ,.Dialog" und „Gespräch", denn es gibt auch Gespräche, die ein ernstes oder bedeutungsvolles Thema zum Gegenstand haben können - zu denken wäre etwa an Abrüstungs-, Streit-, oder Vorstellungsgespräche. Auch dürften die „2+4-Gespräche" zur Wiedervereinigung Deutschlands (zwischen beiden deutschen Staaten, den USA, England, Frankreich und die Sowjetunion) einem ,Dialog der Supermächte' an Ernsthaftigkeit in nichts nach gestanden haben. Im Gegensatz zu HessLüttich halte ich den „Dialog" im Alltagssprachgebrauch daher nicht zwingend für das umfassendere Konzept. 202 Gerade im Alltag sprechen wir eher von Gesprächen und führen oft auch gewöhnliche „Alltagsgespräche" 203 . „Gespräch" ist m.E. der allgemeinere Begriff. Ich ziehe ihn daher „Dialog" und auch den anderen Begriffen vor. Brinker/Sager und Henne/Rehbock besprechen, was sie unter „Gespräch" verstehen. 204 Kontrovers wird dabei z.B. der Vorschlag Dittmanns diskutiert, der ausgehend vom Goffmanschen Konzept der zentrierten Interaktion „Gespräch" auf Interaktionen einschränkt, in denen ein bestimmtes Thema sprachlich konstituiert wird. 205 Henne/Rehbock kritisieren diese Position als zu restriktiv. Sie argumentieren mit der Verwobenheit thematischen und handlungsbegleitenden Sprechens und verstehen „Gespräch" u.a. als thematisch zentrierte Interaktion. Brinker/Sager ist dieses noch zu eng. Sie sprechen von „thematischer Orientierung" und fügen hinzu, dass sie mit diesem Kriterium auch eine minimale Kohärenzanforderung formulieren, die besagt: Zwischen den Äußerungen muss ein minimaler thematischer Zusammenhang bestehen, wenn die Äußerungsfolge als Gespräch gelten soll. Sie definieren „Gespräch" als eine „begrenzte Folge von sprachlichen Äußerungen, die dialogisch ausgerichtet ist und eine thematische Orientierung aufweist." 200

Vgl. Müller (1985: 391). Müller (1985: 685). 202 Schegloff (1968: 1075f.) legt dar, dass „dialogue" im Vergleich zu „conversation" spezifischer ist. 203 Vgl. Henne/Rehbock (1995: 28). 204 Vgl. Brinker/Sager (1996: 9ff.), Henne/Rehbock (1995: 12ff. und 261f.); vgl. auch Cherubim (1984: 128ff.). 205 Vgl. Dittmann (1979: 3ff.), Goffman (1973: 7). 201

59 Die Autoren erläutern, dass sie mit dem Äußerungsbegriff den Aspekt der Mündlichkeit von Gesprächen betonen. Eine Äußerungsfolge meint weiterhin, dass verschiedene Sprecher beteiligt sind und dass es sich um dialogische Kommunikation handelt. Damit ist für ein Gespräch konstitutiv, dass ein Sprecherwechsel stattfindet. Henne/Rehbock halten dieses Merkmal sogar für das hervorstechende. Als weiteres konstituierendes Merkmal des Gesprächs nennen Brinker/Sager einen in zeitlicher Hinsicht unmittelbaren Kontakt zwischen den Kommunizierenden. Ein Gespräch trägt daher zusammenfassend folgende Merkmale: 1. Mündlichkeit, 2. zeitliche Unmittelbarkeit, 3. Begrenztheit, 4. dialogische Ausrichtung, 5. Thematische Orientierung. Damit ist festgelegt, was ich im Rahmen der Untersuchung unter dem Begriff „Gespräch" verstehe. Ungeklärt ist noch, ob AB-Kommunikation als „Gespräch" erklärt und als Gegenstand der Gesprächsforschung behandelt werden kann. Nickl/Seutter sprechen dieses Problem an und stellen fest, dass eine Beschäftigung mit AB-Texten eine Auseinandersetzung mit grundlegenden theoretischen Fragen der Gesprächsanalyse ist. Der Gesprächscharakter von Texten auf dem AB sei nicht unproblematisch. Die Autoren diskutieren, inwiefern Texte auf dem AB eigenständige Gespräche sind und stellen dabei Fragen, die sowohl das Problemfeld Monolog-Dialog betreffen, als auch die Mündlichkeit und Schriftlichkeit von Texten berühren. 206 3.3.1 Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der AB-Kommunikation Fragen zur Mündlichkeit und Schriftlichkeit werden nicht erst seit Erfindung des AB gestellt. In seinem Festvortrag auf der Hauptversammlung des Deutschen Sprachvereins in Zittau hatte Otto Behaghel bereits 1899 über die Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache nachgedacht. 207 Von da an gerechnet dauerte es 60 Jahre, bis die Unterschiede zwischen gesprochenem und geschriebenem Deutsch einen Forschungszweig der Sprachwissenschaft begründeten.208 Beinahe ein Jahrhundert später bezeichnet Weigand die Forschungslage darin als verwirrend, denn:

206 207 208

Vgl. Nickl/Seutter (1995: 258). Vgl. Behaghel (1927). Vgl. Schwitalla (1997: 14).

60 Die Auffassungen, die in der Literatur zum mündlichen und schriftlichen Sprachgebrauch vertreten werden, sind so vielgestaltig und kontrovers, daß man kein Stück vorankommen kann, ohne beim nächsten Schritt wieder zurückgeworfen zu werden. Jede denkbare Position in diesem Spiel von Beschreibungsmöglichkeiten hat ihre Verfechter. 209 Weigand und Klein erteilen einer Polarisation von gesprochener Sprache und geschriebener Sprache eine Absage. 2 1 0 Portmann verweist darauf, dass gesprochene Sprache und geschriebene Sprache multidimensionionale Konstrukte sind und belegt dies anhand der Studie Bibers, die „keine eindeutige Differenzierung entlang der Dichotomie schriftlich/mündlich" 211 erbringt: This analysis shows that there is no single, absolute difference between speech and writing in English; rather there are several dimensions of variation, and particular types of speech and writing are more or less similar with respect to each dimension. 212 D i e Crux der Debatte führen Koch/Oesterreicher 213 auf ein terminologisches und konzeptionelles Problem zurück, das der folgende Abschnitt behandelt.

3.3.1.1 Konzepte mündlichen und schriftlichen Sprachgebrauchs Koch/Oesterreicher stellen fest, dass die Termini „mündlich"/„schriftlich" im doppelten Sinne verwendet werden. Demnach beziehen sie sich einerseits auf die mediale Realisierung - hier meint „mündlich" „phonisch" und „schriftlich" „graphisch". Andererseits beziehen sie sich auf die Modalität der Äußerungen sowie die verwendeten Varietäten, kurz: die Konzeption, die die Gestaltung von Äußerungen prägt. 214 Koch/Oesterreicher stellen dies anhand des folgenden Gesamtschemas dar:

209

210 211 212

213 214

Weigand (1993: 137); vgl. auch Baurmann et al. (Hgg. 1993), Baurmann/Weingarten (Hgg. 1995), Günther/Ludwig (1994) und Günther/Ludwig (1996), Koch/Oesterreicher (1994:587ff.), Ludwig (1983) und Ludwig (1983a), Nussbaumer (1991), Olson (1997), Raible (1994: 1-17), Sieber (1994) und Sieber (1998), Sieber/Sitta (1986: 124ff.). Vgl. Weigand (1993: 143) und Klein (1985a: 14f.) sowie Behaghel (1927: 24). Portmann (1991: 257). Biber (1988: 199); zuvor bereits Chafe (1984); Weigand (1993: 143) vermutet, dass sich das Deutsche kaum anders verhalten wird; vgl. auch Steger (1987: 43ff.) und Mötsch (1992: 244ff.). Vgl. Koch/Oesterreicher (1986) und Koch/Oesterreicher (1994). Vgl. auch Söll (1985); Vorschläge zur Terminologie von Untersuchungen im Bereich der Schriftlichkeit machen Ludwig (1980) und Ludwig (1983c).

61 Kommunikationsbedingungen C

V

:

Dialog ^ Vertrautheit der Partner /aci-/o-/are-interaktion freie Themenentwicklung keine Öffentlichkeit Spontaneität 'involvement' Situationsverschränkung Expressivität Affektivität J

Monolog Fremdheit der Partner raum-zeitliche Trennung Themenenfixierung Öffentlichkeit Reflektiertheit 'detachment' Situationsentbindung Expressivität Objektivität

Versprachlichungsstrategien: r

-

Prozeßhaftigkeit ^ Vorläufigkeit geringere: Informationsdichte Kompaktheit Integration Komplexität Elaboriertheit Planung V. J

Abb. 4: Sprache der Nähe - Sprache der Distanz 2 1 5

215

Vgl. Koch/Oesterreicher (1986: 23).

r

-\

Verdinglichung Endgiiltigkeit größere: Informationsdichte Kompaktheit Integration Komplexität Elaboriertheit Planung

62 Während sich bei der medialen Realisierung zwischen schriftlich und mündlich streng dichotomisch differenzieren lässt, sprechen die Autoren mit „Konzeption" ein Kontinuum mit Abstufungen an, das sich zwischen zwei Polen erstreckt. Diese Endpunkte des Kontinuums nennen sie „Sprache der Nähe" für die Bedingungen extremer Mündlichkeit und „Sprache der Distanz" für extreme Schriftlichkeit. Die Dreiecke in diesem Schema markieren die Affinität der jeweiligen Konzeption zum Medium, die relative Position der Äußerungsformen a-k bezeichnet den Grad der Nähe bzw. Distanz. Innerhalb des konzeptionellen Kontinuums mischen sich nähe- und distanzsprachliche Komponenten im Rahmen der einzelnen Parameter und konstituieren damit bestimmte Äußerungsformen. Das Kontinuum muss man sich dabei als einen mehrdimensionalen Raum vorstellen. Dieses lässt sich auch anhand eines Modellvorschlags von Cherubim verdeutlichen:

Erläuterung: a = mündlich; b = schriftlich; c= spontan; d = kontrolliert; e = direkt; f = indirekt Kombinationen: (1) a + c + e : Alltagsgespräch (2) a + c + f + Telefongespräch (3) a + d + e : Vortrag (4) a + d + f : Vorlesung

(5) (6) (7) (8)

b b b b

+ + + +

c + e : Notiz/Mitteilung c + f : Brief d + e : Rezept d + f : Antrag

Abb. 5: Dreidimensionales Modell des Sprachverhaltens216

216

Cherubim (1989: 18f.).

63 Cherubim wählt aus der Vielzahl für gesprochene und geschriebene Sprache konstitutiver Parameter sechs aus und zeigt, wie sich aus deren Kombination Ausprägungen von Sprachverhalten konstruieren und konkreten Erscheinungen der Sprachwirklichkeit zuordnen lassen. 217 Fiehler nennt hier das Faceto-face-Gespräch und den Brief als jeweilige Prototypen f ü r gesprochene bzw. geschriebene Sprache. Er betont aber zugleich, dass das Formenspektrum sehr viel reicher ist und fordert, dass die Frage nach dem Verhältnis von gesprochener Sprache und geschriebener Sprache differenzierter gestellt werden muss. 2 1 8 Er stellt dazu weiter fest: Die Unterscheidung zwischen Medium als materiellem Realisierungsmodus und Konzeption als geplanter Realisierungsform, wie Koch & Oesterreicher (1986) sie vornehmen, weist in die richtige Richtung, ist aber m.E. noch nicht ausreichend. 219 Nussbaumer und Sieber schlagen zur terminologischen Ordnung und besseren Verständigung eine Differenzierung auf drei Ebenen vor. 2 2 0 D i e erste Unterscheidung ist dichotomisch ohne Übergänge und Zwischenformen: A. Medium/Kanal/Materialisierungsform

Sprechen mündlich realisierte Sprache lautlich realisierte Sprache mündlich code phonique

1

Schreiben schriftlich realisierte Sprache graphisch realisierte Sprache schriftlich code graphique

Abb. 6: Medium/Kanal/Materialisierungsform 221

217 218 219 220

221

Vgl. Cherubim (1989: 18). Vgl. Fiehler (1992: 178f.). Fiehler (1992: 179). Vgl. Nussbaumer (1991: 271ff.); ich beziehe mich folgend vorwiegend auf die Arbeiten von Sieber, der an Nussbaumer anknüpft und dessen Schemata um die französischsprachigen Begriffe von Söll ergänzt; vgl. dazu Sieber (1994: 320f.), Sieber (1998: 184f.), Söll (1985). Vgl. Sieber (1998); um Verwechslungen auszuschließen, verwende ich den Begriff „Medium" nicht als Synonym für „Kanal" und „Materialisierungsform", sondern ausschließlich für Medien wie Telefon, E-mail, AB etc.) im Sinne der o.g. Definition.

64 Auf der zweiten Ebene unterscheidet Sieber skalar zwischen gesprochener und geschriebener Sprache: B. „Varietät" / „Register" / „Sprachform"

gesprochene Sprache Sprechsprache sprechsprachlich Sprechsprachlichkeit code parli

geschriebene Sprache Schreib-/Schriftsprache schreib-/schriftsprachlich Schreib-/Schriftsprachlichkeit code ecrit

Abb. 7: „Varietät" / „Register" / „Sprachform" Diese Skala von Varietäten der gesprochenen und der geschriebenen Sprache erklärt Nussbaumer wie folgt: a)

b)

Einerseits sind es idealtypische Bündelungen von [...] Sprachmitteln, die als einzelne besonders sprechsprachlich oder besonders schriftsprachlich markiert sind. Hier handelt es sich um qualitative Merkmale der „Varietät". Andererseits hat man sie sich auch so vorzustellen, daß in ihnen bestimmte für sich genommen eher .neutrale' - Sprachmittel in einer Häufung auftreten, die das spezifisch Sprechsprachliche oder Schriftsprachliche ausmachen. Das wären quantitative Merkmale der „Varietät".222

Sieber stellt fest, dass für das konkrete Auftreten dieser Varietäten typische pragmatische kommunikativ-situative Bedingungen - genauer Bündelungen von Bedingungen - verantwortlich sind. Er erklärt dieses anhand folgender Argumentationsfigur: Wenn das pragmatische Bedingungsbündel X gegeben ist, realisiert der Sprachproduzent einen Text in der typischen Form der gesprochenen Sprache, wenn jedoch das pragmatische Bedingungsbündel Y gegeben ist, realisiert der Sprachproduzent einen Text in der typischen Form der geschriebenen Sprache.223 Nussbaumer gibt mit der folgenden Tabelle Beispiele für typische Bedingungen - der Produktion, der Rezeption, der Verwendungssituation, der Verwen222

223

Dazu zählen nach Nussbaumer Sprachmittel morphosyntaktischer, lexikalischer und textuell-pragmatischer Art; vgl. auch Goody (1987: 263f.), Koch/Oesterreicher (1986: 27). Vgl. auch Günther (1993: 88) und Portmann (1991: 257).

65 dungsfunktion etc., - die die Produktion gesprochener bzw, geschriebener Sprache begünstigen: Typische pragmatische Bedingungen von gesprochener Sprache

Typische pragmatische Bedingungen von geschriebener Sprache

• mündlich realisiert, lautlich materialisiert

• schriftlich realisiert, graphisch materialisiert

• dialogisch zweiwegig

• monologisch einwegig

• eher privat, wenig Kommunikationspartner

• eher öffentlich, mehr (auch anonyme) Kommunikationspartner

• ungeplant, spontan

• geplant

• kurze Planungszeit (Produktion)

• lange Planungszeit (Produktion)

• kurze Verarbeitungszeit (Rezeption)

• kurze Verarbeitungszeit (Rezeption)

• Zeit-/Ortsgleichheit von Produktion und Rezeption

• Zeit-/Ortsversetztheit von Produktion und Rezeption; 'zerdehnte Sprechsituation'

• mit direktem feedback (für den Produzenten); mit der Möglichkeit der Rückfrage, des Einspruchs) für die Rezipientin

• ohne direktes feedback (für die Produzentin); ohne die Möglichkeit der Rückfrage, des Einspruchs) für den Rezipienten

• an Produzenten und Situation gebundenes sprachliches Produkt (Diskurs, utterance, Sprechhandlung, Praxis)

• von Produzenten und Situation abgelöstes sprachliches Produkt (verbunden mit größerer Text-Autorität, größerer Behaftbarkeit auf den Text) (Text, text, Sprachwerk, Poiesis)

• on untrennbar, empraktisch

• situationsenthoben, verselbständigt und verselbständigbar; 'synsemantisch'

• diverse Zeichenkanäle und Zeichenarten

• ein Zeichenkanal (visuell) und im Wesentlichen eine Zeichenart (verbal)

• etc.

• etc.

66 Nach Sieber erklärt sich das je konkrete, einzelne Vorkommen von typischer gesprochener oder typischer geschriebener Sprache aber nur zu einem kleinen Teil aus diesen je pragmatischen Bedingungen heraus. Er macht den Grund für die Produktion von Varietäten eher in der Nähe von kommunikativen Grundeinstellungen aus und unterscheidet zwischen der kommunikativen Grundhaltung der „Mündlichkeit" und der „Schriftlichkeit" als Extrempunkten einer Skala: C. Kommunikative Grundhaltung

Mündlichkeit

y]

Schriftlichkeit

Ν 1/

Abb. 8: Kommunikative Grundhaltung Sieber erklärt, dass die Varietäten nicht immer wieder ad hoc aufgrund bestimmter pragmatischer Bedingungen realisiert werden. Danach sind gesprochene und geschriebene Sprache so etwas wie fest gewordene Kodes, die Sprachproduzenten in bestimmten Situationen auf Basis ihrer Situationsdefinition wählen. 224 Mit der Situationseinschätzung ist dann eine kommunikative Grundhaltung verbunden, die Sprachproduzenten einnehmen. Die Situationsdefinition ist nach Berens „notwendige Voraussetzung jeglicHen zielgerichteten Handelns" 225 , denn unter gegebenen Bedingungen und mit einer gegebenen Kombination von Einstellungen wird eine unbegrenzte Vielzahl von Handlungen möglich, und eine bestimmte Handlung kann nur dann auftreten, wenn diese Bedingungen in einer bestimmten Weise ausgewählt, interpretiert und kombiniert werden und wenn eine gewisse Systematisierung dieser Einstellungen erreicht wird, so daß eine von ihnen zur vorherrschenden wird und die anderen überragt.226

224

Vgl. Sieber (1994: 321). Berens (1976: 15). 226 Thomas (1975: 85). 225

67 In eine Situationsdefinition fließen Sprecher- und partnerseitige Faktoren ein. Hinzu kommen Faktoren, die nicht personengebunden sind. 227 Der Prozess, der zu einer bestimmten kommunikativen Grundhaltung führt, ist also sehr komplex. Damit ist sprachliches Verhalten in einer konkreten Situation immer das Ergebnis umfangreicher Gewichtungs- und Bewertungsprozesse. Diese muss der einzelne Interaktant gemeinsam mit den Kommunikationspartnern bewältigen, um sich für ein angemessenes Sprachverhalten zu entscheiden. Derart vielschichtig, dürften sich diese Prozesse, die in einer konkreten Kommunikationssituation ablaufen, kaum vollständig abbilden lassen. Ebenso schwierig erscheint es mir, eine von vielen möglichen kommunikativen Grundhaltungen konkret zu beschreiben. Sieber hält hier aber bestimmte Zuordnungen von folgenden Merkmalen zumindest für denkbar: Kommunikative Grundhaltung der Mündlichkeit

Kommunikative Grundhaltung der Schriftlichkeit

• Das Wort nicht so ernst nehmen casual meaning

• Das Wort ,beim Wort' nehmen literal meaning [...]

• orientiert an Nähe

• orientiert an Distanz

• alltagstheoretisches Verstehen .ordinary content' wichtig , sensible speaker/hearer'

• literales Verstehen ,primal content' wichtig

• Common-sense-Wissen zentral

• literales Wissen zentral

• pragmatische Organisation

• textuelle Organisation

• Orientierung an: Praxis - Sprechhandlung • Orientierung an: Poiesis - Sprachwerk • Aggregation

• Integration

• Authentizität

• Sachwissen

• Erfahrungsdiskurs

• Wissensdiskurs 228

Der Prozess, der zu einer bestimmten kommunikativen Grundhaltung führt, ist nicht nur komplex, er kann und muss sich häufig auch dynamisch einer veränderten Situation anpassen können. Ich möchte dies mit Hilfe eines vereinfachten imaginären Beispiels 2 2 9 illustrieren: 227 228 229

Vgl. Herrmann (1982: 48ff.); vgl. auch Antos (1981: 183), Geißner (1988: 65ff.). Sieber (1998: 188f.). Vgl. auch das Beispiel in Linke/Nussbaumer/Portmann (1991: 315f.).

68 Eine beliebige Person, hier Hans genannt, muss folgende Situation und kommunikative Aufgabe bewältigen: Hans plant, sein Arbeitsverhältnis zu ändern, will dazu den Wohnort wechseln und muss dieses der vertrauten Ehepartnerin Heide und dem flüchtig bekannten Vorgesetzten mitteilen. Nachdem Hans also die Kommunikationssituation eingeschätzt hat, könnte er seine kommunikative Aufgabe z.B. so lösen: [Hans] [Heide] Mündlichkeit (z.B. Präferenz für Nähe-Orientierung) gesprochene Sprache Sprechen [Hans] -> [Vorgesetzter] -> Schriftlichkeit (z.B. Präferenz zur Distanz-Orientierung) geschriebene Sprache -> Schreiben

Entsprechend dem Vertrautheitsgrad dürfte Hans mit Heide aus einer Grundhaltung der Mündlichkeit heraus näheorientiert ein Face-to-face-Gespräch führen wollen, für das er sich verstärkt bestimmter Sprachmittel der gesprochenen Sprache bedienen kann. Er möchte seinem Vorgesetzten dagegen dem Vertrautheitsgrad entsprechend vielleicht distanzorientiert begegnen und ihm ein Kündigungsschreiben schicken. Von einer Grundhaltung der Schriftlichkeit aus kann er dazu verstärkt Mittel der geschriebenen Sprache nutzen. Die Kommunikationssituation könnte sich für Hans aber plötzlich ändern: Ehefrau und Vorgesetzter könnten durch Indiskretion seine Pläne kennen, ohne dass er davon weiß. Überraschend erfährt er dann, dass Heide wegen des geplanten Ortswechsels die Scheidung und nur noch per Brief kommunizieren will. Zudem bittet der Vorgesetzte Hans wegen angeblicher Kündigungsgerüchte ohne Vorwarnung zu einem persönlichen Gespräch. In beiden Fällen muss Hans nun eine Lösung für eine veränderte Kommunikationssituation entwickeln. Hans könnte seiner kommunikativen Grundhaltung der Mündlichkeit folgend nun Heide sehr gesprochensprachlich orientiert schreiben. 230 Für das Gespräch mit dem Vorgesetzten könnte er sich getreu der kommunikativen Grundhaltung der Schriftlichkeit dagegen vermehrt typisch schriftsprachlicher Mittel bedienen. Möglich ist aber auch, dass Hans dem Trennungswunsch seiner Frau und der erzwungenen brieflichen Kommunikation nun selbst mit der Sprache der Distanz begegnen möchte und dazu vermehrt Mittel der geschriebenen Sprache verwendet. Auch für das Gespräch mit dem Vorgesetzten sind in diesem fiktiven Beispiel andere Lösungsvarianten vorstellbar. Die wenigen Beispiele sollen hier aber genügen.

230

Nähesprachlich geprägtes Schreiben behandeln Raible (1998: 21 Iff.), Sieber (1998).

69 Mit meinen Überlegungen möchte ich darauf hinweisen, dass Kommunikation in unterschiedlichen Abstufungen auf einer Art Grundhaltung der Mündlichkeit und der Schriftlichkeit fußen kann. Diese aber basiert auf der Situationsdefinition, die wiederum von unzähligen pragmatischen Faktoren beeinflusst sein kann. Viele davon können in gewisser Weise festgelegt sein. Berens weist darauf hin, dass Beteiligten bereits vor Eintritt in eine Interaktion wesentliche Bedingungen bekannt sind, die das Verhalten innerhalb gewisser Spielräume festlegen. 231 Spielräume existieren nach Berens sei es, weil ein oder die Partner diese selbst setzen, sei es, weil die Interaktanten aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe, einer Gesellschaft, deren als Produkt des Zusammenlebens herausgebildete Vorschriften, Normen, Regeln, Traditionen akzeptieren und ihrer Definition der speziellen Situation zugrundelegen.232 Sind alle Faktoren bekannt oder/und festgelegt, lässt sich die Situation vor Eintritt in die Kommunikation klar definieren und im Kontinuum zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit eine Grundhaltung formen. Dieses bedeutet ein Maximum an Vorausplanung. Mein Beispiel illustriert aber, dass Kommunikation oft sehr dynamisch ist. Ändern sich die Parameter für die Lösung einer kommunikativen Aufgabe, kann es nötig sein, die Situation ad hoc neu zu definieren, die kommunikative Grundhaltung zu variieren und schnell andere Mischungen aus gesprochener und geschriebener Sprache zu wählen. 233 Zur Lösung gehört letztlich auch die Wahl des Kanals und ggf. des Kommunikationsmediums. Die Kanäle eignen sich unterschiedlich gut, die jeweiligen Anforderungen der Schriftlichkeit oder Mündlichkeit zu erfüllen. Innerhalb des Kanals wiederum empfehlen sich bestimmte Varianten des Sprechens und des Schreibens wie Face-to-face-Gespräch oder Brief, Träger der auf die kommunikative Aufgabe abgestimmten Mischungen von gesprochener und geschriebener Sprache zu sein. Als Ergebnis einer veränderten Situationsdefinition kann es daher nötig sein, ein anderes Medium zur Lösung der Aufgabe zu wählen. Bei diesem Auswahlprozess wie auch bei der Wahl der Kodes und des Kanals können wiederum besondere Kommunikationsregeln gelten. Die Komplexität und Dynamik der Prozesse (insbesondere der kognitiven), die ablaufen, wenn Kommunikation einer ad hoc veränderten Situation angepasst wird, lässt sich kaum befriedigend schematisch darstellen. Vor allem, wenn das Schema umfassend einen meist fortwährenden Strom sich 231

Vgl. Berens (1976:16). Berens (1976:16). 233 Murray (1988) zeigt anhand von E-mails, dass die Kodes je nach Situation variieren und auch in einer bereits begonnenen Interaktion noch wechseln können; zur Mündlichkeit und Schriftlichkeit von E-mails vgl. Günther/Wyss (1996). 232

70 vielleicht sogar wandelnder Einflussfaktoren berücksichtigen soll: pragmatische Umgebungsparameter, das Wissen eines Sprechers/Schreibers um den Adressaten, die Kenntnis von Kodes und Kommunikationskanälen und deren (Höflichkeits)-Regeln, die bei den jeweiligen Auswahlprozessen gelten können und nicht zuletzt die Feedbackprozesse zwischen den Kommunikationspartnern. Dies gerade macht Kommunikation ja gerade zu jenem faszinierenden weil höchst komplexen und beweglichen Konstrukt. Der sprachliche Umgang mit dem AB ist dafür ein gutes Beispiel. 3.3.1.2 AB-Kommunikation und Kommunikative Grundhaltung Mit dem Begriff „Kommunikative Grundhaltung" beziehe ich mich bei AB auf die Haltung, die Anrufer und Angerufener auf Basis der Situationsdefinition beim Sprechen einnehmen. Die Situation wird für beide von pragmatischen Faktoren bestimmt, von denen einige personenbezogen sind - z.B. Geschlecht, Alter, der soziale Status der Teilnehmer oder ihr Verhältnis zueinander. Hinzu kommen auch emotionale Zustände der Sprecher. Neben diesen fließen beim Sprechen allgemein noch personenunabhängige pragmatische Faktoren in die Situationsdefinition mit ein. Einige für ABKommunikation typische Faktoren habe ich bereits genannt: So befinden sich die Teilnehmer erstens an unterschiedlichen Orten. Zudem sind zweitens Produktion und Rezeption des Textes für beide zeitversetzt. Es handelt sich um eine „zerdehnte Sprechsituation 234 . Anrufer und Angerufener haben damit keine gemeinsame Kommunikationssituation. 235 Aus den beschriebenen Bedingungen der Mehrfachadressierung ergibt es sich zudem, dass der Ansagetext mehr zur Öffentlichkeit und der Anrufertext mehr zur Privatheit 236 neigt. Zwei für die kommunikative Grundhaltung von Anrufer und Angerufenen ebenfalls wichtige pragmatische Faktoren sind „Planung" und „Spontaneität". 237 Ochs unterscheidet hier zwischen den Extremdimensionen „planned" und „unplanned discourse". Gleichzeitig führt sie aber auch die weniger extremen Begriffe ,relatively planned" und ,relatively unplanned" ein. 238 Wie Ochs fasse ich die Begriffe „Planung" und „Spontaneität" ebenfalls als extreme Endpunkte eines Kontinuums auf, das Abstufungen zulässt. Danach können Sprecher in einer Kommunikationssituation mal mehr und mal weni234 235 236

237

238

Ehlich (1994: 19). Formen der Dekontextualisierung nennt Weingarten (1989: 65). Biere/Hoberg (1996) nennen Privatheit als ein Merkmal mündlicher Alltagskommunikation. Vgl. dazu den Zusammenhang von Planung und Elaboriertheit, Komplexität, Kompaktheit etc. bei Koch/Oesterreicher (1986: 23). Vgl. Ochs (1979: 55f.).

71 ger geplant bzw. spontan begegnen. 239 Dieses gilt - wenn auch sehr eingeschränkt - ebenfalls für beide Teilnehmer in der AB-Kommunikation. Anrufer und Angerufener sprechen unter ähnlichen technischen Rahmenbedingungen auf den AB. Sie müssen ein Signal abwarten, bevor sie unter Maßgabe eines Zeitlimits sprechen können. Dennoch ist die Situation für beide Sprecher unterschiedlich. Naumann behauptet, dass der Angerufene nicht spontan auf den AB spricht: Die programmierten Texte der Angerufenen sind nicht spontan, sondern vorbereitet und überlegt gestaltet, in vielen Fällen schriftlich konzipiert und erst danach auf Band gesprochen/gelesen. 240

Dies lässt sich anhand von AB-Betriebsanleitungen stützen: Bevor Sie Ihre erste Ansage aufnehmen, sollten Sie den Text aufschreiben, den Sie aufnehmen möchten, so daß Sie genau wissen, wie Ihre Ansage lauten soll. 241 Schreiben Sie Ihre Ansagetexte vor der Aufnahme auf. Wenn Sie sie ablesen, können Sie die Texte fließender sprechen. 242 Planen Sie ihren Ansagetext: - formulieren Sie einen kurzen Text; - schreiben Sie ihn auf; - sprechen Sie ihn zur Probe,....243

Die Auszüge belegen, dass Hersteller Käufern von AB explizit raten, den Ansagetext nach schriftlicher Vorlage zu sprechen. Ich gehe weiterhin davon aus, dass viele AB-Besitzer auch einfach die Beispieltexte ablesen, die in den Betriebsanleitungen abgedruckt sind oder bestimmte Formulierungsvorgaben wie Wojzik sie anführt 244 als verbindlich ansehen und auch einhalten. Unterstützt wird dies durch die Technik: Man kann einen Ansagetext beliebig häufig löschen, neu aufnehmen oder überarbeiten. 245 Werden die genannten Optionen genutzt, liegt ein hochgradig geplanter Text vor. Den spontan gesprochenen Ansagetext halte ich dagegen nur theoretisch für möglich. Besonders spontane Menschen können vielleicht unvermittelt die Aufnahmetaste des Geräts drücken und sofort einen Text sprechen. Meist aber sind der Spontaneität durch den beschriebenen technischen und manuellen Vorgang der Textherstellung Grenzen gesetzt. Für den spontanen Ansagetext müsste daher auch ein sehr weit gefasster Spontaneitätsbegriff zugrunde gelegt werden.

239 240 241 242 243 244 245

Vgl. Lakoff (1982: 241), Jäger (1976a: 78). Naumann (1994: 432). Bedienungsanleitung Audioline 865G. Bedienungsanleitung Telekom AF 303. Bedienungsanleitung Stabo A 110. Vgl. Wojcik (1989: 84). Vgl. Sullivan (1994: 143).

72 Wie die Angerufenen können sich auch Anrufer vorbereiten. Unter bestimmten Bedingungen ist es möglich, geplant auf den AB zu sprechen: (a) der Angerufene verfügt über ein entsprechendes Gerät, das es dem Anrufer ermöglicht, den Text beliebig oft neu zu sprechen und über den vorangegangenen Versuch zu speichern; (b) der Anrufer legt erst auf und kann danach einen geplanten Text sprechen;244 (c) der Anrufer weiß von vornherein, dass der Angerufene nicht da ist und kann einen geplanten Text sprechen.247 Möglichkeit (a) ist Anrufern vorbehalten, die auf einen AB mit der entsprechenden Ausstattung stoßen. Keiner meiner Untersuchungsteilnehmer verfügte allerdings über ein solches Gerät, sodass ich dies nicht näher untersuchen konnte. Die in (b) beschriebene Praxis lässt sich dagegen anhand meiner Umfrage für einen Teil der Anrufer belegen. Auf die genannte Umfrage zur Nutzung von AB gehe ich später noch gesondert ein. Der dritte Weg (c) wird offenbar auch genutzt, ist nach Naumann aber die seltene Ausnahme. 248 Ich vermute ebenfalls, dass Anrufer meist ohne Vorwissen über die Erreichbarkeit des Angerufenen zum Hörer greifen und nach dem Signalton unvorbereitet auf den AB sprechen. Welcher Anrufer aber spontan und welcher geplant gesprochen hat, ist nach Miller-Spelman Spekulation: We have no way of knowing which messages were planned and which spontaneous; some speakers might have advance knowledge that they will be talking to a machine, others may have only the duration of the outgoing message prompt to recognize and 'plan for' this specific discourse type.249 Ohne einen Anrufer konkret in einer Kommunikationssituation zu beobachten, lässt sich diese Frage nicht mit Gewissheit beantworten. Hier müssen also theoretische und grundsätzliche Überlegungen genügen. Ochs stellt allgemein fest, dass das Maß, nach dem Sprecher planen können, variabel ist: ,discourses vary not only in the extent to which they are planned but also in the extent to which they are PLANNABLE." 250 Es stellt sich also die Frage, wie weit sich Anrufer rein theoretisch auf die ABSituation einrichten können. Meiner Ansicht nach können Anrufer diese nur bedingt planen. AB-Kommunikation ist allein, weil ortsversetzt, mit Unsicherheitsfaktoren verbunden:

246

Vgl. Dingwall (1992: 88). Unter 'geplant' verstehe ich sowohl geschriebene Texte, die abgelesen werden, als auch einfach nur gedanklich vorformulierte Texte. 247 Vgl. Naumann (1994: 432). 248 Vgl. Naumann (1994:432). 249 Miller-Spelman (1992: 272). 250 Ochs (1979: 57).

73 •

Generell können Anrufer - unbekannte oder flüchtig bekannte besonders kaum sicher wissen, dass sich der AB melden wird.



Unbekannte Anrufer können die Länge des Ansagetextes nicht kennen. Ändert sich der Text, kann auch der vertraute Anrufer nicht kalkulieren, wie viel Zeit ihm bleibt, um seinen eigenen Text zu planen. Bei unbekannter Textlänge kann die Aufforderung zum Sprechen sogar gänzlich überraschend kommen.



Kennt der Anrufer den Ansagetext nicht, weiß er nicht, ob dieser Handlungen steuert, die er ausführen soll. Er kann so überraschend gezwungen sein, den vorher zu einem Thema gefassten Plan zu ändern. Dies erschwert es dem Anrufer vorauszuplanen, da die nötige Planungssicherheit nicht unbedingt vorausgesetzt werden kann. Mangelnde Kenntnis von Text und Textlänge erschwert es vor allem, komplexere Themen vorauszuplanen.

Ich schließe nicht aus, dass Anrufer bereits mit einer gewissen Vorahnung an die Kommunikationssituation herangehen und sich so für den Fall vorbereiten können, dass der gewünschte Teilnehmer nicht verfügbar ist. Angesichts der genannten Unwägbarkeiten gehe ich aber davon aus, dass Anrufern in der Praxis die vollkommene Planungssicherheit fehlt und dass sie daher meist eher unvorbereitet auf einen AB stoßen. Dennoch haben Anrufer noch Planungszeit, bevor sie sprechen. So können sie z.B. planen, solange der Ansagetext andauert. Weiterhin geben manche Geräte vor Beginn des Ansagetextes ein mechanisches Startgeräusch von sich, das Indikatorfunktion für den Kommunikationstyp hat. 251 Anrufer, die das Geräusch identifizieren, können sich von diesem Moment an auf die Kommunikationssituation einstellen. Im Vergleich zueinander haben Anrufer und Angerufener tendenziell eine sehr unterschiedliche Kommunikationssituation: Bei Ansagetexten korrespondieren die Bedingungen der Planung meist mit begrenzter Sprechzeit aber theoretisch unbegrenzter Planungszeit. Anrufertexte dagegen können erstens geplant unter den Bedingungen theoretisch unbegrenzter Verarbeitungs- und Planungszeit und limitierter Sprechzeit entstehen. Sie können zweitens auch spontan bei geringer Verarbeitungs- und Planungszeit und limitierter Sprechzeit produziert werden. Spontaneität und Planung nehmen auch Einfluss darauf, wie die Teilnehmer auf ein etwaiges Zeitlimit beim Sprechen reagieren können. Die Länge beider Texte kann, wie gezeigt, gerätespezifisch begrenzt sein. AB-Besitzer kennen dieses meist aus der Bedienungsanleitung. Sie wissen daher um den Zeitdruck und können dieses vor dem Sprechen einplanen. Anrufer wissen allgemein, dass sie nicht unbegrenzt sprechen können. Das Speichermedium setzt hier in jedem Fall eine Grenze. Darauf können sie sich einstellen. Sie können sich vor Beginn der Kommunikation aber nur bedingt auf ein spezifi-

251

Vgl. Nickl/Seutter (1995: 263).

74 sches vom AB-Besitzer vorgegebenes Zeitlimit vorbereiten. 252 In Einzelfällen mag dieses möglich sein - wenn z.B. an einem spezifischen Anschluss die Einstellungen konstant bleiben. Meist ist das Zeitlimit m.E. aber für Anrufer vor Eintritt in die Kommunikation unkalkulierbar. Sofern der Ansagetext dieses angibt, können sich Anrufer aber, kurz bevor sie zu sprechen beginnen, über das Zeitmaß informieren. Die Vorbereitungszeit auf das Zeitlimit ist dann vergleichsweise gering. Neben „Spontaneität" und „Planung" spielen die Parameter „Monolog" und „Dialog" bei der Frage nach der kommunikativen Grundhaltung in der AB-Kommunikation eine wichtige Rolle. Nickl/Seutter haben beide bereits diskutiert und dabei auch Terminologieprobleme angesprochen, denn seit einiger Zeit hat sich der seit langem eingebürgerte Begriff des Dialogs als nicht unproblematisch erwiesen. Bei genauerer Betrachtung beginnen die Grenzen zwischen Dialog und Monolog zu verschwimmen. Die Diskussion um den Dialogcharakter von AB-Kommunikation ist für diese Behauptung ein gutes Beispiel. AB-Kommunikation trägt monologische und dialogische Merkmale. Sie als Austausch zweier Monologe 253 zu beschreiben, wird ihr nicht gerecht. Denn es ist fraglich, ob der Dialog nur in der Einheit von Zeit und Ort existiert und ob der ,absolute Monolog' überhaupt vorstellbar ist. 254 Man könnte hier mit Weigand argumentieren, die das dialogische Grundprinzip vertritt. Danach lässt sich Sprache nicht adialogisch verwenden. Die minimale kommunikative Einheit muss eine dialogische sein. 255 . Nach Weigand gibt es keinen autonomen Sprechakt. Jeder Sprechakt ist auf einen anderen gerichtet, entweder zielt er als initiativer Sprechakt auf einen bestimmten Folgesprechakt, oder er weist als reaktiver Sprechakt zurück auf einen bestimmten vorausgehenden Sprechakt.256 Weigand beruft sich in ihrer Argumentation auf Humboldt, der in seinem berühmten Dualis-Aufsatz feststellt: „Es liegt aber in dem ursprünglichen Wesen der Sprache ein unabänderlicher Dualismus, und die Möglichkeit des Sprechens selbst wird durch Anrede und Erwiderung bedingt." 257 Anrede und Erwiderung sind in der AB-Kommunikation durch Ansage- und Anrufertext gegeben. Ein Minimalkriterium für den Dialog, wonach zwei Sprecher betei-

252

Vgl. Dingwall (1992: 88); Naumann (1994: 432). Vgl. Hopper (1992: 212). 254 Vgl. Opitz (1993: 116). 255 Weigand (1986: 115). 256 Weigand (1986: 115). 257 Humboldt (1963: 138). 253

75 ligt sein müssen 258 , ist damit erfüllt. Da Angerufener und Anrufer nacheinander zueinander sprechen, findet auch der für einen Dialog geforderte Wechsel der Perspektive statt. 259 Dieses spricht für die Gültigkeit des dialogischen Grundprinzips in der AB-Kommunikation - auch, weil ein Ansagetext nach Dingwall auf eine Antwort abzielt, und ein Anrufertext als Rückrufbitte wiederum eine Antwort erwarten lässt. 260 Nickl/Seutter stellen aber die Frage, ob es legitim sei, zeitlich getrennte Textteile als Elemente eines Dialogs aufzufassen. Sie argumentieren folgend mit Tschauder, der ein langes Gerichtsplädoyer, das ein Sprecher nach Unterbrechung am folgenden Tag fortsetzt, in zwei Mikrotexte trennt und als Teil eines übergeordneten Makrotextes betrachtet. Im Fall des Gerichtsplädoyers nennt Tschauder den Makrotext einen „Makromonolog", da die zwei miteinander verknüpften monologischen Texte von einem Sprecher kommen. Stammen die Texte jedoch von unterschiedlichen Produzenten, verbinden sich zwei Monologe zu einem übergeordneten Dialog. 261 Ein weiteres Problem für den Dialogcharalter von AB-Kommunikation sehen Nickl/Seutter zunächst in den Bedingungen der Mehrfachadressierung. Sie entkräften ihre Einwände aber erneut durch die Arbeiten Weigands. 262 Das Problem besteht darin, dass sich in der AB-Kommunikation Aspekte der Massenkommunikation mit denen der persönlichen Kommunikation mischen. 263 Ansagetexte richten sich meist an mehrere Adressaten. Anrufertexte dürften überwiegend für einzelne bestimmt sein, können wie gezeigt aber auch mehrfachadressiert werden. Beide Texte sprechen so u.U. keinen Adressaten gezielt an. Wenn Sprache so verwendet wird, dass sie nicht auf eine bestimmte Reaktion eines konkreten Kommunikationspartners abzielt, ist sie nach Weigand formal monologisch. Weigand unterscheidet aber zwischen der formalen und der funktionalen Ebene. Ansagetexte sind somit meist formal monologisch, Anrufertexte dagegen meist formal dialogisch. Wenngleich Texte aber nicht immer dialogisch realisiert werden, sind nach Weigand alle Texte aber aus funktionaler Sicht dialogisch. So sind auch Monologe

258

Vgl. Jäger (1976a: 17). Vgl. Opitz (1993: 112ff.); vgl. auch Nickl/Seutter (1995: 269f.). 260 Vgl Dingwall (1995a: 128). 261 Vgl. Nickl/Seutter (1995: 269f.) und dazu Tschauder (1986: 108f.); zu Gerichtsplädoyers vgl. Rolf (1994: 330ff.). 262 Vgl. Nickl/Seutter (1995: 270f.) und dazu Weigand (1986: 118f.) sowie (1993: 138). 263 Nach Rogers (1986: 7 ist „asynchrone Kommunikation" ein Merkmal von Massenmedien; vgl. zum Begriff „Massenkommunikation" vgl. Maletzke (1963:32); zur „synchronen" und „asynchronen Kommunikation" vgl. Schmidli (1997: 37). 259

76 eine Erscheinungsform dialogischen Sprachgebrauchs, denn funktional sind auch sie dialogisch orientiert, gerichtet an einen Kommunikationspartner; dieser bleibt aber im Unterschied zu Briefen - unbestimmt, es ist kein konkreter, bestimmter Kommunikationspartner, sondern irgendeiner, jeder. 264

Letzteres ist auch ein Merkmal von Ansagetexten. Diese adressieren jeden, der anruft. Fordern sie dabei dazu auf, eine Mitteilung zu hinterlassen, ist dies dialogisches Sprachverhalten. Nach Mötsch sind für das Zustandekommen von Dialogen sprachliche Texte wesentlich, mit denen die Aktanten „erwartbare Reaktionen" 265 anstreben. Dass Anrufer der Aufforderung nachkommen, ist eine erwartbare Reaktion. Hier könnte man allerdings besonders bei sehr kreativ gestalteten Ansagetexten Zweifel anmelden. Es ist oft typisch für kreative Ansagetexte, dass sie nicht explizit und auch implizit nur dadurch zum Sprechen auffordern, dass der Anrufer weiß, dass es sich dabei um einen Ansagetext handelt. Die Tatsache, dass ein Anrufer aber überhaupt eine inhaltlich wie auch immer gefasste Mitteilung hinterlässt, erfüllt noch nicht die für einen Dialog konstitutive minimale Kohärenzanforderung. Die folgenden Texte belegen, dass der Kohärenzgrad zwischen Ansageund Anrufertext von Text zu Text variieren kann. Während die Sprecherin in (10) auf den Ansagetext eingeht und dessen Beginn dabei sogar in Syntax und Lexik zu imitieren versucht, kommt der Sprecher in (11) der Aufforderung zum Sprechen zwar nach, bezieht sich aber nicht gesondert auf den Text: (10)

schade wir sind leider nich da, + wenn ihr wollt könnt ihr aber nach dem signal auf den anrufbeantworter sprEch-n

fl fi Ρ (11)

++++schade, + wir sind aber da, schade wir sind leider nich da, + wenn ihr wollt könnt ihr aber nach dem signal auf den anrufbeantworter sprEch-n

Ρ + EINATMEN BEN= + ARNE hier= + gaststätte (ew) ( En), + telefon= + neun neunundneunzich= + neunundneunzich, + neunundneunzich neunundneunzich, + bitte zurückrufen: + tschöö,

Die Texte belegen, dass man gemessen an der Kohärenz zwischen Ansageund Anrufertext nur am konkreten Text entscheiden kann, ob ABKommunikation dialogische Eigenschaften hat. Die Antwort ist aber nicht generalisierbar. Damit ist die Frage nach dem Dialogcharakter der ABKommunikation gleich in doppelter Hinsicht eine Fall-zu-Fall-Entscheidung:

264

Weigand( 1986: 119).

265

Mötsch (1994: 10).

77 Je nachdem, ob man den gesamten Kommunikationsprozeß zwischen Anrufer und Angerufenem oder das einzelne Sprachwerk im Blick hat, je nachdem wie stark Ansage und aufgesprochene Nachricht auf eine Reaktion des jeweiligen Adressaten hinarbeiten, mag man Ansage und Nachricht eher als monologische oder eher als dialogische Form auffassen. Insofern triftt m.E. das zu, was Nickl/Seutter abschließend in dieser Frage erklären: „Der Gesamttext ist als Dialog zu verstehen, auch wenn sowohl der Ansagetext als auch der Sprechtext teilweise monologische Eigenschaften besitzen." 267 3.3.1.3 AB-Kommunikation und Sprachform Mit dem Begriff „Sprachform" beziehe ich mich in der AB-Kommunikation auf die Varietäten, die Teilnehmer für Ihre Texte wählen. Miller-Spelman weist auf den Umstand hin, dass man bei AB-Kommunikation zunächst an die traditionelle dichotomische Unterscheidung zwischen Sprechen und Schreiben denkt, dass es hierbei aber um die Variation zwischen gesprochener und geschriebener Sprache gehen müsse. 268 Die linguistische Forschung begreift AB-Kommunikation als Mischung aus gesprochener und geschriebener Sprache und hat in der Vergangenheit auch nach dem Mischungsverhältnis beider Varietäten in der ABKommunikation gefragt. 269 Nach Sieber lassen sich konkrete sprachliche Äußerungen immer mehr oder weniger dem einen oder dem anderen Pol zuordnen. 270 Dingwall vergleicht Anrufertexte dazu mit dem Brief und dem Telefongespräch und lokalisiert in Anrufertexten mehr Ähnlichkeiten zum Brief. 271 Nach Dingwall orientieren sich Anrufertexte also eher an einem prototypischen Vertreter von geschriebener Sprache. Zu einem tendenziell ähnlichen Ergebnis kommt Gold. Sie sieht insbesondere in der Eröffnung und im Postskriptum von Anrufertexten Belege für geschriebene Sprache. Im Kern und in der Beendigung des Textes findet sie dagegen Merkmale der gesprochenen Sprache. 272 Beide Beobachtungen belegen also den genannten Mischcharakter von AB-Kommunikation.

266

Gutenberg (1987: 16); zum Begriff des „gesprochenen Sprachwerks" vgl. Gutenberg (1989: 104ff.). 267 Nickl/Seutter (1995: 270). 268 Vgl. Miller-Spelman (1992: 267). 269 Vgl. Dingwall (1992), Gold (1991). 270 Vgl. Sieber (1994: 321). 271 Vgl. Dingwall (1992: 96). 272 Vgl. Gold (1991: 246ff.).

78 Hierauf deutet auch der Begriff „Nachricht" 273 hin, der im Alltag für die Mitteilungen der Anrufer gebraucht wird. Dieser impliziert nicht notgedrungen, dass es sich dabei um eine geschriebene Nachricht handelt. Zu denken wäre beispielsweise an die mündliche Übermittlung einer Nachricht durch einen Boten vor Einführung der Schrift. 274 Eine Assoziation zu Geschriebenem ist aber zumindest naheliegend und dies, obwohl die Nachrichten mündlich realisiert werden. Die Beobachtungen Golds und Dingwalls fußen aber auf kleinen Korpora. Dingwall verfügt über Anrufertexte, die ihr vier in der Schweiz lebende Lehrer (Muttersprache Englisch) zur Verfügung gestellt haben. 275 Ihre Analyse bezieht sich auf einen Teilausschnitt (drei Ansage-, fünf Anrufertexte) ihres nicht näher quantifizierten Gesamtkorpus 276 . Gold analysiert ein Korpus von acht privat aufgenommenen Anrufertexten und räumt ein, dass sich künftige Untersuchungen auf eine breitere Datenbasis stützen sollten und dass ihr Korpus keine Generalisierungen zulasse. 277 Auf ein größeres Korpus von 110 Anrufertexten und 50 Ansagetexten stützt sich die Analyse von Liddicoat. 278 Liddicoat untersucht Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Anrufertexten bzw. Ansagetexten und Telefongesprächen und kommt zu einem Ergebnis, das von den Beobachtungen Dingwalls und Golds abweicht: It appears that in the less familiar environment of answering machine talk, the caller orients him/herself to the more familiar routines of everyday telephone talk.279 Da das Telefongespräch ein typischer Vertreter für gesprochene Sprache ist, werte ich die Beobachtung Liddicoats zunächst als einen Hinweis für die Nähe von Anrufertexten zur gesprochenen Sprache. Gesprochene Sprache meint genauer „spontan produzierte und akustisch realisierte Sprache, die relativ frei gestaltet werden kann." 280 Als gesprochene Sprache kann nach Steger u.a. nur akzeptiert werden, was gesprochen wird, ohne vorher aufgezeichnet worden zu sein; was gesprochen wird, ohne vorher länger für einen bestimmten Vortragszweck bedacht worden zu sein.281 273

Vgl. Lange (1999). Vgl. Feldbusch (1985: 77f.). 275 Vgl. Dingwall (1992: 82f.). 276 Vgl. Dingwall (1992: 98f.). 277 Vgl. Gold (1991: 254). 278 Liddicoat (1994: 285) nahm 165 Texte auf. 279 Liddicoat (1994: 308); die Ergebnisse Langes (1999: 123ff.) bestätigen die Beobachtungen Liddicoats für das Deutsche. 280 Cherubim (1989: 17). 281 Steger (1967: 262); vgl. auch Schank/Schwitalla (1980: 314ff.). 274

79 Naumann bemisst AB-Texte nach dem Spontaneitätskriterium und stellt fest, dass es sich daher bei den ad hoc formulierten Texten der Anrufer um gesprochene Sprache handele. 282 Dies belegen auch Alvaraz-Caccamo/Knoblauch, die in Anrufertexten zahlreiche Merkmale von Dialogizität beobach283 ten. Hinter Ansagetexten steht dagegen oft ein schriftliches Konzept. 284 Bei diesen Ansagetexten handelt es sich daher streng betrachtet ebenso wenig um gesprochene Sprache wie bei feierlichen Reden, Predigten oder Festvorträgen. Jene sind nach Behaghel im Großen und Ganzen nichts anderes als ein Sprechen des geschriebenen Wortes. 285 Steger betont, dass auch gedanklich Vorbereitetes nicht zur gesprochenen Sprache zählt, denn das Ausdenken und gedächtnismäßige Einüben einer Rede, einer Antwort führt erfahrungsgemäß zu einem Gedächtniskonzept, das der Form der Schriftsprache zustrebt und das beim Vortrag nur dort in der Diktion der gesprochenen Sprache wiedergegeben wird, wo das Gedächtnis die fixierte Form des Gedankens nicht behalten hat oder wo durch Erregung und Konzentration in veränderter Situation Abrufhemmungen des gespeicherten Textes auftreten^ während der Gedankenkomplex verfügbar ist und neu formuliert werden muß.

Nicht alle Ansagetexte sind aber gedanklich oder auf Papier vorkonzipiert. Gerade eher aus dem Stegreif gesprochene Texte dürften weit heterogener und mehr wie gesprochenen Sprache sein. Nach Liddicoat haben zudem auch Ansagetexte insbesondere in der Eröffnung („Opening Phase") Merkmale von Telefongesprächen. Die nachfolgende „Message Phase" bezeichnet er dagegen als formularisch. 287 Nach Wojciks Analyse sind 90 Prozent der Ansagetextexte formularartig gestaltet. 288 Dieses weist wiederum eher auf Ähnlichkeiten zu Briefen und zur geschriebener Sprache hin - geschriebene Sprache tendiert zu Standardisierung und Musterbildung. 289 Weiterhin sind Ansagetexte wie gezeigt öffentlich, sie stellen den Sprecher nach außen hin dar. Geschriebene Sprache wiederum versteht Steger als Stellvertreter der Person des Sprechers. 290 Sie ist daher auch in Ansagetexten dafür prädestiniert, den jeweiligen Sprecher vor der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Dieses ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Selektion und Aktuali-

282 283 284 285 286 287 288 289 290

Vgl. Naumann (1994: 432). Vgl. Alvarez-Caccamo/Knoblauch (1992: 474ff.). Vgl. Naumann (1994: 432). Vgl. Behaghel (1927: 27). Steger (1967: 263). Vgl. Liddicoat (1994: 285ff.). Vgl. Wojcik (1987-1988: 95). Vgl. Cherubim (1989: 17). Vgl. Steger (1972: 207).

80 sierung der Sprachmittel von pragmatischen Faktoren gesteuert werden. 291 Ich gehe daher davon aus, dass sich die Sprachform in AB-Texten an der jeweiligen kommunikativen Grundhaltung orientiert. Gemessen an Faktoren wie Nussbaumer sie tabellarisch auflistet sind bei Anrufertexten eher die typischen pragmatischen Bedingungen von gesprochener Sprache gegeben. Bei Ansagetexten sind es eher die typischen pragmatischen Bedingungen von geschriebener Sprache. Unter den bereits genannten Ausnahmebedingungen können es bei Anrufertexten aber auch die Bedingungen für geschriebene Sprache sein. Bei Ansagetexten lassen sich die Bedingungen für gesprochene Sprache allerdings kaum erfüllen. Als Tendenzergebnis der Diskussion lässt sich daher festhalten, dass aufgrund der meist gegebenen pragmatischen Bedingungen, Ansagetexte mehr zur geschriebenen und Anrufertexte mehr zur gesprochenen Sprache neigen. 3.3.1.4 AB-Kommunikation und Materialisierungsform Mit dem Begriff „Materialisierungsform" bezeichne ich die Form, in der ABKommunikation realisiert wird. AB-Kommunikation ist lautlich realisierte Sprache, sie ist mündlich. Die folgende Übersicht von Holly zählt den AB daher auch als Medium zur Sprechsprachkommunikation: Medien für Sprechsprachkommunikation Speicherung monologisch

dialogisch

Tonträgersysteme, Schallplatte, Tonkassette, CD, Tonfilm, Videokassette Anrufbeantworter

Übertragung Radio, Femsehen

Sprechfunk, Telefon, Videokonferenz

Medien für Schriftsprachkommunikation Speicherung

Übertragung

monologisch

Schriftträgersystem: Stein, Holz, Papyrus, Pergament, Papier, Film, Videotextbild, Computerspeicher

Laufschrift, Fernsehschriftbild

dialogisch

Brief, Telegraph, Femschreiber, Telefax, E-mail

Netchats292

Portmann und Feldbusch verweisen aber darauf, dass die Dichotomie zwischen Sprechen und Schreiben auf der Dichotomie ,Fixiertheit vs. Flüchtig291 292

Vgl. Cherubim (1989: 19), Du Bartell (1994: 168), Rupp (1965: 24). Vgl. Holly (1997: 71); vgl auch die Übersicht der „Mediolekte" in Schmidli (1997: 329), der das Modell von Löffler (1985: 91, 98) weiterentwickelt.

81 keit' basiert. Portmann stellt zur Diskussion, dass die Existenz von Tonträgern diesen Gegensatz etwas relativiert. 293 Nussbaumer stellt sich sogar die Frage, ob die Fixierung von Sprache als elektronische Datei, die mal grafisch und mal akustisch abrufbar ist, nicht die ganze Dichotomie in Frage stellt. 294 Der AB fixiert Sprache auf einem Spreichermedium. Damit lassen sich nun Überlegungen anstellen, ob AB-Kommunikation das Gesprächsmerkmal „Sprechen" uneingeschränkt erfüllt. AB-Kommunikation hat das Merkmal „Fixiertheit" mit der Schrift gemeinsam. Jene ist nach Ehlich „Mittel zur Verdauerung des in sich flüchtigen sprachlichen Grundgeschehens, der sprachlichen Handlung." 2 9 5 Die W e r k zeuge 2 9 6 - ob DSP-Chip, Tonkopf, Federkiel oder Kreide - sind zwar höchst unterschiedlich. Sie können aber alle Schreibgeräte 2 9 7 genannt werden. Sie verdauern die flüchtige sprachliche Handlung. A m Kriterium der Flüchtigkeit allein gemessen, wäre A B - K o m m u n i k a t i o n daher der Schrift ähnlich. In dieser Weise argumentiert Dingwall. Sie sieht die Nähe von AB-Kommunikation zu Briefen, weil sich z.B. Anrufertexte potenziell als permanente A u f n a h m e konservieren lassen. 2 9 8 Dagegen kann man aber einwenden, dass Schrift im Gegensatz zu Texten auf d e m AB sichtbar ist. 299 Ein zweites Argument, das dagegen spricht, AB-Kommunikation in die Nähe von Geschriebenem zu rücken, lässt sich aus den Überlegungen Günthers ableiten: Mündliche Sprache äußert sich in der Produktion von Schall, dieser ist flüchtig. Schriftliche Sprachprodukte dagegen sind materiell gebunden und dauernd. Dieser Unterschied bleibt auch bei der Verwendung moderner Aufzeichnungstechniken für mündliche Sprache bestehen: Der aufgezeichnete Text ist in seiner jeweiligen Reproduktion wiederum flüchtig. Es ist demnach nicht die Überführung in ein anderes Medium als solche das, was den Kern von Schriftlichkeit ausmacht, sondern eine Eigenschaft der erzeugten Sprachprodukte: Sie sind nicht flüchtig. 300 AB-Kommunikation bleibt daher nach der Formel .phonisch produziert materiell konserviert - phonisch reproduziert' flüchtig. Dieses lässt sich mit 293 294 295 296

297

298 299

300

Vgl. Portmann (1991: 223); vgl. auch Feldbusch (1985: 20ff.), Auer (2000: 44). Vgl. Nussbaumer (1991:275). Ehlich (1994: 18); vgl. auch Feldbusch (1985: 370). Ein wesentliches Merkmal schriftlicher Kommunikation ist der Werkzeuggebrauch; vgl. Günther (1983: 32). Das Speichern auf Computers-Festplatte wird „Schreiben", das Abrufen von Daten von einer Festplatte „Lesen" genannt. Vgl. Dingwall (1992: 90). Nach Feldbusch (1985: 376) zeichnen sich geschriebensprachliche Repräsentationen" auch durch ihre optische Wahrnehmbarkeit aus. Günther (1983: 32).

82 Nussbaumer stützen, der darlegt, dass auch elektronisch gespeicherte Sprache immer noch lautlich oder grafisch realisert wird. Tonträger ermöglichten, dass diese wiederholt werden können. Das Merkmal der Fixiertheit in einem strengen Sinn sei damit noch immer unerreicht. 301 Durch die Wiederholung hör- und sichtbarer Aspekte entsteht ein vom Original abgelöstes Produkt. Für die Analyse ist aber ein Überblick nötig, den dieses Produkt nicht liefert. Daher müssen Audio- und Videoaufzeichnungen erst transkribiert werden. 302 Erst dann sind sie verschriftlicht. Überlegungen zur Flüchtigkeit und Fixiertheit von Sprache stellen die Dichotomie zwischen Sprechen und Schreiben also nicht in Frage. Sie bleibt auch bei elektronischen Medien bestehen. Nickl/Seutter unterscheiden zum Beispiel zwischen elektronisch gesprochenen und elektronisch geschriebenen Texten. Zur ersten Kategorie zählen sie Texte auf dem AB, zur zweiten Emails. 303 AB-Kommunikation bleibt damit im Sinne der Dichotomie lautlich realisierte Sprache. Alvarez-Caccamo/Knoblauch bezeichnen sie daher auch explizit als „oral form of communication" 304 . AB-Kommunikation ist wie ein Face-to-face-Gespräch eine Form von Sprechen. Die Diskussion belegt aber, dass neue Formen des Sprechens und Schreibens zu einem Nachdenken über deren Flüchtigkeit bzw. Fixiertheit anregen. AB-Kommunikation ist hierfür nur ein Beispiel. Schließlich könnte man analog zu den gesprochenen Mitteilungen auf dem AB auch diskutieren, wie fixiert die am Computer getippten Chats sind, wenn sie niemand gezielt abspeichert. Hier ist es vielleicht nötig, nach anderen Kriterien zu suchen, um die neuen Formen der Kommunikation besser beschreiben und kategorisieren zu können. Ich nenne hier exemplarisch und abschließend den Vorschlag Schellenbergs, der eine handlungsgerichtete Zuordnung zur Diskussion stellt: Sprachliche Kommunikation geschieht als Evaporation (als sich im Entstehen schon verflüchtigenden Äußerungsfolge, z.B. im Gespräch) oder zur Deposition (zur Aufbewahrung - durch Tertiärmedien als mündlicher Text, Schrift-, Bildtext u.a. oder als „einfache" schriftliche Aufzeichnung durch Sekundärmedien). 305

3.3.2 AB-Kommunikation als Gegenstand der Gesprächsanalyse Henne nennt das Gespräch die „reichste Form menschlicher Verständigung" 306 . AB-Kommunikation ist dagegen deutlich ärmer. Ausgangspunkt 301 302 303 304 305 306

Vgl. Nussbaumer (1991: 275). Vgl. Portmann (1998: 234). Vgl. Nickl/Seutter (1995: 269). Alvarez-Caccamo/Knoblauch (1992: 475). Schellenberg (1997: 233). Vgl. Henne (1984: 2).

83 dieses Abschnitts war daher die Frage, ob AB-Kommunikation als Gespräch behandelt werden kann. Die Diskussion hat gezeigt, dass es Argumente für und wider den Gesprächscharakter von AB-Kommunikation gibt: 1. Mündlichkeit: AB-Texte materialiseren sich, obwohl elektronisch oder elektromagnetisch fi-xiert und übertragen, letztlich lautlich. Dieses Gesprächsmerkmal erfüllt AB-Kommunikation. 2. Räumliche Unmittelbarkeit: Die Interaktanten sind während der Kommunikation nicht am selben Ort. Dieses problematisiert den Gesprächscharakter aber nicht, wie Telefongespräche belegen. 307 3. Zeitliche Unmittelbarkeit: Der Austausch im Modus des Gesprächs verlangt nach Wichter die Unmittelbarkeit des Reagierens. Eine Zeitversetzung aber verändert diesen Charakter des Austauschs. 308 AB-Kommunikation verläuft zeitlich dekontextualisiert. Dies verändert die Kommunikation erheblich. Wenn die zeitversetzte Kommunikation nach Wichter den Gesprächscharakter negiert, bedeutet dieses streng genommen, dass der Austausch von Angerufenem und Anrufer - wie bei einem Briefwechsel oder dem Lesen eines Buches 309 - kein Gespräch ist. Allerdings stellt Wichter auch fest, dass durch die Zeitversetzung „selbständige, isolierbare Beiträge eigenen Rechts" 310 entstehen. Bei AB-Texten ist dies nicht zwangsläufig so. Ansage- und Anrufertext können nach meinen Beobachtungen eng zusammenhängen. Sie nehmen oft direkt aufeinander Bezug. 3 " Die Texte können daher nicht grundsätzlich völlig isoliert voneinander gesehen werden. 4. Begrenztheit: Der Gesprächsbegriff setzt voraus, dass die Kommunikation einen Anfang und ein Ende hat. In Gesprächen markieren Einleitungs- und Beendigungssignale Anfang und Ende. 312 AB-Kommunikation ist allein durch die Speichertechnologie begrenzt. Zudem lassen sich wie gezeigt auch in AB-Texten entsprechende Signale belegen, die Beginn und Beendigung der Kommunikation markieren. 307 308 309 310 311 312

Vgl. Brinker/Sager (1996: 95), Techmeier (1984: 50). Vgl. Wichter (1999: 262). Vgl. Cherubim (1984: 130). Wichter (1999: 262). Vgl. Knirsch (1998). Vgl. Brinker/Sager (1996: 12).

84 5. Dialogische Ausrichtung: Angesichts der zerdehnten Sprechsituation und den Bedingungen der Mehrfachadressierung in der AB-Kommunikation ist deren Dialogcharakter problematisch. Ansage- und Anrufertext sind, da zeitversetzt gesprochen, formal monologisch. Gemeinsam und aufeinander bezogen sind beide Texte aber funktional dialogisch. J e nachdem, wie weit der Ansagetext auf eine Reaktion des Anrufers hinarbeitet, j e nachdem, wie weit der Anrufer darauf tatsächlich reagiert, j e nachdem, wie weit der Anrufer selbst wiederum auf einen Rückruf hinarbeitet, ist AB-Kommunikation dialogisch ausgerichtet. Es handelt sich hierbei also um ein Gesprächsmerkmal, das mal mehr und mal weniger erfüllt sein kann. Dieses gilt auch für das folgende Kriterium. 6. Thematische Orientierung: Anrufer und Angerufener können in ihrer Mitteilung wie gezeigt ein Thema auslassen. Nennen sie ein Thema, können sie zudem über jeweils verschiedene Themen sprechen. Beide Texte können also thematisch vollkommen isoliert voneinander sein. Zwischen Anrufer- und Ansagetext kann aber auch ein thematischer Zusammenhang bestehen. Nickl/Seutter fassen dieses sogar als ein gemeinsames Abhandeln eines Themas auf. 313 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Angerufene erklärt, dass er telefonisch nicht verfügbar ist und der Anrufer dessen Abwesenheit thematisiert. Die Texte sind auch dann thematisch miteinander verbunden, wenn der Anrufer auf den Ansagetext und dessen Senderspezifika eingeht. Für den Gesprächscharakter von AB-Kommunikation spricht zusammenfassend also, dass sie mündlich und begrenzt ist und dass ein Perspektivwechsel statt findet. Dafür fehlt ihr aber die Unmittelbarkeit. Zudem ist der Sprecherwechsel nicht frei, sondern technisch gesteuert. Weiterhin ist A B Kommunikation nur von Fall zu Fall thematisch und nur bedingt dialogisch orientiert. Menschen, die sich mittels A B verständigen, führen demnach im Sinne der o.g. Definition kein Gespräch. Zudem bringt eine gesprächsanalytische Untersuchung von ABKommunikation methodologische Probleme mit sich. Nach Schänk ist es ein unbestrittenes Postulat konversationsanalytischer Forschung, nur natürliches Gesprächsmaterial für Untersuchungen zu verwenden, wobei Schänk auch geplante Gespräche als natürlich bezeichnet. 3 1 4 . Wenn Angerufene, aber auch Anrufer geplant einen A B besprechen, bedeutet das also nicht zwingend, dass das Material nicht natürlich sei. Darüber hinaus sind Gespräche aber nur

313 314

Vgl. Nickl/Seutter (1995: 271). Vgl. Schänk (1979: 73 und 80); Henne/Rehbock (1995: 32) nennen das natürliche arrangierte Gespräch als eine Subgattung des natürlichen Gesprächs.

85 natürlich, wenn sie nicht (für Aufnahmezwecke) gestellt oder durch Mitschnitt oder Kenntnis des Untersuchungszwecks beeinflusst wurden. 315 Nach Schröder muss die Aufnahme unbekannt bleiben, wenn das sprachliche Verhalten nicht verfälscht werden soll, denn Informanten, die über den Verwendungszweck des von ihnen produzierten Materials orientiert sind, werden zu Reflexion über ihren eigenen Sprachgebrauch geradezu eingeladen. Hyperkorrektheiten, Befangenheit, Orientierung an im Sprachgebrauch längst überholten sog. .präskriptiven Normen' der traditionellen Schulgrammatik können nicht ausbleiben. 316

In der AB-Kommunikation wissen Angerufener und Anrufer, dass die Kommunikation Uber ein Speichermedium verläuft und dass sie beim Sprechen aufgenommen werden. AB-Kommunikation ist daher nicht nur kein Gespräch. Sie ist nach den genannten Maßstäben auch nicht natürlich. Allerdings ist das Aufgenommenwerden konstitutiv für AB-Kommunikation - die Aufnahmesituation ist „integriertes Merkmal der Redekonstellation selbst" 317 . Man könnte hier also sagen, dass die Aufnahme zu einer natürlichen ABKommunikation dazu gehört. Freilich sind die methodologischen Probleme so nicht gelöst. Daher kann sich eine Arbeit, die die Kommunikation mittels AB untersucht, nur im ,»Randbereich der Gesprächsanalyse" 318 bewegen. Dennoch: AB-Kommunikation lässt sich als eine Reduktionsform des Gesprächs auffassen. Anrufer und Angerufener haben die Möglichkeit, ihre Mitteilungen gesprächsartig zu gestalten. AB-Kommunikation kann dann gesprächshafte Züge tragen und deshalb auch gesprächsanalytische Forschung anregen. Gerade das Gesprächsartige der Kommunikation ist „aus gesprächsanalytischer Sicht eine Herausforderung" 319 . Dies belegen bereits die Überlegungen von Nickl/Seutter, AB-Texte wegen ihres „seltsamen Zwittercharakters" 320 als eine eigenständige Ausdrucksform aufzufassen. Diese sei, so Nickl/Seutter weiter, gleichfalls wie die Rede weder dem Gespräch noch den Schrifttexten zuzurechnen und bilde eine eigene Einheit. 321 Trotzdem sprechen sie von „Texten" oder „Gesprächen" auf dem Anrufbeantworter. Wie Nickl/Seutter beschreibe ich die einzelnen Mitteilungen von Anrufer und Angerufenem ebenfalls weiter mit dem Textbegriff.

315 316

317 318 319 320 321

Vgl. Bergmann (1981: 18), Schänk (1979: 73f.), Steger (1967: 274f.). Schröder (1973: 16); vgl. auch Bausch (1973: 96); zum Beobachter-Paradoxon vgl. Koerfer(1985), Labov (1972), Schänk (1981: 41). Schröder (1973: 18). Naumann (1994: 432). Nickl/Seutter (1995: 258). Nickl/Seutter (1995: 271). Vgl. Nickl/Seutter (1995: 272).

86 Die gesamte aus beiden Mitteilungen bestehende kommunikative Einheit möchte ich wegen (und trotz) ihrer Gesprächshaftigkeit als Gespräch behandeln. Die beiden Teiltexte lassen sich somit auch als „Gesprächsschritte" 322 bzw. nach amerikanischer Terminologie als „turns" verstehen. Obwohl Nickl/Seutter die Eigenständigkeit von AB-Kommunikation hervorheben, prägen sie dafür keinen neuen Terminus. Sie sind zudem der Auffassung, dass Texte auf dem AB keinen eigenständigen Gesprächstyp bilden. Sie verneinen dies mit Hinweis darauf, dass es wenig sinnvoll sei, einen Gesprächstyp nur an einem äußeren Kriterium wie dem Medium festzumachen. 323 Hess-Lüttich bezeichnet Gespräche ,in' Medien wie Hörfunk oder Fernsehen 324 gemeinsam mit Gesprächen, die .mittels' Medien geführt werden, aber als „Mediengesprächstypen" und behandelt das Telefongespräch als ein Beispiel. 325 Wie das Telefongespräch hat auch Kommunikation mittels AB spezifische Merkmale, die m.E. typorientierend sind. Daher möchte ich ABKommunikation hier als Gesprächstyp auffassen und mit dem Begriff „ABGespräch" bezeichnen. Ich schlage darüber hinaus vor, die GesprächsMerkmalsmatrix bei Henne/Rehbock 326 auch für gesprächsartige Kommunikation zu öffnen. AB-Kommunikation ließe sich als Unterpunkt von 2.2 (Fernkommunikation) aufführen. Neben Punkt 2.2.1, der mit den Merkmalen ,zeitlich simultan' und .räumlich fern' Telefongespräche nennt, wären ABGespräche als eine weiterere Kategorie 2.2.2 mit den Merkmalen ,zeitlich getrennt' und .räumlich fern' denkbar.

322 323 324

325 326

Vgl. Brinker/Sager (1996: 57f.), Henne/Rehbock (1995: 8). Vgl. Nickl/Seutter (1995: 270). Vgl. Biere/Hoberg (1996), Bucher (1994), Leitner (1983) zu „phone-ins" in der Rundfunkkommunikation. Hess-LUttich (1989) und Hess-Lüttich (1990). Vgl. Henne/Rehbock (1995: 32f.); der Merkmalkatalog ist der Auseinandersetzung mit der Freiburger Redekonstellationstypik verpflichtet (vgl. Jäger (1976a: 54 und 60ff.), Bausch (1973), Deutlich (1973) und stellt deren Weiterentwicklung dar; vgl. Brinker/Sager (1996: 111); vgl. zur Kritik an Henne/Rehbock auch Brinker/Sager (1996: l l l f . ) und Hundsnurscher (1994: 213), Heinemann/Viehweger (1991: 141); die Autoren beziehen sich hierbei auf die Merkmalsmatrix in Henne/Rehbock (1982), die in Henne/Rehbock (1995) übernommen wurde.

4 Kommunikationsprobleme

Die genannten Zahlen zum Verbreitungsgrad von Anrufbeantwortern zeigen, dass der AB in der Bundesrepublik weit weniger als das Telefon genutzt wird. Geringere Nutzung und klar ablehnende Äußerungen weisen auf Akzeptanzprobleme des Mediums hin. Sozialwissenschafter verstehen unter „Technikakzeptanz" „die individuelle Bereitschaft [...], eine neue Technik mit ihren sozialen Folgen anzunehmen, d.h. zu begrüßen oder einfach nur hinzunehmen." 1 Technikakzeptanz kann von mehreren Faktoren abhängen. In unterschiedlichen Kulturen und Gruppen können sich unterschiedliche Haltungen zu Technik formen. 2 Einstellungen zu Technik sind zudem eine Frage der Berichterstattung. So hat die Publizistikwissenschaft der Achtzigerjahre gezeigt, wie Journalisten den Wandel von der Nutzen- zur Schadensberichterstattung vollzogen haben. 3 Negative Medienberichte, aber auch kultur-, gesellschafts- und gruppenspezifische Einstellungen zu Technik, können demnach dazu beitragen, dass Technik weniger akzeptiert und genutzt wird. Z u d e m dürfte die Akzeptanz jeglicher Technik von ihrer Funktionstüchtigkeit abhängen. Dies u m s o mehr, wenn es um so etwas Wichtiges wie Kommunikation geht. Störungen bei Kommunikationsmedien sind aber nicht allein technischen Ursprungs. Sie sind auch eine Frage von Regeln und deren Gebrauchsweisen. Störungen treten umso eher auf, wenn •

• •

1 2

3

4

kein Konsens über die Regeln der vermittelnden Kommunikation besteht und unterschiedliche Regeln zur Anwendung kommen bzw. diese Regeln unterschiedlich interpretiert werden, kein Konsens über die Regeln der Medienwahl besteht und somit „quasi" das falsche Medium benutzt wird und wenn damit keine gemeinsame Mediensituation unterstellt werden kann. 4

Rammert (1990a: 31); vgl. auch Schulz (1988: 21ff.). Vgl. Schulz (1988: 31f.); nach Garbe/Lange (1991:4) ist man in den Industriegesellschaften über Technik ernüchtert; insbesondere in Deutschland wird Technik inzwischen kritisch gesehen; vgl. dazu Noelle-Neumann/Hansen (1988:55), Kepplinger et al. (1989:11), Jaufmann/Kistler (1988). Vgl. Kepplinger/Mathes (1989); ausschlaggebend hierfür waren Schlüsselereignisse wie das Dioxin-Unglück von Seveso 1976, den Unfall im Kernkraftwerk Harrisburg 1978, die Suche nach den .Seveso'-Fässern in Deutschland 1983 oder die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986, die die Berichterstattung über nachfolgende Ereignisse beeinflusst haben; vgl. dazu Noelle-Neumann/Hansen (1988: 43), Kepplinger et al. (1989: 147ff.). Höflich (1991: 83).

88

4.1 Zum Regelbegriff Der Begriff der „Regel" wurde in verschiedenen Disziplinen diskutiert und hat sich dabei oft als nicht unproblematisch erwiesen. Höflich bemängelt, dass die Kommunikationswissenschaften den Begriff nicht einheitlich verwenden und verweist zudem auf entsprechende Begriffsdiskussionen in anderen Fachrichtungen. 5 Auch Linguisten haben wiederholt auf Abgrenzungsprobleme zwischen Begriffen wie „Regel", „Norm", „Vorgabe", „Vorschrift", „Konvention" oder „Gesetz" hingewiesen. 6 Intensiv haben sie sich dabei mit den Unterschieden zwischen „Regel" und „ N o r m " beschäftigt. 7 Bartsch stellt fest, dass die Begriffe gebraucht werden, „ohne daß zwischen beiden immer deutlich unterschieden würde." 8 Naumann gibt an, dass er „keine geeignete Abgrenzung zwischen beiden" 9 gefunden hat. Dittgen ist sogar der Auffassung,, dass weder „ N o r m " noch „Regel" „linguistisch eindeutig definierbar sind." 10 Ich möchte die Diskussion nicht fortsetzen. Da ich beide Begriffe aber verwende, fasse ich kurz zusammen, was ich unter ihnen verstehe: Gloy definiert „Normen" als „Festsetzungen zur Regulierung menschlichen Handelns im sozialen und gesellschaftlichen Leben." 1 1 „ N o r m " ist nach Klein ein relativer Begriff. Danach ist eine Norm eine als N o r m festgelegte Varietät. 1 2 „Sprachnormen" sind verdichtete kommunikative Erfahrungen, die durch Bewertungen bzw. den Bezug auf Wertsysteme gefestigt werden. Es handelt sich aber nicht um Erfahrungen schlechthin, sondern um herausgehobene, bewertete Erfahrungen darüber, welche Beschaffenheit von Texten zweckmäßig, empfehlenswert oder unangemessen sind oder dafür gehalten werden. Solche Erfahrungen wären jedoch noch keine Normen, wenn nicht viele sie in gleicher Weise machten und bewerteten. In dem Prozeß der Normenwerdung spielt die Explizierung eine wichtige Rolle. Indem Erfahrungen bzw. auch Folgerungen aus Erfahrungen formuliert werden, nehmen sie eine Existenzform an, die kollektiv merkbar und tradierbar ist und die immer wieder auf kommunikative Erfahrungen rückbezogen werden kann. Normen werden so zu einer kollektiven Instanz gegenüber dem Individuum.13

5 6 7

8 9 10 11 12 13

Vgl. Höflich (1988: 63f.). Vgl. vertiefend Fiehler (1981) Heringer (Hg. 1974), Lyons (1990: 50ff.). Vgl. Bartsch (1985: 157ff.) sowie Gloy (1975: 27ff.) und seine Kritik an Sandig (1975) und deren Explikation der Begriffe. Bartsch (1985: 163). Vgl. Naumann (1988: 142). Dittgen (1989: 13). Gloy (1980: 363); zu extralinguistischen Nonnbegriffen vgl. Gloy (1975: 19ff.). Vgl. Klein (1975: 16). W. Härtung (1986: 9).

89 Damit verstehe ich unter „Sprachnorm" eine sozial und kollektiv verbindlich gefestigte und als solche auch explizierte und tradierte Erwartungshaltung an Sprache und Sprecher und damit einen Bewertungsmaßstab für angemessenes und semantisch interpretierbares Sprach verhalten. 14 Sprachnormen erwachsen so aus Prozessen sozialer Kommunikation. 15 Cherubim weist darauf hin, dass Normierungen Kriterien für den sehr heterogenen Begriff der „Sprachrichtigkeit" festlegen. 16 Ich möchte die Heterogenität von „Sprachrichtigkeit" hier ebenfalls nicht diskutieren, den Punkt aber trotzdem kurz aufgreifen. Denn „Norm" impliziert, dass es etwas gibt, das richtig oder falsch sei. Wegen dieser Implikationen möchte ich den Normbegriff hier also lediglich im Zusammenhang mit der Norm geschriebener Sprache verwenden. Denn mein Untersuchungsgegenstand ist ABKommunikation und damit wie gezeigt vor allem gesprochene Sprache. In gesprochener Sprache ist aber nur schwer zu bestimmen „was als fehler gelten soll" 17 . Daher halte ich den Begriff „Regel" gegenüber „Norm" als den adäquateren, wenn es darum geht, gesprochene Texte wie die auf AB zu beschreiben. 18 Sandig weist darauf hin, dass es auch normierte Regeln gibt, die als Vorschriften gesetzt sind. 19 Diese Regeln, so Sandig weiter, beruhen nicht auf Konventionen, denen wir unbewusst folgen. Sie werden vielmehr gelehrt und eingeübt und so bewusst gemacht. 20 Regeln dieser Art nenne ich hier ebenfalls „Vorschriften". Ansonsten verwende ich den Regelbegriff. Natürliche Sprachen oder deren Varietäten sind nach Cherubim Systeme von Regeln, die die Produktion und den Gebrauch von Zeichen in kommunikativen Situationen steuern. Prinzipiell folgt das sprachliche Handeln der Mitglieder einer Sprachgruppe Regeln, die vor allem die Verständigung zwischen Kommunikanten ermöglichen und sicherstellen sollen. 21 Regeln müssen daher, so Cherubim weiter, als erwartete Gebrauchsweisen von Zeichen begriffen werden; Gebrauchsweisen also, die erwartet werden, weil sie in Prozessen der Sozialisation als verbindlich er22 worben und in Prozessen der Interaktion ständig neu bestätigt werden .

14 15 16 17 18

19 20 21 22

Vgl. Linke/Nussbaumer/Portmann (1991: 309). Vgl. Wimmer (1974). Vgl. Cherubim (1995: 31). Presch (1980). Ehlich (1994: 132) kritisiert den Regelbegriff als Basiskategorie für die linguistische Analyse. Vgl. Sandig (1976: 93); zu „Vorschrift" vgl. Bartsch (1995: 84, 159). Zum Begriff „Konvention" vgl. Bayer (1977: 54ff.). Vgl. Cherubim (1980b: 126f.). Cherubim (1980b: 127).

90 Nach Fritz kann aber die Frage, ob Partner in einem Dialog Regeln folgen, nicht unbedingt mit ja oder nein beantwortet werden. Fritz legt dar, dass man sich mit der Regelerklärung darauf festlegt, dass die Sprecher einer bestimmten Regel tatsächlich folgen und dass sie dieses voneinander wissen. Fritz verweist darauf, dass sich Dialogabläufe auch aus grundlegenden Prinzipien rationalen Handelns (wie dem Relevanzprinzip 23 ) heraus erklären lassen. Danach werde eine sprachliche Handlung in einem Dialog als Dialogaufgabe behandelt und auf der Basis von Sprachkenntnis und Weltwissen gelöst. Diese Lösung kann im Dialog erarbeitet werden, wenn noch keine eingespielten Verhaltensweisen vorliegen. Für bestimmte Aufgaben gibt es oft aber schon Lösungen - Vorbilder, Präzedenzen oder Muster etwa, an denen sich Dialogpartner orientieren können. 24 Hier, so Fritz, „wäre die Behauptung zu stark, man handle nach einer Regel, aber man befindet sich kommunikationshistorisch auch nicht in der Stunde Null." 25 Nach den Erkenntnissen der Ethnomethodologie besitzt jeder Interaktionsteilnehmer in seinem Alltagswissen auch Wissen darüber, wie man sich in Kommunikationsprozessen erfolgreich verhält. 26 Zu unserem Erfahrungsschatz gehört z.B., dass sich bestimmte kommunikative Situationen „besser oral, andere besser skribal, wieder andere sowohl oral wie skribal erfolgreich verhandeln" 27 lassen. Die Schrift ist „qua graphisches Medium [...] nicht notwendige Bedingung - wenn auch ideales Instrument - zur Realisierung der kommunikativen Anforderungen der Distanz." 28 Für kommunikative Aufgaben im Nahbereich ist dagegen Sprechen die beste Form der Reali29

sierung. Man kann also davon ausgehen, dass Interaktanten einen intuitiven Sinn dafür haben, welche Materialisierungsform sie für eine kommunikative Aufgabe im Idealfall nutzen. Dazu steht ein breites Band mündlicher und schriftlicher Lösungen zur Verfügung. Wir können face-to-face oder telefonisch miteinander sprechen, über das Internet chaten 30 , einen Brief, am Computer eine E-mail 31 oder eine SMS am Mobilfunktelefon 32 schreiben. In manchen Kommunikationssituationen können wir das Medium frei wählen. 23 24

25 26 27 28 29 30 31 32

Vgl. Werth (1981). Vgl. Fritz (1994: 179f.), Srecker (1987) zum Begriff des „Musters" und seinem Verhältnis zum Regelbegriff vgl. Ehlich (1994: 132f.). Fritz (1994: 180). Vgl. Schänk (1981: 20); vgl. auch Henne/Rehbock (1995: 14). Cherubim (1989: 15). Koch/Oesterreicher (1994: 589). Vgl. Cherubim (1989: 15); vgl auch Giese/Januschek (1990: 71). Vgl. Nitschke (1997), Pyra (1995). Vgl. Günther/Wyss (1996). Vgl. Lautenschläger/Schmidtke (2000).

91 Unter bestimmten pragmatischen Rahmenbedingungen sind wir aber in der Wahl der Lösungswege eingeschränkt bzw. auf eine spezifische Lösung festgelegt. In den Kommunikationswissenschaften wird die Ansicht vertreten, dass diese Wahl im Sinne einer „Medienetikette" 33 regelgeleitet ist. Die Sozialpsychologie bezeichnet eine konventionelle Norm als „Etikette". 34 Der Begriff selbst wurde im 17. Jahrhundert aus dem Französischen entlehnt und bezeichnet allgemein die Gesamtheit der festgelegten gesellschaftlichen Umgangsformen. 35 In der jüngeren Vergangenheit wurde „Etikette" auch mit Formen elektronischer Kommunikation in Verbindung gebracht. Dort bezeichnet z.B. der Begriff „Netikette" Regeln für den sprachlichen Umgang mit E-mail oder Chat. 36 Unter einer Medienetikette verstehe ich ein bestimmtes Regelwissen darüber, welches Medium zu welchem Zweck zu nutzen respektive abzulehnen ist, und welche Form der Kommunikation dem Medium adäquat ist, bzw. welche Regeln medienadäquate Kommunikation konstituieren. 37 Gegenstand einer Medienetikette ist daher nicht allein die Frage, welches Kommunikationsmedium einer Interaktion angemessen ist. Der Begriff erstreckt sich auch auf das sprachliche Handeln im Medium selbst. Eine Medienetikette umfasst daher notwendigerweise auch spezifische Etiketten, wie sie z.B. für das Telefon 38 oder elektronische Formen der Kommunikation im Internet aufgestellt wurden, damit die Kommunikation gelingen kann. Hierbei spielt die Form, die Sprache in der Kommunikation annehmen kann, eine wichtige Rolle. Auch hier haben wir für das sprachliche Handeln eine Fülle von Orientierungs- und Wahlmöglichkeiten, die sich z.B. aus den Mischungen von gesprochener oder geschriebener Sprache ergeben. In bestimmten Situationen tendiert man aber zu einer bestimmten Sprachform: Je nach Situation und Situationstyp [...] wird eine der beiden Sprachen bzw. Sprachformen realisiert; der Wechsel von einer Varietät in die andere - oft auch als ,Kodeswitching' bezeichnet - erfolgt meist völlig automatisiert. Situationstypen können z.B. durch Parameter wie .familiärer Bereich', .Freizeit', Schule, Berufswelt, öffentliche Institution definiert sein, manche Situationen sind eindeutig, andere weniger eindeutig einer bestimmten Sprachform zugeordnet.39

33 34 35

36

37 38 39

Höflich/Wiest (1990: 71). Vgl. Lersch (1964: 106). Vgl. Vgl. Drosdowski et al. (Hgg. 1989: 165f.); verwandte Begriffe wie „Höflichkeit", „Anstand" oder „Manieren" lassen sich nur schwer von dem der „Etikette" trennen; vgl. dazu die Begriffsdiskussion in Winter-Uedelhoven (1991: 15ff.). Vgl. Günther/Wyss (1996), Shapiro/Anderson (1985), Nitschke (1997), Storrer/Waldenberger (1998), Runkehl et al. (1998: 48, 56, 76). Vgl. Höflich (1991: 77), Höflich (1993: 332), Clyne (1985: 13). Vgl. Post (1945), Graudenz/Pappritz (1956). Linke/Nussbaumer/Portmann (1991: 316); vgl. auch Steger et al. (1974: 57).

92 Grundsätzlich kann also davon ausgegangen werden, dass zu dem Wissen Uber Kommunikation die Kenntnis von Wahlmöglichkeiten gehört, d.h. dass Interaktanten ein intuitives Verständnis dafür haben, welche • • •

Materialisierungsform (Sprechen oder Schreiben), Kanalform (Varianten von Sprechen und Schreiben) und Sprachform (Varietäten von GSPS und GSCHS)

einer konkreten Kommunikationssituation angemessen ist. Es ist allerdings schwer zu entscheiden, ob eine Wahl bzw. Abwahl grundsätzlich von Regeln bestimmt wird. Fritz legt dar, dass in Dialogen bestimmte Mustersequenzen zur Routine werden können. Dieses führt dazu, dass Dialogbeiträge einen gewissen Grad an Erwartbarkeit haben, wie das kommunikative Verhalten aufeinander abgestimmt werden kann, ohne dass dabei bereits Regeln befolgt werden; Erscheint nach Fritz aber eine von mehreren Sequenzalternativen als sehr vorteilhaft und wird diese anderen vorgezogen, kann dies und das gemeinsame Wissen um diese Päferenz dazu beitragen, dass die Form der Abfolge einen ausgezeichneten Staus erhält und als Regularität wahrgenommen wird. Ein bestimmtes Sequenzmuster kann Dialogneulingen schließlich als korrekte Standardlösung für eine bestimmte Dialogaufgabe vermittelt werden. Damit seien wir wieder, wie Fritz feststellt, beim Regelfolgen. 40 Er stellt daher zusammenfassend fest: Regelerklärungen und Problemlösungserklärungen ergänzen sich gegenseitig. Im Einzelfall ist empirisch zu entscheiden, ob eine Sequenz auf Regelfolgen oder auf problemlösendem Räsonnement beruht. Auch die Kombination ist denkbar: Die Regelkenntnis dient als Grundlage für das räsonnierende Entdecken und Verstehen neuer Abfolgemöglichkeiten. Schließlich kann eine Problemlösungserklärung zur Rekonstruktion der Gründe beitragen, die bestimmten Sequenzmustern zur regelhaften Geltung verholfen haben. 41

Bei der Rekonstruktion dieser Vorgänge begegnet die Analyse Fragen, die sich häufig auch aus der Sprecherperspektive schwer beantworten lassen, denn Regeln können expliziter und impliziter Natur sein. Letzteren folgen wir meist unbewusst und intuitiv. 42 Höflich verweist mit Ganz und Searle darauf, dass wir auch explizite Regeln lediglich unbewusst befolgen können. 43 Wenn diese Regeln Gewohnheit und Routine geworden sind, nehmen wir sie erst wahr, wenn sie erkennbar gebrochen werden. 44 Cherubim spricht bei dem Verstoß gegen eine Regel von einer „Abweichung" und stellt fest, dass sich

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Vgl. Fritz (1994: 180). Fritz (1994: 181). Vgl. Höflich (1988: 67). Vgl. Höflich (1988: 67); vgl. dazu Ganz (1971: 35) und Searle (1983: 67). Vgl. Garfinkel (1973).

93 (sprachliche) Regeln Uberhaupt erst durch die Existenz von (sprachlichen) Abweichungen definieren. 4 5 Abweichungen und Regeln stehen in einem direkten Abhängigkeitsverhältnis zueinander, denn im Rahmen der Aneignung gesellschaftlicher Verhaltensmuster, werden Regeln nicht nur vermittelt, sondern mit virtuellen Sanktionierungen im Falle von Devianz verknüpft und internalisiert.46 Im Wechselspiel von Regel und Regelabweichung f ü g e n sich auch im Umgang mit Kommunikationsmedien langfristig Regeln zu einer Art Fundus zusammen, der bewusst oder unbewusst befolgt wird. Dieses lässt sich z.B. anhand der traditionellen Telefonkommunikation beobachten. 4 7 Für zahlreiche Probleme wurden Lösungen gefunden, die die Telefonkommunikation regelhaft prägen.

4.2 Probleme gelingender Kommunikation beim Telefon Die Erfindung des Philipp Reis wird heute gemeinhin als ein Segen der Zivilisation eingeschätzt. 4 8 Das Gerät ist akzeptiert, sein Gebrauch fast j e d e m selbstverständlich geworden 4 9 ; wie selbstverständlich greifen wir heute zum Hörer, wenn das Telefon klingelt. Heute nehmen nach U m f r a g e n 82,4% auch nachts um drei Uhr noch ein Telefongespräch an, 5 7 % schließen es sogar prinzipiell aus, manchmal nicht ans Telefon zu gehen. 5 0 Es fällt schwer, sich dem Läuten zu entziehen: Nach wie vor ist das Klingeln des Telefons ein starkes Signal. Wir alle sind auf das Klingeln wie ein Pawlowscher Hund konditioniert. Der Griff zum Hörer erfolgt als unmittelbarer Reflex. 51 Immer mehr Menschen fühlen sich heute aber durch das Telefon gestört Lange sagt voraus, dass sich diese Tendenz mit d e m erwarteten Anwachsen des Telefonverkehrs noch verstärken wird. 52 „Das dräuende Signal" 5 3 wird

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Vgl. Cherubim (1980b: 127); vgl. auch Wiswede (1973), zur Abweichungsbewältigung vgl. Goes (2001). Höflich (1988: 66). Neuere Formen des Telefonierens z.B. mittels Konferenzschaltung (vgl. HessLüttich (1990: 253ff.) oder auch das Mobilfunktelefonat nehme ich hiervon aus. Vgl. Kühnert (1988: 77). Vgl. Rammert (1989: 77), Berens (1981: 402). Vgl. U. Lange (1989b: 171); vgl. auch Der Spiegel (1993b: 110). U. Lange (1989b: 171). Vgl. U. Lange (1989b: 172). Kuhnert (1988).

94 zum Stressfaktor, wenn es innerhalb kurzer Zeit oft oder in ungünstigen M o menten klingelt: ...the telephone can also be an unwelcome threat, one which interrupts activity and which potentially can be an instrument of harassment as unwelcome telephone intruders enter what had once been considered private space. 54 Für den Telefonnutzer ergibt sich in der alltäglichen Telekommunikationspraxis eine große Anzahl von Problemen, die in der T e l e f o n - S o z i o l o g i e behandelt werden: • • • • • • •

Telefonkosten 55 ; Verlust von Privatheit durch permanente telefonische Erreichbarkeit; 56 Schwinden der Briefkultur; 57 ; Vereinsamung und Isolation; Verlust von Zwischenmenschlichkeit; 58 Verlust kommunikativer Kompetenz und Ausdrucksfähigkeit; 59 sprachliche Hemmungslosigkeit; 60 Missbrauchsmöglichkeiten wie: unerwünschte Telefon-Direktwerbung, Telefonterror durch Scherzanrufe oder sexuelle Belästigung, der Bruch des Telefongeheimnisses. 6 '

Trotz der genannten Probleme steckt das Telefon heute in keiner Akzeptanzkrise mehr. Im Sinne der eingangs gegebenen Definition hat das Gerät keine Akzeptanzprobleme, da der Akzeptanzbegriff soziale Komplikationen mit einschließt. Ich gehe allerdings davon aus, dass die mit dem Telefon einhergehenden sozialen Folgen nicht begrüßt, sondern lediglich hingenommen werden. W e n n der Telekommunikationsalltag bei Telefonterror und Verlust an Privatsphäre (s.o.) aber immer mehr als untragbar und weniger als hinzunehmend empfunden wird, kann die S c h w e l l e von der Akzeptanz zur Ablehnung schnell überschritten werden. A u s einer ablehnenden Haltung gegenüber d e m M e d i u m können dann regulierende Maßnahmen erwachsen, wie sie Berens vorausgesehen hat:

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Gumpert (1989: 246); vgl. auch U.T. Lange (1996: 97f.), U. Lange (1993: 229), U. Lange et al. (1990: 31ff.). Vgl. Schmale (1988: 25), Dordick (1989: 235). Vgl. Ropohl (1989: 81); zur .telefonischen Verfügbarkeit' vgl. Schegloff (1968: 1087ff.); zur Vertiefung der Privacy-Problematik vgl. Katz (1991: 55ff.); Kubicek (1991: 7Iff.), Garbe (1991: 107ff.), Pool (1983: 139f.). Vgl. Genth/Hoppe (1986: 119ff.); vgl. auch Ropohl (1989: 81), Berens (1981: 416), Braun/Lange (1993: 29f.). Vgl. Schenk/Höflich (1991: 40). Vgl. Schenk/Höflich (1991: 40). Vgl. Aronson (1986: 306f.); vgl. auch Baumgarten (1931: 188f.). Vgl. Aronson (1986: 307), Crabb (1999: 658), Gutenberg (1987: 18 und 20ff.), Hopper (1992: 215), U. Lange (1993:229), Ropohl (1989: 81).

95 Es scheint, daß sich bei der in den letzten Jahren explosionsartig ausgebreiteten Möglichkeit, mithilfe des Telefons jederzeit und sehr direkt Partner zur Interaktion zu überrumpeln, hier vor allem im privaten Bereich eine Form des erschwerten Zugangs zu telefonisch vermittelten Interaktionen herausbilden könnte.62 Inzwischen wird der AB z.T. genau zu diesem Zweck genutzt: „Finally, the callee may use the answering machine as a barrier, a ,buffer' to regulate his or her communicative involvement." 63 Hierauf wird später noch genauer einzugehen sein. Angesichts des bei Berens genannten Regulierungsbedarfs telefonischer Erreichbarkeit kann gegenwärtig m.E. nur unter Vorbehalt von der Akzeptanz des Telefons gesprochen werden, und das nach mehr als einem Jahrhundert Telefongeschichte. Wie aber wurde das Telefon angenommen, als es noch jung war? Im Hinblick auf die Frage nach der Akzeptanz des AB ist dies eine interessante Frage. Der AB hat in größerer Zahl erst vor wenigen Jahren Einzug in den Telekommunikationsalltag gefunden und ist somit für viele Mediennutzer heute ein quasi ebenso ungewohntes Gerät, wie es das Telefon in den ersten Dekaden seit seiner Erfindung war. In dieser Zeit hatte das Telefon u.a. Akzeptanzprobleme zu bewältigen, weil seinen Nutzern die sprachliche Übung fehlte. Das ungewohnte Sprechen in die Ferne wurde z.T. als magisch empfunden 64 , auch sprach man von dem Gerät als Teufelskasten und schalt es bei den Soldaten als Kakelstrippe. Allgemein nannte man das Telefon wenig liebevoll einfach Kasten, auch weniger schmeichelhafte Namen wie Schwätzund Quasselkiste, Sabbel-, Quassel-, Quatsch- und Klönkasten und Quatschapparat, sowie Quasseldose oder Quatschofon für die Sprechmuschel waren üblich. 65 Diese Namen geben einen Hinweis auf frühe Akzeptanzprobleme des Fernsprechers. Die Frage nach konkreten Problemen im Telefongespräch zu Beginn der ,Telephonie' lässt sich heute „mangels authentischer Texte" 66 aber nur noch auf Umwegen beantworten. So wurden in den USA ältere Menschen zu ihren frühen Erfahrungen mit dem Telefon interviewt. 67 Auskunft über Schwierigkeiten im frühen Telefonverkehr und den sozialen Prozess der Aneignung des Telefons gibt zudem die zeitgenössische Literatur 68 . Rolika nennt weiterhin unterhaltende Leseangebote „als unerläßliche Quellen

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Berens (1981: 409). Alvarez-Caccamo/Knoblauch (1992: 475); vgl. auch Roth/Lepionka (1973). Vgl. Becker (Hg. 1994: 361f.) und die dort angeführten Anekdoten aus der Telefongeschichte. Vgl. Küpper (1964) und Küpper (1967). Schwitalla (1996: 153). Vgl. Fischer (1992a: 225). Vgl. Gold (1989).

96 für die Rekonstruktion dieses Prozesses sowie der ihn begleitenden Hoffnungen, Versprechen, Befürchtungen und Ängste." 69 Von Telefonproblemen zeugt auch die damalige Presseberichterstattung. „Wie eine [...] Neuerung [...] den Zeitgenossen nahegebracht wurde und wie man darüber gedacht hat, das erkennt man beim Durchsehen der vergilbten Bände alter Journale." 70 In Zeitungen und Zeitschriften der ersten Lebenstage des Telefons war das Gerät zunächst ein viel bestauntes Instrument. Die ,Telephonie' galt damals als eine Sache, welche schon in ihrer Kindheit ganz dazu angethan ist, in dem Communicationswesen und dem Depechenverkehr der Jetztzeit großartige Umwälzungen hervorzurufen.71

In der Presse seiner Jugendzeit wurden neben den Vorteilen, die das neue Medium mit sich brachte - „Reisen können gespart, Geschäfte vereinbart, Zeugen vernommen werden" 72 - bereits erste Telefonprobleme angesprochen, die auf Akzeptanzschwierigkeiten des Gerätes hinwiesen. Dabei war das neue Medium sowohl Gegenstand sachlicher Auseinandersetzung als auch Thema der Spötter - Humoristen, Karrikaturisten, Satiriker. 73 Mit Humor berichtete das Berliner Fremdenblatt: Wenngleich so jedes Kind fast kennt Dies schöne Femsprechinstrument, So hört man dennoch vielfach sagen Und raisonnieren laut und fragen: Was nützt mir nun der ganze Kitt, Wenns beim Gebrauch will klappen nit? Seitdem ich glücklich angeschlossen, hat täglich es mich sehr verdrossen,... 74

Verdruss bereitete es beispielsweise, falsch verbunden zu sein: Daß wenn ich mal nach Borchardt rief, Ich Bollen in die Strippe lief, Und falls ich dachte, nu'geht's fein, Ich plötzlich hing mit Löwenstein. Der Kasten geht schon fast in Stücken 75 von all dem vielen Knöpfedrücken.

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Rolika (1989: 309). Heiden (1963: 30). Illustrirte Zeitung (1877: 539). Die Gartenlaube (1877c: 796). Vgl. Heiden (1963: 38ff.). Berliner Fremdenblatt (1883: 6). Berliner Fremdenblatt (1883: 7).

97 Valentins Buchbinder Wanninger wird mehrfach Opfer einer Fehl Verbindung - ihm bereitet die rege Vermittlungstätigkeit der Firma Meisel und Compagnie „Telefon-Schmerzen" 7 6 . Walter Benjamin berichtet von Meinungsverschiedenheiten seines Vaters mit dem Vermittlungsamt. Dieser habe verärgert die Kurbel des Apparates minutenlang so stark betätigt, dass der Telefonistin ein elektrischer Schlag gedroht habe. 77 Hier bestätigt sich die Beobachtung Aronsons: In recent years, it has been observed that for some time the telephone has come to be used as an instrument of agression and hostility. 78 In erheblichem Maße schuf darüber hinaus anfangs die Technik des Telefons Probleme. Reis' erste Telefonversuche hatten das D i l e m m a bereits offenbart. Der Musiklehrer H. F. Peter sprach folgenden sinnlosen Satz in den Geber hinein: „Die Sonne ist von Kupfer". Reis verstand: „Die Sonne ist von Zucker." 79 Durch die mangelnde Tonqualität wurde die Kommunikation anfangs sehr erschwert, wie sich anhand der folgenden Parodie Tucholkys belegen lässt: Wie jehts dir denn? Jut, ja? Saufst du noch so viel? Det mußte nich! Det jreift die Nieren an - die Nieren! die Nieren! - liecht det an die Verständjung oda haste dir de Ohm nich jewaschn? 80 Schon früh waren akustisch bedingte Telefonprobleme auch ein Pressethema. S o berichtet 1877 die „Gartenlaube": Man telegraphierte (sie! telefonierte) einander deutsche Volkslieder, auch wohl Klavierstücke, indem man den Absendungsapparat mit dem Resonanzboden des Instruments in Verbindung setzte und es war gewiß sehr interessant, die Leistungen eines Sängers oder Virtuosen aus meilenweiter Entfernung mit genießen zu können, aber leider wollten die Worte nicht die Melodie begleiten, und alle Lieder wurden auf diesem Wege „Lieder ohne Worte". Das war sehr fatal, denn wenn z.B. die Tochter des Stationsvorstehers in X dem Telephon: „Ich mag Dich nicht leiden" nach der Melodie „Du liegst mir am Herzen" ins Kunstohr sang, so nahm der liebegirrende Aspirant der Nachbarstation diesen Hohn sicherlich für die beglückende Erhörung seiner aufrichtig gemeinten Serenaden. 81

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Valentin (1996: 90). Benjamin (1987: 18f.); Nach Holtgrewe (1989: 119) berichteten medizinische Fachzeitschriften immer wieder von Arbeitsunfällen bei Telefonistinnen, die u.a. durch rücksichtsloses Kurbeln der Teilnehmer verursacht worden waren. Aronson (1986: 307). Vgl. Heiden (1963: 11). Tucholsky (1985: 224). Die Gartenlaube (1877a: 220).

98 Eine weitere Quelle für Telefonprobleme sind alte Filme. 82 Schwitalla dokumentiert „(Leidvolle) Erfahrungen mit dem neuen Medium" 8 3 anhand von Telefondialogen in Spielfilmen der Jahre 1930 bis 1933. Danach zeugt das Telefonat aus der Verfilmung von Zuckmayers „Hauptmann von Köpenick" von zeittypischen „technisch und institutionell induzierten Problemen" 84 : erschwerte Identifikation mangels ausreichender Tonqualität, eine Fehlverbindung, Streit mit der Vermittlungsstelle. 85 Neben den bereits angesprochenen schuf das Telefon auch Probleme sozialer Natur. Kästners „rote Grete" narrt als vermeintliche Mitarbeiterin der Störungsstelle die Honoratioren der Stadt und lässt sie am Telefon singen: Von der Stadtbank der Direktor sang zwei Strophen .Hänschen klein'. Und der Intendant der Oper knödelte die ,Wacht am Rhein'. 86

Dieser Kinderstreich belegt die soziale Dimension früher Telefonprobleme. Aufgrund fehlender Visualität sprechen hier gesellschaftlich exponierte Personen mit der kindlichen Anruferin. In den Jugendjahren des Telefons war ein dem Standesdenken nach sozial nicht akzeptabler Anrufer wohl keine erfreuliche Vorstellung. Während des Viktorianischen Zeitalters dürften nach Rammert klassenbewusste Briten Anrufe von Fremden wohl als dreist und Überspringen der Standesgrenzen empfunden und sich diesen mit Hilfe des Hauspersonals entzogen haben. 87 Schon früh hatte die Abwahl des Telefons auch etwas mit Macht zu tun, wie ein Artikel des „Kladderadatsch" über die Vorführung des Fernsprechers vor Bismarck belegt. Dieser habe telefonisch einer Landtagsdebatte zu Notzustand und Kirchenverfolgung gelauscht und danach den zur Präsentation des Geräts im Auftrage des Generalpostmeisters nach Pommern angereisten Männern gesagt, dass er für die Erfindung, welche ihm die friedlichen Tage des erquicklichen Urlaubs störe, danke. Anschließend habe der Fürst das Gerät auf den Boden geworfen, wo es zerborsten sei. 88 Das Telefon wird hier als Störfaktor dargestellt, da es die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit durchbricht. Allerdings kann sich der Fürst dem Problem permanenter Erreichbarkeit hier kraft seines Amtes entziehen.

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Zu Film-Telefonaten vgl. Wulff (1989). Schwitalla (1996: 153). Schwitalla (1996: 155). Vgl. Schwitalla (1996: 157f.). Kästner (1960). Rammert (1990a: 34); vgl. auch Perry (1977: 78f.). Vgl. Kladderadatsch (1877: 214).

99 Schon früh fand man beim Telefon auch störend, dass man nicht wissen konnte, wann es klingelt. Tucholsky schreibt, dass das Telefon nur klingelt, „wenn man das gar nicht will." 89 Benjamin erinnert sich daran, dass das Telefonklingeln daher zu einem erheblichen Störfaktor für das Familienleben geworden war: Nicht viele, die den Apparat benutzen, wissen, welche Verheerungen einst sein Erscheinen in den Familien verursacht hat. Der Laut, mit dem er zwischen zwei und vier, wenn wieder ein Schulfreund mich zu sprechen wünschte, anschlug, war ein Alarmsignal, das nicht allein die Mittagsruhe meiner Eltern, sondern das Zeitalter, in dessen Herzen sie sich ihr ergaben, gefährdete. 90

Als belästigend wurde das Telefonklingeln auch empfunden, wenn es aus nichtigem Anlass eine Unterbrechung anderer Tätigkeiten erzwang. Kafka fragt: „Wer darf denn Anspruch erheben, wegen seiner privaten kleinen Sorgen mitten in die wichtigsten und immer rasend vor sich hingehenden Arbeiten hineinzuläuten." 91 Von Beginn an waren Telefonprobleme damit auch vom Gesprächsthema abhängig. Verhaltensunsicherheiten waren nicht nur eine Frage des ,Wer telefoniert wann mit wem?', sondern auch des ,Wer telefoniert wann mit wem über was?', wie die folgenden Gedichtzeilen von Ringelnatz belegen: Ich küsse Dich durch den langen Draht Du Meiniges, du Liebes! Was ich Dir - nahe - je Böses tat, 92 Aus der Ferne bitt ich: Vergib es!

Ringelnatz behandelt hier ein Telefonproblem, das sich aus den Spezifika des Mediums - „Reduktion auf Sprache und Stimmklang unter Fortfall nonverbaler Ausdrucksformen" 93 oder die „Ubiquität der Kommunikation" 94 - ableiten lässt - der Kuss bedarf ebenso des face-to-face wie ein Vergehen en face der Entschuldigung von Angesicht zu Angesicht. Das Medium Telefon, so ließen sich diese Zeilen interpretieren, galt auch damals schon als nicht jedem Gesprächsthema adäquat. Dieses dürfte einer der Gründe dafür gewesen sein, dass man anfangs anstatt zu telefonieren lieber einen Brief schrieb. Dies belegt ebenfalls das Gedicht von Ringelnatz:

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Tucholsky (1998: 197). Benjamin (1987: 18). Kafka (1982: 116). Ringelnatz (1985: 96). Ropohl (1989: 80). Ropohl (1989: 80); vgl. auch Wiegmann (1990: 314), Drummond/Hopper (1991: 301 f.).

100 Bist Du gesund? - Gut! - Was? - Wieviel? Nimms leicht! - Vertraue! - Und bleibe Mir mein. Wir müssen dies Wellenspiel Abbrechen — Nein, „dir" Dank! — Ich s c h r e i b e — ! 9 5

Die Liebenden beenden das telefonische ,Wellenspiel\ vertagen die Kommunikation auf das Geschriebene - die bei räumlicher Distanz damals üblichere Form der Kommunikation von Zwischenmenschlichkeit. Damit deutet das Gedicht darauf hin, dass fernmündliche Kommunikation ihren Platz zwischen Face-to-face- und Brief-Kommunikation noch nicht gefunden hatte. Wie in Liebesdingen nutzten die Menschen auch im Berufsleben trotz ,Telephone' weiter tradierte Kommunikationsformen. Für englische Geschäftsleute z.B. war das Telefonieren in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts noch sehr problematisch: Sie knüpften am Telefon zwar bereits Kontakte, Verträge aber handelten die Partner in der Regel unter vier Augen aus und beschlossen sie per Handschlag. 96 Dies gilt auch gegenwärtig noch: It still seems that the proverbial .handshake' or ,pressing the flesh' is still required for the consumation of business arrangements. 97

Viele Hemmnisse gegenüber dem Telefon sind nach Fielding aber heute wie damals nur subjektiv erklärbar. 98 Kafka beispielsweise hatte seine ganz eigenen Probleme mit dem Medium. 99 In „Das Schloß" schreibt Kafka von der Wehrlosigkeit gegenüber dem Telefon. 100 Das Problem lag für ihn darin, nicht zu wissen, wer am anderen Ende der Leitung den Hörer abhebt: „Dann freilich ist es besser, man läuft vor dem Telephon weg, ehe der erste Laut zu hören ist." 101 Auch beim Telefon zeigt sich so, daß die Einstellungen bei verschiedenen Personen verschieden sind, daß in verschiedenen Funktionen verschiedene Attitüden zur Geltung kommen und daß diese 102 Attitüden grundsätzlich psychisch mehrdeutig, multivalent sein können.

Auch heute gibt es noch Menschen, die Angst vor dem Telefon, ja regelrechte „Telefon-Phobien" 103 , haben. Die Gründe dafür müssen hier nicht detailliert erörtert werden. 104 Man kann aber davon ausgehen, dass ein damals wie 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104

Ringelnatz (1985: 96). Vgl. Rammert (1990a: 33); vgl. auch Beck (1989: 61). Dordick (1989: 226). Vgl. Fielding (1992). Vgl. Rickeis (1989), Schuerewegen (1994: 30ff.). Vgl. Kafka (1982: 36). Kafka (1982: 117). Bausinger (1983: 29f.). Häußermann/Petrowsky (1989: 127). Antos (1989a: 133ff.) nennt eine Anzahl Gründe für die Angst vor dem Telefon.

101 heute gegebenes konstitutives Merkmal des Telefongesprächs - der fehlende visuelle Kontakt - grundsätzlich und damit auch in unserer Gegenwart für Hemmnisse verantwortlich ist. Trotzdem ist das Fernsprechen im Verlauf der Telefongeschichte durch den Selbstwähldienst und eine tontechnisch akzeptable Dialogqualität problemloser geworden. 105 Nach mehr als einem Jahrhundert weiß man auch besser mit dem Medium umzugehen und kann seinen Regeln folgen.

4.3 Regelfolgen und Problemlösen im Telefongespräch Die Frage, woher die Regeln für das Telefonieren stammen, muss wohl mit Hinweis auf das Gerät beantwortet werden. Es war zu einem guten Teil die Telefontechnik selbst, die den kommunikativen Takt vorgab und nach dem Motto „Der Kasten thut es nicht allein; Es muß auch Ordnung dabei sein" 1 0 6 Fernsprechregeln generierte. Maßgeblich für die Kommunikation waren anfangs insbesondere technische Probleme, auf die sich die Interaktanten sprachlich einstellen mussten. So wurden mangels ausreichender Tonqualität des Mediums Fremdwörter vorsichtshalber buchstabiert. 1 0 7 Überhaupt galt die Regel: Recht deutlich und fein accentuiert, Wie wenn ein Mime Rede führt: So sollte einzig und allein 108 Die Fernsprechunterhaltung sein. Da die Kapazitäten des Telefonnetzes in den Anfangsjahren beschränkt waren, musste man sich zudem kurz und bündig fassen, um anderen Teilnehmern möglichst schnell wieder eine Telefonleitung zugänglich zu machen. 1 0 9 Neben diesen ganz allgemeinen Forderungen - deutlich und nur kurz zu sprechen - erzeugte die Technik auch explizitere Regeln für den Sprachgebrauch. Man führte z.B. „kleine Änderungen der Aussprache ein, um fehlerhaftes Hören zu vermeiden (in Deutschland z.B. ,zwo' statt ,zwei')" 1 1 0 Sprachlicher Regelungsbedarf erwuchs ebenfalls aus dem Faktum vermittelter Kommunikation. U m Fehl Verbindungen zu vermeiden, gehörte das Nach105 106 107 108 1M

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Vgl. Becker (1989: 69), Rammert (1989b: 82). Berliner Fremdenblatt (1883: 7). Vgl. Baumgarten (1931: 192). Berliner Fremdenblatt (1883: 10). Vgl. Baumgarten (1931: 192); nach Pappritz/Graudenz (1956: 235) war an Türen von Telefonzellen jahrzehntelang die Aufforderung „Fasse Dich kurz - nimm Rücksicht auf Wartende" zu lesen. Baumgarten (1931: 192).

102 sprechen von Nummern zum Arbeitsalltag der Telefonistinnen." 1 Allgemein löste man damals akustische Probleme durch Echofragen, Wiederholungen der eigenen oder der fremden Rede." 2 Zudem achtete die Vermittlungsstelle streng auf das richtige Format beim Telefonieren: Nun kommt die Meldung angeschrammt, Wenn Du verstanden bist: ,Hier Amt'. Dann äußerst Du, gemäß Vers Vier, (Die Höflichkeit verkneifend Dir) Nur: , Nummer sechs' (die Zahl der Liste) ,Jacobi' — Und schon fertig biste." 3 Man muss sich Telefonregeln wie Regeln allgemein aber nicht als statisch festgefügte Gebilde vorstellen, die unabänderlich sind. Regeln sind im Sinne des Sprachwandels als spezifische Konventionen historisch offen, sie lassen sich diskutieren, verändern, aufheben und wieder neu etablieren." 4 Die Telefongeschichte zeigt, dass sich mit dem Medium auch dessen Regelinventar änderte. Als die Vermittlungsstelle aus der Kommunikation ausschied und auch die Tonqualität ein besseres Verstehen ermöglichte, schwand ein Teil des technisch und institutionell nötig gewesenen Regelungsbedarfs. Andere Telefonregeln sind geblieben. Sie spiegeln sich noch heute in der Sequenzstruktur des Telefongesprächs wider. So lässt sich dessen geregelte Eröffnung z.B. telefonhistorisch wie folgt deuten: Damit sich überhaupt ein Telefonnetz etablieren konnte, war es in den Anfängen der Telefonkommunikation wichtig, dass auf ein Telefonklingeln geantwortet wurde. Wenig später wurde aus der technischen Notwendigkeit aber auch eine soziale Pflicht." 5 Damit trug man auch der Tatsache Rechnung, dass in den Anfangen des Mediums „eine richtige Verbindung nicht unbedingt zu erwarten war" 116 . Beides hat möglicherweise dazu geführt, dass Telefongespräche nach den Beobachtungen von Schegloff regelhaft beginnen: A first rule of telephone conversation, which might be called a „distribution rule for first utterances", is: the answerer speaks first.1

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Vgl. Baumgarten (1931: 193). Vgl. Schwitalla (1996: 161f.). 113 Berliner Fremdenblatt (1883: 11); vgl. auch Schwitalla (1996: 164). 114 Vgl. Cherubim (1980b: 127); zum Sprachwandel vgl. Cherubim (Hg. 1975) und Cherubim (1995). 115 Vgl. Crabb (1999: 658). 116 Höflich (1989: 204). 117 Schegloff (1968: 1076); vgl. auch Bethge (1974: 128ff.), Berens (1976: 19); zur Eröfnung von Telefongesprächen vgl. weiterhin Berens (1981), Godard (1977), Hopper (1989, 1992), Hopper/Doany (1989), Schegloff (1979). 112

103 Diese Regel hat sich hierzulande ebenfalls eingebürgert."8 Auch in deutscher Sprache beginnen Telefongespräche mit einer „summons-answer sequence"119. „Summons" und „answer" bilden gemeinsam nach Terminologie der US-amerikanischen Konversationsanalyse das erste „adjacency pair".120 Das zweite Paar sind Identifikation und Gegenidentifikation. Da die Interaktanten ortsversetzt kommunizieren, ist es für das Gelingen des Gesprächs regelhaft notwendig, dass sich beide gegenseitig identifizieren und erkennen: Whatever a telephone conversation is going to be occupied with, however bureaucratic or intimate, routine or unusual, earthshaking or trivial, it and its parties will have to pass through the identification/recognition sieve as the first thing they do. 121

Eine gegenseitige Identifikation wird aber erschwert, wenn sich der Angerufene mit Hallo, Ja bitte oder der Telefonnummer meldet, wie Bülow dies beobachtet hat. Aus der Unbequemlichkeit, zusätzlich nachfragen zu müssen, mit wem man spreche, resultiert nach Bülow zwangsläufig die Regel, dass sich der Angerufene mit Namen melden müsse. 122 Für den Fortgang der Kommunikation sind weitere Regeln nötig. So strukturieren sich telefonische Gesprächseröffnungen als Makrosequenzen oder Sets miteinander verbundener „adjacency pairs".123 Damit zwei Sequenzhälften ein „adjacency pair" bilden können, muss nach Schegloff/Sacks folgende Regel erfüllt sein: A basic rule of adjacency pair operation is: given the recognizable production of a first part, on its first possible completion its speaker should stop and a next speaker should start and produce a second pair part from the pair type of which the first is recognizably a member. 124

Folgen die Interaktanten der Regel, ergibt sich die in den meisten Telefongesprächen vorkommende Sequenz von „adjacency pairs": 118 1,9

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Vgl. Höflich (1989: 204). Vgl. Schegloff (1968: 1080ff.); vgl. auch Henne/Rehbock (1995:21f.)Werlen übersetzt „summons" als .Aufmerksamkeit-Wecken' (vgl. auch Berens (1981: 404) und „answer" als .Reaktion' und schlägt vor, um Missverständnisse zu vermeiden, die englischen Termini beizubehalten; vgl. Werlen (1984: 236). Ich verwende folgend kurz ,SA-Sequenz'. Vgl. Schegloff/Sacks (1973: 295f.), Werlen (1984: 236), Hopper (1989: 241). Schegloff (1979: 71); vgl. auch Berens (1981: 412), Bülow (1990: 302), Hopper (1992: 58ff.). Vgl. Bülow (1990: 311). Vgl. Hopper (1989: 242). Schegloff/Sacks (1973: 296); Sacks unterscheidet zwischen der Stelle, die ein sprachliches Element im Telefongespräch besetzen kann (.sequential slot') und den Elementen, die diese Position besetzen können; vgl. Sacks (1972: 341); nach Hopper (1992: 56) ist ein Telefonat ordnungsgemäß, wenn ein „sequential slot" durch ein gewohntes und unmarkiertes Element gefüllt wird.

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Summons Answer + Identifikation + Begrüßung Gegenbegrüßung + Gegenidentifikation125

Gruß und Gegengruß haben in Telefongesprächen oft die Form minimaler Begrüßungsrituale. 126 Daneben ist der Austausch von einfachen und ökonomischen Echogrüßen (Hallo - Hallo) Telefonstandard geworden. 127 Den Austausch von Grüßen wiederum bestimmen Regeln. 128 Diese sind z.B. kulturell oder sozial determiniert. 129 Regeln steuern auch das Ende der Gesprächseröffnung. Schegloff hat hierfür „terminating rules" erarbeitet. Die Eröffnung kann zudem nicht wiederholt werden, wenn ein Thema angeboten und akzeptiert wurde („non-repeatability"). 130 Ein Thema wird, wie Werlen zeigt, meist durch den Anrufer initiiert, der dadurch den Anruf legitimiert. 131 Nach Werlen regelt ein Ritual die Gesprächseröffnung in Telefonaten: Die 4 Paare Summons - Answer Identifikation - Gegenidentifikation Begrüßung - Gegenbegrüßung Themaeinführung - Themaratifikation bilden je ein „adjacency pair", haben aber unter sich keinerlei Beziehung. Erst das Ritual regelt ihre mögliche Abfolge, wobei die Abfolge durch die Optionalität von .Begrüßung' und ,Gegenbegrüßung' sowie durch die nicht entschiedene Reihenfolge von .Identifikation' und .Gegenidentifikation' sowie .Begrüßung' und ihres Gegenteils verschiedenes Aussehen erhalten kann. Die Grammatik der Handlungsabfolge bietet dadurch einen relativ großen Spielraum.132

125

Werlen (1984: 237); vgl. auch Berens (1981: 405). An diesen stellt Werlen (1984: 242) Tendenzen der Parallelisierung (how do you do - how do you do) und der Verschleifung (besonders in den USA; z.B. Umformungen von howdy zu hi) fest; zum Ritualbegriff vgl. Werlen (1979) und Werlen (1984: 2Iff.) sowie Goffman (1994a), Hartmann, (1973: 136ff.). 127 Vgl. Werlen (1984: 242); Berens (1981: 413f.) nennt diese „Kontaktwörter"; das Hallo war zuerst kein Grußwort. Edison benutzte es wegen seiner guten Resonanz in seinen Experimenten zur Schallaufzeichnung; vgl. Becker (Hgg. 1994: 361); Schürmann (1994: 270) mutmaßt, dass der Fernsprechverkehr auch zum verstärkten Gebrauch von Hallo in anderen Gesprächen beigetragen hat. 128 Vgl. Hartmann (1973: 146ff.). 129 Vgl. Werlen (1984: 241). 130 Vgl. Schegloff (1968: 1085ff.), Jäger 1976a: 72f.); Hess-Lüttich (1990: 247). 131 Vgl. Werlen (1984: 244). Dieser Auffassung widerspricht Berens, der zeigt, dass in bestimmten Kontexten auch der Angerufene ein Thema initiieren kann; vgl. Berens (1981:411). 132 Werlen (1984: 246). 126

105 Mit der Themeneinführung und Themenratifikation beginnt die Gesprächsmitte. 133 Diese folgt den von der Dialogforschung ermittelten Regeln, die sich aus der Themenbehandlung und dem Fehlen des visuellen Kanals ergeben. 134 Hier wäre zu vermuten, dass die Organisation des Sprecherwechsels 135 besondere Regeln benötigt. Eine Anzahl experimentalpsychologischer Studien in Großbritannien hat aber gezeigt, dass es diesbezüglich keine signifikanten Unterschiede zum Face-to-face-Gespräch gibt. 136 Allerdings ist es während des Telefonats notwendig, dass sich die Gesprächspartner regelmäßig des telefonischen Kontaktes versichern. Dem dienen Bestätigung suchende und informationsverstärkende Gliederungspartikeln 137 des Sprechers und das Hörerverhalten („back-chanel-behaviour") in Form von Rückmeldungspartikeln, die den Gesprächsschritt nicht beanspruchen. 138 Ähnlich wie die Eröffnung hat auch die Beendigung von Telefongesprächen Ritualcharakter. Das Beendigungsritual umfasst nach Werlen häufig die Schritte Themabeeindigung Resümee Dank - Dankantwort Verabschiedung - Gegenverabschiedung

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Diese Sequenzen sind nach Hess-Lüttich vielgestalt, aber je nach Gesprächstyp und dem Verhältnis der beiden Gesprächspartner zueinander entsteht eine konventionalisierte Struktur. Bei den für Beendigungen in Telefongesprächen verbindlichen Regeln gilt wie allgemein bei Gesprächen: „simply to stop talking is not a solution to the closing problem" 140 - „the unit ,a single conversation' does not simply end, but is brought to a close" 141 .

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Die Stelle zwischen Grußsequenz und Themeninitiation können zusätzlich sogenannte ,pre-topic closings'einnehmen. Der Anrufer bietet dadurch der Höflichkeit halber an, das Gespräch zu beenden, falls dem Angerufenen der Zeitpunkt ungelegen sein sollte; vgl. Schegloff/Sacks (1973: 310). Vgl. Hess-Lüttich (1990: 247), Schänk (1981, bes. 21-37 und 51ff.), Werlen (1984:246). Schegloff/Sacks (1973: 293) nennen dies die „turn-taking-machinery"; zur Systematik von Sprecherwechseln vgl. auch Sacks/Schegloff/Jefferson (1974). Vgl. Beattie/Barnard (1979), Butterworth/Hine/Brady (1988), Cook/Lalljee (1972). Vgl. Henne/Rehbock (1995: 26), Gülich (1970), Willkop (1988). Vgl. Brinker/Sager (1996: 57 und 66ff.), Bethge (1974: 127), Henne/Rehbock (1995: 26f.). Werlen (1984: 259). Weitere Sequenztypen in Beendigungen nennt Button (1987: 104); vgl. auch Clark/French (1981), Jäger (1976b: 105ff. und bes. 127ff.), Schegloff/Sacks (1973). Schegloff/Sacks (1973: 295). Schegloff/Sacks (1973: 289).

106 Jedes Telefonat verfolgt eine bestimmte Absicht. 1 4 2 Sobald der Grund des Anrufs abgearbeitet ist, ergreift einer der Teilnehmer, meist der Anrufer, die Beendigungsinitiative. Trotzdem muss man sich im Telefongespräch einig sein, dass das (letzte) Thema des Anrufs erschöpft ist, bevor es beendet werden kann. 143 Dieser Prozess kann sich unter gleichrangigen Gesprächspartnern oder bei asymmetrischer Gesprächsmotivation zuweilen recht umständlich gestalten und sich über etliche Gesprächsschritte hinziehen. Zuweilen müssen Rechtfertigungssequenzen dem Wunsch der Beendigung des Gespräches Nachdruck verleihen Selbst nach einem als beendet geglaubten Abschluss des Rituals kann das Gespräch wieder neu beginnen, wenn der Hörer nicht aufgelegt wurde, wie B j e l i c ' zeigt: „a telephone conversation is not finished so long as the other is still on the line" 145 . Solange aber die Verbindung gehalten wird, können Telefongespräche Geld kosten. Hess-Lüttich verweist auf den zu berechnenden Kostenfaktor, den jedes alltägliche Telefonat im Bewusstsein derer, die dieses Medium nutzen, darstellt 146 und fragt: „Welchen Einfluß hat dies auf die Gesprächsführung?" 147 Lange stellt dazu fest: Das Telefon mit der Geldstrafe ist insofern ein Brennglas, mit dessen Hilfe Gedanken auf den Punkt gebracht werden können. Immer sitzen den Gesprächsteilnehmern, zumindest bei Ferngesprächen, die Gebühren im Nacken. Der wahrgenommene Preis eines Gesprächs ist die Schere im Kopf, die häufig nur wenig Zeit für ein einfühlsames und geduldiges Gespräch übrig läßt. 148 D i e Telefonkosten führen - insbesondere wenn mittels Gebührenzähler angezeigt - dazu, dass sich aus Gründen der Geldersparnis bestimmte Standards

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Vgl. Bethge (1974: 131), Hess-Lüttich (1990: 247). Vgl. Clark/French (1981: 3). dem dienen sog. Schlusszustimmungssignale; vgl. Jäger (1976b: 123f.) Hess-Lüttich (1990: 247); vgl. Button (1987), Davidson (1978), Höflich (1989: 205), Schegloff/Sacks (1973: 289); Houtkoop-Steenstra (1990) zeigt, wie komplex Telefongespräche verlaufen können, wenn Anrufer einen Vorschlag unterbreiten, dieser aber nicht sofort angenommen wird; zu Begriff und Möglichkeiten des Aushandelns vgl. Brinker/Sager (1996: 150f.); Werlen (1984: 253) stellt Rechtfertigungssequenzen mit Hinweis auf die Telefonkosten oder einen höheren Grund (z.B. einen wichtigen Termin) in den Dienst des face-work; zu Begriff und Formen des „face work" vgl. Bayraktaroglu (1991: 6ff.); Holly (1979) und Goffman (1994a). Bjelic' (1987: 202); Bjelic' (1987:200) spricht hier von der „tum-taking- machine", die am Ende von Telefongesprächen immer wieder aktiviert werden kann. Vgl. Hess-Lüttich (1990: 249). Hess-Lüttich (1990: 249). U. Lange (1989a: 34f.).

107 beim Telefonieren durchsetzen. 149 Diese prägen regelhaft die Sequenzstruktur des Telefonats. Dass z.B. beim Telefonieren die Regel ,der Angerufene spricht zuerst' gilt, begründen Genth/Hoppe durch die Gebührensituation des Telefonats - der Anrufer trägt die Kosten und darf somit zuerst erfahren, mit wem er spricht. 150 Er kann das Gespräch auch beschleunigt beenden und dies durch die Telefonkosten rechtfertigen." 1 Es zeigt sich, dass Telefonkommunikation reich an Regeln ist, die zum Gelingen der Kommunikation beitragen. Ausdruck einer Regelhaftigkeit ist ihre konventionalisierte Sequenzstruktur. „Die Kraft der Geltung der ihr zugrunde liegenden Regeln kann jeder testen, indem er sie missachtet und entsprechende Irritationen provoziert." 152 Dies zeigt sich z.B., wenn der Angerufene nach dem Telefonklingeln den Hörer abhebt, dann aber nicht antwortet. Bereits das erste „adjacency pair" wird dann nicht gebildet. Nach dieser Regelabweichung wird der Anrufer nach Schegloff durch eine Frage (Hello?) überprüfen, ob die Telefonverbindung intakt ist. 153 Generell ist Schweigen - wenn z.B. die Rückmeldepartikeln ausbleiben - am Telefon problematisch. 154 Schweigen am Telefon kann als Gefährdung oder Abbruch des Kontaktes interpretiert werden. 155 Dem lässt sich aber sprachlich vorbeugen: „Längere Pausen werden daher meist durch Routineformeln legitimiert [...] oder durch automatisierte Ansagen vorbereitet [.,.]." 156 Auf präventive oder auch problemlösende Mechanismen in Gesprächen weist Sacks hin: There is a separate machinery designed for dealing with misunderstandings, and it draws attention to things that are not otherwise much focused on in conversation, apparently secondary bits of talk trying to 'get things right'. 157

Diese .Maschinerie' wird in der ethnomethodologischen Konversationsanalyse als „conversational repair" bezeichnet. 158 Drummond/Hopper zeigen, wie in Telefongesprächen auf diese Weise Missverständnisse bewältigt werden. 159 Dieses ist möglich, weil im Telefongespräch eine notwendige Voraussetzung für die Anwendung sprachlicher Regeln - eine kommunikative oder dialogische Situation 160 - gegeben ist. 149 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160

Vgl. Höflich (1989: 207). Vgl. Genth/Hoppe (1986: 127). Vgl. Hess-LUttich (1990: 247). Hess-LUttich (1990: 248). Vgl. Schegloff (1968: 1077). Vgl. Schönhammer (1990), Bülow (1990: 306f.), Gutenberg (1987: 17). Vgl. Hess-LUttich (1990: 248). Hess-LUttich (1990: 248). Sacks (1987: 66). Vgl. Schegloff/Jefferson/Sacks (1977), Schegloff (1987). Vgl. Drummond/Hopper (1991); vgl. auch Hopper (1992: 55). Vgl. Cherubim (1980b: 128).

108 Regeln müssen mit Cherubim freilich unter Vorgabe einer Tradition - gleichsam zwischen den Kommunikanten immer wieder neu verhandelt werden, da sowohl die Interpretation der Regeln wie die Bedingungen der Anwendung der Regeln zwischen den Kommunikanten differieren können. 161

Sind die Differenzen - wenn z.B. generell kein Konsens über Regeln besteht - gravierend, kann dieses die Kommunikation erheblich stören. Zum Regelkonsens gehört es z.B., die erworbenen und internalisierten ritualisierten Sequenzmuster der Eröffnung und Beendigung einzuhalten. Wird der entsprechend einer „Normalformerwartung" 162 hochgradig erwartbare Teil eines „adjacency pairs" ausgelassen bzw. wird der „sequential slot" durch ein dem regelmäßig Erwarteten nicht entsprechendes Element gefüllt, kann dies zu Problemen führen. Diese Probleme sind allerdings im Dialog lösbar. Sie lassen sich gemeinsam bewältigen, da wir inzwischen eine Telefontradition mit Regeln der Gesprächsführung und Vergleichsmuster haben, sodass eine Abweichung von Regeln als solche markiert und repariert werden kann. Diese Regeln sind inzwischen Teil einer gesellschaftlich erprobten und etablierten Telefonetikette geworden, die neben Regeln der Gesprächsführung auch Höflichkeitsregeln für das sprachliche Handeln am Telefon bereithält.

4 . 4 Telefonetikette Die Anfänge des Fernsprechens waren nicht allein durch Telefonprobleme geprägt, die technischen oder institutionellen Ursprungs waren. Das Berliner Fremdenblatt weist bereits 1884 daraufhin, dass sich Gerät und Amt meist zu Unrecht den Unmut der Mediennutzer zuzogen: Solch Raisonniren hilft ja sehr: Man fühlt sich leichter hinterher. Indeß der Flüche Adressat Sei nicht der todte Apparat, Sei nicht das Reichsvermittlungsamt, Das unter tausend Drähten kramt: Du selber angeschloss'ner Mann Bist allermeistens Schuld daran!163

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Cherubim (1980b: 128). Henne/Rehbock (1995: 200). Berliner Fremdenblatt (1883: 7).

109 Viele wussten im frühen Telefon verkehr nicht, welche Regeln beim Telefonieren einzuhalten waren. Nach den Beobachtungen von Baumgarten - dargelegt in ihrer „Psychologie des Telefonierens" von 1931 - dürfte das Benehmen am Telefon damals häufig zu wünschen übrig gelassen haben. So bemängelte Baumgarten eine „affektive Hemmungslosigkeit" beim Fernsprechen. Da man sich am Telefon nicht sehen könne, würden die Telefonistinnen oft ,angeschnautzt'. Das Telefon, so Baumgarten, fördere die Unhöflichkeit und mache es zudem wie beim Brief leichter, jemandem Unangenehmes oder gar Unwahres mitzuteilen. Weiterhin weist Baumgarten darauf hin, dass sich bestimmte Handlungen am Telefon verbieten. 164 Da das Telefon weder den tröstenden Blick, noch eine streichelnde Handbewegung zulasse, sollte man am Telefon nie kondolieren. 165 Damit die Kommunikation reibungsloser ablaufen konnte, machten es sich Zeitungen und Zeitschriften zur Aufgabe, ihren Lesern beizubringen, wie man telefonierte. Im Berliner Fremdenblatt wird der Leserschaft „der Angeschlossene, wie er sein soll" 166 als nachzueiferndes Vorbild empfohlen. Höflich weist darauf hin, dass in der damaligen Presse , 3 a d Telephone Manners" angeprangert wurden. Gleichzeitig habe man eine „Telephone Courtesy" gefordert. 167 Diese telefontypischen Höflichkeitsregeln sind seitdem Teil einer allgemeinen Etikette geworden. In Benimmbüchern, deren Anliegen der sogenannte ,gute Ton' ist, finden sich neben allgemeinen Verhaltensmaßregeln auch Regeln, die den sprachlichen Umgang mit dem Telefon behandeln. 168 Allgemeiner Tenor der Autoren ist dabei, dass viele beim Telefonieren nicht gewandt sind 169 und im großen Umfang Regeln verletzen. So stellt Haller fest: „Zweifellos vergessen manche Leute die goldenen Regeln des guten Tons nirgendwo so sehr wie beim Telefonieren." 170 Oheim bemängelt, dass viele Selbstverständlichkeiten, die zum .guten Ton' beim Telefonieren gehören, aus Gedankenlosigkeit nicht beachtet werden. 171 Zu den Selbstverständlichkeiten am Telefon gehören

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Nach Hess-Lüttich (1990: 249) behandelt man vertrauliche Themen „besser nicht am Telefon"; bestimmte Themen wurden damals wohl auch ausgespart, weil sich die Teilnehmer z.T. nur schwer identifizieren ließen und weil man sich angesichts eines Fräuleins vom Amt der Privatheit des Gesprächs nicht sicher sein konnte; vgl. dazu Rammert (1989b: 82). Vgl. Baumgarten (1989). Berliner Fremdenblatt (1883, Titelblatt). Vgl. Höflich (1991: 77), Telephony (1904a) und Telephony (1904b). Vgl. Haller (1970: 218ff.); von Kamptz-Borken (1956: 102ff. und 292), Oheim (1955: 307ff.), Pappritz/Graudenz (1956:233ff.), Post (1945:438ff.). Vgl. Horn (1954: 86). Haller (1970: 218). Vgl. Oheim (1955: 307).

110 zahlreiche Regeln, die ich im Detail hier nicht wiedergeben kann aber folgend vereinfacht aus den o.g. Quellen zusammenstellen möchte: Man... •

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ruft nicht zu .unschicklichen' Tageszeiten (vor acht, nach 21 Uhr), während des Essens, in der Ruhezeit nach dem Mittagessen oder zu Sonn- und Festtagen an; benutzt das Telefon nicht für Beileidsbekundungen, Glückwünsche, offizielle Einladungen, Tadel, Vorwürfe, Geldangelegenheiten; vermeidet am Telefon allgemein Persönliches und Geheimes, weil die Privatheit der Kommunikation nicht gesichert ist; richtet keine telefonische Bitte an hochgestellte Personen; erbittet am Telefon keine Auskunft von Unbekannten; entschuldigt sich; wenn man sich verwählt hat und legt nicht einfach den Hörer auf; identifiziert sich möglichst sofort gegenseitig mit Namen, der Angerufene identifiziert sich dabei zuerst; bietet einen Rückruf an, wenn auf den Gesprächspartner gewartet werden muss; spricht klar und deutlich; fasst sich am Telefon kurz, um die Leitung schnell wieder freizumachen und um Geld zu sparen; man bereitet das Gespräch mit einem Notizzettel vor und beschränkt sich im Gespräch auf das Notwendige; lange Eröffnungen und Beendigungen sind überflüssig, telegrammstilartiges Sprechen dagegen zweckmäßig; unterbricht den Gesprächspartner nicht; bricht das Gespräch nicht durch Auflegen des Hörers ab; telefoniert nur kurz, wenn man Gäste hat.

D i e Quellen, aus denen diese R e g e l n stammen, sind z w i s c h e n dreißig und mehr als f ü n f z i g Jahre alt. E s lässt sich nun darüber spekulieren, ob diese R e g e l n auch heute noch gelten. Manche m ö g e n etwas antiquiert wirken. Andere lassen sich aber auch in aktuelleren Quellen belegen. 1 7 2 Man kann letztlich auch nur spekulieren, für w i e verbindlich diese Regeln heute allgemein g e n o m m e n werden. Ich gehe aber davon aus, dass die Regeln einer Telefonetikette in unserer Gegenwart in weit größerem M a s s e als in den ersten Jahrzehnten des M e d i u m s bekannt sind und - bewusst oder intuitiv befolgt werden. D i e .Jüngeren sind mit d e m T e l e f o n aufgewachsen, schon als Kinder haben sie es für Verabredungen oder für den Kontakt zu den Eltern benutzt, wenn diese außer Haus sein mußten." 1 7 3 Telefonregeln werden nach Shapiro/Anderson daher von Kindesbeinen an erlernt:

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Vgl. Leisi/Leisi (1993: 115ff.), Tautz-Wießner (1994:158), von Au (1999: 150); weitere Regeln nennt Wulff (1989: 358). Häußermann/Petrowsky (1989: 127).

Ill By age 4 or 5, some basic telephone habits are learned (such as: ,Say something when you pick up the receiver after it rings - don't just stand there silently'). Kinder und Erwachsene sind schließlich an das Telefon gewöhnt, ihnen ist der geregelte sprachliche Umgang mit dem Telefon vertraut: „Kinder und Erwachsene gebrauchen es gleichermaßen für kurze Mitteilungen wie für lange Plaudereien." 175 Wenngleich sicherlich jeder im Alltag schon einmal erlebt hat, dass die eine oder andere der genannten Regeln gebrochen wurde, muss heute wohl kaum einem Erwachsenen noch das Telefonieren beigebracht werden. Eine umfangreiche Ratgeberliteratur lässt aber vermuten, dass trotzdem noch ein Besserungsbedarf besteht. Titel wie z.B. „Wirkungsvoll telefonieren - der richtige Umgang mit dem Telefon" 176 verweisen auf eine Leserschaft, die nicht richtig telefonieren kann und nach „Mehr Erfolg am Telefon" 1 7 7 trachtet. Die Titel spezifizieren keinen bestimmten Adressaten und sprechen eine breite Leserschaft an. Flemming beansprucht für seinen Rat - „Schnellkurs zum Telefon-Profi - Was wirklich jeder über das Telefonieren wissen sollte" 178 - sogar Allgemeingültigkeit. Trotz unspezifisch formulierter Titel beziehen sich die genannten Autoren inhaltlich aber häufig auf das Berufsleben. Motamedi/Eling fragen z.B.: „Wann möchten Sie denn angerufen werden? In der Morgenbesprechung? In der Mittagspause? Fünf Minuten vor Feierabend?" 179 Auch die zahlreichen Fall- oder Lehrbeispiele aus dem Firmen- oder Behördenalltag 180 weisen auf eine berufliche Orientierung hin. Zudem machen einige Ratgeber die Effizienz zum wichtigsten Kriterium des Telefonierens. 181 Ein Telefonat ist nach Thiele um so wirkungsvoller, j e besser es gelingt, „Sachziele zeitsparend zu erreichen" 182 . Das Telefon wird als „power-tool" 183 gesehen, das dabei hilft, „rationell zu arbeiten" 184 und nach der Maxime ,Zeit ist Geld' „Kosten zu sparen" 185 . 174

Shapiro/Anderson (1985: 11); zum Umgang von Kindem mit dem Telefon vgl. auch Mininni (1985) und Büchner (1990). 175 Leisi/Leisi (1993: 119). 176 Vgl. Motamedi/Eling (1992). 177 Vgl. Haucke (1994). 178 Vgl. Flemming (1992). 179 Motamedi/Eling (1992: 101). 180 Vgl. Flemming (1992: 12), Haucke (1994:10), Motramedi/Eling (1992: 101). 181 Vgl. Haucke (1994:8) und Flemming (1992: 12); Höflich (1989: 213) sieht in heutigen Anleitungen zum wirtschaftlichen Telefonieren noch Spuren vergangener zeitökonomischer Rationalisierungen des Telefonverhaltens, bei denen der militärische Umgangston des 19. Jahrhunderts Pate stand. 182 Thiele (1991: 139). 183 Flemming (1992: 26). 184 Haucke (1994: 14). 185 Haucke (1994: 14).

112 Es ist allerding fraglich, ob dieser den arbeitsweltlichen Erfordernissen angepasste Blickwinkel für das Medium auch der richtige für eine außerberufliche Nutzung ist. Ich bezweifele, dass sich der Geltungsbereich beispielsweise einer Effizienzregel auch auf das private, oft sachziel- und zwanglose Telefonat erstreckt, dass diese Regel privater Kommunikation angemessen und für die Interaktanten eine wünschenswerte Vorgabe ist. Ich gehe vielmehr davon aus, dass berufliche und private Telefonkommunikation neben vielen gemeinsamen auch unterschiedlichen Regeln unterliegen und dass wir es mit dem Nebeneinander einer beruflichen und einer außerberuflichen Telefonetikette zu tun haben. Berufliche und private Telefongespräche folgen aber beide den Regeln der Gesprächsorganisation, die im Medium begründet sind. Für beide gelten ebenfalls Regeln, wie ich sie vorangehend angeführt habe. Grundsätzlich sollte man am Telefon laut und deutlich sprechen, sich für eine Fehlverbindung entschuldigen oder bestimmte Telefonzeiten einhalten. Für beide gelten zudem gleichermaßen „soziale Formen des zwischenmenschlichen Umgangs, die auch bei der direkten persönlichen Kommunikation Gültigkeit beanspruchen" 186 . Höflich weist darauf hin, dass auch am Telefon Höflichkeitsregeln wie .Unterbreche andere nicht beim Sprechen' gelten. 187 Das berufliche Telefonat hat gegenüber dem „Telefonieren für den Hausgebrauch" 188 häufig andere Anforderungen zu erfüllen, die allerdings nicht Maßstab für Privatgespräche sind. Ganz im Gegenteil fehlt dem professionellen Gesprächsstil, der effizient auf ein Sachziel hinarbeitet, die Nähe, die für ein privates beziehungsorientiertes Telefongespräch nötig ist. Insofern vermitteln die genannten Ratgebertitel ein Regelinventar, das nicht mit einer allgemeinen Etikette für Telefongespräche gleichgesetzt werden darf, wenngleich sie auch Regeln vermitteln, die für jedes Telefonat gelten.

4.5 Zusammenfassung und Diskussion Der im Vergleich zum Telefon sehr viel geringere Verbreitungsgrad von AB gibt auch einen Hinweis darauf, dass das Gerät noch nicht voll akzeptiert ist. Darin zeichnet der AB derzeit noch die Geschichte des Telefons nach, das vom Ende eines von Technikskeptizismus geprägten 19. Jahrhunderts 189 beginnend, bis in die ersten Jahrzehnte des zwanzigsten hinein mehr als in unserer Gegenwart mit Akzeptanzschwierigkeiten zu kämpfen hatte.

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Höflich (1989: 204). Vgl. Höflich (1989: 204). 188 Cronemeyer (1991: 10). 189 Wie Bausinger (1983: 28f.) am Beispiel der Eisenbahn demonstriert. 187

113 Obwohl noch vieles Uber die soziale Aneignung des Telefons im Dunkeln liegt, lässt sich anhand verschiedener Quellen wie Zeitungen, Zeitschriften, Literatur und alter Spielfilme festhalten, dass für die Akzeptanzschwierigkeiten des Telefons nicht nur technische und institutionelle Probleme verantwortlich waren. Auch die mangelnde Kenntnis von Kommunikationsregeln (oder deren anfängliches Fehlen) trug zu Problemen in der Kommunikation bei. Die allgemeine Akzeptanz in unserer Gegenwart verdankt das Telefon u.a. technischen Verbesserungen und der gewonnenen Direktheit der Kommunikation, da die Gespräche nicht mehr zwangsläufig vermittelt werden. Auch die heute vergleichsweise relativ geringen Verbindungsentgelte haben die allgemeine Akzeptanz des Geräts gefördert. Zentral für die Annahme des Telefons ist aber auch, dass man es sich mit Erfolg sprachlich angeeignet hat. In Form von Regeln wurden Lösungen für zahlreiche Telefonprobleme gefunden. Man hat nicht nur gelernt, wie man ein Telefongespräch führt, man kennt auch eine Telefonetikette und weiß damit, wie man höflich telefoniert. Diese telefonspezifischen Regelkenntnisse gehören zu unserem Alltagswissen über Kommunikation. Damit können wir das Telefon und dessen Regeln auch in einen medialen Zusammenhang stellen und zum Bestandteil einer übergeordneten Medienetikette machen, die als kommunikatives Erbe vorheriger Telefongenerationen und Ergebnis individueller praktischer Erfahrungen sehr viele Regeln umfassen kann, zu denen auch Regeln für schriftliche oder fernmündliche Kommunikation gehören. 190 Ausdruck einer allgemeinen Akzetanz des Mediums ist letztlich, dass ein gesellschaftlicher Konsens über diese Regeln besteht und dass diese selbstverständlich befolgt und überhaupt nicht mehr als Regularitäten wahrgenommen werden. Ich gehe allerdings davon aus, dass sich diese Selbstverständlichkeit erst im Laufe der Telefongeschichte herausbilden musste und dass es in den Anfängen der Telefonkommunikation Verhaltensvorgaben gab, die als verbindlich empfunden wurden, weil sich Vermittlungsstellen auch wie Regulierungsbehörden gebärdeten und mit Strenge darüber wachten, dass beim Telefonieren Regeln eingehalten wurden. Nach Pool wurden Telefonistinnen angewiesen, den Sprachgebrauch von Anrufern zu maßregeln. Zudem sei fluchenden Anrufern manchmal die Verbindung abgebrochen worden. Pool erinnert in diesem Zusammenhang auch an die Beschwerden Marc Twains über die „Hartford company", da die Telefongesellschaft versucht habe, seine Sprache zu kontrollieren. 191 Pool weist ebenfalls darauf hin, dass Regelverstöße tatsächlich geahndet wurden. So sei

190 191

Shapiro/Anderson (1985: 11). Vgl. Pool (1983: 137).

114 1904 gegen einen Pariser Journalisten eine Strafe verhängt worden, weil sich dieser gegenüber einer „demoiselle de telephone" im Ton vergriffen habe. 192 Das regulierende Einwirken der Institution auf die Kommunikation machte sich nicht nur unmittelbar während der Vermittlungstätigkeit bemerkbar, es gab noch Möglichkeiten indirekter Einflussnahme, so z.B. über die Hinweistafeln in Telefonzellen oder gedruckte „Anweisungen zur Benutzung von Fernsprecheinrichtungen" 193 . Diese institutionellen Regulierungsmechanismen dürften also insbesondere zu Beginn der Telefongeschichte dafür gesorgt haben, dass sich die Teilnehmer im Fernsprechverkehr eines Reglements und institutioneller Sanktionen bei abweichendem Verhalten bewusst waren. Daher ist der Regelbegriff und die Vorstellung, dass beim Telefonieren explizite Regeln bewusst befolgt wurden, insbesondere den Anfängen der Telefonkommunikation angemessen. Der weitere Weg der sprachlichen Aneignung des Telefons hin zu einem selbstverständlich und ohne bewusstes Regelfolgen genutzten Mediums lässt sich samt seiner Zwischenstationen wohl nur schwer rekonstruieren - nach Becker ist die Sozialgeschichte des Telefons ein „nahezu weißer Fleck" 194 .. Man kann aber annehmen, dass sich das Telefongespräch erst ohne institutionelle Eingriffsmöglichkeiten voll entwickeln konnte. Die Verantwortung für das Gespräch lag ohne ein zwischengeschaltetes Amt nun allein in der Händen der Teilnehmer, die im Dialog Regel-, Reparatur- und Sanktionsmechanismen entwickeln mussten, damit die Kommunikation gelang. Das Wissen um das Funktionieren des Telefongesprächs gehört heute zum gesellschaftlichen Erfahrungsschatz einer Telefonetikette, die erworben und vererbt und freilich entsprechend gesellschaftlicher Veränderungen auch gewandelt weitergegeben werden kann. So lässt sich die beobachtete Tendenz in der Ratgeberliteratur, Telefongespräche nach Erfolg und Effizienz zu bewerten, als Merkmal einer zunehmenden Professionalisierung der Kommunikation bewerten. In der Soziologie besteht nach Hörning eine lange Tradition, zwei Typen von Sozialorganisationen zu unterscheiden. Betrieb und Bürokratie auf der einen Seite, und die Primärgruppe, vor allem die Familie, auf der anderen. Im Banne der Gemeinschaft/Gesellschaft-Dichotomien stehend wurden die beiden Arten sozialer Organisation meist als sich gegenseitig ausschließend und in Konflikt zueinander stehend gesehen. Zwei getrennte Welten mit eigenen Funktionen, Territorien und Verhaltensregeln, nach eigenen Gesetzen funktionierend und deshalb auch unabhängig voneinander analysierbar.195

192

Vgl. Pool (1983: 137). Vgl. Berliner Fremdenblatt (1884), Anhang. 194 Becker (1989: 70). 195 Hörning (1985: 20). 193

115 Diese Vorstellung wird inzwischen als überholt angesehen. Hörning spricht hier von einem „Mythos der getrennten Welten" 196 . Dieser spiegelt sich bereits in den Anfängen der Telefongeschichte wider, wie die Vorführung des Geräts vor Bismarck belegt. Das Telefon hat beide Welten füreinander durchlässiger gemacht und zudem ein Stück weit zu einer Technisierung des Alltags beigetragen, in deren Verlauf nach Hörning technisch-ökonomische Zweckrationalitäten Einzug in Alltagshandlungen nehmen und Handlungsanpassungen erzwingen. 197 Ratgebertips, die eine sachzielorientierte Ökonomie am Telefon nahelegen, belegen, dass im Zuge gesellschaftlichen Wandels auch das sprachliche Handeln einem Anpassungsdruck unterliegt, der als Regularität wahrgenommen und als Teil einer veränderten Telefonetikette weitergegeben werden kann. Dieses dürfte auch für das fernmündliche Handeln gelten, das den AB als Medium nutzt. Die Telefongeschichte zeigt, dass die Akzteptanz eines Mediums sehr von gelingender Kommunikation und diese wiederum sehr von Regeln abhängig ist. Die Analyse von Problemen in der AB-Kommunikation muss daher auch auf die Frage ihrer Regelhaftigkeit eingehen. Für deren Diskussion hat das Beispiel Telefon in diesem Kapitel den nötigen Rahmen und bereits wertvolle Hinweise auf mögliche Problemfelder in der AB-Kommunikation gegeben.

196 197

Hörning (1985: 25). Hörning (1985: 19).

C Untersuchungen

1 Befragung zu Akzeptanz und Nutzungsverhalten

Um das Thema .Probleme in der AB-Kommunikation' zu eröffnen, habe ich in den Monaten Februar und März 1996 eine nichtrepräsentative Umfrage zu Nutzungsverhalten von und Einstellungen gegenüber AB durchgeführt. Da es mir lediglich um das erste Aufzeigen von Tendenzen ging, habe ich den Aufwand der Erhebung gering gehalten. Die Befragung kann daher aus einer Anzahl von Gründen die höheren Anforderungen eines sozialwissenschaftlichen Erkenntnisinteresses nicht erfüllen. Einmal habe ich die Umfrageteilnehmer nicht zufällig ausgewählt. 1 Unter den 350 Teilnehmern - 110 ABBesitzer und 240 Telefonierer 2 - waren zwar Personen aus verschiedenen sozialen Gruppen (Studierende Schüler, Berufstätige und Rentner) und unterschiedlichen Alters. Dennoch hat die Umfrage einen Bias im Hinblick auf Studierende und jüngere Menschen (120

3 (0,3%)"

61-70

16(1,6%)

Obwohl also kein Anlass für Zeitdruck gegeben zu sein scheint, sehen viele Anrufer ihre Sprechweise verändert, wenn die Zeit begrenzt ist. Zeitdruck könnte also zumindest für einen Teil der Befragten beider Gruppen ein Problem bei der Kommunikation mittels AB sein. Auch bei Fragen zu Ansagetexten finden sich zum Teil Entsprechungen im Antwortverhalten. Ähnlich bewerten die beiden Gruppen die Länge der Texte. Beinahe 60% der AB-Besitzer und etwas mehr als die Häfte aller Telefonierer finden, dass die gehörten Ansagetexte offenbar nicht zu kurz und nicht zu lang gewesen seien. Betrachtet man die übrigen Antworten zu dieser Frage in beiden Gruppen, fällt aber auf, dass rund ein Drittel der Befragten ansonsten eher zu dem Eindruck neigen, Ansagetexte seien tendenziell zu lang. Diejenigen, die sich scheinbar längere Ansagetexte wünschen, sind in der klaren Minderheit. Gekaufte und dabei .gewollt' witzige Ansagetexte werden allgemein als schlecht bewertet. Trotzdem gibt es eine Präferenz für Einfallsreichtum bei der Produktion eines Ansagetextes. Immerhin halten sich mehr Besitzer von AB beim Texten und Gestalten für „kreativ" (15,5%) oder „eher kreativ" (28,2%) als „einfallslos" (12,7%) oder „eher einfallslos" (17,3%).

11

Mit der Stoppuhr ermittelt aus 1024 Anrufertexten.

123 Der Effekt kreativer Ansagetexte wird positiv eingestuft. Die Befragten glauben, dass ein lockerer oder witzig gestalteter Text für die Sprechbereitschaft der Anrufer „förderlich" (33,6%) oder „eher förderlich" (35,5%) sei. Von den Telefonierern sprechen 25,8% „gelockerter" und 32,1% „eher gelockert" auf einen AB, wenn der Text einfallsreich ist. 47,9% der Anrufer finden aber Musiktexte störend oder zumindest etwas störend. Bei den AB-Besitzern sind dies 38,2%. Es verwundert nicht, dass gerade ein Viertel der befragten ABBesitzer auf Musik setzen, wenn sie Anrufer zum Sprechen auf den AB bewegen möchten. 40% finden, dass Musik die Sprechbereitschaft weder fördert noch hemmt. Immerhin etwas mehr als ein Drittel attestiert musikalisch gestalteten Texten sogar kontraproduktive Effekte. Förmliche Ansagetexte von Freunden sind aber bei einem Teil der befragten Telefonierer verpönt. 16,3% bezeichneten dies als „irritierend", 19,6% als „eher irritierend". Die Mehrheit der AB-Besitzer hält aber den förmlichen Text für Anrufe von Firmen oder Institutionen für „wichtig" oder wenigstens „eher wichtig". Mehr als die Hälfte glaubt aber, dass ein förmlicher Ansagetext Freunde „hemmt" (24,5%) oder „eher hemmt" (30,9%). Einige Fragen erbrachten prägnante Ergebnisse: So gaben 58,3% aller Telefonierer an, ihre Sprechweise auf dem AB verändere sich, je nachdem, ob sie auf dem Gerät einer vertrauten Person oder eines Unbekannten eine Nachricht hinterlassen müssten, „etwas" oder „sehr". 67,3% der AB-Besitzer hatten beim Sprechen ebenfalls den Eindruck, dass sie selbst auf die AB vertrauter Personen anders sprechen als bei Unbekannten. Das eigene Erleben spiegelt sich aber nicht in der Einschätzung aus der Perspektive eines ABBesitzers wider. Nur etwas mehr als ein Viertel der AB-Besitzer gibt an, dass es für Anrufer beim Sprechen auf den AB erheblich sei, ob sie ein Vertrauensverhältnis zum Angerufenen hätten oder nicht. 70,9% der AB-Besitzer vermuten, dass für die Sprechweise des Anrufers die Frage „ausschlaggebend" (32,7%) oder „eher ausschlaggebend" (38,2%) ist, ob dieser selbst einen AB besitzt oder nicht. Deutlich äußern sich viele auch zum „Screening": 56,4% der AB-Besitzer geben an, das Gerät auch bei Anwesenheit „oft" (19,1%) oder „immer" (37,3%) einzuschalten. In der Berliner Studie sagten 6% der AB-Besitzer, das Gerät selten oder nie dazu zu nutzen. 24% gaben aber an, den AB gelegentlich oder regelmäßig als ,Filter'zu verwenden. 12 Dies stößt auf starke Ablehnung: 61,1% aller Telefonierer und 45,4% aller AB-Besitzer empfinden dieses als „störend" oder „eher störend".

12

Vgl. U. Lange et al. (1990: 34); Raz/Shapira (1994: 414) nennen „Screening" eine weitverbreitete Praxis; hier sind die USA richtungweisend - 46% nehmen dort, obwohl anwesend, Anrufe nicht entgegen, wenn sie einen AB haben; vgl. Crabb (1999:661); Meinungsforscher zweifeln daher bereits am Telefoninterview; vgl. Tuckel/Feinberg (1991: 200), Oldendick/Link (1994), Piazza (1993), Xu et al. (1993).

124

1.3 Zusammenfassung der Umfrageergebnisse Zum Zeitpunkt der Erhebung hatte ein erheblicher Teil der Befragten Probleme mit AB. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass viele ABKommunikation als erschwert empfinden. Obwohl die Geräte allgemein als nützlich eingestuft werden, empfinden sie viele als Kommunikationshemmnis und verweigern die Kommunikation. Manche legen sofort auf, sobald sich ein AB meldet. Andere entwickeln Strategien, um nicht auf das Gerät sprechen zu müssen. Sie warten die ihnen bekannte Anzahl von Klingelzeichen zuerst ab und legen auf, bevor das Gerät anspringt. Viele AB-Besitzer kennen dieses Anruferverhalten, und es stört sie. AB-Besitzern ist ebenfalls bewusst, dass die Wahl des Ansagetextes für einen bestimmten Adressatenkreis bedeutsam sein kann und dass es zu Disharmonien zwischen Text und Adressat kommen kann. Viele geben sich bei der Produktion von Ansagetexten daher Mühe und versuchen, dem Anrufer die Kommunikation durch großzügig bemessene Sprechzeit zu erleichtern. Viele geben aber auch in großer Zahl zu, „Screening" zu praktizieren. Unter den Ursachen für Probleme scheint das „Screening"-Verhalten eine exponierte Stellung einzunehmen. Die Daten deuten aber auch darauf hin, dass Ansagetexte für Probleme verantwortlich sein können. Probleme bei der Kommunikation mit AB sind nach den Umfragedaten allerdings immer in Abhängigkeit von einer Anzahl Variablen zu beurteilen. 13 Diejenigen, die selbst ein Gerät besitzen, haben scheinbar weniger Probleme in der AB-Kommunikation. Sie sind in der Sprechpraxis geübter und reagieren unbefangener auf die jeweilige Kommunikationssituation. Sie beurteilen Anrufbeantworter daher auch besser. Probleme können darüber hinaus nach dem Bekanntheitsgrad zwischen den beiden Interaktanten und nach dem vorgesehenen Thema des Anrufertextes - dem Anliegen des Anrufers - variieren.

13

Vgl. Miller-Spelman (1992: 272); Variablen nennen auch Henne/Rehbock (1995: 48).

2 Analyse von Problemen in der AB-Kommunikation

2.1 Zusammenfassung und Fragestellungen In den vorangegangenen Kapiteln habe ich den Untersuchungsgegenstand AB aus unterschiedlicher Perspektive betrachtet und dabei an mehreren Stellen bewusst den Vergleich zum Telefon gesucht. Denn das Telefon musste, bis es sich durchsetzen konnte, zunächst Akzeptanzschwierigkeiten überwinden. Es hat sich inzwischen als Medium nicht nur geschäftlicher oder institutioneller, sondern auch privater Kommunikation etabliert und ist heute in einer Zeit akzeptiert, in der die Frage nach der gesellschaftlichen Akzeptanz des AB erst aktuell geworden ist. Dem Telefon vergleichbar wurde der AB anfangs zunächst nur zögerlich angenommen. Die Tatsache, dass das Gerät bislang keinen dem Telefon vergleichbaren Verbreitungsgrad erreicht hat, spricht dafür, dass der AB noch im Begriff ist, seinen Platz im alltäglichen Telekommunikationsalltag einzunehmen. Ich gehe daher davon aus, dass der Prozess seiner sprachlichen Aneignung bei vielen noch nicht abgeschlossen ist. Aus der Geschichte des Telefons wissen wir, dass die Bedingungen des neuen Mediums anfangs Quelle für unsicheres sprachliches Handeln gewesen sind. 1 Ich vermute, dass sich dies beim AB derzeit wiederholt. Anhaltspunkte hierfür haben sich bereits aus meinen Vorüberlegungen ergeben, sodass sich für die Untersuchung eine Anzahl Problemfelder identifizieren lässt. Im Grundlagenteil habe ich die Gesprächshaftigkeit von ABKommunikation diskutiert und darauf hingewiesen, dass bestimmte pragmatische Merkmale der AB-Kommunikation mit dem Gesprächsbegriff kollidieren. AB-Kommunikation verläuft orts- und zeitversetzt. Anrufer und Angerufener haben daher im strengen Sinne keine gemeinsame Gesprächssituation. Zudem hat die Diskussion gezeigt, dass sich im Bereich Schriftlichkeit/Mündlichkeit Argumente sowohl für als auch gegen den Gesprächscharakter von AB-Kommunikation finden lassen. Merkmalhaft für ABKommunikation ist sein Mischcharakter aus Schriftlichkeit und Mündlichkeit. So neigen Ansagetexte eher zu Merkmalen des Monologischen und der Planung, Anrufertexte eher zu denen des Dialogischen und der Spontaneität. Ich gehe daher davon aus, dass sich erstens aus dem Spannungsverhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit und dem Fehlen einer gemeinsamen Gesprächssituation in der AB-Kommunikation Probleme für die Gesprächsteilnehmer entwickeln können.

1

Vgl. Beck (1989: 64f.); vgl. auch Baumgarten (1931: 190).

126 Im Grundlagenabschnitt habe ich gezeigt, welche Probleme das Telefon den Nutzern dadurch geschaffen hat, dass der raumüberwindenden Kommunikation der visuelle Kanal fehlt. Hier hat das Telefon durch Phänomene wie Telefonterror oder durch Nutzungsmöglichkeiten wie Telefondirektwerbung Probleme für das Privatleben seiner Nutzer und auch soziale Probleme geschaffen. Auf solche Probleme reagieren Menschen heute z.T. mit dem AB, der neben der eigentlichen Funktion der Übertragung von Nachrichten auch zum „Screening" genutzt werden kann - eine Praxis, die nach meinen Umfragedaten aber auf starke Ablehnung stößt. Ich vermute daher zweitens, dass Probleme in der AB-Kommunikation auch durch solche Nutzungsmöglichkeiten des Mediums geschaffen werden. Die Umfragedaten weisen weiterhin darauf hin, dass sich aus Ansagetexten und deren Gestaltung Probleme für die Kommunikation ergeben können, da sie den Bedingungen der Mehrfachadressierung unterliegen. Ich habe zudem darauf hingewiesen, dass auch Anrufertexte unter bestimmten Bedingungen mehrfachadressiert werden können. Für beide Interaktanten können sich in der Kommunikation also drittens Probleme der Mehrfachadressierung einstellen. Der Abschnitt zu den technischen Grundlagen diente dazu, den Untersuchungsgegenstand AB als Gerät genau zu bestimmen. Anhand der Merkmale ,Anzahl der Speichermedien', ,Typ der Speichertechnik' und .Signalton' hat das Kapitel eine Typologie von vier Geräten mit einer Anzahl Subtypen erbracht. In den Grundlagen habe ich zudem dargelegt, dass frühe Telefonprobleme auch auf die rein technischen Bedingungen des Mediums zurückzuführen waren. Eine Anzahl Probleme in der AB-Kommunikation dürften sich daher viertens aus dem Faktum verschiedener AB-Typen und ihrer jeweiligen technischen Spezifika ergeben. Hier zeigen sich erneut Parallelen zum Telefon, dessen Aneignungsprozess besonders in den Anfängen von technischen Problemen belastet wurde. Das Telefon zeigt aber auch, dass seine Nutzer nach anfänglichen Schwierigkeiten gelernt haben, mit technischen und anderen Problemen des ungewohnten Mediums umzugehen. Analog zum Telefon ließe sich daher fünftens auch für den AB danach fragen, auf welche Weise Probleme in der Kommunikation bewältigt werden können. Eine Antwort darauf hat meine Umfrage bereits gegeben: Es gibt Anrufer, die Probleme in der Kommunikation umgehen, indem sie auflegen. Hier wäre sechstens also auch nach Techniken zu fragen, mit denen Probleme vermieden werden können.

127 Im Zentrum der Grundlagen standen auch Regeln, wie wir sie ζ. B. in der Telefonkommunikation vorfinden und die dort dafür sorgen, dass ein Telefongespräch gelingt. Ich habe anhand der Telefongeschichte gezeigt, dass die Frühphase des Mediums von Regelproblemen gekennzeichnet war, weil die neue Form der Kommunikation erst noch ein allgemein verbindliches Regelsystem etablieren musste. Da sich der AB in einer vergleichbaren Phase der sprachlichen Aneignung befindet, stellt sich siebtens also auch beim AB die Frage nach Regelproblemen. Meine Analyse konzentriert sich somit insgesamt auf folgende sieben Punkte: • • • • • • •

Probleme im Bereich Mündlichkeit/Schriftlichkeit; Probleme durch Nutzungsgewohnheiten; Probleme der Mehrfachadressierung; Technisch bedingte Probleme; Formen der Bewältigung von Problemen; Formen der Vermeidung von Problemen; Regelprobleme.

2.2 Korpusbildung und Transkriptionsverfahren Nach Auswertung der Umfragedaten habe ich damit begonnen, ein ausreichend großes Korpus für die gesprächsanalytische Arbeit zu erstellen. Ich habe dazu von 1996 bis 1999 in Südniedersachsen an 16 privaten AB und meinem eigenen Gerät Ansage- und Anrufertexte aufgenommen. Um die Teilnehmer betreuen zu können, habe ich die Untersuchung regional berenzt. Die Teilnehmer waren zum Zeitpunkt der Untersuchung im Stadtgebiet von Göttingen und einem benachbarten Landkreis (zum Teil in dörflicher Umgebung) wohnhaft. Die Teilnehmer der Untersuchung habe ich nach den Kriterien ,Bekanntheitsgrad', .Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe', ,ΑΒ-Typ' ausgewählt. Die Teilnehmer sollten möglichst nicht demselben Freundes- oder Bekanntenkreis und unterschiedlichen sozialen Gruppen angehören. Zudem sollten die Teilnehmer verschiedene Typen von AB besitzen. Gerät

Typ

Teilnehmer (Alter)

A

Β

Betriebswirtin (27)

Β

Al

C

Β

D

A2

Student (28)

Ε

Β

Student (27), Studentin (27)

Studentin (27), Betriebswirt (26) Studentin (26)

128 F

Al

Studentin (27), Statiker (31)

G

Β

Erzieherin (28), Student (28)

Η

C (Kombi)

I

8

Unternehmensberater (32)

J

Β

Student (22)

Κ

C

promovierter Chemiker (70), Germanistin (50)

L

C

Chemieingenieurin (30), Radio- und Fernsehtechniker (32)

Μ

C

Diplomökotrophologin (32), Diplomlandwirt (35)

Ν

Β

Hausfrau (53), Schlosser (56)

0

C

Bürokauffrau (30), Maurer (32), Schulkind (7)

Ρ

C

Hausfrau (51), Kfz-Meister (53)

Q

C (Kombi)

Studentin (24), Studentin (21), Studentin (26), Student (30) Student (28) Studentin (23)

wiss. Hilfskraft (33)

Um das Verhalten der Anrufer hinsichtlich unterschiedlicher Ansagetexte untersuchen zu können, haben die Teilnehmer nacheinander verschiedene Texte verwendet: • • • •

förmlicher Ansagetext; kontaktbetonter Ansagetext; kreativer Ansagetext; gekaufter (witziger) Ansagetext.

Den förmlichen, den kontaktbetonten und den Spaßansagetext, habe ich vorgegeben. Einen Text sollten die Teilnehmer selbst kreieren. Nach mindestens zehn Aufnahmen kam der nächste Typ Ansagetext dran. Soweit nach Gerät und Kenntnis möglich, haben die Probanden alle Aufnahmen auf einem vorgefertigten Bogen nach Datum und Uhrzeit protokolliert. Notiert wurden dazu Angaben zu Vornamen, Alter, Bekanntheitsgrad, Beruf und gegebenenfalls AB-Besitz des jeweiligen Anrufers. Die Länge der Texte habe ich später mit einer Stoppuhr gemessen. Das so entstandene Korpus habe ich durch weiteres Material ergänzt - drei kleine Privatsammlungen kreativer und förmlicher Ansagetexte sowie der dazugehörigen Anrufertexte. Die jeweiligen Besitzer haben diese Aufnahmen nachträglich so genau wie möglich datiert. Insgesamt basiert die Untersuchung auf einem Gesamtkorpus von mehr als 2000 Arufertexten und den dazugehörigen Ansagetexten, gespeichert auf unterschiedlichen Kassettenformaten. Von diesen Texten habe ich für die Untersuchung 435 Aufnahmen von Muttersprachlern ausgewählt. Unter den aufgenommenen Anrufertexten entsprach eine große Zahl einer Minimalform, in der sich Anrufer nur auf die

129 Bitte um Rückruf beschränken. 2 Von diesen habe ich zwar eine Anzahl verschriftet - hinsichtlich meines Analysezieles waren allerdings andere Texte von größerem Interesse. Da es mir um die Beschreibung von Problemen in der Kommunikation geht, habe ich größtenteils Aufnahmen ausgewählt, anhand derer sich die Probleme in der Kommunikation gut darstellen lassen - Texte also in denen die Anrufer in irgendeiner Weise von der Minimalform abweichen. Dies waren z.B. Texte, in denen Anrufer sich zur Kommunikationssituation oder zum Ansagetext äußern. Ich habe auch Texte von Anrufern mit Formulierungsschwierigkeiten ausgewählt, und zudem Texte verschriftet, in denen die AB-Technik die Kommunikation gestört hatte. 3 2.2.1 Methodische Probleme Die Vorgehensweise der Untersuchung - die Vorgabe sprachlicher Äußerungen - diente dazu, Vergleichsmaterial zu einer Ausgangsäußerung zu erhalten. Sie ist somit an der Methode des „Eliciting" 4 orientiert. Brinker/Sager fordern bei diesem Verfahren, dass die Versuchssituation weitestgehend dem natürlichen Kontext angepasst sein sollte. 5 Ich wollte in meiner Untersuchung den Versuchsaufbau ebenfalls möglichst so gestalten, dass das Korpus aus natürlichen AB-Kommunikationssituationen stammen und die Analyse auch auf natürliches Material zurückgreifen konnte. Um zunächst einmal die Forderung nach einer natürlichen ABKommunikationssituation zu erfüllen, haben weder ich noch die Teilnehmer Anrufer in das Experiment eingeweiht. Damit die jeweiligen Anrufer auch wiederholt wie gewohnt auf den AB sprechen konnten, habe ich sie nach einer Aufnahme allerdings nicht befragen können. Ich habe daher nicht erfahren, in welchem Verhältnis (Bekanntheitsgrad) Anrufer zum Angerufenen stehen. Die in den Transkripten angegebenen Bekanntheitsgrade stützen sich daher auf die Einschätzung der Angerufenen. Um die Kommunikationssituation nicht gravierend zu verfälschen, haben die Teilnehmer weiterhin die vorgegebenen Ansagetexte nur verwendet, wenn sie zu ihnen passten oder ähnliche Texte vorher bereits an dem Anschluss verwendet worden waren. Diese Vorbedingungen konnte allerdings nicht jeder Teilnehmer erfüllen. Einzelne empfanden den gekauften SpaßAnsagetext als für sie unpassend. Andere hatten noch nie kreative Texte genutzt und taten sich beim Entwerfen und Sprechen solcher Texte schwer. In diesen und ähnlichen Fällen haben die Teilnehmer den jeweiligen Ansagetext und den entsprechenden Untersuchungsschritt ausgelassen. 2 3

4 5

Vgl. ex. Nr. 191. Zu Problemen der Materialauswahl- und aufbereitung vgl. Brinker/Sager (1996: 23), Cherubim (1989: 26ff.), Henne/Rehbock (1995: 52ff.). Vgl. Brinker/Sager (1996:13f.). Zur Natürlichkeit in Gesprächen vgl. Löffler (1985: 49), Schänk (1979) und (1981).

130 Ein Problem für die Natürlichkeit der AB-Kommunikationssituation schien sich zunächst aus dem mehrfachen Wechsel des Ansagetextes an den teilnehmenden Telefonanschlüssen zu ergeben. Das Korpus belegt, dass Anrufer vereinzelt auf den Wechsel reagiert haben. Ich kann daher nicht ausschließen, dass der Versuchsaufbau Einfluss auf das Material genommen hat. Allerdings ist es nach meinen Erfahrungen nicht unüblich, dass AB-Besitzer ihren Ansagetext rege wechseln. Insofern handelt es sich bei dem Eingehen auf eine neue Variante Ansagetext um eine natürliche Reaktion auf ein Stück Alltag in der AB-Kommunikation. Ich betrachte das auf diesem Wege entstandene Material daher als natürlich. Ein weiteres Problem bestand darin, dass die Untersuchung einen tiefen Einblick in die Privatsphäre der Probanden gewähren würde. Daher knüpften einige Teilnehmer ihre Mitarbeit an die Bedingung, dass das zur Verfügung gestellte Tonmaterial Dritten nicht zugänglich gemacht werden dürfe. Auch sollten ihre und die Identität ihrer Anrufer in den Transkripten nicht preisgegeben werden. Dadurch war es notwendig, die Texte zu anonymisieren. Adressen, Telefonnummern, Personen-, Firmen- und Ortsnamen habe ich daher in den Transkripten gegen Platzhalter ersetzt (bei den Namen meist durch die Platzhalter ANKE/ARNE und BEN/BRITTA für Anrufer und Angerufene). Sehr vertrauliche Gesprächsinhalte habe ich gar nicht transkribiert. Probleme schuf auch die AB-Technik für die Untersuchung. Die Speichertechnik einiger AB ließ die Aufnahme des gekauften Spaß-Ansagetextes nicht zu. Entgegen der Ankündigung des Herstellers auf der Kassette, dass die Ansagen für jeden AB-Typ geeignet sind 6 , benötigten die zehn Prominenten-Ansagetexte mit einer Dauer von 19 bis 28 Sekunden mehr Zeit als die Speichertechnik vieler Geräte zuließ. Fünf speicherkapazitätsarme Geräte brachen die Aufnahme dieses Ansagetextes nach weniger als 20 Sekunden ab. Der Hersteller rät aber auf der Kassette: Sie können vor oder nach der Ansage Ihren Namen aufsprechen so daß der Anrufer nicht das Gefühl bekommt, sich verwählt zu haben. 7

Dieses ließ sich in der Untersuchung nicht durchführen, denn damit wäre der Ansagetext noch länger geworden. Noch weniger Geräte hätten dann an dem Untersuchungsschritt teilnehmen können. An keinem der Geräte wurde damit der Rat des Herstellers befolgt. Dies ist nach meinen eigenen Erfahrungen mit diesen Ansagetexten aber realistisch und gängige Praxis. Gekaufte Texte verhindern zwar die Identifikation des AB-Besitzers, dies kann aber durchaus erwünscht sein: Die Texte werden z.B. von Frauen genutzt „die sich durch eine männliche Stimme am Telefon vor zudringlichen Anrufen schützen

6 7

Vgl. Piepshow, Anleitung für die Produktion des Ansagetextes. Piepshow, Anleitung für die Produktion des Ansagetextes.

131 wollen" 8 . Darüber hinaus ist die Frage ohnehin gerechtfertigt, welchen Sinn es macht, sich einen Ansagetext zu kaufen, um letztlich doch selbst Text sprechen zu müssen. Aus der Speichertechnik der Geräte ergaben sich weiterhin Probleme für die Beschaffung von Aufnahmen. Während mir die Besitzer von halbdigitalen und Analoggeräten problemlos am Ende eines Arbeitsschrittes die jeweilige Kassette mit den Anrufertexten geben konnten, war dies bei Digitalgeräten (dies gilt auch für den Ansagetext bei den halbdigitalen Geräten) nicht möglich, da bei diesen das Speichermedium fest im Gerät installiert ist. Texte, die auf digitale Speichermedien gesprochen worden waren, haben die Teilnehmer mir mit Hilfe eines Diktaphons aufgenommen. Durch den Kopiervorgang hat die Tonqualität der ohnehin klangqualitativ problematischen Digitalaufnahmen weiter gelitten, was ζ. T. die als schwer- oder unverständlich markierten Passagen oder den nur vermuteten Wortlaut in manchen Transkripten erklärt. Im Zweifel habe ich daher andere Personen gebeten, das von mir Gehörte zu überprüfen. Aus technischen Gründen habe ich auch darauf verzichtet, von ABBesitzern die Anzahl der ,Aufleger' an ihrem Gerät protokollieren zu lassen (,Aufleger' sollten die Teilnehmer ursprünglich mit einem langen Strich in die Protokollbogen eintragen). Da nicht jedes Gerät die Anzahl der Aufleger festhält und an manchen Geräten der Untersuchung Anrufer Gelegenheit haben, noch vor Beginn der Aufnahme aufzulegen, sodass das Auflegen nicht aufgezeichnet wird, habe ich diesen Teil der Untersuchung aufgegeben. 2.2.2 Beschreibung und Begründung des Transkriptionsverfahrens Um es dem späteren Betrachter zu ermöglichen, die Bedingungen, unter denen ein bestimmter Anrufertext entstanden ist, nachzuvollziehen und die Gesprächssituation möglichst transparent zu machen, habe ich zunächst eine Transkriptionsmaske entworfen und jedem Transkript vorangestellt, die jene von den Teilnehmern protokollierten Begleitdaten zu Anruf, Anrufer und Adressat des Anrufs, und Angaben zu Datum und Uhrzeit des Anrufs und Länge von Ansage- und Anrufertext enthält. 9 Aus der Besonderheit der Kommunikationssituation - Ansagetext und Anrufertext werden nicht parallel gesprochen - ergibt sich der Verzicht auf eine Partiturnotation. 10 Ich habe die Texte daher in Art einer modifizierten Text8 9

10

Hessenland (1996: 18). Schröder weist darauf hin, dass eine linguistische Analyse erst sinnvoll ist, wenn sprachliche Daten zu außersprachlichen in Beziehung gesetzt werden können; vgl. Schröder (1973:24f.); vgl. auch die Vorschläge in Bausch (1973: 97ff.). Vgl. Brinker/Sager (1996: 41), Henne/Rehbock (1995: 74ff.), Ehlich/Rehbein (1976: 26ff.).

132 notation verschriftet. 11 Die Anrufertext-Notate beginnen nach dem initiierenden Signalton mit dem Ansagetext und enden nach dem folgenden Anrufertext, wenn der Anrufer seine Nachricht abgeschlossen hat oder die Verbindung durch das Gerät abgebrochen wurde. Ansagetext und Anrufertext werden durch den Signalton getrennt. Diesem habe ich vor Beginn der Transkription besondere Beachtung geschenkt. Grundsätzlich hat dieser Ton die Funktion eines „turn-yielding-signals" 12 . Fraglich blieb, wie dieser im Transkript einzuordnen und darzustellen ist: • •

als nicht-sprachliche Lautäußerung wie das Pfeifen , das der Anrufbeantworter sozusagen stellvertretend für den Angerufenen ausgibt; als Element der von Nickl/Seutter bezeichneten Klasse der „teilnehmerunabhängigen Nonverbalia" 1 3 .

Gemessen an den von Brinker/Sager genannten Formen des Sprecherwechsels 14 gehört der Signalton zu den teilnehmerunabhängigen Nonverbalia. Zwar markiert er den Sprecherwechsel, doch wird dieser hier weder durch Aufforderung noch durch Selbstwahl der Interaktanten initiiert. Dass sich der Anrufer den Gesprächsschritt nicht selbst zuweisen kann, gehört zu den Besonderheiten der AB-Kommunikation. Auch eine Fremdzuweisung des Sprecherwechsels scheidet hier aus. Der AB kann nicht wie ein Moderator an einer theoretisch beliebigen Anzahl von Stellen einen Sprecherwechsel einfügen. Der Sprecherwechsel ist beim AB programmiert. Der Signalton ist teilnehmerunabhäng. Daher habe ich dem Notat eine eigene Zeile für den Signalton zugeordnet. Den Transkriptzeilen habe ich in jeweils einer Spalte die Zeilen- und Wortzählung und in einer zweiten die entsprecheden Sprechersiglen vorangestellt. Da im vierten Arbeitsschritt ein Imitator von Prominentenstimmen und keiner der Teilnehmer den Ansagetext spricht, wurden in den betreffenden Transkripten die Sprechersignale und der Name gegen die Gerätenummer des aufnehmenden AB ersetzt. Auf diese Weise sollte ermöglicht werden, einen Anrufertext einem konkreten Teilnehmer zuordnen zu können. Aus layouttechnischen Gründen konnte ich dem Kommentar nicht mehr Platz in den Transkripten einräumen. Er ist daher universell als akustischer, semantischer und pragmatischer Kommentar gedacht. 15 Ich habe die Aufnahmen angelehnt an die bei Henne/Rehbock verwendeten Transkriptionszeichen verschriftet. 16 Einige Transkriptionszeichen habe 11 12 13 14 15 16

Vgl. Brinker/Sager (1996: 41). Nickl/Seutter (1995:263); vgl. auch Brinker/Sager (1996: 60). Nickl/Seutter (1995: 263). Vgl. Brinker/Sager (1996: 60f.). Vgl. Henne/Rehbock (1995: 56ff.), Brinker/Sager (1996). Vgl. Henne/Rehbock (1995: 77ff.).

133 ich den Bedürfnissen und Möglichkeiten der verwendeten Textverarbeitung angepasst. Entsprechend der Spezifika des Mediums A B habe ich darüber hinaus neue Transkriptionszeichen eingeführt, u.a. um spezifisch technisch bedingte sprachliche Phänomene darstellen zu können. Da es kaum möglich ist, alle auf dem Tonband gespeicherten Daten auf dem Papier festzuhalten, habe ich nicht alle Daten transkribiert. 1 7 Ich habe besonders darauf verzichtet, die Sprechgeschwindigkeit zu notieren, da der damit verbundene Aufwand kaum zu rechtfertigen gewesen wäre. Nach Schwitalla haben individuelle Sprecher unterschiedliche Sprechgeschwindigkeiten. Es kommt also nicht auf die absolute Zahl der Silben pro Sekunde an, ob man etwas als schnell oder langsam gesprochen wahrnimmt, sondern auf die Relation zur Durchschnittsgeschwindigkeit des Sprechers. 1 8

Da ich die durchschnittliche Sprechgeschwindigkeit der jeweiligen Anrufer weder kenne und angesichts deren weitgehender Anonymität auch nicht objektivieren konnte, wären für mein Erkenntnisinteresse präzise Messungen der Geschwindigkeit beim Sprechen auf einen A B von geringem Nutzen gewesen. Weiterhin habe ich den gesprächsbeendenden Signalton nicht notiert, da ich beobachten konnte, dass Anrufer zeitweilig manuelle Probleme hatten, den Hörer aufzulegen und der abschließende Piepton somit sehr verspätet zu hören war. Da das in der Textverarbeitung vorhandene Inventar von Schriftzeichen der Transkription fremdsprachiger Inhalte nicht genügte, habe ich auf deren Notation in literarischer Umschrift 1 9 verzichtet. Auf den fremdsprachlichen Charakter bestimmter Inhalte habe ich im Kommentar hingewiesen.

17

18 19

Vgl. Schank/Schoental ( 1 9 7 6 : 1 9 ) ; notwendigerweise bedeutet Transkription eine Selektion der zu verschriftenden Merkmale im Hinblick auf das Erkenntnisinteresse; vgl. Willkop ( 1 9 8 8 : 1 9 ) ; zu Problemen der Verschriftlichung vgl. Fischer ( 1 9 8 8 : lOlff.). Schwitalla ( 1 9 9 7 : 159f.). Vgl. Henne/Rehbock ( 1 9 9 5 : 65f.).

D Ergebnisse und Diskussion

1 Mündlichkeit und Schriftlichkeit Let us record the atoms as they fall upon the mind in the order in which they fall, let us trace the pattern, however disconnected and incoherent in appearance, which each sight or incident scores upon the consciousness. 1 Ich rufe! Echolos sind alle meine Stimmen. Das ist ein alter, lauteleerer Wald. Ich atme ja, doch gar nichts regt sich oder hallt. Ich lebe, denn ich kann noch lauschen und ergrimmen. 2

Das Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit beschreibt die Forschungsliteratur allgemein als spannungsreich. Der Übergang vom Sprechen zum Schreiben verläuft nicht immer reibungslos. Der Wechsel ist z.B. häufig mit Transformationsverlusten - auch kultureller Prägung 3 - verbunden. Daher kann Sprache in der Schrift mumienartig aufbewahrt nur unvollständig sein. 4 Als Beispiel führt Pflug die Grimmschen Märchen an. Erzähler konnten sie den jeweiligen Zuhörern anpassen. In schriftlich fixierter Form haben die Brüder aber nur eine von vielen möglichen Erzählsituationen überliefert. 5 Über andere Versionen kann der Erzähler, nicht aber die niedergeschriebene Erzählung Auskunft geben: „Was ist merkwürdiger als das Schweigen, auf das man stößt, wenn man eine Frage an einen Text richtet?" 6 Schon Piaton hatte sich in den Phaidros-Dialogen damit kritisch auseinandergesetzt und festgestellt, dass Geschriebenes stumm sei. Wahrheit aber werde nur in Rede und Gegenrede erreicht. 7 Es zeigt sich, dass die Verschriftlichung von mündlich realisierter Sprache tief in das Wesen der Sprache eingreift. Nach Hopper walten im Übergang von fluchtig zu fixiert merkwürdige Kräfte. Er sagt: „Whenever the spoken gets written, strange powers are summoned into play." 8

1 2 3

4 5 6 7 8

Woolf (1919: 33f.). Däubler (1920: 25). Pflug (1994: 291) nennt hier das Aussterben berufsmäßiger Erzähler wie der Rhapsoden im alten Griechenland und Ängste mündlich geprägter Völker wie der Zigeuner vor der Verschriftlichung ihres Erzählgutes und dem dadurch befürchteten Verlust sprachlicher und kultureller Identität. Vgl. Humboldt (1906). Vgl. Pflug (1994: 29Iff.). Postman (1985: 23). Vgl. Piaton (1966); zu Piatons Kritik an der Schriftlichkeit vgl. Szlezäk (1985). Hopper (1992: 228).

136 Beim Sprechen auf einen AB wird das flüchtige gesprochene Wort elektronisch fixiert. Inwieweit die Kräfte, von denen Hopper spricht, auch diese Transformation beeinflussen und dem Anrufer dadurch Probleme bereiten, ist Thema dieses Kapitels. Die Analyse sucht hier zunächst nach Problemen, die sich aus dem Miteinander einer spontanen mündlichen Kommunikationssituation und der Fixierung der Kommunikation durch die Speicherfunktion der Geräte ergeben. An zweiter Stelle untersuche ich, welche Probleme das Sprechen ohne Dialogpartner bereitet. Abschließend steht die Diskussion der Ergebnisse im Kontext der Mündlichlichkeits-/Schriftlichkeitsproblematik.

1.1 Spontaneität und Planung Manche Anrufer sprechen spontan auf einen AB, andere planen dies voraus. Ein Beispiel für Planung gibt die folgende Anruferin: (12)

+ ich weiß ja dass du nicht da bist= + also machs gut= +

Die Betriebswirtin konnte vorausplanen, denn sie wusste nach eigenem Bekunden, dass die Adressatin abwesend sein würde. Anrufer, die Adressaten und deren Lebensgewohnheiten kennen, können sich mit ihrem Hintergrundwissen mehr oder minder auf die Kommunikation vorbereiten. Zumindest können sie besser als andere die Möglichkeit evaluieren, ob ein AB den Anruf annehmen wird oder nicht. Diese Anruferin jedenfalls hatte offenbar hohe Planungssicherheit für die Kommunikation. Sie ruft gezielt an, um eine Nachricht zu hinterlassen. Anders die Anruferinnen in den folgenden Texten: (13) (14) (15)

fi + tja ich hätt dich eig-nlich ganz gem ma selbst gesproch-n, + fi + scha:de dass de nich da bist, hier is ANKE, 9 fl + ja BEN= + wieda daneben ne' + es ist echt nicht zu glAUb-n wie wir aneinander vorbEItelefonieren, +

Die Hausfrauen in (13) und (14) möchten eigentlich ein Telefongespräch führen und sind enttäuscht, dass es nicht zustande kommt. 10 Die Studentin in (15) ruft offenbar sogar wiederholt erfolglos an. Sie bezeichnet die Situation als ,Aneinander-vorbei-Telefonieren': Beleg für den Ärger, den sie wohl empfindet. Alle drei Anruferinnen wollten lieber ein Telefongespräch führen als auf einen AB zu sprechen. Sie haben mit der Erwartungshaltung zum Hörer gegriffen, dass jemand das Telefongespräch annimmt. In diesen drei Fällen erfüllt sich die Erwartung nicht. Psychlogisch gesehen ist die Kom-

9 10

Vgl. auch 1, 107, 204, 243, 244. Vgl. auch 7, 24, 33, 83, 136, 146, 158, 179, 193, 203, 242, 291.

137 munikation mittels AB gegenüber Telefonaten unbefriedigend." Anrufern bleiben solche Enttäuschungen langfristig aber nicht erspart. Meist fehlt die nötige Gewissheit über die telefonische Erreichbarkeit des gewünschten Gesprächspartners: Irrtümer wie in (16) lassen sich daher kaum vermeiden: (16)

+ ich θ: wollte da eig-nlich nur frag-n= + ich dachte du wärst vielleicht zu hAUse= ++12

Obwohl die Studierende vermutet oder gehofft hatte, dass ihr Komillitone erreichbar sein würde, erreicht sie lediglich den AB und muss sich spontan auf die neue Situation einstellen. Neben einer räumlich versetzten Kommunikation birgt der AB aber noch weitere Unsicherheitsfaktoren, die Anrufern die Planung erschweren. Der folgende Text belegt, welchen Einfluss der Faktor .Technik' auf die Spontaneität der Kommunikationssituation haben kann: (17)

fi

+ oh jetzt hat mich der anrufbeantworter aba überlistet, +

Die Studierende fühlt sich durch den AB des befreundeten Statikers überlistet. Sie hat ursprünglich nicht auf das Gerät sprechen wollen. Sie mag abgelenkt gewesen sein, und konnte so vielleicht nicht mehr rechtzeitig wieder auflegen. Es gibt aber noch andere Interpretationen. Möglicherweise sprang der AB sofort oder nach zu wenigen Klingelsignalen an. Vielleicht hatte sie auch einen längeren Ansagetext erwartet. All dies kann sie zum spontanen Sprechen .überlistet' haben. Neben der Ansagetextlänge ist auch dessen Gestaltung eine Einflussgröße in der Kommunikation, die spontanes Reagieren erfordern kann. Hierauf weist (18) hin: (18)

gut-η ta:g, + hier spricht der automatische anrufbeantworter von BEN BELZ,, + bitte hintalass-n sie ihren namen= +datum und uhrzeit ihres anrufs= + sie werden so schnell es geht zurückgeruf-n, + für ihre nachricht haben sie nach dem signalton= + dreißig sekund-n zeit, +

fi + hi= + hier is ARNE, +++ θ: es is jetzt (} moment, ++ frEItag= + und es is jetzt++ elf {} uhr {} Acht {} zehn= EINATMEN +++ oder so ähnlich, + oder elf uhr neunzehn= ++ und ich seh jetzt zu dass ich die dreißig sekund-n vOllkriege, EINATMEN und zwar ist das so= EINATMEN daß {) am karfreitag also heute sich der DIRK mein söhn DETLEF und ich im KAFE treff-n woll-n= EINATMEN nämlich um: fünfzehn uhr ungefähr,13

11 12 13

Vgl. Liddicoat (1994: 290), Fielding/Hartley (1987: 117). Vgl. auch 7, 10, 81, 106, 178, 210, 228, 242, 290, 300, 385. Vgl. auch 109, 167, 205, 206, 209, 235, 259.

138 Thema des Anrufs ist das Treffen in einem Cafe. Der Forstwirt nennt den Grund seines Anrufs aber erst an zweiter Stelle. Der Ansagetext fordert ihn dazu auf, eine Anzahl von Handlungen auszuführen. Er reagiert darauf spontan und folgt zunächst dem Handlungsplan des Ansagetextes. Das eigentliche Anliegen steht zurück. Anrufer können vor Eintritt in die Kommunikation nicht wissen, ob der Text gewechselt hat. Sofern dieser (auch neue) Handlungen steuert, können Anrufer dies kaum vorausplanen. D i e s e s kann dazu führen, dass sie ihren zuvor gefassten Plan ändern müssen, um spontan dem durch den Ansagetext auferlegten Handlungsplan zu folgen. D i e vorangegangenen Texte belegen, dass AB-Kommunikation mit Unsicherheitsfaktoren verbunden ist. Das sicher oft fehlende Wissen um die Anwesenheit des Gesprächspartners und bestimmte Einflussgrößen in der Kommunikation können Anrufer mit einer Kommunikationssituation konfrontieren, die sich nur bedingt vorausplanen lässt. AB-Kommunikation kann Anrufern daher ein hohes Maß an Flexibilität abverlangen. In diesem Fall müssen diese bei geringer Verarbeitungs- und Planungszeit sowie limitierter Sprechzeit spontan reagieren. Welchen Einfluss hat diese besondere Spontaneität der Kommunikationssituation auf Anrufer? Eine mögliche Antwort wäre: Sie beginnen wie der Betriebswirt in (19) spontan zu sprechen und sprechen dann einfach weiter: (19)

fl + ja: BEN, + hallo ARNE hier, +++ »eh wollt mich eig-nlich nur ma erkundig-n wies dir geht und übahaupt; + EINATMEN a : sAmstach= + falls dich DIRK schon noch angeruf-n hat, + ich kann am samstach jedenfalls nlch ne' und ich weiß jetzt nich ob das stattfindet ne' + ob ihr angeruf-n hat, + das denn trotzdem mach-n wolln, + EINATMEN kannst dich ja noch ma Θ : mit DIRK in Verbindung setz-n= + gegebenenfalls= EINATMEN ich wünsch/ θ: + war schön wenn de bei gelegenheit wirklich zuriickruf-n würdest also + mn: nlch mehr hEUte nach möglichkeit weil die lütte schläft und so= EINATMEN + Θ: aba vielleicht klappts ja nen andern tach, EINATMEN also BEN= + machs erstma gut= bis dann

Dieser spontan gesprochene Text entspricht in etwa dem Erscheinungsbild von gesprochener Sprache, wie es Virginia W o o l f im Eingangszitat beschreibt: Er erscheint zum Teil inkohärent, wie ,in Kladde' gesprochen. Der Text trägt die typischen Merkmale von „'Sprache in Arbeit'" 14 und ist damit sehr an dem Erscheinungsbild der gesprochenen Sprache orientiert. Diese ist mit „Signalen wie Pausen, Verzögerungen, Korrekturen, Abbruchen, Verstärkungen, Auslassungen usw. durchsetzt" 15 . 14 15

Cherubim (1989: 16). Cherubim (1989: 16); vgl. auch Coupland/Wiemann/Giles (1991: 5), Siegmann (1979: 151), Steger (1987: 41); zur Ellipse vgl. Betten (1976), Lötscher (1988), Meyer-Hermann/Rieser (1985), Rupp (1965: 24f.); Reformulierungshandlungen behandeln Gülich/Kotschi (1987).

139 Die genannten Sprachmittel gehören zur Normalität spontanen telefonischen Sprechens. 16 Laura Sullivan hat dies auch für Anrufertexte beobachtet: „In fact, ICMs frequently have a ,stream-of-consciousness' quality." 17 Ein Problem für die Untersuchung dieser Formmerkmale besteht allgemein darin, dass sie oft nur schwer interpretierbar sind. Es lässt sich nicht immer klar festlegen, warum sie in den Texten an bestimmten Stellen erscheinen. Sie können z.B. vom Medium unabhängig auch durch den Sprecher bedingt sein. 18 Doch selbst, wenn man den Sprecher und dessen Tageskonstitution oder Emotionen 19 außer Acht lässt und das Vorhandensein dieser Merkmale in Anrufertexten der medialen Gesprächssituation zuschreibt, bleiben diese vieldeutig. Manche Anrufertexte wie (19) beinhalten diese Merkmale in auffällig großer Zahl. Dies ließe sich als Beleg für den Einfluss der spontanen Kommunikationssituation werten. Die Kommunikation fordert dem Anrufer in der beschriebenen Weise ein großes Maß an Spontaneität ab. Unter diesen Bedingungen könnten Anrufer diese Merkmale entsprechend zahlreich produzieren. Sie könnten in den Texten also schlichtweg Merkmal dafür sein, dass ein Anrufer von der Kommunikationssituation überrascht wurde und spontan auf die Veränderung reagiert hat. Dieses ist aber nur eine Möglichkeit der Interpretation, was sich am Beispiel der Partikel äh zeigen lässt. 20 Die Partikel kann für Sprachplanungsprozesse oder emotionale Reaktionen wie Angst oder Unsicherheit stehen. Zudem dient äh als Teil einer Sprecherstrategie zur Qualitätskontrolle oder als Konversationssignal. 21 Ein äh kann in einem Text also vieldeutig sein. Ich gehe davon aus, dass auch auf dem AB viele Merkmale der gesprochenen Sprache unterschiedlich interpretiert werden können. Da es in dieser Untersuchung um die Probleme in der AB-Kommunikation geht, ist es nötig danach zu fragen, woran sich in einem Text festmachen lässt, dass ein Anrufer Probleme hat. Ich beginne die Untersuchung daher damit, Merkmale der gesprochenen Sprache in Anrufertexten zu interpretieren und angelehnt an die Beobachtungen zur Partikel äh auch bei anderen Merkmalen danach zu fragen, inwieweit sie in AB-Texten Auskunft über Planungs- und Kontrollaktivitäten bzw. emotionale Zustände wie Angst oder Unsicherheit der Anrufer und damit über Sprecherprobleme geben können. 16 17 18 19

20

21

Vgl. Lange (1989a: 33). Sullivan (1994: 153); vgl. auch Gold (1991: 252), Miller-Spelman (1992: 268). Vgl. Ivänyi (1998: 76f.), Ehlich (1986a: 212f.). Zur Emotionalität in der Sprache vgl. Fiehler (1990), Fries (1991b) und Volek (1977). Zur Partikel äh vgl. Ehlich (1986a: 219ff.), Keseling (1989: 217ff.), Kowal (1983: 64), Todt (1981), Willkop (1988: 246ff.). Vgl. Kowal (1983: 65f.).

140 1.1.1 Planungsaktivitäten „Gesprochene Sprache geschieht in realer Zeit, und auch mentale Prozesse des Formulierens benötigen ein messbares Quantum an Zeit." 2 2 Dieses Prinzip der „allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden" 2 3 wird in der Forschung auch als „inkrementelle Sprachproduktion" 2 4 bezeichnet: Sprecher artikulieren eine Äußerung nicht erst nach vollständiger Planung - sie produzieren bereits Teile, während sie gleichzeitig noch spätere Teile planen. Zu diesem Zweck nutzen Sprecher Sprachmittel, die nach Erkenntnissen der Psycholinguistik Auskunft über Planungsprozesse des Sprechers geben. 2 5 Diese Sprachmittel werden seit langem unter dem Begriff „hesitation phenom e n a " (Verzögerungsphänomene) untersucht. 2 6 Mit Verzögerungsphänomenen sind nach Schwitalla verschiedene Äußerungserscheinungen gemeint, die die weitere Fortsetzung der Rede unterbrechen und hinauszögern: stille und gefüllte Pausen, Vokal- und Spirantendehnungen, Wiederholungen von Lauten, Wörtern und Wortverbindungen, Korrekturen, Wort- und Konstruktionsabbrüche (Anakoluthe). 27 Verzögerungsphänomene geben in Anrufertexten über Planungsaktivitäten ihrer Sprecher Auskunft, wie die folgenden Analysen von Pausen und Wiederholungen belegen sollen.

1.1.1.1 Pausen Die Textproduktionsforschung geht nach Weingarten davon aus, dass „Orte und Längen der Pausen nicht zufällig verteilt, sondern von kognitiven Prozessen abhängig sind." 2 8 Trotz Kritik 29 wird die A n n a h m e aufrechterhalten, dass es sich bei diesen um Planungsprozesse handelt. Pausen können aber nicht nur als Indikatoren für Planungsprozesse interpretiert werden. Unabhängig von kognitiven Prozessen sind Pausen auch von der Atemtätigkeit

22 23 24 25 26

27 28 29

Wiese (1989: 200). Kleist (1961: 321ff.). Vgl. Kempen/Hoenkamp (1987), Pechmann/Zerbst (1992: 127). Vgl. Wiese (1989: 200f.), Weingarten (1995: 221f.). Vgl. Bernstein (1962), Boomer (1965), Jones (1974), Maclay/Osgood (1959), Ragsdale (1976); überblickend vgl. Kowal (1983: 66), Beattie (1979b: 61ff.), Beattie (1979a: 115ff.). Schwitalla (1997: 55); vgl. auch Maclay/Osgood (1959: 24). Weingarten (1995: 221). Danach seien lineare Schlüsse von Pausen auf Planungsprozesse grundsätzlich problematisch, da sie z.B. auf Konzentrationsschwächen zurückgeführt werden können; vgl. Klings (1992: 70ff.).

141 abhängig und zum Ein- bzw. Ausatmen notwendig. 30 An bestimmten Stellen und in bestimmtem Umfang dienen Pausen zudem der rezipientenorientierten Textgliederung. 31 Die Gesprächsforschung zählt Pausen zu den Gliederungssignalen. 32 Zu dieser Kategorie rechnet Rath Mittel der inhaltlichen Gliederung, prosodischen Gliederung, lexikalisch-syntaktischen Gliederung und der Redeverzögerung. 33 Auch Rath betont, dass diese Mittel mehrdeutig sind. Pausen z.B. könnten gliedernde und nichtgliedernde Funktion haben. Mit Verweis auf die klassifizierende Arbeit Drommels stellt Rath fest, dass man nichtsyntaktische Verzögerungspausen schwer von syntaktisch gliedernden unterscheiden kann. 34 In nichtgliedernder Funktion lassen sich Pausen als Verzögerungsphänomene auffassen. Ein Vorschlag zur Unterscheidung findet sich bei Schwitalla. Da Pausen nach Schwitalla als Nicht-Aktivität wenig aussagekräftig seien, komme es auf die Umgebung an, in der sie produziert würden: Folgen sie einheitenbeendenden Signalen (Beendigung eines vollständigen Satzes, fallende/steigende Intonation betonen sie die segmentierten Äußerungsteile. Einheitenintem produziert werden sie als Unterbrechungen verstanden, da sie in einer Umgebung stehen, die eine Fortsetzung erwarten lässt (Vokal-, Nasal-, Spirantendehnungen, gleichbleibende Intonation) und denen Signale folgen, die die unterbrochene Rede wieder aufnehmen (Tonsprünge, schnelles Sprechen). 3 5

In diesen Anrufertexten folgen die stillen Pausen meist fallender Intonation: (20) (21)

fi

+ hei mama hier is ANKE, + ruf doch mal zurühück, + tschüüss

fi + A R N E AUST, + bitte meldet euch mal, + danke= + tschüüss,

Die Pausen markieren hier die Grenzen bestimmter Äußerungseinheiten, wie sich anhand der Struktur der angeführten Texte belegen lässt: (20) (21)

(Gruß) (Adressat) (Selbstidentifikation) + (Thema) + (Verabschiedung) (Selbstidentifikation) + (Thema) + (Verabschiedung)

Die Texte belegen einmal, dass sich die Pausen an dem prototypischen Gesprächsphasen-Sequenzmuster von Anrufertexten orientieren und die Schnittstellen zwischen Eröffnung, Kern und Beendigung markieren. 36 30 31 32 33 34 35 36

Vgl. Weingarten (1995: 234), Siegmann (1979: 151). Vgl. Weingarten (1995: 221f. und 234). Vgl. Gülich (1970) nennt diese zudem „Überbrückungsphänomene". Vgl. Rath (1979: 74 und 93ff.). Vgl. Rath (1979: 97ff.); zur „Abgrenzungspause" vgl. Drommel (1974: 42f.). Vgl. Schwitalla (1997: 56). Vgl. auch 12, 13, 24, 74, 81, 83, 162, 220, 222, 276, 316 bzw. 2, 12, 13, 18, 24, 73, 74, 76, 81, 162, 220, 222, 276, 316.

142 Weiterhin belegen die Texte, dass die Sprecher die Eröffnung des Textes nicht unbedingt durch Pausen strukturieren müssen. So spricht die Anruferin in (20) zwei und mehr eröffnende Textteile ohne Unterbrechung und formiert diese zu einer Äußerungseinheit. Sehr häufig beginnen nach meinen Beobachtungen Anrufertexte in fester Folge und pausenlos mit den Teilen Gruß, Adressat, Selbstidentifikation. 37 Häufig teilen Sprecher diese Folge aber auch. Sie grüßen den Adressaten mit seinem Namen dann oft in einem Zug und identifizieren sich wie hier nach einer Pause: (22)

fi

+ hallo BEN, + ich bins nur noch mal, 3 8

Pausen unterteilen auch oft die Beendigung von Anrufertexten. Dort finden sich oft Selbstbestätigung, Danksagung und Verabschiedung. Besonders vor der Verabschiedung legen Anrufer oft eine Pause ein: ++ schön-n dank, + bis später,, + tschüss, 3 9

(23)

Die Texte belegen, dass Pausen an bestimmten Stellen von Anrufertexten regelmäßig erscheinen: an den Rändern des Kerns und zwischen bestimmten Teilen in der Eröffnung und Beendigung. Ich weise hier einschränkend darauf hin, dass ich für die Analyse zunächst kurze Texte ausgewählt habe, weil ich beobachten wollte, wie Anrufer einen themenentlasteten Text durch Pausen strukturieren. Der Planungsaufwand steigt aber, wenn der Text länger ist: (24)

fi

+ BELLA hier is ANKE, + ich bin jetzt zu hAUse, + wenn de was willst mußte dich nochmal meld-n, + tschüss,

Die Verwaltungsangestellte bietet nicht nur den Rückruf an, sondern informiert auch darüber, wieder telefonisch erreichbar zu sein. Sie trennt beide Komponenten durch eine Pause. Text (24) hat die Struktur: Adressat und Selbstidentifikation + Information + Aufforderung + Verabschiedung. Deutlicher wird die textsegmentierende Funktion von Pausen, wenn Anrufer wie die Redakteurin in (25) einen längeren Text sprechen: (25)

fi

+ hier is AUST= + gut-η tach herr dokter BELZ, E I N A T M E N ich hab gerade die korrektur ihres artikels nochmal vor mir und da taucht {.} der name leixcell auf, ++ pe leixcell, + einmal harn sie ihn mit ikszEh in der Mitte geschrieb-n, + und einmal nur mit iks, E I N A T M E N sagense mal freundlicherweise wie der sich schrEIbt' E I N A T M E N viel-n dank, + tschüüss

Hier lassen sich Pausen zunächst an den bereits beschriebenen Positionen am Anfang und am Ende des Textes beobachten. Weiterhin gliedert die Journa37 38 39

Vgl. 18, 19, 20, 24, 25, 31, 33, 34, 40, 83, 84, 94. Vgl. auch 7, 16, 17, 32, 58, 72, 88, 305, 317. Vgl. auch 36-46.

143 listin den Kern ihres Textes durch mehrere (auch Atem-) Pausen. Innerhalb des Kerns markiert die etwas längere Pause eine Parenthese, in der die Sprecherin den zuvor genannten Namen präzisiert. Die übrigen Pausen strukturieren den Kern nach Satzgrenzen oder Satzgliedgrenzen. In längeren Texten sind an diesen Stellen Pausen die Regel. 40 Sie markieren dort m.E. keine Unterbrechungen. Pausen lassen sich in Anrufertexten eher als Unterbrechungen interpretieren, wenn bei der Analyse sowohl die Pausenlänge als auch die Pausenwahrscheinlichkeit berücksichtigt wird. Weingarten vermutet, dass Pausenlänge und -Wahrscheinlichkeit allgemein in dieser Reihenfolge abnehmen: Satzgrenzen < Teilsatzgrenzen < Satz^liedgrenzen < Wortgrenzen innerhalb von Satzgliedern < innerhalb von Wörtern. Pausen lassen sich in Anrufertexten also dann eher als Verzögerungsphänomene deuten, wenn sie wie folgend z.B. in ungewöhnlicher Länge 42 zu beobachten sind: (26)

fi

+++++++ja hallo BEN:, ++ hier is ARNE und ANKE.++

Allgemein beginnen Anrufer in meinem Korpus nach dem Signalton bereits nach einer kurzen Pause von weniger als einer Sekunde zu sprechen. Die Pause in (26) hat aber eine Länge von drei bis vier Sekunden. 43 Eine derart lange Pause lässt sich an dieser Position unterschiedlich deuten. Der Erzieher könnte hier z.B. durch eine Störung im „Setting" des Anrufs abgelenkt worden sein. Die Aufnahme gibt aber keinen Hinweis auf derartige Störungen. Im Hintergrund sind keine Stimmen oder Geräusche zu hören. 44 Vielleicht hat er aber auch den Signalton nicht gehört und und beginnt daher verspätet. Auch die letztgenannte Interpretation lässt sich nicht ausschließen. Ich halte sie aber für unwahrscheinlich, denn die übrigen Anrufer in der Versuchsreihe haben am selben Gerät meist augenblicklich nach dem Signalton zu sprechen begonnen. Wie beim Warten vor einer Ampel und dem sofortigen Losfahren ,bei Grün' konzentrieren sich Anrufer hier möglicherweise auf den Signalton und sprechen dann sofort los, wenn dieser ertönt. Ich gehe also davon aus, dass der Ton allgemein laut genug zu hören ist und verstehe daher diese langen Pausen nach dem Signalton trotz alternativer Deutungsmöglichkeit als Verzögerungsphänomen. 40 41 42 43

44

Vgl. 115, 125, 127, 142, 315, 297, 316, 322, 329. Weingarten (1995: 222). Zur Länge von Pausen vgl. Hawkins (1971: 282f.). Vgl. 207, 213, 245, 297 (+++), 249, 251, 283 (++++), 321 (+++++), 215, 315, 327, 330 (++++++), 255, 309, 313, 317, 353 (+++++++), 308 (++++++++++). Dies schließt mögliche Störungen mimisch-gestischer Art durch anwesende Personen nicht aus.

144 Die längeren Pausen können hier ein Schwanken des Anrufers bedeuten, ob er sprechbereit ist oder nicht. Längere stille Pausen lassen sich aber nicht nur am Anfang des Textes als Zögern auffassen. Sie deuten auch inmitten des Textes auf Verzögerungsaktivitäten hin: (27)

Ρ ++++++++++ hallo BEN, +++ rufst doch bitte mal zurück, +++ wenn ihr wieder zuhause seid, ++ da'nke,45

Obwohl es sich hierbei um eine kurze Mitteilung handelt, in der die Bitte um Rückruf lediglich an eine Bedingung geknüpft wird, pausiert der Rentner beim Sprechen merklich. Er beginnt erst nach einer sehr langen Pause und unterbricht danach dreimal. Im Vergleich zu dem sehr ähnlichen Text in (17) sind die Pausen hier erheblich länger. Dies weist darauf hin, dass der Anrufer seinen Redefluss länger unterbrechen muss, um seinen Text weiter zu planen. Die Position der Pausen nach der Begrüßung sind in (27) wenig auffällig. Sie tauchen an Stellen des Textes auf, an denen sie erwartbar sind. Zudem folgen sie fallender Kadenz. Dies verweist demnach eher darauf, dass diese Pausen Einheiten des Textes segmentieren. Angesichts ihrer Länge lassen sich diese aber trotzdem als Verzögerungsphänomene auffassen, obwohl sie an diesen Stellen erwartbar sind und den Text auch gliedern. Ebenfalls segmentierende Funktionen übernehmen in Texten neben Pausen lexikalische Gliederungssignale wie: • • • •

Partikeln wie ja (mit Erweiterungen ja aber, ja genau), also, gut, okay, jetzt; Konjunktionen wie und, und dann, und da, aber sowie deren Kombinationen ja und dann usw.; formelhafte Einschübe wie ich meine-, Interjektionen wie ha.*6

Lexikalische Gliederungssignale werden zudem oft von Pausen begleitet: (28) (29) (30) (31)

45 46 47

48

49 50

+ θ: AUSATMEN ja= ++ wenn de willst kannste ja= ++ 47 ++ ja hier is ANKE und= ++++48 + also ich meine ich dEnke mir= ++49 + wir spiel-η sonntach um neunzehn uhr und zwar bei dir + hä LACHT ich hoffe das pAßt dir' +50

Vgl. auch 1, 3, 7, 9, 12, 22-25, 30, 31, 34, 35, 36, 41, 49, 50, 57, 62-64. Vgl. Schwitalla(1997: 54). Vgl. auch (mit steigender Kadenz) 25, 211, 214, 216, 220, 359, (mit schwebender Kadenz) 18, 20, 23, 25, 83, 182, 219, 227, (mit sinkender Kadenz) 11, 16, 84, 117, 144, 147, 166, 192, 268, 300, 306. Vgl. auch 85, 106, 177, 240, 256, 364, 410; vor Konjunktionen sind Pausen am häufigsten anzutreffen; vgl. Hawkins (1971: 282). Vgl. auch 28, 353. Vgl. auch 190 (Ach so) und 306 (Oh).

145

Es liegt nahe, diese Pausen wegen ihrer Affinität zu anderen Gliederungsindikatoren als Gliederungspausen aufzufassen. Unter bestimmten Bedingungen sind sie aber auch als verzögernd interpretierbar, wie (32) belegt: (32)

+ tjä ich hoffe du hast meine karte schon bekomm-n= + un: ich hoffE= + du hast dich darüber gefreut ne', das mlndeste= LACHT tja BENNI un: ich wünsch de auch= + tja das steht ja eig-nlich in der karte drin ne' + scheiße ich hAsse quAtschmaschinen LACHT + hört sich total doof an= + a b a = +++ ich hoffe dirst + a: dir geht es gut un so' +

Die Studierende spricht eine Postkarte an, die sie der Freundin geschickt hat. Sie bezieht sich auf den Inhalt der Karte und bemerkt, dass sie sich dabei wiederholt. Lachend 51 und mit der metakommunikativen Äußerung hört sich total doof an unterbricht sie danach das Thema. Sie schließt danach konjunktional an und möchte das Thema fortsetzen. Dieses gelingt erst nach einer längeren Pause. Die Pausenlänge spricht dafür, dass es sich hierbei um eine Verzögerungspause handelt. Zudem folgt diese Pause nicht fallender, sondern schwebender Kadenz. Bei schwebender Kadenz lässt sich davon ausgehen, dass Sprecher ihren Text fortsetzen möchten. 52 Obwohl diese Pause also an einer Stelle steht, an der sie in gliedernder Funktion erwartbar wäre, ist sie somit als Unterbrechung und Verzögerungsphänomen interpretierbar, da sie schwebender Kadenz folgt und im Hinblick auf ihre Länge markiert ist. 53 Einen weiteren Hinweis auf Planungsprozesse geben Pausen, wenn sie wie folgend an syntaktisch unwahrscheinlichen Positionen stehen: (33) (34)

fi + also deine= ++ sprÜche werd-n auch Immer anspruchsvoller muß ich dir mal sag-n. fi + ha immerhin hatta wa* sich was neues für den= ++ Anrufbeantworter einfallen lassen 54

Die Position der Pausen ist in diesen Beispielen markiert - sie stehen jeweils an einer Wortgrenze innerhalb eines Satzgliedes. Sie folgen zudem schwebender Kadenz. Dies deutet darauf hin, dass die Sprecher den Redefluss unterbrechen, um weiter zu planen und danach den Text fortzuführen. Gefüllte Pausen - im Deutschen meist mit äh bzw. ähm55 - haben oft ähnliche Funktionen wie stille. 56 Dies gilt auch für Pausen in Anrufertexten. 51 52 53 54 55 56

Zum „Lachen" vgl. Jefferson/Sacks/Schegloff (1987: 155). Vgl. Schwitalla(1997: 56). Vgl. dazu 12, 30, 34, 35, 65, 199, 289. Vgl. auch 9. Vgl. Kowal (1983: 63f.). Vgl. Boomer (1965), Tannenbaum et al. (1965), Cook (1969); zu unterschiedlichen Funktionen gefüllter und stiller Pausen vgl. Beattie/Bamard (1979: 217 und 225ff.).

146 Ebenso wie stille können gefüllte Pausen in Anrufertexten an bestimmten Stellen dazu dienen, den Text in Äußerungseinheiten zu segmentieren. Sie markieren z.B. oft die Ränder des thematischen Kerns. Prominenteste Position für die mit äh gefüllte Pause ist die Schnittstelle zwischen Eröffnung und Kern. Ebenso wie in Telefongesprächen 57 produzieren Sprecher auch in Anrufertexten beinahe regelmäßig ein äh bzw. ähm nach Gruß und Selbstidentifikation, bevor sie mit dem Thema beginnen: (35)

Ρ + hm ja hei BEN'+ hier is ARNE, + a:m ++ ich wollt dir nur sag-n dass ich so + u* + um elf erst komme= + 58

Gefüllte Pausen gliedern wie stille Pausen auch den Kern der Texte in Äußerungseinheiten. Sie sind dort z.B. im Bereich lexikalischer Gliederungssignale zu finden: (36) (37)

+ θ:ηι ja ich hab schon paar mal Angeruf-n aba:: + 59 + vielleicht kommst ja gleich anach hause oda nachher und= + EINATMEN e:::h sprichst mit BEN mal 60

Aufgrund dieser Beobachtungen könnte man vermuten, dass gefüllte Pausen in Ansagetexten erstens an allen Stellen stehen, die auch von stillen Pausen eingenommen werden, und dass sie dort zweitens textgliedernde Funktion haben. Anhand des Korpus lässt sich aber erstens belegen, dass gefüllte und stille Pausen in Anrufertexten nicht gleich verteilt sind. Bei genauerer Beobachtung fällt auf, dass in der Eröffnung und Beendigung von Anrufertexten vergleichsweise wenig gefüllte Pausen zu finden sind. Texte wie die folgenden, in denen gefüllte Pausen Stellen innerhalb von Eröffnung und Beendigung besetzen, sind innerhalb meines Korpus sehr selten: (38) (39)

fi + hallo a: grüß dich BEN, + ja + hier ist ARNE AUST = + ich ruf nur noch ma an wegen elsa= +61 + das wars fürs erste,, ++ e: + bis demnächst= ++ auf dIEsa wEllenlänge, + oda so ähnlich„

Zweitens lässt sich belegen, dass auch gefüllte Pausen an gliederungsrelevanten Positionen nicht zwingend als Gliederungspausen behandelt werden müssen. Gefüllte Pausen werden nach Schwitalla dort produziert, wo „der Sprecher Zeit braucht, um Wissensinhalte in eine sprachliche Form zu bringen" 62 . Das äh verdeckt den zusätzlichen Zeitbedarf des Sprechers. Es wird gewis57 58 59 60 61 62

Schwitalla (1997: 56) weist auf diesen Umstand bei Telefonaten hin. Vgl. auch 26, 27, 30, 31, 33, 147,149, 151, 153, 155, 256, 257, 271. Vgl. auch 39, 41, 51, 54, 58, 66, 91, 92,120. Vgl. auch 21, 51, 177, 256, 266, 271, 292, 296, 298, 328. Vgl. auch 190 und 309. Schwitalla (1997: 56).

147 sermaßen stellvertretend für das noch nicht verfügbare Textsegment erzeugt, um den Artikulationsrhythmus aufrechtzuerhalten. Es indiziert akute Planungs- und Formulierungsprozesse. 6 3 Hierauf weist (40) hin: (40)

+ sie wollt-n nämlich nämlich= + θ: Informationen üba Anrufbeantworter von uns erfahr-n' EINATMEN e:m ++ ich + würde {.} (ββι'ιιβ)/ uQS ganz gerne ihn-n {.} telefonisch {.} dUrchgeb-n un:d= + 9: + Θ: + ganz gerne mit ihnen darüber plaudern wenn sie mich bitte mOrgen oder übermOrgen zurückruf-n wÜrd-n' EINATMEN

Die durch Fettdruck hervorgehobenen gefüllten Pausen besetzen gliederungsrelevante Stellen - die erste zu Beginn eines Satzes, die zweite im Bereich des lexikalischen Gliederungssignals und. Beide Pausen haben hier also erstens segmentierende Funktion. Beide Pausen sind zudem aber vergleichsweise lang. Sie werden darüber hinaus von weiteren Verzögerungsphänomenen begleitet, denn der Anrufer setzt zu seiner Formulierung neu an und spricht weiterhin stockend. Außerdem dehnt er den Nasallaut in der Konjunktion und. Die folgenden gefüllten Pausen haben haben hier neben der gliedernden also auch verzögernde Funktion. Der Anrufer nutzt die gliederungsrelevanten Positionen, um den Redefluss zu verzögern und dadurch den zur weiteren Planung nötigen Zeitbedarf zu stillen. Wie vorangehend belegt haben Pausen in Anrufertexten nicht nur gliedernde, sondern auch den Redefluss verzögernde Funktion. W a r u m Anrufer aber an einer bestimmten Stelle des Textes zögern, ist im Einzelfall schwer zu entscheiden. Keseling weist allerdings darauf hin, dass in der Forschung zur mündlichen Textproduktion unumstritten ist, dass sich Pausenorte u.a. nach der Informationsstruktur von Texten richten und dass Wortpausen vor allem vor Ausdrücken mit einem hohen Informationsgehalt vorkommen. 6 4 Dies belegen die beiden folgenden Texte aus meinem Korpus: (41)

(42)

+ wir hatt-n vor einiga zeit ma kontakt aufgenom-n bezüglich eina wo:hnung= ++ θ: + in GER{ }HART HAUPT{.}MANN{.}WE{.}G, +

+ das wird zirka= + drei stund-n dauern und wir sind dann= ++ danach= ++ e: + im= + zAk, ++

Namen gehören zu den Informationsträgern in Texten. In (41) ist es ein Straßenname, in (42) der eines Bierlokals. Beide Anrufer verlangsamen ihren Redefluss im Bereich der Namen. Sie sind für offenbar schwerer abrufbar. 6 5 Ähnliches lässt sich auch bei fachlexikalischen Ausdrücken beobachten:

63 64

65

Vgl. Kowal (1983: 66). Vgl. Keseling (1995 : 203f.); vgl. auch Beattie (1979a: 115), Butterworth (1972), Goldmann-Eisler (1958a) und (1958b), Maclay/Osgood (1959). Ivänyi (1998: 134) legt dar, dass Namen oft Ziel von Wortsuchprozessen sind.

148

(43) (44) (45)

++ BEN ich wollt eigentlich mit dir mal {.} drüber {.} über diesen: e: + zÄhlerschrank sprech-n= + s: ich rufe nochmal an weg-n d{.}em: + receiver das is ganz wichtich dass= + EINATMEN wir hab-n hier en bAll= EINATMEN e:m + na= + sags mal, + watte, ( s w a t ) stEInwatte, EINATMEN

Auch die Pausen im Umfeld der auf AB häufig hinterlassenen Angaben zu Datum oder Zeitpunkt des Anrufs belegen erhöhte Planungsaktivität: (46)

(47)

EINATMEN oder versuch## sie einfach im laufe des tages= + heute= EINATMEN dienstag de:r ++ hm= hm= achte LACHT EINATMEN < Nr. 282> + heut is mOntag= + AUSATMEN + neunta oktoba= ++ ja= + und es is zwanzig vor zwölf= +66

Der anrufende Fernsehjournalist in (46) signalisiert insbesondere durch das hm mit schwebender Kadenz Planungsarbeit. 67 Hervorheben möchte ich auch die Atempause in (47). Der Studierende lässt die Luft in einem langgezogenen /pf/-Laut entweichen. Es hat den Eindruck, dass er erst überlegen muss, bevor er Informationen zum Datum des Anrufs geben kann. Es gibt also Hinweise darauf, dass auch in Anrufertexten Pausen mit der Informationsstruktur der Texte zusammenhängen. Anrufer unterbrechen dann ihren Redefluss, wenn sie spontan Textteile mit hoher Informationsdichte produzieren. Die Forschung hat neben informationstheoretischen weitere Erklärungsansätze für Pausen wie die „Teilsatzhypothese" oder die „Lexemselektionshypothese" hervorgebracht. 68 Spätere Studien haben erhöhte Pausenaktivität vor abstrakter oder komplexer Lexik belegt. 69 Nach Wiese bezieht sich aber nicht jede Verzögerung (als leere oder als gefüllte Pause) lokal - mit Bezug auf den unmittelbar folgenden Textteil (z.B. das nächste Wort). 70

66 67

68

69 70

Vgl. auch 1,8,18, 28,29, 30. Zur Funktion der Partikel hm vgl. Ehlich (1986a: 31ff., bes. 49), Ehlich (1979), Kucharczik (1989), Wahmhoff/Wenzel (1979), Willkop (1988: 108). Vgl. Kowal (1983: 66), Goldmann-Eisler (1968: 42); zu syntaktisch motivierten Ansätzen vgl. Goldmann-Eisler (1972), Hawkins (1971), Weingarten (1995). Vgl. Brotherton (1979), Reynolds/Pavio (1968). Wiese (1989: 200f.) vermutet, dass diese Forschungsrichtung in der Tradition von Goldmann-Eiseler u.a. deshalb nur begrenzt weitergeführt wurde; vgl. auch Aitchison (1997:11), Hawkins (1971: 284f.).

149 Wie bereits dargelegt ist es für die Analyse aber wichtig, herauszufinden, an welchen Positionen des Textes verzögernde Pausen stehen. Wie in gesprochener Sprache allgemein sind diese Pausenstellen aber auch in Anrufertexten schwer zu bestimmen, da sie sich kaum nach grammatischen Kriterien beschreiben lassen. 71 Erschwerend kommt hinzu, dass Sprecher Pausen auch individuell setzen: „Verschiedene Personen verfahren darin verschieden" 72 . Daher möchte ich die Analyse von Pausen hier nicht weiter vertiefen. Die Untersuchung hat bis jetzt aber wichtige Hinweise darauf gegeben, dass die Merkmale Position, Länge und Kadenz dazu dienen können, in Anrufertexten zwischen Gliederungs- und Planungspausen zu unterscheiden. Zudem wurde deutlich, dass an bestimmten Stellen der Eröffnung und Beendigung und innerhalb des Kerns in einer bestimmten Länge regelmäßig Gliederungspausen auftauchen. Weichen die Pausen hinsichtlich ihrer Position oder Länge von Gliederungspausen ab, lassen sie sich als Verzögerungen auffassen. Sie deuten dann darauf hin, dass der Anrufer dort einen erhöhten Planungsbedarf hat. In Eröffnung und Beendigung sind längere stille oder auch gefüllte Pausen selten. Häufiger tauchen sie im thematischen Kern der Texte auf. 1.1.1.2 Wiederholungen Im Gegensatz zu anderen temporalen Variablen des Sprechens wurden verzögernde Wiederholungen nach Wiese nur wenig systematisch untersucht. 73 Wie Pausen werden auch Wiederholungen Planungsaktivitäten des Sprechers zugeschrieben. Während gefüllte Pausen eher der Planung größerer Einheiten dienen, werden Wiederholungen mehr auf die lexikalische Suche bezogen. 74 Ivänyi spricht in solchen Fällen verzögerter Wortfindung von ,tip-of-the tongue'-(TOT-) Phänomen. 75 Jegliche Form von Bewältigungsstrategie für ein TOT-Phänomen nennt Ivänyi Wortsuchprozess (WSP) und führt eine

71

72 73

74 75

Für spontan gesprochene Sprache reichen Grammatiken oft nicht aus; vgl. Sandig (1976: 98); vgl. auch Rupp (1965: 28). Behaghel (1928: 233); vgl. auch Kowal (1983: 63f.). Vgl. Wiese (1989a: 104); vgl. dazu Hieke (1981), Maclay/Osgood (1959), Wiese (1983). Vgl. Wiese (1989b: 201). Ivänyi unterscheidet bei verzögerter Wortfindung zwischen ,Nichtkennen' (Lücke im Wortschatz, Lücke im Lexikon, lexikalische Lücke) und .Vergessen' (Lücken im Gedächtnis, tip-of-the tongue-(TOT-) Phänomen). Ivänyi geht beim Phänomen .Lücke im Gedächtnis' davon aus, dass die gesuchte Einheit vorhanden und lediglich der Zugang zu ihr im mentalen Lexikon erschwert, gestört oder blockiert ist; vgl. Ivänyi (1998: 99); vgl. auch Bömer/Vogel (1994: 8f.) und Raupach (1994: 26); vgl. auch Herrmann (1992: 181f.).

150 Anzahl von Merkmalen an, die sie als „Suchindikatorenbündel" 7 6 für W S P bezeichnet: AJAbbrüche mit Pausen, Verzögerungselementen und Wiederholungen B/Tempowechsel oder Retardieren durch Pausen bzw. Verzögerungselementen C/Wechsel der Intonation D/Pausen und/oder Verzögerungselemente vor oder nach der Wortsuche E/eine Art Reparatur und F/Ratifizierungen.77 Ein Merkmal der Wortsuche ist demnach die Wiederholung. Wenn Sprechern ein Wort nicht einfällt, wiederholen sie Wörter unmittelbar vor der problematischen Stelle. 78 Das Sprechen auf den AB ist hier keine Ausnahme. Ich möchte dies folgend zunächst anhand einiger Korpusbelege zeigen und in einem zweiten Schritt nach der Interpretation von Wiederholungen in Anrufertexten fragen. (48)

+ ansonstn würde ich mir überleg-n= + ob ich die beiden erasmusstudentinnen aus meinem= + a: aus meinem: θ: + meiner strafrechtsvorlesung mitnehme weil die nich so gerne früh aufstehen wollen= +7'

Der Jurastudent hat offenbar Probleme mit dem Wort Strafrechtsvorlesung. Er bewältigt dieses Problem, indem er sich mittels zweimaliger Wiederholung des Possessivpronomens, zweier gefüllter Pausen und einer Dehnung weitere Planungszeit zur lexikalischen Suche verschafft. Wie Ivänyi feststellt, ist ein weiteres Merkmal für Wortsuche, dass Sprecher das gefundene dynamisch hervorheben. 80 Dieses lässt sich im folgenden Text beobachten: (49)

du hast es bestimmt schon gehÖrt= ++ es is {.} das: spielleitertreff-n auf burg= + bürg, + bürg lUdwichstein

Der Student betont den Burgennamen auf der ersten Silbe, was darauf hinweist, dass es sich dabei um das Zielwort seines WSP handelt. Als Beleg hierfür kommen neben der Wiederholung zunächst die stille Pause, das Stocken und die Dehnungserscheinung in Frage. Allerdings folgt die Pause zwar schwebender Kadenz, sie ist im Hinblick auf Position und Länge aber nicht als Verzögerung markiert. Dieses kann auch bedeuten, dass der Anrufer mehr Planungszeit für das Kompositum Spielleitertreffen benötigt, wenn er beim Sprechen stockt und das Ende des bestimmten Artikels in die Länge dehnt.

76 77 78 79 80

Ivänyi (1998: 67). Ivänyi (1998: 67ff.); vgl auch Aitchison (1997: 20ff.). Vgl. Schwitalla(1997: 84). Vgl. auch die Wiederholungen in 6, 36, 170, 307. Vgl. Ivänyi (1998: 65f.).

151 Ich beziehe die Wortwiederholung von Burg aber auf den folgenden (auf der ersten Silbe betonten) Burgennamen, den er beim Sprechen auf den AB nicht sofort abrufen kann. Ähnliche Probleme hat auch die folgende Anruferin: (50)

8: BELLA ich wollte eigenlich nur dich frag-n= ++ ob du noch intresse an diesa diesa termo d* diesem termogel hast weiste von yves rocher das/ da hatt-n wa ma drüber gesproch-n das hattste mal benutzt weißte was sO brEnnt, ++< Nr. 135>

Die Studentin kann den Namen eines Kosmetikproduktes nicht sofort nennen, und ist in ihren Suchbemühungen auch nicht erfolgreich. Wenn Sprecher das Zielwort nicht finden, tun sie alles, um das Wort irgendwie erklären, ersetzen oder umschreiben zu können. 81 Die Studentin in (50) ersetzt den Produktnamen gegen eine allgemeinere Bezeichnung, die sie danach durch den Herstellernamen präzisiert. Sie beschreibt das Produkt danach, indem sie an ein gemeinsames Gespräch mit der Kommilitonin erinnert, das die Wirkungsweise des Produktes zum Thema hatte. Obwohl hier also ein dynamisch hervorgehobenes Zielwort als Indiz für Wortsuche fehlt, lassen sich die Wiederholungen in (50) angesichts der Umschreibungsversuche der Studentin trotzdem lexikalischer Planung zuordnen. Offenbar benötigt sie gerade für diese komplexe Lösung mehr Planungszeit, die sie sich verschafft, indem sie das Demonstrativpronomen vor der Problemstelle wiederholt. Sicher ist dieses aber nicht. Ebenso wie Pausen lassen sich auch Wiederholungen nicht nicht immer eindeutig interpretieren, wie ich anhand des folgenden Textes zeigen möchte: (51)

fi + hallo BEN'+ hier is ARNE von der AGENTUR, + Θ: kannst du mir ma: die numma von dem= ++ von dein-m freund de:m= ++ Θ: +++ SCHNALZT + de:m repOrta gebn'+ und der mit dir zusamm-n studiert" ++82

Auf den ersten Blick ließe sich die folgende Wortwiederholung zusammen mit den Dehnungserscheinungen, Pausen und dem Schnalzen 8 3 auf Reporter beziehen, da der Anrufer Reporter dynamisch betont. Ich interpretiere den Text im Hinblick auf mein Kontextwissen aber anders: Der Studierende sucht m.E. zunächst nach dem Namen eines Journalisten, der ihm ad hoc aber nicht einfällt. Er bearbeitet das Problem, indem er die Person als Freund, Reporter und Kommilitone umschreibt. Teil der Umschreibung soll eine Berufsbezeichnung sein, die er aber nicht ohne Verzögerung produzieren kann. 81 82 83

Ivänyi (1998: 98). Vgl. auch 87, 151, 154, 177, 190. Alvarez-Caccamo/Knoblauch (1992: 483) zählen das Schnalzen zu den „nonlexical segmentation devices"; es hat an dieser Stelle m.E. auch verzögernde Funktion.

152 Die Lösungsstrategie mündet wiederum in einen WSP, dessen Zielwort Reporter ist. Auf Reporter bezieht sich die Wiederholung der beiden (fett gedruckten) gedehnten bestimmten Artikel. Der vorherige bestimmte Artikel (kursiv) bezieht sich auf den Namen. Auch in (49), (50) und (51) waren Eigennamen Ursache für Suchprozesse. Dies weist auf die o.g. Beobachtung Ivänyis hin, wonach Eigennamen oft Zielwörter von TOT-Phänomenen sind. Auch das Zielwort in (48) und die Art der wiederholten Wörter in (48), (50) und (51) lassen sich in den Kontext der Textproduktionsforschung einbetten: Danach wird meist vor „Inhaltswörtern" wiederholt, wobei die wiederholten Elemente meist „FunktionsWörter" (am häufigsten Pronomen, Artikel und Präpositionen) sind. 84 Wiederholungen lassen sich in meinem Korpus ausnahmslos im Kern der Texte belegen. 85 Grund dafür könnte sein, dass Anrufer während der Eröffnung oder Beendigung der Texte eher seltener planungsintensiven Wortschatz produzieren. Lexikalischer Planungsaufwand entsteht vornehmlich dann, wenn Anrufer ihre Texte mit Inhalt und Inhaltswörtern füllen. Dann wiederholen Anrufer, um ihren Redefluss zu verzögern und weiter zu planen. Ebenso wie Pausen können demnach auch Wiederholungen auf Planungsaktivitäten beim Sprechen auf den AB hinweisen. Wie bereits in (19) lässt sich in mehreren Texten meines Korpus beobachten, dass Anrufer neben Pausen und Wiederholungen zahlreiche Mittel einsetzen, um ihren Redefluss zu verzögern und den Text weiter zu planen. In einigen Texten meines Korpus lassen sich diese Phänomene wie in (19) vermehrt beobachten. In diesen Texten leisten die Anrufer beim Sprechen auf den AB erhöhte Verzögerungs- und Planungsarbeit. 86 Prinzipiell sind Verzögerungsphänomene als Merkmale der Planung für spontane gesprochene Sprache normal. Ihre bloße Existenz in Anrufertexten belegt dort also lediglich die Normalität spontanen Sprechens. Das Sprechen auf einen AB kann aber nicht mit normalem spontanen Sprechen gleichgesetzt werden. Der Anrufer muss sich spontan auf eine veränderte Kommunikationssituation einstellen. Er muss u.a. • • •

den technischen Rahmen (z.B. Signal, Sprechzeit, Speichermedium), den textuellen Rahmen (Handlungen im Ansagetext), und die veränderten Gesprächsbedingungen (kein Dialogpartner) bewältigen.

In diesen z.T. unwägbaren Abweichungen vom Telefongespräch und der daraus resultiernden sehr spontanen Kommunikationssituation besteht für Anrufer das Problem. Je weniger sie über das bevorstehende Kommunikati84 85

86

Vgl. Maclay/Osgood (1959: 30), Wiese (1989a: 105). Dies gilt neben den angeführten Wortwiederholungen auch für die zahlreichen Lautwiederholugen; vgl. dazu Nr. 18, 49, 71, 83, 240, 280, 288, 342, 346, 356. Vgl. auch 21, 22, 87, 151, 154, 177, 190.

153 onsereignis wissen, umso weniger können sie ihren Text vorausplanen. Sie müssen ggf. auf viele Dinge spontan reagieren. Spontaneität kann demnach die beherrschende Situationsvariable in der AB-Kommunikation sein. 87 Anrufer müssen daher verstärkt weiter planen, während sie bereits mit dem Text begonnen haben. Ausdruck eines erhöhten Planungsbedarfs sind in Anrufertexten intensive Verzögerungsaktivitäten, mit denen Anrufer dem Problem großer Spontaneität begegnen. Diese Verzögerungsaktivitäten können das sprachliche Erscheinungsbild eines Anrufertextes sehr prägen. Der Text kann einem Hörer dann als unzusammenhängend erscheinen und ihn dazu veranlassen, den Sprecher nach Performanz-Maßstäben zu bewerten, worauf ich später noch genauer eingehen werde. 1.1.2 Kontrollaktivitäten Gegenstand des vorangegangenen Kapitels war, dass Sprecher Textteile produzieren, während sie gleichzeitig spätere Teile noch planen. Diese Vorstellung von Sprachproduktion lässt sich mit Gülich erweitern. Sie unterscheidet zwei verschiedene Typen parallel verlaufender Aktivitäten, die im Gespräch ausgeführt werden: • •

das Versprachlichen kognitiver Inhalte, das Bearbeiten bereits produzierter sprachlicher Ausdrücke.88

Im Gespräch planen und produzieren Sprecher nicht nur. Sie bearbeiten das Ergebnis auch. Diese Aktivitäten sind typisch für gesprochene Sprache. Sie lassen sich daher auch in Anrufertexten belegen: (52) fi + hei BEN hier is ARNE ich bin im: VERLAG + un:d hab realisiert daß der redaktionsschluß sich dem Ende/ {.} ne ne der nähert sich bedrOhlich Ich verzichte hier auf eine tiefer gehende Analyse, halte aber fest, dass der Studierende den Text nicht in der ursprünglichen Form belässt, sondern ihn bearbeitet. Die produktionsorientierte Sprachwissenschaft ist seit Osgoods „Where do sentences come from?" 8 9 bemüht, mit psycholinguistischen, sprachpsychologischen oder textlinguistischen Ansätzen herauszufinden, wie dies .Bearbeiten' funktioniert. 90 Es handelt sich hierbei um einen komplexen Vorgang mehrerer Produktionsschritte. 87

88 89 90

Wiese (1989a: 104) weist darauf hin, dass die Häufigkeit von VerzögerungsWiederholungen erheblich durch verschiedene Situationsvariablen bestimmt wird. Gülich (1994: 79). Osgood (1971). Vgl. Uberblickend Antos (1989b, bes. 16ff. und 29ff.) und Levelt (1983).

154 Zunächst muss überhaupt erst bemerkt werden, dass etwas bearbeitungsbedürftig ist. Voraussetzung dafür ist in Gesprächen, daß die Beteiligten nicht nur kommunizieren, sondern daß sie den Kommunikationsprozeß in Form eines Monitoring beobachtend verfolgen. Beim Monitoring einer permanenten Tätigkeit - werden die Umgebung, das Selbst und vor allem auch das interaktive Geschehen daraufhin geprüft, ob das, was geschieht, den Erwartungen entspricht bzw. im Erwartungsrahmen liegt.91 Ich gehe davon aus, dass Anrufer in der AB-Kommunikation ebenfalls beobachtungsaktiv sind. Sie verfolgen das interaktive Geschehen zunächst einmal indem sie prüfen, ob mit dem Ansagetext der Gesprächsschritt des Angerufenen im Erwartungsrahmen liegt - hierzu später mehr. Zudem gehe ich davon aus, dass Anrufer ihr eigenes Sprechen auf den AB beobachtend verfolgen. Diesen Vorgang bezeichne ich als „self-monitoring" 9 2 . Das Self-monitoring übt beim Sprechen eine Anzahl von Funktionen aus, die ich an Levelt angelehnt vereinfacht darstelle. Das Self-monitoring ist für den Sprecher erstens eine Kontrollinstanz: Geprüft wird hierbei (a) k o r r e s pondiert das Gesagte mit dem Intendierten?' und (b) ,Entspricht das Gesagte sprachlichen Produktionsstandards (z.B. in Morphologie, Syntax oder nach prosodischen Kriterien wie Sprechgeschwindigkeit oder Lautstärke)?' Zweitens hat das Self-monitoring Regulierungsfunktion. Werden bei der Kontrolle Abweichungen vom Vorgesehenen oder vom Produktionsstandard registriert, steuert das Self-monitoring die regulierenden Maßnahmen. Diese reichen vom lauteren oder schnelleren Sprechen bis hin zu einem völligen Abbruch und Neubeginn der Satzkonstruktion. 9 3 Scheglof/Jefferson/Sacks nennen diese Regulierungshandlungen, das Bearbeiten, allgemein „repair" 9 4 . Sie ziehen diesen dem Korrekturbegriff vor, da sich dieser für gewöhnlich darauf beziehe, dass Falsches durch Richtiges ersetzt werde. 9 5 Der Begriff ,repair" ist breiter angelegt. Er umfasst Korrekturen als speziellen Typ Reparatur und beschreibt zudem: • • •

91 92 93 94 95 96

Wortsuchprozesse, in denen kein Austausch stattfindet, Fälle von „repair"/„correction", in denen kein hörbarer Fehler vorliegt, Fälle, in denen ein Fehler hörbar ist, aber kein „repair''/,.correction'' stattfindet.96

Fiehler (1998b: 8); (Fettdruck von mir). Levelt (1983: 41). Vgl. Levelt (1983). Schegloff/Jefferson/Sacks (1977: 363). Vgl. dazu Wiese (1989a: 91). Vgl. Schegloff/Jefferson/Sacks (1977: 362f.); einen kurzen Literaturüberblick zum Korrekturbegriff und verwandten Termini gibt Scheuerer-Willmar (1993: 17).

155 Angelehnt an Scheglof/Jefferson/Sacks spreche ich daher folgend von Korrektur als einem Subtyp von Reparaturaktivität und unterscheide bei den Korrekturaktivitäten zwischen , f r e m d - " und „Selbstkorrektur". Beides sind erfolgreiche Lösungen einer Reparaturaktivität.97 Korrekturen haben nach Wiese syntaktische, lexikalische oder morphophonologische Gestalt. 98 Sie können zudem kontextuell-pragmatischen Hintergrund haben. 99 Korrekturen können verschiedene kommunikative Funktionen erfüllen. 100 Selbstkorrekturen dienen z.B. lexikalischer Optimierung 101 , wie die folgenden Texte belegen sollen: (53)

+ hallo BELLA hier is ANKE' + diese nachricht is ja ai diese ansage is ja echt.... bescheuert. + 8:m noch ne 9 andere sache= + a:m ich hab eine frage und zwar du kennst ja/ pass auf auf dem königinnentag war doch so ne= + rothaarige= + DORA glaub ich auch. + die macht mit mir den DEISTER-kurs= + ich hab heute morgen totAl verpennt= + heut is übrigens mOntag EINATMEN und it.Ich f.) müsste irgendwie an diese Übersetzung rankom-n + DORA und DELILAH sind alle noch am schreib-n und ich weiss auch nich/ wir warn gestern nich hier unf. Inn sch*(.)totAl spät wiedergekomm-n. + ied-nfalls= + wenn du mir die nummer von dieser^ ++ DANA oder wie sie heißt geb-n könntest dass ich sie weg-n der= ++ Übersetzung anschrei* an{.Jsprechen könnte= EINATMEN oke' + kannst mich ja noch mal anruf-n, + danke, + tschüss= 102

Die Studierende verspricht sich zweimal in ihrem Text. 103 Sie substituiert einen Ausdruck durch einen ähnlichen. Sie korrigiert ihre Äußerung aber, indem sie den Ausdruck Nachricht gegen den präziseren Ausdruck Ansage ersetzt. Wenig später verspricht sie erneut. Auch hier verwendet sie irrtümlich einen dem gemeinten ähnlichen sprachlichen Ausdruck. Sie korrigiert aber sofort und produziert das ursprünglich beabsichtigte präzisere Verb sprechen. Auch in den folgenden Texten dient die Korrektur lexikalischer Optimierung: 97

Vgl. Schegloff/Jefferson/sacks (1977: 363ff.). Wiese stellte in Cartoon-Nacherzählungen fest, dass die Hafte der Selbstkorrektren lexikalischer, ein Drittel syntaktischer und ein Sechstel morphophonologischer Natur sind; vgl. Wiese (1983: 147f.); zu phonetischen Versprecher-Korrekturen vgl. Schwitalla (1997: 35ff.), Wiese (1989b: 208f.). 99 Vgl. Cherubim (1980c: 9f.). 100 Vgl. Goes (1997: 134); vgl. auch Schwitalla (1997: 88ff.). 101 Vgl. Wiese (1989b: 201). 102 Vgl. auch 17, 49, 73. 103 Vgl. die Versprecher in 33, 41, 127, 137, 326, 328, 358, 364; zu Versprechertypen vgl. Wiese (1989b: 207ff.), Aitchison (1997: 23ff.), Leuninger (1993) und (1996); die Versprecherforschung überblickt Wiedenmann (1992); zur Terminologie vgl. Meringer/Mayer (1895). 98

156 (54)

+ I:: was für Eine Un:glAUblich sEriöse Anzeige LACHT ++ Anzeige" + kwAtsch= + Ansage, + ich bin noch nich richtich wAch glaub ich LACHT +

(55)

+ da gibt es zwei campingplätze= + einmal eurOpa und einmal süd-

(56)

strand, + und wir sind auf dem europastran* e: Campingplatz, EINATMEN mieschendorf europa, 8:m ich hab morg-n: f{. )rüh/ morg-n ist m{.}ittwo{.}ch bis: irgendwie EINATMEN eins glaub ich uni:= +104

Die Studierende in (54) spricht zunächst von einer Anzeige und korrigiert dann zu Ansage. Die Arzthelferin in (55) verspricht sich ebenfalls. Sie kontaminiert die Namen zweier Campingplätze zu einem und benennt den Campingplatz erst im zweiten Anlauf richtig. In (56) liegt kein Versprecher vor, trotzdem korrigiert die Anruferin ihre Äußerung, um sie zu präzisieren. Neben lexikalischer Optimierung dienen Selbstkorrekturen auch dazu, Abweichungen auf lautlicher oder morphologischer Ebene zu bearbeiten, wie die folgenden Texte belegen: (57) (58) (59)

ratet mal wer sich auf meine katz* wer sich auf meine kontaktanzeige mit DORA zusamm-n gemEldet hat= +++ ich hoffe dirst + a: dir geht es gut un so' + 105 Θ :m könntest du mich heute noch mal anruf-n heut abend am best-n= + um mir ne An* ne Einschätzung zu geb-n

Die Ingenieurin in (57) und die Studentin in (58) antizipieren hier offenbar mehrere Laute, korrigieren ihren Versprecher aber augenblicklich. In (59) ist es möglicherweise ein Nachklang, den die Anruferin korrigiert. Hier ist das Präfix an- aus anrufen vielleicht noch präsent und für den Versprecher verantwortlich. Anlass für Korrektur kann auch die Syntax in Anrufertexten geben. Weicht diese von den Sprecherintentionen ab, greifen Anrufer korrigierend in den Satzbau ein: (60) (61)

(62)

104 105 106

fl + hä + immerhin hatta wa* sich was neues für den= ++ Anrufbeantworter einfallen lassen. +++106 ++ ich + würde {.} ganz (gerne) / das ganz gerne ihn-n {.} telefonisch {.} dUrchgeb-n un:d= + Θ: + 9: + ganz gerne mit ihnen darüber plaudern wenn sie mich bitte mOrgen oder übermOrgen zurückruf-n würdn' ++ fl + na BEN' + haste (

Der Text entstand unter der Bedingung einer auf 30 Sekunden limitierten Sprechzeit, ohne dass dies im Ansagetext angekündigt worden war. Es geht dem Studierenden zunächst um eine Mitfahrgelegenheit und um den Verlust eines Portmonees. Beide Themen möchte er miteinander verknüpfen, da er ohne Geld die Fahrt nicht antreten kann. Da aber die Sprechzeit verstrichen ist, kann er seinen Gesprächsschritt nicht mehr beenden. Das Problem liegt für ihn darin, mehrere Themen abhandeln zu wollen, was - auf dem AB ohnehin problematisch - innerhalb der kurzen Zeitspanne noch schwieriger ist. Weil er das Zeitlimit nicht kennt, unternimmt er keinen Versuch, die Themen in Kürze und kompakt abzuhandeln oder einfach um Rückruf zu bitten. Der Studierende ruft eine Stunde und 16 Minuten später noch einmal an: 11 12

Vgl. Funkschau (1994a: 99). Vgl. Stiftung Warentest (1980:36), Funkschau (1994a: 99). Die Sprechzeit kann auch begrenzt werden, obwohl die Technik dies nicht unbedingt fordert: Kurze Anrufertexte benötigen weniger Zeit, um sie abzuhören. So lässt sich auch verhindern, dass Anrufer aus Schabernack das ganze Speichermedium vollsprechen.

259 (209)

ja hallo BELLA, + ich bins nochmal ARNE, + dein anrufbeantworter ist vIEl zu kurz eingestellt das ist das Erste, + mein portmone: werd ich schon irgendwie anfind-n, + hoff ich zumindest, + dich wollt ich noch frag-n ob du morg-n nach halb vier was vorhast {.} wahrscheinlich hast du vor {.} keine zeit zu hab-n, + wenn doch dann meld dich doch ma, + tschüss schlaf gut,

Auffällig ist zunächst, dass er trotz der relativ langen Spanne zwischen den Anrufen das vorherige frühzeitige Ende der Kommunikation thematisieren möchte. Er ist sich nun aber der kurzen Sprechzeit bewusst und teilt sich diese besser ein. Seine Metakommunikation fällt daher kurz aus. Sehr knapp - sich allerdings wiederholend - stellt er auch den Kontext zum ersten Anruf her und bekräftigt seine Hoffnung, das genannte Problem (Verlust des Portemonees) zu lösen. Beide Themen haben für ihn keine Priorität, denn Grund des erneuten Anrufs ist seine Absicht, sich mit seiner Kommilitonin zu verabreden. Daher handelt er die beiden ersten Themen ab, indem er sie quasi Punkt für Punkt,abhakt'. Seine Kritik ist das erste, das verlorene Portemonee das zweite Thema. Merkmal einer kompakten Abhandlung ist auch, dass er die Nomina Anrufbeantworter und Portemonee und links herausstellt. Da er seinen Text im Hinblick auf das Zeitlimit relativ ökonomisch aufbaut, kann er diesmal seinen Gesprächsschritt selbst zum Abschluss bringen. Auch die folgende Anruferin möchte ein komplexes Thema abhandeln, obwohl die Sprechzeit ohne ihr Wissen begrenzt ist: (210)

GERÄUSCH ja= + ich bins noch mal, + asn: + oke' + ich rede jetz hier auf band du kannst mich jetz hier nich vollnasseln, + GERÄUSCH + also BRITTA ich wollt dir jetzt sagn dass ich jetzt angeruf-n habe θ: + ich wollte d(h)ann nur noch sag-n= + ich geh jetzt nämlich lauf-n und ich a:m= ++ rufe dich dann wahrscheinlich nAch neunzehn uhr an, + weil a:m +++ weil= ++ja, +++ dann ruf ich dich späta noch ma an, EINATMEN und a:m: ich hab ei* ehrlich gesagt {.} θ bin ich total kaputt ne' + ich weiß gar nich ob ich Übahaupt noch in die Stadt will heute, + zur not müsstest du dann ma hier 1ΙΟΟ1ΙΨΨ

Der Studierenden wird das Sprechen zunächst durch eine Störung im „Setting" erschwert. Jemand versucht mit ihr zu reden, obwohl diese telefonieren möchte. Danach verliert sie Zeit, indem sie redundanterweise mitteilt angerufen zu haben, und zweimal sagt, dass sie beabsichtige, erneut anzurufen. Es handelt sich hier nämlich um ein schwieriges Thema. Sie möchte wohl einen Termin absagen, hat aber Probleme, dies angemessen zu formulieren und zu begründen. Der Text belegt hier ein Dialogproblem, denn dieses Thema ist für sie in erheblichem Maße aushandlungsbedürftig. Die Studierende hat entsprechend große Probleme, das Thema allein abzuhandeln. Das Thema ist ihr unangenehm, ihr Sprechen lässt sich wohl am besten umgangssprachlich als ,Rumdrucksen' bezeichnen. Sie hat Probleme, mit der Sprache herauszu-

260 kommen. Sie möchte einerseits das geplante Treffen in der Stadt absagen, weil sie müde ist. Andererseits möchte sie der Kommilitonin nicht vor den Kopf stoßen und das Treffen gänzlich absagen. Sie bietet daher alternativ an, dass diese zu ihr hochkommt. Die Anruferin wohnt in einem bergauf gelegenen Teil der Stadt und scheut wohl die Mühe, den Rückweg aus der Stadt bergauf anzutreten. Ich vermute weiterhin, dass sie, weil der Weg zu ihr vielleicht beschwerlich ist, eher seltener von ihrer Kommilitonin Besuch bekommt - die Partikel mal weist auf diese Interpretation hin. Allerdings ist dies ein halbherziges Angebot, denn sie schränkt dies mit zur Not ein. Sie tendiert hier m.E. zwar dazu, das Treffen ganz abzusagen, will dies aber offen lassen, um es später im Telefondialog abzusagen. Dies ist natürlich Spekulation, denn der AB bricht hier nach Ablauf der 30 Sekunden die Aufnahme ab. Fünf Minuten später ruft sie aber noch einmal an: (211)

söjetz bin ichs noch mal (.) + der anrufbeantworta is ja völlich schEIße. ++ so + ich wollt jetz noch mal sag-η karen es tat mir total leid ich hab mich jetz umentschloss-n, ich bin entschied-n {.} daß ich heut abend kEInn bOck habe, + LACHT das is aba nich auf dich bezog-n sondern ++ weil ich nämlich total fertig bin {.) und jetzt muss ich auch noch mit so zwei tölen hier lAUf-n= + und {.} vorher war ich am rosdorfer klEssee {.} und ich hab echt fastn sOnn-nstlch' + und a:m aba ich telefoniere gErne auch noch stUnd-nlang mit dir heute abend, + sö + und {.} a:m {.) ja ++ dEnn müss-n wir nochmal mit ausmach-n es tut mir ΙΕίΨΨ

Die Studierende beginnt zunächst mit einer markierten Reaktion auf die Beendigung ihres Textes durch das Gerät. Es fällt weiterhin auf, dass sie die Zeit zwischen beiden Anrufen genutzt hat, um sich gegen ein Treffen überhaupt zu entscheiden. Sie nennt nun auch eine Anzahl Argumente, mit denen sie ihre Absage begründet und bietet ersatzweise ein Telefongespräch an. Die Texte geben einen Hinweis darauf, dass die Anruferin dadurch, dass ein zweiter Anruf nötig wurde, überhaupt erst zu ihrer Absage gelangt ist. Absicht des ersten Anrufs war ein Telefongespräch und ein Aushandlungsbedürfnis. Ihr erster Anrufertext hätte dem Aushandeln wohl auch noch eine Chance gegeben, wäre die Kommunikation nicht vorzeitig durch den AB beendet worden. Beim zweiten Mal ruft sie mit der Erwartung an, dass sie auf den AB sprechen würde. Sie hat die Zwischenzeit somit genutzt, um sich Argumente für ihre Absage zurechtzulegen. Sie hat ihre Absage geplant. Die Texte belegen hiermit einen praktischen Nutzen, den die Anruferin aus dem notwendig gewordenen zweiten Anruf ziehen kann. Sie muss das Thema nicht aushandeln und kann den Entschluss fassen, den sie m.E. ohnehin hatte fassen wollen, ohne dass jemand Einwände erheben kann. Aus einer Perspektive der Planung heraus kann sie dies zudem argumentativ stützen und unterliegt damit nicht dem Verdacht, lediglich keine Lust auf das Treffen

261 gehabt zu haben. Sie hat diese Lösung aber erst ergreifen können, nachdem ihr das technisch hervorgerufene Gesprächsende Gelegenheit und Legitimation zu einem zweiten Anruf gegeben hat. Weiterhin fällt hier auf, dass sich die Anruferin im Gegensatz zu dem vorangegangenen Anrufer nicht auf das Zeitlimit einstellt, obwohl sie nun davon weiß. Auch ihr zweiter Anruf wird von dem AB beendet. AB-Besitzer, die Anrufern derartige Probleme ersparen wollen, können dies tun, indem sie ihnen wie in dem folgenden Ansagetext einen Hinweis auf die begrenzte Sprechzeit geben: (212)

gut-η ta:g, + hier spricht der automatische anrufbeantworter von BEN BELZ„ + bitte hintalass-n sie ihren namen= + datum und uhrzeit ihres anrufs= + sie werden so schnell es geht zurückgeruf-n, + für ihre nachricht haben sie nach dem signalton= + dreissig sekund-n zeit,

Der Text versucht dann das sprachliche Handeln der Anrufer so zu steuern, dass sie sich kurz fassen, um mit dem Zeitlimit auszukommen. Die Anruferin in (213) berücksichtigt diesen Hinweis aber nicht: (213)

EINATMEN ja: schön-n gu-n ab-nd= + hier is ANKE, + s:m= +++ ich bin nicht in der veranstaltUng= + ich bin zu hAUse' + und 8:m: EINATMEN dafür gibt es gute grÜndE= + ich hab mein fahrrad eine dreiviertelst(h)unde vor der hAUstür steh-n lass-n= + und jetzt ist mir mein sAtt-el geklaut word-η LACHEN EINATMEN + e LACHEN EINATMEN ++ ich haben schnEIlspanna dran aber= + aber er ist mir noch nie geklaut word-n, + er ist mir hEUte geklaut word-η EINATMEN und ich habe jetzt versucht a:m: + den von meinem alten ab{} zumontieren allerdings scheinen da die schrauben irgendwie= + eingerostet= + oder weiß der teufel Θ:ΠΙΨΨ

Die Thekenkraft begründet hier, warum sie einer Vortragsveranstaltung fernbleiben muss, zu der sie mit dem Angerufenen verabredet war. Sie versucht ihr Thema zu komplex abzuhandeln, verliert sich in Einzelheiten einer Fahrradreparatur, achtet nicht auf das Zeitlimit. So beendet das Gerät die Aufnahme. Sie ruft daher kurz darauf ein zweites Mal an: (214)

dreißig sekund-n sind zu wgnig BEN: EINATMEN a:m= ++ dies ist der fortsetzungfolgteanruf a:m +++ ich hab eigentlich gesagt was ich s(h)agen musste {.} wollte= + konnte EINATMEN s:m +++aber ich hab nicht tschüss gesagt 9::m + das tu ich hiermit EINATMEN un:d a: + ja: AUSATMEN + und dann:= +++ drück ich noch « a l die daumen so: + dass so auch alles so läuft so= + ihr habt jetzt bestimmt schon angefang-n 9 : m : + + u n d ich erwarte: Ψ Ψ < Ν Γ . 1 9 9 >

Sie hat sich nun wohl überlegt, dass das Thema doch bereits abgeschlossen war. Sie begründet den zweiten Anruf durch den fehlenden Abschiedsgruß zuvor. Es scheint jetzt, dass sie Probleme damit hat, nur wegen des ausgebliebenen Grußes angerufen zu haben. Da ihr für den Folgeanruf eigentlich

262 ein Thema fehlt, initiiert sie zwei neue: Sie thematisiert die Kommunikationssituation. "Anschließend legitimiert sie den Folgeanruf. Die Anruferin ist verunsichert. Sie zögert z.T. sehr lange, stockt und dehnt vielfach. Auch hat sie Mühe, ihr Lachen zu unterdrücken, das einmal in Form einer Lachpartikel in sagen zu beobachten ist. Zudem belegt ihr Text Redundantes, denn es gibt für sie keinen Anlass, die Daumen zu drücken, wenn ihr Kommilitone einen Vortrag besucht. Ich habe den Eindruck, dass sie hier nicht wusste, was sie überhaupt hat sagen sollen, weil ihr Anruf thematisch nicht motiviert war. Der Text zeigt weiterhin, dass die Anruferin ihren Text wieder nicht rechtzeitig beenden kann. Die Absicht des Ansagetextes, das Handeln von Anrufern im Hinblick auf das Zeitlimit zu steuern, zeigt hier erneut nicht den gewünschten Erfolg. Im Gegenteil lässt sich anhand des Korpus belegen, dass diese Strategie auch gegenteilige Effekte erzielen kann. Hierauf weist die Kritik der letzten Anruferin und auch anderer hin. 13 M a n kann zudem vermuten, dass die kurze Sprechzeit Anrufer unter Druck setzt. Schon beim Telefonieren verändert sich das Zeitempfinden, es scheint als liefe die Zeit im Telefongespräch schneller. 1 4 Es ließe sich annehmen, dass der AB diesen Eindruck intensiviert, wenn er ein Zeitlimit setzt und dies im Ansagetext angekündigt wird. Dies könnte Anrufer dazu bringen, schneller zu sprechen. 1 5 Da ich aus methodischen Gründen die Sprechgeschwindigkeit nicht gemessen habe, kann ich nicht präzise angeben, ob Anrufer wegen einer angekündigten Zeitbegrenzung schneller sprechen. (215) und (216) geben hier aber einen vorsichtigen Hinweis: (215)

13 14 15

+ BEN hei hier is noch ma die ANKE, EINATMEN 9:m ja: die numma von der DORA die stimmt irgendwie nich, + ich weiß nich ob du die fei sehe nummer vergleich-n kannst mit deinem zettel= EINATMEN ich hab hier stehen neunundneunzig neunundneunzig neun neun= + das ist kein anschluss unter diesa nUmmer, EINATMEN DORA DEISTER gibt es auch nich und in HAMBURG die eitern wo ich dachte dass der padda vadda vielleicht pastor is da gibts AUch kein-n DEISTER, EINATMEN das is jetzt η bisschen blÖd= + ich weiß nich vielleicht kannste einfach noch mal auf dein-n zettel kucken ob die neunundneunzig neunundneunzig neun neun ob die stlmmt= + ob du die auch da stehen hast ansonsten müssen wirs irgendwie noch mal anders versuchen du sagtest ja du siehst sie auch manchmal, ΦΦ

Vgl. auch 110, 111, 114, 402, 404, 405. Vgl. Baumgarten (1931: 193). Zur Artikulationsgeschwindigkeit vgl. Wiese (1983: 101 ff.); ich hatte während der Untersuchung selten den Eindruck, dass jemand vom AB zur Eile getrieben wurde. Merkmal einer beschleunigten Sprechweise könnte z.B. sein, dass Anrufer weniger Pausen einlegen bzw. dort Pausen auslassen, wo in den Texten allgemein Pausen zu erwarten sind; Vgl. 108, 109, 113, 200.

263 Die anrufende PR-Redakteurin und die angerufene wissenschaftliche Hilfskraft benötigen gemeinsam Telefonnummern und Adressen mehrerer Personen. Die Redakteurin ruft hier an, um zunächst eine der Adressen zu überprüfen, berücksichtigt aber die Möglichkeit, dass auch der Angerufene eine fehlerhafte Adresse hat und macht daher den Vorschlag, darauf zu warten, dass dieser die gesuchte Person trifft. Da die Anruferin ihr Handeln aber nicht auf das im Ansagetext angekündigte Zeitlimit einstellt, kommt sie nicht mit 30 Sekunden Sprechzeit aus. Sie ruft 20 Minuten später noch einmal an: (216)

BEN schon wieda ANKE, + al(h)so LACHEN zwar hab ich ja leida nur die numma von DORA nich ich hab aba die DANA gefund-n, + falls du sie noch nich gefund-n hast= + hier ist ihre adresse + DANA DIETZ, + HAUPTSTRASSE fünf, + neunundneunzich null neunundneunzich HAMBURG, + telefonnumma= + neun neun {.} neun neun neun neun, neunundneunzich neunundneunzich, + neun neun, + okay= schön-n abend tschaui=

Die PR-Redakteurin weiß nun, dass die Sprechzeit begrenzt ist. Sie gibt dem Angerufenen nun ihrerseits Informationen weiter, die sie in der Zeit zwischen den beiden Anrufen wohl erst in Erfahrung gebracht hat. Sie beeilt sich dabei sehr und ,spult' die Information geradezu ab. Sie beendet ihren Text ebenfalls eilig. Zwischen Selbstbestätigung und Abschiedsgruß macht sie keine Pause, sie spricht dies in einem Zuge. Der Text gibt also einen Hinweis darauf, dass sich Anrufer durch das Zeitlimit beeinflussen lassen und schneller sprechen. Der Text lässt sich auch anders interpretieren: Die PR-Redakteurin ist hier zunächst verlegen. Sie glaubt wohl, dass sie den Angerufenen belästigt, bewertet ihren zweiten Anruf mittels der Partikeln selbst als unerwünscht und lacht dazu verlegen. Sie kommt damit einer angenommenen Bewertung durch diesen zuvor. Aus dieser Verlegenheit heraus bemüht sie sich nun, ihr Thema zügig abzuhandeln. Die Kenntnis eines Zeitlimits kann aber auch gegenteilige Effekte erzielen. Gold sieht hier einen Zusammenhang zwischen Zeitdruck und Verzögerung: Those people who were not fluent in the syntax of answering machine talk (AMT) either gave inappropriate information, or stuttered and paused a great deal while trying to plan their message under the pressure of a 30-s clock." 16

Einen Hinweis auf die hier genannten Planungsaktivitäten gibt der folgende Text:

16

Gold (1991: 243).

264 (217)

gut-η ta:g, + hier spricht der automatische anrufbeantworter von BELLA= + BERTA= + BRITTA, + und BEN,, + bitte hintalass-n sie ihren namen= + datum und uhrzeit ihres anrufs= + sie werden so schnell es geht zurückgeruf-n, + fur ihre nachricht haben sie nach dem signalton= + dreissig sekundn zeit, +

fi + LACHT ++ oke: + ΙΙΘ + BORIS {.} wenn du schon {.} völlig weg bist, ++ denn EINATMEN {.} wünscht dir ANKE {.} Echt n: {.} gut-n (.} start {.) in HAMBURG, + oke also machs gut, + wou„ + echt, + hOchintressanter spruch, + tschau, D i e Studentin beginnt ihren Text mit einem kurzen Lachen und spricht danach zögerlich und stockend. Ihre Metakommunikation weist darauf hin, dass der Ansagetext hierbei eine Rolle spielen kann. Nach Meinung der Anruferin ist dies ein hochinteressanter Spruch. D i e s kann sich einerseits darauf beziehen, dass sie hier versucht, jemanden telefonisch zu erreichen, der im Ansagetext nicht genannt wird. D i e Anruferin weiß, dass BORIS einen U m z u g nach H A M B U R G plant. Da dessen Name nicht mehr im Ansagetext auftaucht, vermutet sie, dass dieser bereits verzogen ist. Im Bewusstsein, dass ihr Text statt BORIS nun dessen Mitbewohner erreicht, ist sie vielleicht verunsichert. D i e Bewertung des Ansagetextes kann sich auch auf dessen distanziert wirkende Sachlichkeit bzw. auf das angekündigte Zeitlimit beziehen. Ich schließe nicht aus, dass letzteres die Anruferin unter Stress setzt, sodass sie beim Sprechen verunsichert zögert. 17 Das Wissen oder die Annahme, nur sehr kurz auf einen A B sprechen zu dürfen, kann die Kommunikation erschweren, weil dies Anrufern Stress bereiten kann und sie verunsichert. Da ich hierfür aber nur wenig Hinweise gefunden habe, vermute ich, dass Zeitdruck hier eine untergeordnete Rolle spielt. Dafür spricht, dass Anrufer im Durchschnitt zu kurzen Texten tendieren und somit kein Anlass für Zeitdruck besteht. Eine kurze Sprechzeit schafft aber Probleme, wenn Anrufer den Text nicht abschließen können und erneut anrufen müssen. Anrufer haben zwar immer die Option, den ersten Anruf durch einen geplanten zweiten zu relativieren oder zu nivellieren. Ein technischer Gesprächsabbruch kann dies aber legitimieren, er lädt dazu ein.

17

Verzögerungsphänomene treten unter Stress aber auch beim Schnellsprechen und beim Sprechen in Übermüdungs- und Erschöpfungssituationen auf; vgl. Preu (1978: 283).

265 4.5 Datierung AB unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihrer Speichertechnik und -kapazität. Sie sind technisch auch sehr unterschiedlich ausgestattet. So zeichnet nicht jeder AB auf, an welchem Tag und zu welcher Tageszeit Anrufer einen Text auf dem AB hinterlassen haben. Das technische Manko können Anrufer sprachlich bewältigen, indem sie wie der folgende Sprecher ihren Text datieren: (218)

+ ARNE AUST zehnta vierta einundzwanzig uhr,

Sofort nach des Anrufs. bestimmen. allein, einen

der Selbstidentifikation nennt der Anrufer Datum und Uhrzeit Der Angerufene kann den Zeitpunkt des Anrufs also präzise Dies ist in der AB-Kommunikation wichtig. Es genügt nicht Text auf den AB zu sprechen:

Grundsätzlich löst die Aufzeichnung der Anrufe nicht jedes Problem; da sagt zum Beispiel ein Anrufer, man solle ihn „sofort" zurückrufen, nennt aber nicht die Zeit des Anrufs.18

In solch einem Fall können sich Probleme für die Kommunikation ergeben. Auer stellt fest, dass „die zeitliche Struktur mündlicher Handlungen, anders als die des Schreibens, von Anfang an Teil eines Interaktionsprozesses, des Dialogs zwischen Sprecher und Hörer ist"19. Anrufertexte sind aber wie geschriebene Texte Teil einer zeitlich zerdehnten Kommunikation. Daher muss in Anrufertexten Deixis explizit hergestellt werden.20 Lässt sich ein Anrufertext nicht oder nicht genau genug zeitlich einordnen, können sich für die Kommunikation Probleme temporaler Deixis ergeben, wie der folgende Text belegt: (219)

das beste wird sein ich ruf sie nochma:l zurÜck[h] + mOrgen: + EINATMEN so: zwisch-n: + zehn und eins,, + also bis dann, + danke= + tschüüss, 2 1

Die Werbekauffrau kündigt an, am Folgetag in einem betimmten Zeitraum erneut anzurufen. Dies bereitet ihr und dem angerufenen Chemiker keine Probleme, wenn er seinen AB täglich abhört und so weiß, dass morgen der nächste Tag ist. Ist der Angerufene aber für mehrere Tage verreist, kann am Rückkehrtag morgen gestern, heute oder auch morgen bedeuten. Er hat dann vielleicht die Möglichkeit, sich an anderen Anrufertexten, die während der Abwesenheit auf seinem AB hinterlassen wurden, zu orientieren. Hat ein 18 19 20 21

Schmidhäusler (1989: 66f.). Auer (2000: 43). Zur Deixis in geschriebenen Texten vgl. Ehlich (1983). Vgl. auch 21.

266 vorheriger Sprecher seinen Anruf datiert, kann er den Zeitpunkt des gefragten Anrufs vielleicht rekonstruieren. Hat er die Möglichkeit nicht, muss er zurückrufen, wenn er den Anrufer wie in (219) identifizieren kann und dessen Telefonnummer kennt. Notfalls muss er die Telefonauskunft bemühen. Dazu muss er aber den Firmensitz der Werbeagentur kennen oder gar per Branchenbuch recherchieren. Diese theoretisch denkbare und sehr aufwändige Prozedur lässt sich vermeiden, wenn der Anrufer präzise Informationen weitergibt und dabei auch den Fall berücksichtigt, dass jemand längere Zeit abwesend ist. Wie wichtig eine genaue Datumsangabe ist, belegt auch (220): (220)

das war jetzt ne ansage für a: irgendwie deine eitern' + also pass auf ich/ + ein uhr nachts, θ: diens* a: mittwoch abend= + ich werd wahrscheinlich nachher noch einmal in die tangente gehen + wollte fragn ob du da auch noch hingehst, + bin jetzt tatsächlich noch im kAz= + und wenn ich nachher nich zU breit bin dann komm ich da auf jeden fall noch hin, + hab dich lieb BEN' + tschau,

Der Studierende bemüht sich, Tag und Uhrzeit des Anrufs anzugeben. Er hat zwar bereits damit begonnen, über seinen Diskothekenbesuch zu informieren, bricht den Satz aber noch einmal ab, datiert zunächst seinen Text und trägt erst danach sein Anliegen vor. Wenn der Angerufene den Text abhört, kann er ihn damit schnell zeitlich einordnen. Falls er den Text erst Donnerstag oder später hört, läuft er zumindest aus diesem Grund nicht Gefahr, zu später Stunde vergebens in einer Diskothek zu warten. 22 Wenig präzise Angaben zum Zeitpunkt des Anrufs müssen nicht zwangsläufig zu Problemen führen. Mit ausreichendem Kontextwissen können z.B. vertraute Anrufer auf Genauigkeit verzichten. Die Texte belegen aber, dass diese Daten unter bestimmten Bedingungen unverzichtbar sind und vom Anrufer auf den AB gesprochen werden müssen, wenn das Gerät selbst diese nicht festhält. AB-Besitzer, die Wert darauf legen, dass möglichst viele Anrufer ihre Texte ausreichend datieren, können Anrufer im Ansagetext darum bitten, diese Daten auf den AB zu sprechen. Die folgenden Anrufer führen die gewünschten Handlungen z.T. aus: (221) (222)

(223)

22

+ hallo gut-η morg-n BEN= + hier is ANKE, + es is jetz= + EINATMEN s:m: ++ dreiendf}zwanzich na{}ch zEhn, hi= + hier is ARNE. +++ a: es is jetzt {} moment, ++ frEItag= + und es is jetzt ++ elf {} uhr {} Acht {} zehn= EINATMEN +++ oder so ähnlich, + oder elf uhr neunzehn= AGENTUR AUST hallo BEN= + es ist achtzehn uhr und fünf minut-n am: EINATMEN mittwoch ham wa heut schon,

Der Anrufer nennt aber keinen genauen Zeitpunkt und knüpft sein Kommen zudem an eine Bedingung.

267 Die Anrufer geben einen Teil der erbetenen Daten bereits nach Selbstidentifikation und Gruß an. Sie folgen damit zunächst dem Handlungsziel des Ansagetextes und nicht ihrem eigenen. Die Anrufer stellen den Grund des Anrufs zurück, im Fokus ihrer Aufmerksamkeit stehen zuerst die Bedürfnisse des Empfängers. Sofern die Anrufer einen eigenen festen Handlungsplan hatten, lässt sich hier zunächst einmal festhalten, dass sie ihre Planung ändern müssen, wenn sie die im Ansagetext erbetenen Handlungen ausführen. Dies bereitet keinem der Anrufer in (221)-(223) ein Problem. Diese Beobachtung lässt sich wohl nicht generalisieren - beim Sprechen auf einen AB zunächst fremdbestimmt sprachlich handeln zu müssen, lenkt vom eigenen Handlungsziel ab. Dies bindet einen Teil der kognitiven Ressourcen, wie die Planungsaktivitäten in (221) und (222) belegen. Beide Anrufer führen die erwünschten Handlungen wenig flüssig aus. Sie stocken, machen Pausen und dehnen, wenn sie die Uhrzeit angeben wollen. Der Anrufer in (222) bittet sich mit dem Wort Moment explizit Planungszeit aus. Auch der Anrufer in (223) benötigt einen Moment Bedenkzeit, um den Wochentag nennen zu können. Es lässt sich in den Texten also beobachten, dass die Handlungen den Anrufern einen gewissen Planungsaufwand abfordern. Das Stocken kann demnach kognitiv motiviert sein, wenn die Daten nicht sofort abrufbar sind. Das Zögern kann aber auch ganz praktische Gründe haben. Die Anrufer in (221) und (222) geben die Uhrzeit sehr präzise an und müssen dazu sicherlich erst auf eine Uhr schauen. Diese Unterbrechung könnte demnach ebenfalls Quelle von Verzögerungsphänomenen sein. Neben den kognitiven Ressourcen beanspruchen diese Handlungen zudem das Zeitbudget des Anrufers. Im Vergleich zu dem Anrufer in (218) führt die folgende Anruferin die Handlungen weniger präzise und relativ zu (218) nicht so kompakt aus: (224)

+ hallo BEN= + hier ist ANKE, + heute ist mittwoch= + und ich weiss gar ich nich wie spÄt das is= + es is irgendwie nAchmittachs,

Der Text belegt, in welchem Maße die Studierende Zeit dafür aufwendet, um den Handlungszielen des Empfängers wenigstens annähernd umschreibend gerecht zu werden. Sie könnte die Zeit ansonsten nutzen, um ihr eigenes Handlungsziel effektiv und erfolgreich zu verfolgen. Da die Anruferin aber an erster Stelle und relativ umfangreich das Handlungsziel ihres Adressaten bedient, gefährdet sie ihr eigenes, wenn die Ressource Sprechzeit knapp auf 30 Sekunden begrenzt ist und ihr dadurch ein technisch herbeigeführtes Gesprächsende droht.

268 4.6 Z u s a m m e n f a s s u n g und Diskussion Der AB ist ein technisches Gerät. Zahlreiche Probleme, die Anrufer in der AB-Kommunikation haben können, lassen sich auf den Umstand zurückführen, dass AB-Kommunikation eine technisierte Kommunikation ist. Sie ist technisiert, weil sie z.B. über einen technischen Kanal übertragen, von einem technischen Medium aufgezeichnet, ggf. digital umgewandelt, und von diesem Medium auch wiedergegeben wird. Die damit verbundenen Leitungs-, ggf. Konvertierungs- und Kopierverluste können die Qualität des übertragenen Tons soweit vermindern, dass dadurch die Kommunikation erschwert wird. Die Untersuchung hat dies vor allem für Ansagetexte belegt, in die Musik oder Stimmen von einem weiteren Trägermedium eingespeist wurden. Indem ein zweites Medium in den Produktionsprozess integriert wird, können sich die Kopierverluste soweit erhöhen, dass Teile des Textes gänzlich unverständlich werden und damit den unterhaltenden oder selbstdarstellerischen Nutzen derart gestalteter Texte in Frage stellen. Weiterhin können Bedienungsfehler die Tonqualität vermindern. Je nach Abstand zum Mikrofon des AB können die aufgenommenen Signale entweder zu laut oder zu leise für den Anrufer sein. Dies Problem stellt sich auch für den Angerufenen, wenn Anrufer angesichts des Speichermediums nicht laut und deutlich genug sprechen. Leises und undeutliches Sprechen sowie längeres Zögern, Schweigen etc. bedrohen zudem die Kommunikation, weil AB die Aufnahme und das Gespräch abbrechen, wenn sie kein deutliches oder überhaupt kein Signal mehr bekommen. Kombinationsgeräte können bei schwachem oder fehlendem Stimmsignal den Anrufer über eine Weiche mit dem Faxgerät verbinden. Auch damit ist die Aufnahme abgebrochen. Das Sprachspeichermedium des AB nimmt nicht allein durch seine klangqualitative Leistung Einfluss auf die Kommunikation. Je nach Typ kann es unterschiedlich viel Sprache aufzeichnen und bei geringer Kapazität Nutzungsbeschränkungen für den Anrufer erfordern. Dazu lässt sich die Sprechzeit an manchen AB begrenzen. Diese Option können AB-Besitzer auch nutzen, wenn das Medium leistungsstark ist. Die Untersuchung hat aber kaum Belege dafür gefunden, dass Anrufer aus Zeitmangel und unter Stress beschleunigt, zögerlich oder verunsichert sprechen. Diese Beobachtung weist gemeinsam mit meinen Messungen zur Länge von Ansagetexten darauf hin, dass den Anrufern 30 Sekunden Sprechzeit meist genügen. Eine begrenzte Sprechzeit bereitet aber den Anrufern Probleme, die ein umfangreiches Thema oder mehrere Themen auf dem AB abhandeln möchten und nach Ablauf der voreingestellten Sprechzeit erneut anrufen müssen, wenn sie ihren Text nicht beenden konnten. Die Untersuchung hat hier neben der von Anrufern geäußerten Kritik negative Begleiteffekte belegen können,

269 die diese Praxis mit sich bringen kann. Eine Anruferin hatte Probleme, weil sie ihren ersten Text thematisch abgeschlossen und die Kommunikation nach dem technisch herbeigeführten Ende nur um des zuvor ausgebliebenen Abschiedsgrußes willen erneut aufgenommen hatte. Der Folgeanruf war daher thematisch nicht motiviert. Die Anruferin rang in dem Folgetext nach Worten, um die thematische Lücke zu füllen. Einer anderen Anruferin gab das technische Gesprächsende Anlass und Legitimation zu einem Folgeanruf. Die Unterbrechung gab ihr dabei die Gelegenheit, ein geplantes Treffen zu überdenken und dies aus einer Position der Planung heraus in dem zweiten Anruf abzusagen und nicht dem Aushandlungsergebnis eines späteren Telefongesprächs zu überlassen. Diese Möglichkeit, übermittelte Inhalte zu ergänzen, zu relativieren oder gänzlich zu ändern, bietet das Medium ohnehin. Ein durch die Technik des Angerufenen verschuldeter Folgeanruf kann m.E. die Bereitschaft von Anrufern, diese Möglichkeiten zu nutzen, erhöhen. Über den Einfluss der Speichertechnik hinaus, der sich bei jedem AB-Typ unterschiedlich bemerkbar machen kann, ist AB-Kommunikation besonders von Technik affiziert, wenn das beteiligte Gerät ein „Shuttle" ist. Durch den Spulvorgang kommt ein weiteres Merkmal technisierter Kommunikation hinzu, das die Kommunikation erheblich erschweren kann. Zentral ist hierbei der für die Kommunikation wichtige Signalton. Die Untersuchung hat anhand des „Shuttle"-Typs 1A-4 belegen können, dass die Kommunikation sehr gestört werden kann, wenn dieser wegen des Spulvorgangs nicht unmittelbar nach dem Ansagetext ertönt. Bei anderen „Shuttle"-Typen sind Probleme zu erwarten, weil Anrufer den Signalton neben unterschiedlichen Spulsignalen erst als „Turn-yielding-signal" identifizieren müssen. Aus der Zeitversetztheit der Kommunikation heraus ergibt sich beim AB das Problem, temporale Deixis herzustellen. Schwierigkeiten können der Kommunikation Anrufer bereiten, die nicht ausreichend darüber informieren, an welchem Tag und zu welcher Zeit sie auf den AB gesprochen haben. Diese Probleme werden aber bei manchen AB über eine Zusatzfunktion technisch gelöst. Die Geräte protokollieren zum Ansagetext auch dessen Aufnahmetag, -datum und -zeit und zeigen diese Daten an, wenn der Text abgehört wird. Diese Funktion erleichtert die Kommunikation, denn sie stellt dem AB-Besitzer die temporale Deixis zum Anruf her. Hier erschwert ABTechnik die Kommunikation nicht, das Problem besteht darin, dass nicht jedes Gerät diese Funktionen bietet. AB-Besitzer, deren Geräte nicht über dieses Ausstattungsmerkmal verfügen, können aber die Handlungen des Anrufers entsprechend steuern und ihn über den Ansagetext darum bitten, dem Text die nötigen Daten hinzuzufügen, wenn sie diese Probleme vermeiden möchten. Anrufer, die der Bitte nachkommen, widmen ihre kognitiven Ressourcen und ihr Zeitbudget damit dem

270 Handlungsziel des Angerufenen, nicht aber ihren eigenen Interessen. Aus dieser Konkurrenzsituation heraus können neue Probleme für die Kommunikation entstehen, wenn der Anrufer seine kommunikative Aufgabe innerhalb der Sprechzeit nicht mehr erfüllen kann, weil er den Erfordernissen der Technik sprachlich Genüge tun muss. Dies verweist auf ein übergeordnetes Problem der AB-Kommunikation: Die technisierte Kommunikation ist erklärungsbedürftig. In den Anfängen des Fernsprechens gaben Schilder in öffentlichen Telefonzellen die nötigen Bedienungshinweise zum Telefonieren. AB-Kommunikation kann aber kaum durch eine Standardanleitung erleichtert werden, da die Geräte z.T. sehr unterschiedlich funktionieren. Jeder AB-Besitzer muss somit via Ansagetext eine eigene Bedienungsanleitung für seinen spezifischen Typ AB geben, auf die sich Anrufer bei Erstkontakt nur in der konkreten Kommunikationssituation einstellen können. Wie Gebrauchsanweisungen, die keine Rückkopplung zulassen, um Verständigungsschwierigkeiten auszuräumen 23 , muss auch ein Ansagetext verständlich sein. Ansagetexte und deren Anruferhandeln steuernde Textteile sind zudem wie Bedienhinweise mehrfachadressiert. Ein Text, der sich an den Bedürfnissen der Adressaten mit den geringsten Voraussetzungen orientiert, muss daher viele Handlungen steuern. Nicht jeder Anrufer kann wissen, wie ein spezifischer AB-Typ funktioniert und wie er sein Handeln darauf einstellen muss. Anrufer mit wenig Vorausetzungen haben es daher nötig, vollständig instruiert zu werden, wenn die Technik dies erfordert. Der Ansagetext kann dann viele der folgenden Handlungen steuern: • •

Hinterlassen Sie Namen/Telefonnummer/Tag/Datum/Uhrzeit. Sprechen Sie deutlich/ohne größere Pause/nicht länger als eine Minute/nach dem Signalton/nach der Melodie/nach dem langen Ton/nach den kurzen Tönen/nach der Spulpause etc.

Je mehr Handlungen der Ansagetext steuern muss, damit die Kommunikation gelingt, desto stärker wird der Anrufer handlungsbelastet. Lässt der Anrufer elementare Handlungen aus, kann dies die Kommunikation mehr oder minder erschweren bzw. sogar gefährden. Pütz hat beobachtet, dass Anrufer oft wichtige Informationen vergessen, wenn sie auf einen AB sprechen. 24 Meine Analyse belegt z.B., dass Anrufer Datum und Uhrzeit ihres Anrufs nicht nennen, obwohl der Ansagetext diese Handlungen steuert. 25 Datum und Uhrzeit nutzen dem Angerufenen trotzdem wenig, wenn dem Anrufertext die Telefonnummer für den Rückruf fehlt. Der gesamte Text kann verloren ge-

23 24 25

Vgl. Kindt (1998: 24). Vgl. Pütz (1993: 95). Vgl. 32, .50, 52, 107, 110, 115-117, 144.

271 hen, wenn der Anrufer zu sehr handlungsbelastet z.B. die technischen Tücken des „Shuttle" nicht beachtet und spricht, während das Gerät spult. Dann ist eine so starke Anpassung an technische Handlungsbedingungen notwendig, daß der Umgang mit Technik die Probleme nicht löst, sondern ganz im Gegenteil das Problemfeld technisch so überformt, daß Überlastungen eintreten 2 6

Die Probleme, die sich aus den technischen Rahmenbedingungen für die Kommunikation ergeben können, erinnern in gewisser Hinsicht an frühe technisch induzierte Telefonprobleme. Dem Telefon vergleichbar leidet ABKommunikation z.B. daran, dass Gesprochenes, Musik oder andere Geräusche nur in z.T. mangelhafter Qualität wiedergegeben werden. Wie beim Telefon setzen auch beim AB knappe technische Ressourcen der Kommunikation Grenzen. War es in den Anfängen der Telefonie die geringe Anzahl der Telefonleitungen, die zu sprachlicher Kürze zwang, ist es bei älteren AB die geringe Aufnahmekapazität des Speichermediums. Übertritte wurden beim Telefon und werden auch beim AB durch den Abbruch der Kommunikation bestraft. Hierzu bedarf es beim AB aber keines Reichsvermittlungsamtes. AB-Besitzer, deren Geräte diese Option bieten, können Sprechzeit eng begrenzen und die Sanktion somit durch das Gerät automatisieren - zum Ärger des Anrufers bricht der AB die Kommunikation eigenständig ab. Wenn Anrufer dies sprachlich bewältigen, ist wie im frühen Fernsprechverkehr auch in der heutigen AB-Kommunikation oft der „Flüche Adressat [...] der todte Apparat" 27 .

26 27

Hörning (1985: 30f.). Berliner Fremdenblatt (1883: 7).

5 Problemlösungsstrategien Ein großes Muster weckt Nacheiferung1. Die beobachteten Schwierigkeiten beim Besprechen eines AB belegen, dass manchen Anrufern in dem noch relativ neuen Medium die kommunikative Übung fehlt. Gutenberg beobachtete Ende der Achtzigerjahre, dass viele Anrufer mit dem AB sprachlich nicht umgehen konnten: Zahlreicher sind die Zeitgenossen, die noch nicht über Hör- und Sprechmuster für Anrufbeantworter verfügen, also Ansagen nicht verstehen, bei ihren eigenen Mitteilungen Formulierungsschwierigkeiten haben, manchmal überhaupt nicht reagieren können, wenn das .Bitte sprechen sie jetzt - piep' erklungen ist. Herrmann/Grabowski haben noch in der Mitte der Neunzigerjahre festgestellt, dass viele Anrufer „offenbar (noch) kein etabliertes Schema für die Verfertigung sprachlicher Äußerungen gegenüber einem Anrufbeantworter" 3 haben. Angesichts des seitdem weiter gestiegenen Verbreitungsgrades von AB nehme ich an, dass das Sprechen auf einen AB inzwischen für mehr Anrufer kommunikativer Alltag ist. Gehört eine Kommunikationssituation zu einer Klasse von häufig eintretenden „routinisierten" Situationen (= Standardsituationen) so genügt es, diese singulare Situation der betreffenden Situationsklasse zu subsumieren, um damit bereits entschieden zu haben, ob man sich äußert oder nicht.4 Da nach wie vor Anrufer die AB-Kommunikation verweigern und andere wiederum Schwierigkeiten beim Sprechen auf den AB haben, gehe ich davon aus, dass diese keine routinierte Lösung dafür entwickelt haben. In Kommunikationssituationen, für die noch keine Routinelösungen vorliegen, kann der Entschluss, etwas zu sagen, das Ergebnis eines echten Problemlösungsprozesses sein.5 Dubin berichtet in diesem Zusammenhang von eigenen frühen Problemen in der AB-Kommunikation und stellt zugleich fest, dass sie Strategien entwickelt hat, um mit dem neuen Medium umzugehen. 6 Jene Problemlösungsstrategien sind Gegenstand dieses Kapitels.

1 2 3 4 5

6

Schiller (1984: 7). Gutenberg (1987: 15). Herrmann/Grabowski (1994: 484). Herrmann/Hoppe-Graff (1989: 152). Vgl. Herrmann/Hoppe-Graff (1989: 152f.); vgl. dazu Herrmann et al. (1984) u. Dömer (1979). Dubin (1987: 29).

274 5.1 Dialogische Strategien Wie gezeigt haben Anrufer das Problem, ohne Gesprächspartner auf den AB sprechen zu müssen. Dubin vermutet, dass Anrufer sich dieser ungewohnten Situation anpassen können, indem sie diese Tatsache einfach ignorieren, und so tun, als führten sie einen Dialog. 7 Anrufer können dies dadurch erreichen, dass sie ihren monologischen Text intern dialogähnlich gestalten, quasi also einen „Dialog ohne Sprechwechsel" 8 haben. Tschauder verweist mit Mukarovsky auf die Existenz des Dialogischen im Monolog und belegt dies anhand dramatischer Texte. 9 Hoffmanovä stellt fest, dass die Möglichkeiten des Dialogischen vom Texttyp abhängig sind und führt dazu den für Balladen typischen dialogisierten inneren Monolog an. Wenn der Balladenheld (oder der Erzähler) Fragen stellt und diese selbst beantwortet, führt er ein Selbstgespräch. 10 Ebenso wie zwischen literarisch Schaffendem und Leser sind z.B. zwischen Briefschreiber und -empfänger 11 oder in Anzeigen zwischen Werber und umworbenem Kunden keine unmittelbaren kommunikativen Rückkopplungen möglich. Cherubim untersucht am Beispiel von großformatigen Anzeigen aus dem Magazin „Stern", inwieweit sich diese an tatsächlichen Werbegesprächen orientieren. Seinen Beobachtungen nach sind „einige Reduktionsformen dialogischen Sprachverhaltens in Anzeigen festzustellen, die wenigstens den Anschein gesprächshaften Handelns vermitteln sollen." 12 Alvarez-Caccamo/Knoblauch stellen fest, dass Anrufer, die einen AB besprechen, ebenfalls bemüht sind, den Anschein von Gesprächshaftigkeit aufrechtzuerhalten: Many messages present traces of dialogicity, that is, evidences of a transformation to cope with, and a tendency to avoid an abhorrent verbal activity: a pseudodialogue with the copresent aural representation of an absent party - indeed a dialogue with no one. 13

Trotz der dialogischen Spuren ist ein Anrufertext kein Dialog. Intern dialogisch gestaltet stellt er als Pseudodialog 14 aber eine Strategie dar, um die Dialogprobleme beim Sprechen auf den AB zu bewältigen, wie die folgende Analyse unterschiedlicher Formen interner Dialogizität belegen soll.

7 8 9 10 11 12 13 14

Dubin (1987: 29). Vgl. Tschauder (1989: 191). Vgl. Tschauder (1989); vgl. dazu Mukarovsky (1937, 1967). Vgl. Hoffmanovä (1993). Zur Dialogizität in Briefen vgl. Langeheine (1983: 195f.). Cherubim (1984: 133). Alvarez-Caccamo/Knoblauch (1992: 475); vgl. auch Roos (1994: 22). Vgl. auch Dingwall (1995a: 124).

275 5.1.1 Aufforderungs- und Fragestrategien Anrufer haben beim Sprechen auf den AB das Problem, nicht wissen zu können, ob sich ein Gesprächspartner in Hörweite des eingebauten ABLautsprechers befindet, der ihm beim Sprechen auf Band zuhört. Anrufer wissen aber, dass ein potenzieller Zuhörer zu jedem Moment, bevor sie auflegen, Gelegenheit hat, den Hörer aufzunehmen, um ein Telefongespräch zu beginnen. 15 Auf der Basis dieses Wissens versucht der Anrufer in (225), das Problem zu bewältigen: (225)

+ BEN' + wenn du irgendwie da bist dann 8:m war ja schön wenn de jetzt ma irgendwie rangeh-n könntest ++++++ 6

Die Studentin möchte, dass ihr Kommilitone ans Telefon geht, ist sich aber unsicher, ob der erreichbar ist, wie die verdoppelte Unbestimmtheitsmarkierung irgendwie belegt. 17 Offenbar schwankt sie hier zwischen Höflichkeit und Verärgerung. Sie wählt eine konditionale Konstruktion, benutzt den Konjunktiv der höflichen Aufforderung und tönt diese durch die Partikel mal ab. Nach Burkhardt impliziert mal in Aufforderungen, dass „es sich bei deren Inhalt nur um eine kleine Gefälligkeit handelt." 18 Durch die Partikel senkt die Studentin höflich für den Angerufenen die Schwelle, doch ans Telefon zu gehen. Sie berücksichtigt damit vorsichtig die Möglichkeit, dass dieser tatsächlich nicht erreichbar ist. Sie erwartet offenbar aber auch, dass er mit ihr telefoniert, sofern er zu Hause ist. Die Partikel kann daher auch den Versuch der Studentin signalisieren, den Entscheidungsdruck auf den potenziellen Zuhörer zu erhöhen, da sie etwas ärgerlich und ungeduldig geworden ist. Solche Aufforderungshandlungen wurden bereits in anderen Arbeiten beobachtet. Nach Sullivan verweisen diese auf das Machtgefüge in der ABKommunikation: „The callee can ,screen' calls and can refuse to answer the phone even when the caller begs the person to ,Please pick up!'" 1 9 Die folgende Aufforderungshandlung in Raz/Shapira gibt aber einen Hinweis darauf, dass die Macht des Anrufers in Screening-Situationen differenzierter bewertet werden muss: „come on, Jack, I know you're at home, I ' m waiting for you to pick up the phone." 20 Die Anrede mit Vornamen und in der zweiten Person Singular deutet hier auf Vertrautheit hin. Ein vertrauter Anrufer kann die Kommunikationssituation besser einschätzen und mit dem o.g. Wis15 16 17

18

19 20

Vgl. Liddicoat (1994: 284). Vgl. auch 139,143, 413; vgl. weiterhin in I. Lange (1998), Anh., Nr. 44. Schwitalla (1997: 173) weist darauf hin, dass irgendwie als Heckenausdruck ebenfalls Merkmal studentischer Sprechweise sein kann. Burkhardt (1984: 75); zur Partikel mal vgl. auch Ickler (1994: 395f.), Kirstein (1983: 216), Rudolph (1983: 56f.). Sullivan (1994: 155). Raz/Shapira (1994: 414).

276 sen, dass der Angerufene erreichbar ist, auch eine nachdrücklichere Strategie wählen, um sein Handlungsziel zu erreichen. Dieses belegt auch (226): (226) + ja leute {.} jetz {.) nehmt doch ma ab, + Die vertraute Anruferin weiss, dass sie in einem Mehrpersonenhaushalt anruft und kann mit diesem Wissen die Kommunikationssituation besser bewältigen. Obwohl die Studentin vermutlich nur mit einer Einzelperson aus der Wohngemeinschaft telefonieren möchte, adressiert sie die Gesamtheit der Bewohner. Da sie deren Anzahl kennt, geht sie davon aus, dass jemand erreichbar ist und fordert über den Lautsprecher ihrer Meinung nach erreichbare Hörer auf, ein Telefonat zu beginnen. Im Vergleich zu (225) verstärkt die Anruferin hier ihre Aufforderung durch die Partikel doch zu einer SollAussage, die sich wie folgt interpretieren lässt: Die Notwendigkeit, die hier behauptet wird, soll dazu führen, daß der Hörer in der Behauptung des Sprechers den Zwang, auf eine bestimmte Art zu handeln, akzeptiert.21 Der folgende befreundete Anrufer verfolgt eine noch intensivere Aufforderungsstrategie, um den Angerufenen ans Telefon zu bekommen: (227) +++ oder liegt der jetzt noch im bett hört den anrufbeantworta und denkt sich= + ich könnte mal rangehn weil der ARNE dran is" ++ nein" ++ drei= ++ zwei= ++ eins= ++ na gut, + tschüss' Der Student ist sich nicht sicher, ob sein Kommilitone außer Haus ist oder um ca. halb zehn Uhr morgens noch schläft. Er mutmaßt, dass er im Bett und in Hörweite des Lautsprechers aufhält. Er glaubt zudem, dass der Angerufene unter Anrufern selektiert. Da der Student seinen Namen empathisch hervorhebt, vermute ich, dass er davon ausgeht, dass der Angerufene trotz des imaginierten Settings für ihn den Hörer abnimmt. Er fragt zudem zweimal mit stark steigender Kadenz. Es ist für ihn wohl ein abwegiger Gedanke, dass der Angerufene ihm den Gesprächswunsch abschlagen könnte. Er dringt danach darauf, dass dieser die Fragen telefonisch bestätigt. Er macht kurze stille Pausen, in die er wie bei einem .Countdown' Zahlwörter einbettet. Er setzt den Angerufenen damit erheblich unter Druck, da er diesem eine knappe Frist setzt, um ein evtl. vorhandenes Interesse an einem Telefongespräch in konkretes Handeln umzusetzen. Ähnlich geht die folgende Studentin vor: (228) + hallo BEN: + bist du dran' dann hast du jetzt drEIßig sekund-n lang zeit an den hörer zu geh-n, +++ nicht, + naja, + wir wollt-n eig-nlich mit dir do:k-n aba da du jetz nich da bist und wahrscheinlich wieder im kAz rum{. JhÄngst oder auch nich= ++ dann a: a 21

Lütten (1979: 34).

277 Da sie davon auszugehen scheint, dass der vertraute Freund Interesse an einem Telefongespräch hat, setzt sie ihm bereits zu Beginn ihres Textes eine kurze Frist. Mit Hinweis auf die im Ansagetext angekündigte limitierte Sprechzeit von nur 30 Sekunden fordert sie im Gegenzug nun den Angerufenen zur Eile auf, und der übernimmt das Gespräch tatsächlich. Er nimmt den Hörer aber erst kurz bevor sie ihren Text beendet auf. Er hat innerhalb der Wohnung vielleicht etwas Zeit gebraucht, um das Telefon zu erreichen. Möglicherweise hat er sich aber auch erst spät entschieden, das Telefongespräch überhaupt anzunehmen. Da beide einander vertraut sind, dürfte der Angerufene die Anruferin in diesem Fall sofort per Stimme identifiziert haben. Vorausgesetzt, dass er zugehört und gezögert hat, ein Telefongespräch zu beginnen, lässt sich vermuten, dass er das Telefongespräch weniger um ihrer selbst Willen beginnt. Die Aussicht auf eine Doppelkopfpartie 22 mag hier den Ausschlag gegeben haben. Ebenso wie durch Aufforderungen können sich Anrufer auch fragend an potenzielle Zuhörer richten, wie (229) belegt: (229)

+ hallo hier is ANKE: + biste zu hause Oda nlch, +++++++ hallohallo" ++++++ 23

Durch die Frage versucht die Erzieherin Auskunft darüber zu bekommen, ob die vertraute Studierende anwesend und vielleicht zu einem Telefongespräch bereit ist. Typisch für einen Anrufer, der telefonieren und keinen Text auf dem AB hinterlassen möchte, sind zudem wie hier belegt Hallo-Rufe mit steigender Kadenz, denen längere Pausen folgen. Durch die Rufe und die Pausen will sie die Angerufene ans Telefon bekommen. Die Pausen kommunizieren hier ein immer drängender werdendes Antwortbegehren. Mit wachsender Pausenlänge steigt der Druck auf einen unentschlossenen Zuhörer, der zweifelt, ob er das Angebot zu einem Telefongespräch akzeptiert oder nicht. Hat der Anrufer nach langer Pause aufgelegt, kam die Entscheidung für das Telefongespräch zu spät. Eine Fragestrategie kann ebenfalls dazu dienen, die Kommunikationssituation zu prüfen. 24 Hierauf weist der folgende Text hin: (230)

+ hallohallo' + du bist natürlich wieda ma nich da: ++

Die Anruferin ist sich trotz eingeschalteten AB unsicher, ob ihr Kommilitone tatsächlich abwesend ist. Die Studentin beginnt ihren Text daher mit einem Hallo-Ruf. Sie lässt die Selbst-identifikation und den Gruß aus und überprüft 22 23 24

Nach Auskunft des Angerufenen meint ,doken' idiolektal Doppelkopfspielen. Vgl. auch 131 und 140. In gewisser Weise erinnern diese Rufe an das Verhalten von Kindern, die z.B. zunächst Hallo nach unten rufen, bevor sie in den dunklen Keller hinabsteigen und damit Zweifel ausräumen, ob da nicht doch noch jemand ist.

278 an deren Stelle, o b der A n g e r u f e n e nicht doch da ist. O f f e n b a r geht sie aber v o m Gegenteil aus, denn sie wartet gar nicht erst ab, o b er den Hörer abn i m m t . Der Hallo-Ruf dient ihr dazu, Restzweifel über die Situation der b e g o n n e n e n K o m m u n i k a t i o n auszuräumen. Dies gibt ihr auch die Gelegenheit, sich selbst zu bestätigen, dass sie kein T e l e f o n a t führen und den A B besprechen wird. Doch selbst, wenn Anrufer die K o m m u n i k a t i o n s s i t u a t i o n bereits akzeptiert haben, können o f f e n b a r auch später noch Zweifel a u f k o m men, wie (231) belegt: (231)

+ scheiss signAlton, ++ der AUST ists irgendwie und ich bin nicht bereit mich von diesem monitor zu: trennen, ++ jA:, +++ die frage ist nur was er dafür ausgeb-n will, LACHT +++ is halt schwarzweiss, ++ hallo" ++++ hallo BEN" +++ oke, ++ bis dAnn,

D e r Student beginnt den Text m e t a k o m m u n i k a t i v , identifiziert sich und initiiert danach sein T h e m a „Verkauf eines C o m p u t e r m o n i t o r s " . A u s nicht nachvollziehbarem Grund bricht der Student das T h e m a nach einem Scherz durch P a u s e n und zwei Hallo-Rufe ab. Er hat vielleicht ein K n a c k e n in der Leitung oder ein Geräusch aus d e m Setting fehlinterpretiert. D i e steigende K a d e n z der R u f e belegt, dass er unsicher ist, o b sein K o m m i l i t o n e nicht doch anwesend ist und vielleicht sogar den T e l e f o n h ö r e r a b g e n o m m e n hat. M ö g l i c h e r w e i s e fühlt er sich hier auch als O p f e r eines Scherzes und beendet daher die K o m m u n i k a t i o n . E s ist auch nicht ausgeschlossen, dass das T h e m a ohnehin abgeschlossen war und er kurz bevor er auflegt noch einmal - wenngleich erfolglos - versucht, den Freund ans T e l e f o n zu b e k o m m e n . U n a b h ä n g i g v o m E r f o l g ihrer B e m ü h u n g e n ermöglichen A u f f o r d e r u n g s h a n d l u n g e n und Fragen Anrufern, ihr Handlungsziel trotz eingeschalteten Geräts auf direktem telefondialogischen W e g e weiter zu verfolgen. D i e s e Strategie hat nur Erfolg, wenn der A n g e r u f e n e kooperiert. D i e Analyse kann aber belegen, dass vertraute und b e f r e u n d e t e Anrufer a u f g r u n d ihres Adressatenwissens und Bekanntheitsgrades Druck auf m ö g l i c h e Zuhörer ausüben und diese zur Kooperation bewegen können. Weiterhin hilft die Strategie Anrufern, sich der Kommunikationssituation zu versichern, w e n n niemand der A u f f o r d e r u n g n a c h k o m m t und Fragen und R u f e unbeantwortet bleiben. Selbst wenn Anrufer keine v o l l k o m m e n e Gewissheit über potenzielle Zuhörer erlangen können, kann aber allein der Gedanke, zumindest den nachdrücklichen Versuch zu e i n e m Telefongespräch u n t e r n o m m e n zu haben, Anrufer in der K o m m u n i k a t i o n bestärken. D i e beschriebene Strategie richtet sich über den Lautsprecher an die O h r e n potenzieller Z u h ö r e r und nicht an das Speichermedium. Anrufer zielen damit auf einen M e d i e n w e c h s e l ab. Ihre Strategie passt sich dabei d e m angestrebten näheorientierten Telefondialog an, sie ist daher konzeptionell eher mündlich orientiert. Führt die Strategie z u m Erfolg, lässt sich d a s Anruferhandeln aber

279 nur noch schwer als intern dialogisch oder als Reduktionsform des Gesprächs interpretieren. Sofern der Anrufer seinen Turn Uber den Lautsprecher gezielt auf einen vorgestellten Zuhörer abstellt, dieser tatsächlich vorhanden ist und den Turn auch übernimmt, hat ein weiterer Sprecherwerchsel stattgefunden. Die Kommunikation verlässt damit den medialen Rahmen des AB. Die Interaktanten führen dann ein Telefongespräch, zu dem die genannte Strategie vielleicht den Anstoß gegeben hat. Leitet die Strategie kein Telefongespräch ein, hat sie sich an einen imaginierten Zuhörer gerichtet, der vielleicht zugehört und es vorgezogen hat, zu schweigen und den Gesprächsschritt nicht zu ergreifen. Ohne weiteren Sprecherwechsel verbleibt die Kommunikation im medialen Rahmen des AB, in der ein Anrufer ohne Dialogpartner spricht. Wie in einem Selbstgespräch repräsentieren damit Fragen und Aufforderungen an einen erhofften oder befürchteten Zuhörer monologinterne Dialogizität. 5.1.2 Personalisierungsstrategien Friedrichs beschreibt das Sprechen auf einen AB, ohne einen Dialogpartner zu haben, plakativ als ,Leere auf der Telefonleitung' und als .Konfrontation mit dem Nichts' 25 . Dagegen ließe sich zunächst einwenden, dass das Sprechen auf den AB keine Kommunikation mit dem .Nichts' ist. Das „summons" des Anrufers wird nämlich mit einem Einschaltgeräusch und danach mit dem Ansagetext beantwortet. Anrufer wissen damit, dass dasselbe Gerät nun ihre Antwort entgegennimmt. Der Anrufer weiß also um die Anwesenheit des AB am anderen Ende der Leitung. Vom Sprechen in die Leere zu einem ,Nichts' kann aus den genannten Gründen nicht die Rede sein, denn das Gerät füllt diese Leere, die somit keine mehr ist. Um der Gegenwart des Gerätes selbst willen haben Anrufer aber Kommunikationsprobleme, wie die folgende Anruferin verdeutlicht: (232)

+ EINATMEN hei BENNI: ++ SEUFZT + ich hAsse quAtschmaschinen= + aber was sOlls.. ++ 6

Die Studentin lehnt AB explizit äußerst emotional ab. Sie betont dies, indem sie die Geräte sehr abwertend bezeichnet. In der Wortschöpfung Quatschmaschine wird bereits eine Sichtweise von AB deutlich, die das Gegenständliche des Mediums hervorhebt. Sie lehnt den AB demnach ab, weil sie sich einer Maschine gegenüber sieht, denn die Maschine „wird als etwas das Lebendige Einengende, dem Leben Gegenüberstehendes begriffen." 27

25 26 27

Vgl. Friedrichs (1991: 24). Vgl. auch 110, 287. Bamm6 et al. (1983:323).

280 Ein Bewusstsein für die Dinglichkeit des Gerätes belegt auch (233): (233)

+ also η zweites m(h)al Sprech ich mit dem ding nlch LACHTE

Wie in (232) wird auch hier betont, dass der AB ein Gegenstand ist. Es fällt allerdings auf, dass der Anrufer die AB-Kommunikation als Kommunikation mit dem Gerät und nicht wie z.B. der folgende Anrufer medial als Kommunikation mittels AB begreift: (234)

nftftft

Wtf ttv^F H^dSSnH^i)

+

Der Journalist ist sich bewusst, dass er sich des Gerätes bedient, um mit dem Chemiker zu kommunizieren. Er hat über das Gerät den Ansagetext gehört und kommuniziert nun ebenfalls mittels AB mit ihm. Beide reden miteinander - über das Gerät. Gegenüber diesem hat sich der Blickwinkel für die Kommunikation in (233) aber verschoben. In Art einer Personifikation des AB wird das Gerät als Gesprächspartner akzeptiert. Dies lässt sich auch in (235) beobachten: (235)

+ also dein anrufbeantworter kAnn mich mal. + wann biste denn endlich mal dA' +a

Hier sind dem Anschein nach drei Parteien an der Kommunikation beteiligt: der Anrufer, der befragte Angerufene und der AB als Adressat einer markierten Äußerung. Der Student beschimpft das Gerät an Stelle seines Besitzers. Er ist verärgert, weil sein Kommilitone abwesend ist. Er sieht die Abwesenheit aber nicht durch den Angerufenen und dessen Text, sondern duch das Gerät erklärt. Er fasst den AB offenbar als sprachlich Handelnden auf. Dies macht den AB zum Adressaten seines Ärgers. Ähnlich ist dies in (236): (236)

+ SCHNAUFT hallo BRITTA. + dass ist jetzt das letzte mal daß ich anrufe. + ich habe es satt von einen anrufbeantworter= + behAndelt zu werd-n= ++ wie ein=+ wie eine nllmmer. ++ entschuldige bitte aber das ist wirklich das letzte mal daß ich hier durchrufe. + das hab ich nicht nötig,

Die Rentnerin ist darüber äußerst verärgert, dass ihre Enkelin telefonisch nicht erreichbar ist und dass ihr Anruf von einem AB angenommen wird. Sie sieht sich hier als passiv und einer Handlung ausgesetzt, die nicht von der Angerufenen, sondern von dem AB ausgeübt wird. Sie fühlt sich nicht durch die Enkelin, sondern durch das Gerät schlecht - wie eine Nummer - behandelt. Durch den Vergleich wertet sie sich selbst ab und degradiert sich zum Opfer. Wenn das Gerät als Subjekt und der Mensch als Objekt der sprachli-

28

Vgl. auch 118.

281 chen Handlung angesehen werden, haben beide die Rollen getauscht, sodass man hier von einer Identifikation der Anruferin mit der Maschine sprechen kann. Bamme et al. behandeln die Identifikation des Menschen mit der Maschine auf dem Hintergrund interaktiver Haushaltsgeräte. Sie stellen fest, dass sich Menschen über das Medium Sprache mit den maschinellen Strukturen identifizieren und nennen zwei Seiten des Identifikationsprozesses: 1. Das Gerät wird als Partner akzeptiert; 2. die Struktur der Interaktion wird von der Maschine bestimmt. 29 Als Folge der Identifikation passt sich der Mensch der Maschine an, Maschinen zwingen ihn als selbstlaufende Triebwerke so in ihren Takt, daß schließlich nicht mehr klar ist, wer wen ,benutzt': die Maschine den Menschen oder der Mensch die Maschine.30 Die Analogie zwischen interaktiven Haushaltsgeräten und AB ist nicht so weit hergeholt, wie es auf den ersten Blick erscheint. „Wenn wir mit einem Computer oder einer Waschmaschine .sprechen', müssen wir nicht nur eine bestimmte Grammatik einhalten, sondern auch eine genau festgelegte Reihenfolge." 31 Das Gespräch mittels AB bedeutet genau dieses: Man muss akzeptieren, dass das Gerät den kommunikativen Takt vorgibt. Danach spricht der Angerufene vor dem Anrufer. Der Angerufene spricht über das Gerät an erster Stelle, dem Anrufer wird der Gesprächsschritt nach dem Signal an zweiter Stelle zugeteilt. Die Anruferin in (236) sieht sich daher als Nummer behandelt und empfindet sich als Person herabgesetzt. Über die Reihenfolge der Gesprächsschritte hinaus sind AB in der Lage, den Gesprächsschritt des Anrufers zeitlich zu begrenzen und bei Überschreiten abzubrechen. Auch dies kann von Anrufern als Handeln des AB aufgefasst werden wie der folgende Anrufertext aus dem Korpus von Lange belegt: (237)

hi beAte- ICH bins noch mAl- =nachdem mich derANrufbeantworter((lacht)) gerade RAUSgeworfen hat; ich wird jetzt überHAUPT keine äh- langen geSCHICHten mehr erzählen;32

Die Anruferin hat bei einem vorherigen Anruf wohl die Sprechzeit überschritten. Sie spricht nun erneut auf den AB und gibt an, dass sie der AB zuvor aus der Kommunikation .herausgeworfen' habe. Die Anruferin akzeptiert damit das Gerät als sprachlich Handelnden. Sie macht für die abrupte Beendigung das Gerät und nicht dessen Besitzer verantwortlich, der die Sprechzeit (soweit möglich) begrenzt oder ein Gerät gekauft hat, das die Option ,uniimitierte Sprechzeit' nicht bietet. 29 30 31 32

Bamm6 et al. (1983: 279ff.). Geißner (1991: 184). Bammd et al. (1983: 257). I. Lange (1998), Anh. .Nachrichten', Nr. 40.

282 Neben Turn-Reihenfolge und Länge des Gesprächsschritts können Ansagetexte wie gezeigt bestimmte Handlungen und damit die Binnenstruktur des Schrittes zu steuern versuchen und dem Anrufer so bestimmte Teile für seinen Text verbindlich machen. Der AB gibt dem Anrufer damit einen Handlungsrahmen vor und schränkt so dessen Handlungsspielraum weiter ein. Führt der Anrufer die Handlungen aus, hat er sich an die von dem Gerät vorgegebene Struktur angepasst. Die Anruferin in (236) ist nicht bereit, in einem verengten Handlungsspielraum zu sprechen. Sie geht die Kommunikation ,mit' dem AB zwar ein, empfindet diese aber als allzu sehr maschinell bestimmt und lehnt sie daher ab. Sie geht dabei sogar so weit, dass sie ihrer Enkelin zu Beginn bereits mitteilt, künftig nicht mehr anzurufen. Sie unterstreicht ihre Drohung, indem sie diese Ankündigung adverbial verstärkt wiederholt. Die in den vorangehenden Texten beobachtete Akzeptanz des Gerätes gibt einen Hinweis auf den bei Bamme et al. beschriebenen Identifikationsprozess. Die Struktur der Kommunikation ist technisch bestimmt und die Anrufer müssen sich anpassen, was auf Ablehnung stoßen kann. Angesichts dieser kritischen Haltung von Anrufern besteht die Identifikation hier in einer negativen Akzeptanz des Geräts. In der Kommunikation mit dem Gerät wird der AB zwar als Gesprächspartner personifiziert, aber nicht akzeptiert. Mein Korpus belegt allerdings auch eine neutrale Form der Personifikation: (238)

++ hallo anrufbeantworter, + hier is ANKE= + und ich möchte nur BRITTA liebe grüße bestell-n= + ich bin dies woch-nende nich da' + und 9:m + wenn ich zurück bin melde ich mich bei ihr, ++ tschü:ss,

Die Schülerin richtet ihren Gruß zunächst an den AB. Nachdem sie sich identifiziert hat, spricht sie die eigentliche Adressatin ihres Textes aber nicht direkt an. Vielleicht richtet sie sich hier an Mitbewohner, die die Grüße ausrichten sollen. Vielleicht soll aber das Gerät die Grüße übermitteln. Sie versetzt den AB so in den Stand eines menschlichen Übermittlers, der ihr in ihrem Auftrag - wie z.B. am Telefon - Grüße bestellt. In diesem Fall wird der AB direkt angesprochen. Andere Texte meines Korpus belegen auch Mischformen, in denen Anrufer sowohl das Gerät als auch dessen Besitzer adressieren. 33 Ähnliches hat Dingwall beobachtet. Danach gehen die meisten Anrufer nicht so weit, als dass sie den AB als alleiniges sprechendes Gegenüber annehmen. Anrufer zeigen danach oft, dass sie unsicher sind, an wen sie sich mit ihrem Text wenden. 34 Dies mag an Ansagetexten wie den folgenden liegen. Ansagetexte sagen oft, dass man mit einem AB verbunden ist 35 : 33 34 35

Vgl. 147, 158, 180, 246, 364, 416, 422. Vgl. Dingwall (1995a: 131f.). Dies beobachten auch Veronesi (2000: 202f.) und I. Lange (1998: 23ff.).

283 (239)

(240)

Hello. This is Paul and Paula's machine. Please leave your name and message after the beep and we'll call you back as soon as possible. Beep. This is a machine which loves to talk to people who love to talk, so talk to the tape and tape your talk - after the tone.37

Ansagetexte müssen auf dem Hintergrund zeitversetzter Kommunikation verstanden, werden. Zum Zeitpunkt der Aufnahme sind die jeweiligen Sprecher von (239) und (240) selbstverständlich keine Maschinen. Die Texte wurden aber im Hinblick auf die Kommunikationssituation gesprochen, in der sich künftige Hörer befinden. Vorausschauend haben die AB-Besitzer diese daher aus der Perspektive des AB und im Präsens gesprochen. Im Moment der Aufnahme kommt dies einer Identifikation des AB-Besitzers mit dem AB gleich. Wenn der Anrufer den Text und die Stimme des Sprechers hört, ist das Medium Quelle der Textwiedergabe. Dann wandelt sich diese Identifikation mit dem AB zu einer Selbstidentifikation des AB, der dann mit menschlicher Stimme spricht. Dies kann dem Anrufer einen maschinellen Gesprächspartner suggerieren. Dies lässt sich weiter intensivieren: (241)

+ hier spricht der automatische anrufbeantworter von

(241) vermittelt expressis verbis, dass der AB spricht. Der Eindruck eines kopräsenten Gegenübers wird zudem durch das deiktische hier gestützt. 38 Dem Anrufer wird so ein Gesprächspartnerersatz suggeriert. Auch die folgenden Ansagetexte gaukeln dem Anrufer einen Gesprächspartner vor: (242)

(243)

36 37

38 39 40

(Im Hintergrund die Titelmusik von "Star Wars") [ring] Hallo, hier spricht Obi Wan Bongartz. Leider kann ich nicht persönlich in Kommunikation treten, da ich ein Date mit Darth Vader habe. Sie können jedoch gerne eine Nachricht an R2D2 hinterlassen, [piep].39 *Klick* (gelangweilt) Hallo .. hier ist Marvin. Richtig, der paranoide Androide. Ich bin zehn mal älter als das Universum, meine Datenbänke wissen mehr, als Du Erdling Dir in 1000 Jahren ausdenken könntest. Ich bin sicher, dass mich das, was Du mir erzählen willst, nicht interessiert, weil ich es sicher schon weiss. Wenn Du mich unbedingt langweilen willst, dann sprich nach dem Piepton. *Beep*40

Altorfer (1994); zit. n. Dingwall (1995a: 141) (Fettdruck von mir). Altorfer (1994); zit. n. Dingwall (1995a: 141) (Fettdruck von mir); vergleichbare Texte befinden sich auch in I. Lange (1998), Anh. .Ansagetexte', Nr. 13, 17-19, 41,43,58,71-73,76. Zur Deixis in Anrufertexten vgl. Dingwall (1995b). Homepage: Anrufbeantwortertexte, http://www.hopa.de. Homepage: Anrufbeantwortertexte, http://www.hopa.de.

284 (244)

(245)

Hier spricht Jeannie, mein Herr und Meister geht zur Zeit angenehmeren Dingen nach und ist nicht erreichbar. Aber Dank den Segnungen der modernen Technik können Sie eine Nachricht hinterlassen.41 (Butler:) Hier ist der Anschluß North Cothelstone Hall (Nummer), hier spricht der Butler. Die Herrschaften Lord und Lady Hescoth-Thortescue sind momentan leider nicht zugegen. Wenn Sie zurückgerufen werden möchten, haben Sie bitte die Güte, eine Nachricht auf das Band zu sprechen.42

Diese Ansagetexte lehnen sich an literarische oder filmische Vorlagen an. 43 Ihnen ist gemein, dass sie den AB im Rahmen des gewählten Kontexts personalisieren und damit den Hinweis auf den AB verschlüsseln: In (242) bietet der Text nach einer zur Hälfte filmisch verschlüsselten Selbstidentifikation 44 die Kommunikation mit dem Film-Roboter „R2D2" an. „R2D2" kommuniziert im Film bevorzugt durch Pieptöne 45 , sodass der Signalton des AB am Ende des Ansagetextes quasi zum elektronischen Gruß des Roboters wird, an den sich der Anrufer dann wenden kann. Allerdings bietet (242) dem Anrufer noch die Alternative, Obi Wan Bongartz zu adressieren. Dahinter verbirgt sich - der Nachname lässt es erahnen - der ABBesitzer. In (243) ist der AB-Besitzer aber nur über die Stimme erkennbar. Es fehlt die explizite Selbstidentifikation. An deren Stelle steht der Hinweis auf den AB - nun als vermeintliche Selbstidentifikation des AB. (243) suggeriert das Gerät als sprachlich Handelnden und als Objekt sprachlicher Handlungen, da sich der AB (mich) als gelangweilter Empfänger von Erzählungen darstellt. Als Folge der in (242) bis (245) beobachteten kreativen Chiffriertätigkeit wird das zu keinem Rückmeldeverhalten fähige Gerät im Text durch ein zumindest vorgestellt sprecherwechseltaugliches Gegenüber - einen Roboter oder Androiden bzw. Geist in (244) oder einen menschlichen Diener in (245) ersetzt. Ich bewerte dies als dialogische Strategie, die auf die Akzeptanz des AB als Gesprächspartnerersatz abzielt. Die Akzeptanz für ein Gerät als Partnerersatz nimmt m.E. auch in dem Maße zu, in dem der Sprecher als Gesprächspartner in Frage gestellt wird. Die Akzeptanz für den eigentlichen Sprecher kann dadurch schwinden, dass dieser auf dem AB fremd erscheint, obwohl wie folgend geraten wird, Ansagetexte .natürlich' zu sprechen: 41 42 43

44

45

O.V.: Achims Anrufbeantworter-Sprüche, http://wais.leo.org. Pfeiffer, O.: Lustige Texte für den Anrufbeantworter; http://www.datacomm.ch „Star Wars" (242), „Per Anhalter durch die Galaxis" (243), „Jeannie" (244), „Loriot" (245). „Obi Wan" bezeichnet eine Filmfigur aus „Star Wars". Der Text stellt diesen Namen dem eigentlichen Namen des AB-Besitzers (Bongartz) als Vornamen voran. Die Töne lassen sich im Film anhand der Melodie (z.B. in Art eines Winseins für Ängstlichkeit) interpretieren. Darüber hinaus kommuniziert „R2D2" gestisch durch Drehungen des Kopfes (z.B. als Verneinung) sowie durch Bewegungen und Haltungen von Rumpf und Gliedmaßen.

285 Before leaving the house, you put a message on your answering machine, creating what seems an appropriate mix: professional but warm, mature but humorous. You don't want to sound overly friendly, you think, but you'd like people to know you're not a machine. 46

Trotz guter Ratschläge können sich Menschen auf AB maschinenartig anhören, wenn das Gerät keinen guten Klang bietet oder Bedienungsfehler bei der Aufnahme gemacht werden. Bei schlechter Wiedergabequalität des Ansagetextes kann der AB-Besitzer verzerrt und geradezu blechern klingen. Per se haben Menschen Vorbehalte gegenüber nicht-menschlich klingenden Stimmen in der Telefonkommunikation. Dies belegt die Anfrage einer Sprachwissenschaftlerin in der „Linguist List", die zum Thema .Reaktionen auf synthetische Sprache recherchiert und in dem Internetforum teils klar ablehnende Antworten erhalten hat. 47 Eine Synthetizität in der Sprechstimme kann daher dazu beitragen, dass der Anrufer den Gesprächsschritt der antwortgebenden Kopräsenz trotz menschlichen Sprechers nicht als Gesprächsschritt des ABBesitzers, sondern als Gesprächsschritt des Gerätes auffasst. Von der Technik unabhängig kann auch die einem Ansagetext unterliegende Konzeption dazu beitragen, dass Sprache und Sprecher als voneinander entfremdet empfunden werden. Ansagetexte werden zum Zweck der Aufnahme gesprochen und sind wie eine akustische Visitenkarte ihres Sprechers. Will dieser sprachlich elaboriert erscheinen, wird er seinen Text weniger spontan als vielmehr geplant sprechen. Er kann seinen Text so oft sprechen, bis er ihm präzise und normgerecht genug ist. Er kann den Text sogar wie in Betreibsanleitungen z.T. empfohlen ablesen. 48 Dies fördert die Produktion eines an der geschriebenen Sprache orientierten Ansagetextes. Bei gleichförmiger syntaktischer Struktur, Satz- und Satzgliedgrenzen betonenden Sprechpausen nach fallender Intonation kann sich das Sprechen aber abgehackt und roboterartig anhören. Auch ist ein durchgeplanter sehr korrekter Text ohne Abweichungen beinahe zu perfekt, um noch wie natürliche gesprochene Sprache zu klingen. Darüber hinaus kann die Klangfarbe 49 zur Fiktion eines mechanischen Gegenübers beitragen. Kommuniziert die Prosodie keine Gefühle oder Stimmungen, stützt dies den Eindruck eines emotionslosen Antwortgebers.

46 47

48 49

Davis (1990: D-20). Vgl. Moxness, B.H.: Synthetic speech, http://linguistlist.org; gleichwohl erhielt sie auch Antworten, die auf die Vorteile von automatischen Telefon-Antwortsystemen abhoben. Vgl. Deutsche Telekom, Bedienungsanleitung Modell „AF 303". Vgl. Schwitalla (1997:165ff.).

286 Neben textuellen, technisch-akustisch bedingten und konzeptionellen Merkmalen kann also auch die prosodische Qualität des Ansagetextes dazu beitragen, dass Anrufer den AB personifizieren und diesen an Stelle des ABBesitzers als Gesprächspartner akzeptieren. Selbst wenn diese Personifikation des AB in eine in der Kommunikationssituation explizierte Ablehnung umschlägt, ist die Identifikation des Gerätes als Adressat des Anrufertextes bereits gegeben. Es ist unbestritten, dass „immer noch viele Leute sofort aufhängen, wenn sie bemerken, dass am anderen Ende der Leitung nicht ein Mensch, sondern lediglich eine menschliche Stimme auf Tonband antwortet" 50 . Eine dialogische Strategie, die darauf baut, dass das Medium via Ansagetext gleichsam als Partner kommuniziert, kann also durchaus den gegenteiligen Effekt Abbruch der Kommunikation - erzielen. Ebenso ist aber ein Pseudodialog möglich, den Anrufer mit dem fiktiven Gesprächspartnerersatz oder mit dem eigentlichen doch nur vorgestellten Adressaten führen können. 5.1.3 Pseudosprecherwechsel Als Merkmal interner Dialogizität können in Anrufertexten Pseudosprecherwechsel gelten. Sprecherwechsel gehören allgemein zu den grundlegenden Verpflichtungen von Gesprächspartnern. 51 In jedem Gespräch wechseln wiederholt oder zumindest einmal die Sprecher, wobei der Übergang von einem Sprecher zum anderen überwiegend nach kurzer Pause oder leicht überlappend bzw. pausenlos und ohne Überschneidung verläuft. 52 An bestimmten Stellen von Gesprächen sind Sprecherwechsel wahrscheinlich bzw. erwartbar. Diese Stellen werden mit dem Begriff „transition-relevance place" 53 (TRP) bezeichnet. Hopper erklärt den Begriff wie folgt: „The term transitionrelevance place indicates that during this span of time, the floor is open for speakership bids." 54 In einem Gesprächsschritt gibt es zahlreiche Stellen für TRPs. Trotzdem muss dort nicht zwangsläufig ein Sprecherwechsel stattfinden. 55 In Telefonaten aber sind Sprecherwechsel an bestimmten TRPs, da ritualisiert, hochgradig erwartbar. Hopper hält zudem fest, dass sich beim Telefonieren Sprecherwechsel gewöhnlich auf Pausen beschränken, die einem TRP folgen. 56 50 51 52

53 54 55 56

Stampa (1985:14). Vgl. Henne/Rehbock (1995: 23). Vgl. Sacks/Schegloff/Jefferson (1974:700f.); zu den Begriffen „gap", „lapse" und „pause" vgl. Sacks/Schegloff/Jefferson (1974: 714f.). Sacks/Schegloff/Jefferson (1974: 705); vgl. dort (1974: 716ff.). Hopper (1992: 104). Vgl. Hopper (1992: 107f.). Vgl. Hopper (1992: 114).

287 In Anrufertexten findet kein Sprecherwechsel statt. Trotzdem legen Anrufer Sprechpausen in ihren Texten ein. Hopper vermutet, dass die rhythmischen Muster von Pausen in Anrufertexten Positionen eines Sprecherwechsels mit einem fiktionalen Gegenüber kennzeichnen. 57 Hierauf weist z.B. auch der folgende Text aus meinem Korpus hin: (246)

+ hallo BEN, + hier is ARNE, + 58

In der Tat ist in (246) dort eine Pause, wo bei einem Telefongespräch dem Ritual nach oft die Sprecher wechseln: zwischen Gruß und Selbstidentifikation. Dies ließe sich als Merkmal von Dialogizität auffassen, wonach der Anrufer für den abwesenden Partner an dem telefontypischen ritualisierten T R P eine Pause macht, um den Sprecherwechsel zu einem fiktiven Partner zu ermöglichen. 59 Wegen der schwierigen Interpretation von Pausen sollte deren Vorhandensein an dieser Stelle aber nicht voreilig bewertet werden, zumal diese Pause in der Eröffnung von Anrufertexten auch ebenso regelmäßig, wie bereits gezeigt, ausgelassen wird. Ähnlich verhält es sich m.E. mit der Pause vor der Themeneröffnung: (247)

+ hallo: BEN= + hier is ANKE= + 9:m= + du hattest bei uns Angeruf-n= + a: wegen dem bus= +

Auch diese Pause hat eine Position, an der in einem Telefonat ein Sprecherwechsel zu erwarten wäre. Sie lässt sich daher u.a. als Merkmal von Dialogizität auffassen. Die Pause ist aber auch durch Planungsaktivitäten des Sprechers erklärbar. Dies erscheint mir plausibel. Die Eröffnung ist m.E. mit wenig Planungsaufwand verbunden. Begrüßung und Selbstidentifikation sind - wenn routinisiert - zu Beginn abspulbar. Mit dem Themenbeginn steigt aber der Planungsaufwand. Anrufer dürften dann zu mehr Planungsaktivität neigen, die sich durch die gefüllte Pause belegen lässt. Dennoch können diese Pausen trotzdem dialogisch gesehen werden, denn Pausen helfen, das Gespräch zu strukturieren, und erzeugen - an der richtigen Stelle gesetzt - Spannung und Aufmerksamkeit. Sie geben Ihrem Gesprächspartner Gelegenheit, das Gehörte zu verarbeiten. Außerdem haben Pausen einen 'Aufforderungscharakter1. Sie sind gewissermaßen eine Einladung zur Antwort und machen es uns leichter, in einen Dialog zu kommen.60

57 58

59

60

Vgl. Hopper (1992: 215); vgl. auch Knoblauch (1995: 196). Vgl. auch 15, 16, 17, 22, 343; die Eröffnung aus Gruß-»Adressat Selbstidentifikation ist prototypisch (in Langes Korpus in 61,1% aller Fälle); vgl. I. Lange (1998: 75). Zu ähnlichen Überlegungen kommt Gold (1991: 249) im Hinblick auf Pausen in der Beendigung. Haucke(1994: 31).

288 Bezogen auf Planungs- und dialogizitätsschaffende Aktivitäten sind Pausen polyfunktional. Unter diesem Blickwinkel lassen sich auch paraverbale Phänomene wie Schnalzen, Schmatzen oder Atemgeräusche diskutieren, die systematisch in Pausen vorkommen. Diese können in den Texten unterschiedliche Funktionen haben: (248) (249)

+ hei BEN, + ARNE hier, + SCHNALZT a:m + + BEN= + hallo, ++ ja, + es ist jetzt kurz nach zwei am donnasta:g= + EINATMEN + SCHNALZT + un:d + ja ich würd wie gesagt heute gerne noch bei dir vorbeigucken= ++

In beiden Texten schnalzen die Anrufer mit der Zunge, kurz bevor sie ihr Thema einleiten - wiederum also an einem telefontypischen TRP. Angesichts der Verzögerungsphänomene, die das jeweilige Schnalzen in beiden Texten umgeben, interpretiere ich die Phänomene aber primär als Planungsaktivitäten, die mit der Einleitung des Themas zusammenhängen. Sie lassen sich aber auch als Dialogizitätsmerkmale auffassen. Besser lässt sich die dialogische Funktion des Schnalzens allerdings in (250) Text belegen: (250)

+ a: kannst du mir ma: die numma von dem= ++ von dein-m freund de:m= ++ 9: +++ SCHNALZT + de:m repOrta gebn' +

Auch dieses Schnalzen steht zunächst einmal mit Planungsaktivität - einem Wortsuchprozess - im Zusammenhang. Allerdings kommunizieren die zahlreichen Verzögerungsphänomene und das Schnalzen auch ein Hilfegesuch des wortsuchenden Anrufers, das sich als auffordernd und auf interaktive Vervollständigung und Turn-Übergabe abzielend auffassen lässt und somit als Merkmal von Dialogizität gelten kann. Als einen weiteren Hinweis auf Dialogizität in Anrufertexten werten Alvarez-Caccamo/Knoblauch prosodische Merkmale: ...voicing devices help to enact copresence, that is, they organize the message quasi-interactively (almost as if the interlocutor were present), through pauses left at certain slots, final rising junctures which signal non-completition (and, hence, possible completition by the interlocutor) etc. Thus, voicing devices confer a character of diaiogicity upon the messages.61 Diese Beobachtungen lassen sich anhand des Korpus stützen: (251)

61

++ wo treibst du dich denn rum hier' + h a : " ++ meinst du nicht du solltest zu hause sein und dem telefon lauschen' +++ statt Θ: + das magnetband + θ: zu befragen' ++

Alvarez-Caccamo/Knoblauch (1992: 483); vgl. auch Clark/French (1981) u. Gold (1991: 249) bzw.zur Prosodie in der Dialoganalyse Sappok (1994).

289 Der Anrufer hebt hier mehrfach seine Stimme und pausiert danach. Es handelt sich hierbei um Fragen nach dem Verbleib des Angerufenen. In einem Face-to-face- oder Telefongespräch ist nach einer Frage ein Sprecherwechsel erwartbar. Nach steigender Kadenz und einer Pause ist ein TRP wahrscheinlich. Insofern schaffen Fragen in (251) eine fiktive Kopräsenz, die den „turn" potenziell übernehmen könnte. Diese Startegie kann Anrufern aber auch Probleme bereiten, wie dieser Text belegt: (252)

+ hm ja hei BEN' + hier is ARNE, ich wollt dir nur sag-n + + a:m ++ dass ich so + u* + um elf erst komme = + weil ich hier nochn bischn was zu tun habe und wie gesagt heute wollt sich auch noch irgendjemand die wohnung angucken und ich muss hier noch meine wasche wegpacken und son krams = ++ a: hoff du bist mir nich böse aber du bist ja eventuell gar nich da im moment oder noch gar nich wach"++ a: +++ ja θ: ++ AUSATMEN ich hoffe das passt dir =

Die Studierenden sind miteinander verabredet, der Anrufer kann den Termin aber nicht einhalten. Er möchte nun einen neuen Termin aushandeln und macht dazu einen Vorschlag. Er kann aber keine direkte Antwort bekommen. Er hofft daher, dass sein Kommilitone dies akzeptiert. Er hofft wohl auch, dass der Angerufene - da abwesend oder noch schlafend - seinerseits den Termin nicht einhalten kann und so keinen Grund hat, verärgert zu sein. Er formuliert seine Vermutung als Frage mit stark steigender Kadenz. Er produziert damit einen TRP, an dem kein Übergang stattfinden kann. Er manövriert sich sprachlich somit selbst in eine Situation, in der das Fehlen rückkoppelnden Verhaltens sehr offensichtlich wird. Dies bereitet ihm erhebliche Probleme, wie sein langes Zögern nach der Frage belegt. Danach hat er große Schwierigkeiten, den Text fortzusetzen. Er benötigt sehr viel Planungszeit und deckt diesen Bedarf zuletzt noch dadurch, dass er seine Atemtätigkeit verzögert. Er lässt die Atemluft wie zu Beginn einer Antwort auf eine schwierige Frage zuerst bilabial explosiv und dann langsam und kontinuierlich pustend entweichen. Dem Ausatmen kommt hier kommunikative Bedeutung zu, da es signalisiert, dass er überlegen muss, um fortfahren zu können. Anrufer können die Lücke, die an einem TRP nach einer Frage entsteht, aber füllen, indem sie neben der Rolle des Fragenden noch zusätzlich die des Antwortenden einnehmen. Einen Hinweis auf dieses Handeln gibt die folgende Anruferin: (253)

++ liegst du noch in der klste' oder biste schon bei den hühnern, +

Die Anruferin spekuliert hier über den Aufenthalt ihrer Mutter. Sie hebt am Ende von klste die Stimme und fragt, ob diese noch im Bett ist. Alternativ vermutet sie, dass die Mama bei den Hühnern ist. Allerdings senkt sie hier die Stimme nicht. Der Prosodie nach klingt dies mehr als Feststellung denn

290 als Frage. Die Anruferin richtet sich so gesehen fragend an ihre Mutter, und bietet sich selbst eine Antwortmöglichkeit an. Thematisieren von Abwesenheit und Fragen zum Verbleib des Angerufenen sind häufig in Anrufertexten zu beobachtende Handlungen. Sie gehören zu den wie bereits beobachtet regelmäßig wiederkehrenden Merkmalen des Texttyps. Beide Handlungen zusammen lassen sich als Kommunikation des Anrufers mit sich selbst interpretieren. Hierauf weist auch (254) hin: (254)

+ wo bistn jetz drauss-n' +

In (254) stellt die Anruferin zwei Fragen. Zunächst fragt er ,Wo bist D u ? ' Danach fragt er ,Bist Du draußen?' Mit der zweiten Frage gibt sie sich gleichzeitig eine potenzielle Antwort. (254) lässt sich somit als einen Beleg für einen Pseudo-Dialog auffassen, den Anrufer mit sich selbst führen können, wenn kein Dialogpartner vorhanden ist. Einen Hang zum Selbstgespräch belegt auch dieser Text: (255)

+ ja hier is noch ma ARNE es is jetzt zwanzig vor acht; EINATMEN + dritte fünfte Abends und a:m + ja AUSATMEN irgendwie= + weiss ich auch nich, ++ θ: m vielleicht hab ich auch vergess-n daß de auf irgend son= ++ sümpOsium oda kollOquium gehst ej keine änung, + na ja auf jeden fall a :m= + EINATMEN + kannst ja morg-n oda übermorg-n noch ma versuch-n da bin ich jedenfalls noch in HAMBURG, EINATMEN +++ ansonstn:= ++++ bin ich wieda himmelfahrt hier= ++ ja und {.} aba naja, ++ kannst ja noch ma versuch-n= + würde mich freun, ne' + oke bi* BEN bis denn, + tschau=

Der Studierende erweckt den Eindruck, als hielte er mit sich Zwiesprache. Er fragt nach dem Verbleib des Unternehmensberaters. Er fragt damit implizit, wo der Angerufene ist, gibt aber an, dies nicht zu wissen. Die Partikel ej z.B. kann sich dabei gezielt an den Angerufenen richten und damit raum-zeitliche Nähe (und Vertrautheit) zu dem vorgestellt präsenten Dialogpartner schaffen. Als mögliches habitualisiertes Merkmal einer für den Anrufer typischen Sprechweise hat die Partikel aber eine geringere dialogische Leistung. Er richtet die Antwort wie bei einem Pseudodialog vielleicht auch an sich selbst. Besser lässt sich dies aber anhand folgender Texte belegen: (256) (257)

+ und a:m +++ öh es is jetzt= ++ wie spät ist es jetz' + 'hm:= + fünf nach halb sieb-n + sonntach ab-nd= ++ 62 + ja warum ruf ich durch= + zu meinem:/ a:m: + DIRKs geburtstag 0:m + j a , , + + < N r . 41>

Der Anrufer in (256) möchte den Zeitpunkt seines Anrufs nennen, kann dies aber nicht sofort angeben. Er fragt daher nach den fehlenden Daten, beant62

Vgl. auch 41, 67,166,371.

291 wortet sich die Frage aber selbst. Der Anrufer in (257) fragt sich selbst nach dem Anlass seines Anrufes und nennt ihn dann. Wie die beiden Anrufer zuvor kreiert er so einen Pseudo-Frage-Antwort-Dialog 6 3 , der Züge des Selbstgespräches trägt und den Text dialogisch gestaltet. Indem Anrufer ihren Text dialogartig gestalten, suggerieren sie sich einen Gesprächspartner. Dies kann das Sprechen auf den AB erleichtern. Die Strategie kann Anrufern das Gefühl geben, nicht in die Leere hinein zu sprechen. Die Leere entsteht aber erst dadurch, dass ein Telefonat nicht stattfinden kann. Dem können Anrufer dadurch begegnen, indem sie so tun, als ob sie ein Telefongespräch führten.

5.1.4 Adaptationen aus Gesprächstypen Alvarez-Caccamo/Knoblauch zeigen, dass das AB-Gespräch - obwohl der AB Zusatzgerät des Telefons ist - kein Derivativ des Telefongesprächs ist. 64 Dennoch wurde AB-Kommunikation oft mit dem Telefonat verglichen, da „die Kontrastierung mit dem Telefongespräch wichtige Hinweise zu Spezifika des Anrufbeantwortergespächs" 6 5 versprach. Unumstritten ist, dass Anrufertexte Merkmale von Telefongesprächen tragen. 66 Dies belegt der folgende Vergleich mit Telefongesprächen (kursiv). (258) ja hier ist Wolf Böblingen guten abend67 (259) ++ ja: hier ist wieda firma ELEKTRO= + grüß gOtt= 68 (260) Hi Bonnie. This is Dave (261) + hallo BRITTA' + hier is ANKE ™ (262) Hello it's me71 (263) + ich bins, + 72 (264) Patrice Calais ä l appareil.73 (265) + ARNE AUST am apparat, 74 Zu jeder der hier kursiv angeführten Varianten einer telefonischen Gesprächseröffnung lässt sich anhand des Korpus ein beinahe identisches ,Pen63 64 65 66

67

68 69 70 71 72 73 74

Vgl. Bucher (1994). Vgl. Alvarez-Caccamo/Knoblauch (1992: 474). Nickl/Seutter (1995: 259). Vgl. Dubin (1987: 29), Dingwall (1992: 82); Hopper (1992: 213); Liddicoat (1994: 284). Texte gesprochener deutscher Standardsprache (1974); zit. nach der vereinfachten Form von Werlen (1984: 236); vgl. auch den Text in Berens (1981: 405). Vgl. auch 55, 183, 189, 218, 225, 233, 234, 254, 261, 265. Schegloff (1979: 31). Vgl. auch 2, 14, 16, 17, 18, 19, 22, 23, 375, 376, 380. Schegloff (1979: 45). Vgl. auch 24, 33, 38, 39, 104, 113, 117, 131, 153, 195. Hopper/Doany (1989: 171). Vgl. auch 7 und 286.

292 dant' belegen. Sowohl die förmliche Art der Gesprächseröffnung in (258), die telefontypische Selbstidentifikation aus Gruß, Namen und Rahmen (260), Selbstidentifikation ohne Namen durch Stimme (262), als auch die ebenfalls telefontypische Eröffnung in (264) finden sich im Korpus. Weitere Merkmale der Eröffnung von Telefongesprächen sind z.B. Wohlergehensfragen 7 5 oder die Partikel ja. Wie Telefongespräche beginnen auch Anrufertexte wie in (258) häufig mit der Partikel ja.76 Dingwall bezeichnet diese als „acknowledging particle", durch die der Anrufer anzeigt, dass er den Ansagetext gehört und verstanden hat. 77 In Telefonaten bestätigt die Partikel, dass die Sprecherrolle übernommen wurde 78 , sie lässt sich m.E. auch in Anrufertexten als Übernahmesignal auffassen - der Signalton fordert dazu auf, den turn zu übernehmen, ja bestätigt, dass der turn übernommen wurde. Die Beispiele geben einen weiteren Hinweis darauf, dass Eröffnungen in Anrufertexten oft dem Muster des Telefongesprächs folgen. 7 9 Die Tendenz zum Telefongespräch setzt sich nach der Eröffnung der Texte fort. So gehen in Telefongesprächen den kontakthaltenden Rückmeldungspartikeln des Hörers oft kontaktheischende „Vergewisserungsformeln wie nicht?, ja?, verstehst du? usw." 8 0 voraus. Diese Gliederungspartikeln sind als Mittel der Kontaktsicherung für Telefongespräche konstitutiv. Sie lassen sich auch in Anrufertexten belegen: (266) (267)

75

76 77

78 79

80 81

82

+ tjä ich hoffe du hast meine karte schon bekomm-n= + un: ich hoffE= + du hast dich darüber gefreut ne' +81 ich bin seit= EINATMEN heute morg-n um zwei im krank-nhaus ja' EINATMEN 8 2

Vgl. Werlen (1984: 242); vgl. dazu 237 u. 370; meist indirekt gefragt, um z.B. den Anruf zu legitimieren; vgl, 29, 74, 119, 128, 252, 288, 314, bzw. als Wunsch in 1, 162; eine Wohlergehensfrage stellt auch der Ansagetext in 16. Vgl. 2, 4, 12, 14, 23, 28, 29, 30, 40, 48, 49, 51, 54, 97, 181. Die Partikel ähnelt damit dem englischen yes; allerdings markiert die Partikel im Englischen Anrufe von Fremden; vgl. (1992: 214). Im Deutschen lässt sich die Partikel ja auch bei vertrauteren Anrufern belegen; vgl. Dingwall (1995a: 121) bzw. 2, 23,218, 228, 238. Vgl. Werlen (1984: 237). In Dingwalls relativ kleinem Korpus ließen sich alle Eröffnungen in Anrufertexten auf Telefongespräche zurückführen; vgl. Dingwall (1992: 94 u. 98ff.). Brinker/Sager (1996: 57). Ne? ist die am meisten verwendete Vergewisserungsfrage; vgl. Willkop (1988: 253); die Partikel ne lässt sich auch in meinem Korpus regelmäßig belegen; vgl. dazu 1, 2, 3, 4, 5, 34, 44, 46, 61; vgl. auch die Beobachtungen zur Partikel ne in Instruktionsdialogen in Weber (1987: 397). Vgl. auch 12, 323, 363, 366.

293 In (266) sucht die A n r u f e r i n Bestätigung, o b sich die K o m m i l i t o n i n über ihre Postkarte gefreut hat. D e r A n r u f e r in (267) prüft, o b eine übermittelte I n f o r mation verstanden wurde. W i e in Telefonaten zielen die Partikeln hier mit steigender K a d e n z wie eine F r a g e auf interaktive V e r v o l l s t ä n d i g u n g und d i e Produktion kontaktsichernder Signale. Außer der b e s t ä t i g u n g s h e i s c h e n d e n Funktion k ö n n e n diese Partikeln in Anrufertexten z u d e m A u f f o r d e r u n g e n intensivieren. D i e beiden f o l g e n d e n Texte: D i e A n r u f e r verstärken ihren R ü c k r u f w u n s c h durch Partikeln und steigende b z w . stark s t e i g e n d e r K a d e n z : (268) (269)

++ kannst ja noch ma versuch-n= + würde mich freun, ne' + 8 3 ++BEN ruf mich doch bitte ma an wennde wieda bist j a " + 84

E b e n f a l l s bestätigungsheischende Funktion haben in A n r u f e r t e x t e n die Partikeln hm oder okay mit steigender Kadenz. 8 5 Okay kann e b e n s o wie die Partikel ja - mit fallender K a d e n z - auch zu den „ R e s ü m i e r u n g s p a r t i k e l n " 8 6 gehören, die e b e n s o wie in T e l e f o n g e s p r ä c h e n auch in A n r u f e r t e x t e n d i e B e e n d i gung einleiten. A u c h auf d e m A B resümieren A n r u f e r ihren Text. In T e l e f o naten handelt es sich bei diesen R e s ü m e e s meist u m K u r z f o r m e n . 8 7 D i e s e lassen sich auch in A n r u f e r t e x t e n beobachten. In längerer o d e r kürzerer F o r m zeigen die A n r u f e r hier an, dass sie ein T h e m a a b g e s c h l o s s e n h a b e n : (270) (271) (272) (273) (274) (275)

(276) (277)

83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93

+ wie gesagt ich bin in gÖ= + 8 8 ++ das wars eig-nlich auch schon, + 8 9 alles klar, + machs gut, + tschüss, + alles in Ordnung DANA is da= + alles planmäßich, ι ι ι ι oke, + tschüss wir meld-n uns dann irgendwann von unterwegs, ++ ich meld mich aba noch mal ne' ++ oke' + so + tschau' 9 2 + und dann könn-n wir ja sehn 9:m was wa dann mach-n und wie und so weita,, ++ Also, + bis dAnn'++ tschüss, 9 3

Vgl. auch 1, 3, 5, 51, 64, 66, 176 , 19. Vgl. auch 25,40, 48, 59, 80, 110, 134, 139, 211, 252, 359. Vgl. 64 u. 366.(hm) und 13, 16, 18, 135, 172, 305, 373 (okay). Werlen (1984: 253); vgl. auch Brinker/Sager (1996: 99ff.). Vgl. Werlen (1984: 254). Vgl. auch 12, 14, 23, 58. Vgl. auch 49, 125, 151, 176. Vgl. auch 118. Vgl. auch 5, 9, 16,49, 84, 117, 144. Vgl. auch 26, 68, 90, 333, 373,415. Vgl. auch 342, 364.

294 Der Vergleich lässt sich mit der Beendigung von Anrufertexten fortsetzen, die ebenfalls häufig Merkmale des Telefongesprächs trägt. Zum telefonischen Beendigungsritual kann z.B. eine Dank-Dankantwort-Sequenz gehören. 94 Anrufer bedanken sich abschließend beim Angerufenen auch, wenn sie auf dessen AB sprechen: (278)

++ gu:t bedanke mich= + 95

Ähnlich verhält es sich mit dem Abschiedsgruß, der in Telefongesprächen z.B. vertraut durch ein Tschüss oder förmlicher durch auf wiederhören96 realisiert werden kann. Entsprechend des Bekanntheitsgrades greifen Anrufer auch auf dem AB zu den genannten Formen des Abschiedsgrußes 97 und belegen damit auch für die Beendigung Merkmale des Telefongesprächs. Allerdings ist das umgangssprachliche tschüss nicht auf Telefongespräche beschränkt, sondern auch en face weit verbreitet. 98 Das tschüss könnte somit auch darauf hinweisen, dass Anrufer in Beendigungen von Anrufertexten auch zum vis-ä-vis tendieren, wie Gold dies feststellt. 99 Hierauf deuten die folgenden Beendigungen hin: (279) (280)

EINATMEN gu:t= + tschüss, + auf wiedaseh-n, 100 + oke' bis die tage, + tschü:ss„101

Darüber hinaus gibt mein Korpus einen Hinweis auf ein neben dem Telefongespräch weiteres Muster fernmündlicher Kommunikation: (281)

+++ wenn denn möchteste bitte mal zurückruf-n, +++ ende, 102

Die Beendigung besteht hier lediglich aus dem Wort Ende, was z.B. an Pilotensprache 103 , aber auch an militärischen Funkverkehr erinnert. In einem Ausbildungswerk für Wehrdienstleistende heißt es: „Der Abschluß einer Sendung lautet, wenn keine Antwort erwartet wird: Ende". 104 Auch die Kürze 94

Vgl. Werlen (1984: 255f.). Vgl. auch 14, 22, 48, 54, 299, 301, 315, 319, 322, 328. 96 Auf Wiederhören wurde angelehnt an das auf Wiedersehen in Face-to-faceGesprächen speziell für das Telefon geschaffen; vgl. Werlen (1984: 257). 97 Vgl. auch 3, 4, 7, 87, 94, 99, 108, 316, 317, 327 (tschüss) bzw. 21, 172, 234, 260, 266, 273, 275, 278, 282, 283, 287, 403 (wiederhören). 98 Vgl. Schürmann (1994: 269). 99 Vgl. Gold (1991: 249). 100 Vgl. auch 164 u. 307, bzw. ansatzweise auch in 1, 2. 101 Vgl. auch 71 (bis die Tage ), 225, 246, 268 (bis später), 131 (bis gleich), 9, 49, 126 (bis demnächst), 23, 24, 25, 37,49 (bis dann). 102 Vgl. auch 212, 253, 274. 103 Vgl. Maier (1991). 104 Schnell et al. (1973, Abschnitt F 65: 26). 95

295 Sendung lautet, wenn keine Antwort erwartet wird: Ende". 104 Auch die Kürze der Beendigung weist hier auf die militärischem Sprachgebrauch eigene Kürze hin. Diese ist aber auch technisch bedingt und somit Merkmal nicht nur soldatischer Funkgespräche.105 Allgemein gilt die Funkerregel: Beim Funkgespräch empfehlen sich .kurze Durchgänge', wenn man nicht gelegentlich ins Leere sprechen will, weils dem Zuhörer zu langweilig geworden ist oder inzwischen vielleicht der Kanal gestört wurde. 1 0 6

Um die „Durchgänge" deutlich voneinander abzugrenzen, spielt in der Funkkommunikation die Klarheit und Prägnanz des sprachlichen Ausdrucks eine wichtige Rolle. So steuert im militärischen Funkverkehr mit Kommen ein einziges Wort als Aufforderungshandlung den Sprecherwechsel.107 Besonders, wenn viele Nebengeräusche stören, zeigt ein kurzes Signalwort dem Partner das Ende des Turns an. Im amerikanischen CB-Funkverkehr signalisiert over, dass der Turn abgegeben werden soll.108 Folgend kündigt over beim AB das Übergabesignal an: (282)

(MUSIK) dies ist der verbindungscode= + neun neun + neun neun neun, + bitte hinterlassen sie ihre nachricht nach dem Signalton, + gold eins over, +

fl + ja hier is A R N E A U S T + neun neun + neun neun + neun neun' + oder neun neun neun neun neun1 + un der hätte gerne mal die nummer von:=++ DIRK= + dem Vorarbeiter' + θ:: ++ over, + ruf zurück,+ tschau,

Der Ansagetext zitiert hier wie bereits in vorherigen Texten den ScienceFiction-Film „Star Wars". Der Text endet angelehnt an verschiedene Funkgespräche, die im Film zwischen Raumschiffpiloten untereinander und mit der Bodenstation geführt werden, wobei es sich bei Gold eins um die Selbstidentifikation eines Piloten109 handelt. Das folgende Signalwort over fordert den Anrufer hier gemeinsam mit dem Piepton zum Sprechen auf. Der Anrufer wiederum nimmt dieses Merkmal des Ansagetextes in seinen Text auf und gibt damit quasi den „turn" an den Angerufenen zurück. Anrufer- und Ansagetext gemeinsam tragen hier Züge eines Funkgesprächs. Ich gehe hier allerdings davon aus, dass sich dieses zufällig so entwickelt hat. Der Anrufer hat offensichtlich Probleme, seinen Text zu beenden. Er zögert und wählt aus der Not - vielleicht aber auch einfach witzig gemeint 104 105

106 107 108 109

Schnell et al. (1973, Abschnitt F 65: 26). Vgl. z.B. die im CB-Funk gebräuchlichen knappen sog. Q-Codes, nach denen z.B. .Ende' durch die Kombination ,QRT' verschlüsselt wird; vgl. Jörn (1991: 22). Jörn (1991: 20). Vgl. Schnell et. al. (1973, Abschnitt F 65: 25). Vgl. Jörn (1991: 22). Bezeichnet wird hier wohl die Kennung der Flieger-Formation (Gold), in der Pilot Nr. 1 den Anführer bezeichnet.

296 zunächst die Beendigungsvariante, die der Ansagetext vorgegeben hat. Er entscheidet sich dann aber verbunden mit einer Rückrufbitte zu Gunsten eines tschau um. Der Text belegt damit auch, dass der Anrufer zwischen medial unterschiedlichen Beendigungsvarianten schwankt. Dieses ist auch in (283) zu beobachten: (283)

+ das wars fürs erste,, ++ Θ: + bis demnächst= ++ auf dIEsa wEllenlänge, + oda so ähnlich,,

Der Studierende kann seinen Text nach dem Resümee nicht ohne größere Planungsaktivität fortsetzen. Vermutlich sucht er hier nach einer adäquaten Form der Beendigung. Möglicherweise weiß er auch einfach nicht weiter und sagt daher etwas, was ihm gerade in den Sinn kommt. Beides lässt sich hier nicht prüfen. Fest steht allerdings, dass er an markierter Position verzögert und mit oder so ähnlich eine AB-untypische Form der Beendigung wählt. Diese gibt mit Wellenlänge erneut einen Hinweis auf die Funkersprache" 0 , deutet aber auch auf einen unsicheren Sprecher hin. Angesichts nur weniger Korpusbelege kann die Untersuchung nur einen vorsichtigen Hinweis darauf geben, dass sich in Anrufertexten auch Reduktionsformen von Funkgesprächen belegen lassen. Ich möchte die Analyse hier daher nicht überstrapazieren, meine Beobachtungen aber in den Gesamtzusammenhang vorangehender Betrachtungen einbetten. Merkmale von Funkgesprächen sind ein Aspekt gesprächshaften Handelns in Anrufertexten. Auf weitere Aspekte hat die Untersuchung zuvor hingewiesen und dadurch belegen können, dass Anrufer dem Sprechen ohne Dialogpartner begegnen können, indem sie ihren Text durch Pseudosprecherwechsel oder direkte Ansprache des Mediums intern dialogisch gestalten. Ausdruck ihres problembewältigenden dialogischen Bemühens ist auch die Übernahme von Merkmalen aus Telefon- oder face-to-face-Gesprächen. Indem Anrufer so tun, als ob sie einen .wirklichen' Dialog führten, können sie besonders an den Stellen des Textes Probleme bewältigen, an denen ich einen hohen Druck zum Sprecherwechsel erwarte, weil das Ritual in einem Telefongespräch von ihnen dort ein Turn-taking gefordert hätte. Ich möchte dies abschließend und exemplarisch am Beispiel der Beendigung und hier besonders anhand des Resümees diskutieren. Das Resümee macht - in einem Telefonat Beendigungsinitiative - auf dem AB wenig Sinn. Der Hinweis auf ein abgeschlossenes Thema ist unnötig. Ohne Dialogpartner muss das Gesprächsende nicht ausgehandelt werden. Anrufer könnten den Text also auch ohne Resümee einfach beenden. Dass sie dieses häufig nicht tun, verweist wiederum darauf, dass sie den Anschein gesprächshaften Handelns aufrechterhalten, indem sie dialogizitätsstiftend zu 110

„Wellenlänge" ist ein Fachterminus der Funkersprache; vgl. Eiselt (1980: 17).

297 Mustern des Telefongesprächs greifen. Mit dem Resümee setzen sich Anrufer bewusst einen Schlusspunkt für das Thema. Sie bestätigen sich damit selbst, dass es abgeschlossen ist und leiten gleichsam die Beendigung ein. Sie überbrücken damit einen im Telefongespräch hochgradig erwartbaren TRP und helfen sich mangels Partnerhilfe selbst, wieder aus dem Text .herauszukommen'. 5.1.5 Adaptation schriftsprachlicher Muster Neben dialogisierten und mehr an gesprochener Sprache orientierten Texten lassen sich anhand des Korpus auch Anrufertexte belegen, die monolog- und an geschriebener Sprache orientierte Merkmale tragen. Geschriebene Sprache tendiert zu größerer Förmlichkeit. Auf lexikalischer Ebene verleiht ein an geschriebener Sprache orientierter Wortschatz Gesprächen den Anschein von Elaboration und Förmlichkeit. Im Bereich der Syntax weisen vollständige, wohlgeformte und hypotaktische Sätze auf geschriebene Sprache und Förmlichkeit hin. 111 Für beides hat die Untersuchung vorangehend einige Belege angeführt. Ein weiteres Merkmal geschriebener Sprache ist, dass sie zu struktureller Organisation tendiert. Der folgende Text gibt einen Hinweis darauf: (284)

+ also, + erstens wollt ich dir sag-n= + dass ich gestern ein päckchen für dich losgeschickt habe das müsste eig-nlich morg-n komm-n, + vielleicht nimmt das dann jemand an der tür für dich ab wenn de das wEIsst= + oder du bist noch da, + und zweitens wollt ich d{.}ich m{.)al w{.}as frAg-n, +++"2

Die Hausfrau möchte ihrem Sohn zunächst über eine Postsendung informieren und danach etwas erfragen. Sie verfolgt beide Ziele nacheinander und strukturiert ihren Text beim Sprechen in zwei Teile, indem sie durch die Zahladverbien Abschnittsgrenzen festlegt. Damit baut sie den gesprochenen Text wie einen geschriebenen auf. Der folgende Text trägt ebenfalls ein Merkmal geschriebener Sprache: (285)

+ hei BEN, + hier is ARNE, + planungstermin abfahrt fuchskon, 9:m wahrscheinlich dOnnerstag gegen vierzehn uhr, + das wäre ganz tOll wenn du mich= EINATMEN nochmal aniuf-n könntest= + ich bin hEUte abend= ++ bei DORA= + bis: ++ elf wohl zu erreich-n= + halb elf elf= ++ un:d 8:m ++ morg-n {.} f{. }riih bin ich=/ +++ irgendwann fahr ich irgendwann nach hAUse also EINATMEN dann müssteste mich eventuell {.} zu hause bei meinen eltem anruf-n, + die numma müsstest du ja hab-n, EINATMEN ja, Ψ < 2 9 8 >

111 112

Vgl. Goody (1987: 264). Vgl. auch 36 u. 116.

298 Geschriebene Sprache tendiert zu Nominalisierung." 3 Der Anrufer in (285) informiert nach Gruß und Selbstidentifikation über einen Termin und eröffnet dieses mit einer nominalen Konstruktion. Gegenuber einer verbalen Konstruktion spart der Anrufer so in erheblichem Masse Sprachmaterial ein, wie der Vergleich zu (286) belegen kann. (286)

hallo, + hier is AUST HAMBURG, ++++ wir möchte-n mit dem grill-n um achtzn uhr beginn-n, ++++ tschüüss,

Der Anrufer verfolgt ein vergleichbares Handlungsziel. Er wählt hierzu aber die längere verbale Form in der ersten Person Plural. Der Anrufer in (285) dagegen verkürzt die Kommunikation um das Personalpronomen, vielleicht auch um eine Infinitivkonstruktion (in etwa: Wir planen, zu dieser Uhrzeit wahrscheinlich abzufahren). Nominal und mittels eines ad hoc gebildeten Kompositums verdichtet er die Information auf das sachlich Notwendige. Danach bricht er das kompakte Muster zugunsten einer näheorientierteren Darstellung auf, wie z.B. die verbale Konstruktion oder die Verzögerungsphänomene belegen. (285) belegt ein Schwanken zwischen schriftsprachlicher und sprechsprachlicher Orientierung. Beide Orientierungen hängen mit den unterschiedlichen Handlungszielen des Anrufers zusammen. Er möchte bereits vorab grob informieren, Einzelheiten aber später noch genauer abstimmen. Schriftsprachlich übermittelt er zunächst die Information. Hierzu bedarf es keines Dialogs. Dialogizität ist für die reine Informationsleistung des Textes verzichtbar. Um die Modalitäten der Fahrt aber verbindlich zu machen, wechselt er den Kode, da er dies aushandeln muss. Auffällig ist in (285) zudem, dass es ihm auf dem AB Mühe bereitet, sein Aushandlungsinteresse zu unterbreiten, denn dieser Teil des Textes ist von erheblicher Verzögerungsaktivität - hierbei insbesondere stockender Sprechweise - geprägt. Dagegen spricht der Anrufer den informierenden Teil des Textes relativ flüssig. Das informierende Handlungsziel und die damit verbundene schriftsprachlich orientierte Darstellung ist für diesen Anrufer mit geringeren Formulierungsproblemen verbunden. Dieses lässt sich auch anhand des folgenden Textes beobachten: (287)

+ hallo BEN, hier is ma: wir sind wieda zuhause, + supa gefahr-n, + sechsenhalb stund-n fahrzeit, + alles oke, + tschüss

Der Text erscheint geschriebensprachlich wie ein Reisebericht in Stichworten. Die Redakteurin hebt nur durch kurze stille Pausen unterbrochen die Punkte hervor (sie hakt sie förmlich ab), die ihr wichtig sind: die günstigen Umstände einer Reise und die wohlbehaltene Rückkehr. Sie informiert ihren 113

Vgl. Goody (1987: 263).

299 Sohn, unternimmt selbst aber keinen Versuch, etwas von ihm zu erfahren. Es ist hier kein dialogisches Bemühen zu beobachten. Man könnte der Anruferin hier einerseits unterstellen, dass sie von vornherein kein Telefongespräch führen wollte. Andererseits ließe sich auch annehmen, dass sie zwar telefonieren wollte, ihren Text im Hinblick auf die veränderte Kommunikationssituation aber umgestaltet hat. Über keine der beiden Alternativen lässt sich hier sicher entscheiden. Unabhängig aber davon, ob geplant oder aus der Situation entstanden, ist hier wiederum beobachtbar, dass sie diese Strategie wählen konnte, weil ihr Thema dies zuließ, denn ihr Anruf - sofern dieser tatsächlich nur informieren sollte - war nicht dialogbedürftig. Mit ihrer Tendenz zu geschriebener Sprache liefern (287) und z.T. auch (286) einen weiteren Beleg für die Beobachtung Dingwalls, dass Anrufer, deren telefonisches Anliegen instrumenteil (z.B. Informationsübermittlung) ist, zu Briefadaptationen neigen." 4 Auch folgende Texte meines Korpus tragen Merkmale von Briefen: (288) (289) (290)

+ ARNE AUST zehnta vierta einundzwanzig uhr +' 1 5 + ja hallo BEN= + hier is der ARNE aus HAMBURG, +' 1 6 ++++ s]E= + ߣst= + HAUPTSTRASSE neunundneunzig, EINATMEN

Der Studierende gibt in (288) seinen Namen, Tag und Uhrzeit der Aufnahme an, der Anrufer in (289) adressiert den Angerufenen und identifiziert sich danach in Verbindung mit dem Ortsnamen, die Anruferin in (290) nennt eine Adresse. Auch die Schreiber von Briefen geben Adresse, Absender, Ort und Datum an. Während sich gesprochene Sprache häufig deiktischer Ausdrücke bedienen kann, um den zeitlichen, räumlichen und personalen Bezug der Kommunikation herzustellen, muss der Bezug in geschriebenen Texten, wo ein gemeinsamer Wahrnehmungsraum fehlt, explizit versprachlicht werden. 117 Dieses haben die Texte mit Briefen gemeinsam. 1 1 8 Ähnlichkeiten zum Brief belegt auch der folgende Text: (291) 114

+ hallo BEN hier is ARNE,, + betriff heute abend klnogeh-n ++

Vgl. Dingwall (1995: 134); Gutenberg (1989: 118) weist ebenfalls auf briefähnliche Anrufertexte hin; zur Brieftheorie vgl. Lütten-Gödeke (1994), Ettl (1984: 30ff.), Langeheine (1983: 191ff.). 115 Vgl. auch 29, 42, 81, 102, 106, 119, 166, 208, 209, 280, 282. 116 Vgl. auch 313, 328, 330, 332, 339, 340, 346, 357, 358, 376, 392. 117 Vgl. Schwitalla (1997: 170); vgl. auch Gold (1991: 247) und Langeheine (1983: 202); zur Deixis in Ansagetexten vgl. Dingwall (1995b). 118 In Briefen gehen Absender, Empfänger, Adressen etc. als Kopf und auch Ort und Datum normgerecht der Anrede voran; vgl. dazu z.B. das Formblatt in Zillig (1994: 98). In Anrufertexten ist die Stellung dieser Strukturelemente wie eingangs erwähnt variabler.

300 Nach der Selbstidentifikation setzt der Studierende seinen Text ähnlich einer Betreffzeile in einem Brief fort. 119 Er leitet mit betriff das Thema ein und komprimiert sein Thema nominal. Auf ähnliche Weise verdichten Anrufer ihr Thema, indem sie diesem die Präposition wegen voranstellen: (292) (293)

(294)

+ hei BEN ich bins ARNE, EINATMEN weg-n mltfahrgelegenheit, +

+ ruf ma zurück wegn= + schachdat-n. + θ: oda schal.}chtermin-n mit DIRK= +++ und weg-n dies-m: wOchenende= ++ und weg-n {.} zelt-n über himmelfahrt,, ++ wegen: des druckers das erfahre ich erst am mittwoch nachmittag, +

Die Ähnlichkeit zu Briefen ist besonders in (291) und (292) deutlich. Schlagwortartig verkürzt geben die Anrufer kompakt den Grund ihres Anrufs an. Diese Strategie erleichtert es dem Hörer, den Text schnell einem bestimmten Thema zuzuordnen. Sie lenkt seine Aufmerksamkeit von Beginn an auf dieses Thema, sodass sich auch folgende Textteile unter dem Aspekt des einleitend angekündigten Themas hören und verstehen lassen. Briefe lenken das Lesen durch Betreffzeilen oder z.T. (inzwischen) wie Zeitungstexte durch Überschriften. Die beiden gesprochenen Anrufertexte orientieren sich damit an Gliederungs- und Gestaltungsprinzipien geschriebener Texte. Weitere Ähnlichkeiten zu Briefen lassen sich in der Eröffnung von Anrufertexten entdecken. Nach Gold deutet in Anrufertexten die Anrede mit Namen auf den Brief hin, da dieses ihrer Auffassung nach sowohl face-to-face als auch telefonisch unüblich sei. Zudem weist Gold auf die Ähnlichkeit von Anredeformeln in Anrufertexten zu Briefen hin. Nach Gold verwenden selbst vertraute Schreiber von Briefen oder schriftlichen Mitteilungen als Konvention formelhafte Begrüßungen. 120 Brieftypische Anredeformeln wie z.B. ,Liebe/r + Vorname' oder ,Sehr geehrte/s/r + Frau/Fräulein/Herr + Familienname' 1 2 1 lassen sich auch anhand des Korpus belegen: (295) (296)

+ hallo liebe BELLA hier is die omi, + ++ sehr geehrter herr BELZ=++++++++

Der Vergleich mit Briefen kann bei den Beendigungen von Anrufertexten fortgesetzt werden. Diese können ebenfalls Merkmale von Briefenden tragen. 122 So sind z.B. diese Varianten von Selbstbezeichnung in Anrufertexten Briefen ähnlich: 119

Anders als im Brief, in dem die Betreffzeile zum Kopf zählt, und Gruß oder Anrede dieser folgen, grüßt der Anrufer hier zuerst; vgl. dazu Reindl (1994: 133ff.). 120 Vgl. Gold (1991: 246). 121 Vgl. Li (1994: 62). 122 Vgl. Alvarez-Caccanmo/Knoblauch (1992: 494f.).

301 (297) (298)

+ deine oma, ' 2 3 + bis dann eure ANKE,

Ebenso briefähnlich sind die folgenden Gruß- und Dankesformeln: 1 2 4

(303)

+ alles HEbe alles gu:te, + 125 + oke ansonst-n wünsch ich dir noch schöne fErien und bis dann= + 1 2 6 + oke bis dann' + viele grüße an DIRK, + tschüss' < Nr. 40> 1 2 7 + ich wünsch dir alles gute, + machs erstma gut, + bis dann ne' + tschüss, + herzlich-n dank, + 128

(304) (305)

+ danke im vOraus= + + für eine rAsche mitteilung ihrerseits dank ich ihnen, +

(299) (300) (301) (302)

Merkmal von (299), (302) oder (303) ist der für Briefe typische formelhaft herzliche Umgang mit dem Adressaten. In anderen Texten meines Korpus lässt sich zudem eine für Briefe charakteristische formale Freundlichkeit belegen. 1 2 9 Brieflich sind weiterhin die förmlichen Varianten der Danksagung in (303)-(305) sowie die eingeschobene Grußformel in (301), die an ein Postskriptum erinnert. Auffällig ist hier wie auch besonders in (302) das Nebeneinander brieflicher Formeln und Sprechsprachlichem. In (306) wird die Nähe zu Geschriebenem besonders deutlich: (306)

+ alles gute wünsch-n die drei a{.}us eb* e: aus HAMBURG,

Die Hausfrau spricht in der Silvesternacht 15 Minuten nach Beginn des neuen Jahres auf den AB. Dabei erinnert der Text mit seiner Wunschformel in der ersten Person Plural und der Ortsangabe an eine Minimalversion schriftlicher Neujahrsgrüße, wie sie zwischen Familien z.B. mittels Postkarte ausgetauscht werden. Auch Text (307) orientiert sich weitgehend an einem schriftlichen Muster: (307)

123 124 125 126 127 128 129

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

+++ hier is AUST= + HAUPTSTRASSE neunundneunzich + telefon neun neun= + neun neun= + neun neun, ++ sehr geehrter herr BELZ= ++++++++ ich erwarte immer noch die einzahlung der mIEtskaution= ++ für die wohnung HAUPTSTRASSE neun, ++ für ihre mühe im voraus meinen bEst-n dAnk= + auf wiedersehn, +++++++++

auch 163, 167. Li (1994: 69ff.). auch 163, 369. auch 29, 52, 64, 95, 147, 161, 264, 288, 313 (Wunsch). auch 79, 133,167, 189, 241, 294, 296(Gruß). auch 286. 205, 217, 271, 272, 275, 285.

302 Der Anrufer ist der zum Zeitpunkt der Aufnahme 80-jährige Vermieter. Thema seines Anrufs ist eine Zahlungserinnerung, da der Studierende offensichtlich seiner Verpflichtung, eine Mietkaution zu überweisen, noch nicht nachgekommen ist. Der Text des Vermieters ist sehr an geschriebener Sprache orientiert und folgt dem Aufbauprinzip eines Mahnbriefs. 130 Selbstidentifikation, Adresse und Telefonnummer nehmen hier gemeinsam die Form eines Briefkopfes an, dem mit sehr geehrter Herr eine förmliche briefliche Anrede folgt. Deutlich durch eine Pause abgesetzt handelt er sein Thema danach z.T. nominal und im ganzen Satz ab. Den Abschluss des Textes bilden eine brieftypische Dankesformel und eine face-to-face angelehnte Verabschiedung.

5.2 Zusammenfassung und Diskussion Die Beendigung in (307) - ++ für ihre mühe im voraus meinen bEst-n dAnk= + auf wiedersehn - belegt, zu welch unterschiedlichen Mustern Anrufer beim Sprechen auf den AB neigen. Die Analyse zeigt, dass sich Anrufer sowohl an schrift- als auch an gesprochensprachlichen Mustern orientieren. Dies belegen u.a. die in den Texten beobachteten Begrüßungs- und Abschiedsformeln aus Briefen, Postkarten sowie Face-to-face-, Telefon- und Funkgesprächen. Antos erklärt formelhafte Sprache mit Gülich als einen Spezialfall kreativer, problemlösender Textproduktion, als Rückgriff auf schon gefundene und sozial eingespielte Lösungen. 131 Die in den Texten beobachteten unterschiedlichen Orientierungen lassen sich daher zunächst als Adaptationsstrategien auffassen. Danach lösen Anrufer das Problem, in einem ungewohnten Medium zu kommunizieren, indem sie sich aus dem Wissensvorrat gesellschaftlich bereits erprobter Formen bedienen, die Luckmann als „kommunikative Gattungen" 132 bezeichnet. Mit diesem Begriff bezieht sich Luckmann auf ,/outinisierte und mehr oder weniger verpflichtende Lösungen für bestimmte kommunikative Probleme." 133 Nach Lange kann man AB-Kommunikation selbst als kommunikative Gattung im Sinne Luckmanns verstehen. 134 Lange begründet dies damit, dass Anrufer der veränderten Situation mit einer Struktur begegnen, „die zumindest in den Grundzügen der Alltags- bzw. Telefon-Konversation entspricht." 135 Angesichts der Analysen von Lange zur sequenziellen Struktur von Anrufertexten und auch meiner Beobachtungen, ist nicht von der Hand 130 131 132 133 134 135

Zum Mahnbrief vgl. Ettl (1994: 92ff.). Vgl. Antos (1989b: 11), Gülich (1984). Luckmann (1988). Luckmann (1988: 282). Vgl. I.Lange (1998: 8). I. Lange (1998: 8).

303 zu weisen, dass in Anrufertexten der Handelnde häufig „einem Gesamtmuster folgt, in welchem die Zusammenfügung einzelner kommunikativer Elemente vorgezeichnet ist."136 Gattungen sind aber sozial verfestigte und formalisierte Muster kommunikativer Handlungen. Verfestigung bezieht sich darauf, daß das Auftreten eines Merkmals erwartbar bzw. vorraussagbar macht. 1 3 7

Lange weist selbst darauf hin, dass sich eine Vielzahl von Sequenzen in Anrufertexten frei bewegen und optional - d.h. weder erwartbar noch vorhersehbar - sind. Es liegt daher nahe, hier vorerst nicht von Gattungen zu sprechen. Gerade die Übernahme von Mustern aus anderen Gattungen ist m.E. ein Merkmal dafür, dass Anrufertexte noch keine Gattung sind. Vielmehr befindet sich der sprachliche Umgang mit dem Medium noch in einem Stadium, das gerade davon geprägt ist, dass Sprecher mangels eines festen Musters auf andere bekannte und erprobte mediale Lösungen zurückgreifen, wie dies bereits bei der sprachlichen Aneignung des Telefons der Fall war: Das Telefon wurde in seiner Anfangszeit konzipiert und genutzt als technischer Abkömmling des Telegrafen; also lag es nahe, die für den Telegrafen entwickelten sprachlichen Formen auf das Telefon zu übertragen. Nicht nur die Kommunikation mit der Vermittlungsstelle , auch die Rede mit dem Adressaten wurde in Analogie zum Telegrafen konzipiert. 138

Schwitalla belegt anhand von Filmtelefonaten, dass Anrufer damals im Gegensatz zu heute telegrammstilartig gesprochen und alles sachlich Unnötige weggelassen haben. Schwitalla begründet die medial (nicht militärisch) bedingte Elliptik des Telegramms durch die Kosten der Arbeitszeit. Diese fielen beim Sprechen nicht in gleicher Weise an. Mit der Zeit haben Anrufer aber differenzieren können, wann sprachliche Ökonomie sinnvoll und wann sie unnötig gewesen sei.139 Schwitalla fügt dem hinzu, dass sich damit wieder einmal zeige, „daß man sich bei der Einführung eines neuen Mediums an den kommunikativen Gewohnheiten alter Medien orientiert."140 Meine Analyse zeigt, dass sich Anrufer in der Eröffnung und Beendigung des Textes z.B. an den Mustern des Telefongesprächs orientieren. Die Texte haben zudem auf Merkmale des Funk- und Face-to-face-Gesprächs hingewiesen. In einzelnen prägnanten Fällen wie z.B. bei der telefontypischen Formel am Apparat und bei dem Übergabesignal Ende vermute ich, dass die Sprecher in dem neuen Medium tatsächlich auf gewohnte Muster zurückgrei136 137 138 139 140

Luckmann (1988: 282). Günthner/Knoblauch (1994: 702). Schwitalla (1996: 170). Vgl. Schwitalla (1996: 169ff.). Schwitalla (1996: 171).

304 fen. Diese Belege können m.E. für eine Adaptationsstrategie stehen, mit der Anrufer das Problem lösen können, in einer veränderten medialen Situation sprechen zu müssen. Es erscheint mir recht plausibel, dass sich Anrufer beim Sprechen auf den AB sehr am Telefongespräch orientieren, da in vielen Fällen davon ausgegangen werden kann, dass die Anrufer auch ein Telefongespräch führen wollten. Es ist m.E. naheliegend, dass Anrufer auf dem AB auch ohne Partner ihre Hälfte des Gesprächsmusters weiterverfolgen, das sie ursprünglich wählen wollten. Ihr Festhalten an den gewohnten Mustern des Telefongesprächs kann aber nicht nur als Adaptationsstrategie aufgefasst werden. Dies lässt sich ebenfalls als eine dialogische Strategie verstehen. Wie Dubin vermutet, wird das Problem, ohne Gesprächspartner zu sprechen, dadurch gelöst, dass Anrufer dessen Fehlen ignorieren und so tun, als ob sie ein Telefongespräch führten. 141 Hierauf weisen vor allem die in den Texten häufig zu beobachtenden bestätigungsheischenden Partikeln hin, die sich an den abwesenden Gesprächspartner richten, obwohl Rückmeldungen ausbleiben. Die Analyse hat gezeigt, dass Anrufer ihren Text in vielerlei Hinsicht intern dialogisch gestalten können. Die Frage- und Afforderungsstrategien stellen hier eine Sonderform interner Dialogizität dar. Anrufer richten sich damit über den Lautsprecher des Gerätes an einen Gesprächspartner, der sich ihrer Hoffnung oder auch ihrem Verdacht nach in Hörweite des Gerätes aufhält. Die Strategie kann dem Anrufer dazu dienen, die Kommunikationssituation zu prüfen, um sich selbst zu bestätigen, nicht mit dem gewünschten Gesprächspartner, sondern auf einen AB zu sprechen. Von ihrer Konzeption her kann diese Strategie auch den Medienwechsel herbeiführen. Ist die Strategie erfolgreich, mündet sie in ein Telefonat. Sie ist damit aber keine Form interner Dialogizität, da das Konzept realisiert wurde. Nimmt der Angerufene den Hörer aber nicht ab, setzt er das Konzept nicht um. Die Strategie verbleibt in diesem Fall im medialen Rahmen des AB und des Monologs und kann daher im weiteren Sinne als intern dialogisch bezeichnet werden. Ein anderes Konzept verfolgen die dialogischen Strategien von Anrufern, die sich nicht über den Lautsprecher an Zuhörer richten und nicht den Medienwechsel anstreben. Zu diesen Formen interner Dialogizität im engeren Sinne gehört die Personalisierungsstrategie, die den AB als Ersatz für den nicht vorhandenen Gesprächspartner nimmt. Die Analyse belegt, dass Anrufer den AB nicht nur als Vermittler sehen. Sie können die Kommunikation auch (auch gestützt durch textuelle und prosodische Merkmale der Ansage) als Kommunikation mit dem Gerät empfinden und daher ablehnen. Die Umfrageergebnisse von Katz et al. in den USA belegen eine starke Abneigung 141

Vgl. Dubin (1987: 29).

305 gegen elektronische Antwortsysteme, weil sie die Kommunikation mechanisch und weniger persönlich gestalten. 142 Darüber hinaus hat die Analyse einen Hinweis darauf gegeben, dass die Kommunikation mit der Maschine abgelehnt wird, weil sich das sprachliche Handeln der Funktionsweise des Gerätes anpassen soll. Nach Pütz engt das ,Sprechen auf eine Maschine' das sprachliche Handeln auch ein, weil sie die Mitteilung von Emotionen zurückdrängt. 143 Es lässt sich weiterhin beobachten, dass Anrufer das Gerät personalisierend zum Adressaten ihres Anliegens und etwaigen Ärgers machen. Sie können sich damit einen Gesprächspartner suggerieren, der aber kein wirklicher Ersatz ist, denn Kommunikation mit einer Maschine ist immer asymmetrisch: Der Mensch stößt einen Ablauf in der Maschine an, Teil dieses Ablaufs kann eine Äußerung der Maschine sein, als Rückmeldung, Frage, Aufforderung zu weiterer Eingabe. So dialogähnlich eine Sequenz von menschlichen Eingaben und Ausgaben der Maschine auch aussehen mag, das ,tum-taking' ist nur scheinbar. Initiative, Themenwechsel, durchdachte Rückfrage von seilen der Maschine gibt es nicht. 144

Als ein weiteres Merkmal interner Dialogizität lassen sich in Anrufertexten Pausen und paraverbale Phänomene auffassen, die an sprecherwechselrelevanten Stellen (TRPs) als Einladung in den Dialog fungieren können. Zudem ließ sich beobachten, dass Anrufer in ihrem Text Fragen stellen und diese in Art eines Selbstgesprächs selbst beantworten. Auch diese Pseudodialoge können als gesprächshaftes Handeln verstanden werden, denn um sprechen zu können, muß man jemand anderes oder andere ansprechen. Vernünftige Leute gehen nicht durch den Wald und reden blindlings zu niemandem. Sogar um Selbstgespräche zu halten, muß man sich als doppeltes Wesen vorstellen. 145

Mit dieser Strategie begegnen Anrufer einer Dialogaufgabe auch ohne Dialogpartner. Dabei vervollständigen sie die Kommunikation um die Anteile, die ihr fehlen. McLuhan hat Ähnliches bereits beim Telefon beobachtet: Manche Menschen empfinden ein starkes Bedürfnis, während des Telefonierens zu kritzeln. Dieser Umstand steht in engem Zusammenhang mit einem bezeichnenden Merkmal dieses Mediums, daß es nämlich die aktive Beteiligung unserer Sinne und Fähigkeiten verlangt. [...] Weil das Telefon ein sehr schwaches Hörbild vermittelt, verstärken und vervollständigen wir es durch den Einsatz aller anderen Sinne. 146

142 143 144 145 146

Vgl. Katzetal. (1997: 131). Vgl. Pütz (1993: 93). Zoeppritz (1988: 112). Ong (1982:1987: 174); zum Selbstgespräch vgl. Reichert (1999: 104ff.). McLuhan (1968: 291f.).

306 In diesen Zusammenhang lassen sich auch Beobachtungen einordnen, die Baumgarten in den ersten Jahrzehnten des Fernsprechens gemacht hat: Das kleine Mädchen macht am Telefon, wenn es 'Auf Wiedersehen' sagt, dasselbe Knixchen wie sonst beim Abschiednehmen. Der Beamte in untergeordneter Stellung spricht zu seinem Chef in derselben untergebenen Haltung, macht beim Empfang der Befehle dieselbe tiefe Verbeugung, wie er es im persönlichen Gespräch zu tun gewohnt ist. Ein .Kavalier' steht vom Stuhl auf oder zieht den Hut ab, den er gerade aufhat, wenn er mit einer ,hohen Dame' durchs Telefon spricht.147 Bülow nennt das Fehlen visueller Daten beim Telefonieren als das „semiotische Vakuum" 1 4 8 . Dieses ist aber nicht nur nonverbal durch Zeichnen oder gestische Handlungen füllbar. Am Telefon lässt sich auch verbal ein Ausgleich für das Sichtbare schaffen. Bülow legt dar, dass am Telefon bestimmte Sprechakte das gegenüber dem Face-to-face-Gespräch Fehlende fiktionalisieren. Sie betrachtet Handlungen wie die folgende als Hilfskonstruktion für das fehlende Bild des Gesprächspartners 1 4 9 : ,Stell' Dir vor, ich hab'mir grad einen K a f f e e gemacht und mich wieder an den Schreibtisch gesetzt..." 150 Beim AB besteht ein zweifaches Vakuum. Anrufer und Angerufener teilen weder den Raum, noch die Zeit in der Kommunikation. Das Sprechen auf einen AB verlangt dem Anrufer eine doppelte Ausgleichsleistung ab. Das fehlende Bild kann beim AB wie beim Telefon sprachlich fiktionalisiert werden. Die für die AB-Kommunikation konstitutive .dialogische Lücke' können Anrufer durch Reduktionsformen des Gesprächs füllen. Wie der Knix des kleinen Mädchens vor dem unsichtbaren Gegenüber, ist das gesprächshafte Handeln von Anrufern eine sprachliche Hilfskonstruktion, die auf dem AB jemanden ersetzt, der nicht vorhanden ist. In dem intensiven dialogischen Bemühen von Anrufern spiegelt sich ein menschliches Grundbedürfnis wider, das Humboldt wie folgt formuliert: Im Menschen aber ist das Denken wesentlich an gesellschaftliches Daseyn gebunden, und der Mensch bedarf, abgesehen von allen körperlichen und Empfindungsbeziehungen, zum blossen Denken eines dem ICH entsprechenden DU.151 Tschauder weist aber darauf hin, dass nach Humboldt das dualistische Prinzip „vorzüglich da eintritt, wo die Sprache auf der Zwei-/heit der Wechselrede ruht." 1 5 2 Tschauder stellt fest, dass Humboldt damit - wenn auch indirekt - monologisches Sprechen nicht ausgeschlossen habe. 1 5 3 147 148 149 150 151 152 153

Baumgarten (1931: 194). Bülow (1990: 306). Vgl. Bülow (1990: 306f.). Bülow (1990: 308). Humboldt (1963: 201). Humboldt (1963: 138). Vgl. Tschauder (1986: 112).

307 Meine Analyse kann belegen, dass Anrufer beim Sprechen auf einen AB auch darauf verzichten, das DU pseudodialogisch mit einem abwesenden DU, dem AB oder dem ICH als DU zu besetzen. Diese bedürfen während des Sprechens weit weniger eines imaginierten dialogischen Beistands, sie gestalten ihren Text monologisch. Anrufer, die ihren Text ohne Dialogizitätsmerkmale monologisch orientieren, gehen während des Sprechens keine interaktive Verpflichtung ein, die sich in dem Medium nicht erfüllen lässt. Ein Anrufer, der keine Frage an das abwesende Gegenüber stellt, erlebt auch nicht, dass die Antwort ausbleibt und sieht sich auch nicht genötigt, selbst eine Antwort zu formulieren. Die Analyse kann darüber hinaus belegen, dass eine monologische Gestaltung davon abhängt, welche Handlungsziele der Anrufer erreichen möchte. Anrufer, die den Angerufenen lediglich benachrichtigen, also Informationen übermitten wollen, benötigen dazu keinen Gesprächspartner und können ihren Text monologorientiert sprechen. Knoop ordnet dem Monologischen die Schriftlichkeit zu. 154 Insofern kann die in meinem Korpus beobachtete schriftsprachliche Orientierung von Texten zunächst im Zusammenhang einer monologischen Sprecherstrategie gesehen werden, die die Kommunikationssituation ohne Gesprächspartner akzepziert und nicht den dialogischen Ausgleich sucht. Ich gehe aber davon aus, dass für die verschiedenen in den Texten beobachteten Merkmale der geschriebenen Sprache auch unterschiedliche Möglichkeiten der Interpretation in Frage kommen. So nehme ich an, dass brief- oder postkartentypischen Merkmale in Anrufertexten erneut auf eine Adaptationsstrategie hinweisen. Dannach greifen die Anrufer mangels ausreichender Musterkenntnisse in der AB-Kommunikation auf ihnen geläufige Muster zurück. Bei einem Teil der Anrufer dürfte dies mit deren Alter zusammenhängen 155 , denn ältere Menschen „verhalten sich ganz allgemein Unbekannten, Ungewohnten gegenüber vorsichtig, in manchen Fällen sogar mißtrauisch und ablehnend." 156 Fischer weist darauf hin, dass Ältere beim AB zum Auflegen neigen: Hin und wieder übermittelt uns das Tonband nur Hintergrundgeräusche, und die Nachricht bleibt aus. Dann ist meist Tante Ilma im Spiel. Sie lehnt es ab, sich so 157 neumodischem Kram auszuliefern

Ich gehe daher davon aus, dass Ältere, sofern sie überhaupt auf den AB sprechen, tendenziell weniger in der AB-Kommunikation geübt sind und daher bekannte Muster adaptieren. Auch die noch sehr junge Anruferin in meinem Korpus dürfte m.E. mangels Übung zu brieflichen Merkmalen tendieren. 154 155 156 157

Vgl. Knoop (1983a: 26). Vgl. 163-165. Mollenkopf (1993: 245). G.Fischer (1992: 9).

308 Die Analyse von Text (307) kann darüber hinaus belegen, dass eine briefliche Orientierung in Anrufertexten nicht nur als altersbedingte Adaptationsstrategie betrachtet werden kann. Der distanzierte Text - ähnlich einem Mahnbrief gesprochen - kann ebenfalls dem Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter entsprechen. Die Förmlichkeit des Textes kann ihren Ursprung somit auch in dem asymmetrischen Verhältnis zwischen den Interaktanten und dem außerprivaten Anlass haben. Eine brieftypische Förmlichkeit in Anrufertexten wie z.B. in (306) ist Audruck eines beruflichen Gesprächsanlasses. Diese trägt beim Sprechen einer professionellen Distanz Rechnung und hat ihre Vorbilder im Beruf oft in geschriebenen Texten. 158 Neben brieftypischen Merkmalen belegen Anrufertexte meine Korpus auch Vertextungsstrategien, die Merkmal geschriebener Texte sind. Es lässt sich belegen, dass Anrufer ihre Texte mit unterschiedlichen Techniken strukturell wie geschriebene Texte organisieren und verdichten. In Texten wie (284), (286) und (291) bis (294), in denen kein beruflicher Gesprächsanlass vorliegt, lassen sich diese Merkmale geschriebener Sprache z.B. auf die Zwänge einer zeitlich begrenzten Sprechsituation zurückführen. Organisationstechniken vermindern die Gefahr, beim eiligen Sprechen ein Thema oder einen Aspekt des Themas auszulassen. Zudem strukturieren diese den Text hörerfreundlich. Mit einem verdichteten kompakten Text lösen Anrufer das Problem, nicht unbegrenzt sprechen zu können. Eine sprachlichen Ökonomieprinzipien verpflichtete Sprechweise kann allerdings auch auf eine Professionaliserung privater Telefonkommunikation hindeuten, der in der Ratgeberliteratur das Wort geredet wird. Diesen Trend hat Ettl auch bei Briefstellern beobachtet, denn kaum ein Briefsteller verweist noch auf die Lektüre guter Bücher als Stilbildung. Die Stilprinzipien, auf die man sich heute beruft, sind vor allem Kürze und Sachlichkeit. Sie sind Ausdruck der vielbeschworenen .schnellebigen Zeit' und werden damit von außersprachlichen Gegebenheiten abgeleitet.159

158

Becker-Mrotzek/Fickermann (1989: 84) weisen darauf hin, dass z.B. in Institutionen die vorherrschende kommunikative Form in Gestalt von Formularen, Bescheiden, Vorschriften etc. die Schriftform ist. 159 Ettl (1983:187).

6 Vermeidungsstrategien Yet he did not reveal his heart; and though not all things went as he would he endured it in silence, hiding his mind so that few could read it, unless it were Idril Celebrindal.1 Der sicherste Weg, Bedrohungen des Image zu vermeiden, ist nach Goffman, „Kontakten aus dem Weg zu gehen, in denen solche Bedrohungen leicht geschehen können." 2 Goffman fügt dem hinzu: „Ist jemand erst einmal das Risiko einer Begegnung eingegangen, dann werden andere Vermeidungspraktiken herangezogen." 3 Kriebel stellt fest, dass es beim öffentlichen Sprechen vor Publikum Reaktionsmöglichkeiten gibt, mit denen eine angstauslösende Situation bewältigt werden kann. Danach können Sprecher Probleme passiv und aktiv umgehen. Kriebel nennt dies passives und aktives Vermeidungsverhalten. 4 Ich gehe in diesem Kapitel der Frage nach, inwieweit Anrufer Probleme in der AB-Kommunikation vermeiden. Angelehnt an Kriebel unterteile ich das vermeidende Verhalten von Anrufern in .passive' und .aktive' Vermeidungsstrategien.

6.1 Passive Vermeidungsstrategien Ich habe zu Beginn der Untersuchung bereits auf Fälle hingewiesen, bei denen Anrufer den Telefonhörer auflegen, wenn sie auf einen AB sprechen sollen. Sie vermeiden Probleme in der AB-Kommunikation, indem sie die Kommunikation insgesamt vermeiden. Diese generelle Verweigerungshaltung lässt sich im Rahmen der Arbeit nicht näher untersuchen, da die Anrufer keine Texte auf dem Gerät hinterlassen. Gleichwohl gibt es zahlreiche Erklärungsmöglichkeiten dafür, dass Anrufer der AB-Kommunikation ausweichen. Nussbaumer begründet sein Auflegeverhalten damit, dass ihn der AB statt in die erwartete Situation der Mündlichkeit überraschend in eine Situation der Schriftlichkeit versetzt und er sich darauf einstellen muss:

1 2 3 4

J.R.R. Tolkien (1977: 138). Goffman (1994a: 21); vgl. auch Bayraktaroglu (1991: 7). Goffman (1994a: 21). Kriebel (1996: 27).

310 Oftmals gelingt mir dieses abrupte Umschalten nicht, und ich hänge wieder auf, um einige Zeit später mit einer geplanten Schriftlichkeitshaltung erneut anzurufen. 5

Ein weiterer Erklärungsversuch lässt sich aus der in behandelten Sprechangstproblematik ableiten. Da Anrufertexte gespeichert werden, und sowohl beim Abhören als auch noch während des Sprechens mehreren Adressaten zugänglich gemacht werden können, hat das Sprechen auf einen AB Ähnlichkeit mit öffentlichen Sprechsituationen. Das Sprechen auf einen AB kann daher in ein in solchen Situationen vergleichbares Vermeidungsverhalten münden, das ein Merkmal für Sprechangst sein kann: Das übliche Erscheinungsbild der Sprechangst ist mit passivem Vermeidungsverhalten assoziiert. Durch die Unterlassung eines Verhaltens, hier des Sprechens, wird versucht, den erwarteten negativen Publikumsreaktionen zu entgehen. Es folgt eine Abwendung vom Publikum, dessen Strafmöglichkeit als mit dem eigenen Sprechen verbunden erlebt wird. Schweigen stellt dann die erfolgreichste Vermeidungsreaktion dar. 6

Gutenberg vermutet, dass Anrufer nicht auf den AB sprechen, weil sie die z.T. abgelesenen Ansagetexte als unkommunikativ empfinden. 7 Dubin bringt das vermeidende Verhalten vieler Anrufer mit der Hemmung, mit einer Maschine zu sprechen, und mangelnder Übung in Verbindung. 8 Ungeübte Anrufer haben das Problem, dass das Gerät ihnen einen technischen Verhaltensrahmen vorgibt, den sie nicht kennen können, bevor sie die Kommunikation mit dem Gerät aufgenommen haben. Anrufer, denen es nicht gelingt, sich auf den gegenüber dem Telefonat veränderten Verhaltensrahmen einzustellen, beenden dann die Kommunikation: Aufgrund der Festlegung eines Verhaltensrahmens in bestimmten Situationen vor Eintritt in diese sind jedoch völlige Umdefinitionen selten zu erwarten; eher werden solche extremen Schwierigkeiten durch Abbruch der Kommunikation 'gelöst'. 9

Es lässt sich allerdings bezweifeln, dass Anrufer ihre Probleme wirklich lösen, indem sie den Hörer auflegen, wenn sie auf einen AB sprechen sollen. Herrmann/Grabowski stellen fest, dass Anrufer angesichts des hohen Verbreitungsgrades von AB inzwischen allseitig Gelegenheit haben, Erfahrungen mit Anrufbeantwortern zu machen. 10 Ihrer Auffassung nach ist aber „der Verzicht auf die Auseinandersetzung mit einer kommunikativen Heraus-

5 6 7 8 9 10

Nussbaumer (1991: 280). Knebel (1986: 27). Vgl. Gutenberg (1989: 118). Vgl. Dubin (1987: 29). Berens (1976: 17). Vgl. Herrmann/Grabowski (1994: 484).

311 forderung [...] das beste Mittel, sich seine Inkompetenz zu erhalten." 11 Nach den Beobachtungen von Dubin ist das Auflegen typisch für die Anfangsjahre der AB-Kommunikation in den USA gewesen. Inzwischen seien viele Anrufer aber routiniert. 12 Dubin sieht hier einen direkten Zusammenhang von passiver Vermeidungsstrategie und mangelnder Geübtheit, den ich nach den bisherigen Beobachtungen der Untersuchung - insbesondere zu Dialogproblemen - etwas einschränken möchte. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass jemand, der bereits Erfahrungen mit dem Medium gemacht hat, einschätzen kann, für welche Handlungsziele das Medium geeignet ist." Wenn jemand das Medium aus Erfahrung abwählt, weil er ein Gesprächsziel (auch im Hinblick auf das beabsichtigte Gesprächsthema) mittels AB nicht erfüllen kann, dann kann dies auch Ausdruck eines geübten Umgangs mit dem Medium sein. Eine passive Vermeidungsstrategie muss demnach nicht unbedingt anfängertypisch sein. Sie kann aber auch bedeuten, dass ein Medienneuling nicht zeigen möchte, dass ihm die sprachliche Kompetenz in diesem Medium fehlt. Er vermeidet dann die Kommunikation, um sein Image nicht zu gefährden.

6.2 Aktive V e r m e i d u n g s s t r a t e g i e n Anrufer, die AB-Kommunikation nicht verweigern, stellen sich der Kommunikationssituation und ihren Problemen. Anrufer können diese Probleme auch während der Kommunikation mit aktiven Vermeidungsstrategien bearbeiten. Aktives Vermeidungsverhalten hat nach Kriebel die Aufgabe, „die Wahrscheinlichkeit von negativer Bewertung oder nicht ausreichend positiver Bewertung zu reduzieren" 13 . Die Analyse hat bereits gezeigt, dass Anrufer kein Thema auf dem AB eröffnen, wenn dieses nur gemeinsam mit dem Angerufenen abgehandelt werden kann. Anrufer tendieren dazu, ein Thema zu vermeiden, wenn es zwingend Sprecherwechsel erfordert. Anrufer gehen damit dem Scheitern eines Dialoganliegens und einer Bewertung ihres Misslingens durch den Angerufenen aus dem Weg und schützen damit ihr Image. Der folgende Text weist darauf hin, dass Anrufer nicht allein zu Vermeidungslösungen greifen, weil ihnen der Dialogpartner fehlt:

11 12

13

Herrmann/Grabowski (1994: 484). Vgl. Dubin (1987: 29); Nach Hopper (1992: 212) legten Mitte der Achtzigerjahre noch fünfzig Prozent der Anrufer auf. Kriebel (1986: 27).

312 (308)

++++++ hier is frau AUST aus HAMBURG, EINATMEN sie ham von

uns mal zwei junge graugänse gekricht, + wir haben unsre gänse Ieida= +++ nicht mehr= + und hab-n ein-n= ++ zum abgeb-n und ein herrliches gänsehaus, EINATMEN wenn sie intrEsse hab-n, + bitte ruf-n

sie zurück, Die Anruferin bietet dem Kfz.-Meister Geflügelzuchtzubehör zum Kauf an. Sie begründet dies dadurch, dass sie keine Gänse mehr habe. Sie zögert in dem Moment, da sie Auskunft über den Verbleib der Tiere geben will. Die Planungsaktivitäten lassen sich an dieser Stelle zunächst einmal als WSP deuten. Danach sucht sie vielleicht nach einem bestimmten Verb, das sie nicht abrufen kann. Es ist auch möglich, dass sie die Planungspause benötigt, um den Satz fortsetzen und gleichzeitig ein bestimmtes Verb vermeiden zu können. Die Formulierung nicht mehr haben entspricht ihren Verkaufsabsichten, ohne über den Verbleib der Tiere zu informieren. Die Tiere wurden vielleicht geschlachtet, und die Anruferin möchte dies nicht explizit sagen. Es kann auch sein, dass sie das Geflügel an einen Züchter verkauft hat und dies gegenüber dem Angerufenen nicht zugeben möchte, da dieser ja ebenfalls Züchter ist. Sie könnte hier also eine Vermeidungsstrategie verfolgen, um ihr Gesicht zu wahren oder um auf dem AB nicht über den Tod der Gänse und damit über ein Tabuthema sprechen zu müssen. Die Anruferin ist damit auch diskret und „lässt Tatsachen unausgesprochen, die implizit oder explizit den positiven Ansprüchen anderer widersprechen oder diese verwirren." 14 Die Hausfrau in (309) spricht ebenfalls ein Thema nicht aus: (309)

+ und zweitens wollt ich d(.}ich m{.}al w{.}as frAg-n, +++ θ: + das ist

mir aber zu kompliziert um das jetzt ans telefon zu sprech-n, EINATMEN und ich möcht auch nich 8:m + + + j a ich seh schon ich kann

mich schlecht konzentrieren, + also ich möchts nich aufs telefon sprech-n Sie stockt bereits, als sie das Thema einleitet. Danach unterbricht sie sich und weist darauf hin, dass ihr das Thema zu kompliziert sei, um darüber auf dem AB zu sprechen. Sie möchte dem noch etwas hinzufügen, unterbricht sich aber erneut. Dann stellt sie fest, dass sie sich nicht konzentrieren könne und bekräftigt ihren Wunsch, das Thema auf dem AB auszulassen. Das Thema ist ihr unangenehm, sie zögert, es auszusprechen. Stockendes Sprechen mit Abbruchen, Dehnungen, Pausen und anderen Verzögerungsphänomenen gibt der inneren Hemmung Ausdruck, über unangenehme Dinge sprechen zu müssen. 15 Dieses lässt sich auch in (310) beobachten:

14 15

Goffman (1994a: 22). Schwitalla (1997: 94).

313 (310) BELLA sindse zu hAUse' +++ ich hätt was weg-n: {.} zu besprEch-n, ++++ Die Sekretärin setzt zunächst dazu an, mit wegen den Grund ihres Anrufs anzugeben. Sie dehnt den Nasallaut am Ende der Präpostion aber, stockt und vermeidet das Thema. Wie in (310) lässt sich auch hier festhalten, dass die Anruferin Hemmungen hat, ihr Thema auf dem AB zu explizieren. Ein Hinderungsgrund mag hier sein, dass der Anrufertext gespeichert wird und dass der AB von einer Familie genutzt wird. Vielleicht wird der Sekretärin beim Sprechen bewusst, dass ihr Text mehrfachadressiert ist. Sie möchte vermeiden, dass Ehemann oder Tochter etwas über das Thema erfahren. Die Sekretärin ist hier also vielleicht nicht bereit, Vertrauliches auszusprechen, weil ihr Text fixiert, reproduziert und damit anderen zugänglich gemacht werden kann. Dies ist allerdings Spekulation, da ich nicht weiss, um welches Thema es sich gehandelt hat. In dem folgenden Text dagegen kenne ich den Anrufer und den Kontext seines Gesprächsthemas und daher kann ich besser einschätzen, warum er es nicht ausspricht: (311) + ja, + hallo BEN, + hier is ARNE, EINATMEN +++ 9: ++ ja irgendwie jetzt {.} was auf den abE zu sprech-n is mir η bisschen zu dUmm= + ich: werd mich dann irgendwann späta nochma meld-n, +++ bis dann, ++ tschüss, Nach Gruß und Selbstidentifikation zögert der Flavorist sehr lange. Er vermeidet es zudem, den Anlass seines Anrufs zu nennen. Danach kündigt er zögerlich an, erneut anzurufen und beendet den Text wiederum sehr stockend. Hintergrund des Anrufs ist ein Trauerfall. Der Anrufer lässt das Thema aber aus und vermeidet es zudem, zuzugeben, dass es ihm unangenehm sei, das Thema auf dem AB zu behandeln. Stattdessen gibt er als Grund an, dass es ihm zu dUmm sei, etwas auf den AB zu sprechen. Dies meint umgangssprachlich, dass jemand mit der Geduld am Ende ist.16 Er meint hier damit aber wohl nicht, dass er ungeduldig geworden ist. M.E. bringt er damit zum Ausdruck, dass er es als unpassend empfindet, einen Trauerfall mittels AB zu behandeln und dass er daher das Thema lieber vermeidet. (311) weist darauf hin, dass es wie beim Telefonieren Tabuthemen gibt, die Anrufer auf dem AB vermeiden. Sie prüfen also nicht nur, ob ein vorgesehenes Gesprächsthema ohne Gesprächspartner auskommt, um es auszulassen, wenn es nur dialogisch und unmittelbar abgehandelt werden kann. Sie haben auch einen Sinn für Angemessenheit und vermeiden es, wenn das Medium dem Thema nicht adäquat ist. Aus diesem Grund lassen vielleicht auch die Anrufer in (309) und (310) das Thema aus. 16

Vgl. Drosdowski et al. (Hgg. 1992: 162).

314 Anrufer machen von der Möglichkeit regen Gebrauch, Problemen in der ABKommunikation aus dem Weg zu gehen, indem sie das Thema auslassen. Oft werden auf AB sehr kurze Texte wie der folgende hinterlassen: (312)

+ hei mama hier is ANKE, + ruf doch mal zurühück, + tschüüss 17

Die Hausfrau begrüßt die Adressatin und verabschiedet sich. Darüber hinaus identifiziert sie sich und ermöglicht damit einen späteren Kontakt. Die Anruferin eröffnet aber kein Thema. Indem sie um Rückruf bittet, vermeidet sie Probleme, die sich beim Sprechen auf den AB im Zusammenhang mit dem Thema und ggf. dessen Dialogbedürftigkeit ergeben könnten. Kurze Texte dieser Art vermeiden Probleme, weil sie das Thema aus dem medialen Rahmen des AB ausgliedern und auf ein künftiges Telefongespräch verlegen. Anrufer, die diese problemvermeidende Strategie praktizieren, nutzen den AB zur Kontaktaufnahme, reduzieren den Anrufertext allerdings zu einem Initialtext für ein Telefongespräch, das der Angerufene später beginnen soll. Dieser hat dadurch aber keine Möglichkeit, sich thematisch auf das erbetene Telefonat einzustellen. Der Angerufene bleibt über den Grund des Anrufs bis zu seinem Rückruf im Unklaren. Erst dann kann er erfragen, ob und wenn ja welches Thema Anlass für den Anruf war. Erschwerend kann hier hinzukommen, dass Anrufer ein Thema auslassen und zugleich wie in (312) die Initiative für den Rückruf für sich beanspruchen, indem sie ankündigen, selbst erneut anzurufen, aber keinen Zeitpunkt nennen. Der Angerufene kann dann nicht sicherstellen, dass er für den Rückruf erreichbar ist. Er kann zwar selbst initiativ werden und zurückrufen. Er hat allgemein aber keine Garantie, dass er den Anrufer telefonisch erreicht. Obwohl der Minimaltext mit Rückrufbitte auch neue Probleme schafft, können Anrufer auf diese Weise aktiv dafür sorgen, dass sie selbst beim Sprechen in keine problematische Situation geraten und die Kommunikation trotzdem nicht abbrechen müssen. Insofern belegen diese Texte eine sehr erfolgreiche aktive Vermeidungsstrategie, die meinem Eindruck nach von vielen Anrufern genutzt wird. Es gibt allerdings auch noch andere Möglichkeiten der Problembewältigung. Nach Kriebel versuchen Sprecher in Publikumssituationen auch durch Witze oder Clownereien „die erwarteten negativen Reaktionen des Publikums abzuwenden. 18 Ich untersuche daher folgend, inwieweit Anrufer aktiv Probleme in der Kommunikation bearbeiten, indem sie lachen oder mit Humor reagieren. 19

17 18 19

Vgl. auch 173, 181, 191,211,238,239,245,247,276,314,318-321. Kriebel (1986: 27). Nach Kotthoff (1998: 105) müssen Lachen und Humor getrennt analysiert werden, da es Humor ohne Gelächter und Gelächter ohne Humor gebe.

315 6.2.1 Lachaktivitäten Lachen kann in Interaktionen eine Vielzahl von Aufgaben erfüllen. Norrick stellt dazu fest: „Consequently we must recognize a multiplicity of functions for laughter." 2 0 In der AB-Kommunikation lachen Anrufer z.B., weil sie einen Ansagetext als lustig e m p f u n d e n haben, wie der folgende Text belegt: (313)

+ LACHT hei++ BEN LACHT der is echt geil ey LACHT hab ich echt gut abgelacht= LACHT 2 1

Der Anrufer lacht zu Beginn des Textes sehr heftig. Danach bemüht er sich, sein Lachen zu unterdrücken, es bricht aber immer wieder hervor. D a er mit der Äußerung der is echt geil ey überschwänglich den Ansagetext lobt, lacht er hier wohl, weil er den Ansagetext sehr witzig findet. Anrufer lachen aber auch, ohne dass ein lustiger Ansagetext vorliegt. Die Untersuchung hat bereits darauf hingewiesen, dass Anrufer bei Selbstkorrekturen lachen und dabei komplexe Imagearbeit leisten. Anrufer, die lachend die Aufmerksamkeit auf eine Abweichung lenken und zum Mitlachen einladen, verfolgen damit eine erfolgreiche Vermeidungsstrategie, denn sie umgehen damit, dass über sie gelacht wird. Der folgende Text einer Anruferin aus dem Korpus von Gold weist auf einen weiteren Lachanlass hin: 1. 2. 3. 4.

hi Ruby that sounds like a message.left for.um.for (laughs).. um.those places where you call and talk about sex, like

5.

(low „sex" voice) I really wanna talk to you so call back okay (laughs)

22

Gold interpretiert das Lachen der Anruferin wie folgt: She uses a special theatrical variety of prosody to this end and even frames it with her own laughter, which is often another signal of an uncomfortable situation. Although perhaps it is used in the monologue because she is her own audience and must provide her own audience response of laughter.23 Ich stimme der Analyse Golds soweit zu, dass das Lachen der Anruferin hier signaliseren kann, dass siesich sich in der Kommunikationssituation unwohl fühlt. Allerdings teile ich die Vermutung Golds nicht, das Lachen habe hier unmittelbar damit zu tun, dass kein Dialogpartner vorhanden sei. Vielmehr macht die Anruferin hier einen Scherz 2 4 und bezieht sich damit auf den Ansagetext (sounds like a message). 20 21 22 23 24

Norrick (1993: 42). Vgl. auch 53, 68, 166. Gold (1991: 257); Fettdruck von mir. Gold (1991: 252). Zur Scherzkommunikation vgl. Kotthoff (1996) und (1998).

316 Das Lachen rahmt in dem Text von Gold also eine Humoraktivität ein. Ich verstehe das Lachen der Frau daher mit Jefferson erstens als eine Technik, die zum Mitlachen einladen soll. 2 5 Darüber hinaus geht es in dem Scherz um Sex. D i e Anruferin zögert (Wiederholung, gefüllte Pause), bevor sie auf das Thema Sex kommt: a message.left for.um.for (laughs)., um.those places where you call and talk about sex. Möglicherweise ist ihr also das Thema unangenehm und daher lacht sie. Jefferson zeigt, dass sich Sprecher lachend von heiklen Äußerungen distanzieren. 26 Sexuelles Witzeln kann nach Kotthoff gesichtsbedrohlich sein. Durch Lachen signalisiert ein Sprecher aber, dass er über etwas nicht offen reden kann oder will und erreicht damit, dass er wegen dieser Unfähigkeit nicht angegriffen wird. 27 Trotz alternativer Interpretationsmöglichkeiten lässt sich aber nicht ausschließen, dass sich die Anruferin in dem Text von Gold unwohl fühlt, weil sie eine Kommunikationssituation ohne Dialogpartner bewältigen muss und dass sie daher aus Verlegenheit lacht. In meinem Korpus gibt z.B. der folgende Text einen Hinweis darauf, dass Anrufer lachen, wenn sie Dialogprobleme haben: (314)

+ hei BEN hier is ARNE= + + + j a w* {.} wollt ma anruf-n bei dir= +++ ja= + bist nich da= LACHT + ja n* dn* wir könn-n ja ma telefoniern morgn oda so, + alles klar tschau,

Der Student hatte die Absicht, mit seinem Kommilitonen zu telefonieren, wie er selbst sagt. Er hat nun erhebliche Probleme damit, dass das Telefongespräch nicht stattfindet und er ohne Dialogpartner sprechen muss. Er zögert, sein Gesprächsthema ohne Gegenüer zu eröffnen und beginnt zu stottern. An Stelle eines Themas spricht er nun Redundantes auf den AB - er sagt, dass er anrufen wollte und dass der Studierende abwesend war. Damit teilt er Dinge mit, die sich aus der Kommunikationssituation heraus erklären und nicht expliziert werden müssen. Danach zögert er erneut und lacht kurz in dem Moment, da er sich die Abwesenheit des Angerufenen vergegenwärtigt, bevor er Unverständliches produziert. Das Lachen des Studenten ist hier an keine Humoraktivität - etwa einen Scherz - gebunden. Da das Lachen unmittelbar auf die Feststellung, dass der Angerufene nicht da sei, folgt, vermute ich, dass er nicht damit umgehen kann, dass er die Kommunikation aufgenommen hat, obwohl er sein beabsichtigtes Gesprächziel nicht mehr erreichen kann. Er hat m.E. erhebliche Dialogprobleme. Hierauf weisen seine Verzögerungsaktivitäten hin. Das Lachen fällt mit diesen Problemen zusammen. Auch in (315) besteht ein Zusammenhang zwischen Dialogproblemen und Lachen: 25 26 27

Vgl. Jefferson (1979). Vgl. Jefferson (1985). Vgl. Kotthoff (1998: 107 und 322ff.).

317 (315)

+ ja leute {.) jetz {.} nehmt doch maab, + ich mein= + BELLA du bist doch bestimmt zu hause, ++ EINATMEN AUSATMEN mEI:ne gute. +++ hm, +++ dAnn wirds heute wohl nichts mehr' + gut dAnn: ++ ja, + LACHT + d(h)Ann: b(h)leibst wohl dabei dass wir uns nachher {.) sehn im salamanka,

Nachdem die Studentin überprüft hat, ob ihr jemand zuhört, stellt sie selbst fest, dass sie wohl kein Telefongespräch führen wird und leitet mit der Resümierungspartikel gut die Beendigung des Textes ein. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass Anrufer an diesen Stellen des Textes ohne Gesprächspartner häufig Probleme haben, weil sie die Beendigung des Textes nicht, wie vom Telefongespräch gewohnt, aushandeln können. Sie setzt hier zweimal dazu an, den Text zu beenden. Sie hat Probleme, den Text ohne Partner abzuschließen. Das Lachen hängt an dieser Stelle mit Dialogproblemen zusammen. Auf diesen Zusammenhang deutet auch (316) hin: (316)

da muss ich jetzt wohl allein losfahr-n,++ a: gut okE, + LACHT + θ: trotzdem η schönes wochnende un:d= ++ meld dich mal + tschau" 28

Auch hier lacht die Anruferin nach der Resumierungspartikel im Übergang zur Beendigung. Diese Studentin lacht also ebenfalls an einer Stelle des Textes, an der Anrufer oft Dialogprobleme haben. Grund für das Lachen kann hierbei sein, dass Anrufer Dialogprobleme mit Verzögerungsaktivitäten bearbeiten. Diese entfernen die Texte vom Ideal einer wohlgeformten kontinuierlichen sprachlichen Äußerung. Das Lachen tönt die Abweichung vom Ideal als nicht ernst gemeint ab. So lässt sich verhindern, dass der Hörer die stockende Sprechweise negativ bewertet und dem Sprecher dadurch Imageprobleme erwachsen. Darüber hinaus vermitteln Anrufer, die mit dem Sprechen ohne Dialogpartner nicht umgehen können, den Eindruck einer gewissen Hilflosigkeit. Möglicherweise lachen sie daher verlegen, wenn sie vor einer Dialogaufgabe stehen, die sie ohne Dialogpartner nicht erfüllen können. Im Bewusstsein ihrer Kommunikationsprobleme laden sie durch Lachen dazu ein, dass der Angerufene ebenfalls lacht, wenn er später das Band abhört. Das Lachen verleiht auch dem Eindruck mangelnder Übung den Anstrich des NichtErnsthaften. Die Probleme wirken dadurch weniger schwerwiegend und gesichtsbedrohend. Hierbei mag auch eine Rolle spielen, dass der wenig geübte Umgang mit einem Dialogproblem und das Wissen, ein Handlungsziel damit nicht erreicht zu haben, bei Anrufern ein Gefühl des Versagens hinterlässt. Aus einer angenommenen Bewertung ihres Scheiterns durch den Hörer können dann imageschützende Lachaktivitäten resultieren.

28

Vgl. auch 14, 31411.

318 Der folgende Text belegt diesen Zusammenhang zwischen einer misslungenen kommunikativen Handlung und dem Lachen: (317) jo moin, + hier is tlna aus dem LACHT scheiße. + ne: also a: kopien sind angekomm-n= + best-η dank un:d ja mehr brauch ich nich=

die

Die Studierende beginnt mit einer dialektalen Grußformel. Sie hat aber erst kürzlich den Studienort gewechselt und ist in eine norddeutsche Großstadt gezogen. Sie ist keine geübte Dialektsprecherin. 29 Die Studentin ahmt den Dialekt also nur nach, um eine komische Wirkung zu erzielen. Das Vorhaben misslingt aber. Offenbar reichen ihre Dialektkenntnisse nicht aus, um den Text dialektal fortzuführen. Sie lacht danach, weil ihr das Scheitern unangenehm ist. Hierauf deutet ihre markierte Bewertung hin. Sie forciert nun durch ihr eigenes Lachen, dass die Bekannte ihr Humorangebot mit Lachen ratifiziert und den Fehlschlag als Spaß abtut. 6.2.2 Humoraktivitäten Neben den Lachaktivitäten von Anrufern lässt sich in meinem Korpus beobachten, dass Anrufer auch mit Humor auf den AB sprechen. Unter Humor fallen so unterschiedliche konversationeile Aktivitäten wie Frotzeln, Blödeln, Sich-Mokieren, Scherzen etc. 30 Thimm/Augenstein verstehen Scherze als eine Form von „marked choice", die als Handlungen das Gespräch steuern und beeinflussen. Sie fassen Scherzen als eine Interaktionsmodalität auf und gehen mit Kallmeyer davon aus, dass jedem Gespräch eine Normallage zugrunde liegt, die durch das Scherzen durchbrochen wird, um einen „Modalitätswechsel" herbeizuführen. 31 Die Analyse hat darauf hingewiesen, dass Anrufer oft die Abwesenheit des Gesprächspartners oder den Ansagetext als abweichend bewerten. Anrufer, die sich dazu auf dem AB äußern wollen, haben die Wahl, in welcher Modalität sie dies tun möchten. Sie können dieses mit Humor oder wie der folgende Anrufer auf der Normallage behandeln: (318)

+ scheiss signAlton,++

Der Student ist ärgerlich, dass der gewünschte direkte Telefonkontakt nicht zustande kommt. Er bewertet den Signalton ohne Humor stellvertretend für die veränderte Kommunikationssituation und quittiert das Anspringen des Geräts mit einem Schimpfwort. 29 30

31

Ich habe den Hintergrund des Anrufs erfragt. Vgl. Christmann (1996), Sornig (1989), Thimm/Augenstein (1996), vgl. dazu die Begriffsdiskussion in Günthner (1996). Vgl. Thimm/Augenstein (1996: 222 und 225) und Kallmeyer (1995).

319 In mehreren Texten meines Korpus lässt sich beobachten, dass Anrufer fluchen, wenn Anrufer nicht erreichbar sind. 32 Vereinzelt ließ sich dieses derbe Verhalten auch in anderen Kontexten beobachten. So reagiert eine Anruferin heftig, weil der AB zuvor die Kommunikation beendet hat, bevor sie ihren Text beenden konnte. Ein anderer bezieht sich mit dem Schimpfwort auf die im Ansagetext gesteuerten Handlungen. 3 3 Auch die Studentin in (319) bewertet den Ansagetext auf der Normallage ohne Humor direkt und impulsiv: (319)

diese ansage is ia echt.... bescheuert. +

Direkte Reaktionen wie diese waren während der Untersuchung die Ausnahme. Meist haben es Anrufer wie die folgende Studentin auf die ein oder andere Weise verstanden, eine registrierte Abweichung mit einer vermeidenden Strategie zu bewältigen: (320)

+ es ist echt nicht zu ßlAIJh-n wie wir aneinander vorbEItelefonieren. +

Sie ist entrüstet, dass ihr Kommilitone nicht erreichbar ist. Sie bezieht ihn in der ersten Person Plural in ihre Selbstkritik mit ein. Sie greift ihn zwar an, mildert dies aber ab, indem sie sich eine Mitschuld zugesteht. Im Ansatz ist dieses also eine Vermeidungsstrategie. Eine vermeidende Lösung belegt auch (321): (321)

+ also dein Anrufbeantworter kAnn mich mal. + wann biste denn endlich mal dA' +

Der Student bemängelt, dass er seinen Kommilitonen (wohl wiederholt) nicht erreichen kann, beschimpft aber das Gerät und vermeidet es so, diesen direkt anzugehen. Da er indirekt vorgeht, indem er das Gerät beschimpft, ließe sich dies etwas großzügig noch als Scherz auffassen. Allerdings klingt er auf dem AB verärgert. Zudem wählt er eine stark umgangssprachliche und äußerst markierte Formulierung und stellt durch das Possessivpronomen den direkten Bezug zum Angerufenen her - die Beleidigung bewertet diesen daher zwar indirekt, ist aber von offener Aggression nur wenig entfernt. Eine vergleichbare Vermeidungsstrategie verfolgt die Rentnerin in (322): (322)

+ das ist jetzt das letzte mal dass ich anrufe. + ich habe es satt von einen anrufbeantworter= + behandelt zu werd-n= ++ wie ein= + wie eine nUmmer. ++

Die Anruferin droht ihrer Enkelin zunächst direkt Sanktion an, da sie ankündigt, künftig nicht mehr anzurufen. Gleichzeitig macht sie den AB aber zum

32 33

Vgl. auch 88, 138, 140, 161. Vgl. auch 118 und 258.

320 Adressaten ihres Ärgers und kritisert die Studierende damit indirekt. Sie vermeidet zu sagen, dass sie es satt hat, von ihr wie eine Nummer behandelt zu werden. Die folgende Studentin weicht der direkten Kritik ebenfalls aus: (323)

+ ich hAsse quAtschmaschinen= +

Die Studierende sagt nicht, dass sie den Kommilitonen nicht mag, weil dieser einen AB nutzt. Sie zentriert ihren Ärger auf das Gerät und vermeidet damit eine direkte Kritik am Angerufenen, weil dieser für kein Telefongespräch verfügbar ist. (318) bis (323) belegen, dass sich Anrufer scheuen, Abweichungen in Form direkter Kritik an der Person des Angerufenen festzumachen. Lediglich die Anruferin in (319) übt direkte Kritik. Die anderen weichen mit dem Gerät und dem Ansagetext auf Stellvertreter aus. Sie tun dies allerdings ohne erkennbare Humoraktivität und signalisieren damit, dass sie es mehr oder minder ernst meinen. Dagegen bewältigt die folgende Anruferin mit Humor, dass sie auf den AB spricht, weil der Gesprächspartner nicht verfügbar ist: (324)

+ hei schnuckl heute is der fiinfundzwanzichste septEmba, + und da ich grad irgendwie gescheitert bin= + bei All-η möglich-n leut-n Anzuruf-n, + erzähl ich jetzt euerm Anrufbeantw(h)ort(h)er LACHT EINATMEN Also, + 34

Die Ingenieurin teilt der Diplomökotrophologin scherzhaft mit, nun dem AB etwas zu erzählen, da sie zuvor keinen Gesprächspartner zum Telefonieren erreicht hat. Sie begleitet ihren Scherz zuerst mit lachähnlichen Partikeln und schließt die Sequenz lachend ab, wodurch sie m.E. zum Mitlachen animieren will, da sie den Scherz wohl als nicht lustig genug empfindet und ein Lachen der Freundin somit anschieben will. 35 In (324) ist der Moduswechsel gut zu beobachten. Die Anruferin beginnt auf der Normalebene mit dem Gruß und der Angabe des Datums. Danach legitimiert sie scherzhaft ihren Anruf und wechselt die Modalität. Nach einer Pause leitet sie mit der Partikel also36 ihr eigentliches Thema ein. Die Anruferin betont die Partikel auf der ersten Silbe besonders. Sie signalisert dadurch verstärkt, dass sie sich nun ernsthaften Dingen zuwendet und auf die Normallage zurückkehrt. Sie hat die Normallage wohl überhaupt verlassen, weil ihr Anruf nach mehreren Fehlversuchen nun nicht in ein .normales' Telefongespräch mündet. Mit dem grundlegenden Wechsel des Mediums geht hier also auch ein Modalitätswechsel einher, der der Anruferin hilft, die vom Erwarteten abweichende Kommunikationssituation zu bewältigen. 34 35 36

Vgl. auch 158. Vgl. dazu Werner (1983: 230). Zur Partikel also vgl. Quasthoff (1979: 51 f.), Sandig (1979: 88), Willkop (1988: 136ff.).

321 Die Analyse hat zu Beginn des Kapitels bereits darauf hingewiesen, dass Anrufer die Situation ohne Dialogpartner auch dadurch zu lösen versuchen, dass sie das Gerät direkt adressieren. (325) weist darauf hin, dass der Anrufer dieses im Scherz tut: (325)

+ hallo anrufbeantworter von BEN, EINATMEN a:m: ich wollte dich eigentlich nur frag-n wie deine ffemsehshow war= + BEN= + 3 7

Der Student begrüßt den AB und nicht dessen Besitzer. Danach spricht er pronominal aber den Angerufenen an. Er unterstreicht dies, indem er der indirekten Frage dessen Namen nachstellt. Bei dem Gruß an den AB handelt es sich um eine Parodie. Die Parodie „geht von einem Vortext aus und wendet sich an Kenner dieses Vortextes, ist also inhaltlich und vor allem formal [...] auf die Äußerung eines anderen Sprachbenutzers bezogen." 3 8 Der Anrufer bezieht sich auf den Ansagetext, in dem die Selbstidentifikation des Angerufenen die Form einer Selbstidentifikation des Gerätes annimmt: Dies ist der automatische Anrufbeantworter von Ben. Der Anrufer bewältigt parodistisch die Tatsache, mit dem AB des Freundes zu sprechen und adressiert dabei im Scherz den AB. Auch (326) belegt eine Humorstrategie: (326) ja, + das wars fürs erste,, ++ a: + bis demnächst= ++ auf dIEsa wEllenlänge, + oda so ähnlich,, M.E. hat auch diese Anruferin am Ende ihres Textes Dialogprobleme und bearbeitet diese mit Humor. Die Studentin verabschiedet sich sehr unkonventionell nicht durch ein tschüss oder ein auf Wiederhören, sondern mit einem Begriff aus der Radio- oder Funkersprache. Sie relativiert dies aber und zeigt damit, dass sie es nicht ernst meint. Damit verlässt sie die Normallage und wechselt in die Scherzmodalität. Mit Humor bewältigt die Anruferin hier die für die Beendigung eines Anrufertextes typischen Dialogprobleme. Die Texte (325) bis (326) belegen, dass Anrufer den fehlenden Dialogpartner während des Sprechens als Abweichung vom Telefongespräch wahrnehmen und dass sie diese Abweichung, sofern sie ihnen Probleme bereitet, mit Humor bewältigen. Die Humoraktivitäten haben hier also eine den Lachaktivitäten ähnliche Funktion. Anrufer vermeiden so, dass ihr Image durch Dialogprobleme bedroht wird, die sich während des Sprechens auf den AB ergeben können. Es lässt sich weiterhin beobachten, dass Anrufer das Fehlen des Gesprächspartners bereits zu Beginn des Textes als Abweichung markieren und diese mit Humor bearbeiten, wenn sie wohl ein Telefongespräch erwartet haben:

37 38

Vgl. auch 416; vgl. zudem die Scherzadressierung des AB in Dubin (1987: 30). Sornig (1989: 452).

322 (327)

++ wo treibst du dich denn rum hier' + θ: ++ meinst du nicht du solltest zu hause sein und dem telefon lauschen' +++ statt a:: + das magnetband + θ: zu befragen' ++ LACHT tschüss,

Der Steuerberater parodiert hier zunächst den Ansagetext, der mit der folgenden verschlüsselten Handlungssteuerung endet: Meint ihr nicht ihr könntet selbstredend Magnetfeldern Worte stanzen? Ihr solltet! Die weiteren Humoraktivitäten lassen sich in diesem Text sehr unterschiedlich interpretieren. Vielleicht zögert er nach der Frage, weil er die Abwesenheit des Studierenden zuvor als Rumtreiberei bezeichnet und nun eine Formulierung plant, die dies abfedert. Schließlich ist er der Steuerberater des Angerufenen, und dieser stuft ihn gerade einmal als Bekannten ein, sodass der Anrufer hier möglicherweise die Grenze dessen überschritten hat, was unter Bekannten akzeptabel ist. Die Parodie kann sich also auf die etwas forsch gestellte Frage beziehen. Die gesamte Scherzsequenz kann allerdings auch einfach der Abwesenheit des Studierenden Rechnung tragen, die der Berater durch eine Parodie bewältigt. 39 Auch der folgende Text beginnt mit einer Parodie: (328)

+ na ihr zwei Alkis' + schon wieder unterwegs' +

Die Studentin bezieht sich auf die ,Rühmann-Parodie' im Ansagetext. Dort wird die Abwesenheit scherzhaft damit begründet, dass der Angerufene gerade dabei ist, das Problem der alkoholischen Gährung zu untersuchen. Sie Ubertreibt, indem sie die Adressaten wegen des Ansagetextes als Alkis bezeichnet und macht damit einen Scherz, den sie diminuitiv abmildert. Sie kritisiert vorsichtig, dass sie niemand erreicht und kleidet dies, wie auch der folgende Anrufer, in kosende Schelte: (329)

+ und is ungefähr= + θ: zehn vor eins EINATMEN +und ihr alt-n schlafsäcke liegt imma noch im bett na los aufstehn jetz, ++ meine tOchter will mit euch telefonier-n,

Der Verwaltungsfachmann vermutet, dass seine Schwester und deren Partner zur Mittagszeit (ca. 12.50 Uhr) noch schlafen und fühlt sich dadurch legitimiert, beide über den Lautsprecher des Gerätes zum Aufstehen aufzufordern und macht dies mit Humor. Er erzielt eine komische Wirkung, da er die Adressaten mit Ihr alten Schlafsäcke anredet. Schlafsack hat üblicherweise keine übertragende und zur Beschreibung von Personen gebräuchliche Bedeutung wie z.B. Schlafmütze. Da Schlafsack hier aber in dem Verwendungskontext von Schlafmütze steht, wirkt dies komisch. Witzig ist auch, dass der Anrufer angibt, dass seine Tochter telefonieren möchte. Diese ist aber vermutlich zu jung, um ein Telefongespräch führen zu können. Dies belegen kleinkindtypische Laute, die im Setting des Anrufs zu hören sind. 39

Das abschließende Lachen lässt sich hierbei erneut als Lacheinladung auffassen.

323 Wie die beiden vorherigen Anrufer akzeptiert auch der Anrufer in (329) die Kommunikationssituation nicht. Die Analyse belegt, dass Anrufer es mit Humor nehmen, wenn der AB sie in eine von ihren Erwartungen abweichende Kommunikationssituation versetzt. Durch den Modalitätswechsel bemängeln Anrufer lediglich indirekt, dass der Angerufene selbst telefonisch nicht verfügbar war. Sie vermeiden damit Probleme (spätere Hörersanktionen), die ihnen eine explizite Korrektur bereiten könnte. Diese Beobachtungen lassen sich mit den Bewertungen von Ansagetexten fortsetzen. Die Analyse hat bereits darauf hingewiesen, dass sich Anrufer zu Beginn ihres Textes spontan auf den Ansagetext beziehen und ihn dabei ohne Bewertung parodieren oder Kritik daran üben. 40 Es lässt sich weiterhin beobachten, dass Anrufer ihre spontane Kritik wie in (330) mit Humor äußern: (330)

mEInt Ihr nicht wir könnten uns verpOlden. + auf vIBrzig sprossen für unters volk gebrachte massen vIEle mOnde thrOnEn" ++ wir kÖnnt-n. + aber.. ++ (GERÄUSCH) ++ mEInt ihr nicht ihr könntet selbstredend magnEtfeldem wOrte stanzen' ++ ihr sOlltet. +

fi + LACHT meinst du nicht du solltest die leute nicht immer so düpIEren' +++ Der Steuerberater beginnt den Text mit einem kräftigen, länger anhaltenden Lachen. Danach fragt er den Studierenden, ob es nicht besser wäre, seine Anrufer nicht immer derart zu düpieren. Er bezieht sich damit auf den kreativen Ansagetext. Formal gleicht er seine Frage an die im Ansagetext gestellten Fragen an und parodiert sie damit. Auch der folgende Anrufer geht mit Humor auf denselben Ansagetext ein: (331)

+ na BEN' + haste (ne) neue deines Iebens=/ + ne neue phase deines lebens begonnen' ++

Der Studierende fragt hier spöttisch nach einem Wandel im Leben seines Freundes und reagiert damit wohl auf den neuen Ansagetext. Indem der Student aus dem Text auf Veränderungen im Leben des Kommilitonen schließt und diese auch noch zu einer neuen Lebensphase überhöht, übertreibt er, sodass seine Frage komisch wirkt. 41 Handlungsweisen wie in (330) und (331) lassen sich mit Günthner als ,.Frotzelaktivitäten" 42 bezeichnen. Nach Günthner muss die Frotzeläußerung „im richtigen Moment auftreten und auf situativ-lokale Phänomene schlagfertig Bezug nehmen." 43

40 41

42 43

Vgl. 63,70, 90. Die Übertreibung ist eine typische Frotzeltechnik; vgl. die Analysen in Günther (1996: 85ff ). Vgl. Günthner (1996); vgl. auch Kotthoff (1998: 112ff.). Günthner (1996: 85).

324 Frotzelaktivitäten haben die Aufgabe, als abweichend empfundene Verhaltensmomente oder Eigenschaften des Gegenübers kritisch oder provokativ vorzuführen, ohne beleidigend zu werden oder soziale Interaktionskonventionen brechen und interaktive Sanktionen in Kauf nehmen zu müssen. Als eine Art soziale Reparatursequenz sind sie zwar prinzipiell gesichtsbedrohende Sprechhandlungen. Sie werden jedoch gleichzeitig durch ihre Spielmodalität abgefedert. 44 Dieses belegt auch (332): (332)

+ ja hallo frau BELZ, ich hab schon lAnge nichts mehr von ihn-n gehÖrt= + würd mich ma freun wenn de dich ma meldest ja" +

Der Student eröffnet seinen Text in der Spielmodalität und adressiert die Betriebswirtin mit Frau und ihrem Nachnamen sowie in der dritten Person Plural. Zudem spricht er sie in einem vollständigen Satz an. Danach wechselt er die Modalität, redet sie persönlich in der zweiten Person an und lässt weniger förmlich auch das Subjekt des Satzes aus. Da beide miteinander befreundet sind, gehe ich davon aus, dass er anfangs spielerisch auf den Ansagetext reagiert und frotzelt, indem er seinen Text übertrieben förmlich eröffnet. Auch die Anruferin in (333) nutzt das Mittel der Übertreibung: (333)

+ ich bins, + ich wollt mir noch ma den spruch anhör-n, + haste aber schÖ::n vorgetragen, + und jede Endsilbe noch ord(h)entlich bet(h)Ont" + LACHT

Anlass für die Frotzelaktivitäten ist hier ebenfalls der förmliche Ansagetext, den die Betriebswirtin betont deutlich und akzentuiert gesprochen hat. Die Diplomkauffrau übertreibt, indem sie die Sprechweise der Diplomkauffrau zu einem Vortrag überhöht. Neben diesem lexikalischen Mittel nutzt sie auch artikulatorische Mittel der Übertreibung. So dehnt sie das Adverb sehr in die Länge und übersteigert es dadurch. Darüber hinaus artikuliert sie in ordentlich betont die /t/-Laute überspritzt deutlich und behaucht sie affektisch. Sie übertreibt hier und macht sich dadurch über den förmlichen Ansagetext lustig. Sie signalisiert dadurch auch, dass sie das Gegenteil von dem meint, was sie sagt. Sie findet diese Art Text nicht schön. Sie tadelt, indem sie lobt. Dies ist auch ein Merkmal für Humor und auch für Ironie. 45

44 45

Vgl. Günthner (1996: 85 und 91). Vgl. Groeben (1986: 176), Lapp (1992: 4).

325 6.2.3 Ironieaktivitäten Humor und Ironie liegen - wie der vorangegangene Text belegt - oft dicht beieinander. Härtung stellt fest, dass schon die antiken Rhetoriker die erheiternde Wirkung von Ironie hervorgehoben haben. 46 In der Forschung wird Ironie oft als eine Form von Humor betrachtet. 47 Härtung weist darauf hin, dass es schwierig sei, Humor und Ironie zu trennen, betont aber, dass es für eine präzise Analyse sprachlicher Interaktion unabdingbar sei, zwischen beidem deutlich zu unterscheiden. 48 Kotthoff sieht die besondere Leistung von Ironie darin, eine Bewertungskluft aufzuzeigen. Mit Härtung teilt sie die Ansicht, dass es sich bei Ironie um Bewertungskommunikation handelt und dass der ironietypische Gegensatz einer der Bewertung ist. 49 In meinem Korpus reagieren Anrufer ebenfalls mit Ironie, wenn sie eine Abweichung vom Erwarteten bemerken und negativ bewerten. Einen ersten Hinweis hierfür hat der vorangegangene Text der Diplomkauffrau bereits ergeben. Die Anruferin bedient sich lexikalischer und artikulatorischer Mittel, um zu übertreiben und dadurch eine komische Wirkung zu erzielen. Derart übertrieben ist die Äußerung aber nicht nur in hohem Maße unglaubwürdig, sondern auch ironisch. 50 In der Forschung wird die Frage kontrovers diskutiert, wie gesichtsbedrohlich Ironie ist. Auf der einen Seite wird Ironie als aggressiv bezeichnet. Auf der anderen Seite wird die Ansicht vertreten, ironische Kritik sei weniger gesichtsbedrohend als direkte und sogar höflich. 51 Angesichts fehlenden rückkoppelnden Verhaltens lassen sich in meiner Untersuchung keine Aussagen darüber machen, wie eine ironische Äußerung auf einen Anrufer wirkt. Ich kann daher grundsätzlich nur vermuten, ob ein Hörer durch eine ironische Äußerung amüsiert oder brüskiert wird. Kotthoff stellt fest, dass Ironie auch auf freundliche Weise kommuniziert werden kann. Sie bezeichnet Ironie als scherzhaft, wenn diese unkonventionell ist und einen witzigen Rahmenbruch enthält. Danach genießen Ironie-Adressaten Ironie am ehesten, wenn sie auf freundliche Weise Differenz kommuniziert. 52 46 47

48 49 50

51 52

Vgl. M. Härtung (1998: 167). Vgl. Schütte (1991); auch Tannen (1984: 131-143) behandelt Ironie und Humor gemeinsam. Vgl. M. Härtung (1996: 114). Vgl. Kotthoff (1998: 336); vgl. dazu M. Härtung (1998: 161ff.). M. Härtung (1998: 174f.) weist daraufhin, dass Sprecher ein Repertoire an Möglichkeiten nutzen, die nicht speziell der Ironie vorbehalten sind. Diese zielen darauf ab, eine Äußerung besonders auffällig oder „abweichend" zu machen. Zu diesen abweichenden Markierungen zählt Härtung den Tonhöhenumfang sowie Hervorhebungen durch Betonungen und Dehnungen. Vgl. die Diskussion in Kotthoff (1998: 334ff.). Vgl. Kotthoff (1998: 337).

326 Ich vermute daher, dass die Ironie in (333) kaum als aggressiv aufgefasst werden dürfte. Die Anruferin ist ganz im Gegenteil sehr bemüht, die Ironie als Scherz zu kommunizieren. Sie streut in die Ironiesequenz lachähnliche Partikeln ein und schließt diese mit einem kurzen Lachen ab. Dieses Lachen soll unterstreichen, dass die Kauffrau trotz ihrer ironischen Äußerung immer noch einen Scherz macht. Sofern von der ironischen Äußerung also überhaupt eine imageverletzende Wirkung droht, tönt sie diese zumindest sehr ab. Ich schließe sogar nicht aus, dass die Intensität des Lachens hier jegliche Gefahr für das Image der Freundin abwehrt. Auch in (334) spielt das Lachen für die ironische Wirkung eine wichtige Rolle: (334)

ich freu mich jedes mal über diese schöne Ansage= + ist echt gelung-n= LACHT

Das Lob der Anruferin ist hier ebenfalls ironisch gemeint. Hierfür spricht, dass sie das Adjektiv besonders hervorhebt und ihr Lob mit dem Zusatz ist echt gelungen steigert. Ihr Lachen federt die ironische Äußerung aber ab. Sie unterstreicht damit, dass sie einen Scherz machen möchte und vermeidet so, dass ihre Äußerung das Image des Studierenden zu sehr angreift. (335) steht dagegen im Kontrast zu den beiden vorangegangenen Texten: (335)

+ hallo anrufbeantworter= + was für eine nEtte Überraschung + 9:m könntest du BEN bitte ausricht-n dass er ANKE mal zurückruf-n soll' + das wäre äußerst nett, + tschüss'

Die Anruferin bezeichnet die Tatsache, mit dem AB ihres befreundeten Kommilitonen verbunden zu sein, als eine nette Überraschung. Sie sagt hier sehr wahrscheinlich das Gegenteil von dem, was sie denkt. Diese Vermutung lässt sich anhand anderer Texte von ihr stützen: (336)

ja ansonstn is eigenlich auch nich viel neues, + ausser dass ich dich mal

wieda nich erreiche= (337)

es ist wirklich gar nich so lEIcht mit dir persönlich zu sprech-n. + das

muss ich immer wieder fEststellen. Die Texte (336) und (337) stammen ebenfalls von der Studentin in (335). Sie gehört zu den regelmäßigen Anrufern. Die Texte belegen, dass sie ihren Kommilitonen oft nicht erreicht. Sie ist es offenbar gewohnt, dass sie auf dessen AB sprechen muss. (336) weist dem Hören nach zudem darauf hin, dass sie dies enervierend findet. In (337) klingt sie sogar etwas verärgert. Daher dürfte es sich in (335) für die Studierende kaum um eine Überraschung handeln, dass ihr Kommilitone telefonisch nicht erreichbar ist. Daher findet sie es wohl auch nicht ,nett\ wieder einmal auf dessen AB zu sprechen, sie meint ironisch das Gegenteil davon. Bei der Äußerung was für eine nette Überraschung handelt es sich m.E. um stark konventionalisierte Ironie, die

327 den bei Kotthoff angeführten Ironiebeispielen „Feine Freunde hab ich da" bzw. „Schönes Wetter heute" ähnlich kaum spaßig ankommen dürfte. 53 So gesehen bekommt auch der vorherige Scherz - die Studentin adressiert den AB - einen Beigeschmack. Sie reagiert auf die gebotene indirekte Kommunikation mit einem ebenfalls indirekten Kommunikationsangebot, indem sie die Kommunikation übermittelnde Funktion des Gerätes hervorhebt. Sie begegnet der Distanz damit, dass sie sich selbst distanziert. Wie in (335) handelt es sich m.E. auch in (338) um konventionalisierte Ironie: (338) + LACHT ++ oke: + ha+ BEN (.} wenn du schon {.} völlig weg bist, ++ denn EINATMEN {.} wünscht dir ANKE {.} Echt η: {.} gut-n {.} start {.} in HAMBURG, + oke also machs gut, + wou„ + echt, + hOchintressanter spruch, + tschau, Mit der Äußerung hochinteressanter Spruch sagt die Studierende hier m.E. nicht, dass der Ansagetext sehr interessant ist. Vielmehr meint sie damit, dass ihr der Ansagetext merkwürdig vorkommt, denn sie übertreibt ihre Bewertung: Durch das betonte Präfix hoch-, das Adverb echt und die Interjektion wow verstärkt sie den Ausdruck so weit, dass bezweifelt werden kann, dass ihre Äußerung im wortwörtlichen Sinne verstanden werden soll. Sowohl ihr Lachen zu Beginn als auch ihre stockende Sprechweise deuten darauf hin, dass sie Kommunikationsprobleme hat. Ihr Lob ist daher wohl nicht ernst, sondern reaktiv auf ihre Probleme sehr ironisch und kritisch gemeint. Sie bemüht sich nicht um freundliche Ironie, lacht nicht und gibt auch sonst keinerlei Hinweis darauf, dass sie es scherzhaft meint. Sie verzichtet darauf vielleicht, weil der Angerufene ihrer Vermutung nach bereits verzogen ist und sie in dessen ehemaliger Wohnung künftig nicht mehr anrufen wird. Sie kann sich die Ironie (eine ,spitze' Bemerkung) leisten, da sie kaum befürchten muss, dass sie später einmal in eine Situation kommen wird, in der ihr Handeln Sanktionen nach sich zieht. Ironie kann Kritik abschwächen, diese aber auch verstärken und den Dissens hervorheben. 54 Dies belegen auch die Texte (333) bis (335) und (338), in denen die Ironie unterschiedlich freundlich ist. Nach dem Grad ihrer Ernsthaftigkeit, variiert in den Texten auch das gesichtsverletzende Potenzial der Ironie. 55 Während die Anrufer (335) und (338) das Image des Angerufenen bedrohen, markiert die Ironie in (333) und (334) eine Bewertungskluft auf scherzhafte Weise. Die Anruferin arbeitet freundlich daraufhin, dass eine spätere Hörersanktion ausbleibt. Wie ein Scherz ist damit auch die scherzhaft dargebotene ironische Äußerung eine Vermeidungsstrategie. 53 54 55

Vgl. dazu Kotthoff (1998: 337). Vgl. M. Härtung (1998: 186). Darin bestätigt sich die Auffassung Kotthoffs (1998: 334), die Generalaussagen, nach denen Ironie aggressiv oder höflich ist, für unbegründet hält.

328 Die Analyse zu Humor- und Ironieaktivitäten belegt, dass Anrufer aus einem großen Fundus von Bewertungsmöglichkeiten schöpfen, um dem Angerufenen eine wahrgenommene Abweichung zu kommunizieren. Sie können dies auch graduell - direkt und indirekt tun. Anrufer, die Abweichungen durch Kritik bewältigen und diese ohne Umschweife direkt vermitteln, gehen ein hohes Konfliktrisiko ein. Sie nehmen verstärkt in Kauf, im Falle einer Anschlusskommunikation - einem späteren Telefongespräch z.B. - zunächst einmal Uber die von ihnen gewählte Bewältigungsvariante sprechen zu müssen. Denkbar ist aber auch, dass der Angerufene wegen einer direkt geäußerten Kritik den Anrufer weit härter sanktioniert, indem er nicht zurückruft. Anrufer weichen Konflikten aber aus, indem sie eine Abweichung indirekt bearbeiten und die Modalität wechseln. Norrick legt dar, dass auch Scherzaktivitäten aggressiv sein können. Er betont zugleich: „Still the aggression most speakers direct at their listeners in joking does not rate very high on the scale of aggressive acts." 56 Daraus schließe ich, dass Sprecher aus einem Kontinuum von Möglichkeiten sprachliche Merkmale wählen und mischen können und damit unterschiedliche Variationen z.B. einer Humormodalität konstituieren. Sprecher besitzen damit ein Instrumentarium, mit dem sie abgestuft und nuanciert sprachlich handeln können. So kann in Scherzaktivitäten in unterschiedlichen Graden Ironie eingesponnen sein, und Ironie kann scherzhaft vermittelt werden. Ironie kann aber auch auf den Scherz verzichten und eine Abweichung damit mit mehr Ernst und Konfliktpotenzial markieren. Trotz der hier ebenfalls beobachteten konfliktträchtigen Lösungen habe ich den Eindruck, dass Anrufer eher zu vermeidenden Strategien greifen, wenn sie eine Bewertungskluft zwischen der erwarteten bzw. erwünschten und der erhaltenen Kommunikation feststellen und dies den Angerufenen mitteilen möchten.

6.3 Z u s a m m e n f a s s u n g und Diskussion Die Analyse hat zahlreiche Belege dafür anführen können, dass Anrufer Probleme in der AB-Kommunikation durch vermeidende Lösungen bewältigen. Es handelt sich dabei um sehr unterschiedliche Strategien, die sich nur grob als aktive und passive Strategien kategorisieren lassen. Vollkommen passiv verbleiben Anrufer, die Kontakten mit dem Medium generell aus dem Weg gegen. Anrufer, die den Telefonhörer auflegen, wenn ihr Anruf von einem AB beantwortet wird, weichen möglichen Problemen in der Kommunikation aus, die ihr Image bedrohen könnten. Dies kann mangelnder Übung wie kommunikativer Erfahrung geschuldet sein. 56

Norrick (1994: 411).

329 Eine zunächst ebenfalls nur passive Vermeidungsstrategie verfolgen auch die Anrufer, die zunächst auflegen und Probleme außerhalb der Kommunikationssituation bearbeiten, um die Lösung in einem unmittelbar folgenden Anruf zu präsentieren. Aus methodischen Gründen kann die Analyse aber keine genauen Angaben dazu machen, welche Probleme Anrufer im Einzelnen zu passivem Vermeiden bringen. Die Untersuchung kann aber belegen, dass Anrufer Problemen in der Kommunikation mit aktiven Vermeidungsstrategien begegnen. So lässt sich beobachten, dass Anrufer Probleme vermeiden, die sich aus der Speicherfunktion der Geräte ergeben können. Einer dadurch ermöglichten Mehrfachadressierung und verminderten Privatheit ihres Textes können sie dadurch Rechnung tragen, dass sie kein Thema auf den AB sprechen. Die Analyse hat darauf hingewiesen, dass Anrufer Themen vermeiden, wenn das Medium dem Thema nicht angemessen ist. Anrufer vermeiden es darüber hinaus, Themen auf den AB zu sprechen, die sich nur gemeinsam mit einem Dialogpartner abhandeln lassen. Probleme der Angemessenheit und Dialogbedürftigkeit des Themas können Anrufer durch einen kurzen Kontakttext ohne einen thematischen Teil ausweichen. Dieser schafft allerdings neue Probleme, da der Angerufene nichts über den Grund des Anrufs erfährt und seinen Rückruf nicht vorbereiten kann. Obwohl die Möglichkeit zu dieser Vermeidungsstrategie besteht, gehen Anrufer das Risiko z.B. eines Themas ein, das einen Dialogpartner erfordert und bekommen an sprecherwechselrelevanten Stellen ihres Textes Dialogprobleme, die sie allerdings auch mit Vermeidungsstrategien bearbeiten können. Scheitert der Versuch, die Kommunikation ohne Partner zu bewältigen, reagieren Anrufer verlegen. Verlegenheit hat nach Goffman „etwas mit der mehr oder weniger guten Figur, die jemand macht, zu tun: vor den Augen jener anderen, die man für präsent hält." 57 Mündet das Sprechen auf einen AB mangels Dialogpartner in ausgeprägte Verzögerungsaktivitäten, bedroht dieses das Image des Sprechers. Lachend und mit Humor können Anrufer den Eindruck von Versagen und mangelnder Sprachkompentenz in diesem Medium jenseits der Normallage der Kommunikation als unernst markieren und den Hörer im Dienste des eigenen Image zum Mitlachen einladen. Sie können dadurch die Wahrscheinlichkeit verringern, dass ihr Handeln negativ bzw. nicht positiv genug bewertet wird. Anrufer berücksichtigen durch Vermeidungsstrategien nicht nur, dass ihr Sprechen und damit sie selbst bewertet werden könnten. Sie neigen auch selbst oft zu Bewertungskommunikation und dabei auch zu vermeidenden Strategien. Bewertungsgegenstand sind in Anrufertexten regelmäßig die Abwesenheit des Gesprächspartners und Merkmale des Ansagetextes. 57

Goffman (1994: 107).

330 Wenn der Angerufene unerwartet nicht für ein Telefongespräch verfügbar ist oder der Ansagetext vom Erwarteten abweicht und dieses bewertet werden soll, tendieren Anrufer zu einem Modalitätswechsel. Anrufer können diese Abweichungen mit Humor und scherzhafter Ironie bewältigen und vermeiden dadurch, das Image des Angerufenen zu bedrohen. Sie wirken damit gleichzeitig möglichen Hörersanktionen entgegen, die ihnen aus direkter Kritik bzw. aggressiven Scherz- und Ironieaktivitäten erwachsen könnten. Es ließ sich weiterhin beobachten, dass sich Anrufer oft bereits zu Beginn ihrer Texte lobend oder tadelnd mit Humor, Ironie und auch direkter Kritik zum Ansagetext und zu der Abwesenheit des Angerufenen äußern. Dieses deckt sich mit der Analyse von Lange, die feststellt, dass sich diese von ihr als „Kommentare" bezeichneten Sequenzen im Text zwar frei bewegen können, oft aber an Stelle einer konventionellen Eröffnung am Anfang der Texte geäußert werden. Lange diskutiert die Funktion dieser Sequenzen. Sie kritisert die Auffassung Miller-Spelmans, der Kommentare der Botschaft des Textes zuordnet 58 , stellt aber ebenfalls lediglich fest, dass sie dazu da seien, Missfallen über die Kommunikationssituation zu kommunizieren. 59 Angesichts ihrer hervorgehobenen sequenziellen Position gehe ich dagegen davon aus, dass sich die Funktion von Humor und Ironie zu Beginn von Anrufertexten nicht allein darin erschöpft, möglichst gesichtsschonend eine Bewertungskluft anzuzeigen. Sornig hat z.B. beim Blödeln beobachtet, dass es vor allem Einleitungsfloskeln, Grußformeln, Abschiedsmanöver und ähnliche Stereotype und Ritualien sind, die verblödelt werden und stellt fest, dass das Blödeln dort phatische Funktion hat. 60 Provokante Sprechaktivitäten sind in Freundschaftsbeziehungen an der Tagesordnung. Freundschafts- und Familienbeziehungen rekonstruieren sich als Intimbeziehungen gerade dadurch, dass auf markierte Höflichkeit oft verzichtet wird. 61 Wenn Anrufer ihren Text also mit einer ironischen oder witzigen Bemerkung beginnen, signalisieren sie damit nicht unbedingt Korrekturabsichten. Dies kann auch bedeuten, dass sie damit ein bestimmtes soziales Verhältnis demonstrieren und bestätigen. Selbst eine pseudoaggressive Frotzelei wie Ihr alten Schlafsäcke62 kann daher als kosende Schelte verstanden werden, die eine „unverbrüchliche Verstehensgemeinschaft" 63 mit dem Angerufenen signalisieren soll. 58 59 60 61 62

63

Ähnlich auch Knoblauch (1995: 202); vgl. dazu Miller-Spelman (1992: 269). Vgl. I. Lange (1998: 83). Vgl. Somig (1989: 453). Vgl. Kotthoff (1998: 346). Das Adjektiv alt kann in solchen Frotzeleien sowohl Vertraulichkeit signalisieren (vgl. 363) als auch verstärkend auf negative Personenbezeichnungen wirken (vgl. 56, 317); vgl. dazu Drosdowski (1988: 50). Somig (1989: 457).

331 Vieles deutet m.E. darauf hin, dass Humor- und Ironiesequenzen am Anfang von Anrufertexten zum Begrüssungsritual tendieren, da sie in der Eröffnung die Stellen besetzen, die oft von Gruß und Selbstidentifikation (die man als Überbleibsel des telefonischen Eröffnungsrituals bezeichnen könnte) besetzt werden. Für den Ritualcharakter dieser Aktivitäten spricht zudem, dass sie mitunter vorwiegend symbolische Bedeutung haben. Dieses gilt m.E. vor allem für die Aktivitäten, die sich auf den Ansagetext beziehen. Sicherlich kann eine witzige oder ironische Äußerung zu dessen textuellen Merkmalen auch ein korrektives Ziel haben. Dies belegt z.B. die Kritik des Steuerberaters in (331,): Meinst du nicht, du solltest die Leute nicht immer so düpieren? Er weist seinen Klienten damit auf mögliche Probleme hin, die Anrufer wegen seines sehr verschlüsselten Ansagetextes haben können. Seine pädagogisch formulierte Kritik ist aus der sozialen Verantwortung für andere Anrufer motiviert, die den Ansagetext als Zwischenfall bewerten könnten. Allerdings lässt sich auch beobachten, dass der Ansagetext den Steuerberater in hohem Maße amüsiert. Ihm selbst bereitet der Text keine Schwierigkeiten, obwohl sich der Studierende (vor allem) weder mit Namen oder Telefonnummer identifiziert. Vertraute, befreundete und gut bekannte Anrufer können den Sprecher eines Ansagetextes meist zumindest anhand der Stimme identifizieren. Wie gezeigt sind es aber gerade diese Anrufer, die sich mit Witz und Ironie kritisch äußern. Da die Gestaltung des Ansagetextes die Kommunikation für diesen Personenkreis nur dann gefährdet, wenn keine Stimmidentifikation mehr möglich ist, gehe ich davon aus, dass eine Ansagetext-Kritik z.B. von Freunden nicht ausschließlich korrektiv ist. Die Kritik soll den Hörer nicht nur dazu bewegen, die Bedingungen für künftige Kontakte zu verbessern. Diese Äußerungen haben daher m.E. auch eine hohe symbolische Bedeutung für die Kommunikation. Ihr besonderer Wert liegt darüber hinaus auch in ihrem problemvermeidenden Potenzial. Ansagetexte lassen sich sprecherseitig durch die Art ihrer Gestaltung als kommunikative Zwischenfälle instrumentalisieren. Strategisch geschickt können sie darauf hinarbeiten, dass der Anrufer auf das ritualisierte Spiel eingeht und damit seinen Gesprächsschritt ergreift. Aus psycholinguistischer Perspektive betrachtet, kann sich dahinter ebenfalls eine sehr erfolgreiche Vermeidungsstrategie verbergen. Norrick weist darauf hin, dass sich unangenehme Pausen mit Humoraktivitäten füllen lassen. 64 Indem Anrufer also scherzhaft den Ansagetext bewerten, umgehen sie in dieser aus planerischer Sicht problematischen Phase der Eröffnung Probleme. Anrufer vermeiden dadurch, nach dem Signal bedrückt schweigen zu müssen. Sie überbrücken diese Phase mit einer kommunikati64

Vgl. Norrick (1994: 415).

332 ven Aktivität, die nichts mit dem eigentlichen Anliegen des Anrufs zu tun hat. Diese erlaubt es ihnen, sich zunächst zu .sammeln', um nach dieser Verzögerung zum eigentlichen Thema zu kommen. Unter diesem Blickwinkel lassen sich neben Tadel auch lobende Äußerungen als Verzögerungsstrategie auffassen, um Planungsprobleme zu vermeiden. Diese Interpretation bietet sich ebenfalls für andere Teile des Textes wie Angaben zu Zeit, Datum und Uhrzeit des Anrufs an, mit denen Anrufer nach dem Signalton einen Aufschub erreichen können. Auch das Thematisieren und scherzhafte Kritisieren von Abwesenheit lässt sich so als Verzögerungsund Vermeidungsstrategie deuten.

7 Regelprobleme Ach, hol das ganze Spiel der Teufel! Ich will es sofort aufgeben, ich möchte nur...1

Die vorangegangenen Analysen haben gezeigt, dass AB-Kommunikation mit einer Vielzahl von Problemen verbunden ist und dass die Gesprächspartner Schwierigkeiten im sprachlichen Umgang mit dem AB haben können. Nach Höflich ist dieses typisch für die Aneignung einer neuen Kommunikationstechnologie und ein damit verbundenens Regeldefizit: Indizien für einen mit neuen Technologien verbundenen Regelungsbedarf sind nachgerade bei kommunikationstechnologischen Innovationen auftretende Verhaltensunsicherheiten und Kommunikationsstörungen. 2

Bei neuen Medien handelt es sich nach Höflich „gewissermaßen um einen ,regelungsfreien' Zustand: Man weiß nicht, wie man sich zu verhalten hat, weil man nicht weiß, was die Mediensituation bedeutet." 3 Die Geschichte des Telefons zeigt aber, dass sich im Laufe der Zeit Regeln im Umgang mit Kommunikationstechnologien etablieren und dass die Kommunikationspartner lernen können, medienadäquat zu kommunizieren. 4 Ich habe bereits gezeigt, dass die Telefonkommunikation für zahlreiche Probleme Lösungen entwickelt hat, die das Telefongespräch regeln. Der AB ist ein immer noch relativ neues Medium. Meine Analyse hat deutlich gemacht, dass der AB seine Nutzer vor zahlreiche Probleme stellt und dass diese Schwierigkeiten haben können, sie zu bewältigen. Man kann aber wie beim Telefon davon ausgehen, dass die Interaktanten mit vermehrter Übung eine medienadäquate Kommunikation und Regeln, die diese konstituieren, lernen können. Daher gehe ich hier der Frage nach, durch welche Regeln Anrufer und Angerufener die Verständigung sicherstellen. Dieses beginnt für den ABBesitzer mit der textuellen und technischen Gestaltung seines Gesprächsschritts und setzt sich beim Zuhören oder späteren Abhören des Anrufertextes fort. Ebenso wie der Angerufene kann aber auch der Anrufer bei seinem Gesprächsschritt Regeln einhalten und die Kommunikation damit vereinfachen. Mit diesem regelperspektivischen Blick auf AB-Kommunikation leite ich zugleich zu einer abschließenden Diskussion meiner Ergebnisse über.

1 2 3 4

Dostojewskij (1936: 216). Höflich (1993: 331). Höflich (1991: 77). Vgl. Höflich (1991: 77).

334 7.1 Regelprobleme beim Angerufenen Hessenland behauptet, dass sich aus den Bestimmungen der Bundespost heute eine allgemeine Konvention entwickelt hat, wie Anrufbeantworter zu besprechen sind. 5 Man könnte also annehmen, dass aus den ,MussBestimmungen nun ,Sollte-' bzw. ,Sollte nicht-Regeln' geworden sind. Diese hätten im Gegensatz zum frühen Telefonverkehr keinen rechtlichen und exekutiv durchzusetzenden Status, sondern wären Ausdruck einer sozialen Selbstverpflichtung. 6 Es wäre Sache des AB-Besitzers, sich die Regeln anzueignen und diese einzuhalten, damit die Kommunikation gelingen kann. Die Analyse hat aber bereits gezeigt, dass Anrufer auf Schwierigkeiten in der Kommunikation stoßen können, weil AB-Besitzer nicht genug berücksichtigen, dass Ansagetexte eine mehrfachadressierte Textsorte sind und Anspruch und Bedarf an Information, Instruktion und Unterhaltung durch den Ansagetext j e nach Anrufer variieren können. Abstimmungsprobleme zwischen Text und Anrufer können dabei zu Missverständnissen führen, auf die Nolden nach einer Ratgeberlektüre aufmerksam macht: Für Freunde besonderer Wirkungen empfahl das Buch die Überspielung eines spitzen, nachhallenden Frauenschreis mit anschließendem Pistolenschuß, dessen Echo die gespeicherte Begrüßung überlagern sollte. Aber ich befürchtete, daß meine 83jährige Erbtante, die Ostern, Weihnachten und zum Geburtstag anrief, das mißverstehen könnte.7 Die Analyse hat gezeigt dass kreative Vertextungsstrategien sogar die Gefahr bergen, Anrufer von der Kommunikation auszuschließen, wenn deren auf Unterhaltung und Selbstdarstellung gerichtetes Ziel in Konkurrenz zu einer allgemeinen Verständlichkeit des Textes tritt und der Sprecher des Ansagetextes dadurch nicht mehr identifiziert werden kann. Unverständliche Texte vermitteln den Eindruck, sie verdankten ihre Existenz einem mangelnden Bewusstsein für die Anruferperspektive und dem Fehlen von Regeln einer kommunikativen Ethik, die das Kommunikationsrecht des Kommunikationspartners mitdenkt und seine Antwort- bzw. Reaktionsmöglichkeiten so antizipiert, daß sie beide durch Akzeptanz gesichert und der sozialen Beziehung adäquat sind.8

5 6

7 8

Hessenland (1996). Ähnliches ist derzeit auch im Internet zu beobachten. Nach Storrer/Waldenberger (1998: 63f.) wurden die ersten Regeln für das Internet an der Florida Atlantic University" als Teil einer Benutzerordnung aufgestellt, während heutige Netiketten explizit auf Selbstverantwortung, Einsicht und Selbstorganisation bei der Durchsetzung der in ihnen kodifizierten Normen setzten. Nolden (1992: 24). Bülow (1990: 311).

335 Ich habe aber darauf hingewiesen, dass es in einem weltweiten Telefonnetz kaum möglich ist, bei der Gestaltung eines Ansagetextes das Kommunikationsrecht von Anrufern unterschiedlichen Alters, Geschlechts, sozialen Status oder Bekanntheitsgrades zu achten. Probleme können hier besonders dann entstehen, wenn sich bei einem beruflichen Anruf auf einem privat genutzten AB die Lebenswelten kreuzen und kreative Vertextungsstrategien mit den Zielen beruflicher Kommunikation - die Präzision, Effizienz und Seriosität verlangen - und Regeln wie der folgenden kollidieren: Verzichten Sie auf musikalische Untermalung oder witzige Bemerkungen. Im Privatleben mag so etwas amüsant sein, in einem Büro sind derartige Mätzchen tabu, es sei denn, es paßt zur Art des Unternehmens. 9

Probleme dieser Art lassen sich technisch lösen - z.B. durch einen Geschäftsund einen Privatanschluss. AB-Besitzer können allerdings auch ohne technische Hilfe durch die Textgestaltung Probleme umgehen. Sie können sich entscheiden, ob sie sich bei der Planung ihres Gesprächsschrittes mit einem ,recipient design" 10 am anspruchsvollsten Teil der Adressaten, an den Voraussetzungen des größten Teils der Adressaten oder an den Adressaten mit den geringsten Voraussetzungen orientieren. Unterhaltende und animierende Textteile befriedigen die Bedürfnisse von Adressaten, denen ein Standardtext weitgehend Redundantes vermittelt und die es sich leisten können, Anspruch auf Unterhaltung zu erheben. Unterhaltende Textteile können wie gezeigt die Bereitschaft bestimmter Anrufer steigern, auf den AB zu sprechen. Bei der Gestaltung eines Ansagetextes sollte m.E. aber zunächst gewährleistet werden, dass niemand von der Kommunikation ausgeschlossen wird. Dazu muss vor allem das Kommunikationsrecht der Schwächeren - der Adressaten mit den geringsten Voraussetzungen berücksichtigt werden. Deren Grundbedürfnisse haben in der Kommunikation Vorrang, damit diese überhaupt teilnehmen können. Textfunktionen, die mehr als das Gelingen der Kommunikation anstreben, sind nachrangig - dies umso mehr, wenn sie ihren angestrebten Zusatznutzen verfehlen oder zu Imageproblemen führen können. Silver stellt daher folgende Regel auf: Don't include humor in your message, unless it fits your image. Too often your callers won't find it entertaining and may be offended. If you can't make a message really funny - or at least amusing - skip the humor and stick to giving your callers the information they n e e d . "

9 10 11

Schmidt (1994: 9). Sacks/Schegloff/Jefferson (1974: 727). Silver (1997: 41).

336 Die Analyse hat weiterhin belegt, dass Anrufer Schwierigkeiten haben, weil sie die Kommunikation als Kommunikation mit einer Maschine und den Ansagetext als den Gesprächsschritt des AB empfinden. Biilow betont, dass der Einsatz sprachlicher und kommunikativer Mittel stets unter dem Gebot der Achtung des Kommunikationspartners steht. 12 Ein Ansagetext, der die Belange von Anrufern achtet, ließe sich daher so gestalten, dass er den Eindruck eines menschlichen Gegenübers stützt. Er ließe sich dazu nach dem Gruß mit einer Selbstidentifikation des AB-Besitzers beginnen. Gehemmten Anrufern fällt die Kommunikation wohl leichter, wenn sie den Angerufenen erkennen und sich ein Bild von diesem machen, das sie ansprechen können. Ich habe hier darauf hingewiesen, dass eine gleichförmige Syntax, abgehacktes, elaboriertes Sprechen ohne Abweichungen von der Norm der geschriebenen Sprache u.ä. dem Eindruck eines menschlichen Gegenübers abträglich sind. Ein .locker' gesprochener und an gesprochener Sprache orientierter Ansagetext fördert dieses dagegen. Zudem gleicht der AB-Besitzer seinen Text damit rücksichtsvoll den Bedingungen einer spontanen Kommunikationssituation an und gibt Anrufern kein ausgefeiltes Muster als Antwortmöglichkeit vor, das diese ad hoc meist nicht nachvollziehen können. Im Gegensatz zum Angerufenen können Anrufer ihren Gesprächsschritt meist nicht unbegrenzt vorausplanen. Sie müssen spontan sprechen und haben unter diesen Bedingungen Probleme, einen Text auf dem AB zu hinterlassen, der notwendigerweise Merkmale der Planung an sich trägt. Die Analyse hat gezeigt, dass es ungeübte Anrufer gibt, die mit der Spontaneität der Kommunikationssituation nicht umgehen und sich ad hoc nicht auf die veränderte mediale Situation einstellen können. Diese Anrufer benötigen mehr Planungszeit, um ihren Text vorzubereiten, wie sich anhand von z.T. sehr ausgeprägten Verzögerungsphänomenen nach dem Signalton belegen ließ. Aus der Konsequenz von Unsicherheiten mangels Planungszeit lässt sich eine Regel ableiten, wonach der Angerufene seinen Gesprächsschritt so gestaltet, dass der Anrufer ausreichend Planungszeit hat. Sofern ein Gerät diese Einstellungsoption bietet, kann es hier also zunächst hilfreich sein, Anrufern technisch genügend Sprechzeit einzuräumen, damit sie unbelastet von Zeitdruck planen und sprechen können. An manchen Geräten lässt sich die für das Sprechen nötige Vorbereitungszeit noch weiter verlängern. Diese lassen sich so einstellen, dass das Telefon erst einige Male klingelt, bevor der AB anspringt. Es ist m.E. sehr wichtig, dass der Anrufer das Klingeln überhaupt wahrnehmen kann, weil dadurch seine eigene Aufmerksamkeit geweckt und geschärft wird, um auf die veränderte Kommunikationssituation reagieren zu können. 12

Vgl. Bülow (1972: 42).

337 Die Verzögerung gibt insbesondere regelmäßigeren Anrufern Zeit, um sich auf die AB-Situation einzustellen. Wenn der Angerufene meist sofort ans Telefon geht, kann ein längeres Klingeln Anrufern eine Vorahnung geben, dass in Kürze der AB anspringt. Zudem erlauben es Klingeltöne vor dem Start des Geräts abzuwägen, ob der AB das geeignete Medium für ein Anliegen ist. So werden Anrufer nicht .überrumpelt', wenn das Gerät allzu plötzlich anspringt. Die durch die Klingelsignale geschaffene Planungszeit erhöht hier den Entscheidungsspielraum des Anrufers. 13 Die Planungszeit lässt sich darüber hinaus textuell steigern. Ein Ansagetext sollte daher eine gewisse Mindestlänge nicht unterschreiten. Ein Text wie „Dies ist der Anrufbeantworter von X und Y. Den Rest kennen Sie", den Freunde von mir verwenden, halte ich für zu kurz. Angesichts der von einzelnen Anrufern geäußerten Kritik vermute ich weiterhin, dass der Ansagetext zwanzig Sekunden nicht übersteigen darf, damit ungeduldige Anrufer nicht auflegen. Die Analyse hat belegt, dass lange Texte auch aus Kostenerwägungen ein Problem für die Kommunikation darstellen können. In der Fachzeitschrift „Sekretariat" wird daher vorgeschlagen, den Ansagetext knapp zu halten: Mit einem möglichst kurzen Text nehmen Sie Rücksicht auf auswärtige Anrufer, die schließlich keinen Wert darauf legen, sich auf ihre Kosten langatmige Erklärungen anzuhören.14

Ein kurzer Ansagetext ist aber nicht allein für die berufliche Kommunikation angeraten. Allgemein - also auch im privaten Gebrauch von AB - soll die Länge von Ansagetexten begrenzt werden, wie der „Knigge 2000" fordert: Der Text [...] darf auch nicht unendlich in die Länge gezogen werden. Schließlich ist es stets das Geld des Anrufers, das durch eine schier endlose Ansage, und sei sie noch so witzig und originell, verplempert wird. 15

Aus Gründen der Geldersparnis haben sich nach Höflich beim Telefon Standards etabliert. 16 Offenbar gibt es inzwischen auch eine Übereinkunft, dass ein Ansagetext möglichst wenig Gebühren verursachen soll. Die zu vermittelnde Textmenge ist also eingeschränkt. Fraglich ist aber, welche Textteile trotz Zwang zu relativer Kürze für eine gelingende Kommunikation nötig sind und welche man auslassen oder verkürzen kann.

13

14 15 16

Mehrere Klingelsignale geben dem Angerufenen die Chance, noch ans Telefon zu gehen, bevor der AB anspringt. Ansonsten kann es nach Sullivan (1994: 144) passieren, dass der Angerufene erst spricht, nachdem der AB angesprungen ist und der Ansagetext im Hintergrund weiterläuft. Schmidt (1994: 9). von Au (1999: 151). Vgl. Höflich (1989: 207).

338 In der Vergangenheit haben sich wie gezeigt die postalischen Bestimmungen für Ansagetexte technischen Veränderungen des Geräts und dem medialen Erfahrungsstand der Anrufer angepasst. So wurde bei sprachgesteuerten Anrufbeantwortern dem Ansagetext z.B. eine Regelung für die Sprechpausen hinzugefügt. Dagegen entfiel die Pflicht, den Meldewortlaut zu wiederholen, weil man davon ausgehen konnte, dass ein Großteil der Anrufer auf die Möglichkeit, mit einem AB verbunden zu werden, vorbereitet war. Hiermit gestand die Bundespost schon vor 30 Jahren AB-Besitzern einen kleinen Ermessensspielraum zu - heute können und müssen diese alleinverantwortlich Uber ihren Ansagetext entscheiden. AB-Besitzer, die sich hier unsicher sind, haben die Möglichkeit, Rat einzuholen. Flemming empfiehlt z.B.: Wenn Sie die Botschaft selbst aufsprechen, dann ist es sinnvoll, leise Musik im Hintergrund laufen zu lassen, damit der Anrufer schnell merkt, daß er eine Konserve hört. Eine Kollegin von mir hat bewußt ihren Mann gebeten, ihre Anrufbeantworter-Ansage zu machen, damit jeder Anrufer bereits beim ersten Wort hört, daß sie nicht selbst spricht.17 Flemmings Ratgebertipp soll erreichen, dass Anrufer möglichst schnell registrieren, dass sie sich in einer veränderten Kommunikationssituation befinden. Er verfolgt damit das richtige Ziel, schlägt m.E. aber nicht die geeigneten Mittel vor, denn seine Empfehlung löst ein Problem, kann Anrufern aber Identifikationsprobleme bereiten - die Anrufer wissen damit zwar, dass sie elektronisch konservierte Sprache hören, können den befremdlichen Text womöglich aber keinem Sprecher zuordnen. Im Telefonat gilt nach Schegloff die Regel, dass sich die Partner als erstes gegenseitig identifizieren und erkennen müssen. Nach Hessenland sollte man sich auch im Ansagetext zuerst namentlich oder mit der Anschlussnummer identifizieren, um eine mögliche Fehl Verbindung sofort auszuschließen. 18 Hierbei sind Name und Nachname m.E. wichtiger als die Telefonnummer. 19 Trotz der Notwendigkeit, sich wie beim Telefon im Ansagetext verständlich zu identifizieren, ist es wichtig, den Text gegenüber dem telefonischen Eröffnungsritual abzugrenzen, damit Anrufer erkennen können, dass sie mit einem AB verbunden sind. Zwar hat das Einschaltgeräusch des AB eine Indikatorfunktion, doch ist nicht sicher, dass dieses bei allen Geräten laut und deutlich genug zu hören ist. Daher sollte die Eröffnung eines Ansagetextes so gestaltet sein, dass Anrufer die Mediensituation richtig einschätzen. 17 18 19

Flemming (1992: 50). Vgl. Hessenland (1996). Da Rufnummern an modernen Telefonen nur noch einmal eingetippt und danach abgespeichert und automatisch angewählt werden können, erwarte ich, dass sich Telefonnummern nicht mehr in dem Maße wie früher einprägen und dadurch weniger für eine Identifikation des Angerufenen eignen.

339 Zu diesem Zweck dürfen Gruß und Selbstidentifikation nicht mit steigender Kadenz enden. Zudem sollte zwischen den Textteilen und auch nach beiden keine längere Pause stehen. Steigende Kadenz und Pausen können Anrufern einen für Sprecher Wechsel relevanten Punkt und den Beginn eines Telefongesprächs suggerieren. Sofern dieses bereits ausreicht, um Anrufern die veränderten Bedingungen zu signalisieren, lässt sich darüber diskutieren, ob es nötig ist, Anrufer etwa durch eine Abwesenheitserklärung in die Kommunikationssituation einzuführen, wie Hessenland dieses als Regel formuliert. 20 Da das Anspringen des Gerätes bereits impliziert, dass jemand telefonisch nicht erreichbar ist, könnte man annehmen, dass dieses nicht noch einmal im Ansagetext versprachlicht werden muss. Es lassen sich weitere Gründe gegen eine explizite Abwesenheitserklärung im Ansagetext anführen. Erstens können AB-Besitzer, die entgegen ihrer Ankündigung anwesend sind, in einen Wahrheitskonflikt geraten. Zweitens lässt sich nicht ausschließen, dass eine derartige Mitteilung (in etwa wie „This is Sue Jones. Today is Wednesday, April 2, and I'll be in a meeting until 11:30." 21 ) das Einbruchrisiko erhöht. Es spricht also einiges dafür, dass dieser Teil des Textes weggelassen werden kann oder sogar weggelassen werden sollte. Ähnliches gilt für Handlungen des Anrufers, die der Ansagetext steuert. Die Analyse hat zwar Hinweise darauf ergeben, dass es für die Kommunikation wichtig sein kann, dass Anrufer im Ansagetext dazu aufgefordert werden, Namen, Telefonnummer, Datum, Uhrzeit und den Grund des Anrufs anzugeben, weil diese Angaben einen Rückruf ermöglichen oder zumindest vereinfachen. Allerdings können Anrufer gerade dadurch überlastet werden, dass der Ansagetext zahlreiche Handlungen steuert - Silver rät, Anrufer nicht mit allzu vielen Instruktionen zu verwirren. 22 Welche Handlungen gesteuert werden müssen, ist situationsabhängig. Vor einer Urlaubsreise ist es hilfreich, im Ansagetext um Angaben zu Tag und Datum des Anrufs zu bitten. Entfernt sich jemand aber nur für einige Stunden vom Telefon, genügt es, die Uhrzeit des Anrufs zu erfahren. Es kann also sinnvoll sein, den Ansagetext aktuellem Bedarf anzupassen. Silver empfiehlt sogar, den Text täglich zu ändern. 23 Allerdings sind dem Wechsel Grenzen gesetzt, da die Strategie Anrufern auch Schwierigkeiten bereiten kann. Die Untersuchung hat darauf hingewiesen, dass ein häufiger Wechsel des Textes Identifikationsprobleme mit sich bringen kann - besonders dann, wenn das veränderte Muster sehr vom vorherigen abweicht.

20 21 22 23

Vgl. Hessenland (1996). Silver (1997: 41). Vgl. Silver (1997: 41). Vgl. Silver (1997: 41).

340 Nach einer Bitte, Namen, Datum und Uhrzeit auf dem AB zu hinterlassen, fordern AB-Besitzer Anrufer meist auf, nach einem Signal zu sprechen. Von Au hält das für unnötig: Selbst das übliche ,Sprechen Sie bitte nach dem Piepston' [...] muß heute nicht mehr zwingend mit aufs Band - jeder Fernsprechteilnehmer sollte inzwischen wissen, wann er auf einem Anrufbeantworter seine Nachricht hinterlassen kann.24

Hessenland dagegen formuliert folgende Regel: Wir bitten die anrufende Person, die Kommunikation trotzdem (zumindest kurz) aufzunehmen und geben ihr ein erkennbares Zeichen - einen Pfeifton - vor, nach dem sie ihre Botschaft übermitteln soll. 25

Von Au geht m.E. richtigerweise davon aus, dass Anrufer inzwischen meist wissen, dass sie nach einem Signalton sprechen sollen. Sie berücksichtigt hierbei allerdings nicht die Probleme, die Anrufern entstehen können, wenn sie im Ansagetext nicht auf typbedingte Abweichungen des Signals vorbereitet werden (vgl. Kap D 4). Die Kommunikation kann nur gelingen, wenn das Signal klar erkennbar ist. Gibt der AB ein von dem üblichen Piepton abweichendes Signal oder mehrere Signale für unterschiedliche Gerätefunktionen aus, muss das „Turn-yielding-signal" im Ansagetext genau spezifiziert und das sprachliche Handeln des Anrufers darauf wie in einer mündlichen Bedienungsanleitung abgestimmt werden. Bedienungsanleitungen regeln die Beziehung zwischen Mensch und Maschine, indem sie den Menschen die Konditionen erläutern, unter denen die Mechanismen bereit sind, nach den Wünschen des Menschen zu funktionieren26.

Wunschgemäß sind daher mündliche Bedienhinweise für den AB, die auch einem unbekannten Anrufer verständlich erklären, welche technischen Bedingungen er berücksichtigen muss, um über das Gerät Kontakt aufnehmen zu können. Sofern ein Gerät lediglich einen standardisierten Signalton ausgibt und dieser als Aufforderung zum Sprechen allgemein bekannt ist, ließe sich aber auch hier annehmen, dass dieser Teil des Textes weggelassen werden kann. Vom Ansagetext bliebe dann gerade einmal ein Rumpftext bestehend aus Gruß und Selbstidentifikation übrig. Dieses Gedankenspiel lässt sich noch fortsetzen. Falls tatsächlich jeder Anrufer die Mediensituation anhand eines Einschaltgeräusches und den Beginn seines Gesprächsschritts anhand des Signaltons erkennen kann, ließe sich der Ansagetext generell in Frage stellen.

24 25 26

Von Au (1999: 151). Hessenland (1996). Mahr (1984: 89).

341 Nach den Beobachtungen Sullivans legen die meisten Anrufer aber auf, wenn der AB ohne Text lediglich mit einem Signalton antwortet. 27 Die ABKommunikation kommt also nicht ohne Ansagetext aus. Die Kommunikation ist bereits sehr erschwert, wenn zuviel Text bzw. bestimmte Teile des Textes fehlen. Ein kurzer Text kann Anrufern nicht nur Planungsschwierigkeiten bereiten, er kann auch unhöflich wirken. Weinrich stellt fest, dass Höflichkeit zur Normalität des sprachlichen Umgangs zählt und dass es - außer in Fachsprachen - keinen höflichkeitsfreien Gesprächsraum gibt. Daher müsse nicht der Höfliche, sondern der Unhöfliche, der z.B. immer kurz angebunden rede, als verhaltensauffällig beschrieben werden. 28 Aus diesem Grund sollte ein Ansagetext eine angemessene Länge haben, damit ein Anruf nicht mit einem zu knappen Text unkommunikativ erwidert wird. Silver gibt dazu den Rat: Don't make your message too short; callers may think that you're not giving them enough options and that you won't return their calls.29 Wie in einem Face-to-face-Gespräch lassen sich auch für das Sprechen eines Ansagetextes Strategien einer „social politeness" annehmen, zu denen es gehört, dass sich Sprecher zu Beginn eines Gesprächs vorstellen und sich gegenseitig grüßen. 30 Grüße sind nach Weinrich „eine Erklärung grundsätzlicher Gesprächsbereitschaft" 31 . Raible stellt fest, „daß man mit dem Gruß den anderen als Person überhaupt erkennt oder anerkennt (und damit die Basis für ein Gespräch schafft)." 32 In bestimmten institutionalisierten Interaktionsbeziehungen oder auch unter Freunden kann die Basis für ein Gespräch bereits gegeben sein, sodass auf den Gruß verzichtet wird. 33 Gegenüber Fremden muss die Basis aber erst geschaffen werden, und „es gilt als schwerer Verstoß gegen die Höflichkeit, auf ein Grußverhalten ganz zu verzichten" 34 . Ein auch nach den Anforderungen der Mehrfachadressierung höflicher Ansagetext begrüßt daher auch nöglicherweise unbekannte Anrufer und teilt ihnen auch mit, von wem sie begrüßt werden. Da Anrufer zudem oft enttäuscht sind, dass ihr telefonischer Gesprächswunsch nicht erfüllt wurde, ist es mit Rücksicht auf eine für den Anrufer unbefriedigende Kommunikationssituation auch höflich,

27 28 29 30 31 32 33 34

Vgl. Sullivan (1994: 145). Vgl. Weinrich (1986: 10). Vgl. Silver (1997: 41). Vgl. Janney/Arndt (1992: 22f.). Weinrich (1986: 10). Raible (1987: 150); zu Begrüßungsritualen vgl. Hartmann (1973). Vgl. Henne/Rehbock (1995: 264). Weinrich (1986: 11).

342 • • • •

nach Gruß und Selbstidentifikation der Enttäuschung des Anrufers mit einem Bedauern zu begegnen, nicht verfügbar zu sein; ihn darum zu bitten35, das Gesprächsangebot trotz AB wahrzunehmen und auf das Gerät zu sprechen; einen Rückruf in Aussicht zu stellen (und das Antwortversprechen auch einzulösen); sich im Voraus dafür zu bedanken, dass der Anrufer die erbetene(n) Handlungen) ausführt.

AB-Kommunikation kann dadurch erleichtert werden, dass der Angerufene durch den Ansagetext höflich Kommunikationsbereitschaft signalisiert. Hier gilt es Zuvorkommenheits- und Vermeidungsrituale einzuhalten. Das bedeutet erstens, Handlungen auszuführen, durch die das Individuum den Empfängern zeigt, was es von ihnen hält und wie es sie in der beginnenden Interaktion behandeln wird und zweitens, zu wissen, was in der Kommunikation nicht getan werden sollte. 36 Letzteres kann z.B. in Form von Regeln in eine ABEtikette münden, wie Boynton sie formuliert: Dont't... use another voice; be juvenile; make the message too long;

be too brief; be (too) untruthful; be too vague;

be too technical; be too stuffy; be too creative.37

Boyntons schmales Regelwerk für den sprachlichen Umgang mit AB kann allerdings nur als grobe Orientierungshilfe für die Gestaltung von Ansagetexten dienen. Welche Teile dem Text im Einzelnen zu einem der Kommunikation förderlichen und angemessenen Design verhelfen, ist letztlich eine Frage des jeweils spezifischen Adressatenkreises und dessen - auch wandlungsfähigen - Wünschen und Bedürfnissen. Trotzdem sollte ein Ansagetext insbesondere den Bedingungen der Mehrfachadressierung verpflichtet sein und die folgende Grundregel nicht verletzen: „The contribution of the answerer should be such that the caller would not lose face." 38 Aus der Orts- bzw. Zeitversetztheit der Kommunikation ergibt sich auch eine Verantwortung des Angerufenen, die sich über die Gestaltung des Ansagetextes hinaus auf das Abhören der Anrufertexte erstreckt. AB-Besitzer haben die Verantwortung für den Anrufertext. Dieser kann entsprechend dem Bekanntheitsgrad zwischen Anrufer und Angerufenem z.B. ein intimes Gesprächsthema oder vertrauliche Anredeformen enthalten. Um das Vertrauen von Anrufern nicht zu missbrauchen, sollten AB-Besitzer daher Anrufertexte

35 36

37 38

Zu höflichen Formen der Aufforderung vgl. (Raible (1987: 153ff.). Zu Zuvorkommenheits- und Vermeidungsritualen als Zeichen der Ehrerbietung vgl. Goffman (1994: 7ff.); zu Vermeidungsritualen vgl. auch Werlen (1983). Vgl. Boynton (1987). Boldog (1993: 35).

343 niemandem zugänglich machen, für den sie nicht gedacht waren. Für Alleinwohnende bedeutet dies, den Text nicht ohne Wissen des Anrufers zu einem mehrfachadressierten zu machen. Bei Anrufen in Mehrpersonenhaushalten müssen Anrufer damit rechnen, dass ihr Text mehrfachadressiert wird. Dort sollte eine Mitteilung niemandem außerhalb des in Kauf genommenen oder beabsichtigten Adressatenkreises zu hören gegeben werden. Ist das Sprechen auf einen AB nicht mehr privat oder besteht auch nur der Verdacht, dass dem so sein könnte, kann dieses insbesondere ungeübten Anrufern die Kommunikation sehr erschweren. Die Untersuchung hat darauf hingewiesen, dass Ungeübte beim Sprechen auf ein entferntes Speichermedium gehemmt sein können, wenn sie wegen ihres an geschriebener Sprache gemessen wenig wohlgeformten Textes Schaden für ihr Image fürchten. Anrufer, die ihre Hemmungen überwinden, trotzdem aber keinen der Norm der geschriebenen Sprache entsprechenden Text hinterlassen, bringen dem Angerufenen Vertrauen entgegen, wenn sie ihren Mangel an Übung vor dessen Ohren entblößen. Auch aus diesem Grund sollten Angerufene niemand anderen an Anrufertexten teilhaben lassen. Boynton stellt dazu folgende Regel auf:,.Don't play messages back when friends are present" 39 . Diese Regel lässt sich auf das „Screening"-Verhalten von AB-Besitzern ausweiten. Angerufene sollten auch niemand anderen über den Lautsprecher zuhören lassen, während Anrufer auf den AB sprechen. Es stellt sich generell die Frage, ob Angerufene Höflichkeitsregeln verletzen, wenn sie aus den beschriebenen medialen, situativen und sozialen Gründen den AB als ,Anrufblocker' oder ,Anruferfilter' nutzen. Die Untersuchung hat auf die Probleme telefonischer Erreichbarkeit hingewiesen, denen Angerufene mit den o.g. Nutzungsweisen begegnen. Die Untersuchung hat aber belegt, dass Anrufer diese Praxis als sehr störend empfinden können. Eine Vermittlung zwischen dem Recht auf telefonische Erreichbarkeit und dem Recht auf Selektion und Schweigen steht m.E. aber noch aus. Es ist daher noch zu früh, um hier Höflichkeitsregeln zu formulieren.

7.2 Regelprobleme beim Anrufer Wenn wir miteinander kommunizieren wollen, können wir heute zwischen zahlreichen Medien wählen. Nicht jede Kommunikationsform ist aber für jedweden Gesprächsinhalt gleich gut geeignet, wie Postman am Beispiel von Rauchzeichen veranschaulicht:

39

Boynton (1987).

344 Ich weiß zwar nicht genau, welche Inhalte die Indianer früher mit ihren Rauchzeichen übermittelt haben, aber ich bin mir sicher, daß philosophische Gedankengänge nicht dazugehörten. Rauchwölkchen sind nicht so komplex, daß man mit ihnen Gedanken über das Wesen des Daseins zum Ausdruck bringen könnte - und selbst wenn sie es waren, würden dem Cherokee-Philosophen entweder das Holz oder die Decken ausgehen, bevor er auch nur zu seinem zweiten Axiom gelangt wäre. Mit Rauch kann man nicht philosophieren. Seine Form schließt den Inhalt aus. 40

Wie die Kommunikation mittels Rauchzeichen unterliegt auch ABKommunikation Restriktionen. AB-Gespräche verlaufen zeit- und ortsversetzt. Die Gesprächsteilnehmer sehen sich nicht und haben keinen direkten dialogischen Kontakt. Die Form der Kommunikation schließt daher auch beim AB bestimmte Inhalte aus: z.B. Gesprächsthemen, die sich ohne Dialogpartner nicht abhandeln lassen oder die aus Gründen der Höflichkeit faceto-face im direkten Dialog besprochen werden sollten. Wie Anrufer dem Ansagetext sind AB-Besitzer - sofern diese nicht über den Lautsprecher lauschen - dem Anrufertext ausgeliefert'. Sie haben keine direkte Möglichkeit zu widersprechen. Sullivan spricht in diesem Zusammenhang von der Macht des Anrufers über den AB-Besitzer und berichtet von einem unliebsamen Bekannten, gegen dessen Anrufe auf dem AB sie sich nicht habe wehren können. Sie führt allerdings weiter aus, dass sie selbst diese dem Medium gegebene Macht bereits im Streit genutzt und via Anrufertext (ICM) eine Partnerschaft abgebrochen habe: In arguments, ICMs can be tools to use to hurt the other person, often in an attempt to have the ,last word..' Once I broke up with my boyfriend over the phone, using his ΤΑΜ to humiliate and shame him, in an attempt to take my power back, to force him to hear me, to have the last word! I wanted to humiliate him, and it worked even better than I had planned, because his roommates heard my message, too. 41

Sullivan macht hier auf ein Medienproblem aufmerksam, das z.T. schon aus den Anfängen des Fernsprechens bekannt ist, wonach das Telefon mangels visuellem Kanal den Mut steigere, Hemmungen abbaue und unhöfliches Verhalten fördere. Beim AB schließt die Form der Kommunikation nicht nur das Sichtbare, sondern auch den direkten Dialog zwischen den Interaktanten aus. Gerade letzteres bereitete den Anrufern meiner Untersuchung Schwierigkeiten. Das Beispiel von Sullivan belegt aber, dass der Mangel an Gegenrede auch Nutzungsmöglichkeiten eröffnet, die aus der Not eine Untugend machen. Die nur gesprächshafte Kommunikation über den AB dient dann dazu, das Gespräch dort zu vermeiden, wo es nötig wäre.

40 41

Postman (1985: 15f.). Sullivan (1994: 157); Dordick (1989: 233) berichtet von Umfrageergebnissen, nach denen der telefonische Abbruch einer Beziehung von ebenso vielen Teilnehmer befürwortet wie abgelehnt wird.

345 Mehr als das Telefon und ähnlich dem Brief macht es der AB noch leichter, Unangenehmes zu kommunizieren. Da sich AB-Besitzer dagegen nicht wehren können, gilt es für den Anrufer, hier also Höflichkeitsregeln einzuhalten und in seinem Gesprächsschritt ebenfalls alles zu unterlassen, was das Gesicht des AB-Besitzers verletzen könnte. Einen in dieser Hinsicht verantwortungsvollen Umgang mit dem Medium belegt der folgende Text: (339)

+ hei ARNE hier, + a:m: nAchricht bezüglich mErs= + wir spiel-η sonntach um neunzehn uhr und zwar bei dir, ++ hä LACHT ich hoffe das pAsst dir' + letztes mal hatte ich dich so verstand-n dass dir sonntach abend ganz gUt pAsst= + a:m:: wir=/ + es kommt auf jeden fall zustAnde weil an dEm termin: θ: DANA DORA: DIRK und hoff-ntlich du kannst= + damit sind wa vier leute DORO und DIDI weiss ich noch nich genau, ++ 9:m: meld dich auf jeden fall noch mal und sag mir ob das alles so klAppt= + besonders ob wa bei dir spiel-η könn-n= ++ nech' + tja, + und das wars, + also= + + tschÜssing'

Der Student möchte sich und mehrere Kommilitonen zu einem Spieleabend bei dem Bekannten einladen. Er leitet dieses zunächst telegrammstilartig ein und kleidet sein Anliegen danach in eine Feststellung und nicht in eine Frage. Auch legt er den Spieltermin fest, anstatt ihn vorzuschlagen. Dieses ließe sich als ein grob unhöfliches Verhalten werten, da er über den Kopf des Bekannten hinweg entscheidet und der AB keine Einspruchsmöglichkeiten bietet. Er macht hier allerdings einen Scherz, seine Mitteilung soll überraschend und überfallartig scheinen, denn er hebt durch die übertriebene Betonung des Vokals in dir besonders hervor, dass der Bekannte Gastgeber sein soll. Danach senkt er seine Stimme und macht eine Pause, die sich als Spannung erzeugend auffassen lässt. Durch die folgende Interjektion ha unterstreicht der Anrufer das Überrschungsmoment seiner Ankündigung. Er beginnt danach aber zu lachen und löst seine Mitteilung damit als Scherz auf. Er versucht sich nun des Einverständnisses endgültig zu versichern, da beide in einem vorherigen Gespräch wohl weder den Spielort noch den Termin fest vereinbart hatten. Er bittet daher, Termin und Ort zu bestätigen. Der Anrufer in (339) nimmt den Umstand der zeitversetzten Kommunikation und ihrer Missbrauchsmöglichkeiten als Grundlage seines Scherzes. Sein spielerischer Umgang mit diesem konstitutiven Merkmal der ABKommunikation belegt, dass er ein routinierter Sprecher ist, der die Nutzungsmöglichkeiten und Grenzen des Mediums kennt und es versteht, dieses verantwortungsvoll zu nutzen. AB-Kommunikation unterliegt noch weiteren Schranken, die Höflichkeitsregeln dem sprachlichen Handeln des Anrufers setzen. Die Untersuchung hat gezeigt, dass sich der AB aus technischer Sicht oft nicht dazu eignet, größere Textmengen zu übermitteln. Dieses stellt Anrufer vor Probleme, wenn die Sprechzeit ohne ihr Wissen begrenzt wurde und ihr Text abgebrochen wird.

346 Sie können dann Probleme haben, den Text nach Abbruch in einem Folgeanruf fortzusetzen und daher künftig zu knappen Mitteilungen neigen und dadurch gegen Höflichkeitsregeln verstoßen. Diese quantitativen Aspekte der Kommunikation müssen Anrufer berücksichtigen, wenn sie den AB für die Kommunikation wählen. Neben Zeit- bzw. Platzmangel können nach Antos unterschiedliche Adressaten die Wahl einer Textsorte verändern. 42 Anrufer müssen daher abwägen können, welche Textsorte neben dem Thema auch dem Adressaten adäquat ist. Dabei kann die Wahl einer dem Adressaten nicht angemessenen Texsorte einen Verstoß gegen Höflichkeitsregeln bedeuten, denn die Wahl kann auch etwas über das Verhältnis der Interaktanten zueinander aussagen. Dieses lässt sich anhand des Briefes belegen:, JDer Brief bedeutet gegenüber dem Telefon Mehraufwand für den Sprecher und bringt dadurch eine gewisse Wertschätzung für den Adressaten zum Ausdruck." 43 Anrufertexte lassen sich diesbezüglich nur schwer deuten. Ein Anrufertext kann einerseits für ein Gesprächsanliegen stehen, das durch Zufall nicht erfüllt werden konnte, weil der Angerufene nicht verfügbar war. Er kann auch für eine gezielte Medienwahl stehen, die Gesprächsbereitschaft nur signalisieren aber nicht in ein Gespräch münden soll. Bei der Medienwahl können zudem Kostenerwägungen eine Rolle spielen. Gegenüber dem Telefongespräch bedeutet eine Mitteilung auf dem AB meist geringere Kosten. Der Anrufer kann mit wenig Gebührenaufwand um den kostenintensiveren Rückruf bitten, den der Angerufene dann bezahlt. Ein Anrufertext kann also als wertschätzender Gesprächswunsch aber auch als geringschätzendes Scheinangebot oder Geiz verstanden werden und so Höflichkeitsregeln verletzen. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass zu einer Medienetikette neben Regeln der Medienwahl auch Regeln des Mediengebrauchs zählen. Einen Teil dieser Regeln stellt das Medium selbst auf. Bei vielen AB regelt die Technik z.B. den Sprecherwechsel auf die gleiche Weise. Zuerst spricht der Angerufene. Nach dem im Regelfall unmittelbar folgenden „turn-yieldingsignal" spricht der Anrufer. Die Analyse hat aber gezeigt, dass an „Shuttle"-Geräten der Sprecherwechsel anders geregelt sein kann. Diese Abweichung vom technischen Regelfall kann der Kommunikation Schwierigkeiten bereiten, wenn Anrufer bereits sprechen, das Gerät aber noch nicht aufnahmebereit ist. Diese Anrufer hinterlassen u. U. fragmentarische Texte oder werden gar nicht aufgenommen. Probleme dieser Art lassen sich aber durch technische Routine lösen, wie der folgende Text belegt: 42 43

Vgl. Antos (1989b: 8). Ettl (1983: 185); die Umfragedaten von U. Lange et al. (1990: 28) belegen, dass eine Mehrheit der Befragten Situationen kennt, in denen sie lieber einen Brief schreiben als telefonieren.

347 (340)

oje der anrufbeantworter scheint ja richtich vOll zu sein,

Der Student ruft auf einem „Shuttle" an, das nach dem Ansagetext offensichtlich noch längere Zeit gespult hat. Er weiß offensichtlich aber, wie das Gerät funktioniert. Er deutet die Pause daher richtig als Spulvorgang und Anzeichen zahlreicher vorheriger Aufnahmen und wartet den Signalton zum Sprechen ab. Neben der Signaltechnik des AB gibt weiterhin das Speichermedium des Geräts einen Rahmen für Regeln vor. Die Analyse hat darauf hingewiesen, dass Anrufer möglicherweise Hemmungen haben, eine vertrauliche Mitteilung auf den AB zu sprechen, weil das Gerät diese an einem anderen Ort speichert. Anrufer verlieren so die Kontrolle über ihren Text und können nicht prüfen, ob dieser mehrfachadressiert wird. Boynton mahnt Anrufer daher mit einer Anzahl Regeln zur Vorsicht, dem AB nicht Beleidigendes, Kompromittierendes oder Persönliches anzuvertrauen. 44 Boynton zählt weiterhin folgende Regeln zur AB-Etikette: „Be prepared to leave a sufficient message", „Get to the point" und ,»Don't forget to leave a name and number". Die Untersuchung hat gezeigt, dass es für die Kommunikation hilfreich ist, wenn der Anrufer auf dem AB mitteilt, warum er angerufen hat, damit sich der Empfänger thematisch auf den Rückruf vorbereiten kann. Insbesondere bei Anrufen von Fremden hängt der weitere Kontakt darüber hinaus davon ab, inwieweit sich diese in ihrem Text ausreichend durch Namen und Telefonnummer identifizieren. Boynton führt in seiner Etikette nicht weiter aus, welche Teile ein Anrufertext neben Thema und Selbstidentifikation noch enthalten sollte. Analog zu der Diskussion bei Ansagetexten ließe sich aber auch hier fragen, ob Anrufer regelhaft grüßen müssen. Ich habe während der Untersuchung feststellen können, dass Anrufer auch auf ein Grußverhalten verzichten 45 , wie der folgende Text belegt: (341)

+ ich wEIss welche telefonnumma {.} ihr habt. ++ ich bin gut zu hause Angekomm-n= + tschüüss= 46

Die Verwaltungsangestellte in (341) lässt den Gruß in der Eröffnung des Textes aus. In einem Ansagetext wäre dieses unhöflich, in diesem Text ist es das nicht. Die Sprecherin hat gegenüber einem AB-Besitzer den Vorteil, dass sie den oder die Adressaten ihres Textes wählt. Sie kann sich daher mit einem „recipient design" sehr genau auf die ihr vertrauten Adressaten einstellen und 44

45

46

Vgl. Boynton (1987); die folgenden Zitate beziehen sich ebenfalls auf Boyntons Regelwerk. Nach I. Lange (1998: 76 und 112) beginnen drei Viertel aller Anrufertexte mit einem Gruß, beinahe in jedem Anrufertext ihres Korpus verabschieden sich Anrufer auch mit einem Gruß. Vollkommen oder teilweise grußlose Texte wie die folgenden sind daher selten. Vgl. auch 156, 157, 244.

348 dabei auf die Begrüßung verzichten, da sie nicht erst eine Gesprächsbasis schaffen muss. Ähnliches gilt für den Fall, dass Anrufer wie in den folgenden Texten den Abschiedsgruß auslassen: (342) (343)

+ hei BEN, ARNE hier, rückruf erbet-n, 47 ++++ schade, + wir sind aber da, 48

Der Sprecher in (342) ist mit dem Adressaten befreundet, die Anruferin in (343) hat ein vertrautes Verhältnis zu den Angerufenen. Beide beenden ihren Text, ohne sich zu verabschieden. Angesichts ihres Bekanntheitsgrades sind sie dadurch aber nicht unhöflich, sie müssen deswegen auch keine Sanktionen fürchten. Nach Liddicoat gefährdet ein solches Verhalten das Verhältnis der Interaktanten zueinander nicht: Breaking off communication with an answering machine is not a face-threatening act [...] , and it is often not necessary to reassure the answerer that the breaking of communication does not threaten the relationship.49

Eine Gefahr besteht für das Verhältnis zwischen Anrufer und Angerufenem aber darin, dass beide Kommunikation verweigern können, ohne dass der andere sofort den Grund dafür erfährt. Die Untersuchung hat darauf hingewiesen, dass sich AB-Besitzer durch das Gerät vor Anrufern abschirmen, weil sie nicht jederzeit und für jeden telefonisch erreichbar sein wollen. Dieses ist eine konfliktträchtige Nutzungsweise des AB, da Gesprächswünsche der Anrufer mit einem allgemeinen Ruhebedürfnis oder auch selektiven Absichten von Angerufenen konkurrieren. Lange fordert daher: „Die sozial wünschenswerte Möglichkeit der Pufferung eines Anrufanliegens muß mit neuen Gesprächskonventionen beantwortet werden." 50 Nach Goffman darf jedes Individuum kontrollieren, wann und mit wem es sprechen möchte. 51 Hier bedarf es m.E. daher Regeln für Anrufer, damit diese höflich die Privatsphäre der Angerufenen achten und diesen das Recht einräumen, nicht jederzeit für jedermann erreichbar zu sein. Hier ist also ein Höflichkeitsverhalten gegenüber Angerufenen gefordert, das sich z.B. in dem folgenden Text belegen lässt: (344)

47 48 49 50 51 52

EINATMEN ich wollte eigentlich n u r erfrag-n wann du denn morg-n kommst ne' EINATMEN 52

Vgl. auch 169, 171. Vgl. auch 175, 255. Liddicoat (1994: 303). U. Lange (1993: 229). Vgl. Goffman (1971: 40). Vgl. auch 1, 7, 8, 13, 14, 23, 24, 39, 50, 406, 422, 433.

349 Die Anruferin verwendet in ihrem Text die Gradpartikel nur. Nach Ickler lässt sich die Partikel mit ,nichts als' paraphrasieren, sie hat eine einschränkende Bedeutung. 53 In Anrufertexten dient die Partikel nach Gold dazu, den Anruf zu legitimieren. 54 Lange interpretiert die Partikel daher als Höflichkeitsmerkmal. Danach mildert der Anrufer auf diese Weise ab, dass er in die Sphäre des Angerufenen eindringt. 55 Ebenso wie AB-Besitzer sich dem Telefongespräch entziehen gibt es Anrufer, die sich oft zum Ärger der Angerufenen entscheiden, nicht auf den AB zu sprechen. Sie verletzen damit eine Regel der AB-Etikette: „Don't hang up after the beep". Ich habe das Auflegeverhalten nicht untersucht aber vermutet, dass manche Anrufer der AB-Kommunikation aus Unsicherheit ausweichen. Von Au vermutet, dass das Auflegeverhalten in den Ängsten von Anrufern vor der Kommunikation begründet liegt und erklärt weiter: Zum Teil aber entspringt ein solches Verhalten auch schlichter Unhöflichkeit, gar Arroganz, nach dem Motto ,Ich habe es doch nicht nötig, mit einer Maschine zu reden!'. 56

Eine Anruferin meiner Untersuchung hat ihrer Abneigung gegen AB in beinahe identischem Wortlaut auf dem AB Luft gemacht. 57 Deren Anruf lässt sich also als ein Beleg für die bei von Au genannte Arroganz und als eine Verletzung von Höflichkeitsregeln sehen. Verallgemeinern lässt sich dies aber nicht. Vielleicht steht das Auflegen auch für die routinierte Abwahl des Mediums, wenn sich das Gesprächsthema nicht auf dem AB abhandeln lässt, weil dazu ein Dialogpartner nötig ist. Wenn Anrufer darüber hinaus z.B. wegen eines Streitthemas auflegen, lässt sich das sogar als Höflichkeitsverhalten deuten. Die Analyse belegt, dass Anrufer die Kommunikation vereinfachen, indem sie Höflichkeitsregeln einhalten. Das Gelingen der Kommunikation kann beim Anrufer aber Beschränkungen in der Textproduktion unterliegen, die sich nur schwer durch Regelfolgen überwinden lassen. Zu diesen Restriktionen gehören „begrenzte [...] situativ induzierte Sprech- bzw. Sprachfertigkeiten (etwa bei Streß, unbekannten Kommunikationssituationen oder mangelnder kommunikativer Übung)." 58 . Nach Preu ist die Rede in ungewohnter Umgebung besonders anfällig für Störungen. 59 Diese sind Übergangsphänomene im Aneignungsprozess des Mediums. 53 54 55 56 57 58 59

Vgl. Ickler (1994: 394). Vgl. Gold (1991: 248). Vgl. I. Lange (1998: 94). Von Au (1999: 151). Vgl. 6. Antos (1989: 6). Vgl Preu (1978: 283).

350 Lösen lassen sich diese Probleme zunächst einmal durch Übung. Wäre der AB ein gesellschaftlich erprobtes Medium wie das Telefon und gäbe es feste Musterlösungen für das Sprechen auf einen AB, könnte sich ein ungeübter Sprecher an Vorbildern orientieren. Dazu ist der AB m.E. aber ein noch zu junges Medium, bei dem unterschiedliche Lösungswege noch um die Vorbildstellung wetteifern. Dieses lässt sich auch anhand der Forschungsliteratur belegen: Nach Dubin ist der erfolgreiche Anrufer in der Lage, die Präsenz der Maschine zu übersehen und wie in einem Telefongespräch direkt mit dem abwesenden Adressaten zu sprechen. Besonders erfolgreiche Sprecher übernehmen nach Dubin sogar Face-to-face-Strategien. 60 Nach Nickl/Seutter zeichnet geübte Anrufer aber u.a. aus, dass sie ihren Text vorausplanen, während der Ansagetext abläuft. 61 Dubin und Nickl/Seutter schlagen also konzeptionell sehr unterschiedliche Strategien vor, deren Erfolg sich allerdings ebenfalls nach dem Höflichkeitskriterium bemessen lässt. So ist berufliche Telefonkommunikation Effizienzregeln verpflichtet. 62 Die Kommunikation kann zudem durch den täglichen Umgang mit Schriftstücken geschriebensprachlich geprägt sein. 63 Ein Anrufertext, der Merkmale der Planung trägt und sich an geschriebener Sprache orientiert und kompakt informiert, kommt dem entgegen. Freunden gegenüber kann ein distanzsprachlicher Text kühl wirken und gegen Höflichkeitsregeln verstoßen, weil ihm eine der Freundschaftsbeziehung angemessene Nähe fehlt. Ein Anrufertext mit den Merkmalen der Spontaneität, der dialogorientiert Nähe kommuniziert, ist Freunden eher angemessen. Fremden gegenüber kann dieser aber unhöflich wirken, da er die ihnen angemessene Distanz nicht wahrt.

60 61 62 63

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Dubin (1987: 29). Nickl/Seutter (1995: 265). Antos/Aust (Hgg. 1989). Becker-Mrotzek/Fickermann (1989).

8 Resümee und Diskussion

Das Telefon gehört nach McLuhan zu den ,kalten' Medien, da das Ohr nur dürftige Informationen bekommt.' Auf den Audio-Kanal beschränkt ist der AB im Sinne McLuhans ebenfalls ein ,kaltes' Medium - wie beim Telefon wird der Prozess seiner sprachlichen Aneignung aber von z.T. hitzigen Reaktionen begleitet. Ich habe einleitend darauf hingewiesen, dass manche Menschen eine tiefgehende Abneigung gegen die Kommunikation mittels AB haben. Ausgangspunkt der Untersuchung war daher die Frage, worin die Akzeptanzprobleme der AB-Kommunikation liegen. Nach den Ergebnissen der Untersuchung ist AB-Kommunikation mit einer Anzahl von Problemen verbunden, die sich aus den Bedingungen des Mediums ergeben - AB-Kommunikation... • • • • • • • •

verläuft ohne visuelle Daten über die Telefonleitung; verläuft ortsversetzt; verläuft Uber ein (elektronisches) Speichermedium; verläuft zeitversetzt; (der Sprecherwechsel) wird durch ein akustisches Signal geregelt; ist eingebettet in ein weltweites Kommunikationsnetz; kann über den Lautsprecher abgehört und jederzeit zu Gunsten eines Telefongesprächs beendet werden; kann nach Typ und Modell des Mediums variieren.

Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Teilnehmer der Kommunikation Schwierigkeiten bei der Bearbeitung dieser Probleme haben können: Ein erstes Problem besteht darin, dass der AB über keine eigene Leitung verfügt. Als Zusatzgerät des Telefons ist er mit dessen Leitung verbunden. Das eingeschaltete Gerät nimmt einen Anruf, bei dem der Hörer nicht abgenommen wird, automatisch entgegen. Dieser Automatismus kann dazu führen, dass Anrufe einem anderen Medium als dem vorgesehenen zugeführt werden. Anrufer können vor Beginn der Kommunikation wissen oder erahnen, dass ihr Anruf von einem AB entgegengenommen wird und vorausplanen. Anrufer können aber auch unvorbereitet auf den AB treffen und dadurch gezwungen sein, sich spontan auf die gegenüber dem Telefongespräch veränderte Kommunikationssituation einzustellen. Erschwerend kann hier hinzukommen, dass der Angerufene Anrufer zu Handlungen auffordert, die diese in ihren Handlungsplan integrieren und das heißt, dass sie eventuell umplanen müssen. Anrufer können unter diesen Umständen Formulierungsschwierigkeiten haben, wie die Analyse gezeigt hat.

1

Vgl. McLuhan (1968: 29).

352 Die unter den beschriebenen Bedingungen durch das Medium geförderten Formulierungsschwierigkeiten können dem Anrufer die Kommunikation weiter erschweren, weil der AB diese aufzeichnet. Hierbei dürfte das von der geschriebenen Sprache geprägte Sprachgefühl eine wichtige Rolle spielen: Wir schreiben nicht mehr auf, was wir und andere sprechen; wir sprechen im Idealfall „nach der Schrift" oder „wie gedruckt" und halten Gesprochenes nur insofern für relevant, wie es sich schriftlich repräsentieren läßt. 2

Speichermedial fixiert kann die flüchtige gesprochene Sprache reproduziert, analysiert und nach Sprachgefühl negativ bewertet werden. Anrufer, die sich während des Sprechens mit der Möglichkeit beschäftigen, anhand ihrer Sprache negativ oder nicht positiv genug beurteilt zu werden und daraufhin Imageverlust befürchten, steigern ihre Aufmerksamkeit auf das ,Wie' ihres Sprechens („self-monitoring"). Dieses kann Anrufer weiter verunsichern und hemmen und sogar in Sprechangst münden. Der Einfluss des Speichermediums auf das Sprechen kann zudem noch dadurch intensiviert werden, dass Sprecher und Aufnahmegerät räumlich getrennt sind. Anrufer haben daher meist keine Möglichkeit, ihre Texte bei Bedarf zu löschen oder zu editieren. Zudem verlieren Anrufer durch das Sprechen auf ein ortsversetztes Speichermedium die Kontrolle Uber ihre Aufnahme. Sie müssen die Möglichkeit in Kauf nehmen, dass ihr Text mehrfachadressiert sein kann. Dieses kann das Vertrauen in die Kommunikation zu ihrem Nachteil verringern. Das Speichermedium des AB erlaubt Anrufer und Angerufenem zudem, zeitversetzt zueinander zu sprechen. Damit hält der AB eine weitere Hürde für die Kommunikation bereit: Anrufer und Angerufener haben keine gemeinsame Gesprächsituation. Der AB ist streng betrachtet kein Gesprächsmedium, AB-Kommunikation trägt lediglich gesprächshafte Züge, sie ist nur eine Reduktionsform des Gesprächs, wie die Diskussion verdeutlicht hat. Dieses hat weitreichende Konsequenzen für die Kommunikation, denn Anrufer müssen dadurch in erheblichem Maße besondere Dialogprobleme bewältigen. Sie können auf dem AB mangels direktem Gegenüber kein Gesprächsthema abhandeln, der Bedarf, ein Thema auszuhandeln, bleibt damit unerfüllt. Auch das Bedürfnis, auf eine Frage eine direkte Antwort zu bekommen, wird in der AB-Kommunikation nicht befriedigt. Anrufer können über den Ansagetext hinaus keine weiteren Informationen vom Angerufenen bekommen. Der AB eignet sich zwar besser dazu, Informationen an dessen Besitzer weiterzugeben, doch stellt sich für Anrufer dabei auch das Problem, keine Rückmeldungen zu bekommen.

2

Giese/Januschek (1990: 56).

353 Die Untersuchung hat hier die Schwierigkeiten beim Sprechen ohne Dialogpartner deutlich gemacht. Sie tauchen in Anrufertexten z.B. auf, weil die für die Beendigung eines Telefongesprächs typischen ritualisierten Sprecherwechsel beim Sprechen auf den AB nicht eingehalten werden können. Die Planungs- und Dialogprobleme von Anrufern lassen sich gemeinsam in den Kontext der Mündlichkeits- vs. Schriftlichkeitsproblematik einordnen. Danach haben Anrufer Schwierigkeiten in der Kommunikation, wenn ihre Mündlichkeitserwartung (dialogisch, spontan, näheorientiert) für ein Telefongespräch überraschend mit der Schriftlichkeitsanforderung (monologisch, geplant, distanzorientiert) des AB kollidiert. Das Speichermedium sowie dessen Kapazitätsgrenzen fördern die Sprache der Distanz. Deren Merkmale sind u.a. eine größere Informationsdichte, Kompaktheit, Integration, Komplexität, Elaboriertheit, Planung. 3 Ein Teil der Vorbehalte gegenüber dem Medium dürfte also darin begründet sein, dass Anrufer und Angerufener streng genommen kein Gespräch führen können - das Gerät erlaubt es, nacheinander zueinander zu sprechen, verhindert aber das vom Anrufer meist angestrebte Miteinander. Hieraus können der Kommunikation weitere Probleme erwachsen, wenn der Angerufene das indirekte ,Nacheinander-Zueinander' des AB dem direkten Miteinander im Telefongespräch bewusst vorzieht. Die bildlose raumund zeitversetzte Kommunikation erlaubt es dem Angerufenen, mit dem Lautsprecher des Geräts ein Gesprächsanliegen aus einem Ruhebedürfnis heraus oder nach situativen oder sozialen Kriterien unerkannt selektiv zu puffern oder es entgegenzunehmen. Diese Nutzungsoptionen können der Kommunikation Probleme bereiten: Erstens kann die Mithörmöglichkeit Anrufer sehr verunsichern. Besteht der Eindruck, beim Sprechen durch eine oder mehrere Personen belauscht und bewertet zu werden (beobachtetes Sprechen), kann dieses das Vertrauen in den Kommunikationspartner beschädigen und so die Kommunikation erschweren. Zweitens ist der Abwahl- bzw. Selektionsprozess für den Anrufer in der konkreten Kommunikationssituation nicht transparent. Er kann nur darüber spekulieren, warum er keinen direkten telefonischen Zugang erhält. Er kann das Handeln des Angerufenen dabei fehlinterpretieren und eine situative Abwahl oder ein Ruhebedürfnis vor dem Telefonklingeln zum Schaden des Verhältnisses als soziale Abwahl auffassen. Fischer stellt noch vor einigen Jahren fest, dass es noch zu früh sei, um über die soziale Bedeutung des AB spekulieren zu können. 4 Inzwischen lässt sich aber beobachten, dass der AB in seinen Abwahlmöglichkeiten soziale Bedeutung erlangt hat.

4

Kommunikationsmedien machen Privat- und Berufsleben füreinander durchlässiger - nach Bamme et al. (1983: 257) begünstigt eine Vernetzung der Lebenswelten und -bereiche eine Tendenz zur Formalisierung der Sprache. C.S. Fischer (1992: 259).

354 Fischer betont, dass bereits diese kleine Modifikation der Telefontechnik es zulasse, nicht mehr ans Telefon gehen zu müssen und fragt: „Has the social meaning of the telephone been so quickly reversed?" 5 Soziale Bedeutung hat der AB insbesondere als Gesprächsfilter erlangt, da er die soziale Bedeutung des Telefons einschränkt, über Statusgrenzen hinweg unmittelbar ein Gespräch führen zu können. Darin spiegelt sich ein Stück problematische Realität heutiger Telekommunikation wider, in dem sich die Sucht nach mobiler permanenter telefonischer Erreichbarkeit 6 und Wege des Entzugs um Ausgleich mühen. Auf beiden Seiten wird dabei Telefontechnik genutzt, um ein Gesprächsanliegen durchsetzen bzw. abwehren zu können.7 Letzteres ließe einen möglicherweise schädlichen Einfluss .kommunikationsdefensiver' Technik auf das Gespräch befürchten. Kaupp fragt hier allgemein - „Neue Medien - neue Gesprächsfeindlichkeit?" 8 - nach Auswirkungen neuer Informations- und Kommunikationstechnologien auf die Face-toface-Kommunikation. Kaupp stellt fest, dass die Klage über die Gefahren neuer Medien eine alte Geschichte habe und belegt dieses anhand der Erfindung des Buchdrucks. 9 Ein jüngeres Beispiel für die Sorge um das Face-toface-Gespräch gibt Henne in seiner Kritik an Sprechanlagen-Dialogen: Sprechanlagen-Dialoge sind Menetekel unserer Zeit. [...] Sie zeigen den Verlust an persönlicher Zuwendung an, den notwendigen technischen Schutz, der gekoppelt ist mit einer Erleichterung: Der Besucher des Hauses wird ferngehalten und ist doch nah, er braucht keine Treppen zu steigen und steht „draußen vor der Tür". Der Besucher wird, mit einem Wort, einer Prüfung unterzogen. [...] Gegensprechanlagen stellen ein Gesprächsangebot dar und beinhalten zugleich die Verweigerung. Eine Gegensprechanlage ist ein kommunikativer Januskopf und als solcher Zeichen der kommunikativen Gefährdung unserer Zeit. 10

Der AB wird ebefalls zu selektiven Zwecken genutzt. Darin kann man ein Zeichen sehen, dass der AB die Kommunikation gefährdet. Die Gefährdung ist aber weniger groß als angenommen. Christensen et al. haben in einem

5 6 7

8 9 10

C.S. Fischer (1992: 259). Vgl. U. Lange (1989b: 174), K. Lange (1991). K. Lange (1991: 156) unterscheidet zwischen „offensiven" (u.a. Wahlwiederholung, Kurzwahl über fest programmierte Funktionstasten, Anwahl aus einer elektronischen Datenbank, programmierte Anwahl mehrerer Teilnehmer) und „defensiven" (generelle Anrufblockade durch Ruhetasten, selektive Anrufblockade für spezifische Anrufer, Rufnummernanzeige, Anrufbeantworter) Funktionsmerkmalen moderner Telefonanlagen; nach Crabb (1999: 6 6 9 ) wird in der E-mailKommunikation der Empfang unerwünschter Post durch Software-Filter blockiert. Kaupp (1989). Vgl. Kaupp (1989: 403). Henne (1984: 5f.).

355 sozialpsychologischen Experiment beobachtet, dass 4 0 % der AB-Besitzer sie hatten 10-15% erwartet - auf den Anruf Unbekannter antworten." Als Regulativ ist der AB aber auch Signal für eine Gefährdung durch Kommunikation. Hier schützt der AB die Privatsphäre vor dem verbalen Eintritt z.B. eines Marktforschers, wie die Gegensprechanlage z.B. Drücker draußen vor der Haustür stehen lässt. Diese Nutzungsweise des AB ist ein Zeichen der Gegenwart, dass sich derzeit ein Bewusstsein dafür bildet, dass jeder das Recht beanspruchen kann, nicht unmittelbar telefonisch erreichbar zu sein. Nach Bülow steht außer Frage „daß das Telefon die großartigste Errungenschaft ist, die dem homo loquens zuteil werden konnte" 1 2 . Diese Errungenschaft ist aber, so Bülow weiter, in die Kommunikationsgeschichte des homo loquens, in die Geschichte seines Sprechens und seiner Sprachfähigkeit einzuordnen, sein Rederecht als universales Menschenrecht in seiner technischen Unbegrenztheit, seine Pflicht zur kommunikativen Erreichbarkeit dem Recht auf Schweigen gegenüberzustellen, die kommunikative Gelassenheit gegenüber dem telefonischen Kommunikationszwang zu realisieren und zuzulassen und damit die Menschlichkeit des Menschen als homo loquens zu retten, die sich erst in der Fähigkeit zum Schweigen und der Herrschaft über den Apparat vergegenwärtigt. 13 Die Nutzungsweise des AB als Filter muss das Face-to-face-Gespräch nicht gefährden - Anrufertexte enden oft mit einer Rückrufbitte und münden später in ein Telefonat, das ein Face-to-face-Gespräch anbahnen kann. R a m m e r t stellt sogar fest: Je mehr die spontane unmittelbare Kommunikation durch standardisierten und technisch vermittelten Informationsaustausch ersetzt wird, desto stärker steigen die Bedürfnisse nach direkter Mitteilung und Verständigung bei den davon Betroffe14 nen . Die Analyse hat gezeigt, dass Anrufer in der Kommunikation oft die Betroffenen sind. Der AB bietet seinem Besitzer Nutzungsmöglichkeiten, die Konfliktpotenzial für seine Sozialbeziehungen tragen. Hier könnte man mit McLuhan sagen, „daß nicht in der Maschine, sondern in dem, was man mit der Maschine tut, der Sinn oder die Botschaft liege." 1 5 Nach B a m m e et al. können Maschinen „als materialisierte Projektionen von Wesensmerkmalen des Menschen begriffen werden." 1 6 Das Problem besteht für den Menschen daher

11 12 13 14 15 16

Vgl. Christensen et al. (1998). Bülow (1990: 312). Bülow (1990: 312). Rammert (1990b: 31). McLuhan (1968: 13). Bamme et al. (1983: 110).

356 nicht allein im Medium selbst, sondern im Mediengebrauch durch Menschen, wie Kienecker folgend deutlich macht: W o sich der Grundsatz: ,Du kannst, denn du sollst' verkehrt in den Satz 'Ich kann, was ich will', entsteht eine geistige Situation, in der auch die Werkzeuge der Kultur statt zu verantwortetem, zu beliebigem Gebrauch (oder Mißbrauch) verfügbar werden. Es ist also letztlich der Mensch selbst, dessen geistig-sittliche Verfaßtheit über die Anwendungsformen und Wirkungen entscheidet, die mit seinen Verfügungsmöglichkeiten über Kommunikationstechnologien und -medien verbunden sind.

Für Probleme der AB-Kommunikation sind also nicht allein deren konstitutive Merkmale verantwortlich. Auch die Anwendungsformen des Mediums sind Quelle für Probleme. Wenn der AB als Filter genutzt und die Botschaft des Mediums als sozial motivierte Absage für ein Telefongespräch verstanden wird, erklärt dies, warum Anrufer verärgert auf das Medium reagieren und es daher ablehnen können. Der Gebrauch des AB als Filter zeigt: „Technik läßt sich nicht vom Umgang mit ihr trennen; Technik hat Spielräume in ihrer Nutzung." 18 Diese Spielräume nutzen AB-Besitzer auch bei der Gestaltung von Ansagetexten, woraus sich Probleme der Mehrfachadressierung ergeben können. Ansagetexte können mehrere Handlungsziele verfolgen: Sie können informieren, Handlungen des Anrufers steuern, unterhalten und so zum Sprechen animieren sowie - gewollt oder ungewollt - ein Selbstbild des/der Angerufenen vermitteln und diesen Zielen dabei unterschiedliche Priorität einräumen. Unter den Bedingungen der Mehrfachadressierung und eines weltweiten Kommunikationsnetzes lässt es sich daher nicht ausschließen, dass Ansagetexte und deren Handlungsziele von Texterwartungen bzw. bedürfnissen von Anrufern abweichen und sich daraus Verständlichkeits- und Höflichkeitsprobleme ergeben. Diese Probleme lassen sich aber durch ein dem erwarteten Adressatenkreis angemessenes Textdesign verringern. Ein gewähltes Textdesign kann dabei auch grob einer bestimmten Nutzungsweise des Mediums zugeordnet werden. Ansagetexte mit informativem und handlungssteuerndem Ziel verfolgen die eigentliche Grundidee des Mediums - sie bieten eine Ersatzkommunikation für das Telefongespräch an und arbeiten darauf hin, dass möglichst viele Anrufer das Medium für die Kommunikation nutzen können. Ihre Botschaft lässt sich daher als eine Einladung für viele zum Gespräch verstehen. Kreativ gestaltete Texte, deren Senderspezifika verschlüsselt Kontakt aufbauen und Handlungen steuern und die nur durch Kontextwissen dechiffriert werden können, betonen dagegen ein unterhaltendes Handlungsziel. Sie lassen sich zudem als bewusste Imageproduktionen auffassen, die über den AB verbreitet werden. 17 18

Kienecker (1984: 145). Homing (1990: 255).

357 In dieser Funktion steht der AB in der Tradition älterer Medien wie bedruckter T-Shirts, von Aufnähern, Buttons oder Autoaufklebern 19 , die es dem Einzelnen ermöglichen, sich an viele zu richten. Diese Nutzungsweise des AB trägt Züge von Massenkommunikation und belegt zudem einen gesellschaftlichen Trend, Privates der Öffentlichkeit preiszugeben. Für diese Entwicklung stehen gegenwärtig Talkshows, in denen Nicht-Prominente vor einem Millionenpublikum das Innerste nach außen kehren 20 , und private Homepages - Soziologen der Universität Zürich gehen nach Umfragedaten zur Internet-Nutzung davon aus, dass „ein Bedürfnis, sich öffentlich zu artikulieren, bei vielen vorhanden ist." 21 Diese Anwendungsweise des AB stellt ein Problem für die Kommunikation dar, weil das Medium dem Telefon zugeschaltet wird und Anrufer und Angerufener keine gemeinsame Gesprächssituation haben. Für das Zustandekommen von Dialogen sind sprachliche Texte wesentlich, mit denen die Aktanten erwartbare Reaktionen der Partner anstreben. Dialoge sind aus dieser Sicht Prozesse der Produktion und der Rezeption interpretierbarer Zeichenkonfigurationen22. Probleme ergeben sich, wenn ein Anrufer mit Gesprächswunsch vom Ansagetext bestimmte Gebrauchsweisen von sprachlichen Zeichen zur Kontaktaufnahme erwartet, diese Zeichen aber nicht kommen, weil der Angerufene an Stelle des Gesprächs ein anderes Handlungsziel verfolgt und die sprachlichen Zeichen dem angepasst sind. Lassen sich die Zeichen nicht mehr als Selbstidentifikation des Angerufenen erkennen, droht die Kommunikation abzubrechen - das Medium erlaubt keinen weiteren Sprecher Wechsel, um sich der Identität des Angerufenen zu versichern. Eher massenmedial orientierte Nutzungsweisen des AB können in Gestalt kreativer Texte auch Probleme für den Angerufenen mit sich bringen. Mehr als förmliche Texte, die vorwiegend den Kontakt zum Anrufer herstellen sollen, laden abweichende Muster zu Bewertungen ein. Dieses kann als Ergebnis einer Anrufer-Animation erwünscht sein, wird aber durch massenmediale Begleitphänomene erkauft. Die Analyse hat hier Ermüdungserscheinungen bei Anrufern beobachtet, die den angestrebten Effekt langfristig vermindern oder umkehren können. Zudem kann sich aus dieser Strategie eine Verpflichtung zu Einfallsreichtum und Aktualität ergeben, die auf Dauer erwartet und eingefordert werden kann.

19 20 21

22

Vgl. Blühdom (1995), Newhagen (1995). Vgl. (Fromm 1999). Vgl. Internet-Survey.ZH96-Team (Universität Zürich, Soziologie): Veröffentlichung eigener Beiträge im Internet; http://door.ch. Mötsch (1994: 10).

358 Die Erwartungen des Anrufers spielen auch bei Problemen in der Kommunikation eine Rolle, die sich technisch bedingt aus unterschiedlichen AB-Typen sowie deren Ausstattungsmerkmalen ergeben können. Probleme können der Kommunikation durch typ- und modellbedingte akustische Qualitätseinbußen, durch Bedienungsfehler bei der Aufnahme und durch ungenügende Sprechzeit entstehen. Besonders erschwert wird die Kommunikation an „Shuttle"-Geräten, weil dort das „turn-yielding-signal" variieren kann. Weiterhin stellen sich der Kommunikation Probleme temporaler Deixis, die an manchen Geräten bereits technisch gelöst sind: Sie zeigen per Display oder durch eine Computerstimme Tag und Zeit des Anrufs an. An schlechter ausgestatteten Geräten müssen diese Probleme aber sprachlich bearbeitet werden. Dazu muss der Ansagetext das Handeln des Anrufers steuern. Unter den Bedingungen der Mehrfachadressierung kann es aber nötig sein, für Anrufer mit geringen Voraussetzungen umfangreiche Bedienungshinweise zu geben. Hierbei können Überlastungen eintreten, sodass Anrufer Handlungen nicht ausführen oder überfordert auflegen. Hier wird deutlich, dass es notwendig ist, schon bei der Entwicklung einer Technologie die Bedürfnisse der Anwender im Alltag stärker zu berücksichtigen 23 , denn der Techniker konstruiert auf der Grundlage des Erforschten jene Medien und Apparate, die als Innovationen die Lebensbedingungen des Menschen nicht nur erleichtem, sondern auch verbessern sollen. Wo aber Wissenschaftler und Techniker den gleichberechtigten Anspruch des Menschen als ihres Partners „vergessen", entstehen alle jene Konflikte, die die Akzeptanzkrise ausmachen. 2 4

AB begegnen Akzeptanzproblemen, da ihre technischen Merkmale viele Handlungsanpassungen an die Anforderungen des Mediums erfordern, denn der Einzelne akzeptiert eher Medien, die ihm einen individuellen Spielraum lassen und sich seinen konkreten Anforderungen anpassen. Je mehr neue Kommunikationsmittel ihn zwingen, sein gewohntes Alltagsverhalten zu ändern, desto höher sind die Akzeptanzbarrieren.

Der AB verändert das Alltagsverhalten erheblich, da er an die Stelle des erprobten Telefonats eine ungewohnte Kommunikation setzt. Das Ungewohnte und Neue besteht dabei z.T. aus der Kombination gewohnter Probleme .alter' Medien. Der AB vereinigt z.B. Telefonprobleme mit denen der Briefkommunikation. Zudem zeigen sich dort nicht gerade alltägliche Probleme, die denen beim Sprechen auf elektronische Speichermedien (z.B. bei Tonbandbriefen) oder vor Publikum ähnlich sind. Wann sprechen wir schon 23 24 25

Vgl. Beck (1989: 70). Kienecker (1984: 147). Mast (1985: 225).

359 einmal auf eine Kassette oder vor Publikum? Beide Teilnehmer in der ABKommunikation stehen demnach vor Problemen, die wohl zu wenig erprobten Ausnahmesituationen des Sprechens gehören. Bei der Lösung von Problemen in der Kommunikation sind die Lasten aber ungleich verteilt. Der Angerufene hat unbegrenzt Planungs- und Editierungszeit für seinen Gesprächsschritt, der Anrufer nicht. Der Angerufene legt die medialen, technischen und textuellen Bedingungen der Kommunikation fest, der Anrufer kann darauf nur reagieren. In dieser Situation greifen Anrufer zu unterschiedlichen Lösungen, wie die Untersuchung gezeigt hat. Es lassen sich sowohl nähe- (dialogisch und gesprochensprachlich) als auch distanzorientierte (monologisch und geschriebensprachlich) Strategien beobachten, z.T. adaptieren Anrufer dabei bekannte Muster aus Face-toface-, Telefon- und Funkgespräch sowie aus schriftlichen Texten wie Brief oder Postkarte. Die Strategien können im Zusammenhang des Mediums stehen und als reaktiv auf Dialog- oder speichermedial und kapazitätsbedingte Probleme verstanden werden. Sie können aber auch Ausdruck des Bekanntheitsgrades der Interaktanten zueinander sein. Ausdruck eines eher vertrauten oder befreundeten Verhältnisses zwischen Anrufer und Angerufenem sind Frage- und Aufforderungsstrategien. Hier versucht der Anrufer den oder die gewünschten Teilnehmer über den Lautsprecher des Gerätes direkt anzusprechen, um sich der Kommunikationssituation zu vergewissern oder jemanden zum Beginn eines Telefongesprächs zu bewegen. Vertraute und befreundete Anrufer können bei dieser Dialogstrategie ihre Kenntnisse über Angerufene - deren Wohnung, Lebensgewohnheiten, Arbeitszeiten etc. - nutzen. Sie können damit auch eher als andere die durch den AB aufgebaute Kommunikationsbarriere überwinden. Eine weitere Dialogstrategie, die sich beobachten ließ, personalisiert den AB zum Gesprächspartner. Beide Interaktanten können die Kommunikation mittels AB so gestalten, dass sie als Kommunikation mit dem AB erscheint. Der Angerufene kann dem Medium Persönlichkeit verleihen, wenn sich an seiner statt das Medium im Ansagetext quasi selbst identifiziert und der AB den Anufer z.B. wie ein Hausangestellter, Roboter bzw. maschinenartiges Wesen oder Geist begrüßt, wobei die dem Gerät gegebenen Identitäten bestimmte Aspekte der AB-Kommunikation - etwa das Regulierende (Butler) oder das Maschinelle (Roboter) - hervorheben können. Letzteres kann negative Effekte für die Kommunikation mit sich bringen. Die Analyse hat darauf hingewiesen, dass Anrufer AB-Kommunikation ablehnen, weil sie diese als Kommunikation mit einer Maschine empfinden. Der Eindruck eines maschinellen Gegenübers kann entstehen, wenn Ansagetexte abgehackt und monoton nach schriftlicher Folie abgelesen werden und das Speichermedium eine synthetische Sprechstimme erzeugt.

360 Unabhängig, ob vom Ansagetext suggeriert oder nicht, haben Anrufer die Möglichkeit, das Medium selbst anzusprechen und in einen scheinbaren Dialog mit der Maschine zu treten. Sie können dabei an Stelle des Angerufenen den AB als sprachlich Handelnden auffassen, der ihnen maschinell einen engen Rahmen für ihr Handeln setzt. Anrufer können den AB so zum Adressaten ihres Ärgers machen, wenn das sprachliche Handeln des Angerufenen vom Erwarteten abweicht und das Dialogproblem auf diese Weise bearbeiten. Eine andere Art, mit Problemen in der AB-Kommunikation umzugehen, besteht darin, diese durch Auflegen zu umgehen. Unsichere Anrufer vermeiden so Imageprobleme, die ihnen aus den Schwierigkeiten im Umgang mit dem Medium erwachsen könnten. Dieses passive Vermeidungsverhalten kann aber auch darauf hindeuten, dass ein Anrufer geübt ist und nicht auf den AB spricht, weil er sein Thema dort nicht abhandeln kann. Neben passiven Formen von Vermeidungsverhalten können Anrufer aber auch aktiv Probleme in der AB-Kommunikation umgehen. Eine oft beobachtete Vermeidungsstrategie besteht darin, zwar auf den AB zu sprechen, das Thema aber auszulassen und um Rückruf zu bitten. Anrufer vermeiden dadurch, wegen eines dialogbedürftigen Themas Formulierungsschwierigkeiten auf dem AB zu bekommen. Formulierungsschwierigkeiten wiederum können Anrufer ebenfalls durch Vermeidungsstrategien bearbeiten. Durch Lachen oder Humor können sie ihre Schwierigkeiten als unernst markieren und so einer negativen Bewertung durch den Hörer und möglichem Schaden für ihr Image entgegenwirken. Anrufer neigen zudem zu Vermeidungsstrategien, wenn sie den Ansagetext oder den Umstand, dass der Angerufene nicht unmittelbat erreichbar ist, bewerten. Anrufer können dabei die Modalität wechseln und durch Scherz- und Ironieaktivitäten möglichen Hörersanktionen entgegenarbeiten. Scherz und scherzhafte Ironie können in Anrufertexten zudem phatische Funktion haben. Weiterhin können Anrufer durch diese Aktivitäten (wie durch Lob zum Ansagetext und durch Datums- und Zeitangaben) zu Beginn des Textes den kritischen Moment der Themeneinführung hinauszögern und so Planungsprobleme vermeiden. Die Analyse von Vermeidungs- und Bewältigungsstrategien belegt, wie vor allem der Anrufer von den Problemen in der ABKommunikation in die Pflicht genommen wird. Über Regeln ließe sich die Kommunikation für den Anrufer erleichtern. Es ist eine „unumgängliche - und in vieler Hinsicht wohl auch evidente - Annahme, daß die Möglichkeit von Kommunikation auf der gemeinsamen Beherrschung von Regeln beruht, nach denen Zeichengestalten gebildet und interpretiert werden. [...]. Daß dialogische Kommunikation möglich ist, beruht auf gemeinsamer Regelkenntnis und das ist hinzuzufügen - gemeinsamem Hintergrundwissen der Partner.26 26

Mötsch (1994: 10f.).

361 In Ergänzung von Regeln aus der Ratgeberliteratur habe ich eine Anzahl Regelvorschläge gemacht, die sich wie folgt zusammenfassen lassen: •

Der Angerufene stellt das Medium für die Kommunikation bereit, der Anrufer hat die Wahl, ob er das Medium nutzen möchte oder nicht. Er trägt damit die Verantwortung dafür, dass seine Medienwahl der Situation (Adressat, Thema) angemessen ist.



Da Anrufer und Angerufener einen zeit- und ortsversetzten Dialog führen, können beide weder Rückfragen stellen noch widersprechen. Beide Texte müssen daher verständlich sein und dürfen keine Höflichkeitsregeln verletzen.



Der Angerufene muss beide Kriterien unter den Bedingungen der Mehrfachadressierung erfüllen und dabei das Kommunikationsrecht auch gehemmter oder ungeübter Anrufer achten. Sein Gesprächsschritt sollte dazu nicht maschinenartig sprachlich gestaltet sein und Anrufern die Planung ihres Textes erleichtern.



Da Anrufertexte durch den AB gespeichert und reproduziert werden, übernimmt der Angerufene die Verantwortung für die Texte. Einfachadressierte Anrufertexte sollten nicht ohne Wissen des Sprechers anderen zugänglich gemacht werden. Sonst ist das Vertrauen in die Kommunikation gefährdet.



Anrufer und Angerufener haben das Recht, Kommunikation zu verweigern. Anrufer sollten das Recht zum Auflegen haben, wenn der AB anspringt. Der Angerufene sollte wählen dürfen, zu welchem Zeitpunkt und mit wem er nicht telefonieren möchte und das Medium ohne Sanktionen als Barriere nutzen können.

AB-Kommunikation ließe sich durch solche Regeln harmonisieren, wenn diese allgemeingültig würden. Ich gehe allerdings davon aus, dass das Medium nur langsam ein verbindliches Regelsystem etablieren wird. Damit sich Regeln bilden und verfestigen können, sind Sanktionsmechanismen wichtig. Die Trennung von Zeit und Raum schränkt in der AB-Kommunikation Sanktionsmöglichkeiten ein. AB-Besitzer können Anrufer nur unmittelbar sanktionieren, wenn sie zuvor gelauscht haben und dann den Hörer abheben. Sie selbst können sich unmittelbarer Sanktion aber weitgehend entziehen. Anrufer haben z.B. unmittelbare Sanktionsmöglichkeiten, wenn der Angerufene zu einem Telefongespräch bereit ist. Nimmt dieser aber den Hörer nicht ab, bietet sich Anrufern vorwiegend nur der zeitversetzte Sanktionsweg z.B. über ein späteres Telefon- oder Face-to-face-Gespräch sowie eine zeitlich limitierte Mitteilung auf dem AB. Eine andere Möglichkeit, den Angerufenen zu sanktionieren, besteht im Auflegen. Das Medium begünstigt dieses, weil der Angerufene nur bei moderner Telefontechnik herausbekommen kann, welcher Anrufer geschwiegen hat. Bei älteren Geräten lässt sich ein Aufleger nicht identifizieren. Macht sich der Anrufer das Auflegen zur Gewohnheit, hindert es ihn aber langfristig, ein routinierter Sprecher zu werden.

362 Behindert wird das Regellernen weiterhin dadurch, dass es unterschiedliche AB-Typen gibt. Ein in seiner Funktionsweise standardisiertes Kommunikationsmedium dürfte den Erwerb seiner Regeln erleichtern, weil die Kommunikation damit einem konstanten technischen Rahmen unterliegt. Die Untersuchung hat aber gezeigt, dass beim AB typbedingte Abweichungen in der Signalgebung oder das Vorhandensein bestimmter Aussattungsmerkmale (Speicherkapazität, Datierung der Anrufe) Handlungsanpassungen erzwingen, sodass eine Medienroutine auch verschiedene Typenroutinen umfasst. Diese Faktoren erschweren das Regellernen und verlangsamen den Aneignungsprozess des Mediums. Auch die bereits genannten Nutzungsmöglichkeiten des AB für dessen Besitzer als Kommunikationsmedium, Kommunikationsfilter und -barriere sowie als Massenmedium stehen dem Erlernen von AB-Kommunikation im Wege. Die Nutzungsweisen folgen z.T. unterschiedlichen und sogar einander ausschließenden Regeln, die dem Gesprächswunsch eines Anrufers und seiner Erwartungshaltung, einen Teilnehmer am anderen Ende der Leitung vorzufinden, zuwider laufen können. Die Akzeptanzprobleme des Mediums lassen sich somit auch darauf zurückführen, dass ein Nutzungs- und Regelkonsens zwischen Anrufern und Angerufenen noch aussteht. Hier zeigen sich Parallelen zum Telefon, das in den Anfangsjahren ebenfalls sehr unterschiedlich genutzt wurde. Zu Beginn diente das Telefon vorwiegend als einseitiges Nachrichtenmittel (Transportkonzept). Zuden nutzte man das Telefon radioähnlich und übertrug Musik, Opernaufführungen oder Dichterlesungen über die Telefonleitung (Radiokonzept). Zweiseitige Kommunikation (das Verständigungskonzept) stand zu Beginn nicht im Vordergrund. 27 Nach „einigen Jahren der Unsicherheit" 28 hat sich das Verständigungskonzept aber schnell durchgesetzt und Regeln zur Verständigung etabliert, die zur nicht hinterfragten Selbstverständlichkeit geworden sind. 29 Der AB stellt nun viele dieser in mehr als einem Jahrhundert Telefongeschichte gewachsenen Regeln in Frage. Da es inzwischen aber ausreichend Gelegenheit gibt, Erfahrungen mit dem Medium zu machen, gehe ich davon aus, dass AB-Kommunikation in keinem Regelvakuum stattfindet. Allerdings können Anrufer und Angerufener noch auf kein etabliertes Regelinventar zurückgreifen. Das Medium hat u.a. deshalb bislang noch keinen verbindlichen Ersatz für Telefonregeln geschaffen, weil m.E. noch ein gesellschaftlicher Aushandlungsbedarf darüber besteht, wie das Medium zu nutzen ist, wie z.B. die Diskussion um die sehr umstrittene Praxis des „Screening" belegt.

27 28 29

Vgl. Rammert (1989b: 80ff.) und (1989a: 92ff.). Rammert (1989: 93). Höflich (1989: 199).

363 Der AB befindet sich in einer Phase, in der sich verschiedene Nutzungsweisen entwickelt haben, die gerade gesellschaftlich erprobt werden. Hierbei ist noch offen, welche Formen der Nutzung bestehen bleiben und welche wie das Radiokonzept des Telefons verschwinden oder durch andere Medien ersetzt werden. Ohne einen Nutzungskonsens hat es das Medium aber schwerer, Regeln auszubilden, die eine medienadäquate Kommunikation konstituieren. Aus einer für die frühe Phase der Aneignung typischen Regelunsicherheit heraus lassen sich die beobachteten Verhaltensunsicherheiten in der ABKommunikation erklären. Cathcart/Gumpert zeigen, dass der Entwicklungsprozess von Medien unterschiedliche Stadien durchlaufen kann. Sie beziehen sich dabei zwar auf Massenmedien, ihre Beobachtungen können aber auch als Anhaltspunkt für den Aneignungsprozess des AB dienen: In Phase I wird ein neues Medium als Spielzeug betrachtet, das z.B. Reiche oder Extrovertierte anschaffen. In diesem Stadium ist das Medium weder von politischem, noch von gesellschaftlichem oder wissenschaftlichem Interesse. Vereinzelt wird in dieser Zeit wild oder präzise über den Einfluss des Mediums spekuliert oder dessen Existenz wird belächelt. In Phase II wächst das allgemeine Interesse für das Medium, die Menschen wollen wissen, wie es funktioniert, es wird kommerzialisiert und erlangt sowohl politische als auch wissenschaftliche Aufmerksamkeit. In Phase III ist das Medium zur Institution geworden, hat seine Kritiker überlebt, seine Funktionen legitimiert und eine Tradition etabliert. Das Medium ist allgemein akzeptiert und wird nicht hinterfragt. Jüngere nehmen in diesem Stadium bereits an, dass es das Medium schon immer gegeben habe. Die meisten Medien erreichen nach Cathcart/Gumpert auch eine vierte Stufe, in der sie so .natürlich' wie fließendes Wasser und Strom empfunden werden. In dieser Phase merken die Nutzer nicht mehr, dass sie abhängig von dem Medium sind und fürchten nichts mehr als dessen Verlust - wie im Falle eines ,toten' Telefons oder kaputten Fernsehers. 30 Ich kann hier nur darüber spekulieren, in welchem der genannten Stadien sich der AB einordnen lässt. Die eingangs zitierten Vorbehalte gegenüber dem Medium liegen m.E. noch nicht weit genug zurück, um heute bereits von einer allgemeinen Akzeptanz des Mediums auszugehen. Man könnte also zumindest vorsichtig festhalten, dass sich das Medium nicht in der dritten oder gar vierten Phase befindet. Vom Erfahrungsstand der Teilnehmer hat die Untersuchung allerdings ein heterogeneres Bild vermittelt. Merkmal einer frühen Phase der Aneignung sind Experimente mit Ansagetexten, die das Neue dieser Textsorte - ihre Mehrfachadressiertheit - nicht ausreichend berücksichtigen. 30

Vgl. Gumpert/Cathcart (1986b: 20ff.).

364 Ungeübte AB-Besitzer können allerdings im Spiel mit der unbekannten Textsorte unterschiedliche Muster auf ihre soziale Veträglichkeit hin erproben und aus den dabei gewonnenen Erkenntnissen das für ihren Adressatenkreis angemessene „recipient design" entwickeln und später auf Änderungen beim Adressatenkreis auch routiniert mit einem veränderten Muster reagieren. Auf einen eher gereiften sprachlichen Umgang mit dem AB lassen weiterhin Anrufer schließen, die die Bedingungen und Grenzen des Mediums kennen und trotzdem unbefangen darauf sprechen oder angesichts der Restriktionen problemvermeidende Lösungsstrategien wählen. Anrufer mit Formulierungsschwierigkeiten belegen dagegen mangelnde Routine. Ein technisches Gerät kann nach Rammert aber erst dann als sozial akzeptiert gelten, wenn ihm von einer größeren Gruppe in der Gesellschaft eine Bedeutung für das Handeln verliehen und der Umgang mit ihm zur dauerhaften und gewohnten Praxis geworden ist. 31

Dieser Zusammenhang trifft auch für ein technisches Gerät wie den AB zu. Zunächst einmal hat der AB Akzeptanzprobleme, weil er die Abkehr vom gewohnten Medium Telefon erzwingt. Nach Rammert behindert die bestehende und gewohnte technische Kultur zu Anfang die Akzeptanz einer neuen Technik 32 - wenn Tradition (Überliefertes) durch Innovationen zwangsläufig (und naturgemäß durchaus auch absichtlich) verändert wird, entsteht zunächst eine Irritation, da die Notwendigkeit von Veränderungen nicht gleichzeitig von jedermann gleich bereitwillig anerkannt (akzeptiert) wird. 33

Mit dem erzwungenen Wechsel des Mediums gehen beim AB aber auch Veränderungen der Kommunikation einher, die unerfahrenen Mediennutzern Schwierigkeiten bereiten. Quelle seiner Akzeptanzprobleme sind somit vor allem Gelingensprobleme in der Kommunikation, die den Aneignungsprozess eines Mediums insbesondere in seinen Anfängen vermehrt begleiten, wie die Telefongeschichte bereits gezeigt hat. Im Untersuchungszeitraum haben sich neben diesen Gelingensproblemen aber auch Anzeichen für eine im Entstehen begriffene Routine beobachten lassen. Dieses deutet darauf hin, dass sich der Aneignungsprozess des AB in statu nascendi befindet, einer Phase also, die von zahlreichen Übergangsphänomenen gekennzeichnet ist, wie z.B. die unterschiedlichen Bewältigungsstrategien unroutinierter Sprecher belegen. Der AB hat m.E. die Phase größter Gelingens- und Akzeptanzprobleme weitgehend hinter sich gebracht. Er musste dabei nicht wie einst die Eisen31 32 33

Rammert (1990a: 31). Vgl. Rammert (1990a: 25). Kienecker (1984: 146).

365 bahn diabolische Mächte überwinden. Dem Bauernglauben nach holte sich Beizebub an jeder großen Station einen Fahrgast zum Transportlohn. Im Eisass wurde Mitte des 19. Jahrhunderts von den Kanzeln noch wider den Eisenbahnaberglauben gepredigt. 34 Für Probleme im Aneignungsprozess macht man heute nicht mehr ernsthaft den Teufel verantwortlich, wenngleich frustrierte Nutzer von AB mit Blick auf nicht ausgereifte Technik mit Recht fragen könnten, wie es kommt, „daß Menschen Maschinen produzieren, denen gegenüber sie sich ohnmächtig fühlen?" 35 und den AB sicherlich gern zur Hölle schicken möchten. Das Medium ist aber noch nicht vollkommen .erwachsen', und bis es eine feste Musterlösung herausgebildet hat, werden sich die Phänomene seiner sprachlichen Aneignung samt ihrer mitunter kuriosen Blüten noch eine Weile gut beobachten lassen. Die Untersuchung hat gezeigt, wie erfindungsreich Sprache und Sprecher bei der Bewältigung eines neuen Mediums sein können. Hier zeigt sich, dass das Gespräch als Kommunikationsform tatsächlich die Fantasie beflügelt. Das Gespräch hat in der Vergangenheit auch die Fantasie derer beflügelt, die nach neuen Wegen seiner Technisierung gesucht haben und wird dieses sicher auch in Zukunft tun. Hess-Lüttich fordert, dass die angewandte Linguistik ein waches Auge auf die Konsequenzen haben muss, die sich aus der Technisierung unserer Kommunikation ergeben, da sie die Konstitution unserer Gesellschaften als Sprachgemeinschaften verändern. 36 Dem stimme ich zu, halte aber fest, dass sich noch schwer abschätzen lässt, welches Potenzial der AB hier hat. Für eine Prognose ist es auch deshalb noch zu früh, weil die AB-Technik weiterentwickelt wird und damit sowohl Erleichterungen als auch neue Erschwernisse für die Kommunikation einhergehen können. Entwicklungstendenzen des Mediums und der Telefonkommunikation insgesamt deuten darauf hin, dass AB auch künftig gebraucht werden. Daher behaupte ich, dass das Gespräch über das Medium und Probleme in der Kommunikation mittels AB nicht abreißen werden.

34 35 36

Vgl. Bausinger (1983: 28f.). Senghaas-Knobloch (1985: 240). Vgl. Hess-Lüttich (1990: 255f.).

9 Ausblick

Gegenstand meiner Untersuchung war der AB, der als Einzelgerät dem Telefonapparat hinzugeschaltet oder als Komponente in einem Gehäuse mit dem Telefon zusammen installiert wird. In dieser .klassischen' Form wurde der AB kontinuierlich weiterentwickelt. Zunächst wurden die Geräte um die Aufsprechmöglichkeit ergänzt. Später schuf die Digitaltechnik mehr Bedienungskomfort - gegenwärtig verbessert man Digitalgeräte fortlaufend in den Bereichen Speicherkapazität und Sprachqualität und stattet sie mit Zusatzfunktionen aus, die die Kommunikation erleichtern sollen. ISDN-Technologie 1 hat die Möglichkeiten der Telefonkommunikation aber sehr erweitert und ihre Neuerungen nehmen in erheblichem Maße Einfluss auf die AB-Kommunikation. Inhaber eines ISDN-Anschlusses verfügen heute über mehrere Telefonnummern, von denen z.B. eine privat und eine andere beruflich genutzt werden kann - so können unterschiedlichen Adressaten getrennte AB und ihren Bedürfnissen und Erwartungen besser angepasste Ansagetexte für die Kommunikation angeboten werden. In einem Mehrpersonenhaushalt können die ISDN-Nummern zudem auf die Haushaltsmitglieder verteilt werden. Neben der Telefonleitung hat sich inzwischen auch die Gestalt von AB verändert. Mit Hilfe von Software und einem Modem oder einer ISDN-Karte ist es möglich, den Computer als AB zu nutzen. 2 Diese sogenannten intelligenten' AB bilden als Programme auf dem Computer einen digitalen Anrufbeantworter nach. Hier hat die ISDN-Technik eine neue Generation AB geschaffen, die z.B. in der Lage sind, mehrere Anrufe gleichzeitig anzunehmen. Zudem lässt sich bei diesen Systemen für jede ISDN-Telefonnummer eine separate Ansage gestalten. 3 Dieses lässt sich auch mittels Sprachboxen erreichen, wie sie z.B. in der Mobilfunkkommunikation verwendet werden. 4 Es handelt sich hierbei um virtuelle Anrufbeantworter, die Anrufe auf zentralen Sprachspeichermedien eines Telekommunikationsdienstleisters aufzeichnen. Bei der Sprach-Box der Deutschen Telekom - der „T-NetBox" - ist es möglich, eine „FamilyBox"

1

2 3

4

Integrated Services Digital Network (ISDN); dienstintegrierendes digitales Fernmeldenetz. Vgl. Hooffacker (1994: 260ff.). Vgl. Wendt, S.: XAN ISDN-Anrufbeantworter, http://www.pc-tip.ch; MHO-ISDNSystems: ISDN. Das intelligente Anrufbeantwortersystem; http://www.isdn.ch. Vgl. Schmidt (1994: 8); vgl. auch Parker (1987), Priest/Wallace (1989), Küffner (1990); in den USA verdrängen inzwischen Sprachboxen das .klassische' S t a n d gerät; vgl. dazu Michalk (1996: 31).

368 für maximal neun Teilnehmer einzurichten. 5 Durch Sprachboxen und ISDN lassen sich Probleme der Mehrfachadressierung verringern. Eine weitere Neuerung durch ISDN ist die Rufnummernanzeige. ISDNTelefone zeigen auf einem Display die Telefonnummer des Anrufers an. Sofern eine Telefonnummer unter einem bestimmten Namen in dem integrierten Telefonbuch des Gerätes abgespeichert wurde, kann das Telefon auch anzeigen, von wessen Anschluss aus angerufen wird. 6 Diese ISDNFunktion hat das Potenzial - einen sehr hohen Verbreitungsgrad der Technologie vorausgesetzt - die Gesprächseröffnung am Telefon nachhaltig zu verändern. Der Angerufene kann auf diese Weise den Anrufer bereits mit Namen begrüßen und ihm so einen Gesprächsschritt abnehmen. Telefongesellschaften in den USA bieten einen ähnlichen Service bereits seit Beginn der Neunzigerjahre unabhängig von ISDN unter dem Namen „caller-ID". 7 Mittels Rufnummernanzeige können Angerufene Telefonkommunikation regulieren und dazu zwischen Anrufern selektieren. Hessler ist der Auffassung, dass „erst mit der Einführung von ISDN ein wirklich umfassendes System zur Anrufererkennung technisch problemlos umgesetzt werden kann." 8 Allerdings bestehen einige Unterschiede zwischen Rufnummernanzeige und dem Gebrauch des AB als ,Filter': 1.

Durch die Rufnummemanzeige entstehen dem Anrufer keine Kosten. Sein Anruf kann damit geblockt werden, ohne dass er dafür wie beim AB bezahlen muss.

2.

Die Rufnummernanzeige lässt es zu, mit dem ersten Telefonklingeln zwischen Anrufern zu selektieren. Der Anrufer muss dazu nicht erst (wie beim AB) sprechen.

Die Anzeige identifiziert aber lediglich einen anderen Anschluss und nicht unbedingt den Anrufer selbst, der von diesem Anschluss aus telefoniert. Sie gibt zudem keine Information über das Anliegen des Anrufers. Die Rufnummernanzeige erlaubt also zunächst eine nur ungefähre Personenauswahl, das Zuhören über den AB aber eine genauere und eine mögliche Selektion nach thematischen Kriterien. Rufnummernanzeige und AB bieten also jeweils einen Selektionsknoten in der Telefonkommunikation. Die Kombination von AB und Rufnummernanzeige deckt aber nur bedingt Lücken bisheriger Selektionspraxis über den AB ab. Sullivan macht darauf aufmerksam, dass der 5

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8

Vgl. Deutsche Telekom AG: T-NetBox. FamilyBox - Eine Box für jeden!; http://www.telekom.de. Vgl. Deutsche Telekom AG: Rufnummemübermittlung. Erstmal sehen, wer anruft; http://www.telekom.de. Zu Rufnummernanzeige (ISDN) und „Caller ID" vgl. Crabb (1999), Hessler (1994), Kubicek (1991). Hessler (1994: 384f.).

369 Angerufene durch Rufnummernerkennung erfahren kann, welcher Anrufer beim Anspringen des AB aufgelegt hat. Er kann diesen zurückrufen und nach dem Grund dafür fragen. 9 Nutzt der Anrufer aber eine Blockiervorrichtung (,,blocking"-Taste) wird seine Telefonnummer nicht preisgegeben. 10 In den USA haben „caller-ID" und andere Servicedienste wie „call trace" (Rufnummernrückverfolgung) und „call block" (Anrufsperre) zu einer breiten öffentlichen „privacy"-Debatte geführt, die auch vor den Gerichten ausgetragen wurde." Es bleibt abzuwarten, welchen Einfluss hierzulande eine breite Nutzung von ISDN-Technik 12 und Funktionen wie Rufnummernanzeige oder -Unterdrückung auf die Telefonkommunikation haben wird. Die bisherige Auseinandersetzung um den AB als Kommunikationsfilter deutet aber darauf hin, dass diese Diskussion auch auf Deutschland zukommen kann. Eine weitere Neuerung in der Telefonkommunikation und der AB-Technik sind die sogenannten .reaktionsfähigen' AB. Am Massachusetts Institute of Technology (MIT) wurde schon Mitte der Achtzigerjahre im Rahmen des Projekts ,Phone slave" über einen dialogfähigen AB nachgedacht. Ein erster Prototyp auf der Basis eines Computersystems, das auch für den Privatgebrauch tauglich sein sollte, war bereits 1984 vorführbar. 13 Dieser Typ AB findet sich derzeit besonders im außerprivaten Bereich: Schon 1996 setzten in den USA 95% und in Deutschland 20% aller Großunternehmen reaktionsfähige AB ein. 14 Nach Pütz begründet der AB-Hersteller Zettler die Entwicklung dieses AB-Typs damit, dass Anrufer beim Sprechen auf Band oft wichtige Informationen auslassen. 15 Ältere reaktionsfähige AB lassen den Anrufer zunächst ein .akustisches Frage-Antwort-Menu' durchlaufen, bevor die Verbindung zu einem Sprachspeichersystem oder Gesprächspartner hergestellt werden kann. Hierbei stellt eine Stimme auf Band nacheinander mehrere Fragen, die mit Hilfe der Zif-

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Vgl. Sullivan (1994: 155). Vgl. Hessler (1994: 388ff.); Hessler gibt an, dass diese Funktion nach Erkenntnissen in den USA nur wenig genutzt wird, man gehe zudem davon aus, dass diese nach einer Gewöhnungsphase nur noch für Anrufe bei „crisis hotlines" verwendet werde. Vgl. Hessler (1994: 388ff.) u. American Civil Liberties Union: Caller-ID With Automatic Name Delivery Poses Serious Privacy Threat, http://www.aclu.org. Nach Angaben des Bundesamtes für Statistik waren 2000 7,7% bundesdeutscher Haushalte mit einem ISDN-Anschluss ausgestattet; vgl. Bundesamt für Statistik: Ausstattung privater Haushalte mit Informationstechnik, http://www.statistikbund.de. Vgl. Knapp (1984: 55ff.); zu Sprachdialogsystemen vgl. auch Waterworth/Talbot (1987: 120ff.), Mirbach (1986). Vgl. Der Spiegel, (1996: 46). Vgl. Pütz (1993: 95).

370 ferntasten des Telefonapparats beantwortet werden sollen. 16 . Bei neueren Typen entfällt das Knöpfedrücken, sie werden mit den Möglichkeiten moderner Spracherkennungstechnik ausgestattet. 17 So soll es möglich sein, ,mit' dem AB zu sprechen, um z.B. einen Flug per Selbstbedienung buchen zu können. 18 Eine Innovation, die die Form der AB-Kommunikation ebenfalls verändern könnte, ist das Bildtelefon. 19 Die Idee dazu ist nicht neu. Bereits die Deutsche Bundespost startete 1983 mit 28 Teilnehmern einen ersten Systemversuch. Nach den Ergebnissen der Berliner Telefonstudie gab es vor mehr als zehn Jahren noch ein großes Käuferpotenzial für diese Geräte. Im Altersdurchschnitt gaben immerhin 53,7% der befragten Männer und 36,3% der befragten Frauen an, dass sie ein Bildtelefon nutzen würden. 20 Der Energiekonzern RWE prognostizierte vor wenigen Jahren noch, dass im Haus der Zukunft ein Bildtelefon stehen werde. Nach heutigem Stand ist dieser Trend allerdings nicht absehbar. Noch 1999 ließ die Deutsche Telekom das Bildtelefon „T-View 100" von 50 Managern testeten, um Erfahrungswerte mit der neuen Technologie zu sammeln. 21 Anfang 2001 stellte der Telekommunikationskonzern den Verkauf des Bildtelefons aber zu Gunsten modernerer Lösungen auf Basis von Computer, Software und Internettechnologie ein. Das Telefonieren über das Internet bei gleichzeitiger Videoverbindung steckt aber noch in den Anfängen. Ähnlich sieht es derzeit im Mobilfunkbereich aus. Philips hat sich bereits 1999 auf eine derartige Entwicklung eingestellt und in einer Machbarkeitsstudie Bildtelefonie auf dem „WristPhone", einem Telefon in einer Armbanduhr, erprobt. 22 Der Weg zum mobilen Bildtelefongespräch scheint heute vorgezeichnet. Nach der SMS beginnt sich auch die MMS durchzusetzen. Anrufer können bereits seit einiger Zeit Bilder via Mobilfunk übertragen. Die nächsten Schritte hin zum Handy-Video-Telefonat sind lediglich noch eine Frage breitbandiger Mobilfunknetze. Die Technologie dazu ist bereits da. Sie muss sich am Markt nur noch durchsetzen. Angesichts des geringen Verbreitungsgrades von Bildtelefontechnologie in Deutschland ist es noch zu früh, um Angaben über die Aneignung von Bild-

16 17 18

19

20 21 22

Vgl. Der Spiegel (1996: 46), Pütz (1993: 95). Vgl. Dobler( 1997). Vgl. Intervoice Brite: SpeechAccess - Extending the World of Call Automation, http://www.intervoice-brite.com. Vgl. Daly/Hansell (1999), Gessinger (1999), U. T. Lange (1996: lOlf.) und (1997); zur historischen Entwicklung des Bildtelefons vgl. Bamekow (1991); vgl. auch de Fomel (1994) zu Pilotversuchen mit dem Bildtelefon in Biarritz. Vgl. U. Lange et al. (1990:41). Vgl. Business Channel, Bildtelefon T-View 100 im Test, http://nbc04.bch.de. Vgl. Motor Presse Stuttgart: Bildtelefon als Armbanduhr; http://www.netedition.de.

371 telefonie machen zu können. Es lässt sich kaum prognostizieren, wie Anrufer damit umgehen werden, wenn sie möglicherweise zusätzlich zu ihrer Stimme auch ein bewegtes Bild von sich auf einem AB hinterlassen sollen. Da Bildtelefon und AB aber wie beim T-View 100 bereits in einem Gehäuse untergebracht wurden, ist der Gedanke nicht abwegig, dass es vielleicht einmal bebilderte Anrufertexte sein werden, die auf AB hinterlassen werden, sofern sich die Menschen vorher an das Gerät gewöhnt haben. U.T. Lange bezeichnet das Bildtelefon als den „Totengräber des verhüllten Sprechens" 23 . Dies weit darauf hin, dass wie beim klassischen AB auch bei solch einem Gerät Akzeptanzprobleme erwartbar wären. Diese zu überwinden, ist nach Fielding/Hartley aber kein Problem der Technik, sondern der Nutzerpsychologie. 24 Die hier nur skizzierten Veränderungen der Telefonkommunikation weisen darauf hin, dass der AB noch großes technisches Entwicklungspotenzial besitzt. Meine Untersuchung hat gezeigt, dass bereits geringe Änderungen in der Technik des AB großen Einfluss auf die Kommunikation haben können. Daher dürfte der AB auch künftig ein interessanter Forschungsgegenstand sein. Das Medium muss sich allerdings nicht erst weiter technisch ausdifferenzieren, um weitere sprachwissenschaftliche Studien anzuregen. Neben den technischen Neuerungen des AB hat meine Unteruchung weitere Probleme ausgelassen. So können Gespräche grundsätzlich nach sozialen Kriterien variieren. 25 Sullivan schlägt hier verschiedene Arbeiten - auch soziolinguistisch motivierte - vor 26 , zu denen sich in der Literatur und in meiner Untersuchung bereits Ansatzpunkte ergeben haben. So liegen neben ersten Erkennnissen zum geschlechtstypischem Verhalten beim AB 27 auch Beobachtungen zum gruppenspezifischen sprachlichen Gebrauch des AB vor. Naumann stellt fest, dass es vorwiegend Jugendliche sind, die Wert auf originelle Ansagetexte legen. 28 Mertesacker beobachtet eine Affinität Studierender zu humorvollen Ansagetexten. 29 Ich habe diese Tendenz auch in meiner Untersuchung bemerkt.

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U . T . Lange (1997: 266). Fielding/Hartley (1987:117) erklären frühere kommerzielle Fehlschläge des Bildtelefons in den U S A und Großbritannien als Fehler einer technik- aber nicht nutzerzentrierten Marktforschung. Vgl. Allen/Guy (1974: 248ff.); vgl. auch Anwärter (1982). Vgl. Sullivan (1994: 159). Vgl. Mueller Gathercole et al. (1995), deren Aufsatz mir allerdings nur in der unveröffentlichten Fassung bekannt ist; zu Interaktion und Geschlecht vgl. Goffman (1994b). Vgl. Naumann (1994: 437). Vgl. Mertesacker (1994: 97); zur Studentensprache vgl. Weber (1980).

372 Lange stellt in einer Arbeit jüngeren Datums dagegen fest, dass der Trend zu kreativen Mustern nachlässt. Ihr Korpus stützt sich zwar in großer Zahl auf die Texte Studierender, sie betont aber, dass bei der Mehrheit der Ansagetexte in ihrem Korpus „die konventionelle Form - wieder? - bevorzugt wird." 30 Da die Arbeiten von Lange und Mertesacker vier Jahre auseinanderliegen, wäre es eine reizvolle Aufgabe, einmal systematisch zu untersuchen, ob sich hier ein gruppenspezifischer oder gar genereller Wandel im Gebrauch des Mediums abzeichnet. Interessante Fragestellungen dürften sich darüber hinaus aus dem sprachlichen Umgang von Kindern oder Älteren mit dem AB ergeben. Besonders die ältere Generation tut sich sehr viel schwerer im Umgang mit der neuen Welt der Informationstechnik als junge Menschen, die mit großer Neugier, Phantasie und Tatkraft von diesen Geräten Besitz ergreifen. Sie tun das so selbstverständlich, wie die Generation vor ihnen das Autofahren gelernt hat.31

Ansatzpunkte für weitere Arbeiten können zudem kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Kommunikation mittels AB 32 oder z.B. auch das Bild des AB im Kinofilm 33 sein. Überhaupt wäre es sehr aufschlussreich für Probleme in der AB-Kommunikation, wenn man wüsste, wie der AB in anderen Medien - Literatur, Fernsehen, Zeitungen etc. - oder auch in der Werbung dargestellt und bewertet wird. Erfreulicherweise kann die Forschung zu vielen Fragen der AB-Kommunikation aber bereits auf Erkenntnisse zur Telefonkommunikation 34 zurückgreifen, die künftig auch vergleichende Studien zur Medienaneignung anstoßen können.

30 31

32

33 34

Lange (1998: 73). Lohmar (1984: 12); zum Umgang älterer Menschen mit Technik vgl. Mollenkopf (1993: 233ff.); Fiehler (1997) behandelt die Frage nach dem Kommunikationsstil des Alters. Knoblauch (1995: 189) verweist hier auf eine Untersuchung in den USA. Dort wurden an neun Privatgeräten Uber 300 Anrufertexte in englischer und mehreren anderen Sprachen gesammelt. Vgl. Raz/Shapira (1994: 418f.). Vgl. Telefon U. Lange (1993: 210); T. Lange (1997: 274ff.), Moyal (1989); Claisse (1989: 269f.), und Noble 1990 zu Männern und Frauen, Minini (1985) zu Kindern, Skelton (1989) zu Jugendlichen am Telefon, Wald/Stöckler (1991) zur Telekommunikation älterer Menschen; Hopper/Doany (1989) zu kulturellen Gemeinsamkeiten, Rolka (1989) und Siegert (1989) zu Telefon und Literatur; Wulff (1989) zu Telefongesprächen im Film.

Anhang: Korpus

Verwendete Transkriptionszeichen: -

Elision (z.B.: fahr-n, fahrn) Unverständliches (z.B.: geschichte ist

durchgestrichen

schwer Verständliches

Eingeklammert durchgestrichen

vermuteter Wortlaut (z.B.: (geschichte))

)

(z.B.: geschichte)

*

Wortabbruch

/

Satzabbruch

II

stark steigende/sehr hoch endende Kadenz leicht steigende/halbhoch endende Kadenz schwebende/in mittlerer Lage endende Kadenz leicht fallende/halbtief endende Kadenz stark fallende/auf dem Grundton endende Kadenz

1 >

yj

+

++ +++

ca. 0,3-0,7 Sek. Pause ca. 0,8-1,2 Sek. Pause ca. 1,3-1,7 Sek. usw. Pause

:

Dehnung (mehrere Doppelpunkte zeigen längere Dehnungen an)

»

Kürzung

-

Stakkato

{•}

stockende Sprechweise: Unterbrechung im rhythmischen Redefluß, die kürzer als eine Pause von 0,3 Sekunden ist

(h)

lachähnliche Partikel

#

verschluckte Wortanteile

Majuskel

betonte Vokale einer Silbe (z.B.: betOnt)

Majuskel unterstrichen

besonders betonte Vokale einer Silbe (z.B.: betOnt)

zusätzliche Unterstreichung des ganzen Wortes

besonders emphatische Betonung (z.B.: betQnt)

fi

Signalton

Φ

technischer Gesprächsabbruch

374 technisches Gesprächsende

(XXX)

Abbruch durch Gesprächsübernahme vertraulicher Inhalt (wird aus Gründen der Diskretion nicht transkribiert; Angabe der Dauer im Kommentar) tonale Zeichen: (zumeist Pausenfüller und Rückmeldungspartikeln)

m, 3, hm, h

eingipflig kurze

m:, 3, hm:, hs:

eingipflig lange

m-m, 3-3, hm-m, hs-3

zweigipflig kontinuierliche

m m 3 3, hm hm, hs hs

zweigipflig abgesetzte

m / m: / 3 / 3:

Pausenfüller einfache Rückmeldung

m /3 abwartende Bestätigung m-m / =m: / 3-3 Zustimmung .m: / .3: Verneinung m m, / 3 3, Nachdenklichkeit hm:= starker Zweifel ,m: generelle Kleinschreibung als MAJUSKELN im Text: nichtsprachliche Lautäußerungen und -Produktionen, Geräusche, Musik, anonymisierte Namen und Orte. Die Wortzählung berücksichtigt alle sprachlichen und nichtsprachlichen Lautäußerungen und Geräusche. Lieder (zur Gestaltung des Ansagetextes) werden nicht verschilftet. Das Platzhalterwort MUSIK wird bei der Wortzählung nicht berücksichtigt. Angaben zur expressiven Stimmgebung der sprachlichen Äußerungen werden umgangssprachlich paraphrasierend im Kommentar gemacht.

375

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